Skip to main content

Full text of "Therapeutische Monatshefte"

See other formats


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 
to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 
to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 
are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  marginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 
publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 

We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  of  the  file s  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  flies  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  from  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attribution  The  Google  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  informing  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  off  er  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
any  where  in  the  world.  Copyright  infringement  liability  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  Information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.  Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  while  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  füll  text  of  this  book  on  the  web 


atjhttp  :  //books  .  qooqle  .  com/ 


Über  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Regalen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfügbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 

Das  Buch  hat  das  Urheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  partnerschaftlicher  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.  Nichtsdestotrotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  verhindern.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 

Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  für  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  für  diese  Zwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google -Markenelementen  Das  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppen  zu  erreichen. 


Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter  http  :  //books  .  google  .  com  durchsuchen. 


BOSTON  IHN  SIS 


**--^'^~*rffrrgrgp:»y '**■,■» 


r 


Therapeutische  Monatshefte, 


Herausgegeben 


von 


Dr.  Oscar  ^Liebreich 


unter  Redaktion  von 


Dr.  A.  Langgaard  und  Dr.  S.  Rabow. 


Neunzehnter  Jahrgang. 

1005. 


Berlin. 

Verlag   von   Julius    Springer. 


1905. 


^ö'w  w  *£>,-;> 


Inhalts-Verzeichnis. 


o 


Originalabhandliuigeii. 

Über    die    AnwenduDg    abgetöteter   Typhusbazillen    zur   Ausführung   der   Gruber  -  Widalschen 

Reaktion.    Von  Assistenzarzt  Dr.  Georg  Kien  (Straßburg  i.  E.) 1 

Über  tonisierende  Weinpräparate.    Von  Oscar  Liebreich 6 

3.  Über  Methvlenhippursäure.   Von  Prof.  Dr.  Arthur  Nicoiaier  (Berlin) 7 

4.  Die  Behandlung  der  Tuberkulose  in  den  Sanatorien  von  Leysin.    Von  Dr.  Morin 13 

5.  Zur  operativen  Eröffnung  der  Mittel  ohrräume.   Von  San. -Rat  Dr.  Klau  (Berlin) 17 

6.  Zur  Frage  der  Zellmast.    Von  Dr.  Walther  Nie.  Clemm  (Darmstadt) 27 

7.  Nochmals  die  Behandlung  der  trockenen  und  verstopften  Nase.    Von  Hofrat  Dr.  Voll  and  (Davos)  36 

8.  Beitrag  zur  Wirkung  des  Veronals.   Von  Dr.  Kreß  (Rostock) 37 

9.  Chemische  Reaktion  im  Darmkanal  und  ihre  therapeutische  Verwendbarkeit.    Von  Dr.  J.  Gold- 
schmidt (Paris) 37 

10.  Ein  Fall  von  Vergiftung  durch  Chloralhydrat  mit  tödlichem  Ausgange.   Von  Dr.  Berliner  (Berlin)  51 

11.  Über  intravenöse  Hetolinjektionen.    Von  Dr.  R.  Weiß  mann 55 

12.  Erfahrungen   über  Atropinanwendung  in  der  Frauenheilkunde.    Von  Oberstabsarzt  Dr.  Drenk- 
hahn  (Glatz) 57 

13.  Über  die  Behandlung  schwerer  blutiger  Handverletzungen.    Von    Dr.  G.  W.  Schiele  (Naum- 
burg a.  S.) 61 

14.  Die  Wetterverhaltnisse  in  der  Nordsee  in  den  beiden  letzten  Wintern.    Von  Dr.  Edel  (Wyk)  .  66 

15.  Zar  Erweiterung  der  Indikationen  für  den  Kefirgebrauch.    Von  Dr.  A.  Hirsch  (Riga)     ....  71 

16.  Erfahrungen  über  den  ,,  Liquor  sanguinalis  Krewel".   Von  Sekund&rarzt  Dr.  Fr  ick  (Cöln)  ...  76 

17.  Erfahrungen  der  Landpraxis  mit  Veronal.    Von  Dr.  Fritz  Prölss  (Scheessel) 77 

18.  Zur  operativen  Eröffnung  der  Mittel ohrräume  (Schluß).    Von  San.-Rat  Dr.  Klau  (Berlin)    ...  79 

19.  Zur  Kenntnis  des  Stypticins.    Von  Prof.  Dr.  Martin  Freund  (Frankfurt  a.  M.) 92 

20.  Fibrolvsin,  eine  neue  Thiosinamin Verbindung.    Von  Dr.  Felix  Mendel  (Essen) 93 

21.  Eine  in  der  Praxis  leicht  ausführbare  Reaktion  des  Diabetoshames.    Von  Prof.  Dr.  C.  Strzy- 
zowski  (Lausanne) ' 109 

22.  über  die  Formalinreaktion  beim  Diabetesharn.    Von  Prof.  Dr.  Rabow 109 

23.  Über  venöse  Hetolinjektionen.   Von  Dr.  Esch  (Bendorf) 110 

24.  Zum  Problem  der  Ätiologie  der  Tabes.   Von  O.  Rosenbach  (Berlin) 111 

25.  Über  chronische  Entzündungen  der  Blinddarmgegend  und  ihre  Behandlung.    Von  Dr.  H.  Herz 
(Breslau) 116 

26.  Über  Wirkungen  und  Nebenwirkungen  des  Maretins.    Von  Ferdinand  Henrich  (Berlin)    .    .  124 

27.  Über  „Das  Gesetz  des  osmotischen  Gleichgewichts"  im  Organismus.    Von  Dr.  Hans  Koeppe 
(Gießen) 127 

28.  Erhält  unser  Volk  genug  Fleisch?    Von  Dr.  Gold  stein  (Berlin) 136 

29.  Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  des  Herrn  Dr.  Gold  stein:    Erhält  unser  Volk  genug  Fleisch? 
Von  Dr.  F.  Joklik  (Prag) 138 

30.  Duplik.   Von  Dr.  Goldstein 140 

31.  Über  Sanoform.   Von  San.-Rat  Dr.  Unger  (Berlin) 141 

32.  Zu  der  Mitteilung  von  Prof.  Franke  über  Erysipelbehandlung.    Von  Dr.  Gustav  Doberauer 
(Prag) 143 

33.  Bemerkungen  zu  vorstehendem  Artikel.    Von  Prof.  Felix  Franke 143 

34.  Die  hypnotischen  Eigenschaften  eines  neuen  Polychlorals  (Viferral).    Von  K.  Witthauer  und 

S.  Gärtner  (Halle  a.  S.) 143 

35.  Über  Prof.  Sohleichs  kosmetischen  Hautcreme.    Von  Dr.  W.  Zeuner  (Berlin) 162 

36.  Zur  intravenösen  Hetolinjektion.   Von  Dr.  Weißmann  (Lindenfels) 163 

37.  Über  die  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose  mit  Phenosalyl.   Von  M.  W.  Dempel  (Jalta)    .  165 

38.  Einige  Erfahrungen  mit  Neuronal.   Von  Assistenzarzt  Dr.  Eni  er  (Erlangen) 168 

39.  Die  balneologiscn- diätetische  Behandlung  der  chronischen   Diarrhöe.    Von   Dr.  Edgar  Gans 
(Karlsbad) 170 

40.  Zur  Therapie  der  Cholelithiasis.   Von  Dr.  A.  Hecht  (Beuthen  O.-S.) 172 

41.  Über  Zuckerproben.   Von  Med.-Rat  Dr.  Hecker  (Weißenburg) 175 

42.  Fibrolysin,  eine  neue  Thiosinamin  Verbindung.   H.   Von  Dr.  Felix  Mendel  (Essen) 177 

43.  Über  chronische  Entzündungen  der  Blinddarmgegend  und  ihre  Behandlung  (Schluß).   Von  Dr. 

H.  Herz  (Breslau) 178 

44.  Zur  Behandlung  des  vorzeitigen  Haarausfalls.   Von  Dr.  Edmund  Saalfeld  (Berlin) 192 


iv      fah^u.v«.^,^  rasay 

Seite 

45.  Bemerkungen  zu  Herrn  Dr.  Rah  na  Aufsatz:   Zur  Kritik  der  Jodbader.   Von  San. -Rat  Peli- 
zaeus  (Oeynhausen) 198 

46.  Die  perkutane  Jodapplikation.    Von  G.  Wesen berg 199 

47.  Eine  merkwürdige  Wirkung  der  Crocusaufnahme.    Von  Dr.  Mulert  (Meißen) 217 

48.  Behandlung   der  Otitis  externa  mit  organischen  Schwefelpräparaten.    Von  Dr.  Carl   Kassel 
(Posen) 218 

49.  Über  Glassers  Condurango-Elixir.   Von  Dr.  Goliner  (Erfurt) 219 

50.  Über  Pikrins&ureTerwendung  bei  Hautkrankheiten,   besonders  ,bei  Ekzem.    Von  Assistenzarzt 

Dr.  Otto  Meyer  (Straßburg  i.  E.) 221 

51.  Die  Nervenmassage.   Von  Oberstabsarzt  Dr.  Cornelius  (Meiningen) 227 

52.  Die  erste  Hilfe  bei  Augen  Verletzungen.   Von  Dr.  Pick  (Königsberg) 236 

53.  Zwei  neue  Lokalanaesthetica  in  der  rnino-laryngologischen  Praxis.    (Milchsaures  Eukain,  Stovain.) 
Von  Dr.  Arthur  Meyer  (Berlin) 240 

54.  Zur  medikamentösen  Behandlung  der  Lungentuberkulose.   Von  Dr.  Carl  Stern  (San  Rcmo)   .  243 

55.  Zur  Methodik  der  Milchanalyse  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  ärztliche  Praxis.  Von  Dr. 
Theodor  Lohnstein  (Berlin) 248 

56.  Erhält  unser  Volk  genug  Fleisch?  II.   Von  Dr.  Ferdinand  Goldstein  (Berlin) 254 

57.  Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz  von  0.  Rosenbach:    „Zum  Problem  der  Ätiologie  der  Tabes" 

in  No.  3  dieser  Zeitschrift.   Von  Dr.  Wilhelm  Croner 257 

58.  Behandlung  der  Leukämie  und  Pseudoleukämie  mit  Röntgenstrahlen.  Von  Dr.  Winkelmann 
(Cöln)      258 

59.  Über  Isoform.    Von  Prof.  B.  Galli-Valerio  (Lausanne) 259 

60.  Ein  Fall  von  Icterus  toxicus.   Von  Dr.  Hecht  (Beuthen  O.-Schl.) 269 

61.  Die  Behandlung  der  Kapillarbronchitis.   Von  Dr.  Herzfeld  (New  York) 274 

62.  Eine  Bemerkung  zu  dem  Artikel:  Eine  bequemere  Anwendungsweise  des  Chinin  von  Geb.  San. - 

Rat  Dr.  Aufrecht  im  Februarheft  1903  dieser  Monatshefte.   Von  Dr.  0.  Muller  (Hongkong)  .  27f> 

68.   Ein  Erlebnis  mit  dem  Wasserstoffsuperoxyd  Merck  (Perhydrol).  Von  Dr.  Altdorfer  (Wiesbaden)  275 

64.  Die  Entdeckungen  der  Parasitologie  uud  die  Errungenschaften  der  Hygiene.  Von  Prof.  Dr.  Galli- 
Valerio  (Lausanne) 277 

65.  Erfahrungen  mit  Theooin.  natrio-aceticum  und  mit  Ci tarin.  Von  Assistenzarzt  Dr.  Laengner 
(Berlin) 283 

66.  Mitteilungen  über  Theophyllin  auf  Grund  einer  Statistik  von  855  Fällen.  Von  Dr.  M.Sommer 
(Mannheim) .  285 

67.  Über  Resultate  der  Fangobehandlung  und  über  die  kombinierte  Sol-  und  Fangokur.  Von  Privat- 
dozent Dr.  E.  de  la  Harpo  (Lausanne) 289 

68.  Der  Wert  der  Bäder  bei  Gicht.   Von  Dr.  Eduard  Weisz  (Pistyan) 292 

69.  Die  Notwendigkeit  der  Zufuhr  Zahn  und  Knochen  bildender  Substanzen.  Von  Dr.  F.  Kl  ein - 
sorgen  (Elberfeld) 295 

70.  Praktische  Erfahrungen  mit  den  Fetronpräparaten  Liebreich.  Von  Dr.  Ernst  Becker  (Char- 
lottenburg)       298 

71.  Die  Frage  der  elektromagnetischen  Therapie.    Von  Dr.  Kreß  (Rostock) 300 

72.  Unsere  elektrischen  Bäder.   Von  Dr.  0.  Schliep  (Stettin) 303 

73.  Ein  Formalin-Desinfektionsschrank.    Von  Dr.  Mendo  (Gottesberg) 307 

74.  Über  Vulnoplast.    Von  Dr.  Benno  Müller  (Hamburg) 310 

75.  Über  die  Verwendung  der  Flatulinpillen  (Dr.  J.  Roos)  bei  Magen-  und  Darmerkrankungen.   Von 

Dr.  Richard  Fuchs  (Bleistadt) , 314 

76.  Einige  Bemerkungen  zu  H.  Koeppes  Arbeit:    Über  das  Gesetz  des  osmotischen  Gleichgewichts 

im  Organismus.    Von  Prof.  H.  Strauß  (Berlin) * 316 

77.  Impfung  am  Faß.    Von  Privatdozent  Dr.de  la  Harpe  (Lausanne) 330 

78.  Die  epidemische  Genickstarre  in  Oberschlesien.   Von  Dr.  A.  Hecht  (Beutben) 333 

79.  Die  Verbreitung  und  Verhütung  der  Helminthen  des  Menschen.  Von  Prof.  B.  Galli-Valerio 
(Lausanne) 339 

80.  Glossen  zur  Behandlung  der  akuten  eitrigen  Mittelohrentzündung.   Von  Dr.  A.  Eitelberg  (Wien)  347 

81.  Die  psychische  Entartung  und  deren  Verhältnis  zu  verschiedenen  Kategorien  von  Sprachstörungen.  , 
Von  Dr.  Wladyslaw  Oltuszewski  (Warschau) 352 

82.  Über  die  angeblichen  Gegenindikationen  für  die  Anwendung  des  Cbloralhydrats  allein  und  in 
Verbindung  mit  Morphium  auf  Grund  eigener  Beobachtungen.   Von  Dr.  H.  Kühn  (Hoya)  .    .    .  356 

83.  Die  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose.   Von  Dr.  Hamm  (Braun schweig) 358 

84.  Die  «physiologische  Narkose14  und  ihr  Heil  wert  für  die  Praxis.  Von  Dr.  F.  Kleinsorgen 
(Elberfeld) 362 

85.  Digalen.    Von  Oberarzt  Dr.  Win ckelmann  (Cöln) 364 

86.  Vergiftung  nach  Gebrauch  der  Wismutbrandbinden.  Von  Kreisarzt  Dr.Schaeche  (Chateau  Salins)  381 

87.  Dormiol  als  Antihidroticum.    Von  Dr.  Wederhake  (Elberfeld) 387 

88.  Die  hygienische  Behandlung  der  Fußböden.   Von  K.  Langhann 387 

89.  Über  Collargol  (Cred6).    Von  Dr.  R.  Weiß  mann  (Lindenfels) 389 

90.  Über  die  Desinfektion  der  Hände  nach  Fürbringer  und  die  wichtigsten  Operatiooen  in  der 
geburtshilflichen  Praxis,  auf  Grund  von  270  beobachteten  Fällen  besprochen.  Von  Dr.  Willy 
Krause  (Strasburg  Westpr.) 397 

91.  Die  Behandlung  der  sogenannten  skrofulösen  Augenentzündungen.   Von  Dr.  Rothholz  (Stettin)  402 

92.  Über  Anwendung  und  Wirkung  der  Arsen-Ferratose.   Von  Dr.  L.Bardach  (Kreuznach)  .    .    .  406 

93.  Über  Isoi>ral  als  schlafwirkendes  Medikament.   Von  Dr.  Thaddäus  Pisarski 409 

94.  Die  psychische  Entartung  und  deren  Verhalten  zu  verschiedenen  Kategorien  von  Sprachstörungen 
(Schluß).    Von  Dr.  Wladyslaw  Oltuszewski  (Warschau) 414 

95.  Neueste  Arbeiten  über  Narkose.   Ein  Sammelreferat.    Von  Dr.  Th.  A.  Maass  (Berlin)    ....  418 


XIX*i906[,m,l|r']                                                      Inhaltt-Ve**eielmta.  V 

96.  Antwort  auf  „Einige  Bemerkungen  zu  H.  Koenpes  Arbeit:    Über  das  Gesetz  des  osmotischen 
Gleichgewichts  im  Organismusa  von  Prof.  H.  Strauß  in  Berlin.    Von  Dr.  H.  Koeppe     .    .    .  423 

97.  Bemerkungen  zu  vorstehender  Antwort  des  Herrn  Kollegen  Koeppe- Gießen.   Von  H.Strauß  425 

98.  Benzoylsuperoxyd ,  ein  neues  therapeutisches  Agens.   Von  Dr.  A.  S.  Loe venhart  (Baltimore)  426 

99.  Die  Behandlang  des  Abortes  in  der  allgemeinen  Praxis.   Von  Dr.  F.  Moebins  (Braunschweig)  443 

100.  Zur  Säuglingssterblichkeit  in  Preußen.   Von  Dr.  Ferdinand  Goldstein 445 

101.  Über  die  Desinfektion  der  Hände  nach  Fürbringer  und  die  wichtigsten  Operationen  in  der 
geburtshilflichen  Praxis  auf  Grund  von  270  beobachteten  Fällen  besprochen  (Schluß).   Von 

Dr.  W.  Krause 448 

102.  Über  das  „zurzeit  am  besten  wirkende"  Diureticum.   Von  Dr.  Th.  Homburger  (Karlsruhe)   .  452 

103.  Ein  Beitrag  zur  Frage:  „Gibt  es  gonorrhoische  Exantheme?"   Von  Dr.  Orlipski  (Halberstadt)  458 

104.  Pankreon  als  Digestivum.   Von  Dr.  E.  Koch  (Aachen) 465 

105.  Veronalismus.   Von  Nervenarzt  Dr.  Kreß  (Rostock) 467 

106.  Die  Behandlung  der  Tuberkulose  in  Leysin.   Von  Dr.  Morin  (Leysin) 493 

107.  Zur  Wirkung  der  gegen  Diabetes  mellitus  empfohlenen  Medikamente.  Von  Dr.  F le  i  s  ch  e  r  (Berlin)  497 

108.  Diphtherieepidemien  und  Diphtherieempfänglichkeit.    Von  Dr.  Rosen feld  (Berlin) 509 

109.  Bemerkungen  zu  dem  vorstellenden  Aufsatze.   Von  Dr.  Gottstein  (Berlin) 517 

110.  Zur  Therapie  der  diphtherischen  Larvnxstenose.   Von  Dr.  Rudolph  (Magdeburg) 518 

111.  Die  Neurasthenie  junger  Ehefrauen.    Von  Dr.  M.  Porosz  (Budapest) 519 

112.  Zur  therapeutischen  und  prophylaktischen  Wirkung  des  Formaldehyds  bei  inneren  Krankheiten. 
Yon  Dr.  J.  Zwillinger  (Olmütz) 520 

113.  Über   den  quantitativen  Nachweis  einer  organischen  Phosphor  Verbindung  in  Traubenkernen 

und  Naturweinen.   Von  J.  Weirich  und  G.  Ortlieb 522 

114.  Zur  Frage  der  paroxysmalen  Hämoglobinurie.    Von  Dr.  Schindler  (Bern) 525 

115.  Bemerkungen  zu  der  Sauerstofftherapie.   Von  Dr.  A.  Heermann  (Posen) 526 

116.  Fetrosal.    Von  O.  Liebreich 545 

117.  Kritisch -experimentelle   Beiträge   zur  Wirkung   des   Nebennierenextraktes   (Adrenalin).     Von 

Dr.  S.  Möller  (Altona) 547 

118.  Theorie  und  Praxis  in  der  Gichttherapie.   Von  Dr.  Alfred  Zucker 561 

119.  Die  balneologische  Behandlung  alter  Hemiplegien.    Von  Dr.  Neumann  (Baden-Baden)    .    .    .  567 

120.  Ionenlehre  und  Therapie.   Von  San.-Rat  Dr.  Scherk  (Bad  Homburg) 572 

121.  Über  Histosan.   Von  Dr.  R.  Stierlin 576 

122.  Direkte  Behandlung  der  kroupösen  Pneumonie.   Yon  Dr.  Leopold  Bayer  (Hatfcfeld)  ....  579 

123.  Einige  Veränderungen  des  exprimierten  Mageninhalts  in  vitro.    Von  Assistenzarzt  Dr.  Theodor 
Miro n esc u  (Bukarest) 580 

124.  Über  das  Zinkperhydrol,  ein  neues  Wundmittel.   Von  Dr.  Eduard  Wolffenstoin 581 

125.  Bemerkung  zu  der  Behandlung  akuter  und  chronischer  Gelenkerkrankungen  nach  Sondermann. 
Von  Dr.  Weisflog  (St.  Gallen) 600 

126.  Hustenpastillen  bei  Pertussis,  Asthma  und  Bronchialkatarrh.    Von  Dr.  W.  Zeuner  (Berlin)     .  600 

127.  Zur  Kenntnis  des  ,Valofina.   Von  Dr.  Mode  (Karlshorst) 601 

128.  Über  moderne  Digitalispräparate.   Von  Dr.  R.  Freund  (Danzig) 603 

129.  Über  die  therapeutische  Wirkung  des  Styracols.    Von  Dr.  Hellmuth  Ulrici  (Reiboldsgrün)  611 

130.  Kasuistische  Mitteilungen  über  Collargolbehandlung.   Von  Stabsarzt  Dr.  Rau  (Wreschen)    .    .  617 


131.  Eine  neue  Flasche  für  Säuglinge.   Von  Geh.  San.-Rat  Dr.  Aufrecht  (Magdeburg) 619 

132.  Zur  Therapie  der  diphtherischen  Larynxstenose.   Von  Dr.  Hecht  (Beuthen  O.-S.)  .....  620 

133.  Kritisch -experimentelle   Beiträge   zur   Wirkung   des    Nebennicronextraktes    (Adrenalin).     Von 

Dr.  S.  Möller  (Altona)  (Fortsetzung) 622 

134.  Über  eine  neue  Form  der  Eisenverordnung.   Von  Dr.  Ehr  mann  (Berlin) 634 

135.  Über  die  Behandlung  der  Brandwunden  mit  Zinkperhydrol.   Von  Dr.  Robert  Jacoby  (Berlin)  636 

136.  Zur  Wirkung  der  gegen  Diabetes  mellitus  empfohlenen  Mittel.  Von  Felix  Goldmann  (Berlin)  637 

137.  Protosal.    Von  A.  Langgaard 688 


Neuere  Arzneimittel. 


Seite 

1.  Isophysostigmin 38 

2.  Fibrolysin,  eine  neue  Thiosinaminverbin- 
dung.    Von  Dr.  Felix  Mendel 93 


Seite 

12.  Eukodin      365 

13.  Enesol 366 

14.  Lentin 366 


3.  Die  hypnotischen  Eigenschaften  eines  neuen  15.  Benzoylsuperoxyd,  ein  neues  therapeu- 
Polychlorals  (Viferral).  Von  K. Witthauer  tisches  Agens.  Von  Dr.  A.  S.  Loeven- 
und  S.  Gaertner 143  hart 426 

4.  Die   perkutane   Jodapplikation.    Von   G.  16.    Alypin 428 

Wesenberg 199      ^"     ~" 

ö.Stovain 207 

6.  Griserin 209 

7.  ÜberIsoform.VonProf.Dr.Galli-Valerio  259 

8.  Isoform 261 


17.  Clavin 471 

18.  Über  das  Zinkperhydrol,  ein  neues  Wund- 
mittel.  Von  Dr.  E.  Wolffenstein  ...  581 

19.  Novocain 582 

20.  Protosal.   Von  A.  Langgaard     ....  638 


9.    Kalomelol 262  !   21.    Formicin 638 

10.  Digalen.  Von  Oberarzt  Dr.  Winckelmann   364      22.   Parisol 639 

11.  Eumydrin 865  |  22.   Acidol 639 


VI 


Inhaltt-VorMtehnls. 


rTher*peutiache 
L  Monatshefte. 


Therapeutische  Mitteilungen  ans  Vereinen. 


Seite 


I.  KoDgrcß  der  Internationalen  Geseilschaft  für  Chirurgie 527,  583,  640 


Toxikologie. 


Seife 

1.  Ein  Fall  von  Vergiftung  durch  Chloral- 
hydrat  mit  tödlichem  Ausgange.  Von  Dr. 
Hans  Berliner 51 

2.  Dreifacher  Fall  von  Wurstvergiftung  (Bo- 
tulismus).  Von  Dr.  G.  Morelli    ....      51 

3.  Über  Atropin -Vergiftung.  Von  San.-Rat 
Benno  Holz 52 

4.  Verwechslung  von  Enzianwurzel  mit  Bella- 
donnawurzel.   Von  J.  Hockauf    .    .    .    .      52 

5.  Vergiftung  nach  äußerlicher  Anwendung 
von  Kupfersulfat  (Blaustein).  Von  Dr. 
Spannbauer 52 

6.  Beitrag  zur  Kenntnis  des  Botulismus.  Von 

•       M.  Kob 156 

7.  Über  Theocinvergiflung.  Von  Edouard 
Allard 156 

8.  EineBeobachcung  über  Zirkulationsstörung 
nach  Veronal.   Von  Dr.  M.  Senator    .    .    157 

9.  Ein  Fall  von*  chronischer  Phenacetin Ver- 
giftung.  Von  Dr.  Max  Hirschfeld    .    .    157 

10.  Was  leistet  Kali  hypermanganicum  als 
Morphiumantidot?  Von  Dr.  Aiphons 
Kramer 157 

11.  Eine  merkwürdige  Wirkung  der  Crocus- 
aufnahme.    Von  Dr.  Mulert 217 

12.  Ein  Fall  von  Icterus  toxicus.  Von  Dr. 
Hecht 269 

13.  Über  Vergiftung  mit  Schwefelalkalien. 
Yon  E.  Stadelmann 270 

14.  ÜberWismutvergiftung.  Von  Dr.  W.  Mahne    270 

15.  Vergiftung  mit  Isosafrol.  Von  Dr.  Wald- 
vogel         ...    271 

16.  Vergiftung  nach  Gebrauch  der  Wismut- 
brandbinden.   Von  Dr.  Schaeche    .    .    .    381 

17.  Über  tödlich  verlaufende  Quecksilberder- 
matitiden.  Von  Hans  Meyer 382 

18.  Über  Quecksilbersepsis.  Von  Hermann 
Eichhorst 383 

19.  Ein  tödlicher  Fall  von  akuter  Sublimat- 
vergiftung.  Von  Dr.  Scott  Sugden   .    .    383 

20.  Über  die  Primelkrankheit  und  andere 
durch  Pflanzen  verursachte  Hautentzün- 
dungen. Von  Stabsarzt  Dr.  E.  H  o  f  f  m  a  n  n    383 


Seite 

21.  Ein  Beitrag  zum  Kodeinismus.  Von  Dr. 
Pelz 384 

22.  Eine  Belladonnavergiftung.  Von  Dr. 
Stocker 384 

23.  Mitteilung  von  sieben  Fällen  von  Fisch- 
vergiftung an  der  mediz.  Poliklinik  Zürich 
Von  Dr.  A.  Stoll 438 

24.  Die  Austerninfektionen.     Untersuchungen 

von  M.  Vivaldi  und  A.  Rodella   ...    438 

25.  Ein  Fall  von  chronischem  Veronalismus. 
Von  Dr.  Hoppe 439 

26.  Über  Purgenvergiftung.  Von  San.-Rat  Dr. 
Benno  Holz 439 

27.  Arzneiexanthem  nach  Aspirin.  Von  Dr.  R. 
Freund .439 

28.  Ein  Fall  von  Erblindung  nach  Atoxylinjek- 
tionen  bei  Liehen  ruber  planus.  Von  Dr. 

W.  Bornemann 439 

29.  Über  einen  Todesfall  nach  Anwendung  der 
ofnzinellen  Borsalbe  bei  einer  Brandwunde. 
VonDr.Dopfor 487 

30.  Todesfall  nach  Anwendung  der  offizineilen   • 
Borsalbe    bei    einer    Brandwunde.     Von 

E.  Harnack 487 

31.  Über  eine  Vergiftung  mit  Helleborus  niger. 
Von  E.Fürth 487 

32.  Ein  Fall  von  Glykosurie  naeh  medikamen- 
töser Quecksilberverabreichung.  Von  Dr. 
Fauconnet 487 

33.  Ein  Fall  von  Jodpempbigus  mit  Beteili- 
gung der  Magenschleimhaut.  Von  Dr.  R. 
Polland 488 

34.  Über  artefizielle  Dermatitis,  hervorgerufen 
durch  ein  Haarfarbemittel.  Von  Dr.  C. 
Botac* 488 

35.  Ein  Fall  von  Mesotanausschlag.  Von  Dr. 
J.P.  Wills 488 

36.  Ein  Fall  von  Arsenvergiftung.  Von  Dr. 
Meyerhoff .540 

37.  Eine  lebenbedrohende  Intoxikation  bei 
Anwendung  einer  50  proz.  Resorcinpaste. 
Von  Dr.  Kaiser 540 


Literatur. 

Seite 

1.  Grundzüge  der  Ernährung  und  Diätetik.    Von  Geh.-Rat  Prof.  Dr.  von  Ley den.    2.  Aufl.    ...  52 

2.  Die  inneren  Krankheiten  in  kurzer  Darstellung  zum  Gebrauch  für  Ärzte  und  Studierende.  Von 
Privatdozent  Emil  Schwarz 53 

3.  Beitrag  zur  Pathologie  und  Therapie  der  Pankreaserkrankungen   mit  besonderer  Berücksichti- 
gung der  Cysten  und  Steine.    Von  Priv.-Doz.  Dr.  Paul  Lazarus .    .    .  53 

4.  Diagnostik  der  Krankheiten  des  Nervensystems.  Von  Prof.  Dr.  A.  Gold  scheider 53 

5.  Erfahrungen  aus  einer  vierzigjährigen  neurologischen  Praxis.    Von  Dr.  V.  von  Holst     ....  53 

6.  Die  Krankheiten  der  warmen  Länder.   Von  Dr.  B.  Sehe  übe.   3.  Aufl 53 

7.  Der  Scheintod  der  Neugeborenen.  Von  Dr.  Ludwig  Knapp  , 54 


*IX'SÄ!,"ilg']                                                    Inh«l*-V«iMlchato.  VII 

Seit« 

8.  Die  Vererbung  der  Syphilis.    Von  Dozent  Dr.  Rudolf  Matzenauer 65 

9.  Die  Gallensteinkrankheit,  ihre  Häufigkeit,  ihre  Entstehung,  Verhütung  und  Heilung  durch  innere 
Behandlung.    Von  Dr.  Walter  Nie.  Clemm 157 

10.  Prophylaxe  und  operationslose  Behandlung  des  Gallen steinleidens.   Von  Dr.  Franz  Kuhn    .    .  157 

11.  Die  Gallensteinkrankheit,  ihre  Ursache,  Pathologie,  Diagnose  und  Therapie.  Von  Dr.  F.  Schilling  157 

12.  Das  Eindringen  der  Tuberkulose  und  ihre  rationelle  Bekämpfung.   Von  Dr.  Hugo  Beckmann  160 

13.  Die  krankhafte  Willensschwäche  und  die  Aufgaben  der  erziehlichen  Therapie.    Von  Dr.  F.  C. 

R.  Eschle 160 

14.  Die  natürliche  und  künstliche  Säuglingsernährung.   Von  Dr.  K.  Oppenheimer 160 

15.  The  demente  of  Kellgren's  manual  treatment.   Sy  Edgar  F.  Cyriax      161 

16.  Vorlesungen  über  Physiologie.   Von  M.  v.  Frey 161 

17.  Hebammen-Lehrbuch.  Herausgegeben  im  Auftrage  des  Kgl.  Preußischen  Ministers  der  geistlichen, 
Unterrichts-  und  Medizinal -Angelegenheiten 161 

18.  Medizinische  Volksbücherei.  Herausgegeben  von  K.Wi  tt  hau  er.  Heft  1.  Allgemeines  über  den 
Krebs.    Von  Dr.  Heinrich  Mohr 162 

19.  Untersuchung-  und  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopfkrankheiten.   Von  Dr.  Th.  Heryng  .    .  271 

20.  Die  Gicht,  inre  Ursachen  und  Bekämpfung.  Von  Dr.  O.  Bur winke  1 272 

21.  Die  Fermente  und  ihre  Wirkungen.   Von  Dr.  Carl  Oppenheimer 273 

22.  Anatomie  und  physikalische  Untersuchungsmethoden.   Von  R.  Ostreich  und  0.  de  la  Camp  .  273 

23.  Lehrbuch    der  speziellen  pathologischen  Anatomie   für  Studierende   und  Arzte.    Von  Prof.  E. 
Kaufmann 274 

24.  Die  Otosklerose.   Von  Prof.  Alfred  Denker 274 

25.  Erfolge  der  Röntgentherapie.   Von  Prof.  E.  Schiff      274 

26.  Morphium  als  Heilmittel.    Von  0.  Rosenbach ^ 327 

27.  Die  Fettsucht.   Von  Dr.  H.Leber  .   . 328 

28.  Dritter  Jahresbericht  der  neuen  Heilanstalt  für  Lungenkranke  zu  Schömberg,  O.-A.  Neuenbürg, 
nebst    Bemerkungen    zur    Behandlung    der   Larynxtuberkulose.     Von    Dr.  Schröder    und 

Dr.  Nagelsbach 329 

29.  Das  MaTariafieber,  dessen  Ursachen,  Verhütung  und  Behandlung.    Von  Ronald  Roß     .    .    .    .  329 

30.  Das  Gechlechtsleben  des  Weibes  in  physiologischer,  pathologischer  und  hygienischer  Beziehung. 
Von  Med.- Rat  Prof.  Dr.  Heinrich  Kisch 329 

31.  Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  praktischen  Medizin. 
Von  Prof.  ILLandois.    11.  Aufl.,  bearbeitet  von  Prof.  Rosemann 330 

32.  Hermaphroditismus  und  Zeugungsunfahigkeit.   Von  Prof.  Cesare  Taruffi 330 

33.  Grundzüge  der  Hygiene  unter  Berücksichtigung  der  Gesetzgebung  des  Deutschen  Reiches  und 
Österreichs.   Von  W.  Prausnitz.   VU.  Auf. 384 

34.  Führt  die  Hygiene  zur  Entartung  der  Rasse?    Von  Prof.  Max  Gruber 385 

35.  Die  Alkoholföge  vom  ärztlichen  Standpunkt.   Von  Dr.W.  Pfaff 885 

36.  Gefrierpunkts-  und  Leitfähigkeitsbestimmungen.    Ihr  praktischer  Wert  für  die  innere  Medizin. 
Von  Dr.  S.  Schoenborn 386 

37.  Belastungslagerung.     Grundzüge   einer   nicht   operativen   Behandlung    chronisch -entzündlicher 
Frauenkrankheiten.    Von  Dr.  L.  Pinous 386 

38.  Atlas  und  Grundriß  der  Verbandlehre  für  Studierende  und  Ärzte.   Von  Albert  Hof fa    .    .    .  386 

39.  Hautreizende  Primeln.    Untersuchungen  über  Entstehung,  Eigenschaften  und  Wirkungen  des 
Primelgiftes.    Von  Prof.  Dr.  A.  Nestler •  386 

40.  Die  Krankheiten  der  Frauen.    Von  Prof.  Dr.  H.  Fritsch.    11.  Aufl 440 

41.  Lehrbuch    der   Vibrationsmassage    mit    besonderer   Berücksichtigung    der   Gynäkologie.    Von 

Dr.  Kurt  Witthauer 440 

42.  Handbuch  der  Urologie.    I.  Bd.    Von  Dr.  v.  Frisch  und  Dr.  0.  Zuckerkandl 440 

43.  Grundriß  der  Otologie.   Von  Geh.-Rat  Schwartze  und  Prof.  C.  Grunert 441 

44.  Die  Verletzungen  des  Gehörorgans.   Von  Geh.  Med.-Rat  Dr.  Passow 441 

45.  Kursus  der  Zahnheilkunde.   Von  K.  Cohn 442 

46.  Das  Anwachsen  der  Geisteskranken  in  Deutschland.   Vou  Dr.  M.  Hack  1 *.....  489 

47.  Die  vegetarische  Diät  und  Lebensweise  überhaupt.   Von  Dr.  E.  Singer 489 

48.  Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten.   Von  Dr.  M.  Josenh 489 

49.  Die  Haarkrankheiten,  speziell  die  Entstehung  der  Glatze.   Von  Dr.  Meyer  .    .    . 489 

50.  Lexikon  der  physikalischen  Therapie,  Diätetik  und  Krankenpflege  für  praktische  Arzte.     Von 

Dr.  Anton  Bum 490 

51.  Leitfaden  für  den  geburtshilflichen  Operationskurs.    Von  Prof.  A.  Döderl ein 490 

52.  Für  Mutter  und  Kind.   Von  Dr.  Max  Hackl 490 

53.  Was  ein  erwachsenes  Mädchen   wissen  sollte.   Ratschläge  eines  Arztes,   Von  Dr.  Burlureaux  490 

54.  Taschenbuch  für   Ohren-,    Nasen-,   Rachen-    und   Halsärzte    nebst  Spezialistenverzeichnis    und 
Taschenkalender  für  das  Jahr  1905/6.   Von  L.  Jankau 491 

55.  Vorlesungen  über  klinische  Hämatologie.    Von  Dr.  W.Tür  k.   I.Teil  . 491 

56.  Bakteriologie  und  Sterilisation  im  Apothekenbetriebe.   Von  Dr.  O.Stich 491 

57.  Gymnastik  und  Massage  als  Heilmittel.   Von  Prof.  Hoffa 491 

58.  Kurzer  Überblick  über  die  Grundzüge  der  Röntgen -Technik  des  Arztes.  Von  Dr.  Schürmayer  491 
69.   Schwindsucht   und  Krebs   im  Lichte   vergleichend  statistisch- genealogischer  Forschung.    Von 

Dr.  A.  Riffel 640 

60.  Grundriß  der  prakt.  Medizin  mit  Einschluß  der  Gynäkologie.    Von  Prof.  Schwalbe 541 

61.  Hygiene  des  Herzens  im  gesunden  und  kranken  Zustande.   Von  Prof.  Eich  hörst 541 

62.  Ausgewählte  Kapitel  der  klinischen  Symptomatologie  und  Diagnostik.   Von  Prof.  Neuss  er  .    .  541 

63.  Lehrbuch  der  Haut- und  Geschlechtskrankheiten  für  Studierende  und  Arzte.    Von  Prof.  E.  Lesser  542 

64.  Ethische  Forderungen  im  Geschlechtsleben.    Von  Dr.  Cnyrim 542 


Vffl  lnh«lti-V«r««ichiiii.  PSSSSft?* 

Seite 

65.  Die  Therapie  der  Magen-,  Darm-  and  Konstitutionskrankheiten.   Von  G.  Graul 542 

66.  Grundriß  der  medikamentösen  Therapie  der  Magen-  und  Darmkrankheiten  einschließlich  Grund- 
züce  der  Diagnostik.   Von  Dr.  Rodari '.    .  542 

67.  Lehrbuch  der  Urologie  mit  Einschluß  der  männlichen  Sexualerkrankungen.   Von  Dr.  L.  Casper  543 

68.  Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  inneren  Medizin  im  In-  und  Auslande.  Von  W.Ebstein  543 

69.  Die  bei  der  dritten  Deutschen  Arzte -Studienreise  besuchten  Rheinischen,  Hessischen,  Lippeschen 

und  Waldeckschen  B&der.   Von  Gilbert,  Meißner  und  Oliven 543 

70.  Neuere  Forschungen  über  die  Verrichtung  der  Schilddrüse,  ihre  Beziehung  zu  Kropf,  Kretinismus, 
Epilepsie  etc.   Von  C.  Lindstädt 544 

71.  Pathologische  Anatomie  der  Gehirnerschütterung  beim  Menschen.    Von  Dr.  v.  Holder  ....  545 

72.  Beitrage  zur  Ohrenheilkunde.   Festschrift,  gewiamet  August  Lucae 597 

73.  Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  praktischen  Medizin. 
Von  Prof.  L.  Land  ois.   11.  Aufl.   Bearbeitet  von  Prof.  R.  Rose  man  n.   II 598 

74.  Die   Kinderernährung   im   Säuglingsalter   und   die   Pflege   von  Mutter   und  Kind.     Von  Prof. 

Ph.  Biedert.   5.  Aufl 599 

75.  Leitfaden  zur  Pflege  der  Wöchnerinnen  und  Neugeborenen.    Von  Prof.  H.  Walt  her 599 

76.  Die  Verhütung  und  operationslose  Behandlung  des  Gallensteinleidens.  Von  Dr.  F.Kuhn  .    .    .  600 

77.  Zur  Frage  der  Borwirkung.    Eine  Kritik  des  Dr.  Wilevschen  Berichtes  an  das  amerikauische 
Ackerbau- Ministerium.    Von  Dr.  0.  Liebreich 654 

78.  Dr.  Jessners  darmatologische  Vorträge  für  Praktiker.    Heft  13.    Die  Schupp enflechten  und  ihre 
Behandlung 656 

79.  Adam  und  Eva.   Ein  Beitrag  zur  Klärung  der  sexuellen  Frage.    Von  Dr.  L.Wolf  f 656 

80.  Werden  und  Vergehen.   Von  Carus  Sterne.    6.  Aufl.,  herausgegeben  von  W.  Bölsche  .    .    .  657 


Oi 


X* 


Therapeutische  Monatshefte. 


1905.    Januar. 


nalabhandlittp^en. 

FEBtiH:907 


Über  die  Anwendung  abgelöteter 
Typbusbazillen  zur  Ausfuhr 

Gruber  -Wldalschen  Reaktion. 

Von 

Dr.  Georg  Kien, 

I.  Anlatent  der  Unlv.-Kinderklinik  sa  Straßburg  I.  E. 

Gegen  den  diagnostischen  Wert  des  Ag- 
glutinationsphänomens wurden  in  letzter  Zeit, 
yon  verschiedenen  Seiten  aus,  Bedenken  er- 
hoben. Der  Grund  hierfür  lag  einmal  darin, 
daß  das  Serum  von  Typhuskranken  nicht  jeden 
Typhusstamm  agglutinierte1),  andrerseits,  daß 
auch  andere  Infektionserreger,  wie  Proteus  und 
Staphylokokken9),  und  besonders  der  dem 
Typhus  verwandte  Paratyphus3),  Agglutina- 
tion der  Typhusbazillen  hervorrufen  konnten. 
Setzen  wir  zu  diesen  Tatsachen  noch  die 
Beobachtung  hinzu,  daß  auch,  klinisch,  ganz 
typische  Typhusfälle  verlaufen  können,  ohne 
daß  zu  irgend  einem  Zeitpunkt  im  Verlaufe 
der  Erkrankung  eine  Andeutung  von  Agglu- 
tination festzustellen  ist  (siehe  unsern  Fall  7, 
Tab.  B,  auch  Zit.  4),  so  werden  wir  uns  von 
einem  gewissen  Skeptizismus  bei  der  Ver- 
wendung der  Gruber-Wi  dal  sehen  Reaktion 
am  Krankenbett  nicht  ganz  befreien  können. 

Wenn  wir  jedoch  uns  dieser  Zufälle  be- 
wußt sind  und  die  Diagnose  auf  Typhus 
nicht  ausschließlich  auf  den  positiven  Ausfall 
der  Agglutination  begründen,  so  werden  wir 
den  Wert  der  Widal sehen  Reaktion  auch 
im  beschränkten  Umfange  zu  schätzen 
wissen.  Fällt  auch  einmal  die  Agglutination 
bei  einem  Typhuskranken  negativ  aus,  so 
wird  man  bei  bestehenden  klinischen  Sym- 
ptomen diesen  ihre  alten  Rechte  voll  ein- 
räumen oder,  falls  diese  im  Stiche  lassen, 
zum  Züchtungsversuch  mit  Blut,  Stuhl  und 
Urin  schreiten.  Nur  die  Auffindung  des 
Eberth  sehen  Bazillus  wird  uns  vollständige 

')  Kling  er,  Zentralblatt  f.  Bakteriol.  1902. 
Muller,  Manch,  med.  Wochenschr.  1903.  Stern, 
Berl.  klin.  Wochenschr.  1903,  No.  30. 

')  Labowski  u.  Steinberg,  Deutsch.  Arch. 
f.  klin.  Med.  Bd.  79. 

*)  Brans  a.  Kays  er,  Zeitschr.  f.  Hygiene  u. 
Infektionskrankheiten,  Bd.  43. 

*)  Brans  u.  Kayser,  Zeitschr.  f.  Hygiene  u. 
Infektionskrankheit.  Bd.  43,  S.  401. 

Th.  M.  1903. 


Klarheit'\/uber  die  Krankheit  verschaffen, 
A.^hi^ruch  wieder  sein  Auffinden,   trotz  der 

>esserten  Kulturmethoden,  manchmal  ver- 
sagt. (Siehe  unsere  Tab.  A,  Fall  5  und  10 
und  Tab.  B,  Fall  7.) 

Die  Bestimmung  der  Differentialdiagnose 
zwischen  Typhus  und  Paratyphus  dürfte  für 
die  Prognose5)  des  Falles  von  Wichtigkeit 
sein,  für  die  Therapie  jedoch,  bei  der  bio- 
logischen Verwandtschaft  beider  Bakterien- 
arten, kaum  ins  Gewicht  fallen.  Soll  aber 
die  Untersuchung  auf  Agglutination  eine  voll- 
ständige sein,  so  wäre  zunächst  die  Agglu- 
tinationsgrenze für  Typhus,  die  bekanntlich 
nicht  unter  1  :  50  betragen  soll,  und  eine 
Probe  mit  Paratyphus,  Typus  A  und  B,  an- 
zustellen. 

Eine  Mischung  beider  Bakterienarten, 
des  Typhus  und  Paratyphus,  vereinfacht  viel- 
leicht das  Verfahren6).  Nach  den  Unter- 
suchungen von  Bruns  und  Kayser7)  werden 
zwar  die  nicht  spezifischen  Bazillen  auch 
mit  agglutiniert  werden  (Gruppenagglutination 
Pfaundlers8)).  Diese  Agglutinationszahlen 
bleiben  im  Tierversuch  unter  denen 
der  infizierenden  Bazillen  zurück.  Beim 
Menschen  hat  man  jedoch  bezüglich  der 
Gruppenagglutination  an  verschiedenen  Tagen 
unter  Umständen  enorm  wechselnde  Agglu- 
tinationskurven (s.  unsern  Fall  6,  Tab.  A). 
Hier  ist  die  Möglichkeit  der  Einwirkung  von 
Misch infektionen  nie  völlig  auszuschließen. 

So  interessant  nun  auch  die  Feststellung 
der  Agglutination  ist,  so  schwierig  war  bis 
jetzt  ihre  Ausführung  für  den  praktischen 
Arzt.  Denn  dazu  gehörte  ein  Brütofen, 
frischer  und  geeigneter  Kulturnährboden  und, 
was  von  besonderer  Wichtigkeit  war,  ein 
gleichmäßig  agglutinabler  Typhusstamm,  der 
es  möglich  machte,  die  einzelnen  Resultate 
der  Agglutination  miteinander  zu  vergleichen. 


*)  Nach  Brion  beträgt  die  Mortalität  beim 
Paratyphus  3  Proz.    Deutsche  Klinik,  Bd.  2,  S.  531. 

6)  L  i  o  n ,  Münch.  med.Wochenschr.  1904,  No.  21. 

T)  Zeitschr.  f.  Hygiene  u.  Infektionskrankheiten, 
Bd.  43. 

8)  Pfaundler,  Über  Gruppenagglutination 
u.  s.  w.    Münch.  med.  Wochenschr.  1899,   S.  472  ff. 

1 


Kien,  Anwendung  abgetöteter  TyphutbasUleo. 


rher*peutbohe 
Monatuhefte. 


Dieses  letzte  Haupterfordernis  suchte 
bereits  Widal9)  zu  beseitigen,  indem  er  ab- 
getötete Typhusbazillen  benutzte  und  die 
Beobachtung  machte,  daß  diese  auch  in 
solchem  Zustande  ihre  Agglutinationsfähigkeit 
bewahrten.  Zur  Abtötung  der  Typhusbazillen 
genügte  lj2  bis  3/4  stündiges  Einwirken  einer 
Temperatur  von  57 — 60°.  Später  erzielte 
Widal  denselben  Erfolg  mit  1  bis  2tägigen 
Kulturen,  denen  er  Formol,  im  Verhältnis 
von  1  :  150,  zusetzte.  Auf  diese  "Weise  be- 
handelt, erwiesen  sich  die  Kulturrohröhen 
noch  nach  Monaten  gebrauchsfähig. 

In  neuerer  Zeit  wurden  ähnliche  Versuche 
durch  Pröscher")  und  Rolly11)  wieder 
aufgenommen.  Pro  seh  er  verwendet  Itägige 
Typhusbazillenkulturen,  die  durch  Zugabe 
von  1  Teil  40proz.  Formalin  auf  100  Teile 
Bouillon  abgetötet  sind.  Bei  diesem  Ver- 
fahren bildet  sich  ein  starker  Bodensatz,  der 
abfiltriert  wird.  Die  filtrierte  Flüssigkeit 
muß  im  Eisschrank  aufbewahrt  werden,  bleibt 
aber  monatelang  gebrauchsfähig.  Beim  An- 
stellen der  Proben  wird  die  Flüssigkeit  zu- 
nächst kräftig  geschüttelt;  hierauf  werden 
je  */»  ccm  derselben  mit  */a  cem  Serumverdün- 
nung in  einzelne  Röhrchen  gemischt.  Die 
Serumverdünnung  wird  jedesmal  so  gewählt, 
daß  das  Verhältnis  derselben  zur  abgetöteten 
Kultur  sich  ändert  und  die  Verdünnungen 
von  1:10,   1 :  20  u.  s.  w.  zustande  kommen. 

Das  Verfahren  von  Rolly12)  weicht  von 
dem  eben  erwähnten  kaum  ab.  Es  werden 
große  Erlen mey ersehe  Kolben  zu  lj3  m^ 
gewöhnlicher,  steriler  Bouillon  angefüllt,  mit 
virulenten  Typhusbazillen  geimpft  und  mit 
nur  losen  Wattepfropfen  verschlossen,  sodaß 
die  Luft  leicht  durch  diese  in  die  Kolben 
gelangen  kann.  Nach  5tägigem  Verweilen 
im  Brütofen  werden  2  —  3  so  behandelte 
Bouillonkulturen  zusammengegossen  und  mit 
Toluol  oder  Formol  im  Überschuß  versetzt. 
Die  Kulturen  werden  sodann  5  — 10  Tage 
lang  wieder  der  Bruttemperatur  überlassen 
und  täglich  heftig  umgeschüttelt.  Nach  dieser 
Zeit  sind  die  Typhusbazillen  abgetötet,  zeigen 
auch  keine  Eigenbewegungen  mehr,  finden 
sich  jedoch,  wie  bei  der  Agglutination,  in 
Häufchen  gruppiert.  Zentrifugieren  oder  2 
bis  4  wöchentliches  Stehenlassen  genügt, 
um  diese  Bazillenkonglomerate  zu  Boden 
sinken  zu  lassen,  während  die  anderen,  iso- 
liert stehenden  Typhusbazillen  gleichmäßig 
in  der  Flüssigkeit  suspendiert  bleiben.  Diese 
letztere    wird   alsdann   vorsichtig   abgezogen, 


1902. 


•)  Annales  de  PInstitut  Pasteur,  1897,  No.  5. 
10)  Zentralblatt    f.  Bakteriologie,    XXXI.  Bd., 


»)  MüDch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  22. 
,8)  Mönch,  med.  Wochenschr.  1904,  No.  24. 


mit  Toluol  versetzt  und  ist  zum  Gebrauche 
fertig. 

Rolly  glaubt,  daß  durch  den  losen  Watte- 
pfropfen und  das  öftere  Umschütteln  mehr 
Sauerstoff  zu  der  Bouillonkultur  gelange. 
Die  Folge  davon  sei  ein  energischeres  Wachs- 
tum der  Bazillen,  eine  weitere  Zersetzung 
der  Bazillen  und  eine  größere  Verdunstung 
von  Wasser.  Auf  diese  Weise  würden  die 
Bazillen  spezifisch  leichter  werden  und  sich 
in  der  Bouillon  schwebend  erhalten. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Lion  und 
Rolly  läßt  die  Bestimmung  der  Agglutina- 
tion mittels  abgetöteter  Typhusbazillen  an 
Genauigkeit  nichts  zu  wünschen  übrig. 

Die  nun  zu  besprechende  Methode  von 
Ficker  beruht  auf  demselben  Prinzip.  F  ick  er 
verwendet  eine  Flüssigkeit,  welche  abgetötete 
Typhusbazillen  und  die  spezifisch  aggluti- 
nablen  Stoffe  enthält.  Dieses  Präparat  wird 
unter  dem  Namen  „Typhusdiagnoaticum"  von 
der  ehem.  Fabrik  Merck -Darmstadt  nach 
einem  besonderen,  von  Ficker  angegebenen, 
bis  jetzt  noch  nicht  bekannt  gemachten  Ver- 
fahren hergestellt13). 

Es  hat  den  Vorzug,  zu  jeder  Zeit  ge- 
brauchsfähig zu  sein,  was  einen  Vorzug  be- 
deutet. Dabei  ist  noch  in  Betracht  zu  ziehen, 
daß  bei  den  oben  erwähnten  Methoden,  mit 
Ausnahme  derjenigen  von  Rolly,  ein  Mikro- 
skop und  ein  Brütofen  nötig  sind.  Mit  dem 
Ficker  sehen  Diagnosticum  dagegen  kann 
man  den  Ausfall  der  Reaktion  schon  mit 
bloßem  Auge  feststellen.  Bei  Beginn  der 
Agglutination  entstehen  kleine,  schwebende 
Flöckchen,  die  zunächst  an  den  Wänden  des 
Reagensgläschens  haften  bleiben  und  nach 
einigen  Stunden  auf  den  Boden  desselben 
fallen,  während  der  Rest  der  Flüssigkeit 
sich  aufhellt.  Die  Beobachtungszeit  darf  nach 
Ficker  20  Stunden  nicht  übersteigen. 

Die  Ausführung  der  Reaktion  weicht  von 
dem  üblichen  Widalschen  Verfahren  nicht 
ab.  Man  stellt  sich  eine  Serum  Verdünnung 
von  l/io  her,  mischt  sodann  in  ein  I.  Spitz- 
gläschen 0,1  von  dieser  Verdünnung  zu 
0,9  Diagnosticum,  und  in  ein  II.  Spitzgläs- 
chen 0,2  Verdünnung  zu  0,8  Diagnosticum 
u.  s.  w.  Man  erhält  auf  diese  Weise  die 
gewünschten  Mischungen  von  lln,  !/ioo-  Die- 
selben werden  im  Dunkeln  aufbewahrt  und 
nach  4—10—12—20  Stunden  der  Ausfall 
derselben  wahrgenommen. 

Ich  habe  auf  die  gütige  Anregung  von  Herrn 
Prof.  Kohts,  gleich  nach  Bekanntmachung 
dieses  Präparates,  dasselbe  mit  dem  Serum 
der  in  der  Kinderklinik  an  Typhus  behan- 
delten  Patienten   geprüft.     In    letzterer   Zeit 

")  Berlin,  klin.  Wochenschr.  1900,  No.  45. 


r 


XIX.  Jahrgang.! 
Jinntr  1905.  J 


Klan,  Anwendung  abgetöteter  Typhuabaslllen, 


wurden  die  Versuche,  mit  Genehmigung  der 
Herren  Professoren  Forst  er  und  Levy, 
auch  an  dem  Material  der  Typhusabteilung 
des  bakt.  Instituts  wiederholt.  Alle  Unter- 
suchungen wurden  immer  durch  Kontroll- 
proben mit  lebenden  Typhus-  und  Para- 
typhusbazilJen  vom  Typus  A  und  B  nach- 
geprüft. Dieses  wurde  örtlich  getrennt  von 
meinen  Versuchen,  ausschließlich  durch  die 
Assistenten  des  bakteriol.  Instituts,  Herren 
Dr.  Kays  er  und  Dr.  Klinger,  ausgeführt, 
wodurch  die  Resultate  gegenseitig  absolut 
unbeeinflußt  waren.  All  diesen  Herren  spreche 
ich  für  ihre  rege  Unterstützung  meinen  besten 
Dank  aus. 

Die  folgenden  Tabellen  geben  einen  Über- 
blick über  die  verschiedenen  Untersuchungen. 

Auf  Tabelle  A  sind  die  Typhusfälle  ver- 
zeichnet, die  in  der  Kinderklinik  behandelt 
und  bei  denen  die  Agglutination  vorgenommen 
wurde.  Die  kurzen  Angaben  über  den  Ver- 
lauf der  Krankheit  mußten  gemacht  werden, 
weil  auf  gewisse  Punkte  verwiesen  wird;  sie 
sollen  auch  zeigen,  daß  es  sich  jedesmal 
um  klinisch  sicher  gestellte  Typhusfälle 
handelte. 

Auf  Tabelle  B  finden  sich  Angaben  über 
den  Ausfall  einiger  dem  bakt.  Institut  zu- 
geschickter Blutproben  von  Typhuskranken 
oder  Typhusverdächtigen,  und  Tabelle  C  gibt, 
der  Vollständigkeit  halber,  das  Resultat  der 
Reaktion  bei  Kranken,  die  nicht  an  Typhus 
litten.  Dazu  wurden  z.  T.  Patienten  aus  der 
Scharlach-  und  Diphtherieabteilung   gewählt. 

A.    Untersuchung  des  Serums  von  Typhuskranken 
der  Kinderklinik. 

1»  Fall.    Louise  N.,  8  J.,  aus  Straßburg. 

Verlauf  der  Krankheit:  Aufnahme  am 
25.  VIII.  8. Tag  der  Erkrankung.  Milztumor.  Erbsen- 
brühartige  Stühle.  Diazoreaktion  positiv.  Puls  80. 
Am  27.  VIII.  Roseolen.  Vom  25.  VIII.  bis  28.  VIII. 
st  ad.  incrementi.  Am  28.  VIII.  Akme  mit  40,5°. 
Stuhluntersuchung  auf  Typhusbazillen  negativ. 
(Bakt  Institut)  Am  29.  VIII.  Kollaps.  Am  31.  VIIL 
40,2°.  Roseolen  abgeblaßt.  Beginn  des  stad.  de- 
cremend.  Am  8.  IX.  Typhusbazillen  im  Stuhl. 
(Bakt.  Institut)  Am  9.  IX.  zum  ersten  Mal  fieber- 
frei. Stühle  geformt.  Vom  9.  IX.  bis  24.  X.  fieber- 
frei. Am  22.  IX.  und  14.  X.  Stühle  typhusfrei.  Am 
24.  X.  geheilt  entlassen. 

Untersuchung  auf  Agglutination. 
Am  25.  VIII.,  8.  Krankheitstag:    Widal  4-  Vso 
und    -f-  Vi oo    stark.      Fickers    ßiag.    -+-  Vso   und 
-f-  Vioo  stark,  nach  3  Stunden. 

2.  Fall.     Julius  B.,  31/,  J.,  aus  Straßburg. 

Verlauf  der  Krankheit:  Aufnahme  am 
6.  X.  04.  2.  Krankheitstag.  Über  den  Lungen  1.  h. 
d.  leichte  Dämpfung,  jedoch  vesikul&res  Atmen. 
Hohe  Temperaturen  mit  abendlichen  Remissionen. 
Am  9.  Krankheitstaff  Akme  mit  39,9°;  am  13.  X. 
Typhusbazillen  im  Stuhl  negativ.  (Bakt.  Institut.) 
Stühle  geformt.  Die  hohen  Temperaturen  bleiben  be- 
stehen. 18.  X.  Roseolen,  Milztumor,  erbsenbrühartige 


Stühle.  Am  21.  X.  Typhusbazillen  im  Stuhl.  Vom 
23.  X.  ab  stad.  decrementi.  Vom  27.  X.  ab  fieberfrei. 

Untersuchung  auf  Agglutination. 
Am  16.X.,  10.  Krankheitstag:    Widal  -4-  »/so 
und    -+-  V,oo    stark.     Fickers    Diag.    -f-  '/so    und 
4-  Vioo  stark. 

8.  Fall.     Cleopha  G.,  10  J.,  aus  Lille. 

Verlauf  der  Krankheit:  Aufnahme  am 
15.  IX.  9.  Krankheitstag.  Milztumor,  Roseolen, 
Typhusbazillen.  Akme  mit  40,1°.  Am  16.  X.  Typhus- 
bazillen in  Stuhl  und  Urin.  Vom  16.  X.  bis  23.  X. 
stad.  decrementi.  Vom  23.  X.  bis  4.  XI.  fieberfrei. 
Am  4.  XI.  Rezidiv.  Akme  derselben  am  13.  XL 
Stad.  decrementi  vom  14.  bis  21.  XL  Seit  dem 
21.  XL  fieberfrei. 

Untersuchung  auf  Agglutination. 

Am  9.  Krankbeitstag:  Widal  +  llM  und  +  Vioo 
stark.     Fickers  Diag.  -h  Vso  UDd  H-  Vioo  stark. 

Am  46.  Krankheitetag:  Widal  +  Vso  und* 
-4-Vioo  »tark.  Fickers  Diag.  -h  Vso  *nd  -f- Vioo 
stark,  schon  nach  Vi  Stunde. 

4.  Fall.    Dicker,  Joh.,  7  J.,  Schiltigheim. 
Verlauf    der    Krankheit:     Aufnahme    am 

20.  IX.  5.  Krankheitstag.  Kein  Milztumor.  Ver- 
stopfung. Typisches  Fieber.  Stad.  incrementi  vom 
20.  IX.  bis  23.  IX.  Maximum  der  Temperatur  39,5° 
am  23.  IX.  Vom  26.  IX.  bis  1.  X.  stad.  decrementi. 
Fieberfrei  seit  dem  1.  X.  Nur  am  13.  X.  Typhus- 
bazillen in  Stuhl  und  Urin. 

Untersuchung  auf  Agglutination. 

Am  6.  Krankheitstag:  Widal  4-  Vso  und  4-  Vioo 
stark,  positiv.  Fickers  Diag.  -h  Vso  und  +  Vioo 
stark,  positiv. 

Am  31.  Krankheitstag:  Widal  -4-  Vso  ™d 
—  Vioo  (•)?  aucn  mikroskopisch.  Fickers  Diag. 
-f-  Vso  öJdcI  —  '/100  (!),  auch  mikroskopisch. 

5.  Fall.    Bleu,  Joseph,  10  J.,  Straßburg. 
Verlauf    der    Krankheit:     Aufnahme    am 

28.  VH.  1.  Krankheitstag.  Vom  28.  VII.  bis  1.  VIII. 
stad.  incrementi.  Vom  1.  bis  4.  VIII.  Akme  mit 
40,4°.  Vom  8.  bis  14.  VIIL  amphiboles  stad.  Vom 
14.  bis  21.  VI  IL  stad.  decrementi.  Während  der 
ganzen  Zeit  erbsenbrühartige  Stühle.  Am  8.  VIIL 
Roseolae.  Milztumor.  Am  2.  VIIL  keine  Typhus- 
bazillen in  Stuhl  und  Urin.  (Bakt.  Institut.)  Rezidiv 
am  31.  VIIL  Im  Stuhl  und  Urin  keine  Typhus- 
bazillen. (Bakt.  Institut)  Seit  dem  8.  IX.  fieberfrei. 
Stuhl-  und  Urinuntersuchungen  am  11.  X.  und  30.  X. 
ergaben  keine  TyphusbazUlen.     (Bakt.  Institut.) 

Untersuchung  auf  Agglutination. 

Am  3.  Krankheitetag:   Widal  negativ. 

Am  6.  Krankheitstag:  Widal  positiv. 

Am  120.  Krankheitstag:  Widal  Vso  und  Vioo 
negativ.  Fickers  Diag.  V50  und  V10o  negativ, 
makro-  und  mikroskopisch. 

6.  Fall.    A.,  Therese,  13  J.,  Straßburg. 
Verlauf    der    Krankheit:     Aufnahme    am 

19.  X.  03.  Am  8.  Krankheitstag.  Vollständige  Taub- 
heit seit  8  Tagen.  Trommelfelle  normal.  Roseolae. 
Kein  Milztumor.  Stühle  geformt.  Am  20.  X.  Akme. 
Vom  21.  X.  bis  1.  XI.  stad.  decrementi.  Vom  1.  XL 
ab  fieberfrei.  Am  24.  XL  Hörschärfe  wieder  normal. 
Am  27.  X.  04  Typhusbazillen  im  Urin.  Am  30.  X. 
Typhusbazillen  im  Stuhl.    (Bakt.  Institut.) 

Untersuchung  auf  Agglutination. 
Am  20.  X.  03,  9.  Krankheitstag.    Agglutination 
auf  Paratyphus  A,   die   des  Typhus    überwiegend. 
(Bakt.  Institut) 

1* 


Kien«  Anwendung  abgetöteter  Typhusbasillen. 


[Therapeutische 
Monatshefte. 


Am  28.  X.  03,  17.  Krankheitstag.  Agglutination 
auf  Typhusbazillen,  die  des  Paratyphus  überwiegend ;    , 
und  zwar  Typhusbazillen  Viooo»  Paratyphus  A  Y^. 
(Bukt.  Institut.)  | 

Nachuntersuchung  1  Jahr  darauf,  am  27.  X.  ' 
04,  mit  dem  F ick  ersehen  Diagnosticum :  7&o  positiv,  , 
1 100  negativ,  auch  mikroskopisch. 

Kon  trollprobe  nach  der  gewöhnlichen  Methode 
auf  Typhus:    V50  positiv,  V100  negativ,  auch  mikro-    1 
skopisen.  I 

7.  Fall.    Lucian  S.,  4  J.,  Straßburg.  j 
Verlauf    der    Krankheit:     Aufnahme    am   I 

29. 1.  04.    19.  Krankheitstag.    Roseolae.    Milztumor. 
Akme  am  80. 1.     Vom  30. 1.  bis  4.  II.  stad.  decre-   ; 
menti.    Während  der  ganzen  Zeit  erbsenbrfihartige   | 
Stühle.     Typhusbazillen  im  Stuhl.    (Bakt.  Institut.) 

Untersuchung  auf  Agglutination. 
Agglutination  nach  Widal  am  20.  Krank heits- 
*aÄ:  Vso  uno^  V100  positiv.  Bei  der  Untersuchung 
9  Monate  nachher  ist  die  Agglutination  sowohl  nach 
der  gewöhnlichen  Methode,  wie  nach  F  ick  er  positiv 
bei  7M  und  negativ  bei  7,00.  (Bestätigt  durch  das 
bakt.  Institut.)  Die  Proben  werden  2  mal  wieder- 
holt und  geben  nur  bis  V50  makro-  und  mikro- 
skopisch positives  Resultat. 

8.  Fall.    Engel,  Viktor,  6  J.,  Neudorf. 

Verlauf  der  Krankheit:  Beginn  der  Er- 
krankung vor  4  Wochen.  Durchfälle.  Am  17.  X.  03 
aufgenommen  mit  Roseolae,  Milztumor,  erbsen brüh- 
artigen Stühlen.  Diazoreaktion  positiv.  Am  21.  X. 
Akme  mit  40,1°.  Vom  21.  bis  27.  X.  03  stad.  de- 
crementi.     Heilung.  !   stark  positiv. 


Untersuchung  auf  Agglutination. 

Widal  am  22.  X.    33.  Krankheitstag,  positiv 
(Bakt.  Institut ) 

Nachuntersuchung,  1  Jahr    darauf,    am 
5.  XI.  04:    Agglutination   sowohl  mit  dem  Typhus 
diagnosticum,  wie  mit  lebenden  Kulturen   makro- 
und  mikroskopisch  negativ. 

9.  Fall.     Gluntz,  Fritz,  11  J.,  Straßburg. 
Verlauf    der    Krankheit:     Aufnahme    am 

18.  XI.  4.  Krankheitstag.  Benommenheit,  kaum  zu 
fühlender  Puls.  Erbsenbrühartige  Stühle.  Keine 
Vergrößerung  der  Milz.  Konstant  hohe  Temperaturen 
von  40°  bis  40,5°.  Eiweiß  im  Urin.  Abdomen 
tympanitisch  aufgetrieben.  Befund  in  pulm.  und 
cor.  nprmal.  Am  8.  Krankheitstag  Auftreten  von 
Roseolae.     Pat.  steht  auf  der  Akme. 

Untersuchung  auf  Agglutination. 
Am  6.  Krankheitstag.   Widal:  positiv  1!b0  und 
Vjoo-    Fickers  Diag.:  positiv  Vso  und  Vioo« 

10.  Fall.    Bohr,  August,  13  J.>  Neudorf. 
Verlauf    der    Krankheit:     Aufnahme     am 

19.  XL  3.  Krankheitstag.  Vom  19.  XL  bis  26.  XL 
stad.  incrementi.  Am  26.  XL  Akme  mit  40,5°. 
Puls  96.  Am  10.  Tag  Roseolen,  leichte  Milzver- 
größerung. Stuhl  und  Urin  enthalten  keine  Typhus- 
bazillen.   (Bakt.  Institut) 

Untersuchung  auf  Agglutination. 
Am    8.  Krankheitstag.    Widal:    '/so  und   Vi 00 
stark  positiv.    Fickers  Diag.:   Vso  un(l  V100  sehr 


B.    Untersuchung  des  dem  bakt.  Institut  zugesandten  Serums. 


Fälle 


Ergebnis 

der  gewöhnlichen 

Widal  sehen  Reaktion 


Ergebnis 

des  Fl ck ersehen 

Diagno«ticums 


Tag  der  Untersuchung 


1. 
2. 
3. 
4. 
5. 
6. 


8. 


Diebold,  16  J., 
Typhus  abdominalis 

Delloy,  45  J., 
Typhus  abdominalis 

Reeb,  10  J., 
Typbus  abdominalis 

Bernhardt,  30  J., 
Typhus  abdominalis 

Pleuraexsudat  von 
einem  Typhuskranken 

Braun,  20  J., 
Typhus  abdominalis 


Clabaglio,  24  J., 
Typhus,  klinisch. 


Hausmann,  8  J., 
typhusverdächtig 


1 


Vw-r-;  V100.+ 

Yso+;  V100  + 

/50"i"?  /100"f" 

V«o+;  V100  + 

Vjo+J  V.oo-f- 

Ao — 1  /lOO 

/50 — 5  /100  — 


,'50  T^»       /100  "T- 

nach  12  Stunden 

Vso-f-;    V100  + 
nach  4  Stunden 


7a 


Vioo-r- 


V50  +  ;    V100  + 
nach  4  Stunden 

/50"+"»       /l00"+* 

nach  4  Stunden 

,5o"i~>     Aoo~i" 
nach  12  Stunden 


26.  X.  04;     6.  Krankheitstag 

27.  X.  04;   14.  Krankheitstag 
31.  X.  04;   16.  Kraukheitstag 

2.  XL 

2.  XL 

5.  XL ;  8.  Krankheitstag 


/so  - 


Aus  den  Tabellen  ersehen  wir,  daß 
sowohl  die  zweifellosen  Typhusfälle,  als  auch 
die  klinisch  nur  verdächtigen,  die  früher  an 
Typhus  Erkrankten,  wie  die,  welche  daran 
nie  erkrankt  waren,  mit  dem  F  ick  ersehen 
Diagnosticum      dieselbe     Reaktion     gegeben 


27.X. 
4.  Woche  der  Erkrankung. 
Pat.  hat  regelrechten  Typhus 
durchgemacht.  Milztumor. 
Roseolae.  Typhusstühle.  Je- 
doch nie  Typhusbazillen  im 
Stuhl.  Widal  war  am  26. 
IX.,  27.  IX.,  18.X.  negativ. 

[  15.  X.  04. 

Remittierendes  hohes  Fieber. 
[   Sonstige  Symptome  fehlen. 

haben,  wie  die  zu  gleicher  Zeit  mit  leben- 
den Bazillen  angestellten  Proben.  Damit 
wäre  zur  Genüge  bewiesen,  daß  die  Aggluti- 
nation vermittelst  abgetöteter  Kulturen,  resp» 
mit  dem  F  ick  er  sehen  Diagnosticum  voll- 
ständig zuverlässig  ist. 


/50 — >       /lOO 


XIX.  Jahrgang.! 
Janoar  190f>.  J 


Kien,  Anwendung  abgetöteter  Typhutbazillen. 


C.    Untersuchung  des  Serums  van  Nicht- 
Typhuskranken. 


|           Fälle 

Ergebnis  der 

gewöhnlichen 

Widalsehen 

Reaktion 

Ergebnis  des 
Fiekersehen 
Diagnosticum* 

Tag  der 
Unter- 
suchung 

1.       Engel,  Viktor, 
!  7  J.,  Diphtherie 

negativ 

negativ 

5.  XL  04 

2.  '     Hilge,  Emilie, 
v    |  ^  lli  «*•»  Diphtherie 

- 

- 

5.  XI.  04 

3.    Hammel,  Leonie, 
1  9  J.,  Diphtherie 

- 

- 

5.  XL  04 

4.  1    Ganter,  Emilie, 
,    8  J.,  Scharlach 
(SchuppuDg) 

- 

- 

5.  X.  04 

5.  j  Fleckstein,Eugen, 
1 11  J.,  Diphtherie 

- 

- 

5.X.  04 

6.       Fink,  Ludwig, 
8  J.,  frisches 
,        Scharlach- 
Exanthem 

- 

- 

5.  XI.  04 

7.       Möller,  Marie, 
8  J.,  Meningitis 
tuberculosa 

- 

- 

15.  X.  04 

8.       Diemling,  Th., 
1           32  J., 
Cholelithiasis 

4.  XL  04 

Es  war  nun  interessant,  auch  nachzusehen, 
ob  das  Fi ck ersehe  Präparat  auch  bei  aller- 


höchsten Serumverdünnungen  hochwertiger 
Immuneren  Agglutination  hervorrufen  konnte, 
und  ob  dann  die  Methode  ebenso  empfind- 
lich sei,  wie  die  bisher  übliche.  Zu  diesem 
Zwecke  wurde  mir  von  Herrn  Dr.  Kays  er 
ein  Typhusimmunserum  überreicht.  Dasselbe 
stammte  von  einem  männlichen  Kaninchen, 
welches  in  drei  verschiedenen  Sitzungen  je 
eine  intravenöse  Injektion  von  abgeschwächten 
Typhuskulturen  erhalten  hatte  und  zur  Zeit 
der  Blutentnahme  505  g  an  Gewicht  ver- 
loren hatte.  Von  diesem  Serum  wurden  0,1 
entnommen  und  den  13  vorzunehmenden 
Mischungen  untenstehende  Berechnung  zu 
Grunde  gelegt. 

Auch  hier  zeigte  sich  eine  vollständige 
Übereinstimmung  mit  den  Angaben,  die  un- 
abhängig von  mir,  durch  Herrn  Dr.  Kays  er 
mit  lebenden  Kulturen  notiert  wurden.  Die 
Agglutination  konnte  noch  bis  1  :  50  000 
deutlich  wahrgenommen  werden. 

Auf  Grund  unserer  Untersuchungen  können 
wir  daher  das  F  ick  er  sehe  Diagnosticum,  in 
Übereinstimmung  mit  den  Autoren14-90),  die  das- 
selbe bis  jetzt  angewandt  und  erprobt  haben, 
in  jeder  Hinsicht  den  praktischen  Ärzten, 
besonders  auch  den  Landärzten,  anempfehlen, 
denen  es  manchmal  erwünscht  wäre,  schnellere 
Auskunft  über  den  Ausfall'  der  Gruber- 
Widalsehen  Reaktion  zu  erhalten,  als  es 
bis  jetzt  möglich  war. 


Ergebnis  der 

Ergebnis 

gewöhnlichen 

des 

Widalsehen 

Fiekersehen 

Reaktion 

Dlagnosticums 

0,2  V. 
0,1  V. 
0,05  V. 


0,2  V. 
0,1  V. 
0,05  V. 


0,2  V. 
0,1  V. 
0,06  V. 
0,03  V. 


0,2  V. 
0,1  V. 
0,05  V. 


I.  Verdünnung:    0,1  Serum  +  0,9  Na  Cl  =  1,0  (Verdünnung  1 :  10  =  V.  a). 

+  0,8    Fickers  Diagnosticum  =  1,0  (Mischung  1:50  )  .     .     . 
4-0,9  -  -  =  1,0  (  1 :  100)  .     .     . 

+  0,95        -  -  =  1,0  (       -         1 :  200)  .    .    . 

H.  Verdünnung:    0,1  V.  a  +  0,9  Na  Cl  =  1,0  (Verdünnung  1 :  100  =  V.  b). 

+  0,8    Fickers  Diagnosticum  =  1,0  (Mischung  1 :  500  )     .     . 
+  0,9  -  -  =  1,0  (        -  1 :  1000)      .     . 

+  0,95         -  -  =  1,0  (        -         1 :  2000)     .     . 


III.  Verdünnung:    0,1  V.  b  - 

0,8    Fickers  Diagnostcium 

0,9 

0,95 

0,97 


h  0,9  Na  Cl  =  1,0  (Verdünnung  1 :  1000  =  V.  c). 

=  1,0  (Mischung  1 :  5000  )  .  . 

=  1,0  (        -  1 :  10000)  .  . 

=  1,0  (        -         1 :  20000)  .  . 

=  1,0  (        -         1 :  30000)  .  . 


IV.  Verdünnung:   0,1  V.  c  +  0,9  Na  Cl  =  1,0  (Verdünnung  1 :  10000  =  V.  d) 

d  +  0,8    Fickers   Diagnosticum  =  1,0  (Mischung  1:50000  )      . 
d  +  0,9  -  -  =  1,0  (       -         1 :  100000)      . 

d  +  0,95         -  -  =  1,0  (  1 :  200000)      . 


14)  Meyer,  Berl.  klin.Wochenschr.  1904,  No.7. 

,&)  Walter,  Deutsche  med.  Wochenschr.  1904, 
No.33. 

16)  Gramann,  Deutsche  med.  Wochenschr. 
1904,  No.  22. 

lT)  Kasarinow,  Russ.  Wratsch.  1903,  No.  52. 


,8)  Radzikowski,  Wien.  klin.  Wochenschr. 
1904,  No.  10. 

J9)  Ehrsam,  Münch.  med.  Wochenschr.  1904, 
No.  15. 

30)  Rapmgnd,  Zeitschr.  f.  Medizinalbeamte 
1904,  No.  17. 


6 


Liebreieh,  Übt  Ionisierende  Weinprlparate. 


rTherapeutiicbe 
L   Monatshefte. 


Unsere  Beobachtungen  stimmen  genau 
mit  denjenigen  überein,  die  von  verschiedenen 
Seiten  aus  gemacht  wurden1480).  Nur  durch 
einen  holländischen  Autor,  Vervoot*1),  wird 
in  jüngster  Zeit  der  Wert  des  F  ick  er  sehen 
Diagnosticums  in  Frage  gestellt*).  Derselbe 
fand  nämlich  mit  dem  Diagnosticum  in 
99  Fällen  16  mal  negatives  und  17  mal  du- 
biöses Resultat,  während  die  Proben  mit 
lebenden  Kulturen  positiv  ausfielen.  6  mal 
war  der  Ausfall  mit  dem  Diagnosticum  negativ, 
mit  lebenden  Kulturen  dagegen  dubiös.  Aus 
diesen  einzig  bis  jetzt  bekannten  Fällen  läßt 
sich  jedoch  meines  Erachtens  ein  abfälliges 
Urteil  gegen  das  Diagnosticum  nicht  ziehen. 
Denn  zunächst  wurde  die  Beobachtung,  daß 
Agglutination  mit  dem  Diagnosticum  eintrat, 
während  sie  nach  der  gewöhnlichen  Methode 
negativ  blieb,  nie  gemacht.  Ferner  könnte 
man  aus  den  Untersuchungen  Yervoots  den 
Schluß  ziehen,  daß  die  von  ihm  benutzte 
lebende  Kultur  eine  ungewöhnlich  hohe  Ag- 
glutinationsempfindlichkeit besaß,  die  vom 
Diagnosticum  nicht  erreicht  wurde.  Es  ist 
aber  durchaus  nicht  ausgemacht,  ob  dies  ein 
besonderer  Vorzug  jener  lebenden  Kulturen 
ist,  da  eine  vorzeitige  Reaktion  auch  irre- 
fuhren kann.  (Gefahr  der  Gruppenaggluti- 
nation.) 

Wir  dürften  zum  Schluß  nur  den  Wunsch 
äußern,  daß  ähnlich  wie  beim  Typhus  auch 
für  den  Paratyphus,  Typus  A  und  B,  ein  zu 
jeder  Zeit  brauchbares  Diagnosticum  her- 
gestellt werde.  Diesbezügliche  Versuche  von 
Rolly92)  im  Mai  dieses  Jahres  würden  zu 
den  besten  Hoffnungen  berechtigen. 


Über  tonisierende  Weinpräparate. 

Von 

Oscar  Liebreich. 

Es  gibt  eine  Reihe  tonisierender  Präpa- 
rate, welche  aber  alle  in  Bezug  auf  die  Kraft 
der  Wirkung  bis  jetzt  dem  Chinaweine  nicht 
gleichkommen.  Schon  bei  Gelegenheit  der 
Besprechung  des  Ghinaweines  der  Pharma- 
kopoe ist  meinerseits  darauf  aufmerksam 
gemacht  worden,  daß  beim  längeren  Konser- 
vieren des  Chinaweines  eine  Abscheidung  des 
gerbsäurehaltigen  Materials  stattfindet  und 
dadurch  die  Wirksamkeit  des  Weines  beim 
Lagern    vermindert    wird.      Auch    habe    ich 

21)  Vervoot,  De  Waarde  van  het  Typhus- 
Diagnostik,  v.  Ficker  vor  de  Praktijk,  Needer- 
landsch  Tijdschrift  voor  Geneeskunde  1904,  No.  21, 
II.  Teil. 

*)  Herrn  Dr.  Venema  bin  ich  für  die  bereit- 
willige Übersetzung  des  Artikels  verbunden. 

rt)  Mönch,  med.  Wochenschr.  1904,  No.  24. 


darauf  hingewiesen,  daß  durch  Zusatz  von 
Glyzerin  die  eigentliche  tonisierende  Wirk- 
samkeit des  Weines  aufgehoben  wird.  Es 
können  nur  die  geringen  Quantitäten  der 
Chinaalk aloide  zur  Wirkung  kommen,  die  ja 
immerhin  nützlich  sein  können,  aber  doch 
nicht  den  vollen  Wert  eines  frischen  China- 
weines erreichen,  denn  die  Alkaloide,  welche 
aus  100  g  Chinarinde  gewonnen  werden,  sind 
zu  gering,  diesen  Wein  als  einen  Chinawein 
zu  bezeichnen.  Wenn  man  Chinawein  brauchen 
will,  muß  man  daran  festhalten,  daß  ein 
solcher  bei  dem  Apotheker  frisch  zur  Her- 
stellung verschrieben  werden  muß  und  in 
kurzer  Zeit  zu  verbrauchen  ist. 

Will  man  das  Chinin  in  der  Wirkung 
mit  dem  Wein  zusammen  als  ein  Herzton icum 
gebrauchen,  so  wird  man  dieses  Chinaalkaloid 
im  Wein  auflösen  lassen.  Allerdings  tritt 
hier  der  Übelstand  hervor,  daß  solche  Weine 
durch  ihren  intensiv  bitteren  Geschmack  den 
Patienten  leicht  verleidet  werden,  und  ferner, 
daß  größere  Dosen  alkoholischer  Chininlösung 
vom  Magen  aus  häufig  schlecht  vertragen 
werden.  Will  man  daher  tonisierende  Weine 
herstellen,  welche  diesen  Übelstand  nicht 
besitzen,  so  wird  man  durch  Zusatz  anderer 
Tonica  zu  dem  Chinawein  ein  brauchbares 
Präparat  erhalten,  und  auch  bei  einem  Wein, 
den  die  Patienten  als  Medikament  nehmen, 
wird  der  Schmackhaftigkeit  unter  allen  Um- 
ständen Rechnung  zu  tragen  sein. 

Bei  den  zahlreich  hergestellten  Mischun- 
gen handelt  es  sich  darum,  welches  die 
zweckmäßigste  Form  sein  dürfte. 

Ich  glaube,  daß  man  hier  nicht  zu  neuen 
Erfahrungen  zu  schreiten  braucht,  da  sowohl 
im  Auslande  als  auch  bei  uns  „Vials  Wein" 
eingeführt  worden  ist,  der  nach  mir  zugegan- 
genen Mitteilungen  vielfach  jetzt  von  Ärzten 
verordnet  wird.  Es  ist  hier  die  Frage  auf- 
geworfen worden,  woraus  dieser  Wein  be- 
stehe. Aus  den  Mitteilungen,  welche  über 
diesen  Wein  publiziert  worden  sind,  ersieht 
man,  daß  es  sich  um  einen  China  wein  han- 
delt, bei  welchem  Fleischextrakt  und  Calcium- 
lactophosphat  hinzugesetzt  sind. 

Da  ein  brauchbarer  Fleischextrakt  für 
sich  schon  ein  sehr  gut  verträgliches  Tonicum 
ist,  so  kann  man  die  Verbindung  dieser  Dinge 
nur  als  eine  zweckmäßige  bezeichnen.  Diese 
Zusammensetzung  ist  auch  insofern  glücklich 
gewählt,  als  das  Präparat  neben  seiner  Wir- 
kung auch  für  den  Genuß  ein  durchaus  an- 
genehmes ist. 

Um  ein  Bild  von  der  Zusammensetzung 
zu  erhalten,    möge  folgende  Analyse  dienen: 

Spez.  Gew.  bis  15°      1,071 

Alkohol  ....     14,1  Vol.-Proz. 

Säuregrad    .     .     .      0,8625  g  Weinsäure  in  100  cem 


XIX.  Jahrgang.! 
Jannar  1905.  J 


Nicolai «r,  Ober  Methylenhippurilure. 


Alkaloide     .     .     .     33,36  mg  in  100  ccm(Thalleio- 

chininreaktion) 
Stickstoff     .     .     .  290,64  mg  in  100  ccm 

P,  05 290,99  mg   -   100    - 

CaO 129,9    mg   -   100    - 

Extraktivstoff  .     .    25,4      g     -   100    - 
Zacker     ....     14,54    g     -    100    -    (lediglich 

reduzierender  Zacker) 
Asche      ....      0,906  g    in  100  ccm 
Fleischmilchsäure.     53,2    mg   -   100    - 
Fleischsäure 
(Siegfried)     .    .    40,33  mg   -   100    - 

Diese  Zahlen  sind  auch  von  Nutzen,  um 
sich  gelegentlich  von  der  Eonstanz  des  Weines 
zu  überzeugen.  Es  ist  überflüssig,  eine  Dis- 
kussion der  einzelnen  Bestandteile,  des  Stick- 
stoffgehaltes, des  Calciumphosphate8  etc.,  vor- 
zuführen, weil  deren  Nutzen  als  tonisierendes, 
auch  nährendes  Material  außer  Zweifel  steht. 


Über  Methylenhippursäure. 

Von 

Prof.  Dr.  med.  Arthur  Nicolaier  in  Berlin. 

Bei  Gelegenheit  von  Untersuchungen  über 
die  Einwirkung  von  Formaldehyd  auf  Stoff- 
wechselprodukte des  menschlichen  Organismus 
habe  ich  eine  bisher  noch  nicht  bekannte 
Verbindung  von  Formaldehyd  und  Hippur- 
säure,  die  Methylenhippursäure,  gefunden. 
Ich  habe  die  Beobachtung  gemacht,  daß  sich 
Hippursäure  in  kalter  konzentrierter  Schwefel- 
säure lost,  ohne  sich  zu  zersetzen;  denn 
trägt  man  diese  Losung  in  Eiswasser  ein,  so 
fällt  eine  weiße  krystallinische  Masse  aus, 
die  den  Schmelzpunkt  und  die  Reaktionen 
der  Hippursäure  zeigt.  Die  Hippursäure 
verhält  sich  also  in  dieser  Beziehung  ganz 
so  wie  die  Harnsäure. 

Loste  man  nun  Hippursäure  und  polymeri- 
sierten  Formaldehyd  in  bestimmtem  Verhält- 
nis in  kalter  konzentrierter  Schwefelsäure 
auf,  so  fiel  beim  Eintragen  dieser  Lösung 
in  Eiswasser  gleichfalls  eine  weiße  krystalli- 
nische Masse  aus,  die,  wie  die  nähere  Unter- 
suchung zeigte,  aus  Hippursäure  und  einer 
Verbindung  der  Hippursäure  mit  Formalde- 
hyd, der  Methylenhippursäure,  bestand. 

Nach  mannigfachem  Variieren  der  Ver- 
suche, bei  denen  mich  Herr  Dr.  Hunsalz 
in  dankenswerter  Weise  unterstützt  hat,  er- 
wies es  sich  am  zweckmäßigsten  10  g  Hippur- 
säure und  7,5  g  polymerisierten  Formaldehyd 
in  50  g  konz.  Schwefelsäure  einige  Tage  bei 
ge wohnlicher  Temperatur  stehen  zu  lassen 
und  dann  die  Losung  auf  Eis  zu  gießen. 
Aus  dem  nunmehr  sich  ausscheidenden  Ge- 
misch von  Hippursäure  und  Methylenhippur- 
säure wurde  die  letztere  in  der  Weise  isoliert, 
daß  die  trockene  Masse  mit  einer  kalten, 
konzentrierten  Losung  von  Natriumacetat  ver- 


rieben und  nach  halbstündigem  Stehen  filtriert 
wurde.  Die  Hippursäure  ging  dabei  in  Lösung, 
während  die  Methylenhippursäure  ungelöst 
zurückblieb. 

Die  Methylenhippursäure l)  ist  keine  Säure, 
sondern  wahrscheinlich  eine  ätherartige  Ver- 
bindung der  Hippursäure  und  hat  die  Kon- 
stitution 

C6H5CO-N-CH,-COO 
CH,- 

Bei  der  Einwirkung  des  Formaldehyd 
auf  die  Hippursäure  greift  also  der  Form- 
aldehydrest  in  die  Imido-  und  Karboxyl- 
gruppe  ein. 

Die  Analyse  ergab  folgende  Zahlen: 


N  =  7,32% 
C  =  62,8  - 
H  =    4,7    - 


Berechnet  für 
C10n90,N: 

N  =  7,3% 
C  =  62,9  - 
H  =    4,7  - 


Die  Methylenhippursäure  bildet  farblose 
prismatische  Krystalle,  die  bei  161°  C. 
schmelzen,  sie  ist  geruch-*)  und  geschmacklos 
und  löst  sich  in  der  Kälte  leicht  in  Chloro- 
form und  in  der  Wärme  gut  in  Benzol, 
Essigäther  und  Alkohol.  Schwerer  ist  sie 
in  Wasser  löslich,  denn  es  löste  sich  1  g 
Methylenhippursäure  bei  23°  C.  erst  in  ca. 
460  ccm,  bei  37°  C.  in  ca.  220  ccm  Wasser, 
die  wäßrige  Lösung  hat  eine  neutrale  Reaktion. 
Prüft  man  eine  frisch  bereitete  Lösung  der 
reinen  Methylenhippursäure  in  kaltem  Wasser 
mit  der  Jorissenschen  Probe,  setzt  also 
zu  ihr  etwas  Natronlauge  und  einige  Körnchen 
Phloroglucin  hinzu,  so  entsteht  eine  schnell 
zunehmende  rote  Färbung.  Das  Auftreten 
einer  Rotfärbung  mit  der  "Jorissenschen 
Probe  zeigt  bekanntlich  freien  Formaldehyd 
an,  doch  wird  man  in  diesem  Falle  aus  dem 
positiven  Ergebnis  dieser  Reaktion  nicht  ohne 
weiteres  den  Schluß  ziehen  dürfen,  daß  in 
der  wäßrigen  Lösung  von  Methylenhippur- 
säure freier  Formaldehyd  vorhanden  ist,  weil 
mit  der  Möglichkeit  gerechnet  werden  muß, 
daß  der  Formaldehyd  erst  durch  die  bei 
dieser  Reaktion    zur  Verwendung  kommende 

1)  In  gleicher  Weise  läßt  sich  aus  der  von 
Schwanert  (Liebigs  Annalen  Bd.  112,  S.  69)  zu- 
erst beschriebenen  m-Nitrohippursäure  die  Methylen- 
m-Nitrohippursäure  darstellen.  Sie  ist  ein  gelblich- 
weißes Pulver,  das  bei  165°  C.  schmilzt,  ist  der 
Methylenhippursäure  analog  zusammengesetzt  und 
zeigt  auch  im  tierischen  und  menschlichen  Organis- 
mus ein  ähnliches  Verhalten  wie  diese. 

Die  für  meine  Untersuchungen  benutzte  Me- 
thylenhippursäure wurde  mir  von  der  Chemischen 
Fabrik  auf  Aktien  (vorm.  E.  Schering)  in  Berlin, 
welche  diese  Verbindung  als  „Hipp ol"  bezeichnet, 
dargestellt.  Ich  gestatte  mir,  der  Fabrik  auch  an 
dieser  Stelle  dafür  bestens  zu  danken. 

2)  Einzelne  der  mir  gelieferten  Proben  rochen 
schwach  nach  Formaldehyd. 


Nicola  i«r,  Üb«r  AUthyleohippurt&ur«. 


("Therapeut! 
L   Monatshe 


atbch» 
Monatshefte. 


Natronlauge  aus  der  Methylenhippursäure  ab- 
gespalten wird.  Daß  das  in  der  Tat  so  ist, 
läßt  sich  leicht  durch  die  zuerst  von  E.  Ki- 
rn ini8)  zum  Nachweis  des  Formaldehyd  in 
Nahrungsmitteln  empfohlene,  später  von 
Arnold  und  Mentzel4)  etwas  modifizierte 
Probe  nachweisen.  "Während  nämlich  eine 
freien  Formaldehyd  enthaltende  Flüssigkeit 
nach  Zusatz  einer  geringen  Menge  von  salz- 
saurem Phenylhydrazin  (in  Substanz),  Eisen- 
chlorid und  Schwefelsäure  sogleich  eine  inten- 
sive Rotfärbung  gibt,  bleibt  sie  aus,  wenn 
man  diese  Probe  auf  eine  frisch  bereitete 
Lösung  der  Methylenhippursäure  in  kaltem 
Wasser  anwendet.  Die  Rotfärbung  tritt  aber 
sofort  ein,  wenn  vorher  zu  dieser  Losung 
etwas  Natron-  oder  Kalilauge  zugesetzt  war. 
Es  wird  also  aus  der  Methylenhippursäure 
schon  in  der  Kälte  durch  Laugen  Formalde- 
hyd abgespalten,  und  deshalb  eignet  sich  für 
den  Nachweis  von  freiem  Formaldehyd  in 
Losungen,  welche  Methylenhippursäure  ent- 
halten, nicht  die  Jo  rissen  sehe  Probe;  über- 
haupt sind  alle  Reaktionen  auf  Formaldehyd, 
bei  denen  Laugen  zur  Anwendung  kommen, 
für  diesen  Zweck  nicht  brauchbar.  Dazu 
wird  man  am  besten  die  saure  Phenylhydra- 
zinprobe  (Arnold  -  Mentzel)  verwenden. 
Bei  Einwirkung  von  Laugen  auf  Methylen- 
hippursäure entsteht  neben  dem  Formaldehyd 
Hippursäure;  denn  fügt  man  zu  einer  Lösung 
von  Methylenhippursäure  in  verdünnter  Na- 
tronlauge tropfenweise  Salzsäure  bis  zur 
sauren  Reaktion,  so  scheiden  sich  nadei- 
förmige Kry  stalle  aus,  die  die  Joris sensche 
Reaktion  nicht  geben  und  den  Schmelzpunkt 
und  die  Reaktionen  der  Hippursäure  zeigen. 
Ebenso  wie  Laugen  spalten  auch  Ammoniak 
und  kohlensaures  Natron  in  der  Kälte  Form- 
aldehyd ab. 

Wie  das  negative  Ergebnis  der  sauren 
Phenylhydrazinprobe  zeigt,  tritt  in  einer  wäß- 
rigen Lösung  von  Methylenhippursäure  durch 
kurzdauernde  Einwirkung  von  Säuren  bei 
Zimmertemperatur  eine  Abspaltung  von  Form- 
aldehyd nicht  ein.  Sie  wurde  auch  vermißt, 
wenn  kurz  vor  dem  Anstellen  der  Probe  zu 
der  Lösung  Salzsäure  zugesetzt  war.  Indes 
können  auch  Säuren  in  der  Kälte  aus  der 
Methylenhippursäure  Formaldehyd  in  Freiheit 
setzen,  wenn  sie  längere  Zeit  einwirken.  So 
beobachtete  ich,  daß  eine  wäßrige  Lösung  der 


3)  E.  Rimini,  Über  den  Nachweis  von  Form- 
aldehyd in  Nahrungsmitteln.  Ref.  Chem.  Zentral- 
blatt 1898,  I,  S.  1152. 

4)  C.  Arnold  und  C.  Mentzel,  Ein  empfind- 
liches Verfahren  zum  Nachweis  von  Formaldehyd. 
Zeitschr.  für  Untersuchung  von  Nahrangs-  und  Ge- 
nußmitteln 1902,  5,  S.  353.  Ref.  Chem.  Zentralbl. 
I,  1902,  S.  1251  52. 


Methylenhippursäure,  die  mit  einigen  Tropfen 
Schwefelsäure  angesäuert  war,  nach  etwa 
36  Stunden  mit  der  Phenylhydrazinprobe 
eine  positive  Reaktion  gab,  während  dieselbe 
Lösung  ohne  Säurezusatz  nach  dieser  Zeit 
eine  Rotfärbung  nicht  zeigte.  Übrigens  zer- 
setzen sich  mit  der  Zeit  auch  wäßrige  Lösun- 
gen von  Methylenhippursäure  ohne  Säure- 
zusatz, indem  sie  Formaldehyd  abspalten; 
beschleunigt  wird  diese  Zersetzung  durch  den 
Einfluß  der  Wärme.  Schon  eine  Temperatur 
von  37°  C.  bewirkt  im  Laufe  von  30  Stunden 
die  Abspaltung  von  Formaldehyd.  Sie  er- 
folgt bald  bei  Einwirkung  der  Siedehitze; 
denn  destilliert  man  eine  wäßrige  Methylen- 
hippursäurelösung  am  Kühler,  dann  gibt  das 
Destillat  mit  der  Jo  rissen  sehen  und  auch  mit 
der  Phenylhydrazin  -  Probe  eine  Rotfärbung, 
die  noch  intensiver  ist,  wenn  dieser  Lösung 
vor  dem  Destillieren  Natronlauge  oder 
Schwefelsäure  zugesetzt  war. 

Ich  habe  weiter  die  Wirkung  und  das 
Verhalten  der  Methylenhippursäure  im  tieri- 
schen Organismus  geprüft  und  gefunden,  daß 
sie  selbst  in  relativ  großen  Dosen  von  ver- 
schiedenen Tierarten,  denen  sie  stets  per  os 
gegeben  wurde,  ohne  jeden  Nachteil  ver- 
tragen wird.  So  blieben  Mäuse  nach  Dar- 
reichung von  0,5  g  pro  die  munter.  Kaninchen, 
denen  die  Methylenhippursäure  in  Wasser 
aufgeschwemmt  mit  der  Schlundsonde  ein- 
verleibt wurde,  erhielten  Einzeldosen  bis  zu 

5  g,  meist  2 — 4  g  einmal  täglich  und  blieben, 
auch  dann,  als  diese  Dosen  an  mehreren 
aufeinander  folgenden  Tagen  gegeben  wurden, 
frei  von  jeglichen  Krankheitserscheinungen. 
Auch  Hunde  vertrugen  die  Methylenhippur- 
säure sehr  gut,  selbst  wenn  sie  in  großen 
Tagesdosen  mehrere  Tage  hintereinander  ge- 
reicht wurde.  So  erhielt  z.  B.  ein  mittelgroßer 
Hund  an  zwei  aufeinander  folgenden  Tagen  je 

6  g,  späterhin  an  3  Tagen  hintereinander  je 
8  g,  ohne  irgend  welche  Störungen  in  seinem 
Befinden  zu  zeigen,  insbesondere  wurde  auch 
keine  Verminderung  der  Freßlust  beobachtet. 
Bei  diesem  Hund  waren  schon  vor  Beginn 
des  Versuches  geringe  Mengen  von  Eiweiß 
und  auch  Zylinder  im  Harn  vorhanden,  doch 
nahm  selbst  nach  der  mehrere  Tage  fortge- 
setzten Darreichung  dieser  großen  Dosen 
weder  der  Eiweißgehalt  noch  die  Zahl  der 
Zylinder  im  Harn  zu,  sodaß  die  Methylen- 
hippursäure auch  auf  erkrankte  Nieren  keine 
schädigende  Wirkung  hat.  Sonst  blieb  der 
Harn  beim  Kaninchen  und  beim  Hunde  wäh- 
rend der  ganzen  Versuchsdauer  stets  frei  von 
Zucker  und  Eiweiß.  Eine  Vermehrung  der 
Diurese  wurde  nicht  beobachtet. 

Der  Harn  der  Kaninchen,  die  Methylen- 
hippursäure   erhalten    hatten,    reagierte   fast 


HZ  Jahrgang.l 
Jmbw  1905.  J 


Nicolaier,  Über  Methylenbippunflur«. 


9 


durchweg  alkalisch  und  gab  mit  der  Jo- 
ris sen  sehen  Probe5)  eine  Rotfärbung.  Diese 
war  in  der  ersten  Harnportion,  die  kürzere 
oder  längere  Zeit  nach  der  Darreichung  des 
Präparates  gelassen  wurde,  besonders  stark 
und  blieb  es,  namentlich  wenn  etwas  größere 
Dosen  gegeben  wurden,  auch  bei  der  nächsten, 
zum  Teil  auch  noch  bei  der  darauffolgenden, 
während  bei  den  später  gelassenen  die  In- 
tensität allmählich  abnahm.  Die  Zeit,  wäh- 
rend der  die  Kotfärbung  nachweisbar  war, 
schien  toh  der  Größe  der  einverleibten  Dosis 
Methylenhippursäure  abhängig  zu  sein.  So 
fand  ich,  daß  bei  einem  Kaninchen  nach  2  g 
die  Rotfärbung  in  dem  24  Stunden  nach  der 
Darreichung  gelassenen  Harn  stark,  dagegen 
in  dem  in  den  nächsten  6  Stunden  entleerten 
Harn  nur  noch  schwach  war  und  in  den 
späteren  Harnportionen  nicht  mehr  beobachtet 
wurde.  Bei  Darreichung  von  5  g  wurde  die 
Rotfärbung  im  Harn  noch  48  Stunden  nach 
der  Einverleibung  der  Methylenhippursäure 
gefunden. 

Ich  hatte  bereits  oben  darauf  hingewiesen, 
daß  die  Lösungen  von  Methylenhippursäure 
mit  Phloroglucin  und  Natronlauge  eine  Rot- 
färbung geben,  weil  aus  ihnen  durch  die  Ein- 
wirkung der  Natronlauge  freier  Formaldehyd 
abgespalten  wird.  Deshalb  wird  man  aus 
dem  Auftreten  dieser  Rotfärbung  im  Harn 
auch  nicht  ohne  weiteres  folgern  dürfen,  daß 
im  Harn  freier  Formaldehyd  vorhanden  ist, 
da  es  ja  möglich  ist,  daß  Methylenhippur- 
säure unzersetzt  in  den  Harn  übergeht  und  da- 
durch die  positive  Reaktion  mit  der  Jorissen- 
schen  Probe  entsteht.  Ob  in  einer  Lösung 
neben  Methylenhippursäure  freier  Formalde- 
hyd enthalten  ist,  läßt  sich  aber,  wie  ich  oben 
dargelegt  habe,  mittels  der  Phenylbydrazin- 
Eisenchlorid  -  Schwefelsäureprobe  nachweisen, 
da  mit  ihr  eine  Lösung  von  Methylenhippur- 
säure die  für  freien  Formaldehyd  charak- 
teristische Rotfärbung  nicht  gibt.  Prüft  man 
nun  mit  dieser  Probe  den  Harn  von  Ka- 
ninchen nach  Darreichung  von  Metylenhippur- 
säure,  so  nimmt  man  meist  gleich  eine  Rot- 
färbung wahr,  ein  Zeichen  also,  daß  im  Harn 
der  Kaninchen  freier  Formaldehyd  vorhanden 
ist.  Ich  bemerke,  daß  ich  nur  dann  freien 
Formaldehyd  als  vorhanden  annehme,  wenn 
die  Rotfärbung  mit  dieser  Probe  gleich  ent- 
steht.     Die   Gegenwart    von  freiem   Formal- 

•)  Die  zum  Nachweis  von  freiem  Formaldehyd 
benutzten  Proben  mit  Phenylhydrazin,  Nitroprussid- 
oatrium  oder  Ferricyankalium  und  Natronlauge 
habe  ich  nicht  benutzt,  da  sie  sich  nach  meinen 
Beobachtungen  zur  Prüfung  auf  Formaldehyd  im 
Harn  nicht  eignen.  Siehe  darüber  meine  Arbeit: 
Über  Uro  tropin,  Methylenzitronensäure  und  me- 
thylenzitronensaares  Urotropin.  Deutsches  Archiv 
für  klinische  Medizin  Bd.  81,  S.  196  ff. 

Th.lC.l90S. 


dehyd  im  Harn  von  Kaninchen  wird  weiter 
auch  durch  sein  Verhalten  bei  Bruttemperatur 
bewiesen.  Bei  37°  C.  aufbewahrt,  blieb  der 
Harn  klar  und  selbst  dann  trat  in  ihm  nicht 
die  ammoniakali8che  Harngärung  auf,  wenn 
er  mit  etwas  ammoniakalischem  Harn  infiziert 
war.  Die  Beobachtung  solcher  Harne  während 
eines  Monats  hat  gelehrt,  daß  sie  auch 
während  dieser  Zeit  vor  der  ammoniakalischen 
Harngärung  geschützt  blieben,  nur  einige 
Schimmelpilzkolonien  waren  gelegentlich  in 
ihnen  zur  Entwicklung  gekommen. 

Im  Harn  von  Hunden,  der  meist  schwach 
alkalisch,  sehr  selten  neutral  reagierte,  fiel 
die  Jorissensche  Probe  stets  positiv  aus, 
und  auch  bei  der  Phenylhydrazinprobe  trat 
meist  erst  etwa  */2  Minute  nach  Zusatz  der 
Reagentien  eine  mehr  oder  weniger  starke 
Rotfärbung  auf.  Den  sicheren  Beweis,  daß 
auch  im  alkalischen  Harn  der  Hunde  freier 
Formaldehyd  vorhanden  war,  ergab  die  Be- 
obachtung, daß  er  bei  Bruttemperatur  nicht 
ammoniakalisch  wurde,  selbst  wenn  er  mo- 
natelang bei  37°  C.  gehalten  wurde  und  mit 
ammoniakalischem  Harn  geimpft  war. 

Bei  einem  mittelgroßen  Hunde  wurden 
nach  Darreichung  von  Methylenhippursäure 
einige  quantitative  Bestimmungen  der  Äther- 
schwefelsaure  und  des  Indikans  im  Harn  ge- 
macht. Der  Hund  erhielt  während  beider 
Versuchsperioden  täglich  je  1  Pfund  Pferde- 
fleisch. In  der  ersten,  in  der  die  Äther- 
schwefelsäuren bestimmt  wurden,  schied  der 
Hund  in  den  ersten  4  Versuchstagen,  während 
deren  die  24  stündige  Harnmenge  zwischen 
320  und  385  cem,  das  spezifische  Gewicht 
zwischen  1033  und  1036  schwankte,  im  Mittel 
0,0454  g,  am  5.  und  6.  Versuchstage,  an  denen 
er  je  6  g  Methylenhippursäure  erhalten  hatte, 
mit  einer  Harnmenge,  die  330  bezw.  395  cem 
betrug  und  das  spezifische  Gewicht  1041  und 
1044  hatte,  0,0439  g  Ätherschwefelsäure  aus; 
also  selbst  große  Gaben  des  Mittels  hatten 
auf  ihre  Ausscheidung  im  Harne  keinen  Einfluß. 

Das  Indikan  wurde  nach  der  Methode 
von  Obermayer  bestimmt  und  der  aus  den 
Chloroformauszügen  gewonnene  Indigo  ge- 
wogen. Es  ergab  sich  nun,  daß  nach  Dar- 
reichung von  Methylenhippursäure  (an  zwei 
Tagen  je  8  g,  am  3,  Tage  6  g)  der  Indikan- 
gehalt  des  Harnes  erheblich  geringer  und 
schließlich  Indikan  im  Harn  nicht  mehr  ge- 
funden wurde.  Die  Verminderung  bezw.  das 
Verschwinden  des  Indikangehalts  war  schon 
an  der  Abnahme  bezw.  dem  Fehlen  der  Blau- 
färbung der  Chloroformauszüge  der  mit  Eisen- 
chlorid und  Salzsäure  behandelten  Harne 
wahrnehmbar.  Aus  diesen  Versuchsergeb- 
nissen wird  man  jedoch  nicht  ohne  weiteres 
schließen  dürfen,   daß  beim  Hunde  durch  den 


10 


Nicolaler,  Ober  AUthylenhlppursiur«. 


rherapeuti#ch« 
Monatshefte. 


Einfluß  der  Methylenhippursäure  der  Indikan- 
gehalt  des  Harnes  sich  vermindert  bezw.  zum 
Schwinden  gebracht  wird,  denn,  wie  ich  nach- 
gewiesen habe,  enthält  der  Harn  beim  Hunde 
nach  Darreichung  von  Methylenhippursäure 
eine  Formaldehydverbindung,  und  es  ist  in 
ihm  auch  freier  Formaldehyd  vorhanden.  Ein 
relativ  geringer  Formal dehydgehait  des  Harns 
vermag  aber,  wie  Jaffc6)  beobachtet  hat, 
störend  auf  die  Indikanreaktion  einzuwirken, 
sodaß  sowohl  die  J  äffe  sehe  wie  die  Ober- 
mayer sehe  Reaktion  selbst  bei  überreichem 
Indikangehalt  des  Harnes  versagt.  Meines 
Erachtens  ist  auch  das  Ergebnis  meiner  Indi- 
kanbestimmungen  lediglich  auf  den  störenden 
Einfluß  zurückzuführen,  den  der  freie  bezw. 
der  aus  der  Formaldehyd  Verbindung  durch 
die  benutzten  Reagentien  erst  frei  gemachte 
Formaldehyd  des  Hundeharnes  auf  die  In- 
dikanreaktion hat. 

Aus  den  mitgeteilten  Fütterungs versuchen 
bei  Kaninchen  und  Hunden  ergibt  sich,  daß 
die  Methylenhippursäure  bei  diesen  Tieren 
zur  Resorption  kommt,  denn  der  Harn  dieser 
Tiere  gibt  mit  der  Jo rissen  sehen  Probe  die 
gleiche  Reaktion  wie  die  Methylenhippursäure 
selbst.  Daß  daneben  im  Harn  dieser  Tiere 
freier  Formaldehyd  sein  kann,  zeigt  außer 
dem  positiven  Ergebnis  der  Phenylhydrazin- 
Eisenchlorid  -  Schwefelsäureprobe  auch  die 
Resistenz  des  Harnes  gegenüber  der  ammo- 
niakalischen  Harngärung  bei  37°  C.  Außer- 
dem ließ  sich  im  Harn  der  Hunde  eine  Ver- 
mehrung der  Hippursäure  nachweisen.  Ob 
freilich  in  den  Harnen  meiner  Versuchstiere 
die  Methylenhippursäure  als  solche  sich  findet, 
ist  mir  zweifelhaft,  weil  sich,  wie  ich  be- 
obachtet habe,  die  Methylenhippursäure  zwar 
aus  wässeriger  Lösung,  aber  nicht  aus  dem 
Harn  dieser  Tiere7)  mit  Essigäther  oder  Chloro- 
form ausschütteln  läßt.  Auf  Grund  dieser 
Beobachtung  nehme  ich  vielmehr  an,  daß 
sich  in  dem  Harn  dieser  Tiere  nicht  die 
Methylenhippursäure,  sondern  eine  andere 
Verbindung  des  Formaldehyds  und  der 
Hippursäure  findet. 

Die  Beobachtung,  daß  bei  Kaninchen  und 
Hunden  selbst  nach  Darreichung  größerer 
Tagesdosen  von  Methylenhippursäure  keine 
Störung  des  Befindens  auftrat,  gab  mir  Ver- 
anlassung, auch  beim  Menschen  mit  ihr  Ver- 
suche anzustellen.  Ich  selbst  und  einige 
andere   gesunde   Menschen   haben  wiederholt 


«)  M.  Jaffe,  Über  den  Einfluß  des  Formal- 
dehyds auf  den  Nachweis  normaler  und  patholo- 
gischer Harnbestandteile.  Therapie  der  Gegenwart 
No.  4,  1902,    Seite  158. 

7)  Nach  Zusatz  von  Salzsäure  zu  dem  Harn 
der  Hunde  ging  beim  Ausschütteln  mit  Essigäther 
Hippursäure  in  diesen  über. 


die  Methylenhippursäure  selbst  in  großen 
Tagesdosen  bis  zu  9  g  eingenommen  und  stets, 
sehr  gut  vertragen,  auch  dann,  als  eine  Ver- 
suchsperson an  7  aufeinander  folgenden  Tagen 
36  g,  und  zwar  am  ersten  Versuchstage  eine 
Tagesdosis  von  2  g,  an  den  weiteren  bis  zum 
fünften  täglich  1  g  mehr,  am  sechsten  Ver- 
suchstage 7,5  und  am  letzten  9  g  nahm.  Das 
Mittel  schädigte  den  Magen  nicht,  es  rief 
keine  Reizerscheinungen  von  Seiten  der  Harn- 
organe hervor  und  hatte  auch  auf  das  Herz 
und  das  Nervensystem  keinen  nachteiligen 
Einfluß.  Auch  bei  einer  Patientin  mit  einem 
schweren  Herzfehler  und  Nephritis,  die  größere 
Tagesdosen,  bis  zu  8  g,  mehrere  Tage  hinter- 
einander nahm,  traten  keine  Beschwerden  und 
keine  Vermehrung  des  Eiweißgehaltes  des 
Harnes  ein.  Die  Methylenhippursäure  ist 
also  auch  beim  Menschen,  selbst  in  größeren 
Tagesdosen  wiederholt  gegeben,  ganz  ungiftig. 

Der  Harn  der  Versuchspersonen,  dessen 
Menge  selbst  bei  Darreichung  großer  Tages- 
gaben nicht  vermehrt  war,  war  stets  frei  von 
Eiweiß  und  Zucker.  Er  zeigte  eine  Ver- 
mehrung der  Hippursäure  und  ließ  nach  Salz- 
säurezusatz meist  Harnsäurekrystalle  aus- 
fallen. Nach  Gaben  von  4  g  Methylenhippur- 
säure zeigte  der  Harn  keine  harnsäurelösenden 
Eigenschaften,  denn  harnsaure  Konkremente, 
die  in  diesem  mit  etwas  Karbolsäure  ver- 
setzten sauren  Harn  bei  Bruttemperatur  auf- 
bewahrt wurden,  waren  auch  nach  14  Tagen 
vollkommen  unverändert. 

Der  Harn  gab  ebenso  wie  bei  Kanin- 
chen und  Hunden  mit  der  Jorissen- 
schen  Probe  auch  dann,  wenn  er  eine 
Zeitlang  bei  Zimmertemperatur  gestanden 
hatte,  eine  Rotfärbung.  Sie  trat  schon  ganz 
kurze  Zeit  nach  der  Darreichung  der  Me- 
thylenhippursäure im  Harn  auf.  Bei  einem 
Selbstversuch,  bei  dem  ich  1  g  einnahm, 
fand  ich  sie  schon  nach  15  Minuten  im  Harn. 
Die  Zeit,  während  der  mit  der  Jorissen- 
schen  Probe  die  Rotfärbung  im  Harn  ent- 
steht, kann  bei  der  gleichen  Gabe  selbst  bei 
ein  und  derselben  Versuchsperson  verschieden 
sein,  und  sie  steht  auch  nicht  immer  im  Ver- 
hältnis zu  der  Größe  der  gereichten  Dosis; 
denn  ich  beobachtete  bei  mir,  daß  nach  einer 
Dosis  von  1  g  mit  der  Joris  senschen  Probe 
die  Rotfärbung  im  Harn  das  eine  Mal  nach 
4,  ein  zweites  Mal  nach  6,  ein  drittes  Mal 
nach  8  Stunden,  bei  einer  Dosis  von  2  g  ein- 
mal nach  81/*,  das  andere  Mal  nach  9  Stunden 
nicht  mehr  auftrat. 

Während  die  Joris sensche  Probe  selbst 
bei  Darreichung  kleinerer  Dosen  (0,25  g) 
Methylenhippursäure  sowohl  im  sauren  wie  im 
alkalischem  Harn  des  Menschen  ein  positives 
Resultat    gibt,    bleibt    die  für  freien   Form- 


XIX«  Jahrgang .1 
Jaaaar  1905   J 


Nicolai  «r,  Übar  Methylenhippurtlure. 


11 


aldehyd  charakteristische  Rotfärbung  bei  der 
Probe  mit  Phenylhydrazin,  Eisenchlorid  und 
Schwefelsäure  bei  saurer  Reaktion  des  Harnes 
auch  nach  größeren  Gaben  (2  g)  aus,  sie 
wird  erst  beobachtet,  wenn  der  Harn  einige 
Zeit  (24  Stunden)  bei  Bruttemperatur  auf- 
bewahrt war.  Dagegen  tritt  sie  sofort  auch 
schon  in  dem  frischentleerten  Harn  auf,  wenn 
er  alkalische  Reaktion  hat,  z.  B.  nach  Dar- 
reichung genügend  großer  Dosen  Natrium 
bicarbonicum. 

Der  Harn  von  Menschen,  die  Methylen- 
hippursäure eingenommen  haben,  verhält  sich 
also,  wenn  er  eine  saure  Reaktion  hat,  gegen 
die  Joris sensche  und  Phenylhydrazin-Probe, 
ganz  so  wie  eine  wäßrige  Losung  von  Me- 
thylen hipp  ursaure.  Im  Gegensatz  zu  dieser 
läßt  sich  aber  aus  dem  Harn  des  Menschen8) 
ebensowenig  wie  aus  dem  Harn  der  Kaninchen 
und  der  Hunde  die  Methylenhippursäure  durch 
Ausschütteln  mit  Essigäther  oder  Chloro- 
form wiedergewinnen.  Es  muß  also  auch  im 
Harn  des  Menschen  nicht  die  Methylenhippur- 
säure als  solche,  sondern  eine  Verbindung 
des  Formaldehyds  und  der  Hippursäure  vor- 
handen sein,  die  dasselbe  Verhalten  gegen- 
über der  Jori 8 senschen  und  der  Phenyl- 
hydrazin-Probe zeigt,  wie  die  Methylenhippur- 
säure, aber  in  Essigäther  und  Chloroform 
nicht  wie  diese  löslich  ist.  Ist  der  Harn 
nach  Darreichung  von  Methylenhippursäure 
alkalisch,  dann  findet  sich  in  ihm  auch  freier 
Formaldehyd,  da  außer  der  Joris  senschen 
auch  die  Phenylhydrazin-Probe  ein  positives 
Resultat  gibt. 

In  meiner  oben  zitierten  Arbeit  über 
Urotropin,  Methylenzitronensäure  etc.  habe 
ich  darauf  hingewiesen,  daß  ich  den  Nach- 
weis von  freiem  oder  locker  gebundenem 
Formaldehyd  im  Harn  durch  chemische  Proben 
nicht  für  sicher  halte,  vielmehr  ihn  erst  dann 
als  einwandsfrei  geführt  ansehe,  wenn  fest- 
gestellt ist,  daß  in  dem  Harn,  auch  wenn 
er  mit  Bakterien  infiziert  ist,  bei  37  °  C.  die 
Entwicklung  von  Mikroorganismen  hintan- 
gehalten wird  bezw.  ganz  ausbleibt.  Ich 
habe  deshalb  die  Harne  meiner  Versuchs- 
personen, die  Methylenhippursäure  erhalten 
hatten,  auch  nach  dieser  Richtung  hin  unter- 
sucht. Es  wurde  der  Harn  gesunder  Ver- 
suchspersonen in  den  ersten  7  Stunden  nach 
der  Darreichung  der  Methylenhippursäure 
gewöhnlich  stündlich  gesammelt  und  je  zwei 


8)  Auch  aus  dem  Kot  eines  Mensches,  der  6  g 
Methylenhipparsäore  pro  die  erhalten  hatte,  ließ 
sich  die  dargereichte  Bubstanz  durch  Aasschütteln 
mit  Essigäther  nicht  wiedergewinnen.  Das  Destillat 
des  mit  Wasser  verdünnten  Kotes  gab  eine  Rot- 
farbung  mit  der  Joris  senschen  Probe,  jedoch 
nicht  der  wäßrige  Auszog  derselben. 


Proben  von  gleicher  Menge  bei  37°  C.  ge- 
halten, nachdem  die  eine  mit  einem  Tropfen 
ammoniakalischen  Harns  versetzt  war.  Die 
Harnproben  wurden  meist  eine  Woche  lang 
beobachtet.  Es  zeigte  sich,  daß  für  gewöhn- 
lich in  dem  größten  Teil  der  stündlich  ent- 
leerten sauren  wie  alkalischen  Harnproben 
das  Wachstum  der  Mikroorganismen  hintan- 
gehalten wurde,  sodaß  sie,  auch  wenn  sie  mit 
ammoniakalischem  Harn  infiziert  waren,  viel- 
fach selbst  bis  zum  7.  Beobachtungstage  klar 
blieben.  In  vereinzelten  dieser  Proben  hatten 
sich  einzelne  Schimmel pilzkolonien  entwickelt. 
Dagegen  wurden  Proben  der  24  stündigen 
Harnmenge  in  kurzer  Zeit  ammoniakalisch. 
Bei  den  alkalischen  Harnproben  schien  die 
antibakterielle  Wirkung  eine  intensivere  zu 
sein,  wenigstens  konnte  ich  alkalische  Harn- 
proben, die  infiziert  und  bei  37°  C.  gehalten 
waren,  beobachten,  die  selbst  mehrere  Monate 
nach  der  Infektion  noch  nicht  die  ammonia- 
kalisch e  Harngärung  zeigten. 

Dafür  sprechen  auch  die  Ergebnisse  der 
Untersuchungen,  die  Herr  Dr.  Dohrn  unter 
Leitung  des  Herrn  Prof.  F ick  er  im  hiesigen 
hygienischen  Institut  an  sich  selbst  über  die 
antiseptische  Wirksamkeit  des  Harnes  nach 
Darreichung  von  Methylenhippursäure  an- 
gestellt hat.  Herr  Dr.  Dohrn,  dem  ich  für 
die  freundliche  Unterstützung  bei  den  Ver- 
suchen mit  der  Methylenhippursäure  sehr  zu 
Dank  verpflichtet  bin,  hat  mir  die  Resultate 
dieser  Untersuchungen  zur  Veröffentlichung 
überlassen,  wofür  ich  ihm  auch  an  dieser  Stelle 
bestens  danke.  Bei  diesen  Versuchen  wurden 
je  2  g  des  Präparates  auf  einmal  genommen. 
Der  Harn,  der  bei  einem  Versuche  durch  ge- 
nügend große  Dosen  Natrium  bicarbonicum 
alkalisch  gemacht  war,  wurde  vor  und  drei 
Stunden  nach  der  Darreichung  der  Methylen- 
hippursäure steril  in  je  zwei  Portionen  auf- 
gefangen, je  5  ccm  desselben  im  sterilen 
Reagensglase  mit  5  Tropfen  einer  mehrfach 
verdünnten  Aufschwemmung  einer  meist  16- 
stündigen  Reinkultur  in  Bouillon -Kochsalz 
(0,75  Proz.)- Lösung  gemischt.  Der  Keim- 
gehalt der  5  Tropfen  dieser  Aufschwem- 
mung wurde  durch  Aussaat  auf  Agarplatten 
und  Zählen  der  gewachsenen  Kolonien  be- 
stimmt. Der  Harn  wurde  wohlverschlossen 
bei  37°  C.  gehalten  und  nach  3,  6  und 
24  Stunden  je  0,1  ccm  auf  je  2  Agarplatten 
ausgesät  und  48  Stunden  bei  Bruttemperatur 
aufbewahrt.  Die  Kolonien  wurden  nach 
24  Stunden  mit  Hilfe  des  Mikroskopes 
gezählt,  und  mehrfach  die  Zählung  nach 
48  Stunden  wiederholt.  Für  die  Versuche 
wurden  diejenigen  Mikroorganismen  benutzt, 
die  bei  der  Cystitis  und  bei  den  Infektionen 
des  Harnes  besonders  in  Frage  kommen,  und 


12 


Nicolaier,  Ober  Merthylenhippurslure. 


["Therapeutische 
L   Monatehefte. 


zwar  der  Staphylococcus  pyogenes  aureus, 
das  Bacterium  coli,  der  Bacillus  typhi  und 
der  Proteus  vulgaris. 

Über  das  Resultat  geben  die  beiden 
Tabellen  Aufschluß.  Die  Zahl  der  Keime  ist 
für  1  ccm  angegeben. 

Tabelle  L 


Staphylo-  | 

coccus     j   132200 
pyogenes  . 

aureus     I 


BaCc^liam!  102300   ' 


Bfcili°s   I    25  300 
typhi      ;  j 


3         420400      430000 
6     |    230800      241000 

24     |       oo  987  000 


Proteus 
vulgaris 


213300 


3 

6 

24 


6 
24 

3 

6 

24 


233  600      129000 
32300  I       4700 
2  240000  ]        0 

fiO(D.24St.) 
18000  i3300  (nach 

II    48  St.) 
17  600  I        0 
1600  |        0 


417  000 
335  000 
910000 


360000 
42  800 


labelU  IL 


Art  de« 

Mlkroorge- 

nlsmiu 


Ausgesäte 
Keime 


Staphylo- 1 

coccus 
pyogenes 

aureus 


Keime  In 
Alk* 


Keime 
in  alka- 
lischem 
i  schein       Methylen- 
Harn        |hippursäure- 
i        harn 


210  300 


246400   219000 
j  515  000     0 
13  300000 


Bacterium 
coli 


Bacillus 
typhi 

Proteus 
vulgaris 


i   139  400 


197  700 


167  500 


197  000 
1590000 
oo 

311800 
290  200 


3         262  800      130000 
6     !    350500  0 

24     '    213600  I        0 


68  800 
2300 
0 

34  600 
0 
0 


Diese  Versuche  zeigen,  daß  nach  Dar- 
reichung von  Methylenhippursäure  der  Harn, 
wenn  er  eine  saure  Reaktion  hat,  gegenüber 
den  untersuchten  Arten  von  Mikroorganismen 
ein  verschiedenes  Verhalten  zeigt.  Während 
sich  die  Staphylokokken  in  ihm  gut  ver- 
mehren, gehen  in  ihm  Typhusbazillen  bei 
3  stündiger  Einwirkung  zum  größten  Teile, 
nach  6  stündiger  sämtlich  zu  Grunde.  Eine 
bakterizide  Wirkung  zeigt  der  Harn  bei 
6  stündiger  Versuchsdauer  auch  gegenüber 
dem  Bacterium  coli  und  dem  Proteus  vul- 
garis, sie  war  indes  beim  Proteus  geringer  als 


beim  Bacterium  coli.  Nach  24  stündiger 
Einwirkung  des  Harnes  waren  sämtliche 
Keime  beider  Arten  abgetötet. 

In  der  gleichen  Weise  zeigt  der  Harn  bei 
alkalischer  Reaktion  bakterizide  Eigenschaften, 
die  gegenüber  dem  Staphylococcus  pyogenea 
aureus,  dem  Bacterium  coli  und  dem  Proteus 
vulgaris  stärker  ausgeprägt  waren  als  im  sauren 
Methylenhippursäureharn.  Zwar  ist  nach  drei- 
stündiger Versuchsdauer  die  Zahl  der  Keime 
des  Typhusbazillus  im  alkalischen  Harn  eine 
größere  als  beim  sauren,  doch  muß  dabei 
berücksichtigt  werden,  daß  die  Aussaat  der 
Keime  in  dem  alkalischen  Harn  eine  zirka 
8  mal  größere  war.  Nach  6  stündiger  Ein- 
wirkung des  Harns  sind  mit  Ausnahme  des 
Bacterium  coli,  dessen  Keime  .  beträchtlich 
vermindert  sind,  die  Keime  aller  Mikroorga- 
nismenarten vernichtet. 

Nachdem  festgestellt  war,  daß  auch  der 
Harn  des  Menschen  durch  Darreichung  von 
Methylenhippursäure  bakterizide  Eigenschaf- 
ten erhält,  lag  es  sehr  nahe,  diese  ungiftige 
Formaldehyd  Verbindung  auf  ihre  therapeu- 
tische Wirkung  bei  den  bakteriellen  Erkran- 
kungen der  Harnorgane  des  Menschen  zu 
prüfen.  Ich  habe  bisher  nur  wenig  derartige 
Versuche  gemacht. 

In  dem  ersten  Fall  handelte  es  sich  um 
eine  Blasenentzündung  bei  einem  bis  dahin 
gesunden  37  jährigen  Stein  träger.  Sie  begann 
Anfang  August  1903  mit  Schmerzen  in  der 
Blasengegend  und  Beschwerden  beim  Urin- 
lassen. Der  Harn  wurde  trübe  entleert  und 
soll  einen  eigentümlichen  Geruch  gehabt 
haben.  Etwa  Mitte  September  nahmen  die 
Beschwerden  so  zu,  daß  der  Patient  nicht 
mehr  arbeiten  konnte.  Am  24.  September  1 903 
kam  er  zur  Behandlung  in  meine  Poliklinik. 
Er  klagte  über  starke  Schmerzen  in  der  Unter- 
bauchgegend, die  sich  nach  dem  Urinlassen 
noch  steigerten.  Der  Harn  war  sehr  trübe, 
leicht  rötlich  gefärbt,  hatte  eine  saure  Reaktion 
und  einen  Geruch  wie  geronnenes  Hühner- 
eiweiß. Er  enthielt  mäßige  Mengen  Eiweiß, 
mikroskopisch  waren  in  ihm,  neben  reich- 
lichen Mengen  von  Eiterkörperchen,  zahl- 
reiche rote  Blutkörperchen  vorhanden.  Über 
die  Ätiologie  der  Cystitis  wurde  nichts  eruiert. 
Eine  Gonorrhoe  hatte  Patient  zur  Zeit  nicht 
und  will  auch  früher  nicht  an  einem  Tripper 
gelitten  haben.  Der  Patient,  der  wegen  der 
Cystitis  bisher  noch  nicht  behandelt  war, 
erhielt  4  mal  täglich  1,5  g  Methylenhippur- 
säure und  brauchte  in  6  Tagen  33  g.  Am 
2.  Behaudlungstage  ließen  die  Schmerzen 
nach;  am  4.  Behandlungstage  zeigte  der 
Harn  nur  noch  geringen  Eitergehalt.  Mitte 
Oktober  stellte  sich  der  Patient  wieder  vor, 
nachdem   er   das  Mittel  etwa  14  Tage  nicht 


XIX.  Jahrgang.*! 
Januar  1905.  J 


Nicolaier,  Obar  Itethylenhlpptutture. 


13 


mehr  gebraucht  hatte.  Der  Harn  war  klar, 
frei  von  Eiter  und  roten  Blutkörperchen. 

Ich  habe  dann  noch  die  Methylenhippur- 
säure  bei  3  Fällen  von  bakterieller  Erkran- 
kung der  Harnwege  gegeben,  bei  denen  die 
lokale  Therapie  sowohl  wie  die  Darreichung 
von  Harnantiseptici8 ,  wie  des  Urotropins, 
des  Neu-Urotropins  bezw.  des  Helmitols  und 
des  Arhovins  sich  erfolglos  gezeigt  hatte. 

Einer  dieser  Patienten,  ein  47  jähriger 
Mann,  litt  an  einer  mit  geringen  dysurischen 
Beschwerden  einhergehenden  tuberkulösen 
Cystitis.  Er  erhielt  innerhalb  8  Tagen  50  g 
Methylenhippursäure  in  Tagesdosen  von  6  g. 
Die  Beschaffenheit  des  Harns  änderte  sich 
während  dieser  Medikation  nicht,  und  auch 
die  dysurischen  Beschwerden  blieben  be- 
stehen. 

Die  beiden  andern  Patienten  hatten  eine 
Cystitis  mit  ammoniakalischer  Harngärung. 
In  dem  einen  Falle  handelte  es  sich  um  eine 
58jahrige  Frau,  bei  der  die  Blasenerkran- 
kung schon  6  Jahre  bestand;  sie  hatte  außer- 
dem noch  eine  leidlich  kompensierte  Insuffi- 
cienz  und  Stenose  der  Mitralklappe  und  eine 
Nephritis.  Die  Frau  brauchte  mit  Unter- 
brechung von  je  einem  Monat,  während 
welcher  Zeit  Urotropin,  Neu  -  Urotropin  und 
Arhovin  (jedes  Medikament  4  Wochen  lang) 
ohne  jeden  Erfolg  gegeben  wurde,  in  Tages- 
dosen von  3 — 8  g,  meist  von  6  g,  in  der 
ersten  Versuchsperiode  20,  in  der  zweiten 
49  g  Methylenhippursäure;  in  der  letzten 
wurde  3  mal  täglich  ein  Gemisch  von  1,5  g 
Methylenhippursäure  und  0,5  g  Urotropin 
(beide  geben  keine  Verbindung),  in  Summa 
27  g  Methylenhippursäure  und  9  g  Urotropin 
gegeben.  Die  Patientin  hatte  also  im  ganzen 
96  g  Methylenhippursäure  eingenommen. 

Der  andere  Fall  betraf  einen  40  jährigen 
Phthisiker,  bei  dem  die  Cystitis  2  Jahre  be- 
stand und  nicht  tuberkulöser  Natur  war.  Der 
Kranke  erhielt  in  Tagesdosen  von  3 — 5  g  in 
9  Tagen  39  g. 

Wenn  auch  nach  Darreichung  der  Methylen- 
hippursäure bei  diesen  beiden  Patienten  ein- 
zelne Harnportionen  eine  saure  Reaktion 
zeigten  und  klarer  wurden,  so  wurde  doch 
nicht  erreicht,  daß  die  24 stündige  Harnmenge 
eine  sauere  Reaktion  erhielt.  Bemerkenswert 
ist,  daß  bei  beiden  Patienten  die  ammoniaka- 
iischen  Harne  zwar  mit  der  Joris  senschen, 
doch  nicht  mit  der  Phenylhydrazinprobe  eine 
Rotfärbung  gaben.  Diese  trat  mit  der  Phenyl- 
hydrazinprobe sofort  ein,  wenn  zu  den  Harnen 
vorher  Natronlauge  zugesetzt  war. 

Von  allen  Patienten  wurde,  wie  schon 
oben  angedeutet,  die  Methylenhippursäure  gut 
vertragen;  es  traten  keine  Reizerscheinungen 
von  Seiten   des  Magens  und  der  Nieren  auf, 


und  sie  hatte  auch  keinen  schädigenden  Ein- 
fluß aufs  Herz. 

Meine  therapeutischen  Versuche  mit  diesem 
Mittel  haben  also  ergeben,  daß  es  nur  bei 
einem  von  vier  Fällen  bakterieller  Erkran- 
kung der  Harnwege  eine  zweifellos  günstige 
Wirkung  hatte.  Die  Zahl  der  von  mir  be- 
handelten Fälle  ist  aber  zu  gering,  um  ein 
Urteil  abgeben  zu  können,  ob  die  Methylen- 
hippursäure einen  therapeutischen  Wert  bei 
den  bakteriellen  Affektionen  der  Harnorgane 
hat,  und  auch  die  Frage  wird  offen  bleiben 
müssen,  ob  sie  event.  wirksamer  ist  als  andere 
Harnantiseptica,  da  die  Zeit  ihrer  Anwen- 
dung bei  den  drei  sehr  schweren  Fällen  von 
Cystitis,  bei  denen  auch  die  anderen  Harn- 
antiseptica, insbesondere  das  bei  sehr  zahl- 
reichen Fällen  von  bakterieller  Erkrankung 
der  Harnwege  so  überaus  wirksame  Urotropin, 
keinen  Erfolg  gezeigt  hatten,  zu  kurz  war. 
Diese  Fragen  werden  sich  erst  mit  Sicherheit 
beantworten  lassen,  wenn  die  Methylenhippur- 
säure an  einem  größeren  Erankenmateriale 
längere  Zeit  geprüft  sein  wird.  Vielleicht 
geben  meine  Mitteilungen  über  die  Methylen- 
hippursäure die  Anregung  zu  dieser  Prüfung. 


Die  Behandlung:  der  Tuberkulose 
in  den  Sanatorien  von  Leysin. 

(1.  Mai  1903  bis  30.  April  1904.) 

Von 
Dr.  Morin. 

In  einer  Zeit,  in  der  sich  die  Ärzte  so 
viel  mit-  der  Tuberkulose  beschäftigen  und 
mit  so  großem  Interesse  die  verschiedenen 
Heilmethoden  studieren,  ist  es  mehr  als  not- 
wendig, die  beobachteten  Tatsachen  und  Re- 
sultate der  diversen  Behandlungssysteme  zu- 
sammenzustellen,  damit  ein  richtiges  Urteil 
ermöglicht  werden  kann. 

Zu  diesem  Zweck  veröffentlichen  wir  hier 
die  im  Jahre  1903  —  1904  (l.  Mai  bis 
30.  April)  in  den  Sanatorien  von  Leysin  er- 
reichten Resultate. 

Leysin  besitzt  die  doppelte  Eigenschaft: 
erstens  ein  klimatischer  Höhenkurort 
zu  sein  und  zweitens  die  Kranken  in  Sana- 
torien aufzunehmen.  Jede  dieser  Bedin- 
gungen ist  schon  für  sich  allein  ein  nützlicher 
Faktor  in  der  Behandlung  der  Tuberkulose, 
ihr  gemeinsamer  Gebrauch  muß  also  die 
günstigen  Chancen  der  Behandlung  ver- 
mehren. Dies  wird  sich  gewiß  bei  der 
Prüfung  der  folgenden  Resultate  zeigen. 

Da  die  internationale  Vereinigung  gegen 
die    Tuberkulose1)     die    Klassifikation     von 


*)  Versammlung  v.  Kopenhagen.  —  Mai  1904. 


14 


Morin,  Behandlung  dar  Tuberkulose. 


rherapeutlsche 
Monatsheft«. 


Turban  angenommen  hat,  sowohl  für  die 
Einteilung  der  Tuberkulosenfalle  in  3  Stadien, 
als  auch  für  die  Angabe  des  Behandlungs- 
erfolges, so  werden  wir  uns  dieses  Systemes 
bedienen. 

Wir  geben  es  in  dem  Folgenden  wieder: 
I.    Stadium.      Leichte,    höchstens    auf 
das    Volumen     eines    Lappens    oder 
zweier    halber    Lappen     ausgedehnte 
Erkrankung. 
IL   Stadium.      Leichte,    weiter    als    I, 
aber     höchstens     auf     das    Volumen 
zweier   Lappen    ausgedehnte    Erkran- 
kung oder  schwere,  höchstens  auf  das 
Volumen   eines  Lappens   ausgedehnte 
Erkrankung. 
III.  Stadium.     Alle   Erkrankungen,    die 

über  II  hinausgehen. 
Die  Ausdrücke    leichte    und    schwere 
Erkrankung  sollen  auf  folgende  Weise  ver- 
standen werden: 

Leichte  Erkrankung.  Disseminierte 
Herde,  leichte  Dämpfung,  abgeschwächtes, 
rauhes,  vesikuläres  oder  undeterminiertes 
Atmen,  verlängertes  Exspirium,  feines  und 
mittleres  Rasseln. 

Schwere  Erkrankung.  Kompakte  In- 
filtrate, Erweichungsherde  und  Kavernen, 
starke  Dämpfung,  tympanitischer  Schall,  stark 
abgeschw achtes ,  broncho  -  vesikuläres ,  bron- 
chiales oder  amphorisches  Atmen,  klanglose 
und  klingende  Rasselgeräusche. 

Dem  Volumen  eines  Lappens  entspricht 
immer  das  Volumen  zweier  halber  Lappen. 
Diese  Einteilung,  die  wir  schon  lange 
benützen,  wird  gegenwärtig  in  allen  Ländern 
angenommen;  es  ist  notwendig,  daß  jeder 
Arzt  sich  mit  ihr  befreundet. 

Die  362  Kranken,  welche  Leysin  in  dem 
Zeitraum  vom  1.  Mai  1903  bis  30.  April  1904 
verlassen  haben,  werden  eingeteilt  in: 

Kranke  des     I.  Stadiums  112  =  31     Proz. 

-  IL        -  118  =  32,6     - 

-  III.        -  132  =  36,4     - 

Man  sieht,  daß  die  Kranken  im  III.  Sta- 
dium etwas  zahlreicher  sind  als  die  im  IL, 
deren  Zahl  die  im  I.  Stadium  noch  übertrifft. 

Dies  ist  eine  sehr  bedauernswürdige 
Proportion. 


Die  Resultate  der  Behandlung  sind  viel 
günstiger  für  die  Kranken  im  I.  Stadium, 
und  der  Gedanke,  daß  alle  die  des  II.  und 
III.  Stadiums  den  günstigen  Augenblick  ver- 
fehlt haben,  ist  traurig.  Zweifellos  bleiben 
ihnen  noch  günstige  Chancen  für  Besserung, 
und  selbst  für  Heilung  für  die  im  IL  Sta- 
dium. Aber  diese  Chancen  sind  viel  weniger 
sicher  und  mit  wieviel  mehr  Zeit  und  mehr 
Opfer  verbunden! 

Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  die 
Arzte  die  Diagnose  der  Lungentuberkulose 
so  früh  als  möglich  machen  wollten  und  von 
dem  Kranken  verlangen  würden,  daß  er  sich 
sog] eich  der  passenden  Behandlung  unter- 
zieht. 

Meistens  darf  man  das  Wort  Tuberkulose 
nicht  einmal  aussprechen,  damit  man  den 
Kranken  und  seine  Familie  nicht  erschrecke; 
man  verordnet  ein  wenig  Ruhe  und  Land- 
luft als  genügend,  um  alles  wieder  in  Ordnung 
zu  bringen.  Während  dieser  Zeit  schreitet  die 
Tuberkulose  vorwärts  und  entschließt  man 
sich  endlich  zu  einer  wirksamen  Behandlung, 
so  hat  man  schon  die  Hälfte  der  Heilungs- 
chancen verloren. 

Es  geht  daraus  hervor,  daß  viele  Kranke, 
welche  wohl  ziemlich  rasch  eine  gänzliche 
Heilung  erlangt  hätten,  wenn  sie  beim  Be- 
ginn ihrer  Krankheit  ins  Sanatorium  ge- 
kommen wären,  nun  genötigt  sind,  lange  dort 
zu  bleiben  oder  wiederholt  sich  dort  auf- 
halten zu  müssen.  Das  bei  dieser  lang- 
wierigen Behandlung  erlangte  Resultat  befrie- 
digt jedoch  diese  Kranken  nicht,  weil  es  keine 
wahre  Heilung  ist.  Alle  diese  Kranken 
sagen  uns,  daß  sie  nicht  gewußt  hätten,  wie 
schwer  krank  sie  gewesen  sind,  und  daß  sie 
bedauern,  nicht  früher  behandelt  worden  zu 
sein. 

Nach  Turban  werden  die  Kranken  beim 
Austritt  aus  dem  Sanatorium  in  drei  -Gruppen 
eingeteilt: 

1.  Gebessert.     Positives  Resultat. 

2.  Nicht  gebessert  oder  verschlimmert. 
Negatives  Resultat. 

3.  Gestorben. 

Nach  diesem  System  werden  unsere  362 
Kranken  wie  folgt  eingeteilt: 


labeüe  L 
Erfolge  bei  der  Entlassung. 


8tadinm 
beim 

Geheuert 

Pro». 

Nicht   gebessert 

oder 
▼erschlimmert 

Pros. 

Gestorben 

Pros. 

Total 

Eintritt 

Positiver  Erfolg 

Negativer  Erfolg 

I 
II 
III 

110 

111 

81 

98,2 

94 

61 

2 
5 

27 

1,8 
4 
20,5 

2 

24 

2 

18,6 

112 
118 

132 

302 

83,4 

34 

9,4 

26 

7,2 

362 

XIX.  Jahrgang.! 
Januar  1906.  J 


Moria,  Behandlung  der  Tubeikuloaa. 


15 


Man  sieht  auf  dieser  Tabelle,  daß  wir  ein 
günstiges  Resultat  erreicht  haben  in  83,4  Proz. 
der  Fälle  von  der  Gesamtzahl  der  Kranken, 
während  9,4  Proz.  gar  keinen  guten  Erfolg 
ihrer  Kur  erlangten  oder  stationär  geblieben, 
und  daß  7,2  Proz.  gestorben  sind. 

Wenn  wir  die  günstigen  Resultate  der 
gebesserten  302  Kranken  nach  den  verschie- 
denen Stadien  der  Krankheit  betrachten,  so 
tut  sich  uns  kund,  daß  fast  die  Totalität 
der  Kranken  des  I.  Stadiums  (98,2  Proz.) 
einen  Gewinn  ihrer  Kur  erreicht  hat,  und 
daß  94  Proz.  des  II.  Stadiums  noch  einen 
guten  Erfolg  haben.  Die  Kranken  des 
III.  Stadiums  bieten  uns  61  Proz.  günstige 
Erfolge,  aber  bei  denselben  kann  man  nicht 
mehr  von  Heilungen  reden,  es  handelt  sich 
nur  noch  um  mehr  oder  weniger  ausgesprochene 
Besserungen. 

Wir  verstehen  wohl,  daß  die  Mehrzahl 
der  Ärzte  den  Ausdruck  Heilung  aufgegeben 
hat.  Es  ist  ja  schwer,  von  einem  gewesenen 
Tuberkulosen  zu  behaupten,  er  sei  vollständig 
geheilt.  —  Wie  die  Krankheit  schon  sehr 
lange,  ehe  sie  sich  erklärte,  in  einem  latenten 
Zustande  existieren  konnte,  ohne  daß  sie, 
selbst  bei  pünktlicher  Untersuchung,  entdeckt 
wurde,  so  kann  sie  auch  fortdauern  durch 
die  Gegenwart  einiger  im  Innern  der  Gewebe 
verborgener  Bazillen,  ohne  daß  es  möglich 
ist,  sich  darüber  zu  vergewissern. 

Es  sind  jedoch  so  große 'Unterschiede  in 
den  Stufen  der  Besserung,  daß  wir  es  für 
notwendig  halten,  sie  in  Rechnung  zu  ziehen. 


hygienische  Lebensweise  führen  wollen  und 
können  und  wenn  ihre  Verhältnisse  ihnen 
erlauben,  sich  während  einer  gewissen  Anzahl 
von  Monaten  oder  Jahren  zu  pflegen  und  zu 
schonen.  Wir  sprechen  hier  von  bemittelten 
Kranken.  Unsere  Schlüsse  können  nicht  so 
ganz  bei  den  Tuberkulösen  der  arbeitenden 
Klasse  in  Anwendung  gebracht  werden. 

Wir  meinen  auch,  es  sollten  bei  den  nega- 
tiven Resultaten  die  stationären  und 
verschlimmerten  Kranken  in  zwei  ver- 
schiedene Kategorien  eingeteilt  werden.  Für 
viele  ist  in  Wirklichkeit  ein  stationärer  Zu- 
stand das  Maximum,  welches  durch  eine 
auch  am  besten  geleitete  Behandlung  erzielt 
werden  kann.  Dies  ist  ein  nicht  zu  ver- 
achtendes Resultat.  Bei  manchem  Kranken, 
dessen  Tuberkulose  ehemals  einen  pro- 
gressiven Gang  zeigte,  sah  man  durch  den 
Aufenthalt  im  Sanatorium  die  Krankheit 
stille  stehen.  Er  hat  gelernt,  sich  zu  be- 
handeln, sich  zu  schonen,  die  Ursachen  der 
Verschlimmerungen  zu  verhüten,  er  versteht 
mit  seinem  Übel  zu  leben  —  und  es  hängt 
größtenteils  von  ihm  selbst  ab,  jahrelang  in 
diesem  Zustand  zu  bleiben.  Dieses  für  einen 
Kranken,  der  seinen  Lebensunterhalt  ver- 
dienen muß,  ungenügende  Resultat,  kann  für 
viele  als  ein  sehr  befriedigendes  angesehen 
werden. 

Indem  wir  uns  auf  diese  Betrachtungen 
stützen,  geben  wir  folgende  Tabelle,  welche 
die  summarischen  Angaben  der  obenstehen- 
den ergänzt. 


Tabelle  IL 

Stadium 

beim 
Blatritt 

Gehellt 

Proz. 

Gebessert 

Proz. 

Stationär 

Pro*. 

Ver- 
schlimmert 

Pro«. 

Gestorben 

Proz. 

Total 

I 

87 

78 

23 

20 

1 

1 

1 

1 





112 

11 

34 

29 

77 

65 

2 

1,7 

3 

2,6 

2 

1,7 

118 

III 

~~ 

~" 

81 

61,4 

16           12,1 

11 

8,3 

24 

18,2 

132 

121 

33 

181 

49 

19 

6 

15 

4 

26 

8 

362 

Der  Kranke,  welcher  nicht  mehr  hustet, 
keinen  Auswurf  mehr  hat  und  bei  welchem 
die  Untersuchung  kein  Knistern  und  kein 
Rasseln  mehr  entdeckt,  während  er  früher 
deutlich  Symptome  von  Infiltration  und  selbst 
von  ein  wenig  Erweichung  zeigte,  früher 
hustete  und  sein  Auswurf  Bazillen  enthielt, 
dieser  Kranke  ist  in  einem  viel  besseren 
Zustand  als  der,  bei  welchem  die  verschie- 
denen Symptome  nur  eine  mehr  oder  weniger 
ausgesprochene  Attenuation  angaben. 

Deshalb  wünschen  wir  den  Ausdruck 
scheinbare  Heilung  beizubehalten. 

Seltene  Ausnahmen  abgerechnet,  sind 
diese  Gebesserten  wohl  Geheilte  und  werden 
es  bleiben,    wenn   sie   eine   regelmäßige  und 


Beim  Studieren  dieser  Tabelle  finden  wir 
dieses  bemerkenswerte  Resultat,  daß  33  Proz. 
von  allen  aus  unseren  Sanatorien  entlassenen 
Kranken  die  scheinbare  Heilung  erreicht 
haben.  Es  ist  dies  exakt  ein  Drittel,  anders 
ausgedrückt:  von  drei  Tuberkulösen  ist  einer 
geheilt  ausgetreten.  Und  doch  haben  wir 
gesehen,  daß  die  meisten  unserer  Kranken 
im  III.  Stadium  der  Krankheit  ankamen. 

Nehmen  wir  die  Fälle  von  Heilung  bei 
den  Kranken  des  I.  Stadiums,  so  sehen  wir, 
daß  78  Proz.  den  Zustand  der  scheinbaren 
Heilung,  die  der  definitiven  so  nahe  steht, 
erreicht  haben  und  daß  noch  dazu  20  Proz. 
eine  Besserung  ihres  Zustandes  erlangten. 
Eine    bedeutende    Anzahl     dieser     letzteren 


16 


Morin,  Behandlung  d«r  Tuberkulose. 


rrherapeutteche 
L   Monatshefte. 


hätte  durch  die  Verlängerung  ihrer  Kur  eine 
Heilung  erzielt.  Wir  konstatieren  noch,  daß 
29  Proz.  der  Kranken  des  IL  Stadiums 
ebenso  Heilung  und  65  Proz.  Besserung 
erreicht  haben. 

Diese  Statistik  ist  sehr  ermutigend. 

Sie  steht  über  den  Statistiken  der  ver- 
gangenen Jahre,  obgleich  sie  auf  denselben 
Prinzipien  ruht  und  von  denselben  Ärzten 
aufgestellt  wurde. 

Vielleicht  kommt  es  von  der  merkwürdig 
günstigen  Witterung  des  ganzen  vorigen  Jahres 
und  besonders  der  des  Winters  1903/04  her. 
Diese  Jahreszeit  war  eine  der  schönsten, 
welche  man  in  Leysin  erlebt  hat.  Schreibt 
man  die  Wirkung  des  Höhenklimas  zum 
Teil  den  außergewöhnlichen  Lichtstrahlungen, 
welche  auf  dem  Berge  herrschen,  zu,  so  kann 
man  wohl  sagen,  daß  der  Aufenthalt  im 
Freien  ein  wahres  Lichtbad  war. 

Wir  schreiben  die  äußerst  befriedigenden 
Resultate,  die  wir  so  eben  aufgezeichnet,  der 
kombinierten  Behandlung  des  Sanatoriums 
und  des  Höhenklimas  zu.  Tatsachen  sind 
hier  beredter  als  alle  Ansichten  der  Welt. 

Schon  das  Sanatorium  allein,  wenn  es  in 
der  Ebene  und  in  einer  gesunden  Lage  steht, 
liefert  sehr  günstige  Resultate.  Doch  sind 
sie  noch  weit  besser,  wenn  das  Sanatorium 
in  einem  Höhenklima  ist.  Dies  hat  Theodor 
Williams  besonders  bewiesen,  indem  er 
auf  frappante  Art  die  in  den  Schweizer  Sana- 
torien erlangten  Resultate  mit  denen  der 
Heilstätten  in  andern  Ländern  vergleicht. 

„Durch  den  Vorzug  der  Schweizer  Resul- 
tate, u  schreibt  er,  „wird  die  Meinung,  die 
ich  schon  seit  lange  verkündigt  und  veröffent- 
licht habe,  bestätigt,  nämlich,  daß  das  Höhen- 
klima einen  wertvollen  heilenden  Einfloß  auf 
die  Lungentuberkulose  ausübt.  Diesen  Einfluß 
übertrifft  keine  andere  Bedingung.  Die  ab- 
surde, vor  kurzem  aufgestellte  Meinung,  es 
sei  dem  Klima  in  der  Behandlung  der  Lungen- 
phthise  gar  kein  Einfluß  zuzuschreiben, 
wird  durch  diese  Erfahrung  gänzlich  ver- 
nichtet. u 

Es  wurde  schon  früher  von  Williams 
behauptet,  daß  die  günstigen  Erfolge  auf 
den  Bergen  schneller  erreicht  und  auch  von 
längerer  Dauer  sind,  als  die  im  Talklima 
erzielten. 

Es  wird  uns  schwer,  uns  in  Leysin  über 
die  Dauerresultate  zu  erkundigen,  wie  es 
von  den  Volksheilstätten  aus  geschieht,  wo 
die  Kranken  beim  Verlassen  derselben  meist 
im  Lande  bleiben.  Wir  haben  jedoch  einen 
Fragezettel  aufgestellt,  der  an  die  vor  einigen 
Jahren     aus     den    Sanatorien    ausgetretenen 


Kranken  geschickt  wird.  Nur  von  einem 
unserer  Sanatorien  können  wir  heute  das 
Resultat  der  erhaltenen  Erkundigungen  an- 
geben. Es  betrifft  dasselbe  die  im  Jahre 
1898 — 1899  geheilt  entlassenen  Kranken. 

Diese  Kranken  waren  36  an  der  Zahl. 
Von  den  36  Fragezetteln  sind  25  zurückge- 
kommen. Sie  zeigten  uns  an:  1  Todesfall, 
1  leichten  Rückfall  und  23  Heilungsfälle. 
Diese  23  Geheilten  erklärten  sich  nach  fünf 
Jahren  noch  als  vollständig  gesund. 

Diese  Tatsache  übertrifft  weit  die  besten 
bis  jetzt  veröffentlichten  Dauerresultate.  Es 
wird  notwendig  sein,  diese  Erkundigungen 
fortzuführen,  ehe  man  diese  Zahlen  als  Aus- 
druck von  dem,  was  gewöhnlich  geschieht, 
angibt.  Man  muß  sie  jedoch  mit  Zufrieden- 
heit und  mit  der  Hoffnung  einer  späteren 
Bestätigung  aufzeichnen. 

Obgleich  die  leitenden  Ärzte  der  Sana- 
torien in  Leysin  einstimmig  darin  sind,  die 
außergewöhnlichen,  soeben  aufgezeichneten 
Erfolge  dem  doppelten  Einfluß  des  Klimas 
und  des  Sanatoriums  zuzuschreiben,  so  wird 
keiner  von  ihnen  die  anderen  Mittel  der 
Heilkunde  vernachlässigen.  Alle  Hilfsmittel 
der  neuesten  Entdeckungen,  die  ihnen  zu 
Gebote  stehen,  werden  mit  Überlegung  ver- 
sucht und,  wenn  sie  ernste  Erfolgsgarantie 
bieten,  angewendet. 

So  wurde  in  gewissen  Fällen  das  Tuber- 
kulin gebraucht,  aber  immer  in  sehr  schwachen 
und  langsam  steigenden  Dosen ;  gewiß  ist,  daß 
es,  mit  großer  Vorsicht  benutzt,  bei  einigen 
Kranken  ermutigende  Resultate  gegeben  hat. 
Das  Marmorecksche  Serum  wurde  auch 
versucht,  seine  Wirkung,  namentlich  nützlich 
bei  fiebernden  Kranken,  wurde  von  Dr.  Jaque- 
rod  zum  Gegenstand  einer  besonderen  Arbeit 
gemacht8). 

Die  statische  Elektrizität  wurde  auch 
angewendet,  aber  ohne  großen  Erfolg. 

Alle  stärkenden,  beruhigenden  und  fieber- 
stillenden Arzneimittel,  die  alltäglich  von 
den  mit  den  Tuberkulösen  besonders  beschäf- 
tigten Ärzten  benutzt  wurden,  erwähnen  wir 
hier  nicht.  Eines  davon  verdient  jedoch 
eine  besondere  Auszeichnung,  das  Thiocol, 
welches  unter  allen  Derivaten  des  Kreosots, 
dank  seiner  offenbaren  Wirkung  auf  die  Se- 
kretionen und  seiner  Unschädlichkeit 
für  den  Magen,  sich  immer  im  Gebrauch 
erhält. 

Wir  bleiben  übrigens  der  Überzeugung, 
welche  speziellen  Behandlungen  uns  auch  die 
Zukunft  vorbehält,  daß  die  hygienischen  Me- 


*)  Jaquerod,    Revue   de   Medecine,    Paris. 
Juni  1904. 


X IX.  Jahrgang.*] 
Januar  1905.  J 


Klau,  Oparatlv«  EiÖffbung  der  Mittelohrräume. 


17 


thoden  und  die  stärkenden  Mittel  immer 
unumgängliche  Bedingungen  für  das  Gelingen 
jeglicher  Therapie  bei  der  Behandlung  der 
Lungentuberkulose  bleiben  werden. 

Wir  möchten  noch  einige  Worte  beifugen 
über  die  Jahreszeit,  in  welcher  ein  Aufent- 
halt im  Hochgebirge  besonders  passend  ist. 
Ein  weit  verbreiteter  Irrtum  ist  es,  die  Höhen- 
stationen als  nur  Winterstationen  zu  be- 
trachten. Wir  meinen  und  haben  auch  die 
Erfahrung  gemacht,  daß  die  nützlichen  Folgen 
des  Höhenklimas  sich,  in  jeder  Jahreszeit 
zeigen.  Es  ist  nicht  gleichgültig  für  einen 
Tuberkulösen,  ob  er  seine  Behandlung  2  oder 
3  Monate  früher  oder  später  beginnt.  Von 
großer  Wichtigkeit  ist  es  im  Gegenteil,  daß 
er,  sobald  seine  Krankheit  erkannt  wird,  ins 
Sanatorium  gehe.  Man  hätte  sogar  Unrecht, 
wenn  er  fiebernd  ist,  zu  warten,  bis  das  Fieber 
gefallen  ist,  denn  der  Höhenaufenthalt  hat 
namentlich  auf  das  Germinationsfieber  der 
Tuberkulose  einen  sehr  günstigen  Einfluß. 


Zur  operativen  Eröffnung:  der 
Mittelohrr&ume. 

Von 
San.- Etat  Dr.  Klau  in  Berlin. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  die 
Ohrenheilkunde  in  den  verflossenen  10  bis 
12  Jahren  namentlich  in  operativer  Beziehung 
ganz  bedeutende  Fortschritte  gemacht  hat,  und 
daß  dadurch  diese  Doktrin,  die  lange  Zeit 
hindurch  kein  besonderes  Ansehen  in  der 
medizinischen  Welt  genoß,  sich  heute  der 
Wertschätzung  erfreut,  die  ihr  zukommt. 

Unser  Handeln  bei  der  operativen  Er- 
öffnung der  Mittelohrräume  wird  ein  ver- 
schiedenes sein,  je  nachdem  es  sich  um  akute 
oder  chronische  eitrige  Erkrankung  des  Mittel- 
ohres handelt.  Während  also  bei  akuter 
Affektion  der  Mittelohrräume  die  sogenannte 
typische  Aufmeißelung  des  Warzenfortsatzes 
nach  Schwartze  am  Platze  ist,  erfordert 
die  chronische  Erkrankung  die  Total- 
aufmeißelung,  die  sogenannte  Radikal - 
Operation. 

Wenn  nun  auch  diese  Grenzen  bei  der 
operativen  Behandlung  der  Mittelohrerkran- 
kungen nicht  ganz  absolute  sind,  so  gehört 
es  doch  zu  den  Ausnahmen,  daß  einmal 
auch  bei  der  akuten  Erkrankung  die  Total- 
aufmeißelung  und  umgekehrt  bei  der  chro- 
nischen Mittel ohraifektion  die  typische  Auf- 
meißelung ausgeführt  wird. 

Die  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  bei 
der  akuten  eitrigen  Mittelohrerkrankung  ist 
indiziert  bei  heftigen  Schmerzen  am  Warzen- 

Th.  M.  1906. 


fortsatz;  bei  Schwellungen  und  Abszeßbildung 
in  der  Umgebung  des  Ohres,  namentlich  auf 
dem  Warzenfortsatz;  bei  Vorwölbung  der 
oberen  Wand  des  häutigen  Gehörganges; 
bei  anhaltendem  Fieber;  bei  ungewöhnlich 
lange  andauernder  Eiterung  aus  dem  Mittel- 
ohr; bei  Kopfschmerzen,  Schwindelerschei- 
nungen, .Brechneigung,  also  Hirnsymptomen; 
bei  Veränderungen  am  Augenhintergrund. 

Die  typische  Aufmeißelung  des  Warzen« 
fortsatzes  beginnt  mit  einem  Vertikalschnitt, 
welcher  unterhalb  der  Spitze  des  Warzen- 
fortsatzes anfängt  und  senkrecht  nach  oben 
bis  über  die  Hohe  des  oberen  Randes  des 
Ohrmuschelansatzes  über  die  Linea  tempo- 
ralis  hinausgeführt  wird.  Die  Gewebe  müssen 
dabei  schichtweise  bis  auf  den  Knochen  durch* 
trennt  werden.  Bei  starker  Infiltration  der 
Weichteile  kann  der  Schnitt  nach  oben  und 
unten  noch  verlängert  werden.  In  jedem 
Falle  wird  auf  das  obere  Ende  dieses  Längs- 
schnittes ein  sogenannter  T- Schnitt  gesetzt, 
dessen  Länge  den  lokalen  Verhältnissen  der 
Weichteile  und  des  Knochens  angepaßt  werden 
muß.  Bei  dieser  Schnittführung  ist  große 
Vorsicht  zu  üben,  da  man  immer  mit  der 
Möglichkeit  eines  vorhandenen  Kortikal  defektes 
rechnen  muß.  Namentlich  bei  Säuglingen, 
wo  der  Knochen  an  und  für  sich  sehr  dünn 
ist,  ist  jeder  starke  Druck  zu  vermeiden. 
Sowohl  in  dem  einen  wie  dem  anderen  Falle 
kann  es  sonst  sehr  leicht  vorkommen,  daß  der 
Sinus  sigmoideus  oder  die  Dura  mater  verletzt 
wird.  —  Grunert  erwähnt  einen  Fall,  wo 
beim  horizontalen  Schnitt  nach  hinten  senk- 
recht auf  den  retroaurikularen  Schnitt  zwei 
dicht  nebeneinander  liegende  Emissarien  des 
Sinus  transversus  durchschnitten  wurden.  Es 
trat  eine  heftige  Blutung  und  nach  2  Stunden 
der  Tod  ein.  —  Nach  sorgfältiger  Blutstillung 
wird  nun  mit  einem  Raspatorium  das  Periost 
nach  vorn  in  schonendster  Weise  so  weit  ab- 
präpariert, bis  der  hintere  obere  Rand  des 
knöchernen  Gehörganges  vollständig  freiliegt. 
Der  äußerste  Teil  des  häutigen  Gehörganges 
in  seiner  hinteren  Peripherie  wird  ebenfalls 
von  seiner  knöchernen  Unterlage  losgelöst. 
Nach  hinten  wird  das  Periost  bis  über  die 
hintere  Grenze  des  Warzenfortsatzes  ab- 
gehoben. 

Es  kommt  vor  allen  Dingen  darauf  an, 
den  Warzen  fortsatz  in  ausgedehntester  Weise 
freizulegen,  um  bei  der  folgenden  Knochen- 
operation allen  Eventualitäten:  Eröffnung  der 
hinteren  und  mittleren  Schädelgrube,  Aus- 
führung der  Radikaloperation  u.  s.  w.,  be- 
gegnen zu  können.  Stets  ist  die  ganze  Spitze 
des  Warzenfortsatzes  freizulegen.  Die  hier 
inserierenden  Fasern  des  Muse,  sternocleido- 
mastoideus   werden   mit  dem  Messer,   dessen 

3 


18 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Mlttelohrraume« 


rTharapentiich« 
L    Moiwtuhefte. 


Schneide  dabei  immer  gegen  den  Knochen 
gerichtet  ist,  losgetrennt. 

Die  Aufmeißelung  wird  am  besten  mit 
Hohlmeißeln  ausgeführt,  weil  sich  diese  besser 
der  Rundung  des  zu  meißelnden  Kanal  es  an- 
passen. Im  Anfang  der  Knochenoperation 
bei  der  Abtragung  der  Corticalis  des  Warzen- 
fortsatzes benutze  ich  mit  Vorliebe  größere 
Meißel  von  1,6  cm  bis  zu  0,5  cm  Breite, 
•wie  sie  Zaufal  bei  der  Radikaloperation 
angegeben  hat.  Es  empfiehlt  sich,  in  jedem 
Falle  die  Corticalis  von  der  Linea  temporalis 
bis  zur  Spitze  des  Warzenfortsatzes  abzu- 
meißeln. Dann  wird  auch  ein  Übersehen 
von  Eiteransammlung  in  der  Spitze,  die  häufig 
vorkommt,  vermieden  werden,  und  man  kann 
auch  sofort,  wenn  es  notig  ist,  die  ganze 
Spitze  resezieren. 

Bei  der  schichtweisen  Abtragung  der 
Corticalis  bis  hinab  zur  Spitze  beginnt  man 
dicht  unter  der  Linea  temporalis,  indem  man 
immer  von  hinten  nach  vorn  gegen  die  hintere 
Gehörgangs  wand  meißelt.  Über  die  Linea 
temporalis  darf  man  im  allgemeinen  nicht 
hinausgehen,  doch  muß  auch  die  Spina  supra 
meatum  und  die  obere  Wand  des  knöchernen 
Gehörganges  als  oberste  Begrenzung  berück- 
sichtigt werden. 

An  Stellen,  wo  man  mit  der  Lu  ersehen 
Zange  herankommen  kann,  wird  diese  zur 
völligen  Freilegung  etwaiger  Hohlräume  und 
Fisteln  benutzt.  Der  äußerste  Teil  der  hin- 
teren knöchernen  Gehörgangswand,  der  schon 
vorher  von  seiner  häutigen  Bedeckung  ent- 
blößt wurde,  wird  mit  abgemeißelt,  da  auf 
diese  Weise  die  Weichteile  sich  später  besser 
anlegen,  und  weil  ferner  die  durch  die  folgende 
Ausmeißelung  des  Knochenkanales  in  ihrem 
äußersten  Teil  oft  sehr  dünne  Gehörgangs- 
wandung zuweilen  nekrotisch  wird,  sich  als 
Sequester  abstößt  oder  später  doch  noch  ab- 
gemeißelt werden  muß.  Außerdem  wird  da- 
durch die  Länge  des  Knochenkanales  erheb- 
lich verkürzt  und  die  Übersicht  bis  zum 
Antrum  mastoideum  erleichtert. 

Ist  keine  Knochenfistel  und  nach  Ab- 
meißelung  der  Corticalis  keine  Höhle  vor- 
handen, die  uns  als  Wegleitung  zum  Antrum 
dient,  so  muß  nunmehr  der  Knochenkanal 
bis  zum  Antrum  mastoideum  ausgemeißelt 
werden.  Hierbei  ist  eine  möglichst  große 
Eingangsöffnung  zu  erstreben  bis  zu  12  mm 
im  Durchmesser,  die  Längsachse  kann  noch 
größer  sein.  Diese  Eingangsöffnung  ist  un- 
mittelbar unter  der  Lin.  temporalis,  in  der 
Höhe  der  knöchernen  oberen  Gehörgangswand, 
etwa  5  bis  10  mm  hinter  der  Spina  supra 
meatum  anzulegen.  Bei  dem  Vordringen  in 
die  Tiefe  kommt  es  vor  allen  Dingen  darauf 
an,  nicht  die  Richtung  zu  verlieren.     Es  ist, 


wie  Schwartze  treffend  bemerkt,  viel  leichter, 
einen  diagnostizierten  Hirnabszeß  zu  eröffnen 
als  eine  Antrumaufmeißelung  regelrecht  durch- 
zuführen. Die  ursprünglich  von  Schwartze 
angegebene  Vorschrift,  bei  der  Ausmeißelung 
des  Kanales  von  außen  hinten  und  oben  nach 
innen  vorn  und  unten  unter  einem  Winkel 
von  45  Grad  vorzugehen,  die  ja  ihre  volle 
Berechtigung  hat,  kann  leicht  dazu  führen, 
wenn  man  nicht  das  geniale  Geschick 
Schwartzes  besitzt,  zu  weit  nach  unten  zu 
gelangen  am  Antrum  vorbei  und  den  Nervus 
facialis  zu  verletzen.  Am  besten  verfährt 
man,  wenn  man  stets  parallel  zum 
äußeren  Gehörgang  in  die  Tiefe  vor- 
dringt. Man  muß  sich  immer  vergegen- 
wärtigen, daß  das  Antrum  zur  Lage  des 
äußeren  Gehörganges  mehr  nach  oben  als 
nach  unten  liegt.  Tiefer  als  2,5  cm  darf 
man  wegen  der  Gefahr,  Labyrinth  und  N. 
facialis  zu  verletzen,  nicht  vordringen,  auch 
wenn  das  Antrum  nicht  gefunden  ist.  Im 
Mittel  beträgt  die  Länge  des  Kanales  nach 
Holmes  15  mm,  das  ist  die  Entfernung  der 
Spina  supra  meatum  vom  hinteren  oberen 
Rande  des  Trommelfells. 

Möglichst  breite  Eröffnung  des  Antrum 
mastoideum  muß  erstrebt  werden,  um  sich 
einen  Einblick  über  die  etwaigen  krankhaften 
Veränderungen  daselbst  zu  verschaffen.  Bei 
dieser  breiten  Aufmeißelung  des  Warzenfort- 
satzes kann  es  dann  auch  nicht  vorkommen, 
daß  eiterh altige  oder  mit  Granulationen  an- 
gefüllte Höhlen  übersehen  werden.  Trifft 
man  bei  der  Aufmeißelung  auf  Fisteln,  die 
in  die  Schädelhöhle  führen,  so  müssen  die- 
selben stets  breit  eröffnet  werden,  denn  nur 
auf  diese  Weise  können  Komplikationen  in 
der  Schädelhöhle  möglichst  vermieden,  schon 
bestehende  Erkrankungen,  wie  Extradural- 
abszeß,  Sinusthrombose,  Hirnabszeß,  aufge- 
deckt werden. 

In  jedem  Falle  nach  Zaufal  die  Schädel- 
höhle zu  eröffnen,  wenn  „die  Knochencaries 
an  einer  Stelle  nahe  an  die  Tabula  interna 
heranreicht",  halte  ich  nicht  für  angebracht. 
Sind  Hirnsymptome  bereits  vor  der  Operation 
vorhanden,  so  wird  man  in  diesem  Falle 
selbstverständlich  die  Schädelhöhle  eröffnen, 
oder  wenn  eine  Erkrankung  des  Sinus  wahr- 
scheinlich ist,  diesen  freilegen  und  unter 
Umständen  inzidieren.  Finden  sich  aber  keine 
Hirnsymptome  vor,  so  kann  man  nach  der 
Entfernung  alles  Krankhaften  im  Warzenfort- 
satz erst  ruhig  zuwarten,  wie  der  weitere 
Verlauf  sich  gestalten  wird. 

Große  Schwierigkeiten  kann  die  typische 
Aufmeißelung  bei  ungewöhnlich  weiter  Vor- 
lagerung des  Sinus  sigmoideus  bereiten.  In 
seltenen  Fällen,  wenn  der  Sinus  soweit  vor- 


XIX.  Jahrganff.l 
J*po*r  i90ft.  J 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Mittelohrrlume. 


19 


gelagert  ist,  daß  er  bis  dicht  an  die  hintere 
knöcherne  Gehörgangs  wand  reicht,  ist  die 
typische  Aufmeißelung  unmöglich,  und  man 
müßte  nach  dem  Vorschlage  von  Karl  Wolf 
nach  Yorklappung  der  Ohrmuschel  und  Los- 
lösung der  hinteren  häutigen  Gehörgangs  wand 
durch  schichtweise  Abmeißelung  der  hinteren 
knöchernen  Gehörgangswand  die  Eröffnung 
des  Antrums  versuchen. 

Nach  beendeter  Knochenoperation  wird 
der  Horizontalschnitt  vollständig  genäht.  Auch 
den  Vertikalschnitt  kann  man  durch  eine  Naht 
in  seinem  obersten  und  untersten  Teil  ver- 
kleinern. Die  ganze  Wunde  zu  vernähen 
und  die  Heilung  unter  dem  feuchten  Blut- 
schorf (Schede)  zu  erzielen,  ist  in  Fällen, 
wo  wegen  entzündlicher  Affektionen  im  Warzen- 
fortsatz operiert  wurde,  entschieden  zu  wider- 
raten, da  es  leicht  zu  einer  Zersetzung  des 
Blutgerinnsels  kommen  kann. 

Nach  Untersuchungen  von  Piffl  fanden 
sich  in  dem  Wundsekret:  Streptokokken, 
Staphylokokken  und  Diplokokken.  Wenn 
diese  auch  in  ihrer  Virulenz  abgeschwächt 
sind,  so  hat  man  es  doch  nicht  mit  einer 
absolut  reinen  Wunde  zu  tun,  und  es  genügt 
schon  eine  geringe  Schädlichkeit,  einen  eitrigen 
Zerfall  des  Blutgerinnsels  und  eine  profuse 
Eiterung  herbeizuführen.  Zaufal  näht  die 
ganze  Wunde  bis  auf  das  unterste  Ende  des 
Vertikalschnittes  und  legt  hier  etwa  einen 
Zentimeter  tief  einen  Jodoformgazestreifen  ein. 
Aber  auch  dieses  Vorgehen  ist  nicht  in  jedem 
Falle  zu  empfehlen,  da  auch  hierbei  in  Folge 
der  Neigung  des  gemeißelten  Kanales  nach 
vorn  unten  eine  Sekretverhaltung  eintreten 
kann.  Sicherer  verfahrt  man  jedenfalls,  wenn 
man  die  Hautwunde  in  der  Ausdehnung  der 
Eingangsöffhung  des  Knochenk anales,  nach 
unten  etwas  darüber  offen  läßt  und  in  die 
Wunde  ganz  lose,  ohne  jeden  Druck  auf  die 
Wandungen,  Jodoformgaze  einführt,  gerade 
genügend,  um  das  sich  ansammelnde  Sekret 
nach  außen  gelangen  zu  lassen.  Darüber  folgt 
der  übliche  Verband.  Irrigationen  der  Wunde 
sind  unter  allen  Umständen  zu  vermeiden. 
Beim  Verbandwechsel,  der  bei  normalem  Ver- 
lauf von  5  zu  5  Tagen,  später  häufiger  je 
nach  dem  Befund  der  Wunde  erfolgen  kann, 
wird  der  einzulegende  Jodoformgazestreifen 
immer  mehr  verkürzt,  sodaß  die  Knochen- 
wunde allmählich  von  innen  nach  außen  sich 
schließen  kann.  Wenn  keine  Idiosynkrasie 
gegen  Jodoform  vorhanden  ist,  so  ist  die 
Tamponade  mit  Jodoformgaze  vorzuziehen, 
sonst  kommt  man  auch  mit  steriler  Gaze 
zum  Ziele.  Die  Heilungsdauer  beträgt  bei 
uns  im  Durchschnitt  28  Tage.  Das  Gehör 
kehrt  meistenteils  zur  Norm  zurück,  es  wird 
cm    so    besser,    je    früher   die  Aufmeißelung 


vorgenommen  wird.  Meist  ist  schon  beim 
ersten  Verbandwechsel  die  Eiterung  aus  der 
Paukenhöhle  sistiert.  Zuweilen  aber  dauert 
sie  noch  an,  ohne  daß  man  deshalb  nun  so- 
gleich Ausspülungen  des  äußeren  Gehörganges 
oder  gar  Durchspülungen  machen  müßte.  Auch 
hier  tritt  meistenteils  restitutio  ad  integrum 
ein,  wenn  es  sich  nicht  etwa  um  konstitu- 
tionelle Erkrankung  oder  um  kariöse  Affek- 
tion im  Mittelohr,  namentlich  an  den  Gehör- 
knöchelchen, handelt,  welche  letztere  ja  auch 
bei  der  akuten  Mittelohrerkrankung  vor- 
kommen kann. 

In  diesem  Falle  muß,  wenn  durch  die 
typische  Aufmeißelung  und  durch  die  weitere 
Nachbehandlung  eine  Heilung  nicht  eintritt, 
die  Totalaufmeißelung  vorgenommen  werden, 
auch  in  den  Fällen,  die  gleich  chronisch  be- 
ginnen, ohne  daß  vorher  akute  Erscheinungen 
sich  zeigen,  und  die  zu  Caries  der  Mittel- 
ohrräume führen. 

Es  kommt  auch  vor,  daß  die  Eiterung 
aus  der  Paukenhöhle  sistiert,  daß  aber  die 
Knochenwunde  sich  nicht  schließen  will.  Auch 
hierbei  ist  unter  Umständen  die  Totalauf- 
meißelung indiziert.  Selbstverständlich  aber 
muß  vorher  alles  versucht  werden,  um  auf 
eine  weniger  eingreifende  und  radikale  Weise 
Heilung  zu  erzielen.  Es  ist  entschieden  zu 
verwerfen,  in  jedem  Falle,  wo  sich  die  Heilung 
der  Knochenwunde  verzögern  sollte,  sogleich 
zur  Radikaloperation  zu  schreiten,  wie  es 
zuweilen  geschieht.  Oft  sind  es  kleinere 
oder  größere  Sequester,  welche  die  Vernarb ung 
verhindern.  Diese  sind  entweder  bei  der 
Operation  übersehen  worden,  ein  Umstand, 
der  bei  der  relativen  Enge  des  Kanales  vor- 
kommen kann,  oder  sie  haben  sich  erst  nach 
der  Operation  gebildet  durch  Ernährungs- 
störungen im  Knochen.  Jedem  beschäftigten 
Ohrenarzte  werden  derartige  Fälle  vorkommen. 
Es  kann  nicht  gleichgültig  sein*  ob  man  einem 
Patienten  durch  eine  konservative  Operations- 
methode den  äußeren  Gehörapparat  erhält 
oder  durch  eine  radikale  Operation  zerstört. 
Ruhe,  Geduld  und  Geschick  in  der  Beobach- 
tung und  der  Behandlung  gehören  vor  allen 
Dingen  dazu. 

Ich  möchte  hierzu  einen  Fall  aus  meiner 
Praxis  anführen. 

Es  handelte  sich  um  einen  17jährigen  Präpa- 
randen  A.,  bei  welchem  im  September  1897  ander- 
wärts die  typische  Aufmeißelung  des  Warzen  fort- 
satzes  vorgenommen  worden  war.  Im  März  1898 
war  die  Knochenwunde  noch  nicht  verheilt,  und 
sollte  Patient  sich  -  der  Totalaufmeißelung  unter- 
ziehen. Patient  sowohl  als  die  Eltern  desselben 
konnten  sioh  nicht  dazu  entschließen,  weil  dadurch 
der  zukünftige  Beruf  des  Patienten  in  Frage  ge- 
stellt wurde,  und  sie  gaben  die  erste  Behandlung 
auf.  Als  mir  der'  Patient  zur  Untersuchung  vor- 
geführt  wurde,   zeigte   sich    das   Trommelfell   ge- 

3* 


J 


20 


Klau,  Operativ«  Eröffnung  der  MitteJobrrftum«. 


fTherapetitijch« 
L  MonatahefU. 


schlössen,  getrübt,  etwas  eingezogen.  Die  Luft- 
dusche ergab  ein  etwas  scharfes  Geräusch,  keine 
Rasselgeräusche.  Die  Hörfähigkeit  war  annähernd 
normal.  Bei  der  Untersuchung  des  Knochenkanales 
mit  der  Sonde  stieß  man  in  der  Tiefe  vor  dem 
Antrum  mastoidenm  auf  rauhen  Knochen.  Um  die 
rauhe  Knochenpartie  dem  Auge  möglichst  zugäng- 
lich zu  machen,  wurden  die  schlaffen,  leicht  blu- 
tenden Granulationen  aus  der  Knochenwundo  mit 
dem  scharfen  Löffel  entfernt.  Es  zeigte  sich  in  der 
Tiefe  ein  leistenförmtger,  gezahnter  Knocbenvor- 
sprung,  der  nicht  als  Sequester  angesehen  werden 
konnte,  da  er  noch  fest  mit  seiner  Unterlage  ver- 
wachsen war.  Dieser  Vorsprung  wurde  in  aus- 
giebiger Weise  abgemeißelt.  Die  Knochenhöhle 
granulierte  nunmehr  auffallend  schnell,  trotzdem 
kam  es  nicht  zur  Verheilung,  sondern  es  blieb  eine 
eiternde  Fistel  zurück.  6  Wochen  nach  dem  ersten 
Eingriff  wurde  der  ganze  Knochenkanal  noch  einmal 
vollständig  freigelegt.  Über  der  Stelle,  wo  der 
leistenförmige  Knochen  Yorsprung  abgemeißelt  worden 
war,  zeigte  sich  eine  kariös  erweichte  Stelle,  die 
mit  dem  scharfen  Löffel  vollkommen  ausgekratzt 
werden  konnte  und  eine  höhlenartige  Vertiefung 
hinterließ.  Jetzt  schloß  sich  die  Knochenwunde  in 
4  Wochen.  Ein  Rezidiv  trat  nicht  ein.  Die  Be- 
obachtnngsdauer  erstreckt  sich  auf  5  Jahre.  Dem 
Patienten  blieben  Trommelfell  und  Gehörknöchelchen 
erhalten  bei  einer  annähernd  normalen  Hör- 
fähigkeit. 

In  einem  anderen  Falle  handelte  es  sich  um 
die  scharlachkranke  Tochter  des  Beamten  S.  aus 
Schöneberg,  bei  welcher  am  21.  11.  1900  etwa 
14  Tage  nach  dem  Ausbruch  des  Scharlachfiebers 
wegen  einer  eitrigen  schweren  Mittelohrentzündung 
verbunden  mit  kariöser  Mastoiditis  die  typische  Auf- 
meißel ung  des  Warzenfortsatzes  vorgenommen  wurde. 
Während  nach  der  Operation  die  Eiterung  aus  dem 
Mittelohr  in  kurzem  sistierte,  schloß  sich  die 
Knochenwunde  nicht.  Die  Eiterung  nahm  vielmehr 
zu,  und  es  wurde  deshalb  am  10.  2.  1901  von  mir 
eine  Nachoperation  vorgenommen. 

Das  Operalionsterrain  wurde  noch  einmal  voll- 
kommen freigelegt,  die  Granulationen  aus  dem 
Knochenkanal  mit  dem  scharfen  Löffel  ausgekratzt. 
Aus  der  Tiefe  des  Kanales  wurde  ein  Sequester 
von  1  cm  Länge  und  3/4  cm  Breite  entfernt.  Außer- 
dem ließ  sich  ein  größerer  schalenförmiger  Sequester 
von  der  oberen  Umrandung  des  Knochenkanales, 
der  auf  die  Schläfenbeinschuppe  übergriff,  loslösen. 
Ferner  hatte  sich  der  äußerste  Teil  der  hinteren 
knöchernen  Gehörgangswand  als  Sequester  losge- 
stoßen. Im  übrigen  schien  der  Knochen  fest  und 
gesund  zu  sein.  Aber  auch  jetzt  schloß  sich  die 
Knochen  wunde  nicht,  es  blieb  eine  eiternde  Fistel 
zurück.  Am  18.  5.  1901  wurde  deshalb  von  mir 
der  Knochenkanal  nochmals  freigelegt  Die  vorher 
festen  Wandungen  desselben  zeigten  sich  in  größerer 
Ausdehnung  kariös  erweicht  und  wurden  mit  dem 
scharfen  Löffel  ausgiebig  ausgekratzt,  bis  man  überall 
auf  festen  Knochen  kam.  4  Wochen  später  konnte 
Patientin  als  geheilt  mit  normaler  Hörfahigkeit 
entlassen  werden,  eine  Radikaloperation,  die 
auch  wir  schon  in  Erwägung  gezogen  hatten,  war 
nicht  notwendig  geworden. 

Derartige  Fälle  sind  bei  der  Scharlach- 
erkrankung nicht  so  selten.  Namentlich  ist 
es  die  ausgesprochen  gangränöse  Form  des 
Scharlachfiebers,  die  große  Zerstörungen  in 
den  Mittelohrräumen  verursachen  und  die 
Vornahme  der  Radikaloperation  notwendig 
machen    kann.      Wie    schnell    oft    derartige 


Zerstörungen  vor  sich  gehen,  zeigt  ein  von 
mir  beobachteter  Fall,  der  von  vornherein 
aussichtslos  war,  da  bereits  Meningitis  be- 
stand. Hier  wurden  beim  ersten  Ausspritzen 
des  äußeren  Gehörganges  Hammer  und  Amboß 
entleert,  die,  wie  künstlich  präpariert,  voll- 
ständig ohne  jede  Bedeckung  waren;  und 
doch  bestand  die  Erkrankung  des  Ohres  erst 
seit  wenigen  Tagen. 

Es  ist  wiederholt  die  Frage  erörtert 
worden,  ob  man  in  jedem  Falle  bei  der  Er- 
öffnung des  Warzenfortsatzes  das  Antrum 
mastoideum  freizulegen  habe.  Nach  Hess ler 
genügt  die  Ausmeißel  ung  der  äußersten  Zellen 
des  Warzenfortsatzes,  wenn  das  Empyem  nur 
in  diesen  seinen  Sitz  hat.  Zweifellos  können 
durch  dieses  weniger  eingreifende  und  vor 
allen  Dingen  viel  leichtere  operative  Vorgehen 
eine  ganze  Reihe  akuter  Empyeme  des  Warzen- 
fortsatzes zur  Heilung  gelangen.  Auch  wir 
haben  aus  unserer  ersten  ohren  ärztlichen 
Tätigkeit  eine  ganze  Reihe  von  Fällen  auf- 
zuweisen, wo  durch  einfache  Eröffnung  des 
Warzenfortsatzes  Heilung  eintrat,  ohne  daß 
jemals  eine  Nachoperation  notwendig  wurde. 
Bedingung  ist  aber  hierbei  immer,  daß  da» 
Antrum  mastoideum  frei  von  Erkrankung  ist. 
Dies  kann  man  aber  niemals  mit  voller  Be- 
stimmtheit wissen.  Deshalb  ist  es  entschieden 
vorzuziehen,  in  jedem  Falle  die  Antrumer- 
öffnung  vorzunehmen.  Damit  fällt  auch  das 
unsichere  Gefühl  fort,  welches  man  bei  der 
einfachen  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes 
empfindet,  sobald  die  Erkrankung  nach  der 
Operation  nicht  sofort  den  gewünschten  Ver- 
lauf nimmt.  Eine  nachträgliche  Eröffnung 
des  Antrum  ist  aber  aus  verschiedenen  Gründen 
immer  mißlich. 

Ist  man  genötigt  wegen  Neuralgie  im 
Warzen  fortsatz,  die  wohl  immer  hyste- 
rischen Ursprungs  ist,  zu  operieren,  so  genügt 
es,  einen  Keil  aus  dem  Warzen  fortsatz  her- 
auszumeißeln, ohne  das  Antrum  mastoideum 
zu  eröffnen.  Ebenso  kann  man  bei  primärer 
Ostitis  des  Warzenfortsatzes,  deren  Vor- 
kommen allerdings  noch  strittig  ist,  auf  die 
Eröffnung  des  Antrums  verzichten  und  sich 
auf  die  Aufm eißel  ung  der  erkrankten  Knochen- 
partien beschränken,  falls  die  Paukenhöhle 
nicht  miterkrankt  ist. 

Bevor  man  sich  jedoch  zur  Aufmeißelung 
des  Warzenfortsatzes  bei  der  akuten  Mittel- 
ohrerkrankung entschließt,  muß  man  selbst- 
verständlich davon  überzeugt  sein,  daß  eine 
konservative  Methode  nicht  mehr  am  Platze 
ist.  Gleich  ohne  weiteres  bei  heftigen 
Schmerzen  am  Warzenfortsatze  diesen  aufzu- 
meißeln, ist  entschieden  zu  verwerfen.  Wenn 
keine  anderen  Indikationen  dazu  kommen,, 
die  von  vornherein  die  Operation  fordern,  so» 


XIX.  J«brvang.1 
Jannar  19(16.  J 


Klan,  Operative  Eröffnung  der  Mittelohr  räume. 


21 


kann  man  zunächst  versuchen  durch  Eis- 
applikation auf  den  Warzenfortsatz  die  Ent- 
zündung in  demselben  zu  bekämpfen.  Gehen 
nach  Schwartze  bei  akuter,  primärer  und 
sekundärer  Entzündung  des  Warzenfortsatzes 
unter  Anwendung  der  Eisapplikation  Schmerz, 
Odem  und  Fieber  nicht  zurück,  so  ist  die 
Antrumeröffhung  vorzunehmen. 

Zur  Eisapplikation  eignet  sich  am  besten 
eine  nierenförmige  Eisblase,  die  hinter  das 
Ohr,  direkt  auf  den  Warzenfortsatz  gelegt 
wird.  Dabei  kann  es  vorkommen,  daß 
scheinbar  unter  der  Anwendung  des  Eises 
die  Entzündung  ruckgängig  wird;  Schmerzen 
und  Odem  schwinden,  bis  nach  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  alle  diese  krankhaften  Er- 
scheinungen von  neuem  in  noch  heftigerer 
Weise  auftreten.  In  diesem  Falle  ist  mit 
der  Aufmeißelung  nicht  mehr  zu  zögern,  da 
es  sonst  leicht  zu  intrakrani eilen  Komplika- 
tionen kommen  kann.  Man  findet  dann  bei 
der  Eröffnung  die  Knochen  Wandungen  der 
Zellen  des  Warzenfortsatzes  meist  in  großer 
Ausdehnung  eingeschmolzen,'mit  Granulationen 
und  Eiter  oft  bis  in  die  Spitze  des  Warzen- 
fortsatzes hinein  angefüllt. 

Ein  derartiger  von  mir  operierter  Fall 
endete  durch  Meningitis  letal.  Die  Patientin 
hatte  bei  ihrer  Aufnahme  verschwiegen,  daß 
sie  kurz  vorher  anderweitig  behandelt  worden 
war.  Schon  damals  war,  wie  ich  zu  spät 
erfuhr,  gegen  eine  heftige  Entzündung  im 
Warzenfortsatz  Eis  angewendet  worden.  Die 
entzündlichen  Erscheinungen  waren  dadurch 
scheinbar  zurückgegangen.  Die  profuse  Eite- 
rung aus  der  Paukenhöhle  blieb  bestehen. 
Als  Patientin  in  meine  Behandlung  kam,  und 
Schmerzen  und  Schwellung  am  Warzenfort- 
satz sich  bemerkbar  machten,  wurde  einige 
Tage  lang  Eis  appliziert.  Hirnsymptome 
waren  nicht  vorhanden.  Als  diese  sich  nach 
einigen  Tagen  unter  den  Erscheinungen  von 
ausgebreiteten  Kopfschmerzen,  Brechneigung 
und  Schwindel  einstellten,  wurde  sofort  ope- 
riert. Trotzdem  konnte  die  bereits  einge- 
tretene eitrige  Meningitis  nicht  mehr  rück- 
gängig gemacht  werden.  Hätte  Patientin  die 
vorhergegangene  Entzündung  am  Warzenfort- 
satz nicht  verschwiegen,  so  wäre  sie  bei  Ein- 
tritt der  erneuten  Schmerzen  sofort  operiert 
worden  und  hätte  möglicherweise  gerettet 
werden  können. 

Selbst  bei  vollkommen  abgelaufener  akuter 
Otitis  media,  auch  wenn  weder  im  Ohr,  noch 
sonstwo  objektive  Veränderungen  sich  nach- 
weisen lassen,  muß  bei  andauernden  heftigen 
Schmerzen  in  der  betreffenden  Kopfhälfte  an 
eine  Mastoiditis  (unter  Umständen  mit  bereits 
vorhandenen  Komplikationen  in  der  Schädel- 
höhle) gedacht  werden. 


In  früheren  Jahren  wurde  gegen  die 
akute  Mastoiditis  vielfach  der  sogenannte 
Wildesche  Schnitt  angewendet.  Darunter 
versteht  man  einen  mindestens  einen  Zoll 
langen  auf  dem  Planum  dos  Warzenforts atzes 
ausgeführten  Schnitt,  der  Weichteile  und 
Periost  durchtrennt. 

Gradenigo  tritt  noch  neuerdings  für  die 
Anwendung  dieses  Schnittes  ein.  Wir  wenden 
den  Wild  eschen  Schnitt  gar  nicht  mehr  an 
und  sind  der  Ansicht,  daß  da,  wo  unter  An- 
wendung der  Kälte  die  Entzündung  im 
Warzenfortsatz  nicht  mehr  zurückgeht,  auch 
durch  den  Wildeschen  Schnitt  nichts  er- 
reicht wird,  sondern  daß  dann  ohne  Zeit- 
verlust die  Antrumeröffnung  vorgenommen 
werden  muß.  Vor  allen  Dingen  aber  soll 
man  sich  nicht  mehr  mit  diesem  Schnitt  auf- 
halten, wenn  es  schon  zur  Abszeßbildung  am 
Warzenfortsatz  gekommen  ist.  Ist  diese  be- 
stimmt auf  eine  Entzündung  im  Warzenfort- 
satz zurückzuführen,  so  ist  nur  die  Aufmeiße- 
lung am  Platze. 

In  vielen  Fällen  von  Heilungen  nach  dem 
Wild  eschen  Schnitt  handelt  es  sich  nach 
unserer  Ansicht  gar  nicht  um  eine  entzünd- 
liche Affektion  im  Warzenfortsatz,  sondern 
um  eine  rein  äußerliche  Entzündung  des 
Periostes  und  der  Weichteile,  die  sich  vom 
äußeren  Gehörgang,  resp.  Mittelohr  aus  auf 
die  äußeren  Bedeckungen  des  Warzenfort- 
satzes fortgepflanzt  hat.  Es  kann  auch  hier 
nicht  so  selten  zur  Abszeßbildung  kommen. 
Wir  haben  sogar  in  vereinzelten  derartigen 
Fällen  bei  Kindern,  wo  der  Knochen  noch 
verhältnismäßig  weich  und  weniger  wider- 
standsfähig ist,  oberflächliche  Caries  der  Cor- 
ticalis  des  Warzenfortsatzes  bis  hinauf  zur 
Schläfenbeinschuppe  beobachtet.  In  zwei 
Fällen  reichte  die  oberflächliche  Caries  sogar 
bis  nach  vorn  zum  Processus  zygomaticus 
des  Schläfenbeins.  Alle  diese  Fälle  heilten 
nach  Eröffnung  des  Abszesses,  energischer 
Auskratzung  der  kariösen  Stellen  mit  dem 
scharfen  Löffel  und  nach  oberflächlicher  Ab- 
tragung des  erkrankten  Knochens  mit  dem 
Meißel  anstandslos  aus. 

Die  Differential diagnose  zwischen  Ent- 
zündungen am  Warzenfortsatz,  die  vom  äußeren 
Gehörgange  ihren  Ausgang  nehmen,  mit  einer 
Erkrankung  im  Warzenfortsatz  also  nichts  zu 
tun  haben,  und  solchen,  die  von  einer  Er- 
krankung im  Warzenfortsatz  herrühren,  kann 
zuweilen  recht  schwierig  sein.  Die  Schwierig- 
keit der  Diagnose  wird  noch  größer,  wenn 
es  schon  zu  einem  periaurikularen  Abszeß 
gekommen  ist,  und  um  so  mehr,  wenn  außer- 
dem eine  Otitis  media  purulenta  acuta  besteht. 
Körner  unterscheidet  hierbei  zwischen  öde- 
matöser  Schwellung  am  Warzenfortsatz,  welche 


22 


Klau,  Operativ«  Eröffnung  der  Mlttelohrräume. 


L   Monatshefte» 


bei  Furunkulose  im  äußeren  Gehörgang  vor- 
komme, und  entzündlicher  Infiltration,  die 
durch  Erkrankung  im  Warzenfortsatz  her- 
vorgerufen werde.  Aus  der  Anamnese,  aus 
dem  lokalen  Befunde  im  äußeren  Gehörgange 
und  am  Trommelfelle  wird  sich  die  richtige 
Diagnose  stellen  lassen.  Ferner  ist  dabei 
zu  berücksichtigen,  daß  bei  Furunculosis  im 
äußeren  Gehörgange  sich  die  größte  Schwellung 
bei  Beginn  der  Entzündung  am  Warzenfort- 
satz in  der  Furche  hinter  der  Ohrmuschel 
oder  dicht  unter  dem  äußeren  Gehörgange 
befindet,  während  die  Spitze  des  Warzen- 
fortsatzes frei  bleibt  und  auf  Druck  nicht 
empfindlich  ist. 

Nach  Leutert  kann  das  Fieber  nach 
Eröffnung  des  periaurikularen  furunkulösen 
Abszesses  noch  einige  Tage  in  ziemlicher 
Höhe  bestehen  bleiben ;  wahrscheinlich  ver- 
ursacht durch  entzündliche  Infektion  neu  er* 
öffnete r  Lymphbahnen. 

Die  durch  eine  Mastoiditis  hervorgerufenen 
retroaurikularen  Abszesse  haben  meist  auf 
dem  Planum  des  Warzenfortsatzes  ihren  Sitz, 
doch  können  sie  auch  über  dem  Warzenfort- 
satz auf  der  Schläfenbeinschuppe  oder  hinter 
demselben  auf  dem  Hinterhauptsbein,  ferner 
unterhalb  der  Spitze  des  Warzenfortsatzes 
vorkommen. 

Bei  einem  von  mir  behandelten  9jährigen 
Knaben,  welcher  an  einer  akuten  profusen  Mittel- 
ohreiter uog  litt,  befand  sich  der  Abszeß  3  cm  hinter 
der  hinteren  Grenze  des  Warzenfortsatzes  auf  dem 
Hinterhauptsbein.  Der  Warzenfortsatz  selbst  war 
vollkommen  schmerzlos  und  frei  von  jeder  Schwel- 
lung. Trotz  freien  Abflusses  des  Eiters  durch  eine 
groß  angelegte  Öffnung  im  Trommelfell  bestand 
hohes  intermittierendes  Fieber,  welches  eine  Sinus- 
thrombose wahrscheinlich  machte.  Diese  Diagnose 
bestätigte  sich  bei  der  vorgenommenen  Operation. 
Hierbei  stellte  es  sich  heraus,  daß  die  Entzündungs- 
erreger  durch  das  Emissarium  mastoideum  zum 
Hinterhauptsbein  gelangt  waren  und  hier  den 
Abszeß  hervorgerufen  hatten. 

Es  kann  auch  zu  ausgedehnten  tiefen 
Senkungsabszessen  kommen.  Grün  er  t  er- 
wähnt einen  Fall,  wo  die  Eitersenkung  bis 
zur  Clavicula  reichte.  Der  Durchbruch  des 
Eiters  war  1  cm  median wärts  von  der  In- 
cisura  mastoidea  unter  die  tiefe  Halsmusku- 
latur erfolgt. 

Wir  haben  die  häufigsten  Senkungs- 
abszesse hinten  unten  zwischen  der  Spitze 
des  Warzenfortsatzes  und  dem  Hinterhaupts- 
bein gefunden.  Es  empfiehlt  sich  in  diesen 
Fällen,  die  Inzision  in  ausgedehnter  Weise 
vom  Warzenfortsatz  bis  zur  tiefsten  Stelle 
des  Abszesses  vorzunehmen  und  sich  nicht 
allein  mit  einer  kleinen  Gegenöffnung  zu  be- 
gnügen. 

Im  Gegensatz  zu  diesen  unter  heftigen 
Entzündungserscheinungen  im  Warzenfortsatz 


einhergehenden  akuten  Mittelohreiterungen 
beobachtet  man  nicht  selten  Fälle,  die,  nach- 
dem das  akute  Stadium  in  der  Paukenhöhle 
in  kurzem  rückgängig  geworden  ist,  von  Seiten 
des  Warzenfortsatzes  gar  keine  äußeren  Er- 
scheinungen machen,  trotzdem  man  bei  der 
Operation,  hier  wie  dort,  ausgedehnte  kariöse 
Einschmelzung  des  Knochens  vorfindet.  Ver- 
einzelte Fälle  von  Warzenfortsatzempyemen 
bieten  sogar  in  der  Paukenhöhle  nur  die 
Anzeichen  eines  einfachen  Katarrhes  dar, 
und  man  ist  bei  der  Operation  oft  erstaunt 
über  die  vorgefundene,  weit  um  sich  greifende 
kariöse  Arrosion  mit  Granulationsbildung  und 
Eiteransammlung  im  Warzenfortsatz.  Dabei 
kann  das  Allgemeinbefinden  der  Patienten 
längere  Zeit  befriedigend  sein. 

Ein  eklatantes  Beispiel  hierfür  aus  meiner 
Praxis  bietet  folgender  Fall: 

Die  4  jährige  Tochter  des  Kaufmanns  B.  aus 
Berlin  wurde  mir  im  September  1895  zugeführt 
wegen  einer  Eiterung  aus  der  Paukenhöhle.  Die 
Anamnese  ergab,  daß  das  Kind  10  Wochen  vorher 
in  einem  Ostseebade  eine  akute  Mittelohrentzündung 
akquirierte,  die  in  den  ersten  8  Tagen  unter  sehr 
heftigen  allgemeinen  Krankheitserscheinungen  ver- 
lief. Darnach  erholte  sich  das  Kind  wieder  voll- 
ständig, nur  die  Eiterung  aus  der  Paukenhöhle 
bestand  fort. 

Als  ich  das  Kind  sah,  war  das  Allgemein- 
befinden befriedigend,  der  Appetit  gut,  Fieber  war 
nicht  vorhanden.  Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich 
eine  Senkung  der  oberen  häutigen  Gehörgangswand. 
Das  Trommelfell  war  perforiert,  durch  die  Perforation 
war  die  Schleimhaut  der  Paukenhöhle  prolabiert 
und  bildete  eine  etwa  erbsengroße,  polypenartige 
Prominenz,  der  Warzenfortsatz  war  auf  Druck  nicht 
schmerzhaft,  die  bedeckenden  Weichteile  waren 
normal.  Nur  an  einer  kleinen  umschriebenen  Stelle 
auf  dem  Planum  des  Warzenfortsatzes  fühlte  man 
unter  der  normalen  Haut  eine  flache  Erhabenheit, 
die  unter  dem  tastenden  Finger  scheinbar  die  An- 
zeichen der  Fluktuation  darbot.  Da  nach  der  Ent- 
fernung der  durch  die  Trommelfellöffnung  prola- 
bierten Schleimhaut  die  Eiterung  nicht  nachließ,  so 
wurde  zur  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  ge- 
schritten. 

Es  fand  sich  in  der  Corticalis  des  Warzenfort- 
satzes eine  Fistelöffnung,  durch  welche  Granula- 
tionen aus  den  Warzenfortsatzzellen  hindurch- 
gewuchert waren.  Eiter  war  unter  dem  Periost 
nicht  vorhanden,  sondern  die  durch  den  tastenden 
Finger  hin-  uud  hergeschobenen  Granulationen  hatten 
eine  Fluktuation  vorgetäuscht  Die  Zellen  des  Warzen- 
fortsatzes waren  in  großer  Ausdehnung  bis  in  die 
Spitze  hinein  zerstört,  mit  Granulationen  und  Eiter 
angefüllt.  Das  Antrum  wurde  eröffnet,  auch  hier 
fanden  sich  Eiter  und  Granulationen.  Die  Heilung 
ging  nunmehr  in  ca.  6  Wochen  schnell  vor  sich. 
Das  Trommelfell  blieb  narbig  eingezogen. 

In  einem  anderen  von  mir  operierten  Falle 
handelte  es  sich  um  einen  14  jährigen  Knaben. 
Derselbe  hatte  3  Wochen  vor  Pfingsten  ganz  leichten 
Scharlach  akquiriert.  Da  sein  Allgemeinbefinden 
ein  ganz  vorzügliches  war,  so  wurde  ihm  von  dem 
behandelnden  Arzte  gestattet,  Pfingsten  zu  ver- 
reisen. Durch  ein  kaltes  Flußbad,  welches  er  in 
den  Pfingstferien  in'  der  Oder  nahm,  zog  er  sich 
eine   akute  Mittelohrentzündung  zu.     Die  Eiterung 


XIX.  Jahrgang."] 
Jannar  1905.  J 


Klau,  Operativ«  Eröffnung  dar  Mittelohrrüume. 


23 


bestand  wochenlang  fort.  Trotzdem  besuchte  Pat 
die  Schale,  ohne  erhebliche  Beschwerden  zu  haben, 
und  badete  wiederholt  im  Freien. 

Als  ich  den  Patienten  Anfang  Juli  zum  ersten 
Male  untersuchte,  fand  sich  durch  die  Perforations- 
öffoang  im  Trommelfell  die  Mittelohrschleimhaut 
stark  prolabiert;  die  obere  Wand  des  häutigen 
Gehörganges  zeigte  eine  erhebliche  Senkung  nach 
unten.  Der  Warzen fortsatz  war  nicht  schmerzhaft, 
die  Weich  teile  über  demselben  vielleicht  ein  wenig 
verdickt,  äußerlich  war  keine  Entzündung  bemerk- 
bar. Es  bestanden  abends  hochnormale  Tempera- 
turen. Nach  Abtragung  der  prolabierten  Schleim- 
haut mit  der  Schlinge  besserte  sich  die  profuse 
Eiterung  nicht,  sodaß  diese  bei  der  starken  Senkung 
der  oberen  häutigen  Gehörgangswand  auf  ein 
Empyem  im  Warzenfortsatz  zurückgeführt  werden 
mußte.  Die  nunmehr  von  mir  vorgenommene  Eröff- 
nung des  Warzenfortsatzes  ergab  ein  überraschendes 
Resultat.  Der  ganze  Warzenfortsatz,  bis  in  die 
Spitze  hinein,  fand  sich  in  kariöser  Einschmelzung. 
Die  Corticalis  war  an  2  Stellen  fistulös  durchbrochen. 
Die  erheblich  große  Knochenhöhle  war  bis  in  das 
Antrum  hinein  mit  Eiter  und  Granulationen  ange- 
füllt Die  Spitze  des  Warzenfortsatzes  mußte 
reseziert  werden.  Nach  hinten  reichte  die  Zerstö- 
rung bis  zum  Sinus  trän s versus,  derselbe  lag  in 
der  Ausdehnung  eines  Quadratzentimeters  frei  und 
war  von  Eiter  umspült.  Die  Sinuswandung  war 
verfärbt,  sonst  anscheinend  normal.  Sofort  nach 
der  Operation  sistierte  die  Eiterung  aus  der  Pauken- 
höhle, die  Perforation  im  Trommelfell  schloß  6ich. 
6  Wochen  später  war  die  große  Knochen  wunde 
vernarbt,  und  konnte  Patient  mit  normaler  Hörfahig- 
keit  als  geheilt  entlassen  werden;  nur  ein  geringes 
Sausen  blieb  zurück. 

Man  könnte  meinen,  daß  derartige  fast 
symptomlose  Zerstörungen  im  Warzenfortsatz 
bei  akuter  Mittelohreiterung  nur  bei  Kindern 
und  jugendlichen  Personen  Torkommen,  doch 
dem  ist  nicht  so.  Wir  haben  auch  Fälle 
genug  beobachtet,  wo  bei  älteren  Personen 
auch  Eiterungen  und  kariöse  Einschmelzung 
im  Warzenfortsatz  eine  Zeitlang  keine  be- 
sonderen Erscheinungen  machten. 

Bei  einem  70  jährigen  Patienten  aus  D  ,  welchen 
ich  Anfang  Juni  1901  operierte,  und  der  6  Wochen 
vorher  an  einer  akuten  Mittelohreiterung  erkrankt 
war,  fand  sich  bei  der  ersten  Untersuchung  außer 
einer  spärlichen,  aber  übelriechenden  Eiterung  aus 
der  Paukenhöhle  eine  kaum  nachweisbare  geringe 
Verdickung  der  Weichteile  über  dem  Warzenfort- 
satz. Patient  fühlte  sich  sonst  vollkommen  wohl. 
Bei  der  Antrumeröffnung  zeigten  sich  die  Zellen 
des  Warzenfortsatzes  bis  in  die  Spitze  hinein  mit 
Granulationen  und  Eiter  durchsetzt  Es  führte  ein 
fistulöser  mit  Granulationen  angefüllter  Gang  nach 
hinten  bis  zum  Sinus  sigmoideus.  Die  Sinus  Wan- 
dung selbst  war  normal.  Die  Heilung  ging  über- 
raschend schnell  vor  sich.  In  4  Wochen  konnte 
Patient  geheilt  entlassen  werden.  Hörfähigkeit  an- 
nähernd normal. 

Daß  es  bei  diesen  Fällen,  wenn  sie  nicht 
rechtzeitig  operiert  werden,  früher  oder  später 
zu  schweren  Komplikationen  kommen  kann, 
ist  klar.  Deshalb  ist,  wenn  man  erst  ein- 
mal von  der  Nutzlosigkeit  einer  konservativen 
Behandlung  überzeugt  ist,  eine  frühzeitige 
Operation  angezeigt. 


Trautmann  eröffnet  den  Warzenfortsatz; 
wenn  bei  akuter  Mittelohreiterung  trotz  sach- 
gemäßer Behandlung  die  Eiterung  14  Tage  lang 
in  unveränderter  Stärke,  ohne  eine  Wendung 
zum  Bessern  erkennen  zu  lassen,  fortbesteht. 
Dieser  Forderung  können  wir  nicht  ohne 
weiteres  das  Wort  reden,  da  diese  Zeitangabe 
viel  zu  kurz  bemessen  ist.  Jedem  beschäf- 
tigten Ohrenarzt  werden  Fälle  genug  zu  Ge* 
sieht  gekommen  sein,  in  denen  die  Eiterung 
wochenlang  unverändert  fortbestand,  und  die 
doch  ohne  Aufmeißelung  zu  vollkommener 
Heilung  gelangten.  Die  lange  Dauer  der 
Eiterung  an  sich  ist  noch  keine  Indikation 
zur  Aufmeißelung.  In  dieser  Beziehung  lassen 
sich  keine  bestimmten  Zeitangaben  machen. 
Jeder  Fall  muß  individuell  behandelt  werden. 
Allerdings  muß  eine  akute  Mittelohreiterung, 
die  länger  als  6 — 8  Wochen  fortbesteht,  wenn 
konstitutionelle  Erkrankung  und  krankhafte 
Affektionen  der  Nase  und  des  Nasenrachen- 
raumes auszuschließen  sind,  den  Verdacht 
eines  Warzenfortsatzempyems  erwecken.  Meist 
werden  sich  dann  aber  auch  noch  andere 
Symptome,  wie  Verdickung  der  den  Warzen- 
fortsatz bedeckenden  Weichteile,  Senkung 
der  oberen  häutigen  Gehörgangswand,  nach- 
weisen lassen.  Namentlich  das  letztere  Sym* 
ptom,  die  Senkung  der  oberen  häutigen  Ge- 
hörgangswand, ist  ein  Zeichen,  daß  die  Eite- 
rung im  Antrum  und  Warzenfortsatz  ihren 
Sitz  hat,  und  fordert  die  Eröffnung  des  An- 
trums.  Aber  wenn  selbst  keine  derartigen 
Symptome  vorhanden  sind,  so  ist  bei  einer 
ungewöhnlich  lange  andauernden  Eiterung 
(über  6  —  8  Wochen)  eine  Explorafivoperation 
gerechtfertigt. 

Fieber  besteht  bei  akuter  Mittelohreiterung 
mit  einfacher  Entzündung  der  Cellulae  mastoi- 
deae  meist  nicht.  Kommt  es  zur  Empyem- 
bildung,  so  fehlt  das  Fieber  im  Anfang  selten. 
Es  kann  aber  übersehen  werden,  da  es  meist 
nach  der  Bildung  des  Abszesses  aufhört. 
Jedenfalls  ist  bei  unkomplizierter  Warzen- 
fortsatz affektion  die  Temperatur  niemals  ex- 
zessiv hoch.  Sind  die  akuten  Entzündungs* 
ersch einungen  in  der  Paukenhöhle  geschwun- 
den, und  besteht  Fieber  über  die  ersten  acht 
Tage  hinaus  fort,  so  muß  die  Aufmeißelung 
des  Warzenfortsatzes  in  Erwägung  gezogen 
werden.  Auch  wenn  man  dann  oft  bei  der 
Aufmeißelung  noch  keinen  Eiter,  sondern  nur 
verdickte,  stark  hyperämische  Schleimhaut  in 
den  Warzenfortsatzzellen  vorfindet,  so  ist  in 
diesem  Falle  die  Aufmeißelung  doch  gerecht- 
fertigt. Auch  das  Resultat  spricht  dafür;  meist 
schwindet  nach  dem  Eingriff  die  Eiterung  so- 
|  fort.  Die  Hörfähigkeit  kehrt  zur  Norm  zurück. 
!  Ist  Fieber  vor   der  Operation  nicht   vor- 

!  handen,  so  pflegt  es  auch  nach  der  Operation 


24 


Klau,  Operative  Eröffaung  dar  Mittalohrriume. 


TTherapeutiflche 


zu  fehlen.  Es  ist  immer  ein  mißliches  Zeichen, 
wenn  am  2.  oder  3.  Tage  nach  der  Operation 
Fieber  eintritt.  Dasselbe  ist  in  den  meisten 
Fällen  durch  Infektion  bedingt,  die  entweder 
von  außen  bei  der  Operation  oder  von  einem 
nicht  aufgedeckten  Eiterherde  herstammt. 
Bedeutungslos  ist  das  sogenannte  aseptische 
Wundfieber,  welches  in  den  ersten  24  Stunden 
nach  der  Operation  zuweilen  auftritt. 

Bestand  Fieber  vor  der  Operation,  so 
fällt  es  in  günstigen  Fällen  nach  der  Ope- 
ration in  wenigen  Tagen  ab.  Besteht  es 
länger  als  8  Tage  nach  der  Operation,  so 
muß  man  an  eine  ernste  Komplikation  denken. 
Dabei  ist  aber  nicht  außer  acht  zu  lassen, 
daß  sensible  anämische  Patienten  oft  noch 
tagelang  nach  der  Operation  fiebern  können, 
ohne  daß  eine  weitere  Komplikation  besteht  und 
ein  erneuter  operativer  Eingriff  notwendig  ist. 

Bei  den  chronischen  Mittelohreite- 
rungen, bei  denen  eine  Eröffnung  der  Mittel- 
ohrräume geboten  ist.  kommt  allein  die  Total- 
aufmeißelung,  die  sogenannte  Kadikai- 
operation in  Betracht.  Nur  bei  sehr  em- 
pfindlichen Kindern  könnte  man  ausnahms- 
weise die  Vornahme  der  typischen  Aufmeiße- 
lung  in  Erwägung  ziehen,  aber  auch  hier 
nur  aus  dem  Grunde,  weil  die  im  Anfang 
oft  recht  schmerzhafte  Nachbehandlung  sich 
sehr  schwierig  gestalten,  ja  zuweilen  die 
strikte  Durchführung  derselben  in  Frage  ge- 
stellt werden  könnte. 

„Die  Radikal  Operation  ist  indiziert,  so- 
bald die  Diagnose  der  chronischen,  sonst 
unheilbaren  Eiterung  eines  der  3  Räume, 
des  KuppÄraumes,  des  Aditus  oder  des  An- 
trums,  feststeht,  sei  es  nun,  daß  es  sich  um 
Caries,  um  granulöse  Ostitis,  um  Cholesteatom, 
Nekrose  oder  um  ein  Empyem  mit  mehr  oder 
weniger  erkrankten  Wandungen  handelt." 
(Stacke.) 

An  und  für  sich  ist  die  Hartnäckigkeit 
einer  chronischen  Mittel  oh  reiterung  noch  keine 
strikte  Indikation  zur  Totalaufmeißelung. 
Immerhin  aber  wird  man  sie  in  Erwägung 
ziehen,  wenn  nach  monatelanger  sachgemäßer 
Behandlung  die  Eiterung  nicht  zum  Still- 
stand kommt  und  man  davon  überzeugt  ist, 
daß  es  sich  nicht  um  eine  einfache  Schleim- 
hauteiterung der  Paukenhöhle  handelt.  — 
Die  chronische  Eiterung  kann  auch  bedingt 
sein  durch  eine  isolierte  Erkrankung  des 
äußersten  Abschnittes  der  Tuba  Eustachii 
oder  durch  eine  isolierte  Labyrintherkrankung. 
Hier  wird  durch  eine  Totalaufmeißelung  direkt 
nicht  viel  gewonnen  werden,  trotzdem  aber 
kann  dadurch  eine  größere  Übersichtlichkeit 
des  Krankheitsherdes  und  damit  ein  besseres 
direktes  Eingreifen  bei  der  Behandlung  er- 
zielt werden. 


Küster  war  der  erste ,  welcher  im 
Jahre  1889  prinzipiell  die  Fortnahme  der 
hinteren  knöchernen  Gehörgangs  wand  forderte. 
Zwar  wurde  von  den  Ohrenärzten  in  einzelnen 
besonderen  Fällen  schon  früher  die  hintere 
Gehörgangs  wand  weggemeißelt;  aber  die  strikte 
Forderung,  dies  in  jedem  Falle  bei  der  wegen 
chronischer  Mittelohreiterung  vorgenommenen 
Aufmeißelung  zu  tun,  ist  das  alleinige  Ver- 
dienst Küsters. 

Bei  einer  meiner  ersten  selbständig  aus- 
geführten typischen  Aufmeißelungen  im  Jahre 
1888  wurde  von  mir  bei  einem  fünfjährigen 
Knaben,  Bruno  Müller  aus  Schoneberg-Berlin, 
die  ganze  hintere  knöcherne  Gehörgangswand 
fortgenommen,  weil  sie  fistulös  erkrankt  war; 
die  häutige  hintere  Gehörgangs  wand  war  zum 
größten  Teil  geschwürig  zerstört. 

In  demselben  Jahre  wurde  von  mir  bei 
einer  Frau  H.  aus  Weißensee  der  größte  Teil 
der  knöchernen  hinteren  Gehörgangswand 
weggemeißelt  und  ein  Teil  der  häutigen, 
durch  Eiterung  und  Druckusur  zerstörten 
Gehörgangs  wand  fortgenommen.  Es  handelte 
sich  hier  um  ein  ausgedehntes  Cholesteatom 
des  Warzenfortsatzes,  welches  in  den  äußeren 
Gehörgang  durchgebrochen  war.  Der  ganze 
Warzenfortsatz  bis  zum  Antrum  war  durch 
Druckusur  in  eine  einzige  große  Höhle  ver- 
wandelt. 

von  Bergmann  erweiterte  die  Küster- 
sche  Forderung  noch  dadurch,  daß  er  die 
hintere  und  obere  knöcherne  Gehörgangs  wand 
bis  zur  knöchernen  Umrandung  des  Trommel- 
felles wegmeißelte.  Aus  der  Küst ersehen 
Publikation  geht  nicht  mit  Sicherheit  hervor, 
ob  er  die  ganze  hintere  und  obere  Gehör- 
gangswand bis  zur  Paukenhöhle,  namentlich 
die  Pars  epitympanica  (d.  i.  der  median ste 
Teil  der  oberen  Gehörgangs  wand,  der  zu- 
gleich die  Paukenhöhle  in  ihrem  obersten 
Teil  nach  außen  begrenzt)  wegnahm. 

Erst  den  Ohrenärzten  blieb  es  überlassen, 
den  Küsterschen  Vorschlag  für  die  Ope- 
ration bei  chronischen  Mittelohreiterungen 
weiter  auszubauen. 

Zaufal  und  Stacke  waren  die  ersten, 
welche  den  Vorschlag  Küsters  in  die  Tat 
umsetzten  und  Operationsmethoden  schufen, 
die  mit  geringen  Modifikationen  heute  noch 
allgemein  angewendet  werden. 

Bei  der  Zaufal  sehen  Operationsmethode 
wird  zunächst  großes  Gewicht  auf  die  breiteste 
Freilegung  des  Operationsfeldes  gelegt,  und 
mit  Recht,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  daß 
einmal  in  seltenen  Ausnahmefällen  oberfläch- 
liche Nekrose  an  der  Schuppe  des  Schläfen- 
beins durch  zu  weite  Entblößung  des  Knochens 
eintreten  kann,  wie  es  Schwartze  beob- 
achtet hat.     Durch  die  ausgedehnte  Schnitt- 


XIX.  Jahrgang.! 
Januar  1905.  J 


Klau,  Operativ«  Eröffnung  der  Mittalobrriume. 


25 


fuhrung  werden  auch  allzugroße  Zerrungen 
der  Weichteile  mit  den  Wundhaken  ver- 
mieden. 

Der  Hauptschnitt  beginnt  2 — 3  cm  unter 
der  Spitze  des  Warzenfortsatzes  und  wird 
senkrecht  nach  oben  über  die  Mitte  des 
Warzenfortsatzes,  für  gewöhnlich  2  cm  über 
die  Linea  temporal is  hinaus  schichtweise  bis 
auf  den  Knochen  geführt. 

Auf  das  obere  Ende  des  Schnittes  wird 
dann  ein  3  —  4  cm  langer  Horizontälschnitt 
nach  vorn  bis  auf  den  Knochen  und  ein  etwa 
2  cm  langer  Schnitt  nach  hinten,  sogenannter 
T-Schnitt,  gesetzt.  Wenn  es  nötig  ist  zur 
vollkommenen  Übersicht  des  Operationsfeldes, 
namentlich  bei  starker  Schwellung  der  Weich- 
teile, bei  beabsichtigter  Freilegung  des  Sinus 
sigmoideus,  bei  Trepanation  auf  den  Schläfen- 
lappen, wird  der  senkrechte  Schnitt  nach 
oben  und  unten,  der  horizontale  nach  vorn 
und  hinten  noch  verlängert.  Nach  sorgfäl- 
tigster Blutstillung  erfolgt  die  vorsichtige 
Ablösung  des  Periostes  nach  vorn  so  weit,  bis 
der  obere  und  hintere  Rand  des  knöchernen 
Gehörganges  ganz  übersichtlich  frei  liegt,  nach 
hinten  bis  zum  hinteren  Rande  des  Warzen- 
fortsatzes ,  unter  Umständen  noch  weiter. 
Auch  die  Spitze  des  Warzenfortsatzes  muß 
vollständig  frei  präpariert  werden.  Ursprüng- 
lich schnitt  nun  Zaufal  die  hintere  obere 
häutige  Gehörgangs  wand  ihrer  ganzen  Länge 
nach  heraus.  Wir  werden  später  sehen,  daß 
die  Yerlustgabe  eines,  wenn  auch  noch  so 
kleinen  Teiles  des  häutigen  Gehörganges  nicht 
zu  empfehlen  ist.  Man  tut  deshalb  besser, 
den  hinteren  und  oberen  Teil  des  häutigen 
Gehörganges  vorsichtig  mit  dem  Ras pator iura 
allmählich  vom  Knochen  bis  zur  Umrandung 
des  Trommelfelles  abzulösen  und,  wenn  er 
nicht,  wie  es  meist  der  Fall  ist,  schon  vor- 
her abreißt,  ihn  dicht  vor  dem  Trommelfell- 
rand mit  einem  schmalen  Skalpell  schräg 
nach  vorn  zu  durchschneiden.  Die  vordere 
häutige  Gehörgangswand  bleibt  in  ihrer  Ver- 
bindung mit  dem  Knochen.  Bei  der  Auf- 
meißelung  wird  der  abgelöste  Teil  der  hinteren 
Gehörgangs  wand  mit  einem  schmalen  stumpfen 
Wundhaken  nach  vorn  gedrückt.  Zur  Auf- 
meißelung  selber  wählt  man  am  besten  Hohl- 
meißel, die  sich  besser  der  Rundung  des 
knöchernen  Gehörganges  anpassen.  Ich  be- 
nutze zur  Totalaufmeißelung  nach  Z  auf  als 
Vorschrift  Hohlmeißel,  von  denen  der  größte 
1  cm  6  mm,  die  kleinsten  l/a  cm  Spannweite 
haben,  und  die  mit  Griff  21  cm  lang  sind. 
Ist  man  genötigt,  nach  Eröffnung  des  Antrum 
mastoideum  noch  mit  dem  Meißel  weiter  in 
der  Tiefe  zu  operieren  —  in  den  meisten 
Fällen  empfiehlt  hier  Zaufal  die  Anwen- 
dung   der    Lu ersehen    Knochenzange  —    so 

Th.  M.  1906. 


muß  man  natürlich  je  nach  der  Weite  des 
Operationsfeldes  schmalere  Hohlmeißel  be- 
nutzen. 

Die  Totalaufmeißelung  beginnt  damit,  daß 
man  den  größten  Meißel  etwa  1  cm  vom 
hinteren  Rande  des  knöchernen  Gehörganges 
dicht  unter  der  Linea  temporalis  auf  dem 
Planum  des  Warzenfortsatzes  ansetzt  und  von 
hinten  nach  vorn  und  medianwärts  einen 
dünnen  Span  bis  in  den  äußeren  Gehör- 
gang hinein  abmeißelt.  Schichtweise  wird 
nun  in  derselben  Richtung  die  Corticalis  des 
Warzenfortsatzes  zugleich  mit  der  hinteren 
oberen  Wand  des  knöchernen  Gehörganges 
abgetragen,  indem  man  den  Meißel  bei  jedem 
erneuten  Meißelschlage  immer  einige  Milli- 
meter weiter  nach  hinten  ansetzt.  Wird  bei 
der  Operation  eine  Höhle  im  Warzenfortsatz 
freigelegt,  so  werden  die  überhängenden  Ränder 
derselben  mit  der  Lu  er  sehen  Zange  abge- 
tragen, bis  man  die  Höhle  vollkommen  frei 
übersehen  kann.  Oft  hängt  eine  solche 
Höhle  schon  mit  dem  Antrum  zusammen, 
und  man  kann  dann  schon  allein  mit  der 
Knochenzange  die  hintere  obere  knöcherne 
Gehörgangswand  entfernen.  Findet  man  keine 
Höhle  im  Warzenfortsatz,  ist  derselbe  voll- 
ständig kompakt,  so  fährt  man  mit  der 
schichtweisen  Abtragung  des  Knochens  immer 
von  hinten  nach  vorn  und  einwärts  weiter 
fort  und  erhält  so  eine  unter  der  Linea  tem- 
poralis verlaufende  Rinne,  die  man  gut  über- 
schauen kann.  Selbstverständlich  müssen, 
je  weiter  man  in  die  Tiefe  vordringt,  die 
Meißel  entsprechend  dem  Operationsterrain 
schmaler  gewählt  werden.  Diese  Rinne,  die 
allmählich  bis  zum  hinteren  Rande  des 
Warzenfortsatzes  reicht,  muß  nach  hinten 
immer  seichter  werden,  um  eine  Verletzung 
des  Sinus  sigmoideus  zu  vermeiden.  Je  weiter 
man  in  die  Tiefe  vordringt,  desto  größere 
Vorsicht  ist  anzuwenden.  Von  Zeit  zu  Zeit 
kann  man  sich  durch  Sondierung  mit  einer 
rechtwinklig  gebogenen  Sonde,  die  vom  Aditus 
ad  Antrum  eingeführt  wird,  überzeugen,  ob 
man  noch  weit  vom  Antrum  entfernt  ist.  Ist 
das  Antrum  eröffnet,  so  kann  die  äußere 
Wand  desselben  entweder  mit  dem  Meißel 
oder  mit  einer  schmalen  geraden  Lue r sehen 
Zange  entfernt  werden.  Zuletzt  wird  die 
Pars  epitympanica  abgetragen.  Nicht  immer 
gelingt  dies,  wie  Zaufal  empfiehlt,  mit  der 
Luerschen  Zange.  Ich  benutze  deshalb  jetzt 
stets  den  in  der  Fläche  gebogenen  Stacke- 
schen Meißel  dazu  und  entferne,  nachdem 
ich  mich  mit  der  Sonde  über  die  Größe  der 
Pars  epitympanica  orientiert  habe,  dieselbe 
oft  mit  einem  Schlage.  Mit  einer  gekrümmten 
Sonde  kann  man  dabei  die  innere  Pauken- 
höhlenwand schützen. 

4 


26 


Klau,  Operative  Eröffnung  dar  Mittalobrräuma. 


rTberapeutiscfett 

I.    Monatshefte. 


Die  so  erhaltene  Höhle  muß  mit  dem 
scharfen  Löffel  von  Granulationen  gereinigt 
werden.  Hammer  und  Amboß  werden,  nach- 
dem ihre  Verbindungen  getrennt  sind,  aus 
der  Paukenhöhle  entfernt.  Nur'in  sehr  seltenen 
Fällen,  wo  die  Gehörknöchelchen  und  die 
Pars  epitympanica  nicht  kariös  erkrankt  sind, 
kann  man  sie  in  ihrer  Lage  im  Mittelohr 
belassen.  Dadurch  soll  eine  bessere  Hör- 
fähigkeit erzielt  werden.  Es  ist  aber  sehr 
schwer,  in  jedem  Falle  mit  voller  Be- 
stimmtheit Caries  der  Gehörknöchelchen  und 
der  Pars  epitympanica  auszuschließen.  Aber 
selbst  dann,  wenn  keine  Caries  in  der  Pauken- 
höhle besteht,  kann  in  dem  engen  oberen 
Paukenhöhlenraum  beim  Stehenlassen  von 
Hammer  und  Amboß  nachträglich  Eiterung  ein- 
treten. Dazu  kommt,  daß  von  Brieger  und 
Görke  bei  der  Totalaufmeißel ung  mit  Er- 
haltung der  Gehörknöchelchen  kein  besseres 
Resultat  bezuglich  der  Hörfähigkeit  erzielt 
wurde  als  bei  vollständiger  Exzenteration  der 
Paukenhöhle.  Man  wird  sich  also  nur  in 
ganz  besonderen  Ausnahmefällen  für  das 
Stehenlassen  von  Hammer  und  Amboß  ent- 
schließen. 

Bei  der  Stack  eschen  Operationsmethode 
wird  der  umgekehrte  Weg  wie  bei  der 
Z  au  falschen  eingeschlagen,  es  werden  die 
Mittelohrräume  von  innen  nach  außen  frei- 
gelegt. Den  Vorzug  hat  die  Stacke  sehe 
Methode  vor  derjenigen  von  Zaufal,  daß 
sie  auch  bei  erheblichem  Tiefstand  der  mitt- 
leren Schädelgrube,  vor  allem  aber  selbst 
bei  starker  Vorlagerung  des  Sinus  sigmoideo- 
transversus  vorgenommen  werden  kann,  wo 
die  Zaufal  sehe  Methode  unter  Umständen 
versagt. 

Ursprünglich  präparierte  Stacke  nicht 
nur  die  hintere  häutige  Gehörgangs  wand  aus 
dem  knöchernen  Gehörgang  heraus,  sondern 
auch  die  vordere.  Unstreitig  gibt  dieses  Vor- 
gehen eine  viel  bessere  Übersicht  des  Opera- 
tionsfeldes und  die  Operation  wird  dadurch 
wesentlich  erleichtert.  Trotzdem  ist  es  vor- 
zuziehen, die  vordere  häutige  Gehörgangs- 
wand in  ihrer  Verbindung  mit  der  vorderen 
knöchernen  Gehörgangs  wand  zu  belassen, 
wenn  der  äußere  Gehörgang  nicht  abnorm 
eng  ist.  Bei  vollständiger  Loslösung  des 
häutigen  Gehörganges  bleibt  der  medianste 
Teil  der  vorderen  knöchernen  Gehörgangs- 
wand nach  der  Reposition  der  häutigen  Aus- 
kleidung meist  unbedeckt,  da  die  dünne  Haut 
sich  elastisch  zurückzieht.  Dadurch  kann 
Nekrose  an  den  unbedeckten  Stellen  eintreten. 

Nach  vollzogener  Ablösung  der  hinteren 
oberen  häutigen  Gehörgangswand,  die  vor 
dem  Margo  tympanicus,  wenn  sie  nicht  schon 
vorher    abreißt,     schräg    nach    vorn    durch- 


schnitten wird,  wird  das  Trommelfell  resp. 
der  Rest  desselben  [am  Rande  umschnitten. 
Mit  dem  in  der  Fläche  gekrümmten  Meißel 
wird  nunmehr  zunächst  die  Pars  epitympanica, 
welche  den  obersten  Teil  der  Paukenhöhle, 
den  sogenannten  Recessus  epitympanicus  oder 
Atticus,  nach  außen  und  unten  begrenzt, 
weggemeißelt,  sodaß  zwischen  Tegmen  tym- 
pani  und  oberer  Gehörgangswand  mit  der 
Sonde  kein  Knochenvorsprung  mehr  gefühlt 
wird.  Hammer  und  Amboß  werden  entfernt. 
Sodann  wird  der  Stacke  sehe  Schützer  oder 
besser  eine  rechtwinklig  gebogene  Sonde 
nach  hinten  in  den  Aditus  ad  antrum  ein- 
geführt und  auf  ihr  die  hintere  obere 
knöcherne  Gehörgangswand,  die  zugleich  die 
laterale  Wand  des  Antrum  mastoideum  bildet, 
fortgemeißelt.  Es  empfiehlt  sich,  nicht  über 
den  unteren  Rand  des  Schützers  resp.  der 
Sonde  beim  Meißeln  hinauszugehen,  um  eine 
Verletzung  des  Nerv,  facialis  zu  vermeiden. 
Nach  außen  kann  man  dann  noch  soviel  von 
der  hinteren  Gehörgangswand  fortmeißeln, 
als  zur  Bildung  einer  übersichtlichen,  möglichst 
glatten  Knochenhöhle  notwendig  ist.  Daran 
schließt  sich  die  Ausräumung  der  Knochen- 
höhle. Alle  Vorsprünge  müssen  mit  dem 
Meißel,  dem  scharfen  Löffel  oder  der  Fräse 
geglättet  werden;  ebenso  der  sogenannte 
„Sporn"  oder  Facialiswulst;  darunter  ver- 
steht man  den  mediansten  Teil  des  von  der 
hinteren  knöchernen  Gehörgangs  wand  stehen 
gebliebenen  Knochenwalles.  Dieser  Vorsprung 
muß  möglichst  weit  abgetragen  werden,  da 
er  sonst  die  Übersichtlichkeit  der  Knochen- 
höhle sehr  beeinträchtigt.  Dabei  ist  sorg- 
fältig die  Gesichtsmuskulatur  zu  beobachten, 
um  bei  Eintritt  von  Spasmen  nicht  weiter  vor- 
zugehen. Auch  den  Margo  tympanicus  poste- 
rior kann  man  unter  Beobachtung  größter 
Vorsicht  abflachen,  falls  durch  ihn  der  hintere 
untere  Teil  der  Paukenhöhle  verdeckt  wird. 
Nach  Kretschmann  empfiehlt  es  sich  auch, 
den  unteren  Rand  des  Margo  tympanicus, 
soweit  er  die  Übersicht  über  den  Recessus 
hypotympanicus  oder  „Keller"  (Grüner t) 
hindert,  abzuflachen.  Kretschmann  fand, 
daß  der  Boden  der  Paukenhöhle,  namentlich 
die  oft  beträchtliche  Vertiefung  hinter  dem 
Margo  tympanicus  inferior,  der  sogenannte 
Keller,  nach  der  Radikaloperation  nicht  zu 
selten  Veranlassung  zur  Persistenz  der  Eiterung 
gäbe.  Auch  bei  der  Abtragung  dieses  unteren 
Randes  ist  große  Vorsicht  zu  beobachten, 
damit  der  Nerv,  facialis  nicht  verletzt  wird. 
Beim  Eintritt  von  wiederholten  Zuckungen 
in  der  Gesichtsmuskulatur  müssen  wir  von 
einem  weiteren  Vorgehen  abstehen.  Aller- 
dings kann  nicht  in  jedem  Falle  eine  Facialis- 
paralyse   vermieden  werden.     Zuweilen   sind 


XIX.JjüirKang.n 
Janimr  liHtt.  J 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Mittelohr rftume 


21 


anatomische  und  pathologische  Verhältnisse 
daran  schuld. 

Außer  der  Verletzung  des  Nerv,  facialis 
kann  auch  zuweilen  eine  Eröffnung  des  hori- 
zontalen Bogenganges  vorkommen.  Deshalb 
ist  bei  der  Wegnahme  des  letzten  Restes 
der  hinteren  oberen  knöchernen  Gehörgangs- 
wand größte  Vorsicht  geboten.  Auch  bei  der 
Glättung  der  Knochenhöhle  muß  man  sich 
hüten,  die  Prominenz  des  in  den  Aditus  vor- 
springenden horizontalen  Bogenganges  fort- 
zunehmen. Ist  dagegen  der  horizontale  Bogen- 
gang kariös  angegriffen,  so  ist  eine  Entfernung 
der  kariösen  Partien  gerechtfertigt.  Immer 
tritt  nach  Verletzung  des  horizontalen  Bogen- 
ganges Schwindel,  nicht  selten  auch  Nystag- 
mus ein,  Erscheinungen,  welche  sich  meist 
bald  verlieren. 

Bei  einem  12jährigen  Knaben  H.  aus  Berlin, 
der  an  einer  chronischen  kariösen  Mittelohreiterung 
litt,  und  bei  dem  deshalb  von  mir  die  Totalaut- 
meißelung  vorgenommen  wurde,  zeigte  sich  Caries 
am  horizontalen  Bogengänge.  Bei  der  Auskratzung 
der  kariösen  Stellen  mit  dem  scharfen  Löffel  wurde 
der  Bogengang  eröffnet.  Der  danach  auftretende 
Schwindel  war  so  heftig,  daß  Patient  selbst  in 
ruhender  Lage  die  beiden  ersten  Tage  nach  der 
Operation  davon  ergriffen  war.  Die  Nahrung  wurde 
an  diesen  beiden  Tageu  wieder  erbrochen.  In  den 
folgenden  Tagen  behielt  Patient  das  Genossene  bei 
sich,  wenn  er  die  Speisen  in  liegender  Stellung 
einnahm.  Sowie  er  sich  aufrichtete,  wurde  er  wieder 
vom  heftigsten  Schwindel  und  Erbrechen  befallen. 
Am  7.  Tage  nach  der  Operation  war  der  Schwindel 
beim  Autrichten  im  Bett  geschwunden.  Beim 
Gehen  war  Patient  anfangs  noch  unsicher,  doch 
auch  diese  Gleichgewichtsstörungen  schwanden  nach 
14  Tagen  vollkommen. 

Auffallend  hierbei  war,  daß  Patient  trotz 
Eröffnung  des  Bogenganges  auf  dem  be- 
treffenden Ohre  nicht  taub  wurde.  Er  hört 
Flüstersprache  (Zahlen)  in  1  Meter  Entfernung. 
Diese  Tatsache  spricht  dafür,  daß  nicht  in 
jedem  Falle  bei  Eröffnung  des  horizontalen 
Bogenganges  Taubheit  eintreten  muß. 

In  einem  anderen  von  mir  operierten  Falle  von 
Bogengangscaries  zeigten  sich  vor  der  Operation 
hochgradige  Schwindelerscheinungen.  Patient  litt 
seit  seiner  Kindheit  an  einer  chronischen  Mitteiohr- 
eiterang. Schon  jahrelang  vor  der  Operation  wurde 
von  mir  die  Diagnose  auf  Cholesteatom  gestellt. 
Trotz  dringenden  Anratens  konnte  sich  Patient 
nicht  zur  Vornahme  der  Operation  entschließen. 
Im  August  1902  stellten  sich  plötzlich  starke 
Schwindelerscheinungen  ein,  nachdem  wochenlang 
vorher  das  Allgemeinbefinden  nicht  befriedigend 
war.  Als  die  Sichwindelerscheinungen  derartig  zu- 
nahmen, daß  Patient  nicht  mehr  ohne  Begleitung 
fehen  konnte,  entschloß  er  sich  endlich  zur  Operation. 
>ie  Totalaufmeißelung  gestaltete  sich  äußerst 
schwierig,  da  der  Warzenfortsatz  bis  zum  Antrum 
in  ungewöhnlicher  Weise  eburnisiert  war;  das  An- 
trum war  minimal  klein.  In  demselben,  im  Aditus 
und  Atticus  fanden  sich  zerfallene  Cholesteatom- 
massen. Die  Prominenz  des  in  den  Aditus  vor- 
springenden horizontalen  Bogenganges  zeigte  sich 
kariös.  Die  kariösen  Partien  wurden  mit  dem 
Meißel    und    dem    scharfen   Löffel    vorsichtig   ab 


getragen.  Patient  fühlte  sich  nach  der  Operation 
sofort  besser.  Merkwürdigerweise  waren  die 
Schwindelerscheinungen  beim  Aufrichten  im  Bett 
vollständig  geschwunden.  Auch  das  undeutliche 
Sehen,  über  welches  der  Patient  kurz  vor  der 
Operation  klagte,  war  gewichen.  Nur  beim  Auf- 
stehen empfand  Patient  Gleichgewichtsstörungen, 
die  sich  noch  monatelang  bemerkbar  machten, 
pamentlich  beim  Gehen  im  Dunkeln.  Später  ver- 
loren sie  sich.  Sie  waren  niemals  so  hochgradig, 
daß  Patient  hätte  geführt  werden  müssen. 

[Setifugs  folgt.} 


Zur  Frage  der  Zellmast. 

Von 
Dr.  Walther  Nie.  Clemm, 

Arzt  für  Verdauung*-  und  Stoffwechtellelden,  Darmstadt. 

„Über  die  physiologische  Verbrennung  in 
den  lebendigen  Organismen tt  hat  Pflüg  er 
bereits  vor  30  Jahren  sich  in  einem  Sinne 
geäußert,  der  den  modernen  Anschauungen 
von  der  Abspielung  der  Lebensvorgänge  zum 
Grundpfeiler  geworden  ist,  auf  dem  besonders 
Max  Verworn  im  Sinne  und  Geiste  der 
Hack  eischen  Biogenlehre  weitergebaut  hat. 

Danach  ist  das  lebendige  Eiweißmolekül 
von  intramolekularem  Sauerstoff  erfüllt;  be- 
seelt wird  das  lebende  Protoplasma  allerdings 
nach  Rieh  ard  Neumeisters  ausgezeichneten, 
leider  Schluß1)*»  Betrachtungen  über  das  Wesen 
der  Lebenserscheinungen tt  (Jena  1903  bei 
G.  Fischer)  von  Empfindungen,  von  denen 
einerseits  alle  Verrichtungen  im  Leben  ab- 
hängen, und  welche  anderseits  jenseit  der 
analytischen  Mechanik  liegen,  weder  im  Brut- 
schrank des  Biologen  noch  im  Tiegel  des 
Chemikers  jemals  werden  entdeckt  werden! 
Unter  der  Herrschaft  dieses  vitalis tischen 
Prinzipes  nun  spielt  sich  im  „ lebendigen 
Eiweißmolekül"  (Pflüg er)  oder  im  ,, Biogen" 
(Hacke  1- Verworn)  ein  reger  Sauerstoff- 
wechsel ab,  welcher  in  der  Dissoziation  der 
Eiweißatome  und  -atomgruppen  sich  äußert; 
und  zwar  geht  diese  unter  dem  Einflüsse  des 
Sauerstoffs  stehende  „innere  Atmung"  (Eb- 
stein) sowohl  in  der  freilebenden  Zelle  der 
Amöbe,  des  Bakterium  u.  s.  f.,  als  in  der 
dem  Zellstaate  der  höheren  Tiere  und  des 
Menschen  eingegliederten  einzelnen  Organ z eile 
vor  sich. 

Dadurch  wird  eine  erkleckliche  Menge  von 
Rohmaterial,  d.  h.  von  in  der  Nahrung  zu- 
geführtem Eiweiß,  immer  wieder  verbraucht 
um  die  „mit  Bedarf  begabte  Substanz",  wie 
Pflüg  er  das  „Organeiweiß"  Voits  treffend 
benennt,  ständig  zu  erneuern;  denn  dieser 
innere  Bedarf  ist  ein  unaufhörlicher  und  noch 


l)  Neumo-ister  hat  sich  von  der  öffentlichen 
Tätigkeit  gänzlich  zurückgezogen  und  mir  sowohl 
Neubearbeitung  seines  Lehrbuches  wie  Mitwirkung 
an  einem  neuen  Werke  abgeschlagen. 

4* 


28 


Clemm,  Zur  Prag«  dar  Zollmatt. 


rrhArftpeutteche 
L   Monatshefte. 


gesteigerter,  wenn  z.  B.  zehrende  Krankheit, 
Schwäche  oder  Überanstrengung  des  Körpers 
zu  Zellhunger,  wie  ich  diese  Zustände  be- 
zeichne, geführt  haben,  wenn  zerfallendes 
Organeiweiß  dem  kreisenden,  „zirkulierenden" 
(Voit)  Eiweiß  Nachschub  liefern  (Grawitz) 
mußte,  ohne  selbst  entsprechende  Erneuerung 
zu  finden.  Diese  hungernde  Zelle  friert  als- 
dann, ihr  mangelt  es  an  Brennstoff  für  ihre 
Innenheizung,  und  wie  der  vor  Hunger 
frierende  Mensch  an  seiner  Leistungsfähigkeit 
einbüßt,  so  läßt  die  einzelne  Zelle  in  ihrer 
Lebenstätigkeit  nach  und  so  gerät,  wo  der 
Einzelhaushalt  in  Unordnung  gekommen  ist 
und  nicht  mehr  sich  aufrecht  erhalten  kann, 
das  ganze  Staatswesen  der  Zellrepublik  in 
die  Gefahr  des  Zerfalls,  der  Auflösung. 

Der  Umstand  nun,  daß  die  Zersetzungs- 
ergebnisse des  Eiweißes  im  Körper  —  soweit 
sie  stickstoffhaltig  sind  —  entweder  selbst 
das  Radikal  GN  enthalten  oder  aus  Cyan- 
verbindungen  —  wie  der  Harnstoff  —  durch 
Synthese  künstlich  können  hergestellt2)  werden, 
veranlaßt  Wilhelm  Ebstein  in  seinen  an 
Franz  König  gerichteten  Briefen  „ über  ver- 
erbbare  zellulare  Stoffwechselkrankheiten" 
(Stuttgart,  bei  Ferd.  Enke,  1902)  darauf 
hinzuweisen,  daß  die  biologischen  Vorgänge, 
welche  im  lebendigen  Eiweißmolekül  sich  ab- 
spielen, die  natürliche  Ursache  der  Entstehung 
von  Fettsucht,  Gicht  und  Zuckerkrankheit 
werden  können.  Dieser  Hinweis  besitzt  eine 
besondere  praktische  Bedeutung  dadurch,  daß 
mit  ihm  die  Anwendung  von  „Eiweiß- 
sparern a,  also  von  Kohlenwasserstoffen  und 
Fetten,  an  Stelle  reichlicher  Eiweiß- 
zufuhr gerichtet  ist. 

Denn  es  handelt  sich  nicht  um  die  durch 
Verabreichung  von  „Eiweißsparern"  beab- 
sichtigte Schonung  und  Erhaltung  der  be- 
stehenden Protoplasmamoleküle,  der  „Bio- 
gene" sondern  um  Neuschaffung  derselben 
an  Stelle  der  zerfallenden  alten:  Wie 
der  am  moosigen  Ufer  gelagerte  Beschauer 
stets  zwar  den  rauschenden  Bach  vor  sich 
sieht,  und  trotzdem  die  Tropfen,  welche  so- 
eben noch  den  Wasserwirbel  gebildet  haben, 
bereits  an  ihm  vorbeigeglitten  sind,  ständig 
von  neuen,  von  anderen  verdrängt,  so  ist 
die  scheinbar  unveränderte  lebende  Zelle  auf- 
gebaut von  diesen  Lebenströpflein,  die  in 
stetem  Zerfall  und  in  ebenso  unaufhörlichem 
Wiederaufbau  begriffen  sind!  Damit  der  Bach 
nicht  übertrete  oder  versieche,  muß  ihm  eine 
gleichmäßige  Zufuhr  von  der  Quelle  aus  ge- 
leistet werden;    so   muß   auch    für  reichliche 

2)  Vgl.  auch  Emil  Fischers  „Peptidareihen, 
welche  aus  Mono-,  Oxy-  und  DiaminosäurcD  künst- 
lich hergestellt  den  VerdauungspeptoDen  ähnliche 
Erzeugnisse  liefern. 


Zufuhr  der  richtigen  Baustoffe  gesorgt  sein, 
um  die  Erzeugnisse  des  Zellzerfalls  in  die 
rechte  Bahn  zu  lenken  und  um  den  Neubau 
der  Moleküle  ungestört  erfolgen  zu  lassen, 
damit  nicht  etwa  abnorme  Arbeit  der  „Biogene" 
zur  Erzeugung  neuer  ihre  Kraft  zersplittere, 
sie  vorzeitig  erschlaffe  und  als  Folge  davon 
die  Zelle,  das  Organ  und  endlich  den  ganzen 
Körper  krank  werden  lasse.  Es  kann  sich 
hierbei  sowohl  um  primäre,  ererbte  Falsch- 
anlage der  lebendigen  Eiweißmoleküle  han- 
deln als  um  sekundäre,  erst  erworbene  Stö- 
rungen derselben,  deren  Folgen  für  den  Or- 
ganismus in  maßgebender  Weise  beeinflußt 
werden  durch  die  Wahl  der  zur  Plasma- 
erneuerung    dem   Körper    zugeführten   Stoffe. 

Eine  große  Rolle  spielen  im  Binnenstoff- 
wechsel die  von  der  Zelle  erzeugten  Enzyme, 
deren  Unterscheidung  von  den  organisierten 
Fermenten  vielfach  noch  wenig  durchgeführt 
wird;  ihre  Bedeutung  hat  bereits  der  große 
Justus  Liebig  geahnt,  als  er  mit  Pastcur 
den  Streit  aufnahm,  welcher  so  lange  Zeit 
zu  seinen  Ungunsten  entschieden  schien,  bis 
E.  Buch n er s  Darstellung  der  Hefczymase 
bezw.  des  aus  ihr  gebildeten  Enzyms  dem 
großen  Prometheus  —  teilweise  wenigstens 
—  Recht  gab:  Denn  demnach  läßt  sich  aus 
dem  Leibe  der  Sproßpilze  ein  nicht  be- 
lebter chemischer  Körper  darstellen,  welcher 
Zucker  in  Alkohol  und  in  Kohlensäure  aul- 
spaltet: Ein  Enzym,  das  übrigens  der  Prager 
Forscher  J.  Stokl  asa  nach  Veröffentlichungen 
im  Zentralblatt  für  Physiologie  vom  14.  Febr. 
und  21.  November  1903,  in  den  Berichten 
der  Deutschen  chemischen  Gesellschaft  vom 
19.  November  1903,  in  Pflügers  Archiv 
Bd.  101,  1904,  und  in  der  Deutsch,  med. 
Wochenschr.  No.  6  von  1904  dargestellt  hat 
aus  der  Zelle  höher  organisierter  Tiere; 
Stokl  asa  gebraucht  für  diese  von  ihm 
isolierten  „gärungserregenden  Enzyme"  die 
Mehrzahl,  da  er  aus  verschiedenen  Geweben 
verschiedener  Tiere  solche  dargestellt  haben 
will.  Die  Bestätigung  dieser  hochinter- 
essanten Arbeiten,  welche  den  Abbau  der 
Kohlenwasserstoffe  zu  Alkohol  und  Kohlen- 
säure innerhalb  der  Zellen  beweisen,  steht 
von  anderer  Seite  allerdings  noch  aus.  Zweifel- 
los wäre  ihre  Erhärtung  geeignet,  unsere 
biologischen  Anschauungen  wesentlich  zu  klären 
und  zu  festigen. 

Hoppe-Seylerund  Willy  Kühne  haben 
vor  langem  schon  den  Standpunkt  der  An- 
nahme von  Fermentationen  in  den  Lebens- 
pro zeßen  vertreten;  ich  selbst  war  in  Kühnes 
Laboratorium  mit  der  Aufsuchung  zweier  ver- 
schiedener Enzyme  bezw.  Fermente  betraut, 
welche  mein  unvergeßlicher  Lehrer  als  vor- 
handen voraussetzte:  Gefunden  habe  ich  sie 


XIX.  Jahrgang/! 
Jannar  1905.  J 


Clemm,   Zur  Prag«  der  Zollmaat. 


29 


beide  nicht,  doch  den  Trost  habe  ich,  daß 
auch  heute  nach  15  bezw.  16  Jahren  sie 
noch  nicht  entdeckt  worden  sind.  —  F.  Hof- 
meister legt  diesen  intrazellulär  chemisch 
wirkenden  Stoffen  ein  großes  Gewicht  bei, 
Richard  Neumeister  dagegen  warnt  vor 
ihrer  Überschätzung.  Diese  Entdeckungen 
vermöchten,  so  schrieb  er  mir  noch  im  März 
ds.  Js. ,  seine  „Ansicht,  daß  die  lebende 
Substanz  in  erster  Linie  selbst  die  Spaltungen 
besorgt,  durchaus  nicht  zu  erschüttern tt.  Denn 
nach  seiner  Auffassung  stellen  die  Zellenzyme 
avfserhalb  der  lebendigen  Zellsubstanz  in 
vorbereitender  Weise  tätige  Stoffe  dar, 
»während  das  Zellprotoplasma  selbst  die 
betreffenden  chemischen  Verbindungen  —  im 
Falle  Stoklasas  also  Zucker  — ,  „wenn  sie 
erst  in  seinen  Besitz  gelangt  sind,  ungleich 
energischer  aufspaltet,  als  sein  Absonderung s- 
produkt,  die  Zymase."  —  In  dieses  ver- 
wickelte —  und  doch  so  einfach -natürliche 
—  Getriebe  hinein  können  Störungen  ge- 
langen, durch  welche  der  Ausgleich  des  Stoff- 
wechsels aufgehalten  wird  und  im  Gesamt- 
körper die  Folgen  der  alterierten  Zelltätig- 
keit sich  fühlbar  machen. 

Wenn  auch  entgegen  Pflügers  Wider- 
spruch die  Entstehung  von  Fett  aus 
Eiweiß  angenommen  wird,  so  ist  doch  die 
von  Lüthje,  R.  Cohn,  Neuberg  und  Lang- 
stein, Fried.  Kraus  behauptete  Ent- 
stehung von  Zucker  aus  Eiweiß  zwei- 
fellos auf  irrigen  Voraussetzungen  be- 
ruhend. Die  von  Pflüg  er  im  103.  Bd. 
seines  Archivs  an  diesen  Arbeiten  geübte 
scharfe  Kritik  hat  ihr  Schicksal  wohl  be- 
siegelt3); damit  wissen  wir  aber  anderseits 
gar  nichts  Positives  über  diese  Vorgänge: 
Denn  ehe  die  Entstehung  der  tierischen 
Stärke  oder  des  Zuckers  aus  Fett  im  Tier- 
körper bewiesen  ist,  kann  auch  Pflüg ers 
bezügliche  Auffassung  sich  wohl  nur  schwer 
Anhänger  erwerben. 

Somit  ist  die  Entstehung  von  Zucker 
aus  Eiweiß  als  abgetan  zu  betrachten, 
die  von  Fett  aus  Eiweiß  nach  dem  Ur- 
teil eines  unserer  größten  Physiologen 
mindestens  zweifelhaft:  Eine  aus- 
schließliche Eiweißernährung  wird  da- 
her niemals  und  in  keinem  Falle  be- 
rechtigt und  begründet  erscheinen. 

Der  Fettleibige  verbrennt  weniger  Sauer- 
stoff in  seinen  Geweben  und  gibt  weniger 
Kohlensäure  ab  als  der  normale  Mensch: 
Dadurch  wird  die  normalerweise  öl-  und 
fetttröpfchenhaltige    Zelle    stärker  damit    er- 


*)  Trotz  der  Lanze,  die  Emil  Abderhalden 
soeben  in  der  neu  begründeten  „Medizinischen  Klinik  u 
(Urban  &  Schwarzenberg,  Berlin)  für  diese  Auf- 
fassung wieder  gebrochen  hat. 


füllt,  die  lebendige  Eiweißsubstanz  dadurch 
zurückgedrängt  und  an  der  freien  Entwicke- 
lung  und  Entfaltung  ihrer  Lebenstätigkeiten 
gehindert.  Diese  mangelnde  COa-Ausscheidung 
wird  der  Grund  zu  manchen  „Konstitutions- 
krankheiten", übrigens  ein  Wort  ohne  Begriff, 
das  Wilhelm  Ebstein  aus  unserem  Wörter- 
schatz gestrichen  sehen  will. 

Die  geistvollen  Theorien  von  der  Ent- 
stehung der  Gicht,  der  Fettsucht  und  der 
Zuckerruhr,  welche  Ebstein  entwickelt,  sind 
für  jede  Überlegung  von  Stoffwechselanomalien 
so  mustergültig,  daß  ich  sie  in  kurzem  Um- 
risse hier  wiedergebe;  durch  derartige  Er- 
wägungen kann  mancher  Lichtstrahl  in  dunkle 
Tiefen  fallen,  aus  denen  die  Quellen  der 
Krankheiten  hervorbrechen,  und  kluge  recht- 
zeitige Dammbauten  können  vor  späterer 
Überschwemmung  bewahren. 

Die  seltene  bedrohliche  Form  der  Gicht 
nennt  Ebstein  „primäre  Nierengicht";  bei 
ihr  allein  trifft  die  alte  Auffassung  zu,  wo- 
nach die  Nieren  als  schlechtes  Filter  für  die 
Harnsäure  wirken,  sodaß  dieselbe  in  den 
rückliegenden  Geweben  massenhaft  aufge- 
stapelt wird.  Die  „primäre  Gelenkgicht" 
bildet  die  häufige  Form  der  Gicht  und  diese 
hat  ihre  Wiege  im  Knochenmark  und  in  der 
Muskelzelle:  Aus  den  Kernen  dieser  Gewebs- 
zellen entsteht  neben  den  Nukleinbasen :  Xan- 
thin,  Hypoxanthin,  Guanin  und  Adenin  die 
Harnsäure;  kommt  es  zu  gesteigertem  Zell- 
kernzerfall bei  gleichzeitiger  Unfähigkeit 
der  Gewebe  zur  weiteren  Zerlegung  der'Zer- 
fallsergebnisse,  so  ergibt  sich  die  harn- 
saure  Diathese  als  die  natürliche  Folge. 
Da  aber  anderseits  die  Zellkerne  an  Neutral- 
fetten keinen  Vorrat  enthalten,  diese  viel- 
mehr im  Zellplasma  sich  finden,  so  gibt 
letzteres  nach  Ebstein  den  Mutterboden 
für  die  Fettleibigkeit  ab. 

Für  sämtliche  Arten  der  Zuckerkrank- 
heit endlich,  für  die  neurogene,  die  hepato- 
gene,  die  myogen  e  oder  die  hämatogene,  für 
die  pankreato-  oder  die  gastroenterogene,  für 
die  konstitutionelle  oder  die  symptomatische 
(zu  welch  letzterer  Gruppe  wohl  die  auf 
Vergiftungen  erfolgenden  Formen,  ehe  sie 
einer  der  anderen  eingereiht  sind,  zu  zählen 
sind)  —  für  all  diese  so  verschieden  auf- 
gefaßten, in  den  gleichen  Krankheits-Erschei- 
nungen sich  äußernden  Erkrankungen  erblickt 
Ebstein  den  einheitlichen  Grund  in  der 
Störung  der  „inneren  Atmung"  des 
Zellmoleküls.  Er  beweist  diese  Auffassung 
mit  der  nach  Narkose  von  ihm  klinisch  be- 
obachteten, von  Hans  Winterstein  unter 
Max  Verworns  Leitung  künstlich  durch 
Chloroform  hervorgerufenen  und  studierten 
Verminderung   der   Zellenergie,    welche    sich 


30 


Clemm,   Zur  Prag«  dar  Zellmatt 


rTh*r»peu1 
L   Monatah 


Monatshefte. 


in  einer  Lähmung  der  Assimilation  wie  der 
Dissimilation,  des  Aufbaus  wie  des  Zerfalls 
der  Zelle  äußert.  Die  gleiche  Beobachtung 
machte  Ebstein  mit  Franz  König  zu- 
sammen in  zwei  Fällen  von  schwerster  Zucker- 
harnruhr mit  Extremitätenbrand,  in  welchen 
die  Absetzung  der  brandigen  Glieder 
das  allmähliche  Schwinden  der  sich 
zuvor  ständig  steigernden,  bereits  die 
Anzeichen  des  nahenden  Endes  mit  Koma 
etc.  darbietenden  Zuckerkrankheit  im 
Gefolge  hatte:  Im  ganz  geraden  Gegen- 
satze zu  der  herrschenden  Lehre,  welche 
Operationen  während  der  Verschlechterung 
des  Allgemeinzustandes  untersagt  und  sie 
erst  in  der  Entzuckerungsperiode  zulassen 
will!  Hier  lag  eine  Selbstvergiftung  vor, 
welche  die  Zellenergie  lähmte,  sodaß  der 
aus  Glykogenzer  f  al  1  entstandene 
Zucker  nicht  zu  Alkohol  und  Kohlen- 
säure verbrennen  konnte:  Tatsächlich 
scheidet  der  Zuckerkranke  ja  auch  weniger 
C03  aus  als  der  Gesunde,  wie  Weintraud 
nachgewiesen  hat,  während  er  gleichzeitig 
weniger  Sauerstoff  in  seinen  Geweben  aufzu- 
nehmen vermag.  Mit  der  Erklärung  Eb- 
steins jedoch,  wonach  Kohlensäure  dieDiasta- 
sierung  pflanzlicher  wie  tierischer  Stärke 
hemmt  (allerdings  in  neutraler  oder  alka- 
lischer Losung)  —  hierdurch  wird  eine  COa- 
Anhäufung  von  ihm  konstruiert  —  stehen 
die  neueren  Penzol  dt  sehen  Untersuchungen 
im  Widerspruch,  welche  die  bessere  und 
schnellere  Zerlegung  der  Amylaceen  im  Magen 
unter  Kohlensäure  Wirkung  dartun.  Meines 
Erachtens  erklärt  auch  die  weit  ungezwun- 
genere, von  mir  oben  gegebene  Deutung  das 
pathologische  Auftreten  des  Zuckers  in  voll- 
kommen genügender  und  erschöpfender  Weise. 
Daß  der  ganze  Vorgang  ins  Wirkungs- 
gebiet der  einen  „integrierenden  Bestandteil 
der  Zelle"  bildenden  Enzyme  verlegt  wird, 
ist  ebenso  unnötig  nach  dem  oben  Gesagten, 
wie  es  als  eine  wesentliche,  schon  weiter 
oben  gekennzeichnete  Überschätzung  der  Pro- 
toplasmaerzeugnisse vor  diesem  selber  er- 
scheint. 

Dagegen  sind  wichtige  Diätmaximen  aus 
den  Ebsteinschen  Ausführungen  zu  ent- 
nehmen; Fette  befördern  leicht  das  Auftreten 
des  diabetischen  Komas,  nukl einreiche  Nah- 
rungsmittel haben  bei  Gichtanlage  im  weiter 
oben  geschilderten  Sinne  Bedenken,  daher  ist 
eine  Einschränkung  der  Kohlehydrate  bei 
Verabreichung  Stärkemehl  armer  Gemüse  vor- 
zunehmen, während  die  fabrikmäßige  Her- 
stellung einer  ganzen  Reihe  guter  Nährprä- 
parate uns  freier  und  unabhängiger  in  der 
Diätotherapie  gemacht  hat,  wie  Ebstein  mit 


Recht  und  mit  Stolz  im  Hinblick  auf  seine 
bedeutenden  Verdienste  in  dieser  Beziehung 
sagt.  —  Ich  habe  diese  Überlegungen  an- 
gestellt an  Hand  des  ausgezeichneten  Schrift- 
chens von  Wilhelm  Ebstein  als  ich  mich 
mit  den  Arbeiten  von  Karl  Bornstein  in 
Leipzig  beschäftigte.  Diese  erhalten  durch 
jene  eine  ganz  erhebliche  Festigung.  Karl 
Bornstein  wendet  sich  seit  einigen  Jahren 
gegen  das  Verfahren  wie  gegen  die  Be- 
zeichnung der  sogenannten  „Mastkuren", 
wie  sie  durch  Weir  Mitchell  in  Philadel- 
phia und  durch  Play  fair  in  London  ge- 
schaffen und  besonders  durch  die  Leyden- 
sche  Schule,  speziell  durch  Klemperer,  bei 
uns  eingebürgert  worden  sind.  Wie  auch 
0.  Rosenbach,  so  gibt  Bornstein  seinem 
Abscheu  Ausdruck,  wenn  von  einer  künstlichen 
Mästung  bei  Menschen  gesprochen  wird  in 
der  Art  und  Weise,  wie  es  der  Landwirt 
bei  seinen  Schweinen  oder  Gänsen  zur  Er- 
zielung eines  hohen  Schlachtgewichtes  oder 
von  Lebern  für  die  Pastetenbäcker  etwa  tut; 
wie  Rosen bach  sehr  zutreffend  meint,  ist 
solches  Verfahren  Menschen  gegenüber  doch 
nur  bei  den  Menschenfressern  im  Märchen 
gebräuchlich,  und  die  Zeiten  der  Knusper- 
hexe, die  sich  Hansel  und  Gretel  bratfertig 
zu  mästen  suchte,  wollen  wir  nicht  in  der 
klinischen  Terminologie  wieder  aufleben  lassen : 
Das  Abstoßend- Schauerliche  bekommt  dabei 
einen  reichlich  komischen  Beigeschmack!  — 
Wir  müssen  doch  wissen,  was  wir  mit  „Mast- 
kuren" wollen:  Gewiß  nicht  eine  Erhöhung 
des  Lebendgewichtes,  sondern  eine  Erhöhung 
der  Zellkraft,  mithin  eine  Zellmast;  mit  der 
Wahl  dieses  Wortes  kommt  das  Abstoßend- 
Komische  in  Wegfall,  und  das  Verfahren, 
welches  sich  als  das  richtige  ergibt,  räumt 
auch  mit  dem  der  alten  Bezeichnung  gleich- 
wertigen alten  Mastverfahren  auf:  Nicht  mehr 
erzwungene  Trägheit,  nur  durch  Knetun- 
gen oder  Kaltwasser-  oder  Elektrizitätsan- 
wendung, wie  —  bis  auf  letztere  —  der 
römische  Schlemmer  der  Kaiserzeit  oder  der 
Haremseunuch  seinem  erschlaffenden  Leib  sie 
zuteil  werden  ließ,  spärlich  unterbrochene 
Ruhe  bei  fortgesetzter  Äsung  bezwecken  Zu- 
nahme des  Körpergewichts  und  der  Kräfte, 
sondern  durch  gesunde  kräftige  Bewegung 
erhöhter  Innenstoffwechsel  macht  bei  geeigneter 
Zufuhr  von  Zellbrenn-  und  Baustoff  das  Zell- 
leben gesund,  erhöht  die  innere  Atmung,  kurz 
es  führt  das  von  Born  stein- Noor  den  in- 
auguriei%te  Verfahren  zvr  Zelltnast  durch 
Eiweifsmast. 

Eine  solche  findet  beim  wachsenden 
Menschen  ebenso  wie  bei  dem  von  schwerer 
Krankheit  Genesenden  statt.  Dementsprechend, 
weil  bei  gesunden  Verdauungs-  und  Aufnahme- 


XIX.  Jahrgang.  1 
Jänner  1905.  J 


Clemm,   Zur  Frage  der  Zellmatt. 


31 


Werkzeugen  auch  eine  unzweckmäßige  Zu- 
sammenstellung der  Nahrungszufuhr  min- 
destens für  längere  Zeit  ohne  Schaden  er- 
tragen wird,  konnte  in  vielen  Fällen  ein 
ausgezeichneter  Erfolg  von  einer  Weir  Mit- 
chellkur  beobachtet  werden;  in  einer  ganz 
bedeutenden  Zahl  derselben  —  nach  Born- 
steins  Beobachtungen  in  der  Mehrzahl  so- 
gar —  aber  leistet  die  Kur  nichts.  Da  nun 
in  diesen  letzteren  Fällen  Eiweißmast  die 
Lücke  deckt,  und  dieselbe  anderseits  in 
den  Fällen  der  ersten  Art  gleichwertig  der 
Playfairkur  ist,  so  scheint  mir  kein  Grund 
vorzuliegen,  letztere  überhaupt  noch  anzu- 
wenden, ich  stelle  mich  vielmehr  auf  Born- 
steins Standpunkt,  sie  ganz  und  gar  durch 
Zellmast  zu  ersetzen. 

Es  wird  ja  unzweifelhaft  in  vielen  Fällen 
bei  längerem  Gebrauch  einer  „Mastkur*4  der 
geschwächten  Zelle  neue  Lebenskraft  ver- 
liehen durch  erhöhte  Eiweißzufuhr,  allein  es 
wird  auch  gleichzeitig  den  Verdauungswerk- 
zeugen eine  ganz  un verhältnismäßige  Last 
aufgebürdet,  weil  ihnen  die  notwendigen 
Zwischenzeiten  zwischen  den  einzelnen  Mahl- 
zeiten dermaßen  verkürzt  werden,  daß  die 
Verdauungssäfte  in  ununterbrochenem  Fluß 
erhalten  werden.  Die  Magen-  und  Darm- 
zelle erlebt  nicht  den  physiologischen  Höhe- 
punkt ihrer  Tätigkeit  mehr  mit  der  darauf 
allmählich  folgenden  behaglichen  Euhe  nach 
getaner  Arbeit,  es  wird  ihr  vielmehr  ein 
nimmerrastendes,  immer  wieder  von  neuem 
beginnendes  Schaffen  aufgebürdet,  das  sie 
nervös  erregen  muß;  auf  der  anderen  Seite 
leidet  aber  auch  die  muskuläre  Tätigkeit 
der  Verdauungsorgane  unter  dieser  ständigen 
Füllung  Not,  es  erfolgt  eine  Erschlaffung 
ihrer  Kraft,  der  auch  die  Massage  nicht 
gänzlich  zu  begegnen  vermag,  eine  atonische 
Erweiterung  und  Senkung  ihrer  Wandungen 
ist  das  nächste  Ergebnis,  aus  dem  dann  end- 
lich eine  Ptoseodyspepsie  (Achilles 
Rose,  New-York),  eine  schlaffe  Sen- 
kung, hervorgeht  mit  all  ihren  Folgen. 

Diese  Art  von  Kuren  hat  also  eigentlich 
nur  da  Berechtigung,  wo  es  sich  um  ziel- 
bewußten Fettansatz  handelt,  etwa  zur 
Stützung  gesenkter  Eingeweide  nach  Zu- 
rückbringung der  gewanderten  Niere,  nach 
Stützung  des  gesenkten  Magens  mit  der 
Ros eschen  Pflasterbinde  oder  mit  meinem 
„Enterophor".  Dann  wählt  man  aber  viel- 
mehr einen  Diätplan  ähnlich  dem  für  die 
Gallensteinkrankheit  gültigen,  wie  ich  ihn 
auf  dem  letzten  Kongreß  für  innere  Medizin 
in  Leipzig  entworfen  habe,  unter  Zulage  fett- 
ansetzender Kohlehydrate.  —  Im  übrigen 
sollen  aber  all  die  Fälle,  in  denen  höchst 
unerwünschter  Fettansatz  die  Folge  der  Kur 


war,  vermieden  werden,  wo  vorher  magere 
Neurastheniker  durch  eine  „Mastkur"  zu  fett- 
leibigen Angstmeiern  mit  all  ihren  Qualen 
mehr  noch  für  ihre  Umgebung  und  ihren  Arzt 
als  für  sich  selber  geworden  sind  oder  noch 
werden. 

Diesem  System  hat  Karl  Bornstein 
den  Krieg  erklärt  und  die  von  v.  Noordensche 
Schule  hat  sich  ihm  angeschlossen.  Etwas  gänz- 
lich Neues  liegt  ja  nicht  in  seinem  Verfahren, 
es  hat  Vorläufer  z.  B.  in  den  Molken(kasein)- 
kuren,  in  der  Kefirkur  u.  s.  f.;  nur  auf  die 
Nachteile  weniger  leistungsfähiger  Heilver- 
fahren und  auf  die  vernunftgemäßeste  Aus- 
führung der  von  ihm  angegebenen  „Eiweiß- 
mast" hingewiesen  zu  haben,  ist  sein  gerade- 
zu bahnbrechend  wirkendes  Verdienst.  Wenn 
freilich  Bornstein  sagt,  das  Fett  sei  eine 
„absolut  lebensunwichtige  Substanz",  so  hat 
ihn  sein  Eifer  zu  weit  vorgerissen,  er  sieht 
sich  plötzlich  allein  und  einsam  von  seinem 
Gefolge  getrennt  stehen.  Ist  doch  nach  Eb- 
stein selbst  bei  Fettleibigen  mäßiger 
Fettgenuß  durchaus  rationell.  Denn 
wenn  auch,  wie  Bornstein  meint,  „eine 
größere  und  bessere  mit  Bedarf  begabte  Sub- 
stanz (Pflüger)  sich  das  Nötige  zur  Ab- 
rundung  schon  von  selber  holen  wird",  wenn, 
mit  anderen  Worten  eine  durch  reichliche 
Eiweißzufuhr  gefestigte  Zelle  auch  das  ihr 
Dienliche  sich  leicht  auszuwählen  vermag, 
so  muß  ihr  doch  wenigstens  auch  die 
Auswahl   geboten   werden. 

Deshalb  sind  auch  die  Wege  zur  Erreichung 
dieses  Zieles  mannigfaltige,  nicht  nur  der 
eine,  den  Bornstein  hauptsächlich  betreten 
hat.  Ob  es  sich  um  Wiederherstellung  alter 
Kraft  nach  einer  Zeit  schweren  Zellhungers, 
oder  ob  es  sich  nur  um  Befristung  eines 
Lebens  handelt,  über  das  ein  inoperabler 
Krebs  oder  eine  unheilbare  Zehrkrankheit 
den  Stab  bereits  gebrochen  hat,  da  werden 
wir  doch  nicht  nach  einer  Schablone  er- 
nähren. Denn  während  wir  dort,  unter  An- 
regung der  Eßlust,  eine  möglichst  gemischte 
Kost  rasch  zu  erreichen  suchen,  werden  wir 
hier  unter  Umständen  gar  eine  möglichste 
Freihaltung  von  Magen  und  Darm  und  eine 
einseitige  Befristung  des  Protoplasmastoff- 
wechsels zu  erstreben  haben. 

Pettenkofer  und  Voit  haben  nachge- 
wiesen, daß  einseitige  Fleischfütterung  beim 
Hunde  zu  Fettansatz  führt;  wenn  Born  stein 
hieraus  folgert,  es  sei  dadurch  die  Anschauung 
herrschend  geworden,  daß  ein  Überschuß  von 
Muskeleiweiß  für  die  Ernährung  zwecklos 
sei,  da  „von  einem  irgendwie  nennenswerten 
Fleischansatze  wenig  oder  gar  nicht  die  Rede" 
gewesen  sei,  so  muß  ich  dem  widersprechen. 
Denn   nicht  nur  ist   das   Ergebnis   der   eben 


32 


Cleram,   Zur  Prag«  der  Zellmatt. 


[Therapeutische 
Monatshefte. 


erwähnten  Voit-Pettenko ferschen  Versuche 
ein  anderes;  Leopold  Bleibtreu  („Über  die 
Größe  des  Eiweißumsatzes  bei  abnorm  ge- 
steigerter Nahrungszufuhr".  Pflügers  Archiv, 
Bd.  XLI,  1887)  hat  auch  in  Stoffwechsel- 
versuchen beim  Menschen  während  einer  Weir 
Mitchell  sehen  Kur  in  Pflügers  Labo- 
ratorium nachgewiesen,  daß  ein  „ganz  er- 
heblicher Ansatz  stickstoffhaltigen  Gewebes" 
(nicht  weniger  als  7,414  kg  Muskelfleisch  in 
44  Versuchstagen,  also  rund  !/3  Pfd.  auf  den 
Tag  aus  N  nach  Kjeldahl  berechnet)  zu  er- 
zielen ist.  Diese  Versuche  waren  Bornstein 
offenbar  nicht  bekannt,  als  er  seine  Selbst- 
Stoffwechselversuche  anstellte  und  veröffent- 
lichte. Dieselben  sind  eine  glänzende  Be- 
stätigung der  Bleib  treu  sehen  Befunde  bei 
Überernährung,  da  eine  hervorragende  Eiweiß- 
anlagerung bei  „Eiweißmast"  von  ihm  fest- 
gestellt wurde;  die  belanglosen  Einwendungen, 
welche  Albu  (Berlin)  immer  wieder  mit 
Forderung  einer  „Nachperiode"  etc.  dagegen 
erhebt,  sind  von  Bornstein  bereits  zu  wieder- 
holten Malen  abgetan  worden,  sodaß  es  er- 
übrigt, auf  dieselben  auch  hier  einzugehen; 
lediglich  der  Bornstein  bisher  entgangene 
Hinweis  auf  die  erwähnten  Arbeiten  meines 
Freundes  Bleib  treu  mag  zur  endgültigen 
Erledigung  solcher  Gegnerschaft  noch  dienen. 

Bei  guter  Muskeltätigkeit  bleibt  ein  vor- 
handenes vollkommenes  Stickstoffgleichgewicht 
vollkommen  unverändert  erhalten,  ist  aber 
die  Zelle  mehr  oder  minder  geschwächt,  so 
läßt  sich  eine  vorzügliche  Eiweißanreiche- 
rung —  ich  möchte  nicht  mit  Bornstein 
stets  von  Eiweiß „mast"  sprechen  —  erzielen, 
welche  sogar  mit  Fett  abnähme  einhergehen 
kann,  von  Noorden  sah  dieses  Eiweiß  als 
locker  angelagertes  „Reserveeiweiß"  an,  ver- 
ließ aber  diesen  Standpunkt  auf  Grund  einer 
Reihe  von  Arbeiten  wieder,  die  unter  seiner 
Ägide  die  Bestätigung  der  Bornsteinschen 
Auffassung  brachten. 

Der  prinzipielle  Unterschied  der  Weir 
Mitchell-Playfairkur  von  der  Bornstein- 
Nord  en sehen  liegt  also  in  zwei  Dingen: 
Einmal  wird  der  gewollte  Nahrungsüber- 
schuß in  möglichst  geeignetem  Eiweiß  ver- 
abreicht, und  dann  wird  die  Zelleutrophie 
(Virchow)  durch  körperliche  Anstren- 
gung dabei  gesteigert,  während  bei  der 
„Mastkur"  der  Patient  zu  träger  Mastruhe 
verurteilt  war!  „Wie  das  Eisen  durch  kräf- 
tiges Hämmern  zu  Stahl  wird",  sagt  Born- 
stein, „so  wird  auch  die  Zelle  durch  ver- 
mehrte Tätigkeit  gestählt".  Allerdings  dürfte 
er  dann  nicht  von  einer  „festeren  Veranke- 
rung" des  Eiweißmolekels  sprechen,  sondern 
vielmehr  von  einer  molekularen  Energiever- 
dichtung    des     Protoplasmaeiweißes     in     der 


arbeitenden  Zelle;  „verankert"  wird  allen- 
falls das  von  Noorden  sehe  „Reserveeiweiß". 
In  beschleunigtem  Abbau  des  „insuffizienten" 
alten  Zelleiweißes  wird  schneller  Neuauf- 
bau des  Protoplasmas  bei  genügender 
Zufuhr  aus  der  Nahrung  bewirkt.  Dieser 
Zellmastausdruck  ist  aber  nicht  etwa  in 
einem  Prall  werden  der  Bicipes  oder  im 
Durchdrücken  der  Gastrocnemii  zu  suchen. 
Im  Verdauungskanal,  im  Herzen  und  den 
Blutgefäßen  in  den  Drüsenzellen  und  -gangen, 
und  wo  sonst  belebtes  Eiweiß  im  Körper 
wirkt  und  schafft,  wird  sich  die  Wirkung 
des  gehobenen  Allgemeinbefindens  weniger 
augenfällig  äußern  als  in  athletischen  Schön- 
heiten, zu  deren  Erlangung  die  Ringbahn 
und  der  Turnsaal  unerläßlich  sind. 

Bei  den  „Mastkuren"  laufen  aber  gerade 
Herz,  Leber,  Magen  und  Darm  die  größte 
Gefahr,  wie  Kischs  „Mastfettherz"  und  die  so 
häufigen  Erschlaffungszustande  es  zeigen.  Zu- 
dem wird  unter  den  fortgesetzten  Quälereien 
dieser  Kuren  die  Psyche  der  Patienten  gar 
übel  beeinflußt. 

Zur  Erzielung  einer  Zellmast  nun  können 
verschiedene  Wege4)  betreten  werden.  Ein- 
mal wäre  eine  Steigerung  der  täglichen 
Fleischmengen  dazu  herbeizuziehen,  wie  dies 
z.  B.  in  Marienbad  geschieht,  bei  Tagesgaben 
von  180—200  g  Eiweiß,  wozu  an  Fleisch 
nach  den  Königschen  Tabellen  rund  1  kg 
pro  die  nötig  wäre,  während  Born  stein 
nur  etwa  125  g  Proteinsubstanzen  im  Tage 
verlangt,  was  nur  etwas  über  1  Pfd.  Fleisch 
ausmachen  würde.  Aber  abgesehen  von  der 
Gefahr  der  Salzüberschwemmung  des  Blutes 
durch  die  übermäßige  Menge  der  Extraktiv- 
stoffe, schafft  nach  Fried r.  Müller  eine 
reine  Fleischernährung  zwar  keine  Fleisch- 
mast —  wohl  aber  Gicht!  Da  jedoch  die 
Engländer  z.  B.  so  ziemlich  reine  Fleisch- 
esser sind  und  doch  nur  ein  kleiner  Teil 
derselben  gichtkrank  wird,  da  die  nur 
Fleisch  essenden  Hunnen  oder  unsere 
ähnlich  lebenden  wilden  Vorfahren  meines 
Wissens  nicht  an  der  Gicht  zu  Grunde 
gegangen  sind,  so  ist  dieses  Wort  des 
Münchener  Klinikers  doch  wohl  etwas  um- 
zuprägen. Bei  ungesunder  Lebensweise, 
bei  herabgesetztem  Zellstoffwechsel 
schafft  allerdings  einseitige  Fleisch- 
ernährung Schädigungen  im  Stoff- 
wechsel, wie  ich  sie  nach  Ebstein  bereits 
gezeichnet     habe,     durch      Zufuhr     eines 

4)  Die  Verquickung  seiner  Kur  mit  Eisendar- 
reichung durch  Born  stein  halte  ich  für  gänzlich 
verfehlt.  Wo  etwa  Eisen  nötig  ist,  mag  es  gereicht 
werden,  zur  Zellmast,  zur  Protoplasmaverbesserung, 
im  Prinzip  ist  dieses  Reizmittel  der  Magen-  und 
Darmschleimhäute  verfehlt. 


XIX.  Jahrgang/t 
Januar  1905.  J 


Cl< 


Zur  Frage  dar  Zellmatt. 


33 


Überschusses  an  Nukleoalbuminen; 
es  gibt  aber  selbst  heutzutage  noch  Menschen, 
die  vernünftig  leben,  und  denen  schadet 
auch  eine  reine  Fleischkost,  falls  sie  frei 
Ton  ererbter  Anlage  sind,  meines  Erachtens 
nichts! 

Wir  besitzen  3  Hauptgruppen  von  Eiweiß- 
nähmiitteln,  deren  Besprechung  diese  Abhand- 
lung beschließen  soll.     Es  sind  das: 

1.  Das  Fleisch,  die  Fleischsäfte,  die  wir 
selbst  herstellen  lassen  oder  wie  sie 
fabrikmäßig  erzeugt  werden,  und  die 
Eier. 

2.  Die  Milcheiweiße  in  der  entrahmten 
süßen  oder  sauren  Milch,  in  Molken, 
Magerkäse  u.  s.  f.,  sowie  die  aus 
Kasein  fabrikmäßig  hergestellten  Nähr- 
pulver und  Kraftmehle  und 

3.  Die  Pflanzenkraftmehle. 

Eine  weitere  große  Gruppe  von  Eiweiß- 
präparaten habe  ich  hier  nicht  mitaufgeführt, 
weil  ich  sie  als  Schüler  Willy  Kühnes 
und  als  Freund  Richard  Neumeisters 
prinzipiell  für  die  Ernährung  verwerfe  —  wie 
dies  übrigens  auch  Bornstein  tut  — ,  ich 
meine  die  Pepton-  und  Albumosenpräparate. 
Ihrer  Verurteilung  seien  einige  Ausführungen 
gewidmet. 

Bei  Erlangung  der  Erkenntnis,  wie  schäd- 
lich die  Peptone  für  den  Körper  seien,  er- 
hoben sich  sofort  Stimmen,  welche  an  Stelle 
der  Peptone  Albumosen  heischten,  und  tat- 
sächlich trat  auch  alsbald  ein  Wandel  darin 
ein.  Das  hat  mein  Herze  um  so  mehr  erfreut, 
als  ich  während  der  Jahre  1888  und  1889/90 
im  Auftrage  Willy  Kühnes  in  seinem  La- 
boratorium einen  großen  Teil  der  sogenannten 
„Pepton4* präparate,  welche  ihm  zur  Begut- 
achtung zugesandt  wurden,  zu  untersuchen 
Gelegenheit  hatte.  Es  waren  sämtlich  mehr 
oder  minder  ausschließlich  Albumosenge- 
mische,  nur  Spuren  von  Peptonen  waren  da- 
bei —  dieselben  hätten  sich  ja  auch  des 
eklen  Geruches  und  Geschmackes  wegen,  so- 
wie der  ganz  unerhörten  Hygroskopie  der 
damaligen  Laboratoriumspräparate  halber, 
durch  welche  unsere  Peptone  harzartig  klebrige 
Massen  darstellten,  garnicht  als  Nährmittel 
herstellen  und  verabreichen  lassen.  Es  wur- 
den also  die  „Peptone",  welche  gar  keine 
Peptone,  sondern  Albumosen  waren,  als  schäd- 
lich verworfen  und  zu  Gunsten  letzterer  ent- 
schieden! Damit  ist  eigentlich  gesagt,  was 
Albumosen  sind:  Der  Begriff  „Gift u  bezeichnet 
Stoffe,  welche  in  der  Lage  sind,  den  Körper 
oder  einzelne  Teile  desselben  so  zu  schädigen, 
daß  entweder  eine  bleibende  oder  doch  eine 
länger  dauernde  Störung  entsteht ;  unter  diesem 
Gesichtswinkel  betrachtet  stellen  die  Peptone 


und  Albumosen  —  von  denen  bekanntlich 
einige  durch  rasch  fortschreitenden  örtlichen 
Brand  die  Gewebe  zerstören,  wie  die  Albu- 
mosen, welche  die  Schlangenparotis  abscheidet 

—  Gifte  dar.  Es  ist  daher  selbstverständ- 
lich, daß  sie  bereits  vielerorts  verlassen  sind, 
doch  wenden  sie  leider  noch  dort,  wo  man 
„ihre  Kritik  nicht  kennt",  wie  Born  stein 
zutreffend  sagt,  massenhaft  verwendet. 

Ich  habe  mich,  wie  erwähnt,  gefreut,  in 
Bornstein  ebenfalls  einen  tatkräftigen  Feind 
dieser   ebenso   überflüssigen   wie    schädlichen 

—  weil  ohne  Gesundheitsschaden  nur  in  ge- 
ringer, enorm  teuer  bezahlter  Menge  ver- 
wendbaren —  Surrogate  der  Ernährung  kennen 
zu  lernen.  Trotzdem  hat  z.  B.  meine  per- 
sönliche Bemühung  bei  dem  Fabrikanten 
von  „Ramogen"  (nach  Biederts  Rahmge- 
menge zusammengesetztes  Milchfett)  diesen 
ebensowenig  von  dem  Zusätze  von  —  „Soma- 
tose"  (!)  dazu  abzuhalten  vermocht,  als  meine 
Vorstellungen  an  maßgebender  Stelle  der 
Elberfelder  Werke  in  dieser  Hinsicht  gehört 
wurden:  Die  laufenden  Nummern  der  „Soma- 
toseab ehälter,  sowie  die  neuen  Erscheinungs- 
formen, neuerdings  als  „flüssige  Somatose" 
z.  B.,  beweisen  am  deutlichsten,  wie  tief  ein- 
gewurzelt dieser  Trugschluß  aus  den  großen 
Entdeckungen  der  Verdauungsphysiologie  bei 
Ärzten  und  Laien  noch  ist,  trotzdem  ein 
so  gewaltiger  Weckruf  bereits  vor  11  Jahren 
(1893)  in  No.  36  der  „Deutschen  med. 
Wochenschrift"  von  R.  Neumeister  er- 
schallt ist.  Es  heißt  da  „Über  ,  Somatose4 
und  Albumosenpräparate  im  allgemeinen", 
welche  H.  Hildebrandt  in  den  Verhand- 
lungen des  XII.  Kongresses  für  innere  Medizin 
1893  warm  empfohlen  hatte  als  mit  Um- 
gehung des  Magens  und  Darmes  unmittelbar 
aufnehmbare  hochwertige  Nahrungsstoffe,  daß 
sie  einmal  auch  nicht  in  Spuren  direkt, 
d.  h.  mit  Umgehung  des  Verdauungsschlauches, 
assimilierbar  sind  und  daß  sie  außerdem, 
wenn  derartig  einverleibt  „wie  Fremdkörper" 
und  „  durchweg  schädlich  "  wirken.  Gerade  jene 
Kongreßverhandlungen,  welche  den  maßgeben- 
den Widerspruch  erst  nachträglich  fanden, 
mögen  viel  zu  dem  zähen  ärztlichen  Fest- 
halten an  dem  „Nährwert"  der  „Somatose" 
beigetragen  haben.  Aber  auch  bei  der  ge- 
wöhnlichen Einverleibung  der  Albumosen  vom 
Munde  aus  verbietet  sich  ihre  länger  dauernde 
Anwendung,  da  sie  „regelmäßig  Symptome 
von  erheblicher  Reizung  und  Schädigung  des 
Darmkanals"  verursachen.  Deshalb  sind  sie 
für  die  Ernährung  Kranker  „unter  allen  Um- 
ständen entbehrlich  und  daher  zwecklos, 
dauernd  in  größeren  Mengen  verabreicht, 
durchaus  als  schädlich  anzusehen",  und  in 
Anbetracht     der    Empfindlichkeit     des    Ver- 


34 


Clemm,   Zur  Präge  dar  Zsllmatt 


rherapentiach* 
Monatshefte. 


dauungstractus  bei  den  meisten  Krankheiten 
erscheint  uns  Neumeisters  Wort  nur  zu 
berechtigt,  wonach  „die  Ernährung  Kranker 
durch  Albumosen-  oder  Peptonpräparate 
geradezu  als  ein  roher  Eingriff  erscheinen" 
muß.  Im  Neumeisterschen  Sinne  hat  sich 
auch  Fritz  Voit  in  München  ausgesprochen 
und  einen  Vortrag  in  No.  6  der  Münchener 
med.  Wochenschr.  1899  abdrucken  lassen. 
Voit  beantwortet  die  Frage,  „ob  die  Albu- 
mosen und  Peptone  dem  Eiweiß  gleichwertig 
erachtet  werden  können,  mit  einem  entschie- 
denen Nein",  tritt  der  irrigen  Anschauung, 
als  ob  der  Magen-Darmkanal  durch  Ver- 
abreichung^ aufsaugungsfertiger  "Hydratations- 
stufen der  Eiweiße  geschont  würde,  entge- 
gen und  sieht  deren  Wert  lediglich  in  der 
leichtreizenden  "Wirkung  derselben :  Somatose 
oder  Kemmerich-,  Witte-,  Antweiler- 
„ Pepton",  oder  wie  sie  alle  heißen,  sindStoma- 
chica  und  —  Abführmittel,  dafür  aber  doch 
viel  zu  teuer  bezahlt5). 

Die  Pflanzenkraftmehle  und  Milcheiweiße 
sind  wie  Aleuronat  (Roborat),  Nutrose,  Sana- 
togen, Plasmon,  Eukasin,  Hygiama  u.  s.  f. 
reizlos  und  werden  anstandslos  aufgesogen; 
vom  Roborat  erscheint  mir  dies  weniger,  von 
Tropon  und  von  Soson  nur  ganz  zweifelhaft 
der  Fall  zu  sein. 

Aber  all  diese  Präparate  haben  den  großen 
Nachteil,  mehr  oder  minder  unangenehm  zu 
schmecken  —  so  auch  das  von  mir  und 
neuerdings  auch  von  Bornstein,  wie  er  mir 
schreibt,  bevorzugte  Sanatogen,  mit  dem  ich 
schon  mehrfach  Wochen  hindurch  die  Lebens- 
kraft aufrecht  erhalten  habe  —  und  wirken 
dadurch  auf  die  Eßlust  oft  geradezu  hemmend. 
Zur  eigentlichen  Zellmast  im  Bornstein  sehen 
Sinne  erscheinen  mir  in  Übereinstimmung  mit 
anderen  Autoren  diese  Präparate  daher  weniger 
geeignet,  da  sie,  dauernd  genommen,  die  natür- 
liche Ernährung  häufig  hemmen;  für  Fälle 
von  Magengeschwür,  Krebs,  Typhus  dagegen 
erscheinen  sie,  zunächst  betrachtet,  geradezu 
ideal:  Doch  ist  ihre  zum  Teil  körnige  Un- 
löslichkeit, wie  bei  Roborat,  Tropon  etc.,  ihr 
Geschmack,  die  verhältnismäßig  große  Menge 
Flüssigkeit,  welche  zu  ihrer  Aufschwemmung 
nötig  ist,  u.  s.  w.  vielfach  Gegenindikation. 
Als  Beigabe  zur  Milch  z.  B.  leistet  Sana- 
togen Ausgezeichnetes  —  und  doch  neige 
ich    mehr    der   erstaufgestellten   Gruppe   von 


6)  Es  ist  daher  auch  ein  irriger  Standpunkt  — 
der  aber  gewiß  für  Unvoreingenommenheit  spricht 
—  wenn  die  Purogesellscbaft  auf  der  Tabelle,  die 
sie  neben  einer  ausgezeichnet  ausgestatteten  Druck- 
schrift heuer  auf  dem  XXI.  Kongresse  für  innere 
Medizin  in  Leipzig  verteilen  ließ,  „  Somatose*  neben 
„Plasmon"  und  „Tropon"  als  „nur  Nahrungsmittel" 
aufführt. 


Nährmitteln  zu.  Die  Eiweiß forschungen  von 
Emil  Fischer,  Kossei  u.  A.  haben  dar- 
getan, daß  die  Eiweißstoffe  qualitativ  zwar 
auffallend  ähnlich  zusammengesetzt  sind,  daß 
sie  jedoch  quantitativ  erhebliche  Unterschiede 
aufweisen.  Zur  Ernährung  der  lebenden 
Muskelzelle  ist  daher  dem  Fleische 
entstammender  Nährstoff  dem  aus  der 
Milch  oder  aus  Pflanzen  entnommenen 
ohne   Zweifel   vorzuziehen. 

Eier  werden  ihrer  blähenden  Wirkung 
halber  und  wegen  des  nach  R.  Kobert 
auf  die  Magen -Darmschleimhaut  durch  ihr 
Dottereisen,  das  Hämatogen  Bunges,  aus- 
geübten Reizes  in  irgend  nennenswerter 
Menge  zur  Eiweißmast  nicht  in  Betracht 
kommen  können.  Eine  wesentliche  Erhöhung 
der  Fleischrationen  hängt  zunächst  —  abge- 
sehen von  etwaiger  unbesieglicher  Abneigung 
gegen  Fleisch,  welche  gänzlich  auf  seinen 
Ersatz  sinnen  lassen  muß  —  von  dem  Zu- 
stande des  Magen-Darmkanals  ab  und  von 
dem  Maße  der  körperlichen  Bewegung,  welche 
die  Verarbeitung  der  Kost  ermöglicht.  Prak- 
tischer ist  da  schon  die  Verwertung  von 
Fleischsäften  als  Zusatz  zu  der  Nahrung. 
Deren  Herstellung  im  Haushalte  ist  aber 
häufig  eine  recht  schwierige  und  kostspielige. 
Um  nach  Fütterers  (Chicago)  auf  dem 
XX.  Kongreß  für  innere  Medizin  gegebenen 
Vorschriften  ungefähr  l/s  Liter  Fleischsaft  zu 
erhalten,  braucht  man  etwa  5  Pfund  Fleisch; 
dieser  bei  Brutwärme  während  mehrerer  Stun- 
den ausgelaugte  Saft  bietet  während  der  mehr- 
stündigen Zubereitung  einen  idealen  —  Bak- 
terienwach sb öden  dar,  und  um  dieses  Nähr- 
substrat nachträglich  keimfrei  zu  machen, 
darf  es  nicht  einmal  gekocht  werden,  weil 
sonst  das  mühsam  ausgelaugte  Eiweiß  sofort 
durch  Gerinnung  wertlos  gemacht  würde; 
es  ist  also  schlecht  aufzubewahren.  Der 
frisch  —  mit  der  ausgezeichnet  wirksamen 
Kl  einschen  (Karl  Klein,  Gießen,  Ztschr. 
f.  Krankenpflege  1898)  Presse  ausgepreßte  — 
Fleischsaft  ist  erklärlicherweise  auch  nur  zu 
sofortigem  Gebrauche  geeignet ,  muß  also 
stets  in  kleiner  Menge  hergestellt  und  sofort 
verwendet  werden;  außerdem  enthalten  aber 
beide  Arten  Fleischsäfte  —  von  unrationeller 
hergestellten  ganz  abzusehen  —  verhältnis- 
mäßig recht  wenig  Eiweiß.  Der  Hauptvorzug 
besteht  darin,  daß  sie,  als  vollkommen 
geschmacklos,  in  der  von  Klein  ange- 
gebenen "Weise  zur  Herstellung  von  nahr- 
haftem Gefrorenem  verwendet  werden  können, 
was  z.  B.  für  die  Behandlung  des  Magen- 
geschwürs von  mir  lebhaft  empfohlen  worden 
ist  in  meiner  demnächst  erscheinenden  Be- 
arbeitung dieses  Kapitels  für  die  „Würzburger 
Abhandlungen".     —     Die     fertig    käuflichen 


XIX.jAhrgang.1 
Jannar  1905.  J 


Clemn,   Zur  Frage  der  Zellmmit. 


35 


Fleischsäfte  haben  die  Unannehmlichkeit  der 
schlechten  Haltbarkeit  beseitigt,  aber  —  die 
älteren  englischen  und  amerikanischen  Prä- 
parate stehen  eher  mit  „Maggi"  als  mit  Nähr- 
präparaten auf  einer  Stufe:  Sie  sind  vor- 
zügliche Anregungs-,  aber  in  Anbetracht 
ihres  minimalen  Eiweißgehaltes  keine  Nah- 
rungsmittel, wie  sie  Valentine,  Wigeth 
etc.  herstellen. 

Ein  Präparat  allein  macht  hiervon  eine 
Ausnahme,  das  ist  der  mit  dem  Vakuum- 
verfahren  eingedickte  deutsche  Fleischsaft 
„Puroa:  Vermöge  seines  hohen  Extraktiv- 
stofFgehaltes  neben  bedeutendem,  den  ge- 
nannten flüssigen  Fleischextrakten  ums  ca. 
10  bis  40fache  nach  der  erwähnten  Tabelle 
überlegenen  Eiweißgehalte  nimmt  „Puro", 
das  durch  Kräutergeschmack  höchst  appetit- 
lich gestaltet  wird,  eine  Sonderstellung  ein, 
indem  es  eine  Ausfüllung  der  Lücke  in  der 
Ernährung  ebensowohl  gestattet,  als  es  die 
Eßlust  anregt  und  die  ganzen  Vorzüge  seines 
Gehaltes  an  Fleischbasen  und  -salzen  mit- 
bringt. In  seiner  Arbeit  „Über  Fleischsaft a 
hat  Martin  Mendelsohn  in  der  "Wiener 
Medizinischen  Presse  1900  diesem  ausge- 
zeichneten deutschen  Erzeugnis  gebührende 
Anerkennung  zu  teil  werden  lassen.  Neben 
den  anerkennenden  Urteilen  unserer  Ersten, 
wie  Kußmaul,  Leyden,  Ziemßen  u.  v.  a., 
liegt  eine  umfängliche  Literatur  —  nach  dem 
erwähnten  Büchlein  zu  schließen  —  über 
Puro  vor.  Mich  haben  besonders  interessiert 
die  vom  bayrischen  Zuchthausarzte  Schäfer 
in  der  Münchener  med.  Wochenschrift  vor 
drei  Jahren  bekannt  gegebenen  großartigen 
Erfolge,  welche  dieser  Autor  bei  den  infolge 
„ Abgegessenseins u  eingetretenen  Inanitions- 
zuständen  bei  Sträflingen  erzielt  hat.  Ich 
habe  daraus  geschlossen,  daß  in  allen  mit 
Ekel  gegen  die  Nahrungsaufnahme  ein- 
hergehenden krankhaften  Zuständen 
das  Puro  vor  anderen  Mitteln  zur 
Hebung  der  Kräfte  und  zur  Förderung  der 
normalen  Verhältnisse  sich  eignen  muß. 
Es  läßt  sich  damit  Zellmast  in  dop- 
peltem Sinne  erzielen,  einmal  durch 
Zufuhr  der  anreizenden  Stoffe  und 
Hebung  der  allgemeinen  Ernährung 
und  dann  durch  unmittelbare  Eiweiß- 
mast im  Sinne  Bornsteins.  Ich  verweile 
deshalb  gerade  bei  diesem  Präparate  besonders 
ausführlich  und  lange,  weil  Born  stein  dasselbe 
überhaupt  nicht  erwähnt,  und  fülle  daher 
die  Lücke  in  seiner  Reihe  dadurch  aus.  Ich 
selbst  habe  „Puro"  1899  kennen  gelernt, 
als  ich  in  einem  Falle  von  ungemein  pro- 
trahierter Atherosklerose  (Marchand)  mit 
Gehirnerweichung  Abneigung  gegen  die  Nah- 
rungsaufnahme   und    Unterernährung     damit 


bekämpfen  sah:  Ich  selbst  hatte  die  Kl  ein- 
sehe Presse  eingeführt,  doch  der  Hausarzt 
ersetzte  dieselbe  mit  besserem  Erfolge  durch 
den  eingedickten  Fleischsaft,  so  zwar,  daß 
das  Leben  zum  großen  Teil  damit  über  zwei 
Jahre  lang  befristet  wurde. 

Ich  habe  es  hernach  bei  Gallertkrebs  des 
Magens  einen  vollkommen  zum  Schatten  zu- 
sammengeschrumpften Mann  für  einige  Monate 
nochmals  aufleben  lassen  sehen,  ich  habe  es 
bei  schwerer  Hysterie  mit  absoluter  Nahrungs- 
verweigerung, indem  auf  jedwede  Kostform 
Erbrechen  eintrat,  von  vornherein  gern  nehmen 
und  den  kritischen  Zustand  überwinden  helfen 
sehen,  ich  habe  ihm  bei  schweren  Ernährungs- 
störungen infolge  schwerer  Infektionskrank- 
heiten gegenüber  anderen  versuchten  Präpa- 
raten zur  Erzielung  der  Eiweißmast  den 
Vorzug  gegeben  eben  wegen  seiner  ungemein 
anregenden  Wirkungsweise,  und  ich  neige 
mich  den  Urteilen  zu,  welche  den  Fleischsaft 
in  die  Behandlung  des  Ulcus  ventriculi  ein- 
geführt sehen  wollen:  Da  das  „Puro"  auch 
vermöge  seines  Gehaltes  an  organischer  Eisen- 
verbindung der  zumeist  doch  mitzubehan- 
delnden Anämie  Rechnung  trägt,  so  erscheint 
es  mir  neben  den  reinen  Eiweißpräparaten, 
neben  Milch-,  Eier-  und  Fleischdiät  nebst 
leichten  Gemüsen  in  der  roborierenden 
Diät  eine  führende  Rolle  zu  spielen  be- 
rufen I 

Zur  Zellmast  sollte  sich  jeder  entschließen, 
ehe  noch  die  Not  ihn  dazu  drängt:  Von 
Zeit  zu  Zeit  ist  eine  kurze  Zeit  die  Eiweiß- 
mast —  einmal  im  Sommer  und  einmal  im 
Winter  jedem  zu  empfehlen,  der  angestrengt 
tätig  ist  —  in  welcher  Weise  auch  immer. 
In  diesen  Fällen  scheint  mir  der  Überschuß 
am  zweckmäßigsten  mit  Puro  und  Milch- 
eiweiß zu  decken  zu  sein,  wie  er  bei  schwer 
Darniederliegenden  je  nach  der  Lage  des 
einzelnen  Falles  stets  aus  mehreren  der  ge- 
nannten Präparate,  unter  denen  seiner  Sonder- 
stellung halber  aber  das  Puro  niemals  fehlen 
sollte,  zu  holen  ist.  —  Die  Literatur  über 
diese  neueren  Präparate  ist  zahlreich  wie  die 
Tropfen  im  Meere:  Wer  sich  für  weitere 
Urteile  interessiert,  erhält  dieselben  von  den 
betreffenden  Fabriken  zugesandt.  Es  ist  ein 
Triumph  unserer  Therapie,  daß  wir  über 
lebenserhaltende  Mittel  verfügen,  deren  Mangel 
in  früherer  Zeit  Unzählige  an  Inanition  zu 
Grunde  gehen  ließ! 


86 


Voll* ad«  Behandlung  dar  trockenen  und  verstopften  Nase. 


[Therftpenttaeb« 
Moniitiihofta. 


Nochmals  die  Behandlung  der  trockenen 
und  verstopften  Nase« 

Bemerkungen  gegenüber  Lublinski1).' 

Von 

Hofrat  Dr.  Volland  in  Davos-Dorf. 

Es  ist  mir  nicht  im  entferntesten  in  den 
ßinn  gekommen,  daß  ich  mit  meiner  kleinen 
Veröffentlichung3)  jemand  hätte  zu  nahe  treten 
können,  und  deshalb  ist  mir  der  gereizte 
Ton  Lublinskis  ganz  unverständlich. 

Wenn  ich  ein  Verfahren  angebe,  das 
mir  neu  zu  sein  scheint,  so  kann  mir  es 
doch  niemand  übelnehmen,  wenn  ich  kurz 
historisch  die  im  Gebrauch  gewesenen  Methoden 
angebe.  Ich  schreibe  ja  nur  in  der  Ver- 
gangenheit, z.  B.:  „Gegen  diese  verstopfte 
Nase  zog  man  nun  eine  Zeitlang  mit  Feuer 
und  Schwert  zu  Felde"  u.  s.  w.,  damit  ist 
doch  deutlich  gesagt,  daß  man  das  jetzt 
nicht  mehr  tut?  Ich  darf  doch  auch  wohl 
sprechen  von  unangenehmen  Erfahrungen,  die 
ich  mit  den  früheren  Methoden   erlebt  habe? 

Lublinski  meint,  die  Salbenbehandlung 
des  Nasen innern  sei  den  Sachverständigen 
schon  längst  bekannt,  und  ob  man  dazu 
Salbe  oder  Ol  nehme,  das  sei  vollkommen 
gleichgültig.  Das  letztere  mochte  ich  doch 
einigermaßen  bezweifeln.  Öl  wird  durch  die 
Wärme  des  Naseninnern  noch  dünnflüssiger 
und  wird  deshalb  beim  Schnauben  sehr  leicht 
von  der  Schleimhautoberfläche  wieder  weg- 
geblasen, während  das  Zinkvaselin  der 
Schleimhaut  viel  fester  anhaftet,  sie  deckt 
und  für  einige  Tage  geschmeidig  erhält. 

Ferner  scheint  das  von  mir  mitgeteilte 
Verfahren  doch  wohl  noch  nicht  so  ganz 
bekannt  zu  sein.  Wenigstens  haben  „Die 
Fortschritte  der  Medizin"  von  Litten  und 
Guttman  in  Berlin,  No.  26,  1904,  S.  995 
und  996,  und  „Die  neue  Therapie"  von 
Schnirer  in  Wien,  Heft  10,  1904,  S.  347 
und  348,  darüber  ausführlich  berichtet.  Aller- 
dings schreibt  mir  Kollege  Wiedemann  in 
Memmingen,  daß  er  das  Schmieren  des  Nasen- 
innern mit  der  wattierten  Sonde  schon  seit 
Jahren  mit  dem  besten  Erfolge  übe.  Nur 
verwende  er  bei  Verdacht  auf  Skrofulöse, 
also  speziell  bei  Kindern,  die  gelbe  Augen- 
salbe: Hydr.  oxyd.  flav.  0,1  :  10,0  Vaselin, 
anstatt  der  Zink-  und  Borsalbe.  Zu  dem 
Zweck  will  ich  hiermit  diese  Salbe  weiter 
empfohlen  haben. 

Auch  die  gestreckte  Haarnadel  möchte 
ich  gegenüber  der  Sonde  nochmals  empfehlen. 
Die  Sonde  habe  auch  ich  versucht,  aber  man 
hat  nachher  zuviel  Mühe,  die  fest  umwickelte 

l)  Therap.  Mon.-Hefte,  Nov.  1904. 
3)  Therap.  Mon.-Hefte,  Aug.  1904. 


Watte  von  ihr  wieder  abzustreifen,  der  Sonden- 
knopf ist  dafür  ein  erhebliches  Hindernis. 
Ich  habe  mir  dann  eine  Anzahl  Sonden  ohne 
Knopf  aus  Messingdraht  anfertigen  lassen. 
Die  waren  aber  bald  in  alle  Winde  zerstreut. 
Dann  habe  ich  mir  eine  Zeitlang  selbst  dünne 
Holzstäbchen  geschnitzt,  die  ich  mit  Watte 
umwickelte.  Es  ging  auch  damit  zur  Not. 
Endlich  kam  ich  auf  die  gestreckte  Haar- 
nadel, bei  der  ich  geblieben  bin.  Denn  sie 
ist  überall  leicht  erhältlich  und  billig.  Aber 
auch  unter  ihnen  gibt  es  solche  mit  Knöpfen, 
die  sind  aus  dem  genannten  Grunde  ebenfalls 
unbequem. 

Ich  habe  es  nur  mit  der  trockenen  und 
verstopften  Nase  zu  tun.  Dabei  kommt  die 
von  Lublinski  empfohlene  Massage  nicht 
in  Frage,  die  ja  bei  Rhinitis  vasomotoria 
nach  ihm  sekretvermindernd  und  nasener- 
weiternd wirkt.  Bei  der  trockenen  Nase  aber 
fehlt  es  an  Sekret. 

Zur  Nasenreinigung  mit  der  Menthol- 
paraffinlösung dürfte  sich  statt  der  Ein- 
träufelungen  mittels  eines  Augentropf glases 
wohl  noch  besser  empfehlen:  der  amerika- 
nische Olzerstäuber,  der  von  Burroughs, 
Wellcome  &  Co.  in  den  Handel  gebracht 
wird.  Diesen,  anstatt  mit  Mentholparaffin, 
mit  einer  schwachen  Kokainlösung  beschickt, 
empfehle  ich  aufs  angelegentlichste  gegen 
mit  heftigem  Niesreiz  beginnenden  Schnupfen. 
Zweimaliges  Einblasen  in  jedes  Nasenloch 
wirkt  zauberhaft  beruhigend. 

Wenn  die  Rauhigkeiten,  die  man  bis- 
weilen am  Boden  des  unteren  Nasenganges 
fühlt,  keine  eingetrockneten  Schleimkrusten 
sein  sollen,  aus  was  anderem  sollen  sie 
wohl  bestanden  haben,  wenn  sie  schon  nach 
zweimaliger  Behandlung  verschwunden  waren? 
Ich  lasse  mich  gern  belehren. 

Einen  einer  beginnenden  Lungenblutung 
Verdächtigen,  der  sich  möglichst  ruhig  im 
Bett  verhält,  mit  dem  Nasenspiegel  zu  unter- 
suchen, ist  ganz  gewiß  weit  beunruhigender, 
als  bei  dem  schon  daran  Gewöhnten  die 
Wattesalbennadel  als  Nasensonde  anzu- 
wenden. Das  macht  einem  solchen  nicht 
die  mindesten  Unbequemlichkeiten.  Es  handelt 
sich  bei  den  in  Frage  kommenden  Fällen  nur 
um  geringe  Blutbeimengungen  zum  Sputum. 
Daß  gleichzeitig  auch  einmal  Nasenbluten 
bei  unbedeutendem  Lungenbluten  vorkommen 
kann,  ist  ja  wohl  möglich,  aber  nach  meinen 
Erfahrungen  sehr  selten.  So  kann  man  immer- 
hin aus  dem  Vorhandensein  von  Blutspuren 
in  der  Nase  für  den  Kranken  eine  gewisse 
Beruhigung  schöpfen. 

Die  Priorität  Lublinskis  betreffs  der 
Salbenbehandlung  des  Naseninnern  zur  Ver- 
meidung der  Gesichtsrose  lasse  ich  gern  gelten. 


XIX.  Jahrgang.! 
Januar  1905.  J 


Kr«fl,  Beitrag  zur  Wirkung  da«  VaronaU. 


37 


Es  schadet  aber  gewiß  nichts,  wenn  nach 
zwanzig  Jahren  wieder  einmal  darauf  auf- 
merksam gemacht  wird. 

Ein  Abgleiten  der  Watte  von  einem  damit 
fest  umwickelten  Rachenpin  sei  trager  ist  gänz- 
lich ausgeschlossen.  Denn  man  hat  nachher 
stets  etwelche  Mühe,  .die  Watte  wieder  ab- 
zustreifen. 

So  ganz  überflüssig  scheint  meine  Ver- 
öffentlichung doch  nicht  gewesen  zu  sein, 
denn  Kollege  Wiedemann  stimmt  ihr  voll 
und  ganz  bei  und  nennt  sie  einen  dankens- 
werten Artikel.  Den  praktischen  Ärzten  ist 
er  aber  ganz  besonders  gewidmet. 


Beitrag  zur  Wirkung  des  Veronals. 

Von 

Nervenarzt  Dr.  Kraft  in  Rostock. 

In  einer  Reihe  von  schweren  Agrypnien 
bei  Neur asthenischen  und  Hysterischen  ist 
das  Mittel  von  mir  in  der  letzten  Zeit  an- 
gewandt worden.  Zweifellos  besitzt  es  im 
Vergleich  mit  unseren  bisherigen  Schlafmitteln 
in  solchen  Fällen  den  Vorzug  der  durch- 
schnittlich prompten  Wirkung,  des  Mangels 
unangenehmer  Neben-  und  Nachwirkungen; 
letzteres  wenigstens  soweit  sich  bis  heute 
darüber  ein  Urteil  abgeben  laßt.  Da  ich 
jedoch  unter  zwölf  Fällen  von  Neurasthenie 
drei  erlebte,  bei  welchen  nach  abendlichen 
Dosen  von  0,5  g  Veronal  schon  am  dritten 
resp.  vierten  Tage  eine  kumulierende  Wirkung 
sich  zeigte  in  Form  einer  pathologischen, 
über  mehrere  Tage  sich  erstreckenden  Schlaf- 
trunkenheit mit  konsekutiver,  äußerst  mangel- 
hafter Nahrungsaufnahme  und  Unfähigkeit, 
das  Bett  zu  verlassen,  so  erscheint  mir  eine 
gewisse  Vorsicht  bei  der  Medikation  doch 
dringend  ratsam.  Solche  konsekutive  Stö- 
rungen indizieren  bei  schweren  Neurasthenien 
zur  Genüge  von  diesem  Hypnoticum  abzustehen, 
sobald  die  ersten  Anzeichen  der  kumulativen 
Wirkung  auftreten.  Letzteres  ist  bereits  am 
zweiten  Medikationstage  scheinbar  meistens 
der  Fall.  Ob  sich  eventuell  durch  allmäh- 
liche Verringerung  der  Quantität  und  episo- 
dische systematische  Vergrößerung  die  Ku- 
mulativwirkung vermeiden  läßt,  bei  gleich- 
zeitiger Erhaltung  einer  genügenden  Nachtruhe, 
habe  ich  bis  jetzt  nicht  erweisen  können. 


Chemische  Reaktion 

im  Darmkanale  und  ihre  therapeutische 

Verwendbarkeit.  *) 

Von 
Dr.  J.  Qoldschmidt  in  Paris. 

In  diesen  Monatsheften  machte  ich  bei 
der  Darstellung  der  Europhen- Wirkung  auf 
Lepra1)  die  Bemerkung,  wie  wünschenswert 
es  sei,  den  durch  Abspaltung  von  Jod  in  den 
Darmsäften  erreichten  Maximal effekt,  weil 
in  statu  nascendi,  auch  in  anderen  Fällen 
nachzuweisen.  Ich  komme  nun  selbst  diesem 
Wunsche  nach  durch  die  folgende  Mitteilung: 

Fräulein  X.,  30  Jahre  alt,  erhielt  wegen 
tuberkulöser  Enteritis  von  sehr  schleichendem 
Verlaufe  während  vier  Wochen  mit  verhältnis- 
mäßig günstigem  Erfolge  täglich  dreimal  je 
ein  Gramm  Ichthoform.  Nie  wurde  irgend 
welche  All  gemein  Wirkung  durch  diese  Medi- 
kation hervorgerufen.  Eine  andere,  zu  der 
bestehenden  sich  zugesellende  Erkrankung 
veranlaßte  mich,  dem  Ichthoform  dreimal  täg- 
lich einen  Tropfen  Jodtinktur  beizufügen,  so 
zwar,  daß  zwischen  der  Einnahme  je  eines 
dieser  Mittel  eine  Zwischenzeit  von  minde- 
stens zwei  Stunden  lag.  Jodtinktur  in  der- 
selben Dosis  hatte  die  Kranke  schon  früher 
ohne  eine  andere  Wirkung,  als  die  einer 
erleichterten  weil  flüssigeren  Expektoration 
genommen.  Auch  will  ich  ausdrücklich  be- 
merken, daß  seit  Jahren  die  Grundkrankheit, 
Lungenphthise,  einen  fieberlosen  Verlauf  ge- 
nommen hatte. 

Anders  als  die  Einzel  Wirkungen  erwies 
sich  diejenige  der  kombinierten  Ichthoform- 
Jod-Darreichung!  Zwei  Tage  schon  nach 
Beginn  der  neuen  Behandlung  begannen  Klagen 
über  Frösteln,  Mattigkeit  wie  Appetitlosig- 
keit und  am  dritten  Tage  war  die  bisher 
normale  Temperatur  auf  39,6°  gestiegen,  fiel 
aber  rasch  wieder  ab  nach  der  Sistierung 
der  beiden  Mittel.  Irgend  welche  störenden 
Nachwirkungen  wurden  nicht  beobachtet. 

Bei  der  Abwesenheit  einer  Neuerkrankung, 
die  als  Veranlassung  dieses  akut  krankhaften 
Zustandes  angesprochen  werden  konnte,  mochte 
der  ätiologische  Zusammenhang  nicht  lange 
zweifelhaft  bleiben.  Bei  besonders  gegen 
Jodoform  empfindlichen  Personen  ruft  dieses 


*)  Das  Manuskript  ist  der  Redaktion  bereits 
im  September  1903  eingesandt  worden. 

Die  Redaktion. 

*)  Goldschmidt,  Die  Behandlung  und  Heilung 
der  Lepra  tuberosa  mit  Europhen.  Therap.  Monats- 
hefte 1893,  April.  Ich  benutze  diese  Gelegenheit, 
um  die  Tatsache  festzustellen,  daß  der  damals  als 
geheilt  angegebene  Fall  bis  auf  den  heutigen  Tag, 
also  über  14  Jahre,  von  Aussatz  freigeblieben 
ist.  Steht  der  Fall  auch  vereinzelt  da,  sollte  er  zu 
erneuten  therapeutischen  Versuchen  doch  anregen. 


38 


Goldtchmidt,  Chemisch«  Reaktion  im  Darmkaoale.  —  Iiophytostigmln. 


rTherapentlach* 
L    Monafrhflfto. 


Mittel  schon  in  sehr  kleinen  Dosen,  wie  bei 
äußerlicher  wenig  ex-  und  intensiver  Anwen- 
dung auf  epidermisberaubter  Haut,  Fieber 
in  mehr  minder  hohem  Grade  mit  allen  mög- 
lichen Begleiterscheinungen  hervor.  Mußte 
man  nicht  in  unserem  Falle  an  die  Möglich- 
keit einer  chemischen  Reaktion  denken,  an 
die  zuerst  in  der  alkalischen  Darmflüssigkeit 
erfolgte  Spaltung  des  Ichthoforms  in  Ichthyol 
und  Formal  in  und  sodann  an  die  Neubildung 
von  Jod  formal  in?  Die  zweistündige  Zwischen- 
zeit, welche  die  Einnahme  je  dieser  beiden 
Mittel  trennte,  mußte  begünstigend  auf  die 
Möglichkeit  einer  Verbindung  des  freien  Jods 
mit  dem  inzwischen  freigewordenen  Formalin 
sein.  Die  Menge  des  im  Körper  gebildeten 
Jodformalins,  eines  dem  Jodoform  in  seiner 
physiologischen  Wirkung  gleichwertigen  Kör- 
pers, konnte  hier  nur  eine  sehr  kleine  ge- 
wesen sein,  enthalten  doch  die  drei  Tropfen 
Jodtinktur  (pharm,  gall.)  nur  ein  Zentigramm 
reines  Jod.  Dosen  von  einem  cg  Jodform alin 
(Jodoformine  pharm,  gall.)  dreimal  täglich 
innerlich  dargereicht,  haben  mir  an  zwei  ge- 
sunden Individuen'  keinerlei  bemerkbare  Sym- 
ptome ergeben.  Der  Nachweis  von  Jod  im 
Urin  gelang  nicht  in  diesen  Fällen,  dagegen 
war  eine  deutliche,  wenngleich  schwache  Jod- 
reaktion in  dem  oben  erwähnten  Falle  von 
Darmtuberkulose  nachweisbar.  An  mir  selbst, 
der  ich  gegen  Jodoform  eine  sehr  ausge- 
sprochene Idiosynkrasie  zeige,  habe  ich  durch 
Einnahme  von  8  cg  Jodoformin  täglich  wäh- 
rend einer  Woche  keine  Störung  meiner  Ge- 
sundheit beobachtet,  aber  die  kombinierte 
Darreichung  von  Ichthoform-Jod  konnte  ich 
nur  zwei  Tage  durch  fortsetzen  wegen  des 
alsbaldigen  Anstiegs  der  Temperatur  auf  38° 
mit  begleitender  Übelkeit  und  Mattigkeit. 

Die  moderne  Therapie  hat  es  sich  zur 
Aufgabe  gestellt,  mit  den  kleinsten  Dosen  der 
Heilmittel  die  größten  Wirkungen  zu  erzeugen. 


Aus  diesem  Bestreben  läßt  sich  die  Ent- 
stehung der  Homöopathie  als  natürliche  aber 
in  Absurdität  ausgeartete  Reaktion  gegen  die 
ungemessenen  Dosen  der  alten  Poly-Phar- 
makopie  erklären;  auf  demselben  Bestreben 
beruht  die  subkutane  Anwendungsweise  von 
Arzneimitteln,  sowie  die  Darreichung  der 
Alkaloide  anstatt  ihrer  Muttersubstanzen. 

Der  Zukunft  und  einer  besseren  Einsicht 
in  die  im  Organismus  sich  abspielenden 
chemischen  Reaktionen  ist  es  vorbehalten,  die 
Bildung  des  gewünschten  Heilmittels  so  oft 
wie  möglich  im  Körper  entstehen  zu  lassen, 
so  wie  ich  es  für  das  Jod  als  zweckdienlich 
oder  schädlich  hingestellt  habe.  Jetzt  schon 
darf  man  sagen,  daß  die  Heilsera  keine 
andere  Bedeutung  haben,  als  die  Erziel ung 
einer  chemischen  Reaktion  in  corpore  vivo  — 
die  Bildung  oder  Bindung  von  Stoffen,  mögen 
sie  Toxine  oder  Antikörper  genannt  werden. 
Auch  noch  in  anderer  Weise  könnte  die 
größere  Aktivität  des  im  Körper  selbst  ent- 
standenen Heilmittels  verwertet  werden!  Für 
die  Behandlung  der  Epilepsie  hat  man  eine 
chlorarme  Diät  (Milch)  während  einer  gewissen 
Zeitperiode  vorgeschlagen,  damit  das  Brom 
von  dem  Organismus  an  Stelle  des  verwandten 
Haloids  Chlor  mit  um  so  größerer  Gier  auf- 
genommen und  dergestalt  vollkommen  ausge- 
nutzt werde,  anstatt  mit  den  Dejektionen 
z.  T.  nutzlos  zu  verschwinden  oder  die  Magen- 
Darmschleimhaut  wie  Haut  bis  zur  Unver- 
träglichkeit zu  reizen.  Ähnlich  könnte  man 
bei  der  Jodbehandlung  der  Syphilis  Jod  in 
statu  nascendi  anstatt  der  gebräuchlichen  Jod- 
salze benutzen.  Die  praktische  Ausführbar- 
keit dieser  Methode  müßte,  ich  weiß  es  wohl, 
durch  zahlreiche  Laboratoriumsexperimente 
wie  durch  Beobachtungen  am  Kranken  aus- 
gelöst werden:  Erneute  Anregung  zu  solchen 
Arbeiten  gegeben  zu  haben,  war  der  Zweck 
dieser  Mitteilungen. 


Neuere  Arzneimittel. 


Isopliysostigmtn. 

Aus  dem  alkoholischen  Extrakt  der  Kalabar- 
bohne  geht  nach  Zusatz  von  überschüssiger 
Sodalösung  beim  Ausschütteln  in  Äther  das 
Physostigmin  (Eserin)  über,  während  ein  diesem 
chemisch  ähnliches  Alkaloid,  das  Isophyso- 
stigmin, weil  schwer  oder  garnicht  in  Äther 
löslich,  in  dem  Extrakte  zurückbleibt.  Vom 
Physostigmin  unterscheidet  sich  das  Isophyso- 
stigmin  ferner  durch  seinen  Schmelzpunkt,  der 
beim  Sulfat  bei  202°  liegt,  während  das  Physo- 
stigminsulfat  bei  140—142°  schmilzt.   Das  Platin- 


doppelsalz des  Isophysostigmins  ist  schwerer  lös- 
lich als  das  des  Physostigmins.  In  den  Lösungen 
des  Sulfates  erzeugt  Jodwasser  keinen  Nieder- 
schlag. 

Die  physiologische  Prüfung  ergab,  daß  das 
Isophysostigmin  bei  Kaltblütern  in  gleichem  Sinne 
wie  das  Physostigmin  wirkt,  dagegen  zeigten  bei 
Warmblütern  beide  Alkaloide  deutliche  Unter- 
schiede in  der  Wirkung.  Das  Isophysostigmin 
bewirkt  leichter  und  schon  in  kleineren  Dosen 
Darmbewegungen  und  normale  Kotentleerung 
resp.  Diarrhoe  als  Physostigmin;  da  auch  die 
subkutane  Darreichung   gut   vertragen   wird,   so 


XIX.  Jahrgang."] 
Jannar  19«»ft.    | 


Referate. 


39 


wäre    es   als   Eccoproticum    und   als   Mittel    zur  j 
Erhöhung   des  Darmwandtonus    beim   Menschen 

zu  versuchen.  I 

Wird  Isophysostigmin  in   0,1  proz.  Lösung 

in  den  Eonjunktivalsack  geträufelt,   so   tritt  die  [ 

Verengerung  der  Pupille  schneller  und  intensiver  I 

ein  und  hält  länger  an    als  nach  Einträufelung  i 

von    Phy 308 tigm insu lfat;     die    Myosis    läßt    sich  j 
ferner  leichter  durch  Atropin  beseitigen. 

Für   die   Augenpraxis    sind    Lösungen    von  I 


0,75  mg  :  10  Wasser  ausreichend;  dieselben  sind 
gleichfalls  gegen  Licht  empfindlich,  daher  in 
gefärbten  Gläsern  ev.  durch  geringe  Menge  Bor- 
säure angesäuert  aufzubewahren. 

Literatur. 

Aus    dem    Institute    für    Pharmakologie    und 

physiologische    Chemie    zu   Rostock.     Über    das 

Isophysostigmin.     Von    Prof.  Dr.   Ogiu    aus 

Japan.    Therapie  der  Gegenwart,  November  1904. 


Referate. 


Ober  die  häusliche  Behandlung  der  Tuberkulose. 

Von  Prof.  Vinoenz  Czerny. 

Glückliche  Erfolge  bei  schweren  Formen 
von  Tuberkulose  der  Lungen,  Gelenke  und 
Knochen  lassen  sich  bloß  durch  ein  zielbewußtes 
Ineinandergreifen  der  allgemeinen  mit  einer 
chirurgischen  Lokalbehandlung  erzielen  und  es 
muß  in  solchen  Fällen,  die  sich  über  Jahre  hin- 
ziehen, eine  fortgesetzte  häusliche  Behandlung 
die  zeitweise  notwendige  Anstaltsbehandlung 
unterstützen. 

In  erster  Linie  hebt  Czerny  die  Anregung 
der  Hauttätigkeit  zur  Hebung  des  Allgemein- 
befindens, des  Appetits  und  der  Ernährung  und 
zur  Verminderung  der  Neigung  zu  nächtlichen 
Schweißen  hervor.  Eantharidenpflaster ,  Senf- 
papier, Fontanellen,  Moxen,  Glüheisen,  Mittel, 
durch  die  unsere  Altvorderen  zweifellos  schöne 
Erfolge  erzielten,  ersetzt  Verf.  durch  methodische 
3  mal  wöchentliche  Einreibungen  von  Schmier- 
seife (nach  K oll  mann),  Krankenheiler  Seife 
No.  2,  oder  Abreibungen  mit  Seifenspiritus  mit 
nachfolgendem  lauen  Bad  oder  kalten  Über- 
gießungen. Bei  Gelenk-  und  Knochentuber- 
kulosen, die  nicht  schmerzhaft  und  nicht  ver- 
eitert sind,  empfiehlt  sich  die  Jodkalisalbe  in 
Verbindung  mit  Schmierseife;  die  Anwendung 
erfolgt  in  Gestalt  einer  leichten  Effleurage,  die 
später  zu  einer  mäßigen  Massage  gesteigert  werden 
kann.  Wenn  man  bei  Gelenkaffektionen  der 
Behandlung  ein  warmes  Bad  von  10  Minuten  | 
Dauer  mit  Zusatz  von  etwas  Pottasche  oder  Soda 
vorausschickt  und  zum  Schlüsse  das  Glied  mit 
einer  Trikotbinde  oder  bei  erhöhter  Lokal- 
temperatur mit  einem  Prießnitzumschlage  ver- 
sehen auf  einer  Schiene  bequem  lagert,  erlebt 
man  manchmal  die  Freude,  daß  eine  fast  verloren 
gegebene  Hand  oder  ein  seit  Wochen  schmerz- 
haftes und  steifes  Fußgelenk  wieder  gelenkig 
und  brauchbar  werden.  Resektionen  und  Ampu- 
tationen pflegt  Czerny  nur  im  Notfall  zu  machen. 
Bezüglich  der  Operationen,  die  in  häuslicher 
Behandlung  vorgenommen  werden  können,  be- 
merkt Verf.,  daß  er  die  Jodoformöl- Injektionen 
fast  ausschließlich  bei  kalten  Abszessen  nützlich 
gefunden  hat,  wo  also  die  Entleerung  des  Eiters 
erst  für  die  nachfolgende  Injektion  Platz  schafft, 
bei  parenchymatösen  Entzündungen  sind  l/Q  bis 
1%  Ortho-  oder  Trikresol- Injektionen  zweck- 
mäßiger.   Bei  ganz  umschriebenen  parartikulären 


tuberkulösen  Knochenherden  kann  manchmal 
eine  aseptische  Ignipunktur  oder  Punktion  mit 
dem  Bistouri  unter  nachfolgender  Ausschabung 
des  Herdes  gute  Erfolge  ergeben  und  ein  ge- 
fährdetes Gelenk  retten.  Auch  Knochen-  und 
Gelenkfisteln  werden  mit  dem  Lapisstifte  oder, 
wenn  sie  zu  eng  sind,  durch  die  mit  einem 
Höllensteintropfen  montierte  Knopfsonde  oder 
durch  Injektion  mit  Jodtinktur  oder  Höllenstein- 
lösung nicht  selten  zur  Heilung  gebracht.  Wenn 
bei  Gegenwart  von  Fisteln  lokale  oder  allgemeine 
Bäder  gegeben  werden  sollen,  empfiehlt  sich 
der  Zusatz  von  etwa  7a  %  Kochsalz  und  etwas 
Sublimat  oder  1  %  Lysol  zum  Badewasser. 

Für  die  tuberkulöse  Spondylitis  gelten  im 
wesentlichen  die  gleichen  Grundsätze,  wie  sie 
für  Knochen  und  Gelenke  skizziert  wurden.  Nur 
wird  man,  der  Dignität  des  im  Wirbelkanal  ein- 
geschlossenen Rückenmarkes  Rechnung  tragend, 
mit  einer  ambulanten  Behandlung  doppelt  vor- 
sichtig sein  müssen  und  im  Beginn  des  Leidens, 
bei  starken  Schmerzen,  Eiterbildung  und  Fieber 
die  horizontale  Lage  mit  Immobilisierung  und 
Distraktion  so  lange  festhalten,  bis  diese  Er- 
scheinungen sich  zurückgebildet  haben.  Eine 
vorsichtige  Korrektur  bei  gewissen  noch  plasti- 
schen Difformitäten  durch  massierendes  Streichen 
und  Distraktion  kann  nicht  nur  auf  die  Stellung, 
sondern  auch  auf  den  Heilungsprozeß  günstig 
einwirken,  wenn  das  Resultat  durch  einen  leichten 
und  gut  sitzenden  Gipsverband  eine  Zeitlang 
festgehalten  wird.  Um  auch  für  die  Spondylitis 
Einseifungen  und  Abwaschungen  der  Haut  nicht 
zu  lange  zu  entbehren,  werden  später  abnehm- 
bare Korsetts  erforderlich.  Bei  der  Drüsen- 
tuberkulose nützt  man  dem  Kranken,  wenn  die 
Drüsen  auf  eine  etwa  dreimonatliche  Behandlung 
nicht  zurückgehen  oder  sich  Zeichen  von  Er- 
weichung oder  Fiebererscheinungen  zeigen,  am 
meisten  durch  radikale  Operation  und  nach- 
folgende gute  Allgemeinbehandlung  im  ange- 
deuteten Sinne  unter  ständiger  ärztlicher 
Kontrolle. 

Gegen  die  gleichzeitige  Lungenaffektion 
verordnet  Czerny  2  mal  täglich  15  Tropfen 
Kreosot  und  Tinctura  gentianae  aa;  zum  Einatmen 
Oleum  pini  pumilionis,  von  dem  15 — 20  Tropfen 
auf  kochend  heißes  Wasser  geschüttet  und  früh 
und  abends  10  Minuten  lang  inhaliert  werden. 
Nebenher  sind  Gurgelungen  mit  Kochsalzwasser 


40 


Rafarate. 


rTherapeutlflcha 
L   Monatsheft«. 


oder  Emser  Wasser  zu  empfehlen.  Selbstver- 
ständlich dürfen  die  Ratschläge,Wohnung,  Lebens- 
weise und  Diät  nicht  in  den  Hintergrund  treten. 
Das  sonnigste  und  wärmste  Zimmer,  selbst  wenn 
es  unter  dem  Dache  gelegen  ist,  ist  das  beste 
für  den  Kranken;  mit  dem  Schlafen  bei  offenen 
Fenstern  wurden  oft  üble  Erfahrungen  gemacht. 
Eine  kräftige,  aber  leicht  verdauliche  animalische 
Hausmannskost  wird  von  Czerny  bevorzugt,  in 
der  Milchdarreichung  die  alte  Form  der  Milch- 
suppe mit  Zusatz  von  Salz,  geröstetem  Weißbrot, 
Maizena,  Mondamin,  Haferkakao  u.  dergl.;  aus 
dem  Teller  mit  dem  Löffel  gegessen,  nicht  aus 
dem  Glase  getrunken.  Die  von  manchen  Hydro- 
therapeuten  etwas  zu  einseitig  in  den  Vorder- 
grund gestellte  Kaltwasserbehandlung  ersetzt 
Verf.  durch  die  erwähnten  Abwaschungen  in 
Verbindung  mit  den  Seifeneinreibungen.  Mit 
Seebädern  ist  Vorsicht  geboten,  von  den  Sol- 
bädern bevorzugt  er  Tölz,  wenn  auch  hier  die 
von  den  dortigen  Ärzten  methodisch  ausgeübten 
Einseifungen,  dio  dem  Bade  vorausgeheu,  an  der 
Heilung  vielleicht  mehr  Anteil  haben  als  der 
gegenüber  andern  Solbädern  stärkere  Kochsalz- 
und  z.  T.  auch  Jodgehalt  des  Tölzer  Wassers. 

(Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose,  Bd.  1,  H.  2.) 

Eschle  (Sinsheim). 


(Au»  dem  pathol.  Institut  der  Universität  Bonn.     Direktor 
Geh.  Med.-Rat  Prof.  Kost  er). 

Ober   Ausheilung    großer    tuberkulöser    Lungen- 

kaverneo.  Von  Dr.  med.  Bernhard  Fischer, 

Assistent  am  Institut. 

In  dem  beschriebenen  Falle  lag  zwar  nicht 
eine  vollständige  histologische  Ausheilung  einer 
Lungentuberkulose  vor,  aber  es  ließ  sich  doch 
durch  die  makroskopische,  wie  die  mikroskopische 
Betrachtung  ein  sehr  starker  Rückgang  der 
tuberkulösen  Veränderung  fraglos  feststellen. 
Eine  Kaverne  im  rechten  Oberlappen,  die  früher 
diesen  ganz  oder  mindestens  zu  zwei  Dritteln 
eingenommen  hatte,  zeigte  sich  unter  reich- 
licher Bindegewebsentwickelung  und  Abkapselung 
kleiner  Herdchen  in  der  Schrumpfung  und  Ver- 
narbung begriffen.  Nur  hin  und  wieder  zeigten 
sich  in  den  derben  Bindegewcbszügen  schmale 
Streifen  von  Lungengewebe.  In  einem  entzündlich 
infiltrierten  Rest  desselben  fanden  sich  noch 
vereinzelte  typische  Tuberkel;  die  Lymphdrüsen 
waren  frei  von  Tuberkulose,  käsiger  Zerfall 
fand  sich  nirgends,  ebensowenig  waren  trotz 
aller  Bemühungen  Tuberkelbazillen  aufzufinden. 
Mit  diesem  Befunde  stimmt  die  klinische  Beob- 
achtung überein,  daß  7  Monate  vor  dem  unter 
den  Erscheinungen  hochgradiger  Dyspnoe  und  ' 
rechtsseitiger  Hemiplegie  erfolgten  Tode  die 
Bazillen  im  Auswurfe  schwanden  und  nicht  i 
wiederkehrten.  Die  Besserung  der  tuberkulösen 
Lungenerkrankung  war  trotz  der  Komplikationen  | 
mit  schwerer  chronischer  Nephritis  und  gleich- 
zeitigem  Bestehen  von  Syphilis  und  Potatorium 
eingetreten.  , 

Verf.  glaubt  nun,  die  eingeleitete  Ausheilung   I 
der   Kaverne    auf    den    schon    längere   Zeit    be- 
stehenden  vollständig   thrombotischen  Verschluß   i 
aller  zu  dem   erkrankten  Oberlappen   verlaufen-   I 
den  Äste   der   Pulmonararterie   zurückführen   zu   , 


müssen.  Ob  die  wandständigo  Thrombose  des 
rechten  Hauptastes  der  Lungenschlagader,  die 
sich  ausschließlich  in  die  sämtlichen  zum  Ober- 
lappen verlaufenden  Pulmonararterienäste  fort- 
setzte, autochthon  oder  embolisch  entstanden 
war,  ließ  sich  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden. 
Die  Pulmonalstenose,  die  die  Entwickelung 
der  Lungentuberkulose  ja  wesentlich  begünstigt, 
läßt  sich  nach  Fischer  nicht  zum  Vergleich 
heranziehen,  da  eine  Behinderung  des  Blut- 
zuflusses zu  beiden  Lungen  in  jeder  Hinsicht 
andere  Folgen  haben  muß,  als  ein  völliger  Ver- 
schluß einzelner  Gefäße  der  Lunge. 

(Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose  Bd.  J,  H.2) 

Eschle  (SinsJiciniJ. 

Kochs  Tuberkulin  und  seine  Anwendung  beim 
Menseben.  Von  Dr.  Joh.  Petruschky,  Dir. 
der  Hyg.  Unt.-Anst.  Danzig. 

Verf.  ist  der  Ansicht,  daß  beim  Menschen 
eine  positive  Tuberkulinreaktion  bei  Anwendung 
von  Dosen  bis  0,01  g  mit  wissenschaftlicher 
Sicherheit  Tuberkulose  anzeigt  (wobei  er  heftige 
und  länger  als  2  Tage  nach  der  Injektion 
dauernde  Fieberbewegungen  als  nicht  zur  Re- 
aktion gehörig  betrachtet,  sondern  auf  Mit- 
wirkung anderer  Ursachen,  Sekundärinfektion  etc., 
zurückführt!).  Auf  diese  Weise  glaubt  er 
54  Fälle  von  verdächtigen  „geschlossenen*  Tuber- 
kulosen ohne  Bazillenauswurf  —  auch  Skrofulöse 
gehört  nach  seiner  Ansicht  dazu  —  als  tuber- 
kulös diagnostiziert  zu  haben.  Er  hat  sie  des- 
halb der  Tuberkulin  b  eh  an  dl  ung  unterzogen 
und  zwar  mit  100  Proz.  Heilorfolg.  Bei  38  Fällen 
von  „offener"  Tuberkulose  mit  Bazillen auswurf 
erzielte  er  nur  40  Proz.  Heilung,  was  er  z.  T. 
auf  die  durch  Mischinfektionen  hervorgerufene 
Verschlimmerung  schiebt.  —  Daß  das  Tuber- 
kulin kein  unbedingt  sicheres  Reagens  auf  Tuber- 
kulose ist,  daß  es  versagt  in  Fällen,  wo  sie  un- 
zweifelhaft vorliegt,  während  die  Reaktion  oft 
eintritt,  wo  Tuberkulose  so  gut  wie  ausgeschlossen 
ist,  wurde  schon  von  vielen  Seiten  betont  (vgl. 
u.  a.  Ther.  Mon.  1904,  S.  101  f.,  Menzer,  Fort- 
schr.  d.  Medizin  1904,  No.  10  und  Smidt, 
Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  18).  Zur 
Erklärung  dieses  Umstandes  dienen  die  mehr- 
erwähnten Ausführungen  Rosen bachs  betr.  die 
verschiedene  Reaktion  der  einzelnen  mensch- 
lichen Organismen  auf  das  als  Fremdreiz  aufzu- 
fassende Tuberkulin  etc.  (Ref.) 

(Berliner  Klinik,  Jahrg.  1904,  H.  188.) 

Esch  (Bendorf). 


(Ans  der  kgl.  med.  UnlversitätBpolikUnlk  iu  Berlin. 
Direktor:   Geheimrat  Profexsor  Dr.  Senator.) 

Ober  den  gegenwärtigen  Stand  der  Kreosottherapie 
bei  Lungenschwindsucht.  Von  Dr.  Wilhelm 
Croner,  J.  Assistenten. 

Das  Kreosot  übt  bei  Lungentuberkulose, 
ohne  ein  Specific  um  zu  sein,  in  vielen  Fällen 
einen  günstigen  Einfluß  aus:  das  Sekret  wird 
vermindert,  der  Fortschritt  des  Prozesses  ge- 
hemmt und  zugleich  der  Appetit  und  die  Ver- 
dauung befördert.  Es  ist  demnach  indiziert  in 
denjenigen  Fällen,  die  mit  reichlicher  Sekretion 
und  darniederliegendem  Appetit  einhergehen  und 


XIX.  Jahrgang."! 
Jannar  1H05.  J 


Referate. 


41 


die  nicht  einer  Freiluftbehandlung  unterzogen 
werden  können.  Während  einer  Haemoptoe  oder 
beim  Bestehen  von  Fieber  setzt  Croner  die 
Kreosotbehandlung  aus,  um  nicht  zuviel  Arznei 
gleichzeitig  zu  reichen. 

Von  großer  Wichtigkeit  ist  die  Wahl  eines 
geeigneten  Präparates  Einige  Präparate  reizen 
bei  längerem  Gebrauch  die  Magenschleimhaut. 
Kreosot  in  Pillenform  zu  reichen  ist  unzweck- 
mäßig, da  die  Pillen  oft  ungelöst  abgehen.  Auch 
die  Darreichung  in  Lebertran  ist  zu  verwerfen, 
weil  häufig  Appetitstörungen  auftreten.  Ein 
gutes  Kreosotpräparat  soll  möglichst  lange,  ohne 
die  Magenschleimhaut  zu  reizen  und  ohne  Wider- 
willen zu  erregen,  genommen  werden  können. 
Zu  diesen  Präparaten  gehören  Kreosotal,  Eosot, 
Oeosot  und  Thiokol.  Diesen  Präparaten  ist  das 
Pneumin  an  die  Seite  zu  stellen:  es  ist  von 
geringem  Geruch,  kann  wochen-  und  monatelang, 
ohne  Magenbeschwerden  zu  erzeugen,  gereicht 
werden  und  ist  obendrein  ein  billiges  Mittel, 
das  Verf.  auf  Grund  mehrjähriger  Erfahrung  an 
nahezu  200  Tuberkulösen  empfehlen  kann. 
(BerL  klin.-therap.  Wochenschr.  No.  49,  1904.)      J. 

Tuberkulose   und   Röntgenstrahlen.     Von  W.  S. 

Newcomet  in  Philadelphia. 

Der  diagnostische  Wert  der  X-Strahlen  zur 
Erkennung  von  tuberkulösen  Herden  im  Lungen- 
gewebe ist  anerkannt.  Therapeutisch  haben  sich 
dieselben  bei  Hauttuberkulose  gut  bewährt,  jedoch 
bei  der  Lungentuberkulose  bisher  nicht.  — 
Newcomet  gibt  zwei  andere  Indikationen  für 
die  therapeutische  Verwertung  der  Röntgen- 
strahlen bei  der  Tuberkulose  an,  nämlich  die 
Kehlkopftuberkulose  und  die  Nachbehandlung 
exstirpierter  tuberkulöser  Lymphknoten.  —  Die 
Strahlen  werden  auf  den  Kehlkopf  von  der 
Außenseite  des  Halses  her  appliziert.  Zwei 
Patienten  wurden  so  behandelt,  und  zwar  in 
«twas  über  dreißig  Sitzungen.  Schon  innerhalb 
von  zwei  Wochen  verschwanden  Schmerzen  und 
Dysphagie.  Der  eine  Kranke  erlag  jedoch  der 
fortschreitenden  Lungentuberkulose.  —  Nach  der 
Exstirpation  tuberkulöser  Lymphknoten  am  Nacken 
•oder  am  Halse  bleiben  manchmal  hartnäckig 
•eiternde  Sinusse  übrig,  die  sehr  schwer  heilen. 
In  solchen  Fällen  hat  Newcomet,  allerdings 
auch  erst  nach  monatelanger  Behandlung,  glatte 
Heilung  erzielt. 

(Therapeutic  gasetle  1904,  No.5.) 

Classen  (Grube  i.  H.J. 

Serotherapie   des   Typhusfiebers.     Von   Professor 

Chantemesse. 

Seit  3l/a  Jahren  behandelt  Chantemesse 
seine  Typhuskranken  im  Hospital  der  Bastion  29 
mit  dem  von  ihm  dargestellten  antityphoiden 
Serum,  über  dessen  Gewinnung  er  im  Jahre  1897 
in  der  Societe  de  Biologie  und  ferner  auf  dem 
Hygienekongreß  zu  Madrid  im  Jahre  1898  de- 
taillierte Angaben  gemacht  hat.  Dasselbe  Serum 
worde  auch  im  Pariser  Krankenhause  Bretonneau 
und  im  Hospital  zu  Rouen  bei  im  ganzen 
220  Kranken  angewendet,  und  hier  ergab  es  eine 
Mortalität  von  etwas  über  vier  Proz.  In  vor- 
liegender  Arbeit  gibt  nun   Chantemesse   eine 


Übersicht  über  die  in  den  3'/2  Jahren  von  ihm 
erreichten  Erfolge.  .  Die  Durchschnittsmortalität 
an  Typhus  in  den  gesamten  Pariser  Kranken- 
häusern betrug  in  derselben  Zeit  18  Proz.  Und 
ganz  ebenso  groß  war  nach  den  Erhebungen  von 
Chantemesse  die  Mortalität  in  verschiedenen 
großen  Krankenhäusern  Deutschlands,  Österreichs 
und  Englands.  18  Proz.  betrug  also  ganz  all- 
gemein die  Mortalität  des  Typhus,  der  in  der 
gebräuchlichen  Weise  mit  kalten  Bädern  und 
internen  Medikamenten  behandelt  wurde.  Dem- 
gegenüber hatte  Chantemesse  bei  seinen  insge- 
samt 545  Typhuskranken  während  der  3ya  Jahre 
nur  29-  Todesfälle  gleich  vier  Proz.  Fürwahr  ein 
glänzender  Erfolg.  Chantemesse  unterzieht  nun 
die  speziellen  Ursachen,  denen  die  Todesfälle  zur 
Last  zu  legen  waren,  einer  eingehenden  Unter- 
suchung. Wir  gehen  hier  nur  auf  die  wichtigste 
dieser  Ursachen  ein,  die  Darmperforation.  Die  Sta- 
tistiken aus  Europa  und  Amerika,  die  darüber 
existieren,  zeigen,  daß  von  100  Kranken  2,6  eine 
Darmperforation  erleiden.  Von  den  545  Patienten 
Chantemesses  erkrankten  an  dieser  Kompli- 
kation nur  10  gleich  1,6  Proz.  Jedenfalls  spricht 
also  auch  diese  Zahl  nicht  zu  Ungunsten  des 
Serums.  Chantemesse  betont  aber, daß  er  niemals 
eine  Perforation  beobachtet  habe,  wo  das  Serum  in 
den  ersten  sieben  Krankheitstagen  injiziert  werden 
konnte.  Hieraus  würde  sich  ergeben,  daß  man 
auch  diese  schwere  Komplikation  vermeiden  kann, 
wenn  das  Serum  früh  genug,  d.  h.  in  der  ersten 
Krankheitswoche  injiziert  wird.  Das  Serum  übt 
nach  Chantemesse  eine  spezifische,  rapide  und 
energische  Wirkung  auf  die  Verteidigungsapparate 
des  Organismus  (Milz,  adenoides  Gewebe,  Knochen- 
mark) aus,  die  um  so  augenfälliger  ist,  je  früher  es 
zur  Anwendung  kommt,  und  um  so  weniger  her- 
vortritt, je  mehr  bereits  das  Nervensystem  der 
Kranken  unter  der  Typhusintoxikation  gelitten 
hat.  Die  Anwendung  des  antityphoiden  Serums 
setzt  eine  gewisse  Sachkunde  und  Erfahrung 
voraus.  Sie  ist  durchaus  verschieden  von  der 
des  Diphtherieheilserums.  Während  dieses  in 
um  so  größerer  Dosis  injiziert  werden  muß,  je 
schwerer  die  Diphtherie  ist,  sollen  gerade  von 
dem  antityphoiden  Serum  um  so  kleinere  Dosen 
angewendet  werden,  je  tiefer  der  Organismus  von 
den  Toxinen  des  Typhus  vergiftet  ist. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  86.) 

Ritterband  (Berlin). 

Weitere  Tatsachen  zu  Gunsten  einer  infektiösen 
Ursache  bei  der  Gicht,  Von  Chalmers 
Watson  in  Edinburg. 

Watson  demonstriert  seine  Ansichten  an 
der  Hand  mehrerer  mikroskopischer  Schnitte  von 
gichtischen  Gelenken  und  Knochen.  Aus  einigen 
ergibt  sich  die  Richtigkeit  der  Ebstein  sehen 
Ansicht,  daß  nämlich  die  Gewebsnekrose  der 
Ablagerung  von  Harnsäure  voraufgeht.  In  an* 
deren  Abbildungen  sieht  man  rundzellige  Infil- 
tration in  der  Umgebung  der  nekrotischen 
Stellen  und  das  Verhältnis  der  Nekrose  zu  den 
Blutgefäßen;  diese  sind  meistens  erweitert  und 
prall  mit  Blut  gefüllt.  Schließlich  zeigen  einige 
Schnitte  charakteristische  Veränderungen  des 
Knochenmarks:       Verdünnung       der      Knochen- 


42 


Referate. 


[Therapeutische 
L   Monatshefte, 


bälkchen,  Schwund  der  normalen  Markzellen  und 
deren  Ersatz  dnrch  Fett,  ausgedehnte  und  prall 
gefüllte  Blutgefäße.  Dazu  kommen  noch  gewisse 
Veränderungen  im  Blut  der  Gichtkranken,  auf 
die  Watson  schon  vor  einigen  Jahren  aufmerk- 
sam gemacht  hatte. 

Alle  diese  Tatsachen  aus  der  pathologischen 
Anatomie,  zumal  der  Umstand,  daß  die  groben 
Veränderungen  im  Knochenmark  ernster  zu  sein 
schienen  als  die  in  den  Gelenken,  führten 
Watson  zu  der  Ansicht,  daß  bei  der  Gicht  eine 
infektiöse  Ursache  mit  im  Spiele  sein  müsse, 
eine  Ansicht,  die  auch  durch  das  klinische  Bild 
des  akuten  Gichtanfalls  unterstützt  wird. 

(British  medical  Journal  1904,  16.  Juli.) 

Glossen  (Grübt  i.  H.J. 

(Aus  der  medissluischen  Universitätsklinik. in  Marburg. 
Direktor  Prot  Dr.  R  o  m  b  e  r  g.) 

Beobachtung  über  Kopliksche  Diazoreaktion  und 

Fieber  bei  Masern.  Von  Dr.  Otfried  Müller, 

Assistenzarzt  der  Poliklinik. 

„Wir  lernen  nicht  aus."  Das  können  wir 
uns  nicht  eindringlich  genug  sagen,  gerade  bei 
den  scheinbar  bekanntesten  Krankheiten.  Daher 
ist  es  sicherlich  ein  Verdienst  Rombergs,  an- 
geregt zu  haben,  daß  auch  wieder  mal  die 
Haupterscheinungen  bei  Masern  einer  Revision 
und  Kritik  unterzogen  werden,  und  dazu  bot 
6ich  im  Winter  1902/03  in  Marburg  eine  recht 
geeignete  Gelegenheit.  Müller  stellt  215  Masern- 
kranke seiner  poliklinischen  Beobachtung  auf 
und  zwar  Kinder  aller  Altersklassen  betreffend, 
105  Kinder  waren  unter  4  Jahre  alt.  Der 
Charakter  der  Epidemie  war  ein  gutartiger, 
76  Proz.  der  Fälle  verliefen  ganz  unkompliziert; 
6  Kinder  starben  und  zwar  an  Bronchopneumonie. 

Bezüglich  des  Fiebertypus  ließ  sich  hier 
das  alte  vielgelehrte  Wunderlichsche  Schema 
nicht  mehr  recht  festhalten,  wie  schließlich  über- 
haupt die  verschiedenen  Epidemien  verschiedene 
Fieberkurven  aufweisen  werden.  Bei  unkompli- 
zierten Fällen  tritt  allerdings  im  Beginne  des 
katarrhalischen  Stadiums  eine  rasche  Fieber- 
steigerung auf,  dieser  folgt  eine  1 — 2  tägige 
Intermission  und  nunmehr  tritt  ein  rasch,  aber 
absatzweise  ansteigendes,  ca.  4  Tage  dauerndes 
kontinuierliches  Fieber  ein,  das  meist  kritisch 
wieder  abfällt. 

Wichtig  und  darum  genauest  untersucht 
ist  die  Frage,  was  als  Frühsymptom  für  die 
Masern  zu  verwerten  ist. 

Die  Koplikschen  Flecke  sind  ein  Früh- 
symptom, sind  auch  in  reichlich  4/5  der  Fälle 
vorhanden,  häufig  schon  am  ersten  Krankheits- 
tage; sie  sind  aber  für  sich  allein  nicht  patho- 
gnomonisch  für  Masern,  da  sie  wiederholt  auch 
bei  Röteln  beobachtet  wurden.  —  Die  Diazo- 
reaktion im  Harn  tritt  aber  erst  mit  dem  Aus- 
bruch des  Exanthems  auf,  ist  dann  allerdings 
fast  ausnahmslos  nachweisbar. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  3.) 

Arthur  Rahn  (Collm). 

Die   Behandlung  seröser  Ergüsse.     Von    James 

Barr  in  Liverpool. 

Barr  versucht,  seröse  Ergüsse,  die  sich 
nach    der   Punktion    immer    wieder    ansammeln, 


durch  Einspritzung  von  Adrenalin  zu  be- 
kämpfen. Der  Gedanke,  dieses  Mittel  anzuwenden, 
kam  ihm  zuerst  bei  einem  metastatischen  Kar- 
zinom der  Pleura  (der  primäre  Tumor  saß  in  der 
Bauchhöhle),  wo  die  Flüssigkeit  blutig  gefärbt 
war  und  sich  so  schnell  wieder  ansammelte,  daß 
sie  alle  vier  Tage  abgelassen  werden  mußte. 
Nach  einmaliger  Einspritzung  von  ca.  30,0  einer 
0,1  proz.  Lösung  bildete  sich  kein  neuer  Erguß 
wieder. 

Dieser  Erfolg  ermutigte  ihn,  das  Mittel 
zunächst  in  einem  Falle  von  Ascites  bei  Leber- 
cirrhose  zu  versuchen.  Der  Erfolg  war  hier, 
wie  zu  erwarten,  nur  gering,  höchstens  sammelte 
sich  die  Flüssigkeit  langsamer  als  vorher  wieder 
an.  —  Günstiger  war  die  Wirkung  in  einem 
Falle  von  tuberkulöser  Perikarditis  bei  einem 
Knaben.  Die  Flüssigkeit  war  einmal  abgelassen. 
Als  einige  Tage  später  eine  zweite  Punktion 
nötig  wurde,  wurde  unmittelbar  darauf  2,5  g 
Adrenalinlösung  eingespritzt.  Alsbald  trat  Kollaps 
ein,  wahrscheinlich  infolge  von  Kontraktion  der 
Coronararterien.  Durch  sofortige  Injektion  von 
Nitroglyzerin  und  Atropin  gelang  es  jedoch,  die 
Gefahr  zu  beseitigen.  Die  Perikarditis  war  ge- 
heilt, insofern  sich  kein  neuer  Erguß  bildete. 

Schließlich  hat  Barr  das  Adrenalin  noch 
bei  seröser  Pleuritis  bei  demselben  Patienten 
und  in  einem  Falle  von  seröser  Peritonitis, 
gleichfalls  infolge  von  Tuberkulose,  angewandt, 
und  zwar  mit  demselben  guten  Erfolg. 

In  diesen  letzten  Fällen  hat  er  noch  eine 
Modifikation  angewandt,  nämlich  die  Injektion 
von  sterilisierter  Luft  unmittelbar  nach  dem 
Adrenalin.  Die  Luft,  die  sich  noch  mehrere 
Wochen  später  innerhalb  der  serösen  Höhle 
nachweisen  ließ,  soll  die  Bildung  von  Adhäsionen 
verhindern. 

Barr  bedient  sich  zur  Ausführung  seiner 
Methode  eines  besonderen  Instruments,  nämlich 
eines  Trokars,  der  zwei  seitliche,  mittels  Hahn 
verschließbare  Ansätze  enthält.  An  dem  einen 
wird  der  Heberschlauch  zur  Entleerung  der 
Flüssigkeit  angebracht;  durch  den  andern  wird 
die  Adrenalinlösung  sowohl  wie  die  Luft  ein- 
gespritzt. 

(British  medical  Journal  1904,  19.  März.) 

Classen  (Grübe  i.  H.). 

Zum  Coma  dlabeticnm  nach  Operationen.    Von 

Frauenarzt  Sintenis  in  Seebad  Pernau  (Liv- 
land). 

Verf.  sah  sich  bei  einem  langjährigen  Dia- 
betiker, welcher  trotz  ärztlich  geregelter  Diät 
und  Karlsbader  Kuren  stets  große  Zuckermengen 
hatte,  wegen  eines  Furunkels  am  Nacken  zu 
einer  zweimaligen  Inzision  genötigt.  Beide  Ein- 
griffe wurden  ohne  sonstige  Vorbereitung  unter 
Schleich  scher  Anästhesie  vorgenommen,  der 
erste  vor  eitriger  Einschmelzung  des  Pfropfes, 
der  zweite  bei  voller  Eiterung.  Nach  der 
zweiten  Operation  setzte  ein  schweres  Coma 
diabeticum  ein,  welches  in  10  Tagen  zum  Tode 
führte. 

(Deutsch,  med.  Wochenschrift  1903,  No.  42.) 

Wendel  (Marburg). 


XIX.  Jahrgang.! 
Jan  aar  1905.  J 


Referate. 


43 


Die  Punktion  des  Blinddarms  und  des  Wurm- 
fortsatzes. Von  Sir  William  Macewen  in 
Glasgow. 

Macewen  wendet  sich  mit  Entschieden- 
heit gegen  diejenigen  modernen  Chirurgen,  die 
der  Ansicht  sind,  daß  es  im  menschlichen  Orga- 
nismus überflüssige  oder  gar  unzweckmäßige 
Organe  geben  könne  und  daß  man  deshalb  ohne 
weiteres  berechtigt  sei,  solche  Organe,  zu  denen 
Blinddarm  und  Wurmfortsatz  gehören  sollen, 
mit  dem  Messer  zu  entfernen.  An  der  Hand 
der  vergleichenden  Anatomie  zeigt  er,  daß  bei 
den  fleischfressenden  Säugetieren  der  Blinddarm 
entweder  gänzlich  fehlt  oder  verkümmert  ist, 
weil  bei  ihnen  die  Verdauung  ausschließlich  im 
Magen  und  Dünndarm  vor  sich  geht;  daß  da- 
gegen der  Blinddarm  bei  den  Pflanzenfressern 
eine  ganz  außerordentlich  starke  Entwickelung 
zeigt,  also  offenbar  für  die  Verdauung  sehr 
wichtig  ist.  Da  nun  der  Mensch  sowohl  von 
pflanzlicher  wie  von  Fleischkost  lebt,  so  ist  es 
durchaus  natürlich,  daß  er  neben  Magen  und 
Dünndarm  auch  ein  Coecum  besitzt. 

Die  Erfahrung  der  Chirurgen  lehrt,  daß 
Patienten  nach  operativer  Entfernung  des  Blind- 
darms weiter  leben  können.  Macewen  hat 
jedoch  bei  einigen  von  ihm  selbst  operierten 
Patienten  festgestellt,  daß  sie  an  Neigung  zu 
Durchfällen  leiden,  die  nur  bei  strenger  Diät 
zu  beseitigen  ist,  und  daß  sie  trotzdem  schließ- 
lich in  ihrer  Ernährung  zurückkommen.  Auch 
hatte  Macewen  mehrmals  Gelegenheit,  am  frei- 
liegenden Darm  die  Funktionen  des  Coecum, 
des  Appendix  und  der  Ileocökalklappe  intra 
vitam  zu  beobachten.  Er  hat  dabei  gesehen, 
daß  die  jperistaltischen  Bewegungen  des  Coecum 
auftreten,  sobald  Speise  in  den  Magen  gelangt, 
also  offenbar  auf  reflektorischem  Wege  zustande 
kommen.  Bei  einem  Patienten,  dem  die  vordere 
Wand  des  Coecum  infolge  einer  Explosion  fort- 
gerissen war,  hat  er  die  Sekretion  der  Schleim- 
haut und  die  Funktionen  der  Ileocökalklappe 
genau  studieren  können,  zumal  der  Kranke  sich 
selbst  gerne  zu  den  Beobachtungen  hergab.  Die 
Klappe  dient  demnach  dazu,  den  Abfluß  des 
Dünndarminhalts  in  den  Dickdarm  zu  regulieren ; 
sie  schließt  und  öffnet  sich  auf  reflektorischem 
Wege;  Gemütsbewegungen,  wie  z.  B.  der  Empfang 
schlechter  Nachrichten  bei  jenem  Patienten,  wirken 
hemmend  auf  die  Sekretion  der  Blinddarmschleim- 
haut. Der  anatomische  Bau  der  Schleimhaut 
von  Coecum  und  Appendix  weist  durch  ihre 
zahlreichen  öezerni  er  enden  Follikel  darauf  hin, 
daß  diese  Organe  mehr  zur  Verdauung  als  zur 
Resorption  zu  dienen  haben.  Ohne  die  Mit- 
wirkung der  Blinddarmverdauung  würden  offen- 
bar große  Mengen  unverdauter  Speisen  in  den 
Dickdarm  übergehen. 

Aus  all  diesem  geht  hervor,  daß  Blinddarm 
und  Wurmfortsatz  eine  wichtige  Rolle  in  der 
Verdauung  zu  spielen  haben.  Die  Appendicitis 
ist  also  nicht  etwa  ein  Leiden,  welches  einer 
mangelhaften  Bildung  der  Verdauungsorgane 
entspringt,  sondern  es  entsteht,  wie  Macewen 
am  Schluß  launig  ausführt,  durch  die  Gedanken- 
losigkeit, mit  welcher  die  Menschen  heute  so 
oft  die  Speisen   in   den  Magen  stopfen.     In  der 


Urzeit  hatten  die  Menschen  mühsamer  um  ihre 
Nahrung  zu  sorgen,  empfanden  deshalb  jedesmal, 
wenn  sie  Speise  zu  sich  nahmen,  eine  größere 
Freude,  was  wiederum  einen  reichlicheren  Fluß 
der  Verdauungssäfte  zur  Folge  hatte  und  des- 
halb Verdauungsstörungen  nicht  so  leicht  auf- 
kommen ließ. 

(British  med.  Journal  1904,  8.  Okt.) 

Classen  (Orube  i.  H.J. 

Zur   Lehre   von   der   diuretlschen   Wirkung  des 
Theobromins.    Von  Vaclav  Plavec. 
Der  Verfasser  kommt  in  seiner  Abhandlung 

zu  folgenden  sehr  anfechtbaren  Schlüssen: 

1.  Das  Theobromin  bewirkt  bloß  bei  den- 
jenigen mit  Hydrops  behafteten  Kranken  eine 
bedeutende  Erhöhung  der  Diurese,  bei  denen 
die  Herztätigkeit  eine  ungenügende  war. 

2.  Das  Theobromin  ist  daher  kein  echtes 
Diureticum,  sondern  ein  Cardiacum,  das  auf  den 
Herzmuskel  einwirkt  und  die  Ausgiebigkeit 
seiner  Kontraktionen  erhöht.  Außerdem  werden 
die  Vasomotoren  durch  das  Theobromin  in  der 
Weise  beeinflußt,  daß  eine  mäßige  Blutdruck- 
erniedrigung entsteht;  dadurch  wird  die  Arbeit 
des  Herzens  wesentlich  erleichtert  und  zugleich 
die  Erhöhung  dieser  Arbeit  für  den  Beobachter 
mehr  oder  minder  verdeckt. 

3.  Die  Steigerung  der  Diurese  nach  Theo- 
bromin entsteht  infolge  der  Erhöhung  des  ge- 
samten Blutstromes  in  den  Nieren,  welche  durch 
die  Erweiterung  der  Nieren gef äße  bei  der  er- 
höhten Arbeit  des  Herzens  zustande  kommt. 

(Arch.  internat.  de  pharmacodynamie  et  de  therapie, 
Vol  XIII,  p.  275.)  Dr.  Impens  (Elberfeld). 

Die  Wirkung  des  Baldrians.    Von  H.  Kionka. 

Nach  dem  Verfasser  hat  die  Droge  folgende 
Wirkungen: 

1.  Eine  erregende  Wirkung  auf  die  Psyche. 

2.  Eine  erregende  Wirkung  auf  das  Zen- 
tralnervensystem in  kleinen  Dosen. 

3.  Nach  großen  Dosen  eine  zentrale  moto- 
rische und  sensible  Lähmung  und  auch  Hebung 
der  Reflextätigkeit.  Letztere  kann  gelegentlich 
auch  schon  nach  kleineren  Gaben  angedeutet  sein. 

4.  Eine  blutdrucksteigernde  Wirkung  in 
kleinen  Dosen,  bedingt  einerseits  durch  eine 
Wirkung  auf  die  Vasomotion,  andrerseits  durch 
eine  erregende  Wirkung  auf  die  Herztätigkeit 
selbst. 

5.  Eine  blutdrucksenkende  Wirkung  in 
großen  Dosen,  bedingt  durch  vasomotorische 
Lähmung    und   durch   Schädigung   des  Herzens. 

6.  Kurz  dauernde  Senkungen  des  Blut- 
drucks in  regelmäßigen  Intervallen,  schon  nach 
kleinen  Dosen.  Diese  sind  bedingt  durch  mo- 
mentane Erweiterungen  der  peripherischen  Gefäße. 

Die  Baldriansäure  besitzt  diese  Wirkungen 
nicht.  Sämtliche  aus  der  gesamten  Droge  her- 
gestellten Präparate  zersetzen  sich  aber  in  sehr 
kurzer  Zeit  beim  Stehen  an  der  Luft  und 
werden  sauer.  Dadurch  nimmt  ihre  Wirksam- 
keit ab  und  aus  diesem  Umstände  mögen  sich 
wohl  die  häufigen  Mißerfolge  erklären,  welche 
bei  Verwendung   derartiger  Präparate   eintreten. 


44 


Referate. 


rherapentitebe 
Monatshefte. 


Die  synthetisch  hergestellten  Ester  der  Bal- 
driansäure, wie  Bornyval,  Validol,  besitzen  die 
charakteristischen  Eigenschaften  der  Gesamtdroge. 
Sie  zersetzen  sich  aber  ebenso  leicht  und  zer- 
fallen nach  längerem  Stehen  in  ßaldriansäure 
und  den  entsprechenden  Alkohol. 

Die  Baldriansäureamide,  unter  andern  das 
Diätlylamid  oder  Valyl,  sind  viel  beständiger. 
Das  Valyl  hat,  nach  Kionkas  Untersuchungen, 
die  pharm akodynamische  Wirksamkeit  des  Bal- 
drians, und  da  es  sehr  haltbar  ist,  muß  es  als 
das  zur  therapeutischen  Verwendung  brauchbarste 
Präparat  bezeichnet  werden.  (Referent  möchte 
hierzu  bemerken,  daß  die  Baldriansäure -Ester, 
wenn  sie  auch  mit  der  Zeit  ein  wenig  sauer 
werden,  doch  recht  brauchbare  Präparate  sind, 
da  nur  ein  geringer  Teil  der  Spaltung  unter- 
liegt. Bei  der  Höhe  der  angewandten  Dosen 
kann  man  diese  Zersetzung  als  belanglos  be- 
trachten). 

(Arch.   iniern.  de  pharmacodynamie  et   de    thcrapie, 
VoL  XIII,  p.  215.)  Dr.  Impens  (Elberfeld). 


Pharmakologische  und  pharmakodynamische  Sta- 
dien über  Succus  Valerianae.  (£tude  pharma- 
cologique  et  pharmacodynamique  du  suc  de 
▼aleriane.)  Par  le  Professeur  Pouchet  et  le 
Dr.  Chevalier. 

Die  Valeriana  ofncinalis  mit  den  in  ihrer 
Wurzel  enthaltenen  zahlreichen  wirksamen  Be- 
standteilen gehört  seit  lange  zu  den  besten 
antispasmodischen  Mitteln.  Über  den  Wert  und 
die  Bedeutung  der  einzelnen  aktiven  Bestand- 
teile herrschen  noch  verschiedene  Ansichten, 
und  neue  Präparate  tauchen  fortwährend  auf. 
Neuerdings  haben  Pouchet  und  Chevalier  ein 
neues  Baldrianpräparat  (Succus  Valerianae)  her- 
gestellt, das  sich  vor  allen  bekannten  Präparaten 
durch  Konstanz  und  Wirkungsweise  auszeichnen 
soll.  Dieser  Saft  ist  aus  der  wildwachsenden 
Pflanze,  gleich  nach  ihrer  Blütezeit  (wo  die 
Wurzel  bekanntlich  am  reichsten  an  aktiven 
Stoffen  ist)  gewonnen.  Er  stellt  eine  klare, 
gelbbraune  Flüssigkeit  von  schwach  aromati- 
schem, nicht  unangenehmem  Geschmack  dar. 
36  Tropfen  oder  1,0  g  dieses  Saftes  entsprechen 
genau  1,0  g  der  frischen  Baldrianwurzel.  Die 
an  Thieren  und  Menschen  angestellten  Versuche 
ergeben,  daß  er  allen  andern  Präparaten  über- 
legen ist,  und  diese  Überlegenheit  verdankt  er 
der  Art  der  Darstellung.  Man  giebt  2,0 — 4,0 
und  selbßt  6,0  g  pro  die. 

(Les  Nouveaux  Rentides  4  \  1904.)  R. 

Schwarzwerden  des  Penis  nach  Antipyrin  (Verge 
noir  par  eruption  antipyrinique).  Von  Dr. 
H.  Malherbe. 

Auf  eine  noch  wenig  bekannte  Erscheinung 
nach  Antipyringebrauch,  das  Schwarzwerden  des 
Penis  („verge  noir")  hat  Fournier  (1890)  in 
der  Societe  de  Dermatologie  hingewiesen.  Es 
handelt  sich  um  schwarze  Flecken,  die  den  Penis 
wenige  Stunden  nach  Aufnahme  von  Antipyrin 
bedecken.  Über  einen  derartigen  Fall  berichtet 
Malherbe  in  der  Gazette  med.  de  Nantes  vom 
18.  Juni.  Ein  30  Jahre  alter,  an  frischer  Syphilis 
leidender    Mann     behandelt     seine    häufig    auf- 


tretenden Migräneanfälle  mit  1,0  —  2,0  g  Anti- 
pyrin. So  nimmt  er  auch  am  24.  April  gegen 
Mittag  1,5  g  Antipyrin,  worauf  die  Migräne 
schwindet.  Abends  6  Uhr  bemerkt  er  beim 
Urinieren,  daß  sein  Penis  ganz  schwarz  geworden 
ist.  In  dem  Glauben,  daß  diese  Erscheinung 
eine  Folge  der  Syphilis  sei  und  daß  der  Penis 
nun  gangränös  geworden,  eilt  Pat.  entsetzt  zu 
seinem  Arzte.  Dieser  konstatiert,  daß  der  Penis 
in  Bezug  auf  Umfang  und  Aspekt  normal  ist 
bis  auf  die  Dorsalfläche  der'  Glans.  Daselbst 
breitet  sich  ein  kreisförmiger  blauschwarzer  Fleck 
von  der  Größe  eines  Zweimarkstückes  aus.  Trotz 
dieser  Verfärbung  ist  die  Hautbedeckung  von  nor- 
maler Konsistenz  und  am  Körper  nirgends  eine 
ähnliche  Veränderung  nachzuweisen.  —  Mal- 
herbc  erinnerte  sich  der  diesbezüglichen  Mit- 
teilung von  Fournier  und  stellte  sofort  die 
richtige  Diagnose.  Derartige  Eruptionen  ver- 
schwinden von  selbst,  aber  sehr  langsam.  Die 
schwarze  Verfärbung  ist  nach  Mal  herbe  durch 
eine  starke  Kongestion  mit  nachfolgender  Ekchy- 
mose  verursacht. 

(Nach  Le  Progrcs  med.  1904,  No.  21.)  R. 

Ober  Klyatier Verletzungen.  Von  Prof.  Dr.  A.  Cahn, 
Straßburg. 

Cahn  hält  es  für  angezeigt,  auf  die  Bedeutung 
der  Klystierverletzungen  aufmerksam  zu  machen, 
weil  er  recht  schwere  Fälle  dieser  Art  gesehen 
und  beobachtet  hat,  daß  dieselben  von  den  Ärzten 
nicht  als  Klystierverletzung  erkannt,  sondern  als 
etwas  ganz  Außergewöhnliches  betrachtet  wurden. 
Über  mehrere  hierher  gehörige  Fälle  wird  ein- 
gehend berichtet.  In  den  geschilderten  Beob- 
achtungen sind  auch  die  schwer  befallenen  Pa- 
tienten schließlich  mit  dem  Leben  davongekommen. 
Es  steht  jedoch  zweifellos  fest,  daß  derartige 
Klystierverletzungen  auch  direkte  Todesursachen 
werden  können.  Wie  viele  verkannt  werden 
mögen,  entzieht  sich  jeder  Vorstellung.  Bei 
proktitischen  und  paraproktitischen  Eiterungen 
wird  von^  den  Ärzten  gerade  an  diese  nächst- 
liegende Ätiologie  nicht  oder  nur  widerstrebend 
gedacht.  Es  wäre  gewiß  eine  nützliche  Aufgabe, 
den  vielen  schädlichen  anderweitigen  Folgen  von 
schlecht  gegebenen  Kly stieren  einmal  nachzu- 
gehen (Proktitis  und  Kolitis,  manche  Afterfissuren 
und  Prolapse  u.  s.  w.).  —  Man  soll  darauf  achten, 
daß  eine  feste  Kanüle  mit  dem  Flüssigkeitsbe- 
hälter durch  ein  biegsames  Zwischenstück  ver- 
bunden, niemals  direkt  angesetzt  werde.  Cahn 
verbietet  alle  Spritzen,  an  welche  gerade  oder 
gebogene  Ansätze  befestigt  sind,  selbst  für  die 
kleinen  medikamentösen  (Glyzerin-  etc.)  Lave- 
ments.  Entweder  es  wird  zwischen  Kanüle  und 
Behälter  ein  Stück  Gummischlauch  eingeschaltet, 
oder  es  wird  eine  weiche,  leicht  biegsame  Kanüle 
aufgesetzt.  Was  die  Afterkanülen  selbst  anlangt, 
so  ist  es  ein  Irrtum,  anzunehmen,  daß  dünne, 
enge  Rohre  sich  leichter  einführen  lassen  als 
dicke.  Es  hat  große  Mühe  gekostet,  bis  unsere 
Instrumentenmacher  uns  endlich  weiche,  dicke 
Rohre  beschafften,  gestaltet  wie  das  Ende  eines 
Magenschlauches;  eine  Länge  von  15 — 20  cm 
genügt  durchaus  auch  für  sog.  hohe  Klystiere. 
Steife    und    halbsteife   Röhren   gibt  Cahn    dem 


XIX.  Jahrgang.*! 
Januar  ltfOS.  J 


Referate. 


45 


Wartepersonal  niemals  in  die  Hand.  Wenn  man 
harte  Ansätze  geben  will,  die  sich  ja  entschieden 
leichter  einführen  lassen,  so  wähle  man  dieselben 
dick  mit  dicker  Olive  und  kurz.  Sie  sollen 
nicht  weiter  eingeführt  werden,  als  nur  ein  wenig 
über  den  äußeren  Schließmuskel  hinauf;  das 
Stück,  welches  draußen  bleibt,  soll  so  kurz  sein, 
daß  an  demselben  nicht  hin-  und  hergedreht 
und  bewegt  werden  kann.  Gibt  man  dem  Warte- 
personal  und  den  Patienten  nur  diese  Weich- 
gummiröhren und  die  kurzen,  dicken  Kanülen, 
verbannt  man  die  spitzen,  dünnen,  die  knie- 
förmigen  und  gebogenen,  in  ihrer  Lage  schwer 
kontrollierbaren  Ansätze  so  wird  man  keine 
Verletzungen  zu  beklagen  haben.  —  „Die  alte 
Klystierspritze  aber  mit  ihrem  festgeschraubten 
dünnen  Rohr  gehört  ins  Museum." 

(Straßburg.  med.  Zeitung,  Juni  1904).  R. 

l,  Erfahrungen  über  die  Verwendung  von  Neben- 
nierenanbatanzen  zur  örtlichen  Analgeaie- 
rung.  Von  Dr.  S  aleck  er,  Assistenzarzt  in 
Dieuze.  Deutsche  Militärärztliche  Zeitschrift 
No.  11,  1904.    S.-A. 

a.  Beobachtungen  über  die  Anwendung  von 
l-Eukain  und  Adrenalin  als  Mittel  zur  Er- 
zeugung lokaler  Anästhesie.  (Observation  on 
the  Use  of  Eucaine  ß  and  Adrenalin  as  a 
means  of  Inducing  Local  Anaestbesia.)  By 
George  L.  Chiene,  F.  R.  C.  S.  Assistant  Sur- 
geon,  Royal  Infirmery,  Edinburgh.  The  Scot- 
tish  Medical  and  Surgical  Journal.  Vol.  XV, 
No.  3,  September  1904. 

3.  Ober  Spinalanalgeale.  Von  Dr.  M.  Silbermark, 
Assistent  an  der  IT.  chirurg.  Abteilung  des 
k.  k.  Allgemeinen  Krankenhauses  (Vorstand 
Hofrat  Prof.  Dr.  A.  Ritter  von  Mosetig-Moor- 
hof).  Wiener  klin.  Wochenschr.  Jahrg.  XVIJ, 
No.  46,  November  1904. 

1.  Dr.  S alecker  hat  sich  in  etwa  40  Fällen 
des  Braun  sehen  lokalen  Anästhesierung -Ver- 
fahrens bedient,  jedoch  mit  der  Abänderung, 
daß  er  statt  des  Kokains  sich  des  viel  weniger 
(YJ  toxischen,  billigeren  und  infolge  seiner  un- 
begrenzten Widerstandsfähigkeit  gegen  Siedehitze 
bequemeren  yS-Eukains  bediente. 
Die  verwendete  Lösung: 

Rp.  Eucaini  ß  0,2 

Natr.  chlorat.    0,15 

Aq.  dest.  20,0 
welche  vor  der  Injektion  in  der  Pravaz-Spritze 
mit  0,1  cem  einer  1  prom.  Adrenalin-Takamine- 
oder  Suprarenin -Höchst -Lösung  gemischt  wird, 
zeigte  eine  sehr  prompte  Wirkung,  die  sich  in 
nichts  von  der  des  Kokains  unterschied.  Als 
höchste  Grenze  der  schadlos  zu  verwendenden 
Adrenalindosis  muß  nach  Braun  0,5  mg  ange- 
nommen werden,  Eukain  ß  darf,  ohne  zu  un- 
angenehmen Zufällen  Anlaß  zu  geben,  bis  0,1  g 
gegen  0,03  g  Kokain  verabreicht  werden.  Verf, 
beschreibt  an  einer  Reihe  von  Operationen,  wie 
z.  B.  Behandlung  von  Panaritien,  wofür  aller- 
dings auch  das  Oberstsche  Verfahren  gut  ver- 
wendbar ist,  Inzision  von  Karbunkeln,  wobei 
neben  der  Unterspritzung  auch  noch  eine  rhom- 
bu8förmige  Umspritz ung  des  Operationsgebietes 
zur  Unterbrechung  der  Nervenleitung  ratsam  ist, 
Entfernung    eines    Mammafibroms,    Exstirpation 


von  Atheromen,  kleine  Knochenoperationen  etc., 
die  stets  sehr  einfache  Anästhesierungstechnik. 
Da  sich  zu  der  vollständigen  Analgesie  auch 
noch  fast  komplete  Blutleere  gesellt,  ist  das- 
Verfahren  an  sehr  blutreichen  Organen,  wie  dem 
Penis  u.  a.  m.,  ganz  besonders  wertvoll.  Miß- 
erfolge sah  Verf.  nur,  trotz  strikter  Innehaltung 
der  hierfür  gegebenen  Vorschriften,  bei  Zahn- 
extraktionen im  Unterkiefer,  welche  er  durch 
den  tiefen  Verlauf  der  Nn.  alveolares  inff.  für 
erklärt  hält. 

Verf.  prüfte  auch  im  Selbstversuch  und  an 
Patienten  die  von  Braun  angegebene  regionäre 
Anästhesie  für  Fuß  und  Hand  durch  Leitungs- 
unterbrechung der  betr.  Nerven.  Das  vor- 
liegende Material  ist  jedoch  noch  zu  gering,  um 
Schlüsse  über  den  Wert  dieser  Methode  ziehen 
zu  können. 

Üble  Nachwirkungen,  wie  Nachblutungen 
Störungen  des  Wundverlaufs  oder  allgemeine 
Vergiftungserscheinungen  traten  niemals  ein. 
Der  Wundschmerz  war  bei  Anwendung  der  oben 
angeführten  isotonischen  Lösung  auffallend  gering. 
Verf.  kommt  durch  Vergleichung  mit  den  übrigen 
bekannten  Analgesierungsmethoden  zu  folgendem 
Resultate; 

„Die  Eukain- Adrenalin-Anästhesie  ist  ein 
gefahrloses  Verfahren,  das  die  soeben  geschilderten 
Nachteile  (der  anderen  Methoden)  nicht  besitzt. 
Die  Analgesie  ist  absolut,  die  Wirkung  geht 
sowohl  in  Bezug  auf  Fläche  wie  Tiefe  weit  über 
den  Injektionsbezirk  hinaus;  bei  lokaler  Anwen- 
dung tritt  fast  vollkommene  Anämie  des  Ope- 
rationsgebietes ein,  ohne  daß  die  Gefahr  der 
Nachblutung  besteht;  die  Dauer  der  Analgesie 
beträgt  mehrere  Stunden,  die  Technik  ist  ein- 
fach, die  Struktur  der  injizierten  Gewebe  bleibt 
unverändert.  —  Will  man  nicht  Enttäuschungen 
erleben,  so  wird  man  das  Verfahren  auf  die 
chirurgische  Behandlung  möglichst  umschriebener 
Affektionen  beschränken  müssen.  Man  wird  es 
nicht  anwenden  bei  flächenhaft  sehr  ausgedehnten 
Operationen  und  bei  den  langdauernden  Ein- 
griffen der  großen  Chirurgie.  Bei  größeren 
Knochenoperationen  verbietet  sich  die  Anwendung 
aus  physischen  Gründen." 

Verf.  berichtet  in  einem  Nachwort  über 
einige  kleinere  Knochenoperationen,  Exartikula- 
tion  und  partielle  Resektion  von  Fingerphalangen, 
welche  unter  obigem  Verfahren  schmerzlos  aus- 
geführt wurden,  und  rät  zum  Versuche  bei 
Empyemoperationen. 

2.  Eine  solche  nun  wurde  von  G.  L.  Chiene 
unter  Eukain  y9-Adrenalin- Anästhesie  ausgeführt. 
In  einem  Falle  von  Empyem  bei  einem  16jähr. 
jungen  Manne,  bei  dem  schon  20  Punktionen 
vorgenommen  worden  waren,  mußte  eine  Rippen- 
resektion ausgeführt  werden.  Allgemeine  Nar- 
kose war  kontraindiziert.  Verf.  ging  derart  vor, 
daß  er  30  Tropfen  einer  Lösung,  welche  aus 
2l/2  proz.  Eukain  /9-Lösung  und  1  prom.  Adre- 
nalinchlorid-Lösung im  Verhältnis  1  :  4  bestand,, 
subkutan  über  der  zu  resezierenden  Rippe  inji- 
zierte, nach  12  Minuten  wurde  operiert  und, 
nachdem  das  Periost  noch  besonders  unterspritzt 
worden  war,  der  Eingriff  absolut  schmerzlos  und 
ohne  Blutungen  beendet.    Bei  anderen  Eingriffen 


46 


Referate. 


[TherapeutUefee 
Monatshefte. 


erwies  sich  obige  Lösung  gleichfalls  als  aasge- 
zeichnetes lokales  Anaestheticum.  Als  gute  Form 
für  ein  stets  wirksames  frisches  Adrenalinpräpa- 
rat, einen  für  dos  Zustandekommen  der  An- 
ästhesie u.  s.  w.  wichtigen  Faktor,  empfiehlt  Verf. 
die  Burough  -Wellcomeschen  Soloide,  welche 
sowohl  als  reines  Nebennierenpräparat  wie  auch 
gleich  in  verschiedenen  Kombinationen  mit 
j#-Eukain  geliefert  werden. 

3.  Der  dritte  Autor,  Dr.  Silbermark, 
schließlich  liefert  nach  seinen  Erfahrungen  an 
dem  reichen  Material  der  Mosetigschen  Klinik 
einen  wichtigen  Beitrag  zu  der  viel  umstrittenen 
Frage  der  Rückenmarksanästhesie.  Die  Technik 
des  vom  November  1903  bis  September  1904  in 
205  Fällen  angewandten  Verfahrens  war  stets 
folgende:  Nach  gründlicher  Säuberung  des  Ein- 
stichgebietes wurde  in  der  Position  nach  Tuffier 
(sitzend)  eine  vorn  halbkreisförmig  abgeschliffene, 
mit  einem  Stachel  armierte  Kanüle  zwischen  4. 
und  5.  Lendenwirbel  eingestochen.  Die  richtige 
Stelle  läßt  sich  leicht  ermitteln,  wenn  man  sich 
jederseits  die  höchsten  Punkte  der  Crista  ilei 
durch  eine  Linie  verbunden  denkt  und  f/3  cm 
nach  rechts  und  unten  von  der  Mittellinie  die 
Kanüle  nach  innen  und  oben  einsticht.  Das 
Durchstechen  des  gelben  Bandes  wird  vom  Ope- 
rateur deutlich  wahrgenommen. 

Wenn  bei  diesem  Vorgehen,  was  fast  immer 
eintritt,  Liquor  entströmt,  kann  zur  Einspritzung 
des  Anaestheticums  geschritten  werden.  Als 
solches  wurde  mit  Ausnahme  von  5  Fällen,  wo 
Tropakokain,  welches  sich  jedoch  als  weniger 
wirksam  erwies,  Anwendung  fand,  erst  Eukain 
und,  als  dieses  vom  Markte  verschwand,  stets 
(183  mal)  y9-Eukain  verwendet. 

Vom  Kokain  wurde  infolge  seiner  enormen 
Giftigkeit  von  vornherein  zu  Gunsten  dieses  viel 
ungiftigeren  und  dabei  gleich  wirksamen  Ersatz- 
mittels Abstand  genommen.  Das  Eukain  ß  wurde 
in  3prozentiger  Lösung  bis  zur  Menge  von  2  cem, 
einem  völlig  ausreichenden  Quantum,  injiziert. 
Wesentlich  ist  es,  stets  frisch  bereitete  Lösungen 
zu  verwenden,  da  ältere  Lösungen  die  Stärke 
und  Länge  der  bei  guter  Lösung  bis  zu  1  Stunde 
45  Minuten  dauernden  Analgesie  beeinträchtigen. 
Beckenhochlagerung  post  injeetionem  ist  zu  ver- 
meiden, da  diese  zu  Störungen,  die  auf  bulbäre 
Reizungen  zurückzuführen  sind,  Anlaß  geben 
kann.  Fünf  Minuten  nach  der  Einspritzung  kann 
mit  der  Säuberung  des  Operationsterrains,  nach 
weiteren  zehn  Minuten  mit  der  Operation  be- 
gonnen werden.  Da  mit  Ausnahme  von  drei 
Fällen  stets  Motilität  und  taktile  Empfindlichkeit 
der  beeinflußten  unteren  Körperhälfte  erhalten 
war,  tritt  Verf.  für  den  Ausdruck  Spinalanalgesie 
gegenüber  dem  alten   der  Lumbalanästhesie  ein. 

Was  nun  Nebenwirkungen  der  /9-Eukain- 
Spinalanalgesie  betrifft,  so  traten  solche  in 
159  Fällen  (79,5  Proz.)  überhaupt  nicht  ein, 
die  41  mal  beobachteten  Störungen  —  in  drei 
Fällen  nämlich  konnte  auf  diesem  Wege  keine 
Analgesie  erreicht  werden,  und  es  mußte  zur 
Inhalationsnarkose  geschritten  werden  —  ver- 
teilen sich  auf  166  Operationen  bei  Männern  34, 
23  bei  Frauen  3  und  auf  11  bei  Kindern  4  mal. 
Diese  Störungen    bestanden    in   5  Kollapsfällen, 


5  maligem  Brechreiz,  Imal  andauerndem  Sin- 
gultus,  2  mal  Muskelzittern  und  in  sechs  Fällen 
von  zu  kurz  dauernder  Analgesie.  Hierbei  muß 
sofort  erwähnt  werden,  daß  vorher  eingeleitete 
Spinalanalgesie  keine  Kontraindikation  für  nach- 
herige Chloroformierung  abgibt,  sondern  im 
Gegenteil  in  solchen  Fällen  schon  Vorhalten  der 
mit  Chloroform  befeuchteten  Maske  genügt,  den 
Patienten  einzuschläfern  und  das  erwähnte  Muskel- 
zittern und  den  Singultus  zum  Schwinden  zu 
bringen,  in  den  Fällen  nicht  ausreichender  Anal- 
gesie vom  Rückenmarkskanal  aus  genügte  stets 
die  Verwendung  von  5  cem  Chloroform  in 
maximo,  um  gute,  von  postnarkotischen  unan- 
genehmen Zufällen  freie  Betäubung  zu  erzielen. 
Tagelang  andauernder  quälender  Kopfschmerz 
und  Aufregungszustände,  wie  sie  die  mit  Kokain 
arbeitenden  Autoren  schildern,  wurde  nach 
Eukain  y9- An  wen  düng  fast  nie  beobachtet,  nur 
ein  ganz  verschwindender  Bruchteil  der  Patienten 
klagte  überhaupt  über  Kopfschmerz  post  Opera- 
tion em,  eine  einzige  junge  Patientin  bezeichnete 
sie  als  unerträglich.  Von  Nachwirkungen  wären 
noch  vorübergehende  Harnverhaltung  und  Tempe- 
ratursteigerung zu  erwähnen. 

Die  unter  Spinalanalgesie  ausgeführten  Ope- 
rationen waren: 

100  Radikaloperationen  von  Inguinalhernien, 
14  Pfeilernähte, 

4  Radikaloperationen  von  Schenkelhernien, 
1  Verlagerung  von  Kryptorchismus, 
1  Fremdkörper-Exstirpation, 
1  Lymphdrüsenexstirpation, 
33  Operationen  an   den  Geschlechtsteilen,) 
19  Operationen    am    Anal-    und    Rectum- 

gebiet  und 
42  Eingriffe   (Amputationen  etc.)    an    den 
unteren  Extremitäten. 

Was  schließlich  Indikation  und  Kontraindi- 
kation dieses  Verfahrens  zur  Bekämpfung  des 
Operationsschmerzes  betrifft,  so  gibt  es  nach 
Erfahrung  des  Autors  nur  einen  Umstand,  der 
die  Spinalanalge6ie  strikt  verbietet  i.  e.  ein  Alter 
des  Patienten  unter  10  Jahren,  eine  relative 
Gegenanzeige  ist  Alter  zwischen  10  und  16  Jahren 
und  starkes  Potatorium,  welche  letztere  ja  be- 
kanntlich   auch    für  die  Inhalationsnarkose  gilt. 

Andere  pathologische  Zustände,  wie  Arterio- 
sklerose, Tabes,  Vitien,  Lungenerkrankungen, 
hohes  Alter  und  herabgekommene  Körperkraft, 
bieten  durchaus  keine  Kontraindikation,  im  Gegen- 
teil verläuft  gerade  bei  alten  dekrepiden  Patienten 
die  Spinalanalgesie  sehr  gut  und  frei  von 
Störungen. 

Verf.  faßt  nach  kritischer  Sichtung  seines 
Materials  unter  Berücksichtigung  der  Statistiken 
über  Inhalationsnarkose  seine  Erfahrungen  mit 
der  Eukain  ß- Spinalan algesie  folgendermaßen  zu- 
sammen : 

„1.  Die  Spinalanalgesie  ist  nicht  gefähr- 
licher als  die  Inhalationsnarkose  und  der  Infil- 
trationsmethode deshalb  überlegen,  weil  sie  die 
anatomischen  Verhältnisse  nicht  verwischt. 

2.  Sie  kann  bei  allen  Operationen  an  der 
Leiste,  an  den  Geschlechts-  und  Harnorganen 
und   den   unteren   Extremitäten,    bei   Individuen 


XIX.  Jahrgang.! 
Jaanar  1906.  J 


Referate. 


47 


über  16  Jahre  ohne  jedes  Bedenken  angewendet 
werden. 

Insbesondere  bei  alten  Leuten  und  dekrepiden 
*  Personen,  sei  es  infolge  momentan  bestehender 
Leiden  (inkarzerierte  Hernien,  langdauernder 
Safte verlust  oder  Eiterung)  oder  infolge  vor- 
handener Konstitutionsanomalien,  ist  sie  ein  un- 
schätzbarer Ersatz  der  fast  sicher  schädlich 
wirkenden  Inhalationsnarkose. 

Voraussetzung  ist  hierbei,  daß  man  kein  so 
toxisches  Präparat  verwendet  wie  Kokain." 

Aus  allen  drei  Publikationen  geht  also  mit 
absoluter  Sicherheit  hervor,  eine  wie  wesentliche 
Bereicherung  unser  Arzneischatz  durch  die  Ein- 
führung des  Eukains  ß  erfahren  hat,  welches  auf 
allen  Gebieten  der  Analgesierung  gegen  den 
früheren  Alleinherrscher  auf  diesem  Felde,  das 
Kokain,  siegreich  vordringt. 

Th.  A.  Maaß. 

Zur  Frage  der  chirurgischen  Behandlung  der 
chronischen  Nephritis.  Von  Dr.  Gelpke  in 
Liestal. 

Verf.  ist  vor  3  Jahren,  unabhängig  von 
Edebohls,  angeregt  durch  die  Talmasche  Ope- 
ration der  Lebercirrhose,  auf  den  Gedanken  ge- 
kommen, auch  die  chronische  Nephritis  durch 
Eröffnung  neuer  Zirkulationswege  günstig  zu  be- 
einflussen. Der  kurze  Artikel  ist  insofern  etwas 
posthum,  als  inzwischen  die  Edebohlssche  Ope- 
ration in  Deutschland,  nicht  zum  wenigsten  durch 
den  letzten  Chirurgenkongreß,  so  ziemlich  zu 
Grabe  getragen  ist.  Verf.  verspricht  die  Publi- 
kation seiner  Tier-  und  Leichenexperimente. 
Vorläufig  erfährt  man  nur,  daß  er  die  ent- 
kapselte Niere  nicht,  wie  Edebohls,  in  die  Fett- 
kapsel reponiert,  sondern  mit  dem  Bauchfell, 
zwecks  besserer  Vaskularisation,  in  Berührung 
bringt.  Über  die  Technik  wird  sonst  nichts  Ge- 
naueres angegeben.  Die  Kasuistik  beschränkt 
sich  auf  vier  Fälle,  von  denen  einer  schon  vor 
der  geplanten  Operation,  der  zweite  auf  dem 
Operationstische  starb.  Von  den  beiden  andern 
ist  der  eine  Fall  noch  zu  frisch,  um  ein  Urteil 
zu  erlauben,  wie  Verf.  wörtlich  schreibt;  der 
andere  starb  4  Monate  nach  dem  Eingriffe  an 
Pankreaskarziom.  Auch  über  diesen  Fall  schreibt 
Verf.,  „daß  ihm  bei  der  Wertschätzung  der  ope- 
rativen Behandlung  der  Nephritis  keine  große 
Bedeutung  zukommen  könne".  Unter  diesen  Um- 
ständen erscheint  die  Arbeit  kaum  geeignet,  der 
operativen  Behandlung  der  chronischen  Nephritis 
durch  Entkapselung  der  Niere  neue  Freunde 
zuzuführen. 

(Korresp.-Blatt  /.  Schweizer  Ärzte,  1.  August  1904.) 
Wendel  (Marburg). 

Bin  eigenartiger  Fall  ron  „flottierender  Niere44, 
In  welchem  die  Nephrorhaphie  erfolgreich 
ausgeführt  wurde*  Von  Dr.  David  New  mau 
in  Glasgow. 

Man  hat  die  Wanderniere,  welche  hinter 
dem  Peritoneum  verschieblich  ist,  zu  unter- 
scheiden von  der  „flottierenden"  Niere,  welche 
ein  Mesenterium  besitzt  und  sich  frei  innerhalb 
der  Bauchhöhle  bewegt.  Klinisch  sind  jedoch 
beide  Formen  nicht  sicher  zu  unterscheiden.    Die 


Diagnose  wird  in  der  Regel  erst  durch  den 
anatomischen  Befund  bei  der  Operation  zu 
stellen  sein. 

Der  von  New  man  mitgeteilte  Fall,  ist  der 
erste  von  flottierender  Niere,  welcher  operativ 
behandelt  wurde.  Es  handelte  sich  um  eine 
junge  weibliche  Person,  die  von  jeher  viel  an 
Kopfschmerzen  und  nervösen  Beschwerden  sowie 
an  Schmerzen  im  Leib  und  Verdauungsstörungen 
gelitten  hatte.  Die  rechte  Niere  war  innerhalb 
der  Bauchhöhle  leicht  und  ausgiebig  verschieblich. 

Bei  der  Operation  zeigte  es  sich,  daß  die 
Niere  nicht  an  ihrer  normalen  Stelle  lag  und 
daß  sie,  als  sie  von  der  Bauchhöhle  in  den 
Operationsschnitt  hineingedrängt  wurde,  vom 
Peritoneum  ganz  überzogen  war.  Dieses  mußte 
erst  durchtrennt  werden,  ehe  man  die  Kapsel 
öffnen  und  die  Niere  in  den  Rändern  der 
Operationswunde  vernähen  konnte.  Nierenfett 
fehlte  gänzlich.  —  Die  Operation  hatte  insofern 
guten  Erfolg,  als  das  Befinden  der  Kranken  sich 
allmählich  besserte  und  die  Niere  an  ihrer  Stelle 
fest  verankert  blieb. 

(British  medical  Journal  1904,  18.  Juni.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

(Au  Dr.  J.  Hertzfelds  Klinik  und  Poliklinik  für  Hals- etc. 
Krankheiten  In  Berlin.) 

Die  Behandlung  der  Ozaena  mit  Hartparaphin- 
injektlonen.  Von  Dr.  H.  Fließ,  Assistenzarzt, 
Berlin. 

Ausgehend  von  der  Annahme,  daß  zwischen 
abnormer  Nasen  weite  und  Ozaena  eine  Be- 
ziehung vorhanden  ist,  haben  verschiedene  Autoren, 
darunter  auch  Fließ,  eine  Verengerung  des 
Nasenkanals  erstrebt.  Fließ  hat  Paraphin- 
injektionen  in  die  untere  Muschel  gemacht  mit 
einer  modifizierten  Eckstein -Spritze.  Zwölf 
Fälle ,  die  mit  32  Injektionen  behandelt  wurden, 
führten  zu  dem  Ergebnisse,  daß  die  Behandlung 
bei  allen  Patienten  eine  derartige  Besserung 
brachte,  wie  sie  bisher  bei  keiner  anderen  Be- 
handlung erzielt  wurde. 

(Berl.  klin.  Wochenschr.  1904,  No.  10.)      H.  Rosin, 

Ober  unsere  bisherigen  PararBnerfolge  bei  Nasen- 
difformitftten  und  retroaurikularen  Defekten« 

Von  Dr.  Sokolowsky  (Königsberg  i.  Pr.). 

Verf.  berichtet  über  die  Erfolge  in  Prof. 
Gerbers  Ohren-,  Hals-  und  Nasenklinik.  Es 
wurde  stets  das  von  Gersuny  empfohlene  Paraffin 
(cf.  Referat  in  dieser  Monatsschrift  1903  S.  169) 
verwendet,  anfangs  mit  gewöhnlicher  Pravaz- 
spritze,  später  mit  der  von  Stein  angegebenen 
Spritze  injiziert.  Verf.  berichtet  über  9  Fälle 
teils  von  Nasendeformitäten,  teils  von  retro- 
aurikularen Fisteln  nach  Radikal  Operation  der 
Otitis  media.  Die  z.  T.  durch  Abbildungen 
nachgewiesenen  Erfolge  sind  sehr  befriedigend. 
Schlimme  Zufälle  sind  nicht  beobachtet,  ein 
Erysipel  der  Wange  trat  nach  5  Naseninjektionen 
ein,  ob  dadurch  veranlaßt,  ist  zweifelhaft. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1903,  No.  42.) 

Wendel  (Marburg). 


48 


Referate. 


["  Therapeutische 


Die  subkutane  Einspritzung  von  hartem  Paraffin 
zur  Beseitigung  von  Deformitäten   der  Nase 
nach  zwelundeinhalb jähriger  Erfahrung.    Von 
Walker  Dow  nie  in  Glasgow. 
Die     Behandlang     von     Nasendeformitäten 
mittels  Paraffineinspritzungen  hat  sehr  gute  Er- 
folge gehabt.    In  allen  von  Downie  behandelten 
Fällen  hat  sich  die  verbesserte  Gestalt  der  Nase 
erhalten.     Das   Paraffin    war  niemals  resorbiert 
worden,  noch    hatte   es  seinen    Platz   verändert; 
auch  Eiterung  oder  entzündliche  Reizerscheinun- 
gen waren  nicht  aufgetreten ;  die  Atmung  durch 
die    Nase    war    in    keinem   Falle    beeinträchtigt 
worden.     Auch   ein   vorübergehender  Aufenthalt 
in  heißer  Luft  oder  im  warmen  Klima  hatte  die 
eingebettete  Paraffinmasse  nicht  beeinflußt. 

(British  medical  Journal  1904.  5.  Nov.) 

Ciasseti  (Orube  u  H.). 

Zur   Paraffinnasenplastik.      Von   Dr.  Eckstein 

(Berlin). 

In  einem  Falle  von  hochgradiger  Sattelnase 
führten  Paraffininjektionen  auch  nach  Ablösung 
der  narbigen  Haut  des  Nasenrückens  von  der 
Unterlage  nicht  zu  dem  gewünschten  Resultate. 
Deswegen  führte  Eckstein  von  einem  3  cm 
langen  Längsschnitte  an  der  rechten  Seite  des 
Nasenrückens  aus  einen  entsprechend  zugeschnit- 
tenen Keil  aus  Hartparaffin  von  75°  Schmelz- 
punkt ein.  Die  Wunde  ließ  sich  nach  Unter- 
minierung der  Ränder  ohne  Spannung  nähen. 
Die  Heilung  erfolgte  glatt  mit  sehr  befriedi- 
gendem Resultat. 

(ZentraM.  f.  Chirurgie  1904,  Ko.  3.) 

Wendel  (Marburg). 

Ober  die  Verwendung  von  hartem  oder  weichem 
Paraffin  zu  subkutanen  Injektionen.  Von 
Dr.  Stein,  Wiesbaden. 

Verf.  spricht  sich  in  einer  Polemik  gegen 
Eckstein  noch  einmal  energisch  für  Verwen- 
dung des  weichen  Paraffins  zur  subkutanen  In- 
jektion aus.  Er  empfiehlt  ein  Gemisch  von 
Vaselin  und  Paraffin  von  dem  Schmelzpunkte 
41°,  welches  sich  durch  eine  Pravazspritze,  deren 
Kanüle  durch  Bajonettverschluß  befestigt  ist,  in 
pastenähnlicher  Konsistenz  leicht  einspritzen  läßt. 
Man  sterilisiert  das  Paraffin  am  besten  im  Heiß- 
luftschrank bei  150°,  verflüssigt  es  vor  der  In- 
jektion im  Wasserbade,  saugt  es  in  die  Spritze 
und  injiziert,  nachdem  man  die  Abkühlung  durch 
die  Luft  abgewartet  hat.  Beim  Hineinlegen  in 
kaltes  Wasser  würde  das  Gemisch  zu  hart  werden 
und  die  Kanüle  nicht  mehr  passieren.  Man  soll 
nur  2  —  3  ccm  höchstens  in  einer  Sitzung  in- 
jizieren. Sind  noch  größere  Mengen  nötig,  so 
soll  man  erst  einige  Wochen  warten,  bis  die 
zuerst  injizierte  Masse  durch  die  Einkapselung 
und  Durchwachsung  mit  Bindegewebe  etwas 
konsolidiert  ist.  Verf.  verwirft  also  prinzipiell 
Injektionen  größerer  Massen,  welche  von  anderer 
Seite,  bis  zu  60  ccm  und  darüber,  in  einer 
Sitzung  vorgenommen  wurden.  Er  beschränkt 
dadurch  die  Paraffinmethode  auf  die  Korrektur 
kleinerer  Defekte  und  Deformitäten,  verwirft 
sie  für  die  Behandlung  von  Hernien,  Uterus- 
prolapsen    u.  s.   w.       Auch    Injektionen     in     die 


hintere  Rachenwand  zur  Verbesserung  der  Sprache 
nach  Gaumenspaltoperationen  hält  er  für  zu  ge- 
fährlich. Das  harte  Paraffin  will  er  nur  für  die- 
Füllung  präformierter  Hohlräume,  namentlich.  t> 
im  Knochen,  gelton  lassen,  eventl.  mit  Zusatz, 
von  antiseptischen  Mitteln  nach  dem  Vorschlage 
Witzeis  in  der  Zahnheilkunde  und  auch  sonst 
bei  nicht  aseptischen  Prozessen.  Er  behauptet, 
daß  Embolien  nur  eintreten  können,  wenn  das 
Material  flüssig  injiziert  wird,  wie  es  bei  dem 
Hartparaffin  natürlich  erforderlich  ist,  oder  wenn 
zu  große  Massen  injiziert  werden.  Man  darf 
also  natürlich  auch  das  weiche  Paraffin  nie 
flüssig,  sondern  stets  nur  in  Pastenkonsistens 
einspritzen.  Von  dem  Vorschlage,  zur  Ver- 
meidung einer  Embolie  vorher  die  Anästhesie 
nach  Schleich  einzuleiten,  hält  er  nichts.  Er 
fürchtet  die  Auflockerung  des  Gewebes  für  das. 
Gelingen  des  gewollten  Effektes. 

Dem  Hartparaffin  macht  er  den  Vorwurf 
der  größeren  Gefährlichkeit,  der  Möglichkeit  der 
Verbrennung  und  Erzeugung  von  Gangrän,  ferner 
der  sehr  schwierigen  und  zeitraubenden  Technik. 
Er  kommt  zu  folgenden  Schlußsätzen: 

1.  Die  Methode  eignet  sich  hauptsächlich, 
zur  Korrektur  kleiner,  nahe  der  Oberfläche  ge- 
legener Defekte,  die  nur  geringe  Mengen  er- 
fordern. 

2.  Der  Schmelzpunkt  soll  etwa  41°  be- 
tragen. Härteres  Paraffin  ist  nur  zur  Füllung 
starrwandiger  Höhlen  zu  verwenden,  da  es  sonst 
die  Gefahr  der  Embolie  vergrößert. 

3.  Einspritzung  nie  in  flüssiger,  sondern 
in  pastöser  Konsistenz. 

4.  In  einer  Sitzung  sollen  höchstens  3  ccm 
injiziert  werden. 

5.  Die  Masse  wird  nicht  resorbiert,  sondern 
eingekapselt  und  von  Bindegewebe  durchwachsen. 
Das  Resultat  ist  also  dauerhaft. 

Photographien  und  briefliche  Mitteilungen 
werden  zur  Illustration  des  dauernden  Erfolges 
herangezogen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  No.  36  u.  37.) 
Wendel  (Marburg). 

Ober  eine  bisher  unbekannte  Wirkung  der  Röntgen- 
strahlen auf  den  Organismus  der  Tiere.  Von 
Dr.  Albers-Schönberg,  Hamburg. 

An  11  männlichen  Versuchstieren  —  Ka- 
ninchen und  Meerschweinen  —  nahm  Albers- 
Schönberg  systematische  Röntgenstrahlungs- 
Versuche  vor  und  fand  dabei,  daß  schon  nach 
einer  Bestrahlungsdauer  von  insgesamt  195  Mi- 
nuten bei  verschiedenen  Sitzungen  eine  Oligo- 
Nekrospermie  eintrat  und  bei  der  nächst  höheren 
Bestrahlungsdauer  von  377  Minuten  Gesamt- 
bestrahlung sogar  eine  totale  Azoospermie;  die- 
selbe wurde  jedesmal  im  mikroskopischen  Bilde 
nach  der  Sektion  nachgewiesen.  Das  körper- 
liche Wohlbefinden  blieb  trotzdem  ungestört; 
bezüglich  des  Geschlechtstriebes  und  der  Kopu- 
Iationsfähigkoit  unterscheiden  sich  die  Tiere  nicht 
im  geringsten  von  normalen,  nicht  bestrahlten 
Exemplaren.  Albers-Schönberg  fordert  zu 
weiteren  Versuchen  auf,  um  die  untere  Grenze 
der  für  Azoospermie  erforderlichen  Bestrahlungs- 
dauer festzustellen    und   dus   Verhalten     anderer 


XIX.  Jahrgang  1 
Januar  1906.  J 


Referate. 


49 


CO 


Tierarten  bezüglich  ihrer  Reaktion  auf  Röntgen- 
strahlen und  die  Dauer  dieser  eigentümlichen 
Wirkung  zu  prüfen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  43,  1904.) 

Arthur  Rahn  (CollmJ. 

Über  Urotropin,  Methylensitronenaäure  und  me- 
thylensltronenaaares  Urotropin  [Helmitol 
(Bayer),  Neuurotropin  (Schering)].  Von  Prof. 
Dr.  Arthur  Nicolaier  (Berlin). 

Das  als  Ersatz  des  Urotropins  empfohlene 
H  e  1  m  i  t  o  1  (anhydromethylenzitronensaure  Uro- 
tropin) sowie  das  damit  identische  Neuurotro- 
pin unterzieht  Nicolaier  einer  eingehenden 
kritischen  Besprechung. 

Die  Methylenzitronensäure,  auch  Anhydro- 
methylenzitronensaure oder  Diformalzitronensäure 
genannt,  hat  die  Konstitutionsformel 

CH,  -  COOH 

j  N»/° 

CHS  — COOH. 

Die  bei  208 ü  schmelzenden  Krystalle  lösen 
sich  leicht  in  heißem,  schwer  in  kaltem  Wasser, 
ferner  leicht  in  Alkohol,  Aceton,  schwer  in 
Äther.  In  der  Wärme  spalten  die  wäßrigen 
Lösungen  Formaldehyd  ab,  ebenso  beim  Kochen 
mit  verdünnten  Säuren.  Überschüssiges  Alkali 
zerlegt  die  Säure  sofort  in  Formaldehyd  und 
neutrales  Citrat.  Das  Natriumsalz  wird  unter 
dem  Namen  Citarin  als  Gichtmittel  benutzt. 

Tierversuche  lehren,  daß  die  Säure  selbst 
in  großen  täglichen  Dosen  ohne  Schädigung  ver- 
tragen wird.  Der  Urin  der  Versuchstiere  gibt  zu- 
weilen geringe  Eiweißreaktion ;  die  Reaktion  auf 
Formaldehyd  fällt  bei  Gaben  von  1  g  nach 
wenigen  Stunden  negativ  aus,  es  läßt  sich  in  ihm 
dagegen  unzerlegte  Methylenzitronensäure  nach- 
weisen, wenn  auch  nur  in  geringen  Mengen. 
Der  weitaus  größere  Teil  wird  im  Organismus 
zunächst  in  Zitronensäure  und  Formaldehyd  ge- 
spalten, sodann  erleiden  die  beiden  Komponenten 
eine  weitergehende  Zerlegung.  Beim  Menschen 
erzeugt  die  Säure  in  Dosen  von  4  g  pro  die 
starke  Durchfälle  sowie  papulo-vesikulöse  Ekzeme. 
Im  Urin,  der  an  Menge  nie  vermehrt,  mehrfach 
dagegen  um  !/3  hinter  der  normalen  zurückblieb, 
ließ  sich  nur  in  wenigen  Fällen  mit  der  Jo- 
rissenschen  Probe  geringe  Rotfärbung  erzielen. 
Der  mit  Mikroorganismen  infizierte  Harn  zeigte 
schon  am  ersten  Tage  die  ammoniakalische  Harn- 
gärung. Der  Formaldehyd  war  also  auch  nur 
in  gebundener  Form,  nicht  frei  anwesend. 

Was  das  methylenzitronensaure  Urotropin, 
das  Helmitol  und  Neuurotropin,  anbetrifft,  so 
spalten  seine  wäßrigen  Lösungen  beim  Destillieren 
84  mal  soviel  Formaldehyd  ab  als  wäßrige  Uro- 
tropinlösung.  Es  geht  aber  aus  dem  Helmitol  nicht 
mehr  Formaldehyd  in  den  Harn  in  freier  Form  über, 
ab  aus  dem  Urotropin,  was  durch  vergleichende 
Untersuchung  über  den  Eintritt  der  ammonia- 
kalischen  Harngärung  bewiesen  wird.  Die  bak- 
teriologische Prüfung  ergibt  daher,  daß  das 
methylenzitronensaure  Urotropin  dem 
Urotropin  in  keiner  Weise  überlegen  ist. 


Das  Gleiche  gilt  von  der  klinischen  Prüfung. 
Beide  Mittel  wirken  in  gleicher  Weise  bei  bak- 
teriellen Erkrankungen  der  Harnwege,  der  harn- 
sauren Diathese  sowie  der  Phosphaturie.  Diese 
dem  Urotropin  identische  Wirkung  kommt  dem 
methylenzitronensauren  Urotropin  nur  wegen 
seines  Gehaltes  an  Urotropin  zu;  die  Methylen- 
zitronensäure ist  in  keiner  Weise  an  der  Wirkung 
beteiligt.  Es  ist  demnach  irrationell,  das  Uro- 
tropin durch  Helmitol  und  Neuurotropin  zu  er- 
setzen, denn  da  diese  beiden  Mittel  in  doppelter 
Dose  wie  Urotropin  verordnet  werden,  wird  die 
Behandlung  unnütz  um  das  Doppelte  verteuert. 

(Deutsches  Archiv  für  klinische  Medizin,  Bd.  LXXXl. 
Sonder-Abdruck.J  J.  Jacobson. 

Ober  Empyroform,  ein  neues  Teerpräparat.    Von 

Dr.  P.  Kornfeld  (Wien). 

Verf.  teilt  seine  Untersuchungsergebnisse 
mit,  die  er  mit  dem  neuen  Teerpräparat  Em- 
pyroform gewonnen  hat.  Das  Präparat,  dessen 
physikalische  Eigenschaften  bereits  im  Jahr- 
gang 1904  dieser  Hefte  S.  430  mitgeteilt  worden 
sind,  wird  von  allen  Patienten  seiner  Geruch- 
losigkeit  wegen  dem  Teer  vorgezogen.  Seine 
Anwendung  erfolgt  zweckmäßig  in  Salben  (5  bis 
20  proz.),  Pasten  (50  proz.)  oder  Linimenten 
(5 — 15  proz.),  auch  als  Trockenpinselung:  Em- 
pyroform 15,0,  Talci  veneti.,  Glycerini  aä  10,0, 
Aquae  20,0. 

Die  Wirkung  ist  in  hervorragender  Wreise 
juckenstillend  und  austrocknend,  ohne  lokale 
Reizerscheinungen  oder  Intoxikation  hervorzu- 
rufen. In  erster  Linie  ist  Empyroform  bei 
Ekzemen,  und  zwar  bei  akuten  und  chronischen 
angezeigt.  Das  Präparat  wird  bei  dieser  Er- 
krankung stets  gut  vertragen,  ohne  daß  die 
Entzündung  der  Haut  verstärkt  wird.  Selbst 
solche  Patienten,  welche  gegen  andere  Teer- 
präparate intolerant  sich  erweisen,  vertragen 
Empyroform  ohne  irgend  welche  Reaktions- 
erscheinungen. Bei  denjenigen  Formen,  welche 
von  beträchtlicher  Infiltration,  Verdickung  der 
Epidermis  und  des  Rete  begleitet  sind,  geht 
unter  Empyroformbehandlung  zuerst  die  Stase 
in  den  Hautgefäßen,  die  Rötung  und  Infiltration 
zurück  unter  gleichzeitigem  Nachlaß  der  jucken- 
den und  brennenden  Schmerzen,  des  Spann  ungs- 
gefühls  und  der  Parästhesien.  Die  Heilung  er- 
folgt in  kurzer  Zeit,  ohne  durch  Rückfälle  unter- 
brochen zu  sein.  Der  Juckreiz  läßt  sich  durch 
Empyroform  bei  den  torpiden  Ekzemformen  eben- 
falls, und  zwar  wie  mit  einem  Schlage  beseitigen. 

Die  Reizlosigkeit  des  Präparates  ist  so  groß, 
daß  es  selbst  auf  akut  entzündlichen  und  nässenden 
Ekzemstellen  ohne  Störung  vertragen  wird.  Es 
läßt  sich  daher  mit  Vorteil  bei  nässenden  Ek- 
zemen der  Hände,  Finger,  der  Vorderarme,  des 
Gesichtes  verwenden.  Diejenigen  Formen,  welche 
sich  auf  seborrhoischer  Grundlage  entwickelt 
haben,  lassen  sich  ebenfalls  in  kurzer  Zeit  durch 
Empyroform  günstig  beeinflussen. 

Außer  bei  Ekzemen  hat  Verf.  das  Mittel 
bei  Prurigo,  Psoriasis  und  Liehen  urticatus  an- 
gewendet. Auch  bei  diesen  Erkrankungen  ist 
die  prompte  entzündungswidrige  und  jucken- 
stillende Wirkung  bemerkenswert. 


50 


Referate. 


PTherapeatlcch« 
L  Moiurtibefte. 


öihkfß 


Die  absolute  Reizlosigkeit  des  Präparates 
erlaubt  auch  seine  Anwendung  in  der  Kinder- 
praxis, ferner  bei  solchen  Personen,  welche  sonst 
kein  anderes  Teerpr&parat  vertragen. 

(Zentralblatt  für  die  gesamte  Therapie,  Dezember  1904, 
S.  617.)  J.  Jacobson. 

Intravenöse   Injektion   von   Merkarialsalzen   bei 
Syphilis.     Von  J.  Dumont. 

Dumont  bespricht  eine  jüngst  (Paris  1902) 
erschienene  These  von  Bonzitat,  weche  obigen 
Gegenstand  behandelt.  Dieselbe  enthält  eine 
genaue  Beschreibung  der  Technik,  erörtert  die 
Vorteile  und  Nachteile,  die  Indikationen  und 
Kontraindikationen,  endlich  die  Resultate  der 
intravenösen  Hg-Injektion  bei  Syphilis.  In  Nach- 
stehendem geben  wir  hiervon  das  Wesentlichste 
nach  den  Ausführungen  D  u  m  o  n  ts  wieder. —  Zu  den 
Injektionen  benutzt  man  am  besten  die  Lu ersehe 
Glasspritze  und  eino  Platin-IricüumnadeJ^^/AJ* ' 
Injektionsflüssigkeit  empfehlen  diemeisteiiÄjrforen 
eine  Sublimatlösung  von  1 :  1000. 
man  auch  1  prozentige  Cyanquecksi 
(Abadie)  oder  benzoesaures  Hg  (Stuko 
verwenden.  Die  Injektion  wird  am 
in  eine  der  Venen  der  Ellenbeuge  gemacht, 
legt  eine  elastische  Binde  um  den  Oberarm,  da- 
mit die  Venen  möglichst  stark  hervortreten, 
desinfiziert  auf  das  sorgfältigste,  fixiert  die  stärkste 
der  Venen  mit  dem  Daumen  der  linken  Hand 
und  sticht  die  Nadel  unter  einen  Winkel  von 
45°  ein.  Ist  man  in  der  Vene,  so  muß  beim 
Zurückziehen  des  Stempels  etwas  Blut  in  die 
Spritze  dringen.  Zeigt  sich  kein  Blut,  so  hat 
man  die  Vene  verfehlt  und  muß  von  neuem  ein- 
stechen. Nun  wird  nach  vorheriger  Lockerung 
des  elastischen  Bandes  die  Lösung  injiziert,  die 
Nadel  zurückgezogen  und  gegen  die  Stichöffnung 
für  wenige  Minuten  ein  Wattetampon  gedrückt. 
An  den  nächsten  Tagen  kann  man  an  derselben 
Stelle  die  Einspritzungen  wiederholen.  Zuweilen 
bildet  sich  am  Stichkanal  eine  leichte  Härte, 
davon  herrührend,  daß  ein  Teil  der  Flüssigkeit 
in  das  perivenöse  Gewebe  gelangt  ist,  eine  Er- 
scheinung, die  übrigens  ohne  jede  Bedeutung 
ist.  —  In  den  gewöhnlichen  Fällen  von  Syphilis 
injiziert  man  zunächst  alle  zwei  Tage,  dann  alle 
drei  bis  vier  Tage  1  cem  einer  Iprozentigen 
Quecksübercyanlösung.  In  pressanten  Fällen 
(Kopfschmerz,  Hirngummi,  Myelitis  etc.)  empfiehlt 
es  sich  täglich  einzuspritzen.  Treten  Intoxika- 
tionssymptome ein  (Salivation,  Diarrhöen),  so 
verlängert  man  die  Intervalle  zwischen  den  In- 
jektionen, oder  setzt  letztere  unter  Umständen 
ganz  aus.  Wählt  man  Sublimat  zu  den  Ein- 
spritzungen, so  injiziere  man,  da  es  doppelt  so 
reich  an  Hg  ist  wie  das  Cyanid,  pro  dosi  nur 
5  mg.  Die  beschriebene  Methode  der  Syphilis- 
behandlung hat  nach  Bonzitat  folgende  Vorzüge: 

1.  Ihre  Technik  ist  sehr  einfach.  2.  Die 
intravenösen  Injektionen  sind  völlig  schmerzlos. 
3.  Sie  hinterlassen  keine  Knoten.  4.  Sie  sind, 
da  das  Hg  direkt  in  die  Blutbahn  gelangt,  von 
schnellerer  Wirkung.  5.  Ihre  Wirkung  ist  sicherer; 
denn  sie  beeinflussen  Fälle,  die  anderen  Behand- 
lungsmethoden Trotz  boten.  6.  Sie  erzielen  mit 
geringerer  Dosis  einen  stärkeren  Effekt.     7.  In- 


toxikationserscheinungen treten  weniger  häufig 
auf,  da  das  Hg  schneller  und  leichter  eliminiert 
wird,  als  nach  jeder  andern  Art  seiner  Einver- 
leibung. 8.  Die  Methode  erlaubt  eine  bisher 
unerreichte  Genauigkeit  der  Dosierung.  S).  Die 
intravenösen  Injektionen  können  öfter  wiederholt 
werden,  als  Injektionen  in  die  Muskeln  oder 
unter  die  Haut,  und  auch  insofern  läßt  sich 
mit  ihnen  eine  schnellere  und  energischere  Wir- 
kung erzielen,  als  mit  jeder  anderen  Methode.  — 
Embolien  oder  Thrombosen,  die  man  wegen  der 
koagulierenden  Wirkung  der  Hg-Salze  auf  das 
Blut  nach  den  intravenösen  Injektionen  erwarten 
sollte,  hat  Bonzitat  niemals  beobachtet:  Die 
Menge  der  injizierten  Lösung  ist  im  Verhältnis 
zur  Blutmasse  eine  so  winzige,  daß  eine  Koagu- 
lation sich  gar  nicht  bilden  kann.  Dagegen 
kann  nach  einer  schlecht  gelungenen  Injektion 
ßiTrü  schmerzhafte  Induration,  ein  Abszeß  oder 
leine  £h{e&iiKme  sich  an  der  Injektionsstelle  bilden. 
—  Eigentlich  Kontraindikationen  existieren  für 
"er  Syphilisbehandlung  nicht,  es 
alle,  in  denen  die  Venen  auch 
fchnürung  mit  einer  elastischen 
;  Binde  rwedai^  gesehen  noch  gefühlt  werden 
^^önnen^frFrauen,  Personen  mit  starkem  Fett- 
polster). Ihre  besondere  Indikation  findet  sie  bei 
schweren  Syphilisformen,  die  von  vorneherein 
eine  energische  Behandlung  erfordern,  bei  p hage- 
dänischen Schankern,  bei  schwerer  ulzeröser 
Syphilis,  bei  Syphilis  praecox  des  Nervensystems, 
vor  allem  aber  bei  tertiärer  Syphilis,  wo  sie  jeder 
anderen  Behandlungsweise  überlegen  ist.  Viel- 
leicht sind  dieser  Methode  auch  Erfolge  bei  den 
so  gen.  parasyphilitischen  Affektionen,  der  pro- 
gressiven Paralyse,  der  Tabes  und  dem  Aorten- 
aneurysma beschieden. 

(La  Presse  medic.  1902,  No.  67.) 

Ritterband  (Berlin). 

Ober  Inokulationaversache  der  Syphilis  auf  Ferkel. 

Von  Dr.  Z.  Sowinski. 

Die  vielen  negativen  Impf  versuche  auf  Tiere 
verschiedener  Gattung  mit  Blut  von  Syphilis- 
kranken brachten  Verf.  auf  den  Gedanken,  daß 
die  Schuld  an  dem  Mißlingen  in  der  Benützung 
von  vollkommen  gesunden  und  normalen  Tieren 
liegen  kann.  —  Die  Absicht  ging  nun  dahin, 
konstante  Veränderungen  im  gesamten  Nerven- 
system des  zu  verwendenden  Tieres  hervor- 
zurufen, der  Ansicht  des  Prof.  Pawlow  ent- 
sprechend, der  in  der  Widerstandsfähigkeit  des 
Nervensystems  die  Ursache  der  Nichtübertrag- 
barkeit des  Syphilisvirus  sieht.  —  Denn  zwei- 
fach ist  die  Möglichkeit,  positive  Resultate  zu 
erhalten:  entweder  wird  das  Virus  potenziert, 
oder  die  Widerstandsfähigkeit  der  Zellen  ver- 
mindert. Da  der  erste  Weg  unmöglich  ist, 
wurde  zum  zweiten  Mittel  gegriffen.  5  zwei- 
wöchige Ferkel,  Yorkshire  Kasse,  wurden 
dazu  verwendet.  Die  verminderte  Widerstands- 
fähigkeit wurde  durch  systematisches  Eingießen 
von  Alkohol  in  den  Magen  des  chloroformierten 
Tieres  zu  erzielen  gesucht.  Es  wurde  mit  20  cem 
einer  20  proz.  alkoholischen  Lösung  begonnen, 
und  langsam,  im  Laufe  von  46  Tagen,  bis  auf 
(>0  cem  einer  40  proz.  alkoholischen  Lösung  ge- 


XIX.  Jahrgang.*] 
Jannar  190S.  J 


R*fmte.  —  Toslkologte* 


51 


stiegen.  Dann  wurde  unter  strenger  Einhaltung 
von  Aseptik  15  ccm  Blut  der  Arnwene  eines 
nicht  behandelten  Sekundär-Luetischen  entnom- 
menen und  dem  Tiere  in  die  Bauchhöhle  inji- 
ziert.    Trotz    aller    dieser  Eingriffe   kamen   gar 


keine  Erscheinungen,  sei  es  an  der  Injektions- 
stelle oder  auf  der  Haut,  zum  Vorschein,  die 
auf  ein  Gelingen  der  Impfung  hindeuten  sollten. 

(Przeglad  lekarski  1904,  No.  9—10.) 

Gabel  (Lemberg). 


Toxikologie. 


Ein  Fall  von  Vergiftung  durch  Chloralhydrat  mit 
tödlichem  Ausgange.  Von  Dr.  HansBerliner 
in  Berlin  (Originalmitteilung). 

Fälle  von  Vergiftung  durch  Chloralhydrat 
niit  todlichem  Ausgange  sind  bekannt,  und 
auch  der  Fall,  den  ich  hier  kurz  mitzuteilen 
versuche,  bietet  nichts  Außergewöhnliches, 
vielleicht  ist  er  aber  für  die  Ärzte,  die  auf 
dem  Lande  und  solchen  Orten  zu  tun  haben, 
au  denen  sich  keine  Apotheke  befindet,  von 
gewissem  Interesse. 

Am  13.  Januar  1896  kam  ein  Herr  W.  aus 
Berlin,  etwa  25  Jahre  alt,  der  allein  und  ohne  Be- 
gleitung in  einer  Privatvilla  des  Badeortes  wohnte, 
damals  in  Bad  Harzburg,  zu  mir,  um  sich  wegen 
einiger  Furunkeln  im  Nacken  behandeln  zu  lassen. 
Mitte  Februar  v.  J.  traten  Rezidive  auf,  und  zwar 
so  heftiger  Art,  daß  der  Pat.  bei  hohem  Fieber,  trotz 
der  geeigneten  chirurgischen  und  antiseptischen  und 
antiphlogistischen  Behandlung  keine  Ruhe  fand,  daß 
er  nachts  nicht  schlafen  konnte  und  von  Wahnideen 
gepeinigt  wurde.  Den  Wehklaffen  und  Bitten  des 
Pat.,  ihm  endlich  einmal  ein  Schlafmittel  zu  geben, 
wonach  er  wirklich  erquickenden  Schlaf  fände,  gab 
ich  nach.  Als  ich  ihm  ein  anderes  Mittel  verordnen 
wollte,  erklarte  er,  früher  habe  er  auch  schon  Schlaf- 
mittel bekommen,  nichts  habe  ihm  geholfen,  außer 
Chloralhydrat  und  zwar  in  der  Dosis  von  2  g,  und 
ich  sollte  ihm  auch  dasselbe  verschreiben.  Ich  ver- 
ordnete darob  ein  Pulver  Chloralhydrat  zu  2  g  und 
übergab  das  Rezept  dem  Patienten.  Aber  Herr 
Doktor,  wandte  er  ein  —  eine  Apotheke  gab  es  da- 
mals im  Winter  noch  nicht  in  Bad  Harzburg,  sie  befand 
sich  von  der  Wohnung  des  Patienten  eine  Stunde 
entfernt  an  dem  äußersten  Ende  des  Nachbarotes 
Bündheim  —  es  wäre  doch  zuviel  verlangt,  wenn 
er,  der  schwer  krank  sei  und  keine  Bedienung  sonst 
habe,  für  jedes  Pulver  in  der  eisigen  Kälte  je  eine 
Stunde  hin-  und  herlaufen  müßte,  ich  sollte  ihm 
doch  wenigstens  gleich  mehrere  verordnen.  Die 
Begründung  hielt  ich  für  berechtigt  und  so  nahm 
ich  das  Rezept  zurück  und  verordnete  statt  dessen 
5  Pulver  a2,0  und  signierte:  ein  Pulver  nach  Vor- 
schrift zu  nehmen  und  bat  den  Patienten,  die  andern 
Pulver  mir  mitzubringen,  da  ich  einem  Mißbrauch 
vorbeugen  wollte;  ganz  traute  ich  ihm  nicht.  Aber 
Pat.  kam  am  selben  Tage  nicht  mehr  zu  mir  zurück. 
Am  andern  Morgen  wurde  ich  plötzlich  um  10  Uhr 
in  seine  Wohnung  gerufen  und  fand  ihn  vollkommen 
bewußtlos,  asphyatisch,  in  den  letzten  Zügen. 

Alle  Versuche,  ihn  wieder  aus  dem  Schlafe  zu 
erwecken,  künstliche  Atmung,  Strychnininjektionen, 
hatten  nicht  den  geringsten  Erfolg,  etwa  nach 
weiteren  zwei  Stunden  trat  der  Exitus  letalis  ein.  — 

Man  wird  vielleicht  in  Anbetracht  des 
unglücklichen  Ausganges  fragen,  warum  ich 
nicht  bloß  allerhöchstens  6  g  in  drei  Pulvern, 
statt   10  g    auf   einmal   dem   Pat.  anvertraut 


:  habe,    indessen,    wie    die   Umstände    damals 
j  lagen,     war    ich    gezwungen,     den    Verhält- 
'  nissen  Rechnung  zu  tragen,  daß  der  Pat.,  der 
.  keine  eigene  Bedienung  hatte,  nicht  in  Ver- 
legenheit   geriete,    besonders,    da    ich    ihm 
!  jedesmal     ein     Pulver     selbst     verabreichen 
|  wollte.     Ich  habe  schon  wiederholt  bei  ner- 
vösen an  Agrypnie  leidenden  Patienten  große 
i  Mengen  Schlafmittel  und  auch  Chloralhydrat 
in    größerer    Menge    als    10  g    vorgefunden, 
welche  ihnen  von  ihren  Hausärzten  auf  Reisen 
mitgegeben   wurden   und   die   mir   auf  meine 
Verwunderung  darüber  erklärten,  daß  sie  sich 
längst  hätten  vergiften  können,  wenn  sie  es 
wollten.     Immerhin  mahnt  aber  dieser  Fall, 
daß  man  Chloralhydrat  nie  mehr  als  6  g  zu 
gleicher  Zeit  einem  Pat.  in  die  Hände  gibt.  — 

(Au«  der  Nerven-  und  Beobachtungsabteilung  des  k.  und  k. 
Garniton-Spitala  No.  16  in  Budapest.) 

I   Dreifacher  Fall  von  Wurstvergiftung  (Botalismut). 

I  Von  Dr.  Gustav  Morelli,  z.  Z.  Assistenzarzt 

I  an  der  I.  internen  Klinik  in  Budapest. 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  drei  Fälle  von  Bo- 
tulismus bei  kräftigen,  gesunden  Soldaten  zu  be- 
1   obachten. 

Die  drei  Patienten  hatten  von  einer  Wurst 
gegessen    und    erkrankten    alle   drei   mehr   oder 
|   minder    schwer.      Die   Vergiftung    äußerte    sich 
{   zuerst  6  bis  10  Stunden   nach   der  Infektion  in 
i   Magendarmsymptomen:     Übelkeit,    Magendruck, 
,    Brennen    im    Magen,    Erbrechen,    geringes   Ab- 
fuhren   und    Kopfschmerzen.      Die    eigentlichen 
Vergiftungserscheinungen    traten    nach    36    bis 
48  Stunden    auf:    Alle   Gegenstände    erscheinen 
verschwommen   und  doppelt,   die  Augen   können 
I   wegen  Lähmung    der  Lidmuskulatur  nicht  ganz 
geöffnet    werden;    die    Bewegung    der    Augäpfel 
nach  den  Seiten  ist  beschränkt,  die  Pupillen  sind 
*   erweitert  und  oval,  reagieren  nicht  auf  Licht  und 
i    Akkommodation.       Die    Tränenabsonderung     ist 
!   versiegt,  die  Schleimhäute  sind  trocken  und  un- 
|   empfindlich.    Eine  Lähmung  der  Muskulatur  des 
|    Pharynx     und    des    weichen    Gaumens    bewirkt 
!   Schluckbeschwerden  resp. Unfähigkeit  zu  schlucken: 
i   die  Flüssigkeiten    regurgitieren   durch  die  Nase. 
|   Die   Trockenheit    der  Schleimhaut    des    Mundes 
und  Rachens  erzeugt  ein  brennendes,  kratzendes 
Gefühl  im  Munde;  die  Sprache  ist  eintönig,  das 
j   Sprechen  schwer,   gedehnt.     Die  Haut  ist  eben- 
;   falls  trocken,  stößt  sich  in  großen  Schuppen  ab. 
,   Der  Stuhl  ist  angehalten,  das  Harnlassen  ist  er- 
|   schwort,  erfolgt  nur  unter  Kraftanstrengung  mit 


52 


Toxikologie.  —  Literatur. 


["Therapeutische 
L   Monatshefte, 


nachfolgendem  Harn  träufeln.  Die  große  Hin- 
fälligkeit und  die  Herzschwäche  besserten  sich 
nach  Einfuhrung  von  Nahrung  durch  das  Magen- 
röhr.  Am  zehnten  Tage  nach  der  Vergiftung 
erfolgte  auf  hohen  Einlauf  ausgiebige  Entleerung. 
Zur  Anregung  der  Hautsekretion  wurden  täglich 
0,01 — 0,02  g  Pilokarpin  verordnet,  da  ein  warmes 
Bad  zu  Kollapserscheinuugen  führte.  Die  übrigen 
Symptome  besserten  sich  langsam:  am  16.  Tage 
schwanden  die  Urinbeschwerden,  am  35.  Tage 
das  Doppelsehen,  am  43.  die  Akkommodations- 
störung,  am  44.  die  Schlingbeschwerden,  aber 
erst  am  60.  Tage  die  allgemeine  Trockenheit. 
(Wien.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  46,  S.  2163.)     J. 

Über  Atropin- Vergiftung.  Von  San  .-Rat  Dr.  Benno 
Holz,  Berlin. 

Im  Anschluß  an  den  von  Fejer1)  mitge- 
teilten Fall  von  akuter  Atropin  Vergiftung  be- 
schreibt Holz  einen  Vergiftungsfall,  welchen  er 
vor  Jahren  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte. 

Einem  an  Conjunctivitis  phlyctaenulosa 
leidenden  Kinde  war  eine  O,lprozentige  Atropin- 
lösung  zur  Einpinselung  in  das  Auge  verordnet. 
Am  Abend  erhielt  das  Kind  aus  Versehen  einen 
Teelöffel  dieser  Lösung.  Zwei  Stunden  später 
wurde  das  Kind  unruhig;  nach  weiteren  zwei 
Stunden  fand  es  Holz  laut  schreiend,  im  Bette 
hin-  und  herspringend  vor,  wobei  es  um  sich 
schlug  und  biß.  Pupillen  ad  maximum  erweitert, 
Haut  trocken,  hochrot,  starker  Meteorismus, 
fliegende  Respiration,  Puls  unzählbar.  Auf  Dar- 
reichung von  Morphium  zweimal  0,005  g  sub- 
kutan innerhalb  vier  .  Stunden  trat  genügende 
Beruhigung  ein.  Die  Darmgase  wurden  durch 
Einführung  einer  Magensonde  beseitigt  und  die 
Darmperistaltik  durch  Essigklystiere  angeregt. 
Verf.  empfiehlt,  gestützt  auf  diese  Beobachtung, 
in  jedem  Falle  von  akuter  Atropin  Vergiftung  die 
Darreichung  von  Morphium.  Es  besteht  ein 
Doppel- Antagonismus:  Morphium — Atropin  und 
Atropin — Morphium;  freilich  ist  Morphium  kein 
Antidot  in  chemischem  Sinne,  es  reizt  aber  die 
vom  Atropin  gelähmten  Nerven. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift  1904,  No.  46.)    J. 

(Aue  der  K.  K.  Allgemeinen  UntersuchungMuutalt  für  Lebens- 
mittel In  Wien.) 

Verwechselung  von  Enzianwurzel  mit  Belladonna- 
wurzel. Von  J.  Hockauf. 
Drei  Personen,  welche  nach  dem  Abend- 
essen zusammen  l/s  Liter  Enzianschnaps  getrunken 
hatten,  erkrankten  in  der  Nacht  unter  "Würgen 
im  Halse,  Brechreiz,  Erstickungsanfällen  und 
Diarrhoe.  Trotz  Magenausspülung  hielten  Schwin- 
del und  Magendarmbeschwerden  noch  einige 
Tage  an. 

Die  Untersuchung  der  zur  Schnapsbereitung 
benutzten  Wurzeln  ergab,  daß  dieselben  haupt- 
sächlich von  Atropa  Belladonna  stammten.  Der 
Branntweinschänker  hatte  von  Kräutersammlern 
einige  Tage  vor  Abgabe  des  Schnapses  angeblich 
Enzianwurzeln  gekauft  und  dieselben  mit  Alkohol 
und  Wasser  angesetzt. 

(Wien.  klin.  Wochenschr.  1904,  No.  31,  S.  870.)       J. 

«)  Therap.  Monatsh.    Oktober  1904.    S.  542. 


Vergiftung  nach  äußerlicher  Anwendung  von 
Kupfenulfat  ( Blaut teln).  Von  Regimentsarzt 
Dr.  Spannbauer  (Trembowla). 

Ein  an  heftig  juckendem  Ekzem  am  Kopfe 
leidender  Soldat  hatte  sich  die  Kopfhaut  mit 
einer  Lösung  von  Blaustein  in  Milch  eingerieben. 
Zwei  Tage  später  wurde  er  schwer  krank  in  das 
Spital  gebracht:  der  Gesichtsausdruck  war  ver- 
fallen und  leidend,  die  Atmung  erschwert,  die 
Sprache  klanglos  und  heiser,  die  Pupillen  weit, 
träge  reagierend,  Extremitäten,  Nase,  Ohren  kalt 
und  dunkelblau,  Lippen  cyanotisch,  Radialpuls 
nicht  fühlbar,  Herztöne  undeutlich.  Bauch  ein- 
gesunken, an  der  Magengegend  druckempfindlich. 
Muskelkontrakturen  an  den  unteren  Extremitäten. 
Patient  war  unruhig,  klagte  über  Atemnot,  Übel- 
keit, Durst  und  Schmerzen  in  Magen  und  Beinen. 
Wiederholtes  Erbrechen  grünlich- gelber  Flüssig- 
keit; Anurie.  In  der  der  Einlieferung  voraus- 
gehenden Nacht  bestand  heftige  mit  kopiösen 
Entleerungen  einhergehende  Diarrhoe.  Die  Kopf- 
haut war  mit  eingetrockneten,  blaugefärbten 
Borken  und  Krusten  bedeckt.  Die  Therapie  be- 
stand in  Darreichung  von  Stimulantien,  Frottie- 
rung der  Extremitäten  und  warmen  Klysmen. 
Nach  einigen  Stunden  besserte  sich  der  Zustand, 
doch  verschlimmerte  sich  das  Befinden  am  nächsten 
Tage  wieder,  8  od  aß  wiederum  Kampferinjektionen 
notwendig  wurden.  Der  spontan  gelassene  Urin 
—  an  Menge  200  cem  —  war  trübe,  dunkel 
und  enthielt  reichlich  Eiweiß.  Am  3.  Tage 
waren  alle  Erscheinungen  geschwunden. 

Bemerkenswert  in  diesem  Falle  waren  die 
geringen  Mengen  Kupfersulfat  —  5  bis  6  g  — 
die  zur  Vergiftung  geführt  hatten,  obendrein  bei 
äußerlicher  Anwendung;  die  Dosis  letalis  von 
Kupfersulfat  beträgt  intern  verabreicht  10 — 20  g. 
Auffällig  war  ferner  der  plötzliche  Eintritt  der 
Intoxikationserscheinungen  und  ihr  schneller 
Nachlaß.  Da  im  Erbrochenen  Kupfersulfat  sich 
nachweisen  ließ,  wurde  also  das  durch  die  Haut 
aufgenommene  Kupfer  auf  der  Magen-  und 
Darmschleimhaut  ausgeschieden,  auf  deren  Zellen 
es  einen  spezifischen  Reiz  auszuüben  scheint. 

(Wiener  klin.  Wochetxschr.  Xo.  43.  S.  2019,  1904.) 

J.  Jacobson. 


Literatur. 


Grundzüge  der  Ernährung  und  Diätetik.   Von 

Geh.  Med.-Rat.  Prof.  Dr.  vonLeyden,  Sonder- 
abdruck aus  dem  Handbuch  der  Ernährungs- 
therapie, 2.  Aufl.,  Leipzig  1903,  Georg  Tieme. 

Die  vorliegende  kleine  Monographie  ist  mit 
Recht  vom  Autor  und  Verleger  als  Sonderabdruck 
herausgegeben  worden.  Denn  sie  eignet  sich  nicht 
nur  zum  Studium  für  Arzte,  sondern  auch  für 
gebildete  Laien  zur  Belehrung  und  Anweisung. 
Sie  gibt  eine  eingehende  Übersicht  über  die  Er- 
nährungskuren und  widmet  ein  besonderes  Ka- 
pitel der  Krankenkost.  Das  elegant  ausgestattete 
kleine  Buch,  im  Preise  von  2  M.,  wird  in  diesem 
Sinne  von  großem  Nutzen  für  Hygiene  und 
Volksbildung  sein.  H.  Rosin. 


XIX.  Jahrgang.! 
Januar  1905.  J 


Literatur. 


53 


Die  inneren  Krankheiten  in  kurzer  Darstellung* 
zum  Gebrauch  für  Aerzte  und  Studierende. 

Von  Privatdozent   Emil    Schwarz  in   Wien. 

I.  Teil.  Wien  1903,  Moritz  Perles.  Preis  6  Mk. 

Das  Buch  ist  ein  kurzgefaßter  Grundriß  der 
inneren  Medizin,  der  mit  seinen  zahlreichen  Ge- 
nossen auf  dem  Büchermarkte  in  Konkurrenz 
tritt.  Als  Veranlassung  der  neuen  Erscheinung 
gibt  der  Autor  selbst  das  tagliche  Fortschreiten 
unserer  Wissenschaften  an  und  die  durch  diese 
bedingten  steten  Änderungen  unserer  Ansichten. 
Möge  es  dem  übersichtlich  und  kurz  gefaßten 
Lehrbuche  gelingen,  sich  zur  Geltung  zu  bringen 
und  seinen  Leserkreis  zu  finden.  h.  Rosin. 

Beitrag  zur  Pathologie  und  Therapie  der 
Pankreaserkranknngen  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  Cysten  und  Steine. 
Von  Priv.-Doz.  Dr.  Paul  Lazarus,  Assistent 
d.  I.  med.  Univ.-Klin.  Berlin.  Erweit  Sond.- 
Abdr.  a.  d.  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Mit  17  Fig. 
Berlin,  Hirschwald,  1904.     208  S. 

Die  Arbeit  ist  das  Ergebnis  fünfjähriger 
klinischer  experimenteller  und  anatomischer 
Untersuchungen  auf  dem  noch  wenig  bearbeiteten 
und  vielfache  Rätsel  darbiotenden  Gebiet  der 
Pankreaspathologie.  Der  Umstand,  daß  Verf. 
wahrend  dieser  Zeit  an  chirurgischen  und  medi- 
zinischen Kliniken  tätig  war,  ermöglichte  es  ihm, 
eine  große  Reihe  von  Erkrankungen  auf  diesem 
Grenzgebiet  von  Chirurgie  und  innerer  Medizin 
zu  beobachten  und  zu  bearbeiten.  Er  behandelt 
vorzugsweise  2  Abschnitte  aus  der  Pankreas- 
pathologie:  Cysten  und  Steine,  und  bespricht 
eingehend  deren  Ursachen,  klinische  und  ana- 
tomische Befunde  und  Erscheinungen,  Diagnose, 
Prognose   und  Therapie.  Esch  (Bendorf). 

Diagnostik    der    Krankheiten    des    Nerven- 
systems.    Eine   Anleitung   zur  Untersuchung 
Nervenkranker.     Von  Dr.  A.  Goldscheide r, 
a.  o.  Professor,  dirig.  Arzt  am  städt.  Kranken- 
hause  Moabit  zu  Berlin,    Oberstabsarzt  d.  L. 
3.  verbesserte  und  vermehrte  Aufl.    Mit  58  Ab- 
bildungen im  Text    Berlin,  Fischers  medizin. 
Bachhandlung  Kornfeld  1903.  268  S. 
Das  kleine,  treffliche  Buch  ist  bekannt  und 
beliebt.     Die  Untersuchungsmethoden   sind   klar 
und  prägen   sich   schnell  dem  Gedächtnisse  ein. 
Die  Anordnung  des  Stoffes  ist  übersichtlich  und 
handlich.    Daß  den  Fortschritten  der  Wissenschaft 
durchweg  Rechnung  getragen  ist,   bedarf  keiner 
Betonung.     So   ist  u.  a.  der  Niveaudiagnose  be- 
sondere Sorgfalt  gewidmet.    Als  Anhang  ist  eine 
kurze  spezielle  Symptomatologie  beigegeben,  die 
die  einzelnen  Krankheitsbilder  in  scharfem  Relief 
hervortreten   läßt.     Der   Anfänger    bedarf    einer 
praktischen  Anleitung,  um  sich  auf  dem  weiten 
Gebiete    zurecht    zu    finden,    und   er  kann   sich 
keine  bessere  wünschen  als  diese.         h.  Krön. 

Erfahrungen  aus  einer  vierzigjährigen  neuro- 
logischen Praxis.  Von  Dr.  V.  von  Holst, 
Riga.  Stuttgart,  Verlag  von  Ferd.  Enke,  1903. 
8°.   S.67. 

Bucher,  in  denen  viel  beschäftigte,  hervor- 
ragende Ärzte  und  Forscher  am  Abend  ihrer 
segensreichen  Tätigkeit  das  Resultat  ihrer  lang- 


jährigen Erfahrungen  aufzeichnen,  sind  fast  immer 
von  Wert  und  Bedeutung.  So  auch  die  vor- 
liegende Broschüre,  deren  Verfasser  den  so 
genannten  funktionellen  Neurosen  seit  langen 
Jahren  sein  spezielles  Interesse  widmet  und  be- 
kanntlich zu  den  angesehensten  und  berufensten 
Vertretern  seines  Faches  gehört.  Beherzigens- 
werte Winke  und  Ratschläge  enthält  das  Ein- 
gangskapitel, in  welchem  Verfasser  seine  An- 
sichten über  die  eigentliche  Aufgabe  des  prak- 
tischen Arztes  und  seine  Tätigkeit  entwickelt. 
Aldann  kommen  interessante  neurologische  Be- 
trachtungen zum  Ausdruck,  indem  in  drei  Ab- 
schnitten folgende  Themata  erörtert  werden: 
1.  Über  Heilanstalten  für  Nervenkranke.  2.  Be- 
merkungen zur  Diagnose  und  Therapie  der  Hy- 
sterie. 3.  Über  die  Hysterie  der  Gebildeten  und 
Ungebildeten.  Ein  näheres  Eingehen  auf  den 
Inhalt  der  lehrreichen  Broschüre  würde  zu  weit 
führen.  Sic  wird  von  Ärzten  und  Spezialisten 
mit  Interesse  und  Nutzen  gelesen  werden.  Daher 
sei  sio  weitesten  Kreisen  zur  Anschaffung 
empfohlen.  Rabow. 

Die  Krankheiten  der  warmen  Länder.  Ein 
Handbuch  für  Ärzte  von  Dr.  B.  Sehe  übe. 
Dritte  umgearbeitete  Auflage.  Mit  5  geogra- 
phischen Karten,  13  Tafeln  und  64  Abbildungen 
im  Text.  Jena,  Verlag  von  Gustav  Fischer,  1903. 

Das  bekannte  Buch,  das  nunmehr  in  dritter, 
den  Wissensfortschritten  entsprechend  erweiterter 
Auflage  vorliegt,  ist  bisher  das  einzige  seiner 
Art  in  der  deutschen  medizinischen  Literatur. 

Ebenso  wie  die  Bezeichnung  „  Tropenkrank- 
heiten u ,  so  ist  auch  wohl  die  umfassendere 
«Krankheiten  der  warmen  Länder"  nicht  ganz 
scharf,  und  sie  kann  es  auch  nicht  sein.  Manche 
dieser  Krankheiten  kommen  ja  auch  in  kälteren 
Gegenden  vor,  wenn  auch  meist  —  z.  B.  Lepra 
—  eingeschleppt. 

Bei  weitem  das  meiste,  was  Scheube  in 
seiner  nmfassenden  und  klaren  Darstellung  gibt, 
gehört  allerdings  speziell  der  Tropenpathologie  an. 

Es  rangieren  da  neben  weltbekannten  Krank- 
heitsformen auch  viele,  die  den  meisten  Ärzten 
nur  sehr  wenig  oder  gar  nicht  bekannt  sind  und 
zum  großen  Teile  noch  sehr  der  Erforschung 
bedürfen. 

Scheube  bringt  alles,  was  aus  der  Literatur 
bekannt  ist,  und  fügt  eventuell  seine  persönlichen 
Erfahrungen  und  Anschauungen  hinzu.  Er  be- 
rücksichtigt neben  Klinik,  pathologischer  Ana- 
tomie, Prophylaxe  und  Therapie  auch  genau  die 
geographische  Verbreitung  und  die  Geschichte 
der  Krankheiten. 

Der  Stoff  ist  gegliedert  in:  Allgemeine 
Infektionskrankheiten ,  Intoxikationskrankheiten, 
Durch  tierische  Parasiten  verursachte  Krankheiten, 
Organkrankheiten,  Äußere  Krankheiten,  Die 
kosmopolitischen  Krankheiten  in  den  Tropen. 

Daß  dem  verdienstvollen  Buche  auch  im 
Auslande  die  gebührende  Anerkennung  nicht  ver- 
sagt geblieben,  geht  daraus  hervor,  daß  im  vorigen 
Jahre  eine  englische  Übersetzung  desselben  er- 
schienen ist. 

Bei  den  gegenwärtig  schon  vielfach  be- 
stehenden   und    immer    stärker    hervortretenden 


54 


Literatur. 


rTherapeutiBche 
L   Monatsheft©. 


Beziehungen  Deutschlands  zu  den  Tropen  ist 
das  Buch  nicht  nur  für  den  in  den  Tropen 
praktizierenden  und  Schiffs-Arzt  von  größter  Be- 
deutung, sondern  auch  der  in  der  Heimat  lebende 
Arzt  und  Forscher  ist  oft  genötigt,  sich  über 
eingeschleppte  Tropenkrankheiten  zu  informieren. 
Aus  diesem  Umstände  in  Verbindung  mit  der 
Vollständigkeit  des  abgehandelten  Stoffes  und  der 
interessanten  Darstellungsweise  erklärt  sich  so- 
wohl die  weite  Verbreitung  des  Scheub eschen 
Buches,  die  sich  durch  die  schnelle  Aufeinander- 
folge der  bisherigen  Auflagen  auch  nach  außen 
hin   kundgibt.  Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Der  Scheintod  der  Neugeborenen.  Seine  Ge- 
schichte, klinische  und  gerichtsärztliche  Be- 
deutung. Von  Dr.  Ludwig  Knapp,  Universitäts- 
professor und  I.  Assistent  an  der  K.  K.  deutschen 
Frauenklinik  zu  Prag.  II.  klinischer  Teil  mit 
35  Abbildungen  im  Text.  Wien  und  Leipzig, 
Wilhelm  Braumüller,  K.  u.  K.  Hof-  und  üni- 
versitätsbuchhändler,  1904. 
Nach  6 jähriger  Pause  läßt  der  Verfasser 
dem  ersten  geschichtlichen  Teil  seiner  breit  an- 
gelegten Monographie,  die  ja  alle  Gebiete  der 
Geburtshilfe  berührt,  den  IL  Teil  folgen,  den  er 
keinem  Geringeren  als  B.  S.  Schultze  zueignet. 
Trotz  des  sichtbaren  und  ausgesprochenen  Be- 
strebens des  Autors,  nur  das  Wesentlichste  und 
Wertvollste  aufzunehmen,  hat  das  Buch  mit 
seinen  vielen  literarischen  Quellenangaben  und 
zahlreichen  Abbildungen  einen  recht  großen  Um- 
fang angenommen,  wie  er  freilich  auch  der  um- 
fassenden Bedeutung  des  bearbeiteten  Themas 
entspricht.  Die  Schwierigkeiten  der  gerade  auf 
diesem  Gebiet  sich  häufenden  Fragen  erscheinen 
schon  bei  dem  ersten  Versuch,  eine  klar  um- 
schriebene Definition  des  Begriffes  „Scheintod-, 
den  man  nach  Knapp  ebenso  Scheinleben  be- 
bezeichnen kann  oder  Tod  mit  überlebendem 
Herzen  (nach  Ahlfeld),  Schwierigkeiten,  deren 
Größe  das  folgende  Kapitel  über  die  Physiologie 
und  Pathologie,  über  die  Momente,  die  geeignet 
sind,  Atmung  und  Zirkulation  intrauterin  zu  be- 
einflussen, näherrückt;  und  dies  umsomehr,  wenn 
wir  wissen,  daß  „die  meisten  spontan  und  nor- 
mal geborenen  Kinder  bis  zum  vollendeten  Aus- 
tritt aus  dem  Genitale  einige  Zeit  darnach  sich 
in  einem  geringen  asphyktischen  Zustande  be- 
finden" (Schultze):  Wie  fast  überall  auf  dem 
gesamten  Gebiete  der  Medizin,  also  auch  hier 
anscheinbare  Übergänge  vom  pathologischen  zum 
physiologischen  Zustande.  Die  schon  intrauterin 
möglichen,  schweren  dyspnoischen  Zustände,  wie 
sie  sich  im  Anschluß  an  Störungen  des  fötalen 
respiratorischen  Gaswechsels  abspielen  können 
und  in  sehr  seltenen  Fällen  vom  sogenannten 
Vagitus  uterinus,  einem  Schreien  des  Kindes  in 
utero,  begleitet  sind,  finden  wir,  durch  kasuistische 
Beiträge  ergänzt,  eingehend  besprochen.  In 
gleicher  Weise  lesen  wir  von  der  großen  Lebens- 
zähigkeit der  Neugeborenen,  deren  Sauerstoffbe- 
dürfnis gleich  nach  der  Geburt  so  gering  ist, 
daß,  wie  aus  den  literarischen  Notizen  ersicht- 
lich, ausgetragene  Kinder  selbst  eine  viertel  bis 
eine  halbe  Stunde  die  Sauerstoffzufuhr  entbehren 
können,    ehe    die  Herztätigkeit    aufhört.     Dem 


entspricht  denn  auch  die  naturgemäß  im  vor- 
liegenden Buche  hervorgehobene,  für  das  ärzt- 
liche Handeln  so  wichtige  Tatsache,  daß  noch 
lange  nach  dem  Tode  der  Mutter  das  Kiud  über- 
lebend sein  kann.  Den  Fragen  nach  dem  Sitze 
des  Atemzentrums,  nach  der  Ursache  der  ersten 
Atembewegungen  und  den  Folgeerscheinungen  der- 
selben für  den  Körper  gewährt  der  Verf.  eingehende 
Besprechung,  umsomehr,  als  sich  aus  dem  phy- 
siologischen Verhalten  die  pathologischen  Zu- 
stände der  Asphyxie  erklären  lassen.  Die  Frucht 
besitzt  zwar  eine  große  Widerstandsfähigkeit  im 
Vergleich  zum  Erwachsenen  gegenüber  jenen  Zu- 
fällen, welche  zur  Asphyxie  führen  können,  nichts- 
destoweniger ist  aber,  wie  uns  die  Erörterungen 
und  Beispiele  im  Kapitel  der  Ätiologie  ausführen, 
die  Zahl  der  die  Asphyxie  ermöglichenden  Um- 
stände recht  groß;  Erkrankungen  der  Mutter, 
der  Übergang  chemischer  Substanzen  von  ihr 
auf  die  Frucht  und  ihre  Wirkung,  unter  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Narkose,  Bildungs- 
fehler, Neubildungen  und  Erkrankungen  der 
Frucht  selbst,  Störungen  im  Geburtsverlauf,  wie 
sie  teils  vom  Kinde  selbst,  teils  von  der  Mutter 
ausgehen,  geben  eine  reiche  Fülle  von  ursäch- 
lichem Material  zur  Erzeugung  des  Scheintodes. 
Wenn  gleichwohl  die  Zahl  der  Scheintotgeborenen 
verhältnismäßig  gering  ist,  so  muß  man  mit 
Knapp  natürliche  Schutzvorrichtungen  im  kind- 
lichen Organismus  gegenüber  der  Entstehung 
jener  Störungen  annehmen.  Die  Zahl  der  asphyk- 
tischen Neugeborenen  ist  naturgemäß  sehr  schwan- 
kend. Die  bisher  vorliegenden  und  von  Knapp 
soweit  als  möglich  verwerteten  Berichte  lassen 
brauchbare  Schlüsse  nur  in  beschränktem  Maße  zu. 
Die  bereits  in  utero  sich  abspielende  Asphyxie 
ist,  wie  es  im  Kapitel  der  „Diagnose  und  Symp- 
tomatologie" (oder,  wie  es  wohl  logischerweise 
heißen  müßte,  der  „Symptomatologie  und  Dia- 
gnose" Ref.),  derart  scharf  präzisiert,  daß 
nach  des  Verf.  Ansicht  ein  Verkennen  dieses 
Zustand  es  viel  seltener  ist,  als  die  Annahme 
desselben,  wo  ein  solcher  tatsächlich  nicht  be- 
steht. Daher  würden  nach  Knapps  Meinung 
viele  Zangenentbindungen  „wegen  drohender 
Asphyxie  der  Frucht",  ebenso  wie  Extraktionen 
derselben  bei  Beckenendlage  mit  ihren  erst  recht 
bedrohlichen  Gefahren  für  das  Leben  der  Frucht 
„bei  ungenügender  Vorbereitung  der  Weichteile" 
bei  schärferer  Diagnosenstellung  hinfällig  und 
durch  diese  Art  weiser  Zurückhaltung  manchem 
Kinde  das  Leben  gerettet  werden. 

Der  asphyk tische  Zustand  nach  der  Geburt 
in  seinen  zwei  Graden  begegnet  in  seiner  Fest- 
stellung keinen  besonderen  Schwierigkeiten,  so 
wenig  wie  die  Trennung  der  Asphyxie  von  dem 
bereits  intrauterin  erfolgten  Frucht tod  an  der 
Hand  der  ausführlich  vom  Verf.  beschriebenen 
Symptome  zweifelhaft  sein  kann.  Ein  in  seinen 
Einzelheiten  recht  schwieriges  Gebiet  betreten 
wir  mit  dem  Autor  in  der  Frage  von  den  un- 
mittelbaren und  späteren  Folgen  des  Schein- 
todes, Fragen,  deren  Beantwortung  vereinfacht 
wird  durch  die  Möglichkeit,  die  Ursachen  des 
Scheintodes  mit  eben  jenen  Folgen  in  Beziehung 
zu  bringen.  Freilich  dürfte  recht  oft  bei  dem 
Versuch,  Ursache  und  Wirkung  in  Zusammenhang 


XIX.  Jahrgang. 1 
Janaar  1905.  J 


Literatur. 


55 


zu  führen,  namentlich  bezüglich  der  in  späterem 
Alter  auftretenden  nervösen  Störungen,  weit  über 
die  Grenzen  des  Möglichen  im  Reiche  der  Schluß- 
folgerungen hinausgegangen  werden.  Interessante 
Hinweise  hierfür  liefert  die  vom  Verf.  gegebene 
kasuistische  Auslese. 

Die  Prognose  des  Scheintodes,  von  vielen 
Zufälligkeiten  abhängig,  ist  bekanntlich  einer 
besonders  günstigen  Beeinflussung  durch  die 
Therapie  zugängig,  wie  auch  die  Prophylaxe  ein 
recht  großes  Feld  zur  Entfaltung  ihrer  Aufgabe 
findet,  das  dort  vor  die  schwersten  Probleme 
führt,  wo  es  gilt,  zwischen  Leben  der  Mutter 
und  des  Kindes  zu  Gunsten  eines  von  beiden  zu 
entscheiden.  Die  prophylaktischen  Methoden 
zur  Anregung  der  Wehen tätigkeit,  die  in  der 
ärztlichen  wie  forensischen  Beurteilung  wichtigen 
Indikationen  zujn  Kaiserschnitt,  erläutert  an  Bei- 
spielen aus  der  Literatur,  ferner  die  Anwendung 
der  Zange,  deren  Gebrauch  mit  anderen  auch 
Knapp  im  Laufe  der  Jahre  nicht  zum  Nachteil 
der  Geburten  wesentlich  eingeschränkt  hat,  das 
prophylaktische  Verhalten  des  Geburtshelfers  bei 
abnormen  Lagen  und  Haltungen  der  Frucht,  bei 
Veränderungen  des  Geburtskanals  und  des  Kindes 
selbst,  all  dies  finden  wir  eingehend  erörtert, 
eine  Summe  von  Aufgaben,  die  in  ihrem  großen 
Umfang  und  ihrer  weitgehenden  Bedeutung  schon 
an  dem  15  Druckseiten  umfassenden  Literatur- 
verzeichnis  dieses  Abschnittes  erkenntlich    sind. 

Die  Therapie  des  scheintotgeborenen  Kindes 
stellt  bekanntlich  an  die  Ruhe,  Überlegung  und 
Geduld  des  Arztes,  wie  seiner  Umgebung  die 
größten  Anforderungen.  Die  klaren  Darlegungen 
Knapp  s  erleichtern  das  kritische  Abwägen 
zwischen  den  einzelnen  zur  Anwendung  emp- 
fohlenen Verfahren  zur  Wiederbelebung  um  ein 
wesentliches.  Ausführungen,  die  besonders  da- 
durch an  Wert  gewinnen,  als  sie  durch  zahl- 
reiche recht  gute  Illustrationen  dem  Verständnis 
näher  gerückt  werden.  Neben  den  vielen  anderen 
von  ihm  beschriebenen  Verfahren  beschäftigt 
sich  Knapp  vorzüglich  mit  den  vor  allem  in 
Deutschland  üblichen  Schultz  eschen  Schwin- 
gungen, indem  er  das  kritische  Resume  fremder 
und  eigener  Erfahrungen  ausführlich  bespricht. 
In  gleicher  Weise  nehmen  die  Methoden  des  Luft- 
einblasens,  zur  Erzeugung  künstlicher  Atmungen, 
ferner  jene  der  Labordeschen  Zungentraktionen, 
ihre  Erfolge  und  Mißerfolge,  die  Anwendung 
von  Hautreizen  und  der  Elektrizität  und  die  In- 
dikationen ihrer  Verwertung  einen  breiten  Raum 
der  Besprechungen  ein. 

Mit  einigen  Worten  über  die  Nachbehand- 
lung der  Scheintotgeborenen  beschließt  Knapp 
seine  Ausführungen.  Wegen  seiner  tiefgründ- 
lichen, die  Materie  voll  beherrschenden,  klaren 
Darstellungen  besitzen  wir  in  diesem  Buche  eine 
wertvolle  Sammlung  der  früheren  und  modernen 
literarischen  Erzeugnisse  und  praktischen  Er- 
fahrungen auf  dem  Gebiete  des  Scheintodes  der 
Neugeborenen.  Für  jeden  der  diesem  wichtigen 
Kapitel  der  Medizin  sein  Interesse  entgegen- 
bringt, für  den  praktischen  Arzt,  den  Geburts- 
helfer und  Gerichtsarzt  wird  das  Knapp  sehe 
Buch  eine  Fundgrube  reicher  Anregungen  und 
Belehrungen  sein.  Dr.  Homburger  (Karlsruhe). 


Die  Vererbung"  der  Syphilis.  Von  Dozent  Dr. 
Rudolf  Matzenauer.  Ergänzungsheft  zum 
„Archiv  für  Dermatologie  und  Syphilis".  Wien 
und  Leipzig,  Wilhelm  Braumüller,  1903. 
Die  vorliegende  Monographie  macht  die 
Vererbung  der  Syphilis  zum  Gegenstande  einer 
eingehenden  Besprechung.  Der  Verf.  unterzieht 
die  Thesen,  die  über  die  Heredität  der  Lues 
aufgestellt  sind,  einer  einschneidenden  Kritik 
und  kommt  zu  wesentlich  anderen  Folgerungen, 
als  den  bisher  gelehrten.  In  erster  Linie  leugnet 
Matzenauer  eine  paterne  Vererbung.  Während 
eine  große  Anzahl  von  Autoren  sich  der  Ansicht 
zuneigt,  daß  das  Spermatozoon  direkt  die  Syphilis 
auf  die  Frucht  übertragen  kann,  kommt  der 
Verf.  zu  dem  Schlüsse,  daß  dieser  Modus  der 
Vererbung  bisher  nicht  erwiesen  ist.  Nur  wenn 
die  Mutter  mit  erkrankt  sei,  würde  die  Frucht 
infiziert.  Daraus  erfolgt  auch  die  Umkehrung, 
daß  es  einen  Choc  en  retour  nicht  gibt.  Die 
Sekundärerscheinungen  ohne  nachweislich  voran- 
gegangenen Primäraffekt  sind  nicht  auf  eine 
Infektion  der  Mutter  durch  die  angeblich  ex 
patre  syphilitische  Frucht  zu  beziehen,  sondern 
sind  durch  das  überaus  häufige  Übersehen  des 
Primäraffektes  zu  erklären,  den  die  Frau  in 
gewöhnlicher  Weise  durch  Kontaktinfektion 
akquiriert  hatte.  Wenn  daher  jede  —  auch  an- 
scheinend gesunde  —  Mutter  eines  hereditär- 
luetischen Kindes  ausnahmslos  selbst  luetisch  ist, 
so  muß  sie  auch  immun  sein;  d.  h.  eine  Infektion 
durch*  Säugen  etc.  ist  ausgeschlossen,  Als  eins 
der  Hauptargumente  dafür,  daß  die  Mutter  eines 
hereditär-syphilitischen  Kindes  stets  erkrankt  ist, 
sieht  Verf.  die  Tatsache  an,  daß  die  Placenta 
materna  immer  syphilitische  Veränderungen  auf- 
weist. —  Auch  das  Profetasche  Gesetz,  nach 
welchem  Kinder  syphilitischer  Eltern  dauernd 
immun  bleiben  sollen,  bekämpft  der  Verfasser, 
da  eine  Anzahl  sichergestellter  Ausnahmefälle 
bekannt  ist  und  Erfahrungen  über  akquirierte 
Syphilis  im  Kindesalter  bei  endemischer  Syphilis 
vorliegen.  —  Matzenauer  wandert  somit  weitab 
von  der  großen  Heerstraße,  auf  der  wir  ihm 
nicht  jedesmal  folgen  können,  da  er  gute  Be- 
obachtungen in  einseitiger  Weise  anzweifelt  und 
für  seine  Zwecke  zurechtlegt;  doch  ist  die 
Lektüre  des  Werkes  eine  recht  anziehende  und 
belehrende,  da  das  Gebiet  nach  allen  Richtungen 
erschöpft  wird.  Besonders  dürfte  das  Kapitel  über 
Immunität  Beachtung  verdienen,  da  in  diesem 
auch  die  Vererbung  anderer  Infektionskrankheiten 
eine  eingehende  Besprechung  findet  und  Analogie- 
schlüsse auf  die  Syphilis  in  geistvoller  Weise  ge- 
zogen werden.  Edmund  Saalfeld  (Berlin), 


Praktische  H otizen 

und 

empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


Ober  intravenöse  Hetolinjektionen.    Von  Dr.  med. 

R.  Weißmann  (Lindenfels). 

In  Heft  11  der  Therapeutischen  Monatshefte 
(November)  1904  bespricht  Es ch  (Bendorf)  eine 


56 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


rherapentlsehe 
Monatshefte. 


Arbeit  von  Tovölgyis  „Über  den  Wert  der 
Hetolinjektionen  bei  Fällen  von  Lungen-  und 
Kehlkopftuberkulose*4.  Der  Herr  Referent  meint, 
daß  es  im  Interesse  der  Verbreitung  des  Land  er  er- 
sehen Verfahrens  sehr  zu  bedauern  wäre,  wenn 
die  Ansicht  Krauses,  Berl.  Klin.  Wochenschr. 
1902,  No.  42,  daß  nur  bei  intravenöser  Injektion 
die  heilende  Leukozytose  auftrete,  sich  bewahr- 
heiten sollte. 

Diese  Ansicht  des  Herrn  Referenten  darf 
nicht  unwidersprochen  bleiben.  Sie  beruht  ledig- 
lich auf  der  ganz  unbegründeten  Furcht  vor 
dem  intravenösen  Eingriff  und  ist  geeignet,  der 
Verbreitung  der  intravenösen  Hetolinjektionen 
und  der  intravenösen  Injektionen  überhaupt 
Hindernisse  zu  bereiten,  die  ganz  unberechtigt 
sind.  Ich  habe  an  anderer  Stelle1)  schon  darauf 
hingewiesen,  daß  die  intravenöse  Einverleibung 
von  wirksamen  Arzneimitteln  eine  große  Zukunft 
haben  dürfte.  Keine  Methode  gestattet  uns  eine 
so  genaue  Dosierung,  bei  keiner  Methode  sind 
wir  so  sicher,  daß  die  einverleibte  Arznei  auch 
wirklich  aufgenommmen  wird  und  ihreWirkung  ent- 
falten kann,  als  bei  der  kinderleichten  intrave- 
nösen Injektion.  Ich  habe  Tausende  von  In- 
jektionen nicht  nur  von  Hetol,  sondern  auch 
von  Argen  tum  colloidale  gemacht;  ich  habe  nie 
einen  Zwischenfall  erlebt.  —  Wer  sich  die  Mühe 
geben  will,  die  Literaturzusammenstellungen  von 
Cantrowitz9)  und  mir3)  über  Heilbehandlung 
durchzulesen,  wird  finden,  daß  die  meisten  Au- 
toren sich  für  die  intravenöse  Injektion  aus- 
sprechen und  daß  die  Unschädlichkeit  des  Ver- 
fahrens ausnahmslos  zugegeben  wird.  Warum 
also  von  einer  Methode  abraten,  die  technisch 
absolut  keine  Schwierigkeiten  hat  und  so  un- 
endlich viel  leistet?  Ich  habe  eine  Reihe  von 
Kollegen  in  einer  Stunde  in  der  Technik  dieser 
intravenösen  Injektionen  unterrichtet,  und  alle 
haben  mir  später  berichtet,  daß  die  Injektionen 
ganz  glatt  gehen.  Wer  weiß,  daß  die  intrave- 
nöse Injektion  absolut  schmerzlos  ist,  daß  aber 
sofort  ein  brennender  Schmerz  auftritt,  wenn 
einmal  die  Nadel  nicht  in  die  Vene  gestochen 
wird,  der  wird  mir  Recht  geben,  wenn  ich  be- 
haupte: Die  schmerzhafte  subkutane  und  auch 
die  intramuskuläre  Injektion  von  Hetol  ist  ge- 
eignet, der  Ausbreitung  des  Landererschen 
Verfahrens  hinderlich  zu  sein.  Namentlich  würde 
es  unmöglich  gemacht,  die  so  dankbaren  Fälle 
von  Drüsentuberkulose  bei  Kindern  zu  behandeln, 
aber  auch  viele  Erwachsene  würden  die  Schmerz- 
haftigkeit  des  Eingriffs  scheuen. 

Das  Urteil  des  Herrn  Kollegen  Esch  be- 
ruht nur  auf  Unkenntnis  der  Technik.  Ich  glaube 
sicher,  daß  er  zu  einer  anderen  Ansicht  kommen 
wird,  wenn    er  sich    mit  der  einfachen  Technik 


!)  In  einer  in  diesen  Tagen  erscheinenden  Ar- 
beit: „Die  Heilbehandlung  der  Tuberkulose  nach 
Landerer"  in  der  ärztl.  Praxis. 

a)  Schmidts  Jahrbücher,  CCLXXI  p.  196, 
CCLXX1I  p.  171. 

8)  Schmidts  Jahrbücher,  Augustheft  1904. 


der  intravenösen  Injektion  vertraut  gemacht 
haben  wird.  Daß  ein  jeder  Arzt  dieses  tue,  ist 
durchaus  notwendig,  wenn  wir  bedenken,  welch 
schöne  Erfolge  die  intravenöse  Injektion  von 
Argentum  colloidale  zeitigt,  wie  uns  die  Arbeiten 
Credes4),  Schmidts5)  und  Georgis6)  lehren. 
Der  letzte  Autor  schreibt  wörtlich:  „Überall  da, 
wo  es  darauf  ankommt,  eine  möglichst  rasche 
und  intensive  Collargolwirkung  zu  erzielen,  ist 
die  intravenöse  Darreichung  indiziert."  Wer 
hätte  den  Mut,  angesichts  einer  schweren  sep- 
tischen Erkrankung  von  der  intravenösen  An- 
wendung des  Collargols  abzusehen,  weil  er  die 
Technik  nicht  beherrscht? 

Die  Verwendung  von  Perubaltam 

bei  der  Wundbehandlung  empfiehlt  angelegent- 
lich F.  Burger  (Münchener  mediz.  Wochen- 
schrift No.  48,  1904).  Riß-,  Säge-  oder  Quetsch- 
wunden werden  nach  voraufgegangener  Reinigung 
und  Durchspülung  mit  Sublimatlösung  mit  reinem 
Perubalsam  beträufelt  und  mit  Gaze  verbunden, 
die  von  Perubalsam  durchfeuchtet  ist.  Der  Ver- 
band wird  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag  er- 
neuert. Unter  dieser  Behandlung  bilden  sich 
rasch  üppige,  straffe,  nicht  schlaffe  Granulationen 
und  die  Heilung  erfolgt  überraschend  schnell. 
Die  Verwendung  von  Perubalsam  empfiehlt  sich 
auch  bei  schlaffen,  schlecht  granulierenden  Unter- 
schenkel geschwüren. 

Adrenalin  bei  der  Hydrocele-Behandlung 

ist  von  J.  Rupfle  (Münchener  mediz.  Wochen- 
schrift No.  48,  1904)  mit  gutem  Erfolge  benutzt 
worden.  In  zwei  Fällen  injizierte  er  nach  der 
Punktion  2  cem  einer  0,02  proz.  Adrenalinlösung. 
Bald  nach  der  Injektion  trat  brennender  Schmerz 
auf;  in  den  nächsten  Tagen  folgten  leichte  ent- 
zündliche Erscheinungen  und  unbedeutender,  ent- 
zündlicher Erguß,  der  sich  innerhalb  weniger 
Wochen  resorbierte.  Die  Patienten  blieben 
rezidivfrei,  während  bisher  seit  10  resp.  7  Jahren 
alle  2  —  3  Monate  punktiert  werden  mußte. 

Der  26.  Balneologen-Koogrete 

wird  den  9.  bis  13.  März  1905  unter  Vorsitz 
von  Herrn  Geheimrat  Liebreich  in  Berlin 
tagen.  Anmeldungen  von  Vorträgen  und  An- 
trägen nimmt  entgegen  der  Generalsekretär  der 
Balneologischen  Gesellschaft,  Herr  Geh.  San. -Rat 
Dr.  Brock,  Berlin  NW.,  Thomasiusstr.  24,  und 
der  Sekretär  der  Gesellschaft,  Herr  Privatdozent 
Dr.  Rüge,  Berlin  W.,  Friedrich -Wilhelmstr.  15. 

4)  Crede,  Die  Behandlung  septischer  Erkran- 
kungen mit  intravenösen  Collargol-  (arg.  coli.)  In- 
jektionen.   Archiv  f.  klin.  Chir.  Bd.  69. 

5)  Hermann  Schmidt,  Über  die  Wirkung 
intravenöser  Collargolinjektionen  bei  septischen  Er- 
krankungen. Deutsche  med.  Wochenschr.  1903, 
Nr.  15  u.  16. 

6)  Georgi,  Über  die  Bedeutung  der  Silber- 
behandlung für  die  ärztliche  Praxis.  Zeitschr.  f. 
ärztl.  Fortbildung,  1904,  Nr.  20. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich :  Dr.  A.  Langgaard  in  Berlin  SW. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  rniversitäts-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otlo  Francke)  in  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1905.    Februar. 

Origmalabhandlungen. 


Erfahrangren    über   Atropinanwendung 
in  der  Frauenheilkunde. 

Von 

Oberstabsarzt  Dr.  Drenkhahn  in  Gl  atz. 

Das  A tropin  hat  bei  der  Behandlung  von 
Frauenleiden  bisher  keine  bedeutende  Rolle 
gespielt,  obwohl  es  wie  kein  anderes  Arznei- 
mittel die  Eigenschaft  besitzt,  glatte  Muskeln 
ruhig  zu  stellen  und  selbst  tagelang  in  ato- 
nischem Zustande  zu  erhalten,  wie  aus  der 
Augenheilkunde  hinlänglich  bekannt  ist,  und 
obwohl  die  Ruhigstellung  der  glatten  Mus- 
kulatur des  Uterus  und  der  Tuben  in  vielen 
Fällen  das  wichtigste  Erfordernis  nicht  nur 
zur  Beseitigung  von  Beschwerden,  sondern 
auch  für  die  Heilung  ist. 

Ob  das  Atropin  auf  alle  glatten  Muskeln 
des  Körpers  gleichmäßig,  das  heißt  in  der- 
selben Weise  und  Intensität  wirkt,  ist  nicht 
genügend  festgestellt  und  kaum  anzunehmen. 
Daß  es  den  Uterus  prompt  zur  Erschlaffung 
bringt,  erwähnte  Prof.  Gusserow  in  seinen 
Vorlesungen  über  Geburtshilfe,  die  ich  im 
Wintersemester  1886/87  hörte.  Ich  habe 
mir  damals  notiert:  „Opiate  wirken  bei 
Krampfwehen  sehr  prompt,  noch  sicherer 
wirkt  Atropin;  0,001  Atropin.  muriat.,  sub- 
kutan injiziert,  hat  oft  schon  eine  derartig 
starke  Wirkung,  daß  die  Frau  in  der  Nach- 
geburtsperiode wegen  ungenügender  Kon- 
traktion des  Uterus  verblutet."  Schröder 
führt  in  seinem  Lehrbuche  der  Geburtshilfe, 
9.  Auflage,  S.  501,  an,  daß  Fränkel  bei 
Krampfwehen  Atropin  0,001  und  Morphium 
etwa  0,015  zusammen  mit  nachfolgender 
Chloroformnarkose  empfiehlt.  In  Huse- 
manns  Handbuch  der  gesamten  Arzneimittel- 
lehre, 2.  Auflage,  heißt  es  S.  1086:  „Nach 
Bezold  und  Bloebaum  wirkt  Atropin  in 
sehr  geringen  Mengen  erregbarkeitsvermin- 
dernd,  in  größeren  lähmend  auf  die  Ganglien- 
apparate des  Darmkanals,  der  Blase,  des 
Uterus  und  der  Ureteren  und  vielleicht  auch 
auf  die  glatten  Muskelfasern  selbst". 

Die  uteruslähmende  Wirkung  des  Atro- 
pins  ist  demnach  längst  bekannt,  in  der 
Praxis  ist  diese  Eigenschaft  bisher  aber 
kaum  ausgenutzt. 

Th.  M.  1905. 


Daß  die  Ruhigstellung  eines  Organs  so 
ziemlich  das  einzige  Mittel  ist,  das  wir  be- 
sitzen, um  einer  beginnenden  Entzündung 
Einhalt  zu  tun,  dürfte  eine  unbestrittene 
Tatsache  sein.  v.  Bardeleben  erwähnte 
die  Wichtigkeit  der  Ruhe  für  entzündete 
Organe  in  seinen  Vorlesungen  und  führte 
als  eklatantestes  Beispiel  die  Atropinisierung 
des  Auges  bei  Iritis  an.  v.  Bergmann 
sagt  in  einer  Abhandlung  über  die  Behand- 
lung der  Panaritien  (Zeitschrift  für  ärztliche 
Fortbildung.  Erster  Jahrgang,  No.  1,  S.  7): 
„Der  Patient  verlangt  Aufschub  und  möchte 
gern  noch  etwas  weniger  Scharfes  anwenden, 
ehe  er  in  die  Operation  zu  willigen  ver- 
spricht. In  solchen  Fällen  pflege  ich  nur 
zu  einem  Mittel  zu  raten,  zur  Ruhe  des 
entzündeten  Gliedes." 

Die  Wichtigkeit  der  Ruhe  für  den  ent- 
zündeten Uterus  ist  wohl  zuerst  von 
Wilhelm  Schrader  (Hamburg)  mit  hin- 
reichender Schärfe  präzisiert  und  hervor- 
gehoben. Im  95.  Hefte  der  Sammlung 
klinischer  Vorträge,  begründet  von  R.  von 
Volkmann,  Neue  Folge,  herausgegeben  von 
v.Bergmann,  Erb,  v.  Winckel,  klingt  in 
seinem  Aufsatze:  „Woher  der  therapeutische 
Mißerfolg  der  Antisepsis  beim  Puerperal- 
fieber?" vom  Anfang  bis  zum  Ende  immer 
wieder  der  Satz  durch:  „Wunden  soll  man 
in  Ruhe  lassen".  Die  Schraderschen 
Grundsätze  sind  später  von  Saft  (Archiv 
für  Gynäkologie,  Bd.  52,  Heft  3),  Koblanck 
und  anderen  bestätigt,  doch  wird  auch  jetzt, 
10  Jahre  nach  ihrer  Bekanntgabe,  noch 
keineswegs  überall  nach  ihnen  gehandelt. 

Als  ich  Schraders  Arbeit  las,  kam  mir 
gleich  der  Gedanke,  daß  das  Atropin  bei 
der  Behandlung  des  Puerperalfiebers  und 
anderer  entzündlicher  Zustände  des  Uterus 
von  unschätzbarem  Werte  sein  müßte,  falls 
die  Schradersche  Lehre  richtig  sei.  Ich 
habe  es  seither  in  zahlreichen  Fällen  bei 
Fieber  im  Wochenbett  und  nach  Aborten 
angewendet  und  bin  durch  eine  zehnjährige 
Praxis  zu  der  Überzeugung  gelangt,  daß  es 
durch  die  Ruhigstellung  des  Uterus  eine 
hervorragend  heilende  Wirkung  entfaltet,  daß 

5 


58 


Drenkhahn»  Atroplnanweadiiiig  In  der  Frauenheilkunde. 


rTharipeutiach« 
L   Monatshefte. 


es  das  Opium  in  dieser  Beziehung  weit 
übertrifft  und  diesem  auch  deswegen  vor- 
zuziehen ist,  weil  es  die  Defäkation  kaum 
beinträchtigt,  und  weil  man  die  Intensität 
seiner  Wirkung  äußerst  bequem  und  sicher 
am  Verhalten  der  Pupillen  kontrollieren  kann. 
Ja,  ich  mochte  behaupten:  „Dem  Atropin 
gebührt  in  der  Frauenheilkunde  der- 
selbe hervorragende  Platz  wie  in  der 
Augenheilkunde". 

Um  diesen  Satz  zu  beweisen,  lasse  ich 
einige  Krankengeschichten  folgen. 

Frau  Vizefeldwebel  Kl.,  26  Jabre  alt,  wurde 
nach  normalem  Verlaufe  ihrer  ersten  Schwanger- 
schaft am  21.  Januar  1904  von  einer  gut  durch- 
gebildeten, sauberen  und  zuverlässigen  Hebamme 
von  einem  Mädchen  entbunden.  Die  Geburt  zog 
sich  von  6  Uhr  Nachm.  bis  1  Uhr  Vorm.  hin,  verlief 
im  übrigen  normal,  doch  äußerte  die  Hebamme, 
die  Eihäute  seien  vielleicht  nicht  ganz  vollständig 
abgegangen. 

Am  23. 1.  04,  dem  3.  Wochenbettstage,  betrug 
die  Temperatur  vormittags  10  Uhr  38,2,  am  Nach- 
mittage trat  ein  Schüttelfrost  auf,  gegen  Abend 
wurde  ich  gerufen,  fand  die  Wöchnerin  hoch 
fiebernd,  39,3,  die  Lochien  rötlich -grau  und  übel- 
riechend. Ich  ordnete  absolut  ruhige  Lage  und 
Atropin  0,01:10,0  dreimal  täglich  12  Tropfen  an. 
Um  2  Uhr  nachts  war  die  Temperatur  auf  38,5 
gesunken. 

24.  I.  04,  4.  Wochenbettstag.  Temp.  Vorm. 
6  Uhr  38,2.  Mittags  klagt  die  Wöchnerin  über 
ein  leicht  kratzendes  Gefühl  im  Halse,  die  Pupillen 
sind  mittel  weit  und  reagieren  ziemlich  prompt.  Die 
Lochien  sind  reichlich,  rötlich  gelb  und  äußerst 
übelriechend.  Da  die  Temperatur  bald  nach  dem 
Einnehmen  des  Atropins  gefallen  war,  wurde  die 
.  Dosis  wegen  des  Kratzens  im  Halse  nicht  gesteigert, 
obwohl  die  prompte  Pupillenreaktion  darauf  hinwies, 
daß  die  Wirkung  auf  die  glatte  Muskulatur  nur 
eine  minimale  sein  konnte.  Gegen  Abend  stieg 
die  Temperatur  wieder,  Nachmittags  6  Uhr  betrug 
sie  39,8,  um  11  Uhr  89,4. 

25. 1.  04,  5.  Wochenbettstag.  Vormittags  6  Uhr 
Temp.  38,6,  Vorm.  10  Uhr  38,5.  Lochien  äußeret 
übelriechend,  fast  rein  eitrig.  Pupillen  mittelweit, 
reagieren  prompt  auf  Lichteinfall.  Kein  Kratzen 
im  Halse. 

Das  abendliche  Fieber  und  die  Reaktionsfähig- 
keit der  Pupillen  zeigten,  daß  die  Atropindosis 
unzureichend  war,  es  wurde  daher  nachmittags  die 
Verabreichung  von  18  Tropfen  Atrop.  sulfur.  0,01 :  10,0 
sechsstündlich  angeordnet. 

Temperatur  Nachm.  6  Uhr  39,6,  Nachts  1  Uhr 
38,8. 

26.  I.  04,  6.  Wochenbettstag.  Lochien  noch 
reichlich,  eitrig,  äußerst  übelriechend.  Kein  Kratzen 
im  Halse,  Pupillenreaktion  träge. 

Temperatur  Vorm.    6  Uhr  37,4 

-      12    -     37,1 

Nachm.    7     -     38,2 

-       11    -     37,5. 

27. 1. 04,  7.  Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 
6  Uhr  37,2,  Vorm.  10  Uhr  36,6.  Um  12  Uhr  wurden 
101  Kanonenschüsse  aus  Neunzentimeter  -  Ge- 
schützen, die  unmittelbar  hinter  der  Wohnung  der 
Wöchnerin  aufgestellt  waren,  abgegeben.  Die 
Detonationen  und  Erschütterungen  erschreckten 
und  erregten  sie  aufs  äußerste.  Da  sie  am  Morgen 
im  wachen  Zustande  irre  geredet  hatte,  hatten  die 
Angehörigen  das  Atropin  eigenmächtig  ausgesetzt. 


Um  1  Uhr  fand  ich  die  Kranke  ziemlich  ange- 
griffen, aber  bei  vollkommen  klarem  Bewußtsein, 
sie  erzählte  selbst,  daß  sie  Personen  im  Zimmer 
gesehen  habe,  die  garnicht  da  gewesen  seien.  Die 
Pupillen  reagierten  träge.  Durch  den  vollkommenen 
Abfall  der  Temperatur  ließ  ich  mich  verleiten,  die 
Atropindosis  stark  herabzusetzen,  da  das  Irrereden 
auf  die  Kranke  und  ihre  Umgebung  einen  sehr  be- 
ängstigenden Eindruck  gemacht  hatte.  Temperatur 
Nachm.  2  Uhr  37,2,  Nachm.  6  Uhr  39.9. 

28.  I.  04,  8.  Wochenbettstag.  Temp.  Vorm. 
8  Uhr  38,0,  12  Uhr  40,1,  Nachm.  4  Uhr  40,3.  Bei 
meinem  Besuche   fand   ich    die  Pupillen  eng  und 

Srompt  reagierend.  Ich  sah  ein,  daß  die  gewaltige 
fervenerregung  und  die  Verminderung  der  Atropin- 
dosis den  Zustand  der  Wöchnerin  ungeheuer  ver- 
schlechtert hatten.  Ich  ordnete  daher  die  kon- 
sequente sechsstündliche  Darreichung  von  20  Tropfen 
der  Atropinlösung  0,01 :  10,0  an.  Temperatur  Nachm. 
7  Uhr  404,  Nachm.  10  Uhr  39,5,  Nachts  2  Uhr  39,3. 
29. 1.  04,  9.  Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 

6  Uhr  38,3,  12  Uhr  38,3,  Nachm.  6  Uhr  36,6. 
Nachts  3  Uhr  38,1.  Pupillen  ziemlich  weit,  rea- 
gieren träge,  Sensorium  vollkommen  frei,  kein 
Kratzen  im  Halse,  Wohlbefinden. 

30. 1. 04,  10.  Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 

7  Uhr  38,1,  12  Uhr  37,2,  Nachm.  7  Uhr  37,8. 

31. 1. 04, 11.  Wochenbetts  tag.  Temperatur  Vorm. 
7  Uhr  36,5,  12  Uhr  36,6,  Nachm.  9  Uhr  37,8. 

1.II.04,  12.  Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 
7  Uhr  36,8,  12  Uhr  36,5,  Nachm.  7  Uhr  37,4. 

2.  II.  04,  13.  Wochenbettstag.  Wegen  Stuhl- 
verhaltung 1  Eßlöffel  Oleum  Ricini.  Tempe- 
ratur Vorm.  7  Uhr  36,7,  12  Uhr  36,8.  Es  erfolgen 
drei  reichliche  Stuhlentleerungen.  Tempe- 
ratur Nachm.  6  Uhr  38  J,  9  Uhr  38.1. 

8.  II.  04, 14.Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 
7  Uhr  87,6,  12  Uhr  37,3,  Nachm.  7  Uhr  37,4. 

4.  II.  04,  15.  Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 
7  Uhr  36,7,  12  Uhr  36,9,  Nachm.  7  Uhr  37,4. 
Harte  quälende  Stuhlentleerung,  darauf 
wieder  Hitzegefühl.  Nachts  12  Uhr  39,4  Temperatur. 

5.  II.  04,  16.  Wochenbettstag.  Temperatur  Vorm. 
7  Uhr  37,9,  12  Uhr  37,0,  Nachm.  7  Uhr  37,7. 

6.11.04,  17.  Wochen  bettstag.  Temperatur  Vorm. 
7  Uhr  36,2,  12  Uhr  36,5,  Nachm.  7  Uhr  36,4. 

Auch  in  den  nächsten  Tagen  war  die  Tem- 
peratur dauernd  subnormal.  Nichtsdestoweniger 
fuhr  ich  mit  der  Darreichung  hoher  Atropindosen 
fort,  die  außer  stundenweiser  Akkommodations- 
lähmung  keinerlei  Nebenerscheinungen  verursachten. 
In  9  Tafjen  wurden  0,06  g  Atropin  eingenommen, 
also  täglich  etwa  0,006,  das  heißt  reichlich  die 
doppelte  Maxim aldosis.  Dabei  hörte  auch  der 
Ausfluß  auf,  und  die  Involution  des  Uterus  nahm 
normalen  Verlauf.  Nach  dreiwöchiger  Behandlung 
konnte  ich  die  Wöchnerin  geheilt  entlassen. 

Es  handelt  sich  in  diesem  Falle  um  ein 
schweres  Wochenbettfieber,  das  unter  Atro- 
pinbehandlung  ohne  alle  sonstigen  Maßnahmen 
in   14  Tagen  günstig  verlief. 

Daß  ein  derartiger  Verlauf  auch  ohne 
Atrop  in  behandlung  vorkommt,  kann  und  will 
ich  nicht  bestreiten.  Auffallend  ist  aber  jeden- 
falls in  der  Krankengeschichte,  daß  jede  Un- 
ruhe in  den  Unter leibsorganen,  die  einmal 
durch  allgemeine  nervöse  Erregung  bei  un- 
genügender Atropinisierung  des  Uterus,  ein- 
mal durch  ein  Abführmittel,  einmal  durch 
spontanen  harten  Stuhlgang  veranlaßt  war, 
regelmäßig  eine  erneute  Temperatursteigerung 


XIX.  Jahrgang."! 
Febrnar  1905.  J 


Drenkhahn,  Atroplnanwendung  In  dar  Prauaahellkunda. 


59 


im  Gefolge  hatte,  die  beim  Wiedereintritt 
völliger  Ruhe  jedesmal  alsbald  normalen 
Temperaturen  Platz  machte,  ein  Beweis,  daß 
Infektionserreger  im  Uterus  schlummerten, 
ihre  verderbliche  Wirkung  aber  nur  bei  ein- 
tretender Unruhe  desselben  auf  den  Organis- 
mus ausübten.  Ich  würde  diesem  einen  Falle 
aber  trotzdem  keine  große  Bedeutung  bei- 
messen, wenn  ich  mich  von  der  günstigen 
und  prompten  Wirkung  des  Atropins  nicht 
auch  in  vielen  anderen  Fällen  überzeugt 
hätte. 

Allgemein  möchte  ich  meine  Erfahrungen 
in  folgende  Sätze  zusammenfassen. 

Das  Puerperalfieber  ist  zunächst 
eine  Wundinfektion  des  Uterus,  mit- 
hin  eine   reine   Gewebsmykose. 

Bei  völliger  Ruhe  des  Uterus  und 
der  anliegenden  Organe  bleibt  es  eine 
Gewebsmykose,  die  spontan  ohne  An- 
wendung von  Spülungen  und  ohne 
alle  anderen  Behandlungsweisen  aus- 
heilt. 

Zur  Ruhigstellung  des  Uterus  ist 
das  Atropin  das  geeignetste  Mittel. 

Uteruskontraktionen  führen  zur 
Toxämie   und   Bakteriämie. 

Die  in  den  Lymphbahnen  sich  fort- 
bewegenden und  im  Blute  kreisenden 
Bakterien  können  zu  Gewebsmykosen 
in  anderen  Organen  führen. 

Hat  schon  eine  Infektion  anderer 
Organe  stattgefunden,  so  beeinflußt 
das  Atropin  den  Verlauf  der  Uterus- 
erkrankung noch  günstig  und  kann 
gelegentlich  auch  der  Toxämie  Ein- 
halt tun,  dadurch,  daß  es  die  Re- 
sorption von  Giftstoffen  aus  der 
großen  Fläche  des  puerperalen  Uterus 
verhindert.  Auf  die  sekundären  Ge- 
websmykosen vermag  es  natürlich 
nicht   einzuwirken. 

Folgender  Fall,  in  dem  ich  mit  der  Dar- 
ereichung  des  Atropins  zu  spät  kam,  möge 
die  letzten  Behauptungen  praktisch  illustrieren. 

Frau  Alma  H ,  26  Jahre  alt,  wurde  am 

25.  Oktober  03  nach  normal  verlaufener  erster 
Schwangerschaft  von  einer  achtzigjährigen,  unzu- 
verlässigen Hebamme  unter  Außerachtlassung  aller 
Regeln  der  Aseptik  und  der  Sauberkeit  entbunden. 
Die  Geburt  verlief  ziemlich  leicht,  die  Wehen  be- 
gannen gegen  9  Uhr  Vorm.,  um 'S"  Nachmittags 
erfolgte  der  Durchtritt  des  Kindes.  Bei  ieder 
Wehe  ging  die  Hebamme  mit  der  ganzen  Hand 
in  die  Scheide  ein,  um  den  Kopf  durchzuholen. 

Am  27.  Oktober  08  hatte  die  Wöchnerin 
heftige  Kopfschmerzen  und  fühlte  sich  matt  und 
elend. 

Am  28.  Oktober  traten  Frost  und  Hitze  ein, 
die  Hebamme  versicherte,  es  sei  alles  in  Ordnung 
und  riet  von  der  Hinzuziehung  eines  Arztes  ab. 
Ein    gegen    Abend    eintretendes    äußerst    heftiges 


Nasenbluten  veranlaßte  den  Ehemann  endlich, 
meine  Hilfe  nachzusuchen.  Der  jagende  Puls, 
156  Schläge  in  der  Minute,  die  hohe  Temperatur, 
die  stinkenden,  in  reichlicher  Menge  abfließenden 
graugelben  Lochien  und  das  schwere  Phantasieren 
—  die  Kranke  sah  fortwährend  Feuer,  fühlte  dessen 
Hitze  und  suchte  deswegen  das  Bett  zu  verlassen  — 
zeigten  die  Schwere  der  puerperalen  Infektion  an. 
Da  seit  5  Tagen  kein  Stuhlgang  dagewesen  war, 
verabreichte  ich  zunächst  KalomeT  0,4  neben  großen 
Mengen  schweren  Ungarweins,  worauf  reichliche 
Entleerungen  erfolgten. 

Am  29.  Oktober  03,  dem  Ö.  Wochenbettstage, 
hatte  sich  das  Krankheiubild  kaum  geändert.  Die 
Kranke  erhielt  0,002  Atropin.  sulfur.  innerlich. 

Am  30.  Oktober  03,  dem  6.  Wochenbettstage, 
wurde  die  Dosis  auf  0,003  und  am  31.  Oktober, 
dem  7.  Wochenbettstage,  auf  0,004  gesteigert,  die- 
selbe Dosis  wurde  an  den  nächsten  Tagen  gegeben. 
Die  weiten,  kaum  reagierenden  Pupillen  zeigten  die 
genügende  Wirkung  an.  Der  Allgemeinzustand 
besserte  sich,  die  Delirien  hörten  auf,  der  Ausfluß 
wurde  geringer  und  verlor  seinen  putriden  Charakter, 
die  Temperatur  schwankte  zwischen  37,5  und  38,4. 

Am  4.  November,  dem  11,  Wochenbettstage, 
zeigte  sich  bei  einer  Temperatursteigerang  von 
39,8  ein  schmerzhaftes  Oedem  unter  dem  rechten 
Auge,  welches  am  nächsten  Tage  wieder  ge- 
schwunden war,  in  unzweideutiger  Weise  aber  an- 
kündigte, daß  die  Infektionserreger  sich  schon  fern 
vom  ursprünglichen  Herde  angesiedelt  hatten. 
Während  nun  der  Ausfluß  allmählich  ganz  auf- 
hörte, kam  es  in  den  nächsten  Wochen  unter  un- 
regelmäßigen heftigen  Fiebererscheinungen  nach 
einander  zu  einer  das  rechte  Auge  zerstörenden 
Pan Ophthalmie,  zu  parametritischen  Abszessen,  von 
denen  einer  in  den  Darm  durchbrach,  einer  sich 
durch  das  Foramen  ischiadicum  senkte,  sodaß  er 
durch  einen  Einschnitt  neben  dem  Trochanter  ent- 
leert werden  konnte,  zu  Thrombose  der  Yenae 
iliacae  mit  hochgradigem  Oedem  beider  Beine, 
endlich,  als  das  Oedem  geschwunden  war,  zu  Er- 
güssen in  beide  Kniegelenke.  Während  der  Re- 
konvaleszenz stellte  sich  dann  Mitte  Februar  04, 
also  drei  und  einen  halben  Monat  nach  der  Ent- 
bindung eine  Endokarditis  ein,  an  deren  Folgen 
die  Frau  noch  in  Behandlung  ist. 

Daß  dieser  Fall  ebenso  günstig  verlaufen 
wäre  wie  der  erste,  wenn  dem  Eindringen 
der  Infektionskeime  in  die  Lymphbahnen  und 
ins  Blut  gleich  beim  ersten  Auftreten  des 
Fiebers  durch  Ruhigstellung  des  Uterus 
mittels  Atropin  Einhalt  getan  wäre,  ist 
natürlich  nicht  zu  erweisen,  der  gute  Erfolg, 
den  ich  vielfach  von  der  Atropinwirkung 
gesehen  habe,  läßt  es  mich  aber  vermuten. 
Jedenfalls  zeigt  auch  dieser  Fall,  daß  Spü- 
lungen und  lokale  Antisepsis  zur  Beseitigung 
der  Uterusentzündung  überflüssig  sind.  Daß 
die  Delirien  schwanden  und  auch  bei  dem 
später  auftretenden,  viel  höheren  Fieber- (bis 
40,7)  nicht  wiederkehrten,  ist  doch  auch 
wohl  dem  Aufhören  der  Toxämie  infolge 
der  Ruhigstellung  des  Uterus  zuzuschreiben. 

Noch  auffallender,  als  wenn  es  gilt, 
Fieber  zu  beseitigen,  ist  der  Erfolg  des 
Atropins,  wenn  es  gilt,  schmerzhafte  Uterus- 
kontraktionen zum  Aufhören  zu  bringen,  wie 
folgender  Fall  mit  Deutlichkeit  zeigt. 

6* 


60 


Drenkhfthn,  Atropinftnwmdung  in  der  Frauenheilkunde. 


rherapenÜKhe 
Monatshefte. 


Frau  G ,   27  Jahre  alt,    hatte  yom  13. 

bis  zum  18.  Lebensjahre  eine  regelmäßige,  be- 
schwerdefreie Menstruation.  Im  18.  Lebensjahre 
watete  sie  während  der  Periode  bis  an  den  Unter- 
leib in  kaltes  Wasser  und  hielt  sich  etwa  drei 
Minuten  lang  darin  auf,  um  Sachen  aus  einem 
durch  Schleusenbruch  überschwemmten  Keller  zu 
holen.  Am  folgenden  Tage  stellten  sich  heftige 
Unterleibs  seh  merzen  ein,  die  während  der  Menstru- 
ation anhielten  und  zur  Bettruhe  zwangen.  Diese 
Beschwerden  kehrten  dann  bei  jeder  Periode  wieder 
und  waren  durch  große  Opiumdosen  so  wenig  zu 
beeinflussen,  daß  jedesmal  eine  achttägige  Bettruhe 
innegehalten  werden  mußte.  Im  22.  Lebensjahre 
wurde  Frau  G.  zum  ersten  Male  schwanger. 
Während  der  Schwangerschaft  hatte  sie  keine 
nennenswerten  Beschwerden,  und  die  Entbindung 
verlief  normal.  Am  Tage  nach  der  Geburt  stellten 
sich  heftige  Unterleibsschmerzen  ein,  die  wochen- 
lang andauerten,  Frau  G.  war  ein  Vierteljahr  wegen 
Gebärmuttersenkung  in  ärztlicher  Behandlung. 
Dann  war  sie  gesund,  die  Menstruationen  in  der 
Folgezeit  schmerzlos. 

Ein  Jahr  und  sieben  Monate  nach  der  ersten 
Geburt  begann  die  zweite  Schwangerschaft,  die 
ebenfalls  ohne  besondere  Beschwerden  verlief  und 
mit  einer  normalen  Entbindung  endete.  Auch  an 
diese  Geburt  schlössen  sich  unmittelbar  heftige 
krampfartige  Unterleibsschmerzen  an,  welche  die 
Wöchnerin  einen  Monat  ans  Bett  fesselten.  Das 
folgende  Vierteljahr  konnte  sie  wegen  allgemeiner 
Schwäche  nicht  in  der  Wirtschaft  tätig  sein.  Die 
Periode  war  in  dieser  Zeit  regelmäßig  und 
schmerzlos. 

Vier  Monate  nach  der  zweiten  Entbindung 
dritte  Schwangerschaft,  am  18.  September  03  Ge- 
burt unter  äußerst  schmerzhaften  Wehen.  Nach 
dem  Durchtritt  des  Kindes  und  der  Entfernung 
der  Nachgeburt  andauernd  heftige  Unterleibs- 
schmerzen, die  sich  mit  kurzen  Zwischenräumen 
zu  unerträglichen  krampfartigen  Beschwerden  stei- 
gerten. Am  Morgen  des  20.  September  03  wurde 
ich  zu  Rate  gezogen.  Es  bestand  kein  Fieber, 
kein  Meteorismus,  die  Lochien  waren  normal,  der 
Uterus  gut  kontrahiert.  Die  Wöchnerin  litt  augen- 
scheinlich unsäglich  und  erklärte,  sie  müsse  sterben. 
Ich  gab  große  Dosen  Opiumtinktur  ohne  jeden 
Erfolg.  Am  Abend  desselben  Tages  setzte  ich 
das  Opium  aus  und  verabreichte  0,001  g  Atropin, 
worauf  die  Beschwerden  geringer  wurden,  in  den 
folgenden  Tagen  brachte  ich  sie  durch  wiederholte 
Atropingaben  bald  und  andauernd  zum  Schwinden. 
Wegen  allgemeiner  Schwäche  lag  die  Frau  drei 
Wochen  zu  Bett.  Die  ersten  vier  Monate  nährte 
sie  und  menstruierte  nicht.  Bald  nach  dem  Ab- 
setzen des  Kindes  stellte  sich  die  Periode  ein  und 
zwar  wieder  unter  derartigen  Schmerzen,  daß  die 
Frau  volle  acht  Tage  Bettruhe  innehalten  mußte. 
Als  ich  dies  erfuhr,  gab  ich  ihr  die  Anweisung, 
mich  beim  Eintritt  der  nächsten  Menstruation  so- 
fort zu  benachrichtigen.  Dies  geschah.  Wieder 
bestanden  bei  mäßigem  Blutverlust  unerträgliche 
Unterleibsschmerzen.  Ich  reinigte  die  Scheide  und 
den  äußeren  Muttermund  durch  Abtupfen  und 
spritzte  dann  einen  Kubikzentimeter  einer  Atropin- 
lösung  0,01 :  10,0  in  den  Cervixkanal.  Die  Wirkung 
war  zauberhaft;  nach  einigen  Minuten  erklärte  die 
Frau,  sie  sei  schmerzfrei,  stand  auf  und  ging  un- 
gestört ihrer  häuslichen  Beschäftigung  nach.  Auf 
Befragen  gab  sie  in  den  nächsten  Tagen  an,  der 
Blutverlust  sei  erheblicher  als  sonst,  doch  wirkte 
er  in  keiner  Weise  schwächend,  er  dauerte  acht 
Tage  an,  ohne  daß  sich  irgend  welche  Beschwerden 
wieder  einstellten.  Beim  Eintritt  der  nächsten 
Menstruationen    hatte    ich    keine    gynäkologischen 


Instrumente  bei  der  Hand.  Das  eine  Mal  spritzte 
ich  mittels  einfacher  Spritze  etwa  1  cem  Atropin- 
lösung  0,01 :  10,0  in  die  Gegend  des  äußeren  Mutter- 
mundes mit  dem  Erfolge,  daß  die  Beschwerden 
sofort  aufhörten,  am  dritten  Tage  aber  vorüber- 
gehend wiederkehrten.  Das  andere  Mal  tupfte  ich 
die  Portio  mit  einem  Wattebausch  ab,  tropfte 
20  Tropfen  der  Atropinlösung  auf  eine  dünne 
Watteschicht,  die  ich  über  die  Kuppe  des  Zeige- 
fingers gelegt  hatte,  und  drückte  dann  diese  gegen 
den  äußeren  Muttermund.  Der  Erfolg  war  wieder 
ein  sofortiger,  vollkommener  und  andauernder. 

Wenn  Theilhabers  Ansicht  (Münchener 
Medizin.  Wochenschrift  1901,  No.  22  u.  23), 
daß  die  Ursache  der  Menstruationskolik  in 
der  Regel  ein  Krampf  der  Ringmuskulatur 
am  inneren  Muttermunde  ist,  zu  Recht  be- 
steht, so  wird  das  Atropin  vielen  Frauen 
die  Schmerzen  während  der  Periode  nehmen 
und  die  Arbeitsfähigkeit  erhalten  können. 
Nach  Entbindungen  und  Aborten  habe  ich 
es  noch  nicht  lokal  angewendet,  doch  glaube 
ich,  daß  man  dies  unbedenklich  versuchen 
kann. 

Will  man  Atropin  innerlich  geben,  so 
muß  man  sich  darüber  klar  sein,  daß  die 
Maximaldosis  ungeheuer  klein  bemessen  ist. 
Während  3  cg  Morphium  wohl  auf  jeden, 
der  nicht  daran  gewöhnt  ist,  eine  deutlich 
merkbare  Wirkung  ausüben,  sind  von  1  mg 
Atropin  oft  keinerlei  Folgen  zu  spüren,  und 
was  von  der  Einzeldosis  gilt,  gilt  auch  von 
der  Tagesmaximaldosis. 

Anfangs  hatte  ich  die  Besorgnis,  größere 
Dosen  Atropin  würden  in  den  ersten  Tagen 
nach  Geburten  und  Aborten  zu  starken 
Blutungen  führen.  Diese  Furcht  ist  nach 
meinen  jetzigen  Erfahrungen  unbegründet, 
und  da  Fehl  in  g  (Deutsche  Medizinische 
Wochenschrift  1904,  No.  1)  angibt,  daß 
nach  einer  Stunde  schon  Trombenbildung 
stattgefunden  habe,  wohl  überhaupt  unbe- 
rechtigt. 

Auch  die  naheliegende  Vermutung,  daß 
längere  Atropinisierung  des  Uterus  im  Wochen- 
bett die  Rückbildung  desselben  störe,  hat 
sich  in  meinen  Fällen  nicht  bewahrheitet. 
Die  Involution  erfolgte  bei  allen  Frauen,  die 
ich  mit  Atropin  behandelte,  ebenso  schnell 
und  vollständig,  wie  im  normal  verlaufenden 
Wochenbett. 
I  Außer    der    die    Wöchnerin    wenig     be- 

|  lästigenden  Akkommodationsstörung  ist  nach 
I  meinen  Erfahrungen  die  bisweilen  auftretende 
|  Blasenlähmung      die      einzige     unangenehme 
Nebenerscheinung  der  Atropinwirkung.     Man 
hat   um   so   mehr   Grund,    hierauf  zu   achten 
I  und  rechtzeitig  zum  Katheter  zu  greifen,  als 
die  Wöchnerin    die    Überfüllung    der    Blase 
I  nicht  empfindet;  selbst  wenn  diese  prall  ge- 
I   spannt    in   halber   Nabelhöhe   steht,    sträubt 
sie   sich   oft   noch   gegen   das  künstliche  Ab- 


XIX.  Jahrg ang.1 
Februar  190S.  J 


8  eh  tele,  Behandlung  schwerer  blutiger  Hand  Verletzungen. 


61 


lassen  des  Urins.  Kratzen  im  Halse  und 
Störungen  des  Sensoriums  treten  nur  vor- 
übergehend auf,  es  scheint,  als  wenn  die  Be- 
wußtseinszentren und  die  sensiblen  Nerven 
sich  rascher  an  die  Atrop  in  Wirkung  gewöhnen 
als  die  glatten  Muskelfasern.  Die  Defakation 
beeinträchtigt  das  Atropin,  wie  schon  er- 
wähnt, kaum.  —  Ich  kann  mir  daher,  neben- 
bei gesagt,  nicht  vorstellen,  daß  es  beim 
Ileus  dem  Opium  vorzuziehen  ist.   — 

Da  das  "Wochenbettfieber  nicht  mehr 
epidemisch  auftritt,  können  meine  Versuche 
mit  Atropin  nicht  im  großen  Maßstabe  nach- 
geprüft werden.  Der  Kliniker  wird  über- 
haupt wenig  passende  Gelegenheit  hierzu 
haben,  da  die  Krankheit  bei  Frauen,  die 
einer  Anstalt  überwiesen  werden,  in  der 
Regel  schon  zu  weit  vorgeschritten  ist.  Ich 
hoffe  aber,  daß  meine  Methode  sich  in  den 
Händen  der  praktischen  Ärzte,  die  das 
Wochenbettfieber  im  Beginn  konstatieren  und 
behandeln,  zum  Segen  für  die  schwer  ge- 
fährdeten jungen  Mütter  bewähren  wird. 


Über  die  Behandlung  schwerer  blutiger 
Handverletzungren. 

Von 
Dr.  med.  Q.  W.  Schiele  in  Naumburg  a.  d.  Saale. 

1.    Allgemeine  Grundsätze. 

Schwere  Finger-  und  Handverletzungen 
von  der  Art,  wie  sie  in  Häckselmaschinen, 
Dreschmaschinen,  Triebrädern,  Drehbänken 
und  dergl.  zustande  kommen,  zu  behandeln, 
gehört   zu   den   verantwortlichsten   Aufgaben. 

Die  Gefahren  sind  groß.  Die  Arbeiter- 
hand ist  gewöhnlich  ungeheuer  verschmutzt. 
Vielleicht  sind  Gelenke  und  Sehnenscheiden 
eröffnet.  Komplizierte  Fingerbruche  können 
auch  dabei  sein.  Eine  Phlegmone  in  diesen 
Wunden  kann  den  Verletzten,  wenn  nicht 
um  das  Leben,  so  doch  um  die  Hand  bringen. 
Noch  dazu  ist  es  meistens  die  rechte.  Was 
soll  man  tun,  um  ihn  vor  diesen  Gefahren 
zu  retten.  Denn  andrerseits,  wenn  es  ge- 
lingt, die  Wunde  zu  glatter  Heilung  zu  bringen, 
so  spart  man  dem  Verletzten  eine  Unmenge 
von  Schmerzen  und  der  Berufsgenossenschaft 
ein  kleines .  Kapital.  Das  bleibende  Resultat 
wird  immer  um  ein  Vielfaches  schlechter, 
wenn  in  der  Hand  eine  Phlegmone  losgeht, 
als  wenn  es  bei  der  ursprunglichen  Unfall- 
verstümmelung bleibt. 

Die  Prinzipien  bei  der  Behandlung  dieser 
Wunden  gleichen  durchaus  denen  bei  der 
Behandlung  offener  Knochenbrüche.  Man  hat 
eine  verschmutzte  Wunde  vor  sich  und  muß 
sie  reinigen.     Aber  wie  macht  man  das? 


Einstmal 8  hatte  man  gehofft,  man  könnte 
diese  Wunden  desinfizieren,  die  Bakterien  in 
ihnen  töten,  wie  man  sie  in  einer  Bouillon- 
kultur töten  kann,  wenn  man  Sublimat  zu- 
setzt. Die  allgemeine  Erfahrung  hat  be- 
wiesen, daß  das  unmöglich  ist. 

Nunmehr  waren  die  angewandten  Grund- 
sätze folgende:  Ist  die  Wunde  verunreinigt, 
so  hat  man  sie  unter  solche  Bedingungen 
zu  bringen,  daß  die  vermutete  Eiterung  nicht 
fortschreitend  wird.  Man. hat  also  für  guten 
Abfluß  der  Wundsekrete  zu  sorgen,  Gegen- 
Öffhungen  zu  machen  und  zu  tamponieren. 
Während  man  aus  der  Wunde  alle  Chemi- 
kalien fern  hält,  hat  man  doch  die  Hand 
gründlichst  zu  reinigen  und  zu  desinfizieren, 
ebenso  wie  die  eignen  Hände,  damit  das 
bösartigste  Bakterium  nicht  etwa  durch  die 
Operation  erat  hineingetragen  wird.  Nun  ist 
es  abei»unmöglich,  eine  verschmutzte  Arbeiter- 
hand zu  reinigen,  ohne  daß  man  die  Wunde 
immer  wieder  mit  infektiösem  Material  zu- 
sammenbringt. Den  gröbsten  Schmutz  nimmt 
man  mit  Äther  oder  Benzin  weg  und  streicht 
dabei  auch  an  den  Rändern  der  Wunde  ent- 
lang, die  es  häufig  am  nötigsten  haben.  Aber  das 
genügt  nicht.  Man  muß  auch  waschen  und 
seifen.  Das  Seifenwasser  wird  schwarz  vor 
Schmutz  und  läuft  über  die  Wunde,  dabei 
bewegt  vielleicht  grade  der  narkotisierte  Ver- 
letzte die  Sehne  in  der  eröffneten  Sehnen- 
scheide um  2 — 3  cm  hin  und  her;  was  liegt 
näher,  als  daß  er  sich  ein  Minimum  des 
Schmutzes  in  die  Sehnenscheide  gepumpt 
hat.  Man  kann  schon  eine  halbe  Stunde 
waschen,  ehe  man  eine  derartige  Hand  rein 
bekommt,  und  nachdem  man  zum  Schluß  mit 
Sublimat  nachgewaschen  hat,  muß  man  sich 
sagen:  rein  ist  sie  nicht,  wenn  sie  auch 
reiner  geworden;  die  Wunde  aber  ist  ohne 
Zweifel  unreiner  geworden. 

Wenn  man  wirklich  an  der  einmal  ver- 
unreinigten Wunde  nichts  ändern  könnte,  und 
wenn  man  wirklich  als  wichtigste  Aufgabe 
anzusehen  hätte,  daß  man  nichts  Neues  hin- 
einbringt, so  wäre  man  berechtigt  zu  fragen, 
ob  man  nicht  besser  täte,  die  Wunde  in 
Ruhe  zu  lassen.  Denn  sind  Bakterien  drin, 
so  kann  man  sie  nicht  wieder  herausholen, 
und  sind  keine  drin,  so  bringt  man  nicht 
erst  welche  hinein.  Fängt  die  Wunde  an 
zu  eitern,  so  weiß  man  wenigstens,  daß  man 
nicht  geschadet  hat,  und  die  nötigen  Spal- 
tungen kommen  vielleicht  auch  nach  2  mal 
24  Stunden  zeitig  genug,  wenn  man  sieht, 
daß  doch  auf  die  ideale  Heilung  verzichtet 
werden  muß. 

So  wäre  es,  wenn  die  menschlichen  Ge- 
webe einem  Reagenzglas  glichen,  mit  Nähr- 
gelatine, worin  unfehlbar  die  Kultur  angeht, 


62 


Schiele,  Behandlung  schwerer  blutiger  Handverletsungen. 


rrherapeatleehe 
L  Monatshefte. 


wenn  lebensfähige  Bakterien  hineingelegt 
sind. 

Aber  so   ist   es  mit  den  Geweben   nicht. 

Tatsächlich  können  viele  und  ohne  Zweifel 
auch  virulente  Bakterien  hineinkommen,  ohne 
daß  ein  phlegmonöser  Prozeß  losgeht. 

Der  Bakterienkontakt  macht  allein  noch 
nicht  Bakterieninfektion.  Wie  jede  Infektions- 
krankheit nicht  bloß  in  der  Gegenwart  von 
Bakterien  besteht,  sondern  in  dem  Krank- 
werden und  Absterben  von  Zellen  und  Ge- 
weben, so  ist  auch  die  Wundinfektion  damit 
noch  nicht  zur  Tatsache  geworden,  daß  In- 
fektionserreger da  sind.  Es  gehören  noch 
andere  Umstände  zu  deren  Zustandekommen, 
als  die  Gegenwart  von  Staphylokokken  und 
Streptokokken  allein.  Das  wichtigste  Mo- 
ment ist  die  Lebensfähigkeit  des  Gewebes 
selber.  Diese  Lebensfähigkeit  beruht 
auf  ihrem  Zusammenhang  und  kunst- 
vollen Aufbau.  Durch  grobmechanische 
Einwirkung  ist  in  jeder  Wunde  dieser  Auf- 
bau zerstört.  Einzelne  Gewebteile  sind  ge- 
quetscht, halb  zerrissen,  von  ihren  Arterien 
und  Venen  und  Saftkanälchen  getrennt,  die 
zugehörigen  Yenen  sind  thrombosiert  oder 
werden  es  noch.  Solche  Gewebe  müssen 
absterben  und  durch  Eiterung  sich  abstoßen. 
Dieser  Umstand  erst  läßt  den  Infektions  Vor- 
gang, die  Phlegmone,  anfangen.  Man  kann 
nun  mehr  tun,  als  nur  die  Haut  reinigen, 
für  Sekretabfluß  sorgen  und  nichts  hinein- 
tragen. 

Man  wird  zunächst  allen  groben  Schmatz, 
Erde,  Stroh,  Maschinenschmiere  aus  der 
Wunde  herausschaffen,  aber  nicht  mit  dem 
Wasserstrahl,  denn  Wasser  und  andre  flüssige 
Chemikalien  sind  für  die  feinen  Gewebe 
nichts  Gleichgültiges,  auch  nicht  mit  grobem 
Auswischen  und  Tupfen,  denn  damit  schafft 
man  auf  den  Geweben  eine  zerstörte  Ober- 
fläche, sondern  mit  Pinzette  und  Schere. 
Dann  besichtigt  man  alle  Gewebe,  die  in 
der  Wunde  bloß  liegen,  überzeugt  sich,  welche 
Gelenke  und  Sehnenscheiden  offen  stehen. 
Man  findet  die  Gewebe  zerrissen,  unkennt- 
lich, mißfarbig  sugilliert,  mit  Schmutz  bis  in 
die  tiefsten  Winkel  belegt.  Diese  Gewebe 
drinn  lassen,  heißt  auf  die  prima  inten tio 
verzichten.  Aber  sie  mit  Pinzette  und 
Schere  sauber  und  schonend  exstir- 
pieren,  heißt  die  Bedingungen  einer 
reaktionslosen  Heilung  wiederher- 
stellen. Man  bringe  nur  die  Wunde  in 
einen  Zustand,  worin  sie  wenigstens  heilen 
kann,  weil  gesundes,  lebenskräftiges,  in  seinem 
ernährenden  Zusammenhang  und  Aufbau  nicht 
zerstörtes  Gewebe  aufeinander  zu  liegen  kommt, 
und  man  wird  überrascht  sein,  auch  grob  ver- 
unreinigt gewesene  Wunden  fast  reaktionslos 


heilen  zu  sehen.  Es  kommt  dann  eine  Hei- 
lung per  primam  zu  stände,  die  unvollkommen, 
d.  h.  von  Stelle  zu  Stelle  ungleich  ist,  aber 
die  doch  den  einen  Teil  der  Wunde  und 
vielleicht  grade  den  wichtigsten,  vor  den  Ge- 
fährdungen, die  an  andern  Stellen  entstehen, 
schützt.  Die  klinische  Erfahrung  beweist, 
daß  lebenskräftige,  unzerstörte  Gewebe,  wenn 
sie  überall  durch  leichten  Druck  glatt  auf- 
einander gelegt  werden,  wenn  nichts  zwischen 
ihnen  liegt,  was  ihre  Vereinigung  stört,  weder 
Blut,  noch  zerstörtes  Gewebe,  noch  Schmutz, 
wenn  nicht  eine  Nachblutung  sie  auseinander 
treibt,  wenn  der  Verband  so  gut  liegt,  daß 
die  in  Verklebung  und  Verwachsung  begriffenen 
Gewebe  nicht  gegeneinander  verschoben  werden 
können,  wenn  auch  beim  Verbandwechsel 
nicht  wieder  die  jungen  Gewebe  auseinander- 
gerissen werden  und  durch  Sondieren,  Tampo- 
nieren, probierte  Bewegungen  oder  einen 
anders  sitzenden  Verband  gestört  werden,  — 
daß  sie  dann  per  primam  verheilen  können, 
auch  wenn  unzweifelhaft  eitererre- 
gende Kokken  massenhaft  in  den 
Wunden   sind. 

Natürlich  muß  eine  derartige  Wunde  gut 
überwacht  werden.  Hierzu  gehört  auch  häu- 
figerer Verbandwechsel,  nicht  um  die  Sekrete 
wegzuschaffen,  denn  falls  der  Versuch  gelingt, 
ist  das  Sekret  unbedeutend,  nicht  um  neue 
Drainage  und  Tampon aden  anzulegen,  —  denn 
diese  müssen,  so  lange  es  gut  geht,  über- 
flüssig sein,  sondern  um  mit  dem  Auge  und 
bloß  mit  dem  Auge  zu  erkennen,  ob  und  an 
welcher  Stelle  die  prima  intentio  mißlingt. 
Da  man  ja  die  Wunde  genau  kennt,  so  weiß 
man,  welche  besonderen  Gefahren  einem  Ge- 
lenk, einer  Sehnenscheide  drohen,  und  wird 
darum  schnell  erkennen,  wann  die  Wieder- 
eröffnung der  Wunde  oder  eines  Teiles  nötig 
wird. 

Die  Untersuchung  und  Versorgung  der 
Wunde  macht  natürlich  eine  Narkose  nötig. 
Es  ist  unmöglich,  ohne  diese  zur  Kenntnis 
aller  Zerstörungen  und  zur  Überzeugung  der 
Vollendung  der  Säuberung  zu  kommen.  Aber 
verschmutzte  Hohl h and-  und  Fingerwunden 
soll  man  auch  nicht  sich  selbst  überlassen. 
Läßt  man  sie  unter  Tamponade  von  der 
Tiefe  aus  heilen,  so  sind  schwere  Funktions- 
störungen unvermeidlich.  Die  Hand  braucht 
Monate,  bis  sie  sich  wieder  locker  gearbeitet 
hat,  wenn  sie  nicht  überhaupt  dauernd  einen 
Ausfall  an  ihrer  Beweglichkeit  behält.  Für 
alle  Sehnen  und  Gelenke,  verletzte,  wie  un- 
verletzte, hängt  alles  von  einer  schnellen 
Heilung  ab.  Ist  es  möglich,  die  unmittel- 
bare Heilung  (prima  intentio)  in  14  Tagen 
zu  erreichen,  so  ist  alles  für  die  Brauchbar- 
keit der  Hand  gewonnen.     Dieser  Erfolg  ist 


XIX.  Jahrgang.] 
Febrnar  1905.  J 


8chl«le,  Behandlung  tehwerer  blutig  «r  Handv«rleUungeo. 


63 


schon  eioe  Narkose  uod  eine  etwas  mühsame 
Operation  wert;  und  er  ist  erreichbar  inner- 
halb der  ersten  36  Standen  selbst  in  sehr 
verschmutzten  Wunden,  wenn  man  dafür 
sorgt,  daß  nur  mit  dem  Messer  oder  der 
Schere  geschaffene,  glatte,  nicht  gequetschte, 
nicht  zerrissene,  nicht  beschmutzte  Gewebs- 
flächen  aufeinander  liegen. 

Die  Operation  geschieht  unter  Blut- 
leere, weil  nur  so  ein  genaues  Besichtigen 
der  Gewebe  und  schonendes  Operieren  mög- 
lich ist.  Alle  Gewebe  sind  so  zart,  wie  die 
Hornhaut  des  Auges.  Sie  antworten  auf 
vieles  Tupfen  ebenso,  wie  jene  tun  würde. 
Man  stelle  sich  nur  vor,  wir  hätten  die  Ge- 
webe unter  dem  Mikroskop  und  konnten  die 
Wirkungen  unserer  Scheren,  Haken,  Tupfer 
und  Finger  beobachten.  Konnten  wir  das, 
so  würden  wir  viel  zarter  mit  ihnen  um- 
gehen. Aber  unsere  Phantasie  sollte  uns  dies 
Mikroskop  ersetzen. 

2.    Ausführung  im  einzelnen. 

Die  verschiedenen  Gewebe  der  Hand  sind 
von  sehr  verschiedener  Wertigkeit.  Von 
manchen  darf  man  nach  Belieben  weg- 
schneiden, von  manchen  bloß  mit  der  größten 
Sparsamkeit  und  Überlegung. 

Zu  den  unersetzlichsten  Geweben  gehört 
die  Haut.  Wo  sie  fehlt,  stellt  sie  sich  in 
ihrer  Vollkommenheit  nie  wieder  her.  Defekte 
heilen  entweder  dadurch,  daß  die  Ränder 
der  benachbarten  Haut  dank  dem  Narbenzug 
und  der  Elastizität  der  Haut  sich  einander 
bis  zur  Berührung  nähern,  oder,  wenn  das 
nicht  möglich  ist,  so  bildet  sich  ein  minder- 
wertiger Ersatz,  indem  das  Epithel  sich  über 
das  Granulationsgewebe  schiebt.  Das  ergibt 
aber  nicht  den  kunstvoll  und  regelmäßig  ge- 
bauten Papillarkörper  wieder  und  nicht  die 
dichte  Epithelschicht  und  die  überaus  dehn- 
bare und  derbe  Lederhaut,  sondern  gibt 
Narbenhaut  „Glanzhaut".  Ledderhose  hat 
darauf  aufmerksam  gemacht,  wie  hinderlich 
diese  für  die  Brauchbarkeit  der  Hand  sein 
kann  durch  ihre  Schmerzhaftigkeit,  Verletz- 
lichkeit und  Un verschieblichkeit.  Er  warnt 
darum  vor  einer  allzu  konservativen  Behand- 
lung der  Fingerverletzungen  und  behauptet 
mit  Recht,  daß  ein  verkürzter  Finger  mehr 
wert  sein  kann,  als  ein  unverkürzter,  aber 
durch  Narben  unbrauchbar  gewordener. 

Man  schont  daher  die  Haut  nach  Mög- 
lichkeit. Hautlappen,  von  denen  man  hoffen 
kann,  sie  erholen  sich,  schneidet  man  nicht 
weg.  Wohl  aber  umschneidet  man  die  Haut- 
ränder der  Wunde,  um  die  gequetschten  mit 
Maschinenschmiere  beschmutzten  Säume  zu 
entfernen  und  um  eine  Schnittfläche  zu  schaffen, 
die   den    Papillarkörper   senkrecht  zur  Haut- 


ebene trifft,  damit  man  steile  Wundränder 
erhält,  die  sich  nähen  lassen.  Gut  genähte 
Haut,  d.  h.  solche,  wo  die  steilen  Schnitt- 
flächen des  Papillarkörpers  beider  Ränder 
glatt  aneinander  liegen,  hat  eine  enorme 
Heilungstendenz.  Schon  nach  fünf  Tagen, 
auch  über  Höhlenwunden,  die  sich  als  ver- 
eitert oder  als  mit  schokoladenfarbener 
Flüssigkeit  gefüllt  erweisen,  ist  doch  die 
Haut  regelmäßig  schon  so  fest  verheilt,  daß 
es  Mühe  macht,  sie  wieder  zu  trennen. 
Schlecht  genähte  Haut  aber,  deren  einer 
Rand  mit  der  Epidermisfläche  unter  dem 
Papillarkörper  des  andern  liegt,  heilt  frühestens 
in  5  Wochen.  Denn  Epidermis  auf  Wund- 
fläche heilt  nie.  Die  Granulationen  müssen 
das  richtige  Niveauverhältnis  erst  herstellen. 

Unter  der  Haut  kommt  das  Fett,  das 
in  seiner  beschmutzten  und  blutrünstigen 
Gestalt  kaum  kenntlich  ist.  Man  schneidet 
soviel  davon  weg,  bis  man  überall  frische 
gelbe  Fetttrauben  sieht.  Fett  braucht  man 
nicht  zu  schonen.  Im  Gegenteil,  weil  es  ein 
wenig  lebendiges  Gewebe  ist,  tut  es  wenig 
zur  Heilung  der  Wunde.  Wert  hat  es  nur 
auf  der  Unterseite  eines  allzu  dünn  gestielten 
Hautlappens,  weil  es  die  in  ihm  laufenden, 
zuführenden  Gefäße  vor  Eintrocknung  und 
Thrombosierung  schützt. 

Muskulatur  braucht  auch  nicht  geschont 
zu  werden.  Man  soll  davon  wegschneiden, 
soviel  man  für  gut  hält.  Man  könnte  nur 
dann  schaden,  wenn  man  einen  unentbehr- 
lichen Muskel  vollkommen  quer  durchtrennte, 
sodaß  ihm  die  Anspannung  zwischen  beiden 
Ansätzen,  das  Moment,  das  zu  seiner  Fort- 
dauer unbedingt  gehört,  fehlen  würde.  An 
der  Hand  und  dem  Unterarm  ist  aber  kein 
Muskel  so  unentbehrlich,  daß  seine  Funktion 
nicht  durch  eine  Kombination  anderer  ersetzt 
werden  könnte,  und  die  es  sind,  die  sind 
wiederum  aus  anatomischen  Gründen  nur  in 
ihren  Sehnen  vollkommen  quer  zu  trennen. 

Während  man  von  den  Muskeln  die  ge- 
schädigten Teile  abträgt,  fangen  alle,  ver- 
letzten Gefäße  wieder  an  zu  spritzen.  Das 
soll  sein.  Denn  für  die  Wundheilung  ist  es 
wichtig,  daß  keine  Nachblutung  eintritt.  Eine 
nochmals  duchsuchte  Wunde  heilt  gewöhnlich 
schlechter.  Ein  Operateur,  der  seiner  Sache 
sicher  sein  will,  verläßt  sich  aber  lieber  auf 
seine  Ligatur,  als  nur  auf  die  Thrombose, 
die  das  Gefäß  unsicher  verschließt. 

Arterien  und  Venen  sind  fürsorglicher- 
weise so  überreichlich  an  der  Hand  vorge- 
sehen, daß  man  im  einzelnen  sie  nicht  zu 
schonen  braucht.  Ebenso  die  Nerven. 
Ihr  Faseraustausch  vor  und  hinter  der  durch- 
trennten Stelle  sorgt  dafür,  daß  ein  Teil  der 
Sensibilität   sich   ersetzt.      Die   Motilität  der 


64 


S  oh  tele,  Behandlung  schwerer  blutiger  HandrerleUungen. 


[Therapeut! 
L   Monatshe 


utiache 
Monatshefte. 


Hand  ist  ihrer  Muskel-  und  Nervenmassc 
nach  am  Unterarm  zu  Hause  und  kann  darum 
auch  nur  weiter  zentral  geschädigt  werden. 
Nur  die  Bewegungsnerven  der  kleinen  Hand- 
muskeln können  am  Unterarm  getroffen  werden. 
Die  Verletzung  des  Nervus  medianus  macht 
einen  größeren  Ausfall  an  Sensibilität  und  einen 
geringeren  an  Motilität  am  Daumenballen 
(Opp.  poll.  u.  2  —  3Lumbric).  Der  Nerv,  ulnaris 
macht  geringeren  Ausfall  an  Sensibilität,  aber 
Ausfall  der  Motilität  der  gesamten  kleinen 
Handmuskulatur  mit  Ausnahme  eines  geringen 
Restes  am  Daumenballen. 

Unersetzbar  sind  die  Sehnen.  Sie 
sind  das  eigentliche  Organ  des  Fingers. 
Ohne  Sehne  ist  der  Finger  mehr  eine  Last, 
als  ein  nützliches  Glied. 

In  verschmutzter  Wunde  eine  Sehnen- 
scheide offen  finden  und  die  Sehne  wohl  gar 
verletzt,  das  bedeutet:  die  Gefahr  der  Sehnen- 
scheidenphlegmone  steht  vor  der  Tür,  und 
mit  ihr  die  Gefahr  langsamer  Heilung  und 
der  Verkrüppelung  der  Hand.  —  Sehnen 
sterben  leicht,  aber  sehr  langsam  stoßen  sie 
sich  ab,  und  vereiteln  daher  unsere  Be- 
mühungen, eine  schnelle  Heilung  zu  stände 
zu  bringen.  Findet  man  daher  in  der  Wunde 
ein  zerrissenes,  beschmutztes  Sehnenende, 
dessen  Ansatzglied  auch  verloren  gegangen 
ist,  so  hat  man  zunächst  die  Umgebung 
durch  Anfrischung  zu  reinigen,  dann  zieht 
man  das  Ende  möglichst  weit  heraus  und 
trägt  mit  einem  glatten  Scherenschlage  ein 
möglichst  großes  Ende  ab.  Lauenstein 
warnt  allerdings  vor  diesem  Vorgehen,  weil 
er  gefunden  hat,  daß  das  zurückschnellende 
Ende  später  Sehnenscheidenvereiterung  ver- 
anlaßt hat.  Ich  glaube  aber,  wenn  man  das 
geschädigte  Ende  nicht  abträgt,  sondern  in 
der  Wunde  hin  und  herspielen  läßt  oder  auch 
in  der  Wunde  fixiert,  so  wird  man  erst  recht 
Sehnenscheideneiterung  erleben. 

Unter  welchen  Umständen  soll  man  eine 
durchschnittene  Sehne  nähen?  Nicht  jede 
Sehne  muß  genäht  werden.  Solche,  die  am 
umgebenden  Gewebe  oder  an  den  Nachbar- 
sehnen so  kurz  befestigt  sind,  daß  ihre  durch- 
trennten Enden  nicht  erheblich  auseinander 
weichen,  braucht  man  nur  mit  dem  Verband 
in  entsprechende  Stellung  zu  bringen,  wie 
man  es  mit  einer  Patellar Zerreißung  macht, 
wenn  der  ligamentäre  Teil  des  Streckapparates 
unverletzt  ist  und  die  Fragmente  beieinander 
hält.  —  (Ext.  digit.  comm.  flexor  u.  extensor 
carpi  uln.) 

Man  hat  neuerdings  Sehnen  durch  dicke 
Seidenfäden  in  größerer  Ausdehnung  ersetzt 
(Lange).  Aber  das  wäre  ein  großes  Wagnis 
in  infizierten  Wunden.  Hier  soll  man  im 
Gegenteil  so  wenig  Fremdmaterial  wie  mög- 


lich verwenden.  Die  Sehnennaht  hat  hier 
nicht  die  Aufgabe,  dem  Zug  des  Muskels 
standzuhalten,  sondern  nachdem  ein  zweck- 
mäßiger und  sicherer  Verband  den  Muskel 
ganz  erschlafft  hat,  sollen  dünne  Seidenfaden 
nur  die  Sehnenenden  einander  gegenüber  ge- 
lagert halten,  damit  die  zwischenliegende 
Schicht  dünnen  Bindegewebes  möglichst  breit 
und  kurz  wird.  Es  ist  auch  erlaubt,  die 
Sehnenenden  an  der  Sehnenscheide  zu  fixieren 
oder  auch  an  nebenliegenden  in  gleichem 
Sinne  arbeitenden  Sehnen.  Sie  heilen  doch 
mit  diesen  zunächst  in  einer  Narbe  zusammen. 
Z.  B.  wenn  das  Bündel  der  Beugesehnen  über 
dem  Handgelenk  teilweise  durchtrennt  ist, 
genügt  es,  durch  eine  sparsame  Naht  die 
durchtrennten  Stränge  miteinander  und  mit 
den  unverletzten  Strängen  zu  verbinden,  wo- 
bei es  sogar  ohne  üble  Folgen  bleiben  kann, 
wenn  nicht  zusammengehörige  Enden  ver- 
bunden werden. 

Wenn  in  der  Hohlhand  die  Perforans  eines 
Fingers  allein  verletzt  ist  und  genäht  wird, 
so  wächst  sie  doch  mit  der  allzu  nah  lie- 
genden Perforata  in  einer  Narbe  zusammen 
und  behindert  auch  deren  Arbeit.  Man  muß 
das  wissen,  damit  man  nicht  um  eines  so 
unvollkommenen  Resultates  willen  durch 
eine  Sehnennaht  unter  ungünstigen  Verhält- 
nissen die  ganze  Hand  gefährdet.  Gerade 
die  Sehnen,  deren  Verlust  am  meisten  be- 
deutet, die  darum,  wenn  möglich,  genäht 
werden  sollen,  sind  auch  am  gefährlichsten 
zu  nähen.  Das  sind  die  langen  Beuger  aller 
Finger  und  besonders  des  Daumens.  Eine 
Vereiterung  der  Naht  von  diesen  Stellen  aus 
gefährdet  die  ganze  Hand.  Will  man  in 
Anbetracht  der  schweren  Gefahren  auf  die 
Naht  verzichten,  so  wird  um  so  wichtiger 
die  Fixation  in  zweckmäßiger  Stellung.  Es 
wird  empfohlen,  wenn  einer  der  4  Langfinger 
an  der  Beugesehne  verletzt  ist,  den  verletzten 
Finger  in  Beugestellung  und  die  anderen  in 
Streck  Stellung  zu  verbinden.  Dann  holen 
die  gespannten  gesunden  Sehnen  das  zentrale 
Ende  der  durchschnittenen  hervor,  weil  sie 
durch  Stränge  weite/  oben  mit  ihm  verbunden 
sind,  und  nähern  es  dem  durch  Beugung 
herangeholten  peripherischen  Ende  (Felizet). 

Komplizierte  Brüche  eines  Finger- 
gliedes kann  man  konservativ  behandeln. 
Aber  solche  an  mehreren  Gliedern  oder  an 
mehreren  Fingern  würden  leicht  ein  schlechteres 
Resultat  geben,  als  Amputation.  Die  Hand 
ist  zum  Greifen  da.  Eine  Hand,  die  nicht 
mehr  einen  Hammerstiel  umgreifen  kann,  ist 
nicht  viel  wert.  Ein  halber  Finger,  aber 
beweglich,  ist  besser  als  ein  ganzer  Finger, 
aber  steif.  Der  erstere  vervollständigt  die 
bewegliche  Phalanx,    der   andere   hindert  die 


XIX.  Jahrgang.  \ 
Febmar  1905.  J 


Schielet  Behandlung  schwerer  blutiger  Handrerletxungen. 


65 


andern.  Darum  hat  man,  sobald  man  die 
Verletzung  übersieht,  sich  klar  zu  werden,  wie- 
viel man  erhalten  kann,  und  wieviel  man  im 
Interesse  einer  guten  Funktion  opfern 
muß.  Man  soll  so  operieren,  daß  Heilung 
in  14  Tagen  wenigstens  möglich,  man  soll 
nicht  funktionsunfähige  Teile  mit  Gefährdung 
der  übrigen  Hand  zu  erhalten  suchen.  Von 
der  erhaltenen  Beweglichkeit  darf  man  nichts 
opfern.  So  darf  man  nicht  im  Mittelgelenk 
exartikulieren,  wenn  man  mit  einer  Amputation 
im  Mittelglied  davonkommen  kann.  Denn 
die  Perforata,  die  lange  Beugersehne,  setzt 
am  Mittelglied  an.  Wird  sie  abgetrennt,  so 
verliert  der  Finger  die  Kraft  in  der  Beugung. 
Es  bleibt  ihm  dann  nur  die  Aktion  der 
kurzen,  kleinen  Handmuskeln.  Wollte  man 
die  Perforata  an  dem  Grundglied  festwachsen 
lassen,  so  würde  man  damit  nur  einen  Nach- 
teil schaffen.  Die  so  fixierte  Sehne  würde 
ihre  Schwestersehnen  bei  der  vollen  Beugung 
hindern  und  so  den  Schaden  auf  die  Nach- 
barfinger übertragen.  Soll  das  nicht  ge- 
schehen, so  muß  die  Sehne  an  dem  noch 
beweglichen  Mittelglied  anfassen,  und  wenn  es 
auch  nur  noch  ein  Stummel  ist  (Riedinger). 

Mit  den  Sehnen,  Knochen  und  Gelenken 
ist  bei  der  Operationsfrage  entscheidend  der 
Zustand  der  Haut.  Ist  die  zur  Deckung 
verfugbare  Haut  knapp,  so  muß  sich  die 
Lange  des  Fingers  nach  der  vorhan- 
denen Haut  richten  (Georgii).  Überall 
muß  die  Haut  ohne  Zug  so  gelegt  werden 
können,  daß  alles  bedeckt  ist,  und  womög- 
lich die  Nahtlinien  nicht  an  die  Fingerspitzen 
oder  an  die  Beugeseiten,  sondern  auf  die 
Streckseiten  zu  liegen  kommen.  Ringförmige 
Defekte  müssen  durch  Lappenplastik  wenig- 
stens teilweise  gedeckt  werden.  Auf  der 
Beugeseite  der  Finger  und  der  Hand  können 
bei  jedem  Defekt  nur  gestielte  Lappen  aus 
der  Nachbarschaft  oder  von  der  Brust  in 
Betracht  kommen.  Man  hat  auch  versucht, 
der  skalpierten  Fingerspitze  die  Hautkuppe 
einer  Zehenspitze,  die  ganze  Bekleidung  des 
Endgliedes  mit  Einschluß  des  Nagels  und 
Nagelgliedes  ungestielt,  als  Kr  aus  eschen 
Lappen,  aufzusetzen,  und  hat  Erfolg  gehabt. 
Es  ist  sogar  gelungen,  eine  ganze  Zehe  von 
zwei  Gliedern  mit  Haut,  Knochen  und  Sehnen 
auf  einen  Fingerstumpf  durch  Lappenernährung 
zu  übertragen.  Es  ist  aber  bisher  fraglich 
geblieben,  ob  auch  der  funktionelle  Erfolg 
einer  so  mühsamen  Operation  entsprechen 
wird. 

Hat  man  die  Wunde  so  gereinigt,  daß 
man  der  Überzeugung  sein  kann:  es  ist  kein 
makroskopischer  Schmutz  mehr  in  der  Wunde, 
kein  gequetschtes  oder  außer  Ernährung  ge- 
setztes Gewebe,  sondern  überall  frische  blu- 

Th.M.1905. 


tende,  glatte  Wundflächen,  so  darf  man 
nähen,  d.  h.  wenigstens  so  weit  vernähen, 
daß  die  Hautlappen  ihre  bestimmte  Lage 
haben,  beim  Verbandwechsel  nicht  abgerissen 
werden  können,  und  daß  an  Stellen,  wo 
mehrere  Schnitte  aufeinander  treffen,  die 
Winkel  wenigstens  gut  vernäht  sind.  Offenen 
Knochenbrüchen  gegenüber  läßt  man  offen, 
denn  Kochenwunden  bluten  lange  nach,  und 
führt  einen  schmalen  Gazestreifen  bis  auf, 
nicht  bis  in  den  Knochenspalt.  An  einigen 
Stellen  legt  man  ein  kurzes  Röhrchen,  da- 
mit keine  Blutverhaltung  eintreten  kann. 
Man  legt  dann  einen  sehr  gleichmäßig  sitzen- 
den, gut  komprimierenden  Verband  an,  hält 
hoch  und  öffnet  dann  erst  die  Gummibinde. 
Blutung  ist  nicht  zu  befürchten.  Freilich, 
wenn  man  den  Arcus  volaris  angeschnitten 
hat,  was  man  bei  einigem  Hinsehen  auch  in 
der  Blutleere  sehen  kann,  so  muß  man  ihn 
vor  der  Naht  unterbinden. 

Wiedereröffnen  würde  ich  die  Wunde  nur 
bei  lebensgefährlicher  Blutung. 

Hiernach  wird  an  einer  Suspensionsschiene 
suspendiert.  Man  tut  gut,  alle  zwei  Tage 
zu  verbinden,  um  sich  vom  fehlerlosen  Ver- 
lauf zu  überzeugen. 

Wenn  keine  Phlegmone  eintritt,  so  schadet 
eine  zwei  Wochen  dauernde  Fixation  der 
Funktion  der  Hand  gar  nichts,  und  man  hat 
die  Freude,  nach  4  Wochen  etwa  den  Schwer- 
verletzten mit  einer  gebrauchsfähigen  Hand 
entlassen  zu  können. 

These  1.  Ziel  bei  der  Behandlung  schwerer  Hand- 
verletzungen  ist:    möglichst   große  Ge- 
brauchsfähigkeit der  Hand  zu  erreichen. 
These  2.  Hauptmittel   ist:   reaktionslose    Heilung 

in  wenigen  Wochen. 
These  3.  Im  Interesse  der  glatten  Heilung  müssen 
schwerer  verletzte  Teile  von  voraussicht- 
lich geringer  Brauchbarkeit  geopfert 
werden.  Prinzipiell  konservatives  Ver- 
fahren wäre  schädlich. 
These  4.  Heilung  perprimam  oder  mit  nur  mäfsiger 
Reaktion  ist  auch  in  stark  verschmutzten 
Wunden  möglich,  wenn  man  die  Wunde 
in  Narkose  auf  das  genaueste  anfrischt. 
Solche  Wunden  kann  man  nähen  und 
erreicht  dann  schmale  unbedeutende 
Narben  und  ungestörte  Funktion  der 
inneren  Bewegungsorgane  der  Hand. 

Literatur. 

Bardenheyer:  Die  Verletzung  der  oberen  Ex- 
tremitäten.    Deutsche  Chir.  63. 

Georgii:  Über  Behandlung  d.  Fingerverletzungen 
mit  bes.  Berücksichtigung  der  Erwerbsfahig- 
keit.     Münch.  med.  Wocnenschr.  1901,  41. 

Ledderhose:  Über  Folgen  und  Behandlung  von 
Fingerverletzungen.     Volkm.  Sammig.  121. 

Haegler:  Ober  Sehnenverletzungen  an  Hand  und 
"Vorderarm.     Beiträge  z.  klin.  Chir.  16. 

6 


66 


Edel,  Wettet venhAItniMe  an  der  Nordsee. 


rherapentiaebe 
Monatshefte. 


Hoffa:  Experimentelle  Begründung  der  Sehnen- 
plastik.  Manch,  med.  Wocheuschr.  1901,  51. 

Lange:  Über  seidene  Sehnen.  Münch.  med.  Wochen- 
schrift 1902,  1. 

Thorn:  Über  partielle  subkutane  Zerreißung  der 
Beugesehnen.    Arch.  f.  klin.  Chir.  58. 

Lauenstein:  Das  Vorziehen  der  Sehnen  u.  s.  w. 
Zentralbl.  f.  Chir.  1901,  41. 

Rotter:  Zur  wandständigen  Sehnennaht.  Zentralbl. 
f.  Chir.  1894. 

Felizet:  Über  Sehnennaht.  Ref.  im  Zentralbl.  f. 
Chir.  1894. 

Riedinger:  Über  die  Wertigkeit  der  Finger  in 
Bezug  auf  Defekt  und  Vorbildung.  Volkm. 
Sammlung  237. 

Eiseisberg:  Ersatz  des  Zeigefingers  durch  die 
2.  Zehe.     Arch.  f.  klin.  Chir.  61. 

Nicoladoni:  Daumenplastik  u.  organischer  Ersatz 
der  Fingerspitze.    Arch.  f.  klin.  Chir.  61. 


Die  Wetterverhältnisse  an  der  Nordsee 
in  den  beiden  letzten  Wintern. 

Von 

Dr.  M.  Edel,  Badearzt  in  Wyk  auf  Föhr. 

Während  der  reiche  Schatz  von  Heil- 
kräften, den  das  Nordseeklima  in  sich  birgt, 
für  den  Sommer  immer  mehr  die  verdiente 
Würdigung  findet,  können  die  Winterkuren 
an  der  Nordsee  sich  nur  langsam  Eingang 
verschaffen.  So  ist  auch  jetzt  wieder  ein 
warmer  und  milder  Winter  ungenutzt  ver- 
strichen, wiederum  war  es  nur  eine  winzige 
Zahl  von  Leidenden,  die  zur  Winterkur 
unsere  Nordsee- Inseln  aufgesucht  haben. 
Worin  ist  der  Grund  hierfür  zu  suchen? 
Besteht  etwa  kein  Bedürfnis  dafür,  die  Kuren 
an  der  Nordsee  auch  auf  den  Winter  aus- 
zudehnen und  damit  die  therapeutischen 
Kräfte,  die  uns  die  Natur  im  Nordseeklima 
gegeben,  mehr  als  bisher  auszunutzen? 

Ein  kurzes  Eingehen  auf  die  speziellen 
Indikationen  für  die  Winterkuren  wird  das 
Vorhandensein  dieses  Bedürfnisses  sofort  er- 
weisen. Ich  möchte  zu  diesem  Zwecke  die 
Kranken,  die  hier  in  Betracht  kommen,  in 
2  große  Gruppen  teilen  und  der  ersten  Gruppe 
alle  diejenigen  zuweisen,  für  deren  Wieder- 
herstellung ein  ununterbrochener  Kuraufenthalt 
an  der  See  von  vielen  Wochen  und  Monaten 
erforderlich  ist.  Es  sind  dies  vor  allen 
Kinder  mit  Rachitis,  Skrofulöse  und  Tuber- 
kulose, besonders  Knochentuberkulose. 

Für  diese  ist  die  übliche  Kurdauer  von 
etwa  6  Wochen,  die  im  allgemeinen  zur  Er- 
zielung eines  bleibenden  Erfolges  schon  vi%l 
zu  kurz  ist,  auch  nicht  im  entferntesten  aus- 
reichend. Es  werden  sicherlich  auch  in 
diesen  wenigen  Wochen  schöne  Besserungen 
beobachtet,  aber  zu  einer  Heilung  sind  un- 
bedingt weit  mehr  Monate  nötig,  als  die 
Kuren  jetzt  Wochen  dauern. 


Eine  beredte  Sprache  sprechen  die  Zahlen, 
die  Hilier1)  über  die  Resultate  und  die 
Behandlungsdauer  in  den  deutschen  See- 
hospizen und  den  Hospizen  in  Margate  und 
Berk-sur-Mer  mitteilt.  In  den  deutschen 
Hospizen  beträgt  die  durchschnittliche  Aufent- 
haltsdauer 43  resp.  46  Tage  gleich  6  Wochen, 
zu  Margate  8 — 12  Wochen,  in  Berck-sur-Mer 
„ist  die  Dauer  des  Aufenthaltes  unbeschränkt 
und  im  wesentlichen  vom  Heilungsverlauf  ab- 
hängig". (Hiller). 

Und  nun  die  Resultate  aus  diesen  ver- 
schiedenen Behandlungszeiten.  Es  wurden 
erzielt: 


bei  Lymphdrüsenschwollungen 
in  Bcrck    ...    I     75.4      j     20.0  342 

in  Margate     .     .    |     33,3       \     64,9  90 

bei  Skrofulöse  und  Rachitis 
in  Norderney       .    |     33,6  63,6  46 

bei  Pottscher  Wirbelerkrankung 
in  Berck    .     .     .    I     55,6  5,0  476 

in  Margate      .     .    |       4,5  75,5  45 

bei  Tuberkulose  der  Knochen  und  Gelenke, 

der  Haut  und  der  Drüsen 
in  Norderney      .    |      17,85     j      69,64     ]         46 

Diese  Zahlen  gestatten  zwar  keine  direkte 
Vergleichung,  da  die  Statistiken  nicht  nach 
denselben  Grundsätzen  hergestellt  sind.  Aber 
trotzdem  beweisen  sie  die  Notwendigkeit  der 
Verlängerung  der  Kuren  an  der  Nordsee  über 
den  Sommer  hinaus  und  die  Benutzung  des 
Winters  zu  Kurzwecken.  Durch  die  vor- 
zeitige Unterbrechung  der  Kur  und  die  Rück- 
kehr in  die  alten  schädlichen  Verhältnisse 
der  Heimat  wird  das  Fortschreiten  der  Besse- 
rung auf  alle  Fälle  verhindert,  oft  genug  aber 
auch  das  im  Nordseeklima  bereits  erzielte, 
aber  noch  nicht  genügend  gefestigte  Resultat 
wieder  völlig  vernichtet.  Selbst  eine  Wieder- 
holung der  Kur  im  nächsten  Sommer  kann 
dann  nur  schwer  die  Schädigungen  wieder 
beseitigen,  die  während  des  Winters  ent- 
standen sind.  Das  jetzt  gebräuchliche  Ver- 
fahren bringt  den  kleinen  Patienten  nicht 
nur  nicht  den  vollen  Nutzen,  den  eine  ununter- 
brochen durchgeführte  Kur  haben  würde, 
sondern  ist  auch  im  höchsten  Grade  unöko- 
nomisch. Daher  muß  für  diese  Kranken  zu- 
erst mit  der  alten  verderblichen  Sitte  ge- 
brochen werden,  mit  dem  Ende  des  Sommers 
auch  den  Kuraufenthalt  an  der  Nordsee  zu 
Ende  gehen  zu  lassen. 

!)  Hill  er,  Thalassotherapie.  Goldscheider- 
Jacobs  Handbuch  der  physikalischen  Therapie 
Bd.  I,  S.  416-419. 


XIX.  Jahrgang.! 
Febrnar  1906.  J 


Edel,  WetterverhAItnitte  an  der  Nordtee. 


67 


Während  es  sich  bei  dieser  ersten  Gruppe 
darum  handelt,  eine  begonnene  Kur  im  Winter 
fortzusetzen,  rechne  ich  zu  der  2.  Gruppe 
alle  diejenigen  Kranken,  bei  denen  sich  erst 
im  Herbst  oder  im  Beginn  des  Winters  Zu- 
stande ergeben  haben,  die  eine  Kur  an  der 
Nordsee  wünschenswert  erscheinen  lassen. 
Ich  denke  dabei  vor  allem  an  Rekon- 
valeszenten von  Pleuritis  und  Pneumonie, 
chronisch  gewordene  Bronchialkatarrhe  etc., 
bei  denen  das  Nordseeklima  nicht  allein  die 
Krankheitserscheinungen  beseitigen,  sondern 
gleichzeitig  auch  eine  drohende  Tuberkulose 
verhüten  soll.  Wenn  diese  Kranken  erst 
einen  ganzen  Winter  in  rauchigen  und 
staubigen  Städten,  in  engen,  überheizten 
Wohnungen  zugebracht  haben,  dann  kommt 
.oft  genug  im  Sommer  jegliche  Kur  zu  spät, 
während  ein  Eingreifen  zur  rechten  Zeit  von 
wunderbarer  Wirkung  gewesen  wäre. 

In  diese  Gruppe  gehören  ferner  Asthma- 
tiker, bei  denen  im  Herbst  oder  Winter  eine 
Verschlimmerung  ihres  Leidens,  eine  Häufung 
der  Anfälle  eingetreten  ist.  Warum  sollen 
sie  nicht  möglichst  schnell  einen  Ort  auf- 
suchen, in  dem  sie  sonst  eine  Erleichterung 
ihres  Zu  Standes,  ein  Aufhören  der  Anfalle 
erfahren  haben,  wenn  die  heilenden  Faktoren 
dieses  Ortes  im  November  oder  Januar  die- 
selben sind  wie  im  Juli  oder  August  und 
die  klimatischen  Verhältnisse  eine  solche  Kur 
nicht  verbieten? 

Auch  für  Anämische  und  Chlorotische 
und  für  Neurastheniker  können  unter  Um- 
ständen Winterkuren  in  Frage  kommen.  Nur 
müssen  alle  diese  Kranken  einen  genügenden 
Kräftevorrat  besitzen,  um  die  Wirkungen  des 
Klimas  ertragen  zu  können.  Aber  auch  wenn 
in  dieser  Hinsicht  eine  sehr  sorgfältige  Auslese 
stattfindet,  bleibt  noch  immer  eine  sehr  große 
Zahl  von  Patienten,  die  für  die  Winterkuren 
geeignet  wären,  zumal  mit  den  gegebenen 
Beispielen  die  Indikationen  für  dieselben 
nicht  erschöpft  sind. 

Da  also  ein  Bedürfnis  für  die  Winter- 
kuren an  der  Nordsee  nicht  wohl  geleugnet 
werden  kann,  frage  ich  noch  einmal,  welches 
ist  der  Grund,  daß  sie  bisher  so  wenig  An- 
klang gefunden  haben,  daß  der  Gedanke  der 
kurgemäßen  Überwinterung  an  der  Nordsee 
sich  so  schwer  Bahn  brechen  kann? 

Ich  glaube  berechtigt  zu  sein,  als  Haupt- 
ursache hierfür  und  als  Haupthindernis  und 
Hemmschuh  für  die  Einführung  von  Winter- 
kuren die  Unkenntnis  über  die  klimatischen 
Verhältnisse  der  Nordseeinseln  ansehen  zu 
dürfen.  Man  hält  im  allgemeinen  die  Nord- 
seeinseln im  Winter  für  rauh  und  unwirtlich 
und  kalt  und  glaubt,  daß  schon  für  einen 
Gesunden    eine   Art  Wagemut    dazu    gehört, 


dort  aus  freien  Stücken  einen  Winter  zu  ver- 
leben, für  einen  Kranken  aber  eine  Über- 
winterung an  der  Nordsee  geradezu  eine  Un- 
möglichkeit sein  müßte.  Solange  selbst  bei 
denjenigen  Kollegen,  die  sonst  der  Nordsee 
wohlwollend  gegenüberstehen,  solche  Vor- 
stellungen über  unser  Winterklima  herrschen, 
ist  es  unausbleiblich,  daß  auch  das  große 
Publikum  ebenso  denkt  und  sich  ablehnend 
verhält.  Erst  wenn  der  Aberglaube  von  der 
kalten  Nordsee  verschwunden  sein  wird, 
können  die  Winterkuren  an  der  Nordsee  die 
Bedeutung  für  die  Allgemeinheit  erlangen, 
die  sie  verdienen.  Es  ist  in  den  letzten 
Jahren  mehr  als  bisher  gearbeitet  worden, 
um  in  dieser  Hinsicht  aufklärend  zu  wirken. 
Aber  daß  ein  altes  Vorurteil  nicht  plötzlich 
schwindet,  ist  selbstverständlich.  Und  gutta 
cavat    lapidem    non  vi,    sed   saepe   cadendo. 

Daher  möchte  ich  mir  erlauben,  die 
Witterungsverhältnisse  der  beiden  letzten 
Winter  in  Wyk  an  der  Hand  der  von  der 
hiesigen  Beobachtungsstation  des  Königl.  Me- 
teorologischen Institutes  festgestellten  Zahlen, 
die  ich  der  großen  Liebenswürdigkeit  des 
hiesigen  Beobachters,  Herrn  G.  We igelt,  ver- 
danke, an  dieser  Stelle  etwas  eingehender  zu 
beleuchten. 

Als  Winter  betrachte  ich  hierbei  mit 
Rücksicht  auf  die  Winterkuren  die  Zeit  von 
Anfang  Oktober  des  einen  bis  Ende  März 
des  anderen  Jahres.  Ich  habe  für  die  beiden 
Winter  1902/03  und  1903/04  die  „fünf- 
tägigen Mittel",  das  heißt  die  aus  den  mitt- 
leren Tagestemperaturen  berechneten  Durch- 
schnittstemperaturen eines  Zeitraumes  von  je 
fünf  aufeinanderfolgenden  Tagen,  einer  Pen- 
tade,  als  Kurve  gezeichnet  und  gleichzeitig 
bei  jedem  Monat  die  festgestellte  höchste 
Temperatur  (mit  abs.  4-  bezeichnet)  und  die 
absolut  niedrigste  Temperatur  (abs.  — )  und 
die  mittlere  Monatstemperatur  angegeben. 
Ich  wählte  die  Pentadenzahlen,  weil  sie  einen 
genügenden  Einblick  in  den  Temperatur- 
verlauf gewähren,  ohne  durch  eine  zu  große 
Menge  von  Daten  zu  verwirren,  und  die 
Kurvenform,  weil  sie  die  schnellste  Orien- 
tierung gestattet. 

Wenn  man  in  einem  Orte  eine  Über- 
winterung zu  therapeutischen  Zwecken  vor- 
nehmen lassen  will,  so  muß  vor  allem  die 
Temperatur  den  Aufenthalt  im  Freien, 
Spaziergänge  etc.  gestatten.  In  wie  hohem 
Maße  im  vollsten  Gegensatz  zu  der  land- 
läufigen Meinung  diese  Bedingung  an  der 
Nordsee  erfüllt  wird,  zeigt  ein  Blick  auf  die 
beiden  Kurven  (S.  68). 

Der  Oktober  dokumentiert  sich  mit 
-h  19,6  resp.  17,5  höchster  Temperatur  und 
einem  Monatsmittel  von  9,9  resp.  8,4°  C.  als 

6* 


68 


Edel,  Wetterverb&ltniMe  an  der  Nordtee. 


["Therapeutische 
L   Monatshefte. 


Oktober  M(% 

Nnrrmber 

Itezembsr* 

.Ja/zu/rr  tftft 

Frbnuir 

Afarg 

Absolut  + 

+  17(S 

*d$J 

f*f 

+&* 

+8j 

+f£t 

Äbsahit  — 

+5J 

-•v 

-«* 

-ZS 

-•v 

+$* 

Ä&nsfstmtfel 

>M* 

+3,* 

+3? 

+  0.5 

+.?7 

+4* 

*c 

i 
i 

du  bis  bis  hs  bi>%  btJ 
S.  ia  iS  20  25\30 

+f&~ — 

i 

\ 

I. 

EN.iF.r.vr. 

i 

\j 

. 

_J 

y 

\ 

_. 

A 

V 

7 

V 

'\ 

\ 

i 

+6 

' 

K 

/ 

+-*i 

1 

r 

V 

\ 

. 

' 

, 

\ 

f 

v 

* 

\ 

11 

\ 

1 

f  . 

r 

■w 

* 

7 

/ 

^ 

\ 

1 

X 

1 

' 

V 

n 

\ 

j 

T(/ 

\ 

/ 

1 

\ 

Zf 

^ 

Kurve  1. 


#tt/fcfrr  /sra 

Norrmftfr 

Bezrmbrr 

.  ra/iuor  tw* 

Ffhrimr 

jlftsrs 

Absolut* 

+  *$# 

+  fZ* 

*£:? 

*& 

+Zf 

*!/>,} 

Absolut  - 

+4* 

-** 

-^ 

-*J 

^t 

-3A 

Mmaisrwtti 

+<£? 

+4e 

+0,6 

+0,7 

+  f,t 

+i,a 

°C 

JL 

\ 

*■*? 

1, 

i» 

t  0- 

v 

^ 

t 

\ 

1 

y 

1 

1 

\ 

tt? 

1 

l 

l 

1 

1 — 

j.  ?. 

r 

y 

/  '* 

A 

■ 

a 

i 

r 

// 

1 

r 

h 

v 

A 

a 

, 

/ 

V 

1 

/ 

A 

V 

, 

\ 

/ 

3 

\ 

y 

r 

* 

N 

V 

•V 

V 

Y 

, 

y 

/ 

.j? 

l 

jr 

Kurve  2. 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1906.  J 


Edel,  WettervarhiltnUse  an  der  Nordsee. 


69 


ein  durchaus  warmer  Monat.  Allmählich  be- 
reitet sich  der  Eintritt  einer  kälteren  Zeit 
vor,  bis  Mitte  resp.  Ende  November  ein 
Wettersturz  erfolgt.  Aber  die  Kurve  erhebt 
sich  sofort  wieder  und  hält  sich  im  Dezember 
und  Januar,  die  auf  dem  Festlande  die 
kältesten  Monate  sind,  meistens  über  0°  und 
fallt  nur  einige  Male  und  stets  auf  ganz  kurze 
Zeit  unter  0°.  Im  Februar  bleibt  die  Kurve 
in  dem  einen  Jahre  beständig  sehr  hoch, 
während  in  dem  2.  Winter  Ende  Februar 
noch  ein  geringer  Temperaturabfall  eintritt. 
Im  März    erfolgt  dann  langsam  der  Anstieg. 

Die  niedrigsten  Temperaturen,  die  über- 
haupt zur  Beobachtung  kamen,  waren  in  dem 
einen  Winter  —  7,5°  (Jan.  03)  und  in  dem 
anderen  —  5,9°  (Febr.  04),  während  die 
Monatsmittel  in  diesen  kältesten  Monaten 
-H0,5°  resp.  -f-  1,1°  waren. 

Es  bedarf  keines  besonderen  Hinweises, 
daß  diese  Temperaturen  an  und  für  sich  den 
Aufenthalt  im  Freien  nicht  beschränken 
können,  zumal  es  selbstverständlich  ist,  daß 
das  Thermometer  seinen  niedrigsten  Stand 
in  der  Nacht  erreicht,  also  zu  den  Stunden, 
die  für  Spaziergänge  in  Frage  kommen,  noch 
um  einige  Grade  höher  ist. 

Ich  möchte  hier  anschließend  bemerken, 
daß  der  Unterschied  zwischen  der  höchsten 
und  der  niedrigsten  Temperatur  eines  Tages 
an  der  See  niemals  besonders  groß  ist.  Im 
Winter  ist  diese  Differenz,  die  in  der  Klima- 
tologie  Amplitude  heißt,  noch  erheblich  ge- 
ringer als  im  Sommer.  Während  die  Klein- 
heit der  abendlichen  Abkühlung  im  Sommer 
als  eine  besondere  Annehmlichkeit  des  See- 
klimas empfunden  wird,  ermöglicht  sie  im 
Winter  die  Ausnutzung  der  langen  Abende 
zu  den  Zwecken  der  Kur.  Spaziergänge  am 
Strand  sind  hier  auch  im  Winter  noch  lange 
nach  Sonnenuntergang  möglich  und  haben 
ihren  besonderen  intimen  Reiz. 

In  Verbindung  mit  der  Kleinheit  der 
Amplitude  steht  die  große  Übereinstimmung 
zwischen  den  Temperaturen  zweier  auf- 
einanderfolgender Tage,  die  für  das  Seeklima 
charakteristisch  ist.  Die  Veränderungen  der 
Temperatur  erfolgen  allmählich,  Temperatur- 
sprünge fehlen  fast  ganz.  Die  Beständigkeit 
der  Temperatur,  durch  die  das  Klima  eine 
besondere  Milde  erhält,  prägt  sich  am 
schönsten  in  der  zweiten  Kurve  aus,  die  nur 
im  November  einen  plötzlichen  Temperatur- 
sturz erkennen  läßt,  während  in  der  ersten 
Kurve  sich  außer  dem  Novemberabfall  auch 
ein  plötzliches  Sinken  im  Januar  zeigt. 

Es  ist  im  allgemeinen  nicht  angängig, 
aus  einem  so  kurzen  Zeitraum,  wie  dem  hier 
besprochenen  einen  Schluß  auf  das  Klima  zu 
ziehen.     Aber    der   Verlauf    der  Temperatur 


in  diesen  beiden  Wintern  steht  in  so  voll- 
kommener Übereinstimmung  zu  dem,  was  die 
Betrachtung  einer  Zusammenstellung  der  Tem- 
peraturen von  10  Jahren  ergibt,  die  ich  an 
anderer  Stelle  veröffentlicht  habe*),  daß  die 
gegebenen  Kurven  als  typisch  für  die  Winter- 
temperatur in  Wyk  auf  Föhr  gelten  und 
somit  als  Beweis  für  die  Möglichkeit  der 
kurgemäßen  Überwinterung  auf  den  Nordsee- 
inseln dienen  können. 

In  der  erwähnten  Arbeit  habe  ich  die 
Temperaturangaben  von  Wyk  mit  den  ent- 
sprechenden Zahlen  von  Berlin  und  Wies- 
baden verglichen  und  konnte  als  Haupt- 
ergebnis die  Folgerung  ziehen:  der  Winter 
fängt  auf  den  Nordseeinseln  spät  an  und  ist 
dann  milder  als  in  Wiesbaden  und  bedeutend 
wärmer  als  in  Berlin.  Für  die  beiden  letzten 
Winter  stehen  mir  die  meteorologischen  Daten 
aus  den  genannten  beiden  Städten  leider  noch 
nicht  zur  Verfügung,  da  die  Veröffentlichungen 
derselben  stets  erst  nach  einigen  Jahren  er- 
folgen. Jedoch  würde  diese  Vergleichung 
keine  besonders  instruktive  gewesen  sein. 
Denn  sowohl  im  Jahre  1902/03  als  1903/04 
war  der  Winter  überall  ein  warmer  und  von 
einem  warmen  Winter  läßt  sich  nur  zeigen, 
daß  die  Temperatur  auf  den  Nordseeinseln 
ebenfalls  warm  ist,  etwas  höher  als  auf  dem 
Festlande,  während  in  kalten  Wintern  das 
Übergewicht  der  Inseln  ein  ganz  bedeutendes 
ist.  Das  Meer  dient  dann  als  ein  prompt 
wirkender  Wärmeregulator,  der  ein  allzu 
tiefes  Sinken  der  Temperatur  verhindert. 
Daher  sind  die  Nordseeinseln  in  einem  kalten 
Winter  nicht  minder  zu  Winterkuren  geeignet 
als  in  einem  warmen. 

Außer  der  Temperatur  sind  die  Nieder- 
schläge und  der  Wind  von  Einfluß  auf  das 
Wohlbefinden  oder  Mißbehagen  der  Kurgäste. 

Während  Determann3)  vom  Hochgebirge 
sagt:  „Für  den  Kranken,  der  sich  im  Freien 
aufhalten  soll,  ist  es  ziemlich  gleichgültig, 
ob  es  stark  oder  schwach  regnet;  die  Tat- 
sache des  Regnens  allein  beschränkt  ihn  im 
Ausgehen",  macht  man  im  Gegensatz  dazu 
die  Erfahrung,  daß  an  der  See  der  Regen 
den  Aufenthalt  im  Freien  fast  garnicht  be- 
einträchtigt. Denn  sofort  nach  einem  stets 
nur  kurze  Zrit  anhaltenden  Regen  ist  der 
Boden  hier  wieder  vollständig  trocken.  Man 
braucht  sich  auch  bei  geeigneter  Kleidung 
durch  einen  gerade  herniedergehenden  Regen 

3)  Läßt  sich  das  Klima  der  Nord^eeinseln  auch 
im  Herbst  und  Winter  therapeutisch  verwerten? 
Zeitschrift  für  diätetische  und  physikalische  Thera- 
pie Bd.  VI  (1902  03),  Heft  9. 

8)  Das  Höhenklima  im  Winter  und  seine  Ver- 
wendbarkeit für  Kranke.  Volkmanns  klinische  Vor- 
träge No.  308,  S.  477. 


70 


Edel,  WettexvorhtltniMe  an  der  HordtM. 


rherapeutiache 
IfonaUhefte. 


beim  Spazierengehen  durchaus  nicht  stören 
zu  lassen.  Meistens  wird  sogar  die  Luft  an 
Regentagen  als  besonders  milde  und  angenehm 
gerühmt.  Es  erübrigt  sich  daher  ein  näheres 
Eingehen  auf  die  Große  und  Häufigkeit  der 
Niederschläge. 

Dagegen  erfordert  der  Wind  eine  etwas 
ausführlichere  Besprechung.  Die  klimatischen 
Wirkungen  an  der  Nordsee  werden  zu  einem 
großen  Teil  durch  den  Wind  hervorgerufen. 
Die  im  Seeklima  stets  eintretende  Vermehrung 
des  Stoffwechsels  hat  ihre  Hauptursache  in 
dem  beständig  wehenden  Winde,  und  die 
Abhärtung,  der  Schutz  vor  Erkältungen,  den 
das  Seeklima  gewährt,  muß  gleichfalls  auf 
die  Bewegung  der  Luft  zurückgeführt  werden. 

So  unentbehrlich  also  für  unsere  Zwecke 
der  Wind  ist,  so  darf  er  doch,  um  den 
Aufenthalt  im  Freien  nicht  unmöglich  zu 
machen,  für  gewöhnlich  eine  gewisse  mittlere 
Stärke  nicht  überschreiten,  oder  es  muß  ein 
ausreichender  Windschutz  vorhanden  sein. 

Der  Badeort  Wyk  liegt  nun  in  der  süd- 
östlichsten Ecke  der  großen  ziemlich  genau 
elliptischen  Insel  Föhr  und  ist  dadurch  gegen 
den  direkten  Anprall  der  Winde  aus  Norden, 
Nordwesten  und  Westen  gut  geschützt,  wäh- 
rend die  östlichen  und  südöstlichen  Winde 
den  Zugang  nach  Wyk  frei  haben.  Der  Ost- 
wind kann  öfter  rauh  sein,  aber  als  unan- 
genehm wird  er  doch  erst  bei  größerer  Heftig- 
keit empfunden,  während  der  Südwestwind 
auch  im  Winter  ein  milder  und  weicher  Wind 
ist,  der  selbst  bei  einer  schon  ziemlich  be- 
trächtlichen Stärke  noch  sehr  gut  und  ohne 
Beschwerden  ertragen  werden  kann. 

Nach  diesen  erläuternden  Bemerkungen 
muß  die  Windverteilung  in  Wyk,  wie  sie 
aus  dem  folgenden  in  seinen  einzelnen  Teilen 
dem  Material  des  Herrn  G.  Weigelt  ent- 
nommenen Tableau  ergibt,  als  besonders 
günstig  für  die  Winterkuren  bezeichnet 
werden. 

Die  8  Linien  deuten  die  Windrichtungen 
an,  die  Länge  der  Linien  bezeichnet  die 
Häufigkeit  des  betreffenden  Windes.  (Milli- 
meterzahl gleich  beobachtete  Häufigkeit  bei 
3  mal  täglicher  Beobachtung.) 

Entsprechend  dem  von  mir4)  veröffent- 
lichten 10  jährigen  Durchschnitt  aus  den 
Jahren  1891/1900  hatten  auch  in  den  beiden 
letzten  Wintern  die  südlichen  und  westlichen 
Winde  ein  erhebliches  Übergewicht  über  den 
Ostwind.  Bemerkenswert  ist  die  dominierende 
Stellung  des  Südwestwindes  in  mehr  als  der 
Hälfte  der  besprochenen  Monate  und  der 
Februar  03  ganz  ohne  Ostwind.  Mit  der 
einzigen  Ausnahme   des  März  04   übertreffen 

*;  I.  c.  S.  510. 


Nonl 


NO 


Stf 


-Ost 


>iul 


SO 


Oktober  1902 


November  1902 


\i 


/hs      I 


\ 

//fr 


Dezember  1902 


\i 


Februar  1908 


Januar 

1908 

\ 

• 

10%    S 

w* 

16 

Mfirz  1908 

November  1908 


Januar  1904 


A 


\ 


27 


Man  1904 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1905.  J 


Edel,  WetterverhlltnlMe  an  d«r  Nordsee. 


71 


aber  auch  in  denjenigen  Monaten,  in  denen 
verhältnismäßig  oft  Ostwind  wehte,  der  schon 
mildere  Südost  und  die  westlichen  Winde  zu- 
sammen den  Ostwind  doch  noch  an  Häufig- 
keit. Aber  auch  diese  Tage  mit  O.stwind 
sind  für  die  Kur  durchaus  nicht  verloren. 
Denn  wenn  auch,  wie  ich  vorhin  sagte,  der 
Ostwind  freien  Zugang  nach  Wyk  hat,  so 
geben  doch  ein  mit  dem  Strand  parallel  ver- 
laufender, durch  den  Uferwall  geschützter 
Promenadenweg  und  eine  Anpflanzung  in  der 
Nähe  des  Ortes,  der  Lembkehain,  der  für 
die  Nordsee  überraschend  schöne  und  große 
Bäume  enthält,  genügende  Deckung,  um  auch 
bei  Ostwind  von  mehr  als  mittlerer  Stärke 
Spaziergänge  machen  und  sich  genügend  lange 
im  Freien  aufhalten  zu  können.  Ein  Ost- 
sturm im  Winter  würde  allerdings  den 
Fremden  ans  Zimmer  fesseln. 

Nun  weist  die  folgende  Zusammenstellung 
der  Sturmtage,  die  gleichzeitig  die  eminente 
Seltenheit  von  Stürmen  an  unserer  Küste  er- 
gibt, während  der  beiden  Winter  nur  an 
einem  einzigen  Tage  einen  Sturm  aus 
Osten  auf. 

Sturmtage  in    Wyk  auf  Föhr. 


Winter  1902/3 

Winter  1903/4 

Oktober  .... 

o  WSW 

*  WSW 

1  SW 

November    .     .     . 

9   WNW       '              0 

*  WSW                 u 

Dezember    .     .     . 

0 

0  WNW 

1  WSW 

Januar     .... 

0  WSW 

1  WSW 

1  WSW 

Februar  .... 

WSW 
3  W                        0 
WSW 

März 

0  WSW 

1  WSW 

1  Ost 

Dieser  einzige  Oststurm  kam  im  März  04 
zur  Beobachtung,  der  überhaupt  ausnahms- 
weise reich  an  Ostwind  war. 

Für  die  Nordseeinseln  ist  der  März  kein 
günstiger  Monat.  Während  man  auf  dem 
Festlande  schon  Ende  März  das  Nahen  des 
Frühlings  zu  fühlen  pflegt,  kann  man  hier 
frühestens  im  Mai  von  einem  Frühling 
sprechen.  Ich  habe  daher  geraten,  die  eigent- 
lichen Winterkuren  Anfang  März  zu  beenden, 
um  die  Patienten  nicht  zu  einer  Zeit  auf 
den  Inseln  zurückzuhalten,  in  der  das  Wetter 
an  der  See  weniger  schön  zu  sein  pflegt,  als 
auf  dem  Festlande. 

Da  wir  also  den  März  aus  unserer  Be- 
trachtung   ausschließen    dürfen,    kann    ohne 


Einschränkung  behauptet  werden,  daß  in  den 
beiden  letzten  Wintern,  die  als  Paradigmata 
des  Winterklimas  an  und  für  sich  gelten 
können,  weder  in  der  Temperatur,  noch  in 
den  Windverhältnissen  ein  Hindernis  für  die 
Überwinterung  an  der  Nordsee  zu  therapeu- 
tischen Zwecken  gefunden  werden  kann. 


Zur  Erweiterung  der  Indikationen  für 
den  Kefirgrebraueh. 

Von 
Dr.  med.  Arthur  Hirsch,  Wirkl.  Staatsrat,  Riga. 

Im  Dezemberheft  der  Zeitschrift  Thera- 
peutische Monatshefte  d.  J.  1903,  S.  622  bis 
626  erschien  ein  Artikel  des  Med. -Rats 
Dr.  Hecker,  Kreisarzt  in  Weißenburg  i.  Eis., 
unter  dem  Titel  „Über  Bereitung  von  Kefir". 
Der  weiteren  Verbreitung  einer  häuslichen 
Zubereitung  des  Kefirs,  für  die  der  Verfasser 
plädiert,  kann  ich  nach  meinen  reichen  Er- 
fahrungen mit  diesem  Mittel  nur  aufs  leb- 
hafteste zustimmen,  möchte  aber  diese  zum 
Kurgebrauch  nur  unter  gewissen,  weiter  unten 
zu  erörternden  Beschränkungen  empfehlen. 
Ebenso  stimme  ich  mit  dem  Verfasser  und 
Prof.  W.  Podwyssotzky  darin  vollkommen 
überein,  daß  die  aus  Kefirpulver  oder  den 
Kefirpastillen  von  Heuberger  in  der  Schweiz, 
Salmon  in  Paris  und  Lehmann  in  Berlin 
bereiteten  Kefirpräparate  minderwertig  und 
teurer  sind  als  die  aus  den  Kefirpilzen  direkt 
gewonnenen.  Mit  den  Lehmannschen  Kefir- 
pastillen erhielt  ich  einen  Kefir,  der  in 
seinem  Gehalt  an  den  Produkten  der  Kefir- 
gärung dem  aus  den  Pilzen  hergestellten  be- 
deutend nachstand.  Herr  Dr.  Heck  er  will 
die  Indikationen  für  den  Kefirgebrauch  auf 
die  Phthise,  Skrofulöse,  Chlorose,  Gicht, 
Neurasthenie,  Diabetes,  Magen  er  Weiterung, 
Magengeschwür,  chronischen  Magen-  und 
Darmkatarrh,  Cholelithiasis ,  Nierenerkran- 
kungen und  die  Rekonvaleszenz  von  er- 
schöpfenden Krankheiten  beschränken.  Er 
befindet  sich  in  dieser  Indikationsstellung  in 
vollkommener  Übereinstimmung  mit  den  bis- 
her allgemein  herrschenden  Ansichten.  Ferner 
empfiehlt  Dr.  Heck  er,  weil  der  eintägige 
Kefir  bekanntlich  durch  seinen  reichen  Lak- 
tosegehalt etwas  abführend,  der  dreitägige 
dagegen  stopfend  wirkt,  für  gewöhnlich  den 
mittelstarken,  den  zweitägigen  Kefir  zu  ge- 
nießen. Für  die  oben  angegebenen  Indika- 
tionen halte  auch  ich  diese  Empfehlung  für 
ganz  zweckmäßig.  Jedoch  glaube  ich  ge- 
nügenden Grund  zu  haben,  die  bisher  gelten- 
den Indikationen  für  den  Kefirgebrauch 
erstens  etwas  zu  erweitern  und  zweitens 
speziell    für    einige    von    mir    zu    erörternde 


72 


Hirsch,  Indikationen  flir  den  Kefirgebrmuob. 


rherapenttache 
Monatshefte. 


Indikationen  den  dreitägigen  Kefir  als  zweck- 
entsprechend zu  empfehlen. 

Meine  Erfahrungen  mit  Kefir  habe  ich, 
nachdem  Dr.  Dmitriew1)  i.  J.  1882  seine 
Broschüre  über  Kefir  veröffentlicht  hatte, 
vom  Jahre  1883  an  als  jüngerer  Arzt  des 
Kadettenkorps  zu  Polotzk  im  Witebskschen 
Gouvernement  (Rußland)  und  von  1888  bis 
1902  als  Oberarzt  des  Kadettenkorps  zu 
Orel  gesammelt.  Besonders  in  der  Kinder- 
praxis  ist  von  mir  der  Kefir  vielfach  ange- 
wandt worden.  Sehr  aufmunternde  Resultate 
habe  ich  namentlich  in  der  Behandlung 
des  Keuchhustens  sowie  auch  im  Ini- 
tialstadium des  Scharlachs  und  wäh- 
rend der  Scharlachnephritis  erzielt.  Die 
Brauchbarkeit  des  Kefirs  bei  der  letztgenannten 
Krankheitsform  dürften  bereits  andere  Kol- 
legen gleichfalls  konstatiert  haben. 

Ich  erlaube  mir,  vor  allem  die  Kranken- 
geschichten dreier  recht  prägnanter  Fälle 
von  Keuchhusten  der  Öffentlichkeit  zu  über- 
geben : 

I.  Der  erste  Fall2),  den  ich  im  Herbst  1883 
beobachtete  und  1889  in  der  in  Moskau  erscheinenden 
Medicinskoe  Obosrenie  veröffentlichte,  bezog  sich 
auf  ein  10  Monate  altes  Kind  eines  Lehrers  am 
Kadettenkorps,  S.  Das  Kind  war  bald  nach  Ent- 
lassung der  Amme  am  Keuchhusten  erkrankt.  Nach 
Ablauf  des  gegen  2  Wochen  dauernden  katarrha- 
lischen Stadiums  trat  ein  sehr  intensives  Konvulsiv- 
stadium auf.  Die  Anfalle  waren  sehr  heftig,  ver- 
ursachten oft  starke  Benommenheit  und  schlössen 
meist  mit  Erbrechen  ab,  sodaß  der  Ernährungs- 
zustand des  Kindes  bald  ganz  unbefriedigend  war. 
Es  stellte  sich  allmählich  Schlafsucht  ein,  unter- 
brochen durch  sehr  häufige  Hustenattacken;  starker 
Kräfteverfall.  Während  der  Krankheit  wurde  das 
Kind  zunächst  ausschließlich  mit  Kuhmilch  ernährt. 
Von  einem  Referat  über  die  Details  der  medika- 
mentösen Behandlung  sehe  ich  ab  und  erwähne 
bloß,  daß  die  damals  bestempfohlenen  Spezialmittel 
erfolglos  in  Anwendung  gezogen  wurden.  Gegen 
Ende  der  vierten  Krankheitswoche  wurde  an  einem 
Morgen  ex  consilio  folgender  Status  festgestellt: 
Das  Kind  ist  sehr  unruhig,  das  Gesicht  gedunsen, 
die  Skleren  hyperämisch  mit  einzelnen  Blutextra- 
vasaten  durchsetzt;  die  Lippen  blau;  auf  den  Streck- 
seiten der  Hände  und  Füße  sind  Ödeme  zu  kon- 
statieren; unbedeutender  Ascites;  die  Atmung  recht 
beschleunigt.  Bei  der  Untersuchung  des  Thorax  wird 
in  den  unteren  Teilen  beider  Lungen  Hypostase 
festgestellt;  Herzdämpfung  normal;  der  Puls  sehr 
beschleunigt  und  geschwächt,  schwer  zählbar;  doch 
beträgt  die  Anzahl  der  Pulsschläge  annähernd  160 
in  der  Minute.  Der  Harn  dunkel  gefärbt,  wird 
selten  und  nur  in  geringen  Mengen  abgesondert. 
Eine  Untersuchung  des  Harns  ist  unausführbar 
wegen  Entleerung  desselben  in  die  Betttücher.  Die 
Temperatur  schwankte  in  den  letzten  Tagen  des 
Abends  um  38°  und  war  gestern  abend  38,2°.  Bei 
dem  geschilderten  Status  konnte  die  Prognose  den 
Eltern  gegenüber  nur  als  ziemlich  ungünstig  hin- 
gestellt   werden.     Die   Ordination    bestand    in   der 

*)  „Kefir",  Dr.  Dmitriew,  Jalta  (Krim)  1882. 

a)  Dr. med. A.Hirsch,  «ÜberdieAnwendungdes 
Kefirs  beim  Keuchhusten u.  Medicinskoe  Obosrenie 
1889,  No.  15. 


Beseitigung  aller  bisher  angewandten  Medikamente 
und  in  der  Verordnung  von  starkem,  dreitägigem 
Kefir,  der  dem  Kinde  2  stündlich  zu  2— 3  Eßlöffel  voll 
allmählich  eingeflößt  werden  sollte,  und  in  der 
Empfehlung  von  Sauerstoffeinatmungen.  Kefir  konnte 
dem  Kinde  sogleich  verabfolgt  werden,  dank  dem 
Vorhandensein  einer  auf  meine  Initiative 
hin  'ins  Leben  gerufenen  Kefiranstalt; 
Sauerstoff  dagegen  war  erst  in  2  Tagen  zu  be- 
schaffen. Letzterem  Umstände  ist  es  nun  zu  danken, 
daß  ich  eine  reine  Beobachtung  über  die  Kefir- 
wirkung gewann. 

Am  Abend  desselben  Tages  fand  ich  die  kleine 
Patientin  in  ruhigem  Schlaf.  Die  Mutter  gab  an, 
daß  das  Kind  die  Kefirdosen  mit  Heißhunger  ein- 
genommen habe,  doch  habe  sie  nicht  gewagt,  mehr 
als  die  verordneten  3  Eßlöffel  voll  2  stündlich  ein- 
zugeben. In  den  Ernährungs-  resp.  Medikations- 
pausen war  das  Kind  mehrmals  fest  eingeschlafen. 
Die  Abendtemperatur  war  37,8,  der  Puls  langsamer 
als  des  Morgens;  an  den  Handrücken  hatten  sich 
seichte  Querfurchen  gebildet,  infolge  Abnahme  des 
Ödems;  gegen  Abend  war  eine  etwas  reichlichere 
Harnentleerung  erfolgt.  Von  diesem  Tage  an  hörte 
das  Kind  auf  zu  fiebern;  der  Hydrops  verschwand 
rasch,  ebenso  die  Hypostase;  die  Hustenanfalle 
wurden  seltener,  und  als  am  dritten  Tage  Sauer- 
stoff zu  Gebote  stand,  war  er  schon  nicht  mehr 
nötig,  weil  das  Stadium  der  Rekonvaleszenz  be- 
gonnen hatte.  Der  Kefirgebrauch  wurde  außer  der 
Milchnahrung  noch  circa  2  Wochen  fortgesetzt  und 
darauf  ging  man  allmählich  auf  eine  mehr  gemischte 
Kost  über, 

Natürlich  imponierte  mir  dieser  Fall  in 
hohem  Grade  und  veranlaßte  mich,  fortan 
Kefir  beständig  schon  vom  Beginn  der  Krank- 
heit an  zu  verordnen,  sowie  während  des 
ganzen  Krankheitsv  er!  auf  es  fortzusetzen.  In 
allen  Fällen,  die  rechtzeitig  in  Behandlung 
kamen,  war  der  Verlauf  ein  relativ  leichter. 
Ich  habe  in  denselben  weder  starken  Hydrops, 
noch  bedeutende  Hypostase,  noch  auffallende 
Cyanose,  noch  Lungenentzündungen  oder 
eklamptische  Krämpfe  während  der  Anfälle 
beobachtet.  Wenn  ich  demnach  einerseits 
auf  Grund  meiner  Erfahrungen  behaupte,  daß 
der  Keuchhusten  beim  Gebrauch  des  drei- 
tägigen Kefirs  leichter  überstanden  wird,  als 
ohne  denselben,  so  habe  ich  andrerseits  nicht 
konstatieren  können,  daß  die  Krankheit  bei 
dieser  Kurmethode  wesentlich  schneller  über- 
standen wird,  als  bei  der  medikamentösen 
Behandlung.  Es  fehlt  eben  am  nötigen  Beob- 
achtungsmaterial, da  das  Publikum  bekannt- 
lich vom  Arzt  immer  zugleich  eine  pharma- 
zeutische Verordnung  erwartet.  In  schweren 
Fällen,  deren  Prognose  besonders  bei  anti- 
hygienischen Wohnungsverhältnissen  oft  sehr 
ungünstig  sein  kann,  dürfte  der  Kefir  die 
Krankheit  verlängern,  indem  er  gradezu  den 
letalen  Ausgang  abwendet  und  dem  Krank- 
heitsverlauf eine  günstigere  Richtung  gibt. 
Weiter  unten  will  ich  mir  erlauben,  aus- 
einanderzusetzen, wie  ich  mir  auf  Grund  des 
bekannten  Chemismus  des  Kefirs  die  Theorie 
seiner  Wirkung  vorstelle. 


XIX.  Jahrgang."! 
Februar  1906.  J 


Hirsch,  Indikationen  für  den  Keflrgebrauch. 


73 


n.  Ein  zweiter  Fall,  den  ich  hier  im  Anschluß 
an  den  obigen  mitteilen  will,  wurde  von  mir  kurze 
Zeit  nachher  auch  in  der  Stadt  Polotzk  beobachtet. 
Er  betraf  die  3  !/a  jährige  Tochter  eines  hebräischen 
Elternpaares,  welches  in  ärmlichen  und  antihygieni- 
schen Verhältnissen  lebte.  Die  Krankheit  war  zu 
Beginn  der  5.  Woche  in  ein  sehr  kritisches  Stadium 
getreten.  Die  kleine  Patientin  hatte  nachweisbare 
Oedeme,  war  stark  cy an o tisch,  hatte  Blutextra  vasate 
in  der  ganzen  Ausdehnung  der  Gefaßhäute  beider 
Augen;  bedeutende.  Hypostase  in  beiden  Lungen; 
beschleunigte  Atmung  und  eine  recht  herabgesetzte 
Herztätigkeit  mit  sehr  frequentem  Pulse;  blutige 
Schleimabsonderung  aus  den  Lungen  während  der 
Anfälle,  sowie  häufiges  Erbrechen  mit  Blutbei- 
mengung; Harn  dunkel,  wird  in  geringen  Quantitäten 
entleert  und  zeigt  beim  Kochen  eine  opaleszierende 
Trübung,  die  durch  Essigsäurezusatz  nicht  schwindet; 
Schlaf  sehr  unruhig,  oft  durch  Hustenanfalle  unter- 
brochen. Ich  besuchte  das  Kind,  als  der  Zustand 
ein  so  schwerer  geworden  war,  täglich,  konnte  aber 
mit  Medikamenten  nichts  ausrichten.  Der  armen 
Familie,  die  durch  etwas  wohlhabendere  Verwandte 
unterstützt  wurde,  war  natürlich  die  Honorierung 
des  Arztes  und  die  Bestreitung  der  Apotheker- 
rechnung schwer.  Nachdem  ich  nun  bei  dem  Kinde 
S.  die  günstige  Kefirwirkung  konstatiert  hatte,  er- 
klärte ich  der  Mutter,  sie  solle  dem  Kinde  täglich 
eine  Flasche  (etwa  !/4 — Va  Liter)  dreitägigen  Kefirs 
in  zweistündlichen  Dosen  eingeben  und  alle  übrigen 
Medikamente  fortlassen.  Nach  2  Wochen  wurde 
ich  wieder  zur  erwähnten  Hebräerfamilie  gebeten, 
dieses  Mal  aber  nicht  mehr  zu  der  früheren  Patientin, 
sondern  zu  einem  kleineren  Kinde.  Auf  meine 
Frage,  was  denn  die  3  7s  jährige  Tochter  mache, 
antwortete  die  Mutter,  sie  sei  jetzt  ganz  gesund 
and  spiele  im  Hof;  die  Besserung  sei  sofort  nach 
Beginn  der  Kefirkur  eingetreten.  Als  ich  mir  nun 
das  Kind  ansah,  fand  ich,  daß  alle  krankhaften 
Erscheinungen  völlig  geschwunden  waren. 

III.  Ein  dritter  Fall,  den  ich  seiner  Eigen- 
artigkeit wegen  noch  kurz  beschreiben  will,  wurde 
▼on  mir  i.  J.  1890  in  der  Familie  eines  Erziehers 
(Dujouroffiziers)  am  Kadettenkorps  zu  Orel  be- 
handelt. Der  9  Monate  alte  Sohn  des  Herrn  G. 
wurde  von  »einer  Mutter,  einer  vorzüglichen  Amme, 
selbst  genährt,  die  schon  3  ältere  Töchter  in  gleicher 
Weise  zu  kräftigen  Kindern  herangezogen  hatte. 
Nach  Ablauf  des  circa  l1/*—  2  Wochen  währenden 
katarrhalischen  Stadiums  setzte  das  konvulsivische 
Stadium  mit  starken  Krankheitssymptomen  ein. 
Wie  in  den  oben  berichteten  Fällen  war  auch  hier 
jedes  Medikament  erfolglos  und  konnten  bei  dem 
kleinen  Patienten  überhaupt  nur  sehr  geringe 
Dosen  in  Frage  kommen.  Die  Folge  war  nach 
1  7j  wöchentlicher  Dauer  starker  Kräfte  verfall,  sehr 
herabgesetzte  Ernährung,  große  Unruhe,  Schlaf- 
losigkeit trotz  starken  Schlafbedürfnisses,  beginnende 
Hypostase,  Ödeme  etc.  Daß  in  diesem  Fall  mit 
dem  Kefirgebrauch  nicht  frühzeitig  begonnen  wurde, 
war  die  Schuld  der  Mutter,  die  zu  diesem  Mittel 
keine  Sympathie  hatte.  Schließlich  entschloß  sie 
sich  dennoch  auf  meinen  dringenden  Rat,  es  mit 
dem  Kefir  zu  versuchen.  Ich  empfahl  ihr,  dem 
Kinde  den  dreitägigen  Kefir  2 — 272  stündlich  zu 
drei  Eßlöffel  voll  einzugeben,  und  zwar  sollte  das 
Kind  sich  jedes  Mal  die  Mutterbrust  durch  eine 
vorausgeschickte  Kefirdosis  erst  verdienen.  Auch 
hier  war  der  Erfolg  sehr  erfreulich.  Schon  am 
ersten  Gebrauchstage  hatte  das  Kind  zwei  Stunden 
ruhig  geschlafen,  und  von  diesem  Tage  an  trat  eine 
Wendnng  des  Krankheitsprozesses  zur  Besserung  ein. 

Der  zuletzt  beschriebene  Fall  ist  charak- 
teristisch,   weil     er    einen     Säugling    betraf. 

Th.3C.l905. 


Man  sollte  meinen,  daß  gute  Muttermilch  in 
allen  Fällen  jedem  anderen  Nahrungsmittel 
vorzuziehen  sei.  Unstreitig  ist  das  ja  auch 
in  der  Regel  der  Fall.  Das  Kind  G.  ging 
jedoch  bei  der  Ernährung  durch  die  Mutter 
während  des  Konvulsivstadiums  stark  ein. 
Erst  nach  Verordnung  des  Kefirs  hob  sich 
der  Ernährungszustand  beständig.  Hieraus 
gewinnen  wir  zugleich  eine  Andeutung  darauf, 
daß  starker  Kefir  nicht  nur  nutritive,  sondern 
auch  kurative  Eigenschaften  besitzt,  worauf 
ich  weiter  unten  näher  eingehen  will. 

Bezüglich  des  Kefirgebrauchs  bei  kleinen 
Kindern  und  besonders  bei  Säuglingen  halte 
ich  noch  die  zwei  folgenden  Bedingungen  für 
wichtig:  Kefir  muß  bekanntlich  immer  an 
einem  kühlen  Ort  aufbewahrt  werden.  Um  nun 
nicht  durch  den  Kältereiz  Hustenbewegungen 
auszulösen,  die  beim  Keuchhusten  oft  mit 
Erbrechen  enden,  oder  gar  Erkältungen 
hervorzurufen,  ist  es  nötig,  die  jedes- 
malige Dosis  vor  dem  Gebrauch  etwas  zu 
erwärmen.  Zu  diesem  Zweck  wird  der  Kefir 
in  eine  Obertasse  gegossen,  die  letztere  in 
heißes  Wasser  gestellt  und  ihr  Inhalt  bis 
zur  Erwärmung  um  einige  Grade  bestandig 
mit  einem  Theelöffel  (Kaffeelöffel)  umgerührt. 
Um  ferner  die  Aversion  einiger  Kinder  gegen 
das  säuerliche  Getränk  zu  vermindern,  habe 
ich  es  als  nützlich  befunden,  wie  auch  in 
Fall  III  zu  jeder  Kefirdosis  etwas  Puder- 
zucker beizufügen.  Auf  diese  Weise  ver- 
süßt, wird  der  Kefir  von  den  Kindern  meist 
gern  genommen. 

Im  Eruptionsstadium  des  Scharlachs  leiden 
die  Patienten  bei  hohem  Fieber  oft  an  starkem 
Durst.  Dabei  trinken  sie  viel  Wasser,  wäh- 
rend Milch  und  andere  Nahrungsmittel  re- 
füsiert  werden.  Es  hat  sich  nun  bei  vielen 
meiner  Patienten  herausgestellt,  daß  ihnen 
Kefir  als  säuerliches  Getränk  sehr  behagte. 
In  vielen  Fällen  baten  sie  überaus  häufig 
um  die  Darreichung  desselben  und  genossen 
es  mit  einer  gewissen  Gier.  Wenn  dieses 
Getränk  den  Scharlachkranken  im  Verlauf 
einiger  Tage  in  reichlichen  Dosen  zugemessen 
wurde,  so  habe  ich  oft  beobachten  können, 
daß  die  Kinder  nicht  nur  eine  subjektive  Er- 
leichterung empfanden,  sondern  auch  dieses 
Krank heitsstadium  leichter  überwanden.  Das 
dürfte  sich  wohl  fraglos  durch  den  Kraft- 
zuwachs infolge  der  reichlicheren  Ernährung 
erklären.  In  diesen  Fällen  habe  ich  ge- 
wöhnlich den  zweitägigen  Kefir  verordnet. 
Natürlich  darf  dem  Kefir  nicht  das  Epitheton 
eines  Specificums  bei  Scharlach  beigelegt 
werden.  Es  ist  nur  ein  gutes  Hilfsmittel, 
welches  selbstredend  in  schweren,  mit  starken 
Streptokokkenanginen  und  allgemeiner  Strepto- 
kokkie    komplizierten    Fällen    versagt.     Bei- 


74 


Hirsch,  Indikationen  fQr  d«n  Keflrgebrauch. 


[TherapentUch« 
M»iiRt«h*fta. 


läufig  will  ich  hier  bemerken,  daß  ich  die 
letztgenannten  Erkrankungsfälle  mit  sehr  er- 
freulichem Erfolge  i.  J.  1902  mit  Marino- 
rekschem  Anti Streptokokkenserum  behandelt 

habe3). 

Der  Gebrauch  des  Kefirs  bei  Nephritis 
ist,  wie  auch  Dr.  Heck  er  angibt,  schon  all- 
gemein anerkannt.  Seitdem  ich  mich  von 
der  vorzüglichen  diuretischen  Wirkung  des 
Kefirs  überzeugt  hatte,  wurden  von  mir  viele 
Fälle  von  Scharlachnephritis  einer  systemati- 
schen Kefirbehandlung  unterzogen.  Die  Re- 
sultate dieser  Kurmethode  sind  entschieden 
günstiger  als  die  bei  reiner  Milchkur  er- 
zielten. Nur  in  Ausnahmefällen  äußerte  sich 
bei  meinen  Patienten  eine  unüberwindliche 
Abneigung  gegen  Kefir.  In  den  beobachteten 
Fällen  nahm  die  Quantität  des  abgesonderten 
Urins  von  Tag  zu  Tag  zu.  Zugleich  ver- 
minderte sich  zusehends  der  Eiweißgehalt, 
sodaß  im  Durchschnitt  in  2 — 27a  Wochen 
der  Harn  eiweißfrei  wurde.  Schädliche  Folgen 
des  Kefirgebrauches  bei  Scharlachnephritis, 
die  vielleicht  infolge  des  geringfügigen  Alko- 
holgehaltes desselben  befürchtet  werden 
könnten,  habe  ich  nie  beobachtet.  In  diesen 
Fällen  kam  stets  der  dreitägige  Kefir  wegen 
seiner  relativ  stärkeren  diuretischen  Wirkung 
zur  Verwendung. 

Endlich  will  ich  hier  noch  einen  Fall 
von  Abdominaltyphus  erwähnen,  in  dem  ich 
den  Ernährungszustand  durch  regelmäßige 
Kefirdosen  während  des  dreiwöchentlichen 
Verlaufs  der  Krankheit  eines  2 '/« jährigen 
Kindes  aufrecht  erhielt.  Wie  es  in  vielen 
Fällen  beobachtet  wird,  so  vertrug  auch 
meine  kleine  Patientin  während  des  Typhus 
nicht  die  dargereichte  Milch.  Wurde  die- 
selbe ihr  mit  einiger  Gewaltanwendung  ver- 
abfolgt, so  erbrach  das  Kind  die  Milch  fast 
ausnahmslos.  Auch  weichgekochte  Eier  waren 
dem  Kinde  sehr  zuwider.  Von  einer  Er- 
nährung mit  Fleisch  oder  sonstigen  kompak- 
teren Nahrungsmitteln  sah  ich  trotz  der  auto- 
ritativen Empfehlung  von  Botkin  ab,  da, 
wie  ich  meine,  die  Typhusgeschwüre  leicht 
durch  eine  derartige  Ernährungsmethode  in 
einen  Reizzustand  versetzt  und  zu  Blutungen 
oder  zum  Durchbruch  geführt  werden  können. 
Infolgedessen  veranlaßte  ich  die  Mutter  des 
Kindes,  dasselbe  mit  dreistündlich  verab- 
folgten Kefirdosen  zu  ernähren.  Freilich  stieß 
anfangs  diese  Diät  beim  Kinde  auch  auf 
einigen  Widerstand,  trotz  vorheriger  Ver- 
süßung des  Nahrungsmittels;  jedoch  gelang 
es    der    energischen    und    um    ihr  Kind   be- 


3)  A.  Hirsch,  Zur  Behandlung  der  Strepto- 
kokkiemit  Antistreptokokkenserum.  St.  Petersburger 
mediz.  Wochenschr.  1903,  No.  43  u.  44. 


sorgten  Mutter  trotzdem,  allerdings  nur  unter 
Assistenz  von  zwei  Gehilfinnen,  die  Fütterung 
in  der  angegebenen  Weise  zu  bewerkstelligen. 
Dafür  hatten  wir  aber  auch  nach  Ablauf  des 
ohne  Komplikation  verlaufenden  Krankheits- 
prozesses die  Freude,  unseren  Pflegling  gesund 
und  von  der  Krankheit  wenig  geschädigt  vor 
uns  zu  sehen.  In  diesem  Fall  habe  ich. 
zweitägigen  Kefir  verordnet. 

Es  dürften  also  die  Indikationen  für  den 
Kefirgebrauch  nach  meinen  oben  mitgeteilten 
Erfahrungen  in  der  Weise  erweitert  wer- 
den, daß: 

1.  der  3tägige  Kefir  ein  wichtiges 
Nahrungs-  und  Heilmittel  bei 
Keuchhusten  ist; 

2.  daß  Kefir  im  Initialstadium  des 
Scharlachs  zur  Verminderung  der 
Durstempfindung  und  Aufrecht- 
erhaltung der  Ernährung  zu  emp- 
fehlen ist; 

3.  daß  die  Scharlachnephritis  durch 
starken  Kefir  sehr  günstig  be- 
einflußt wird  und 

4.  daß  der  Kefir  im  Verlauf  der 
akuten  Infektionskrankheiten 
überhaupt  als  leichtverdauliches 
und  -assimilierbares  Nahrungs- 
mittel Beachtung  verdient. 

Aus  den  berichteten  Fällen  von  Keuch- 
husten ist  nun  ersichtlich,  daß  die  Bereitung 
des  Kefirs  unter  den  geschilderten  Umständen, 
durchaus  nicht  ausschließlich  zu  Hause  statt- 
finden kann.  Der  Kefir  muß  sogleich  zur 
Hand  sein,  um  nicht  mit  seiner  segensreichen 
Wirkung  zu  spät  zu  kommen.  Aus  diesem 
Grunde  hauptsächlich  habe  ich  in  den  beiden 
Städten,  in  denen  ich  früher  meine  ärztliche 
Tätigkeit  ausübte,  die  Anregung  zur  Grün- 
dung von  Kefiranstalten  gegeben.  Auch  war 
der  Preis  des  Kefirs  nicht  übertrieben  hoch, 
12  Kopeken  für  eine  Flasche  von  der  Große 
einer  halben  Mineral  Wasserflasche  und  10  Ko- 
peken im  Abonnement.  In  Riga  wird  im 
Abonnement  auch  8  —  12  Kopeken  pro  Flasche 
gezahlt.  Außer  dem  erwähnten  Grunde  sprechen 
aber  noch  andere  schwerwiegende  Gründe  oft 
für  die  Herstellung  des  Kefirs  in  Anstalten. 
Einerseits  ergibt  nach  meinen  Erfahrungen 
die  Kefirbereitung  aus  fertigem  Kefir  ohne 
die  Pilze  nur  ein  minderwertiges  Präparat. 
Die  ersten  Portionen  sind  ja  meist  recht  gut, 
jedoch  nimmt  im  Verlauf  von  ein  paar 
Wochen  der  Gärungsprozeß  in  dem  so  be- 
reiteten Kefir  in  hohem  Grade  ab,  sodaß  eine 
bedeutende  Verminderung  der  Kohlen-  und 
Milchsäureentwicklung  stattfindet.  Gleich- 
zeitig fehlt  die  Garantie  dafür,  daß  sich 
nicht  mit  der  Zeit  auch  Fäulnisprozesse  ent- 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1905.  J 


Hirsch,  Indikationen  für  den  Kefirgebraueh. 


75 


wickeln,  sodaß  der  auf  diese  Weise  her- 
gestellte Kefir  dann  sogar  schädliche  Neben- 
wirkungen ausüben  konnte.  Andrerseits  ver- 
stehen bei  weitem  nicht  alle  Personen,  die 
die  Kefirbereitung  übernehmen,  genügend  sorg- 
faltig und  reinlich  mit  den  Pilzen  umzugehen. 
Diesen  Umstand  betont  gewiß  mit  vollem 
Recht  Dr.  Dmitriew,  der  Initiator  des  Kefir- 
konsums in  Rußland  zu  Kurzwecken.  Er 
hebt  hervor,  wie  leicht  sich  bei  unrichtiger 
Behandlung  der  Kefirpilze  eine  Krankheit 
derselben  einstellt.  Mit  Herrn  Dr.  Heck  er 
stimme  ich  vollkommen  in  der  Meinung  über- 
ein, daß  die  von  Prof.  "W.  Podwyssotzky4) 
.in  seinem  auch  ins  Franzosische  übersetzten 
Buch  beschriebene  Bereitung  des  Kefirs  weit- 
läufig ist.  Dagegen  ist  eine  ganz  einwands- 
freie  Beschreibung  der  Herstellung  des  Kefirs 
in  der  Broschüre  von  Dr.  Dmitriew5)  ent- 
halten, auf  die  ich  mir  erlaube  hier  hinzu- 
weisen. Dieselbe  kann  auch  in  deutscher 
Übersetzung  von  Rick  er  in  Petersburg  be- 
zogen werden. 

Zum  Schluß  seien  mir  noch  einige  Bemer- 
kungen über  den  Modus  der  biologischen  Wir- 
kung des  Kefirs  gestattet.  Zum  besseren  Ver- 
ständnis derselben  verweise  ich  auf  die  oben  be- 
schriebenen Keuchhusten  falle.  Alle  drei  Kinder 
wurden  vor  Einleitung  der  Kefirkur  mit  Milch 
ernährt,  das  kleine  Kind  6.  sogar  mit  Mutter- 
milch. Daß  Milch  an  sich  schon  eine  diu- 
retische  Wirkung  hat,  ist  eine  bekannte  Tat- 
sache und  experimentell  u.  a.  von  Kar  eil 
und  Imme  r m  an  n  bewiesen .  Trotzdem  bildete 
sich  der  Ascites,  traten  Ödeme  auf  und 
nahmen  zu.  Die  von  mir  gemachte  Beob- 
achtung, daß  die  Kinder  nach  einigen  Kefir- 
dosen ruhiger  wurden,  einschliefen,  besser 
urinierten,  daß  der  Hydrops  und  die  Cyanose 
abnahmen  und  schwanden,  läßt  sich  wohl 
nicht  anders  deuten  als  dur*ch  die  Annahme, 
daß  die  diuretische  Wirkung  des  Kefirs,  be- 
sonders des  dreitägigen,  die  der  Milch  be- 
deutend übertrifft.  Mit  mir  stimmen  auch 
Dmitriew  und  Koslowsky  in  der  Ansicht 
überein,  daß  sie  dem  Kefir  eine  bedeutende 
diuretische  Wirkung  zuschreiben.  Dieselbe 
tritt  wie  in  mit  Hydrops  komplizierten  Keuch- 
hustenfällen auch  bei  der  Scharlachnephritis, 
wie  oben  erwähnt,  deutlich  zu  Tage.  Diese 
diuretische  Wirkung  des  Kefirs  steht  fraglos 
in  naher  Beziehung  zur  leichteren  Diffusi- 
bilität  und  Assimilierbarkeit  des  Kefirs  im 
Vergleich  zur  Milch.  Der  Hauptunterschied 
der  chemischen  Zusammensetzung  der  frischen 
Milch  und  des  Kefirs  besteht  nach  den  Unter- 

*)  W.  Podwyssotzky,  „Le  Kefir,  fermeot  et 
boisson  thorapeutiq ue ,  prepare  avec  du  lait  de 
vacbeu.     Paris  1902. 

s)  Dr.  Dmitriew,  „Kefir".    Jalta  (Krim)  1882. 


Buchungen   des   Chemikers   Dr.  Biel6)   darin, 
daß  das  Kasein  der  Kuhmilch,  welches  eine 
chemische    Verbindung     des    Albumins     mit 
Kalksalzen   bildet,    bei   der  Kefirgärung  zer- 
fällt  und   daß   sodann    das   kalkfreie   Kasein 
im  Kefir  schon  nicht  mehr  durch  Säuren  ge- 
rinnt und  leicht  peptonisiert.    Der  Kefir  ent- 
hält demnach  die  Eiweißstoffe  in  leicht  ver- 
daulicher   oder    halb-    resp.    ganz   verdauter 
Form    als  kalkfreies  Kasein,    Hemialbumose 
oder  Peptone.     Sodann    geht    bei   der  Kefir- 
gärung  ein   großer  Teil   des  Milchzuckers  in 
gasformige  Kohlensäure  und  Milchsäure  über 
unter    gleichzeitiger   Bildung    eines    geringen 
Quantums   Alkohol.     Diese  Gärungsprodukte 
finden  sich  im  dreitägigen  Kefir  selbstredend 
in  größeren  Mengen  vor  als  in  dem  ein-  und 
zweitägigen.     Es    ist  nun  verständlich,    daß 
beim  Vorhandensein  venöser  Stauungen  sowie 
bei    der    stark    herabgesetzten  Funktion   der 
nutritiven     und    Gefäßnerven,     wie    in    den 
zitierten  Fällen    angenommen    werden   kann, 
der   Magensaft  und   die   Darmfermente  nicht 
in    der    nötigen  Quantität    und  Qualität  ab- 
gesondert   werden.     Die    mit    dem  Kefir    in 
den     Magen     eingeführte    Milchsäure     bietet 
einen    guten   Ersatz    für    die    fehlende  Salz- 
saure     zur    sofortigen    Verdauung    der    noch 
nicht    peptonisierten    Albuminate.     Das    Ge- 
tränk kann  daher  unter  der  Mitwirkung  der 
freien  Kohlensäure  und  des  geringen  Alkohol- 
gehaltes   rasch    resorbiert   und   dadurch   alle 
Gewebe    des   bisher  hungernden   Organismus 
vermöge  des  neuen  Nahrungsmaterials  zu  er- 
neuter Funktion  gebracht  werden.    U.  a.  tritt 
neuer  Nahrungssaft  in    den  Herzmuskel   und 
die  in  demselben  enthaltenen  Ganglienzellen, 
in    das  Vagus-    und  Respirationszentrum  im 
verlängerten  Mark  ein.    Die  Folge  davon  ist 
eine    Verstärkung    der    Atmung    und    Herz- 
tätigkeit,    Regulierung     der    Blutzirkulation 
sowie     infolge    des    verstärkten    Filtrations- 
druckes   in    den   Nieren    eine  Abnahme    der 
hydropischen   Erscheinungen.    —    Neben    der 
durch  die  erwähnten  Vorgänge  erzielten  diu- 
retischen    Wirkung    scheint    mir    eine    bak- 
terizide Wirkung  des  Kefirs   jm   Organismus 
auch   sehr  wahrscheinlich.      Wenn  durch  die 
„Entwicklung  der  symbiotischen  Kefirorganis- 
men bei  der  Kefirbereitung  nach  Prof.  Forster 
(Straßburg)  schon   in  der  Milch  die  anderen 
in   ihr  vorhandenen  Mikroorganismen  gestört 
und    zu  Grunde   gerichtet   werden",    so  darf 
man    wohl    annehmen,    daß    im    Organismus 
gleichfalls  durch  den  Kefir  die  Keuchhusten- 
bakterien  in   ihrer  Lebensfähigkeit   gehemmt 
oder   gradezu  vernichtet  werden.      Ein  wich- 

6)  Biel,  St.  Petersburg,  med.  Wochenschr.  1885; 
Pharmazeut.  Zeitung  1886. 

7* 


76 


Friek,  Liquor  tangulnalit  Krewel. 


("Therapeutische 
L   Monatshefte. 


i 


tiger  Faktor  der  Kefirwirkung  ist  endlich, 
wie  ich  meine,  der  narkotische.  In  allen 
schweren  Fällen  von  Keuchhusten  habe  ich 
nach  Verordnung  yon  dreitägigem  Kefir  Be- 
ruhigung der  Kinder  und  den  Eintritt  des 
langentbehrten  Schlafes  beobachten  können. 
Diese  Erscheinung  dürfte  wohl  fraglos  der 
Beseitigung  der  passiven  Hyperämie  im 
Zentralnervensystem  zuzuschreiben  sein,  die 
nach  der  Regulierung  der  Blutzirkulation 
durch  Kefir  eintritt. 

Das  Wort  Kefir  hat  beiläufig  den  Akzent 
auf  der  zweiten  Silbe  und  ist  daher  die  Be- 
tonung der  ersten  Silbe,  wie  ich  es  gelegent- 
lich in  Deutschland  aussprechen  gehört  habe, 
unrichtig. 

Es  würde  mir  zur  großen  Genugtuung 
gereichen,  wenn  infolge  obiger,  der  ärztlichen 
Praxis  entnommener  Krankenberichte  in 
Deutschland  eine  gründliche  Nachprüfung 
meiner  Erfahrungen  bezüglich  der  Kefir- 
anwendung bei  Keuchhusten  sowie  auch 
bei  den  anderen  erwähnten  Krankheits- 
zuständen  angestellt  werden  sollte.  Meine 
vor  nunmehr  15  Jahren,  freilich  nur  in  russi- 
scher Sprache,  ergriffene  Initiative  dazu  hat 
leider  bisher  noch  keine  genügende  Berück- 
sichtigung gefunden. 


(Am  dem  Anroatahotpltale  zu  Cöln,  Abteilung 
Prof.  Dr.  Hochhaut.) 

Erfahrungren  über  den  „Liquor  sangtii- 
nalls  Krewel". 

Von 

Dr.  Friek,  Sekundärarzt. 

Die  Zahl  der  Eisenpräparate,  welche,  als 
dem  Bedürfnis  des  Praktikers  besonders  ent- 
sprechend, in  letzter  Zeit  empfohlen  werden, 
ist  eine  außerordentlich  große,  ein  sicheres 
Zeichen,  daß  die  bisher  vorhandenen  noch 
manche  Mängel  aufweisen.  In  der  Tat  scheint 
es  auch  nicht  so  leicht,  ein  Mittel  zu  finden, 
das  für  jedes  Alter,  für  jede  Konstitution, 
für  jeden  Zustand  der  Verdauungsorgane 
in  gleicher  Weise  geeignet  ist,  und  macht 
diese  Verschiedenheit  der  Anforderungen  es 
auch  wahrscheinlich,  daß  ein  Präparat  allein 
nicht  allen  Anforderungen  genügen  kann, 
sondern  daß  nur  eine  gewisse  Auswahl  so- 
wohl in  den  Mitteln  selbst,  wie  auch  in  der 
angewandten  Form  die  Bedürfnisse  des  Prak- 
tikers, der  sich  die  individualisierende  Be- 
handlung zur  Aufgabe  macht,  befriedigen 
kann. 

Unter  den  in  letzter  Zeit  am  meisten 
angewandten  Präparaten  ist  sicher  das  San- 
guinal  Krewel  zu  nennen.  Die  Anwendungs- 
weise   geschah    meistens    in   Pillenform    und 


genügte  in  der  größten  Zahl  der  Fälle  dem 
praktischen  Bedürfnis.  Für  manche  jedoch 
ist  diese  Art  der  Ordination  recht  schwierig 
und  besonders  in  der  Kinderpraxis  kaum 
möglich.  Deshalb  hat  die  Firma  das  Prä- 
parat jetzt  auch  in  flüssiger  Form  hergestellt 
und  zwar  in  folgender  Zusammensetzung: 
95  Proz.  flüssiges  Hämoglobin,  2,5  Proz. 
natürliche  Blutsalze,  2,5  Proz.  peptonisiertes 
Muskelalbumin  und  eine  Spur  Mangan.  Die 
Flüssigkeit  sieht  dunkelbraun  aus  und 
schmeckt  angenehm  süßlich.  Die  Haltbarkeit 
ist  eine  sehr  gute. 

"Wir  haben  eine  größere  Anzahl  von 
Kranken  mit  diesem  flüssigen  Sanguinal  be-. 
handelt  und  besonders  bei  Kranken  mit 
empfindlichen  Verdauungsorganen  sowie  bei 
Kindern  Resultate  erzielt,  die  die  Anwendung 
des  Mittels  in  jeder  Beziehung  rechtfertigen. 
Im  folgenden  führe  ich  einige  Beispiele  aus 
der  ziemlich  großen  Zahl  an: 

1.    Ursula  S.,  19  Jahre  alt. 

Pat.  leidet  seit  einiger  Zeit  an  anämischen  Be- 
schwerden: Kopfschmerzen,  Schwindel,  Übelkeit, 
Rückenschmerzen,  Müdigkeit,  schlechter  Appetit, 
unregelmäßige  Periode. 

Status  5.  I.  04.  Blasses  Mädchen  in  mittlerem 
Ernährungszustand.  Schleimhäute  blaß.  Gor.  an 
der  Spitze  I.  Ton  unrein.  An  den  übrigen  Or- 
ganen keine  Veränderungen.  Temperatur  normal. 
Gewicht  115  Pfd.  Hämoglobin  68  Proz.  (nach  Sahli). 
Therapie:    Bettruhe,   Sanguinal  3x  tgl.  1  Eßlöffel. 

22.  T.  Allgemeinbefinden  besser.  Appetit  gut. 
Gewicht  122  Pfd.    Hämoglobin  72  Proz. 

14.  II.  Das  Madchen  fühlt  sich  völlig  wohl. 
Gewicht  130  Pfd.  Hämoglobin  98  Proz.  Patientin 
wird  geheilt  entlassen. 

2«    Sophie  B ,  19  Jahre  alt. 

Seit  einigen  Wochen  bestehen  bei  der  Patientin 
Magenbeschwerden,  ferner  Erbrechen  nach  dem 
Essen,  Herzklopfen,  schlechter  Appetit,  angehaltener 
Stuhl. 

Status  17.  I.  04.  Sehr  blasses  Mädchen  in 
mittlerem  Ernährungszustand.  Am  Herzen  anä- 
mische Geräusche.  Die  übrigen  Organe  verhalten 
sich  normal,  im  Uiin  kein  Eiweiß,  kein  Zucker. 
Gewicht  110  Pfd.  Hämoglobin  37 Proz.  (nach  Sahli). 
Das  Blut  zeigt  mikroskopisch  leichte  Poikylozytose. 
Ordination:   Sanguinal  3  x  tgl.  1  Eßlöffel,  Bettruhe. 

29.  I.  Der  Appetit  hat  sich  erheblich  ge- 
bessert, das  Allgemeinbefinden  ebenfalls.  Gewicht 
113  Pfd.    Hämoglobin  42  Proz. 

18.  II.  Pat.  hat  keinerlei  Klagen  mehr,  sie  bat 
guten  Appetit  und  fühlt  sich  sehr  wohl.  Gewicht 
124  Pfd.    Hämoglobin  69  Proz. 

3.    Wilhelmine  P. 

Pat.  leidet  seit  2  Jahren  an  Brustschmerzen 
und  anämischen  Beschwerden. 

Status  23. 1. 04.  Mäßig  kräftige  Patientin,  Haut- 
farbe und  Schleimhäute  blaß.  Cor.  o.  B.  Nonnen- 
sausen. Ebenso  verhalten  sich  die  übrigen  Organe 
normal.  Gewicht  111  Pfd.  Hämoglobin  55  rroz. 
Ordination:    Bettruhe,  Sanguinal. 

3.  II.  Allgemeinbefinden  sowie  Appetit  gut. 
Gewicht  116  Pfd.    Hämaglobin  65  Proz. 

4.  Katharina  R.,  19  Jahre  alt 

Seit  etwa  1  Jahr  hat  Patientin  Herzklopfen 
beim  Treppensteigen,  Magenschmerzen,  Übelkeit,, 
schlechten  Appetit. 


XIX.  Jahrgang.") 
Febraar  lüftS.  J 


Frölaa,  Erfahrungen  der  Landpraxlt  mit  Veronal. 


77 


Status  29. 1.  Blasses  Mädchen  in  mittlerem 
Ernährungszustand.  Am  Herzen  aoäroische  Ge- 
räusche. Lungen  und  Abdominalorgane  o.  B.  Gre- 
wicht  112  Pfd.  Hämoglobin  28  Proz.  Therapie: 
Bettruhe,  Sangninal  3  X  tgl.  1  Eßlöffel. 

10.  II.  Patientin  fühlt  sich  noch  immer  sehr 
matt.     Appetit  gut,  Hämoglobin  45  Proz. 

11.  III.  Das  Befinden  ist  gut.  Gewicht  115  Pfd. 
Hämoglobin  57  Proz. 

5.    Wilhelmine  R.,  16  Jahre  alt. 

Patientin  leidet  _seit  einigen  Wochen  an  Herz- 
klopfen, bisweilen  Übelkeit,  schlechtem  Appetit, 
Schmerzen  in  der  linken  Seite. 

Status  29.  J.  Blasses  Mädchen  in  mittlerem 
Ernährungszustand.  Schleimhäute  blaß.  Am  Herzen 
anämische  Geräusche,  im  übrigen  die  Organe  normal. 
Gewicht  92  Pfd.  Hämaglobin  45  Proz.  Therapie: 
Bettruhe,  Sanguinal  3  X  tgl.  1  Eßlöffel. 

27.  n.  Der  Zustand  hat  sich  erheblich  ge- 
bessert, der  Appetit  ist  ziemlich  gut.  Gewicht 
103  Pfd.     Hämoglobin  68  Proz. 

Dieser  Auszug  aus  einigen  Kranken- 
geschichten läßt  erkennen,  daß  es  vermittelst 
des  flüssigen  Sanguinal  gelang,  in  verhältnis- 
mäßig kurzer  Zeit  das  Allgemeinbefinden  der 
Kranken  erheblich  zu  heben.  Das  Aussehen 
und  der  Appetit  wurden  besser,  der  Kräfte- 
zustand  wurde  größer,  der  Ernährungszustand 
besserte  sich  sichtlich.  Dabei  wurde  niemals 
über  Magenschmerzen,  unangenehmes  Voll- 
sein, Aufstoßen  und  ähnliche  Beschwerden 
geklagt.  Das  Mittel  wurde  auch  von  Kindern 
gerne  genommen.  Eine  nachteilige  Wirkung 
wurde  niemals  beobachtet. 

Wenn  wir  nun  auch  glauben,  daß  zu 
unseren  guten  Erfolgen  noch  andere  Faktoren 
wie  die  Ruhe,  die  gute  Ernährung  erheblich 
beigetragen  haben,  so  war  doch  anderseits 
die  günstige  Beeinflussung  bei  Anämie  und 
Chlorose  in  relativ  kurzer  Zeit  durch  das 
flüssige  Sanguinal  unverkennbar. 


Erfahrungen  der  LTandpraxis 
mit  Yeronal. 

Von 
Dr.  Fritz  Pröltt  in  Scheessel. 

Nachdem  in  den  unten  zitierten  zahl- 
reichen Veröffentlichungen  die  Erfahrung  der 
Kliniker  und  Psychiater  über  das  Schlaf- 
mittel Veronal  bekannt  geworden,  dürften 
auch  einige  Erfahrungen  des  praktischen 
Arztes  mit  diesem  Mittel  von  Interesse  sein. 
Es  sei  der  Anfang  mit  drei  Fällen  psy- 
chischer Art  gemacht,  wenngleich  solche  ja 
im  allgemeinen  mehr  in  Anstalten  behandelt 
werden,  weil  gerade  der  erzielte  Erfolg  dem 
Praktiker  in  ähnlichen  Fällen  einen  Versuch 
nahe  legt. 

Ein  Bauernsohn  von  31  Jahren  bot  folgendes 
Bild:  Der  sonst  gesunde  Mensch  hat  etwas  schmale 
Brust,  ist  nicht  Soldat  gewesen.  Sonst  sind  körper- 
liche Degenerationszeichen  nicht  vorhanden,  keine 


Sehstörungen,  keine  Störungen  der  Reflexe,  keine 
Sprachfehler,  der  Patient  hat  nicht  geheiratet,  trotz- 
dem ihm  ein  gutes  Anbauerwesen  zufällt.  Mit 
seinem  Vater  in  der  Heide  beschäftigt,  geraten 
beide  in  die  Nähe  eines  faulenden  Aases,  das  der 
Vater  mit  den  Holzschuhen  berührt.  Seitdem  setzt 
sich  bei  dem  Sohn  die  Idee  fest,  die  Holzschuhe 
des  Vaters  seien  unrein  und  durch  dessen  An- 
näherung ans  Haus  werde  der  Brunnen  verunreinigt. 
Dasselbe  glaubt  er  von  dem  Wagen,  der  in  der 
Nähe  des  Aases  gefahren  ist,  und  später  glaubt  er 
von  jeder  sich  dem  Hause  nahenden  Person,  sie 
könne  den  Brunnen  verunreinigen.  Wiewohl  man 
den  Brunnen  mittes  Zementbaues  vollständig  ab- 
schließt, bleibt  dieser  Glaube  und  bewirkt,  daß  der 
Patient  sich  von  jedem  Besuche,  der  dem  Hause 
naht,  zurückzieht  und  daß  es  oft  zu  den  erregtesten 
Szenen  und  dem  launischsten  Benehmen  gegenüber 
den  Eltern  kommt.  Nachts  flieht  ihn  der  Schlaf, 
er  macht  Selbstmordversuche,  aber  ist  dabei  voll- 
ständig arbeitsam,  sparsam  und  orientiert. 

Die  Eltern  wenden  sich  zunächst  an  einen  be- 
kannten Psychiater  der  Umgegend,  der  dem  Sohne 
Opium  in  großen  Dosen  gibt.  Da  diese  ohne  Erfolg 
sind,  gehen  sie  zu  ihrem  Hausarzt.  Nach  einigen 
vergeblichen  Annäherungsversuchen  gelingt  es  dem- 
selben, das  Vertrauen  des  Patienten  Zugewinnen;  der 
Kranke  erzählt  demselben  seinen  oben  geschilderten 
Ideenkreis  und  nimmt  anscheinend  die  Belehrungen 
des  Arztes  über  Irrigkeit  entgegen.  Der  Arzt  ver- 
ordnet ihm  Veronal  in  großen  Dosen,  mit  diesem 
stellt  sich  Schlaf  und  Abklingen  des  ganzen  Zu- 
standes  ein.  Die  Wahnidee  und  die  Erregungs- 
szenen sind  seit  6  Monaten  nicht  wieder  eingetreten. 

Der  zweite  Fall  betrifft  ein  junges  Mädchen, 
bei  dem  während  der  Menstruation  starke  Auf- 
regungszustände  auftreten.  In  steter  Bewegung, 
fortwährend  sprechend,  lachend,  weinend  und  den 
Arzt  zitierend,  verbringt  sie  Tag  und  Nacht.  Opium 
und  seine  Derivate,  ebenso  Brom  und  Chloralhydrat 
bleiben  ohne  Wirkung. 

Die  Verordnung  von  1,0  Veronal  zu  2  bis 
3  Malen  am  Tag  bringt  jedoch  sofort  Ruhe,  Schlaf 
und  Rückkehr  zur  Norm. 

Beide  Male  wirkte  also  das  Veronal  in 
Fällen,  wo  nach  bisherigen  Veröffentlichun- 
gen prompte  Erfolge  nicht  zu  erwarten  waren. 

Der  dritte  Fall  betrifft  eine  hereditär  schwer 
psychisch  belastete  Dame  mit  periodischer  Manie. 
Wegen  derselben  hat  sie  schon  zweimal  mit  gutem 
Erfolg  eine  Anstalt  aufgesucht.  Das  Herannahen 
des  Zustandes  fühlt  sie  meist,  in  krankhaftem  Be- 
wegungstrieb durcheilt  sie  dann  das  Haus  und  den 
Garten,  fangt  allerhand  Arbeiten  an  und  klagt 
direckt  dem  Arzt  ihre  Befürchtungen.  In  diesem 
Falle  wurde  abends  Veronal,  anfangs  0,5,  dann 
0,3  verabreicht  und  hatte  die  Wirkung,  daß  nachts 
ein  fester  Schlaf  eintrat,  daß  morgens  Müdigkeit 
den  Beschäftigungstrieb  ersetzte  und  nachmittags 
statt  Sorgen  ein  Zustand  bedächtiger  Gleichgültigkeit 
eintrat.  Damit  klang  dann  dieses  Mal  die  manische 
Periode  aus. 

Wichtiger  für  den  praktischen  Arzt  ist 
die  Verwendbarkeit  des  Veronals  bei  chirur- 
gischen und  inneren  Fällen.  Bei  chirurgischen 
Fällen  muß  es  als  Regel  angesehen  werden, 
daß  bei  Schmerzzuständen,  wie  sie  z.  B.  nach 
Operationen,  schweren  Verletzungen,  Brüchen 
vorkommen,  Veronal  nichts  nutzt  entgegen- 
gesetzt zu  Aronheims  Beobachtung.  Um 
in  diesen  häufigen  Fällen  Nachruhe  zu  erzielen. 


78 


PröUs,  Erfahrungen  dar  Landpraxlt  mit  Veronal. 


rTharapeatiMhc 
L   Monatshefte. 


kann  es  die  souveränen  Morphiumin sjektionen 
in  keiner  Weise  ersetzen.  Diese  nehmen  ja 
nicht  nur  den  Schmerz,  sie  schaffen  vor  allem 
dem  Kranken  und  den  verletzten  Gliedmaßen 
die  nötige  Ruhelage,  wie  ein  psychischer 
Gypsverband  immobilisierend  wirkend,  halte 
ich  sie  geradezu  für  heilend.  Bekanntlich 
hat  aber  das  Morphium  seine  sehr  schechten 
Nebeneigenschaften:  Das  Eintreten  von  Er- 
brechen, die  Stuhlträgheit,  das  Herabsetzen 
des  Appetits,  die  chronische  Gifteinwirkung 
beschränken  seinen  Gebrauch.  Da  ist  es 
denn  von  großem  Vorteil  in  den  zahlreichen 
Fällen  langsamer  Heilungen,  wo  nicht  der 
Schmerz,  sondern  die  Ruhelage  am  Tage, 
die  Sorge  um  Heilung  und  Zukunft  den  Schlaf 
des  Kranken  stört  und  so  ihm  die  Kräfte 
zur  Heilung  nimmt,  ein  sicheres  Schlafmittel 
ohne  Nebenwirkungen  zu  haben.  Als  ein 
solches  habe  ich  dann  das  Veronal  immer 
kennen  gelernt,  und  zwar  schon  in  Gaben 
von  0,25  bis  0,5  g.  Es  waren  dabei  sowohl 
leicht  fiebernde  als  auch  fieberfreie  Personen, 
bei  allen  aber  konnte  ich  bemerken,  daß  nach 
ein  bis  zwei  Stunden  nach  Eingeben  des 
Mittels  ein  tiefer,  lang  bis  in  die  Morgen- 
stunden anhaltender  Schlaf  eintrat  und  den 
erkrankten  Körperteilen  die  nötige  und  heil- 
same Immobilisierung  gewährte.  Der  Puls 
wurde  in  keiner  Weise  beeinflußt,  ebenso 
war  in  den  febrilen  Fällen  nicht  ein  Einfluß 
auf  die  Temperatur  zu  finden.  Bei  einem 
lang  andauernden  Fall  ohne  Fieber  jedoch 
schien  es  mir,  als  ob  die  um  etwa  0,2  herab- 
gesetzte Morgentemperatur  von  36,3  nach 
Einnehmen  von  Veronal  von  diesem  veranlaßt 
sei,  und  zwar  durch  Verlangsamung  des 
Stoffwechsels. 

Eine  Dame  besseren  Standes  war  von  einem 
periproktitischen  Fistelleiden  befallen,  welches  nach 
7 jähriger  Pause  wiederkam;  dieselbe  machte  sich 
über  den  erneuten  monatelangen  Verlauf  desselben 
viele  Sorgen,  war  auch  gezwungen,  immer  auf 
einer  Seite  zu  liegen,  da  sonst  auf  der  gedrückten 
Erkrankungsstelle  Schmerzen  auftraten.  Infolge- 
dessen verbrachte  sie  die  Nächte  schlaflos  und 
kam  herunter,  obwohl  sie  kein  Fieber  hatte,  j 
Morphiumeinspritzangen  führten  den  ersehnten  l 
Schlaf  herbei,  aber  der  Appetit  schwand  und  Stuhl- 
verzögerungen traten  ein.  Hier  schaffte  das  Veronal, 
anfangs  zu  0,8,  später  zu  0,5  und  0,3  gegeben, 
sofort  Hilfe.  Es  trat  ein  regelmäßiger,  erquickungs- 
reicher  Schlaf  auf,  der  Appetit  und  die  Ernährung 
hoben  sich,  und  neben  der  körperlichen  trat  auch 
psychische  Besserung  des  Kräftezustandes  ein. 

Gleichfalls  wertvoll  erwies  sich  das  Mittel 
bei  innern  Krankheiten.  Von  den  Schlaf- 
losigkeiten, die  durch  Schmerzen,  z.  B.  bei 
Pneumonie,  Gallenleiden,  Koliken,  verursacht 
wurden,  gilt  freilich  dasselbe,  was  oben  ge- 
sagt ist.  War  jedoch  nicht  gerade  der 
Schmerz  der  Störer  des  Schlafes,  sondern, 
z.    B.     bei    Herzfehlern     oder    Asthma,     die 


Atmungsstörung  oder,  wie  oben  schon  er- 
wähnt, der  Bewegungsmangel  oder  die  Sorge, 
oder  war  wie  z.  B.  bei  Neurasthenie  Über- 
anstrengung der  Grund,  so  hat  immer  Veronal 
gute  Dienste  geleistet.  Es  ist  hierbei  einmal 
der  Umstand,  daß  die  Herztätigkeit  nicht 
beeinflußt  wird,  und  dann  der  Umstand,  daß 
eine  Gewöhnung  nicht  eintritt  und  zur  Steige- 
rung der  Gaben  zwingt,  so  ungemein  wichtig 
und  empfehlend  für  das  Mittel.  So  kann 
man  es  eben  wagen,  auch  bei  schweren  Herz- 
fehlern es  anzuwenden,  und  kann  es  geben,  um 
den  Gebrauch  des  Morphiums  abzugewöhnen. 
Ungünstige  Nebeneinwirkungen  habe  ich  trotz 
häufiger  Verordnung  bisher  nicht  beobachtet, 
weder  auf  den  Appetit  noch  auf  die  Haut 
(entgegengesetzt  der  Beobachtung  Wächters). 

Charakteristisch  für  die  gute  Wirkung 
des  Mittels  ist,  daß  kaum  1  Jahr  nach  seiner 
Einführung  durch  v.  Mering  und  Fischer 
schon  Fälle  von  chronischem  Mißbrauch 
(Laudenheimer)  veröffentlicht  werden. 
Wenn  das  Mittel  wirklich  Schlaf  und  Sorg- 
losigkeit erzeugt,  also  euphorisch  wirkt,  so 
ist  dieser  Mißbrauch  nur  natürlich.  Der  ver- 
öffentlichte Fall  betrifft  übrigens  einen  sehr 
willenlosen  Morphinisten.  Es  würde  dem- 
nach nötig  sein,  auf  dem  Wege  der  Auf- 
nahme unter  Tab.  B.  der  Pharmacopöe  die 
freie  Abgabe  des  Veronals  in  den  Apotheken 
und  Drogenhandlungen  zu  unterdrücken. 

Ich  erwähnte  schon,  daß  sich  bei  meinen 
Fällen  entgegengesetzt  den  Beobachtungen 
von  Jolly  und  Oppenheim,  (veröffentlicht 
durch  Mendel)  eine  Notwendigkeit  zur  Er- 
höhung der  Dosen  nicht  geltend  machte,  ebenso 
setzten  sich  der  Abgewöhnung  Schwierigkeiten 
nicht  in  den  Weg.  Man  kann  sich  deshalb 
fragen,  ob  es  nicht  geeignet  sei,  zur  Ent- 
ziehung des  Morphiums  bez.  Opiums  bei  Miß- 
brauchenden Veronal  zu  verwenden.  Meine 
einzige  Beobachtung  kommt  dabei  mit  der 
Veröffentlichung  M  endeis  und  Kr  on  s  überein, 
daß  es  in  diesen  Fällen  nicht  den  Schlaf 
brachte,  damit  ist  jedoch  nicht  ausgeschlossen, 
daß  es  in  andern  Fällen  besser  hilft.  Sehr 
wichtig  ist  die  relative  Billigkeit  des  Mittels 
für  den  Arzt,  der  es  verordnen  möchte;  wie 
Lilienfeld  zusammenstellt,  kostet  nur  das 
Chloralhydrat  (2,00  =  10,00)  in  beruhigender 
Dosis  weniger  als  das  Veronal  (0,5  =  17,5  Pf.) 
Alle  anderen  Schlafmittel  sind  erheblich 
teurer.  Die  Darreichung  des  Mittels  in 
Substanz,  als  Pulver  in  heißem  Thee,  macht 
nicht  die  geringsten  Schwierigkeiten,  prak- 
tisch erscheinen  auch  die  Merckschen  Veronal- 
tabletten  zu  0,5,  welche  leichte  Halbteilung 
und  somit  auch  genaue  Dosierung  zu  0,25 
und  0,75   ermöglichen. 

Für   den   praktischen  Arzt  erscheint  also 


XIX.  Jahrgang.*) 
Febrnar  I9Q&.  J 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Mittelobrrftume. 


79 


das  Veronal  als  eine  sehr  wertvolle  Bereiche- 
rung seiner  Armatur  im  Kampf  gegen  Krank- 
heit und  Gebrechen;  er  wird  zwar  nicht  wie 
Rene  Verhoogen  kumulativ  Massenerfolge 
berichten  können  (Dieser  schaffte,  indem  er 
einen  sehr  unruhigen  Nachtstörer  mit  Veronal 
beruhigte,  einem  ganzen  Schlafsaal  die  er- 
sehnte Nachtruhe !),  aber  er  wird  sich  sicher 
den  Dank  manches  Patienten  verdienen,  der 
bis  dahin,  jeden  Glockenschlag  der  Nacht 
zählend,  die  Nacht  fürchtete,  statt  sie  herbei- 
zusehnen. 

Benutzte  Literatur. 
Weber,    Über  Versuche    mit   Veronal.     Deutsche 

med.  Wochenschr.  XXIX,  40. 
Fischer  und  v.  Mering,  Über  eine   neue  Klasse 
von    Schlafmitteln.     Therapie    der   Gegenwart 
1903,  HJ. 
Schäle,    Über    das    neue    Schlafmittel   Yeronal. 

Therapeut  Mooatsb.  1903,  Mai. 
Ar o n  h  ei  m ,  Yeronal,  ein  neues  Schlafmittel.    Medi- 
zinische Woche  1903,  3.  Aug. 
Laudenheimer,   Über  gewohnheitsmäßigen  Miß- 
brauch des  Veronals.     Therapie  d.  Gegenwart, 
6. 1.  1904. 
Mendel  und  Krön,    Über  die  Schlafwirkung  des 
Yeronals.    Deutsche  medizinische  Wochenschr. 
1903,  No.  34. 
Neufeld,   Mitteilungen  über  das  neue  Schlafmittel 

Veronal.     Ärztliche  Rundschau  1904,  XI. 
Matthey,    Mitteilungen   über   Veronal.     Neuro- 
logisches Zentralblatt  1903,  XIX. 
Michel  und  Raimann,    Das  Veronal.     Die  Heil- 
kunde, VIII.  Jahrgang,  1.  Heft,  Januar  1904. 
Lilienfeld,    Veronal  ein  neues  Schlafmittel.    Berl. 

klinische  Wochenschr.  1903,  No.  21. 
Verhoogen,    Le    Yeronal.      Journal    Medical    de 
Bruxelles  1903,  No.  43. 


Zur  operativen  Entfernung  der 
Mittelohrraume» 

Von 

San. -Rat  Dr.  Klau  in  Berlin.     /Belauf:] 

In  den  meisten  Fällen  ist  die  chronische 
Mittelohreiterung  mit  Osteosklerose  des 
Schläfenbeines  kompliziert.  Ob  durch  diese 
Osteosklerose  ein  Weitergreifen  der  Eiterung 
auf  die  Schädelhöhle  begünstigt  wird,  oder 
ob  sie  im  Gegenteil  einen  Schutz  dagegen 
bildet,  darüber  stehen  sich  die  Ansichten 
vorläufig  noch  schroff  gegenüber.  Nach  unserer 
Ansicht  muß  im  allgemeinen  die  Osteosklerose 
als  eine  ernste  Komplikation  aufgefaßt  werden, 
bei  der  es  sich  nicht  um  eine  Schutzvor- 
richtung handelt,  sondern  im  Gegenteil  durch 
die  übermäßige  Dicke  der  Corticalis  der 
natürliche  Durchbruch  des  Eiters  nach  außen 
gehindert  wird.  Wenn  diese  Knochenver- 
dichtung sich  nicht  allein  auf  die  Corticalis 
des  Warzenfortsatzes  beschränkt,  sondern  sich 
auch  weiter  median wärts  fortsetzt,  so  kann 
das  Antrum  mastoideum  minimal  verkleinert 
sein,  in  seltenen  Fällen  kann  es  ganz  fehlen. 


Diese  oft  weit  um  sich  greifende  Osteo- 
sklerose des  Warzenfortsatzes  kann  bei  der 
Total  au  fmeißelung  bedeutende  Schwierigkeiten 
bereiten.  Ich  wende  deshalb  schon  seit  vielen 
Jahren  ein  kombiniertes  Yerfahren  an, 
welches  sich  mir  sehr  gut  bewährt  hat.  In 
jedem  Falle  bei  der  Radikaloperation  be- 
ginne .  ich,  wenn  nicht  die  starke  Vorlagerung 
des  Sinus  sigmoideo-transversus  von  vorn- 
herein die  Antrumeröffnung  von  innen  nach 
außen  notwendig  macht,  mit  der  Aufmeißelung 
von  außeu  her.  In  ausgiebiger,  schon  vor- 
her beschriebener  Weise  wird,  unter  der  linea 
temporalis  beginnend,  die  Corticalis  des 
Warzenfortsatzes,  bis  hinab  zur  Spitze  des- 
selben, zugleich  mit  der  hinteren  knöchernen 
Gehörgangs  wand  weggemeißelt.  Finde  ich 
bei  weiterem  Yordringen  in  die  Tiefe  keine 
Höhle,  ist  also  der  Warzenfortsatz  in  aus- 
gedehnter Weise  eburnisiert,  so  gehe  ich  jetzt 
von  innen  nach  außen  vor,  indem  ich  zu- 
erst die  Pars  epitympanica  fortmeißele,  die 
äußeren  Gehörknöchelchen  entferne  und  auf 
einer  durch  den  Aditus  in  das  Antrum  ein- 
geführten rechtwinklig  gebogenen  Sonde  die 
Antrumeröffnung  ausführe.  Ist  von  der  hin- 
teren Gehörgangswand  nach  außen  vom  An- 
trum noch  etwas  stehen  geblieben,  das  den 
freien  Überblick  und  die  Einheitlichkeit  der 
Knochenhöhle  beeinträchtigt,  so  meißele  ich 
es  jetzt  von  außen  her  fort.  Durch  dieses 
kombinierte  Operations  verfahren  wird  auf  der 
einen  Seite  durch  die  gleich  zu  Anfang  aus- 
geführte Wegmeißelung  der  Corticalis  des 
Warzenfortsatzes  und  eines  Teiles  der  hinteren 
knöchernen  Gehörgangswand  ein  viel  besserer 
Einblick  in  die  Tiefe  gewonnen.  Auf  der 
andern  Seite  wird  uns,  wenn  die  Sklerose 
des  Warzen fortsatzes  die  Auffindung  und  Er- 
öffnung des  Antrums  erschwert  und  die  Ge- 
fahr von  Nebenverletzungen  begünstigt,  die 
Fortsetzung  der  Operation  von  innen  nach 
außen  die  Schwierigkeiten  leichter  und  sicherer 
überwinden  lassen.  Wir  können  Stacke  nur 
beipflichten,  daß  es  entschieden  gefahrloser 
ist,  ein  Antrum  aufzumeißeln,  in  welchem  vom 
Aditus  her  schon  die  Sonde  steckt,  dessen 
Lage  also  dadurch  bekannt  ist,  als  sich  durch 
einen  sklerosierten  Warzenfortsatz  erst  müh- 
sam den  Weg  zum  Antrum  zu  bahnen. 

In  seltenen  Fällen  kann  es  bei  der  Ex- 
enteration  der  Paukenhöhle  zu  einer  un- 
beabsichtigten Entfernung  des  Steigbügels 
kommen.  Man  soll  deshalb  auch  hierbei  sehr 
vorsichtig  zu  Werke  gehen,  denn  wenn  auch 
für  gewöhnlich  die  Entfernung  des  Steigbügels 
keine  bedenklichen  Folgen  hat,  so  ist  doch 
von  Jansen  und  Grüner t  je  ein  Fall  be- 
obachtet worden,  wo  danach  Meningitis  ein- 
trat. 


80 


Klau,   Operative  Eröffnung  der  Mlttelohrrlume. 


[Therfcpcntiache 
Monatshefte. 


Findet  sich  aber  die  Labyrinthhöhle  eitrig 
erkrankt,  so  wird  man  heute  davor  mit  der 
Operation  nicht  mehr  Halt  machen,  sondern 
es  ist  dann  gerechtfertigt,  die  Labyrinthhöhle 
zu  eröffnen. 

Zuweilen  kann  die  Blutung  bei  der  Ope- 
ration sehr  stark  sein,  und  der  operative 
Eingriff  dadurch  sehr  erschwert  werden.  Liegt 
ausgesprochene  Hämophilie  vor,  so  ist  es 
wohl  am  zweckmäßigsten,  ganz  von  der  Ope- 
ration Abstand  zu  nehmen,  da  sich  sonst 
leicht  unüberwindliche  Schwierigkeiten  ein- 
stellen könnten.  Im  übrigen  darf  man  sich 
durch  starke  Blutung  nicht  von  der  Operation 
zurückschrecken  lassen. 

Ich  möchte  hierzu  einen  Fall  aus  meiner 
Praxis  anführen. 

Es  handelt  sich  um  einen  21jährigen  Bach- 
händler L.  aus  Schöneberg,  bei  welchem  wegen 
einer  chronischen  cariösen  Mittelohreiterung  von 
mir  die  Radikaloperation  vorgenommen  werden 
sollte.  Patient  hatte  früher  wiederholt  an  heftigem 
Nasenbluten  gelitten,  sonst  waren  keine  Anzeichen 
von  Hämophilie  vorhanden.  Schon  bei  dem  äußeren 
Hautschnitt  am  Warzen fortsatz  blutete  es  in  ex- 
zessiver Weise,  doch  konnte  hier  durch  Unter- 
bindung und  längere  Tamponade  die  heftige  Blutung 
gestillt  werden.  Bei  der  Durchschneidung  des 
häutigen  Gehörffanges  —  es  wurde  die  von  Zaufal 
anfangs  empfohlene  Operationsmethode  mit  Ver- 
lustgabe der  hinteren  häutigen  Gehörgangswand 
vorgenommen  —  blutete  es  so  stark,  daß  die  Ope- 
ration zunächst  aufgegeben  werden  mußte,  da  nach 
Wegnahme  der  Tampons  die  Blutung  immer  wieder 
von  neuem  das  ganze  Operationsfeld  überschwemmte. 
Nach  3  Tagen  wurde  der  tamponierende  Verband 
entfernt,  auch  jetzt  aber  konnte  die  weitere  Ope- 
ration nicht  vorgenommen  werden,  da  die  Blutung 
ebenso  stark  war,  wie  am  ersten  Tage  und  sich 
nur  durch  dauernde  Tamponade  stillen  ließ.  Erst 
14  Tage  nach  dem  ersten  Eingriff  konnte  die 
Radikaloperation  vorgenommen  werden.  Auch  hier- 
bei blutete  es  aus  der  Paukenhöhle  und  aus  dem 
Knochen  ungewöhnlich  stark.  Es  wurde  von  innen 
nach  außen  operiert.  Nur  dadurch,  daß  in  der 
Tiefe  die  abgemeißelten  blutenden  Stellen  immer 
wieder  mit  kleinen  Gazestreifen  tamponiert  wurden, 
konnte  die  Totalaufmeißelung  zu  Ende  geführt 
werden.     Es  trat  vollkommene  Heilung  ein. 

Im  übrigen  lassen  sich  die  Blutungen, 
abgesehen  von  solchen  Ausnahmefällen,  meist 
durch  vorübergehende  Taraponade  stillen. 
Eine  stärkere  Blutung  kann  bei  der  Weg- 
nahme des  mediansten  Teiles  der  hinteren 
knöchernen  Gehörgangs  wand  durch  einen 
Zweig  der  Arteria  stylomastoidea  erfolgen. 

Man  bringt  diese  Blutung  zum  Stehen, 
indem  man  entweder  die  blutende  Stelle  mit 
einem  Raspatorium  eindrückt  oder  auf  dem- 
selben mit  dem  Instrument  stark  hin  und 
her  schabt.  Ist  die  Operation  beendet,  so 
sind  Irrigationen  der  Wunde  zu  vermeiden. 
Zeigt  sich  beim  ersten  Verbandwechsel  Foetor, 
so  kann  die  Wunde  mit  Sublimat  (1:1000, 
besser  noch  schwächer)  lauwarm  irrigiert 
werden.     Wichtiger  ist  es,  nach  der  Ursache 


des  Foetor  zu  fahnden,  alle  daraufhin  ver- 
dächtigen Stellen  mit  der  Sonde  zu  unter- 
suchen und  gegebenenfalls  mit  dem  scharfen 
Löffel  zu  reinigen. 

Nach  vollendeter  Operation  wird  nur  der 
Horizontalschnitt  genäht.  Die  ganze  retro- 
aurikulare  Wunde  sofort  zu  vernähen,  wie 
Körner  dies  vorschlägt,  halten  wir  nicht 
für  empfehlenswert.  Körner  bildet  zu  diesem 
Zwecke  aus  der  häutigen  hinteren  Gehör- 
gangswand einen  viereckigen  Lappen,  dessen 
Schnittführung  oben  und  unten  bis  tief  in 
die  Concha  hineingeht.  Dieser  Lappen  wird 
nach  hinten  auf  die  Knochenwunde  umge- 
schlagen und  durch  feste  Tamponade  vom 
äußeren  Gehörgang  aus  fixiert.  Die  retro- 
aurikulare  Wunde  wird  primär  genäht.  Durch 
diese  Schnittführung  bis  in  die  Concha  hinein 
wird  die  Gehörgangs  Öffnung  vorteilhaft  ver- 
größert. 

Nicht  so  selten  aber  ist  nach  dieser 
Methode  Perichondritis  der  Ohrmuschel  mit 
arger  Entstellung  derselben  beobachtet  worden. 
Nach  unserer  Ansicht  ist  es  vorteilhafter,  die 
retroaurikulare  Wunde  nichtprimär  zuschließen. 
Die  Übersicht  über  die  ganze  Wundhöhle, 
namentlich  über  den  vorderen  Paukenhöhlen- 
abschnitt, wird  durch  die  primäre  Naht 
wesentlich  beeinträchtigt.  Ferner  ist  bei  der 
Nachbehandlung  die  Tamponade  durch  die 
retroaurikulare  Öffnung  viel  leichter  vorzu- 
nehmen als  allein  durch  den  äußeren  Gehör- 
gang, da  man  alle  Buchten  und  Vertiefungen 
von  hier  aus  viel  besser  erreichen  kann. 
Auch  die  oft  übermäßig  stark  wuchernden 
Granulationen  lassen  sich  von  der  hinteren 
Öffnung  aus  leichter  in  Schranken  halten. 
Bei  empfindlichen  Kindern,  wo  die  Nach- 
behandlung an  und  für  sich  schon  äußerst 
schwierig  ist,  gehört  es  fast  zur  Unmöglich- 
keit, diese  allein  durch  die  äußere  Gehör- 
gangsöffnung auszuführen.  Direkt  zu  wider- 
raten ist  der  primäre  Verschluß  bei  Chole- 
steatom, ferner  bei  kariösen  Erkrankungen 
des  Warzenfortsatzes,  die  sich  nicht  auf  das 
Antrum  beschränken,  sondern  lateral  war  ts 
darüber  hinausgehen;  ebenso  in  allen  Fällen, 
wo  der  Sinus  freiliegt  oder  freigelegt  wird. 
Panse  berichtet  über  einen  Fall,  wo  nach 
einer  Totalaufmeißelung  der  gesunde  frei- 
liegende Sinus  sigmoideus  nach  sofortigem 
Verschluß  der  retroaurikularen  Wunde  infiziert 
wurde.    Es  kam  zur  tödlichen  Septikopyämie. 

Stacke  hatte  den  glücklichen  Gedanken, 
aus  dem  abgelösten  Teil  der  häutigen  Ge- 
hörgangswand einen  viereckigen  Lappen  zu 
bilden,  welchen  er  nach  hinten  und  unten 
umschlug  und  auf  die  untere  Knochenwund- 
fläche auftamponierte.  Dadurch  wird  auch 
die  anfangs  gefürchtetc  Stenosenbildung  nach 


XIX.  Jahrgang.1 
Februar  1905.  J 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Mittelohrräume. 


81 


der  Radikaloperation  vermieden.  Zaufal 
beobachtete  Stenosen,  die  wohl  bei  ihm  dar- 
auf zurückzuführen  waren,  daß  er  anfangs 
die  häutige  hintere  Gehörgangswand  heraus- 
schnitt. Nach  Stacke  kann  bei  seiner  Me- 
thode eine  Stenose  durch  nachträgliche 
Knickung  nur  dann  entstehen,  wenn  der  Ge- 
hörgangslappen zu  weit  in  das  Antrum  hin- 
eingezogen wird.  Zweckmäßig  kann  man 
auch  aus  der  häutigen  hinteren  Gehörgangs- 
wand einen  oberen  und  unteren  Lappen 
bilden,  indem  man  die  hintere  Gehörgangs- 
wand in  der  Mitte  durch  einen  horizontalen 
Längsschnitt,  der  bis  zur  Concha  reicht, 
spaltet  und  hier  auf  den  Horizontalschnitt 
nach  oben  und  unten  einen  senkrechten  Schnitt 
setzt.  In  den  meisten  Fällen  genügt  die 
Stackesche  Plastik  zur  vollkommenen  Über- 
häutung der  Enochenwunde ;  auch  dann  noch, 
wenn  man  eine  persistente  retroaurikulare 
Öffnung  erzielen  will. 

Bei  mangelhafter  Epidermisierung  der 
Knochenhöhle  kann  mit  Erfolg  die  Thier- 
sche  Transplantation  Anwendung  finden.  Zur 
Herstellung  einer  persistenten  retroaurikularen 
Öffnung  kann  die  Stacke  sehe  Plastik  noch 
zweckmäßig  dadurch  unterstützt  werden,  daß 
man  aus  der  Umgebung  der  retroaurikularen 
Wunde  15  —  20  mm  lange  und  etwa  10  mm 
breite  unbehaarte  Hautlappen  formiert,  die 
umgeschlagen  und  auf  die  Knochenwunde 
auftamponiert  werden. 

In  diesem  Falle  empfiehlt  es  sich  auch, 
den  Knorpelschnitt  an  der  Ohrmuschel  zu 
umsäumen,  indem  man  die  Cutis  der  kon- 
kaven Seite  mit  der  der  konvexen  über  dem 
Knorpelschnittrande  durch  Nähte  vereinigt. 
Ragt  dabei  zu  viel  vom  Ohrmuschelknorpel 
hervor,  so  wird  derselbe  abgetragen. 

Es  würde  hier  zu  weit  führen,  wollten 
wir  alle  die  verschiedenen  Methoden  der 
Plastik  weiter  ausführen.  Die  Hautlappen 
können  von  der  hinteren  Fläche  der  Ohr- 
muschel, aus  der  Gegend  des  hinteren  Wund- 
randes und  aus  der  Halsregion  unter  der 
Spitze  des  Warzenfortsatzes  genommen  werden. 
Die  Wahl  dieser  Hautlappen  wird  sich  da- 
nach richten,  in  welcher  Weise  man  die  hin- 
tere Geh örgan gs wand  zur  Plastik  benutzt  hat. 

Handelt  es  sich  bei  der  Radikaloperation 
um  ein  Cholesteatom,  so  streben  wir  in  jedem 
Falle  eine  persistente  retroaurikulare  Öffnung 
an.  Man  ist  bei  der  Operation  infolge  von 
Cholesteatom  niemals  ganz  sicher,  ob  man 
alles  Krankhafte  entfernt  hat.  auch  dann 
nicht,  wenn  alle  verdächtigen  Stellen  und 
Vertiefungen  mit  dem  Pacquelin  ausgebrannt 
oder  mit  der  elektrischen  Fräse  bearbeitet 
werden.  Rezidive  aber  lassen  sich  von  der 
hinteren  und  vorderen  Öffnung  aus  viel  leichter 

Th.  M.  1906. 


übersehen  und  behandeln  als  allein  durch  die 
Gehörgangsöffnung.  Ferner  hat  es  den  An- 
schein, als  ob  bei  einer  persistenten  retro- 
aurikularen Öffnung  Rezidive  beim  Cholestea- 
tom nicht  so  häufig  auftreten,  wie  nach  dem 
Verschluß  dieser  Öffnung.  Die  etwa  sich 
von  neuem  bildenden  Häute  trocknen  durch 
den  unbehinderten  Luftzutritt  aas  und  können 
ohne  Mühe  entfernt  werden,  sodaß  es  nicht 
zum  jauchigen  Zerfall  derselben  kommt,  wie 
es  nicht  so  selten  nach  dem  Verschluß  der 
retroaurikularen  Öffnung  der  Fall  ist. 

Auch  bei  der  Radikaloperation  infolge 
von  Caries  lassen  wir  die  Operationswunde 
möglichst  lange  offen,  bis  die  Epidermisierung 
des  größten  Teiles  der  Wundhöhle  vollendet 
ist.  Es  liegt  ganz  in  unserer  Hand,  die 
hintere  Öffnung  sich  schließen  zu  lassen,  in- 
dem man  mit  der  Tamponade  von  hinten 
allmählich  nachläßt.  Es  muß  nur  dafür  ge- 
sorgt werden,  daß  sich  die  Wundränder  nicht 
epidermisieren. 

Die  Nachbehandlung  nach  der  Total- 
aufmeißel ung  erfordert  dieselbe  Sorgfalt  und 
ebenso  großes  Geschick  wie  der  operative 
Eingriff.  Man  soll  ja  nicht  annehmen,  daß 
dieselbe  nach  einem  bestimmten  Schema  aus- 
zuführen sei;  man  könnte  sonst  leicht  Fiasko 
machen.  Vor  allen  Dingen  ist  auf  die  ex- 
akteste Tamponade  der  Wundhöhle  großes 
Gewicht  zu  legen.  Alle  Buchten  und  Ver- 
tiefungen müssen  auf  das  sorgfältigste  aus- 
tamponiert werden.  Zu  diesem  Zwecke 
eignen  sich  am  besten  kleine  Gazetampons, 
weil  mit  ihnen  viel  besser  alle  Ausbuch- 
tungen ausgefüllt  werden  können  als  mit 
langen  Gazestreifen,  umsomehr,  als  man  da- 
bei auch  die  Tamponade  bis  in  ihre  kleinsten 
Abschnitte  mit  dem  Auge  verfolgen  kann. 
Die  Tamponade  wird  sowohl  durch  den 
äußeren  Gehörgang,  als  auch  von  der  retro- 
aurikularen Wunde  aus  vorgenommen,  je 
nachdem  man  von  der  einen  oder  anderen 
Öffnung  die  gerade  zu  tamponierenden  Stellen 
der  Wundhöhle  besser  überschauen  kann. 
Großes  Gewicht  ist  darauf  zu  legen,  daß  die 
äußere  Gehörgangsöffnung  durch  ziemlich  feste 
Tamponade  möglichst  weit  offen  gehalten 
wird. 

Der  erste  Verband  kann,  wenn  kein  Fieber 
besteht,  5  bis  7  Tage  liegen  bleiben.  Die 
folgenden  Verbände  werden  je  nach  der 
Stärke  der  Sekretion  häufiger  gewechselt, 
unter  Umständen  täglich.  Auch  das  Allge- 
meinbefinden ist  beim  Verbandwechsel  zu 
berücksichtigen.  Für  die  ersten  Verbände 
benutzen  wir  zur  Tamponade,  wenn  sonst 
nichts  dagegen  spricht,  Jodoformgaze.  Hat 
sich  die  Knochen  wunde  überall  mit  Granu- 
lationen bedeckt,    so    ist    die  Jodoformgaze, 

8 


82 


Klau,  Operative  Eröffoung  der  Mittelob  träume. 


rTher&peatiaclu 
L   Monatshefte. 


da  durch  sie  häufig  allzu  üppige  Granula- 
tionen hervorgerufen  werden,  durch  indiffe- 
rente sterile  Gaze  zu  ersetzen.  Auch  Xero- 
formgaze,  die  wir  in  den  letzten  Jahren 
vorwiegend  zur  Tamponade  benutzen,  leistet 
uns  vorzügliche  Dienste,  namentlich  in  Fällen, 
wo  eine  starke  Wundsekretion  stattfindet. 

Von  austrocknenden  Pulvern  wenden  wir 
Aristol  nicht  mehr  an.  Wir  haben  gefunden, 
daß  nach  Anwendung  desselben  die  Granu- 
lationen leicht  bluten.  Besseres  leistet  bei 
starker  Sekretion  die  Borsäure  in  feinster 
Pulverform.  Wir  wenden  dieselbe  in  der 
Weise  an,  daß  wir  zunächst  die  Tiefe  der 
Wundhöhle  leicht  mit  Borsäurepulver  be- 
stäuben, darüber  kommt  eine  Tamponschicht 
von  steriler  Gaze  oder  Xeroformgaze.  Auf 
diese  Schicht  und  auf  die  Seitenwände  der 
Wundfläche  wird  wieder  Borsäure  aufge- 
blasen, es  folgt  eine  neue  Tamponschicht 
Gaze,  darauf  wieder  Borsäure  und  so  fort, 
bis  die  ganze  Wundhohle  in  allen  Teilen 
austamponiert  ist.  Die  Tamponade  mit  Bor- 
säuregaze können  wir  dagegen  gar  nicht 
empfehlen,  da  diese  Gaze  durch  ihre  Härte 
reizend  auf  die  Wundfläche  einwirkt  und 
leicht  zu  Blutungen  der  Granulationen  Ver- 
anlassung gibt. 

Unser  Hauptaugenmerk  muß  darauf  ge- 
richtet sein,  die  Wundfläche  zu  epidermi- 
sieren.  Zu  üppige  Granulationen  müssen  in 
Schranken  gehalten  werden.  Die  Granula- 
tionen dürfen  nicht  das  Niveau  der  sich  all- 
mählich vorschiebenden  Epidermis  überragen. 
Kommt  man  dabei  mit  fester  Tamponade 
allein  nicht  zum  Ziel,  so  können  die  Granu- 
lationen zweckmäßig  mit  Acidum  lacticum 
purum  oder  mit  Trichloressigsäure  geätzt 
werden.  Auch  die  Galvanokaustik  leistet 
hierbei  treffliche  Dienste.  Höllenstein  eignet 
sich  gar  nicht  zum  Atzen,  da  nach  Anwen- 
dung desselben  die  Granulationen  meist  um 
so  üppiger  hervorschießen.  Nur  in  seltenen 
Ausnahmefällen  wenden  wir  den  scharfen 
Löffel  an,  häufiger  die  kalte  Schlinge. 

Auch  um  Stenosen  zu  vermeiden,  ist  in 
den  ersten  Wochen  neben  der  Beseitigung 
allzu  üppiger  Granulationen  feste  Tamponade 
angezeigt.  Später,  etwa  in  der  Mitte  des 
3.  Monats  der  Nachbehandlung,  ist  es  zweck- 
mäßig, die  Tamponade  nicht  mehr  so  fest 
auszuführen.  Es  überhäuten  sich  dann  die 
letzten  Reste  der  Wundhöhle  ungleich  schneller 
als  bei  andauernd  fester  Tamponade.  Ist 
schon  in  einem  früheren  Stadium  der  Nach- 
behandlung der  Aditus  ad  antrum,  an  welcher 
Stelle  es  am  häufigsten  zu  Verwachsungen 
kommt,  überhäutet,  so  kann  man  auch  schon 
früher  eine  weniger  feste  Tamponade  an- 
wenden.    Auch  der  Zutritt    der   atmosphäri- 


schen Luft  wirkt  günstig  auf  eine  schnellere 
Epidermisierung  ein.  Zuweilen  sieht  man 
keine  eigentlichen  Granulationen  auf  der 
Wundfläche  emporschießen,  und  dennoch  ver- 
kleinert 8 ich  die  Höhle  zusehends,  ohne  sich 
aber  zu  epidermisieren.  Untersucht  man 
dann  die  Wandungen  mit  der  Sonde,  so 
fühlt  man,  daß  sich  der  Knochen  mit  einer 
dicken,  mehr  schwartigen  Granulationsmasse 
bedeckt  hat.  Auch  hier  ist  neben  energischer 
Atzung  feste  Tamponade  geboten,  denn  über 
einem  solchen  verdickten,  ungesunden  Granu- 
lationspolster wird  sich  niemals  eine  gesunde 
Epidermis  bilden. 

Im  Gegensatz  hierzu  aber  ist  man  dann 
oft  erstaunt,  wie  weit  und  übersichtlich  eine 
solche  enge  Knochenhöhle  schließlich  wird, 
wenn  sie  sich  allseitig  mit  einer  zarten,  aber 
festen  Epidermis  überzogen  hat.  Es  macht 
oft  den  Eindruck,  als  ob  sich  der  Knochen 
scheinbar  zurückgezogen  hätte,  so  groß  er- 
scheint die  Höhle.  Allerdings  kann  auch 
durch  Bildung  von  Narbengewebe,  welches 
aus  einer  festen  kailösen  Bindegewebsmasse 
besteht,  eine  hochgradige  Obliteration  der 
Knochenhöhle  eintreten.  In  solchen  Fällen 
ist  namentlich  durch  sorgfältigste  Tamponade 
darauf  zu  achten,  daß  sich  keine  eiternden 
Fisteln  bilden,  ein  bedenklicher  Umstand, 
der  leicht  eintreten  kann,  wenn  es  durch 
ungleichmäßige  Verkleinerung  der  Wundhöhle 
zur  Stenosenbildung  kommt,  während  in  der 
Tiefe  die  Uberhäutung  noch  nicht  erfolgt  ist. 

Das  günstigste  Resultat  ist  es,  wenn  sich 
die  Wundhöhle  mit  einer  dünnen,  durch- 
sichtigen, glänzenden  oder  auch  mit  einer 
gelblichen,  festen,  glänzenden  Membran  über- 
zieht. Anzustreben  ist  es  auch,  daß  das 
Ostium  tympanicum  sich  schließt,  da  sonst 
bei  Nasenrachenkatarrhen  leicht  Sekretion 
in  die  Knochenhöhle  stattfinden  kann. 

Bleibt  nach  vollzogener  Heilung  die 
Schleimhaut  der  Paukenhöhle  erhalten,  so 
ist  dies  immer  ein  mißlicher  Umstand,  da 
leicht  Rezidive  der  Schleimhauteiterung  ein- 
treten können,  auch  wenn  die  Paukenhöhle 
durch  ein  neugebildetes  Trommelfell  entweder 
teilweise  oder  ganz  nach  außen  abge- 
schlossen ist. 

Nekrosen,  die  in  der  Wundhöhle  am 
häufigsten  am  Facialis  wul  st  vorkommen 
können,  werden  nach  Grunert  am  besten 
mit  Galvanokaustik  behandelt. 

Was  das  Hörvermögen  nach  der  Total- 
aufmeißel ung  anbelangt,  so  ist  bei  intaktem 
Labyrinth  im  allgemeinen  eine  Verbesserung 
der  Hörfähigkeit  zu  erwarten.  Bei  nicht  in- 
taktem Labyrinth  bleibt  durch  die  Operation 
das  Gehör  meist  unbeeinflußt.  In  einer 
Reihe  von   Fällen   kann   aber  auch  eine  ent- 


XIX.  Jfthrgaiig.1 
Fabroar  1905.  J 


Klau,   Operative  Eröffnung  der  Mittelohr  räume. 


83 


schiedene  Verschlechterung  eintreten.  Jeden- 
falls ist  das  Hörvermögen  nach  der  Radikal- 
operation abhängig  von  der  Art  der  ursprüng- 
lichen Erkrankung. 

Nachdem  wir  im  vorstehenden  die  ope- 
rativen Methoden  bei  der  akuten  und  chro- 
nischen Mittelohreiterung  mit  Beteiligung  des 
Warzenfortsatzes  besprochen  haben,  möchten 
wir  noch  kurz  eine  Übersicht  über  die  Kom- 
plikationen geben,  die  sowohl  bei  akuter  als 
auch  bei  chronischer  Mittelohreiterung  vor- 
kommen können;  es  sind  dies  die  Pyämie 
mit  oder  ohne  Sinusthrombose,  die  Meningitis, 
der  extradurale  Abszeß  und  der  Hirnabszeß. 

Ob  es  eine  otitische  Pyämie  ohne 
Sinusthrombose  gibt,  darüber  sind  die  An- 
sichten immer  noch  geteilt.  Jedenfalls  aber 
ist  es  jetzt  erwiesen,  daß  eine  solche  Pyämie, 
wenn  auch  ihr  Vorkommen  an  sich  möglich 
ist,  eminent  selten  vorkommt.  Auch  Körner, 
der  früher  am  entschiedensten  für  das  häufige 
Vorkommen  otitischer  Pyämie  ohne  Phlebo- 
thrombose, der  sogenannten  Osteophlebitis, 
eintrat,  scheint  jetzt  anderer  Meinung  zu  sein. 

Wenn  auch  nicht  in  jedem  Falle  otitischer 
Pyämie  bei  der  Operation  oder  Obduktion 
ein  Thrombus  im  Sinus  vorgefunden  wird, 
so  ist  damit  noch  nicht  die  Annahme  be- 
rechtigt, daß  es  sich  nunmehr  um  die  Kör- 
ner sehe  Osteophlebitis  handelt.  Leutert 
hat  darauf  hingewiesen,  daß  die  Thrombose 
wandständig  sein  kann,  mithin  leicht  über- 
sehen wird,  oder  daß  der  Thrombus  bereits 
fortgeschwemmt  ist.  Außerdem  betont  er  mit 
Recht,  daß  früher  der  Bulbus  jugularis,  welcher 
erwiesenermaßen  nicht  so  selten  der  Sitz  der 
Thrombose  sein  kann,  sowohl  bei  der  Ope- 
ration als  auch  bei  der  Obduktion  nicht  ge- 
nügend berücksichtigt  wurde.  In  allen  der- 
artigen Fällen  ist  deshalb  auf  den  Boden  der 
Paukenhöhle  zu  achten,  da  es  bei  Erkran- 
kung an  dieser  Stelle  zur  Bulbusthrombose 
kommen  kann. 

Mag  man  nun  von  dem  Vorkommen  einer 
otitischen  Pyämie  ohne  Phlebothrombose  über- 
zeugt sein,  einen  praktischen  Nutzen  hat  das 
Auseinanderhalten  beider  Pyämien  nicht,  denn 
eine  differentielle  Diagnose  ist  nicht  möglich, 
und  es  ist  geboten,  bei  jeder  otitischen 
Pyämie,  wenn  das  Fieber  nicht  in  wenigen 
Tagen  von  selber  schwindet,  den  Warzenfort- 
satz zu  eröffnen  und  unter  Umständen  zu- 
gleich den  Sinus  freizulegen. 

Daß  durch  diese  Beseitigung  des  ursprüng- 
lichen Krankheitsherdes  eine  Reihe  von  Sinus- 
thrombosen ohne  Eröffnung  des  Sinus  aus- 
heilen können,  ist  erwiesen.  Ich  möchte  hierzu 
drei  eklatante  Fälle  aus  meiner  Praxis  anführen. 

Im  ersten  Falle  handelte  es  sich  um  einen 
16 jährigen  Gymnasiasten  A.  aus  Spandau,  welcher 


am  25.  4.  1893  wegen  einer  chronischen  Ohren- 
eiterung, verbunden  mit  Garies,  in  meine  Behand- 
lung kam.  Die  Eltern  des  Patienten  lehnten  zu- 
nächst einen  operativen  Eingriff  am  Warzenfortsatz, 
der  ihnen  von  mir  angeraten  wurde,  ab,  da  Patient 
von  seinem  Ohrenleiden  keinerlei  Beschwerden  hätte. 
Patient  ging  dann  mit  seinen  Eltern  von  Mitte  Juli 
bis  Mitte  August  an  die  Ostsee,  nahm  dort  gegen 
meinen  Rat  kalte  Bäder  und  kam  am  16.  August 
mit  einer  heftigen  akuten  Entzündung  des  Warzen- 
fortsatzes, einem  subperiostalen  Abszeß  am  Warzen- 
fortsatz und  hohem  Fieber  schwerkrank  zurück. 
Am  18.  August  wurde  von  mir  die  breite  Aufmeiße- 
lung  des  Warzenfortsatzes  vorgenommen  mit  Er- 
öffnung des  Antrum  mastoideum.  Der  Warzenfort- 
satz zeigte  sich  in  großer  Ausdehnung  zerstört,  mit 
Eiter  und  Granulationen  angefüllt;  der  Sinus  sig- 
moideus  lag  in  der  Größe  eines  Quadratzentimeters 
frei  und  war  von  Eiter  umspült.  Nach  der  Operation 
fiel  die  Temperatur  zur  Norm  herab,  um  aber  zwei 
Tage  nachher  wieder  bis  auf  40,2°  zu  steigen.  Das 
intermittierende  Fieber,  welches  einen  ausgespro- 
chenen pyä mischen  Charakter  mit  Schwankungen 
bis  zu  3,5°  zeigte,  hielt  volle  21  Tage  an.  Es 
wurden  in  diesen  21  Tagen  29  Schüttelfröste  meist 
von  solcher  Heftigkeit  ausgelöst,  daß  das  Bett  des 
Patienten  und  die  umstehenden  Gegenstände  in 
Erschütterung  versetzt  wurden.  Ein  erneuter  ope- 
rativer Eingriff  mit  größerer  Freilegung  des  Sinus 
sigmoideus  und  Eröffnung  desselben  wurde  von  den 
überaus  ängstlichen  Eltern  abgelehnt.  In  den  fieber- 
freien Intervallen  fühlte  sich  Patient  verhältnismäßig 
wohl.  Metastasen  traten  nicht  auf.  Die  Nahrungs- 
aufnahme war  befriedigend.  Wein  wurde  viel  und 
§ern  genommen.  Die  Intensität  des  Fiebers  und 
er  Schüttelfröste  blieb  sich  bis  zum  Tage  des  Ab- 
falls des  Fiebers  gleich.  Der  Abfall  erfolgte  ganz 
£lötzlich;  das  Fieber  kehrte  nicht  mehr  wieder, 
'er  körperlich  sehr  mitgenommene  Patient  erholte 
sich  überraschend  schnell. 

Zweifellos  handelte  es  sich  hier  um  eine 
bösartige  Sinusthrombose.  Ob  durch  einen 
operativen  Eingriff  am  Sinus  die  Heftigkeit 
der  Erkrankung  gemildert  worden  wäre,  kann 
fraglich  sein.  Es  sind  genug  Fälle  von  Sinus- 
thrombose bekannt,  bei  welchen  nach  Er- 
öffnung des  Sinus  mit  Unterbindung  der  Vena 
jugularis  interna  das  Fieber  noch  wochenlang 
fortbestand.  Gerechtfertigt  aber  wäre  die 
Eröffnung  des  Sinus  mit  Unterbindung  der 
Vena  jug.  int.  gewesen,  und  zweifellos  hätte 
dieser  erneute  operative  Eingriff  manche  Sorge 
von  uns  genommen  in  dem  Gedanken.,  daß 
nichts  verabsäumt  worden  sei. 

Der  zweite  Fall  betraf  ein  16jähriges  Fräulein  A. 
aus  Charlottenburg.  Patientin  kam  wegen  einer 
akuten  eitrigen  Mittelohrentzündung  am  13.  4.  Ol 
in  meine  Behandlung.  Nach  12  Tagen  war  das 
Trommelfell  geschlossen.  Patientin  empfand  keinerlei 
Beschwerden  mehr.  Die  Hörfahigkeit  war  annähernd 
normal.  Mehrere  Tage  darauf  nach  einer  erneuten 
heftigen  Erkältung  trat  unter  hohem  Fieber  ein 
Rezidiv  der  Mittelohreiterung  auf.  Trotz  sofortiger 
breiter  Parazentese  des  Trommelfelles,  trotz  un- 
gehinderten Abflusses  einer  überaus  reichlichen 
Eitermenge  blieb  das  Fieber,  welches  die  Höhe  von 
40,2°  erreichte,  bestehen.  Da  nach  sieben  Tagen 
keine  Änderung  in  dem  Zustande  der  Patientin 
eintrat,  so  wurde  am  7.  5.  die  breite  Aufmeißelung 
des  Warzenfortsatzes  mit  breiter  Eröffnung  des 
Antrum  mastoideum  vorgenommen.    Gegen  unsere 

8» 


gpra"*,"*- 


84 


fclau,  Operative  Eröffnung  der  Mittelohrräume. 


rTherapentbehe 
L    MonaUhefte. 


Erwartung  fand  sich  in  den  Zellen  des  Warzen- 
fortsatzes und  im  Antrum  verhältnismäßig  wenig 
Eiter.  Es  waren  allerdings  einige  Zellen  mit  Eiter 
angefüllt,  die  Schleimhautauskleidung  der  Warzen- 
fortsatzzellen  war  erheblich  geschwollen,  aber  zu 
der  Schwere  der  Erkrankung  wollte  der  Befund 
im  Warzenfortsatz  nicht  recht  passen.  Trotzdem 
nahmen  wir,  besonders  unter  Berücksichtigung  des 
jugendlichen  Alters  der  Patientin,  in  welchem 
namentlich  bei  anämischen  Personen  leicht  höheres 
Fieber  auch  bei  geringen  Affektionen  im  Mittelohr 
und  Warzenfortsatz  tagelang  bestehen  kann,  zu- 
nächst davon  Abstand,  die  Knochenoperation  weiter 
auszudehnen.  Als  aber  nach  zwei  Tagen  das  Fieber 
wiederum  die  Höhe  von  40,8°  erreichte,  wurde  die 
Freilegung  des  Sinus  sigmoideus  vorgenommen. 
Der  Knochen  des  Warzenfortsatzes  nach  dem  Sinus 
zu  war  außerordentlich  hart.  Irgend  eine  Weg- 
leitung nach  dem  Sinus  hin  wurde  nicht  gefunden. 
Die  Sinuswandung  war  vollkommen  normal.  Es 
wurde  an  zwei  Stellen  eine  Punktion  vorgenommen. 
Dieselbe  ergab  reines  flüssiges  Blut.  Zu  einer  Sinus- 
eröffnung konnten  wir  uns  unter  diesen  Umständen 
nicht  entschließen.  Um  sicher  zu  sein,  daß  es  sich 
nicht  etwa  um  einen  extraduralen  Abszeß  in  der 
mittleren  Schädelgrube  handelte,  wurde  diese  nun- 
mehr vom  Warzenfortsatz  aus  eröffnet.  Auch  hier 
fand  sich  kein  Eiter.  In  den  nächsten  drei  Tagen 
erreichte  die  Temperatur  des  Abends  die  Höhe  von 
40,1  und  40,2°,  um  morgens  bis  unter  38°  abzu- 
fallen. Es  wurden  jetzt  am  Herzen  die  Symptome 
einer  Endokarditis  konstatiert  Am  dritten  Tage 
nach  dem  zweiten  operativen  Eingriff  trat  an  der 
Ohrmuschel  der  erkrankten  Seite  ein  Erysipel  auf, 
welches  über  das  Gesicht  hinweg  bis  zum  anderen 
Ohr  wanderte  und  auch  die  behaarte  Kopfbaut  er- 
griff. Nach  sechs  Tagen  war  das  Erysipel  ge-  , 
schwunden.  Ganz  auffallend  dabei  war  es,  daß  die 
Temperatur  in  diesen  sechs  Tagen  niedriger  war 
als  vor  und  nach  der  erysipelatösen  Erkrankung. 
Sie  überstieg  nicht  39,5°.  In  den  nächsten  sechs 
Tagen  (13.  bis  18.  Krankheitstag  nach  der  Operation) 
stieg  das  Fieber  abends  wieder  bis  zu  40°  an.  Am 

19.  Tage  betrug  die  höchste  Temperatur  39,    am 

20.  Tage  39,1  °.  Von  jetzt  ab  stieg  die  Temperatur 
mit  Ausnahme  des  37.  Krankheitstages,  an  welchem 
Tage  die  Temperatur  infolge  eines  Diätfehlers  40,2  ° 
erreichte,  nicht  mehr  über  39  °  an,  hielt  sich  aller- 
dings abends  in  der  Höhe  von  38  bis  38,9°  bis 
zum  47.  Tage.  Des  Morgens  waren  immer  starke 
Remissionen  zu  verzeichnen.  Vom  48.  Krankheits- 
tage an  bekam  Patientin  dreimal  täglich  0,3  g 
Chinin,  fünf  Tage  lang.  Die  Temperatur  in  diesen 
fünf  Tagen  betrug  abends  37,6  bis  37,9  °.  In  den 
nächsten  drei  Tagen  (dem  52.  bis  55.  Krankheits- 
tage) fiel  bei  täglich  zweimaliger  Chiningabe  die 
Temperatur  auf  37,2  °  ab  und  blieb  fortan  unter 
37  °.  Während  der  ganzen  langen  Krankheitsdauer 
war  kein  Schüttelfrost  aufgetreten,  die  Pulsfrequenz 
betrug  durchschnittlich  100  bis  120  Schläge.  Mit 
Ausnahme  der  Endokarditis  wurden  keine  Metastasen 
nachgewiesen. 

Jedenfalls  trug  die  Endokarditis  viel  dazu 
bei,  die  Erkrankung  so  beängstigend  in  die 
Länge  zu  ziehen.  Die  Knochenwunde  war 
am  55.  Krankheitstage  vollkommen  verheilt. 
Die  Hörfähigkeit  bei  fast  normalem  Trommel- 
fell normal.  Auffallend  war  es,  daß  etwa 
während  der  ganzen  zweiten  Hälfte  der  Er- 
krankung heftige  Schmerzen  in  der  Wirbel- 
säule bestanden,  welche  nach  den  Beinen  zu 
intensiv   ausstrahlten,    daneben   bestand  eine 


hochgradige  lähmungsartige  Schwäche  in  den 
Unterextremitäten.  Patientin  war  nicht  im 
stände,  die  Beine  in  die  Höhe  zu  heben. 
Diese  Symptome  waren  wohl  auf  eine  spinale 
Hyperämie  zu  beziehen. 

Dabei  war  während  der  ganzen  Krank- 
heitsdauer das  Allgemeinbefinden  im  großen 
und  ganzen  ein  gutes  zu  nennen.  Die  Nah- 
rungsaufnahme war  befriedigend. 

Auffallend  war  die  prompte  Chininwirkung. 
Allerdings  war  das  Fieber  in  den  letzten 
acht  Tagen  vor  der  Chiningabe  nicht  mehr 
über  38,9°  gestiegen.  Es  war  aber  doch 
immer  noch  Fieber  vorhanden.  Sofort  nach 
der  Chiningabe  ging  das  Fieber  unter  38° 
herunter,  um  fünf  Tage  später  zur  Norm 
herabzusinken.  Vielleicht  wäre  es  zweck- 
mäßig gewesen,  das  Chinin  schon  früher  an- 
zuwenden. Wein  wurde  viel  gegeben.  Nach- 
dem das  Fieber  völlig  geschwunden  war,  er- 
holte sich  die  Patientin  verhältnismäßig  schnell, 
sodaß  sie  noch  im  August  an  die  Ostsee 
gehen  konnte.  Doch  noch  monatelang  betrug 
die  Pulsfrequenz  100  bis  120  Schläge  in  der 
Minute. 

Beim  dritten  Falle  handelte  es  sich  um  ein 
18jährige8  Fräulein  M.  aus  Schöneberg,  welches 
wegen  einer  heftigen  akuten  Mittelohreiterung rechter- 
seits  in  meine  Behandlung  kam.  Am  1.  Mai  1899 
wurde  die  Parazentese  des  Trommelfelles  vorge- 
nommen. Die  Temperatur,  die  vorher  39,1  betrag, 
fiel  zunächst  auf  37,6,  am  nächsten  Tage  auf  36,6  ° 
herab  und  blieb  bis  zum  neunten  Krankheitstage 
normal.  Am  elften  und  zwölften  Tage  stieg  die  Tem- 
peratur plötzlich  bis  39,1  und  erreichte  am  drei- 
zehnten Tage  die  Höhe  von  39,2  °.  Morgens  fanden 
Remissionen  bis  unter  37°  statt.  Da  der  Warzen- 
fortsatz auf  Druck  empfindlich  war,  und  die  Eis- 
blase keine  Erleichterung  verschaffte,  so  wurde  der 
Wilde  sehe  Schnitt  in  ausgiebiger  Weise  gemacht. 
Die  Temperatur  fiel  danach  zur  Norm  herab  (37  °), 
stieg  aber  in  den  nächsten  zehn  Tagen  wieder  all- 
mählich bis  zu  39,2°  an  mit  ausgiebigen  Remis- 
sionen des  Morgens  bis  zu  36,6  °.  Am  27.  Krank- 
heitstage wurde,  da  es  sich  zweifellos  um  ein 
pyämisches  Fieber  handelte,  die  breite  Aufmeiße- 
lung  des  Warzen fortsatzes  mit  Eröffnung  des  Antrum 
vorgenommen.  Der  Warzenfortsatz  fand  sich  in 
großer  Ausdehnung  zerstört.  Die  Knochenzellen 
waren  zum  größten  Teil  eingeschmolzen.  Der  ganze 
Warzen fortsatz  bis  zur  Spitze  herab  war  mit  Gra- 
nulationen durchsetzt  und  mit  rahmigem  Eiter  an- 
gefüllt. Es  fand  sich  eine  Wegleitung  nach  dem 
Sinus  hin.  Der  Sinus  wurde  einen  Quadratzenti- 
meter groß  freigelegt,  er  war  von  Eiter  umspült, 
seine  Wandung  erschien  normal.  Von  einer  Er- 
öffnung des  Sinus  wurde  Abstand  genommen,  da 
die  Punktion  flüssiges  Blut  ergab,  und  erst  der 
weitere  Krankheitsverlauf  abgewartet  werden  sollte. 
Sofort  nach  der  Operation  fiel  die  Temperatur  auf 
36,2°  herab  und  stieg  während  der  ganzen  Nach- 
behandlung nicht  mehr  über  37,5  °,  mit  Ausnahme 
des  44.  Krankheitstages,  an  welchem  die  Tempe- 
ratur 39,1  °  erreichte.  Die  Temperatursteigerung 
war  auf  einen  Diätfehler  zurückzuführen.  Patientin 
genas  vollkommen  mit  normaler  Hörfähigkeit. 

Grün  er t  teilt  einen  interessanten  Fall 
mit,    wo  81   Tage    lang    nach  der  typischen 


XIX.  Jahrgang.1 
Februar  1905.  J 


Klau»  Operative  Eröfiaung  der  Mittelohriäume. 


85 


Aufmeißel ung  des  Warzenfortsatzes  pyämi- 
sches  Fieber  bestand,  sechzehnmal  erreichte 
die  Temperatur  die  Hohe  von  40°.  Es  trat 
Heilung  ein. 

Unter  gunstigen  Umständen  kann  auch 
einmal  eine  otitische  Pyämie  ohne  jeden 
operativen  Eingriff  am  Warzenfortsatz  und 
Sinus  ausheilen. 

Bei  einem  von  mir  im  April  1899  behandeltet) 
Oberst  v.  H.  aas  L.,  welcher  an  einer  eitrigen 
akuten  Mittelohrentzündung  erkrankt  war,  trat  am 
zehnten  Tage  nach  der  Parazentese  des  Trommel- 
felles intermittierendes  Fieber  auf.  Unter  der  An- 
nahme, daß  es  sich  vielleicht  um  eine  Eiterverhal- 
tung in  der  Paukenhöhle  handeln  könnte,  wurde 
der  Trommelfellschnitt,  der  sich  erheblich  ver- 
kleinert hatte,  in  ausgiebiger  Weise  erweitert. 
Trotzdem  bestand  das  intermittierende  Fieber  fort. 
Die  Temperaturen  erreichten  die  Höhe  von  39,6°, 
um  am  Morgen  unter  37  °  abzufallen.  Schon  wurde 
von  mir  mit  dem  betreffenden  Hausarzte  der  ope- 
rative Eingriff  am  Warze  nfortsatz  in  Erwägung  ge- 
zogen, als  am  zehnten  Tage  nach  dem  Einsetzen 
des  Fiebers  die  Temperatur  zur  Norm  zurückkehrte. 
Drei  Wochen  später  war  Patient  geheilt.  Ob  es 
sich  in  diesem  Falle  um  eiue  Körn  ersehe  Osteo- 
phlebitiä  gehandelt  hat,  will  ich  dahingestellt  sein 
lassen.  Jedenfalls  aber  war  das  Fieber  ein  pyämi- 
sches,  dafür  sprach  der  ausgesprochen  intermit- 
tierende Charakter  desselben,  die  hochgradige 
nervöse  Erregung  und  das  schlechte  Allgemeinbe- 
finden des  Patienten. 

Wenn  nun  auch,  wie  diese  Fälle  zeigen, 
eine  otitische  Pyämie  unter  Umständen  durch 
Beseitigung  des  ursprünglichen  Krankheits- 
herdes ohne  Eingriff  am  Sinus  zu  Heilung 
kommen  kann,  so  ist  der  heutige  Standpunkt 
doch  mit  Recht  der,  daß  man  in  den  meisten 
schwereren  Fällen  von  otitischer  Pyämie  den 
Sinus  eröffnet  und  die  Vena  jugularis  interna 
unterbindet.  In  zweifelhaften  Fällen  tut  man 
zunächst  gut,  nach  der  Aufmeißelung  des 
Warzenfortsatzes  den  Sinus  freizulegen.  Ist 
das  Aussehen  desselben  normal,  aspiriert 
man  bei  der  Punktion  flüssiges,  reines  Blut, 
so  kann  man  abwarten,  ob  das  Fieber  zu- 
rückgeht. Auch  das  Allgemeinbefinden  des 
Patienten  ist  dabei  zu  berücksichtigen.  Ist 
dieses  ein  gutes,  so  kann  man  selbst  bei 
fortbestehendem  Fieber,  wenn  es  nicht  ganz 
ungewöhnlich  hoch  ist,  mit  dem  Eingriff  am 
Sinus  und  an  der  Yen.  jug.  int.  noch  warten. 
Läßt  das  Fieber  nicht  nach,  so  ist  nament- 
lich bei  schlechtem  Allgemeinbefinden  der 
direkte  Eingriff  am  Sinus  geboten. 

Man  ist  berechtigt,  bei  der  Sinusthrom- 
bose eine  gutartige  und  eine  bösartige  zu 
unterscheiden.  Es  kann  bei  der  Sinus- 
thrombose sich  ein  derber,  solider  Thrombus 
bilden,  der  sich  ohne  jeden  operativen  Ein- 
griff am  Sinus  vollständig  organisieren  kann. 
Hat  man  es  nach  der  Eröffnung  des  Sinus 
mit  einem  solchen  soliden  Thrombus  zu  tun, 
so  ist  die  vollständige  Ausräumung  desselben 


an  den  Enden  nicht  angezeigt,  da  es  darauf 
ankommt,  einen  möglichst  sicheren  Abschluß 
nach  oben  und  unten  hin  zu  erhalten.  In 
diesen  Fällen  ist  es  nicht  absolut  nötig,  die 
Vena  jugul.  intern,  zu  unterbinden.  Findet 
sich  der  Thrombus  vereitert  oder  gar  ver- 
jaucht, oder  kommt  es  nachträglich  noch  zur 
eitrigen  oder  jauchigen  Zersetzung  des  anfangs 
soliden  Thrombus,  so  ist  die  Unterbindung 
der  Vena  jugul.  int.  geboten.  Ist  man  von 
vornherein  überzeugt,  daß  es  sich  um  eine 
eitrige  oder  gar  jauchige  Sinus  thrombose 
handelt,  so  ist  zu  allererst  die  Vena  jugul. 
int.  zu  unterbinden,  dann  erst  der  Warzen- 
fortsatz zu  eröffnen,  der  Sinus  freizulegen 
und  breit  zu  eröffnen.  Es  ist  nämlich  die 
Möglichkeit  nicht  ganz  von  der  Hand  zu 
weisen,  daß  durch  die  Meißeloperation  Throm- 
busteilchen losgelöst  werden  und  in  die  Blut- 
babn  gelangen  können.  Dies  wird  durch  die 
vorher  ausgeführte  Unterbindung  der  Vena 
jugul.  int.  möglichst  vermieden.  In  allen 
Fällen,  wo  die  Eröffnung  des  Sinus  vorge- 
nommen wird,  empfiehlt  es  sich,  die  vordere 
Wand  desselben  möglichst  ausgiebig  zu  ex- 
zidieren,  um  eine  Wiederverlegung  zu  ver- 
hindern. 

Die  Unterbindung  der  Vena  jugul.  int. 
wird  am  besten  in  der  Höhe  der  Gartilago 
erieoidea  vorgenommen,  sodaß  diese  zu  dem 
5  bis  6  cm  langen  Schnitte,  welcher  längs 
des  vorderen  Randes  des  Muse,  sternocleido- 
mastoideus  geführt  wird,  in  der  Mitte  liegt. 
Der  freigelegte  Sternocleidomastoideus  wird 
mit  einem  stumpfen  Haken  zur  Seite  ge- 
schoben. Dicht  unter  ihm  nach  außen  von 
der  Karotisjiegt  die  Vena  jugul.  int.  Diese 
wird  stumpf  drei  und  mehr  Zentimeter  je 
nach  den  vorliegenden  Verhältnissen  freigelegt, 
die  Gefäßscheide  mit  einer  Hakenpinzette 
emporgehoben  und  parallel  zur  Gefäßwand 
vorsichtig  angeschnitten  und  die  Öffnung 
stumpf  erweitert.  Dann  wird  die  Vene  mit 
einem  stumpfen  Instrument  aus  der  Scheide 
herausgehoben,  eine  Unterbindungsnadel  her- 
umgeführt und  doppelt  unterbunden.  Die 
obere  Ligatur  wird  am  besten  oberhalb  der 
Einmündung  der  Vena  faciei  angelegt  und 
letztere  selbst  mit  unterbunden,  um  so  zu 
verhindern,  daß  infektiöse  Stoffe  von  hier 
aus  durch  eine  häufige  Anastomose  in  die 
Vena  jugul.  extern,  und  auf  diese  Weise  in 
die  Blutbahn  gelangen. 

In  den  meisten  Fällen  von  Sinusthrom- 
bose bietet  uns  das  bestehende  Fieber  einen 
Anhaltspunkt  für  die  Diagnose.  Hohes  inter- 
mittierendes Fieber  bei  freiem  Eiterabfluß 
aus  dem  Mittelohr  mit  oder  ohne  Kopf- 
schmerzen spricht  für  Sinusthrombose.  Aller- 
dings   kann   das   Fieber   bei    Sinusthrombose 


86 


Klau»  Operative  BrOffaung  dar  Mittalohrriume. 


L   Monatshefte. 


auch  kontinuierlich  sein,  und  ist  dann  die 
Unterscheidung  von  Meningitis  nicht  leicht. 
Wir  werden  später  sehen,  daß  uns  durch  die 
Lumbalpunktion  ein  Anhaltspunkt  bezüglich 
der  Differential diagnose  gegeben  ist.  In  sel- 
tenen Fällen  kann  das  Fieber  fehlen.  Es 
handelt  sich  dann  entweder  um  eine  gutartige 
Thrombose,  oder  der  Eiterherd  im  Sinus  ist 
nach  oben  und  unten  durch  einen  festen 
Thrombus  abgeschlossen.  Schließlich  können 
bei  der  Sinusthrombose  vollkommen  fieber- 
freie Intervalle  vorkommen.  Hieraus  ist 
ersichtlich,  daß  in  manchen  Fällen  die  Dia- 
gnose der  Sinusthrombose  große  Schwierig- 
keiten bereiten  kann.  Man  kann  dabei  aber 
an  dem  Grundsatz  festhalten,  daß,  wenn 
hohes  Fieber,  nach  Ablauf  der  akuten  Er- 
scheinungen in  der  Paukenhöhle,  auftritt,  die 
Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  und  die  Frei- 
legung des  Sinus,  resp.  Eröffnung  desselben 
gerechtfertigt  ist,  wenn  Meningitis  und  extra- 
duraler Abszeß  auszuschließen  sind.  Eine  Aus- 
nähme hiervon  machen  Kinder,  da  bei  diesen 
erfahrungsgemäß  bei  akuter  eitriger  Mittel  - 
ohraffektion  längere  Zeit  Fieber  bestehen 
kann,  ohne  daß  es  sich  um  eine  Sinus-  oder 
Hirnaffektion  handelt. 

Das  normale  Aussehen  des  Sinus  bietet 
nicht  immer  eine  Gewähr  dafür,  daß  keine 
Thrombose  besteht.  Auch  der  Sinuspuls  be- 
sitzt nach  Preysing  nicht  die  geringste 
diagnostische  Bedeutung,  da  dieser  nach 
seiner  Ansicht  nicht  auf  dem  Wege  der  Blut- 
bahnen, sondern  durch  seitlich  fortgepflanzte 
Hirnbewegungen  zu  stände  kommen  soll. 

Zur  Sinusthrombose  kann  es  auch  bei 
unbeabsichtigter  Verletzung  des  Sinus  kommen. 
Im  Allgemeinen  ist  die  Prognose  bei  der 
Sinusverletzung  günstig.  Kommt  es  zur 
Thrombose,  so  handelt  es  sich  meist  um 
einen  gutartigen  Thrombus.  Allerdings  kann 
dieser  Thrombus  später  infiziert  werden, 
weil  die  Wrunde  nicht  immer  völlig  aseptisch 
gehalten  werden  kann,  und  es  ist  nicht  aus- 
geschlossen, daß  noch  drei  bis  vier  Wochen 
nach  der  Verletzung  Septikopyämie  mit  töd- 
lichem Ausgang  eintritt,  wie  verschiedene 
Fälle  in  der  Literatur  es  zeigen.  Deshalb 
ist  bei  der  Warzenfortsatzoperation  die  größte 
Vorsicht  zu  beobachten.  Ist  der  Sinus  verletzt 
worden,  so  ist  die  strengste  Asepsis  geboten, 
auch  in  dem  Falle,  wo  nur  eine  Freilegung 
des  Sinus  ohne  Verletzung  erfolgte.  Auch 
durch  Lufteintritt  kann  die  unbeabsichtigte 
Sinusverletzung  verhängnisvoll  werden,  wenn 
man  auch  heute  diese  Gefahr  geringer  an- 
schlägt als  früher. 

Bei  der  Freilegung  und  Eröffnung  des 
Sinus  ist  stets  der  Warzenfortsatz  vorher 
aufzumeißeln.     Bei   der   durch   akute   Ohren- 


erkrankung entstandenen  Sinusthrombose  wird 
deshalb  zuerst  die  typische  Aufmeißelung, 
bei  der  chronischen  Erkrankung  die  Radikal* 
Operation  vorgenommen.  Nur  bei  diesem 
Vorgehen  ist  man  sicher,  keine  erkrankten 
Partien  im  Warzenfortsatz  zurückgelassen  zu 
haben.  Auch  wenn  die  akuten  Erscheinungen 
in  der  Paukenhöhle  und  im  Warzenfortsatz 
geschwunden  zu  sein  scheinen,  ist  doch  bei 
der  Sinusoperation  immer  der  Warzenfortsatz 
zu  eröffnen.  Auf  diese  Weise  ist  auch  die 
Freilegung  des  Sinus  am  leichtesten  vorzu- 
nehmen, indem  man  nach  Aufmeißelung  des 
Warzenfortsatzes  durch  al  lmähliches  Abmeißeln 
des  hinteren  Knochenrandes  soweit  vordringt, 
bis  die  Dura  freiliegt,  man  hat  dann  immer 
die  vordere  Wand  des  Sinus  vor  sich.  Je 
nach  dem  Befunde  kann  man  nun  den  Sinus 
mit  Meißel  oder  mit  einer  schmalen  Lu er- 
sehen Zange  nach  oben  und  unten  weiter 
freilegen,  unter  Umständen  bis  über  das 
obere  Knie  hinaus  nach  hinten  bis  zum 
Torcular  Herophili,  nach  unten  über  die 
untere  Umbiegung  hinaus  bis  zum  Bulbus 
venae  jugularis. 

In  neuester  Zeit  wird  von  Grunert  und 
anderen  die  direkte  operative  Eröffnung  des 
Bulbus  venae  jugularis  in  den  Fällen  empfohlen, 
wo  nach  der  Jugularisunterbindung  und  der 
Sinuseröffnung  hohes  pyämisches  Fieber  fort- 
besteht, und  eine  andere  Ursache  als  Bulbus- 
thrombose  auszuschließen  ist.  Zu  diesem 
Zwecke  wird  die  Spitze  des  Warzenfortsatzes 
ganz  reseziert,  der  Sinus  sigmoideus  vom 
Warzenfortsatz  aus  soweit  wie  möglich  nach 
unten  zu  freigelegt.  Dann  dringt  man  stumpf 
präparierend  an  der  Schädelbasis  in  die  Tiefe 
bis  zur  knöchernen  Umrandung  des  Foramen 
jugulare  vor.  Die  Weichteile  müssen  mit 
einem  stumpfen  Haken  stark  nach  vorn  ge- 
drängt werden,  wobei  es  zur  Quetschung  und 
Paralyse  des  Nervus  facialis  kommen  kann. 
Zuletzt  bricht  man  die  Knochenbrucke  zwischen 
dem  freigelegten  Sinus  sigmoideus  und  dem 
Foramen  jugulare  mit  der  Lu  ersehen  Zange 
ab.  Unter  Umständen  kann  es  notwendig 
werden,  den  Processus  transversus  des  ersten 
Halswirbels  mit  der  Lu  ersehen  Zange  zu 
resezieren.  Grunert  veröffentlicht  einen  der- 
artigen Fall,  wo  es  dabei  zu  einer  Verletzung 
der  Arteria  vertebralis  kam.  Ob  es  in  solchen 
Fällen  vorzuziehen  ist,  durch  Wegnahme  des 
Kuppeldaches  der  Bulbusgrube  den  Bulbus 
der  Vena  jugularis  freizulegen,  wird  die  Zu- 
kunft lehren. 

Daß  bei  Sinusthrombose  nicht  immer 
allein  durch  die  Vena  jugularis  interna  die 
infektiösen  Stoffe  in  die  Blutbahn  gelangen, 
geht  aus  den  Fällen  hervor,  in  welchen  nach 
Unterbindung  der  Vene  und  selbst  nach  Aus- 


XIX.  Jaargaat.l 
Februar  1905.  J 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Mlttelohrrlume. 


87 


räumung  des  Bulbus  die  Pyämie  weiter  fort- 
besteht. Kommen  solche  Fälle  zur  Genesung, 
so  ist  es  schwer  zu  sagen,  auf  welchem  Wege 
das  infektiöse  Material  in  die  Blutbahn  ge- 
langte. 

Sehr  wichtig  bei  der  otitischen  Pyämie 
ist  eine  möglichst  kräftige,  leicht  verdauliche 
Ernährung.  Bei  Patienten,  die  einen  ver- 
hältnismäßig guten  Appetit  entwickeln,  ist 
die  Prognose  von  vornherein  günstig  zu 
stellen.  Überhaupt  spielt  das  Allgemein- 
befinden bei  der  otitischen  Pyämie  eine  wich- 
tige Rolle.  Alkohol  ist  in  größeren  Mengen 
zu  verabreichen,  da  derselbe  sowohl  ein 
eiweißsparendes  Mittel  als  auch  ein  hervor- 
ragendes Excitans  ist.  Durchfälle  werden 
mit  meist  gutem  Erfolge  mit  Tannalbin  in 
Pulvern  (0,5  g  4  bis  5 mal  täglich)  behandelt. 

Wenden  wir  uns  jetzt  zur  kurzen  Be- 
trachtung der  otitischen  Meningitis,  so 
werden  wir  sehen,  daß  sich  auch  hier,  wie 
bei  der  Sinusthrombose,  die  Ansichten  be- 
züglich der  Behandlung  geändert  haben. 
Während  früher  die  otitische  Meningitis  als 
ein  „noli  me  tangere"  angesehen  wurde,  ist 
heute  der  operative  Eingriff  unter  gewissen 
Umständen  voll  berechtigt. 

Zunächst  ist  es  die  Meningitis  serosa,  die 
durch  die  Aufmeißelung  des  Warzenfortsatzes, 
Eröffnung  der  Schädelhöhle  und  Inzision  der 
Dura  mater  unter  günstigen  Bedingungen  zur 
Heilung  gebracht  werden  kann.  Verschiedene 
in  der  Literatur  beschriebene  Fälle  beweisen 
es,  wo  durch  Abfluß  der  serösen  Flüssigkeit 
eine  günstige  Wendung  eintrat.  Allerdings 
kann  es  fraglich  erscheinen,  ob  man  es  in 
allen  diesen  Fällen  mit  einer  wirklichen 
Meningitis  serosa  zu  tun  hatte. 

Aber  nicht  aliein  bei  der  Meningitis  se- 
rosa, bei  der  sich  eigentlich  eine  sichere 
Diagnose  kaum  stellen  läßt,  sondern  auch  bei 
beginnender  eitriger  Meningitis  ist  eine  früh- 
zeitige Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  und 
der  Schädelhöhie  angezeigt.  Selbst  in  Fällen, 
wo  schon  deutliche  Zeichen  einer  eitrigen 
Meningitis  vorhanden  sind,  erscheint  der 
operative  Eingriff  noch  gerechtfertigt.  Gra- 
denigo  beweist  dies  an  der  Hand  von  drei 
Fällen  von  Leptomeningitis,  die  durch  den 
chirurgischen  Eingriff  am  Schläfenbein  und 
durch  die  Lumbalpunktion  zur  Heilung  kamen. 
Ebenso  will  Macewen  unter  6  Fällen  von 
zirkumskripter  Meningitis  5  mal  durch  ope- 
rativen Eingriff  Heilung  erzielt  haben.  Ob 
es  sich  bei  allen  diesen  und  bei  anderen  in 
der  Literatur  verzeichneten  Fällen,  die  durch 
Operation  zur  Heilung  gelangten,  immer  um 
eine  beginnende  eitrige  Meningitis  gehandelt 
hat,  mag  hier  dahingestellt  bleiben.  Jeden- 
falls aber  ist    heute   eine  beginnende  Lepto- 


meningitis keine  Kontraindikation  mehr  für 
den  operativen  Eingriff.  Nur  bei  der  diffusen 
eitrigen  Meningitis  ist  die  Operation  zu 
unterlassen,  weil  sie  nutzlos  ist.  Benommen- 
heit des  Sensorium,  klonische  und  tonische 
Spasmen  der  Extremitätenmuskel  oder  halb- 
seitige Lähmungen  sprechen  für  diffuse  eitrige 
Meningitis.  Dabei  ist  nicht  außer  acht  zu 
lassen,  daß  eine  eitrige  Meningitis  auch 
wochenlang  latent  bleiben  und  sich  höchstens 
ab  und  zu  durch  verhältnismäßig  leichte 
Kopfschmerzen  bemerkbar  machen  kann,  bis 
plötzlich  die  Erkrankung  in  ihrer  ganzen 
Heftigkeit  zum  Ausbruch  kommt.  Aber  selbst 
bei  ausgesprochener  Leptomeningitis  können 
Tage  mit  relativem  Wohlbefinden  vorkommen. 

Am  konstantesten  bei  der  Leptomeningitis 
sind  noch  die  Kopfschmerzen;  meist  ist  auch 
immer  Erbrechen  vorhanden,  doch  kann  das- 
selbe auch  fehlen.  Schüttelfröste  bilden  eine 
Ausnahme.  Die  Temperatur  steigt  allmählich 
an  und  ist  dann  meist  hoch,  sie  kann  aller- 
dings auch  remittierend  und  intermittierend 
sein.  Fast  immer  besteht  Nackensteifigkeit 
und  wenn  die  Entzündung  auf  die  Rücken- 
markshäute übergegangen  ist,  treten  heftige 
Rückenschmerzen  und  hochgradige  Steifigkeit 
der  Wirbelsäule  auf,  sodaß  die  Patienten  sich 
nicht  aufrichten  können.  Alle  diese  Sym- 
ptome sind  aber  niemals  ganz  konstant,  und 
es  können  die  verschiedensten  Variationen 
vorkommen. 

Auch  die  Entstehungs Ursache  der  otiti- 
schen Leptomeningitis  ist  nicht  immer  sicher 
nachzuweisen.  Meist  erfolgt  allerdings  die 
Infektion  auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen 
von  dem  ursprünglichen  Krankheitsherde  aus, 
wobei  nicht  zu  vergessen  ist,  daß  auch  durch 
den  Canalis  caroticus  die  otitische  Eiterung 
in  die  Schädelhöhle  gelangen  kann.  Es  kann 
über  auch  Meningitis  eintreten  bei  bereits  im 
Ablauf  begriffener  Mittelohrentzündung,  und 
diese  kann  in  ganz  kurzer  Zeit  zum  Tode 
führen. 

Zaufal  spricht  in  diesem  Falle  von 
hämatogener  Infektion.  Körner  ist  der  An- 
sicht, daß  die  Fälle  von  Meningitis,  die 
keinen  nachweisbaren  Zusammenhang  mit  dem 
Erkrankungsherde  im  Schläfenbein  zeigen, 
auf  Metastasen  zurückzuführen  sind. 

Daraus  geht  hervor,  wie  schwierig  unter 
Umständen  die  Diagnose  der  diffusen  eitrigen 
Meningitis  sein  kann,  namentlich  die  Diffe- 
rentialdiagnose zwischen  dieser  und  der  Sinus- 
thrombose, dem  extraduralen  Abszeß  und  dem 
Hirnabszeß,  denn  auch  bei  diesen  Abszessen 
kann  zirkumskripte  eitrige  Pachymeningitis 
und  zirkumskripte  Leptomeningitis  vorkommen , 
die  oft  das  Bild  einer  diffusen  eitrigen  Me- 
ningitis vortäuschen. 


88 


Klau»  Operative  Eröffnung  der  Mittelohrräume. 


rTherapeu 
L   Momttah 


_  eutUchc 
Monatshefte. 


In  gewisser  Beziehung  bietet  uns  nun  die 
Lumbalpunktion  einen  Anhaltspunkt  bei  der 
Diagnosenstellung  der  eitrigen  Leptomenin- 
gitis.  Leutert  wies  darauf  hin,  daß  die 
Lumbalpunktion  hauptsächlich  zum  Ausschluß, 
nicht  aber  zur  Diagnose  der  Meningitis  ver- 
wendet werden  müsse.  Gerade  durch  den 
negativen  Ausfall  gelangt  er  zu  dem  Schluß, 
daß  bei  deutlich  vermehrter  Flüssigkeits- 
menge und  bei  gänzlichem  oder  fast  gänz- 
lichem Fehlen  von  polynukleären  Leukozyten 
eine  eitrige  Meningitis  ausgeschlossen  werden 
könne.  Diese  Tatsache  ist  aber  sehr  wichtig, 
da  man  bei  einem  solchen  Ausschluß  direkt 
zur  Operation  schreiten  kann.  Ob  dagegen 
im  entgegengesetzten  Fall,  also  bei  positivem 
Ausfall  der  Lumbalpunktion,  auf  eine  diffuse 
eitrige  Meningitis  geschlossen  werden  kann, 
darüber  gehen  die  Ansichten  noch  ausein- 
ander. Soviel  aber  steht  nach  neueren  For- 
schungen fest,  daß  Trübung  des  Liquor  und 
vermehrter  Gehalt  an  Leukozyten  allein  nicht 
genügen,  die  Diagnose  auf  eitrige  Meningitis 
zu  stellen;  finden  sich  dazu  aber  Bakterien 
im  Liquor  cerebrospinalis,  so  ist  eine  eitrige 
Leptomeningitis  fast  mit  voller  Bestimmtheit 
anzunehmen. 

Es  würde  hier  zu  weit  führen,  die  ver- 
schiedenen Ansichten  des  näheren  auseinander- 
zusetzen. Nur  mag  darauf  hingewiesen 
werden,  daß  auch  einmal  bei  negativem  Be- 
funde in  der  Cerebrospinalflüssigkeit  eine 
eitrige  Meningitis  bestehen  kann,  wie  Brieger 
dies  bei  einem  Fall  von  Stirnhöh lenempyem 
beobachtet  hat. 

Auch  Braun  fand  unter  8  Fällen  von 
eitriger  Meningitis  in  der  Punktionsflüssigkeit 
zweimal  keine  Bakterien  und  keine  Leuko- 
zyten. Ebenso  beobachtete  Stadelmann 
2  derartige  Fälle. 

Umgekehrt  können  auch  einmal  bei  Durch- 
bruch eines  Hirnabszesses  in  die  Ventrikel 
Bakterien  im  getrübten  Liquor  sich  vorfinden. 
Man  ersieht  daraus,  daß  also  nicht  in  jedem 
Falle  durch  die  Lumbalpunktion  entweder 
Leptomeningitis  ausgeschlossen  oder  absolut 
sicher  angenommen  werden  kann. 

Trotzdem  besitzen  wir  in  der  Lumbal- 
punktion ein  wichtiges  diagnostisches  Mittel, 
das  wir  niemals  ganz  werden  entbehren 
können.  Immerhin  aber  werden  wir  die  An- 
wendung der  Lumbalpunktion  nur  auf  die 
zweifelhaften  Fälle  beschränken  und  auch 
hier  in  drohenden  Fällen,  wo  noch  geringste 
Hoffnung  auf  Erfolg  durch  Vornahme  der 
Operation  vorhanden  ist,  lieber  sofort  ope- 
rieren, als  durch  die  Lumbalpunktion  und 
Bakterienuntersuchung  kostbare  Zeit  zu  ver- 
lieren. Es  ist  dieser  Standpunkt  umsomehr 
berechtigt,    als,    wie    wir    schon  im  Vorher- 


gehenden erwähnten,  selbst  bei*  otitischer 
eitriger  Meningitis  im  Anfangsstadium  durch 
Operation  eine  Heilung  möglich  ist.  Dazu 
kommt,  daß  die  Lumbalpunktion  nicht  in 
jedem  Falle  absolut  ungefährlich  ist.  Es 
sind  Fälle  in  der  Literatur  verzeichnet,  wo 
nach  der  Lumbalpunktion  der  Tod  eintrat. 
Auch  ist  die  Möglichkeit  nicht  von  der  Hand 
zu  weisen,  daß  einmal  durch  die  Lumbal- 
punktion eine  zirkumskripte  Meningitis  diffus 
werden  könnte.  Man  wird  also  gut  tun,  die 
Lumbalpunktion  nur  da  anzuwenden,  wo  sie 
einen  wirklichen  praktischen  Nutzen  ver- 
spricht. 

Nach  Schwartze  benutzt  man  zur  Aus- 
führung der  Lumbalpunktion  am  besten  Hohl- 
nadeln, die  bei  Erwachsenen  ohne  Ansatz- 
stück ca.  13  cm  lang  sind,  das  Lumen 
=  1,0,  die  Dicke  =  1,3  mm.  Die  Punk- 
tion wird  zwischen  dem  4.  und  5.  Lenden- 
wirbel am  unteren  Rande  des  4.  Wirbels 
vorgenommen.  Die  Verbindungslinie  der 
höchsten  Punkte  der  Cristae  ossis  ilei  schnei- 
det den  4.  Lendenwirbel  in  seiner  Mitte, 
dicht  über  dieser  Linie  ist  der  3.  Dornfort- 
satz, dicht  darunter  der  4.  Dornfortsatz. 

Bei  Erwachsenen  tut  man  gut,  ca.  '/»  cm 
seitlich  von  der  Mittellinie  der  Wirbelsäule 
einzustechen  und  die  Nadel  medianwärts  nach 
vorn  und  oben  zu  führen,  um  die  starken 
Ligamenta  apicum  zu  vermeiden.  Stößt  man 
hierbei  auf  Knochen  widerstand,  so  ist  die 
Lage  der  Dornfortsätze  daran  schuld.  Man 
muß  die  Nadel  dann  zurückziehen  und  senk- 
recht auf  die  Wirbelsäule,  unter  Umständen 
etwas  medianwärts  oder  etwas  nach  unten, 
einstechen.  Bei  Kindern  stößt  man  die  Nadel 
senkrecht  am  unteren  Rande  des  4.,  3.  oder 
2.  Lendenwirbels  in  den  Spinalkanal. 

Eine  weitere  Komplikation  sowohl  der 
akuten  wie  der  chronischen  Mittelohreiterung 
ist  der  extradurale  Abszeß.  Dieser  kann 
seinen  Sitz  in  der  mittleren  und,  was  häufiger 
der  Fall  ist,  in  der  hinteren  Schädelgrube 
haben.  Der  extradurale  Abszeß  erfordert 
unter  allen  Umständen  die  Eröffnung  des 
Schädels.  Am  zweckmäßigsten  wird  dieser 
Eröffnung  die  breite  Aufmeißelung  des  Warzen- 
fortsatzes vorausgeschickt,  um  den  ursprüng- 
lichen Krankheitsherd  zu  eliminieren.  Es 
steht  fest,  daß  in  den  weitaus  meisten  Fällen 
otogene  Extraduralabszesse  durch  Eiterung 
im  Warzenfortsatz,  seltener  durch  Atticus- 
eiterung  zustande  kommen.  Der  Grund  dafür 
liegt  in  dem  leichteren  Abfluß  des  Eiters 
aus  dem  Atticus,  während  der  Austritt  des 
Eiters  aus  dem  Warzen fortsatz  meist  sehr 
erschwert  ist.  Sehr  häufig  findet  sich  dann 
auch  vom  erkrankten  Warzenfortsatz  aus  eine 
Wegleitung  in   die  Schädelhöhle,    oft  führen 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1905.  J 


Klau,  Operative  Eröffouog  dar  Mittelohrräume. 


89 


Fistelgänge  zum  Extraduralabszeß.  Aber 
auch  in  den  Fällen,  wo  im  Warzenfortsatz 
keine  Wegleitung  nach  der  Schädelhöhle  ge- 
funden wird,  ist  bei  einer  Wahrscbeinlich- 
keitsdiagnose  die  explorative  Eröffnung  der 
hinteren  oder  mittleren  Schädel  grübe  gerecht- 
fertigt. 

Es  kann  vorkommen,  daß  beim  otogen en 
Extraduralabszeß  die  akute  Mittelohre iterung 
vollständig  ausgeheilt  ist.  Zaufal  erklärt 
dies  dadurch,  daß  der  Diplococcus  pneumoniae 
Fränkel-Weichselbaum,  der  meist  an  der  Ent- 
stehung des  Abszesses  schuld  ist,  nach  Aus- 
heilung der  Paukenhöhleneiterung  sich  im 
Antruin  mastoideum  einkapselt,  um  dann 
später  eine  Entzündung  des  Warzenfortsatzes 
und  nachfolgenden  Extraduralabszeß  hervor- 
zurufen. Selbst  in  Fällen,  in  denen  man 
beim  extraduralen  Abszeß  keine  krankhaften 
Veränderungen  mehr  im  Warzenfortsatz  vor- 
findet, ist  doch  die  Eröffnung  desselben  an- 
gezeigt, einmal  weil  man  mit  diesem  Ope- 
rationsweg gewissermaßen  denselben  Weg 
verfolgt,  den  die  Bakterien  ursprünglich 
genommen  haben,  dann  aber  auch  aus  dem 
Grunde,  weil  in  den  meisten  Fällen  vom  er- 
öffneten Warzenfortsatz  aus  die  Nachbehand- 
lung am  zweckmäßigsten  vorgenommen  werden 
kann. 

Zuweilen  kann  der  Extraduralabszeß  sehr 
tief  sitzen  an  der  hinteren  Fläche  der  Pyra- 
mide, auch  an  der  Spitze  derselben.  In 
diesen  Fällen  ist  die  operative  Methode 
v.  Bergmanns  zu  empfehlen:  Eröffnung  der 
Schädelhöhle  direkt  über  dem  knöchernen 
Gehörgang  und  Abdrängung  der  Dura  mater 
vom  Felsenbein. 

Die  Diagnose  des  Extraduralabszesseskann 
sehr  große  Schwierigkeiten  bereiten.  Fast 
niemals  ist  sie  ganz  exakt  zu  stellen.  Meist 
wird  der  Extraduralabszeß  erst  bei  der  Er- 
öffnung des  Warzenfortsatzes  diagnostiziert. 
Am  konstantesten  ist  noch  das  Vorhanden- 
sein von  Fieber  und  von  Kopfschmerzen, 
welche  letzteren  entweder  diffus  über  die 
ganze  entsprechende  Kopfhälfte  verbreitet 
sind,  oder  mehr  lokal,  entsprechend  der  Stelle 
des  Abszesses,  empfunden  werden.  Dabei 
bestehen  fast  immer  gastrische  Störungen: 
Appetitlosigkeit,  belegte  Zunge,  Stuhl  Ver- 
stopfung. In  vielen  Fällen  kann  man  auf 
Extraduralabszeß  schließen,  wenn  hinter  dem 
Planum  des  Warzenfortsatzes,  am  angrenzen- 
den Teil  des  Occiput,  Schwellung  oder  sub- 
periostaler Abszeß  oder  Knochenauftreibung 
sich  vorfindet.  Auch  Schmerzen  bei  Druck 
und  Perkussion  an  dieser  Stelle  ohne  jede 
Schwellung  sprechen  zuweilen  für  Extradural- 
abszeß. Mitunter  kommt  es  bei  diesen  letzte- 
ren Fällen  vor,    daß  der  Abszeß  seinen  Sitz 


in  der  mittleren,  anstatt,  wie  nach  dem 
äußeren  Befunde  anzunehmen,  in  der  hinteren 
Schädelgrube  hat.  In  seltenen  Ausnahme- 
fällen können  Fieber  und  Kopfschmerzen 
fehlen,  und  ist  dann  die  Diagnose  sehr  schwer 
zu  stellen.  Einen  derartigen  Fall  aus  meiner 
Praxis  möchte  ich  hier  anführen,  der  auch 
im  weiteren  Verlauf  der  Erkrankung  durch 
die  ungewöhnlich  ausgedehnte  kariöse  Zer- 
störung von  Interesse  ist. 

Es  handelte  sich  um  ein  11  jähriges  Mädchen 
M.  aus  Schöneberg,  welches  mir  am  18.  Januar  1901 
zugeführt  wurde.  Nach  Angabe  der  Mutter  war 
Patientin  3  Wochen  vorher  akut  am  linken  Ohr 
mit  heftigen  Schmerzen  erkrankt,  die  nach  wenigen 
Tagen,  als  Eiterung  eintrat,  nachließen.  Bei  der 
vorgenommenen  Untersuchung  zeigte  sich  der  äußere 
Gebörgang  in  der  Tiefe  derartig  verschwollen,  daß 
vom  Trommelfell  nichts  zu  sehen  war.  Die  Eiterung 
aus  dem  Mittelohr  war  profus.  Bei  der  Luftdusche 
drang  die  Luft  pfeifend  durch  die  Trommelfellper- 
foration. Hinter  dem  Ohr,  auf  der  Grenze  zwischen 
Warzenfortsatz  undOcciput,auf  letzteres  übergreifend, 
fand  sich  ein  großer  Abszeß,  der  nach  unten  bis 
über  die  Spitze  des  Warzen fortsatzes  hinausreichte. 
Fieber  und  Kopfschmerzen  fehlten.  Am  nächsten 
Tage  wurde  die  typische  Aufmeißelung  von  mir 
vorgenommen.  Zunächst  wurde  der  Absceß  in 
breiter  Ausdehnung  eröffnet.  Da  dieser  Schnitt 
nicht  zugleich  auch  für  die  Eröffnung  des  Warzen- 
fortsatzes benutzt  werden  konnte,  weil  er  zu  weit 
nach  hinten  lag,  so  mußte  auf  dem  Planum  des 
Warzen  fortsatzes  ein  zweiter  Haut-  und  Periost- 
schnitt  ausgeführt  werden.  Bei  der  Aufmeißelung 
des  Warzen  fortsatzes  fand  sich  dieser  in  großer 
Ausdehnung  kariös  zerstört,  mit  Granulationen  durch- 
setzt und  mit  Eiter  angefüllt.  Auch  im  Antrum 
mastoideum  fanden  sich  Granulationen  und  Eiter. 
Der  Knochen  war  erweicht,  sodaß  er  dem  Meißel 
I  einen  schlechten  Widerstand  darbot  und  oft  über 
die  Meißelschneide  hinaus  abbrach.  Beim  Ab- 
meißeln der  hinteren  Grenze  des  Warzen  fortsatzes 
brach  ein  1  cm  langes  und  etwa  ]/s cm  breites 
Knochenstück  ab,  wodurch  der  Sinus  sigmoideus 
freigelegt  wurde.  Sofort  ergoß  sich  aus  der  Tiefe 
des  Sulcus  sigmoideus  ein  Eiterstrom,  welcher  be- 
wies, daß  es  sich  hier  um  einen  perisinuösen  Ab- 
szeß bandelte.  Der  Sinns  wurde  dann  weiter  nach 
oben  und  namentlich  nach  unten  zu,  da  hier  aus 
der  Tiefe  immer  von  neuem  Eiter  hervortrat,  bis 
in  die  Nähe  des  Bulbus  jugularis  freigelegt.  Dabei 
mußte  die  Spitze  des  Warze o fortsatzes  vollständig 
reseziert  werden.  Die  Sinuswandung  war  nicht  ver- 
färbt. Da  Fieber  vor  der  Operation  nicht  bestand, 
so  lag  kein  Grund  vor,  irgend  einen  operativen 
Eingriff  am  Sinus  selbst  vorzunehmen. 

Meist  ist  bei  den  otogenen  Extraduralabszessen 
die  Dura  pathologisch  verändert,  namentlich  ist  dies 
bei  den  durch  chronische  Mittelohreiterung  ent- 
standenen Abszessen  der  Fall.  Häufig  ist  dabei 
die  Dura  mater  mit  Granulationen  bedeckt.  Man 
muß  sich  hüten,  diese  abzukratzen.  —  In  unserem 
Falle  ging  die  Heilung,  wenn  auch  langsam,  so 
doch  glatt  von  statten.  Die  Operationswunde  war 
nach  2  Monaten  geschlossen,  die  Eiterung  aus  dem 
Mittel ohr  sistiert. 

Am  12.  April  desselben  Jahres  stellte  sich 
Patientin  wieder  ein  mit  der  Angabe,  daß  sich 
seit  einigen  Tagen  eine  äußerst  schmerzhafte  An- 
schwellung über  der  Ohrmuschel  gebildet  habe, 
und  daß  es  aus  dorn  Ohre  wieder  eitere.  Bei 
näherer  Untersuchung  fand   sich   an    der  Schuppe 


90 


Klau,  Operative  Eröffnung  der  Nittelobrrlume. 


rherapeutiachfc 
Monatshefte. 


des  Schläfenbeins  über  dem  Äußeren  Gehörgang 
ein  Abszeß,  der  nach  vorn  bis  zum  Processus 
zygomaticus  des  Schläfenbeins  reichte,  nach  hinten 
die  ganze  kaum  vernarbte  Knochenwunde  in  Mit- 
leidenschaft gezogen  hatte.  Bei  der  Eröffnung  des 
Abszesses,  die  in  weiter  Ausdehnung  nach  vorn  und 
nach  hinten  unten  um  die  Ohrmuschel  herum  aus- 
geführt wurde,  zeigte  sich  am  Processus  zygomaticus 
oberflächliche  Caries.  Ferner  fand  sich  an  der 
oberen  Peripherie  des  Porus  acusticus  extern us  bis 
hinein  in  den  äußeren  Gehörgang  tiefgehende  kariöse 
Zerstörung.  Hier  sowohl  wie  am  Processus  zygo- 
maticus wurden  die  kariösen  Partien  zum  Teil  mit 
dem  scharfen  Löffel,  zum  Teil  oberflächlich  mit  dem 
Meißel  abgetragen  und  geglättet.  Ende  Juni  war 
die  Wunde  geschlossen,  die  Mittelohreiternng  sistiert. 
Doch  auch  diesmal  sollte  die  Heilung  nur  von  kurzer 
Dauer  sein.  Am  19.  Februar  1902  stellte  sich  Pa- 
tientin, die  inzwischen  wiederholt  untersucht  worden 
war,  wieder  vor  mit  einem  retroaurikularen  Abszeß, 
der  über  den  äußeren  Gehörgang  hinaus  bis  hinauf 
zur  Schuppe  des  Schläfenbeins  reichte.  Aus  dem 
Mittelohr  iand  profuse  übelrichende  Eiterung  statt. 
Im  Trommelfell  fanden  sich  2  Perforationen,  die 
eine  im  hinteren  unteren  Quadranten,  die  andere 
am  kurzen  Fortsatz  des  Hammers.  Die  sorgfältige, 
an  letzterer  Stelle  vorgenommene  Untersuchung  mit 
der  Sonde  ergab  Garies  des  Hammers.  Am  20.  Fe- 
bruar 1902  wurde  nunmehr  die  Totalaufmeißel ung 
vorgenommen.  Der  knöcherne  Gehörgang  fand  sich 
sowohl  an  seiner  hinteren  als  auch  unteren  Wand 
kariös  zerstört;  ja  sogar  am  medianen  Ende  der 
vorderen  knöchernen  Gehörgangswand  fand  sich 
Caries,  sodaß  beim  Abtragen  des  erkrankten 
Knochens  daselbst  das  Unterkiefergelenk  freigelegt 
wurde.  Es  mag  hier  gleich  erwähnt  werden,  daß 
durch  diese  Freilegung  des  Kiefergelenks  eine 
dauernde  Störung  in  der  Beweglichkeit  des  Unter- 
kiefers nicht  eintrat.  Hammer  und  Amboß  wurden  ! 
entfernt,  sie  waren  kariös  erkrankt,  ebenso  die  Pars  | 
epitympanica.  Die  Überhäutung  der  sehr  ausge- 
dehnten Knochenwunde  ging  ungemein  langsam  vor  I 
sich.  Ende  Juni  1902  schien  die  ganze  Höhle  voll-  j 
ständig  vernarbt  zu  sein.  Schon  Mitte  August  aber  { 
hob  sich  die  Narbe  an  der  hinteren  Peripherie  der  i 
Knochenhöhle  wieder  eitrig  ab.  Die  Ursache  war  ein  j 
lern  langer  und  7s cm  breiter  Sequester,  der  entfernt  | 
wurde.  Von  dieser  neuen  Knochen  wunde  aus  führte  ein  : 
Fistelgang  zur  mittleren  Schädelgrube  hin,  ohne 
dieselbe  aber  zu  eröffnen.  Der  Fistelgang  wurde 
mit  dem  Meißel  genügend  erweitert,  die  mittlere 
Schädelgrube  eröffnet.  Es  fand  sich  kein  Eiter 
und  keine  Veränderung  an  der  Dura.  Die  Nach- 
behandlung erstreckte  sich  von  Mitte  August  1902 
bis  Anfang  Juni  1903,  zu  welcher  Zeit  Patientin 
als  geheilt  enlassen  werden  konnte.  Ob  diese 
Heilung  von  Dauer  ist,  wird  die  Zukunft  lehren. 
Zur  Zeit,  5  Monate  nach  der  Entlassung,  ist  die 
Knochenhöhle  trocken  und  überhäutet. 

Es  erübrigt,  an  dieser  Stelle  noch  dem 
otogenen  Hirnabszeß  eine  kurze  Betrach- 
tung zu  widmen.  Derselbe  erfordert  in  jedem 
Falle  die  Eröffnung  des  Schädels.  Ist  der  | 
Hirnabszeß  infolge  einer  chronisch  eitrigen 
Mittelohraffektion  entstanden,  so  ist  stets  die 
Radikal  Operation  vorauszuschicken;  auch  bei 
dem  durch  akute  eitrige  Erkrankung  der 
Mittelohrräume  entstandenen  Hirnabszeß  ist 
es  vorzuziehen,  vorher  die  breite  Aufmeiße- 
lung  des  Warzenfortsatzes  auszuführen.     Bei 


diesem  operativen  Vorgehen  hat  man  auf  der 


einen  Seite  den  Vorteil,  den  ursprünglichen 
Krankheitsherd  gründlich  zu  beseitigen,  auf 
der  anderen  Seite  aber  auch  die  Möglichkeit, 
den  Hirnabszeß  unter  Umständen  von  den 
Mittel  ohrräumen  aus  eröffnen  zu  können. 

Die  Ansichten  über  die  Art  und  Weise 
der  Eröffnung  des  Hirnabszesses  sind  geteilt. 
Während  die  einen  den  Abszeß  in  geeigneten 
Fällen  von  den  Mittel  ohrräumen  eröffnet  wissen 
wollen,  ziehen  die  anderen  eine  neu  anzu- 
legende Trepanationsöffnung  am  Schädel  vor. 

Preysing  namentlich  befürwortet  die  Er- 
öffnung des  otitischen  Schläfen  läppen  abszesses 
vom  Tegmen  tympani  aus,  da  hier  die  da- 
zwischenliegende Hirnsubstanz  höchstens  1  bis 
2  mm  betrage,  während  von  der  Schuppe 
des  Schläfenbeins  die  Dicke  der  Hirnsubstanz 
nicht  unter  1  cm  ausmache.  Die  Dura  der 
mittleren  Schädelgrube  wird  zu  diesem  Zwecke 
im  Bereiche  des  Antrum  mastoideum  bis  zum 
Tegmen  tympani  freigelegt  etwa  zehnpfennig- 
stückgroß  und  durch  einen  Kreuzschnitt  ge- 
spalten. Dann  wird  ein  rechtwinklig  abge- 
bogenes Skalpell  vom  Antrum  aus  senkrecht 
nach  oben  in  die  Hirn  Substanz  gestoßen  und 
etwa  einen  Viertelkreisbogen  nach  vorn  rotiert. 

In  geeigneten  Fällen,  namentlich  wenn 
eine  Wegleitung  von  den  erkrankten  Mittel- 
ohrräumen nach  der  Schädelhöhle  führt,  wird 
diese  Art  der  Eröffnung  des  Abszesses  ganz 
zweckdienlich  sein.  Dagegen  bietet  nun  aber 
die  Eröffnung  eines  Schläfenlappenabszesses 
von  der  Schuppe  aus  nicht  zu  unterschätzende 
Vorteile.  Diese  Art  der  Trepanation,  welche 
am  besten  einen  Querfinger  breit  über  der 
oberen  Gehörgangs  wand,  etwas  mehr  nach 
hinten  als  nach  vorn  in  etwa  Dreimarkstück- 
größe vorgenommen  wird,  bietet  zunächst 
eine  viel  größere  Übersichtlichkeit.  Die 
Punktion,  resp.  Inzision  des  Gehirns  kann  von 
hier  aus  viel  leichter  und  ergiebiger  ausge- 
führt werden  als  vom  Tegmen  tympani  aus. 
Ist  die  Diagnose  des  Hirnabszesses,  wie  sehr 
oft,  nur  eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose, 
findet  man  von  den  Mittelohrräumen  aus 
keinen  Fistelgang  nach  der  Schädelhöhle,  so 
ist  die  »Trepanation  von  der  Schuppe  aus 
vorzuziehen.  Findet  sich  bei  diesem  Vor- 
gehen kein  Abszeß,  so  hat  man  wenigstens 
die  Gefahr  einer  Infektion  des  Gehirns  und 
seiner  Häute  von  den  infizierten  Mittelohr- 
räumen aus  möglichst  vermieden. 

Auch  der  Hirnprolaps  wird  bei  dieser 
Art  des  operativen  Eingriffes  nicht  so  störend 
und  überhaupt  nicht  so  hochgradig  sein,  wie 
bei  der  Eröffnung  des  Abszesses  von  Tegmen 
tympani  aus. 

Die  Punktion  des  Gehirns  durch  die  Dura 
mater  darf  nur  bei  ganz  normaler  Dura  vor- 
genommen werden.      Ist  die  Dura  krankhaft 


XIX.  J*hrc*n*.-| 
Februar  ISQ5  J 


Klau,  Operative  EiOffnuiif  der  Mittelohrrtume. 


91 


verändert,  so  muß  dieselbe  zunächst  gespalten 
und  dann  erst  die  Punktion  des  Gehirns  aus- 
geführt werden.  Von  der  entzündeten  Dura 
könnten  sonst  leicht  Infektionskeime  in  den 
Subarachnoidalraum  und  in  die  Hirnsubstanz 
übertragen  werden.  Dadurch  kann  es  dann 
zur  Abszedierung  in  den  Stichkanälen  und 
weiterhin  zur  eitrigen  Meningitis  kommen. 

Die  Diagnose  des  otitischen  Hirnabszesses 
kann  großen  Schwierigkeit  begegnen.  Treffend 
spricht  es  Schwartze  aus,  daß  die  Operation 
eines  otitischen  Hirnabszesses  leicht,  das 
Finden  desselben  aber  eine  Glückssache  sei. 
Oft  werden  die  Kopfschmerzen  an  ganz  ande- 
ren, dem  Sitze  des  Abszesses  nicht  entsprechen- 
den Stellen  empfunden. 

Nicht  bei  jedem  Hirnabszeß  sind  aus- 
gesprochene Herdsymptome  vorhanden.  Es 
können  mehr  allgemeine  cerebrale  Symptome 
bestehen,  die  ebensogut  auf  eine  Meningitis 
bezogen  werden  können.  Unregelmäßiger  und 
verlangsamter  Puls,  halbseitige  Kopfschmerzen, 
Schwindel,  Gedächtnisschwäche,  lokale  aus- 
gesprochene Perkussionsempfindlichkeit,  Sopor, 
Hemiplegie  lassen  zwar  die  Annahme  eines 
Hirnabszesses  zu,  doch  können  diese  Symp- 
tome  auch   bei  einer  Meningitis  vorkommen. 

Unkomplizierte  otogene  Hirnabszesse 
können  vollständig  fieberlos  verlaufen,  oder 
es  treten  zeitweise  nur  hochnormale  oder 
leicht  febrile  Temperaturen  auf.  In  allen 
diesen  zweifelhaften  Fällen  aber  ist  es  gerecht- 
fertigt, auch  selbst  bei  einer  Wahrscheinlich- 
keitsdiagnose die  Trepanation  des  Schädels 
und  eine  probatorische  Inzision  des  Gehirns 
vorzunehmen. 

Nicht  immer  findet  sich  der  Sitz  des 
otogenen  Hirnabszesses  ganz  in  der  Nähe 
des  erkrankten  Ohres,  sondern  er  kann  in 
sehr  seltenen  Fällen  erheblich  weit  davon 
entfernt  sein.  Einen  derartigen,  sehr  inter- 
essanten Fall  möchte  ich  hier  noch  kurz 
wiedergeben : 

Es  handelte  sich  um  einen  7jährigen  Knaben 
S.  aas  Stettin,  bei  dem  im  März  1887  wegen  einer 
chronischen  Mittelohreiterung  rechterseits  die  ty- 
pische AufmeißeluDg  vorgenommen  wurde.  Die 
Totalaufmeißel ung  wurde  damals  noch  nicht  geübt. 
In  der  4.  Woche  der  Nachbehandlung  bildete  sich 
auf  dem  rechten  Scheitelbein  ein  subperiostaler 
kalter  Abszeß,  nach  dessen  Eröffnung  der  rauhe 
Schädelknochen  in  etwa  Zweimarkstückgröße  freilag. 
Patient  hatte  kein  Fieber  und  klagte  nicht  über 
Kopfschmerzen.  Das  Allgemeinbefinden  war  be- 
friedigend. Trotz  sorgfältigster  Behandlung  wollte 
die  Abszeßwunde  sich  nicht  schließen,  und  es 
wurde  deshalb  unter  der  Annahme,  daß  es  sich 
um  einen  extraduralen  Abszeß  handelte,  der  Schädel 
an  der  erkrankten  Stelle  aufgemeißelt.  Es  fand 
sich  aber  kein  Eiter  zwischen  Dura  und  Schädel- 
knochen. Die  Dura  zeigte  sich  anscheinend  normal, 
und  es  sollte  eigentlich  die  Operation  abgebrochen 
werden,  als  bei  nochmaliger  genauester  Besichtigung 
der  Dura  sich  eine  minimal  verfärbte  Stelle  zeigte. 


Probatorisch  wurde  hier  mit  einerNadel  eingestochen. 
Sofort  entleerte  sich  etwa  2  Eßlöffel  voll  dünnflüssiger, 
vollständig  geruchloser  Eiter,  wie  man  ihn  bei  Er- 
öffnung tuberkulöser  Abszesse  häufig  findet.  Ein 
Stück  der  Dura  wurde  exzidiert  und  ein  dünnes 
Drainrohr  eingelegt.  Das  Allgemeinbefinden  des 
Patienten  nach  der  Operation  war  befriedigend. 
Wie  man  es  früher  nach  der  typischen  Aufmeiße- 
lung  des  Warzen fortsatzes  gemäß  der  Vorschrift 
Schwartzes  gewöhnt  war,  wurde  durch  den  ge- 
meißelten Knochenkanal  vom  Warzen fortsatz  aus 
aseptische  Flüssigkeit  durchgespritzt,  soduß  dieselbe 
durch  die  Paukenhöhle  aus  dem  äußeren  Gehörgang 
abfloß.  Hierbei  zeigte  sich  eine  ganz  auffallende 
Erscheinung.  Ein  Teil  der  Füssigkeit  nämlich  lief 
beim  Spritzen  aus  der  Operationswunde  des  Hirn- 
abszesses heraus.  Daraus  ging  hervor,  dass  ein 
Zusammenhang  des  Hirnabscesses  mit  dem  er- 
krankten Ohr  bestand.  Wie  diese  Wegleitung  von 
den  Mitteloh rräumen  zum  Hirnabszeß  zustande 
kam,  konnte  nicht  festgestellt  werden,  da  bei  der 
typischen  Aufmeißelung  des  Warzen  fortsatzes,  wie 
sie  damals  noch  allgemein  auch  bei  der  chronischen 
Mittelohreiterung  geübt  wurde,  ein  vollkommener 
Überblick  über  die  sämtlichen  Mittelohrräume  nicht 
möglich  war.  Patient  wurde  dann  einige  Wochen 
später  bei  befriedigendem  Allgemeinbefinden  nach 
seinem  Heimatsort  zu  weiterer  Behandlung  über- 
geführt. 

Am  Schlüsse  unserer  Arbeit  mag  noch 
darauf  hingewiesen  werden,  daß  die  Unter- 
suchung des  Augenhintergrundes  bezüglich 
der  Diagnose  der  Hirnkomplikationen  von 
großer  Wichtigkeit  ist.  Deshalb  ist  es  bei 
schwereren  Fällen  von  Otitis  media  suppu- 
rativa geboten,  den  Augenhintergrund  zu 
untersuchen.  Erhebliches  Fieber  braucht  da- 
bei garnicht  zu  bestehen.  Mäßig  erhöhte 
Temperaturen  (morgens  37,  abends  38  Grad) 
sind  ein  zu  berücksichtigendes  Zeichen  für  intra- 
kranielle  Komplikationen.  Die  Ansicht  steht 
wohl  heute  allgemein  fest,  daß  bei  eitrigen 
Mittelohraffektionen,  die  auf  die  Paukenhöhle 
und  den  Warzen  fortsatz  beschränkt  bleiben, 
sich  niemals  Veränderungen  am  Augenhinter- 
grund nachweisen  lassen.  Sind  aber  Ver- 
änderungen am  Augenhintergrund  bemerkbar, 
so  haben  wir  es  immer  mit  einer  Gehirn- 
komplikation zu  tun.  Oft  sind  diese  Ver- 
änderungen das  einzige  Symptom  für  die 
intrakranielie  Erkrankung.  Aus  den  Ver- 
änderungen selbst  läßt  sich  über  den  Sitz 
und  die  Art  der  Erkrankung  kein  Schluß 
ziehen.  Selbstverständlich  können  auch  bei 
negativem  Befunde  am  Augenhintergrund 
Gehirnkomplikationen  vorhanden  sein.  Der 
positive  Befund,  und  sollte  er  auch  nur  in 
beginnender  Rötung  der  Papille  bestehen, 
erfordert  sofortige  Eröffnung  des  Warzenfort- 
satzes. Ob  dann  die  Operation  weiter  auf 
die  Schädelhöhle  ausgedehnt  werden  soll 
oder  nicht,  darüber  entscheidet  der  Operations- 
befund, die  sonstigen  Symptome  und  ferner 
auch  der  Weiterverlauf  der  Erkrankung. 


92 


Freund,  Zur  Kenntnis  d«t  Styptlelna. 


rTher&peatlaeh« 

L      MoTlfttRbftft«. 


Zur  Kenntnis  des  Styptlcins. 

Von 
Prof.  Dr.  Martin  Freund  in  Frankfurt  a.  M. 

In  einem  im  August  1904  in  dieser 
Zeitschrift  veröffentlichten  Aufsatz  habe  ich 
angegeben,  daß  im  Stypticin  —  dem  Chlor- 
hydrat des  Cotarnins  —  92,7  Proz.,  im  phtal- 
sauren  Salz  dagegen  nur  78,4  Proz.  des  wirk- 
samen Alkaloides  enthalten  sind.  Diese 
Zahlen  sind  von  Herrn  Dr.  Eatz1)  bemängelt 
worden  und  ich  mochte  daher  zur  Ergänzung 
folgendes  ausführen: 

Die  Base,  welche  dem  Stypticin  zu  Grunde 
liegt,  hat  die  Konstitution  I  und  demzufolge 
die  Zusammensetzung  C19  H,5  N04.  Beim  Zu- 
sammenbringen mit  Salzsäure  geht  sie  unter 
Abspaltung  von  einem  Molekül  Wasser,  indem 
Ringschluß  eintritt,  in  Stypticin  über,  welchem 
die  Formel  II  und  die  Zusammensetzung 
C19  Hu  N03 .  Cl  zukommt.  Letzteres  bildet 
mit  Alkali  wieder  die  Base  zurück 


CH, 


CH,0 

|  CHO 

'       / 


A 


CH3 


+  H  Cl  =  H3  0  4- 


CH, 


CH, 


CH30 


|  CH 


NaCl  =NaOH+  CH,     |  I! 

II 


■•N: 


/Cl 
NCH, 


CH, 


CH2 


Demzufolge  liefern  100  Teile  Stypticin 
92,4  Teile  Base,  100  Teile  des  phtalsauren 
Salzes  (C13  H14  N08)a  Ca  H4  04  dagegen  nur 
78,4  Teile.  Diese  Zahlen  entsprechen  also  den 
krystallwasserfreien  Salzen.  In  der  Tat  wird 
auch  das  Stypticin  von  der  Fabrik  E.  Merck 
in   Darmstadt    wasserfrei    hergestellt.     Da 

l)  Therap.  Monatshefte,  Novemberheft,  1904. 


dieses  Produkt  aber  hygroskopisch  ist,  so 
zieht  es  schon  während  des  Yerpackens  leicht 
etwas  Wasser  an.  Vier  Präparate,  welche 
zu  verschiedenen  Zeiten  im  Laufe  der  letzten 
Jahre  von  mir  bezogen  worden  sind,  ergaben 
bei  100°  getrocknet  einen  Gewichtsverlust 
zwischen  1,5  bis  3  Proz.3).  Dementsprechend 
lieferten  diese  Präparate,  anstatt  der  theo- 
retisch berechneten  92,4  ca.  89  —  90  Proz. 
Base.  Das  von  Knoll  &  Co.  hergestellte 
phtalsaure  Salz  enthält  nach  Dr.  K atz  73  Proz. 
Base.  Diese  Angabe  ist  —  wie  ich  mich 
überzeugt  habe  —  annähernd  richtig.  Die 
Differenz  im  Gehalt  an  Base  zwischen  Styp- 
ticin und  dem  im  Handel  befindlichen  Phtalat, 
beträgt  also  ca.  17  Proz.3),  während  die 
früher  von  mir  für  die  wasserfreien  Salze 
angeführten,  theoretischen  Werte  eine  Diffe- 
renz von  ca.  14  Proz.  aufweisen.  Diese 
Differenz  im  Gehalt  an  Alkaloid  bedingt 
auch  den  geringen  Preisunterschied.  Letzterem 
mochte  ich  indessen  überhaupt  keine  Be- 
deutung beimessen,  weil  ja  die  Preise  von 
den  beteiligten  Fabriken  jederzeit  geändert 
werden  können.  Allein  von  Wichtigkeit  ist 
die  Frage,  ob  das  Phtalat,  trotz  seines  ge- 
ringeren Alkaloidgehaltes,  intensiver  zu  wirken 
vermag,  als  das  Stypticin.  Wenn  dies  der 
Fall  wäre,  so  müßte,  wie  ich  früher  schon 
dargelegt  habe,  Phtalsaure  für  sich  aliein 
innerlich  verabreicht,  eine  mächtige  s  typ  tische 
Wirkung  ausüben.  Zur  exakten  Beantwortung 
dieser  Frage  sind  Versuche  mit  Phtalsaure 
unter  Ausschluß  von  Stypticin  unerläßlich. 
Wie  ich  aus  der  Publikation  des  Herrn  Dr. 
Katz  ersehe,  ist  derselbe  mit  Versuchen 
nach  dieser  Richtung  beschäftigt  und  es  wäre 
erfreulich,  wenn  als  Resultat  der  hier  ge- 
führten Diskussion  die  Klärung  dieser  Frage 
hervorginge. 

')  Herr  Dr.  Katz  gibt  an,  daß  ein  von  ihm 
untersuchtes  Stypticinpr&parat  einen  Gewichtsverlust 
von  10  Proz.  ergeben  habe,  welcher  nahezu  dem 
krystallwasserhaltigen  Salz  C,aH14N(VCl  -+-  2H,0 
entspricht.  Wie  die  Fabrik  von  E.  Merck  in 
Darmstadi  mir  auf  Anfrage  mitteilte,  ist  anfangs 
nach  Einführung  des  Stypticins  für  kurze  Zeit  das 
kry  stall  wasserhaltige  Präparat  in  den  Handel  ge- 
langt, seitdem  wird  aber  das  Stypticin  ausschließ- 
lich im  getrockneten  Zustande  hergestellt. 

3)  In  der  deutsch,  med.  Wochenschrift  1904, 
No.  52,  S.  1937  ist  die  Differenz  zu  niedrig,  näm- 
lich zu  10  Proz.  anstatt  zu  17  Proz.,  angegeben. 


XIX.  Jahrgang.  ] 
Februar  1905.  J 


Mendel,  Flbrolyiin,  eine  neue  Thioiinamlnverbindung. 


93 


Neuere  Arzneimittel. 


Fibrolysin, 
eine  neue  Thiosinaminverbindunjr. 

Von 

Dr.  Felix  Mandel  Essen-Ruhr. 

Obwohl    Hans    von   Hebra   bereits    im 
Jahre  1892  durch  ausgedehnte  Versuche  fest- 
gestellt hat,    daß  wir  in  dem  Thiosinamin 
(Allylsulfoharnstoff)  ein  Mittel  besitzen,  wel- 
ches Lupusherde   zur  Ausheilung  bringt  und 
alle,  gleichgültig  durch  welche  Ursachen  ent- 
standenen  Narbengewebe   durch   Aufquellung 
erweicht  und  beweglicher  macht,  alte  Korneal- 
trübungen  aufhellt,  Drüsentumoren  verkleinert, 
alte   Residuen    üb  erstandener   Entzündungen, 
wo  sie  nur  immer  ihren  Sitz  haben,  zur  Re- 
sorption  anregt,    so   hat   es   doch  sehr  lange 
gedauert,    bis   sich   dieses   neue   Mittel    auch 
nur  die   Anerkennung  eines   kleinen  Kreises 
der    medizinischen    Welt     erringen     konnte. 
Nicht    als    ob    die    Beobachtungen    Heb  ras 
ernsten    Nachprüfongen    nicht    hätten    stand- 
halten können,  im  Gegenteil,  wenn  auch  die 
angegebenen    Heilungsvorgänge     luposer    Er- 
krankungen  von   den  übrigen  Autoren   nicht 
bestätigt  wurden,   so  waren  doch  alle  Beob- 
achter sich  darin  einig,    daß  dem  Thiosin- 
amin   alle   übrigen  Fähigkeiten  innewohnen, 
welche    ihm   Hebra   zugesprochen.     Ja,    die 
meisten   Forscher   waren    sogar    geneigt,    das 
Anwendungsgebiet  dieses  neuen  Medikamentes 
noch     um     ein     beträchtliches     zu     er- 
weitern.    Ohne   auf  die   große   über   dieses 
Mittel  bereits  bestehende  Literatur  näher  ein- 
zugehen, die  schon  von  Juliusberg  (Deutsche 
medizinische  Wochenschrift  1901,  No.  35)  er- 
schöpfend zusammengestellt  und  nachdem  von 
Lewandowsky    (Therapie    der '  Gegenwart, 
Oktober  1903)  vervollständigt  ist,  so  möchte 
ich    doch    kurz   diejenigen   wichtigen    Krank- 
heitszustände     angeben,      bei     welchen     das 
Thiosinamin    bisher    erfolgreich    Verwendung 
gefunden     hat,     ohne     damit    behaupten    zu 
wollen,  das  gesamte  Indikationsgebiet  dieses 
Mittels   geschildert    zu   haben.     Ziemlich  er- 
schöpfend sind  alle  diese  Krankheitsprozesse 
in'  den    wissenschaftlichen   Mitteilungen,   von 
Merck  aufgeführt. 

Nachdem  Hebra  zuerst  mit  Erfolg  bei 
Lupus  und  durch  Lupus  oder  andere  Ursachen 
entstandenen  Narbengewebe  dieses  Mittel 
verwandt  hatte,  bestätigte  zuerst  Hanc  die 
narbenerweichende  Wirkung  des  Thiosinamins, 
das  er  auch  bei  Harnröhrenstrikturen 
erfolgreich  versuchte.  Ferner  Latzko  und 
Kalinczuk,  die  bei  verschiedenen  chro- 
nischen Entzündungsprozessen  der  weiblichen 


Genitalien, z.B.  chronischen  parametralen 
Exsudaten,  gute  Erfolge  erzielten.  Unna 
empfiehlt  es  als  ein  vorzügliches  Mittel  zur 
Beseitigung  von  fibrösen  Tumoren, 
i  (Keloiden)  und  fibrösen  Strängen  auf  dem 
|  Boden  von  Varizen,  Lepromen,  Syphilomen 
und  Lupus.  Juliusberg  benutzte  es  mit 
Erfolg  bei  Skleroderma,  ebenso  Lewan- 
dowsky, der  auf  Grund  eingehender  Unter- 
suchungen auch  für  dessen  Verwendung  bei 
allen  äußeren  und  inneren  Narben,  ganz 
besonders  aber  bei  Adhäsionen,  Verklebun- 
gen und  Verwachsungen  innerer  Organe 
untereinander  und  mit  serösen  Häuten  ein- 
tritt. 

Ferner  wird  das  Mittel  empfohlen  bei 
Herzfehlern  auf  Grund  narbiger  Verände- 
rungen der  Herzklappen,  bei  Pylorusstenose, 
bei  Dupuytrenscher  Kontraktur,  bei  Rhino- 
sklerom  und  schon  von  Hebra  bei  Drüsen- 
tumoren. In  der  Ohrenheilkunde  machte 
man  bei  Schwerhörigkeit,  welche  durch 
narbige  Veränderungen  im  inneren  Ohr  oder 
fibröse  Verwachsungen  der  Gehörknöchel- 
chen entstanden,  von  dem  Mittel  Gebrauch. 
In  der  Augenheilkunde  benutzte  man  es 
zur  Aufhellung  kornealer  Trübungen,  zur 
Beseitigung  iritischer  Verwachsungen, 
sowie  bei  Chorioiditis  disseminata  ex- 
sudativa. 

Wiewohl  in  der  gesamten  Pharm acopöe 
kein  einziges  Mittel  existiert,  welches 
auch  nur  annähernd  dieselbe  Wirkung  wie 
das  Thiosinamin  auszuüben  vermag,  und 
keinem  von  allen  ein  so  ausgedehnter  Wirkungs- 
kreis von  den  Autoren  zugesprochen  wird, 
so  hat  das  Thiosinamin  in  der  allgemeinen 
Praxis  doch  nicht  diejenige  Verbreitung  ge- 
funden, welche  ihm  vermöge  seiner  großen 
praktischen  Bedeutung  zukommt. 

Einem  ausgedehnten  Gebrauch  dieses 
Mittels  steht  hinderlich  im  Wege  seine 
schwere  Löslichkeit  in  Wasser  und  seine 
von  den  meisten  Autoren  festgestellte  Unwirk- 
samkeit bei  innerlicher  Darreichung.  Aber 
die  von  Hebra  empfohlene  subkutane  In- 
jektion einer  löproz.  alkoholischen  Lö- 
sung wird  von  den  meisten  Patienten  so 
überaus  schmerzhaft  empfunden,  daß  eine 
länger  ausgedehnte  Behandlung,  die  nach  der 
Natur  der  Erkrankungen  und  der  Wirkungs- 
weise des  Mittels  meist  notwendig  erscheint, 
undurchführbar  ist.  Auch  der  von  Unna  an 
Stelle  der  Thiosinamin-Injektion  empfohlene 
Gebrauch  von  Thiosinaminseifen  und 
Thiosinamin-Pflastermull     konnte     sich 


94 


M«nd«l,  Fibrolysio,  «In«  neu«  Thioslniminvarblndunf. 


rherapentUch« 
Mnnnt«h«>4le. 


nicht  einbürgern,  weil  sie  nicht  selten  schon 
nach  kurzer  Applikation  starke  Reizerschei- 
nungen hervorriefen,  und  ihre  Anwendung 
nach  der  Lage  der  Dinge  selbstverständlich 
nur  auf  äußerliche  Narben  und  Geschwülste 
beschränkt  bleiben  muß. 

Die  von  Juliusberg  empfohlene  Lösung 
in  warmem  Wasser  und  Glyzerin  ist 
zwar  bei  subkutaner  Injektion  nicht  so 
schmerzhaft  wie  die  alkoholische  Losung,  sie 
hat  aber  den  Nachteil,  daß  das  Thiosinamin 
bei  Erkalten  der  Lösung  sich  wieder  aus- 
scheidet und  vor  jedesmaligem  Gebrauch  von 
neuem  erwärmt  werden  muß.  Durch  das 
häufige  Erwärmen  aber  scheint  nach  meinen 
Beobachtungen  eine  Veränderung  des  Prä- 
parates einzutreten,  die  sich  durch  einen 
starken  Allylgeruch  kennzeichnet  und  die 
auch  wohl  als  der  einzige  plausible  Grund 
anzusehen  ist  für  die  von  vielen  Autoren, 
insbesondere  von  Lewandowsky,  konstatierte 
Tatsache,  daß  die  wässerige  Lösung  in 
ihrer  Wirkung  lange  nicht  so  zuverlässig 
ist  wie  die  alkoholische  Löung. 

Sollte  also  das  Thiosinamin  diejenige 
Verbreitung  und  Anerkennung  finden,  die  es 
vermöge  seiner  ausgedehnten,  zuverlässigen 
und  vielseitigen  Wirkung  verdient,  so  mußte 
ein  Präparat  geschaffen  werden,  welches 
bei  gleichen  pharmakodynamischen 
Fähigkeiten  in  Wasser  löslich  ist,  sich 
nicht  zersetzt  und  in  seiner  Anwendung 
für  den  Patienten  erträglich  bleibt. 

Es  ist  mir  nun  nach  zahlreichen  vergeb- 
lichen Versuchen  gelungen,  ein  Doppelsalz 
herzustellen,  das  in  ähnlicher  Weise  wie  das 
Diu  retin  durch  Verbindung  des  unlöslichen 
Theobromin  mit  Natr.  salicylicum  zu 
einem  in  Wasser  löslichen  Präparate  ge- 
worden ist,  eine  chemische  Verbindung  von 
Thiosinamin  und  Natrium  salicylicum 
darstellt,  und  zwar  verbindet  sich  1  Mol. 
Thiosinamin  mit  einem  halben  Mol.  Natrium 
salicylicum. 

Diese  neue  Verbindung,  welche  nach 
ihrer,  dem  Thiosinamin  gleichen  Wirkungs- 
weise den  Namen  Fibrolysin  führt  und 
von  der  Firma  E.  M  erck  -  Darmstadt 
fabrikmäßig  hergestellt  wird,  stellt  ein  weißes 
krystallinisches  Pulver  dar,  welches  in  warmem 
wie  in  kaltem  Wasser  leicht  löslich  ist. 
Diese  Lösungen  sind  aber  bei  Luft-  und 
Lichtzutritt  nicht  haltbar,  sondern  die  Ver- 
bindung des  Thiosinamin  mit  Natrium  sali- 
cylicum löst  sich  bei  Zutritt  von  Luft  infolge 
von  Oxydations  Vorgängen  wieder.  Es  ist 
deswegen  für  die  praktische  Verwendung  als 
zweckmäßig  befunden  worden,  die  Lösungen 
zum  Gebrauch  fertig  in  zugeschmolzenen 
Ampullen  in  den  Handel  zu  bringen,  in  wel- 


chen sie  dauernd  haltbar  bleiben  und  gleich- 
zeitig alle  Garantien  eines  unzersetzlichen  und 
absolut  sterilen  Präparates  bieten.  Jede  der 
Ampullen,  welche,  um  die  Lichtwirkung  aus- 
zuschalten, aus  braunem  Glase  hergestellt 
sind,  enthält  2,3  ccm  einer  Lösung  Fibro- 
lysins  1,5  :  8,5  Wasser.  Die  Lösungen  sind 
vollständig  und  eine  Stunde  lang  im  Auto- 
klaven auf  115°  erhitzt  worden.  Der  Inhalt 
jeder  Ampulle  entspricht  0,2  Thiosin- 
amin. 

Um  die  beste  Applikationsmethode  für 
den  praktischen  Gebrauch  festzustellen,  haben 
wir  diese  Fibrolysinlosung  sowohl  in  sub- 
kutaner und  intramuskulärerals  in  endo- 
venöser  Anwendung  versucht,  während  wir 
von  einer  internen  Anwendung  wegen  der 
von  den  meisten  Forschern  behaupteten  Wir- 
kungslosigkeit Abstand  nahmen. 

Die  subkutane  Injektion  erfolgt  ent- 
weder in  die  Rückenhaut  zwischen  den 
Schulterblättern,  oder  wo  es  aus  psycho- 
logischen oder  anderen  Gründen  indiziert  er- 
scheint, am  Orte  der  Erkrankung,  so  bei 
Parametritis  chronica  oder  Fibroma  uteri 
unter  die  Bauchhaut,  bei  Ischias  in  die  Gegend 
der  Glutäen,  ebenso  bei  Hautnarben  in  die 
nächste  Umgebung  derselben. 

Die  Injektion,  welche  selbstverständlich 
unter  strengsten  antiseptischen  Kau- 
telen  ausgeführt  werden  muß,  wurde  von 
allen  Patienten  vorzüglich  vertragen,  sie 
erregte  nur  ein  leises,  schnell  vorübergehendes 
Brennen  unter  der  Haut  und  wurde  schnell 
resorbiert,  ohne  Reizerscheinungen  oder  gar 
Abszesse  hervorzurufen.  Nur  in  ganz  ver- 
einzelten Fällen  bildeten  sich  kleine  In- 
filtrate, die  nach  wenigen  Tagen  spurlos 
verschwanden. 

Noch  angenehmer  gestaltet  sich  die 
intramuskuläre  Injektion  von  Fibrolysin 
in  die  Glutäalgegend,  sie  ist  absolut 
schmerzlos,  wird  ebenfalls  schnell  in  die 
Blutbahn  aufgenommen  und  erzeugt  niemals 
Infiltrate  oder  sonstige  Reizerscheinungen. 

Von  besonderem  Interesse  erschien  mir 
die  intravenöse  Applikation  der  sterilen 
Fibrolysinlosung. 

Nachdem  an  der  Vene  frisch  entnommenem 
Blute  festgestellt  war,  daß  die  Fibrolysin- 
losung keine  Gerinnungen  des  Blutes  hervor- 
ruft, und  die  Beobachtung  unter  dem  Mikro- 
skop gezeigt  hatte,  daß  auch  die  korpus- 
kularen Elemente  des  Blutes  in  keiner  Weise 
von  dem  Mittel  in  ihrer  Vitalität  geschädigt 
werden,  war  jede  Gefahr  einer  Embolie 
durch  die  intravenöse  Injektion  auszu- 
schließen. Es  erübrigte  nur  noch,  nach 
den  von  uns  dargelegten  Grundsätzen  für 
die     endovenöse     Therapie     im    allgemeinen 


XIX.  Jahrgang.] 
F»brnar   19nf>.  J 


Mandel,  Fibrolysin,  «in«  neu«  Thiosinamlnverblndung. 


95 


(Therapeutische  Monatshefte,  April  1904)  fest- 
zustellen, wie  sich  das  Endothel  der  Venen 
der  injizierten  Flüssigkeit  gegenüber  verhält. 
Die  praktische  Erfahrung  zeigte  nun,  daß 
weite  Venen  bei  genügender  Stauung  die 
intravenöse  Injektion  der  Fibrolysinlösung 
ohne  Schädigung  vertragen,  sodaß  sogar 
wiederholte  Injektionen  an  derselben  Stelle 
derselben  Vene  gemacht  werden  konnten, 
ohne  zu  Thrombenbildung  Veranlassung  zu 
geben.  Bei  engen  Venen  ist  es  jedoch  in 
vereinzelten  Fällen  zur  Bildung  von  Thromben 
an  der  Injektionsstelle  gekommen.  Wenn  dies 
auch  nur  selten  geschah,  so  gab  uns  die 
Möglichkeit  einer  Thrombenbildung  doch  Ver- 
anlassung, diese  Art  der  Behandlung  nur  auf 
solche  Fälle  zu  beschränken,  bei  denen  1.  die 
Weite  der  Vene  eine  Schädigung  derselben  nicht 
erwarten  ließ,  oder  2.  wo  heftige  Schmerzen 
oder  bedrohliche  Erscheinungen  eine  möglichst 
schnelle  Wirkung  der  Medikation  erheischten, 
denn  die  intravenöse  Infusion  über- 
trifft, wie  wir  das  für  verschiedene  andere 
Medikamente  bereits  nachgewiesen,  (Thera- 
peutische Monatshefte,  April  1904)  auch 
beim  Fibrolysin  an  Schnelligkeit  und 
Sicherheit  der  Wirkung  jede  andere 
Art  der  Arzneianwendung. 

Ich  muß  hinzufügen,  daß  auch  in  den- 
jenigen wenigen  Fällen,  in  denen  eine  Thromben- 
bildung an  der  Injektionsstelle  nicht  verhütet 
werden  konnte,  außer  einer  leichten  Schmerz- 
empfindung absolut  keine  schlimmen  Folgen 
für  den  Patienten  daraus  erwachsen  sind. 

Die  intravenöse  Injektion  hat  aber 
deswegen  für  uns  eine  besondere  Bedeutung, 
weil  sie  besser  als  die  intramuskuläre  oder 
subkutane  Anwendung  nicht  nur  den  Beweis 
liefert  für  die  gleiche  Wirksamkeit  des 
Fibrolysins  wie  des  Theosinamins, 
sondern  weil  sie  uns  gleichzeitig  Aufklärung 
darüber  schafft,  wie  die  merkwürdige  spe- 
zifische Wirkung  dieses  Präparates  auf  das 
Narbengewebe  zustande  kommt. 

Die  intravenöse  Injektion  wurde  so  vor- 
genommen, wie  ich  das  bereits  in  den  Thera- 
peutischen Mqnatsheften  1903/1904  beschrie- 
ben habe,  jedoch  bei  der  großen  praktischen 
Bedeutung  einer  richtig  ausgeführten  Technik 
hier  nochmals  wiederholen  mochte. 

Zur  Injektion  wurde  stets  die  2  g-Spritze 
von  J.  u.  H.  Lieberg  in  Kassel  benutzt,  welche 
Firma  auch  ein  sehr  brauchbares  Besteck 
zur  intravenösen  Therapie  zusammen- 
gestellt hat. 

Nachdem  man  die  Platiniridiumnadel  in 
einem  Reagenzglase  3  Minuten  ausgekocht, 
wird  die  stets  nur  für  dieselbe  Flüssigkeit 
verwendete  Pravazspritze  (am  besten  die 
Liebergsche    ganz    aus    Glas)    mit    dem    ge- 


kochten Wasser  ausgespritzt  und  mit  der 
Arzneiflüssigkeit  gefüllt.  Sodann  wird  der- 
jenige Oberarm,  welcher  die  am  stärksten 
ausgebildeten  Venen  in  der  Ellenbeuge  zeigt, 
mit  der  Gummibinde  so  fest  umschnürt,  daß 
der  arterielle  Zufluß  unbehindert,  der  venöse 
Abfluß  aber  gehemmt  ist.  Zuweilen  sind, 
besonders  bei  nicht  arbeitenden  Frauen  und 
Kindern,  trotz  wiederholter  Stauung,  keine 
Venen  von  genügender  Weite  in  der  Ellen- 
beuge zu  finden,  es  präsentiert  sich  dann 
nicht  selten  auf  der  Streckseite  des  Vorder- 
armes ein  besonders  stark  ausgebildeter  Ast 
der  Vena  basilica,  welcher  sich  zur  Injektion 
eignet.  Um  ein  Ausweichen  der  Vene  zu 
vermeiden,  fixiert  man  mit  dem  Daumen  der 
linken  Hand,  unterhalb  der  mit  Äther  ge- 
reinigten Einstichstelle  das  prall  gefüllte 
Gefäß  und  sticht  mit  der  rechten  Hand  die 
fest  auf  der  von  jeder  Luftblase  befreiten 
Spritze  aufsitzende  Nadel  flach  ein.  Tritt 
eine  Blutsäule,  wie  es  häufig  der  Fall  ist, 
in  die  Spritze  ein,  so  ist  das  ein  Beweis, 
daß  die  Nadel  sich  im  Lumen  der  Vene  be- 
findet, im  anderen  Falle  soll .  man  nie  ver- 
säumen, durch  Anziehen  des  Stempels  sich 
davon  zu  überzeugen.  Steigt  eine  Blutsäule 
in  der  Spritze  auf,  so  entleert  man  langsam 
und  gleichmäßig  den  Spritzeninhalt  in  die 
Vene,  drückt  nach  Ausziehen  der  Nadel  einen 
Wattebausch  auf  die  Einstichstelle  und  ent- 
fernt dann  die  elastische  Ligatur.  Da  der 
Einstich  sofort  verklebt,  ist  ein  Verband 
unnötig. 

Die  intravenöse  Injektion  verläuft, 
wenn  sie  vollkommen  gelingt,  absolut 
schmerzlos.  Besonders  bemerkenswert 
ist  eine  Erscheinung,  welche  sich  bei  allen 
Patienten,  aber  auch  nur  bei  der  endo- 
venösen  Injektion  wiederholt:  kaum  zehn 
Sekunden  nach  derselben  beschwerten  sich 
alle  unaufgefordert  über  eine  ganz  eigen- 
tümliche Geruchs-  und  Geschmacks- 
empfindung, die  ihnen  aber  von  der  Nase 
auszugehen  schien,  einige  Minuten  anhielt 
und  welche  die  einen  als  zwiebel-,  die 
andern  als  senfartig  angaben.  Diese  inter- 
essante Beobachtung  gibt  uns  einen  Beweis 
dafür,  wie  schnell  sich  das  Fibro- 
lysin- in  seine  Komponenten  zerlegt, 
sobald  es  in  die  Blutbahn  gelangt  ist,  und 
daß  deswegen  die  Verbindung  des  Thiosin- 
amins  mit  dem  Natrium  saiieylicum  seine 
ursprüngliche  Wirksamkeit  in  keiner 
Weise  beeinträchtigt. 

Ganz  besonders  wichtig  aber  für  unsere 
Behauptung  einer  gleichen  Wirksamkeit 
von  Thiosinamin  und  Fibrolysin  sind 
diejenigen  Veränderungen,  welche  wir  direkt 
nach    der  Injektion    in    einzelnen    Fällen   an 


96 


Mandel,  Fibrolysin,  «In«  n«a«  Tnlottnamiiiv«rbliiduBg. 


TTherapeutistbe 
L   Momttahefta. 


dem  dem  Auge  zugänglichen  Narbengewebe 
beobachten  konnten  und  welche  uns  auch 
gleichzeitig  über  die  Art  der  Wirkung 
dieses  Medikamentes  Aufklärung  geben. 

Ausgedehnte,  blaurot  verfärbte  Verbren- 
nungsnarben, die  von  der  Schulter  bis  zum 
Gesäß  herabreichten  und  durch  ihre  keloid- 
artigen  harten  Stränge  dem  Patienten  fast 
jede  Bewegung  des  Rumpfes  schmerzhaft  und 
unmöglich  machten,  änderten  fast  direkt 
nach  der  Injektion  ihre  Farbe,  sie  wurden 
deutlich  blasser  und  erhielten  ein  teigig 
gequollenes,  fast  durchscheinendes 
Aussehen.  Bas  ganze  Narbengewebe  machte 
im  Fühlen  und  Aussehen  den  Eindruck, 
als  wenn  es  mit  einer  wasserhellen  Flüssig- 
keit plötzlich  durchtränkt  worden  wäre.  Es 
fühlte  sich  weniger  starr  an  und  ließ  sich 
auch  leicht  und  für  den  Patienten  weniger 
schmerzhaft  zusammendrücken  und  in  Falten 
heben.  Auch  die  Bewegungen  des  Patienten, 
welche  weniger  schmerzhaft  und  auch  er- 
giebiger waren,  zeigten  deutlich,  daß  schon 
eine  einzige  Injektion  durch  Quel- 
lung der  Narben  die  Elastizität  dieses 
starren  Gewebes  beträchtlich  gebessert 
hatte.  Dieser  überraschende  Erfolg  war 
allerdings  kein  dauernder,  sondern  alle  durch 
die  Injektion  aufgetretenen  Veränderungen  des 
Narbengewebes  bildeten  sich  im  Laufe  des 
Tages  zum  allergrößten  Teile  wieder  zurück 
und  erst  durch  wiederholte  Applikation 
konnte  ein  dauernder  Erfolg  erzielt 
werden. 

Ein  ähnliches  Bild  gab  ein  Fall  von 
Hauttuberkulose  am  Daumen  eines  Metz- 
gers. Die  Mitte  der  von  derben,  warzen- 
artigen Knoten  halbkreisförmig  umgebenen 
Hautstelle  war  spontan  ausgeheilt  und  zeigte 
eine  glatte,  dunkelblaurot  verfärbte  Narbe. 
Diese  wurde  sofort  nach  der  Injektion  blaß- 
blau, die  vorher  glänzende  glatte  Fläche 
matt  teigig  und  gequollen. 

Ahnliche  Veränderungen  beobachtete  auch 
Emil  Glas  (Wiener  Klinische  Wochenschrift 
1903,  No.  10)  bei  subkutanen  Injektionen  von 
Thiosinamin,  wenn  auch  nicht  so  akut  wie 
bei  der  intravenösen  Therapie.  In  einem 
Fall  von  Nasen-Rachen-Lues  trat  bei 
einem  Patienten  innerhalb  14  Tagen  nach 
4  Injektionen  einer  15  proz.  alkoholischen 
Lösung  eine  erhöhte  Atemnot  mit  derartiger 
Schwellung  der  subglottischen  Wülste  ein,  daß 
die  Tracheotomie  gemacht  werden  mußte;  in 
einem  anderen  Falle  machte  sich  die  Thio- 
sinaminwirkung  am  Narben gewebe  so  deut- 
lich wahrnehmbar,  daß  nach  einer  Thiosin- 
amin-Injektion  die  in  die  Nackengegend 
appliziert  wurde,  Schmerzen  im  Gaumen 
und  an  den  Tonsillen  auftraten  und  leichte 


Rötung  und  Schwellung  des  Narbengewebes 
konstatiert  werden  konnte. 

Diese  makroskopische  Beobachtung  der 
Fibrolysin-  resp.  Thiosinamin  Wirkung  ent- 
spricht genau  den  histologischen  Ver- 
änderungen, welche  auch  unter  dem  Mikro- 
skop an  dem  mit  Thiosinamin  behandelten 
und  nachher  exzidierten  Narbengewebe  kon- 
statiert werden  konnten:  Die  Grenzen  der 
einzelnen  Bindegewebsfasern  sind  auffallend 
undeutlich,  die  einzelnen  Konturen  verwischt, 
die  Bindegewebskerne  weit  von  einander  ab- 
gedrängt, der  ganze  Strang  zeigt  ein  ge- 
quollenes Aussehen,  die  Bindegewebsfasern 
sind  wulstig  und  gedehnt.  (Glas  1.  c.)  Mikro- 
skopisch wie  makroskopisch  betrachtet, 
müssen  wir  also  die  Wirkung  des  Fibrolysins 
auf  das  Narbengewebe  als  eine  seröse 
Durchflutung  desselben  auffassen,  die  in 
ähnlicher  Weise  wie  die  Bier  sehe  Stau- 
ungstherapie harte  entzündliche  Stränge 
auflockert,  abgelagerte  krankhafte  Produkte 
erweicht  und  zur  Resorption  geeigneter  macht. 

Diese  Annahme  erklärt  aufs  einfachste  die 
so  wunderbar  erscheinende  elektive  Wir- 
kung auf  jedes  Narbengewebe  —  wo 
es  auch  immer  seinen  Sitz  hat  und  auf 
welche  Ursachen  es  auch  immer  zurückzu- 
führen ist. 

Auf  alle  diese  pathologischen  Binde- 
gewebe übt  das  Fibrolysin  in  thera- 
peutischen Dosen  einen  lymphagogen 
Reiz  aus,  während  wir  eine  derartige  Wir- 
kung auf  physiologisches  Bindegewebe  nicht 
beobachten  können.  In  toxischen  Dosen 
jedoch  zeigt  auch  dieses  ähnliche  Ver- 
änderungen wie  das  Narbengewebe,  wie  Lange 
durch  Experimente  an  Fröschen  festgestellt, 
die  nach  Thiosinaminvergiftung  tage- 
lang anhaltendes  Anasarka  bekamen 
(cf.  Lewandowsky,  Therapie  der  Gegen- 
wart 1903). 

Damit  ist  gleichzeitig  das  große  Wir- 
kungsgebiet der  Fibrolysinbehandlung  ge- 
kennzeichnet. Wer  die  Unsumme  von  In- 
dikationen der  Thiosinamin- Therapie  über- 
sieht, dem  möchte  es  beinahe  «so  erscheinen, 
als  sei  mit  diesem  Medikamente  gleichsam 
ein  Allheilmittel  für  die  verschieden- 
artigsten Erkrankungen  gefunden,  und  doch 
ist  es  eine  absolut  spezifische  Wirkung, 
welche  das  Thiosinamin  bei  allen  diesen 
noch  so  verschiedenartig  erscheinenden  patho- 
logischen Veränderungen  der  verschiedenen 
Organe  entfaltet.  Es  ist  immer  dasselbe 
Gewebe,  welches  dem  Fibrolysin  resp.  dem 
Thiosinamin  als  Angriffspunkt  dient,  es  ist 
dies  die  an  Stelle  eines  Organdefektes  neu 
gebildete  gefäßhaltige  Bindegewebssub- 
stanz,   mag   es   sich   nun    um  einen  Pannus 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1906.  J 


M«nd«l,  Flbrolyiin,  «in«  neu«  Thtotinaminvarbindung. 


97 


der  Cornea,  Synechien  der  Iris,  band-  oder 
strangförmige  Adhäsionen  oder  flächenförmige 
Verwachsungen  der  serösen  Häute  handeln. 
Ebenso  sind  aber  auch  die  sehnigen  Trü- 
bungen, Verdickungen  und  Schrumpfungen 
der  Bindegewebshäute  aufzufassen,  wie  wir 
sie  bei  Endokarditis,  Meningitis,  Arthritis 
beobachten.  Auch  die  Wucherung  des 
interstitiellen  Bindegewebes,  wie  sie 
nach  Untergang  der  spezifischen  Gewebs- 
zellen in  parenchymatösen  Organen 
(Leber,  Nieren,  Hoden)  auftritt,  ist  nichts 
anderes,  als  pathologisches  Bindegewebe,  als 
Narbengewebe.  So  tritt  überall,  wo 
Teile  eines  Organes  durch  irgend  welche 
Schädlichkeiten  zu  Grunde  gegangen  sind, 
an  Stelle  der  ursprünglichen  Organzellcn  als 
Narbe  aufzufassendes  Bindegewebe,  welches 
weniger  wegen  seiner  anatomischen  als  seiner 
funktionellen  Eigenschaften  dem  physio- 
logischen Bindegewebe  bedeutend  nachsteht 
und  deswegen  so  häufig  Veranlassung  zu 
therapeutischem  Eingreifen  bietet. 

Abgesehen  davon,  daß  dieses  Narben- 
gewebe sich  nicht  selten  über  den  Bedarf 
hinaus  im  Überschuß  entwickelt  und  sich 
absolut  nicht  so  widerstandsfähig  er- 
weist als  das  physiologische  Bindegewebe, 
hat  es  eine  ausgesprochene  Neigung  zu 
schrumpfen  und  diese  Eigenschaft  ist  es, 
welche  zu  den  schlimmsten  pathologischen 
Zuständen  führt,  wie  wir  sie  bei  den  Ste- 
nosen, Strikturen,  Ankylosen,  Kom- 
pressionen, Knickungen,  Cirrhosen  etc. 
beobachten. 

Die  Fibrolysin  -Therapie  sucht  nun  diese 
Schwächen  des  Narbengewebes  zu 
heben,  den  Überschuß  durch  Anregung  der 
Resorption  zu  beseitigen,  die  Wider- 
standsfähigkeit der  Narben  zu  erhöhen 
und  ihre  Schrumpfung  zu  verhüten  und, 
wo  diese  bereits  eingetreten  ist,  die  Möglich- 
keit zu  schaffen,  sie  durch  Auflockerung 
der  Bindegewebsfasern  wieder  zu  be- 
seitigen. 

Damit  sind  auch  die  Grenzen  der 
Fibrolysinwirkung  festgelegt. 

Eine  bereits  ausgebildete  Stenose  wird 
auch  durch  die  energischste  ■  Fibrolysinbe- 
h and  hing  nicht  erweitert,  wenn  nicht  die 
aufgelockerten  Bindegewebsfasern  durch 
mechanische  Kräfte  gedehnt  werden, 
mögen  diese  nun  durch  das  Organ  selbst 
und  seine  motorische  Funktion  oder  durch 
therapeutische  Maßnahmen  geschaffen 
werden. 

Eine  bis  dahin  starre  Harnröhrenstriktur 
oder  narbige  Oesophagusstenose  wird  nach 
Thiosinaminbehandlung  leicht  durch  Bou- 
gierung  gedehnt  werden  können,    aber  ohne 


diese  auch  nicht  um  einen  Millimeter 
weiter  werden. 

Eine  narbige  Pylorusstenose  wird 
durch  Fibrolysin  aufgelockert,  aber  diese 
Auflockerung  bleibt  ohne  Wert  für  den  Pa- 
tienten, wenn  nicht  die  Muskelkräfte  des 
Magens  stark  genug  sind,  den  aufgelockerten 
Narbenring  zu  erweitern.  Deswegen  warnt 
Baumstark  (Berliner  Klinische  Wochen- 
schrift 1904,  No.  24)  mit  Recht  davor,  bei 
Pylorusverengungen,  wenn  der  Kräftezustand 
außerordentlich  herabgesetzt  ist,  allzulange 
die  Methode  zu  gebrauchen  und  dadurch 
den  richtigen  Moment  zur  Operation  zu  ver- 
passen. Ist  erst  die  motorische  Kraft 
des  Magens  auf  ein  Minimum  herab- 
gesetzt, dann  ist  auch  von  der  Fibrolysin- 
wirkung nichts  mehr  zu  hoffen.  Narbige 
Stränge  zwischen  den  Intestinis  oder  Ver- 
wachsungen der  Pleura  costalis  und  pulmo- 
nalis  werden  durch  Fibrolysin  gelockert  und 
nachgiebig  gemacht.  Die  eigentliche 
Dehnung  geschieht  aber  erst  durch  die 
physiologische  Bewegung  der  betreffen- 
den Organe,  wie  die  narbige  Verkürzung  und 
Formveränderung  der  Herzklappen,  wenn 
sie  mit  Thiosinamin  behandelt  werden,  erst 
durch  die  Kräfte  des  Herzmuskels  und 
durch  den  Druck  der  Blutsäule  gebessert 
werden  können. 

Deswegen  muß  in  allen  Fällen,  wo  es  irgend 
angeht,  wenn  mit  der  Fibrolysinbehandlung 
ein  voller  Erfolg  erzielt  werden  soll,  diese 
durch  mechanische,  hydriatische  und 
elektrische  Maßnahmen  unterstützt  und 
gefördert  werden,  denen  sie  eigentlich  nur 
das  Feld  zu  einer  wirksamen  Therapie 
vorbereitet.  Durch  das  gemeinsame  Zu- 
sammenwirken dieser  Heilmethoden  mit  der 
Fibrolysinbehandlung  wird  dann  selbst  in 
denjenigen  Fällen  noch  ein  Erfolg  erzielt 
werden,  in  denen  bisher  alle  unsere  thera- 
peutischen Maßnahmen  erfolglos  waren. 

Was  die  Dosierung  des  Fibrolysins 
anbetrifft,  so  haben  wir  stets  die  volle 
Dosis,  d.  i.  2, 3g  der  Fibrolysinlösung,  wie 
sie  in  jeder  Ampulle  vorhanden  ist,  zur 
Verwendung  gebracht,  sowohl  bei  subkutaner 
als  intramuskulärer  als  auch  bei  intravenöser 
Applikation.  Da  die  subkutane  und 
intramuskuläre  Anwendung  in  ihrer  Wir- 
kung keine  Differenz  aufweisen,  so  wird 
man  wegen  der  absoluten  Schmerzlosigkeit 
der  Injektion  in  die  Glutäalmuskeln 
den  Vorzug  geben,  wenn  nicht  psycho- 
logische oder  andere  Gründe  eine  subkutane 
Injektion  in  der  Nähe  der  Erkrankungsstelle 
als  zweckmäßiger  erscheinen  lassen. 

Da  das  Fibrolysin  erst  von  der  Blut- 
bahn aus  seine   Wirkung  ausübt,  so  hat  die 


98 


M«nd«l,   Fibrolytto,  «in*  n«u«  Thlotinaminv«rbiadung. 


[  Therapeutisch« 
L   Monatshefte. 


Stelle  der  Injektion  auf  den  Erfolg  der- 
selben keinen  Einfluß. 

Am  wirksamsten  und  zuverlässig- 
sten, sowohl  was  die  Intensität  der  Wir- 
kung als  auch  die  Schelligkeit  des  Erfolges 
anbelangt,  erwies  sich  die  intravenöse 
Therapie,  die  besonders  bei  schmerz- 
haften Affektionen  (Neuritis,  schmerz- 
erregende Adhäsionen  etc.)  oft  schon  nach 
den  ersten  Einspritzungen  die  heftigsten 
Schmerzen  beseitigte,  die  vorher  jeder 
anderen  Behandlung  lange  Zeit  Trotz  ge- 
boten hatten.  Wir  haben  deshalb  in  allen 
Fällen,  welche  einen  möglichst  schnellen 
Erfolg  wegen  der  Schmerzen  oder  wegen 
anderer  bedrohlicher  Folgeerscheinungen  be- 
sonders wünschenswert  erscheinen  ließen, 
stets  mit  der  intravenösen  Therapie 
begonnen  und  sind  erst  dann  zur  sub- 
kutanen oder  intramuskulären  Injektion  über- 
gegangen, wenn  entweder  bereits  eine  Besse- 
rung des  Leidens  eingetreten  war,  oder  wenn 
mangelhaft  entwickelte  Venen  und  die  damit 
verbundene  Gefahr  der  Thrombenbildung  die 
Fortsetzung  der  intravenösen  Therapie  er- 
schwerten. 

Die  Dauer  der  Behandlung  schwankte 
selbstverständlich  je  nach  dem  Charakter 
der  Erkrankung  und  der  mehr  oder  weniger 
intensiven  "Wirkung  des  Fibrolysins.  Der 
erste  Erfolg,  der  in  den  meisten  Fällen 
konstatiert  werden  konnte,  war  ein  Nach- 
lassen der  Schmerzen,  während  die  Er- 
weichung und  Resorption  der  Narbengewebe 
stets  einer  längeren  Behandlung  bedurften. 
Man  muß  sich  indessen  unter  allen  Um- 
ständen davor  hüten,  eine  einmal  be- 
gonnene Kur  zu  frühzeitig  abzu- 
brechen, weil  sonst  nicht  selten  bereits 
erweichte  Narben  in  die  ihnen  eigentümlichen 
Schwächen  der  Starrheit  und  der 
Schrumpfung  wieder  zurückfallen,  son- 
dern die  Kur  muß  fortgesetzt  werden,  bis 
die  Narbengewebe  an  Elastizität  dem 
normalen  Gewebe  nicht  mehr  nach- 
stehen und  alle  Entzündungsreste  ver- 
schwunden sind. 

Die  Zahl  der  Injektionen  schwankte 
in  unseren  Fällen  zwischen  5  und  50.  Die 
Injektionen  wurden  je  nach  der  Schwere 
und  dem  Charakter  der  Erkrankung  alle 
ein  bis  zwei  oder  drei  Tage  wiederholt, 
bis  ein  endgültiger  Erfolg  eingetreten  war 
oder  das  unveränderte  Krankheitsbild  die 
Wirkungslosigkeit  der  Fibrolysin- Therapie 
bewies. 

Unangenehme  Nebenwirkungen  habe 
ich  nach  mehr  als  500  Injektionen  bei 
mehr  als  30  Patienten  nicht  beobachtet, 
trotz    der    hohen   Dosen    Fibrolysin,    welche 


zur  Verwendung  kamen,  weder  Kopfschmerzen, 
noch  Mattigkeit,  noch  Fiebererscheinungen, 
auch  keine  Exantheme,  wie  sie  von  anderen 
Autoren  berichtet  werden. 

Dagegen  konnte  in  den  meisten  Fällen, 
objektiv  wie  subjektiv,  eine  überaus 
günstige  Einwirkung  der  Behandlung  auf 
das  Allgemeinbefinden  konstatiert  werden, 
die  sich  durch  bessere  Färbung  der  Haut 
und  der  sichtbaren  Schleimhäute,  durch  eine 
gehobene  Stimmung,  gesteigerten  Appetit 
und  eine  nicht  selten  ganz  beträchtliche  Zu- 
nahme des  Körpergewichts  erkennen  ließ. 

Auch  der  Warnung  Lewandowskys, 
in  Fällen  eben  abgelaufener  Entzün- 
dung das  Thiosinamin  nicht  oder  nur  mit 
großer  Vorsicht  anzuwenden,  konnte  ich 
nach  meinen  Erfahrungen  nicht  zustimmen, 
weil  wir  selbst,  wenn  derartige  Zustande 
vorlagen,  niemals  ein  Aufflammen  des  ent- 
zündlichen Prozesses  beobachtet  haben. 

Es  würde  zu  weit  führen,  wollte  ich 
über  alle  von  uns  behandelten  Fälle  mit 
Fibrolysin,  über  alle  Erfolge  und  Mißerfolge 
berichten,  zumal  die  meisten  alle  diejenigen 
Beobachtungen  bestätigen,  welche  bereits  von 
anderen  Autoren  gemacht  worden  sind,  nur 
auf  diejenigen  Erkrankungen  möchte  ich 
ausführlicher  eingehen,  welche  der  Fibro- 
lysinbehandlung  gleichsam  ein  neues,  bis- 
her noch  nicht  betretenes  Indikations- 
gebiet eröffnen. 

Einen  absoluten  Mißerfolg  beobach- 
teten wir  in  einem  Falle  von  Mitral- 
insuffizienz nach  Gelenkrheumatismus  bei 
einem  19jährigen  Mädchen.  Der  Zustand 
des  Herzens  bat  sich  trotz  sechswöchentlicher 
intravenöser  Fibrolysinbehandlung  in  keiner 
Weise  verändert. 

Trotz  der  schon  von  Hebra  angegebenen 
verkleinernden  Wirkung  des  Tbiosinamins 
auf  Drüsentumoren,  das  sich  uns  bei  skro- 
fulösen Halsdrüsen  in  zwei  Fällen  auch 
ausgezeichnet  bewährte,  blieb  die  Behand- 
lung einer  lymphatischen  Leukämie  ab- 
solut ohne  irgend  welchen  Erfolg;  ebenso 
in  einem  Falle  von  Erythrozytose  und 
Splenomegalie,  wie  sie  von  Zaudy 
(Münchener  Medizinische  Wochenschrift  1904, 
No.  27)  beschrieben,  wenn  auch  hier  die 
Schmerzen  in  der  Milzgegend  jedenfalls  durch 
Lockerung  der  Verwachsungen  mit  den  Nach- 
barorganen günstig  beeinflußt  wurden. 

Bei  einer  stenosierenden  Narbe  am 
Pylorus  mit  starker  Dilatatio  ventriculi 
gaben  wir  die  Behandlung  auf  und  über- 
wiesen den  Patienten  dem  Chirurgen,  weil 
die  Beobachtung  eine  absolute  Atonie  der 
Magenmuscularis  ergab,  während  eine  andere, 
minder   hochgradige   und   auch  nicht  solange 


XIX.  Jahrgang .1 
Fabruar  1905.  J 


M«nd«l,  Plbrolytln,  «In«  n«u«  Thioiinamin  Verbindung. 


99 


bestehende  Pylorus-Stenose  entschieden 
durch  Fibrolysin  gebessert  wurde.  Der 
Patient,  welcher  bei  flüssiger  und  breiiger 
Ernährung  sonst  alle  zwei  Tage  spontan 
oder  willkürlich  große  Massen  zersetzter 
Speisereste  erbrach,  fühlte  sich  nach  zehn 
intravenösen  Injektionen  bei  gleichbleibender 
Diät  bedeutend  wohl  er,  das  Erbrechen 
horte  auf  und  er  nahm  beträchtlich  an  Ge- 
wicht zu.  Die  Kur  soll  noch  fortgesetzt 
und  auch  allmählich  zu  konsistenter  Kost 
übergegangen  werden. 

Die  energische  Wirkung  der  intra- 
venösen Fibrolysintherapie  konnten  wir 
an  den  bereits  oben  erwähnten  hochgradigen 
Verbrennungsnarben  beobachten,  welche 
von  der  Schulter  über  den  linken  Arm  bis 
zum  Gesäß  sich  erstreckten  und  nicht  nur 
zu  einer  spitzwinkeligen  Ankylose  des 
Ellbogens  geführt  hatten,  sondern  dem 
Patienten  auch  jede  Bewegung  des  Rückens 
unmöglich  machten.  Das  ganze  Narbenge- 
webe,  besonders  am  Gesäß,  war  bretthart 
und  keloidartig  aufliegend,  auf  Druck 
schmerzhaft,  so  daß  Patient  ohne  Schmerzen 
sich  weder  bewegen,  noch  sitzen,  noch  liegen 
konnte.  Er  war  absolut  hilflos  und  sein 
Zustand  trotz  Bäder,  Einreibungen  und  Mas- 
sage seit  drei  Monaten  statt  besser  immer 
schlimmer  geworden.  Auch  die  Überhäutung 
eines  noch  mehr  als  handgroßen  Defektes 
auf  der  linken  Schulter  war  seit  jener  Zeit 
völlig  zum  Stillstand  gekommen.  Schon 
nach  wenigen  Injektionen  verschwand 
die  Schmerzhaftigkeit  der  Narben  voll- 
ständig, sie  wurden  weicher  und  dehnbarer, 
die  Ankylose  lockerte  sich,  sodaß  Pa- 
tient den  Arm  schon  bis  zu  einem  stumpfen 
Winkel  strecken  konnte  und  schon  Dach 
wenigen  Wochen  bereits  wieder  im  stände 
war,  als  Schlächter  zu  arbeiten,  während  er 
sich  vorher  nicht  einmal  selbst  an-  und  aus- 
kleiden konnte.  Auch  die  Überhäutung  des 
noch  vorhandenen  Defektes  machte  trotz  des 
langen  Stillstandes  sichtbare  Fortschritte, 
aber  es  ist  ein  immer  noch  beträchtlicher 
Defekt  geblieben,  der  wahrscheinlich  durch 
Transplantation  gedeckt  werden,  muß,  obwohl 
die  ganze  Narbenfläche,  auch  die  in  der  di- 
rekten Umgebung  der  Wunde,  auffallend 
glatt,  weich  und  dehnbar  geworden  ist. 

Trotz  der  Warnung  Heb  ras  und  Le- 
wandowskys,  bei  eben  abgelaufener  Ent- 
zündung mit  der  Thiosinaminbehandlung  vor- 
sichtig zu  sein,  versuchten  wir  diese  Thera-  ' 
pie  bei  einem  Ulcus  cruris  mit  dicken, 
harten,  kal lösen  Rändern,  das  sich  trotz 
wochenlanger  Bettruhe  und  feuchter  Um- 
schläge mit  essigsaurer  Tonerde  nicht  über- 
häuten   wollte.     Unter  Fibrolysinbehandlung 


flachten  sich  die  harten  Wundränder  ab, 
wurden  weicher  und  glatter,  bis  sie  das  Ni- 
veau der  Wunde  erreichten,  sodaß  schon 
nach  einigen  Wochen  die  vorher  vergeblich 
erstrebte  Überhäutung  des  Geschwürs 
stattfinden  konnte,  obwohl  an  der  lokalen 
Behandlung  nichts  geändert  worden  war. 

Wir  hatten  keine  Gelegenheit,  die  An- 
gaben Heb  ras  über  die  heilende  Wirkung 
des  Thiosinamins  bei  Lupus,  welche  ja 
von  den  meisten  Autoren  bestritten  wird,  mit 
unserm  Fibrolysin  nachzuprüfen.  An  unserm 
bereits  oben  erwähnten  Fall  von  Haut- 
tuberkulose zeigte  sich  aufler  der  deutlich 
lokalen  Reaktion  in  der  Narbe  auch  eine 
merkliche  Involution  der  die  Narben  um- 
gebenden Tuberkel,  die  flacher  und  weicher 
wurden  und,  wie  ich  glaube,  durch  fort- 
gesetzte Fibrolysinbehandlung  auch  zum 
Schwinden  gebracht  werden. 

Der  die  Resorption  befördernde  Ein- 
fluß bei  Exsudaten  der  weiblichen  Ge- 
schlechtsorgane trat  in  2  Fällen  von  chro- 
nischer Parametritis  eklatant  zu  Tage. 
Bei  einer  Frau  handelte  es  sich  um  einen 
von  einem  Cervixriß  ausgehenden  festen 
Strang  im  linken  Parametrium,  welches  der 
sonst  gesunden  Patientin  viele  Schmerzen  be- 
reitete und  allen  medikamentösen  und  physi- 
kalischen Heilversuchen  trotzte.  Subkutane 
Fibrolysininjektion  in  Verbindung  mit  bi- 
manueller Massage  brachte  den  Strang  zur 
Erweichung  und  beseitigte  auch  die  Be- 
schwerden. 

Bei  der  anderen  Patientin  handelte  es 
sich  um  ein  bretthartes  Exsudat,  das, 
vom  linken  Parametrium  ausgegangen,  das 
Rectum  so  fest  umschnürte,  daß  die  da- 
durch behinderte  Defäkation  die  größten 
Schmerzen  bereitete  und  oft  zu  den  bedroh- 
lichsten Erscheinungen  führte.  Spülungen, 
Bäder,  Katapiasma,  Ichthyol-Glyzerintampons, 
alles  blieb  ohne  Erfolg.  Erst  durch  intra- 
venöse Fibrolysinbehandlung  wurde  der 
Resorptionsprozeß  eingeleitet  und  der  struk- 
turierende Ring  um  den  Mastdarm  erweicht 
und  das  lästigste  Symptom  der  Erkrankung, 
die  behinderte  Defäkation,  bald  gehoben. 

Auch  bei  entzündlichen  Ablagerun- 
gen in  parenchymatösen  Organen,  so  im 
Nebenhoden  nach  überstandener  Epidi- 
dymitis  gonorrhoica,  erwies  sich  das 
Fibrolysin  erfolgreich,  während  es  gegen 
ein  hartes,  tuberkulöses  Infiltrat  des 
Hodens  nichts  auszurichten  vermochte. 

Ein  schöner  Erfolg  wurde  bei  einer 
Patientin  erzielt,  die  nach  überstandener 
Pleuritis  nun  schon  monatelang  bei  jedem 
tiefen  Atemzuge  über  schmerzhafte  Stiche  in 
der  erkrankten  Seite  klagte  und  auch  durch 


100 


M«nd«l,  Fibrolyain,  «In«  n«u«  Thloiinaminvarbinduog. 


rherap«uü«cbe 
Mon»twb.effto. 


eine  Badekur  von  diesen  Beschwerden  nicht 
befreit  worden  war.  Es  handelte  sich  jeden- 
falls um  strangartige  Verwachsungen  der 
Pleura  costalis  und  pulmonalis.  Fünf 
Fibrolysininjektionen  intravenös  in  Verbin- 
dung mit  Atmungsgymnastik  beseitigten  in 
3  Wochen  alle  Beschwerden. 

In  einzelnen  Fällen  von  chronischer 
Arthritis,  welche  durch  Exsudations-  oder 
Schrumpfungsprozesse  zu  Ankylosen  geführt 
hatten,  verband  ich  die  von  mir  empfohlene 
intravenöse  Salizylbehandlung  mittels 
Attritin  (Therapeutische  Monatshefte,  April 
1904)  mit  der  Fibrolysintherapie,  Der  Er- 
folg war,  besonders  wenn  außer  dieser  kom- 
binierten Behandlungsmethode  noch 
hydriatische,  thermische  und  mechanische 
Prozeduren  angewandt  wurden,  in  verschie- 
denen Fällen  ein  vorzuglicher  zu  nennen, 
die  Exsudate  verschwanden  schneller  als  bei 
jeder  anderen  Behandlung,  auch  lockerten 
sich  die  Ankylosen  leichter,  besonders  nach- 
dem durch  die  Beseitigung  der  Schmerzen 
nach  Attritin  an  wen  düng  eine  energische 
physikalische  Behandlung  der  erweichten 
fibrösen  Verwachsungen  und  der  aufgelockerten 
Exsudate  möglich  geworden. 

Obwohl  die  fibrösen  Geschwülste 
keine  eigentlichen  Narbengewebe  darstellen, 
so  hat  diese  Art  des  Bindegewebes  mit  den 
Narben  doch  das  gemeinsam,  daß  sie  wie 
diese  nur  eine  geringe  Widerstandskraft 
und  eine  ausgesprochene  Neigung  zur 
Schrumpfung,  aber  auch  zur  Erweichung 
besitzen.  Schon  von  Unna  ist  deshalb 
die  Thiosinaminverwendung  zur  Behandlung 
fibröser  Tumoren  empfohlen  und  mit  Erfolg 
angewandt  worden.  Ernst  (Journal  de 
medecine  de  Paris  1904,  No.  48)  hat  sogar 
bei  voluminösen  Lymphosarkomen  zu 
beiden  Seiten  des  Halses,  die  nach  Exstir- 
pation  rezidivierten,  nicht  nur  ein  Ver- 
schwinden der  Keloide  in  den  Narben, 
sondern  auch  ein  rapides  Kleinerwerden 
der  Geschwülste  nach  Thiosinamin  beob- 
achtet. 

Von  den  3  Fällen  von  Fibromen  des 
Uterus,  die  wir  mit  subkutaner  Fibrolysin- 
injektion  behandelten,  kann  für  uns  nur  einer 
in  Betracht  kommen,  der  genügend  lange  in 
Behandlung  steht,  um  ein  Urteil  über  den 
Wert  der  Medikation  zu  gestatten.  Es  han- 
delt sich  um  eine  69jährige  Frau,  die  an 
einem  kolossalen,  fast  bis  zum  Rippenrande 
reichenden  Fibromyom  des  Uterus  litt  und 
von  dem  behandelnden  Arzte  wegen  der 
großen  Beschwerden,  welche  die  Geschwulst 
verursachte,  dem  Chirurgen  zur  Operation 
überwiesen  werden  sollte.  Da  die  alte,  in 
ihren  Kräften  sehr  reduzierte  Frau  sich  nicht 


dazu  entschließen  konnte,  so  versuchte  ich 
die  Fibrolysinbehandlung.  Der  Erfolg 
war  ein  ausgezeichneter,  die  Beschwerden 
ließen  bald  nach,  die  Geschwulst  war  nach 
dreimonatlicher  Behandlung  und  ca.  40  In- 
jektionen um  Handbreite  zurückgegangen  und, 
was  nicht  zu  unterschätzen  ist,  die  vorher 
leidende  Frau  hat  während  der  Behandlung 
um  ca.  15  Pfund  zugenommen  und  fühlt  sich 
heute  sogar  wohler  als  in  der  Zeit  vor  dem  Auf- 
treten der  Geschwulst.  In  keinem  anderen  Falle 
trat  die  eminent  tonisierende  Wirkung 
des  Fibrolysins  auf  das  Allgemeinbefinden 
so  eklatant  zu  Tage. 

Bei  dem  bereits  besprochenen  ausgedehnten 
Wirkungskreise  des  Fibrolysins  muß  es  fast 
als  gewagt  erscheinen,  das  Indikationsgebiet 
desselben  noch  erweitern  zu  wollen,  und  doch 
hat  uns  dieses  Mittel  bei  zwei  Krankheits- 
formen, welche  jeder  anderen  Therapie 
schwer  zugänglich  sind,  so  vorzügliche  Dienste 
geleistet,  daß  ein  näheres  Eingehen  auf  die 
erzielten  Erfolge  wegen  der  großen  prakti- 
schen Bedeutung  indiziert  erscheint.  Es  sind 
dieses  Fälle  von  chronischer  Neuritis  und 
einer  besonderen  Art  von  traumatischer 
Epilepsie,  die  nicht  nur  nach  unseren  Er- 
fahrungen, sondern  auch  auf  Grund  anatomi- 
scher Beobachtungen  in  das  Gebiet  der 
Fibrolysintherapie  gehören. 

Die  chronische  Neuritis,  mag  es  sich 
nun  um  eine  solche  des  Nervus  ischiadicus, 
brachialis  oder  eines  anderen  peripheren 
Nerven  handeln,  ist  pathologisch-anatomisch 
nicht  selten  als  eine  chronische  Peri- 
neuritis aufzufassen.  Während  sich  an  den 
eigentlichen  Nervenfasern  nur  ganz  mini- 
male, meist  sekundäre  Veränderungen  nach- 
weisen lassen,  zeigt  das  Perineurium  und 
das  den  Nerv  umgebende  Bindegewebe  ganz 
beträchtliche,  makro-  und  mikroskopisch  nach- 
weisbare Störungen.  Bei  geringer  Gefaß- 
neubildung findet  man  im  Perineurium  oft 
derbe,  knotige  oder  spindelförmige 
Schwellungen.  Das  umgebende  Bindegewebe 
ist  nicht  selten  induriert  und  durch  fibröse 
Stränge  mit  dem  eigentlichen  Nervenstamm 
mehr  oder  weniger  verwachsen.  Diese  Ver- 
änderungen des  Perineuriums  sind  es,  die 
durch  Zerrungen  den  eigentlichen  Nerv  nicht 
zur  Ruhe  kommen  lassen  und  durch  Reizung 
der  Nervi  nervo rum  den  ursprünglichen 
Schmerz  unterhalten  und  bei  jeder  Be- 
wegung des  erkrankten  Körperteils  eine  neue 
Schmerzattacke  hervorrufen.  Es  handelt  sich 
also  bei  diesen  chronischen  Neuritidcn  mehr 
um  eine  narbige  Veränderung  des  den 
Nerven  umgebenden  Gewebes  als  um 
eine  eigentliche  Nervenentzündung. 

Auf  diese  anatomischen  Verhältnisse  sind 


XIX.  Jahrgang."! 
Fobmar  1*0*.  J 


Man  dal,   Fibrolytin,  «in«  naua  Thloiinamiovarbindung. 


101 


auch  die  zuweilen  glänzenden  Resultate  der 
chirurgischen  Nervendehnung  zurück- 
zufuhren, die  der  kausalen  Indikation  da- 
durch genügt,  daß  sie  eine  Lösung  des 
Nervenstammes  von  seinen  Adhäsionen  und 
eine  Lockerung  seiner  Verbindung  mit  der 
narbig   entarteten  Nervenscheide   herbeiführt. 

Dieselben  anatomischen  Verhältnisse  er- 
klären uns  aber  auch  die  überraschenden 
Erfolge,  welche  die  Fibrolysinbehand- 
lung  in  intravenöser  Anwendung  in  derartigen 
Fällen  erzielte,  in  welchen  eine  Heilwirkuog 
der  sogenannten  antirheumatischen  oder 
antineuralgischen  Mittel  nach  der  Lage 
der  Dinge  ausgeschlossen  erscheint.  Durch 
die  seröse  Durchtränkung  des  den  Nerven 
umgebenden  Narbengewebes,  wie  sie  dein, 
Fibrolysin  eigentümlich  ist,  werden  die  vorher 
starren  Bindegewebsfasern  aufgelockert  und 
dehnbar,  eingelagerte  Exsudationen  aufge- 
weicht und  zur  Resorption  befähigt.  Da- 
durch wird  das  vorher  indurierte  Peri- 
neurium weicher  und  die  den  Nerven 
zerrenden  Bindegewebsstränge  nachgiebig. 
So  ist  es  zu  erklären,  daß  gerade  in  alten 
Fällen,  in  denen  die  eigentliche  Neuritis 
bereits  abgelaufen  ist,  durch  wenige  intra- 
venöse Fibrolysininjektionen  die  Schmerzen 
beseitigt  werden."  Eklatant  zeigte  sich  dieses 
in  einem  Falle  von  hartnäckiger  Ischias 
scoliotica  bei  einem  32jährigen  Landwirt, 
der  mir  auf  meinen  Wunsch  seine  inter- 
essante Leidensgeschichte  folgendermaßen  mit- 
teilte: 

Vor  etwa  2  Jahren  bekam  ich  heftige 
Schmerzen  in  den  Gesäßmuskeln,  nachher 
auch  noch  in  den  Oberschenkel-  und  Rücken- 
muskeln. Ich  wandte  mich  an  Dr.  W.,  der 
Ischias  feststellte.  Ich  mußte  die  betreffende 
Stelle  einreiben  und  warme  Sandsäcke  auf- 
legen. Die  Mittel  blieben  jedoch  ohne 
Erfolg.  Nun  wandte  ich  mich  an  meinen 
Hausarzt,  Dr.  H.  Dieser  behandelte  die 
Ischias  durch  Einspritzungen  in  den 
Oberschenkel.  Doch  auch  hierdurch  wurden 
meine  Schmerzen  nicht  gelindert,  ging  dann 
nach  Repelen  zum  Naturheilarzt,  Herrn 
Pastor  Felke,  durch  kalte  Bäder,  Lehm- 
umschläge und  vegetarische  Lebensweise  wurde 
die  Krankheit  ebenfalls  nicht  beseitigt,  son- 
dern war,  trotzdem  ich  alles  versucht  hatte, 
in  den  lVa  Jahren  so  schlimm  geworden, 
daß  ich  nicht  mehrgeradegehen  konnte. 
Ich  war  dann  4  Wochen  in  Neubad  Burt- 
scheid  bei  Aachen  zur  Kur,  doch  waren  sowohl 
die  dortigen  warmen  Bäder  (38°)  als  auch  die 
Nachkur  ohne  Erfolg.  Ich  bin  jetzt  seit 
einigen  Wochen  bei  Herrn  Dr.  Mendel  in 
Essen  a.  Ruhr  in  Behandlung  und  sind  die 
Serumeinspritzungen   endlich   von   Er- 


folg gekrönt.  Schon  nach  einigen  Ein- 
spritzungen linderten  sich  die  Schmerzen  und 
sind  jetzt  beseitigt,  sodaß  ich  wieder  gerade 
gehen  und  meiner  Beschäftigung  nachgehen 
kann. 

So  der  Bericht  des  Patienten,  bei  welchem 
der  bemerkenswerte  Erfolg  durch  12  intra- 
venöse Fibrolysininjektionen  erzielt 
wurde.  Der  Erfolg  ist  ein  dauernder  ge- 
blieben. 

Ebenso  beweiskräftig  ist  der  zweite 
Fall.  Fräulein  D.,  18  Jahre,  fiel  vor  vier 
Jahren  bei  Glatteis  so  heftig  aufs  Rückgrat, 
daß  die  Wirbel fortsätze  oberhalb  des  Kreuz- 
beins anschwollen  und  lange  Zeit  beim  Druck 
und  beim  Liegen  schmerzhaft  blieben.  Wäh- 
lend diese  Beschwerden  allmählich  nach- 
ließen, traten  ziehende  Schmerzen  im 
linken  Arm  auf,  die  von  der  Halswirbel- 
säule ihren  Ausgang  nahmen  und,  während 
sie  anfangs  nur  bei  Anstrengungen  auftraten, 
allmählich  immer  lästiger  wurden.  Die  Be- 
handlung bestand  bisher  in  Einreibungen; 
ein  Arzt  empfahl  Operation.  Objektiv  war 
an  dem  sonst  gesunden,  aber  etwas  blaß 
aussehenden  Mädchen  nur  ein  Schmerz- 
punkt an  der  Halswirbelsäule  festzustellen. 
Es  handelte  sich  hier  jedenfalls  um  eine 
traumatische  Neuritis  des  Plexus 
brachialis,  welche  durch  narbigefibröse 
Stränge  im  Foramen  intervertebrale  oder 
sonstige  von  der  Verletzung  herrührende 
narbige  Veränderungen  unterhalten  wurde. 

Schon  nach  der  ersten  intravenösen 
Fibrolysineinspritzung  ließen  die 
Schmerzen  nach,  um  nach  5  Injektionen  bis 
auf  den  heutigen  Tag  (3  Monate  nach  Schluß 
der  Behandlung)  zu  verschwinden. 

Ähnliche  Erfolge  erzielte  ich  in  2  an- 
deren Fällen  von  Neuralgia  ischiadica  und 
brachialis. 

Wir  wissen,  daß  Schädelverletzungen, 
auch  wenn  dieselben  nicht  besonders  schwerer 
Art  gewesen ,  zuweilen  in  der  Großhirnrinde 
und  den  sie  bedeckenden  Hirnhäuten  Ver- 
änderungen hervorrufen,  welche  zu  epilepti- 
schen Anfällen  Veranlassung  geben  können. 
Diese  Form  der  Epilepsie,  die  man  mit 
Rindenepilepsie  bezeichnet,  und  die  sich 
auch  klinisch  durch  den  Charakter  des 
Anfalles  von  der  genuinen  Epilepsie  unter- 
scheidet, hat  schon  so  oft  Veranlassung  zu 
chirurgischen  Eingriffen  gegeben,  daß  wir 
über  die  anatomische  Grundlage  dieser 
Krankheit,  besonders  durch  die  Arbeiten 
von  Bergmann  s  genügend  unterrichtet  sind. 
Es  sind  nun  nicht  immer  Knochensplitter, 
Fremdkörper,  Blutcysten  oder  Abszesse, 
welche  die  Gehirnoberfläche  reizen,  sondern 
nicht  selten  bestehen  als  einzig  nachweis- 


102 


Mendel,  Fibrolytio,  eine  neu«  Thlosinamlnverbindunf. 


rrh«rapeatbeha 
L   Monatshefte. 


bare  Veränderungen,  welche  als  Ursache 
dieser  Erkrankung  angesehen  werden  müssen, 
narbige  Verwachsungsprozesse  zwischen 
Dura  und  Knochen  oder  Dura  und  Arach- 
noidea,  zirkumskripte,  fibröse  Verdickungen 
dieser  Häute  oder  narbige  Stränge  als  Resi- 
duen früherer  Blutextravasate. 

Bei  der  allseitig  anerkannten  und  be- 
währten Wirkung  des  Fibrolysins  auf  der- 
artige Gewebsprodukte,  wo  sie  auch  immer 
ihren  Sitz  haben,  die  durch  diese  Therapie 
erweicht,  gelockert  und  zum  Teil  zur  Re- 
sorption gebracht  werden,  erschien  ein  the- 
rapeutischer Versuch  in  solchem  Falle 
angezeigt,  in  welchem  nach  Art  der  Ver- 
letzung und  der  Erkrankung  eine  andere  Ur- 
sache der  Epilepsie  auszuschließen  war. 

Die  Fibrolysinbehandlung  hat  sich 
mir  bei  einem  derartigen  Patienten  so  vor- 
züglich bewährt,  daß  sich  in  ähnlichen 
Fällen  ein  weiterer  Versuch  mit  dieser  The- 
rapie wohl  verlohnen  würde. 

Fr.  Tr.,  27  Jahre  alt,  Bergmann,  erlitt 
vor  3  Jahren  durch  fallendes  Gestein  eine 
Verletzung  des  rechten  Scheitelbeins.  Ob- 
wohl die  Verletzung,  welche  die  Schädelhaut 
durch  trennte ,  nur  einen  geringen  Blutverlust 
verursacht  hatte,  wurde  Patient  doch  !/a  Stunde 
nach  dem  Unfall  vorübergehend  bewußtlos. 
Ca.  3  Monate  nachher  bekam  der  sonst  ab- 
solut gesunde  Mann  einen  epileptischen 
Anfall,  der  mit  einem  merkwürdigen  Kribbeln 
und  Zucken  im  linken  Arm  seinen  Anfang 
nahm.  Seit  jener  Zeit  haben  sich  diese 
schweren  Anfälle  fast  jeden  Monat  wieder- 
holt, in  der  Zwischenzeit  aber  traten  fast 
wöchentlich  leichtere  Anfälle  auf,  die  mit 
Sausen  im  Kopfe,  Übelkeit  und  Schwindel- 
gefühl einhergingen,  aber  dem  Patienten  das 
Bewußtsein  nicht  vollständig  raubten. 

Objektiv  ist  an  dem  Patienten  nur  die 
6  cm  lange  Hautnarbe  in  der  Gegend  des 
rechten  Scheitelbeins  von  Interesse,  die  mit 
dem  Knochen  nicht  verwachsen  und  auf 
Druck  nicht  empfindlich  ist.  Nach  dem 
ganzen  Verlauf  der  Krankheit  sind  wir  wohl 
berechtigt  anzunehmen,  daß  ein  Bluterguß 
sich  zwischen  die  Hirnhäute  ergossen  hatte, 
der  zuerst  die  Bewußtlosigkeit  nach  dem  Un- 
fall hervorrief,  und  daß  dann  durch  Um- 
wandlung dieses  Blutextravasats  in  Narben- 
gewebe eine  Reizung  der  Gehirnober- 
fläche und  dadurch  die  Rindenepilepsie 
entstanden  ist. 

Vor  ca.  3  Monaten  wurde  mit  der 
Fibrolysinbehandlung  begonnen,  und  zwar 
anfangs  intravenös,  nachher  intramuskulär. 
Seitdem  sind  sowohl  die  großen  wie 
die  kleinen  Anfälle  ausgeblieben.  Der 
Patient  fühlt  sich  absolut  wohl,  hat  ein  viel 


frischeres  Aussehen  wie  früher  und  hat  ca. 
8  Pfund  an  Gewicht  zugenommen. 

Dieser  prompte  Erfolg  veranlaßte  uns 
auch,  in  einem  Falle  von  genuiner  Epilepsie 
die  Fibrolysinbehandlung  zu  versuchen.  Ein 
absoluter  Mißerfolg  aber  belehrte  uns,  daß 
eine  Heilwirkung  dieser  Therapie  nur  bei 
den  geschilderten  Fällen  von  traumatischer 
Epilepsie  zu  erwarten  ist,  hier  aber  in  jedem 
einzelnen  Falle  versucht  werden  sollte,  bevor 
als  ultima  ratio  zu  einem  operativen  Eingriff 
geschritten  wird. 

Ein  weiteres  wichtiges  Indikations- 
gebiet, wenn  auch  vorläufig  erst  nach  theo- 
retischen Erwägungen,  bieten  der  Fibrolysin- 
behandlung alle  interstitiellen  Erkran- 
kungen parenchymatöser  Organe,  mögen 
sich  diese  nun  so  entwickeln,  daß  der  pri- 
märe Untergang  der  parenchymatösen  Zellen 
eine  Wucherung  des  interstitiellen  Binde- 
gewebes hervorruft  oder  in  diesem  sich  zu- 
erst ein  entzündlicher  Prozeß  abspielt,  der 
den  Untergang  der  spezifischen  Gewebszellen 
zur  Folge  hat.  Bei  beiden  Arten  der  Er- 
krankungen entwickelt  sich  interstitielles 
Narbengewebe  mit  allen  Schwächen,  welche 
diesem  Gewebe  eigentümlich  sind,  der  Neigung, 
sich  über  das  notwendige  Maß  hinaus 
zu  entwickeln  und  dann  der  Schrumpfung 
zu  verfallen.  Besonders  durch  letztere  Eigen- 
schaft wird  nicht  nur  die  Blutversorgung  und 
Blutzirkulation  in  den  betreffenden  Or- 
ganen auf  das  empfindlichste  geschädigt, 
sondern  auch  bisher  gesunde  parenchymatöse 
Zellen  werden  außer  Tätigkeit  gesetzt  und 
dem  Untergang  zugeführt.  Dadurch  wird 
ein  Circulus  vitiosus  geschaffen,  dem- 
gegenüber jede  Therapie  machtlos  ist,  die 
nicht  dem  Schrumpfungsprozesse  des  inter- 
stitiellen Narbengewebes  Einhalt  gebietet. 
Leider  fehlte  es  uns  an  geeigneten  Fällen 
von  Hepatitis,  Nephritis,  Orchitis  etc., 
an  welchen  wir  die  Wirkung  des  Fibrolysins 
bei  derartigen  Krankheitsprozessen  hätten  er- 
proben können.  Nach  den  Erfahrungen  aber, 
die  wir  an  anderen  Narbengeweben  gesammelt 
haben,  ist  auch  bei  diesen  Erkrankungen 
mit  einer  im  richtigen  Stadium  konsequent 
durchgeführten  Fibrolysinbehandlung 
ein  guter  Erfolg  zu  erwarten.  Wenn  auch 
keine  Heilung  im  Sinne  der  Regeneration  der 
untergegangenen  Gewebszellen  zu  erreichen 
ist,  so  muß  es  doch  als  wahrscheinsich  gelten, 
daß  durch  unsere  Therapie  wenigstens  der 
fortschreitende  Verfall  aufgehalten 
wird,  zumal  durch  zahlreiche  Untersuchungen 
festgestellt  ist,  daß  das  Fibrolysin  in  keiner 
Art  der  Anwendung  eine  schädliche  Wirkung 
auf  die  Gewebszellen,  weder  auf  das  Nieren-, 
noch    auf  das  Leberparenchym   ausübt,    nie- 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1905.  J 


Referate. 


103 


mals    Albuminurie    oder   Ikterus    her- 
vorruft. 

Fassen  wir  noch  einmal  die  Erfolge  der 
Fibrolysinbehandlung  und  ihre  Vorzüge  vor 
dem  bisher  verwendeten  Thiosinamin  zu- 
sammen : 

1.  Das  Fibrolysin  hat  dieselben  phar- 
makodynamischen  Eigenschaften 
wie  das  Thiosinamin,  vor  dem  es 
folgende  Vorzüge  besitzt: 

2.  Es  ist  sowohl  subkutan,  intra- 
muskulär,   als    auch    intravenös 


ohne  besondere  Belästigung  oder 
Schädigung  des  Patienten  zu  ver- 
wenden. 

3.  Es  ist  leicht  löslich  und  wird  des- 
wegen schneller  resorbiert  und  ist  des- 
halb wirksamer  als  das  Thiosinamin. 

4.  Die  Herstellung  der  Fibrolysinlösung 
in  Ampullen  ermöglicht  dem  Arzte 
die  billigste  An wendungs weise  und 
leistet  gleichzeitig  Garantie  für  ein 
absolut  steriles  und  unzersetztes 
Medikament. 


Referate. 


(An»  der  inneren  Abteilang  de«  Charlottenb.  Krankenhaute«.) 

Neuere  Erfahrungen  Ober  die  Therapie  der  per- 
niziösen Anämien.   Von  Prof.  Dr.  E.  Grawitz. 

Wie  bei  so  vielen  Krankheitsformen,  so  hat 
man  sich  auch  bei  der  perniziösen  Anämie  viel 
mit  pathologisch- anatomischen  Untersuchungen 
befaßt,  über  die  praktisch  wichtigsten  Punkte 
aber,  die  Ätiologie  und  die  Therapie,  nichts  Sicheres 
zu  eruieren  vermocht. 

Weder  die  histologischen  Forschungen  am 
zirkulierenden  Blut  noch  die  Organbefunde  an 
der  Leiche  haben  eine  primäre  Erkrankung  des 
Blutes  selbst  oder  der  blutbildenden  Organe  er- 
weisen können,  dagegen  glaubt  Grawitz  auf 
Grund  seiner  klinischen  Beobachtung  und  Unter- 
suchung, daß  es  sich  hier  um  eine  sekundäre 
schwere  Degeneration  der  Blutzellen  (mit  starker 
regenerativer  Tätigkeit  des  Knochenmarks)  handelt, 
die  durch  Gift.wirkung  auf  die  Erythrozyten 
zu  erklären  ist.  Diese  Gifte  bilden  sich  (abge- 
sehen von  Blei-,  CO-,  Arsen-,  Morphin  Vergif- 
tung etc.)  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  im  In- 
testinaltraktbei  fehlerhaftem  Abbau  der  Eiweiß- 
moleküle und  aus  Wucherung  und  Toxinbildung 
saprophytischer  und  pathogener  Mikroorganismen 
in  den  Ingestis,  kommen  von  dort  zur  Resorption 
und  wirken  bei  disponierten  Individuen  als  spezi- 
fische Blutgifte. 

Da  sie  einstweilen  nicht  durch  chemische 
Analyse  der  Körpersäfte  nachgewiesen  werden 
können,  so  muß  man  rein  empirisch  prüfen,  ob 
durch  eine  Beseitigung  der  supponierten  Gift- 
bildung im  Darm  die  Degeneration  der  Erythro- 
zyten zu  beeinflussen  resp.  zu  heben  und  die 
Blutbildung  zur  Norm  zurückzuführen  ist.  Diese 
Prüfung  ist  bisher  leider  unterlassen  worden, 
sogar  von  Autoren,  die  wie  v.  Hößlin  (M.  m. 
W.  1903,  No.  16)  und  Krokiewicz  (Wien.  kl. 
Wochenschr.  1903,  No.  19)  die  enterogene  Ent- 
stehung der  Krankheit  anerkennen.  Bloch  da- 
gegen (Arch.  f.  kl.  Med.  1903,  S.  177)  bekämpft 
sie,  ohne  die  von  Grawitz  erprobte  Therapie 
versucht  zu  haben.  Verf.  zeigt  deshalb  an  fünf 
konkreten  Beispielen  die  Erfolge  seiner  Be- 
handlung. 

Die  typische  perniziöse  Anämie  mit  den  be- 
kannten Blutveränderungen,  Ödemen,  Hämorrha- 


gien  und  schwerer  Prostration  war  verbunden  mit 
kariösen  Zähnen,  Mangel  freier  Salzsäure  und 
motorischer  Schwäche  des  Magens,  den  günstig- 
sten Bedingungen  für  die  intestinale  Entwicke- 
lung  von  Giften. 

Die  Behandlung  bestand  in  vegetabilischer 
Ernährung,  Magen-  und  Darmspülungen,  Dar- 
reichung von  Zitronenlimonade,  Salzsäure,  event. 
Solut.  Fowleri  (nötigenfalls  Eiweißzufuhr  per 
Rectum).  Die  Wiederherstellung  der  Patienten 
von  dem  sonst  als  unheilbar  geltenden  Leiden 
spricht  für  die  Richtigkeit  von  Grawitz'  An- 
schauung. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  No.  30.) 

Esch  (Bendorf). 

Bemerkungen  zur  Frage  der  Heilstfittenbehandlung 
Lungenkranker.  Von  Dr.  med.  G.  Schröder, 
dirig.  Arzt  der  Heilanstalt  Schömberg. 

In  nüchterner  und  sachlicher  Würdigung 
des  von  Freunden  und  Gegnern  der  Heilstätten- 
behandlung Vorgebrachten  betont  Verf.  zunächst, 
daß  das  Wort  „Heilung"  aus  den  Statistiken  der 
Anstalten  verschwinden  müsse,  da  es  sich  hier 
nur  um  Hebung  der  Widerstandsfähigkeit  und 
um  Erweckung  des  Verständnisses  für  eine  ge- 
sundheitsgemäße Lebensweise  bei  den  Kranken 
handeln  könne.  Er  warnt  sodann  vor  dem 
Schematisieren  in  der  Behandlung,  besonders 
betr.  der  Liegekur,  unter  dem  Hinweis,  daß  die 
Schonungstherapie  der  Privatanstalten  in  den 
Volksheilstätten  ihres  Zwecks  wegen  zu  be- 
schränken sei.  Dasselbe  gilt  von  dem  vielfach 
getriebenen  Luxus,  der  nicht  nur  überflüssig, 
sondern  direkt  schädlich  ist. 

Die  dort  zu  sparenden  Mittel  würden  besser 
für  Genesungsheime,  Wohnungshygiene,  Fa- 
milienversorgung und  zur  Fürsorge  für 
skrofulöse  Kinder  etc.  verwandt.  Besonders 
kommen  die  (auch  von  Esc  hie  empfohlenen) 
ländlichen  Kolonien  ev.  Arbeitssanatorien  in  Be- 
tracht. 

Auch  betr.  der  Aufnahmebedingungen  wird 
vor  allzu  schematischem  Vorgehen  gewarnt. 
Speziell  die  Tuberkulindiagnostik,  deren 
Unschädlichkeit  dem  Verf.  nicht  einmal  genügend 
sichergestellt   erscheint,    hat  den  Nachteil,    daß 


J 


104 


Referate. 


("Therapeutisch« 


sie  auch  völlig  latente,  z.  B.  Lymphdrüsen- 
tuberkulose anzeigt.  Solange  man  mit  ihr  nicht 
wirklich  Kranke  von  nur  latent  Tuberkulösen 
sichten  kann,  sollte  ihre  Anwendung  vermieden 
werden,  da  man  sonst  fast  s/3  der  Menschheit 
internieren  müßte.  (Ebenso  ist  nach  Citron, 
Deutsche  Med.-Ztg.  No.  84  u.  89,  1903,  auch  die 
übertriebene  Forderung  Sobottas  zurück- 
zuweisen, daß  nur  Leute  mit  Temperaturen  unter 
37,3°  Aufnahme  finden  dürfen,  Fortschr.  d.  Med. 
No.  17,  1903.) 

(Deutsche  Med.-Ztg.  No.  62,  1903.) 

Esch  (Bendorf ). 

Die    Aufnahme    von    Nichttuberkulösen    in    die 
Lungenheilanstalten.    Von  Dr.  G  e  o  r g  L  i  e  b  e. 

Verf.  meint:  "Wenn  die  krankmachenden 
Momente  in  der  schlechten  Wohnung,  dem  Alko- 
holismus, dem  ungesunden  Beruf  liegen,  so  kann 
man  entweder  sagen:  die  Heilstätten  nützen 
nichts,  denn  nach  der  Kur  wirken  die  alten 
Schädlichkeiten  doch  wieder  ein,  oder  man  sagt: 
alle  die  Lungenkranken,  die  unsere  Hilfe  suchen, 
solche  mit  und  solche  ohne  Bazillen,  auf  Tuber- 
kulin reagierende  und  nichtreagierende,  sind 
durch  dieselben  Faktoren  krank  geworden.  Was 
geht  sie  unsere  Wissenschaft,  was  gehen  sie 
unsere  Bazillen,  unsere  — ine  an.  Sie  haben, 
wenn  sie  sonst  in  gleicher  Lage  sind  (z.  B.  An- 
gehörige einer  Invalidenversicherung),  das  gleiche 
Recht  an  uns,  wieder  gesund  gemacht  zu  werden, 
wenn  wir  die  Mittel  dazu  haben. 

Diese  Mittel  haben  wir  aber  bei  den  Nicht- 
tuberkulösen noch  viel  sicherer  als  bei  den  Tuber- 
kulösen. 

Dazu  kommt,  daß  die  beiden  garnicht  so 
reinlich  voneinander  zu  scheiden  sind.  Wenn 
man  in  den  Volksheilstätten  neuerdings  nur 
noch  Fälle  mit  positiver  Tuberkulinreaktion  auf- 
nehmen will,  so  läuft  man  bei  der  enormen 
Verbreitung  der  Tuberkulose  (nach  Nägeli, 
Lubarsch,  Wolff,  Liebe,  v.  Behring  bis  zu 
100  Proz.)  große  Gefahr,  einen  gewissen  Prozent- 
satz latenter  Tuberkulosen  zur  Behandlung  zu 
erhalten,  die  auch  ohne  Behandlung  nie  erkrankt 
wären.  Man  färbt  also  die  Kurresultate  schön. 
Die  Anstalten  sind  aber  dazu  da,  Erkrankte  zu 
behandeln  (Schröder).  Nach  Pischinger  fehlt 
der  Beweis,  daß  nur  Tuberkulöse  und  diese 
immer  reagieren,  nach  Schudt,  Pickert, 
Schröder  etc.  die  genügende  Sicherstellung  der 
Unschädlichkeit  des  Tuberkulins. 

Andererseits  ist  die  Befürchtung,  daß  die 
Nichttuberkulösen  in  den  Anstalten  angesteckt 
werden,  nach  Ritter,  Rumpf,  Joel  (1901) 
und  nach  Leube,  Senator,  Ewald,  Für- 
bringer,  Krönig,  Lazarus  (Tuberkulose- 
konferenz 1902),  ferner  nach  Pischinger, 
Nahm,  Michaelis,  Brehmer,  Haupt  gegen- 
standslos. Verf.  empfiehlt  den  Bakterio-  und 
Phthiseophoben  die  Schriften  von  Marti  us, 
llueppe,  Riffel,  Winternitz,  Rosenbach, 
Nauß,  Schweizer. 

(Ärstl.  Rundschau  1904,  No.  9.) 

Esch  (Bendorf J. 


(Aus  der  Landes-Heil«  und  Pflege-Anstalt  Uchtspringe.) 
i.  Zur  Schilddrüsenbehandlung  des  angeborenen 

Myxödems.     Von  K.  Alt.     Münchener  med. 

Wochenschr.  1904,  No.  28. 
a.  Ober  Behandlung  des  endemischen  Kretinismus 

mit    Schilddrüsensubstanz.      Von    Prof.   Dr. 

J.  Wagner  v.  Jauregg.      Wiener  klinische 

Wochenschr.  1904,  No.  30. 

1.  Der  wahrhaft  bewunderungswürdige  thera- 
peutische Effekt  der  Thyreoidinbehandlung  bei 
angeborenem  myxödematösen  Blödsinn,  spora- 
dischem Kretinismus  wird  an  einer  Anzahl  von 
Fällen  demonstriert.  Verf.  gibt  bei  diesem  Leiden, 
als  dessen  Ursache  Syphilis  bezw.  Tuberkulose 
der  Eltern  verdächtig  ist,  nach  Hebung  des  Er- 
nährungszustandes und  vorbereitender  Jodkur 
anfangs  alle  zwei  Tage,  später  täglich  eine 
Tablette  Thyreoidin  Merck  a  0,1,  was  bei  ge- 
nügender Kontrolle  von  Herztätigkeit  und  Er- 
nährungszustand jahrelang  fortgesetzt  werden 
kann. 

Zur  Erklärung  dieser  Wirkung  geht  Verf. 
von  der  Annahme  aus,  daß  die  nach  Ausfall  der 
Schilddrüsentätigkeit  beim  Menschen  beobachteten 
Vergiftungserscheinungen  ausgelöst  sind  durch 
Stockung  der  intermediären  Eiweißspaltung,  durch 
aufgehäufte  und  am  weiteren  Abbau  behinderte 
Stickstoffzerfallprodukte.  Durch  anderweitige  Ein- 
führung von  Schilddrüsensubstanz  oder  Bau- 
mann sehen  Thyreojodins  wird  nun  die  eigent- 
lich einem  von  der  Schilddrüse  erzeugten 
Ferment  zufallende  Eiweißoxydation  ausreichend 
ersetzt. 

Betreffs  der  auf  krankhaft  gesteigerte 
Schilddrüsentätigkeit  zurückgeführten  Basedow- 
schen Krankheit  schlägt  Verf.  Einführung  stick- 
stoffreicher Kost  vor,  da  alsdann  gewissermaßen 
eine  natürliche  Verwendung  für  das  überschüssig 
produzierte  Ferment  stattfände,  und  glaubt,  daß 
Versuche  in  dieser  Richtung  den  Vorzug  ver- 
dienen vor  dem  M  ö  b  i  u  s  sehen  Serum  bezw. 
der  L  a  n  z  sehen  Milch  thyreoidektomierter 
Ziegen. 

2.  Verf.,  der  die  Behandlung  des  endemischen 
Kretinismus  mit  Schilddrüsensubstanz  von  Staate 
wegen  geregelt  sehen  möchte,  hat  vorläufig  an 
72  Kranken  Beobachtungen  angestellt,  auf  Grund 
deren  er  die  Wirksamkeit  dieser  Behandlung  be- 
jahen kann.  Er  sah  Steigerung  des  Längen- 
wachstums, Verlust  des  schwammigen  gedunsenen 
Aussehens,  der  kretinischen  Physiognomie,  der 
Kröpfe,  Besserung  des  Allgemeinbefindens,  der 
Appetenz,  der  geistigen  Regsamkeit,  des  Sprach- 
und  Gehörvermögens. 

Er  gab  täglich  eine,  bei  ganz  kleinen 
Kindern  eine  halbe  Tablette  ä  0,324  Schild- 
drüsensubstanz von  Burroughs  Wellcome  &  Co., 
später  in  Österreich  selbst  hergestellte  mit 
gleichem  Erfolg. 

Esch  (Bendorf). 

Ober  das  Milzbrandserum  und  seine  praktische 
Anwendung.  Von  Prof.  G.  Sobernheim 
(Halle  a.  S.). 

Sobernheim  führte  die  Kombination  der 
aktiven  (Pasteur)  Impfung  mit  künstlich  ab- 
geschwächten Kulturen  und  des  schon  im  Jahre 


\ 


XI2L  Jafcrgmnff.1 
Februar  1905.  J 


Referate. 


105 


1895  durch  Sclavo  und  Marchoux  erwähnten 
Milzbrandserums  ein.  Die  Zahl  der  Impfungen 
belauft  sich  bisher  auf  nahezu  75000,  wovon 
der  weit  überwiegende  Anteil  auf  Rinder  ent- 
fällt, während  12  000—13  000  an  Schafen  und 
zirka  2000  an  Pferden  vorgenommen  wurden. 
In  erster  Linie  ist  an  diesen  Impfungen  Süd- 
Amerika  (Argentinien  und  Uruguay)  beteiligt, 
woselbst  Sobernheim  Gelegenheit  hatte,  auf 
einer  Reihe  größerer,  von  Milzbrand  stark  heim- 
gesuchter Estancias  (Farmen)  die  neue  Schutz- 
impfungsmethode unter  eigener  Leitung  und 
dauernder  Kontrolle  zur  Anwendung  zu  bringen. 
Eine  solche  Simultanimpfung  wurde  auch  schon 
bei  der  Rinderpest  von  Kolle  und  Turner, 
und  beim  Rotlauf  von  Lorenz  in  ganz  analoger 
Weise  angewendet.  Das  Milzbrandserum  wird 
zu  diesem  Zwecke  gleichzeitig  mit  einer,  in 
ihrer  Virulenz  etwas  abgeschwächten  und  etwa 
dem  Pasteurschen  Yaccin  2  gleichkommenden 
Milzbrandkultur  eingespritzt.  Während  anfäng- 
lich gleich  Mischungen  der  beiden  Impfstoffe 
zur  Verwendung  gelangten,  wurde  späterhin  aus 
besonderen  Gründen  eine  getrennte  Injektion 
von  Serum  und  Kultur  vorgezogen  und  alsbald 
durch  zahlreiche  Experimentaluntersuchungen 
der  Beweis  erbracht,  daß  Schafe  sowohl  wie 
Rinder  auf  diesem  Wege  gegenüber  der  sub- 
kutanen und  stomachalen  Milzbrandinfektion 
sicher  geschützt  werden  können.  Bei  Rindern 
und  Pferden  wird  das  Serum  jetzt  in  Mengen 
von  5  ccm,  bei  Schafen  in  der  Dosis  von  4  ccm 
angewendet,  während  die  Kulturdosis  0,5  ccm, 
bezw.  0,25  ccm  beträgt. 

Seit  dem  Jahre  1902  hat  die  chemische 
Fabrik  £.  Merck  die  Herstellung  des  Milzbrand- 
serums im  großen  übernommen  und  zu  diesem 
Zwecke  eine  eigene  Anstalt  in  Halle  a.  S.  er- 
richtet. 

Die  Verbesserung  des  kombinierten  Sobern- 
heim sehen  Serums  gegenüber  dem  Pasteurschen 
besteht  darin,  daß  die  kombinierte  aktive  und 
passive  Immunisierung  bei  mindestens  gleicher, 
wenn  nicht  überlegener  Wirksamkeit  nur  eine 
einmalige  Behandlung  der  Tiere  erforderlich 
macht,  während  bei  dem  Pasteurschen  Ver- 
fahren einer  ersten,  rein  vorbereitenden  Impfung 
nach  etwa  zwei  Wochen  die  zweite,  erst  wirk- 
lich immunisierende  Injektion  folgen  muß.  Es 
kommt  ein  weiterer  Vorteil  der  Simultanimpfung 
hinzu,  daß  die  Immunität  sich  schon  10  bis 
12  Tage  nach  der  Impfung  einstellt,  während 
dies  bei  dem  Pasteurschen  Verfahren  erst  eben 
so  lange  Zeit  nach  der  zweiten  Injektion,  also 
im  ganzen  3 — 4  Wochen  nach  Beginn  der  Be- 
handlung der  Fall  ist.  Auch  sprechen  viele 
Beobachtungen  dafür,  daß  der  Impfschutz  den 
der  Pasteurschen  Methode  übertrifft.  Endlich 
kann  das  Serum  auch  für  sich  allein  zu  thera- 
peutischen Zwecken  Verwendung  finden,  während 
die  Pas teur sehe  Methode  eine  reine  Schutz- 
impfung darstellt  und  daher  lediglich  über  pro- 
phylaktische Wirksamkeit  verfügt. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  No.  26  und  27.) 
Arthur  Rahn  (CollmJ. 


v  Ein  Fall  von  schwerer  allgemeiner  Sentit  mit 
Antlttreptokokkeneernm     gehellt.    Von   Dr. 

Manfred  Fraenkel  (Berlin).  Deutsche  med. 
Wochenschr.  1904,  No.  33.   Separatabdruck. 

a.  Ober  einen  Fall  puerperaler  Infektion,  geheilt 
unter  Anwendung  des  Aronsonschen  Anti- 
streptokokkenserntns.  Von  Dr.  Felix  Opfer 
(Berlin).  Ebendaselbst  1904,  No  33.  Separat- 
abdruck. 

3.  Aronsonsches  Antistreptokokkenserum  bei  puer- 
peraler Sepsis.  Von  Dr.  Ho  ff  mann  (Salz- 
wedel). Ebendaselbst  1904,  No.  46.  Separat- 
abdruck. 

1.  Fraenkel  schildert  einen  Fall  von  über- 
aus schwerer  Sepsis,  der  durch  Anwendung  von 
Anüstreptokokkenserum  geheilt  wurde. 

Ein  sechsjähriges  Kind  erkrankte  plötzlich 
unter  starkem  Fieber  (39,5°),  Kopfschmerzen, 
Erbrechen  und  heftigen  Schmerzen  im  Bein.  Am 
Knie  fand  sich  ein  markstückgroßer,  oberfläch- 
licher, schmierig  belegter  Hautdefekt,  dessen 
Umgebung  gerötet  und  geschwollen  war.  Ein 
roter  Strang  zog  sich  nach  der  Inguinalfalte 
hin,  woselbst  eine  pflaumengroße,  stark  schmer- 
zende Schwellung  vorhanden  war.  Die  Infektion 
war  durch  einen  Fall  vor  8  Tagen  zu  stände  ge- 
kommen. Am  dritten  Tage  hatte  sich  ein  typi- 
sches Erysipel  ausgebildet,  gegen  welches  Un- 
guentum  Crede  resp.  Unguentum  cinereum  ver- 
ordnet wurde.  Es  entwickelte  sich  nun  das 
Bild  einer  allgemeinen  Sepsis:  wiederholte 
Schüttelfröste,  hohe  Temperatur  bis  40,5°,  jagen- 
der Puls.  Am  6.  Tage  der  Erkrankung  wurde 
eine  Injektion  von  20  ccm  Aronsonschem  Anti- 
streptokokkenserum vorgenommen,  die  im  Laufe 
des  Tages  wiederholt  wurde.  Am  nächsten  Tage 
begannen  die  Temperatur  zu  sinken  und  die 
sämtlichen  Erscheinungen  zurückzugehen.  Die 
vollständige  Heilang  wurde  nur  vorübergehend 
durch  das  Auftreten  eines  Abszesses  gestört,  der 
eine  Inzision  erforderlich  machte. 

2.  Opfer  beschreibt  einen  Fall  von  puer- 
peraler Infektion  mit  Schüttelfrösten,  hoher  Tem- 
peratur und  frequentem  Puls.  Am  dritten  Tage 
wurden  40  g  Antistreptokokkenserum  injiziert, 
aber  Temperatur  und  Puls  begannen  erst  zu 
sinken,  als  am  folgenden  Tage  weitere  60  g 
injiziert  worden  waren.  Am  6.  Krankheitstage 
zeigten  Puls  und  Temperatur  von  neuem  einen 
Anstieg,  8  od  aß  wiederum  eine  Injektion  von  60  g 
vorgenommen  wurde.  Ein  Ausbruch  von  Urti- 
cariaquaddeln,  der  unter  Schüttelfrost  und  Tem- 
peraturanstieg auf  40,3°  erfolgte,  war  auf  das 
Serum  selbst  zurückzuführen,  ebenso  ein  stark 
juckendes  Exanthem,  das  mit  Gelenkschwellungen 
am  18.  Tage  auftrat. 

3.  Der  von  Hoff  mann  beschriebene  Fall 
von  puerperaler  Sepsis  betraf  eine  Mehrgebärende, 
die  am  4.  Tage  nach  der  Geburt  unter  Schüttel- 
frost und  Anstieg  der  Temperatur  und  der  Puls- 
frequenz erkrankte.  Am  4.  Tage  der  Erkrankung 
wurden  40  g,  an  den  beiden  folgenden  Tagen 
je  20  g  und  nach  eintägiger  Pause  wiederum 
40  g  Antistreptokokkenserum  injiziert.  In  der 
nächstfolgenden  Nacht  machte  ein  schwerer 
Kollaps  die  Anwendung  von  Exzitantien  erforder- 
lich; ferner  wurde  am  nächsten  Tage  eine  Trans- 
fusion von  500  ccm  der  Landererschen  Flüssig- 


106 


Referate. 


[Therapeutische 
L   Monatshefte. 


keit  (Kochsalz  3,5,  Zacker  15,0,  Natronlauge 
gutt.  I,  Wasser  500)  vorgenommen.  Die  Besse- 
rung im  Befinden  schritt  von  nun  an  stetig  vor- 
wärts. Nebenwirkungen  des  Serums  wurden  in 
diesem  Falle  nicht  beobachtet. 

Jacobson. 

Einiges  über   den  Gebrauch  des  Morphiums  bei 
Herzkranken.    Von  K.  Graßmann,  München. 

Gr  aß  mann  bedauert,  daß  außer  Rosen- 
bach, mit  dem  er  in  den  meisten  Punkten 
übereinstimmt,  bisher  noch  kein  Autor  sich  ein- 
gehender mit  diesem  Thema  befaßt  habe.  Er 
kommt  für  seine  Person  zu  folgenden  Schlüssen: 

Es  besteht  keine  Berechtigung,  das  Morphium 
innerhalb  der  gebräuchlichen  Dosen  als  Herzgift 
anzusehen  und  deshalb  seine  Anwendung  bei 
Herzkranken  prinzipiell  zu  verwerfen. 

Die  plötzlichen  Todesfälle,  die  sich  bei 
morphinisierten  Herzkranken  dann  und  wann 
ereignen,  sind  bezüglich  ihrer  Ursache  noch 
unklar,  aber  wenn  auch  nicht  stets,  wie  Rosen- 
bach will,  so  doch  meistens  auf  das  Grund- 
leiden  zurückzuführen. 

Über  die  Indikationen  des  Morphiumge- 
brauches  bei  den  verschiedenen  Arten  der 
Herzkrankheiten  gehen  die  Anschauungen  der 
Autoren  noch  beträchtlich  auseinander,  und  es 
würde  sich  empfehlen,  an  einem  großen,  klinisch 
beobachteten  Material  präzisere  Indikationen 
aufzustellen. 

Die  Anwendung  des  Morphiums  bei  Herz- 
schwachen und  Herzkranken  mit  erheblicheren 
Erkrankungen  der  Respirationsorgane,  namentlich 
akuter  Natur,  sowie  bei  akuten  Prozessen  des 
Endo-  und  Myokards  heischt  Vorsicht. 

Bei  rein  nervösen  Herzstörungen,  speziell 
bei  nicht  organisch  bedingter  Angina  pectoris, 
kann  Morphium  unbedenklich  —  im  Rahmen  seiner 
allgemeinen  Indikationen  —   gegeben  werden. 

Bei  organisch  basierter  Angina  pectoris, 
bei  Stenokardie  sind  kleine  Morphiumdosen  er- 
laubt bezw.  indiziert,  eventl.  vorher  eine  Karapfer- 
injektion. 

Unbedingt  indiziert  scheint  Morphium  zur 
augenblicklichen  Hilfeleistung  bei  allen 
schwereren  Anfällen  von  Asthma  kardiale,  wo 
die  Wirkung  der  Digitalis  nicht  erst  abgewartet 
werden  kann.  Bei  der  chronischen  Dyspnoe 
ambulanter  Herzkranker  ist  es  nur  beschränkt 
statthaft  und  ratsam. 

Eine  Indikation  für  Morphium  besteht  da,  wo 
Digitalis  und  andere  Herzmittel  ihre  Wirksamkeit 
nicht  entfalten  oder  bereits  ganz  eingebüßt  haben. 

Eine  wichtige  Rolle  spielt  Morphium  als 
präparatorisches  Mittel  vor  der  Digitaliskur  bei 
sehr  erregten,  schlaflosen  und  heruntergekommenen 
Individuen,  hier  genügt  es  direkt  einer  kausalen 
Indikation.  Es  wirkt  nach  Rosenbach  toni- 
sierend  auf  das  Herz  dadurch,  daß  es  die  Erreg- 
barkeit des  Nervensystems  für  außerwesentliche 
Reize  herabsetzt  und  die  Gesamtleistung  ver- 
mindert, indem  die  durch  Schlaflosigkeit,  Unrast, 
Depression,  Angst,  Schmerzen  bedingte  Luxus- 
konsumption  der  Kräfte  gehoben  wird. 

(Mi'mch.  med.  Wochenschr.  1904,  Xo.  28.) 

Esch  (Bendorf). 


Dormiol  als  Hypnoticum.    Von  Dr.  T.  Zapinski. 

Angewendet  wurde  10  °/0  Lösung  von  Dor- 
miol mit  einem  Geschmackscorrigens.  Trotzdem 
mußten  die  Kranken  lange  Zeit  beredet  werden, 
um  das  Mittel  nochmals  einzunehmen,  weil  durch 
kein  Corrigens  der  Geschmack  zu  verdecken  war. 
Als  Anfangsdosis  gab  Verf.  in  leichteren  Fällen 
einen  Löffel,  bei  stärker  erregten  Pat.  mußte 
die  Dosis  aufs  Dreifache  erhöht  werden. 

Der  Schlaf  war  kurz,  am  nächsten  Tage  waren 
die  Kranken  somnolent,  träge.  Nach  7  — 10  Tagen 
mußte  die  Gabe  wegen  der  Angewöhnung  erhöht 
werden.  Zu  den  unangenehmen  Eigenschaften 
ist  hinzuzuzählen  der  schlechte  Geruch  und 
Geschmack  des  Mittels. 


(Medycyna  Xo.  24,  1904.) 


Gabel  (Lemberg). 


Erfahrungen  mit  einer  Buttermilchkonserye  als 
Säuglingsnahrung.  Von  Priv.-Doz.  H.  K  o  e  p  p  e 
(Gießen). 

Angeregt  durch  die  He  üb  ner-S  algeschen 
Versuche  mit  einer  Säuglingsnahrung  aus  frischer 
Buttermilch,  hat  Koeppe  mit  einer  Buttermilch- 
konserve von  Staudt  &  Co.,  Vilbel,  seinerseits 
Versuche  und  zwar  mit  Erfolg  angestellt.  Er 
hat  im  Laufe  der  letzten  zwei  Jahre  bei  56 
kranken  Säuglingen  diese  sog.  «holländische 
Säuglingsnahrung"  verwandt.  Davon  hat  er  die 
Resultate  von  32  Fällen,  die  in  seiner  Behand- 
lung blieben,  aufgezeichnet.  Koeppe  kommt 
dabei  zu  folgendem  Schlüsse:  Für  atrophische 
Säuglinge  und  solche  mit  chronischem  Darm- 
katarrh dürfte  die  Buttermilchnahrung  die  ge- 
eignetste sein,  die  wir  jetzt  haben,  sie  ist  billig 
C/4  1.  Fläschchen  kostet  10  Pf.,  2—4  Fläschchen 
pro  die)  und  haltbar.  Bei  fiebernden  Säuglingen 
mit  Dyspesie  oder  akutem  Dünndarmkatarrh 
soll  man  die  Buttermilchnahrung  erst  dann 
geben,  wenn  nach  vollständigem  Aussetzen  jeder 
milch-  und  fetthaltigen  Nahrung  gleichmäßiger 
Stuhl  wieder  vorhanden  ist,  aber  auch  die  Milch 
in  Verdünnung  noch  nicht  bekommt. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  Nr.  25.) 

Arthur  Rahn  (Collm). 

Praktische  Ergebnisse  aus  dem  Gebiete  der  Uro- 
logie.     Zur     inneren    Behandlung    des 
Blasenkatarrhs;  Urotropin  und  dessen 
Ersatzmittel.    Von  C.  Posner. 
Neben  der  örtlichen  Behandlung  der  Blasen- 
leiden   darf  die   innere  Therapie  nicht  vernach- 
lässigt werden.     Nicht   nur  alle  akuten  Entzün- 
dungen der  Harnblase,  sondern  auch  viele  chro- 
nische Krankheiten  werden  auf  medikamentösem 
Wege  geheilt. 

Was  zunächst  die  Mineralwässer  betrifft, 
so  sieht  Verf.  bei  ganz  akuten  Cystitiden  von 
ihrem  Gebrauch  vollständig  ab;  bei  subakuten 
Fällen  verordnet  er  die  milden  Wasser  (Fachingen, 
Bilin,  Gießhübl,  Weroarzer  Quelle),  während  bei 
den  chronischen  Katarrhen  die  Wildunger  Quellen 
zur  Verwendung  gelangen:  doch  darf  durch  ihren 
Gebrauch  eine  etwa  vorhandene  Alkaleszenz  des 
Urins  nicht  gesteigert  werden. 

Das  Urotropin  besitzt,  wie  die  praktische 
Erfahrung  gelehrt  hat,  eine  ausgesprochene  Heil- 
kraft   gegenüber  Cystitiden;    es    gilt    ferner    als 


X 


XJX.  Jahrgang.! 
Ftbrnar  1905.  J 


Referate. 


107 


Prophylacticum  gegen  die  Katheterinfektion  and 
wirkt  auch  bei  allgemeinen  Infektionskrankheiten 
v orbengend:  es  verhütet  bei  Typhus  die  Er- 
krankung der  Harnorgane  und  schützt  bei  Schar- 
lach vor  Nephritis.  Trotz  dieser  Vorzüge  hat 
sich  ein  Suchen  nach  Ersatzmitteln  bemerkbar 
gemacht,  weil  auch  Falle  bekannt  wurden,  in 
denen  TJrotropin  völlig  versagte.  Dieser  Miß- 
erfolg des  Mittels  liegt  nun  nicht  in  quantitativen 
Unterschieden  der  Infektionsstarke,  sondern  an 
der  Beschaffenheit  des  Infektionserregers.  Be- 
sonders die  Cystitiden  tuberkulösen  und  gonor- 
rhoischen Ursprungs  lassen  sich  durch  Urotropin 
nicht  beeinflussen.  Indiziert  ist  dagegen  die 
Urotropinbehandlung  bei  der  gewöhnlichen  In- 
fektion mit  Colibazillen ,  Staphylokokken  etc., 
also  bei  Striktaren  der  Harnröhre,  Prostatahyper- 
trophie etc.  In  diesen  Fällen  ist  Urotropin  das 
wertvollste  Mittel. 

Die  Kombination  des  Urotropins  mit  Me- 
thylenzitronens&ure  (Helmitol,  Neuurotropin) 
wirkt  erst  in  doppelt  so  starke/-  Gabe  wie  Uro- 
tropin; es  ist  dies  erklärlich,  da  in  dem  neuen 
Produkt  40,7  Proz.  Urotropin  und  59,3  Proz. 
Methylenzitronensäure  enthalten  sind,  und  da 
die  Säure  selbst  bei  ihrem  Übergange  in  den 
Harn  nur  eine  außerordentlich  geringe  des- 
infizierende Kraft  besitzt.  Nach  Helmitolgebrauch 
ist  übrigens  recht  häufig  Hämaturie  beobachtet 
worden.  Das  Mittel  ist  demnach  kein  Ersatz 
für  Urotropin.  Das  Gleiche  gilt  vonHetralin, 
das  durchaus  nicht  besser  als  Urotropin  wirkt 
und  von  Griserin,  das  sich  nicht  als  inneres 
Desinficiens  erwiesen  hat.  Eine  Klärung  des 
Urins  blieb  nach  Griserin  gebrauch  völlig  aus. 
(Berliner  klin.  Wochenschrift  1905,  No.  2.)    J.  Jacobson. 

Urotropin  bei  Scharlach  zur  Verhütung  von 
Nephritis.  Von  Dr.  Buttersack  (Heilbronn). 
Verf.  glaubt,  an  der  Hand  von  drei  Krank- 
heitsbeobachtungen zu  nachstehender  Schlußfol- 
gerung berechtigt  zu  sein:  Die  Darreichung  von 
Urotropin  bei  Scharlach  zur  Verhütung  reep. 
Bekämpfung  der  Nephritis  in  geeigneter  Dosis 
und  Dauer  (0,05  bis  0,5  drei  Mal  täglich,  die 
zitronensaure  Verbindung  in  doppelter  Dosis) 
ist  unbedenklich  in  jedem  Stadium,  selbst  bei 
frischen  Nierenreizungen.  Wenn  das  Urotropin 
nicht  während  der  ganzen  Krankheitsperiode  ge- 
geben werden  soll,  so  muß  es  unter  peinlichster 
Harnkontrolle  sofort  mit  dem  spurweisen  Auf- 
treten von  Eiweiß  verabreicht  werden.  Auf 
den  sonstigen  Verlauf  von  Scharlach  hat  dieses 
Renalmittel  keine  Wirkung. 
(Deutsch.  Arch./Ür  klin.  Medizin,  Bd.  SO.)      H.  Rosin. 

i.  Lokalanästhesie  mittels  Eukaln- Adrenalin.  Von 
Prof.  Hermann  Freund  in  Straßburg.  Zentral- 
blatt für  Gynäkologie  1904,  No.  48,  S.  1481. 

a.  Notes  on  local  analgesia  (Bemerkungen  zur 
lokalen  Analgesie).  By  Arthur  E.  Barker, 
F.  R.  C.  S.  Prof.  of  surgery,  University  College ; 
Sorgeon  to  University  College  Hospital  London. 
Britibh  medical  Journal  1904,  24.  All,  S.  1682. 

1.  Bei  kleinen,  an  sich  gefahrlosen  Ope- 
rationen wird  der  Arzt  ungern  zur  Allgemein- 
narkose greifen,  da  diese,  nach  welcher  Methode 


sie  auch  immer  ausgeführt  wird,  doch  stets  eine 
richtige  Vergiftung  und  somit  einen  Eingriff  dar- 
stellt, bei  dem  nicht  für  den  günstigen  Ausgang 
gutgesagt  werden  kann.  Andererseits  sind  diese 
unbedeutenden  Operationen,  wie  sie  die  Gynäko- 
logie mit  ihren  Kolporraphien,  Piastiken  etc. 
in  reichlicher  Menge  bietet,  immerhin  so  schmerz- 
haft, daß  ein  labiles  Nervensystem  durch  ihre 
Ausführung  ohne  irgendwelche  Bekämpfung  des 
Schmerzes  lang  anhaltende  Schädigungen  er- 
fahren könnte.  Aus  diesen  Gründen  machte 
sich  also  gerade  bei  den  kleinen  Eingriffen  der 
Wunsch  nach  einem  Verfahren  geltend,  das  den 
Operationsschmerz  sicher  beseitigt,  ohne  dabei 
an  sich  den  Patienten  in  Gefahr  zu  bringen. 
Eine  Analgesierungsmethode,  welche  das  obige 
Postulat  erfüllt,  die  Schlei chsche  Infiltra- 
tionsanästhesie, wurde  von  Prof.  Freund  bei 
einer  Reihe  gynäkologischer  Eingriffe  verwendet, 
mußte  jedoch  für  die  meisten  Fälle  wieder  ver- 
lassen werden,  da  sich  herausstellte,  daß  bei 
plastischen  Operationen  an  Damm,  Scheide  und 
Gebärmutterhals  das  infiltrierte  Gewebe  dem 
Erfolge  der  Plastik  ein  schwer  zu  überwindendes 
Hindernis  entgegenstellt.  Verf.  griff  dp  her  mit 
Freude  zu  einem  anderen  Verfahren,  welchem 
die  Nachteile  des  Schlei ch sehen,  i.  e.  die  ana- 
tomischen Läsionen  des  Operationsgebietes,  nicht 
anhafteten,  nämlich  der  Braun  sehen  Kokain- 
Adrenalin-Anästhesie.  Die  zur  Einspritzung 
verwendete  Lösung,  bestehend  aus  9  Teilen  1  proz. 
Kokainlösung  und  1  Teil  1  proin.  Adrenalin- 
lösung, erzeugte  in  Mengen  von  1  oder  da,  wo 
an  der  vorderen  und  hinteren  Scheidenwand  ge- 
arbeitet werden  mußte,  von  2  cm3  stets  nach 
Verlauf  von  5 — 15  Minuten  eine  völlig  aus- 
reichende Unempfindlichkeit  des  Operations- 
terrains. Beunruhigend  wirkten  folgende  bei 
den  ersten  5  unter  dieser  Methode  operierten 
Patientinnen  (4  Scheiden-Dammplastiken,  1  Ex- 
zision  einer  Scheidennarbe)  eintretende  Zufälle: 
Sofort  nach  der  Operation  wurden  die  Pat.  un- 
ruhig, ängstlich,  griffen  mit  den  Händen  in  die 
Luft,  atmeten  schnell  und  hatten  Kältegefühl; 
der  Pols  war  dabei  beschleunigt,  ohne  im  übrigen 
seine  Qualität  wesentlich  zu  ändern.  Wenn  auch 
diese  Symptome  meist  —  nur  in  2  Fällen 
klagten  die  Pat.  noch  den  ganzen  Tag  über 
Kopfschmerzen  —  nach  2  —  3  Minuten  ver- 
schwanden, so  hatten  sie  doch  als  Erscheinungen 
von  Intoxikationen  durch  direkt  in  den  Blut- 
strom gelangendes  Kokain  etwas  recht  Bedroh- 
liches an  sich. 

Wenn  nun  auch  spätere  Erfahrungen  lehrten, 
daß  man  diese  Zufälle  durch  äußerst  langsames, 
vorsichtiges  Injizieren  und  durch  ängstliches 
Vermeiden  der  im  subvaginalen  Gewebe  so  über- 
reichlich vorhandenen  kleinen  Gefäße  ausschalten 
kann,  wendete  Verf.  doch  in  Zukunft  lieber  das 
bedeutend  weniger  toxische,  gleich  wirksame 
und  nebenbei  auch  billigere  Surrogat  des  Kokains, 
das  Eukain/9,  an.  Unter  Innehaltung  all  der 
Vorsichtsmaßregeln,  welche  einerseits  für  eine 
subkutane  Injektion  überhaupt,  andererseits  für 
die  Einführung  eines  natürlich  nicht  ganz  in- 
differenten Stoffes  an  sich  maßgebend  sind,  hat 
Verf.   bei    Anwendung    dieses    Mittels    stets    be- 


108 


Referate. 


rTfa«r*peati*chA 
L   Monatshefte. 


friedigende  Erfolge  und  niemals  unerwünschte 
Nebenwirkungen  gesehen.  Verf.  verwendet  das 
Anästhesierungsgemisch  in  zwei  verschiedenen 
Zusammensetzungen,    nämlich    entweder    1   Teil 

1  prom.  Adrenalinlösung  auf  9  Teile  1  proz. 
/9-Eukainlösung,  oder  dort,  wo  es  auf  eine  be- 
sonders stark  an  anvisierende  Wirkung  ankommt, 

2  Teile  der  Adrenalin-  auf  8  Teile  Eukainlösung. 
Daß  natürlich  die  durch  diese  Lösung  erzeugte 
Ischämie  bei  den  Operationen  im  Gebiete  der 
so  blutreichen  weiblichen  Geschlechtsteile  für 
Schnelligkeit  und  Exaktheit  des  Eingriffs,  z.  B. 
Plastiken,  enorme  Vorteile  bietet,  liegt  auf  der 
Hand;  eventuell  zu  befürchtende  Nachblutungen 
lassen  sich  durch  sorgfältige  Gefäß  Versorgung 
völlig  ausschalten.  Die  nicht  an  allen  Teilen 
des  Genital apparats  in  gleicher  Weise  eintretende 
Gefühllosigkeit  und  Blutleere  ist  doch  stets  aus- 
reichend, sodaß  Verf.  im  Laufe  des  letzten 
Jahres  alle  nicht  zu  komplizierten  Prolapse,  alle 
Dammplastiken,  mehrere  Auslöffelungen  von 
Cervix-  und  Scheidenkarzinomen,  Exzisionen  von 
Narben  und  Portioamputationen,  soweit  nicht  die 
Pat.  direkt  nach  Einschläferung  verlangten,  unter 
Eukain-  Adrenalin-  Anästhesie  operieren 
konnte.  Nach  Betrachtung  derjenigen  operativen 
Vorgehen,  welche  Allgemeinnarkose  wünschens- 
wert erscheinen  lassen,  z.  B.  Kauterisierung  von 
Karzinomwundflächen,  kommt  Freund  zu  dem 
Schluß,  daß  das  Adrenalin -Eukain  ein 
äußerst  schätzenswertes  lokales  Anaesthe- 
ticum  bei  Scheiden-Dammoperationen 
wäre,  welches  er  besonders  bei  Prolaps- 
operationen  und  Dammplastiken  nicht 
mehr  entbehren  möchte. 

2.  Eine  wie  ungeahnt  weite  Ausdehnung 
die  lokale  Anästhesie  auch  bis  in  das  Gebiet 
der  sogenannten  großen  Chirurgie  hinein  erfahren 
kann,  beweist  die  Mitteilung  von  Prof.  Barker. 
Die  Erreichung  des  Zieles,  größere  Gebiete  auf 
längere  Zeit  schmerzunempfindlich  zu  machen, 
wurde  bis  vor  kurzer  Zeit  durch  zwei  Faktoren 
vereitelt,  deren  erster  die,  bei  den  hier  in  Frage 
kommenden  Mengen,  zu  starke  Giftigkeit  des 
Kokains  war  und  deren  zweiter  darin  bestand, 
daß  für  all  die  Körperregionen,  wo  die  Oberst- 
sche  Abschnürung  unmöglich  war,  die  normale 
Zirkulation  das  eingeführte  Anaestheticum  zu 
schnell  vom  Orte,  wo  es  seine  Wirksamkeit 
entfalten  sollte,  entfernte  und  statt  dessen  an 
die  Stellen  des  Organismus  schleppte,  wo  es 
statt  der  erwünschten  analgesierenden  Wirkung 
die  höchst  unwillkommene  toxische  entfaltete. 

Diesen  beiden  Übelständen  ist  die  moderne 
Wissenschaft  durch  Entdeckung  zweier  neuer 
Mittel,  des  Adrenalins  und  /9-Eukains,  siegreich 
entgegengetreten.  Während  nun.  das  Adrenalin, 
wie  bekannt  ist,  die  Ob  er  st  sehe  Konstriktions- 
binde in  einer  Art  und  Weise  ersetzt,  wie  eben 
die  auf  alle,  auch  die  begrenztesten  Gebiete  zu 
lokalisierende  Injektion  das  Anlegen  eines  von 
den  morphologischen  Verhältnissen  abhängigen 
Apparates  übertreffen  kann,  stellt  das  yS- Eukain 
einen  Vertreter  des  Kokains  dar,  der,  wie  schon 
oft  hervorgehoben,  nur  in  einer  Wirkung 
schwächer  ist  als  letzterer,  und  das  ist  in  der 
Giftwirkung. 


So  konnte  denn  Bark  er  von  der  "von  ihm 
verwendeten  Lösung: 

yff-Eucaini  0,2 

Natrii  chlorati  0,8 

Sol.  Adrenalini  hydrochlor.  1 :  1000  gutt.  X 
Aquae  destill  atae  ad  100,0 

bis  zu  200  cm3  injizieren,  das  heißt,  dem 
Patienten  0,6  g  /9-Eukain  einverleiben,  ohne 
jemals  bedrohliche  Erscheinungen  zu  sehen.  Das 
Verfahren,  dessen  sich  der  Verf.  bediente,  läßt 
sich  am  besten  als  Kombination  der  lokalen  mit 
der  regionären,  i.  e.  der  Injektion  im  Gebiete  der 
das  Operationsgebiet  sensibilisierenden  Nerven, 
bezeichnen.  Die  sich  aufdrängende  Frage,  welche 
Vorzüge  dies  Verfahren  vor  der  Schleichschen 
Methode  hätte,  beantwortet  sich  von  selbst,  wenn 
erwähnt  wird,  daß  die  ganze  Anästhesierung, 
selbst  bis  in  die  Tiefe  der  Bauchhöhle,  von 
der  unverletzten  Haut  aus  geschieht*),  daß  der 
geeignete  Zeitpunkt  zum  Operieren  innerhalb 
der  Zeit  von  30  Minuten  bis  2J/a  Stunde  nach 
der  Injektion,  also  in  einer  Periode,  wo  der 
anatomische  Effekt  der  Einspritzung  (Infiltration 
etc.)  längst  verwischt  ist,  liegt  und  schließlich, 
daß  die  Analgesie  3 — 4  Stunden  dauert.  Bei 
solchen  Operationen,  wo  der  Schmerz  des  Ein- 
griffs rein  mechanisch  auf  andere  und  zu  weite 
Gebiete  übertragen  wird,  namentlich  bei  Bauch- 
operationen, wo  Zerrungen  nicht  zu  vermeiden 
sind,  genügt  es,  während  dieser  meist  kurzen 
Phase  der  Operation  ein  allgemeines  Narcoticum 
zu  reichen  und  alles  übrige  unter  Eukain-Adre- 
nalin  auszuführen.  Eine  interessante  Beobach- 
tung ist  es  ferner,  daß  die  Injektion  keine 
Anästhesie,  sondern  nur  eine  völlige  Analgesie 
zuwege  bringt,  sodaß  die  Patienten  oft  angeben 
konnten,  ob  gerade  ein  Messer  oder  eine  Nadel 
oder  dgl.  an  ihrem  Körper  zur  Verwendung 
kam,  ohne  dabei  irgend  welche  Schmerzempfin- 
dung zu  haben. 

Über  die  allgemeine  Verwendbarkeit  des 
Verfahrens  gibt  am  besten  die  Tabelle  der  in 
letzter  Zeit  vom  Verf.  unter  Eukain -Analgesie 
ausgeführten  Operationen  Aufschluß: 

Laparotomien 8 

Hernien 23 

Amputationen ö 

Varizen 12 

Tumoren  der  Thyreoidea    .  3 

Orchidektomien 3 

Operationen  im  Kniegelenk  3 

Bursae  praepatellares       .    .  3 

Maligne  Tumoren      ....  4 

Papilloma  axillac 1 

Fistula  ani 2 

Große  Lipome 3 

Ulcus  rodens 2 

Empyem 1 

Ulcus-Inzisionen 5 

Hydrocele 1 

Varikocele 1 

Cyste  der  Brust 1 

Adenom  an  der  Brust     .    .  2 
Kleinere  Operationen   ..."  8 

*)  Über  näheres,  betreffend  die  hierzu  nötige, 
relativ  einfache  Technik  und  Apparatur,  verweise 
ich  auf  das  illustrierte  Original.         [Der  Ref.] 


XIX.  Jahrgang.! 
Februar  1905,  J 


Referate« 


109 


Auf  Grund  seiner  Resultate  mit  /9-Eukain 
kommt  Verf.  zu  dem  Schluß,  daß  es  ihm  kaum 
verständlich  sei,  wie  heute  noch  jemand 
Kokain  anwenden  könnte,  welches  bei 
seiner  fraglos  viel  größeren  Gefährlich- 
keit wohl  kaum  bessere  Resultate  als  die 
hier  mit  Eukain  erreichten  liefern  könnte. 

Th.  A.  Maaß. 

Zur   Behandlung   der  Hornhautgeschwüre.    Von 

Dr.  Colasuono. 

Verf.  hat  Versuche  mit  Thigenol  (dem 
Natriumsalz  der  Sulfosäure,  eines  synthetisch 
hergestellten  Sulfoöles)  bei  Hornhautgeschwüren 
gemacht,  wozu  es  besonders  geeignet  sei,  weil 
es  einerseits  eine  schützende  Decke  über  den- 
selben bildet,  andererseits  in  die  Schichten  der 
Hornhaut  eindringt,  und  hatv  Resultate  damit 
erzielt,  welche  alle  Erwartungen  übertreffen. 
Verf.  führt  einen  Fall  von  schwerem  Ulcus 
serpens  an  (Geschwür  der  Hornhaut  über  % 
der  Oberfläche,  dabei  starkes  Hypopyon),  bei 
dem  durch  Anwendung  des  Thigenols  (neben 
Atropin,  Verband)  eine  so  vollkommene  Heilung 
des  Geschwürs  erzielt  worden  ist,  daß  keine 
Spur  von  Hornhautflecken  zurückblieb.  Das 
Thigenol  wird  entweder  rein  oder  ana  mit  Glyzerin, 
mittels  eines  reinen  Glasstabes  1  bis  2  mal 
täglich  auf  das  Ulcus  aufgetupft. 

(Neue  Therapie,  November  1903.) 

Pich  (Königsberg  u  Pr.J. 

Über  Behandlung  der  granulösen  Augenentsttn- 
dnng.  Von  Kreisarzt  Dr.  Post  (Strasburg, 
Westpr.). 

Post  empfiehlt  bei  Granulöse  die  Irrigation 
der  erkrankten  Bindehautstellen  mit  physiologi- 
schor  Kochsalzlösung  von  Körpertemperatur,  der 
er  Sublimat  (auf  3  1  */3  g)  hinzusetzte.  Die 
Höhe  des  Irrigationsgefäßes  über  den  Augen  soll 
1 — 1,20  m  betragen.  Er  bedarf  für  diese  Be- 
handlung der  Assistenz  uud  eines  besonderen 
Quetschhahns.  Nach  meiner  Meinung  ist  dies 
für  einen  Spezialisten  nicht  nötig.  Die  Behand- 
lungsmethode ist  nicht  neu;  sie  verdient  Beach- 
tung. Ob  sie,  wie  Post  sagt,  die  operative 
Behandlung  der  Körner  ersetzt,  erscheint  mir 
fraglich. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  1,  30.  Jahrg.) 

Dr.  P.  Schultz. 

Bemerkungen   zur  Trachominfektion.     Von   Doz. 

Dr.  L.  Schmeichler,  Brunn. 

Schmeichler  polemisiert  gegen  Peters, 
welcher  für  die  Infektion  mit  Trachom  eine 
Disposition  voraussetzt.  Er  erkennt  die  Dispo- 
sition nicht  an.  Er  ist  der  Meinung,  daß  nur 
das  sezernierende  Trachom  ansteckend  sei  und 
die  Infektion  nur  dann  zustande  komme,  wenn 
das  Trachomsekret  in  den  Bindehautsack  gelange. 
Da  nun  diese  Übertragung  von  vielen  Zufällig- 
keiten abhinge,  ließe  sich  dadurch  leicht  die 
Tatsache  erklären,  warum  viele  Menschen  vom 
Trachom  verschont  blieben.  Die  Prophylaxe  sei 
in  der  Bekämpfung  des  Trachoms  das  Wichtigste. 
Schmeichler  ist  der  Ansicht,  daß  im  Ver- 
ständnis für  hygienische  Fragen  die  Kulturvölker 
am  Ende  des  20.  Jahrhunderts  so  weit  gekommen 


sein   werden,    daß    unsere    ärztlichen    Epigonen 

dann  ein  Trachom  als  ein  seltenes,  interessantes 

Vorkommnis  betrachten  werden.    Eine  herrliche, 

aber,  wie  mir  scheint,  zu  kühne  Prognose! 

(Wiener  klinische  Wochenschr.  No.  45,  16.  Jahrg.) 

Dr.  P.  Schultz. 


Praktische  Hotisen 

und 

empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


Eine  In  der  Praxis  leicht  ausfahrbare  Reaktion 
des  Diabetesharnes.  Von  Prof.  Dr.  Casimir 
Strzyzowskiin  Lausanne  (Originalmitteilung). 
Setzt  man  zum  Zuckernharn  5  Proz.  offizi- 
elles Formalin,  so  entsteht  in  vielen  Fällen 
nach  24  bis  48  Stunden  eine  grün  fluoreszierende 
Färbung,  die  um  so  intensiver  erscheint,  je  mehr 
der  Harn  abnorme  Stoffwechselprodukte  enthält 
(Aceton,  /9-Oxybuttersäure,  Acetessigsäure  u.s.w.). 
Während  bei  Zimmertemperatur  die  grüne  Verfär- 
bung nach  24  bis  48  Stunden  zum  Vorschein  kommt, 
tritt  dieselbe  bei  höherer  Temperatur  (50—60°) 
etwas  früher,  bei  niedrigerer  (0 — 10°)  etwas  später 
ein.  Zahlreiche  Beobachtungen  haben  mich  zu 
der  Annahme  geführt,  daß  das  Fehlen  dieser 
Reaktion  auf  die  leichte  Form  des  Diabetes 
mellitus  schließen  läßt,  während  das  Vorhanden- 
sein derselben  von  übler  Bedeutung  ist.  Be- 
merkenswert erscheint  hierbei  noch,  daß  die 
Ursache  der  genannten  Reaktion  durchaus  nicht 
auf  das  Vorhandensein  der  oben  erwähnten  ab- 
normen Stoffwechselprodukte  zurückzuführen  ist. 

Ober    die   Formalinreaktion   beim   Diabetesharn. 

Von  Prof.  Dr.  Rabow. 

Nach  dem  Bekanntwerden  der  von  Strzy- 
zowski  angegebenen  Reaktion  hatte  ich  in 
letzter  Zeit  in  2  geeigneten  Fällen  Gelegenheit, 
mich  von  der  Exaktheit  und  eventuellen  pro- 
gnostischen Bedeutung  derselben  durch  den 
Augenschein  zu  überzeugen. 

In  dem  einen  Falle  handelte  es  sich  um 
einen  mir  bekannten  diabetischen,  56  Jahre 
alten  Herren,  aus  dessen  Urin  der  Zucker  bei 
zweckmäßiger  Diät  und  ruhiger  Lebensweise 
zu  verschwinden  pflegte.  Beim  Nichtein halten  der 
vorgeschriebenen  Diät  und  infolge  von  Auf- 
regungen machte  sich  gewöhnlich  ein  starker 
Zuckergehalt  seines  Urins  bemerkbar.  Letzteres 
war  kurz  vor  Weihnachten  der  Fall.  Beim  Unter- 
suchen seines  Urins  fand  ich  einen  erheblichen 
Zuckergehalt.  Nun  stellte  ich  auch  die  von 
Strzyzowski  angegebene  Reaktion  an,  indem 
ich  einer  Menge  von  100  ccm  dieses  Harns  5  ccm 
des  offizineilen  Formaldehyds  hinzusetzte  und  den 
Harn  mehrere  Tage  stehen  ließ.  Derselbe 
blieb  in  seiner  Farbe  unverändert.  —  Der 
betreffende  Herr  hielt  wieder  die  vorgeschriebene 
Diät  ein  und  befindet  sich  seithor  bei  bestem 
"Wohlsein.  — 

Der  andere  Fall  betrifft  eine  Frau,  die 
sich  wegen  schweren  Diabetes  mellitus  in  der 
medizinischen  Klinik  befand  und  infolge  ihres 
Schwächezustandes  das  Bett  hüten  mußte.     Der 


110 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


rTherapentitclM 
L  Monatshefte. 


1 


Urin  enthielt  auch  bei  zweckmäßiger  Diät  mehrere 
Prozent  Zucker.  Auf  Zusatz  von  5  Proz.  Formal  in 
zeigte  dieser  Urin  nach  etwa  86  Stunden  eine 
auffallend  grüne,  fluoreszierend«,  anhal- 
tende Färbung.  Die  Frau  ging  einige  Tage 
später  im  Koma  zu  Grunde. 

Weiteren  klinischen  Beobachtungen  dürfte 
es  vorbehalten  bleiben  festzustellen,  ob  der  so 
leicht  ausfuhrbaren  „Strzyzowskischen  Re- 
aktion" die  ihr  vindizierte  prognostische  Be- 
deutung zukommt.  Nach  meiner  Beobachtung 
scheint  dies  in  der  Tat  der  Fall  zu  sein. 

Ober  Intravenöse  Hetolinjektionen 

betitelt  Weiß  mann  in  No.  1  der  Therap.  Mon. 
einen  Angriff  auf  meine  in  No.  11  des  vor.  Jahr- 
ganges ausgesprochene  Ansicht.  Darauf  habe  ich 
folgendes  zu  erwidern: 

S.  422  sagte  ich  bereits:  „Die  Heilbehand- 
lung würde  sicher  weit  mehr  Anhänger  finden, 
wenn  man  statt  der  intravenösen  die  u.  a.  von 
Katzenstein  (M.  m.  W.  02)  Lowski,  White, 
Bernheim  (Indep.  med.  1899)  mit  gleichem 
Erfolg  ausgeführten  subkutanen  bezw.  intra- 
muskulären Injektionen  anwendete,  denn  „die 
geringfügige  Verzögerung  der  Resorption"  wird 
reichlich  dadurch  aufgewogen,  daß  die  letztere 
Methode  einfacher  und  harmloser  erscheint". 

Wenn  ich  mich  nun  S.  596  in  gleichem 
Sinne  äußerte,  so  war  damit  für  den  Unvorein- 
genommenen doch  nur  die  unbestreitbare 
Tatsache  hervorgehoben,  daß  der  Arzt  sich 
leichter  zur  Nachprüfung  eines  neuen  Verfahrens 
entschließt,  wenn  er  dabei  eine  ihm  bereits  als 
einfach  und  ungefährlich  bekannte  und  ge- 
läufige Technik  anwenden  kann, 

Dieser  allgemeinen  Wahrheit  gegenüber  lag 
meines  Erachtens  für  Weißmann  durchaus  kein 
Grund  vor,  sich  mit  meiner  Person  zu  beschäf- 
tigen und  mir  ohne  jede  Veranlassung  Unkenntnis 
der  Technik  oder  Überschätzung  ihrer  Schwierig- 
keit vorzuwerfen.  Das  war  um  so  unangebrachter, 
als  ihm  ebensogut  wie  mir  bekannt  sein  dürfte, 
daß  wohl  kaum  ein  Arzt  die  intravenöse 
Injektion  technisch  für  besonders 
schwierig  hält.  Wohl  aber  scheint  sie  vielen 
im  Gegensatz  zu  der  subkutanen  etc.  gewisse 
Gefahren  zu  besitzen,  und  deshalb  vertrat  ich 
die  obenerwähnte  Anschauung,  indem  ich  mit 
den  genannten  Autoren  die  gleiche  Wirksamkeit 
beider  Verfahren  annehme. 

Wenn  Weiß  mann  nun  die  intravenöse 
Injektion  für  allein  wirksam  erklärt,  so  wäre 
das  Nächstliegende  gewesen,  diese  Behauptung 
zu  beweisen.  Er  hat  aber  bei  seinem  Angriff 
auf  mich  weder  die  von  mir  angeführte  An- 
schauung der  betreffenden  Autoren  widerlegt, 
daß  die  geringfügige  Verzögerung  der  Resorption 
nicht  genüge,  um  die  intravenöse  Injektion  über 
die  andere  Methode  zu  stellen,  noch  Katzen- 
steins  Feststellung  entkräftet,  daß  die  Schmerz- 
haftigkeit  des  subkutanen  bezw.  intramuskulären 

Verfahrens  vermeid  bar  ist.  „    .    _     .    m 

Esch  (Bendorf). 


Ein  schmerzlotes  Nähen  von  Wanden 

läßt  sich  nach  H.  Fischer  (Therapie  d.  Gegen- 
wart, Januar  1905)  mit  Hilfe  von  An  äst  hol 
auf  bequeme  Weise  erzielen.  Aus  einer  Ent- 
fernung von  30 — 40  cm  läßt  man  einige  Sekunden 
auf  Wunde  und  Wundlippen  den  Anästholstrahl 
bis  zur  vollständigen  Anämie  einwirken  und 
führt  dann  die  Nadel  durch  den  mit  der  Pinzette 
gefaßten  Wundsaum.  Da  die  Gewebe  erhärtet 
sind,  kann  man  selbst  Wunden  in  der  Nähe 
der  Augen  ohne  Zerrung  nähen.  Bei  Kindern 
lassen  sich  auf  diese  Weise  Wunden  aller  Art 
mit  Ausnahme  von  Lidwundon  schließen;  man 
spart  zugleich  an  Zeit,  da  allgemeine  Narkose 
unnötig  wird.  Schließlich  scheint  die  Kälte  auch 
antibakteriell  durch  Hemmung  des  Wachstums 
der  Keime  zu  wi?ken. 


Eucainum  lacücum, 

welches  wegen  seiner  größeren  Löslichkeit  dem 
salzsauren  Eukain,  besonders  für  Schleimhaut- 
anästhesie, und  im  allgemeinen  seiner  geringeren 
Giftigkeit  wegen  dem  Kokain  vorgezogen  wird, 
wird  zweckmäßig  nach  folgenden  Formeln  ver- 
ordnet : 

Rp.    Eucaini  lactici  0.2 

Solut.   Natrii   chiorati    (0,6  Proz.)   ad   10,0 
M.  D.  S.    Zum  Einträufeln  in  das  Auge. 

Rp.    Eucaini  lactici  0,1—0,2 

Solut.  Adrenalini  (1  :  1000)  gtt.  V— X 
Solut.   Natrii    chiorati   (0,6  Proz.)   ad   10.0 

M.  D.  S.     Zur    Injektion    für    regionäre    An- 
ästhesie, für  Zahnextraktionen. 

Rp.    Eucaini  lactici  0,1—0,2 

Solut.  Adrenalini  (1  :  1000)  gtt.  V— X 
Solut.   Natrii   chiorati  (0,8  Proz.)  ad   100,0 
M.  D.   S.       Zur    Injektion    für    Infiltrations- 
anästhesie. 

Rp.    Eucaini  lactici     1,0  —  1,5 
Aquae  destillatae  ad  10,0 
M.  D.  S.      Zum    Pinseln    und    zum    Tränken 
von  Tampons  für  Schleim hautanästhesie. 

Rp.    Eucaini  lactici  1,0 — 1,5 

Solut.  Adrenalini  (1  :  1000)  gtt.  XXX 
Aquae  destillatae  ad  10,0 

M.   D.   S.      Zum    Pinsein    und    Tränken    von 

Tampons  für  Schleimhautanästhesie. 

Rp.    Eucaini  lactici  1,0 

Mentholi  0,2 

Olei  Olivarum  2,0 

Lanolini  s.  Fetroni  ad     10,0 
M.  f.  unguentum.     D.  S.    Äußerlich  zum  Ein- 
reiben. 

Jucken    stillende  Salbe  bei    Hämorrhoiden, 
Pruritus  ani,  etc. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  A.  Langgaardin  Berlin  BW. 
Verlag  von  Juli  in  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitäts-Buchdruck  erei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte^ 

1905.    MÄrz. 

Originalabhandlungen. 


Zum  Problem  der  Atlologrie  der  Tabes. 

Von 

0.  Rosenbach  in  Berlin 

„Die  Rolle,  die  die  Syphilis  bei  der 
Tabes  spielt,  kann  man  am  besten  vergleichen 
mit  der  eines  Ferments  bei  einer  chemischen 
Verbindung.  Es  ist  gewissermaßen  der 
Tropfen,  der  den  Stein  ins  Rollen 
bringt." 

Der  hier  gesperrt  gedruckte  Satz  steht 
nicht  etwa  in  einem  Briefe  des  weit  berühmten 
Kriegsberichterstatters  Wippchen,  sondern  in 
einer  von  W.  Croner  in  der  Berl.  klin. 
Woch.  1904,  Nr.  49  veröffentlichten  Arbeit: 
„Über  familiäre  Tabes  dorsalis  und  ihre 
Bedeutung  für  die  Ätiologie  der  Erkrankung. " 
Es  liegt  mir  natürlich  fern,  aus  stilistischen 
Brouillements  oder  Flüchtigkeiten  Schlüsse  auf 
den  Inhalt  einer  Arbeit  zu  ziehen;  aber  der 
zitierte  Satz  gab  mir  doch  Veranlassung,  nicht 
bloß  die  Schlußfolgerungen  des  Autors,  sondern 
vor  allem  die  Grundlagen  dafür,  d.  h.  sein 
klinisches  Material,  einer  besonders  gründlichen 
Betrachtung  zu  unterwerfen.  Sie  hat  leider 
den  Beweis  geliefert,  daß  Herr  Croner  glaubt, 
seinen  Lesern  Angaben,  die  nur  auf  Hören- 
sagen beruhen,  und  eigene  Vermutungen  als 
klinische  Beobachtungen  und  wissenschaftliche 
Beweise  vorfuhren  zu  dürfen.  Da  sein  Thema 
besonders  wichtig  und  aktuell  ist,  so  kann 
ich  eine  solche  Art  und  Weise,  in  den  Streit 
der  Meinungen  einzugreifen,  unmöglich  mit 
Stillschweigen  übergehen;  denn  sonst  ist  zu 
furchten,  daß  gerade  die  vorliegende  Mit- 
teilung ohne  Bedenken  als  wertvoller  Beitrag 
akzeptiert  wird,  weil  sie,  um  auch  einmal 
nach  bewährten  Mustern  zu  schreiben,  durch 
„die  Flagge  einer  klinischen  Stellung  ge- 
deckt" ist. 

Nach  der  modernen  Art  Arbeiten  zu  lesen  und 
zu  referieren  wird  ja  gewöhnlich  nur  das  Schluß- 
ergebnis, das  die  subjektive  Meinung  des  Autors  zum 
Ausdruck  bringt,  berücksichtigt,  und  die  angeblichen 
Beweise  werden  nur  wegen  der  stolzen  Bestimmt- 
heit der  Behauptungen  ohne  Prüfung  auf  Treu  und 
Glauben  hingenommen.  Arbeiten  solcher  Art  lassen 
sich  ja  leider  leicht  auch  zu  einem  recht  kurzen 
Referat  venlichten  und  erhalten  gerade  dadurch 
besondere  Publizität,  während  püe  Vertreter  anderer 

Th.  M.  1905. 


Anschauungen  um  so  weniger  zur  Geltung  kommen, 
je  mehr  ihre  gut  begründeten  und  erwogenen  Aas- 
führungen der  apodiktischen  Form  entbehren,  so- 
daß  sie  erst  bei  gründlicher  Verfolgung  des  Ge- 
dankenganges verständlich  werden  können.  Es  liegt 
aber  doch  wohl  auf  der  Hand,  daß  in  wissenschaft- 
lichen Dingen  nicht  das  glatte  Resultat  und  selbst 
die  Autorität,  von  der  eine  Meinung  stammt,  sondern 
erst  die  Belege  dafür  und  die  Kraft  der  Gründe 
und  Gegengründe  maßgebend  sein  können.  Diese 
selbstverständliche  Ansicht  habe  ich  immer  wieder 
und  auch  dem  Tabes- Syphilisproblem  gegenüber 
vertreten,  ohne  Gehör  zu  finden;  jedenfalls  ist  die 
Arbeit  von  Herrn  Croner  ein  weiteres  schlagendes 
Beispiel  dafür,  mit  welchen  Mitteln  man  heut  die 
Wissenschaft  zn  fördern  glaubt. 

Daß  Herr  Croner  die  von  mir  ver- 
tretene Ansicht  über  die  Bedeutung  der  „an- 
erzeugten Disposition"  für  die  Entstehung 
der  Tabes  gerade  auf  Grund  seiner  Fälle 
anzuerkennen  gezwungen  ist,  und  daß  er  zu 
dem  Schlüsse  kommt,  daß  die  familiäre  Dis- 
position, „  ebenso  wie  die  Syphilis,  ein  Trauma, 
eine  hartnäckige  Erkältung1)  oder  dergleichen 
(sie!)  ebenfalls  auf  das  Rückenmark  wirken 
können  a  —  diese  Zustimmung  zu  meiner  Auf- 
fassung kann  mich  nicht  abhalten,  seinen  Ver- 
such, angeblich  auf  Grund  eigener  Beobach- 
tungen, der  familiären  Disposition  des  Nerven- 
systems eine  wichtige  Rolle  bei  der  Entstehung 
der  Tabes  einzuräumen,  hier  kritisch  zurückzu- 
weisen; denn  er  hat  meiner  Arbeit  nur  das 
Schlagwort  entnommen  und  versucht,  mit  fehler- 
haftester Methode  7  d.  h.  mit  unzulänglichen 
Mitteln,  die  .Meinung  zu  stützen,  daß  die 
familiäre  Disposition  die  Hauptsache  sei,  und 


*)  Ich  möchte  hier  noch  einmal  darauf  hin- 
weisen, daß  ich  die  Wirkung  grober  Einwirkungen 
der  oben  geschilderten  Art  für  die  Ätiologie  der 
Tabes  und  anderer  Erkrankungen  wesentlich  ge- 
ringer einschätze,  als  den  Einfluß  kleinster,  aber 
dauernder  Schädigungen  resp.  der  Lebens-  und 
Arbeitsbedingungen  im  weitesten  Sinne.  Um  nur 
von  den  mechanischen  Einflüssen  zu  sprechen,  so 
ist  das  grobe  Trauma,  auf  das  heut  sowohl  die 
typische  traumatische  Neurose,  als  auch  eine  Reihe 
von  Organstörungen  zurückgeführt  wird,  viel  seltener 
die  wirkliche  Ursache  der  Erkrankung,  als  die 
Kinetose,  die  dauernde  Einwirkung  kleinster 
mechanischer  Schädlichkeiten.  Das  Trauma  ist  oft 
nur  als  letzter  Anstoß  zu  betrachten  oder,  wie 
Herr  Croner  lieber  sagt,  der  „Tropfen,  der  den 
Stein  ins  Rollen  bringt". 


112 


Rotenbach,   Zum  Problem  der  Ätiologie  der  Tabe«. 


rTherftpentfoehe 
L    Monatshefte. 


„die  Lues  nur  gleichsam  die  Bedeutung  eines 
Ferments"  habe,  dessen  Wirkung  von  den 
variablen  Substraten  der  Körpergewebe,  also 
in  letzter  Linie  von  einer  lokalen  Disposition 
des  Rückenmarks,  abhängt. 

So  sehr  gerade  ich  die  Fälle  von  fami- 
liärer Tabes  als  bedeutungsvolle  Stütze  meiner 
Ansicht9)  ansehe  und  so  erfreulich  für  mich 
die  Unterstützung  durch  Berichte  über  zweifel- 
lose Fälle  ist,  so  sehr  muß  ich  gegen  eine 
solche  nichtssagende  Art  der  klinischen  Bericht- 
erstattung Protest  erheben,  da  es  mir  eben 
nicht  auf  die  Behauptung  meiner  Ansicht  um 
jeden  Preis,  sondern  vor  allem  auf  wissen- 
schaftliche Beweise  dafür  und  dagegen  an- 
kommt. 

Ich  bin  ja  weit  davon  entfernt  zu  leugnen, 
daß  ein  mit  Lues  Infizierter  an  Tabes  er- 
krankt; ich  leugne  nur  1.,  daß  die  Lues  eine 
größere  Disposition  dafür  schafft,  als  irgend 
eine  andere  Erkrankung,  2.,  daß  in  90  Proz. 
und  mehr  aller  Fälle  bei  Tabikern  eine  lue- 
tische Anamnese  konstatiert  werden  kann, 
und  daß  3.  die  Tabes  eine  spezifische 
Wirkung  des  Luesgiftes  darstellt,  die  dem 
Systematiker  erlaubt,  von  ihr  als  von  einer 
meta-  oder  parasyphilitischen  Erkrankung  zu 
sprechen. 

Gewiß  sind  z.  B.  nach  Masern  chronische  und 
käsige  Veränderungen  der  Lungen  relativ  häufig, 
aber  nicht  etwa  weil  der  ätiologische  Faktor  der 
Tuberkulose  eine  spezifische  Ähnlichkeit  mit  dem 
der  Masern  hat,  sodaß  man  den  käsigen  Prozeß 
nach  Analogie  der  „metasyphilitischen  Tabes Ä  als 
metamorbillöse  Pneumonie  zu  bezeichnen  wagen 
dürfte,  sondern  weil  im  Verlaufe  der  Masern  der 
Respirationsapparat  and  vor  allem  die  Schleimhäute 
in  besonders  starker  Weise  affiziert  werden  und 
hier  eine  Schwäche  geschaffen  wird,  die  bei  ohnehin 
schwacher  Anlage  der  Apparate  ebenso  oft  [zur 
Tuberkulose  führt,  wie  Anämie,  schwere  Dyspepsie 
und  intensive  akute  Erkrankung. 

Was  ich  also  von  jedem,  der  an  der 
Diskussion  teil  nimmt,  verlange,  ist  nicht  ein 
beliebiges  Sentiment  des  Berichterstatters 
über  seine  Auffassung,  sondern  eine  ausführ- 
liche und  objektive  Schilderung  der  zum 
Beweise  der  klinischen  Besonderheit  heran- 
gezogenen Fälle.  Was  der  Patient  in  Form 
eines  —  vom  Arzte  oder  dureh  Lektüre 
übernommenen  —  Schlagwortes  angibt,  ist 
für  mich  durchaus  nicht  maßgebend.  Wenn 
er  nicht  klare  Symptome  schildern  kann, 
sondern  nur  den  Ausspruch  eines  Arztes  re- 
produziert oder  als  positivsten  Beweis  die  Tat- 
sache anzuführen  vermag,  daß  ihm  mehr  oder 


')  0.  Rosenbach,  Das  Problem  der  Syphilis 
und  die  Legende  von  der  spezifischen  Wirkung 
des  Quecksilbers  und  Jods,  Berlin  1903.  —  Ist 
für  die  Entstehung  der  Tabes  die  Syphilis  oder 
die  Anlage  und  ein  sozialer  Faktor  maßgebend? 
Diese  Zeitschrift  1904,  Heft  3  u.  4. 


weniger  Quecksilber  einverleibt  worden  ist, 
so  ist  für  mich  das  wissenschaftliche  Ergeb- 
nis der  Anamnese  gleich  Null.  Ebensowenig 
beweiskräftig  ist  die  Mitteilung,  daß  ein 
praktischer  Arzt  oder  sogar  ein  Spezialist 
—  diese  Steigerung  bitte  ich  nur  stilistisch 
und  nicht  etwa  als  Ausdruck  meiner  Wert- 
schätzung dieser  beiden  Kategorien  von  Ärzten 
aufzufassen  —  ein  Geschwür  für  „hart3)" 
erklärt  hat;  denn  hier  handelt  es  sich,  was 
man  nicht  vergessen  sollte,  um  ein  subjek- 
tives Urteil  und  nicht  um  eine  objektive 
Angabe,  weil  der  eine  Beobachter  leichter 
geneigt  ist  als  der  andere  ein  Geschwür  für 
hart  zu  erklären.  Dagegen  kann  über  die 
Natur  eines  Roseolaexanthems  oder  der 
feuchten  Papeln  nicht  leicht  ein  Streit  der 
Meinungen  entstehen,  und  die  Differenz  ist 
auch  in  zweifelhaften  Fällen  auf  das  geringste 
Maß  zurückzuführen,  wenn  die  Beschaffenheit, 
die  Ausbreitung  und  der  Sitz  des  fraglichen 
Befundes  genau  angegeben  wird.  Jeder 
Zweifel  würde  überhaupt  in  zweck- 
mäßiger Weise  vermieden  werden, 
wenn  dem  Patienten  im  Ausblick  auf 
die  Zukunft  von  dem  behandelnden 
Arzte  jedesmal  sofort  genaue  Infor- 
mationen über  Ort  und  Art  der  cha- 
rakteristischen Symptome  gegeben 
würden. 

Auch  als  Krankengeschichten  sollten  stets  nur 

fenaueste  Schilderungen  mitgeteilt  werden,  da  mir 
'alle  bekannt  sind,  wo  zwei  oder  drei  Flecke 
zweifelhaften  Charakters  als  Roseolaexanthem  be- 
zeichnet und  andere,  wo  die  bekannten  weißen 
Flecke  der  Wangenschleimhaut,  die  schon  vor  der 
Infektion  vorhanden  waren,  als  sichere  Lokalisationen 
der  Lues  betrachtet  wurden.  Für  eine  wissenschaft- 
liche Betrachtung  oder  Statistik  genügt  zweifellos 
die  bloße  Angabe  nicht,  daß  Patient  an  Lues  ge- 
litten, oder  gar  die  gewöhnlich  als  voller  Beweis 
betrachtete,  daß  er  Hg -Kuren  durchgemacht  hat; 
ich  wenigstens  würde  nur  auf  solche  Angaben  hin, 
bei  sonst  zweifelhaften  Erscheinungen,  z.  B.  Er- 
krankungen innerer  Organe,  niemand  für  luetisch 
durchseucht  erklären,  ebensowenig  wie  ich  jemand 
ohne  weiteres  für  herzkrank  erklären  würde,  weil 
er  nach  Aussage  des  Arztes  an  Herzschwäche  ge- 
litten und  sogar  Digitalis  genommen  hat. 


*)  Wem  diese  Auffassung  zu  rigoros  erscheint, 
dem  möchte  ich  folgende  Erfahrung  aus  der  jüngsten 
Zeit  vorführen.  Em  Patient  gab  mir,  als  ich  eine 
genaue  Anamnese  erhob,  an,  daß  der  ihn  zuerst 
behandelnde  Arzt  vor  mehreren.  Fachgenossen  er- 
klärte, daß  sich  eine  Entscheidung  über  die  Natur 
des  Geschwüres  nicht  treffen  lasse,  daß  man  aber 
doch  am  besten  tue,  es  als  hart  anzusehen  und 
demgemäß  eine  Hg-Behandlung  einzuleiten.  Damit 
war  das  Urteil  für  alle  Zeiten  gesprochen;  denn 
obwohl  nach  Angabe  des  Patienten  keine  sekun- 
dären Erscheinungen  aufgetreten  waren ,  so  erklärte 
ihn  doch  —  ohne  weitere  anamnestische  Fragen  — 

i'eder  der  späteren  Ärzte,  die  er  aus  Ängstlichkeit 
konsultierte,  für  luetisch,  eben  weil  er  mit  Hg  be- 
handelt worden  war. 


XIX.  Jahrftng.l 
Mir«  1905.    J 


Rosenbach,  Zum  Piobtom  der  Ätiologie  der  Tab«*, 


113 


Was  aber  schon  für  die  Praxis  gilt,  muß 
doch  in  weit  höherem  Maße  dort  gelten,  wo 
die  Forderungen  der  exakten  Wissenschaft  in 
Frage  kommen.  D.  h.  nur  eine  ganz  genaue 
unvoreingenommene  Schilderung  der  Sym- 
ptome kann  als  Basis  für  die  sich  anschlie- 
ßende subjektive  Betrachtung  oder  Schluß- 
folgerung (des  Berichterstatters  selbst  oder 
der  Leser)  dienen;  die  eingehende  objek- 
tive Sohilderung  ist  das  einfache,  aber 
unerläßliche  Postulat  wissenschaftlicher 
Forschung.  Und  ob  sie  erschöpfend  ist, 
ergibt  am  besten  der  Umstand,  daß  die 
Leser  oder  Hörer  einer  Krankengeschichte 
gleichsam  gezwungen  sind,  die  Auffassung 
des  Berichterstatters  zu  teilen  und  seine 
Schlüsse  anzunehmen.  Das  gilt  ebenso  für 
die  Tabes  wie  für  andere  Krankheiten. 

Wenn  jemand  bei  Behandlung  von  so  and  so 
vielen  Fällen  von  Diphtherie  einen  Erfolg  von 
einem  Mittel  gesehen  hat,  so  muß  er,  wenn  er 
wissenschaftlich  verwendbares  Material  liefern  will, 
genau  die  Art  und  Weise  des  Belages,  die  Art  der 
Drüsenschwellung,  die  Dauer  der  Erkrankung  bis 
zur  völligen  Heilang,  den  Fiebertypus  etc.  schildern. 
Sonst  tappt  der  wissenschaftliche  Forscher,  der 
solches  Material  verwerten  möchte,  im  Dunkeln  oder 
wird  direkt  irregeführt.  Am  günstigsten  liegt  hier 
noch  der  Fall,  wenn  das  subjektive  Material  des 
Berichterstatters  mit  den  Tatsachen  der  gewöhn- 
lichen Erfahrung  in  allzu  großem  Widerspruch 
steht,  wie  das  bei  Mitteilungen  therapeutischer 
Enthusiasten  gewöhnlich  der  Fall  ist  Z.  B.  kann 
man  oft  genug  erfahren,  daß  durch  irgend  ein 
Mittel  Fälle  von  Diphtherie  in  24—48  Stunden 
völlig  geheilt  worden  sein  sollen,  eine  Möglichkeit, 
die  mir  allerdings  in  meiner  eigenen  Praxis  noch 
nicht  vorgekommen  ist. 

Die  von  Herrn  Croner  angeführten  Daten 
nun  genügen  auch  den  allergeringsten  An- 
forderungen nicht,  wie  jeder  mir  ohne  weiteres 
zugeben  wird,  der  die  folgenden  wenigen, 
aber  das  gesamte  Material  enthaltenden, 
Zeilen  aus  der  Mitteilung  des  genannten 
Herrn  lesen  will.  Die  von  Herrn  Croner 
gegebene  Beschreibung  (?)  seiner  sogenannten 
2wei(!)  Gruppen  von  Fällen  und  seine  so- 
genannte Begründung  der  ätiologischen  Dia- 
gnose resp.  der  familiären  luetischen  Tabes 
lautet  nämlich  in  wahrhaft  lakonischer  Fas- 
sung folgendermaßen: 

„In  beiden'  der  von  mir  beobachteten  Gruppen 
handelt  es  sich  um  3  Brüder,  die  an  Tabes  dorsalis 
gelitten  haben,  bezw.  leiden. 

Von  der  ersten  Gruppe  ist  mir  nur(!)  der 
eine  (! !)  Bruder,  ein  68 jähriger  Lithograph,  bekannt. 
Derselbe  stellte  sich  in  der  kgl.  med.  Universitäts- 
Poliklinik  vor,  mit  deutlichen  Symptomen  von 
Tabes.  Er  gab  an,  daß  sein  Vater,  74  Jahre  alt, 
an  Influenza  gestorben  sei,  die  Mutter,  56  Jahre 
alt,  an  Kopfrheumatismus.  Ein  Bruder,  der  Offizier 
war,  starb,  48  Jahre  alt,  an  Tabes,  ein  anderer 
Binder,  Kaufmann,  38  Jahre  alt,  an  derselben 
Krankheit.  Der  eine  Bruder  war  14,  der  andere 
12  Jahre  älter  als  Patient.  Eine  Schwester  starb, 
50  Jahre  alt,   plötzlich  an  einem  Schlaganfall  und 


war  vorher  sehr  aufgeregt  und  nervös.  Der  altere 
der  Brüder  war  unverheiratet,  der  andere  war  ver- 
heiratet und  hatte  gesunde  Kinder  (!).  Ob  die 
Brüder  syphilitisch  waren,  vermag  Patient 
nicht  anzugeben  (! !),  doch  waren  beide 
„  Freunde  der  Liebe  «  (sie. !).  Er  selbst  hat  1876 
einen  harten  (?)*)  Schanker  gehabt,  spater  einen 
Ausschlag  auf  der  Stirn-  und  Kopfhaut,  der  von 
einem  Arzt  mit  Jodkali  erfolgreich  bekämpft  wurde. 
Die  von  mir  vorgenommene  Lumbalpunktion  ergab 
reichliche  Mengen  Leukozyten  und  Lymphozyten  *).« 
„Die  3  Brüder  der  zweiten  Gruppe,  die  jetzt 
sämtlich  tot  sind,  stammeu  aus  der  Privatpraxis 
(sie. !).  Der  Vater  starb  in  hohem  Alter,  die  Mutter, 
ca.  60  Jahre  alt,  an  Urämie.  Ein  vierter  Bruder 
starb  jung  an  Typhus  abdominalis,  eine  Schwester 
an  Diabetes  mellitus!  eine  andere  an  Miliartuber- 
kulose." 

So  unzureichend  also  sind  die  vermeint- 
lichen Tatsachen  beschaffen,  mit  denen  Herr 
Croner  zu  einer  überaus  wichtigen  Frage 
Stellung  nimmt,  und  an  diese  Tatsachen 
schließt  sich  das  in  seiner  lapidaren  Kürze 
völlig  verblüffende  Resume:  „In  der  einen 
Gruppe  handelt  es  sich  also  um  3  Brüder, 
die  nach  voraufgegangener  Lues  an  Tabes  er- 
krankt sind,  bei  der  anderen  Gruppe  ist  es 
(sie!)  mit  Sicherheit  nur  bei  dem  einen 
Bruder  festzustellen. tt 

Wo  findet  sich  denn  nun  in  den  wenigen 
angeführten  Zeilen  eine  Angabe  darüber, 
daß  „3  Brüder  einer  Gruppe  nach  vorauf- 
gegangener Lues"  an  Tabes  erkrankt  sind, 
und  wo  findet  sich  der  angeblich  sichere 
Beweis  für  die  Lues  des  einen  Kranken 
der  ersten  Gruppe?  Ich  sehe  auch  darin 
keine  Entschuldigung  für  eine  solche  Ver- 
öffentlichung, daß  der  Verf.  uns  auf  eine 
demnächst  erscheinende  Dissertation  verweist, 
in  der  die  Krankengeschichten  ausführlich 
veröffentlicht  werden  sollen.  Wenn  erst  die 
Dissertation  das  notwendige  Material  bringen 
soll,  dann  hätte  er  seine  Apercus  so  lange 
unveröffentlicht  lassen  sollen,  und  wenn  er 
durchaus  schon  jetzt  das  Gewicht  seiner 
Ansicht  in  die  Wagschale  werfen  wollte, 
dann  hätte  er  eben  auch  die  Tatsachen  im 
vollen  Umfange  veröffentlichen  müssen,  da 
der  Forscher  auf  Ansichten,  selbst  wenn  sie 
die  Herrn  Croners  sind,  weniger  Wert 
legen  darf,  als  auf  das  nackte  Faktum,  das 
für  sich  selbst  spricht.     Croners  Fälle  nun 


*)  Das  Fragezeichen  steht  im  Original;  sie! 
und  ! !  habe  ich  hinzugefügt. 

*)  Ich  habe  den  hier  folgenden  Satz  der 
besseren  Verständlichkeit  wegen  herausgenommen, 
um  ihn  erst  später  zu  kritisieren,  da  in  ihm 
—  entgegen  der  allgemein  angenommenen  und 
darum  in  allen  diagnostischen  Kursen  für  Anfänger 
zuerst  gelehrten  Vorschrift,  daß  subjektive  Angaben 
resp.  Urteile  in  die  objektive  (rein  referierende) 
Darstellung  der  Krankengeschichte  nicht  gehören  — 
schon  in  der  Krankengeschichte  ein  Schluß  ge- 
zogen wird. 

9* 


114 


Rosenbach,   Zum  Problem  der  Ätiologie  der  Tabes. 


rTher&peutteebe 
L   Monatshefte. 


beweisen  also  nicht  einmal,  daß  es  sich  um 
familiäre  Tabes  gebandelt  hat;  denn  selbst- 
verständlich sind  die  bloßen  Aussagen  von 
Laien  wertlos,  da  meines  Erachtens  für  eine 
wissenschaftliche  Feststellung  sogar  nicht  ein« 
mal  die  Wiedergabe  einer  (nicht  motivierten) 
ärztlichen  Ansicht,  daß  es  sich  um  Tabes 
gehandelt  habe,  ausreicht. 

Für  den  Forseber  ist  eben  (neben  der  sub- 
jektiven Anamnese)  die  Schilderung  des  gesamten, 
der  Diagnose  als  Basis  dienenden,  Symptomen- 
komplexes das  erste  Postulat  Ich  wenigstens  habe 
genug  Fälle  der  verschiedensten  Formen  von 
Rückenmarks-  und  sogar  Gehirnerkrank ung  ge- 
sehen, die  meiner  Untersuchung  nach  mit  Unrecht 
unter  der  Diagnose  Tabes  gingen,  Fälle,  —  wo  die 
unrichtige  Auffassung  beim  ersten  Blicke  klar  auf 
der  Hand  lag  und,  wie  ich  für  Skeptiker  hinzu- 
fugen möchte,  eine  nicht  gar  kleine  Anzahl,  in  der 
meine  Auffassung  durch  die  Sektion  bestätigt 
wurde,  von  den  Patienten  im  Initialstadium  ganz  zu 
schweigen,  wo  die  Diagnose  lange  Zeit  hindurch 
wenigstens  zweifelhaft  blieb.  Solche  diagnostischen 
Differenzen  werden  jawohl  für  jeden ,  der  auf  dem 
Gebiete  der  Nervenkrankheiten  Bescheid  weiß, 
nicht  gerade  verwunderlich  sein. 

Ferner  habe  ich  schon  in  einer  früheren 
Arbeit6)  darauf  hingewiesen,  daß  man  nicht 
das  Recht  hat,  früheste  Stadien  der  Er- 
krankung oder  Fälle,  wo  nur  einzelne  Symp- 
tome, wie  Pupillendifferenz,  Fehlen  oder 
Schwäche  des  Patellarreflexes,  schwaches 
Rombergsches  Symptom,  vorhanden  sind, 
schon  als  Tabes,  als  Vernichtung  des 
Parenchyms,  d.  h.  als  den  Zustand  der 
Atrophie  gewisser  Teile  des  Nervensystems, 
zu  bezeichnen,  der  nur  mit  dem  irrepara- 
blen Endstadium  identisch  ist.  Zwischen 
der  muskulotonischen  Insuffienz  nach 
meiner  Bezeichnung  und  der  ausgesprochenen 
Tabes  ist  ein  so  großer  Unterschied,  wie 
zwischen  Mageninsuffizienz  und  Magendila- 
tation, Spitzenkatarrh  und  Phthise,  relativer 
Herzinsuffizienz  und  dauernder  (absoluter) 
Herzdilatation.  Man  muß  nicht  aus  dia- 
gnostischer Spitzfindigkeit,  sondern  im  wahr- 
haften Interesse  der  Patienten  und 
aus  wissenschaftlichen  Gründen  diese 
Unterschiede  berücksichtigen,  da  doch  der 
dauernde  Stillstand  der  Funktions Veränderung 
und  selbst  der  Gewebsprozesse  im  Früh- 
stadium nicht  ausgeschlossen  ist. 

Ich  wenigstens  kenne  einige  charakteristische 
Fälle  von  —  in  diesem  Sinne  —  falschlich  dia- 
gnostizierter Tabes,  d.  h.  Fälle,  die  einige  der  oben 
geschilderten  Symptome  seit  15-20  Jahren  in 
derselben  Stärke  bieten,  ohne  daß  sich  die  Er- 
scheinungen wirklicher  Tabes  (resp.  das  ganze 
Syndrom)  eingestellt  haben,  sodaß  man  annehmen 
muß,  daß  auch  der  Prozeß,  der  som>t  zur  völligen 
Atrophie  führt,    stillstehen  kann,    und   daß  diesen 


6)  0.  Rosenbach,  Zur  Lehre  von  der  spinalen 
(muskulotonischen)  Insuffizienz  (Tabes  dorsalis). 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1899,  No.  10—12. 


leichten  Formen  nur  funktionelle  Störungen  oder 
eine  streng  lokalisierte,  wenig  intensive,  Gewebs- 
erkrankung  zu  Grund  liegt 

Und  was  soll  man  erst  dazu  sagen,  daß 
Verf.  von  den  drei  Brüdern  der  zweiten 
Gruppe  außer  einer  kurzen  Angabe  über 
die  Todesursache  der  Eltern  und  Ge- 
schwister nichts  mitzuteilen  für  nötig 
hält,  als  das  teils  traurige,  teils  erhebende 
Faktum,  daß  „sie  tot  sind  und  aus  der 
Privatpraxis  stammen u?  (S.o.)  Herrn  Croners 
diagnostische  Kunst  und  anamnestische  In- 
quisition sfahigkeit  in  Ehren;  aber  hier  ist 
doch  auch  nicht  der  Schatten  eines  verwend- 
baren Materials  vorhanden,  und  darum  kann 
der  Versuch,  bei  so  vollkommenem  Fehlen 
jeder  greifbaren  Unterlage  einen  weitgehen- 
den Schluß  in  der  Tat  auf  einem  Nichts  auf- 
zubauen,  nicht  scharf  genug  gerügt  werden. 

Wenn  so  die  Mitteilung  Croners  schon 
keinen  Beweis  für  die  familiäre  Natur  der 
Tabes  bietet,  so  muß  man  den  allerschärfsten 
Protest  dagegen  erheben,  daß  er  mit  solchen 
Brocken  anspruchsvoll  in  die  Diskussion  über 
die  luetische  Natur  der  Tabes  eingreifen,  ja 
sie  geradezu  als  Beweise  wenigstens  für  die 
Mitwirkung  des  luetischen  Faktors  angesehen 
wissen  will.  Er  begnügt  sich  ja  nicht  mit 
dem  Hinweise  auf  die  familiäre  Entstehung, 
sondern  will  evident  der  Lues  neben  der 
anerzeugten  Disposition  die  maßgebende  Rolle 
vindizieren.  In  den  wahrhaft  kümmerlichen, 
von  ihm  überlieferten  Daten  fehlt  aber  wunder- 
barerweise jede  objektive  Notiz  über  Sym- 
ptome luetischer  Erkrankung,  ja  selbst  in 
dem  einzigen  Falle,  der  hier  in  Betracht 
kommen  könnte,  steht  der  Forscher  Croner 
mit  dem  Croner  des  Resumes  in  unüber- 
brückbarem Gegensatz.  Während  im  Resume 
angegeben  wird,  daß  nur  bei  einem  Patienten 
der  ersten  Gruppe  Syphilis  mit  Sicherheit 
festgestellt  ist,  versieht  der  Verfasser  die 
Angabe,  daß  dieser  Patient  ein  Ulcus  durum 
gehabt  hat,  eigenhändig  mit  einem  Frage- 
zeichen, und  den  Umstand,  daß  bei  dem 
Kranken  von  einem  anderen  Arzte  ein  Ex- 
anthem der  Stirn-  und  Kopfhaut  erfolgreich 
mit  Jodkali  behandelt  worden  ist,  wird  — 
angesichts  eines  so  umstrittenen  Problems  — 
doch  niemand  als  ernsthaftes  Argument  für 
die  Existenz  der  Syphilis  ansehen  können, 
ganz  abgesehen  davon,  daß  wir  nicht  einmal 
hören,  zu  welcher  Zeit  dieses  Exanthem  auf- 
getreten ist,  und  ob  nicht  daneben  schon. 
Symptome  der  muskulotonischen  Insuffizienz 
bestanden.  Von  den  Patienten  der  zweiten 
Gruppe  aber  erfahren  wir  —  in  einer  nicht 
ganz  glücklich  gewählten  Ausdrucks  weise  — 
sogar  nur,  daß  sie  „aus  der  Privatpraxis 
8tammena  und  tot  sind. 


XIX.  Jfthrgang.l 
Mär«  ia»»ft.    J 


Rosenbaeh,   Zum  Problem  der  Ätiologie  der  Tab«*. 


115 


Wahrhaft  erheiternd  wirkt  bei  dieser,  für  den 
ernsthaften  Forscher  sonst  überaus  traurigen,  Sach- 
lage nur  die  Angabe,  daß  beide  Brüder  „Freunde 
der  Liebe"  gewesen  seien.  Dieser  Grund,  über  den 
man  in  der  Ätiologie  der  Tabes  doch  langst  zur 
Tagesordnung  übergegangen  ist,  hat  zwar  mit  dem 
Problem  der  luetischen  Tabes  nicht  das  geringste 
zu  tun;  aber  er  ist  charakteristisch  für  die  heutige 
Methode,  ätiologische  Zusammenhänge  zu  kon- 
struieren; denn  nach  dieser  modernen  Betrachtungs- 
weise wird,  allerdings  mit  nicht  gerade  zwingender 
Beweiskraft,  gefolgert,  daß  „Freunde  der  Liebe" 
auch  besondere  Gelegenheit  zur  Infektion  finden 
und  so  doppelt  zur  Entstehung  der  Tabes  disponiert 
sind.  Daß  Herr  Groner  diese  auf  Hörensagen 
basierende  Notiz  von  „den  Freunden  der  Liebe" 
als  Iodicium  für  die  luetische  Natur  der  Tabes 
verwandt  wissen  will,  vermag  ich  aus  seinen  Apho- 
rismen allerdings  nicht  ganz  sicher  zu  entnehmen; 
aber  er  wäre  auch  damit  nur  in  die  Fußstapfen 
anderer  getreten. 

Ebenso  charakteristisch  ist  die  weitere 
Folgerung,  daß  der  einzige  Patient  der  ersten 
Gruppe,  den  Herr  Croner  kennt,  an  luetischer 
Tabes  leiden  müsse,  weil  die  „Lumbalpunktion 
reichliche  Mengen  Leukozyten  und  Lympho- 
zyten ergab".  „Denn",  sagt  der  Verf.  „nach 
der  übereinstimmenden  Ansicht  der  Autoren, 
mit  der  auch  meine,  allerdings  noch  nicht 
sehr  zahlreichen  Erfahrungen  über  diesen 
Gegenstand  im  Einklang  stehen,  ist  dieser 
Befund  charakteristisch  für  vorauf  gegangene 
Syphilis  und  dürfen  wir  so  bei  unserem 
Patienten  annehmen,  daß  er  syphilitisch  in- 
fiziert gewesen  ist".  Hier  wird  gerade  der 
logische  Fehler,  den  ich  in  meiner  Kritik  der 
Fourni  er- Erb  sehen  Theorie7)  am  schärfsten 
verurteilt  habe,  wiederholt.  Das,  was  erst 
bewiesen  werden  soll,  wird  schon  als  be- 
wiesen angenommen,  und  dadurch,  daß  ein 
Anhänger  dieser  Lehre  sofort  die  Ansichten 
der  ersten  Verkünder  des  Dogmas  als 
Wahrheiten  proklamiert,  wächst  natürlich 
die  Zahl  der  Scheinbeweise  rapid.  Und  doch 
muß  sich  auch  jeder,  der  nie  einen  Fall  von 
Tabes  seziert  und  mikroskopiert  hat,  schon 
aus  theoretischen  Gründen  klar  darüber  sein, 
daß  die  Anwesenheit  von  entzündlicher  Dural- 
flüssigkeit  resp.  von  Leukozyten  nicht  etwa 
von  der  spezifischen  Systemerkrankung 
Tabes,  sondern  nur  von  der  mehr  oder  weniger 
entzündlichen  Natur  des  Prozesses  im  Rücken- 
mark abhängt,  daß  also  Leukozyten  im  Rücken- 
mark bei  Tabes  ebenso  wie  bei  jeder  anderen 
Kückenmarkserkrankung  gefunden  und  nicht 
gefunden  werden  können,  je  nach  der  Art 
und  dem  Stande  des  Prozesses.  Woher  sollten 
denn  sonst  die  bei  chronischer  Erkrankung 
der  Nervenzentren  nur  selten  vermiete  Menin- 
gitis spinalis  resp.  ihre  Residuen  (Verdickung, 


f)  Ist  für  die  Entstehung  der  Tabes  die  Syphilis 
oder  die  Anlage  und  ein  sozialer  Faktor  maßgebend? 
Therap.  Monatsh.  1904,  H.  3  u.  4. 


Verwachsung  oder  Trübung  der  Häute)  her- 
rühren? Je  früher  man  eben  das  Nerven- 
system eines  Tabikers  zu  untersuchen  Gelegen- 
heit hat,  desto  eher  werden  sich  in  den  Nerven 
und  im  Rückenmark  noch  die  Zeichen  der 
akuten  oder  subakuten  Entzündung  zeigen, 
während  sich  in  späten  Stadien  nur  die 
Erscheinungen  der  Degeneration  resp.  der 
Atrophie  des  Parenchyms  nachweisen  lassen; 
ganz  abgesehen  davon,  daß  die  tabische  Er- 
krankung von  vornherein  mehr  durch  ent- 
zündliche oder  mehr  durch  originär  degenera- 
tive Prozesse  bewirkt  sein  kann,  worüber  ich 
mich  schon  in  einer  vor  25  Jahren  veröffent- 
lichten Arbeit  geäußert  habe8). 

Wenn  schließlich  Herr  Croner,  der  doch 
wirklich  nicht  gezeigt  hat,  daß  er  die  objek- 
tive Beobachtung  und  das  klinische  Sehen 
würdigt,  sagt,  „daß  der  Arzt,  der  nur  einige 
Erfahrung  über  diesen  Gegenstand  (1)  (sc.  die 
Beziehungen  von  Lues  und  Tabes)  besitzt, 
blind  sein  oder  mit  absichtlich  verschlossenen 
Augen  einhergehen  muß,  der  einen  Zusammen- 
hang beider  Krankheiten  ableugnet;  denn  es 
gibt  keine  andere  Erkrankung,  bei  der  so 
häufig,  sei  es  durch  nachweisbare  Verände- 
rungen, sei  es  durch  die  sorgfältig  aufgenom- 
mene Anamnese  voraufgegangene  Lues  kon- 
statiert werden  kann,  als  bei  Tabes",  — 
wenn  also  Herr  Croner  so  über  die  durch 
ernsthafte,  umständliche  und  langjährige  Be- 
obachtung zu  anderen  Schlüssen  kommenden 
Forscher  urteilt,  so  gebe  ich  ihm  sofort  zu, 
daß  es  besser  ist,  in  diesem  Sinne  blind 
zu  sein,  als  etwas  zu  sehen,  was  nicht  vor- 
handen ist,  und  ohne  Unterlage  Schlüsse 
zu  machen,  wie  die  seinigen. 

Und  wenn  er  mich  auffordert,  meine  Sta- 
tistik über  die  syphilitisch  gewesenen  oder 
wegen  angeblicher  Syphilis  mit  Quecksilber  be- 
handelten Tuberkulösen  zu  publizieren,  nach- 
dem die  Gegenprobe  bei  andersartig  Erkrank- 
ten gemacht  ist,  so  hat  er  weder  meine  all- 
gemeinen Erörterungen  über  die  Methoden  und 
Fehlerquellen  der  Statistik  noch  über  die 
Beweiskraft  sogenannter  Gegenproben  gelesen 
oder  verstanden.  Ich  müßte  mir  selbst  untreu 
werden,  wenn  ich  eine  solche  Untersuchung, 
etwa  nach  der  Methode  von  Erb,  deren 
Fehlerquellen  ich  deutlich  genug  dargelegt 
habe,  publizieren  wollte.  Solche  Untersuchun- 
gen stellt  man  eben  für  sich,  aber  nicht  für 
andere  an,  nur  um  einen  ungefähren  Ver- 
gleich zu  haben  und  auf  die  Fehlerquellen, 
die  solchen  Statistiken  anhaften  müssen,  auf- 
merksam zu  werden.    Doch  ich  will  den  Leser 


*)  0.  Rosenbaoh,  Experimentelle  Unter- 
suchungen über  Neuritis.  Arch.  f.  experim.  Path.  u. 
Pharmak.  1877,  Bd.  VIII. 


116 


H*rs,  Chronische  EntsQndunfen  dmt  Blinddarmgofend. 


L   Monatshefte. 


mit  Auseinandersetzungen  über  dieses  Thema 
nicht  langweilen,  da  ja  jeder  leicht  Gelegen- 
heit nehmen  kann,  meine  Erörterungen  über 
diesen  Punkt  zu  lesen9);  mir  kommt  es  ja 
hier  nur  darauf  an  zu  zeigen,  wie  Kranken- 
geschichten und  Folgerungen,  die  zur 
Entscheidung  wichtiger  Probleme 
dienen  sollen,  nicht  beschaffen  sein 
dürfen. 


Über  chronische  Entzündungen  der 
Blinddarmgegrend  und  ihre  Behandlung. 

Von 
Dr.  H.  Herz,  Breslau. 

Das  Vorkommen  chronisch-entzünd- 
licher Prozesse,  die  vom  Wurmfortsatz 
und  Blinddarm  ausgehen,  findet  noch 
lange  nicht  die  Beachtung,  die  es  verdient. 
Gewiß,  nach  Überstehen  einer  akuten  Peri- 
typhlitis bleibt  die  Blinddarmgegend  für  Arzt 
und  Kranken  Gegenstand  sorgfaltiger  Beob- 
achtung. Aber  schon  vorher  muß,  wie  die 
Autoskopie  ergibt,  in  zahlreichen  Fällen  ein 
chronischer  Prozeß  sich  lange  abgespielt  haben. 
Und  bei  darauf  gerichteter  Aufmerksamkeit 
findet  man  über  Erwarten  häufig  chronische 
Entzündungen  der  betreffenden  Darmteile,  ohne 
daß  je  eine  akute  Eruption  stattfindet. 

Das  Studium  dieser  Affektionen  ist  von 
höchster  praktischer  und  theoretischer  Wich- 
tigkeit. Von  praktischer,  weil  nur  bei  Kennt- 
nis aller  Formen  der  Erkrankung  eine  wirk- 
lich rationelle  Prophylaxe  und  Therapie  mög- 
lich ist,  gleichviel  ob  man  das  Heil  nur  in 
der  operativen  oder  in  einer  mehr  konser- 
vativen Behandlung  sieht.  Die  (zunächst) 
theoretische  Wichtigkeit  liegt  in  der  Er- 
kenntnis, die  sich  übrigens,  wenn  auch  weni- 
ger deutlich,  bei  der  Beobachtung  zahlreicher 
akuter  Fälle  gewinnen  läßt,  daß  die  Appen- 
dicitis  resp.  Typh litis  nach  Ätiologie,  Sympto- 
matologie und  Ausgang  nicht  als  gleichsam 
isoliertes  Krankheitsbild  zu  betrachten  ist; 
es  ergeben  sich  sehr  bedeutsame  Beziehungen 
zu  allgemeinen  Darmprozessen,  zur  Blut-  und 
zur  nervösen  Versorgung  der  Unterleibsorgane, 
zu  allgemeinen  Stoffwechsel  Störungen  u.  a.  m. 

Trotz  zahlreicher  Einzelbeiträge  von  großer 
Wichtigkeit  werden  diese  chronischen  Er- 
krankungen in  den  Lehrbüchern  nur  im  Ver- 
lauf oder  am  Schluß  einer  Abhandlung  über 
die  akuten  Formen  beiläufig  erwähnt.  Auf 
Grund  einer  nicht  ganz  unbeträchtlichen  Er- 
fahrung möchte  ich  diese  Fälle  etwas  aus- 
führlicher behandeln,  wie  sie  sich  dem  Prak- 
tiker,   oft    in    der   Sprechstunde,    darstellen. 


9)  Therap.  Monatsh.  1904,  Heft  3  u.  4. 


Das  Verdienst  hauptsächlich  der  Chirurgen 
ist  es,  daß  wir  über  die  anatomischen  Ver- 
hältnisse, wie  bei  den  akuten,  so  auch  mehr 
und  mehr  bei  den  chronischen  Fällen  auf- 
geklärt werden.  Der  Internist  kann  aber  in 
anderer  Richtung  manches  zur  Erkenntnis 
beitragen. 

Die  Häufigkeit  der  chronischen  Appen- 
dicitis  geht  viel  mehr,  als  aus  klinischen 
Befunden,  aus  den  Erfahrungen  der  Opera- 
teure und  Anatomen  hervor. 

Die  Befunde  der  Chirurgen  (chronische 
Schleimhaut-  und  Peritoneal  Veränderungen, 
Kotsteine  etc.)  zeigen  sehr  oft,  daß  der  akuten 
Eruption  ein  chronisches  Stadium  vorher- 
gegangen ist.  Auch  wo  in  der  Tat  heftige 
akute  Erscheinungen  schon  den  Beginn  der 
anatomischen  Läsion  begleiten,  etwa  im  An- 
schluß an  akute  Enteritis,  als  Begleiterschei- 
nungen anderer  Infektionen  (Angina,  Influenza, 
Typhus,  Ruhr  etc.),  gestaltet  sich  der  Ver- 
lauf oft  genug  chronisch.  Dazu  kommen 
dann  die  dauernd  chronischen  Fälle.  —  Gynä- 
kologische Operateure  fanden  nach  Angaben, 
die  ich  E.  Fränkel1)  entnehme,  bei  Lapa- 
rotomieen  in  etwa  3 — 10  Proz.  und  mehr  der 
Fälle  Appendicitis  oft  hohen  Grades;  wenn 
auch  eben  gerade  wegen  der  Wechselbezieh- 
ungen zwischen  ihr  und  Genitalerkrankungen 
dieses  Verhältnis  keineswegs  dem  durch- 
schnittlichen bei  gesunden  Frauen  entspricht, 
so  ergibt  sich  doch,  wie  jener  Autor  hervor- 
hebt, daß  gerade  die  chronische  und  larvierte 
Form  der  Wurmfortsatzentzündung  viel  häu- 
figer ist,  als  gewöhnlich  angenommen  wird. 
Auch  ist  wohl  klar,  daß  bei  weitem  nicht 
alle  diese  Fälle  zur  akuten  Perityphlitis  ge- 
führt hätten. 

Dasselbe  ergeben  Untersuchungen  an  der 
Leiche.  Finkel stein  (bei  Sonnenburg) 
fand  unter  100  aufeinanderfolgenden  Obduk- 
tionen ohne  Auswahl  siebenmal  pathologische 
Veränderungen  in  der  Ileocökalgegend,  eine 
erstaunlich  hohe  Zahl.  Andere  Autoren  haben 
die  Prozentzahl  noch  größer  gefunden.  Dazu 
kommen  dann  noch  die  mit  zunehmendem 
Lebensalter  sich  mehrenden  Ribbertschen 
Obliterationen.  Zahlreiche  Autoren  (Lanz8), 
Meisel3)  u.  a.)  neigen,  wohl  mit  Recht, 
dazu,  sie  wenigstens  vorwiegend  als  Ent- 
zündungsprodukte   anzusprechen.      Ribbert 


!)  Ernst  Fränkel,  Die  Appendicitis  in  ihren 
Beziehungen  zu  den  Erkrankungen  der  weiblichen 
Sexualorgane,  v.  Volkmanns  Samml.  kl  in.  Vortr., 
N.  F.  No.  323. 

*)  Otto  Lanz,  Die  pathologisch-anatomischen 
Grandlagen  der  Appendicitis.  Beitr.  z.  klin.  Chir., 
Bd.  38,  1903. 

*)  P.  Meisel,  Über  Entstehung  und  Verbrei- 
tungsart der  Bauchfellentzündungen.  Beitr.  z.  klin. 
Chir.,  Bd.  40,  1903. 


XIX.  Jahrgang."» 
Mär«  1905.    J 


Hers,  Chronisch«  Entzündungen  der  Blinddermfegend. 


117 


selbst,  der  diese  Veränderungen  erst  als  In- 
volutionsprozesse  beschrieb,  gibt  neuerdings4) 
allerlei  Übergangsformen  zu,  Fälle,  in  denen 
durch  Toxinwirkung  die  deutlichen  Zeichen 
der  Entzündung  und  klinisch  leichtere,  nur 
mit  gelegentlichen  Schmerzen  rezidivierende 
Erkrankungen  resultieren.  An  der  Häufig- 
keit derartiger  chronischer  Entzündungen  ist 
also  kein  Zweifel. 

Dem  gegenüber  erscheint  die  klinische 
Ausbeute  spärlich.  Untersucht  man  aber 
methodisch  die  Blinddarmgegend  aller 
Kranken,  besonders  natürlich  der  über  irgend- 
welche Unterleibsbeschwerden  klagenden,  so 
findet  man  bei  einiger  Übung  zahlreiche 
„ verdächtige"  Fälle.  Von  da  bis  zu  einiger- 
maßen sicherer  Diagnose  ist  ja  noch  ein 
ziemlicher  Weg,  aber  auch  diese  läßt  sich 
nicht  so  selten  stellen;  gerade  das  Sprech- 
stundenmaterial liefert  zahlreiche  chronische 
oder  wenigstens  subakute  Fälle. 

Seit  1895,  wo  ich  über  121  Fälle  aus 
dem  Allerheiligenhospital  in  Breslau  berichtet 
habe5),  sind  mir  in  meiner  Privatpraxis  und 
Poliklinik  ca.  260  Fälle  begegnet,  in  denen 
ich  irgend  eine  Form  von  Appendicitis  resp. 
Typhlitis  zu  diagnostizieren  Veranlassung 
hatte.  Über  130  davon  —  die  Grenze  ist 
ja  nicht  scharf  zu  ziehen  —  befanden  sich 
in  chronischem  resp.  subakutem  Stadium. 
Von  diesen  Fällen  hatten  93  nie  eine  schmerz- 
und  fieberhafte  Unterleibsentzündung,  eine 
„Blinddarmentzündung"  durchgemacht,  wie 
solche  bei  den  übrigen  mit  mehr  oder  minder 
großer  Sicherheit  in  der  Anamnese  nachzu- 
weisen war. 

Die  Zahlen  sind  nicht  ganz  exakt.  Die 
an  sich  erfreuliche  Tatsache,  daß  ein  ana- 
tomischer Befund  nur  in  einer  relativ  geringen 
Anzahl  von  Fällen  aufgenommen  werden 
konnte,  läßt  hier  und  da  Zweifel  an  der 
Diagnose  zu.  Es  sind  ja  bei  dem  ausge- 
sprochenen Bilde  der  Appendicitis  acuta  ge- 
legentlich nach  Eröffnung  der  Bauchhöhle 
scheinbar  gesunde  Verhältnisse  vorgefunden 
worden,  der  Wurmfortsatz  fehlte  womöglich 
ganz;  man  hat  von  Pseudoappendicitis  ge- 
sprochen (Küttner6).  Um  wieviel  mehr 
muß  die  Möglichkeit  von  Irrtümern  bei  chro- 
nischen Formen  zugestanden  werden.  Auf 
Verwechslungen  mit  Erkrankungen  benach- 
barter Organe  (Adnexe,  Nieren,  Ureter  etc.) 
braucht  nur  hingewiesen  zu  werden;  bei 
nervösen  Personen   und   sog.   Ptose  bestehen 


*)  Ribbert,  Zur  Pathologie  des  Wurmfort- 
satzes.   Deutsche  med.  Wochenschrift  1903,  No.  23. 

*)  EL  Herz,  Zur  Behandlung  der  Typblitiden. 
Therapeutische  Monatshefte  1896,  April. 

•)  Küttner,  Über  Pseudoappendicitis.  Beitr. 
z.  klin.  Chir.,  XXXVII,  1  u.  2,  1903. 


noch  andere  diagnostische  Schwierigkeiten 
(s.  u.).  Aber  das  sind  doch  Ausnahmen; 
im  allgemeinen  dürfte,  wie  auch  Boas7)  an- 
gibt, die  Diagnose  selten  auf  größere  Schwie- 
rigkeiten stoßen,  wenn  man  sich  auf  die 
Feststellung  einer  krankhaften  Veränderung 
an  oder  um  den  Appendix  und,  wie  ich 
hinzufügen  möchte,  an  oder  um  das  Typhlon 
beschränkt.  Die  Diagnose  der  speziellen 
anatomischen  Veränderungen  ist  allerdings 
sehr  schwer;  hier  immer  weitergehende  dia- 
gnostische Hilfsmittel  zu  finden,  ist  eine 
wichtige  Aufgabe  klinischer  Forschung. 

Auf  Grund  des  erwähnten  Materials  und 
der  in  der  Literatur  niedergelegten  Erfahrun- 
gen will  ich  hier  über  Krankheitsbild  und 
Verlauf,  Prognose  und  Therapie  der  chro- 
nischen Entzündungen  der  Blinddarmgegend 
einiges  sagen. 

Auf  das  anatomische  Bild  dieser  Er- 
krankungen möchte  ich  nur  ganz  kurz  ein- 
gehen, es  kann  von  berufenerer  Seite  besser 
geschildert  werden. 

Die  Appendixschleimhaut  kann  sich  in 
den  verschiedenen  Formen  und  Graden  der 
Entzündung  befinden.  Es  genüge,  die  Appen- 
dicitis chronica  simplex,  follicularis,  granu- 
losa  haemorrhagica,  atrophicans,  hypertrophi- 
cans,  polyposa,  obliterans  aufzuführen.  Dazu 
kommt  nicht  selten  die  Geschwursbildung 
durch  eitrige  Infiltration  der  Schleimhaut, 
durch  Schleimhautdecubitus  bei  Kotsteinen, 
oder  infolge  Perforation  eines  follikulären 
Abszesses  (Lanz  1.  c),  oder  auch  durch 
Thrombose  einer  Wurzel vene  (P.  Meise  1 1.  c). 
Im  Inneren  findet  man  Kot,  Schleim,  seröse 
Flüssigkeit,  Eiter,  event.  auch  blutig  fibri- 
nöses Exsudat  (dies  allerdings  mehr  bei 
akuten  Fällen),  ferner  die  viel  besprochenen 
Kotsteine  und  selten  eigentliche  Fremdkörper 
oder  Würmer. 

Es  erscheint  nicht  zweifelhaft,  daß  schon 
diese  Prozesse,  ohne  Beteiligung  der  Serosa, 
die  selbst  bei  tiefgreifender  Geschwürsbildung 
frei  bleiben  kann,  zu  Krankheitserscheinungen 
führen  können.  Das  ergeben  u.  a.  die  beiden 
Fälle  von  Appendicitis  chronica  haemorrhagica 
bezw.  ulcerosa,  die  Lenzmann8)  operierte, 
und  bei  denen  heftige  und  anhaltende  Be- 
schwerden bestanden.  Es  ist  in  diesen  und 
zahlreichen  anderen  Fällen  nicht  möglich, 
immer  eine  Resorption  der  peritonealen 
Krankheitsgebilde  anzunehmen. 

Weitere  Beschwerden  sind  die  Folge  ana- 
tomischer     Heilvorgänge.        Narbenbildung, 


T)  J.  Boas,  Diagnostik  und  Therapie  der 
Darmkrankheiten.    Leipzig  1899. 

8)  R.  Lenzmann,  Weitere  Beobachtungen  über 
Appendicitis  chronica.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1902,  No.  lö. 


118 


Hers,  Chronische  Entzündungen  der  Blinddarmgegend. 


tTherapeutiteh« 
Monatshefte. 


1 


Cirrhose  und  Rigidität  der  Wand  schädigen 
die  Kontraktilität  des  Organs.  Der  Oblite- 
rationsYorgang ,  oft  zum  totalen  Verschluß 
führend,  kann  bei  nur  ringförmigem  Auf- 
treten wiederum  zum  Ausgange  neuer  Stö- 
rungen werden,  wenn  es  dahinter  zu  Sekret- 
stauung, zu  Cystenbildungen,  ja  zum  Empyem 
kommt.  Merkwürdigerweise  sollen  auch  total 
obliterierte  Appendices  noch  Beschwerden 
hervorrufen  (Riedel9)  u.  a.). 

Noch  häufigere  und  oft  charakteristischere 
Störungen  entstehen  durch  Periappendicitis, 
durch  Verwachsungen  von  sehr  verschiedener 
Stärke  und  Ausdehnung,  wodurch  Funktions- 
störungen und  Schmerzen  seitens  des  Darm- 
tractus,  auch  seitens  der  Blase,  der  weib- 
lichen Genitalorgane  hervorgerufen  werden. 
Durch  diese  Adhäsionen,  durch  narbige  Re- 
traktion des  Mesenteriolum,  kombiniert  mit 
den  Narben  der  Wand  des  Appendix,  kommen 
die  verschiedenartigsten  Krümmungen  zu- 
stande. Retentionen  und  Rezidive  einerseits, 
mehr  oder  minder  vollständige  Hemmung  der 
Darmpassage  infolge  Abschnürung  oder  etwa 
infolge  Eindringens  einer  Darmschlinge  in 
Verwachsungsringe  können  die  Folge  sein. 

Eiterherde  neben  dem  Appendix  oder 
auch  abgekapselt  an  entfernten  Stellen  der 
Bauchhöhle  kommen  wohl  mit  verschwin- 
denden Ausnahmen  nur  als  Residuen  akuter 
eitriger  Perityphlitis  vor. 

Rezidive  treten  bei  den  intermittierenden 
Formen  entweder  durch  Wiederaufflackern  des 
noch  nicht  abgeschlossenen  Prozesses  auf, 
oder  ihr  Eintreten  wird  durch  die  geschil- 
derten Residuen  hervorgerufen  resp.  befördert. 
Aber  auch  nach  völliger  Heilung  eines  An- 
falls kann  ein  Rezidiv  eintreten,  wenn  die- 
selben Schädigungen  auf  das  disponierte, 
vielleicht  durch  die  vorangegangene  Entzün- 
dung noch  in  gesteigerter  Disposition  befind- 
liche Organ  wirken. 

Heilbarkeit  der  chronischen  Appendicitis 
in  klinischem  Sinne  ist  nicht  zu  bezweifeln. 
Aber  auch  eine  anatomische  Restitution  der 
leicht  erkrankten  Schleimhaut  ist  wahrschein- 
lich. Auf  die  nachträgliche  Lösung  von 
peritonealen  Verwachsungen,  die  in  weitem 
Umfange  und  spurlos  verschwinden  können, 
hat  P.  Meisel  (1.  c.)  mit  Nachdruck  hin- 
gewiesen. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  die  Frage, 
ob  der  Wurmfortsatz  der  alleinige  Ausgangs- 
punkt aller  dieser  chronischen,  in  der  Blind- 
darmgegend sich  abspielenden  Entzündungs- 
prozesse ist,   ob  nicht  das  Typhlon  zugleich 


oder  auch  allein  erkrankt  sein  kann. 
Zweifellos  ist  der  Appendix  das  gefährdetste 
Organ  und  bei  der  akuten  „Blinddarment- 
zündung" der  gewöhnliche  Ausgangspunkt. 
Aber  so  exklusiv,  wie  manche  wollten,  gilt 
das  nicht,  vom  Coecum  ausgehende  Entzün- 
dungen waren  schon  zur  Zeit  meiner  ersten 
Veröffentlichung  über  Blinddarmentzündungen 
sichergestellt  und  sind  auch  seitdem  vielfach 
beschrieben10).  Was  aber  für  die  perforativen 
Formen  gilt,  gilt  wahrscheinlich  in  noch  viel 
höherem  Maße  für  chronische  Prozesse  ohne 
Neigung  zum  Durchbruch  der  Wand.  Klini- 
sche Erfahrungen  sprechen  dafür,  daß  hier 
das  Typhlon  relativ  häufiger  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Appendix  oder  allein  befallen  ist; 
wir  kommen  darauf  noch  zurück. 

Klinisch  können  wir  bei  der  Unmöglich- 
keit, die  pathologisch-anatomischen  Vorgänge 
im  Einzelfalle  mit  genügender  Exaktheit  zu 
beurteilen,  die  Fälle  am  besten  nach  der 
Verlaufsart  gruppieren.     Ich  unterscheide: 

1.  Die  latente  Form  der  chronischen 
Appendicitis. 

2.  Die  chronische  Appendicitis  mit  inter- 
mittierenden Beschwerden,  wobei  es 
dahingestellt  bleibt,  ob  in  der  Zwischenzeit 
immer  alle  Erscheinungen  völlig  verschwinden. 
Bei  der  einen  Unterart  treten  nur  leichtere 
Erscheinungen  und  besonders  Koliken  auf, 
bei  der  anderen  kommt  es  von  Zeit  zu  Zeit 
zu  deutlichen,  ja  selbst  zu  den  heftigsten 
entzündlichen  Eruptionen. 

3.  Die  chronische  Appendicitis  mit  im 
ganzen  kontinuierlichen  Beschwerden. 
Bei  der  einen  Unterart  stehen  All  gern ein- 
erscheinungen,  bei  der  anderen  die  örtlichen 
Beschwerden  im  Vordergrunde.  Eine  be- 
sondere Abart  der  letzteren  Form  ist  dann 
noch  die  Periappendicitis  chronica  pro- 
gressiva (adhaesiva,  plastica). 

Ich  brauche  wohl  kaum  hinzuzufügen, 
daß  diese  Verlaufsarten  in  praxi  nicht  immer 
streng  geschieden  sind  n). 

Die  latente  Form  ist  bei  weitem  die 
häufigste.     Ich  denke  hier  nicht  an  die  sog. 


9)  Riedel,  Vorbedingungen  und  letzte  Ur- 
sachen des  plötzlichen  Anfalles  von  Wurmfortsatz- 
entzündung.     Arch.  f.  klin.  Chir.,  LXVI,  1902. 


10)  S.  u.  a.  den  Sitzungsbericht  der  Academie 
de  Medecine  in  Paris,  Febr.  1900.  Ferner  Jordan, 
Über  prim&re  akute  Typhlitis.  Arch.  f.  klin.  Chir., 
Bd.  LXIX. 

n)  J.  Koch  (Erfahrungen  über  die  chronische 
rezidivierende  Perityphlitis  auf  Grund  von  200 
Radikaloperationen.  Arch.  f.  klin.  Chir.,  LXVII, 
1902)  kennt  3  Gruppen:  1.  mehr  oder  minder 
akute  Anfalle  bei  freier  Zwischenzeit,  2.  dieselben 
Anfalle,  aber  in  der  Zwischenzeit  Beschwerden, 
3.  die  Fälle  mit  nur  chronischen  Beschwerden. 
Die  Einteilung  von  Rose  (Die  offene  Behandlung 
der  Bauchhöhle  bei  der  Entzündung  des  Wurm- 
fortsatzes. Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.,  Bd.  LVU, 
LV1II,  L1X)  wird  den  chronischen  Formen  zu  wenig 
gerecht. 


XIX.  Jahrgang,  i 
M&nc  1905.     J 


Herz,  Cbroniache  Entzündungen  der  Blinddtrmgegend. 


119 


larvierte  Appendicitis  (Ewald),  bei  der 
allerlei  Beschwerden  bestehen,  die  zunächst 
nicht  auf  den  Wurmfortsatz  hinweisen,  wo 
man  aber  doch  im  allgemeinen  bei  auf  die 
Blinddarmgegend  gerichteter  Aufmerksamkeit 
die  Diagnose  stellen  kann.  Ich  meine  viel- 
mehr Erkrankungen,  deren  Träger  sich  über- 
haupt nicht  krank  fühlen  und  also  auch  den 
Arzt  nicht  aufsuchen.  Es  unterliegt  keiner 
Frage,  daß  die  meisten  leichteren  Schleim- 
hautprozesse derart  latent  verlaufen,  und 
selbst  ziemlich  tiefgehende  Geschwüre  brauchen 
hier,  wie  an  anderen  Stellen  des  Darms, 
keine  subjektiven  Beschwerden,  keine  Funk- 
tionsstörungen zu  verursachen.  Verwachsungen 
entstehen  allerdings  nach  Meisel  (1.  c.)  nur 
ausnahmsweise  symptomlos;  nach  manchen 
in  der  Literatur  niedergelegten  Einzelbeob- 
achtungen aber  ist  auch  dies  Ereignis  nicht 
so  ganz  selten,  und  jedenfalls  kann  die  ein- 
mal, vielleicht  in  der  Jugend,  erworbene 
Adhäsion  ganz  latent  bestehen. 

Kommt  aus  irgendwelchen  gründen  der 
Arzt  zur  Untersuchung  solcher  Fälle,  so 
wird  er  ebenfalls  oft  nichts  Deutliches  fest- 
stellen können,  sei  es,  daß  die  charakte- 
ristischen palpatorischen  Veränderungen  an 
sich  zu  gering  sind,  sei  es  wegen  Verlagerung 
der  in  Betracht  kommenden  Organe  oder 
wegen  erschwerter  Untersuchungsbedingungen. 

Das  sind  die  Fälle,  deren  Residuen  man 
dann  zufällig  bei  der  Obduktion  findet. 
Anderseits  gehören  hierher  die  Beobachtungen 
von  scheinbar  ganz  akuter  Blinddarment- 
zündung, wo  die  Autoskopie  deutliche  ältere 
Veränderungen  ergibt.  Gerade  gewisse,  schnell 
zum  Tode  führende  perforative  Formen  ge- 
hören hierher,  und  ich  fürchte  schon  des- 
wegen, daß  das  trostreiche  Wort  eines  fran- 
zösischen Klinikers,  kein  Mensch  brauche  an 
Appendicitis  zu  sterben,  immer  unerfüllt 
bleiben  wird. 

Läßt  sich  nichts  tun,  um  das  Gebiet  der 
latenten  Appendicitis  einzuschränken?  Ich 
habe  längere  Zeit  methodisch  jeden  Kranken, 
aus  welchem  Grunde  er  mich  auch  kon- 
sultierte, aufs  genaueste  bezüglich  seiner 
Blinddarmgegend  untersucht  und  nicht  ganz 
selten,  in  9 — 10  Proz.  der  Fälle,  verdächtige 
Symptome  gefunden.  Doch  waren  dieselben 
nie  derart,  daß  ich  gewagt  hätte,  eine  be- 
stimmte Diagnose  zu  stellen.  Praktische 
Forderungen  lassen  sich  wohl  kaum  an- 
schließen. 

Nur  bezüglich  des  Vorkommens  latenter 
chronischer  Appendicitis  nach  akuter  Blind- 
darmentzündung scheinen  mir  Fortschritte  bei 
genauester  Beachtung  aller  subjektiven  und 
objektiven  Symptome  möglich.  Nicht  die 
Art,    wohl    aber    das  Vorhandensein    erheb- 

Th.  M.  19C5. 


licher  Residuen  ist  nach  meinen  Erfahrungen 
immer  feststellbar.  Mäßige  Endoappendicitis, 
vereinzelte  peritoneale  Stränge  vermögen  sich 
natürlich  der  Erkenntnis  zu  entziehen.  Aber 
schon  /  tief  ergeh  ende  Schleimhautprozesse 
werden  nach  Ablauf  des  ersten  Anfalls  der 
sorgfältigen  Palpation  sich  verraten;  daß  gar 
progrediente  Entzündungsprozesse,  abgesackte 
Eiterungen  „latent"  bleiben  können,  in  dem 
Sinne,  das  alle  Krankheitserscheinungen  fehlen, 
ist  wenig  wahrscheinlich,  Ausnahmen  können 
ja  auch  hier  einmal  vorkommen,  sind  aber 
doch  wohl  meist  nur  scheinbar,  durch  Nicht- 
beachtung  geringfügiger    Symptome    erzeugt. 

Das  wichtigste  Symptom  der  Fälle  mit 
intermittierenden  und  kontinuierlichen  Be- 
schwerden ist  der  schmerzhafte  Tumor 
dar  Blinddarmgegend.  Zwar  kann  er 
gelegentlich  ganz,  öfter  noch  zeitweise  fehlen, 
im  ganzen  aber  gestattet  erst  sein  Vor- 
handensein eine  einigermaßen  sichere  Diagnose. 

Es  ist  bekannt,  wie  schwer  Blinddarm- 
entzündungen oft  zu  erkennen  sind,  wenn  sie 
an  atypischer  Stelle  sitzen;  wie  vorsichtig 
man  anderseits  auch  bei  dem  gewöhnlichen 
Sitz  gerade  in  sub akuten  und  chronischen 
Fällen  sein  muß.  Schon  die  Affektionen  der 
Bauchdecken,  vor  allem  auch  die  eigentüm- 
lichen, manchmal  streifenförmigen  Kontrak- 
turen der  Bauchmuskeln,  durch  welche 
täuschend  Tumoren  nachgeahmt  werden, 
ferner  Erkrankungszustände  einer  ganzen 
Reihe  von  intra-  und  retroperitonealen  Or- 
ganen kommen  differentialdiagnostisch  in 
Betracht.  Auch  kann  die  in  der  Blind- 
darmgegend sitzende  Geschwulst  karzinomatös, 
tuberkulös,  aktinomykotisch  sein.  Alle  diese« 
Punkte  sind  mit  genügender  Ausführlichkeit 
in  den  Lehrbüchern  besprochen  und  können 
hier  übergangen  werden. 

Seltener  und  ungenügend  ist  der  Versuch 
gemacht,  die  Charaktere  des  palpatorischen 
Befundes,  nach  Ausschluß  der  obengenannten 
Affektionen,  für  die  Differentialdiagnose 
einzelner  Formen  der  Appendicitis 
und  Typhlitis  zu  verwerten.  Es  herrscht 
bezüglich  der  Möglichkeit  dieser  Verwertung 
ein  großer  und  nicht  völlig  unberechtigter  Pessi- 
mismus. Genährt  wird  derselbe  vor  allem  auch 
durch  die  Schwierigkeit,  ja  Unmöglichkeit 
der  speziellen  Diagnose  in  akuten  Fällen 
von  Perityphlitis.  Bei  chronischen  ist  die 
Sachlage  aber  doch  wesentlich  günstiger. 
Man  kann  viel  ausgiebiger  und  öfter  unter- 
suchen, bei  gut  entleertem  Leibe  und  in 
wechselnden  Stadien  der  Füllung  desselben 
und  der  Entzündung.  Dazu  kommt,  daß 
auffällig  viele  unserer  Kranken  wenig  Fett- 
polster und  schlaffe  Bauchdecken  besaßen. 
Ich    halte    daher    die  Verwertung    der    Pal- 

10 


120 


H«rs,  Chronische  EDtettadnngM  dar 


rTherapentUehe 
L   Manatobefte. 


pationsresultate  nicht  für  derart  völlig  aus- 
geschlossen, wie  manche  glauben,  zumal  man 
bei  großer  Übung  vielerlei  fühlen  lernt,  was 
man  früher  kaum  für  möglich  gehalten  hat. 
Daß  große  Vorsicht  notig  ist,  daß  man  oft 
wichtige  Befunde  (z.  B.  hinter  dem  Coecum) 
nicht  erheben  kann,  andere  falsch  deuten 
mag,  wird  jedem  klar  sein,  der  sich  die 
Anatomie  vor  Augen  hält.  Das  hindert  aber 
nicht,  die  positiven  Befunde  möglichst  auf 
gewisse  innere  Zustande  zu  bezieben;  da  ich 
glaube,  daß  sich  durch  Zusammentragen  von 
Einzelerfahrungen  doch  auch  sicherere  Kriterien 
ergeben  werden,  möchte  ich  hier  den  Blind- 
darmtumor  nach  dieser  Seite  analysieren. 

Es  handelt  sich  um  eine  auf  Druck 
schmerzhafte  Resistenz.  Fühibarwerden 
des  kontrahierten  oder  aufgetriebenen  Coecums 
tesp.  Appendix  beweist  noch  gar  nichts. 
Ersteres  Organ  fühlt  man  ja  recht  oft;  und 
wenn  ich  auch  weit  entfernt  bin  zu  glauben, 
daß  man  den  gesunden  Wurmfortsatz  so  oft 
fühlen  kann,  wie  das  amerikanischerseits  an- 
gegeben worden  ist,  so  habe  ich  ihn  doch 
unter  besonders  günstigen  Bedingungen  mit 
großer  Deutlichkeit  unter  den  Fingern  gehabt. 
Gerade  bei  Fällen,  die  ich  als  chronische 
Typhlitis  ansprach,  gelang  es  manchmal,  von 
dem  erkrankten  Darmstück  nach  unten 
ziehend,  das  enge,  drehrunde,  gar  nicht 
druckempfindliche  Anhängsel  zu  fühlen. 
Einen  reizlosen  Tumor  kann  man  nur  dann 
auf  eine  Entzündung  beziehen,  wenn  seine 
Form  sehr  auffallig  ist,  oder  wenn  andere 
deutliche  Zeichen  jener  Erkrankung  (akute 
Attacken  u.  s.  w.)  da  sind.  Entstehen  kann 
bei  ihr  die  vermehrte  Resistenz  durch  größere 
Füllung,  durch  Schleimhautschwellung,  durch 
chronische  Verdickung  der  Wand  des  Organs 
inkl.  der  Serosa,  von  schwereren  Verände- 
rungen der  letzteren  abgesehen;  vor  allem 
aber  spielt  die  Hyperämie  und  die  eigen- 
tümliche „Auf steif ungtt  des  Organs  durch 
muskuläre  Spannung  mit,  die  man  so  oft 
bei  akuten  Fällen  sieht  und  die  das  Wechseln 
der  Symptome  erklärt. 

Auch  Druckempfindlichkeit  der  be- 
treffenden Gegend  allein,  ohne  Tumor,  be- 
weist nicht  viel,  da  es  zahlreiche  Personen 
gibt,  bei  denen  die  hintere  Bauch  wand  diffus 
oder  an  einzelnen  Stellen  (Nervenpunkten?) 
recht  schmerzhaft  ist;  auch  eine  derartige 
Druckempfindlichkeit  ist  also  nur  mit  anderen 
Symptomen  zusammen  zu  verwerten.  Charak- 
teristisch ist  eben  nur  —  und  auch  das  erleidet 
bei  nervösen  Personen  Ausnahmen ;  s.  u.  —  der 
schmerzhafte  Tumor.  Manchmal  geben  Pa- 
tienten, die  über  unbestimmte  Unterleibs- 
beschwerden klagen,  bei  Berührung  der  be- 
treffenden Stelle  ganz  bestimmt  an,  daß  da- 


durch ihre  typischen  Beschwerden  ausgelöst 
werden.  Nach  meinen  Erfahrungen  besteht 
zwischen  spontanen  Beschwerden  und  Druck- 
empfindlichkeit ein  Zusammenhang:  beide 
sind  in  der  Regel  zugleich  vorhanden, 
während  in  anderen,  oft  schwereren  Fällen 
unerklärlicherweise  alle  Symptome,  event. 
bis  zum  Durchbruch,  fehlen.  Daß  die  ver- 
schiedensten Erkrankungen  der  Schleimhaut 
und  Serosa  zu  Schmerzen  führen  können,  ist 
schon  oben  erwähnt. 

Die  Intensität  der  Druckempfindlichkeit 
scheint  von  keiner  diagnostischen  Bedeutung, 
da  die  subjektive  Reaktion  auf  schmerz- 
machende Reize  zu  verschieden  ist.  Die  der 
Serosa  näheren  Prozesse  sind  durchaus  nicht 
immer  die  schmerzhafteren,  wie  man  wohl 
angenommen  hat;  nur  wenn  die  Serosa 
parietalis  erreicht  wird,  steigt  der  Schmerz 
meist  sehr.  Im  Verlauf  des  Leidens  ändert 
sich  in  der  Regel  die  Druck  empfind  iichkeit 
je  nach  dem  Stadium  erheblich,  sehr  oft 
bleibt  sie  in  geringem  Maße  länger  als  alle 
anderen  Symptome  bestehen. 

Die  Lage  des  Tumors  ist  auffällig  oft 
durch  den  Mac  Burney sehen  Punkt  be- 
stimmt; doch  kommen  kleine  Abweichungen 
nach  allen  Seiten  vor.  Auf  die  erheblichen 
Verlagerungen  *—  am  häufigsten  wohl  unter 
die  Leber  und  in  die  rechte  Beckenhälfte  — 
gehe  ich  aus  den  erwähnten  Gründen  nicht 
ein.  Erwähnen  will  ich  nur,  daß  der  appen- 
dicitische  und  der  typhlitische  Tumor  —  beide 
kommen  auch  zusammen  vor  —  sich  u.  A. 
durch  die  Lage  unterscheiden  lassen.  Der 
erstere  zieht  in  mindestens  80  Proz.  der 
Fälle  sebräg  medialwärts  und  nach  unten, 
etwa  in  der  Richtung  zum  unteren  Rande 
der  Synchondrosis  sacroiliaca;  der  letztere 
hat  die  Neigung,  sich  nach  oben  und  etwas 
nach  hinten,  manchmal  bis  weit  hinauf  über 
das  Colon  ascendens,  auszudehnen. 

Wichtige  diagnostische  Handhaben  gibt 
die  Umgrenzung  und  Form  der  Ge- 
schwulst. 

Diffuses  Übergehen  in  die  Umgebung, 
bei  chronischen  Prozessen  im  ganzen  selten, 
spricht  für  ein  Überschreiten  der  Grenzen 
des  einzelnen  Darmteils.  Bekanntlich  kommen 
bei  akuten  Prozessen  derartige  Tumoren 
durch  Anschwellung  des  Peritoneums,  des 
Netzes,  auch  der  Bauchdecken,  durch  Zu- 
sammenballen von  z.  T.  verdickten  Därmen 
unter  eventuellem  Zutritt  von  Gas-  und  Kot- 
stauungen zustande,  auch  wo  große  Eiter- 
herde fehlen.  Ich  habe  zweimal  sehr  in- 
struktive einschlägige  Fälle  operieren  sehen; 
im  ersten  Falle,  wo  septische  Erscheinungen 
uns  zur  Operation  drängten,  fand  sich  der 
Appendix  garnicht,    während   der  scheinbare 


XIX.  Jahrgang."! 
Mir»  1906.     J 


Hers,  Chronische  Entsflndungeo  der  Blinddarmfegend« 


121 


Tumor  unter  den  Händen  des  Operateurs  zu 
verschwinden  schien;  im  zweiten  fand  sich 
leichte  Appendicitis  simplex,  mit  geringer 
Stenosenbildung  im  Organ.  Auch  in  den 
chronischen  Fällen  wird  bei  diffus  abge- 
grenzten Tumoren  immer  die  Frage  zu  stellen 
sein,  ob  es  sich  um  die  eben  geschilderte 
Entstehung  oder  um  alte  Abszesse,  vielleicht 
auch  seröse  Flüssigkeitsansammlungen  in  oder 
am  den  Appendix  handelt.  Temperatur,  Puls, 
Allgemeinbefinden  müssen  die  Entscheidung 
geben.  Ob  die  Kurve  der  Leukozyten,  die 
ja  nach  Cur  seh  mann  bei  den  akuten  Pro« 
zessen  so  wichtig  ist,  auch  bei  gut  abgekap- 
selten Abszessen  eine  hohe  bleibt,  darüber 
fehlen  mir  noch  genügende  Erfahrungen. 
Die  Probepunktion  halte  ich  nicht  für  ge- 
fährlich, aber  man  hat  wenig  Chance,  den 
oder  die  meist  kleinen  und  versteckten  Herde 
zu  treffen.  In  zweifelhaften  Fällen  bleibt 
also  die  Inzision  das  einzig  sichere  dia- 
gnostische Mittel. 

Bei  weitem  die  meisten  chronischen  Tu- 
moren sind  umschrieben  und  geben  bessere 
diagnostische  Handhaben.  Ich  unterscheide 
a)  zylindrische,  b)  strangartige,  c)  unregel- 
mäßig gestaltete,  aber  allseitig  gut  abge- 
grenzte Tumoren. 

Die  ersteren  stellen  allein  wohl  90  Proz. 
aller  chronischen  Anschwellungen  der  Blind- 
darmgegend dar.  Sie  entsprechen  einem  er- 
krankten Darmstück,  das  stark  gefüllt,  durch 
Schwellung  seiner  Wand  verdickt,  durch 
(präkontraktile)  Spannung  seiner  Muskulatur 
verhärtet,  von  Schwarten  umhüllt  sein  kann. 
Große  Abszesse  können  natürlich  auch  ein- 
mal wur8tförmige  Gestalt  annehmen,  doch 
habe  ich  solche  von  chronischem  Verlauf 
(im  eigentlichen  Sinne)  nie  in  dieser  Form 
gesehen. 

Wichtig  ist  die  Frage,  um  welches  Darm- 
stück es  sich  handelt;  in  Betracht  kommen 
wesentlich  Appendix  und  Coecum.  Außer 
der  Lage  und  noch  zu  erwähnenden  Punkten 
kann  die  Dicke  des  Tumors  in  extremen 
Fällen  zur  Unterscheidung  dienen.  Ein  kaum 
bleistiftdick  erscheinendes,  drehrundes,  hartes 
Gebilde  entspricht  wohl  in  der  Regel  dem 
Appendix,  ein  anderes  Darmstück,  so  sehr 
es  sich  auch  kontrahieren  mag,  bleibt  doch 
meist  entschieden  massiver.  Sicherer  noch 
läßt  sich  sagen,  daß  sehr  dicke,  wurstformige 
Tumoren  dem  Typhlon  angehören.  Bei 
mittlerem  Umfang  läßt  sich  natürlich  wenig 
schließen,  da  auch  der  Appendix  mit  Inhalt 
und  Auflagerungen  eine  recht  anständige 
Geschwulst  darstellen  kann. 

Gelegentlich  soll  man  am  Appendix  ört- 
liche Auftreibung,  eine  rosenkranzartige  Form 
fühlen  können. 


Strangförmige  Gebilde  sind  viel  seltener, 
manchmal  aber  ganz  deutlich  zu  palpieren; 
natürlich  muß  man  sich  vor  Verwechslungen 
mit  Strängen  in  der  Bauchwand  hüten, 
Rektal-  resp.  Vaginaluntersuchung  zu  Hilfe 
nehmen  u.  s.  w.  Es  handelt  sich  fast  immer 
um  periappendicitische  Stränge;  in  einem 
Falle  meiner  Beobachtung  mit  Stenosen- 
erscheinungen fand  sich  das  gefühlte  Gebilde 
genau  entsprechend  im  Operationsfelde  wieder. 
Selten  kann  wohl  auch  der  Wurmfortsatz 
selbst  so  dünn  ausgezogen  und  angespannt 
sein,  daß  er  sich  wie  ein  einfacher  Strang 
anfühlt. 

Die  unregelmäßig  umschriebenen  Gebilde 
sind,  wenn  von  kleiner  Ausdehnung,  immer 
verdächtig.  Es  handelt  sich  um  sehr  stark 
gefüllte  Appendices  (Hydrops  oder  Empyem) 
oder  um  periappendicitische  Abszeßchen, 
seltener  nur  um  Schwarten.  Große  Tumoren 
mit  deutlichen  Umrandungen  kommen  bei 
einer  besonderen  Form,  der  Periappendicitis 
resp.  Perityphlitis  adhaesiva  progressiva  (plas- 
tica) vor  und  beruhen  auf  Schwartenbildung, 
Verdickung  des  Netzes  und  der  Darm  Wan- 
dungen, Zusammenballen  und  Vollstopfung 
der  Därme. 

Die  meisten  dieser  Tumoren  sind  nicht 
eigentlich  beweglich;  indem  man  die  Teile 
über  ihnen  verschiebt,  hat  man  nur  oft  den 
Eindruck,  als  ob  das  Gebilde  unter  den 
Fingern  rollt.  Die  seltenen,  wirklich  be- 
weglichen Tumoren  dieser  Art  entsprechen 
natürlich  Wurmfortsätzen,  bei  denen  keine 
Verklebungen  bestehen. 

Die  Konsistenz  ist  meist  eine  recht 
harte,  manchmal  knorpelharte,  und  zwar  gilt 
dies  nicht  nur  von  Wurmfortsatztumoren, 
sondern  auch  von  jenen,  die  aus  der  Cökal- 
gegend  wurstförmig  bis  in  die  Bahn  des 
Colon  ascendens  sich  erstrecken.  Weichere 
Konsistenz,  Knetbarkeit  ist  das  Zeichen  der 
Koprostasierung  im  Typhlon,  sehr  selten  auch 
im  Appendix.  Ein  eigentümlich  schwappen- 
des Gefühl  bei  der  Palpation,  verbunden  mit 
Gurren,  weist  in  Fällen,  wo  ein  großer 
eventl.  gashaltiger  Abszeß  auszuschließen  ist, 
auf  Erschlaffung  der  Darmwand  bei  gleich- 
zeitiger Füllung  mit  Luft  und  Flüssigkeit. 

Unter  besonders  günstigen  Umständen  ist 
es  möglich,  den  Übergang  des  Darmes 
in  den  viel  dünneren  Anhang  zu  kon- 
statieren. So  konnte  ich  in  einem  Falle, 
den  ich  als  Typhlitis  stercoralis  ansprach 
(s.  u.),  nachdem  die  Entleerung  begonnen 
hatte,  außer  dem  stark  gefüllten  Blinddarm 
einen  von  ihm  ausgehenden,  durchaus  dem 
Appendix  entsprechenden,  ganz  reizlosen 
zylinderförmigen  Tumor  fühlen.  In  einem 
anderen   Falle   konnte  ich  mich   bei  wieder- 

10* 


122 


Hers,  Chronisch«  Entzündungen  der  Blinddarmgegend. 


rTherapeatiacbe 
L    Mon»t«ta*ft*. 


holten  Untersuchungen  deutlich  davon  über- 
zeugen, wie  das  stark  gefüllte,  harte,  ziemlich 
druckempfindliche  Typhlon  sich  deutlich  gegen 
einen  nach  unten  und  innen  verlaufenden 
bleistiftdicken  Strang  absetzte,  dessen  Be- 
rührung enorm  schmerzhaft  war. 

Alle  diese  Erscheinungen  wird  man  bei 
wiederholten  Untersuchungen  sich  erst 
recht  deutlich  machen,  wird  das  Resultat 
der  einen  mit  dem  der  anderen  vergleichen. 
Man  wird  aber  bei  genauem  Verfolgen  der 
Geschwülste  auch  finden,  daß  dieselben  nicht 
nur  allmählich  heilen  oder  auch  wachsen 
können,  sondern  daß  sie  auch  viel  schnellere 
«Änderungen  durchmachen,  bald  deutlich,  bald 
weniger  deutlich,  ja  nicht  fühlbar  sind. 

Das  liegt  zum  Teil  an  den  Tumoren 
selbst.  Durch  Änderungen  im  Inhalt  und 
in  dem  Schwellungszustand  der  Schleimhaut, 
vor  allem  aber  durch  veränderte  Blutfülle 
und  veränderte  muskuläre  Spannung  kann 
sowohl  der  appendicitische  wie  der  typhliti- 
sche  Tumor  auffällig  schwanken.  Es  muß 
sich  dann  wohl  immer  um  einen  Prozeß 
handeln,  der  wesentlich  noch  auf  die  Darm- 
wand beschränkt  ist;  Schwarten  und  Eiterun- 
gen können  im  allgemeinen  derartigem  Wechsel 
nicht  unterliegen.  —  Ja  selbst  ganz  plötz- 
liche Schwankungen  kommen  vor.  In  einem 
Falle  verdünnte  sich  ein  Darmstück,  das  ich 
lange  für  den  kontrahierten  Blinddarm  gehalten 
hatte,  während  der  Untersuchung  plötzlich 
derart  unter  meinen  Fingern,  daß  ich  eine 
Eontraktion  des  Appendix  annehmen  mußte. 

Außerdem  aber  wechselt,  auch  bei  gleich- 
bleibender örtlicher  Affektion,  die  Fühlbar- 
keit an  verschiedenen  Tagen,  neben  anderem 
vor  allem  infolge  der  wechselnden  Füllung 
der  Därme  mit  Kot  und  Gas.  Bei  den  nicht 
so  seltenen  Fällen  z.  B.,  wo  der  Wurmfort- 
satz hinter  dem  Coecum  liegt,  ist  gründliche 
Entleerung  des  Darmes  besonders  wichtig  — 
allerdings  auch  noch  lange  nicht  immer  ge- 
nügend, um  den  tiefliegenden  Prozeß  der 
Palpation  zugänglich  zu  machen.  In  reiz- 
losen Fällen  kann  man  versuchen,  einen 
Wechsel  der  Situation  durch  künstliche  Auf- 
blähung vom  Mastdarm  her  zu  erzielen,  ein 
Mittel,  das  ich  nur  selten  und  mit  großer 
Vorsicht,  aber  manchmal  mit  unleugbarem 
Erfolge  angewendet  habe.  Bei  einem  Kranken 
z.  B.  sah  ich  eine  empfindliche  Eesistenz, 
die  nicht  weit  unterhalb  des  Leberrandes, 
aber  von  diesem  abgrenzbar,  lag,  bei  der 
Aufblähung  so  deutlich  als  Anhängsel  des 
sich  blähenden  Darmes  erscheinen,  daß  ich 
eine  Erkrankung  des  Appendix  trotz  sonst 
sehr  unbestimmter  Symptome  annahm;  die 
Zeichen  der  Appendicitis  wurden  später 
immer  deutlicher. 


Auf  die  Palpationstechnik  möchte  ich 
nicht  näher  eingehen;  es  ist  wohl  überflüssig 
zu  bemerken,  daß  in  verschiedenen  Lagen, 
daß  auch  per  rectum  und  vaginam  etc.  unter- 
sucht werden  muß.  Es  ist  zu  hoffen,  daß 
sorgfaltige  klinische  Analyse  die  spezielle 
Diagnose  doch  noch  genauer  gestaltet,  als 
es  zur  Zeit  der  Fall  ist. 

Wir  kehren  jetzt  zur  Besprechung  der 
Verlaufsarten  zurück. 

Bei  der  chronischen  Appendicitis 
mit  intermittierenden  Beschwerden 
sind  meistenteils  nur  die  dem  Kranken  zum 
Bewußtsein  kommenden  Erscheinungen  inter- 
mittierend; bei  genauester  Untersuchung  läßt 
sich  in  der  Blinddarmgegend  auch  in  solchen 
Fällen  viel  häufiger  etwas  Krankhaftes  nach- 
weisen, als  meist  angenommen  wird.  Daß 
die  Intensität  dieser  Befunde  natürlich  auch 
nach  dem  Stadium  der  Erkrankung  wechselt, 
ist  bereits  erwähnt  In  s/4  der  sog.  inter- 
mittierenden Fälle  sind  klinisch  doch  irgend- 
welche Residuen  nachweisbar. 

Ist  im  Intervall  wirklich  nichts  mehr  zu 
konstatieren,  so  kann  es  an  sehr  ungünstigen 
Palpationsbedingungen  liegen  (sehr  dicken 
Bauchdecken,  versteckter  Lage  des  Appendix). 
Gewöhnlich  aber  besteht  dann  nur  einfache 
katarrhalische  Appendicitis  mit  Neigung  zu 
Exacerbationen,  vielleicht  gelegentlieh  auch 
nur  eine  Disposition  des  sonst  gesunden 
Organs  zu  immer  frischen  Entzündungen, 
Zustände,  die  solchen  an  anderen  Darmteilen 
ganz  analog  sind. 

Die  Anfälle  bei  der  intermittierenden 
Form  können  ohne  erkennbare  Ursache  zu- 
stande kommen;  öfter  noch  sind  körperliche 
Anstrengungen,  leichte  Traumen,  Diätfehler 
(Biergenuß!),  Obstipationen,  Erkältungen  an- 
zuschuldigen, auch  psychische  Affekte  sind 
nicht  ohne  Einfluß.  Bei  Frauen  stellt  die 
Periode  mit  ihren  veränderten  Zirkulations- 
verhältnissen in  abdomin e  eine  häufige  Ge- 
legenheitsursache zum  Aufflammen  der  Ent- 
zündung oder  wenigstens  zum  Eintreten  eines 
Schmerzanfalles  dar. 

In  leichteren  Fällen  handelt  es  sich  um 
sog.  Wurmfortsatzkoliken,  Anfalle  oft  heftigster 
Art,  um  den  Nabel  beginnend,  später  oft, 
aber  nicht  immer,  in  der  rechten  Seite  lokali- 
siert. Andere  Lokalisationen,  z.  B.  in  der 
Magengegend,  kommen  vor,  sind  wohl  meist 
auf  das  Quercolon  zu  beziehen  (s.  u.).  Nach 
wenigen  Tagen,  höchstens  Stunden  ist  ohne 
Fieber,  ohne  sonstige  Erscheinungen  der 
Schmerz  vorüber.  Die  Diagnose  ergibt  sich 
durch  Untersuchung  der  Blinddarmgegend: 
auch  in  den  erwähnten  Fällen,  wo  dieselbe 
einige  Zeit  nach  dem  Anfall  gesund  erscheint, 
läßt  sich   in   der  Regel    während    und    noch 


XIX  Jahrring."! 
Mär«  liH».    J 


Hers,  Chronische  Entzündungen  der  Blinddarmgegend. 


123 


eioige  Tage  nach  der  Kolik  der  charakte- 
ristische Tumor  fühlen.  Fehldiagnosen  kommen 
natürlich  vor;  ich  habe  in  einem  Falle  mangels 
anderer  diagnostischer  Anhaltspunkte  wegen 
heftiger  Schmerzanfälle  mit  gleichzeitiger 
Druck empfiodlichkeit  in  der  Ileocökalgegend 
eine  Appendicitis  angenommen,  während  die 
Operation  eine  rechtsseitige  Steinniere  ergab. 

In  manchen  Fällen  gesellen  sich  zu  den 
Koliken  andere  Symptome:  mäßiger  Meteo- 
rismus,, subjektiv  und  objektiv  vermehrte 
Peristaltik  der  Därme,  Durchfälle  oder 
andererseits  mangelnder  Abgang  von  Flatus 
and  Kot.  Dazu  können  noch  deutliche 
Symptome  peritonealer  Reizung  kommen, 
Übelkeit,  Erbrechen,  Druckempfindlichkeit 
des  Leibes,  ernstere  Beteiligung  des  All- 
gemeinbefindens. 

Das  sind  die  Übergänge  zu  der  schwereren 
Unterabteilung,  wo  deutliche  Anfälle  von 
(meist  fieberhafter)  Appendicitis  und  Peri- 
appendicitis,  wenn  auch  in  sehr  verschiedener 
Starke,  das  Krankheitsbild  beherrschen:  die 
vielbeschriebene  rezidivierende  Appendicitis 
sensu  strictiori.  Nur  bei  der  Behandlung 
dieser  Fälle  hat  der  von  Chirurgen  geprägte 
Ausdruck  „Intervalloperation"  Berechtigung, 
der  weder  nach  einmaligem  Anfall,  noch  bei 
der  bald  zu  besprechenden  dritten  Form  er- 
laubt ist.  Auf  das-  Krankheitsbild  gehe  ich 
nicht  ein.  Ich  hebe  nur  hervor,  daß  peri- 
typhlitische  Abszesse  bei  der  rekurrierenden 
Appendicitis  zwar  vorkommen,  aber  recht 
selten  sind.  Im  allgemeinen  werden  über- 
haupt, wenn  eine  schwere  Attacke  über- 
standen i3t,  die  Rezidive  leichter,  wie  ich 
in  Übereinstimmung  mit  Treves18),  Boas  u.  a. 
gegenüber  andersartigen  Ansichten  behaupten 
muß. 

Bei  ungünstigem  Verlauf  können  die  An- 
fälle sich  derart  häufen,  daß  die  inter- 
mittierende in  die  kontinuierliche  Form 
übergeht. 

Zu  dieser,  bei  welcher  die  zwar  an  Hef- 
tigkeitwechselnden Beschwerden  doch  wochen-, 
monate-,  jahrelang  nie  so  aufhörten,  daß  man 
an  Genesung  denken  konnte,  gehört  die 
größere  Hälfte  der  ca.  130  Fälle,  die  ich 
in  chronischem  Zustande  in  Behandlung  be- 
kam, etwa  78  gegen  einige  50  der  inter- 
mittierenden Form.  Ganz  exakt  sind  ja 
solche  künstliche  Abgrenzungen  nie.  Die 
Erscheinungen  können  sich  an  einen  akuten 
Anfall  anschließen  (Postappen dicitis,  relapsing 
Appendicitis),  öfter  aber  entstehen  sie  all- 
mählich, und  dann  ist  die  Diagnose  schwie- 
riger.      Jederzeit    kann     eine     akute     Peri- 


,J)    Treves,    Perityphlitis    and    its    varieties. 
London  1897. 


typhlitis  das  Krankheitsbild  unterbrechen 
oder  gar  zum  Tode  führen;  doch  habe  ich 
gerade  bei  den  chronisch  verlaufenden  Fällen 
ein  solches  gefahrdrohendes  Intermezzo  nur 
bei  3  Kranken  gesehen,  die  übrigens  alle 
genasen.  Als  Grundlage  des  Zustandes  sind 
alle  die  im  anatomischen  Teil  geschilderten 
Krankheits-  und  z.  T.  Heil ungs Vorgänge  zu 
betrachten.  Manchmal  kontrastiert  allerdings 
der  recht  geringe  anatomische  Befund  auf- 
fallend mit  der  Heftigkeit  der  beobachteten 
Erscheinungen;  wir  kommen  darauf  noch 
zurück.  ' 

Die  Symptome  sind  vorwiegend  abdomi- 
nelle, bei  manchen  Patienten  stehen  all- 
gemeine im  Vordergrund.  Zu  den  ersteren 
zählen  vor  allem  unregelmäßig  eintretende, 
bald  mehr  nörgelnde,  bald  heftige,  kolik- 
artige Schmerzen  an  den  verschiedensten 
Stellen  des  Leibes,  oft  schon  in  der  Ruhe 
vorhanden,  manchmal  durch  eine  gewisse 
Lage  befördert,  meist  durch  heftige  Bewe- 
gungen und  Anstrengung  verstärkt.  Die 
Palpation  der  Blinddarmgegend  sichert  ge- 
wöhnlich die  Diagnose;  bei  der  geringen 
Sorgfalt,  mit  welcher  diese  Untersuchungs- 
methode in  chronischen  Fällen  vielfach  noch 
ausgeführt  wird,  werden  oft  alle  möglichen 
Diagnosen:  auf  Gallen-  und  Nierensteine, 
Magengeschwüre ,  Darmkoliken ,  hysterische 
Beschwerden,  Adnexerkrankungen  eher  gestellt, 
als  die  richtige. 

Zu  den  Schmerzen  kommen  dann  Zeichen 
gestörter  Darmfunktion:  sehr  oft  Neigung  zu 
Flatulenz,  Diarrhoeen,  manchmal  mit  Ver- 
stopfung wechselnd,  ebenso  oft  nur  Obsti- 
pation, bald  mehr  von  spastischem,  bald  mehr 
von  paretischem  Charakter.  Auffällig  kon- 
trastiert oft  die  starke  Anfallung  der  rechten 
Bauchseite  mit  Fäkalmassen,  durch  vermehrte 
Resistenz  und  Dämpfung  daselbst  angezeigt, 
die  nach  Entleerung  verschwinden,  gegen- 
über dem  laut  tympanitischen  Schall  der 
linken  Bauchseite;  bei  gewöhnlicher  Ver- 
stopfung liegen  die  Verhältnisse  meist  um- 
gekehrt. Manchmal  stehen  deutliche  Stenosen- 
erscheinungen im  Vordergrunde,  oft  durch  me- 
chanische Hindernisse  (peritonitische  Stränge, 
Abknickungen  etc.)  bedingt.  In  einem  meiner 
Fälle  konnten  Patient  und  Arzt  deutlich 
hören  und  fühlen,  wie  in  Pausen  von  wech- 
selnder Länge  Gas-  und  Flüssigkeitsmassen 
sich  durch  eine  enge  Stelle  hindurchzwängten; 
die  Operation  beseitigte  mit  dem  Appendix 
auch  den  umschnürenden  Strang. 

Auch  Magenbeschwerden  sind  nicht  selten, 
entweder  solche  atonischer  Art  (Druck-  und 
Unlustgefühle  nach  dem  Essen,  Ekelgefühl, 
verlangsamte  Entleerung  des  Inhalts),  oder 
„Magenkrämpfe"    zweifelhafter  Diagnose  und 


124 


H«rx,  Cbroniteb«  Entsfln4usf«D  der  BUnddann£«f«ti4. 


rThcrapeuti 
L   Monatihe 


Monatsheft«. 


1 


Genese.  Appetitlosigkeit  ist  häufig.  Brech- 
reiz und  Erbrechen,  vielleicht  manchmal 
durch  peritoneale  Reizung  bedingt,  sind  im 
ganzen  selten  zu  beobachten.' 

Mit  diesen  abdominellen  Symptomen  ver- 
bunden, manchmal  aber  sehr  im  Vordergründe 
stehend  begegnen  allgemeine  Erscheinungen: 
schlechtes  Aussehen,  Sinken  der  Ernährung, 
Status  nervosus;  ja  ein  fast  kachektischer 
Zustand  kommt  vor.  Manche  Kinder  bleiben 
auffallig  in  der  Ernährung  zurück.  Rätsel- 
hafte Fiebererscheinungen  von  unbestimmtem 
Charakter  können  sich  hinzugesellen. 
Schließen  sich  diese  Zustände  an  eine  akute 
Perityphlitis  an  oder  sind  wenigstens  aus- 
geprägte Symptome  abdomineller  Art  da,  so 
wird  ja  die  Aufmerksamkeit  bald  auf  die 
betreffende  Gegend  hingelenkt,  sonst  ist  die 
Diagnose  schwieriger.  Jedenfalls  sollte  man 
stets  bei  unaufgeklärten  Schwächezuständen 
und  Fiebererscheinungen  die  Blinddarmgegend 
genau  untersuchen.  Ich  habe  in  zwei  der- 
artigen Fällen,  wo  zunächst  wenig  für  eine 
abdominelle  Genese  zu  sprechen  schien,  eine 
chronische  Entzündung  der  Blinddarmgegend 
feststellen  können. 

Eine  besondere  Unterart  ist  die  Peri- 
appendicitis  chronica  progressiva 
[plastica;  Peritonitis  adhaesiva  diffusa  infolge 
von  Appendicitis  nach  Earewski18)].  Sie 
erinnert  an  die  sog.  deformierende  Peritonitis 
und  gibt  auch,  wie  diese,  eine  recht  ernste 
Prognose,  selbst  wo  Tuberkulose  und  Aktino- 
mykose  ausgeschlossen  sind.  Meist  besteht 
von  vornherein  die  Neigung  zu  plastischen 
Ablagerungen,  ganz  gleich,  ob  der  Anfang 
ein  akuter  oder,  wie  gewöhnlich,  ein  schlei- 
chender ist;  entweder  muß  also  wohl  ein 
plastischer  Reiz  oder  eine  besondere  Neigung 
des  Bauchfelles  zu  derartigen  Bildungen  an- 
genommen werden. 

Die  Symptome  setzen  sich  zusammen 
aus  denen  der  chronischen  mehr  oder  minder 
lokalisierten  Bauchfellentzündung  mit  auf- 
fällig großer  Tumorbildung  und  aus  Stenosen- 
erscheinungen sehr  verschiedenen  Grades. 
Es  ist  manchmal  bei  Autoskopieen  wunder- 
bar, durch  was  für  verengerte  Darmteile 
noch  eine  Passage  des  Stuhls  möglich  war. 
Auch  die  Urinentleerung  kann  schwierig 
werden.  Die  Tumoren  können  schließlich 
bei  ihrem  Wachstum  die  ganze  Bauchhöhle 
erfüllen,  sodaß  der  Ausgangspunkt  nicht 
mehr  festzustellen  ist  und  das  Bild  der  all- 
gemeinen chronischen  Peritonitis  entsteht. 
Aus     der    Klinik     von     v.    Jak  seh14)     sind 


l3)  Karewski,  Über  diffuse  adhäsive  Perito- 
nitis infolge  von  Appendicitis.  Arch.  f.  klin.  Chir., 
LXVUI,  p.  144,  1902. 


2  Fälle  beschrieben,  wo  anscheinend  tuber- 
kulöse Peritonitis  sich  bei  der  Sektion  als 
zu  der  eben  geschilderten  Form  von  Peri- 
tonitis gehörig  erwies. 

Alle  diese  chronischen  Prozesse,  nicht 
von  der  unmittelbaren  Lebensgefahr  bedroht, 
welche  bei  akuten  den  Blick  des  Arztes  vod 
scheinbaren  Nebendingen  ablenkt,  gestatten 
ein  langes  und  sorgfältiges  Studium  ihrer 
Erscheinungen;  wenn  die  operative  Behand- 
lung die  Anatomie  der  Erkrankung  wesent- 
lich geklärt  hat,  so  ist  aus  diesen  chronischen 
Prozessen  viel  zu  lernen  für  die  Patho- 
genese des  Leidens  und  die  Bedeutung 
vieler  seiner  Symptome.  Nur  von  möglichst 
breiter  Basis  aus  ist  vieles  bei  ihm  zu  ver- 
stehen. [8cfU^$  fotgCJ 


(Aas  der  inneren  Abteilung  de«  St.  M&rlen-Krmkenhenena 
su  Berlin.  Oberarzt  Dr.  Bd.  Ret  eh  mann.) 

Über  Wirkung  und  Nebenwirkungen 
des  Maretins. 

Von 

Ferdinand  Henrich. 

Maretin  wurde  kürzlich  von  den  Farben- 
fabriken vormals  Friedrich  Bayer  &  Co.  als 
„vortreffliches  Antipyreticum"  in  den  Handel 
gebracht.  Es  wird  als  entgiftetes  Antifebrin 
bezeichnet  und  ist  Karbaminsäure-m-Tolyl- 
hydrazid.  Über  die  chemischen  Verhältnisse 
des  Maretins  wurde  s.  Z.  von  Barjansky 
aus  der  III.  medizin.  Universitätsklinik  zu 
Berlin  ausfuhrlich  genug  berichtet1),  sodaß 
hier  von  einer  nochmaligen  Besprechung  der- 
selben abgesehen  werden  kann. 

Bei  uns  wurde  Maretin  in  13  Fällen  mit 
nahezu  300  Dosen  angewendet.  Unsere  seit- 
herigen Erfahrungen  damit,  fassen  wir  in 
folgendem  zusammen. 

Bei  mittleren  Fiebertemperaturen  der 
Phthisiker  wurde  die  Temperatur  durch  Dar- 
reichung von  Maretin  meistens  prompt  her- 
untergesetzt. Auf  die  Dauer  blieb  die  Ent- 
fieberung nicht  immer  gleichmäßig.  Gelegent- 
liche Exacerbationen  kamen  vor;  jedoch 
bewegte  sich  im  allgemeinen  die  Temperatur 
in  mäßigen  Grenzen,  insbesondere,  wurden 
die  täglichen  Temperaturschwankungen  oft 
erheblich  verringert.  Daß  der  Temperatur- 
abfall in  der  Tat  auf  die  Maretinwirkung 
zurückzuführen  ist  und  nicht  etwa  eine  der 
häufigen,  anscheinend  unmotivierten  Schwan- 


w)  Hermann,  Prag.  Med.  Wochenschr.  1899. 
Rubritius,  Mitteilungen  aus  den  Grenzgeb.  der 
Med.  u.  Chir.,  1902.  v.  Jak  seh,  Bemerkungen 
zu  dem  von  Dr.  H.  Rubritius  veröffentlichten  Fall 
von  Perityphlitis.    Ebenda. 

*)  cf.  ßerl.  klin.  Wochenschr.  1904,  Xo.  23. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Mir«  1905.     J 


Henrich,  Wirkung  und  N«b«nwlrkung«n  das  Maratini. 


125 


kungen  bei  Phthisikern  bedeutet,  glauben 
wir  mit  Bestimmtheit  annehmen  zu  sollen, 
da  nach  probeweisem  Aussetzen  des  Mittels 
häufig  die  Temperatur  auffallend  anstieg. 

Mit  dem  aus  nebenstehender  Kurve 
(Fig.  1)  Ersichtlichen  stimmt  der  Verlauf  in 
andern  ähnlichen  Fällen  im  wesentlichen 
überein.  Patientin  Marie  W.,  44  Jahre  alt, 
wurde  am  24.  Mai  bei  uns  aufgenommen. 
Es    handelt   sich  um  Phthisis   pulmonum   in 


begonnen,  doch  zeigt  es  sich  nunmehr,  daß 
die  Dosen  von  0,25  nicht  mehr  ausreichen, 
wohingegen  dann  aber  2  mal  täglich  0,5  g 
die  Temperatur  wieder  auf  das  gewünschte 
Niveau  bringt. 

Auf  die  Pulskurve  wirkten  Dosen  von 
0,25  und  0,5  g  Maretin  so  gut  wie  gar  nicht 
ein.  Ein  geringer  Unterschied  macht  sich 
entsprechend  der  Temperaturerniedrigung  in 
der  Frequenz  der  Pulse  bemerkbar,  wie  aus 


Mai  ISCH 

«'j,i 

fi    » 

2 

tj 

* 

m 

tj. 

1 

I 

3Bt  Ol 

rt 

■    lt 

1 

M 

i 

4 

1* 

* 

i 

1 

w 

, 

n 

|       J 

■ 

i  i 

h 

/ 

c 

uTl  V 

f 

/w 

•=.*■" 

i  T~  \ 

l  ff 

1 

t 

\ 

i  i 

i 

V 

j 

* 

*  / 

fl 

i 

T 

l 

A 

J\ 

1 

If     T 

A 

f 

V 

i 

^] 

l/ 

I 

^~1MH^ 

i  nf  ^ 

SÜ 

1 

i  i 

-■- 

} 

■ 

96.0 

Vj  i 

1 

vorgeschrittenem  Stadium.  Die  Temperatur 
hatte  sich  bisher  zwischen  37  und  39°  ge- 
halten. 

Maretin  wurde  im  allgemeinen  2  mal  täg- 
lich gegeben  und  zwar  um  11  Uhr  vor- 
mittags und  um  3  Uhr  nachmittags.  Von 
den  auf  der  Kurve  angegebenen  je  4  Tages- 
temperaturen entsprechen  immer  die  1.  und 
4.  den  Temperaturen  morgens  und  abends 
um  8  Uhr,  die  2.  und  3.  sind  1 — 3  Stunden 
nach  Darreichung  des  Pulvers  resp.  an  Tagen, 
wo  kein  Pulver  gegeben  wurde,  zu  ent- 
sprechenden Zeiten  gemessen.  —  Gleich  die 
erste  Dosis  Maretin  erzielte,  wie  die  Kurve 
zeigt,  eine  Temperaturerniedrigung,  und  Pat. 
blieb  unter  dem  Einfluß  von  Maretin  weitere 
4  Tage  fieberfrei.  Aussetzen  des  Mittels 
hatte  am  folgenden  Tage  sofort  eine  Steige- 
rung bis  38,9Ü  zur  Folge.  Dosen  von  je  0,25 
an  den  beiden  folgenden  Tagen  (2. — 3.  Juni) 
beeinflussen  die  Temperatur  nicht  bedeutend, 
auch  probeweise  dargereichtes  Gitrophen  0,5 
ergibt  nicht  das  gewünschte  Resultat;  da- 
gegen ist  es  auffallend,  wie  am  7.  Juni  die 
Temperatur  nach  1  maliger  Dosis  von  0,5 
Maretin  des  Abends  auf  36,9  abfällt.  Tom 
10. — 15.  Juni  hält  sich  die  Temperatur 
wieder  in  mäßigen  Grenzen,  um  nach  Aus- 
setzen des  Maretins  wiederum  hoch  anzu- 
steigen.    Am    18.   wird    wieder  mit   Maretin 


den  Fig.  2  und  3  hervorgeht.  Die  Kurve 
Fig.  2  ist  aufgenommen,  bevor  Maretin  ge- 
geben ist,  die  Kurve  Fig.  3  1  lj9  Stunde  nach 
Einnehmen  des  Mittels. 


Fig.  3. 

Die  einzigen,  sicher  beobachteten,  un- 
angenehmen Nebenwirkungen  waren  Schweifl- 
ausbrüche, die  sich  allerdings  häufig  auch 
prompt  einstellten  und  zuweilen  sehr  lästig 
wurden.  —  Ob  ein  einmal  beobachteter 
Kollapseintritt  in  einem  Falle,  wo  das  be- 
stehende Leiden  (Phlebitis)  durch  Myokarditis 
kompliziert  wurde,  die  Folge  zweier  Dosen 
Maretin  zu  je  0,25  g  gewesen  ist,  ist  zum 
mindesten  sehr  zweifelhaft,  vorsichtshalber 
wurde  aber  Maretin  bei  dem  betreffenden 
Pat.  nicht  mehr  angewandt. 


126 


Henri  ob,  Wirkung  und  Nebenwirkungen  de«  Maretins. 


TTherapentlacbe 
L    Momit*b«fte. 


1 


Da  Litten  in  seinen  Ausführungen  im 
Verein  für  innere  Medizin  (Sitzung"  am 
6.  VI.  04) a)  schon  wegen  der  Schweißaus- 
brüche allein  das  Maretin  verwirft,  so  mögen 
auch  unsere  Erfahrungen  in  dieser  Beziehung 
hier  ausführlicher  mitgeteilt  werden. 

Die  Schweiße  zeigten  sich  in  besonderer 
Heftigkeit,  wenn  Maretin  bei  sehr  hohen 
Temperaturen  angewendet  wurde ;  dabei  wurde 
dann  aber  fernerhin  auch  beobachtet,  daß  die 
Schweiße  bei  verminderter  Temperatur  sehr 
viel  weniger  lästig  wurden.  In  einem  Falle 
trat  auch  nach  etwa  14tägiger  Darreichung 
so  vollständige  Gewöhnung  ein,  daß  die  Pat. 
überhaupt  nicht  mehr  schwitzte.  Sie  bat 
deshalb,  das  Maretin  unausgesetzt  zu  be- 
kommen, da,  sobald  man  es  wegließ,  sich 
alsbald  wieder  Schweißausbrüche  einstellten. 
Stieg  dann  wieder  die  Temperatur  zu  er- 
heblicher Höhe,  so  waren  aucji  anfänglich 
während  der  erneuten  Darreichung  die  Schweiße 
wieder  da,  bis  die  Temperatur  einige  Tage 
lang  dauernd  unten  gehalten  war.  Im  An- 
fang hatte  sie  öfters  um  Aussetzung  des 
Mittels  gebeten,  weil  sie  glaubte,  ihr  Magen 
vertrüge  es  nicht  —  Pat.  litt  seit  13  Jahren 
an  Magenbeschwerden.  Sie  meinte  einige 
Male  nach  Einnehmen  des  Pulvers  Appetit- 
mangel und  Druckgefühl  in  der  Magengegend 
zu  verspüren.  Die  Klagen  hat  die  Patientin 
aber  später  nie  wiederholt.  Sie  vertrug  das 
Mittel  vom  Magen  aus  immer  sehr  gut,  wie 
auch  sonst  keinerlei  Magenbeschwerden  nach 
Maretin  je  beobachtet  wurden. 

In  einem  weiteren  Fall  vorgeschrittener 
Phthise  wurden  .bei  Darreichung  von  2  mal 
täglich  0,25  g  Maretin  bei  einer  Temperatur 
von  38,6°  anfänglich  keine  Schweiße  beob- 
achtet, vielmehr  bat  der  Pat.,  als  wir  das 
Mittel  nach  3 tägiger  Darreichung  probeweise, 
aussetzten,  bereits  am  folgenden  Tage  wieder 
um  das  Pulver,  da  er  danach  ruhiger  ge- 
schlafen habe  und  der  Kopf  ihm  weniger 
eingenommen  gewesen  sei.  Später  traten 
allerdings  auch  Schweißausbrüche  auf,  die 
aber  durch  gleichzeitige  Darreichung  von 
Atropin  0,0005  g,  wenn  auch  nicht  völlig, 
so  doch  insoweit  hintan  geh  alten  wurden, 
daß  sie  den  Kranken  wenig  oder  gar  nicht 
belästigten.  Bei  diesem  Pat.  genügte  eben- 
falls eine  2  malige  Darreichung  von  0,25  g 
auf  die  Dauer  nicht;  die  Temperatur  stieg 
"wieder  und  Pat.  schwitzte  noch  dazu.  Darauf 
setzten  wir  das  Mittel  aus.  Damit  wurden 
die  Schweiße  geringer,  ohne  völlig  zu  ver- 
schwinden. Als  wir  dann  aber  nach  mehr- 
tägiger  Pause    2  mal  täglich   0,5  g   Maretin 

2)  cf.  Deutsche  med.  Wocheoschr.  Jahrg.  XXX, 
No.  26:  Vereinsbeilage. 


gaben,  konnten  wir  beobachten,  wie  die 
Temperatur  ausgezeichnet  herabgesetzt  wurde, 
ohne  daß  lästige  Schweißsekretion  eintrat. 

Übrigens  waren  die  Schweißausbrüche, 
die,  wie  aus  vorher  Gesagtem  ersichtlich,  in 
recht  wechselndem  Maße  auftraten,  in  keinem 
Falle  so  heftig,  daß  die  Patienten  sich  ge- 
weigert hätten,  das  Mittel  zu  nehmen. 

Außer  bei  Phthisis  pulmonum  wurde 
Maretin  noch  angewandt  bei  einem  Fall 
von  Beckentuberkulose.  Eine  wesentliche 
dauernde  Beeinflussung  der  Temperatur  konnte 
hier  nicht  festgestellt  werden,  da  die  fort- 
währenden Stauungen  des  eitrigen  Sekrets 
das  Bild  störten.  Sowohl  bei  Darreichung 
von  0,5  wie  von  0,25  g  trat  im  Anfang  be- 
reits nach  10 — 15  Minuten  starkes  Schwitzen 
auf.  Pat.  gewöhnte  sich  aber  ebenfalls 
wenigstens  soweit  an  das  Mittel,  daß  die 
Schweißausbrüche  allmählich  wesentlich  ge- 
ringer wurden,  auch  nicht  mehr  nach  jeder 
Dosis  auftraten  und  den  Kranken  daher  nicht 
mehr  belästigten. 

Bei  einem  Fall  von  Pneumonie,  ferner 
einer  Pat.  mit  Erysipel  sowie  einer  Pat.  mit 
septischer  Endokarditis  blieb  die  Anwendung 
von  Maretin  resultatlos.  In  beiden  erst- 
genannten Fällen  traten  starke  Schweiße  auf, 
außerdem  will  der  erste  Pat.  nach  dem  Pulver 
starkes  Herzklopfen  bekommen  haben.  In 
dem  3.  Fall  wurde  trotz  Temperatur  von 
39,0°  Schweißausbruch  überhaupt  nicht  be- 
obachtet. Bei  einem  weiteren  Kranken  mit 
akutem  Gelenkrheumatismus  beobachteten  wir 
eine  Temperaturherabsetzung  um  einige  Zehn- 
tel; Schweiße  waren  gering  und  nicht  lästig. 

Nach  unsern  Beobachtungen  würden  wir 
das  Maretin  also  dahin  beurteilen,  daß  es 
Fiebertemperaturen  der  Phthisiker  im  all- 
gemeinen gut  herabsetzt  und  die  Temperatur 
bei  regelmäßiger  Darreichung  des  Mittels 
ziemlich  konstant  in  mäßigen  Grenzen  hält, 
wobei  manchmal  eine  zweimalige  tägliche 
Dosis  von  0,25  g  genügte,  öfters  aber  auf 
2  mal  0,5  g  gestiegen  werden  mußte. 

Bei  hohen  Temperaturen  tritt  neben  der 
Temperaturerniedrigung  zunächst  Schweiß- 
bildung auf,  die  mehr  oder  weniger  lästig 
werden  kann,  durch  gleichzeitige  Darreichung 
eines  Antihidroticums  aber  anscheinend  günstig 
zu  beeinflussen  ist. 

Bei  fortgesetztem  regelmäßigen  Gebrauch 
kann  man  erwarten,  daß  auch  anfangs  sehr 
lästige  Schweißausbrüche  wesentlich  geringer 
werden  bezw.  schließlich  ganz  wegbleiben. 

Wir  erblicken  daher  in  dem  Maretin  ein 
Antipyreticum,  das  im  allgemeinen  bei  Phthisis 
gut  und  sicher  wirkt,  auch  gut  vertragen 
wird   und   daher  wohl  Empfehlung  verdient. 


XIX.  JahrgftBf .1 
Mir«  1906.    J 


Ko«pp«,  Geiets  de«  osmotischen  Gleichgewichts. 


127 


'Über  „Das  Gesetz  des  osmotischen    * 
Oleichgewichts"  im  Orgranismus. 

Von 
Dr.  Hans  Koeppe  in  Gießen. 

(Nach  einem  Vortrag,  gehalten  bei  der  25.  Ver- 
sammlung der  Balneologischen  Gesellschaft 
in  Aachen.) 

Ein  jeder  Wanderer  hält  nach  einer  Zeit 
rüstigen  Ausschreitend  an,  nicht  allein  um  zu 
rasten,  sondern  öfter  noch  um  einmal  zurück- 
zuschauen, an  dem  zurückgelegten  Weg  sich 
zu   erfreuen   und  dann  vor  wärt  8  schauend  aus 
den   Erfahrungen,    welche   er   auf  der  über- 
wundenen Wegstrecke  sammelte,  Vorteile  für 
die    folgende    zu    gewinnen.      Auch   auf  den 
Wegen     wissenschaftlicher     Forschung     sind 
solche  Rückblicke  von  Nutzen  und  lehrreich. 
Vor    noch    nicht    10  Jahren    waren    die 
Meinungen  von  dem  Werte  der  physikalischen 
Chemie   für   die  Medizin  noch  recht  geringe, 
und  wer  sich  einmal  hinreißen  ließ,  eine  viel 
weiter  gehende  Wichtigkeit  der  neuen  Theorien 
zu  behaupten,  als  die  Untersuchungsresultate 
unmittelbar     ergaben,      konnte     mitleidigem 
oder    spottischem    Lächeln    nicht    entgehen. 
Bezeichnend  für  die  Auffassung,  die  man  als 
damals  allgemeine  bezeichnen  kann,  ist  eine 
Äußerung  des  bekannten  Baseler  Physiologen 
Mi  escher  in  einem  von  Jaquet1)  veröffent- 
lichten   Briefe    aus    dem    Jahre    1895.      Es 
heißt    da:     „Ihre   Ansicht,    daß    die   experi- 
mentelle  Physiologie    auf   dem  Trocknen   ist 
und  neuer  belebender  Säfte  bedarf,  teile  ich 
schon  längst.   Um  aber  Genaueres  prophezeien 
zu  können,  wie  und  woher  Besseres  kommen 
soll,  müßte  man  schon  selbst  derjenige  sein, 
welcher  die  Wünschelrute,  d.  h.  die  richtigen 
befruchtenden   uud   belebenden  Ideen   in  der 
Tasche  hat.     Jedenfalls,  glaube  ich,  fehlt  es 
nicht  nur  da  und  dort  an  neuem  Handwerks- 
zeug   aus    der    physikalischen    Chemie    oder 
Elektrizitätslehre  etc.,  das  kann  ja  alles  im 
einzelnen   viel  Nutzen   stiften;    aber  weder 
Hamburger     mit     seinen     isotonischen 
Blutkörperchen  noch  Emil  Fischer  mit 
seinen  Heptosen  und  Nonosen  wird  die 
Physiologie    reformieren.      Der    Haupt- 
fehler ist,    daß  über  die  Ziele  der  physiolo- 
gischen   Forschung    überhaupt    vielfach    Un- 
klarheit besteht;  namentlich  werden  dieselben 
mit    denen    der    experimentellen    Pathologie 
zusammengeworfen,  wenn  nicht  gar  die  phy- 
siologischen  Objekte    einfach   zu   Übungsauf- 
gaben    für    Präzisionstechnik     ohne     irgend 
einen   klaren  theoretischen  Hintergrund  miß- 
braucht werden. 


*)  Korrespondenzblatt    für    Schweizer    Ärzte, 
No.  21,  1895. 


Wie  in  der  Physiologie  war  es  auch 
sonst  in  der  Medizin  mit  der  Würdigung 
der  physikalischen  Chemie  bestellt. 

Wollen  Sie,  m.  H.,  den  Unterschied 
zwischen  einst  und  jetzt  in  unserem  Spezial- 
gebiet, der  „  Balneologischen  Forschung ",  sich 
einmal  so  recht  zum  Bewußtsein  bringen,  so 
bitte  ich  Sie  zwei  Reden  zu  vergleichen: 
die  eine  aus  dem  Jahre  1903,  „Über  die 
Beeinflussung  pathologischer  Anschauungen 
durch  die  physikalische  Chemie",  die  Geh. 
Rat  Prof.  Kraus8)  voriges  Jahr  auf  der  Fest- 
sitzung der  Balneologischen  Gesellschaft  hielt, 
und  die  andere,  die  akademische  Antrittsvor- 
lesung von  Prof.  W.  His  jun.8)  im  Jahre  1897, 
„Über  den  Heil  wert  der  Mineralwässer". 

1903  und  1897,  ein  Zwischenraum  von 
nur  6  Jahren!  Aber  welche  Wandlung  der 
Anschauungen,  welche  Fülle  von  Arbeiten, 
welcher  Gewinn,  an  positiven  Forschungs- 
ergebnissen, welcher  Fortschritt  in  der  Ent- 
wickelung  in  solch  einer  kurzen  Spanne  Zeit! 

Die  vorjährige  Festrede  mit  ihrer  rück- 
haltlosen Anerkennung  der  Bedeutung  der 
physikalischen  Chemie,  ihrer  einheitlichen 
klaren  Übersicht  der  Forschungsresultate, 
ihren  wertvollen  Anregungen  und  Ausblicken 
auf  die  zukünftige  Forschung,  ihrer  gerechten 
Anerkennung  der  Arbeit  der  Baineologen 
und  ihrem  wiederholten  Hinweis  auf  den 
begonnenen  wissenschaftlichen  Ausbau  der 
Balneologie  —  all  das  ist  Ihnen  noch  in 
lebhafter  Erinnerung. 

Was  wußte  dagegen  im  Jahre  1897  der 
Kliniker  von  dem  Heilwert  der  Mineral- 
wässer zu  sagen?  Zwar  die  Zeit  der  absoluten 
Negation  eines  spezifischen  Heilwertes  der 
Mineralwässer,  deren  Wortführer  Leichten- 
stern  war,  ist  vorüber;  unumwunden  wird 
von  His  ihr  Heilwert  anerkannt,  aber  —  in 
Bezug  auf  die  Wirkungsweise  der  Heilwässer 
bewegt  sich  His  in  vollkommen  altem  Geleise 
(1.  c.  p.  11  u.  14):  „Die  Wirkungen  setzen 
sich  zusammen  aus  zwei  Komponenten,  der 
des  Wassers  und  derjenigen  der  gelösten  und 
absorbierten  Salze  und  Gase."  „Bei  manchen 
Mineralwässern  kommt  tatsächlich  allein  diese 
Was  8  er  Wirkung  in  Betracht,  und  wenn  sie 
dem  gewöhnlichen  Quell-  und  Leitungswasser 
überlegen  sind,  so  rührt  das  davon  her,  daß 
sie  infolge  höherer  Temperatur  oder  ihres 
Gas-  und  Salzgehaltes  vom  Magen  leichter 
ertragen    und    daher   in   größerer  Menge   ge- 


Th.  >f.  1905. 


*)  Fr.  Kraus,_  Deutsche  Medizinalzeitung, 
19.  März  1903:  Über  die  Beeinflussung  patho- 
logischer Anschauungen  durch  die  physikalische 
Chemie. 

»)  W.  His  jun.,  Leipzig,  S.  Hirzel,  1897:  Die 
heutigen  Ansichten  über  den  Heilwert  der  Mineral- 
wässer.    Akademische  Antrittsvorlesung. 

11 


128 


Ko«pp«,  GeMts  de«  osmottfch«o  QMefegowiehts. 


rrten] 
L  Moni 


ptutlaefc« 


1 


nossen  werden  können.  Bei  den  Trinkkuren 
kommt  aber  zur  "Wasserwirkung  noch  der 
mächtige  Einfluß  der  Gase  und  Salze  u.  s.  f." 

Diese  Anschauungen  bedürfen  keines 
Kommentars,  sie  muten  uns  heute  an,  als 
fehlte  ihnen  jede  Logik.  —  Von  einem  Aus- 
blick auf  die  Zukunft  der  balneologischen 
Forschung  finden  wir  bei  His  nicht  viel: 
einen  kurzen  Hinweis,  daß  die  Chemie  der 
Körpersäfte  einer  Revision  auf  Grund  der 
modernen  physikalisch -chemischen  Anschau- 
ungen zu  unterwerfen  sei,  und  einen  matten 
Versuch  bei  der  Besprechung  des  Unter- 
schiedes zwischen  natürlichen  und  künstlichen 
Mineralwässern,  Liebreichs  Hinweis  auf  die 
verschiedenen  Dissoziationsverhältnisse  zu 
entkräften. 

Diese  Stellung  von  His  jun.  nimmt  um- 
somehr  wunder,  als  damals  schon  be- 
achtenswerte "Untersuchungen  '  vorlagen,  aus 
denen  sehr  wohl  ein  deutlicher  Fortschritt 
unserer  Erkenntnis  zu  erschließen  war. 
Geradezu  lawinenartig  aber  nimmt  die  Zahl 
der  Arbeiten  in  den  folgenden  Jahren  zu, 
und  es  würde  nicht  schwer  fallen,  dieselben 
in  verschiedene  Kategorien  einzuteilen,  um  auf 
Grund  dieser  Einteilung  zu  versuchen,  eine 
Übersicht  derselben  zu  geben.  Schwer  frei-» 
lieh  wäre  es,  schon  zwischen  den  verschie- 
denen Arbeiten  einen  innern  Zusammen- 
hang zu  erkennen  oder  die  tieferen  Be- 
ziehungen derselben  zueinander  klar  dar- 
zulegen. Das  den  meisten  dieser  Arbeiten 
der  letzten  Jahre  Gemeinsame  ist  die  Be- 
nutzung der  physikalisch -chemischen  Me- 
thoden. Eine  Fülle  von  Zahlen  ist  ge- 
wonnen, kaum  gibt  es  noch  eine  Körper- 
flüssigkeit physiologischen  oder  pathologischen 
Ursprungs,  deren  Gefrierpunktserniedri- 
gung noch  nicht  bestimmt  wäre,  auch  die 
elektrische  Leitfähigkeit  ist  schon  von 
vielen  bekannt,  dazu  kommt  neuerdings  die 
Bestimmung  der  Dampftension.  All  diese 
große,  umfassende  Detailarbeit  war  notwendig 
und  mußte  besorgt  werden  —  ihr  gegenüber 
mußte  naturgemäß  die  Deutung  der  Unter- 
suchungsresultate und  ihre  Zusammenfassung 
zu  allgemeinen  einheitlichen  Theorien  zu 
kurz  kommen  oder  mangelhaft  ausfallen. 
Jetzt  ist  es  aber  an  der  Zeit,  allgemein 
gültige  Regeln  oder  Gesetze,  an  deren 
Hand  sich  die  Einzelforschung  ver- 
tiefen kann,  aufzustellen  oder  schon  auf- 
gestellte ans  Licht  zu  ziehen  und  auf  ihren 
Wert   und   ihren   Geltungsbereich   zu   prüfen. 

Voriges  Jahr  hat  Geh.  Rat  Prof.  Kraus 
die  Bedeutung  der  Gibbsschen  Phasen- 
regel besonders  hervorgehoben  und  ihre 
Beachtung  empfohlen.  Ohne  Zweifel  würde 
diese    Regel     für    unsere     Zwecke,     Gleich- 


jgewichtsverhältnisse  im  Organismus  zu  stu- 
dieren,   von    der    größten    Wichtigkeit   sein 

—  allein  es  fehlen  dazu  so  gut  wie  alle 
Grundlagen;  wir  wissen  noch  nicht,  in  welchen 
Fällen  im  Organismus  „vollständige  hete- 
rogene Gleichgewichte"  bestehen,  in  welchen 
Fällen  wir  dagegen  „unvollständige  hete- 
rogene Gleichgewichte"  vor  uns  haben;  für 
die  vollständigen  heterogenen  Gleichgewichte 
gilt  die  Phasen regel,  für  die  unvollständigen, 
und  das  werden  die  meisten  und  wichtigsten 
sein,  sagt  die  Phasenregel  nichts  aus  (Nernst, 
Lehrbuch,  p.  679). 

Praktisch  ungleich  wichtiger,  obwohl  oder 
gerade  weil  es  nur  ein  beschränktes  Gebiet 
umfaßt,  welches  wir  aber  jetzt  einigermaßen 
übersehen  können,  erscheint  mir  das  Gesetz 
des  osmotischen  Gleichgewichts,  wie 
wir  jetzt  häufiger  in  der  neuesten  Literatur 
die  allgemeine  Zusammenfassung  der  osmo- 
tischen Erscheinungen  im  Organismus  kurz 
bezeichnet  finden. 

Sie  werden  erstaunt  sein,  m.  H.,  wenn  ich 
Ihnen  jetzt  sage,  daß  dieses  Gesetz  des  osmo- 
tischen Gleichgewichts  (allerdings  nicht  unter 
dieser  Bezeichnung)  schon  im  Jahre  1896 
veröffentlicht  worden  ist  und  zwar  gleich- 
zeitig in  Frankreich  und  in  Deutschland. 

J.  Winter*)  in  Frankreich  formulierte 
dasselbe  folgendermaßen: 

„L'ensemble  des  resultats  cryoscopiques 
nous  montre  l'organisme  en  equilibre  osmo- 
tique  ou  nous  le  montre  oscillant  constamment 
autour  «Tun  equilibre  limite  realise  par  le 
serum  sanguin". 

Ausführlicher  und  umfassender  insofern, 
als  auch  gleichzeitig  die  Ursachen,  welche 
das  osmotische  Gleichgewicht  beeinflussen, 
mit  angegeben  werden,  ist  von  mir5)  in 
demselben  Jahre  1896  dieses  allgemeine 
Gesetz  ausgesprochen  worden: 

„Alle  Zellen  des  Körpers  sind  —  wenn- 
gleich einzelne  nur  in  einer  Richtung  —  für 
Wasser  durchgängig.  Wenn  im  Körper  weder 
eine  Zufuhr  noch  eine  Abgabe  von  Salzen 
stattfände,  so  würde  nach  einer  gewissen  Zeit 
durch  Wasseraufnahme  oder  -abgäbe  nicht 
nur  in  allen  Zellen  derselbe  osmotische  Druck 
herrschen,  sondern  es  würden  auch  alle 
freien  Flüssigkeiten  im  Körper  eben  diesen 
Druck  haben.  Überall  würde  zwischen  Zell- 
flüssigkeit   und    der    die   Zelle   umspülenden 

4)  J.  Winter»  Archives  de  Physiologie  V, 
1896,  p.  287:  De  l'equilibre  moleculaire  des  humeors. 

—  Idem,  Archivos  de  Physiologie  V,  1896,  p.  114: 
De  la  concentration  moleculaire  des  liquides  de 
l'organisme. 

5)  K  o  e  p  p  e ,  Archiv  f.  d.  ges.  Physiol ogie,  Bd.  62, 
S.  573,  1896:  Über  den  osmotischen  Druck  des 
Blutplasmas  und  die  Bildung  der  Salzsaure  im 
Magen. 


XIX.  Jfthrgug.-l 
Mira  1905.    J 


Ko«pp«,  GtoMts  da«  OMBOtlMli«n  Glrtcbf «wicht*. 


129 


Flüssigkeit  ein  Gleichgewichtszustand  be- 
stehen, nachdem  der  Austausch  zwischen 
Wasser  und  ev.  Salzteilchen  beendet  ist.  Es 
würde  dies  ein  Moment  der  absoluten  Ruhe 
sein,  da  jede  Bewegung  der  Teilchen  voll- 
endet ist. 

Dieser  Zustand  absoluten  Gleichgewichts 
des  osmotischen  Druckes  innerhalb  des  ganzen 
Organismus  hört  aber  und  zwar  für  das  ganze 
System  sofort  auf,  wenn  an  einer  Stelle  der 
osmotische  Druck  sich  ändert,  indem  neue 
Moleküle  in  Losung  gehen  oder  aus  der 
Losung  ausfallen.  Wenn  der  osmotische 
Druck  in  der  Zelle  infolge  einer  Zunahme 
der  gelösten  Moleküle  erhöht  wird,  so  können 
folgende  Erscheinungen  hervortreten:  1.  Wenn 
die  Zell  wände  vollkommen  durchlässig  sind 
für  die  Salzmoleküle,  so  werden  diese,  in 
ihrem  Bestreben  sich  auszudehnen,  aus  der 
Zelle  in  deren  Umgebung  wandern,  sich  also 
vom  Orte  höherer  Konzentration  nach 
solchen  niedrigerer  begeben  —  bis  allent- 
halben wieder  Gleichgewicht  herrscht;  2.  Wenn 
die  Zellwand  für  die  Moleküle  undurchgängig 
ist,  dann  werden  sie,  um  sich  auszudehnen, 
auf  die  Wand  einen  Druck  ausüben,  und 
Wasser  wird  aus  der  Umgebung  in  die  Zelle 
dringen.  Dadurch  wird  die  Flüssigkeit  in 
unmittelbarer  Nähe  der  Zelle  konzentrierter 
und  wirkt  nun  in  gleicher  Weise  wieder 
wasserentziehend  auf  ihre  Umgebung,  und  so 
entsteht  eine  Bewegung,  des  Wassers,  die 
sich  weiter  fortpflanzt,  bis  die  Druckunter- 
schiede so  klein  geworden  sind,  daß  die 
Bewegung  erlischt.  Noch  ist  ein  dritter  Fall 
denkbar,  nämlich  der,  daß  die  Zellwand  für 
die  Salzmoleküle  nicht  absolut,  sondern  nur 
unvollkommen  durchgängig  ist:  dann  wird 
gleichzeitig  eine  Auswanderung  von  Salz- 
molekülen aus  der  Zelle  und  ein  Einströmen 
von  Wasser  stattfinden. 

Für  den  einfachsten  Fall,  für  die  einzelne 
Zelle,  hat  demnach  eine  Änderung  des  osmo- 
tischen Drucks  ihres  Inhalts  eine  Bewegung 
zur  Folge.  Für  einen  Zellenkomplex  werden 
sich  nun  die  Ströme  der  einzelnen  Zellen 
summieren,  wenn  sie  gleichsinnig  verlaufen, 
sie  werden  sich  gegenseitig  schwächen  oder 
aufheben,  wenn  sie  in  entgegengesetztem 
Sinne  einwirken.  Demnach  müssen  wir 
uns  den  ganzen  Organismus  von  un- 
zähligen Strömen  und  Gegenströmen 
durchsetzt  denken,  die  sich  in  un- 
zähligen Variationen  verstärken  oder 
aufheben.  Ein  Augenblick  vollkommenen 
Gleichgewichts  wird  während  des  Lebens 
niemals  eintreten  können,  aber  jederzeit 
herrscht  im  Organismus  das  Bestreben, 
dieses  Gleichgewicht  zu  erreichen.  So 
können    wir    von    vornherein   wohl    er- 


warten, daß  der  osmotische  Druck  ver- 
schiedener Eörperflüssigkeiten  zwar 
annähernd  der  gleiche,  aber  doch 
keinesfalls  vollkommen  der  gleiche  ist; 
desgleichen  auch  wird  der  osmotische 
Druck  derselben  Körperflüssigkeit 
nicht  immer  der  gleiche  sein,  aber 
doch  auch  nur  in  engen  Grenzen 
schwanken/ 

Wenngleich  mir  bei  der  Aufstellung  der 
eben  geschilderten  Gesetzmäßigkeiten,  jetzt 
kurz  „Gesetz  des  osmotischen  Gleich- 
gewichts" genannt,  schon  18,96  eine  Anzahl 
experimenteller  Zahlenbelege  zur  Verfügung 
standen,  so  haben  doch  dabei  ebensoviel, 
wenn  nicht  noch  mehr  theoretische  Über- 
legungen Anteil  daran. 

Es  erscheint  deshalb  ebenso  notwendig 
wie  interessant,  jetzt  auf  Grund  der  zahl- 
reichen inzwischen  gesammelten  Unter- 
suchungsergebnisse etwaige  Bestätigungen, 
Abweichungen,  Widersprüche  etc.  mit  diesem 
„Gesetz"  festzustellen  und  zu  diskutieren. 

1.  Zahlen  für  den  osmotischen  Druck 
der  verschiedenen  Körperflüssigkeiten 
desselben  Individuums  liegen  nur  in  ge- 
ringer Zahl  vor  und  immer  nur  für  wenige 
—   2  — 3   — -   Flüssigkeiten. 

Die  ersten  derartigen  Untersuchungen 
dürften  meine  aus  dem  Jahre  1898  sein6), 
die  Zahlen  finden  sich  in  meiner  Abhandlung 
„Physikalische  Chemie  in  der  Medizin"7) 
1900  erschienen,  S.  93,  sie  betreffen  Milch 
und  Serum  desselben  Tieres.    Ich  fand 

i 

Ziegenmilch J  =  0,611 

Serum  derselben  Ziege      .    J  =  0,611 

2  3  4 

Kuhmilch J  =  0,540    0,560    0,556 

Serum  derselben  Kuh      J  =  0,535    0,570    0,556. 

In  einem  5.  Falle  untersuchte  ich  dreierlei 
Körperflüssigkeiten  einer  Kuh  und  fand  den 
Gefrierpunkt 

der  Milch  .  .  .  .  J  =  0,510 
des  Serums  .  .  .  .  J  =  0,570 
des  Fruchtwassers      .     J  =  0,57&. 

Nagelschmidts8)  Untersuchungen  be- 
stätigen die  relative  Gleichheit  des  osmo- 
tischen Drucks  von  Blut  und  Milch  des- 
selben Individuums  (der  größte  Unterschied 
zwischen  Gefrierpunkt  von  Blut  und  Milch 
betrug  einmal  0,03°). 

6)  H.  Koeppe,  Jahrbuch  f.  Kinderheilkunde 
1898:  Vergleichende  Untersuchungen  über  den  Salz- 
gehalt der  Frauen-  und  Kuhmilch. 

9  H.  Koeppe,  Alfr.  Holder,  Wien,  1900: 
Physikalische  Chemie  in  der  Medizin. 

*)  F.  Nagelschmidt,  Zeitschrift  f.  klinische 
Medizin  42,  1901:  Über  alimentäre  Beeinflussung 
des  osmotischen  Drucks  des  Blutes  bei  Mensch 
und  Tier. 

11* 


130 


Ko«ppe,  Get«ts  dm  osmotischen  Gleichgewichts. 


fTliArapeiitisch« 
LMonatdiafta. 


l 


Yeit9),  Kronig  und  Fueth10)  verglichen 
mütterliches  und  kindliches  Blut,  die  letzteren 
fanden  in  20  Fällen  Gleichheit  in  Bezug  auf 
den  osmotischen  Druck  beider. 

üb b eis11)  untersuchte  mütterliches  und 
kindliches  Blut  sowie  das  Fruchtwasser  bei 
Rindern:,  mütterliches  und  kindliches  Blut 
fand  sich  in  osmotischem  Gleichgewicht,  das 
Fruchtwasser  verhielt  sich  verschieden,  doch 
in  engen  Grenzen. 

Zangemeister  und  MeiBl19)  bestimmten 
den  Gefrierpunkt  von  mütterlichem  und 
kindlichem  Blute  sowie  Fruchtwasser  des- 
selben  Falles  beim  Menschen  unter  normalen 
Verhältnissen  und  kamen  unter  Berück- 
sichtigung des  Gesetzes  vom  osmotischen 
Gleichgewicht  im  Organismus  zu  höchst 
interessanten  Schlüssen  über  den  Stoff-  und 
Salzaustausch  zwischen  Mutter  und  Kind, 
sowie  den  Stoffwechsel,  insbesondere  die 
Urinabgabe  des  Fötus. 

Von  anderen  Flüssigkeiten  wären  noch 
anzuführen : 

Leathes 1S)  fand  die  Gefrierpunktserniedri- 
gung für  das  Serum  J  =  0,605,  für  die 
Lymphe  J  =  0,610°  beim  Hunde. 

Nolfu)  fand  bei  Hunden  Pleura-  und 
Peritonealflüssigkeit  von  etwas  höherem  osmo- 
tischen Druck  als  das  Blut  desselben  Tieres. 

Das  Ergebnis  ist  entsprechend  dem  ersten 
Teil  unseres  Gesetzes: 

Bei  demselben  Individuum  stehen  die 
verschiedenen  Körperflüssigkeiten  innerhalb 
schwankender  aber  geringer  Grenzen  im  os- 
motischen Gleichgewicht. 

2.  Noch  geringer  ist  die  Zahl  der  Unter- 
suchungen über  den  osmotischen  Druck 
von  derselben  Körperflüssigkeit  des- 
selben Individuums  zu  verschiedenen 
Zeiten  unter  verschiedenen  Bedingungen. 

Die  ersten  derartigen  Untersuchungen 
sind  für  das  Blutplasma  von  mir  1896 
veröffentlicht  worden  (1.  c.  S.  582  u.  f.).     Sie 


')  J.  Veit,  Zeitschrift  f.  Geburtshilfe  u.  Gynä- 
kologie 42,  1900. 

lü)  Krönig  u.  Fueth,  Zeitschrift  f.  Geburts- 
hilfe u.  Gynäkologie  13,  1901:  Vergleichende  Unter- 
suchungen über  den  osmotischen  Druck  im  mütter- 
lichen und  kindlichen  Blute. 

ll)  D.  G.  Ubbels,  Diss.,  Gießen,  1901:  Ver- 
gleichende Untersuchungen  von  mütterlichem  Blute, 
fötalem  Blute  und  Fruchtwasser. 

,2)  W.  Zangemeister  u.  Meißl,  Münch.  med. 
Wochenschrift  1903:  Vergleichende  Untersuchungen 
über  mütterliches  und  kindliches  Blut  und  Frucht- 
wasser nebst  Bemerkungen  über  die  fötale  Harn- 
sekretion. 

13)  J.  B.  Leathes,  Journal  of  physiolog.  19, 
1895:  Some  experiments  on  the  exchange  between 
the  blood  and  tissues. 

")  P.  Nolf,  Extrait  des  Bull,  de  l'Acad.  roy.  de 
Belgique  12,«  1901:  Technique  de  la  cryoscopie  du 
sang. 


zeigten,  daß  der  osmotische  Druck  des  Blut- 
plasmas desselben  Individuums  nicht  absolut 
konstant  ist,  sondern  gewissen  Schwankun- 
gen unterliegt.  Diese  Untersuchungsresultate 
sind  zwar  1898  von  A.  v.  Koranyi15)  heftig 
bestritten  worden,  obwohl  er  selbst  über 
eigene  Untersuchungen  dieser  Art  nichts  be- 
richtet, doch  erkennt  später  Hamburger16) 
(1902)  ausdrücklich  die  Schwankungen  im 
wasseranziehenden  Vermögen  des  Serums  an. 
Die  Untersuchungen  von  Engelmann17)  und 
die  von  Grube18)  bestätigen  vollkommen 
meinen  Befund:  der  osmotische  Druck  des 
Blutplasmas  derselben  Person  unterliegt 
ständigen  Schwankungen  durch  mancherlei 
Einflüsse,  welche  später  erörtert  werden. 

Die  gleichen  Schwankungen  des  osmoti- 
schen Druckes  derselben  Körperflüssigkeit 
desselben  Individuums  konnte  ich  1898  bei 
Untersuchungen  der  Frauen-  und  Kuhmilch 
nachweisen,  nämlich  bei  3  Frauen  (9,  6  und 
6  Bestimmungen),  sowie  bei  4  Kühen  (zwei- 
mal je  2,  zweimal  je  3  Bestimmungen). 

Diese  Befunde  wurden  von  Nagel- 
schmidt8)  1901  bestätigt  (1.  c.  S.  19). 
Ziegenmilch  J  =  0,52  —  0,60. 

Von  anderen  Flüssigkeiten  sind  noch  die 
Galle  und  der  C  h  y  1  u  s  untersucht. 
H.  Strauß30)  fand  für  den  menschlichen 
Chylus  (den  er  von  einer  Patientin  mit 
einer  Fistel  des  Ductus  thoracicus  sammelte) 
Werte  der  Gefrierpunktserniedrigung,  die 
während  dreier  Tage  zwischen  0,51°  und 
0,56°  schwankten. 

Fritz  Engelmann  jun.3*)  fand  für   die 


1&)  A.  v.  Koranyi,  Zeitschrift  für  klinische 
Medizin  33,  1898:  Physiologische  und  klinische 
Untersuchungen  über  den  »osmotischen  Druck 
tierischer  Flüssigkeiten.  S.  105:  „Außerdem  fand 
Eoeppe,  daß  der  osmotische  Druck  des  Blut- 
plasmas veränderlich  ist,  eine  Behauptung«  welche 
mit  allem  auf  diesem  Gebiete  bis  jetzt  Bekannten 
in  grellem  Widerspruch  steht.  Die  Ursache  dieser 
falschen  Ergebnisse  der  Untersuchungen  von 
Koeppe  liegt  in  der  Methode"  u.  s.w. 

16)  Hamburger,  Osmotischer  Druck  und 
Ionenlehre,  Wiesbaden,  J.  R.  Bergmann,  1902, 
S.  459:  „Wenn  man  auch  Ober  den  absoluten 
Wert  der  aus  Koeppes  Hämatokritversuchen  ab- 
geleiteten Zahlen  für  den  osmotischen  Druck  des 
Serums  Zweifel  zu  hegen  berechtigt  ist,  so  scheint 
doch  ans  seinen  Experimenten  unwiderleglich  her- 
vorzugehen, daß  die  Nahrung  zeitliche  Scnwankun- 
fen  im  wasseranziehenden  Vermögen  des  Serums 
erbeiführt." 

n)  Fr.  Engel  mann  sen.,  Deutsche  Med.- Ztg. 
1902:  Einfloß  der  Kreuznacher  Quellen  auf  die  Be- 
schaffenheit des  Blutes.  —  Derselbe,  Deutsche 
Med.-Zeitung  1903:  Blutuntersuchungen  mittels  des 
Hämatokrit. 

18)  K.  Grube,  Deutsche  Med.-Zeitung  1902: 
Über  den  Einfluß  einfachen  und  salzhaltigen  Wassers 
auf  die  Blutbeschaffenheit.  —  Derselbe:  Deutsche 
Med.-Zeitung  1903:  Weitere  Untersuchungen  über 
den  Einfluß  vera  Mineralwässern  auf  das  Blut. 


XIX.  Jahrgaaf .1 
Mira  1906.    J 


Ko«pp«,  GtoMts  de«  otmofl<eh«n  Gleichgewichte. 


131 


innerhalb  24  Stunden  aus  einer  Gallenfistel 
ausfließende  Galle  Werte  für  4  =  0,570 
bis  /t  =  0,610. 

Die  Befunde  bestätigen  den  zweiten  Teil 
unseres  Gesetzes: 

Der  osmotische  Druck  derselben  Körper- 
flüssigkeit desselben  Individuums  ist  nicht 
immer  der  gleiche,  sondern  unterliegt 
Schwankungen. 

Bei  der  Untersuchung  von  menschlichem 
Chylus,  der  aus  einer  Fistel  des  Ductus 
thoracicus  ausfließt,  findet  H.  Strauß  die  Ge- 
frierpunktserniedrigung desselben  4  relativ 
konstant  (0,51  —  0,56°)  trotz  einer  Gabe 
einmal  von  10  g  Na  Gl  in  500  ccm  Wasser, 
ein  anderes  Mal  von  100  g  Traubenzucker 
in  500  ccm  Wasser  und  stellt  auf  Grund 
dieser  Befunde  „den  Satz  auf,  daß  der 
menschliche  Organismus  unter  den  von  ihm 
gewählten  Versuchsbedingungen  in  hohem 
Grade  die  Fähigkeit  besitzt,  den  osmotischen 
Druck  des  Chylus  alimentären  Angriffen 
gegenüber  konstant  zu  erhalten u.  Dagegen 
laßt  sich  nichts  einwenden  —  aber  nicht 
klar  ist  es,  wie  Strauß  diese  Befunde  am 
Chylus  verwertet  zu  einer  allerdings  etwas 
unklaren  Polemik  gegen  andere  Untersucher, 
welche  eine  Beeinflussung  des  Blutplasmas 
resp.  dessen  osmotischen  Druck  durch  die 
Nahrung  konstatieren  konnten.  Eine  Arbeit 
von  Großman,8b),  der  unter  Strauß1  Leitung 
und  Kontrolle  arbeitete,  gibt  einen  Anhalts- 
punkt: Großmann  sagt  in  derselben,  daß 
in  8  ein  er  Arbeit  über  den  Chylus  Strauß 
zu  Resultaten  „gekommen  sei  in  vollem 
Gegensatz  zu  den  Autoren,  welche  fanden« 
daß  der  osmotische  Druck  des  Blutes  deut- 
liche Schwankungen  erfährt  bezw.  einen  be- 
trächtlichen Anstieg  unter  dem  Einfluß  von 
Kochsalzzufuhr  " . 

In  keiner  Weise  wird  weder  von 
Strauß  noch  von  Groß  man  erklärt, 
warum  das  Ausbleiben  der  Chylus  Schwan- 
kungen beweisend  sei,  dafür,  daß  auch 
Schwankungen  des  Blutplasmas  nicht  vor- 
kommen können  infolge  Salzzufuhr  [obwohl 
solche  doch  mehrfach  beobachtet  wurden]! 
Den  Beweis,  daß  Chylus  und  Blutplasma 
sich  gleich  verhalten,  sodaß  die  an  dem 
einen  erhobenen  Befunde  ohne  weiteres  auf 
das  andere  übertragen  werden  können,  diesen 
Beweis  wird  Strauß  schwerlich  er- 
bringen können.  Entgegen  diesen  Behaup- 
tungen von  Strauß  und  Großman  aus  dem 
Jahre  1902  stehen  die  von  Strauß  und 
Nagelschmidt  1901.     Strauß  sagt  1902: 

18  b)  Großman,  Deutsche  med.  Wochenschrift 
1902:  Über  den  Einfluß  von  Trinkkuren  mit  Mineral- 
wässern auf  den  osmotischen  Druck  des  mensch- 
lichen Blutes. 


„Mit  diesen  meinen  damaligen  Erfahrungen 
stehen  nun  meine  neuen,  am  menschlichen 
Chylus  erhobenen  Beobachtungen  in  voller 
Übereinstimmung,  indem  sie  nach  meiner 
Ansicht  überzeugend  dartun,  daß  der  osmo- 
tische Druck  des  menschlichen  Chylus  unter 
den  Ton  mir  gewählten  Versuchsbedingungen 
weder  durch  eine  gewöhnliche  Mahlzeit, 
noch  durch  den  Genuß  von  */»  Liter  Wasser, 
noch  durch  die  Zufuhr  von  10  g  Kochsalz 
in  500  ccm  Wasser  in  einer  der  Ingestion 
entsprechenden  Weise  verändert  wird." 

Die  damaligen  Erfahrungen  finden  sich 
bei  Nagelschmidt  1901  wie  folgt: 

S.  21.  „Erst  nachdem  diese  Vorversuche 
gezeigt  hatten,  daß  tatsächlich  eine  deut- 
lich beobachtbare  Beeinflussung  der 
molekularen  Konzentration  der  Milch 
auf  alimentärem  Wege  möglich  ist, 
haben  wir  untersucht,  inwieweit  ein  Paralle- 
lismus quantitativ  und  zeitlich  mit  der  Kon- 
zentration  des  Blutserums   nachweisbar  ist." 

S.  23.  „Danach  erscheint  es  berechtigt, 
die  molekulare  Konzentration  der  Milch 
eines  Tieres  auch  bei  künstlicher  Ver- 
änderung der  molekularen  Konzentration  der 
Gewebsflüssigkeiten  als  Indikator  für  die 
zur  selben  Zeit  vorhandene  molekulare  Kon- 
zentration des  Blutes  desselben  Tieres  zu 
betrachten." 

Diese  sich  widersprechenden  Schluß- 
folgerungen 1901  und  1902  in  den  Strauß- 
schen  Arbeiten  und  denen  seiner  Mitarbeiter 
zu  klären,  ist  mir  nicht  möglich,  wohl 
aber  erscheinen  mir  die  Versuchsresultate  im 
Lichte  des  Gesetzes  vom  osmotischen  Gleich- 
gewicht wohl  miteinander  vereinbar. 

3.  Ziehen  wir  nun  noch  zur  Ergänzung 
der  bisher  erwähnten  Zahlen  für  den  osmo- 
tischen Druck  verschiedener  Körperflüssig- 
keiten auch  solche  heran,  welche  als  Einzel- 
beobachtungen an  verschiedenen  Individuen 
gewonnen  wurden,  so  vervollständigen  sich 
unsere  Erfahrungen  noch  mehr. 

Es  wurden  gefunden  für 

f  J  =  0,500-0,560 
CerebrospinaMössigkeit86)31)   .    J  =0,600—0,710 

|  J  =  0,580-0,710 

Humor  aqueus»)»)   .     .     .     .  (  *  =  g_0,610 

Glaskörper 19)  *>) J  =  0,555-0,650 

Galle19)84) J  =  0,540-0,560 

Milch") J  =  0,512-0,586 

19)  Dreser,  Arch.  f.  exp.  Pathol.  u.  Pharm. 
XXIX,  S.  303,  1892:    Über  Diärese. 

*°)  J.  J.  Kunst,  Inaug.-Diss.,  Freiburg  i.  B., 
1895:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Farbenzerstreuung 
und  des  osmotischen  Druckes  einiger  brechender 
Medien  des  Anges. 

*')  J.Winter,  Arch.  d.  physiol.  V,  1896:  De 
la  concentration  moleculaire  des  liquides  de  l'or- 
ganisme. 


182 


Ko«pp«,  Qe«*U  de«  ocaotiMh«a  Ql«lehg«wiehts. 


Seröse  Flüssigkeiten»1)  .     .     .  J  =  0,500-0,570 

Ascitesflüssigkeit")    ....  J  =  0,530— 0,640 

Pleuriti8exeudat*,) J  =  0,490— 0,600 

Cystenflüssigkeit")     ....  J  =  0,570— 0,610 

Chylus») J  =  0,510-0,560 

Sputum  ") J  =  0,340-0,580 

Speichel")»)»)")     ....  J  =  0,070-0,840 

Schweiß») J  =  0,130— 0,640 

Faeces  ») J  =  1,1 

Harn M) J  « 0,010-4,4 

(Diese  Zusammenstellung  beansprucht 
nicht,  vollständig  zu  sein,  wie  auch  die 
Literaturbelege  bei  weitem  nicht  alle  um- 
fassen.) 

Selbstverständlich  kann  diese  Übersicht 
des  osmotischen  Drucks  verschiedener 
Korperflüssigkeiten,  weil  die  letzteren 
von  verschiedenen  Individuen  nicht  nur,  son- 
dern auch  von  verschiedenen  Tierspezies 
stammen,  für  oder  wider  das  Gesetz  vom 
osmotischen  Gleichgewicht  im  Organismus 
nur  sehr  bedingt  herangezogen  werden.  Da- 
gegen ist  sie  in  anderer  Beziehung  von 
großem  "Werte  für  dieses  Gesetz. 

Wohl  können  wir  auf  die  Wirkung  des 
Gesetzes  schließen  beim  Betrachten  der  Zählen 
der  Gefrierpunktserniedrigung  der  Körper- 
flüssigkeiten, welche  längere  Zeit  innerhalb 
des  Körpers  verweilen,  die  Grenzwerte  0,490 
und    0,710    liegen    gar    nicht    so   weit   aus- 

")  H.  S  t  r  a  u  ß ,  Wiesbadener  Kongreß  für  innere 
Medizin  1900:  Zur  Funktion  des  Magens. 

n)  M.  Oohn,  Deutsche  med.  Wochenscbr.  4/5, 
1900:  Untersuchungen  über  den  Speichel  und  seinen 
Einfluß  auf  die  Magen  Verdauung. 

u)  Wolf,    Archives  de  Biologie  XVIII. 

*5)  Bönniger,  Arch.  f.  exp.  rathol.  u.  Pharm. 
L,  1903:  Über  die  Resorption  im  Magen  und  die 
sogenannte  Verdünnungssekretion. 

M)  Achard,  Loeper  und  Laubry,  Arch.  d. 
med.  experiment.,  S.  567,  1901:  Contribution  k  la 
cryoscopie  du  liquide  cephalo-rachidien. 

*T)  Sabrazes  et  Mathis,  La  semaine  medi- 
cale  26,  1901:  Cryoscopie  de  quelques  expectora- 
tions. 

«)  H.Hotz,  Diss.,  Zürich,  1902:  Physikalisch- 
chemische Untersuchnngen  über  Kuhmilch.  (Daselbst 
Übersicht  von  10  vorausgehenden  Publikationen.) 

*9)  H.  Strauß,  Fortschritte  der  Medizin  XIX, 
21,  1901:  Über  die  molekulare  Konzentration  des 
Schweißes. 

*°)  H.  Strauß,  Deutsche  med.  Wochenschr. 
37/38,  1902:  Über  osmotische  und  chemische  Vor- 
gänge am  menschlichen  Chylus. 

»')  Zanier,  Zentralbl.  f.  Physiol.  1896:  Über 
die  osmotische  Spannkraft  der  Cerebrospinalflüssig- 
keit. 

w)  Domenico  Pace,  Napoli  1903:  Ricerche 
sperimentali  cliniche  sulla  pressione  osmotica  dei 
liquid i  organici. 

3a)  H.  K  o  e  p  p  e  ,  Handbuch  der  Urologie, 
Alfr.  Holder,  Wien  1903:  Physiologie  der  Harn- 
absonderung. (Daselbst  Seite  204  Literatur  von 
24  Arbeiten.) 

S4)  Fr.  Engelmann,  Mitteil.  a.  d.  Grenzgeb. 
d.  Med.  u.  Chir.  12,  23,  1903:  Beiträge  zur  Lehre 
von  dem  osmotischen  Drucke  und  der  elektrischen 
Leitfähigkeit  der  Körperflüssigkeiten. 


i 


einander,  wenn  wir  damit  die  Zahlen  für 
die  Ausscheidungen  des  Organismus  ver- 
gleichen —  0,01  bis  4,4  — ,  nämlich  die 
Gefrierpunktserniedrigungen  Ton  Sputum,  Spei- 
chel und  Schweiß,  sowie  Harn  und  Faeces. 
Speichel,  Schweiß  und  Harn  weisen  die 
niedrigsten  Zahlen  auf,  Harn  und  Faeces  die 
höchsten. 

Im  Speichel,  Schweiß  und  Harn  werden 
demnach  unter  Umständen  recht  beträchtliche 
Mengen  Wasser  ausgeschieden,  dadurch  kann 
einerseits  ein  allgemein  niedriger  osmotischer 
Druck  im  Organismus  auf  den  durchschnitt- 
lichen gebracht  oder  ein  normaler  Druck  über 
den  Durchschnitt  erhöht  werden.  Reich- 
liche Speichel-,  Schweiß-  oder  Harnaus- 
scheidung muß  demnach  (wenn  nicht  noch 
besondere  andere  Umstände  mitwirken,  auf  die 
noch  eingegangen  werden  wird)  im  allgemeinen 
immer  eine  Erhöhung  des  osmotischen  Drucks 
innerhalb  -des  Organismus  zur  Folge  haben 
gegenüber  dem  vorher  bestehenden  osmo- 
tischen Druck.  Das  letztere  ist  wohl  zu 
beachten,  denn  gar  nicht  selten  findet  man 
in  der  Literatur  Angaben,  daß  nach  irgend 
einem  Experiment  oder  diätetischen  Eingriff 
der  osmotische  Druck  des  Blutes  z.  B. 
j  =  0,560°  gefunden  wurde,  folglich  (!  ?) 
eine  Erhöhung  des  Druckes  infolge  des  Ein- 
griffes nicht  erfolgt  sei!  Eine  Erhöhung 
oder  Erniedrigung  kann  doch  stets  nur  durch 
2  Zahlen  nachgewiesen  werden. 

Neben  der  Wasser  abgäbe  in  flüssiger 
Form  spielt  aber  auch  die  Was  s  er  aus - 
Scheidung  in  Dampfform  durch  die  Lunge 
•und  Haut  eine  wichtige  Rolle,  auch  durch 
diese  kann  der  osmotische  Druck  des  Blutes 
erhöht  werden.  Ein  Steigen  des  osmotischen 
Drucks  im  Organismus,  ohne  daß  größere 
Mengen  Speichel,  Schweiß  oder  Harn  entleert 
wurden,  ist  danach  wohlverständlich  und 
darf  beim  Studium  der  einschlägigen  Ver- 
hältnisse niemals  übersehen  werden 

Im  Gegensatz  zu  den  niedrigen  Werten 
weisen  die  beobachteten  hohen  Werte  der 
Gefrierpunktserniedrigung  des  Harns  (für 
Faeces  liegt  nur  eine  einzige  Beobachtung 
vor)  darauf  hin,  daß  auf  diese  Weise  auch 
ein  hoher  oder  zu  hoher  allgemeiner  osmo- 
tischer Druck  der  Körpersäfte  herabgesetzt 
werden  kann.  Auch  hier  dürfen  wir  nicht 
vergessen,  daß  die  Perspiratio  insensibilis 
durch  C09-Abgabe  im  gleichen  Sinne  wirken 
kann. 

Eine  Änderung  des  osmotischen 
Drucks  im  Organismus  kann  also  her- 
beigeführt sein  1.  durch  eine  Ausfuhr 
von  Wasser  oder  Salzen.  2.  kann  aber 
auch  der  interne  Stoffwechsel  Einfluß  auf 
den  osmotischen  Druck  der  Körpersäfte  aus- 


XIX.  Jahrgang.! 
Ulys  1906.    J 


Ko«pp«,  G«Mts  dM  osmotisch«!!  Gleichgewichts. 


133 


üben.  Direkte  Untersuchungen  nach  dieser 
Richtung  liegen  noch  nicht  vor.  Auf  diesen 
Modus  habe  ich35)  schon  einmal  hingewiesen, 
jetzt  können  wir  nicht  näher  darauf  eingehen. 

Die  3.  Art  der  Verschiebung  osmotischer 
Gleichgewichts  Verhältnisse  im  Organismus  er- 
folgt durch.  Zufuhr  von  Nahrung,  von 
Wasser  und  Salzen.  Diese  ist  natürlich 
für  den  Baineologen,  der  täglich  so  und  so 
viel  Becher  von  Wasser  mit  mehr  oder 
weniger  Salz  verordnet,  von  besonderem 
Interesse.  Eine  Reihe  von  Untersuchungen 
hierüber  sind  schon  angestellt  und  haben 
zu  teilweise  lebhaften  Kontroversen  geführt. 
Scheinbar  von  selbst  und  höcht  einfach  er- 
gab sich  ja  die  Versuchsanordnung:  hier 
Blut  (als  Repräsentant  der  Körpersäfte)  im 
Gleichgewicht,  dort  Salzwasser,  das  Gleich- 
gewicht störende  Moment.  Von  beiden  läßt 
sich  der  osmotische  Druck  leicht  bestimmen, 
ebenso  die  Differenz  zwischen  beiden,  alsdann 
mußten  im  Versuche  Änderungen  des  einen 
mit  der  Zufuhr  des  anderen  in  ursächlichen 
Zusammenhang  zu  bringen  sein. 

Soweit  lag  die  Sache  sehr  einfach,  doch 
mit  der  Zahl  der  Untersucher  und,  was  nicht 
zu  vergessen  und  weit  wichtiger  ist,  der 
Untersuchten  fanden  sich  auch  nicht  über- 
einstimmende Resultate.  Auf  Grund  solcher 
nicht  übereinstimmenden  Untersuchungsresul- 
tate Polemiken  über  den  Wert  der  Unter- 
suchungsmethoden und  dgl.  zu  führen,  ist 
ein  überflüssiges  unfruchtbares  Beginnen,  so- 
lange wir  nicht  mit  Sicherheit  den  Nachweis 
liefern  können,  daß  in  beiden  Versuchen 
absolut  dieselben  Versuchsbedingungen  be- 
standen. Solchen  Nachweis  zu  liefern,  ist 
unmöglich,  deshalb  ist  es  richtiger,  aus  der 
Nichtübereinstimmung  zu  schließen,  daß 
noch  andere  Momente  als  die  angenommenen 
ins  Spiel  kommen  und  das  Resultat  beein- 
flussen können.  Aus  rein  theoretischen  Über- 
legungen habe  ich36)  im  Anschluß  an  einige 
Versuche,  welche  den  Einfluß  von  Wasser- 
resp.  Salzzufuhr  auf  den  osmotischen  Druck 
des  Blutes  darlegen  sollten,  besonders  her- 
vorgehoben, daß  unter  anderen  Bedingungen 
derselbe  Versuch  ein  anderes,  ja  ein  ent- 
gegengesetztes Resultat  ergeben  kann. 
Die  Salz-  resp.  Wasserzufuhr  zum  Organis- 
mus ist  eben  nicht  allein  auf  eine  Änderung 
des  osmotischen  Drucks  der  Körperflüssig- 
keiten von  Einfluß,  sondern  gleichzeitig 
wirken  mit  die  Bedingungen  der  Ausscheidung, 
nicht  allein  der  durch  die  Nieren,  sondern 
auch  durch  die  Lungen.    Erfolgt  die  Unter- 

*5)  H.  Koeppe,  Berl.  klin.  Wocheoschr.  1901fr 
Zar  Kryoskopie  des  Harns. 

**)  H.  Koeppe,  Physikalische  Chemie  in  der 
Medizin ,  p.  86. 


suchung  an  einem  geistig  oder  körperlich 
arbeitenden  Individuum,  so  ist  nicht  dasselbe 
Resultat  wie  bei  einem  im  Bett  liegenden 
zu  erwarten  —  Aufenthalt  im  Freien  oder 
im  Krankenhaus,  Untersuchungen  im  Sommer 
oder  im  Winter  —  alles  das  sind  wohl  zu 
erwägende  Momente,  welche  das  Resultat 
beeinflussen  müssen. 

Anscheinend  noch  einfacher  liegen  die 
Bedingungen  und  Untersuchungsverhältnisse, 
wenn  wir  eine  Lösung  bekannten  osmotischen 
Drucks  in  den  Magen  eines  Individuums 
gießen,  von  dessen  Blut  wir  gleichfalls  den 
osmotischen  Druck  bestimmen  können ,  und 
nach  bestimmter  Zeit  den  Mageninhalt 
wieder  aushebern.  Ich  sage,  anscheinend  sind 
das  ja  ganz  einfache  Bedingungen:  zwei 
Lösungen  bekannten  osmotischen  Drucks 
kommen  in  Berührung  mit  einander,  das 
Ergebnis  muß  sich  nach  den  Gesetzen  des 
osmotischen  Drucks  berechnen  lassen.  Allein 
hier  spielen  doch  noch  wichtige  Verhältnisse 
mit,  welche  die  Rechnung  komplizieren.  Zu- 
nächst kommt  die  Durchlässigkeit  der 
trennenden  Membran  —  die  Magenwand  — 
in  Betracht.  Die  Magenwand  ist  verschieden 
durchlässig  für  die  einzelnen  Salze  und  die 
einzelnen  Ionen.  Bestimmen  wir  z.  B.  von 
einem  Mineralwasser  den  osmotischen  Druck, 
so  'kommt  im  Magen  dieser  Druck  nur  zu 
einem  Teil  als  solcher  zur  Geltung.  Von 
vornherein  ist  der  Anteil  der  Kohlensäure 
am  osmotischen  Druck  so  gut  wie  vollständig 
und  zwar  von  Anfang  an  auszuschalten,  nicht 
nur  da  ein  großer  Teil  der  Kohlensäure 
als  Gas  entweicht  und  durch  Aufstoßen  aus- 
geschieden wird,  es  hat  sich  auch  gezeigt, 
daß  die  Kohlensäure  sehr  rasch  aus  dem 
Magen  durch  die  Magenwand  hindurch  ver- 
schwindet. Aus  diesem  Grunde  habe  ich 
bei  Bestimmung  des  osmotischen  Drucks  resp. 
der  Gefrierpunktserniedrigung  von  Mineral- 
wässern stets  noch  den  Gefrierpunkt  des 
Mineralwassers  ohne  die  freie  Kohlensäure 
mit  bestimmt.  Wie  für  die  Kohlensäure  ist 
auch  für  alle  andern  Bestandteile  des  Mineral- 
wassers der  Partial  druck  derselben  in 
Betracht  zu  ziehen.  Mineralwässer  gleichen 
osmotischen  Drucks  können  sich  im  Magen 
verschieden  verhalten,  wenn  ihre  Bestand- 
teile verschiedenes  Diffusions  vermögen  für 
die  Magen  wand  haben. 

Im  allgemeinen  wird  bei  Mineralwässern 
wohl  stets  als  wirksamer  osmotischer  Druck 
ein  kleinerer  in  Frage  kommen,  als  ihn 
das  Mineralwasser  selbst  hat. 

Wesentlich  anders  verhalten  sich  aber 
unsere  Nahrungsmittel  im  Magen;  hier  steigen 
die  Schwierigkeiten  noch  mehr  durch  die 
Komplikationen,     welche     durch     den     Ver- 


134 


Ko«pp«,  Q«Mf*  d—  draiotl«eh«n  Gleichgewichte. 


rnurmpentieelM 
L   Monatshefte. 


dauungsprozeß  entstehen.  Selbst  eine  so 
einfache  Nahrung  wie  die  Milch  bietet 
schon  recht  erhebliche  Schwierigkeiten.  (Wie 
steigern  sich  diese  wohl  bei  einem  Diner 
von  so  und  so  viel  Gangen?) 

Wie  aus  Untersuchungen37)88)  in  meinem 
Laboratorium  hervorgeht,  ändert  sich  os- 
motischer Druck  und  Leitfähigkeit  der  Milch 
unter  dem  Einfluß  der  Verdauungsfermente 
(Pepsin,  Trypsin)  in  vitro,  der  osmotische 
Druck  wird  größer.  Damit  ist  aber  nun  noch 
nicht  erwiesen,  daß  auch  im  Magen  der  er- 
höhte osmotische  Druck  zur  Geltung  kommt, 
denn  wenn  die  durch  die  Fermente  entstan- 
denen Zersetzungsprodukte  leicht  diffusibel 
sind,  werden  sie  auf  die  Magen  wand  keinen 
Druck  ausüben:  also  wurde  in  diesem  Falle 
trotz  zeitweilig  erhöhtem  osmotischen  Druck 
im  Magen  dieser  Druckzuwachs  nicht  dazu 
verwandt,  Wasser  in  den  Magen  strömen, 
sondern  die  gelösten  Moleküle  aus  dem  Magen 
hinaus  wandern  zu  lassen,.  Alle  diese  Um- 
stände wirken  erschwerend  und  machen  es 
erklärlich,  daß  die  direkten  Bestimmungen 
des  osmotischen  Druckes  vom  Mageninhalt 
zu  verschiedenen  Zeiten  nach  Eingießung  be- 
stimmter Lösungen  nicht  einheitliche  Resultate 
ergeben.  Als  sicher  erscheint  bisher  nur, 
daß  Lösungen  von  höherem  osmotischen  Druck 
bald  auf  niedrigem  gebracht  werden,  nämlich 
den  des  Blutes,  bestritten  wird  das  Ergeb- 
nis der  ersten  Untersuchungen,  daß  im  Magen 
der  osmotische  Druck  des  Mageninhalts  auch 
unter  den  Druck  des  Blutes  sinken  kann. 
Daß  hier  das  Gesetz  des  osmotischen  Gleich- 
gewichts eine  bedeutende  Rolle  spielt,  ist 
zweifellos,  sicher  ist  aber  auch,  daß  Momente 
mit  in  Frage  kommen,  welche  ein  absolutes 
Gleichgewicht  nicht  eintreten  lassen,  ja  direkt 
auch  bedeutende.  Unterschiede  des  osmotischen 
Drucks  von  Mageninhalt  und  Blut  sogar  her- 
beiführen können. 

Nachdem  ich  schon  189539)  darauf  hin- 
gewiesen hatte,  daß  der  osmotische  Druck 
unserer  Nahrungsmittel  eine  gewisse  Be- 
deutung hat  und  dadurch  die  berichteten 
Blutuntersuchungen  auch  einen  praktischen 
Wert  erlangen  können,  habe  ich  sodann 
1896*°)  ausführlich  dargelegt,  in  welcher 
Weise    Mageninhalt    und    Blutplasma   in   os- 

")  ELHotz,  Diss.,  Zürich  1902:  Physikalisch- 
chemische Untersuchungen  über  Kuhmilch. 

M)  0.  Buchinger,  Diss.,  Gießen  1902:  Über 
den  Einfluß  des  Pepsins  auf  die  elektrische  Leit- 
fähigkeit der  Milch. 

89)  H.  Koeppe,  Deutsche  med.  Wochenschr. 
34,  1895:    Über  Osmose. 

*°)  H.  Koeppe,  Arch.  f.  d.  ges.  Physiol.  62, 
1896,  S.  584  f.:  Über  den  osmotischen  Druck  des 
Blutplasmas  und  die  Bildung  der  Salzsäure  im 
Magen. 


motische  Beziehungen  zueinander  treten  und 
welche  Folge,  welche  Erscheinungen  durch 
das  Wirken  des  osmotischen  Drucks  eintreten 
können.  Nicht  nur  theoretisch  habe  ich  diese 
Verhältnisse  klargelegt  und  erörtert,  sondern 
auch  über  experimentelle  Beobachtungen  be- 
richtet. Insbesondere  habe  ich  schon  damals41) 
(1896)  S.  8  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
der  osmotische  Druck  des  Mageninhaltes  im 
Verlaufe  der  Verdauung  unter  den  osmotischen 
Druck  des  Blutes  sinken  kann. 

Ich  glaube  dieses  betonen  zu  müssen 
gegenüber  den  Angaben,  daß  J.  Winter41) 
als  erster  diese  Beziehungen  untersucht  habe. 
Gleichzeitig  und  unabhängig,  von  J.  Winter 
sind  von  mir  die  gleichen  Beobachtungen 
publiziert  worden. 

In  der  nächsten  diesbezüglichen  Arbeit 
von  Roth  und  Strauß43)  werden  meine  theo- 
retischen Darlegungen  (S.  6  u.  7)  vollinhaltlich 
wiedergegeben  (ohne  Hinweis  auf  meine  Publi- 
kationen), nur  fehlt  der  von  mir  gegebene  Hin- 
weis auf  den  Einfluß,  welchen  eine  einseitig 
durchlässige  Wand  bedingt.  Diese  An- 
nahme einer  einseitig  durchlässigen  Wand 
wurde  von  mir  auf  Grund  der  v.  Meringschen 
bekannten  Versuche  aufgestellt  und  ist  für 
die  Bedeutung  der  einschlägigen  Verhältnisse 
von  großer  Wichtigkeit.  Dadurch,  daß  Roth 
und  Strauß  diesen  Faktor  nicht  in  Betracht 
ziehen,  kommen  sie  auf  Grund  ihrer  Unter- 
suchungen, welche  meine  vereinzelte  Beob- 
achtung bestätigen,  daß  der  osmotische  Druck 
des  Mageninhalts  unter  den  des  Blutes 
sinken  kann,  zu  Schlüssen,  welche  eben  des- 
halb nicht  absolut  zwingend  sind.  Roth  und 
Strauß  schließen  folgendermaßen: 

Weil  der  osmotische  Druck  des  Magen- 
inhalts unter  den  des  Blutes  sinkt,  „so  be- 
deutet das:  daß  der  osmotische  Gleichgewichts- 
zustand durch  Eingreifen  eines  neuen  Faktors, 
einer  Kraftquelle,  welche  nicht  in  der  os- 
motischen Spannkraft  der  beiderseitigen 
Lösungen,  sondern  außerhalb  dieser  liege,  eine 
Verschiebung  erfahren  hata.  .  .  .  Der  Magen 
„übt  eine  ganz  spezifische  Aktion  aus,  welche, 
wie  es  scheint,  keiner  andern  Resorptionsfläche 
im  Organismus  zukommt".  „Diese  Aktion  muß 
einer  vitalen  Arbeitsleistung  der  Epithelzellen 
der  Magenschleimhaut  zugeschrieben  werden.* 
Und  S.  25:  „Diese  Wasserabscheidung,  welche 
von  der  Magenwand  her   in  eine  isotonische 

41)  K.  Koeppe,  Naturforscherversammlung  in 
Frankfurt  a.  M.  1896:  Bedeutung  der  Salze  als 
Nahrungsmittel. 

*a)  J.Winter,  Archives  de  Physiol.  V,  1896, 
S.  114:  De  la  concentration  moleculaire  des  liquides 
de  l'organisme. 

«)  Roth  und  Strauß,  Zeitschr.  f.  klin.  Med. 
37,  1899:  Mechanismus  der  Resorption  und  Sekre- 
tion im  menschlichen  Magen. 


III.  Jahrgang .1 
Mir»  1905     J 


Ko«ppe,   GeMts  de«  otmotlichmi  Gleichgewichts. 


135 


Lösung  hinein  stattfindet,  muß,  da  physi- 
kalische Triebkräfte  zur  Erklärung  nicht 
vorhanden  sind,-  als  Folge  einer  aktiven 
sekretorischen  Tätigkeit  der  Zelle  auf- 
gefaßt werden."  Diese  vitale  Tätigkeit  nennt 
Strauß  „Verdünnungssekretion14. 

Durch  meine  Annahme  einer  „einseitig 
halbdurchlässigen  Wand"  werden  die 
Schwierigkeiten,  die  beobachtete  Verdünnung 
des  Mageninhalts  physikalisch  zu  erklären, 
erheblich  verkleinert,  sodaß  theoretisch  ab- 
solut keine  Notwendigkeit  vorliegt,  vitale 
Kräfte  zu  Hilfe  zu  rufen,  noch  eine  spezi- 
fische Verdünnungssekretion  des  Magens  an- 
zunehmen. 

Als  absolut  unzulässig  muß  es  aber  be- 
zeichnet werden,  von  dieser  angenommenen 
(nicht  nachgewiesenen)  vitalen  Tätigkeit  der 
Zellen  nun  die  vitale  Arbeitsleistung  der 
Epithelzellen  der  Magenschleimhaut 
zu  berechnen  und  diese  berechnete  Arbeits- 
leistung in  Gegensatz  zu  dem  Blutdruck  der 
Aorta  zu  bringen.  Strauß  folgt  hierbei  ein- 
fach den  Angaben  von  Dreser,  welcher  1892 
die  osmotische  Arbeitsleistung  der  Nieren 
berechnete.  Nun  ist  aber  einmal  durchaus 
nicht  notig,  ja  noch  garnicht  wahrscheinlich, 
daß  die  Verhältnisse  in  der  Niere  sich  mit 
denen  im  Magen  in  Parallele  setzen  lassen; 
aber  auch  die  Dreser  sehe  Berechnung,  zwar 
physikalich  richtig,  läßt  sich  auf  biologische 
Verhältnisse  nicht  direkt  übertragen,  wie  ich 
▼erschied entlich  nachgewiesen  habe. 

So  sehen  wir,  daß  wir  noch  recht  weit 
davon  entfernt  sind,  die  physikalisch -che- 
mischen Vorgänge  im  Magen  klar  zu  durch- 
schauen45)46)47), eben  weil  die  Eigenschaften  und 
das  Wesen  der  halbdurchlässigen  Mem- 
branen noch  nicht  aufgeklärt  sind.  Auch 
die  Physiko- Chemiker  haben  noch  keine  be- 
stimmten Anschauungen  über  das  Wesen  der 
künstlichen  halb  durchlässigen  Membranen, 
und  es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  sich 
noch  andere  künstliche  Membranen  herstellen 
lassen,  welche  noch  weitere'  besondere 
Eigenschaften,  wie  z.  B.  die  einseitige 
Durchlässigkeit,  besitzen.  Diese  zur  Zeit 
bestehende  Möglichkeit  des  weiteren  Aus- 
baues der  physikalischen  Chemie  durch  bio- 


**)  H.  Strauß,  Verhandl.  d.  18.  Kongr. f.  innere 
Medizin,  1900:    Zar  Fraktion  des  Magens. 

4i)  Pfeiffer  und  Sommer,  Arch.  f.  exp.  Path. 
43,  1899:  Über  die  Resorption  wässeriger  Salz- 
lösungen aas  dem  menschlichen  Magen  anter  phy- 
siologischen und  pathologischen  Verhältnissen. 

*)  Pfeiffer,  Arch.  f.  ext).  Path.  1902:  Über 
die  Resorption  wässeriger  Salzlösungen  aus  dem 
menschlichen  Magen. 

**)  Kraus,  Deutsche  Medizinal. -Ztg.  1908: 
Über  die  Beeinflussung  pathologischer  Anschauun- 
gen durch  die  physikalische  Chemie. 

Th.  M.  1906. 


logische  Forschungen  muß  uns  vor  allem 
Torsichtig  machen  und  warnen,  vorschnell 
die  Hilfe  bei  vitalen  Kräften  zu  suchen, 
wenn  etwa  physikalische  nicht  ausreichen. 

Wie  schwer  es  ist,  sich  in  physikalisch- 
chemische Verhältnisse  hineinzudenken,  wenn 
man  jeden  Flüssigkeitsaustausch  zwischen 
Zellen  und  umgebender  Flüssigkeit  als  eine 
Sekretion  auffaßt,  geht  aus  einer  Arbeit 
über  den  gleichen  Gegenstand  von  Bönniger*8) 
hervor,  in  welcher  sich  folgende  Stelle  findet: 
„Nun  werden  aber  wohl  auch  Roth  und 
Strauß  kaum  annehmen,  das  die  Zellen 
destilliertes  Wasser  sezernieren".  Dieser  Satz 
erscheint  selbstverständlich  in  dieser  Fassung 
und  beweist  doch  nicht,  was  er  beweisen 
soll.  Allerdings,  behaupte  ich,  können 
Zellen  destilliertes  Wasser  an  die  sie 
umgebende  Flüssigkeit  abgebenl  und 
das  ist  schon  vollkommen  bewiesen  und  dieser 
Satz  in  dieser  Fassung  wird  nicht  bestritten 
werden,  obwohl  er  im  Grunde  dasselbe  aus- 
sagt wie  der  vorhergehende. 

Wichtig  erscheint  mir  in  Bönnigers  Ar- 
beit der  Hinweis  auf  den  wesentlichen  Ein- 
fluß der  Anfangskonzentration  der  in 
den  Magen  gebrachten  Flüssigkeit.  Wie  ich 
schon  mehrfach  hervorgehoben  habe,  kommt 
es  eben  nicht  auf  absolute  Werte  an,  sondern 
stets  sind  die  Unterschiede  des  osmotischen 
Druckes  zweier  Flüssigkeiten  maßgebend. 
Wir  wissen  jetzt  positiv,  daß  der  osmotische 
Druck  des  Blutes  nicht  allein  bei  demselben 
Individuum  schwankt,  sondern  auch  größere 
Unterschiede  aufweist  bei  verschiedenen  Per- 
sonen, infolgedessen  müssen  wir  bei  der  Be- 
urteilung der  Resorption  und  Sekretions  Ver- 
hältnisse im  Magen  auch  den  osmotischen 
Druck  des  Blutes  mit  in  Rechnung  setzen, 
dieser  ist  bei  einschlägigen  Versuchen  gleich- 
falls und  zwar  gleichzeitig  mit  zu  bestimmen. 
Je  feinere  Unterschiede  berücksichtigt  werden 
sollen,  je  eingehender  die  zu  ziehenden  Schlüsse 
Details  berücksichtigen,  um  so  wichtiger  ist  es 
bei  Anstellung  derartiger  Versuche,  die  ob- 
waltenden Versuchsbedingungen  bis  in  alle 
Einzelheiten  festzustellen.  Wenn  Kraus47)  in 
Bezug  auf  diese  Untersuchungen  sagt:  „  Eine  ein- 
heitliche Auffassung  der  bei  der  Salzresorption 
im  Magen  sich  abspielenden  Vorgänge  scheint 
also  auf  Grund  des  vorliegenden  Tatsachen- 
materials kaum  möglich.  Die  mehrfach  be- 
sprochene Verdünnung  als  Sekretionsvorgang 
gedeutet,  dürfte  aber  kaum  den  endgültigen 
Abschluß  dieses  Problems  bedeuten tt,  so  möchte 
ich   den   letzten   Satz   dahin    erweitern,    daß 


")  Bönniger,  Arch.  f.  exp.  Path.  L,  1903: 
Über  die  Resorption  im  Magen  und  die  sogenannte 
VerdunnungsseKretion.      > 

12 


136 


Golditein,  Erhält  uottr  Volk  g«nug  Fleisch? 


rTlkerftpeiitladto 
L   Monatshefte, 


theoretisch  die  Verdünnungssekretion  anzu- 
nehmen nicht  notwendig  erscheint,  daß  anderer- 
seits das  Gesetz  des  osmotischen  Gleichge- 
wichts selbst  mit  diesen  Tatsachen  nicht  in 
"Widerspruch  steht  und  vorläufig  für  die  Er- 
klärung der  Erscheinungen  ausreicht.  Aller- 
dings  bedarf  aber    die   Annahme  halbdurch- 


ist, so  kann  man  der  Berechnung  seines 
notwendigen  Konsums  die  Berechnung  des 
notwendigen  gesamten  Eiweißkonsums  zu 
Grunde  legen.  Letzterer  hängt  beim  ein- 
zelnen Menschen  vom  Alter,  Geschlecht 
und  der  zu  leistenden  Arbeit  ab.  Er  be- 
trägt bei 


Personen  von 


über 


arbeitenden  männlichen 
weiblichen 
allen  männlichen 
weiblichen 


0 
2 
6 
15 
15 
65 
65 


bis  unter 


täglich 
2  Jahr 36,60  g 


über 


6 

15 

65 

65 

100 

100 


50,85  - 

80,00  - 

105,00  - 

90,00  - 

92,00  - 

80,00  - 


jährlich 

13,35  kg 

18,56  - 

29,20  - 

38,32  - 

32,85  - 

33,58  - 

29,20  - 


lässiger  Wände  besonderer  Art  noch  weiterer 
Stützen.  Immerhin  können  wir  hoffen,  für 
diese  ebenso  gute  Aufschlüsse  mit  der  Zeit 
zu  erlangen,  wie  wir  für  die  halbdurchlässigen 
Wände  z.  B.  der  roten  Blutscheiben  den 
Nachweis  erbringen  konnten,  daß  sie  wirklich 
existieren,  aus  einem  fettähnlichen  Stoff  be- 
stehen oder  einen  solchen  enthalten,  und  daß 
sie  den  Inhalt  der  roten  Blutscheiben  mem- 
branartig umschließen. 


Erhält  unser  Volk  genug:  Fleisch? 

Von 

Dr.  Goldstein  in  Berlin. 

In  der  Zeit  der  Viehsperren  und  Fleisch- 
zölle und  der  in  Aussicht  stehenden  weiteren 


Männliche  Personen 
Weibliche 
Männliche 
Weibliche 


6 
15 
15 
65 
65 


100 


Um  bei  diesen  Verschiedenheiten  den 
Eiweißbedarf  der  Bevölkerung  zu  ermitteln, 
muß  man  zunächst  den  der  einzelnen 
Altersklassen  berechnen.  Das  Alter  wird 
bei  den  Volkszählungen  für  jedes  Geschlecht 
besonders  erhoben.  Multipliziert  man  dem- 
nach den  für  die  einzelnen  Altersstufen 
in  der  vorstehenden  Übersicht  angegebenen 
jährlichen  Eiweißbedarf  mit  der  Zahl  der 
Personen,  die  zu  den  einzelnen  Alters- 
stufen gehören,  so  erhält  man  für  jede 
den  jährlichen  Eiweißbedarf,  und  addiert 
man  alle  Altersstufen,  so  erhält  man 
den  jährlichen  Gesamteiweißbedarf  der  ge- 
samten Bevölkerung.  In  der  folgenden 
Übersicht  ist  diese  Berechnung  unter  Zu- 
grundelegung der  bei  der  Volkszählung  vom 
Jahre  1900  ermittelten  Altersklassen  aus- 
geführt. 

Jährl.  Gesamteiweißbedarf 
in  Tonnen  zu  1000  kg 

41  268,6 
104342,4 
318327,8 
639  262,7 
569024,1 
41 187,5 
44  496,9 


Altersklassen  Zahl 

0  bis  unter   2  Jahr 3  091  284 

über  2  -   -    6  - 5  621901 

15  - 10901637 

65  - 16680046 

65  - 17  321892 

über  100  - 1226  551 


1  523  867 


Zusammen    56  367178 


1  757  910,0 


Verteuerung  des  Fleisches  dürfte  die  Frage, 
ob  unser  Volk  genug  Fleisch  erhält,  von 
großer  Bedeutung  sein.  Ich  habe  sie  in 
der  „Sozialen  Praxis"  einer  Untersuchung 
unterzogen  und  gebe  hier,  einer  Anregung 
des  Herrn  Herausgebers  dieser  Monatshefte 
folgend,  ihren  Inhalt  wieder. 

Von  den  drei  Nährstoffen  des  Menschen: 
Eiweiß,  Kohlehydraten  und  Fetten,  können 
sich  die  beiden  letzteren  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  vertreten,  das  Eiweiß  dagegen 
kann  nicht  vertreten  werden,  da  es  der  ein- 
zige Nährstoff  ist,  der  Stickstoff  und  Schwefel 
enthält.  Da  das  Fleisch  zwar  nicht  der 
einzige,  aber  der  wichtigste  Eiweißrepräsen- 
tant unter  den  menschlichen  Nahrungsmitteln 


Der  Kopf  der  Bevölkerung  beansprucht 
demnach  im  Jahr  81  kg  Eiweiß. 

Nach  der  Schätzung  des  Statistischen 
Reichsamts  konsumiert  der  Kopf  der  deut- 
schen Bevölkerung  im  Jahr  40  kg  Fleisch1). 
Da  der  Gehalt  des  Fleischs  an  Eiweiß  im 
Durchschnitt  20  Proz.  ausmacht,  so  sind  in 
den  40  kg  8  kg  Eiweiß  enthalten,  und  von 
den  verlangten  31  kg  sind  nur  25,8  Proz. 
durch  Fleischeiweiß  gedeckt.  Daß  das  sehr 
wenig  ist,  läßt  sich  schon  aus  dem  Umstände 
schließen,  daß  die  menschliche  Natur  der  des 
Karnivoren   näher   steht   als   der   des   Herbi- 

*)  Die  Deutsche  Volkswirtschaft,  herausgeg. 
vom  Kaiserl.  Statist.  Amt,  S.  56. 


XIX.  JahrgangZl 
Mir»  1905.    J 


Goldatein,  Erhält  unter  Volk  g«nug  Fleisch? 


137 


voren,  wie  der  Eckzahn  beweist,  die  saure  j 
Reaktion  des  Urins  und  das  Unvermögen, 
vegetabilisches  Eiweiß  in  demselben  Maße 
zu  verdauen  wie  animalisches;  ersteres  wird 
nur  zu  70  Proz.,  letzteres  dagegen  zu  fast 
100  Proz.  assimiliert. 

Es  bleibt  demnach  nach  Abzug  des 
Fleischeiweißes  ein  Defizit  von  23  kg  pro 
Kopf  und  Jahr.  Zu  seiner  Deckung  ist  zu- 
nächst das  im  Brot  enthaltene  Eiweiß  ver- 
fugbar. Nach  den  Erhebungen  der  Keichs- 
statistik  kommt  auf  Kopf  und  Jahr  der  Be- 
völkerung rund  180  kg  Brotgetreide3),  ent- 
sprechend 145  kg  Brot.  Der  Gehalt  desselben 
an  Eiweiß  beträgt  durchschnittlich  6,5  Proz., 
in  145  kg  Brot  sind  also  9,4  kg  Eiweiß 
enthalten,  wovon  70  Proz.,  also  6,5  kg,  assi- 
milierbar sind.  Durch  das  Broteiweiß  wird 
also  das  Defizit  von  23  kg  auf  16,5  kg  ver- 
mindert. 

Eine  weitere  Eiweißquelle  bilden  die 
Kohlehydratnahrungsmittel.  Um  zu  ermitteln, 
wieviel  Eiweiß  durch  sie  dem  Kopfe  der 
Bevölkerung  zugeführt  wird,  muß  der  Gesamt- 
bedarf an  Kohlehydraten  auf  Kopf  und  Jahr 
genau  so,  wie  es  beim  Eiweiß  geschehen  ist, 
berechnet  werden.  Die  Berechnung  des  Ei- 
weißbedarfs als  solche  erfährt  dadurch  also 
eine  Unterbrechung.  —  Der  Kohlehydrat- 
bedarf beträgt  bei 


fruchte  (Erbsen,  Bohnen,  Linsen)  in  Frage. 
Da  der  Zweck  der  Berechnung  die  Ermitte- 
lung des  verfugbaren  Eiweißes  ist,  das  Brot- 
eiweiß aber  schon  berücksichtigt  ist,  so  muß 
von  dem  Gesamtbedarf  an  Kohlehydraten  die 
in  den  145  kg  Brot  steckende  Menge  der- 
selben vorweg  abgezogen  werden.  Der  Kohle- 
hydratgehalt des  Brotes  beträgt  rund  50  Proz., 
in  145  kg  Brot  stecken  also  72,50  kg  Kohle- 
hydrate, es  bleiben  demnach  nach  Abzug 
dieses  Quantums  von  den  130  kg  des  Ge- 
samtbedarfs 57,50  kg  übrig,  die  durch  die 
anderen  Kohlehydratrepräsentanten,  also  Reis, 
Kartoffeln  und  Hülsenfrüchte,  geliefert  werden 
müssen. 

Von  Reis  wurden  im  Jahre  1900  290554 
Tonnen  importiert,  auf  den  Kopf  kamen  also 
5  kg  mit  0,35  kg  Eiweiß  und  3,87  kg  Kohle- 
hydraten. Nach  Abzug  der  letzteren  bleiben 
53,63  kg,  die  durch  Kartoffeln  und  Hülsen- 
früchte zu  decken  sind. 

Es  hat  mir  keine  geringe  Mühe  gemacht, 
ihren  Konsum  mit  einiger  Zuverlässigkeit  zu 
berechnen,  denn  Erhebungen  gibt  es  darüber 
nicht.  Ich  habe  als  Maßstab  für  das  Ver- 
hältnis ihres  Verbrauchs  ihren  Preis  gebraucht. 
Im  Jahre  1900  war  der  Durchnittspreis  für 
100  kg  Hülsenfrüchte  5,6  mal  so  hoch  wie 
der  für  100  kg  Kartoffeln,  es  müßten  also, 
wenn    der    Nährwert    beider  Nahrungsmittel 


Personen  von 


über 


Männlichen 
Weiblichen 
Männlichen 
Weiblichen 


0  bis  anter 

1  -        - 

2  -        - 
6    -       - 

15 
15 
65 
65 


-    aber 


6 

15 

65 

65 

100 

100 


tu  glich 

jährlich 

46,68  g 

17,03  kj< 

96,41  - 

35,18   - 

145,30  - 

53,00   - 

270,00  - 

98,50   - 

500,00  - 

182,50  - 

400,00  - 

146,00  - 

350,00  - 

127,70  - 

300,00  - 

109,50   - 

Hiernach  ist  der  Konsum  der  Alters- 
klassen und  weiter  der  der  Bevölkerung  an 
Kohlehydraten  auf  Kopf  und  Jahr  zu  be- 
rechnen. 


Altersklassen 


Männliche 
Weibliche 
Männliche 
Weibliche 


Personen  über  0  bis  unter 

.     i  . 

.  2  - 

-  6  - 


-  15 

-  15 

-  65 

-  65 


2 
6 

-  15 

-  65 

-  65 
über  100 

-  100 


derselbe  wäre,  5,6  mal  so  viel  Kohlehydrate 
in  Kartoffeln  gekauft  werden  wie  in  Hülsen- 
früchten. Tatsächlich  ist  aber  der  Wasser- 
gehalt   der    Kartoffel    viel    größer    und    ihr 

Jährlicher  Gesamtbedarf 
Zahl  an  Kohlehydraten  in  Tonnen 

zu  1000  kg 

27  794,7 

51 333,9 

297  960,7 

1 073  811,2 

3  044 108,3 

2  528  996,2 

156  630,5 

1523  867       166  863,4 


1  Jahr 1  632  103 

1459181 

5621901 

10  901637 

16680046 

17  321892 

1226551 


Zusammen  56  367 178 


7  347  498,9 


Der  Kopf  der  Bevölkerung  verlangt  da- 
nach jährlich  130  kg  an  Kohlehydraten.  Bei 
seiner  Deckung  kommt  bei  Volksernährungen 
nur  Brot,   Reis,   Kartoffeln   und   die  Hülsen- 


*)  a.  a,  0.  S.  44. 


Kohlehydratgehalt  viel  kleiner  als  der  der 
Hülsenfrüchte,  ihr  Nährwert  ist  also  geringer. 
Dem  Volke  ist  das  wohl  bekannt,  es  sagt, 
„Kartoffeln  halten  nicht  vortt.  Der  Kohle- 
hydratgehalt der  Kartoffel  beträgt  20,6  Proz., 
der   der   Hülsenfrüchte   51,5  Proz.,    die  Kar- 

12* 


138 


Qo Idstein,  Erhllt  unter  Volk  genug  Fleisch? 


rTherapttitiad» 
L    MonatRhefta. 


1 


toffel  enthält  also  nur  dco  2,5.  Teil  des  in 
Hülsenfrüchten  enthaltenen  Kohlehydrats. 
Demnach  werden  nicht  5,6  mal  so  viel  Kohle- 
hydrate in  Kartoffeln  gekauft  werden,  wie 
man    nach    Maßgabe    des    Preises    erwarten 

5  6 
sollte,  sondern  -^'     =  2,24  mal  so  viel.     Zu 

decken  sind  53,63  kg  Kohlehydrate,  und 
verteilt  man  diese  in  der  Weise,  daß  auf 
Kartoffeln  2,24  mal  so  viel  kommen  wie  auf 
Hülsenfrüchte,  so  erhält  man  für  Kartoffel- 
kohlehydrat 37,07  kg,  für  Kohlehydrat  aus 
Hülsenfrüchten  16,55  kg,  und  wenn  man 
diese  Zahlen  auf  die  Nahrungsmittel  um- 
rechnet, so  fallen  auf  Kopf  und  Jahr  der 
Bevölkerung  180  kg  Kartoffeln  und  32  kg 
Hülsenfrüchte. 

Nach  dieser  Abschweifung  können  wir 
zur  Berechnung  des  Eiweißes  zurückkehren. 
Das  errechnete  Defizit  betrug  1 6,5  kg.  Durch 
Reis  waren  0,35  kg  gedeckt,  durch  Kartoffeln 
(Eiweißgehalt  2  Proz.)  und  Hülsenfrüchte 
(Eiweißgehalt  24,5  Proz.)  11,44  kg,  wovon 
aber  nur  8  kg  assimilierbar  sind.  Zieht  man 
diese  8,35  kg  vom  Defizit  ab,  so  vermindert 
es  sich  von  16,5  kg  auf  rund  8  kg. 

Durch  das  Eiweiß  aus  Milch  und  Käse 
erfährt  diese  Zahl  eine  weitere  Verminderung. 
Die  erste  Altersklasse  zieht  ihren  gesamten 
Eiweißbedarf,  wie  überhaupt  die  gesamte 
Nahrung,  aus  Milch,  die  zweite  zum  größten 
Teil,  die  dritte  zum  großen  Teil,  während 
die  Milch  für  die  folgenden  Altersklassen 
immer  mehr  an  Bedeutung  als  Eiweißquelle 
verliert,  zumal  sie  älteren  Menschen  bald 
widersteht.  Für  die  erste  Altersklasse  liefert 
die  Milch  100  Proz.  des  Eiweißbedarfs,  für 
die  zweite  etwa  80  Proz.,  für  die  dritte  etwa 
50  Proz.  Den  Bedarf  der  beiden  ersten 
Altersklassen  an  Eiweiß  habe  ich  nach 
Flügge,  Grundriß  der  Hygiene,  S.  249  be- 
rechnet, während  für  die  dritte  Weyls  Hand- 
buch der  Hygiene  maßgebend  war8).  Die 
Zahl  der  Personen,  die  bei  der  Volkszählung 
im  Jahre  1900  zu  der  ersten  Altersklasse 
gehörten,  betrug  1632103,  die  der  zweiten 
1459181,  die  der  dritten  1462  409.  Be- 
rechnet man  für  sie  den  gesamten  jährlichen 
Eiweißbedarf,  so  erhält  man  18  328,5  bezw. 
22  573,5  bezw.  26  688,9  Tonnen.  Hiervon 
deckt  die  erste  Altersklasse  100  Proz.,  die 
zweite  80  Proz.,  die  dritte  50  Proz.  durch 
Milch,  sodaß  die  drei  Altersklassen  zusammen 
jährlich  49  731,7  Tonnen  Eiweiß  aus  Milch 
ziehen,  und  verteilt  man  diese  auf  die  Be- 
völkerung, so  erhält  man  auf  Kopf  und  Jahr 

*)  Der  tägliche  Bedarf  an  Eiweiß  beträgt  bei 
der  ersten  Altersklasse  im  Jahresdurchschnitt 
30,79  g,  bei  der  zweiten  Altersklasse  42,41  g,  bei 
der  dritten  50,00  g. 


0,88  kg  Milcheiweiß.  —  Für  die  höheren 
Altersklassen  bildet  der  Käse  eine  Eiweiß- 
quelle. Die  inländische  Produktion  an  Käse 
ist  gering,  der  Fehler  also,  den  die  Un- 
möglichkeit, ihren  Umfang  zu  bestimmen, 
herbeiführt,  kann  das  Endresultat  nicht 
wesentlich  beeinträchtigen.  Der  Import  von 
Käse  betrug  im  Jahre  1900  15479  Tonnen, 
da  sein  Gehalt  an  Eiweiß  durchschnittlich 
30  Proz.  beträgt,  so  wird  durch  den  Käse- 
import dem  Kopf  der  Bevölkerung  0,08  kg 
Eiweiß  geliefert.  Milch  und  Käse  zusammen 
liefern  also  0,88  kg  H-  0,08  kg  =  0,96  kg 
oder  rund  1  kg  Eiweiß.  Das  Defizit  wird 
dadurch  auf  7  kg  reduziert. 

Endlich  ist  der  Heringsverbrauch  zu  be- 
rücksichtigen. Die  inländische  Fischerei  liefert 
nur  ganz  wenig  für  den  Gesamtverbrauch, 
im  Jahre  1897  nur  6  Proz.,  bei  weitem  die 
meisten  Heringe  werden  importiert,  im  Jahre 
1900  waren  es  1137  303  Faß  zu  150  kg. 
Das  macht  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung 
rund  2,5  kg  mit  einem  Eiweißgehalt  von 
0,5  kg.  Zieht  man  diese  von  den  obigen 
7  kg  ab,  so  ergibt  sich  als  Schlußresultat 
ein  Eiweißdefizit  von  6,5  kg,  für  das  keine 
Deckung  da  ist.  Wollte  man  es  durch  Fleisch 
liefern,  so  müßten  an  Stelle  von  40  kg,  die 
heute  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  treffen, 
72,5  kg  konsumiert  werden.  Dazu  ist  die 
Bevölkerung  zu  arm,  sie  greift  infolgedessen 
zur  Branntweinflasche,  denn  die  wechselseitige 
Abhängigkeit  von  Fleisch-  und  Branntwehi- 
konsum  ist  durch  die  französische  Statistik 
festgestellt  worden. 


Bemerkungren  zu  dem  Auftatze 

des  Herrn  Dr.  Goldstein:  Erhält  unser 

Volk  genug  Fleisch? 

Von 
Dr.  F.  Joklik  in  Prag. 

Die  Berechnungen,  welche  Dr.  Gold  stein 
anstellt  und  aus  welchen  er  mangelhafte 
Ernährung  der  Bevölkerung  Deutschlands 
deduziert,  durften  wohl  kaum  den  Tatsachen 
entsprechen,  wenigstens  nicht  in  der  an- 
gegebenen Schärfe. 

Richtig  ist  der  Bedarf  an  Eiweiß  auf 
31  kg  und  an  Kohlehydraten  auf  130  kg  pro 
Kopf  und  Jahr  angegeben.  An  Kohlehydraten- 
nahrung besteht  kein  Mangel,  wie  Dr.  Gold- 
stein  zugibt,  es  handelt  sich  also  nur  um 
die  Eiweißnahrung.  In  dieser  Beziehung  sind 
die  Zahlen,  welche  Dr.  Goldstein  für  die 
Deckung  berechnet,  keineswegs  in  Ober- 
einstimmung mit  der  Statistik.  Dr.  Gold- 
stein läßt  von  dem  Eiweißbedarf  von  31  kg 


XIX.  Jahrgang.*] 
Mir»  190&.    J 


Joklik,  Erhält  unter  Volk  genug  Fleisch? 


139 


decken:  durch  Fleisch  8  kg,  durch  Brot  6,5  kg, 
durch  Reis  0,35  kg,  durch  Kartoffeln  und 
Hülsenfrüchte  8  kg,  durch  Milch  und  Käse 
1  kg,  durch  Hering  0,5  kg  und  konstatiert 
demnach  ein  Defizit  von  6,5  kg  Eiweiß 
pro  Kopf  und  Jahr,  welchen  er  den  Alko- 
holismus verschulden  läßt. 

Allein  gegen  diese  Berechnungen  ist  fol- 
gendes einzuwenden: 

1.  Die  Menge  des  durch  Fleischnahrung 
gedeckten  Eiweißes,  8  kg,  muß  ich  gelten 
lassen,  da  es  an  jedweder  Handhabe  fehlt, 
um  zu  kontrollieren,  ob  die  diesbezüglich  an- 
genommene Grundlage  richtig  ist,  daß  auf 
den  Kopf  der  Bevölkerung  in  Deutschland 
nur  40  kg  Fleisch  (nur  10a/3  Deka  täglich!) 
entfallen. 

2.  Entschieden  zu  niedrig  ist  dagegen 
die  Zahl  für  die  Menge  des  aus  Brot  re- 
sultierenden Eiweißes  angesetzt.  Nach  dem 
„Statistischen  Jahrbuch  f.  d.  Deutsche  Reich" 
25.  Jahrg.  1904,  S.  194  Kap.  X  Verbrauchs- 
berechnungen waren  „zum  Verbrauch  für 
Mensch  und  Tier  und  für  gewerbliche  Zwecke" 
im  Deutschen  Reich  verfügbar  i.  J.  1900/01 
u.  a.  Roggen  8,23  Mill.  Tonnen,  auf  den  Kopf 
147,6  kg,  Weizen  5,13  Mill.  Tonnen,  auf  den 
Kopf  91  kg,  Kartoffeln  34,1  Mill.  Tonnen,  auf 
den  Kopf  604,6  kg.  Es  sind  also  an  Brotgetreide 
nicht  180  kg,  sondern  ca.  240  kg  vorhanden 
gewesen,  das  entspricht  193  kg  Brot,  worin 
12,5  kg  Eiweiß  enthalten  sind,  von  welchen 
8,75  kg  assimilierbar  sind.  Allerdings  wird 
nicht  sämtliches  Getreide  als  menschliche  Nah- 
rung verbraucht,  allein  was  auf  andere  Zwecke 
entfällt,  ist  gewiß  ein  geringfügiger  Bruchteil ; 
so  werden  z.  B.  in  der  Branntweinindustrie 
(cit.  S.  54)  nur  364  000  Tonnen  Getreide 
verarbeitet,  also  nicht  einmal  3  Proz.  der 
oben  angeführten  Getreidearten.  Es  ist  also 
die  obige  Zahl  von  8,75  kg  höchstens  auf 
8  kg  zu  reduzieren. 

3.  Was  den  Reis  anbelangt,  so  vergißt 
Dr.  Goldstein  von  der  Einfuhr  von  290554 
Tonnen  die  Ausfuhr  mit  129  810  Tonnen 
abzuziehen.  Ich  lasse  jedoch  die  bezügliche 
(geringfügige)  Zahl  von  0,3  kg  Eiweiß  aus 
Reisnahrung  gelten. 

4.  Die  Menge  der  verzehrten  Hülsen- 
früchte ist  statistisch  nicht  genau  zu  ermitteln. 
Die  von  Dr.  Goldstein  angenommene  Menge 
von  32  kg  pro  Kopf,  d.  i.  von  87,5  g  täglich, 
ergibt  5,6  kg  Eiweiß,  welche  Zahl  vielleicht 
eher   zu  hoch,   als  zu  niedrig  gegriffen  ist1). 

5.  Die  Menge  des  Kartoffelkonsums  ist 
mit  180  kg  pro  Kopf  entschieden  viel  zu 
niedrig     angesetzt.       Ich     verweise    auf    die 


*)  In  Österreich  werden  z.  B.  nur  12  1  Hülsen- 
früchte pro  Kopf  geerntet. 


zitierte  Zahl  der  amtlichen  Statistik,  wo- 
nach 1900/01  über  600  kg  Kartoffeln  auf 
den  Kopf  entfielen.  Von  der  Gesamtmenge 
von  34,1  Mill.  Tonnen  wurden  zur  Brannt- 
weinerzeugung 2,8  Mill.  Tonnen  verwendet, 
d.  i.  8,2  Proz.  Ein  beträchtlicher  Teil  wird 
sicherlich  auch  zur  Viehfütterung  verwendet, 
wieviel,  ist  nicht  festzusetzen,  jedenfalls  wird 
man  kaum  fehlgehen,  wenn  man  annimmt, 
daß  mindestens  9/3  der  gesamten  Kartoffel- 
menge menschlicher  Ernährung  zugeführt 
werden,  das  ist  400  kg  pro  Kopf,  was  an 
assimilierbarem  Eiweiß  5,6  kg  ergibt. 

6.  Die  weiteren  Zahlen,  nämlich  1  kg 
Eiweiß  aus  Milch  und  Käse  und  0,5  kg  aus 
Hering  lasse  ich  unangefochten. 

Es  würden  sich  also  folgende  Eiweiß- 
mengen ergeben:  Aus  Fleisch  8  kg,  aus  Brot 
8  kg,  aus  Reis  0,3  kg,  aus  Hülsenfrüchten 
5,6  kg,  aus  Kartoffeln  5,6  kg,  aus  Milch  und 
Käse  1  kg,  aus  Heringen  0,5  kg,  zusammen 
29  kg,  sodaß  sich  von  den  oben  angesetzten 
31  kg  nur  ein  Abgang  von  2  kg  ergäbe.  Und 
dieser  Abgang  wird  sicherlich  ersetzt.  Denn 
Dr.  Goldstein  hat  viele  Nahrungsmittel 
außer  Ansatz  gelassen,  so  u.  a.  Eier  (mit 
13,5  Proz.  Eiweißgehalt)2),  Gemüse,  welches 
gleichfalls,  wenn  auch  sehr  wenig,  Eiweiß  ent- 
hält (z.  B.  Blumenkohl  0,2  Proz.),  Fische, 
Obst  u.  dgl.  An  Eiern  allein  wurden  1900 
bloß  eingeführt  118  170  Tonnen,  d.i.  2kg 
pro  Kopf,  also  bloß  aus  eingeführten  Eiern 
ergibt  sich  eine  Eiweißmenge  von  0,27  kg, 
welche  unter  Berücksichtigung  der  heimat- 
lichen Produktion  auf  mehr  als  1  kg  zu  er- 
höhen ist. 

Völlig  unzutreffend  ist  die  Schlußfolgerung 
Dr.  Goldsteins,  daß  Mangel  an  Nahrung 
den  Alkoholismus  verschulde.  Wie  ausge- 
lührt,  existiert  tatsächlich  kein  Nahrungs- 
mangel. Die  Resultate,  zu  denen  Dr.  Gold- 
stein gelangt,  würden  bittere  Not  und 
Hunger  bedeuten  und  diese  müßten  sich  in 
massenhafter  Auswanderung  äußern.  Die  Aus- 
wanderung jedoch  ist  minimal  (i.  J.  1900  nur 
22  309  Personen  =  0,4  %  der  Bevölkerung, 
1903:  36  310  =  0,62  %,  dagegen  1891: 
120  000  =  2,4  °/on;  Ungarn  jetzt  z.  B.  über 
100  000  =  über  5  °/oo).  Tatsächlich  existiert 
aber  auch  kein  Alkoholismus  im  Deutschen 
Reiche,  wenigstens  nicht  als  allgemeine 
soziale  Massenerscheinung,  wenn  auch  nicht 
zu  leugnen  ist,  daß  er  sporadisch  als 
soziales  Übel  auftreten  mag,  und  zwar  in 
größerem  Maßstabe,  als  wünschenswert  ist. 
Nach  unserer  statistischen  Quelle  (Jahrbuch 
S.  195)    wurden   im  Deutschen  Reiche   1900 

')  Siehe  Landois,  Lehrbach  der  Physiologie 
2.  Aufl.,  S.  450. 


140 


Joklik,   Erhilt  unter  Volk  genug  Plelich? 


rTherapeutleclM 
L   Monatshefte. 


1 


an  Bier  verbraucht  125  1  pro  Kopf  (1902 
nur  116  1),  das  ist,  die  jüngste  Bevölkerung, 
welche  nicht  trinkt,  in  Abzug  gebracht, 
höchstens  !/a  1  Pr0  Tag  —  das  kann  doch 
niemand  Alkoholismus  oder  wenigstens  Alko- 
holismus der  gesamten  Bevölkerung  nennen. 
Und  noch  etwas.  Nach  physiologischen  An- 
gaben (Landois  S.  450)  enthält  Bier  1,5  Proz. 
Eiweißstoffe,  es  werden  also  mit  den  ver- 
brauchten 125  1  dem  Körper  beinahe  2  kg 
Eiweiß  zugeführt  —  so  viel,  wie  oben  als 
möglicher  Abgang  berechnet  wurde.  An 
Branntwein  wurden  nur  4,3  1  jährlich  pro 
Kopf  genossen  (S.  194),  was  sicher  auch 
keinen  Alkoholismus  bedeutet. 

Wenn  sich  nun  auch  aus  diesen  Berech- 
nungen ergibt,  daß  derzeit  von  einem  Nah- 
rungsmangel in  Deutschland  keine  Rede  sein 
kann,  so  ist  daraus  dennoch  zu  folgern,  daß 
das  Reich  im  Punkte  der  Ernährungstüchtig- 
keit beinahe  an  der  Grenze  des  Erreichbaren 
angelangt  sein  dürfte.  Wenn  auch  jetzt  keine 
Not  herrscht,  so  steht  sie  doch  vor  der  Türe 
und  wird  sicher  nicht  ermangeln  anzuklopfen, 
wenn  der  jetzige  enorme,  beinahe  schwindel- 
erregende Bevölkerunggzuwachs  von  1,5  Proz. 
pro  Jahr  (Jahrbuch  S.  2)  noch  lange  an- 
halten wird.  Deutschland  hat,  was  Intensität 
der  Bodenwirtschaft  anbelangt,  einen  Grad 
erreicht,  wie  wohl  nur  wenige  Länder  der 
Erde,  einen  Grad,  der  kaum  noch  gesteigert 
werden  kann.  Eine  kleine  Yergleichung  mit 
Österreich  (Cisleithanien)  wird  dies  klar 
machen.  Nach  Jahrbuch  S.  34  wurden  in 
Deutschland  i.  J.  1903  von  1  ha  Boden  im 
Durchschnitt  geerntet:  Roggen  16,5  q  (q  = 
100  kg),  (Braunschweig  bis  23,6  q!),  Weizen 
19,7  q  (Braunschweig  bis  26,9  q!),  Gerste 
19,5  q  (Anhalt  28,3  q!),  Kartoffeln  132,5  q 
(Anhalt  172,3  q).  Dagegen  lieferte  in  Öster- 
reich3) 1903  1  ha  Boden  im  Durchschnitt 
Roggen  nur  11,4  q  (Maximum  17,3),  Weizen 
11,9  q  (Maximum  18,7),  Gerste  13,3  (Maxi- 
mum 18,3),  Kartoffeln  85  q  (Maximum  102,3). 
Wir  sehen  also,  daß  in  Österreich  das  länder- 
weise Maximum  von  geernteten  Nahrungs- 
mitteln meistens  nicht  einmal  den  Durch- 
schnitt des  deutschen  Reiches  erreicht,  daß 
in  Deutschland  durchschnittlich  um  */3  in- 
tensiver ge wirtschaftet  wird.  Und  dabei  ge- 
hört Österreich  keineswegs  zu  den  armen 
Ländern  und  hat  Landstriche,  die  wegen 
ihrer  Fruchtbarkeit  berühmt  sind.  Aber 
heute  ist  es  dahin  gekommen,  daß  in  der 
Mark  Brandenburg,  der  „Streusandbüchse 
Europas"  vom  ha  Boden  16,4  q  Roggen, 
23,2  q   Weizen,    149,1  q  Kartoffeln   geerntet 

*)  öster.  statistisches  Handbach  22.  Jahrgang, 
S.  152. 


werden,  im  „reichen"  und  fruchtbaren  König- 
reich Böhmen  aber  nur  12,7,  beziehungsweise 
15,2,  88  q.  Es  ist  unausbleiblich,  daß  unter 
solchen  Umständen  der  Boden  Deutschlands 
bald  erschöpft  sein  muß,  und  was  dann  nach- 
folgen wird,  ist  unabsehbar. 

Duplik. 

Obige  Ausführungen  erklären,  180  kg 
Brotgetreide  auf  Kopf  und  Jahr  seien  „ent- 
schieden zu  niedrig",  und  verlangen  240  kg 
entsprechend  193  kg  Brot.  Auf  die  nähere 
Begründung  gehe  ich  nicht  ein,  denn  die 
Reichsstatistik  hat  ermittelt,  daß  auf  den 
Kopf  der  Bevölkerung  rund  180  kg  (genau 
178,8  kg)  entfallen.  Wenn  diese  Zahl,  auf 
die  ich  mich  stütze,  falsch  ist,  so  hätte 
Joklik  das  beweisen  müssen.  Das  hat 
er  aber  nicht  getan. 

An  Kartoffeln  verlangt  Joklik  400  kg 
auf  Kopf  und  Jahr,  „da  man  jedenfalls  kaum 
fehlgehen  wird,  wenn  man  annimmt,  daß 
mindestens  9/3  der  gesamten  Kartoffelmenge 
menschlicher  Ernährung  zugeführt  werden ". 
Diese  durch  nichts  bewiesene  Behauptung 
kann  ich  nicht  als  Grund  gelten  lassen,  mit 
demselben  Rechte  könnte  man  sagen,  daß 
man  kaum  fehlgehen  wird,  wenn  man  */a  oder 
3/4  der  gesamten  Kartoffel  menge  auf  mensch- 
liche Ernährung  rechnet.  Aber  selbst  wenn 
Joklik  recht  hätte,  und  auf  den  Kopf  der 
Bevölkerung  193  kg  Brot  und  400  kg  Kar- 
toffeln kämen,  so  wäre  das  eine  ganz  un- 
zweckmäßige Ernährung,  da  dadurch  der 
menschliche  Organismus  mit  Kohlehydraten 
überlastet  würde.  Joklik  gibt  selber  zu, 
daß  die  von  mir  errechneten  130  kg  Kohle- 
hydrate auf  Kopf  und  Jahr  zutreffend  sind, 
aber  mit  seiner  Brot-  und  Kartoffel  menge 
würden  dem  Kopf  der  Bevölkerung  schon 
176  kg  zugeführt  werden,  und  addiert  man 
dazu  das  Kohlehydrat  aus  Hülsenfrüchten, 
so  erhöht  sich  diese  Zahl  auf  192  kg.  Da- 
durch erhielte  der  Kopf  der  Bevölkerung 
rund  50  Proz.  Kohlehydrat  mehr,  als  vom 
Standpunkt  einer  rationellen  Ernährung  ge- 
fordert werden  muß. 

Dagegen  hat  sich  in  die  Reisberechnung 
der  von  Joklik  gerügte  Fehler  einge- 
schlichen. Der  Überschuß  des  Imports  über 
den  Export  betrug  im  Jahre  1900  bei  Reis 
160  734  Tonnen  oder  auf  den  Kopf  der  Be- 
völkerung 2,85  kg  mit  0,14  kg  an  resorbier- 
barem Eiweiß  und  2,20  kg  an  Kohlehydraten. 
Meine  Rechnung  hatte  also  bei  Eiweiß  0,21  kg 
und  bei  Kohlehydraten  1,67  kg  zu  viel  er- 
geben. Verrechnet  man  die  letzteren  auf 
Kartoffeln  und  Hülsenfrüchte  nach  der  für 
sie  ermittelten  Proportion,  so  sind  auf  Kopf 
und  Jahr  noch  5,53  kg  Kartoffeln  und  1  kg 


XIX.  Jahrgang.  1 
Mira  1905.    J 


Joklik,  Erhalt  unter  Volk  genug  Flelteh? 


141 


Hülsenfrüchte  erforderlich,  die  0,24  kg  resor- 
bierbares Eiweiß  liefern,  also  fast  genau  so 
viel  mehr,  wie  durch  den  Reisexport  der  Be- 
yölkerung  entzogen  wird.  Das  Schlußresultat 
wird  also  durch  die  Vernachlässigung  des 
Reisexports  nicht  beeinflußt. 

Durch  den  Eierimport,  den  ich  unberück- 
sichtigt gelassen  hatte,  werden  dem  Kopf  der 
Bevölkerung  2  kg  Eier  zugeführt.  Das  Ge- 
wicht eines  Eis  beträgt  im  Durchschnitt  55  g, 
wovon  6  g  auf  die  Schale  kommen1).  Be- 
rechnet man  danach  die  Eiweißmenge,  die 
auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  kommt,  so 
erhält  man  0,25  kg,  und  ich  habe  nichts  da- 
gegen, wenn  man  das  Eiweißdefizit  in  meiner 
Rechnung  um  diese  Zahl  erniedrigt.  Wenn 
aber  Joklik  die  Eierproduktion  Deutsch- 
lands dreimal  so  groß  annimmt  wie  den  Im- 
port, so  setzt  er  sich  in  Gegensatz  zu  den 
Tatsachen,  denn  die  inländische  Hühner- 
zucht ist  ganz  unbedeutend,  wie  für  Preußen 
durch  die  Zählungen  im  Jahre  1897  und 
1900  ermittelt  worden  ist. 

Fische  (außer  Heringe)  habe  ich  in  meiner 
Rechnung  absichtlich  nicht  in  Ansatz  ge- 
bracht, denn  sie  haben  für  das  Volk  den 
Wert  einer  Delikatesse,  nicht  eines  Nahrungs- 
mittels. Durch  den  Fischimport  werden  dem 
Kopf  0,16  kg  Eiweiß  zugeführt,  und  wer  es 
für  nötig  hält,  mag  auch  diese  Zahl  von 
meinem    errechneten   Eiweißdefizit    abziehen. 

Völlig  unbegreiflich  ist  mir,  wie  Joklik 
das  Bier  als  Eiweißquelle  anführen  konnte. 
Bier  ist  ein  Genußmittel,  und  nur  wenn 
es  in  sehr  großen  Mengen  konsumiert 
wird,  kann  es  in  die  Reihe  der  Nahrungs- 
mittel einrücken.  Ob  das  bei  125  1  schon 
der  Fall  ist,  kann  ich  nicht  entscheiden, 
aber  wenn  ja,  dann  ist  es  doch  natürlich  ein 
Kohlehydrat-,  kein  Eiweißnahrungsmittel, 
denn  sein  Gehalt  an  Kohlehydraten  beträgt 
nach  König  5,78  Proz.,  an  Eiweiß  aber  nur 
0,44  Proz.9).  Man  müßte  also  zunächst  die 
Menge  Kohlehydrate,  die  durch  Bier  dem 
Kopf  zugeführt  wird,  vom  Kartoffel-  und 
Hülsenfruchtkohlehydrat  in  Abzug  bringen, 
den  gleichzeitig  dabei  entstehenden  Eiweiß- 
verlust berücksichtigen  und  ihn  durch  das 
Biereiweiß  ersetzen.  Tut  man  das,  so  wird 
das  Eiweißdefizit  eher  vergrößert  als  ver- 
kleinert; ich  tue  es  nicht  und  betrachte  nach 
wie  vor  Bier  als  Genußmittel. 

Als  „völlig  unzutreffend"  bezeichnet 
Joklik    meine    Schlußfolgerung,    daß    durch 


')  Handbuch  der  Hygiene  Bd.  III,  S.  205. 

*)  Joklik  nimmt  die  Eiweißmenge  des  Biers 
mit  1,5  Proz.  an  und  beruft  sich  auf  Landois;  in 
der  mir  zur  Verfügung  stehenden  fünften  Auflage 
seines  Lehrbuchs  Kanu  ich  diese  Angabe  nicht 
finden. 


die  schlechte  Ernährung  unseres  Volkes  der 
Alkoholismus  gefördert  wird.  Wenn  das 
wirklich  „völlig  unzutreffend u  ist,  so  bin  ich 
hier  der  französischen  Statistik  zum  Opfer 
gefallen,  wie  bei  der  Brotberechnung  der 
deutschen.  Aber  wer  auf  dem  Lande  gelebt 
hat,  weiß,  welche  außerordentlichen  Quanten 
Branntwein  dort  von  der  männlichen  wie  der 
weiblichen  Bevölkerung  getrunken  werden, 
und  daß  es  in  städtischen  oder  Stadt  ahn  liehen 
Gemeinden  nicht  besser  steht,  haben  die  Er- 
hebungen des  Kollegen  Goldfeld  in  Schöne- 
berg bewiesen.  Selbst  schulpflichtige  Kinder 
leiden  dort  schon  unter  dem  Genuß  von 
Branntwein.  Für  „völlig  unzutreffend "  kann 
ich  also  meine  Schlußfolgerung  nicht  halten. 

Dr.  Goldstein. 


über  Sanoform. 

Von 
Sanitätsrat  Dr.  Unger,  Berlin. 

Das  Sanoform,  der  Dijodsalizylsäure- 
methylester  von  der  Formel 

C6H,J2(OH)COOCH3, 
von  den  Herren  Dr.  Gallinek  und  Dr. 
Courant  im  Jahre  1895  dargestellt,  ist  ein 
weißes  Pulver,  welches  sich  durch  seine  ab- 
solute Geruchlosigkeit  auszeichnet.  Aus  den 
Versuchen  von  Bamberg1)  in  der  Frauen- 
klinik von  Straßmann  geht  hervor,  daß  das 
Sanoform  durchaus  ungiftig  ist,  sich,  mit 
lebendem  Gewebe  in  Verbindung  gebracht, 
unter  langsamer  Abspaltung  von  Jod  und 
Salizylsäure  löst  und,  da  sein  Schmelzpunkt 
bei  110,5°  C.  liegt,  sterilisierbar  ist.  Auf 
der  Abspaltung  von  Jod  und  Salizylsäure 
beruht  seine  therapeutische  Wirkung.  Es 
kann  gleich  dem  Jodoform  als  Streupulver, 
als  Gaze,  in  Salben  u.  s.w.  verwendet  werden. 

Den  zahlreichen  Veröffentlichungen  von 
Bamberg,  Mraczek,  Neumann,  Gold- 
schmidt u.  a.  über  die  günstigen  Wirkungen 
des  Sanoforms  will  ich  meine  Erfahrungen  mit 
diesem  Mittel,  welche  sich  auf  einen  Zeit- 
raum von  über  acht  Jahren  erstrecken,  an- 
reihen. 

Es  wurde  in  fast  500  Fällen,  welche 
zum  überaus  größten  Teile  der  „kleineren 
Chirurgie",  zu  einem  geringeren  der  Gynä- 
kologie angehören,  angewendet. 

Behandelt  wurden  damit  Panaritien,  Phleg- 
monen, Haut-  und  Lymphdrüsen -Abszesse, 
Ulcera  crurium,  Furunkel,  ferner  frische  Riß-, 
Quetsch-  und  Schnittwunden,  Wunden  nach 
Entfernung  von  Fremdkörpern,  wie  Nadeln 
und    Holzsplitter,     und     nach     Exstirpation 


»)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1903,  No.  38. 


142 


Ungar,  Ober  Sanoform. 


kleinerer  Geschwülste,  wie  Atherome,  Li- 
pome, Wundflächen  nach  Exstirpation  ein- 
gewachsener Nägel,  Mastitiden,  Ulcera  mollia 
und  endlich  Gangraena  senilis  sowie  Gangrän 
bei  Diabetes.  In  der  gynäkologischen  Tätig- 
keit wurde  die  lOproz.  sterilisierte  Sanoform- 
gaze  zur  Tamponade  der  Vagina  und  des 
Uterus  bei  Aborten  und  profusen  Blutungen 
infolge  von  Uterusmyomen  in  Anwendung 
gezogen. 

Der  Verlauf  der  Heilung  bei  den  chirur- 
gischen Erkrankungen  war  ein  durchaus 
günstiger.  Die  Granulationsbildung  war 
eine  normale;  Granulations  Wucherungen,  die 
eine  Ätzung  notwendig  machten,  kamen  über- 
aus selten  vor.  Auffallend  war  die  schnell 
eintretende  Einschränkung  der  Sekretion  bei 
eitrigen  Prozessen. 

Die  bei  der  Tamponade  der  Scheide  und 
des  Uterus  verwendete  Gaze  war  nach 
24  Stunden  noch  völlig  geruchlos,  nur  nach 
48  Stunden  zeigte  sich  ein  Geruch,  wie  er 
bei  jeder  länger  liegenden  Tamponade  vor- 
kommt. 

Das  Sanoform  hat  vor  dem  Jodo- 
form so  gewichtige  Vorzüge,  daß  eine 
weitere  Prüfung  dieses  Mittels  in  chi- 
rurgischen und  gynäkologischen  Kli- 
niken wohl  angebracht  sein  dürfte. 

Diese  Vorzüge  sind: 

1.  Es  ist  durchaus  geruchlos. 

2.  Lokale  Nebenwirkungen,  wie  akute 
Ekzeme  und  Erytheme,  sind  niemals  beob- 
achtet worden.  In  Fällen,  wo  durch  Jodo- 
formgebrauch derartige  Erkrankungen  ent- 
standen waren,  verschwanden  diese  verhältnis- 
mäßig schnell  beim  Ersatz  desselben  durch 
Sanoform. 

3.  Allgemeinintoxikationen  sind  selbst 
bei  sehr  ausgiebigem  und  langandauerndem 
Gebrauch  nie  eingetreten. 

Nachstehende  Fälle,  welche  ich  aus  der 
großen  Zahl  der  von  mir  behandelten  heraus- 
greife, mögen  zur  Begründung  der  sub  2  und 
3  angeführten  Sätze  dienen. 

Fall  1.  Frau  M.,  %  Jahre  alt.  Am  1.  Janaar 
18%  Gangrän  der  Haut,  ungefähr  fünfmarkstückgroß, 
über  dem  linken  Trochanter  major,  Trockeo ver- 
band mit  10  proz.  Sanoformgaze,  anfänglich  täg- 
licher Verbandwechsel;  Gangrän  dehnt  sich  nicht 
weiter  aus.  Vom  6. 1.  an  wird  der  Verband  nur 
jeden  8.  Tag  gewechselt.  Am  22.  I.  ist  das  gan- 
gränöse Hautstück  abgestoßen,  die  reine  granu- 
lierende Wundfläche  heilt  unter  dem  Gebrauch  von 
10  proz.  Sanoformvaseline  bis  zum  5.  März  voll- 
kommen.    Patientin   ist  100  7t  Jahr  alt  geworden. 

Fall  2.  Kind  A.  H.,  4  Jahre  alt  Hoch- 
gradige Skrofulöse.  Großer  Drüsenabszeß  an 
der  Innenfläche  des  rechten  Oberarms.  4.  IX.  1900 
lnzision  und  Auslöffelung  der  Drüsenreste,  Ein- 
streuen von  Sanoformpulver,  Tamponade  mit  Sano- 
formgaze.  Nach  3  Tagen  Verbandwechsel,  Sekretion 


mäßig.  Am  10.  abermaliger  Verbandwechsel,  Wand- 
sekret gering,  gut  aussehende  Granulationen, 
Heilungs verlauf  in  8  Wochen. 

Fall  3.  Frau  L.  Sehr  ausgedehnte,  die  ganze 
Mamma  einnehmende  Mastitis  in  puerperio.  Am 
4.  September  1900  in  Narkose  ausgiebige  Spaltung, 
Tamponade  mit  10 proz.  Jodoformgaze.  Infolge  der 
starken  Eiter-  und  Milchsekretion  mußte  der  Ver- 
band taglich  gewechselt  werden.  Bereits  am  5.  Tage 
nach  der  Operation  stellte  sich  in  der  Umgebung 
der  großen  Wundhöhle  eine  ekzematöse  Dermatitis 
mit  leichter  Temperatursteigerung  (38,2°  C.)  ein. 
Die  Sekretion  war  gleich  stark  geblieben.  Die 
Wundhöhle  wurde,  da  augenblicklich  kein  anderes 
Verbandmaterial  zur  Verfügung  stand,  wieder  mit 
Jodoformgaze  ausgestopft  Beim  Verbandwechsel 
am  nächsten  Tage  konnte  ein  Weiterschreiten  der 
Dermatitis  festgestellt  werden.  Es  wurde  nunmehr 
Sanoformgaze,  die  unterdessen  angeschafft  worden 
war,  angewendet,  die  Reizerscheinungen  ließen 
alsbald  nach,  gleichwie  die  Sekretion.  Alsdann 
normaler  Verlauf,  Heilung  in  ungefähr  3  Monaten. 

Fall  4.  Frau  B.  Partus  am  23.  Juni  1899. 
Oberflächlicher  Dammriß,  der  keine  Suturen  er- 
fordert, Aufstreuen  von  Jodoform,  Einlegen  eines 
Jodoformgazestreifens.  Bereits  am  Nachmittage  des- 
selben Tages  stellte  sich  allgemeines  Unbehagen, 
Übelkeit,  starker  Kopfschmerz,  häufiges  Niesen  ein. 
Keine  Temperatursteigerung.  Die  Untersuchung 
bezüglich  einer  Puerperalerkrankung  ergab  ein 
negatives  Resultat.  Es  konnte  nur  eine  „Jodo- 
formidiosynkrasie* angenommen  werden.  Das  Jodo- 
form wurde  möglichst  entfernt  und  durch  Sano- 
form, welches  ich  damals  vorrätig  hatte,  ersetzt. 
Am  nächsten  Tage  bereits  normales  Allgemein- 
befinden.    Sanofoim  wurde  gut  vertragen. 

Fall  5.  Frau  T.,  68  Jahre  alt.  Mittelgroßes 
Atherom  der  Kopfhaut.  Exstirpation  desselben 
am  6.  Juli  1899,  3  Suturen,  Jodoform gaze verband. 
Am  9.  klagte  Pat.  beim  Verbandwechsel  über  hef- 
tiges Jucken  der  Kopfhaut.  Haut  der  Stirn  leicht 
geschwollen  und  gerötet,  keine  Temperatursteige- 
rung.  Nach  Entfernung  des  Verbandes  zeigt  sich 
eine  ausgedehnte  ekzematöse  Dermatitis,  die  bereits 
auf  die  Stirn  haut  übergreift.  Erst  am  nächsten 
Tage  konnte  Sanoformgaze  als  Ersatz  angewendet 
werden.  Die  Dermatitis  ließ  mit  dem  Aussetzen 
des  Jodoforms  nach  und  der  Heil  verlauf  wurde  ein 
normaler. 

Fall  6.  Frau  K.,  63  Jahre  alt.  6.  Mai  1902 
ausgedehntes  Ulcus  crnris  mit  kailösen  Rändern, 
starker  fötider  Sekretion,  sehr  schmerzhaft  Nach 
gründlicher  Reinigung  und  Desinfektion  wurde  das- 
selbe mit  Orthoform  verbunden.  Die  Schmerzen 
ließen  nach.  Der  Veiband  wurde  täglich  erneuert. 
Nach  8  Tagen  oberflächliche  Gangrän,  wie  sie 
zuweilen  beim  Gebrauch  von  Orthoform  beob- 
achtet worden  ist.  Ersatz  desselben  durch  Sano- 
form, unter  welchem  sich  nach  Abstoßung  der  gan- 
gränösen Fläche  und  unter  Bildung  guter  Granu- 
lationen die  Heilung  in  8  Wochen  vollzieht. 

Fall  7.  Herr  L.,  58  Jahre  alt,  kommt  am 
29.  Dezember  1903  in  die  Sprechstunde.  Die  Unter- 
suchung ergibt  an  beiden  Füßen  symmetrische 
Hautgangrän,  an  den  Fersen  etwas  über  fünfmark- 
stückgroß; eine  weitere  ungefähr  nickel große  Stelle 
am  Ballen  der  rechten  großen  Zehe.  Die  Unter- 
suchung des  Urins  ergab  6,8  Proz.  Zucker.  Die 
Therapie  bestand  in  Hochlagerung,  Trocken  verband 
mit  10 proz.  sterilisierter  Sanoformgaze  und  diäte- 
tischen Maßnahmen.  Die  Gangrän  schreitet  nicht 
fort  und  bleibt  unter  dem  Verbände,  der  alle 
2  Tage  gewechselt  wurde,  vollkommen  trocken. 
Die  Zuckermenge   geht   bis  zum  16.  Januar  1904 


XIX.  Jahrgang.! 
Mir«  1906.    J 


Doberauer,  Erytlpelbehandlung.  —   Fraoke,  Bemerkungen. 


143 


auf  1,8  Proz.,  bei  einer  24  ständigen  Urinmenge  von 
etwas  über  2  1,  herunter.  Am  19.  Jannar  ist  eine 
Temperatnreteigerung  auf  38,3°  G.  zu  konstatieren. 
Pat.,  der  sieb  bis  dabin  wohlbefand,  fühlt  sich  sehr 
abgeschlagen,  klagt  über  Appetitlosigkeit,  Trocken- 
heit im  Monde  u.  s.  w.,  außerdem  über  Schmerzen 
und  Brennen  'auf  dem  Dorsum  des  rechten  Fußes. 
Nach  Abnahme  des  Verbandes  zeigt  sich  daselbst 
eine  blaurote  Verfärbung,  die  Haut  wird  gangränös 
und  trocknet  anter  der  Sanoformgaze  ein.  Die 
Gangrän  schreitet  auf  die  vordere  Fläche  des 
rechten  Unterschenkels  fort  in  einer  Breite  von 
3—4  cm.  Bs  gelingt,  dieselbe  unter  dem  Gebrauch 
des  Sanoforms  trocken  zu  erhalten.  Es  waren  in- 
dessen die  ersten  Symptome  des  Coma  diabeticum 
hinzugetreten,  an  welchem  Pat.  am  31.  Januar  zu 
Grunde  ging. 

Das  Resultat  meiner  Beobachtungen  und 
dieser  Auseinandersetzungen  ist  folgendes : 

Das  Sanoform  hat,  abgesehen  von 
dein  großen  Vorteil  der  Geruchlosig- 
keit,  bei  seiner  Anwendung  alle  Vor- 
züge des  Jodoforms,  ist  aber  frei  von 
allen  Nebenwirkungen  desselben. 


Zu  der  Mitteilung:  von  Prof.  Franke 
Aber  Erysipelbehandiungr* 

Von 

Dr.  Gustav  Doberauer, 

Assistent  der  ohlrnrg.  Klinik  des  Prof.  Dr.  A.Wftlflor  in  Prag*. 

Im  Hefte  11  des  Jahrganges  1904  der 
Therapeutischen  Monatshefte  berichtet  Prof. 
Franke  über  ein  von  ihm  seit  12  — 13  Jahren 
geübtes  Verfahren  der  Erysipelbehandlung, 
bestehend  in  Abgrenzung  durch  die  Lymph- 
bahnen der  Haut  komprimierende  Heftpflaster- 
streifen und,  wo  die  Applikation  derselben, 
wie  am  Kopfe,  nicht  gut  angängig,  durch 
Aufpinselung  von  Kollodium,  was  denselben 
Effekt  gibt. 

Ich  erachte  es  als  Pflicht,  darauf  hinzu- 
weisen, daß  diese  Methode  von  meinem  Chef, 
Prof.  Wolf ler,  schon  im  Jahre  1888  in  den 
Mitteilungen  des  Vereins  der  Ärzte  in  Steier- 
mark publiziert  wurde.  Weitere  Beiträge  zu 
der  Frage  enthalten  die  Nummern  23 — 25  der 
"Wien.  klin.  Wochenschr.   1889    und  die  Mit- 


teilungen des  Vereins  der  Ärzte  in  Steier- 
mark aus  dem  Jahre  1891. 

Das  Verfahren  "Wölflers,  welches  auch 
an  der  Prager  Klinik  seit  langem  mit  Erfolg 
geübt  wird,  stimmt  so  gut  wie  ganz  mit  dem 
von  Franke  überein,  der  kleine  Unterschied, 
daß  Franke  die  Streifen  nicht  ganz  zirkulär 
legt,  sondern  eine  freie  Stelle  läßt,  welche 
durch  einen  zweiten  Streifen  gesichert  ist, 
der  die  freie  Stelle  auf  der  entgegengesetzten 
Seite  hat,  fällt  so  wenig  ins  Gewicht  wie 
der  Gebrauch  von  Traumaticin  bei  Wolf ler 
gegenüber  dem  Kollodium  bei  Franke. 

Die  erwähnten  Zeitschriften,  welche 
Wolflers  Mitteilungen  enthalten,  mochten 
schließlich  Herrn  Prof.  Franke  entgehen;  ich 
erlaube  mir  aber  darauf  hinzuweisen,  daß 
Wolf]  er s  erste  Mitteilung  im  Zentralbiatt 
für  Chirurgie  1888,  No.  39  ziemlich  ausführ- 
lich, wenn  auch  nicht  ganz  genau,  referiert 
ist;  ich  glaube  mit  dieser  Feststellung  be- 
rechtigt zu  sein,  auf  das  Prioritätsrecht 
Wolflers  in  der  bezüglichen  Frage  hinzu- 
weisen. 


Bemerkungren  zu  vorstehendem  Artikel. 

Von 

Prof.  Felix  Franke. 

Ich  lianke  Herrn  Kollegen  Doberauer 
für  den  Hinweis  auf  die  Tatsache,  daß  Herr 
Prof.  Wolf  ler  das  Erysipel  schon  vor  mir 
auf  gleiche  Weise  und  mit  gleichem  Erfolge 
behandelt  hat  wie  ich,  und  gestehe  Herrn 
Prof.  Wolf  ler  neidlos  die  Priorität  zu.  Ich 
bedauere  aber  nicht,  daß  mir  das  Referat  im 
Zentralbl.  für  Chirurgie  entgangen  ist,  denn 
sonst  hätte  ich  vielleicht  meine  Veröffent- 
lichung unterlassen,  ohne  Zweifel  zum 
Schaden  der  Sache;  wäre  doch  dann  auch 
nicht  die  Mitteilung  des  Herrn  Doberauer 
erfolgt,  daß  das  Verfahren  jetzt  noch  mit 
Erfolg  in  der  Prager  Klinik  angewandt  wird. 
Nun  ist  zu  hoffen,  daß  es  Nachahmung  findet 
und  der  Vergessenheit  entzogen  bleibt. 


Neuere  Arzneimittel. 


EMe  hypnotischen  Eigenschaften  eines 
neuen  Polychlorals  (Yiferral). 

Von 
K.  Wirthauer  und  S.  Gärtner  in  Halle  a.  S. 

Man  hätte  heute  ^weniger  Ursache,  sich 
nach  neuen  Schlafmitteln  umzusehen,  wenn 
das  Chloralhydrat  alle  Forderungen,  die  an 
ein  ideales  Hypnoticum  gestellt  werden  müssen, 


.  in  dem  Maße  erfüllt  hätte,  wie  man  von  ihm 

|  gleich  nach  seiner  Einführung  in  die  Therapie 

;  im  Jahre  1869  erwartete. 

Die  Erfahrung  weniger  Jahre  lehrte  aber 

!  schon,  daß  seine  Anwendung  als  Schlafmittel 

I  mit  mehreren  unangenehmen  Nebenwirkungen 

;  verbunden     ist,     die    seiner    bedingungslosen 

1  Verwendung  entgegenstehen. 


144 


Witthau«r  und  Glrtatr,  Polychloral  (Vifwal). 


fTlwraptal 
L  Monatsh 


Monatshefte. 


Man  hat  daher  eine  Reihe  neuer  Schlaf- 
mittel eingeführt  in  der  Erwartung,  daß  sie 
keine  schädlichen  Nebenwirkungen  zeigen 
und  aus  diesem  Grunde  das  Chloralhydrat 
von  seinem  Platze  verdrängen  würden.  Diese 
Voraussetzung  hat  sich  bisher  in  allen  ge- 
nügend studierten  Fällen  ausnahmslos  als 
irrig  erwiesen,  sodaß  die  Aussicht,  einüniversal- 
Schlafmittel  zu  entdecken,  immer  mehr 
schwindet.  Es  bleibt  dem  Arzte  daher  nichts 
weiter  übrig,  als  in  jedem  einzelnen  Falle 
dasjenige  Schlafmittel  zu  wählen,  unter  dessen 
Nebenwirkungen  der  betreffende  Patient  am 
wenigsten  zu  leiden  hat. 

Auch  das  jüngst  erst  als  Schlafmittel 
eingeführte  Veronal  hat,  obwohl  ein  end- 
gültiges Urteil  über  seine  Brauchbarkeit  jetzt 
noch  verfrüht  wäre,  schon  lästige  Neben- 
wirkungen gezeigt,  die  seine  Verwendung  er- 
heblich einschränken.  Es  sei  hier  bloß  daran 
erinnert,  daß  man  es  nur  in  relativ  kleinen 
Mengen  verabreichen  kann,  da  sich  sonst  all- 
zulange Nachwirkungen  einstellen. 

Angesichts  dieser  Tatsachen  gewann  eine 
Beobachtung,  die  ich  gelegentlich  meiner 
Untersuchungen  über  Chloralaminverbindun- 
gen1)  machte,  an  Wert.  Ich  hatte  bemerkt, 
daß  wasserfreies  Chloral  durch  Pyridin  in 
eine  neue  polymere  Modifikation  übergeführt 
wird,  die  möglicherweise  gleich  dem  Chloral- 
hydrat hypnotische  Eigenschaften  haben 
konnte,  ohne  zugleich  auch  die  unangenehmen 
Nebenwirkungen  dieses  Schlafmittels  zu  be- 
sitzen. Diese  Annahme  stützt  sich  auf  fol- 
gende Überlegungen: 

Führt  man  einen  einfach  zusammengesetzten 
Korper  in  eine  polymere  Modifikation  über, 
so  finden  sich  seine  ursprünglichen  Eigen- 
schaften nur  in  abgeschwächter  Form  am 
Polymerisationsprodukt  wieder,  weshalb  oft 
nur  die  milder  wirkenden  Polymeren  besonders 
für  therapeutische  Zwecke  verwendbar  sind, 
da  die  nicht  polymerisierten  Glieder  zu  giftig 
wirken.  Einen  solchen  Fall  haben  wir  z.  B. 
beim  Acetaldehyd,  der  als  Schlafmittel  un- 
brauchbar ist,  während  seine  polymere  Modi- 
fikation, der  Paraldehydi  als  solches  schon 
lange  Verwendung  findet. 

Ein  ähnliches  Verhältnis  konnte  zwischen 
dem  Chloral  und  seinen  Polymeren  voraus- 
gesetzt werden,  da  es  als  dreifach  gechlorter 
Acetaldehyd  diesem  sehr  nahe  steht. 

Diese  Voraussetzung  schien  sich  aber 
zunächst  nicht  zu  bestätigen,  da  die 
hypnotischen  Eigenschaften  des  einfachen 
Chlorals  nicht  festgestellt  werden  können 
und  die  bisher  bekannten  Polychlorale  ent- 
weder gar  keine  oder  nur  so  schwache  hypoo- 

')  Lieb.  Ann.  332,  226;  336,  229. 


tische  Eigenschaften  besitzen,  daß  sie  als 
Schlafmittel  nicht  in  Betracht  kommen2). 

Warum  diese  Polychlorale  nicht  genügend 
stark  hypnotisch  wirken,  erklärt  sich  dadurch, 
daß  sie  alle  aus  sehr  hochmolekularen 
Modifikationen  des  Chlorals  bestehen,  die 
in  allen  Lösungsmitteln  unlöslich  und  dem- 
entsprechend wenig  reaktionsfähig  sind. 

Da  sich  das  oben  erwähnte,  aus  Chloral 
und  Pyridin  darstellbare  Poly chloral  chemisch 
von  den  bekannten  Chloralmodifikationen  er- 
heblich unterscheidet,  war  es  möglich,  daß 
es  auch  physiologisch  anders  wirke.  Damit 
angestellte,  weiter  unten  beschriebene  Tier- 
versuche bewiesen  seine  ausgesprochene 
hypnotische  Wirkung.  Es  blieb  nun  nur 
noch  übrig  festzustellen,  ob  bei  Verwendung 
dieses  neuen  Präparates  als  Schlafmittel  die 
beim  Chloralhydrat  beobachteten  störenden 
Nebenwirkungen  wegfallen.  Die  Untersuchung 
hat  diese  Frage  bejaht. 

Was  zunächst  die  relative  Giftigkeit  der 
beiden  Mittel  anbelangt,  beweisen  die  fol- 
genden Versuche,  daß  das  Viferral  weit  un- 
schädlicher ist  als  das  Chloralhydrat. 

1.  Versuch:  Ein  4  kg  schweres  Kaninchen 
erhielt  per  os  2  g  Chloralhydrat,  in  wenig 
Wasser  gelöst.  Dasselbe  starb  nach  30  Mi- 
nuten unter  Vergiftungserscheinungen*). 

2.  Versuch:  Ein  4  kg  schweres  Kaninchen 
erhielt  per  os  2,5  g  Viferral.  Nach "  30  Mi- 
nuten trat  tiefer  Schlaf  ein,  der  ohne  Unter- 
brechung 14  Stunden  anhielt.  Dann  wachte 
das  Tier  auf  und  war  ebenso  munter  wie 
vor  dem  Schlafe.  Es  fraß  mit  gutem  Appetit. 
Außer  diesen  beiden  Versuchen  sind  noch 
mehrere  in  dieser  Richtung  mit  gleichem 
Erfolge  ausgeführt  worden.  Aus  ihnen  geht 
hervor,  daß  man  die  Dosis  des  Viferrals 
dem  Chloralhydrat  gegenüber  bedeutend  er- 
höhen kann,  ohne  schädlich  zu  wirken. 

Besonders  betonen  möchte  ich  hier, 
daß  infolge  der  Polymerisation  die 
stark  ätzenden  Eigenschaften  des 
Chlorals  beim  Viferral  verschwunden 
sind  und  eine  Reizwirkung  auf  die 
Magenschleimhaut  nie  beobachtet 
worden   ist. 

Schließlich  möchte  ich  hier  noch  er- 
wähnen, daß  das  Viferral  auch  bezüglich  des 
Einnehmens  vor  dem  Chloralhydrat  im  Vor- 


*)  Vergl.  Minko  Balewski,  Dias.  Halle  a.  S. 
1902. 

*)  Das  Resultat  dieses  Versuches  ist  nicht  in 
Übereinstimmung  mit  allen  bisherigen  Erfahrungen. 
Wahrscheinlich  erklärt  sich  dies  abnorme  Verhalten 
dadurch,  daß  ein  Teil  das  Chloralhydrates  in  die 
Trachea  gelangt  ist,  was  bei  Kaninchen  leicht  vor- 
kommen kann.  Infolgedessen  ist  auch  die  Schluß- 
folgerung über  die  relative  Giftigkeit  der  beiden 
Präparate  hinfällig.  Liebreich. 


XIX.  Jahrgang .1 
Mir«  1906.    J 


Wltthaucr  und  Glrtntr,  PoljehJoral  (Viferral). 


145 


teil  ist.  Während  letzteres  nicht  in  Oblaten 
genommen  werden  kann,  nimmt  sich  das 
Viferral  sehr  bequem  darin,  wodurch  der 
bittere  Geschmack  umgangen  wird.  Außer- 
dem wird  das  Einnehmen  auch  dadurch  sehr 
erleichtert,  daß  das  Viferral  in  Tabletten 
genommen  werden  kann. 

Im  Viferral8)  haben  wir  demnach  ein  in 
allen  Eigenschaften  verbessertes  Chloralhydrat 
vor  uns. 

Es  ist  ein  weißes  Pulver,  schmilzt  bei 
153 — 155°  nach  vorherigem  Sintern  von 
150°  an  und  beginnt  zugleich  zu  destillieren. 
In  kaltem  Wasser  lost  es  sich  nur  langsam, 
in  siedendem  aber  völlig  auf.  Wichtig  ist, 
daß  es  von  schwach  mit  Salzsäure  ange- 
säuertem Wasser,  also  unter  Bedingungen, 
wie  sie  im  menschlichen  Magen  vorhanden 
sind,  nicht  merklich  angegriffen  wird.  Von 
den  vielen  in  dieser  Richtung  unternommenen 
Versuchen    seien    bloß   zwei   hier   aufgeführt. 


An- 

Verhalten gegen  20  ccm 

gewandte 
Substanz 

siedendes  Wasser 
allein 

siedendes  Wasser  und 
1  Tropfen  Salzsaare 

ig 

Nach  1  Stunde  trat 
völlige  Lösung  ein 

ßatte  sich  nach  drei- 
tägigem Erhitzen 
nicht  gelöst 

Eine  Umwandlung  im  Magen  in  Chloral- 
hydrat ist  also  ausgeschlossen4). 

Nachdem  Herr  Dr.  Gärtner  über  die 
chemischen  Eigenschaften  des  Viferrals  be- 
richtet hat,  gebe  ich  von  meinen  Versuchen 
an  dem  Krankenmaterial  des  Diakonissen- 
hauses und  in  meiner  Privatpraxis  Kenntnis. 

Ich  entschloß  mich  zu  Versuchen  mit  dem 
neuen  Chloral  präparat  um  so  lieber,  als  ich 
dem  alten  Chloralhydrat  in  vielen  Fällen 
trotz  der  vielen  neuen  Schlafmittel  treu  ge- 
blieben bin,  wenn  ich  auch  seine  mancherlei 
Nachteile  durchaus  nicht  verkenne.  Nachdem 
ich  die  Wirkung  an  mindestens  50  Kranken 
verschiedenster  Art  erprobt  habe,  halte  ich 
mich  zu  einem  Urteil  für  berechtigt. 

Als  der  Tierversuch  die  Unschädlichkeit 
des  Mittels  erwiesen  hatte,  begann  ich  vor- 
sichtig die  Anwendung  beim  Menschen  mit 
*/4  g  pro  dosi,  ohne  Wirkung.  Nach  0,5 
schlief  ein  Kranker  mit  chronischem  Magen- 
katarrh, der  ganz  schlaflos  war,  2  Stunden, 
ein  zweiter,  der  an  Rheumatismus  mit  Vitium 
cordis  litt,  4  Stunden,  eine  Neurasthenica 
mit     nervöser    Dyspepsie    5  Stunden,     eine 

*)  Es  ist  im  Handel  unter  dem  Namen  Viferral 
von  Dr.  Simon  Gärtner,  Halle  (Saale),  zu  be- 
ziehen. 

*)  Näheres  über  Darstellung  und  die  chemischen 
Eigenschaften  des  Viferrals  soll  demnächst  an  an- 
derem Orte  veröffentlicht  werden. 


Hysterica  7  Stunden;  alle  schliefen  sehr  bald 
nach  Einnehmen  des  Mittels  ein.  Andere 
Patienten  spürten  aber  gar  keine  Wirkung, 
sodaß  ich  die  Dosis  auf  0,75,  später  auf  1,0 
steigerte. 

Nun  wurde  ein  gleichmäßigerer  Einfluß 
festgestellt. 

Frau  H.,  38  J.  Parametritis  exsudativa  mit 
geringem  Fieber;  nach  0,75  nach  2  Stunden  ein« 
geschlafen,  schlief  8  Stunden  gut  und  fest  und  er- 
wachte frisch  und  ohne  irgend  eine  Beschwerde, 
ebenso  am  nächsten  Abend. 

S.,  28  J.  Nervöse  Dyspepsie;  nach  0,75  wird 
Pat.  etwas  unruhig,  schläft  nach  4  Stunden  ein, 
2  Stunden  Yang:  am  nächsten  Abend  1,0,  schlaft 
die  ganze  Nacht. 

R.,  45  J.  Chronische  Arthritis;  schläft  nach 
0,75  rasch  ein,  5  Stunden  lang;  nach  1,0  7  Stunden. 

T.f  23  J.  Polyarthritis  rheumat,  Pericarditis, 
nervöse  Unruhe;  schläft  wiederholt  nach  1,0  die 
ganze  Nacht  und  fühlt  sich  am  nächsten  Tag  ge- 
kräftigt und  wohl. 

B.,  60  J.  Lumbago,  schlaflos;  schläft  nach 
1,0  „bedeutend  besser". 

H.,  55  J.  Nervöse  Aufregungszustände;  abends 
2  £  Brom,  dann  1,0  Viferral,  nicht  geschlafen,  un- 
luhiff.  Am  nächsten  Tag  3 mal  2  g  Brom,  abends 
1,0  Viferral  mit  wenig  Erfolg.  Nun  am  Morgen 
0,75  Viferral,  3 mal  täglich  2  g  Brom,  abends 
1,0  Viferral,  wird  bald  ruhig  und  schläft  gut. 

Frau  P.,  33  J.  Pbthisis  pulmon.;  0,75  und 
1,0  Viferral,  ohne  Wirkung.  Nach  1,5  nach 
1 '/)  Stunden  eingeschlafen ,  die  ganze  Nacht  hin- 
durch, wacht  erfrischt  auf. 

Frau  H.,  42  J.  Karzinose  der  Bauchorgane; 
nach  1,5  mehrmals  gut  geschlafen. 

Frau  R.,  48  J.  Beginnende  Paralyse;  nach 
1,6,  3  Tage  hintereinander,  n bedeutend  besser  als 
vorher,  nach  1,5  ganz  gut"  geschlafen. 

F.,  29  J.  Cbron.  parenchymat  Nephritis  mit 
Aufregungszuständen;  wird  nach  1,0  viel  ruhiger, 
schläft  aber  nicht  anhaltend. 

Fr.  P.,  71  J.  Emphysema  pulmon.,  Myocarditis; 
nach  1,0  mehrfach  gut  geschlafen. 

S.,  53  J.  An  Pleuraempyem  operiert;  nach 
1,0  besser,  nach  1,5  bis  auf  Hustenstörung  ganz 
gut  geschlafen,  ohne  jede  unangenehme  Nach- 
wirkung. 

B.,  60  J.  Seit  langen  Jahren  krank;  Arthritis 
der  Wirbelsäule,  hypertrophische  Leber  c  irr  hose, 
Myocarditis,  ist  an  starke  Schlafmittel,  z.B.  2g 
Chloralhydrat  und  2  g  Brom,  Morphium  3 '/» cg  sub- 
kutan, Bromidin  3Theelöffel,  gewöhnt;  er  tchläft 
'nach  1,0  Viferral  5  Stunden,  doch  maß  die  Dosis 
allmählich  auf  2  g  gesteigert  werden.  Erwacht 
ohne  Benommenheit,  während  er  nach  Chloral  oft 
längere  Zeit  wirr  war  und  über  Kopfschmerzen 
klagte. 

Frl.  F.  Chlorose,  dauernde  Schlaflosigkeit; 
schläft  nach  1,5  ausgezeichnet. 

Fr.  B.,  38  J.  Nervöse  Dyspepsie.  Hysterie; 
schläft  nach  1,0  gut. 

Ich  will  die  Leser  nicht  noch  weiter  mit 
Krankengeschichten  ermüden  und  nur  noch 
einige  Bemerkungen  anschließen: 

Es  ist  schon  einmal  von  Balewski  über 
ein  von  Dr.  Erdmann-Halle  erfundenes  poly- 
meres  Chloral,  das  Metachloral,  berichtet 
worden,  dasselbe  erwies  sich  jedoch  als  ziem- 


146 


Referate. 


rTherapautiielM 
L   Monatshefte. 


lieh  unwirksam.  Das  Viferral  ist  dagegen 
ohne  Zweifel  ein  gutes  Hypnoticum,  welches 
ich  dem  Trional,  Sulfonal,  Veronal  und 
Hedonal  getrost  an  die  Seite  stellen  möchte; 
dabei  ist  es  viel  billiger!  Es  macht  nach 
meinen  Erfahrungen  nicht  die  geringsten 
Nebenerscheinungen  und  speziell  Störungen 
der  Herztätigkeitkonntenniebeobachtet  werden, 
obwohl  ich  es  bei  schweren  Klappenfehlern 
anwandte.  Nur  ganz  selten  klagten  die 
Patienten  am  nächsten  Morgen  über  geringen 
Kopfdruck.  Auch  der  Magen  wurde  nie 
ungünstig  beeinflußt,  was  ja  nach  den 
Ausführungen  des  Herrn  Dr.  Gärtner  nicht 
Wunder  nimmt. 

Die  Patienten  schliefen  meist  ziemlich 
rasch  ein;  der  Schlaf  war  tief  und  erquickend. 
Der  Geschmack  des  Mittels  ist  kein  an- 
genehmer; das  Viferral  wird  aber  nicht  in 
Wasser  gelost,  sondern  in  Oblate  genommen, 
sodaß  der  Geschmack  nicht  in  Frage  kommt, 
oder  man  spült  es  in  Tablettenform  rasch 
mit  einem  Schluck  Wasser  oder  noch  besser, 
mit  Zitronenwasser  hinunter.  Durch  saure 
Losungen  wird  es  nicht  oder  nur  sehr  lang- 
sam zersetzt.  Der  Erfinder  wird  voraussicht- 
lich das  Mittel  in  Tabletten  zu  1  g  abgeben. 


Als  Minimaldosis  für  Erwachsene  würde 
ich  0,75  bis  1,0  bezeichnen,  doch  empfiehlt 
es  sich,  im  Fall  nicht  genügender  Wirksam- 
keit, auf  1,5  bis  2,0  g  zu  steigen.  Höhere 
Dosen  habe  ich  nicht  versucht,  glaube  aber, 
daß  man  nötigenfalls  mehr  geben  darf. 

Bei  längerem  Gebrauch  scheint  eine  ge- 
wisse Gewöhnung  an  das  Mittel  einzutreten, 
sodaß  es  sich  empfiehlt,  es  nicht  lange  Zeit 
hintereinander  zu  geben. 

Indiziert  ist  das  Viferral  bei  allen  Formen 
der  nervösen  Schlaflosigkeit,  bei  welchen 
keine  starken  Aufregungszustande  und  keine 
Schmerzen  vorhanden  sind.  Es  scheint  ja, 
als  wenn  wiederholte  Dosen  auch  auf 
stark  aufgeregte  Kranke  günstig  wirkten, 
doch  fehlte  mir  das  Material  zu  weiteren 
Versuchen. 

Der  Preis  wird  ein  relativ  geringer 
sein;  10  Tabletten  zu  1  g  werden  1,25  M., 
6  Tabletten  zu  1  g  etwa  75  Pf.  kosten,  so- 
daß das  Mittel  jedermann  zugänglich  ist. 

Meine  kurzen  Ausführungen  sollen  die 
Kollegen  auf  dies  neuere  Schlafmittel  auf- 
merksam machen  und  zur  Nachprüfung  an- 
regen; ich  hoffe,  daß  es  sich  in  unserm 
Arzneischatz  einbürgern  wird. 


Referate. 


l.  Der  Einfloß  der  Krankenvertorfung  auf  die 
Bekämpfung  der  Tuberkulose  alt  Volkskrank- 
heit. Von  Prof.  Dr.  Ludolf  Brauer  (Heidel- 
berg). 

a.  Anzeigerecht,  Anzeigepflicht  und  Morbiditätt- 
statistik  der  Tuberkulose.  Von  Prof.  Dr.  Ludolf 
Brauer  (Heidelberg).  Beiträge  zur  Klinik  der 
Tuberkulose,  Bd.  II,  Heft  2,  1904. 
Brauer  bezeichnet  sich  selbst  als  „nichts 
weniger  denn  einen  orthodoxen  Bakteriologen" 
und  ist  in  der  Tat  entschieden  der  letzte,  dem 
Faktor  der  Disposition  gegenüber  der  Infektion 
nach  Maßgabe  mehr  oder  weniger  berühmter 
Muster  jede  Bedeutung  abzusprechen.  Wenn  er 
dem  Ref.  in  dieser  Hinsicht  nicht  weit  genug 
geht,  indem  er  praktisch  in  der  Verhinderung 
der  Infektion  das  ausschlaggebende  Moment  in 
der  Bekämpfung  der  Tuberkulose  als  Volks- 
krankheit sieht,  so  steht  Brauer,  der  sich  mit 
schonungsloser  Offenheit  gegenüber  dem  ver- 
hätschelten Lieblingskinde  der  modernen  Wohl- 
fahrtsbestrebungen die  Frage  vorlegt:  „Was  will 
die  heutige  Heilstuttenbewegung  ?  was  leistet 
sie?  was  kaon  sie  leisten?",  doch  hoch  über 
dem  Verdachte,  durch  einen  der  heute  so  beliebten 
seichten  Kompromisse  der  Entscheidung  für  eine 
oder  die  andere  der  sich  bekämpfenden  Meinungen 
aus  dem  Wege  zu  gehen.  Und  wenn  den  vom 
Standpunkte  des  hochgeschätzten  Autors  sich 
folgerichtig  ergebenden  Konsequenzen  gegenüber 


der  Referent  manches  schwerwiegende  Bedenken 
zu  äußern  nicht  unterlassen  kann,  so  verhehlt 
er  sioh  auf  der  anderen  Seite  die  Notwendigkeit 
nicht,  die  Diskussion  über  die  von  jenem  an- 
geregten strittigen  Fragen  nicht  zur  Ruhe  kommen 
zu  lassen,  ehe  wir  uns  in  der  Illusion  wiegen, 
im  Besitze  jener  Wahrheit  zu  sein,  die,  über 
den  entgegengesetzten  Meinungen  schwebend, 
vielleicht  erst  kommenden  Generationen  das 
Dunkel,  das  über  diesen  Gebieten  lagert,  zu 
erhellen  vermag. 

Nach  den  Ausführungen  des  Verf.  fehlt  uns 
bisher  jede  Unterlage  für  ein  Urteil  darüber, 
ob  und  inwieweit  nach  Maßgabe  des  jetzigen 
Aufnahmematerials  von  einer  Heilwirkung  der 
Heilstätten  überhaupt  gesprochen  werden  kann. 
Vielmehr  ist  es  trotz  der  entgegenstehenden 
Behauptungen  nicht  zu  bezweifeln,  daß  von  den 
ganz  initialen  Fällen  ein  Teil  auch  ohne  oder  bei 
der  einfachsten  Behandlung  ausheilt  und  nicht 
selten  sogar  unter  recht  ungünstigen  äußeren 
Verhältnissen  nie  zu  einer  erwerbsbeschränkenden 
Erkrankung  für  den   befallenen   Menschen   wird. 

Andererseits  sieht  Brauer  einen  Nutzen 
der  Heilstätte  für  die  noch  nicht  Erkrankten 
einmal  darin,  daß  etwa  ]/3  der  an  bazillen- 
haltigem  Auswurf  leidenden  Kranken  (20  bis 
40  Proz.  der  Aufgenommenen)  während  der  Kur 
bazillenfrei  werden,  und  dann  auch  darin,  daß 
die    anderen    2/3    dieser    Kategorie    infolge    des 


XIX  Jahrgang/1 
Mira  1905.    J 


Referate. 


147 


erzieherischen  Einflusses  der  Heilstätte  später 
eine  weit  mindere  Gefahr  für  die  Umgebung 
bilden.  Denn  diese  besteht  eben  in  den  Augen 
des  Verf.  bei  langem  und  engem  Zusammensein 
mit  Schwindsüchtigen  in  der  Familie  wie  im 
Berufsleben,  indem  die  Infektionen,  die  als 
gelegentliche  den  Erwachsenen  im  Durchschnitt 
wenig  gefährden,  bei  ständiger  Wiederholung 
die  Widerstandskraft  des  Organismus  schwächen 
und  eine  Entwicklung  der  manifesten  Erkrankung 
herbeiführen. 

Von  diesem  Standpunkt  aus  sieht  er  auch 
bei  der  Erfolglosigkeit  jedes  Versuches,  unter 
den  heutigen  Verhältnissen  durch  Hebung  der 
sozialen  Lage  oder  Änderung  der  Lebensgewohn- 
heiten die  Disposition,  die  ihm  übrigens  wesent- 
lich als  mangelnde  Giftfestigkeit  erscheint,  zu 
beschränken,  in  der  Verringerung  der  An- 
steckungsmöglichkeit die  wesentliche  Aufgabe  der 
auf  Ausrottung  der  Tuberkulose  als  Volkskrank- 
heit gerichteten  Bestrebungen,  im  allgemeinen 
und  der  Heilstätten,  die  der  zeitgemäße  Ausdruck 
jener  sind,  im  besonderen. 

In  diesem  Sinne  muß  nach  Brauer  ebenso 
eine  zu  rigorose  Ablehnung  der  ernster  Er- 
krankten, wie  auch  eine  zu  liberale  Aufnahme 
—  Fehler,  in  die  man  nach  beiden  Richtungen 
hin  heute  verfällt  —  vermieden  werden.  Man 
wird,  auch  wenn  man  die  Verhältnisse  von  einem 
ganz  anderen  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  diesen 
Forderungen  unbedingt  zustimmen  können.  Die 
Heilstätten  der  Landesversicherungsanstalten  nun, 
deren  sogen.  Dauererfolge  sich  darauf  stützen, 
daß  der  Eintritt  einer  Erwerbsunfähigkeit  der 
Pfleglinge  unter  ein  Maß  von  3373  Froz.  einst- 
weilen hinausgeschoben  ist,  entsprechen  den 
Zielen  eines  „Volksschutzmittels.",  wie  es  Verf. 
im  Auge  hat,  überhaupt  nicht,  solange  sie  nicht 
Mittel  und  Wege  gefunden  haben,  die  Interessen 
der  Versicherungsanstalten  mit  denen  der  öffent- 
lichen Wohlfahrt  in  dem  erwähnten  Sinne  in 
Einklang  zu  bringen. 

Den  Zwecken  der  Belehrung  und  Erziehung 
auf  der  einen,  der  Abtrennung  von  der  Um- 
gebung auf  der  andern  Seite  aber  wird  in  weit 
vollkommenerer  Weise  durch  Unterbringung  aller 
Schwerkranken  in  geschlossene  Pflege,  durch 
die  altbewährte  Erankenhausbehandlung  (selbst- 
verständlich unter  Schaffung  besonderer  Tuber- 
kulosestationen) und  durch  Verweisung  aller 
leichter  Erkrankten  in  Heimstätten  Rechnung 
getragen,  welche  letztere  mit  größter  Einfachheit 
in  Einrichtung,  Betrieb  und  Verpflegung  und 
nicht  zu  großer  Einschränkung  der  Bewegungs- 
freiheit nach  außen  verbunden  sein  müßten. 

Brauer  hält  es  für  sehr  förderlich,  daß 
man  diejenigen  Kranken,  welche  aus  dem  Hause 
oder  aus  geschlossenen  Fabrikräumen  entfernt 
werden  sollten,  mit  ihrem  Einverständnis  schon 
vor  Eintritt  der  Erwerbsunfähigkeit  invalidisieren 
dürfte  und  daß  alsdann  die  Versicherungsanstalt 
als  Äquivalent  für  diese  vorzeitige  Zuwendung 
von  den  Kranken  die  Übersiedelung  in  eine 
Heimstätte,  resp.  den  Übergang  in  einen  Beruf 
verlangen  würde,  in  welchem  sie  die  Gesundheit 
nicht  gefährden.  Verf.  plaidiert  für  eine  möglichst 
große    Zahl    auf    die    verschiedenen    Gemeinden 


verteilter  und  dementsprechend  kleiner  Heim- 
stätten, um  den  Kranken  einen  gewissen  Konnex 
mit  den  Ihrigen  und  ihrem  Berufe  zu  ermög- 
lichen. Die  ärztliche  Leitung  derselben  sollte 
dem  Arzte  des  Ortes  übertragen  werden. 

Die  Schwerkranken  will  Brauer  einerseits 
durch  zweckmäßige  Versorgung  der  Familien, 
andererseits  durch  einen  behördlich  auszuübenden 
Zwang  der  Pflege  in  einer  geschlossenen  Kranken- 
anstalt zuführen.  Das  in  einzelnen  Bundesstaaten, 
wie  z.  B.  in  Baden,  statuierte  Anzeigerecht  der 
Ärzte  für  Tuberkulosefälle  scheint  .  dement- 
sprechend in  eine  Anzeigepflicht  verwandelt 
werden  zu  sollen !  Gegen  diese  praktische 
Konsequenz  möchte  sich  Ref.,  so  sehr  er  sich 
der  ernsten  und  durchdachten  Auffassung  der 
Situation  seitens  des  Autors  gerecht  zu  werden 
bemüht,  aufs  äußerste  sträuben.  Durch  ihre 
opferfreudige  Mitarbeit  an  der  praktischen  Aus- 
führung der  sozialen  Gesetzgebung  ist  ja  die 
auf  einer  gewissen  geheiligten  Tradition  be- 
ruhende Anschauung  von  dem  wahren  Wesen 
und  Kern  des  ärztlichen  Wirkens  den  Vertretern 
unseres  Standes  verloren  gegangen,  denen  jetzt 
zwei  Seelen  in  der  Brust  wohnen,  die  des  für- 
sorglichen Helfers,  Beraters  und  Freundes  des 
Kranken,  d.  h.  des  Arztes  im  früheren  Sinne  — 
und  die  des  Medizinalbeamten,  oder  sagen  wir, 
des  Medizinalpolizisten.  Beide  mögen  ein  und 
demselben  erhabenen  Ziele,  der  Förderung  der 
menschlichen  Wohlfahrt,  zustreben  —  aber,  um 
des  Himmels  willen,  reinliche  Scheidung !  Vereint 
schlagen,  aber  getrennt  marschieren  !  Der  letzte 
Rest  von  Vertrauen  zum  Arzt  wäre  dahin,  und 
das  Doppelbewußtsein  würde  unendliche  seelische 
Konflikte  heraufbeschwören  !  Trotzdem  aber  an 
idealen  Aufgaben  der  heutigen  sozialen  Medizin 
mitzuarbeiten  wird  eine  derartige  Auffassung 
seines  Berufes  den  Arzt  nicht  hindern,  wenn  er 
von  dem  Streben  beseelt  ist,  seinen  Kranken 
nicht  nur  ein  verschwiegener  Freund,  sondern 
auch  ein  Lehrer  und  Erzieher  zu  sein. 

Eschle  (Sinsheim). 

(Aus  der  med.  Universitätsklinik  in  Greiftwald.) 
Zar  Heilbehandlung  der  Tuberkulose.    Von  Dr. 

Oscar    Prym,    ehemaligem    Assistenten    der 
Klinik. 

Die  Frage  nach  dem  Werte  der  Heil- 
behandlung ist  noch  unentschieden,  da  die  viel- 
fachen Nachprüfungen  bisher  keine  übereinstim- 
menden Resultate  ergeben  haben.  Daher  dürften 
weitere  zuverlässige  Beobachtungen  willkommen 
sein.  In  der  Greifswalder  Universitätsklinik  hielt 
man  sich  hinsichtlich  der  Technik  der  intra- 
venösen Injektion  und  der  Höhe  und  Aufeinander- 
folge der  Dosen  an  die  Vorschriften  Landerers. 
Als  Maximaldose  hat  man  zunächst  25  mg, 
später  nur  8  — 15  mg  betrachtet.  Mit  Hetol  be- 
handelt wurden  22  Fälle,  davon  19  Fälle  von 
Lungentuberkulose  und  3  von  Blasentuberkulose. 
Besserung  wurde  während  der  Hetolanwendung 
in  5  Fällen  konstatiert.  In  9  Fällen  war  keine 
Wirkung  zu  erkennen,  und  bei  den  übrigen 
8  Fällen  traten  geradezu  ungünstige  Erscheinun- 
gen während  der  Behandlung  auf.  Die  Technik 
der    intravenösen    Applikation    des    Mittels    ist 


148 


Referate. 


nrherftpeutleclie 
L   Monatsheft«. 


nach  Verf.  Ansicht  ohne  Schwierigkeit  and  an 
8 ich  ungefährlich.  Eine  potentielle  Wirkung  des 
Hetols  auf  tuberkulöse  Prozesse  ist  zweifellos; 
doch  ist  dieselbe  keineswegs  ausschließlich  eine 
günstige.  Nicht  ganz  selten  hat  man  auch  den 
Eindruck  eines  schädlichen  Einflusses. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  44,  1904.)  R. 

Zur  Behandlung  der  Lungentuberkulose  nach 
Landerer.  Von  Dr.  F.  Schräge  (Timmel). 
Schräge  wendet  die  intravenösen  Hetol- 
injektionen  seit  dem  Jahre  1900  an.  Er  hat 
gefunden,  daß  das  Hetol  ein  Mittel  von  hohem 
therapeutischen  Werte  ist,  welches  auch  durch 
Anwendung  in  der  Sprechstunde  eine  Anzahl 
von  Phthisen  zu  heilen  vermag.  Auf  die  Aus- 
wahl der  Fälle  kommt,  namentlich  für  die  am- 
bulatorische Behandlung  sehr  viel  an.  Letztere 
soll  sich  beschränken  auf  beginnende  Phthisen. 
Selbst  kleine  Kavernen  ohne  Fieber  sind  nicht 
von  der  ambulatorischen  Behandlung  ausge- 
schlossen. Nicht  geeignet  dafür  sind  Fälle  von 
galoppierender  Schwindsucht  und  alle  weiter 
vorgeschrittenen  Fälle,  welche  ausschließlich  in 
Sanatorien  behandelt  werden  sollten.  Vorsicht 
ist  bei  vorhandener  Neigung  zu  Haemoptoi'*  ge- 
boten. Die  Hauptsache  für  eine  erfolgreiche 
Heilbehandlung  ist  also  unbedingt  die  möglichst 
frühzeitige  Diagnose.  Zur  Begründung  seiner 
Ansicht  über  den  günstigen  Einfluß  der  Heil- 
behandlung führt  Schräge  einige  Kranken- 
geschichten an. 

(Münch.  med.  Wochenschir.  44,  1904.)  R. 

(Ans  der  medizinischen  Klinik  der  Universität  Zürich.) 

Indikationen  und  Methodik  der  Digitalistherapie. 

Von  Prof.  Dr.  Hermann  Eichhorst. 

In  einem  klinischen  Vortrage  setzt  Eich- 
horst in  anschaulicher  Weise  seine  Ansichten 
über  Indikationen  und  Methoden  der  Digitalis- 
therapie auseinander. 

Digitalis  ist  das  Herzmuskel tonicum,  welches 
weitaus  am  schnellsten  und  sichersten  den  er- 
matteten' Herzmuskel  stärkt.  Es  ist  daher  das 
souveräne  Mittel  bei  allen  Arten  von  Herz- 
muskelschwäche infolge  von  Erkrankungen  der 
Herzklappen  und  des  Herzmuskels,  des  Herz- 
beutels, der  Herzarterien,  der  Aorta.  Ein  theo- 
retisch konstruiertes  Verbot  der  Digitalisanwen- 
dung bei  Erkrankung  der  Aortenklappen  ist 
nicht  begründet.  Ferner  kann  Herzmuskel- 
schwäche die  Folge  von  chronischer  Erkrankung 
der  Respirationsorgane  (Emphysem,  chronischer 
Bronchialkatarrh)  oder  der  Niere  (Schrumpfniere) 
sein;  auch  hier  ist  die  Digitalistherapie  von 
günstigstem  Erfolge,  ebenfalls,  wenn  durch  Toxin- 
wirkung  bei  Infektionskrankheiten  Herzmuskel- 
schwäche eingetreten  ist.  Die  Digitalis  ist  auch 
dann  am  Platz,  wenn  allgemeine  Körperschwäche, 
wenn  Gifte,  z.  B.  übertriebener  Kaffee-,  Thee-, 
Alkohol- ,  Tabakgenuß  oder  psychische  Erre- 
gungen den  Herzmuskel  geschädigt  haben. 

Ob  der  Digitalis  ein  Einfluß  auf  die  Herz- 
nerven zuzuschreiben  ist,  ist  zweifelhaft;  jeden- 
falls sind  die  Erfolge  der  Digitalistherapie  bei 
nervösen  Herzerkrankungen  höchst  unsicher. 
Ist    der    Herzmuskel    bereits    stark    anatomisch 


verändert,  ist  er  fettig  oder  bindegewebig  ent- 
artet, so  wird  von  der  Digitalistherapie  nicht 
viel  zu  erwarten  sein;  trotzdem  wäre  es  un- 
richtig, in  jedem  Falle  von  vornherein  auf  das 
Mittel  zu  verzichten,  erfährt  man  doch  nicht 
selten  durch  die  Obduktion,  daß  auch  ein  ana- 
tomisch stark  erkrankter  Herzmuskel  lange  Zeit 
und  häufig  den  Einflüssen  der  Digitalis  ge- 
folgt ist. 

Ein  spezifischer  Einfluß  der  Digitalis  auf 
gewisse  Krankheiten,  z.  B.  fibrinöse  Pneumonie, 
ist  nicht  vorhanden.  Hier  wirkt  sie  nur  dann, 
wenn  Anzeichen  von  Herzmuskelschwäche  vor- 
liegen. 

Auf  der  Züricher  Klinik  gelangt  die  Digi- 
talis seit  Jahren  nur  als  Blätterpulver  in  folgen- 
der Formel  zur  Verwendung: 

Rp.    Foliorum  Digitalis  pulverat.    0,1 
Diuretini  1,0 

Sacchari  0,3 

S.    Dreimal  täglich  ein  Pulver  zu  nehmen. 

Die  Wirkung  tritt  nach  den  Erfahrungen 
Eichhorsts  viel  schneller,  sicherer  und  freier 
von  unangenehmen  Nebenwirkungen  ein,  als 
wenn  die  anderen  Zubereitungen:  das  Infus,  die 
Tinktur,  das  Fluidextrakt,  das  Golazsche  Digi- 
talisdialysat  verordnet  werden.  Über  das  Digalen 
Cloetta  fehlen  noch  Erfahrungen.  Auch  von 
der  Wirkung  der  Digitalisglykoside  hält  Verf. 
nicht  viel  und  kann  ihren  Nutzen  dem  des 
Blätterpulvers  nicht  gleichsetzen. 

In  der  Gabe  soll  man  nicht  zu  vorsichtig 
sein;  0,1  g  3  mal  täglich  erscheint  für  den  Er- 
wachsenen als  zweckmäßigste  und  ausreichendste 
Menge.  Kleinere  Gaben  sind  häufig  unwirksam 
und  gewöhnen  den  Herzmuskel  auch  vielfach  an 
das  Mittel.  Höhere  Dosen  können  nicht  selten 
Appetitlosigkeit,  Übelkeit  und  Erbrechen  hervor- 
rufen. 

Im  Durchschnitt  kann  man  30  Pulver,  also 
10  Tage  lang  hintereinander  verabreichen,  doch 
kann  diese  Zahl  auch  ohne  Bedenken  über- 
schritten werden.  Bei  vielen  Herzmuskelkranken 
(Alkohol-,  Tabak-,  Gichtherz,  Arteriosklerose  der 
Kranzarterien)  ist  der  chronische Digftalisgeb rauch 
von  ganz  besonderem  Vorteil,  doch  wird  man  — 
oft  viele  Wochen  lang  —  nur  zwei  oder  ein  Digi- 
talis-Diuretinpulver  pro  die  nehmen  lassen.  Eine 
kumulative  Wirkung  hat  man  nicht  zu  fürchten, 
wenn  man  diese  Dosen  einhält. 

Unangenehme  Nebenwirkungen  bleiben  auch 
bei  dieser  Verordnung  nicht  immer  aus,  doch 
lassen  sie  sich  auch  bei  empfindlichen  Kranken 
vermeiden,  wenn  man  das  Pulver  in  Oblaten- 
kapseln eine  Stunde  nach  der  Mahlzeit  reicht 
und  Kaffee  mit  etwas  Kognakwasser  nachtrinken 
läßt.  Auch  das  Cloe Masche  Digalen  ist  keines- 
wegs frei  von  dieser  üblen  Nebenwirkung. 

Die  Wirkung  macht  sich  oft  schon  in  den 
ersten  24  Stunden  bemerkbar.  Ist  nach  48 
Stunden  kein  Erfolg  zu  erkennen,  so  ist  es 
zweifelhaft,  ob  überhaupt  Digitalis  von  Nutzen 
ist.  Zuweilen  wirkt  indes  die  Digitalis  erst  bei 
dem  folgenden,  ja  bei  dem  dritten  oder  vierten 
Versuch.  Ein  geschwächter,  überdehnter  Herz- 
muskel ist  erst  nach  anhaltender  Bettruhe  im 
stände,  auf  Digitalis  zu  reagieren. 


XIX.  Jftbrgaaf .1 
Mir»  190R.    J 


Referate. 


149 


Zuweilen,  bei  hochgradiger  Cyanose  und 
Atemnot,  ist  Digitalis  mit  Exzitantien:  Kognak, 
Wein,  Champagner  oder  Kampfer  zu  verordnen. 
Der  Kampfer  wirkt  sicherer  als  Oleum  oampho- 
ratum  subkutan,  als  wenn  er  in  Pulverform  dem 
Digitalispulver  beigemischt  wird.  Bei  Infektions- 
krankheiten ist  Digitalis  bei  bedrohlichen  Graden 
von  Herzmuskelschwache  mit  Koffein  zu  kom- 
binieren : 

Rp.    C offein o-Natrii  salicylici 
Glycerini 

Aquae  destiilatae  «a  5,0 

S.    1  —  3  Spritzen  subkutan. 

Der  Erfolg  der  Digitalistherapie  äußert  sich 
zuerst  im  Ansteigen  der  Harnmenge,  zugleich 
schwinden  die  Hautödeme  und  die  ödem at Ösen 
Ansammlungen  in  den  serösen  Höhlen.  Der 
Herzschlag  wird  langsamer,  regelmäßiger,  der 
Puls  größer  und  kräftiger. 

Steigt  die  Harnmenge  sAnell  auf  eine  be- 
deutende Höhe,  so  können  Resorptionsdelirien 
auftreten :  es  werden  im  Überschuß  toxische 
Stoffe  in  das  Blut  aufgenommen,  die  nun  zu 
einer  Art  von  Autointoxikation  führen. 

In  jedem  Falle  ist  der  Kranke  während  des 
Digitalisgebrauches  vom  Arzte  sorgfältig  zu  über- 
wachen. Sinkt,  der  Puls  unter  60  Schläge  in 
der  Minute,  so  ist  die  Darreichung  sofort  zu 
unterbrechen,  da  sonst  Angst-  und  Ohnmachts- 
anwandlungen, Muskelzuckungen  und  Cheyne- 
Stokesschcr  Atemtypus  auftreten  können.  Auch 
bei  Herzbigeminie,  namentlich  im  Verlauf  von 
Mitralklappenfehlern,  kommt  es  leicht  zu  Hirn- 
erscheinungen, weshalb  auch  hier  sofort  Digitalis 
auszusetzen  ist. 

(Deutsche  med.  Wochenschrift  No.  2,  1905.) 

Jacobson. 

Kasuistischer  Beitrag  zur  therapeutischen  An- 
wendung des  Dr.  Aronaonschen  Antistrepto- 
kokkenseruma.  Von  San. -Rat  Dr.  R.  Klein 
(Berlin). 

Zwei  Fälle  von  schwerer  allgemeiner  Sepsis, 
in  denen  die  lebensrettende  Wirkung  des  Aron- 
son sehen  Antistreptokokkenserums  evident  zu 
Tage  trat,  teilt  Klein  mit. 

Ein  Knabe  von  8  Jahren  war  an  Pneu- 
monie erkrankt.  Am  5.  Krankheitstage  traten 
profuse,  aashaft  stinkende,  dünnflüssige  Stühle 
und  Meteorismus  auf;  zugleich  war  das  Sen- 
sorium  getrübt,  der  Puls  klein  und  frequent, 
häufig  aussetzend,  die  Zunge  trocken,  die  Lippen 
waren  mit  Borken  bedeckt,  das  Hautkolorit 
nahm  gelblichen  Ton  an,  die  Gesichtszüge  ver- 
fielen. Es  wurden  nun  30  g  Antistreptokokken- 
serum  injiziert  und  diese  Injektion  am  folgenden 
Tage  wiederholt.  Am  nächstfolgenden  Tage  war 
das  Sensorium  frei,  die  Zunge  feucht,  der  Puls 
kräftig  und  die  Temperatur,  die  bisher  40°  und 
mehr  betragen  hatte,  fiel  von  nun  an  innerhalb 
zweier  Tage  bis  zur  Norm.  Zugleich  war  die 
Diarrhöe  geschwunden  und  das  Allgemeinbefinden 
hatte  sich  wesentlich  gebessert.  Die  Pleuro- 
pneumonie bestand  weiter  fort  und  war  erst 
nach  Ablauf  von  4  Wochen  geheilt. 

Der  zweite  Patient  litt  an  Blasenblutungen 
infolge  eines  Blasenpapilloms.     Ohne  erweisbare 


Ursache  trat  plötzlich  eine  Epididymitis  mit 
Fieber  auf,  welche  in  wenigen  Tagen  zurück- 
ging. Es  entwickelte  sich  darauf  unter  erneutem 
Temperaturanstieg  bis  39,3°  eine  Orchitis;  der 
Puls  wurde  frequent  und  schnellend,  leichte  Be- 
nommenheit, wiederholtes  Erbrechen  galliger 
Massen.  Am  folgenden  Tage  glich  das  Krank- 
heitsbild einem  schweren  septischen  Zustand: 
tiefe  Somnolenz,  träge  reagierende  weite  Pupillen, 
gelbliche  Hautfarbe,  verfallene  Gesichtszüge, 
trockene  Zunge,  Meteorismus,  Puls  120.  Am 
Nachmittage  erhielt  Pat.  100  g  Serum  mit  dem 
Erfolge,  daß  am  nächsten  Tage  das  Sensorium 
völlig  frei,  das  Fieber  geschwunden,  die  Zunge 
feucht  war  und  der  Meteorismus  nachgelassen 
hatte;  Puls  80.  Einige  Tage  später  trat  von 
neuem  ein  Temperaturanstieg  auf,  38,8°,  unter 
gleichzeitigen  doppelseitigen  pleuritischen  Er- 
scheinungen. Auf  eine  Injektion  von  60  g 
Antistreptokokkenserum  erfolgte  lytischer  Ab- 
fall; am  9.  Tage  war  Pat.  fieberfrei. 

Auf  Grund  dieser  beiden  Fälle  empfiehlt 
Verf.  bei  schweren  Infektionszuständen, 
die  klinisch  selbst  nur  ein  dem  septi- 
schen Charakter  ähnliches  Bild  zeigen, 
angelegentlich  das  Aronsonsche  Serum. 

(Berliner  klin.  Wochenschrift  No.  3,  1905.) 

J.Jacobson. 

Weitere   Berichte   aber   das  Collargol.    Von  Dr. 

Stachowski,  Kotterbach. 

Verf.  sah  nach  Injektionen  von  0,05  Col- 
largol, die  meist  einmal  wöchentlich  gegeben 
wurden,  günstige  Erfolge  bei  Sepsis,  akuten  Pneu- 
monien und  bei  hochgradiger  Tuberkulose.  Den 
Effekt  bei  der  letztgenannten  Krankheit  führt  er 
auf  Bekämpfung  der  Mischinfektion  zurück.  Er 
empfiehlt  streng  aseptische  intravenöse  Einfüh- 
rung des  Mittels. 

(Pester  mcd.-chirurg  Presse  1904,  No.  32.) 

Esch  (Bendorf). 

Die  Prophylaxe  der  Malarja. 

Auf  der  diesjährigen  Versammlung  der 
British  Medical  Association  zu  Oxford  stand  die 
Prophylaxe  der  Malaria  auf  der  Tagesordnung 
der  Sektion  für  Tropenkrankheiten.  Ein  be- 
sonderes Interesse  beanspruchten  die  Experi- 
mente, welche  in  Mian  Mir  in  Indien  an- 
gestellt waren,  um  die  Malaria  im  großen  zu  be- 
kämpfen. Die  Herren  James  und  Christoph  er  s 
vom  indischen  Sanitätsoffizierkorps,  welche  jene 
Versuche  in  den  Jahren  1902  und  1903  aus- 
geführt hatten,  berichten  selbst  darüber;  die 
Herren  Stephens,  Roß  und  Sewell  fügen 
weitere  Mitteilungen  und  kritische  Bemerkungen 
hinzu. 

Mian  Mir  ist  ein  von  Malaria  stark  heim- 
gesuchter Distrikt  von  vier  (engl.)  Quadrat- 
meilen im  Pundschab.  Der  Feldzug,  den  James 
und  Christophers  gegen  die  Malaria  eröffneten, 
bestand  darin,  daß  die  Bewässerungskanäle  ge- 
reinigt, ihre  Ufer  geebnet,  alle  Vegetation  daraus 
entfernt  wurde;  stehende  Wassertümpel  wurden 
entweder  ausgetrocknet  oder  ausgefüllt;  wo  sich 
Larven  von  Anopheles  im  Wasser  fanden,  wurden 
sie    durch  Aufgießen   von  Petroleum   vernichtet. 


150 


fTherftpeatUcfc* 
L  Monatshefte. 


Es  wurden  auf  diese  Weise  nachweislich  Mil- 
lionen von  Larven  abgetötet.  Derartige  in  großem 
Maßstabe  angelegte  Versuche  waren  bisher  noch 
niemals  ins  Werk  gesetzt  worden.  Man  mußte 
deshalb  auf  das  Ergebnis  sehr  gespannt  sein. 
Dieses  war  aber  nur  äußerst  gering,  ja  fast  ganz 
negativ:  die  Zahl  der  Erkrankungen  an  Malaria 
war  im  nächsten  Jahre  nicht  wesentlich  geringer 
als  vorher.  Die  Referenten  suchten  die  Gründe 
für  das  Mißlingen  zu  ermitteln;  ein  Hauptgrund 
war  offenbar  der,  daß  die  Anopheliden  in  zu 
großer  Menge  von  anders  woher  wieder  herbei- 
strömten, sodaß  die  getöteten  bald  ersetzt  waren. 
Jedenfalls  lehrt  dieser,  wenngleich  negative 
Erfolg,  daß  zur  Bekämpfung  der  Malaria  durch 
Abtötung  ihrer  Keime  und  deren  Träger  in  einem 
durchseuchten  Gebiet  in  den  Tropen  noch  weit 
umfassendere  und  für  längere  Zeit  durchzu- 
führende Maßregeln  erforderlich  sind. 

(British  tnedical  Journal  1904,  10.  Sept.) 

Classen  (Qrube  i.  H.J. 

Die  Behandlung  des  Diabetes.  Klin.  Vorträge  von 
Prof.  Enrico  de  Reusi,  Direktor  der  ersten 
med.  Klinik  zu  Neapel. 

Der  Autor  findet  sich  bezüglich  des  Wesens 
des  Diabetes  mit  der  Anschauung  ab,  daß  zu 
den  Affektionen  mit  verlangsamtem  Stoffwechsel 
ferner  Bradytrophismus  zu  zählen  sei,  wozu 
auch  Gicht  und  Fettleibigkeit  gehören,  also  die 
von  Epstein  sogenannte  Trias,  miteinander  zu- 
sammenhängende Stoffwechselerkrankungen.  Da- 
nach sind  die  Vorschriften  der  Behandlung  für 
den  Autor  relativ  einfach,  umsomehr,  als  er  den 
Diabetes  durch  Alteration  des  Pankreas  und 
„ anderer  Organe"  völlig  beiseite  stellt. 

*  Von  diesem  Standpunkt  aus  empfiehlt  er 
einfach  eine  Einschränkung  der  Ernährung  im 
ganzen  genommen,  wie  dies  denn  auch  schon 
vielfach  von  anderen  Autoren,  zuletzt  bei 
schwerem  Diabetes  von  N  a  u  n  y  n  empfohlen 
worden  ist.  Und  dann  tritt  er  besonders  für 
die  grünen  Gemüse  ein,  die,  obwohl  nicht  kohle- 
hydratarm, doch  ungemein  gut  von  Diabetikern 
vertragen  werde.  Außerdem  hat  er  die  Erfah- 
rung gemacht,  daß  dnrch  die  Lävulose,  wie  früher 
schon  Külz  und  andere  fanden,  besser  als  sonst 
Zucker  assimiliert  werden.  Auch  Obst  gestattet 
er  in  verhältnismäßig  großer  Menge,  nicht  aber 
Kartoffeln.  Er  ist  ein  Gegner  der  internen  Be- 
handlung, auch  des  Jambuls,  nur  vom  kohlen- 
sauren Natron,  aber  in  großen  Dosen,  will  er 
einen  günstigen  Einfluß  auch  auf  die  A  cid  ose 
gesehen  haben.  Von  der  Einschiebung  eines 
Fasttages  bei  schweren  Fällen  verspricht  Reusi 
sich  nicht  viel,  an  solchen  Tagen  sollten  wenig- 
stens grüne  Gemüse  zugelassen  werden. 

(Berl  klin.  Wochenschr.  1904,  No.  46.)      H.  Rosin. 

Ober  die  Behandlung  des  Keuchhustens  mit  Ari- 
stochin. Von  Dr.  A.  Bargebuhr  (Hamburg). 
Bargebuhr  hat  Aristochin,  ein  Chinin- 
derivat, in  32  Fällen  von  Pertussis  angewandt. 
In  26  Fällen  hat  er  gute  Erfolge  zu  verzeichnen 
gehabt.  Es  handelte  sich  um  Kinder  von 
3  Mon.  bis  zu  6  Jahren,  in  einem  Falle  um  eine 
28jährige  Frau,    die   3  mal    0,5  erhielt  und  bei 


der  eine  ausgezeichnete  Wirkung  eintrat.  Es 
wurde  0,1  bis  0,2  bis  zur  Wirkung  aufsteigend, 
dann  wieder  abfallend,  in  dos  Getränk  gemischt 
oder  mit  gleichen  Teilen  Zucker  von  den  Kindern 
gern  genommen.  Üble,  den  anderen  Chinapräparaten 
eigentümliche  Nebenwirkungen  hat  Bar  gebühr 
niemals  wahrgenommen;  er  empfiehlt  daher 
dieses  Präparat  angelegentlichst  zur  Nachprüfung, 
zumal  da  es  differentialdiagnostisch  für  die 
Anfangsstadien  des  Keuchhustens  und  für  ein- 
fache Bronchitis  verwertbar  ist,  denn  die  Bron- 
chitis wird  von  Aristochin  nicht  beeinflußt. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  Nr.  27.) 

Arthur  Rahn  (Collm). 

Weitere  Erfahrungen    mit    dem    Sirupus   Colae 

compositus  Hell,    Von  Dr.  Julius  Flesch. 

AufGrund  dreijährig  er  Erfahrungen  empfiehlt 
Flesch  von  neuem  den  Sirupus  Colae  com- 
pos.  Hell.  Was*  die  Kontraindikationen  anbe- 
langt, so  läßt  Verf.  nur  die  arteriosklerotischen 
Zustände  gelten,  während  das  Präparat  bei  Nei- 
gung zu  Hämoptoe  entgegen  den  früheren  An- 
schauungen des  Verf.  nicht  nur  ohne  Schaden, 
sondern  sogar  mit  Nutzen  bei  den  hier  nicht 
selten  auftretenden  funktionellen  nervösen  Reiz- 
zuständen gereicht  werden  kann;  unter  seinem 
Gebrauch  wird  die  Herzaktion  ruhiger,  die 
Palpationsgefühle  schwinden,  eine  Blutdruck- 
steigerung ist  nicht  zu  befürchten. 

Vorzügliche  Erfolge  sind  mit  dem  Sirup 
bei  allen  anämisch- chlorotischen  Zuständen  im 
Pubertätsalter  zu  erzielen:  der  Hämoglobin gehalt 
steigt,  die  Appetenz  hebt  sich  und  das  Körper- 
gewicht nimmt  zu.  Ganz  besonders  deutlich 
wird  der  Erfolg,  wenn  sein  Gebrauch  mit  Liege- 
kur und  Überernährung  kombiniert  wird.  Ebenso 
sicher  ist  die  Wirkung  des  Kolasirupes  bei 
allen  Formen  der  nervösen  Agrypnie.  Die  per- 
manenten Kopfschmerzen  und  die  Schlaflosigkeit 
verlieren  sich  schon  innerhalb  weniger  Tage. 

Als  Normaidosis  sind  drei  Kaffeelöffel  pro 
die  zu  bezeichnen,  doch  kann  die  Dosis  auch 
auf  vier  gesteigert  werden.  Kinder  sollen  vor 
Ende  des  zweiten  Lebensjahres  den  Sirup  nicht 
erhalten,  ältere  Kinder  nehmen  dreimal  täglich 
sovielmal  5  Tropfen,  als  sie  Jahre  zählen,  am 
besten   in    Fruchtsaft  oder  Zuckerwasser   gelöst. 

Zur  Bekämpfung  der  nervösen  Zustände  von 
Diabetikern  hat  Verf.  Pilulae  Colae  compositae 
Hell  herstellen  lassen,  von  denen  eine  jede 
0,0015  g  Strychnin,  0,05  g  Chininum  ferro- 
citricum,  0,5  g  Kolaextrakt  und  0,5  g  Glyzerin- 
phosphat enthält.     Dosis  3  bis  4  Pillen  pro  die. 

(Wiener  klinisch-therapeut.  Wochenschr.  No.  30,  1903.) 

Jacobson. 

Petroleum  als  Heilmittel  nach  dreißigjähriger  Er- 
fahrung.   Von  Dr.  A.  D.  Binkerd  in  West- 

Monterey  (Pennsylv.). 

Binkerd  hat  das  Petroleum  zuerst  rein 
empirisch  als  Linderungsmittel  in  einem  Falle 
von  trockenem  Bronchialkatarrh  mit  Atembe- 
schwerden gegeben  und  zwar  mit  sehr  gutem 
Erfolg:  der  Stridor  beim  Atmen  verschwand, 
ebenso  die  Cyanose  und  sogar  das  Fieber.  — 
Die    besten   Erfahrungen    hat  Binkerd   jedoch 


XIX.  Jahrgang.! 
Mar«  IHQfi.     J 


Referate. 


151 


mit  dem  Petroleum  als  innerem  Antisepticum  an 
sich  selbst  gemacht.  Durch  täglichen  Gebrauch 
Ton  rohem  Petroleum,  einige  Tropfen  mehrmals, 
bald  vor,  bald  nach  den  Mahlzeiten,  gelang  es 
ihm,  eine  chronische  Verdauungsstörung  mit 
Durchfällen,  Blähungen,  Hämorrhoiden  und 
Mastdarm  Vorfall,  die  bereits  zu  Herzschwäche 
und  allgemeiner  Erschlaffung  geführt  hatte, 
völlig  zu  beseitigen.  Das  Petroleum  wurde  von 
dem  Magen  ohne  jegliche  Beschwerden  ver- 
tragen, trotzdem  daß  Verf.  es  zwei  Jahre  hin- 
durch täglich  '  eingenommen  hatte.  Es  wird 
nicht  resorbiert  und  assimiliert,  sondern  es 
passiert  unzersetzt  den  Darmkanal  und  erscheint 
wieder  in  den  Faeces  in  unverminderter  Menge. 
Mikroorganismen  irgendwelcher  Art  sollen  in 
Gegenwart  von  Petroleum  sich  nicht  entwickeln 
können.  Es  wäre  demnach,  nach  Binkerds 
Behauptung,  ein  sicher  wirkendes  intestinales 
Antisepticum. 

Ähnliche  Erfahrungen  hat  Binkerd  seit- 
her auch  bei  anderen  Kranken  gemacht,  stets 
mit  demselben  guten  Erfolg.  Auch  beim  Typhus 
soll  es  vortrefflich  wirken.  —  Binkerd  gibt 
stets  rohes  Petroleum  einer  bestimmten  Quelle, 
das  nicht  trübe  ist  und  keinen  besonders  üblen 
Geruch  hat.  Die  verschiedenen  Sorten  können 
von  verschiedener  Zusammensetzung  und  daher 
auch  von  verschiedener  Wirkung  sein. 

(Therapeut*  gazette  1903,  No.  12.) 

Glossen  (Grübe  i.  H.J. 

(Ans  der  medizinisch«!  Klinik  der  Unirersität  Göttin  gen.) 

Ober  die  im  Exodln  (Schering)  enthaltenen  wirk- 
samen    ekkoprotischen     Substanzen.      Von 

Wilhelm  Ebstein. 

Das  Exodin  ist  ein  Gemisch  aus  Diacetyl- 
rufigallussäuretetramethyläther  mit  Acetylrufi- 
gallussäurepentamethyläther  und  Rufigallussäure- 
hexamethyl&ther.  Die  ekkoprotische  Wirkung 
des  Exodins  soll  nach  Zernik  dem  letzten  Körper 
zuzuschreiben  sein,  während  die  andern  beiden 
wirkungslos  zu  sein  scheinen.  Ebstein  hat  nun 
in  einer  Reihe  von  Versuchen  die  Zernikschen 
Angaben  nachgeprüft  und  zwar  mit  chemisch 
reinen  Präparaten,  die  ihm  von  der  Schering- 
schen  Fabrik  zur  Verfügung  gestellt  wurden. 

Der  Rufigallussäurehexamethyläther  erwies 
sich  bei  Gaben  von  1  g  völlig  wirkungslos,  der 
Diacetylrufigallussäuretetramethyläther  wirkte  in 
einzelnen  Fällen  zwar  abführend,  doch  erscheinen 
größere  Dosen  erforderlich,  als  vom  Exodin. 
Eine  entschieden  abführende  Wirkung  wurde 
beim  Acetylrufigallussäurepentamethyläther  fest- 
gestellt, doch  war  der  Stuhlgang  häufig  von 
stärkeren  kolikartigen  Schmerzen  begleitet. 

Nach  seinen  Erfahrungen  hält  daher  Ebstein 
da«  Exodin  für  eine  sehr  glückliche  Mischung, 
in  der  der  schwächer  wirkende  Tetram ethylät her 
durch  Beimischung  von  Pentamethyläther  ver- 
stärkt ist,  ohne  daß  die  Kolik  erzeugende  Wir- 
kung des  letzteren  zur  Geltung  kommt. 

(Deutsehe  med.  Wochenschrift  No.  2,  1905.)         J. 


(Ans  dem  Franz-Josefsspital,  Wien.    Prof.  Schesinger.) 

i.  Über  die  Wirkung  der  gebräuchlichsten  physi- 
kalischen Heilmethoden  auf  die  Magenfunk- 
tionen. Von  Dr.  A.  Neumann,  Wien-Gainfarn. 

(Aus  der  hydrother.  Anstalt  der  Unir.  Berlin.   Geh.  Rat 
Brieger.) 

a.  Versuche  über  die  Wirkung  von  hydriatischen 
Prozeduren  auf  die  Magensekretion.  Von  Dr. 
A.  Gilardoni. 

Beide  Forscher  konnten  eine  praktisch  ver- 
wertbare Wirkung  der  physikalischen  Heil- 
methoden (Massage,  warme  und  kalte  Duschen, 
Umschläge  etc.,  Elektrizität)  auf  Sekretion  und 
Motilität  nicht  konstatieren.  Die  zweifellosen 
therapeutischen  Erfolge  dieser  Maßnahmen  be- 
ruhen nach  Neumann  8  Ansicht  wohl  mehr 
auf  reflektorisch  durch  das  Zentralnervensystem 
erzeugter  Herabsetzung  der  krankhaften  Sensa- 
tionen, während  Gilardoni  ein  definitives  Urteil 
noch  nicht  abgeben  will. 

(Zeitschr.f.  diätei.  u.physikaL  Ther.  1904,  No.  10-12.) 

Esch  (Bendorf). 

Ober  den  Einfluß  des  Kauens  auf  die  Sekretion 
des  Magensaftes.  Von  Dr.  J.  May  bäum. 
In  sechs  Fällen  konnte  Verf.  beim  Vergleiche 
der  ausgeschiedenen  Salzsäure  nach  einem  Probe- 
frühstück, welches  einerseits  durch  natürlichen 
Kau  Vorgang,  anderseits  durch  Eingießen  mit  der 
Sonde  in  den  Magen  hineingelangte,  stets  eine 
vermehrte  Salzsäureabsonderung  unter  Anwen- 
dung des  ersten  Modus  konstatieren,  woraus  der 
Einfluß  des  Kauens  im  Sinne  der  Anregung  der 
Salzsekretion  aufzufassen  wäre. 


(Medycyna  No.  38,  39,  1904.) 


Gabel  (Lemberg). 


(Ans  der  medizinischen  Klinik  su  Straßburg  i.  E.) 

Untersuchungen  Ober  Addose.    Von  Dr.  Julius 
Baer. 

Einen  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Acidose 
liefert  Baer  durch  eine  Untersuchung,  die  sich 
mit  der  Stickstoffausscheidung  und  Acidose, 
so  wie  ihrer  Beeinflussung  durch  verschiedene 
Ernährung  beim  durch  Phiorhidzindarreichung 
glykosurisch  gemachten  Hunde  beschäftigt. 

Die  aus  einer  Reihe  derartiger  Versuche 
vom  Verf.  gewonnenen  Resultate  sind  folgende: 

1.  Ein  Hund  mit  Phlorhidzinglykosurie  zeigt 
keine  Acidose,  solange  er  sich  im  N-Gleichgewioht 
befindet. 

2.  Bei  N -Verlust  infolge  der  Glykosurie 
tritt  Acidose  auf,  trotzdem  dem  Hund  noch  ein 
beträchtlicher  Kalorienwert  an  Fett  und  Eiweiß- 
resten nach  Abzug  des  ausgeschiedenen  Zuckers 
verbleibt. 

3.  Die  Acidose  nimmt  bei  gleichbleibendem 
Stickstoffzerfall  und  Zuckerverlust  während  der 
Phlorhidzindiabetes  trotz  Fütterung  zu.  Sie  ver- 
schwindet, sobald  sich  das  Tier  im  N-  Gleich- 
gewicht befindet,  im  Hunger,  sobald  kein  Zucker 
mehr  ausgeschieden  (also  auch  aus  Körpereiweiß 
gebildet)  wird. 

4.  Zucker  verhindert,  in  nicht  allzugroßer 
Menge  zugeführt,  zwar  die  Acidose,  nicht  aber 
vollständig  den  N-Verlust  (sekundäre  Verbren- 
nung gebildeter  Acetonkörper). 


152 


Referate. 


tTherap«niliehe 


5.  Es  scheint,  daß  Eiweißgruppen,  die  bei 
der  Zuckerbildung  aus  Körpereiweiß  leicht  zer- 
fallen, aber  auch  schnell  wieder  restituiert  wer- 
den, eine  spezifische  Bedeutung  für  die  Ver- 
hinderung der  Acidose  haben,  entweder  indem 
sie  die  Entstehung  der  Acetonkörper  verhindern, 
oder,  was  nicht  vollständig  ausgeschlossen  wer- 
den   kann,   nur  deren  Verbrennung  begünstigen. 

(Ar eh.  f.  experim.  Pathologie  u.  Pharmakologie  Bd.  51, 
H.4  —  6,  8. 271  u.f.)  Th.  A.  Maaß. 

Die  innere  Behandlung  der  Gallensteinkrankheit 

Von  Prof.  Dr.  B.  Stiller  (Budapest). 

Nach  20jähriger  Erfahrung  glaubt  Verf. 
behaupten  zu  dürfen,  daß  kein  Mittel  imstande 
ist,  einen  Zyklus  sich  wiederholender  Kolik- 
anfalle so  sicher  abzubrechen,  oder,  genauer  aus- 
gedrückt, die  Steine  in  den  Ruhezustand  zu  bringen, 
wie  das  Salizylsäure  Natron.  Das  von  manchen 
Autoren  zur  Kupierung  des  Kolikanfalles  emp- 
fohlene Antipyrin  h&lt  er  für  ganz  unzweck- 
mäßig. Zur  Koupierung  des  Anfalles  gibt  es 
nur  ein  Mittel,  die  Morphininjektion,  und  diese 
ist  nur  in  Dosen  von  2 — 3  Zentigramm  wirksam. 
Diese  Erfahrung  ist  sogar  diagnostisch  zu  ver- 
werten. Wenn  ein  Pat.  über  vorausgegangene 
Kardialgien  klagt,  die  durch  kleinere  Morphin- 
dosen kupiert  werden  konnten,  so  kann  ange- 
nommen werden,  daß  es  sich  nicht  um  Gallen- 
steine, sondern  um  eine  andere  Form  von  kar- 
dial gischen  Schmerzen  handelte. 

Verfassers  Behandlungsweise  ist  die  fol- 
gende. Er  verordnet  das  Salizylsäure  Natron 
nur  in  der  anfallsfreien  Zeit  zu  0,50  g  viermal 
t&glich,  indem  er  es  in  Lösung  (5,0  auf  150,0 
täglich  4  Eßlöffel)  oder  in  Pulver,  in  einem  halben 
Glase  eines  alkalischen  Säuerlings  aufgelöst, 
nehmen  läßt.  Der  Kranke  wird  immer  bis  zur 
eintretenden  Besserung  im  Bett  gehalten,  wo 
es  sich  um  sehr  gehäufte  Anfälle  handelt;  in 
milderen  Fällen  im  Zimmer  so  lange,  bis  die 
Druckempfindlichkeit  der  Leber  geschwunden  ist. 
Auf  die  Lebergegend  werden  morgens  und  abends 
2  —  3  Stunden  lang  warme  Leinsamenumschläge 
appliziert.  —  Die  Kost  bleibt  einige  Tage  eine 
sehr  strenge,  vorwiegend  flüssige;  als  Getränk 
ein  alkalischer  Säuerling,  2  —  3  mal  wöchent- 
lich ein  warmes  Bad.  —  Kranke  mit  heftigen 
und  gehäuften  Anfällen  sofort  nach  Karlsbad 
zu  schicken,  ist  unzweckmäßig.  Dieselben  sollen 
eret  eine  3 — 4  wöchentliche  Salizylkur  durch- 
machen. Nach  erreichter  Beruhigung  wirkt  die 
die  Zukunft  sichernde  Karlsbader  Kur  um  so  wohl- 
tätiger. 

Die  empirisch  bewährte  Wirkung  des  Salizyl- 
salzes  läßt  sich  auch  theoretisch  begründen.  Es 
ist  ein  mächtiges  Cholagogum,  indem  es  eine 
reichliche,  dünnflüssige  Gallentlut  produziert, 
welche  geeignet  ist,  eingeklemmte  Steine  abzu- 
bröckeln und  zu  mobilisieren.  Dazu  kommt  die 
antisep tische  Wirkung.  Bei  der  Bedeutung  der 
Infektion  und  Entzündung  für  die  Entstehung 
der  Gallensteinkolik  ist  diese  Wirkung  wohl  am 
höchsten  anzuschlagen.  Endlich  kommt  beim 
Salizylat  noch  seine  analgetische  Wirkung  hinzu, 
welche  die  Reflexerregbarkeit  der  Gallenwege 
und   der  Blase  beschwichtigt.   —  Zur  Erhöhung 


der  analgetischen  Wirkung  des  Salizylats  setzt 
Stiller  jeder  Dosis  desselben  0,01  Extr.  Bella- 
donnae  oder  in  Lösung  3 — 4  Tropfen  der  Tinktur 
hinzu,  in  der  Absicht,  den  spastischen  Zustand 
der  durch  die  Steine  gereizten  Blase  oder  der 
Gallengänge  günstig  zu  beeinflussen.  —  Nach 
der  ersten  3 — 4  wöchentlichen  Salizyl-Belladonna- 
kur,  der  eine  nachträgliche  Kur  in  Karlsbad 
folgen  kann,  wo  es  die  Umstände  des  Kranken 
erlauben,  läßt  Stiller  im  Laufe  desselben  Jahres, 
selbst  bei  vollem  Stillstand  des  Leidens,  noch 
2 — 3  mal  eine  mehrwöchentliche,  meist  noch 
mildere  reine  Salizylkur  folgen,  etwa  3  mal  tag 
lieh  0,50  g,  dabei  ohne  Beschränkung  der  Be- 
wegung oder  der  Diät.  Bei  Unbemittelten  wird 
So  Karlsbad  in  wirksamster  Weise  ersetzt.  Min- 
destens 90  Proz.  der  Gallensteinkranken  sind 
nicht  in  der  Lage,  jahrelang  oder  auch  nur 
einmal  nach  Karlsbad  zu  gehen,  während  sie 
durch  die  Salizylkur  ebenso  sicher  geheilt  werden 
können. 

(Wien.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  1.)  R. 

(Au  der  med.  Klinik  in  Straftburg  (Direktor:  GMi.-R. 
Prof.  Naunyn).) 

Beitrag  zur  Lokallsation  der  Hemichorea.     Von 

Dr.  Aufschleger,  Assistenzarzt. 

Die  Hemichorea,  bei  der  choreatische  Be- 
wegungen der  Extremitäten  und  der  GesichU- 
muskulatur,  aber  nur  in  einer  Körperhälfte,  das 
Krankheitsbild  beherrschen,  tritt  meist  infolge 
eines  cerebralen  Insultes  als  H.  posthemiplegica, 
seltener  vor  dem  Auftreten  der  halbseitigen 
Lähmung  als  H.  praehemiplegica  auf.  In  dem 
von  Aufschleger  geschilderten  Falle  schien 
die  Hemichorea  bei  der  betreffenden  phthisischen 
Patientin,  die  später  an  tuberkulöser  Meningitis 
verstarb,  an  Stelle  der  Hemiplegie  aufzutreten. 
Der  Fall  war  auch  durch  das  Fehlen  der  sonst 
in  der  Regel  beobachteten  Hemianästhesie,  die 
sogar  durch  eine  leichte  Erhöhung  der  Empfind- 
lichkeit für  Tast-  und  Schmerzempfindung  er- 
setzt war,  bemerkenswert.  Die  Obduktion  ergab 
neben  den  für  die  Meningitis  tuberculosa  charak- 
teristischen Veränderungen,  die  für  das  in  Rede 
stehende  Symptom  nicht  in  Betracht  kommen, 
einen  alten,  in  den  Thalamus  opticus  hinein- 
ragenden apoplektischen  Herd  (apoplektische 
Cyste)  an  der  oberen  Wölbung  des  rechten 
Seiten  Ventrikels.  Da  ein  Druck  auf  gewisse 
Bündel  der  Pyramidenfasern,  den  man  ätiologisch 
verantwortlich  gemacht  hat,  nicht  angenommen 
werden  konnte  und  die  5  jährige  Krankheitsdauer 
gegen  eine  rein  funktionelle  Störung  der  Pyra- 
midenfasern bei  völligem  Intaktsein  der  Rücken- 
markspyramidenstränge sprach,  so  dürfte  der 
Befund  eher  zu  Gunsten  der  Anschauung  ver- 
wertet werden,  die  in  einer  Läsion  der  großen 
grauen  Kerne,  insbesondere  des  Thalamus  opticus, 
die  Ursache  der  Hemichorea  erblickt. 

(Zeitschr.  f.  Hin.  Medizin,  Bd.  51,  ff.  3  u.  4.) 

(Eschle  Sinsheim). 

Ausscheidung  von  Chloroform  durch  den  Brech- 
akt.   Von  Dr.  Gelpke  (Liestal). 

Ebenso  wie  subkutan  beigebrachtes  Morphin 
und  Brechweinstein    vom    Magen    ausgeschieden 


XIX.  Jahrgang .1 
Mir»  1905.    J 


153 


und  erbrochen  werden  (Mayen die,  Hermann) 
und  wie  bei  manchen  akuten  Krankheiten,  bei 
Migräne,  Nephritis,  Tabes,  Gravidität,  Sepsis  oft 
Brechen  (und  Diarrhoe)  eintritt,  ist  auch  das 
Brechen  nach  Chloroformnarkose  als  ein  Exkre- 
tionsakt  des  Magens  aufzufassen,  dem  stellenweise, 
ahnlich  wie  Nieren,  Haut,  Lungen,  die  Aufgabe 
zufallt,  den  Körper  zu  entgiften. 

Aus  diesem  Grunde  ist  das  Bekämpfen  des 
Brechens  nach  der  Narkose  mit  Eis,  Kokain, 
Orexin,  Trinkverbot  —  abgesehen  von  gewissen 
Abdominaloperationen  —  ebenso  irrationell  wie 
das  gewaltsame  Herunterdrücken  jeder  Tempe- 
ratursteigerung, das  Stopfen  jedes  Durchfalls, 
das  Unterdrücken  eklamptischer  Konvulsionen 
durch  Narkotika,  während  andererseits  ein  Brech- 
mittel hin  und  wieder  gute  Dienste  leisten  kann. 
Der  Nachweis  von  Chloroform  in  den  er- 
brochenen, vor  Verdunsten  geschützten  Massen 
gelingt  nach  Bunge  durch  Zusatz  von  einem 
Tropfen  Anilin  und  etwas  Natronlauge  zu  dem 
nitrierten  Mageninhalt,  dann  Kochen:  Es  tritt 
ein  charakteristischer  stechender  Geruch  nach 
Isonitril  auf. 

(Korr.  /.  Schweizer  Arzt«  1904,  No.  13) 

Esch  ( Bendorf J. 

(Ans  dar  mwUsln,  Klinik  In  Lemberg.  Prof.  Glu«iaiki.) 

Quantitative  Bestimmung  des  Stickstoffe  und  El- 
welßgehalte*  der  Magenspalfittasigkeit  bei  Car- 
cinoma ventricnli  nach  Salomon.     Von   Dr. 

Marek,  Reichenstein. 

Die  Angaben  Salomons  über  vermehrten 
Stickstoff-  und  Eiweißgehalt  der  Magenspulflüssig- 
keit bei  Carc.  ventr.  als  Ausdruck  vermehrter 
Sekretion  der  Neubildung  wurde  vom  Verf. 
in  etwas  abweichender  Form  auf  der  Klinik 
nachgeprüft.  Tags  vorher  nahmen  die  Kranken 
bloß  flüssige  Diät  ein ;  um  8  Uhr  abends  wurde 
der  Magen  mit  physiologischer  Kochsalzlösung 
mit  Hilfe  des  Jaworskischen  Aspirateurs  so 
lange  ausgewaschen,  bis  klare  Spülflüssigkeit 
abfloß. 

Am  nächsten  Tage  früh  wird  der  Magen  mit 
400  ccm  erwärmter  physiologischer  Kochsalz- 
lösung zweimal  ausgespült,  indem  man  ein  und 
dieselbe  Flüssigkeit  zweimal  in  den  Magen  hin- 
einlaufen laßt.  In  so  erhaltener  Spülflüssigkeit 
wurde  Stickstoff  nach  Kjeldahl,  Eiweißgehalt 
nach  Eßbach  bestimmt. 

In  3  Fallen  mit  normaler  Magenschleimhaut 
betrug  4er  N-Gehalt  in  100  ccm  6— 12  mg,  Eß- 
bach negativ.  4  Fälle  von  Ulcus  ventriculi  er- 
gaben N-Gehalt  in  100  ccm  zwischen  9 — 19  mg, 
Spuren  von  Eiweiß. 

In  7  Fallen  von  Carc.  ventr.  betrug  der  N- 
Gehalt  bloß  zweimal  6  und  15  mg,  ergab  dagegen 
in  5  Fallen  bedeutend  höhere  Werte,  wie  z.  B.  im 
Falle  HI  sogar  74  mg  in  100  ccm  Flüssigkeit, 
im  Falle  IV  68  mg,  Eiweiß  von  l/8  — 1,2%,,. 
Soweit  würden  die  Ergebnisse  mit  denen  Salo- 
mons übereinstimmen. 

Nun  aber  fiel  dem  Verf.  auf,  daß  in  manchen 
Fallen  von  Carc.  ventr.  —  speziell  in  jenen  mit 
sehr  hohem  N-Gehalt  der  Spülflüssigkeit  —  trotz- 
dem abends  außerordentlich  große  Mengen  von 
Flüssigkeit  zur  genauesten  Reinigung  der  Magen- 


schleimhaut (50  1  einmal)  verwendet  wurden  und 
trotzdem  der  Inhalt,  nicht  wie  von  Salomon, 
bloß  ausgehebert,  sondern  aspiriert  wurde,  der 
Magen  morgens  niemals  rein  vorgefunden,  son- 
dern Speisereste  vom  vorhergehenden  Tage  kon- 
statiert wurden,  welche  Reste  gewiß  zur  Höhe 
des  N-Gehaltes  beigetragen  haben.  Der  schein- 
bare Widerspruch  in  dem  Verhalten  des  N-Ge- 
haltes bei  Ulcus  ventr.,  wo  doch  geringere 
Mengen  Stickstoff  gefunden  wurden,  bei  vor- 
handener Möglichkeit  einer  ebensolchen  Verenge- 
rung des  Pylorus  wie  bei  Carc.  läßt  sich  dadurch 
erklären,  daß  bei  Ulcus  ventr.  die  sezernierte 
Salzsäure  die  vorhandenen  Speisereste  verdaut, 
der  Magen  sich  der  Reste  teilweise  entledigt,  so- 
daß  der  morgens  ausgeheberte  Mageninhalt  einem 
leeren  Magen  entstammt.  Sitzt  aber  das  Carc. 
nicht  am  Pylorus,  ist  die  Passage  frei,  so  kann 
der  N-  und  Eiweißgehalt  niedrigere  Werte  liefern, 
wie  Verf.  an  einem  Karzinomfall  demonstriert, 
woselbst  N- Werte  von  bloß  7— 8  mg  und  Eiweiß- 
gehalt minimal  (opaleszierend)  nachgewiesen 
wurden. 

Demgemäß  kann  der  Methode  Salomons 
eine  absolute  diagnostische  Beweiskraft  nicht 
zugesprochen  werden. 

(Przeglad  Ukarski  No.  37,  1904.) 

Oabel  (Lcmberg). 

Experimentelle  Untersuchungen   aber  Adrenalin. 

(Recherches   experimentales  sur  l'Adrenaline). 
Von  J.  Lesage. 

Die  Dosis  letalis  des  Adrenalins  beträgt  0,1 
bis  0,2  mg  pro  kg  bei  intravenöser  Einspritzung 
für  Hunde,  Kaninchen  und  Meerschweinchen. 
Die  Katze  ist  viel  weniger  empfindlich  diesem 
Gifte  gegenüber;  bei  ihr  beträgt  die  tödliche 
Dosis  0,5  bis  0,8  mg  pro  kg.  Die  Morphin- 
und  Chloroformanästhesie  vermag  nicht  die  Dosis 
letalis  zu  beeinflussen,  verändert  aber  den  Ver- 
lauf der  Vergiftung,  indem  sie  die  Atmungs- 
beschleunigung und  die  Dyspnoe  verhindert  und 
bei  der  Katze  den  Tod  verzögert. 

Beim  Hund  tritt  nach  Adrenalin  der  Tod 
sehr  schnell  ein,  ob  das  Tier  anästhesiert  ist 
oder  nicht;  bei  der  Katze  kommt  er  nur  lang- 
sam im  normalen  Zustand  —  und  noch  viel 
langsamer,  wenn  das  Tier  anästhesiert  ist. 

Die  Ursache  des  Todes  ist  beim  Hunde  in 
dem  Herzstillstand,  bei  der  Katze  in  der  Er- 
stickung zu  suchen. 

Bei  der  Katze  zeigt  das  Herz  eine  prompte 
Angewöhnung  an  Adrenalinwirkung;  einige  Mi- 
nuten nach  der  Einspritzung  ist  sie  schon  vor- 
handen. 

Das  Adrenalin  muß  als  ein  Nervengift  be- 
trachtet werden. 

(Arch.  internat  de  pharmac.  et  de  therapie  Vol.  XIII, 
p.  245.)  Dr.  Impens  (Elberfeld). 

Beitrag    zur   experimentellen   Untersuchung   das 
Adrenalins.     (Contribution   ä   l'etude   expeü- 
mentale  de  l'Adrenaline).    Von  V.  Neujean. 
Der  Verfasser  hat  folgende  Tatsachen  fest- 
gestellt: 

1.  Die  Pulsbeschleunigung  nach  Adrenalin- 
injektion wird  durch  eine  Exzitation  sowohl  der 


154 


[^Therapeutische 


Monatshefte. 


zentralen  wie  der  peripherischen  akzeleratorischen 
Nervenelemente  des  Herzens  verursacht.  Die 
Beschleunigung  kann  aber  auch  zustande  kommen 
ohne  Beteiligung  der  zentralen  Elemente. 

2.  Adrenalin  verengert  die  Gefäße  des  Ge- 
hirns, genau  wie  diejenigen  des  ganzen  Körpers. 

3.  Die  Zunahme  des  Gehirnvolums,  welche 
man  nach  Adrenalineinspritzung  beobachtet,  ist 
wahrscheinlich  einer  venösen  Stauung  zuzu- 
schreiben. 

4.  Das  vasomotorische  Zentrum  ist  nur 
sekundär  an  der  Blutdrucksteigerung  beteiligt, 
und  zwar  durch  die  Blutleere,  welche  die  Gefäß- 
verengerung im  Gehirn  hervorruft. 

5.  Die  temporäre  Pulsverlangsamung,  welche 
der  Beschleunigung  vorangeht,  ist  einerseits  einer 
direkten  Beeinflussung  der  Hemmungszentren  des 
Herzens,  andrerseits  einer  Reizung  dieser  Zentren 
durch  die  Gehirnanämie  zuzuschreiben. 

6.  Das  Adrenalin  wirkt  auch  auf  die  intra- 
kardialen Endigungen  des  N.  Vagus. 

7.  Es  wirkt  hemmend  auf  das  Atmungs- 
zentrum. 

8.  Die  Tatsache,  daß  Adrenalin  im  Orga- 
nismus durch  Oxydation  zerstört  wird,  ist  nicht 
bewiesen. 

(Arch.  Internat  de  pharmacodynatnie  ei  de  therapie 
Vol.  XIII,  p.  45.)  Dr.  Impens  (Elberfeld). 

.Überanstrengung  beim  Schreiben  und  Musizieren. 

Von    Prof.    Dr.   Zabludowski,    Leiter    der 
Massageanstalt  der  Universität  Berlin. 

Oft  ist  es  nicht  das  Zuvielschreiben  und 
-musizieren  an  sich,  was  die  Überanstrengungs- 
erscheinungen hervorruft,  sondern  die  Fehler- 
haftigkeit von  Sitz,  Haltung,  Instrumenten  etc. 
Verf.  empfiehlt  deshalb  sowohl  prophylaktisch 
wie  therapeutisch  zweckentsprechenden  Sitz,  rich- 
tige Körperhaltung,  rationelle  Auswahl  der 
Schreibutensilien.  Außerdem  ist  oft  auch  Lage- 
veränderung des  ganzen  Arms  von  Nutzen,  um 
schädliche  Angewohnheiten  zu  beseitigen. 

Die,  zuweilen  wenig  erfolgreiche,  Behand- 
lung des  ausgebildeten  Schreibkrampfs  besteht 
in  Massage,  Tragen  von  Gummibändern  und 
Hülsen,  Gebrauch  besonders  konstruierter  Feder- 
halter, bei  denen  früher  unbenutzte  Muskelgruppen 
in  Anspruch  genommen  werden.  Alle  diese 
Maßnahmen  werden  an  klaren  Abbildungen  de- 
monstriert. 

In  ähnlicher  Weise  wie  beim  Schreiben  ist  auch 
beim  Musizieren  auf  die  Leistungsfähigkeit  der 
Hand  Rücksicht  zu  nehmen  durch  Auswahl  ge- 
eigneter Aufgaben  und  Instrumente. 

CZeiUchr.  f.  diät  und  phys  Ther.  1904,  No  11  u  12.) 

Esch  (Bendorf). 

Vaaelln-   oder   Hartparaffinprothesen?     Von  Dr. 

Eckstein  (Berlin). 

Der  Artikel  ist  eine  Antwort  auf  den  im 
Januarheft  d.  J.  S.  48  referierten  Artikel  Steins. 
Er  weist  die  dem  Hartparaffin  gemachton  Vorwürfe 
zurück.  Nach  Aufzählung  und  kurzer  Besprechung 
der  publizierten  Fälle  von  Embolie  nach  Paraffin- 
injektion sucht  Verf.  nachzuweisen,  daß  sämt- 
liche Fälle  nur  bei  Verwendung  des  weichen 
Materiales    eingetreten    seien.     45°    scheine    die 


Grenze  der  Gefährlichkeit  zu  bilden.  Das  härtere 
Paraffin  erstarre  eben  im  Körper  so  schnell,  daß 
es  nicht  zur  Embolie  kommen  könne.  Verf. 
bleibt  bei  seinem  Hartparaffin,  mit  dem  er 
gerade  in  den  von  Stein  als  ungeeignet  für 
die  Paraffinbehandlung  bezeichneten  Fällen  vor- 
zügliche Resultate  gehabt  habe. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1903,  No.  52.) 

Wendel  (Marburg). 

Ober  die  künstliche  Reifung  der  unreifen  senilen 
Katarakt  mittelst  Reibung  (Trituration).  Von 

Prof.  Malcolm  M.  Mo  Hardy  in  London. 
I  Hardy     berichtet    über    die    Erfolge    der 

I  Förster  sehen  Methode  der  künstlichen  Reifung 
der  Katarakt  auf  Grund  seiner  eigenen  zwanzig- 
jährigen Erfahrungen.  Nachdem  seine  ersten 
Versuche  noch  unsicher  und  mangelhaft  aus- 
gefallen waren,  hat  er  die  Operation  seitdem 
mit  steigender  Sicherheit  ausgeführt,  sodaß  er 
es  sich  jetzt  zur  Regel  macht,  jedem  Patienten 
mit  beginnender  Katarakt  die  „Trituration*  zu 
empfehlen.  Die  Zahl  der  Mißerfolge  ist  sehr 
gering.  Hardy  teilt  drei  Fälle  mit,  in  denen 
wegen  besonderer  Komplikationen  der  Verlauf 
ungewöhnlich  und  die  Heilung  mangelhaft  war, 
und  beschreibt  dann  die  Operation  ausführlich. 
Nachdem  vorläufig,  die  Iridektomie  ausgeführt 
worden  und  das  Kammerwasser  aus  der  Horn- 
hautwunde ausgeflossen  ist,  wird  die  Hornhaut 
mit  der  konvexen  Seite  eines  feinen  silbernen 
Löffels  gegen  die  Linse  gedrückt  und  diese  unter 
strahlenförmig  nach  außen  gerichteten  Bewegun- 
gen des  Löffels  gerieben.  Die  Iris  zieht  sich 
dabei  unter  dem  jedesmaligen  Druck  des  Löffels 
nach  dem  Rande  zurück.  Falls  sie  dieses  nicht 
glatt  tut,  sondern  an  einigen  Stellen  zwischen 
Hornhaut  und  Linse  hängen  bleibt,  so  ist  es 
ein  ungünstiges  Zeichen,  welches  den  Heilungs- 
verlauf komplizieren  kann.  Ferner  ist  es  durch- 
aus notwendig,  daß  kein  Kammerwasser  zwischen 
Hornhaut  und  Linsenkapsel  zurückbleibt,  was 
manchmal  nicht  leicht  zu  erreichen  ist,  da  unter 
dem  Druck  des  Löffels  von  neuem  Kammer- 
wasser sezerniert  wird.  In  der  Regel  ist  die 
Linse  vierzehn  Tage  nach  der  Operation  reif 
zur  Extraktion;  diese  geht  stets  ohne  Schwierig- 
keiten, ja  sogar  in  .der  Regel  besonders  leicht 
von  statten.  Nur  in  seltenen  Fällen  war  Hardy. 
genötigt,  die  Extraktion  früher  oder  gleich  bei 
der  Trituration  vorzunehmen.  —  Zum  Schluß 
gibt  Hardy  eine  statistische  Zusammenstellung 
aller  von  ihm  bis  jetzt  auf  diese  Weise  be- 
handelten Fälle  von  Katarakt.  Es  erhellt  daraus 
der  außerordentlich  geringe  Prozentsatz  der  Kom- 
plikationen und  der  Mißerfolge. 

In  der  Diskussion,  welche  sich  an  diesen, 
auf  der  diesjährigen  Versammlung  der  British 
medical  association  zu  Oxfort  gehaltenen  Vor- 
trag anschloß,  fand  Hardy  nur  geteilten  Beifall. 
Während  einige  Ophthalmologen  zwar  auf 
Hardy s  Seite  traten,  hatten  andere  gar  keinen 
Erfolg  von  der  Trituration  gesehen  und  die 
Methode  wieder  verlassen. 

(British  medical  Journal  1904,  12.  Nov.) 

Ciaseen  (Grube  L  HJ. 


XIX.  Jahrgang.! 
Mir«  1*0*.     J 


155 


Ober  chronische  Dermatitis  infolge  von  Röntgen- 
strahlen. Von  J.  Hall-Edwards  in  Bir- 
mingham. 

Hall-Edwards  berichtet  nach  eigener  Er- 
fahrung über  die  Röntgen-Dermatitis,  da  er  selbst 
daran  seit  Jahren  schwer  zu  leiden  hat.  Schon 
wenige  Wochen  nach  Röntgens  erster  Publi- 
kation hat  er  dessen  Versuche  nachgeprüft  und 
Anfangs  des  Jahres  1896  viermal  zum  Zweck 
öffentlicher  Demonstrationen  seine  Hände  stunden- 
lang durchleuchten  lassen.  Zwei  oder  drei 
Wochen  danach  bemerkte  er  zuerst,  daß  die 
Haut  ringsum  die  Fingernägel  rot  und  schmerz- 
haft wurde.  Später  wurden  die  Nägel  rissig 
und  8p rangen  auf;  einzelne  Nägel  verdickten 
sich  und  stießen  sich  schließlich  als  unförmige 
Massen  ab.  Mittlerweile  wurde  die  Haut  auf 
dem  Handrücken  trocken  und  runzelig,  es 
bildeten  sich  darauf  warzige  Wucherungen.  Die 
Haut  sprang  stellenweise  auf  und  die  Risse 
waren  sehr  schmerzhaft.  In  der  Haut  war  fast 
andauernd  ein  brennendes  und  juckendes  Gefühl. 
Befeuchten  der  Hände  mit  Wasser  steigerte  die 
Beschwerden.  Das  Waschen  war  nur  in  heißem 
Wasser  mit  stark  fetthaltiger  Seife  erträglich. 

Das  Leiden  hatte  im  Laufe  der  Jahre  nur 
wenig  nachgelassen.  Selbst  monatelanges  Fern- 
halten von  jeglicher  Berührung-  mit  Röntgen- 
licht  führte  nur  zu  geringer  Besserung.  Die 
pathologische  Grundlage  der  Krankheit  besteht 
im  wesentlichen  in  Zerstörung  der  Talg-  und 
Schweißdrüsen. 

Die  Therapie  ist  sehr  wenig  dankbar. 
Hall-Edwards  hat  die  verschiedensten  da- 
gegen empfohlenen  Mittel  versucht  ohne  nach- 
haltigen Erfolg.  Das  Wichtigste  ist  vor  allem 
größte  Vorsicht  beim  Umgehen  mit  Röntgen- 
strahlen. Kurze  Einwirkung  selbst  auf  große 
Entfernung  kann  das  Leiden  sofort  außerordent- 
lich verschlimmern.  Bei  den  aufgesprungenen 
Stellen  war  das  Bepinseln  mit  einer  Lösung  von 
Silbernitrat  in  Spiritus  aetheris  nitrosi  (0,1  :  6) 
von  angenehmer  Wirkung.  Sonst  brachte  eine 
Salbe  von  Acidum  salicylicum  (0,2),  Menthol  (0,2), 
Kokain  (0,01)  und  Lanolin  (6,0)  einige  Lin- 
derung. 

Eine  weit  günstigere  Prognose  als  die  chro- 
nische gibt  die  akute  Röntgen-Dermatitis.  Hall- 
Edwards  hat  von  Waschungen  mit  kochendem 
Bleiwasser  zugleich  mit  völliger  Ruhe  der  er- 
krankten Hände  schnelle  Heilung  gesehen. 

(British  medical  Journal  1904,  15,  Okt.) 

Classen  (Grube  i.  H.J. 

Hodenveranderungen  bei  Tieren  nach  Röntgen- 
bestrahlungen» Von  Dr.  F  r i  e  b  en ,  Hamburg. 
In  Anlehnung  an  die  kurz  vorher  von 
Albers -Schönberg  bei  Versuchstieren  nach 
Röntgenbestrahlung  zuerst  gefundene  Tatsache 
der  Azoospermie  untersuchte  F rieben  die  auf 
obige  Weise  steril  gemachten  Kaninchen  und 
Meerschweine  und  fand  zur  Erklärung  dieser 
Funktionsstörungen  folgendes  bei  der  anatomi- 
schen und  mikroskopischen  Untersuchung:  Bei 
den  sonst  an  den  inneren  Organen  gesunden 
Tieren  war  schon  makroskopisch  eine  Verklei- 
nerung des   Hodens  bis   auf  ]/3  bezw.  i/Q  seines 


Volumens  zu  erkennen.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  ergab  eine  hyaline  Degeneration 
der  Harnkanftlchen  -  Epithel ien;  somit  also  war 
das  Ausbleiben  der  Spermatogenese  erklärt.  Die 
Röntgenbestrahlung  hatte  zu  diesem  Epithel- 
schwunde geführt. 

(Manch,  med.  Wochenschr.  52,  1903.) 

Rahn  (CoUm  i.  8.J. 

(Am  der  chirurgischen  Klinik  In  Leipzig.) 

Zur  Kenntnis  der  Wirkung  der  Radiumstrahlen 
auf  tierische  Gewebe,  Von  Dr.  Heineke 
(Leipzig). 

Heineke  hat  eine  Reihe  von  Versuchen 
angestellt,  um  festzustellen,  welcher  Einfluß  auf 
die  blutbereitenden  Organe  von  den  Radium- 
stfahlen ausgeübt  wird.  Die  Radi  umstrahlen 
wirken  ähnlich  wie  die  Röntgenstrahlen  auf  das 
lymphoide  Gewebe  ein;  innerhalb  weniger  Stunden 
zerfallen  die  Lymphozytenkerne  in  allen  von 
Strahlen  getroffenen  Organen;  die  Veränderungen 
treten  in  der  Hauptsache  in  den  ersten  24  Stunden 
auf.  Die  Zellen  der  Milzpulpa  zeigen  innerhalb 
dieser  Zeit  noch  keine  Veränderungen.  Die 
Radiumstrahlen  vermögen  ebenfalls  durch  die 
intakte  Haut  hindurch  auf  das  lymphoide  Ge- 
webe zu  wirken.  Noch  empfindlicher  erweist 
sich  das  lymphoide  Gewebe  bei  näherem  Kontakt 
der  Radiumstrahlen,  wie  Heineke  experimentell 
nachgewiesen  hat,  indem  er  durch  Laparotomie 
die  Milz  eines  Kaninchens  den  einwirkenden 
Strahlen  direkt  aussetzte,  ebenso  direkt  bestrahlte 
er  eine  Pey ersehen  Plaque  einer  Dünndarm- 
schlinge. 

(Münchn.  med.  Wochenschr.  1904,  Jfo.  31.) 

Arthur  Rahn  (Collm). 


(Au  dem   Hygienischen  Institut  fDir.:  Prof.  Dr.  Pfeiffer] 

und  der  UnirersUltspollkltntk  für  Hantkranke  [Dir.:  Prof. 

I.  Caspar y]  In  Königsberg  I.  Pr.) 

Ober   die  Wirkung   der  Röntgen-  und  Radium- 
Strahlen.    Von  Priv.-Doz.   Dr.  W.  Scholtz. 

Der  Vorzug  der  Radiumstrahlen  besteht* in 
einer  leichteren  Applikationsmöglichkeit,  als  es 
bei  .den  Röntgenstrahlen  der  Fall  ist.  Z.  B. 
wird  beim  Lupus  der  Schleimhaut  die  in  Gutta- 
percha gehüllte  Radiumkapsel  an  einem  ent- 
sprechend gebogenen  Draht  auf  die  kranke 
Stelle  direkt  aufgelegt.  Das  Endresultat  war 
in  allen  Fällen  eine  fast  normal  aussehende 
Schleimhaut.  Ferner  berichtet  Scholtz  von 
einem  inoperablen  Karzinom  der  Haut  in  der  Um- 
gebung des  rechten  Auges  bei  einem  60jährigen 
Manne,  welches  jeden  2. — 3.  Tag  an  einer  an- 
deren Stelle  mit  Radium  etwa  10 — 15  Min.  be- 
strahlt wurde;  die  Kapsel  wurde  mittels  Pflaster 
bis  auf  eine  schwer  zugängliche  Stelle  im  Augen- 
winkel der  Haut  direkt  aufgelegt.  Nach  5  Mon. 
ist  das  Karzinom  bis  auf  die  oben  erwähnte 
Stelle  im  Augenwinkel  abgeheilt.  Zum  Schluß 
berichtet  er  noch  von  der  Azoo-  und  Nekro- 
spermie verursachenden  Wirkung  der  Röntgen- 
und  Radiumstrahlen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  No.  25.) 

Arthur  Rahn  (CoUm). 


156 


Referat*  —  Toxikologie. 


/      (Therm] 
L   Moni 


Monatshefte. 


Experimentelle  Untersuchungen  Qber  die  Wirkung 
einiger   Silbtrpräparate   auf  die   Harnröhre 

des  Kaninchens.   Von  Hi  Lohnstein  (Berlin). 

Lohnstein  stellte  experimentelle  Unter- 
suchungen über  die  Wirkung  einiger  Silber- 
präparate auf  die  Harnröhre  des  Kaninchens  an 
und  kam  zu  dem  Schlüsse,  daß  die  organischen 
Silberpräparate  keine  intensivere  Tiefenwirkung 
entfalten,  als  das  Argen  tum  nitricum.  Im  Gegen- 
teil, abgesehen  von  dem  Ichthargan,  ist  die 
Anzahl  der  in  der  Mucosa  und  Submucosa  ge- 
fundenen   Silberniederschläge     bei    keinem    der 


untersuchten  Präparate  so  groß  gewesen,  wie 
nach  Höllensteinspülungen.  Beim  Protargol 
wurden  sie  sogar  bis  auf  geringe  Ausnahmen 
vermißt.  Keines  der  untersuchten  Präparate  er- 
füllte gleichzeitig  sämtliche  Forderungen,  die 
an  ein  ideales  Antigonorrhoicum  zu  stellen  sind. 
Daher  darf  man  sich  nicht  auf  eins  der  Silber- 
präparate bei  der  Behandlung  der  Gonorrhöe 
beschränken,  sondern  muß  im  konkreten  Falle 
nach  den  sich  ergebenden  Indikationen  ihrer 
besonderen  Wirkungsweise  entsprechend  wechseln. 

(Monatsberichte  für  Urologie.    1904,  Heft  8.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 


Toxikologie. 


Aub  der  Univerait&tBklinik  für  Kinderkrankheit«!  In  Berlin.) 

Beitrag  zur  Kenntnis  des  Botullsmus.  Von  M.  Kob. 

Verf.  teilt  folgenden  Fall  von  Botulismus 
mit:  Zwei  Erwachsene  und  zwei  Kinder  hatten 
von  einem  unverdächtigen  Schinken  gegessen. 
Eine  Frau  erkrankte  am  andern  Tage  mit  Er- 
brechen und  Doppeltsehen,  Ikterus,  Stuhl  Ver- 
stopfung und  verstarb  am  7.  Tage.  Die  Mutter 
der  Kinder,  die  nur  wenig  Schinken  genossen 
hatte,  wies  nur  leichte  Diarrhöe  auf.  Von  den 
beiden  Kindern  erkrankte  der  Knabe  nach  einigen 
Tagen  mit  Sehstörungen;  die  Augen  konnten 
nur  schwer  geöffnet  werden  und  es  bestanden 
Doppelbilder. 

Das  11jährige  Mädchen  konnte  am  folgen- 
den Tage  schlecht  sehen;  in  den  nächsten  Tagen 
traten  Schluckbeschwerden  auf,  die  Flüssigkeit 
floß  beim  Trinken  aus  der  Nase  ab,  die  Augen 
konnten  schwer  geöffnet  werden. 

Bei  der  Aufnahme  am  7.  Tage  der  Erkran- 
kung wurde  von  Kob  folgender  Befund  erhoben : 
Haut  von  leicht  gelblichem  Farbenton,  Gesicht 
und  Unterschenkel  leicht  gedunsen.  Das  Kind, 
das  schläft,  reagiert  träge  auf  Anrufen  und  Haut- 
reize, gibt  aber  richtige  Antworten.  Sprache 
näselnd,  aphonisch.  Augen  geschlossen,  leichter 
Strabismus.  Die  Augen  werden  mit  Hilfe  der 
Finger  geöffnet.  Doppeltsehen.  Zunge,  Gaumen 
und  Rachen  erheblich  trocken.  Stillstand  des 
Gaumensegels  beim  Phonieren;  bei  größeren 
Schlucken  fließt  die  Flüssigkeit  durch  die  Nase  ab. 

Am  folgenden  Tage  erfolgte  auf  Kalomel 
Stuhl,  am  Nachmittag  Erbrechen,  das  sich  auch 
am  folgenden  Tage  einstellte.  Doppeltsehen  war 
nicht  mehr  vorhanden,  doch  bestand  noch  hoch- 
gradige Schwäche.  Aderlaß  und  Kochsalzinfusion. 
Unter  dauernder  Darreichung  von  Strychnin- 
nitrat  0,001  g  subkutan  und  Abführmitteln 
besserte  sich  der  Zustand  allmählich,  8  od  aß  Pat. 
nach  6  Wochen  geheilt  entlassen  werden  konnte. 

Die  Diagnose  Botulismus  konnte  nur  aus 
dem  klinischen  Befunde  gestellt  werden,  da  die 
bakteriologische  Prüfung  des  Schinkens  negativ 
ausgefallen  war.  •  Differential  diagnostisch  kommt 
wegen  der  Lähmung  der  Akkomodation  der 
Augen-  und  Schlingmuskulatur  allein  die  post- 
diphtherische Lähmung  in  Betracht,  jedoch  hat 
das    Krankheitsbild    auch    Ähnlichkeit    mit    der 


Atropinvergiftung :  Mydriasis,  Trockenheit  der 
Rachengebilde,  Lähmung  der  Peristaltik,  auch 
Schlafsucht  und  Muskelschwäche. 

Die  Ähnlichkeit  der  Krankheitssymptome 
mit  denen  der  postdiphtherischen  Lähmung  gab 
Anlaß  zu  interessanten  Versuchen.  Von  dem  aus 
dem  Aderlaßblute  gewonnenen  Serum  wurden 
je  2  ccm  Meerschweinchen  eingespritzt.  Die 
Tiere  gingen  nach  3  Tagen  zu  Grunde,  blieben 
aber  am  Leben,  wenn  sie  die  gleiche  Dosis 
Serum  und  500  J.  E.  Diphtherie -Antitoxin  er- 
hielten. Die  Obduktion  ergab  die  für  Botulis- 
mus  charakteristische  Stauung  der  Galle  und 
des  Harns,  es  fehlte  jedoch  die  bei  Diphtherie- 
toxinwirkung  stets  vorhandene  Rötung  und 
Schwellung  der  Nebennieren  sowie  das  Pleura - 
transsudat.  Immerhin  zeigt  die  toxische  Wir- 
kung des  Serums  große  Ähnlichkeit  mitDiphtherie- 
toxin.  Schon  B rieger  und  Kempner  schlössen 
aus  dem  chemischen  Verhalten  der  Toxine  resp. 
Antitoxine  des  Löffl ersehen  Diphtheriebazillus 
und  des  van  Ermen gemschen  Bacillus  Botulinus, 
daß  sich  beide  außerordentlich  nahe  stehen.  Kob 
glaubt  für  diese  Ähnlichkeit  nunmehr  auch  den 
|  biologischen  Beweis  erbracht  zu  haben.  Ob  das 
|  Diphtherieheilserum  mit  Erfolg  bei  der  Behand- 
1  lung  des  Botulismus  wird  herangezogen  werden 
können,  wird  erst  die  Zukunft  lehren. 


(Medizinische  Klinik  No.  4,  1905.) 


Jacobson. 


(Am  der  med.  Klinik  in  Greifrwald.    Direktor:  Profeetor 
MorHs) 
Ober  Theodnvergiftung.   Von  Edouard  Allord, 
Assistenzarzt  der  Klinik. 

Zwei  Fälle  werden   vom  Verf.  beschrieben, 

die    freilich    sehr    schwer  .  erkrankt    waren    und 

kaum  noch  lange  leben  konnten,  bei  denen  der 

Tod   mit  dem   Theocin   in  Verbindung   gebracht 

wird.     Im   ersten  Falle  lag   ein   Herzleiden,   im 

zweiten  ein  Nierenleiden  vor,  kompliziert  durch 

.   Lnngenemphysem  und  Herzinsuffizienz.  Bei  beiden 

;   traten    kurz    vor  dem  Tode  epileptische  Anfälle 

|   auf.    Auch  in  den  bisher  von  Schlesinger  und 

|   von  Strosz    beschriebenen  Fällen,    die    freilich 

;   nicht  wie  die  des  Verf.  mit  dem  Tode  endigten, 

'   waren  Krämpfe  aufgetreten.    Bei  der  Obduktion 

jener  beiden  Fälle  wurden  Schleimhautgeschwüre 

mit  Blutungen    in    den   Magen   gefunden.     Eine 


XIX.  JafcrrsBf .1 
Mlrm  190*.     J 


ToxUcotofte.  —  Literatur. 


167 


an  diese  Beobachtungen  angeschlossene  Reihe 
Ton  Tierexperimenten  führte  ebenfalls  zum  Auf- 
treten von  Krämpfen  und  Affektionen  der  Magen* 
Schleimhaut.  Nach  diesen  Erfahrungen  wurde 
auf  der  Greifswalder  Klinik  die  weitere  thera- 
peutische Anwendung  von  Theocin  nicht  l&nger 
als  zulassig  erachtet. 

(Deutsch.  Archiv  für  klin.  Mediain,  Bd.  80.) 

H.  Rosin. 

Eine  Beobachtung  Ober  Zirkulationsstörung  nach 
VeronaL  Von  Dr.  M.  Senator  (Berlin). 
Bei  einer  40  jährigen,  neurasthenischen,  an 
Influenzapneumonie  erkrankten  Dame  entwickelte 
sich  im  Verlauf  der  Erkrankung  eine  mit  starker 
Erregung  und  Angstzuständen  einhergehende 
Psychose.  Zur  Bekämpfung  der  hinterbliebenen 
neurasthenischen  Schlaflosigkeit  wurde  von 
Senator  Verona!  verordnet,  und  zwar  1  g  um 
8  Uhr  und,  da  die  Wirkung  ungenügend  blieb,  ein 
zweites  Gramm  um  10  Uhr.  Nach  20  Minuten  trat 
ruhiger,  fester  Schlaf  ein,  aus  dem  Pat.  jedoch  um 
2  Uhr  unter  Oppressionsgefühl,  Präkordialangst 
und  Schwächeempfindungen  erwachte.  Am  Herzen 
ließ  sich  außer  schwacher,  frequenter  und  leicht 
unregelmäßiger  Herztätigkeit  nichts  Anormales 
nachweisen;  der  Puls  war  klein,  jagend  (120), 
unregelmäßig.  Dieser  Zustand  ging  bald  vor- 
über, erneuerte  sich  jedoch  nach  unregelmäßigen 
Pausen  bis  gegen  Abend;  die  Dauer  der  einzelnen 
Anfälle  betrug  etwa  15  Minuten.  Daß  diese 
Zirkulationsstörung  auf  das  Verona!  zurück- 
zuführen ist,  hält  Senator  für  sicher,  weil  das 
Herz  früher  und  im  Verlauf  der  Influenzapneu- 
monie stets  als  gesund  befunden  worden  war, 
weil  es  andere  Narcotica  —  Morphium,  Chloral- 
hydrat,  Trional  —  gut  vertragen  hatte  und  weil 
schließlich  die  Störungen  bald  nach  der  Verona!- 
einnähme  auftraten  und  einen  begrenzten  Verlauf 
nahmen. 


(Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  31,  1904.) 


/• 


Ein  Fall  von  chronischer  PhenacettaTergiftung. 
Von  Dr.  Max  Hirschfeld  (Berlin). 

Verf.  teilt  folgenden  eigenartigen  Fall  einer 
chronischen  Phenacetinvergiftung  mit.  Eine  Frau 
litt  seit  zwei  Monaten  an  einem  Hantausschlag. 
An  den  beiden  Unterschenkeln  bestanden  zahl- 
reiche pnnkt-  und  streifenförmige  Petechien, 
welche  an  einzelnen  Stellen  zu  Extravasaten 
Ton  Zehnpfennig-  bis  Zweimarkstückgröße  kon- 
fluierten. In  der  Mitte  dieser  bräunlich-schwarzen, 
sehr  schmerzhaften  Flecke  entwickelten  sich  ober- 
flächliche, schmierig  belegte  Ulzerationen  mit 
unregelmäßigem  Rande.  Die  Ätiologie  der  Er- 
krankung blieb  eine  Zeitlang  dunkel,  die  Therapie 
erfolglos,  bis  Verf.  als  Ursache  das  Phenacetin 
erkannte,  das  Pat.  seit  langer  Zeit  gegen  Migräne 
gebrauchte.  Sowie  das  Mittel  ausgesetzt  wurde, 
blaßten  die  Petechien  ab  und  heilten  die  Ulcera 
innerhalb  4  Wochen.  Als  Pat.  nach  einiger  Zeit 
wieder  1,5  g  Phenacetin  einnahm,  traten  in  einer 
"Woche  neue  Blutungen  und  ein  neues  Ulcus  auf. 

Da  Hauterkrankungen  nach  Gebrauch  von 
Phenacetin  nur  selten  beobachtet  worden  sind 
(beschrieben  sind  Urticaria,  Akne,  makulöse  Ex- 
antheme,   Erytheme,    Miliaria  alba    und    Haut- 


schwellungen), so  handelt  es  sich  bei  diesem 
schweren  Fall  jedenfalls  um  eine  erworbene  Idio- 
synkrasie. Eine  Ursache,  warum  die  Erkrankung 
der  Hautgefäße  sich  gerade  an  den  Unterschen- 
keln etablierte,  war  nicht  zu  erkennen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  2,  1905.)  J. 

j   Was  leistet  Kali  hypermanganicum  alt  Morphlum- 
I  antidot?  Von  Dr.  Alp  hon  s  Krämer  (Dorpat). 

,  Die  Behandlung  der  Opium-  und  Morphium- 

;  Vergiftung  mit  Kaliumpermanganat,  die  von  0  vid 
Moor  in  diesen  Heften  Jahrgang  1903,  S.  562 
eingehend  begründet  worden  ist,  empfiehlt 
Kram  er  angelegentlich  auf  Grund  eines  von 
ihm  beobachteten  Falles  von  Morphiumvergiftung. 
Ein  Student  hatte  infolge  starker  psychischer 
Depression  ca.  1,2  — 1,5  g  Morphium  hydro- 
chloricum  in  Substanz  genommen.  Von  Haus- 
genossen waren  dem  Pat.  Kaffee  und  Tannin 
gereicht  worden,  er  wurde  aber  apathisch  und 
somnolent  und  Verf.  fand  ihn  —  etwa  4  Stunden 
nach  Einnahme  des  Giftes  —  im  starken  Kollaps: 
Cyanose,  stärkste  Myosis,  Trismus,  flache,  ver- 
langsamte und  stertoröse  Atmung,  fadenförmiger, 
jäh  wechselnder  Puls,  Benommenheit.  Auf  Dar- 
reichung von  1,5  g  Kaliumpermanganat  in  Lösung 
erfolgte  in  kurzer  Zeit  heftiges  Erbrechen  braun- 
gefärbter Massen;  es  wurden  wiederum  0,5  g 
eingeflößt  und  nun  besserte  sich  das  Allgemein- 
befinden: die  Cyanose  schwand,  die  Atmung 
wurde  tiefer  und  regelmäßiger,  das  Sensorium 
wurde  freier.  Unter  weiterer  halbstündlicher 
Darreichung  von  0,1  g  Kaliumpermanganat  so- 
wie von  Kognak  gingen  die  Intoxikations- 
symptome immer  mehr  zurück.  Am  folgenden 
Tage  bestand  nur  etwas  Mattigkeit  und  an 
Stelle  der  sonst  vorhandenen  Hypermetropie 
starke  Myopie,  die  aber  auch  in  einigen  Tagen 
wich. 

Kramer  bezeichnet  angesichts  dieses 
schweren  Falles  das  Kaliumpermanganat  als  das 
einzig  wirksame  Morphium  antidot,  das  auch  die 
mehrfach  tödliche  Dosis  unwirksam  zu  machen 
im  stände  ist. 

(St  Petersburger  med.  Wochenschr.  1904,  No.  5,  S.  44.) 


Literatur« 


1.  Die  Gallensteinkrankheit,  ihre  Häufigkeit, 

ihre  Entstehung,  Verhütung'  und  Heilung 
durch  innere  Behandlung.  Von  Dr.  Walther 
Nie.  Clemm  in  Darmstadt.  Berlin  1908. 
Gg.  Klemm. 

2.  Prophylaxe  und  operationslose  Behandlung 

des  Gallensteinleidens.  Von  Dr.  Franz  Kuhn, 
Oberarzt  am  Elisabethkrankenhaus  Kassel.  Ber- 
liner Klinik,  März  und  Juni  1903. 

3.  Die    Gallensteinkrankheit,    ihre    Ursache. 

Pathologie,  Diagnose  und  Therapie.    Von 

Spezialarzt  Dr.  F.  Schilling.    Leipzig  1904. 

Härtung  u.  Sohn. 

1.  Clemm  hält  die  Behandlung  der  recht- 
zeitig erkannten  Cholelithiasis  nach  seiner  Me- 
thode   für    durchaus    sicher    und    will    nur    be- 


158 


Literatur. 


j'Therftpentteb« 


sondere  und  vernachlässigte  Fälle  dem  Chirurgen 
überantwortet  wissen.  Da  die  Steinbildung  auf 
einen  Katarrh  der  Gallen wege  infolge  von  In- 
fektion mit  Mikroorganismen  zurückzufuhren  ist, 
dessen  En£wickelung- durch  Hemmung  des  Gallen- 
flu ss es  begünstigt  wirdx  so  empfiehlt  Verf.  sowohl 
zur  Vermeidung  als  zur  Heilung  der  Gallenstein- 
krankheit 

a)  Sorgetragen  für  normale  Beschaffenheit 
des  Verdauungstractus,  da  bei  Katarrhen  des- 
selben, besonders  bei  Obstipation,  die  Entzün- 
dung leicht  auf  die  gallebereitenden  Wege  über- 
tragen wird. 

b)  Verhinderung  von  Gallestauung  durch 
Unterhaitang  ausgiebiger  Zwerchfellatmung,  ge- 
eignete   Kleidung,    Bewegung,    Massage  u.  s.  w. 

c)  Geeignete  Diät.  Eine  leicht  verdauliche, 
eiweißfettreiche  Nahrung  wird  als  besonders 
galletreibend  angesehen  (W.  Kühne,  Bar b er a). 

d)  Galletreibende  und  gallensteinlösende 
Medikamente.  Die  Trinkkuren  (Karlsbad,  Neuen- 
ahr  u.  s.  w.)  deren  unzweifelhafte  Heilwirkung 
bisher  noch  nicht  erklärt  ist,  wirken  jedenfalls 
sicher  entzündungslindernd.  Von  arzneilichen 
Maßnahmen  sind  manche  wirkungslos,  ja  schädlich, 
andere  unsicher.  Verf.  kann  von  ihnen  allen 
nur  die  Behandlung  mit  Seife  zu  fuhr  ins 
Gallen8jstem  empfehlen.  Diese  wirkt  nach 
seiner  experimentell  (nach  Vorgang  von  Hoppel, 
Naunyn  etc.)  und  empirisch  begründeten  An- 
schauung (entzündungswidrig  und)  cholestearin- 
lösend.  Er  benutzt  dazu  das  von  Blum  in  den 
Arzneischatz  eingeführte  Eunatrol  (in  20proz. 
Lösung  auch  Cholelysin  genannt)  und  gibt  es 
bei  ausgebildeter  Krankheit  3 mal,  später  2  mal 
täglich  in  der  Dosis  von  1  g  in  Verbindung  mit 
Bewegung,  Tiefatmen,  Trink-Liegekur,  heißen 
Umschlägen  und  geeigneter  Diät. 

Bei  dieser  Behandlung  soll  es  nach  Clemm 
zu  den  schweren  Formen  der  Cholelithiasis  nicht 
mehr  kommen  können. 

2.  Während  Clemm  Erörterungen  über 
Geschichte,  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie 
und  Diagnostik  ein  breites  Feld  einräumt,  be- 
schäftigt Kuhn  sich  eingehend  mit  den  pro- 
phylaktischen Maßnahmen  und  den  verschiedenen 
Behandlungsmethoden.  Nachdem  er  einleitend 
die  Errichtung  von  Spezialsanatorien  für  Gallen- 
steinleidende als  wünschenswert  hingestellt  hat, 
bespricht  er  die  mechanische,  diätetische  und 
medikamentöse  Prophylaxe  dieser  Krankheit,  die 
besonders  für  dazu  Prädisponierte,  d.  h.  Leute 
mit  sitzender  Lebensweise,  Fettsucht,  Hänge- 
bauch, Mehrgebärende,  von  Wichtigkeit  ist,  aber 
auch  bei  leichteren  Krankheitsfällen  zur  Geltung 
kommt. 

Von  Leibesübungen  empfiehlt  er  den  Sport 
mit  Ausnahme  des  Velozipedfahrens,  die  Gym- 
nastik in  ihren  verschiedenen  Formen,  die  Mas- 
sage (unter  den  nötigen  Kautelen).  Bei  der 
Kleidung  wird  vor  allem  die  Korsett-  und  Leib- 
bindenfrage gewürdigt.  Kuhn  will  nicht  das 
Korsett  an  sich,  sondern  nur  das  unzweckmäßige 
Korsett  verwerfen,  während  er  das  dem  Körper 
angepaßte  amerikanische  mit  Achselbändern  und 
Anknüpfvorrichtung   für   die  Röcke  befürwortet. 


Unter  den  vielen  Arten  von  Leibbinden  hält  er 
die  mit  halbkreisförmiger  Feder  versehene  Lyra- 
binde für  die  beste.  (Dem  absprechenden  Urteil 
über  die  Ostertagsche  Monopolbinde  kann 
Ref.  nicht  beipflichten,  da  er  mit  ihr  sehr  gute 
Erfahrungen  gemacht  hat:  sie  hebt  den  Leib 
und  rutscht  nicht,  erfüllt  also  das  von  ihr  Ver- 
langte vollständig.) 

Zur  Anregung  der  Verdauung  bei  Obsti- 
pation kommt  nach  Kuhn  eventuell  vegetarische 
Diät  in  Betracht,  die  von  Dujardin-Beaumetz 
für  die  Gallensteinkrankeit  allgemein  empfohlen 
wird  wegen  Vermeidung  des  durch  die  Fleisch- 
eiweißfäulnis oft  erzeugten  Gastroduodenalkatarrhs. 
Dies  führt  zur  diätetischen  Prophylaxe  und 
Behandlung.  Während  früher  karge  Ernährung 
verordnet  wurde,  weil  man  die  üppige  Lebens- 
weise für  die  Hauptschädlichkeit  hielt,  hat  man 
jetzt  die  Gallestauung  als  das  wichtigste  Moment 
erkannt  und  legt  deshalb  den  Nachdruck  auf 
galletreibende  Diät,  als  welche  man  besonders 
relativ  reichliche,  nicht  zu  seltene  Mahlzeiten 
betrachtet.  Im  Gegensatz  zu  Clemm  legt 
Kuhn  dabei  mehr  Wert  auf  das  Eiweiß  als  auf 
das  Fett,  dessen  galletreibenden  Wert  er  nicht 
anerkennt.  Kohlehydrate  will  er  bei  Neigung 
zum  Fettwerden  eingeschränkt  sehen  und  ist 
mit  Clemm  einig  im  Verbot  der  schwerver- 
daulichen Fleischsorten  und  Leguminosen. 

Von  hydrotherapeutischen  Maßnahmen  er- 
wähnt er  Abreibungen,  warme  Voll-  und  kühle 
Sitzbäder,.  Darmspülungen,  örtlich  ev.  Heiß- 
wasserkompressen, Fango-,  Breiapplikation  u.  s.w. 

Unter  den  vielen  medikamentösen  Mitteln, 
die  er  anführt,  empfiehlt  er  außer  den  Trink- 
kuren vor  allem  das  Salicyl,  das  er  im  Gegen- 
satz zu  Clemm  wegen  seiner  galletreibenden 
und  desinfizierenden  Wirkung  besonders  als 
Prophylacticum  schätzt,  bei  ausgebildeter  Krank- 
heit rät  er  in  erster  Linie  zu  Eunatrol,  jedoch 
steht  er  dem  Mittel  skeptischer  gegenüber  als 
Clemm. 

Dieses  alles  gilt  jedoch  nur  für  die 
leichteren  Fälle.  Bei  den  schweren  Erkran- 
kungen, die  sich  durch  die  Heftigkeit  oder 
Häufigkeit  der  Erscheinungen  auszeichnen,  er- 
klärt Kuhn  statt  langem,  den  Patienten  gefähr- 
dendem Zuwarten  den  operativen  Eingriff  für 
das  einzig  Richtige,  selbstverständlich  unter 
strengster  Individualisierung  des  Einzelfalles. 

Zum  Schluß  sei  noch  das  Diätschema  für 
leichte  und  mittelschwere  Fälle,  in  dem  Clemm 
und  Kuhn  übereinstimmen,  mitgeteilt: 

7  Uhr  morgens  nüchtern:  1,0  Eunatrol  =  1  Kaffee- 

löffel Cholelysin  =  4  g  Eunatrolpillen  (wenn 
nötig),  dann  J/4  1  40grädiges  Wasser  mit 
einer  Messerspitze  Kochsalz  —  auch  Ori- 
ginalbrunnen — ,  y4  stündiger  Spaziergang, 
Stuhlgang  (ev.  Klystier). 

8  Uhr:  Frühstrück  nach  engl.  Art,  kleine  Ruhe- 

pause, !/4  stündiger  Spaziergang. 

9  — 12  Uhr:  Bei  stärkeren  Beschwerden N au nyns 

Bettliegekur:  Vor-  und  nachmittags  3  Std., 
nach  S  Tagen  2  Std.  mehrere  (ca.  4)  Wochen 
lang,  so  lange  der  Leberrand  (Boaspunkt) 
schmerzhaft  ist.    Hierbei  wird  in  der  ersten 


XIX.  Jahrgang.*! 
Mir«  1906.    J 


Literatur. 


159 


Stunde  !/3  1  heißes  Karlsbader  Wasser  ge- 
trunken. Auf  die  Leber  kommt  dabei  ein 
heißer  Fango-  oder  Leinsamenaafschlag. 

12  Uhr:  1,0  Eunatrol,  dann  Milch  oder  Fleisch- 
brühe.    50  tiefe  Atmungen  (ohne  Korsett). 

1  Uhr:  Mittagessen:  Fleischbrühe,  leicht  ver- 
dauliches Fleisch,  and  Gemüse,  Obst,  Apfel- 
wein, Rotwein  mit  kohlensaurem  Wasser. 
J/2  stündige  Ruhe,  womöglich  in  linker 
Seitenlage,  dann  Spaziergang  bis  zu  einer 
Stunde. 

ca.  3 — 6  Uhr:  Liegekur  wie  oben. 

7  Uhr:   Abendbrot,    Fleisch    (Braten,    Schinken) 

mit  Butterbrot,  Thee. 

8  oder  9  Uhr:  1,0  Eunatrol  mit  Va  l  Milcn  und 

50  Tiefatmungen. 

Nach  der  Liegekur  event.  noch  1 — 2  Monate 
lang  morgens  und  abends  Eunatrol,  später  statt 
dessen  morgens  event.  1  Löffel  Ossin  (Glemm). 

3.  Schilling  will  dem  beschäftigten  Prak- 
tiker einen  Überblick  über  den  heutigen  Stand  der 
Wissenschaft  auf  diesem  wichtigen  Grenzgebiet 
zwischen  innerer  Medizin  und  Chirurgie  geben, 
um  ihm  einerseits  ein  ersprießliches  handin- 
handgehen  mit  dem  Operateur  zu  ermöglichen 
und  andererseits  übertriebene  Erwartungen  von 
chirurgischer  Hilfe  auf  ihr  rechtes  Maß  zurück- 
zuführen. 

Betreffs  der  Entstehung  der  Gallenstein- 
krankheit teilt  er  die  herrschende  Ansicht,  daß 
sie  auf  einen  infektiösen  Katarrh  der  Gallen- 
wege zurückzuführen  ist,  dessen  Eintreten  durch 
Hemmung  des  Gallen flusses  begünstigt  wird  (bei 
Schnürleber,  Enteroptose,  sitzender  Lebensweise 
u.  s.  w.).  Er  betont  aber,  daß  als  drittes  noch 
eine  Umsetzung  der  Gallenbestandteile  hinzu- 
kommen muß  und  daß  wir  von  den  diesbezüg- 
lichen Vorgängen  im  Leberparenchym  noch 
wenig  Kenntnis  besitzen.  (Nach  Glaser  ist  an 
Funktionsstörung  der  Sekretionsnerven  zu 
denken.     Ref.) 

Dagegen  ist  unsere  Kenntnis  der  patholo- 
gischen und  auch  der  normalen  Anatomie  der 
Lebergegend  besonders  durch  die  Operateure 
Riedel,  Kehr,  Löbker,  Körte  etc.  wesentlich 
erweitert  und  vertieft  und  das  Krankheitsbild 
weit  vielgestaltiger  geworden.  Während  man 
früher  nur  Steinkolik,  Hydrops,  Empyem  und 
Karzinom  der  Gallenblase  kannte,  wird  jetzt  be- 
sonders die  Cholecystitis  in  den  Vordergrund 
geschoben  (von  Riedel  sogar  zu  sehr,  wie 
Schilling  meint),  wir  haben  ferner  die  Cholan- 
gitis, die  auf  die  Umgebung  übergreifende  Peri- 
cholecystitis  und  -angitis  kennen  gelernt,  die 
das  Leiden  leicht  zu  einem  allgemeinen  um- 
gestalten, weiter  wird  von  Steinen  in  der  Leber, 
in  den  intrahepatischen  Gängen,  im  Cysticus  und 
Hepaticum,  den  verschiedensten  Dilatationen, 
Fistel-  und  Abhäsionsbildungen  —  Adhäsions- 
koliken —  gesprochen. 

Die  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Diagnose 
dieser  Unterarten  sowohl,  wie  auch  der  Diffe- 
rentialdiagnose gegenüber  anderen  Krankheiten 
entgegenstellen,  würdigt  Verf.  eingehend.  Kehr 8 
Versuch,  ein  Schema  dafür  aufzustellen,  hält  er 


wegen  der  vielen  Komplikationen  für  ein  miß- 
liches Ding.  Was  die  Radioskopie  betrifft,  so 
weist  sie  selten  deutlich  Steine,  höchstens  Kalk- 
steine nach. 

Prophylaktisch  und  therapeutisch  empfiehlt 
er  die  bekannten,  gegen  Indigestion  und  Gallen- 
stauung gerichteten  Maßregeln:  Regelung  von 
Ernährung  und  Verdauung,  Hautpflege,  Kleidung 
und  Bewegung;  von  Medikamenten:  Im  Anfall 
außer  der  Morphininjektion  eventuell  l/9  —  1  mg 
Atropinzasatz  wegen  der  krampfwidrigen  Wirkung; 
wird  Morphin  nicht  vertragen,  so  kann  Chloral- 
hydrat  0,25  2  —  3  stdl.  oder  Suppositorien  von 
Opium  und  Belladonna  gegeben  werden,  dazu 
heiße  Umschläge  und  Bäder.  Von  den  soge- 
nannten galletreibenden  Mitteln  würde  er  statt 
Fei  tauri,  Natrium  salicylicum  etc.  lieber  das 
alte  italienische  Volksheilmittel  für  die  Gallen- 
steinkrankheit, das  Olivenöl,  anwenden  (Ersatz 
auch  durch  Mohn-  und  Mandelöl,  Lipanin,  Butter) 
weil  es  Linderung  des  Spasmus  und  Anregung 
des  Stuhlganges  herbeiführt  und  nach  Resorption 
von  der  Leber  als  überflüssiges  Gallenfett  aus- 
geschieden wird.  Eunatrol,  Magenspülung  mit 
1 — 2  proz.  Soda-  oder  1  prom.  Argentum  nitricum- 
Lösung  wird  erwähnt,  von  mechanischen  Maß- 
nahmen, wie  Kneten  und  Streichen  der  Leber- 
gegend, abgeraten. 

Von  operativem  Eingriff  im  akuten  Anfall 
will  er  mit  Kehr,  Naunyn  etc.  im  Gegensatz 
zu  Riedel  nur  ausnahmsweise,  z.  B.  bei 
drohender  Allgemeininfektion,  Gebrauch  machen, 
stete  aber  bei  Perforationsperitonitis  nach  Blasen- 
ruptur u.  8.  w. 

Bei  der  chronischen,  irregulären  Chole- 
cystitis soll  zunächst  Naunyns  Liegekur  mit 
Trinkkur  kombiniert  in  Karlsbad,  Bertrich, 
Neuenahr,  Vichy,  Homburg  oder  mit  dem  be- 
treffenden Wasser  zu  Hause  angewandt  werden. 
Das  alte  Dur  an  de  sehe  Mittel  hält  Verf.  für 
nutzlos,  Glasers  Chologen  steht  er  abwartend 
gegenüber.  Erst  wenn  die  innere  Medikation 
wirkungslos  geblieben  ist  und  der  Patient  einem 
qualvollen  Siechtum,  Morphinismus  u.  8.  w.  ent- 
gegensieht, oder  sich  in  Lebensgefahr  befindet, 
soll  zur  Operation  geschritten,  andrerseits  aber 
auch  nicht  gewartet  werden,  bis  er  zu  dekrepide 
geworden  ist. 

Die  an  die  Operation  geknüpften  Erwar- 
tungen dürfen  nicht  zu  hoch  gespannt  werden, 
weil  oft  nicht  alle  Steine  enfernt  werden  können, 
und  auch  echte  Rezidive  nicht  ausgeschlossen 
sind,  und  weil  postoperative  Verwachsungen  mit 
Adhäsionskoliken  etc.,  Bauchhernien,  Gallenfisteln 
auftreten  können,  von  den  primären,  die  Ope- 
ration   erschwerenden  Komplikationen   ganz   ab- 


Der  chirurgische  Eingriff  ist  indiziert  bei 
akuter  Lebensgefahr,  schwerem  Allgemeinzustand 
und  bei  Erwerbsfähigkeit  und  Dasein  erschweren- 
den Koliken  und  Komplikationen.  Von  den  je 
nach  Lage  des  Falles  einzuschlagenden  Methoden 
bespricht  Verf.  die  Cholecystektomie,  Cholecysto- 
stomie,  Choledocho-Hepatico-  und  Cystikotomie, 
Anastomosierung,     Hepaticusdrainage    und     den 

Fistelschluß. 

Esch  (Bendarf ). 


160 


Literatur. 


fTberspenttocbc 
L   Monatshefte. 


i 


Das  Eindringen  der  Tuberkulose  und  ihre 
rationelle  Bekämpfung.  Nebst  kritischen 
Bemerk  engen  zuE.  v.  Behrings  Tuberkulose- 
bekämpfung. Von  Dr.  Ha go  Beckmann  in 
Berlin.     S.  Karger,  Berlin  1904. 

Bei  der  heute  dominierenden  Neigung  zu 
blindem  Autoritätsglauben  und  zu  einer  bedin- 
gungslosen Gefolgschaft  gegenüber  einzelnen  Wort- 
führern auch  da,  wo  nur  Theorien  als  Beweis- 
mittel für  behauptete  Tatsachen  herangezogen 
werden  können,  muß  jede  Äußerung  unabhängiger 
Regungen  und  jedes  selbständige  Durchdenken 
der  schwierigen*  Probleme  freudig  und  mit  Ge- 
nugtuung begrüßt  werden. 

Mit  Recht  wendet  sich  Verf.  —  wenn  auch 
natürlich  nicht  als  erster  (es  sei  hier  nur 
0.  Rosenbach  erwähnt)  —  gegen  die  über- 
triebene Bewertung  des  Tierexperimentes  und 
gegen  die  Unterschätzung  der  Disposition  bei 
Beurteilung  der  Ätiologie  der  Lungentuberkulose. 

Beckmann  geht  zunächst  von  der  Tat- 
sache aus,  daß  die  für  den  Tuberkelbazillus 
Empfänglichen  auch  in  besonderem  Maße  für  die 
Infektionen  mit  gewöhnlichen  Eiterkokken,  den 
Strepto-  und  Staphylokokken  und  den  Pneumo- 
kokken, zugänglich,  sind  und  sieht  die  Rachen- 
mandel, die  durch  einen  akuten  eitrigen  Schnupfen, 
einen  solchen  Kehlkopfkatarrh,  eine  akute  Otitis 
media  oder  eine  typische  Angina  lacunaris  in 
einen  entzündlichen  Zustand  versetzt  wird,  als 
die  hauptsächlichste  Eintrittspforte  an,  durch 
die  der  tuberkulösen  Invasion  die  Ausbreitung- 
im  menschlichen  Organismus  ermöglicht  wird. 
Beim  Kinde  gelangen  die  Tuberkelbazillen  von 
der  Rachenmandel  in  die  Halsdrüsen  und  von 
hier  auf  dem  Lymphwege  in  die  Bronchialdrüsen, 
wo  sie  entweder  liegen  bleiben  oder  nach  Durch- 
brechung der  Drüsenkapsel  sich  bald  auf  die 
Nachbarschaft,  besonders  Brustfell  und  Lunge, 
verbreiten,  bald  in  die  Blutbahn  gelangen  und 
Metastasen  oder  Miliartuberkulose  veranlassen. 
Auch  die  Skrofulöse  beruht  nach  Beckmann 
auf  dem  Zusammenwirken  der  durch  Vermitt- 
lung der  Rachenmandel  aufgenommenen  Eiter- 
kokken und  Tuberkelbazillen.  Dem  Mangel  an 
Widerstandskraft  gegen  diese  beiden  Infektionen 
entspricht  die  allgemeine  Disposition  zur  Tuber- 
kulose, die  sich  besonders  in  der  gewaltigen 
Reaktion  des  Lymphdrüsen apparates  äußert.  Die 
Tuberkulose  gelangt,  unterstützt  durch  den  ver- 
änderten Atemtypus,  bei  den  Disponierten  auf 
direktem  Wege  von  der  Rachenmandel  über  die 
Halsdrüsen  zur  Lungenspitze.  Die  Gefährlichkeit 
der  Tuberkulose  für  den  Erwachsenen  glaubt 
Verf.  daher  weniger  in  der  Neuaufnahme  der 
Bazillen,  als  in  der  Mobilisierung  alter  Drüsen- 
herde durch  akute  Rachenmandelinfektionen  und 
deren  Verschleppung  in  die  Lungenspitze  oder 
in  der  Reaktivierung  alter  Lungenprozesse  sehen 
zu  müssen. 

Ref.  erscheint  es  nun  zweifelhaft,  ob  die 
Tuberkelbazillen  bei  Jahrzehnte  währender  Be- 
schränkung auf  einen  abgekapselten  Herd  ihre 
Invasionskraft  zu  bewahren  vermögen,  die  sich 
aus  dieser  Anschauung  ergebende  therapeutische 
Maxime  Beckmanns,  auf  operativem  Wege  und 
durch     spezialistische    Behandlung     bestehender 


Ohren-  und  Nasenleiden  auf  die  Rückbildung  der 
Lymphdrüsen  einschließlich  der  Mandeln  hinzu- 
wirken, muß  aber  durchaus  konsequent  erscheinen. 

BscMe  (Sinsheim). 

Die  krankhafte  Willensschwäche  und  die  Auf- 
gaben der  erziehlichen  Therapie.  Von  Dr. 

med.  F.  C.  R.  Eschle,    Direktor    der    Kreis- 
pflege ans  talt  Sinsheim.    Berlio,  Fischer,  1904. 

Bei  der  selbständigen  Leitung  bezw.  Reor- 
ganisation größerer  Anstalten  haben  günstige 
Erfahrungen  den  Verfasser  veranlaßt,  das  Prin- 
zip der  Erziehung  der  Kranken  zur  Arbeit  weiter 
auszubauen.  Die  Ergebnisse  seiner  eingehenden 
theoretischen  und  praktischen  Studien  auf  dem 
Gebiet  der  psychischen  Therapie,  der  erziehlichen 
Beeinflussung  psycho-  und  neuropathischer  Per- 
sonen hat  er  in  dem  vorliegenden  Werke  zu- 
sammengefaßt. 

Nach  einleitenden  psychologischen  Vorbe- 
merkungen bespricht  Eschle  zunächst  theore- 
tisch die  Neuro-  und  Psychomechanik  des  Willens- 
aktes und  unterzieht  darauf  die  einzelnen  Formen 
seiner  Störungen,  der  abulischen  Insuffizienz, 
einer  eingehenden  Erörterung. 

Im  praktischen  Teil  behandelt  er  dann  die 
therapeutische  Beeinflussung  der  Wülensstörungen 
auf  Grund  seiner  in  der  psychiatrischen  und  so- 
zialmedizinischen Praxis  gemachten  Beobach- 
tungen und  Erfahrungen.  Bei  der  hygienischen 
Therapie  der  Willensstörungen  und  ihren  Be- 
ziehungen zur  psychischen  Therapie  wird  u.  a. 
die  Wichtigkeit  der  Regelung  von  Arbeit  und 
Ruhe  und  der  Vereinfachung  der  Lebenshaltung 
betont;  die  psychische  Therapie  gipfelt  in  der 
erziehlichen,  wobei  die  belohnende  der  diszipli- 
nierenden Form  vorzuziehen  ist.  Den  Haupt- 
wert aber  legt  Verf.  auf  die  Erziehung  zur 
Arbeit,  auf  die  Arbeit  als  therapeutischen 
Faktor.  Seine  diesbezüglichen  Ausführungen, 
die  wir  teilweise  schon  aus  den  früheren  Publi- 
kationen des  geschätzten  Autors  kennen,  ver- 
dienen in  höchstem  Maße  eingehende  Beachtung 
und  Würdigung.  Das  Werk  schließt  mit  dem 
Wunsche,  daß  unser  Stand  immer  mehr  im 
Sinne  Rosenbachs  zur  Erkenntnis  seiner 
wahren  Aufgaben  gelange  und,  sich  abwendend 
von  der  ausschließlichen  Bewertung  formaler 
Veränderungen,  vom  Schema  und  der  Schablone, 
es  lerne,  seinen  Schutzbefohlenen  ein  Freund 
und  Helfer,  ein  Lehrer  und  Erzieher  zu  sein. 

Esch  (Bendvrf). 

Über  natürliche  nnd  künstliche  Säuglingser- 
nährnng.  Von  Dr.  K.  Oppenheimer,  Kinder- 
arzt in  München.  Wiesbaden,  Bergmann,  1904. 
32  S. 

Verf.  hat  zwei  seiner  im  ärztlichen  Fort- 
bildungskurs 1903  gehaltenen  Vorträge  veröffent- 
licht, einerseits,  um  wieder  einmal  eine  Lanze 
einzulegen  für  das  Stillen  der  Mütter,  anderer- 
seits, um  einen  größeren  Kreis  von  Ärzten  für 
die  von  ihm  erprobte  Vollmilchernährung 
zu  interessieren. 

Er  erkennt  mitHeubner  als  absolute  Kontra- 
indikation   gegen    das    Stillen    nur    Tuberkulose 


ZIZ.JahrffUig.-l 
Mir«  1*05.    J 


Literatur. 


161 


der  Mutter  an,  empfiehlt,  das  Kind  nur  alle 
3  Standen  anzulegen,  weil  dann  erst  der  Magen 
wieder  leer  ist,  und  warnt  vor  dem  Überfüttern 
der  Stillenden.  Dasselbe  gilt  von  der  Amme. 
Um  bei  ihr  Lues  ausschließen  zu  können,  ist 
die  Inspektion  ihres  Kindes  sehr  wichtig. 

Bei  der  künstlichen  Ernährung  steigt  Oppen- 
heimer schon  in  2—4  Wochen  von  2/3  Wasser- 
zusatz auf  unverdünnte  Kuhmilch.  Die  sonst 
übliche  Art  der  Verdünnung,  die  den  Überschuß 
der  Kuhmilch  an  Kasein  ausgleichen  soll,  die 
Fett-  und  Zuckerzufuhr  aber  zu  sehr  vermindert 
und  außerdem  Herz,  Nieren  etc.  durch  Über- 
arbeitung sch&digt,  wollte  man  u.  a.  durch 
Biederts  Nahrungszusatz,  Escherichs  volume- 
trische  Methode  und  Heubners  Ersatz  des  Fetts 
durch  Vermehrung  des  Milchzuckers  verbessern. 
Diese  Maßnahmen  sind  jedoch  alle  überflüssig, 
weil  die  Kuhmilch  trotz  ihrer  Verschiedenheit 
von  der  Frauenmilch  ihr  doch  an  kalorischem 
Gehalt  fast  gleichwertig  ist,  62,7  :  63,9,  und  weil 
feststeht,  daß  das  Kasein  der  Verdauung  und 
Ausnntzung  leicht  zugänglich  ist.  Der  beste 
Beweis  aber  ist  die  praktische  Erfahrung:  das 
Gedeihen  der  Kinder. 

Beobachtungen  mit  Vollmilchernährung  ge- 
sunder  Säuglinge  sind  bisher  außer  von 
Schlesinger,  Breslau ,  nicht  veröffentlicht 
worden.  Verf.  kann  nun  aber  auf  Grund  4 jähriger 
Erfahrung,  namentlich  in  der  Privatpraxis,  ver- 
sichern: Das  Nichtgedeihen  eines  mit  Voll- 
milch ernährten,  gesnnden  Säuglings  ge- 
hört zu  den  Seltenheiten. 

Wegen  des  dickflockigen  Gerinnens  der  Kuh- 
milch ist  dabei  strenge  an  3  stündigen  Pausen 
und  nicht  zu  großen  Gaben  festzuhalten.  Vom 
2.  Monat  an  soll  die  tägliche  Nahrungszufuhr 
17  Proz.  vom  Körpergewicht  betragen  und  in 
jedem  Monat  um  ca.  1  Proz.  fallen. 

Oppenheimer  betont  dann  noch,  daß  die 
Trockenfütterung  nicht  die  wichtige  Rolle  spielt, 
die  man  ihr  meist  beimißt,  stammt  doch  die 
berühmte  Alpenmilch  nur  vom  Weidevieh,  daß 
vielmehr  reinliche  Gewinnung  und  kühle  Auf- 
bewahrung der  Milch  gesunder  Kühe  die  beste 
Garantie  für  gute  Beschaffenheit  bietet. 

Statt  des  unnötigen  und  schädlichen  Sterili- 
sierens  empfiehlt  Oppenheimer  das  Pasteuri- 
sieren, was  sich  bei  Gebrauch  eines  von  ihm 
konstruierten  Apparates  (Kronenapotheke  Dresden) 
im  Haushalt  ermöglichen  läßt. 

Esch  (Bendorf). 

Die  Grundsätze  der  mechanischen  Behandlung 
naeh  Kellgren.  (The  elements  of  Kellgren's 
man  aal  treatment)  Von  Edgar  F.  Cyriax  in 
Stockholm.  London,  John  Bale,  Sons  and 
Danielsson  Ltd.,  1903. 

Kellgrens  mechanische  Behandlung  ist 
eine  weitere  Ausbildung  der  bekannten  von  Ling 
begründeten  schwedischen  Heilgymnastik.  Kell- 
gren war,  wie  aus  der  geschichtlichen  Einleitung 
su  ersehen,  ein  Schüler  Lings.  Verf.  6elbst, 
wieder  ein  Schüler  Kellgrens,  dem  er  dieses 
Buch  gewidmet  hat,  beabsichtigt,  den  praktischen 
Arzt,  der  die  Methode  nicht  an  den  größeren 
Heilanstalten,   selbst   studieren    kann,    mit    den 


Grundlagen  so  weit  vertraut  zu  machen,  daß  er 
dieselben  selbst  in  seiner  Praxis  anwenden  kann. 
Man  muß  sagen,  daß  dieser  Zweck  durch  das 
vorliegende,  483  Textseiten  umfassende  Werk  in 
vortrefflicher  Weise  erreicht  ist.  Es  zerfällt  in 
einen  theoretischen  und  in  einen  praktischen 
Teil.  In  jenem  werden  die  sämtlichen  in  Be- 
tracht kommenden  aktiven  und  passiven  Bewe- 
gungen und  sonstigen  Manipulationen  genau  be- 
schrieben und  größtenteils  zugleich  durch  photo- 
graphische Abbildungen  veranschaulicht.  Im 
zweiten  Teile  wird  deren  Verwertung  in  den  ver- 
schiedenen Krankheitszuständen  erklärt,  wobei 
sich  Verf.  fast  überall  auf  eigene  Beobachtungen 
bezieht.  Man  erkennt  daraus,  wie  außerordentlich 
mannigfaltig  sich  die  mechanische  Behandlung 
anwenden  läßt.  Abgesehen  von  den  Erkran- 
kungen des  Muskel-  und  Nervensystems,  gibt  es 
kaum  irgend  eine  Krankheit,  die  nicht  irgendwie 
eine  Indikation  böte.  Auf  Einzelheiten  einzu- 
gehen, würde  zu  weit  führen;  es  sei  nur  noch 
hervorgehoben,  daß  die  übersichtliche  Anordnung 
des  Stoffes  und  das  ausführliche  Inhaltsverzeichnis 
die  praktische  Brauchbarkeit  des  Werkes  noch 
erhöhen.  Glossen  (Grübe  i.  H.J. 

Vorlesungen  über  Physiologie.  Von  M.  v.  Frey. 
Verlag  von  Julius  Springer,  Berlin,  1904. 

Das  Buch,  welches,  wie  in  der  Vorrede 
betont  ist,  au6  dem  Wunsche  der  Hörer  des 
bekannten  Physiologen,  eine  ungefähre  Wieder- 
gabe seines  mündlichen  Vortrages  zu  besitzen, 
entsprungen  ist,  bringt  auf  392  Seiten  einen 
Führer  durch  das  Riesengebiet  der  gesamten 
Physiologie.  Daß  bei  diesem  gedrängten  Räume 
alles  Beiwerk  weggelassen  werden  mußte,  ist 
ganz  selbstverständlich.  Die  hieraus  sich  ent- 
wickelnde Gefahr,  mit  dem  Unwesentlichen  auch 
Wesentliches  zu  übergehen,  hat  Verf.  außer- 
ordentlich geschickt  vermieden,  und  es  wird 
niemand  nach  irgend  einer  wichtigen  Tatsache 
der  Physiologie  in  dem  v.  Frey  sehen  Buche 
vergeblich  suchen.  Für  eine  Neuauflage  hält  es 
Ref.  für  wünschenswert,  daß  der  Stoffwechsel- 
lehre etwas  mehr  Raum  gewidmet  wird,  vielleicht 
auf  Kosten  einiger  für  ein  kurzes  Lehrbuch 
etwas  breit  behandelter  Kapitel  der  speziellen 
Nerven-  und  Muskel -Physiologie. 

Nach  dem,  was  der  Verf.  durch  geschickte 
Anordnung  und  Behandlung  der  Materie,  durch 
viele  wertvolle  Literaturangaben  und  sehr  über- 
sichtliche Sach-  und  Namenregister  geleistet  hat, 
kann  das  Buch  sowohl  dem  Praktiker,  der 
wieder  einmal  seine  physiologischen  Kenntnisse 
auffrischen  und  ergänzen  will,  als  auch  dem 
Studierenden  als  Repetitorium  warm  empfohlen 
werden.  Die  sehr  gute  Ausstattung  des  Buches 
verdient  noch  besonders  hervorgehoben  zu  werden. 

Th.  A.  Maaß. 

Hebammen -Lehrbuch.  Herausgegeben  im  Auf- 
trage des  Kgl.  Preußischen  Ministers  der  geist- 
lichen, Unterrichts  und  Medizinal -Angelegen- 
heiten. Berlin,  Verlag  von  Julius  Springer, 
1904. 
Das     neue    Hebammen  -  Lehrbuch,     dessen 

Entwurf  von   M.  Runge   (Göttingen)    aufgestellt 


162 


Literatur. 


tTher&pentteche 
Monatshefte. 


und  das  alsdann  in  einer  Kommission  von  Fach- 
leuten seine  jetzige  Fassung  erhalten  hat,  zeichnet 
sich  vorteilhaft  von  der  jetzigen  Ausgabe  durch 
genauere  Schilderung  der  Anatomie  und  Physio- 
logie des  weiblichen  Körpers  aus;  diesem  Kapitel 
schließt  sich  eine  Schilderung  der  allgemeinen 
Krankheitslehre  an,  die  in  dem  bisherigen  Lehr- 
buch fehlte,  die  aber  erforderlich  schien,  da 
das  neue  Lehrbuch  bestimmt  ist,  einem  besser 
vorgebildeten  Material  von  Hebammen  als  Unter- 
weisungsmittel zu  diesen.  Trotzdem  sind  die 
Befugnisse,  die  den  Hebammen  bei  notwendigen 
Operationen  zustehen,  nicht  erweitert,  vielmehr 
eingeschränkt  worden,  die  Extraktion  ist  ver- 
boten, und  nur  die  Lösung  der  Arme  und  die 
Extraktion  des  Kopfes  erlaubt,  falls  der  herbei- 
gerufene Arzt  nicht  zeitig  genug  erscheinen 
kann.  Auch  die  Vornahme  einer  Wendung  ist 
nur  in  bestimmten  Bezirken,  in  denen  ärztliche 
Hilfe  schwer  zu  erhalten  ist,  erlaubt.  Als  Des- 
infektionsmittel ist  im  allgemeinen  Sublimat  zu 
verwenden,  zu  dem  eine  Reinigung  mit  Alkohol 
hinzukommen  muß,  falls  die  Hebamme  infektiöse 
Stoffe  berührt  hat.  —  Zur  Tamponade  sind 
sterilisierte  Jodoformgazetampons  zu  verwenden. 
Während  durch  diese  Vorschriften  schon  die 
Kosten,  welche  den  Hebammen  erwachsen,  nicht 
unbedeutend  vergrößert  werden,  wird  denselben 
durch  die  Forderung  der  vermehrten  Zahl  von 
Wochenbettbesuchen  eine  weitere  Pflicht  auf- 
erlegt, für  welche  sie  schwerlich  bei  der  üblichen 
Honorierung  eine  genügende  Entschädigung  er- 
halten werden.  In  §  254  heißt  es,  daß  es  er- 
wünscht ist,  daß  die  Wochenbettbesuche  min- 
destens 3  Wochen  hindurch  erfolgen,  und  in 
§  25  der  besonderen  Berufspflichten  werden  für 
die  ersten  10  Tage,  wenn  möglich,  2  tägliche 
Besuche  gefordert,  während  im  alten  Lehrbuch 
nach  §  153  nur  für  die  ersten  8  Tage,  wenn 
möglich,  tägliche  Besuche  gewünscht  werden. 
Auf  die  Einschränkung  der  inneren  Untersuchung 
wird  in  dem  Lehrbuch  mit  Recht  großer  Wert 
gelegt,  die  äußere  Untersuchung  wird  durch  die 
so  klaren  Leopoldschen  Zeichnungen  veran- 
schaulicht, ohne  daß  die  Forderung  des  sächsi- 
schen Lehrbuches,  die  innere  Untersuchung  auf 
ganz  bestimmte  Fälle  zu  beschränken,  in  denen 
alsdann  ärztliche  Hilfe  zu  Rat  zu  ziehen  ist, 
durchgeführt  wird.  Im  allgemeinen  zeigt  das 
neue  Lehrbuch  namentlich  durch  die  ausführ- 
liche Schilderung  von  Wundkrankheit  und  Wund- 
schutz einen  weiteren  Fortschritt  im  Kampfe 
gegen  das  Wochenbettfieber.  Möge  es  dieses 
Ziel  erreichen  helfen,  möge  es  der  erste  Schritt 
für  die  notwendige  Hebammenreform  sein,  welche 
aber  nur  möglich  wird,  wenn  bei  den  erhöhten 
Pflichten  auch  eine  Besserung  der  sozialen  Lage 
der  Hebammen  erfolgt.  Falk. 

Medizinische  Volksbücherei.  Laienverständliche 
Abhandlungen,  herausgegeben  von  Oberarzt 
Dr.  Kurt  W  i  1 1  h  a  ü  e  r ,  Halle  a.  S.  Heft  1. 
Allgemeines  über  den  Krebs.  Von  Dr. 
Heinrich  Mohr. 

In  einem  Vorwort  sagt  Witt  hau  er,  was 
die  medizinische  Volksbücherei  bezweckt.  Sie 
soll  aufklärend  und  belehrend  wirken,  die  Leser 


sollen  lernen,  wann  sie  die  Hilfe  eines  Arztes  in 
Anspruch  nehmen  sollen;  sie  sollen  dauernd 
wieder  das  Vertrauen  zum  Ärztestand  gewinnen, 
das  ihnen  wenigstens  teilweise  durch  das  Treiben 
der  Kurpfuscher  verloren  gegangen  war.  Es  ist 
kein  Zweifel,  daß  die  Bestrebung,  durch  eine 
solche  medizinische  Volksbücherei  belehrend  auf 
das  Volk  zu  wirken  und  damit  dem  Kurpfuscher- 
wesen entgegenzutreten,  eine  sehr  dankenswerte 
ist,  und  daß  man  den  Wunsch  haben  muß,  daß 
ein  solches  Unternehmen  Erfolg  haben  möge. 
Abgesehen  von  anderen  Dingen,  gehört  hierzu, 
daß  die  Mitarbeiter,  die  Verfasser  der  Artikel, 
es  verstehen,  gemeinverständlich  und  klar  zu 
schreiben,  daß  sie  nicht  nur  wissenschaftliche, 
sondern  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
schriftstellerische  Fähigkeit  besitzen.  —  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet,  muß  das 
1.  Heft  als  ein  wohl  gelungenes  betrachtet  werden. 
Es  ist  Mohr  entschieden  geglückt,  in  klarer 
Weise  die  Entstehung,  den  Verlauf  und  die  Be- 
handlung der  Krebskrankheit  zu  schildern.  Seine 
eindringliche  Schilderung  der  Gefahren,  welche 
die  Vernachlässigung  und  die  kurpfuscherische 
Behandlung  der  Krankheit  für  den  betreffenden 
Menschen  nach  sich  zieht,  wird  ebenso  wie  der 
Hinweis  auf  eine  aussichtsvolle,  sachgemäße,  vom 
Arzte  vorgenommene  Behandlung  nicht  verfehlen, 
auf  den  Laien  großen  Eindruck  zu  machen. 

Mögen  die  folgenden  Abhandlungen,  von 
denen  bereits  6  erschienen  sind,  in  gleicher 
Weise  dem  guten  Zweck  der  Hefte  gerecht 
werden.  Westenhoeffer. 


Praktische  If  otlsem 
und 
empfehlenswerte  Araneifoi 


ieln. 


Ober  Prof.  Schleich*  kosmetischen  Hautcreme« 
Von  Dr.  W.  Zeuner  in  Berlin  (Original- 
mitteilung). 

An  guten  kosmetischen  Präparaten  ist  kein 
Überfluß  und  darum  wird  wohl  vielen  Ärzten 
ein  Hinweis  auf  obigen  Hautcreme  willkommen 
sein.  Er  besteht  hauptsächlich  aus  Wachspaste, 
die  beliebig  viel  Wasser  und  Fett  aufzunehmen 
im  stände  ist  und  der  etwas  Zinkoxyd  zugesetzt 
ist.  Liebreich  erkannte,  daß  einer  der  wich- 
tigsten Körper  unsrer  Hautabsonderung  das 
Wachs  darstellt,  dieses  ist  ein  Träger  der  Ge- 
schmeidigkeit und  befördert  die  Haarbildung. 
Hierauf  fußend  erfand  Schleich  als  erster  ein 
Verfahren,  reines  Bienenwachs  mit  Wasser  zu 
mischen.  Vom  Wachs  weiß  man,  daß  dasselbe 
zu  den  Epidermis  bildenden  Mitteln  gehört  und 
auf  die  Haut  einen  sehr  wohltätigen  Einfluß 
ausübt.  Die  Wachspaste  dient  daher  zur  Aus- 
heilung kleinster  Wunden,  Schrunden  and 
Hautrisse. 

Da  obiger  Hautcreme  einen  sehr  hohen  Ge- 
halt an  Wachs  besitzt,  so  eignet  er  sich  vor- 
züglich zur  Hautpflege  nicht  nur  bei  Ärzten 
nach  Desinfektion  und  chirurgischer  Beschäfti- 
gung, um  Sprodigkeiten  und  die  äußerst  lästigen 


XIX.  Jahrgang.! 
Mlrs  i»«iÄ.     J 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


163 


Ekzeme  der  H&nde  und  Arme  zu  verhüten, 
sondern  aoch  bei  jedermann,  der  infolge  häufigen 
Waschens  in  der  kalten  Jahreszeit  an  aufgesprun- 
genen Händen  leidet.  Mancher  Gynäkologe, 
Anatom  oder  Chirurg  mit  strapazierter,  reizbarer 
Haut  bedarf  eines  solchen  Mittels,  um  ungestört 
seinem  Berufe  obliegen  zu  können. 

Aach  bei  Rauhigkeiten  der  Gesichtshaut 
hat  sich  mir  Schleiche  Hautcreme  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Fallen  bei  Damen  bewährt, 
die  nach  kraftiger  Abseifung  mittels  Seifenspiritus 
an  Stelle  des  bisher  gewohnten,  die  Poren  ver- 
stopfenden Puderna  den  rosig  gefärbten  Creme 
gern  benutzten  und  dadurch  bald  eine  schönere 
Haut  erzielten.  Ein  besonderer  Vorzug  ist  es, 
daß  dieser  Hautcreme  nicht  unangenehm  fettet 
und  doch  der  Haut  einen  schönen  Glanz  ver- 
leiht. Er  ist  im  Gebrauch  sehr  sparsam,  die 
Haut  bleibt  darnach,  wenn  er  verrieben  ist, 
reizlos. 

Bei  Kindern  verhütet  seine  fortgesetzte  An- 
wendung die  Entstehung  der  intertriginösen 
Ekzeme.  Bei  Frauen  empfiehlt  er  sich  als 
Lippenpomade,  sowie  bei  Rhagaden  der  Brust 
und  bei  Wundsein  der  Vulva,  wobei  er  das 
Jucken  und  Brennen  beseitigt.  Er  hat  sich  mir 
bei  weitem  besser  bewährt  als  die  meisten  anderen 
Cosmetica  und  ist  überall  da  indiziert,  wo  sonst 
die  verschiedenen  Fette,  wie  Vaselin,  Coldcream, 
Byrolin,  Lippenpomaden  u.  s.  w.  gebraucht 
worden. 

Schleich 8  Hautcreme  ist  in  Tuben  ä  50  Pf. 
und  1  M.  zu  haben  und  wird  hergestellt  vom 
Hofapotheker  Dr.  Laboschin,  Berlin,  Friedrich- 
straße 19. 

Zor  Intravenösen  Hetolinjektion.  g* 

Gegenüber  Esch1)  will  ich  nur  bemerken, 
daß  nach  Krause  (Berl.  kl.  Wochenschr.  XXXIX, 
42,  1902)  die  durch  das  Hetol  verursachte 
Leukozytose  nur  bei  intravenösen  Injektionen 
in  erheblichem  Grade  auftritt,  weil  nach  Baum- 
garten die  Leukozyten  aus  den  in  der  nächsten 
Umgebung  des  Tuberkels  befindlichen  Blut- 
gefäßen stammen.  Esch  nennt  die  subkutane 
Injektion  einfach  und  ungefährlich  und  meint, 
daß  wohl  kaum  ein  Arzt  die  intravenöse  In- 
jektion technisch  für  besonders  schwierig  halte, 
dagegen  scheine  sie  vielen  Ärzten  gewisse 
Gefahren  zu  besitzen.  Das  ist  es  ja  eben,  was 
ich  bestreite.  Die  intravenöse  Injektion  ist  ganz 
ungefährlich,  wie  außer  mir  eine  ganze  große 
Reihe  von  Autoren  bezeugen.  Ich  habe  nirgend 
eine  Äußerung  Katzensteins  entdecken  können, 
daß  die  Schmerzhaftigkeit  des  subkutanen  Ver- 
fahrens vermeidbar  sei,  Katzenstein  behauptet 
vielmehr  und  immerhin  mit  einer  gewissen  Ein- 
schränkung, daß  die  Patienten  von  der  intra- 
muskulären Injektion  im  allgemeinen  keine 
schmerzhaften  Empfindungen  haben.  Ein  hie 
und  da  entstehender  geringfügiger  Schmerz  gehe 
in  wenigen  Minuten  zurück,  —  ist  aber  nach 
meinen  Erfahrungen  geeignet,  dem  Patienten 
das  Wiederkommen    zu    verleiden.     Im   übrigen 


»)  Therap.  Monatshefte  1905,  Heft  2,  S.  110. 


möchte   ich  Esch   auf  eine  in  dieser  Zeitschrift 
demnächst    erscheinende    Arbeit    über  Collargol 
hinweisen.     Er    findet    in    derselben,    was  über 
intravenöse  Injektionen  noch  zu  sagen  wäre. 
Weißmann  (Lindenfels). 

Pur  da«  beste  Mittel  gegen  Schlingschmerzen  bei 
Kehlkopftuberkulose 

hält  Prof.  Nikitin  (St.  Petersb.  med.  Wochenschr., 
45,  1904)  die  Pulverisation  von  Kokain  mit 
Morphin  und   Glyzerin 

Cocaini  muriat. 
Morphini  muriat.  aa     0,25 
Glycerini  4,0 

Aq.  destill.  160,0 

und  die  Einspritzung  1/i  proz.  Nirvaninlösung 
mit  nachfolgender  Einblasung  von  Orthoform, 
oder  noch  besser  von  Dijodoform.  Nach  dieser 
Manipulation  hört  der  Schlingschmerz  bei  den 
tuberkulösen  Kranken  mitunter  für  12  bis 
24  Stunden  auf. 

Bei  Hordeolum 

empfiehlt  Michail owsky  (Russ.  med.  Rundschau, 
4,  1904)  folgende  Verordnungs weise: 
Rp.    Olei  Eukalypti  global,  rectif.    4,0 
Lanolini  puriss.  Liebreich 
Vaselini  flavi  m  7,5 

M.  f.  ungt.  D.  S.  mehrere  Male  das  Gersten- 
korn damit  einzureiben. 

Ulcus  crurto 

hat  Dr.  Cebe  (Allg.  med.  Centr.-Ztg.,  3,  1905) 
mittels  Xeroform  wiederholt  zur  Heilung  ge- 
bracht. Bei  einer  83jährigen  Frau,  die  mit 
verschiedenen  Mitteln  erfolglos  behandelt  worden 
war,  wurde  das  Fußgeschwür  täglich  mit  Sublimat- 
lösung ausgewaschen  und  mit  Xeroform  ziemlich 
dick  bestreut.  Vollständige  Heilung  des  sehr 
tiefen  Geschwürs,  das  einen  Durchmesser  von 
7  cm  hatte,  trat  bereits  nach  10  Tagen  ein. 
Bei  einem  alten  Manne  heilte  ein  ebenso  be- 
handeltes Ulcus  cruris  schon  in  8  Tagen. 

Pur  die   Behandlung  schwerer    veralteter  Fuß- 
geschwüre 

hat  Petretto  in  der  med.  Abteilung  des  Kranken- 
hauses der  barmherzigen  Brüder  in  Graz  (Münch. 
med.  Wochenschr.  52, 1904)  sich  der  nachstehenden 
Salbe  mit  bestem  Erfolge  bedient: 

Rp.    Argenti  nitrici  0,3 

Baisami  peruviani      6,0 
üngt.  simpl.  90,0 

M.  f.  üngt. 
Dieselbe    wird,    in   Ausdehnung    des    Fuß- 
geschwürs  auf  Gaze   oder  Leinwand    gestrichen, 
aufgelegt. 

Selbstleuchtender  Zungentpatel.  Von  Dr.  A  x m an  n , 

Erfurt. 

Die  Glasfabrik  von  Fr.  R.  Kirchner  Erfurt- 
Ilversgehofen  hat  einen  nach  Ansicht  von 
Dr.  A  x  m  a  n  n  -  Erfurt  (Deutsche  med.  Wochen- 
schrift,    1904,     No.    25)     praktischen     selbst- 


164 


Praktisch«  Notisan  und  •mpfehl*nswt>rte  Arzneiformeln. 


fTherapentüchs 
L  Monatshefts. 


leuchtenden  Zungenspatel  angefertigt.  Es  ist 
dies  ein  aus  Milchglas  mit  entsprechender 
Biegung  hergestelltes  Instrumont,  an  der  Spitze 
mit  einem  durchsichtigem  Glasfenster  versehen, 
in  die  Höhlung  kann  eine  kleine  Glühlampe 
gesteckt  werden.  Der  ganze  Apparat  mit 
Element  wiegt  500  g.  Ob  er  sich  wirklich  so 
hervorragend  für  die  Praxis  eignen  wird,  mag 
die  Erfahrung  lehren. 

Nitropropioltabletten  »Je  Reagens  auf  Zucker  im 
Harn. 

In  diesen  Heften:  war  in  der  M&rznummer 
1902,  S.  168  darauf  hingewiesen,  daß  sich  mit 
Hilfe  der  Nitropropioltabletten  auf  bequeme  Weise 
Harnzucker  nachweisen  läßt.  Wie  nun  Am  rein 
(Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Ärzte  No.  2, 
1905)  zeigt,  kann  diese  Probe,  wenn  sie  ohne 
gewisse  Kautelen  angestellt  wird,  leicht  zu  Irr- 
tumern Veranlassung  geben. 

Die  Reaktion  beruht  darauf,  daß  die  Ortho- 
nitrophenylpropiolsäure  bei  Gegenwart  von 
kohlensaurem  Natrium  in  der  Wärme  durch 
Traubenzucker  unter  Bildung  von  Kohlensäure 
in  Indigo  übergeführt  wird: 
2C6H4(NOs)C  =  C-C00H-+-4H  = 

CI6H10N202  +  2CO,  H-  2H,0. 

Diese  Indigobildung  tritt  auch  in  vielen 
Fällen  dann  ein,  wenn  alle  anderen  Harnproben 
die  Abwesenheit  von  Traubenzucker  erwiesen 
haben.  Welche  Körper  diese  Indigoreaktion 
geben',  konnte  bisher  nicht  ermittelt  werden, 
es  gelingt  aber,  sie  zu  entfernen,  wenn  man  den 
zu  prüfenden  Harn  mit  Bleiessig  schüttelt. 

Um  zu  ein  wandsfreien  Resultaten  zu  ge- 
langen, ist  daher  die  Probe  in  folgender  Weise 
anzustellen:  Etwa  5  ccm  Harn  werden  mit  5 
bis  6  Tropfen  gewöhnlicher  Bleiessiglösung  ver- 
setzt, kalt  geschüttelt  und  durch  gutes  Filtrier- 
papier filtriert.  Von  diesem  Fi  1  trat  werden 
10  Tropfen  zu  10  ccm  Wasser,  in  dem  eine 
Nitropropioltablette  gelöst  ist,  hinzugesetzt  und 
die  Mischung  nun  erhitzt.  Das  Kochen  ist 
längere  Zeit,  5  bis  6  Minuten,  zu  unterhalten, 
da  die  Blaufärbung  oft  erst  spät  auftritt. 

Die  Empfindlichkeit  der  Probe  kommt  der 
Nyl  and  ersehen  Wismutprobe  gleich,  es  lassen 
sich  mit  Sicherheit  noch  0,05  Proz.  Trauben- 
zucker nachweisen. 

Der  aa.  Kongreß  für  innere  Medizin 
findet  vom  12.  — 15.  April  1905  zu  Wiesbaden 
statt  unter  dem  Vorsitze  des  Herrn  Geheimrat 
Erb  (Heidelberg).  Als  Verhandlungsthema  des 
ersten  Sitzungstages  ist  bestimmt:  Über  Ver- 
erbung. 1.  Referat:  Über  den  derzeitigen  Stand 
der  Vererbungslehre  in  der  Biologie:  Herr 
H.  E.  Ziegler  (Jena),  2.  Referat:  Über  die  Be- 
deutung der  Vererbung  und  der  Disposition  in 
der  Pathologie  mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Tuberkulose:  Herr  Martius  (Rostock).  Vor- 
träge haben  angemeldet:  Herr  A.  Hoff  mann 
(Düsseldorf):  Über  Behandlung  der  Leukämie 
mit  Röntgenstrahlen;   Herr  Paul  Krause  (Bres- 


lau): Über  Röntgenstrahlenbehandlung  der  Leu- 
kämie und  Pseudoleukämie;  Herr  Schütz  (Wies- 
baden): Untersuchungen  über  die  Schleimsekretion 
des  Darmes;  Herr  M.  Matthes  (Jena):  Über 
Autolyse;  Herr  Glemm  (Darmstadt):  Über  die 
Bedeutung  der  Heftpflasterstützverbände  für  die 
Behandlung  der  Bauchorgane;  Herr  Siegfried 
Kaminer  und  Herr  Ernst  Meyer  (Berlin): 
Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Bedeu- 
tung des  Applikationsortes  für  die  Reaktionshöhe 
bei  diagnostischen  Tuberkulininjektionen;  Herr 
A.  Bickel  (Berlin):  Experimentelle  Unter- 
suchungen über  den  Einfluß  von  Kochsalzthermen 
auf  die  Magensaftsekretion;  Herr  August  La- 
queur  (Berlin):  Mitteilungen  zur  Behandlung 
von  Herzkrankheiten  mit  Wechselstrombädern; 
Herr  Aufrecht  (Magdeburg):  Erfolgreiche  An« 
Wendung  des  Tuberkulin  bei  sonst  fast  aus- 
sichtslos kranken  fiebernden  Phthisikern ;  Herr 
Hornberger  (Frankfurt  a.  M.):  Die  Mechanik 
des  Kreislaufes;  Herr  Rumpf  (Bonn):  Über 
chemische  Befunde  im  Blute  und  in  den  Organen 
bei  Nephritis;  Herr  L.  Gürisch  (ParchwiU): 
Die  tonsülare  Radikaltherapie  des  Gelenkrheuma- 
tismus (mit  Demonstrationen) ;  Herr  Rothschild 
(Soden  a.T.):  Der  angeborene  Thorax  paralyticus; 
Herr  O.  Hesel  (Wiesbaden):  1.  Beitrag  zu  den 
Frühsymptomen  der  Tabes  dorsalis;  2.  Über 
eine  gelungene  Nervenpfropfung,  ausgeführt  zur 
Heilung  einer  alten  stationär  gebliebenen  Läh- 
mung einiger  Muskeln  aus  dem  Gebiete  des  N.- 
peroneus;  Herr  Bernh.  Fischer  (Bonn):  Ober 
Arterienerkrankungen  nach  Adrenalininjektionen: 
Herr  Gerhardt  (Erlangen):  Beitrag  zur  Lehre 
von  der  Mechanik  der  Klappenfehler;  Herr 
Lüthje  (Tübingen):  Beitrag  zum  experimentellen 
Diabetes;  Herr  Kohnstamm  (Königstein  i.  T.): 
Die  zentrifugale  Strömung  im  sensiblen  Nerven; 
Herr  Goldman  (Brennburg -Sopron):  Neuere 
Beiträge  zur  Eisentherapie  bei  Chlorose  und 
Anämie;  Herr  Friedel  Pick  (Prag):  Über  In- 
fluenza; Herr  Turban  (Davos):  Demonstration 
und     Erläuterung     mikroskopischer     Präparate: 

1.  Tuberkelbazillen:  Kern-  und  Membranbildung; 

2.  Elastische  Fasern:  Fettorganisation  und  Doppel- 
färbung; 3.  Geheilte  Kaverne;  4.  Tuberkulose 
und  Karzinom. 

Mit  dem  Kongresse  ist  die  übliche  Aus- 
stellung von  Instrumenten,  Apparaten  und  Prä- 
paraten, soweit  sie  für  die  innere  Medizin  von 
Interesse  sind,  verbunden. 

Anmeldungen  von  Vorträgen  und  für  die 
Ausstellung  sind  zu  richten  an  Geheimrat  Dr. 
Emil  Pfeiffer,  Wiesbaden,    Parkstr.  13. 

Ärztliche  Studienreise  1905. 

Wie  wir  vernehmen,  wird  die  diesjährige 
ärztliche  Studienreise  am  13.  September  beginnen. 
Von  München  ausgehend  und  in  Meran,  dem  Ort 
der  diesjährigen  Naturforscher -Versammlung, 
endend,  sollen  folgende  Bade-  und  Kurorte  in 
die  Reise  einbezogen  werden :  Ischl,  ReichenhaJl, 
Berchtesgaden,  Gastein,  Gossensaß,  Levico,  Ron- 
cegno,  Riva,  Gardone,  Solo,  Arco,  Meran. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  JLLanggaard  in  Berlin  SW. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitats-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  tf. 


Therapeutische  Monatshefte. 


1905.    April. 


Originalabhandlungen. 


Über  die  Behandlung  der  Kehlkopf- 
tuberknlose  mit  Phenosalyl. 

Von 

M.  W.  Dempet, 

Chefarzt  de*  Jaltasehen  Sanatoriums, 
gegründet  xnm  Andenken  an  Kaiser  Alexander  III.1) 

Im  Jahre  1900  hat  S.  F.  v.  Stein  über 
seine  Beobachtungen  über  die  Wirkung  des 
Phenosalyls  bei  Kehlkopftuberkulose  berichtet 
und  sich  über  das  Mittel  sehr  günstig  aus- 
gesprochen. So  soll  die  schmerzhafte  Dys- 
phagie schon  nach  der  ersten  Applikation 
des  Phenosalyls  bedeutend  nachlassen  und 
nach  der  dritten  bezw.  vierten  Applikation 
vollständig  verschwinden.  Desgleichen  will 
v.  Stein  von  der  Anwendung  des  Pheno- 
salyls günstige  Resultate  bei  Infiltrationen, 
Geschwüren,  bei  Aphonie  etc.  gesehen  haben. 

Das  Phenosalyl,  welches  in  die  Praxis 
von  Dr.  Christmas  eingeführt  worden  ist, 
nimmt  seiner  bakteriziden  Kraft  nach,  trotz- 
dem es  weniger  giftig  ist,  nach  Sublimat  die 
zweite  Stelle  ein  (in  Bezug  auf  den  Staphylo- 
coccns).  Um  in  einer  Minute  Anthraxbazillen 
zu  toten,  ist  eine  3proz.,  zur  Abtötung  des 
Pneumobazillus  und  des  Bacillus  tuberculosis 
eine  4  proz.,  zur  Abtötung  der  Typhus-  und 
Diphtheriebazillen  eine  5  proz.  Phenosalyl- 
lÖ8ung  erforderlich. 

Um  das  Phenosalyl  auf  seine  Wirkung 
zu  prüfen,  habe  ich  es  in  der  Privatpraxis 
sowohl,  wie  auch  in  sämtlichen  mir  zugäng- 
lichen Anstalten  fast  ausschließlich  anzu- 
wenden begonnen8).  Nur  in  wenigen,  nicht 
mehr  als  in  zehn,  Fällen  habe  ich  andere 
Mittel  gebraucht.  Diese  Fälle  betrafen  Kranke 
mit    sehr   ausgedehnten   Kehlkopfaffektionen, 

*)  Autorisierte  Übersetzung  von  M.Lubowski- 
Berlin. 

*)  Verf.  hat  zunächst  ein  einheimisches,  von 
F errein- Moskau  bezogenes  Präparat,  dann  aber 
das  von  den  Höchster  Farbwerken  hergestellte 
Phenosalyl  verwendet.  Ob  die  beiden  Präparate 
identisch  sind,  hat  Verf.  anscheinend  nicht  mit 
Sicherheit  festzustellen  vermocht.  Jedenfalls  käme 
für  Deutschland  das  Höchster  Präparat  in  Betracht, 
welches  genau  nach  den  Vorschriften  von  Dr.  Chris  t- 
mas  hergestellt  wird  und  aus  Karbolsäure,  Salizyl- 
säure, Benzoesäure,  Zitronensäure,  Glyzerin  und 
ätherischen  ölen  zusammengesetzt  ist.  (Anmerk. 
des  Übersetzers.) 

Th  M.  1905. 


wo  eigentlich  schon  nichts  mehr  in  er- 
wünschtem Maße  half. 

Zunächst  verwendete  ich  das  Phenosalyl 
den  Vorschriften  v.  Steins  gemäß  in  3  bis 
5  proz.  Glyzerinlösungen  nach  vorangehender 
Kokainisierung  der  Schleimhaut  (Cocaini 
muriatici  0,5,  Antipyrini  0,5,  Acidi  car- 
bolici  0,1,  Aquae  destill atae  10,0),  dann  be- 
gann ich  ausschließlich  eine  3  proz.  wäßrige 
Lösung  anzuwenden,  und  zwar  aus  dem 
Grunde,  weil  vielen  Kranken  das  Einhüllungs- 
gefühl unangenehm  war,  welches  nach  der 
Applikation  der  Glyzerinlösung  zurückblieb 
und  nicht  selten  Brechreiz  verursachte;  des- 
gleichen nahm  ich  von  der  Anwendung  kon* 
zentrierterer  Lösungen  Abstand,  weil  die 
Applikation  solcher  Lösungen  schmerzhaft 
war.  Letzteres  gilt  übrigens  hauptsächlich 
für  konzentrierte  wäßrige  Lösungen,  während 
Glyzerinlösungen  von  gleicher  Konzentration 
etwas  milder  wirken.  Die  Bepinselungen 
wurden  2  —  3  mal  wöchentlich  ausgeführt; 
in  manchen  Fällen  mußten  dieselben  täglich 
stattfinden.  Waren  die  spontanen  Schmerzen 
gering,  so  war  eine  vorangehende  Kokaini- 
sierung der  Schleimhaut  nur  kurze  Zeit,  un- 
gefähr 3  —  4  mal,  erforderlich.  Dann  wirkte 
schon  das  Phenosalyl  selbst  in  genügendem 
Maße  schmerzstillend.  In  ernsteren  Fällen 
mußte  man  die  Schleimhaut  längere  Zeit  kokaini- 
sieren,  während  man  in  schweren  Fällen  ohne 
Kokain  überhaupt  nicht  auskommen  konnte. 

Aus  dem  mir  zur  Verfugung  stehenden 
Material  greife  ich  nur  diejenigen  Fälle  heraus, 
die  nicht  weniger  als  1  Monat  unter  meiner 
Beobachtung  gestanden  haben.  Nach  dieser 
Einschränkung  verteilt  sich  mein  Material 
folgendermaßen : 

1.  Ulcus  (excoriatio)  chordae  vocalis  verae   .  5 

2.  Ulcera  (excor.)  chordarum  v.  verarum  .     .  7 

3.  Ulcus  in  spatio  interarytaenoideo     ...  2 

4.  Ulcus  epiglottidis 2 

5.  Chorditis  unilateralis 7 

6.  Chorditis  bilateralis 7 

7.  Infiltratio  chordae  voc.  spuriae     ....  2 

8.  Infiltrationes  chordarum  v.  spuriarum   .     .  1 

9.  Infiltratio  in  spatio  interarytaenoideo    .     .  13 

10.  Infiltratio  cartilaginis  interar 1 

11.  Infiltrationes  cartilaginum  interar.    ...      2 

12.  Infiltratio  epig  lottidis  et  ligam  en t.  aryepiglot.      5 

54 
13 


166 


Dempel,  Behandlung  d«r  Kehlkopftub«rkulot«. 


r'harapeutiache 
Monatshefte. 


Bei  23  Patienten  waren  verschiedene 
Kombinationen  der  oben  erwähnten  Formen 
von  tuberkuloser  Kehlkopfaffektion  vorhanden, 
bei  den  übrigen  23  bestand  eine  diffuse 
Affektion  des  ganzen  Kehlkopfs. 

Die  von  mir  gewonnenen  Resultate  lassen 
sich  folgendermaßen  formulieren: 

Am  besten  zeigt  sich  die  Wirkung  des 
Phenosalyls  bei  seichten  Geschwüren  und 
Erosionen.  Die  Heilung  vollzieht  sich  bis- 
weilen frappierend  rasch:  nach  3  —  5  Pinse- 
lungen und  vollständig  unabhängig  vom  Grade 
der  Affektion  der  Lungen  und  vom  Allgemein- 
zustand. Tiefere  Geschwüre  erheischten  eine 
längere  Behandlungsdauer  (1  —  2  Monate)  und 
verheilten  häufig  überhaupt  nicht. 

Mäßige  Infiltrationen  machten  zwar  eine 
beharrliche  Phenosalylanwendung  erforderlich, 
boten  aber  nichtsdestoweniger  im  Sinne  einer 
Heilung  ziemlich  dankbare  Formen.  Bedeu- 
tende Infiltrationen  trotzten  meistenteils  der 
Behandlung  und  ließen  nur  in  gewissen  Fällen 
an  Umfang  etwas  nach.  Am  schwierigsten 
bildeten  sich  bedeutende  Infiltrationen  des 
Spatium  interarytaenoideum  und  Schwellungen 
der  Knorpel  zurück. 

In  denjenigen  Fällen,  in  denen  neben  In- 
filtrationen Geschwüre  vorhanden  waren,  war 
der  Ausgang  hauptsächlich  durch  die  Tiefe 
der  letzteren  bedingt:  je  tiefer  die  Geschwüre 
waren,  desto  aussichtsloser  war  die  Behand- 
lung, selbst  wenn  Kürettement  angewendet 
wurde. 

Heiserkeit  und  Aphonie  verschwanden, 
wenn  sie  durch  Erosionen  an  den  Rändern 
der  wahren  Stimmbänder  oder  durch  kleine 
Geschwüre  bedingt  waren,  bei  Verheilung  der 
letzteren  vollständig.  In  anderen  Fällen  trat 
Besserung  weit  seltener  ein. 

Was  den  Einfluß  des  Phenosalyls  auf  die 
Schmerzen  beim  Schlingakt  betrifft,  so  halte 
ich  denselben  immerhin  für  sehr  wohltuend, 
wenn  ich  auch  nicht  in  der  Lage  bin,  mich 
der  Ansicht  v.  Steins  voll  und  ganz  an- 
schließen zu  können.  Gewiß  kommt  in  diesen 
Fällen  auch  der  vorangehenden  Bepinselung 
mit  5proz.  Kokainlosung  eine  wesentliche  Be- 
deutung zu;  man  muß  aber  anerkennen,  daß 
die  Kokainwirkung  bei  der  Anwendung  des 
Phenosalyls  gesteigert  wird  und  anhaltender 
ist,  als  in  denjenigen  Fällen,  in  denen  das 
Phenosalyl  nicht  angewendet  wird. 

Alles  in  allem  glaube  ich  sagen  zu  können, 
daß  wir  im  Phenosalyl  ein  ziemlich  gutes 
Mittel  zur  Behandlung  der  Kehlkopf  tuber- 
kulöse haben,  welches  jedenfalls  nicht  schlech- 
ter ist,  als  die  bis  jetzt  vorhandenen  Mittel. 
Die  Wirkung  des  Phenosalyls  ist  auch  keines- 
wegs etwas  Unerwartetes,  wenn  man  in  Be- 
tracht zieht,    daß  dasselbe  aus  Ingredienzen 


besteht,  weiche,  wie  Karbolsäure,  Milchsäure 
und  Menthol,  sich  in  der  gegebenen  Richtung 
am  meisten  bewährt  haben.  Zu  den  Vor- 
zügen des  Phenosalyls  rechne  ich  die  voll- 
ständige Schmerzlosigkeit  der  Applikation 
von  Lösungen  der  angegebenen  Konzentration, 
die  Steigerung  der  Wirkung  des  Kokains  und 
die  Billigkeit  des  Mittels ;  es  sind  dies  alles 
Momente,  die  meiner  Meinung  nach  von  nicht 
geringer  Bedeutung  sind. 

Im  nachstehenden  zähle  ich  die  Fälle 
auf,  in  denen,  wie  mir  scheint,  eine  voll- 
vollständige Heilung  der  Kehlkopftuberkulose 
erzielt  worden  ist. 

Ohne  die  Frage  von  dem  unmittelbaren 
Einfluß  des  Phenosalyls  auf  die  erzielte  Hei- 
lung a  priori  zu  lösen  und  die  gewaltige  Be- 
deutung der  Steigerung  der  Lebensenergie  des 
Organismus,  welche  unter  dem  Einflüsse 
unseres  Klimas,  sowie  des  hygienisch-diäte- 
tischen Regimes  Platz  greift,  durchaus  an- 
erkennend, glaube  ich  doch  darauf  hinweisen 
zu  müssen,  daß  ich  nicht  nur  Fälle  von  be- 
deutender Besserung,  sondern  auch  solche 
von  vollständiger  Genesung  von  Kehlkopf- 
tuberkulose zu  einer  Zeit  erzielt  habe,  zu 
der  der  Allgemeinzustand  des  Organismus 
sich  immer  mehr  und  mehr  verschlimmerte 
und  der  Kranke  dem  sicheren  Tode  entgegen- 
ging. In  solchen  Fällen  kann  man,  meine 
ich,  mit  sehr  großer  Wahrscheinlichkeit  die 
erzielte  Heilung  auf  das  betreffende  Mittel 
zurückfuhren,  wenn  auch  andererseits  allge- 
mein bekannt  ist,  daß  die  Ausheilung  eines 
bestimmten  tuberkulösen  Herdes  Hand  in  Hand 
mit  der  Ausbreitung  des  tuberkulösen  Pro- 
zesses in  der  nächsten  Nachbarschaft  gehen 
kann,  und  daß  der  Allgemeinzustand,  sowie 
die  Vitalität  sowohl  von  der  Bedeutung  des 
erkrankten  Organs  und  dem  Grade  der  Affek- 
tion desselben,  wie  auch  von  der  Vergiftung 
des   ganzen  Körpers  mit  Toxinen   abhängen. 

1.  Fall.  Friseur  S.,  Lungentuberkulose  zweiten 
Grades.  Krank  seit  2  Jahren.  Temperatur  steigt 
täglich  bis  37,5— 38,5.  Erkrankung  des  Halses  seit 
14  Tagen :  Heiserkeit,  zeitweise  Aphonie  und  leichter 
Schmerz  beim  Schlucken.  Infiltration  beider  falschen 
Stimmbänder,  besonders  des  rechten,  und  mäßige 
Schwellung,  sowie  Rötung  der  beiden  wahren  Stimm- 
bänder. Am  Rande  des  linken  wahren  Stimmbandes 
befindet  sich  ein  oberflächliches  Geschwür,  welches 
ca.  %  der  Länge  des  Bandes  einnimmt.  Die  Pinse- 
lungen mit  Phenosalyl  wurden  täglich  2  Vi  Monate 
lang  angewendet.  Nach  1  Monat  wurde  die  Stimme 
reiner;  die  Schmerzhaftigkeit  beim  Schlucken  blieb 
etwas  länger  bestehen.  Gegen  Ende  der  Behand- 
lang zeigte  der  Kehlkopf  normales  Aussehen.  Der 
Prozeß  in  den  Lungen  schreitet  fort,  der  Patient 
fühlt  sich  aber  bedeutend  wohler  und  ist  arbeits- 
fähig. Temperatursteigerungen  finden  selten  statt 
Der  Patient  befand  sich  unter  meiner  Beobachtung 
mehr  als  2  V,  Jahr. 

Derselbe  Patient  klagte  über  häufige  Hämoptoe. 
Letztere  geht  rasch  vorüber  und  hat  auf  den  All- 


XIX.  Jabrgang.l 
April  1905.    J 


D«mpel,  Behandlung  dar  Kehlkopftuberkulose. 


167 


gemeinzustand  nur  geringen  Einfluß,  abgesehen 
natürlich  davon,  daß  sich  bei  dem  Patienten  dabei 
Depression  und  Todesangst  einstellt.  Wegen  dieser 
Blutungen  wurde  der  Patient  häufig  ins  Bett  ge- 
schickt und  der  üblichen  Behandlung  nebst  ent- 
sprechender Di&t  unterworfen.  Bei  der  Unter- 
suchung des  Nasenrachenraumes  fand  ich  bedeu- 
tende adenoide  Wucherungen,  die  bei  Berührung 
leicht  bluteten.  Als  letztere  entfernt  wurden,  kam 
die  Hämoptoe  nicht  mehr  wieder,  woraus  man 
schließen  kann,  daß  eben  die  Adenoiden  die  Ur- 
sache der  Hämoptoe  waren. 

2.  Fall.  Eisenbahnbeamter.  Lungentuberkulose 
zweiten  Grades,  krank  seit  2  Jahren,  klagt  über 
Heiserkeit,  die  vor  kurzem  aufgetreten  ist.  Mäßige 
Schwellung  und  ziemlich  starke  Rötung  beider 
wahren  Stimmbänder.  Erosionen  an  den  Processus 
vocales  der  Knorpel.  Phenosalyl.  8  Tage  lang 
tägliche  Pinselungen,  dann  3  Wochen  lang  solche 
einen  Tag  um  den  anderen.  Vollständige  Genesung. 
Der  Kehlkopf  zeigt  normales  Aussehen.  Beob- 
achtungsdauer 10  Monate. 

3.  Fall.  Heilgehülfin  G.  Lungentuberkulose 
zweiten  Grades.  Heiserkeit  seit  1  Monat.  Infil- 
tration des  linken  falschen  Stimmbandes  (das 
wahre  Stimmband  ist  fast  nicht  zu  sehen)  und 
leichte  Schwellung  des  Spatium  interarytaenoideum. 
Phenosalyl.  IV,  Monate  lang  Pinselungen  2 — 3  mal 
wöchentlich.  Die  Stimme  wurde  reiner,  Infiltra- 
tionen und  Schwellung  verschwanden  spurlos.  Der 
Prozeß  in  den  Lungen  besserte  sich  zunächst,  nahm 
aber  dann  etwas  zu.    Beobachtungsdauer  ca.  1  Jahr. 

4.  Fall.  Lehrerfrau.  Tuberkulose  ersten  Grades. 
Die  Patientin  klagt  über  Druckgefühl  im  Halse  und 
belegte  Stimme.  Infiltration  des  rechten  falschen 
Stimmbandes  (das  wahre  Stimmband  ist  fast  nicht 
zu  sehen)  und  Unebenheit  des  Spatium  interary- 
taenoideum.  Phenosalyl -Pinselungen  einen  Monat 
lang  einen  Tag  um  den  anderen.  Die  Infiltration 
verschwand  fast  vollständig  und  blieb  am  vorderen 
Ende  des  wahren  Stimmbandes  kaum  ausgesprochen. 
Im  übrigen  zeigt  der  Kehlkopf  normales  Aussehen; 
die  Stimme  ist  reiner.  Beobachtungsdauer  2 1/2  Jahre. 

5.  Fall.  Musiklehrerin.  Lungentuberkulose 
dritten  Grades.  Die  Patientin  klagt,  daß  es  ihr 
schwer  fällt,  wenn  sie  zu  sprechen  anfängt,  und 
daß  ihre  Stimme  nicht  ganz  rein  ist.  Mäßige  In- 
filtration des  Spatium  interarytaenoideum.  Pheno- 
salylbehandlung  1  Monat  lang,  Pinselungen  2  mal 
wöchentlich.  Hierauf  wurden  letztere  zufallig  für 
die  Dauer  eines  Monats  ausgesetzt,  und  gegen 
Ende  dieses  Monats  stellte  sich  bei  der  Patientin 
Aphonie  ein.  Bei  der  Untersuchung  fand  man  ein 
seichtes  Geschwür  am  linken  Processus  vocalis. 
Wiederaufnahme  der  Pinselungen,  und  nach  einem 
Monat  hatte  der  Kehlkopf  wieder  normales  Aus- 
sehen. Die  Patientin  gewann  ihre  Stimme  wieder, 
was  für  sie  allerdings  der  einzige  Trost  war;  ihr 
Gesundheitszustand  verschlimmerte  sich  immer  mehr 
und  mehr,  und  nach  3  Monaten  erlag  sie  ihrem 
Leiden.  Die  Stimme  blieb  aber  bis  zum  Tode  rein, 
und  die  Patientin  hatte  von  seiten  des  Kehlkopfs 
keine  Beschwerden. 

6.  Fall.  Rechtsanwalt  Lungentuberkulose 
ersten  Grades.  Heiserkeit.  Der  Patient  wurde 
mir  mit  der  Diagnose  „Kehlkopftuberkulose u  zu- 
gewiesen. Die  Untersuchung  ergab  Schwellung 
und  ziemlich  hochgradige  Rötung  des  linken  wahren 
Stimmbandes.  Phenosalylbehandlung  11/*  Monate 
lang,  Pinselungen  einen  Tag  um  den  anderen.  Die 
Stimme  wurde  wieder  normal,  und  auch  das  Band 
bekam  sein  normales  Aussehen.  Beobachtungs- 
dauer 4  Monate. 


7.  Fall.  Student  des  orientalischen  Instituts 
zu  Wladiwostok.  Lungentuberkulose  dritten  Grades. 
Heisere  Stimme  und  dann  Aphonie,  welche  letztere 
sich  erst  in  Jalta  eingestellt  hat.  An  Heiserkeit 
litt  der  Patient  auch  früher,  jedoch  nicht  häufig 
und  nur  vorübergehend.  Die  Untersuchung  ergab 
Schwellung  und  Rötung  beider  wahren  Stimmbänder 
und  ziemlich  tiefe  Erosionen  an  deren  Rändern. 
Der  Patient  wurde  2  Monate  lang  mit  Phenosalyl- 
Pinselungen  behandelt.  Gegen  Ende  der  Behand- 
lung wurde  die  Stimme  reiner.  Gegenwärtig  zeigt 
der  Kehlkopf  vollständig  normales  Aussehen.  Beob- 
achtungsdauer 9  Monate. 

Der  8.  Fall  kann  augenscheinlich  als  Beispiel 
von  dauernder  Besserung  gelten.  Der  Patient, 
Mitglied  der  Hof  kapeile,  wurde  aus  Petersburg 
mit  der  Diagnose  „ Kehlkopftuberkulose u  nach  Jalta 
geschickt.    Lungen  gesund.    Der  Patient  klagt  über 

geringe  Heiserkeit  und  Schmerzhaftigkeit  beim 
chlucken.  Infiltration  der  Epiglottis  (0,8  cm  dick) 
und  Unebenheit  des  Spatium  interarytaenoideum 
mit  zirkumskripter  Rötung  der  Schleimhaut  des 
linken  Knorpels.  Der  Patient  wurde  1  Monat  lang 
mit  Phenosalylpinselungen  (einen  Tag  um  den 
anderen)  behandelt.  Das  Spatium  interarytaenoideum 
und  die  Schleimhaut  haben  normales  Aussehen 
bekommen;  dio  Stimme  wurde  rein.  Die  Schwellung 
der  Epiglottis  ließ  nach,  aber  unbedeutend.  Im 
folgenden  Monat  machte  ich  unter  Beibehaltung 
der  Pinselungen  Inzisionen.  Die  Epiglottis  wurde 
zweimal  so  dünn  wie  zuvor.  Hierauf  brach  ich  die 
Behandlung  ab  und  schlug  dem  Patienten  vor,  sich 
selbst  zu  pinseln,  zunächst  mit  Phenosalyl,  dann 
mit  20  proz.  Lösung  von  Menthol  in  ÖL  Der  Patient 
befindet  sich  1  Va  Jahre  unter  meiner  Beobachtung, 
und  ich  habe  bis  jetzt  eine  Veränderung  in  den 
Konturen  der  Epiglottis  nicht  wahrgenommen.  Der 
Patient  erfreut  sicTi  gegenwärtig  einer  vorzüglichen 
Gesundheit,  hat  keine  Beschwerden  und  sieht 
blühend  aus. 

Wohl  jeder  begreift  die  Schwere  der  Er- 
krankung an  Lungentuberkulose.  Es  ist  aber 
nicht  minder  bekannt,  daß  die  gleichzeitige 
Affektion  des  Kehlkopfes  mit  demselben  Pro- 
zeß die  Lage  des  Patienten  in  sehr  bedeu- 
tendem Grade  verschlimmert.  Wenn  man 
schon  nicht  selten  äußerst  kleinmütigem  und 
hoffnungslosem  Verhalten  der  Kranken  und 
deren  Angehörigen  bei  Erkrankungen  der 
Lungen  begegnet,  namentlich  wenn  sie  von 
dem  wahren  Charakter  der  Krankheit  zum . 
ersten  Mal  erfahren,  so  wird  diese  Erschei- 
nung in  Bezug  auf  die  Kehlkopftuberkulose 
auf  Schritt  und  Tritt  beobachtet.  Die  Pa- 
tienten sind  dermaßen  von  dem  traurigen 
Ausgang  der  Krankheit  überzeugt,  daß  der 
Arzt  ein  nicht  kleines  Quantum  an  Beharr- 
lichkeit und  Geduld  aufwenden  muß,  um  in 
den  Patienten  Hoffnungen  wachzurufen.  Die 
Furcht  vor  „Kehlkopf seh  windsucht"  und  vor 
dem  damit  verbundenen  „Hungertode"  ist 
sehr  groß,  und  man  muß  zugeben,  daß  die- 
selbe   auf  ziemlich   ernsten  Gründen   beruht. 

Die  Initialformen  der  Kehlkopftuberkulose 
verlaufen,  falls  sie  keine  Schmerzen  oder 
keine  besonders  auffallenden  Veränderungen 
der   Stimme,    wie    dies    auch    in   sehr  zahl- 

13* 


168 


Demp«l,  Behandlung  dar  Kehlkopftuberkuloie. 


rTher*p«titi«chA 
L  Monatahefte. 


reichen  Fällen  zu  sein  pflegt,  hervorrufen, 
latent.  So  kann  es  1,  2  und  noch  mehrere 
Jahre  gehen,  sodaß  man  sich  an  den  Spezial- 
arzt  nur  dann  wendet,  wenn  sich  der  Zu- 
stand des  Patienten  in  hohem  Grade  ver- 
schlimmert und  der  Prozeß  im  Kehlkopf 
eine  hochgradige  Exazerbation  aufweist.  Wenn 
nun  der  Spezialarzt  erklärt,  daß  der  Kehl- 
kopf seiner  Meinung  nach  schon  seit  längerer 
Zeit  erkrankt  sei,  staunen  der  Kranke  sowohl, 
wie  dessen  Angehörige  und  versichern  das 
Gegenteil.  Ich  bin  einem  solchen  Verhalten 
mehrere  Male  selbst  bei  durchaus  intelligenten 
Personen  begegnet,  und  auch  augenblicklich 
habe  ich  2  solche  Patienten  in  Behandlung. 
Bei  dem  einen  besteht  ein  Geschwür  der  Epi- 
glottis,  welches  fast  das  ganze  mittlere  Drittel 
derselben  bis  zur  Zungenwurzel  zerstört  hat, 
wobei  der  Patient  auch  nicht  die  geringste 
Ahnung  von  der  Existenz  des  Geschwürs 
hatte;  bei  dem  zweiten  wurde  die  geschwollene 
Epiglottis,  um  dem  Prozeß  Einhalt  zu  tun, 
exstirpiert,  wobei  der  Patient  gleichfalls  in 
hohem  Maße  überrascht  war,  als  er  von  der 
Erkrankung  seiner  Epiglottis  erfuhr.  In  dieser 
Tücke  des  Verlaufs  der  Krankheit  liegt  übri- 
gens die  Erklärung  für  die  Angst,  von  der 
ich  im  vorstehenden  gesprochen  habe.  Die 
Patienten  erfahren  von  der  Erkrankung  erst 
dann,  wenn  es  schon  wirklich  zu  spät  ist. 
Infolgedessen  hat  im.  Publikum  die  Ansicht 
Platz  gegriffen,  daß  Kehlkopftuberkulose  stets 
letal  verlaufen  müsse. 

Indem  ich  über  Fälle  von  Genesung  be- 
richtet habe,  bin  ich  natürlich  weit  davon 
entfernt,  den  günstigen  Einfluß  ausschließlich 
auf  das  Phenosalyl  zurückführen  zu  wollen, 
und  will  hauptsächlich  noch  einmal  bestätigen, 
daß  die  Kehlkopftuberkulose  heilbar  ist.  Ge- 
wiß weiß  man  es  auch  ohne  mich,  ebenso 
wie  das,  daß  in  manchen  Fällen  Heilung 
spontan  eintritt;  immerhin  meine  ich,  daß, 
je  mehr  günstige  Beobachtungen  veröffentlicht 
werden  würden,  desto  sicherer  der  Arzt  vor- 
gehen und  desto  fruchtbarer  seine  Arbeit  sein 
würde. 

Als  ich  meine  Fälle  von  geheilter  Kehl- 
kopftuberlose  sammelte,  war  ich  bestrebt, 
möglichst  vorsichtig  zu  Werke  zu  gehen,  und 
habe  nur  diejenigen  mitgeteilt,  die  für  mich 
außer  Zweifel  standen.  Wenn  man  diese  Fälle 
durchsieht,  kann  man  die  Wahrnehmung  machen, 
daß  unter  den  genesenen  Patienten  keine  vor- 
handen sind,  bei  denen  eine  Affektion  der 
Knorpel  bestanden  hätte.  Ich  meine,  daß 
diese  Erscheinung  keine  zufällige  ist  und 
als  Bestätigung  der  Ansicht  betrachtet  werden 
kann,  daß  die  Erkrankung  der  Knorpel  die 
Prognose  in  hohem  Grade  verschlimmert. 
In  meinem  Aufsatz  spreche  ich  ausschließ- 


lich von  Genesung  und  vermeide  absichtlich 
von  denjenigen  Fällen  zu  sprechen,  die  man 
als  mehr  oder  minder  bedeutende  Besserungen 
bezeichnen  könnte.  Ich  habe  so  gehandelt, 
weil  es  leichter  und  bedeutend  objektiver 
und  infolgedessen  der  Wahrheit  näher  ist, 
von  Genesung  zu  sprechen,  wenn  eine  Unter- 
suchung des  Kehlkopfes  normales  Aussehen 
desselben  zu  Tage  fördert  und  keine  irgend- 
wie ernste  Zweifel  darüber  aufkommen  läßt, 
als  wenn  man  über  relative  Genesung  oder 
Besserung  spricht.  Dem  letzteren  Modus 
haftet  stets  etwas  Subjektivität  an  und  macht 
meiner  Meinung  nach  behufs  Vermeidung  un- 
willkürlicher Irrtümer  eine  längere  Beobach- 
tung erforderlich. 


Aus  der  Kreislrrenanttalt  Erlanget». 
(Dir.:  MediKlMlrat  Dr.  Warichmldt.) 

Einige  Erfahrungen  mit  Neuronal. 

Von 
Dr.  Euler,  Assistenzarzt 

Die  günstigen  Resultate  mit  Neuronal, 
von  denen  E.  Schultze1)  auf  der  Versammlung 
des  Deutschen  Vereins  für  Psychiatrie  in 
Göttingen  zu  berichten  wußte,  haben  inzwischen 
zu  weiteren  Versuchen  mit  dem  neuesten 
Schlafmittel  geführt.  So  berichtet  Becker8) 
über  50  Fälle  von  Neuronalbehandlung  in  der 
Anstalt  Grafenberg,  bei  denen  sich  das  neue 
Hypnoticum  als  ein  recht  brauchbares  und 
durchaus  unschädliches  Schlafmittel  erwies. 
Ebenso  hat  es  Deiters3)  in  einer  Reihe  von 
Fällen  zum  Teil  längere  Zeit  hindurch  gegeben 
und  zwar  gleichfalls  mit  recht  befriedigendem 
Resultat.  Die  beiden  genannten  Autoren 
stimmen  ebenso  wie  Siebert*),  der  die  in 
der  Bonner  Heil-  und  Pflegeanstalt  gesam- 
melten ausgedehnten  Erfahrungen  mit  Neu- 
ronal publiziert  hat,  darin  überein,  daß  dem 
neuen  Mittel  keinerlei  schädliche  Neben* 
Wirkungen  anhaften;  auch  wurde  von  keinem 
Autor  eine  kumulierende  Wirkung  gesehen; 
die  Dosen  bewegten  sich  zwischen  0,5  und 
3,0  g;  die  Wirkung  setzte  meist  rasch  ein; 
ein  vollständiges  Ausbleiben  derselben  wurde 
selten  beobachtet. 

Ganz  so  befriedigend  waren  die  Er- 
fahrungen nicht,  die  in  der  hiesigen  Kreis- 
irrenanstalt mit  Neuronal  gemacht  wurden« 
Das   neue  Mittel  fand   seine  Anwendung  bei 


*)  Sv  Münchner  med.  Wochenschr.  1904,  No.  25» 
')  „Über  Versuche  mit  Neuronal."  Psychiatrisch- 
neurolog.  Wochenschr.  1904,  No.  18. 

3)  Referiert   Zentralblatt  für  Nervenheilkunde 
und  Psychiatrie  1904,  No.  174. 

4)  Über  die  hypnotische  Wirkung  des  Neuronais. 
Psychiatrisch-  neurolog.  Wochenschr.  1904,  No.  10. 


XIX.  Jahrgang."! 
April  1906.    J 


Euler,  Erfahrungen  mit  Neuronal. 


169 


ca.  40  Fällen  der  verschiedensten  Krankheits- 
formen und  wurde  bei  mehreren  Kranken 
teils  mit  kurzen  Unterbrechungen,  teils  täglich 
bis  zu  zwei  Wochen  gegeben.  Die  erstmalige 
Dosis  betrug,  falls  es  sich  nicht  um  stärkere 
Aufregungszustände  handelte,  fast  durchweg 
0,5.  Doch  war  es  nur  eine  verschwindend 
kleine  Zahl,  und  zwar  hauptsächlich  Frauen, 
bei  denen  die  genannte  Menge  zu  einem 
positiven  Ziel  führte,  sodaß  in  den  weitaus 
meisten  Fällen  auch  von  einfacher  Schlaf- 
losigkeit zu  einer  größeren  Dosis  gegriffen 
werden  mußte;  je  nach  dem  Grade  der  Auf- 
regung stieg  dann  die  Menge  bis  zu  3,0  als 
Einzel-  und  6,0  als  Tagesdosis.  Die  Form 
der  Darreichung  war  dieselbe,  wie  sie  auch 
von  andern  angegeben  wurde:  bei  einsichtigeren 
Kranken  in  Oblaten,  bei  weniger  einsichtigen 
und  erregteren  Kranken  in  Flüssigkeit  gelost. 
Die  letztere  Art  hat  jedoch  insofern  ihre 
Nachteile,  als  der  Geschmack  des  Neuronais 
vielfach  als  sehr  unangenehm  empfunden  wird 
und  das  Mittel  im  Wasser  sich  nur  schwer  löst. 

Die  Darreichung  von  mehr  als  2,0  Neu- 
ronal auf  einmal  kam  indessen  im  weiteren 
Verlaufe  der  Versuche  nur  mehr  selten  vor; 
denn  es  zeigte  sich  schon  nach  kurzer  Zeit,  daß 
fast  in  allen  Fällen,  in  denen  2  g  und  weniger 
von  Anfang  an  keine  Wirkung  zu  erzielen 
vermochten,  eine  weitere  Steigerung  nutzlos 
war,  da  solche  Patienten  auf  Neuronal  über- 
haupt nicht  reagierten  oder  zum  mindesten 
nicht  ruhiger  wurden.  Leider  erwies  sich 
nun  nach  unsern  Erfahrungen  die  Zahl  der 
gegen  Neuronal  intoleranten  Personen  wesent- 
lich größer,  als  dies  bei  andern  Mitteln  der 
Fall  ist,  eine  Beobachtung,  die  um  so  be- 
dauerlicher erschien,  als  in  den  weitaus  meisten 
Fällen,  in  denen  das  Mittel  seine  volle  Wir- 
kung entfalten  konnte,  das  Einsetzen  dieser 
Wirkung  eine  überraschend  schnelle  war. 
Und  darin  liegt  unzweifelhaft  ein  großer  Vor- 
zug des  Neuronais  vor  manchen  andern  Nar- 
coticis.     Hiefur  einige  Beispiele: 

Ein  Epileptiker,  der  psychische  Äquiva- 
lente in  Gestalt  von  hochgradigen  Angst- 
und Erregungszuständen  hatte,  während  deren 
er  sich  und  andern  gleich  gefährlich  war, 
erhielt  in  einem  solchen  Zustande  2  g  Neu- 
ronal. Während  sonst  der  Paroxysmus  selbst 
bei  Anwendung  größter  Dosen  andrer  Nar- 
cotica  eine  Stunde  und  länger  dauerte,  war 
er  diesmal  bereits  nach  einer  Viertelstunde 
abgeklungen  und  in  ruhigen  Schlaf  über- 
gegangen. In  der  Folge  wurden  dann  dem 
Patienten  2  g  Neuronal  gegeben,  sowie  sich 
die  ersten  Zeichen  eines  herannahenden  Sturmes 
bemerkbar  machten,  und  es  gelang  auch  wirk- 
lich eine  Zeit  lang,  den  Erregungszustand  zu 
kupieren. 


Mehrere  an  Dementia  praecox  leidende 
Patienten,  die  besonders  nachts  trotz  großer 
Dosen  von  Narcoticis  ständig  unruhig  waren, 
erhielten  teils  1,5,  teils  2,0  Neuronal.  Eine 
Viertelstunde  später  waren  sie  bereits  wesent- 
lich ruhiger  und  ungefähr  eine  halbe  Stunde 
später    lagen   sie   sämtlich   in   tiefem   Schlaf. 

Von  zwei  leicht  erregten  Paralytikern, 
die  beide  1,0  erhalten  hatten,  schlief  der  eine 
bereits  nach  10  Minuten,  der  andere  nach 
etwa  V4  Stunde. 

Ahnliche  Beispiele  ließen  sich  noch  mehr 
anführen.  Daß  indessen,  um  dies  gleich  hier 
zu  erwähnen,  gewiße  Erregungszustande  be- 
sonders günstig  von  Neuronal  beeinflußt 
wurden,  wie  solches  Becker  (s.  1.  c.)  z.  B. 
bei  Paralytischen  und  Imbezillen  gefunden 
hat,  fand  bei  unserm  Krankenmaterial  keine 
Bestätigung,  wenigstens  was  die  Paralytiker 
anlangt.  Bezüglich  der  Imbezillen  konnten 
mangels  geeigneter  Fälle  keine  weiteren  Ver- 
suche angestellt  werden.  Auch  die  Epilep- 
tiker, für  deren  Behandlung  man  sich  von 
dem  Neuronal  bei  seinem  hohen  Bromgehalt 
(41  Proz.)  besonders  günstige  Resultate  ver- 
sprechen könnte,  reagierten  nicht  anders  auf 
das  Mittel  wie  sonstige  Krankheitsformen 
sowohl  nach  der  hypnotischen  wie  nach  der 
sedativen  Seite.  Ein  im  Status  epilepticus 
befindlicher  Patient  z.  B.,  der  wegen  voll- 
ständiger Nahrungsverweigerung  mit  der  Sonde 
ernährt  werden  mußte,  erhielt  mehrere  Tage 
lang  jedesmal  in  der  Fütterung  1,5  Neuronal, 
ohne  daß  irgend  eine  Wirkung  sich  gezeigt 
hätte.  Zwei  andere  Epileptiker  mit  häufigen 
Anfällen  bekamen  täglich  4,5  Neuronal  eben- 
falls ohne  bemerkenswertes  Resultat,  zwei 
weitere  Fälle  dagegen,  sonst  ständig  erregt, 
waren  auf  Neuronal  meist  ruhig,  ohne  zu 
schlafen.  Eine  Verminderung  der  Zahl  der 
Anfälle  auf  Neuronal  wurde  bei  keinem  Epi- 
leptiker beobachtet. 

Der  durch  Neuronal  erzielte  Schlaf  dauerte 
durchschnittlich  5 — 6  Stunden,  in  einzelnen 
Fällen  auch  länger;  in  etwa  einem  Drittel 
der  Fälle  war  er  mehrfach  unterbrochen; 
doch  verhielten  sich  solche  Kranke  auch  wäh- 
rend der  schlaffreien  Pausen  ruhig.  Bemerkens- 
wert erschien,  daß  zur  Herbeiführung  solcher 
Wirkungen  bei  Frauen  wesentlich  geringere 
Dosen  nötig  waren  als  bei  Männern;  im  all- 
gemeinen genügten  hier  1,0  bis  höchstens 
1,5  g,  um  denselben  Effekt  zu  erzielen,  wie 
dies  bei  an  gleichen  Krankheiten  bezw.  Er- 
regungszuständen leidenden  Männern  2  g  taten. 

Eine  Gewöhnung  an  das  Mittel,  von 
Becker  in  vereinzelten  Fällen  konstatiert, 
wurde  bei  unsern  Kranken  recht  häufig  beob- 
achtet. Sie  äußerte  sich  teils  in  völligem 
Ausbleiben   der   Wirkung,    teils  in  kürzerem 


170 


Euler,  Erfahrungen  mit  Neuronal. 


[~  Therapeutische 
L   Monatshefte. 


Schlafe  oder  in  häufigeren  Unterbrechungen 
desselben.  Ein  Beispiel  für  das  vollige  Ver- 
sagen der  hypnotischen  Kraft  bei  längerem 
Gebrauche  ist  der  zuerst  erwähnte  Epileptiker. 
Nachdem  das  Mittel  6  Tage  lang  mit  gutem 
Erfolg  gegeben  worden  war,  versagte  es  am 
7.  vollkommen;  eine  Steigerung  der  Dosis 
von  2,0  auf  3,0  blieb  gleichfalls  ohne  Wir- 
kung. Es  wurde  nun  einige  Tage  ausgesetzt 
und  dann  von  neuem  gegeben,  diesmal  mit 
ganz  geringem  Erfolg. 

Ein  Maniacus  erhielt  abends  1,5.  Zwei 
Nächte   lang   schlief  er  darauf  sehr  gut;   am 

3.  Tage  war  er  die  ganze  Nacht  unruhig;  am 

4.  Tage  erhielt  er  abends  2,0  und  schlief 
darauf  3  Stunden;  am  5.  Tage  wieder  2,0, 
diesmal   ohne  jede  Wirkung. 

Ein  Paranoiker  erhielt  am  1.  Tage  1,0 
und  schlief  darauf  etwa  6  Stunden;  am 
2.  Tage  wieder  1,0:  kaum  2  Stunden  Schlaf; 
am  3.  Tage  1,5;  Resultat:  die  ganze  Nacht 
durch  geschlafen;  am  4.  Tage  wieder  1,5: 
Schlaf  schlecht,   mehrfach  unterbrochen;    am 

5.  Tage  2,0:  Schlaf  etwas  länger  und  ohne 
Unterbrechung;  in  den  folgenden  Tagen  blieb 
die  Wirkung  ganz  aus.  Es  wurde  nun  einige 
Zeit  abends  ein  anderes  Schlafmittel  gegeben 
und  dann  wieder  2,0  Neuronal  gereicht; 
Resultat:  ungefähr  4 stundiger  Schlaf.  Und 
dergleichen  Beispiele  mehr.  Im  ganzen  mußten 
von  40  Fällen  von  Neuronalbehandlung  12 
mit  mehr  weniger  rascher  Gewöhnung  ver- 
zeichnet werden.  Andrerseits  hat  eine  ganze 
Reihe  von  Kranken  bei  stets  gleichbleibender 
Dosis  während  der  ganzen  Behandlungszeit 
in  unveränderter  Weise  reagiert.  So  erhielten 
zwei  weibliche  Patienten,  von  denen  die  eine 
an  Melancholie,  die  andere  an  Paranoia  litt, 
allabendlich  16  Tage  lang  1,0  Neuronal  mit 
stets  befriedigendem  Erfolge.  Als  nach  dieser 
Zeit  das  Mittel  einmal  abends  ausgesetzt 
wurde,  waren  beide  während  der  ganzen 
Nacht  unruhig. 

Etwas  größer  als  dies  sonst  angegeben 
wird,  war  bei  dem  hiesigen  Krankenmaterial 
die  Zahl  von  unangenehmen  Nebenwirkungen 
bei  Neuronalbehandlung.  So  trat  relativ 
häufig  Erbrechen  ein  (bei  4  weiblichen  und 
1  männlichen  Patienten,  von  denen  eine 
Kranke  0,5,  die  übrigen  1,0  Neuronal  er- 
halten hatten);  über  allgemeines  Unwohlsein 
klagten  drei  andere;  mit  Durchfall  reagierten 
zwei  Patienten  (einmal  wurde  dies  auch  von 
Siebert  beobachtet).  Bei  einem  der  ge- 
nannten zwei  Patienten  war  es  besonders 
charakteristisch:  er  erhielt  an  einem  Abend 
1,0  Neuronal;  kurze  Zeit  darauf  trat  Durch- 
fall ein;  es  wurde  nun  mit  dem  Mittel  aus- 
gesetzt und  strenge  Diät  auch  dann  noch 
einige  Zeit  eingehalten,  als  die  Diarrhöe  nach 


einem  Tage  verschwunden  war.  Dann  er- 
hielt der  Patient  wieder  1,0  Neuronal  und 
wieder  trat  nach  kurzer  Zeit  Durchfall  ein. 
Unsicherer  taumelnder  Gang  wurde  in  4  Fällen 
beobachtet.  In  einem  dieser  Fälle  war  der 
betr.  Patient  nach  1,5  Neuronal  so  unsicher 
auf  den  Beinen,  daß  er  geführt  werden  mußte. 
Er  gab  an,  es  sei  ihm,  wie  wenn  er  einen 
rechten  Rausch  hätte. 

Gegen  Schmerzen  wurde  Neuronal  nur  in 
zwei  Fällen,  einmal  bei  einer  Geistesgesunden 
und  einmal  bei  einem  Geisteskranken,  ge- 
geben; beide  Male  blieb  jede  Wirkung  aus. 
Ähnliches  berichtet  auch  Becker,  der  gleich- 
falls zweimal  gegen  Schmerzen  Neuronal  gab 
und  in  beiden  Fällen  nur  kurzen  und  keines- 
wegs festen  Schlaf  herbeiführen  konnte. 

Eine  deutliche  kumulierende  Wirkung 
wurde,  um  diesen  Punkt  noch  zu  erwähnen, 
bei  unseren  Versuchen  in  keinem  Falle  kon- 
statiert. 

Um  zum  Schlüsse  die  in  der  hiesigen 
Kreisirrenanstalt  gesammelten  Erfahrungen 
mit  Neuronal  kurz  zusammenzufassen,  so  hat 
sich  bei  unseren  Versuchen  das  neue  Hyp- 
noticum  als  ein  Mittel  erwiesen,  mit  dem 
eine  ganze  Reihe  unverkennbarer  Erfolge  er- 
zielt wurde.  Die  letzteren  wurden  jedoch 
dadurch  stark  beeinträchtigt,  daß  viele  Pa- 
tienten auf  Neuronal  überhaupt  nicht  rea- 
gierten oder  sich  sehr  rasch  daran  gewöhnten, 
daß  ferner  eine  nicht  unerhebliche  Anzahl 
Kranker  unter  Nebenerscheinungen  zu  leiden 
hatte. 


Die  balneologisch-diätetische 
Behandlung  der  chronischen  Diarrhöe. 

Von 
Dr.  Edgar  Qans  in  Karlsbad. 

Je  weniger  die  chronische  Diarrhöe  durch 
die  Arzneimittel  im  engeren  Sinne  beeinflußt 
wird,  um  so  mehr  ist  diese  Erkrankung  Gegen- 
stand balneologisch- diätetischer  Behandlung 
geworden;  die  letztere  besteht  im  innerlichen 
Gebrauch  von  Mineralwässern,  in  äußerlicher 
Anwendung  von  Wärme  in  Form  von  Bädern, 
Duschen  und  Umschlägen,  Eingießungen  in 
den  After,  Regelung  der  Bewegung  und  der 
geistigen  Arbeit  und  vor  allem  in  einer  be- 
stimmten Diät. 

Im   alllgem einen   gelten   für   die  Diätetik 

der  chronischen  Diarrhoe  folgende  Prinzipien: 

I.    Erhaltung,  bezw.  Förderung  des  Kräfte- 

zustandes    durch   reichliche,    individuell 

angepaßte  Ernährung. 

II.    Bevorzugung 

a)    der    gut    assimilierbaren   Substanzen: 
Eiweißkörper,   Fett  —   in   Form   von 


XIX.  Jahrgang.  1 
April  1905.    J 


Gant,  Behandlung  dar  chronischen  Diarrhöe. 


171 


frischer  Butter,   —  Kohlehydrate  mit 
Ausnahme  von  Zucker; 

b)  derjenigen  Nahrungs-  und  Genußmittel, 
die  durch  ihren  Tanningehalt  adstrin- 
gierend  wirken:  Heidelbeerpräparate, 
Eichelkakao,  Eichelkaffee,  Rotwein; 

c)  derjenigen  Substanzen,  welche  die 
Fermentation  beschränken :  Saccharin. 

III.    Vermeidung 

a)  schwer  assimilierbarer  Substanzen: 
alle  Fette  mit  Ausnahme  von  frischer 
Butter,  also  Schmalz,  fette  Haut,  fette 
Saucen,  Paniertes,  Käse,  fette  Fische, 
Krustaceen,  fettes  Fleisch,  ferner  ge- 
räucherte Fische,  geräuchertes  Fleisch, 
Wurst,  sowie  fettsäurehaltige  Öle; 

b)  aller  die  Darmperistaltik  anregenden 
Ingesta:  Flüssigkeiten  mit  Ausnahme 
der  tanninhaltigen,  also  auch  gewöhn- 
liches, namentlich  aber  in  Eis  gekühltes 
Wasser;  Kochsalz  in  größeren  Mengen, 
salzige  Fische,  salziges  Fleisch;  Ge- 
würze, wie  Pfeffer,  Paprika,  Senf; 
also  grobe  Fasern,  Hülsen,  Schalen  etc., 
unpassierte  Gemüse,  Salate,  Gurken, 
Kümmel,  Grahambrot,  Schwarzbrot, 
Schwämme, Trüffeln ;  organische  Säuren, 
also  rohes  und  gekochtes  Obst  mit 
Ausnahme  von  Heidelbeerpräparaten, 
Gurken,  Essig;  endlich  alle  durch 
Gasentwicklung  ausgezeichneten  In- 
gesta, also  kohlensaure  Getränke, 
Kohlarten,  Sauerkraut,  Kaffee  und 
Zucker  in  jeder  Form,  sowie  Eier- 
dotter. Ganz  besonders  möge  hier 
die  Schädlichkeit  des  Zuckers  betont 
und  für  alle  jene  Fälle,  in  denen  ein 
Bedürfnis  nach  Süßstoff  vorliegt,  das 
Saccharin  als  Ersatz  empfohlen  werden. 
Wie  ich  schon  1889  (Berliner  klinische 
Wochenschrift  No.  13),  in  Bestätigung 
anderer  Versuche,  durch  ein  einfaches 
Experiment  bewiesen  habe,  besitzt 
das  Saccharin  die  beachtenswerte 
Eigenschaft,  die  Entwicklung  aroma- 
tischer Substanzen  im  Darmsaft  (Ska- 
tol,  Indol  etc.)  wesentlich  zu  behindern 
resp.  aufzuheben.  Schon  damals  habe 
ich  wiederholt  Gelegenheit  gehabt, 
den  günstigen  Einfluß  des  Saccharins 
auf  chronische  Diarrhöen  zu  beobachten. 
Seitdem  konnte  ich  in  wachsendem 
Maße  diese  günstigen  Resultate  immer 
wieder  bestätigen,  so  daß  ich  das 
Saccharin  nicht  nur  als  einen  unschäd- 
lichen Ersatz  für  die  schädlichen 
Zuckerarten,  sondern  als  ein  direktes 
Heilmittel   dringend   empfehlen  kann. 

Bei    der    großen  Mannigfaltigkeit,   welche 
die   einzelnen    Fälle    der    chronischen    Diar- 


rhöen nicht  nur  unter  sich,  sondern  auch 
in  ihren  häufig  wechselnden  Erscheinungen 
an  und  für  sich  zeigen,  muß  der  Arzt  oft 
täglich  mit  dem  Patienten  über  Menge,  Tempe- 
ratur und  zeitliche  Verteilung  des  zu  trinken- 
den Mineralwassers,  sowie  alle  äußerlichen 
Applikationen,  über  Aufstehen  und  Zubett- 
gehen, sowie  über  Qualität,  Quantität,  Be- 
zugsquelle und  Zubereitung  der  Nahrungs- 
mittel sprechen  —  zumal  es  zwischen  den 
zu  bevorzugenden  und  den  zu  vermeidenden 
Speisen  und  Getränken  eine  ganze  Reihe  gibt, 
wie  z.  B.  Milch  und  Sahne,  die  von  den  ver- 
schiedenen Kranken  ganz  verschieden  vertragen 
werden  —  und  so  lange  ändern,  bis  der 
Zweck  der  Kur,  d.  i.  Aufhören  der  Diarrhöe 
und  des  Schmerzes  bei  Erhaltung  eines  guten 
Allgemeinbefindens  erreicht  ist. 

Mit  der  durch  das  oben  Gesagte  gegebenen 
Einschränkung  fasse  ich  meine  bei  der  Be- 
handlung der  chronischen  Diarrhöe  gemachten 
Erfahrungen  in  folgendes  Schema  zusammen. 

7 — 8  Uhr  morgens:  Aufstehen,  200  g 
Karlsbader  Sprudel  mit  30  Minuten  Zwischen- 
pause auf  zweimal  bei  langsamer  Bewegung 
im  Freien  getrunken. 

8 — 10  Uhr  vormittags:  Frühstück  eine 
Stunde  nach  dem  Brunnentrinken,  bestehend 
aus  Dr.  Michaelis'  Eichelkakao,  in  Wasser 
oder  Milch  gekocht,  oder  russischer  Thee  mit 
Rotwein  (Bordeaux,  Cumarite,  Süddalmatiner 
etc.)  zu  gleichen  Teilen,  mit  Saccharin  ge- 
süßt, Zwieback  mit  frischer  Butter,  Prager 
Schinken  ohne  Fett,  ev.  gehackt. 

10 — 11  Uhr  vormittags:  Irrigation  mit 
!/i  Lit.  Karlsbader  Sprudel,  wenn  möglich, 
V2  Stunde  behalten. 

11  — 12  Uhr  mittags:  Bettruhe  mit  Moor- 
umschlag auf  dem  Abdomen,  so  heiß,  wie  er 
dem  Patienten  angenehm  ist. 

12 — 1  Uhr  nachmittags:  geistige  Arbeit, 
Briefe  schreiben,  Zeitung  lesen. 

1 — 2  Uhr  nachmittags :  Mittagessen :  Frische 
Austern,  ungesalzener  Kaviar.  —  Schleim- 
suppen (reine  Brühe  von  Geflügel,  Kalb 
oder  Rind),  wenig  Grünzeug,  möglichst 
wenig  Salz,  mit  Reis,  Gries,  Graupen, 
Sago,  Tapioka,  Perles  de  Japon,  Pate  de 
Genes ,  Hafermehl ,  Leguminosenpräparaten, 
Arrowroot  mäßig  dick  eingekocht  und  mit 
frischer  Butter  legiert  —  Hecht,  Zander, 
Schlei,  Forelle,  Kabeljau,  Seezunge,  Fogosch, 
in  Salzwasser  gekocht,  mit  frischer  Butter  — 
Kalbsmilch  —  Huhn,  Taube,  Kalb,  Hammel- 
kotelett. Reh,  Rebhuhn,  Fasan  (ohne  haut- 
goüt),  Beefsteak,  alles  sehr  weich,  eventuell 
faschiert,  ohne  Fett,  ohne  Haut,  ohne  Pa- 
nierung, ohne  Zwiebel,  mit  frischer  Butter 
gebraten  —  grüne  Erbsen,  Karotten,  Kastanien, 
Kartoffeln    in    Pureeform    —    Reis,   Nudeln, 


172 


H«cht,  Therapie  dtr  ChoUlithUaU. 


fTharapOTiHarh« 
L   Monatahgft«. 


Maccaroni    in   Bouillon   oder   frischer   Butter 

—  Pudding  aus  Reis,  Gries,  Tapioka,  ohne 
Eigelb,  ohne  Zucker,  mit  etwas  Eiweiß  und 
Mehl,  Saccharin  und  ev.  Heidelbeersaft  — 
Heidelbeergelee   mit    Saccharin  —   Zwieback 

—  Heidelbeerwein,  Rotwein,  Heidelbeerab- 
kochung. 

2 — 4  Uhr  nachmittags:  Bettruhe. 
4 — 6  Uhr    nachmittags:    Vesper:    Eichel- 
kakao oder  Thee  mit  Rotwein  (s.  o.),  Zwieback 

—  Spaziergang. 

6 — 7  Uhr  nachmittags:  200g  Sprudel,  8.  o. 

7 — 8  Uhr  abends:  Abendessen,  möglichst 
nur  1  —  2  Speisen  (s.  Mittagessen)  oder  kalter 
Aufschnitt,  bestehend  aus  fettlosem  Prager 
Schinken,  Kalbsbraten  oder  Huhn,  Zwieback, 
frischer  Butter,   Getränke  wie  mittags. 

8  — 10  Uhr  abends:  Zubettgehen  mit  einem 
Prießnitz Umschlag  auf  dem  Leib.  Ich  ziehe 
jene  Umschläge  vor,  die  nur  den  Bauch  be- 
decken. 

Eurdauer  4 — 6  Wochen. 

Bei  der  Kur  ist  jede  heftigere  Bewegung, 
längeres  Spazierenfahren  und  Sport  zu  ver- 
bieten, Tabakgenuß  möglichst  einzuschränken 
und  als  gewöhnliches  Getränk  außerhalb  der 
Mahlzeiten  Heidelbeerabkochung  oder  Heidel- 
beerwein  in   beliebiger   Menge    zu   gestatten. 

Während  die  in  den  letzten  zwei  Dezen- 
nien vielfach  geübte  Irrigation  mit  Karls- 
bader Wasser  nach  meinen  Erfahrungen  häufig 
nicht  den  gehegten  Erwartungen  entspricht, 
besitzen  wir  in  der  innerlichen  Darreichung 
des  Karlsbader  Sprudels  in  kleinen  Mengen 
ein  fast  ausnahmslos  wirksames  Mittel  gegen 
die  chronische  Diarrhöe,  eine  Tatsache,  die 
an  Ort  und  Stelle  seit  ca.  50  Jahren  bekannt 
ist,  ohne  daß  die  Kenntnis  hiervon  in  alle 
ärztliche  Kreise  gedrungen  wäre.  Ob  die 
Wirkung  eine  lediglich  antikatarrhalische  ist 
und  auf  welchen  chemischen  und  thermischen 
Faktoren  sie  beruht  ist  vorläufig  nicht  zu 
sagen,  was  schon  aus  der  Tatsache  hervor- 
geht, daß  gerade  bei  der  chronischen  Diar- 
rhöe das  Karlsbader  Wasser  mit  dem  Ver- 
luste seiner  natürlichen  Wärme  auch  seine 
Wirksamkeit  verliert  und  bei  Kuren  außer- 
halb Karlsbads  selbst  dann  versagt,  wenn 
alle  sonstigen  Kurbedingungen,  wie  Regelung 
der  Diät,  Ruhe,  Entfernung  von  allen  Ge- 
schäften  und    Aufregungen    etc.    erfüllt  sind. 


Zur  Therapie  der  Cholelithiasia. 

Von 
Dr.  A.  Hecht  in  Beathen  O.-S. 

Das  Oktoberheft  dieser  Monatsschrift  ent- 
hält (S.  535)  ein  Referat  über  „Strychnin  als 
Abführmittel",   in   welchem   auf  eine    Eigen- 


schaft dieses  Alkaloids  aufmerksam  gemacht 
wird,  welche  bisher  noch  wenig  Beachtung 
gefunden  hat,  ich  meine  die  anregende  Wirkung 
des  Strychnins  auf  die  glatte  Muskulatur  des 
Darmkanals.  Diese  Mitteilung  verdient  des- 
wegen Beachtung,  weil  sie  die  gleichlautenden 
Empfehlungen  Martins1),  Grub  es9)  und 
Jaffas3)  zu  bestätigen  geeignet  ist.  Diese 
Autoren  vermochten  wiederholt  bei  schweren 
Magen-  und  Darmlähmungen,  wie  sie  nach 
großen  Operationen  infolge  Chloroform  Wirkung 
eintreten,  durch  Strychnininjektionen  von  mehr- 
mals 0,003  die  Peristaltik  wieder  hervor- 
zurufen und  so  den  Ileus  zu  heilen. 

Erweist  sich  in  solchen  Fällen  das  Strych- 
nin von  geradezu  lebensrettender  Wirkung, 
so  sind  die  anderen  Nux  vomica-  Präparate, 
das  Extr  actum  und  die  Tinctura  Strychni 
geeignet,  Assimilation  und  Resorption  zu 
fördern,  erstere,  indem  durch  Anregung  der 
Peristaltik  eine  gleichmäßige  Durchtränkung 
des  Ghymus  mit  den  Verdauungssäften  er- 
möglicht wird,  letztere,  indem  die  Blut- 
strömung in  den  Gefäßen  der  Darmwand 
beschleunigt  wird,  sodaß  stets  neue  Blut- 
massen dem  Darminhalt  gegenüberstehen;  in- 
folgedessen kann  niemals  ein  Ausgleich  der 
Konzentration  zwischen  Darminhalt  und  dem 
in  den  Darm gef äßen  kreisenden  Blute  zu- 
stande kommen.  Daher  ist  das  Resorptions- 
vermögen eines  schlaffen  Darmes  geringer 
als  das  eines  kräftig  bewegten.  Dagegen 
geht  den  Nux  vomica-Präparaten  ein  Einfluß 
auf  die  Absonderung  der  Darmdrüsen  gänz- 
lich ab.  In  dieser  Hinsicht  können  sie  mit 
den  Abführmitteln,  welche  gleichfalls  die 
von  der  Darmmuskulatur  entwickelte  Kraft- 
leistung zu  steigern  vermögen,  ich  meine  vorab 
die  Mittelsalze,  das  Kalomel  und  die  vege- 
tabilischen Abführmittel,  nicht  verglichen 
werden. 

Dieser  sekretionsanregenden  Eigenschaft 
verdanken  viele  Abführmittel  ihre  Empfehlung 
gegen  die  Gallensteinkrankheit.  „Jedoch 
sollen  dieselben  nach  Angaben  von  Ruther- 
ford nur  dann  gallentreibend  wirken,  wenn 
sie  nicht  in  abführenden  Dosen  gegeben 
werden.  Tritt  Durchfall  ein,  so  hört  ihr 
Einfluß  auf  die  Gallen  Sekretion  auf.  Nun 
ist  die  abführende  Dosis  beim  Menschen  sehr 
von  den  individuellen  Verhältnissen  abhängig, 
sodaß  es  nicht  ganz  leicht  ist,  hier  das 
richtige  Maß  zu  treffen,  und,  wo  es  gelingt, 
da  erzeugen  jene  Mittel  nicht  selten  Darm- 
koliken, sodaß  sie  den  an  und  für  sich  schon 
schmerzgeplagten  Patienten  höchst  unangenehm 

>)  Jahrb.  d.  pr.  Mediz.  Jahrg.  1902,  S.  31. 
3)  Zentral  bl.  f.  Gynäk.  1901,  No.  25.  —  1903, 
No.  17. 

»)  Zentralbl.  f.  Gynäk.  1903,  No.  33. 


XIX.  J«fcrg&Bf .1 
April  üTpS.    J 


H«cht,  Tharapte  dar  Chotelifhlaaif. 


173 


sind,  ein  Übelstand,  der  nicht  einmal  durch 
eine  prompte  Wirkung  kompensiert  wird." 
(Rosenberg4).)  Das  Gleiche  gilt  vom  Ka- 
lome).  In  der  von  Sacharjin5)  empfohlenen 
Weise  angewendet,  erzeugt  es  diarrhoische 
Stuhlentleerungen,  welche  die  Zufuhr  des 
Quecksilbers  zur  Leber  und  damit  eine  Ein- 
wirkung desselben  auf  das  Leberparenchym 
unmöglich  machen  (Rosenbach6)).  In  kleinen 
Dosen  gegeben,  ist  es  geeignet,  der  Obstipa- 
tion, an  welcher  Gallensteinkranke  fast  immer 
zu  leiden  pflegen,  Vorschub  zu  leisten.  Um 
dem  vorzubeugen,  empfiehlt  es  sich,  wie  ich 
empirisch  gefunden  habe,  das  Eaiomel  mit 
Extr.  Strychni  zu  kombinieren.  Auf  diese 
Weise  gelingt  es  auch  in  Fällen,  wo  Obsti- 
pation die  Regel  war,  die  Stuhl entleerung 
in  einer  für  den  Kranken  nicht  unangenehmen 
Weise  zu  regeln.  Bleibt  trotzdem  einmal 
der  tägliche  Stuhlgang  aus,  so  hat  der  Patient 
darunter  in  keiner  Weise  zu  leiden.  In  solchen 
Fällen  genügen  1  bis  2  der  später  zu  er- 
wähnenden Podophyllinpillen ,  um  eine  nor- 
male Ausleerung  herbeizuführen.  Anderer- 
seits konnte  ich  mit  dieser  Medikation  wieder- 
holt Diarrhoen,  selbst  chronische,  dauernd 
beseitigen. 

Der  Zusatz  des  Extractum  Strychni  ent- 
spricht aber  noch  einer  anderen  Indikation. 
Es  ist  Naunyns  Verdienst,  nachdrücklich 
darauf  hingewiesen  zu  haben,  daß  zum  Zu- 
standekommen einer  infektiösen  Entzündung 
der  Gallenblase  eine  Hemmung  des  normalen 
Gallenstromes  notwendig  ist.  lehret7)  und 
Stolz  konnten  wirklich  durch  ausgedehnte 
experimentelle  Untersuchungen  an  Tieren 
nachweisen,  daß  eine  Infizierung  der  Gallen- 
blase nur  dann  zur  Entzündung  führt,  wenn 
durch  Schädigung  ihrer  Motilität  der  normale 
Gallenstrom  gehemmt  ist.  Je  beträchtlicher 
die  motorische  Insuffizienz  der  Gallenblase 
ist,  umso  geringer  brauchten  Virulenz  und 
Menge  der  eingebrachten  Kulturen  zu  sein. 
Hierbei  spielt  eine  bedeutsame  Rolle  die 
„  Residualgalle  a,  das  ist  der  Rest  von  Galle, 
welcher  in  den  Zwischenräumen  der  Kon- 
krementansammlungen  und  in  ihren  Kapillar- 
räumen zurückbleibt.  Hier  haben  eingedrun- 
gene Keime  reichliche  Gelegenheit  zu  unge- 
störter Entwicklung.  Aber  selbst  dann,  wenn 
die  Gallenblase  keine  Konkremente  bezw. 
Fremdkörper  beherbergt,  gelang  es,  lediglich 
durch  Schädigung  der  Motilität  der  Gallen- 
blase, eine  Entzündung  der  letzteren  und 
der  Gallen gänge  hervorzurufen.  Damit  ist 
der  Beweis  erbracht,  daß  die  im  Darme  stets 

*)  Therap.  Monh.  1889,  S.  546. 
5)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1891,  No.  21. 
«)  Therapie  d.  Gegenw.  1903,  S.  101. 
7)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1902,  No.  1. 

Th.  M.  19T.S. 


vorhandene  Infektionsgelegenheit  im  Zu- 
sammenhange mit  voraufgegangener  Behinde- 
rung des  Gallenstromes  zum  Zustandekommen 
einer  Cholecystitis  und  Cholangitis  genügen 
kann. 

Da  die  ätiologischen  Momente,  welche 
für  die  Entstehung  der  Atonie  des  Magen - 
und  Darmkanal 8  in  Betracht  kommen,  auch 
für  die  motorische  Insuffizienz  der  Gallen- 
blase Geltung  haben,  wird  uns  die  Bedeutung, 
welche  funktionelle  sowie  organische  Er- 
krankungen des  Zentralnervensystems  für  die 
Entzündung  der  Gallenblase  besitzen,  ver- 
ständlich. Hieraus  erklärt  sich  insbesondere 
die  häufig  zu  beobachtende  Komplikation 
der  Cholelithiasis  mit  Hysterie.  Letztere 
kommt  als  ätiologisches  Moment  besonders 
in  solchen  Fällen  in  Betracht,  wo  seelische 
Erregungen,  wie  Ärger,  Schreck  u.  dgl.,  die 
Anfalle  auslösen.  Hier  spielt  die  perverse 
Reaktionsfähigkeit  der  sensiblen  Fasern  der 
Gallenblase,  deren  Reizbarkeit  durch  die 
Entzündung  der  Gallenblasenschleimhaut  eine 
Steigerung  erfahren  hat,  die  ausschlaggebende 
Rolle.  Ebenso  lernen  wir  die  Bedeutung 
kachektischer  Zustände,  wie  sie  u.  a.  auch 
dem  höheren  Alter8)  eigen,  sowie  diejenige 
erschöpfender  Krankheiten  für  das  Zustande- 
kommen der  Cholecystitis  gebührend  würdigen. 
Immer  wieder  ist  es  die  motorische  Insuffizienz 
der  Gallenblase  und  Gallengänge,  welche  durch 
Hemmung  des  Gallenstromes  eingedrungenen 
Infektionskeimen  die  Möglichkeit  zur  Fort- 
entwickelung verschafft. 

Wenn  ich  diese  gleichfalls  als  Indikation 
zur  Anwendung  des  Extr.  Strychni  betrachte, 
so  stütze  ich  mich  hierbei  auf  die  durch  die 
Erfahrung  gegebene  Anschauung,  „  wonach  eine 
träge  Darmperistaltik  häufig  mit  Trägheit 
der  muskulären  Austreibungskräfte  der  Gallen- 
wege verbunden  ist,  und  daß  Mittel,  welche 
die  Darmperistaltik  anregen,  auch  auf  die 
Bewegungen  der  Gallenblase  und  die  Aus- 
treibung der  Galle  fördernd  einwirken". 
(Leicht  en8tern9).) 

Schließlich  stellt  dieses  Mittel  ein  aus- 
gezeichnetes Stomachicum  dar,  welches  eine 
reichliche  Nahrungszufuhr  ermöglicht.  Letztere 
ist  aber  Gallensteinkranken  insofern  dienlich, 
als  eine  quantitativ  reichliche,  gemischte  Kost 
die  Gallenabsonderung  am  intensivsten  an- 
regt und  dadurch  den  Gallenstrom  be- 
schleunigt. Auf  diese  Weise  wird  einer  Se- 
dimentierung  der  Galle  sowie  einer  Konkre- 
mentbildung  am  wirksamsten  vorgebeugt. 


-;    JN oiiinagel,    Spoz.  Pathol.    und    Therap. 
Bd.  18,  S.  202. 

9)  Pentzold-Stintzing,  Hdb.  der  spez. 
Therapie  innerer  Krankheiten.  I.  Aufl.,  Bd.  IV, 
Abt.  IV  b,  S.  31. 

14 


174 


Hecht,  Therapie  der  Choleltthlaait. 


rherajxratUche 
Monatuhefte. 


Dieser  Indikation  genügt  ferner  die  Ver- 
ordnung des  Kalomels.  Zwar  haben  physio- 
logische Versuche  eine  Förderung  der  Leber- 
sekretion nicht  ergeben,  nachdem  jedoch 
Kliniker,  wie  Huchard10),  Sacharjin  u.  a. 
das  Kalomel  bei  hypertrophischer  Leber- 
cirrhose,  bei  Cholelithiasis  und  katarrha- 
lischem Ikterus  empfohlen  haben,  kann  die 
Frage  nach  der  gall entreibenden  Wirksamkeit 
des  Kalomels  nicht  als  erledigt  betrachtet 
werden.  Wiederum  gibt  es  Autoren,  ich 
meine  Rutherford,  Prevost  und  Binet, 
denen  sich  neuerdings  Wassiiief")  an- 
schließt, deren  Ansicht  dahin  geht,  daß  Ka- 
lomel bei  den  genannten  Krankheiten  sich 
weniger  vermöge  seiner  gallentreibenden,  als 
vielmehr  vermöge  seiner  antiseptischen  und 
antiphlogistischen  Eigenschaften  bewährt. 
Aber  wie  dem  auch  sei,  nachdem  Versuche 
am  Krankenbette  gunstige  Resultate  ergeben 
haben,  kann  der  Anwendung  des  Kalomels 
bei  genannten  Affektionen  wissenschaftlicher 
Wert  nicht  mehr  abgesprochen   werden. 

Das  Verdienst,  die  Kalomelbehandlung  der 
Gallensteinkrankheit  in  Aufnahme  gebracht 
zu  haben,  gebührt  zweifellos  Dr.  Glaser19) 
in  Muri  (Aargau),  wenn  er  auch  Anregung 
von  anderer13)  Seite  empfangen  hat;  indessen 
hat  es  an  Größe  dadurch  eingebüßt,  daß 
letzterer  bemüht  war,  diese  Behandlungs- 
methode lukrativ  auszubeuten.  Zu  diesem 
Zwecke  ließ  er  „  3  verschiedene  Kombinationen 
von  Hg  mit  aromatischen  Pflanzenstoffen  aus 
den  Gruppen  der  abführenden  und  zugleich 
gallen treibenden  Mittel  (Podophyllinum)  und 
der  blähungtreibenden  und  krampfstillenden 
Gewürze  und  Öle  (Melisse,  Kampfer,  Kümmel)" 
in  Form  seiner  Chologentabletten  No.  1 ,  2 
und  3  fabrikmäßig  herstellen.  Hierdurch  wird 
dem  denkenden  Arzt  die  Möglichkeit,  sich 
von  seinem  Tun  und  Lassen  Rechenschaft  zu 
geben,  benommen,  da  er  nicht  weiß,  was  er  ver- 
ordnet. Infolgedessen  kann  er  auch  seine  Ver- 
ordnungen der  Individualität  des  Kranken  nicht 
anpassen,  zumal  Glaser  selbst  eingesteht: 
„Es  gibt  auch  keine  einzelne  Kombination, 
die  allen  individuellen  Verhältnissen  ent- 
spräche". Schließlich  reichen  seine  Cholo- 
gentabletten zur  Beseitigung  der  Beschwerden 
nicht  einmal  aus;  schreibt  der  Erfinder  doch 
in  seiner  Anweisung  für  den  Gebrauch  der 
Tabletten:  „Bei  Appetitmangel,  Druck  im 
Magen  nach  dem  Essen,  bei  Anzeichen  un- 
genügender   H  Cl  -  Absonderung     und     unge- 

I0)  cf.  sab  2. 

»»)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1894,   No.  6. 

1J)  Sep.-Abdr.  a.  d.  Korresp.-Blatt  f.  Schweizer 
Arzte  1903,  No.  3. 

13)  Handb.  d.  Arzneimittellehre  v.  Nothnagel 
u.  Roß b ach  1894. 


nügender  Motilität   des  Magens    ist   der  Ge- 
brauch einer  Mixtur  von 

Rp.  Acidi  muriatici  2,0 

Tincturae  Strychni  1,0 

Vini  Condurango  30,0 

Aq.  destillatae  ad  200,0 

MDS.  Zum  Mittag-  und  Nachtessen  1  Eß- 
löffel voll  zu  nehmen 
angezeigt  und  empfehlenswert." 

Zur  wirksamen  Behandlung  der  Choleli- 
thiasis ist  es  unbedingt  erforderlich,  daß  man 
sich  vorher  über  die  dem  Leiden  zugrunde 
liegenden,  pathologischen  Vorgänge  Klarheit 
verschafft.  Wollte  man  Glasers  Behandlungs- 
methode nach  der  Theorie  beurteilen,  die  er 
derselben  zugrunde  gelegt  hat,  dann  müßte 
sie  jeglicher  Wirkung  entbehren.  Nach  seiner 
Ansicht  ist  nämlich  für  die  Infektion  der 
Gallenblase  eine  abnorme  Zusammensetzung 
der  Galle,  insbesondere  ein  Mangel  an  gallen- 
sauren Salzen  anzuschuldigen.  Letzterer  wird 
für  das  Ausfallen  des  Cholestearins14)  verant- 
wortlich gemacht,  welches  infolge  Erkrankung 
der  Sekretionsnerven  der  Leber  (Vagus-  und 
Sympathicusfasern)  in  relativ  zu  großen  Mengen 
abgesondert  wird.  Ganz  abgesehen  davon, 
daß  eigentliche  sekretorische  Nerven  für  die 
Leber  bisher  nicht  nachgewiesen  sind,  ent- 
behren auch  seine  Anschauungen  von  dem 
Zustandekommen  der  Gallenblasenentzündung 
jeder  wissenschaftlichen  Begründung.  Insbe- 
sondere ist  es  absolut  unbegreiflich,  wie  der 
Mangel  an  gallensauren  Salzen  eine  Infektion 
der  Galle  begünstigen  solle.  Diese  Ansicht 
kann  schon '  deswegen  nicht  zu  Recht  be- 
stehen, weil  sie  in  der  gesamten  Pathologie 
ein  Analogon  nicht  aufzuweisen  hat.  Lehrt 
doch  die  Pathogenese  der  Cystitis  und  Gastr- 
ektasie,  daß  der  Inhalt  dieser  Hohlorgane 
Zersetzungen  erst  dann  unterliegt,  wenn  der- 
selbe infolge  muskulärer  Insuffizienz  nicht 
völlig  ausgetrieben  werden  kann.  Zur  Stag- 
nation des  Inhalts  muß  sich  als  zweites 
Moment  eine  Infektion  desselben  gesellen, 
soll  anders  eine  Zersetzung  die  Folge  sein. 
Diese  beiden  Momente  sind  auch  bei  der 
Entstehung  der  Cholecystitis  fast  ausschließ- 
lich wirksam.  Die  Therapie  muß  also  in 
erster  Linie  auf  die  Gallenstauung  ge- 
richtet sein. 

Wofern  letztere  nicht  durch  Tumoren 
der  Nachbarorgane,  Parasiten,  Abknickungen, 


H)  Anm.  bei  der  Korrektur.  Diese  An- 
schauung über  die  Herkunft  des  Cholestearins  ist 
durchaus  irrig,  da  das  Cholestearin  der  Gallen- 
steine niemals  in  der  Galle  gelöst  gewesen  ist, 
sondern  aus  degenerierten  Epithelien,  besonders 
der  Gallenblase,  hervorgegangen  ist.  Die  Aus- 
scheidung des  Cholestearins  ist  demnach  die  Folge 
der  Gaüenblasenentzündung,  welche  durch  Zer- 
setzung der  Galle  hervorgerufen  worden  ist. 


XIX.  Jahrgang.l 
April  1905     J 


H«cbt,  Therapi«  d«r  Cbolelltbiatit. 


175 


Zerrungen  seitens  der  rechtsseitigen  Wander- 
niere, Gravidität  etc.  bedingt  ist,  wird  die 
Aufgabe  der  Behandlung  darin  bestehen, 
durch  Änderung  der  Lebensweise  und  Diät 
sowie  durch  Regulierung  der  Darmperistaltik 
den  normalen  Gallenstrom  wiederherzustellen. 
Für  diesen  Zweck  aber  eignet  sich  von  medi- 
kamentösen Mitteln  das  Extractum  Strychni 
ganz  besonders. 

Was  das  zweite  ätiologische  Moment, 
die  Infektion,  betrifft,  so  wird  dieselbe  wirk- 
sam durch  Kalomel  bekämpft.  Wie  Ver- 
suche von  Prevost  und  Bin  et  dargetan 
haben,  geht  Kalomel,  per  os  genommen,  in 
die  Galle  über  und  entfaltet  in  den  Gallen- 
gängen antiseptische  und  antiphlogistische  Wir- 
kungen, deren  günstiger  Einfluß  auch  auf  die 
Gallenblasenschleimhaut  sich  ausdehnt.  Letz- 
tere ist  nach  meinen  Beobachtungen  darauf 
zurückzuführen,  daß  die  Galle  bei  Kalomel- 
gebrauch  erheblich  mehr  diluiert  wird,  als 
es  normalerweise  der  Fall  ist,  und  infolge- 
dessen leichter  abfließen  kann. 

Was  die  Dosierung  des  Kalomels  be- 
trifft, so  verordnet  es  Huchard  in  der  an- 
fallsfreien Zeit  in  Tagesdosen  von  0,02  g  in 
Verbindung  mit  0,002  g  Opium,  während  die 
Patienten  Dr.  Glasers  „während  ihrer  drei- 
bis  viermonatlichen  Chologenkur  zusammen 
0,5 — 1,0  g  Hg  bekommen".  Ich  selbst  gab 
es  Ä  Tagesdosen  von  0,026—0,05  g. 

Demgemäß  verordne  ich  kolikfreien  Kran- 
ken: 
Rp.   Hydrargyri  chlorati 

Extracti  Strychni  m  0,4—0,5 

Pulveris  aromatici  s.  Rhei 
Extracti  Rhei  aa  1,5 

M.  f.  pil.  No.  30. 
Consp.  D.  S.    2  —  3  mal  tägl.  1  Pille  zu 
nehmen. 

Bei  dieser  Verordnung  habe  ich  weder 
Diarrhoen  noch  Darmkolik  beobachtet.  Da- 
gegen sah  ich  Magenbeschwerden,  wie  Magen- 
drücken nach  dem  Essen,  Aufstoßen,  Gefühl 
von  Völle  und  Aufgetriebensein  im  Leibe, 
Obstipation,  Diarrhoen,  Gelbsucht  und  Appe- 
titlosigkeit schwinden.  Auch  asthmatische 
Beschwerden,  welche  im  Gefolge  des  Gallen- 
steinleidens auftreten,  sistierten  in  zwei  Fällen 
ohne  besondere  Behandlung. 

Bei  Gallensteinkoliken  verordne  ich  außer 
Morphium  subkutan  folgende  Pillen: 
Rp.  Podophyllini  0,2 

Hydrargyri  chlorati        0,4 
Extracti  Strychni 
Extracti  Belladonnae  »»0,3 
M.  f.  pil.  No.  20. 
Consp.  D.  S.   Beim  Anfall   2-stdl.  1  Pille 
bis   zur  Wirkung  zu  nehmen;  hernach  1  bis 
2   Pillen  tägl. 


Sollten  diese  Pillen  bei  weiterem  Ge- 
brauch Diarrhöen  hervorrufen,  so  sind  sie  gegen 
die  ersteren  zu  vertauschen. 

Beiden  Pillensorten  wohnt  die  Eigenschaft 
inne,  wofern  die  Gallenblase  Steine  oder 
Gries  beherbergt,  Leberkoliken  hervorzurufen, 
wie  dies  durch  die  Krankengeschichten  be- 
wiesen wird,  welche  ich  anderen  Ortes  ver- 
öffentlicht habe. 

Indiziert  ist  die  Kalomelbehandlung  in 
allen  Fällen,  wo  die  üblichen  Behandlungs- 
methoden im  Stiche  lassen.  Ferner  ist  sie 
da  angezeigt,  wo  die  Patienten  in  ihrer  Er- 
nährung sehr  heruntergekommen  sind,  wie 
bei  Greisen  und  Tuberkulösen.  Schließlich 
ist  sie  in  allen  Fällen  von  akuter  Chole- 
cystitis ein  dringendes  Bedürfnis,  wenn  es 
gilt,  eine  frische  Infektion  zu  bekämpfen,  z.  B. 
nach   Appendicitis,  Typhus   abdominalis   etc. 


Über  Zackerproben. 

Von 

Med.-Rat  Dr.  Hacker, 
Kretiarst  in  Welitonburg  i.  Bis. 

Die  von  den  Ärzten  mit  am  häufigsten 
angewendete  Zuckerprobe  ist  die  Tromm er- 
sehe. Dieselbe  hat  aber  den  Nachteil,  daß 
man  zunächst  zwei  verschiedene  Lösungen 
dem  Urine  zuzusetzen  hat.  Außerdem  ent- 
hält schon  der  normale  Urin  eine  Reihe 
reduzierender  Körper  (Harnsäure,  Kreatinin, 
Glykon,  Gallenfarbstoffe),  welche  eine  störende 
Rotfärbung  geben  können.  Dann  aber  kann 
die  Reaktion  noch  beeinflußt  werden,  wenn 
dem  Körper  Arzneistoffe  (Rhabarber,  Senna, 
Terpentin,  Jod,  Salizyl)  einverleibt  worden 
sind.  Bei  weniger  als  0,5  Proz.  Zucker 
enthaltendem  Urine  gibt  die  Probe  keine 
Reaktion. 

Die  Probe  mit  Fehiingscher  Lösung 
vermeidet  den  Zusatz  mehrerer  Flüssigkeiten, 
indem  nur  eine  solche  erforderlich  ist.  Sie 
ist  dabei  aber  von  beschränkter  Haltbarkeit 
und  dies  kann  sehr  leicht  zu  Täuschungen 
Veranlassung  geben. 

Im  übrigen  leidet  diese  Probe  an  den 
gleichen  Mängeln  wie  die  vorige. 

Ein  weiterer  Nachteil  beider  Proben 
ist  noch  der,  daß  man  eine  ziemlich  be- 
trächtliche Menge  von  Urin  kochen  muß, 
wobei  die  stark  alkalische  Flüssigkeit  durch 
ihren  Geruch  das  Zimmer  oft  recht  unan- 
genehm verpestet. 

Die  Nylandersche  Probe  ist  weit  emp- 
findlicher, indem  sie  im  gewöhnlichen  Urine 
noch  einen  Zuckergehalt  von  0,05  Proz.,  bei 
konzentriertem  einen  solchen  von  0,1  Proz. 
mit  Sicherheit  nachweist. 


176 


H«eker,  Über  Zactatproten. 


fTherapeatbclM 
L  Monatshefte. 


Ein  Nachteil  dieser  Probe  bestellt  aber 
darin,  daß  Arzneikörper  (Rhabarber,  Senna, 
Antipyrin,  Salizylsäure,  Terpentin),  dem  Kör- 
per einverleibt,  Wismutoxyd  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  reduzieren  und  so  Zucker- 
gehalt vortäuschen  können. 

Prof.  Riegler  in  Jassy  gibt  folgende 
neue,  sehr  empfindliche  Zuckerprobe  an: 

„Man  gießt  in  eine  etwas  größere  Eprou- 
vette 1  cc  Urin  und  10  cc  Wasser,  fugt 
eine  Messerspitze  oxalsaures  Phenylhydrazin 
(Merck)  hinzu,  kocht  unter  öfterem  Um- 
schütteln bis  zur  Lösung  und  stellt  das  Rea- 
genzglas bei  Seite;  in  ein  2.  Reagenzglas 
gibt  man  einen  Würfel  von  J  g  Kaliumhydr- 
oxyd und  10  cc  Wasser,  schüttelt  gelinde,  bis 
dasselbe  gelöst  ist,  gießt  diese  Lösung  zur 
ersten  und  schließt  mit  einem  Gummistopfen. 
Nach  einigem  Schütteln  tritt  eine  schöne, 
rotviolette  Farbe  auf,  falls  Zucker  vorhanden 
ist.  Eine  später  auftretende  Färbung  ist 
nicht  maßgebend. 

Die  Empfindlichkeit  dieser  Probe,  welche 
durch  die  Anwesenheit  von  Eiweiß  nicht  ge- 
stört wird,  gestattet,  den  Zucker  noch  in 
einem  Lösungsverhältnis  von  0,05  Proz.  als 
solchen  nachzuweisen. 

Ein  Nachteil  aber  auch  dieser  Probe  ist 
der,    daß   man  mehrere  Lösungen  nötig  hat. 

Den  Vorteil  größester  Empfindlichkeit 
mit  einer  nicht  zu  Übertreffenben  Einfachheit 
verbindet  nun  die  Zuckerprobe  mit  den  Nitro- 
Propioltabletten  nach  Teusch  (Fabrik  phar- 
mazeutischer Präparate,  Köln-Ehrenfeld,  Ge- 
sellschaft mit  beschränkter  Haftung).  Die 
Reaktion  beruht  darauf,  daß  ortho-Nitro- 
phenylpropiolsäure  durch  Erwärmen  mit 
Traubenzucker  bei  Gegenwart  von  Soda  in 
Indigo  übergeht: 

2  C6H4  (N02)  C  =  C  -  COOB  +  4  H  = 

C16H10N,02  + 2  00,-1-211,0. 

Eine  Nitro-Propioltablette,  in  10  cc  Wasser 
gelöst  und  mit  10  Tropfen  eines  diabetischen 
Urins  mindestens  3 — 5  Minuten  lang  mäßig 
gekocht,  gibt  eine  indigoblaue  Färbung.  Läßt 
man  die  Probe  einige  Zeit  stehen,  so  setzt 
sich  am  Boden  des  Reagenzglases  ein  Nieder- 
schlag von  Indigo  ab.  Ein  wesentlicher  Vor- 
teil gegenüber  der  Fehlingschen,  aber  auch 
der  Nyl  and  ersehen  Probe  ist  der,  daß  die 
Reaktion  weder  beeinflußt  wird  durch  Harn- 
säure, Kreatinin,  Glykonsäure,  Gallenfarbstoff, 
noch  wenn  dem  Körper  Arzneistoffe,  als  Rha- 
barber, Senna,  Terpentin,  Jod,  Salizyl,  ein- 
verleibt werden.  Dabei  ist  die  Probe  so 
empfindlich  wie  die  Nyl  an  der  sehe  und 
Riegler  sehe,  indem  sie  0,05  Proz.  Trauben- 
zucker noch  mit  Sicherheit  nachweist.  So- 
gar  bei  noch  geringerem  Zuckergehalte  tritt 


bereits  eine  charakteristische  Andeutung  der 
Blaufärbung  ein.  Ein  Fläschchen,  25  Tabletten 
enthaltend,  kostet  60  Pfg.  Jedem  Fläschchen 
ist  eine  Gebrauchsanweisung  beigefügt. 

Wenn  so  diese  Probe  für  den  qualitativen 
Nachweis  von  Zucker  im  Urine  weitaus  den 
Yorzug  verdient  wegen  der  Sicherheit  und 
leichten  Ausführbarkeit,  welche  ihre  Anwen- 
dung auch  in  der  Wohnung  des  Patienten 
gestattet,  ist  bezüglich  des  quantitativen 
Nachweises  von  Zucker  die  Gärungsprobe 
unbedingt  die  einfachste  und  sicherste. 

Die  Gärung88accharometer  von  Einhorn 
und  Fi e big  lassen  sich  nun  nach  dem  Ge- 
brauche sehr  schwer  reinigen.  Diesen  Übel- 
stand vermeidet  der  Präzisions -Gärungssac- 
charometer  nach  Dr.  Th.  Lohnstein  (D.R. 
G.M.  No.  94  599),  bei  welchem  eine  aus- 
giebige Reinigung  leicht  möglich  ist. 

Alle  diese  3  Gärungssaccharometer  sind 
aber  nur  für  Urine  verwendbar,  deren  Zucker- 
gehalt 1  Proz.  nicht  überschreitet.  Bei 
stärkerem  Zuckergehalte  muß  der  Urin  erst 
verdünnt  werden.  Um  diesen  Umstand,  der 
ja  auch  wieder  eine  mögliche  Fehlerquelle 
ausmacht,  zu  vermeiden,  hat  Lohn  stein 
noch  einen  anderen  Präzisions- Gärungssac- 
charometer für  unverdünnte  Urine  (D.R.  G.M. 
No.  119  945)  angegeben. 

Bei  einiger  Übung  kann  man  aus  der 
Intensität  der  bei  der  Nitro  -  Propiolprobe 
entstehenden  Blaufärbung  schon  mit  ziem- 
licher Sicherheit  entscheiden,  ob  der  Urin 
mehr  oder  weniger  als  1  Proz.  Zucker  ent- 
hält und  welchen  Saccharometer  man  also 
zu  nehmen  hat. 

Für  geringe  Zuckermengen  ist  der  erste 
Saccharometer  geeigneter,  da  dessen  Gradu- 
ierung für  die  Werte  bis  1  Proz.  selbstver- 
ständlich sehr  viel  genauer  ist. 

Als  einziger  Nachteil  der  Gärungsprobe 
ist  anzuführen,  daß  —  namentlich  bei  Kälte 
und  bei  geringen  Zuckermengen  —  das  Er- 
gebnis erst  nach  18  —  20  Stunden  feststeht. 
Um  diesem  Übelstande  abzuhelfen,  habe  ich 
den  nebenbei  abgebildeten  kleinen  Apparat 
anfertigen  lafcsen.  Nachdem  das  Gefäß  zu 
3/4  mit  lauwarmem  Wasser  gefüllt  ist,  wird 
der  beschickte  Gärungssaccharometer  hinein- 
gestellt und  das  darunter  befindliche  Nacht- 
licht angezündet.  Die  durch  letzteres  er- 
zeugte Wärme  genügt  vollkommen,  um  das 
Wasser  bei  der  gleichen  lauwarmen  Tempe- 
ratur zu  erhalten.  Die  Gärung  tritt  unter 
diesen  Umständen  schnell  und  sicher  ein,  wenn 
die  Flüssigkeit  auch  nur  Spuren  von  Zucker 
enthält,  und  ist  nach  wenigen  Stunden  be- 
endet. 

Zu  bemerken  ist  aber,  daß  man  das  Er- 
gebnis an  der  Skala  erst  ablesen  darf,  nach- 


XIX.  JafcrfMf .1 
»  April  1906b    J 


H«eker,  Ober  Zuck«rprob«D. 


177 


dem  der  aus  dem  Wasserbade  genommene 
Saccharometer  wieder  Zimmertemperatur  an- 
genommen hat. 

Eine     genaue     Gebrauchsanweisung     ist 
beiden  Saccharometern  beigefügt. 


Eine  weitere  sehr  einfache  Methode,  die 
auch  auf  dem  Prinzipe  der  Gärung  beruht, 
aber  nur  bei  einem  Zuckergehalte  von  min- 
destens 0,5  Proz.  sichere  Resultate  ergibt, 
hat  Roberts  angegeben  (Praktikum  der 
klinischen  chemisch-mikroskopischen  und  bak- 
teriologischen Untersuchungsmethoden  von 
Dr.  Klopstock  und  Dr.  Kowarsky  S.  159). 

Derselbe  hat  festgestellt,  daß  die  Ver- 
minderung des  spez.  Gewichtes  um  0,001 
einem   Zuckergehalte    von    0,230   entspricht. 

Man  läßt  nun  100 — 200  ccm  Urin,  dessen 
spez.  Gewicht  bei  15°  C.  festgestellt  wurde, 
unter  Zusatz  eines  haselnußgroßen  Stückchens 
Hefe  in  einem  Kolben  während  24  bis 
36  Stunden  vergären. 

Nachdem  die  Nitropropiol-Probe  ergeben 
hat,  daß  der  Zucker  vollkommen  ver- 
schwunden ist,  wird  das  spez.  Gewicht  von 
neuem  bei  15°  C.  genau  bestimmt. 

Aus  dem  Unterschiede  des  letzteren  vor 
und  nach  der  Gärung  ergibt  sich  dann  der 
Zuckergehalt.     Z.  B. 

spez.  Gewicht  vor  der  Gärung     1,03 
nach  -  -  1,02 

Unterschied  0,01 
Der   Urin    enthält   demnach   0,230  !><  10  = 
2,3  Proz.  Zucker. 

Zum  qualitativen  Nachweise  von  Zucker 
im  Urin  benutzt  man  nach  obigen  Ausfüh- 
rungen am  zweckmäßigsten  die  Nitropropiol- 
Tabletten. 


Zur  quantitativen  Bestimmung  desselben 
dient  bei  einem  Zuckergehalte  bis  zu  1  Proz. 
der  kleinere  Gärungssacharometer  nach  Lohn- 
stein,  während  bei  1  Proz.  und  mehr  die 
Gärungsprobe  nach  Roberts  vorzuziehen  ist. 


Fibrolysin, 
eine  neue  ThiosinaminTerbindung. 

Von 
Dr.  Felix  Mendel  in  Essen  (Ruhr). 

IL 

Durch  die  Liebenswürdigkeit  des  Herrn 
Prof.  Julius  Pohl  in  Prag  wurde  ich  auf 
eine  Reihe  interessanter,  aber  mühevoller 
Untersuchungen  dieses  Forschers  aufmerksam 
gemacht,  deren  Resultate  in  den  Arbeiten 
des  pharmakologischen  Instituts  der  deutschen 
Universität  Prag  II  Reihe  1904  veröffentlicht 
sind  und  nicht  nur  den  Beweis  liefern,  für 
die  gleiche  pharmakodynamische  Wirk- 
samkeit des  Thiosinamins  und  des  von  mir 
(Therap.  Monatsh.  Febr.  1905)  angegebenen 
und  empfohlenen  Fibrolysins,  sondern  auch 
Aufklärung  geben  über  die  eigentümliche  Ge- 
ruchs- oder  Geschmacksempfindung, 
welche  ich  wenige  Sekunden  nach  der  intra- 
venösen Injektion,  der  Fibrolysinlösung  bei 
meinen  Patienten  beobachten  konnte. 

Bei  dem  allgemeinen  Interesse,  welches 
sowohl  das  Thiosinamin  als  auch  sein  mit 
besonderen  Vorzügen  ausgestatteter  Ersatz, 
das  Fibrolysin,  für  den  Praktiker  als  Heil- 
mittel beanspruchen  können,  dürfte  es  sich 
wohl  verlohnen,  etwas  näher  auf  diese  Unter- 
suchungen einzugehen. 

Nach  den  Untersuchungen  Pohls  gehört 
das  Thiosinamin  zu  den  wenigen  bisher  be- 
kannten Stoffen,  welche  im  tierischen  Orga- 
nismus eine  sog.  Aikylsynthese  eingehen, 
und  es  ist,  was  für  die  praktische  Ver- 
wendung dieses  Mittels  besonders  bedeutungs- 
voll erscheint,  nach  ihm  der  einzige  dieser 
Stoffe,  welcher  im  Gegensatz  zu  allen  bisher 
als  Alkyl  bindend  erkannten  Körpern  als 
völlig  ungiftig  bezeichnet  werden  kann. 

Reicht  man  unsern  gewöhnlichen  Versuchs- 
tieren (Hunden,  Katzen,  Kaninchen)  1 — 2  g 
Thiosinamin  per  os,  subkutan  oder  intravenös, 
so  nimmt  die  Ezhalationsluft  allmählich 
einen  eigentümlich  rettig-  oder  lauchartigen 
Geruch  an,  der  stunden-  ja  tagelang  andauert. 
Obwohl  der  Thioharnstoff  schon  vielfach  auf 
sein  physiologisch -chemisches  Verhalten  hin 
untersucht  worden  ist,  z.  B.  von  K.  Lange 
(Über  das  Verhalten  der  Schwefelharnstoffe  im 
tierischen  Körper,  Rostock  1892),  so  ist  doch 
bisher  noch  niemals  auf  diese  merkwürdige 
Erscheinung  aufmerksam  gemacht  worden. 


178 


Mandel,   Fibrolysin. 


PTherapentliche 
L    Monatshefte. 


Die  präzisen  chemischen  Reaktionen 
des  Exhalats,  welche  Pohl  untersuchte,  auf 
die  wir  aber  hier  nicht  näher  eingehen  wollen, 
sprechen  eindeutig  für  die  Gegenwart  eines 
Alkylsulfids.  Die  Mengen  sind  natürlich 
minimal  im  Vergleich  zum  eingeführten  Thio- 
sinamin. In  der  24 -stündigen  Ausatmungs- 
luft findet  man  ca.  3  —  4  mg  Sulfid  und  zwar 
handelt  es  sich,  nach  dem  Gerüche  zu  ur- 
teilen, jedenfalls  um  Äthyl sulf id.  Der 
übrige  Teil  des  gegebenen  Thiosinamins  geht 
unverändert  in  den  Harn  über,  nur  der 
kleinste  Teil  geht  die  Synthese  ein. 

Injiziert  man  Thioharnstoff  intravenös 
und  läßt  das  Tier  im  Moment  deutlich  wahr- 
nehmbarer Sulfidausscheidung  verbluten,  so 
findet  man  das  Sulfid  im  Blute,  aber  nicht 
in  den  Organen  mit  Ausnahme  des  Muskel- 
gewebes, in  welchem  aber  erst  nach  Zusatz 
einer  zweiprozentigen  Fluornatriumlösung  all- 
mählich der  Sulfidgeruch  wahrnehmbar  wird. 

Diese  Untersuchungen  an  Tieren  liefern 
uns  zunächst  den  Beweis  für  die  Un- 
giftigkeit  des  Fibrolysins  in  thera- 
peutischen Dosen.  Des  weiteren  geben  sie 
uns  Aufklärung  über  die  nach  einer  Fibro- 
lysininjektion  auftretende  eigentümliche  Ge- 
schmacks- und  Geruchsempfindung, 
die  durch  die  Exhalationsluft  hervorgerufen 
wird  und  für  Thiosinamin  spezifisch  ist. 
Auffallend  bleibt,  daß  trotz  der  weit- 
verbreiteten Anwendung  dieses  Mittels  bisher 
kein  Forscher  darauf  aufmerksam  wurde. 
Denn  man  findet  diesen  Exhalationsgeruch 
nicht  nur  nach  intravenösen  Injektionen, 
wie  ich  selbst  ursprünglich  annehmen  zu 
müssen  glaubte,  wenn  er  auch  hierbei  am 
intensivsten  erscheint,  sondern  bei  genauer 
Beobachtung  auch  nach  intramuskulärer 
und  subkutaner  Anwendung.  Selbstver- 
ständlich tritt  das  Äthylsulfid  nach  dieser 
Art  der  Applikation  später  und  weniger  in- 
tensiv in  die  Erscheinung,  die  Geruchs- 
empfindung hält  aber  dafür  um  so  länger  an. 

Nach  intravenöser  Injektion  wird  sie 
fast  sofort  von  dem  Patienten  wahrgenommen 
und  ist  auch  für  andere  durch  einen  merk- 
würdigen lauchartigen  Geruch  der  Exhalations- 
luft bemerkbar,  sie  ist  aber  bei  den  ge- 
bräuchlichen therapeutischen  Dosen  (l  Am- 
pulle Fibrolysinlösung  =  0,2  Thiosinamin) 
nach  wenigen  Minuten  wieder  verschwunden, 
ein  sicherer  Beweis,  daß  sich  das  Fibrolysin 
sofort  beim  Eintritt  in  die  Blutbahn  in  seine 
beiden  Komponenten  (Thiosinamin  —  Natr. 
salicyL)  spaltet. 

Bei  der  intramuskulären  Injektion  in 
die  Glutäalgegend  macht  sich  bei  gleicher 
Dosis  das  Äthylsulfid  erst  nach  ca.  20  Mi- 
nuten   bemerkbar    und   hält   dann    fa9t    eine 


Stunde  an.  Noch  langsamer  und  deswegen 
von  dem  Empfänger  fast  unbemerkt  verläuft 
die  Äthylsulfidausscheidung  bei  der  sub- 
kutanen Injektion. 

Damit  ist  auch  der  wissenschaftliche  Kach- 
weis dafür  erbracht,  was  die  praktische  Er- 
fahrung schon  vorher  gelehrt  hatte :  Die  am 
meisten  zu  empfehlende  Anwendungs- 
weise des  Fibrolysins  ist  die  intramus- 
kuläre Injektion,  die  an  Wirksamkeit  die 
subkutane  Anwendung  übertrifft  und  der 
intravenösen  in  vielen  Fällen  nur  wenig 
nachsteht.  Vor  der  subkutanen  Injektion 
hat  sie  dabei  den  Vorzug  der  absoluten 
Schmerzlosigkeit,  vor  der  intravenösen  den 
der  Einfachheit  in  der  Ausführung. 

Ob  diese  interessante  Alkyl Synthese  für 
die  therapeutische  Wirkung  des  Fibrolysins 
von  irgend  welcher  Bedeutung  ist,  läßt  sich 
natürlich  nicht  feststellen.  Jedenfalls  liefert 
uns  die  exakte  Untersuchung  Pohls  einen 
weiteren  unumstößlichen  Beweis  dafür,  daß 
sich  das  Fibrolysin  dem  menschlichen  Orga- 
nismus gegenüber  genau  so  verhält  wie  das 
Thiosinamin,  also  auch  dieselben  pharmako- 
dynamischen  Fähigkeiten  wie  dieses  besitzen 
muß,  vor  dem  es  aber  in  der  praktischen 
Verwendung  große  Vorzüge  besitzt:  Es  ist 
in  Wasser  löslich,  absolut  schmerzlos  in 
der  Anwendung  und  wird  besonders  von  den 
Muskeln  aus  sehr  schnell  in  die  Blutbahn 
aufgenommen. 

Aus  diesen  Vorzügen  kann,  auch  nach 
den  Untersuchungen  Pohls,  mit  Recht  auf 
eine  entschieden  größere  Wirksamkeit 
des  Fibrolysins  gegenüber  dem  Thiosin- 
amin geschlossen  werden. 


Über  chronische  Entzündungen  der 
Blinddarmgegend  und  ihre  Behandlung. 

Von 
Dr.  H.  Herz,  Breslau. 

(Schlu/t.J 

In  erster  Reihe  bedürfen  die  Bezieh- 
ungen der  Appendicitis  und  Typhlitis 
zum  gesamten  Darmtractus  sorgfältige 
Berücksichtigung;  die  Störungen  seiner  Funk- 
tion, bei  den  meisten  Fällen  nachweisbar, 
sind  in  ihrer,  Stellung  zu  den  örtlichen 
Affektionen  zu  untersuchen.  Sind  alle  jene 
Symptome  nur  Folgeerscheinungen  der  Appen- 
dicitis, oder  ist  als  primär  resp.  als  Begleit- 
erscheinung gleicher  Wertigkeit  eine  allge- 
meine Darmerkrankung  anzunehmen? 

Im  allgemeinen  herrscht  besonders  bei 
den  Chirurgen  die  Neigung,  die  Appendicitis 
derart  in  den  Mittelpunkt  zu  rücken,  daß 
die     begleitende     Darmaffektion,     etwa     ein 


XIX.  Jahrgaag.1 
April  lBOS.      I 


Herz,  Chronisch«  Entzündungen  der  Blinddarmgegend. 


179 


Dannkatarrh,  nur  nebenbei  unter  den  ätio- 
logischen Faktoren  erwähnt  wird.  In  drei- 
facher "Weise  kann  man  versuchen,  von  diesem 
Standpunkt  allgemeinere  Darmsymptome  zu 
erklären. 

Erstens  kann  eine  dauernde  Ozaena  des 
Wurmfortsatzes  resp.  Typhlons  durch  ihre 
Sekrete  reizend  auf  die  übrige  Darmschleim- 
haut wirken.  Oft  allerdings  besteht  gar  kein 
derartig  infektiöses  Sekret,  oder  es  gelangt 
wegen  Verschluß  des  Appendix  resp.  wegen 
Unfähigkeit  desselben  zur  Entleerung  nicht 
in  den  Darm.  —  Auch  der  Blutweg  steht 
ja  den  eventuellen  Giften  offen,  besonders 
bei  der  viel  besprochenen  Cavite  close;  aber 
sollten  jene  wirklich  so  oft  nur  auf  den 
Verdauungstractus,  nicht  auf  andere  Systeme 
wirken,  die  gerade  bei  den  chronischen 
Fällen  nur  in  einer  Minderzahl  Störungen 
aufweisen  ? 

Zweitens  ist  bei  tiefergreifenden  Entzün- 
dungen peritoneale  Reizung  möglich  und  be- 
sonders bei  den  intermittierenden  Formen 
auch  sicher  nicht  selten.  Oft  bleibt  aber 
das  Bauchfell  ganz  unbeteiligt,  noch  öfter 
entsprechen  die  Symptome  in  keiner  Weise 
den  bekannten  peritonealen  Reizphänomenen. 

Drittens  die  Annahme  einer  Nerven- 
wirkung, auch  wo  jene  Möglichkeiten  nicht 
diskutierbar  sind.  Lenzmann  (1.  c.)  z.  B. 
spricht  von  zwei  Arten  nervöser  Vermittlung. 
Starke  Obstipation,  bei  welcher  Defakation 
nur  unter  heftigen  Leibschmerzen  zustande 
kommt,  soll  auf  einer  reflektorischen  Hem- 
mung durch  den  Splanchnicus  vom  Appendix 
her  beruhen.  Andere  Beschwerden  erklärt 
er  durch  einen  Reizzustand,  der,  von  der 
Erregung  der  Nervenenden  im  entzündeten 
Wurmfortsatz  ausgehend,  sich  auf  das  obere 
Bauchgeflecht  des  Sympathicus  überträgt; 
von  dort  entständen  die  neuralgischen  An- 
falle in  der  MageD gegen d  und  anderwärts, 
die  sich  dann  nach  der  Operation  eventuell 
erst  allmählich  verlieren. 

Ohne  verkennen  zu  wollen,  daß  auch 
dieser  dritte  Erklärungsmodus  für  manche 
Erscheinungen  eine'  recht  plausible  Erklärung 
bietet,  glaube  ich  im  ganzen,  daß  man  sich 
die  Rolle  des  übrigen  Darmtractus  doch  zu 
passiv  vorstellt,  und  zwar  einerseits,  weil  in 
der  Typhlongegend  die  meisten  Gefahren 
drohen  und  den  Blick  auf  sich  lenken, 
andererseits,  weil  nach  der  Exstirpation  des 
Wurmfortsatzes  so  viele  Heilungen  verzeichnet 
werden.  Das  war  der  Hauptgrund,  die  er- 
wähnten, wohl  nicht  immer  ungezwungenen 
Erklärungsm öglichkeiten  auf z ustell en . 

Nun  spielen  bei  der  Heilung  abdomi- 
neller Affektionen  nach  Laparotomie  —  man 
denke  an  die  tuberkulöse  Peritonitis  —  noch 


verschiedene,  nicht  allzu  genau  bekannte 
Faktoren  mit,  auch  der  bedeutende  psychische 
Einfluß  der  Operation  bei  den  zum  großen 
Teil  nervösen  Kranken,  die  Bettruhe  u.  s.  w. 
sind  nicht  zu  unterschätzen.  Dann  wird 
eben  doch  ein  schwer  affizierter  Teil,  der 
viele  örtliche  Beschwerden  macht,  entfernt, 
und  so  erklärt  es  sich,  daß  eine  ganze  Reihe 
von  Kranken  sich  nach  der  Operation  wohler 
fühlen.  Aber  erst  eine  viel  längere  Beob- 
achtung —  die  meisten  Operationsresultate 
sind  sehr  frisch  veröffentlicht  — ,  ein  viel 
genaueres  Eingehen  auf  die  Beschwerden 
wird  lehren,  ob  die  Darmfunktionen  wirklich 
derart  tadellos  sind,  daß  man  von  Heilung 
im  strengsten  Sinne  sprechen  kann.  Jeden- 
falls verfüge  ich  über  Beobachtungen,  wenn 
auch  spärliche,  wo  nach  der  Operation  eine 
sehr  sorgfältige  Behandlung  des  Darmtractus 
erst  einsetzen  mußte,  um  alle  Beschwerden 
zu  beseitigen.  Auch  von  Chirurgen  werden 
solche  Fälle  mehr  und  mehr  beachtet. 
„Manchmal  sind  die  Patienten  nach  der 
Radikaloperation  recht  verstimmt,  weil  ihre 
alten  Beschwerden,  also  namentlich  zeit- 
weilige    Koliken,     fortbestehen"     [Hochen- 

egg")]- 

Dazu  kommt  nun  noch  manchmal  ein 
auffälliges  Mißverhältnis  zwischen  den  kli- 
nischen Symptomen  und  dem  anatomischen 
Befund.  Ganz  verödete  Appendices,  sehr 
geringe  Schleimhauterkrankungen  sollen,  wie 
die  Erfahrungen  der  Chirurgen  zu  erweisen 
scheinen,  heftige  Erscheinungen  abdomineller 
und  allgemeiner  Natur,  wie  sie  oben  erwähnt 
sind,  hervorrufen  können. 

Ist  es  wirklich  nötig,  alles  aus  einem 
Punkte  zu  erklären  ?  Ich  habe  in  über .  3/4 
der  von  mir  beobachteten  Fälle  von  chroni- 
scher Appendicitis  häufige  Schleimabsonde- 
rungen mit  dem  Stuhl  beobachtet,  meist  in 
großen,  mit  bloßem  Auge  deutlich  nachweis- 
baren Mengen,  ein  wohl  sicherer  Beweis  eines 
chronischen,  nicht  auf  ein  kleines  Anhängsel 
beschränkten  Darmkatarrhs.  Auch  sonst  be- 
stehen bei  ungezwungener  Betrachtung  zahl- 
reiche Zeichen  eines  solchen,  insbesondere 
eines  Dickdarmkatarrhs.  Wie  dieser  ent- 
steht, ob  die  Schädigungen  öfter  von  der 
Schleimhaut  her  oder  hämatogen  oder  noch 
anders  wirken,  darauf  will  ich  nicht  ein- 
gehen: aber  so  viel  scheint  mir  sicher,  daß 
nicht  nur  die  Entstehung,  sondern  auch  die 
Symptomatologie  eine  viel  klarere  wird,  wenn 
man  für  viele,  vielleicht  die  meisten 
Fälle,  die  Erkrankung  der  Blinddarm- 


15)  Hochenegg,  Sitzungsber.  der  k.  k.  Ge- 
sellschaft der  Ärzte  in  Wien.  Wiener  klinische 
Wochenschr.  1904. 


180 


Chronische  Entzündung«!  <Ur  Blloddarmgtf  «nd. 


fThcrap«ntiieh« 
L  Monatriurfte. 


gegend  als  Teilerscheinung  eines  chro- 
nischen diffuseren  Katarrhs  des  Darms 
betrachtet.  Dieser  beherrscht  in  mehr  oder 
minder  ausgesprochener  Weise  öfter  das 
Krankheitsbild,  wie  übrigens  auch  Lanz 
(1.  c.)  erwähnt.  Ungemein  häufig  läßt  sich 
verfolgen,  daß  Besserungen  und  Verschlim- 
merungen des  allgemeinen  und  des  örtlichen 
Prozesses  Hand  in  Hand  gehen.  Nicht  zum 
mindesten  hat  mich  endlich  die  Erfahrung, 
daß  man  durch  Behandlung  des  allgemeinen 
Darmkatarrhs  auch  den  örtlichen  Herd  aufs 
günstigste  beeinflußt,  zu  der  Überzeugung 
gebracht,  daß  jener  oft  gewissermaßen  die 
Führerrolle  spielt,  dieser  nur  die  gefährdetste 
Position  in  dem  Kampfe  darstellt.  Zahl- 
reiche Fälle  sind  wohl  einfach  als  chronische 
Darmkatarrhe  geführt,  behandelt  und  geheilt 
worden. 

Daher  also  so  häufig  Verstopfung,  Diar- 
rhoe oder  der  Wechsel  von  beiden,  Flatulenz, 
Meteorismus  und  eine  Reihe  von  kolikartigen 
Zuständen,  die  ganz  sicher  direkt  mit  dem 
Appendix  nicht  zusammenhängen;  besonders 
im  Colon  transversum  kommen  Koliken  vor, 
die  man  nicht  nur  nach  den  Angaben  der 
Kranken,  sondern  auch  objektiv  durch  das 
Auftreten  spastischer  Stellen  am  Darm  und 
örtliche  Peristaltik  oberhalb  derselben  gut 
lokalisieren  kann.  (Zahlreiche  „  Magen- 
krämpfe u  hier  wie  anderwärts  kommen  so 
zustande.) 

Ebenso  ist  die  schlechte  Ernährung,  die 
mangelhafte  Entwicklung  (bei  Kindern)  als 
Folge  eines  diffusen  Darmprozesses  leicht 
verständlich,  gleichviel  ob  man,  je  nach  der 
herrschenden  Mode,  mangelhafte  Assimilation, 
mangelnde  Hämatopoese  in  der  Darmwand 
oder  Autointoxikation  anschuldigen  will;  die 
Erkrankung  eines  kleinen  Bezirkes,  des 
Appendix,  oft  ohne  nennenswerte  Retention, 
ohne  große  örtliche  Beschwerden  genügt  viel 
weniger  zur  Erklärung. 

Ich  schiebe  hier  die  sehr  wichtige  Be- 
merkung ein,  daß  auch  bei  der  akuten  Peri- 
typhlitis die  Rolle  sehr  unterschätzt  wird, 
die  eine  begleitende  katarrhalische  Affektion 
anderer  Darmteile  nicht  nur  für  die  Ent- 
stehung, sondern  auch  für  die  Symptomato- 
logie in  manchen  Fällen  spielen  kann.  Was 
bei  der  typhösen,  der  dysenterischen  Appen- 
dicitis  niemand  bezweifeln  wird,  daß  es  sich 
nur  um  eine  besonders  gefahrliche  Lokalisa- 
tion der  ausgedehnteren  intestinalen  Infektion 
handelt,  gilt  auch  für  zahlreiche  andere  Fälle. 
Am  wichtigsten  ist  wohl  die  gleichzeitige 
Erkrankung  des  Coecums;  Lanz  z.  B.  hat 
ein  solches  stark  verdicktes  Co ecum  bei  einer 
Frühoperation  am  dritten  Tage  direkt  beob- 
achtet, während  der  Appendix  nur  leicht  ge- 


staut war.  Bei  dem  „Tumor"  spielt  diese 
Affektion  sicher  eine  Rolle.  Aber  auch  Er- 
scheinungen von  Dünn-  und  Dickdarmkatarrh 
kommen  vor;  so  schwer  es  natürlich  oft  ist, 
sie  von  anderweitig  entstandenen  zu  unter- 
scheiden, so  ist  es  doch  manchmal  möglich 
und  bei  Behandlung  einzelner  Symptome 
(z.  B.  des  Dickdarmmeteorismus)  wichtig. 
Auch  leichtere  septische  Erscheinungen,  be- 
sonders wo  die  Bauchfellerscheinungen  mäßig 
sind,  gehen  oft  vom  Darmtractus  aus;  ich 
habe  sie  nach  Exstirpation  des  Wurmfort- 
satzes bei  freiem  Bauchfell  weiterbestehen 
und  unter  Behandlung  mit  Darmirrigationen 
heilen  sehen. 

Der  gewöhnliche  chronische  Darmkatarrh 
ist  nicht  der  einzige  Darmprozeß,  der  in  Be- 
ziehungen zur  Appendicitis  steht. 

Ich  erwähne  hier  zunächst  die  Komplika- 
tion einer  Enteritis  membranacea  mit 
Appendicitis  resp.  Typhlitis,  die  ich  4  mal 
beobachtet  habe.  Dreimal  kamen  diese  Affek- 
tionen erst  nach  jahrelangem  Bestehen  der 
Schleimkoliken  hinzu;  nur  einmal  traten  zu- 
gleich mit  einem  Anfall  von  Appendicitis 
zahlreiche  Gerinnsel  im  Stuhl  auf,  doch  be- 
stand im  Verlauf  keine  Koinzidenz  der  mehr- 
fachen Rezidive  von  Wurmfortsatzentzündung 
und  Enteritis  membranacea.  Bei  Reclus18), 
Boas  (1.  c.)  und  anderen  finde  ich  diese  Kom- 
plikation bereits  erwähnt. 

Wahrscheinlich  hierher  gehört  die  nicht 
seltene  und  meist  relativ  gutartig  verlaufende 
Appendicitis  bei  Tuberkulösen  —  von 
der  Appendicitis  tuberculosa  wohl  streng  zu 
trennen,  obgleich  Mischformen  möglich  sind. 
Bei  mehreren  derartigen  Fällen,  die  ich  sah, 
bestanden  stets  deutliche  enteritische  Erschei- 
nungen, wie  sie  ja  bei  Tuberkulösen  so  ge- 
wöhnlich sind.  Das  ungemein  häufige  Vor- 
kommen von  Appendicitis  mit  recht  geringen 
Symptomen  gerade  bei  Tuberkulösen  ist  auch 
Sonnenburg  aufgefallen. 

Endlich  gehört  hierher  —  viel  umstritten 
—  die  Kotstauung  in  der  Typhlon- 
gegend.  Daß  die  Typhlitis  stercoralis, 
eine  im  ganzen  gutartige -und  meist  subakute 
(selten  sogar  chronische)  Affektion,  früher 
für  ungemein  viel  häufiger  und  wichtiger  ge- 
halten wurde,  als  sie  ist,  dürfte  kein  ge- 
nügender Grund  sein,  ihre  Existenz  nun  ganz 
zu  leugnen.  Sie  ist  anatomisch  nachgewiesen 
(s.  Jordan  1.  c,  Sick17)  u.  a.)  und  kann  ge- 
legentlich zur  Perforation,  zu  schweren  peri- 
typhlitischen Entzündungen  führen.  In  den 
langsamer    verlaufenden    Fällen,    mit    denen 


16)  P.  Reclus,    Pathogenie    de    l'appendicite. 
La  semaine  medicale  1897,  p.  237. 

17)  P.  Sick,    Primäre   akute  Typhlitis  (sterco- 
ralis).    Deutsche  Zeitschr.  für  Chir.  Bd.  70,  1903. 


XIX.  Jahrgang.! 
April  1906,    J 


H«rs,  Chronisch«  Entzündungen  der  Blinddarmg«g«D<L 


181 


wir  hier  zu  tun  haben,  entsteht,  meist  auf 
der  Basis  alter  Verstopfung,  ein  Tumor  mit 
allen  Charakteren  des  Kottumors,  vor  allem 
der  eigentümlichen  Knetbarkeit;  es  ist  oft  recht 
interessant,  das  Fortschreiten  der  Stuhlmassen 
bei  der  (stets  nur  mit  Vorsicht  zur  bewirken- 
den!) Entleerung  durch  das  Colon  trans- 
yersum  und  weiterhin  zu  verfolgen.  Fieber 
fehlt  oder  ist  gering.  Ich  habe  eine  der- 
artige Affektion  sich  monatelang  bei  einer 
psychisch  kranken  Dame  infolge  erschwerter 
Stuhlverhältnisse  wiederholen  sehen;  als  nach 
Heilung  des  melancholischen  Stadiums  die 
letzteren  sich  regeln  ließen,  trat  nie  wieder 
ähnliches  auf.  Ungezwungen  lassen  sich 
manche  Prozesse  —  sehr  häufig  sind  sie 
nicht  —  nicht  anders  deuten,  obgleich  natür- 
lich Vorsicht  in  der  Diagnose  immer  notig 
ist.  Verwachsungen  des  Appendix  mit  dem 
Coecum  z.  B.  können  ähnliche  Bilder  er- 
zeugen. 

Die  Koprostasierung  spielt  sich  im  Typhlon 
ab.  Bei  sehr  gunstigen  Bedingungen  gelingt 
es,  den  Appendix  deutlich  als  dünnen  Strang 
von  jenem  gefüllten  Darmteil  abzugrenzen. 
Manchmal  ist  auch  der  Appendix  mit  gefüllt 
(Lympius18)  u.  a.).  Übrigens  kommen  ja 
auch  in  tieferen  Darmteilen  (z.  B.  im  S  Ro- 
manum),  wo  Koprostasierung  häufiger,  die 
Entleerung  aber  leichter  ist,  analoge  Entzün- 
dungen vor. 

Gelangen  wir  so  zu  der  Annahme,  daß 
wohl  bei  der  Mehrzahl  der  chronischen  und 
auch  bei  vielen  akuten  Fällen  der  Darm- 
tractus  in  größerer  Ausdehnung  unter  der- 
selben Schädigung  steht  —  auf  die  Art  der- 
selben können  wir  hier  nicht  eingehen  — , 
so  erhebt  sich  die  Frage,  warum  gerade 
in  der  Blinddarmgegend  ungleich 
häufiger  als  an  anderen  Stellen  des 
Darms  so  schwere  Gefahren  drohen. 
Warum  —  um  einiges  herauszugreifen  — 
hier  gerade  die  Bildung  von  Granulations- 
gewebe (Appendicitis  granulosa  Riedel),  oft 
mit  Blutaustritten,  die  Geschwürsbildung,  die 
Kotsteinbildung,  die  Thrombophlebitis  der 
Wurzelvenen  mit  nachfolgender  Infarcierung 
(nach  Meisel)? 

Die  Antwort  sucht  man  gewöhnlich  in 
gewissen  anatomischen  Verhältnissen  (Enge 
des  Rohrs,  Reichtum  an  Follikeln  etc.)  und 
in  dem  rudimentären  Charakter  des  Wurm- 
fortsatzes. Wenn  jene  oft  erörterten  anato- 
mischen Verhältnisse  zweifellos  mit  Recht 
ins  Feld  geführt  werden,  so  erscheint  mir 
die    rudimentäre  Natur    eines    so    reich    mit 


")  Lympius,  4  bemerkenswerte  Fälle  von 
Appendicitis.  Vereinigung  niederrheinisch-westfali- 
scher  Chirurgen  in  Düsseldorf  XI  und  XII.  Vers. 
Referiert  Deutsche  Medizinische  Wochenschr.  1902. 

Th.  M.  1905. 


Lymphapparaten  ausgestatteten  Organs  durch- 
aus zweifelhaft.  Nach  manchen  Biologen, 
denen  ich  mich  entschieden  anschließe,  erscheint 
überhaupt  das  Vorkommen  rudimentärer  Or- 
gane ohne  jede  Funktion  nicht  erwiesen. 
Daß  wir  die  Funktion  eines  Organs  nicht 
genau  kennen,  beweist  nicht,  daß  es  keine 
hat;  übrigens  produziert  der  Wurmfortsatz 
ein  wäßriges  Sekret,  und  seine  Leistung  wird 
gerade  in  letzter  Zeit  wieder  diskutiert.  Die 
Variabilität  teilt  der  Wurmfortsatz  mit  vielen 
Abschnitten  des  Darms,  die  Ersetzbarkeit 
der  Funktion  durch  andere  Organe  ohne  er- 
sichtliche Störung  z.  B.  mit  der  Milz.  Wenn 
der  Appendix,  was  bestritten  wird,  sich  ohne 
eigentlich  pathologische  Vorgänge  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Lebens  oft  involviert,  so 
beweist  auch  das  nur,  daß  er  in  jener  Zeit, 
ähnlich  wie  die  Thymus  und  gewisse  Formen 
des  Knochenmarks,  nicht  mehr  gebraucht 
wird. 

Dagegen  scheint  mir  die  Tatsache  viel 
zu  wenig  beachtet,  daß  die  Darmpartieen  in 
der  Umgebung  der  Ileocökalklappe  von  den 
verschiedensten  chronischen  und  akuten  Schä- 
digungen am  stärksten  verändert  werden.  An 
dieser  Stelle,  wo  auch  normalerweise  höchst 
wichtige  Vorgänge,  die  Überführung  der  Dünn- 
darm- in  die  Dickdarmverdauung,  sich  ab- 
spielen, erhebt  sich  auch  augenscheinlich, 
wie  bei  Halserkrankungen  an  den  Mandeln, 
der  heftigste  Kampf  gegen  eindringende  feind- 
liche Mächte.  Ob  es  einen  Zweck  hat  und 
welchen,  daß  ein  Teil  dieses  Kampfes  in 
einen  Nebenraum,  wie  Coecum  und  Appendix, 
verlegt  wird,  muß  die  Zukunft  lehren;  jeden- 
falls tobt  er  hier  am  heftigsten.  Verfüttert 
man  Tieren  Streptokokken  und  Bacterium 
coli,  so  findet  man  im  Darmkanal  nur  Schwel- 
lung der  Pey  ersehen  Plaques,  aber  im  Appen- 
dix tiefgehende  Veränderungen  (N  i  c  o  - 
laysen19)).  In  der  ungeheuren  Mehrzahl 
der  Fälle  bleibt  die  bedrohte  Darmpartie 
siegreich,  in  bedingtem  Grade  auch  dann 
noch,  wenn  dabei  der  gefährdete  Darmteil 
durch  entzündliche  Obliteration  für  spätere 
Kämpfe  verloren  geht.  Nur  selten  kommt 
es  zu  den  schweren  Erkrankungen,  zur  akuten 
Perityphlitis  in  ihren  verschiedenen  Formen, 
jedenfalls  nicht  nur  wegen  der  durch  anato- 
mische Verhältnisse  bedingten  Schwäche  der 
Position,  sondern  auch  wegen  der  besonders 
heftigen  Reaktion  dieser  Gegend  auf  Schädif 
gungen  aus  funktionellen,  noch  nicht  genügend 
im  einzelnen  bekannten  Gründen. 

Neben  diesen  wichtigen  Beziehungen  zum 
Darmtractus    spielen    alle    übrigen    eine    ge- 

19)  Nicolaysen,  Experimentelle  Appendicitis. 
Nord.  med.  ark.  3  F.  II  Afd.  I  4.  No.  24,  1901. 
Referiert  nach  Schmidts  Jahrbuchern  1903,  Heft  6. 

15 


182 


H«rs,  Chronische  Entzündungen  dar  Blinddmrmgegand. 


rTherapentiaehe 
L   Monatshefte. 


ringere,    wenn    auch    keineswegs    zu    unter- 
schätzende Rolle. 

Hierher  gehören  die  Zirkulations- 
verhältnisse  im  Unterleibe.  Ob  mangel- 
hafte arterielle  Blutversorgung  gerade  bei 
gewissen  sehr  schweren  akuten  Formen  von 
Appendicitis  eine  Rolle  spielt,  wie  behauptet 
worden,  haben  wir  hier  nicht  zu  untersuchen; 
bei  den  chronischen  Fällen  habe  ich  nichts 
gesehen,  was  auf  ihre  Entstehung  durch 
Anämisierung  hinweisen  konnte.  Dagegen 
scheinen  passiv  hyperämische  Zustände  dabei 
nicht  ganz  ohne  Bedeutung  zu  sein,  was  mit 
mancherlei  experimentell  gewonnenen  Tat- 
sachen (de  Klecki20)  u.  a.)  übereinstimmt. 
Ich  sah  zweimal  bei  Herzleidenden  mit  großer 
Stauungsleber  Erscheinungen  von  chronischer 
Appendicitis;  einmal  auch  bei  Pfortader- 
stauung infolge  Leberanschoppung  (l.  Stadium 
der  Cirrhose  bei  einem  Alkoholiker).  Die 
Annahme  liegt  nahe,  daß  es  sich  auch  hier 
um  allgemeinere  sog.  Stauungskatarrhe  han- 
delte; die  Stauung  verhindert  wohl  in  der 
Hauptsache  nur  die  Heilung  des  anderweitig 
akquirierten  Katarrhs  und  damit  auch  der 
begleitenden  Appendicitis.  Ob  bei  jenen 
Kranken  noch  andere  Verhältnisse,  etwa  die 
Veränderung  der  Leberfunktion,  in  Betracht 
kommen,  läßt  sich  nicht  sagen.  Die  aktive 
Hyperämie  endlich  kann  gelegentlich  als  aus- 
lösendes, wenn  nicht  als  ursächliches  Moment 
eines  Anfalls  bei  intermittierender  Appendi- 
citis bezeichnet  werden.  So  z.  B.  bei  der 
Periode  der  Frauen;  bei  dem  Krankheitsbild 
der  Plethora  abdominalis,  das  ich  ander- 
weitig81) ausführlich  beschrieben  habe,  kom- 
men periodische  Kongestionen  nach  dem 
Unterleibe  vor,  die  in  zwei  Fällen  mit  deut- 
lichen Erscheinungen  leichter  Blinddarm- 
reizungen verknüpft  waren. 

Wichtiger  noch  als  Störungen  der  Zir- 
kulation sind  solche  der  nervösen  Versor- 
gung der  Unterleibsorgane  bei  der  Ent- 
stehung der  Appendicitis.  Nach  Seh  au - 
mann98)  zeigen  75  Proz.  aller  Fälle  nervöse 
Disposition;  in  den  chronischen  Fällen,  die 
Lenzmann  1.  c.  beschrieb,  mußte  ein  nicht 
gerade  krankhaftes,  aber  doch  erethisches 
Nervensystem  angenommen  werden.  Auch  bei 
meinen  Kranken  war  die  ererbte  oder  auch 
erworbene  Grundlage  auffällig  oft  nachzu- 
weisen. 

*  30)  Ch.  de  Klecki,  Pathogenie  de  Pappendicite. 
Annale 3  de  FInstitut  Paste ur  1899. 

ai)  H.  Herz,  Die  Störungen  des  Verdauungs- 
apparates als  Ursache  und  Folge  anderer  Erkran- 
kungen.   Berlin  1898,  S.  Karger. 

*')  Ossian  Schaumann,  Sind  irgendwelche 
genetischen  Beziehungen  zwischen  den  allgemeinen 
Neurosen  und  der  Appendicitis  denkbar?  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1900,  No.  44. 


Nach  meinen  Erfahrungen  bestand  in  den 
meisten  dieser  Fälle  ein  Krankheitsbild,  das 
man  bei  beträchtlicher  Ausprägung  gewisser 
Symptome  als  „Senkung*4  der  Unterleibs- 
organe bezeichnet,  aber  besser  als  nervöse 
Erschlaffung  und  Überempfindlichkeit  der- 
selben bezeichnen  sollte:  große  Neigung  zu 
atonischen  Zuständen  glatter  und  quer- 
gestreifter Muskeln,  Erschlaffung  der  peri- 
tonealen und  anderer  Haltbänder  (sodaß  Ver- 
lagerungen zu  stände  kommen  können,  aber 
nicht  müssen),  Hyperästhesie  gegen  äußeren 
Druck  und  innere  Reize  bilden  die  Sympto- 
matologie dieses  Leidens.  Es  ergibt  sich 
daraus,  wie  schwer  es  ist,  Druckempfindlich- 
keit in  der  Blinddarmgegend,  ja  auch  das 
Auftreten  einer  druckempfindlichen  zylindri- 
schen Geschwulst  daselbst  für  die  Diagnose 
der  Appendicitis  zu  verwerten,  wenn  jene 
Hyperästhesie  besteht,  die  bei  verschiedenen 
Individuen  und  bei  demselben  Individuum  zu 
verschiedenen  Zeiten  sehr  wechselnd  sein 
kann.  In  manchen  Fällen  bleibt  man  dauernd 
zweifelhaft,  in  anderen  ergibt  längere  Beob- 
achtung, die  Zuhilfenahme  anderer  Kriterien 
(manchmal  hilft  Vergleich  mit  der  ent- 
sprechenden Stelle  links!)  doch  die  sichere 
Diagnose.  Manche  übertriebenen  Angaben, 
z.  B.  die  von  Edebohls83),  der  chronische 
Appendicitis  für  das  konstanteste  einzelne 
Symptom  oder  die  konstanteste  Folge  der 
Symptome  erzeugenden  rechten  Wanderniere 
hält,  finden  ihre  teilweise  Erklärung  in 
solchen  diagnostischen  Irrtümern.  Aber  auch 
nach  Abzug  der  zweifelhaften  Fälle  konnte 
ich  in  der  knappen  Hälfte  meiner  Beob- 
achtungen von  Appendicitis  alier  Art  die  ge- 
schilderte Affektion  der  Unterleibsorgane  zu- 
gleich mit  nervöser  Disposition,  welche 
zweifellos  die  Grundlage  jener  darstellt,  nach- 
weisen. 

Wie  diese  Zustände  die  Erkrankung  des 
Wurmfortsatzes  begünstigen  können,  darüber 
sind  die  Akten  nicht  geschlossen.  Edebohls 
macht  venöse  Stauung,  verursacht  durch  den 
Druck  der  herabsteigenden  Niere  auf  den 
Pankreaskopf  und  indirekt  auf  die  Vena 
mesenterica  superior  als  ursächliches  Moment 
geltend,  eine  wenig  wahrscheinliche  Hypo- 
these, zumal  derartige  Stauungszustände 
keineswegs  zum  Krankheitsbild  der  Ptose  ge- 
hören. Schaum  ans  nimmt  an,  daß  die 
Lageveränderungen  als  solche,  eventuell  auch 
Eigentümlichkeiten  in  der  feineren  Struktur 
des  Organs  die  Disposition  zur  Entzündung 
geben.     Beachtenswert   erscheint  die  Angabe 

M)  G.  M.  Edebohls,  Wanderniere  und  Appen- 
dicitis; deren  häufige  Koexistenz  und  deren  simul- 
tane Operation  mittels  Lumbal  schnitt  Zentr.-Bl. 
f.  Gynäkol.  1898,  No.  40. 


XIX.  Jahrgang.! 
April  1906.    J 


H«rs,  Chronisch«  Entzündungen  der  Blinddarmgegend. 


183 


von  Adler54),  daß  durch  die  nervöse  Grund- 
lage die  Darmmuskulatur  zur  Insuffizienz 
neigt,  wodurch  die  Entwicklung  von  Ent- 
zündungen begünstigt  wird.  Wenn  man,  wie 
oben  geschehen,  die  sog.  Ptose  mit  der  Nei-' 
gung  zu  atonischen  Zuständen  als  wesent- 
lichstes Bindeglied  zwischen  nervöser  Dis- 
position und  Appendicitis  betrachtet,  wenn 
man  die  besonderen  Schwierigkeiten  für  den 
Transport  der  Inhaltsmassen  in  der  Blind- 
darmgegend im  allgemeinen  und  im  Wurm- 
fortsatz im  speziellen  bedenkt,  so  wird  jeden- 
falls leicht  Gelegenheit  zur  Stagnation,  zum 
Haftenbleiben  von  Schädigungen  gegeben  er- 
scheinen. 

Sehr  interessant,  allerdings  noch  recht 
dunkel  erscheint  der  Zusammenhang  zwischen 
chronischen  Stoffwechselstörungen  und 
Appendicitis. 

Mehrfach  sind  Fälle  von  Gicht  beschrieben, 
wo  ein  Anfall  von  Perityphlitis  gleichsam  als 
Äquivalent  einer  Gichtattacke  einmal  oder 
mehrmals  aufgetreten  sein  soll.  Mangels 
eigener  Erfahrungen  verzichte  ich  auf  eine 
Diskussion  dieser  Angaben.  Dagegen  habe 
ich  sehr  auffallige  Beobachtungen  über  ein 
in  der  Literatur  meines  Wissens  kaum  be- 
achtetes Zusammentreffen  von  Zuckerharnruhr 
mit  Perityphlitis  gemacht.  Ich  habe  das- 
selbe viermal  gesehen,  habe  diese  4  Fälle 
jahrelang  beobachten  können.  Einmal  han- 
delte es  sich  nur  um  einen  vereinzelten  An- 
fall von  Blinddarmentzündung,  in  den  drei 
anderen  Fällen  aber  um  die  intermittierende 
Form.  Ich  würde  vielleicht  zufallige  Koin- 
zidenz annehmen,  wenn  nicht  in  allen  Fällen 
zugleich  ein  enormes  Ansteigen  der  Zucker- 
produktion, in  zwei  Fällen  auch  das  Auf- 
treten von  Aceton  und  Acetessigs&ure,  die 
sonst  nicht  vorhanden  waren,  einen  näheren 
Zusammenhang  dokumentiert  hätten.  Nach 
Überstehen  der  meist  sehr  schmerzhaften, 
aber  sonst  nicht  schweren  Anfälle  war  der 
Urinbefund  recht  bald  wieder  der  alte. 
Eigentümlich  war  noch  bei  diesen  Zucker- 
kranken das  Auftreten  spastischer  Erschei- 
nungen an  verschiedenen  Stellen  des  Darms 
während  des  Anfalls,  sodaß  in  ganz  merk- 
würdiger Weise  zugleich  und  nacheinander 
unbestimmte  Tumoren  bald  hier,  bald  da  zu 
konstatieren  waren.  Die  Fälle  machten  auch 
in  ihrem  Gesamthabitus  zuweilen  den  Ein- 
druck einer  Intoxikation,  es  lag  nahe,  an 
eine  akute  Stoffwechselstörung  im  Verlauf 
des  Diabetes  mit  Krampf  zuständen  im  Darm 
zu  denken. 

Endlich  resultieren  noch  aus  der  benach- 


u)  Adler,    Über  Appendicitis    in    „nervösen" 
Familien.    Neorol.  Zentr.  Bl.  1901,  No.  4. 


harten  Lagerung  und  aus  gewissen  Beziehun- 
gen der  Kreislaufsapparate  beider  Organ- 
systeme sehr  wichtige  Zusammenhänge  zwi- 
schen den  Erkrankungen  der  weiblichen 
Genitalien  und  denen  des  Wurmfortsatzes. 
So  häufig  und  bedeutsam  diese  Verhältnisse 
sind,  kann  ich  mich  doch  kurz  fassen,  da 
sie  von  gynäkologischer  Seite  in  letzter  Zeit 
ausführlich  und  erschöpfend  behandelt  sind 
(E.  Fränkel  1.  c.  u.  a.). 

Aus  meinem  Material  möchte  ich  nur  die 
relative  Häufigkeit  erwähnen,  mit  der  ich  bei 
jungen  Mädchen  (von  zweifelloser  Virginität) 
Dysmenorrhoe  und  intermittierende  Appen- 
dicitis gesehen  habe.  Die  Anfälle  der  letz- 
teren traten  oft,  aber  durchaus  nicht  immer, 
im  Zusammenhange  mit  der  Periode  auf. 
Einige  Patientinnen  vermochten  den  dysmenor- 
rhoischen  und  den  appendicitischen  Schmerz 
nach  Art,  Intensität  und  Sitz  deutlich  zu 
unterscheiden.  Nur  einmal  sicher,  ein  an- 
deres Mal  in  zweifelhafter  Weise  konnte  ich 
das  Überstehen  ernsterer  Blinddarm-  resp. 
Bauchfellentzündung  in  früher  Jugend  nach- 
weisen. Die  Fälle  kamen  bei  geeigneter 
interner  Behandlung  zur  Heilung. 

Die  Voraussage  der  chronischen  Appen- 
dicitis kann  quoad  vitam  bei  geeignetem  Ver- 
halten des  Kranken  und  geeigneter  Behand- 
lung als  günstig  bezeichnet  werden.  Quoad 
sanationem  ist  zu  bemerken,  daß  manche 
Fälle  der  inneren  Therapie  jahrelang  trotzen; 
doch  kommen  auch  sie  schließlich,  eventuell 
unter  Zuhilfenahme  der  chirurgischen  Be- 
handlungsmethoden, fast  immer  zur  Heilung. 

Unter  meinem  ganzen  Material  von  über 
130  Fällen,  die  mir  im  subakuten  •  resp. 
chronischen  Zustande  in  Beobachtung  kamen, 
ist  meines  Wissens  nur  ein  Fall  ad  exitum 
gekommen,  und  auch  dieser  wohl  nur  durch 
ungeeignetes  Verhalten  im  Beginn  der  akuten 
Exazerbation.  Es  handelte  sich  um  einen 
Herrn,  der  sich  nach  zweimaliger  Konsultation 
in  meiner  Sprechstunde  —  die  Piagnose  war 
nur  mit  Wahrscheinlichkeit  zu  stellen  — 
meiner  Behandlung  entzog;  er  starb  ca. 
1  Jahr  später  an  einer  akuten  Perforations- 
peritonitis,  nachdem  er  zuverlässigen  Be- 
richten nach  in  den  ersten  Tagen  der  heftig 
aufflackernden  Erkrankung  in  übertriebenster 
Weise  von  Abführmitteln  Gebrauch  gemacht 
hatte.  Von  den  anderen  Fällen  habe  ich 
zwar  nicht  alle,  aber  den  größten  Teil  jahre- 
lang im  Auge  behalten  oder  kenne  doch 
wenigstens  den  Ausgang  ihres  Leidens.  Einige 
wenige  Fälle  haben  noch  immer  mehr  oder 
minder  große  Beschwerden:  sie  haben  weder 
zu  energischer  interner  Behandlung  die  Aus- 
dauer, noch  zur  chirurgischen  den  Mut.  Alle 
anderen  sind,  soweit  sie  nicht  noch  als  relativ 

15* 


184 


H«rs,  Chronische  Entzündungen  der  Bllnddarmgegend. 


fTharapral 
L   Monjitah 


frisch  in  meiner  Behandlung  sind,  geheilt 
oder,  wenn  wir  uns  'vorsichtiger  ausdrücken 
wollen,  in  ein  schon  lange  anhaltendes  latentes 
Stadium  übergegangen,  größtenteils  auf  in- 
ternem Wege,  16  Fälle  durch  chirurgische 
Hilfe. 

Dieser  günstige  klinische  Verlauf  kon- 
trastiert einigermaßen  mit  dem  Befund  bei 
den  in  den  letzten  Jahren  so  zahlreich  aus- 
geführten Exstirpationen  des  Wurmfortsatzes; 
grade  im  Hinblick  auf  die  große  Reihe  dieser 
gruslig  aussehenden  Präparate,  bei  welchen 
eine  Naturheilung  gar  nicht  oder  doch  hur 
unter  ganz  besonders  glücklichen  Umständen 
möglich  sei,  plaidieren  zahlreiche  Chirurgen 
jetzt  für  möglichst  radikales  Vorgehen  gegen 
ein  so  gefährliches  Organ.  Und  nicht  nur 
der  Befund,  auch  der  Verlauf  sei  eine  War- 
nung. „Wie  häufig  kommt  es  vor,  daß  die 
gewiegtesten  Ärzte,  die  erfahrensten  Kliniker 
einen  fieberlos  und  ohne  schwere  allgemeine 
Erscheinungen  verlaufenden  Fall  trotz  ihrer 
bewährtesten  Heilmethoden  plötzlich  mit  ört- 
licher oder  ausgebreiteter  Peritonitis  auf  die 
„einfache",  „katarrhalische"  Appendicitis 
reagieren  sehen,  wie  oft  endet  eine  „Colica 
appendicularis"  binnen  wenigen  Tagen  mit  sep- 
tischer  Bauchfellentzündung"   (Karewski*5). 

Ja,  wie  häufig  kommt  das  den  gewiegtesten 
Ärzten  vor,  die  Frage  ist  in  der  Tat  wichtig. 
Daß  Todesfälle  durch  diffuse  Peritonitis,  In- 
toxikation, Abknickungen ,  Pylephlebitis  etc. 
trotz  aller  Sorgfalt  nicht  immer  zu  vermeiden 
sind,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  und  jeder  Arzt, 
dem  ein  solcher  Fall  vorgekommen  ist,  wird 
ihn  als  warnendes  Exempel  immer  deutlicher 
vor  sich  sehen,  als  die  zahllosen  geheilten 
Fälle.  Ich  glaube  auch,  daß  ich  bei  meinem 
Material  Glück  gehabt  habe,  wenn  ich  selbst 
die  guten  Erfolge  in  etwas  auf  frühe  Dia- 
gnose und  vorsichtigste  Behandlung  zurück- 
führen darf;  das  Beobachtungsmaterial  des 
einzelnen  ist  eben  gewöhnlich  einseitig,  bald 
auffällig  gut,  bald  auffällig  schlecht.  Aber  auch 
wenn  mir  einige  Fälle  mehr  gestorben  wären, 
ich  müßte  immer  zu  dem  Schlüsse  kommen, 
daß  die  Appendicitis  eine  ungemein  häufige 
und  bis  auf  einige  Proz.  gutartige  Erkran- 
kung ist,  besonders  gutartig,  seitdem  die 
Chirurgen  bei  gewissen  Formen  ihre  Hilfe 
leihen. 

Auf  Grund  der  höchst  zahlreichen  Heilun- 
gen, selbst  schwerer  chronischer  (und  nicht 
minder  schwerer  und  komplizierter  akuter) 
Fälle,  die  in  der  Literatur  niedergelegt  sind 
(siehe  die  Heilungen  der  Typhlitis  stercoralis, 


,5)  Karewski,  Anatomische  Befunde  bei  der 
Wurmfortsatzentzündung  etc.  Berl.  Klin.  Wochen- 
schrift 1904,  No.  10. 


die  in  der  Regel  hierher  gehört,  in  der 
älteren  Literatur)  und  die  ich  selbst  beob- 
achtet habe,  muß  ich  die  Überzeugung  aus- 
sprechen, daß  die  Vis  medicatrix  naturae 
"hier  unendlich  unterschätzt  wird.  Nicht  nur 
gelegentlich  einmal,  sondern  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  —  das  ergibt  der  Vergleich  der 
Operationsbefunde  bedenklicher  Art  mit  den 
wirklich  beobachteten  Unglücksfällen  — 
kommt  es  zur  Ausheilung;  nicht  nur  der 
Schleimhautprozeß  kann  durch  Restitution 
oder  Narbenbildung  gut  abheilen,  auch  am 
Bauchfell  kommen,  z.  T.  wohl  vermöge  des 
epithelialen  Charakters  seiner  Bekleidung, 
zahlreiche  regenerative  Veränderungen  zu 
stände,  wie  das  Meisel  (1.  c.)  auseinander- 
gesetzt hat.  Die  Gefahren  der  chronischen 
Appendicitis  sind  von  vielen  Seiten  und  mit 
Recht  betont  worden;  es  scheint  mir  an  der 
Zeit,  auch  den  trotz  jener  Gefahren  über- 
wiegend günstigen  Verlauf  ins  rechte  Licht 
zu  setzen. 

Für  den  Einzelfall  lassen  sich  nicht  un- 
wichtige prognostische  Anhaltspunkte  aus  der 
Beschaffenheit  des  Tumors  und  aus  der 
Verlaufsart  gewinnen. 

Von  den  Geschwülsten  haben  die  zylin- 
drischen und  auch  die  strangförmigen  die 
beste  Prognose.  Unregelmäßig  gestaltete  sind 
nach  dem  oben  Gesagten  verdächtig,  beson- 
ders wenn  noch  andere  Momente  (gelegent- 
liche Fiebersteigerungen,  schlechte  Ernährung, 
Widerstand  gegen  die  therapeutischen  Maß- 
nahmen) hinzukommen.  Es  handelt  sich  oft 
—  nicht  immer  —  bei  ihnen  um  Flüssig- 
keitsansammlungen in  oder  um  den  Appendix 
oder  das  Typhlon.  Auf  die  Prognose  der 
großen,  gut  abgegrenzten  Tumoren  bei  der 
progredienten  adhäsiven  Form  kommen  wir 
gleich  zurück. 

Fehlen  eines  Tumors  bei  sonst  günstigen 
Palpationsbedingungen  in  Fällen,  wo  deut- 
liche Erscheinungen  von  Perityphlitis  vor- 
handen sind,  wird  als  recht  bedenklich  an- 
.  gesehen.  Im  akuten  Anfall  halte  ich  diese  Er- 
scheinung auch  nicht  für  günstig,  wohl  weil 
dabei  die  örtliche  schützende  Reaktion  des 
Bauchfells  zu  gering  ist;  bei  chronisch  inter- 
mittierenden Formen  habe  ich  keine  üblen 
Erfahrungen  gemacht,  wenn  der  Tumor  fehlte 
oder  im  Intervall  zurückging. 

Endlich  ist  langsames  ständiges  Wachsen 
der  Geschwulst  wohl  ein  schlechtes  Zeichen, 
während  ein  mäßiges  Schwanken  der  Tumor- 
größe, oft  in  kurzen  Fristen,  ohne  Bedeu- 
tung ist. 

Was  die  Verlaufsart  anlangt,  so  hat  die 
latente  Form  im  allgemeinen  eine  sehr 
günstige  Prognose,  wie  der  Obduktionsbefund 
bei   aus    anderen  Ursachen  Verstorbenen   be- 


XIX.  jAhrganff.1 
April  1905.    J 


Hers,  Chronisch«  Entsfindungen  d«r  Blinddarmgegend. 


185 


weist.  Aber  in  seltenen  Fällen  kommen 
gerade  hier  die  fürchterlichsten  Komplika- 
tionen vor,  die  schwersten  Perforationsperito- 
nitiden  oder  auch  Ileusfälle  durch  Abknickung 
oder  Einklemmung  verschiedener  Art.  Die 
tödlichen  Fälle  von  schwerstem  akuten  Ver- 
lauf gehören  vielfach  hierher.  Immer  mehr 
Fälle  früh  zu  erkennen  und  früh  zu  behan- 
deln, wenn  nicht  gleich  operativ,  doch  intern, 
ist  eine  der  wichtigsten  Aufgaben. 

Bei  den  Fällen  mit  intermittierenden  Be- 
schwerden bietet  die  leichte  Gruppe,  bei  der 
nie  eine  deutliche  Perityphlitis  zu  stände 
kommt,  quoad  vitam  wie  quoad  sanationem 
auch  bei  interner  Therapie  sehr  gute  Chancen. 
Es  gelingt  in  der  Regel,  nach  nicht  allzu 
langer  Zeit  der  Erscheinungen  Herr  zu 
werden,  nachdem  die  Attacken  einen  immer 
leichteren  Charakter  angenommen  haben. 
Entwicklung  perityphlitischer  Abszesse  ist  ja 
natürlich  noch  in  späteren  Stadien  möglich, 
auch  durch  Beispiele  aus  der  Literatur  be- 
legt, aber  zweifellos  sehr  selten;  Perforation 
in  die  freie  Bauchhöhle  ist  kaum  bekannt. 
Doch  habe  ich  zweimal  den  Übergang  in  die 
kontinuierliche  Form  gesehen. 

Bei  der  zweiten  Unterabteilung  mit  deut- 
lichen perityphlitischen  Attacken  liegen  die 
Verhältnisse  etwas  ernster,  aber  doch  ähn- 
lich. Im  allgemeinen  werden  die  Rezidive 
leichter,  erhebliche  Eiterbildung  ist  bei  häufig 
rezidivierenden  Fällen  selten.  Aber  es  kom- 
men eben  doch  noch  bei  den  späteren  An- 
fallen größere  Abszesse  mit  all  ihren  Ge- 
fahren vor.  Perforation  in  die  freie  Bauch- 
höhle ist  bei  geeignetem  Verhalten  jedenfalls 
äußerst  selten.  Sind  doch  im  allgemeinen 
genügend  Schutzapparate  entwickelt,  die  nicht 
nur  rein  mechanisch  einen  Wall  gegen  die 
allgemeine  Infektion  bilden:  das  Bauchfell 
wird  auch  sonst  durch  häufigere  Attacken 
resistenter. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  erscheint 
z.  Z.  die  Frage,  wie  groß  die  Chance 
eines  Menschen,  der  eben  eine  akute 
Perityphlitis  überstanden  hat,  ist,  an 
einem  Rückfall  zu  Grunde  zu  gehen. 
Verlangen  doch  besonnene  Chirurgen  jetzt 
jeden  Fall  nach  überstandener  Blinddarm- 
entzündung1 zur  Operation.  Wie  stehen  nun 
jene  Chancen?  Als  das  größte  und  zuver- 
lässigste Material  der  Neuzeit  erscheint  mir 
das  von  Sahli")  durch  Sammelforschung  bei 
den  Schweizer  Ärzten  zusammengebrachte. 
Danach  beträgt  die  Gefahr  eines  Rezidivs  bei 
interner  Behandlung  20,8,  d.  h.  von  100  Ge- 
nesenen erkrankten  20,8  nochmals.    Nehmen 


*)  Sahli,  Verhandlungen  des  Kongresses  für 
innere  Medizin  1895. 


wir  die  Mortalität  der  Rezidive  als  gleich 
groß,  wie  die  der  ersten  Anfälle,  so  sterben 
8,8  Proz.  von  diesen  20,8,  also  1,83.  Also 
von  den  100  vorhin  erwähnten  Genesenen 
haben  1,83  das  Mißgeschick,  im  folgenden 
Anfall  zu  sterben.  Die  dritten  und  folgenden 
Rezidive  werden  schon  viel  seltener  und  er- 
höhen die  Mortalitätschancen  jener  100  Ge- 
nesenen nicht  sehr  erheblich,  wie  sich  durch 
analoge  Rechnung  ergibt.  » 

Ähnliches  zeigt  eine  Statistik  von  Riedel: 
23,57  Proz.  Rezidive,  davon  noch  6,4  Proz. 
Todesfälle,  das  sind  von  100  Genesenen 
1,5  Todeskandidaten.  Die  höchsten  mir  zu 
Gebote  stehenden  Zahlen,  die  ich  für  un- 
richtig halte,  sind  40  Proz.  Rezidive,  12  Proz. 
Mortalität  im  Anfall:  das  ist  nach  obiger 
Rechnung  eine  Mortalitätschance  von  4,8  Proz. 

So  bei  interner  Therapie.  Es  ist  aber 
gar  nicht  zu  bezweifeln,  daß  diese  Prozent- 
zahlen, an  sich  gering,  sehr  herabzudrücken 
sind,  wenn  man  die  besonders  gefährdeten 
Fälle  auf  Grund  der  bald  zu  erörternden 
Indikationen  bei  Zeiten  operieren  läßt.  Ich 
glaube,  daß  man  mit  Hilfe  des  Chirurgen 
auch  ohne  durchgängige  Operation  die  Mor- 
talität auf  ein  Minimum  herabdrücken  kann. 
Von  allen  Fällen,  die  ich  nach  Überstehen 
eines  akuten  Anfalls  zum  guten  Teil  noch 
jahrelang  beobachtet  habe,  ist  meines  Wissens 
kein  einziger  an  Folgezuständen  gestorben. 
Unter  den  Fällen,  die  ich  (1.  c.)  aus  dem 
Allerheiligenhospital  veröffentlicht  habe  und 
deren  weiteres  Schicksal  P.  Cohn*7)  zu 
eruieren  suchte,  fanden  sich  zwar  recht  reich- 
liche Rezidive,  aber  kein  sicherer  Todesfall 
an  Appendicitis;  (in  einem  Falle,  der  ge- 
storben war,  ist  Unterleibsentzündung  als 
Todesursache  berichtet  worden ;  doch  war  bei 
der  Diagnose  schon  die  Möglichkeit  einer  tuber- 
kulösen Perityphlitis  angenommen  worden). 

Endlich  die  Entzündungen  mit  konti- 
nuierlichem Verlauf.  Ihre  Prognose  quoad 
vitam  ist  auch  recht  günstig.  Nur  Fälle  mit 
häufigem  und  unregelmäßigem  Fieber  sind 
höchst  suspekt  und  gehören  sicher  dem  Chi- 
rurgen. Quoad  sanationem  ist  ein  Teil  dieser 
Fälle  hartnäckig.  Zwar  habe  ich  auch  hier 
in  den  meisten  Fällen,  selbst  recht  veralteten 
und  schwer  aussehenden,  gute  Resultate  ge- 
sehen, aber  manche  Zustände  verhalten  sich 
dauernd  refraktär  gegen  innere  Therapie. 
Man  kann  manchmal  schon  sehr  bald,  durch 
die  ganze  Art  des  Verlaufes,  das  unaufhalt- 
same Ansteigen,  erkennen,  daß  man  es  mit 
einer  intensiven  Affektion  zu  tun  hat. 


*7)  Paul  Cohn,  Beitrag  zur  prognostischen 
und  therapeutischen  Beurteilung  der  Perityphlitis. 
Inaug.-Dissert.  Breslau.  Dez.  1896. 


186 


Hers,  Chronisch«  Entzündungen  der  BHnddarmfftgend. 


rThwmpen 
L  Moiuttefa 


entliehe 
MonJttehefte. 


"Während  bei  den  gewöhnlichen  Fällen 
dieser  Gruppe  wenigstens  die  Operation 
günstige  Aussichten  bietet,  ist  die  Voraussage 
bei  der  progressiven  plastischen  Form  immer 
dubia.  Manchmal  sieht  man  ja  selbst  bei 
großen  Tumoren  dieser  Art  überraschend 
günstige  Erfolge;  ich  sah  einen  kindskopf- 
großen Tumor  der  betreffenden  Gegend  unter 
Moorumschlägen  und  Brunnenbehandlung 
schwinden.  Aber  nicht  selten  gehen  doch 
die  Kranken  bei  dieser  im  ganzen  seltenen 
Erscheinungsform  oft  durch  Entkräftung,  all- 
gemeine Bauchfellentzündung,  Ileus  zu  Grunde. 
Leider  sind  auch  die  Operationsresultate  bei 
großer  Ausdehnung  dieser  Erkrankungsherde 
nicht  gerade  günstige,  wie  die  Fälle  von 
Jaffe58),  Karewski  (1.  c.)  und  vielen  an- 
deren beweisen. 

Bezüglich  der  Behandlung  könnte  ich 
mich  im  Sinne  der  meisten  Chirurgen  wohl 
recht  kurz  fassen:  jeder  Wurmfortsatz,  der 
Beschwerden  macht  oder  gemacht  hat,  muß 
operativ  entfernt  werden,  das  ist  wohl  jetzt 
die  immer  mehr  vordringende  Anschauung. 
In  erster  Reihe  erstreckt  sich  diese  Forderung 
ja  auf  die  Kranken,  die  einen  Anfall  von 
akuter  Perityphlitis  hinter  sich  haben.  Nun 
ist  aber  die  akute  Attacke  sehr  oft  etwas 
gewissermaßen  Zufälliges,  ein  Intermezzo  im 
Verlauf  einer  chronischen  Erkrankung,  und 
es  ist  nicht  sicher,  daß  nach  solchem  Inter- 
mezzo die  Gefahr  der  Erkrankung  so  wesent- 
lich erhöht  ist.  In  jedem  Fall  von  chroni- 
scher Appendicitis  besteht  eben  die  mehr 
oder  weniger  groß  geschätzte  Gefahr  schwerer 
und  selbst  tödlicher  Komplikationen.  Es  ist 
also  die  Frage  des  chirurgischen  Eingriffs 
für  alle  Fälle  diskutabel.  ' 

Die  oben  skizzierte  Indikationsstellung 
hat  den  Vorzug  der  Einfachheit;  auch  zweifle 
ich  nicht,  daß  sich  auf  diese  Weise  in  der 
Regel  zufriedenstellende  Resultate  erreichen 
lassen. 

Ob  dieselben  aber  besser  sind,  als  bei 
einem  individualisierenden  Verhalten,  das  von 
allen  Mitteln  der  Therapie  Gebrauch  macht, 
scheint  mir  keineswegs  erwiesen. 

Die  vornehmste  Aufgabe  der  operativen 
Therapie  ist  die  Heratdrückung  der  Mortali- 
tätsquote; die  Hoffnung,  daß  sie  je  gleich 
Null  wird,  halte  ich  schon  wegen  der  vielen 
latenten  oder  auch  undiagnostizierbaren  Fälle 
für  eine  Utopie.  Nun  ist  aber  die  Mortalität 
bei  chronischen  Fällen,  wie  ich  oben  selbst 
bei  den  relativ  schweren,  mit  akuten  Attacken 
einhergehenden  nachzuweisen  versuchte,  eine 


M)  Max  Jaffe,  Zur  Exstirpation  des  Wurm- 
fortsätze* im  freien  Intervall.  Zentr.-Bl.  f.  Chirurgie 
1901,  No  31. 


geringe,  nur  einige  Prozent  betragende.  Von 
den  betreffenden  Todeskandidaten  wird  sich 
ein  großer  Teil  dem  kundigen  Auge  alsbald 
als  hilfsbedürftig  erweisen:  es  handelt  sich 
um  die  gleich  zu  erörternden  Fälle,  die  aus 
innerem  oder  äußerem  Grunde  die  Operation 
erheischen.  Bleiben  also  nur  die  Kranken 
zu  retten,  in  denen  trotz  relativ  sehr  leichter 
oder  zur  Zeit  fehlender  Krankheitserschei- 
nungen nach  konservativem  Verhalten  der 
Exitus  erfolgt:  ein  Ereignis,  das  vorkommt, 
das  ich  aber  anderweitigen  Behauptungen 
gegenüber  doch  für  sehr  selten  halten  muß, 
wenn  man  die  Fälle  ausnimmt,  in  denen  die 
Diagnose  nicht  gestellt,  oder  die  Behandlung 
in    recht    nachlässiger  Weise   geführt  wurde. 

Sind  nun  wirklich  alle  Unglücksfälle 
durch  ausnahmsloses  Operieren  zu  vermeiden? 
Das  ist  nicht  der  Fall.  Die  Herausnahme 
des  Appendix  in  der  anfallsfreien  Zeit  ist 
zweifellos  in  der  Regel  gefahrlos.  Manchen 
Operateuren  ist  es  geglückt,  Hunderte  von 
Fällen  ohne  Todesfall  zu  operieren;  andere 
haben  schlechtere  Resultate  zu  verzeichnen. 
Im  ganzen  dürfte  vielleicht  die  von 
Sprengel")  berechnete  Zahl:  0,86  Proz. 
Mortalität  das  Richtige  treffen.  Ileus,  Em- 
bolie,  Pneumonie,  Erschöpfung,  die  Narkose 
figurieren  als  Todesursachen.  Natürlich  sind 
besonders  gefährliche  Formen  der  chronischen 
Appendicitis,  z.  B.  die  progrediente  adhäsive 
Periappendicitis ,  bei  diesen  Operationen 
ä  froid  nicht  mitgerechnet.  Ob  bei  Ent- 
fernung des  Wurmfortsatzes  durch  kleinen 
Schnitt  latente  Eiterherde  zu  übersehen  sind, 
ist  nicht  bekannt. 

Bedenkt  man  nun  die  ungeheure  Zahl 
der  Kranken,  bei  denen  sich  eine  chronische 
Entzündung  in  der  Blind darmgegend  nach- 
weisen läßt,  so  ist  bei  relativ  geringer  Ge- 
fährlichkeit der  Operation  der  absolute  Ver- 
lust an  Menschenleben  doch  nicht  so  gering. 
Ich  bin  erstaunt,  daß  auch  solche  Operateure, 
die  Todesfälle  zu  beklagen*  hatten,  ihn  „gleich 
Null"  setzen*).  Die  Mortalität  der  rein 
intern  behandelten  chronischen  Appendicitis 
ist  wohl  schlechter,  beträgt  mehrere  Pro- 
zent; ob  aber  bei  geeigneter  Auswahl  der 
Operationsfälle  mehr  Unglücksfälle  passieren, 
als  bei  ausnahmslosem  Operieren,  das  ist 
nicht  zu  beweisen;   die  Unterschiede  dürften 


M)  Sprengel,  Archiv  für  klin.  Chir.  LXVHI, 
1902. 

*)  Beliebt  ist  in  der  Praxis  der  Vergleich  der 
Operationsgefahr  mit  der  einer  Eisenbahn  fahrt; 
diese,  wird  dem  Patienten  gesagt,  unternehme  er 
doch  auch  ganz  sorglos.  Zur  Charakterisierung 
dieses  Vergleichs  führe  ich  nur  an,  daß  in  England 
nach  einem  Durchschnitt  von  13  Jahren  von 
72,8  Millionen  Eisenbahnreisenden  einer  getötet 
wurde. 


XIX.  Jahrgang.1 
April  1905.    J 


Hers,  Cbronttche  EotzQndungftn  der  Blinddarmgegend. 


187 


jedenfalls  gering  sein.  —  Übrigens  mußte 
bei  Ausdehnung  unserer  diagnostischen  Fähig- 
keiten der  latenten  Form  gegenüber  die  Zahl 
der  Operationen    ins  Ungemessene    wachsen. 

Sind  aber  die  Erfolge  der  exklusiv  ope- 
rativen und  die  der  auswählenden  Methode 
die  gleichen  oder  nur  unbedeutend  verschieden, 
so  erscheint  es  mir  nicht  ärztliche  Aufgabe, 
das  Individuum,  das  meinen  Rat  aufsucht, 
einem  Unglücksfall  durch  Operation  auszu- 
setzen, damit  ein  oder  meinetwegen  selbst 
zwei  andere  Individuen  einem  natürlichen 
Unglücksfall  entgehen.  Dazu  müßten  die 
Chancen  auf  beiden  Seiten  viel  verschiedener 
sein. 

Endlich  erwähne  ich  noch,  daß  sich  unter 
meinen  Kranken  auch  solche  mit  Arterio- 
sklerose, mit  Stauungszuständen,  mit  Diabetes 
und  anderen  Krankheiten  befanden,  Leute, 
bei  denen  erfahrungsgemäß  die  Operations- 
gefahren größer  sind,  als  bei  sonst  Gesunden. 

Abgesehen  von  der  Lebensgefahr,  nach 
meinen  Erfahrungen  öfter  als  diese,  sind  es 
die  Beschwerden  der  Kranken,  welche  die 
Operation  indizieren.  Zweifellos  ist  sie  in 
dieser  Beziehung  sehr  oft  eine  höchst  dank- 
bare. Aber  auch  hier  muß  "Wasser  in  den 
Wein  geschüttet  werden.  Die  Operation  als 
solche  kann  neue  Beschwerden  schaffen,  und 
vor  allem  sind  durchaus  nicht  immer  die 
Kranken  nach  Entfernung  des  Appendix  von 
allen  ihren  früheren  Beschwerden  befreit. 

Krankheitszustände  als  Folge  der  Ope- 
ration ä  froid  sind  im  ganzen  wohl  selten. 
Langanhaltende  Venen thrombosen  sind  be- 
schrieben. Auch  Fistelbildungen  kommen 
vor  (s.  Mühsam30)).  In  der  Regel  werden 
diese  Zustände  wohl  zur  Heilung  zu  bringen 
sein.  Bauchbrüche  sollen  durch  die  neuere 
Technik  fast  ausnahmslos  zu  verhüten  sein, 
erst  die  Zukunft  kann  lehren,  ob  wirklich 
alle  diese  Narben  halten  werden.  Aufmerk- 
sam machen  möchte  ich  auf  2  Fälle,  die  mir 
bekannt  geworden  sind,  wo  die  Kranken 
längere  Zeit  an  heftigen  (neural gif ormen?) 
Schmerzen  in  der  Narbe  litten. 

Die  Frage  wenigstens  möchte  ich  schließ- 
lich noch  stellen  —  erst  jahrzehntelange 
Beobachtung  eines  größeren  operierten  Ma- 
terials kann  sie  entscheiden  — ,  ob  die  wurm- 
fortsatzlosen Individuen  gegen  alle  vom  Darm 
wirkenden  Schädigungen  ebenso  widerstands- 
fähig sind  wie  die  anderen?  Bis  jetzt  sind 
allerdings  wohl  keine  Schädigungen  durch 
Verlust  des  Appendix  beobachtet. 

Viel    wichtiger    ist,    daß   leider  nicht  in 


w)  Richard  Mühsam,  Die  im  Verlaufe  der 
Blinddarmentzündung  auftretenden  Fisteln.  Mitteil. 
aas  den  Grenzgebieten  der  Med.  a.  Ghir.  XI,  1903. 


allen  Fällen  Aufhören  der  Beschwerden  nach 
der  Operation  garantiert  werden  kann.  Bei 
dem  Zusammenhang,  in  dem  nach  obigen 
Ausführungen  die  örtliche  Erkrankung  mit 
diffuseren  Darmkatarrhen,  mit  allgemeiner 
Ptose  u.  8.  w.  steht,  bei  der  Häufigkeit  zu- 
rückbleibender peritonealer  Verwachsungen 
etc.  ist  es  ja  auch  schwer  verständlich,  daß 
die  Exstirpation  des  Appendix  nun  alle  Be- 
schwerden plötzlich  beheben  soll.  Vielmehr 
ist  es  auffällig,  wie  oft  das  geschieht,  selbst 
wenn  es  sich  z.  B.  um  ganz  obliterierte  Or- 
gane handelt.  Der  momentan  günstige  Er- 
folg beruht  dann  oft  mit  auf  den  oben  schon 
geschilderten  Verhältnissen  (allgemeine  Wir- 
kung der  Eröffnung  der  Bauchhöhle  und  der 
Wegnahme  eines  besonders  erkrankten  Teils, 
psychische  Beeinflussung,  Bettruhe,  vielleicht 
auch  Nervendurchschneidung  etc.).  Sicher  be- 
stimmbar ist  also  der  Erfolg  nicht;  manch- 
mal treten  nach  einiger  Zeit  die  Beschwerden 
wieder  sehr  hervor,  während  sie  in  anderen 
Fällen  glücklicherweise  doch  einige  Zeit  nach 
der  Operation  verschwinden. 

In  der  Freude  über  die  gelungene  Ope- 
ration scheinen  manche  Chirurgen  diesen  Zu- 
ständen wenig  Beachtung  geschenkt  zu  haben; 
„völlige  Heilung"  ist  bei  ihnen  der  gewöhn- 
liche Erfolg.  Andere,  wie  Ho  che n  egg  (s.  o.), 
sind  weniger  begeistert,  suchen  aber  den 
Patienten  klar  zu  machen,  daß  nach  Ent- 
fernung ihres  Appendix  allen  diesen  Sym- 
ptomen weniger  Bedeutung  beizulegen  sei, 
als  früher,  wo  man  immer  einen  akuten  Aus- 
bruch der  Perityphlitis  befürchten  mußte. 
Übrigens  ist  das  Auftreten  von  Typhi itis  und 
Perityphlitis  nach  Amputation  des  Wurm- 
fortsatzes durchaus  nicht  völlig  ausgeschlossen 
(Fisch l31)),  vielleicht  durch  alte  Verwachsun- 
gen begünstigt.  Die  Bedeutung  der  letzteren 
betont  besonders  Knud  Faber39);  er  sah 
öfters  alle  Symptome  wieder  sich  einfinden, 
wenn  wieder  Adhäsionen  sich  gebildet  hatten. 
Auch  mir  ist  ein  Fall  bekannt,  wo  sogar  der 
Leib  nochmals  geöffnet  werden  mußte,  weil 
ein  zurückgebliebener  Strang  Stenosenerschei- 
nungen verursacht  hatte.  Zweimal  sah  ich 
nach  der  .  Operation  Symptome  chronischen 
Darmkatarrhs  unentwegt  fortbestehen;  erst 
eine  mühsame  interne  Behandlung  beseitigte 
denselben. 

Es  liegen  also  die  Verhältnisse  nicht  so, 
daß  man  einem  Kranken  sagen  kann:  „Lassen 
Sie    sich    operieren,    die  Operation    ist  ganz 

•')  Fischl,  Typhlitis  nach  Amputation  des 
Wurmfortsatzes.  Prag.  med.  Wochenschr.  1904, 
No.  7. 

M)  Knud  Faber,  Über  Appendicitis  obliterans. 
Mitteil,  aus  den  Grenzgebieten  der  Med.  u.  Chir. 
Bd.  XI,  1903. 


188 


Hers,  Cnxonltche  Entzündungen  der  Blinddarmgegend. 


rrherapentltche 
L   Monatshefte. 


1 


gefahrlos  und  Sie  sind  damit  alle  Gefahren 
und  Beschwerden  sicher  los".  Auch  kann 
man  schwerlich  die  Operation  in  allen  Fällen 
als  „unbedingt  notwendig"  bezeichnen.  Unter 
diesen  Umständen  muß  man  dem  Patienten 
nach  ruhiger  Erörterung  der  Sachlage  ein 
gewisses  Mitbestimmungsrecht  einräumen. 
Der  eine,  nicht  gewohnt,  sich  zu  schonen, 
von  Natur  energisch,  verlangt  bald  gesund 
zu  sein,  auch  wenn  er  im  Moment  ein  ge- 
ringes Risiko  eingeht;  der  andere,  geängstigt 
durch  ständige  Furcht  vor  schwerem  Kranken- 
lager, kommt  zu  demselben  Schluß.  Natür- 
lich wird  auch  -der  Arzt  in  solchen  Fällen 
ceteris  paribus  eher  zur  Operation  schreiten. 
Andere  Patienten,  und  unter  meinem  Beob- 
achtungsmaterial sind  das  bei  weitem  die 
meisten,  verlangen,  daß  erst  innere  Methoden 
versucht  werden,  ehe  sie  sich  zu  der  ge- 
fürchteten Operation  entschließen.  In  den 
gewöhnlichen  Fällen  kann  man  diesem  Wunsch 
nachgeben.  Es  empfiehlt  sich  durchaus  nicht, 
solch'  operationsscheuen  Leuten  die  Gefahren 
des  Abwartens  allzu  schwarz  zu  schildern: 
der  konsultierte  Kurpfuscher  feiert  sonst  even- 
tuell die  schönsten  Triumphe,  kann  auch  wohl 
das  schlimmste  Unheil  anrichten. 

Viel  wichtiger  noch  als  der  Wille 
der  Kranken  ist  bei  der  Indikations- 
stellung die  Frage,  ob  der  Kranke  sich 
genügend  schonen  und  der  nötigen  Be- 
handlung unterwerfen  kann.  Bei  körper- 
lich schwer  arbeitenden  Personen,  bei 
schlechter  Vermögenslage  ist  der  Eingriff  viel 
öfter  erwünscht.  Auch  bei  Kindern,  bei 
denen  es  schwer  ist,  die  nötigen  Vorsichts- 
maßregeln bei  der  Bewegung  u.  s.  w.  längere 
Zeit  zu  treffen,  welche  als  „Angstkinder" 
in  ihrer  ganzen  Entwicklung  gestört  sind, 
tritt    die  Frage    der  Operation  näher  heran. 

Dies  vorausgeschickt,  läßt  sich  die  erste 
Indikation  so  normieren,  daß  die  Operation 
immer  dringender  wird,  wenn  Zeichen 
einer  größeren  Lebensgefahr,  als  sie 
gewöhnlich  bei  Appendicitis  unkom- 
plizierter Art  vorhanden  ist,  deutlicher 
werden. 

Auf  solche  Zeichen  ist  bereits  hinge- 
wiesen; sie  sind  teils  örtlich,  z.  B.  auf  der 
Gestalt  des  Tumors  beruhend,  teils  allgemein: 
unregelmäßige  Fieberbewegungen  sind  vor 
allem  verdächtig.  Mehr  noch  ergibt  der  Ver- 
lauf. Wenn  bei  der  intermittierenden.  Form 
die  Anfälle  gegen  die  Regel  immer  schwerer 
werden,  wenn  bei  der  kontinuierlichen  ein 
unaufhaltsames  Steigen  der  Symptome  trotz 
geeigneten  Verhaltens  eintritt,  so  soll  man 
nicht  zu  lange  mit  dem  Eingriff  warten. 

Auch  bei  der  progredienten  adhäsiven 
Periappendicitis     ist    natürlich     einzugreifen, 


sobald  das  Fortschreiten  sich  als  unaufhaltsam 
erweist.  In  diesen  Fällen  dürfte  übrigens 
manchmal  die  Darmausschaltung  bessere  Re- 
sultate geben,  als  die  eventuell  sehr  schwierige 
und  recht  gefährliche  Exstirpation. 

Daß  überall,  wo  ein  chronischer  Abszeß 
mit  mehr  oder  minder  großer  Sicherheit 
nachgewiesen  ist,  die  Operation  dringend  in- 
diziert ist,  erscheint  wohl  selbstverständlich. 

Häufiger  ist  nach  meinen  Erfahrungen 
die  zweite  Indikation:  die  Beschwerden 
und  Funktionsstörungen  erreichen  trotz 
Behandlung  eine  solche  Höhe,  daß  ein 
Eingriff  nötig  wird.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle  heilt  ja  der  Prozeß  wenigstens  klinisch 
mehr  oder  minder  schnell  aus.  Aber  be- 
sonders bei  sensiblen  Kranken  kann  die  in- 
terne Therapie  auch  mißlingen. 

Bei  der  kontinuierlichen  Form  sind  es 
besonders  Fälle,  wo  mechanische  Hinder- 
nisse, fixierende  Netzstränge,  peritoneale  Ad- 
häsionen die  Hauptrolle  spielen,  die  hier  in 
Betracht  kommen.  Zuweilen  wird  aber  auch 
ohne  derartige  Komplikation  das  Leben  un- 
erträglich, wie  in  den  von  Lenz  mann  (1.  c.) 
beschriebenen  Fällen,  trotz  aller  Bemühung 
fehlt  jede  Neigung  zur  Besserung.  Solche 
im  ganzen  seltenen  Zustände  sind  recht  oft 
günstige  Objekte  operativen   Verfahrens. 

Immer  wiederkehrende  Attacken  der  inter- 
mittierenden Form  führen  wohl  noch  häufiger 
zur  Operation.  Oft  genug  ist  dabei,  wie 
auch  die  Autoskopie  zeigt,  gar  keine  beson- 
dere Lebensgefahr,  die  Veränderungen  am 
Appendix  sind  gering,  oder  derselbe  ist  gut 
in  peritoneale  Schwarten  eingewickelt.  Daß 
der  einzelne  Anfall  noch  keine  strenge  Indi- 
kation zum  Eingreifen  darstellt,  wenn  man  eben 
nicht  für  ausnahmsloses  Operieren  in  allen 
chronischen  Fällen  ist,  ergibt  sich  aus  obigem. 
Daß  auch  nach  sehr  zahlreichen  Anfallen 
Spontanheilung  möglich  ist,  steht  fest.  Der 
Moment,  in  dem  man  eingreifen  wird,  hängt 
auch  hier  wieder  von  zahlreichen  Überlegun- 
gen ab:  von  der  Stärke  und  Art  der  Anfalle, 
ihrem  Stärker-  oder  Schwächerwerden,  dem 
Wunsch  des  Patienten  u.  a.  m. 

Endlich  ergibt  sich  noch  eine  dritte  Reihe 
von  Indikationen  aus  der  Bedrohung  der 
weiblichen  Genitalien  durch  den  appen- 
dici tischen  Prozeß.  Als  unmittelbare  Indi- 
kation werden  hochgradige  Beschwerden 
während  der  Schwangerschaft,  sodaß  Partus 
praematura  oder  Abort  droht,  angegeben 
(Borchardt).  Beim  deutlichen  Auftreten 
schwerer  Tubooophoritis  im  Anschluß  an 
Appendicitis  muß  ebenfalls  die  Operation 
wünschenswert  erscheinen,  besonders  wenn 
es  gilt,  die  linksseitigen  Adnexe  bei  ge- 
schlechtsreifen    Frauen    vor    der   Erkrankung 


XIX.  Jahrgang.! 
April  1905.    J 


Her«,  Chronisch«  Entzündung*!»  der  Blinddarmgegend. 


189 


zu  bewahren.  Bei  dem  so  häufigen  Zu- 
sammentreffen von  Dysmenorrhoe  mit  Appen- 
dicitis,  bei  mäßigen  Verwachsungen  der  Or- 
gane, wie  sie  nicht  selten  vorkommen,  scheint 
mir  die  Operation  nicht  ohne  weiteres  indi- 
ziert, nur  bei  einer  gewissen  Höhe  der  Be- 
schwerden und  Erfolglosigkeit  sonstiger  The- 
rapie. —  Bei  Laparotomien  aus  anderen 
Gründen  den  so  oft  krank  befundenen 
Appendix  mit  zu  entfernen,  dürfte  wohl  an- 
gezeigt erscheinen. 

Wie  man  sieht,  ist  die  Indikation  zum 
operativen  Eingriff  mit  wenigen  Ausnahmen 
nicht  so  streng,  daß  nicht  bei  günstigen 
äußeren  Verhältnissen  ein  Versuch  interner 
Heilung  zu  machen  wäre ;  natürlich  bleibt  immer 
die  Operation  in  Reserve.  Den  richtigen 
Zeitpunkt  derselben  zu  bestimmen,  dazu  be- 
darf es  der  Beurteilung  des  ganzen  Zustandes 
und  des  Milieus.  Ich  gebe  zu,  daß  diese 
Aufgabe  schwieriger  ist,  als  auf  eine  be- 
stimmte anatomische  Diagnose  mit  der  Prä- 
zision eines  Automaten  durch  ein  und  die- 
selbe radikale  Therapie  zu  reagieren.  Je 
weiter  wir,  wie  zu  hoffen,  in  der  diagnosti- 
schen Differenzierung  der  Prozesse  der  Blind- 
darmgegend kommen  werden,  um  so  be- 
stimmter werden  sich  auch  die  therapeuti- 
schen Indikationen  sondern  lassen. 

Schließlich  möchte  ich  kurz  die  Grund- 
züge der  internen  Behandlung  skizzieren. 
Die  Notwendigkeit  ihrer  Kenntnis  wird  selbst 
der  begeistertste  Anhänger  der  Operation  für 
die  Fälle  zugeben,  in  denen  jeder  Eingriff 
entschieden  abgelehnt  wird  oder  durch  schwere 
Arteriosklerose,  enorme  Fettleibigkeit  u.  s.  w. 
kontraindiziert  erscheint. 

Zunächst  ist  darauf  hinzuweisen,  daß  die 
Heiltendenz  zahlreicher  Fälle  an  sich  eine 
recht  große  ist ;  mehr  oder  minder  chronische 
Residuen  nach  akuter  Perityphlitis,  zahllose 
latente  oder  auch  Beschwerden  verursachende 
Entzündungen  des  'Wurmfortsatzes  resp.  Blind- 
darms heilen  unter  günstigen  Umständen  ohne 
weitere  gewissermaßen  aktive  Maßnahmen. 

Wünschenswert  ist  dazu  allgemeine  Kräfti- 
gung des  Organismus  durch  die  bekannten 
Mittel;  ferner  Erleichterung  der  Arbeits- 
leistung des  Verdauungskanals  durch  leicht 
bekömmliche  Diät,  geregelte  Bewegung,  bei 
den  meisten  Menschen  durch  kurze  Ruhe- 
pausen im  Beginn  der  Verdauungsperiode  etc. ; 
endlich  durch  Vermeidung  aller  jener  oben 
aufgezählten  Schädigungen,  welche  bei  der 
intermittierenden  Form  die  Attacken  auszu- 
lösen pflegen,  bei  der  kontinuierlichen  den 
Entzündungsprozeß  unterhalten  oder  gar  ver- 
schlimmern. Recht  genaue  Vorschriften  nach 
allen  diesen  Richtungen  sind  für  jeden  der- 
artigen Kranken  nötig. 

Th.M.1906. 


Ich  glaube  aber,  daß  wir  dem  Krank- 
heitsprozeß viel  unmittelbarer  zu  Leibe  gehen 
können,  ich  habe  so  oft  lange  bestehende, 
gar  nicht  oder  ungeeignet  behandelte  Fälle 
bei  zweckmäßigen  Verordnungen  besser  werden 
und  —  vielfach  allerdings  erst  nach  wieder- 
holten Kuren  —  im  klinischen  Sinne  heilen 
sehen,  daß  ich  an  der  Wirksamkeit  gewisser 
Methoden  nicht  zweifeln  möchte.  Es  handelt 
sich  besonders  um  zwei  Reihen  von  Maß- 
nahmen, erstens  solche,  welche  die  oben 
geschilderten  allgemeineren  Krank- 
heitserscheinungen, besonders  den  be- 
gleitenden Darmkatarrh,  günstig  beein- 
flussen, zweitens  um  die  sog.  resorptiven 
Methoden. 

Gerade  die  Erfolge,  die  ich  in  Fällen, 
wo  ein  diffuserer  Darmkatarrh  nachzuweisen 
oder  zu  vermuten  war,  durch  sorgfältige  Be- 
handlung desselben  erzielte,  haben  mich  in 
meiner  Ansicht,  daß  oft  die  chronische  Appen- 
dicitis  resp.  Typhlitis  nur  Teilerscheinungen 
jenes  Prozesses  darstellen,  bestärkt;  auch  sind 
zweifellos  viele  Fälle,  bei  denen  die  Diagnose 
gar  nicht  gestellt  war,  als  chronische  Darm- 
katarrhe behandelt  und  geheilt  worden. 

Im  einzelnen  auf  die  Therapie  derselben, 
die  recht  verschieden  ist  und  ein  genaues 
Studium  des  Falles  erfordert,  einzugehen, 
habe  ich  nicht  die  Absicht;  nur  die  Maß- 
nahmen, die  sich  mir  gerade  bei  Beteiligung 
der  Blinddarmgegend  bewährt  haben,  will 
ich  hervorheben. 

Ich  beginne  die  Behandlung  am  liebsten 
mit  einer  Durchspülung  des  Darmkanals  von 
oben  und  von  unten.  Von  einem  Kochsalz- 
brunnen, etwa  Kissinger  Rakoczy,  lasse  ich 
täglich  2 — 3  Becher  in  lauem  Zustande  ge- 
nießen. Bei  Neigung  zu  Stuhlverstopfung 
ist  Homburger  Elisabethquelle  oder  Karls- 
bader Mühlbrunnen  (kalt,  ebenfalls  2  bis 
3  Becher,  ev.  unter  Zusatz  von  Salz)  ge- 
eignet, bei  Neigung  zu  Diarrhoe  ganz  kleine 
Quantitäten,  etwa  50  g,  des  letzteren  Brunnens 
in  gewärmtem  Zustande  2 — 3 — 4 mal  täglich. 
Auch  Kinder  vertragen  diese  Brunnen  in  ent- 
sprechend verringerter  Dosis  sehr  gut.  Natür- 
lich lassen  sich  auch  andere  Quellen  mit  ähn- 
licher Zusammensetzung,  eventuell  auch  künst- 
liche Salzgemische  verwenden. 

Zu  gleicher  Zeit  muß  —  ich  lege  Wert 
auf  diese  gleichzeitige  Behandlung  —  der 
Dickdarm  von  hinten  her  behandelt  werden, 
gleichviel  wie  die  Stuhl  Verhältnisse  sein 
mögen.  Am  einfachsten  sind  Eingüsse  von 
1  Liter  (und  mehr)  lauem  Kamillenthee  alle 
1  —  2  Tage;  sie  wirken  bei  Neigung  zur  Ob- 
stipation oft  (nicht  immer)  auch  stuhlbeför- 
dernd, mildern  bei  Diarrhoeen  den  Reiz.  Sind 
letztere   stark,   so  kann  man  adstringierende 

IG 


J 


190 


Hers,  Chronische  Eatattndnngoii  der  Blinddarmgegend. 


fTbentpenti 
L   Monatohe 


UtiSCllc 

Monatshefte. 


Losungen  (z.  B.  Tanninlösungen  1  :  1000) 
verwenden;  bei  hartnäckiger  Verstopfung  gebe 
man  zu  Kly stieren  mit  Wasser,  mit  Salz- 
wasser, mit  Seifenwasser  (letzteres  reizt 
manchmal!)  über.  Auch  die  Emulsion  von 
Rizinusöl  und  Lebertran  (je  2  Eßlöffel  auf 
*/4  L.  Wasser  mit  etwas  Soda  unter  tüch- 
tigem Rühren  hergestellt)  hat  sich  mir  be- 
währt. 

Diese  Vorschriften  kombiniere  ich  noch 
mit  einer  der  unten  zu  erwähnenden  resorp- 
tiven  äußerlichen  Maßnahmen.  Verordnung 
einer  dem  chronischen  Darmleiden  ent- 
sprechenden Diät  ist  selbstverständlich;  die- 
selbe muß  den  Bedürfnissen  und  auch  den 
Erfahrungen  der  Kranken  angepaßt  werden. 
Erwähnen  will  ich  nur,  daß  mir  gerade  bei 
etwas  tiefer  sitzenden  Erkrankungen  des 
Verdauungskanals  die  gute  Zubereitung,  Zer- 
kleinerung, Einspeichlung  der  Ingesta  fast 
wichtiger  scheint,  als  allzu  energisches  Ver- 
bieten   ganzer  Kategorieen  von   Nährmitteln. 

Die  Brunnenkur  ist  durch  4 — 6  Wochen, 
die  Eingüsse  durch  2 — 3  Monate  durchzu- 
führen. Manchmal  muß  man  sich  mit  einer 
von  beiden  Methoden  begnügen,  wenn  die 
andere  aus  irgend  welchen  Gründen,  zuweilen 
psychischer  Art,  nicht  vertragen  wird  oder 
nicht  anwendbar  scheint.  Eine  Wiederholung 
ist  selbst  bei  günstigstem  Erfolg,  natürlich 
umsomehr  bei  Wiederauftreten  mehr  oder 
weniger  starker  Beschwerden,  beim  Deutlich- 
bleiben der  schmerzhaften  Geschwulst  er- 
forderlich. Man  kann  dann  die  verschiedenen 
Heilverfahren  passend  variieren.  Jedenfalls 
tut  man  gut,  jedem  Kranken  alsbald  zu 
sagen,  daß  der  chronische  Zustand  chronische 
Behandlung,  zum  mindesten  Beaufsichtigung 
erfordert. 

Die  dauernde  Regelung  der  Stuhlverhält- 
nisse,   während  der  erwähnten  Kuren    durch 
•zweckmäßige  Modifikation  fast  immer  erreich- 
bar, macht  nach  Ablauf  derselben  oft  Schwie- 
rigkeiten. 

Neigung  zu  Diarrhoeen  besteht  nur  in 
einer  Minderzahl  der  Fälle  von  chronischer 
Appendicitis.  Bei  sehr  akuten  Attacken  ist 
ein  Decoctum  Ratanhiae  mit  Opium,  in  den 
meisten  leichteren  Tannin  (1,0  zu  200,0 
Emulsio  amygdalina,  eßlöffel  weise),  ev.  auch 
Tannigen  und  Tannalbin  zu  empfehlen.  Zu 
chronischerem  Gebrauch  eignet  sich  vor  allem 
das  Wismut,  ev.  mit  gelegentlichem  Opium- 
zusatz. In  glücklicherweise  sehr  seltenen 
Fällen  hilft  nichts,  als  eine  sehr  diffizile, 
lange  Zeit  fortgesetzte  Diät,  die  allerdings 
bei  jahrelanger  Dauer  auf  Psyche  und  Er- 
nährungszustand  nicht   immer   günstig  wirkt. 

Viel  häufiger  ist  bei  chronischer  Appen- 
dicitis   die  Verstopfung.     Sie    ist    auch   viel 


ud günstiger  für  den  Krankheitsverlauf,  der 
Beschwerden  wird  man  in  vielen  Fällen  nur 
Herr,  wenn  der  Darm  gründlich  entleert  ist. 
Mit  Diätvorschriften  allein  ist  oft  nichts  dabei 
auszurichten,  da  man  den  kranken  Darm 
natürlich  nicht  reizen  darf;  nur  vorsichtig 
wird  man  einen  Versuch  mit  Honig,  Kefir, 
Milchzucker,  Obst  u.  s.  w.  machen  dürfen. 
Massage  ist  meist  kontraindiziert,  kaltes 
Wasser  wird  in  der  Regel  schlecht  vertragen. 
Eingüsse  wirken  manchmal  nicht,  erschöpfen 
sich  oft  in  ihrer  Wirksamkeit  und  entleeren 
vor  allem  nicht  gründlich  genug.  So  bleibt 
also  in  der  Tat  in  vielen  Fällen  nichts  an- 
deres übrig,  als  zu  Abführmitteln  zu  greifen. 
Bei  irgend  welchen  Zeichen  akuterer  Reizung 
des  örtlichen  Herdes  habe  ich  sie  nie  ge- 
geben —  obwohl  sie  im  Anfange  der  akuten 
Erkrankung  immer  wieder  empfohlen  werden33). 
Jedenfalls  muß  man  dem  Kranken  einschärfen, 
den  Darm  mit  weiterem  Abführen  zu  ver- 
schonen, sobald  eine  mäßige  Dosis  eines  er- 
probten Mittels  versagt;  werden  doch  be- 
kanntlich akute  Entzündungen  besonders 
heftig  durch  Drastica  oder  Häufung  sonst 
unschuldiger  Purgantien.  Bei  dieser  Vorsicht 
aber  habe  ich  nie  Exazerbationen  gesehen. 
Ebensowenig  konnte  ich  mich  überzeugen, 
daß  der  chronische,  ev.  jahrelange  Gebrauch 
von  Abführmitteln,  zu  dem  man  sich  natür- 
lich nur  im  Notfall  entschließt,  so  schädliche 
Wirkungen  hat,  wie  manche  Autoren  fürchten ; 
Wechseln  mit  der  Art  des  Abführmittels  ist 
allerdings  dabei  sehr  zu  empfehlen.  Ihre 
Wirkung  ist  in  manchen  Fällen  von  chroni- 
scher Appendicitis  und  Typhlitis  eine  ganz 
vorzügliche  auf  Befinden  und  Rückgang  der 
örtlichen  Symptome.  Welches  Mittel  man 
wählt,  wenn  es  nur  nicht  allzu  drastisch  ist, 
das  ist  nicht  besonders  wichtig.  Jedes  versagt 
bei  einer  Reihe  von  Kranken,  während  es 
anderen  vorzügliche  Dienste  leistet.  Manch- 
mal findet  man  nur  durch  Herum  probieren 
das  geeignete  heraus. 

Im  ganzen  zu  wenig  beachtet,  übrigens 
auch  in  den  akuten  Fällen,  ist  die  Anhäufung 
von  Gasen,  besonders  im  Dickdarm.  Sehen 
wir  von  der  ominösen  Lähmung  der  Darm- 
wand, die  bei  der  chronischen  Form  kaum 
vorkommt,  ab,  so  handelt  es  sich  um  ver- 
mehrte Bildung  oder  erschwerte  Fortschaffung 
der  Gase.  •  Das  Symptom  ist  nicht  nur 
quälend,  sondern  wirkt  auch  zweifellos  schäd- 
lich, da  die  passiv  gespannte  Darmwand  sich 
unter  höchst  ungünstigen  Arbeitsbedingungen 
befindet.     Man  muß  daher  bei  den  mit  chro- 


33)  0.  Rosen b ach,  Beitrage  zur  Pathologie 
und  Therapie  der  Verdauungsorgane.  Berlin  1895, 
S.  Karger.    S.  29. 


XIX.  Jahrgang.! 
April  1905.    J 


Hots,  Ohroniteh*  Eatsa&dungM  der  BUnddaimgegend. 


191 


nischer  Appendicitis  einhergehenden  Dann- 
katarrhen mehr  noch  als  bei  anderen  vor 
blähenden  Ingestis  (Hülsenfrüchten,  Kohl- 
arten, frischem  Brot,  kohlensäurehaltigen  Ge- 
tränken; bei  manchen  Kranken  wirkt  schon 
die  geringste  Menge  Hefe  auffällig  stark) 
warnen.  Eingüsse  wirken  oft  gut  gas- 
entleerend, auch  bei  geringem  Effekt  auf  den 
Stuhl.  Fenchelthee  mit  Kümmel,  Soda-Mint- 
Tabloids,  in  einzelnen  Fällen  eine  Mischung 
vom  Tinct.  cannab.  indic.  mit  Tinct.  bella- 
donnae  und  strychni  haben  mir  bei  Austrei- 
bung der  Gase  gute  Dienste  geleistet. 

In  fielen  Fällen  sind  die  Beschwerden 
so  groß,  daß  man  ohne  Narcotica  nicht  aus- 
kommt. Für  etwas  längeren  Gebrauch  emp- 
fiehlt sich  das  Kodein,  bei  stärkeren  Schmerzen, 
die  mit  vermehrter  Peristaltik  einhergehen, 
Opium  ev.  mit  Belladonna.  Bei  heftigen 
Attacken  ist  eine  Morphiuminjektion  das  ge- 
ratenste. 

Auf  die  übrige  Behandlung  des  Darm- 
katarrhs, insbesondere  mit  Medikamenten, 
gehe  ich  nicht  näher  ein.  Erwähnen  möchte 
ich  nur  das  Argentuni  nitricum,  das  mir  in 
Pillen  und  noch  mehr  in  Lösung  (0,2  bis 
0,4  :  150,0,  3 mal  täglich  1  Eßlöffel)  nicht 
selten,  und  das  (meist  wirkungslose)  Ichthyol, 
das  mir  gelegentlich  auffällige  Erfolge  ge- 
bracht hat. 

Wie  der  Darmkatarrh,  so  erfordern  natür- 
lich auch  die  anderen  oben  geschilderten 
Komplikationen  der  chronischen  Appendicitis 
und  Typhlitis  entsprechende  Beachtung.  Bei 
der  sog.  Ptose  ist  Anwendung  nervenstärken- 
der Maßnahmen  und  Tragen  einer  guten 
Binde,  bei  schlechten  Zirkulationsverhältnissen 
ist  möglichste  Verbesserung  der  Kreislaufs- 
bedingungen nötig;  ev.  muß  der  Genital- 
apparat behandelt  werden  u.  s.  f. 

Gegen  den  Erkrankungsherd  direkt  wendet 
sich  eine  Reihe  von  Maßnahmen,  welche  die 
Resorption  begünstigen  sollen.  Auf  die 
Theorie  der  in  Betracht  kommenden  Vor- 
gänge kann  ich  leider  hier  nicht  eingehen, 
auch  dürfte  eine  Einigung  über  viele  Punkte 
nicht  zu  erzielen  sein.  Das  Wesentliche  der 
Wirkung  liegt  in  veränderten  Zirkulations- 
verhältnissen des  Blutes  und  der  Lymphe  in 
dem  erkrankten  Teil,  wie  sie  durch  Tempe- 
raturdifferenzen, Druck  u.  a.  m.  zu  erzielen 
sind.  Hervorheben  möchte  ich  nur  die  von 
mir  schon  anderweitig  betonten  sehr  wichtigen 
Beziehungen,  welche  zwischen  inneren  Organen 
und  der  sie  bedeckenden  Hautpartie  nicht 
nur  auf  dem  Gebiete  der  nervösen,  sondern 
auch  der  Blutversorgung  bestehen,  und  welche 
allein  ein  Verständnis  für  manche  resorptiven 
Wirkungen  von  der  Haut  her  ermöglichen. 
Wie   aber  auch  die  Theorie  sich  entwickeln 


mag,  die  tatsächliche  Wirksamkeit  wenigstens 
vieler  dieser  Methoden  halte  ich  für  er- 
wiesen. 

Am  wichtigsten,  möglichst  früh  in  allen 
chronischen  Stadien  anzuwenden  sind  warme 
Umschläge,  mindestens  durch  4 — 5  Stunden 
täglich.  Leinsamenumschläge  gebe  ich  am 
liebsten,  doch  sind  auch  der  Thermophor, 
heiße  Wasserumschläge  und  andere  Wärme- 
prozeduren empfehlenswert.  Ist  die  Blind- 
darmgegend nicht  zu  sehr  gereizt,  so  kann 
man  die  Wärmewirkung  passend  mit  einer 
gewissen  Druckwirkung  verbinden,  wie  sie 
Sandsäcke,  Moor-  oder  Fangoumschläge  ge- 
währen, deren  sonstige  Wirkungen  ich  hier 
nicht  diskutieren  möchte.  Bei  recht  groben 
Veränderungen  sieht  man  oft  unter  Wärme- 
wirkung erstaunlich  gute  Rückbildung. 

Warme  Wasserprozeduren  wirken  wohl 
in  ähnlicher  Weise;  am  einfachsten  sind  Sitz- 
bäder mit  Zusatz  irgend  eines  Salzes.  Bei 
widerstandsfähigen  Kranken  ist  eine  allge- 
meine Schwitzkur  manchmal  von  vorzüglicher 
Wirkung.  Von  Kaltwasserbehandlung  habe 
ich  bei  der  chronischen  Appendicitis  keine 
Erfolge  gesehen. 

Unterstützend  wirken  mäßige  Hautreize: 
Jodeinpinselungen,  Ichthyolumschläge,  Capsi- 
cum-  oder  Hydrargyrumpflaster. 

Endlich  die  Massage,  zweifellos  eine  nur 
mit  äußerster  Vorsieht  anzuwendende  Me- 
thode. Wo  irgend  *  heftigere  Reizzustände 
noch  vorliegen,  ist  sie  zu  vermeiden,  und  in 
jedem  Falle  nur  durch  die  Hand  des  Arztes 
auszuführen.  So  war  sie  mir  früher  in  ein- 
zelnen Fällen  ein  ausgezeichnetes  Unter- 
stützungsmittel, in  letzter  Zeit  habe  ich  sie 
nicht  mehr  ausgeübt. 

Außer  der  Behandlung  der  zugleich  be- 
stehenden allgemeineren  Erkrankungen  und 
den  resorptiven  Methoden  steht  dem  Inter- 
nisten in  allen  heftigeren  und  hartnäckigeren 
Fällen  noch  ein  sehr  wichtiges  Mittel  zu  Ge- 
bote: die  Bettruhe.  Manchmal  genügen  schon 
wenige  Tage,  manchmal  1 — 2  Wochen,  um 
eine  auffällige  Veränderung  des  Krankheits- 
bildes herbeizuführen.  Ausdauernde  Patienten 
kann  man  auch  wohl  länger  liegen  lassen, 
doch  habe  ich  eine  solche  Ruhekur  nie  über 
4 — 5  Wochen  ausgedehnt.  Ganz  blande 
Diät  unterstützt  noch  die  Wirkung  der 
Ruhelage. 

Mit  all'  diesen  Hilfsmitteln  kann  der 
Internist  den  chronischen  Prozessen  in  der 
Blind darmgegend  ruhig  entgegentreten,  wenn 
ihm  nur  der  Chirurg  die  Fälle  abnimmt,  die 
besonders  gefährlich  oder  allzu  hartnäckig 
erscheinen. 


16« 


192 


Saalfeld»  Behandlung  4m  vorseltigan  Haarauifallt. 


rTh&rmpmaÜu&a 
L   MonAtebefte. 


Zur  Behandlung  des  vorzeitigen 
Haarausfalls. 

Von 

Dr.  Edmund  Saalfeld,  Berlin. 

Erst  verhältnismäßig  kurze  Zeit  ist  dem 
vorzeitigen  Haarausfall,  der  Alopecia  prae- 
matura s.  praesenilis,  vom  wissenschaftlichen 
Standpunkt  aus  Aufmerksamkeit  entgegen- 
gebracht worden.  Hauptsächlich  war  es  Pohl  - 
Pincus,  der  durch  grundlegende  Arbeiten 
diesem  Kapitel  die  gebührende  ärztliche 
Dignität  schaffte.  Durch  äußerst  mühsame 
und  exakte  Untersuchungen  brachte  er  Klar- 
heit in  die  Frage  über  das  Wachstum  der 
Haare,  ihre  Lebensdauer  und  ihre  patho- 
logischen Verhältnisse.  Ihm  verdanken  wir 
die  Möglichkeit,  gegebenenfalls  auch  schon 
frühzeitig  angeben  zu  können,  ob  der  Haar- 
ausfall als  normal  zu  betrachten  ist,  oder  ob 
er  die  Grenze  des  normalen  Verhaltens  über- 
schreitet. Nicht  die  Menge  des  täglich  beim 
Kämmen  entfernten  Haares  allein  ist  für 
dieses  Moment  maßgebend,  zumal  der  physio- 
logische Haarausfall  bei  den  einzelnen  Indi- 
viduen innerhalb  weitester  Grenzen  schwankt. 
Da  Pohl -Pincus'  Angaben  noch  heute  ihren 
Wert  besitzen,  möchte  ich  dieselben  bei  ihrer 
Wichtigkeit  für  die  Diagnose  sowie  für  die 
Kontrolle  bei  der  Behandlung  hier  wörtlich 
wiedergeben1).  „ —  Daß  das  erste  Stadium  der 
chronischen  Haarleiden  die  Dicke  des  Haares 
gar  nicht  und  damit  auch  die  Stärke  des 
ganzen  Haarwuchses  nicht  auffällig  angreift 
—  dieser  Umstand  ist  schuld,  daß  die  Pa- 
tienten von  dem  Bestehen  der  Krankheit 
keine  Ahnung  haben.  Die  Verkürzung  des 
Haares  bemerken  sie  nicht,  und  sie  wissen 
auch  nicht,  daß  auf  diese  Verkürzung  nach 
einer  gewissen  Frist  eine  Verdünnung  des 
einzelnen  Haares  folgt.  Das  Übel  kommt 
ihnen  erst  zur  Erkenntnis,  wenn  das  zweite 
Stadium  eingetreten  ist.  Dann  ist  qs,  wie 
bereits  erwähnt,  meist  zu  spät,  der  beginnenden 
Kahlköpfigkeit  Einhalt  zu  tun.  Auf  frühe 
Erkenntnis  des  Übels  kommt  es  also  an. 

Das  bequemste  Mittel  zu  dieser  möglichst 
frühen  Erkenntnis  ergibt  sich  aus  dem  früher 
angegebenen  Entwicklungsgesetze  des  Haupt- 
haares: man  sammle  daher  an  drei  auf 
einander  folgenden  Tagen  den  Haar- 
ausfall beim  Morgen-  und  Abend- 
frisieren und  sondere  (bei  langer  Haar- 
tracht) die  Haare  über  6  Zoll  (16  cm) 
von  den  kürzeren;  findet  sich,  daß  die 
Zahl  der  kürzeren  ein  Drittel  des  Ge- 


*)  Das  Haar,  die  Haarkrankheiten,  ihre  Be- 
handlung und  die  Haarpflege.  Von  Dr.  J.  Pohl. 
Fünfte,  neu  bearbeitete  und  erweiterte  Auflage. 
Stuttgart  und  Leipzig  1902,  S.  63. 


sammtausfalles  beträgt,  so  liegt  ein 
Haarleiden  vor,  das  ärztliches  Ein- 
schreiten erfordert.  Bei  kurzer  Haar- 
tracht (Männer;  Frauen  mit  kurz  ab- 
geschnittenem Haar)  sondere  man  die- 
jenigen Haare,  die  die  Spur  der  Schere 
zeigen,  von  den  Spitzenhaaren:  die  Zahl 
dieser  Spitzenhaare  darf  bei  einer 
Länge  der  Haartracht  von  4  bis  5  Zoll 
(11  bis  13  cm)  nur  ein  Fünftel  oder 
Viertel  des  Gesamtausfalles  betragen. tt 

Bei  einiger  Übung  ist  dieses  Verfahren 
leicht  ausführbar,  und  der  Arzt  hat  ebenso 
wie  der  Patient  bei  der  Ausführung  desselben 
einen  Maßstab,  sich  über  den  Erfolg  oder 
Mißerfolg  einer  Kur  zu  orientieren. 

Ich  möchte  gleich  an  dieser  Stelle  auf 
einen  Umstand  hinweisen,  der  nicht  nur  von 
den  Patienten,  sondern  auch  nicht  selten 
von  Ärzten  falsch  gedeutet  wird.  Bei  einer 
Konsultation  wegen  vorzeitigen  Haarausfalles 
bringen  die  Patienten  gewöhnlich  eine  Probe 
des  ausgegangenen  Haares  mit  und  weisen 
mit  besonderer  Betrübnis  auf  die  manchmal 
zahlreichen  Haare  hin,  die  mit  der  „Wurzel" 
ausgegangen  sind.  Der  Ausdruck  „Wurzel", 
d.  h.  die  kleine  am  untersten  Teil  des  Haar- 
schaftes befindliche  Anschwellung,  der  Bulbus, 
gibt  der  Annahme  Raum,  daß  die  Haarwurzel 
ein  Analogon  zu  einer  Baumwurzel  darstellt. 
Dem  ist  aber  nicht  so.  Die  Verhältnisse 
liegen  hier  wesentlich  anders.  Der  Teil,  von 
dem  aus  das  Haar  wächst,  ist  die  Haar- 
papille  und  diese  kann,  wie  ein  Blick  auf 
den  mikroskopischen  Durchschnitt  eines  Haares 
mit  seiner  Umgebung  ohne  weiteres  lehrt, 
niemals  ausfallen.  Wenn  ein  Haar  mit  seiner 
„Wurzel"  ausgegangen  ist,  so  ist  das  ein 
Zeichen  dafür,  daß  seine  Lebensdauer  sein 
Ende  erreicht  hat,  natürlich  vorausgesetzt, 
daß  das  Haar  die  normale  Länge  besitzt. 
Beim  ersten  Stadium  des  Haarausfalles  zeigt 
sich,  wie  Pohl-Pincus  nachgewiesen  (s.  o.), 
eine  Verkürzung  der  Lebensdauer  des  Haares 
und  dementsprechend  eine  Verkürzung  des 
Haares  selbst.  (In  dem  von  ihm  als  zweiten 
Stadium  bezeichneten  Zustand  tritt  zu  der 
Verkürzung  des  Haares  noch  ein  Dünner- 
und Feinerwerden  des  einzelnen  Haares  hinzu.) 

Von  den  Ursachen,  die  für  die  Alopecia 
praematura  seit  alters  her  verantwortlieh 
gemacht  werden,  nimmt  die  Heredität  eine 
der  ersten  Stellen  ein;  und  in  der  Tat  muß 
diese  Annahme  als  zu  Recht  bestehend  an- 
gesehen werden.  Fragen  wir  nun  nach  den 
näheren  Umständen,  wie  die  Hereditat  ihre 
Einwirkung  ausüben  kann,  so  müssen  wir 
auf  das  anatomische  Verhältnis  der  Kopfhaut 
zu  ihrer  Unterlage,  zur  Galea,  und  zum 
Schädel  rekurrieren.     Während  die  Haut  der 


j 


XlX.J*hrg*Bg.n 
April  1906.    J 


Saatfeld,  Behandlung  da«  vorzeitigen  Haarausfall!. 


193 


seitlichen  Teile  des  Kopfes  sowie  der  unteren 
Partien  des  Hinterkopfes  sich  auch  in  weit 
vorgeschrittenen  Fällen  von  Haarausfall  gegen 
ihre  Unterlage  noch  immer  leicht  verschieben 
und  in  Falten  abheben  läßt,  ist  das  Abheben 
in  Falten  bei  den  haarlosen  Partien  nicht 
möglich  und  die  Verschiebbarkeit  der  Unter- 
lage ist  auch  auf  ein  geringes  Maß  herab- 
gesetzt. Die  straffe  Anspannung  an  die  Unter- 
lage vermindert  die  Ernährung  des  Haar- 
bodens dadurch,  daß  ihm  nicht  genügend 
Blut  zugeführt  wird;  und  daß  an  Stellen, 
die  längere  Zeit  hyperämisch  sind,  das  Haar- 
wachstum gefordert,  an  blutlosen  dagegen 
vermindert  wird,  zeigen  die  Versuche  von 
Sigmund  Mayer');  deren  Richtigkeit  ich3) 
experimentell  nachweisen  konnte.  Ohne  auf 
Details  über  die  Wirkung  der  straffen  An- 
haftung  der  Kopfhaut  an  die  Galea  einzugehen, 
auf  deren  Bedeutung  zuerst  von  Pohl-Pin- 
cus4)  und  in  letzterer  Zeit  auch  von  Schein5) 
hingewiesen  ist,  müssen  wir  an  der  Tatsache 
festhalten,  daß  hierdurch  ein  wichtiges  Moment 
für  den  vorzeitigen  Haarausfall  gegeben  ist, 
namentlich  wenn  wir  berücksichtigen,  daß 
das  "Wachstum  der  Kopfmuskulatur  gerade 
zu  der  Zeit,  wenn  der  vorzeitige  Haarausfall 
auftritt,  besondere  Fortschitte  macht.  In  der 
Vererbung  der  Schädelform  sowie  des  Ver- 
haltens der  Kopfmuskeln  zu  ihrer  Bedeckung 
sowie  zu  der  Galea  liegt  eine  Erklärung  für 
die  Heredität  des  vorzeitigen  Haarausfalles. 
Dieser  Faktor  allein  aber  genügt  nicht, 
das  in  Frage  stehende  Leiden  zu  erklären. 
Sehen  wir  von  den  Fällen  ab,  in  denen  das- 
selbe durch  eine  Infektionskrankheit  oder 
eine  Intoxikation  bedingt  ist,  Falle,  in  denen 
nach  Hebung  des  Grundleidens  auch  auf  der 
Kopfhaut  gewöhnlich  spontan  eine  Restitutio 
ad  integrum  eintritt,  so  war  man  einige  Zeit 
geneigt,  bakterielle  Ursachen  für  die  Alo- 
pecia praematura  heranzuziehen.  In  einer 
früheren  Arbeit  konnte  ich6)  nachweisen,  daß 
die  Versuche,  die  aus  der  Anfangsperiode 
der  bakteriellen  Forschung  stammten,  einer 
späteren  Kritik  nicht  standhalten  konnten, 
und  daß  die  therapeutischen  Erfolge,  die  in 
einer  Reihe    von  Fällen    bei    einer    antibak- 


')  Sigmund  Mayer  in  Hermanns  Handbach 
der  Physiologie  Bd.  II,  1.  Teil,  S.  258. 

*)  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Bewegung 
und  der  Innervation  der  Haare.  Von  Edmund 
Saal  fei  d  in  Berlin.  Archiv  für  Anatomie  und  Phy- 
siologie.   Physiologische  Abteilang  1901,  S.  428  ff. 

*)  1.  c.  S.  62. 

*)  Über  die  Entstehung  der  Glatze.  Von 
Dr.  Moriz  Schein  (Budapest).  Wiener  klinische 
Wochenschrift  1903,  No.  21. 

•)  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Alopecia 
praematura.  Von  Dr.  Edmund  Saalfeld  in  Berlin 
Virchows  Archiv  1899,  157.  Band,  S.  77  ff. 


teriellen  Behandlung  zu   verzeichnen  waren, 
auf  andere  Weise  sich  leicht  erklären  ließen. 

Ein  weiterer  Faktor,  der  bereits  seit 
langer  Zeit  für  die  Entstehung  des  vorzeitigen 
Haarausfalles  verantwortlich  gemacht  wurde, 
ist  die  Seborrhoe  des  behaarten  Kopfes. 
Man  unterschied  hier  zwei  Formen:  die 
Seborrhoea  oleosa  und  die  Seborrhoea  sicca. 
Bei  der  ersteren,  seltener  auftretenden  bleibt 
das  Fett  längere  Zeit  als  öliger  Überzug  auf 
der  Kopfhaut  oder  an  den  Haaren  haften, 
bei  letzterer  wird  es  zwar  auch  in  flüssiger 
Form  abgeschieden,  zeigt  hier  aber  ein 
größeres  Bestreben,  sich  bald  nach  seiner 
Entleerung  aus  den  Haarfollikeln  zu  Schuppen 
zu  verdichten.  Schließlich  kommt  noch  eine 
dritte  Form  vor,  die  als  ein  Übergang  zwischen 
den  beiden  ersteren  bezeichnet  werden  kann. 

Die  Rolle,  welche  die  Seborrhoe  als  ver- 
anlassendes Moment  für  den  Haarausfall 
spielt,  erklärt  man  sich  folgendermaßen: 
„Wenn  in  den  (sc.  übermäßig  sezernierenden) 
Talgdrüsen  rasch  und  für  den  physiologischen 
Zweck  unvollkommen  (chemisch  abnorm)  Epi- 
dermisschuppen  produziert  und  abgelöst  wer- 
den, so  werden  auch  die  in  Kontinuität 
mit  den  Drüsenzellen  stehenden  Haarwurzel- 
scheiden gelockert,  abgestoßen  .  ."  (Kaposi)7). 
Des  weiteren  möchte  ich  aber  noch  auf  das 
Verhältnis  der  Haare  und  Talgdrüsen  zu 
einander  hinweisen.  Die  Talgdrüsen  finden 
sich  am  ganzen  Körper  mit  wenigen,  hier 
nicht  in  Betracht  kommenden  Ausnahmen 
stets  in  Verbindung  mit  Haaren,  und  zwar 
besteht  in  ihrem  gegenseitigen  Verhältnis  ein 
gewisser  Antagonismus.  Da,  wo  das  Haar 
im  Vordergrund  steht,  wie  es  bei  dem  Voll- 
haar der  Fall  ist,  stellt  die  Talgdrüse  den 
Appendix  dar  und  umgekehrt,  wo  letztere 
den  prävalierenden  Teil  bildet,  repräsentiert 
das  Haar  das  Anhangsgebilde,  wie  es  beim 
Lanugo  der  Fall  ist.  Je  mehr  die  Talgdrüse, 
wie  bei  der  Seborrhoe,  sezerniert  d.  h.  arbeitet 
und  dementsprechend  durch  eine  Aktivitäts- 
hypertrophie an  Umfang  und  Größe  zunimmt, 
umsomehr  tritt  das  Haar  in  den  Hintergrand. 
Und  so  kehrt  sich  schließlich  das  Verhältnis 
(bei  frühzeitigem  Haarausfall)  Haar  —  Haupt- 
bestandteil, Talgdrüse  —  Anhangsgebilde  in 
das  Gegenteil  um,  und  diesen  Zustand  sehen 
wir  in  extremstem  Maße  bei  der  ausgebildeten 
Glatze.  Vielfach  wird  fälschlich  angenommen, 
daß  bei  Bestehen  von  Lanugo  noch  Aussicht 
auf  Wiederwachsen  der  Haare  vorhanden  sei. 
Es  besteht  die  Meinung,  daß,  wenn  Haare 
überhaupt  noch  sichtbar  sind,  diese  in  ihrer 

T)  Pathologie  und  Therapie  der  Hantkrankheiten 
in  Vorlesungen  für  praktische  Ärzte  und  Studierende 
?on  Prof.  Dr.  Moriz  Kaposi,  K.  K.  Hofrat.  Fünfte 
Auflage  1899,  S.  726. 


i 

J 


194 


Saalfeld,  Behandlung  da«  ▼orsaitlgan  Haaraoa&lla. 


fTharapaatbche 
L   Monatehefte. 


Wachstumsenergie  angefacht  und  so  wieder 
ein  volles  Wachstum  erzielt  werden  könne. 
Aus  der  eben  gegebenen  Darlegung  der  ana- 
tomischen Verhältnisse  leuchtet  aber  ohne 
weiteres  ein,  daß  diese  Folgerung  nur  ein 
Trugschluß  ist. 

Bei  der  Behandlung  von  Patienten  mit 
vorzeitigem  Haarausfall  war  mir  nun  die 
Verschiedenartigkeit  des  Fettreichtums  der 
Haare  aufgefallen,  ferner  daß  die  Menge 
sowie  Größe  der  Schuppen  außerordentlich 
variiert  und  daß  die  Kleidung  mancher  Pa- 
tienten mit  Schuppen  bestäubt  war,  wäh- 
rend die  anderer  nicht;  dann  der  Umstand, 
daß  manche  Patienten  über  Jucken  klagten, 
andere  dagegen  gar  keine  Empfindung  auf 
der  Kopfhaut  spürten.  Über  diese  Differenzen 
in  den  einzelnen  Erscheinungen  waren  die 
Autoren  fast  sämtlich  bisher  mit  Stillschweigen 
hinwegegangen,  eine  Tatsache,  welche  die 
Erfolglosigkeit  der  üblichen  Therapie  in  vielen 
Fällen  erklärlich  erscheinen  ließ.  Auch  die 
Angabe  von  Pincus,  daß  die  Schuppen  3/5 
aus  Fett  und  3/5  aus  Epidermismassen  be- 
ständen, schien  mir  in  ihrer  Allgemeinheit 
nicht  richtig. 

Um  einen  Schritt  vorwärts  zu  kommen, 
war  es  daher  geboten,  den  Fettgehalt  der 
Haare  sowie  der  Schuppen  einer  näheren 
Betrachtung  zu  unterziehen.  Und  da  stellte 
sich  dann  zu  meinem  Erstaunen  heraus,  daß 
über  den  quantitativen  Fettgehalt  der  Haare 
nirgends  Angaben  zu  finden  waren.  Infolge* 
dessen  untersuchte  ich  eine  große  Reihe  von 
Haarproben  von  Menschen  mit  normalem, 
sowie  von  pathologischem  Haarausfall  auf 
ihren  Fettgehalt.  Ich  möchte  auf  die  Einzel- 
heiten dieser  Untersuchung  an  dieser  Stelle 
nicht  eingehen,  da  sie  anderweitig  publiziert 
werden  soll,  möchte  darüber  hier  nur  kurz 
folgendes  berichten.  Die  Untersuchungen 
wurden  so  vorgenommen,  daß  die  Betreffenden 
angewiesen  wurden,  während  einer  Woche 
nach  der  letzten  Waschung  jede  Einölung  oder 
Waschung  der  Kopfhaut  oder  des  Haares  zu 
unterlassen  und  dann  für  eine  weitere  Woche 
die  Haare  zu  sammeln.  Oder  aber  es  wurden 
unter  Berücksichtiguug  der  eben  angegebenen 
Maßnahmen  die  abgeschnittenen  Haare  unter- 
sucht. Das  Ergebnis  war,  daß  der  Fettgehalt 
unter  normalen  Verhältnissen  bei  Kindern 
geringer  war  als  bei  Erwachsenen.  Bei  ersteren 
schwankte  er  zwischen  1  —  3  Proz.,  bei  letzteren 
zwischen  5  —  6  Proz. 

Von  früheren  Autoren  war  nur  ganz  ver- 
einzelt auf  das  Faktum  hingewiesen  worden, 
daß  bei  der  —  allgemein  gesagt  —  Pityriasis 
capitis  nicht  nur  die  Seborrhoe,  sondern 
auch  der  M  an ge  1  an  Fett,  ein  veranlassendes 
Moment  ist,   ein  Zustand,  der  durch  eine  über- 


mäßige Verhornung  und  sich  daraus  ergebende 
exzessive  Abstoßung  der  Epidermis  bedingt 
wird.  Die  Richtigkeit  dieser  von  Au  spitz 
und  Unna  zuerst  gegebenen  Darstellung 
konnte  meine  Untersuchungen  über  den  Fett- 
gehalt der  Haare  und  Schuppen  bestätigen. 
Dieses  Minus  an  Fett  kann  nun,  wie  meine 
Beobachtungen  mir  zeigten,  ein  primärer  oder 
ein  sekundärer  Zustand  sein,  und  zwar  kommt 
der  letztere  nicht  selten  durch  eine  unzweck- 
mäßige Behandlung  der  Kopfhaut  zustande, 
nämlich  durch  übermäßiges  Waschen,  durch 
die  zu  häufige  kritiklose  Anwendung  von 
Franzbranntwein  und  anderen,  mehr  oder 
weniger  große  Mengen  von  Alkohol  enthal- 
tenden Haarwässern.  Daß  deren  allgemeiner 
Gebrauch  ebenso  wie  die  Anwendung  einer 
bestimmten  Haarkur  falsch  ist,  geht  aus 
meinen  obigen  Auseinandersetzungen  ohne 
weiteres  hervor,  und  so  mußte  das  Resultat 
einer  Fettgehaltuntersuchung  zu  einer  Kritik 
der  bisherigen  Behandlung  des  Haarausfalles 
herausfordern. 

Wie  in  der  ganzen  Therapie  kommt  auch 
bei  der  Frage  des  vorzeitigen  Haarschwundes 
der  Prophylaxe  eine  große  Bedeutung  zu. 
Schon  im  Kindesalter  soll  auf  die  Qualität 
der  Haare  bei  der  Pflege  desselben  Rücksicht 
genommen  werden  und  namentlich  dann,  wenn 
sich  Schuppenbildung  zeigt,  eine  entsprechende 
Behandlung  einsetzen.  Man  soll  die  Kopf- 
haut des  Kindes  unter  normalen  Verhältnissen 
nicht  zu  häufig  waschen,  namentlich  sei  vor 
einer  täglichen  Waschung  der  Kopfhaut  ge- 
warnt. Da  die  normale  Kopfhaut  des  Kindes 
gewöhnlich  ziemlich  fettarm  ist,  so  soll,  um 
einer  übermäßigen  Trockenheit  vorzubeugen, 
nach  dem  Waschen  der  Kopf  mit  einem  indiffe- 
renten Fett,  am  besten  nicht  ranzigem  Olivenöl, 
eingefettet  werden.  Zeigen  sich  dagegen  die 
ersten  Anfänge  von  Schuppenbildung,  so  ist 
eine  genauere  Untersuchung  notwendig  und 
zwar  muß  man  hier  eruieren,  ob  das  Haar 
trocken  und  glanzlos  oder  übermäßig  fettig 
erscheint.  In  ersterem  Falle  worden  wir 
Fett  zuführen,  in  letzterem  die  übermäßige 
Fettabsonderung  zu  vermindern  suchen.  Dieses 
Prinzip  gilt  auch  als  Hauptgrund satz  für  die 
Behandlung  der  Alopecia  praematura  beim 
Erwachsenen.  Da  dieses  Leiden  gewöhnlich 
schleichend  auftritt  und  der  Patient  meist 
erst  dann  zum  Arzt  kommt,  wenn  der  Haar- 
ausfall exzessiv  geworden  und  der  Haarboden 
schon  mehr  oder  weniger  gelichtet  ist  (s.  o.) 

—  eine  Zeit,  die  Pincus  als  das  zweite 
Stadium  der  Alopecia  praematura  bezeichnet 

—  so  kann  nicht  genug  die  Wichtigkeit  der 
Prophyaxe  im  Kindesalter  und  zur  Zeit  der 
Pubertät  hervorgehoben  werden. 

Bei     der    Behandlung    der    übermäßigen 


XIX.  Jahrgang."] 
April  1905.    J 


Saalfeld,  Behandlung  de«  vorzeitigen  Haarausfall*. 


195 


Schuppenbildung  haben  wir  zwei  Indikationen 
zu  genügen.  Zuerst  müssen  die  vorhandenen 
Schuppen  entfernt  und  dann  ihrer  Wieder- 
kehr Einhalt  getan  werden.  Der  ersteren 
Anforderung  genügen  im  allgemeinen  Seifen- 
waschungen, nur  in  den  seltenen  Fällen,  wo 
es  zu  dickeren  Auflagerungen  gekommen,  ist 
es  notwendig  diese  durch  hydropathische 
Ölumschläge  zu  erweichen  und  dann  durch 
Seifenwaschungen  zu  entfernen.  Aber  auch 
auf  die  Auswahl  der  Seifen  muß  je  nach  der 
Qualität  der  Schuppen  Rücksicht  genommen 
werden.  So  ist  bei  der  Form  der  Schuppen- 
bildung, die  durch  Seborrhoe  bedingt  ist, 
die  Anwendung  von  Teerseife  nicht  zweck- 
mäßig, hier  empfiehlt  sich  Schwefelseife.  Ist 
dagen  die  Schuppenbildung  weniger  durch 
Fett  als  durch  die  Abstoßung  von  übermäßig 
verhornter  Epidermis  bedingt,  so  werden  wir 
Teerseife  anwenden.  Statt  der  Schwefelseife 
ist  auch  die  Verwendung  des  Spiritus  saponato- 
kalinus  Hebrae  in  vielen  Fällen  zu  empfehlen. 
Bei  Mangel  an  Fett  wird  eine  Waschung  nur 
zur  Beseitigung  der  Schuppen  notwendig  sein, 
ferner  um  die  gleich  zu  erwähnenden  Salben 
von  der  Kopfhaut  zu  entfernen.  Es  wird  im 
allgemeinen  hierzu  eine  einmal  wöchentliche 
Seifenwaschung  ausreichen.  In  exzessiven 
Fällen  werden  wir  dann  täglich  eine  Ein- 
salbung  des  Kopfes  mit  Mitteln,  welche  die 
übermäßige  Verhornung  verringern,  anwenden. 
Bei  Besserung  des  Zustandes  werden  wir 
die  Einsalbung  progressiv  seltener  eintreten 
lassen. 

Anders  liegen  die  Verhältnisse  bei  einer 
Seborrhoe  des  Kopfes.  Hier  ist  eine  häufigere 
Seifen waschung  notwendig,  nicht  nur  um  die 
eventuell  angewandten  Salben  wieder  zu  ent- 
fernen, sondern  auch  um  die  sich  wieder 
zeigenden  Schuppen  zu  beseitigen.  Selbst- 
verständlich wird  die  Anwendung  von  Salben 
bei  der  Seborrhoe  des  Kopfes  auf  ein  Minimum 
zu  beschränken  sein.  Da  zu  dem  schon 
übermäßig  produzierten  Fett  durch  letzere 
noch  neues  künstlich  hinzugefügt  wird,  werden 
wir  in  solchen  Fällen  möglichst  zu  Mitteln 
greifen,  welche  zur  Enfettung  der  Kopfhaut 
dienen,  ohne  selbst  Fett  zu  enthalten. 

Nach  diesem  Prinzip  muß  der  frühzeitige 
Haarausfall  behandelt  werden  und  ich  mochte 
an  dieser  Stelle  betonen,  daß  bei  einer  jeden 
„ Haarkur u  Konsequenz  in  der  Durchführung 
das  erste  und  oberste  Prinzip  sein  muß,  wenn 
überhaupt  ein  Erfolg  erzielt  werden  soll. 
Man  muß  die  Patienten  auch  bei  Beginn  einer 
jeden  Haarkur  darauf  aufmerksam  machen,  daß 
zuerst  bei  konsequent  durchgeführten  Waschun- 
gen oder  Einreibungen,  sei  es  von  Salben,  sei  es 
von  Flüssigkeiten  anscheinend  mehr  Haare  aus- 
gehen als  früher.     Es  rührt  dies  daher,  daß 


die  locker  sitzenden  und  demnach  dem  Unter- 
gang geweihten  Haare  durch  diese  mechanische 
Manipulation  entfernt  werden.  Der  stärkere 
Haarausfall  im  Anfang  der  Behandlung  ist 
also  nur  ein  scheinbarer. 

Bei  jeder  Behandlung  ist,  wie  erwähnt, 
in  erster  Reihe  notwendig,  daß  wir  uns  über 
den  Zustand  des  Haarbodens  und  der  Haare 
selbst  bezüglich  ihres  Fettgehaltes  Klarheit 
verschaffen.  Am  zweckmäßigsten  wäre  es  in 
jedem  Falle,  in  der  oben  angedeuteten  Weise 
die  Untersuchung  in  chemisch  exakter  Weise 
vorzunehmen.  Allein  hierzu  mangelt  es  ge- 
wöhnlich an  Zeit,  da  ungefähr  2 — 3  Wochen 
zu  einer  solchen  Untersuchung  notwendig 
sind,  weil  die  Patienten  meist  mit  frisch- 
gewaschenem Kopf  den  Arzt  aufsuchen,  um 
nicht  den  Eindruck  der  Unsauberkeit  zu  er- 
wecken. Man  muß  sich  daher  im  großen 
und  ganzen  auf  die  Angaben  der  Patienten  ver- 
lassen, wenn  man  sie  nicht  dazu  bewegen 
kann,  nach  8  Tagen  —  in  denen  alle  Mani- 
pulationen zu  unterlassen  sind  —  wieder- 
zukommen, resp.  wenn  man  die  Patienten 
bewegt,  sich  die  Zeit  bis  zum  Beginn  der 
Behandlung  zu  nehmen,  um  die  Haare  und 
Schuppen  auf  ihren  Fettgehalt  untersuchen 
zu  lassen.  Nehmen  wir  an,  es  handle  sich 
um  einen  Patienten,  bei  dem  eine  übermäßige 
Trockenheit  mit  übermäßiger  Abstoßung  von 
Epidermisschuppen  besteht,  so  werden  wir 
ihn  die  Schuppen  durch  Waschungen  mit 
Teerseife  entfernen  lassen  und  alsdann  ein 
Mittel  geben,  welches  imstande  ist,  die  über- 
mäßige Verhornung  zu  beseitigen,  außerdem 
die  exzessive  Trockenheit  der  Kopfhaut  zu 
verringern.  Im  großen  und  ganzen  kommt 
man  mit  wenigen  Mitteln  bei  diesem  Zustande 
ebenso  wie  bei  der  Seborrhoe  aus.  Hier  wirkt 
der  Schwefel  in  Form  einer  ganz  schwachen 
Konzentration  recht  gut.  Man  kann  ihm 
des  weiteren  als  K  eratoly ticum  Salizylsäure 
zusetzen,  außerdem  aber  wird  das  Tannin  in 
schwacher  Mischung  die  Wirkung  der  beiden 
genannten  Mittel  erhöhen.  Ich  habe  nun  in 
letzter  Zeit  in  einer  Tannin-Brom- Verbindung, 
die  unter  dem  Namen  Tannobromin  bekannt 
ist,  Versuche  bei  der  Behandlung  des  Haar- 
ausfalls in  60  Fällen  gemacht  und  habe  ge- 
funden, daß  dem  Mittel  außer  seiner  Eigen- 
schaft, in  schwacher  Konzentration  die  Hyper- 
keratose,  in  stärkerer  die  Seborrhoe  zu  heben, 
noch  die  Eigenschaft,  juckstillend  zu  wirken, 
in  hohem  Maße  zukommt,  ein  Faktor,  der 
gerade   hier    von    besonderer   Bedeutung    ist. 

Da  ich  nach  meinen  Beobachtungen  an- 
nehmen darf,  daß  das  Tannobromin  bei  der 
Behandlung  des  vorzeitigen  Haarausfalles 
auch  in  der  Zukunft  mit  Erfolg  angewandt 
werden  wird,  so  möchte  ich  an  dieser  Stelle 


196 


Saalfeld,  Behandlung  4m  vorzeitigen  HaaiautCtUa. 


pTborapavtlKhe 
L  Monatshefte. 


kurz  auf  meine  mit  dem  Mittel  gesammelten 
Erfahrungen  eingehen. 

Tannobromin  ist  die  Formaldehydverbin- 
dung des  Dibromtannin8.  Gegenüber  dem 
Bromokoll,  der  Leim  Verbindung  des  Dibrom- 
tannins,  unterscheidet  sich  das  von  Dr.  Alt- 
schul zuerst  hergestellte  Tannobromin  vor 
allem  durch  seine  Löslichkeit  in  Alkohol. 
Das  Tannobromin  stellt  ein  bräunliches 
Pulver   dar  und  enthält  ca.  30  Proz.  Brom. 

Der  Vorteil  des  Präparates  liegt  darin, 
daß  es  ebenso  wie  der  Schwefel  in  ver- 
schieden starker  Konzentration  für  beide  ge- 
schilderten Arten  des  Haarausfalles  zu  be- 
nutzen ist,  daß  dem  Schwefel  gegenüber  aber 
die  Löslichkeit  in  Spirituosen  Vehikeln  ins 
Gewicht  fällt. 

Tannobromin  wurde  von  mir,  wie  er- 
wähnt, in  60  Fällen  zur  Anwendung  ge- 
zogen, und  zwar  handelte  es  sich  hier  um 
eine  Reihe  von  Patienten,  bei  denen  der 
Haarausfall  mit  gesteigerter  Fettsekretion  ein- 
herging, bei  einer  zweiten  Reihe  von  Fällen 
war   dagegen   die  Fettsekretion  herabgesetzt. 

Soweit  eine  Besserung  oder  Heilung  zu 
erzielen  möglich  war,  konnte  ein  Erfolg  kon- 
statiert werden.  Natürlich  wurde  das  Prä- 
parat zuerst  ohne  Salizylsäure-  oder  Schwefel- 
zusatz verwendet.  Das  Resultat  der  Tanno- 
brominbehandlung  war:  Nachlassen  der 
Schuppenbildung  und  des  Juckens,  sowie 
Verminderung  des  Haarausfalles:  kurz,  eine 
Abnahme  des  ganzen  Krankheitsbildes.  Daß 
in  weit  vorgeschrittenen  Fällen  nur  eine  Besse- 
rung, keine  komplette  Heilung  erzielt  wurde, 
ist  selbstverständlich,  da  das  Mittel  —  wie 
aus  der  obigen  anatomischen  Auseinander- 
setzung hervorgeht  —  nicht  im  stände  ist, 
bei  der  Seborrhoe  die  übermäßig  vergrößerten 
Talgdrüsen  zu  ihrer  ursprünglichen  Norm 
zurückzubilden  und  die  einmal  entstandenen 
Lanugohaare  wieder  zu  Vollhaaren  zu  ver- 
wandeln. Ob  dieses  Postulat  durch  eine 
energische  Schälkur,  wie  sie  Unna8)  vor- 
schlägt, oder  durch  Skarifikation  der  Talg- 
drüsen nach  dem  Vorschlage  von  Morel- 
Lavallier9)  voll  und  ganz  erfüllt  ist,  ent- 
zieht sich  meiner  Beurteilung.  Der  prak- 
tische Arzt  wird  diese  Methoden  für  die 
nächste  Zeit  wohl  schwerlich  in  Anwendung 
ziehen,  er  muß  sich  daher  vorläufig  auf  ein- 
fachere Behandlungsweisen   beschränken  und 


8)  Allgemeine  Therapie  der  Hautkrankheiten 
von  Dr.  P.  S.  Unna  in  Hamburg.  Einzel -Abteilung 
aus  dem  Lehrbuche  der  allg.  Therapie  und  der 
therapeutischen  Methodik,  herausgegeben  von  Geh. 
Med.-Rat  Prof.  Dr.  A.  Eulenburg  und  Prof.  Dr. 
Samuel.  Urban  &  Schwarzenberg,  Berlin  und  Wien 
1899,  S.  889. 

»)  ibid.  S.  888. 


für  diese  scheint  mir  die  Einführung  des 
Tannobromins  in  den  Arzneischatz  von  er- 
heblicher Bedeutung  zu  sein. 

Nachdem  der  Nutzen  des  Präparates 
durch  die  Versuche  festgestellt  war,  ent- 
schloß ich  mich,  zur  Erhöhung  der  Wirksam- 
keit der  Behandlung  und  zur  schnelleren  Er- 
zielung des  Effektes  dem  Tannobromin  in 
geeigneten  Fällen  Salizylsäure  oder  Schwefel 
oder  beide  Präparate  zusammen  in  entsprechen- 
der Konzentration  zuzusetzen. 

Kehren  wir  nunmehr  zu  den  Fällen  von 
vorzeitigem  Haarausfall  zurück,  bei  denen 
eine  Verminderung  des  Fettgehaltes  besteht, 
so  würden  wir  hier  verschreiben: 


Rp. 

Tannobromini 
Vaselini  flavi 

1,0 
29,0 

oder 

M.  f.  unguentum 

Rp. 

Tannobromini 
Lanolini 
Paraffini  liquidi 
Fetroni 

1,0 

»  2,0 

ad  30,0 

oder 

M.  f.  unguentum 

Rp. 

Tannobromini 

1,0 

Bals.  Peruviani  2,0 

Adipis  colli  equini       ad  30,0 
M.  f.  unguentum. 

Eine  Vorschrift  für  die  einen  Zusatz  von 
Salizylsäure  und  Schwefel  enthaltende  Tanno- 
bromin-Salbe  würde  lauten: 

Rp.     Acidi  salicylici  0,5  —  0,75 

Tannobromini 
Lactis  sulfuri8 

Tincturae  cantharidum    S  1,0 
Adipis  benzoati  recen- 

ter  parati  ad  30,0 

M.  f.  unguentum 
oder 

Rp.     Acidi  salicylici  0,5 — 0,75 

Tannobromini 
Lactis  sulfuris 

Tincturae  cantharidum    »»  1,0 
Paraffini  liquidi  2,0 

Fetroni  ad  30,0 

M.  f.  unguentum 
oder 

Rp.     Acidi  salicylici  0,5 — 0,75 

Tannobromini 
Thigenoli 

Tincturae  cantharidum     Ja  1,0 
Ol.  ros.  gtt.  I 

Medullae  ossis  bovini    ad  30,0 
M.  f.  unguentum. 


i 
i 

I 


XIX.  Jahrgang.'! 
April  1905.    J 


Saalfald,  Bahandluog  4et  vorsaltigan  Haarauafall*. 


197 


Das  Rosenöl  im  «letzten  Rezept  ist  als 
Parfüm  bei  Verordnung  in  der  besseren  Praxis 
zugesetzt.  Demselben  Zwecke  dient  der  Peru- 
balsam, der  aber  gleichzeitig  noch  die  Indi- 
kation erfüllt,  ein  Ranzigwerden  des  Adeps 
colli  equini  zu  verhüten.  Letzteres,  das 
Pferdekammfett,  ist,  ebenso  wie  die  Medulla 
ossis  bovini,  Rindermark,  seit  undenklichen 
Zeiten  ein  beliebtes  Volksmittel,  das  auf  den 
Haarwuchs  günstig  einwirken  soll. 

Die  Eantharidentinktur  in  den  letzten 
Vorschriften  ist  hinzugefügt  einerseits,  um 
der  Salizylsäure  als  Lösungsmittel  zu  dienen, 
andererseits  in  der  seit  langem  bestehenden 
Annahme,  daß  auch  die  Kanth ariden  einen 
Einfluß  auf  das  Haarwachstum  ausüben  sollen. 

Eine  dieser  Salben  lassen  wir  die  Pa- 
tienten dreimal  in  der  Woche  einreiben,  und 
zwar  müssen  sie  angewiesen  werden,  das 
Haar  mit  einem  weiten  Kamm  in  eine  große 
Reihe  von  Scheiteln  zu  zerlegen  und  auf  die 
zu  Tage  tretende  Kopfhaut  die  Salbe  ent- 
weder mit  einem  Borstenpinsel  oder  besser 
dem  Finger  selbst  einzureiben  oder  durch 
eine  andere  Person  einreiben  zu  lassen.  Um 
die  ihrer  Unterlage  zu  fest  anliegende  Kopf- 
haut zu  mobilisieren  und  ihr  gleichzeitig 
mehr  Blut  zuzuführen,  empfiehlt  es  sich,  die 
Einreibungen  mit  einer  leichten  Massage  der 
Kopfhaut  zu  verbinden,  wozu  zweckent- 
sprechender der  Finger  als  ein  Borstenpinsel 
benutzt  wird.  Da  diese  Prozeduren  gewöhn- 
lich des  Abends  vorgenommen  werden,  sind 
die  Patienten,  um  eine  Beschmutzung  des 
Kopfkissens  zu  vermeiden,  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  den  Kopf  in  geeigneter  Weise, 
am  besten  mit  einer  Badekappe,  zu  bedecken. 
Können  wir  nach  einiger  Zeit  eine  Besserung 
konstatieren,  die  durch  Zählung  der  ausge- 
kämmten Haare  sich  kundgibt,  so  werden 
wir  die  Einreibung  nur  seltener,  vielleicht 
zweimal  wöchentlich,  vornehmen  lassen.  Die 
Zählung  der  Haare  wird  so  vorgenommen, 
daß  dieselben  ungefähr  2  cm  von  ihrem  Ende 
entfernt  zusammengebunden  werden  nach  Art 
eines  Blumenstraußes.  Es  empfiehlt  sich,  diese 
Zählung  ungefähr  alle  14  Tage  vornehmen 
zu  lassen.  Ist  eine  Besserung  eingetreten, 
so  kann  die  exakte  Zählung  fortfallen,  und 
nun  kann  man  sich  über  die  Größe  des  Haar- 
ausfalls durch  Schätzung  orientieren. 

Handelt  es  sich  um  Personen  mit  hellen 
Haaren,  so  wird  allerdings  auf  die  Anwen- 
dung des  Tannobromins  oder  Thigenols  ver- 
zichtet werden  müssen,  da  durch  dessen  Ge- 
brauch leicht  eine  Verfärbung  des  hellen 
Haares  eintritt.  «Hier  werden  wir  nur  die 
anderen  obengenannten  Bestandteile  in  den 
Salben,  Salizylsäure  und  Schwefel,  wirken 
lassen. 


Der  letztere  ebenso  wie  das  Tannobromin 
in  höherer  Konzentration  erweisen  sich 
in  ihrer  Anwendung  auch  vorteilhaft  bei  den 
mit  übermäßiger  Fettabsonderung  einher- 
gehenden Zuständen  des  Haarausfalls,  bei 
der  Seborrhoea  capitis.  Der  Schwefel  wirkt 
hier  außerordentlich  günstig  ein,  doch  ist 
sein  Nachteil,  daß  er  nicht  in  Lösung  ge- 
geben werden  kann.  Es  war  daher  ein  Fort- 
schritt, als  es  gelang,  schwefelhaltige  Prä- 
parate herzustellen,  die  in  Lösungen  ange- 
wandt werden  können.  Zu  diesen  Präpa- 
raten gehört  u.  a.  das  Thigenol.  Aber  auch 
das  Tannobromin  hat  sich  hier  von  günstigem 
Einfluß  erwiesen.  Patienten  mit  Seborrhoe 
des  behaarten  Kopfes  weisen  wir  an,  die 
Kopfhaut  häufiger  zu  waschen,  und  zwar  ent- 
weder mit  Schwefelseife  oder  dem  Hebra- 
schen alkalischen  Seifen spiritus.  Je  nach 
dem  Grade  des  vorliegenden  Falles  werden 
hier  Waschungen  im  Anfang  täglich  und 
später  seltener  vorzunehmen  sein.  Nachdem 
die  Kopfhaut  und  das  Haar  getrocknet  ist, 
werden  wir  die  Antiseborrhoica  anwenden, 
und  zwar  bei  dunkleren  Haaren  eine  Lö- 
sung von 


Rp. 


oder 


Thigenoli 
Spirit. 

M.  D.  S. 


2,5—6,0 
ad  100,0 
Äußerlich 


Rp. 


Tannobromini  2,5  —  5,0 

Spirit.  ad  100,0 

M.  D.  S.     Äußerlich 


Rp. 

Tannobromini 

Thigenoli 

£  2,5 

Spirit. 

ad  100,0 

M.  D.  S. 

Äußerlich 

oder 

Rp. 

Thigenoli 

2,5—5,0 

Spirit.  dilut. 

ad  100,0 

M.  D.  S. 

Äußerlich 

oder 

Rp. 

Tannobromini 

2,5-5,0 

Spirit.  dilut. 

ad  100,0 

M.  D.  S. 

Äußerlich 

oder 

Rp. 

Tannobromini 

Thigenoli 

£  2,5  —  5,0 

Spirit.  dilut. 

ad  100,0 

M.  D.  S. 

Äußerlich. 

In  leichteren  Fällen  von  Seborrhoea  ca- 
pitis genügt  die  Anwendung  einer  5  proz. 
Chloralhydratlösung  in  Wasser  und  Spiritus 
(zu  gleichen  Teilen);  eventl.  kann  das  Chloral- 


198 


Saalf«ld,  Behandlung  4m  vorzeitigen  Haarausfalls. 


rTherapeatlschfe 
L   Monatsheft«. 


hydrat  in   derselben  Konzentration   auch  der 
Tannobrominlösung  hinzugefügt  werden: 

Rp.     Chlorali  hydrati  5,0 

Aquae  dest. 

Spiritus  "  ad  100,0 

M.  D.  S.     Äußerlich 
oder 

Rp.     Tannobromini  2,5 — 5,0 

Chlorali  hydrati  5,0 

Aquae  dest. 

Spiritus  £  ad  100,0 

M.  D.  S.     Äußerlich. 

Behufs  Parfümierung  ersetzt  man  ein 
Drittel  des  Spiritus  resp.  des  Spiritus  dilutus 
durch  Spiritus  melissae  compositus  (Karme- 
litergeist). 

Die  ersteren  Lösungen,  die  keinen  Wasser- 
zusatz enthalten,  kommen  da  zur  Verwen- 
dung, wo  der  Fettgehalt  der  Kopfhaut  ein 
sehr  hoher  ist;  die  letzteren  Lösungen  mit 
'Wasserzusatz  da,  wo  der  Fettgehalt  von 
vornherein  nicht  so  exzessiv  war  oder  in- 
folge der  Behandlung  etwas  vermindert  wurde. 
Analog  liegen  die  Verhältnisse  bezüglich  der 
Konzentration  der  Lösung  bezw.  der  Häufig- 
keit ihrer  Anwendung. 

Bei  fortschreitender  Besserung  kann  man 
die  Anzahl  der  Waschungen,  ebenso  die  der 
Einreibungen  verringern.  Die  Flüssigkeiten 
werden  so  benutzt,  daß  die  Haare  ebenfalls 
mit  einem  weiten  Kamm  in  eine  Anzahl  von 
Scheiteln  zerlegt  werden  und  auf  die  so  frei- 
gelegte Kopfhaut  die  Flüssigkeit  vermittelst 
einer  Tropfflasche  geträufelt  wird,  die  am 
besten  durch  Benutzung  eines  Parfümflaschen- 
stöpsels, der  die  Flüssigkeit  in  Tropfen  aus- 
treten läßt,  hergestellt  wird.  Ist  nun  durch 
diese  entfettenden  Prozeduren  eine  gewisse 
Trockenheit  der  Kopfhaut  und  Rauhigkeit 
der  Haare  eingetreten,  so  werden  wir  zwischen 
die  Waschungen  und  Flüssigkeitseinreibungen 
die  Applikation  einer  10  proz.  Tannobromin- 
oder  Schwefelsalbe  einschieben.  Letztere 
kommt  auch  bei  Personen  mit  hellem  Haar 
in  Betracht.  Um  die  Schädlichkeit,  welche 
durch  das  Fett  als  solches  bei  der  Seborrhoe 
verursacht  wird ,  zu  vermindern ,  \  müssen 
häufigere  Waschungen  angeordnet  werden, 
als  dies  bei  der  Benutzung  von  Spirituosen 
Flüssigkeiten  sonst  notwendig  ist. 

In  der  Konzentration  der  genannten  Mittel 
werden  wir  ebenso  wie  in  der  Häufigkeit 
ihrer  Applikation,  worauf  ich  bereits  oben 
hinwies,  eine  Änderung  eintreten  lassen,  je 
nachdem  das  Leiden  sich  bessert. 

In  den  Fällen,  in  welchen  der  Haarausfall 
durch  Seborrhoe  bedingt  wird,  ist  für  letzteren 
nicht  selten  eine  Chlorose  Veranlassung,  und 


namentlich  finden  wi*  dieses  Leiden  bei 
jungen  Mädchen  in  der  Entwicklungsperiode. 
Hier  werden  wir  auch  mit  einer  internen  Be- 
handlung die  Seborrhoe  zu  bekämpfen  suchen ; 
es  kommen  hier  die  Eisenmittel  und  das 
Arsenik  in  Frage.  Des  weiteren  konnte  ich10) 
in  einer  früheren  Arbeit  nachweisen,  daß  sich 
für  derartige  Fälle  der  Gebrauch  von 
Oophorin  bewährt  hatte,  und  diese  Erfahrung 
fand  ich  seitdem  in  weiteren  Fällen  bestätigt. 
Wenn  ich  mich  jetzt  kurz  resümiere,  so 
möchte  ich  noch  einmal  hervorheben,  daß 
wir  von  jeder  Schematisierung  bei  der  Be- 
handlung des  vorzeitigen  Haarausfalls  ab- 
sehen und  uns  in  erster  Linie  über  den  Zu- 
stand des  Haarbodens  Klarheit  verschaffen 
müssen.  Wir  werden  dann  unter  Berück- 
sichtigung dieses  Momentes  bei  der  Behand- 
lung der  Alopecia  praematura  oft  Erfolge  er- 
zielen, wenn  das  andere  Prinzip,  auf  das 
ich  oben  bereits  hinwies,  genügend  gewahrt 
wird,  nämlich  die  Ausdauer,  Konsequenz  und 
Energie  in  der  Behandlung  von  Seiten  des 
Arztes  wie  besonders  der  Patienten. 


Bemerkungen  zu  Herrn  I>r.  Kahns 
Aufsatz   „Zur  Kritik  der  Jodbäder".1) 

*  Von 

San. -Rat  Pelizaeus  in  Bad  Oeynhausen. 

Nur  die  Unterstellung  des  Herrn  Dr. 
Rahn  in  seiner  Kritik  meiner  Arbeit3),  daß 
ich  mit  meinen  Ausführungen  ein  Konkurrenz- 
bad Oeynhausens  hätte  herabsetzen  wollen, 
und  die  weitere,  es  habe  „so  lange"  ge- 
dauert, bis  man  entdeckt  habe,  daß  1000  Liter 
einzelner  Quellen  noch  nicht  eine  gebräuch- 
liche Tagesdosis  Jod  enthielten,  zwingt  mich 
zu  einer  Erwiderung.  Ich  weiß  nicht,  aus 
welchen  Abhandlungen  über  die  Balneo- 
therapie oder  eigenen  Erfahrungen  Herr 
Dr.  Rahn  die  Anschauung  gewonnen  hat, 
Oeynhausen  sei  ein  Konkurrenzbad  von  Tölz, 
jedenfalls  ist  sie  nicht  begründet  und  ich 
muß  diese  Äußerung  als  durchaus  überflüssig 
zurückweisen.  Was  die  zweite  Behauptung, 
daß  ich  der  Entdecker  der  Tatsache  sei,  daß 
die  Erfolge  der  sogenannten  Jodbäder  nicht 
von  dem  Jodgehalt  der '  Quellen  abhängig 
sind,  so  muß  ich  die  Ehre  leider  zurück- 
weisen. Hätte  Herr  Rahn  meinen  Aufsatz 
mit  einiger  Aufmerksamkeit  gelesen,  so  würde 
er  eine  solche  Behauptung  nicht  aufgestellt 
haben,  habe  ich  doch  auf  Braun  1868  und 


10)  Kurze  therapeutische  Mitteilung;  ein  Beitrag 
zur  Oophorinbehandlung.  Von  Dr.  Edmund  Saal- 
feld.   Berl.  klin.  Wochenschrift  1898,  No.  13. 

!)  Novemberheft  1904. 

*)  Juliheft  1903. 


XIX.  Jahrgang.*) 
April  1905.    J 


P«lisa«ua,  Kritik  der  Jodbftdar. 


199 


Leichtenstem  1880  mit  wörtlichen  Zitaten 
hingewiesen.  Es  sind  ja  auch  keine  eigenen 
Erfahrungen  oder  kritische  Bemerkungen, 
sondern  nur  Wiederholungen  derselben  Be- 
hauptungen, die  ich  angegriffen  habe,  die 
Herr  Rahn  vorbringt.  Ich  befinde  mich 
aber  mit  meiner  Kritik  in  sehr  guter  Ge- 
sellschaft und  unter  Verzicht  auf  das, 
was  sich  sonst  in  den  Lehrbüchern  der 
klinischen  Medizin  und  der  Balneotherapie 
befindet,  möchte  ich  nur  wörtlich  anfuhren, 
was  6 lax  in  seiner  Bäderlehre,  die  wohl 
überhaupt  das  gediegenste  balneotherapeu- 
tische  Werk  ist,  und  für  die  nächsten  Jahr- 
zehnte bleiben  wird,  sagt. 

Er  sagt:  „Die  Bromverbindungen  in  den 
Kochsalzwassern  sind  für  die  Therapie  ge- 
wiß vollkommen  gleichgültig.  Dasselbe  gilt 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  für  die 
Jod  Verbindungen.  Nur  die  Wasser  von  Vit- 
torio  und  Heilbronn  enthalten  bei  einer  Zu- 
sammensetzung, welche  nahezu  einer  physio- 
logischen Kochsalzlösung  entspricht,  Mengen 
von  Jod,  welche  bei  der  Möglichkeit,  größere 
Quantitäten  dieser  Wasser  zu  genießen,  nicht 
ganz  ohne  Einfluß  auf  den  Organismus  sein 
mögen."  Und  gesperrt,  als  Endresultat,  fügt 
er  dann  hinzu:  „Vorläufig  müssen  wir  die 
unzweifelhaft  großen  Erfolge,  welche  bei  dem 
innern  Gebrauch  jodhaltiger  Kochsalzquellen 
bei  der  Skrofulöse  und  den  Exsudationen 
erzielt  werden,  ausschließlich  dem  Chlor- 
natrium zuschreiben.  Leichtenstem, 
Braun,  Schmiedeberg,  Nothnagel,  Roß- 
bach leugnen  jede  Wirkung  so  geringer  Jod- 
mengen, andre,  Niebergall,  Flechsich, 
Kisch,  verhalten  sich  nicht  ganz  so  ab- 
lehnend, während  einige  wenige,  gestützt  auf 
die  Erfahrungen  der  Ärzte  in  den  Badeorten, 
die  Wirkung  zugeben."  Was  speziell  die 
Therapie  der  Lues  anlangt,  so  spricht  sich 
Glax  folgendermaßen  aus:  „Bedenken  wir, 
daß  bei  ulzerösen  Prozessen  der  Haut  immer- 
hin die  Möglichkeit  der  Resorption  von  Jod 
aus  dem  Badewasser3)  gegeben  ist,  und  daß 


durch  die  Kombination  der  Badekur  mit 
einer  Trinkkur  dem  Organismus  auch  inner- 
lich Jod  zugeführt  werden  kann,  so  erscheint 
es  nicht  unwahrscheinlich,  „daß  der  anerkannt 
günstige  Erfolg  der  Jodwasser  in  der  Lues- 
Therapie  wenigstens  zum  Teil  von  dem  Jod- 
gehalt dieser  Quellen  abhängig  ist.  Keines- 
falls aber  sind  die  Jodmengen  so  groß,  daß 
sie  die  auf  andere  Weise  mögliche  Jod- 
behandlung ersetzen  können."  Aber  wenige 
Seiten  später  sagt  Glax  von  de^Oranien- 
quelle  in  Kreuznach,  „sie  enthält  nahezu 
kein  Jod,  nämlich  nur  0,0014  g  im  1",  das 
ist  aber  immerhin  noch  etwas  mehr  als  die 
Jodtrinkquelle  von  Tölz,  die  0,00124  ent- 
hält. Ich  denke,  das  genügt,  um  zu  beweisen, 
daß  auch  nach  Glax  diese  Quellen  nur  so- 
genannte Jodquellen  sind.  Beobachtungen 
in  Kurorten  und  Bädern  über  einzelne  Heil- 
faktoren sind  niemals  rein,  sie  sind  aber 
ganz  wertlos,  wenn  zu  bestimmten  Quellen 
und  Bädern  noch  Zusätze  gemacht  werden. 
Die  Frage,  ob  geringe  Mengen  irgend  eines 
Stoffes  in  einer  Quelle  eine  spezifische  Wir- 
kung haben,  wird  niemals  an  Ort  und  Stelle 
beim  Gebrauch  einer  Bade-  oder  Trinkkur 
entschieden  werden  können.  Aber  Herr 
Dr.  Rahn  könnte  sich  ein  dauerndes  Ver- 
dienst erwerben,  wenn  er  bei  unzweifelhafter 
Lues  seinen  Kranken  statt  2 — 3  g  pro  die 
mal  1 — 2  mg  Jod  als  Jodwasser  verord- 
nete, vorausgesetzt,  daß  er  annimmt,  er  könne 
seinen  Kranken  damit  heilen.  Auf  die  Kritik 
der  Wirkung  minimaler  Jodmengen  bei  Kropf 
oder  gar  auf  die  Entstehung  der  Basedow- 
schen Krankheit  durch  Jodmengen  von  0,02  g 
pro  die  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Platz, 
ich  mochte  nur  daran  erinnern,  daß  man 
jodhaltige  Trinkwässer  geradezu  als  Ursache 
des  endemischen  Kropfes  bezeichnet  hat,  daß 
in  der  Nähe  solcher  Quellen4)  respektable 
Kröpfe  vorkommen  und  neusten s  in  Eng- 
land4) durch  Trinken  von  destilliertem  Wasser 
in  einigen  Wochen  große  Kröpfe  beseitigt 
sein  sollen. 


Neuere  Arzneimittel. 


Die  perkutane  Jodapplikation. 

Von 
Q.  Wesenberg. 

Die  interne  Darreichung  der  Jodsalze, 
als  welche  vor  allem  das  Jodkalium  und 
Jodnatrium    in   Betracht    kommen,    ruft    bei 

3)  In  Tölz  würden  in  einer  Wanne  von  300  1 
0,36  Jodnatr.  sein,  bei  Sublimatbädern  nimmt  man 
0,5—3,0  auf  ein  Kinderbad. 


sehr  vielen  Patienten,  selbst  bei  Einfuhrung 
nur  geringer  Dosen,  sehr  bald  eine  derartig 
starke  Magenverstimmung,  Appetitlosigkeit 
u.  s.  w.  hervor,  daß  die  Anwendung  oft  für 
längere  Zeit  ausgesetzt  werden  muß.  Als 
Ersatz    für    das   Jodkalium    sind    daher   die 

4)  Eule nb arg,  Realenzyklopädie  XIX,  1887, 
S.  237  u.  244. 

*)  Lancet,  Juli  1903. 


200 


W«a«nb*rf ,  Perkutan«  Jodapplikmtlon. 


fThent] 
L   Moni 


Monatsheft«. 


Jod  fette  —  unter  ihnen  besonders  bekannt 
wohl  das  Jodipin  —  eingeführt  worden, 
deren  Geschmack  indessen  den  Patienten 
häufig  widersteht  und  deren  Gebrauch  nach 
Angabe  verschiedener  Autoren  (Wanke1), 
Welander8)  u.  a.)  auch  bald  Verlust  des 
Appetites  verursacht.  Man  hat  daher  ver- 
sucht, durch  äußerliche  Anwendung  von  Jod- 
präparaten eine  Einverleibung  dieses  in  so 
vielen  Fällen  unersetzbaren  Heilmittels  zu 
erzielen:  am  nächsten  lag  da  die  Verwendung 
von  Jodtinktur,  welche  aber  nur  in  sehr 
geringem  Maße  resorbiert  wird,  ganz  ab- 
gesehen davon,  daß  nach  mehrmaliger  Appli- 
kation derselben  die  Haut  sich  in  Fetzen 
abzulösen  pflegt.  Ebenso  versagen  Jod- 
kalium-Bäder in  den  meist  gebrauchten 
Konzentrationen:  Scbwenkenbecher3)  ba- 
dete weiße  Mäuse  stundenlang  in  verschieden 
starken  Jodkaliumlösungen  und  prüfte  dann 
den  Harn  der  Tiere  auf  Jod;  er  fand  nach 
4  bezw.  7  Stunden  langem  Aufenthalte  in 
öproz.  KJ- Lösung  starke  Jodreaktion,  nach 
6  bezw.  8  stündigem  Bade  in  2proz.  Lösung 
deutliche  Reaktion,  während  aus  lproz.  Lö- 
sung, in  2  Versuchen  von  je  6  Stunden  Dauer, 
Jod  im  Harn  nicht  nachweisbar  war.  Die 
Jodkali  um -Salben  werden  ebenfalls,  wie 
namentlich  die  Untersuchungen  von  Lion4), 
von  Hirschfeld  und  Pollio5),  sowie  von 
Heffter6)  zeigen,  verhältnismäßig  schlecht 
resorbiert;  allerdings  konnten  Hirsch feld 
und  Pollio  im  günstigsten  Falle  nach  Auf- 
tragung von  50  g  lOproz.  Jodkalium -Vaselin, 
welche  als  Dauerverband  3  Tage  lang  liegen 
blieb,  während  dieser  Zeit  insgesamt  0,81  g  EJ 
im  Harn  ermitteln;  praktische  Anwendung 
dürften  aber  derartige  ausgedehnte  Dauer- 
verbände, wie  sie  zur  Erzielung  einer  etwas 
größeren   Resorption   erforderlich   sind,   wohl 


1)  Wanke,  Erfahrungen  über  die  Anwendung 
des  Jodipins  (Merck).  Korr.-Bl.  d.  alig.  ärztl.  Ver. 
in  Thüring.  6.  7.  Ol.  Ref.  Schmidts  Jahrb.  1901, 
Bd.  272,  S.  160. 

2)  Edvard  Wel  an  der,  Über  Jodkalium  (Jod- 
natrium), Jodalbacid  und  Jodipin.  Arch.  f.  Dermatol. 
u.  Syphil.    1901,   Bd.  57,   S.  63. 

*)  A.  Scbwenkenbecher,  Das  Absorptions- 
vermögen der  Haut.  Habilit.  Tubingen.  (Veit  & 
Comp.  Leipzig.)  1904. 

*)  Victor  Lion,  Die  Resorptionsfähigkeit  der 
Haut  für  Jodkali  in  verschiedenen  Salbeogrund- 
lagen.  Festschr.  zu  Ehren  von  M.  Kaposi.  Sonder- 
abdr.  1900. 

*)  Hirchfeld  und  Pollio,  Über  die  Resorp- 
tion von  Jod  aus  Jodkali-Salben.  Arch.  f.  Dermat 
u.  Syphil.  1904,   Bd.  72,   S.  163. 

6)  A.  Heffter,  Bemerkungen  zur  Abhandlung 
der  Herren  Dr.  Hirsch  feld  und  Dr.  Pollio. 
Ebenda  S.  171.  —  A.  Heffter,  Über  die  Zer- 
legung des  Jodkaliums  durch  Fette.  Schweiz. 
Wochenschr.  f.  Chemie  u,  Pharm.  1904,  No.  24, 
Sonderabdruck. 


nur  in  den  seltensten  Fällen  finden  können. 
Heffter  erklärt  die  Resorption  des  J  aus 
Jodkalium-Salben  derart,  daß  bei  der  Autoxy- 
dation des  Hauttalges  aus  dem  Wasserdampf 
der  Luft  sich  Wasserstoffsuperoxyd  bildet, 
welcher  aus  dem  Jodkalium  Jod  freimacht; 
dieses  letztere  vereinigt  sich  dann  mit  den 
Eiweißkörpern  der  Haut  und  gelangt  so  in 
den  Organismus.  Bei  einem  4  tägigen  Dauer- 
verbande mit  einer  Jod-Jodkalium-Salbe 
(0,2  g  Jod,  2  g  Jodkalium,  10  g  Adeps)  er- 
mittelte Xylander7)  im  Harn  am  ersten 
Tage  kein  Jod,  am  zweiten  Tage  0,0321, 
am  dritten  Tage  0,0623  g,  am  vierten  und 
fünften  Tage  0,0999  bezw.  0,1543  g  Jod, 
während  am  sechsten  Tage  nur  noch  Spuren  J 
im  Harn  nachweisbar  waren,  welche  Tags 
darauf  verschwunden  waren;  von  den  ins- 
gesamt aufgelegten  1,73  g  Jod  (0,2  g  als 
freies  und  1,53  g  als  gebundenes  Jod)  waren 
also  0,3487  g,  entsprechend  20,2  Proz.,  resor- 
biert worden.  In  einem  zweiten  ganz  analogen 
Versuche  wurden  nur  0,2159  g  (an  den 
einzelnen  Tagen  0,0356,  0,0424,  0,1073, 
0,0144,  0,0121  bezw.  0,0041  g)  Jod,  ent- 
sprechend 12,48  Proz.,  wieder  ausgeschieden. 

Über  die  Einverleibung  des  Jodipins 
von  der  Haut  aus  spricht  sich  Winternitz8), 
der  bekanntlich  das  Jodipin  eingeführt  hat, 
wie  folgt,  aus:  „Die  perkutane  Einreibung 
des  Jodipins  zu  therapeutischen  Zwecken  ist 
physiologisch  nicht  gerechtfertigt.  Versuche, 
welche  Sessous  auf  meine  Veranlassung  ge- 
macht hat,  haben  gezeigt,  daß  auch  bei 
energischer  Verreibung  in  die  Haut  eine 
Resorption  von  Jodipin  nicht  erfolgte,  zu 
gleichem  Resultat  kam  Kind ler.  Auch  wenn 
man  die  Einreibungen  in  größerem  Umfange 
längere  Zeit  hindurch  fortsetzt,  erfolgt  keine 
Resorption,  der  Harn  bleibt  jodfrei:  die 
normale  Haut  ist  für  Fette  vollständig  un- 
durchlässig. " 

Das  Jodvasogen  und  die  sonstigen  Jod- 
vasolimente werden  von  der  Haut  aus 
gleichfalls  nur  schlecht  resorbiert;  S zu  1  is- 
la wski9)  fand  nach  Einreibung  von  0,3  g 
Jod  als  Jodvasogen  im  Harn  nur  einmal 
deutliche  Jodreaktion,  während  in  6  anderen 
Versuchen  überhaupt  kein  Jod  oder  doch 
nur  undeutliche  Spuren  desselben  nachweisbar 
waren.    Ich  selbst  konnte  bei  mir  nach  dem 

7)  0.  Xylander,  Über  die  Ausscheidung  von 
Jod  im  Haro  nach  Applikation  von  Jodsalben. 
Dissert.  Würzburg.  1899.  „ 

8)  H.  Winternitz,  Über  die  physiologischen 
Grundlagen  der  Jodipintherapie.  Manch,  med. 
Wocbeoschr.  1903,   No.  29,   S.  1241. 

9)  A.  Szulislawski,  Über  die  Anwendung 
der  Jodvasogene  in  der  Augenheilkunde  und  ihre 
Resorption  durch  die  Haut.  Ref.  Malys  Jahresber. 
1899,  S.  484. 


XIX.  Jahrgang.  1 
April  1905.    J 


W«a«nb*f  g,  Perkutan*  Jodapplikatioa. 


201 


kräftigen  Verreiben  auf  der  Brust  von  3  g 
lOproz.  Jodvasogen  (aus  frisch  geöffneter 
Originalflasche)  im  Speichel  nach  1  bis  8'/j 
Stunden  nur  undeutliche  Mengen  Jod,  im 
Harn  dagegen  überhaupt  kein  Jod  erkennen. 
Bei  einer  anderen  Versuchsperson  (R.  J.) 
ließ  sich  nach  dem  Verreiben  von  4,5  g  des- 
selben Jodvasogens  auf  Brust  und  Leib  Jod 
im  Speichel  überhaupt  nicht  nachweisen;  im 
Harn  war  innerhalb  3  Stunden  Jod  ebenfalls 
nicht  nachweisbar,  wohl  aber  sehr  schwach 
nach  etwa  16  Stunden  (über  Nacht);  diese 
Reaktion  wurde  auch  nicht  stärker  (ver- 
schwand sogar  nach  24  Stunden  vollständig), 
obwohl  dann  abermals  4  g  eingerieben  wurden 
(insgesamt  also  in  16  Stunden  8,5  g  Jod- 
vasogen mit  0,85  g  Jod);  selbst  dann  blieb 
bei  dieser  Versuchsperson  der  Speichel  noch 
immer  ohne  Jod.  Die  qualitative  Jod- 
reaktion stellte  ich  bei  meinen  Versuchen 
stets  derart  an,  daß  ich  zu  10  bis  15  ccm 
Harn  bezw.  3  bis  5  ccm  Speichel  etwas 
Schwefelsäure,  einige  Tropfen  Schwefelkohlen- 
stoff sowie  ein  Paar  Körnchen  Natriumnitrit 
hinzu  fugte  und  nach  dem  Umscbütteln  die 
Färbung  des  Schwefelkohlenstoffs  beobachtete. 
Daß  gelegentlich,  namentlich  nach  längerer 
Anwendung,  größere  Mengen  Jod  aus  Jod- 
vasogen resorbiert  werden  können,  lehrt  z.  B. 
der  von  Li  p  mann -Wulf10)  mitgeteilte  Fall 
von  Auftreten  eines  universellen  Exanthems 
nach  lokaler  Anwendung  von  Jodvasogen. 

Schließlich  ist  als  Ersatz  für  die  interne 
Darreichung  der  Jodalkalien  hier  noch  die 
subkutane  Anwendung  des  Jodip.ins  zu 
erwähnen,  auf  welche  Weise  durch  Ein- 
spritzung größerer  Jodipinmengen  ein  für 
Monate  reichendes  Depot  von  Jod  im  Körper 
angelegt  werden  kann,  da  nach  den  Ver- 
suchen von  Winternitz11)  die  Resorptions- 
größe selbst  im  günstigsten  Fall  über  2  —  3  g 
Jodfett  pro  die  nicht  hinausgeht.  Die  sub- 
kutane Applikation  einer  größeren  Menge 
Jodöl  stellt  aber  immerhin  schon  einen  un- 
bequemen Eingriff  vor,  der  von  vielen  Pa- 
tienten wegen  der  mit  der  Einspritzung  ver- 
bundenen Schmerzen  nur  ungern  zugestanden 
wird. 

Die  vorstehenden  kurzen  Ausfüh- 
rungen lassen  erkennen,  daß  das  so 
wichtige  Problem  der  Jodapplikation 
unter  Umgehung  des  Magen-Darm- 
kanals   in    zufriedenstellender    Weise 


10)  Lip  mann- Wulf,  Über  Auftreten  von  uni- 
versellem Exanthem  nach  lokaler  Anwendung  von 
Jodvasogen.  Dermat  Zeitschr.  1899,  S.  499.  Ref. 
Schmidts  Jahrb.  1900,  Bd.  266,  S.  20. 

n)  H.  Winternitz,  Zur  Frage  der  subkutanen 
Fetternährung.  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  1903,  Bd.  50, 
S.  80. 


bislang  noch  nicht  gelöst  war.  Ich  be- 
nutzte daher  gern  die  Gelegenheit,  ein  neues 
epidermal  anzuwendendes  Jodpräparat,  das 
Jothion  der  Farbenfabriken  vorm.  Friedr. 
Bayer  &  Co.,  Elberfeld,  auf  seine  Resorbier- 
barkeit  und  Ausscheidung  eingehend  zu  unter- 
suchen*). 

Das  Jothion,  mit  welchem  Namen  das 
Dijodhydroxypropan  kurz  belegt  ist,  stellt 
eine  gelbliche  öl  artige  Flüssigkeit  dar  von 
dem  spezifischen  Gewicht  2,4  bis  2,5;  es 
löst  sich  in  Wasser  etwa  1:75  —  80,  in 
Glyzerin  etwa  1  :  20,  in  Olivenöl  1  :  l1/«, 
während  es  mit  Alkohol,  Äther,  Chloroform, 
Benzol,  Yaselin,  Lanolin  u.  s.  w.  in  jedem 
Verhältnis  mischbar  ist;  in  Benzin  erwies  es 
sich  als  so  gut  wie  unlöslich.  In  wäßriger 
Lösung  wird  das  Jothion  nur  sehr  langsam 
zersetzt,  ebenso  bei  Gegenwart  von  Säuren; 
Alkalien  dagegen,  selbst  doppelkohlensaures 
Natron  von  der  Stärke  der  Blutalkaleszenz 
(0,5  Proz.)  führen  das  organische  Jod  rasch 
in  die  anorganische  Form  über  („Verseifung"), 
worauf  ich  an  anderer  Stelle  (Archiv  für 
Dermatol.  u.  Syphil.)  näher  eingehe.  Seinen 
Jodgehalt  ermittelte  ich  in  2  verschiedenen 
Proben  zu  71,74  bezw.  72,06  Proz.;  ein  mir 
neuerdings,  unmittelbar  vor  dem  Abschluß 
meiner  Versuche,  welche  sich  wegen  der 
zwischen  den  einzelnen  Versuchen  notwen- 
digerweise einzuhaltenden  Zwischenpausen 
über  1  Jahr  hinzogen,  zur  Verfügung  ge- 
stelltes Jothion  enthielt  nach  meiner  Analyse 
79,60  Proz.  Jod ;  bei  dieser  Gelegenheit  wurde 
mir  von  den  „  Farbenfabriken tt  mitgeteilt, 
daß  in  Zukunft  das  Jothion  einen  Jodgehalt 
von  etwa  79 — 80  Proz.  aufweisen  würde.  Zur 
Jodbestimmung  erhitzte  ich  das  Jothion  mit 
überschüssiger  33  proz.  Kalilauge  am  Rück- 
flußkühler im  Wasserbade  5  —  6  Stunden  lang, 
schüttelte  dann  in  bekannter  Weise  nach 
dem  Ansäuern  mit  Schwefelsäure  und  Zusatz 
von  Natriumnitrit  mit  Schwefelkohlenstoff 
wiederholt  aus  und  titrierte  dann  die  Jod- 
Schwefelkohlenstofflösung  nach  dem  Waschen 
mit  Wasser  in  bekannter  Weise  mit  Natrium- 
thiosulfatlösung  unter  Zusatz  von  Natrium- 
bikarbonat. 

Das  Jothion  ist  bei  Körpertemperatur  in 
geringem  Grade  flüchtig;  läßt  man  nämlich 
durch   ein   mit  Jothion  beschicktes  U-Rohr, 


*)  Über  die  praktische  Anwendung  des 
Jothions  haben  inzwischen  berichtet:  B.  Lip- 
schütz,  Über  perkutane  Einverleibung  von  Jod- 
präparaten bei  Syphilid,  Wiener  med.  Wochenschr. 
1904,  No.28,  und  E.Schindler,  Erfahrungen  mit 
einem  neuen  Jodpräparat,  „Jothion",  Prager  med. 
Wochenschr.  1904,  No.  39.  Besonders  betont 
sei,  daß  das  Jothion  für  interne  oder  sub- 
kutane Anwendung  nicht  geeignet  ist. 


202 


Weaenberg ,  Perkutan«  Jodapplikation. 


fTh«rap«ttiicln 
L   Monatahefte. 


welches  im  Wasserbade  auf  40°  erwärmt 
wird,  einen  Luftstrom  hindurchgehen  und 
leitet  diesen  dann  durch  Barytlauge,  so  er- 
hält man  nach  kurzem  Erwärmen  der  Lauge 
im  Wasserbade,  nach  dem  Ansäuern  und 
Zusatz  von  Natriumnitrit  und  Schwefelkohlen- 
stoff bezw.  Chloroform,  eine  deutliche  Jod- 
reaktion; in  offener  Pe tri- Schale  15  Stunden 
lang  im  Brütschrank  bei  37°  gehalten,  ver- 
loren 2,302  g  Jothion  0,?22  g  an  Gewicht, 
entsprechend  9,65  Proz. ;  gleichzeitig  auf  einem 
Falterfilter  von  9  cm  Durchmesser  gleich- 
mäßig verteilte  2,70  g  unseres  Präparates 
hatten  während  15  Stunden  bei  37°  sich 
um  0,29  g  —  gleich  10,74  Proz.  —  ver- 
mindert. 

Verreibt  man  Jothion  auf  der  Haut, 
z.  B.  auf  der  Brust,  so  erscheint  sehr  bald, 
meist  nach  40  —  60  Minuten,  im  Harn  und 
Speichel  die  erste  Jodreaktion,  welche  an- 
fangs schwach,  nach  einer  Stunde  meist  sehr 
deutlich  ist;  je  nach  der  eingeriebenen  Menge 
ist  dann  Jod  meist  3 — 4  Tage  lang  nach- 
zuweisen, wobei  die  Reaktion  in  der  letzten 
Zeit  natürlich  an  Intensität  abnimmt.  Selbst 
beim  Verreiben  nur  sehr  geringer  Mengen 
des  Präparates,  z.  B.  von  0,42  g  in  alkoho- 
lischer Losung,  welche  Menge  0,3  g  Jod 
entspricht,  tritt  bald  Jod  im  Harn  und 
Speichel  auf,  während  bei  der  Anwendung 
derselben  Jodmenge  in  Form  des  Jodvasogens, 
wie  wir  oben  gesehen  haben,  die  Jodaus- 
scheidung fast  gleich  Null  ist.  Das  Protokoll 
eines  diesbezüglichen  Selbstversuches  sei  hier 
kurz  wiedergegeben:  Eingerieben  0,42  g 
Jothion  (0,3  g  Jod). 


Im  Speichel 

Im  Harn 

Jod 

Jod 

Nach  45  Min. 

sehr  schwach 

kein 

-      1  Std. 

schwach 

schwach. 

-      l'/4  Std. 

deutlich 

deutlich 

-      2V,    - 

- 

ziemlich  stark 

-      5»/3    - 

- 

stark 

-    24       - 

- 

- 

-    48       - 

- 

deutlich 

-    72       - 

kein 

kein 

Um  die  Jodausscheidungskurve  nach  ein- 
maliger Jothion-Einreibung  festzustellen,  be- 
diente ich  mich  bei  den  ersten  3  Versuchen 
der  von  Anten19)  angegebenen  Untersuchungs- 
methode, welche,  auf  der  kolorimetrischen 
Bestimmung  des  Jods  beruhend,  bei  einiger 
Übung  genügend  genaue  Resultate  gibt,  wie 
ich  mich  durch  eine  Anzahl  Analysen  von 
Harnproben,  denen  bekannte  Mengen  Jod- 
kalium zugesetzt  waren,  überzeugte;  allerdings 
sind    diese    kolorimetrischen    Untersuchungen 


für  das  Auge  äußerst  ermüdend,  auch  gibt 
es,  wie  ich  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte, 
eine  ganze  Reihe  von  Personen,  deren  Augen 
nicht  fähig  sind,  feine  Farbintensitätsunter- 
schiede  wahrzunehmen.  Das  Verfahren  selbst 
gestaltet  sich  kurz  folgendermaßen :  20—50  cem 
des  Harnes  werden  in  einer  Nickelschale 
mit  jodfreiem  Ealihydrat  verkohlt  und  dann 
mit  Salpeter  bei  möglichst  niedriger  Tempe- 
ratur weiß  gebrannt;  die  farblose,  filtrierte 
wäßrige  Lösung,  ev.  ein  aliquoter  Teil  der- 
selben, wird  in  einer  H  o  w  a  1  d  sehen l3)  Schüttel- 
flasche nach  dem  Ansäuern  mit  Schwefelsäure 
mit  genau  10  cem  Schwefelkohlenstoff  gut 
durchgeschüttelt.  In  einer  zweiten  Howald- 
schen  Flasche  wird  eine  der  Harnaschen lösung 
entsprechende  Menge  gesättigter  Natriumsulfat- 
lösung mit  je  10  Tropfen  verdünnter  Schwefel- 
säure und  1  proz.  Natriumnitritlösung  versetzt 
und  dann  ebenfalls  genau  10  cem  Schwefel- 
kohlenstoff hinzupipettiert;  aus  einer  Bürette 
läßt  man  dann  in  kleinen  Mengen  solange 
eine  Jodkaliumlösung,  die  genau  0,2  g  EJ 
im  Liter  enthält,  hinzufließen,  bis  in  beiden 
Röhren  der  Schwefelkohlenstoff  gleiche  Jod- 
färbung aufweist.  Die  Howald sehen  Schüttel- 
flaschen sind  weite  zylindrische,  etwa  200  cem 
fassende  Gefäße  mit  ganz  kurzem  Hals  und 
eingeschliffenem  Glasstopfen,  die  unten  in 
ein  10  cm  langes,  etwa  12  mm  weites  Rohr 
mit  flachem  Boden  endigen;  der  Durchmesser 
dieses  Rohres  muß  natürlich  bei  beiden  Ge- 
fäßen, die  man  zur  Bestimmung  nötig  hat, 
gleich  sein.  •  In  einigen  Fällen  gelang  es 
mir  auch  bei  wiederholter  Veraschung  nicht, 
eine  nach  dem  Absetzen  blanke  Schwefel- 
kohlenstoff-Jod-Mischung zu  erzielen,  die- 
selbe war  vielmehr  derartig  getrübt,  daß  ein 
sicherer  kolorimetrischer  Vergleich  unmöglich 
war;  in  solchen  Fällen  erhielt  ich  stets  eine 
blanke,  brauchbare  Schwefelkohlenstoffschicht, 
wenn  ohne  Salpeter  verascht  wurde;  die  nach 
dem  Filtrieren  angesäuerte  Aschelösung  muß 
dann  aber  kurze  Zeit  aufgekocht  werden,  um 
daß  gebildete  Cy  an  Jodid  zu  zerstören,  da 
dieses  nach  Guerbert14)  durch  Nitrit  nicht 
zersetzt  wird,  wovon  ich  mich  durch  Kontroll- 
versuche überzeugen  konnte;  nach  dem  Er- 
kalten wird  dann  mit  einigen  Tropfen  Nitrit 
versetzt  und  wie  sonst  weiter  verfahren. 

I.  Versuch.  R.  J.,  zuverlässiger  Laboratoriums- 
diener, verreibt  morgens  8  Uhr  3  g  Jothion  (mit 
71,74  Proz.  J)  auf  der  Brust;  von  8 '/a  Uhr  an  wird 
der  Harn  möglichst  quantitativ  gesammelt. 


ia)  H.  Anten,  Über  den  Verlauf  der  Aus- 
scheidung des  Jodkaliums  im  menschlichen  Harn. 
Arch.  f.  exp.  Path.  u.  Pharm.  1902,  Bd.  48,   S.  330. 


13)  W.  Howald,  Vorkommen  und  Nachweis 
von  Jod  in  den  Haaren.  Zeitscbr.  f.  physiol.  Chem. 
1897,  Bd.  23,  S.  209. 

")  M.  Guerbert,  Über  eine  Fehlerquelle  bei 
dem  Nachweis  von  Jod  in  Harnen.  Journ.  Pharm. 
Chem.  1903,  Bd.  17,  S.  313.  Refer.  Chem.-Ztg. 
Repert.  1903,  S.  111. 


r 


XIX  Jahrgang.1 
April  1906.    J 


W»a«nb»rf ,  Perkutan*  Jodappllfcaüoa. 


203 


Zeit  Stundenzahl 

8,30-11,30 3 

11,30-2,30 3 

2,30-7 4%  (10'/,) 

7—12  nachte 5 

12-7  vormittags 7      (221/,) 

7—12 5 

12—6,30  abends   ......  6y3 

6,30-12,30  nachts 6 

12,30—7,30  vormittags    ...        7_  _  (47) 

7,30—12,30 5 

12,30-6,30  abends 6 

6,30  abends  bis  7,30  morgens  13      (71) 

7,30  morgens  bis  6,30  abends  11 

6,30  abends  bis  7,30  morgens  13      (95) 


Von  den  eingeriebenen  2142  mg  Jod 
waren  also  innerhalb  etwa  4  Tagen 
552,9  mg  Jod  wieder  ausgeschieden 
worden,  entsprechend  2öy82  Proz. 

ILYersiich.  Selbstversuch.  Morgens  9 Uhr  wer- 
den 2  g  Jothion  auf  der  Brust  verrieben;  kaum  wahr- 
nehmbares Brennen  und  danach  sehr  geringe  Rötung. 


-nmenge 
ccm 

Ausj 
während  der 
Versachszeit 
mg 

geschiedene  Jodmenge 

in  Proz.                pre 
der  Gesamtmenge 

175 
120 
275 

36,0 
52,2 
92,6 

6,52 
944 
16J4    (32,70) 

280 
520 

74,5 
85,9 

13,46 

15,54    (61,70) 

390 
380 
500 
910 

33,9 
41,9 
34,9 
29,0 

6,13 
7,58 
6,32 
5,25    (86,98) 

245 
310 
605 

15,6 
14,8 
20,7 

2,82' 
2,67 
3,74    (96,21)  . 

600 
625 

12,1 

8,8 

552,9 

219 

1^59  (100,00) 

Nach  30  Min. 

-  45     - 

-  60     - 

-  24  Std. 

-  32     - 

-  48     - 


Harn 
Jodreaktion 
zweifelhaft 
deutlich 
sehr  stark 
stark 
stark 
schwach 


1  Stande 

mg 
12,0 
17,4 
20,6 

14,9 
12,3 

63 
6,4 
5,8 
4,1 

3,1 
2,5 
1,6 

1,1 
0,68 


Speichel 
Reaktion 

keine 

deutlich 

sehr  stark 

stark 

stark 

schwach 


1.  Tag. 

2.  Tag. 

3.  Tag. 


Zeit 

10-12,30 
12,30-3 
3-6    .   . 
6-10.   . 


10—6  morgens 

6—6  abends  . 
6—6  morgens 

6 — 6  abends  . 


Stundenzahl 

»V. 

«V. 

3 

4      (12) 

_8 (20)_ 

12 

12      (44) 


12 


Harnmenge 
ccm 
140 
215 
170 
290 

290 

640 
600 

620 


Ansgeschiedene  Jodmenge 

während  der  .    n 

m  Proz. 


Versuchszeit 
mg 
14,4 
28,0 
33,8 
34,3 

41,9 

32,6 
9,7 

5,1 
199,8 


der  Gesamtmenge 

7,20 
14,00 
16,90 
17,15  (55,25) 

20,95  (76,20) 

16,30 

4,8    (97,35) 

2,55 
99,90 


pro  1  Stande 

mg 

5,7 
11,2 
11,3 

8,6 

5,2 

2,7 

0,8 

0,4 


Von  den  eingeriebenen  1435  mg  Jod 
waren  also  während  der  Versuchszeit 
200  mg  Jod,  entsprechend  13,93  Proz., 
mit  dem  Harn  wieder  ausgeschieden 
worden. 

III«  Versuch.  Etwa  5  Wochen  nach  dem  ersten 
Versuche  reibt  R.  J.  wieder  Jothion,  diesesraal 
aber  nur  2  g  auf  der  Brust  ein.    Jodreaktion  im 


Zeit  Stundenzahl 

I.Tag.     12—3      3 

3—6 3 

6-12 _6      (12) 

2.  Tag.     12-6 6 

6-12 6      (24) 

12-6 6 

6  abends  bis  6  morg.  12 

3.  Tag.    6-6 12      (54) 

6  abends  bis  6  morg.  12 

4.  Tag.    6-6 12 

6  abends  bis  6  morg.  12 


Speichel:  nach  40  Minuten  negativ,  nach  50  Mi- 
nuten schwach,  nach  60  Minuten  bis  48  Stunden 
bei  allen  Prüfungen  stark,  nach  70  Stunden  schwach, 
78  Stunden  sehr  schwach,  92  Stunden  negativ. 
Jodreaktipn  im  Harn:  nach  40  Minuten  negativ, 
50  Minuten  deutlich,  nach  1  bis  48  Stunden  stark, 
70  Stunden  deutlich,  78  Stunden  schwach,  92  Stunden 
sehr  schwach. 

Eingerieben  1VL  Uhr,   Harn   gesammelt   von 
12  Uhr  ab. 


Harnmenge 

Versuchszeit 

ccm 

mg 

200 

41,6 

225 

63,3 

825 

66,6 

560 

64,4 

310 

60,0 

320 

47,8 

435 

49,0 

540 

27,8 

425 

23,7 

610 

15,7 

1460 

6,4 

Ausgeschiedene  Jodmenge 

während  der  D 

in  Proz. 


466,3 


der  Gesamtmenge 

8,93 
13,58 
14,28  (36,79) 

13,80 

12,87  (63,46) 

10,25 
10,51 
5,96  (90,18) 

5,08 
3,37 
1,37 

100,00 


pro  1  Stunde 

mg 

13,9 

21,1 

11,1 

10,7 
10,0 

8,0 
4,1 
2,3 

2,0 
1,3 
0,53 


204 


w« 


rg,  Perkutane  Jodapplikation. 


rTharapentlflcbt 
L  MonatAefte. 


Eingerieben  waren  mit  den  2  g 
Jothion  1435  mg  Jod,  davon  wurden 
mit  dem  Harn  wieder  ausgeschieden 
466  mg  Jod  =  32,29  Proz. 

Der  besseren  Übersicht  halber  mag  der 
Verlauf  der  3  Versuche  in  Kurvenform 
(Kurve  I — III)  wiedergegeben  sein. 


rtyJ 
zs 


20 

15 


fO 


1- 

— 

* 

rn 

i — 

i — 

10       2O30W506O70S0SO      1O0* 

Kurve  I. 
Stündliche  Jodausscheidung  (in  mg)  nach  einmaliger  Ein- 
reibung von  8  g  Jothion.    Versuch  I  (R.  J.). 


Kurve  II. 
Stündliche  Jodausscheidnng  (in  mg)  nach  einmaliger  Ein- 
reibung von  2  g  Jothion.    Versuch  II  (G.  W.). 


-- 

\ — i       1 

1— 

1        iO      ä 

9       & 

0       * 

V      Sl 

9      * 

7* 

mgJ 

2S\ 


ts 

fO 

s 


W       20      30 


70       80       90       WO* 


W      SO       SO 

Kurve  III. 
Stündliche  Jodausscheidung  (in  mg)  nach  einmaliger  Ein- 
reibung^ von  2  g  Jothion.    Versuch  III  (R,  J.). 

Während  zu  den  vorstehenden  Versuchen 
ein  Jothion  mit  71,74  Proz.  Jod  benutzt 
wurde,  fand  zu  den  nachfolgenden  Versuchen 
ein  solches  mit  72,06  Proz.  Jod  Verwendung. 

IV.  Versuch.  Selbstversuch.  2,4  g  Jothion 
werden  auf  der  Brust  verrieben;  nach  30  Minuten 
Harn  und  Speichel  jodfrei,  nach  45  Minuten  im 
Harn  und  Speichel  deutlich  Jod.  53  Stunden  lang 
wird  der  Harn  gesammelt  und  ein  aliquoter  Ten 
des  Gesamtharns  zur  Jodbestimmung  gebracht.  Ein- 
gerieben waren  1729  rag  Jod,  ausgeschieden 
260,4  mg  Jod  =  15,06  Proz. 

Die  Ergebnisse  der  vorstehenden  4  Ver- 
suche mögen  kurz  zusammengestellt  sein: 


R.  J. 


Eingeriehen 
g  Jothion     mg  J 
Versuch  I         3,0        2142 
III      2,0        1435 


G.W. 


U 
IV 


2,0 
2,4 


1435 
1729 


Autgeschieden 
mg  J  Proz. 
553  25,8 
466     ^23 

Mittel  29,1 

200  13,9 
260        15,1 

Mittefl4,5 

Von  R.  J.  werden  also  im  Durch- 
schnitt 29,1  Proz.,  von  G.  W.  nur 
14,5  Proz.  des  im  Jothion  eingeriebenen 
Jods  mit  dem  Harn  wieder  ausge- 
schieden. Nach  den  Versuchen  von  Anten15) 
und  anderen  Autoren18)  wird  von  dem  per  os 
eingeführten  Jodkalium  im  Durchschnitt  nur 
etwa  75  Proz.  (Antens  Versuche  ergaben 
zwischen  65  und  85  Proz.  schwankende 
Werte)  mit  dem  Harn  wieder  ausgeschieden, 
die  übrigen  25  Proz.  (15  —  35  Proz.)  werden 
von  dem  Körper  zurückgehalten  und  später 
unmerklich  wieder  abgegeben.  Wir  gehen 
daher  wohl  nicht  fehL,  wenn  wir  dieselbe 
Retention  des  Jods  auch  nach  äußerlicher 
Jothion -Anwendung  annehmen;  es  würden 
also  obige  im  Harn  wiedergefundene  Jod- 
werte nur  etwa  3/4  derjenigen  Jothionmengen 
entsprechen,  welche  in  Wirklichkeit  von  der 
Haut  aus  zur  Resorption  gelangt  sind;  es 
berechnet  sich  danach  also  als  wirklich 
resorbiert: 

Pro«.  Pro*. 

R.  J.    Vers.  I       25,8  +   8,6  =  34,4 

-  III     32,3  4- 10,8  =  43,1   Mittel  38,75 
G.W.      -     II      13,9+   4,7  =JL8,6 

-  IV     15,1  +    5,0  =  20,1   Mittel  19,35 

Nach  Anten  findet  nach  einer  ein- 
maligen Dosis  von  0,5  g  Jodkalium  die 
höchste  stündliche  Jodausscheidung  in  der 
2.  Stunde  statt,  nur  ausnahmsweise  in  der 
ersten  oder  dritten  Stunde;  bei  der  äußer- 
lichen Anwendung  des  Jothion s  wird  also 
die  Aufnahme  des  Jods,  wie  dies  ja  auch 
leicht  erklärlich  ist,  um  einige  Stunden  ver- 
zögert. Nach  24  Stunden  sind  nach  den  3  Ver- 
suchen Antens  59,3,  61,3  bezw.  69,1  Proz. 
der  Gesamtjodmenge  des  Harnes  ausgeschieden ; 
in  meinen  Versuchen  hat  R.  J.  (Versuch  I) 
entsprechend  nach  221/»  Stunden  61,7  Proz., 
in  dem  anderen  Versuche  (III)  nach  24  Stunden 
63,5  Proz.,  W.  (Versuch  II)  nach  20  Stunden 
76,20  Proz.  der  gesamten  Harn-Jodmenge  von 
sich  gegeben;  durch  nachträgliche  raschere 
Ausscheidung  ist  also  die  anfänglich  verzögerte 
Jodabgabe  24  Stunden  nach  Jothion -Ein- 
reibung ungefähr  dieselbe  wie  nach  interner 
Jodkalium-Darreichung. 

»)  1.  c. 

16)  Vergl.  die  Literaturangaben  bei  An  ten  (1.  c). 


r 


XIX  Jahrfug.l 
April  1W6.    J 


W*8enb*r(,  Perkutan«  Jodapplikation. 


205 


V.  Versuch.  Nach  mehrmonatlicher  Pause, 
wahrend  welcher  die  Versachsperson  weder  extern, 
noch  intern  Jod  genommen  hat,  reibt  R.  J.  an 
4  aufeinander  folgenden  Tagen  je  1  ccm  (==  2,4  g) 
Jothion  auf  der  Brust  ein;  der  Harn  wird  während 
der  ganzen  Versuchszeit  gesammelt  und  in  24  stan- 
digen Portionen  die  Harnasche  znr  Titration  in  der 
sonst  üblichen  Weise,  welche  oben  kurz  skizziert 
wurde  gelegentlich  der  Jodbestimmung  im  Jothion, 
mit  Natiumthiosulfat  gebracht^  also  nicht  kolorime- 
trisch  bestimmt. 

a  v  j  Proz.  der  ein- 

Auageschieden     geriebeneii  Menge 
mg  J  (1729  mg  J) 

1.  Tag 216        12,49 

2.  -   502        29,03 

3.  -   533        30,55 

4.  -   664        38,40 

5.  -   (Nachtag)  .  216        (12,49) 

2131 

Innerhalb  der  4  Tage  wurden  ins- 
gesamt eingerieben  6916  mg  Jod  davon 
wurden  in  5  Tagen  2131  mg  wieder  aus- 
geschieden?, entsprechend  30y88  Proz. 
Die  resorbierte  Menge  ist  aber  noch  erheb- 
lich großer,  da  am  dritten  Tage  nach  der 
letzten  Einreibung  der  Harn  und  auch  der 
Speichel  noch  ziemlich  starke  Jodreaktion 
zeigte,  welche  erst  am  vierten  Tage  im 
Harn  geringer  wurde. 

Um  festzustellen,  ob  durch  Alkohol- 
zusatz bezw.  durch  Mischen  des  Jo- 
thions  mit  Lanolin  bezw.  Lanolin- 
Vaselin  die  Resorption  des  Jothions 
verlangsamt  oder  sonstwie  beeinflußt 
wird,  wurden  die  nachstehenden  Ver- 
suche vorgenommen. 

VI.  Versuch«  R.  J.  verreibt  an  5  hintereinander- 
folgenden  Tagen  je  2  ccm  einer  Jothion-Alkohol- 
M 18  c  hang,  welche  nach  der  Analyse  1229  mg  Jod 
enthielten,  auf  der  Brast.  Es  wurden  mit  dem 
Harn  ausgeschieden: 

Proz.  der 
eingeriebenen 
mg  J  Jodmenge 

Am  1.  Tage  ....  181,0  entsprechend  14,73 

-  2.     -      ...   .317,5  -  25,83 

-  3.     -      ...    .342,9  -  27,90 

-  4.     -      .       .   .  381,0  -  31,00 

-  5.     -     ...   .485,8  -  39,53 

72  Stunden  nach  der  letzten  Einreibung 
ist  im  Harn  noch  sehr  stark  Jod  vorhanden, 
nach  96  Stunden  ist  dasselbe  im  Harn  nicht 
mehr  nachweisbar.  Das  Jothion  wird 
also  durch  Alkoholzusatz  in  seiner 
guten  Resorbierbarkeit  nicht  beein- 
flußt. 

VII«  Versuch«  Nach  längerer  Pause  verreibt 
R.  J.  täglich  3  g  einer  Salbe  aus  gleichen  Teilen 
Jothion  und  Lanolinum  anhydricum  auf  der 
Brust.  Im  Harn  erscheint  nach  40  Minuten  deut- 
lich Jod;  im  Speichel  trat  die  erste  Jodreaktion 
nach  75  Minuten  deutlich  auf. 


Eingerieben 
mg  J 
Am    I.Tag        1081 
2.     -  1081 


Ausgeschieden 
mg  J  Proz. 

117,4  10,88 

242,9  22,50 


Eingerieben  Ausgeschieden 

mg  J  mg  J  Proz. 

Am   3.  Tag        1441  (4  g  Salbe)  298, 5  21,14 

4.  -    1081       327,0       30,28 

5.  -    1081       387,3       35,87 

6.  -     1081       454,0       42,04 

7.  -  1081      nicht  gesammelt,  da  Sonntag 

8.  -  1081  335,1  31,72 

9.  -  1081  304,8  28,20 
10.  -  1081  177,8  16,45 
11      -            1081                nicht  gesammelt, 

nachmittags  warmes  Bad. 

Da  durch  den  langen  Gebrauch  des  Lanolins 
die  Brust  offenbar  vollständig  verschmiert  war,  so- 
daß  die  Resorption  beträchtlich  vermindert  war, 
wurde  nunmehr  reines  Jothion  auf  der  Brust  weiter 
verrieben. 

Auf  die  Brust  Aasgeschieden 

g  Jothion  mg  J  Proz. 

Am  12.  Tag  1,5  184,2  17,04 

13.  -  1,5  175,4  15,86 

14.  -  1,5      nicht  gesammelt,  da  Sonntag 

15.  -  1,5  196,8  18,21 


auf  den  Oberschei 

ikel 

16.    -            1,5 

231,6 

21,44 

17.    -            1,5 

247,6 

22,91 

Dieser  scheinbar  unregelmäßige  Verlauf 
des  letzten  Versuches  entbehrt  nicht  des 
Interesses;  zuerst  sehen  wir,  daß  durch  die 
Mischung  des  Jothion  mit  dem  Lanolin  die 
Resorption  des  ersteren  fast  garnicht  beein- 
flußt wird,  da  der  sechste  Tag  das  Maximum 
der  Ausscheidung  mit  42,04  Proz.  bringt 
der  darauf  eintretende  Abfall  in  der  Jod- 
ausscheidung deutet  darauf  hin,  daß  durch 
die  lange  Einwirkung  des  Lanolins  die  Haut 
derart  mit  Lanolin  durchtränkt  ist,  daß  ein 
tieferes  Eindringen  des  Jothions  nicht  mehr 
statthaben  kann;  daß  die  Salbe  tatsächlich 
von  der  Haut  zum  allergrößten  Teile  auf- 
genommen worden  war,  geht  daraus  hervor, 
daß  mit  Hilfe  von  mit  Alkohol  und  Äther 
befeuchteter  Watte  vor  dem  Bade  nur  geringe 
Mengen  der  Salbe  von  der  Haut  wieder  ab- 
genommen werden  konnten,  wie  die  Jod- 
bestimmung in  der  betr.  Watte  (gefunden 
wurden  nur  5,1  mg  Jod)  ergab;  bemerkt  sei, 
daß  das  Unterzeug  kaum  Fett  angenommen 
hatte.  Auch  die  auffallend  niedrige  Jodaus- 
scheidung bei  der  darauffolgenden  Verwendung 
von  reinem  Jothion  auf  der  Brust,  welche 
erst  dann  wieder  anstieg,  als  die  Einreibungen 
auf  der  Innenseite  der  Obersohenkel  vor- 
genommen wurden,  spricht  für  die  Berechti- 
gung meiner  Annahme.  Es  kann  daher  bei 
der  Anwesenheit  nicht  unbeträchtlicher  Jothion- 
Lanolinmengen  in  der  Brusthaut  nicht  wunder- 
nehmen, daß  sich  dementsprechend  dieses- 
mal  die  nach  der  letzten  Einreibung  stets 
zu  beobachtende  langsame  Jodausscheidung 
recht  lange  hinzieht:  noch  5  Tage  nach  der 
letzten  Einreibung  zeigt  der  Speichel  deut- 
lich Jod,  nicht  aber  mehr  nach  6  Tagen; 
der  Harn   ergab    —    direkt    geprüft  —   nach 


206 


Wesen  b*rg,  Perkutan«  Jodapplikation. 


rrhentpeotlMht 
L    MoTiftfrhefle. 


9  Tagen  ziemlich  starke,  nach  12  Tagen 
deutliche  Jodreaktion,  nach  16  Tagen  gelang 
in  der  Asche  von  100  ccm  Harn  der  Jod- 
nachweis noch  gut,  um  bei  der  nächsten 
Prüfung  nach  19  Tagen  ebenfalls  zu  ver- 
sagen. 

In  dem  folgenden  Versuch  VIII  sollte 
ermittelt  werden,  erstens  ob  die  Mischung 
mit  Lanolin  und  Vaselin  die  Resorption  des 
Jothions  beeinflußt  und  zweitens,  wie  sich 
die  Jodausscheidung  nach  Verreibung  regel- 
mäßiger kleiner  Dosen  Jothion  (0,75  g)  ge- 
staltet. Zu  diesem  Zwecke  verreibt  unsere  Ver- 
suchsperson R.  J.  täglich  3  g  einer  Salbe  aus: 

Jothion  .  .  .  .  25,0 
Lanolini  anhydr. .  37,5 
Vaselini  amer.      .    37,5 

abwechselnd  auf  der  Brust  und  der  Innenseite  der 
Oberschenkel,  sodaß  täglich  540  mg  Jod  aufgerieben 
werden.  • 

u  Ausgeschiedene 

Eingerieben  auf    "a™«nge  j0dmenge 

ccm  mg  J  Proz. 

1.  Tag  Brust 1200         76,2        14,13 

2.  -  linker  Oberschenkel  2010  95,3  17,65 

3.  -  rechter  Obersch.     .  1280  111,2  20,58 

4.  -  Brust 1625  111,2  20,58 

5.  -  beide  Obersch.  .     .  2150  123,8  22,95 

6.  -  Brust 1360  146,2  27,05 

7.  -  beide  Obersch.  .     .  2050  146,2  27,05 

An  den  folgenden  Tagen  wurde  dann  reines 
Jothion  (0,75  g)  in  ak  oho  lischer  Lösung  eingerieben 
auf  die  Brust. 

Eingerieben  auf  die  Brust 

ccm  mg  J  Proz. 

8.  Tag  1400  117,5  21,75 

9.  -  1550  130,3  24,15 

10.  -  1770  130,3  24,15 

11.  -  1350  127,0  23,56 

12.  -  1270  152,3  28,26 

Am  4.  Tage  nach  der  letzten  Einreibung 
erwies  sich  der  Speichel,  am  5.  Tage  der 
Harn  —   bei  direkter  Prüfung  —   als  jodfrei. 

Aus  diesem  Versuch  VIII  ergibt  sich, 
daß  1.  das  Maximum  der  Jodausscheidung 
durch  diese  Lanolin -Vaselin -Salbe  etwas 
langsamer  erreicht  wird,  als  bei  Verwendung 
reinen  Jothions,  nämlich  am  6.  Tage,  also 
genau  so  wie  bei  der  Mischung  des  Jothions 
mit  Lanolin  im  vorigen  Versuche;  2.  daß 
scheinbar  vom  Körper  stets  eine  bestimmte 
Jodmenge  zurückgehalten  wird,  gleichgültig 
ob  mehr  oder  weniger  Jod  eingeführt  wird, 
sodaß  also  bei  kleineren  Mengen  Jothion  die 
Retention  des  Jods  im  Körper  prozentuell 
größer  ist  als  bei  größeren  Mengen  Jothion; 
in  den  früheren  Versuchen  betrug  nämlich 
das  Maximum  der  Jodausscheidung  bis  etwa 
42  Proz.  der  mit  1,5  —  2,4  g  Jothion  ein- 
geriebenen Jodmenge,  während  in  diesem 
Falle,  bei  Verwendung  von  nur  0,75  g  Jothion, 
nur  bis  28,3  Proz.  ermittelt  wurden.  Weiter 
lehren  diese  beiden  letzten  Versuche,  daß  es 


bei  längerer  Anwendung  von  Jothion- Salben 
ratsam  ist,  den  Applikationsort  im  regel- 
mäßigen Turnus  zu  wechseln,  um  eine  mög- 
lichst vollständige  Resorption  der  Salbe  bezw. 
des  Jothions  zu  ermöglichen. 

Versuch  IX  sollte  dazu  dienen  festzustellen, 
ob  das  Jothion  von  der  derberen  Haut  des 
Unterarmes  ebenso  gut  resorbiert  würde, 
als  von  der  feineren  Haut  der  Brust  bezw. 
der  Innenseite  der  Oberschenkel;  zu  diesem 
Zwecke  verrieb  R.  J.  an  4  hintereinander  folgenden 
Tagen  je  970  mg  Jod  als  Jothion  auf  den  Unter- 
arm :  in  den  auf  die  letzte  Einreibung  folgenden 
24  Stunden  wurde  der  Harn  wieder  gesammelt  und 
zur  Analyse  gebracht;  es  ergab  sich,  daß  von  den 
täglich  aufgeriebenen  970  mg  Jod  mit  dem  Harn 
an  diesem  Tage  nur  122  mg  Jod  eliminiert  wurden, 
entsprechend  13,12  Proz.,  während  an  dem  ent- 
sprechenden Tage  in  den  übrigen  Versuchen  be- 
trächtlich höhere  Werte  erzielt  wurden,  nämlich 
im  Versuch  V  38,4  Proz.,  Versuch  VI  31,0  Proz., 
Versuch  VII  30,3  Proz.,  Versuch  VIII  20,6  Proz. 

Die  Versuche  V  bis  VIII  haben  gezeigt, 
daß  bei  wiederholter  Einreibung  von  Jothion 
nach  4 — 6  Tagen  —  je  nachdem  ob  es  rein 
als  solches  oder  mit  Fett  vermischt  zur  An- 
wendung gelangt  —  ein  Maximum  der  Jod- 
ausscheiduug  erreicht  wird,  welches  bis  zu 
42  Proz.  der  eingeriebenen  Jodmenge  steigen 
kann;  unter  Berücksichtigung  der  im  Körper 
stattfindenden  Jodretention  erhöht  sich  diese 
Zahl  der  Jothionresorption  natürlich  noch 
um  einen  nicht  unbeträchtlichen  Teil,  da  nach 
den  Untersuchungen  von  Ehlers,  Doux, 
Lafay17)  selbst  bei  längerer  Darreichung 
großer  Jodmengen  nur  etwa  82  —  91  Proz. 
des  eingeführten  Jods  mit  dem  Harn  wieder 
ausgeschieden  werden;  wir  geben  daher  wohl 
nicht  fehl,  wenn  wir  sagen,  daß  von  unserer 
Versuchsperson  R.  J.  bei  längerer 
Jothionanwendung  bis  zu  etwa  50  Proz. 
des  Jothions  zur  Resorption  gelangten. 
Es  konnte  wohl  mit  Recht  davon  Abstand 
genommen  werden,  durch  Tierversuche  fest- 
zustellen, an  welchen  Stellen  des  Organis- 
mus .  das  zurückbehaltene  Jod  abgelagert 
wird,  da  uns  ja  über  den  Verbleib  des 
Jodalkalis  im  Körper  Winternitz18)  ein- 
gehende Auskunft  gibt;  dieser  Forscher 
fand  nach  längerer  Darreichung  von  Jod- 
kalium an  Hunde  in  den  Atherextrakten 
von  Muskeln,  Leber  und  Knochen  kein  Jod, 
dagegen  ergaben  die  nach  der  Fettextraktion 
veraschten  Organe  deutliche,  z.  T.  reichliche 
Jodmengen;  das  ausgeschmolzene  Fett  ver- 
schiedener Stellen  enthielt  keine  Spur  von 
Jod,    ebensowenig  die  Ätherextrakte  des  ge- 

1T)  Zitiert  nach  Anten  (a.  a.  O.). 

18)  H.  Winternitz,  Über  Jodfette  und  ihr 
Verhalten  im  Organismus,  nebst  Untersuchung  über 
das  Verhalten  von  Jodalkalien  in  den  Geweben 
des  Körpers.  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  1898,  Bd.  24, 
S.  424. 


r 


XIX.  Jahrgang .1 
April  190S.    J 


Wesen berf,   Perkutane  Jodapplikation. 


207 


trockneten  Fettgewebes,  während  auch  hier 
die  bindegewebigen  Rückstände  deutliche 
Jodmengen  enthielten;  nur  in  der  Milchdrüse 
und  in  den  Haaren,  wo  auch  Howald19) 
Jod  nachgewiesen  hat,  scheint  eine  Addition 
des  Jods  zu  Jodfett  stattzuhaben.  Auch  in 
den  etwa  3  Wochen  nach  der  letzten  Jothion- 
einreibung  geschnittenen  Haaren  unserer 
Versuchsperson  R.  J.  ließen  sich  nach 
dem  Veraschen  deutliche  Mengen  Jod 
nachweisen. 

Das  Vermögen  des  Jothions,  die  Haut 
in  so  reichlichem  Maße  zu  durchdringen, 
legt  nun  die  Frage  nahe,  wie  es  gegenüber 
den  verschiedenen  Mikroorganismen, 
welche  auf  der  men  schlichen  Haut  anzu- 
treffen sind,  wirkt;  als  solche  kommen  vor 
allem  die  Eitererreger  und  die  verschiedenen, 
Haarkrankheiten  verursachenden  Fadenpilze 
in  Betracht.  Ich  stellte  daher  einige  Des- 
infektionsversuche mit  Staphylococcus 
aureus,  Bacillus  pyocyaneus,  Tricho- 
phyton tonsurans,  Achorion  Schoen- 
leinii    und   Mikrosporon   Audouini   an. 

Die  Ergebnisse  dieser  Versuche  seien  hier 
nur  ganz  kurz  mitgeteilt: 

24 stündige  Bouillonkulturen  von  Sta- 
phylococcus aureus  wurden  durch  Zusatz 
von  1  Vol.-Proz.  Jothion,  sodafi  also  ein  kleiner 
Teil  des  Jothious  ungelöst  blieb,  innerhalb 
3  Minuten  abgetötet.  Der  Bacillus  pyo- 
cyaneus erwies  sich  nach  3  Minuten  langer 
Einwirkung  von  Jothion  —  unter  den  glei- 
chen Verhältnissen,  wie  beim  Staph.  aur.  an- 
gegeben —  als  nicht  beeinflußt,  nach  6  Mi- 
nuten machte  sich  deutliche  Entwicklungs- 
hemmung bei  der  Übertragung  in  frische 
Bouillon  bemerkbar,  während  nach  10  Minuten 
Abtötung  erfolgt  war.  Die  Fadenpilze  Tricho- 
phyton tonsurans,  Achorion  Schoen- 
leinii  und  Mikrosporon  Audouini, 
welche  nach  dem  Zerreiben  der  Agar- Ober- 
flächenkulturen mit  sterilem  Sande  mit  der 
gesättigten  Jothionlösung  übergössen  wurden, 
waren  bereits  nach  5  Minuten  langer  Ein- 
wirkung völlig  abgetötet,  obwohl  sie  reich- 
lich  Sporen  gebildet  hatten. 

Die  Versuche  bezüglich  der  entwick- 
lungshemmenden Wirkung  des  Jothions 
gegenüber  Staphylococcus  aureus  bezw.  Pyo- 
cyaneus ergaben,  daß  deren  Wachstum  in 
Bouillon,  welche  mit  1  :  1000  Jothion  ver- 
setzt ist,  in  keiner  Weise  beeinflußt  ist;  bei 
einem  Gehalt  von  1  :  600  macht  sich  beim 
Staph.  aur.  eine  geringe,  beim  Pyocyaneus 
eine  deutliche  Entwicklungshemmung  bemerk- 
bar, während  beide  Bakterien  bei  1  :  500 
starke  Verlangsamung  ihres  Wachstums  zeigen, 


um  sich  bei  1  :  400  überhaupt  nicht  mehr 
zu  vermehren. 

Diese  bakteriologischen  Versuche 
lassen  eine  eingehende  Prüfung  des 
Jothions  bezüglich  seiner  Anwendbar- 
keit bei  Erkrankungen  der  Haut  und 
der  Haare  berechtigt  erscheinen. 

Aus  den  vorstehend  berichteten  chemi- 
schen Versuchen  ergibt  sich,  daß  in  dem 
Jothion  ein  Jodpräparat  vorliegt,  wel- 
ches bei  perkutaner  Applikation  die 
Einführung  nicht  unbeträchtlicher 
Mengen  Jod  in  den  Organismus  ge- 
stattet, indem  es  bis  zu  etwa  50  Proz. 
von  der  Haut  aus  zur  Resorption  ge- 
langen kann.  Bei  einzelnen  Personen 
mit  besonders  empfindlicher  Haut  ruft 
es  nach  der  Einreibung  im  unver- 
dünnten Zustande  mitunter  leichtes, 
vorübergehendes  Brennen  hervor,  wel- 
ches aber  durch  Verdünnen  mit  Ol, 
Vaseiin  oder  Lanolin  —  ohne  daß  da- 
durch die  gute  Res  orbierb  ar  k  ei  t 
wesentlich  beeinflußt  wird  —  völlig 
aufgehoben  werden  kann.  Selbst  bei 
längerer  regelmäßiger  Anwendung  des 
Jothions  in  größeren  Dosen  sind  Stö- 
rungen des  Magen-Darmkanales  nicht 
oder  doch  nur  in  verschwindend  ge- 
ringem Maße  beobachtet  worden  selbst 
bei  Personen,  welche  gegen  kleinste 
Dosen  Jodalkalien  (der  Berichterstatter 
bereits  gegen  0,1  —  0,25  Na  J  pro  die)  so- 
fort mit  starken  Magenverstimmungen 
reagieren.  Es  ist  also  durch  das  Jo- 
thion das  Problem  der  Joddarreichung 
unter  Vermeidung  von  Störung  des 
Magen-Darmkanales  in  durchaus  be- 
friedigender Weise  gelöst. 


Stovain. 

Das  von  Frankreich  aus  zu  uns  gekommene 
lokale  Anastheticum,  das  Stovain,  wurde  zuerst  von 
Fourneau  dargestellt.  Nach  seiner  chemischen 
Konstitution  ist  es  das  salzsaure  Salz  des  Di- 
methylaminobenzoyldimethyläthylcarbinol.  Seine 
Formel 

c2h5n 


CH3 


/ 


CO.COC6H5 
CH2 


»)  1.  c. 


N 

/\ 
CH3    CH, 

zeigt  gewisse  Ähnlichkeit  mit  der  des  Kokains 
oder  Eukains,  mit  denen  es  die  substituierte 
Aminogruppe  und  die  benzoylierte  tertiäre  oder 
sokundäre    Alkoholgrnppe    gemein    hat.      Einen 

wesentlichen     Unterschied    zeifjt    die    Zusammen- 


208 


Stovain. 


fTherapeiittelit 
L   Monatshefte 


setzuDg  des  Stovains  von  der  des  Kokains  und 
Eukains  dadurch,  daß  diese  beiden  Substanzen 
einen  ringförmigen  Aufbau  zeigen,  also  als 
Körper  der  aromatischen  Reihe  anzusprechen  sind, 
während  das  Stovain  eine  Kohlenstoffkette  ent- 
hält, also  als  aliphatischer  Körper  anzusehen 
ist.  Die  physiologische  Untersuchung  ergab,  daß 
das  Stovain  in  größeren  Mengen  ein  Krampfgift 
—  wie  das  Kokain  —  ist.  Außerdem  bewirkt 
es  eine  peripherische  Gefäßerweiterung  und  starke 
Temperaturherabsetzung.  Seine  tödliche  Dosis 
verhält  sich  zu  der  des  Kokains  wie  2  zu  1; 
Vorgiftungserscheinungen  wurden  erst  nach  Dosen 
gesehen,  welche  dreimal  so  groß  wie  die  gleiche 
Erscheinungen  hervorrufende  Kokaindosis  waren. 
Das  neue  Mittel  nimmt  also  in  Bezug  auf  Giftig- 
keit eine  Mittelstellung  zwischen  dem  giftigeren 
Kokain  und  dem  bedeutend  ungiftigeren  /9-Eu- 
kain  ein. 

Die  klinische  Prüfung  des  Mittels  wurde 
von  verschiedenen  französischen  Autoren,  sowie 
ganz  neuerdings  von  Sonnenburg  in  Berlin 
vorgenommen  und  erstreckt  sich  auf  seine  Ver- 
wertbarkeit als  lokales  Anästheticum  sowie  als 
Mittel  zur  Herbeiführung  der  Lumbalanästhesie. 
Chaput  berichtet  über  18,  teils  der  großen,  teils 
der  kleinen  Chirurgie  angehörende  Eingriffe, 
die  er  unter  lokaler  Anästhesie  mit  0,5-proz. 
Stovainlösung  ausführte  und  bei  denen  er  bis  zu 
0,2*g  Stovain  verbrauchte.  Der  Verlauf  war  bis 
auf  einen  Fall,  wo  sowohl  die  Anästhesie  (Knie- 
gelenk) ungenügend  war,  als  auch  nach  der  Ope- 
ration unangenehme  Nachwirkungen  (Erregung) 
auftraten,  ein  günstiger.  Zur  lumbalen  Anästhesie 
verwendete  Chaput  das  Stovain  in  30  Fällen, 
meist  in  Verbindung  oder  Mischung  mit  Kokain. 
Diese  Anwendungsart  war  daher  nötig,  weil  in 
der  verwendeten  10-proz.  Lösung  des  reinen 
Stovains  durch  die  Alkalinität  der  Lumbalflüssig- 
keit  die  Substanz  niedergeschlagen*  wurde  und 
somit  nicht  in  Wirksamkeit  treten  konnte.  Durch 
Verwendung  verdünnterer  Lösungen  und  Zusatz  von 
NaCl  soll  sich  dieser  Übelstand  vermeiden  lassen. 

Als  besonderen  Vorteil  des  Mittels  preist 
dieser  Verfasser  seine  schon  vorhin  erwähnte 
Eigenschaft,  gefäßerweiternd  zu  wirken  und  so- 
mit keine  Gehirnanämie  zu  machen,  welcher 
Umstand  es  zum  Beispiel  gestattet,  am  aufrecht 
sitzenden  Patienten  zu  operieren.  Die  obere 
Grenze  der  anästhetischen  Zone  ist  sehr  ver- 
schieden, sie  erstreckte  sich  in  einem  Falle  nicht 
einmal  über  die  ganze  untere  Extremität,  wäh- 
rend sie  in  anderen  Fällen  bis  zur  Clavicula 
und  den  oberen  Extremitäten  ging. 

In  allen  30  Fällen  war,  soweit  aus  der 
kurzen  Mitteilung  zu  entnehmen  ist,  die  Anästhesie 
eine  ausreichende.  Über  unerwünschte  Neben- 
oder Nachwirkungen  wird  nichts  berichtet. 

Über  ein  größeres  Material,  nämlich  64  Fälle 
von  lumbaler  Anästhesie  mit  Stovain  (Rachi- 
stovainisation) ,  verfügen  Kendirdzy  und 
Bertheaux.  Die  Anästhesie  stellte  sich  nach 
Injektion  von  0,04  g  Stovain  in  10-prozentiger 
Lösung  in  5  Minuten  ein  und  währte  ungefähr 
40  Minuten.  Unangenehme  Nebenwirkungen 
wurden  wiederholt  beobachtet,  nahmen  jedoch 
keine  beängstigenden  Dimensionen  an.    Die  von 


anderen  Autoren  nach  Kokainisierung  des  Rücken- 
marks wiederholt  beobachtete  sterile  Meningitis 
konnte  nirgends  mit  Sicherheit  nachgewiesen 
werden,  da  in  dem  einen  Falle,  in  dem  die 
Spinalflüssigkeit  Zellelemente  enthielt,  die«  auch 
eine  Folge  einer  Allgemein erkranknng  des  Pa- 
tienten (Lues)  sein  konnte. 

Einen  etwas  weniger  günstigen  Eindruck, 
als  aus  den  bisher  erwähnten  französischen  Sto- 
vainarbeiten,  gewinnt  man  aus  der  einzigen  bis- 
her vorliegenden  deutschen,  nämlich  der  von 
Sonnenburg.  Um  gleich  mit  einem  wesent- 
lichen Punkte  zu  beginnen,  scheint  die  aus  den 
französischen  Arbeiten  hervorgehende  Sicherheit 
der  Stovainwirkung  keine  allzugroße  zu  sein. 
Sonnenburg  hatte  unter  56  lumbalen  Stovain- 
injektionen  in  11  Fällen,  d.  i.  in  19,6  Proz. 
keine  ausreichende  Anästhesie  erzielen  können, 
und  hatte  außerdem  den  Verlust  eines  Falles 
(/,#  Proz.)  an  aufsteigender  eitriger  Meningitis  zu 
verzeichnen. 

In  den  übrigen  Fällen  waren  jedoch  auch 
die  Resultate  dieses  Autors  recht  zufrieden- 
stellende. Die  verwendeten  Mengen  Stovain  be- 
tragen 0,04—0,07  g,  im  Durchschnitt  0,05  g, 
welches  in  10-proz.  Lösung  in  Verdünnung  mit 
aspirierter  Spinalflüssigkeit  verwendet  wurde. 
Die  Injektion  wurde  meist  unterhalb  des  dritten 
Lendenwirbels  vorgenommen,  unter  Befolgung 
aller  für  subdurale  Injektionen  überhaupt  gel- 
tenden Regeln  (vergl.  Ther.  Monatsh.,  Februar 
1905  S.  107).    Besonders  zu  beachten  ist: 

1.  Genügend  tiefes  Einstechen  der  Nadel. 

2.  Vermeidung  von  Blutungen. 

3.  Gute  Mischung  der  Lösung  und  Spinal- 
flüssigkeit in  der  Spritze. 

4.  Entfernung  jeder  Spur  Sodalösung  aus 
der  Spritze. 

Nebenwirkungen  sah  Sonnenburg  selten, 
eine  Kontraindikation  bietet  zu  jugendliches 
Alter  (unter  14  Jahr)  der  Patienten. 

Will  man  aus  den  bisher  mit  Stovain  ge- 
machten Erfahrungen  einen  Schluß  ziehen,  so 
würde  sich  dieser  folgendermaßen  gestalten. 

Das  Stovain  ist  ein  lokales  Anästheticum, 
welches  durch  seine  geringere  Toxizität  bei 
gleicher  Wirksamkeit  dem  Kokain  überlegen  ist. 
Dem  Eukain  gegenüber  weist  das  Stovain,  in- 
folge seiner,  diesem  Körper  gegenüber  stärkeren 
Giftigkeit,  keine  Vorteile  auf.  Auch  in  Bezug 
auf  seine  Verwendbarkeit  zur  lokalen  als  auch 
lumbalen  Anästhesie  ist  es  dem  Eukain  nicht 
überlegen. 

Literatur. 
Note   de   E.   Fourneau,   Com.   rend.    de   Pacad. 

Bd.  138,  p.  766,  1904. 
L.  Launoy  et  F.  Billon,  Sur  la  toxicite  du  chlor- 

hydrate    d'amy leine.     Com.    rend.    de    Pacad. 

Bd.  138,  p.  1861,   1904. 
F.  Chaput,  La  stovalne  anästhesique  locale.  Soc. 

de  biol.  1356,  p.  770,  1904. 
Chaput,   Valeur   de   la  stovatne   comparee    a   la 

cocalne.     Soc.  de  biol.  Bd.  66,  p.  722,    1904. 
Kendirdzy  et  Bertheaux,  Presse  medicale  1904, 

No.38. 
E.  Sonnenburg,    Rückenmarksanästhesie    mittels 

Stovain.    D.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  9. 


r 


XIX.  Jahrg&ng.l 
April  19Q5.     I 


Grltaiin. 


209 


Griserin. 

Über  das  Griserin  ist  bereits  im  November- 
heft  vorigen  Jahres  von  uns  berichtet  worden. 
Es  i6t  als  ein  inneres  Desinficiens  empfohlen 
worden,  als  sicheres  Heilmittel  bei  allen  durch 
Bakterien  hervorgerufenen  Krankheiten.  Der 
Schloß  unseres  Berichtes  lautete:  »Die  nicht 
ausbleibenden  Nachprüfungen  werden  indes  wohl 
bald  die  hochgespannten  Erwartungen  auf  ein 
sehr  bescheidenes  Maß  her  abdrücken."  Diese 
Vermutung  hat  sich  vollauf  bestätigt.  Die  vor- 
liegenden Mitteilungen  sind  nicht  sehr  zahlreich 
und  die  Zeit  der  Beobachtung  ist  relativ  kurz, 
aber  die  Resultate  der  experimentellen  Unter- 
suchungen und  die  klinischen  Erfahrungen  stimmen 
so  überein  und  sind  so  eindeutig,  daß  ein  Urteil 
über  den  Wert  des  Griserins  als  Heilmittel  jetzt 
schon  sehr  wohl  möglich  ist. 

Es  sind  zunächst  zwei  experimentelle 
Arbeiten  zu  erwähnen:  aus  der  hygienischen 
Untersuchungsanstalt  der  Stadt  Danzig  von 
Prof.  Petruschky  und  aus  dem  Königl.  Hygieni- 
schen Institut  der  Universität  Königsberg  von 
Dr.  E.  Friedberger    und   Dr.  W.  Oettinger. 

Petruschky  fand,  daß  von  allen  unter- 
suchten Spaltpilzen  der  Milzbrandbazillus  gegen- 
über Griserin  besonders  empfindlich  ist.  Eine 
entwickelungshemmende  Wirkung  macht  sich 
außerhalb  des  Organismus  bereits  bei  einer  Ver- 
dünnung von  1 :  10  000  —  1  :  8000  geltend. 
Hiernach  müßte,  falls  die  gleiche  Verdünnung 
auch  im  Tierkörper  entwickelungshemmend  wirkt, 
1  —  1,2  mg  Griserin  pro  10  g  Tierkörper  ge- 
nügen, um  auch  in  diesem  eine  Entwicklungs- 
hemmung der  Milzbrandbazillen  zu  erreichen. 
Die  Versuche  ergaben  jedoch  eine  derartige 
entwickelungshemmende  Wirkung  nicht  und 
Petruschky  kommt  zu  dem  Schluß,  daß  die 
Frage,  ob  durch  Griserin  eine  innere  Desinfektion 
des  lebenden  Körper  erreicht  werden  könne,  für  den 
anscheinend  am  günstigsten  liegenden  Fall  (Milz- 
brand) in  negativem  Sinne  zu  beantworten  ist. 

Friedberger  und  Oettinger  kamen  zu 
dem  gleichen  Resultate.  Weder  nach  intra- 
peritonealer Infektion  mit  Choleravibrionen  bei 
Meerschweinchen,  noch  bei  der  Pneumokokken- 
Infektion  bei  Mäusen,  noch  bei  Milzbrand  bei 
Kaninchen,  noch  endlich  bei  tuberkulöser  Infek- 
tion bei  Meerschweinchen  zeigte  Griserin  irgend 
eine  günstige  Wirkung. 

In  Übereinstimmung  mit  diesen  Resultaten 
konnte  auch  bei  Versuchen  im  Pharmakologischen 
Institut  der  Universität  Berlin  eine  Beeinflussung 
der  tuberkulösen  Infektion  bei  Meerschweinchen 
durch  Griserin  nicht  beobachtet  werden. 

Ebenso  ungünstig  wie  die  experimentellen 
Untersuchungen  sind  die  Erfahrungen  bei 
Kranken  ausgefallen. 

Deneke,  welcher  das  Griserin  im  Allge- 
meinen Krankenhause  St.  Georg- Hamburg  bei 
13  Fällen  von  Lungentuberkulose  anwandte,  sah 
niemals  nach  dem  Mittel  eine  Vermehrung  des 
Auswurfes  und  allgemeines  Wohlbefinden,  wie 
Küster  es  angibt.  Einige  Patienten  klagten 
vielmehr  über  eine  besonders  zähe,  breiige  Be- 
schaffenheit des  Auswurfs  bei  Griserin  gebrauch. 
Eine     günstige    Beeinflussung    der    Temperatur, 


der  Nachtschweiße ,  Besserung  des  Appetits 
wurden  nicht  beobachtet.  Das  Verhalten  des 
Körpergewichts  ließ  in  keinem  Falle  einen  Schluß 
zu  gunsten  der  Griserinwirkung  zu.  Die  Tuberkel- 
bazillen verschwanden  niemals  aus  dem  Sputum, 
verminderten  sich  auch  nicht  in  merklicher 
Weise.  Auch  ein  Rückgang  der  physikalischen 
Erscheinungen  war  nicht  zu  beobachten,  dagegen 
traten  häufig  Durchfälle  nach  Griserin  auf. 

Deneke  kommt  zu  dem  Schluß,  daß, 
abgesehen  von  der  ungünstigen  Beeinflussung 
des  Auswurfs,  die  einzige  Wirkung  des  Griserins 
bei  seinen  Patienten  die  eines  Abführmittels  war, 
und  zwar  eines  sehr  unzuverlässigen. 

Die  gleichen  Erfahrungen  machte  Schom- 
burg  im  Städtischen  Krankenhause  zu  Bremen. 
Niemals  wurde  eine  günstige  Einwirkung  auf 
den  tuberkulösen  Prozeß  beobachtet,  auch  bei 
wochenlanger  Darreichung  des  Mittels  nicht. 
Konstant  waren  dagegen  Erscheinungen  von 
Darmreizungen,  die  meistens  gutartig  waren,  in 
einigen  Fällen  stellten  sich  jedoch  stärkere  Durch- 
fälle ein,  die  zum  Aussetzen  des  Mittels  zwangen. 

Brühl  wandte  Griserin  in  der  Heilanstalt 
für  Lungenkranke  zu  Schömberg,  O.-A.  Neuenburg 
bei  9  Fällen  von  Lungentuberkulose  an.  In  allen 
Fällen  traten  Erscheinungen  von  Darmreizung 
mit  Leibschmerzen  und  Durchfall  auf,  hiermit 
verbunden  Appetitverminderung  und  dement- 
sprechend in  den  meisten  Fällen  Gewichts- 
abnahme. Eine  günstige  Beeinflussung  des  Fiebers 
fand  nicht  statt.  Der  Husten  wurde  trocken, 
der  Auswurf  geringer  als  Folge  des  Wasser- 
verlustes durch  den  Darm. 

Wir  können,  so  äußert  sich  Brühl,  „in 
dem  Griserin  ein  Heilmittel  der  Phthise  nicht 
erblicken,  müssen  vielmehr  vor  seinem  Gebrauch 
dringend  warnen,  da  es  nicht  nur  jeden  günstigen 
Einfluß  vermissen  läßt,  sondern  sogar  recht  un- 
günstige Wirkungen  zu  entfalten  vermag,  die 
geeigoet  sind,  die  wirksame  Anwendbarkeit  der 
anerkannt  rationellen  hygienisch  -  diätetischen 
Heilfaktoren  in  Frage  zu  stellen  und  dadurch 
eventuell  in  sonst  aussichtsvollen  Fällen  die 
Heilungschancen    erheblich    zu    verschlechtern.2 

Für  die  Gesamtheit  der  Erfahrung  gilt,  was 
Friedberger  und  Oettinger  am  Schlüsse 
ihrer  Mitteilung  sagen:  „Aber  unsere  Resultate 
sind  doch  so  eindeutig  negativ,  daß  danach  dem 
Griserin  die  Bedeutung  eines  inneren  Desinficiens 
unbedingt  abgesprochen  werden  muß." 

Literatur. 

1.  Prof.  Petruschky.     Kann    durch    „ Griserin" 

eine  „innere  Desinfektion*  bewirkt  werden? 
Berl.  klin.  Wochenschr.  1904,  No.  50. 

2.  Dr.  E.  Friedberger  und  Dr.  W.  Oettinger. 

Versuche  über  die  desinfizierende  Wirkung 
des  Griserins.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1905, 
No.  7  u.  8. 

3.  Dr.  Schomburg.    Beitrag  zum  therapeutischen 

Wert  des  Griserins.  Berl.  klin.  Wochenschr. 
1905,    No.  1. 

4.  Dr.  Th.  Deneke.   Über  das  angebliche  „innere 

Desinfektionsmittel  Griserin".  Münch.  Med. 
Wochenschr..  1905,  No.  3. 

5.  Dr.  Brühl.    Über  Erfahrungen  mit  Griserin  bei 

der  Behandlung  der  chronischen  Lungentuber- 
kulose.  Münch.  Med.  Wochenschr.  1905,  No.  8. 


210 


Referat«. 


L   Monatshefte 


Referate« 


Mängel  in  der  psychischen  Konstitution  unserer 

Zelt.     (Buttersack,    Monatsschrift  f.  soziale 

Medizin,  Bd.  I,  1904.) 

Nachdem,  wie  der  Naturwissenschaft  über- 
haupt, so  besonders  der  ärztlichen  Wissenschaft 
über  einer  detaillierten  Durchforschung  aller 
materiellen  Substrate  des  menschlichen  Organis- 
mus gewissermaßen  das  Bewußtsein  von  der 
Existenz  eines  psychischen  Faktors,  der  innerhalb 
gegebener  Grenzen  das  körperliche  "Werkzeug 
nach  einer  höheren  Norm  lenkt,  abhanden  ge- 
kommen war,  konnte  eine  Reaktion  nicht  aus- 
bleiben und  daraus  erwuchs  der  fast  ein  Jahr- 
hundert lang  in  Vergessenheit  gekommenen 
psychischen  Therapie  neues  Leben,  die  dem 
seelischen  Moment  in  der  hochkomplizierten 
menschlichen  Organisation  wieder  zu  ihrem  Rechte 
verhalf.  Aber  erst  lange,  nachdem  1890 
0.  Rosenbach  als  erster  auf  die  Wichtigkeit 
der  seelischen  Behandlung  neben  der  körperlichen 
hingewiesen  hatte,  fanden  sich  „einige  vorge- 
schobene Pioniere  aus  dem  naturwissenschaft- 
lichen Lager,  die  Brücken  nach  dem  philosopisch- 
psychologischen  Gebiet  hinüberzuschlagen"  ver- 
suchten. Zu  diesen  Vorkämpfern  zählt  in  erster 
Reihe  Buttersack,  der  immer  wieder  und  wieder 
das  erziehliche  Moment  bei  der  psy- 
chischen Therapie  in  den  Vordergrund  stellt  *). 

Auch  in  seiner  neuesten  Veröffentlichung 
hebt  dieser  nicht  minder  durch  Beobachtungs- 
gabe, wie  durch  umfangreichste  Kenntnis  der 
verschiedensten  Literaturgebiete  sich  auszeich- 
nende Arzt  die  Erhaltung  psychischen  Gleich- 
gewichts, d.  h.  der  Uarmanie  zwischen  den  ein- 
zelnen Komponenten  des  Seelenlebens,  als  den 
einzigen  Weg  hervor,  auf  dem  der  Kranke  — 
wie  nicht  minder  der  Gesunde  —  zur  Geduld  und 
damit  zur  Zufriedenheit  und  zum  Glück  erzogen 
werden  kann. 

Die  moderne  Ausbildung  des  heranwachsen- 
den Geschlechts  —  so  führt  Buttersack  aus 
—  ist  seit  Dezennien  vorzugsweise  auf  die  in- 
tellektuelle Seite  hin  gerichtet  gewesen;  beinahe 
systematisch  züchtete  man  Menschen  mit  mög- 
lichst viel  Kenntnissen  und  ließ  dabei  die  Ideale 
zu  kurz  kommen.  Scheitern  bei  solch  einer 
Generation  dann  die  Unternehmungen  des  In- 
tellekts, so  entfällt  jede  Möglichkeit,  auf  die 
Hilfe  der  anderen  wenig  oder  garnicht  gepflegten 
Seelenvermögen  zu  rekurrieren.  Selten  ist  und  bleibt 
ja  allerdings  ein  Mensch  derartig  in  sich  aus- 
geglichen, daß  er  als  absolut  zufrieden  bezeichnet 
werden  könnte,  wie  wir  ja  auf  der  andern  Seite 
auch  schwerlich  einem  Organismus  begegnen,  an 
dem  ein  gewissenhafter  Anatom  gar  nichts  aus- 
zusetzen fände.  Aber  wie  *  es  auf  somatischem 
Gebiete  eine  gewisse  Breite  der  Gesundheit  gibt, 


')  Vergl.  Buttersack,  Nichtarzneiliche  Thera- 
pie innerer  Krankheiten.  2.  Aufl.  A.  Hirsch wald, 
Berlin  1903.  —  Derselbe,  Der  Wert  der  Beschäfti- 
gung in  der  Krankenbehandlung.  Zeitschr.f.  diätische 
und  physikalische  Therapie,  Bd.  III,  Heft  8,  1900. 


innerhalb  deren  allerlei  Abweichungen  hinsicht- 
lich des  „Quäle"  und  „Quantum"  der  Organe 
und  Funktionen  erlaubt  sind,  ohne  daß  man 
deshalb  von  Krankheit  spräche:  so  sind  auch 
im  Bereich  des  Seelischen  die  Übergänge  fließend. 
Bei  dem  einen  mag  die  Energie  des  Wollen* 
vorherrschen,  bei  dem  andern  die  Feinheit  des 
Empfindens:  wir  werden  jeden  in  seinen  Eigen- 
schaften zwar  nicht  für  einen  idealen,  wohl 
aber  für  einen  normalen  Menschen  erklären. 
Nur  sei  ein  jeder  auf  seiner  Hut  und  setze  den 
Frieden,  die  Harmonie  seiner  Seele  nicht  durch 
schwächliches  Nachgeben  und  einseitige  Ent- 
wicklung eines  bestimmten  Triebes  aufs  Spiel. 
Freilich  muß  für  diese  Seite  der  Erziehung 
frühzeitig  die  Grundlage  geschaffen  werden  nnd 
nur  eine  Macht  gibt  es,  die  dieser  schwierigen 
Aufgabe  gewachsen  ist:  die  Mutter  mit  ihrem 
wachsamen  Auge,  ihrem  warmen  Herzen  und 
ihrer  weichen  Hand!  „Wissen  ist  Macht;  aber 
keineswegs  die  größte.  Nicht  aus  der  Studier- 
stube, sondern  aus  der  Kinderstube  wird  die 
Welt  regiert."  Eschle  (Sinsheim). 

(Au  der  UnWer^tlttkUnlk  für  Ohren-,  Naeen-  and  Hai» 
kranke  in  Marburg.) 

Ein  Beitrag  zur  Behandlung  des  Morbus  Bate- 
dowli  mit  Antithyreoldinserum  (Möbius). 
Von  Dr.  H.  Hempel,  Assistent  der  Poliklinik. 
Bei  einer  55  Jahre  alten  Arbeitersfrau  hatten 
sich  seit  etwa  einem  Jahre  sämtliche  Symptome 
des  Morbus  Basedowii  eingestellt.  Die  Störungen 
von  Seiten  des  Herzens  beherrschten  das  ganze 
Krankheitsbild.  Die  Behandlung  bestand  darin, 
daß  vom  21.  XI.  03  vorläufig  jeden  3.  Tag  5,0  g 
Antithyreoidinserum  per  08  verabreicht  wurden. 
Das  Mittel  wurde  rein,  ohne  Zusatz  von  Wein 
oder  Himbeersaft,  gegeben.  Nach  kurzer  Zeit 
erhielt  Patientin  jeden  2.  Tag  5,0  g.  Am 
31.  XI.  03  wurde  die  Medikation  ausgesetzt; 
Patientin  hatte  bis  dahin  in  16  Kationen  90,0  g 
Serum  bekommen.  Schon  bald  nach  Beginn  der 
Behandlung  gab  die  Kranke  an,  daß  sie  nicht 
mehr  an  Herzklopfen  leide,  daß  die  Unruhe 
nachgelassen  habe,  daß  sie  sich  wesentlich  ge- 
bessert fühle.  Objektiv  konnte  festgestellt  werden, 
daß  der  Exophthalmus  wesentlich  zurückgegangen 
war,  ebenso  ließ  sich  eine  Verkleinerung  des 
Kropfes  nachweisen,  auch  war  die  Schilddrüse 
weicher  geworden.  Die  Pulszahl  war  von  120 
bis  140  auf  96  heruntergegangen.  Das  Körper- 
gewicht hatte  3  Pfund  zugenommen.  Patientin, 
die  sich  nach  4  Monaten  wieder  vorstellte,  war 
mit  ihrem  Zustande   zufrieden. 


(Münch.  med.  Wochenschr.  1,  1905.) 


R. 


(Aas  dem  städtischen  allgem.  Krankenbaase  Nttrnberf. 
1.  med.  Abteilang.) 

Einige  Beobachtungen  aber  Moebius'  Antithyreol- 

dln.     Von  Dr.  K.  Thienger. 

Thienger    hat    in    den    letzten    Monaten 

4  Basedowkranke,   3  Frauen    und   1  Mann,   mit 

dem  Möbiusschen  Serum  behandelt.   Die  Kranken 


r 


XfX.  Jahrgang.! 
April  1905.    J 


Referate. 


211 


erhielten  jeden  2.  Tag  5  ccm  Serum  in  Süßwein. 
Bei  den  3  weiblichen  Kranken  war  das  Resultat 
der  Behandlung  hauptsächlich  eine  subjektive 
Besserung  des  Allgemeinbefindens.  Von  objek- 
tiven Zeichen  der  Besserung  wurde  Zunahme 
des  Körpergewichts  und  Sinken  der  Pulsfrequenz 
beobachtet,  dagegen  behielt  die  Struma  die  an- 
fangliche Größe,  ebenso  blieb  der  Exophthalmus 
unverändert.  Auffallend  gunstig  war  der  Erfolg 
der  Serumbehandlung  bei  dem  vierten  Falle, 
einem  jungen  Manne,  der  mit  ausgesprochenen 
Basedowsymptomen,  sehr  elend,  fast  in  extremis 
auf  die  Abteilung  kam.  Das  Leiden  hatte  rasch 
eingesetzt,  nach  Art  einer  Infektionskrankheit. 
5  Tage  vor  seinem  Eintritt  in  das  Krankenhaus 
bemerkte  Patient  die  ersten  Krankheitssymptonie. 
4  Tage  nach  seinem  Eintritt  zeigte  er  hoch- 
fiebernd alle  Folgen  der  relativen  Wirkungen 
des  Basedowstoffwechselgiftes.  4  Tage  nach  Be- 
ginn der  Serumbehandlung  entschiedene  Besse- 
rung. Er  wurde  völlig  geheilt.  Bis  zu  seiner 
Entlassung  hatte  er  im  ganzen  120  ccm  Serum 
erhalten. 

(MüncK  med.  Wochenschr.  1,  1905.)  R. 

Kampferölinjektionen  bei  Lungentuberkulose.  Aus 
der  Bosler  Heilstätte  in  Davos.  Von  Dr.  E. 
Nienhaus. 

Nienhaus  schließt  aus  seinen  Erfahrungen 
folgendes: 

1.  Kampferölinjektionen,  in  den  von  Alex- 
ander angegebenen  Quantitäten  werden  von 
Phthisikern   auch   im   III.  Stadium  gut  ertragen, 

2.  Sie  wirken  bei  Lungentuberkulose  nur 
als  Tonicum  auf  das  Herz  (Verminderung  der 
Pulsfrequenz),  nicht  als  Specificum. 

3.  Erhöhte  Temperatur  setzen  sie  nicht 
herab,  der  Blutdruck  wird  nur  unwesentlich 
erhöht. 

4.  Kontraindikationen  bilden  höchstens  abun- 
dante  Lungenblutungen. 

5.  Die  Injektionen  können  das  (durch  die 
bei  vorgeschrittener  Lungentuberkulose  vermehrte 
Arbeitsleistung)  überanstrengte  Herz  kräftigen 
und  so  eventl.  das  Leben  verlängern. 

Dann  kommen  aber  sicher  größere  Quanti- 
täten   als   die   von  Alexander   empfohlenen   in 
Betracht,  der  tgl.  0,3  des  lOproz.  Ol.  camphorat. 
oder  4  Tage  je  1,0  mit  8tägigen  Pausen  injiziert. 
(Zschr.  f.  Tuberkul  u.  Heilst.    Okt.  1903,  V.J. 

Esch  (Bendorf). 

Erfahrungen  Aber  die  Verwertbarkeit  de«  Borny- 
val«. Von  Dr.  S.  Boß  (Straßburg  i.  E.). 
Auf  Grund  seiner  an  15  geeigneten  Fällen 
gemachten  Erfahrungen  spricht  Boß  sich  sehr 
günstig  über  das  neue  Baldrianpräparat  Bornyval 
aus.  Dasselbe  stellt  eine  wasserklare,  nach  Bal- 
drian und  Kampfer  riechende  Flüssigkeit  dar. 
Es  wird  wegen  seines  etwas  brennenden  Ge- 
schmackes in  Gelatinekapseln  von  0,25  g  Inhalt 
geliefert.  Dosis:  3 — 4  Kapseln  täglich.  Boß 
bezeichnet  Bornyval  als  das  beste  Analepticum. 
Dasselbe  entfaltet  bei  neurasthenischen  und 
hysterischen  Zast&nden  eine  stets  gute  Wirkung 
und  scheint  nervöse  Herzbeschwerden  in  fast 
spezifischer  Weise  zu  beeinflussen. 

(Med.  hlittik  7,  1905. )  R. 


Behandlung  der  Diphtherie  mit  Myrrhentinktur. 

(140  Fälle  mit  3  Todesfällen.)  Von  Dr.  St  roll 
(München). 

Nachdem  S troll  bisher  140  Fälle  behandelt 
und  nur  3  Todesfälle  zu  verzeichnen  hatte,  glaubte 
er  seine  Behandlungsmethode  bei  Diphtherie  emp- 
fehlen zu  können.  Er  bedient  sich  seit  einer 
Reihe  von  Jahren  der  Myrrhentinktur.  Seine 
Verordnung  lautet: 

Rp.  Tinct.  Myrrhae 

Glycerini  aa  8,0 

Aqua  dest.  ad  200,0 
S.  Nach  Bericht. 
Von  dieser  Arznei  läßt  er  Tag  und  Nacht 
eingeben,  nämlich  bei  Tage  1  stündlich  (in 
schweren  Fällen  */9  stündlich),  bei  Nacht  2  stünd- 
lich (in  schweren  Fällen  1  stündlich),  und  zwar 
bei  Kindern  in  den  ersten  2  Jahren  1  Kaffee- 
löffel (5,0  g),  nach  vollendetem  2.  Lebensjahre 
bis  zum  vollendeten  15.  Jahre  1  Kinderlöffel 
(10,0  g),  vom  16.  Jahre  an  sowie  bei  Erwachsenen 

1  Eßlöffel   (15,0  g).     Sobald    deutlich    sichtbare 
Besserung  eingetreten,  wird  die  Arznei  bei  Tag 

2  stündlich,   bei  Nacht  nur  3  stündlich  gereicht. 

Die  günstige  Wirkung  der  Myrrhentinktur 
soll  darin  bestehen,  daß  sie  die  Leukozyten  ver- 
mehrt und  so  der  Organismus  eine  bessere  Mög- 
lichkeit erhält,  gegen  die  Einwanderung  der 
Diphtheriepilze  und  gegen  deren  Toxine  anzu- 
kämpfen. 


(Allgenu  med.  ZentraUeitung  46,  1904. ) 


R. 


Erfolgreiche  Behandlung  eines  Falles  von  Ery- 
sipel mit  Argent.  colloldale.  Von  Dr.  Feld- 
mann. 

Unter  heftigem  Schüttelfrost  war  bei  einer 
frisch  entbundenen  Frau  die  Temperatur  binnen 
24'  Stunden  auf  41,8°  gestiegen,  worauf  sich 
innerhalb  15  Minuten  ganz  plötzlich  das  charak- 
teristische Erysipelexanthem  entwickelte.  Am 
5.  Krankheitstage  erhielt  die  Patientin,  deren 
Temperatur  40,8°  betrug  und  die  wegen  des 
kleinen,  zeitweise  aussetzenden  Pulses  mit  Exzi- 
tantien  behandelt  werden  mußte,  2,5  g  Unguentum 
Argenti  colloidalis  eingerieben.  Am  folgenden 
Tage  war  die  Temperatur  auf  39,1°  und  nach 
einer  erneuten  Einreibung  derselben  Dosis  Tags 
darauf  auf  37,3°  gesunken,  worauf  sie  sich  dauernd 
unter  37,5°  hielt,  obwohl  das  Erysipel  noch  in 
einzelnen  Schüben  weiter  wanderte.  Die  Pat. 
erholte  sich  rasch.  Eine  puerperale  Infektion  als 
Ausgangspunkt  des  Erysipel  schien  ausgeschlossen. 
Bemerkenswert  findet  der  Verfasser  an  dem  ge- 
schilderten Fall  das  plötzliche  Auftreten  des 
Exanthems  und  die  nachhaltige  Wirkung  des 
Argentum  colloidale,  das  mit  einem  Schlag  das 
Krankheitsbild  dauernd  veränderte. 


(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  3.) 


R. 


Praktische    Lehren    aus    der    Beobachtung    von 
aber  hundert  Fällen  von  Eklampsie.     Von 

Barton  Cooke  Hirst  in  Philadelphia. 

Hirst  wendet  sich  zunächst  gegen  die  Be- 
hauptung, die  auf  Grund  statistischer  Erhebungen 
aufgestellt  war,  daß  nämlich  Frauen  mit  Nephritis 
nicht  besonders  disponiert  zu  Eklampsie  sein 
sollen.     Er   hält    diese   Ansicht   für   entschieden 


212 


Ratbtatt. 


r 


Therapeutisch« 


falsch  udcI  irreführend.  Wenn  es  bei  Frauen 
mit  Nephritis  selten  zur  Eklampsie  komme,  so 
liege  der  Grand  darin,  daß  die  Schwangerschaft 
meistens  durch  Abort  oder  Frühgeburt  ihr  Ende 
finde,  und  ferner  darin,  daß  solche  Frauen  in 
der  Regel  schon  längere  Zeit  hindurch  unter 
vorsichtiger  diätetischer  Behandlung  ständen.  — 
Das  wichtigste  Warnungszeichen  bei  drohender 
Eklampsie  ist  stetig  zunehmende  Albuminurie. 
Die  Fälle,  in  denen  der  Harn  unmittelbar  vor 
Ausbruch  der  Krämpfe  kein  Eiweiß  enthält,  sind 
zu  selten,  um  charakteristische  Bedeutung  zu 
haben.  —  In  der  Behandlung  ist  Hirst  von 
der  unbedingten  Ausführung  des  Accouchement 
force  allmählich  zurückgekommen;  da  er  dabei 
einige  Male  tödlichen  Ausgang  durch  Shock  hat 
eintreten  sehen.  Er  beschränkt  sich  zuerst  da- 
rauf, die  Elimination  der  Toxine  durch  ab- 
führende und  schweißtreibende  Mittel,  auch 
durch  Aderlaß,  zu  befördern  und  die  Krämpfe 
durch  Chloralhydrat  zu  stillen.  Erst  wenn  der 
Muttermund  spontan  einigermaßen  geöffnet  ist, 
schreitet  er  zur  Entleerung  des  Uterus.  —  Um 
die  arterielle  Spannung  herabzusetzen,  verwendet 
Hirst  Veratrum  viride  und  hat  damit  gute  Er- 
fahrungen gemacht.  Auch  empfiehlt  er,  Schild- 
drüsentabletten zu  demselben  Zwecke  zu  ver- 
suchen. 

(Therapeut™  gazette  1904,  JVb.  2.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

Zur  Prophylaxe  and  Therapie  dea  Schreib-  und 
Musikkrampfes.  Von  Prof.  Dr.  J.  Zablu- 
dowski  (Berlin). 

Im  letzten  Jahre  mehrte  sich  die  Zahl  der- 
jenigen Personen,  welche  in  der  Massageanstalt 
wegen  Schreib-  beziehentlich  Musikkrampfes 
Hilfe  suchten.  Einerseits  waren  es  junge  Kauf- 
leute und  ältere  Bureaubeamte,  andererseits 
Schülerinnen  der  verschiedenen  Berliner  Musik- 
konservatorien. Die  Zahl  der  männlichen  Musik- 
kranken war  im  Vergleich  zu  derjenigen  der 
weiblichen  eine  nur  geringe.  Wir  wissen  zwar, 
daß  im  allgemeinen  eine  nervöse  Disposition  bei 
den  Schreibkrampf  kranken  vorliegt,  aber  dennoch 
sind  eine  ganze  Menge  von  Umständen,  die  die 
Erschöpfung  und  den  Krampf  einerseits  ver- 
schulden, aber  andererseits  auch  gut  machen 
können,  zu  berücksichtigen,  und  es  verlohnt  sich, 
der  Gewohnheit  des  einzelnen  näher  nachzu- 
forschen und  auf  Ablenkung  von  den  und  jenen 
Gewohnheitsfehlern  zu  sehen.  Wie  manchem 
Schreiber  schon  der  Gebrauch  eines  vierkantigen 
Federhalters  statt  eines  runden,  eines  dicken 
statt  eines  dünnen,  eines  rauhen  statt  eines 
glatten  hilft,  so  hilft  es  dem  Geiger,  der  „sich 
die  Nerven  durchgespielt  hat"  and  Stiche  in  den 
Fingerspitzen  der  linken  Hand,  den  Daumen 
ausgenommen,  beim  Spielen  bekommt,  wenn  auf 
die  meistbeteiligten  Finger  ein  Schutzfingerling 
gezogen  wird.  Namentlich  auch  pädagogische 
Maßnahmen  gehören  dazu,  um  durch  kleine 
Tricks  im  Hinsetzen,  im  Papierhalten,  im  Arm- 
halten, im  Halten  des  Halters  den  Schreibenden 
in  passendere  Gewohnheiten  zu  bringen.  Für 
die  Schüler  höherer  Schulen  empfiehlt  sich  vor 
allen    Dingen    die    Erlernung    der   Stenographie, 


zum  mindesten  für  den  „Hausbedarf";  und  für 
die  Prophylaxe  ist  die  Schreibmaschine  von 
höchstem  Nutzen.  Denn  beim  Maschinenschreiben 
kommt  eine  ganze  andere  Gruppierung  der  ar- 
beitenden Muskeln  zu  stände  als  beim  Schreiben 
mit  der  Feder.  In  Sonderheit  für  den  mit  der 
Feder  Schreibenden  wird  das  Maschinenschreiben 
zu  einer  Heilgymnastik.  (Die  Möglichkeit  der 
physischen  und  geistigen  Abwechslung  gerade 
bei  der  Zuhilfenahme  der  Schreibmaschine  ist 
der  Empfehlung  einer  solchen  sehr  dienlich.  Ref.) 

Kommt  man  bei  dem  Beeinflussen  der  ersten 
Anfänge  des  Schreibkrampfes  nicht  mehr  weiter 
mit  der  verbesserten  Hand-  und  Körperhaltung, 
so  empfiehlt  es  sich,  einen  Teil  der  Mittelhand 
und  des  Handgelenkes  mit  einer  elastischen 
Schnur,  und  zwar  am  besten  mit  einem  Schlauch, 
zu  umschnüren.  Ganz  besonders  nützlich  erweist 
sich  in  Fällen,  in  welchen  sich  der  Krampf  da- 
durch äußert,  daß  nach  dem  Schreiben  von 
wenigen  Zeilen  der  Zeigefinger  sich  krümmt  und 
um  einige  cm  sich  von  seiner  Anfangslage  am 
vorderen  Ende  des  Federhalters  zurückzieht,  die 
von  Zabludowski  empfohlene  Zusammenbindung 
des  Zeigefingers  mit  dem  Federhalter.  Aus- 
nahmsweise kann  für  kurze  Zeit  auch  mal  die 
linke  Hand  herangezogen  werden. 

Um  die  Muskel&pannungen  der  jugendlichen 
und  gar  noch  kindlichen  Hand  beim  Klavierspiel 
zu  schonen,  veranlaßte  Zabludowski  (Über 
Schreiber-  und  Pianistenkrampf,  Leipzig  1901, 
Breitkopf  &  Härtel)  den  Bau  von  Klavieren, 
deren  Klaviatur  eine  kleinere  ist,  und  zwar  ist 
die  Breite  der  einzelnen  Tasten  eine  kleinere; 
solche  Klaviere  nannte  Zabludowski  Jugend- 
klaviere. Auch  das  Virgil-Technik-Klavier  und 
die  Resonanzverstärkung  des  Klaviers  behufs 
nachdrucksvolleren  legato- Spieles  durch  den 
Seminarlehrer  Dr.  Moser  für  die  Unterstützung 
der  sog.  Selbsttechnik  und  der  musikalischen 
Pädagogik  sind  noch  zu  beachten.  Die  Wirkung 
der  Massage  als  stoffwechselfördernden  Mittels 
erweist  sich  in  allen  Fällen  von  Übermüdung 
als  eine  günstige. 

(Prag.  Med.  Wochenschr.  1904,  No.  16  u.  17.) 

Arthur  Rahn  (CoUmJ. 

Beil  rag  zur  Frage  der  gemisohten  Hedonal-Chloro- 
formnarkose.  Von  E.  D.  Podhoretzki. 
In  der  gynäkologischen  Klinik  von  Feno- 
menoff  (St.  Petersburg)  wurde  nach  den  gün- 
stigen Erfahrungen,  welche  Krawkow  mit  der 
Hedonai- Chloroformnarkose  gemacht  hatte,  don 
zu  chloroformierenden  Frauen  1  Stunde  vor  der 
Operation  2,0  Hedonai  in  Tablettenform  mit 
durchaus  günstigem  Resultate  gegeben.  Die 
Narkose  trat  schneller  ein  und  unter  Verbrauch 
einer  geringeren  Chloroformquantität,  als  bei  allei- 
niger Anwendung  von  Chloroform.  Unangenehme 
Wirkung  auf  Herz  und  Atmung  wurde  mit 
Ausnahme  einer  vorübergehenden  Asphyxie  nicht 
beobachtet.  Erbrechen  trat  selten  ein.  Aller- 
dings ist  die  Zahl  der  vorgenommenen  Narkosen 
(50)  eine  kleine,  welche  ein  endgültiges  Urteil 
nicht  gestattet. 

(Deutsch,  med.  Wochenschr.  1904,  Ho.  50.)      Falk. 


XIX.  Jahrgang.  1 
April  1906.    J 


Raffcrate. 


213 


Watserzufahr  vor  Beginn  der  Chloroformnarkose. 

Von  M. Deuuce. 

Durch  reflektorische  Schluckbewegungen  ge- 
langen bei  jeder  Chloroformnarkose  nicht  un- 
bedeutende Mengen  von  Chloroform  in  den  Magen 
und  üben  auf  dessen  Schleimhaut  einen  Reiz  aus, 
der  sich,  in  Erbrechen  während  und  nach  der 
Narkose  äußert.  Um  diesem  Übelstand  zu  be- 
gegnen, ist  Denuce  auf  den  Gedanken  ge- 
kommen, jeden  seiner  Patienten  vor  Einleitung 
der  Narkose  eine  bestimmte  Menge  Wasser 
trinken  zn  lassen,  um  die  verschluckten  Chloro- 
formdämpfe zu  verdünnen  und  so  den  Reiz  der- 
selben auf  die  Magenwandungen  zu  vermindern. 
Er  ging  in  der  Weise  vor,  daß  er  iya  Stunden 
vor  der  Operation  ein  großes  Glas  frischen 
Wassers  und  nach  jeder  weiteren  halben  Stunde 
bis  zur  Einleitung  der  Narkose  dieselbe  Menge 
trinken  ließ.  Das  letzte  Glas  nahmen  die  Pat. 
unmittelbar  vor  Aufgießen  des  Chloroforms. 
Sie  erhielten  insgesamt  4  große  Gläser,  d.  i. 
800  g  Wasser.  Die  von  Denuce  ausge- 
führten Operationen  dauerten  gewöhnlich  10  bis 
25  Minuten,  einige  eine  Stunde  und  länger. 
Der  Erfolg  war  stets  ein  vorzüglicher.  Kein 
Patient  hatte  jemals  während  oder  nach  der 
Operation  Erbrechen  oder  die  geringste  Nausea, 
und  auch  das  getrunkene  Wasser  behielten  die 
Patienten  stets  bei  sich. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  105.     Oazette  hebdoma- 
daire  des  sciences  med.  d.  Bordeaux  1904,  No.  52.) 

Ritterband  (Berlin). 

Die  Leberdralnage.    Von  Dr.  John  B.  Deaver, 
vom  deutschen  Hospital  in  Philadelphia. 

Deaver  hat  auf  der  diesjährigen  Versamm- 
lung der  British  medical  association  zu  Oxford 
den  gegenwärtigen  Standpunkt  der  Gallenblasen- 
chirurgie kurz  dargelegt.  Nach  einleitenden  Be- 
merkungen über  die  Ursachen  der  Cholelithiasis, 
welche  in  letzter  Linie  stets  in  einer  Infektion 
zn  suchen  sind,  bespricht  er  die  Indikationen 
für  den  chirurgischen  Eingriff  und  die  einzelnen 
Operationsmethoden.  Die  früher  für  die  ideale 
Methode  gehaltene  einfache  Cholecystotomie  ohne 
Drainage  wird  jetzt  meistens  verworfen  und 
durch  die  Cholecystostomie,  d.  h.  die  Eröffnung 
der  Gallenblase  mit  Drainage  ersetzt.  Deaver 
vernäht  nur  dann  die  Ränder  der  Öffnung  in 
der  Gallenblase  mit  dem  Peritoneum,  wenn  das 
Drainrohr  lange  Zeit  liegen  bleiben  soll.  In 
anderen  Fällen  begnügt  er  sich  damit, .  das  Drain- 
rohx  in  die  eröffnete  Gallenblase  einzustülpen 
und  dort  mittels  einer  Beutelnaht  zu  befestigen. 
Eine  andere  Methode  der  Drainage  besteht  in 
der  Cholecystenterostomie ,  d.  h.  in  der  Her- 
stellung einer  Anastomose  zwischen  Gallenblase 
und  Darm.  Am  besten  geeignet  ist  dazu  natur- 
gemäß das  Duodenum;  falls  dieses  jedoch  nicht 
günstig  liegt,  so  läßt  sich  auch  das  Ileum,  ja 
sogar  der  Dickdarm  dazu  verwenden,  ohne  daß 
nachteilige  Folgen,  wie  etwa  eine  aufsteigende 
Infektion,  zu  befürchten  wäre.  Bei  der  Choledocho- 
ektotomie,  der  Drainage  des  Ductus  choledochus, 
zur  Entfernung  von  Konkrementen  im  Ductus 
hepaticns  begnügt  sich  Deaver  mit  der  Be- 
festigung   des   Drainrohrs    im   Choledochus    und 


führt  es  nicht  bis  in  den  Hepaticus  hinauf;  in 
der  Regel  schließt  er  jedoch  die  Cholecystostomie 
gleich  an  diese  Operation  an.  —  Die  Chole- 
cystektomie oder  völlige  Entfernung  der  Gallen- 
blase ist  nur  indiziert  bei  Hydrops  der  Gallen- 
blase oder  chronischer  Entzündung  mit  Schrump- 
fung, abgesehen  von  Gangrän,  Empyem  oder 
Karzinom.  —  Die  Hepatotomie,  ohne  daß  ein 
Abszeß  vorhanden  ist,  verwirft  Deaver  völlig 
als  nutzlos  und  zu  gefährlich  wegen  der  Blutung. 

(British  medical  Journal  1904.  1.  Okt.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

Die  „Choledochnsfege".  Von  Prof.  Kehr,  Halber- 
stadt. 

Kehr  veröffentlicht  ein  Verfahren,  welches 
sich  ihm  in  drei  Fällen  zur  Entfernung  von 
Gallensteinen  und  Steinbröckeln  aus  dem  retro- 
duodenalen  Teil  des  D.  choledochus  gut  bewährt 
hat.  Nach  Entfernung  der  Gallenblase  und  Spal- 
tung des  Cysticus  und  Choledochus  bis  an  das 
Duodenum  heran  sucht  er  zunächst  die  im  retro- 
duodenalen  Teile  festsitzenden  Steine  leberwärts 
zu  verschieben,  um  sie  mit  geeigneter  Zange  zu 
entfernen.  Hierbei  kann  die  Ablösung  des  Duo- 
denum nach  Kocher  von  Vorteil  sei».  Gelingt 
es  aber  nicht,  den  Stein  zu  verschieben,  so  macht 
Verf.  die  Duodenotomie,  spaltet  die  Papille  und 
führt  eine  Klemme  durch  die  Papille  in  den 
Choledochus  ein.  Mit  der  Klemme  wird  ein 
feiner  feuchter  Mullstreifen  duodenalwärts  her- 
ausgezogen und  so  der  Choledochus  „ausgefegt". 
Di  es  muß  unter  Umständen  mehrmals  wieder- 
holt werden,  da  Steinbrocken,  welche  sich  der 
Palpation  entzogen,  stets  entleert  werden.  Nach- 
dem dann  ein  feines  Gummirohr  in  den  Chole- 
dochus bis  an  die  Papille  gelegt  ist,  wird  das 
Duodenum  wieder  durch  Naht  geschlossen  und 
die  Nahtlinie  durch  Netz  gesichert.  Zum 
Schlüsse  wird  auch  der  Hepaticus  drainiert.  Die 
drei  derartig  operierten  Fälle  verliefen  glatt. 

(Zentralbl.  f.  Chirurgie  1904,  No.  28.) 

Wendel  (Marburg). 

(Ans  dem  städtischen  K ranken haoi  am  Urban  In  Berlin.) 

Ober  die  chirurgische  Verwendbarkeit  von  Per- 
hydrollösongen  (Mercksches  Wasserstoff- 
superoxyd). Von  Dr.  Alfred  Frank  (Char- 
lottenburg). 

Das  Wasserstoffsuperoxyd  Merck  wurde  im 
städtischen  Krankenhaus  am  Urban  (Berlin)  in 
1  proz.,  3  proz.  und  10  proz.  Lösung  vorwiegend 
bei  schweren  Phlegmonen,  stark  sezernierenden 
Osteomyelitiden ,  putriden  Empyemen,  Karbun- 
keln, Drüsen  Vereiterungen,  übelriechenden  Mittel- 
ohreiterungen u.  s.  w.  angewandt.  Besonders  bei 
Uteruskarzinomen  hat  es  sich  nicht  nur  als  ein 
gutes  Desinficiens  und  Desodorans,  sondern  in 
gewissen  Grenzen  auch  als  Haemostaticum  er- 
wiesen. Die  Verbandstoffe  sind  für  Wasserstoff- 
superoxyd nicht  ganz  unempfindlich;  so  zerreißt 
Leinwand,  die  längere  Zeit  in  Ha03- Lösungen 
getaucht  ist,  sehr  schnell.  Zum  Schutze  der 
Bettwäsche  ist  daher  ein  Umhüllen  der  Ver- 
bände mit  wasserdichtem  Stoff  notwendig.  Das 
Wasserstoffsuperoxyd  hat  sich  als  ein  sehr  wert- 
volles   Verbandmittel    bewährt.      Es     kann    bei 


214 


TThara] 
L  Moni 


kpeattekc 


allen  schweren  Eiterungen  und  besonders  zur 
gleichzeitigen  Beseitigung  übler  Wundgerüche 
empfohlen  werden. 

(Allgem.  med.  Zentralzeitung  47,  1904.)  R. 

Ober  die  Abreißungen  der  Scheide  und  des  musku- 
lösen Beckenbodens  als  Ursachen  von  Genital- 
prolaps. Von  Prof.  Schatz  (Rostock). 
Schatz  sucht  in  der  entweder  ohne  Verletzung 
des  Scheidenrohres  oder  mit  einer  seitlichen 
Schlitzung  der  Scheide  erfolgenden  Abreißung 
der  seitlichen  Befestigung  der  Scheide  Tom  Arcus 
tendineus,  besonders  aber  in  den  bei  schweren 
Zangengeburten  erfolgenden  Quetschungen  und 
Abreißungen  des  Levator  ani  von  seinem  Ansatz 
eine  der  häufigsten  Ursachen  des  Scheidenvorfalles. 
Da  diese  Abreißungen  durch  zu  vorzeitiges 
Pressen  verursacht  werden,  ferner  durch  zu  frühe 
Anlegung  der  Zange  oder  bei  früher  Extraktion 
am  Steiß,  so  wird  er  diese  beiden  letzteren 
Eingriffe  vermeiden,  eventuell  soll  man  bei 
Steißlage  schon  während  der  Schwangerschaft 
die  Wendung  auf  den  Kopf  vornehmen.  Frühes 
Mitpressen,  besonders  aber  der  schädliche  Ge- 
brauch von  Gurten  zum  Zwecke  des  leichteren 
Pressens,  ist  zu  verbieten;  falls  eine  Abreißung 
der  Scheide  zu  befürchten,  macht  Schatz  außer 
einer  prophylaktischen  Damminzision  eine  Inzision 
der  Scheide  bis  mindestens  zur  halben  Höhe 
in  der  Verlängerung  der  Inzision  der  Vulva, 
und  zwar  hinten- seitlich  (Paraproktalschnitt), 
um  so  die  seitliche  Abreißung  der  Scheide  zu 
vermeiden.  Schatz  bemerkt  aber  selbst,  daß 
für  den  Praktiker,  der  nicht  geübter  Spezialist 
ist,  die  Operation  weniger  in  Frage  kommt  als 
für  den  Kliniker. 

(Münch.  meä\  Wochenschr.  1903,  No.  44)        Falk. 

Ober  die  Anwendung  hoher  Dosen  von  Seeale 
cornutum  in  der  Geburtshilfe.  Von  Dr.  Fritz 
Burger  (Koburg). 

Burger  huldigt  der  Ansicht,  daß  die  meisten 
Arzte  bei  der  Verordnung  von  Seeale  cornutum 
zu  ängstlich  vorgehen  und  viel  zu  kleine  Dosen 
verschreiben.  Er  selber  verordnet  seit  11  Jahren 
in  jedem  Falle  geburtshilflicher  Tätigkeit  meist 
vor  Beginn  des  operativen  Eingriffes  0,5 — 1,5 
Ergotinum  dialysatum  in  Lösung  per  os,  nach 
beendeter  Geburt  aber  immer  ein  Infus  von 
Seeale  cornutum  35,0  :  180,0  Aq.  dest.  mit  20,0 
Sirup.  Rubi  idaei,  stündlich  ein  Eßlöffel  zu  geben. 
Selbst  in  den  schwierigsten  und  ungünstigsten 
Fällen  hatte  er  bei  dieser  Medikation  in  seiner 
ausgedehnten  Praxis  keinen  letalen  Ausgang  zu 
verzeichnen.  Trotz  dieser  hohen  Seealedosen 
konnte  er  auch  niemals  irgend  welche  Erschei- 
nungen von  Ergotismus  beobachten. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  35,  1904.)  R. 

Die  Therapie  der  Otitis  media  acuta.  Von  Dr. 
K.  Spira. 

Die  konservative  Behandlungsart  Z  auf  als, 
mit  der  Trommelfellparazentese  bis  zum  7  oder 
8  Krankheitstage  zu  warten,  findet  an  dem  Verf., 
der  auf  Grund  langjähriger  Erfahrung  urteilt, 
keinen  Verfechter.     Wenn   man  die  akute  nicht 


eitrige  von  der  akuten  eitrigen  Mittelohrent- 
zündung scheidet,  so  verfährt  Spira  bei  der 
letzteren  folgendermaßen: 

Da  es  sich  um  einen  Entzündungsprozeß 
handelt,  wird  Antiphlogose  angewendet  in  Form 
von  2 — 4  Blutegeln  hinter  dem  Ohre,  kalten 
Umschlägen.  In  das  Ohr  wird  Karbolglyzerin 
oder  Phenolsalyl  mit  Glyzerin  (1  :  10 — 15)  event. 
unter  Zugabe  von  Kokain  eingeträufelt.  Innerliche 
Salizylpräparate,  bei  starken  Schmerzen  Lakto- 
phenin,  Antipyrin. 

Ist  nach  dreitägiger  Behandlungsdauer  das 
Fieber  nicht  mäßiger,  der  Schmerz  geringer,  die 
Hervorwölbung  des  Trommelfells  kleiner  ge- 
worden, dann  wird  unbedingt  zur  Parazentese 
geschritten.  Von  diesem  Eingriff  sah  Verfasser 
niemals  üble  Folgezustände,  sodaß  er  Jansen 
vollkommen  beipflichtet,  besser  einmal  zu  viel 
als  einmal  zu  wenig  die  Parazentese  zu  vollführen. 
Zu  diesem  vom  Verf.  beobachteten  stets  guten 
Endausgange  gehört  aber,  sich  nach  durchge- 
führter Parazentese  jedweder  Polypragmasie  zu 
enthalten,  wie  öfteres,  zu  frühes  und  zu  intensives 
Ausspülen  des  Ohres,  Einträufeln  von  Ohrtropfen, 
Lufteinblasungen  u.  s.  f. 

In  den  ersten  Tagen  ist  vollkommen  kon- 
servativ zu  verfahren,  speziell  die  Lufteinblasungen 
sind  ganz  zu  unterlassen;  sind  einmal  akut-ent- 
zündliche Erscheinungen  und  die  Schmerzen 
vorüber,  dann  kann  erst  zum  Ausspülen  des 
Ohres  geschritten  werden. 

(PrzegUul  lekarski  Xo.  31,  1904.) 

Gabel  (Lemberg). 

Ober  die  Hautkrankheiten  im  Säuglingsalter  und 
ihre  Behandlung.  Von  Dr.  Eugen  Neter 
und  Dr.  Hanns  Roeder,  ehem.  Assist  am 
Kaiser  Friedrich- Krankenhaus  in  Berlin  (Prof. 
Dr.  A.  Baginsky). 

Die  Verfasser  behandeln  im  Zusammenhange 
die  wichtigsten  Hautkrankheiten  der  Säuglinge. 
Den  breitesten  Platz  nimmt  die  Beschreibung 
der  Therapie  ein.  Zwei  vernachlässigte  and 
doch  therapeutisch  außerordentlich  wichtige 
Punkte  werden  bei  den  einzelnen  Abschnitten 
genau  erörtert,  nämlich  die  Art  der  Applikation 
der  Medikamente,  dann  der  Zusammenhang  der 
meisten  Hautkrankheiten  mit  intestinalen  Ver- 
änderungen. 

(Berliner  Klinik,  Heft  189,  Doppelheft  Mär»  1904.) 
Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

(Auf  Dr.Unnai  Dermatologicam  in  Hamburg.) 
Ober  Hefeseifen.    Von  Dr.  Dreuw  (Hamburg). 

Die  therapeutischen  Erfolge  der  Hefeprä- 
parate bei  den  verschiedensten  Erkrankungen 
haben  Dreuw  veranlaßt,  die  Hefe  in  einer 
ökonomischen  und  angenehmen  Form  zu  appli- 
zieren, wie  es  besonders  in  der  Dermatologie 
erwünscht  ist,  und  zwar  als  überfettete  Hefeseife 
mit  anderen  medikamentösen  Zusätzen,  als: 
Salizylsäure,  Schwefel,  Ichthyol,  Borax  and 
Benzoe.  Als  Hauptindikation  hebt  er  hervor 
die  Anwendung  bei  Akne  des  Gesichtes,  des 
Halses  und  des  Rückens,  bei  Follikulitiden 
und  Furunkelbildung,  namentlich  in  Form  der 
Salizyl-  Schwefel  -Hefeseife.     Die   Wirkung    läßt 


XIX.  jAlurgang.1 
April  1905.    J 


Referate. 


215 


sich  abstufen:  Am  schwächsten  bei  gründlichem 

Einseifen    und    nachherigem    Abspülen,    stärker 

ist    sie,    wenn  man   die  Seife   eintrocknen  läßt, 

am    energischsten    wirkt    sie,    wenn    man    nach 

Auftragen    der  Seife    die  Hautstelle    mit    einem 

wasserdichten  Stoff  bedeckt.     Ferner   kann  man 

noch  mit  der  Seife  Massage  Tornehmen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.    1904,  Nr.  27.) 

Arthur  Rahn  (CoUm). 

Kasein-Albumoseseife.  (Eine  neutrale  und  auch 
beim  Gebrauche  neutralbleibende  Seife.)  Von 
Dr.  Ernst  Delbanco  (Hamburg). 

Selbst  die  besten  neutralen  Seifen  erleiden 
bei  der  Hydrolyse  eine  Abspaltung  freien  Alkalis, 
welches  auf  empfindliche,  ganz  besonders  auf 
ekzematöse  Haut  eine  unangenehme  Reizwirkung 
ausübt.  Delbanco  teilt  nun  die  Herstellung 
einer  Seife  mit,  welcher  durch  Hinzufügung  von 
Kasein-Albumose  die  Eigenschaft  verliehen  wird, 
das  beim  Gebrauch  frei  werdende  Alkali  sofort 
zu  binden.  Die  Darstellung  geschieht  folgender- 
maßen: Rindertalg,  dem  ]/s  des  Gewichtes 
Olivenöl  beigemischt  ist,  wird  mit  Natron-  und 
Kalilauge  (im  Verhältnis  von  66,6 :  33,3  ge- 
mischt) von  12  —  lö°Beaume  verseift.  Die  Kern- 
seife wird  mit  Chlorkalium  ausgesalzt,  sodann 
wird  der  Seife  Kasein-Albumose  zugefügt;  nach 
eingetretener  neutraler  Reaktion  wird  bis  zu 
7  Proz.  überfettet.  Die  Vorzüge  dieser  Seife 
bestehen  darin,  daß  dieselbe  1.  als  solche  neutral 
ist,  2.  das  bei  der  Hydrolyse  frei  werdende 
Alkali  bindet,  3.  weil  überfettet,  der  Haut  das 
beim  Waschen  entzogene  Fett  ihr  wieder  zu- 
führt, 4.  wegen  ihres  Gehaltes  an  Kasein-Albu- 
mose vorzüglich  schäumt,  und  zwar  5.  ebensogut 
in  kaltem,  wie  warmem  Wasser.  Zugleich  wird 
durch  den  Kasein-Albumosegehalt  die  Konsistenz 
der  Seife  erhöht;  der  Seifenschaum  besteht  zum 
großen  Teile  aus  geschlagenem  Eiweiß.  Die 
Kasein-Albumoseseife  erlaubt  die  Einverleibung 
wichtiger  Medikamente,  vor  allem  des  Teers  und 
der  Balsame.  Die  Herstellung  einer  flüssigen 
ebenfalls  mit  5 — 6  Proz.  überfetteten  Kasein- 
Albumoseseife  wird  in  Aussicht  gestellt. 

(Monatshefte  für  prakt.  Dermatologie  Bd.  38,  No.  11.) 

Ober  die  Verwertung  dea  Styptidns  In  der  uro- 
logischen Praxis.  Von  Dr.  Eduard  Kögl 
(Wien). 

Bei  einem  79  jährigen  Mann ,  der  seit 
20  Jahren  an  den  Erscheinungen  der  Prostata- 
hypertrophie mit  konsekutiver  schwerer  Cysto- 
pyelitis  litt  und  zuletzt  viermal  täglich  wegen 
kompletter  Retention  katheterisiert  werden  mußte, 
trat  plötzlich  stark  blutig  verfärbter  Harn  auf, 
vermutlich  infolge  parenchymatöser  Blutung  aus 
der  Prostata.  Spülungen  mit  kaltem  Wasser 
blieben  erfolglos.  Nach  rektaler  Applikation 
von  2,5  g  Antipyrin  wurden  die  Blasenspülungen 
mit  10  proz.  Stypticinlösungen  fortgesetzt.  Als 
das  Spülwasser  nur  noch  schwach  blutig  tingiert 
zurückfloß,  wurde  ein  Gelatinestäbchen  mit  0,03 
Stypticin  in  die  Urethra  prostatica  eingelegt; 
weiterhin  bekam  Pat.  je  2  Stypticintabletten 
3  stündlich   innerlich.     Nachdem   an   den  beiden 


folgenden  Tagen  noch  zweimal  mit  einer  5  proz. 
Lösung  des  Mittels  gespült  war,  war  am  dritten 
Tage  nicht  nur  die  Blutung  völlig  erloschen, 
sondern  der  vorher  stets  trübe  Harn  war  jetzt 
auch  völlig  aufgehellt. 

Ebenso  konnte  Verf.  durch  interne  An- 
wendung von  6  Stypticintabletten  pro  die  durch 
Blasenpolypen  verursachte  Blutungen  in  24  Stun- 
den erheblich  mildern  und  am  2.  oder  3.  Tage 
völlig  zum  Schwinden  bringen. 

Prompt  wirkte  das  Mittel  auch  bei  Hämaturien 
zweier  Frauen,  die  an  chronischer  Cystopyelitis 
nachHarnretention  und  Katheterismus  im  Wochen- 
bette litten,  nicht  minder  gegen  die  terminalen 
Blutungen  bei  Urethritis  acuta  posterior. 

(Monatsberichte  für  Urologie  1904,  9.  Band,  2.  Heft.) 
Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Ober  den  diagnostischen  Wert  der  Uroskople 
bei  den  chirurgischen  Erkrankungen  der 
Harnorgane.    Von  Dr.  S.  Grosglik. 

Verf.  bespricht  in  erster  Reihe  den  dia- 
gnostischen Wert  der  Thompson  sehen  zwei 
Gläser-Methode  und  hebt  die  Schwierigkeit  der 
Lokalisation  des  Krankheitsprozesses  bei  trüber 
zweiter  Harnportion  hervor.  Speziell  das  Vor- 
handensein von  geschwänzten  Epithelien  —  früher 
als  Diagnosticum  eines  Nierenbeckenleidens  an- 
gesehen ,  —  hat  nach  den  diesbezüglichen  Unter- 
suchungen Bizzozeros  ganz  an  Bedeutung  ver- 
loren. 

Akuter  Beginn,  terminale  Hämaturie,  Stö- 
rungen hauptsächlich  seitens  der  Blase  deuten 
—  besonders  wenn  in  der  Anamnese  Gonorrhöe 
oder  Katheterismus  zu  finden  ist  —  für  den  Sitz 
des  Leidens  in  der  Blase.  Ist  aber  Blut  oder 
Eiter  beiden  Harnportionen  zugemengt  bei 
fehlenden  vorherrschenden  Blasensymptomen,  ist 
der  Beginn  des  Leidens  ein  mehr  chronischer, 
dann  muß  an  eine  Erkrankung  der  Niere  oder 
des  Nierenbeckens  gedacht  werden.  Die  Cysto- 
skopie,  der  Ureterenkatheterismus,  event.  dos  ge- 
sonderte Auffangen  beiderseitiger  Harnportionen 
unter  Anwendung  des  Urinseparators  weisen  auf 
die  krankhafte  Nierenseite  hin. 

Wichtiger  aber  für  den  Chirurgen  ist  es 
zu  erfahren,  ob  die  als  gesund  angesehene  Niere 
so  weit  funktionsfähig  ist,  daß  an  eine  Exstir- 
pation  der  krankhaften  gedacht  werden  kann. 

Die  Beantwortung  dieser  Frage  gehört  durch- 
aus nicht  zu  den  leichtesten  Problemen,  denn 
wie  einerseits  ein  Fehlen  von  abnormen  Bei- 
mischungen wie  Eiweiß,  Eiter,  Blut  absolut 
nicht  von  der  vollkommenen  Funktionsfähigkeit 
der  betreffenden  Niere  zeugt,  so  kann  anderseits 
die  Niere  trotz  Vorhandensein  dieser  abnormen 
Beimischungen  vollkommen  funktionsfähig  sein, 
da  diese  Bestandteile  dem  Nierenbecken  oder 
bloß  einem  kleinen  Nierenabschnitt  entstammen 
können,  wobei  in  letzterem  Falle  der  andere 
Teil  der  Niere  kompensatorisch  eingreift. 

Zwei  Punkte  sind  es,  worauf  man  seine  be- 
sondere Aufmerksamkeit  richten  muß,  erstens 
auf  die  Dichtigkeit  des  Harnes,  indem  gesunde 
Nieren  in  ein  und  derselben  Zeiteinheit  ein 
gleiches  Quantum  vollständig  gleichartigen  Urins 
sezernieren,  —  event.  wenn  die  dazu  notwendige 


216 


Referate. 


rTherapeutijche 
L   Monatsheft«. 


Harnmenge  (50  cm3)  nicht  erhältlich  ist  —  auf 
die  Gefrierpunktsbestimmung  des  Harnes  nach 
Koranyi  und  zweitens  auf  die  Eliminations- 
fähigkeit der  Niere  gegenüber  fremdartigen  ad 
hoc  in  den  Blutkreislauf  eingeführten  Substanzen, 
das  ist  die  Methylenblau-    und  Phloridzinprobe. 

Alle  diese  Methoden  sprechen  aber  bloß 
von  den  eliminierten,  nicht  aber  von  der  Quanti- 
tät und  Qualität  der  im  Blute  zurückbehaltenen 
Teile.  Hier  träte  die  Bestimmung  des  Blut- 
gefrierpunktes in  ihre  Rechte.  Doch  diese 
Methode  versagt  manchmal,  wie  Verf.  einen 
Fall  zitiert,  wo  trotz  evidenter  Erniedrigung 
des  Blutgefrierpunktes  (8  =  0,73)  die  Ent- 
fernung der  krankhaften  Niere  von  vollem  Er- 
folg begleitet  war.  Denn  nach  Entfernung  der 
kranken  Niere  verschwindet  im  Organismus  die 
Quelle  gefährlicher  Toxine,  welche,  solange  sie 
ins  Blut  übergehen,  das  Gewebe  der  gesunden 
Niere  vergiften  und  auch  auf  die  Blutkonzen- 
trationen wesentlich  bestimmend  einwirken. 

Schließlich  weist  der  Yerf.  darauf  hin,  daß 
man  niemals  den  allgemeinen  Zustand  des 
Kranken  übersehen  darf. 


Medycyna  No.  40,  41,  1904.) 


Oabel  (Lemberg). 


Zur  Abortiv -Behandlung  der  akuten  Gonorrhoe. 

Von  Prof.  S.  Bettmann,  Heidelberg. 

Bis  anf  Blaschko  sind  die  meisten  Autoren 
von  der  Abortivbehandlung  abgekommen,  weil 
sie  öfter  unangenehme  Zufälle,  Verschlimmerungen 
und  Komplikationen  im  Gefolge  hatte.  Das  gilt 
sowohl  vom  'Argent.  nitr.  wie  von  der  Janet- 
schen  Kalipermang.-Spülung.  Außerdem  sollen 
die  Gonokokken  so  rasch  in  die  Tiefe  dringen, 
daß  ein  antibakterielles  Mittel  sie  auch  sehr 
wenige  Tage  nach  der  Infektion  nicht  mehr  er- 
reichen könne. 

Dem  letzteren  Einwand  gegenüber  betont 
Bett  mann,  daß  bei  der  frischen  Gonorrhoe  in 
den  ersten  Tagen  die  Kokken  doch  noch  wesent- 
lich intraepithelial  zu  finden  sind,  andrerseits 
aber  Protargol  und  ähnliche  Mittel  auch  eine 
gewisse  Tiefenwirkung  ohne  Gewebskoagulation 
ausüben  und  durch  Anregung  stärkerer  seröser 
Transsudation  tiefer  gedrungene  Keime  ausge- 
stoßen werden  können.  Letzteres  erreicht  er 
durch  Glyzerinzusatz. 

Die  ersterwähnten  üblen  Zufälle  glaubte  Verf. 
nach  den  günstigen  Erfahrungen  bei  der  Gonor- 
rhoe prophy  laxe  durch  Anwendung  der  20  pro- 
zentigen  Auflösung  von  Protargol  in  Glyzerin- 
wasser vermeiden  zu  können1)  und  er  fand  diese 
Vermutung  auch  durch  die  Erfahrung  —  fast 
50  Proz.  Abortivheilungen  —  bestätigt. 

Mit  diesem  Medikament  pflegt  er  die  Urethra 
bis  zu  sechs  Tagen  je  einmal  täglich  gründlich 
auszupinseln  und  zwar  mit  einem  in  Metall- 
hülse gesteckten  Haarpinsel,  was  er  für  wirksamer 
hält  als  das  Einspritzen. 

*)  10  g  Protargol  werden  auf  45  g  kaltes 
Wasser  in  einer  flachen  Porzellan  schale  aufge- 
schichtet und  ruhig  bis  zur  völligen  Lösung  stehen 
felassen.  Dann  Zusatz  von  Glyzerin  ad  100,0. 
>er  Pinsel  ist  jedesmal  zu  erneuern. 


Bei  dieser  Methode,  die  übrigens  auch  bei 
vollentwickelter  Gonorrhoe  noch  Erfolg  hat,  haben 
die  Patienten  keine  Beschwerden.  Die  erste  Aus- 
pinselung  pflegt  eine  ziemlich  intensive  dünn- 
flüssige Sekretion  anzuregen,  die  aber  schon  vom 
zweiten  Tage  an  verschwindet. 

In  seine  Statistik  hat  Verf.  nur  Erstinfek- 
tionen aus  den  ersten  drei  bis  fünf  Tagen  auf- 
genommen, die  bisher  nicht  behandelt  und  frei 
von  Komplikationen  waren,  um  reine  Beobach- 
tungen der  Abortivheilung  zu  erhalten. 

Auch  die  negativen  Kesultate  zeigten  milden 
Verlauf  ohne  jede  Komplikation.  Aus  diesen 
Gründen  hält  Verf.  weitere  Prüfung  seines  Ver- 
fahrens, das  der  Argentum  nitricum-  und  der 
Jan  et  sehen  Behandlung  überlegen  ist,  für  empfeh- 
lenswert, da  es  bei  Beschränkung  auf  geeignete 
Fälle  gute  Aussicht  auf  Erfolg  bietet9). 

(Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  28.) 

Esch  (Bendorf). 

(Aut  der  Universitätsklinik  für  Syphilis  und  Hautkrankheiten 
in  Breslau.) 

Zincum  «ulfuricum  oder  Sllberaalze  bei  der  Go- 
norrhöebehandlung?  Von  Dr.  M.  Julius- 
berg. 

Nachdem  Neißer  darauf  hingewiesen  hat,  daß 
das  Argentum  nitricum,  wie  überhaupt  die  Silber- 
salze, zu  den  besten  gono kokkentötenden  Mitteln 
gehört,  hat  es  trotz  der  vielen  zum  Ersatz  em- 
pfohlenen Mittel  seinen  Platz  in  der  Gonorrhöe- 
therapie behauptet.  In  der  Breslauer  Klinik,  in 
der  gewöhnlich  das  Protargol  für  die  Fälle  von 
Gonorrhoea  anterior  bevorzugt  wird,  kommt  das 
Argentum  nitricum  vorzugsweise  zur  Behand- 
lung der  Gonorrhoea  anterior  (mit  Zuhilfenahme 
Guyonscher  Instillationen  in  1/i  proz.  Lösung) 
in  Anwendung. 

Trotz  aller  Empfehlungen  der  Silbersalze 
und  anderer  gonokokkentötender  Mittel  spielen 
aber  doch  immer  noch  das  alte  Zincum  suifuricum 
und  ähnliche  Adstringentien  eine  große  Rolle  in 
der  Therapie  der  Gonorrhöe.  Dabei  ist  jedoch 
sicher  festgestellt,  daß  fast  immer  die  so  be- 
stehenden Erfolge  der  Zincum  suifuricum -Be- 
handlung nur  Scheinerfolge  sind  und  daß  mit 
dem  Aussetzen  der  Behandlung  sehr  häufig  das 
Leiden  in  wenigen  Tagen  rezidiviert.  Die  thera- 
peutisch verwendbaren  Zincum  suifuricum -Lösun- 
gen wirken  weder  entwicklungshemmend  noch 
abtötend  auf  Gonokokken.  —  Um  sich  von  neuem 
ein  Urteil  über  den  Wert  des  Zincum  suifuricum 
zu  bilden,  hat  Juliusberg  dasselbe  neuerdings 

s)  Der  Behandlung  mit  antibakteriellen  Mitteln 

fegen  über  betont  v.  Bergmann  (Ärztl.  Fortb.  1904, 
Ib.  1) :  „Innerhalb  lebenden  Gewebes  kann  man 
keine  Bakterien  abtöten.  Das  Mittel  tötet  viel 
eher  die  menschlichen  Zellen  als  die  Bakterienzelle. 
Aber  wenn  es  nicht  vernichtend  und  ätzend  wirkt, 
lähmt  es  die  Gewebe  und  damit  auch  diejenigen 
Stoffe  und  schützenden  Körper  in  ihnen,  die  der 
Bakterien  Vegetation  hemmend  entgegentreten.  Als 
Ersatz  für  die  Injektionsbehandlunc  hat  Ref.  den 
u.  a.  von  Die  hl  (Der  Prießnitz.  München  1904) 
empfohlenen,  hyperämisierend  und  osmotisch  wir- 
kenden Guttaperchaprießnitz  als  sehr  wirksam  er- 
probt. 


XIX  Jahrgang."] 
April  1906.    J 


Referate.  —  Toxikologie. 


217 


bei  einer  größeren  Anzahl  von  Tripperkranken 
versucht,  and  er  ist  dabei  zu  dem  Resultate 
gelangt,  daß  der  Gebrauch  dieses  alten  Mittels 
bei  Gonorrhöe  durchaus  nicht  zu  empfehlen  ist. 
Wenn  auch  vielleicht  Zincum  sulfuricum  zur 
Nachbehandlung  des  Katarrhs  der  Harnröhre 
nach  Torausgegangener  Behandlung  mit  einem 
gonokokkentötenden  Mittel  verwendbar  ist,  so 
ist  es  für  das  Anfangsstadium  der  Gonorrhöe 
durchaus  unbrauchbar. 

Den  Praktikern  darf  immer  noch  am  meisten 
die  Protargolbehandlung  empfohlen  werden,  und 
zwar  in  Form  von  Injektionen  von  i/A — !/a  Proz. 
Protargol  (mit  Zusatz  von  3  Proz.  Antipyrin) 
drei-  bis  viermal  taglich,  je  10 — 15  Minuten 
in  der  Harnröhre  zu  behalten.  Die  Protargol- 
lösungen  müssen  „frigide  et  recenter"  her- 
gestellt werden;  die  Injektionsspritzen  müssen 
mindestens  15  ccm  enthalten,  und  der  Patient 
muß  lernen,  wirklich  einzuspritzen  und  die 
Harnröhre  zu  füllen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  4,  1905.)  R. 


Die    Verminderung    der  Finnenkrankheit.     Von 

J.  Hirsch berg,  Berlin. 

Wahrend  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts die  Finnenkrankheit  des  Auges  bei 
uns  recht  häufig  war,  sodaß  ein  Fall  auf  1000 
kam,  so  ist  seit  beinahe  einem  Jahrzehnt  von 
Hirschberg  kein  Fall  mehr  beobachtet  worden. 
Die  Finnenkrankheit  entsteht  bekanntlich  durch 
den  Genuß  von  rohem  oder  ungenügend  ge- 
kochtem Schweinefleisch  oder,  was  jedenfalls 
nicht  ausgeschlossen  ist,  und  falls  der  Schweine- 
bandwurm vorhanden  ist,  durch  Selbstinfektion 
mit  Bandwurmeiern. 

Es  ist  für  Hirschberg  kein  Zweifel,  daß 
das  fast  völlige  Erlöschen  der  Krankheit  durch 
die  gründliche  Fleischschau  in  Berlin  zu  er- 
klaren ist.  Anderseits  läßt  sich  nicht  verkennen, 
daß  die  Finnenkrankheit  beim  Schwein  sich  um 
das  Doppelte  vermindert  hat,  vielleicht  weil  die 
auslandischen  Tiere,  die  starker  durchseucht 
sind,  strenger  untersucht  werden. 

(BerL  klin.  Wochenschrift  1904,  No.  25.)    H.  Rosin. 


Toxikologie. 


Eine  merkwürdige  Wirkung  der  Crocusaufnahme. 
Von  Dr.  Mulert  in  Meißen  (Originalmitteilung). 

In  Lewins  „ Nebenwirkungen  der  Arznei- 
mittel" findet  sich  unter  Crocus  folgende 
Angabe:  „Bestritten  wurde  die  alte  Mitteilung, 
daß  eine  Schwangere,  die  sehr  lange  Crocus 
genommen  hatte,  zwei  gelbgefärbte  Kinder 
geboren  habe  und  daß  experimentell  sich 
Ähnliches  von  einer  trächtigen  Hündin  habe 
erweisen  lassen.  So  unwahrscheinlich  die 
Angabe  auch  klingt,  so  kann  sie  richtig  sein, 
da  andere  Farbstoffe  Ähnliches  veranlassen." 
Da  ich  Gelegenheit  hatte,  einen  ähnlichen 
Fall  zu  beobachten,  halte  ich  es  für  ange- 
bracht,  denselben  zu  veröffentlichen: 

Frl.  X.,  am  Ende  der  Gravidität  (letzte  Men- 
struation 23.  Juni)  kommt  am  28.  März  in  Behand- 
lung, weil  plötzlich  ein  Schüttelfrost  aufgetreten 
ist  T.  38,0.  Objektiv  laßt  sich  kein  Grund  für 
das  Fieber  finden.     Ordination:  Bettruhe. 


«1 1 

i    1 

tt  - 

| 

fl 

n 

| 

K 

39 

A. 

A 

/» 

vv 

A 

*    \ 

/\ 

/\ 

'l 

v  \ 

/\ 

A 

A 

A 

j? V 

2SLM 

MM 

JUT 

tr 

ur 

\ 
dff- 

/    S 

29.  März.  Wieder  ein  Schüttelfrost,  T.  38,5. 
Objektiv  nichts  nachweisbar.  Über  Nacht  Beginn 
der  Wehen. 

Am  30.  März  Entwicklung  eines  in  Schädel- 
lage befindlichen  Kindes  mittels  Ritt  gen  sehen 
Handgriffes.  Leichter  Dammriß.  Naht  desselben. 
Auffallend  ist,  daß  sowohl  das  Frucht- 
wasser,  wie   das  Innere   der  Placenta   und 


die  Haut  des  Kindes  goldgelb  gefärbt  ist. 
Patientin  gesteht,  daß  sie  im  Anfang  der  Schwanger- 
schaft mehrfach  Safran  genommen  hat.  Nachmittag 
tritt  wieder  ein  Schüttelfrost  auf  (T.  39,0).  Zu  der- 
selben Zeit  sieht  auch  das  Kind  etwas  dyspnoisch 
aus,  zittert  und  hat  eine  Temperatur  von  38,0. 

31.  März.  Zwei  äußerst  heftige  Schüttelfröste 
mit  Temperaturen  bis  41,8,  die  nach  einigen  Stunden 
unter  Schweißausbruch  wieder  zur  Norm  abfallen. 
Weder  an  den  Lungen,  noch  am  Herzen,  noch  am 
Abdomen  irgend  etwas  Krankhaftes  nachweisbar. 

Ordin.:  Chinin,  sulf.  0,8,  in  Kapseln,  dreimal 
täglich. 

6.  April.  Die  Fiebersteigerangen  sind  täglich 
geringer  geworden  und  seit  heute  ganz  verschwun- 
den (siehe  Kurve). 

Irgend  eine  das  Fieber  bedingende  Krankheit 
hat  sich  nicht  herausgestellt.  Der  Dammriß  ist 
glatt  geheilt.  Das  Kind  ist  am  dritten  Tage  schnell 
verstorben. 

Die  Erklärung  dieser  Beobachtung  ist 
nicht  ganz  leicht.  Sie  hängt  innig  zusammen 
mit  der  Frage  nach  dem  Ursprung  des  Frucht- 
wassers. Dieses  wird  wohl  heute  allgemein 
als  ein  Transsudat  aus  dem  mütterlichen 
Blute  angesehen,  wenn  auch  nicht  bezweifelt 
werden  kann,  daß  sich  in  der  letzten  Zeit 
der  Schwangerschaft  Urin  des  Fötus  bei- 
mengt. Auf  beiden  Wegen  wäre  es  an  sich 
möglich,  daß  der  Farbstoff  des  Crocus  in  das 
Fruchtwasser  gelangt  wäre,  also  entweder 
als  direktes  Transsudat  aus  dem  mütter- 
lichen Blute  durch  die  Eihäute  oder  durch 
den  Plazentarkreislauf  und  die  fötalen  Nieren 
im  Harn  ausgeschieden.  Ich  will  nun  zu- 
nächst auseinandersetzen,  warum  mir  dieser 
letztere  Weg  durch  den  Fötus  wenig  wahr- 
scheinlich ist.  Zahlreiche  Autoren  haben  die 
Frage   des   Überganges    von   Farbstoffen   aus 


218 


Toxikologie. 


rTherftpeutbehe 
L   Mon&tahefto. 


dem  mütterlichen  Blute  durch  die  Placenta 
auf  den  Fötus  untersucht.  Die  meisten  von 
ihnen,  wie  Hoffmann  und  Langerhans1), 
Zassinsky9),  Ahlfeld3),  Fehling4),  sind 
hierbei  zu  einem  negativen  Resultate  ge- 
kommen. Immerhin  stehen  diesen  auch  einige 
positive  gegenüber:  A.  Mars6)  stellte  im 
Jahre  1880  Versuche  an  trächtigen  Kaninchen 
an,  denen  er  teils  suspendierte  Farbstoffe, 
teils  Fett,  teils  mikrokokkenhaltige  Flüssig- 
keiten in  den  Kreislauf  injizierte.  In  der 
Zeit  von  15  Minuten  bis  5  Stunden  konnte 
er  die  geformten  Elemente  im  Blute  des 
Fötus  nachweisen.  Er  ist  der  Ansicht,  daß 
die  meisten  früheren  Versuche  deshalb  negativ 
waren,  weil  man  zu  spät  nach  der  Injektion 
untersuchte,  wo  sich  der  Farbstoff  bereits  in 
den  Organen  abgelagert  hatte.  Reiz6)  fand 
nach  der  Injektion  von  Zinnober  in  die  Vena 
jugularis  eines  trächtigen  Kaninchens  den 
Farbstoff  in  den  Blutcoagulis  des  Herzens 
und  in  den  Gehirnkapillaren  des  Fötus. 
Wenn  also  auch  die  Möglichkeit  zugegeben 
werden  kann,  daß  Farbstoffe  durch  die  Pla- 
centa in  den  fötalen  Kreislauf  übergehen,  so 
ist  es  doch  in  diesem  Falle  unwahrscheinlich, 
daß  der  Crocusfarbstoff  auf  diesem  Wege  in 
das  Fruchtwasser  gelangt  ist.  Denn  die 
Safranaufnahme  der  Mutter  fand  hier  nur  in 
den  ersten  Wochen  der  Schwangerschaft  statt, 
wo  ein  Funktionieren  der  fötalen  Nieren  aus- 
geschlossen ist.  Es  bleibt  also  nur  übrig, 
daß  der  Crocusfarbstoff  durch  Transsudaten 
aus  dem  mütterlichen  Blute  in  das  Frucht- 
wasser gelangt  ist. 

Der  Safran  enthält  erstens  ein  wahr- 
scheinlich giftiges  ätherisches  Öl  und  zweitens 
den  Safranfarbstoff  „Crocin".  Die  genannten 
Stoffe  haben  in  diesem  Falle,  obwohl  die 
Schwangere  häufig  Safran  gegessen  hat,  zu- 
nächst keine  Vergiftungserscheinungen  erzeugt. 
Ebensowenig  haben  sie  den  Abort  hervor- 
gerufen. Wahrscheinlich  sind  die  Einzeldosen 
zu  gering  gewesen.  Infolgedessen  sind  die 
Gift-  und  Farbstoffe  wohl  teilweise  wieder 
ausgeschieden,  teilweise  aber  auch  im  Frucht- 
wasser deponiert  und  so  zunächst  für  die 
Mutter  unschädlich  gemacht  worden.  Auch 
dem  Fötus  haben  die  geringen  Mengen,  die 
er  etwa  mit  dem  Fruchtwasser  verschluckt 
hat,  während  des  intrauterinen  Lebens  nicht 
geschadet.  Bekanntlich  treten  nun  schon 
einige    Tage    vor    der    Entbindung    für    die 

')  Virchows  Archiv,  Bd.  48. 

3)  Virchows  Archiv,  Bd.  40. 

3)  Zentralbl.  f.  Gynäkologie  1877. 

*)  Archiv  f.  Gynäkologie,  Bd.  XI,  p.  529. 

5)  Przeelad  lekarskie,  August  1880,  No.33— 35. 
Referat  im  Zentralbl.  f.  Gynäkologie  1881,  No.  1. 

6)  Bericht  d.Wien.  Akademie,  math.-naturw.  Kl. 
1868,  Abt.  LVII,  8-10. 


Schwangere  unmerkliche  Wehen  auf.  Viel- 
leicht haben  diese  eine  Lockerung  und  ein 
Undicht  werden  der  Eihäute  verursacht,  wo- 
durch ein  Teil  des  Giftstoffes  in  den  mütter- 
lichen Kreislauf  überging.  Dadurch  entstanden 
die  Temperatursteigerungen  vor  der  Entbin- 
dung. Während  der  Entbindung  nun  wurde 
massenhaft  Giftstoff  in  die  eröffneten  Venen 
aufgenommen,  wodurch  dann  die  heftigen 
Steigerungen  entstanden,  die  erst  allmählich 
durch  Ausscheidung  des  Giftes  abklangen. 
Die  gelbe  Farbe  des  Kindes  ist  wohl  durch 
den  monatelangen  Aufenthalt  in  der  Farbstoff- 
lösung zur  Genüge  erklärt.  Daß  das  Kind 
selbst  ähnliche  Vergiftungserscheinungen  zeigte 
und  am  dritten  Tage  verstorben  ist  (leider 
habe  ich  es  nicht  mehr  gesehen),  kann  wohl 
so  erklärt  werden,  daß  es  bei  oder  kurz  vor 
der  Entbindung  mehr  Fruchtwasser  verschluckt 
hat.  Über  die  Giftwirkung  des  Crocus  findet 
sich  bei  Binz7),  daß  bei  Tieren  nach  In- 
jektion starker  Grocusinfuse  nachhaltige  Wärme- 
steigerung und  mäßige  Betäubung  eintrat, 
eine  Tatsache,  die  man  wohl  zur  Erklärung 
meiner  Beobachtung  heranziehen  darf. 


Praktische  Jf  otlsen 
und 
empfehlenswerte  Anneifo] 


ein. 


Behandlung  der  Otitis  externa  mit  organischen 
Schwefelpräparaten.  Von  Dr.  Carl  Kassel, 
Posen.     (Originalmitteilung). 

Vor  einigen  Monaten  wurde  mir  ein  Patient 
überwiesen,  der  seit  Wochen  an  Furunkulose 
des  äußeren  Gehörganges  litt  und  bei  dem  die 
bisherige  Behandlung  nicht  zur  Heilung  geführt 
hatte,  trotzdem  sie  durchaus  lege  artis  geleitet 
war.  Ich  versuchte  nun  eines  der  organischen 
Schwefelpräparate,  Thigenol,  und  zwar  führte 
ich  Wattetampons,  die  mit  ihm  getränkt  waren, 
zweimal  täglich  ein.  Dabei  beobachtete  ich 
nun  die  überraschende  Wirkung,  daß  die  Schmerz* 
haftigkeit  sofort  aufhörte,  daß  die  schon  abs- 
zedierten Furunkel  in  kürzester  Zeit  zur  Heilung 
kamen  und  daß  die  Abszedierung  weiterer  bei 
der  ersten  Untersuchung  vorhandener  Infiltrate 
schmerzlos  erfolgte.  Der  äußere  Gehörgang  war 
in  kaum  einer  Woche  geheilt.  Rezidive  sind 
seither  nicht  eingetreten.  —  Ein  anderer  Patient 
konsultierte  mich  wegen  stechender  Schmerzen 
in  einem  Ohr,  die  bei  jedem  Öffnen  des  Mundes 
sich  ins  Unerträgliche  steigerten.  Der  äußere 
Gehörgang  zeigte  keine  Rötung  und  Schwellung; 
die  hintere  Wand  war  auf  Druck  schmerzhaft 
Es  lag  eine  tief  sitzende,  äußerlich  noch  nicht 
sichtbare  Infiltration  vor.  Ich  legte  einen  Thiol- 
Tampon  ein,  den  ich  nach  24  Stunden  entfernte. 
Die  Schmerzen   waren   verschwunden.     Ich  ver- 

7)  Binz,  Grundzüge  der  Arzneimittellehre  1891. 


XIX.  Jahrgang.! 
April  1905.    J 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


219 


ordnete  ihm  nun  Thiol  als  Ohrtropfen,  zweimal 
täglich  einzugießen,  und  sah  ihn  nach  einer 
Woche  wieder.  Nun  lag  ein  spontan  geöffneter 
Abszeß  der  Hinterwand  des  äußeren  Gehörganges 
vor,  die  Abszedierung  war  ohne  jeden  Schmerz 
erfolgt.  Die  Heilung  trat  jetzt  in  wenigen 
Tagen  unter  Tamponbehandlung  ein.   — 

Ich  behandelte  seitdem  20  Falle  von  Otitis 
externa  circumscripta  und  diffusa  mit  den  ver- 
schiedenen organischen  Schwefelpräparaten  (Ich- 
thyol, Thiol,  Thigenol  und  Isarol).  Sie  sind  in 
ihrer  Wirkung  alle  gleich  trotz  ihres  verschieden 
Gehaltes  an  Schwefel.  Da  aber  schon  der  dritte 
von  mir  behandelte  Patient  aussagte,  daß  die 
Schmerzen  nur  wenig  nachließen  —  es  war  schon 
Abszeßbildung  eingetreten  — ,  setzte  ich  seitdem 
mit  gutem  Erfolge  10  Proz.  Anästhesin  zu. 

Eine  Resorption  von  Infiltraten  habe  ich 
zweimal  beobachtet,  alle  anderen  führten  zur 
Abszedierung.  Diese  aber  erfolgte  schnell  nnd 
meist  ganz  schmerzlos.  Die  Heilung  erfolgte 
dann  rasch. 

Diabetes  lag  in  keinem  der  Fälle  vor. 

Der  Tamponbehandlung  gebe  ich  den  Vor- 
zug vor  der  Anwendung  der  Präparate  als 
Tropfeneingießungen ;  denn  jene  ist  zwar  mehr 
oder  weniger  schmerzhaft  bei  Einführung  der 
Tampons,  scheint  mir  aber  den  Prozeß  abzukürzen. 

Bemerkung  bei  der  Korrektur.  Seit 
Einsendung  dieses  Referates  hat  sich  meine  Ver- 
suchsreihe bedeutend  vergrößert.  Ich  bin  mit 
den  Erfolgen  der  Tamponbehandlung  mit  10-proz. 
Zusatz  von  Anästhesin  zu  Thigenol  etc.  andauernd 
zufrieden. 

Über  Glassers  Conduraogo-Elixir.  Von  Dr.  Go- 
liner,  Erfurt.  (Originalmitteilung.) 
Es  gibt  eine  sehr  häufige  Form  der  Dys- 
pepsie, bei  welcher  eine  übermäßige  Bildung  von 
Säuren  im  Magen  krankhafte  Erscheinungen  her- 
vorruft, wie  Druck  oder  Schmerz  in  der  Magen- 
gegend und  Sodbrennen.  Dieser  Dyspepsie  mit 
saurem  Mageninhalt  liegen  abnorme  Gärungs- 
vorgänge zugrunde.  Die  im  Magen  enthaltenen 
Kohlehydrate  gehen  einerseits  die  Buttersäure- 
gärung ein,  bei  welcher  als  Hauptprodukte  Milch- 
säure, Butter-  und  Kohlensäure  sowie  Wasserstoff 
auftreten.  Leube  vermutet,  daß  trotz  des  stark 
sauren  Mageninhaltes  ein  Mangel  an  Säure  der 
Gärung  zugrunde  liege.  Der  gestörte  Verdauungs- 
chemismus, welcher  bekanntlich  im  Geleite  fast 
sämtlicher  Magenkrankheiten  als  besonderes 
Symptom  hervorzutreten  pflegt,  beruht  nicht 
allein  auf  einer  Funktionsstörung  der  Magensaft- 
drüsen, sondern  auch  auf  mangelhaften  Bewe- 
gungen des  Magens,  wodurch  nicht  alle  Teilchen 
des  Speisebreies  mit  dem  Magensaft  in  innige  Be- 
rührung kommen.  Ferner  kann  ein  Stagnieren 
des  Mageninhaltes,  sei  es  wegen  Verengerung 
des  Pylorus,  sei  es  infolge  mangelhafter  Re- 
sorption, Anlaß  zu  Verdauungsstörungen  geben, 
indem  das  Liegenbleiben  der  für  die  Aufsaugung 
fertigen  Peptone  im  Magen  die  Umwandlung 
weiterer  Eiweißstoffe  verhindert.  Bei  völlig 
darniederliegender  Resorptionskraft  des  Magens 
kommt  es  oft  genug  zur  Anhäufung  enormer 
Mengen  flüssigen  Mageninhaltes  und  gleichzeitig 


zur  Magenerweiterung.  Die  genossenen  Speisen 
werden  oftmals  nach  tage-  oder  wochenlangem 
Verweilen  im  Magen  in  wenig  geändertem  Zu- 
stande erbrochen,  oder  es  kommt  zu  Zersetzungen 
unter  Entwickelung  von  Fäulnisgasen.  Manche 
Sekrete  wirken  störend  auf  die  Verdauung  ein, 
namentlich  eine  reichliche  Schleimbildung  bei 
Magenkatarrhen,  durch  welche  die  gleichzeitige 
Produktion  eines  sauren  Magensaftes  eingeschränkt 
und  die  von  Schleim  umhüllten  Speisen  dem 
Magensaft  nicht  mehr  zugänglich  sind.  Infolge 
des  Brechaktes  gelangt  oft  Galle  in  den  Magen, 
welche  die  Verdauung  durch  Fällung  des  Pepsins 
aufhebt.  Die  Kranken  klagen  zumeist  über  das 
Gefühl  von  Abspannung  und  Ermüdung,  Auf- 
steigen von  Gasen,  Appetitlosigkeit,  aufgetriebenen 
Leib  und  üble  Geschmacksempfindung  auf  der 
Zunge.  Diese  Erscheinungen  begleiten  sehr  häufig 
den  chronischen  Magenkatarrh,  welcher  bekannt- 
lich die  Gesamternährung  ungünstig  beeinflußt. 
Eine  Disposition  zu  Magenkatarrh  wird  gegeben 
durch  alle  Krankheiten,  bei  welchen  die  Blut- 
zirkulation in  derMagenschleimhaut  beeinträchtigt 
ist,  so  namentlich  durch  Stauungen  im  Pfortader- 
gebiet, wie  sie  bei  Lebercirrhose  vorkommen,  und 
ebenso  bei  allgemeiner  Stauung  im  großen  Kreis- 
lauf bei  Herzkrankheiten  und  manchen  Lungen- 
leiden. 

Bei  der  Behandlung  dieser  krankhaften  Zu- 
stände kommt  es  in  erster  Linie  darauf  an,  neben 
einer  sorgfältig  geregelten  Diät  die  Dyspepsie 
zu  beseitigen,  die  Tätigkeit  der  Verdauungsdrüsen 
anzuregen  und  die  Atonie  der  Magenschleimhaut 
zu  bekämpfen.  Diese  therapeutische  Aufgabe  zu 
erfüllen,  ist  nicht  immer  leicht,  wie  die  Erfahrung 
lehrt.  Alle  bekannten  alkalischen  Mittel,  alle 
Amara,  Tonica  und  Stomachica  werden  oft  ohne 
nennenswerten  Erfolg  gebraucht;  Dyspepsie  und 
Appetitlosigkeit  wollen  nicht  weichen.  Seitdem 
jedoch  Friedreich  in  Heidelberg  auf  die  Con- 
durangorinde  aufmerksam  gemacht  hatte,  hat 
die  erfolgreiche  Therapie  der  dyspeptischen  Zu- 
stände einen  Fortschritt  aufzuweisen.  Die  Con- 
durangorinde  erwies  sich  als  ein  gutes  Tonicum 
und  Stromachicum;  doch  verleidete  ihr  bitterer 
Geschmack  manchem  Patienten  den  Gebrauch 
der  üblichen  Abkochung  der  Rinde.  Viel  zweck- 
mäßiger erweist  sich  das  Codurango-Elixir, 
wie  es  neuerdings  vom  Apotheker  J.  Gl  aas  er 
hergestellt  wird.  Dieses  Präparat  enthält  alle 
wirksamen  Bestandteile  der  Condurangorinde  ge- 
löst in  altem  spanischen  Malagawein  in  Verbin- 
dung mit  Chinarinde  und  aromatischen  Substanzen. 
Das  Elixir  wird  in  zwei  Formen  hergestellt:  mit 
und  ohne  Eisen.  Ich  habe  beide  Arten  des 
Glass ersehen  Elixirs  bei  verschiedenen  Magen- 
affektionen und  anämischen  Zuständen  einer 
Prüfung  unterzogen  und  bin  von  dem  Erfolge 
sehr  befriedigt.  —  Ein  20  jähriges  Mädchen  litt 
seit  längerer  Zeit  an  chronischem  Magenkatarrh 
auf  anämischer  Grundlage.  Schmerz  und  Span- 
nungsgefühl in  der  Magengegend,  gänzlicher 
Appetitmangel,  alle  Speisen,  auch  Milch,  werden 
sofort  erbrochen.  Patientin  erhielt  dreimal  täg- 
lich 1  Likörglas  voll  Condurango-Elixir  Glasser 
cum  ferro  und  schon  nach  zwei  Tagen  begann 
der  Appetit  sich  zu  regen,   Milch  und  Bouillon 


220 


Praktische  Notizen  und  empfehlentwerte  Arzneiformeln. 


tTherapeatiaehe 
Monatshefte. 


wurden  nicht  mehr  erbrochen,  auch  weiche  Eier 
wurden  gut  vertragen.  Acht  Tage  später  konnte 
die  Kranke  unter  Fortgebrauch  des  Elixir  Glasser 
cum  ferro  schon  leichte  Fleischspeisen  genießen. 
Nach  einigen  Wochen  besserte  sich  das  Allgemein- 
befinden derart,  daß  Patientin  ihrer  täglichen 
Beschäftigung  nachgehen  konnte.  Sie  lobt  den 
guten  Geschmack  des  Glass ersehen  Elixirs,  den 
sie  wie  „guten  Weingeschmack"  beschreibt. 
In  drei  anderen  wochenlang  beobachteten  Fällen 
von  chronischem  Magenkatarrh,  die  mit  den 
verschiedensten  Medikamenten  erfolglos  behandelt 
wurden,  gab  ich  Elixir  Gondurango  Glasser 
sine  ferro,  weil  es  sich  hier  nicht  um  anämische 
oder  chlorotische  Zustände  handelte.  Die  lästigen 
Symptome  des  Magenkatarrhs  —  Druck  und 
dumpfe  Schmerzen  nach  dem  Essen,  Aufstoßen, 
Sodbrennen  u.  s.  w.  —  gingen  schon  nach  Ge- 
brauch einer  halben  Flasche  des  Elixirs  erheblich 
zurück;  die  Einzelgabe  betrug  auch  hier  1  Likor- 
glas  voll,  y2  Stunde  vor  jeder  Mahlzeit  zu  nehmen. 
In  einem  Falle  von  heftigem  Darmkatarrh  bei 
einer  durch  mehrere  schwere  Wochenbetten  her- 
untergekommenen 40  jährigen  Frau  erzielte  ich 
durch  den  mehrwöchentlicheo  Gebrauch  von 
Eisen-Condurango-Elixir  nicht  allein  ein  Auf- 
hören des  Darmkatarrhs,  sondern  auch  eine  er- 
hebliche Besserung  des  Allgemeinbefindens.  Die 
vorher  blaß  und  elend  aussehende  Frau  zeigte 
eine  gesunde  Gesichtsfarbe,  hatte  guten  Appetit 
und  nahm  allmählich  an  Körpergewicht  zu.  Auch 
Kinder  vertragen  das  Condurango-Elixir  ganz 
gut,  und  zwar  beträgt  die  Einzelgabe  1/2  Likör- 
gläschen, vor  dem  Essen  zu  nehmen.  Der  an- 
genehme Geschmack  erleichtert  das  Einnehmen 
selbst  bei  sonst  widerspenstigen  Kindern,  welche 
den  gewöhnlichen  Condurangonwein  oder  die 
Abkochung  der  Kinde  beharrlich  zurückweisen. 
Bei  Skrofulöse,  Rhachitis  und  Magendarmkatarrh 
der  Kinder  erwies  sich  das  Elixir  Glasser  mit 
Eisen  als  vortreffliches  therapeutisches  Agens, 
welches  namentlich  auf  die  Verdauung  einen 
nicht  zu  unterschätzenden  günstigen  Einfluß  aus- 
übt. Für  die  Therapie  der  Magen-Darmaffektionen 
sowie  der  auf  veränderter  Blutmischung  beruhen- 
den  konstitutionellen  Krankheiten  ist  das  Condu- 
rango-Elixir Glasser  ein  schätzbares  Mittel. 

Bei  der  schweren  Kapillarbronchitis  mit  Asphyxie 
der  kleinen  Kinder 

hat  0.  Heubner  (Therapie  d.  Gegenw.  Jan.  1905) 
häufig  recht  günstige  Erfolge  mit  folgendem 
Verfahren  erzielt:  Mit  Senfmehl  enthaltendem 
Wasser  (!/3  kg  auf  ungefähr  iy9 1  warmen  Wassers, 
10  Minuten  rühren)  wird  ein  Leinentuch  im- 
prägniert, das  Kind  wird  damit  eingepackt,  mit 
einer  Wolldecke  eingeschlagen,  die  am  Halse 
fest  schließt.  Nach  etwa  10 — 15  Minuten  wird 
Pat.,  dessen  Haut  rot  geworden  ist,  heraus- 
genommen, in  ein  warmes  Bad  gebracht  und 
dann  bis  zur  Schweißbildung  in  einen  lauen 
Wickel  eingeschlagen.  Bei  starker  Kongestion 
oder  intensiver  Schweißbildung  kommt  ein  zweites 
warmes    Bad    und    eventuelle    Übergießung    mit 


kühlem  Wasser  in  Anwendung.  Alsdann  Trocken- 
legung und  Ruhe.  (Eine  ähnliche  revulsive  Be- 
handlungsmethode bei  Kollapszuständen,  Asphyxie, 
Lungenödem  mittels  Species  aromaticae  findet 
sich  seit  30  Jahren  in  den  verschiedenen  Auf- 
lagen von  Rabows  «Arznei Verordnungen"  unter 
Species  aromaticae  (Seite  86)  angegeben.  Dort 
heißt  es  u.  a.:  „Eine  Handvoll  (20—30,0  g) 
Species  arom.  mit  Essig  (1 — 2  1)  gekocht.  Das 
noch  warme  Dekokt  auf  eine  Flanelldecke  zn 
gießen,  diese  auszupressen  und  um  den  Kranken 
zu  wickeln*.) 

Gegen  die  Anfälle  des  Keuchhustens 

empfiehlt    Dr.  Münz    (Neue   Therapie  7,  1904) 
von  der  folgenden  Mixtur: 
Rp.  Antipyrini 

Veronal  £  1,0 

Aquae  destillatae      100,0 

Sirupi  Cinnamomi      20,0 
morgens    und    mittags    1    Theelöffel    und    eine 
halbe  Stunde   vor  dem  Schlafengehen  und  beim 
Schlafengehen  wieder  1  Theelöffel  zu  nehmen. 

Zur  Behandlang  des  akuten  Schnupfens 

gibt  Prof.  Henle  (Deutsche  med.  Wochenschr.  6, 
1905)  eine  neue  Methode  an,  die  er  an  sich 
und  an  4  Patienten  mit  schnellem  Erfolge  er- 
probt hat.  Es  handelt  sich  hierbei  um  die  An- 
wendung der  Bierschen  Stauung  am  Kopfe. 
Die  Stauungsbinde  wird  um  den  Hals  gelegt, 
und  die  Stauung  ist  2  bis  3  Stunden  nach  ein- 
ander anzuwenden.  Zu  starke  Konstriktion  des 
Halses  wird  durch  Gebrauch  des  von  Henle 
angegebenen  Hohlschlauches  vermieden.  Letzterer 
erlaubt  eine  genaue  Dosierung  der  Stauung. 
Der  an  den  Extremitäten  erforderliche  Druck 
von  50 — 60  mm  Hg.  wird  am  Halse  nicht  ver- 
tragen; man  erreicht  jedoch  schon  mit  25  mm 
Quecksilber  eine  genügende  venöse  Stauung. 

Ober  Stillvermögen 

macht  Dr.  G.  Martin  (Arch.  f.  Gynäk.  74.  Bd., 
Heft  3)  praktisch  wichtige  Mitteilungen.  Die 
übliche  Ansicht  von  der  Abnahme  des  Still- 
vermögens ist  durchaus  nicht  stichhaltig.  In 
der  Landes-Hebammenschule  in  Stuttgart  haben 
von  10  178  Müttern,  die  vom  1.  Januar  1884 
bis  31.  Dezember  1903  mit  lebenden  Kindern 
entlassen  worden  sind,  8974  (=  88,2  Proz.)  ge- 
stillt und  in  den  letzten  Jahren  war  die  Still- 
fähigkeit eine  noch  erheblich  günstigere.  Fast 
jede  Frau  vermag  ihr  Kind  so  an  der  Brust  zu 
ernähren,  daß  es  dabei  besser  gedeiht,  als  bei 
Verabreichung  von  Brust  und  Flasche  oder  gar 
Flasche  allein.  „Neigung  oder  Notwendigkeit 
zum  Stillen  gibt  jeder  Frau  das  Vermögen  zum 
Stillen." 

Incontinentia  urlnae 

hat  Dr.  Etterlen  (Contrexeville)  mittels  inner- 
licher Verabreichung  von  Acidum  boricum 
(2  bis  3  X  täglich  ein  Pulver  zu  0,50  g)  bei 
3  Kindern  mit  bestem  Erfolge  behandelt. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  A-Langgaardin  Berlin  8W. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitäts-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  M. 


Therapeutische  Monatsheftee 

1905.    Hai. 

Originalabhandlungen. 


(An*  der  UnireraltaUkUnlk  für  Hautkrankheiten  su  Straß- 
burg 1.  B.    Direktor  Prof.  Dr.  W  o  1  f  f.) 

Über  Pikrinsaureverwendung' 

bet   Hautkrankheiten,   besonders  bei 

Ekzem. ') 

Von 

Dr.  med.  Otto  Meyer,  Assistenzarzt. 

Bei  der  großen  Anzahl  neuer  Präparate, 
welche  unsere  chemische  Industrie  mit  mehr 
oder  minder  Reklame  alljährlich  auf  den 
Markt  wirft,  ißt  es  für  die  dazu  berufenen 
Kreise  eine  Unmöglichkeit  geworden,  über 
Wert  oder  Unwert  jedes  einzelnen  eigene 
Erfahrungen  zu  sammeln.  Manchem  älteren 
Mittel  ist  es  dazu  bei  diesem  Ansturm  be- 
schieden, allmählich  in  Vergessenheit  zu  ge- 
raten; erheben  sich  dann  nach  einer  kürzeren 
oder  längeren  Spanne  Zeit  Stimmen,  welche 
für  seine  Rehabilitierung  oder  Neuanwendung 
auf  anderem  Gebiete  eintreten,  so  findet 
dieser  Ruf  allzu  häufig  nicht  gebührende 
Beachtung,  da  es  gar  manchem  nicht  leicht 
wird,  an  ältere,  sei  es  mit  oder  ohne  Absicht 
fallen  gelassene  Mittel  vorurteilsfrei  heran- 
zutreten. Gehen  diese  Empfehlungen  noch 
dazu  vom  Auslande  aus,  und  sind  sie  dem- 
gemäß in  fremder  Sprache  niedergelegt,  so 
geschieht  es  noch  leichter,  daß  Jahre  ver- 
gehen, bis  man  sich  zu  eingehenderer  Nach- 
prüfung entschließt. 

Dies  ist  in  kurzen  Zügen  auch  das  Schicksal 
der  Pikrinsäure.  Lange  Jahrzehnte  gehört 
sie  schon  dem  deutschen  Arzneischatze  an. 
Jahrzehnte  ist  sie  schon  aus  ihrem  ursprüng- 
lichen Anwendungsgebiete,  der  internen  Medi- 
zin, durch  andere  Präparate  so  gut  wie  voll- 
ständig verdrängt.  In  den  letzten  Dezennien 
vom  Auslande,  besonders  Frankreich  und 
England,  wieder  ans  Licht  gezogen  und  wieder- 
holt mit  den  wärmsten  Empfehlungen  anfangs 
nur  gegen  Verbrennungen,  später  auch  gegen 
andere  Hautleiden,  speziell  gegen  Ekzem 
ausgestattet,  scheint  sie  dennoch  bei  uns  in 
Deutschland    nur    vereinzelten  Eingang    und 


*)  Nach  einem  Vortrage  in  der  Sitzung  des 
nntereUässischen  Ärztevereins  vom  17.  Dezember 
1904. 

Th.  IL  1906. 


noch  lange  nicht  entsprechende  Beachtung 
gefunden  zu  haben. 

Die  Rolle,  die  sie  in  der  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  bei  innerer  Anwendung 
gespielt  hat,  will  ich  nur  kurz  streifen.  In 
der  Therapie  der  Malaria,  der  Trichinosis 
und  der  verschiedenartigsten  Darmschmarotzer, 
wo  man  von  ihr  hauptsächlichsten  Gebrauch 
machte,  dürfte  sie  dieselbe  vollkommen  und 
dauernd  ausgespielt  haben,  durch  rationellere 
Präparate  aus  dem  Felde  geschlagen. 

Die  Empfehlung  ihrer  externen  Verwen- 
dung ging  von  Frankreich  aus,  wo  sie  zuerst 
im  Jahre  1876  von  Curie,  etwas  später  von 
Chiron  und  Vi  gier  zur  Behandlung  von  Ver- 
brennungen herangezogen  wurde.  Bald  wieder 
der  Vergessenheit  anheimgefallen,  traten  erst 
von  1884  ab  von  neuem  der  Chirurg  Thie>y 
und  seine  Schüler  mit  großer  Wärme  für  sie 
ein.  Und  bis  zum  heutigen  Tage  hat  sie 
auf  diesem  Gebiete  reiches  Lob  und  vielseitige 
Anerkennung  gefunden.  Neben  französischen 
sind  es  vor  allem  engliche  Autoren,  welche 
über  ausgiebige  Erfahrungen  mit  ihr  berichten 
und  ihr  wenigstens  bei  den  leichteren  Formen 
der  Verbrennung  (jenen  ersten  und  zweiten 
Grades)  ganz  besondere  "Verzüge  vor  anderen 
Medikamenten  nachrühmen.  Nach  Thiery, 
Power,  Ssila-Novitzky,  Loschzilow, 
Mac  Donald,  Miles,  Mac  Lennan,  M.  See 
und  anderen  bestehen  diese  in  Herabsetzung 
beziehungsweise  Beseitigung  der  Schmerz- 
empfindung, in  einer  schwachen,  aber  doch 
zuverlässigen  desinfizierenden  Wirkung,  zu 
der  sich  noch  eine  besondere  sekretions-  und 
entzündungswidrige  Eigenschaft  geselle,  indem 
sie  —  also  ein  gutes  Adstringens  —  Eiweiß 
koaguliere  und  mit  Epithel-  und  anderen 
Gewebstrümmern  zusammen  feste  Schorfe 
bilde.  Ohne  jede  oder  wenigstens  jede  nennens- 
werte Eiterung  sollen  sich  unter  diesen  glatte, 
weiche  Narben  bilden,  wie  kaum  bei  einer 
beliebigen  anderen  Behandlungsweise.  Da- 
neben führt  man  noch  die  für  die  Praxis 
nicht  zu  unterschätzende  Billigkeit  derselben 
ins  Feld,  da  der  erste  Verbandwechsel  erst 
nach  drei  Tagen  stattfinden  und  meist  ein 
zweiter    oder    dritter   Verband  zur  vollstän- 

17 


222 


Meyer,  Plkrinsäureverwenduiif  bei  Hautkrankheiten. 


digen  Abheilung  genügen  solle.  Allgemein 
empfiehlt  man  wässerige  oder  —  der  leichteren 
Löslichkeit  halber  —  -wässerig-alkoholische 
Lösungen  in  ljA — 1  proz.  Konzentration,  als 
Form  der  Applikation  lokale  Bäder,  Kom- 
pressen, Aufpinselungen  und  feuchte  Verbände. 
Bei  dieser  Tecknik  und  der  Verwendung  nur 
bei  oberflächlicheren  Prozessen  von  nicht  zu 
großer  Ausdehnung  mit  Umgehung  des  Kindes- 
alters will  man  nur  vereinzelte,  vorüber- 
gehende störende  Begleiterscheinungen  zu  Ge- 
sicht bekommen  haben,  bestehend  in  Steigerung 
der  Schmerzhaftigkeit  und  in  vesikulösen 
Dermatitiden  der  Umgebung,  niemals  aber  in 
ausgebreiteteren  Erythemen  und  allgemeinen 
Vergiftungserscheinungen.  Allen  diesen  un- 
erwünschten Zufällen  will  D  e  b  a  c  q ,  ein 
Schüler  Thierys,  dadurch  aus  dem  Wege 
gehen,  daß  er  für  Bäder,  Kompressen  und  Ver- 
bände nur  1  promill.  wässerige,  für  Einpinse- 
lungen 1  proz.  alkoholische  Lösung  vorschlägt 
und  eindringlich  vor '  jeder  Anwendung  der 
Pikrinsäure  in  Substanz  oder  als  Zusatz  zu 
Fetten,  also  in  Salbenform,  warnt;  ebenso 
energisch  weist  er  den  Gebrauch  imperme- 
abler  Stoffe   zu  feuchten  Verbänden   zurück. 

Im  deutschen  Sprachgebiete  ist  man  den 
Pikrinsäureempfehlungen  bei  Brandwunden 
im  allgemeinen  recht  kühl  entgegengetreten. 
Die  große  Mehrzahl  unserer  gebräuchlichsten 
Lehrbücher  tun  seiner  bei  diesem  Kapitel 
überhaupt  keiner  Erwähnung,  andere  drücken 
sich  recht  zurückhaltend  aus.  Als  Beispiel 
dafür  will  ich  am  besten  Jarischs  Ansicht 
hier  wörtlich  wiedergeben,  die  lautet :  „  Trotz 
dieser  günstigen  Wirkung  der  Pikrinsäure  und 
trotz  der  Versicherung  Thierys,  daß  eine 
Allgemeinintoxikation  nur  infolge  technischer 
Fehler  (der  Anwendung  in  Pulver-  und  Salben- 
form) möglich  sei,  wird  man  doch  den  Um- 
stand, daß  die  Pikrinsäure  ein  Blutgift  ist, 
welches  die  roten  Blutkörperchen  zerstört 
und  Hämoglobinurie  verschulden  kann,  nicht 
aus  dem  Auge  verlieren  und  demnach  zu 
deren  Anwendung  vorläufig  nur  mit  großer 
Vorsicht  schreiten  dürfen." 

Weit  günstiger  sind  die  Urteile,  die 
Leistikow  und  vor  allem  Neiß er  hierüber 
fallen.  Sie  heben  beide  die  angeführten 
analgetischen,  antiseptischen  und  kerato- 
plastischen  Eigenschaften  lobend  hervor.  In 
*/a  promill.  Lösung  verwandt,  will  letzterer 
nie  eine  schädliche  Einwirkung  durch  Re- 
sorption beobachtet  haben.  Als  unangenehm 
empfindet  er  dagegen  die  gelbe  Verfärbung, 
die  sich  auf  der  gesunden  Oberhaut  einstellt 
und  mit  der  auch  wir  uns  später  noch  ein- 
gehender zu  befassen  haben  werden. 

Weniger  breite  Verwendung  fand  die 
Pikrinsäure     bei     einer    ganzen    Reihe    von 


rTherapeutiMhe 
L    Monatahflft*. 


Affektionen,  auf  welche  wir  aber,  wenn  auch 
die  Zahl  ihrer  Anhänger  hier  nur  eine  be- 
schränkte geblieben  ist,  der  Vollständigkeit 
halber  kurz  eingehen  müssen. 

Mit  ihrer  Empfehlung  bei  Gonorrhöe  steht 
Frankreich  wieder  an  der  Spitze.  Bei  den 
verschiedensten  Lokalisationen  und  Stadien 
derselben  hat  man  bei  beiden  Geschlechtern 
die  verschiedensten  An wendungs weisen  in 
Vorschlag  gebracht.  Auch  Katarrhe  post- 
blennorrhoischer  Natur,  ja  Urethritiden  tuber- 
kulösen Charakters  mit  mildem  Verlaufe 
sollen  8 ich  für  die  Pikrintherapie  eignen. 
Empfohlen  werden  Injektionen  */a  proz.  oder 
1  proz.  wässeriger  oder  wässerig-glyzerinischer 
Lösung  in  Harnröhre  und  Uterus,  Eingießun- 
gen von  Salben  nach  Tommasoli  und  end- 
lich 1 — 2  proz.  Instillationen  in  den  hinteren 
Harnröhren  abschnitt  mittels  der  Gujon  sehen 
bezw.  Ultzmann sehen  Spritze.  Hier  preist 
man  vor  allem  ihre  antiseptische  Kraft,  ohne 
daß  sich  gleichzeitig  eine  kaustische  Wirkung 
auf  die  Schleimhaut  geltend  mache,  was  ein 
Eindringen  bis  in  die  tiefsten  Schichten  des 
Epithels  ermögliche;  in  zweiter  Linie  hebt 
man  Unschädlichkeit,  Billigkeit  und  leichte 
Herstellungsmöglichkeit  der  Lösungen  hervor. 
Nur  über  ihre  analgetische  Fähigkeit  gehen 
die  Ansichten  weit  auseinander  und  stehen 
sich  teilweise  schroff  gegenüber. 

Balanitiden  verschiedener  Ursache  sollen 
einer  vorzüglichen  Beeinflussung  fähig  sein, 
vor  allem  aber  phagedänische  Ulzerationen, 
wie  sie  sich  unter  anderem  besonders  im 
Verlaufe  der  Helkose  unseren  Augen  präsen- 
tieren. Auch  hier  sollen  heiße,  gesättigte 
Lösungen,  zu  lokalen  Bädern,  zu  Kompressen 
und  feuchten  Verbänden  verwandt,  die  besten 
Resultate  zeitigen.  % 

Auch  andere  harmlosere,  aber  nichts  desto 
weniger  recht  hartnäckige  geschwürige  Pro- 
zesse, vor  allem  Ulcera  cruris,  hat  man  durch 
schwache  Lösungen  von  Pikrinsäure  günstig 
zu  beeinflussen  verstanden. 

Einzelne  Erfolge  will  man  weiter  nicht 
nur  bei  Lupus  und  tuberkulösen  Affektionen 
aufzuweisen  haben,  sondern  auch  in  der  Be- 
handlung von  Epitheliomen.  Dort  streut  man 
nach  Auskratzen  der  kranken  Bezirke  mittels 
des  scharfen  Löffels  die  Pikrinsäure  in  Pulver- 
form auf  die  Wundfläche  auf,  um  einige  Tage 
später  nach  Abfall  der  Schorfe  auf  die  nicht 
mehr  schmerzhaften  granulierenden  Flächen  5 
bis  10  proz.  Salben  zu  applizieren.  Hier  beim 
Epitheliom  sollen  2 proz.  Einspritzungen  in 
die  Knoten  eine  rasche  Rückbildung  der  Neu- 
bildung im  Gefolge  haben,  bei  inoperablen 
Fällen  mit  geschwürigem  Oberflächenzerfall 
Aufpinselungen  rasche  Reinigung  zu  erzeugen 
imstande  sein.     Bei  den  Injektionen,  die  ver- 


XIX.  Jahrgang.! 
Mal  1905.     J 


Meyer,  Fikrinsiureverwendung  bei  Hautkrankheiten. 


223 


suchs  weise  nur  an  Tieren  gemacht  wurden, 
hat  man  wiederholt  unangenehme  Blutungen, 
sogar  mit  letalem  Ausgange,  beobachtet,  wes- 
halb diese  Art  der  Behandlung  der  ent- 
schiedensten Zurückweisung  wohl  nicht  näher 
bedarf. 

Schmerzhafte,  eitrige  Paronychieen,  ein- 
gewachsene Nägel  und  entzündete  Hühner- 
augen sollen  durch  Pikrinsäurelosungen  eben 
so  günstig  beeinflußt  werden  wie  Erysipele, 
in  deren  Verlauf  man  außer  von  der  lokalen 
Applikation  auch  von  der  internen  Verab- 
reichung entschiedene  Vorteile  beobachtet 
haben  will. 

Hauptsächlich  ihrer  schmerzlindernden 
Eigenschaft  wegen  legen  ihr  eine  Reihe  meist 
französischer  Berichterstatter  eine  vorzügliche 
Wirkung  bei  Herpes  zoster  bei.  Auch  hier 
erfolgt  die  Anwendung  in  den  wiederholt 
angeführten  Formen  und  Konzentrationen. 

Allein,  wie  schon  erwähnt,  konnte  die 
Pikrinsäure  mit  Ausnahme  der  Verbrennungen 
auf  keinem  der  angeführten  Gebiete  festen 
Fuß  fassen,  da  uns  hier  weit  überlegene 
Mittel  zu  Gebote  stehen.  Auch  in  der  Therapie 
des  Ekzems,  und  zwar  bei  den  fast  aus- 
schließlich in  Betracht  kommenden  nässenden 
Formen,  war  es  ihr  bis  zum  heutigen  Tage 
noch  nicht  möglich,  sich  einen  unbestrittenen 
Platz  zu  erobern,  wenn  sie  auch  in  den  letzten 
Jahren  besonders  in  Frankreich  bedeutend  an 
Terrain  gewonnen  hat,  und  bereits  eine  kleine 
Literatur  über  ihren  Wert  in  der  Ekzembe- 
handlung vorliegt. 

Hier  ging  ihre  erste  Empfehlung  von 
dem  Italiener  Cerasi  aus;  im  Jahre  1888 
berichtet  dieser  über  sieben,  mit  glänzendem 
Resultate  behandelte  Fälle  von  impetiginösem 
Ekzem,  und  zwar  wandte  er  hier  Pik rin salbe 
neben  wässerig-ätherischer  Lösung  an.  Ihm 
folgte  1896  der  Engländer  Mac  Lennan, 
der  über  günstige  Erfolge  im  akuten,  nässenden 
Stadium,  auch  im  Gesicht  und  auf  dem  Kopfe 
bei  jugendlichen  Individuen,  zu  berichten 
wußte.  Er  pinselt  gesättigte,  wässerige  Lö- 
sung wie  Farblosung  auf,  hält  auch  die  gleich- 
zeitige Inangriffnahme  ausgedehnterer  Haut- 
flachen  für  absolut  gefahrlos  und  hebt  eine 
günstige  Beeinflussung  des  Juckreizes  neben 
ihrem  desinfizierenden  und  adstringierenden 
Werte  lobend  hervor. 

In  Frankreich  machten  Leredde,  Gaucher, 
Aubert,  Brousse,  Debacq,  Brocq  und 
eine  Reihe  anderer  Autoren  von  ihr  mehr 
oder  weniger  ausgiebigen  Gebrauch  und  legten 
ihre  Resultate  in  einer  so  großen  Anzahl  von 
Mitteilungen  nieder,  daß  es  ganz  unmöglich  ist, 
auf  alle  einzeln  hier  einzugehen.  Besnier 
gibt  darüber  in  der  Pratique  dermatologique 
and  Thi^ry    auf  dem   XIII.  internationalen 


Kongreß  zu  Paris  ausführliche  Referate. 
Hier  möchte  ich  nur  in  Kürze  über  die  Art 
und  Weise  des  Vorgehens,  welches  einige 
der  namhaftesten  Berichterstatter  empfehlen, 
und  über  ihre  Indikationen  zu  demselben  be- 
richten. 

Gauch  er  bezeichnet  als  solche  nässende 
Schübe  von  mäßiger  Ausdehnung,  pinselt 
wiederholt  nach  jedesmaligem  Eintrocknen- 
lassen gesättigte,  wässerige  Lösung  auf  und 
appliziert  zum  Schlüsse  einen  Wattedeck- 
verband. 

Auch  Brousse  sieht  in  nässenden  Formen 
die  hauptsächlichste  Anzeige  zur  Pikrinan- 
wendung,  empfiehlt  sie  aber  außerdem  bei 
8eborrhoisch-krustösem  Ekzem  des  Kindes- 
alters. Seine  Technik  ist  die  Thi£ry£, 
also  möglichst  trockene  Anwendung  und  Ver- 
meidung impermeabler  Stoffe  zu  den  Ver- 
bänden. Auch  bei  trockenen,  chronischen,  ja 
lichenifizierten  Fällen  sah  er  einen  günstigen 
Einfluß  auf  den  Juckreiz.' 

Brocq  empfiehlt  wieder  Aufpinselung  mit 
folgendem  Deckverband  oder  solchen  nach 
Auflegen  von  mit  Pikrinsäure  getränkten,  aber 
dann  gut  ausgedrückten  Kompressen.  Mit 
Vorliebe  läßt  er  aber  auch  nach  Eintrocknen 
der  Lösung,  die  je  nach  der  Toleranz  der 
Haut  mehr  oder  weniger  stark  sein  darf, 
Decksalben  verwenden.  Indiziert  sieht  er 
die  Pikrinsäurebehandlung  bei  nässenden, 
akuten  Eruptionen  ohne  allzu  starke  ent- 
zündliche Erscheinungen,  bei  akuten  Nach- 
schüben chronischer  Fälle  und  bei  nässendem, 
seborrhoischem  Ekzem,  wo  ihre  Vorzüge  be- 
sonders in  den  Vordergrund  treten  sollen. 
Außer  in  der  Benutzung  undurchlässiger  Stoffe 
zum  Verbände  erblickt  er  die  Ursache  für 
bisweilen  beobachtete  Mißerfolge  in  indi- 
viduellen Sonderheiten,  also  einer  Art  Idio- 
synkrasie. 

Thiery  selbst,  den  wir  ja  schon  als 
warmen  Anwalt  der  Pikrinsäure  von  den  Ver- 
brennungen her  kennen,  ist  so  felsenfest  von 
ihrer  Ud Schädlichkeit  auch  beim  Ekzem, 
natürlich  unter  Beobachtung  der  Technik, 
überzeugt,  daß  er  so  weit  geht,  nicht  allein 
jede  durch  das  Präparat  hervorgerufene  lokale 
Reizerscheinung  zu  leugnen,  sondern  es  im 
Gegenteil  gerade  gegen  Eruptionen  zu  emp- 
fehlen, wie  sie  nach  Jodoform-,  Salol-,  Sub- 
limat- etc.  Gebrauch  häufig  zur  Beobachtung 
gelangen.  Mit  gleicher  Wärme  tritt  sein 
Schüler  Debacq  für  ihre  Verwendung  gegen 
Arzneiexantheme  ein. 

In  der  deutschen  dermatologischen  Lite- 
ratur konnte  ich  nur  ganz  vereinzelte  Hinweise 
auf  die  Pikrinsäure  in  der  Ekzembehandlung 
finden.  Jarisch,  Joseph,  Lesser,  Leisti- 
kow,    Wolff  erwähnen  dieselbe  bei  diesem 

17* 


224 


Meyer,   Pikrinslureverwendung  bei  Hautkrankheiten. 


("Therapeut 
L    Monateb 


Monatsheft«!. 


Kapitel  nicht,  ebensowenig  tut  dies  Riehl 
in  Penzold  und  Stintzings  Handbuch.  Da- 
gegen spendet  ihr  Neißer  im  Handbuch  der 
praktischen  Medizin  von  Ebstein  und  Schwalbe 
wiederholt  reichliches  Lob.  Er  empfiehlt  bei 
frischen,  nässenden  Fällen  häufigen  Wechsel 
feuchter  Umschläge  mit  '/spromill.  Pikrinsäure- 
lösung und  erklärt  diese  auch  recht  brauchbar 
zu  Dauerverbänden,  ja  selbst  ohne  Ausschluß 
von  Impermeabeln ;  im  Gegenteil  hält  er  letztere 
bei  chronischen  Fällen  für  kaum  entbehrlich 
zur  Erweichung  der  Honischich  t  und  Resorption 
des  Infiltrates.  Gute  Erfolge  sah  er  weiter  von 
Pikrinsäurezusatz  zu  trocknenden  Aufpinse- 
lungen, Tor  allem  aber  yon  lokalen  Bädern. 
Hier  sind  es  besonders  die  manchmal  mit 
nahezu  unerträglichem  Juckreize  einhergehen- 
den After-  und  Genitalekzeme,  die  durch 
Sitzbäder  aufs  gunstigste  beeinflußt  werden 
sollen.  An  ihre  Seite  stellt  er  die  meist 
beruflichen  chronischen  Händeekzeme,  die  auf 
heiße  Lokalbäder  „trotz  der  gelben  Färbung", 
wie  er  sich  ausdrückt,  vortrefflich  reagierten; 
je  nachdem  der  Fall  gelagert,  läßt  er  hier 
nach  dem  Bade  feuchte  oder  Salben  verbände 
anwenden,  eventuell  auch  zu  Pflastern  greifen. 

Im  Verlaufe  der  letzten  Monate  haben 
auch  wir  auf  Anregung  unseres  hochverehrten 
Chefs  bei  verschiedenen  Arten  von  Ekzem 
uns  versuchsweise  der  Pikrinsäure  bedient 
und  damit  recht  beachtenswerte  Resultate 
erzielt  sowohl  bei  stationärer  als  auch  bei 
ambulanter  Behandlung  in  der  Poliklinik.  Ich 
möchte  dies  Besnier  gegenüber  betonen,  der 
die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  man  nur  bei 
der  Möglichkeit  einer  sorgfältigen  Überwachung 
der  Behandlung  von  ihr  Gebrauch  machen 
solle. 

Im  Gegensatz  zu  dem  Gros  der  früheren 
Berichterstatter  und  trotz  der  warnenden 
Stimmen  vor  Anwendung  der  Pikrinsäure  in 
Verbindung  mit  Fetten,  zu  denen  sogar  ihr 
Vorkämpfer  Thiery  gehört,  setzten  wir  es 
zu  */a — 1  Proz.  unserer  gewöhnlichen  Zink- 
Amylum-Paste  zu,  die  ja  unter  Lassars 
Namen  sich  allgemeinster  Verbreitung  erfreut. 
Öfters  machten  wir  diesen  Zusatz  auch  zu 
einer  Grundlage,  die  aus  einem  Gemische 
von  stearinsaurem  Zink  und  flüssigem  Paraffin 
im  Verhältnis  von  1  :  l( — 2)  bestand  und  bei 
sehr  empfindlicher  Haut  meist  viel  besser 
vertragen  wird  als  jene.  Ausnahmsweise  be- 
nutzten wir  auch  eine  aus  gleichen  Teilen 
Vaselin  und  Lanolin  bestehende  Salbe,  oder  wir 
gaben  heiße  Lokalbäder  mit  l\A — 1j91?toz.  Pikrin- 
säurezusatz; diese  wurden  zweimal  am  Tage, 
jedesmal  10  Minuten  lang  verordnet,  hinterher 
Einpuderung  oder  gewöhnlicher  Pastenverband. 

Eine  ganze  Reihe  von  meist  nässenden 
Ekzemen    bei    Erwachsenen    und    auch     bei 


Kindern  gaben  uns  den  Boden  für  unsere 
Versuche  ab.  Bei  jugendlichen  Individuen 
gingen  wir  vorsichtig  zu  Werke,  was  die 
Ausdehnung  der  auf  einmal  damit  in  Be- 
handlung genommenen  Oberfläche  betrifft, 
bei  Erwachsenen  scheuten  wir  uns  dagegen 
nicht,  recht  ausgedehnte  Affektionen  zu  gleicher 
Zeit  in  Angriff  zu  nehmen.  Wiederholt  be- 
handelten wir  Personen,  bei  denen  gut  ein 
Drittel  der  gesamten  Körperoberfläche  er- 
krankt war. 

In  Ätiologie  und  Lokalisation  boten  unsere 
Fälle  ein  recht  buntes  Bild.  Außer  banalen 
akuten,  nässenden  Formen  zogen  wir  chronische 
Unterschenkelekzeme  heran,  chronischeHände- 
ekzeme  auf  meist  professioneller  Grundlage 
und  impetiginöse ,  fast  durchweg  auf  den 
Kopf  lokalisierte  Formen  des  Kindesalters. 
Ein  kleineres  Kontingent  stellten  andere 
Affektionen,  die  durch  Sekundärinfektion  mit 
Eitererregern  ekzematisiert  waren,  wie  z.  B. 
eine  ausgedehnte  Trichophytie  des  Stamme« 
und  eine  Pityriasis  rosea  Gibert,  ein  recht 
umfangreiches  hingegen  der  Typus  des  sebor- 
rhoischen Ekzems.  Eine  Anzahl  dieser  Fälle 
stand  schon  lange  in  unserer  Behandlung, 
ohne  daß  bei  ihnen  bisher  ein  dauernder 
Erfolg  zu  erzielen  gewesen  wäre.  Nach 
Reinigung  der  kranken  Körperteile  mittels 
Öles  oder  Vaselin  von  Krusten  etc.  legten 
wir  unsere  Pasten-  beziehungsweise  Salben- 
verbände an,  nur  in  einigen  Fällen  von  Hände- 
ekzemen gaben  wir  heiße  Lokalbäder. 

Meistens  sahen  wir  schon  nach  2 — 3  Ver- 
bänden, öfters  bereits  am  nächsten  Tage, 
einen  unverkennbaren  Fortschritt,  der  sich  in 
Verminderung  der  Sekretion,  die  vielfach  nach 
einigen  Tagen  vollkommen  sistierte,  äußerte, 
und  womit  eine  rasch  fortschreitende  Epidenni- 
sierung  Hand  in  Hand  ging.  Die  auf  sicherer 
Infektion  beruhenden  Arten,  die  kompli- 
zierenden und  seborrhoischen  Ekzeme,  legten 
daneben  ein  beredtes  Zeugnis  ab  von  der 
desinfizierenden  Kraft  der  Pikrinsäure ;  weniger 
ausgesprochen  trat  uns  die  Juckreiz  lindernde 
Eigenschaft  entgegen;  wohl  konnten  wir  uns 
in  verschiedenen  Fällen  von  einer  derartigen 
Wirkung  überzeugen,  in  anderen  dagegen 
versagte  sie  in  dieser  Beziehung  beinahe 
vollständig. 

Am  auffallendsten,  ja  wiederholt  in 
geradezu  überraschender  Weise  traten  uns 
die  Erfolge  beim  seborrhoischen  Ekzem  ent- 
gegen, das  kraft  seiner  häufigen  Lokalisation 
in  Gelenkbeugen  und  an  Orten,  wo  sich  zwei 
Hautflächen  breiter  berühren,  nicht  nur 
scheinbar  einen  ernsteren  Eindruck  macht, 
sondern  das  sich  auch  in  Wirklichkeit  nicht 
selten  durch  besondere  Hartnäckigkeit  un- 
rühmlich   auszeichnet.     Gerade    einige    Fälle 


J 


XIX.  Jahrgaiig/1 
Mai  1905.     J 


Meyer,   Pikxinilureverwendun?  bei  Hautkrankheiten. 


225 


dieses  Charakters,  die  bisher  auch  der  kon- 
sequentesten und  sorgfaltigsten  Behandlung 
getrotzt  hatten,  gelang  es  uns  in  kuzer  Zeit 
so  zu  modifizieren,  daß  sie  dann  unter  ander- 
weitiger Medikation  bald  zur  definitiven 
Heilung  gebracht  werden  konnten.  Um  jedem 
Mißverständnis  vorzubeugen,  muß  ich  an 
dieser  Stelle  einfügen,  daß  wir  von  der 
Pikrinsäureverwendung  keine  anderen  als  die 
angeführten  Wirkungen  erwarten  dürfen. 
Haben  wir  einmal  fest  epidermisierte;  trockene 
Flächen  vor  uns,  dann  läßt  uns  ihr  Weiter- 
gebrauch vollständig  im  Stich,  und  wir  sehen 
uns  genötigt,  zu  Teer  oder  anderen  ähnlich 
wirkenden  Präparaten  zu  greifen. 

Neben  den  seborrhoischen  waren  es  vor 
allen  anderen  die  professionellen  Händeekzeme, 
bei  denen  wir  mit  der  angeführten  Technik 
die  raschesten  und  schönsten  therapeutischen 
Erfolge  erzielten,  an  dritter  Stelle  kommen 
dann  die  Ekzemkomplikationen,  die  gleich- 
falls prompt  reagierten,  sodaß  recht  bald 
gegen  das  Grundleiden  vorgegangen  werden 
konnte. 

Am  widerspenstigsten  erwiesen  sich  uns 
die  Unterschenkelekzeme.  Mehrmals  sahen 
wir  hier  nach  anfänglicher  Besserung  bald 
eine  follikuläre,  entzündliche  Reaktion  ein- 
treten mit  Ausbreitung  auf  die  bisher  freie 
Nachbarschaft,  eine  Erscheinung,  die  uns  bis- 
weilen aber  auch  bei  Applikation  von  Deck- 
pasten oder  Salben  allein  begegnet,  und  deren 
Ursache  wir  allein  in  der  Verwendung  von 
Fetten  erblicken  zu  dürfen  glauben;  denn  in 
der  Tat  bestätigte  uns  verschiedene  Male  ein 
nach  Abheilung  der  Reaktion  unter  ander- 
weitigen Maßnahmen  angestellter  Versuch  mit 
Fetten  allein  ohne  jeden  Zusatz  unsere  Ver- 
mutung. 

Außer  diesen  an  den  Follikeln  sich  ab- 
spielenden Reizerscheinungen  sahen  wir  einen 
ähnlichen  Zufall  nur  bei  zwei  Seborrhoikern, 
wo  sie  sich  in  Zunahme  und  Ausbreitung 
der  Sekretion  dokumentierten,  ohne  daß  es 
jedoch  zu  vesikulösen  oder  sonstigen  Erup- 
tionen gekommen  wäre.  Leider  wurde  es 
▼ersäumt,  in  diesen  Fällen  von  Salbenanwen- 
dung abzusehen  und  an  ihre  Stelle  eine 
Pikrinsäurelösung  zu  setzen,  sei  es  als  Auf- 
pinselung,  sei  es  als  feuchter  Verband. 
Da  jedoch  beidemal  die  Weiterbehandlung 
mit  indifferenter  Zink-Paraffin-Paste  anstands- 
los gelang,  so  dürfte  die  leichte  Verschlim- 
merung doch  auf  Kosten  der  Pikrinsäure  zu 
setzen  sein,  und  möchte  ich  nicht  anstehen, 
sie  mit  Besnier  aus  einer  Art  Idiosynkrasie 
zu  erklären. 

Von  diesen  Ausnahmen  abgesehen,  hatten 
wir  mit  unserer  Salbentechnik,  die  bisher 
fast  allgemein  verpönt  war,  niemals  Gelegen- 


heit, üble  Erfahrungen  zu  machen,  nie  be- 
kamen wir  ausgedehntere  Bläschen-  etc.  Aus- 
brüche oder  Dermatitiden  zu-  Gesicht,  nie 
sahen  wir  auch  nur  die  Spur  eines  Erythems, 
wie  sie  nach  Thibierge  vorkommen  sollen. 
Ebensowenig  bot  sich  uns  je  das  Bild  eines 
Pruritus  oder  einer  Urticaria,  wie  das  Lewin 
als  resorptive  Nebenwirkung  anführt.  Wohl 
beschreiben  Achard  und  Giere,  Hallopeau 
und  Vieillard  und  andere  Autoren  derartige 
Erlebnisse.  Bei  den  meisten  ist  jedoch  ein 
Fehler  in  der  Technik  dafür  verantwortlich 
zu  machen,  bei  anderen  müssen  wir  aller- 
dings wieder  zur  Aushilfe  individuelle  Be- 
sonderheiten annehmen,  obwohl  eine  Idio- 
synkrasie gegen  Pikrinsäure  seltener  zur 
Beobachtung  kommen  soll  als  die  gegen 
Quecksilber. 

Anzeichen  einer  allgemeinen  Intoxikation 
sahen  wir  ebenfalls  nicht  ein  einziges  Mal. 
Lewin  schildert  dieselben  als  Störungen  in 
der  Funktion  des  Verdauungstr actus,  be- 
stehend in  Appetitlosigkeit,  Erbrechen  und 
Durchfall,  als  intensiver,  rasch  auftretender 
Ikterus  und  endlich  als  Beschwerden  bei  der 
Harnentleerung,  in  Schmerzen  oder  Druck  in 
der  Nierengegend,  Dysurie,  Strangurie,  auch 
Verminderung  der  Urinmenge  sich  bekundend 
bis  zur  vollständigen  Anurie,  während  Al- 
bumen  nur  selten  und  nach  recht  großen 
Dosen  auftreten  soll.  Neben  diesen  Sym- 
ptomen sollen  bisweilen  auch  Pulsbeschleuni- 
gung, Fieber,  Kopfschmerzen  und  lang  an- 
haltende   Somnolenz    das    Bild    beherrschen. 

Allgemein  erschein  ungen  dieser  Art  haben 
Halla,  Walter,  Darier,  Latouche  und 
andere  beobachtet.  Verschwinden  derselben 
bei  Aussetzen  der  Behandlung  und  Wieder- 
auftritt bei  erneuter  Anwendung  lassen  jeden 
Zweifel  an  der  Pikrinsäure  als  ursächlichem 
Momente  ausschließen. 

Sicherlich  ist  es  nach  diesen  ein  wands- 
freien Intoxikationsbeobachtungen  angebracht, 
sich  vor  Einleitung  der  Therapie  nach  den 
Verdauungsverhältnissen  zu  erkundigen  und 
nach  dem  Vorschlage  Millauts  von  der 
Intaktheit  der  Nieren  sich  zu  vergewissern, 
wie  wir  dies  ja  vor  Einleitung  einer  Queck- 
silber-, Perubalsam-  oder  Ghrysarobinkur 
längst  als  selbstverständlich  betrachten.  In 
unseren  Fällen  ging  stets  eine  genaue  Kontrolle 
des  Harns  dem  Pikrinsäuregebrauche  voraus 
beziehungsweise  mit  ihm  einher,  und  muß  ich 
nochmals  hervorheben,  daß  wir  bei  dieser 
Vorsichtsmaßregel  niemals,  auch  nicht  bei 
Kindern  und  geschwächten,  älteren  Individuen, 
das  geringste  Anzeichen  einer  Vergiftung  zu 
sehen  bekamen.  Übrigens  beziehen  sich, 
wie  ich  hier  beiläufig  bemerken  möchte,  die 
Berichte    über    solche    zum  größten  Teil  auf 


226 


Meyer,  Ptkxintftureverwendung  bei  Hautkrankheiten. 


rTherftpenttata 
L   Monatsheft«. 


Verbrennungsfälle,  was  sich  vielleicht  darauf 
zurückfuhren  läßt,  daß  Brandflächen  mit 
diffuser  Epitheleinbuße  ausgiebiger  resorbieren 
müssen  als  nässende,  ekzematöse  Partien 
mit  häufig  noch  zahlreichen  Epidermisinseln. 

Ist  nach  unseren  Erfahrungen  also  eine 
Gefahr  so  gut  wie  ausgeschlossen,  so  haftet 
dem  Pikringebrauche  doch  leider  eine  andere, 
nicht  gern  gesehene  Begleiterscheinung  an. 
Diese  besteht  in  einer  hellgelben  Verfärbung 
der  benachbarten  gesunden  Oberhaut  sowie 
der  "Wäsche  und  Kleidungsstücke,  die  mit  der 
Säure  in  direkte  Berührung  kommen,  und  stellt 
sich  meist  schon  nach  der  ersten  Applikation 
ein.  So  schätzenswert  diese  färberische 
Eigenschaft  auch  für  die  Mikroskopie  und 
für  die  Textilindustrie  sein  mag,  so  zwingt 
sie  uns  in  der  Therapie  doch,  auf  sie  Rück- 
sicht zu  nehmen  und  die  Pikrin Verwendung 
auf  unbedeckt  getragenen  Körperteilen  wesent- 
lich einzuschränken,  wenn  wir  es  nicht  sogar 
vorziehen  würden,  von  ihrem  Gebrauche  für 
Gesicht  und  Kopf  ganz  Abstand  zu  nehmen. 
Auch  bei  Behandlung  im  Krankenhause 
möchte  ich  hier  eher  zu  letzterem  raten, 
denn  aus  der  Oberhaut  schwindet  wohl  der 
gelbe  Farbenton  schon  einige  Tage  nach  Aus- 
setzen der  Therapie  ohne  alles  Zutun,  allein 
die  Haare  weisen  noch  nach  Wochen  und 
Monaten  deutliche  Spuren  der  Verfärbung 
auf,  und  mit  einer  Mischung  von  Terpentinöl 
und  Spiritus,  womit  sich  die  Haut  ohne  An- 
strengung entfärben  läßt,  ist  nach  meinen 
Erfahrungen  hier  nichts  auszurichten.  Weniger 
intensiv  als  die  Haare  färben  sich  die  Finger- 
und Zehennägel,  Entfärbungsversuchen  gegen- 
über verhalten  sie  sich  jedoch  gleich  hart- 
näckig, sodaß  bei  empfindlichen  Personen, 
oder  wenn  Stellung  und  Beruf  mitzusprechen 
hätten,  auch  auf  eine  Verwendung  gegen 
Händeaffektionen  Verzicht  zu  leisten  wäre. 
Da  aber  auch  für  die  Oberhaut  der  Um- 
gebung eben  abgeheilter  oder  in  Heilung  be- 
griffener Ekzemflächen  Terpentinöl  kein  in- 
differenter Stoff  sein  kann,  so  möchte  ich 
vor  voreiligen  Entfärbungsversuchen  damit 
dringend  warnen  und  lieber  empfehlen,  die 
gesunde  Nachbarschaft  zum  Schutze  vorher 
mit  Vaselin  einzufetten. 

Wegen  der  Wirkung  auf  Gewebe  — 
Wolle  und  Seide  behalten  die  Verfärbung 
dauernd,  Baumwolle  soll  einer  Wieder- 
herstellung fähig  sein  —  halte  ich  es  für 
zweckmäßig,  die  Patienten  vorher  auf  diesen 
Punkt  aufmerksam  zu  machen,  damit  sie  sich 
danach  richten  und  ältere,  weniger  wertvolle 
Stücke  während  der  Behandlung  in  Gebrauch 
ziehen  können,  wieder  eine  Vorsichtsmaßregel, 
welche  uns  aus  der  Chrysarobin-  etc.  Behand- 
lung längst  in  Fleisch  und  Blut  übergegangen 


ist.  Überdies  kommt  bei  dem  von  uns  geübten 
und  empfohlenen  Anwendungsmodus  diese 
Wirkung  weniger  in  Betracht,  da  ja  jedesmal 
so  wie  so  schützende  Deckverbände  angelegt 
werden. 

Läßt  sich  diese  Begleiterscheinung  aber 
auch  kaum  vollständig  eliminieren,  und  be- 
dingt sie  auch  eine  leichte  Einschränkung  der 
Anwendung,  so  sind  wir  trotzdem  auf  Grund 
unserer  Versuche  zu  der  Überzeugung  ge- 
langt, in  der  Pikrinsäure  ein  in  der  Therapie 
des  Ekzems  recht  brauchbares  Mittel  kennen 
gelernt  zu  haben  und  erblicken  in  ihr  eine 
beachtenswerte  Bereicherung  des  dermato- 
logischen Arzneiöchatzes. 

Meinem  hochverehrten  Chef,  Herrn  Pro- 
fessor Wolff,  danke  ich  zum  Schlüsse  bestens 
für  die  Anregung  zu  dieser  Arbeit  und  das 
Interesse,  das  er  ihrer  Anfertigung  entgegen- 
gebracht hat. 

Literatur. 

1.  Achard  et  Clerc:    Intoxication   par   l'acide 

picrique.  Eruption  cutanee  avec  eosinophilie. 
Gaz.  nebd.  de  med.  et  de  chir.  1900,  p.  961; 
Referat  Archiv  f.  Dermal  1901,  Bd.  57,  S.291. 

2.  Aubert:   Traitement  de  l'eczema  par  l'acide 

picrique.    These  de  Paris.    1897. 

3.  Besnier:    La  pratique  dermatologique   1901, 

tome  II,  Eczema,  pag.  212. 

4.  Brousse:  Note  sur  le  traitement  de  l'eczema 

par  l'acide  picrique.  Nouveau  Montpellier 
medical.    1897. 

5.  De  Brun-Beirut:    Die   Behandlung  der 

Blenorrhöe  mit  Acidum  picricum.  Joarn. 
d.  pratic  1901,  No.24;  Referat  Monatshefte 
f.  prakt.  Dermat.  1901,  Bd.  XXXIII,  S.  639. 

6.  C  a  1  v  e  1 1  i :  Acido  picrico  nelle  dermatiti.  Referat 

Archiv  f.  Dermat.  1889,  Bd.  XXI,  S.  759. 

7.  Calvelli:  Erysipele.    Gaz.  degli  Hospit.  1889, 

8.  Casteau:    L'eaa  oxygenee  et  l'acide  picrique 

dans  le  traitement  des  urethrites.  Ball. 
Congres  urologique  1899. 

9.  C  e  r  a  s  i :    Pikrinsäure    gegen    Ekzem.     Gaz. 

media  di  Rom.  1888;  Referat  Archiv  f. 
Dermat.  1890,  Bd.  XXII,  S.  248. 

10.  Curie:  Comptes  rendua  LXXXV1H,  p. 840. 

11.  Darier:   Societe  dermat.  et  syphil.  1897. 

12.  Debacq:    De  l'emploi   de  l'acide  picrique  es 

therapeutique.  These  de  Paris.  1898;  Re- 
ferat Annales  de  Dermat.  1898,  p.  812. 

13.  Desmousj   Behandlung  des  Ulcus  varicosom 

mit  Pikrinsäure.  Annales  de  therap.  denn, 
et  syphil.;  Referat  Monatshefte  1.  prakt 
Dermat.  1901,  Bd.  XXXIII,  S.  231. 

14.  Desnos  et  Guillon:  Traitement  des  urethrites 

par  instillations  de  l'acide  picrique.  Joarn. 
de  med.  1899,  p.  403;  Referat  Monatsheft« 
f.  prakt.  Dermat.  1900,  Bd.  XXX,  S.  332. 

15.  E i  c  h  h  o  ff:  Verbrennung.    Penzold  u.  Stintziogs 

Handbuch  d.  Ther.  innerer  Krankheiten  1903, 

Bd.  vn. 

16.  E u  1  enb urg:  Realenzyklopädie  1898,  Bd. XEL 

17.  Gauch  er:  Traitement  de  l'eczema  par  Facide 

picrique.  Bull,  de  la  Soc  med.  des  höp. 
1897,  p.  736;  Presse  med.  1897. 

18.  Ha  IIa:    Ein    Fall   von    Pikrinsäurevergiftung. 

Wiener  med.  Presse  1882. 

19.  Hallopeau    et    Leredde:     Traite    pratique 

de  dermatologie.    Paris  1900.    p.  359. 


XIX.  Jahrgang,! 
Mai  1905.       I 


Meyer,  Fikrinsftuf  «Verwendung  bei  Hautkrankheiten. 


227 


20.  Hallopean  et  Vieillard:   Societe  franc.  de 

derm.  et  syphil.,  Seance  da  4.  jain  1903. 

21.  M.  Hawthorn:    Die  Pikrinsäure  bei   der  Be- 

handlung des  Phaged&nismas.  Presse  m£d. 
1900,  No.  40;  Referat  Monatshefte  f.  prakt. 
Dermat.  1900,  Bd.  XXXI,  S.  643. 

22.  Jarisch:  Hautkrankheiten.    Bei  Nothnagel, 

Spez.  Pathol.  u.  Ther.    1900. 

23.  Kaposi:    Pathologie  and  Therapie  der  Haut- 

krankheiten.  1899. 

24.  Latouche:    Intoxication  generale    ä  la  saite 

de  l'emploi  de  l'acide  picriqae.  Gaz.  hebd. 
de  med.  et  de  chir.;  Referat  Archiv  f.  Dermat. 

1899,  Bd.  XLIX,  S.  428. 

25.  Leistikow:    Therapie   der   Hautkrankheiten. 

1897. 

26.  Lewin:  Die  Nebenwirkungen  der  Arzneimittel. 

1893.  S.709. 

27.  Loschzilow:    Zar  Behandlang    der  Ver- 

brennungen mit  Pikrinsäure.  Jeschenedelnik 

1900,  No.  51;  Referat  Monatshefte  f.  prakt. 
Dermat.  1901,  Bd.  XXXUI,  S.  241. 

28.  Mac  Donald:  Pikrinsäure  bei  oberflächlichen 

Brandwunden.  Brit.  med.  Joura.  1899;  Referat 
Monatsh.  f.  pr. Dermat  1900,  Bd. XXX,  S.443. 

29.  MacLennan:     Picric  or  carbazotic  acid  as 

therapeatic  agent,  especially  in  the  treatment 
of  certain  innammatory  skin  affections.  Brit. 
med.  Joorn.  1896;  Referat  Archiv  f.  Dermat. 
1899,  Bd.  XL VII,  S.  447. 

30.  Miles:    Die   Pikrinsäure   als    erster  Verband 

bei  Verbrennungen.  Brit  med.  Joura.  1897; 
Referat  Monatshefte  f.  prakt.  Dermat  1898, 
Bd.  XXVII,  S.  478. 

31.  Mercier:  De  l'acide  picrique  au  point  de  vue 

therapeutique  et  toxicologique.  These  de 
Bordeaux.    1903. 

32.  M  i  1 1  a  u  t :  Vergiftungen  mit  Pikrin saure.  Joura. 

des  mal.  cut.  et  syphil.  1903;  Referat  Monatsh. 
f.  prakt  Dermat.  1904,  Bd.XXXVm,  S.  149. 

33.  M  i  1  w  a  r d :  Über  den  therapeutibchen  Gebrauch 

der  Pikrinsäure.  Brit  med.  Journ.  1903; 
Referat  Monatshefte  f.  prakt.  Dermat  1903, 
Bd.  XXXVII,  S.  542. 

34.  Moreau:    Pikrinsäure  in  der  Behandlung  des 

Epithelioma.  Journ.  des  mal.  cut  et  syphil. 
1893;  Referat  Monatshefte  f.  prakt.  Dermat. 

1894,  Bd.  XIX,  S.  576. 

35.  Neißer   and   Jadassohn:    Krankheiten   der 

Haut  Handb.  d.  pr.  Medizin  v.  Ebstein  u. 
Schwalbe.    1901.   Bd.  HI. 

36.  Pierides:  Traitement  des  eryth.  medicam.  par 

l'acide  picrique.    These  de  Paris.    1898. 

37.  Power:  Pikrinsäure  gegen  oberflächliche  Ver- 

brennungen und  Brandwunden.  Brit  med. 
Journ.  1896;  Referat  Monatshefte  f.  prakt. 
Dermat  1897,  Bd.  XXIV,  S.  534. 

38.  F.  Re:    Die   Pikrinsäure    bei    der   Urethritis 

blennorrhagica.  Rif.  med.  1903,  No.  17;  Re- 
ferat Monatshefte  f.  prakt  Dermat  1903, 
Bd.  XXXVII,  S.  519. 

39.  Reveliotti:   L'acide  picrique  est-il  toxique? 

These  de  Paris.  1898/99;  Referat  Archiv 
f.  Dermat.  1900,  Bd.  Lni,  S.  139. 

40.  Scatlari    et    Antonelli:     L'acide    picrique 

dans  le  traitement  de  la  blennorrhagie  aigue. 
Semaine  med.  1898,  p.  359. 

41.  M.  See:    Brülures.    La  prat.  dermatol.   1900, 

tome  l,_p.  517. 

42.  Serra:    Über  den   Gebrauch  der  Pikrinsäure 

bei  der  Behandlung  der  Uterusblenorrhöe. 
Rif.  med.  1903,  No.  25;  Referat  Monatsh.  f. 
prakt.  Dermat.  1904,  Bd.  XXXVIII,  p.  212. 

43.  Spannochi:     Pikrinsäure    bei    Lupus     und 

anderen  tuberkulösen  Affektionen.    Rif.  med. 


1894,  No.  295;  Referat  Monatshefte  f.  prakt. 
Dermat.  1895,  Bd.  XXI,  S.  33. 

44.  Syla-Novitzky:    Über  die  Behandlung  von 

Verbrennungen  mit  Pikrinsäure.  Gesellschaft 
der  Kinderärzte  in  Moskau,  November  1896; 
Referat  Monatshefte  f.  prakt.  Dermat.  1897, 
Bd.  XXIV,  S.  440. 

45.  Thiery:    Des  applications  diverses  du  panse- 

ment   picriqae    ä   la  therapeatique   chirurg. 

Gaz.  des  höp.  1896,  No.  25. 
Ulceres  de  jambes.    Presse  med.  1896. 
Des  applications  de  l'acide  picriqae  ä  la  therap. 

des  brülures.    Gaz.  des  höp.  1896,  No.VIÜ. 
Efficacite  et  innocnite  da  pansement  picriqae. 

Annales  1899,  p.  173. 
Coup  d'oeil  d'ensemble  sur  les  applications  de 

l'acide  picrique  ä  la  therapeatique  chirurg. 

et  ä  la  therapeatique  dermatol.    XHI.  Con- 

gres  intern,  de  medecine.  Paris  1900.  Section 

de  therap.,  pharmac  et  matiere  med.   Compt 

rend.  p.  64—71. 

46.  Thibierge:  Eruptions  medicamentenses.    La 

prat.  dermatol.  1901,  tome  II. 

47.  Wal  ther:  Accidents  dus  ä  l'emploi  de  l'acide 

picrique.   Ball.  soc.  chirurg.  1898. 


Die  Nervenmassaffe. 

Von 
Oberstabsarzt  Dr.  Cornelius  in  Meiningen. 

Von  allen  Wirkungen,  welche  die  Massage 
auf  den  menschlichen  Organismus  ausübt,  wird 
keine  so  wenig  beachtet  wie  die  „nervöse". 
Sie  ist  so  unbekannt,  daß  man  überhaupt 
gar  nicht  damit  zu  rechnen  pflegt,  und  dabei 
ist  doch  gerade  sie  die  allerwichtigste  und 
weitaus  interessanteste.  Nehmen  wir  aus 
der  Fülle  des  sich  täglich  darbietenden 
Materials  folgenden  einfachen  Fall  an:  Irgend 
ein  Patient  hat  sich  eine  kleine  Verstauchung 
oder  eine  rheumatische  Affektion  zugezogen, 
der  Arzt  läßt  den  betreffenden  Körperteil  auf 
gewöhnliche  Weise  massieren.  Am  nächsten 
oder  einem  der  nächsten  Tage  kommt  der 
Kranke  in  die  Sprechstunde  mit  einer  Menge 
von  Vorwürfen:  die  Massage  sei  ihm  außer- 
ordentlich schlecht  bekommen,  es  sei  ihm 
übel  geworden,  er  habe  die  „gräßlichsten" 
Kopf-,  Rücken-,  Magenschmerzen,  starkes 
Herzklopfen  bekommen,  habe  nicht  schlafen 
können  und  vieles  andere.  Der  Arzt  wird 
unter  keinen  Umständen  einen  inneren  Zu- 
sammenhang zwischen  der  leichten  Massage 
und  den  schweren  allgemeinen  Erscheinungen 
zugeben  wollen.  Er  erklärt  die  Person  für 
neurasthenisch,  hysterisch  und  dankt  seinem 
Schöpfer,  wenn  er  von  einer  solchen  Plage 
befreit  wird.  —  Nebenbei  bemerkt,  kann  ihm 
dasselbe  geschehen,  wenn  er  den  Kranken 
einfach  leicht  elektrisierte,  ihm  kalte  oder 
warme  Umschläge  verordnete,  oder  ihm  gar 
nur  eine  feste  Schiene  anlegte.  —  Und  trotz- 
dem hat  der  arme  Patient  in  allem  Recht. 
Seine   Beschwerden    sind    weder    eingebildet 


228 


Cornelius»  Nerrenmaarage. 


f  Therap^otUch« 
L   Monatshefte. 


noch  zentral,  sie  sind  rein  peripherisch  vor- 
handen und  wohl  begründet.  Sie  sind  mit  einem 
"Worte  die  schwere  Folge  eines  anscheinend  nur 
ganz  lokal  wirkenden,  unschuldigen  Streichens 
oder  Knetens,  sie  sind  der  Typus  des 
nervösen  Einflusses  der  Massage.  Wieviel 
unnötige  und  daher  doppelt  empfundene  Be- 
schwerden, wieviel  schlaflose  Nächte  könnten 
dem  ohnehin  schon  genug  geplagten  Nervösen 
erspart  werden,  wenn  der  Arzt  es  lernen 
wollte,  sich  der  Massage  selbst  anzunehmen 
und  sie  nicht  gedankenlosen  und  ungebildeten 
Laien  zu  überlassen.  Es  schneidet  einem  in 
die  Seele,  wenn  man  täglich  erleben  muß, 
daß  Ärzte  die  schwierigsten  Nervenfälle  der 
Tortur  der  Laienmassage  überantworten.  Oft 
weiß  ich  nicht,  über  was  ich  mehr  erstaunen 
soll,  über  die  Unkenntnisse  selbst  nach- 
denkender Ärzte  betreffend  die  Wirkung  der 
Massage  oder  die  Geduld  und  Resignation, 
mit  welcher  die  Patienten  ganz  unnötige 
Schmerzen  hinnehmen.  Selbstverständlich 
habe  ich  hier  nur  extreme  Fälle  herausge- 
sucht. Aber  wer  ist  in  dieser  Zeit  der 
Nervosität    frei  von  nervösen   Beschwerden? 

Welcher  Art  ist  denn  nun  der  Einfluß 
der  Massage  auf  unser  vielgeplagtes  Nerven- 
system? Zunächst  muß  ich  vorausschicken, 
daß  für  jeden  anderen  Eingriff,  mag  er  sein, 
welcher  er  will,  äußerlich  oder  innerlich,  genau 
dasselbe  gilt  wie  für  die  Massage.  Letztere 
kann  aber  als  das  Prototyp  der  Mechanik 
gelten  und  ist  für  sie  der  Spruch  d«'  Bois 
Reymonds  ganz  besonders  geschaffen,  „daß 
es  für  den  Naturforscher  kein  anderes  Er- 
kennen gibt  als  das  mechanische,  ein  wie 
kümmerliches  Surrogat  für  wahres  Erkennen 
es  auch  sei".  Bevor  ich  aber  auf  die  Sache 
selbst  komme,  will  ich  kurz  den  Standpunkt 
angeben,  auf  den  ich  nach  jahrelanger  an- 
gestrengter Tätigkeit  in  diesem  Gebiete  ge- 
kommen bin.  Ich  erwähne  dabei  ausdrück- 
lich, daß  ich  mich  keineswegs  in  diese  sicher- 
lich noch  entwicklungsfähige  Anschauung 
festbeiße.  Vielmehr  bin  ich  gern  bereit  nach- 
zugeben, wenn  jemand  imstande  ist,  die  von 
mir  festgelegten,  niemals  versagenden  Gesetze 
der  Nervenmassage  verständlicher  und  über- 
zeugender zu  erklären. 

Nach  meiner  Anschauung  durchfließt  den 
gesamten  Organismus  ein  Strom,  nennen  wir 
ihn  das  vitale  Prinzip,  den  Lebensstrom,  das 
Leben  oder  wie  wir  nun  wollen.  Dieser  Strom 
hat  zunächst  seinen  Sitz  in  jenem  kompli- 
zierten Röhrensystem,  das  vom  Zentrum  — 
dem  Gehirn  —  über  Rückenmark  —  sich  der 
Peripherie  in  Gestalt  der  peripherischen  Nerven 
mitteilt  und  sich  von  der  Peripherie  wieder 
zum  Zentrum  zurückbegibt.  Dieses  Röhren- 
system ist  unter  allen  Umständen  vollkommen 


in  sich  geschlossen.  Es  gibt  nirgendwo 
eine  Endigung,  weder  im  Zentrum  noch  in 
der  Peripherie.  An  beiden  befinden  sich 
Endschleifen,  die  fähig  sind,  die  Reize  ent- 
weder aufzunehmen  oder  abzugeben.  Ich  nehme 
danach  einen  Nervenkreislauf  an.  Vielleicht 
findet  sich  einmal  ein  „Nerven-Harvey",  dem 
der  anatomische  Nachweis  dafür  gelingt. 
Ich  halte  die  mit  Hilfe  des  Nervenstroms 
so  leicht  zu  erklärenden  Gesetze  der  Nerven- 
punktlehre,  die  ich  später  näher  erläutern 
werde,  für  einen  nahezu  positiven  Beweis 
für  die  Annahme  des  Nervenkreislaufs.  Bei 
jeder  Wellenbewegung  muß  doch  ein  Aus- 
gleich stattfinden.  Wo  aber  findet  die  sen- 
sible Erregung,  wo  die  motorische  ihr  Ende? 
Die  erstere  ist  doch  ausgesprochen  zentri- 
petal, wie  die  letztere  zentrifugal  ist.  Geht 
zum  z.  B.  von  einem  Tastwärzchen  ein  Reiz 
vom  Zentrum,  wie  gleicht  der  sich  dort  aus? 
Haben  wir  einen  in  sich  geschlossenen  Kreis- 
lauf, so  findet  jede  zentripetale  Welle  ihre 
centrifugale  Äußerung  und  umgekehrt.  Die 
ganze  Lehre  von  den  Reflexen  gewinnt  damit 
eine  viel  ungezwungenere  Erklärung.  Ob  sich 
nun  noch  analog  dem  Blutkreislauf  dem  großen 
Nervenkreislauf  ein  kleiner  beigesellt,  welch 
letzterer  als  der  des  Bewußtseins  etc.  auf- 
gefaßt werden  könnte,  lasse  ich  dahingestellt. 
Die  zentripetale  Seite  des  Nervenkreislaufs 
wird  durch  die  sensible  Qualität  mit  allen 
ihren  Unterstufen  eingenommen,  in  die  zentri- 
fugale teilen  sich  die  motorische,  die  ihm 
vollkommen  gleichstehende  vasomotorische 
und  die  sekretorische.  Ich  nehme  also  als 
erstes  diesen  in  sich  geschlossenen,  nach 
ganz  bestimmten  Gesetzen  sich  regulierenden 
Nervenstrom  (vulgo  vitales  Prinzip  =  Leben) 
an,  dessen  eigentliches  Wesen  uns  wohl  ein 
ewiges  Rätsel  bleiben  wird.  Aber  trotzdem 
sind  uns  seine  Gesetze  nicht  ganz  unbekannt. 
Zunächst  verhält  er  sich  in  seiner  Äußerung 
auf  Bewußtsein  und  Funktion  des  Organismus 
ganz  verschieden.  Er  ist  entweder  hoch  ge- 
spannt oder  das  Gegenteil,  das  heißt,  ent- 
weder reagiert  er  auf  Reize  leicht  oder  schwer. 
Daß  dieser  Grad  der  Spannung  sowohl  an- 
geboren als  akquiriert  (Folge  der  vorausge- 
gangenen Reize)  sein  kann,  ist  von  mir  in 
früheren  Arbeiten  mehrfach  auseinander  ge- 
setzt worden.  Trifft  irgend  ein  Reiz  den 
hochgespannten  Strom,  so  kommt  es  zu 
einer  Äußerung  desselben  und  diese  findet 
nun  immer  an  ganz  bestimmten  Stellen  der 
Nervenbahn  statt,  die  ich  mit  dem  Aus- 
druck „Nerven -Knotenpunkte"  bezeichne.  Es 
würde  mich  vom  Thema  zu  weit  abführen, 
wenn  ich  auf  die  Entstehung  und  Bedeutung 
dieser  wichtigen  Punkte  näher  eingehen  wollte. 
Ich   habe   das   in    meinen   früheren   Arbeiten 


XIX.  Jahrgang.  1 
Mai  I90S.     J 


Cornelius,   Nervenmasuge. 


229 


zur  Genüge  getan.  Erwähnen  will  ich  nur, 
daß  ich  alle  diese  Punkte  rein  mechanisch 
auffasse  d.  h.  als  eine  mechanische  —  meist 
anatomisch  zu  deutende  Behinderung  des  freien 
Nervenstroms.  Als  besten  Beweis  dafür  führe 
ich  die  nicht  zu  bestreitende  Tatsache  ins  Feld, 
daß  es  ausnahmslos  gelingt,  alle  zugängigen 
peripherischen  Nervenpunkte  entweder  dauernd 
oder  doch  für  längere  Zeit  zu  heben.  Es  ge- 
lingt nun  ebenso  sicher,  alle  peripherisch 
zugängigen  Beschwerden  eines  nervösen  Pa- 
tienten rein  mechanisch,  d.  h.  mit  den  Fingern 
zu  fassen  und  zu  heilen  oder  doch  wesentlich 
zu  lindern.  Alle  im  Körper  vorhandenen 
Nervenpunkte  —  mögen  sie  einer  Sphäre  an- 
gehören, welcher  sie  wollen  —  stehen  in  einem 
innigen  Konnexe  miteinander,  der  am  besten 
aus  den  7  von  mir  aufgestellten  Kardinal- 
sätzen der  Nervenpunktlehre  hervorgeht.  Ich 
will  diese  7  Gesetze  hier  noch  einmal  wieder- 
holen, sie  lauten: 

1.  Klagt  jemand  über  einen  durch  sicht- 
bare Gründe  (Verletzungen,  Entzündungen  etc.) 
nicht  zu  erklärenden,  peripherischen  Schmerz 
(all  gemeinhin  Nervenschmerz  genannt),  so  ist, 
die  Richtigkeit  der  Angaben  des  Betreffenden 
vorausgesetzt,  —  was  sich  meist  leicht  wird  fest- 
stellen lassen  —  als  Ursache  dieses  Schmerzes 
stets  ein  typischer  Schmerz-  oder  Druck- 
(Nervenknoten)punkt  vorhanden,  mit  dessen 
Beruhigung  auch  der  betreffende  Schmerz  so- 
fort verschwindet. 

2.  Alle  dergleichen  im  Körper  vorhandenen 
sensiblen  Nervenpunkte  stehen  in  einem 
innigen  Zusammenhang  miteinander,  der  sich 
sowohl  durch  direkte,  an  kein  anatomisches 
Gesetz  gebundene  Strahlung,  als  auch  durch 
die  stets  eintretende  gegenseitige  Erregung 
dokumentiert. 

3  a.  Wird  von  einem  Druckpunkte  aus 
eine  Strahlung  nach  irgend  einer  anderen 
Stelle  des  Körpers  ausgelöst,  so  findet  sich 
ausnahmslos  am  Ende  der  Strahlung  wieder 
ein  Druckpunkt  vor. 

b.  Wird  nach  Erregung  eines  Druck- 
punktes an  irgend  einer  anderen  Körperstelle 
auch  ohne  direkte  Strahlung  ein  Schmerz 
ausgelost,  so  ist  als  Ursache  dieses  Schmerzes 
stets  ein  typischer  Druckpunkt  vorhanden, 
Beide  direkte  und  indirekte  Arten  der  Er- 
regung neuer  Druckpunkte  stellen  nicht  etwa 
neu  entstehende,  sondern  immer  nur  bereits 
vorhand  ene(event.  bisher  schlafende)  Schmerz- 
punkte dar. 

4.  Ein  jeder  peripherische  Nervenschmerz 
ist  die  Folge  einer  Erregung  des  sensiblen 
Nervenstromes,  wobei  die  mehr  oder  minder 
große,  durch  Vererbung  oder  Akquisition  ver- 
ursachte Reizbarkeit  desselben  eine  sehr  große 
Bedeutung  hat.    Die  Angriffsstelle  dieser  Er- 

Tb.M.1905. 


regung  ist  aber  jedesmal  ein  wohl  charakteri- 
sierter, durch  eine  erhöhte  Druckempfindlich- 
keit leicht  zu  findender  Punkt  der  sensiblen 
Nervenbahn. 

5.  Es  gelingt  jedesmal,  einen  solchen 
schmerzempfindlichen  Punkt  durch  eine  mecha- 
nische Behandlung  für  kürzere  oder  längere 
Zeit  schmerzfrei  zu  machen  und  damit  den 
von    ihm    ausgehenden    Schmerz    zu   stillen. 

6.  Die  von  dem  ganzen  Nervensystem 
ausgehenden,  in  den  Schmerzpunkten  zum 
Ausdruck  kommenden  Schmerz-  (etc.)  Par- 
oxysmen  werden  durch  alle  möglichen  (äußeren 
und  inneren)  Reize  ausgelöst,  wobei  gar  nicht 
einmal  gesagt  zu  sein  braucht,  daß  der  Reiz 
an  sich  ein  pathologischer  ist.  Vielmehr  ge- 
nügen bei  erhöhter  Spannung  des  Nerven- 
stroms und  besonders  empfindlichen  Schmerz- 
punkten an  sich  gar  nicht  einmal  patho- 
logische Erregungsursachen,  um  ganz  beträcht- 
liche Schmerzerscheinungen  hervorzurufen. 

7.  Alle  auf  solche  Weise  ausgelösten 
Erregungen  der  Schmerzpunkte  zeigen  einen 
typischen,  wellenförmigen  Charakter,  in 
welchem  die  Wellen  der  Erregung  und  der 
Beruhigung  in  scheinbar  ganz  gesetzmäßiger 
Weise  miteinander  abwechseln.  Dasselbe 
geschieht  bei  der  Behandlung  der  Druck- 
punkte mittels  Massage  und  bilden  die  dabei 
entstehenden  Wellen  das  wechselvolle  Bild 
der  sogenannten  Reaktionen. 

(Auf  die  übrigen  Sphären  der  Nerven- 
bahn finden  diese  Sätze  sinngemäße  An- 
wendung, wobei  bemerkt  werden  muß,  daß 
auch  die  nicht  sensiblen  Nervenpunkte 
(motorische,  sekretorische)  so  gut  wie  regel- 
mäßig mit  sensiblen  in  innigstem  Zusammen- 
hang stehen.) 

Fasse  ich  mit  Hilfe  dieser  7  Sätze  meine 
Ansicht  über  das  Leben  im  Nerven  zusammen, 
so  ergibt  sich  folgendes: 

Den  Organismus  durchfließt,  und  zwar  in 
einem  besonderen  Kreislauf,  der  Nervenstrom, 
von  welchem  sämtliche  Funktionen  des  Körpers 
ihre  Anregung  empfangen.  Dieser  Strom  be- 
findet sich  in  einem  ständig  wechselnden 
Grade  der  Spannung,  welche  identisch  ist 
mit  der  durch  Vererbung  und  Akquisition 
erzeugten  Reizbarkeit.  Es  ist  falsch,  gemein- 
hin von  einem  rein  zentralen  resp.  rein  peri- 
pherischen Reize  zu  sprechen.  Jeder  den  Körper 
treffende  Reiz  teilt  sich  dem  Ganzen  mit,  der 
peripherische  dem  Zentrum,  der  zentrale  der 
Peripherie.  Seine  Wirkung  ist  allerdings  auf 
das  Zentrum,  woselbst  auch  der  Sitz  ganz 
besonderer  Qualitäten  zu  suchen  ist  (Bewußt- 
sein etc.),  eine  viel  größere  als  die  auf  die  Peri- 
pherie. Die  von  irgend  einem  Reize  erzeugten 
Erregungswellen  durchfließen  den  Nervenstrom 
so  lange,  bis  sie  an  irgend  eine  Behinderung 

18 


230 


Cornelius,  Ntnrtnnimfe. 


TThempentiache 
L   Monatshefte. 


stoßen,  woselbst  sie  dann  eine  Art  von  Knoten- 
punkt bilden,  welcher  als  Ort  der  Erregung 
ganz  bestimmte,  im  Bewußtseinszentrum  em- 
pfundene Reize  auslost.  Es  wird  demnach 
kein  den  Körper  treffender  Reiz  ohne  nervöse 
Folgen  bleiben  können  und  sind  diese  pro- 
portional der  Starke  des  Reizes  und  der 
Qualität  der  vom  Reiz  zunächst  getroffenen 
Stelle,  sodann  aber  nicht  minder  abhängig 
von  dem  Grade  der  Spannung  des  Nerven- 
stroms und  von  der  Anzahl  und  dem  Sitze 
der  Nervenknotenpunkte.  Jede  Reizwirkung 
hat  nun  entweder  einen  mehr  zentralen  oder 
peripherischen  Charakter  und  ist  ferner  von 
beruhigender  oder  erregender  Wirkung.  Dabei 
gilt  jedoch  der  Grundsatz,  daß  zentrale  Wir- 
kungen die  peripherischen,  peripherische  die 
zentralen  ablösen,  wie  auch  die  Beruhigungs- 
welle der  Erregungswelle  folgt,  und  umgekehrt. 
Ob  es  überhaupt  eine  krankhafte  Äußerung 
ohne  Nervenknotenpunkte  gibt,  möchte  ich 
verneinen.  Im  einfachsten  Falle  gibt  der 
Ort  des  Reizes  einen  akuten  Knotenpunkt 
an,  der  nach  Aufhören  des  Reizes,  ohne 
Folgen  zu  hinterlassen,  wieder  verschwindet. 
Andernfalls  braucht  aber  auch  nicht  die  An- 
griffsstelle des  Reizes  die  Lokalisation  der 
Reizfolgen  darzustellen,  ein  Vorgang,  den  wir 
bei  den  sogenannten  allgemeinen  Reizursachen 
täglich  zu  beobachten  in  der  Lage  sind. 

Die  Massage  ist  nun  die  direkteste  Be- 
einflussung des  Nervenstroms  und  seiner 
Knotenpunkte  und  haben  wir  bei  ihr  auch 
die  Folgen  derselben  am  reinsten  vor  uns. 
Im  übrigen  aber  sind,  wie  gesagt,  alle  anderen 
den  Körper  zu  Heil-  und  anderen  Zwecken 
treffenden  Reizursachen  von  demselben  Stand- 
punkte aus  zu  betrachten. 

Wir  unterscheiden  also  kurz  zusammen- 
gefaßt: 

la)  die  erregende  Äußerung  ]  des Nerven- 

lb)  die  beruhigende  Äußerung]     Stroms 
und  ferner 

2  a)  die  zentrale  Äußerung  )       des 

2  b)  die  peripherische  Äußerung  J  Reizes. 

Der  beruhigenden  Welle  folgt  weiterhin 
die  erregende  und  der  zentralen  Äußerung 
die  peripherische  und  vice  versa  in  regelrechter 
Folge.  Sinngemäß  folgt  auch  der  zentri- 
fugalen Welle  die  zentripetale  und  umgekehrt. 
Der  Reflexvorgang  ist  demnach  ein  ganz 
naturgemäßer,  der  sich  allerdings  unter  der 
Schwelle  des  Bewußtseins  und  uns  daher 
unbemerkt  abspielt.  Auch  braucht  der  Re- 
flexvorgang nicht  immer  von  sensibel  auf 
motorisch  und  umgekehrt  überzugehen,  son- 
dern er  kann  sich  von  der  sensiblen  Sphäre 
auf  die  vasomotorische,  auf  die  sekretorische 
übertragen.  Es  ist  unnötig,  auf  diese  allgemein 
bekannten  Vorgänge  weiterhin  einzugehen. 


Wenn  ich  nun  die  nervöse  Wirkung  der 
Massage  kurz  wiederhole,  so  haben  wir: 

1.  zunächst  eine  zentrale  Wirkung.  Die- 
selbe ist  entweder  negativ  (beruhigend,  hem- 
mend) oder  positiv  (anregend  und  in  erhöhter 
Weise  aufregend)  und  2.  eine  peripherische,  die 
so  gut  wie  niemals  rein  örtlich  zu  nennen  ist. 

(Eine  mechanische  Wirkung  von  einer 
dynamischen  zu  trennen,  wie  es  einzelne 
Lehrbücher  tun,  dürfte  meiner  Meinung  nach 
nicht  richtig  sein.  Ein  mechanischer  Eingriff 
wird  immer  rein  mechanische  Wirkungen 
haben.)  Die  peripherische  Wirkung  wird  sich 
demnach  jedesmal  präsentieren. 

1.  als  eine  zentrifugale  (sensible) 

2.  als  eine  zentripetale: 

a)  rein  motorische, 

b)  (wenn  man  diese  Abteilung  nicht  der 
ersten  zugesellen  will)  vasomotorische, 

c)  eine  sekretorische  im  weitesten  Sinne, 
zu  der  nicht  allein  die  reine  Drüsen- 
tätigkeit gehört,  sondern  auch  das 
ganze  sekretorische  Leben  in  jeder 
einzelnen  Zelle,  das  sich  als  Abgabe 
der  verarbeiteten  Stoffe  darstellt  und 
neben  der  Menge  und  Qualität  der 
zugefuhrten  Nahrung  ganz  sicherlich 
auch   rein  nervöser  Anregung  bedarf. 

Was  nun  die  an  sich  so  wichtige 
trophische  Wirkung  anlangt,  so  möchte  ich 
dieselbe  überhaupt  nicht  als  eine  selb- 
ständige hinstellen,  sondern  nur  als  sicht- 
bare Folgenerscheinung  der  vorigen.  Die 
Kombination  dieser  Wirkungen  ergibt  eine 
Vielgestaltigkeit,  welche  alle,  selbst  die 
scheinbar  kompliziertesten  Folgen  leicht  zu 
zergliedern  gestattet. 

Bei  der  bisherigen  Besprechung  der  mecha- 
nischen Wirkung  der  Massage  hat  man  meiner 
Meinung  nach  zu  wenig  berücksichtigt,  daß 
man  einen  lebenden,  auf  jeden  Reiz  in  eige- 
ner Weise  reagierenden  Organismus  vor  sich 
hat,  der  im  stände  ist,  selbst  die  einfachsten 
Gesetze  der  Mechanik  durch  seinen  Eigen- 
willen zu  Schanden  zu  machen.  Wäre  der 
Körper  ein  lebloses  Röhrensystem,  so  würde 
es  leicht  gelingen,  einen  unbequemen  Erguß 
in  die  geöffneten  Saugadern,  eine  Blutüber- 
füllung in  die  Blutbahn  hineinzutreiben.  Aber 
der  lebende  Organismus  ist  der  Typus  der 
Opposition.  Sobald  ihn  ein  Reiz  trifft,  setzt 
er  den  Gegenreiz  entgegen.  Der  Vater  dieser 
Opposition  ist  aber  der  Nervenreiz,  der  das 
Ganze  beherrscht  und  den  man  unter  allen 
Umständen  zu  überwinden  hat.  Er  darf  nie- 
mals vergessen  werden.  Es  gibt  überhaupt 
keine  Wirkung  in  der  Massage,  bei  der  der 
Nervenreiz  nicht  mitzusprechen  hätte. 

Nach  Gesagtem  ist  es  klar,  von  wie  un- 
geheuerer Wichtigkeit  die   nervöse  Wirkung 


XIX.  Jahrgang.! 
Mal  1906.     J 


Coro  «Hut,  NervenmaMage. 


231 


selbst  bei  allgemeiner  Massage  ist.  Um  wie 
viel  großer  aber  wird  dieser  Reiz,  wenn  man 
den  Nerven  selbst  und  seine  krankhaften 
Stellen  zum  Angriffspunkt  der  mechanischen 
Behandlung  nimmt.  Das  gesamte,  so  un- 
glaublich vielgestaltige  Bild  der  Reaktionen 
ist  nichts  anderes,  als  die  direkte  Wirkung 
der  Massage.  Wenn  auch  diese  Reaktionen 
auf  der  einen  Seite  recht  unbequeme  Begleit- 
erscheinungen darstellen,  ja  sogar  nicht  selten 
von  einer  Behandlungs weise  abschrecken,  die 
allein  zur  Heilung  oder  doch  zur  Besserung 
fuhrt,  so  sind  sie  doch  auf  der  anderen  Seite 
als  die  treueste  Unterstützung  anzusehen.  Denn 
sie  ermöglichen  es  allein,  alle  kranken  Stellen 
im  Körper  zu  erkennen  und  durch  ihre  Be- 
seitigung den  Körper  frei  zu  machen  von  sämt- 
lichen Punkten,  welche  gar  zu  leicht  geneigt 
sind,  auch  die  geringsten  Reize  aufzunehmen 
und  dem  vielgeplagten  Zentrum  zur  Bearbei- 
tung zu  übersenden. 

Die  nervösen  Wirkungen  der  Massage 
—  die  Reaktionen  derselben  —  lassen  sich 
nach  Gesagtem  naturgemäß  einteilen  in: 

I.  Die  zentrale  Wirkung 

a)  negative  (beruhigende)  Welle:  Ruhe, 
Schlaf,  Erschlaffung,  Müdigkeit  etc., 

b)  positive  (erregende)  Welle:  Unruhe, 
Schlaflosigkeit,  Reizbarkeit,  eventl. 
Krämpfe,  Halluzinationen  etc. 

II.  Die  peripherische  Wirkung 

1.  auf  die  Sensibilität 

a)  beruhigende  Welle:  Schmerzlosig- 
keit  etc., 

b)  erregende  Welle:  Schmerz  in  allen 
seinen  vielen  Qualitäten,  vom  ein* 
fachen  Kitzel  bis  zur  schlimmsten 
Phase  des  Schmerzes; 

2.  auf  die  Motilität 

a)  beruhigende    Welle:     motorische 
^  Ruhe  bis  zur  Lähmung  sich  stei- 

gernd, 
I        b)  erregende  Welle:    motorische  Un- 
ruhe, peripherische  Krämpfe  (z.  B. 
gesteigerte     Peristaltik,     Magen- 
Darmkrämpfe,  Gänsehaut  etc.); 

3.  auf  die  Vasomotoren 

a)  negative  Welle:  Hyperämie, 

b)  positive  Welle:  Gefäßkrampf, 
Anämie ; 

4.  auf  die  Sekretion 

a)  negative  Welle:  Verminderung  der 
Sekretion  im  weitesten  Sinne, 

b)  positive  Welle:  Vermehrung  der 
Sekretion  im  weitesten  Sinne. 

Diese  genannten  Erscheinungen  werden 
naturgemäß  sehr  selten  allein,  sondern  eigent- 
lich regelmäßig  mit  allen  Kombinationen  unter 
einander  vorkommen.  Ich  will  aus  vielen 
anderen  Fällen  nur  einen  herausgreifen,  und 


zwar  das  Spiel  zwischen  der  vasomotorischen 
und  der  sekretorischen  Sphäre.  So  wird  die 
negative  vasomotorische  Welle  (Hyperämie) 
eine  positive  der  Sekretion  zur  Folge  haben 
und  umgekehrt. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  die 
Massage,  zumal  die  der  Nerven,  eine  recht 
komplizierte  Kunst  darstellt,  die  nur  dem 
ausgebildeten  Arzte,  niemals  aber  einem  Laien 
überantwortet  werden  darf,  welcher,  abgesehen 
von  den  allgemeinen  Kontraindikationen,  nie- 
mals in  der  Lage  sein  wird,  das  so  viel- 
gestaltige Bild  der  Reaktionen  zu  übersehen 
und  zu  beurteilen. 

Wenn  man  streng  logisch  ist,  so  ist  es 
eigentlich  ein  Nonsens,  von  einer  Nerven- 
massage katexoehen  zu  sprechen.  Eine 
jede,  auch  die  einfachste  Massage  trifft  den 
im  ganzen  Körper  verteilten  Nervenkreis- 
lauf und  übt,  wie  so  mancher  zu  seinem 
größten  Schrecken  erfahren  muß,  ihre  aus- 
gesprochenen nervösen  Wirkungen  aus.  Die 
Nervenmassage,  wie  ich  sie  meine,  ist  eigent- 
lich auch  keine  mechanische  Bearbeitung  des 
Nerven  Stammes,  wie  sie  z.  B.  Naegeli  vor- 
schreibt. Meine  Nervenmassage  ist  nichts 
anderes,  als  die  mechanische  Bearbeitung 
oder,  in  meinem  Sinne  ausgedrückt,  die 
methodische  Lösung  der  Nervenknotenpunkte. 
•Wenn  der  Masseur  von  heute  den  langen 
Strich  liebt  und  mit  Streichen,  Kneten,  Zer- 
reiben und  obligatem  Klopfen  abwechselt,  so 
besteht  meine  Massage  in  dem  Aufsuchen 
aller  im  Körper  vorhandenen  Nervenknoten- 
punkte, welche  dann  durch  kurze,  quer  zur 
Längsachse  gerichtete  oder  auch  kreisförmige, 
meist  nicht  vibrierende  Bewegungen  von  den 
angenommenen  Behinderungen  des  freien 
Nervenstroms  befreit  werden.  Bei  meiner 
Massage  darf  niemals  Öl  oder  Fett  ange- 
wandt werden  (vaginale  etc.  Massagen  selbst- 
verständlich ausgenommen).  Durch  solche 
fremden  Stoffe  wird  die  unumgänglich  nötige 
Feinheit  des  Gefühls  nur  abgeschwächt.  Dazu 
kommt  noch,  daß  nicht,  wie  gewöhnlich,  bei 
der  Massage  die  Reibfläche  zwischen  Finger 
und  Haut  liegt,  sondern  daß  ich  den  meist 
gebrauchten  Zeige-  oder  Mittelfinger  der 
rechten  oder  linken  Hand  fest  auf  die  Haut 
anlege,  so  lange  drücke,  bis  ich  an  den  Nerven- 
punkt herangekommen  bin  und  dann  mit  der 
ganzen  Oberfläche  über  den  Nervenpunkt 
fahre.  Ich  kann  nicht  umhin  zu  bemerken, 
daß  ich  von  dem  Augenblick  an  richtig 
zu  massieren  gelernt  habe,  als  ich  anfing, 
„trocken"  zu  massieren.  Es  verlangt  diese 
Art  der  Massage  neben  größter  Geduld  und 
feinstem  Gefühle  eine  Fingerfertigkeit,  die 
selbst  bei  angeborenem  Geschick  erst  durch 
lange   Übung   erworben    werden    kann.     Der 

18' 


232 


Cornelius,  NexvenmaMag«. 


["Therapeutische 


Arzt,  welcher  gewöhnt  ist,  auf  die  Massage 
mit  einer  gewissen  Verachtung  herabzublicken, 
und  ihre  Ausübung  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  für  eine  seines  hochgebildeten  Standes 
unwürdige  Arbeit  ansieht,  ahnt  gar  nicht, 
welch  unendlich  große  Fülle  der  interessan- 
testen Befunde  sie  ihm  tagtäglich  darbieten 
könnte.  Zeigt  doch  die  Nervenmassage  eine 
Vielgestaltigkeit  der  Symptome,  einen  Reich- 
tum der  schönsten  Beobachtungen,  welche 
nur  dadurch  verständlich  sind,  daß  man  es 
ja  bei  ihr  gerade  mit  dem  größten  Rätsel 
der  Natur,  der  direkten  Beeinflussung  des 
Nervenstroms ,  des  vitalen  Prinzips,  zu  tun 
hat.  Man  begegnet  dabei  ganz  bestimmten 
Gesetzen,  die  aber  bisher  noch  niemandem 
recht  zum  Bewußtsein  gekommen  waren.  Es 
kommt  dazu,  daß  gerade  die  Nervenmassage 
dem  ausübenden  Arzte  eine  dankbare  Klientel 
erzieht,  die  selbst  die  des  Chirurgen  weit 
übertrifft.  Hat  doch  bisher  der  arme  Nervöse 
leider  nur  selten  dauernde  Beruhigung,  so 
gut  wie  niemals  aber  in  meinem  Sinne  Be- 
freiung von  seinen  eigentlichen  Quälgeistern, 
den  Nervenknotenpunkten,  gefunden.  Keine 
bisherige  Behan dl ungs weise  ging  direkt  auf 
die  kranken  Stellen  im  Nerven  selbst  los, 
sondern  alle  suchten  durch  allgemeine  Be- 
handlung eine  leider  oft  nur  trügerische, 
allgemeine  Beruhigung  (sc.  des  Nervenstroms) 
herbeizuführen.  Wie  dankbar  ist  der  Patient, 
der  sieht,  daß  man  seine  vielfachen  Klagen 
nicht  für  reine  Einbildung  ansieht,  sie  nicht 
für  zentral,  nicht  zu  beeinflussende  erklärt, 
ihnen  auch  nicht  das  recht  wissenschaftlich 
klingende,  dafür  aber  um  so  unverständlichere 
Mäntelchen  der  molekularen  Umstellung  um- 
hängt, sondern  allen  seinen  Beschwerden  zu 
Leibe  rückt,  sie  gründlich  anfaßt  und  grob- 
mechanisch  fortbringt.  Damit  verschwinden 
dann  auch  alle  die  ihnen  zur  Last  zu  legen- 
den Beschwerden  mit  einem  Male.  Bisher 
hat  die  Medizin  die  sensiblen  Nervenpunkte 
(Schmerz-  oder  Druckpunkte)  meist  rein  sym- 
ptomatisch aufgefaßt.  Aber  ihrer  eigentlichen, 
zumal  ihrer  therapeutischen  Bedeutung  ist 
man  sich  im  Banne  der  Molekulartheorie 
niemals  klar  geworden.  Ja,  wie  wenig  man 
sich  ihrer  Häufigkeit  bewußt  war,  beweist 
die  Tatsache,  daß  man  ihr  Vorkommen  an 
sich,  zumal  aber  ihr  Ausstrahlen  als  ein 
sicheres  Zeichen  für  ganz  bestimmte  Neurosen 
(Hysterie,  Neurasthenie)  ansah  und  für  ihr 
Verhalten  nur  eine  zentrale  Erklärung  hatte. 
Wenn  das  der  Fall  ist,  so  gibt  es  so  gut 
wie  keinen  Menschen,  der  nicht  hysterisch, 
der  nicht  neurasthenisch  ist,  da  so  gut  wie 
kein  Mensch  ohne  Nervenpunkt,  ohne  mehr 
oder  weniger  weitverbreitete  Strahlungen  ist. 
Wie    wenig   man   ferner    den   Nervenpunkten 


therapeutisch  beizukommen  wußte,  das  be- 
weist auch  die  Praxis  mit  den  sogenannten 
Vibrationsmaschinen,  die  ich  gegenüber  der 
wirklichen  Nervenpunktmassage  nur  als  eine 
Spielerei  ansehen  kann.  Auch  werden  nie- 
mals genau  vorgeschriebene  Handgriffe  den 
so  variablen  Nervenpunkten  unter  allen  Um- 
ständen und  dauernd  beikommen  können,  zu- 
mal wenn  sie  als  Hauptsache  die  rein  sekundär 
aufzufassende  Blutfüllung  ansehen.  Nicht  der 
einfache  Druck,  sondern  die  methodisch  durch- 
geführte mechanische  Befreiung  des  behinder- 
ten Nervenstroms  heilt  einen  Nervenknoten- 
punkt und  schafft  damit  die  ihm  zur  Last 
zu  legenden  Beschwerden  aus  der  Welt. 

Die  Arzte  haben  in  dem  natürlichen  Be- 
streben, in  der  Erkennung  von  Krankheiten 
möglichst  unabhängig  zu  sein  von  den  gar 
oft  zweifelhaften  Angaben  des  Kranken,  ihr 
Hauptaugenmerk  auf  die  objektiven  Krank- 
heitssymptome gelegt.  Dazu  kommt  noch, 
daß  die  Wehleidigkeit  des  heutigen,  nervösen 
Geschlechts,  die  Sucht  vieler  Kranken,  sich 
auf  möglichst  billige  Weise  eine  wohlfeile 
Rente  zu  verschaffen,  im  Verein  mit  der  An- 
schauung des  rein  zentralen,  oft  genug  nur 
eingebildeten  Ursprungs  der  meisten  nervösen 
Beschwerden  oder  doch  der  unfaßlichen  mole- 
kularen Ursache  derselben  das  Interesse 
immer  mehr  von  den  subjektiven  Beschwerden 
abwenden  muß.  Um  nicht  betrogen  zu  werden, 
schießt  man  weit  über  das  Ziel  hinaus.  Um 
einen  wirklichen  Simulanten  zu  fassen,  wer- 
den Hunderte,  von  denen  allerdings  ein  nicht 
kleiner  Bruchteil  in  der  Hoffnung  übertreibt, 
dadurch  sein  Leiden  glaubhafter  zu  machen, 
für  Simulanten  und  eingebildete  Kranke  er- 
klärt oder  doch  im  geheimen  dafür  gehalten. 
Man  ist  den  objektiven  Klagen  der  Kranken 
absolut  nicht  so  machtlos  gegenüber,  wie  man 
zunächst  glauben  möchte.  Wenn  man  aller- 
dings den  Klagenden  nach  der  bisherigen 
Weise  untersucht,  indem  man  ihm  die  Lungen 
abklopft  und  behorcht,  Herz,  Unterleibseinge- 
weide untersucht,  eventl.  noch  die  Prüfung 
der  SeDsibilität,  Reflexe  und  elektrischen  Er- 
regbarkeit unternimmt,  wird  man  nur  in  den 
seltensten  Fällen  zum  Ziele  gelangen.  Die 
Nervenpunktlehre  gibt  für  jede  wirklich  vor- 
handene, peripherisch  anzusehende  Klage  — 
und  das  ist  weitaus  die  Mehrzahl  der  Fälle  — 
einen  ganz  bestimmten  Punkt  der  peripherischen 
Nervenbahn  an,  welcher  auf  Druck  genau 
dasselbe  Symptom  auslöst.  Man  lernt  gar 
bald,  für  jeden  Schmerz  auch  genau  den 
Nervenpunkt  zu  wissen,  der  sich  auch  dann 
anatomisch  meist  charakterisiert,  z.  B.  als 
Gefäßbündel,  Furche  in  der  Muskulatur,  im 
Knochen  etc.  Nur  wenn  genau  diese  Stelle 
getroffen  ist,  zuckt  der  Kranke  unwillkürlich 


XIX.  Jafcrf  ang.l 
Mut  1905.     J 


Cornelius,  Nervenmatiafe. 


233 


zusammen,  ein  Vorgang,  den  selbst  der  ge- 
riebenste Simulant  nicht  nachzumachen  im 
stände  wäre.  Dazu  kommen  noch  die  sofort 
eintretenden  Reaktionen  der  beschriebenen 
Art:  so  erweitert  sich  häufig  bei  Druck  auf 
starke  Schmerzpunkte  plötzlich  die  Pupille, 
es  tritt  sofort  eine  sekundäre  Hyperämie  oder 
seltener  Anämie  auf,  es  bildet  sich  eine  aus- 
gesprochene Gänsehaut,  es  tritt  nervöser 
Schweißausbruch,  Hypersekretion  der  Tränen-, 
Speichel-  etc.  Drüsen  auf.  Auch  sind  die 
Klagen  des  Patienten,  welche  doch  mit  den 
Gesetzen  der  Nervenpunktlehre  absolut  un- 
bekannt sind,  so  charakteristisch,  daß  sie 
beinahe  als  objektiver  Beweis  gelten  können. 
Wie  oft  gelang  es  mir  bei  Patienten,  die  mit- 
unter jahrelang  von  einem  Arzt  zum  andern 
gewandert  waren  und  immer  wieder  als  ein- 
gebildet krank  mit  leeren  Worten  oder  allge- 
meinen Verhaltungsmaßregeln  abgespeist  wur- 
den, durch  methodisches  Aufsuchen  der  den 
Klagen  entsprechenden  Nervenpunkte  nicht 
allein  die  Klagen  des  Betreffenden  in  der 
überzeugendsten  Weise  nachzuweisen,  sondern 
sie  auch  auf  verhältnismäßig  leichte  Weise 
durch  eine  mechanische  Behandlung  der  Nerven- 
punkte zu  beseitigen.  Wer  aber  tastet  einem 
vom  Kranken  angegebenen  Schmerze  metho- 
disch nach?  Allerdings  sind  es  hier  nicht 
Kranke,  die  mit  akuten  fieberhaften  Krank- 
keiten zugehen,  sondern  es  ist  das  Heer  der 
Nervösen,  die,  anscheinend  ganz  gesund,  nur 
dazu  da  zu  sein  scheinen,  sich  und  dem  Arzt 
das  Leben  zu  verbittern.  Es  handelt  sich  dabei 
meist  nicht  um  eigentliche  Krankheitsprozesse, 
sondern  um  die  Folgen  derselben,  ihre  Narben 
mit  ihrer  Wirkung  auf  das  gesamte  Nerven- 
system. Ich  muß  hier  auf  die  Arbeit  Narben 
und   Nerven1)  hinweisen. 

In  meinem  Vortrage  auf  der  Naturforscher- 
und Ärzteversammlung  zu  Gassei  im  Jahre 
1903*)  erwähnte  ich,  daß  ich  die  gesamten 
Neurosen  von  der  Neuralgie  bis  zur  fort- 
geschrittenen Neurasthenie  als  ein  Krank- 
heitsbild ansehe,  das  nur  durch  die  Zahl 
und  Art  der  Nervenpunkte  zu  unterscheiden 
ist  und  deren  Unterabteilungen  sich  genau 
nach  der  Art  der  Nervenpunkte  richten.  Die 
Zahl,  die  Erregung  und  die  Art  dieser  Nerven- 
punkte ist  das  wichtigste  für  eine  jede  ner- 
vöse Erkrankung.  Das  Aufsuchen  und  die 
mechanische  Lösung  derselben  ist  neben  der  Be- 
ruhigung des  allgemeinen  Nervenstroms  (Grad 
der  nervösen  Erregung)  die  Hauptsache. 
Demnach    ist   es  selbstverständlich,    daß  ich 


»)  Deutsche  militarärztl.  Zeitschr.  1903,  No.  10. 

*)  Die  Druck-  oder  Schmerzpunkte  als  Ent- 
stehangöarsache  der  sog.  funktionellen  Nerven- 
erkrankungen, ihre  Entstehung  und  Behandlung. 
Wien  1904.    Moritz  Perles. 


bei  allen  meinen  Patienten,  bei  welchen  die 
allgemeine  Untersuchung  keinen  ausreichenden 
Grund  für  ihre  Beschwerden  darbietet,  nach 
Untersuchung  sämtlicher  in  Frage  kommenden 
Organe  methodisch  auf  alle  ihre  Klagen  ein- 
gehe und  ihre  Berechtigung  durch  Nachweis 
der  zugehörigen  Nervenpunkte  dartue. 

Meine  Untersuchungsmethode  ist  also  nach 
Erledigung  der  allgemeinen  Untersuchung 
folgende:  Während  der  Patient  irgend  eine 
Klage  angibt,  suche  ich  ihm  die  entsprechende 
Gegend  ab,  und  meist  wird  der  Kranke,  ehe 
er  überhaupt  seine  Klagen  zu  Ende  gebracht 
hat,  aufschreien  und  den  von  mir  erzeugten 
Schmerz  mit  dem  früher  so  oft  empfundenen 
für  identisch  erklären.  Die  erste  Unter- 
suchung hat  nun  entsprechend  den  Haupt- 
beschwerden eine  Anzahl  von  Nervenpunkten 
ergeben,  die  sorgfältig  in  einem  Schema3)  auf- 
gezeichnet werden.  Dieselben  werden  in  be- 
schriebener Weise  einer  rein  mechanischen 
Behandlung  unterzogen.  Unter  dieser  schwillt 
bei  den  das  Hauptkontingent  stellenden  sen- 
siblen Nervenpunkten  (Schmerzpunkten)  der 
Schmerz  zunächst  erheblich  an  und  nimmt 
dann  allmählich  wieder  ab,  bis  er  schließlich 
verschwindet.  Logisch  wäre  es  nun,  alle 
Schmerzpunkte  so  lange  zu  massieren,  bis 
sie  vollkommen  schmerzlos  sind.  Jedoch  läßt 
sich  das  nur  bei  Kranken  mit  wenigen  Punkten 
durchfuhren.  In  allen  anderen  Fällen  be- 
gnügt man  sich,  um  die  Dauer  der  Massage 
nicht  über  30  oder  höchstens  45  Minuten 
hinauszudehnen  und  die  Reaktionen  nicht  gar 
zu  groß  werden  zu  lassen,  damit,  nur  die 
Hauptpunkte  in  ergiebiger  Weise  vorzunehmen 
und  die  anderen  einige  Sekunden  zu  massieren. 
Läßt  man  nämlich  die  anscheinend  unwichtigen 
Punkte  aus,  so  beginnen  diese  regelmäßig  in 
ganz  besonders  starker  Weise  sich  bemerklich 
zu  machen  oder,  wie  ich  es  auszudrücken 
pflege,  nach  Massage  zu  schreien.  Es  ist 
daher,  um  zu  einem  wirklich  guten  Resultate 
zu  kommen,  nötig,  daß  sämtliche  bei  der 
Massage  zu  Tage  tretenden  Nervenpunkte, 
die  sich  jedesmal  durch  ganz  bestimmte  Er- 
scheinungen äußern,  massiert  werden.  Erst 
nach  Beseitigung  aller  Nervenpunkte  kommt  der 
Körper  zur  Ruhe,  da  dann  die  peripherischen 
Reize  keinen  Anhaltspunkt  finden  und  das 
Zentrum  nicht  mehr  zu  irritieren  vermögen. 
Die  Nervenpunktmassage  läßt  nur  dann  im 
Stich,  wenn  die  Punkte  so  tief  liegen,  daß 
man  absolut  nicht  an  sie  heran  kann  oder 
wenn  die  Krankheit  bereits  ein  solches  Sta- 
dium erreicht  hat,  daß  die  Reaktionen  auch 
bei  noch  so  schonender  Behandlung  eine  gar 
zu    bedrohliche  Höhe    erreichen.      Im    allge- 

3)  Zu  beziehen  durch  Enslin,  Berlin,  Karlstraße. 


234 


Cornelius,  Nerv«ni 


["Therapeutisch« 
L   Monatshefte. 


meinen  sind  zumal  die  letzteren  Fälle  außer- 
ordentlich selten,  wenn  Arzt  und  Patient  nur 
die  nötige  Ausdauer  und  Geduld  besitzen 
und  ersterer  immer  sehr  vorsichtig  bleibt. 
Unter  allen  Umständen  sind  die  Reaktionen 
das  Wichtigste  und  Bankbarste  bei  der  ganzen 
Behandlung.  Daher  ist  auch  ihre  genaueste 
Kenntnis  unerläßlich  für  jeden  Nervenmasseur. 
Man  braucht  sich  nur  an  das  Schema  zu 
halten,  welches  ich  bei  der  Besprechung  der 
verschiedenen  Arten  von  Nervenbeschwerden 
gegeben  habe,  und  man  hat  für  jede  Reaktion 
die  genaue  Erklärung  und  Bezeichnung.  Sind 
letztere  doch  nichts  anderes  als  die  Erregung 
bereits  im  Korper  vorhanden  gewesener  ner- 
vöser Krankheitssymptome.  Selbstverständ- 
lich rufen  auch  alle  anderen,  den  Körper 
treffenden  Reize  genau  dieselben  Erschei- 
nungen hervor.  Davon  wissen  Bäder  und 
Sanatorien  ein  Lied  zu  singen.  Aber  man 
hatte  bisher  keine  genügende  Erklärung  dafür. 
Die  Nervenpunktlehre  gibt  sie  in  der  für 
jedermann  verständlichsten  und  einfachsten 
Form.  Mit  derselben  Klarheit  aber  geht 
hervor,  daß  alle  nicht  die  Nervenpunkte 
direkt  treffenden  Heilmethoden  nur  darauf 
hinausgehen  müssen,  den  übererregten  Nerven- 
strom zu  beruhigen.  Eine  dauernde  Beruhi- 
gung ist  nur  dann  möglich,  wenn  die  alle 
Reize  aufnehmenden  und  weitergebenden 
Punkte  verschwunden  sind,  wenn,  mit  anderen 
Worten  die  Nervenbahn  frei  ist  von  allen 
Hindernissen.  Das  kann  aber  nur  eine  rein 
mechanische  Behandlung  tun,  und  glaube  ich 
an  Hunderttausenden  von  Nervenpunkten  be- 
wiesen zu  haben,  daß  keiner,  wenn  er  richtig 
gefaßt  und  genügend  lange  bearbeitet  wird, 
der  Behandlung  widerstrebt.  Die  übrigen 
Methoden  können  wohl  nebenbei  angewandt 
werden,  nur  ist  ihre  Bedeutung  an  die  zweite 
Stelle  gerückt.  Ist  nun  der  Nervenpunkt  be- 
seitigt, so  ist  damit  nicht  die  Krankheit, 
sondern  fürs  nächste  nur  der  nervöse  Folge- 
zustand derselben  fortgeschafft.-  Nebenbei 
bedarf  natürlich  das  Urleiden  einer  ständigen 
Behandlung  und  einer  in  bestimmten,  immer 
größer  werdenden  Zeiträumen  notwendigen 
Nachprüfung  auf  etwa  neugebildete  Nerven- 
punkte. Man  muß  eben  immer  dessen  ein- 
gedenk bleiben,  daß  man  mit  der  Massage 
nicht  das  Grundleiden  fortschafft,  sondern 
nur  seine  Folgen,  seine  Narben,  und  darf 
über  .  diesen  nicht  die  eigentliche  Ursache 
vergessen.  Dieser  Gedanke  wird  einen  immer 
vor  Überhebung  bewahren. 

Wie  verhält  es  sich  aber  mit  den  ner- 
vösen Folgen  eines  an  sich  unaufhaltsam  fort- 
schreitenden Grundleidens?  Soll  man  da  die 
Hände  müßig  in  den  Schoß  legen?  Unter 
keinen   Umständen!     So    leiden  z.  B.  die  an 


Tuberkulose,  Diabetes,  Krebs,  Zucker  etc. 
Erkrankten  meist  mehr  an  den  nervösen 
Folgen  der  Krankheit  als  an  jenen  selbst. 
Und  man  tut  nur  ein  Werk  der  schönsten 
Barmherzigkeit,  wenn  man  ihnen  wenigstens 
die  Hauptschmerzpunkte  wegschafft,  selbst 
auf  die  Gefahr  hin,  scheinbar  eine  Sisyphus- 
Arbeit  zu  verrichten,  da  immer  wieder  neue 
Knotenpunkte  sich  bilden.  Das  gleiche  gilt 
für  die  wirklich  zentral  Erkrankten.  Denn 
selbst  diese  gehen  niemals  ohne  peripherische 
Mitwirkung  von  statten,  sodaß  man  auch 
hier  im  edelsten  Sinne  lindernd  zu  wirken 
vermag. 

Zu  der  Gruppe  der  ausgesprochenen 
Nervenpunkterkrankungen  gehört,  wie  ich  be- 
reits in  einer  besonderen  Abhandlung4)  dartat, 
die  Seekrankheit.  Sie  ist  geradezu  der  Typus 
der  rein  mechanischen  Erregung  von  Nerven- 
punkten. Was  so  mechanisch  erregt  wird, 
kann  auch  nur  mechanisch  beruhigt  werden, 
und  glaube  ich  hinreichend  sicher  bewiesen 
zu  haben,  daß  durch  rein  mechanisches  Fest- 
halten der  Hauptseekrankheitspunkte  mittels 
meines  Gürtels  die  Krankheit  sofort  gelindert, 
ja  geheilt  werden  kann,  wie  ja  auch  ein  vor- 
heriges Fortschaffen  dieser  ganz  charakteristi- 
schen Punkte  mittels  methodisch  ausgebildeter 
Nervenpunktmas8age  den  Ausbruch  der  Krank- 
heit verhütet.  Der  Seekrankheit  gleich  zu 
achten  sind  die  ähnlichen  Erscheinungen 
beim  Eisenbahnfahren,  Luftballonfahren  etc. 
Dasselbe  nur  mit  anderen  Erregungsursachen 
und  mitunter  .anderen  Punkten  bieten  Migräne, 
die  nervösen  Jfftgendarmerscheinungen,  die 
Störungen  der  Menstruation,  die  Beschwerden 
der  Schwangeren,  die  verschiedenartigsten 
Neuralgien  und  Krampfzustände  etc.  dar,  die 
sich  schließlich  bis  zu  den  schweren  Neurosen 
steigern  können6). 

Ein  eigenartiges  Licht  wirft  die  Nerven- 
punktlehre auf  den  Morphinismus  und  die 
ähnlichen  Leiden.  Bei  allen  diesen  Un- 
glücklichen finden  wir  einen  durch  Ererbung 
und  Akquisition  krankhaft  erhöhten  Nerven- 
strom vor.  Alle  sind  reich  an  schweren,  ja 
charakteristischen  Nervenpunkten.  Eie  Ent- 
wicklung der  Krankheit  denke  ich  mir  fol- 
gendermaßen: Der  Kranke  ist  entweder  ganz 
zufällig  oder  getrieben  durch  erhöhte  Er- 
regungswellen   das   erste  Mal  zu  dem  Mittel 


4)  Berliner  klin.  Wochenschr.  1903,  No.  19. 

5)  Vergl.  „Die  nervösen  Magendarmerscheinun- 
gen  zumal  das  Erbrechen  der  Schwangeren  und 
die  Druckpunkttheorie",  Wiener  klinische  therap. 
Wochenschr.  1903,  No.  26  u.  27;  ferner  „Die  Druck- 
punkte, ihre  Entstehung,  Bedeutung  bei  Neuralgien, 
Nervosität,  Hysterie,  Neurasthenie,  Epilepsie  und 
Geisteskrankheiten,  sowie  ihre  Behandlung  mittels 
Nervenmassage",  Berlin  1902,  Otto  Enslin. 


XIX.  Jahrgang.-! 
Mai  1905.     J 


Cornelius,  Ncrvcnmataago. 


235 


gekommen.  Die  Wirkung  war  von  Anfang 
an  oder  doch  bald  darauf  eine  berauschende 
Beruhigung  des  Nervenstrome,  der  nach  dem 
von  mir  aufgestellten  Ausgleichungsgesetze 
bald  die  Erregungswellen  folgen,  welche  sich 
in  den  zentral  oder  peripherisch  gelegenen 
Nervenpunkten  abspielen.  Diese,  als  Hunger 
nach  dem  betreffenden  Mittel  aufgefaßt,  lassen 
immer  wieder  zu  dem  narkotischen  Mittel 
greifen.  Der  dann  bald  einsetzende  Kampf 
gegen  letzteres  erhöht,  wie  man  unschwer 
begreift,  die  Wellen  nur,  und  gar  zu  bald 
haben  wir  das  ganze  Krankheitsbild  vor  uns 
mit  den  unseligen  Reaktion s wellen  und  den 
immer  nur  künstlich  erzeugten  Beruhigungs- 
wellen, die  den  Keim  zu  neuen  Erregungs- 
wellen in  sich  tragen.  Will  man  den  Armen 
wirklich  helfen,  so  schaffe  man  zunächst  die 
Knotenpunkte  der  Peripherie  aus  der  Welt 
und  verhüte,  soweit  wie  möglich,  die  Reak- 
tionswellen. Selbstverständlich  werden  sich 
im  Laufe  einer  solchen  Krankheit  auch  zen- 
trale Knotenpunkte  bilden,  doch  ist  mit  dem 
Fortschaffen  der  peripherischen  Punkte  eine  ge- 
wisse beruhigende  Beeinflussung  der  zentralen 
unbedingt  verbunden.  Die  Behandlung  er- 
fordert natürlich  viele  Wochen,  ja  Monate, 
doch  ist  die  Entziehung  vom  Gift  eine 
ganz  freiwillige.  Man  gibt  dem  Kranken 
so  viel  Morphiumlösung,  wie  er  will,  fragt 
ihn  auch  gar  nicht  danach,  wie  viel  er  täg- 
lich braucht,  sondern  fordert  ihn  nur  auf, 
die  Dosis  jeden  Tag  genau  zu  registrieren, 
dabei  hervorhebend,  daß  man  die  Liste  bis 
zur  Beendigung  der  Kur  nicht  nachsehen 
werde.  Man  sucht  die  Energie  des  Kranken 
ganz  vorsichtig  zu  heben,  vermeidet  aber" 
jeden  Kampf  mit  dem  Hunger  nach  dem 
Mittel.  Dafür  unterzieht  man  ihn  einer  me- 
thodischen Nervenpunktmassage ,  die  wegen 
der  dabei  auftretenden  Reaktionen  besonders 
vorsichtig  ausgeübt  werden  muß.  Ist  man 
nun  so  weit  gelangt,  die  Nervenpunkte  wirk- 
lich definitiv  beseitigt  zu  haben  und  damit 
alle  Reaktionen  in  ihnen  zu  verhüten,  kann 
man  sicher  sein,  daß  auch  der  Hunger  ver- 
schwunden ist.  Gewiß  kann  man  diese  jahre- 
lange Gewohnheit  nicht  mit  einem  Schlage 
au 8  der  Welt  schaffen,  aber  nach  gewisser 
Zeit  wiederholte  Kuren  bringen  dann  schließ- 
lich wenigstens  in  den  nicht  gar  zu  zentralen 
Fällen  einen  ausgesprochenen  Erfolg.  Wenn 
ich  auch  nur  über  eine  beschränkte  Anzahl 
von  Beobachtungen  in  dieser  Hinsicht  ver- 
füge, so  halte  ich  doch  den  Gegenstand  für 
wichtig  genug,  ihn  hier  zu  erwähnen  und  zu 
einer  genauen  Nachprüfung  aufzufordern. 
Von  großer  Wichtigkeit  für  den  Kranken  ist 
es  aber,  daß  man  ihn  nicht  als  das  Opfer 
seiner  mangelnden  Energie   ansieht,   sondern 


als  einen  rein  körperlich  Kranken,  dem  man 
auch  körperlich  beizukommen  sucht. 

Aus  allem  dem  Gesagten,  dem  ich  noch 
sehr  viel  zusetzen  könnte,  geht  hervor,  daß 
die  Nervenmassage  berufen  ist,  eine  ungeheuer 
wichtige  Rolle  in  der  modernen  Therapie  zu 
spielen.  Sie  setzt  den  Hebel  an  Leiden  an, 
die  einerseits  eine  immer  bedrohlichere  Aus- 
dehnung genommen  haben,  ja  wohl  die  wich- 
tigste Krankheit  von  heute  darstellen,  denen 
man  andrerseits  bisher  so  gut  wie  ohn- 
mächtig gegenüberstand;  fehlte  doch  bisher 
bei  ihnen  jede  auch  nur  irgend  wie  genü- 
gende Erklärung  und  mußte  man  sich  daher 
immer  nur  mit  allgemeiner  Beruhigung  be- 
gnügen, die  gar  zu  oft  im  Stiche  läßt.  Es 
gibt  kein  Gebiet  der  praktischen  Medizin,  in 
welches  nicht  die  Nervenpunkte  hinein- 
spielten. Es  gibt  aber  auch  für  den  Ein- 
geweihten wohl  kaum  etwas  Interessanteres, 
als  diesem  ewig  wechselnden  Spiel  der  ner- 
vösen Wellen  nachzugehen  und  ihrer  schließ- 
lich Herr  zu  werden.  Wie  viele  Ent- 
täuschungen, wie  viele  Überraschungen  muß 
man  allerdings  täglich  erleben!  Denn  nichts 
ist  so  wechselnd,  ja  so  unberechenbar  wie  die 
Nervenreaktion.  Nichts  verlangt  so  viel  Aus- 
dauer, so  viel  Geduld,  ist  aber  auf  der  an- 
deren Seite  so  dankbar  und  interessant. 

Ich  brauche  demnach  wohl  nicht  hervor- 
zuheben, daß  die  Nervenmassage  eine  be- 
sondere Stelle  in  der  Medizin  verlangt. 
Ihre  Ausführung  setzt  dafür  auch  eine  sehr 
große  Übung  und  genauestes  Kennen  der 
Prädilektionsstellen  für  Nervenpunkte  und 
sämtlicher  Reaktionserscheinungen  voraus. 
Nicht  jeder  Arzt  wird  berufen  sein,  sich  der 
Nervenmassage  zu  widmen.  Nur  wer  Nei- 
gung dafür  in  sich  fühlt,  die  nötige  Geduld 
und  Übung  hat,  sollte  sie  ausüben..  Die 
Ausbildung  der  geeigneten  Ärzte  würde  am 
besten  in  Polikliniken  erfolgen,  für  welche 
wohl  jede  nur  irgend  wie  größere  Stadt 
reichliches  Krankenmaterial  liefern  könnte. 
Wer  aber  die  Nervenmassage  mal  als  Beruf 
gewählt  hat  —  und  Hunderte  von  Ärzten  finden 
in  jedem  Lande  dabei  ihr  recht  auskömm- 
liches Brot  — ,  der  wird  sie  nicht  leicht 
wieder  mit  einer  anderen  ärztlichen  Tätigkeit 
eintauschen  mögen.  Der  täglich  erneute  Dank 
der  armen,  verkannten  Nervösen,  die  schon 
seit  Jahrhunderten  ihre  Klagen  in  die  Welt 
hinaus  schreien,  ohne  wirkliches  Verständnis, 
ohne  eigentliche  Hilfe  zu  finden,  ist  eine 
Belohnung,  wie  sie  schöner,  wie  sie  reiner 
nicht  gedacht  werden  kann. 


236 


Pick,  Ente  Hilfe  bei  Aufenverletsuofen. 


[Therapeuten« 
Monatsheft«. 


Die  erste  Hilfe  bei  Augen  Verletzungen. 

Von 
Dr.  Pick,  Augenarzt  in  Königsberg  Pr. 

Vorbemerkung.  Bei  jeder  Verletzung 
des  Körpers  resp.  seiner  Teile  ist  die  Frage 
einer  eventuellen  Infektion  in  sorgfältigste 
Erwägung  zu  ziehen;  sie  ist  bei  den  Traumen, 
die  das  Auge  oder  die  Umgebung  desselben 
treffen,  auf  dreierlei  Art  möglich:  1.  durch 
den  verletzenden  Gegenstand  selbst,  wenn 
derselbe  Infektionskeime  enthält,  2.  durch 
etwaiges  bakterienh altiges  Sekret  der  Binde- 
haut oder  des  Tränensackes,  3.  durch  Un- 
reinlichkeit  der  Hände,  der  Instrumente  oder 
des  Verbandzeuges. 

1.  Bezüglich  des  ersten  Punktes  wird 
bei  einer  frischen  Verletzung  die  Diagnose 
einer  Infektion  mit  Sicherheit  nicht  gestellt 
werden  können;  es  gibt  indessen  Anhalts- 
punkte, welche  nach  der  einen  oder  andern 
Richtung  hin  eine  Wahrscheinlichkeitsdiagnose 
zulassen.  So  sind  metallische  Fremdkörper, 
Glassplitter  gewöhnlich  nicht  infektiös,  wäh- 
rend Holzsplitter,  Getreidegrannen  und  ähn- 
liche organische  Produkte  sehr  häufig  Infektion 
verursachen.  Es  kommt  hierbei  femer  in 
Betracht  die  Art  der  Wunde;  glatte,  scharf- 
randige,  schnell  verklebende  Wunden  sind 
weniger  der  Infektion  zugänglich  als  große, 
unregelmäßige,  klaffende  Wunden.  Weiter 
kann  eine  Verunreinigung  ursprünglich  asep- 
tischer Wunden  eintreten  durch  Versuche  von 
Laien,  Fremdkörper  zu  entfernen,  die  Ent- 
zündung zu  bekämpfen  und  dergl.  Das  be- 
liebte Auslecken  mit  der  Zunge,  Einlegen 
von  Krebssteinen,  Auflegen  von  Kuhmist  etc. 
hat  schon  manche  schwere  Hornhauteiterung 
verursacht. 

2.  Bei  jeder  frischen  Verletzung  des  Aug- 
apfels ist  es  notwendig,  den  Tränensack  zu 
untersuchen.  Zu  diesem  Zwecke  drückt  man 
mit  dem  Zeigefinger  in  die  Tränengrube  des 
inneren  Lidwinkels,  vom  Tränensack  nach 
dem  unteren  Tränenpunkt  zu  streichend,  um 
so  festzustellen,  ob  Sekret  im  Tränensack 
ist.  Läßt  sich  Sekret  aus  dem  Tränensack 
ausdrücken,  so  ist  die  Infektionsgefahr  eine 
eminente.  Man  glühe  dann  sofort  den  oberen 
und  unteren  Tränenpunkt  gut  zu;  das  Lid 
wird  dabei  vom  Bulbus  gut  abgezogen,  und 
der  Tränenpunkt  mit  einer  Glühnadel  einige 
Sekunden  betupft.  Der  Glühschorf  hält  ca. 
4  Tage.  Die  radikale  Therapie  in  solchen 
Fällen,  nämlich  die  Exstirpation  des  Tränen- 
sacks, ist  für  den  praktischen  Arzt,  der  nur 
auf  sich  angewiesen  ist,  nicht  anwendbar, 
sie  ist  die  rationelle  Therapie  nur  für  den 
okulistisch  gut  geschulten  Arzt. 

3.  Instrumente  und  Verbandzeug  müssen 


sterilisiert,  die  Hände  des  Operateurs  gut 
gereinigt  und  desinfiziert  sein.  Etwaige  An- 
aesthetica  werden  keimfrei  gemacht,  indem 
sie  in  gut  verkorkter  und  verschnürter  Flasche 
ca.  10  Minuten  im  Wasserbade  gekocht  werden. 
Zur  Desinfektion  des  Gesichtes  und  Binde- 
hautsackes ist  nach  Abseifen  event.  Rasieren 
zu  empfehlen:  Hydrargyrum  oxycyanatum 
1  :  2000.  Im  folgenden  sollen  nun  die  in 
der  Praxis  am  häufigsten  vorkommenden 
Augenverletzungen  und  die  erste  Hilfeleistung 
dabei  besprochen  werden. 

I.  Fremdkörperverletzungen  des  Auges. 

1.  Fremdkörper  im  Bindehautsack. 
Die  Fremdkörper  im  Bindehautsack  des  unteren 
Lides  werden  meist  vom  Patienten  selbst 
entfernt,  die  des  oberen  öfters  durch  Reiben 
auf  den  Lidern  weggeschoben,  oft  aber  auch 
nicht.  Der  Schmerz  ist  meist  ein  sehr  unan- 
genehm reibender,  die  Lider  werden  ge- 
schlossen gehalten,  der  Zeitpunkt  der  Ver- 
letzung wird  fast  stets  genau  angegeben, 
selten  ist  es,  daß  die  Patienten  nicht  wissen, 
ob  und  wann  ihnen  etwas  ins  Auge  gekommen 
ist.  Der  Arzt  wasche  sich  die  Hände;  der 
Patient  sitzt  am  besten  auf  einem  Stuhl,  mit 
dem  Gesicht  dem  Fenster  zugewandt,  der 
Arzt  tritt  hinter  den  Patienten,  lehnt  dessen 
Kopf  an  seine  Brust  und  evertiert  jetzt  das 
betreffende  Oberlid.  In  der  Mitte  der  Con- 
junctiva  tarsi  sitzt  dann  gewöhnlich  der  kleine 
Fremdkörper,  den  man  durch  Herüberstreichen 
mit  der  Fingerkuppe  entfernt.  Der  Patient 
kann  sofort  die  Augen  frei  öffnen.  Besteht 
trotz  der  Entfernung  des  resp.  der  Fremd- 
körper noch  eine  gewisse  Empfindlichkeit  oder 
ein  Gefühl  von  Reiben,  so  untersuche  man 
den  Patienten  bei  seitlicher  Beleuchtung 
mittels  künstlichen  Lichtes.  Man  wird  dann 
stets  auf  der  Hornhaut  Streifenerosionen 
finden,  welche  infolge  des  Reibens  des  Fremd- 
körpers auf  der  Hornhaut  entstanden  sind. 
Die  Diagnose  der  Erosionen  wird  außer- 
ordentlich erleichtert  durch  die  Färbbarkeit 
der  wunden  Stellen  gegenüber  2proz.  Phtha- 
leinfluorescin: 

Rp.     Fluorescini  0,4 

Natrii  carbonici  0,7 

Aquae  destillatae  20,0 

M.  D.  S.  Äußerlich  zum  Einträufeln. 
Ein  Tropfen  dieser  Flüssigkeit  färbt  sie 
deutlich  grün.  Unter  Verband  mit  2proz. 
Borsäure  oder  einfach  gekochtem  Wasser  ist 
die  Erosion  am  nächsten  Tage  geheilt.  (Doch 
denke  man  an  Tränensackeiterung). 

Im  oberen  Übergangsteil  sind  Fremd- 
körper recht  selten  und  belästigen  bei  weitem 
nicht  so  stark  den  Patienten,  weil  die  un- 
mittelbare Berührung  mit  der  Hornhaut  fehlt. 


i 

j 


XIX.  Jahrgang.! 
■     Mal  1905.     J 


Pick,  Erste  Hilfe  bei  Augen  Verletzungen. 


237 


Man  macht  sich  den  Übergangsteil  am  be- 
quemsten sichtbar,  indem  man  nach  Ektro- 
pionierung  des  Oberlides  den  Patienten  stark 
nach  unten  sehen  läßt,  dann  mit  dem  Zeige- 
finger der  rechten  Hand  das  Unterlid  mit 
samt  dem  Augapfel  in  die  Augenhohle  etwas 
hineindrängt;  der  obere  Übergangsteil  springt 
dann  vor  und  kann  untersucht  werden. 

2.  Fremdkörper  in  der  Hornhaut. 
Meist  kleine  Corpora  aliena,  die  ein  Gefühl 
von  Drücken,  Reiben  hervorrufen,  indessen 
bei  weitem  nicht  so  stark  wie  Fremdkörper 
in  der  Bindehaut  des  Oberlides.  Die  Be- 
schwerden sind  tagsüber  ziemlich  gering, 
nehmen  gegen  Abend  an  Intensität  erheblich 
zu.  Das  Auge  zeigt  ciliare  Injektion,  wird 
ziemlich  frei  geöffnet.  Meist  ist  zur  Diagnose- 
stellung die  genaue  Untersuchung  mit  seit- 
lichem Licht  notwendig. 

Entfernung  des  Fremdkörpers:  In  das 
Auge  wird  auf  die  Hornhaut  entweder  Kokain 
(3proz.  3  —  4  Tropfen,  Anästhesierung  nach 
3 — 4  Minuten)  oder  Holokain  (lproz.  2  bis 
3  Tropfen,  Anästhesierung  nach  l1/«  Minuten, 
brennt  etwas  beim  Einträufeln)  eingeträufelt. 
Patient  und  Arzt  sind  in  derselben  Stellung 
wie  No.  1.  Mit  dem  Zeige-  und  Mittelfinger 
der  linken  Hand,  die  auf  die  Lidkanten  der 
beiden  auseinandergezogenen  Lidränder  gelegt 
werden,  halte  man  die  Lider  fest  und  drücke 
sie  etwas  gegen  den  Augapfel.  Auf  diese 
Weise  wird  1.  die  Hornhaut  zugänglich  ge- 
macht und  2.  der  Bulbus  genügend  immo- 
bilisiert, ohne  daß  Lidsperre,  Fixierpinzette 
und  dergl.  nötig  sind.  Dann  nehme  man 
die  aseptisch  gemachte  Fremdkörpernadel 
oder  den  Hohlmeißel,  und  indem  man  den 
Patienten  auf  einen  Punkt  so  sehen  läßt, 
daß  man  den  Fremdkörper  selbst  gut  sehen 
kann,  geht  man  mit  dem  Hohlmeißel  schräg 
in  die  Hornhaut  hinter  den  Fremdkörper 
und  hebt  ihn  so  heraus.  Die  Angst  vieler 
Arzte,  die  Hornhaut  zu  perforieren,  ist  ganz 
unbegründet,  wenn  nur  folgendes  beachtet 
wird:  a)  der  Fremdkörper  darf  nicht  in  die 
Vorderkammer  hineinragen,  wovon  man  sich 
durch  seitliche  Beleuchtung  überzeugt  haben 
muß,  b)  man  geht  mit  dem  Instrument  nicht 
steil,  sondern  schräg  in  die  Hornhaut  hinein. 
Unter  Verband  mit  2proz.  Borwasser  oder 
Hydrargyrum  oxycyanatum  1  :  5000,  täglich 
2 — 3  mal  gewechselt,  heilt  die  kleine  Wunde 
durchschnittlich  in  2 — 4  Tagen. 

3.  Erosionen  der  Hornhaut.  Sub- 
jektiv stets  recht  schmerzhaft,  starke  Licht- 
scheu, Reizbarkeit.  Um  eine  Untersuchung 
überhaupt  zu  ermöglichen,  ist  es  mitunter 
notwendig,  einige  Tropfen  3proz.  Kokain  ein- 
zuträufeln. Die  Diagnose  wird  entweder 
durch  die  Fluorescinprobe  gestellt,  oder  (nach 

Th.  M.  I»u5. 


der  früheren  Methode)  man  setze  den  Fat. 
mit  dem  Gesicht  gegen  das  Fenster,  stelle 
sich  vor  ihn  und  lasse  ihn  auf  den  Zeige- 
finger des  Arztes  sehen;  diesen  bewegt  man 
so,  daß  das  Fensterkreuz  nacheinander  auf 
allen  Teilen  der  Hornhaut  sich  spiegelt. 
Jede  kleinste  Unregelmäßigkeit  der  Oberfläche 
wird  durch  eine  Verzerrung  des  Spiegel- 
bildes kenntlich. 

Therapie  der  Erosio  corneae:  Bei  kleineren 
Erosionen  genügt  einfacher  Verband,  bei 
größeren  ordiniere  man  zur  Linderung  der 
Schmerzen  Kokain  2  proz.,  4 — 5  mal  täglich 
einzuträufeln,  hydropathischen  Verband  mit 
2  proz.  Borsäure  oder  Hydrargyrum  oxy- 
cyanatum, gelegentlich  1  —  2  Tropfen  A tropin 
(1  proz.).  Gaze  und  Watte  mit  Flüssigkeit 
getränkt,  darüber  Billrothbatist  oder  Per- 
gamentpapier und  trockne  Watte,  dann  volle 
Binde,  3— 4  stündlich  zu  erneuern,  Arbeitsruhe. 

Die  Erosio  corneae  kann  kompliziert 
werden  a)  durch  Infektion,  entweder  infolge 
eines  infektiösen  Fremdkörpers  oder  durch 
Tränensackeiter.  Innerhalb  1 — 2  Tagen  bildet 
sich  dann  an  Stelle  der  Erosion  ein  Ulcus 
corneae  aus,  daran  kenntlich,  daß  der  graue 
Grund  des  Geschwürs  gar  nicht  spiegelt,  die 
Ränder  graugelb  verfärbt,  die  angrenzenden 
Hornhautpartien  streifig  getrübt  sind,  die 
Iris  verwaschen,  die  Pupille  eng  wird  und 
Hypopyon  auftritt.  10 — 12  mal  Atropin, 
Kauterisation  des  Ulcus,  ist  (abgesehen  von 
der  Tränensackbehandlung  und  Einl.)  das 
sichere  Mittel,  den  Prozeß  zu  kupieren. 

b)  Gewisse  Erosionen,  namentlich  die 
durch  Fingernägel  herbeigeführten  Hornhaut- 
rißwunden, zeigen  eine  erheblich  langsamere 
Heilungstendenz  und  die  Neigung,  spontan 
plötzlich  zu  rezidivieren;  die  Rezidive  erfolgen 
stets  des  Nachts;  die  Pat.  wachen  mit  starken 
Schmerzen  auf,  die  Untersuchung  ergibt  eine 
frische  Erosion,  die  genau  an  Stelle  der  alten 
Verletzung  sitzt.  Hydropathischer  Verband 
etc.  sind  auch  hierbei  die  indizierten  Maß- 
nahmen. 

4.  Perforierende  Bulbusverletzun- 
gen.  Das  Wichtigste  ist  die  Stellung 
einer  richtigen  Diagnose.  Es  darf  nicht 
vorkommen,  daß  der  behandelnde  Arzt 
Patienten  mit  perforierenden  Augapfelver- 
letzungen Umschläge  von  Borwasser  oder 
dergleichen  verordnet  und  sie  Tage  hin- 
durch ohne  Verband  herumlaufen  läßt,  bis 
sie  schließlich  von  selbst  sich  an  einen 
Augenarzt  wenden.  Die  Diagnose  ist  nicht 
schwer,  sobald  überhaupt  nur  an  die  Mög- 
lichkeit einer  derartigen  Verletzung  gedacht 
wird.  Bei  kleineren  Wunden  des  Augapfels 
(größere  werden  wohl  niemals  übersehen 
werden)   besteht   stets   ciliare   Injektion,   die 

19 


238 


Piek,  Ente  Hilf«  b«i  Augen  Verletzungen. 


prher&peiitiache 
L    MoBütwbefte. 


Sehkraft  ist  fast  stets  mehr  oder  weniger 
herabgesetzt,  die  Tension  kurz  nach  der  Ver- 
letzung niedriger  als  auf  dem  gesunden  Auge, 
bei  Wunden  der  Lederhaut,  mögen  sie  auch 
noch  so  klein  sein,  ist  das  Auge  stets  sehr 
viel  weicher,  infolge  der  geringen  Verklebungs- 
tendenz  dieser  Wunden,  während  Hornhaut- 
wunden meist  sehr  rasch  verkleben,  die  Ciliar- 
gegend  ist  auf  Berührung  empfindlich.  Für 
die  Behandlung  ist  zunächst,  nachdem  die 
Diagnose  auf  eine  perforierende  Bulbus  Ver- 
letzung überhaupt  gesichert  ist,  von  Wichtig- 
keit, festzustellen,  ob  ein  Fremdkörper  im 
Innern  des  Auges  sich  befindet. 

Die  erste  Hilfeleistung,  die  für  unsere 
Besprechung  allein  in  Betracht  kommt,  er- 
streckt sich  nur  auf  solche  Fremdkörper,  die 
leicht  erreichbar  sind,  also  auch  mit  der 
Pinzette  etc.  aus  der  Wunde  entfernt  werden 
können.  Sind  Fremdkörper  tief  im  Innern 
des  Auges,  so  überlasse  man  die  Nachbehand- 
lung dem  Augenarzt  und  beschränke  sich  auf 
die  Behandlung  der  perforierenden  Wunde 
selbst.  Dieselbe  ist  verschieden  je  nach  der 
Größe,  Lage,  Beschaffenheit  der  Wundränder. 
Im  allgemeinen  sind  Wunden,  die  die  Leder- 
haut perforieren  und  den  Glaskörper  treffen 
viel  perniziöser  als  Wunden  des  vorderen, 
Bulbusabschnittes. 

Erste  Regel:  Desinfektion  des  Opera- 
tionsgebietes (Abschneiden  der  Wimpern, 
Untersuchung  der  Tränenwege,  Ausspülen  der 
Bindehaut  mit  Hydrargyrum  oxyeyanatum 
1  :  2000),  Desinfektion  der  Hände,  der  Ver- 
bandstoffe, der  Instrumente  und  des  etwaigen 
Nahtmaterials,  gute  Kokainisierung  (4 — 5  mal 
in  Abständen  von  je  2  Minuten  4  proz.  Kokain 
einträufeln). 

Zweite  Regel:  Pat.  wird  auf  den  Unter- 
suchungstiscb  oder  die  Chaiselongue  gelagert, 
dicht  am  Fenster,  Kopfhaare  und  Körper 
mit  sterilisierten  Tüchern  oder  reinen  Hand- 
tüchern bedeckt. 

Dritte  Regel:  Vorsichtiges  Einlegen  des 
Lidsperrers,  oder,  was  noch  besser,  man  läßt 
die  Lider  mit  2  Desmarr sehen  Lidhaltern 
auseinanderhalten.  Dann  „sehe  man  nach, 
was  vorliegt".  Die  aus  der  Wunde  hervor- 
ragenden oder  in  sie  eingeklemmten  Teile 
werden  mit  Pinzette  und  Schere  sorgfältig 
abgetragen.  Bei  Ski eral wunden,  auch  wenn 
sie  noch  so  klein  sind,  ist  die  Naht  angezeigt; 
man  näht  zuerst  die  Skierair  and  er  mit  feinem 
Catgut  oder  feiner  Seide.  Wenn  möglich, 
soll  nicht  durch  die  ganze  Dicke  der  Sklera, 
sondern  nur  durch  die  oberflächlichen  Skleral- 
schichten  gestochen  werden;  gelingt  dieses 
nicht,  so  schneide  man  die  Fäden  so  lang 
ab,  daß  sie  bequem  total  entfernt  werden 
können.      Dann    wird    die    Conjunctiva    mit 


einigen  Nähten  darüber  vereinigt.  Kleinere 
Wunden  der  Hornhaut  bleiben  ohne  Naht, 
größere  klaffende  Wunden  der  Hornhaut  werden 
entweder  durch  eine  Hornhautnaht  geschlossen, 
oder  es  wird  ein  doppelt  gestielter  Binde- 
hautlappen aus  der  Bindehaut  des  Augapfels 
gebildet,  über  die  Wundstelle  gelegt  und  durch 
Konjunktivalnähte  in  seiner  Lage  festgehalten. 
Dann  einige  Tropfen  A tropin,  Verband. 

Beispiele:  1.  Messerstich  Verletzung 
des  Auges.  Die  Hornhaut  war  vertikal  genau 
halbiert,  aus  der  Wunde  hingen  Iris-  und 
Linsenfetzen  heraus:  Ausgiebige  Abtragung 
der  prolabierten  Teile,  die  Wundränder  legen 
sich  ziemlich  gut  aneinander,  Naht  daher 
nicht  nötig.    Heilung  erfolgt  mit  !/io  Sehkraft. 

2.  Messerstichverletzung  des  Auges. 
Schräge  1,5  cm  lange  klaffende  Wunde  oben, 
zur  Hälfte  je  in  Sklera  und  Cornea  liegend, 
Prolaps  von  Glaskörper,  Iris  und  Linsen- 
teilen. Nach  Entfernung  der  vorliegenden 
Teile  wird  die  Sklera  genäht,  die  Bindehaut 
zu  beiden  Seiten  der  Wunde  bis  zum  hori- 
zontalen Meridian  vom  Limbus  losgelöst  und 
von  der  Sklera  frei  präpariert,  dann  mehrere 
Konjunktivalnähte,  sodaß  die  Bindehaut  die 
Hornhautwunde  vollkommen  deckt.  Heilung 
mit  Erhaltung  des  Augapfels,  aber  ohne  Seh- 
vermögen. 

3.  Stumpfe  Verletzung  durch  Schlag 
mit  großem  Holzstück  bei  geschlossenen 
Lidern.  Großer  Skleralriß,  parallel  dem. 
Limbus,  ca.  2  mm  von  demselben  entfernt. 
Irisvorfall,  starke  Blutung  in  die  Vorder- 
kammer. Durch  einen  Landarzt  wurde  die 
Wunde  nach  Abtragung  des  Iris  Vorfall  es  ge- 
näht, guter  Heilverlauf,  gute  Sehkraft  (Kata- 
rakt, die  später  extrahiert  werden  muß). 

4.  Kuhhornstoß  in  ein  Auge,  Skleral- 
wunde  in  der  oberen  Hälfte  der  Sklera,  dem 
Limbus  parallel,  ca.  2  mm  von  ihm  entfernt, 
totale  Losreißung  der  Iris,  Herausschleuderung 
der  Linse,  Auge  von  Blut  erfüllt.  Sklera 
klafft  nur  wenig,  Bindehautnaht,  Heilung  mit 
7s  Sehkraft. 

5.  GlassplitterverletzungdesAuges 
(nachts  12  Uhr).  Große,  weit  klaffende 
H -förmige  Hornhautwunde  innen,  in  der  Glas- 
körper und  Iris  liegen.  Nach  Abtragung  der 
vorgefallenen  Teile  wird  eine  Kornealnaht 
angelegt,  darüber  die  vom  Limbus  nach  oben 
und  unten  losgelöste  Conjunctiva  vernäht,  so- 
daß die  Wunde  gedeckt  ist,  gute  Heilung 
mit  Cataracta  traumatica. 

6.  Glassplitterverletzung.  Ganz 
kleine  klaffende  Wunde  der  Sklera,  aus  der 
der  Glaskörper  heraushängt,  außen  ca.  1,5  cm 
vom  Limbus  entfernt;  starke  Glaskörper- 
trübungen, Bulbus  ganz  weich.  Skleral-  und 
Konjunktivalnaht,  Heilung  =  1. 


XIX  Jafargmnf .1 
Mal  iSOft.     J 


Piek,  Ente  Hilfe  bei  Augenverletzungen. 


239 


Natürlich  kommen  auch  trotz  sofortigen 
Eingreifens  unglückliche  Fälle  vor.  So  ist 
mir  ein  Knabe  in  der  Erinnerung,  dem  ein 
kleiner  Holzsplitter  ins  Auge  gedrungen  war, 
der  Splitter  saß  genau  im  Zentrum  der  Horn- 
haut und  ragte  etwas  in  die  Vorderkammer 
hinein.  Trotzdem  der  Pat.  schon  eine  Stunde 
nach  der  Verletzung  in  meine  Behandlung 
kam,  trotz  sofortiger  Entfernung  des  Splitters, 
Anglühens  der  Wunde  gelang  es  nicht,  die 
miteingedrungenen  Infektionskeime  unschäd- 
lich zu  machen,  das  Auge  ging  an  Vereiterung 
zugrunde.  Jedenfalls  ist  bei  Wunden,  bei 
denen  die  Gefahr  einer  Infektion  mit  in 
Betracht  kommt,  die  Ausglühung  der  Wund- 
ränder indiziert,  ich  habe  sie  mehrfach  mit 
gutem  Erfolge  vorgenommen.  Ist  das  Auge 
zu  stark  geschädigt,  sodaß  eine  Erhaltung 
des  Auges  keine  genügende  Aussicht  auf  Erfolg 
bietet  (Sehkraft  =  0,  Zerschmetterungen  des 
Auges  etc.),  so  exenteriere  oder  enukleiere  man 
das  Auge.  Wichtiger  als  die  Erhaltung  eines 
unbrauchbaren  Stumpfes  ist  die  Sicherheit, 
keine  sympathische  Ophthalmie  be- 
fürchten zu  müssen. 

II.  Verbrennungen  nnd  Verätzungen  des  Auges. 
1.  Verbrennungen.  Die  häufigsten  Ver- 
letzungen dieser  Art  werden  hervorgerufen  durch 
Explosionen  von  Petroleum  etc.,  glühendes 
Eisen,  glühende  Asche,  Brennschere,  elek- 
trischen Strom,  elektrisches  Licht  (Kurz- 
schluß). Ist  die  Haut  der  Lider  auch  nur 
im  mäßigen  Grade  mit  geschädigt,  so  tritt 
stets  eine  so  erhebliche  Schwellung  der  Lider 
auf,  daß  die  Augen  freiwillig  nicht  geöffnet 
werden  können,  stets  ist  es  aber  die  Pflicht 
des  Arztes,  eventuell  nach  Kokainisierung,  die 
Lider  mittels  Desmarr escher  Lidhalter  zu 
öffnen,  zu  untersuchen,  ob  der  Augapfel  ver- 
letzt ist  und  auch  Fremdkörper  im  Binde- 
hau tsack  oder  auf  der  Hornhaut  vorhanden 
sind.  Verbrennungen  der  Lidhaut  werden 
zunächst  in  derselben  Weise  behandelt  wie 
an  den  übrigen  Teilen  des  Körpers.  Salben- 
verband mit  Borvaseline  oder  Pulververband 
mit  Jodoform  oder  dergl.  Alle  Verbrennungen 
der  Hornhaut  sind  enorm  schmerzhaft,  der 
Schmerz  hält  in  starker  Intensität  stets  mehrere 
Stunden  an,  sie  sind  aber  meistens  ungefähr- 
lich, weil  sie  nicht  infektiös  sind,  und  der 
heiße  Fremdkörper  beim  Hineinkommen  in 
die  Flüssigkeitsschicht  des  Bindehautsacks 
sofort  abgekühlt  wird.  Kommt  ein  Pat.  mit 
einer  derartigen  Verletzung  zum  Arzt,  so 
träufle  man  zuerst  einige  Tropfen  3 — 4proz. 
Kokain  ein.  Nach  3 — 4  Min.  läßt  der  heftigste 
Schmerz  nach,  das  Auge  kann  spontan  ge- 
öffnet werden.  Ist  die  Hornhaut  verbrannt, 
z.  B.    durch   Brennschere,    so   sieht  man  die 


betreffende  Partie  grauweißlich  verschorft. 
Der  Schorf  wird  nach  einigen  Stunden  ab- 
gestoßen, an  seine  Stelle  tritt  eine  große 
Erosion,  welche  sehr  schnell  zu  heilen  pflegt. 
Ordo:  Ein  Tropfen  A tropin  (zur  Bekämpfung 
der  stets  vorhandenen  iritischen  Reizung). 
Hydropathischer  Verband,  3 — 4  stündlich  ge- 
wechselt. Gelegentlich  wird  es  erwünscht  sein, 
den  Pat.  2  proz.  Kokain  mitzugeben,  um  beim 
Verbandwechsel,  wenn  die  Schmerzen  sehr 
stark  sind,  sich  selbst  es  einzuträufeln. 

Einen  abweichenden  Symptomenkomplex 
liefern  die  durch  den  elektrischen  Strom 
hervorgerufenen  Schädigungen  des  Sehorgans: 
a)  Bei  Blitzschlägen  oder  andern  starken  elek- 
trischen Strömen,  die  direkt  den  Körper 
treffen,  kann  es  zu  Kataraktbildungen,  Netz- 
hautblutungen und  Netzhautablösungen  kom- 
men. Das  Augenmerk  des  Arztes  wird  sich 
bei  solchen  Verletzungen  indessen  in  erster 
Linie  auf  den  Allgemeinzustand  richten 
müssen. 

b)  Verbrennung  durch  sehr  starkes  elek- 
trisches Licht.  Recht  häufig  ist  die  Oph- 
thalmia electrica,  die  dadurch  entsteht, 
daß  bei  Untersuchung  irgend  einer  Leitung 
oder  dergl.  ein  Kurzschluß  zwischen  zwei 
Teilen  der  Leitung  entsteht  und  infolge  dessen 
ein  sehr  heller  elektrischer  Funke  dicht  vor 
den  Augen  des  Beobachters  überspringt.  Das 
Auge  ist  stark  geblendet,  lichtscheu,  tränt 
und  schmerzt.  Die  objektive  Untersuchung 
ergibt  meist  nur  konjunktivale  Hyperämie, 
leicht  hauchartige  Epitheltrübung  der  Horn- 
haut. Charakteristisch  ist,  daß  die  Schmerzen 
sich  des  Abends  und  nachts  bis  zur  Unerträg- 
lichkeit  steigern.  Stets  muß  man  solchen 
Pat.  ordinieren:  Arbeitsruhe,  Dunkelheit, 
Kokain  2  proz.  nach  Bedarf  einzuträufeln, 
kühle  Umschläge  mit  einfach  abgekochtem 
Wasser  (ohne  irgend  welchen  Zusatz)  oder 
hydropathischen  Verband  mit  gekochtem 
Wasser.  Die  Ursache  dieser  Affektion  ist  eine 
Läsion  des  Auges  infolge  der  chemischen 
Wirkung  der  ultravioletten  Strahlen.  In  ähn- 
licher Weise,  mitunter  noch  viel  intensiver, 
wirken  Röntgen-  und  Radiumstrahlen  auf  das 
Auge  ein. 

Eine  besondere,  hier  nur  zu  streifende 
Gruppe  bilden  die  Augenentzündungen  durch 
Blendung,  z.  B.  bei  Wanderungen  über  Schnee, 
Gletscher,  Eis.  Die  Hauptsache  ist  Prophy- 
laxe durch    gute    dunkelgraue    Schutzbrillen. 

2.  Verätzungen  des  Auges  infolge 
chemischer  Einwirkungen. 

a)  Kalkverletzung.  Sie  ist  die  häufigste 
Verletzung,  oft  von  schwerer  Schädigung  der 
Augen  gefolgt. 

Der  gebrannte  Kalk,  ob  ungelöscht  oder 
gelöscht  (Ätzkalk),  bewirkt  oberflächliche,  auch 

19' 


240 


Pick,  Erste  Hilfe  bei  Aufenverletzunfen. 


rherapftutiflehe 
Monatshefte. 


tiefe  Nekrosen  der  Bindehaut  und  Hornhaut, 
führt  zu  unheilbaren  Trabungen  der  Horn- 
haut, da  er  das  Corneamucid  entzieht,  und 
zu  Narbenbildungen  der  Bindehaut  (Symble- 
pharon). Die  Heilung  ist  bei  schweren  Ver- 
letzungen langsam  und  erstreckt  sich  oft  über 
Monate.  Die  schnellste  Hilfe,  -gleich- 
viel welcher  Art,  ist  hier  die  beste. 
Daher  sofort  Umkehren  des  Oberlides,  Ent- 
fernung aller  Kai kpartik eichen  aus  dem  Binde- 
hautsack oben  und  unten  mit  den  Fingern; 
sind  die  größten  Partikelchen  entfernt,  dann 
spüle  man  den  Bindehautsack  mit  einem  aus 
1  —  2  Fuß  Höhe  herabfallenden  Wasserstrahl 
gründlich  durch.  Oft  sind  Kalkpartikelchen 
so  fest  in  die  Bindehaut  infiltriert,  daß  sie 
mit  der  Pinzette  entfernt  werden  müssen. 

Ist  der  Lidkrampf  so  stark,  daß  es 
schwierig  scheint,  die  Bindehaut  und  Horn- 
haut gut  untersuchen  zu  können,  dann  nehme 
man  einen  dünnen  Holz-  oder  Glasstab,  um- 
wickle ihn  gut  mit  Watte,  tauche  ihn  in 
ein  Fett  (Vaseline  oder  dergl.)  oder  Wasser 
und  durchfahre  zwischen  den  Lidern  von 
einem  Winkel  zum  anderen  den  Bindehautsack; 
man  bekommt  so  eine  Menge  Kalk  heraus. 
Nach  Entfernung  der  Kalkmassen  Atropin, 
Vaseline  in  die  Bindehaut  und  Vaseline- Ver- 
band. In  den  nächsten  Tagen  ist  vor  allem 
darauf  zu  achten,  daß  die  sehr  leicht  sich 
bildenden  Bind  eh  autv erwachsungen  stets  mit 
der  Sonde  gelöst  werden. 

6)  Verätzung  durch  andere  Chemikalien. 
Fast  alle  chemisch  differenten  Flüssigkeiten 
wirken  je  nach  Konzentration,  Menge  und 
Dauer  der  Einwirkung  mehr  oder  weniger 
schädigend  auf  die  Augen,  alle  Säuren, 
Alkalien,  Alcoholica  etc.  Meist  handelt  es 
sich  um  starke  Verbrennungen  der  Lider,  ober- 
flächliche Anätzungen  der  Hornhaut  und  Binde- 
haut. Starkes  Lidödem  erschwert  oft  die 
Untersuchung.  Wenn  möglich,  soll  sofort 
ein  schwaches  Antidot  in  großer  Menge  (gegen 
Alkalien  verdünnter  Essig,  gegen  Säuren 
schwache  Sodalösung)  durch  den  Bindehaut- 
sack gegossen  werden,  eventuell  nur  Wasser, 
wenn  nichts  weiter  zur  Hand  ist.  Atropin, 
Salbenverband  wird  dann  in  den  meisten 
Fällen  das  Zweckmäßigste  sein. 

Verletzung  durch  Gase.  Wie  unan- 
genehm reizend  Rauch,  Dampf  auf  die  Binde- 
haut auch  des  normalen  Auges  wirkt,  ist 
jedem  aus  eigener  Erfahrung  zur  Genüge 
bekannt.  Außer  ihnen  wirken  noch  stark 
reizend  Chlor-,  Formalin-,  Senf-  etc.  Dämpfe; 
sie  verursachen  mitunter  langdauernde  Horn- 
hautentzündungen. Eigentümlich  kann  die 
Primel  (Primula  sinensis)  wirken;  sie  hat 
schon  Iritis  purulenta  zur  Folge  gehabt.  Die 
geeigneten  Maßnahmen  sind :  Schonung,  Schutz- 


brille, laue  bis  kühle  Umschläge  (kein 
Argentum,  Plumbum,  Zinc.  oder  sonstige 
Adstringentia). 

4.  Verletzung  durch  Infektions- 
erreger. Gelegentlich  ist  es  vorgekommen, 
daß  dem  Arzte  Trippereiter,  Diphtherie- 
gift oder  Trachomsekret  in  die  Augen 
spritzt.  Sofort  Ausspülen  des  Bindehautsackes 
mit  großen  Mengen  reinen  Wassers  ist  das 
Erste  und  Wichtigste;  dann  wird  bei  Gonor- 
rhöe- und  trachomatösem  Sekret  Protargol 
(10 — 20proz.)  gut  eingeträufelt,  bei  Diph- 
theriegift  eine  prophylaktische  Immunisierung 
gemacht. 

III.  Verletzungen  der  Lider  und  der  Umgebung 
des  Auge»  und  seltenere  Augenverletznngen. 

Hier  mögen  nur  einige  kurze  Bemerkun- 
gen genügen.  Wunden  der  Lidbaut  werden 
gut  gereinigt  und  nur  dann  genäht,  wenn 
sie  groß  und  klaffend  sind.  Die  Heilungs- 
tendenz der  Lid  wunden  ist  infolge  des  großen 
Gefäßreichtums  eine  gute.  Fremdkörper  in 
der  Orbita  werden  entfernt.  Ist  ein  Bulbus 
aus  der  Orbita  luxiert,  so  suche  man  ihn  zu 
reponieren ;  gelingt  das  nicht,  durch  hydropath. 
Verband  vor  dem  Eintrocknen  zu  bewahren. 
Knochenwunden  werden  nach  chirurgischen 
Grundsätzen  aseptisch  behandelt. 

Handelt  es  sich  um  stumpfe  Traumen 
(ohne  Perforation  des  Bulbus),  die  Linsen- 
luxation,  Katarakt,  Netzhautablösung,  Irisrisse 
mit  Hyphaema  zur  Folge  haben,  so  über- 
lasse der  praktische  Arzt  die  nötigen  Eingriffe 
dem  Ophthalmologen;  das  Wichtigste  ist,  fest- 
zustellen, daß  keine  Perforation  vorliegt,  eine 
dringende  Gefahr   ist  dann  nicht  vorhanden. 


Zwei  neue  Lokalanaesthetica 

in  der  rhino-laryngologischen  Praxis. 

(Milchsaures  Eukatn,  Stovain.) 

Von 

Dr.  Arthur  Meyer  in  Berlin. 

Die  Versuche,  für  das  Kokain  einen  Er- 
satz zu  schaffen,  gründen  sich  hauptsächlich 
auf  die  bekannten  beiden  Fehler  dieses 
Stoffes:  Giftigkeit  und  hoher  Preis.  In  der 
Tat  müssen  wir  z.  B.  bei  der  Anästhesierung 
des  Kehlkopfes  fast  stets  die  Maximaldosis 
von  0,05  g  überschreiten,  und  auch  der 
Chirurg  bedarf  zur  Vornahme  größerer  Opera- 
tionen unter  Infiltrationsanästhesie  oft  weit 
größerer  Quantitäten.  —  Daneben  ist  die 
Unbeständigkeit  beim  Kochen  ein  Übelstand. 

Endlich  ist  das  Kokain  nicht  nur  ein 
Anaestheticum,  sondern  auch  ein  Vasocon- 
stringens;    bisweilen    ist    aber,     abgesehen 


XIX.  Jahrgan*.*! 
MH  190*.     J 


Meyer,  MllehMurea  Eukain,  Stovain. 


241 


von  der  Ophthalmologie,  auch  in  der  Rhino- 
logie  diese  Nebenwirkung  unerwünscht.  Bei 
blutigen  Operationen,  an  den  Muscheln  z.  B., 
nach  welchen  man  nicht  tamponieren  will, 
ist  beim  Abklingen  der  Kokainwirkung  eine 
Nachblutung  zu  befürchten;  indessen  wird 
m.  E.  diese  Gefahr  meist  übertrieben.  Bei 
der  Abtragung  von  Hypertrophien,  besonders 
der  hinteren  Enden  der  unteren  Muscheln, 
mit  der  Schlinge,  bewirkt  das  Kokain  oft 
eine  so  starke  Abschwellung,  daß  sich  die 
Hypertrophie  der  Schlinge  entzieht,  wie  auch 
Katz  hervorhebt.  —  Ist  Blutleere  aber  für 
die  Operation  erforderlich,  so  läßt  sie  sich 
noch  intensiver  durch  Adrenalin  erzeugen. 
Jedoch  besteht  hier  ein  wesentlicher  Unter- 
schied: Die  Adrenalin  -  Ischämie  ist  genau 
umschrieben  und  erstreckt  sich  nur  auf  den 
direkt  von  dem  Medikament  berührten  Be- 
zirk, während  Kokain  zugleich  auf  die  Um- 
gebung einwirkt  und  die  ganze  Muschel  zur 
Kontraktion  bringt.  Daher  ist  das  Kokain 
da  unersetzlich,  wo  man  diffuse  Ab- 
schwellung wünscht;  besonders  um  bei  Eite- 
rung der  Nebenhöhlen  den  Abfluß  zu  er- 
leichtern. Hingegen  machen  es  die  oben 
erwähnten  Fälle  wünschenswert,  ein  An- 
aestheticum  ohne  anamisierende  Eigenschaft 
zu  besitzen. 

Ich  habe  nun  2  neue  Präparate  geprüft, 
welche  die  Fehler  des  Kokains  mehr  oder 
weniger  zu  vermeiden  schienen:  das  ß- 
Eucainum  lacticum  der  chemischen  Fabrik 
a.  A.  (vorm.  Schering)  in  Berlin  und  das 
Stovain  von  Poulenc  freres  in  Paris. 
Beide  habe  ich  an  einer  Anzahl  von  Patienten, 
teils  meiner  Privatpraxis,  teils  der  Poliklinik 
meines  Chefs,  Herrn  Prof.  P.  Hey  mann, 
—  mit  seiner  gütigen  Erlaubnis  und  Unter- 
stützung —  angewandt.  Auch  waren  die 
anderen  Assistenten  der  Poliklinik  mir  durch 
Sammlung  von  Beobachtungen  in  dankens- 
werter Weise  behilflich. 

Das  /S-Eucainum  lacticum,  das  milch- 
saure Salz  der  längst  bekannten  Base,  hat 
vor  dem  Chlorhydrat  den  Vorzug  größerer 
Löslich keit,  wodurch  die  Verwendung  für 
Hai 8-  und  Nasen-Operationen  eigentlich  erst 
ermöglicht  wird.  Langgaard,  auf  dessen 
Veranlassung  das  milchsaure  Salz  dargestellt 
wurde,  gibt  an,  daß  bei  Zimmertemperatur 
sich  eine  22,5  -proz.  Lösung  herstellen  läßt, 
und  daß  seine  Lösungen  sich  durch  Kochen 
sterilisieren  lassen,  ohne  ihre  Wirksamkeit 
zu  verlieren.  Eukain  hat  nach  Vinci  nur  ca. 
^4  der  Giftigkeit  des  Kokains  (Dos.  let.  für 
_     .     ,        Eakain  0,4—0,5  . 

Kaninchen  ^--^0,12  *  Pro  Kllo)>  und 
ist  endlich  kein  Vasoconstringens. 

Prof.    Katz    hat    10    und    15-proz.    Lö- 


sungen für  die  Nasen-  und  Ohrenchirurgie 
empfohlen;  er  fand,  daß  diese  der  10-proz. 
Kokainlösung  völlig  gleichwertig  sind.  Für 
submuköse  Injektionen  in  die  Muscheln 
benutzte  er  2-proz.  Lösung  von  Eukain,  das 
er  mit  Rücksicht  auf  seine  geringere  Giftig- 
keit dem  Kokain  vorzieht. 

Ich  habe  das  Eukainlaktat  in 
30  Fällen  benutzt,  und  zwar  meist  vor 
Operationen  in  der  Nase.  Mit  einer  15-proz. 
Lösung  getränkte  Wattebäusche  wurden  auf 
den  Schleimhautbezirk  aufgelegt  und  etwa 
5  Minuten  in  der  Nase  belassen.  So  habe 
ich  folgende  Operationen  ausgeführt: 

Kauterisation  unterer  Muscheln,  medi- 
kamentöse Ätzungen,  Entfernung  von 
Hypertrophien  und  Polypen,  Abtra- 
gung der  mittleren  Muschel  oder  eines 
Teils  derselben  sowie  hyperplastischer 
hinterer  Muschel  enden,  Probepunktion 
und  Trokar-Punktion  der  Kieferhöhle 
vom  unteren  Nasengange  aus,  Eröffnung  von 
Siebbeinzellen,  Sondierung  und  Spülung 
von  Nebenhöhlen,  Abmeißelung  einer 
Crista  septi.  Wo  eine  Anämisierung  er- 
wünscht war,  wurde  vorher  die  Schleimbaut 
mit  1  °/oo  Adrenalinlösung  bestrichen.  Diese 
vertieft  und  verlängert  zugleich  die  Anästhesie 
vermutlich  dadurch,  daß  sie  die  Resorption 
des  Anaestheticum  und  seine  Fortschwem- 
mung mit  dem  venösen  Blute  verzögert. 
Darum  glaube  ich  auf  die  vorherige  Appli- 
kation des  Adrenalins  Wert  legen  zu  sollen, 
während  andere  (Finder)  es  der  anästhe- 
sierenden Lösung  beimischen. 

Operationen  an  den  Weichteilen  der  Nase 
ließen  sich  mit  Eukain  völlig  schmerzlos 
ausführen.  Wo  Knochen  durchtrennt  oder 
durchstoßen  werden  muß  —  besonders  wenn 
man  bei  Maxillarpunktion  auf  stärkeren 
Knochen  stößt,  und  bei  Eröffnung  des  Sieb- 
beins —  läßt  sich  zwar  auch  mit  Kokain 
nicht  immer  völlige  Empfindungslosigkeit 
erreichen;  doch  scheint  mir  hier  das  Eukain 
nicht  ganz  so  wirksam   wie  Kokain  zu  sein. 

Die  Kontraktion  der  Muschel-Schwell- 
körper nach  Eukain  ist  sehr  gering,  wohl 
nicht  stärker  als  Applikation  von  Wasser 
in  gleicher  Form  sie  ebenfalls  bewirken  würde. 
Bei  reflektorischem  Asthma  bron- 
chiale brachte  in  2  Fällen  Eukain,  auf  die 
erregenden  Teile  der  Nase  gebracht,  Erleich- 
terung der  Atemnot,  die  stundenlang  anhielt. 
Auch  für  die  Erkennung  der  reflexerregenden 
Stellen  ist  dies  Verfahren  anwendbar.  Gerade 
hier  sind  wenig  giftige  Kokainersatzmittel 
besonders  am  Platze. 

Operationen  am  Septum  narium, 
besonders  die  Fensterresektion,  wurden  bei 
uns     meist     in      Infiltrationsanästhesie 


242 


Mayer,  Mllchiauret  Eukaio,  Stovain. 


[Therapeutische 
L  Monatsheft». 


ausgeführt.  In  5  Fällen  wurde  hierzu 
Eukain  benutzt.  Die  Schleimhaut  wurde 
zuerst  mit  15-proz.  Lösung  bestrichen,  dann 
eine  1-proz.  Eukainlosung,  der  Vio  Teil 
Adrenalin  lösung  zugefügt  war,  submukös  in* 
jiziert.  Die  Operation,  deren  Dauer  zwischen 
15  und  60  Min.  schwankte,  verlief  fast  ohne 
Blut;  die  Anästhesie  war  meist  gut,  nur 
zweimal  nicht  so  vollkommen  wie  nach 
Kokaininfiltration. 

Im  Larynx  ist  es  mir  an  4  Patienten 
nie  geglückt,  durch  Instillation  und  Pinseln 
mit  15-proz.  Eukainlosung  eine  Anästhesie 
zu  erreichen,  die  die  Vornahme  von  Ope- 
ration oder  Ätzung  im  Kehlkopfe  ermöglicht 
hätte.  —  Ein  fünftes  Mal  wandte  ich 
einen  Brei  von  Eukain  mit  heißem  Wasser 
an,  der  also  außer  einer  konzentrierten 
Lösung  noch  ungelöstes  Eukain  enthielt. 
"Wiederholte  Applikation  mittels  Spritze 
und  Tampon  war  ganz  erfolglos.  —  Auch 
bei  Milchsäureätzung  der  Zunge  wurde  das 
Brennen  nur  etwas  verringert. 

Die  Anwendung  des  Eukain  hat  sich 
bis  jetzt  als  völlig  ungefährlich  bewährt. 
Niemals  habe  ich  irgend  welche  Vergiftungs- 
erscheinungen gesehen,  während  die  leichteren 
Formen  der  Kokainvergiftung  —  Schwindel, 
Herzklopfen,  Übelkeit,  Angstgefühl  und  kalter 
Schweiß  —  nicht  gar  zu  seltene  Gäste  in 
der  Sprechstunde  des  Larvngologen  sind. 
Auch  das  Spannungsgefühl  in  der  Nase  ist 
nach  Eukain  geringer.  Blutungen  ungewöhn- 
licher Intensität,  die  auf  seine  Rechnung  ge- 
schrieben werden  könnten,  sind  gleichfalls 
nicht  zur  Beobachtung  gekommen. 

Über  das  zweite  Lokalanaestheticum,  das 
Stovain,  ist  meines  Wissens  in  Deutschland 
noch  nicht  berichtet  worden.  Fourneau 
hat  es  synthetisch  dargestellt;  unter  15  von 
ihm  konstruierten  Körpern  aus  der  Klasse 
der  tertiären  Amino-Alkohole,  die  alle 
anästhesierende  Eigenschenschaften  hatten, 
war  das  „  a-Dimethylamino-0-benzoyl-penta- 
nolchlorhydrat"  der  geeignetste  für  pharma- 
zeutische Verwendung.  Dieser  Stoff,  kurz 
„Stovain"  genannt,  ist  sehr  leicht  in 
Wasser  löslich.  Seine  Lösungen  vertragen 
das  Kochen  und  beginnen  erst  bei  120° 
sich  zu  zersetzen.  Selbst  in  1-proz.  Ver- 
dünnung entfaltet  er  noch  ziemlich  energische 
antiseptische  Eigenschaften  (Pouchet). 
Billon,  Launoy  und  Billon,  Pouchet 
u.  a.  prüften  seine  Wirkung  im  Tierexperi- 
ment. Nach  Injektion  toxischer  Dosen  ent- 
steht Trismus,  Zittern,  Analgesie,  Parese  der 
hinteren  Extremitäten,  tonische  und  klonische 
Krämpfe,  Temperaturabfall;  endlich  Exitus 
letalis  im  Koma.  Pouchet  unterscheidet  eine 
analgetische  Vergiftungsform  mit  Untertempe- 


ratur ohne  Krämpfe,  und  eine  hyperästhetische 
mit  Krämpfen  und  erhöhter  Temperatur.  Die 
Art  der  Vergiftung  ist  also  dem  Kokain  sehr 
ähnlich.  Die  Dosis  letalis  für  Meer- 
schweinchen beträgt  0,15 — 0,2  g  pro  Kilo 
(Billon,  Pouchet),  gegen  0,05  beim  Kokain, 
für  Hunde  0,1—0,12  (Pouchet,  Launoy), 
für  Kaninchen  0,15 — 0,17  (Launoy). 

Das  Stovain  ist  also  */s  bis  Vs  80 
giftig  als  Kokain. 

Wegen  der  anästhesierenden  Wirkung 
wurde  Stovain  auch  klinisch  geprüft.  Über- 
einstimmend wird  angegeben,  daß  keine  Vaso- 
konstriktion,  sondern  eine  geringe  Dilatation 
stattfindet.  Reclus  hat  bei  Einspritzungen 
bis  zu  0,2  g  nur  selten  geringe  Intoxikations- 
erscheinungen gesehen:  Blässe  und  Präkor- 
dialangst. Stovain  wurde  in  der  Chirurgie 
in  Form  endermatischer  Infiltration  von  Re- 
clus, Chaput,  für  Lumbalanästhesie  von 
Chaput,  Kendirdjy  und  Bertaux, 
Chartier  angewandt,  in  der  Augenheil- 
kunde von  Lapersonne,  in  der  Odon- 
tologie von  Sauvez,  Nogu£,  in  der  Rhino-, 
Oto-  und  Laryngologie  von  Dubar.  Über- 
einstimmend wird  die  erreichte  Analgesie 
der  nach   Kokain  vollkommen  gleichgestellt. 

Dubar  publiziert  16  Beobachtungen  von 
kleineren  Operationen  in  der  Nase  und  an 
den  Mandeln,  in  denen  sich  ihm  5  —  10-proz. 
Stovainlösung  bewährt  hat.  Einmal  erleich- 
terte Pinselung  des  Kehlkopfs  mit  10-proz. 
Lösung  die  Untersuchung. 

Ich  habe  das  Stovain  in  38  Fällen, 
davon  in  vielen  wiederholt,  angewandt. 
Es  hat  sich  seitdem  bei  uns  völlig  einge- 
bürgert, sodaß  lange  nicht  mehr  alle  unsere 
Beobachtungen  notiert  sind. 

In  der  Nase  wurde  Stovain  in  5  und 
10-proz.  Lösung  angewandt;  da  aber  erstere 
völlig  ausreicht,  haben  wir  von  der  stärkeren 
ganz  abgesehen.  Septumoperationen  wurden 
nach  submuköser  Injektion  einer  0,5 -proz. 
Lösung,  der  7io  Teil  Adrenalin  zugefügt  war, 
ausgeführt. 

30  mal  verwendeten  wir  Stovain  zu 
Nasenoperationen.  Es  handelte  sich 
wieder  um  Kauterisation  unterer  Muscheln, 
Abtragung  von  Polypen,  Hypertro- 
phien, besonders  der  hinteren  Muschel- 
enden, sowie  der  mittleren  Muschel  ganz 
oder  teilweise,  Punktion  der  Kieferhöhle 
(5  mal),  Eröffnung  des  Siebbeins  (5  mal), 
Fensterresektion  des  Septums,  Abtra- 
gung einer  Crista,  Eröffnung  eines  Septum- 
Abszesses.  Ausnahmlos  war  die  Anästhesie 
ausgezeichnet.  Üble  Zufälle  fehlten  völlig; 
nur  2  mal  erfolgte  auf  Abtragung  eines 
hinteren  Muschelendes  mit  kalter  Schlinge 
stärkere    Blutung,    die    aber    das    eine    Mal 


XIX.  Jahrgang.! 
Mal  1906.     J 


Meyer,  Milchsäure«  Bukato,  Stovain. 


243 


spontan,  das  andere  Mal  nach  vorderer  Tam- 
ponade stand  und  jedenfalls  nicht  stärker 
war,  als  sie  auch  sonst  oft  vorkommt.  Ein 
Mediziner,  dem  ein  hinteres  Muschelende  ent- 
fernt wurde,  gab  an,  absolut  keinen  Schmerz 
empfunden  zu  haben. 

Für  die  Nase  kann  somit  das  Sto- 
vain  in  5-proz.  Lösung  mindestens  als 
dem  Kokain  in  10-proz.  gleichwertig 
erachtet  werden.  Auch  für  die  Infiltra- 
tionsmethode hat  es  8 ich  bewährt. 

Im  Kehlkopf  habe  ich  Stovain  an  acht 
Patienten,  meist  wiederholt,  versucht.  Es 
wurden  2 — 3  mal  einige  Tropfen  einer  20-proz. 
Losung  instilliert,  dann  1 — 3  mal  gepinselt. 
So  wurde  zwar  die  Epiglottis  bald  für  Be- 
rührung und  Druck  unempfindlich,  die  tieferen 
Teile  des  Larynx  dagegen  nicht  so,  daß 
ruhiges  Operieren  an  ihnen  möglich  gewesen 
wäre.  Später  tauchte  ich  den  mit  20-proz. 
Lösung  getränkten  Tampon  noch  in  reines 
pulverisiertes  Stovain  und  hatte  mit 
dieser  Methode  mehrmals  gute  Anästhesie, 
sodafi  ich  ein  Kürettement  tuberkulöser  Gra- 
nulationen und  an  mehreren  Personen  Milch- 
säureätzungen verschiedener  Stellen  bequem 
ausführen  konnte.  Mehrfach  aber  war  der 
Kehlkopf  zwar  für  leichte  Sondenberührung 
unempfindlich,  doch  löste  Druck  oder  Kitzeln 
der  Schleimhaut  Reflex  aus,  so  daß  sich  loka- 
lisierte Ätzung  nur  mit  großer  Geschwindig- 
keit bewerkstelligen  ließ. 

Am  widerspenstigsten  ist  die  Hinter  wand. 
Mit  aller  Mühe  gelang  es  bei  einer  Patientin 
nicht,  die  zur  Zangenabtragung  tuberkulöser 
Granulationen  nötige  Unempfindlichkeit  her- 
beizuführen; nachherige  Instillation  weniger 
Tropfen  Kokain  führte*  sofort  zu  einem  Re- 
sultat bei  der  auch  gegen  Kokain  sehr  refrak- 
tären Patientin. 

Einmal  suchte  ich  mir  nach  dem  Vor- 
schlage von  Mermod  dadurch  zu  helfen, 
daß  ich  !/a  Stunde  vor  der  Operation  dem 
Pat.  0,01  g  Morphium  subkutan  injizierte. 
Auch  diese  Kombination  hatte  Erfolg. 

Dagegen  darf  hervorgehoben  werden,  daß 
ein  Patient  bereits  nach  Einträufeln  weniger 
Tropfen  20-proz.  Lösung  ohne  irgendwelche 
Hilfsmittel  absolut  anästhetisch  war,  sodaß 
ein  Tumor  des  linken  Stimmbands  in 
voller  Ruhe  exstirpiert  werden  konnte. 

Zur  Untersuchung  des  Larynx  wurde 
zweimal  stovainisiert,  einmal  wegen  starker 
Reizbarkeit  des  Rachens,  die  nach  Pinsel ung 
mit  5-proz.  Stovain  nach  2  —  3  Minuten  ge- 
schwunden war,  einmal  wegen  sogen,  „kurzer 
Zunge".  Auch  diese  ließ  sich  nach  Stovaini- 
sierung  leicht  hervorziehen.  Der  Fortfall 
reflexauslösender  Empfindungen  infolge  der 
Anästhesie    verringert    den    Tonus    der  Mus- 


kulatur der  Zunge;    so  ist  die  Wirkung  des 
Anästheticums  erklärlich. 

Hinzugefügt  sei  noch,  daß  wir  eine  Adeno- 
tomie nach  PinseluDg  mit  5-proz.  Stovain  aus- 
geführt haben;  die  verständige  Patientin  gab  an, 
keinen  Schmerz,  sondern  nur  ein  unangenehmes 
Gefühl  gehabt  zu  haben.  Dies  ist  jedoch  auch 
ohne  Anaatheticum  nicht  selten. 

Eine  Parulis  wurde  eröffnet  nach  Injektion 
der  7,-proz.  Lösung,  und  zwar  unter  völliger 
Schmerzlosigkeit. 

Granulationen  in  der  Wundhöhle  nach 
Radikaloperation  des  Mittelohrs  ließen  sich  unter 
Stovain  völlig  schmerzlos  ätzen.  Auch  große  poly- 
pöse Granulationen,  die  aus  einer  Trommel- 
fellperforation hervorkamen,  wurden  nach  Einlegung 
eines  kleinen  Stovaintampons  fast  schmerzlos  ent- 
fernt. 

Niemals  habe  ich  irgend  welche  Vergif- 
tungserscheinungen beobachtet.  Das  Gefühl 
nach  Applikation  des  Stovains  war  stets,  wie 
ich  auch  selbst  bestätigen  kann,  weit  weniger 
unangenehm  als  nach  Kokain;  nur  eine 
Patientin,  der  der  Rachen  anästhesiert  war, 
klagte  über  starkes  Spannen.  Der  Geschmack 
ist  nicht  so  widerlich  bitter,  und  niemals 
trat  Übelkeit  auf.  Der  etwas  fade,  milch- 
ähnliche Geruch,  der  erst  nach  dem  Ein- 
bringen in  die  Eörperhöhlen  entsteht,  ist 
nicht  lästig. 

Die  Giftigkeit  des  Kokains  verhält  sich 
zum  Stovain  und  Eukain  wie  1  :  1j2  —  l/s  :  Vi? 
der  Vorrang,  den  hier  das  Eukain  zeigt, 
wird  aber  mehr  als  aufgewogen  dadurch, 
daß  man  von  Stovain  nur  ein  Drittel  der 
Dosis  braucht.  Doch  haben  sich  auch  große 
Dosen  beider  Stoffe  als  unschädlich  er- 
wiesen. 

Ich  fasse  noch  einmal  kurz  die  Ergeb- 
nisse meiner  Versuche  zusammen:  Sowohl 
das  milchsaure  0-Eukain  als  das  Stovain 
sind  bis  zu  einem  gewissen  Grade  geeignet, 
das  Kokain  zu  ersetzen.  Beide  sind  weniger 
giftig,  beide  billiger,  beide  sterilisierbar. 
Beide  erzeugen  nur  Anästhesie,  nicht  Ischämie. 

Für  die  Nasen  Operationen  erscheint 
Kokain  entbehrlich  durch  das  Vorhandensein 
gleich  intensiver,  aber  minder  giftiger  An- 
aesthetica,  die  hier  beide  fast  gleich  gut 
sind  (Stovain  ist  etwas  überlegen). 

Im  Larynx  versagt  Eukain  völlig;  Stovain 
kann  in  einem  Teil  der  Fälle  hinreichende 
Empfindungslosigkeit  erzeugen,  in  einem  an- 
deren wenigstens  Kokain  sparen. 

Die  Anwendung  des  Eukain s  geschieht 
an  der  Oberfläche  in  1 5-proz.  Lösung,  sub- 
mukös in  1-proz.  mit  '/ioooo  Adrenalin;  Sto- 
vain wird  in  der  Nase  in  ö  —  10-proz.  Lö- 
sung, zur  Infiltration  in  0,6-proz.  mit  Adre- 
nalin benutzt,  im  Larynx  in  20-proz.  Lösung, 
durch  reines  Pulver  verstärkt. 


244 


S  t  •  r  n ,  B+bandlung  dar  Lung«ntuberkuloi«. 


rUernpeti  tische 
MüMAtjhfflO. 


Literatur. 

Langgaard,  Ther.  Monatsh.,  August  1904. 

Katz,  ebenda. 

Vinci,  Virch.  A.,  Bd.  149. 

Billon,  Ac.  de  med.,  29.  III.  1904. 

Launoy  &  Billon,  C.  rd.  Ac.  sei.  1904,  15.  V. 

L  a  u  n  o  y ,  ebenda,  24.  X.  1904. 

Pouchet,  Ac.  de  med.  12.  HI.  1904. 

p     ,        f  Ac.  de  med.  5.  III.  1904. 
Keclus  |  Pre88emedi  1904>  No#65  u.  83. 

Chaput,  ebenda,  No.  83. 

C.  rd.  soc.  biol.,  1904,  No.  16. 
Kendirdjy  &  Bertaux,  Pr.  med.  1904,  No.  83. 
Chartier,  La  Gynecol.,  3.  X.  1904. 
Lapersonne,  Presse  med.,  1904,  30. 
Sauvez,  L'odontologie,  1904,  No.  8. 
Nogue,  Arch.  de  Stomatol.,  April  u.  Mai  1904. 
Du  bar,  Progres  med.,  Nov.  1904. 
Finder,  Beri.  Klin.  Wochenschr.  1905. 
Rosenberg,  Verh.  Berl.  lar.  Ges.,  Bd.  XIII. 
Mermod,  Arch.  internat.  de  Lar.,  Bd.  XVIll,  H. 6. 
Polnaru- Caplescu,  Ref.  Münch.  med.  Wochen- 
schr. 1905,  S.  667. 


Zur  medikamentösen  Behandlung  der 
Lungentuberkulose. 

Von 

Dr.  Curt  Stern, 

prakt  Arxt,  Besitzer  and  dirigierender  Arsft  dar 

„Villa  Qnlsluna"»  Heilanstalt  in  San  Remo. 

Daß  die  einzig  aussichtsvolle  Behandlungs- 
weise  der  Lungentuberkulose  die  physikalisch- 
diätetische  Methode  ist,  und  zwar  in  ge- 
schlossenen Anstalten  ausgeübt,  hat  sich  im 
Laufe  der  letzten  Jahre  mit  absoluter  Ge- 
wißheit herausgestellt.  Zumal  in  Deutsch- 
land ist  es  gelungen,  diese  Tatsache  nicht 
nur  den  Ärzten,  sondern  auch  dem  Laien- 
publikum klar  zu  machen.  Millionen  sind 
geopfert  worden,  um  diese  Erkenntnis  in  die 
Praxis  umzusetzen  und  so  nicht  nur  die  Be- 
güterten, sondern  auch  die  Unbemittelten  die 
Frucht  dieser  Behandlungsmethode  genießen 
zu  lassen.  Leider  genügen  alle  aufgewandten 
Mittel  nur  in  geringem  Maße.  Immer  nur 
bleibt  es  ein  Bruchteil  der  Erkrankten,  die 
zwecks  Wiederherstellung  in  eine  Volksheil- 
anstalt aufgenommen  werden  können,  oder 
deren  materielle  Lage  es  gestattet,  sich  selbst 
in  eine  Privatheilanstalt  zu  begeben.  Schon 
aus  diesem  Grunde  ist  es  eine  zwingende 
Notwendigkeit,  immer  wieder  danach  zu 
trachten,  auch  den  Unglücklichen  helfen  zu 
können,  denen  die  Anstaltsbehandlung  ver- 
sagt sein  muß,  sei  es  durch  Anraten  einer 
dieser  Behandlungsmethode  möglichst  ähn- 
lichen Lebensweise  im  Hause,  sei  es  durch 
Empfehlung  wirkungsvoller  Medikamente.  Ja 
selbst  der  Anstaltsarzt  kann  die  Unter- 
stützung der  physikalisch-diätetischen  Me- 
thode durch  Medikamente  nicht  entbehren. 
Denn    einmal    wird    der    Patient    selbst    oft 


;  solche  vom  Arzte  fordern,  und  dann  können 
!  wir  in  Wirklichkeit  besonders  quälende  Sym- 
i  ptome    oft    durch    Darreichung  von  Medika- 
menten lindern. 

Die  Anzahl  der  gegen  die  Tuberkulose 
empfohlenen  Heilmittel  wächst  in  jedem  Jahre, 
und  hier  ganz  besonders  steht  die  Zahl  der 
empfohlenen  Mittel  in  umgekehrtem  Ver- 
hältnis zur  Wirksamkeit.  Als  eines  der 
wenigen  Medikamente,  das  trotz  des  An- 
sturmes von  Tuberkulin,  Hetol,  Sanosin 
u.  a.  m.  nunmehr  seit  fast  30  Jahren  seinen 
Platz  in  der  Tuberkulosebehandlung  behauptet, 
steht  noch  immer  im  Arzneischatz  des  Arztes 
das  Kreosot  und  seine  Derivate  an  erster 
Stelle.  Von  seinen  Anhängern  in  den  Himmel 
gehoben,  von  seinen  Gegnern  als  direkt  schäd- 
lich verworfen,  hat  sich  im  Laufe  der  Jahre 
doch  so  viel  herausgestellt,  daß  wir  in  einer 
Reihe  von  Fällen  durch  dies  Mittel  Tuber- 
kulose, wenn  auch  nicht  heilen,  so  doch 
bessern  können. 

In  Deutschland  ist  das  Kreosot  im  Jahre 
1878  durch  Fraentzel  und  besonders  durch 
Sommerbrodt,  nachdem  es  schon  früher 
angewendet  wurde,  in  die  Therapie  der 
Lungentuberkulose  wieder  eingeführt  worden. 
Es  hat  sich  aber  bald  herausgestellt,  daß  der 
von  Sommerbrodt  aufgestellten  Forderung, 
daß  das  Kreosot  zwecks  Heilung  resp.  Besse- 
rung monatelang  hintereinander  genommen 
werden  muß,  in  einer  Reihe  von  Fällen  nicht 
genügt  werden  kann,  da  dasselbe  ein  Ätz- 
mittel ist,  das  die  Magen-  und  Darmschleim- 
haut bei  längerem  Gebrauch  reizt.  Die  Folge 
davon  ist,  daß  sich  oft  Appetitmangel,  Auf- 
stoßen und  Erbrechen  einstellen,  welche  zum 
Aussetzen  des  Mittels  zwingen,  zumal  auch 
Reizungen  des  Urogenitalapparates  beobachtet 
wurden,  welche  sich  in  Dysurie,  Albuminurie 
und  Hämaturie  zeigten.  Dazu  kommt  noch 
der  vielen  Patienten  widerwärtige  Geschmack 
und  Geruch  des  Kreosots.  Letzterer  belästigt 
in  der  Tat  nicht  nur  die  Kranken,  sondern 
oft  auch  die  Umgebung  in  unangenehmster 
Weise.  Solch  armer  Kranker,  der  nach 
„Schwindsucht"  riecht,  wird  direkt  von  seinen 
Mitmenschen  gemieden.  Aus  allen  diesen 
Gründen  war  es  nötig,  ein  Mittel  zu  finden, 
das  die  wirksamen  Bestandteile  des  Kreosots 
enthielt,  ohne  doch  die  schädlichen  Neben- 
wirkungen auszuüben.  So  entstand  das 
Guajakol,'  das  zu  75  Proz.  im  Kreosot  ent- 
halten ist.  Aber  auch  diesem  haften  die 
schädlichen  Nebenwirkungen  z.  T.  noch  an. 
Es  wurde  deshalb  eine  ganze  Reihe  von 
Präparaten  auf  den  Markt  geworfen,  so  das 
Guajakolkarbonat,  das  Benzosol,  Geosot 
u.  a.  m.  Doch  auch  diese  konnten  einer  ein- 
gehenden Nachprüfung  nicht  standhalten,  bis 


XIX.  Jahrgang.! 
IUI  1905.     J 


Stern,  Behandlung  der  Lungentuberkulose. 


245 


vor  einigen  Jahren  von  Mendelsohn1)  auf 
das  orthosulfoguajak Ölsäure  Kalium  aufmerk- 
sam gemacht  wurde,  das  Thiocol,  ein  Pulver, 
welches  in  Substanz  oder  in  Sirupus  florum 
Aurantii  gelöst  —  Sirolin  —  gegeben  wird. 
Dies  Präparat  hat  in  der  Tat,  wie  ich  mich 
öfter  überzeugt  habe,  die  guten  Eigenschaften 
des  Kreosots  ohne  seine  schädlichen  oder  un- 
angenehmen Nebenwirkungen,  nur  ist  es  sehr 
teuer.  Im  Jahre  1900  hat  nun  die  che- 
mische Fabrik  von  Speyer  und  v.  Karger  zu 
Berlin  ein  Präparat  „Pneumin"  hergestellt, 
welches  nach  den  Bekundungen  von  Jacob- 
son8), Silberstein8),  Margoniner4)  und 
Sigl5)  in  einer  Reihe  von  Fällen  die  Lungen- 
tuberkulose gunstig  beeinflußt  hat,  ohne  eine 
schädliche  Nebenwirkung  hervorgerufen  zu 
haben. 

Das  „Pneumin"  stellt  sich  als  ein  gelb- 
liches Pulver  dar  und  ist  in  Wasser  nicht, 
in  Alkohol  und  Äther  leicht  löslich.  Man 
erhält  es  durch  Einwirkung  von  Formaldehyd 
auf  Kreosot  und  ist  es  ein  Gemenge  der 
Methylenverbindungen  der  im  Buchenholzteer 
sich  vorfindenden  Phenole.  Durch  Tier- 
versuche, die  von  Oliven  und  später  von 
Jacobson  angestellt  wurden,  war  die  voll- 
ständige Ungiftigkeit  des  Präparates  nach- 
gewiesen worden.  Es  wurde  einer  großen 
Anzahl  von  Kaninchen  mehrere  Monate  hinter- 
einander eine  größere  Menge  Pneumin  täglich 
mit  der  gewöhnlichen  Nahrung  zusammen 
verabreicht.  Die  Tiere  nahmen  bei  ver- 
mehrter Freßlust  an  Gewicht  zu  und  zeigten 
sich  bei  vollständigem  Wohlbefinden.  Nach 
erfolgter  Tötung  sah  man  den  Oesophagus, 
Magen  und  Darm  frei  von  jeder  Ätzwirkung, 
die  man  nach  monatelangem  Genuß  von 
Kreosot  und  seinen  sonstigen  Derivaten  bei 
den  Tieren  gefunden  hatte.  Da  auf  diese 
Weise  die  vollständige  Ungiftigkeit  nach- 
gewiesen worden  war  und  die  genannten 
Autoren  günstige  therapeutische  Erfolge  er- 
zielt hatten,  so  zögerte  ich  nicht,  das  „Pneu- 
min" in  der  Saison  1903/1904  sowohl  einem 
Teil  der  in  '  meiner  Anstalt  zu  San  Remo 
sich  befindenden,  als  auch  ambulant  behan- 
delten Tuberkulösen  zu  verordnen. 

Natürlich  war  ich  mir  von  Anfang  an 
darüber  klar,  daß  Heilungen  resp.  Besserungen 


])  M  e  n  d  e  1 8  o  h  n ,  Zur  medikamentösen  Therapie 
der  Lungentuberkulose.  Deutsche  Ärztezeitung  1900, 
No.  21.  „ 

*)  Über  „Pneumin  and  Pulmoform".  Die  medi- 
zinische Woche  1900,  No.  36. 

3)  Ibidem  1901,  No.  3. 

4)  Beitrag  zur  Behandlang  der  Lungentuber- 
kulose.    Therapeut.  Monatshefte  Febr.  1903. 

*)  Therapeutische  Beobachtungen.  Berliner  klin. 
Wochenschrift  1904,  No.  1. 

Th.M.190». 


besonders  der  in  der  Anstalt  sich  befindenden 
Patienten  wohl  nur  zum  geringen  Teile  dem 
dargereichten  „Pneumin"  zu  verdanken  waren, 
sondern  vor  allem  der  in  einem  besonders 
günstigen  Klima  ausgeübten  Anstaltsbehand- 
lung. Dennoch  war  ich  froh,  in  dem  „ Pneu- 
min a  ein  Mittel  zu  haben,  das  von  den  Pa- 
tienten gern  genommen  wurde,  ohne  ihren 
Geldbeutel  wesentlich  zu  belasten.  Als  einen 
besonderen  Vorzug  möchte  ich  gleich  noch 
einmal  hervorheben,  daß  ich  durch  Einführung 
dieses  Mittels  an  Stelle  der  früher  gegebenen 
anderen  Kreosotpräparate  zum  ersten  Male 
den  sonst  in  den  Krankenzimmern  und  an- 
deren Räumen  herrschenden,  ja  selbst  am 
Geschirr  haftenden  widerlichen  Geruch  aus 
der  Anstalt  vertrieben  habe. 

Ich  habe  das  Pneumin  bei  ca.  40  Patienten 
im  Verlauf  des  Winters  bei  Kranken  aller 
3  Stadien,  und  zwar  fast  stets  vom  Eintritt 
der  Patienten  in  meine  Behandlung  bis  zu 
ihrer  Abreise  —  in  einem  Zeitraum  von  je 
l'/i  bis  zu  5  Monaten  ununterbrochen  —  an- 
gewendet. Jeder  bekam  3  mal  täglich  nach 
den  Mahlzeiten  0,5  g,  das  er  als  trockenes 
Pulver  —  ohne  Kapsel  oder  Oblate  —  mit 
etwas  Wasser  schluckte.  In  keinem  einzigen 
der  Fälle  war  ich  gezwungen,  das  Mittel 
wegen  irgend  welcher  Reizung  von  Seiten  des 
Magen  -  Darmkanals  oder  des  Urogenital- 
apparates auszusetzen,  was  bei  den  sonstigen 
Kreosotpräparaten  oft  der  Fall  war.  Ja  eine 
Patientin,  die  in  der  Stadt  bisher  von  einem 
Kollegen  mit  Guajakol  behandelt  worden  war 
und  dann  nach  seiner  Abreise  in  meine  Be- 
handlung trat,  klagte  bei  der  ersten  Kon- 
sultation über  Appetitmangel  und  häßliches 
Aufstoßen  nach  dem  nur  mit  Widerwillen 
genommenen  Essen.  Ich  riet  ihr,  an  Stelle 
des  Guajakols  „Pneumin"  in  der  angegebenen 
Weise  zu  nehmen.  Schon  nach  2  Tagen  be- 
richtete sie,  der  Appetit  sei  besser  und  das 
Aufstoßen  hätte  aufgehört.  Auch  hatte  sich 
in  dör  Tat  die  dick  belegte  Zunge  gereinigt. 
Nach  14  Tagen  konnte  ich  bei  der  Patientin 
eine  Gewichtszunahme  von  1,5  kg  konsta- 
tieren. —  Es  ist  natürlich  unmöglich,  sämt- 
liche Krankengeschichten  der  mit  „Pneumin" 
behandelten  Patienten  hier  wiederzugeben. 
Geschadet  hat  es  niemals,  im  Stiche  gelassen 
mitunter,  geholfen  oft,  und  zwar  nicht  nur 
im  Anfangsstadium,  sondern  auch  in  mittel- 
schweren und  schweren  Fällen.  Selbstver- 
ständlich führe  ich,  wie  ich  noch  einmal 
hervorheben  möchte,  die  Besserungen  zum 
größeren  Teil  auf  die  Anstaltsbehandlung  in 
dem  klimatisch  überaus  günstig  gelegenen 
San  Remo  zurück.  Daß  aber  auch  das 
„Pneumin"  zur  Besserung  vieler  Symptome 
beitrug,  erscheint  mir  evident. 

20 


246 


Stern t  Behandlung  der  Lungentuberkulose. 


rrbempeutlten« 
L   Monatshefte. 


Es  sei  mir  gestattet,  zur  Bekräftigung 
dieser  meiner  Anschauung  einzelne  Kranken- 
geschichten, und  zwar  aus  jedem  der  drei 
Stadien  je  zwei,  wiederzugeben. 

1.  Herr  Dr.  G.  aus  Berlin,  44  Jahre  alt,  ver- 
heiratet. Die  Frau  und  die  zwei  Kinder  des  Pat. 
sind  gesund.  Mutter  lebt  noch  und  ist  gesund, 
der  Vater  soll  „an  der  Lunge"  gelitten  haben, 
starb  aber,  70  Jahre  alt,  an  einer  Herzkrankheit. 
Pat.  erkrankte  vor  2  Jahren  an  Influenza,  nach 
deren  Ab'auf  eine  Otitis  media  zurückblieb,  die 
erst  durch  die  Radikaloperation  —  Aufmeißelung 
des  Proc.  mastoideus  —  verheilte.  Seit  einem  Jahre 
ungefähr  klagte  der  Patient  dauernd  über  Dyspepsie 
und  Hasten.  Im  November  1903  plötzliche  Hä- 
moptoe. Pat.  gibt  an,  einen  Tassenkopf  Blut  un- 
gefähr verloren  zu  haben,  das  sich  bei  der  üblichen 
Behandhing  innerhalb  8  Tagen  verlor. 

Pat.  kam  am  16.  Januar  1904  ins  Sanatorium 
bei  leidlich  guter  Ernährung.  Gewicht  71  Kilo. 
Y.  0.  R.  Dämpfung  mit  geringem  kreditierenden 
Rasseln.  H.  0.  R.  geringe  Dämpfung.  Kein  Fieber. 
Im  Sputum  einige  T.  B. 

Therapie:  Liegekur,  morgens  und  abends 
kalte  Abreibungen  (halb  Alkohol,  halb  Wasser). 
Nachts  Kreuzbinde,  Massage  des  Magens.  3  mal 
täglich  0,5  Pneumin. 

Bei  der  Abreise  am  2.  März  allgemeines  Wohl- 
befinden, Körpergewicht  73  Kilo.  Ganz  geringes 
Sputum,  in  dem  trotz  wiederholter  Untersuchungen 
keine  T.  B.  gefunden  wurden.  Keinerlei  dy 8 pep tische 
Beschwerden.  Nur  V.  R.  0.  geringe  Dämpfung  und 
abgeschwächtes  Atmen,  keinerlei  Nebengeräusche. 

Trotzdem  die  Kur  hier  nur  6  Wochen 
währte,  ergibt  sich  ein  vorzugliches  Resultat. 
Das  Aufhören  der  dyspeptischen  Beschwerden 
ist  wohl  zum  größten  Teil  eine  Wirkung  des 
„Pneumins". 

Eine  größere  körperliche  Gewichtszunahme 
bei  sonst  ebenso  günstigem  Verlauf  wurde  in 
folgendem  Falle  erzielt: 

Herr  J.  Bl.  aus  Budapest,  23  Jahre  alt,  will 
bis  vor  Va  Jahre  nie  krank  gewesen  sein.  Seine 
Eltern  leben  und  sind  gesund,  ebenso  seine  drei 
Geschwister.  Pat.  lebte  ausschweifend  in  Baccho  et 
venere,  trotz  des  vor  7a  Jahre  beginnenden  Hustens. 
Da  plötzlich  im  Oktober  1903  Hämoptoe,  von  der 
er  sich  auf  dem  Landgute  des  Vaters  bald  erholte. 

Der  Kranke  kam  am  10.  Januar  in  die  Anstalt. 
Er  ist  ein  hochgewachsener,  anämischer  junger 
Mann.  Gewicht  bei  der  Ankuft  70  Kilo.  Die 
Untersuchung  der  Lungen  ergibt  R.  0.  V.  und 
R.  0.  H.  Dämpfung,  unbestimmtes  Atmen  und  krepi- 
tierende  Geräusche.  Trotz  verschiedener  Unter- 
suchungen des  Sputums  keino  T.  B.  Kein  Fieber. 
Laryngitis. 

Therapie:  Liegekur,  kalte  Abreibungen  (halb 
Wasser,  halb  Alkohol),  nachts  Kreuzbinde.  3  mal 
täglich  0,5  Pneumin.  Gegen  die  Laryngitis  Injek- 
tionen von  Lugol  scher  Lösung,  3  mal  wöchentlich. 
Patient  bleibt  bis  zum  7.  März,  also  8  Wochen,  in 
der  Anstalt,  während  dieser  Zeit  dieselbe  Therapie. 
Bei  der  Abreise  besteht  nur  noch  R.  V.  0.  leichte 
Dämpfung,  Geräusche  geschwunden.  Larynx  nor- 
mal. Körpergewicht  75,600  Kilo.  Pat.  erfreute  sich 
während  der  ganzen  Zeit  des  besten  Wohlbefindens 
und  hat  also  über  5  7s  Kilo  an  Körpergewicht  zu- 
genommen. 

Die  Zahl  dieser  durch  die  eingeschlagene 
Therapie  geheilten  resp.  gebesserten  Leicht- 


erkrankten, bei  denen  niemals  Fieber  be- 
stand, könnte  ich  noch  durch  eine  ganze 
Reihe  von  Beispielen  belegen.  Oft  findet 
man  eine  Besserung  des  objektiven  Befundes, 
fast  stets  ein  Zurückgehen  der  Sputum  menge 
und  konstant  eine  Hebung  des  Appetits  und 
des  Körpergewichts. 

Fast  dieselben  günstigen  Erfahrungen 
machte  ich  bei  Kranken  des  zweiten  Stadiums, 
wenn  auch  natürlicherweise  hier  Mißerfolge 
zu  verzeichnen  waren. 

Als  Beispiele  dienen  folgende  Kranken- 
geschichten : 

Frl.  H.  W.  aus  Berlin,  26  Jahre  alt,  ist  das 
einzige  Kind  gesunder  Eltern,  die  beide  am  Leben 
sind.  Pat.  will  bis  zum  Sommer  1902  stets  gesund 
gewesen  sein.  Da  erkältete  sie  sich  auf  einer  an- 
strengenden Bergpartie  und  will  seitdem  gehustet 
haben.  Im  Oktober  1902  Fieber  und  Hämoptoe. 
Nachdem  sie  sich  hiervon  etwas  erholt  hatte,  schickte 
sie  der  Hausarzt  nach  Schömberg  im  Schwarzwald, 
von  wo  sie  Ostern  1903  als  gebessert  nach  Berlin 
zurückkehrte.  Den  Sommer  verlebte  sie  dann  in 
Heringsdorf  bei  leidlich  gutem  Befinden,  bis  im 
Herbst  der  Husten  wieder  zunahm.  Pat.  trat  am 
8.  Januar  1904  in  meine  Anstalt  mit  einem  Körper- 
gewicht von  55  Kilo.  Sie  klagt  über  vieles  Husten, 
Nachtschweiße  und  absoluten  Appetitmangcl. 

Die  Untersuchung  ergab:  Dämpfung  der  linken 
Spitze  vorn  bis  zur  Clavicula,  darunter  bis  zur 
Herzdämpfung  tjmpani tischer  Schall,  im  Bereich 
der  Dämpfung  Bronchialatmen  und  kleinblaaiges 
Rasseln,  im  Bereich  des  tympari tischen  Schalls 
ebenfalls  Bronchialatmen  und  teils  klingende,  teils 
großblasige  Rasselgeräusche.  Auch  H.  L.  bis  zur 
I.  Rippe  Dämpfung,  unbestimmtes  Atmen  und  klein- 
blasiges Rasseln.  Im  Sputum  geringe  Anzahl  von 
T.  B.  Abend 8  Temperatursteigerung  bis  38°  (im 
Munde). 

Therapie:  Zunächst  absolute  Bettruhe,  kalte 
Waschungen,  Pneumin  3  mal  täglich  0,5  g.  Schon 
im  Verlauf  der  ersten  Woche  hob  sich  der  Appetit, 
die  Temperatur  ging  herunter,  die  Nachtschweiße 
6ch wanden.  Nach  3  Wochen  konnte  die  Pat.  das 
Bett  verlassen  und  ihre  Liegekur  im  Garten  be- 
ginnen. Die  übn'ge  Therapie  wurde  fortgesetzt  bis 
zu  der  Abreise  am  22.  April.  Die  Pat  hatte  sich 
in  diesen  3l/s  Monaten  stets  wohl  befunden,  die 
abendlichen  Temperaturen  gingen  nie  über  37,3. 
Nachtschweiße  bestanden  nicht.  Die  Gewichtszu- 
nahme betrug  6  Kilo.  Im  Sputum  fanden  sich  noch 
T.  B.  Auch  der  objektive  Befund  hatte  sich  sehr 
gebessert,  die  Dämpfung  aufgehellt,  es  bestand  nur 
noch  V.  L.  unterhalb  der  Clavicula  tympanitischer 
Schall  und  Bronchialatmen,  die  großblasigen  Rassel- 
geräusche hatten  sich  hier  in  kleinblasige  ver- 
wandelt. 

War  in  diesem  Falle  eine  entschiedene 
Besserung  erzielt  worden,  von  der  man  an- 
nehmen konnte,  daß  sie  auch  noch  weiter 
fortschreiten  wurde,  so  trat  die  Besserung  in 
folgendem   Falle    noch    eklatanter    zu   Tage: 

Herr  R.  aus  Kiew,  33  Jahre  alt,  verheiratet, 
kinderlos.  Die  Eltern  leben  und  sind  gesund,  eben- 
so die  Frau.  Pat.  will  stets  gesund  gewesen  sein, 
bis  er  vor  3  Jahren  zu  husten  begann,  etwa  1  Jahr 
nach  seiner  Verheiratung.  Da  der  Husten  trotz 
vieler  angewandter  Mittel  nicht  nachließ,  Pat.  mehr 
und  mehr  abmagerte,  so  konsultierte  er  im  Oktober 


XIX.  Jahrgang.! 
»-»Mal  1905.     J 


8  tarn,  Behandlung  dar  Lungentuberkulose. 


24? 


1903  einen  Wiener  Kollegen,  der  ihn  nach  Meran 
schickte.  Dort 'blieb  der  Patient  2  Monate,  während 
welcher  Zeit  er  eine  Hämoptoe  überstand.  Da  er 
auch  an  Körpergewicht  weiter  abnahm,  so  reiste  er 
nach  San  Remo,  wo  seine  Aufnahme  in  das  Sana- 
torium am  23.  Dezember  1903  erfolgte. 

Pat.,  ein  kleiner  anämischer  Herr,  von  grazilem 
Körperbau  mit  Caput  obstipum,  neurasthenisch, 
hustet  viel.  Im  reichlichen  Sputum  keine  T.  B. 
Körpergewicht  51  Kilo.  Abends  Temperatur  fast 
stets  bis  38°  im  Munde.  Der  objektive  Befund  war 
folgender:  V.  R.  0.  Dämpfung  und  kleinblasiges 
Rasseln  bis  zur  Clavicula,  darunter  bis  zur  dritten 
Rippe  tympanitischer  Schall  und  großblasiges 
Rasseln  bei  bronchialer  Atmung.  L.  Y.  0.  geringe 
Dämpfung  und  vereinzeltes  Knistern.  H.  R.  0.  bis 
zur  aritten  Rippe  Dämpfung,  unbestimmtes  Atmen, 
vereinzelte  Rhoncbi. 

Pat  muß  zunächst  absolute  Bettruhe  halten, 
erhält  Alkohol- Ab  Waschungen  des  Thorax  und  3  mal 
täglich  0,5  Pnenmin.  Bei  diesen  therapeutischen 
Maßnahmen  hört  der  bis  dahin  konstante  Gewichts- 
verlust mit  einem  Schlage  auf,  schon  in  der  ersten 
Woche  nimmt  der  Pat.  1,5  Kilo  zu.  Nach  3  Wochen 
kann  er,  da  die  Temperatur  abends  nicht  über  37,5 
steigt,  das  Bett  verlassen.  Die  Besserung  schreitet 
nun  langsam,  aber  stetig  vorwärts.  Die  Nacht- 
schweiß» hören  ganz  auf,  die  Sputummenge  nimmt 
bedeutend  ab.  Bei  der  Abreise  am  13.  April  — 
nach  16  wöchentlichem  Aufenthalt  in  San  Remo  — 
wiegt  Pat.  59,200  Kilo,  hat  also  über  8  Kilo  zuge- 
nommen. 

Es  bestehen  nur  noch  R.  V.  von  der  Clavicula 
abwärts  bis  zur  dritten  Rippe  Dämpfung,  Bronchial- 
atmen und  vereinzelte  kleinblasige  Rasselgeräusche. 
Da  der  Pat.,  trotz  der  auch  in  Meran  streng  durch- 
geführten Anstaltsbehandlung  dort  keine  Besserung 
erzielte,  im  Gegenteil  stets  an  Körpergewicht  ver- 
lor, so  kann  man  wohl  diese  plötzliche  Wendung 
zum  Bessern,  besonders  was  Appetit  und  Zunahme 
des  Körpergewichts  anbelangt,  zum  Teil  wenigstens 
auf  das  Konto  des  dargereichten  Pneumins  setzen. 

Gehe  ich  nun  zu  der  dritten  Kategorie, 
den  Schwerkranken,  über,  so  waren  die  Miß- 
erfolge hier  natürlich  häufiger,  dennoch  ge- 
lang es  mir  oft,  die  Kranken  von  den  all  er- 
quälendsten Symptomen  zu  befreien,  ihre 
Korperkräfte  zu  heben  und  so  ihr  Leben  zu 
verlängern. 

Ich  führe  nur  folgende  Beispiele  an: 

Herr  Dr.  G.  aus  Lemburg,  unverheiratet,  33  Jahr 
alt.  Die  Mutter  lebt  und  ist  gesund,  Vater  an  der 
Schwindsucht  gestorben,  von  seinen  2  Brüdern  und 
3  Schwestern  sind  1  Bruder  und  2  Schwestern 
ebenfalls  an  der  Schwindsucht  gestorben. 

Der  Pat.  erkrankte  vor  7  Jahren  an  leichtem 
Husten,  ohne  besonders  auf  diesen  zu  achten.  Im 
Sommer  1899  ak^uirierte  er  Influenza,  im  Anschluß 
an  diese  Pleuritis.  Er  wurde  wiederhergestellt, 
fühlte  sich  aber  doch  stets  so  schwach,  daß  er 
seinen  Beruf  —  er  ist  Bankbeamter  —  aufgeben 
mußte.  Er  lebte  dann  bei  seiner  Mutter  in  einer 
kleinen  Stadt  Galiziens  bei  bald  besserem,  bald 
schlechterem  Befinden.  Im  Sommer  1903  begann 
seine  Sprache  heiser  zu  werden,  das  Sputum  ver- 
mehrte sich  und  war  oft  mit  Blut  vermischt;  er 
verlor  dauernd  an  Körpergewicht. 

Zum  Herbst  1903  ging  er  nach  Meran  und 
kam  Ende  November  desselben  Jahres  in  meine 
Anstalt. 

Der  Pat,  ein  großer,  stark  abgemagerter  Mann 
spricht  mitFiustersprachc.  Er  klagt  über  allgemeine 


Mattigkeit  und  Schluckbeschwerden.  Viel  Sputum, 
in  diesem  zahlreiche  T.  B.  Die  Entleerung  des 
zähen  Sputums  verursacht  oft  Mühe.  Abends 
Temperatur  bis  38°.  —  Der  objektive  Befund  war 
folgender:  Epiglottis  stark  geschwollen,  auf  ihrer 
linken  Seite  Ulcus.  Schwellung  der  ary-epiglottischen 
Falte  und  der  hinteren  Larynxwand,  Ulcus  auf  dem 
linken  Stimmband.  —  Dämpfung  R.  V.  bis  zur  Cla- 
vicula, hier  Bronchialatmen  und  kleinblasiges  Rasseln. 
Auch  L  V.  und  H.  bis  zur  dritten  Rippe  Dämpfung, 
Bronchia'atmcn  und  kleinblasiges  Rasseln,  ebenso 
H.  R.  bis  zur  4.  Rippe. 

Die  Therapie  bestand  in  Atzungen  der  Ulcera 
des  Larynx  mit  60  proz.  Milchsäure  3  mal  wöchent- 
lich und  täglichen  Einblasungen  von  Anästhesin.  — 
Absolute  Bettruhe,  kalte  Waschungen  des  Thorax. 
Durch  diese  Therapie  erreichte  ich  so  viel,  daß  die 
Temperatur  nach  3  Wochen  nicht  über  37,5  stieg. 
Ich  ließ  den  Pat.  dann  aufstehen,  die  Liegekur  im 
Garten  fortsetzen  und  erzielte,  daß  die  Sputument- 
leerung  leichter  wurde  und  das  Allgemeinbefinden 
relativ  gut  war.  Bei  der  Abreise  nach  fünfmonat- 
lichem Aufenthalt  hatte  der  Pat.  dasselbe  Gewicht, 
wie  bei  der  Aufnahme,  der  Appetit  war  ausge- 
zeichnet. Der  Larynx  hatte  sich  —  wohl  infolge 
der  lokalen  Behandlung  —  bedeutend  gebessert. 
Der  objektive  Befund  der  Lungen  war  allerdings 
noch  derselbe,  wie  bei  der  Aufnahme.  Jedenfalls 
glaube  ich  auch  hier  das  Aufhören  des  Gewichts- 
verlustes, das  leichtere  Entleeren  des  Sputums  und 
die  Besserung  des  Allgemeinbefindens  dem  „Pneu- 
min"  verdanken  zu  müssen. 

Dieselbe  Erfahrung  machte  ich  auch  bei 
einem  73jährigen  Herrn  mit  schwerer  Lungen- 
tuberkulose. Dieser  war  vor  3  Jahren  mit 
Husten  erkrankt,  hatte  dann  bald  eine 
Hämoptoe  zu  überstehen  und  lebte  seitdem 
dauernd  in  Sanatorien.  Trotzdem  hatte 
er,  wie  er  glaubwürdig  versicherte,  innerhalb 
dieser  Jahre  19  kg  an  Gewicht  verloren.  — 
Während  seines  3  monatlichen  Aufenthalts  in 
meinem  Sanatorium  erhielt  er  täglich  1,5 
Pneumin  und  erfreute  sich  —  trotzdem  daß  der 
Lungenbefund  keinerlei  Besserung  erfuhr  — 
eines  leidlich  guten  Allgemeinbefindens.  Sein 
Körpergewicht  war  bei  der  Abreise  ungefähr 
ebenso  wie  bei  der  Aufnahme,  die  rapide 
Abnahme  hatte  also  mit  einem  Schlage  auf- 
gehört. 

So  könnte  ich  noch  eine  ganze  Reihe  von 
Kranken  anführen,  bei  denen  das  „Pneumin" 
von  heilsamem  Einfluß  gewesen  zu  sein  scheint. 
Geschadet  habe  ich  niemals  durch  Darreichung 
des  Mittels,  niemals  mußte  ich  es  wegen  Auf- 
tretens irgend  welcher  Reizerscheinung  aus- 
setzen. Ob  die  Besserungen  im  objektiven 
Befund  dem  „Pneumin"  zuzuschreiben  sind, 
läßt  sich  schwer  sagen,  ich  habe  entschieden 
den  Eindruck,  als  ob  es  auch  hierzu  bei- 
getragen hat.  In  fast  allen  Fällen  —  und 
hierin  scheint  mir  seine  Hauptbedeutung  zu 
liegen  —  hat  es  einen  überaus  günstigen 
Einfluß  auf  den  Appetit  und  dadurch  auf 
die  Hebung  des  Körpergewichts  ausgeübt. 
Nicht  zu  hohes  Fieber  wurde  ebenfalls  günstig 
beeinflußt.     Husten  und  Auswurf  wurden  oft 


248 


Lohn  stein,  Methodik  dar  Milehanalyte. 


rTherap«*  tische 
L   Monatshefte. 


geringer,    auch  wurde  dieser  leichter  heraus- 
befördert. 

Die  Nachtschweiße  schwanden  in  einer 
Reihe  vcn  Fällen.  —  Zudem  traten  noch  die 
Vorzüge,  daß  das  Mittel  gern  genommen  wird, 
die  Form  der  Darreichung  eine  bequeme  ist, 
keine  hohen  Ansprüche  an  den  Geldbeutel 
der  Patienten  gestellt  werden  und  keine  Be- 
lästigung des  Kranken  und  seiner  Umgebung 
durch  häßlichen  Geruch  entsteht.  Ich  möchte 
daher  allen  Kollegen,  die  zur  Behandlung 
der  Tuberkulösen  Kreosot  und  seine  Derivate 
heranziehen  —  und  das  wird  wohl  der  bei 
weitem  größte  Teil  sein  —  das  „Pneumin" 
warm  empfehlen.  Ganz  besonders  ist  es  für 
die  Kassenpraxis  geeignet. 


Zur  Methodik  der  Milclianalyse 
mit  besonderer  Rücksicht*  auf  die  ärzt- 
liche Praxis. 

Von 
Dr.  Theodor  Lohnttein,.  Berlin. 

Wenn  ich  es  unternehme,  in  diesen  Blättern 
einige  Punkte  der  chemischen  Milchunter- 
suchung mit  besonderer  Rücksicht  auf  die 
Tätigkeit  des  praktischen  Arztes  auseinander- 
zusetzen, so  bedarf  dies  Unterfangen  kaum 
der  Begründung,  spielt  doch  die  Milch  eine 
derartige  Rolle  in  der  Ernährung  des  ge- 
sunden und  des  kranken  Menschen,  daß  der 
Arzt,  speziell  der  Landarzt,  mangels  ander- 
weitiger Untersucher  im  Notfalle  selbst  dazu 
gerüstet  sein  muß,  dieses  wichtige  therapeu- 
tische Agens  auf  seine  Qualitäten,  besonders 
den  Nährwert,  zu  prüfen.  Da  der  Nährwert 
der  Milch  durch  drei  wesentliche  Bestand- 
teile, das  Fett,  den  Milchzucker  und  die 
Eiweißstoffe,  bedingt  ist,  so  handelt  es  sich 
darum,  zur  quantitativen  Feststellung  dieser 
Stoffe  Methoden  auszuarbeiten,  die  so  einfach 
sind,  daß  sie  von  jedem  Arzt  mit  Leichtig- 
keit, bloß  an  der  Hand  einer  Gebrauchsan- 
weisung, in  seiner  Wohnung  ausgeführt  werden 
können,  und  deren  Resultaten  dabei  doch 
eine  für  die  Anforderungen  der  Praxis  völlig 
ausreichende  Genauigkeit  zukommt.  Von 
diesen  Gesichtspunkten  aus  bitte  jch  die 
folgenden  Vorschläge  zu  beurteilen,  welche 
übrigens  von  mir  selbst  hinlänglich  erprobt 
sind. 

1.  Das  Galakto-Lipometer,  ein  neuer 
Apparat  zur  Fett  bestimmun  g  der  Milch. 
Die  bisher  für  diesen  Zweck  existierenden 
Apparate  und  Methoden  sind,  soweit  sie  be- 
quem sind,  zu  wenig  zuverlässig,  soweit  sie 
genau  sind,  entweder  zu  umständlich  oder 
in  bezug    auf  die   Apparate    zu    kostspielig, 


als  daß  sie  dem  praktischen  Arzte  empfohlen 
werden  könnten.  Der  nachstehend  beschrie- 
bene Apparat  (s.  Figur),  dem  ich  den  Namen 
Galakto-Lipometer  beigelegt  habe,  ver- 
meidet diese  beiden  Klippen;  ich  glaube  da- 
her mit  ihm  einem  Bedürfnis  entsprochen  zu 
haben l). 


v$- 


I 


m** 


!5^^»= 


i  .  u 


/ 


Das  Prinzip  des  Apparates  besteht  darin, 
daß  das  in  einem  bestimmten  Milchquantum 
enthaltene  Fett  durch  Behandlung  der  Milch 
mit   Kalilauge    und   Äther  und  nachfolgende 

!)  Der  Apparat  ist  erhältlich  bei  Heinrich 
Noffke  &  Co.,  Berlin  S.W.,  Yorkstr.  19. 


J 


XIX.  Jahrgang/) 
Mai  ISO*.     J 


Lohnst  «in,  Methodik  dmt  ttllchanalyt«. 


249 


Verdunstung  des  letzteren  direkt  zur  Ab- 
scheidung gebracht  und  volumetrisch  darge- 
stellt wird;  eine  Teilung  ermöglicht  die  un- 
mittelbare Ablesung  des  Fettgehaltes  in  Ge- 
wichtsprozenten. Der  Apparat  besteht  — 
von  den  ihm  beigegebenen  Nebengeräten  ab- 
gesehen —  aus  zwei  Teilen,  einem  an  beiden 
Enden  offenen  Glasrohr  von  der  aus  der 
Figur  ersichtlichen  Form  und  einem  Glas- 
hahn mit  den  zugehörigen  Rohransätzen,  von 
denen  der  eine  durch  einen  durchbohrten 
Kautschukstopfen  gesteckt  ist;  mittels  des 
letzteren  werden  beim  Gebrauche  beide  Teile 
miteinander  verbunden.  Zu  dem  Ganzen  ge- 
hört noch  ein  Holzbrettchen,  dessen  eine 
Fläche  durch  eine  den  Längsseiten  parallel 
verlaufende  halbzylindrische  Nute  in  zwei 
gleiche  Teile  zerfällt,  und  dessen  beide  Längs- 
seiten einige  Einkerbungen  tragen.  Auf  dem 
Brettchen  sind  zwei  Teilungen  angebracht, 
links  eine  Millimeterteilung,  rechts  eine  die 
Fettprozente  angebende  Skala;  das  Skalen- 
brettchen  wird  nach  Bedarf  vermittelst  der 
bekannten  bei  der  Einwicklung  kleiner  Pa- 
kete benutzten  Ringbänder  aus  Gummi  an 
dem  dünnsten  Teile  des  oberen  Glasgefäßes, 
dem  zylindrischen  Meßrohr,  befestigt  und 
nach  dem  Gebrauch  wieder  abgenommen. 

Die  Ausführung  einer  Milchfettbestim- 
mung mit  diesem  Apparat  gestaltet  sich  fol- 
gendermaßen : 

Das  dem  Apparate  beigegebene  geteilte 
Reagenzglas  wird  bis  zu  dem  mit  M  be- 
zeichneten Strich  mit  der  zu  untersuchenden 
(frischen,  ungekochten)  Milch  gefüllt  (=10  ccm). 
Darauf  wird  bis  zum  nächsten  Strich  (L) 
15-proz.  Kalilauge  (Liquor  Kali  caustici 
der  Apotheken)  hinzugefügt  (=  1,2  ccm). 
Das  Reagenzrohr  wird  jetzt  mit  dem  Kaut- 
schukstopfen verschlossen,  und  durch  Um- 
schwenken die  gleichmäßige  Verteilung  der 
Lauge  bewirkt.  Nunmehr  wird  nach  Ab- 
nahme des  Stopfens  bis  zum  Teilstrich  A 
Schwefeläther  hinzugegeben,  das  Reagenzrohr 
wieder  fest  verschlossen  und  so  lange  mög- 
lichst ohne  Schütteln  umgeschwenkt,  bis  der 
milchige  Charakter  des  Gemisches  ver- 
schwunden ißt  und  die  Flüssigkeit  nur  noch 
schwach  opaleszierend  erscheint.  Jetzt  wird 
der  ganze  Inhalt  des  Reagenzglases  mit  Hilfe 
des  beigegebenen  Trichters  in  den  Apparat 
gegossen,  nachdem  derselbe  durch  Eindrehen 
des  den  Hahn  tragenden  Kautschukstopfens 
in  den  unteren  Hals  der  Kugel  zusammen- 
gesetzt und  der  Hahn  in  die  Schlußstellung 
gebracht  ist;  der  Hahn  darf  leicht  mit  einem 
Schmiermittel,  z.  B.  einem  Gemisch  von  Vase- 
line und  Wachs  zu  gleichen  Teilen,  bestrichen 
werden,  da  er  nicht  direkt  mit  dem  Äther 
in   Berührung  kommt,    und    somit  eine  Bei- 


mengung von  Teilen  des  Dichtungsmittels  zu 
der  Ätherfettlösung  nicht  zu  befürchten  ist. 
Die  nach  dem  ersten  Ausgießen  an  der  Wand 
des  Reagenzrohres  haftenden  Flüssigkeitsreste 
werden  mit  1  — 2  ccm  Äther  nachgespült.  Ist 
das  geschehen,  so  setzt  man  in  Ermangelung 
eines  Stativs  den  Apparat  in  ein  passendes 
Gefäß,  z.  B.  einen  Milchtopf,  und  wartet 
einige  Minuten  ab,  bis  sich  der  Inhalt  der 
Kugel  in  zwei  Schichten  gesondert  hat;  eine 
obere  klare,  enthaltend  die  Ätherfettlösung, 
und  die  untere  trübe,  welche  die  übrigen 
Milchbestandteile  mit  der  Lauge  und  etwas 
gelöst  gebliebenen  Äther  enthält.  Nachdem 
die  Schichtenbildung  vollendet  ist,  wird  die 
untere  Schicht  durch  vorsichtiges  Öffnen  des 
Hahnes  und  Unterstellen  eines  beliebigen 
Gefäßes  zum  größten  Teile  abgelassen,  darauf 
wird  mit  Hilfe  des  Trichters  so  viel  "Wasser 
(man  verwende  destilliertes  oder  gewöhnliches, 
durch  Kochen  vorher  luftfrei  gemachtes  kaltes 
Wasser)  nachgefüllt,  daß  die  freie  Oberfläche 
der  Fettätherschicht  etwas  unterhalb  des 
oberen  Endes  der  Kugel  steht3).  Nach  ein- 
getretener Schichtung  läßt  man  neuerlich  die 
untere  Schicht  ab  und  füllt  wieder  Wasser 
nach.  Ist  jetzt  die  untere  Schicht  noch  etwas 
trübe,  so  kann  man  die  geschilderte  Prozedur 
nochmals  wiederholen,  meist  wird  man  sich 
jedoch  mit  dem  zweimaligen  Ablassen  der 
unteren  Flüssigkeitsschicht  begnügen  können. 
Nunmehr  bringt  man  das  Lipometer 
in  ein  Wasserbad  von  45°  C,  das  man  sich 
herstellt,  indem  man  ein  passendes  Gefäß, 
z.  B.  eine  gewöhnliche  Milchkanne  aus  email- 
liertem Blech  (nach  Abnahme  des  Deckels), 
mit  entsprechend  temperiertem  Wasser  füllt; 
man  läßt  das  Wasserbad  zunächst  ('/«  bis 
7s  Stunde  lang)  ohne  Heizflamme,  bis  der 
größte  Teil  des  Äthers  verdunstet  und  nur 
noch  eine  schmale  Zone  gelblicher  Flüssig- 
keit an  der  Oberfläche  der  Kugel  über  dem 
Wasser  sichtbar  ist.  Jetzt  setzt  man  die 
das  Lipometer  enthaltende  Kanne  auf  einen 
Dreifuß  —  in  Ermangelung  eines  solchen 
kann  man  auch  drei  weith aisige,  der  größeren 
Stabilität  halber  mit  Wasser  gefüllte  Medizin- 
flaschen nehmen,  auf  deren  Korken  man  das 
Gefäß  mit  den  entsprechenden  Stellen  seiner 

*)  Um  die  Äther- Fettschicht  von  der  unteren 
Schient  leichter  zu  unterscheiden,  kann  man  noch  im 
Reagenzrohr  vor  dem  Umschwenken  dem  Ganzen 
ca.  sechs  Tropfen  (0,2  ccm)  der  üblichen  alkoholi- 
schen Phenolphtaleinlösung  (0,1  g  Phenolphtalein 
zu  10  ccm  70-proz.  Alkohol)  hinzusetzen;  dadurch 
wird  die  untere  Schicht  wegen  ihres  Alkaligehalts 
dunkelrot;  die  Ätherschicht  erscheint  anfangs  blaß- 
rot, entfärbt  sich  aber  nach  einigen  Minuten  voll- 
ständig. Bei  den  ersten  beiden  Verdünnungen  der 
unteren  Schicht  behält  diese  noch  eine  blaßrote 
bezw.  blaßrosa  Färbung. 


250 


Lohnst« in,  Methodik  der  MilchantJyie. 


rTherapeutlaehc 
L  Monatshefte. 


Bodenkante  ruhen  läßt  —  und  zündet  die 
Heizflamme  an,  als  welche  man  je  nach  der 
vorhandenen  Einrichtung  einen  auf  kleine 
Leuchtflamme  eingestellten  Bunsenbrenner, 
eine  „Petroleumkerze"  (kleinstes  Petroleum- 
nachtlämpchen)  oder  das  bekannte  Olnacht- 
licht  verwendet,  wobei  man  aber  auf  dem 
Öl  zweckmäßig  2  —  3  Kerzchen  gleichzeitig 
schwimmen  läßt,  da  die  Wärmequelle  ein 
allmähliches  Steigen  der  Wasserbad temperatur 
auf  50—55°  C.  bewirken  soll.  Natürlich 
kann  man  außerdem  auch  durch  Variieren 
der  Flammenentfernung  vom  Boden  des  Wasser- 
gefäßes die  Temperatur  regulieren.  Zirka 
2  Stunden  nach  Beginn  der  Verdunstung  ist 
der  Äther  bis  auf  Spuren  verjagt,  und  nun 
folgt  der  Schlußakt  der  Bestimmung,  der 
darin  besteht,  daß  man  das  auf  der  Ober- 
fläche des  Wassers  in  der  Kugel  schwimmende 
flüssige  Milchfett  in  das  Meßrohr  aufsteigen 
läßt.  Zu  diesem  Ende  nimmt  man  den 
Apparat  aus  dem  Wasserbade  heraus,  setzt 
den  Trichter  wieder  auf,  durch  den  man  zu- 
nächst so  viel  heißes  Wasser  (das  dem 
Wasserbade  entnommen  werden  kann)  in  das 
Lipometer  nachfüllt,  daß  das  Milchfett  sich 
am  oberen  Ende  der  Kugel  ansammelt.  Jetzt 
läßt  man,  nunmehr  nach  Abnahme  des 
Trichters  unter  Benutzung  der  dem  Appa- 
rate beiliegenden  kleinen  Tropfpipette,  vor- 
sichtig weiter  heißes  Wasser  nachfließen,  bis 
sich  das  Milchfett  in  Form  einer  dünnen 
Säule  ganz  im  Meßrohr  befindet.  Man  hat 
dabei  darauf  zu  achten,  daß  das  einfließende 
Wasser  nur  an  einer  Seite  der  Meßrohrwand 
hinabläuft,  damit  es  nicht  durch  Ausfüllung 
des  ganzen  Querschnittes  dem  aufsteigenden 
Fett  den  Weg  versperre.  Zu  dem  Ende 
hält  man  den  Apparat  etwas  schräg,  setzt 
die  Spitze  der  Pipette  direkt  an  einer  Stelle 
der  Innenwand  des  Rohres  in  dem  oberen 
konischen  Übergangsteile  auf  und  entleert 
die  Pipette  dann  durch  langsam  sich  ein- 
schleichenden Druck  auf  die  Gummikappe. 

Zum  Schluß  bringt  man  die  zu  dem  Ap- 
parat gehörige,  auf  dem  Holz  brettchen 
befindliche  Skala  an  das  Meßrohr  und  be- 
festigt sie  mit  Hilfe  der  Gummi- Ringbänder 
an  dem  Rohr.  Man  liest  in  der  Weise  ab, 
daß  man  die  Länge  der  Fettsäule  in  Milli- 
metern feststellt,  wozu  die  links  befindliche 
Millimeterteilung  dient;  darauf  sucht  man 
auf  der  rechten  Skala  die  Zahl  auf,  welche 
der  gefundenen  Millimeterzahl  gegenüber- 
steht; diese  stellt  den  gesuchten  Fettprozent- 
gehalt dar.  Einer  Länge  der  Säule  von 
27  mm  entspricht  z.  B.  der  *  Fettgehalt 
3,0  Proz.3). 

Noch  einige  Worte  wollen  wir  der  Reini- 
gung des  Apparates  widmen,    die  für  einen 


häufiger  zu  benutzenden  Apparat  durchaus 
keinen  nebensächlichen  Punkt  darstellt.  Sie 
muß  leicht  und  schnell  ausführbar  sein,  und 
das  ist  bei  dem  Lipometer  vermöge  seiner 
Zerlegbarkeit  in  die  beiden  durch  den  Stopfen 
verbundenen  Teile  der  Fall.  Man  verfährt 
folgendermaßen: 

Während  die  Fettsäule  noch  flüssig  ist, 
wird  so  viel  heißes  Wasser  in  den  Apparat 
gegossen,  daß  das  Fett  sich  in  dem  breiteren 
obersten  Abschnitt  des  Rohres  ansammelt. 
Von  dort  nimmt  man  es  einfach  mit  einem 
es  einsaugenden  Wattebausch  fort,  kehrt  den 
Apparat  um,  öffnet  den  Hahn,  sodaß  der 
übrige,  aus  heißem  Wasser  bestehende  Inhalt 
gleichfalls  abläuft.  Man  kann  nochmals 
mit  heißem  Wasser  nachspülen,  nimmt  den 
Apparat  dann  auseinander  und  geht  zum 
Abtrocknen  direkt  mit  einem  Tuche  in  die 
Kugel  ein,  was  bei  der  Weite  der  unteren 
Öffnung  derselben  leicht  ausführbar  ist.  Das 
Meßrohr  trocknet  man  dadurch,  daß  man 
einen  entsprechend  dünnen  Wattedocht  ein- 
führt, event.  mit  Hilfe  einer  Pinzette.  Nach 
mehrmaligem  Gebrauch  kann  man  zur  gründ- 
lichen Reinigung  des  Apparates,  speziell  der 
inneren  Meßrohrwand,  noch  etwas  Äther  ver- 
wenden, mit  welchem  man  die  Watte  vorher 
tränkt.  Die  ganze  Prozedur  vollzieht  sich 
in  wenigen  Minuten. 

Eine  Reihe  von  Bestimmungen,  in  denen 
die  Ergebnisse  des  neuen  Apparates  mit  der 
gewichtsanalytischen  Methode  in  der  Modi- 
fikation nach  Hoppe-Seyler  verglichen 
wurden,  hat  mir  zufriedenstellende  Resultate 
ergeben;  die  Differenz  der  beiden  Zahlen 
betrug  durchschnittlich  weniger  als  0,1  und 
überschritt  niemals  0,2. 

2.  Bestimmung  des  Milchzuckers  mit 
dem  Gärungs-Saccharometer. 
Den  Milchzuckergehalt  hat  man  bisher 
entweder  mit  dem  Polarisationsapparat  oder 
durch  ein  auf  der  reduzierenden  Eigenschaft 
der  Zuckerarten  beruhendes  Verfahren  be- 
stimmt, das  letztere  speziell  in  der  von 
Soxhlet  angegebenen  Modifikation,  indessen 
sind  beide  Wege  für  den  praktischen  Arzt 
ungangbar,  da  sie  kostspielige  Apparate 
erfordern,  und  die  Reduktionsmethode  oben- 
ein umständlich  ist  und  eine  erhebliche 
Übung  in  analytischen  Arbeiten  voraussetzt. 
Die  nachstehende  Methode,  die  meiner  An- 
sicht nach  an  Genauigkeit  hinter  jenen  nicht 
zurückbleibt,  aber  erheblich  einfacher  ist 
und    überdies    mit    einem    auch    zu    andern 


3)  Über  Fettbestimmung  an  gekochter  (ste- 
rilisierter) Milch  mit  dem  Lipometer  siehe  AI  lg. 
Med.  Zentr.-Ztg.  1905,  Nr.  4. 


XIX.  Jahrg*ng.1 
Mai  1905.     J 


Lohn  stein,  Methodik  der  MUchanalyse. 


251 


Zwecken  verwendbaren  relativ  billigen  Appa- 
rate ausgeführt  wird,  dürfte  daher  vielen 
willkommen  sein. 

Das  Verfahren  ist  auf  einer  Eigenschaft 
des  Milchzuckers  gegründet,  die  sie  unter 
dem  Namen  der  Inversion  mit  mehreren 
anderen  Zuckerarten  teilt.  Durch  Kochen 
mit  verdünnten  Mineralsäuren  wird  nämlich 
das  Milchzuckermolekül  Cl3HMOn  unter  Auf- 
nahme eines  Moleküls  Wasser  in  zwei  nie- 
driger konstituierte  Moleküle  zerlegt;  es  zer- 
fällt in  je  ein  Molekül  Galaktose  und 
Traubenzucker  nach  der  Gleichung 
C„  HM  On  +  H2  0  =  C6  H12  06  -f  C6  H„  06. 

"Während  nun  der  Milchzucker  mit  Bier- 
hefe und  Preßhefe  direkt  nicht  gärungsfähig 
ist,  wird  er  es  somit  nach  erfolgter  Inversion; 
denn  das  eine  Zerfallsprodukt,  die  Dex- 
trose, wird  von  den  Hefearten  ohne  weiteres 
in  Alkohol  und  Kohlensäure  gespalten4). 

Nach  diesen  Vorbemerkungen  dürfte  die 
nunmehr  zu  schildernde  Methode  ohne  weiteres 
verständlich  sein:  5  ccm  Milch  werden  in 
einen  kleinen  10  ccm  haltenden,  in  Zehntel 
Kubikzentimeter  geteilten  Meßzylinder  ein- 
gefüllt, dazu  0,4  ccm  der  offizineilen  26-proz. 
Salzsäure  mit  einer  graduierten  1  ccm  haltenden 
Meßpipette  hinzugegeben5),    der  Meßzylinder 

4)  Auch  die  Galaktose  unterliegt  der  Ver- 
gärung durch  Preßhefe  (auf  die  allein  sich  meine 
Erfahrung  bezieht),  aber  erst  sekundär;  läßt  man 
nämlich  nach  Beendigung  der  Traubenzuckergärung, 
die  bei  Einhaltung  einer  Temperatur  von  32  bis 
38°  C.  höchstens  3  Stunden  in  Anspruch  nimmt, 
das  Saccharometer  noch  länger  stehen,  so  beginnt 
nach  10— 20  ständiger  Pause  eine  weitere  Gärung, 
kenntlich  am  erneuten  Steigen  des  Quecksilbers, 
die  2—3  Tage  anhält  und  fast  die  gleiche  Menge 
Gas  erzeugt,  wie  die  Traubenzuckergärung.  Ich 
habe  diese  Erscheinung  sowohl  an  künstlichen 
Milchzackerlösungen  wie  an  invertierter  nativer 
Milch  beobachtet.  Für  unser  Verfahren  kommt 
nur  die  schnell  beendete  Dextrosegärung  in  Be- 
tracht; die  sekundäre  Galaktosegärung  wird  nur 
des  wissenschaftlichen  Interesses  wegen  hier  an- 
gefahrt. 

*)  Läßt  man  sich  in  der  Apotheke  eine  ver- 


dünnte Salzsäure  herstellen,  indem  man  60  g 
Acid.  hjdrochl.  (25  Proz.)  mit  68  g  Aaua  destill, 
zusammengießen  läßt,  so  hat  man  den  Vorteil,  daß 


1  com  dieser  Lösung  genau  durch  1  ccm  der  16-proz. 
Kalilauge  neutralisiert  wird.  Hält  man  sich  also 
diese  Salzsäuremixtur  vorrätig,  so  kommt  man  mit 
einer  1  ccm  haltenden  Vollpipette  aus.  Für  die- 
jenigen, welche  nicht  die  nötige  Übung  haben,  um 
eine  solche  Pipette  durch  Ansaugen  mit  dem  Mund 
za  füllen,  oder  dies  wegen  der  Gefahr  des  Ein- 
dringens der  ätzenden  Flüssigkeit  in  die  Mund- 
höhle vermeiden  möchten,  bemerke  ich,  daß  man 
die  Füllung  bis  zum  Teilstrich,  sowie  die  nachfol- 
gende Entleerung  in  sehr  einfacher  Weise  mit  einer 
Spritze  (z.  B.  einer  gewöhnlichen  Gonorrhöespritze 
mit  der  früher  allein  gebräuchlichen  oliven förmi- 
gen Mündung)  bewerkstelligen  kann,  die  man  durch 
Vermittelung  eines  Stückchens  Gummischlauch  mit 
der  Pipette  in  Verbindung  setzt.  (Die  andere 
Füllang8methode  — -  Eintauchen  der  Pipette  in  die 


darauf  in  ein  Wasserbad  gestellt,  dem  man  zur 
Erhöhung  der  Siedetemperatur  einige  Eßlöffel 
Staß furter  Badesalz  zusetzt.  Dies  geschieht 
deshalb,  weil  die  Flüssigkeit  im  Meßzylinder 
wegen  der  dicken  Wandungen  desselben  eine 
um  einige  Grade  niedrigere  Temperatur  hat 
als  das  umgebende  heiße  Wasserbad;  man 
hat  also  diesem  eine  100°  C.  um  mehrere 
Grade  übersteigende  Temperatur  zu  geben, 
wenn  die  Flüssigkeit  im  Zylinder  auf  ca. 
100°  C.  gebracht  werden  soll.  Man  erhitzt 
jetzt  das  Salzwasserbad  zum  Sieden,  nimmt 
ca.  30  Minuten  nach  dem  Beginn  des  Er- 
wärmens den  Meßzylinder  heraus  und  kühlt 
ihn  durch  Hineinstellen  in  kaltes  Wasser 
rasch  ab.  Zwecks  Neutralisierung  der  sauren 
Flüssigkeit  wird  jetzt  1  ccm  15-proz.  Kali- 
lauge (Liquor  Kali  caustici)  mit  der  Pipette 
abgemessen  und  in  den  Meßzylinder  gegeben 
und  endlich  das  Ganze  mit  destilliertem  oder 
gewöhnlichem  Wasser  auf  10  ccm  aufgefüllt. 
Während  der  geschilderten  Prozeduren  haben 
sich  natürlich  Eiweiß-  und  Kaseingerinnsel 
in  dem  Milchgemisch  gebildet,  dieselben  sind 
jedoch  sehr  fein  verteilt  und  werden  ruhig 
in  der  Flüssigkeit  gelassen,  die  nach  Auf- 
füllung auf  10  ccm  durch  Schütteln  des  mit 
einem  Finger  verschlossenen  Meßzylinders 
homogen  gemacht  wird.  Ist  dies  geschehen, 
so  wird  der  ganze  Inhalt  des  Zylinders  in 
ein  kleines  Gefäß,  am  einfachsten  ein  Ein- 
nehmegläschen, umgegossen,  und  diese  Flüssig- 
keit in  bekannter  Weise  der  Bestimmung  im 
Gärungs-Saccharometer  unterworfen.  Die  Ei- 
weißgerinnsel stören  die  Gärung  nicht  im 
mindesten.  Nach  2  —  2!/3  stündigem  Verweilen 
in  dem  auf  32 — 38°  C.  gehaltenen  Wasser- 
bade wird  der  Apparat  herausgenommen, 
auf  Zimmertemperatur  abgekühlt  und  nun- 
mehr der  Traubenzuckergehalt  an  der  Skala 
des  Saccharometers  abgelesen.  Die  so  er- 
haltene Zahl  wird  mit  dem  Faktor 
4,33  multipliziert,  und  das  Resultat  dieser 
Rechnung  ist  der  gesuchte  Prozentgehalt  der 
Milch  an  Milchzucker. 

Der  strengen  Theorie  nach  wäre  die  im 
Saccharometer  abgelesene  Zahl  mit  4  zu 
multiplizieren,    da  der  Milchzucker,    der  bei 


Flüssigkeit,  sodaß  letztere  bis  zum  Teilstrich  steigt, 
darauf  Herausheben  aus  der  Flüssigkeit  unter  gleich- 
zeitigem Fingerverschluß  der  oberen  Öffnung  — 
versagt  oft  infolge  nicht  genügend  vorhandener 
Flüssigkeitsmenge.)  Zur  Not  —  bei  sorgfältiger 
Einstellung  —  genügt  auch  der  Meßzylinder  für 
die  Zumessung  von  Säure  und  neutralisierendem 
Alkali;  man  hat  dann  genau  auf  den  Stand  des 
Niveaus  zu  achten  und  dabei  mit  einer  gewöhn- 
lichen Tropfpipette  (Tropfenzähler  mit  Gummi- 
kappe) so  viel  Flüssigkeit  hinzuzugeben,  daß  das 
Niveau  um  die  gewünschte  Zahl  von  Kubikzenti- 
metern steigt  (also  im  vorliegenden  Falle  um  je 
1  ccm). 


252 


Lohn  stein,   Methodik  d«r  Milchanalyt«. 


rTherap«ntiscbo 
L   Monatsheft«. 


den  Analysen  gewöhnlich  als  krystallisiert, 
d.  h.  mit  einem  Molekül  Krystallwasser,  also 
nach  der  Formel  C19  H24  0„  gerechnet  wird, 
zur  Hälfte  in  Traubenzucker  übergeht,  und 
überdies  die  Lösung  nach  Einwirkung  der 
Säure  auf  das  Doppelte  verdünnt  wird;  in- 
dessen haben  mir  Versuche  an  künstlichen 
Milchzuckerlösungen  durchweg  ergeben,  daß 
ein  etwas  geringerer  Bruchteil  des  Milch- 
zuckers als  7s  iQ  Traubenzucker  übergeht, 
und  daß  man  daher,  um  richtige  Resultate 
zu  erzielen,  die  durch  Gärung  erhaltene 
Traubenzuckerzahl  nicht  mit  4,  sondern  mit 
dem  als  Mittelwert  aus  8  Bestimmungen 
erhaltenen  Faktor  4,33  multiplizieren  muß.  — 
Wie  man  sieht,  ist  das  Verfahren  recht  ein- 
fach; es  setzt  lediglich  den  Besitz  eines 
guten  Gärungs-Saccharometers,  z.  B.  des  vom 
Verf.  angegebenen  Präzisions-G.-S.  „für  un- 
verdünnte Urine"  (erhältlich  bei  Heinrich 
Noffke  &  Co.,  Berlin  S.W.,  Yorkstr.  19) 
voraus,  das  zur  Bestimmung  des  Trauben- 
zuckers im  Harne  ja  vielfach  verwandt  wird, 
insofern  also  keine  besondere  Ausgabe  ver- 
langt. 

3.  Eine  indirekte  Methode  zur  Er- 
mittelung des  Eiweißgehalts  der  Milch. 
Den  Eiweißgehalt  der  Milch  stellt  man 
gewöhnlich  durch  Ausfällen  nach  Ansäuerung 
oder  neuerdings  auf  Grund  der  Stickstoff- 
bestimmung nach  Kjeldahl  fest;  doch  über- 
schreiten beide  Methoden  bei  weitem  die 
"Grenzen  dessen,  was  man  von  einem  durch 
seine  Praxis  in  Anspruch  genommenen  Arzte 
auf  dem  Gebiet  der  chemischen  Analyse  füg- 
lich verlangen  kann.  Es  dürfte  daher  für 
viele  von  Interesse  sein,  einen  Weg  zu  er- 
fahren, der  in  viel  einfacherer  Weise  zur 
annähernden,  aber  für  die  Zwecke  des  Arztes 
vollständig  ausreichenden  Kenntnis  des  Ei- 
weißgehalts der  Milch  führt.  Es  ist  nämlich 
leicht  einzusehen,  daß  man,  wenn  man  noch 
das  spezifische  Gewicht  der  Milch  be- 
stimmt, aus  diesem  und  den  für  den  Fett- 
gehalt und  den  Milchzuckergehalt  erhaltenen 
Zahlen  unter  einer  gewissen  Voraussetzung 
den  Eiweißgehalt  durch  Rechnung  er- 
mitteln kann.  Diese  Voraussetzung  ist  die, 
daß  man  weiß,  in  wie  weit  das  spezifische 
Gewicht  der  Milch  durch  die  in  ihr  enthal- 
tenen Salze  beeinflußt  wird.  Da  nämlich 
der  Salzgehalt  der  Milch  einer  bestimmten 
Tierart  nur  sehr  geringen  Schwankungen 
unterworfen  ist,  so  kann  man  dann  für  jede 
Tierart  diesen  Einfluß  ein  für  allemal  in 
Rechnung  stellen.  Die  nachfolgenden  For- 
meln sind  unter  Berücksichtigung  dieses  Um- 
Stands  berechnet;  in  ihnen  bedeutet  e  den 
Eiweißgehalt,   d  das  spezifische  Gewicht  der 


Milch,  dw  das  spezifische  Gewicht  des  destil- 
lierten Wassers  bei  der  gleichen  Temperatur, 
z  und  f  den  Milchzucker-  bezw.  Fettgehalt. 
Es  ist  also  für  Kuhmilch: 


1,2-  1,34  z  +  0,28  f 


für  Frauenmilch: 
_  d-dw  _ 
6  ~  "0,0028 
d  ist  dabei  auf  die  Dichte  des  Wassers  von 
4"  C.  als  Einheit  bezogen;  die  Verschieden- 
heit der  absoluten  Glieder,  d.  h.  der  Zahlen 
2,3  und  1,2  bei  Kuh-  und  Frauenmilch,  er- 
klärt sich  durch  die  erhebliche  Verschieden- 
heit des  mittleren  Aschengehaltes  bei  beiden 
Milcharten  (0,7  lProz.  bei  Kuhmilch,  0,31  Proz. 
bei  Frauenmilch). 

Um  zu  zeigen,  daß  die  Formeln  rechne- 
risch leicht  zu  bewältigen  sind,  sei  uns  die 
Durchrechnung  eines  Zahlenbeispiels  gestattet. 

Man  habe  gefunden  bei  einer  Probe  Kuh- 
milch : 

d  bei  20°  C.  =  1,0305,     z  =  4,9,    f  =  3,2. 

Aus  einem  physikalischen  Hilfsbuch6) 
entnimmt  man 

dw  (spez.  Gewicht  des  Wassers  bei  20°  C.)  =  0,9983, 
somit 

J,0305-^9983   _23_134  49 

e~  0,0028  2'6      M4'4'y 


0,0322 


+  0,28 . 3,2 
-  2,3  -  6,566  +  0,896 


0,0028 
=  11,5  -  2,3  -  6,566  +  0,896  =  3,53. 

In  dem  gedachten  Falle  wäre  also  der 
Eiweißgehalt(Albumin -t- Kasein)  =  3,53  Proz. 

Zum  Schluß  noch  einige  Worte  über  die 
Bestimmung  des  spezifischen  Gewichts 
der  Milch.  Da  es  sich  nur  um  eine  an- 
nähernde Ermittelung  des  Eiweißgehalts  han- 
delt, so  genügt  eine  Methode,  welche  die 
dritte  Dezimalstelle  nach  dem  Komma  noch 
fehlerfrei  liefert.  Das  tut  die  Mohr  sehe 
Wage,  die  allerdings  unter  den  Ärzten  nicht 
besonders  verbreitet  zu  sein  scheint,  sowie 
ein  gutes  Urometer,  am  besten  ein  solches, 
das  nur  das  halbe  Intervall  1,025  —  1,050 
umfaßt,  innerhalb  dessen  sich  ja  das  für  Milch 
in    Betracht   kommende   Intervall     1,028  bis 


6)  Man  kaon  sich  die  Werte  von  d\v  für  das 
kleine  in  Betracht  kommende  Temperaturiuterva.il 
—  15°  bis  25°  C.  —  auch  ein  für  allemal  an  der 
Hand  nachstehender  kleinen  Tabelle  notieren. 


t 

dw 

;  t 

<ü" 

15 

0,9992 

21 

0,9981 

16 

0,9990 

22 

0,9978 

17 

0,9988 

23  , 

0,9976 

18 

0,9987 

24  ! 

0,9974 

19 

0,9985 

i  25  1 

0,9971 

20   ,   0,9983 


XIX.  Jfthrgmaf  .1 
Mal  19tiS.     J 


Lohnttcin,  Methodik  d«r  MUchanalyt«. 


253 


1,034  befindet.  Da  die  im  Handel  befind- 
lichen Skalenaräometer  aber  vielfach  recht 
fehlerhaft  sind,  so  muß  man  sich  ein  sol- 
ches vorher  selbst  prüfen  oder  nur  ein 
Instrument  verwenden,  das  von  der  Kaiser- 
lichen Normal  -  Eichungs  -  Kommission ,  die 
neuerdings  solche  Apparate  zur  Prüfung  an- 
nimmt, mit  einer  Beglaubigung  versehen  ist. 
Sehr  gut  verwendbar  ist  das  vor  längerer 
Zeit  von  mir  angegebene  Präzisions- 
Urometer  (erhältlich  bei  L.  Reimann, 
Berlin  S.O.,  Schmidstr.  32),  ein  Gewichts- 
aräometer, das  sogar  noch  die  vierte  De- 
zimale mit  einiger  Zuverlässigkeit  angibt. 
Außerdem  gibt  es  besondere  für  den  Ge- 
brauch bei  Milchuntersuchungen  konstruierte 
Laktodensimeter,  die  nur  das  für  die 
Milch  in  Frage  kommende  Dichteintervall 
umfassen,  aber  wegen  ihrer  langen  Spindel 
eine  relativ  große  Flüssigkeitsmenge  zu  einer 
Messung  erfordern.  Sie  sind  daher  wohl  für 
Tiermilch  brauchbar,  bei  der  ja  die  Quan- 
tität keine  Rolle  spielt,  nicht  aber  für  Frauen- 
milch, von  der  gerade  in  den  Fällen,  in 
denen  eine  chemische  Untersuchung  ge- 
wünscht wird,  gewöhnlich  nur  mäßige  Mengen 
zur  Verfügung  stehen.  In  solchen  Fällen 
wird  man  manchmal  sogar  mit  der  M ohr- 
seben Wage  und  den  kleineren  Aräometern, 
die  ein  Flüssigkeitsvolumen  von  15  —  30  cem 
erfordern,  mangels  ausreichenden  Materials 
nicht  zum  Ziele  kommen,  und  man  muß  da- 
her das  spezifische  Gewicht  mit  Hilfe  des 
sogen.  Pyknometers  ermitteln.  Es  ist  das 
nichts  weiter  als  ein  kleines  Fläschchen  mit 
kapillarem  Hals,  das  ein  genau  bestimmbares 
Flüssigkeitsvolumen  zu  fassen  vermag.  Letz- 
teres bestimmt  man  dadurch,  daß  man  das 
Fläschchen  mit  destilliertem  Wasser  füllt 
und  so  wägt.  Außerdem  wird  vorher  das 
leere  Fläschchen  gewogen;  die  Differenz 
beider  Wägungen  gibt  nach  Korrektion  auf 
den  Luftinhalt  das  Fassungsvolumen  des 
Fläschchens.  Hat  man  nun  die  Dichte  einer 
Flüssigkeit  zu  ermitteln,  so  füllt  man  das 
Fläschchen  mit  der  letzteren  und  bestimmt 
das  Gewicht  des  gefüllten  Fläschchens.  Sind 
Psi  Pn  Ps  die  drei  sich  ergebenden  Gewichte, 
er  das  spezifische  Gewicht  der  Luft,  so  folgt 
das  gesuchte  spezifische  Gewicht  d  aus  der 
Gleichung 


d  —  a  =  (dir  —  c) 


oder  auch 


P»  —  Pi 
P9-P1 


4 — i=d-dw=^-^-. 

dir  p9  —  p, 

Zur  Erklärung  der  letzten  Umformungen 
bemerken  wir,  daß,  da  a  gegen  d  und  dw 
klein  und  d  und  d*  voneinander  nicht  sehr 
▼erschieden,    nämlich  =  ca.    1    sind,    man 


d* 


ohne    merklichen    Fehler   =  

-a  d« 


und  dieses  wieder  =  1  -+- d  —  dw  setzen  kann; 
ferner  ist  angenommen,  daß  die  Auswägung 
des  Fläschchens  mit  Wasser  und  mit  der 
zu  untersuchenden  Flüssigkeit  bei  der  gleichen 
Temperatur  geschieht,  was  ja  annähernd 
meist  der  Fall  sein  wird.  Die  pyknome- 
trische  Bestimmung  ergibt  somit  direkt  die 
Differenz  d  —  dw.  Wir  erwähnen  noch,  daß 
man  die  notigen  Pyknometerfläschchen  von  ca. 
10  cem  Volumen  in  jeder  Handlung  chemi- 
scher und  pharmazeutischer  Bedarfsartikel 
für  wenige  Groschen  erhält,  ferner,  daß  man 
für  die  hier  verfolgten  Zwecke  keiner  chemi- 
schen Wage  benötigt,  sondern  mit  einer 
kleinen  Apotheken -Handwage  (mit  Horn- 
schalen  an  seidenen  Aufhängeschnüren),  wie 
sie  wohl  jeder  Landarzt  schon  zu  anderen 
Zwecken  ohnehin  besitzt,  völlig  auskommt. 
Wenn  man  mit  recht  wenig  Untersuchungs- 
material zu  arbeiten  hat,  was,  wie  schon 
oben  bemerkt,  bei  der  Frauenmilch  oft 
genug  der  Fall  sein  wird,  so  hat  man  die 
pyknometrische  Bestimmung  des  spezifischen 
Gewichts  zuerst  auszuführen,  um  dann  die 
hierzu  benutzte  Milch  zur  Fett-  und  Milch- 
zuckerbestimmung zu  verwenden;  unter  dieser 
Voraussetzung  reichen  15  cem  zur  Ausführung 
der  vollständigen  im  vorstehenden  dargelegten 
Analyse  aus.  Hat  man  noch  weniger  Material 
zur  Verfügung  —  es  kommt  vor,  daß  man 
selbst  einer,  wie  die  weitere  Folge  lehrt, 
durchaus  stillungstüchtigen  Frau  in  einem 
gegebenen  Moment  nur  8 — 10  cem  Milch  mit 
der  Milchpumpe  entnehmen  kann  —  so  ver- 
dünne man  vor  Beginn  der  Untersuchung  die 
Milch  mit  Wasser  auf  das  Doppelte  und 
führe  die  Analyse  an  dieser  Verdünnung 
durch ;  man  wird  auch  dann  noch  ein  für 
die  Praxis  brauchbares  Resultat  erzielen.  In 
der  Eiweißformel  —  natürlich  kommt  nur 
die  auf  Frauenmilch  bezügliche  hier  in  Be- 
tracht —  hat  man  an  Stelle  des  absoluten 
Gliedes  1,2  in  solchem  Falle  die  Zahl  0,5 
zu  setzen;  alles  andere  bleibt  unverändert. 
Die  Fett-,  Milchzucker-  und  Eiweißzahlen 
in  der  verdünnten  Milch  sind  schließlich 
durch  Multiplikation  mit  2  auf  die  ursprüng- 
liche Milch  zu  reduzieren. 

Vom  Standpunkte  des  Nährwerts  ist 
eine  Milch  brauchbar,  wenn  die  Summe 
der  Prozentzahlen  für  Fett,  Milchzucker  und 
Eiweiß  sich  innerhalb  der  Grenzen  10  und 
15  bewegt,  wobei  natürlich  die  für  die  ein- 
zelnen Bestandteile  erhaltenen  Zahlen  den 
mannigfaltigsten  Schwankungen  unterliegen 
können. 

Zum  Schluß  betone  ich  ausdrücklich,  daß 
ich    mit    den    vorstehenden  Vorschlägen   zur 


254 


Ooldtttin,  Erhllt  unter  Volk  genug  Pleiten? 


rTherapeutlaeh.«» 
L   Monatshefte. 


Milchuntersuchung  keineswegs  die  feineren 
Methoden  des  Berufschemikers  zu  verdrängen 
beabsichtige ;  es  kam  mir  lediglich  darauf  an, 
dem  Arzte  einen  Weg  zu  zeigen,  wie  er  im 
gegebenen  Falle  mit  einfachen  Hilfs- 
mitteln ohne  besondere  Vorbildung  eine 
leidlich  genaue,  für  praktische  Zwecke  aus- 
reichende Milchanalyse  zustande  bringen  kann. 


Erh&lt  unser  Volk  genug  Fleisch? 

Von 

Dr.  Ferdinand  Goldstein  in  Berlin. 

IL 

Meine  Arbeit  in  der  Märznummer  dieser 
Monatshefte,  durch  die  ich  die  Frage  zu  be- 
antworten suchte,  ob  der  Eiweißbedarf  der 
deutschen  Bevölkerung  gedeckt  ist,  bedarf 
mehrfacher  Berichtigung  und  Erläuterung. 

Ich  hatte  errechnet,  daß  der  Kopf  der 
Bevölkerung  31  kg  Eiweiß  und  130  kg  Kohle- 
hydrate im  Jahr  braucht,  und  hatte  zur 
Deckung  des  Eiweißbedarfs  zunächst  40  kg 
Fleisch  herangezogen.  Diese  Zahl  hat  die 
Reichsstatistik  als  wahrscheinlich  für  den 
durchschnittlichen  Fleischkonsum  angenom- 
men, indem  sie  auf  eine  Arbeit  Lichten- 
feit 8  in  den  „ Landwirtschaftlichen  Jahr- 
büchern" Bd.  26  (1897)  Bezug  nimmt.  Seit- 
dem aber  durch  den  Beschluß  des  Bundes- 
rats vom  1.  Juli  1904  eine  Schlachtvieh- 
und  Fleischbeschau -Statistik  in  Deutschland 
eingeführt  ist,  besitzen  wir  zahlenmäßige 
Unterlagen  für  den  Fleischkonsum  unserer 
Bevölkerung.  Das  Kaiserliche  Statistische 
Amt  hat  im  „Reichs-  und  Staats-Anzeiger" 
zwei  Viertel jahres-Übersichten  über  die  Zahl 
der  Schlachttiere,  die  im  Deutschen  Reich  der 
Schlachtvieh-  und  Fleischbeschau  unterworfen 
worden  sind,  veröffentlicht  (No.  279  vom 
26.  November  1904,  1.  Beilage,  und  No.  44 
vom  20.  Februar  1905,  1.  Beilage),  und  auf 
Grund  dieser  Zahlen  hat  der  „Reichs  an  zeiger" 
die  Größe  des  Fleischkonsums  in  Deutschland 
zu  berechnen  versucht  (No.  52  vom  1.  März 
1905,  2.  Beilage).  Allerdings  ist,  wie  der 
„Reich8anzeigeru  hervorhebt,  die  Berechnung 
nicht  genau,  weil  erstens  das  Gewicht  der 
geschlachteten  Tiere  nicht  durch  die  Wage 
bestimmt,  sondern  geschätzt  worden  ist,  und 
weil  zweitens  die  Hausschlachtungen  nicht 
mitgezählt  worden  sind.  Diese  werden  erst 
bekannt  gegeben,  wenn  die  Ergebnisse  der 
Viehzählung  vom  1.  Dezember  1904,  bei  der 
die  Hausschlachtungen  erhoben  worden  sind, 
veröffentlicht  werden.  Indessen  kommen  bei 
Haus  Schlachtungen  nur  Schweine  und  allenfalls 
Ziegen    in  Betracht,    und    cJa   im   Hause,    zu 


eignem  Verbrauch  geschlachtete  Schweine  wohl 
von  der  Schlachtvieh-  und  Fleischbeschau, 
aber  nicht  von  der  Trichinenschau  befreit 
sind,  so  konnte  man  durch  Vergleichung  beider 
Ergebnisse  den  Fehler,  den  die  Nichtberück- 
sichtigung der  Hausschlachtungen  herbei- 
führt, einigermaßen  ausgleichen.  Auf  diese 
Weise  ist  der  „Reichsan  zeiger"  zu  dem  Er- 
gebnis gekommen,  daß  auf  Kopf  und  Jahr 
der  deutschen  Bevölkerung  etwa  48,5  kg 
Fleisch  treffen.  Das  importierte  Fleisch  ist 
hierbei  mitberücksichtigt,  das  Fleisch  der  ge- 
schlachteten Pferde  und  anderen  Einhufer  so- 
wie das  der  geschlachteten  Hunde  außer  acht 
gelassen. 

An  Brot  hatte  ich  145  kg  auf  Kopf  und 
Jahr  gerechnet.  Zu  dieser  Zahl  war  ich  ge- 
langt, indem  ich  die  von  der  Reichsstatistik 
ermittelte  Zahl  von  180  kg  Brotgetreide  nach 
dem  Schema  umrechnete,  daß  aus  100  kg 
Getreide  60  kg  Mehl  und  aus  60  kg  Mehl 
81  kg  Brot  hervorgehen.  Es  ist  indessen  be- 
denklich, Roggen  und  Weizen  als  „Brot- 
getreide" zusammenzufassen,  da  sowohl  die 
Brotausbeute  als  auch  der  Nährwert  beider 
verschieden  ist.  Auf  Grund  des  Regulativs 
für  Getreidemühlen  und  Mälzereien  vom 
16.  Dezember  1897  werden  in  Deutschland 
65  kg  Roggen-  und  75  kg  Weizenmehl  auf 
je  100  kg  Roggen  oder  Weizen  umgerechnet. 
Verfahren  wir  in  derselben  Weise,  so  liefern 
105,9  kg  Roggen,  63,3  kg  Weizen  und  9,6  kg 
Spelz,  die  nach  den  amtlichen  Erhebungen 
auf  den  Kopf  kommen,  68,8  kg  Roggenmehl 
und  54  J  kg  Weizen-  und  Spelzmehl.  Von 
diesen  wird  das  meiste  zu  Brot  verbacken, 
da  aber  ein  anderer  Teil  unverbacken  kon- 
sumiert wird,  so  empfiehlt  es  sich,  die  Nähr- 
stoffe des  Mehles,  nicht  die  des  Brotes  in 
Rechnung  zu  stellen,  ihre  Verdaulichkeit  aber 
der  des  Brotes  gleichzusetzen. 

Einen  wesentlichen  Fehler  enthält  die  von 
mir  als  verfügbar  angenommene  Menge  der 
Hülsenfrüchte.  Ich  habe  sie  mit  32  kg  auf 
Kopf  und  Jahr  beziffert,  während  tatsächlich 
im  Jahre  1898  in  Deutschland  produziert 
wurden : 

Tonnen 
su  1000  k« 

Erbsen 251  761 

Ackerbohnen  (Saubohnen) 238  091 

also  zusammen 489  852 

davon  ab  Aussaatquantum     ....      94077 

bleiben  zum  Verbrauch  ....  395  775 
dazu  Einfuhrüberschuß    ....    .    .    122898 

also  zur  Konsumtion  verfügbar  .  518  673 
macht  pro  Kopf  der  Bevölkerung  kg       9,5 

Auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  kommen 
also  nicht   32  kg,    sondern   9,5  kg   Hülsen- 


XIX.  Jahrgang  .1 
Mal  1905.     J 


Gold  stein,  Erhalt  oomt  Volk  ff«nug  Fleisch? 


255 


fruchte1).  Die  Bevölkerung  ist  also  zur 
Deckung  ihres  Kohlehydratbedarfs  außer  auf 
Brotgetreide  im  wesentlichen  auf  Kartoffeln 
angewiesen.  Das  verlangte  Kohlehydrat- 
quantum beträgt  auf  den  Kopf  1 30  kg.  Durch 
68,8  kg  Roggenmehl  und  54,7  kg  Weizen- 
und  Spelzmehl  werden  88,86  kg  Kohlehydrate 
geliefert9).  Es  bleiben  demnach  noch  41,14kg 
Kohlehydrate.  Hiervon  wurden  durch  2,85  kg 
Reis  2,20  kg  dem  Kopfe  zugeführt,  sodaß 
durch  Kartoffeln  und  Hülsenfrüchte  38,94  kg 
zu  liefern  sind.  In  den  ermittelten  9,5  kg 
Hülsenfrüchten  sind  etwa  4,89  kg  Kohle- 
hydrate enthalten,  sodaß  also  für  Kartoffeln 
34,05  kg  übrig  bleiben.  Diese  entsprechen 
einem  Kartoffelquantum  von  170  kg. 

Durch  Milch  hatte  ich  dem  Kopfe  nur 
0,88  kg  Eiweiß  zugehen  lassen,  das  entspricht 
einer  Milchmenge  von  etwa  25  l.  Die  Milch- 
produktion Deutschlands  ist  bei  seinem  großen 
Rind  Viehbestände  sehr  bedeutend.  Ein  großer 
Teil  wird  verbuttert,  ein  kleiner  auf  Käse 
verarbeitet  und  der  Rest  in  Substanz  ver- 
braucht. Nichtsdestoweniger  trage  ich  Be- 
denken, die  Milch  als  solche  in  ausgedehn- 
terem Maße  als  Eiweißquelle  in  Anspruch 
zu  nehmen.  Jeder  Arzt  weiß,  wie  schwer 
es  Patienten  wird,  längere  Zeit  hindurch 
Milch  zu  nehmen,  da  sie  bald  Widerwillen 
gegen  sie  empfinden;  Leyden  hat  daher 
empfohlen,  sie  mit  Kognak  zu  versetzen. 
Für  Berlin  und  einige  Nachbarorte  ist  der 
Milchkonsum  erhoben  worden,  er  beträgt  auf 
Tag  und  Kopf  rund  0,3  1  oder  im  Jahr  rund 
110  1.  Das  entspräche  einer  Eiweißmenge 
von  3,85  kg.  Aber  abgesehen  davon,  daß 
die  Ernährung  Berlins  nicht  als  Maßstab  für 
die  der  gesamten  deutschen  Bevölkerung  be- 
nutzt werden  kann,  darf  die  in  Berlin  ver- 
brauchte Milch  nicht  einfach  auf  Nähr  ei  weiß 
umgerechnet  werden,  da  ein  beträchtlicher 
Teil  von  ihr  in  die  Konditoreien  geht,  zur 
Herstellung  von  Milchbrot  verwandt,  als 
Medikament  genossen  oder  zu  Milchspeisen 
verbraucht  wird,  also  •  nicht  als  Volks- 
nahrungsmittel gelten  kann.  Ein  großer  Teil 
der  Milch  wird  auch  in  Kaffee  als  Ge- 
schmackscorrigens  getrunken,  aber  darf  man 
wegen  dieser  akzessorischen  Eiweißzufuhr 
von    „ Volksnahrungsmittel a    reden?     Meines 


')  Der  Irrtum  ist  entweder  durch  Rechenfehler 
oder  durch  Irrtum  in  der  Zeile  entstanden,  denn 
ich  hatte  untersucht,  ob  genügend  Hülsenfrüchte 
vorhanden  seien,  um  dem  Kopte  der  Bevölkerung 
32  kg  zuzuführen,  und  war  zu  einem  bejahenden 
Ergebnis  gekommen. 

')  Wenn  man  den  Gehalt  an  verdaulichen 
Kohlehydraten,  mit  Ausschluß  also  der  Zellulose, 
bei  Roggenmehl  mit  69,7  Proz.,  bei  Weizenmehl 
mit  74,8  Proz.  annimmt.    Handbuch  der  Hygiene 

in,  S.  52. 


Erachtens  wäre  das  ebenso  verfehlt,  wie 
wenn  man  ihren  Kohlehydratgehalt,  der  be- 
kanntlich größer  ist  als  ihr  Eiweißgehalt, 
bei  der  Deckung  des  gesamten  Kohlehydrat- 
bedarfs verrechnete  oder  den  Zucker  (Ver- 
brauch dieses  Genußmittels  1900/01  auf  den 
Kopf  12,3  kg)  einfach  unter  die  Kohlehydrat- 
nahrungsmittel einordnete.  Meine  0,88  kg 
Milcheiweiß  mögen  etwas  zu  niedrig  sein, 
aber  ich  glaube  nicht,  daß  der  Fehler 
nennenswert  ist.  wenn  man  nur  den  Begriff 
des  Volksnahrungsmittels  richtig  anwendet. 
Als  solches  kommt  die  Milch  nur  für  die 
untersten  drei  Altersklassen  in  Frage. 

Der  Einfuhrüberschuß  der  Eier  in  Deutsch- 
land betrug  im  Jahre  1900  117  557  Tonnen 
oder  auf  den  Kopf  2  kg.  Da  das  Gewicht 
eines  Eies  durchschnittlich  55  g  beträgt3), 
so  bedeutet  das  rund  36  Stück  Eier.  Dazu 
ist  die  inländische  Produktion  zu  addieren. 
Nach  der  Geflügelzählung  vom  1.  Dezember 
1900  gab  es  inDeutschland  55  395  837  Hühner. 
Rechnen  wir,  daß  sich  darunter  50  Millionen 
Hennen  befanden,  und  daß  jede  Henne  durch- 
schnittlich jährlich  100  Eier  legt*),  so  liefern 
die  Hühner  Deutschlands  jährlich  5  Milliarden 
Eier  oder,  wenn  wir  rechnen,  daß  alle  kon- 
sumiert werden,  was  natürlich  nicht  der  Fall 
ist,  da  ein  Teil  zu  Zuchtzwecken  zurück- 
gelegt wird,  auf  den  Kopf  rund  90  Eier. 
Import  und  Eigenproduktion  führen  also 
dem  Kopf  126  Eier  zu. 

Durch  den  Heringsimport  werden  dem 
Kopf  etwa  2,5  kg  Heringe  und  durch  den 
sonstigen  Fischimport  0,80  kg  Fische  geliefert. 

Endlich  kommen  durch  Käseimport  auf 
den  Kopf  0,27  kg  Käse.  Die  Eigenproduktion 
ist  bei  Heringen  und  anderen  Fischen  sowie 
bei  Käse  so  gering,  daß  sie,  ohne  einen 
nennenswerten  Fehler  zu  verursachen,  über- 
gangen werden  kann. 

Werden  jetzt  die  einzelnen  Posten  zu- 
sammengestellt, so  erhält  man  folgende  Über- 
sicht für  den  Verbrauch  auf  den  Kopf: 

Fleisch 48,5  kg 

Roggenmehl 68,8   - 

Weizen-  und  Spelzmehl  .    .    54,7    - 

Hülsenfrüchte 9,5   - 

Reis 2,85- 

Kartoffeln 170,00  - 

Milch 25  1 

Eier 126  Stück 

Heringe 2,5  kg 

Sonstige  Fische 0,80- 

Käse 0,27- 

Will  man  ermitteln,  wieviel  Eiweiß  durch 
diese  Nahrungsmittel  geliefert  wird,  so  muß 
man  berücksichtigen,  daß  das  animalische 
Eiweiß    zu    annähernd    100  Proz.   resorbiert 


8)  Handbuch  der  Hygiene  III,  S.  205. 
4)  K rafft,  Tierzuchtlehre  S.  252 


256 


Goldttoln,  Erbllt  unter  Volk  genug  PleUch? 


[Thoraponttach« 
MnitAtuhefta. 


wird,  daß  es  also  genügt,  seine  Menge  fest- 
zustellen, daß  dagegen  vom  vegetabilischen 
Eiweiß  ein  bestimmter  Teil  als  un verdaubar 
abzuziehen  ist.  Um  den  Eiweißgehalt  der 
Eier  zu  ermitteln,  ist  zu  erwägen,  daß  von 
den  55  g  Durchschnittsgewicht  eines  Eies 
6  g  auf  die  Schale  kommen,  daß  also  126  Eier 
6,17  kg  eßbare  Eis  üb  stanz  darstellen.  Aus 
der  folgenden  Tabelle  ist  die  tatsächlich  ge- 
lieferte Eiweißmenge  zu  ersehen: 


a  h  " 

48,5  kg  Fleisch  .... 

20 

9,70 

100     9,70 

68,8   -    Roggenmehl  .    . 

11,5 

7,91 

73     5,77 

54,7   -    Weizen- u.  Spelz- 

: 

mehl      .... 

10,2 

5,57 

80     4,45 

9,5   -    Hülsenfrüchte  . 

24,5 

2,32 

60  1   1,39 

2,85-    Reis 

7      0,19 

80  1  0,15 

170,0   -    Kartoffeln      .    . 

2    i  3,40 

68  |  2,31 

25  1  Milch 

3,5 : 0,87 

100 

0,87 

126  Stack   Eier  (6,17  kg 

1 

Eisubstanz)  .    . 

14      0,86 

100 

0,86 

2,5  kg  Heringe     .    .    . 

20      0,50    100     0,50 

0,80-    Sonstige  Fische 

20      0,16 

100  ;  0,16 

0,27-    Käse 

30      0,08 

100  I  0,08 

Zusammen 26,24 

Die  tatsächlich  zur  Ernährung  gelieferte 
Eiweißmenge  beträgt  also  auf  den  Kopf 
26,24  kg,  während  31  kg  verlangt  werden. 
Es  bleibt  also  ein  Defizit  von  4,76  kg  Eiweiß 
oder,  wenn  man  es  auf  Fleisch  umrechnet, 
von  23,80  oder  rund  24  kg  Fleisch.  Da 
48,5  kg  nach  der  Berechnung  des  „Reichs- 
anzeigers" konsumiert  werden,  so  verlangt 
die  Bevölkerung  72,5  kg  Fleisch  auf  den 
Kopf.  Das  ist  dieselbe  Zahl,  die  meine  erste 
Rechnung  (Märznummer)  ergeben  hatte.  Der 
Bevölkerung  fehlt  also  !/2  ihres  Fleischbedarfs, 
und  ihr  Fleischhunger  kommt  deutlich  zum 
Ausdruck  in  den  68486  Pferden  und  anderen 
Einhufern  sowie  den  2524  Hunden,  die  im 
zweiten  Halbjahr  1904  zu  Ernährungszwecken 
geschlachtet  worden  sind. 

Nach  meiner  Berechnung  müssen  also  von 
31  kg  Gesamteiweiß  14,5  kg  oder  47  Proz. 
durch  Fleisch  und  16,97  kg  oder  55  Proz. 
überhaupt  durch  Animalien  (Fleisch,  Eier, 
Milch,  Käse,  Fische)  geliefert  werden,  wogegen 
von  Hygienikern  ermittelt  worden  ist,  daß 
es  genügt,  wenn  etwa  33'^  Proz.  des  Gesamt- 
eiweißbedarfs beim  Erwachsenen  durch  Ani- 
malien gedeckt  werden.  Dadurch  werde  der 
Mensch  bereits  arbeitsfähig  erhalten,  und 
nur  wenn  seit  längerer  Zeit  schon  Gewöhnung 
ao  größere  Mengen  animalischen  Eiweißes 
besteht,  wie  bei  den  wohlhabenderen  Schichten, 
seien  größere  Mengen  erforderlich5).  "Wie 
aber     steht    es     mit    der     Sterblichkeit    der 

5)  Handbuch  der  Hygiene  1U,  S.  76  f. 


Wohlhabenderen  und  der  Armeren?  Nach 
Sörensens  Untersuchungen  sind  in  der 
Stadt  Kopenhagen  1865  —  74  durchschnittlich 
jährlich  gestorben6): 


Von  1000  männlichen  Personen 


Im  Alter  ron 

20  —  25  Jahren  . 
25—35 
35-45   - 
45-55   - 
55-65 
65-75   - 
über  75 


der  wohl- 
habenden 
KUaeen 

4,0 
5,8 

9,2 

15,9 

31,2 

56,5 

139,3 


des 
Mittel- 
stände« 

7,6 
7,3 
10,2 
17,3 
36,5 
72,5 
173,1 


der 
Arbelter- 

boTÖlkernng 

7,9 

9.6 

19,1 

35,6 

64,2 

106,0 

207,1 


In  der  Arbeiterbevölkerung  ist  danach 
die  Sterblichkeit  viel  größer  als  unter  den 
Wohlhabenden  und  in  den  Mittelschichten. 
Natürlich  wirken  hierbei  mannigfache  Ur- 
sachen mit,  wer  aber  möchte  leugnen,  daß 
die  Ernährung  unter  ihnen  eine  der  wichtig- 
sten bildet!  Bei  den  Frauen  ist  das  Ver- 
hältnis nicht  ganz  dasselbe,  wiewohl  die 
Sterblichkeit  der  Proletarierfrauen  viel  größer 
ist  als  die  der  wohlhabenden. 


Ich  bin  von  kompetenter  Seite  darauf 
aufmerksam  gemacht  worden,  daß  die  amtlich 
ermittelte  Zahl  für  Brotgetreide  vielleicht 
nicht  die  Zuverlässigkeit  hat,  die  ich  ihr 
zumesse.  Ich  will  daher  den  Brotkonsum 
noch  auf  andere  Weise  berechnen.  Conrad 
hat  durch  Beobachtung  von  vierzehn  Gütern 
in  den  verschiedensten  Gegenden  und  mit  un- 
gleichen Wirtschafts  Verhältnissen  ermittelt, 
daß  im  Durchschnitt  von  5  Jahren  22,2  Proz. 
des  Ertrages  an  Brotgetreide  nach  Abzug  der 
Saat  an  Ort  und  Stelle  an  das  Vieh  ver- 
füttert werden.  Danach  will  ich  berechnen, 
wieviel  Brotgetreide  auf  den  Kopf  der  Be- 
völkerung kommt,  indem  ich  als  Grundzahlen 
die  des  Kaiser  1.  Statistischen  Amts  in  seiner 
Publikation  „Die  Deutsche  Volkswirtschaft  am 
Ende  des  19.  Jahrhunderts"  (S.  43)  benutze. 
Sie  beziehen  sich  auf  die  Periode  1880 — 98. 


Tonnen  in  1000  kg 

Roggen 

Welsen 

8p«Is 

Inländische   Erntemen- 

gen   

7294760  3017280 

535940 

davon  ab  Aassaat    . 

1026376 

323271 

69278 

bleiben  z.  Verbrauch 

6268385 

2694009 

466662 

davon  ab  22,2  Proz. 

zu    Futterzwecken 

1391581!    598069 

103598 

bleiben  z.  Verbrauch 

4876804 

2095940 

363064 

dazu    Einfuhrüber- 

schuß   

610519 

729315,     — 

also  im  ganzen  ver- 

fügbar      

5487323 

2825255 

1363064 

macht  auf  den  Kopf 

kg 

112,6 

58,0 

7,4 

*)  Bei  v.  Fircks  Bevölkerungslehre  und  Be- 
völkerungspolitik S.  178. 


XUL  Jahrgang,  i 
Mai  1905.     J 


Croner,   Ätiologie  der  Tabei. 


257 


Nach  dieser  Rechnung  kommen  also  auf 
den  Kopf  der  Bevölkerung  112,6  kg  Roggen 
und  65,4  kg  Weizen  und  Spelz.  Hierin  ist 
aber  noch  der  zu  gewerblichen  Zwecken  ver- 
brauchte Teil  enthalten.  Dieser  kann  jedoch 
nicht  allzu  schwer  ins  Gewicht  fallen,  da  das 
weitaus  meiste  Brotgetreide  zu  Brot  verbacken 
wird.  Rechnet  man  die  ermittelte  Menge 
Brotgetreide  auf  Mehl  um,  so  erhält  man 
73,19  kg  Roggenmehl  und  49,05  kg  Weizen- 
und  Spelz mehl  mit  zusammen  10,13  kg  an 
resorbierbarem  Eiweiß,  wogegen  die  amtlich 
ermittelten  Zahlen  10,22  kg,  also  beinahe  das- 
selbe ergeben  hatten.  Durch  den  Abzug  zu 
gewerblichen  Zwecken  verringern  sich  die 
10,13  kg  wieder  etwas,  da  sich  aber  gleich- 
zeitig damit  die  Menge,  der  Kohlehydrate  ver- 
ringert, diese  aber  durch  Kartoffeln  ersetzt 
werden  müssen  und  können,  so  vermehrt  sich 
dadurch  wieder  die  Eiweiß  zufuhr,  wenn  auch 
nicht  in  demselben  Maße,  wie  sie  durch  den 
Abzug  zu  gewerblichen  Zwecken  verringert 
worden  ist.  Jedenfalls  kann  der  Fehler,  den 
die  vielleicht  nicht  ganz  genau  auf  den  Kopf 
ermittelte  Menge  Brotgetreide  verursacht, 
nicht  groß  sein  und  demzufolge  das  Schluß- 
resultat meiner  Rechnung  nicht  in  Frage 
stellen. 

Sollte  aber  der  Konsum  an  Getreide- 
mehl doch  wesentlich  geringer  sein,  als  ich 
angenommen  habe,  so  steigt  das  Eiweißdefizit 
höher. 


Bemerkungen  zu  dem  Aufsatz 

von  O.  Rosenbach:  „Zum  Problem 

der  Ätiologie  der  Tabes"  in  No.  3  dieser 

Zeitschrift. 

Von 
Dr.  Wilhelm  Croner. 

Das  „jüngste  Gericht"  des  Herrn  Rosen- 
bach —  um  eine  von  ihm  Erb  gegenüber 
gebrauchte  Redewendung  hier  zu  gebrauchen 
—  verdammt  mich  wegen  meiner  Arbeit 
„über  familiäre  Tabes  dorsalis  und  ihre  Be- 
deutung für  die  Ätiologie  der  Erkrankung". 
Auf  die  satirischen  Bemerkungen  des  Herrn 
Rosenbach  über  einige  Inkorrektheiten 
meiner  Ausdrucksweise  und  meines  Stils,  die 
durch  eine  nicht  durch  mich  verschuldete, 
notwendig  gewordene  schnelle  Korrektur  ver- 
ursacht sind,  gehe  ich  nicht  ein.  Ich  über- 
lasse es  getrost  denen,  die  sich  jemals  die 
Mühe  gegeben  haben,  Rosenbachsche  Ar- 
beiten genauer  zu  lesen,  darüber  zu  urteilen, 
ob  Herr  Rosenbach  gerade  dazu  berufen 
ist,  den  Stil  anderer  zu  kritisieren. 

Wenn  aber  Herr  Rosenbach  gegen  mich 
den  Vorwurf  erhebt,  Angaben,  die  nur  auf 
Hörensagen  beruhen,  und  eigene  Vermutungen 


als  klinische  Beobachtungen  und  wissenschaft- 
liche Beweise  vorgeführt  zu  haben,  so  muß 
ich  das  auf 8  entschiedenste  zurückweisen. 

Welche  Unterlagen  hat  Herr  Rosenbach 
zu  seiner  Beschuldigung? 

Er  bekrittelt  es  z.  B.,  daß  ich  bei  der 
einen  Anamnese  hinter  „Ulcus  durum"  ein 
Fragezeichen  gesetzt  habe.  Was  hätte  Herr 
Rosenbach  nun  wohl  gesagt,  wenn  ich  das 
Fragezeichen  fortgelassen  hätte?  Ich  selbst 
habe  den  Schanker  des  Patienten  im  Jahre 
1876  nicht  gesehen,  der  Arzt,  der  den  Pa- 
tienten damals  behandelt  hat,  ist  mir  nicht 
bekannt,  zudem  ist  die  Angabe  eines  Arztes, 
ob  ein  Geschwür  hart  ist  oder  nicht,  „ein 
subjektives  Urteil"  (Rosenbach).  Ich  hätte 
also  dann  eine  Angabe,  die  nur  auf  Hörensagen 
beruht,  als  sichere  Tatsache  hingestellt. 

Bei  den  Fällen  aus  der  Privatpraxis  hatte 
ich  vollauf  das  Recht,  die  vor  aufgegangene 
Syphilis  ohne  viele  Worte  als  sicher  hinzu- 
stellen. Die  3  Patienten  sind  seinerzeit  an 
ihrer  Syphilis  von  einem  Arzt  behandelt 
worden,  dessen  Urteil  mir  wenigstens  über 
jeden  Zweifel  erhaben  ist. 

Wenn  ich  ferner  das  Vorhandensein  von 
Leukozyten  und  Lymphozyten  in  der  Lumbai- 
flüssigkeit eines  tabischen  Patienten ,  der 
außerdem  zugibt,  einen  Schanker,  sei  er  nun 
hart  oder  weich,  gehabt  zu  haben,  für  vorauf- 
gegangene Syphilis  geltend  mache,  so  halte 
ich  diese  meine  Anschauung  aufrecht  trotz 
der  theoretischen  Bedenken  Rosenbachs. 
Ich  halte  mich  dazu  berechtigt,  da  die  meisten 
Autoren,  die  sich  praktisch  mit  dieser 
Frage  befaßt  haben,  zu  dem  übereinstimmen- 
den Resultat  gelangt  sind,  daß  der  positive 
Nachweis  von  Leukozyten  und  Lymphozyten 
in  der  Lumbaiflüssigkeit  eine  wertvolle  Stütze 
für  die  syphilitische  Ätiologie  von  Erkran- 
kungen des  Nervensystems  ist. 

Herr  Rosenbach  hätte  Recht,  gegen  mich 
und  die  Art  meiner  Schlußfolgerungen  zu 
polemisieren,  wenn  ich  aus  den  wenigen  von 
mir  beobachteten  Fällen  von  familiärer  Tabes 
allein  irgend  welche  Schlüsse  gezogen  hätte. 
Wo  in  aller  Welt  sind  in  meiner  Arbeit 
solche  Schlüsse  zu  finden?  Wenn  Herr 
Rosenbach  mehr  auf  den  Inhalt  meiner 
Arbeit  geachtet  hätte,  anstatt  nach  Art  eines 
Schulmeisters  die  stilistischen  Fehler  anzu- 
streichen, so  hätte  er  sich  leicht  davon  über- 
zeugen können,  daß  die  von  mir  publizierten 
Fälle  von  familiärer  Tabes  für  mich  weiter 
nichts  bedeuteten  als  den  „Anlaß"  zu  einer 
kurzen  Besprechung  der  Frage,  wie  weit 
Fälle  von  familiärer  Tabes  überhaupt  für 
die  Ätiologie  der  Krankheit  verwertet  werden 
können. 


258 


Winckclmann,  L«ukamie  und  PseradoUukämle). 


rTherapenttseb« 
L   Monatahefto. 


Behandlung  der  Leukämie  und  Pseudo- 
leukämie  mit  Röntgenstrahlen. 

Von 

Dr.  Winokelmann, 

Obararit  Im   Feld-Art- Rgt.  85,  kommandiert  mm   AugnsU- 
ho«pltal  In  Cöln  &.  Rh. 

In  der  verhältnismäßig  kurzen  Zeit  seit 
der  Veröffentlichung  des  ersten  erfolgreich 
mit  Röntgenstrahlen  behandelten  Falles  von 
Leukämie  durch  Senn1)  (22.  VIII.  03)  ist  be- 
reits über  etwa  100  derartig  behandelte  Fälle 
yon  Leukämie  und  Pseudoleukämie  berichtet 
worden.  Wendel')  gibt  eine  tabellarische 
Übersicht  über  27  und  de  la  Camp8)  eine 
solche  über  weitere  32  genauer  beschriebene 
Fälle:  Kürzer  bezw.  vorläufig  mitgeteilt  sind 
einige  40. 

Es  sind  verschiedene  Arten  von  Leukämie- 
fallen der  Röntgenbehandlung  unterzogen 
worden:  myeloide,  lymphatische,  gemischt- 
zellige,  zu  perniziöser  Anämie  überführende 
Leukämien  und  Pseudoleukämien. 

Die  Technik  der  Therapie  weist  an- 
nähernd so  viel  Verschiedenheiten  auf,  wie 
der  Zahl  der  Behandelten  entspricht.  Der 
Ort  der  gewollten  Einwirkung  ist  verschieden 
gewählt  worden,  verschieden  sind  die  Dauer 
und  die  Anzahl  der  einzelnen  Bestrahlungen, 
verschieden  sind  schließlich  auch  die  ange- 
wandten Röhren.  Hinzu  treten  noch  als  sehr 
wesentlich  die  persönlichen,  biologischen 
Eigentümlichkeiten  des  einzelnen  den  Röntgen- 
strahlen gegenüber. 

Trotz  der  Wichtigkeit  der  Röhren  finden 
sich  teils  nur  ganz  kurze,  teils  gar  keine 
Angaben  über  sie  in  den  Mitteilungen.  Im 
allgemeinen  wurden  „härtere"  Röhren  an- 
gewendet, um  mit  ihnen  eine  größere  Tiefen- 
wirkung zu  erzielen.  Nun  werden  ja  zu 
diagnostischen  Zwecken  benutzte  Röhren  nach 
und  nach  härter,  und  es  liegt  nahe,  solche 
hartgewordenen  Röhren  bei  Gelegenheit 
therapeutischer  Anwendung  vollends  zu  ver- 
brauchen. Aber  ebensowenig  wie  wir  in  anderen 
Gebieten  der  Krankenbehandlung  mangelhafte 
Präparate  benutzen,  ist  es  hier  zweckmäßig, 
minderwertiges  Material  zu  verwenden;  „die 
besten  Röhren  sind  für  die  Röntgenstrahlen 
gerade  gut  genug"  (AI b er s- Schönberg4)  5)). 

In    künftigen    Veröffentlichungen    werden 


l)  Medical  Record  1903. 

*)  MüDch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  4. 

3)  Therapie  d.  Gegenwart  1905,  No.  3. 

*)  Med.  Klinik  1906,  No.  8. 

5)  Die  Industrie  liefert  für  therapeutische 
Zwecke  besondere  Röhren,  die  darin  sich  von 
denen  für  Diagnostik  und  Photographie  unterscheiden, 
daß  die  Antikathode  nicht  so  exakt  sich  im  Brenn- 
punkt des  als  Kathode  dienenden  Hohlspiegels  be- 
findet, wie  es  bei  diesen  durchaas  nötig  ist.  Da- 
durch verbilligt  sich  die  Herstellung. 


Angaben  über  die  Röhrenart,  ob  neu,  ob  ge- 
braucht, über  ihren  Abstand  von  der  Körper- 
oberfläche ebenso  erwünscht  sein  wie  über  die 
Schutzvorrichtungen  und  etwaige  Maßnahmen 
zur  objektiven  Messung  der  Strahlenmengen 
(Chromoradiometer,  Köhlers6)  Röhre)  etc. 
Einige  Notizen  derart  finden  sich  beispiels- 
weise in  den  Arbeiten  von  Win  kl  er7)  und 
Schieffer8). 

Wie  sehr  die  Autoren  bemüht  gewesen 
sind,  ihre  Patienten  individuell  zu  behandeln, 
kann  man  aus  der  Verschiedenheit  der  Zeiten 
und  des  Ortes  der  Bestrahlungen  wie  der 
Dauer  der  ganzen  Behandlung  schließen!  So 
hat,  um  die  Extreme  zu  erwähnen,  Lommel9) 
18mal  3  Minuten,  Colombo10)  150mal 
40  Minuten  belichtet! 

Rohde11),  Lommel  und  Schieffer  haben 
die  Milz  allein  bestrahlt,  Lenz  mann13), 
Schütze13)  Drüsenpakete  allein;  man  hat 
kombiniert:  Milz  mit  Sternum  und  Epiphysen 
(Stone14),  Milz  mit  Leber,  Milz  mit  langen 
Röhrenknochen,  mit  Knochen  und  Leber,  mit 
Drüsentumoren  .... 

Über  den  Erfolg  der  Behandlung  äußern 
sich  die  Beobachter  verschieden.  Ein  Patient 
Hahns15)  starb  nach  6,  Quinckes  nach 
37a  Monaten.  Die  Behandlung  hatte  keinen 
Einfluß  auf  den  Verlauf.  Auch  Schencks*6) 
Kranker  starb;  Ahrens'17)  Leukämiker  bekam 
nach  Aussetzen  der  Behandlung  ein  letales 
Rezidiv  und  bei  Wendeis18)  trat  später 
wieder  Verschlimmerung  ein.  Keinen  Erfolg 
sahen  Schultze19)  und  Kraus30).  Bei  Lenz- 
manns31) Fall  verminderten  sich  außer  den 
Leukozyten  auch  der  Hämoglobingehalt  des 
Blutes  und  die  Erythrozyten  um  ca.  50  Proz. 
Zu  einem  abschließenden  Urteil  sind  Bäumler, 
Gurschmann,  Eichhorst,  Heubner  u.  a. 
noch  nicht  gekommen,  sie  halten  aber  „im 
allgemeinen  eine  gewisse  Skepsis  für  ge- 
boten"33). Diesen  negativen  Ergebnissen 
stehen  reichlich  50  Fälle  gegenüber,  die  eine 


6)  Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  2. 

7)  Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  4. 

8)  Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  4. 

9)  Mediz.  Klinik  1905,  No.  7. 

10)  Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  1. 

H)  Referat  in  Deutsche  med.  Wochenschr.  1904, 
No.40. 

»»)  Med.  Klinik  1905,  No.  9. 

13)  Med.  Klinik  1905,  No.  11. 

")  Med.  Klinik  1905,  No.  8. 

»)  Med.  Klinik  1905,  No.  7. 

,6)  Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  48. 

,r)  Munch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  24. 

18)  1.  c. 

19)  Rhein,  westf.  Ges.  für  innere  Med.  u.  Nerven- 
heilk.  Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  50. 

M)  Med.  Klinik  1905,  No.  6. 

81)  1.  c.  (9) 

M)  Med.  Klinik  1905,  No.  8. 


J 


XIX.  Jfthrgang/1 
Mal  190».     J 


Winckelmann,  Leukämie  und  Pieudoleukämle. 


259 


aasgesprochene  Besserung  erfahren  haben. 
Bei  einem  Fall  Schützes33)  hält  die  Besse- 
rung bereits  4  Jahre  an;  vorläufig  geheilt 
sind  2  Patienten  Schieffers8*),  Brown  und 
Hoff  mann  erzielten  Völlig  normalen  Blut- 
befund, und  von  Heilung  berichtete  Swenn. 

Die  Besserungen  sind  sowohl  subjektiver 
Natur,  wie  vor  allem  auch  objektiv  nach- 
weisbar. Die  Leukozyten  zahl  nimmt  ab, 
wesentlich  durch  Zurücktreten  der  unreifen 
Formen,  die  Erythrozyten-  und  Hämoglobin- 
zahlen  steigen  an,  der  leukämische  (weniger 
der  pseudoleukämische)  Milztumor  und  die 
pseudoleukämischen  Drüsentumoren  verklei- 
nern sich.  Dabei  bessert  sich  das  Allgemein- 
befinden unter  Zunahme  des  Korpergewichts, 
während  die  Neigung  zu  Blutungen  aufhört 
und    die    Körpertemperatur    regelrecht   wird. 

Das  sind  Erfolge,  die  —  mögen  sie  auch 
nur  symptomatisch  und  des  öfteren  vorüber- 
gehend sein  —  doch  bisher  von  keiner  Be- 
handlungsweise  der  Leukämie  erzielt  wurden ! 
Fortschreitende  Erfahrungen  und  Experimente 
werden  die  Technik  der  Behandlung  ver- 
bessern und  einheitlicher  gestalten  müssen, 
und  damit  werden  sich  wohl  auch  die  Re- 
sultate noch  bessern.  Daß  Röntgenstrahlen 
kein  indifferentes  Mittel  sind,  ist  längst  be- 
kannt. Neuere  Arbeiten,  vor  allem  die  aus- 
fuhrlichen     Untersuchungen     H  e  i  n  e  c  k  e  s 85), 


lehrten  uns  durch  Röntgenstrahlen  hervor- 
gerufene Veränderungen  innerer  Organe  kennen, 
die  von  den  Vorgängen  an  der  Haut  unab- 
hängig sind.  Die  Störungen,  die  Heinecke 
fand,  betreffen  ausschließlich  die  zur  Blut- 
bereitung in  Beziehung  stehenden  Organe: 
Milz,  Lymphdrüsen,  Knochenmark.  Die 
Röntgenstrahlen  rufen  Zelluntergang  in  diesen 
und  Gewebsvernichtung  hervor.  Buschke 
und  Schmidt96)  berichten  von  dem  de- 
struierenden  Einfluß  der  Röntgenstrahlen  auf 
Drüsen:  Hoden  (wie  vor  ihnen  schon  Albers- 
Schonberg97)  u.  a.)  und  Schweißdrüsen, 
Halberstädter28)  auf  Ovarien. 

All  diese  Tatsachen  werden  uns  aber  von 
der  therapeutischen  Verwendung  der  Röntgen- 
strahlen nicht  abhalten,  wohl  aber  uns  aufs 
neue  die  größte  Gewissenhaftigkeit  bei  ihrer 
Anwendung,  ja  schon  bei  der  Indikations- 
stellung zur  Pflicht  machen. 

Ausfuhrliche  Literatur  siehe:  Wendel: 
Zur  Röntgenbehandlung  der  Leukämie.  Münch. 
med.  Wochenschr.  1905,  No.  4  und  de  la 
Camp:  Kritisches  Referat  über  die  bisherigen 
Erfahrungen  der  Behandlung  der  Leukämie 
und  Pseudoleukämie  mit  Röntgenstrahlen. 
Therap.  d.  Gegenwart  1905,  No.  3.  Ferner: 
Medizin.  Klinik,  Umfrage,  Antworten  in  No.  5 
bis  9  u.  11,  1905,  und  Verhandlungen  des 
Kongresses  für  innere  Medizin  1905. 


Neuere  Arzneimittel. 


(Hygienisch -parailtologiseh  es  Institut  der 
Unirersltät  Lausanne.) 

Über  Isoform. 


Prof.  B.  Qalli-Valerio  (Lausanne). 

Unter  dem  Namen  Isoform  haben  die  Farb- 
werke vormals  Meister,  Lucius  &Brüning 
in  Höchst  a.  M.  ein  neues  Antisepticum 
und    Desodorans    in    den    Handel    gebracht. 

(OCH  \ 
Parajodoanisol    C6H4:       „     3j    ist 

ein  farbloses,  schwach  nach  Anis  riechendes 
Pulver.  Es  ist  in  Wasser  schwer  löslich, 
in  Alkohol  und  Äther  unlöslich  und  läßt 
sich  auf  200°  erhitzen,  ohne  sich  zu  zer- 
setzen. Da  das  reine  Parajodoanisol  bei 
Erhitzung  auf  230°  und  auch  durch  Schlag 
explodieren  kann,  so  hat  man  das  Isoform- 
pulver in  den  Handel  gebracht,  welches 
nichts     anderes    ist    als    ein     Gemisch    von 

«)  1.  c.  (10). 
*)  1.  c.  (5). 

*)  Mitteil.  a.  d.  Grenzgebiet  d.  Med.  u.  Chir. 
XIV.  1-2,  1904. 


gleichen  Teilen  von  Parajodoanisol  und 
phosphorsaurem  Kalk.  Im  Handel  finden 
sich  auch:  Isoformgaze  (l  —  3 — 10  proz.; 
Isoformpaste  (Isoform  pur.  Glycerin  »»);  Iso- 
formkapseln (0,50  g  Isoformpulver). 

Herr  B.  Heile,  der  in  der  chirurgischen 
Klinik  der  Universität  Breslau  viele  Unter- 
suchungen mit  Isoform  angestellt  hat,  sagt, 
daß  das  Parajodoanisol  sich  als  ein 
starkes  Antisepticum  erweist,  als  ein 
stärkeres  als  die  bisher  gebräuch- 
lichen1). Heile  hat  folgende  Untersuchun- 
gen gemacht:  Frischer  heißer  Eiter  war  mit 
Reinkulturen  von  Staphylo-  und  Strepto- 
coccus resp.  Pyocyaneus  vermischt;  in  diese 
bakterienreiche  Flüssigkeit  wurden  gleich 
große  Gazestücke  versenkt  und  mit  dem 
Eiter  durchtränkt,  nachdem  sie  vorher  mit 
verschiedenen  Lösungen   von  Isoform   imprä- 

*)  Deatsch.  med.  Wochenschr.   1905,  No.  13. 
»)  Manch,  med.  Wochenschr.  1903,  No.  43. 
")  Berlin,  klin.  Wochenschr.  1905.  No.  3. 
l)  Sonderabdruck    aus    der  Volkmann  sehen 
Sammlang.    Klinische  Vorträge.  388,  p.  149,  1904. 


260 


Galli-Valerlo,  Ober  Isoform. 


rTherapeatiache 
L   Monatshefte. 


gniert  worden  waren.  Das  infizierte  Gaze- 
stück wurde  in  Petrischalen  mit  Agar  über- 
gössen. Er  konnte  auf  diese  Weise  fest- 
stellen, daß  3 — 10  proz.  Parajodoanisol  nicht 
nur  das  Wachstum  der  Bakterien  in  der  Gaze 
selbst  -verhindert,  sondern  es  macht  ebenfalls 
einen  bakterienfreien  Hof  im  Agar;  1  proz. 
Parajodoanisol  verhindert  das  Wachstum  der 
Bakterien  nur  in  der  Gaze.  Normale  Haut 
wurde  durch  Isoform  nicht  gereizt;  deswegen 
empfiehlt  Heile  eine  50  proz.  Isoform- 
glyzerinpaste, um  die  Hände  nach  Waschung 
mit  Schmierseife  und  Seifenspiritus  zu  des- 
infizieren; per  os  bei  Menschen  und  Tieren 
(bis  2 — 3  g  täglich)  hatte  es  keine  toxische 
Wirkung. 

Seit  V»  Jahr  hat  Mikulicz2)  das  Isoform 
in  seiner  Klinik  in  immer  größerem  Umfange 
in  Gebrauch  genommen,  und  sagt  er,  daß  es 
eine  Reihe  von  Vorzügen  im  Vergleich  mit 
anderen  Antiseptica  besitzt. 

Meine  eigenen  Untersuchungen  über  Iso- 
form hatten  den  Zweck,  die  antiseptische, 
desodorierende  und  toxische  Wirkung  des 
Isoformpulvers  zu  studieren. 

a)    Antiseptische  Wirkung. 

Um  die  antiseptische  Wirkung  des  Iso- 
formpulvers zu  probieren,  habe  ich  zwei 
Methoden  gebraucht. 

1.  Methode.  Wie  schon  Hesse3), 
Schmidt4),  Rabow  und  Galli-Valerio5) 
in  ihren  Arbeiten  über  Desinfektionskraft 
einiger  Streupulver  getan  haben,  habe  ich 
einige  mit  erstarrtem  Agar  gefüllte  Petrische 
Schalen  mit  Bakterien  infiziert  und  sie  dann 
mit  Isoformpulver  bestäubt. 

Erste  Reihe:  Sechs  Agarplatten  wurden 
je  mit  4  Strichen  von  Infektionsmaterial  in- 
fiziert, und  zwar  2  mit  B.  anthracis,  2  mit 
B.  proteus  und  2  mit  M.pyogenes  aureus. 
Eine  Platte  von  jeder  Gruppe  wurde  mit 
Isoformpulver  ganz  überstäubt,  die  andere 
diente  als  Eontrolle.  Alle  diese  Platten 
wurden  dann  bei  37°  gehalten. 

Die  Resultate  waren  folgende:  In  den 
.Tabellen  bedeutet  -+-  reichliche  Entwickelung, 
und  —  fehlende  Entwickelung.  * 

1.     2.     3.     4.     5.   6  Tag 

B.  anthracis  -4-  Isoform 

B.  anthracis  (Kontrolle)  -f-  -f-  -h  -+-  -h  -h 

B.  proteus  -4-  Isoform  — 

B.  proteus  (Kontrolle)  +  +  +  +  +  + 
M.  pyogenes    aureus   4- 

Isoform — 

M.   pyogenes   aureus 

(Kontrolle)  4-4-4-4-4-4- 


a)  Allg.  med.  Zentral -Zeitung  1904,  No.  51. 
8)  Zentralbl.  für  Bakt.  XX  Bd.,  1896,  p.  678. 
*)  Zentralbl.  für  Bakt.  XXII.  Bd.,  1897,  p.  171. 
5)  Ther.  Monatshefte,  April  1900. 


2.  Reihe:  Drei  Agarplatten  wurden  je 
mit  4  Strichen  von  Infektionsmaterial  in- 
fiziert, und  zwar  eine  mit  B.  anthracis,  eine 
mit  B.  proteus  und  eine  mit  M.  pyogenes 
aureus.  Eine  Hälfte  jeder  Platte  (also 
2  Striche)  wurde  mit  Isoformpulver  be- 
stäubt und  bei  37°  gehalten.  Während  die 
nicht  bestäubte  Hälfte  eine  reiche  Entwicke- 
lung von  Bakterien  zeigte,  blieb  die  mit 
Isoformpulver    bestäubte   Hälfte   ganz    steril. 

II.  Methode.  Wie  Benignetti6)  in 
seinen  Untersuchungen  über  desinfizierende 
Wirkung  von  Xeroform,  Jodothymol  und 
Orthoform  habe  ich  feststellen  wollen,  ob  eine 
wässerige  Lösung  von  Isoformpulver  eine 
antiseptische  Wirkung  besitzen  könnte. 

Dazu  habe  ich  5  ccm  sterilisiertem  Wasser 
so  viel  Isoformpulver  beigefügt,  bis  eine 
dicke  Schicht  am  Boden  war.  In  diese 
Lösung  stellte  ich  Deckgläschen,  die  mit  einer 
Öse  Bouillonkultur  von  B.  anthracis,  B. 
proteus  und  M.  pyogenes  aureus  infiziert 
worden  waren.  Nach  */4 — '/,  und  1  Stunde 
habe  ich  diese  Deckgläschen  in  sterilisiertem 
Wasser  gewaschen  und  sie  dann  in  Pepton- 
bouillon  bei  37°  gehalten.  Einige  infizierte 
Deckgläschen,  die  nicht  in  die  Isoformlösung 
gebracht  worden  waren,  wurden  auch  in 
Peptonbouillon  gebracht,  um  als  Kontrolle 
zu  dienen. 

Wie  zu  erwarten  war,  habe  ich,  da  das 
Isoform  im  Wasser  schwer  löslich  ist,  durch 
diese  Methode  keine  guten  Resultate  erzielt 
Nur  bei  B.  proteus  habe  ich  einige  Stunden 
Verzögerung  in  der  Entwickelung  beobachtet. 

b)  Desodorierende  Wirkung. 
Um  die  desodorierende  Wirkung  des  Iso- 
forms  zu  probieren,  habe  ich  kleine  Reagenz- 
gläschen mit  Harn  und  Faeces  mit  Isoform- 
pulver gemischt  und  andere  ohne  Isoform- 
pulver bei  37 ü  gehalten.  Während  nach 
einigen  Tagen  die  ersten  Reagenzgläser  einen 
schwach  nach  Anis  riechenden  Geruch  ent- 
wickelten, entwickelten  die  anderen  einen 
sehr  starken  und  unangenehmen  Geruch. 

c)    Toxische  Wirkung. 

Um  die  toxische  Wirkung  zu  eruieren, 
habe  ich  Meerschweinchen  Isoformpulver  (2  g 
in  6  Tagen)  ins  Futter  gemischt,  ohne  Störun- 
gen zu  bemerken.  Ich  selbst  habe  während 
einiger  Tage  0,30  cg  pro  die  Isoformpulver 
in  Oblaten  eingenommen  und  bemerkte 
keinerlei  Störung. 

Meine  Untersuchungen  stimmen  also  mit 
denjenigen  von  Heile  und  Mikulicz  über- 
ein und  bestätigen,  daß  Isoform  wegen  seiner 


6)  Rivista  d'Igiene  e  sanita  publ.  1905,  p.  46. 


XIX.  Jahrfaog.1 
Mal  1905.     J 


Isoform. 


261 


bakteriziden,  desodorierenden  und  nicht 
toxischen  Wirkung  als  antiseptisches  Streu- 
pulver und  auch  als  Antisepticum  des 
Magen-  und  Darmtractus  empfohlen  werden 
kann. 


Isoform. 

Wird  Jodoform  mit  Bestandteilen  der  Ge- 
webe zusammengebracht,  so  wirkt  es  als  Anti- 
septicum nur  dann,  wenn  zugleich  der  Zutritt 
von  Luft  verhindert  wird.  In  diesem  Falle 
bildet  sich  vermutlich  das  bakterizid  wirkende 
und  giftige  Dijodacetyliden,  das  im  anderen  Falle, 
bei  Zutritt  von  Sauerstoff,  zu  unwirksamen  Ver- 
bindungen oxydiert  wird. 

Ein  Versuch,  andere  Körper  mit  der  im 
Dijodacetyliden  wirksamen  Gruppe  =  C  =  CJ9 
als  Antiseptica  zu  benutzen,  schlug  fehl:  Dijod- 
styrol,  Trijodstyrol  und  Dijodzimtsaureester  er- 
wiesen sich  unwirksam.  Heile  und  Roh  mann 
suchten  nun  unter  den  organischen  Superoxyden 
nach  einem  Antisepticum,  kamen  indes  auch 
hier  zu  keinem  Resultat;  sie  fanden  aber  unter 
den  Jodoverbindungen,  die  ähnlich  wie  die  Super- 
oxyde  Sauerstoff  abspalten,  in  dem  p-Jodoanisol 
einen  ausgezeichnet  antiseptisch  wirkenden  Körper. 

hoform    (p- Jodoanisol)    C6 ^a^Z^qq-q^ 

ist  eine  farblose,  schwach  nach  Anis  riechende, 
aus  Eisessig  krystallisierende  Substanz,  welche 
in  Wasser  schwer  löslich,  in  Alkohol  und  Äther 
unlöslich  ist;  bis  auf  230°  erhitzt,  zerfällt  es  unter 
Explosion.  Im  Gegensatz  zu  Jodoform  wirkt 
Isoform  auch  bei  Luftzutritt,  also  bei  oberfläch- 
lichen Wunden,  antiseptisch  und  auch  im  Gegen- 
satz zu  anderen  Antisepticis  in  stark  eiweißhaltigen 
Medien.  Wird  Gaze  mit  einem  Antisepticum  im- 
prägniert und  dann  mit  Eiter  infiziert,  so  bleibt 
beim  Übergießen  in  Petrischalen  mit  Nährgelatine 
diese  steril,  wenn  3proz.  Isoformgaze  verwendet 
worden  ist,  während  bei  5  proz.  Karbolgaze, 
0,2  —  0,3  proz.  Sublimatgaze  sich  massenhafte 
Kulturen  zeigen. 

Das  Isoform  zeigt  im  allgemeinen  keine 
toxische  Wirkung.  Heile  hat  selbst  mehrere 
Tage  hintereinander  2  —  3  g  ohne  Schaden  ge- 
nommen; Tieren  konnte  wochenlang  täglich 
2 — 3  g  per  os  oder  subkutan  gegeben  werden, 
wobei  nur  nach  einiger  Zeit  die  Freßlust  abnahm, 
aber  nach  eintägigem  Aussetzen  sich  wieder  ein- 
stellte; auch  intraperitoneal  wurde  es  in  nicht 
zu  großen  Mengen  vertragen. 

Isoform  wirkt  durch  sein  starkes  Oxydations- 
vermögen. Bei  der  Abgabe  von  Sauerstoff  geht 
es  zunächst  in  Jodosoanisol  und  dieses  dann  in 
Jodanisol  über1).  Auf  der  Darmschleimhaut- 
—  und  wahrscheinlich  auch  auf  Wunden  —  wird 
Isoform  zuerst  zu  Jodanisol  reduziert;    letzteres 


') 


JO, 
CeH,  OCH, 

Jodoanitol 
JO 

C6H4OCH3 

Jodosoaniaol 


JO 
Ct  H4  OCH, + 

Jodosoanisol 

C6  H4  0CH3  + 

Jodanisol 


zerfällt  unter  Bildung  von  Jodphenol,  das  mit 
Schwefelsäure  gepaart  im  Harn  als  jodphenyl- 
schwefelsaures  Kalium  erscheint9). 

In  den  Handel  kommt  Isoform  mit  gleichen 
Teilen  phosphorsaurem  Kalk  gemischt  —  durch 
welchen  Zusatz  die  Explosionsgefahr  vollständig 
beseitigt  wird  —  als  Isoformpulver  und  mit  Zu- 
satz von  gleichen  Teilen  Glyzerin  als  Jsoform- 
paste,  ferner  als  1  — 10  proz.  Isoformgaze  und 
außerdem  in  bestimmt  gehärteten  Gelatinekapseln. 

Anwendung  findet  Isoform  an  Stelle  von 
Jodoform  zum  Verbände  von  Wunden  aller  Art. 

Bei  primärem  Wund  Verschluß  genügt  die 
1  proz.  Isoformgaze.  Die  3  proz.  Isoformgaze 
dient  zur  Nachbehandlung  aller  nicht  besonders 
stark  sezernierenden  Wunden,  die  10  proz.  Iso- 
formgaze zur  Behandlung  stark  infizierter  und 
stark  sezernierender  Wunden.  Bei  letzteren  ist 
es  zweckmäßig,  die  Wirkung  der  Isoformgaze 
durch  Aufblasen  von  Isoformpulver  auf  die  Gaze 
zu  erhöhen.  Das  Isoformpulver  wirkt  nicht  als 
austrocknendes  Wnndstreupulver,  sondern  als 
starkes  Antisepticum  und  Desodorans,  bei  Ulcera 
mollia  und  schankrösen  Bubonen,  ebenso  vari- 
kösen Ulcera,  ulzeriertem  Lupus  vulgaris  auch 
bei  Psoriasis  vulgaris  erwies  sich  das  Isoform- 
pulver und  die  Gaze  auch  die  10  proz.  Isoform- 
vaseline und  5  — 10  proz.  Pflaster  von  Nutzen. 
Auf  ausgedehnte,  stark  resorbierende  Flächen 
(ausgekratzter  Uterus  u.  ähnl.)  darf  Isoformpulver 
nur  mit  Vorsicht  aufgeblasen  werden. 

Innerlich  ist  Isoform  bisher  nur  benutzt 
worden  —  und  zwar  in  gehärteten  Kapseln  ä  4  g 
bis  8  g  Isoformpulver  täglich,  um  den  Magen 
nicht  zu  belästigen  —  zur  vorbereitenden  Des- 
infektion des  Darms  vor  Operationen.  Immerhin 
erscheint  das  Isoform  auch  brauchbar  als  bakterien- 
hemmendes Mittel  bei  Typhus,  Dysenterie  u.  a.  m. 

Literatur: 

1.  Experimentelle  Prüfung  neuerer  Antiseptica 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Para- 
jodoanisols  (Isoform).  Von  Bernhard  Heile. 
(Aus  der  chirurgischen  Universitätsklinik 
und  der  chemischen  Abteilung  des  physio- 
logischen Institutes  in  Breslau.)  Volkmann- 
sche  Sammlung  klinischer  Vorträge,  No.  388 
(Chirurgie  No.  106). 

2.  Über  das  p- Jodoanisol  (Isoform)  und  sein 
Verhalten  im  tierischen  Organismus.  Von 
Prof.  F.  Röhmann  (Breslau).  Berliner 
klinische  Wochenschr.  No.  9,  1905,  S.  225. 

3.  (Aus  der  dermatologischen  Klinik  der  Uni- 
versität Breslau.)  Therapeutische  Versuche 
mit  Isoform.  Von  Dr.  Weik.  Medizinische 
Klinik  No.  19,  1905,  S.  466. 

4.  Ein  Beitrag  zur  Behandlung  infizierter 
Wunden.  Von  Dr.  Benno  Müller  (Ham- 
burg). Mediz.  Wochenrundschatt  „Medico" 
No.  7,  Separatabdruck. 


+  HOH  = 


C6  H,  OCH3  "*-  n"n  -  C6  H4  OH 

Jodanisol  Jodphenol        Methylalkohol 

Cc  H4  OH  +  HS°4K  =  c6  H4  S04  K  " 

Jodphenol  Jodphenylsehwefelaauro»  Kalium. 


CH,OH 


-H,0 


262 


l' 


Monatshefte. 


Kalomelol« 

Inunktionen  mit  Unguentum  Hydrargyri 
cinereum  sind  in  der  Syphilistherapie  unent- 
behrlich, haben  aber  den  Nachteil,  daß  sie  die 
Wäsche  beschmutzen  und  eine  für  die  Umgebung 
der  Patienten  unbemerkbare  Durchführung  ver- 
eiteln. 

Von  diesem  Übelstand  frei  ist  die  von  der 
chemischen  Fabrik  Heyden  A.-G.  Radebeul- 
Dresden  in  den  Handel  gebrachte  Kalomelol- 
salbe. 

Kalomelol,  kolloidales  Kalomel,  ist  ein 
feines  weißgraues  Pulver,  ohne  Geruch  und 
Geschmack,  welches  in  kaltem  Wasser  im 
Verhältnis  von  1  :  50  zu  einer  milchähnlichen 
Emulsion  gelöst  wird.  Nach  Zusatz  von  Sauren 
fällt  es  aus  dieser  Lösung,  es  löst  sich  aber 
wieder  nach  Neutralisierung.  In  nicht  zu  stark 
konzentrierten  Salzlösungen,  in  Eiweißlösungen  ! 
sowie  im  Blutserum  ist  es  ebenfalls  löslich. 
Kalomelol  enthält  75  Proz.  Kalomel  entsprechend 
66  Proz.  Quecksilber  und  25  Proz.  Eiweißstoffe. 
Die  als  „Unguentum  Heyden  mitius"  be- 
zeichnete Kalomelolsalbe  mit  45  Proz.  Kalomelol 
(30  Proz.  Quecksilber  entsprechend)  ist  eine 
weißlichgraue  Salbe  von  weicher  Konsistenz. 
Obgleich  sie  etwas  weniger  geschmeidig  als  die 
gewöhnliche  graue  Salbe  ist,  läßt  sie  sich  gut 
auf  der  Haut  verreiben  und  hinterläßt  nur  einen 
minimalen  weißen  Überzug,  der  die  Wäsche  und 
Unterkleidung  nicht  verunreinigt. 

Eine  Reihe  von  Tierversuchen,  welche  die 
Quecksilberwirkung  von  Kalomelol,  Kalomel  und 
Sublimat  klarlegen  sollten,  zeigten,  daß  sowohl 
die  respiratorische  als  auch  die  perkutane  Re- 
sorption des  Kalomelols  der  des  Unguentum 
Hydrargyri  cinereum  nachsteht,  daß  die  Kalo- 
melolsalbe dagegen  dem  Unguentum  Hydrargyri 
cinereum  an  toxischen  Eigenschaften  gleich- 
kommt oder  dieselbe  sogar  übertrifft.  Auch  ist 
das  lösliche  Kalomelol   toxischer   als   das   unlös- 


liche Kalomelol,  wenn  beide  in  Salbenform  appli- 
ziert werden.  Per  os  gereicht,  ist  Kalomelol 
am  wenigsten  giftig.  Bei  demselben  Tier  tritt 
Erbrechen  ein  nach  0,1  g  Sublimat,  0,5  g  Kalomel 
und  erst  nach  3  g  Kalomelol.  In  bezug  auf 
abführende  Wirkung  verhält  sich  Kalomelol  wie 
Kalomel. 

Zu  Einreibungskuren  verwendet,  erwies  sich 
die  Kalomelolsalbe  in  Dosen  bis  zu  10  g  als 
sicher  aber  recht  milde  wirkendes  Mittel,  das 
in  einigen  Fällen  leichte  Stomatitis  und  gelegent- 
lich auch  Hautreizungen  verursachte.  Um  die 
Wirkung  zu  verstärken,  wird  jetzt  der  Kalomelol- 
salbe ein  Zusatz  von  2  Proz.  fein  verteilten 
Quecksilbers  zugefügt.  Auch  diese  als  Ungu- 
entum Heyden  bezeichnete  Salbe  ist  in  der 
Anwendung  bequem  und  vollständig  sauber. 
Die  Dosis  pro  die  wäre   auf  6  g  zu  normieren. 

Subkutane  und  intramuskuläre  Injektionen 
von  Kalomelollösungen  verbieten  sich  wegen  der 
großen  Schmerzhaftigkeit,  und  weil  sie  derbe, 
schmerzhafte  Infiltrate  erzeugen.  Innerlich  läßt 
8 ich  Kalomelol  (in  Tablettenform  a  0,01  mit 
Zusatz  von  0,006  g  Opium)  als  Adjuvans  in  der 
Syphilistherapie  benutzen.  Weiterhin  kommen 
zur  Verwendung:  Streupulver  aus  Kalomelol  und 
Amylum  «* ,  2  Proz.  Kalomelollösungen  zu  Um- 
schlägen und  schließlich  Kalomelol-Salizyl-Seifen- 
Trikoplast  und  Kalomelol-Pflastermull  als  Er- 
weichungsmittel zur  lokalen  Behandlung  lueti- 
scher Effloreszenzen  und  indurierter  Drüsen. 

Literatur: 

1.  (Aus  der  dermatologischen  Universitäts- 
klinik in  Breslau).  Über  die  Verwendung 
der  Kalomelolsalbe  (Unguentum  „Heyden") 
zu  antisyphilitischen  Schmierkuren.  Von 
A.  Neißer  und  C.  Siebert.  Medizinische 
Klinik  No.  1,  1905,  S.  9. 

2.  Über  lösliches  Kalomel  (Kalomelol).  Von 
Dr.  Galewski  (Dresden).  München  er  medi- 
zinische Wochenschr.  No.  11,  1905,  S.  506. 


Referate. 


Zar  Behandlung  der  epidemischen  Genickstarre. 

Von  Hermann  Lenhartz  (Hamburg.) 

Lenhartz  verfügt  über  45  Fälle  von  epi- 
demischer Genickstarre,  die  sich  auf  10  Jahre 
verteilen  und  derartig  gruppieren,  daß  in  einigen 
Jahren  nur  2  bis  3,  in  anderen  bis  zu  9  Fälle 
zur  Beobachtung  gekommen  sind.  Nur  einige 
waren  leicht,  die  meisten  waren  sehr  schwer. 
Während  Lenhartz  in  den  ersten  Jahren  von 
der  Quin ck eschen  Lumbalpunktion  bei  solchen 
Fällen  nur  sporadisch  einigen  Nutzen  gesehen 
hatte,  hat  er  später  immer  mehr  die  Überzeugung 
gewonnen,  daß  man  durch  regelmäßig  und  häufig 
wiederholte  Lumbalpunktionen  den  Krankheits- 
prozeß günstig  beeinflussen  und  die  drohende 
Lebensgefahr  abwenden  kann.  Dieser  segens- 
reiche Einfluß  der  Lumbalpunktion  wird  durch 
Anführung  mehrerer  Fälle  deutlich  illustriert.   Die 


Operation  kann  mit  Leichtigkeit  in  jedem  Privat- 
hause ausgeführt  werden.  Sie  wird  am  besten 
in  der  Weise  ausgeführt,  daß  man  in  Seitenlage 
und  bei  nicht  erhöhtem  Kopf  genau  in  der 
Mittellinie  zwischen  zwei  Dornfortsätzen  die  Hohl- 
nadel einführt.  Der  Einstich  gelingt  dem  Un- 
geübten um  so  eher,  je  mehr  die  Lumbaigegend 
nach  außen  durchgebogen  wird,  was  um  so  leichter 
geschieht,  wenn  die  Oberschenkel  gegen  den 
Bauch  gezogen  und  herangedrückt  werden.  Legt 
man  eine  Senkrechte  von  der  Crista  ilei  auf  die 
Wirbelsäule,  so  findet  man  den  günstigsten  Punkt 
für  den  Einstich.  —  Es  ist  ratsam,  in  einer 
Sitzung  nicht  mehr  wie  30  bis  höchstens  50  cem 
abzulassen  und  nur  unter  Kontrolle  des  überall 
leicht  mitzuführenden  Steigerohres  die  Druck- 
messung  vorzunehmen.  Die  vor  dem  Einstich 
mit    Äther    abgewischte  Hautstelle    wird    später 


XIX.  Jahrgsnf -1 
Mal  1905.     J 


263 


nur  mit  einem  Stückchen  Zinkpflaster  bedeckt. 
(Hervorgehoben  verdient  noch  zu  werden,  daß 
bei  40  von  den  45  beobachteten  Fallen  der 
Weichselbaum8che  Diplococcus  intracellnlaris 
nachgewiesen  werden  konnte). 

CMünch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  12.)  R. 

i>  Ober  Immunisierung  von  Rindern  gegen  Tuber- 
kulose (Perlsucht)  und  Aber  Tuberkulose- 
Serumyersuche.  Von  Sanitätsrat  Libbertz 
und  Prof.  Ruppel  in  Höchst. 
a.  Zur  Tuberkulose  -  Immunisierung  mit  Schild- 
kröten -  Tuberkelbaslllen.  Erwiderung  auf. 
obige  Ausführungen.  Von  F.  F.  Friedmann 
in  Berlin. 

Friedmann  hatte,  wie  im  vorigen  Jahr- 
gang dieser  Zeitschrift  berichtet,  gefunden,  daß 
die  von  ihm  entdeckten  Schildkröten -Tuberkel- 
bazillen für  Warmblüter  unschädlich  seien,  und 
hatte  darauf  ein  Schutzimpfungsverfahren  gegen 
Warmblütertuberkulose  aufgebaut  und  Heilungs- 
versuche angekündigt.  In  No.  46  der  Deutschen 
med.  Wochenschrift  1904  berichtet  er  über  der- 
artige Versuche,  die  er  in  Höchst  an  Rindern 
zum  Zwecke  der  Immunisierung  und  zur  Er- 
zeugung bezw.  zum  Nachweis  von  Schutz-  und 
Heilstoffen  im  Blute  so  immunisierter  Rinder 
mit  angeblich  günstigem  Erfolge  angestellt  hatte. 
Diese  Versuche  wurden  von  Fried  mann  unter 
Kontrolle  von  Libbertz  und  Ruppel  angestellt. 
In  der  ersten  Arbeit  wenden  sich  nun  diese 
Herren  mit  scharfer  Kritik  gegen  die  Be- 
hauptungen von  Friedmann,  die  mit  ihren 
eigenen  Beobachtungen  in  Widerspruch  ständen 
und  den  Tatsachen  nicht  standhielten.  Fried- 
mann hätte  die  Pflicht  gehabt,  nicht  nur  über 
die  scheinbar  günstigen  Erfolge  zu  berichten, 
sondern  auch  Mißerfolge  mitzuteilen.  Aus 
der  ausführlichen  Mitteilung  von  Versuchs- 
protokollen geht  hervor,  daß  die  Vorbehandlung 
von  Meerschweinchen  zwar  eine  gewisse  Ver- 
zögerung im  Verlauf  und  der  Entwickelung  ver- 
anlassen kann,  die  jedoch,  soweit  sie  nicht  über- 
haupt auf  Zufälligkeiten  beruht,  bei  längerer 
Beobachtung  als  einer  solchen  von  30  Tagen, 
der  regulären,  oft  rapide  sich  entwickelnden 
Impftuberkulose  Platz  macht.  Auch  die  wenigen 
angeblich  immunisierten  Rinder  zeigten  bei  der 
Sektion  typische  Tuberkulose,  die  Friedmann 
ganz  willkürlich  als  Heilungsvorgänge  deute. 
Aehnliche  Einwände  an  der  Hand  der  Versuchs- 
protokolle machen  die  Verfasser  gegen  die  An- 
nahme Friedmanns  von  der  Bildung  von 
Schutzstoffen  im  Blute.  Sie  kommen  zu  dem 
Schluß,  daß  die  Fried  mann  sehe  Kultur  für 
Warmblüter  insofern  nicht  absolut  ungefährlich 
sei,  als  sie  zwar  keine  Tuberkulose,  wohl  aber 
Intoxikationen  und  organische,  für  das  Leben 
nicht  gleichgültige  Veränderungen  hervorriefe. 
Intravenöse  Injektionen  schützten  nicht  gegen 
eine  spätere  Infektion  und  erzeugten  keine 
Tuberkulose- Im munstoffe.  Somit  bliebe  von  der 
Fried  mann  sehen  Idee  kaum  etwas  übrig. 

Die  Erwiderung  von  Friedmann  geht 
nach  zwei  Richtungen.  In  der  Hauptsache  ver- 
bucht Friedmann  seine  Versuchsanordnung 
und   die   Folgerungen,    die    er    aus   den   Ergeb- 


nissen zieht,  zum  Teil  auf  Grund  derselben, 
zum  Teil  auf  Grund  weiterer  Protokolle  zu 
rechtfertigen.  Wessen  Deutung  die  richtige  ist, 
das  werden  natürlich  erst  weitere  Versuche  ent- 
scheiden können,  wenn  auch  die  Libbertzsche 
Arbeit  beweist,  daß  Friedmann  bei  seinen 
ersten  Veröffentlichungen  etwas  zu  optimistisch  und 
siegesgewiß  gewesen  ist.  Zustimmen  wird  man 
aber  Friedmann  bei  seiner  Beschwerde  über 
das  formale  Vorgehen  der  Herren  Leiter  der 
bakteriologischen  Station  in  Höchst,  in  der 
Friedmann  seine  Versuche  gemacht  hat.  Seine 
Arbeit  in  No.  46  hat,  wie  kontraktlich  ausge- 
macht, vor  dem  Abdruck  den  Herren  Libbertz 
und  Ruppel  vorgelegen;  sie  haben,  trotzdem  sie 
nach  den  Behauptungen  von  Friedmann  den 
Inhalt  Wort  für  Wort  kannten,  keine  Bedenken 
gegen  die  Veröffentlichung  geäußert  und  sie  zu- 
gelassen, um  dann  später  erst  in  dieser  vor- 
liegenden Arbeit  zu  erklären,  daß  die  Fried- 
mannsche  Arbeit  ihrer  Beobachtung  nach  irr- 
tümliche Folgerungen  und  sachliche  Unrichtig- 
keiten enthielte. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No  4  u.  5.) 

A.  Qottstein. 

(Ans  der  I.  medlsinlMhen  UnlvergitlUklintk  In  Berlin.) 
Ober  Organtherapie  bei  Morbus  Basedowii.    Von 
E.  v.  Leyden. 

Der  Schilddrüse  kommt  die  Aufgabe  zu, 
die  im  Organismus  entstehenden  giftigen  Stoff- 
wechselprodukte zu  neutralisieren.  Wird  dieselbe 
durch  Atrophie  oder  Exstirpation  der  Schild- 
drüse gestört,  so  entsteht  eine  Krankheit:  Myx- 
ödem. Kommt  es  durch  Hyperplasie  der  Schild- 
drüse zu  einer  Hypersekretion  dieses  Organs, 
so  treten  Vergiftungserscheinungen  (Autointoxi- 
kation) ein,  welche  das  Krankheitsbild  des  Morbus 
Basedowii  ergeben.  Myxödem  und  Morbus 
Basedowii  sind  etwas  Gegensätzliches.  —  Durch 
Fütterung  von  Hunden  mit  Schilddrüsen  ex  trakt 
konnten  Ballet  und  Enriquez  bei  den  Versuchs- 
tieren Tremor,  Exophthalmus,  Tachykardie  und 
Abmagerung  hervorrufen,  ein  Krankheitsbild, 
welches  dem  Morbus  Basedowii  entspricht.  Da 
diese  Affektion  eine  echte  Vergiftungserkrankung 
darstellt,  wurde  ihre  Behandlung  mit  einem  Gegen- 
gift versucht.  Zu  diesem  Zwecke  exstirpierten 
Ballet  und  Enriquez  Hunden  die  Schilddrüse. 
Die  Tiere  bekamen  infolge  dessen  Tetanie. 
Nun  wurden  sie  getötet  und  das  getrocknete 
Blut  zur  Behandlung  des  Morbus  Basedowii  ver- 
wandt. In  diesem  Blute  mußte  das  von  der 
Schilddrüse  abgesonderte  Sekret  fehlen,  und 
außerdem  mußten  diejenigen  Gifte  in  großer 
Menge  vorhanden  sein,  welche  beim  Stoffwechsel 
entstehen  und  durch  das  Schildrüsensekret  neu- 
tralisiert werden.  Diese  Gifte  sollten  nun  zur 
Neutralisierung  der  von  der  Schilddrüse  bei 
Morbus  Basedowii  im  Überschuß  sezernierten 
Substanz  dienen.  Und  die  Resultate  waren  in 
der  Tat  ermutigend,  doch  wurden  die  Versuche 
von  den  beiden  Forschern  nicht  fortgesetzt. 
L  a  n  z  in  Amsterdam  und  Burghart  und 
Blumenthal  nahmen  dieselben  wieder  auf.  Lanz 
ging  von  der  Idee  aus,  daß  der  das  Basedowgift 
neutralisierende  Stoff  nicht  bloß  im  Blute,  sondern 


264 


rThtrapoatisefce 


auch  in  der  Milch  thyreoidektomierter  Tiere 
vorhanden  sein  müßte,  und  ließ  seine  Kranken 
taglich  }/4  bis  '/3  Liter  Milch  von  Ziegen  trinken, 
denen  zuvor  die  Schilddrüse  exstirpiert  worden 
war.  Der  Erfolg  war  befriedigend.  —  In  ähn- 
licher Weise  gingen  Burghart  und  Blumen- 
thal (auf  der  I.  med.  Klinik  in  Berlin)  vor.  Da 
aber  die  Ziegenmilch  schon  nach  kurzer  Zeit  den 
Kranken  widerlich  wird,  so  suchten  sie  aus  der 
Milch  die  wirksame  Substanz  auszufällen  und 
haltbar  zu  machen.  Ein  solches  Präparat  kommt 
unter  dem  Namen  Rodagen  in  den  Handel. 
Im  Anschluß  hieran  empfahl  Moebius,  Ham- 
meln die  Schilddrüse  zu  exstirpieren.  Er  spritzte 
gleichfalls  mit  gutem  Erfolge  das  Blutserum  der 
Hammel  subkutan  ein  oder  gab  es  tropfenweise 
per  os.  —  Neuerdings  wird  im  Kopenhagener 
Seruminstitut  das  Blut  thyreoidektomierter  Ziegen 
getrocknet  und  pulverisiert  in  Tablettenform  in 
den  Handel  gebracht.  Auch  hiermit  sind  sehr 
günstige  Resultate  erzielt  worden. 

Leyden  hatte  nun  wiederholt  Gelegenheit, 
Basedowkranke  mit  dieser  antitoxischen  Organ- 
therapie zu  behandeln.  Seine  Erfahrungen  er- 
strecken sich  auf  das  Rodagen,  auf  das  von 
Merck  in  den  Handel  gebrachte  Antithyreoid- 
serum  Moebius  und  auch  auf  das  dänische 
Präparat  (von  Dr.  Madsen).  Alle  Präparate 
haben  sich  bewährt.  In  neuerer  Zeit  hat  Leyden 
sich  auf  das  Rodagen  beschränkt,  weil  dasselbe 
in  Deutschland  leichter  zugänglich  ist.  Er  be- 
richtet eingehend  über  mehrere  (im  Original 
nachzulesende),  von  ihm  behandelte  Fälle,  in 
denen  unter  Anwendung  des  Rodagen  (3  mal 
täglich  1  Theelöffel)  gute  Heilerfolge  erzielt 
wurden.  Meist  war  schon  nach  3  bis  4  Wochen 
Besserung  zu  beobachten.  In  schweren  Fällen 
dauerte  die  Behandlung  monatelang  und  mußte 
in  der  Folge  wiederholt  werden. 


(Med.  Klinik,  1.  Dez.  1904.) 


R. 


Untersuchungen     über    Mamma  -  Karzinom    bei 
einer  Katze.     Von  E.  v.  Leyden. 

Der  Krebs  ist  jetzt  bei  den  Tieren  in  grös- 
serer Ausdehnung  gefunden  worden,  als  man  das 
vordem  voraussetzen  zu  dürfen  glaubte.  Die 
Hunde  haben  beinahe  ebenso  häufig  Krebs  wie 
der  Mensch.  Selten  ist  der  letztere  beim  Rind 
und  Pferd,  aber  kleinere  Tiere,  die  die  Woh- 
nungen der  Menschen  teilen  und  alle  möglichen 
Abfallstoffe  fressen  wie  Ratten  und  Mäuse,  werden 
sehr  häufig  von  Karzinom  befallen,  v.  Leyden 
hatte  der  Zufall  nun  eine  Katze  mit  Mamma- 
Karzinom  zugeführt,  von  der  er  sehr  klare  mikro- 
skopische Präparate  gewinnen  konnte,  die  auch 
die  von  ihm  im  Jahre  1900  zuerst  beschriebenen 
vogelaugenartigen  Gebilde  in  ganzen  Nestern  als 
Einschlüsse  aufwies,  und  diese  sind  ja  bekannt- 
lich vom  Verf.  als  die  lange  vergeblich  gesuchten 
Krebsparasiten  angesprochen  worden  und  werden 
von  ihm  auch  noch  jetzt  als  solche  betrachtet, 
zumal  Transplantationsversuche  mit  erkrankten 
Gewebspartikeln  zuweilen  (in  vorliegendem  Falle 
nicht)  die  Entwickelung  krebsiger  Wucherungen 
zur  Folge  gehabt  haben  sollen  (E.  Hahn).  Ab; 
gesehen  hiervon  aber  kommen  nach  v.  Leyden, 
der  die  von  pathologischer    Seite    gestellte   An- 


forderung, die  parasitäre  Natur  des  Krebses  erst 
durch  Züchtungsergebnisse  zu  beweisen,  prin- 
zipiell für  unberechtigt  hält,  noch  biologische 
Verhältnisse  in  Betracht,  daß  die  Invasion  durch 
die  Krebserkrankung  von  außen  her  erfolgt:  die 
lokale  und  geographische  Verbreitung  des  Kar- 
zinoms (das  in  der  Äquatorialzone  bei  den  Ne- 
gern ebensowenig  vorkommt,  wie  an  den  Polen) 
und  die  lokale  Verbreitung  des  Krebses  am 
Körper  gerade  an  solchen  Stellen,  welche  von 
außen  leicht  zugänglich  sind. 

Mir  scheint  es,  als  ob  diese  von  v.  Leyden 
.herangezogenen  Momente  mit  demselben  Rechte 
auch  als  Argumente  für  die  entgegengesetzte 
Ansicht  verwertet  werden  könnten. 

(Zeiischr.  f.  klin.  Medicin,  Bd.  52,  H.  5  u.  6.) 

EschU  (Sinsheim). 

Vorläufige  Mitteilung  Aber  einige  Untersuchungen 
betreffend  die  Ätiologie  der  Leukämie.  Von 
Dr.  P.  Gilman  Moorhead  in  Dublin. 
Moorhead  geht  von  der  Annahme  aus,  daß 
die  Ursache  der  Leukämie  in  einem  Toxin  zu 
suchen  sein* dürfte,  wobei  allerdings  die  Existenz 
spezifischer  Mikroorganismen,  unter  deren  Ein- 
wirkung ein  Toxin  sich  bilden  könnte,  keines- 
wegs ausgeschlossen  ist.  Da  das  hypothetische 
Toxin  wahrscheinlich  in  den  Lymphorganen  ent- 
halten ist,  so  hat  Moorhead  bei  einem  an 
lymphatischer  Leukämie  gestorbenen  Kranken 
unmittelbar  nach  dem  Tode  eine  Anzahl  ge- 
schwollener Lymphdrüsen  gesammelt  und  aus 
diesem  Material,  im  ganzen  135  g,  Extrakte  her- 
gestellt, und  zwar  aus  der  einen  Hälfte  ein 
alkoholisches  Extrakt,  aus  der  andern  eins  mittels 
Glyzerin  und  schließlich  noch  vom  abfillrierten 
Rest  des  ersteren  ein  Extrakt  mittels  Kochsalz- 
lösung. Die  Prüfung  dieser  Extrakte  mit  dem 
Tierexperiment  ergab  nun  folgendes:  Nach  intra- 
venöser Injektion  des  alkoholischen  und  des 
Salzwasserextrakts  erfolgte  bei  Kaninchen  erst 
eine  geringe  Steigerung,  dann  sehr  bald  ein 
bedeutendes  Sinken  des  Blutdrucks.  Kontroll- 
versuche mit  Extrakten  normaler  Lymphdrüsen 
fielen  in  Bezug  auf  den  Blutdruck  negativ  aus. 
Das  Glyzerinextrakt  hatte  eine  ähnliche  Wirkung, 
jedoch  konnte  diese  auch  von  dem  Glyzerin  her- 
rühren, da  dieses  allein  auch  den  Blutdruck 
herabsetzt.  Ferner  wurden  jungen  Kaninchen  die 
Extrakte  längere  Zeit  hindurch  täglich  subkutan 
eingespritzt.  Das  Glyzerin extrakt  blieb  ohne 
charakteristische  Wirkung;  das  Alkoholextrakt 
verursachte  eine  geringe  Vermehrung  der  Leuko- 
zyten, das  Salz  wasserext  rakt  jedoch  eine  deutliche 
Vermehrung  zugleich  mit  gewissen  Veränderungen 
im  Knochenmark  (es  wurde  rot  und  weicher)  und 
einer  Verminderung  der  roten  Blutkörperchen. 
Kontrollversuche  blieben  wiederum  ohne  Ergebnis. 
Moorhead  glaubt  hieraus  schließen  zu 
können,  daß  die  Lymphdrüsen  bei  der  Leukämie 
eine  Substanz  enthalten,  welche  den  Blutdruck 
herabsetzt  und  gewisse  Veränderungen  des  Blutes 
hervorruft;  diese  Substanz  läßt  sich  durch  Ex- 
trahieren mit  Alkohol  und  Lösung  des  Rück- 
standes in  Salzwasser  gewinnen;  sie  kommt  in 
normalen  Lymphdrüsen  nicht  vor. 

(British  medical  Journal  1904.    IC.  Sept) 

Classen  (Grube  l  H). 


XIX.  Jahrgang.  1 
Mai  1W5.     J 


Referate. 


265 


Die  Behandlung  des  Tetanus  mit  Injektionen  von 
Gehirnemulsion.  Von  Dr.  T.  Holobut. 
Den  früher  publizierten  und  in  diesen  Heften 
referierten  Fällen  von  mit  Gehirnemalsion  be- 
handeltem Tetanus  schließt  Verf.  zwei  neue  an, 
von  denen  der  erste  einen  günstigen,  der  zweite 
einen  ungünstigen  Verlauf  nahm.  Verf.  will 
die  spärliche  Kasuistik  über  derlei  behandelte 
Tetanusfälle  vermehren,  denn  die  bis  jetzt  be- 
kannte Anzahl  ist  viel  zu  gering,  um  entscheidende 
Schlüsse  über  den  Wert  obgenannter  Behand- 
lungsmethoden zu  fällen.  Bei  dem  wechselnden 
Bilde  der  Tetanuserkrankungen  kann  bloß  die 
Mortalitätsziffer  aufklärend  wirken  und  bildet 
der  Vergleich  der  bei  dieser  Behandlungsmethode 
erzielten  Heilungsprozente  mit  denen  bei  An- 
wendung der  sonst  gebräuchlichen  Therapie  den 
einzigen  richtigen  kritischen  Maßstab.  Der  zweite 
publizierte  Fall  mit  letalem  Ende  sollte  eigent- 
lich nicht  mitzählen,  denn  die  Injektion  geschah 
in  ultimis,  6  Stunden  vor  dem  Exitus  letalis,  in 
einem  hoffnungslosen  Zustand.  Der  erste  Fall 
wurde  mit  zweimal  je  48  cem  und  einmal  18  cem 
Kaninchenhirnemulsion  behandelt  —  dabei  aber 
innerlich  Brom  verabreicht.  Nach  der  Injektion 
Ton  18  cem  bildete  sich  an  der  Injektionsstelle 
ein  Abszeß,  dessen  Ursache  Verf.  in  der  Dichte 
der  Emulsion  sieht;  künftighin  will  er  ein 
Kaninchenhirn  derart  emulgieren,  daß  45 — 48  cem 
Flüssigkeit  resultieren,  um  auf  diese  Weise  even- 
tuellen Schädlichkeiten  an  der  Injektionsstelle 
vorzubeugen. 

(Przeglad  Ukarski  No.  51  von  1904.) 

Oabel  (Lcmberg). 

Bin  mit  intrakranlcllcn  Tetanusserumeinspritzun- 
gen erfolgreich  behandelter  Fall  von  Tetanus. 

Von  K.  W.  Monsarrat  in  Liverpool. 

Der  Fall  betrifft  einen  zehnjährigen  Knaben, 
bei  welchem  sich  neun  Tage  nach  einer  Quet- 
schung zweier  Finger  die  ersten  Erscheinungen 
von  Trismus  und  am  nächsten  Tage  von  Tetanus 
einstellten.  Es  wurde  sofort  in  Chloroformnarkose 
die  Amputation  der  verletzten  Finger  vorgenom- 
men und  zugleich  eine  Trepanationsöffnuug  an- 
gelegt, durch  welche  6  cem  Antitetanusserum  unter 
die  Dura  eingespritzt  wurden.  In  den  nächsten 
vier  Tagen  traten  zahlreiche,  wenn  auch  nicht 
besonders  schwere  Krampfanfälle  auf,  weshalb 
noch  täglich  10  cem  Serum  eingespritzt  wurden. 
Von  da  an  wurden  die  Anfälle  geringer.  Nur 
einmal,  drei  Tage  später,  trat  noch  ein  sehr 
heftiger  Krampfanfall  auf,  der  noch  eine  Ein- 
spritzung erforderte.  Nach  dieser  letzten  Ein- 
spritzung zeigte  sich  eine  leichte  linksseitige 
Parese.  Während  bei  den  ersten  Einspritzungen 
die  Kanüle  in  schräger  Richtung  nach  vorne  von 
der  rechterseits  gelegenen  Trepanationsöffnung 
eingeführt  war,  hatte  sie  beim  letzten  Male  die 
Richtung  nach  hinten  erhalten.  Dadurch  war 
offenbar  das  motorische  Rindenzentrum  berührt 
worden.  Die  Parese  verlor  sich  jedoch  wieder 
in  wenigen  Tagen,  und,  abgesehen  von  diesem 
Zwischenfall,  nahm  die  Heilung  einen  ungestörten 
Fortgang. 

(British  medical  Journal  1904,  24.  Dez.) 

Glossen  (Orube  i.  H.). 


(Aus  der  hydrotherapeutischen  Anwalt  der  UnWeraität  Berlin 
Ueh.-R.  R.  Br leger.) 

Ober   das   Verhalten   der   Ausscheidungen   beim 
Gebrauche   des   Hefeextraktes  „Wulf*     Von 

Dr.  August  Laqueur,  Assistent  der  Anstalt. 

Aus  den  Versuchen  Laqueurs  geht  her- 
vor, daß  das  Hefeextrakt  „Wuk"  eine  bedeu- 
tende Vermehrung  der  Harns&ureausscheidung 
im  Urin  (bis  auf  das  doppelte  und  darüber)  her- 
vorruft, entsprechend  seinem  hohen  Gehalte  an 
Xanthinbasen.  Eigentümlich  ist  es,  daß  die 
Harnsäure  Vermehrung  während  der  Verfütterungs- 
periode  von  „Wuk"  von  Tag  zu  Tage  ansteigt 
und  daß  dieselbe  auch'  an  dem  Tage  nach  dem 
Aussetzen  des  Präparates  noch  in  ähnlicher  Weise 
vorhanden  ist,  wie  das  Strauss  für  Liebigs 
Fleischextrakt  nachwies. 

Der  Umstand,  daß  sich  nicht  konstant  ver- 
mehrte Phosphormengen  im  Urin  zeigten,  spricht 
dafür,  daß  die  Harnsäurebildner  in  dem  Hefe- 
extrakte als  Xanthinbasen  und  nicht  mehr  als 
Hefenukleinkörper  vorhanden  sind,  wenn  man 
nicht  etwa  annehmen  will,  daß  ein  Teil  der  mit 
dem  Präparate  zugeführten  Phosphorsäure  zum 
Ansätze  im  Körper  verwandt  wird. 

Bemerkenswert  ist  noch,  daß  bei  größeren 
Dosen  (22  gr)  von  „Wuk"  eine,  wenn  auch 
nicht  beträchtliche  diuretische  Wirkung  des  Prä- 
parates beobachtet  wurde. 

Aus  der  harnsäurevermehrenden  Wirkung  an 
sich  einen  gesundheitsschädlichen  Einfluß  des  He- 
feextraktes herleiten  zu  wollen,  wäre  wohl  in  An- 
betracht der  hohen  im  Versuch  zur  Anwendung 
genommenen  Gaben  wie  auch  des  Ausbleibens 
jeder  objektiv  schädlichen  Wirkung,  wie  nament- 
lich von  Harnsäureniederschlägen  im  Urin,  ver- 
fehlt, wenn  auch  das  in  Rede  stehende  Präparat 
ebenso  wie  das  Fleischextrakt  von  Individuen, 
die  zur  harnsauren  Diathese  neigen,  nur  mit 
Vorsicht  oder  garnicht  in  Gebrauch  genommen 
werden  sollte. 

(Zeiischr.  für  diätetische  und  physikalische  Therapie, 
Bd.  VII,  H.  6.)  Eschle  ( Sinsheim). 

(Ans  der  med.  UnWersitltaklinlk  in  Bonn.) 

Unsere  bisherigen,  an  Phthislkern  gemachten 
Erfahrungen  mit  dem  neuen  Antipyreticum 
„Maretin".  Von  Dr.  W.  Kaupe  (Bonn). 
Raupe  hat  Maretin,  ein  von  Bayer  &  Co. 
Elberfeld  hergestelltes  Karbaminsäure-m-Tolyl- 
hydrazid,  das  fast  geschmacklos  ist,  aus  weiß- 
glänzenden Kry  st  allen  besteht  und  nur  zu  0,1  Proz. 
löslich  ist,  bei  neun  Tuberkulösen  mit  teilweise 
hohem  Fieber  angewandt:  der  Kranke  erhielt 
0,5  g  und  schon  nach  3 — 4  Stunden,  oft  schon 
nach  2,  war  die  Wirkung  eine  eklatante.  Die 
Wirkung  des  Maretins  dauerte  mindestens  6  bis 
8  Stunden,  oft  noch  länger,  bis  zu  24  Stunden 
an.  Nebenwirkungen  sind  nicht  bemerkt  worden. 
Sechs  Kranke  gaben  an,  stärker  zu  schwitzen,  doch 
seien  diese  Angaben  nicht  zuverlässig.  Kaupe 
rät,  bei  den  günstigen  Erfolgen  weitere  Versuche 
mit  Maretin  anzustellen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  No.  27.) 

Arthur  Rann  (Collm). 


266 


Referat«. 


rTherapvotlacte 


Zur  endermatischen   Applikation   des   Guajakols. 

Von  Dr.  Recht  in  Beuthen  O.-S.  (Eigenbericht). 

Um  die  schädlichen  Nebenwirkungen  zn 
vermeiden,  welche  die  kutane  Applikation  des 
Guajakols  zur  Bekämpfung  des  Fiebers  herbei- 
führt, empfiehlt  Verf.  die  Kombination  des  Gua- 
jakols mit  Acidum  salicylicum  in  Gestalt  einer 
lOproz.  Guajakol-Salizylsalbe.  Besonders  bei  Ge- 
lenkrheumatismus, Pleuritis  serosa  rheumatica 
und  tuberculosa  waren  die  Erfolge  dieser  Behand- 
lungsmethode durchaus  günstige.  Unangenehme 
Überraschungen  fehlten  g&nzlich.  In  einem  Falle 
von  Pleuritis  purulenta  bei  einem  7  7 jahrigen 
Greise,  wo  eine  Kombination  von  Guajakol  5,0 
mit  Vasogen.  salicylat.  25,0  zur  Anwendung  ge- 
langt war,  ließ  der  Eiter  bei  der  durch  Rippen- 
schnitt herbeigeführten  Entleerung  jeglichen 
Fötor  vermissen.  Letzteres  möchte  Verf.  der 
Anwendung  des  Guajakols  zuschreiben,  nachdem 
er  bei  Phthisikern  den  fötiden  Geruch  des  Spu- 
tums stets  durch  innere  Darreichung  von  Gua- 
jakol zu  beseitigen  vermocht  hat. 

(Münchener  med.  Wochenschr.  1905,  No.  9.) 

(Ans  der  K.  K.  deutschen  dermtt.  Untreraltlukllntk  In  Prag 
Vorstand:  Prof.  F.  J.  Pick.) 

Erfahrungen  mit  einem  neuen  Jodprä  parat  „Jo- 
thion". Von  Dr.  Emil  Schindler,  Sekundar- 
arzt  der  Klinik. 

Ein  neues  Jodpräparat,  ein  Jodwasserstoff- 
säureester, wird  von  den  Farbwerken  Bayer  und  Co. 
Elberf eld  in  den  Handel  gebracht.  DerJothion 
genannte  Körper  ist  in  Wasser  unlöslich,  löslich 
dagegen  in  Ölen,  Alkohol,  Äther,  Chloroform 
und  stellt  eine  nicht  unangenehm  riechende, 
70  Proz.  Jod  enthaltende   ölige  Flüssigkeit   dar. 

Das  Präparat  gelangt  in  Salbenform  zur 
Verwendung.     Die  Vorschrift  lautet: 

Rp.  Jothion  2,0 

Cerae  albae 

Lanolini  anhydrici         aa  0,5 
D.  in  capsul.  gelatinös. 

Wird  diese  Mischung  auf  der  Haut  verrieben 
—  subjektiv  wird  nur  leichtes  Brennen  am  Ort 
der  Einreibung  empfunden  — ,  so  läßt  sich  Jod 
im  Speichel  nach  etwa  8/4  Stunden,  im  Harn  nach 
iy3 — 2  Stunden  nachweisen. 

Zur  Anwendung  gelangt  Jothion  bei  gum- 
möser, maligner  und  hereditärer  Lues.  Die  bisher 
gewonnenen  Resultate  ergeben,  daß  das  Präparat 
ein  gutes  Ersatzmittel  des  Jodkaliums  darstellt, 
das  sich  durch  Fehlen  von  unangenehmen  Eigen- 
schaften auszeichnet  und  die  Heilung  oft  über- 
raschend schnell  eintreten  läßt.  In  18  beobach- 
teten Fällen,  die  sämtlich  die  gute  Wirkung  des 
Jothions   erwiesen,    trat   keinmal   Jodismus   auf. 

(Prager  med.  Wochenschr.  1904,  No.  39.) 

Jacobson. 

Beitrag  zur  Therapie  der  infantilen  Broncho- 
pneumonie. Von  Dr. med. Theodor  Zangger, 
dirigierendem  Arzte  der  Kuranstalt  „  Mühle- 
bach-, Zürich. 

Die  Anzahl  der  Kinder,  die  der  Broncho- 
pneumonie erliegen,  ist  erschreckend  hoch.  In 
der  Schweiz  fielen  dieser  Krankheit  in  den 
b  Jahren   von    1896  —  1900   24475  Kinder  zum 


Opfer,  fast  genau  der  12.  Teil  aller  Todesfälle. 
In  der  Literatur  finden  sich  folgende  Angaben: 
Valleix  und  Trousseau  verloren  149  von 
150  Patienten,  Bartels  43,3  Proz.,  Ziemßen 
30,5  Proz.,  Steffen  53  Proz.,  Roger  75  Proz. 
(Keuchhustenpneumonie),  Comb  7  81  Proz. 
(Masernpneumonie).  Etwas  günstiger  lauten  die 
Daten  aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Zürich 
aus  den  Jahren  1900—1903,  wo  die  Mortalität 
nach  Masernpneumonie  17,1  Proz.,  nach  Keuch- 
hustenpneumonie 25  Proz.  und  nach  Broncho- 
pneumonie 19  Proz.;  also  im  Durchschnitt, 
20,4  Proz.  betrug. 

Um  diese  noch  recht  hohe  Mortalität  von 
1  : 5  noch  weiter  herabzusetzen ,  empfiehlt 
Zangger  angelegentlich  die  Hydrotherapie;  bei 
der  Kombination  von  medikamentöser  Therapie 
mit  hydrotherapeutischen  Maßnahmen  hatte  er 
auf  30  Fälle  nur  einen  Todesfall  zu  verzeichnen. 
Verf.  verwendet  das  von  30—28°  C.  auf  24°  C. 
abgekühlte  Halbbad  mit  Friktionen  von  3  bis 
6  Minuten  Dauer.  Die  Technik  ist  folgende: 
In  einem  warmen  Räume  wird  das  Kind  in 
eine  Badewanne  mit  nur  soviel  Wasser  gelegt, 
daß  die  Brust  nicht  ganz  bedeckt  wird.,  und 
dann  während  der  Dauer  des  Bades  frottiert. 
Nach  2  Minuten  wird  langsam  kaltes  Wasser 
zugegossen,  bis  die  Temperatur  von  24°  erreicht 
ist;  zum  Schluß  wird  das  Kind  mit  einem 
warmen  Tuche  frottiert.  Solche  Bäder  werden 
moigens  und  abends  verabfolgt.  Neben  den 
Bädern  werden  täglich  1 — 3  mal  Krouzbinden  auf 
1—2  Stunden  angelegt;  die  3 — 10  cm  breiten 
und  1 — 2  m  langen  Binden,  aus  Leinwand  oder 
Rohseide  angefertigt,  werden  io  Wasser  von 
15 — 8°  G.  getaucht  und  je  nach  dem  gewünsch- 
ten Effekt  mehr  oder  weniger  stark  ausgedruckt. 
Die  Anlegung  erfolgt  in  3  Touren:  Von  der 
rechten  Achselhöhle  über  die  rechte  Schulter 
den  Rücken  hinunter  zur  rechten  Achselhöhle, 
über  die  Brust  zur  linken  Achselhöhle  und 
zurück  über  den  Rücken  und  die  linke  Schulter 
zur  linken  Achselhöhle,  dann  noch  eine  Tour 
um  die  Brust;  darüber  wird  eine  trockne  Flanell- 
binde gelegt. 

Die  kühlen  Halbbäder  mit  Frottierungen, 
welche  möglichst  im  Beginn  und  nicht  erst, 
wenn  die  Diagnose  auf  Pneumonie  mit  Sicher- 
heit gestellt  werden  kann,  verordnet  werden 
sollen,  wirken  nicht  bloß  fieberherabsetzend, 
sondern  direkt  kurativ.  Der  Blutdruck  wird 
durch  sie  erhöht  und  somit  das  Herz  gekräftigt, 
der  zentrale  Kreislauf  wird  entlastet,  die  Expektora- 
tion befördert  und  sowohl  die  Herznerven  als 
auch  die  vasomotorischen  Zentren  erregt.  Die 
Exkretion  nimmt  zu,  der  Stuhlgang  wird  be- 
schleunigt, die  Diurese  steigt  und  der  toxische 
Koeffizient  des  Harns  geht  ebenfalls  in  die  Höhe. 

Durch     diese     einfachen    Maßnahmen,    die 

durch  Darreichung  von  Milch,  ev.  mit  russischem 

Thee,  und  durch  Feuchthalten  des  Zimmers  mittels 

Wasserdämpfen   zu   unterstützen   sind,   kann  die 

Pneumonie  mit  Erfolg  bekämpft  werden. 

(Korrespondensblatt  fUr  Schweiser  Ante  No.  1,  1905. 
Separat  Abdruck.)  J.  Jacobson. 


XIX.  Jahrgang .1 
Mal  1905-     J 


267 


(Auj  der  gynlkol.  Abteil,  desSt.Jobannlt-Spltale  in  Budapest.) 
Ucbcr  Chlnlnnm  sulfuricnm  als  wehenbeförderndes 
Mittel.  Voo  Dr.  Josef  Bäcker. 
Chinin  um  sulfuricum  ruft  zweifellos  Uteras- 
kontraktionen hervor.  Es  ist  besonders  geeignet, 
bereits  vorhandene  Wehen  zu  verstarken.  Sein 
Vorteil  gegenüber  den  Secalepr&paraten  besteht 
darin,  daß  es  eine  regelrechte  Uterustätigkeit  er- 
zengt: kräftige  Kontraktionen  und  entsprechende 
Pausen.  Nur  große  Gaben  wirken,  am  besten  in 
kurzen  Pausen  zwei-  bis  dreimal  0,5  g.  Die  von 
Bäcker  seit  nahezu  10  Jahren  benutzte  Verab- 
reichungsart verursachte  in  keinem  Falle  Unan- 
nehmlichkeiten. Die  Art,  wie  das  Chinin  auf 
den  Uterus  wirkt,  ist  noch  nicht  ergründet.  In 
Anbetracht  dessen  jedoch,  daß  es  regelrechte 
Wehen  hervorruft,  kann  eine  zentrale  Wirkung 
angenommen  werden. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  2905,  No.  11.)  R. 

Ober  die  Resektion  der  Leber.    Von  Privatdozent 

Dr.  W.  Anschütz.  Breslau. 

Während  man  Abszesse  und  Echinokokken 
schon  früh  operierte,  hat  man  sich  an  Leber- 
wunden wegen  der  Blutung  lange  nicht  gewagt, 
snmal  auch  die  Gefahr  der  Peritonitis  vorhanden 
war;  für  Resektionen  kam  außerdem  noch  die 
Frage  in  Betracht,  ob  man  größere  Teile  der 
Leber  an  gestraft  entfernen  kann.  Während  die 
Heilbarkeit  von  Leberwunden  und  die  Heilungs- 
Torgänge  nach  kleinen  Resektionen  schon  früher 
von  Terrillon,  Tillmanns,  Gluck  u.  a.  fest- 
gestellt worden  waren,  wurde  die  wunderbare 
Rekreationskraft  der  Leber  erst  von  Ponfick 
experimentell  bewiesen.  Bis  7/8  der  Leber  kann 
nach  v.  Meister  entfernt  werden,  das  Zurück- 
bleibende hypertrophiert  zu  normalem  Gewicht 
ohne  Funktionsausfall  infolge  rein  funktioneller 
Reizung,  dabei  ist  es  gleichgültig,  ob  die  Leber 
gesund  oder  mit  einer  Krankheit  behaftet  ist.  — 
Nach  diesen  theoretischen  Erörterungen  geht 
Anschütz  zur  Technik  der  Resektion  über. 
Bezüglich  der  Freilegung  der  Leber  empfiehlt 
er  zunächst  einen  kleinen  Explorativschnitt  und 
nach  Feststellung  der  Diagnose  große  Schnitte 
je  nach  Bedarf.  Für  die  Leberkonvexität  wird 
vor  der  Resektion  des  Thoraxrandes  nach  Lanne- 
longue  und  Micheli  die  Beweglichmachung 
der  Leber  mittels  Durchschneidung  der  Bänder 
bevorzugt,  die  Entstehung  einer  Wanderleber 
sei  im  allgemeinen  nicht  zu  befürchten.  Die 
wichtigste  Aufgabe  ist  die  der  Blutstillung, 
die  eine  eingehende  Behandlung  erfährt.  Es 
stehen  hierzu  repressive  und  präventive 
Maßnahmen  zu  Gebote,  die  wieder  in  temporäre 
und  definitive  zerfallen.  Von  den  repressiven 
Maßnahmen  zur  Stillung  der  Blutung  (sensu 
ßtrictiori)  sind  die  einfachsten  die  Digitalkom- 
pression und  die  Tamponade,  doch  haftet  ihr 
immer  die  Gefahr  der  Nachblutung  an  und 
hindert  so  die  primäre  Vereinigung.  Der  Paquelin 
eignet  sich  nur  für  parenchymatöse  Blutungen, 
versagt  aber  meist  bei  schweren  arteriellen  oder 
venösen  Blutungen.  Besser  wirkt  schon  die 
Gnegirewsche  Heißwasserdampf- Anwendung,  bei 
der  der  Kontakt  mit  dem  Gewebe  und  damit  die 


Möglichkeit  des  Abreißens  des  Schorfes  vermieden 
wird.  Ein  Hauptnachteil  dieser  Methode  ist  aber 
die  Verbrühung  der  Umgebung  der  Wunde  und 
die  Schwierigkeit  der  Lokalisierung  des  Strahles, 
der  durch  das  Heißluftverfahren  von  Holländer 
vermieden  wird.  Das  Idealverfahren  ist  jeden- 
falls die  Naht,  die  allerdings  voraussetzt,  daß 
der  Defekt  nicht  zu  groß  und  das  Gewebe  nicht 
zu  mürbe  ist,  und  zwar  nach  vorheriger  Unter- 
bindung der  Gefäße,  die  nach  den  Untersuchungen 
von  Kusnezoff  und  Pensky  bei  der  Leber 
ebenso  möglich  ist  wie  anderorts.  Von  den  prä- 
ventiven Maßnahmen  ist  das  Anlegen  von  federn- 
den Klemmen  und  Preßzangen  das  einfachste 
Verfahren,  welches  sich  mit  allen  anderen  Me- 
thoden kombinieren  läßt,  allerdings  relativ  dünne 
Leberteile  voraussetzt.  Die  Langenbuchsche 
temporäre  Kompression  der  Vena  portae  resp. 
der  Art.  mesenterica  sup.  und  inf.  wird  wohl  wegen 
der  Gefährlichkeit  und  Umständlichkeit  selten 
Nachahmer  finden.  Die  elastische  Ligatur  hat 
den  Nachteil,  daß  sie  vermöge  der  schlechten 
Elastizität  der  Leber  nur  sehr  unsicher  wirkt, 
eine  lange  extraperitoneale  Nachbehandlung  nötig 
macht  und  häufig  infolge  Abgleitens  doch  noch 
andere  Blutstillungsmethoden  nötig  macht.  Die 
zuverlässigste  Blutstillung  bei  Resektionen  jeder 
Größe  bieten  die  in  strenger  Ordnung  gelegten 
intrahepatischen  Massen ligaturen  nach  Kusnezoff 
und  Pensky,  vorausgesetzt,  daß  sie  genügend 
fest  geschnürt  werden.  Ihnen  gegenüber  dürften 
sich  die  komplizierten  Kompressionsverfahren  mit 
Fischbein-,  Knochen-,  Elfenbein- Stäbchen  er- 
übrigen, die  schon  wegen  der  Einführung  dieser 
schwer  resorbierbaren  Fremdkörper  und  der 
Neigung  zur  Abszedierung  nicht  ohne  Bedenken 
sind;  auch  die  Kompression  der  Leber  zwischen 
gestielten  Bauchwandlappen  nach  Beck  ist  in 
ihrer  Wirkung  sehr  zweifelhaft.  Anschütz 
kommt  zu  dem  Schluß,  daß  bei  jeder  größeren 
Resektion  das  präventive  Verfahren  mit  intra- 
hepatischen Massenligaturen  in  erster  Linie  an- 
zuwenden ist  und  erst  in  zweiter  die  repressiven 
Methoden  in  Betracht  kommen.  Bei  diesem 
Vorgehen  dürfte  auch  die  extraperitoneale  Ver- 
sorgung der  Wunde  durch  Fixation  an  der 
Bauchwand  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  zu  um- 
gehen sein  und  wird  man  sich  mit  Tampon  ade 
der  Leberwunde,  Übernähen  der  Leberkapsel  und 
Herausleiten  des  Tampons  aus  der  Hautwunde 
begnügen  können.  Ein  Kapitel  über  Prognose 
und  Indikation  der  Operation,  das  zahlreiche 
Hinweise  für  die  Diagnose  der  Lebertumoren 
im  allgemeinen  enthält,  schließt  die  verdienst- 
volle Arbeit,  der  ausführliche  Literaturangaben 
beigegeben  sind,  sodaß  wir  Interessenten  sie  zum 
Studium  angelegentlich,  empfehlen  können. 

(Volkmanns  Sammlung  kl  Vorträge  No.  356,  357.) 
Kitisteiner  (Hanau). 


(Aus   der  k.  k.  Untrenltlta- Ohrenklinik   des  Herrn  Hofrat 
Prof.  P.  Adam  Po  Uta  er  In  Wien.) 

Eine  antiseptische  Behandlung  der  Mittelohr- 
eiterungen. Von  P.  Heinrich  Neu  mann, 
Assistenten  der  Klinik. 

Neumanns  Behandlung    der  Mittelohreite- 
rung besteht  in  Einträufelung  von  Übermangan- 


268 


Referate. 


rTberapeatiaeh« 
L   Mon&tekoft«. 


sa urem  Kali  (1  proin.)  und  nachheriger  Anwen- 
dung von  Wasserstoffsuperoxyd  (3  proz.).  Die 
Kombination  der  beiden  Antiseptica  soll  folgende 
Vorteile  bieten: 

Beim  gleichzeitigen  Einbringen  des  über- 
mangansauren Kali  und  des  Wasserstoffsuperoxyds 
kommt  nach  der  Formel 

2  K  Mn04  4- H3  Oa  =  2  Mn  02  +  2  KOH  +  40 
nicht  nur  die  katalytische  Wirkung  des  letzteren, 
sondern  auch  eine  leicht  koagulierende  und 
stärker  oxydierende  Wirkung  in  Betracht.  Die 
frei  werdenden  Sauerstofflaschen  reißen  in  sehr 
intensiver  Weise  die  Sekrete  auch  aus  den  seit- 
lichen Zellräumen  des  Mittelohrs  an  die  Ober- 
fläche, was  Verf.  durch  Leichenversuche  zu  be- 
weisen versucht  hat. 

Das  Heilverfahren  stellt  sich  bei  größeren 
Trommelfeilöchern  folgendermaßen  dar: 

„Nach  gründlicher  Reinigung  des  Ohres 
mittels  antiseptischer  Ausspülungen  wird  der 
Gehörgang  bei  seitlich  geneigtem  Kopf  mit  etwas 
erwärmter  1  prom.  Lösung  von  übermangan- 
saurem Kali  gefüllt  und  die  Lösung  durch  einige 
Minuten  im  Ohre  gelassen.  Sodann  wird  die 
Flüssigkeit  wieder  aus  dem  Ohre  entfernt,  der 
Rest  mit  Watte  leicht  ausgetupft  und  der  Gehör- 
gang mit  einer  3  proz.  Lösung  von  Wasserstoff- 
superoxyd gefüllt,  welche  man  6  bis  8  Minuten 
einwirken  läßt.0 

Bei  kleineren  Perforationen  des  Trommel- 
fells muß  man  das  übermangansaure  Kali  mittels 
des  Hart  mann  sehen  Paukenröhrchens  oder  eines 
ähnlichen  Instruments  einbringen. 

(Wiener  medizinische  Presse  1904,  46.) 

Krebs  (Hüdesheim). 

(Am  der  Ohren-  und  Kehlkopf  kltnik  der  Universität  Rostock.) 

Ober  den  angeblich  zyklischen  Verlauf  der  akuten 
Paukenhöhlenentzündung.  Von  Prof.  0. K  ö  r n  e  r 
(Rostock). 

Bekanntlich  hat  Zaufal  seinen  Rat,  den 
Trommelfellschnitt  bei  der  akuten  genuinen 
Paukenhöhlenentzündung  zu  unterlasssen l),  u.  a. 
mit  der  Behauptung  begründet,  daß  für  gewöhn- 
lich der  Verlauf  dieser  Erkrankung  ein  typischer 
sei,  entsprechend  dem  zyklischen  Entwicklungs- 
gange des  Entzündungserregers,  geradeso  wie 
bei  der  kroupösen  Pneumonie.  Körner  hat  das 
von  Zaufal  beschriebene  mehrtägige  hohe  Fieber 
mit  nachfolgendem  kritischen  Temperaturabsturz 
niemals  bei  einer  unkomplizierten  Otitis 
media  beobachtet,  hingegen  aber  dann,  wenn  die 
Ohrerkrankung  mit  einer  Pneumonie  kompliziert 
war.  Wie  drei  mitgeteilte  Krankengeschichten 
zeigen,  ist  der  Herd  in  der  Lunge  oft  sehr  klein, 
so  daß  erst  sorgfältig  nach  ihm  gefahndet 
werden  mus. 

Also,  man  mache  bei  der  Otitis  media  acuta 
die  Parazentese  wie  bisher,  und  wenn  das  Fieber 
danach  nicht  nachläßt,  suche  man  peinlichst  die 
Lunge  ab. 

(Zeitschrift  für  Ohrenheilkunde  XLIV,  4.) 

Krebs  (Hüdesheim). 


l)  Referiert  und  kritisiert  in  den  Ther.  Monatsh. 
1903,  S.  268. 


Da»  Tonogen  suprarenale  aec  Richter.  Adatringens 
und  Anaesthetlcum  in  der  Urologie  und  Der- 
matologie. Von  Dr.  Moriz  Porös z  (Budapest). 
Das  Tonogen  ist  ein  in  Ungarn  hergestelltes 
Organpräparat;  es  besteht  aus 

Nebennieren-Extrakt  0,1 

Chloreton  0,5 

Natrium  chloratum  0,7 

Wasser  100,0 

Porosz    hat    das    Präparat     zunächst    bei 

Gonorrhöe    geprüft.      In    akuten    Fällen    nimmt 

nach  ein-  bis  zweimaliger  täglicher  Einspritzung 

der  Originallösung  in  10 — 20 f acher  Verdünnung 

die    Sekretmenge    auffällig    ab,    ohne    daß    die 

Gonokokken  verringert     werden. 

Bei  postgonorrhoischem  Katarrh  kam  das 
Tonogen  in  10 — 33  proz.  Lösung,  aber  auch  in 
Originallösung  mittels  Guyon-Spritze  zur  Ver- 
wendung. 

In  zwei  Fällen  wurde  der  Frühurin  ohne 
Flocken  ganz  klar,  in  fünf  Fällen  waren  die 
Flocken,  und  zwar  stark  vermindert,  nur  im 
Frühurin  vorhanden. 

Der  starke  Harndrang  der  Prostatiker  läßt 
sich  gleichfalls  durch  Tonogen  beseitigen,  doch 
ist  die  Dauer  der  Anästhesierung  nur  kurz.  Be- 
nutzt man,  um  sie  zu  verlängern,  stärkere,  bis 
50 proz.  Lösungen,  so  treten  häufig  starke,  stunden- 
lang anhaltende  Schmerzen  auf.  In  Form  von 
Suppositorien  ä  0,08—0,04  g  läßt  sich  das  Prä- 
parat gegen  Harndrang  bei  Urethrocystitis  be- 
nutzen. Wie  die  anderen  Neben nierenpräparate 
zeigt  auch  Tonogen  ausgesprochen  hämostatische 
Wirkung:  starke  resp.  wochenlang  andauernde 
hämorrhoidale  Blutungen  kamen  nach  Gebrauch 
von  4  resp.  5  Suppositorien  zum  Stillstand.  Die 
25  proz.  Lösung  läßt  sich  ferner  mit  Erfolg  zur 
Stillung  von  Harnröhrenblutungen  nach  cysto- 
skopischen  Untersuchungen  benutzen. 

Die  anästhesierende  Wirkung  des  Tonogens 
kann  bei  schmerzhaftem  Stuhlgang  infolge  von 
Entzündung  der  Rektalschleimhaut  benutzt  werden. 
Hier  beseitigt  ein  nur  wenige  Tage  dauernder 
Gebrauch  von  drei  bis  vier  Suppositorien  die 
Schmerzen. 

Bei  Ulcus  molle  lassen  sich  die  Schmerzen 
weder  durch  Applikation  der  reinen  Tonogen- 
lösung  1  :  1000  noch  durch  ein  Streupulver 
1 :  1000  Alumen  ustum  dauernd  beseitigen.  Das 
Streupulver  kommt  dagegen  zur  Anwendung, 
um  die  Blutung  nach  Entfernung  von  Papillen 
und  spitzen  Kondylomen  zu  stillen.  Der  sich 
bildende  Schorf  ist  leicht  und  dünn,  unter  ihm 
erfolgt  schnell  die  Heilung. 

(Monatshefte  f.  prakt  Dermatologie  Bd.  39,  Aro.  11.) 

Jacobson, 

Mitln,   eine   neue   Salbengrundlage.     Kurze    Mit- 
teilung  von  Dr.  Jeßner   in  Königsberg  i.  Pr. 

Von  dem  Wunsche  geleitet,  eine  der  Haut 
möglichst  adäquate  Substanz  als  Salbengrandlage 
herzustellen,  kam  Verf.  nach  den  verschiedensten 
Versuchen  zur  Komposition  des  Mitin,  das  aus 
einer  wahren,  flüssigen  Emulsion  einer  Wollfett- 
mischung besteht,  die  durch  Überfettung  in  eine 
salbenähnliche  Masse  verwandelt  wurde,  wobei 
als  serumartige  Flüssigkeit  Milch  oder  eine  Lö- 


XIX.  Jahrgang.  1 
Mal  1905.      J 


Referate.  —  Toxikologie. 


269 


saug  künstlicher,  aus  Milch  gewonnener  Eiweiß- 
präparate benutzt  wurde.  Diese  Mischung  ent- 
spricht den  die  Oberhaut  durchsetzenden  Sub- 
stanzen, da  diese  aus  dem  von  den  Talgdrüsen 
gelieferten  wollfettähnlichen  Sebum,  dem  die 
Lymphwege  erfüllenden  Serum,  und  dem  Schweiß, 
welcher  ja  auch  etwas  emulgiertes  Fett  enthalt, 
bestehen.  Folgende  Pr&parate  sind  hergestellt: 
Mitinum  purum,  als  Salbenconstituens  sich  eig- 
nend; Mitinum  cosmeticum,  an  Stelle  des  Un- 
guentum  leniens  und  Unguentum  emolliens,  weil 
es  sehr  leicht  in  die  Haut  eindringt,  ohne  einen 
nachweisbaren  Fettrückstand  zu  hinterlassen; 
Pasta  Mitini,  an  Stelle  der  Zinkpaste,  des  Zink- 
öls, zur  Schonung  einer  reizbaren  Haut,  so  für 
Chirurgenhände;  die  Paste  hat  eine  hautähnliche 
Farbe;  Mitinum  hydrargyrum  hat  einen  hohen 
Wassergehalt,  ist  außerordentlich  geschmeidig, 
läßt  sich  auffallend  leicht  verreiben  und  gestattet 
deshalb  eine  erhebliche  Abkürzung  der  Ein- 
reibungszeit. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  38,  1904.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Quecksilbereinspritzungen  in  der  Behandlung  der 
Syphilis.  Von  Dr.  Louis  Wickham  (Paris). 
Die  subkutane  Einverleibung  von  Queck- 
silbersalzen in  der  Behandlung  der  Syphilis 
bietet  manche  Vorteile.  Das  Mittel  gelangt  un- 
mittelbar in  den  Blutstrom,  es  kommt  vollständig 
zur  Wirkung  und  seine  Dosis  läßt  sich  genau 
bemessen.  Bei  der  Wahl  zwischen  den  ver- 
schiedenen Quecksilbersalzen  hat  man  deren  Ge- 
halt an  Quecksilber  zu  berücksichtigen.  Wick- 
ham führt  in  einer  Tabelle  die  gebräuchlichen 
Salze  nach  ihrem  Prozentsatz  von  Quecksilber, 
mit  dem  stärksten  beginnend,  in  folgender  Reihen- 
folge auf:  Chlorid,  Cyanid,  Bichlorid,  Benzoat 
und  Bijodid.  Die  in  Wasser  löslichen  Salze 
zieht  er  dem  nicht  löslichen  Kalomel,  welches 
in  öligem  Vehikel  (flüssiger  Vaseline)  gegeben 
werden  muß,  vor. 

Nach  Beschreibung  des  erforderlichen  Instru- 
mentariums setzt  er  die  Grundzüge  der  Behand- 


lung auseinander.  Vor  allem  sind  Zähne  und 
Mundschleimhaut  sowie  Nieren  genau  zu  unter- 
suchen. Die  Injektionen  sollen  anfangs  täglich 
einen  Monat  hindurch  gegeben  werden,  worauf 
eine  Pause  von  einigen  Wochen  einzutreten  hat. 
Auch  im  weiteren  Verlauf  der  Kur  sind  solche 
Pausen  unbedingt  notwendig,  da  sonst  die  Wirk- 
samkeit des  Mittels  nachläßt.  Wickham  be- 
vorzugt Quecksilberbijodid  in  lOproz.  Lösung. 
Die  Dosis  von  anfangs  3  ccm  ist  rasch  zu 
steigern,  solange  keine  Reaktion  eintritt.  Die 
Dosierung  ist  demnach  der  Individualität  des 
Kranken  genan  anzupassen,  was  gerade  bei  der 
subkutanen  Methode  besser  möglich  ist  als  bei 
jeder  andern.  —  Die  Prädilektationsstelle  für  die 
Einspritzungen  ist  die  Gegend  der  Glutäen.  Bei 
mageren  und  heruntergekommenen  Patienten,  bei 
denen  eine  besonders  energische  Kur  erforder- 
lich scheint,  sind  intravenöse  Injektionen  von 
Vorteil.  —  Bei  empfindlichen  Kranken  sollen  die 
Quecksilberinjektionen  besser  vertragen  werden, 
wenn  sie  zugleich  mit  großen  Mengen  von  nor- 
malem Blutserum  gegeben  werden.  Wickham 
zieht  es  jedoch  vor,  das  Serum  getrennt  von 
dem  Quecksilbersalz  zu  injizieren. 

(PracHHoner.  1904.  Juli.) 

Classen  (Grübe  i.  H.). 

Die  Verhütung  der  Blennorrhoe.    Von  Dr.  Moritz 

Porosz  (Budapest). 

Zur  Prophylaxe  der  Blennorrhoe  bei  Männern 
empfiehlt  Verf.  eine  50  proz.  Lösung  von  1  bis 
2  proz.  Acidum  nitricum  purum.  Im  Gegen- 
satz zu  anderen  läßt  er  die  Lösung  auch  auf 
das  klaffend  gemachte  Orificium  spritzen,  damit 
die  Injektion  auch  nach  einer  mechanischen  Rei- 
nigung erfolgen  könne.  Er  läßt  dazu  eine  ge- 
füllt im  Etui  tragbare  Tripperspritze  benutzen. 
Für  die  Prostituierten  empfiehlt  Verf.  Ausspü- 
lungen mit  derselben  Lösung  unmittelbar  post 
coitum,  zu  welchem  Zwecke  er  ebenfalls  einen 
besonderen  einfachen  Apparat  angibt. 

(Monatsberichte  für  Urologie  1904,  9.  Bd.,  2.  Heß.) 
Edmund  Saalfeld  (Berlin). 


Toxikologie. 


Ein  Fall  von  Icterus  toxicus.    Von  Dr.  Hecht  in 
Beuthen  O.-Schl.     (Originalmitteilung.) 

Zu  den  Arzneimitteln,  welche  vermöge 
ihres  schädlichen  Einflusses  auf  die  roten 
Blutkörperchen  einen  toxischen  Ikterus  zu 
erzeugen  befähigt  sind,  gehören  die  chlor- 
sauren Salze,  Pyrogallol,  das  Nitrobenzol, 
Nitroglyzerin  und  die  Nitrite.  Ferner  wurde 
-vom  Äther,  Chloroform  und  Chloralhydrat 
früher  öfter  berichtet,  daß  Ikterus  nach 
therapeutischer  Anwendung  auftrete1).  Da 
hierüber  bestimmte  Beobachtungen  aus  neuerer 

l)  Quincke  und  Hoppe  -  Seyler:  Er- 
krankungen der  Leber.  Wien  1899.  Verlag  von 
Holder.    S.  147. 


Zeit  gänzlich  fehlen,  sei  es  mir  gestattet, 
zu  dieser  Frage  einen  kasuistischen  Beitrag 
zu  liefern. 

E.  F.,  21  Jahr  alt,  leidet  seit  ihrem  4.  Lebens- 
jahre, nachdem  sie   an   Genickstarre  erkrankt  ge- 
wesen, an  epileptischen  Krämpfen.  Am  18.  Februar 
a.  c.  wurde  ich  zu  dieser  Patientin  gerufen,   weil 
seit  2  Uhr  p.  m.  desselben  Tages  sich  die  Krämpfe 
in    Zwischenräumen    von   10—15  Minuten   wieder- 
holten.    Nachdem   ich    mich   von    der   Richtigkeit 
der  gemachten  Angaben  überzeugt  hatte,   ließ  ich 
der  Kranken,  da  sie  bewußtlos  war,  Chloralhydrat 
2,0  per  Klysma  applizieren.     Hierauf  wurden  die 
Anfälle  seltener    und  hörten  schließlich  ganz  auf, 
sodaß  die  Nacht  ruhig  verlief.  Am  folgenden  Tage 
!   stellten    sich    die  Anfälle   nachmittags  6  Uhr   von 
I   neuem  ein  und  häuften  sich  derart,  daß  die  Pausen 
|   kaum  5  Minuten  betrugen.    Infolgedessen  war  die 


270 


Toxikologie. 


rherapentitchc 
Monatshefte. 


Kranke  beständig  bewußtlos,  ließ  Stuhl  und  Urin 
anter  sich.  Puls  135  in  der  Minute.  Hohes  Fieber 
(40,5°)  und  profuse  Schweißsekretion  legten  von 
der  Intensität  und  Ausdehnung  der  motorischen 
Reizerscheinungen  Zeugnis  ab.  Wie  tags  zuvor 
erhielt  Patientin  Chloralhydrat  2,0  per  Klysma. 
Da  diese  Maßnahme  keinen  Erfolg  hatte,  entschloß 
ich  mich,  um  Zahl  und  Daner  der  Anfälle  einzu- 
schränken, zur  Narkose.  Hierzu  verwendete  ich 
Chloralchloroform,  welches  ich  in  Dosen  von 
1  Kaffeelöffel  beim  Herannahen  eines  Anfalles  in- 
halieren ließ.  Ein  Erfolg  war  insofern  zu  ver- 
zeichnen, als  die  Intervalle  größer  wurden.  In- 
dessen gelang  es  nicht,  die  Anfälle  gänzlich  zu 
unterdrücken.  Ich  nahm  daher,  nachdem  50  g 
Chi  oral  Chloroform  verbraucht  waren,  von  einer 
weiteren  Narkotisierung  Abstand  und  ließ  3  Stunden 
nach  dem  ersten  Chloralklysma  nochmals  Chloral- 
hydrat 3,0  applizieren.  Wie  die  Krankenschwester 
mir  mitteilte,  sistierten  die  Krampfanfälle  hierauf 
2 !/2  Stunden,  kehrten  jedoch  nach  Ablauf  dieser 
Zeit,  wenn  auch  mit  geringerer  Intensität,  wieder 
und  hielten  bis  8  Vs  Uhr  vormittags  an.  Die  Zahl 
der  in  verflossener  Nacht  aufgetretenen  Anfälle 
schätzt  die  Krankenschwester  auf  42.  Als  ich  die 
Patientin  am  folgenden  Tage  besuchte,  traf  ich  sie 
noch  bewußtlos  an.  Die  Lippen  waren  mit  braunen 
Borken  bedeckt,  der  Puls  war  sehr  beschleunigt 
und  schwach.  Ab  und  zu  zeigten  sich  noch 
choreatische  Zuckungen  im  Gesicht  und  den  Ex- 
tremitäten. Außerdem  war  eine  leicht  ikterische 
Färbung  der  Haut  zu  verzeichnen.  Dieselbe  nahm 
an  Intensität  bis  zum  24.  Februar  er.  zu  und  war 
nach  4  Tagen  spontan  geschwunden.  Da  die  Sedes 
die  ganze  Zeit  über  normale  Farbe  zeigten,  konnte 
es  sich  nur  um  einen  sogenannten  hämatogenen 
Ikterus  handeln,  entstanden  durch  eine  Blutdissolu- 
tion,  welche  auf  eine  Intoxikation  mit  Chloralhydrat 
zurückzuführen  ist.  Inwieweit  auch  das  Chloral- 
Chloroform  an  der  Zerstörung  der  roten  Blut- 
körperchen beteiligt  ist,  muß  ich  dahingestellt  sein 
lassen.  Jedenfalls  kommt  es,  indem  das  Haemo- 
globin  der  zerstörten  roteu  Blutzellen  in  der  Leber 
zu  Gallenfarbstoff  verarbeitet  wird,  zu  einer  reich- 
lichen Absonderung  eines  zähen,  farbstoffreichen 
Lebersekretes,  welches  infolge  Einengung  der  feinen 
Gallengänge,  wie  sie  die  Schwellung  der  fettig 
entarteten  Leberzellen  mit  sich  bringt,  der  Resorp- 
tion an  heim  fällt.  Diese  Fettdegeneration  der 
Leber  ist  eine  Folge  der  Blutdissolution,  sowie 
der  Kohlensäureintoxikation.  Letztere  hat  wiederum 
zwei  verschiedene  Ursachen.  Zuvörderst  kommt 
für  letztere  die  Blutstauung  während  der  Krampf- 
anfälle in  Betracht,  alsdann  ist  an  die  Verlegung 
des  Kehlkopfeinganges  durch  die  Epiglottis  zu 
denken,  welche  auch  in  diesem  Falle  wiederholt 
eingetreten  ist,  sobald  letztere  infolge  der  Bewust- 
losigkeit  nach  hinten  sank.  Wohl  ist  es  Sache 
der  Krankenflege  letzteres  Vorkommnis  zu  ver- 
hüten; wenn  aber  der  bewustlose  Zustand  viele 
Stunden  anhält,  ist  es  verzeihlich,  wenn  schließlich 
auch  der  Arm  der  Krankenpflegerin  ermüdet. 

Ueber    Vergiftung    mit    Schwefelalkalien.      Von 

E.  Stadelmann,  ärztlichem  Direktor  der  inneren 
Abteilung  des  städt.  Krankenhauses  im  Fried- 
richshain in  Berlin. 

Eine  Vergiftung  mit  einem  Enthaarungs- 
mittel, aus  Schwefelkalzium  mit  geringer  Bei- 
mengung von  Ätzkalk  bestehend,  teilt  Stadel- 
mann mit. 

Ein  junges  Mädchen ,  welches  aus  nicht 
klaren  Gründen  einen  Thee-  resp.  Eßlöffel  eines 
grünlich -weißen,    bitter    schmeckenden,    mit  der 


Aufschrift  „Haarfeind"  versehenen  Pulvers  ge- 
nommen hatte,  erbrach  bald  darauf,  wurde  be- 
wußtlos und  bekam  allgemeine  Krämpfe.  Am 
folgenden  Tage  bot  die  Patientin  bei  Einlieferung 
ins  Krankenhaus  folgende  Symptome:  Vollständige 
Benommenheit,  Cyanose,  kleiner  Puls,  Schreien 
und  Toben,  unruhiges  Umherwälzen  im  Bett, 
klonische  Krämpfe  in  Anfällen.  Die  Benommen- 
heit besserte  sich  etwas  am  folgenden  Tage, 
Patientin  reagierte  auf  Anfragen,  Puls  114, 
Zunge  mit  schmierigen  Massen  belegt,  zeigt  auch 
einzelne  Ätzstellen;  Urin  sehr  dunkel,  enthält 
Eiweiß,  Zylinder  und  Blut.  Stuhl  auffallend  grün- 
lich-schwarz. In  den  nächsten  Tagen  besserte 
sich  der  Zustand  weiter,  so  daß  Pat.  am  19.  Tage 
nach  der  Aufnahme  geheilt  entlassen  werden 
konnte. 

(Bert  Min.  Wochenschr.  1905,  No.  15.)      Jacobson. 

(Aus  dem  St  Vincen*-HoipiUl  zu  Cöln  a.  Rh.) 
Ueber    Wismut -Vergiftung.      Von    Assistenzarzt 
Dr.  W.  Mahne. 

Einen  schweren  Fall  von  Wismutvergiftung 
mit  tödlichem  Ausgang  hatte  Mahne  Gelegen- 
heit zu  beobachten. 

Eine  schwächliche,  35jährige  Frau  mit  aus- 
gedehnten Verbrennungen  2.  und  3.  Grades  an 
Brust,  Rücken,  Armen  und  Oberschenkeln  wurde 
8  Tage  lang  mit  lOproz.  Wismutsalbe,  darauf 
mit  essigsaurer  Tonerde  und  schließlich  wieder  mit 
Wismutsalbe  behandelt.  Drei  Wochen  später 
klagte  Pat.  über  schlechten  Geschmack  im  Munde 
und  Schmerzhaftigkeit  des  Zahnfleisches;  wiederum 
8  Tage  später  wurden  ein  blau-schwarzer  Saum 
am  Zahnfleischrande  und  schwarze  Flecken  an 
der  Zunge  und  der  Mundschleimhaut  beobachtet. 
Die  Wismutsalbe  wurde  nun  durch  Borsalbe 
ersetzt. 

Zwei  Tage  darauf  stellten  sich  Durchfälle 
ein,  im  Urin  wurden  Eiweiß  und  zahlreiche 
Zylinder  gefunden.  Nach  Verlauf  von  etwa  zwei 
Wochen  trat  Exitus  letalis  ein.  Die  Autopsie 
ergab  schwarze  Verfärbung  des  ganzen  Kolon 
und  parenchymatöse  Nephritis. 

Mahne  führt  den  Tod  auf  Vergiftung  durch 
Wismut  zurück,  da  die  schwarze  Verfärbung  des 
Darms  und  die  Nierenveränderungen  nur  auf 
diese  und  nicht  auf  die  Verbrennung,  die  9  Wochen 
vor  dem  Tode  erfolgt  war,  zurückzuführen  sind. 
Die  Untersuchung  ergab  übrigens,  daß  das  Pig- 
ment frei  von  Eisen,  also  wohl  eine  Schwefel- 
Wismutverbindung,  war.  Das  benutzte  Magi- 
ster ium  Bismuti  erwies  6ich  frei  von  Verun- 
reinigungen (Arsen,  Blei). 

Auf  Grund  dieser  Beobachtung  warnt  Verf. 
vor  dem  Gebrauch  von  Wismut  bei  ausgedehnten 
Verbrennungen,  dieselben  sind  mit  Borsalbe, 
essigsaurer  Tonerde  etc.  zu  behandeln.  Er  weist 
ferner  auf  die  Möglichheit  hin,  daß  Wismut  in 
Salbenform  —  als  Vehikel  war  Unguentum  Paraffini 
gewählt  —  leichter  resorbiert  wird,  als  wenn  es 
in  Substanz,  z.  B.  als  v.  Bardelebensche  Brand- 
binden, zur  Verwendung  gelangt.  Mit  letzten 
sind  Intoxikationserscheinungen  bisher  nicht  beob- 
achtet worden. 


(Berl  Min.  Wochenschr.  1905,  No.  9.) 


Jacobson, 


XIX.Jahrffanff.l 
Mai  1905.     J 


Toxikologie.  —  Literatur. 


271 


(Aus  der  medizinischen  UnlyeraitiUklinlk  Oöttlngen. 
Direktor :  Geh.  Ret  Prof.  Dr.  B  b  s  t  e  i  n.) 

Vergiftung   mit  Isosafrol.    Von  .Privatdozent  Dr. 

Waldvogel,  Oberarzt  der  Klinik. 

Ein  Schlosser,  welcher  eine  Kesselreparatur 
vorzunehmen  hatte,  wurde  am  Gesicht,  Hals  und 
Händen  durch  überkochendes  Isosafrol  verbrüht; 
die  Haut  löste  sich  und  es  entstanden  wunde, 
stark  schmerzende  Stellen.  Als  er  nach  5  Tagen 
die  Arbeit  in  dem  mit  Dämpfen  von  Rohisosafrol 
geschwängerten  Räume  wieder  aufnehmen  wollte, 
schwollen  Gesicht  und  Hände  stark  an,  es  bildete 
sich  ein  bald  vorübergehendes  urticariaähnliches 
Exanthem  aus,  schließlich  wurden  Achselhöhlen, 
die  Beugeseite  der  Arme,  die  Leistbeuge,  das 
Scrotum,  die  innere  Oberfläche  der  Oberschenkel 
und  Zehen  von  einem  intensiv  juckenden  Ekzem 
befallen,  auch  machten  sich  knötchenartige  Er- 
weiterungen der  sichtbaren  Venen  an  der  Beuge- 
seite des  Unterarmes  bemerkbar. 

Sieben  Monate  nach  dem  Unfall  wurde  Pat. 
in  das  Krankenhaus  aufgenommen  und  hier  ver- 
zeichnete Waldvogel  folgenden  Befund:  Ziem- 
lich starke  Arteriosklerose  der  peripheren  Arterien, 
Dilatation  des  rechten  Ventrikels  mit  Stauung  in 
den  Halsvenen,  Emphysem  und  trockene  Bron- 
chitis. Gleichmäßige  Erweiterung  der  Venen  am 
Ober-  und  Unterschenkel,  kirschkerngroße  An- 
schwellungen in  gleichen  Abständen  an  den 
Unterarm venen.  Abschilferung  der  Epidermis, 
Rötung  und  Schuppung  an  der  Beugeseite  der 
Zehen,  kleine  Substanzverluste  in  der  Rima  ani, 
am  Scrotum  und  der  Innenseite  der  Oberschenkel 
Geschwüre,  Rötung  und  Schuppung.  Pat.  klagt 
über  Jucken  von  wechselnder  Stärke  am  ganzen 
Körper.  Drei  Tage  nach  der  Aufnahme  trat  ein 
sich  auf  die  Zehen  beschränkender  Anfall  von 
heftigstem  Jucken  auf;  auch  zeigten  sich  jetzt 
am  Fußrücken  die  bläulichen,  in  gleichen  Ab- 
ständen angeordneten  Venenknoten.  Ein  Juck- 
anfall wiederholte  sich  während  der  zwei  Monate 
dauernden  Behandlung  noch  einmal.  In  dieser 
Zeit  milderte  sich  das  Jucken  wesentlich,  Schlaf 
und  Appetit  wurden  befriedigend  und  die  depri- 
mierte Gemütsstimmung  war  gewichen. 

Der  behandelnde  Arzt  teilt  jedoch  mit,  daß 
1 Y,  Jahre  nach  dem  Unfall  bei  Einwirkung  von 
Wärme  an  den  früher  erkrankten  Hautstellen 
sich  sofort  Jucken  einstellt;  feste  Lederschuhe 
können  nicht  getragen  werden,  da  auch  geringer 
Schweißausbruch  Jucken  auslöst. 

Waldvogel  betrachtet  die  geschilderten 
Veränderungen  an  den  Venen  der  Extremitäten 
als  auffälligstes  Symptom  der  Vergiftung.  Daß 
Isosafrol  in  der  Tat  Venenerweiterung  veran- 
lassen kann,  zeigen  die  Tierversuche,  die  Verf. 
mit  dem  Körper  anstellte.  Auch  bei  gesunden 
Menschen  ließ  sich  durch  Aufpinseln  der  öligen 
Substanz  auf  die  Hände  deutliche  Erweiterung 
der  Venen  des  Handrückens  erzielen. 

Aus  den  Tierversuchen  ging  ferner  hervor,  daß 
Isosafrol,  sowohl  eingeatmet  wie  vom  subkutanen 
Gewebe  aus  resorbiert,  Venenerweiterungen  erzeugt. 
Bei  dem  £at.  sind  beide  Wege  der  Aufnahme  des 
Giftes  in  Betracht  zu  ziehen,  aber  auch  nach  der 
Resorption  wirkte  es  venenerweiternd,  wie  aus 
den  Venenknoten  an  den  Füßen  hervorgeht. 


In  der  Fabrik  sind  bisher  Vergiftungen  mit 
Isosafrol  nicht  beobachtet  worden.  Daß  in  dem 
vorliegenden  Fall  sich  so  schwere  dauernde 
Schädigungen  entwickelten,  beruht  nach  Wald- 
vogel auf  der  besonderen  Disposition  des 
Kranken,  der  infolge  von  Emphysem  und  Bron- 
chitis an  Dilatation  des  rechten  Ventrikels  litt, 
demnach  zu  Veränderungen  im  Venensystem  ver- 
anlagt war. 

(Münchener  medizinische  Wochenschrift  No.  5.  1905.) 

Jacobson. 


Literatur* 


Untersuehungs-  und  Behandlungsmethoden  der 
Kehlkopf  krankheiten.  Mit  164  in  den  Text 
gedruckten  Abbildungen  und  4  Tafeln.  Von 
Dr.  Theodor  Heryng.  Verlag  von  Julius 
Springer,  Berlin  1905. 

Verf.  verfolgte  vor  allem  den  Zweck,  die 
lokale  Behandlung  der  Kehlkopfkrankheiten  und 
besonders  ihre  Technik  in  erschöpfender  Weise 
zu  schildern,  um  dem  angehenden  Spezialisten 
das  Selbststudium  zu  erleichtern.  Fernerhin 
wollte  er  aus  der  Unzahl  der  anempfohlenen 
Mittel  die  wichtigsten,  allgemein  anerkannten 
herausgreifen  und  diese  in  gedrängter  Kürze  be-> 
sprechen.  Ebenso  wurden  Hygiene  und  Diätetik 
der  Krankheiten  der  oberen  Luftwege  berück- 
sichtigt und  das  richtige  Verhältnis  der  lokalen 
Therapie  zur  Allgemeinbehandlung  überall  be- 
tont. Die  Einspritzungen  in  die  oberen  Luftwege, 
die  Trachea,  die  Bronchien  und  das  Lungen- 
parenchym wurden  in  gleichem  Maße  wie  die 
vom  Verf.  angegebenen  Inhalationsmethoden  er- 
örtert. Eine  ausführlichere  Darstellung  ist  der 
chirurgischen  Behandlung  der  Kehlkopfphthise 
gewidmet  worden,  ein  Kapitel,  dem  sich  Verf. 
besonders  gewidmet  hatte. 

Gehen  wir  nun  zur  Besprechung  der  ein- 
zelnen Abteilungen,  so  ist  im  allgemeinen  Teil 
bei  der  Beleuchtung  mit  Recht  darauf  hinge- 
wiesen, daß  bei  Trachealstenosen  das  Sonnen- 
licht als  die  vorzüglichste  Lichtquelle  anzusehen 
sei.  Von  künstlichen  Beleuchtungen  bevorzugt 
Verf.  das  Auersche  Glühlicht  und  zieht  es  außer 
bei  der  Autoskopie  und  der  Durchleuchtung  den 
verschiedenen  elektrischen  Beleuchtungsarten  vor. 
Zur  Desinfektion  der  Spiegel  empfiehlt  er  das 
Auskochen  derselben,  das  die  mit  versilberten 
Kupferplättchen  versehenen  gut  vertragen.  Zur 
Vergrößerung  des  Larynxbildes  hat  sich  nach 
Verf.  die  Hirschbergsche  Larynxlupe  als  die 
beste  erwiesen.  Ref.  hat  niemals  das  Bedürfnis 
eines  solchen  Instruments  empfunden;  auch  die 
verschiedenen  Spatel  sind  unnötig;  am  besten 
sind  für  die  geübte  Hand  die  einfachen  Glas- 
spatel. Die  besonderen  Schwierigkeiten  der 
Untersuchung,  selbst  bei  exzessiver  Reizbarkeit, 
sind  immer  mit  Geduld  von  dem  geübten  Unter- 
sucher zu  überwinden,  keineswegs  „muß",  wie 
Verf.  will,  Kokain  oder  Eukain  gebraucht  werden. 
Die  Autoskopie  wird  umständlich  abgehandelt: 
nach  des  Verf.  Erfahrung,  die  wohl  mit  der- 
jenigen  fast   aller   Laryngologen    übereinstimmt, 


272 


Literatur. 


rTher*peutl*che 
L   Monatshefte. 


ist  das  Autoskop  für  viele  Kranke  peinlicher  als 
der  Spiegel.  Sehr  richtig  bemerkt  Heryng  bei 
der  Erlernung  der  endolaryngealen  Technik,  daß 
das  Kokain  ihre  Vernachlässigung  sowie  den  Miß- 
brauch mancher  operativer  Eingriffe,  besonders 
in  der  Rhinologie,  gefördert  habe. 

Die  nich toper ati ven  Behandlungsmethoden 
zerfallen  in  die  chemischen  Behandlungsmethoden, 
zu  denen  die  Inhalationen,  Gurgelungen,  Pin- 
selungen, Einträufelungen  und  Einspritzungen, 
Einblasungen  und  die  festen  Ätzmittel   gehören. 

Die  neuen  Inhalationsmethoden  werden  im 
Anhang  III  besonders  behandelt.  Die  vielen 
vom  Verf.  angeführten  Mittel,  welche  zu  Gur- 
gelungen gebraucht  werden,  sind  dem  Ref.  alle 
entbehrlich  geworden;  es  genügen  die  schwach 
alkalischen  Flüssigkeiten  wegen  ihrer  schleim- 
lösenden Wirkung.  Bei  den  Pinselungen  ge- 
braucht Verf.  mit  Recht  als  Flüssigkeit« träger 
hygroskopische  Watte.  Der  Pinselhalter  des 
Verf.  ist  durch  einfachere,  aus  welchen  die 
Watte  leichter  zu  entfernen  ist,  von  Jurasz, 
dem  Ref.  etc.  ersetzt  worden.  Das  Pinseln  ohne 
Spiegel  hält  Ref.  nicht  für  richtig.  Bei  den 
Medikamenten  möchte  Ref.  darauf  hinweisen, 
daß  6  und  lOproz.  Jodvasogen  den  anderen 
Jodpräparaten  weit  überlegen  sind.  In  der  Nicht- 
anwendung des  Tanninglyzerins  stimmt  Ref.  dem 
Verf.  vollkommen  bei.  Den  Indikationen  des 
Verf.  für  die  Anwendung  der  pulverförmigen 
Mittel  kann  man  vollkommen  beistimmen.  Störend 
ist  der  Umstand,  daß  die  anästhetischen  Pulver 
noch  einmal  im  Anhang  behandelt  werden;  da- 
selbst findet  man  erst  das  Anästhesin,  das  beste 
aller  schmerzstillenden  Mittel  bei  Ulzerationen, 
das  übrigens  am  besten  ohne  jeden  Zusatz  an- 
zuwenden ist.  Die  festen  Ätzmittel  sind  sehr 
gut  geschildert. 

Bei  den  physikalischen  Behandlungsmethoden 
wird  zunächst  die  Anwendung  der  Elektrizität 
für  medizinische  Zwecke  besprochen,  dann  folgt 
die  Massage,  deren  Wert  bei  gewissen  Formen 
von  Nasen erkrankun gen  nicht  bestritten  wird, 
während  sie  bei  Kehlkopfserkrankungen  wohl 
nur  als  Beihilfe  anzusehen  ist. 

Von  den  Methoden  der  inneren  Therapie 
werden  die  Anwendung  von  Kälte  und  Wärme, 
die  örtlichen  Blutentziehungen,  die  ableitenden 
Mittel  in  Erinnerung  gebracht. 

In  dem  die  Hygiene  enthaltenden  Kapitel 
ist  der  Abschnitt  über  die  schädlichen  Einwir- 
kungen des  Alkohols  und  des  Tabaks  recht  gut 
geraten.  Zu  berichtigen  wäre  die  Meinung  des 
Verf.,  als  wenn  allgemein  angenommen  wäre, 
daß  Leukoplakie  der  Zunge  immer  in  Krebs 
überginge.  Auch  weicht  Leukoplakie  nicht 
„selten",  sondern  überhaupt  nicht  der  spezi- 
fischen Behandlung.  Die  späterhin  geschilderten 
„Verdickungen  des  Epithels"  sind  nichts  anderes 
als  Leukoplakie. 

In  dem  Kapitel  über  die  operativen  Be- 
handlungsmethoden sind  die  Vorbereitungen  gut 
geschildert;  sehr  genau  sind  die  Anaesthetica 
besprochen,  ebenso  die  allgemeine  Anästhesie. 

In  der  Desinfektion  geht  meines  Erachtens 
nach  Verf.  zu  weit.  Ich  bin  mit  Lermoyez 
der  Meinung,  daß  große  Reinlichkeit  eine  Aseptik 


der  Hände  des  Operateurs  und  auch  des  Patienten 
ersetzen  kann,  wenn  nur  die  Instrumente  asep- 
tisch gehalten  sind.  Wie  das  zu  machen,  wird 
ausführlich  auseinandergesetzt;  die  Hitze  und 
vor  allem  das  kochende  Wasser  werden  bevor- 
zugt. Sehr  ausführlich  werden  die  Ereignisse, 
welche  während  der  Ausführung  endolaryngealer 
Operationen  auftreten  können,  geschildert,  ebenso 
die  Nachbehandlung  und  sogar  das^  Kranken- 
zimmer. Den  Schluß  bildet  die  Instrumenten- 
kunde. 

Alles  in  allem  ist  das  Heryngsche  Werk 
ein  brauchbares  Buch,  das  auch  von  dem  er- 
fahrenen Spezialisten  mit  Nutzen  zu  Rate  ge- 
zogen werden  kann.  Die  Ausstattung  desselben, 
auch  die  Abbildungen  sind  recht  gut  und  ent- 
sprechen dem  wohlbegründeten  Ruf  der  Verlags- 
handlung, w.  LubUnski. 

Die  Gicht,  ihre  Ursachen  und  Bekämpfung. 

Gemeinverständlich  dargestellt  von  Dr.  med. 
0.  Burwinkel,  Nauheim.  Verl.  der  Ärztl. 
Rundsch.  München  1904.  32  S.  Preis  1,20  Mk. 

Die  Schrift,  die  das  12.  Heft  der  Sammlung 
„Der  Arzt  als  Erzieher"  bildet,  will  nicht  nur 
über  die.  Natur  der  Gicht  aufklären ,  sie  will 
auch  erzieherisch  auf  den  Charakter  der  Kranken 
einwirken,  damit  er  sich  die  durchaus  notwendige 
Energie  aneignet,  das  vorgeschriebene  Regime 
pünktlich  zu  befolgen.  Aus  den  lesenswerten 
Ausführungen  des  Verf.  sei  folgendes  hervor- 
gehoben. 

Unter  Gicht  versteht  man  einen  von  der 
Norm  abweichenden  Vorgang  im  Stoffwechsel 
des  Körpers,  aus  dem  eine  gesteigerte  Harn- 
säurebildung und  eine  Überladung  des  Blutes 
mit  harnsauren  Salzen  entsteht.  Durch  Ablage- 
rung harnsaurer  Salze  entstehen  periodische 
schmerzhafte  Gelenkaffektionen  und  die  ver- 
schiedenen chronischen  Gichtformen. 

Die  Ursache  der  Harnsäurebildung  ist  un- 
vollkommene Verbrennung  von  Eiweißstoffen 
(Nukleoproteiden),  die  nicht  bis  zum  Harnstoff 
abgebaut  werden,  sondern  auf  einer  Zwischen- 
stufe stehen  bleiben.  Das  tritt  ein  bei  über- 
mäßiger Eiweißzufuhr  und  ererbter  oder  er- 
worbener mangelhafter  Funktion  der  Verdauungs- 
organe und  Körperzellen.  Übermäßiger  Alkohol- 
genuß, Bewegungsmangel  etc.  sind  begünstigende 
Momente. 

Kältereiz  bei  mangelhafter  Reaktion,  Druck 
etc.  führen  zum  Niederschlag  in  den  durch  Ge- 
fäßarmut und  mangelhafte  Zirkulation  prädispo- 
nierten Gelenken. 

Von  chronischen,  irregulären  Formen  der 
Gicht  werden  Störungen  der  Nieren,  der  Ver- 
dauungsorgane, des  Gefäß-,  Respirations-  und 
Nervensystems  hervorgehoben,  ferner  Neigung 
zu  Diabetes  und  Fettsucht. 

In  den  Ansichten  über  die  Behandlung, 
besonders  über  die  Gichtdiät,  herrscht  unter 
den  verschiedenen  Autoren  ein  großer  Wirrwarr. 
In  logischer  Konsequenz  seiner  Anschauung  sucht 
Verf.  die  übermäßige  Harnsäurebildung  zu  ver- 
meiden, die  schon  vorhandene  Harnsäure  zu 
lösen  und  auszuscheiden,  bereits  gesetzte  Stö- 
rungen   nach    Möglichkeit     zu    regulieren.      Er 


XIX.  Jahrgang.! 
Mal  1906.     J 


Literatur. 


213 


empfiehlt  daher,  von  der  übertriebenen  Wertung 
des  Fleischeiweisses  abzugehen  und  eine  mehr 
vegetarische  Di&t  innezuhalten  (eine  Auffassung, 
wie  sie  u.  a.  auch  von  Ebstein  vertreten  wird, 
Dtsch.  Elin.  im  20.  Jahrh.).  Vor  allem  sollen 
Kinder  nicht  zu  früh  —  nach  Burwinkel  nicht 
vor  dem  10.  Lebensjahr  —  Fleisch  erhalten. 
Zur  Steigerung  der  Oxydation  ist  daneben  aus- 
reichende Muskeltätigkeit  von  hoher  Bedeutung. 
Zur  Ausscheidung  der  Harnsäure  bedarf  es 
der  Anregung  von  Nieren-,  Haut*,  Darm-  und 
Lungentätigkeit.  Neben  den  medikamentösen 
und  den  Bade-  und  Brunnenkuren  stehen  die 
physikalisch-diätetischen  Heilfaktoren,  das  Wich- 
tigste aber  bei  der  Gichtbehandlung  ist  „Arbeit 
und  Mäßigkeit«.  Esch  (Bendorf J. 

Die  Fermente  und  ihre  Wirkungen.  Von  Carl 
Oppenheimer.  Zweite  neubearbeitete  Auf- 
lage. Leipzig,  Verlag  F.  C.  W.  Vogel. 
Daß  eine  Monographie,  welche  allerdings 
ein  Riesengebiet  umfaßt,  im  Laufe  von  wenigen 
Jahren  einer  neuen  Auflage  bedarf,  ist  eine  Tat- 
sache, welche  besser  als  alle  Worte  für  den  wirk- 
lichen Wert  des  Buches  spricht.  Es  erübrigt 
sich  daher,  einzeln  alle  Vorzüge  des  ausgezeich- 
neten Oppen hei  morschen  Buches  hervorzu- 
heben, und  es  seien  nur  einige  erwähnt,  wie  die 
geschickte  und  übersichtliche  Anordnung  der  Ma- 
terie, die  klare  und  dabei  doch  nicht  trockene 
Schreibweise,  sowie  das  1694  Nummern  um- 
fassende, alphabetisch  geordnete  Literaturver- 
zeichnis, welches  für  jeden,  der  auf  dem  Gebiete 
der  Fermentforschung  arbeiten  will,  unentbehr- 
lich sein  dürfte. 

Als  ein  bedeutender  Fortschritt  der  vor- 
liegenden Auflage  gegen  die  erste  ist  es  zu  be- 
zeichnen, daß  der  Autor  sich  die  moderne  phy- 
siko-cbemische  Auffassung  der  Enzymreaktion 
völlig  zu  eigen  gemacht  und,  von  dieser 
ausgehend,  den  allgemeinen  Teil  umgearbeitet 
hat.  Bei  dem  rastlosen  Vorwärtsschreiten  gerade 
auf  diesem  Gebiete  der  Biologie  ist  es  wünschens- 
wert, daß  der  zweiten  recht  bald  eine  wiederum 
vermehrte  dritte  Auflage  des  ausgezeichneten 
Buches  folgen  möge,  welche  sicher  wieder  von 
allen,  welche  für  diesen  Forschungszweig  Interesse 
haben,  mit  Freude  begrüßt  werden  wird. 

Th.  A.  Maass. 

Anatomie  and  physikalische  Untersuchungs- 
methoden.    Anatomisch-klinische  Studie   von 
R.  Oestreich    und  0.  de  la  Camp.    Berlin 
1905  bei  S.  Karger.    7,40  M. 
Ein  pathologischer  Anatom  und  ein  Kliniker 
haben  sich  zusammengetan,    um  diese  Studie  zu 
veröffentlichen.     Beide    sind    durch  frühere  Ar- 
beiten auf  diesem  Gebiete  bekannt,    von  beiden 
kann  man  daher  a  priori  voraussetzen,    daß  die 
Ton  ihnen  durch  die  früheren  und   jetzigen  Ar- 
beiten gewonnenen  Resultate    ein  möglichst  um- 
fassendes und  grundlegendes  Bild  dieser  für  den 
Arzt    so    wichtigen  Untersuchungsmethoden    ab- 
geben. 

Während  in  dem  großen  Atlas  Ponficks 
hauptsächlich  der  pathologische  Situs  oder  besser 
der  Situs  der  Organe    bei    den   verschiedensten, 


speziell  vom  Chirurgen  behandelten  Krankheiten 
dargestellt  wird,  und  aus  dem  Studium  der  topo- 
graphischen Verhältnisse  dem  Arzte  ein  Weg- 
weiser für  sein  Handeln  gegeben  wird,  versucht 
das  vorliegende  Werk  hauptsächlich  die  für  den 
inneren  Kliniker  wichtigen  Verhältnisse  der  Per- 
kussion und  Auskultation,  der  Röntgenunter- 
suchung der  inneren  Organe  auf  Grund  klinischer 
Beobachtung  im  Verein  mit  der  anatomischen 
Untersuchung,  die  sich  dabei  selbst,  teilweise 
der  klinischen  (physikalischen)  Untersuchungs- 
methoden bedient,  klarzulegen  sowohl  im  allge- 
meinen wie  im  speziellen. 

Man  kann  daher  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  die  vorliegende  Studie,  besonders  wenn 
sie  sich,  was  zu  wünschen  ist,  recht  bald  zu 
einem  Lehrbuch  aus  wachsen  wird,  als  eine  Er- 
gänzung von  Ponficks  Atlas  auffassen,  umso- 
mehr,  als  das  Werk  keinerlei  Abbildungen  ent- 
hält, was  bei  dem  ungemein  schwierigen  Stoff 
sehr  zu  bedauern  ist,  ja,  was  verhindert,  daß 
man  das  Buch  Studierenden  empfehlen  kann, 
sondern  nur  solchen  Ärzten,  die  sich  selbst  ein- 
gehend mit  diesen  Dingen  beschäftigen  wollen. 
Aus  dem  Inhalt  sei  mitgeteilt,  daß  im  all- 
gemeinen Teil  die  Lehre  vom  Schall  besprochen 
wird,  die  Bewegung  in  röhrenförmigen  Kanälen, 
das  Röntgen  verfahren,  die  Körperform,  ferner  ■ 
die  Prüfung  und  Beurteilung  der  physikalischen 
Untersuchungsmethoden  unter  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Agonie.  Im  speziellen  Teil  werden 
die  einzelnen  Organe  und  Gewebe  der  Brust- 
und  Bauchhöhle  besprochen  in  ihrem  Verhalten 
den  genannten  Untersuchungsmethoden  gegen- 
über. 

Es  ist  klar,  daß  bei  der  Bearbeitung  dieses 
Stoffes,  besonders  im  allgemeinen  Teil,  schon 
Bekanntes  dargeboten  wird,  aber  doch  in  ge- 
drängter Kürze  und  oft  von  neuen  Gesichts- 
punkten au 8.  Auch  im  speziellen  Teil,  in  wel- 
chem teilweise  neue  Beobachtungen  der  Autoren 
mitgeteilt  werden,  ist  bei  jedem  Organ  eine  Art 
Rekapitulation  der  bekannten  Dinge,  eine  Art 
kurzer  pathologisch -klinischer  Besprechung  der 
vorkommenden  Veränderungen  vorhanden.  Bei 
der  unsicheren  Erklärung,  die  man  überhaupt  für 
viele  klinische  und  pathologisch  -  anatomische 
Erscheinungen  hat,  ist  es  selbstverständlich,  daß 
man  nicht  in  allen  Punkten  den  Autoren  zu- 
stimmen kann,  so  z.  B.  der  Behauptung,  daß 
relative  Insuffizienz  der  Herzklappen  sehr  selten 
vorkomme,  oder  der  Beibehaltung  des  Begriffs 
der  konzentrischen  Hypertrophie,  den  man  ein 
für  allemal  verbannen  sollte.  Manche  Erklärungen 
mögen  wohl  noch  eine  Zeitlang  für  richtig  gelten, 
werden  aber  zweifellos  nach  dem  Gang  unserer 
Wissenschaft  entweder  andere  oder  gar  keine 
befriedigenden  Erklärungen  erfahren,  so  z.  B. 
die  Erklärung  der  Dyspnoe  bei  perniziöser  An- 
ämie durch  Sauerstoffmangel.  Diese  Beispiele 
ließen  sich  noch  vermehren.  Aber  gerade  solche 
schwebenden  Fragen,  die  noch  ihrer  Lösung 
harren,  die  in  innigster  Verbindung  stehen  mit 
den  neuesten  physiologischen  (z.  B.  beim  Herzen) 
und  chemischen  Untersuchungen,  gestalten  das 
Studium  des  Werkes  zu  einem  sehr  anregenden 
und    nutzbringenden.     Die    Verf.    betonen,    daß 


274 


Literatur. 


fTher*peati*the 
L   Monatshefte. 


das  Werk,  das  sie  eine  Studie  nennen,  weder 
ein  Lehrbach  noch  ein  Kompendium  sein  solle, 
sie  betonen,  daß  manches  nur  angedeutet  und 
nicht  weiter  ausgeführt  werden  konnte. 

Im  Interesse  der  Materie  und  der  Autoren 
möchte  ich  daher  den  Wunsch  nochmals  aus- 
sprechen, den  ich  bereits  eingangs  begründet 
habe,  daß  recht  bald  aus  der  Studie  ein  mit 
zahlreichen  Abbildungen  geschmücktes,  voll  und 
ganz  ausgeführtes,  bis  ins  Einzelne  gehendes 
„Lehrbuch  der  physikalischen  Untersuchungs- 
methoden auf  anatomisch-klinischer  Grundlage" 
werden   möge.  Westenhoeffer. 

Lehrbuch  der  speziellen  pathologischen  Ana- 
tomie für  Studierende  und  Aerzte.  Von 
Dr.  Eduard  Kaufmann,  o.  Professor  der 
patholog.  Anatomie  in  Basel.  III.  neu  bear- 
beitete und  vermehrte  Aufl.  Berlin  bei  Georg 
Reimer  1904. 

Das  Urteil,  das  ich  vor  2  Jahren  (Therapeut. 
Monatshefte  1908,  Augustheft)  über  die  II.  Aufl. 
gegeben  habe,  kann  ich  nicht  gut  „in  majorem 
gloriam"  steigern.  Die  rasche  Aufeinanderfolge 
der  Auflagen  beweist  zur  Genüge,  wie  sehr  sich 
dieses  Lehrbuch  nicht  nur  die  deutschen  Stu- 
dierenden und  Ärzte  erobert  hat,  sondern  es 
wandert,  wie  ich  mit  großer  Freude  feststellen 
kann,  mit  mehr  als  einem  amerikanischen'  und 
japanischen  Arzt  über  das  Weltmeer. 

In  Europa  selbst  hat  es  Übersetzungen  ins 
Ungarische  und  Italienische  erfahren.  Wenn  ich 
einen  Wunsch  bez.  einiger  Änderungen  aussprechen 
möchte,  so  ist  es  der,  daß  der  Verf.  jenen 
„Namenstürmern",  wie  Vir  cho  w  sie  milde  nennt, 
nicht  allzu  gefügig  nachgeben  möchte  und  Namen 
wie:  Hyaloserositis,  Vermiculitis/Vesiculitis,  De- 
ferenitis  u.  a.  die  fast  durchweg  klinische  Spezia- 
listen auf  dem  Gewissen  haben,  in  den  zu- 
künftigen Auflagen  keine  Aufnahme  gewähren 
möge.  Westenhoeffer. 

Die  Otosklerose.  Von  Prof.  Alfred  Denker  in 
Erlangen.  Wiesbaden,  Verlag  von  J.  F.  Berg- 
mann 1904. 

In  klarer  und  ausführlicher  Weise  hat  der 
Autor  die  viel  ventilierte  Frage  über  das  Wesen, 
die  Ätiologie,  die  Diagnose  etc.  der  Otosklerose 
in  seinem  Werke  behandelt.  Besonders  der  ana- 
tomische Teil  hat  eine  erschöpfende  Darstellung 
gefunden.  Es  kann  nicht  geleugnet  werden,  daß 
zur  Zeit  gerade  der  anatomische  Teil  das  wert- 
vollste Kapitel  dieser  merkwürdigen  Erkrankung 
darstellt.  Hier  hat  der  Autor,  der  6elbst  aus- 
gedehnte Erfahrungen  und  auf  eigenen  Studien 
beruhende  anatomische  Kenntnisse  besitzt,  sine 
ira  et  studio  alles  berücksichtigt,  was  in  der 
Literatur  bis  jetzt  darüber  bekannt  gemacht 
worden  ist.  Was  die  Ätiologie  dieser  Knochen- 
erkrankung betrifft,  so  steht  Denker  der  von 
Hab  ermann  vertretenen  Ansicht  von  der  häufig 
in  Betracht  kommenden  Lues  etwas  skeptisch 
gegenüber.  Dieser  Ansicht  kann  sich  Referent 
nur  anschließen.  Daß  akquirierte  resp.  kongenitale 
Lues  Ursache  für  Otosklerose  sein  kann  und 
öfter  ist,  hat  auch  Referent  im  Jahre  1901  in 
seiner  Arbeit:   „Anatomischer  Beitrag  zur  Frage 


der  bei  dem  trockenen,  chronischen  Mittelohr- 
katarrh (Sklerose?)  vorkommenden  Knochen- 
erkrankungen des  Schläfenbeins  (chron.  vascn- 
läre  Ostitis  Volk  mann)  mit  einigen  Bemer- 
kungen" Archiv  für  Ohrenheilk.  Bd.  53,  S.  68 
behauptet. 

Die  Therapie  hat  Denker  mit  vielem  Ver- 
ständnis und  mit  Recht  mit  aller  Vorsicht  und 
Reserve  hinsichtlich  des  Erfolges  behandelt. 
Neben  dem  Pause  sehen  Buche  (die  Schwer- 
hörigkeit durch  Starrheit  der  Paukenfenster)  ist 
das  vorliegende  Denke rsche  Werk  allen  Inter- 
essenten als  die  objektivste  und  wertvollste  Ab- 
handlung über  diese  wichtige,  aber  lange  noch 
nicht  geklärte  Frage  der  Otosklerose  wärmstens 
zu  empfehlen.  Die  Ausstattung  des  Werkes  ist 
tadellos.  l.  Katz. 

Erfolge  der  Röntgrentherapie.  Mitteilungen  ans 
dem  Institute  für  Radiographie  und  Radio- 
therapie in  Wien.  Von  Prof.  Dr.  Eduard 
Schiff.  Mit  16  Abbildungen.  Wien,  Moritz 
Perles,  1904. 

An  der  Hand  mehrerer  geheilter  Fälle  von 
Haut-  und  Schleimhaut-  (weicher  Gaumen-)  Lupus 
empfiehlt  Verf.  die  Behandlung  dieser  Krankheit 
durch  Röntgenbestrahlungen.  Er  benutzt  mittel- 
starke Röhren,  Entfernungen  von  15 — 20  cm; 
34 — 88  Sitzungen  waren  für  die  einzelnen  Fälle 
erforderlich.  Besonders  hebt  er  hervor,  daß  das 
Röntgen  verfahren,  bei  denselben  Erfolgen  wie 
die  Finsenmethode,  doch  weniger  anstrengend 
für  den  Kranken,  kürzer  und  erheblich  billiger 
als  diese  sei. 

Auch  bei  Fällen  von  Epitheliomen  und 
Ulcus  rodens  erzielte  Verf.  völlige  Heilung.  Bei 
inoperablen  oberflächlichen,  insbesondere  Mamma- 
karzinomen, stellten  sich  nach  wenigen  Bestrah- 
lungen schon  Aufhören  der  Schmerzen  und  der 
so  lästigen  Jauchung  ein.  Genügend  oberfläch- 
lich liegende  Melanosarkomknoten  wurden  wie 
Krebsknoten  beeinflußt.  Je  nach  der  nötigen 
Tiefenwirkung  wurden  mittelharte  bis  harte 
Röhren  verwendet.         Edmund  Saalfeld  (Berlin). 


Praktische  HoÜEem 

und 

empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


Zar    Behandlung    der    KapUlarbronchltU.     Von 

Dr.  med.  A.  H  e  r z  f e  1  d  (New  York).    (Original- 
mitteilung.) 

Bestimmt  durch  Prof.  Dr.  Heu bners  Publi- 
kation (Therap.  d.  Gegenw.  Hft.l,  Referat  Therap. 
Monaten.,  April,  S.  220)  betr.  die  Behandlung  der 
Kapillarbronchitis  mittels  Senfwasser- Ein  Wick- 
lungen, möchte  ich  ein  ähnliches  Verfahren  publi- 
zieren, das  ich  seit  zehn  Jahren  mit  exzellentem 
Erfolge  in   obiger  Erkrankung  angewandt  habe. 

In  einer  Schüssel  mische  ich  Alkohol  und 
Wasser  **  250  ccm.  Dieser  Mischung  setze  ich 
Spiritus  Sinapis  Ph.  G.  15—50  ccm  je  nach 
Schwere  des  Falles  zu.  Ein  großes  Stück  Flanell 
wird  in  diese  Mischung  getaucht,  nicht  allzufest 


XIX.  Jahrf aag.1 
M*t  1905.     J 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswert«  Arzneiformeln. 


275 


ausgerungen  und  der  Körper  des  Kindes  bis  zu 
den  Oberschenkeln  darin  eingewickelt.  Um 
diesen  feuchten  Flanell  wird  noch  ein  trockener 
geschlagen,  der  den  ganzen  Körper  des  Kindes 
einhüllt.  In  dieser  Packung  lasse  ich  das  Kind,  bis 
die  Atmung  und  Herzaktion  besser  wird,  oder 
die  Haut  gerötet  wird,  wenigstens  30  Minuten. 
Nach  dieser  Einpackung  lege  ich  das  Kind  in 
eine  Packung  Ton  Alkohol  und  Wasser  1 : 2 
(ohne  Spiritus  Sinapis)  für  1 — 2  Stunden,  als- 
dann wird  das  Kind  trocken  eingewickelt. 

Wenn  nötig,  lasse  ich  diese  Einpackungen 
m  ehrer  emal  täglich  vornehmen.  Diese  Ein- 
packungen haben  den  Vorzug  der  Reinlichkeit 
und  ich  habe  auch  in  Fallen  schwerster  Ka- 
pillarbronchitis mit  diesem  Verfahren  noch  ex- 
zellente Resultate  gesehen. 

Eine  Bemerkung  zu  dem  Artikel:  „Eine  bequemere 
Anwendungsweise  des  Chinin,  von  Geh.  San.- 
Rat  Dr.  Aufrecht"  im  Februarheft  1903 
dieser  Monatshefte. 

Aufrecht  beschreibt  in  diesem  Artikel 
seine  Methode  der  Chinin  inj  ektion  bezw.  die 
Zubereitung  der  Lösung.  Um  ein  halbes  Gramm 
Chinin  subkutan  zu  injizieren,  hat  er  früher 
17  g  Wasser  zur  Lösung  gebraucht,  jetzt  ist  es 
ihm  mit  Hilfe  von  0,25  Urethan  möglich,  die 
Lösungsmenge  auf  5  g  Wasser  herabzusetzen. 

Diese  Umständlichkeit  und  Unbequemlichkeit 
vermeidet  man  bei  der  Anwendung  der  sterili- 
sierten Subkutaninjektionen  von  Dr.  Kade, 
Oranienapotheke,  Berlin  SO.,  auf  die  ich  Herrn 
Geh.  San.-Rat  Aufrecht  aufmerksam  machen 
möchte.  Diese  Firma  bringt  seit  geraumer  Zeit 
subkutane  Injektionen  (verschiedene  Chininsorten, 
Morphium,  Ergotin,  Kampfer,  Äther,  Pilo- 
karpin  etc.)  zu  den  gebräuchlichen  Einzeldosen 
in  den  Handel,  die  nach  vorheriger  Sterilisation 
in  Glastuben  zu  1  ccm  Inhalt  —  also  einer 
Pravazspritze  entsprechend  —  eingeschmolzen 
sind.  Um  daher  z.  B.  0,5  g  Chininum  bimuria- 
ticum  zu  injizieren,  brauche  ich  nur  den  Hals 
des  Glasröhrchens  abzubrechen  und  den  Inhalt 
desselben  in  die  Pravazspritze  einzuziehen. 

Bei  den  vielen  Hunderten  von  Chinininjek- 
tionen, die  ich  jährlich  in  der  Malariasaison  hier 
mache,  haben  sich  mir  diese  Tuben  von  un- 
schätzbarem Werte  erwiesen.  Abszesse  oder  Ne- 
krosen habe  ich  nie  danach  gesehen.  —  Abge- 
sehen von  der  handlichen  Aufmachung  der  Tuben 
für  den  Gebrauch  des  praktischen  Arztes,  seien 
besonders  die  Kollegen  in  den  Tropen,  wo  es 
oft  schwierig  ist,  stets  sterile  Lösungen  zu  augen- 
blicklichem Gebrauche  zur  Hand  zu  haben  oder 
solche  bereiten  zu  können,  auf  diese  Tuben  hin- 
gewiesen. Der  Preis  der  einzelnen  Sorten  ist 
ein  geringer.  £>r.  o.  Müller  (Hongkong). 

Ein     Erlebnis     mit     dem    Wasserstoffsuperoxyd 

Merck  (Perhydrol).    Von  Dr.  Altdorfer   in 

Wiesbaden.    (Originalmitteilung.) 

Bei  der  ausgedehnten  Verwendung,  welche 

das  Wasserstoffsuperoxyd    in    den  verschiedenen 

Gebieten  der  ärztlichen  Praxis  findet,  dürfte  ein 

Erlebnis,    das   ich    vor   kurzem    mit  demselben 

gehabt  habe,  von  allgemeinem  Interesse  sein. 


Ich  hatte  am  19.  Dezember  v.  J.  für  eine 
an  einer  leichten  Angina  catarrhalis  leidende 
junge  Dame  eine  dreiprozentige  Lösung  von 
Hydrogenium  superoxydatum  verschrieben,  zu 
deren  Herstellung  das  Perhydrol  Merck  ver- 
wandt wurde.  Die  Patientin  hatte  damit  ein 
paar  Tage  gegurgelt  und  dann,  nach  Ablauf 
des  Krankheitsprozesses ,  die  noch  etwa  halb 
gefüllte  Flasche  auf  ein  Wandbrett  in  ihrem 
Schlafzimmer  gestellt.  Am  2.  Januar  d.  J.  — 
also  14  Tage  nach  Anfertigung  der  Lösung  — 
wurde  die  Dame  frühmorgens  7  Uhr  durch  einen 
heftigen  Knall  aus  dem  Schlafe  geweckt,  und 
im  nächsten  Moment  fühlte  sie,  daß  Glassplitter 
auf  sie  herabfielen.  Nachdem  sie  sich  von  dem 
ersten  Schrecken  erholt  und  Licht  angemacht 
hatte,  entdeckte  sie,  daß  die  Flasche  mit  dem 
Perhydrol  explodiert  war,  und  die  Scherben 
davon  im  ganzen  Zimmer  verstreut  waren. 
Glücklicherweise  war  die  Dame  nicht  verletzt, 
doch  wurde  ich  durch  einen  Brief  des  er- 
schreckten Vaters  sogleich  herbeigerufen.  Beim 
Untersuchen  des  Tatbestandes  fand  ich,  daß, 
wie  die  Splitter  zeigten,  die  braungefärbte 
Flasche  recht  kräftige  Wandungen  —  von  etwa 
ya  cm  Dicke  —  gehabt  hatte,  und  daß  trotzdem 
die  Splitter  von  dem  Wandbrett,  das  an  der 
dem  Bett  gegenüberliegenden  Wand  angebracht 
war,  über  4  Meter  weit  durch  das  Zimmer  ge- 
schleudert waren.  Die  Explosionsgewalt  muß  also 
eine  ziemlich  heftige  gewesen  sein.  Bei  näherem 
Zusehen  entdeckte  ich  nun,  daß  die  Flasche 
nicht  mit  einem  einfachen  Kork  geschlossen  ge- 
wesen war,  sondern  daß  sich  daran  ein  Patent- 
Hebelverschluß  befand,  wie  derselbe  gewöhnlich 
an  Bierflaschen  angebracht  ist.  Wahrscheinlich 
hatte  in  diesem  Falle  die  Berührung  der  H3Os- 
Lösung  mit  dem  am  Verschluß  angebrachten 
Gummiring  zur  Zersetzung  der  Flüssigkeit  mit 
Gasbildung  geführt,  die  dann  infolge  des 
hermetischen  Verschlusses  die  Explosion  verur- 
sachte. Bemerken  will  ich  noch,  daß  der  Heiz- 
körper des  Zimmers,  der  sich  durchaus  nicht  in 
der  Nähe  der  Flasche  befand,  zur  Zeit  der 
Explosion  nicht  in  Tätigkeit,  die  Zentralheizung 
überhaupt  seit  mehreren  Tagen  abgestellt  war, 
so  daß  der  Vorgang  nicht  durch  Einwirkung 
einer  zu  hohen  Temperatur  erklärt  werden 
kann.  In  der  mir  zu  Gebote  stehenden 
Literatur  findet  sich  keine  Andeutung  einer 
Explosionsgefahr  bei  Verwendung  des  Perhydrol, 
und  ich  habe  es  daher  für  meine  Pflicht  ge- 
halten, auf  diese  Möglichkeit  die  Aufmerksam- 
keit zu  lenken,  besonders  aber  auch  vor  dem 
oben  erwähnten  Flaschen  Verschluß  bei  Ver- 
wendung des  Hydrogenium  superoxydatum  zu 
warnen. 

Zur  Behandlung  der  Genickstarre. 

Wir  haben  an  anderer  Stelle,  S.  262  dieses 
Heftes,  über  die  Resultate  berichtet,  welche 
Lenhartz  in  der  Behandlung  der  Genickstarre 
mit  der  Lumbalpunktion  gehabt  hat.  Hier  sei 
an  eine  andere  von  Aufrecht  empfohlene 
Behandlungsweise  erinnert,  an  die  Verwendung 
heißer  (40°  C)  Bäder.  Aufrecht  berichtet 
darüber    in    diesen  Monatsheften   im  Augustheft 


276 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


pTherapentladM 
L   Monatshefte. 


1894,  S.  381:  Heiße  Bäder  bei  protrahiertem 
Verlauf  einer  Meningitis  cerebrospinalis.  Weitere 
Mitteilungen  sind: 

J.  Woroschilsky:  Anwendung  von  heißen 
Bädern  in  2  Fällen  von  Meningitis  cerebro- 
spinalis. Therap.  Monatshefte  1895,  Februar- 
heft S.  65  und: 

M.  Jewnin:  Anwendung  von  heißen  Bädern 
in  Ö  Fällen  von  Cerebrospinal-Meningitis.  Therap. 
Monatshefte  1896,  Novemberheft  S.  582. 

Beide  sprechen  sich  sehr  günstig  über  die 
Erfolge  dieser  Behandlungs weise  aus. 

Entfernung  von  Pikrinsäure  flecken. 

In  seiner  vorstehenden  Abhandlung:  Über 
die  Pikrinsäure  Verwendung  bei  Hautkrankheiten, 
besonders  bei  Ekzem,  hebt  Herr  Dr.  Meyer  als 
nicht  angenehme  Begleiterscheinung  der  Prikrin- 
säurewirkung  die  färbende  Eigenschaft  für  Haut, 
Haare  und  Wäsche  sowie  die  Schwierigkeit  der 
Entfärbung  hervor,  wodurch  die  Anwendung  der 
Pikrinsäure  eine  Einschränkung  erfahre.  Im  An- 
schluß hieran  sei  auf  ein  sehr  einfaches  Verfahren 
der  Entfärbung  aufmerksam  gemacht,  welches, 
von  Prieur  (Rep.  de  Pharm.  1897  und  Pharm. 
Centralh.  1897  S.  447)  empfohlen,  sich  im  Com- 
pendium  der  Arzneiverordnung  von  Liebreich 
und  Langgaard  angeführt  findet,  in  ärztlichen 
Kreisen  aber  wenig  bekannt  zu  sein  scheint. 

Zur  Entfernung  von  Flecken  auf  der  Haut 
wird  die  Haut  mit  Wasser  befeuchtet  und  dar- 
auf mit  Lithium  carbonicum  abgerieben,  oder 
man  reibt  die  gefärbten  Stellen  mit  einem  Brei 
von  Lithiumkarbonat  und  Wasser  ein.  Die 
Färbung  verschwindet  sofort.  Auch  Haare  wer- 
den entfärbt,  wenngleich  bedeutend  schwieriger. 
Wäsche  wird  zur  Entfärbung  am  besten  in 
Wasser  getan,  in  welchem  Lithiumkarbonat  sus- 
pendiert ist.  Auch  hier  geht  die  Entfärbung 
schnell  und  leicht  vor  sich. 


Behandlung  des  Gelenkrheumatismus  mit  Acidum 
citri  cum. 

Vor  längerer  Zeit  hat  Jorisenne  in  Gent 
auf  die  gute  Wirkung  der  Zitronensäure  bei 
Gelenkrheumatismus  aufmerksam  gemacht.  Auch 
Huchard  in  Paris  hat  neuerdings  (Journal  des 
Praticiens  12,  1905)  bei  an  Gelenkrheumatismus 
erkrankten  Individuen,  die  Salizylsäurepräparate 
nicht  vertrugen,  günstige  Erfolge  mit  Acidum 
citricum  erzielt.  Es  empfiehlt  sich  folgende  Ver- 
wendungsweise : 

Rp.    Acidi  citri ci  5,0 — 10,0 

Sirupi  Papaveris 
Sirupi  Cera8orum  **     25,0 
Aquae  250,0 

M.D.S.    Im  Laufe  des  Tages  2 stündlich 
2  bis  3  Eßlöffel   zu  nehmen. 

Bei  dieser  Medikation  sah  Jorisenne 
Schmerzen  und  Anschwellungen  bereits  nach 
12  Stunden  verschwinden,  und  auch  Huchard 
beobachtete  Ähnliches. 


Bei  der  Syphilisbehandlung 
glaubt  Dr.  A.  Lieven  in  Aachen  (Münch.  med. 
Wochenschr.  18,  1905)  Jodismus  verhüten  zu 
können,  indem  er  Jodkalium,  stark  verdünnt,  in 
Verbindung  mit  etwas  Eisen  und  Strychnin  in 
nachfolgender  Form  verordnet: 

Rp'.    Kalii  jodati  30,0 

Ferri  citr.  ammon.  4,0 

Strychnini  nitrici  0,02 

Elaeosach.  Menth,  pip.         5,0 
Aquae  flor.  Aurant.    ad    120,0 
M.D.S.    1  Theelöffel  in  '/,  1  Wasser  zu  nehmen. 
(1  Theelöffel  =  1,0  g  Kalium  jodatum.) 

In  dieser  Form  bleibt  die  Mixtur  klar  und 
hell  und  hält  sich  lange. 

Gegen  Hämorrhoiden 

sollen  die  unter  der  Bezeichnung  „Hämor- 
rhoisid"  von  der  Chem.  Fabrik  Erfurt  in 
Erfurt  -Uversgehofen  in  den  Handel  gebrachten 
Tabletten  gute  Dienste  leisten.  Eine  Tablette 
besteht  aus  0,43  Extractum  Pantjasonae  und 
Saccharum.  Pantjasona  ist  eine  in  Süd -Asien 
heimische  Cucurbitacee.  Neuerdings  hat  Dr. 
Weiß  mann  in  Lindenfels  (Mediz.  Klinik  12, 
1905)  das  Mittel  bei  4  Hämorrhoidariern  mit 
Erfolg  in  Anwendung  gebracht.  Er  ließ  täglich 
3  Tabletten  nehmen,  und  nach  Verbrauch  von 
30  bis  45  Tabletten  waren  alle  Beschwerden 
verschwunden. 

Gegen  Sodbrennen 

empfiehlt  F.  Öfele  (Wiener  med.  Presse  1905, 
No.  5)  40  Minuten  nach  dem  Mittagessen  und 
Abendessen  je  0,2  g  Sapo  medicatus. 

Den  Anlatholtpray 

verwendet  H.  Fischer  (Therapie  der  Gegen w. 
März  1905)  zur  Reposition  eingeklemmter  Hernien. 
Der  Patient  wird  mit  erhöhtem  Becken  und  mäßig 
adduziert-fiektierten  Schenkein  gelagert,  die  Haut 
in  der  Umgebung  des  Bruches  mit  Vaselin  ein- 
gefettet und  mit  Watte  bedeckt.  1 — 2  Minuten 
richtet  man  nun  den  Anästholspray  zuerst  auf 
die  Mitte  des  Bruches,  dann  rings  auf  die  Bruch- 
pforte. Diese  wird  dann  mit  der  linken  Hand 
fixiert,  während  die  rechte  jedesmal  nur  den  der 
Bruchpforte  zunächst  liegenden  Darm  teil  zurück- 
zuschieben sucht.  Die  Taxis  gelingt  fast  stete 
ohne  Schmerzanfälle.  Gelingt  die  Reposition 
auch  nach  Wiederholung  der  Anästholbestäubung 
nach  viertelstündiger  Pause  nicht,  so  ist  die 
Operation  vorzunehmen.  Das  geschilderte  Ver- 
fahren ist  stets  ungefährlich  und  wirksamer  als 
die  Applikation  des  Eisbeutels,  der  beim  stunden- 
langen Liegen  Nekrose  der  Gewebe  hervorrufen 
kann.  Für  die  Operation  selbst  sind  die  günstig- 
sten Bedingungen  geschaffen,  da  einmal  die  Mal- 
trätierung des  Bruches  unterblieben  ist  und 
andererseits  der  Spray  die  Entzündung  gemil- 
dert hat. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  A.  Langgaard  in  Berlin  8W. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universit&ts-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Prancke)  in  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1»05.    Juni. 

■ ■  i  . .  -       .     .  ...  . 

Origmalabhandlnngen. 


Die 
Entdeckungen  der  Parasitologie  und 
die  Errungenschaften  der  Hygiene. >) 

Von 
Prof.  Dr.  Qalli-Valerio  in  Lausanne. 

Die  Hygiene,  d.  h.  derjenige  Teil  der 
medizinischen  Wissenschaft,  welchem  im 
wesentlichen  die  Aufgabe  zufällt,  die  Fre- 
quenz der  Krankheiten  herabzusetzen  oder 
dieselben  weniger  schwer  zu  gestalten,  ist 
eine  Wissenschaft,  deren  Ursprung  sich  be- 
reits im  grausten  Altertum  nachweisen  läßt. 
In  der  Tat  findet  man  sie  mehr  oder  weniger 
entwickelt  bei  den  Hebräern,  Chinesen, 
Hindus,  Griechen  und  Römern.  Mit*  dem 
Falle  4es  römischen  Reiches  scheint  sie  zu 
verschwinden  und  später  wieder  aufzutauchen 
und  sich  stufenweise  zu  entwickeln  zu  ihrer 
gegenwärtigen  Höhe.  Die  Hygiene  beruhte 
jedoch  nur  auf  Empirismus  und  konnte  erst 
einen  Aufschwung  nehmen,  als  die  Lehre  von 
den  Parasiten  sich  Bahn  gebrochen  hatte. 
Wie  hätte  dieselbe  auch  eine  solide  Grund- 
lage zu  einer  Zeit  haben  können,  da  die  Ur- 
sachen und  die  Verbreitungsweise  der  Krank- 
heiten noch  vollständig  unbekannt  waren? 
Es  darf  nicht  überraschen,  daß  gegen  die 
Krankheiten  vor  allem  mittels  Gebete  und 
Prozessionen  gekämpft  wurde,  da  in  Bezug 
auf  ihre  Entwicklung  der  Glaube  an  das 
Wunderbare  und  Übernatürliche  die  Haupt- 
rolle spielte.  „Ich  kann  nicht  glauben tt, 
sagt  im  Jahre  1630  der  Präsident  des  Ge- 
sundheitsamtes in  Mailand,  „daß  die  Be- 
rührung mit  den  kranken  Soldaten 
oder  den  ihnen«  gehörenden  Gegen- 
ständen die  Pest  weiter  verbreiten 
könne."  Und  dieser  Biedermann,  der 
sicherlich  zu  den  hervorragendsten  Medizinern 
seiner  Zeit  gerechnet  wurde,  billigte  vermut- 
lich später  die  Verurteilung  zur  Folter  und 
zum  Tode  der  vielen  Unglücklichen,  die  das 
erschreckte  Publikum  der  Verbreitung  der 
Bubonenpest    durch   aus  Kröten,    Schlangen, 


*)  Öffentlicher  Vortrag,  gehalten  (französisch) 
in  Lausanne  am  26.  Oktober  1904  gelegentlich 
meiner  offiziellen  Installierung  als  ordentlicher  Pro- 
fessor der  Hygiene  und  Parasitologie. 


Th.  M.  1906. 


Eiter  u.  s.  w.  bereitete  Salben  beschuldigte. 
Was  konnten  die  Lazarette,  Absperrungen 
durch  Militär  und  Räucherungen,  die  hier 
und  dort  vorgenommen  wurden,  nützen,  wenn 
nicht  nur  das  Publikum,  sondern  auch  der 
größte  Teil  der  Ärzte  sich  keine  Vorstellung 
über  den  Ursprung  der  Krankheiten  zu 
machen  vermochte? 

Obgleich  schon  zur  Zeit  der  Römer 
Lucretius,  Varro,  Columellus  zu  der 
Annahme  neigten,  daß  belebte  Wesen  im 
stände  seien,  Krankheiten  zu  erzeugen,  müssen 
wir  doch  die  wirkliche  Grundlage  der 
modernen  Entdeckungen  in  das  16.  und 
17.  Jahrhundert  verlegen,  als  Galilei  beim 
Studium  der  Naturwissenschaften  dem  Ex- 
perimente die  gebührende  Rolle  anwies. 
„Immer  mehr  bin  ich  davon  überzeugt tt, 
schrieb  er,  „daß  ich  bei  natürlichen 
Dingen  nur  das  glauben  darf,  was  ich 
mit  den  eigenen  Augen  gesehen  habe 
und  mir  mittels  wiederholter  Experi- 
mente bestätigt  worden  ist.tt  Bald  nach 
diesem  Ausspruche  sollte  ein  von  Francesco 
Redi  ausgeführtes  Experiment  den  bis  dahin 
allgemein  geltenden  Glauben  von  der  Gene- 
ratio spontanea  in  seinen  Grundfesten  er- 
schüttern. Indem  er  Stücke  Fleisch  in  her- 
metisch geschlossene  Behälter  brachte,  die 
mit  Gaze  bedeckt  waren,  und  in  solche,  die 
offen  blieben,  stellte  er  fest,  daß  sich  Würmer 
nur  auf  dem  Fleische  in  den  offen  gebliebenen 
Behältern  entwickelten,  in  welche  die  Fliegen 
eindringen  konnten.  Diese  Würmer  waren 
demnach,  wie  Homer  und  Dante  es  hatten 
durchblicken  lassen,  nicht  durch  die  in 
Fäulnis  begriffenen  Substanzen  erzeugt,  son- 
dern durch  Eier,  welche  Insekten  auf  die- 
selben niedergelegt  hatten.  „Ich  bin  davon 
überzeugt",  schrieb  Redi  nach  seinem  denk- 
würdigen Experimente,  „daß  faulende 
Substanzen  nicht  Würmer  erzeugen, 
wenn  die  Insekten  nicht  ihre  Eier  in 
dieselben  deponieren."  Mit  Redi  trat 
die  experimentelle  Forschung  in  den  Dienst 
der  medizinischen  Wissenschaften  und  dank 
derselben  eröffnete  gegen  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts ein  englischer  Arzt,  Jenner,  neue 

91 


278 


Galli-Val«rio,  Entdeckungen  der  Faratitologie. 


[Therapeutische 
Monatshefte. 


Gesichtskreise  für  das  Studium  der  Krank- 
heitsursachen. Er  hatte  davon  reden  gehört, 
daß  alle  Personen,  welche  Kühe  melkten, 
von  den  Blattern  verschont  blieben.  Er 
untersuchte  diese  Personen  und  stellte  fest, 
daß  sie  an  den  Händen  Pusteln  hatten,  welche 
von  den  Kühen  herrührten.  Nun  nahm  er 
Eiter  aus  der  Pustel  einer  derart  infizierten 
Frau  und  impfte  denselben  in  den  Arm  eines 
Kindes  ein.  Nach  einiger  Zeit  impfte  er 
dieses  Kind  mit  Variola,  und  die  Inokulation 
mißlang.  In  dieser  Weise  hatte  Jenner  auf 
experimentellem  Wege  die  Impfung  gegen  die 
Pocken  geschaffen,  indem  er  sich  des  durch 
Übergang  auf  die  Rinder  spontan  abge- 
schwächten Variolavirus  bediente.  Dies  war 
eine  gewaltige  Errungenschaft  der  experi- 
mentellen Medizin.  Dank  derselben  sollte 
das  19.  Jahrhundert  den  Schleier  lüften,  der 
seit  so  lange  die  Ätiologie  der  Krankheiten 
verhüllte.  In  der  Tat  sollte  das  19.  Jahr- 
hundert den  Beweis  dafür  erbringen,  daß  so 
viele  bis  dahin  als  die  hauptsächlichsten 
Krankheitsursachen  angesehene  Dinge  wie 
Kälte,  Feuchtigkeit,  Wärme  u.  s.  w.  in  den 
allermeisten  Fällen  nur  eine  prädisponierende 
Rolle  spielen,  während  die  Hauptrolle 
lebenden  Wesen  animaler  oder  pflanzlicher 
Natur  zukommt.  Diese  dringen  in  den  Orga- 
nismus ein,  ernähren  sich  auf  seine  Kosten 
und  zerrütten  ihn:  die  Parasiten. 

Dem  19.  Jahrhundert  verdankt  man  gleich- 
falls den  Nachweis  der  pathogen en  Rolle  der 
höheren  tierischen  Parasiten,  d.  h.  der  In- 
sekten, Arachnoiden  und  Würmer,  und 
Francois  Renucci  lehrte  zuerst,  daß  die 
Krätze  beim  Menschen  durch  Sarcoptes 
scabiei  hervorgerufen  wird.  Ein  Jahr  später 
entdeckte  Dr.  Bassi  aus  Lodi  die  erste, 
durch  pflanzliche  Parasiten  bewirkte  Affek- 
tion, die  Muskardine  des  Seiden wurms,  wel- 
cher ein  Pilz,  Botrytis  bassiana  zugrunde 
liegt.  Dieser  wichtigen  Entdeckung  folgte 
diejenige  des  Aehorion  Schoeleini  beim 
Favus  des  Menschen,  des  Trichophyton 
tonsurans  bei  Herpes  tonsurans,  des 
Oidium  albicans  beim  Soor.  Im  Jahre 
1857  lehrte  Pasteur,  daß  der  Gärungs- 
prozeß ein  vitales  Phänomen  ist.  Seine 
klassischen  Arbeiten  über  die  Fermentierung, 
führten  zur  Lösung  der  Frage  bezüglich  der 
Natur  bestimmter  Stäbchen,  welche  Ray  er 
und  Davaine,  Polländer  und  Brauel  im 
Blute  von  an  Milzbrand  eingegangenen  Rin- 
dern beobachtet  hatten.  Sind  dieselben 
der  ansteckende  Stoff?  Sind  sie  nur 
der  Träger  dieses  Stoffes  oder  haben 
sie  gar  keine  Beziehung  zu  demselben? 
Diese  von  Polländer  gestellte  Frage  be- 
antworteten Delafond,  Davaine,  Pasteur 


und  Koch,  indem  sie  den  Beweis  erbrachten,  j 
daß  die  fraglichen  Stäbchen  tatsächlich  die  | 
Erreger  des  Milzbrandes  seien.  So  war 
wieder  eine  neue  Gruppe  von  Krankheiten, 
diejenige  der  bakteriellen  Erkrankungen,  ent- 
deckt worden,  welche  mikroskopischen, 
Stäbchen-  oder  kugelförmigen  Pilzen  ihre  Ent- 
stehung verdankten.  Dazu  gesellten  sich 
bald  noch  zwei  andere  parasitäre  Krankheits- 
gruppen: Laveran  fand  in  den  roten  Blut- 
körpern der  von  Malaria  befallenen  Personen 
Körperchen,  die  man  zu  der  Klasse  der 
Protozoen  rechnete,  und  ähnliche  Körperchen 
wurden  allmählich  bei  verschiedenen  Tier- 
arten beobachtet.  Die  Protozoenkrankheiten 
nehmen  heutzutage  eine  sehr  wichtige  Stel- 
lung in  der  Pathologie  ein,  und  es  brauchten 
neben  der  Malaria  nur  die  Trypanosomosen 
genannt  zu  werden,  zu  denen  u.  a.  die  Schlaf- 
krankheit gehört,  welche  in  den  letzten 
Jahren  Afrika  heimgesucht  hat. 

Eine  letzte  Gruppe  bilden  endlich  die- 
jenigen Affektionen,  bei  denen  man  bisher 
keine  parasitären  Träger  gefunden  hat,  ob- 
gleich alle  Symptome,  ihre  Gegenwart  ver- 
muten lassen.  In  dieser  Gruppe,  zu  der  die 
wichtigsten  Krankheiten  gehören  wie  die 
Syphilis,  das  gelbe  Fieber,  die  Hundswut, 
die  Maul-  und  Klauenseuche  u.  s.  w.  beginnt 
man  gegenwärtig  noch  eine  neue  Unter- 
abteilung zu  machen.  Man  hat  in  der  Tat 
beobachtet,  daß  einige  von  diesen  Leiden, 
durch  äußerst  kleine  Wesen  zu  entstehen 
scheinen,  die  unsern  gegenwärtigen  Unter- 
suchungsmethoden entgehen.  Es  handelt  sieb 
um  Krankheiten,  welche  durch  Mikroorga- 
nismen entstehen,  die  sich  unterhalb  der 
Grenze  der  Sichtbarkeit  befinden,  indem  sie 
den  Porzellanfilter  passieren.  Zu  diesen 
Krankheiten  gehören  u.  a.  die  Maul-  und 
Klauenseuche,  das  gelbe  Fieber,  die  Vogel- 
pest u.  8.  w.  Diese  Frage  ist  jedoch  noch 
nicht  endgültig  gelöst  worden. 

Wenn  die  Entdeckungen  der  Parasitologie 
sich  darauf  beschränkt  hätten,  den  spezi- 
fischen Erreger  der  verschiedenen  Krankheiten 
anzugeben  und  ihn  zu  gruppieren,  wäre  die 
Hygiene  nicht  viel  in  ihrer  Entwickelung 
beeinflußt  worden.  Die  Parasitologie  hat 
jedoch  die  Parasiten  studiert  in  bezug  auf 
ihre  Entwicklung,  auf  die  verschiedenen 
Medien,  in  welchen  sie  leben  können,  auf 
ihre  Einwirkung  auf  die  verschiedenen  Orga- 
nismen, auf  die  Dinge,  welche  ihrer  patho- 
genen  Aktion  günstig  oder  ungünstig  sind, 
auf  den  sich  zwischen  Parasit  und  Organis- 
mus entspinnenden  Kampf  und  schließlich  üi 
bezug  auf  die  zu  ihrer  Vernichtung  dienenden 
Mittel.  —  Es  würde  mich  zu  weit  führen, 
wollte  ich  heute  im  einzelnen  über  den  Ein- 


XIX.  Jahrgang.! 
Jon!  1905.      J 


Galli-Val«rio,  Entdeckungen  der  Parailtologie. 


279 


fluß  sprechen,  den  die  Parasitologie  auf  die 
Prophylaxis  einer  jeden  der  sehr  zahlreichen 
parasitären  Krankheiten,  von  denen  Menschen 
und  Tiere  befallen  werden,  ausgeübt  hat. 
Zu  dieser  ungeheuren  Aufgabe  steht  mir  nicht 
die  genügende  Zeit  zur  Verfugung.  Ich  werde 
mich  daher  nur  darauf  beschränken,  die 
großen  Linien  der  Entwicklung  der  modernen 
Hygiene,  welche  sich  auf  die  Entdeckungen 
der  Parasitenlehre  stützt,  vorzuführen. 

Als  man  sich  am  Anfange  auf  die  Ent- 
deckung des  spezifischen  Agens  der  Krank- 
heiten beschränkte,  war  man  nahe  daran, 
einen  falschen  Weg  einzuschlagen.  Der 
Parasit  war  alles,  der  Organismus 
nichts.  Ein  Parasit  braucht  nur  in  den 
Organismus  einzudringen,  um  in  demselben 
unfehlbar  die  Entwicklung  einer  Krankheits- 
form zu  bewirken.  Gegen  eine  derartige  An- 
schauung erhob  zuerst  Max  von  Petten- 
kofer,  der  Altmeister  der  Hygieniker,  seine 
Stimme.  Der  Organismus  könnte  nicht  passiv 
sein,  sondern  müßte  den  Kampf  mit  dem 
Krankheitserreger  aufnehmen.  Hieraus  ergab 
sich  alsdann  das  Studium  der  individuellen 
Widerstandsfähigkeit  und  der  Immunität. 
Zahlreiche  Laboratoriums  versuche  haben  ge- 
zeigt, daß  die  verschiedenen  Organismen  die 
Fähigkeit  besitzen  können,  gegen  den  para- 
sitären Eindringling  zu  kämpfen,  ihm  in 
vielen  Fällen  das  Leben  sauer  zu  machen 
und  seine  Entwicklung  zu  hemmen.  Dieser 
Kampf,  der  durch  die  direkte  Einwirkung 
bestimmter  Zellen,  der  Phagozyten,  entsteht, 
welche  mehrere  parasitäre  Erreger  umgeben, 
aufschlucken  und  auflösen,  und  besonders 
durch  die  Tätigkeit  von  Zellensekretionen, 
welche  die  toxischen  Produkte  der  Parasiten 
vernichten  (antitoxische  Kraft),  oder  den  Para- 
siten selbst  auflösen  können  (bakterizide  Kraft), 
kann  durch  die  Aktion  einer  Anzahl  von  Ur- 
sachen, die  auf  den  Organismus  einwirken,  be- 
günstigt oder  gehemmt  werden.  Man  beob- 
achtete in  der  Tat,  daß  Mangel  an  Luft  und 
Licht,  unzureichende  Ernährung,  körperliche 
oder  moralische  Erschütterungen,  exzessive  Er- 
müdung, gewisse  physiologische  Zustände  wie 
Schwangerschaft  und  Dentition,  manche  Stoffe 
wie  Alkohol  und  Essenzen  in  starker  Dosis 
u.  8.  w.  eine  solche  Depression  der  Ver- 
teidigungsmittel des  Organismus  bewirken, 
daß  mitunter  selbst  sehr  abgeschwächte  para- 
sitäre Erreger  zur  Entwicklung  einer  Krank- 
heit Veranlassung  werden  konnten  bei  Orga- 
nismen, die  der  Aktion  der  oben  erwähnten 
Ursachen  ausgesetzt  waren,  dagegen  blieben 
sie  ohne  Einfluß  auf  normale  Individuen.  .So 
sind  beispielsweise  die  Tauben  unter  nor- 
malen Verhältnissen  unempfänglich  für  den 
Milzbrand;  aber  sie  werden  von  ihm  befallen, 


wenn  man  sie  hungern  läßt.  Weiße  Ratten 
können  bei  starker  Arbeit  milzbrandig  ge- 
macht werden  mittels  Kulturen,  die  ohne 
Wirkung  auf  ruhende  Ratten  bleiben.  Meer- 
schweinchen und  Kaninchen  fallen  nach 
Einimpfung  des  Koch  sehen  Bazillus  an 
einem  dunklen  und  feuchten  Ort  in  größerer 
Anzahl  der  Tuberkulose  anheim  als  solche 
Tiere,  die  in  Freiheit,  in  der  frischen  Luft, 
an  der  Sonne  gelassen  worden  sind. 

Aus  diesen  Untersuchungen  zog  die 
Hygiene  sehr  wichtigen  Schlüsse.  Sie  zog 
gegen  die  überfüllten  Wohnungen,  zu  denen 
weder  Luft  noch  Sonne  Zutritt  hatte,  zu 
Felde.  Sie  reglementierte  die  Arbeit  in  den 
Fabriken  durch  Verbesserung  ihrer  Bauart 
und  Verminderung  der  Arbeitsstunden.  Sie 
trat  gegen  die  Überbürdung  in  den  Schulen 
auf;  verlangte  Gesetze  zum  Schutze  der  Ar- 
beiterinnen während  der  letzten  Periode  der 
Gravidität  und  einiger  Wochen  nach  dem 
Wochenbette.  Sie  kämpfte  energisch  gegen 
die  Verteuerung  der  für  den  Menschen  not- 
wendigsten Nahrungsmittel  und  unterstützte 
den  Kampf  gegen  den  übermäßigen  Alkohol- 
genuß. 

Aber  die  Parasitenlehre  zeigte  uns  nicht 
nur  den  Einfluß  der  prädisponierenden  Ur- 
sachen, sondern  sie  gab  auch  der  sehr  alten 
Lehre  von  der  Möglichkeit,  die  Widerstands- 
fähigkeit gegen  die  Parasiten  zu  erhöhen, 
eine  wissenschaftliche  Grundlage.  Schon  in 
den  ältesten  Zeiten  war  die  Beobachtung  ge- 
macht worden,  daß  Personen,  die  bestimmte 
Krankheiten  durchgemacht  hatten,  beim  Auf- 
treten einer  neuen  Epidemie  unversehrt 
blieben.  Die  Chinesen  waren  die  ersten, 
welche  in  künstlicher  Weise  eine  derartige 
Immunität  schufen.  Sie  inokulierten  nor- 
malen Individuen  Krusten  von  Variola,  und 
diese  Individuen  wurden  zumeist  von  leichten 
Blattern  befallen  und  vor  schwerer  Variola 
bewahrt.  Im  18.  Jahrhundert  beseitigte 
Jenner  jede  Gefahr  dieser  Methode  dadurch, 
daß  er  die  Variolakrusten  durch  die  Lymphe 
der  Kuhpockenpusteln  oder  Cowpox  ersetzte. 
Dieselbe  darf  als  eine  spontan  abgeschwächte 
und  durch  wiederholte  Übergänge  auf  die 
Rindergattung  modifizierte  Variola  angesehen 
werden. 

Die  Lösung  der  hauptsächlichsten,  fast 
einzigen  Aufgabe  soll,  wie  Chauveau  her- 
vorgehoben hat,  darin  bestehen,  daß  die  vor- 
beugenden Impfungen  sicher  und  beständig 
einen  gutartigen  Charakter  erhalten.  Wenn 
nun  Jenner  die  Lösung  dieses  Problems 
eingeleitet  hätte,  hätten  die  Parasitologisten 
ihn  Riesenschritte  machen  lassen  müssen. 
Beim  Experimentieren  mit  den  Bakterien, 
konnten   sie  feststellen,    daß   es  möglich  ist, 

21* 


J 


280 


Galli-Valerio,  Entdeckungen  d«r  Faraaitologte. 


fTherapMtiKha 
L   Monatduft«. 


mittels  verschiedener  Kunstgriffe  eine  harm- 
lose Bakterie  pathogen  zu  machen  oder  die 
Virulenz  einer  pathogenen  Bakterie  abzu- 
schwächen und  sogar  zum  Verschwinden  zu 
bringen.  Sie  konstatierten  sogar,  daß  in 
manchen  Fällen  ein  Virus  nur  verdünnt  oder 
in  geringer  Menge  inokuliert  zu  werden 
braucht,  um  nicht  die  Krankheit,  sondern 
die  Immunität  zu  veranlassen,  und  daß  in 
anderen  Fällen  durch  Einimpfung  eines  sehr 
aktiven  Virus  in  irgend  einen  Körperteil  das- 
selbe Resultat  erzielt  werden  kann. 

Eine  noch  interessantere  Entdeckung 
wurde  durch  Behring  und  Kitasato  ge- 
macht. Diese  beiden  Forscher  zeigten,  daß 
man  von  Tieren,  denen  sukzessive  Impfungen 
der  toxischen  Bakterienabsonderungen  ge- 
macht worden  waren,  ein  Serum  erhalten 
kann,  das  ein  mit  den  Toxinen  infiziertes  Tier 
heilt,  oder  ein  normales  Tier  nach  der  In- 
okulation vor  der  Infektion  durch  dieselben 
Toxine  bewahrt.  —  Dieselbe  Tatsache  wurde 
darauf  festgestellt,  als  man  den  Tieren  nicht 
mehr  die  Toxine,  sondern  Bakterien  inoku- 
lierte. In  dem  ersten  Falle  hatte  man  das 
antitoxische  Serum,  in  dem  zweiten  das  bak- 
terizide Serum.  —  Die  Hygiene  machte  sich 
sofort  die  Wichtigkeit  dieser  Entdeckungen 
zunutze  und  verwendete  die  Vaccination 
in  dem  Kampfe  gegen  mehrere  parasitäre  Er- 
krankungen. Zu  diesem  Zwecke  machte  sie 
sich  nutzbar:  1.  die  Inokulation  des  Virus 
selbst  in  irgend  einen  Teil  des  Körper» 
(Vaccination  gegen  die  Peripneumonie  der 
Rinder  mittels  subkutaner  oder  intravenöser 
Inokulation;  gegen  die  Schafblattern  mittels 
subkutaner  Impfung);  2.  die  Inokulation  eines 
Virus,  das  durch  Übergang  auf  gewisse  Tier- 
arten abgeschwächt  ist  (Impfung  gegen  die 
Variola  des  Menschen  mit  Cowpox);  3.  die 
Inokulation  des  durch  die  Hitze  abge- 
schwächten Virus  (Impfung  gegen  Cholera, 
Typhus,  Beulenpest,  Milzbrand  u.  s.  w.); 
4.  die  Inokulation  durch  Altwerden  und  Ein- 
fluß der  Luft  (Impfung  gegen  die  Hundswut 
nach  Biß) ;  5.  die  Inokulation  mit  verdünntem 
Virus  (Impfung  gegen  Hundswut  nach  Biß); 
6.  die  Inokulation  von  Serum  immunisierter 
Tiere  (Impfung  gegen  Diphtherie,  Tetanus, 
Bubonenpest  u.  s.  w.). 

Die  Parasiten  lehre  bemühte  sich  auch  zu 
ergründen,  in  welchen  Medien  die  Parasiten 
sich  außerhalb  des  Organismus  entwickeln, 
welches  ihr  Entwicklungsmodus  ist,  welches 
die  Wege  der  Ausbreitung  uud  des  Ein- 
dringens in  den  Organismus  sind,  mit  welchen 
Mitteln  diese  Parasiten  vernichtet  werden 
können.  Und  die  Hygiene  hat  aus  diesen 
wichtigen  Forschungen,  äußerst  praktische 
Anwendungsweisen  für  den  Kampf  gegen  die 


parasitären  Krankheiten  gewonnen.  Einige 
Beispiele  sollen  das  zeigen.  Die  von  v.  Sie- 
bold, van  Beneden  und  Küchenmeister 
angebahnten  Studien  über  die  Entwicklung 
der  Würmer  des  Menschen  und  der  Tiere 
zeigten,  daß  mehrere  von  diesen  Würmern 
in  dem  Körper  irgend  einer  Spezies  im 
Larvenzustand  leben,  und  daß  man  diese  ge- 
fährlichen Schmarotzer  durch  Einführung  mit 
den  Nahrungsmitteln  akquirieren  kann.  So 
bekommt  beispielsweise  der  Mensch  Taenia 
solium,  wenn  er  Schweinefleisch  genießt,  das 
Cysticercus  cellulosae,  die  Larve  dieser  Tänie, 
enthält;  er  bekommt  Taenia  saginata  infolge 
des  Genusses  von  Rindfleisch,  das  C.  bovis 
enthält;  er  bekommt  den  an  den  Ufern  des 
Genfersees  so  häufigen  Bothryocephalus  latus, 
wenn  er  Quappen  und  Barsche  genießt,  welche 
die  Larve  dieses  Bandwurms  beherbergen; 
er  zieht  sich  die  Trichinenkrankheit  zu,  wenn 
er  Schweinefleisch  mit  den  Larven  von  Tri- 
china  spiralis  ißt.  —  Die  Hygiene  hat  die 
Ergebnisse  ihrer  Untersuchungen  ohne  Verzug 
für  ihr  praktisches  Handeln  verwertet.  Es 
wurde  die  Besichtigung  des  Fleisches  ange- 
ordnet, und  dasselbe  auf  die  Larven  dieser 
Würmer  untersucht.  Überall,  wo  diese  Unter- 
suchungen ausgeführt  werden,  hat  das  Vor- 
kommen der  Tänien  und  Trichinen  bedeutend 
nachgelassen.  Taenia  solium,  deren  Larve 
leicht  nachzuweisen  ist,  kommt  gegenwärtig  j 
in  den  Städten,  in  denen  das  Fleisch 
untersucht  wird,  äußerst  selten  vor,  und  j 
in  Lausanne  habe  ich  in  den  letzten 
sieben  Jahren  nicht  mehr  ein  einziges  I 
Exemplar  gefunden.  Wo  keine  Untersuchung 
ausgeführt  wird  oder  sich  nicht  gut  aus*  | 
führen  läßt  wie  bei  Fischen,  hat  die  Hygiene 
den  Gebrauch  gut  durchgekochten  Fleisches 
empfohlen,  damit  die  Larven  zerstört  werden. 
—  Neben  diesen  Würmern  mit  Generati* 
altern  ans,  entdeckten  die  Parasitologen,  indem 
sie  an  sich  selber  experimentierten,  daß  an- 
dere Schmarotzer  eine  direkte  Entwicklung 
haben,  d.  h.  ihre  mit  den  Kotmassen  ent- 
leerten Eier  machen  in  den  Exkrementen 
selbst,  im  Wasser,  in  der  feuchten  Erde,  na 
Gemüse  eine  gewisse  Entwicklung  durch, 
welche  bis  zum  Freiwerden  des  Embryo 
gehen  kann,  und  der  Mensch  oder  die  Tiere 
können  sich  infizieren,  indem  sie  diese  Eier 
oder  Embryonen  hinunterschlucken.  So  kann 
z.  B.  der  Mensch  durch  Trinken  schlammigen 
Wassers  und  wahrscheinlich  auch  durch  Ver- 
unreinigung der  Hände  mit  solchem  Wasser 
einen  schlimmen  Parasiten,  Uncinaria  duo- 
denalis,  bekommen,  den  Erreger  einer  sehr 
schweren  Anämie,  welche  in  den  Bergwerken, 
Ziegelfabriken  vorkommt  und  welche  beson- 
ders    im     Gotthardtunnel      geherrscht     haL 


XIX.  Jahrgang. 
Jnni  1905. 


1 


Galli-Val«rio,  Entdeckungen  der  Parasitologie. 


281 


Werden  Eier  von  Askariden,  Oxyuren  oder 
Trichocephalen  aufgenommen,  so  akquiriert  der 
Mensch  A.  lumbricoides,  O.  vermicularis, 
T.  trichiurus,  Parasiten,  die  so  häufig  vor- 
kommen, daß  der  alte  Ausspruch:  Jeder 
Mensch  hat  seinen  Wurm,  tatsächlich  auf 
Wahrheit  zu  beruhen  scheint. 

Infolge  dieser  Feststellungen  verlangt  die 
Hygiene  von  vornherein  den  Gebrauch  ganz 
reinen  Wassers  oder  Aufkochen  oder  Fil- 
trierung desselben,  ferner  die  Verwendung 
gekochter  oder  gut  gewaschener  Gemüse. 
An  manchen  Orten  dürften  die  fäkalen  Aus- 
leerungen keine  Verwendung  für  Gemüse- 
kultur finden.  Es  wurde  häufiges  Reinigen 
der  Hände  und  die  Benutzung  besonderer 
Eimer  zur  Aufnahme  der  Kotmassen  in  den 
Bergwerken  empfohlen.  Die  in  dieser  Weise 
erzielten  Resultate  waren  häufig  sehr  gute. 
Ich  brauche  nur  daran  zu  erinnern,  daß  die 
Uncinaria-Anämie  aus  allen  Bergwerken  ver- 
schwunden ist,  die  die  vorgenannten  Maß- 
nahmen getroffen  haben.  Und  einen  ganz 
ausgezeichneten  Beleg  dafür  fanden  wir  bei 
der  Durchbohrung  des  Simplontunnels ,  wo- 
selbst jetzt  nicht  ein  einziger  Fall  dieser 
Krankheit    zur  Beobachtung    gekommen    ist. 

Die  Parasitologie  stellte  ferner  fest,  daß 
mehrere  Parasiten  nicht  nur  an  sich  selbst 
gefährlich  sind,  sondern  auch  dadurch,  daß 
sie  die  Inokulationsträger  von  anderen  Para- 
siten sein  können.  —  Manson  hat  dieses 
zuerst  gezeigt  bei  Filaria  Bancrofti,  deren 
im  Blute  des  Menschen  zirkulierende  Em- 
bryonen durch  die  Stiche  der  Mücken  von 
der  Gattung  Culex  aufgesogen  und  nach 
Durchmachung  einer  bestimmten  Entwicklung 
normalen  Individuen  überimpft  werden.  Roß 
stellte  fest,  was  gleich  darauf  von  Grassi 
bestätigt  wurde,  daß  die  Protozoen  der  Ma- 
laria des  Menschen  nach  Absorption  durch 
Mücken  von  der  Gattung  Anopheles  in  letz- 
teren einen  Evolutionszyklus  durchmachen, 
nach  welchem  die  Mücke  dieselbe  auf  die 
von  ihr  gestochenen  Personen  übertragen 
kann.  In  ähnlicher  Weise  konstatierte  man, 
daß  Mücken  von  der  Gattung  Stegomyia  das 
gelbe  Fieber  übertragen,  daß  die  Protozoen 
der  Malaria  der  Rinder,  des  Hundes,  der 
Schafe  durch  die  Zecken  und  die  Trypa- 
nosomen durch  den  Stich  der  Flöhe  oder 
der  Fliege  Tse-Tse  übertragen  werden. 

Diese  Erfahrungen  haben  zu  wichtigen 
Maßnahmen  in  bezug  auf  die  Prophylaxe 
geführt.  Es  sei  nur  auf  das  Bestreben  hin- 
gewiesen, die  Mücken  dort,  wo  Malaria  und 
gelbes  Fieber  vorkommt,  zu  vernichten.  Man 
hat  dieselben  in  den  Sumpfgegenden  in  Ge- 
stalt der  Larven  oder  Nymphen  hauptsäch- 
lich mittels  Petroleum  vertilgt,   man  hat  sie 


in  den  Zimmern  im  entwickelten  Zustande 
durch  Räucherungen  beseitigt;  man  hat  den 
Menschen  gegen  ihre  Stiche  durch  Schleier, 
Handschuhe, und  an  den  Fenstern  angebrachte 
Drahtnetze  zu  schützen  versucht,  damit  sind 
glänzende  Erfolge  erzielt  worden.  Die 
Malaria  hat  abgenommen,  wo  diese  Mittel 
in  Anwendung  gekommen  sind.  Das  gelbe 
Fieber,  welches  seit  1853  auf  der  Insel 
Havanna  einen  beständigen  Herd  bildete, 
kommt  dort  nicht  mehr  vor. 

Das  Studium  der  Bedeutung  der  Mücken 
in  bezug  auf  die  Übertragung  von  Krank- 
heiten brachte  auch  noch  das  Gute,  daß  man 
diesen  Dipteren  auch  größere  Beachtung  wid- 
mete und  sie  als  die  möglichen  Ursachen 
mancher  Formen  von  Anämie  ansah,  da  sie 
beständig  Blut  saugen  und  die  Ruhe  rauben. 
Daher  sind  diese  Parasiten,  welche  so  lange 
als  ein  notwendiges  Übel  angesehen  wurden, 
selbst  in  den  Gegenden,  die  frei  von  Malaria 
und  Gelbfieber  sind,  energisch  vernichtet 
worden.  Auf  diese  Weise  wurden  große 
Landstriche  bewohnbar,  die  vorher  wegen 
des  Vorkommens  zahlloser  Moskitos  als  un- 
bewohnbar angesehen  wurden.  —  Von  nicht 
geringerem  Nutzen  war  für  die  Hygiene  die 
Erforschung  des  Lebens  und  der  Fort- 
pflanzungsweise der  pflanzlichen  Parasiten. 
Die  vergleichende  Parasitologie  stellte  fest, 
daß  bei  Menschen  und  Tieren  vorkommende 
Krankheiten  identisch  oder  einfache  Varietäten 
sind  und  von  der  einen  Spezies  auf  die  an- 
dere entweder  durch  Kontakt  oder  durch 
Genuß  von  Fleisch  oder  Milch  übergehen 
können.  Hierher  gehört  der  Rotz,  eine  bak- 
terielle Erkrankung  der  Pferde,  die  sich  mit 
größter  Leichtigkeit  durch  Kontakt  auf  den 
Menschen  überträgt;  ferner  die  Tuberkulose 
der  Rinder,  die,  ohne  absolut  identisch  zu 
sein,  besonders  durch  Vermittelung  der  Milch 
auf  den  Menschen  übergehen  kann;  der  Milz- 
brand, welcher  infolge  der  unbedeutendsten 
Verletzung  vom  Tiere  auf  den  Menschen, 
die  Beulenpest,  welche  von  den  Ratten  auf 
den  Menschen  übertragen  werden  kann  u.  s.  w. 

Indem  sie  sich  auf  diese  Erfahrungen 
stützte,  empfahl  die  Hygiene  die  Beschlag- 
nahme und  Tötung  der  vom  Rotze  befallenen 
Tiere,  die  Vernichtung  der  an  Milzbrand  ein- 
gegangenen Tiere  und  die  Desinfizierung  der 
etwa  von  denselben  herkommenden  Felle, 
ferner  empfahl  sie  Probeinjektionen  mit 
Tuberkulin  bei  Kühen,  die  zur  Milchproduk- 
tion bestimmt,  und  den  Gebrauch  aufgekochter 
Milch,  hauptsächlich  bei  Kindern;  außerdem 
die  Vernichtung  des  Fleisches  von  stark 
tuberkulösen  Tieren  und  die  Vertilgung  der 
Ratten  in  den  Städten  und  auf  den  Schiffen, 
welche  von  der  Pest  befallen  oder  bedroht  sind. 


282 


Galll-Valcrlo,  Entdeckungen  der  Parmiitologi«. 


rherapeaüaehe 
Monatshefte. 


Die  Parasitenlehre  stellte  auch  fest,  daß 
manche  pflanzlichen  Parasiten  wie  Asper- 
gillus fumigatus  und  Actinomyces  bovis 
mit  von  Pflanzen  herrührendem  Staube  in 
den  Organismus  eingeführt  werden  können, 
und  die  Hygiene  nahm  den  Kampf  gegen 
den  Staub  hauptsächlich  in  den  Mühlen  auf 
durch  Bedecken  der  Maschinen  und  Anbrin- 
gung von  Aspiratoren. 

Für  andere  Affektionen  wie  für  die 
Tuberkulose  und  Pneumonie  etc.  erkennt  man 
als  Ursache  die  Verbreitung  der  Keime 
durch  den  getrockneten  Auswurf  oder  Speichel- 
tröpfchen, und  die  Hygiene  empfahl,  nicht 
auf  die  Erde  zu  speieu,  sondern  in  mit  anti- 
septischer Flüssigkeit  gefüllte  Spucknäpfe, 
damit  die  einzelnen  Partikelchen  nicht  in  der 
Luft  umher  fliegen  etc. 

Gegen  andere  bakterielle  Krankheiten 
wie  Typhus,  Cholera  etc.,  die  häufig  durch 
Wasser  übertragen  werden,  begann  die 
Hygiene  den  Kampf,  indem  sie  die  Städte 
mit  reinem  Wasser  versorgte,  das  Wasser 
filtrieren,  aufkochen  oder  durch  Ozod  steri- 
lisieren ließ.  Städte,  welche  diese  Maß- 
nahmen trafen,  erfreuten  sich  oft  einer  er- 
heblichen Abnahme  des  Typhus,  und  die 
Cholera  konnte  in  denselben  nicht  festen  Fuß 
fassen.  So  trat  beispielsweise  während  der 
Epidemie  von  1892  in  Altona,  dessen  Be- 
wohner das  filtrierte  Wasser  der  Elbe  tranken, 
kein  einziger  Cholerafall  auf,  während  Ham- 
burg, wo  man  dasselbe  Wasser  unfiltriert  be- 
nutzte, eine  sehr  große  Anzahl  von  Fällen 
aufzuweisen  hatte. 

Es  wurde  auch  die  Möglichkeit  einer 
Verbreitung  der  bakteriellen  Erkrankungen 
mittels  anderer  Parasiten  in  Betracht  ge- 
zogen. So  stellte  man  z.  B.  die  wichtige 
Rolle  der  Fliegen  bei  der  Verbreitung  der 
Cholerabazillen,  der  Tuberkulose,  des  Milz- 
brandes, des  Typhus  etc.  fest.  Die  Hygiene 
gab  daher  den  Rat,  die  Materialien,  in  denen 
die  genannten  Bakterien  enthalten  sein  können 
(Sputum,  Kotmassen,  Urin  etc.),  und  die 
Nahrungsmittel,  auf  welche  sie  sich  setzen 
könnten,  vor  diesen  Dipteren  zu  schützen; 
ebenso  wurde  empfohlen,  die  Zimmer,  in 
denen  Sektionen  ausgeführt  werden,  mit 
schützenden  Drahtnetzen  zu  versehen. 

Experimentelle  Untersuchungen  der  Para- 
sitologie,  ließen  die  verschiedenen  Grade  der 
Widerstandsfähigkeit  der  parasitären  Erreger 
gegenüber  den  physikalischen  und  chemischen 
Vernichtungs Ursachen  erkennen.  Die  Hygiene 
zog  ihren  Nutzen  aus  denselben,  um  zuver- 
lässige Ratschläge  erteilen  zu  können  be- 
züglich des  vorzunehmenden  Desinfektions- 
verfahrens für  die  Zimmer,  die  Exkremente 
und     die    den    Kranken    gehörenden    Gegen- 


stände. Neuerdings  hat  sie  sogar  die  Des- 
infektion des  Kranken  selbst  vorgenommen, 
indem  sie  die  Parasiten  im  Innern,  die  daselbst 
noch  nach  der  Genesung  verweilen  und  eine 
Gefahr  für  die  normalen  Individuen  bedingen 
können,  vernichtet.  So  setzt  man  z.  B.  bei 
den  Malariakranken  noch  nach  dem  Aufhören 
der  Fieberanfälle  die  Chininbehandlung  fort, 
um  die  Gameten,  welche  zur  Infektion  mit 
neuen  Anopheles  dienen  könnten,  vollständig 
zu  vernichten.  Man  setzt  die  Desinfektion 
des  Mundes  der  Diphtheriekranken  noch  nach 
der  Genesung  fort,  ebenso  wie  die  des  Ver- 
dauungsapparates der  Typhösen  während  der 
ganzen  Rekonvaleszenz. 

In  bezug  auf  die  allgemeine  Prophylaxe 
haben  die  Studien  der  Parasitenlehre  eine 
vollständig  neue  Orientation  gegeben.  Die 
unsinnigen  Quarantänen  von  unbegrenzter 
Dauer,  sind  in  eine  Beobachtungsperiode  um- 
gewandelt worden,  die  nicht  die  Inkubations- 
dauer irgend  welcher  Krankheit  überschreitet; 
die  sanitären  Absperrungen,  welche  jeden 
Handel  hemmten  und  mehr  gefährlich  als 
nützlich  waren,  sind  in  den  zivilisierten 
Ländern  beseitigt  und  durch  die  einfache 
Beobachtung  und  Desinfektion  an  der  Grenze 
ersetzt  worden. 

Diese  neue  Prophylaxe  hat  den  Ländern 
bedeutende  ökonomische  Verluste  erspart  und 
gleichzeitig  die  Verbreitung  schwerer  Epi- 
demien verhindert.  Das  schnelle  Erlöschen 
der  in  den  letzten  Jahren  in  Europa  ent- 
flammten Pestherde,  dient  als  schlagender 
Beweis. 

Aber  die  Studien  der  Parasitenlehre 
sollten  für  die  Hygiene  nicht  nur  in  bezug 
auf  die  Prophylaxe  von  Nutzen  sein,  sie 
mußten  ihr  auch  wichtige  Aufschlüsse  über 
andere  die  öffentliche  Gesundheitslehre  be- 
treffende Fragen  bieten.  So  verdankte  man 
ihnen  den  Nachweis  von  dem  Vorkommen " 
von  Bakterien,  welche  die  Verdauung  pflanz- 
licher Nahrungsmittel  unterstützen,  so  daß  das 
Leben  mittels  vollkommen  keimfreier  Nah- 
rungsmittel tierischen  Ursprungs  möglich  ist, 
aber  nicht  mit  sterilisierten  pflanzlichen  Nähr- 
mitteln unterhalten  werden  kann.  Mancher 
gefärbter  Bakterien  wie  B.  prodigiosus  be- 
diente sich  die  Hygiene  zum  Nachweis  der 
Durchlässigkeit  des  Bodens  und  der  Möglich- 
keit einer  Verunreinigung  des  Grundwassers. 
Wenn  diese  Bakterien  auf  die  Oberfläche  des 
Bodens  gebracht  werden  und  schnell  und 
massenhaft  in  die  Quellen  und  Brunnen 
übergehen,  kann  jeden  Augenblick  der 
Ausbruch  einer  Wasserepidemie  befürchtet 
werden. 

Beim  Studium  der  Umwandlung  der  or- 
ganischen Materie   des  Bodens   hat  man  die 


XIX.  J*hrgaag.l 
Juni  1906.     J 


Galli-Valerlo,  Entdeckung«!!  d«r  Parasitologie. 


283 


Wahrnehmung  gemacht,  daß  die  Umwand- 
lung zu  Salpetersalzen  das  Werk  bestimmter 
Bakterien  ist,  und  die  Hygiene  hat  sich  diese 
Erfahrung  zunutze  gemacht,  um  dem  Boden 
oder  den  Bakterienlagern  die  Reinigung  der 
Kloakenflüssigkeiten  zu  überlassen.  —  Bei 
seinen  Untersuchungen  über  die  Ursache  der 
Arsenikvergiftungen  in  den  mit  grünen  Tapeten 
ausgekleideten  Zimmern  fand  Gosio,  daß 
dieselbe  auf  der  Entwicklung  des  Peni- 
cillium  brevicaule  beruhe,  eines  Schimmel- 
pilzes, der  die  Arsenverbindungen  zerlege 
und  Arsine  mit  starkem  Knoblauchgeruche 
in  Freiheit  setze.  Diese  Eigenschaft  des 
P.  brevicaule  wurde  sofort  von  der  Hygiene 
benutzt,  um  die  Gegenwart  ganz  minimaler 
Spuren  von  As  (ein  tausendstel  Milligramm) 
in  Tapeten,  Stoffen  und  Nahrungsmitteln  u.  s.w. 
nachzuweisen.  Die  Hygiene  hat  also  von  der 
Parasitologie  nicht  allein  gelernt,  den  Kampf 
gegen  die  Parasiten  aufzunehmen,  sondern  sie 
hat  es  auch  verstanden,  einige  von  diesen 
Mikroorganismen  im  Interesse  der  Menschheit 
nutzbar  zu  machen. 

Indem  sie  sich  auf  die  Parasitologie  stützte, 
hat  die  Hygiene  der  öffentlichen  Gesundheit 
ungeheure  Dienste  geleistet.  Überall,  wo  sie 
sich  entwickelt  hat,  ist  die  Mortalität  herunter- 
gegangen. Ich  brauche  nur  einige  vergleichende 
Ziffern  bezüglich  derjenigen  Länder  anzuführen, 
in  denen  die  Hygiene  zu  hoher  Blüte  gelangt 
ist,  und  andere  Länder,  wo  das  weniger  der 
Fall  ißt.  In  England  beträgt  die  Mortalität 
18,9  %o,  in  Rußland  36,6  °/oo.  In  London 
beziffert  sich  die  allgemeine  Mortalität  auf 
18,8  7<o,  in  Paris  auf  20,6  V  Die  Sterb- 
lichkeit an  Tuberkulose  beträgt  in  London 
1,95  °/oo,  in  Paris  4,01  °/oo.  In  Brighton 
zählt  man  jährlich  1 1  Todesfälle  an  Typhus, 
und  in  dem  weniger  bevölkerten  Havre  gab 
es  deren  326;  in  Devonport,  einer  Stadt  mit 
168  000  Einwohnern,  jährlich  13  Todesfälle 
an  Typhus,  während  Toulon  mit  93  000  Ein- 
wohnern 118  derartige  Fälle  aufzuweisen  hat. 

Nicht  ohne  Mühe  und  Opfer  ist  es  der 
Hygiene  in  Verbindung  mit  der  Parasitologie 
gelungen,  ihre  Erfolge  zu  erringen.  So 
manche  Forscher  sind  mitten  in  der  Epidemie 
hinweggerafft  worden,  andere  haben  in  ihren 
Laboratorien  Rotz,  Pest,  Tuberkulose  etc. 
akquiriert  und  noch  audere  sind,  wie  Reed, 
infolge  der  ungeheuren  Strapazen  bei  der 
Inangriffnahme  des  Kampfes  geJftnMie  para- 
sitären Krankheiten  zugrunde  gegangen. 

Allen  diesen  Helden,  die  ihr  Leben  für 
die  Wissenschaft  und  die  Menschheit  bereit- 
willig in  die  Schanze  geschlagen  haben,  sei 
ein  ehrenvolles  Andenken  bewahrt. 


Aus  der  Inneren  Abteilung  des  Krenkenheuees  Bethanien. 
(Dirig.  Arzt  Prof.  Dr.  Zinn.) 

Erfahrungen 

mit  Theocin.  natrio-aceticum 

und  mit  Citarin. 

Von 
Dr.  H.  Laengnor,  Assistenzarzt  der  Abteilung. 

Unter  den  in  neuerer  Zeit  in  den  Handel 
gebrachten  Diureticis  spielen  das  Theocin 
(Theophyllin)  und  seine  Salzte  eine  große 
Rolle.  Über  das  reine  Theocin  ist  man 
wohl  jetzt  allgemein  der  Ansicht,  daß  es  ein 
gut  wirksames  Diureticum  ist,  wie  in  jüngster 
Zeit  namentlich  aus  den  Arbeiten  von  Alk  an 
und  Arnheim  im  Januarheft  1904  der 
therapeutischen  Monatshefte  und  derjenigen 
von  L.  Loewenmeyer  im  Aprilheft  der 
Therapie  der  Gegenwart  hervorgeht.  Aller- 
dings scheint  es  keineswegs  frei  zu  sein  von 
bisweilen  recht  unangenehmen  Nebenwirkun- 
gen wie  Übelkeit  und  Erbrechen,  wie  auch 
letzthin  M.  Hackl  in  dem  obengenannten 
Heft  der  Therapie  der  Gegenwart  berichtet. 

Wir  selbst  sahen  bei  Anwendung  des 
reinen  Theocins  in  Dosen  von  2  resp.  3  X  0,25 
bei  einem  Fall  von  Nephrit,  chron.  parench. 
und  einem  Fall  von  Lebercirrhose  zwar  keine 
der  genannten  Nebenwirkungen,  aber  auch 
nicht  die  geringste  Steigerung  der  Diurese. 
Alk  an  und  Arnheim  berichteten  nun 
am  Schlüsse  ihrer  Arbeit  über  das  reine 
Theocin  und  das  Theocin-natrium ,  daß  sie 
in  3  Fällen  von  Myokarditis  auch  von  einem 
zweiten  Salz  des  Theocin,  dem  Theocin. 
natrio-aceticum,  welches  ebenfalls  von  der 
Firma  Bayer  &  Co.,  Elberfeld,  in  den  Handel 
gebracht  wird,  günstige  Erfolge  gesehen 
hätten.  Da  sowohl  in  dieser  Arbeit,  wie 
in  der  von  Meinertz  (Therap.  Monatshefte, 
Juni  1904)  das  Theocin.  natrio-aceticum  ge- 
wissermaßen nur  nebenher  erwähnt  wird,  so 
sei  es  mir  gestattet,  unsere  wenigen  Erfah- 
rungen über  dieses  Präparat  kurz  mitzuteilen. 

Im  ganzen  konnten  wir  es  in  14  Fällen 
benutzen.  Bei  einem  Fall  von  Lebercirrhose, 
einem  Fall  von  chron.  Nephritis  mit  arterio- 
sklerotischer Aorteninsuffiziens,  bei  einer  Myo- 
karditis und  bei  einer  Nephrit,  chron.  parench. 
war  gar  kein  Erfolg  zu  beobachten.  Die  Urin- 
mengen wurden  in  keiner  Weise  günstig  beein- 
flußt, die  Ödeme  bestanden  weiter.  In  einem 
weiteren  Fall  von  chronischer  parenchymatöser 
Nephritis,  bei  dem  es  sich  um  einen  19 jähr, 
jungen  Mann  handelte,  der  lange  vorher  den 
von  Gerhardt  empfohlenen  Digitalis  wein, 
Diuretin  und  Liq.  Kalii  acet.  bekommen  hatte, 
gelang  es  durch  Theocin.  natrio?aceticum  die 
Urinmengen  einmal  von  500  auf  1000,  1200, 
1600  zu  bringen,  ein  zweiter  Versuch  einige 


284 


La«ngner,  Erfahrungen  mit  Th«ocln.  natrio-aceticum  und  mit  Citmrin. 


tTherapeaÜKh« 
Monatshefte. 


Tage   später  mißlang.    Von    zweifellosen  Er- 
folgen greifen  wir  folgende  3  Fälle  heraus. 

Im  erste  n  Fall  handelte  es  sich  um  einen  56 jähr. 
Mann,  B.  M.,  mit  Arteriosklerose  und  Mitralinsuf- 
fizienz. Es  bestand  rechtsseitiger  Hydrothorax  und 
starkes  ödem  der  unteren  Extremitäten.  Die  sub- 
jektiven Beschwerden  des  Kranken  waren  recht 
erhebliche.  Die  Urinmengen  waren  sehr  gering, 
um  400  ccm,  mit  einem  spez.  Gew.  von  1034.  Es 
wurde  zunächst  nach  Punktion  des  Hydrothorax 
4  mal  tägl.  1  Eßlöffel  Digitalisin fus  1,5 :  150,0  ge- 
geben. Danach  stiegen  die  Urinmengen  nicht 
sonderlich  an,  bis  zu  1100,  1600  ccm  mit  spez.  Gew. 
von  1027.  Nachdem  dann  versucht  war  durch 
Tinct.  Strophanthi  und  Diuretin  die  Diärese  zu 
steigern,  wurde  schließlich  Theocin.  natrio-aceticum 
in  Mengen   von   0,4  4  mal  tägl.  zweistündlich    ge- 

5 eben.  Während  das  erstemal  nur  ein  Ansteigen 
er  Urin  mengen  von  500  auf  1300  beobachtet  wurde, 
konnte  das  zweitemal  eine  Zunahme  von  400  auf 
3300  notiert  werden,  ein  Unterschied  also  von 
rund  3  1. 

Die  Diurese  hielt  sich  allerdings  nicht  auf 
dieser  Höhe,  sondern  sank  in  den  nächsten  Tagen 
wieder  auf  1200,  1100,  1900,  doch  erreichte  sie 
nicht  wieder  so  niedrige  Werte  wie  früher,  es 
machte  den  Eindruck,  als  ob  sie  durch  die  Theocin- 
gaben  besser  in  Gang  gekommen  war.  Nach 
4  Wochen  konnte  Pat.  frei  von  Ödemen  und  Trans- 
sudaten das  Krankenhaus  verlassen. 

Der  2.  Fall  war  ein  28  jähr.  Mann,  E.  T.,  mit 
Mitral-  und  Aorteninsuffizienz,  rechtsseitigem  Hydro- 
thorax, starkem  Ascites  und  starken  Ödemen  der 
unteren  Extremitäten.  Der  Puls  war  bei  seinem 
Eintritt  ins  Krankenhaus  sehr  frequent,  klein,  un- 
regelmäßig, zeitweise  aussetzend,  rat.  erhielt  zuerst 
Digitalisinfus,  unter  dessen  Gebrauch  die  Urin- 
mengen ganz  zufriedenstellend:  1000,  1300,  1700, 
2000  mit  spez.  Gew.  von  1024,  1019,  1021  waren. 
Nachdem  dann  noch  kurze  Zeit  Tinct.  Strophanthi 
gesehen  war,  erhielt  Pat.  Theocin.  natrio-aceticum, 
und  auch  hier  konnten  wir  einen  Anstieg  der  Urin- 
mengen von  800  resp.  900  auf  1600,  3200  feststellen. 
Pat  erhielt  dann  später,  nachdem  er  längere  Zeit 
abwechselnd  Digitaliswein  und  Diuretin  gebraucht 
hatte,  noch  einmal  das  Theocinsalz,  und  sofort  stieg 
die  Urin  Sekretion  von  500  auf  1400.  Pat.  ist  frei 
von  Stauungserscheinungen  entlassen  worden. 

Der  3.  Fall  betrifft  schließlich  einen  21  Jahre 
alten  Mann,  St.  T.,  der  seit  '/,  Jahr  an  starken 
Ödemen  litt.  Bei  der  Aufnahme  fand  sich  sehr 
starker  Ascites,  starkes  Anasarka  des  ganzen 
Körpers.  Die  Herzuntersuchung  ergab  keine  krank- 
haften Veränderungen,  dagegen  zeigte  der  Harn 
starken  Eiweißgehalt,  im  Sediment  fanden  sich 
Zylinder  mit  Leukozyten  und  Fettröpfchen  besetzt, 
viel  Leukozyten  und  Epithelien.  Die  Urinmengen 
waren  beim  Eintritt  sehr  gering,  200  ccm,  spez. 
Gew.  1025.  Er  erhielt  sofort  am  2.  Tage  Theocin. 
natrio-aceticum,  wodurch  sich  die  Mengen  auf  1900, 
spez.  Gew.  1015,  hoben.  Nachdem  er  dann  zwei 
Tage  Digitalisinfus  sodann  drei  Tage  Diuretin  mit 
wenig  Erfolg  erhalten  hatte,  wurde  wieder  zum 
Theocin.  natrio-aceticum  gegriffen.  Während  in  den 
vorangegangen  Tagen  500,  600,  800  ccm  entleert 
waren ,  wurden  nun  2700,  3000  ccm  gemessen ,  ein 
Unterschied  also  von  ungefähr  2  1.  Diese  Diurese 
genügte  zwar  nicht,  um  die  bedeutenden  Flüssigkeits- 
ansammlungen völlig  zu  beseitigen,  die  Beschwerden 
des  Kranken  ließen  jedoch  bedeutend  nach,  und  die 
Urinsekretion  blieb  dauernd  eine  zufriedenstellende. 

Wenn  wir  nun  auch  in  keinem  unserer 
Fälle  derartige  Steigerungen  der  Urinsekretion 


beobachten  konnten,  wie  sie  Alk  an  und 
Arn  heim  berichten,  so  kann  man  doch  in 
den  eben  genannten  Fällen  von  einem  un- 
zweifelhaften Erfolge  reden,  bei  denen  die  - 
anderen  Diuretica  zu  versagen  schienen,  oder 
bei  denen  man  gern  einmal  eine  Abwechslung 
eintreten  lassen  wollte. 

Vor  allem  ist  hervorzuheben,  daß  wir  bei 
der  Axt  unserer  Darreichung  in  yier  zwei- 
stündlichen Dosen  ä  0,4  g  nie  unangenehme 
Nebenwirkungen  irgendwelcher  Art,  nament- 
lich kein  Erbrechen,  bflbachteten f). 

Zum  Schlüsse  sei  nachdrücklich  betont, 
daß  diese  wenigen  Beobachtungen  keineswegs 
dazu  dienen  sollen,  den  anderen,  bewährten 
Diureticis  irgendwelchen  Abbruch  zu  tun  und 
dem  Theocin.  natrio-aceticum  ihnen  gegenüber 
einen  Vorrang  einzuräumen. 

Es  soll  nur  die  Anregung  dazu  gegeben 
werden,  in  Fällen,  wo  vielleicht  mit  anderen 
diuretischen  Mittein  wenig  oder  kein  Erfolg 
erzielt  wird,  oder  eine  Abwechslung  erwünscht 
ist,  einen  Versuch  mit  diesem  Salz  des 
Theocins  zu  machen,  welches  sich  nach  unseren 
Erfahrungen  schon  öfter  als  ein  die  Diurese 
prompt  steigerndes  Mittel  bewährt  hat  und  auch 
künftig  in  Anwendung  gebracht  werden  wird. 

Ebenso  kann  ich  von  guten  Erfolgen  be- 
richten, die  wir  in  mehreren  Fällen  ?on 
Arthrit.  urica  bei  Anwendung  von  einem 
gleichfalls  von  Bayer  &  Co.  hergestellten 
Präparat  sahen,  dem  Ci tarin.  Es  wurde 
stets  in  Dosen  von  2  g  tägl.  5  mal  gegeben 
und  wirkte  in  dieser  Form  namentlich  bei 
akuten  Anfallen  meist  prompt.  Diese  Wirk- 
samkeit zeigte  sich  besonders  bei  einem 
53  jähr,  sehr  korpulenten  Manne,  der  seit 
10  Jahren  mehreremale  jährlich  von  schweren 
Gichtanfällen  befallen  wurde  und  infolgedessen 
starke  chronische  Veränderungen  namentlich 
der  Knie-,  Hand-  und  Fingergelenke  zeigte. 
Dies  in  Verbindung  mit  seinem  hohen  Körper- 
gewicht beeinträchtigte  die  Beweglichkeit  des 
Mannes  außerordentlich. 

Er  suchte  im  akuten  Anfall  das  Kranken- 
haus auf.  Dieser  ging  unter  Citarin  rasch 
zurück  und  bei  weiterer  Anwendung  besserten 
sich  die  chron.  Veränderungen  auch  so,  daß 
er  viel  größere  Beweglichkeit  als  seit  langem 
zurück  erlangte  und  seinem  Beruf  wieder 
nachgehen  konnte. 

Irgencl^fche  störenden,  üblen  Neben- 
wirkungen^Jpnen  nie  zur  Beobachtung. 

Citarin  in  seinem  Wert  als  Prophylacticum 
kennen  zu  lernen,  wie  Fisch  (Barmen)  oder 


')  Sollten  sich  wirklich  einmal  leichte  Übel- 
keiten einstellen,  so  erwiesen  sich  wenige  Tropfen 
einer  Menthollösung  von  0,1  Menthol  und  15,0  Tinct 
Cort.  Aurant.,  kurz  vor  der  Theocingabe  ge- 
nommen, sehr  nützlich. 


XIX.  Jahrgmag.1 
Jon!  1905.     J 


Sommer,  Mitteilungen  über  Theophyllin. 


285 


als  Mittel,  um  bestehende  Tophi  zu  beseitigen, 
wie  Fertig  (Worms),  hatten  wir  keine  Ge- 
legenheit. 

Jedenfalls  ist  zu  einem  Versuch  mit 
diesem  Präparat  wegen  seiner  vollkommenen 
Unschädlichkeit  und  wegen  seines  verhältnis- 
mäßig geringen  Preises  nur  zu  raten. 


Mitteilungen  über  Theophyllin  auf 
Grund  etaer  Statistik  von  855  Fällen. 

Von 
Dr.  M.  Sommer  in  Mannheim. 

Es  ist  bekannt,  eine  wie  große  Bedeu- 
tung Theophyllin  bereits  als  Diureticum  er- 
langt hat.  Doch  sind  auch,  namentlich  in 
neuerer  Zeit,  vereinzelte  Beobachtungen  mit- 
geteilt worden,  in  denen  im  Anschluß  an 
Theophyllingebrauch  unangenehme  Neben- 
wirkungen aufgetreten  sein  sollen,  ja  so  gar 
Todesfälle  wurden  demselben  zur  Last  gelegt, 
die  einige  Autoren  von  der  weiteren  Anwen- 
dung dieses  Mittels  abhielten.  Im  Bd.  82, 
Heft  l/2  des  Archivs  für  klinische  Medizin 
ist  nun  Schmiedeberg,  der  zuerst  auf  die 
diuretische  Wirkung  des  Theophyllins  hin- 
gewiesen hat,  auf  die  bisher  mitgeteilten 
Fälle  näher  eingegangen,  in  denen  durch  Theo- 
phyllingebrauch bedrohliche  Nebenwirkungen 
vor  allem  Krampferscheinungen  ausgelost 
worden  sein  sollen.  Auf  Grund  pharmako- 
logisch-klinißcher  Erwägungen  und  eigner 
tierexperimenteller  Kontroll  versuche  kommt 
er  zu  der  Überzeugung,  daß  es  sich  bei 
der  Entstehung  der  von  den  betreffenden 
Autoren  mitgeteilten  Krämpfe  in  keinem  Fall 
um  Theophyllinwirkungen  gehandelt  haben 
kann. 

Da  die  Zahl  der  Fälle  von  Theophyllin- 
anwendung,  die  sich  in  der  Literatur  ver- 
öffentlicht finden,  bisher  im  Verhältnis  zur 
tatsächlichen  Anwendung  dieses  wertvollen 
Diureticums  nur  eine  geringe  ist,  aber  nur 
ein  wirklich  großes  Material  imstande  ist, 
jedem  Arzt  ein  Urteil  über  die  Zweckmäßig- 
keit, die  Indikationen  und  Nebenwirkungen 
eines  Arzneimittels  zu  ermöglichen,  hat  die 
Firma  C.  F.  Böhringer  und  Söhne,  Mannheim- 
Waldhof,  vor  etwa  2  Jahren  an  eine  große 
Anzahl  von  Ärzten  Proben  von^tteopbyllin. 
pur.,  Theophyllin.-natrium  und^Heophyllin. 
natrio-salicyl.  geschickt.  Ihref^Bitte,  auf 
einem  Fragebogen  die  mit  Theophyllin  ge- 
machten Beobachtungen  mitzuteilen,  ist  von 
den  meisten  entsprochen  worden.  So  ist  ein 
großes  statistisches  Material  über  Theophyllin 
entstanden,  das  die  genannte  Firma  mir  zur 
Bearbeitung  übergeben  hat. 

Th.  H.  it  5. 


Eine  derartige  Massenstatistik  hat  ihre 
Vorzüge  und  Nachteile.  Die  Vorzüge  beruhen 
in  erster  Linie  in  der  nur  auf  diesem  Wege 
zu  erzielenden  Größe  des  Materials  und  darin, 
daß  die  verschiedensten  von  einander  un- 
beeinflußten Beobachter  an  verschiedenem 
Material,  an  günstig  und  ungünstig  liegenden 
Fällen  ihre  Erfahrungen  über  dasselbe  Medi- 
kament sammeln.  Die  fehlende  Einheitlich- 
keit der  Untersuchung  ist  andererseits  freilich 
auch  in  mancher  Beziehung  ein  Nachteil, 
desgleichen  die  manchmal  nicht  absolut  zu- 
verlässige Beobachtung  u.  a.  Aber  es  ist 
wohl  sicher,  daß  bei  einer  derartigen  großen 
Statistik  die  Nachteile  durch  die  Vorteile 
mehr  als  ausgeglichen  werden,  daß  die  ver- 
einzelten Fehler  bei  der  Größe  des  Materials 
nicht  in  Betracht  kommen  und  daß  das  aus 
demselben  gefolgerte  Endresultat  als  ein  zu- 
verlässiges erachtet  werden  kann. 

Nach  Ausscheidung  einiger  Mitteilungen, 
in  denen  die  Beobachtungen  zu  ungenau  waren, 
als  daß  ihre  Verwertung  nach  irgend  einer 
Seite  möglich  gewesen  wäre,  blieben  mir  855 
einzelne  Fälle,  in  denen  Theophyllin  zur  An- 
wendung kam,  und  die  ich  zur  Statistik  ver- 
wenden konnte.  Unter  dieser  Zahl  waren 
421  Männer  und  378  Frauen,  in  56  Fällen 
fehlte  die  Angabe  des  Geschlechts.  Nicht  ohne 
Interesse  ist  das  Alter  der  Patienten,  das  in 
700  Fällen  mitgeteilt  ist.  Es  befanden  sich  im 
Alter  von 

1-5  Jahren  .    .      8  Kranke 
6-10      -        .    .    11 

11-15      -       .    .    17 

16-20      -       .   .    17 

21-80      -       .    .    51 

31-40      -        .    .    68 

41—50      -       .   .  121 

51—60      -        .    .  172 

61-70      -        .    .  146 

71-80      -        .    .    80 

81-90  .   .      9 

Im  ganzen  wurde  Theophyllin  in  653  Fällen 
mit  Erfolg  angewandt,  in  64  Fällen  mit 
relativem  Erfolg  —  darunter  verstehe  ich  ent- 
weder nur  geringe  Steigerung  der  Diurese 
oder  Versagen  der  Wirkung  nach  einigen 
Dosen  —  in  127  Fällen  erzielte  die  Verab- 
reichung von  Theophyllin  keinen  Erfolg. 
Unter  diesen  letzteren  war  in  48  einzelnen 
Beobachtungen  hervorgehoben,  daß  andere 
Diuretica  ebenfalls  ohne  den  geringsten  Er- 
folg, in  3  Beobachtungen  mit  nur  geringem 
Erfolg  gegeben  waren.  Unter  den  Fällen, 
in  denen  mit  Theophyllin  nur  ein  relativer 
Erfolg  erzielt  wurde,  ist  18 mal  bemerkt, 
daß  andere  Diuretica  ebenfalls  nur  eine  geringe 
Wirkung,  7 mal,  daß  sie  überhaupt  keine 
Wirkung  hatten.  Dagegen  ist  in  175  Fällen 
ein  voller  Erfolg  bei  Darreichung  von 
Theophyllin  erzielt  worden,  wo  vorher 

22 


286 


Sommer,  Mitteilungen  Aber  Theophyllin. 


["Therapeutisch* 
L    Monatsheft«. 


andere  Diuretica  gereicht  wurden  und  ent- 
weder wirkungslos  geblieben  waren  oder 
ihre  "Wirkung  verloren  hatten,  110 mal 
ist  angegeben,  daß  mit  Theophyllin  eine 
stärkere  Diurese  erzielt  wurde  als  mit  den 
vorher  gebrauchten  Diureticis.  Es  wirkte 
also  das  Theophyllin  zusammen  in  285  Fällen 
besser  als  andere  Diuretica.  Es  geht  aus 
diesen  Resultaten  hervor,  daß  Theophyllin 
ein  sehr  zuverlässiges,  man  wird  wohl  sagen 
können,  das  sicherste  Diureticum  ist.  Der 
diuretische  Effekt  selbst  wird  meist  als  ein 
ganz  außerordentlicher  geschildert.  Es  wird 
der  Eindruck  von  der  Zuverlässigkeit  dieses 
Mittels  noch  verstärkt,  wenn  man  bedenkt, 
daß  in  den  Fällen  unserer  Statistik  Theo- 
phyllin oft  gerade  in  den  schwersten  Rrank- 
heitszuständen  als  ultimum  refugium  an- 
gewandt wurde.  In  den  Fällen,  in  denen 
es  versagte,  ist  des  öfteren  angegeben,  daß 
der  Fall  ungeeignet  gewesen  sei,  oder  bei  der 
Schwere  der  Erkrankung  ein  Erfolg  überhaupt 
nicht  zu  erwarten  gewesen  wäre.  Bezüglich  der 
Wirksamkeit  der  einzelnen  Präparate  Theo- 
phyllin, purum,  Theophyllin,  natrium  und 
Theophyllin,  natriosalicylic.  ist  ein  wesentlicher 
Unterschied  nicht  zu  konstatieren.  Am  selten- 
sten versagte  Theophyllin-natrium,  am  relativ 
häufigsten  Theophyllin,  natrio-salicylicum. 

Sehr  wichtig  erschien  es,  sich  an  Hand 
dieses  großen  Materials  ein  Urteil  über  die 
Art,  Häufigkeit  und  Schwere  der  bei  Dar- 
reichung von  Theophyllin  zu  beobachtenden 
Nebenwirkungen  zu  bilden.  Wohl  alle  Autoren, 
die  ihre  Erfahrungen  über  Theophyllin  mit- 
geteilt haben,  berichten  über  gelegentliches 
Auftreten  von  Magenbeschwerden,  mitunter 
auch  Kopfschmerzen.  Über  die  Häufigkeit 
dieser  Nebenwirkungen  gehen  die  Ansichten 
auseinander.  Bezüglich  der  Bewertung  der 
bisher  mitgeteilten  Fälle  von  epileptiformen 
Konvulsionen  im  Anschluß  an  Theophyllin- 
Gebrauch  verweise  ich  auf  die  eingangs  er- 
wähnte Arbeit  von  Schmiedeberg.  Übrigens 
hat  sich  auch  Klemperer  in  Heft  8  der 
„Therapie  der  Gegenwart"  1904  speziell 
gegen  die  weitgehenden  ungünstigen  Schluß- 
folgerungen ausgesprochen,  die  Allard  aus 
seinen  2  mitgeteilten  klinischen  Beobachtun- 
gen und  einigen  Tierexperimenten  zieht. 

Sehen  wir,  welche  Nebenerscheinungen  in 
unseren  855  Fällen  beobachtet  sind.  Die 
Ansichten  der  berichtenden  Ärzte  gehen  aus- 
einander je  nach  den  Erfahrungen,  die  sie 
gerade  sammeln  konnten.  Einzelne  schreiben 
begeistert,  daß  das  Theophyllin  sich  von 
anderen  Diureticis  durch  das  Ausbleiben  jeder 
Nebenwirkung  vorteilhaft  unterscheide,  andere 
verwerfen  auf  Grund  von  2  oder  3  Beobach- 
tungen   das  Mittel    wegen    der   dabei  aufge- 


tretenen Nebenerscheinungen  völlig.  Tatsäch- 
lich wird  in  35  Proz.  der  Fälle  über  das 
Auftreten  von  Nebenwirkungen  berichtet. 

2  Arzte  haben  kurz  nach  Darreichung 
des  Theophyllins  Todesfälle  gesehen.  In  dem 
einen  Fall  handelte  es  sich  um  eine  76 jäh- 
rige Frau,'  die  ein  Pulver  Theophyllin  pur. 
wegen  verminderter  Diurese  bei  subakuter 
Nephritis  erhielt,  nachdem  vorher  Digitalis  und 
Kalium  aceticum  ohne  wesentlichen  Erfolg  ge- 
geben waren.  Der  Arzt  berichtet,  „Patientin 
starb  1  Stunde  nach  Verabreichung  der  ersten 
Dosis  an  Herzschwäche,  daher  Wirkung 
nicht  festzustellen."  Augenscheinlich  ist  hier 
der  Todesfall  dem  Theophyllin  nicht  zur 
Last  zu  legen,  auch  aus  den  Worten  des 
Arztes  geht  dies  hervor.  In  dem  anderen 
Falle  handelt  es  sich  um  einen  16jährigen 
Jungen,  der  an  Nephritis  mit  Anasarka  litt. 
Er  erhielt  abends  ein  Pulver  und  morgens 
8l/a  Uhr  ein  zweites  Pulver,  um  9  Uhr  trat 
der  Tod  ein. 

Es  ist  schwer,  aus  diesen  kurzen  Angaben 
zu  entscheiden,  ob  hier  post  hoc  auch  propter 
hoc  ist,  ich  berichte  deshalb  den  Fall  genau 
so,  wie  er  vorliegt.  Daß  eine  plötzliche  Herz- 
lähmung auf  Rechnung  des  Theophyllins  zu 
setzen  sei,  ist  besonders  mit  Rücksicht  auf 
die  allgemein  sehr  günstigen  Erfahrungen 
über  Anwendung  bei  schweren  Herzerkrankun- 
gen  nicht  anzunehmen.  Sonstige  bedrohliche 
Erscheinungen  sind  nicht  berichtet,  insonder- 
heit keine  gastrischen  Störungen  oder  Krämpfe, 
die  etwa  an  die  Fälle  Allards  erinnern 
könnten.  Die  beiden  Todesfälle  sind  übrigens 
wegen  ihrer  Unklarheit  in  der  Statistik  nicht 
mit  berücksichtigt,  ich  glaubte  sie  aber  an 
dieser  Stelle  nicht  übergehen  zu  dürfen. 

3  mal  ist  von  dem  Auftreten  eines  Kollapses 
berichtet  worden.  Bei  einem  72jährigen  Pa- 
tienten mit  Vitium  cordis  trat  nach  5  Gaben 
von  0,3  resp.  0,2  (3  mal  tägl.)  Theophyllin, 
pur.  ein  Kollaps  auf,  sodaß  die  Anwendung 
unterbrochen  werden  mußte.  In  dem  zweiten 
Fall  handelt  es  sich  ebenfalls  um  einen 
72  jährigen  Mann  mit  Herzfehler,  der  1  Stunde 
nach  Einnehmen  des  2.  Pulvers  von  0,3  g 
einen  Kollaps  bekam,  die  diuretische  Wirkung 
war  eine  gute.  Über  einen  3.  Fall  berichtet 
ein  Arzt  nur  ganz  kurz,  daß  bei  einer  Pa- 
tientin mit  Herzfehler  durch  Theophyllin  eine 
sehr  starke  Diurese  erzielt  wurde,  aber  nachts 
ein  Kollags^eintrat.  Durch  einige  dem  Theo- 
phyllin vorausgeschickte  Digitalisgaben  hätten 
sich  diese  Zufälle  vielleicht  vermeiden  lassen. 
Wir  kommen  später  auf  diesen  Punkt  zurück. 

Die  gastrischen  Nebenwirkungen  sind  am 
häufigsten.  In  22  Fällen  ist  das  Mittel  wegen 
Erbrechen,  Durchfall  oder  starker  Übelkeit 
ausgesetzt    resp.    die    weitere  Annahme  ver- 


XIX.  Jahrgang.") 
Jaul  1905.      J 


Somm«r,  Mitteilung«!  Über  Theophyllin. 


287 


-weigert  worden.  Abgesehen  von  den  eben 
erwähnten  Fällen,  sind  Magenbeschwerden 
195  mal  beobachtet  worden,  d.  h.  in  25  Proz., 
und  zwar  14  mal  einfache  Appetitlosigkeit, 
102  mal  allgemeine  Magenbeschwerden  leich- 
terer Art  wie  Übelkeit,  Brechreiz,  Appetit- 
losigkeit, 22  mal  zugleich  mit  Kopfschmerzen, 
57 mal  ist  Erbrechen  aufgetreten,  ohne  daß 
deshalb  die  Medikation  unterbrochen  werden 
mußte.  Zuweilen  trat  nur  bei  den  ersten 
Pulvern  Erbrechen  auf,  die  späteren  wurden 
gut  vertragen,  doch  auch  das  umgekehrte  Ver- 
halten wurde  beobachtet.  16  mal  wird  Durch- 
fall, 1  mal  Stuhlgang,  3  mal  Leibschmerzen  er- 
wähnt. In  Übereinstimmung  mit  den  Angaben 
in  der  Literatur  sind  auch  gelegentlich 
nervöse  Nebenwirkungen  beobachtet  worden. 
3  mal  finden  wir  allgemeine  Mattigkeit,  3 mal 
Schlaflosigkeit,  9  mal  Schlaflosigkeit  mit  all- 
gemeiner Unruhe,  11  mal  einfache  nervöse 
Erregung,  darunter  lmal  mit  Ohnmächten, 
12  mal  Kopfschmerzen,  9  mal  Seh  wind  el- 
empfindungen,  2  mal  krampfartige  Erscheinun- 
gen, die  nicht  näher  geschildert  sind,  2  mal  Zu- 
stände von  Verwirrtheit,  lnml  Urticaria  und 
Kopf  druck.  Es  traten  also  Nebenwirkungen 
nervöser  Art  in  6  Proz.  der  Fälle  auf.  Der 
eine  Verwirrtheitszustand  betraf  einen  6 8 jäh- 
rigen Mann  mit  Arteriosklerose,  dessen  Ödeme 
auf  Theophyllin  prompt  schwanden.  Nach 
der  8.  Gabe  trat  Verwirrtheit  auf,  angeblich 
ll4  Stunde  Sprachverlust,  nach  Aussetzen 
des  Mittels  schnelle  Erholung.  Im  anderen 
Fall  stellte  sich  bei  einer  38jährigen  Frau 
mit  Herzfehler,  deren  Ödeme  ebenfalls  auf 
Theophyllin  günstig  reagierten,  nach  der 
7.  Gabe  plötzlich  ein  Verwirrtheitszustand 
ein,  Patientin  kannte  ihre  Umgebung  nicht, 
verließ  das  Bett  und  fiel  zusammen.  Nach 
3   Stunden  wieder  normales  Befinden. 

Es  muß  also  zugegeben  werden,  daß  tat- 
sächlich ziemlich  häufig  Nebenwirkungen 
beobachtet  worden  sind.  Ein  Todesfall  kann 
dem  Theophyllin  mit  Sicherheit  nicht  zur 
Last  gelegt  werden,  immerhin  mahnen  einige 
Angaben  in  der  Literatur  und  auch  aus  unserer 
Statistik  zu  einer  gewissen  Vorsicht.  Doch 
muß  man  bedenken,  daß  Theophyllin  vor- 
wiegend bei  Patienten  mit  schweren  Herz- 
störungen,  oft  schon  in  vorgeschrittenem  Alter, 
angewandt  wurde,  in  Fällen,  in  denen  plötz- 
liche Kollapse  und  auch  Todesfälle  durchaus 
nicht  zu  den  Seltenheiten  gehören.  Wenn 
trotzdem  die  Zahl  der  Fälle,  in  denen  unan- 
genehme Zufälle  nach  Gebrauch  des  Theo- 
phyllins eintreten,  so  verschwindend  gering 
ist,  kann  man  wohl  das  Theophyllin  zu  den 
relativ  gefahrlosen  Arzneimitteln  rechnen. 
Ich  komme  später  darauf  zurück,  daß  sich 
ein    großer   Teil    der   Nebenwirkungen    auch 


durch  eine  zweckmäßige  Verordnung  vermeiden 
lassen  wird. 

Betrachten  wir  nunmehr  die  Wirkungs- 
weise des  Theophyllins  mit  Rücksicht  auf 
die  verschiedenen  Krankheiten,  bei  denen  es 
angewandt  wurde.  Bezüglich  der  Diagnosen- 
stellung wirkt  die  fehlende  Einheitlichkeit 
der  Beobachtung  natürlich  etwas  störend. 
Indessen  genügt  ja  für  unsere  Zwecke  auch 
eine,  wenn  ich  so  sagen  darf,  gröbere  Diagnostik. 
Ich  ordne  die  Fälle  in  eine  übersichtliche 
Statistik : 


mit 
Erfolg 

relAt. 
Erfolg 

ohne 
Erfolg 

a)  Kardialer  Hydrops: 

1.  Klappenfehler  .    .     . 

2.  Myokarditis,  Koronar- 
sklerose  

3.  Perikarditis .... 

4.  Vitium    cordis    ohne 
nähere  Angabe     .     . 

5.  „Herzschwäche"    .     . 

106 

85 
4 

142 
16 

6 

16 

1 

13 

16 

i 

13 

12 
6 

b)  Renaler  Hydrops: 

1.  akute  Nephritis     .     . 

2.  chronische    Nephritis 

3.  Nephritis  ohne  nähere 
Angabe 

4.  chronische    Nephritis 
and  Herzfehler     .    . 

362 

22 

63 

30 
22 

36 

6 
2 
3 

46 

2 
15 

12 

6 

c)  Hydrops  ohne  nähere  An- 
gabe     

d)  Pleuritis  exsudativa    .     . 

e)  Hydrops  bei  Lebercirrhose 

f)  Emphysem  mit  Hydrops  . 

g)  Hydrops: 

1.  bei  Tuberkulose   .    . 

2.  bei  malignen  Neubil- 
dungen     

h)   Hydrops  bei  verschiedenen 

lu-ankheiten 

i)  Keine  Diagnose  angegeben 

136 

49 
27 
27 
10 

9 

5 

22 

17 

11 

3 
1 

7 
2 

1 

1 
2 

34 

8 
3 
8 
4 

3 

3 

7 
11 

Wie  zu  erwarten  war,  ist  Theophyllin 
am  häufigsten  in  Fällen  von  kardialem 
Hydrops  angewandt.  Unter  352  zum  Teil 
schweren  Fällen  hat  es  dabei  nur  46  mal 
versagt. 

Der  große  Wert  des  Theophyllins  gerade 
in  diesen  Krankheitsfällen  ist  allgemein  an- 
erkannt, dagegen  bestehen  noch  Meinungs- 
verschiedenheiten über  seine  Anwendbarkeit 
bei  der  Nephritis,  speziell  bei  der  akuten 
Nephritis.  Während  sich  Alk  an  und  A  ru- 
he im1)  —  allerdings  wesentlich  auf  Grund 
theoretischer  Erwägungen  —  dahinaussprechen, 
daß  Theophyllin  bei  frisch  entzündlichen  Ver- 
änderungen der  Nieren  kontraindiziert  ist, 
hat  Hundt  unter  7  Fällen  von  akuter 
Nephritis  5  mal  überraschend  guten  Erfolg 
bei  Theophyllin-Anwendung  gesehen,  darunter 


»)  Therapeutische  Monatshefte  1904,  Heft  1. 

22* 


288 


8 o mm  er,  Mitt«Unnf«n  Üb«r  Theophyllin. 


L  Monatshefte. 


befanden  sich  4  Fälle  von  Scharlachnephritis. 
Unsere    Statistik    bestätigt    diese    günstigen 
Erfahrungen    Hundts9).      Ich    werde    wohl 
nicht  fehlgehen,  wenn  ich  alle  in  der  Statistik 
sub„  Renal  er  Hydrops  2,  3  und  4"  aufgeführten 
Fälle  der  chronischen   Nephritis   zuzähle  und 
nur  diejenigen  als  akute  Nephritis  betrachte, 
die  ausdrücklich   als    solche  bezeichnet  sind. 
Unter   den  mir    vorliegenden   Beobachtungen 
sind  nun  gerade  bei  akuter  Nephritis  die  Er- 
folge   des    Theophyllins    auffallend    günstig. 
In   22  Fällen    von    akuter  Nephritis    wurde 
Theophyllin  mit  Erfolg  angewandt  und  dabei 
auch  Verschwinden  des  Eiweißgehaltes  kon- 
statiert.     Es    ist    interessant,    daß    es    sich 
hierbei    auch     6  mal    um    Scharlachnephritis 
handelte.     Nur    2  mal    versagte   Theophyllin 
bei    akuter    Nephritis.      Diese    Mitteilungen 
ermutigen  zu  weiteren  Versuchen.     Ein  end- 
gültiges Urteil  über  die  Verwendbarkeit  des 
Theophyllins  bei  akuter  Nephritis  kann  noch 
nicht  gegeben  werden  und  dürfte  einer  weiteren 
klinischen  Prüfung  vorbehalten  bleiben.    Die 
Erfahrungen   aus  der  Praxis  sprechen  jeden- 
falls  sehr  zu   Gunsten    des   Theophyllins   in 
solchen  Fällen.     Dagegen  kann  ohne  Zweifei 
behauptet     werden,     daß     Theophyllin     bei 
chronischer  Nephritis   ein  unschädliches   und 
sehr    wirksames    Diureticum    ist.     Oft    wird 
auch    in    solchen    Fällen    ein  Rückgang    des 
Prozentgehaltes    an     Eiweiß    erwähnt.      Be- 
merkenswert   sind    ferner   die   guten   Erfolge 
bei  Lebercirrhose  und  besonders  bei  Pleuritis 
exsudativa,    wo    unter    31   Fällen    nur  3  mal 
Erfolg   ausblieb,   sonst  stets  die  Diurese  ge- 
steigert  und  meist   auch   ein  Schwinden  des 
Exsudates   beobachtet  wurde.     Die  unter  h) 
rubrizierten  Fälle  gestatten  auf  die  Indikations- 
stellung keine  Rückschlüsse,  da  bei  den  dort 
zusammengefaßten    Krankheiten    Theophyllin 
nur  in  vereinzelten  Fällen  zur  Anwendung  kam. 
Zum    Schluß    noch    einige    Bemerkungen 
über  die  Dosierung  und  die  geeignetste  Dar- 
reichungsweise   des    Theophyllins.     Es   geht 
aus  vielen  Beobachtungen  unzweifelhaft  hervor, 
daß  bisher  sowohl  die  Einzel-  als  die  Tages- 
gabe   von    Theophyllin    unnötig    hoch  ge- 
nommen  ist.     Es   wird   öfter  berichtet,    daß, 
als    die    anfängliche    Dosis    nicht    vertragen 
wurde,    eine    geringere    gegeben    wurde,   die 
dann    keine    oder    weniger    Nebenwirkungen 
verursachte,  aber  denselben  diuretischen  Effekt 
hatte.     Gerade    mit    Rücksicht    darauf,    daß 
Art    und   Heftigkeit    der    etwa    eintretenden 
Nebenwirkungen  individuell  sehr  verschieden 
sind  —  die  einen  vertragen  selbst  große  Dosen 
anstandslos,   andere  zeigen   schon  bei  relativ 
geringen  Gaben  erhebliche  Empfindlichkeit  — 


')  Therapeutische  Monatshefte  1904,  Heft  4, 


und  in  Anbetracht  des  Umstandes,  daß,  wenn 
auch  nur  in  seltenen  Fällen,  diese  Neben- 
wirkungen einen  unangenehmen  Charakter 
annehmen  können  (Verwirrtheitszustände  etc.), 
wird  es  sich  empfehlen,  die  Anfangsdosia 
niedrig  zu  wählen.  Wird  das  Präparat  ver- 
tragen, und  ist  der  diuretische  Effekt  nicht 
ausreichend,  kann  dann  immer  noch  gestiegen 
werden,  es  wird  aber  wohl  meist  nicht  notig 
sein.  Man  wird  im  allgemeinen  gut  tun,  im 
Beginn  nicht  mehr  zu  geben  als  2  —  3  mal 
0,1  Theophyllin,  pur.  resp.  die  entsprechende 
Menge  der  Salze  und,  wenn  nötig,  mit  der 
Dosis  allmählich  zu  steigen.  Sehr  wichtig 
zur  Vermeidung  von  Nebenwirkungen  ist  es, 
das  Mittel  entweder  in  Solution  zu  verordnen 
oder  die  Pulver  resp.  Tabletten  in  reichlichem 
Wasser  lösen  und  nach  dem  Essen  nehmen 
zu  lassen.  Schmiedeberg  empfiehlt,  von 
einer  Lösung  von  2,25  g  Theophyllinnatrium 
in  300  g  Wasser  (l  Eßlöffel  enthält  0,1  g 
Theophyllin)  anfangs  2  mal  täglich  1  Eßlöffel 
zu  geben.  Höhere  Gaben  als  3  mal  3  Eßlöffel 
werden  kaum  erforderlich  sein.  Bei  derartiger 
Verordnung  wird  sich  ein  großer  Teil  der 
lästigen  Nebenwirkungen  vermeiden  lassen. 
Von  verschiedenen  Seiten  ist  die  Kombination 
mit  Digitalis  empfohlen.  Es  erscheint  dies 
sehr  zweckmäßig,  da  ja  Theophyllin  keine 
exzitierende  Wirkung  auf  das  Herz  ausübt, 
eine  gewisse  Höhe  des  Blutdrucks  aber  nach 
Meinertz  (Therap.  Monatsh.  1903,  Heft  2) 
zum  Zustandekommen  seiner  diuretischen 
Wirkung  notwendig  ist.  Man  wird  auf  diese 
Weise  auch  einem  sonst  vielleicht  auftretenden 
Kollaps  vorbeugen,  doch  ist  dabei  Schmiede- 
bergs  Vorschlag  zu  beachten,  der  empfiehlt, 
die  Digitalis  nicht  gleichzeitig  mit  dem  Theo- 
phyllin zu  verordnen,  sondern  die  Digitalis- 
Darreichung  vorausgehen  zu  lassen,  da  sonst 
die  Digitaliswirkung  erst  nach  der  Theo- 
phyllin Wirkung  eintreten,  dieselbe  also  nicht 
unterstützen  würde.  Um  die  krampf erregen  de 
Wirkung  zu  kompensieren,  hat  Schlesinger 
(Therapie  der  Gegenwart  1903,  Heft  3)  die 
Kombination  des  Theophyllins  mit  Adonis 
vernalis  vorgeschlagen.  Es  wird  dies  jedoch 
nur  selten  nötig  sein.  Auch  die  Anwendung 
in  der  Form  von  Suppositorien  ist  mehrfach 
mit  Erfolg  versucht  worden.  Die  Dauer  der 
Anwendung  ergibt  sich  von  selbst.  Zuweilen 
versagt  die  Wirkung  nach  einigen  Tagen; 
wird  das  Mittel  dann  kurze  Zeit  ausgesetzt, 
so  zeigt  es  meist  seine  frühere  Wirksamkeit. 
Zuweilen  gelingt  es,  durch  kleine  Gaben  die 
Diurese  lange  Zeit  im  Gang  zu  halten,  in 
anderen  Fällen  verliert  es  freilich  auch  mit 
der  Zeit  seine  Wirksamkeit.  Daß  man  unter 
Umständen  selbst  lange  Zeit  Theophyllin 
ohne  Schaden  geben  kann,  geht  aus  mehreren 


XIX.  Jahrganc.1 
Jon!  IQftft.     J 


d«L«H«rpe,  Resultate  der  Fangobehaodlung. 


289 


Beobachtungen  unserer  Statistik  hervor.  Ein 
7  9 jähriger  Patient  erhielt  30  Tage  lang 
Theophyllin  (tägl.  0,3  Theoph.  pur.  resp. 
0,4  Theoph.-nat.  resp.  0,5  Theoph.  natrio- 
salicyl.)  ohne  Störung,  die  vorhanden  ge- 
wesenen Stauungen  blieben  dann  fort.  Ein 
45 jähriger  an  Nephritis  leidender  Patient 
nahm  seit  3  Monaten  ununterbrochen  Theo- 
phyllin, ohne  daß  eine  Abschwächung  der 
Wirkung  eintrat.  .Doch  mögen  derartige 
Fälle  immerhin  zu  den  Ausnahmen  gehören. 


Über  Resultate 

der  Fangobehandlan?  und  über  die 

kombinierte  Sol-  und  Fangokar. 

Von 
Dr.  med.  E.  de  La  Harpe, 

PrWatdozant  der  Balneologie  an  der  Unlrersitlt  Lausanne, 
Ant  am  Salinenbad  in  Bex-les-Bafne.1) 

Die  Fangobehandlung  ist  heutzutage  in 
ihren  Einzelheiten  und  ihrer  Technik  so  gut 
bekannt,  daß  es  wohl  angezeigt  ist,  nur  über 
die  mit  derselben  gewonnenen  Resultate  zu 
referieren.  Die  veröffentlichten  Berichte  sind 
in  dieser  Hinsicht  nicht  übereinstimmend. 
Nach  den  einen  sind  die  Resultate  als  auf- 
fallend gut  zu  bezeichnen,  nach  den  andern 
gehen  sie  nicht  über  diejenigen  hinaus,  die 
man  mit  anderen  Mitteln  erreichen  kann. 
Ich  werde  deshalb  versuchen,  die  Erfolge 
der  Fangotherapie  an  der  Hand  von  Beob- 
achtungen darzustellen,  welche  ich  im  Laufe 
der  letzten  4  Saisons  am  Salinenbad  in 
Bex-les-Bains  gemacht  habe.  Dabei  möchte 
ich  vor  allem  das  durchschnittliche  Resultat 
betrachten  und  weniger  die  glänzenden  exzep- 
tionellen Heilungen  anfuhren,  welche  mit  dem 
Fango  wie  bei  allen  möglichen  Kuren  beob- 
achtet werden,  aber  kein  reelles,  dem  alltäg- 
lichen Leben  entsprechendes  Bild  geben. 

Die  Krankheiten,  bei  welchen  die  Fangokur 
in  Bex  gebraucht  wurde,  lassen  sich  ungefähr, 
wie  folgt,  verteilen,  auf  Hundert:  Rheuma- 
tismus und  Gicht  50.  Nervenkrankheiten  25, 
Phlebitis  2,  chirurgische  Krankheiten  13, 
Frauenkrankheiten  10. 

Rheumatismus. 
Der  Rheumatismus  bildete  also  die  Hälfte 
aller  Falle.  Wir  sahen  ihn  in  seinen  mannig- 
fachsten Modalitäten:  Mono-  oder  polyarti- 
culär,  deformierend,  gichtisch,  subakut  oder 
chronisch.  Ein  gemeinsames  Kennzeichen  be- 
saßen  alle   Fälle,   nämlich,   daß   es   meistens 


')  Nach  einem  in  der  Sitzung  der  Societe 
vaudoise  de  medecine  am  9.  April  1904  gehaltene q 
Vortrage. 


schwere,  veraltete,  hartnäckige  Formen  waren, 
was  die  Aussicht  auf  Heilung  wesentlich 
beeinträchtigte.  Mehrere  Kranke  hatten  schon 
verschiedene  Kuren  durchgemacht  und  kamen 
nun  zum  Fango  als  ultimum  Refugium. 
Dieser  veraltete  Zustand  der  meisten  Fälle 
erklärt  auch,  warum  der  Erfolg  der  Fango- 
behandlung bei  unseren  Rheumatikern  weniger 
gut  als  bei  den  nervösen  Kranken  ausge- 
fallen ist. 

Viele  Kranke  litten  an  deformierendem 
Rheumatismus,  und  dieses  Übel  zeigte 
sich  dem  Fango  gegenüber  ebenso  hartnäckig 
wie  anderen  Behandlungsmethoden.  Wir  haben 
ihn  in  verschiedenen  Formen  beobachtet,  von 
den  leicht  deformierten,  steifen  Fingern  bis 
zu  den  schwereren  Gelenkentstellungen  mit 
Muskelatrophie  und  allgemeinem  Marasmus. 
Bei  einem  Viertel  der  Fälle  ungefähr  war 
eine  wirkliche  Besserung  zu  notieren,  und 
zwar  1.  bei  Rheumatismen,  welche  schon 
mehrere  Gelenke  angegriffen  hatten,  aber 
noch  nicht  veraltet  waren ;  2.  bei  noch  jungen 
Individuen.  Diese  Hartnäckigkeit  des  defor- 
mierenden Rheumatismus  würde  vielleicht 
ihre  Erklärung  darin  finden,  daß  nach  Poncet 
manche  Fälle  als  Gelenktuberkulose  aufzu- 
fassen sind. 

Hat  die  Krankheit  nur  ein  Gelenk,  ein 
Knie  befallen,  hat  sie  wenig  Neigung  zum 
Fortschreiten  und  zur  Bildung  von  allgemeiner 
Dystrophie,  so  hat  die  Fangotherapie  gün- 
stigere Chancen  vor  sich.  Die  Besserung  ist 
allerdings  manchmal  erst  spät  nach  beendigter 
Kur  eingetreten.  Hier  hat  auch  die  Krank- 
heitsdauer eine  entscheidende  Bedeutung. 

An  Gicht  und  gichtischem  Rheuma- 
tismus litten  mehrere  Patienten.  Einige 
kamen  nach  einem  akuten  Anfall,  um  die 
letzten  Spuren  davon  zu  beseitigen;  bei  den 
anderen  war  der  Prozeß  ein  chronischer.  Im 
ganzen  waren  die  Resultate  gut.  Ohne  Zweifel 
haben  hier  die  profusen  Schweiße,  welche  in 
der  Packung  stattfinden,  eine  große  Bedeutung. 

Dieses  Schwitzen  bringt  auch  häufig  das 
Welken  und  Verschwinden  der  Synovialkysten 
hervor,  welche  man  manchmal  bei  Gichtikern 
die  Hand-  oder  Fußgelenksehnen  entlang 
beobachtet.  Diese  Heilung  ist  leider  nur  eine 
scheinbare,  denn  in  kurzer  Zeit  füllen  sich 
die  verfallenen  Kysten  wieder  an. 

Chronischer  Muskelrheumatismus 
bildet  auch  ein  gutes  Feld  für  Fangotherapie, 
z.  B.  chronischer,  rezidivierender  Lumbago, 
Krämpfe  und  Schmerzen  in  den  Muskeln  des 
Beines,  des  Abdomens,  u.  s.  w. 

Nervenkrankheiten. 
Einen  Fall  von  Schreibkrampf  ausgenom- 
men,  waren   alle  Patienten  dieser  Kategorie 


290 


de  La  Harpe,  Resultat«  dar  Paogobabandlucg. 


("Therapeut] 
L   Monatahe 


attehe 
Monatshefte. 


mit  schmerzhaften  Prozessen,  Neuralgien, 
Ischias,  Neuritiden  behaftet. 

Einige  Neurastheniker  und  Hysterische 
machten  auch  die  Kur  durch.  Bei  ihnen 
waren  die  Resultate  so  gut  wie  null.  Es 
handelte  sich  im  allgemeinen  um  schlecht 
lokalisierte,  schon  viele  Jahre  bestehende 
Schmerzen  im  Rücken,  in  den  Armen,  in 
den  Interkostalräumen.  Die  Erfolglosigkeit 
der  Behandlung  ist  bei  diesen  Patienten  um 
so  auffallender,  als  sie  an  eine  spezifische, 
allen  andern  Methoden  überlegene  Wirkung 
des  Fangos  glaubten;  sie  kamen  auch  mit 
dem  festen  Entschluß,  eine  beliebig  große 
Zahl  von  Applikationen  zu  machen,  und 
zweifelten  nicht  an  einer  radikalen  Heilung. 

Bei  der  Ischias  entfaltet  ohne  Zweifel 
der  Fango  seine  schmerzstillende,  heilende 
Kraft  am  deutlichsten.  Es  kam  z.  B.  ein 
Kranker  mit  einer  akuten,  6  Wochen  alten 
Ischias  zu  uns;  kaum  konnte  er  gehen;  er 
bot  die  bei  schweren  Fällen  charakteristische 
Skoliosenstellung  dar.  Nach  10  Fangoappli- 
kationen war  er  vollständig  geheilt  und  er 
ist  seitdem  (2  Jahre)  rezidivfrei  geblieben. 
Achtzehn  Applikationen  haben  auch  dauernde 
Heilung  herbeigeführt  bei  einer  chronischen, 
schon  2  Jahre  bestehenden  Ischias  mit  Muskel- 
atrophie, (in  der  Tat  eine  alkoholische  Neu- 
ritis des  Ischiadicus) ;  dabei  war  der  All- 
gemeinzustand infolge  von  Schmerz,  Schlaf- 
losigkeit und  Alkoholismus  ein  sehr  schlechter. 
Zwischen  diese  extremen  Fälle  reihen  sich 
andere,  mehr  oder  weniger  veraltete:  im 
allgemeinen  war  die  Besserung  rapid  und 
andauernd. 

Neuritis  sahen  wir  2 mal  im  Bereich 
des  Plexus  brachialis,  mit  Schmerzen,  unregel- 
mäßig verbreiteter  Muskelatrophie,  Muskel- 
zittern, u.  s.  w.  Wenn  ein  solcher  Symptomen- 
komplex seit  Jahr  und  Tag  besteht,  wenn 
der  Allgemeinzustand  infolge  der  Schanosig- 
keit  und  der  Schmerzen  sich  progressiv  ver- 
schlechtert hat,  wenn  der  Patient  verschiedene 
Behandlungsmethoden  schon  ohne  Erfolg  durch- 
gemacht hat,  dann  begreift  man,  daß  er  die 
mühsame  Fangobehandlung  mit  Skeptizismus 
unternimmt.  Um  so  glücklicher  ist  er,  wenn 
der  ersehnte  Erfolg  diesmal  nicht  ausbleibt. 
An  einer  solchen  Neuritis  des  linken  Plexus 
brachialis  litt  eine  Dame,  welche  nach  zwei 
Kuren  von  je  20  Fangoapplikationen  geheilt 
wurde.  Das  war  aber  einer  von  diesen 
exzeptionellen  Fällen,  die  ich  am  Anfang 
dieser  Arbeit  erwähnte.  Nicht  so  glänzend, 
aber  immerhin  sehr  gut  war  der  Erfolg  bei 
Neuritis  des  Ulnaris  nach  einem  Fall  vom 
Fahrrad,  der  Interkostalnerven  nach  einer 
Pleuritis,  des  Ischiadicus  nach  einer  Unter- 
schenkelamputation. 


In  den  meisten  Fällen  kam  auch  die 
elektrische  Behandlung  als  Unterstützungs- 
mittel in  Anwendung. 

Bei  neuralgischen  Schmerzen  nach  einem 
Herpes  zoster  des  Thorax,  bei  einer  älteren 
Dame,  blieb  dagegen  die  Fangokur  ohne 
Erfolg. 

Phlebitis. 

Die  sedativen  Eigenschaften  der  warmen 
Fangomasse  wirken  in  sehr  günstiger  Weise 
auf  die  schmerzhaften  Phlebitiden ;  der  Fango 
scheint  auch  eine  zerteilende  Wirkung  auf 
die  verdickte  infiltrierte  Haut  auszuüben. 
Es  handelte  sich  bei  meinem  Patienten  um 
Phlebitis  der  unteren  Extremitäten  im  späteren 
Stadium,  wo  bei  dem  Patienten,  der  jetzt 
gehen  darf,  noch  Ödem  und  zeitweise  auf- 
tretende Schmerzen  zu  beobachten  sind.  Das 
Resultat  war  sehr  günstig,  namentlich  in  einem 
Fall  von  Puerperalphlebitis  an  beiden  Beinen, 
welche  sich  durch  eine  außergewöhnliche  Länge 
gekennzeichnet  hatte. 

Die  Solbäder  wurden  hier  neben  dem 
Fango  verordnet,  aber  nicht  in  der  Weise, 
wie  wir  sie  bei  der  Behandlung  der  Frauen- 
krankheiten anwenden;  es  wurde  meistens  ein 
Solbad  genommen  am  Tage,  an  welchem  der 
Fango  ausgesetzt  wurde. 

Chirurgische  Krankheiten. 

Es  wurden  hauptsächlich  Gelenkkrank- 
heiten behandelt,  Gelenk  Steifigkeiten  nach 
traumatischen  Insulten;  chronische  Synovitis, 
auch  solche  von  gichtischer  Natur;  chronische 
Entzündungen  in  den  Schleimbeuteln  u.  s.  w. 

In  einem  Falle  handelte  es  sich  um  eine 
alte  deformierende,  proliferierende  Arthritis 
des  Hüftgelenks  mit  Usur  des  Femurkopfes 
und  der  Gelenkpfanne  und  bedeutender  In- 
filtration der  benachbarten  Gegend.  Die  Kranke 
konnte  mit  Mühe  5  — 10  Minuten  gehen.  Nach 
der  Fangokur  besserten  sich  Schmerz  und 
periartikuläre  Schwellung  dermaßen,  daß  die 
Patientin  ohne  Schwierigkeiten  2 — 3  Stunden 
gehen  konnte.  Dieses  Resultat,  welches 
definitiv  geblieben  ist,  muß  aber  als  eine 
von  den  Ausnahmen  betrachtet  werden,  von 
denen  ich  früher  sprach. 

Im  allgemeinen  war  bei  dieser  Kategorie 
von  Kranken  der  Erfolg  gut;  die  Massage 
spielt  hier  selbstverständlich  eine  hervor- 
ragende Rolle.  Auch  ruft  der  Fango  infolge 
seines  Gewichtes  eine  leichte  Stauung  um  die 
Gelenke  hervor,  welche  im  Sinne  der  Bi er- 
sehen Stauung  günstig  wirken  kann. 

Frauenkrankheiten. 
Bei  den  Frauenkrankheiten  haben  wir  die 
Fangokur  auf  zweierlei  Weise  versucht. 


XIX.  Jfchrganf.1 
Juni  1S0S.      J 


deLaHarp«,  Resultate  der  Fangobefaandlung. 


291 


Es  wurde  zuerst  nur  Faugo  angewendet 
in  der  Form  einer  großen  Badehose  um  Ab- 
domen, Gesäß  und  Schenkel;  besonders  dick 
wird  die  heiße  Masse  auf  dem  Abdomen  an- 
gehäuft. Am  fangofreien  Tag  wurde  gewöhn- 
lich ein  Solbad  gegeben. 

Später,  im  Lauf  der  2  letzten  Jahre, 
habe  ich  auf  Veranlassung  von  Prof.  Rossi er- 
Lausanne es  unternommen,  Kranke  gleich- 
zeitig einer  Fangokur  und  einer  Solbadkur 
zu  unterwerfen.  Zu  diesem  Zweck  wird 
morgens  eine  Fangoapplikation,  wie  eben 
beschrieben,  gemacht  und  nachmittags  ein 
Solbad  genommen,  dessen  Konzentration  bis 
auf  6 — 8  Proz.  Chlorverbindungen  erhöht 
wird.  Im  Bade  bekommt  Patientin  außer- 
dem eine  heiße  Injektion  (45 — 50°  C),  deren 
Quantum  10 — 30  Liter  beträgt;  ihr  Gehalt 
an  Chlorsalzen  wechselt  zwischen  1  und  3  Proz. 

Bei  dieser  intensiven  Kur  haben  die 
Kranken  ein  recht  ruhiges  Leben  zu  führen, 
im  Freien  zu  liegen  u.  s.  w.  Es  ist  manchmal 
gut,  die  Solbäder  für  1 — 2  Tage  zu  unter- 
brechen oder  selbst  einen  behandlungsfreien 
Tag  zu  gestatten.  Kräftige  Frauen  ertragen 
die  Kur  ohne  Schwierigkeit.  Bei  schwachen 
Kranken  ist  sie  allerdings  manchmal  schwer 
bis  zu  Ende  zu  fuhren;  aber  mit  Zeit  und 
Geduld  haben  wir  doch  immer  das  Ziel 
erreicht. 

Sechs  Kranke  haben  diese  Kur  durch- 
gemacht (2  machten  sie  zweimal);  bei  4  war 
der  Erfolg  sehr  gut,  bei  2  aber  nicht  be- 
friedigend. Ich  lasse  hier  ein  kurzes  Resum£ 
der  Krankengeschichten  folgen,  die  Ergebnisse 
der  Untersuchung  vor  und  nach  der  Kur  sind 
mir  (mit  einer  Ausnahme,  No.  VI)  in  zuvor- 
kommender Weise  von  Prof.  Rossier  mit- 
geteilt worden. 

I.  32  jährige  Frau.  Seit  l1/»  Jahren  be- 
stehende gonorrhoische  Oophoritis 
beiderseits;  Metritis;  Cervikalkatarrh. 
Nervöse,  sehr  korpulente  Frau,  große  Schmer- 
zen,  schlechter  Allgemeinzustand. 

Die  Adnexe  bilden  rechts  einen  harten, 
nußgroßen,  sehr  empfindlichen,  beweglichen 
Tumor;  links  einen  halb  so  großen,  eben- 
falls  empfindlichen. 

Fangokur  im  Juni  1902.  Nach  derselben 
haben  die  Tumoren  um  die  Hälfte  abgenommen ; 
ein  paar  Monate  später  war  die  linke  Ge- 
schwulst nicht  mehr  zu  konstatieren,  die 
rechte  schwer  zu  definieren  und  kaum  emp- 
findlich. Der  Allgemeinzustand  hat  sich  derart 
gehoben,  daß  die  Kranke  wieder  ein  normales 
Leben  fuhren  kann. 

II.  35jährige  Frau.  Gonorrhoische 
Oophoro-salpingitis  beiderseits;  Metritis 
und  Endometritis  der  Cervix  und  des 
Körpers;    chronische   Vaginitis.     Dauer 


der  Krankheit:  6  Jahre.  —  Uterus  verdickt, 
in  Anteflexion,  empfindlich,  Muttermund 
klaffend.  Linkes  Ovarium  und  Tube  bilden 
eine  etwa  2  Daumen  breite,  sehr  empfindliche, 
unbewegliche  Geschwulst;  rechtes  Ovarium  ge- 
schwollen, im  Douglasschen  Raum  adhärent. 
Infolge  der  langen  Krankheit  und  der  bestän- 
digen Schmerzen  ist  diese  sehr  nervöse  Frau 
schwach  und  schläft  schlecht;  auch  leidet  sie 
an  Enteritis  muco-membranosa. 

Erste  Fangokur  im  Juli  1902;  zweite 
Kur  im  Juni  1903.  Das  Resultat  ist  sehr 
befriedigend:  die  Adnexen  sind  schwer  zu 
definieren;  im  rechten  Scheidengewölbe  wird 
noch  eine  ieichte,  schmerzlose  Resistenz  ge- 
fühlt. Muttermund  noch  bis  auf  1  cm  klaffend. 
Allgemeinzustand  sehr  gut;  die  Frau  hat 
keine  Schmerzen  mehr  und  ist  jetzt  arbeits- 
fähig. Sie  machte  im  Sommer  1904  lange 
Bergtouren. 

III.  35jährige  Frau.  Rechte  gonor- 
rhoische Oophoro-salpingitis,  seit  13 
bis  14  Jahren  bestehend.     Sterilität. 

Sehr  gesund  aussehende  Frau.  Sie  hat 
aber  starke  Schmerzen  im  kleinen  Becken. 
Uteruskörper  klein,  in  Anteflexion,  unemp- 
findlich; hinter  ihm  das  rechte  Ovarium  mit 
der  Tube,  nußgroß,  sehr  empfindlich  und  im 
Douglasschen  Raum  adhärent. 

Zwei  Fangokuren,  im  Juli  1902  und  im 
Mai  1 903 .  Nachher  wird  notiert :  Verschwinden 
der  subjektiven  und  objektiven  Schmerzhaftig- 
keit.  Das  Ovarium,  noch  etwa  halbnußgroß 
und  kaum  empfindlich,  bleibt  noch  hinter 
dem  Uterus  etwas  adhärent. 

IV.  30jährige  Frau.  —  Chronische 
gonorrhoische  Oophoro-salpingitis 
beiderseits.  Alte  puerperale  Pelvi- 
peritonitis. 

Schwache,  anämische,  sehr  nervöse  Frau; 
seit  6  Jahren  verheiratet,  machte  sie  2  Aborte, 
dann  eine  normale  Geburt  durch ;  nach  letzterer 
sehr  schweres  Puerperalfieber.  Seitdem  immer 
kränklich,  leidet  sie  an  beständigen  Schmerzen 
im  Abdomen,  besonders  rechts;  sie  ist  sehr 
heruntergekommen,  abgemagert  und  schläft 
schlecht.  Bei  der  Untersuchung  ist  eine  be- 
trächtliche Empfindlichkeit  des  Abdomens 
in  der  Fossailiaca  dextra  zu  notieren.  Uterus 
nur  wenig  vergrößert,  sehr  empfindlich; 
Muttermund  geschlossen ;  die  rechten  Adnexen 
sehr  empfindlich,  im  Douglasschen  Raum  ad- 
härent. Linkes  Ovarium  kirschengroß,  be- 
weglich. 

Fangokur  im  August  1903,  schlecht  er- 
tragen und  von  geringem  Erfolg.  Zwei  Monate 
später  wird  die  Laparotomie  von  Prof.  Rossie  r 
ausgeführt,  und  die  kystisch  entarteten  Ovarien 
werden  entfernt.  Von  den  eben  angeführten 
Adhärenzen  im  Douglasschen    Raum  ist  nur 


292 


deLaüarp«,   Resultate  d«r  Pangobebandlung. 


rTherapenÜieha 
L   Monatwhefl«. 


soviel  zu  konstatieren,  daß  die  hintere  seröse 
Fläche  des  Uterus  eine  sammetartige  Be- 
schaffenheit darbietet,  da,  wo  früher  das  Ovarium 
sich  befand. 

V.  30jährige  Frau.  Alte  Parametritis 
puerperalis  mit  großem,  die  Venen  kom- 
primierendem Exsudat. 

Die  kräftig  gebaute,  früher  sehr  gesunde 
Frau  machte  vor  5  Jahren  nach  der  Geburt 
ihres  zweiten  Kindes  ein  schweres  Puerperal- 
fieber durch,  nach  welchem  die  Beine,  be- 
sonders das  .  linke  Bein,  odematos  und  stark 
geschwollen  blieben.  —  Uterus  etwas  ver- 
größert, in  Antenexion.  Links  im  Ligamentum 
latum  befindet  sich  ein  Exsudat,  welches  sich 
als  ein  flaches,  sehr  hartes  Band  bis  an  die 
Beckenwand  fortsetzt,  um  dort  eine  in  den 
Beckenraum  hineinragende  Geschwulst  zu 
bilden.  Linkes  Ovarium  nußgroß,  wenig  be- 
weglich, empfindlich.  Rechts  zwischen  Becken- 
knochen und  Uterus,  im  Ligam.  latum  ein 
fingerdickes,  bandähnliches,  schmerzhaftes  In- 
filtrat. Das  linke  Bein  ist  beträchtlich  ge- 
schwollen, das  Gehen  sehr  schwierig. 

Fangokur  im  August  1903.  Status  nach 
der  Kur:  Der  Tumor  im  linken  Beckenraum 
ist  nahezu  vollständig  verschwunden ;  Ovarium 
nicht  mehr  geschwollen.  Rechts  ist  der  in- 
filtrierte bandartige  Streifen  fast  vollständig 
verschwunden  und  nur  im  rechten  Scheiden- 
gewölbe zu  finden ;  er  ist  dort  um  die  Hälfte 
dünner  und  nicht  mehr  empfindlich.  Das 
Bein  ist  beinahe  zu  seiner  früheren  Form 
zurückgekommen.  Pat.  nimmt  ihre  frühere 
Tätigkeit  wieder  auf. 

VI.  25jährige  Frau.  Chronische  Me- 
tritis  und  Endometritis. 

Pat.,  mit  hereditär-nervöser  Belastung, 
hat  einmal  vor  5  Jahren  geboren.  Seit  2 
bis  3  Jahren  leidet  sie  an  Schwäche  und 
Schlaflosigkeit;  unregelmäßiges  Fieber  hat 
sich  eingestellt.  Pat.  ist  aber  nicht  abge- 
magert. Sie  bietet  gegenwärtig  die  Symptome 
einer  allgemeinen,  der  Neurasthenie  ähnlichen 
Neurose  dar.  Die  Untersuchung  ergibt  sehr 
große  Empfindlichkeit  der  Vagina  und  des 
Uterus.  Übelriechender  Fluor.  Uterus  ver- 
größert, in  Retroversion.  Adnexe  rechts  ver- 
dickt und  schmerzhaft. 

Fangokur  im  Juli  1903,  schlecht  ertragen. 
Fieber,  große  Müdigkeit  treten  auf.  Als  Re- 
sultat wird  angegeben:  Abnahme  der  Empfind- 
lichkeit des  Uterus  und  des  Ovarium 8.  All- 
gemeinzustand hat  sich  gebessert. 

In  den  Fällen  IV  und  VI  blieb  also  das 
Resultat  unter  den  gehegten  Erwartungen 
zurück.  Der  Erfolg  war  dagegen  äußerst  gün- 
stig bei  den  anderen,  besonders  bei  Fall  II 
und  V.  Überall  trat  aber  die  schmerzstillende, 
sedative  Wirkung  des  Fangos  deutlich  hervor. 


Es  ist  notwendig,  für  eine  derartige  Be- 
handlung chronische  Fälle  zu  wählen.  Wenn 
die  Solbäder  schon  bei  subakuten  oder  mit 
akuten  Nachschüben  verlaufenden  chronischen 
Fällen  kontraindiziert  sind,  so  ist  um  so  größere 
Vorsicht  geboten,  wenn  wir  dem  Solbad  noch 
die  Fangoapplikation  hinzufugen  wollen.  Des- 
halb hat  nur  eine  kleine  Zahl  von  Patientinneo 
diese  kombinierte  Kur  unternehmen  können. 


Der  Wert  der  Bäder  bei  Gicht. 

Vortrag  gehalten  am  IV.  österreichischen 

Balneologen-KoDgreß  io  Abbazia. 

Von 

Dr.  Eduard  Weltz,  Schwefel- Schlammbad  Pistvan. 

M.  H.!  Trotzdem  mich  der  Titel  meines 
Vortrages  ausschließlich  zu  praktischen  Er- 
läuterungen verpflichtet,  kann  ich  nicht  umhin, 
etwas  Theorie  zu  streifen. 

Das  Gespenst  der  Harnsäure  ist  Ihnen, 
meine  Herren,  nur  zu  gut  bekannt.  Die  un- 
glückselige Harnsäure  nimmt  nicht  nur  alles 
Sinnen  und  Trachten  der  armen  Kranken  in 
Beschlag,  und  nicht  nur  wird  Masseuren- 
Phantasie  durch  den  Begriff  der  Harnsäure 
mächtig  angeregt  und  aufgeregt,  auch  wir 
Arzte  treiben  mit  der  Harnsäure  ein  uner- 
laubtes Spiel. 

Wie  Sie  wissen,  meine  Herren,  haben  die 
neueren  klinischen  Untersuchungen  zweifellos 
ergeben,  daß,  vom  akuten  Anfall  abge- 
sehen, die  Harnsäure-Verhältnisse  im 
Harn  des  Gichtikers  von  der  Norm 
nicht  abweichen.  Trotzdem  werden  täg- 
lich tausende  und  tausende  Harne  auf  Harn- 
säure untersucht,  um  in  chronischen  Fällen 
auf  Grund  dieser  Befunde  die  Gichtdiagnose 
aufzustellen  oder  zu  verneinen.  Wehe  dem 
Patienten,  wenn  zufällig  in  seiner  bescheide- 
nen Harnprobe  etwas  mehr  Harnsäure  ge- 
funden wird,  als  die  Theorie  festgestellt  hat! 

Die  Physiologie  hat  einen  gewissen  Durch- 
schnitt für  die  Tagesmenge  der  Harnsäure 
angegeben.  Dieser  Durchschnitt  bezieht  sich 
auf  schematische  Durch  Schnitts  Verhältnisse. 
Wir  sollten  aber  nicht  vergessen,  daß  es  in 
Wirklichkeit  keine  Durchschnittsmenschen 
gibt,  stets  nur  individuelle  Organismen.  Noch 
weniger  sind  Ernährung,  Tagesarbeit,  Nerven- 
erregung und  die  übrigen  Lebensverhältnisse 
einander  gleich. 

Ich  finde  es  daher  unverzeihlich,  wenn  , 
man  den  Harn  eines  Menschen  einmal  im 
Jahre  oder  nur  einmal  im  Leben  untersucht, 
und  man  sofort  das  Damoki  es- Schwert  der 
Gicht  über  sein  unschuldiges  Haupt  hängt, 
ohne    zu    fragen,    was    dieser    Mensch    tags* 


XIX  Jahrgang .1 
Juni  1905.     J 


Wtlaz,  Wtrt  d«  Mder  bei  Gicht 


293 


über  gegessen  und  gearbeitet,  ob  er  sich 
aufgeregt  hat,  ob  er  schlaflos  war  etc. 

Wir  gehen  zu  weit!  Selbst  wenn  der 
Harnsäurebefund  im  Harn  bei  chronischen 
Fällen  für  die  Gicht  pathognostisch  wäre,  — 
was  durchaus  nicht  der  Fall  ist  —  wäre 
es  ein  gewissenloses  Spiel,  auf  Grund 
einer  oder  zweier  Harnuntersuchungen, 
die  ohne  Rücksicht  auf  Stoffwechsel- 
Gleichgewicht  und  andere  Präzisions- 
Bedingungen  gemacht  werden,  Gicht 
zu  diagnostizieren. 

Die  Reaktion  solcher  Übertreibungen  blieb 
denn  tatsächlich  nicht  aas.  Die  Harnsäure 
ist  nahe  daran  entthront  zu  werden.  So  hat 
zuletzt  in  einem  geistreichen  Vortrag  Winkler 
auf  dem  diesjährigen  Balneologen-Kongreß  zu 
Aachen  die  Harnsäuretheorie  gänzlich  ver- 
worfen und,  gestützt  auf  die  Gaubeschen 
Analysen,  das  Wesen  der  Gicht  in  einer 
„Inanition  minerale",  d.  h.  in  einer  Ver- 
armung der  Gewebe  an  verschiedenen  Mineral- 
salzen, gesucht.  Mag  sein,  daß  die  „patho- 
logische Demineralisation  des  Orga- 
nismus" mit  der  Zeit  wertvolle  Gesichts- 
punkte an  die  Oberfläche  fördert.  Allein 
mich  können  die  Gaubeschen  Analysen  schon 
aus  dem  Grunde  nicht  befriedigen,  weil  seine 
Einteilung  eine  unmögliche  ist.  Er  unter- 
sucht „normales  Bindegebe tf,  „Bindegewebe 
bei  der  Arthritis  deform  ans,  beim  „fibrösen 
Rheumatismus"  und  endlich  beim  „gichtischen 
Rheumatismus".  Bei  all  diesen  Formen  ge- 
langt er  in  seinen  chemischen  Analysen  zu 
gewaltigen  Differenzen. 

Ich  muß  aber  fragen,  gibt  es  denn  über- 
haupt eine  Möglichkeit,  Arthritis  deformans, 
fibrösen  Rheumatismus  und  gichtischen  Rheu- 
matismus stets  von  einander  klinisch  abzu- 
grenzen? Deswegen  muß  auch  die  chemische 
Differenzierung  eine  willkürliche  und  hinfällige 
genannt  werden,  die  ein  zu  schwacher  Stütz- 
punkt ist,  um  die  Bedeutung  der  Harnsäure 
bei   Gicht  ganz   aus  ihren  Angeln  zu  heben. 

Wir  wollen  heute  nicht  untersuchen,  wie 
die  Harnsäure  im  Organismus  gebildet  wird, 
auf  welche  Weise  sie  sich  in  den  Gewebs- 
säften  des  Gichtikers  anhäufen  kann,  wir 
wollen  einzig  allein  vor  der  Tatsache  stehen 
bleiben,  daß  die  Gewebssäfte,  auch  das  Blut 
des  Gichtikers,  im  Gegensatze  zu  den  Ge- 
webssäften  und  dem  Blute  des  gesunden 
Menschen,  Harnsäure  enthalten.  Nachdem 
im  Harnbefund  des  chronischen  Gichtikers 
nach  dem  heutigen  Stande  der  Wissenschaft 
kein  entsprechendes  Plus  an  Harnsäure  zu 
finden  ist,  ist  es  klar,  daß  die  Niere  des 
Gichtikers  im  Gegensatze  zur  normalen  Niere 
nicht  im  stände  ist,  die  Körpersäfte  von  der 
Harnsäure  prompt  zu  befreien.  Die  Insuffizienz 

Th.lI.J9J5. 


der  Niere   ist,   was  Harnsäure  betrifft,   beim 
Gichtiker  also  evident. 

Die  erste  Aufgabe  der  Gichttherapie  sei 
daher,  die  Niere  nach  Möglichkeit  zu  schonen 
und  zu  entlasten.  Im  Rahmen  meines  heutigen 
Vortrages  muß  ich  alle  Einzelheiten,  die  dazu 
fuhren,  beiseite  lassen  und  mich  ausschließ- 
lich auf  den  Hinweis  beschränken,  daß  wir 
die  Niere  nebst  zahlreichen  andern  vorzüglich 
diätetischen  Maßnahmen  hauptsächlich  durch 
die  Tätigkeit  ihres  Komplementärorgans,  d.  h. 
durch  Steigerung  der  Hauttätigkeit,  schonen 
und  entlasten  können. 

Und  hiemit  wären  wir,  meine,  Herren,  bei 
jenem  Gesichtspunkte  angelangt,  von  wo  aus 
wir  den  Wert  der  Bäder  bei  Gicht  ermessen 
und  würdigen  lernen.  Sie  kennen  das  intime 
Verhältnis,  das  zwischen  Niere  und  Haut, 
zwischen  Diurese  und  Diaphorese  besteht, 
welches  Verhältnis  der  Praktiker  bei  allen 
Sorten  von  Nierenerkrankungen  gründlich  aus- 
zunützen versteht. 

Auch  in  der  Behandlung  der  Gicht  spielten 
Bäder  schon  seit  der  Zeit  des  Epikuräers 
eine  große  Rolle.  Und  doch  muß  ich  behaupten, 
daß  der  Wert  der  Bäder  noch  immer  nicht, 
weder  in  der  Theorie  noch  in  der  Praxis, 
nach  Gebühr  gewürdigt  wird. 

Ich  mochte,  meine  Herren,  auf  Grund 
nicht  nur  theoretischer  Erwägungen,  sondern 
auch  auf  Grund  meiner  Erfahrungen  die 
These  aufstellen,  daß  es  in  der  Therapie 
der  Gicht  keinen  mächtigeren  Faktor 
gibt  als  Bäder. 

Natürlich,  spezifische  Bäder  im  buchstäb- 
lichen Sinne  des  Wortes  gibt  es  nicht. 
Allein,  ein  gewisser,  und  zwar  nicht  geringer 
Unterschied  in  der  Wirkungsweise  der  Bäder 
ist  doch  vorhanden.  Wir  müssen  dies  umso- 
mehr  betonen,  weil  man  stets  nur  kurzweg 
von  warmen  oder  heißen  Bädern  spricht, 
eigentümlicherweise  ohne  Rücksicht  auf  che- 
mischen  Gehalt   und  Konsistenz   der  Bäder. 

Sie  werden  begreifen,  meine  Herren,  wie 
wir  Badeärzte  dies  täglich  sehen,  daß  es  für 
die  Schweißdrüsen,  für  die  vasomotorischen 
Nerven,  Reflexe  etc.  nicht  irrelevant  sein 
kann,  ob  die  Haut  von  einem  heißen  Luft- 
bade, von  einer  Akratotherme,von  einem  Moor- 
oder Schlammbade  umgeben  ist.  Der  größte 
Skeptiker,  selbst  der  moderne  Nihilist,  der 
gewohnt  ist,  für  das  ausschließlich  aktive 
Element  des  Bades  einzig  allein  seine  Tem- 
peratur anzusehen,  muß  zugeben,  daß  ein 
chemisch  konzentriertes,  ein  spezifisch  schweres 
Bad  u.  8.  w.  auf  die  Hautnerven  und  durch 
dieselben  reflektorisch  auf  die  inneren  Organe 
einen  ungleich  stärker  reizenden  Einfluß  aus- 
üben muß  als  ein  indifferentes  Bad. 

Besonders    hinsichtlich   der   Heiß- Luft- 

23 


294 


Weltz,  Weit  der  Bid«r  b*l  Dicht. 


fTheni] 
L    Moni 


Monatshefte. 


bäder  kann  ich  einige  Bemerkungen  nicht 
unterdrücken.  Das  spezifische  Gewicht  des 
heißen  Luftbades  ist  minimal.  Ein  weiterer 
Nachteil  ist,  daß  der  Schweiß  verdampft,  d.  h. 
es  verdampft  das  Wasser,  die  Salze  und  Zer- 
fallsprodukte bleiben  in  den  Poren  stecken, 
statt  aus  dem  Körper  ausgeführt  zu  werden. 

Sie  werden,  meine  Herren,  begreifen,  daß 
auch  Dampfbäder  chemisch  viel  zu  arm 
sind,  um  bei  der  Schweißsekretion  eine  che- 
mische Komponente  zur  Geltung  kommen  zu 
lassen.  Die  Wirkung  eines  Bades  ist  aber 
zweifellos  eine  um  so  wertvollere  und  aus- 
giebigere, je  mehr  physikalische  und  che- 
mische Komponenten  dasselbe  ins  Treffen 
fuhren  kann,  um  den  Organismus  von  allen 
möglichen  Seiten  her  zur  bestmöglichen  Reak- 
tion zu  zwingen.  Sie  werden  es  nach  alldem 
theoretisch  vollkommen  begründet  finden, 
warum  sich  gerade  Schwefel-,  Moorbäder, 
noch  mehr  aber  Schlammbäder  in  der 
Gichttherapie  eines  hervorragenden  Rufes  er- 
freuen. 

Die  so  sehr  beliebte  moderne  Auffassung, 
daß  das  einzig  Seligmachende  der  Wärmegrad 
sei,  ist  sehr  bequem,  bedarf  aber,  weil  sie 
weder  praktisch  noch  theoretisch  wahr  ist, 
von  balneo  logischer  Seite  her  einer  scharfen 
Zurückweisung,  weil  sie  einerseits  zur  Über- 
schätzung des  thermischen  und  zur  Unter- 
schätzung der  mechanischen  und  chemischen 
Potenzen  geführt  hat. 

Was  den  Wärmegrad  betrifft,  möchte  ich, 
wenn  Sie  es,  meine  Herren,  gestatten,  einige 
nur  kurze  Mitteilungen  machen.  Mich  berührt 
es  immer  peinlich,  wenn  ich  häufig  lesen 
muß,  der  Gichtiker  müsse  so  und  so  heiß 
baden,  und  nicht  anders.  Als  wäre  der 
Gichtiker  ein  schematisches  Objekt  und  kein 
Menschenkind,  das  auf  Rücksichtnahme  seiner 
Individualität  Anspruch  erheben  darf.  Es 
wird  leider  meist  nur  darauf  ge- 
sehen, daß  die  Gicht  im  Menschen 
steckt,  aber  nur  zu  oft  vergessen,  daß 
eich  in  der  Haut  des  Gichtikers  auch 
ein  Mensch  befindet. 

Man  kann  alt  und  jung,  schwach  und 
stark,  nervenstarke  und  nervöse  Menschen 
nie  nach  einer  Schablone  baden  lassen,  gleich- 
viel ob  die  Leute  an  Gicht  oder  an  was 
anderem  leiden. 

Noch  mehr  aber  als  das  Individuelle  des 
Menschen  erheischt  das  jeweilige  Stadium 
der  Gicht  selbst  eine  spezifizierende  Behand- 
lung. Der  Gichtiker  muß  in  seiner  Rekon- 
valeszenz und  unmittelbar  nach  dem  akuten 
Anfalle  viel  vorsichtiger  gebadet  werden  als 
etwa  '/2  Jahr  später. 

Dem  Uneingeweihten  mag  es  ein  Rätsel 
scheinen,    daß   während   mancher  Badekuren 


oft  10  bis  30  Proz.  akute  Anfälle  bei  Gicht- 
kranken ausgewiesen  werden. 

Für  mich  ist  es  klar,  daß  es  sich  hier 
um  eine  rücksichtslose  Steigerung  der  Reaktion 
bis  zu  dem  Grade  eines  veritablen  Anfalles 
handelt.  Wenn  ich  Ihnen  sage,  meine  Herren, 
daß  ich,  trotzdem  wir  in  Pistyan  in  der  Lage 
sind,  auch  sehr  hochtemperierte  Schlammbäder 
zu  applizieren,  akute  Gichtnachschübe  kaum 
je  miterlebe,  werden  Sie  einsehen,  daß  an 
einer  massenhaft  akuten  Erkrankung  der 
Gichtiker  in  Bädern  nicht  das  Bad  an  und 
für  sich,  sondern  das  schablonmäßige,  ich 
mochte  sagen  unbarmherzige  Hantieren  mit 
den  exzessiven  Wärmegraden  Schuld  trägt.  ' 

Die  Sache  verhält  sich  nämlich  so:  Je 
heißer  das  Bad  ist,  desto  stärker  ist  zeitweilig 
die  lokale  Reaktion  der  krankhaften  Partien. 
Zunächst  steigert  sich  von  Zeit  zu  Zeit  der 
Schmerz.  Wenn  dieser  eine  gewisse  Höhe 
erreicht,  und  der  Arzt  keine  Unterbrechung 
im  Baden  gewährt  und  den  Patienten  auch 
nicht  zu  besonderer  Schonung  und  Ruhe  ver- 
hält, sondern  der  Patient  im  Gegenteil  alles 
tut,  mit  oder  ohne  Wissen  des  Arztes,  um 
die  Reaktion  in  die  Höhe  zu  treiben,  dann 
muß  der  gequälte  Organismus  mit  einer  akuten 
Explosion  Rache  nehmen. 

Wahr  ist,  meine  Herren,  daß  man  bei 
entsprechender  Kontrolle  durch  rechtzeitiges 
Sistieren  resp.  durch  Herabmilderung  des 
Bades  sozusagen  in  allen  Fällen  dem  drohenden 
Anfalle  mit  Erfolg  begegnen  kann,  selbst- 
redend bei  Einhaltung  aller  anderen  Kautelen, 
wie  z.  B.  Ruhe  u.  s.  w. 

Je  näher  der  lokale  Befund  jenem  Zu- 
stande steht,  den  wir  gemeinhin  als  akut  be- 
zeichnen, desto  mehr  Vorsicht  ist  in  thermaler 
Hinsicht  geboten.  Anderseits  ist  es  eine 
überaus  dankbare  Aufgabe,  den  Gichtiker  so 
früh  wie  möglich  warm  zu  baden.  Diesbe- 
züglich gilt  folgendes: 

Sobald  das  kranke  Glied  Wärmestauung 
verträgt,  etwa  einen  Dunstumschlag  mit  lau- 
warmem Wasser  über  Nacht,  und  die  lokale 
Entzündung  derart  in  Abnahme  begriffen  ist, 
daß  die  kranke  Stelle  kaum  wärmer  ist 
als  ihre  Umgebung  oder  die  korrespondierende 
Stelle  der  gesunden  Seite:  kann  man  mit 
warmen  Bädern  vorsichtig  beginnen,  ungefähr 
mit  27  — 28°  R.,  34— 35°  C.  In  kritischen 
oder  zweifelhaften  Fälle  lasse  ich  das  Bad 
neben  dem  Krankenbette  verabfolgen,  um  für 
alle  Fälle  mechanische  Insulte  auszuschalten. 
Nach  und  nach  kann  man  füglich  auf  29 
bis  30°  R.  ja  gegen  Ende  der  ersten  Woche 
auf  31  —  32°  R.,  40—41°  C.  steigen.  Tempe- 
raturen, die  darüber  hinaus  sind,  dürfen  selbst 
lokal  appliziert  nur  in  veralteten,  jeder 
Reizung  baren  Zuständen  verwendet  werden. 


XlXJahrgaaff.-] 
Jon!  1905.     J 


Kleintorgen,  Zahn  und  Knochen  bildende  Substanzen. 


295 


Die  maximale  Grenze  muß  bei  Vollbädern 
natürlich  durch  die  Individualität  des  Pa- 
tienten selbst  bestimmt  werden. 

Ungefähr  ähnliche  Prinzipien  bestehen  zu 
Recht,  wenn  es  sich  um  Festsetzung  der 
Bauer  des  Bades  handelt:  das  heißt,  je 
weniger  entzündliche  Erscheinungen,  desto  in- 
tensiver kann  auch  in  dieser  Richtung  der 
Gebrauch  der  Bäder  sein.  * 


Die  Notwendigkeit  der  Zufuhr  Zahn  und 
Knochen  bildender  Substanzen. 

Von 

Dr.  Fritz  Kleinsorgen  in  Elberfeld. 

Die  mangelhafte  Entwicklung  der  körper- 
lichen Hartgebilde  (Zähne  und  Knochen) 
bildet  eins  der  markantesten  Zeichen  der 
Degeneration,  da  ja  die  Stellung  des  Menschen 
in  der  organischen  Entwicklungsreihe  durch 
den  Bau  seines  knöchernen  Gerüstes  bedingt 
wird.  Je  proportionaler  dasselbe  entwickelt 
ist,  desto  mehr  nähert  sich  der  Mensch  dem 
vollkommenen  Normaltypus,  und  andererseits 
lassen  Unregelmäßigkeiten  und  Mißbildungen 
des  Knochengerüstes  um  so  mehr  seinen  Wert 
erkennen,  als  sie  in  so  auffallender  Weise 
zur  Verunstaltung  und  Entwürdigung  des 
äußeren  Menschen  beitragen.  Gerade  die  aus- 
gesprochenen Mißbildungen  dieser  Art  erregen 
bei  den  Mitmenschen  in  besonderem  Maße  das 
Gefühl  des  Mitleids. 

Leider  wird  das  beobachtende  Auge  in 
heutiger  Zeit  nur  zu  oft  von  derartigen  Er- 
scheinungen unangenehm  berührt;  ich  sage 
das  „  beobachtende a,  denn  der  heutige 
städtische  Normaltypus  ist  schon  nahezu  eine 
pathologische  Erscheinung,  an  die  das  Auge 
so  gewöhnt  ist,  daß  es  den  Anblick  eines 
schön  gebauten,  proportional  gebildeten  Men- 
schen als  eine  Ausnahme  empfindet,  die  in 
besonderem  Maße  sein  Wohlgefallen  und 
Interesse  erregt. 

Wenn  auch  die  meisten  Unschönheiten 
des  äußeren  Menschen  durch  schlechte  Hal- 
tung, zu  üppigen  Fettansatz  oder  zu  große 
Magerkeit  bedingt  sind,  so  bleibt  immer  noch 
eine  beträchtliche  Zahl,  die  auf  wirklich 
pathologischer  Veränderung  des  Knochen- 
gerüstes beruht. 

Wie  oft  begegnen  wir  den  durch  Tuber- 
kulose verursachten  Verunstaltungen,  wie  viel 
häufiger  noch  dem  rhachitischen  Typus!  Spe- 
ziell diese  Mißbildung  beherrscht  in  ihren  ver- 
schiedenen, vielseitig  ausgesprochenen  Formen 
den  heutigen  Stadttypus.  Bedenkt  man  noch, 
daß  gerade  diese  Erkrankung  nach  den  Aus- 
sagen erfahrener  Kinderärzte  ein  noch  schlim- 


merer Würgengel  für  die  Menschheit  ist  als 
die  Tuberkulose,  da  an  dieser  Krankheit  und 
ihren  Folgeerscheinungen  diemeisten  Menschen- 
leben zugrunde  gehen  sollen,  so  kann  man 
sich  eine  Vorstellung  von  der  sozialen  Gefahr 
dieser  dezimierend  und  degenierend  wirken- 
den Seuche  machen. 

In  gleichem  oder  noch  stärkerem  Ver- 
hältnis ist  die  Zahncaries  verbreitet.  Die 
seit  Jahren  an  vielen  Orten  stattgehabten  Schul- 
untersuchungen haben  an  einzelnen  Stätten 
bis  90Proz.  schlechter  Zähne  ergeben.  Die 
Bedeutung  eines  guten  Gebisses  für  die  körper- 
liche Entwicklung  braucht  nun  wohl  nicht 
näher  dargetan  zu  werden,  und  hat  gerade 
in  diesen  Tagen  durch  die  Arbeiten  der  Straß- 
burger Zahnklinik  unter  Jessen  die  Zahn- 
hygiene in  Schule  und  Heer  eine  besondere 
Würdigung  erfahren.  Diesen  Arbeiten  und 
Bestrebungen  in  zahnärztlichen  Kreisen  ist 
es  auch  zu  verdanken,  wenn  die  Staats-, 
Kommunal-  und  Militärbehörden  anfangen, 
ihr  Augenmerk  auf  diese  Volkskrankheit  zu 
richten  und  in  richtiger  Würdigung  der  aus 
einer  derartigen  Volkskrankheit  entspringenden 
sozialen  Gefahr  durch  Anstellung  von  Schul- 
und  Militärzahnärzten,  durch  Errichtung  von 
Volkszahnkliniken  etc.  hygienische  Gegenmaß- 
regeln zu  treffen.  So  sehen  wir  auch  gegen 
diese  Volkskrankheit,  wie  schon  gegen  Tuber- 
kulose und  Krebs,  organisatorische  Veranstal- 
tungen ins  Leben  treten. 

Gegen  diese  volkssanitären  Bestrebungen 
muß  nun  leider  geltend  gemacht  werden,  daß 
sie  sich  im  Kampfe  gegen  die  Seuchen  all- 
zusehr spezialisieren  und  darüber  die  Haupt- 
sache vernachlässigen,  nämlich  auf  die  Dis- 
position zu  diesen  Erkrankungen  in  erster 
Linie  das  Augenmerk  zu  richten  und  die 
Bedingungen  hierzu  wegzuräumen. 

Wenn  z.  B.  die  aus  den  Zahnuntersuchun- 
gen gewonnenen  Statistiken  einen  so  hohen 
Prozentsatz  schlechter  Zähne  ergeben,  so 
ist  es  schon  beinahe  Danaidenarbeit,  hier 
hygienisch  konservativ  vorzugehen;  es  wird 
immer  nur  undankbare  Flickarbeit  bleiben. 
Ist  mal  ein  Haus  von  Grund  aus  mit  schlechtem 
Mörtel  hergestellt,  so  ist  da  mit  Reparaturen 
nicht  viel  zu  wollen.  Es  wird  nur  für  den 
Baumeister  eine  Lehre  sein,  die  nächsten 
Häuser  mit  besserem  Mörtel  zu  verbinden. 
—  So  steht  es  auch  vielfach  mit  unserem 
Zahnmaterial.  Es  ist  häufig  so  schlecht  im 
Innern  verkalkt,  daß  der  Zahnarzt  oft  Ge- 
legenheit hat  zu  sehen,  wie  der  kaum  einige 
Wochen  durchgebrochene  6jährige  Molar  oder 
der  noch  zur  Hälfte  im  Zahnfleisch  steckende 
Weisheitszahn  schon  kariöse  Defekte  aufweist. 

Die  Zahnhygiene  muß  daher  in  erster 
Linie  darauf  hinarbeiten,  eine  gesunde  Gebiß- 

23* 


296 


Kleintor  gen,  Zahn  und  Knochen  bildende  Substanzen. 


fTfierepeul 
L  Momtsb 


anläge  zu  schaffen,  dann  werden  auch  die 
späteren  zahnhygienischen  Bestrebungen  von 
Erfolg  gekrönt  sein  und  zu  dankbarer  Weiter- 
arbeit anspornen. 

Gleiche  Prinzipien  sollten  auch  für  die 
Bekämpfung  der  Tuberkulose,  Karzinose  etc. 
gelten. 

Die  Knochentuberkulose  z.  B.  würde  wahr- 
scheinlich einen  von  gesunden  Säften  durch- 
flossenen,  fest  gefugten  Knochen  nicht  leicht 
ergreifen,  während  ein  im  Innern  locker  ge- 
fügter, poröser  Knochen  einen  nur  allzu  ge- 
eigneten Nährboden  für  die  Tuberkelbazillen 
abgibt.  Wie  verschieden  fest  die  Knochen 
sein  können,  wissen  wir  ja  aus  der  Tierzucht. 
Der  dicke  voluminöse  Oberschenkel  des  Bra- 
banterpferdes  wird  von  den  viel  zarteren, 
aber  zäheren  Schenkelknochen  eines  Trakehner- 
pferdes  zerschlagen. 

Daß  es  mit  der  Festigkeit  des  mensch- 
lichen Knochens  sehr  schlecht  bestellt  ist, 
sehen  wir  aus  den  täglichen  Erlebnissen,  wo 
oft  die  geringsten  Anlässe  zu  Knochenbrüchen 
führen;  oder  auch  bei  der  Extraktion  der 
Zähne,  die  im  allgemeinen  heute  viel  leichter 
auszuführen  ist,  als  es  früher  der  Fall.  Auch 
die  Zähne  selbst,  die  ja  schließlich  eine  ver- 
dichtete Knochenmasse  darstellen,  liefern  hier- 
für ein  Beispiel.  In  einigen  Fällen  brechen 
sie  ohne  besondere  Kraftanstrengung  an  caries- 
freien  Stellen  überraschend  leicht  ab. 

Forschen  wir  nun  näher  nach  den  Ursachen 
der  für  die  Fortentwicklung  der  Menschheit 
so  bedrohlichen  Erscheinungen  der  Degene- 
ration der  körperlichen  Hartgebilde,  so  findet 
man  in  einer  einseitig  zusammengesetzten 
Diät  eine  genügende  Erklärung  hierfür.  Diese 
inneren,  auf  dem  Wege  des  Stoffwechsels 
zur  Wirkung  kommenden  Schädlichkeiten  hat 
man  bisher  nicht  genügend  gewürdigt;  spielen 
sie  doch  z.  B.  bei  der  Zahn  Verderbnis  eine 
wichtigere  Rolle  als  die  bisher  stets  an  erster 
Stelle  hervorgehobenen  äußeren  Schädlich- 
keiten. 

In  kurzen  Zügen  soll  nun  dieser  wunde 
Punkt  unserer  heutigen  Diät  aufgedeckt 
werden. 

Der  menschliche  Organismus  sowie  auch 
der  der  höheren  Tiere  setzt  sich  aus  Weich- 
gebilden (Fleisch  etc.)  und  Hartgebilden  (Zähne 
und  Knochen)  zusammen.  Beide  Stoffe  sind 
von  gleicher  Wichtigkeit  für  die  höher  ent- 
wickelten Organismen.  Ihren  Bestandteilen 
nach  sind  sie  grundverschieden,  und  bestehen 
die  Weichgebilde  der  Hauptsache  nach  aus 
stickstoffhaltigen  Stoffen,  die  Hartgebilde  aus 
erdigen  Salzen. 

Von  den  Tieren  wissen  wir  nun,  daß  so- 
wohl die,  welche  von  rein  tierischer  Nahrung, 
als   auch    die,    welche    von   rein  pflanzlicher 


Nahrung  leben,    ein   vorzügliches   Gebiß   als 
auch   ein  kräftiges  Knochengerüst  aufweisen. 

Es  muß  also  sowohl  die  tierische  Nahrung 
wie  die  pflanzliche  die  notwendigen  Bildungs- 
elemente für  die  Hartgebilde  des  Körpers 
abgeben.  Der  Mensch  nun,  und  speziell  der 
Kulturmensch,  der  seine  Nahrung  sowohl  dem 
Tier-  wie  dem  Pflanzenreiche  entnimmt,  müßte 
demnach  bei  dieser  Ernährung  die  Bedingun- 
gen eines  guten  Zahn-  und  Knochenbaues 
vorfinden.  Daß  die  Praxis  aber  leider  das 
Gegenteil  lehrt,  hat  seinen  Grund  im  folgenden: 

Wir  wissen,  daß  die  sog.  fleischfressenden 
Tiere  nicht  allein  die  Weichgebilde  ihrer 
Opfer  verzehren,  sondern  instinktiv  auch  die 
Hartgebilde  mehr  oder  weniger  verspeisen. 
Die  Knochenaufnahme  ist  für  ihre  Daseins- 
erhaltung ebenso  wichtig  wie  die  Fleisch- 
nahrung. 

Was  hier  natürlicher  Instinkt  begeht,  was 
dem  denkenden  Menschen  einfache  Überlegung 
sagen  sollte,  und  was  Tierversuche  beweisen, 
daß  Fleischnahrung  für  sich  keine  Knochen 
bilden  kann,  dies  hat  der  Mensch  bei  seiner 
Ernährung  nicht  berücksichtigt  trotz  über- 
handnehmender Knochen-  und  Zahnschwäche. 

Fleischnahrung  ohne  entsprechende 
Knochennahrung  ist  eine  Einseitigkeit 
in  der  Ernährung  der  Kulturmensch- 
heit. Je  größer  der  Fleischkonsum  ohne 
Knochenzufuhr,  desto  nachteiliger  sein  Einfluß 
auf  Zahn-  und  Knochensystem.  (Daß  die  sog. 
englische  Krankheit  nach  dem  Lande  des 
größten  Fleischkonsums  benannt  ist,  ist  wohl 
nicht  rein  zufällig,  ebenso  wenig  wie  die  Er- 
scheinung, daß  die  moderne  Zahnheilkunde 
in  den  Ländern  intensiven  Fleischgenusses 
(England  und  Amerika)  groß  geworden.) 

Wenn  nun  die  Zumutung,  auch  die  Knochen 
zu  verzehren,  im  ersten  Augenblick  etwas 
ungeheuerlich  erscheint,  so  ist  sie  doch  bei 
näherem  Besehen  ebenso  berechtigt  wie  die, 
Fleisch  zu  verspeisen,  oder  Blattpflanzen,  Ge- 
müse und  Körnerfrucht  zu  genießen. 

Der  Mensch  ist  nämlich  nicht  durch  sein 
Gebiß  und  seinen  Verdauungsapparat  zu  diesen 
Nahrungsgenüssen  bestimmt  worden,  seiner 
ursprünglichen  Gebiß-  und  Magenanlage  nach 
ist  der  Mensch  ein  Baum-  und  Strauchfrucht- 
esser, dem  kleineres  Getier  nur  bei  Gelegen- 
heit mal  als  Nahrung  diente.  Erst  bittre 
Not  im  Kampf  ums  Dasein,  klimatische  und 
Bodenverhältnisse  sowie  vor  allem  die  Weiter- 
entwicklung seiner  geistigen  Fähigkeiten 
ließen  ihn  Waffen  und  Werkzeuge  erfinden, 
auch  die  Tiere  seiner  Daseinserhaltung  ver- 
wertbar zu  machen  und  ihr  Fleisch  so  zu- 
zubereiten, daß  es  ihm  zur  Nahrung  diente; 
ferner  ließen  sie  ihn  umständliche  Mahl-, 
Koch-     und     Erweichungsprozesse     erfinden, 


XIX.  Jahrgang ."I 
Jan!  1906.     J 


Kleinaorgen,  Sahn  und  Knochen  bildend«  Substanzen. 


297 


tun  Getreide,  Blattpflanzen  und  Gemüse  etc. 
seinem  Magen  besser  anzupassen. 

Wenn  nun  der  Mensch  in  der  ergänzenden 
pflanzlichen  Nahrung  auf  die  Zuführung  be- 
sonders kalkreicher  Nahrungsmittel  Bedacht 
genommen  hatte,  würde  ihm  der  durch  die 
Fleischnahrung  entstandene  Mangel  an  knochen- 
bildenden Salzen  wahrscheinlich  nicht  so  zum 
Schaden  gereicht  haben.  Aber  wie  steht  es 
hiermit  in  dieser  Beziehung?  Das  gerade 
Gegenteil  ist  der  Fall.  Man  kann  es 
geradezu  als  ein  soziales  Verhängnis  für  den 
Kulturmenschen  ansehen,  daß  die  nächst  der 
tierischen  Nahrung  an  erster  Stelle  in  Be- 
tracht kommenden  pflanzlichen  Nahrungs- 
mittel, Getreide  und  Kartoffel,  als  direkt 
ungeeignet  für  Zahn-  und  Knochenbau  an- 
zusehen sind. 

Nicht  nur  die  chemische  Analyse  weist 
bei  diesen  Stoffen  einen-  sehr  geringen  Pro- 
zentsatz an  Kalksalzen  auf,  auch  Tierversuche 
bestätigen  es.  Geflügel,  das  ausschließlich 
mit  sorgfältig  gereinigtem  Getreide  gefüttert 
wurde,  zeigte  bald  Knochenerweichung,  die 
bei  Kalkzusatz  schwand.  Aus  der  Viehzucht 
weiß  man  ferner,  wie  reichliche  Kartoffel- 
futterung  besonders  bei  Schweinen  leicht  die- 
selben rhachitischen  Knochenerkrankungen 
hervorruft  wie  beim  Menschen.  Dieselbe  Er- 
fahrung hat  man  mit  der  Maisfütterung  in 
Amerika  gemacht. 

Was  nun  speziell  die  Getreidenahrung 
betrifft,  so  ist  der  Kulturmensch  noch  darauf 
bedacht,  sich  auch  noch  der  wenigen  hier 
vorhandenen  Salze  zu  berauben,  indem  er  zu 
seinen  Gebacken  und  Speisen  nicht  die  ganzen 
Körner  verwendet,  sondern  fast  ausschließlich 
das  Innere  derselben,  die  äußeren  Schichten 
aber,  die  gerade  die  Träger  der  wichtigen 
knochenbildenden  Salze  sind,  durch  einen  um- 
ständlichen Mahlprozeß  entfernt. 

Bei  dem  breiten  Raum,  den  nun  gerade 
Fleisch,  Getreide  und  Kartoffel  (in  der 
Produktion  der  Kartoffel  ist  Deutschland  allen 
Ländern  weit  voraus)  auf  dem  täglichen 
Speisezettel  der  Kulturmenschen  einnehmen, 
und  bei  der  großen  Rolle,  die  gerade  die 
feinen  Mehlpräparate  bei  der  Kinder- 
ernährung spielen,  ist  es  daher  nicht  zu 
verwundern,  wenn  Zahn- und  Knochenschwäche 
gerade  in  den  Jahren,  wo  der  Körper  wegen 
seines  Wachstums  besonders  reicher  Zufuhr 
an  knochenbildenden  Substanzen  bedarf,  zu 
einem  wahren  Volksübel  geworden  sind  und 
eine  bedrohliche  soziale  Gefahr  für  die  Er- 
haltung der  Volksgesundheit  darstellen. 

Eine  derartig  bezüglich  des  Kalkgehaltes 
mangelhaft  zusammengesetzte  Nahrung  muß 
bei  der  Wichtigkeit  der  Kalksalze  nicht  allein 
für    die    Hartgebilde  (Zähne   und   Knochen), 


sondern  für  den  ganzen  Organismus  und  bei 
der  speziellen  Bedeutung,  die  das  Knochen- 
system als  Träger  der  Blutbereitungszellen 
einnimmt,  natürlich  auch  allgemeine  körper- 
liche Störungen  nach  sich  ziehen,  und  mehrere 
Gründe  scheinen  dafür  zu  sprechen,  daß  gerade 
Bleichsucht  und  verwandte  Schwächezustände 
des  Nervensystems  weniger  auf  Eisen-  als  auf 
Kalkmangel  zurückzuführen  sind.  Für  diese 
engen  Beziehungen  zwischen  Kalkmangel  und 
Bleichsucht  spricht  noch  folgendes: 

Der  Zahnarzt  hat  sehr  oft  Gelegenheit 
zu  beobachten,  daß  mit  den  höheren  Graden 
von  Bleichsucht  stets  eine  auffallende  Zahn- 
beinweichheit einhergeht,  gleichviel  ob  Eisen 
genommen  wurde  oder  nicht.  Damit  hängt 
auch  der  bei  Bleichsüchtigen  oft  ausgesprochene 
instinktive  Trieb  nach  Kreide  oder  Kalk  zu- 
sammen. Diese  Verwandtschaft  von  Kalk- 
und  Blutarmut  ist  eben  in  den  gemeinsamen 
physiologischen  Ursprungsstätten  von  Kalk- 
und  Blutbereitung,  nämlich  den  Knochen,  zu 
suchen,  und  es  ist  wohl  verständlich,  daß 
ein  schwach  und  schlecht  ernährter  Knochen 
auch  auf  die  in  ihm  vorgehende  Blutkörperchen- 
bildung ungünstig  einwirkt.  Ein  solch  inniger 
Zusammenhang  von  Kalk-  und  Blutarmut 
entspräche  auch  dem  häufigen  Vorkommen 
beider. 

Ein  Vergleich  unserer  Nahrungsmittel  in 
bezug  auf  Eisen-  und  Kalkgehalt  ergibt  näm- 
lich die  Tatsache,  daß  die  Gefahr,  an  Eisen 
Mangel  zu  leiden,  gering  ist,  und  dement- 
sprechend auch  Blutarmut  infolge  Eisenmangel 
nicht  häufig  sein  dürfte,  die  Gefahr  der  Kalk- 
armut aber  tatsächlich  bei  unserer  heutigen 
Diät  in  hohem  Maße  vorhanden.  Eisen  ist 
in  allen  unseren  Nahrungsmitteln  ziemlich 
gleichmäßig  und  ohne  auffällige  Schwankun- 
gen vorhanden,  Kalk  aber  befindet  sich  bei 
unseren  Hauptnahrungsmitteln ,  Fleisch, 
Mehlpräparaten  und  Kartoffeln,  in  auf- 
fallend geringem  Maße  im  Verhältnisse  zu 
seinem  Vorkommen  bei  den  übrigen  Nahrungs- 
mitteln. 

Fügen  wir  hinzu,  daß  die  Anwendung 
der  Kalksalze  und  speziell  der  Knochensalze 
bei  Bleichsucht  und  verwandten  neurasthe- 
nischen  Schwächezuständen  von  ausgezeich- 
netem therapeutischen  Erfolge  ist,  so  ist 
wohl  damit  der  engste  Zusammenhang  zwischen 
Kalkarmut  und  Blutarmut  dargetan,  und 
sollte  es  therapeutisch  jedenfalls  nicht  unter- 
lassen werden,  neben  Eisen  auch  Kalk-  resp. 
Knochensalze  zu  verordnen;  speziell  in  den 
Fällen  sollte  Knochensalze  zu  verabreichen 
nicht  unterlassen  werden,  wo  die  Eisentherapie 
einfach  versagt. 

Nun  fragt  es  sich,  in  welcher  Form  sollen 
wir  die  Kalksalze  geben? 


298 


Bteker,  Erfahrungen  mit  den  Fetronpräpar*t«n  Liabreich. 


rThenpeutach* 
L   Monataheft* 


'  Daß  die  im  Verhältnis  kalkreicheren,  aber 

oft  durch  einen  falschen  Kochprozeß  ausge- 
laugten Wurzel-  und  Blattgemüse,  ferner 
Salate  und  Obst  bei  dem  kleinen  Raum,  den 
sie  infolge  ihres  geringen  Nährgehaltes  in 
unseren  Mahlzeiten  einnehmen,  keinen  hin- 
reichenden Ersatz  bilden  können,  ist  ein- 
leuchtend, zumal  auch  diese  Nahrungsmittel 
auf  abgewirtschaftetem  oder  kalkarmem  Boden 
sowie  in  trockenen  Jahren  oft  zu  wenig  Kalk 
enthalten,  so  daß  selbst  rein  pflanzenfressende 
Tiere  wie  Rinder  unter  solch  ungünstigen  Ver- 
hältnissen an  Knochenbrüchigkeit  erkranken 
können.  Aus  diesen  Gründen  ist  denn  auch 
bei  rein  vegetarisch  aufgewachsenen  Indivi- 
duen Zahnverderbnis  oft  zu  finden.  Es  ist 
nun  nichts  natürlicher  als  in  der  Form  der 
organischen  Knochensalze  die  Kalksalze  zu 
verordnen,  also  auf  dem  Wege  der  schon  oft 
mit  Erfolg  angewandten  Organtherapie. 

Wie  wir  zur  Kräftigung  des  Körper- 
eiweißes schon  längst  konzentriertes  tierisches 
Eiweiß  anwenden  und  bei  Blutarmut  mit  aus 
tierischem  Blut  hergestellten  Präparaten  gute 
Erfolge  erzielen,  so  liegt  eben  nichts  näher, 
als  bei  bestehender  Schwäche  der  körper- 
lichen Hartgebilde  ein  aus  Knochen  gewon- 
nenes Präparat  zu  verordnen,  und  zwar  ein 
Präparat,  das,  physiologisch  möglichst  un- 
verändert sämtliche  Salze  des  Knochens  in 
organischer  Leimbindung  wiedergibt.  Dieses 
feinstgepulverte  und  mit  organischen  Leim- 
resten durchsetzte  Präparat  gibt  bei  der  für 
die  Verdauung  so  wichtigen  und  leicht  zu- 
gänglichen Leimsubstanz  die  beste  Gewähr 
einer  ausgiebigen  physiologischen  Ausnutzung 
im  Körper  und  enthält  sämtliche  Elemente 
für  Zahn-  und  Knochenbau,  und  zwar  in 
dem  diesen  Gebilden  entsprechenden  un- 
gefährem Mengenverhältnis. 


(Aas  dem  atldt.  KrankonhauM  Chartotteaburf,  Kirehttraße. 
Abteilung  für  Haut-  and  Geschlechtskrankheiten.) 

Praktische  Erfahrungen  mit  den  Fetron - 
Präparaten  Liebreich. 

Von 

Dr.  Ernst  Beoker. 

Im  Februar  vorigen  Jahres  machte  Lieb- 
reich1) Mitteilung  von  einer  neuen  von  ihm 
dargestellten  Salbengrundlage,  die  er  mit 
dem  Namen  Fetron  bezeichnete.  Nach  den 
Angaben  Liebreichs  kommen  diesem  Fetron 
einige  ganz  bestimmte  Vorzüge  vor  den  an- 
deren Salbengrundlagen  zu,  und  es  soll  das 
Fetron  geeignet  sein,   diese   anderen  Salben- 


J)  Liebreich,   Über  Fetronsalbe.    Berl.  klio. 
Wocheoschr.  1904,  No.  12. 


grundlagen,  das  Lanolin  und  die  Vaseline, 
zu  ergänzen  bezw.  zu  ersetzen.  Bekanntlich 
ist  das  Lanolin  eine  resorbierbare  Salbe,  sie 
ist  vorzugsweise  befähigt,  in  die  Haut  ein- 
zudringen und  die  Haut  mit  dem  einver- 
leibten Arzneimittel  zu  imprägnieren.  Die 
Vaseline  ist  dagegen  lediglich  eine  Deck- 
salbe. Um  nun  diese  beiden  Eigenschaften 
miteinander  zu  verbinden,  gilt  augenblicklich 
wohl  als  die  gewöhnlichste  Salbengrundlage 
eine  Mischung  von  Lanolin  und  Vaseline  am. 
Während  nun  aber  die  eine  Aufgabe,  die 
diese  Mischung  erfüllen  soll,  die  Resorptions- 
fähigkeit,  von  dem  Lanolin  gut  gelöst  wird, 
läßt  die  Erfüllung  der  gleichzeitigen  decken- 
den Aufgabe  durch  die  Vaseline  viel  zu 
wünschen  übrig.  Denn  abgesehen  von  übrigen 
Mängeln  ist  die  Vaseline  nach  Liebreich 
zu  einer  Decksalbe  deshalb  wenig  geeignet, 
weil  sie  infolge  ihres  niedrigen  Schmelzpunktes 
nicht  fest  genug  auf  der  Haut  haftet.  Eben 
diesem  Mangel  nun  abzuhelfen,  ist  das  Fetron 
besonders  befähigt.  Das  Fetron  ist  eine 
Mischung  von  Stearinsäureanilid  und  Vaseline, 
gewöhnlich  3  Proz.  Stearinsäureanilid  und 
97  Proz.  Vaseline.  Das  Fetron  ist  von 
schwach-gelber  Farbe,  geruchlos  und  hat 
eine  sehr  geeignete  Salbenkonsistenz,  nicht 
klebrig  wie  Lanolin  und  nicht  geleeartig  wie 
Vaseline.  Das  Stearinsäureanilid  ist  ein  weißer 
Körper  von  der  Konsistenz  des  Paraffins, 
krystallisiert  in  glänzenden  Nadeln,  schmilzt 
bei  93°  und  löst  sich  in  den  gewöhnlichen 
Lösungsmitteln:  Äther,  Alkohol,  Chloroform, 
Benzin,  Schwefelkohlenstoff.  Durch  den  Zu- 
satz dieses  Stearinsäureanilids  wird  nun  der 
Schmelzpunkt  der  Vaseline  erhöht  auf  65° 
bis  70°  (bei  3  Proz.,  bei  stärkerem  Zusatz 
wird  der  Schmelzpunkt  noch  mehr  erhöht). 
Das  Stearinsäureanilid  ist  ein  sehr  beständiger 
Körper,  der  durch  wäßrige  Alkalien  selbst 
bei  längerem  Kochen  nicht  zersetzt  wird. 
Es  zeigt  deshalb  gegenüber  den  natürlichen 
Fetten  die  Eigenartigkeit,  daß  es  nicht  so 
leicht  in  Ranzidität  übergeht,  ein  großer 
Vorzug  für  die  Anwendung  als  Salbengrund- 
lage. Die  Mischung  des  Fetron  besitzt  außer- 
dem ein  zur  Einverleibung  der  gebräuchlichen 
Arzneikörper  genügendes  Wasseraufnahme- 
vermögen, so  daß  die  Einwirkung  der  Arz- 
neistoffe auf  die  Haut  nicht  behindert  ist, 
wie  es  bei  Mischungen  mit  reiner  Vaseline 
der  Fall  ist. 

Alle  diese  Eigenschaften  berechtigten  zu 
der  Vermutung,  daß  das  Fetron  ein  sehr  ge- 
eignetes Salbenkonstituens  sein  würde.  Nach- 
dem Liebreich  zunächst  die  Unschädlichkeit 
des  Präparats  festgestellt  hatte,  erzielte  er 
in  einer  Reihe  von  therapeutischen  Versuchen 
recht    günstige  Resultate.     Nun   wurden   auf 


XIX  Jahrgang. 
Joni  1906. 


] 


Becker,  Erfahrungen  mit  den  Fetronpfäparaten  Liebreich» 


299 


seine  Veranlassung  von  S  aal  fei  d9)  Versuche 
in  größerem  Maßstäbe  vorgenommen,  und 
auch  diese  zeigten  durchweg  gute  Resultate, 
ja  in  einigen  Fällen  unerwartet  günstige 
Erfolge.  „In  einer  Reihe  von  Fällen  wurden 
Resultate  erzielt,  die  bei  der  Anwendung 
derselben  Arzneimittel  in  einem  anderen  Ve- 
hikel vergebens  gesucht  wurden",  so  bei 
mehreren  Fällen  von  hartnäckigem  chroni- 
schem Ekzem  und  bei  einem  Fall  von  Liehen 
chron.  simpl. 

Diese  günstigen  Ergebnisse  forderten  zu 
einer  Nachprüfung  auf,  und  es  wurden  eine 
größere  Reihe  von  Versuchen  im  Charlotten- 
burger Krankenhaus  angestellt.  Darüber  soll 
kurz  berichtet  werden. 

Es  gelangten  folgende  Fetronpräparate  zur 
Anwendung:  l.  Fetronseife,  2.  Fetroncream, 
3.  Fetronpuder,  4.  Unguentum  Hydrargyri 
praeeipitati  flavi  cum  Fetrono  paratum,  5.  Un- 
guentum Hydrargyri  cinereum  cum  Fetrono 
paratum,   6.  Pasta  Zinci  cum  Fetrono  parata. 

Die  Fetronseife  wurde  mehrfach  als  Baby- 
seife und  in  einigen  Fällen  von  spröder  Haut, 
auch  bei  mir  selbst,  angewandt.  Ich  muß 
sagen,  daß  ich  die  Seife  ganz  vorzüglich  ge- 
funden habe,  es  ist  nicht  übertrieben,  wenn 
ich  sage,  daß  ich  selbst  jedesmal  nach  dem 
Waschen  einen  Einfluß  auf  die  Haut  direkt 
gemerkt  habe.  Die  Haut  ist  infolge  der  Im- 
prägnierung mit  dem  Fetron  nach  dem  Waschen 
zweifellos  weicher.  Dieselbe  Angabe  wurde 
auch  von  Anderen  gemacht.  Daß  diese  Eigen- 
schaft, die  leicht  von  jedermann  konstatiert 
werden  kann,  von  gutem  Einfluß  auf  die 
Haut,  besonders  bei  spröder  Haut,  sein  muß, 
liegt  auf  der  Hand. 

Ebenso  wurden  mit  dem  Toilettecream 
in  vielen  Fällen  sehr  gute  Erfolge  erzielt. 
Er  wurde  besonders  angewandt  bei  Intertrigo 
der  kleinen  Kinder  und  der  menstruierenden 
Frauen.  Auch  in  mehreren  Fällen  von  spröder 
Haut  bei  Frauen,  deren  Hände  viel  mit  Wasser 
in  Berührung  kamen,  bei  Waschmädchen, 
Köchinnen  hat  der  Cream  sehr  gute  Einwir- 
kung gehabt.  Auch  bei  mir  selbst  habe  ich 
den  Cream  benutzt,  da  meine  Hände  durch 
häufiges  Waschen  mit  Sublimat  sehr  zur 
Sprödigkeit  neigen,  und  ich  bin  mit  der 
Wirkung  außerordentlich  zufrieden.  Die  vor- 
handene Sprödigkeit  wurde  nicht  nur  durch 
die  Applikation  sehr  bald  gehoben,  sondern 
es  scheint  auch  die  Hand  seit  der  Behand- 
lung mit  dem  Cream  das  Sublimat  besser 
vertragen  zu  können. 

Der  Fetronpuder  wurde  in  mehreren  Fällen 
von  nässendem  Ekzem  bei  sehr  empfindlicher 


')   Saalfeld,    Über    Fetronsalbe.     Therap. 
Monatshefte,  April  1904. 


Haut  angewandt,  auch  bei  Ulcus  cruris,  offenen 
Perniones,  Intertrigo  und  dergl.  Der  Puder 
wurde  von  der  Haut  in  allen  Fällen  gut 
vertragen,  und  andererseits  zeigte  es  sich 
deutlich,  daß  der  Puder  ganz  hervorragende 
austrocknende  und  antiseptische  Eigenschaften 
besitzt.  Einen  Fall  möchte  ich  besonders 
hervorheben,  in  welchem  der  Puder  vorzüg- 
liche Dienste  geleistet  hat.  Es  war  dies  ein 
schwerer  Fall  von  Pemphigus  vulgaris,  bei 
dem  die  von  der  Epidermis  entblößten  wunden 
Stellen  mit  dem  Puder  behandelt  wurden. 
Die  Stellen  heilten  fast  durchweg  über- 
raschend schnell,  schneller  als  bei  Anwendung 
anderer  Mittel,  und  wenn  dieser  Fall  schließ- 
lich einen  günstigen  Ausgang  nahm,  so  ist 
dies  meiner  Überzeugung  nach  auch  mit  der 
Wirkung  des  Fetronpuders  zu  verdanken. 

Die  gelbe  Quecksilbersalbe  mit  Fetron 
habe  ich  in  zahlreichen  Fällen  von  skrofu- 
lösem Ekzem  der  Kinder  an  der  Nase,  dem 
Munde  und  dem  Gesicht  angewandt.  In  fast 
allen  Fällen  war  ich  durch  die  prompte 
Wirkung  der  Salbe  überrascht,  fast  immer 
heilten  die  kranken  Stellen  in  ganz  kurzer 
Zeit  ab.  Gelegentlich  habe  ich  die  Salbe 
auch  bei  skrofulöser  Keratitis  benutzt  und 
auch  hier  schnellen  Erfolg  gesehen,  die  In- 
filtrate gingen  rasch  zurück,  und  die  beglei- 
tende Conjunctivitis  heilte  in  wenig  Tagen. 
Auch  in  mehreren  Fällen  von  Blepharitis 
marginalis  wurden  mit  der  gelben  Fetronsalbe 
gute  Erfolge  erzielt.  Besonders  hervorzu- 
heben ist,  daß  die  Salbe  auch  auf  der 
Schleimhaut  der  Nase  gut  haftet  und  des- 
halb bei  den  bezüglichen  Erkrankungen,  z.  B. 
Borkenbildung,  gut  anwendbar  ist. 

Die  graue  Salbe  mit  Fetron  wurde  zu- 
nächst zu  mehrfachen  Schmierkuren  benutzt. 
Die  Wirkung  der  Salbe  war  eine  gute, 
überall  traten  die  luetischen  Erscheinungen 
sehr  bald  zurück.  In  2  Fällen  von  schwerer 
sekundärer  Lues  wurde  die  Schmierkur  an- 
gewandt, nachdem  eine  Spritzkur  nicht  den 
gewünschten  Erfolg  gehabt  hatte.  Auch  in 
diesen  Fällen  gingen  die  Erscheinungen  voll- 
ständig zurück.  Es  soll  hierbei  natürlich 
nicht  behauptet  werden,  daß  die  gewöhnliche 
graue  Salbe  diese  Erfolge  nicht  auch  gehabt 
haben  würde,  es  soll  nur  die  Tatsache  re- 
gistriert werden.  Es  wurde  ferner  die  Salbe 
in  vielen  Fällen  lokal  angewandt,  wo  eine 
zirkumskripte  Wirkung  des  Hydrargyrum  ge- 
wünscht wurde.  Auch  in  diesen  Fällen  war 
die  Wirkung  eine  gute.  So  z.  B.  heilte  ein 
hartnäckiges  gonorrhoisches  Infiltrat  des 
Praeputium  am  Frenulum,  in  dem  die  Gono- 
kokken nachgewiesen  waren,  sehr  bald  auf 
die  Applikation  der  Salbe  aus.  Ein  anderer 
Fall  verdient  besonders  erwähnt  zu  werden, 


300 


Kroß,  Zur  Frage  der  elektromagnetischen  Therapie. 


rrher&peatbrbe 
L  Monatshefta. 


bei  dem  es  sich  um  multiple  Entzündung 
der  Schweißdrüsen  der  Achselhöhle  handelte. 
Die  Infiltrate  hatten  durchaus  das  Aussehen, 
daß  sie  zur  Abszedierung  kommen  würden, 
die  Haut  über  ihnen  war  bereits  lebhaft  ge- 
rötet. Nach  wiederholten  Einreibungen  mit 
der  Salbe  gingen  die  Entzündungen  wider 
Erwarten  zurück.  Aus  diesen  Fällen  ist  wohl 
der  Schluß  gerechtfertigt,  daß  das  Hydrargy- 
rum  in  der  grauen  Fetronsalbe  gut  resorbiert 
wird.  Dafür  spricht  auch  im  letzterwähnten 
Fall  der  Umstand,  daß  am  3.  Tage  eine 
Stomatitis  auftrat,  und  am  nächsten  Tage  das 
Quecksilber  im  Urin  nachgewiesen  werden 
konnte.  Ohne  auf  den  alten  Streit  einzu- 
gehen, ob  das  Quecksilber  durch  die  Lunge 
oder  durch  die  Haut  aufgenommen  wird,  soll 
hier  nur  auf  die  sicher  vorhandene  lokale 
Wirkung  der  Fetronsalbe  hingewiesen  werden, 
welche  eine  wenigstens  teilweise  Resorption 
durch   die  Haut   sehr   wahrscheinlich    macht. 

Die  Zinkpaste  mit  Fetron  wurde  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Fällen  von  nässendem 
Ekzem,  in  zwei  Fällen  von  Herpes  zoster 
u.  s.  w.  angewandt.  Die  Paste  wurde  in  allen 
Fällen  gut  vertragen,  und  es  ist  kein  Fall 
beobachtet,  in  welchem  Reizungserscheinungen 
darnach  aufgetreten  wären.  Andererseits  war 
die  stark  austrocknende  Wirkung  stets  ganz 
offenbar,  so  daß  die  Erfolge  auch  mit  diesem 
Präparate  recht  zufriedenstellende  gewesen 
sind. 

Nach  meinen  Beobachtungen  glaube  ich, 
daß  das  Fetron  in  der  Tat  ein  sehr  geeig- 
netes reizloses  Salben constituens  ist,  welches 
einerseits  die  einverleibten  Arzneimittel  gut 
zur  Wirkung  kommen  läßt,  andererseits  alle 
Anforderungen  erfüllt,  die  man  an  eine  gute 
Decksalbe  stellen  muß.  Die  letztere  Eigen- 
schaft trat  besonders  bei  der  gelben  Queck- 
silberfetronsalbe gegenüber  der  gewöhnlichen 
zutage,  die  sich  sehr  leicht  von  der  Haut 
vollständig  fortwischen  läßt. 


Zur  Frage  der  elektromagnetischen 
Therapie. 

Von 

Nervenarzt  Dr.  Krett  in  Rostock. 

Die  Konstruktion  der  Apparate  (ich  selbst 
besitze  das  System  Trüb)  sowie  deren  An- 
wendungsweise darf  im  Prinzip  bei  den  In- 
teressenten jetzt  auf  Grund  der  bereits  zahl- 
reich erschienenen  Arbeiten  als  bekannt  vor- 
ausgesetzt werden. 

In  unserer  raschlebigen  fortschrittlichen 
Zeit,  welche  fast  täglich  der  Therapie  neue 
Hilfsmittel  zur  Prüfung  vorlegt,  hat  sich  allmäh- 


lich ein  gewisses  Mißtrauen  gegen  Neuerungen 
im  therapeutischen  Apparat  Geltung  verschafft, 
da  eben  die  Erfahrung  in  den  letzten  Jahren 
öfter  gezeigt  hat,  daß  selbst  von  Universitäts- 
instituten und  Krankenhäusern  namentlich 
medikamentöse  und  diätetische  Behandlungs- 
mittel und  -methoden  mit  Empfehlungs- 
schreiben in  die  Ärztewelt  gesandt  werden, 
welche  vielfach  einer  exakten  Kritik  für  die 
Dauer  nicht  standhalten  und  deshalb  eines 
Tages  wieder  verschwinden.  Ephemeriden 
in  der  Therapie.  Natürlich  erleben  wir  solche 
Enttäuschungen  bei  der  enorm  gesteigerten 
wissenschaftlichen  modernen  Produktivität 
viel  häufiger  als  früher  —  immerhin  wohl 
nur  relativ.  Jedenfalls  aber  ist  es  ebensowenig 
berechtigt  —  wie  es  von  einem  anderen 
Lager  aus  beliebt  —  in  einen  exzentrischen 
generell  ablehnenden  Skeptizismus  zu  verfallen, 
denn  letzterer  ist  sicher  stets  der  stärkere 
Hemmschuh  allen  Fortschritts  gewesen.  Ich 
habe  den  Eindruck,  daß  wir  in  diesen  Reak- 
tionen auf  wissenschaftliche  Neueinführungen 
zum  großen  Teil  einerseits  die  stürmende 
Begeisterung  der  Jugend,  andererseits  den 
starren  Konservatismus  des  Alters  zu  erblicken 
haben.  Auch  die  exponierte  Stellung  hat 
schon  manchen  zn  vorzeitig  „ fertigen a  Urteilen 
verleitet.  Nun,  es  bedarf  keiner  Auseinander- 
setzung, daß  der  rechte  Weg  in  der  Mitte 
liegt. 

Der  elektromagnetischen  Therapie  wird 
der  Weg  in  die  medizinischen  Kreise,  wie 
vorauszusehen  war,  ziemlich  schwer  ge- 
macht. Sie  hatte  vorerst  nur  ein  Moment 
zu  ihren  Gunsten,  das  ist  ihr  Charakter,  als 
Bereicherung  der  physikalischen  Heilmethode 
—  des  Schoßkindes  der  modernen  Therapie  — 
eventuell  anerkannt  zu  werden.  Entgegen 
steht  der  Einführung  vor  allem  seitens  einer 
gewissen  Richtung: 

1.  Der  Begriff  Magnetismus,  welcher  ja 
historisch  seinen  wissenschaftlichen 
Wert  verloren  hatte  und  dann  durch 
den  Mißbrauch  von  Schwindlern  und 
Kurpfuschern  in  Mißkredit  geraten 
war.  Zudem  ist  nach  eingehendster 
Untersuchung  dem  (ruhenden)  Elek- 
tromagneten durch  den  Physiologen 
Hermann  bereits  1888  in  Pflügers 
Archiv  Bd.  43  jede  physiologische  und 
therapeutische  Wirkung  auf  den  Men- 
schen   definitiv  abgesprochen  worden. 

2.  Die  Tatsache,  daß  ein  Nichtarzt  die 
Entdeckung  machte,  der  Schweizer 
Ingenieur   Eugen   Konrad    Müller. 

3.  Der  bisherige  Mangel  einer  exakten 
physiologischen  Begründung  der  Wir- 
kungsweise, also  die  gewissermaßen 
empirische  Einführung. 


XIX.  Jahrgang 
Jnnl  1905.     J 


Kroß,  Zur  Frage  der  •Uktromagnttlicheii  Therapie. 


301 


Zu  Punkt  1  wäre  wohl  nur  zu  bemerken, 
daß  in  den  Hermann  sehen  Ergebnissen  kein 
Beweis  für  die  Wirkungslosigkeit  eines  Mag- 
neten mit  fortwährendem  Pol  Wechsel  gesucht 
werden  darf. 

Punkt  2  kann  nur  die  Partei  des  bureau- 
kratischen  Schematismus  irritieren,  nicht  den 
vorurteilslos  denkenden  Arzt. 

In  bezug  auf  Punkt  3  sind  folgende  Be- 
obachtungen anzuführen : 

Kuznitzky  und  Müller  haben  eine 
Steigerung  des  Oxyhämoglobingehaltes  des 
Blutes  nach  den  Sitzungen  nachgewiesen. 
Lilienfeld  stellte  ein  schnelleres  Dunkeln 
einer  Blutprobe  im  geschlossenen  Glasgefäß 
vor  dem  wechselnden  Polfeld  fest.  Rodari 
stellte  mit  dem  Henoqueschen  Hämato- 
spektroskop  eine  Steigerung  des  Hämoglobins 
an  Sauerstoffgehalt  nach  den  Sitzungen  um 
5 — 25  Proz.  fest  und  konstatierte  auch  das 
Fortbestehen  während  der  2.  Woche.  Fran- 
zosische Autoren  (Grenet)  stellten  fest,  daß 
Infusorien,  welche  dem  wechselnden  Polfeld 
exponiert  waren,  schon  nach  1  !/a  Stunden 
bewegungslos  wurden.  E.  C.  Müller  zeigte, 
daß  Blut  in  geschlossenen  Reagenzgläsern 
nach  8  — 18  Minuten  Expositionsdauer  eine 
ll/a — 21/imal  so  große  Serumschicht  hatte 
als  die  Kontrollprobe  und  sprach  die  Ver- 
mutung aus,  daß  die  Einwirkung  wohl 
chemischer  Natur  sein  dürfte,  ebenso  bei 
Blutelementen,  welche  bei  Exposition  starken 
Ausschlag  am  Thomsen sehen  Spiegelgalvano- 
meter zeigten.  D'Arsonval  und  Charrin 
stellten  experimentell  auf  Anregung  und 
Steigerung  der  Oxydationsvorgänge  beruhende 
Einwirkungen  auf  das  Protoplasma  (auf  Hefe- 
zellen, Bakterien  und  deren  Toxine)  fest  und 
damit  auf  den  Stoffwechsel  im  allgemeinen 
(Vermehrung  der  Diurese  und  Harnstoff- 
mengen). Daneben  betonen  Benedikt  und 
Eulenburg  die  vasomotorischen  Einflüsse  der 
fern  wirkenden  Elektrizität.  (Es  soll  sich 
nach  Rodari  um  eine  Beeinflussung  der 
irritierten  Vasomotoren  handeln;  sedative 
Wirkung  auf  die  gereizten  Vasodilatatoren 
(Quincke)  beim  idiopathischen  Ödem.) 
Rodari  hat  auch  eine  Wiederbelebung  des 
bereits  erlahmten  lospräparierten  getrennten 
Froschherzens  bei  elektromagnetischer  Be- 
strahlung für  6 — 10  Sekunden  beobachtet.  Der 
letztere  Autor  führt  außerdem  noch  2  negative 
Beobachtungen  an:  Exponiert  man  einen  mit 
Nervus  ischiadicus  und  einem  Teil  der 
Wirbelsäule  präparierten  Frosch  Schenkel  dem 
Radiator  in  axialer  und  äquatorialer  Lage, 
so  sind  selbst  maximale  Erregungen  ohne 
jeden  Einfluß  auf  Erregbarkeit  von  Muskel 
und  Nerven.  Bei  einem  am  Herzen  bloßge- 
legten Frosch  zeigt  sich  bei  Exposition  keiner- 

Th.M.  1901. 


lei  Einfluß  auf  Frequenz,  Rhythmus,  Intensität 
der  Herzkontraktion  und  damit  auf  den  Blut- 
druck. 

Das   ist  ungefähr   das  Res  um  e   des   phy- 
siologischen Beobachtungsmaterials. 

Die  klinischen  Erscheinungen  sind  vielfach: 
Nahezu  allgemein  wird  das  entoptische 
Phänomen,  d.  h.  ein  Flimmern  des  Gesichts- 
feldes bei  temporaler  Exposition,  konstatiert. 
Ich  habe  allerdings  eine  große  Reihe  von 
Fällen  (nahezu  ein  Drittel)  gesehen,  welche 
das  nicht  hatten.  Kopfdruck,  Kopfschmerzen, 
Salivation,  säuerlicher  Geschmack,  Augen- 
tränen, Wärmegefühl  einzelner  Körperstellen, 
Schläfrigkeit,  Kriebeln,  Druckgefühl  in  den 
Augen  sind  mehrfach  beobachtet.  Auch  diese 
sind  Symptome,  mit  denen  bei  dem  Trüb- 
schen  Apparat  nicht  viel  zu  machen  ist,  weil 
eben  die  Suggestiv  Wirkung  nicht  auszuschalten 
ist,  und  nach  Sachlage  alle  Erscheinungen 
sehr  leicht  auf  suggestivem  Wege  entstehen 
können.  Die  Inkonstanz  dieser  Erscheinungen 
dünkt  mir  dafür  zu  sprechen.  Von  diesen 
rein  subjektiven,  klinisch  beobachteten  irre- 
levanten Nebenerscheinungen  scheint  mir  das 
entoptische  Phänomen  das  beachtenswerteste 
zu  sein,  weil  es  nahezu  konstant  beobachtet 
ist  von  sämtlichen  Forschern  und  auch  ich 
glaube,  zu  der  Annahme  der  Konstanz  be- 
rechtigt zu  sein,  da  es  sich  nach  meiner  An- 
sicht bei  meinen  negativen  Fällen  —  es  waren 
meist  Landleute  —  um  psychischen  Indiffe- 
rentismus und  Mangel  an  Selbstbeobachtungs- 
vermögen handelt.  Aber  eine  weitere  prak- 
tische oder  unpraktische  Perspektive  hat  sich 
auch  aus  diesem  Symptom,  obwohl  es  seit 
Jahren  bekannt  ist  (Beer,  Wiener  klinische 
Wochenschrift  1902,  No.  4)  bis  jetzt  nicht 
ergeben.  Was  nun  endlich  das  klinische 
Resultat  der  bis  1880  zurückreichenden 
therapeutischen  Versuche  anlangt,  so  bitte  ich 
die  Interessenten,  die  Arbeiten  von  Axmann, 
Beer,  Cohn,  Eulenburg,  Frankenhäuser, 
Gottschalk,  Kalischer,  Krefft,  Kuz- 
nitzky, Ladame,  Lilicnfeld,  Linde- 
mann, E.  C.  Müller,  Rodari,  von  Sarbo, 
Scherk,  Thiem-Henning,  Zacharis  etc. 
einzusehen.  Man  hat  die  verschiedenartigsten 
Krankheiten  der  Behandlung  mit  dem  Elektro- 
magneten unterzogen:  fast  alle  funktionellen 
und  organischen  Nervenleiden  auch  neuro- 
pathische  Ödeme  (Rodari),  die  subjektiven 
Symptome,  vor  allem  das  Schmerzsymptom, 
bei  den  pathogenetisch  verschiedenartigsten 
internen  und  konstitutionellen  Erkrankungen, 
vorzüglich  bei  Gicht  und  Rheumatismus. 
Die  einzelnen  Erfolge  hier  in  kritischer  Weise 
Revue  passieren  zu  lassen,  würde  zu  weit 
führen;  ich  will  mich  deshalb  auf  eine  kurze 
Epikrise  beschränken.    Man  ist  jetzt  allgemein 

24 


302 


Kroß,  Zur  Frage  d«r  ©lektromifnettechen  Tb«rapl«. 


der  Ansicht,  daß  dem  wechselnden  mag- 
netischen Polfeld  vor  allem  eine  sedative 
Wirkung  zukommt,  also  eine  Beeinflussung 
der  schmerzvermittelnden  Nervenbahnen  im 
depressiven  Sinn.  Übrigens  hat  für  den 
Müll  ersehen  Wechsel  ström- Stabmagneten  der 
Elektrophysiologe  Danilewsky  die  Ver- 
mutung einer  depressiven  sedativen  Wirkung 
bereits  im  Jahre  1880  ausgesprochen.  Wie 
man  sich  diesen  Vorgang  zu  denken  hat,  ist 
noch  eine  offene  Frage,  da  genauere  experi- 
mentelle Untersuchungen  fehlen.  Ob  es  sich 
um  eine  chemisch -physikalische  oder  rein 
mechanische  vibratorische  Einwirkung  auf 
para-  oder  diamagnetische  Substanzen  han- 
delt oder  um  ein  dritte  Unbekannte,  muß 
das  physiologische  Experiment  der  Zukunft 
zeigen. 

Die  Physik  vermutet  die  Entstehung  von 
Induktionsströmen  und  zwar  sogenannten 
Wirbel-  oder  Foucaultströmen.  Die  Wir- 
kung sollte  entweder  eine  direkte  sein  in 
Form  einer  sinusoidalen  Stromkurve  oder 
eine  mechanisch  erregende  auf  dynamo-elek- 
trischem  Wege.  Auch  die  Entstehung  feinster 
Vibrationen  in  den  Geweben  könnte  in  Frage 
kommen. 

Thomson  und  Herz  haben  gezeigt,  daß 
in  einer  Induktionsrolle,  welche  man  vor  den 
Radiator  bringt,  ein  elektrischer  Strom  ent- 
steht, welcher  einen  deutlichen  Anschlag  an 
einem  damit  verbundenen  Voltmeter  anzeigt, 
welcher  stark  genug  ist,  ein  Läutwerk  in 
Tätigkeit  zu  setzen,  eine  vor  die  Induktions- 
rolle gestellte  kleine  Glühlampe  zum  Leuchten 
oder  einen  zwischen  die  Pole  eines  Induktions- 
apparates gespannten Nikelindraht  zum  Schmel- 
zen zu  bringen.  Zwischen  2  Uhrgläser  ein- 
geschlossene Eisenfeilspäne  geraten  in  lebhaf- 
teste Bewegung.  Die  Kompaßnadel  gerät 
noch  auf  '/*  m  Entfernung  in  lebhafteste  Rota- 
tion, selbst  bei  Zwischenschaltung  von  Holz-, 
Glas-,  Stoffwänden.  Auf  dem  verschiedenen 
Verhalten  magnetischer  und  diamagnetischer 
Metalle  vor  dem  Radiator  beruhen  noch  eine 
Reihe  anderer  physikalischer  Experimente 
wie  Rotieren  eines  innerhalb  eines  Ringes 
drehbaren  Aluminiumringes  oder  einer  Kupfer- 
kugel etc. 

Alle  diese  Erscheinungen  machen  jeden- 
falls eine  klinische  Wirkung  sehr  plausibel, 
wenngleich  kein  Nachweis  dafür  bis  jetzt 
geliefert  ist.  Der  Zusammenhang  zwischen 
dem  physiologischen  Beobachtungsmaterial 
und  Klinik  ist  bis  jetzt  so  lose,  daß  er  keine 
Hypothese  zu  stützen  imstande  wäre. 

Die  Hauptschwierigkeit  für  die  definitive 
Lösung  der  Frage  liegt  außerdem  in  der 
Tatsache,  daß  es  sich  um  die  Entscheidung 
bei   einem  rein   subjektiven  Symptome,   dem 


L  Monatshefte. 


Schmerz,  handelt,  ob  es  spezifische  Beein- 
flussung des  Elektromagneten  ist  oder  ledig- 
lich Suggestivwirkung. 

Ich  glaube  die  Einwirkung  auf  Ödeme 
(die  3  Fälle  von  Aar  au  erscheinen  mir 
nicht .  einwandfrei  und  bedürfen  sicher  der 
Nachprüfung),  Krämpfe,  Epilepsie  überhaupt 
alles  andere  können  wir  heute  übergehen, 
weil  sich  ein  bestimmtes  Urteil  noch  in 
keiner  Weise  herausgebildet  hat. 

Bei  einem  solchen  subjektiven  Symptom 
steigen  eben  für  diese  Entscheidung  sehr 
große  Schwierigkeiten  auf. 

Vor  allem  scheiden  Tiere  vollkommen, 
Kinder,  Idioten  und  gewisse  Geisteskranke 
relativ  aus  der  Versuchsreihe  aus  wegen  der 
Subjektivität  des  Symptoms,  eine  Kategorie, 
welche  andrerseits  wegen  der  mangelhaften 
Suggestibilität  ein  lehrreiches  Material  bieten 
könnte. 

Es  wird  überhaupt  der  richtigste  Weg 
zur  Klärung  der  Frage  sein,  die  Suggestion 
völlig  auszuschalten  zu  suchen. 

Zu  diesem  Zweck  darf  es  vor  allem  kein 
besonderes  Institut  für  elektromagnetische  Be- 
handlung sein,  in  welches  der  Patient,  schon 
suggestiv  beeinflußt,  zum  Apparat  und  nur 
sekundär  zum  Arzt  kommt,  wie  leider  heute, 
nicht  ohne  Schuld  seitens  der  Ärzte  vielfach 
Mode  ist. 

Der  Arzt  muß  sich  jeder  Suggestiv  Wirkung 
enthalten.  Da  letztere  aber  teilweise  schon 
in  der  Persönlichkeit  liegt,  muß  diese  bei 
der  Beurteilung  der  jeweiligen  Statistiken  in 
Rechnung  gezogen  werden.  Schließlich  muß 
der  Patient  ahnungslos  und  vorurteilslos  dem 
Polfeld  ausgesetzt  werden  können. 

Bei  dem  Trüb  sehen  Apparat  ist  die 
Suggestivwirkung  nicht  auszuschalten;  denn 
er  verursacht  ein  deutliches  Geräusch.  Da- 
gegen ist  die  Magnetwirkung  —  also  die  spe- 
zifische Energie  —  des  Apparates  durch  Lo- 
sung des  Leitungsdrahtes  zum  Magneten  auf- 
zuheben. Das  ist  für  den  Patienten  nicht 
bemerkbar,  weil  eben  die  Kraftlinien  nicht 
empfunden  werden.  Es  wäre  also  anzustreben, 
daß  von  ein  und  demselben  Arzt  Versuchsreihen 
mit  und  ohne  Magneterregung  angestellt  und 
verglichen  werden.  Auf  diese  Weise  würden 
auch  die  relativen  Unterschiede,  welche  von 
der  größeren  oder  geringeren  Suggestivwirkung 
des  Arztes  und  von  der  jeweiligen  Suggesti- 
bilität der  Bevölkerung  abhängen  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  zu  vermeiden  sein. 
Bei  ein  und  derselben  Bevölkerung,  glaube 
ich  übrigens,  kommt  auch  der  Bildungsgrad 
und  Beruf  in  Betracht.  Denn  im  allgemeinen 
ist  in  solchen  Dingen  doch  der  Gebildetere 
Suggestionen  leichter  zugänglich,  weil  schon 
sein  Vorstellungsleben  besser  trainiert  ist. 


XIX-  Jahrgang  ."I 
Juni  1905.     J 


Krefi,  Zur  Frage  der  elektromagnetischen  Therapie. 


303 


Meine  Versuche  sind  in  dieser  Weise  an- 
gestellt, und  das  Resultat  ist  bis  jetzt  fol- 
gendes. 

Bei  Ausschaltung  der  Magneterregung 
habe  ich  eine  ganze  Reihe  bei  den  ver- 
schiedensten subjektiven  Beschwerden  funktio- 
neller Störungen  des  Nervensystems  von  Er- 
folgen gesehen,  also  Suggestivwirkung. 

Bei  organisch  bedingten  Schmerzen  waren 
mit  und  ohne  Magneterregung  nur  episodische 
Besserungen  zu  konstatieren. 

Mit  der  •  Radiatorbehandlung  allein  bin 
ich  in  keinem  meiner  Fälle  zum  Ziel  ge- 
kommen, ausgenommen  solche,  bei  denen 
auch  irgend  eine  andere  Suggestivmethode 
als  Heilmittel  mit  Erfolg  angewandt  werden 
kann.  Vor  allem  habe  ich  bei  hartnäckigen 
alten  Neuralgien  immer  erst  dann  Fortschritte 
gesehen,  wenn  ich  zur  kombinierten  Behand- 
lung mit  alten  bewährten  Methoden  schritt. 

Was  die  nervöse  Agrypnie  anlangt,  so 
scheint  mir  der  Beweis  der  spezifischen  Wir- 
kung des  Radiators  nicht  erbracht.  Meine 
Fälle  reagierten  mit  besserem  Schlaf  auch 
ohne  Magneterregung,  und  eine  reine  Suggestiv- 
wirkung ist  doch  auch  hier  nach  Sachlage 
sehr  plausibel. 

Auch  bei  Migräne  und  Kopfschmerzen 
habe  ich  vom  Radiator  allein  keine  Dauer- 
effekte gesehen;  ebensowenig  bei  Spasmen 
verschiedenster  Art. 

Bezüglich  interner  Erkrankungen  steht 
mir  keine  Erfahrung  zu,  da  ich  lediglich 
neurologisches  Material  zur  Verfügung  habe. 

Da  ich  nun  höre,  daß  auch  bei  dem 
Stabmagneten,  selbst  wenn  alles  mit  Aus- 
nahme des  Stabmagneten  selbst  in  einem 
andern  Räume  optisch  und  akustisch  abge- 
schlossen würde,  sich  ein  leises  Summen  nicht 
vermeiden  läßt,  so  liegen  dort  die  Schwierig- 
keiten für  Ausschaltung  der  Suggestivwirkung 
ganz  ähnlich. 

Da  aber  der  Stabmagnet  mit  Stromstärken 
bis  40  Ampere,  also  dem  10 fachen  des 
Trüb  sehen  Apparates,  beschickt  werden 
kann,  so  könnte  vielleicht  aus  Parallelver- 
suchsreihen mit  beiden  Apparaten  unter  mög- 
lichst gleichen  übrigen  Bedingungen  mehr 
Licht  in  die  Frage  kommen,  v.  Sarbo,  Wien 
(Deutsche  med.  Wochenschr.  1903  No.  2),  hat 
ausgedehnte  Versuche  bei  den  verschiedensten 
organischen  und  funktionellen  Erkrankungen 
des  Nervensystems  und  bei  Rheumatismus 
mit  dem  Stabmagneten  angestellt  und  hat 
den  großen  Strommengen  bis  40  Ampere  seine 
Patienten  ausgesetzt.  Er  hat  bei  Rheuma- 
tismus und  Lumbago  immer  Erfolg  gesehen, 
stets  Besserung  bei  allen  Agrypnien  mit  Aus- 
nahme der  arteriosklerotischen.  Günstige 
Beeinflussung    bei    den    verschiedenartigsten 


Nervenaffektionen.  Aber  einen  einwandfreien 
Beweis  für  spezifische  Wirkung  der  elektro- 
magnetischen Wellen  hat  v.  Sarbo  so  wenig 
als  einer  der  übrigen  bisherigen  Forscher 
erbracht. 

Wenn  uns  nicht  das  physiologische  Ex- 
periment doch  noch  zu  Hilfe  kommt,  — 
vor  allem  müßte  wohl  die  Tiefenwirkung 
elektromagnetischer  Kraftlinien  am  lebenden 
Organismus  unwiderleglich  festgestellt  werden, 
da  mit  dem  negativen  Ausfall  dieses  Versuchs 
die  Frage  als  erledigt  betrachtet  werden  dürfte 
—  und  wenn  nicht  im  oben  erwähnten  Sinn 
angestellte  ausgedehnte  parallele  Versuchs- 
reihenden Kauaalnexus  zwischen  dem  „Post 
hoca  und  der  spezifischen  Energie  des 
wechselnden  Polfeldes  statistisch  und  mit 
genügend  langen  nachfolgenden  Beobachtungs- 
perioden zu  erweisen  im  stände  sind,  so 
werden  wir  in  einer  eventuell  mit  der  Zeit 
hervortretenden  Abschwächung  der  Wirkungs- 
kraft den  Beweis  für  die  suggestive  Wirkung 
des  Elektromagneten  als  erbracht  ansehen 
dürfen. 

Vom  praktischen  Standpunkt  aus  ist 
natürlich  zurzeit  auch  ganz  irrelevant,  ob 
es  sich  um  spezifische  oder  Suggestivwirkung 
handelt.  Da  alle  Praktiker  dieser  Methode 
Wirkungen  sehen,  ist  die  Behandlungsform 
gegebenenfalls  erlaubt.  Berechtigte  Bedenken 
kann  man  allerdings  hegen  bezüglich  der 
Rückwirkung  auf  das  Publikum,  wenn  die 
elektromagnetischen  Kraftlinien  als  wirksames 
Prinzip  Fiasko  machen  sollten,  und  dadurch 
die  Skepsis  gegen  die  ärztliche  Autorität 
wieder  gefördert  würde. 

Wir  dürfen  uns,  glaube  ich,  ruhig  ge- 
stehen, daß  in  diesem  Punkte  der  Ärztestand 
selbst  eine  gewisse  Schuld  an  dem  Rückgang 
des  Vertrauens  zum  Arzte  trifft. 

Ich  weis  wohl,  daß  in  meinen  Erfahrungen 
keineswegs  der  strikte  Beweis  gegen  eine 
spezifische  Wirkung  des  Apparates  geliefert 
ist,  aber  es  erscheint  mir  doch  möglichst 
vorurteilsfreie  Kritik  für  die  folgenden  klini- 
schen Beobachtungen  dringend  ratsam. 


Unsere  elektrischen  Bader. 

Von 

Dr.  0.  Schiiep  in  Stettin. 

Wohl  haben  wir  der  elektrischen  Be- 
handlung, in  Privatpraxis  und  Sanatorium, 
faradischem  wie  konstantem  Strom,  Influen- 
zierung  und  Elektromagnetismus  manchen 
schönen  Erfolg  zu  verdanken;  es  entspräche 
jedoch  nicht  den  Tatsachen  und  wäre  weder 
der  Wissenschaft  noch  den  Kranken  damit 
gedient,  wollten  wir  nicht  zugeben,  daß  trotz- 

24* 


304 


Schliep,  Unter«  elektrischen  B&der. 


rTbarepentltche 
L   Monatshefte. 


dem  bisher  in  der  Elektrotherapie  recht  vieles 
noch  unvollkommen  und  unerklärt  war.  Wie 
wäre  das  auch  anders  denkbar  bei  Problemen, 
die  wohl  als  die  Probleme  aller  Probleme 
bezeichnet  werden  können !  Jahrtausende  haben 
sich  abgemüht  um  immer  neue  Einblicke  in 
die  Lebens  Vorgänge,  ihre  Ursachen,  ihre  Ab- 
wickelung und  Beeinflussung. 

Eine  Un Vollkommenheit  war  auch,  daß 
bisher  mancher  Arzt  in  der  Elektro-Therapie 
so  wenig  zu  Hause  war,  wo  er  doch  täglich 
Lähmungen,  Schmerzen,  Herzfehler  etc.  zu 
beurteilen    und    zu    behandeln    hat.      Jeder 


Wir  hatten  das  dipolare  elektr.  Vollbad 
nach  Stein:  beide  Polplatten  tauchen  in 
hölzerne,  isolierende,  Badewannen,  ohne  den 
Körper   zu  berühren. 

Das  monopolare  Bad  von  Eulenburg: 
der  eine  Pol  wird  von  der  Metallwanne  selbst 
gebildet,  der  andere  auf  einen  beliebigen 
Körperteil  appliziert,  event.  durch  die  so- 
genannte Monopol arstange,  auf  der  die  Hände 
ruhen,  positiv  oder  negativ  elektrisch. 

Dann  das  Zweizellenbad  von  Gärtner: 
Strom  und  Körper  geschieden  durch  Gummi- 
diaphragma. 


BK1R.6ES.SNU1AS 

BERIIN 


Fig.  1. 


Arzt  müßte  Elektro-Techniker,  -Diagnostiker 
und  -Therapeut  sein;  nur  den  Induktions- 
apparat kennen,  geht  heute  nicht  mehr  an; 
verfügen  wir  nicht  selbst  über  konstanten 
Strom  und  elektrische  Bäder,  so  müssen  wir 
doch  genau  mit  allem  Bescheid  wissen,  um 
unsere  Patienten  beraten  zu  können. 

Nur  weil  hier  ein  Manko  war,  konnte 
sich  die  Kurpfuscherei  gerade  auf  diesem  Ge- 
biet so  breit  machen:  in  die  Augen  springende 
Manipulationen,  ärztliche  Unsicherheit  bezügl. 
Anwendung  und  Erfolge,  —  der  Pfuscher 
nahm  lächelnd  das  Feld  in  Besitz! 

Über  welche  Apparate  verfugten  wir  bis- 
her? Sehen  wir  unsere  hydroelektrischen 
etwas  genauer  an. 


Das  Dreizellenbad  brauche  ich  nur  zu 
erwähnen:  Anfertigung  und  Verkauf  ist  seit 
kurzem  eingestellt. 

Endlich  der  fahrbare  „  San  itasa-  Stuhl- 
Schlitten,  Fig.  1,  für  faradische,  galvanische 
und  Wechselstrom-Bäder.  Wir  könnten  ihn 
ohne  weiteres  zu  unsern  besten  elektrischen 
Apparaten  rechnen,  hätte  er  Strommesser  auch 
für  faradischen  und  Wechselstrom  und  vor 
allem,  zeigte  das  Amperemeter  die  Elektri- 
zitätsmenge an,  die  allein  durch  den  Körper 
geht!  Da  aber  die  Elektrizität  bekanntlich 
immer  den  besten  Leiter  (Blitz)  wählt,  zieht 
sie  den  Weg  durch  das  Wasser  vor,  streift 
nur  den  Körper,  die  Stromdosierung  ist 
ungenau.     Als    Mißstände   wurden   noch   em- 


XIX.  Jahrffcog.1 
Jod!  19Q.V     J 


Sohliep,  Üoter«  elektrischen  Bftder. 


305 


pfunden,  besonders  von  sensiblen  und  ängst- 
lichen Naturen,  ab  und  an  elektrische  Schläge 
(Erdelektrizität)  und  Brennen  an  der  Wasser- 
grenze (Hals),  besonders  bei  faradischen 
Bädern,  deren  Stärke  ganz  von  der  Hand- 
habung des  Eisenkerns  abhängig  ist. 

Zu  diesen  Fehlern  kam  die  Unsicherheit 
in  Praxis  und  noch  mehr  in  Theorie;  wie 
wirkt  die  Elektrizität  auf  den  Organis- 
mus? 

Doch  schon  war  von  mehr  als  einer  Seite 
nicht  nur  eine  Antwort  auf  diese  Frage  gegeben, 
sondern  gelöst  war  auch  das  Problem  der 
genauen    Stromdosierung.     Von   Dr.  Schnee 


eine  Apoplexie  vorkommen,   kann  uns  Fahr- 
lässigkeit nicht  mehr  vorgeworfen  werden. 

Bezüglich  des  „Sanitas-Schlittens"  möchte 
hier  manchem  noch  folgender  Hinweis  will- 
kommen sein.  Verworfen  braucht  dieser 
Apparat  durchaus  nicht  zu  werden,  dazu  ist 
er  auch  zu  teuer.  Soviel  ich  weiß,  sind 
patentiert  nur  der  neue  Sehneesche  Stuhl 
-4-  4  Zellen  und  der  Strom  Verteiler,  das  allein 
wäre  nachzubestellen,  außerdem  1  Ampere- 
meter für  Wechselstrom  und  Faradisation  (?). 
Die  Auspolung  für  die  Kataphorcse  ist  einfach. 
Wo  Leitung  fehlt,  muß  natürlich  extra  Batterie 
oder   Akkumulator   angeschafft   werden,    und 


E.G.     SMITH«      SEBUL 


Fig.  2. 


war  das  Vierzellenbad,  Fig.  2,  erfunden; 
in  diesem  aber  besitzen  wir  ein  elektrisches 
Bad,  das  alles  leistet,  was  wir  füglich  nur 
wünschen  können.  Erst  jetzt  ist  eine  zuver- 
lässige kataphoretische  Einwirkung  möglich; 
der  elektrische  Strom  geht,  wie  erwiesen, 
ganz  durch  den  Körper;  das  Amperemeter 
kann  seine  Volleistung  entfalten ;  auch  Schwer- 
kranke, für  die  schon  das  An-  und  Aus- 
ziehen eine  Qual  ist,  können  jetzt,  natürlich 
immer  mit  der  nötigen  Vorsicht,  baden,  und 
wir  dürfen,  z.  B.  bei  Herzkranken,  nunmehr 
noch  auf  Erfolge  rechnen,  wo  sie  früher  aus- 
geschlossen waren.  Der  Arzt  kann,  wo  er 
seinen  Apparat  nunmehr  in  der  Gewalt  hat, 
seine  Aufmerksamkeit  ganz  dem  Patienten  zu- 
wenden.     Sollte    uns   aber   einmal   im   Bade 


stelle  ich  meine  Erfahrungen  bezüglich  dieses 
Punktes  wie  auch  betr.  der  Umänderungen 
gern  zur  Verfügung,  man  kann  viel  Verdruß 
und  Kosten  sparen. 

Aber  ich  möchte  nicht  nur  den  „Schlitten" 
retten,  sondern  schließlich  auch  noch  eine 
Lanze  für  das  alte  faradische  Vollbad  ein- 
legen. Selbst  wenn  wir  ihm  den  Garaus 
machen  wollten,  glaube  ich,  könnten  wir  das 
nicht  zuwege  bringen:  die  Patienten  würden 
sich  widersetzen,  diese  Art  Bäder  wieder 
verlangen,  sie  event.  ohne  Verordnung,  hinter 
unserm  Rücken,  nehmen.  Und  warum  das? 
Den  ganzen  Körper  wollen  die  Leute  im 
Wasser  haben,  das  Wohlbehagen  ist  ein  weit 
größeres  als  im  Stuhlbad;  aber  es  ist  auch 
wohl   der  alte   Unsinn  „viel  hilft  viel",   der 


306 


Schllap,  Unter«  •l«ktriieh«a  Bftdar. 


(Thertpeutlflche 
L   Monatsheft«. 


uns  hier  entgegenwirkt,  es  soll  ja  gerade 
tüchtig  prickeln,  das  wird  mehr  geschätzt 
als  genaue  Dosierung.  Handelt  es  sich 
nicht  um  Schwerkranke,  so  können  wir  hier 
wohl  nachgeben,  besonders  wenn  wir  sorgsam 
in  der  Indikation  sind  und  ein  Galvanometer 
(nicht  etwa  das  Galvanoskop!)  anwenden? 
Da  jenes  den  Körper  widerstand  im  Voll- 
bade doch  nicht  genau  anzeigt,  mag  hier 
immerhin  Gefühl  und  Erfahrung  entscheiden. 

—  Für  Neuanschaffungen  ist  zweifellos  das 
4-Zellenbad  das  beste;  besonders,  nachdem 
A.  Eulenburg,  selbst  Erfinder  des  Mono- 
polarbades, sich  (1902)  auf  der  Naturforscher- 
versamlung  zu  Karlsbad  so  anerkennend  über 
die  Sehn  besehe  Erfindung  ausgesprochen  hat. 
Hat  das  4-Zellenbad  nun  auch  seinen  Siegeszug 
nicht  nur  in  der  alten,  sondern  auch  in  der 
neuen  Welt  begonnen  —  ein  Broadbent  z.  B. 
wird  in  der  nächsten  Auflage  seiner  Herz- 
krankheiten  sicher    auch   hierüber   berichten 

—  so  mochte  ich  doch  dem  Wunsche  Aus- 
druck geben,  daß  bald  alle  unsere  Kranken- 
häuser etc.  über  dies  Heilmittel  verfügten. 
Bis  jetzt  ist  es  z.  B.  noch  in  keinem  unserer 
Ostseebäder  (ausgenommen  Kolberg,  Vereins- 
Solbad)  eingeführt,  sehr  sporadisch  erst  in 
einigen  andern  Kurorten.  Verhalten  wir  uns  doch 
nicht  zu  lange  abwartend,  wir  könnten  den  sog. 
Na,turheilanstalten  gegenüber  wieder  einmal 
leicht  ins  Hintertreffen  kommen;  sie  sind  in 
der  Lage,  vollkommene  Apparate  anschaffen 
zu  können,  sei  es  auch  nur,  um  Leichtgläu- 
bigen Sand  in  die  Augen  zu  streuen. 

Unsere  elektrischen  Badeeinrichtungen  also 
sind  jetzt  gut;  wie  steht  es  mit  den  Heil- 
erfolgen? wie  kommen  diese  überhaupt  zu- 
stande? 

Zikel,  Hamburger,  Koeppe  —  um 
nur  einige  der  „Neueren"  anzuführen  — 
ihre  Osmosen-Ionen-Theorie  und  Kryoskopie, 
sie  haben  uns  neue  Aufschlüsse  über  die 
(elektrischen)  Vorgänge  im  Organismus  ge- 
geben. Ihnen  folgen  wir  im  weiteren,  ver- 
gegenwärtigen uns  jedoch  vorher  kurz  die  ein- 
facheren Wirkungen  des  elektrischen  Stroms, 
zuerst  die  des  faradischen. 

Indem  derselbe  primär  oder  sekundär 
Muskelzuckungen  hervorruft,  vermehrt  er  den 
Blutgehalt  des  Muskels,  beeinflußt  reflektorisch 
den  Stoffwechsel.  Geschwächte  Nerven  werden 
durch  schwache  Faradisation  belebt. 

Der  konstante,  und  zwar  der  aufsteigende 
Strom  hat  ebenfalls  rekreierende  Wirkung, 
wenn  dieselbe  auch  anders  zustande  kommt. 
Sie  ist  eine  polare,  katalytische,  und  nach 
der  Durchlässigkeit  der  Membranen  ver- 
schiedene,kataphorische,Entzündungsprodukte 
lösende.  Indem  an  den  Polen  des,  einen 
flüssigen  Leiter  durchfließenden,  Stromes  Zer- 


setzungsprodukte, Ionen,  ausgeschieden  werden, 
Widerstände  geschaffen  oder  herabgesetzt 
werden,  entsteht  ein  neuer  galvanischer  Strom 
(galvan.  Polarisation);  sie  nimmt  mit  der 
Stromstärke  zu,  mit  der  Erhöhung  der  Tem- 
peratur jedoch  beinahe  proportional  ab.  Außer- 
dem wirkt  der  konstante  Strom  entweder  direkt 
oder  reflektorisch  auf  Nerven  und  Blutgefäße 
(L an d  o i 8 ,  Physiologie) ;  die  elektromotorische 
Kraft  ist  in  der  „  Spannungsreihe u  verschieden. 

Nach  Koeppe  existiert  kein  Vorgang  im 
lebenden  Organismus  ohne  Osmose.  Die  os- 
motischen Kräfte  selbst  sind  nie  in  Ruhe- 
zustand (Löslichkeit  der  Moleküle);  sie  sind 
nachweisbar  die  Ursache  des  Auftretens  elek- 
trischer Ströme  in  unserm  Körper  (Theorie  der 
elektrolytischen  Dissoziation  v.  Arrhenius). 

Bis  ins  Kleinste  haben  wir  also  in  unserm 
Körper  —  elektrischen  Betrieb!  Da  dieser 
aber  der  beste  ist,  so  könnten  wir  ja  eigent- 
lich vollkommen  zufrieden  und  rahig  sein; 
sind  doch  auch  die  Auskehrungsvorrichtun- 
gen  elektrisch,  kranke  Zellen,  Infektionskeime, 
sie  werden  durch  Elektrizität  (Fieber!)  un- 
schädlich gemacht! 

Sofern  keine  Infizierung,  Überlastung, 
Schwächung,  kein  Stagnieren  eintritt,  bleibt 
allerdings  der  Organismus  auch  stets  in  Ord- 
nung, bis  zur  Altersabnutzung;  bei  groben 
Insulten  jedoch  müssen  wir  versuchen,  durch 
äußere  Handreichungen  und  innere  Arzneien 
zu  helfen.  In  adäquatester  Weise  vermag  das 
nach  Zikel  der  konstante  Strom. 

Auch  Zikel  basiert  seine  Theorie  auf  der 
osmotischen  Druckveränderung  in  den  Zellen, 
als  rein  physikalischen  Vorgängen.  Durch 
sein  Pektoskop  stellt  er  die  Funktionsver- 
änderung der  Zellen,  ihr  Verhalten  bei  be- 
stimmten Krankheiten  fest  und  definiert  die 
(innere)  Elektrizität  als  einen  spezifischen 
Arbeitseffekt  der  Elektrolyten  bei  der  Osmose ; 
die  einzige  Quelle  dieser  kinetischen  Energie- 
form ist  die  elektrolytische  Dissoziation. 

Die  Wirksamkeit  des  galvanischen  Stroms 
kommt  dadurch  zustande,  daß  die  von  dem 
Strome  mitgerissenen  Ionen  stets  das  Über- 
gewicht über  die  gegen  die  Elektrizitäts- 
richtung wandernden  Ionen  erhalten. 

Wie  dies,  so  hat  Zikel  auch  das  folgende 
für  die  Elektrotherapie  so  wichtige  Gesetz 
experimentell  erwiesen:  Durchfließt  der  gal- 
vanische Strom  einen  Zellenkomplex  in  der 
Längsrichtung  einer  mit  einer  Vene  parallel 
laufenden  Arterie,  so  wird  er,  falls  er  in  der 
Blutstromrichtung  eintritt,  den  Druck  und 
die  Wanderungsgeschwindigkeit  des  Bluts  in 
der  Arterie  erhöhen,  in  der  Vene  erniedrigen 
und  demnach  eine  therapeutisch  in  gewissen 
Fällen  erwünschte  kapillare  Druckerhöhung 
bewirken.       In     entgegengesetzter     Richtung 


XIX.  Jahrgang. 
Juni  1905. 


■] 


Schll«p,  Unser«  •lektrlieh«n  Btdar. 


307 


fließend,  vermag  er  das  Kapillarsystem  zu 
entlasten.  Hierbei  beschränkt  sich  die  Wirk- 
samkeit lediglich  auf  das  durchflossene  Ge- 
biet; einen  Einfloß  auf  den  Gesamtorganismus 
übt  er  nicht  aus.  Konnten  wir  aus  der  großen 
Zahl  neu  erschlossener  Gesichtspunkte .  hier 
nur  einige  wenige  hervorheben,  so  verweisen 
wir  um  so  dringender  auf  die  betreffenden 
Originalabhandlungen;  wir  werden  aus  Zikels 
Lehrbuch  der  klinischen  Osmologie  lernen, 
wie   und   warum   die  Elektrizität  wirkt.     In 


Stöpselung: 


Fig.  8. 


Stöpselung: 


a§213 

Kathode.^1 

eSbm 

H  Kathode    1 

Kg.  4. 

genialer  Weise  das  aber  für  eine  große  An- 
zahl von  Krankheiten  weiter  fruchtbar  ge- 
macht zuhaben,  ist  das  Verdienst  Schnees. 
Er  zwang  die  bisher  ungebändigte ,  un- 
berechenbare Kraft,  die  Elektrizität,  durch 
Wannen-  und  Schaltbrettsystem,  erst  jetzt 
für  den  menschlichen  Körper  genau  dosiert, 
in  ganz  bestimmte  Bahnen.  Auch  hier  muß 
der  Modus  procedendi  in  den  resp.  Abhand- 
lungen nachgelesen  werden,  nur  die  beifolgenden 
Abbildungen  Fig.  3  u.  4  kann  ich  geben. 

Durch     die     umfangreichsten     klinischen 
Nachprüfungen   ist   die   großartige  Leistungs- 


fähigkeit des  4-Zellenbades  anerkannt,  be- 
sonders auf  dem  Gebiet  der  Kataphorese; 
sie  gerade  konnte  Erfolge  zeitigen,  an  die 
wir  bisher  nicht  gedacht  hatten,  z.  B.  als 
Rivalin  der  Chirurgie  (Gallensteine,  Blind- 
darm- u.  a.  Entzündungen). 

Die  Fragen:  wie  weit  sind  Herzfehler  durch 
faradische,  galvanische  und  Wechselstrom- 
bäder reparabel?  was  leistet  die  Brom- 
Kataphorese  bei  Epilepsie,  gegen  Blutungen, 
Gicht,  Syphilis  etc.?  sie  werden  jetzt  oft 
behandelt  werden,  nach  neuen  Gesichtspunkten. 
Vergessen  wir  aber  nie,  daß  eine  Methode 
nicht  „ methodistisch u  gehandhabt  werden  darf; 
wir  müssen  das  anerkannt  Gute,  das  oft  sehr 
einfach,  oft  sehr  kompliziert  ist,  uns  auf  jeden 
Fall  zu  eigen  machen.  Zu  dem  anerkannt 
Guten  aber  gehört  die  Schnee  sehe  Art  der 
elektrischen  Stromapplizierung;  möchte  sie 
die  bald  allgemein  übliche  werden. 


Ein  Formalin-Desinfektionsschrank. 

Von 
Dr.  Monde  in  Gottesberg. 

Die  Möglichkeit,  daß  der  Arzt  an  seiner 
Kleidung  infektiöse  Keime  in  gesunde  Fa- 
milien schleppt  und  dadurch  Krankheiten 
überträgt,  ist  nicht  nur  zur  Zeit  von  epide- 
mischer Verbreitung  infektiöser  Krankheiten, 
sondern  auch  bei  sporadischen  Fällen  vor- 
handen, solange  nicht  eine  wirksame  Des- 
infektion nach  solchen  Krankenbesuchen 
streng  durchgeführt  wird.  Das  bisher  übliche 
Verfahren,  das  sich  im  wesentlichen  darauf 
beschränkte,  die  Kleider  nach  einem  infek- 
tiösen Besuche  zu  wechseln  und  dieselben 
längere  oder  kürzere  Zeit  „hängen"  oder 
auf  dem  Boden  „lüften"  zu  lassen,  entspricht 
schon  längst  nicht  mehr  den  wissenschaft- 
lichen Anschauungen  über  Desinfektion  von 
Kleidungsstücken  und  kann  auf  Sicherheit 
der  Wirkung  keinen  Anspruch  erheben.  Des- 
infektionsanstalten, von  denen  die  Kleider 
geholt  und  sterilisiert  werden,  gibt  es  aber 
auf  dem  Lande  und  in  kleinen  Städten  nicht, 
und  in  größeren  Städten,  wo  derartige  In- 
stitute bestehen,  würde  der  Arzt  bei  einer 
stärkeren  Ausbreitung  von  Masern,  Scharlach 
oder  Diphtherie  bald  in  Verlegenheit  geraten, 
weil  sich  seine  Garderobe  dauernd  auf  dem 
Wege  zum  und  vom  Desinfektor  befinden 
würde.  Neben  dieser  nicht  geringen  Unbe- 
quemlichkeit käme  dann  als  weiteres  Moment 
in  Betracht,  daß  dem  Arzte  nicht  unerheb- 
liche Kosten  entstehen  würden,  die  um  so 
drückender  wären,  als  gerade  der  wirtschaft- 
lich schwache  Teil  der  Ärzteschaft  (die 
Armen-  und  Kassenärzte)    am  häufigsten   in 


308 


M  e  o  d  e ,   Formalln-  DesiDfektionsechraok. 


L    Monatsheft«. 


die  Lage  käme,  seine  Kleider  desinfizieren 
zu  lassen. 

Ich  habe  mich  daher  bei  Gelegenheit 
einer  ausgedehnten  Scharlach-  und  Diph- 
therie-Epidemie vor  nunmehr  4  Jahren  ver- 
anlaßt gesehen,  nach  einem  Auskunftsmittel 
zu  suchen,  und  einen  Schrank  anfertigen 
lassen,  der  mir  die  sichere  Desinfektion  meiner 
Kleidung  zu  gewährleisten  scheint. 

Dieser  Schrank  ist  gebaut  wie  jeder 
andere,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß  er 
durch  zwei  Haspen  an  der  Wand  aufgehängt 
werden  kann.  Er  ist  so  geräumig,  daß  er 
die  gesamten  Oberkleider:  Rock,  Weste, 
Beinkleider,  Mantel,  Hut,  Kragen,  Man- 
schetten, Handschuhe  etc.  bequem,  und  ohne 


sole,  auf  welcher  in  kurzem  Abstände  von- 
!  einander  zwei  Spirituslampen  Platz  finden, 
die  eine  zum  Verdunsten  des  Wassers,  die 
|  andere  zum  Vergasen  der  Pastillen.  In  dem 
Schrank  selbst  befindet  sich  wie  in  anderen 
Schränken  eine  Anzahl  Kleiderhaken.  Der 
Schrank  ist  aus  trockenem  Holz  sorgfaltig 
gearbeitet,  frei  von  Fugen  und  Ritzen,  die 
Tür  steht  reichlich  um  1  cm  über  und  ist 
in  ihrem  ganzen  Umfange  mit  einem  Flanell- 
streifen abgedichtet;  auch  über  das  Schloß 
hinweg  zieht  sich  innen  eine  Lederdichtung, 
welche  das  Schlüsselloch  gasdicht  überdeckt. 
Der  Schrank  hängt  in  meinem  Wartezimmer, 
in  welches  ich,  ohne  meine  Privatwohnung 
zu  betreten,    direkt  vom  Flur    aus   gelangen 


daß  durch  zu  dichtes  Aneinanderhängen   der 
Zutritt  der  Gase  gehindert  wird,    aufnehmen 
kann.     Seine  inneren  Maße  sind  folgende: 
Höhe     .     .      .      .      1,60  m 
Breite    ....     0,55  - 
Tiefe     ....     0,35  - 
Sein    Boden    wird     gebildet    von     einem 
derben  Schwarzblech,    auf  welchem  die  Ver- 
brennung der  Formalinpastillen  und  die  Ver- 
dunstung des  in  einer  blechernen  Schale  be- 
findlichen Wassers  stattfindet.     In  einem  Ab- 
stände von  circa  14  cm  darüber  befindet  sich 
ein  hölzerner  Rost,    der  eine  Berührung   der 
im  Schranke  untergebrachten  Kleidungsstücke 
mit  dem  erhitzten  Blech  und  dem  verdunsten- 
den Wasser  verhindert.   Unterhalb  des  eigent- 
lichen Schrankes   verlängert    sich   die  Rück- 
wand   und    trägt    in    einer    Entfernung    von 
circa  15  cm  vom  blechernen  Boden  eine  Kon- 


kann. Ein  belästigendes  Ausströmen  der 
Formalingase  findet  auch  während  des  Be- 
triebes nicht  statt. 

Nach  einem  infektiösen  Krankenbesuch 
lege  ich  in  meinem  Wartezimmer  die  Ober- 
kleider ab  und  hänge  sie  in  den  Schrank. 
Danach  wasche  ich  Gesicht  und  Hände  mit 
Sublimat  und  ziehe  die  mir  inzwischen  ge- 
brachten anderen  Kleider  an.  Darauf  fülle 
ich  die  auf  dem  Boden  des  Schrankes  be- 
findliche blecherne  Schale  mit  150  ccm  Wasser 
und  lege  daneben  in  kurzem  Abstände  zehn 
Scheringsche  Formalinpastillen,  schließe  den 
Schrank  und  entzünde  die  Spirituslampen, 
die  so  gestellt  werden,  daß  die  eine  unter 
die  Schale,  die  andere  unter  die  Pastillen 
zu  stehen  kommt,  und  deren  Dochte  so  weit 
heruntergestopft  sind,  daß  sie  nur  kleine, 
etwa  1  cm  hohe  Flammen  geben.   Die  Lampen 


XIX.  J&hrgasff.l 
Juol  1906.     J 


M  •  n  d  • ,  FonMlln-DasiofektloiiMchraiik. 


309 


fassen  eine  genügende  Menge  Spiritus,  um 
bei  diesem  Stande  der  Flammen  drei  bis  Tier 
Stunden  zu  brennen. 

Die  Kleider  bleiben  nun  gewöhnlich  längere 
Zeit,  manchmal  mehrere  Tage,  im  Schrank; 
frühestens  werden  sie  nach  drei  Stunden  her- 
ausgenommen und  wieder  verwendet.  Das 
letztere  geschieht  zu  Zeiten  einer  epidemi- 
schen Verbreitung  infektiöser  Krankheiten, 
in  denen  mehrere  infektiöse  Besuche  an  einem 
Tage  notwendig  werden.  Das  Umkleiden  er- 
folgt dann  in  der  oben  beschriebenen  Weise, 
jedoch  mit  dem  Unterschiede,  daß  ich  die 
in fektion 8 verdächtigen  Kleider  zunächst  auf 
ein  leinenes  Tuch  lege,  mich  dann  wasche 
und  die  im  Schrank  vorhandenen  desinfizierten 
Kleider  bis  auf  den  Rock  anziehe.  Der  letztere 
wird  zwar  auch  aus  dem  Schrank  entfernt, 
aber  zunächst  beiseite  gelegt.  Dann  lege  ich 
zum  Schutz  der  desinfizierten  Kleidung  einen 
Operationsmantel  an,  hänge  die  infektiöse 
Kleidung  in  den  Schrank,  dazu  schließlich 
noch  den  Operationsmantel  und  das  leinene 
Tuch  und  schließe  den  Schrank.  Dann  wasche 
ich  nochmals  die  Hände,  und  erst  hiernach 
▼ervollständige  ich  den  Anzug  durch  Anlegen 
des  Rockes. 

Auf  diese  Weise  gelingt  es  leicht,  die 
sterile  Kleidung  vor  einer  erneuten  Infektion 
durch  Berühren  mit  den  infektiösen  Kleidungs- 
stücken zu  schützen. 

Die  Wahl  der  Schrankform  bei  diesem 
De8infektionsapparat  war  von  vornherein 
naheliegend,  ist  doch  der  Schrank  seiner 
Bestimmung  gemäß  zur  Aufnahme  und  zum 
Verschluß  von  Kleidungsstücken  geeignet;  er 
ist  unauffällig  im  Aussehen,  nimmt  wenig 
Platz  in  Anspruch,  die  Kleider  werden  in 
ihm  von  allen  Seiten  von  den  Gasen  um- 
spült und  schließlich  ist  er  leicht  zu  ver- 
schließen und  abdichtbar. 

Was  nun  die  Art  der  Formaldehydent- 
wicklung betrifft,  so  ist  für  den  Praktiker 
bei  gleicher  Sicherheit  der  Wirkung  der  ein- 
fachste Apparat  der  beste. 

Von  den  verschiedenen  Methoden  der 
Formaldehydentwicklung  (nach  Trillat,  Ro- 
senberg, Walter-Schloßmann,  Flügge) 
war  jedenfalls  die  einfachste  die  Schering- 
sche1).  „Das  feste  Polymerisierungsprodukt 
des  Formaldehyds,  Paraformaldehyd  oder 
Trioxymethylen,  wird  in  Pastillenform  ge- 
bracht. In  einem  ,  Äskulap1  genannten 
kleinen  Apparat  werden  die  Pastillen,  deren 
jede  1  g  wiegt,  über  einer  Spirituslampe  er- 
hitzt,  so  daß  die  entstehenden  Formaldehyd- 


!)  Zeitschrift  für  Hygiene  und  Infektionskrankh. 
22.  Bd.,  S.  284.  Flügge,  Qie  Wohnungsdesinfek- 
tion durch  Formal dehyd. 


dämpfe  mit  den  Verbrennungsgasen  gemischt 
und  von  diesen  mitgerissen  werden. u  Flügge 
sagt  weiter  von  diesem  Verfahren  S.  296: 
„Sehr  bestechend  ist  das  Scheringsche  Ver- 
fahren durch  die  leichte  Dosierung  und  die 
einfache,  sichere  Formaldehydentwicklung. 
Wir  haben  die  Mehrzahl  dieser  praktischen 
Versuche  mit  diesem  Verfahren  gemacht,  und 
die  Desinfektionskolonne  hat  so  zuverlässig 
und  so  gern  damit  gearbeitet,  daß  wir  jede 
weitere  Modifikation  für  überflüssig  gehalten 
haben  würden,  wenn  nicht  der  Preis  der 
Pastillen  ein  relativ  hoher  gewesen  wäre." 
Er  erkennt  also  ausdrücklich  die  Sicherheit 
der  Methode  und  ihre  einfache  Durchfuhr- 
barkeit  an  und  findet  nur  in  dem  relativ 
hohen  Preise  der  Pastillen  den  Grund,  der 
ihn  bestimmte,  für  die  Wohnungsdesinfektion 
nach  einem  anderen  Verfahren  zu  suchen. 

Bei  den  kleinen  Verhältnissen,  um  die  es 
sich  hier  bei  der  Desinfektion  des  Schrank- 
innern  handelt,  spielt  nun  der  Preis  der 
Pastillen  keine  wesentliche  Rolle,  und  des- 
halb erschien  mir  dieses  Verfahren,  gestützt 
gerade  auf  die  Autorität  Flügges,  als  das 
geeignetste.  Das  Verfahren  gelangte  nun  in 
der  oben  beschriebenen  Änderung  zur  An- 
wendung, daß  an  Stelle  des  „Äskulap"  ge- 
nannten Apparates  das  Eisenblech  des 
Schrankes  fungierte,  welches  durch  zwei  Spi- 
rituslampen erhitzt  wurde,  wodurch  über  der 
einen  Flamme  die  Formalinpastillen  und  über 
der  anderen  eine  genügende  Wassermenge 
vergast  resp.  verdunstet  wurde.  Die  Wasser- 
menge entsprach  den  weiteren  Angaben 
Flügges  (auf  S.  290),  wonach  etwa  auf 
250  Pastillen  3  1  Wasser  zu  verdampfen 
sind. 

Da  mir  daran  gelegen  sein  mußte,  schon 
nach  der  verhältnismäßig  kurzen  Zeit  von 
3  Stunden  eine  sichere  Desinfektion  zu  er- 
zielen, war  ich  darauf  gefaßt,  daß  dazu  eine 
relativ  hohe  Zahl  von  Formalinpastillen  not- 
wendig sein  würde.  Nach  den  Resultaten 
aus  dem  Breslauer  Institute  hätte  ich  er- 
warten können,  daß  dies  mit  einer  Menge 
von  l1/« — 2  Pastillen  bei  meinem  Schrank 
möglich  sein  würde. 

Die  daraufhin  angestellten  Versuche  haben 
dies  jedoch  nicht  bestätigt.  Ich  habe  vielmehr 
mit  der  Anzahl  der  Pastillen  erheblich  in  die 
Höhe  gehen  müssen,  weil  in  den  Versuchen 
ein  wenngleich  erheblich  verspätetes  Aus- 
keimen in  der  Gelatine,  bei  Zimmertempe- 
ratur oft  erst  nach  Wochen,  beobachtet  wurde. 
Erst  bei  der  doch  recht  bedeutenden  Menge 
von  5  —  6  Pastillen  wurde  bei  3  Stunden 
Einwirkungsdauer  auch  bei  wochenlanger  Be- 
obachtung eine  Entwicklung  von  Keimen  in 
den  Petrischen  Schalen  nicht  mehr  beobachtet. 


310 


M  •  n  d  e ,  Pormalin-Detlnfektioossehraitk. 


rTharapentlirbii 
L   Monatshefte. 


1 


Zur  Erklärung  dieser  immerhin  auffallenden 
Erscheinung  nehme  ich  an,  daß  ich  zufallig 
vielleicht  auf  einen  besonders  resistenten 
Stamm  des  Staphylococcus  pyogen,  aur.,  den 
ich  aus  einem  Furunkel  rein  gezüchtet  und 
zu  diesem  Versuch  verwendet  hatte,  gestoßen 
war  (eine  Resistenzprüfung,  wie  sie  neuer- 
dings mit  Recht  verlangt  wird,  wurde  leider 
nicht  vorgenommen).  Möglich  auch,  daß  zu 
diesem  Resultat  der  Umstand  beigetragen  hat, 
daß  ich  damals  bei  der  bakteriologischen 
Prüfung  noch  keine  Wasserverdampfung  an- 
wendete, wie  ich  dies  nunmehr  seit  reichlich 
Jahresfrist  regelmäßig  tue.  Eine  bakterio- 
logische Nachprüfung  mit  dieser  Modifikation 
wurde  jedoch  aus  äußeren  Gründen,  und  weil 
bei  dem  geringen  Preise  der  wenigen  Pastillen 
die  Frage  nicht  wesentlich  war,  bis  jetzt 
unterlassen.  Ich  habe  es  vielmehr  vorgezogen, 
um  eventuell  noch  resistentere  Keime  als  den 
Staphylococcus  pyog.  aur.  bei  der  Desinfektion 
zu  vernichten,  die  Anzahl  der  Pastillen  auf 
10  Stück  zu  erhöhen,  und  diese  Anzahl 
regelmäßig  bei  der  Desinfektion  meiner  Klei- 
dung zur  Vergasung  gebracht. 

Selbstverständlich  hat  auch  diese  Me- 
thode wie  überhaupt  die  Formalin-Desinfek- 
tionsmethode  ihre  Grenzen,  über  welche  hin- 
aus eine  sichere  Abtötung  der  Keime  nicht 
zu  erwarten  ist.  Überall  dort,  wo  ein  tieferes 
Eindringen  infektiöser  Exkrete  in  die  Klei- 
dung stattgefunden  hat,  oder  wo  diese  Ex- 
krete auf  der  Kleidung  dickere  Schichten 
bilden,  ist  eine  sichere  Abtötung  der  in  den 
Exkreten  enthaltenen  Keime  durch  das  Form- 
aldehyd nicht  zu  erwarten,  und  es  müssen 
in  solchen  Fällen  andere  Methoden  (strömen- 
der Wasserdampf,  Sublimat,  Karbol)  an  seine 
Stelle  treten.  In  allen  Fällen  jedoch,  in  denen 
die  Keime  mutmaßlich  nur  oberflächlich  lagern 
oder  in  dünneren  Exkretschichten  den  Klei- 
dungsstücken anhaften,  ist  diese  Methode  eine 
absolut  sicher  wirkende.  Glücklicherweise 
sind  diese  letzteren  Fälle  bei  weitem  die 
häufigsten,  und  zu  ihnen  zählen  die  für  den 
praktischen  Arzt  wichtigsten  Krankheits- 
formen, vor  allem  Masern,  Scharlach,  Diph- 
therie und  Influenza  und  Phthise  in  den 
Fällen,  wo  es  sich  nicht  um  eine  Besudelung 
der  Kleider  mit  den  dicken  schleimig-eitrigen 
Sputis  der  Lungenschwindsüchtigen,  sondern 
mit  den  feineren  Expektorationen  handelt, 
die  bei  lautem  Sprechen  und  Husten  manch- 
mal unbemerkt  aus  dem  Munde  der  Schwind- 
süchtigen geschleudert  werden. 

Eine  Nachteil  der  Methode  ist  der  un- 
angenehme und  stark  reizende  Formalin- 
geruch, der  den  Kleidern  manchmal  lange 
Zeit  anhaftet  und  dem  Träger  sehr  lästig 
werden   kann.     Begibt    man    sich    nach  An- 


legen der  desinfizierten  Kleider  gleich  in  die 
freie  Luft,  so  ist  die  Belästigung  gewöhnlich 
nicht  bedeutend,  und  der  Geruch  wird  bald 
nicht  mehr  störend  empfunden.  Anders  frei- 
lich ist  es,  wenn  man  sich  in  der  ersten 
Zeit  nach  erfolgter  Desinfektion  in  der  Stube 
aufhalten  muß.  Hier  hilft  jedoch  aufs  beste 
die  Desodorierung  mit  Ammoniak  nach  der 
von  Flügge  gegebenen  Anweisung  (S.  298) 
Nach  Vollendung  der  Desinfektion,  also 
frühestens  nach  3  Stunden,  wird  der  Schrank 
vorsichtig  geöffnet  und  in  die  Wasserschale 
eine  kleine  Menge  (30 — 40  g)  einer  25  proz. 
wäßrigen  Ammoniaklösung  gegossen,  dann  der 
Schrank  wieder  geschlossen  und  diese  kleine 
Menge  oder  auch  nur  ein  Teil  davon  in  der- 
selben Weise  wie  vorher  das  Wasser  ver- 
dampft. Schon  nach  kurzer  Zeit  ist  dann 
kaum  noch  eine  Spur  des  Formalingeruches 
an  den  Kleidern  wahrnehmbar,  und  auch  der 
Ammoniak geruch  ist  bald  verflogen. 

Eine  besondere  Erläuterung  der  beiden 
beigefügten  Abbildungen  erscheint  mir  nach 
dem  Vorangegangenen  kaum  nötig.  Man  sieht 
aus  denselben,  daß  der  Schrank  ein  unauf- 
fälliges Aussehen  hat  und  wenig  Platz  be- 
ansprucht. Auf  dem  zweiten  Bilde  ist  das 
Innere  des  Schrankes  sichtbar,  besonders 
auch  der  hölzerne  Rost  und  die  Abdichtung 
am  Türschloß  sowohl  wie  am  Türrande. 

Ich  füge  dann  noch  hinzu,  daß  der  Schrank 
für  wenig  Geld  von  jedem  Tischler  hergestellt 
werden  kann,  und  daß  sein  Betrieb  außer- 
ordentlich billig  und  einfach  ist. 


Über  Vulnoplast. 

Von 
Dr.  Benno  Müller  in  Hamburg. 

Es  ist  gar  nicht  so  leicht,  ein  Mittel 
zu  finden,  welches  für  die  kleinen  Wunden, 
die  in  des  täglichen  Lebens  Arbeit  sich  jeder 
Mensch  hier  und  da  zuzieht,  die  man  aber 
meist  leider  nur  zu  wenig  beachtet,  sondern 
ihrem  eigenen  Schicksal  überläßt,  einen  ge- 
eigneten Schutzverband  und  gutes  Heilmittel 
darstellt.  Man  hat  schon  so  viel  Beispiele,  und 
jeder  Arzt  wird  in  seiner  Praxis  schon  Fälle 
beobachtet  haben,  wo  im  Anschluß  an  solch 
eine  kleine  Verletzung  der  Hand  oder  einer 
anderen  Extremität  schwere,  das  Leben  ge- 
fährdende Septicämien  entstanden,  und  wo  auch 
schon  mancher  sein  Leben  durch  die  Nach- 
lässigkeit, mit  der  er  solche  kleine  Wunden 
behandelte,  verwirkte.  Wenn  man  nun  be- 
strebt ist,  diesen  Wunden  mehr  Beachtung 
zu  schenken  und  dem  Publikum  klarer  vor 
Augen  zu  führen,  daß  es  zu  seinem  eignen 
Besten  ist,   wenn   es  jeder  Wunde  die  pein- 


XIX.  Jahrgang."! 
Jnnl  1905.     J 


Mflll«r,  Übt  VulnoplMt. 


311 


lichste  Rücksicht  und  entsprechende  Behand- 
lung zuteil  werden  läßt,  so  ist  dieses  Be- 
mühen nur  zu  loben  und  sollte  von  jedem 
unterstützt  werden.  Es  ist  nun  in  neuerer 
Zeit  ein  dem  Heftpflaster  ähnliches  Ver- 
bandmittel in  den  Handel  gebracht  worden, 
das  den  Zweck  hat,  in  diesem  Sinne  zu 
wirken  und  dem  Laien  ein  Mittel  an  die 
Hand  zu  geben,  wodurch  er  sofort  einen 
kunstgerechten  Verband  auf  die  kleine  Wunde 
legen  und  dieselbe  gegen  weitere  Infektion 
von  außen  schützen  kann,  dem  Arzte  aber  ein 
für  viele  Fälle  gutes  Ersatzmittel  für  das 
bisher  übliche  Heftpflaster  und  den  Heft- 
pflasterverband zu  geben.  Es  ist  dies  das 
Vulnoplast. 

Dasselbe  besteht  aus  einem  Streifen  Lein- 
wand, welcher  auf  der  einen  Seite  mit  Leuko- 
plastmasse belegt  ist,  und  zwar  so,  daß 
einem  ca.  8  cm  breiten  Streifen  zu  beiden 
Längsseiten,  wie  in  Fig.  1  ersichtlich,  die 
Leukoplastmasse  in  2  cm  breitem  Rande 
appliziert  ist.     In  dem  Räume  zwischen  den 


'Leukoplast- 
rasut 

durModUe 
Schicht  mit 
Protargol-Jjero* 
form^elatiftt 
unpräjpvbert 


Watte 
achicht 


-Leukoplast* 
rand, 


Fig.l. 

Vulnoplast  von  der  anf  die  Wunde  zu  legenden  Seite 

aus  gesehen. 

beiden  Leukoplaststreifen  findet  sich  eine 
dünne  Lage  Leinwand,  welche  mit  Lochern 
versehen  ist,  und  zwischen  der  und  dem 
primären  Leinwandstreifen  eine  dünne  Lage 
Watte  sich  befindet.  Diese  durch  lochte  Lein- 
wand ist  am  Rande  fest  mit  dem  großen 
Streifen  verbunden  und  sie  ist  selbst  auf 
der  Außenfläche  mit  einer  Gelatinepaste  be- 
legt, welche  aus  Protargol,  Xeroform  und 
Gelatine  besteht.  Diese  Masse  ist  fest  auf 
der  Leinwand  angebracht  und  wird  dann, 
wenn  man  den  Streifen  auf  eine  Wunde 
appliziert,  durch  das  Wundsekret  gelost  und 
somit  wirksam.  Es  wird  also  folgender- 
maßen bei  einer  kleinen  Wunde  verfahren. 
Man  hat  z.  B.  auf  einem  Arm  oder  Unter- 
schenkel eine  Wunde,  die  durch  Stoß,  Schlag 
oder  sonstiges  Trauma  entstanden  ist  und 
durch  die  unvorteihafte  bisherige  Behandlung 
zu  einem  Geschwür  mit  ungereinigter  Wund- 
fläche und  Granulationsbildung  geworden  ist. 
Man  wählt  sich  nun  die  geeignete  Breite 
des  Vulnoplaststreifens  aus.  Die  Wund- 
fläche beträgt  ungefähr  2  cm  im  Quadrat. 
Somit    nimmt    man    einen   Vulnoplaststreifen 


von  8  cm  Breite  und  schneidet  ein  Stück 
von  5 — 6  cm  Länge  ab.  Nachdem  man  die 
Wunde  gereinigt,  die  Ränder  ausgeschnitten, 
überhängende  Haut  entfernt,  kurz  die  Wund- 
fläche nach  Möglichkeit  desinfiziert  hat,  wo- 
bei man  Seife  und  heißes  Wasser  mit  Lysol- 
zusatz verwendet,  trocknet  man  die  des- 
infizierte Stelle  gut  ab,  reibt  die  Haut  in 
der  Umgebung  der  Wunde  mit  Alkohol  und 
Äther  trocken  und  hat  nun  die  Wunde  so 
weit  bereit,  um  das  Vulnoplast  anwenden 
zu  können.  Dieses  legt  man  nun  so  auf  die 
Wunde,  daß  die  durchlochte  Stelle  des  Vulno- 
plast die  Wundfläche  direkt  bedeckt.  Die 
Wärme  der  Haut  bewirkt  nach  wenigen 
Sekunden  ein  festes  Ankleben  des  Vulnoplast, 
und  man  bemerkt  stets,  daß  nach  kurzer 
Zeit  das  Stück  Vulnoplast  sehr  fest  auf  der 
Wunde  aufliegt.  Es  wird  durch  die  Wärme 
der  Haut  und  durch  das  von  der  Wund- 
fläche sezernierte  Sekret  die  Paste  auf  der 
Fläche  des  Vulnoplast  gelöst  und  die  der 
Gelatine  beigemengten  Bestandteile  wie  Pro- 
targol und  Xeroform  wirken  auf  die  Wund- 
fläche desinfizierend,  denn  diese  Körper  be- 
sitzen die  Eigenschaft  in  hohem  Maße,  die 
Bakterien  mit  der  Dauer  der  Einwirkung  zu 
schädigen,  in  ihrer  Virulenz  zu  beeinträchtigen 
und  schließlich  ganz  zu  töten,  so  daß  die 
Bakterien  sich  nicht  mehr  vermehren  können. 
Dadurch  wird  einerseits  bewirkt,  daß  die 
Wunde  weniger  sich  entzündet,  und  wenn 
schon  Entzündung  vorhanden  war,  so  geht 
dieselbe  sehr  bald  zurück.  Wunden,  welche 
im  Anfang  eben  wegen  der  Entzündung  der 
Gewebe  heftige  Schmerzen  verursachten, 
verlieren  mit  der  Zeit  durch  das  Vulnoplast 
ihre  Schmerzhaftigkeit.  Sondert  die  Wunde 
viel  Sekret  ab,  so  läuft  dasselbe  durch  die 
Löcher  in  der  Leinwand  in  die  zwischen  der 
durchlochten  Schicht  und  dem  großen  Lein- 
wandstreifen applizierte  Watte.  Dies  ist  ein 
großer  Vorzug,  den  das  Vulnoplast  vor  dem 
Heftpflaster,  sei  es  welcher  Art  es  auch  sei,, 
voraus  hat.  Wenn  man  nämlich  eine  Wunde; 
und  sei  sie  auch  noch  so  klein,  nur  mit 
Heftpflaster  bedeckt,  so  staut  sich  unter  dem 
Pflaster  das  Sekret  der  Wunde  an,  denn  es 
hat  ja  keine  Gelegenheit  abzufließen  oder 
resorbiert  zu  werden  unter  dem  Heftpflaster. 
Man  gewahrt  dann  stets  nach  wenigen  Stun- 
den nach  Anlegen  des  Heftpflasters  auf  eine 
vorher  gar  nicht  schmerzende  Wunde,  daß 
dieselbe  anfängt  „zu  brennen ",  zu  schmerzen, 
denn  das  Sekret  der  Wunde  hat  sich  unter 
dem  Pflaster  in  größerer  Menge,  als  normal 
und  als  unschädlich,  angesammelt  und  drückt 
nun  auf  die  in  der  Wunde  freiliegenden 
Nervenendigungen  und  reizt  dieselben  neben- 
bei noch  durch  die  Bestandteile  des  Sekretes. 


312 


Mflll«r,  Ober  Vulnoplut. 


[Therapeutisch« 
L   Monmtihafle. 


Es  ist  für  die  Wunde  stets  ein  großer  Nach- 
teil und  Schaden,  wenn  auf  der  Oberfläche 
der  Granulationen  die  Sekretmassen  sich  an- 
häufen und  daselbst  längere  Zeit  verweilen, 
man  läuft  dann  stets  Gefahr,  daß  die  Wunde 
größer  und  tiefer  wird,  als  sie  vorher  war. 
Der  Laie  sagt,  daß  der  Eiter  und  das  Wund- 
sekret „frißt",  „weiter  frißt"  etc.  Diese 
Ausdrücke  sind  ja  falsch  und  medizinisch 
unrichtig,  doch  sie  geben  das  Resultat  der 
Beobachtung  wieder,  daß  eine  sezernierende 
Wunde  so  verbunden  und  gepflegt  werden 
muß,  daß  das  Sekret  peinlich  entfernt  wird, 
damit  dasselbe  nicht  durch  längeres  Ver- 
weilen die  Wunde  schädigt.  Es  ist  der 
Grund  des  Nachteiles  dieser  Vorgänge  darin 
gelegen,  daß  die  Wundsekrete  ja  ungefähr 
die  gleiche  Zusammensetzung  haben  wie  das 
Blutserum  und  daher  äußerst  günstige  Nähr- 
boden für  Bakterien  abgeben,  wodurch  be- 
wirkt wird,  daß  beim  Anhäufen  solchen 
Sekretes  auf  der  Wunde  Bakterien,  die  auf 
der  Wundfläche  liegen,  wuchern  und  sich 
vermehren.  Dadurch  wird  dann  die  Wunde 
zu  einer  Brutstätte  von  Bakterien,  und  diese 
entziehen  aus  den  umliegenden  Geweben  die 
Nährstoffe,  wenn  das  Sekret  dann  nicht  mehr 
ausreicht  für  die  Ernährung  der  Milliarden 
von  Mikroorganismen,  die  sich  innerhalb 
kurzer  Zeit  bilden.  Somit  ersieht  jedermann 
klar  und  deutlich  den  Grund,  weshalb  man 
die  Sekretmassen  entfernen  muß,  denn  die 
Gewebe  der  Wunde  werden  von  diesen  Bak- 
terien vernichtet,  zerfallen,  und  die  Wunde 
wird  schnell  großer.  Alle  diese  Vorteile, 
welche  mithin  durch  das  Aufsaugen  des 
Sekretes  gegeben  sind,  haften  dem  Vulno- 
plast  an.  Somit  kann  man  für  die  Verbände 
von  kleinen  Wunden  das  Vulnoplast  als 
bestes  Deckmittel  empfehlen,  vor  allem,  weil 
man  nicht  vielerlei  Verbandstoffe  braucht, 
sondern  in  dem  einen  Streifen  Vulnoplast 
das  nötige  Verbandmaterial  fix  und  fertig 
zum  Verband  bereit  hat. 

Es  ist  nun  aber  die  Frage,  zu  welchen 
Wunden  soll  man  das  Vulnoplast  verwenden. 
Wenn  man  es  nur  für  die  Fälle,  wenn  sich  ein 
Schlächtergeselle  z.  B.  in  den  Finger  schneidet, 
mit  anderen  Arbeiten  die  Hand  verletzt  etc., 
verwenden  könnte,  so  würde  die  Indikations- 
grenze sehr  eng  gezogen  sein  und  man  brauchte 
nicht  so  viele  Worte  zu  machen.  Aber  es 
kommen  noch  manche  andere  Fälle  in  Be- 
tracht, wo  das  Vulnoplast  vorzügliche  Dienste 
leistet.  So  habe  ich  es  seit  längerer  Zeit 
zum  Bedecken  aller  granulierenden  Wunden 
verwendet,  und  zwar  so,  daß  ich  das  Vulno- 
plast direkt  auf  die  Wunde  auflegte.  Es 
handelt  sich  ja  selbst  bei  granulierenden 
Wunden  immer  nur  um  kleinere  Wundflächen, 


da  man  größere,  wie  man  sie  früher  öfter 
sah,  die  wegen  der  zu  großen  Ausdehnung 
nie  zuheilten,  jetzt  mit  Transplantation 
deckt,  und  diese  Wunden  sind  meist  solche 
nach  Verletzungen,  die  infiziert  wurden, 
oder  Operationswunden,  die  nicht  ganz 
per  primam  heilten  etc.  So  habe  ich  in 
vielen  Fällen  das  Vulnoplast  verwendet  und 
recht  guten  Erfolg  davon  gesehen,  denn  das- 
selbe bewirkte  eine  recht  schnelle  und  glatte 
Heilung.  So  habe  ich  es  bei  einem  Fall 
von  Gallensteinoperation,  wo  die  Wunde  der 
Bauchdecken  teilweise  langsam  durch  Gra- 
nulationsbildung verheilte,  lange  Zeit  als 
Schutzverband  angewendet.  Es  ist  dabei 
das  Vulnoplast  ein  vorzüglicher  Ersatz  des 
Heftpflasters.  Wenn  ich  tiefere  Wunden  be- 
handeln muß,  so  tamponiere  ich  die  Wund- 
höhle leicht  mit  Gaze  aus  und  verschließe 
die  tamponierte  Wunde  mit  dem  Vulnoplast. 
Es  ist  dies  wiederum  darin  ein  Vorteil,  wenn 
man  das  Heftpflaster  hierbei  durch  Vulno- 
plast ersetzt,  daß  das  Vulnoplast  von  der 
Tamponmasse  aus  das  Sekret  noch  aufsaugt. 
Man  kann  ja  nicht  immer  ermessen,  ob  die 
in  die  Wunde  gelegte  Gaze  genügend  auf- 
saugen kann,  und  so  kommt  es  oft  vor,  daß 
bei  Heftpflasterverschluß  die  Gaze  dicht  mit 
Sekret  erfüllt  ist,  daß  am  Heftpflaster  solches 
in  Tropfen  etc.  hängt,  ein  Zeichen,  daß  zu 
viel  Sekret  für  die  Menge  Gaze  vorhanden 
ist.  Bei  Verwendung  des  Vulnoplast  wird 
diese  überflüssige  Menge  Sekret  von  der 
Watte  des  Vulnoplast  aufgesaugt.  Nebenbei 
bieten  die  Löcher  in  der  Vulnoplastschicht 
Gelegenheit  zur  Ventilation,  es  kann  Luft  in 
die  Wunde  treten,  was  ebenfalls  von  Nutzen 
ist.  Ich  verschließe  jetzt  auch  nach  Laparo- 
tomien die  Bauchdeckenwunde  mit  Vulnoplast, 
eben  wegen  der  Fähigkeit  der  Ventilation. 
Während  ich  früher  Heftpflasterverband  an- 
legte, nehme  ich  jetzt  ganz  analog  den  Heft- 
pflasterstreifen das  Vulnoplast,  und  zwar  be- 
decke ich  da  die  Laparotomiewunde  natür- 
lich mit  steriler  Gaze,  und  über  die  Gaze 
lege  ich  das  Vulnoplast,  so  daß  ein  Streifen 
immer  dachziegelförmig  den  anderen  überdeckt, 
wie  aus  beistehender  Abbildung  Figur  2 
und  3  zu  sehen  ist.  Auf  diese  Weise  er- 
hält man  einen  etwas  ventilierenden  Verband, 
welcher  aber  das  Eindringen  von  Bakterien 
vollkommen  verhütet.  Diese  Ventilation  ist 
einesteils  für  die  Wunde  von  Vorteil,  andern- 
teils  für  den  Kranken  angenehm,  denn  es 
haben  mir  früher  die  Kranken  immer  über 
die  lästige  Wärme  des  Verbandes  und  dessen 
festen  Abschluß  geklagt,  was  jetzt  wegfallt, 
der  Verband  mit  Vulnoplast  inkommodiert 
die  Kranken  gar  nicht.  Es  war  jedenfalls 
die  Unmöglichkeit  der  Ausdunstung  der  Haut, 


r 


XIX.  Jahrgang.  1 
Juni  1905.     J 


Müller,   Üb«r  Vulnoplatt. 


313 


die  unter  dem  Heftpflaster  nicht  Gelegenheit 
zum  Abziehen  hatte,  welche  ein  lästiges  Ge- 
fühl verursacht,  es  gehört  dazu  auch  der 
Schweiß  der  Haut.  Manche  Kranke,  die 
sehr  viel  schwitzen,  werden  durch  das  An- 
sammeln des  Schweißes  unter  dem  Heft- 
pflaster stark  belästigt,  und  es  kommt  dann 
oft  sogar  zu  einer  Dermatitis  unter  dem 
Pflaster,  die  dann  noch  mehr  belästigt.  Ich 
habe  letzthin  einen  solchen  Fall  gefunden, 
wo  eine  Frau  unter  dem  Heftpflaster  immer 
Schweißperlen  zeigte  und  sehr  bald  wund 
wurde  unter  dem  Verband.  Das  applizierte 
Vulnoplast  brachte  sofort  Besserung,  die  Frau 
hatte  keine  Beschwerden  unter  dem  neuen 
Verband,  und  es  traten  auch  keine  Entzün- 
dungen der  Haut  ein.  Auch  in  dieser  Hin- 
sicht bietet  das  Vulnoplast  einen  Fortschritt 
und  große  Vorzüge  vor  dem  Heftpflaster,  was 
einzig  dadurch  bedingt  ist,  daß  die  unterste 
der  Haut  aufliegende  Schicht  durchlocht  ist. 


Fig.  2. 
Schematische  Überdeckung  einer  Laparotomiewuode  mit 
Vulnoplast  im  Querschnitt  gesehen.  —  Die  Ynlnoplaststreifen 
werden   mit  dem  Leukoplastrande  dachziegelförmig  überein- 
ander gelegt,  wie  es  vergrößert  in  Fig.  S  veranschaulicht  ist 


Fig.  8. 

Wenn  ich  einen  größeren  Verband  mit  Vulno- 
plast anlege,  so  verfahre  ich  stets  so,  daß 
nur  kleine  Teile  des  seitlichen  Leukoplast- 
randes auf  die  Haut  zu  liegen  kommen, 
und  daß  sich  die  einzelnen  Streifen  dach- 
ziegelartig decken,  wie  in  Fig.  2  geschildert, 
und  dadurch  eine  große  die  ganze  Wunde 
deckende  Schicht  bilden. 

Eine  weitere  wichtige  Verwendung  bietet 
sich  in  der  Behandlung  der  ülcera  cruris, 
jener  Erkrankungen  der  Menschen,  die  un- 
geheuer häufig  vorkommen,  und  für  die  eine 
Reihe  von  Behandlungsmethoden  bereits  er- 
funden wurde,  die  aber  alle  noch  nicht  das 
Ideal  darstellen.  Es  ist  nun  ja  zweifellos 
manche  Behandlungsform  der  Ulcera  cruris 
von  gutem  Erfolge  begleitet,  aber  es  sind 
immerhin  manche  Umstände  damit  verknüpft, 
die  eine  Verwendung  erschweren.  Das  Vulno- 
plast eignet  sich  nun  sehr  gut  zur  Behand- 
lung dieser  Geschwüre.  Man  verfährt  bei 
der  Behandlung  derselben  folgendermaßen. 
Solange  man  es  no.ch  mit  ungereinigten  Gra- 
nulationen   zu    tun    hat,    bestreut    man   das 


Ulcus  mit  einer  dünnen  Schicht  von  Isoform 
oder  Airol  oder  dergleichen  Streupulver  und 
legt  auf  die  Wunde  einige  Lagen  von  Gaze 
und  über  die  Gaze  das  Vulnoplast.  Auf 
diese  Weise  wird  die  Wunde  abgeschlossen, 
und  doch  besteht  nebenbei  genügend  Ven- 
tilation, damit  die  Wunde  ausdunsten  kann, 
und  es  wird  alles  Sekret  von  der  Gaze  und 
dem  Vulnoplast  aufgesaugt.  Diese  Behand- 
lung führt  mau  so  lange  fort,  bis  man  eine 
gereinigte  Granulationsfläche  vor  sich  hat,  und 
das  Ulcus  nicht  mehr  so  tief  ist.  Wenn 
nämlich  im  Anfang  der  Behandlung  der 
Ulcera,  wo  das  Geschwür  noch  mehrere  Milli- 
meter im  Grunde  tiefer  ist  als  die  umgebende 
Haut,  die  Gaze  weggelassen  wird,  und  man 
das  Vulnoplast  direkt  auf  die  Wundfläche 
legt,  so  findet  sich  nicht  genügend  Gelegen- 
heit, um  das  Sekret  aufzusaugen,  denn  das 
Vulnoplast  wird  infolge  der  großen  Tiefe  des 
Ulcus  nicht  den  Boden  desselben  bedecken, 
sondern  als  Dach  über  der  Höhlung  des  Ge- 
schwüres ausgespannt  erscheinen.  Es  sammelt 
sich  dann  das  ganze  Sekret  der  Wunde  auf 
dem  Boden  des  Geschwüres  an  und  wird  nur 
zum  Teil  vom  Vulnoplast  können  aufgesaugt 
werden.  Man  muß  deshalb  einige  Gaze- 
lagen auf  dem  Grunde  des  Ulcus  ausbreiten, 
damit  diese  das  Sekret  aufsaugen.  Hat  man 
es  aber  mit  einem  sehr  flachen,  wenig  in  die 
Tiefen  des  Unterhautzellgewebes  eindringen- 
den Ulcus  zu  tun,  so  kann  man  die  Gaze- 
schicht weglassen  und  das  Vulnoplast  direkt 
auf  das  Geschwür  legen.  Wenn  aber  nach 
einigen  Tagen  gereinigte  Granulationen  sich 
gebildet  haben,  wenn  infolge  derselben  der 
Boden  des  Geschwüres  gehoben  ist  und  die 
Tiefe  des  Ulcus  nur  noch  wenige  Millimeter 
beträgt,  braucht  man  keine  Gaze  und  auch 
kein  Wundstreupulver  auf  das  Ulcus  zu 
streuen  und  zu  legen,  sondern  man  bedeckt 
das  Geschwür  direkt  mit  dem  Vulnoplast. 
Wenn  letzteres  auf  den  Granulationen  auf- 
liegt, wird  die  Gelatine -Xeroformpaste  ge- 
löst, und  das  Protargol  und  Xeroform  wirken 
direkt  auf  die  Granulationen  ein.  Diese 
beiden  Stoffe  sind  ja  sehr  bekannte  Mittel, 
um  eine  langdauernde  Desinfektion  der  Wund- 
fläche zu  erzielen.  Das  Xeroform  wirkt  sehr 
stark  bakterientötend,  ebenso  das  Protargol. 
Dabei  kommt  beiden  Stoffen  noch  eine  die 
Granulationsbildung  anregende  Wirkung  zu. 
Man  sieht  dann  auch  sehr  bald  den  Erfolg, 
indem  sich  bei  der  Vulnoplastbehandlung  der 
Ulcera  die  Granulationen  reinigen  und  üppig 
wachsen,  so  daß  die  Heilung  dadurch  sehr 
begünstigt  wird.  Es  sind  auf  diese  Weise 
eine  Reihe  von  Fällen  von  mir  behandelt 
worden,  und  es  hat  sich  herausgestellt,  daß 
die  Heilung  überaus  bald  erfolgte.    Natürlich 


314 


Müller,  Obftt  Vulnoplast. 


tTherapeutteehe 
Monatshefte. 


muß  man  das  Vulnoplast  öfters  wechseln  und 
erneuern,  doch  ist  das  gar  nicht  sehr  häufig 
notig.  Es  kommt  dabei  ganz  auf  die  Wund- 
verhältnisse an,  denn  hat  man  es  mit  stark 
sezernierenden  Ulcera  zu  tun,  namentlich 
auch  im  Anfang  der  Behandlung,  wenn  die 
Granulationen  noch  nicht  gereinigt  sind,  und 
sich  infolgedessen  eine  stärkere  Sekretion 
bemerkbar  macht,  muß  man  die  Verbände 
öfters  wechseln,  meist  jeden  Tag,  denn  es 
ist  dabei  die  Reinigung  der  Wunde  von  diesen 
Massen  sehr  wichtig.  Ist  es  aber  für  den 
Arzt  sehr  erschwert,  jeden  Tag  den  Verband- 
wechsel vornehmen  zu  müssen,  so  kann  er 
leicht  den  Kranken  selbst  den  Wechsel  aus- 
fuhren lassen,  und  er  kontrolliert  diese  Be- 
handlung nur  ein-  bis  zweimal  in  der  Woche. 
Dies  ist  besonders  wichtig  für  die  Kassen- 
praxis, wo  der  Arzt  nicht  täglich  die  Be- 
handlung vornehmen  kann.  Dann  kann  er 
ohne  Sorge  dem  "Kranken  die  Behandlung 
mit  Vulnoplast  überlassen.  Erst  später, 
wenn  die  Sekretion  weniger  geworden  ist, 
kann  man  den  Vulnop lastverband  einige  Tage 
liegen  lassen  und  wird  am  besten  den  Ver- 
bandwechsel nur  1-  oder  höchstens  2  mal  in 
der  Woche  vornehmen.  Es  ist  daher  leicht 
ersichtlich,  daß  die  Wundbehandlung  mit 
Vulnoplast  eine  überaus  einfache,  aber  recht 
brauchbare  Methode  vorstellt. 

Die  Verwendung  des  Vulnoplast  ist  aber 
nur  für  die  infizierten  Wunden  möglich  in 
der  Art,  daß  man  das  Vulnoplast  direkt  auf 
die  Wunde  legt.  In  Fällen  von  aseptischen 
Wunden  wird  man  natürlich  die  imprägnierte 
Fläche  des  Vulnoplast  nicht  direkt  mit  der  Wund- 
fläche in  Berührung  bringen  dürfen,  denn 
diese  Fläche  ist  nicht  als  aseptisch  anzu- 
sehen, und  es  könnte  die  Wunde  infiziert 
werden.  Natürlich  wird  man  an  dem  Vulno- 
plast nicht  gerade  schwer  toxische  Bakterien 
finden,  denn  die  Herstellung  ist  ja  eine  sehr 
saubere  und  reinliche.  Immerhin  kann  man 
dasselbe  nicht  als  aseptisch  betrachten,  denn 
es  sind  reichlich  Gelegenheiten  vorhanden, 
wo  Bakterien  der  verschiedensten  Arten  aus 
der  Luft  auf  das  Vulnoplast  fallen  können, 
die  nun  an  der  imprägnierten  Fläche  haften 
bleiben  und  von  dort  in  die  Wunde  gelangen. 
Man  kann  nicht  annehmen,  daß  das  Protargol 
und  Xeroform  dieser  Paste  die  Bakterien  ab- 
töten. Es  wird  aber  auch  nie  nötig  sein, 
Vulnoplast  auf  aseptische  Wunden  zu  appli- 
zieren. Nur  in  jenen  Fällen,  die  ich  oben 
näher  erörtert  habe,  bei  Laparotomie  etc., 
kann  man  das  Vulnoplast  verwenden,  doch 
dann  wird  man  stets  die  Wunde  selbst  mit 
einer  dicken  Lage  von  steriler  Gaze  oder 
Watte  bedecken.  Somit  werden  die  dem  Vulno- 
plast etwa  anhaftenden  Bakterien  nicht  in  die 


Wunde  gelangen  können.  Hierbei  ersetzt 
das  Vulnoplast  das  Heftpflaster.  Wenn  man 
nun  auch  nicht  kleinere  aseptische  Wunden 
direkt  mit  Vulnoplast  bedecken  kann,  so 
kann  man  es  doch  stets  an  Stelle  des  Heft- 
pflasters verwenden,  indem  man  eben  die 
Wunde  selbst  mit  sterilen  Verbandstoffen  oder 
einem  Streupulver  oder  imprägnierten  Gazen 
bedekt  und  über  diese  Verbandmaterialien 
das  Vulnoplast  appliziert.  Man  ersieht  aus 
diesen  wenigen  Angaben,  daß  die  Verwend- 
barkeit immerhin  eine  ziemlich  umfangreiche 
ist,  denn  es  treten  im  praktischen  Leben  so 
viele  Fälle  auf,  wo  die  Wunden  schon  in- 
fiziert sind,  wenn  sie  in  die  Behandlung  des 
Arztes  gelangen,  oder  wo  die  Kranken  erst 
selbst  einige  Tage  die  Behandlung  über- 
nommen haben  und  dabei  die  Wunde  zu 
einer  schwer  septischen  werden  ließen,  bis 
sie  sich  an  den  Arzt  wenden,  kurz,  wo  man 
an  eine  Heilung  per  primam  nicht  denken, 
sondern  die  Wunde  durch  Granulationsbildung 
sich  schließen  lassen  muß.  Und  in  allen 
diesen  Fällen  hat  sich  das  Vulnoplast  in 
einer  großen  Reihe  von  Fällen  sehr  gut  be- 
währt, und  es  wird  sich  in  der  Chirurgie 
bald  auch  weiteren  Eingang  bei  anderen 
Ärzten  verschaffen,  indem  es  das  Heftpflaster, 
welchem  gar  manche  Nachteile  und  unan- 
genehme Wirkungen  anhaften,  ersetzt. 

Das  Vulnoplast  wird  von  Dr.  Wasser- 
zug, Fabrik  Pharmazeutischer  Spezialitäten, 
Frankfurt  a.  M.  Theaterplatz  1,  hergestellt 
und  in  den  Handel  gebracht.  Es  kann  aus 
jeder  Apotheke  bezogen  werden. 


Über  die  Verwendung"  der  Flatulin- 

pillen  (Dr.  J.  Boos)  bei  Magren-  und 

Darmerkrankungren. 

Von  t 
Med.  univ.  Dr.  Riohsrd  Fucht, 
Distrikt»-  und  Bahnarst  in  Blaistadt  (Böhmen). 

In  der  ärztlichen  Therapie  der  Magen- 
und  Darmkrankheiten  spielen  die  Carmin- 
ativa  eine  nicht  geringe  Rolle.  Hat  doch 
der  Arzt  sehr  häufig  die  Aufgabe,  die  infolge 
abnormer  Gärungs-  und  Fäulnisprozesse  im 
Magen  und  Darmkanal  entstehenden  Gase, 
die  nicht  nur  die  Verdauung  stören,  sondern 
auch  sehr  häufig  Leibschmerzen  verursachen, 
entweder  durch  mechanische  oder  chemische 
Absorption  zu  binden,  oder  durch  Hebung 
der  Peristaltik  sie  auf  den  natürlichen  Wegen 
auszutreiben. 

Die  praktische  Erfahrung  lehrt,  daß  dieser 
Effekt  durch  die  Carminativa  erreicht  wird, 
wenn  man  auch  bis  jetzt  physiologisch  sich 
über  die  genaue  Wirkung  dieser  Arzneigruppe 


XIX.  Jährt «ng.1 
Juni  190*.     J 


Puchi,  Platulinplllan  b«i  Mag«n-  und  Darmerkrankungen. 


315 


noch  nicht  vollkommen  klar  ist.  Jedenfalls 
scheinen  die  Carminativa  durch  einen  stär- 
keren Reiz  auf  die  nicht  normalen  Schleim- 
häute des  Magens  und  des  Darmes  oder 
durch  Beeinflussung  des  Innervationszustandes 
des  Yerdauungskanales  (Losung  von  Darm- 
spasmen) alle  diejenigen  Störungen  (Ent- 
wickelung  von  Gärungsgasen  als  Kohlensäure, 
Schwefel  wasserstoffgas,  Aufblähungen)  zu  be- 
heben, die  durch  ungenügende  Verarbeitung 
und  zu  langen  Aufenthalt  der  Speisen  im 
Magen  und  Darm  entstehen.  So  groß  auch  die 
Seh  aar  derjenigen  Mittel  ist,  denen  blähungs- 
treibende  Eigenschaften  zugeschrieben  werden 
—  ich  erwähne  nur  Fol.  Menth,  piper.,  Fol. 
Meliss.,  Flor.  Chamomill.,  Fruct.  Foenic,  Fruct. 
Carvi,  Fruct.  Anisi,  ätherische  Öle,  Kampfer- 
arten, Äther- Chloroform,  von  den  physi- 
kalischen Mitteln  warme  Umschläge,  er- 
regende Prießnitzsche  Umschläge,  Massage, 
Elektrizität  (Faradisation)  —  so  weiß  doch 
der  praktische  Arzt  nur  zu  gut,  daß  jedes 
einzelne  der  angeführten  Mittel  nur  zu  oft 
im  Stiche  läßt,  und  daß  man  nur  durch  eine 
zweckmäßige  Vereinigung  dieser  Mittel  einen 
Heileffekt  erzielt. 

Unter  solchen  Umständen  wird  gewiß  der 
praktische  Arzt  ein  Mittel  lebhaft  begrüßen, 
das  durch  eine  äußerst  glückliche  Zusammen- 
setzung von  Arzneien  sich  nicht  nur  als  ein 
vorzügliches  blähungstreibendes  Medikament 
bewährt,  sondern  auch  andere  Symptome  (als 
Appetitlosigkeit,  Aufstoßen,  Stuhlverhaltung 
etc.)  bekämpft,  die  Magen-  und  Darmleiden 
so  gerne  begleiten,  und  das  gegenüber  ähn- 
lichen Präparaten  den  nicht  geringen  Vor- 
zag besitzt,  ganz  frei  von  allen  schädlichen 
Nebenwirkungen  zu  sein.  Ein  solches  Prä- 
parat sind  die  Flatulinpillen ,  die  aus  der 
chemischen  Fabrik  Dr.  J.  Roos,  Frankfurt, 
stammen.  Betrachten  wir  die  Zusammen- 
setzung dieses  Präparates,  so  finden  wir,  daß 
sie  aus  je  4  Teilen  Natrium  bicarbonicum, 
Magnesium  carbonicum,  Pulv.  Radicis  Rhei 
und  je  3  Teilen  Ol.  Foeniculi,  Ol.  Carvi  und 
Ol.  Menth ae  piperitae  bestehen.  Der  erste 
Bestandteil  (Natrium  bicarbonicum)  hat  den 
Zweck  der  Säureabstumpfung  resp.  der  Säure- 
bindung. Wie  zweckmäßig  dieser  Bestand- 
teil ist,  ersehen  wir  daraus,  daß  die  meisten 
Erkrankungen  des  Magens  mit  Salzsäure- 
überschuß einhergehen.  Der  zweite  Bestand- 
teil, das  Magnesium  carbonicum,  erfüllt  den 
gleichen  Zweok  und  scheint  insbesondere  die 
sich  bildenden  Fettsäuren  zu  binden.  Als 
dritten  Bestandteil  finden  wir  Pulv.  Radicis 
Rhei,  das  uns  Ärzten  nicht  nur  als  ein 
mildes  Laxans,  sondern  auch  als  ein  gutes 
Tonicum  und  Stomachicum  zumal  für  Greise, 
Dyspeptiker  bekannnt  ist.     Als  weitere  Be- 


standteile finden  wir  die  ätherischen  Öle  von 
Fructus  Foeniculi,  Carvi  und  Fol.  Menthae 
piperitae.  Wir  wissen,  daß  diese  ätherischen 
Öle  die  Sekretion  des  Magens,  Darmes,  sowie 
des  Speichels  anregen,  daß  sie  antizymotisch, 
desinfizierend  wirken,  und  daß  nach  Boas 
die  Anwendung  dieser  Olea  insbesondere 
bei  den  Formen  der  chronischen  Flatulenz 
indiziert  erscheint,  während  die  aromatischen 
Theesorten  dieser  Arzneigruppe  sich  mehr 
bei  akuten  Kolikanfällen  bewähren.  Daß 
die  sämtlichen  angeführten  Bestandteile  dieses 
Präparates  von  vorzüglicher  Qualität  sind, 
sowie  in  die  so  brauchbarer  Arzneiform  genau 
dosierter  Pillen  gebracht  wurden,  ist  gewiß 
ein  weiterer  Vorzug  dieses  Präparates  gegen- 
über ähnlich  wirkenden  Mitteln.   — 

Ob  ihrer  guten  Eigenschaften  habe  ich 
nun  in  meiner  Praxis  die  Flatulinpillen  nach 
Dr.  Roos,  die  bereits  von  den  Sanitäts- 
räten Dr.  Hof  maier  und  Dr.  Gorges  so- 
wie den  Ärzten  Dr.  Zeuner,  Breiderhof f, 
Gerson  in  Berlin  und  vielen  anderen  Ärzten 
mit  Erfolg  angewendet  wurden,  häufig  ordi- 
niert und  gestatte  ich  mir,  einige  kurze 
Krankengeschichten  und  über  die  Anwendung 
und    den  Erfolg   dieser  Pillen  zu  berichten. 

1.  Die  30  jährige  Gattin  eines  Glasarbeiters  R. 
litt  seit  Monaten  an  einem  Magen -Darmkatarrh, 
Stahlverstopfang  and  kopiöse  schleimige  Entleeran- 
gen wechselten  ab,  es  stellte  sich  Meteorismus  ein 
and  Patientin  klagte  über  Vollsein.  Nachdem  ver- 
schiedene Narcotica  (Kodein,  Opium)  sowie  Klysmen 
gegen  die  wechselnden  Beschwerden  ohne  Erfolg 
gegeben  worden,  versuchte  ich  die  Roosschen 
Flatulinpillen,  nach  jeder  Mahlzeit  2  Stück  Pillen. 
Nach  8  tagiger  Behandlung  erfolgte  taglich  1  Stuhl- 
gang, Diarrhöe  ließ  nach,  Meteorismus  und  das  Ge- 
fühl von  Vollsein  waren  verschwunden. 

2.  Die  Bahnwächtersgattin  J.  aus  Werth  be- 
kam nach  dem  Genüsse  von  frischem  Kuchen 
einen  starken  Magenkatarrh,  klagte  seit  5—6  Tagen 
über  Druck  im  Magen,  Appetitlosigkeit.  Zunge  ist 
belegt,  Unterleib  aufgetrieben,  bei  Palpation  schmerz- 
haft, Stühle  erfolgen  täglich  2—3  mal  unter  heftigen 
kolikartigen  Schmerzen,  und  die  Entleerungen  sind 
von  aasbaftem  Geruch.  Ich  verordnete  neben  der 
entsprechenden  Diät  täglich  3  mal  3  Stück  Flatulin- 
pillen nach  jeder  Mahlzeit.  Schon  am  folgenden 
Tage  zeigte  sich  nach  der  Einnahme  dieser  Pillen 
eine  bedeutende  Besserung,  die  nach  10  Tagen  in 
vollständige  Genesang  überging. 

3.  Die  Beamtengattin  S.  Seh.,  neurasthenisch, 
klagt  über  Appetitlosigkeit,  Verdauungsstörungen, 
Aufstoßen,  Stunlverstopfung,  Völle  im  Leibe.  Pati- 
entin wurde  mit  allen  möglichen  Arzneien,  Abführ- 
mitteln, Speisepulvern,  Diätkuren  behandelt,  be- 
suchte auch  die  benachbarten  Thermen  Karlsbad, 
Franzensbad  ohne  wesentliche  Besserung.  Neben 
einer  kräftigen,  aber  nicht  schwer  verdaulichen  Diät 
verordnete  ich  der  schon  abgemagerten  Patientin 
Flatulinpillen,  täglich  3  mal  4  Stück  nach  dem 
Essen.  Nach  14  tägigem  Gebrauch  dieser  Pillen 
verschwand  das  Aufstoßen,  die  Völle,  es  stellte  sich 
regelmäßiger  Stuhl  ein,  Appetit  hob  sich  zwar 
langsam,  doch  stetig,  und  auch  der  psychische  Zu- 
stand besserte  sich. 


316 


Fuehs,  Flatuliopülan  bei  Magen-  uod  Darm«rkrankung«n. 


rTherapeutiaehe 
L   Monatshefte. 


Schöne  Erfolge  erzielte  ich  mit  den  Flatulin- 
pillen  bei  einem  Post-  und  einem  Bahnbeamten, 
die  beide  hochgradig  nervös  sind.  Beide  hatten 
eine  Dünndarmerkrankung,  klagten  heftig  3  Stunden 
nach  der  Mahlzeit  über  Unruhe,  Kollern,  Spannungs- 

fefühle  und  Blähungen  im  Leibe,  über  Schlaflosig- 
eit,  Kopfschmerz.  Ich  verordnete  beiden  Dr.  Roos' 
Flatulinpillen,  nach  jeder  Mahlzeit  3  Stück,  und 
schon  nach  10  tagigem  Gebrauche  dieser  Pillen 
besserte  sich  das  Gesamtbefinden. 

Durch  diesen  Erfolg  aufgemuntert,  möchte 
ich  den  Kollegen  gar  sehr  die  Anwendung 
der  Flatulinpillen  bei  solchen  Fällen  von 
Dünndarmerkrankungen  nervöser  Personen 
empfehlen.  Sind  doch  die  Beschwerden 
solcher  Personen  groß,  da  vom  nervenreichen 
Dünndarm  durch  den  Sympathicus  benach- 
barte und  entfernte  Organe  (Magen,  Herz, 
Kopfnerven  etc.)  irritiert  werden,  und  lassen 
alle  die  bekannten  Mittel  gegen  diese  Be- 
schwerden gerne  im  Stiche. 

4.  R.  L.,  Glasbläser,  50  Jahre  alt,  seit  10  Jahren 
arthritisch,  klagt  über  Verdauungsstörungen,  Auf- 
stoßen, Appetitmangel,  Sodbrennen,  Beschwerden, 
die  durch  eine  streng  vorgeschriebene  Diät,  An- 
wendung von  Amara,  Speisepulvern  (Pepsin.  Bismuth. 
snbnitr.),  Abführmitteln  nicht  gebessert  wurden. 
Ich  verordnete  3  mal  täglich  4  Stück  Flatulinpillen 
nach  dem  Essen  und  auch  da  zeigte  sich  gar  bald 
die  günstige  Wirkung  derselben  durch  Hebung  des 
Appetites  und  Regelung  der  Verdauung. 

5.  0.  R.,  Glasbläser,  hat  infolge  zu  starken 
Alkoholgenusses  Störungen  von  Seiten  des  Herzens 
und  des  Verdau ungstractus,  welch  letztere  sich  in 
unregelmäßigem  Stuhlgang,  Erbrechen,  Sodbrennen, 
Appetitlosigkeit,  Schmerzen  im  Magen,  Aufgetrieben- 
sein des  Abdomens  äußerten.  Patient  versuchte 
alle  diese  Beschwerden  durch  noch  stärkere  Reiz- 
mittel, als  Kognak,  starke  Schnäpse,  Heringe  zu 
beseitigen,  wodurch  sich  sein  Zustand  sehr  ver- 
schlimmerte. 

Ich  verordnete  Flatulinpillen  täglich  3  mal 
4  Stück  nach  dem  Essen,  regelte  die  Diät  und  er- 
laubte nur  ein  sehr  geringes  Quantum  Alkohol  in 
der  Form  des  Pilsner  Bieres.  Die  Flatulinpillen 
erzielten  auch  hier  einen  befriedigenden  Erfolg,  in- 
dem alle  die  Beschwerden  sich  verloren,  Stuhlgang 
sich  regelte  und  der  Appetit  sich  hob.  Doch  hielt 
die  Besserung  leider  nicht  lange  an,  da  durch  Ex- 
zesse in  potu  wieder  Störungen  des  Magens  und 
des  Darmes  hervorgerufen  wurden. 

Auch  in  einem  Falle  von  Dilatatio  ven- 
triculi  bewährten  sich  die  Flatulinpillen. 

6.  Es  handelte  sich  um  einen  48  jährigen  Berg- 
mann aus  P.,  der  über  Appetitlosigkeit,  Abmagerung, 
Erbrechen  mancher  Speisen,  Stuhl  verhaltung,  Auf- 
getriebensein des  Leibes  und  Blähungen  klagte. 
Demselben  verordnete  ich,  da  trotz  entsprechender 
Diät,  Magenausspülungen  keine  Besserung  eintrat, 
die  Dr.  Roos  sehen  Flatulinpillen,  nach  jeder  Mahl- 
zeit 4  Stück,  wodurch  Stuhlgang  und  Abgang  von 
Winden  erzielt  wurden. 

Ein  nicht  minder  gutes,  wenn  auch  nicht 
lange  währendes  Resultat  erzielte  ich  mit 
den  Flatulinpillen  bei  einem  Carcinoma  ven- 
triculi. 

7.  Es  handelte  sich  um  eine  34  jährige  Frau  IL, 
Tischlersgattin,  Bleistadt,  die  infolge  des  Neo- 
plasmas sich  am  meisten  über  das  sie  belästigende 


Aufstoßen  sowie  über  die  Blähungen  beklagte. 
Derselben  gab  ich  nach  jeder  Mahlzeit  2  Pillen,  die 
angeblich  den  Appetit  noben  und  den  Stuhlgang 
herbeiführten.  In  Bälde  erlag  jedoch  die  Frau 
ihrem  bösen  Grundleiden. 

Mit  gutem  Erfolg  wandte  ich  die  Flatulin- 
pillen bei  Stuhlverstopfung  und  Blähungen 
alter  Leute  an,  deren  Darmmuskulatur  be- 
kanntlich atrophisch  ist.  Auch  bei  den  Be- 
schwerden der  Hämorrhoid arier  bringen  die 
Flatulinpillen  Erleichterung,  da  sie  als  mildes 
Laxans  die  Mastdarmschleimhaut  nicht  reizen, 
wie  dies  die  stärkeren  Drastica  (Aloe,  Kolo- 
quinthen  etc.)  tun.  Aus  dem  Gesagten  ersehen 
wir,  daß  wir  in  Dr.  Roos'  Flatulinpillen 
nicht  nur  ein  vorzugliches  blähungstreibendes 
Mittel  besitzen,  sondern  auch  ein  gutes  Ver- 
dauungsmittel, da  es  den  Appetit  anregt,  den 
Stuhlgang  regelt,  säuretilgend,  gärungswidrig 
und  desinfizierend  wirkt.  Ob  ihrer  Zu- 
sammensetzung und  Zubereitung  werden  die 
Pillen  von  allen  Patienten  sehr  gern  ge- 
nommen und  wirken  selbst  bei  sehr  langem 
Gebrauch  auf  den  Magen,  Darm  und  auf  die 
anderen  Organe  nicht  schädigend  ein.  Der 
geringe  Preis  der  Pillen  (Original Schachtel  zu 
50  Pillen  M  1. — ),  die  in  netter  Verpackung 
in  den  Handel  gebracht  werden,  läßt  auch 
die  Anwendung  derselben  in  der  Praxis  pau- 
perum  im  Gegensatze  zu  den  teuren  Speise- 
pulvern zu. 


Einige  Bemerkungen  su  H.  Koppe« 

Arbeit:  Über  das  Gesetz  des  osmotischen 

Gleichgewichtes  im  Organismus. 

Von 
Prof.  H.  Strauß  in  Berlin. 

Die  in  der  Märznummer  dieser  Monats- 
hefte erschienene  Arbeit  von  Koppe  veranlaßt 
mich  zu  einigen  Bemerkungen,  welche  die 
Richtigstellung  einiger  Äußerungen  von  Koppe 
bezwecken.  Seine  Darstellung  erweckt  den 
Anschein,  als  hätte  ich  im  Jahre  1902  in 
einer  Arbeit  „über  osmotische  und  chemische 
Vorgänge  im  menschlichen  Chylusu  ohne 
eine  genügend  klare  Begründung  eine 
andere  Anschauung  über  den  Umfang  der 
Veränderlichkeit  des  osmotischen  Drucks  des 
menschlichen  Blutserums  vertreten  als  2  Jahre 
zuvor  (18.  Kongreß  f.  inn.  Med.  zu  Wiesbaden) 
bezw.  1  Jahr  vorher  (Arbeit  von  Nagel- 
schmidt).  Ein  solcher  Anschein  wird  dadurch 
erweckt,  daß  Koppe  einerseits  mehrere  in 
der  oben  genannten,  1902  erschienenen,  Arbeit 
enthaltene  Sätze  nicht  berücksichtigt,  an- 
dererseits einige  dort  vorhandene  Bemerkungen 
in  unrichtiger  Weise  deutet.  Vor  allem 
hat  Koppe  übersehen,  daß  sich,  wie  .aas 
der  Arbeit    ersichtlich    ist,    mein   Einspruch 


XIX.  JmhTgmnff.l 
Jan!  190&.     J 


Strauß,  QeMb  das  osmotischen  Gleichgewichts. 


317 


gegen  den  von  Koppe  vertretenen  umfang 
der  Veränderlichkeit  des  osmotischen  Drucks 
des  menschlichen  Blutserums  keineswegs  allein 
und  auch  nicht  einmal  vorwiegend  auf  das  Er- 
gebnis meiner  Chylusuntersuchungen  gründet, 
sondern  auf  eine  zusammenfassende 
Betrachtung  der  in  derselben  Arbeit 
zitierten,  gleichsinnig  ausgefallenen, 
Ergebnisse  der  kryoskopischen  Unter- 
suchungen von  Viola,  meiner  eigenen  an 
der  Milch  gewonnenen  Befunde,  sowie  der 
mir  damals  schon  vorliegenden  und  auch  in 
meiner  Arbeit  schon  erwähnten  Ergebnisse 
von  Großmanns  Versuchen,  die  in  ihrer 
Gesamtheit  an  sich  schon  genügten, 
um  den  Köppeschen  Anschauungen  ent- 
gegenzutreten. Neben  diesen  Befunden 
habe  ich  allerdings  gleichzeitig  auch  das  Er- 
gebnis meiner  Chylus versuche  mit  berück- 
sichtigt. Warum  ich  die  Gesamtheit  der 
genannten  Befunde  hoher  anschlug,  als  die 
am  Tiere  gewonnenen  Ergebnisse  von 
Nagelschmidt,  habe  ich  klipp  und  klar 
mit  den  Worten  ausgesprochen:  „Wenn 
Nagelschmidt  in  seinen  von  mir  ver- 
anlagten und  kontrollierten  Versuchen  bei 
der  Ziege  und  beim  Kaninchen  nach  der 
Zufuhr  großer  Mengen  hochkonzentrierter 
Salzlösungen  zum  Teil  recht  erhebliche  Er- 
höhungen des  osmotischen  Drucks  des  Blut- 
serums beobachten  konnte,  so  schließe  ich 
hieraus  für  die  Vorgänge  am  Menschen 
noch  nicht  das  geringste.  Denn  erstens 
sind  die  Regulationen  beim  Tier  labiler  als 
beim  Menschen,  und  dann  waren  die  Be- 
dingungen des  Versuchs  derartige,  daß  die 
Tiere  direkt  in  einen  pathologischen 
Zustand  versetzt  waren. tt  Wenn  Koppe 
zitiert,  daß  „meine  damaligen  Erfahrun- 
gen", mit  welchen  das  Ergebnis  meiner 
Chylusuntersuchungen  in  Übereinstimmung 
stand,  diejenigen  von  Nagelschmidt 
waren,  so  muß  ich  demgegenüber  bemerken, 
daß  der  dem  betreffenden  Passus  unmittel- 
bar   vorausgehende   Satz    wort  lieh    lautet: 

„Während  Koppe  bei  einer  Säugenden 

vorfand,  habe  ich  selbst  in  4  Versuchsreihen, 
die  ich  nach  Verabreichung  von  25  g  Koch- 
salz in  250  g  Wasser  unter  3/4 stündlicher  Ent- 
nahme der  Milch  je  4 — 5  Stunden  lang 
durchführte,  nur  einmal  einen  Anstieg  von 
S  =  —  0,57°  auf  6  =  —  0,61°  beobachten 
können."  Also  auch  hier  ist  volle  Klarheit 
vorhanden.  Und  wenn  ich  schließlich  noch 
die  Änderung  meines  Standpunktes  damit 
begründet  habe,  daß  ich  der  Gefrierpunkts- 
methode eine  Überlegenheit  gegenüber  dem 
von  Koppe  benutzten  Hämatokritverfahren 
zusprach,  so  habe  ich  mit  dieser  weiteren 
Begründung  meines  Standpunktes   nicht  viel 


anderes  behauptet,  als  was  Koppe  selbst 
6  Jahre  vorher  aussprach,  indem  er  sagte 
(Flügers  Archiv  Bd.  62 ,  S.  573/74):  „Die 
Bestimmung  des  osmotischen  Drucks  mittels 
des  Hämatokrits  hat  zwar  nicht  den  Grad 
der  Genauigkeit  der  physikalischen 
Methoden  in  bezug  auf  den  absoluten 
Zahlen  wert  der  Messungen1)  erreicht, 
bietet  aber  doch  innerhalb  der  Grenzen  ihrer 
Verwendbarkeit  genügend  Vorteile,  um  ihre 
Anwendung  zu  rechtfertigen tt,  und  ein  Jahr 
später  (Deutsche  Medizinal-Zeitung  1903, 
S.  423),  indem  er  sagt:  „Die  Hämatokrit- 
methode  kann  nicht  den  osmotischen 
Druck  aller  Moleküle  im  Plasma 
messen,  sondern  nur  die  für  das  Blut  un- 
durchgängigen, also  die  meisten  Salze".  Von 
einer  Unklarheit  in  der  Begründung  metner 
1902  ausgesprochenen  Meinung  gegenüber 
meiner  früheren  kann  also  nicht  die  Rede 
sein,  und  es  wird  mein  prinzipieller,  auch 
ohne  die  Chylusversuche  genügend  ge- 
stützter, Standpunkt  nicht  beeinflußt  von 
dem,  was  der  einzelne  über  die  Zulässigkeit 
einer  Parallelstellung  der  am  Chylus  ge- 
machten Beobachtungen  zu  einem  entsprechen- 
den Verhalten  des  menschlichen  Blutserums 
denkt.  Gerade  das  „Gesetz  des  osmotischen 
Gleichgewichts tt  spricht  zum  mindesten  nicht 
gegen  die  Auffassung,  daß  man  vom  Chylus 
dasselbe  annehmen  darf,  was  für  die  Milch 
als  zulässig  erklärt  wird.  Ich  bin  aber  gern 
bereit,  meine  eigene  Vorstellung  in  dieser 
Unterfrage  aufzugeben,  wenn  ich  von  der 
Unrichtigkeit  derselben  überzeugt  werde.  Auf 
die  Hauptfrage,  wie  sich  der  osmotische 
Druck  des  menschlichen  Blutserums  alimen- 
tären Eingriffen  gegenüber  verhält,  will  ich 
hier  nicht  des  breiteren  eingehen,  ebenso 
will  ich  nicht  die  Frage  des  Verhaltens 
des  osmotischen  Drucks  menschlicher  Magen- 
inhalte hier  genau  erörtern,  da  ich  beide 
Fragen  bereits  an  anderer  Stelle  besprochen 
habe,  bezw.  auf  die  letztere  noch  einmal 
an  anderem  Orte  zurückkomme.  Dagegen 
muß  ich  die  Behauptung  Kopp  es,  „in  der 
Arbeit  von  Roth  und  Strauß  werden  meine 
theoretischen  Darlegungen  (S.  6  —  7)  voll- 
inhaltlich wiedergegeben  (ohne  Hinweis  auf 
meine  Publikationen) u  ganz  entschieden 
zurückweisen.  Denn  auf  S.  6 — 7  des  Separat- 
abdrucks der  betreffenden  Arbeit  sind  als 
Einleitung  zur  Arbeit  und  zur  Begrün- 
dung der  Notwendigkeit  spezieller 
Untersuchungen  in  ganz  allgemeiner 
Weise  die  theoretischen  Möglichkeiten 
erörtert,     wie    sie    vom    Standpunkt    einer 

*)  Anm.:  Das  in  diesem  Satz  und  in  dem  fol- 
genden Satz  gesperrt  Gedruckte  ist  im  Original 
nicht  gesperrt. 


318 


Referate. 


L   Monatsheft«. 


rein  physikalisch-chemischen  Betrachtung  der 
Dinge  für  das  Verhalten  von  Losungen  im 
Magen  in  Frage  kommen  können.  Ganz  ab- 
gesehen davon,  daß  eine  solche  ganz  all- 
gemein gehaltene  Erwägung  von  Mög- 
lichkeiten, zwischen  welchen  auch  nicht 
die  geringste  Entscheidung  getroffen  wurde, 
mit  der  Abgabe  eines  bestimmten,  eine 
ausgesprochene  Stellung  einnehmenden,  Ur- 
teils nicht  gleichbedeutend  ist,  waren 
die  Vor  aus  s  et  zun  gen  unserer  Beurteilung  des 
Gesamtvorganges  andere,  als  diejenigen 
von  Koppe,  insofern  ja  in  Eöppes  Betrach- 
tungen die  Veränderlichkeit  des  osmoti- 
schen Druckes  des  menschlichen  Blutserums 
im  Mittelpunkt  steht,  während  wir  von  einer 
Konstanz  des  osmotischen  Druckes  des 
menschlichen  Blutserums  ausgingen.  K  ö p  p  e  s 
Standpunkt  ist  nicht  bloß  in  Pflügers 
Archiv  Bd.  62,  S.  585  mit  den  Worten 
niedergelegt:  „Nach  der  Einfuhrung  von  Koch- 
salzlösung in  den  Magen  wird  eine  Erhöhung 
des  osmotischen  Druckes  des  Blutplasmas 
beobachtet,  welche  bedingt  ist  sowohl  durch 
eine  Aufnahme  der  eingeführten  Salze  in  das 
Blut  wie  auch  durch  eine  Wasserabgabe  in 
den  Magen a,  sondern  auch  in  seinem  Frank- 


furter Vortrage,  wo  Koppe  sagt  (S.  7):  „In- 
folge der  Salzaufnahme  zeigt  sich  dagegen 
der  osmotische  Druck  des  Blutplasmas  nach 
dem  Genuß  der  Suppe  erhöht".  Wenn  uns 
allerdings  z.  Zt.  der  Niederschrift  unserer  Arbeit 
die  Anschauung  Köppes  in  demjenigen 
Teil,  welcher  sich  auf  das  Verhalten  des 
Mageninhaltes  bezieht  (cf.  Zitat  aus 
Pflügers  Archiv),  bekannt  bezw.  in  Erinne- 
rung gewesen  wäre,  so  hätten  wir  sie  sicher 
erwähnt,  trotzdem  Koppe  von  dem  einzigen 
von  ihm  zum  Studium  der  Frage  ausgeführten 
Ausheberungsversuch  —  bei  welchem  dazu 
noch  die  Bestimmung  mit  dem  Hämatokrit- 
verfahren  ausgeführt  wurde  und  keine 
einzige  Zahlenangabe  geliefert  wurde 
—  selbst  sagt  (Pflügers  Arch.  1.  c):  „Auf 
welche  der  angegebenen  Arten  der  Druck- 
ausgleich aber  erfolgt,  läßt  sich  aus  dem 
Versuch  nicht  sicherstellen".  Koppe  könnte 
sich  also  höchstens  darüber  beschweren,  daß 
wir  ein  bestimmtes,  einen  Teil  der  Frage 
berührendes,  Urteil  von  ihm  nicht  in  den 
Kreis  unserer  Betrachtungen  gezogen  haben, 
von  einer  „vollinhaltlichen  Wiedergabe  seiner 
theoretischen  Darlegungen"  kann  nach  dem 
Mitgeteilten  aber  gar  keine  Rede  sein. 


Referate. 


Das  „Radlumkleid"  (Radiumüberzug). 

In  der  IX.  Sitzung  der  „Society  for  Ex- 
perimental  Biology  and  Medicine"  zu  New  York 
am  21.  Dez.  v.  J.  hielt  Herr  Hugo  Lieber  einen 
Vortrag  über  „Radium  und  einige  Methoden  für 
seine  therapeutische  Anwendung".  Dabei  handelte 
es  sich  um  Vorführung  einer  Erfindung  des 
Redners,  Radium  und  seine  Salze  in  einer 
wirksameren  als  der  bisher  verwendeten  Form 
in  der  Therapie  nutzbar  zu  machen. 

Radium  entsendet  zunächst:  1.  Emanationen 
und  2.  a-Strahlen;  die  Emanationen  zersetzen 
sich  schnell  zu  ß-  und  ^-Strahlen.  Glasröhrchen 
und  ähnliche  Behälter,  welche  man  zur  Auf- 
nahme der  Radiumpräparate  verwendet,  bilden 
in  ihren  Wänden  ein  gewisses  Hindernis  für 
die  Weiterverbreitung  der  beiden  Produkte  des 
Radiums,  und  selbst  die  oberste  Schicht  eines 
Radiumpräparats  ist  mehr  oder  weniger  un- 
durchlässig für  die  Ausstrahlungen  der  tieferen 
Schichten.  Daher  bislang  so  manche  Enttäuschung 
bei  therapeutischen  Versuchen  mit  Radium. 

Um    nun     den     vollen    radioaktiven    Effekt 
einer    gegebenen    Menge    Radium    zu    erhalten, 
muß    man    das    Radium    in    solcher    Form    ver- 
wenden,  daß  1.  die  Wände  des  Behälters  weder 
die  Emanationen    noch   die  a-Strahlen  aufhalten    , 
-  und    daß    2.    die    gegebene    Menge    Radium    so   • 
dünn  ausgebreitet  ist,  daß,  praktisch  gesprochen,   I 
eine    oberste   Schicht    nicht   besteht.     Auf  diese   I 


beiden  Punkte  stützt  sich  die  Erfindung  des 
Herrn  Lieber,  welcher  er  den  Namen  „  Radium- 
kleider"  (radium  coatings)  gibt. 

Das  Prinzip  ist  folgendes:  Radium  (Radium- 
salze) wird  in  einem  geeigneten  Lösungsmittel 
gelöst  und  in  diese  Lösung  ein  geeigneter  Träger 
eingetaucht,  an  dem  etwas  von  der  Lösung  hängen 
bleibt;  das  Lösungsmittel  verdunstet  und  läßt  auf 
dem  Träger  eine  äußerst  dünne  Radiumschicht 
zurück.  Die  Art  des  Lösungsmittels  hängt  von 
der  Art  des  Trägers  ab.  Werden  z.  B.  als 
Trager  Zelluloidstäbchen,  -Scheiben  oder  ähn- 
liches verwandt,  so  benutzt  man  als  Lösungs- 
mittel Alkohol,  Amylacetat  oder  dergl.  Das 
Zelluloid  wird  dabei  vorübergehend  oberflächlich 
erweicht,  so  daß  später  das  Radium  nicht  allein 
einen  Überzug  bildet,  sondern  der  Oberfläche 
des  Trägers  auch  gewissermaßen  einverleibt  ist. 
Darüber  kommt  eine  dünne  Lage  von  Kollodium, 
um  ein  zufälliges  Abstreifen  des  Radium  Überzugs 
zu  verhindern;  nach  einigen  Tagen  wird  die 
Koilodiumdecke  so  zähe,  daß  sie  dem  „Radium- 
kleid"  vollkommenen  Schutz  gewährt.  Durch 
Tinktion  der  Radiumlösung  wie  des  Kollodiums 
mit  einer  Anilinfarbe  wird  dann  noch  kenntlich 
gemacht,  ob  dos  Radiumkleid  intakt  ist  oder 
nicht.  Versuche  haben  gezeigt,  daß  Radium- 
präparate in  dieser  Form  weit  wirksamer  sind 
als  bei  der  bisher  gebräuchlichen  Anwendangs- 
weise;    so   hat   ein   dünne6   Stäbchen,    an  seiner 


XIX.  Jahrgang.  1 
Jnnl  1906.     J 


Referate. 


319 


Spitze  mit  solchem  Überzug  aus  Radiumbromid 
von  10000  Aktivität  versehen,  —  wobei  also 
nur  eine  ganz  geringe  Menge  Radium  vor- 
handen ist  —  denselben  Einfluß  auf  das  Elektro- 
skop  wie  lg  Radiumbromid  von  derselben 
Aktivität  in  einem  Glasröhrchen  oder  wie  10  mg 
Radiumbromid  von  1  000  000  Aktivität  in  einer 
sehr  dünnen  Aluminium  kapsei.  Auch  das  Spin- 
thariskop  von  Crookes  beweist  die  Vorzüge 
dieser  Anwendungsform. 

Diese  „Radiumkleider"  geben  uns,  praktisch 
genommen,  die  Möglichkeit,  Radium  direkt  auf 
jeden  Körperteil  einwirken  zu  lassen,  da  jedes 
beliebige  Instrument  an  passender  Stelle  mit 
diesem  Überzug  versehen  werden  kann.  Ferner 
werden  sie  durch  kochendes  Wasser  nicht  be- 
einflußt, so  daß  die  mit  „Radiumkleid"  ver- 
sehenen Instrumente  auch  sterilisierbar  sind. 


Der  Bericht  gibt  dann  noch  die  ausführ- 
liche Beschreibung  eines  von  dem  Redner  an- 
gegebenen Apparates,  um  Radium  in  dieser 
Form  auch  auf  die  Lungen  einwirken  lassen  zu 
können. 

Anwendung  des  „Radiumkleides"  bei 
Lungenaffektionen:  Nachdem  von  ver- 
schiedenen Forschern  die  bakterizide  Wirkung 
des  Radiums  und  seiner  Salze,  auch  auf  Tuberkel- 
bazillen, bewiesen  war,  wurde  der  Vorschlag  ge- 
macht (Rutherford,  Soddy  u.  a.),  die  Radium- 
emanationen direkt  in  die  Lunge  zu  blasen  und 
so  die  Tuberkulose  zu  bekämpfen.  Die  Schwierig- 
keiten, welche  sich  der  Ausführung  dieser  Idee 
bei  der  bisherigen  Anwendungsweise  des  Radiums 
entgegenstellten,  sind  durch  das  „Radiumkleid" 
nach  Ansicht  des  Erfinders  gehoben.  Man  ver- 
wendet es  in  folgender  Weise: 

Ein  Zelluloidrohr,  A  (s.  Abbildung),  ist  auf 
seiner  Innenseite  mit  „Radiumkleid"  versehen, 
darüber  eine  Kollodiumdecke.  Mittels  eines  gut 
schließenden,  durchbohrten  Gummipfropfens,  B, 
ist  ein  dünneres  Glasrohr,  C,  angeschlossen,  welches 
an  diesem  Ende  eine  Erweiterung  hat.  Dieses 
Glasrohr  ist  mit  dem  Glashahn,  D,  versehen  und 


trägt  an  dem  anderen  Ende  ein  Gummigebläse,  E. 
An  die  andere  Seite  des  Zelluloidrohres  ist 
dieselbe  Vorrichtung  angefügt  (F,  G,  H);  jedoch 
ist  die  Glasröhre,  G,  nach  der  einen  Seite  hin 
frei  und  kann  hier  durch  einen  Gummischlauch 
an  jedes  beliebige  Instrument  angeschlossen 
werden.  Schließt  man  nun  die  beiden  Glashähne 
und  läßt  sie  einige  Stunden  geschlossen,  so 
sammelt  sich  im  Innern  des  Zelluloidrohrs  eine 
beträchtliche  Menge  von  Radiumemanationen  an. 
Werden  dann  die  Glashähne  geöffnet  und  mittels 
des  Gummigebläses  Luft  durch  das  „Radiumrohr" 
hindurchgetrieben,  so  werden  die  angesammelten 
Emanationen  mit  dem  Luftstrom  fortgeführt  und 
können  so  durch  einen  geeigneten  Anschluß 
direkt  in  die  Lunge  des  Patienten  gelangen.  — 
Auch  bei  anderen  Erkrankungen  kann  dieses 
„Radiumrohr"  angewandt  werden,  z.  B.  bei 
Karzinom,  Lupus  u.  s.  w.,  indem  man  entweder 
die  Emanationen  durch  eine  Hohlnadel  in  das 
erkrankte  Gewebe  hineinbläst  oder  sie,  bes.  bei 
geschwürigem  Zerfall,  direkt  auf  die  Oberfläche 
der  Neubildung  bringt;  lagern  sich  die  Ema- 
nationen doch  gerade  auf  feuchten  Oberflächen 
ab  und  zersetzen  sich  dort  zu  ß-  und  ^-Strahlen. 
Durch  eine  geeignete  Bedeckung,  Pflaster  etc., 
wird  eine  zu  schnelle  Verflüchtigung  der  gas- 
förmigen Emanationen  noch  besonders  verhindert. 

(Nach  den  Bericht  der  „American  Mediane*,  Vol.  IX, 
No.  2,  18.  Januar  1905.)  K.  Mallinckrodt. 

Ober  Vererbung  der  Disposition  zur  Tuberkulose. 

Von  Dr.  Max  Burckhardt  (Basel). 

Verf.  hat  an  je  250  Tuberkulösen  bezw. 
Nichttuberkulösen  anamnestische  Erhebungen  be- 
treffs Vorkommen  von  Tuberkulose  in  den  betr. 
Familien  angestellt,  aus  denen  er  schließt,  daß 
die  Lehre  von  der  Vererbung  der  Disposition 
zu  Tuberkulose  zurzeit  einer  wissenschaftlichen 
Begründung  entbehre,  da  die  Resultate  der  Ana- 
mnese eher  zugunsten  einer  Infektion  in  der 
Familie  sprächen. 

Gegen  diese  Ausführungen  ist  u.  a.  einzu- 
wenden, daß  nicht  nur  tuberkulöse,  sondern  auch 
anderweitig  minderwertige  Vorfahren  Disposition 
zur  Tuberkulose  vererben  können.     (Ref.) 

(Zeitschr.  f.  Tuberk.  u.  Heilst.  Febr.  1904,  V,  4.) 

Bsch  (Bendorf). 

Trauma  und  Lungentuberkulose.  Von  Prof. 
R.  Stern,  Direktor  der  med.  Universitäts- 
Poliklinik  Breslau. 

Stern  hält  im  Gegensatz  zu  Sokolowski 
(Bd.  IV,  5)  an  der  in  seinem  Buche:  „Über 
traumatische  Entstehung  innerer  Krankheiten u 
ausgesprochenen  Ansicht  fest,  daß  die  Möglich- 
keit der  Entstehung  von  Tuberkulose  durch  ein 
Trauma  bei  einem  vorher  gesunden  Menschen 
bisher  nicht  ausreichend  bewiesen  sei. 

Ob  dieser  Beweis  jemals  geführt  werden 
kann,  das  ist  wohl  für  jeden,  dem  die  Grenzen 
unserer  Erkenntnisfähigkeit  klar  sind,  außer- 
ordentlich zweifelhaft. 

(Zeitschr.  f.  Tuberk.  u.  Heilst   Okt.  1903,  V,  1.) 

Bsch  (Bendorf). 


320 


l 


Tfcerapaatlacl» 
Monatshefte. 


Beitrag  zur  Tuberkulose  des  Kindesalters  and 
Prophylaxe  desselben.  Von  Dr.  Kluge 
(Itzehoe). 

Verfasser  glaubt,  daß  die  Streitfrage,  ob 
die  Infektion  gegenüber  der  ererbten  bezw.  er- 
worbenen Disposition  eine  untergeordnete  Rolle 
spiele  oder  nicht,  am  besten  bei  Kindern 
entschieden  werden  könne,  weil  hier  die  Infek- 
tion nur  mit  vererbter,  nicht  mit  erworbener 
Disposition  konkurriere.  Bei  150  Kindern  der 
Kieler  medizinischen  Poliklinik  kommt  er  zu 
dem  Ergebnis,  daß  es  sich  meist  um  Infektion 
als  alleinige  Ursache  tuberkulöser  Erkrankung 
handle.  Dabei  ist  er  aber  in  den  Fehler  ver- 
fallen, in  der  Anamnese  immer  nur  die  Tuber- 
kulose zu  berücksichtigen,  während  doch  auch 
andere  Krankheiten  der  Erzeuger  die  Wider- 
standskraft der  Kinder  herabsetzen  können.  Daß 
die  letztere  im  Kindesalter  schon  an  sich  ge- 
ringer ist,  leugnet  Verf.  nicht,  ebensowenig  wie 
die  Tatsache,  daß  andrerseits  viele  Kinder  trotz 
reichlicher  Infektionsgelegenheit  große  Wider- 
standskraft gegen  Tuberkulose  zeigen.  Statt 
aber  nun  die  Mittel  zur  Stärkung  dieser 
Widerstandskraft  in  Erwägung  zu  ziehen, 
empfieht  er  nur  «einseitige  Vorsichts-,  Desinfek- 
tions-  und  Isolierungsmaßregeln. 

(Zeitschr  f.  Tuberk.  u.  Heilst,  Mai  1903,  IV,  4.) 

Esch  (Bendorf j. 

Volksbelehrung  and  Tuberkulosebekämpfung«  Von 

Dr.  A.  Kayserling  (Berlin.) 

Trotzdem  Verf.  nicht  verkennen  will,  daß  es 
außerordentlich  schwierig  ist,  die  richtige  Mitte 
zwischen  Volksbelehrung  und  Volksbeängstigung 
innezuhalten,  tritt  er  doch  energisch  für  Be- 
lehrung des  Publikums  über  die  Ansteckungs- 
gefahr der  Schwindsucht  ein  unter  lobender  Er- 
wähnung von  ähnlichen  Bestrebungen  aus  früheren 
Zeiten  und  Hinweis  auf  die  belehrende  Einrich- 
tung des  Charlottenburger  Tuberkulosemuseums. 
Zu  der  schriftlichen  Belehrung  müsse  die  münd- 
liche kommen  in  Schulen,  populären  Vorträgen 
und  Ähnlichem. 

(Zeitschr.  f.  Tuberk.  u.  Heilst  Febr.  1904,  V,  4.) 

Esch  (Bendorf). 

Lungentuberkulose  und  Erkrankuneen  der  Nase 

und   des   Rachens.    Von  Dr.  W.  Freuden- 

thal  (New  York). 

Der  Tuberkelbazillus  muß  irgendwo  im 
Körper  einen  günstigen  Platz  finden,  um  sich 
dort  zu  entwickeln.  Zu  seiner  Weiterentwicklung 
ist  aber  noch  ein  weiterer  Faktor  nötig,  nämlich 
eine  trophische  Parese  und  mangelnde  Wider- 
standskraft des  Gesamtorganismus.  Wenn  nun 
eine  solche  Person  mit  „trophischer  und  zirkula- 
torischer  Insuffizienz"  in  irgend  einem  Teile 
ihres  Körpers  günstige  Verhältnisse  für  die  Ent- 
wicklung von  Mikroben  zeigt,  so  wird  hier  auch 
der  Tuberkelbazillus  florieren. 

Solche  günstigen  Verhältnisse  findet  er  aber 
besonders  bei  Personen  mit  trockenen  und  atro- 
phischen Nasen -Rachenkatarrhen,  von  Freuden- 
thal „Xerasie"  genannt,  die  nach  seiner  Ansicht 
oft  infolge»  schlechten  Klimas,  heißer  trockener 
Luft  der  Wohnräume  etc.  entstehen. 


Wegen  der  wichtigen  Holle,  die  Nasen-  and 
Rachenkrankheiten  in  der  Ätiologie  der  Tuber- 
kulose spielen,  sollte  also  mehr  auf  dieselben 
geachtet  werden. 

(Beitr.  *.  Kim.  d.  Tuberk.  II,  1,  1903.) 

Esch  (Bendorf). 

(Aus  dem  8t.  EllMbethipttal  In  Wlen/i 
Zur    Inhalatlonstheraple.      Von    Primärarzt    Dr. 
R.  Frhr.  v.  Seiller. 

Als  es  8i ch  zeigte,  daß  die  Inhalations- 
therapie nicht  das  zu  leisten  vermochte,  was 
man  sich  von  ihr  versprach,  wich  die  voreilige 
Begeisterung  einer  ebensowenig  berechtigten 
kritiklosen  Geringschätzung.  Demgegenüber  be- 
tont Verf.  in  dankenswerter  Weise  seine  empi- 
risch und  ezpeiimentell  (Jodreaktion  der  Sputa) 
begründete  Überzeugung,  daß  tatsächlich  thera- 
peutisch genügende  Mengen  zerstäubter  Flüssig- 
keit bis  in  die  feinsten  Luftwege  gelangen  können. 
Nachdem  Emmerich  das  schon  an  dem  Buliing- 
schen  Rauminhalationsapparat  „Guttafer"  nach- 
gewiesen hatte,  stellte  v.  Seil ler  Versuche  mit 
dem  gleichfalls  von  Bulling  konstruierten 
transportablen  „Thermovariator"  an,  ließ  mit 
ihm  1 — 2proz.  Na  Gl -Lösungen  (ohne  oder  mit 
Zusatz  von  4 — 6  Tropfen  Ol.  pin.  pumil.  auf 
50  g),  Gleichenberger  Quelle,  Alaunlösung  ohne 
oder  mit  Morphin,  Brunnenwasser  und  vor  allem 
1 — 2proz.  Jodnatriumlösungen  inhalieren  und 
konnte  mit  dieser  Therapie  eine  große  Anzahl 
guter  Erfolge  bei  akuter  und  chronischer  Bron- 
chitis, insbesondere  der  Bronchitis  chron.  sicca, 
ferner  bei  Bronchialasthma  und  akuter  Laryn- 
gitis erzielen,  bei  Pneumonie  wurde  die  Dyspnoe 
gehoben. 

(Wiener  Min.  Wochenschr.  1904,  No.  43.) 

•  Esch  (Bendorf). 

JVL-Gladbacher  Wohlfahrtseinrichtungen  im  Dienst 
der  Tuberkulosebekämpfung.    Von  Dr.  med. 

Blum,  Oberarzt  am  Mariahilf hospital. 

Die  zwei  Hauptfaktoren  der  Tuberkulose- 
bekämpfung, gesunde  Wohnung  und  ausreichende 
Ernährung,  haben  in  M.- Gladbach  2  Vereine  zum 
Gegenstand  ihres  Wirkens  gemacht,  der  Wohnungs- 
verein und  der  Verein  zur  Verpflegung  Kranker 
und  Genesender.  Während  der  letztere  in  einer 
Kochanstalt  nach  ärztlicher  Weisung  zubereitete 
Kost  herstellen  und  in  einem  heizbaren  Speise- 
transportwagen für  25  und  40  Pf.  den  Kranken 
bringen  läßt,  gibt  der  erstgenannte  Verein  Miets- 
zuschüsse für  ein  weiteres  Zimmer,  stellt  Betten 
auf,  läßt,  wenn  nötig,  Zwischenwände  errichten 
und  sorgt  womöglich  für  die  Miete  der  Ange- 
hörigen von  Heilstätteninsassen. 

(Zeitschr.  f.  Tuberk  u.  Heilst.  Okt.  1903,  V,  1.) 

Esch  (Bendorf). 

Ist  gegenwärtig  die  ausschließlich  medikamentöse 
Behandlung  exsudativer  seröser  Pleuritis  zu- 
lässig?  Von  Prof.  S.  W.  Lewaschew  (Kasan). 
Von  den  oft  auch  spontan  heilenden  serösen 
Pleuritiden    ist    circa    */,    der  Behandlung    mit 
Natrium   salicylicum    zugänglich,    äußere   Mittel 
sind   wirkungslos.     Führt   die   Salizylmedikation 
nicht  in  2—3  Wochen   zum  Ziele,    so   ist,    um 


XIX.  Jahrgang.' 
Jnat  1M.V 


] 


Referate. 


321 


ungünstige  Folgen  für  Lunge  und  Brustkorb  zu 

vermeiden,    Punktion    des  Exsudats    das    einzig 

zuverlässige   und  geeignete  Verfahren. 

(Wiener  med.  Presse  1904,  No.  37  u.  38.) 

Esch  (Bendorf). 


(Ana  dam  ■tadtlaehen  Kalter  and  Kaiserin  Fried  rlch- 
Klndarkrankenhanie  in  Berlin.) 

i.  Erfahrungen  über  die  Behandlung  des  Schar- 
lach« mit  AntJstreptokokkenserum.  Im  Auf- 
trage des  Herrn  Direktors  Prof.  Dr.  A.  Ba- 
ginsky  mitgeteilt  Von  Dr.  Ludwig Mendel- 
sohn,  früherem  Assistenten.  Deutsche  med. 
Wochensch,  1905,  No.  12. 

(Ana  dar  Padlatriaahan  Klinik  In  Prag.) 
a.   Ober  die  Behandlung  des  8charlachs  mit  Anti- 
•treptokokkenserum.     Von    Prof.  J.  Gang- 
hofner.     Deutsche    med.   Wochen  sehr.   II 
No.  14,  15. 

1.  Mendelsohn  gibt  eine  Übersicht  über 
die  im  Kaiser  und  Kaiserin  Friedrich-Kinder- 
krankenhause  in  Berlin  mit  dem  Aronsonschen 
Antistreptokokkenserum  bei  Scharlach  gewon- 
nenen Erfahrungen. 

Als  bester  Ort  für  die  Injektion  stellte  sich 
die  Interskapulargegend  heraus,  da  hier  die  Haut 
am  meisten  verschieblich  ist.  Verwendet  wurden 
Dosen  von  50 — 100  cem  Serum  und  darüber, 
die  auf  einmal  injiziert  wurden.  Daneben  wurden 
in  einzelnen  Fallen  ein-  oder  mehrmals  2—3  cem 
Serum  in  die  Tonsillen  injiziert. 

Bei  richtiger  Anwendung  kamen  nur  die 
Nebenwirkungen,  welche  allen  Sera  eigentümlich 
sind,  zur  Beobachtung.  Unter  144  Fällen  traten 
bei  47,  d.  h.  in  etwa  82  Proz.  der  Fälle,  Spritz- 
exantheme  auf,  und  zwar  örtliche  (diffuse  Rötung 
und  Schwellung  in  der  Umgebung  der  Spritz- 
stelle, nicht  selten  unter  schwerer  Störung  des 
Allgemeinbefindens,  sodann  typische,  örtlich  be- 
grenzte Urticaria)  und  allgemeine  (Urticaria  mit 
bis  talergroßen,  oft  konfluierenden  Quaddeln  und 
Exantheme,  die  magern-  bis  scharlachähnliches 
Anasehen  darboten,  auch  rubeolaartige  Efflo- 
reezenzen).  Die  lokalen  Spritze* an theme  traten 
meist  am  ersten  bis  vierten,  die  allgemeinen  am 
6.  bis  17.  Tage  nach  der  Injektion  auf,  letztere 
waren  ab  und  zu  von  Fieberbewegungen  be- 
gleitet. 

Gelenkaffektionen  traten  in  10  Fällen  auf, 
sechsmal  mit  gleichzeitigem  Spritzezanthem.  In 
einigen  Fällen  fand  sich  beim  Auftreten  der 
Spritzexantheme  geringer  Eiweißgehalt.  Affek- 
tionen des  Herzens  geben  eine  Kontraindikation 
gegen  die  Serumanwendung. 

Eine  wesentliche  Beeinflussung  der  eigent- 
lichen Scharlachsjmptome  hat  sich  nicht  gezeigt. 
Die  Fieberkurve  zeigte  keine  Abweichung  von 
der  gewöhnlichen  Form,  nur  zuweilen  stellten 
sich  nach  der  Injektion  tiefe  Remissionen  ein. 
Das  Exanthem  war  bei  den  in  den  ersten  Tagen 
gespritzten  Fällen  gewöhnlich  am  5.-7.  Krank- 
heitstage abgeblaßt.  Die  Erscheinungen  am 
Rachen  zeigten  in  einzelnen  Fällen  auffällige 
Besserung,  schwere  Erscheinungen  bildeten  sich 
nur  selten  aus. 

Maligne  und  septische  Fälle  (7  resp.  10) 
konnten  nicht  durch  das  Serum  gerettet  werden, 


doch  war  hier  die  Vergiftung  des  Körpers  schon 
eine  zu  starke,  als  daß  das  Serum  noch  hätte 
helfen  können.  Von  den  übrigen  147  gespritzten 
Fällen  wurde  nur  ein  einziger  während  der 
Serumbehandlung  septisch.  Es  ist  jedoch  frag- 
lich, ob  durch  das  Serum  eine  Immunisierung 
erzielt  worden  ist. 

Was  die  Komplikationen  betrifft,  so  konnten 
weder  Drüsenaffektionen  noch  Ohrerkrankungen 
noch  Nierenentzündungen  gänzlich  vermieden 
werden,  es  hat  jedoch  den  Anschein,  als  ob  das 
Serum  hier  günstig  gewirkt  hat,  obwohl  die  ge- 
ringe Anzahl  der  Komplikationen  auch  auf  den 
milden  Charakter  der  Epidemie  zu  beziehen  ist. 
Nachweisbar  erscheint  die  günstige  Wirkung  des 
Serums  bei  den  Lymphdrüsenschwellungen,  die 
bei  den  nicht  gespritzten  Fällen  17  Proz.,  bei 
den  gespritzten  nur  8  Proz.  betrugen;  obwohl 
gerade  bei  letzteren  eine  ziemlich  erhebliche 
Zahl  zur  Vereiterung  kam. 

2.  Ganghofner  hat  in  15  schweren  und 
allerschwersten  Scharlachfällen  je  10 — 30  cem 
des  Aronsonschen  Serums  injiziert.  Diese  ge- 
ringe Dosis  war  ohne  Einwirkung  auf  den  Krank- 
heitsverlauf geblieben,  Wiederholung  der  Ver- 
suche mit  ausreichenden  Mengen  konnten  wegen 
Erlöschen  der  Scharlachepidemie  noch  nicht  vor- 
genommen werden. 

Von  den  15  mit  Serum-  behandelten  Fällen 
starben  7  =  46,6  Proz.,  die  Mortalität  wurde 
also  nicht  beeinflußt.  Dagegen  wurde  ein  be- 
trächtlicheres Absinken  der  Temperatur  in  den. 
auf  die  Injektion  folgenden  24  Stunden  beob- 
achtet, doch  stieg  die  Temperatur  nach  diesem 
Abfall  wieder  an.  Allgemeinbefinden  und  die 
übrigen  Krankheitserscheinungen  wurden  bei  An- 
wendung dieser  kleinen  Dosen  nicht  auffällig 
beeinflußt. 

Verf.  berichtet  ferner  über  8  ebenfalls 
schwere  und  schwerste  Scharlachfälle,  die  er  mit 
Moserschem  Scharlach-Streptokokkenserum  be- 
handelt hatte.  Hier  betrug  die  Mortalität 
5  ==  62  Proz.  In  einem  Fall  schien  die  Rück- 
bildung des  Exanthems  durch  das  Serum  be- 
fördert worden  zu  sein,  der  schwache  Ausschlag 
entwickelte  sich  nicht  weiter  und  war  am  zweit- 
nächsten Tage  nach  der  Injektion  verschwunden.  * 
In  den  andern  Fällen  machte  sich  ein  Ein- 
fluß auf  das  Abblassen  des  Exanthems  nicht 
bemerkbar,  ebensowenig  wurde  der  Eintritt  von 
Komplikationen  verhindert.  Besserung  des  All- 
gemeinbefindens und  Freiwerden  des  Sensoriums 
wurde  in  3  Fällen  am  ersten  Tage,  in  1  Falle 
am  3.  Tage  nach  der  Injektion  beobachtet.  Der 
Temperaturabfall  war  im  ganzen  derselbe  wie 
in  den  mit  Aronsonschem  Serum  behandelten 
Fällen.  Schädliche  Nebenwirkungen  —  abge- 
sehen von  Serumexanthemen  —  traten  nicht 
hervor. 

Trotz  einzelner  günstiger  Eindrücke  hat 
Verf.  aus  diesen  allerdings  geringen  Fällen  nicht 
den  Eindruck  gewinnen  können,  daß  der  Schar- 
lachprozeß  in  wesentlich  günstiger  Weise  durch 
das  Mosersche  Serum  beeinflußt  wird. 

J<*cobson. 


322 


Referate. 


tTherapeutlaelie 
Monatshefte. 


(Au«  dem  SuLadlalans-InfektionsspItale  in  Budapest.}         ' 

Der  Einfloß  des  Urotroplns  auf  die  Entstehung  < 
der  skariatinOsen  Nierenentzündung.  Von  | 
Primarius  Dr.  Kornel  Preis  ich. 

An  einer  größeren  Anzahl  von  Scharlach- 
fallen  hat  Preisich  die  von  Widowitz  ange- 
gebene Urotropinwirkung  zur  Verhütung  einer  kom- 
plizierenden Nephritis  nachgeprüft.  600  Schar- 
lachkranke erhielten  vom  Tage  der  Aufnahme 
ins  Spital  an,  entsprechend  dem  1. — 6.  Tage  der 
Erkrankung,  3  Tage  hindurch  8  mal  täglich  Uro- 
tropin  und  nach  14tägiger  Pause  ein  zweites  Mal 
die  gleiche  Dosis.  Von  den  600  Kranken  bekamen 
55,  d.  h.  9,16  Proz.,  Nierenentzündung.  Zum 
Vergleich  wurden  600  Scharlach  fälle,  welche  in 
einem  andern  Krankenhause  der  gleichen  Be- 
handlung und  gleichen  Diät  unterzogen  wurden, 
aber  kein  Urotropin  erhielten ,  herangezogen. 
Von  diesen  erkrankten  82,  d.  h.  13,66  Proz.  an 
Nephritis.  Die  Überlegenheit  der  Urotropin- 
behandlung,  obgleich  hier  schon  offensichtlich, 
wird  noch  klarer,  wenn  die  Darreichung  am  3. 
und  weiteren  Tagen  einsetzt.  Von  376  so  be- 
handelten Patienten  erkrankten  nur  8,8  Proz.  an 
Nephritis,  gegenüber  17  Proz.,  die  nicht  Urotropin 
erhalten  hatten.  Die  nach  Uro  tropin  darreichung 
sich  einstellende  Nephritis  hat  im  allgemeinen 
eine  bessere  Tendenz  zur  Heilung  als  die  Ne- 
phritis ohne  Urotropin,  doch  kamen  auch  Fälle 
vor,  die  Monate  sich  hinzogen,  auch  Todesfälle 
an  Nephritis  sah  Preisich,  wenn  auch  selten, 
mit  Urotropin  wie  ohne  Urotropin. 

Aus  den  Erfahrungen  Preisichs  geht  her- 
vor, daß  Urotropin  bei  entsprechender  Dar- 
reichung eine  bedeutende  (bis  zu  50  Proz.)  Ver- 
ringerung der  Häufigkeit  der  Nierenentzündung 
bei  Scharlach  bewirkt.  Die  hier  befolgte  Art 
der  Darreichung  erwies  sich  als  vollkommen  un- 
schädlich. 
(Therapie  der  Gegenwart  Mai  1905,  S.  211.)     Jacobson. 

(Aus  der  med.  Abteilung  des  stadtlaehen  Krankenhauses 
su  Frankfurt  a.  M.    Direktor  Prof.  Ton  Noorden.) 

Beiträge    zum    Phosphorstoffwechsel.      Von    Dr. 

L.  Büchmann  (Odessa). 

Buch  mann  wollte  sich  durch  seine  Ver- 
suche zunächst  überzeugen,  ob  in  das  Blut  auf- 
genommene anorganische  Phosphorsalze  ausgenutzt 
werden,  ob  im  Organismus  des  Menschen  aus 
phosphorfreien  Eiweißkörpern  und  anorganischen 
Salzen  synthetisch  organische  Phosphorverbin- 
dungen zustande  kommen  können,  und  ob  ein 
Eiweißansatz  ohne  gleichzeitigen  Phosphoransatz 
stattfinden  kann. 

Es  ergab  sich  nun,  daß  aller  Phosphor,  der 
in  Gestalt  anorganischer  Verbindungen  mit  der 
Nahrung  eingeführt  wurde,  den  Körper  wieder 
verließ  und  daß  somit  eine  Synthese  aus  Nahrung 
und  anorganischem  Phosphor  nicht  möglich  zu 
sein  scheint.  Es  wird  zwar  Nahrung  in  nicht 
unerheblichen  Mengen  retiniert,  aber  Nahrungs- 
und Phosphorumsatz  können  entgegen  der  von 
verschiedenen  Seiten  aufgestellten  Behauptung 
vollständig  unabhängig  voneinander  sein. 

Ferner  verfolgte  Verf.  das  Schicksal  ver- 
fütterten Lecithins  im  Körper  und  kam  zu  dem 
Ergebnis,    daß  die  Lecithinnahrung    günstig  auf 


den  Stoffansatz  im  allgemeinen  und  auf  die  Zu- 
nahme an  phosphorhaltigen  Geweben  zu  wirken 
scheint,  falls  die  vorgenommene  Berechnung  auf 
richtigen  Voraussetzungen  beruht,  d.  h.  falls 
wirklich  der  im  Körper  verbliebene  Kalk  tat- 
sächlich als  phosphorsaurer  Kalk  im  Knochen 
abgelagert  wird.  Das  ist  aber  durchaus  noch 
nicht  als  zweifellos  klargestellt  zu  betrachten. 

(Zeitschr.f.  diätetische  u.  physikalische  Therapie,  Bd.  8, 
H.  2  u.  3.)  Eschle. 

Heilanzeigen  des  Kefir.    Von  Prof.  G.  Hayem. 

Kefir  erfreut  sich  gegenwärtig  auch  bei  ans 
in  Deutschland  mit  Recht  einer  ausgedehnten 
und  immer  wachsenden  Anwendung.  Er  genießt 
ein  wohlbegründetes  Ansehen  als  ein  meist  gut 
vertragenes  und  von  den  Patienten  gern  ge- 
nommenes Nährmittel  bei  konsumierenden  Krank- 
heiten und  Schwächezuständen.  Hayem,  der 
den  Kefir  seit  Jahren  anwendet  und  ausgedehnte 
Erfahrungen  darüber  besitzt,  sieht  in  ihm  weit 
mehr.  Er  hält  ihn  geradezu  für  ein  Heilmittel, 
das,  wie  jedes  andere  Medikament,  seine  Indi- 
kationen und  Kontraindikationen  besitzt,  and 
nur  dann,  wenn  man  diese  sorgsam  beachtet, 
Erfolge  zeitigt. 

Der  Kefir  ist,  wie  bekannt,  ein  Produkt  der 
Milch,  welche  durch  die  kombinierte  Einwirkung 
eines  Bakteriums,  der  Dispora  caucasica  und 
einer  Hefe,  der  Saccharomyces  cerevisiae  Meyen, 
eine  eigentümliche  Veränderung  erlitten  hat. 
Es  bildet  sich  nämlich  aus  der  Laktose  der  Milch 
Milchsäure,  Kohlensäure  und  eine  kleine  Menge 
Alkohol,  und  der  Geschmack  des  Getränks  wird 
ein  angenehm  säuerlicher.  Gleichzeitig  fällt  das 
Kasein  in  feinen  Flocken  aus  (wohlverstanden 
bei  kunstgerecht  bereitetem  Kefir,  der  keine 
gröberen  Bröckel  zeigen  darf)  und  wird  zu  einem 
beträchtlichen  Teil  in  Peptone,  Propeptone  and 
Milchsäure  umgewandelt.  Der  Kefir  ist  also 
eine  Milch  in  den  ersten  Stadien  der  Ver- 
dauung. 

Aus  dem  Gesagten  ergeben  sich  seine  Vor- 
züge vor  der  Milch  und  seine  physiologischen 
Wirkungen.  Der  eigentümliche  Zustand  der  Vor- 
verdauung und  seine  feinflockige  Beschaffenheit 
machen  ihn  verdaulicher  und  leichter  resorbier- 
bar als  die  Milch.  Die  Milchsäure  geht  ins 
Blut  über,  bildet  hier  milchsaure  Alkalien  und 
wird  mit  dem  Harn  in  Form  von  kohlensaurem 
Alkali  ausgeschieden.  Sie  gelangt  ferner  aus 
dem  Magen  in  den  Darm  und  übt  hier  eine, 
wenn  auch  nicht  bedeutende,  so  doch  merkbare 
mikrobizide  Wirkung  aus.  Daher  die  erfolg- 
reiche Anwendung  des  Kefirs  als  Antidiarrhoicum. 
Die  Kohlensäure,  die  in  ihm  enthalten  ist,  hat 
einmal  anästhesierende  Wirkungen  und  vermag 
in  manchen  Krankheitszuständen  die  Überempfind- 
lichkeit des  Magens  zu  mindern,  andererseits  regt 
sie  die  Kontraktion  der  glatten  Muskelfasern 
in  Magen  und  Darm  an. 

Hayem  hat  die  Heilwirkungen  des  Kefirs 
hauptsächlich  bei  einer  Reihe  von  Magenaffek- 
tionen studiert.  Er  fand  ihn  von  überraschen- 
dem Erfolge 

1.  bei  Magenleiden,  charakterisiert  durch 
Hyperpepsie,  ja  Apepsie,  schwache  Sekretion  und 


XIX.  Jahrgang.! 
Jqpi  1906.     J 


Referate. 


323 


rapide  Entleeruog,  die  zuweilen  schon  eine  Stande 
nach  Einnahme  der  Probemahlzeit  vollendet  war. 
Solche  Fälle  sind  häufig  von  mehr  oder  minder 
starken  Diarrhöen  begleitet,  und  gerade  bei  ihnen 
waren  die  Erfolge  des  Kefirs  oft  am  über- 
raschendsten. Ein  spezieller  Fall  dieser  Hyper- 
oder  Apepsie  liegt  vor,  wenn  irritierende  Medi- 
kamente bei  einer  bestehenden  Gastritis  ange- 
wendet worden  sind  und  eine  den  Krankheits- 
zastand  komplizierende  Entzündung  hervorgerufen 
haben.  Hier  kommt  durch  Anwendung  des  Kefirs 
die  Entzündung  sehr  bald  zum  Schwinden. 

2.  Indiziert  ist  Kefir  ferner  in  Fällen,  bei 
denen  eine  Hyper-  oder  Apepsie  mit  verzögerter 
Entleerung  des  Magens  infolge  von  geschwächter 
oder  atrophierter  Magenmuskulatur  kombiniert 
ist.  Hier  aber  kann  ein  Erfolg  nur  dann  er- 
zielt werden,  wenn  durch  sorgfältige  Regelung 
der  Quantität  des  zu  trinkenden  Kefirs,  wie  auch 
der  übrigen  Nahrungsmittel  eine  Überlastung  des 
Magens  vermieden  wird. 

3.  In  Fällen  von  mehr  oder  minder  starker 
Hyperpepsie  mit  sehr  schwacher  Sekretion  und 
schneller  Entleerung  des  Magens,  bei  denen  es 
sich  im  allgemeinen  um  veraltete  Magenaffek- 
tionen mit  komplexer  Veränderung  der  Schleim- 
haut und  häufig  um  eine  parenchymatöse,  zur 
Atrophie  neigende  Gastritis  handelt. 

4.  Bei  Magenkrebsen,  selbst  in  vorgeschritte- 
nen Stadien,  wobei  zu  beachten  ist,  daß  die 
Entleerung  des  Magens  nicht  merkbar  behindert 
sein  darf,  d.  h.  es  dürfen  keine  Stenosen  vor- 
handen sein. 

5.  Bei  Kranken,  die  infolge  eines  schweren 
chronischen  Leidens,  einer  Tuberkulose,  einer 
symptomatischen  Anämie,  einer  Nieren-  oder 
Leberaffektion,  oder  einer  Krankheit  des  blut- 
bildenden Systems  etc.  kachektisch  geworden 
sind.  Doch  kommt  für  den  Erfolg  der  Kefirkur 
bei  allen  diesen  Leiden  der  Zustand  des  Magens 
in  Betracht.  Hyperpeptische  Tuberkulöse  z.  B. 
werden  von  ihr  keinen  Vorteil  haben,  während 
bei  hyperpeptischen  und  atonischen  Mägen  sich 
die  Ernährung  sehr  bald  heben  wird. 

Der  Kefir  hat  nun  seine  bestimmten  Kontra- 
indikationen. Man  darf  ihn  nicht  anwenden  bei 
hyperpeptischen  Kranken  mit  abundanter  Se- 
kretion und  verzögerter  Magenentleerung,  im 
allgemeinen  auch  nicht  bei  Magengeschwüren 
(doch  kann  er  in  älteren  Fällen  mit  schwacher 
Magensekretion  mit  Vorteil  Anwendung  finden), 
endlich  nicht  bei  Pylorusstenosen.  Um  es  kurz 
zu  sagen,  paßt  die  Kefirkur  bei  allen  Kranken,  bei 
denen  eine  Insuffizienz  der  Leistung  des  Magens, 
besonders  eine  Insuffizienz  der  Sekretion,  vor- 
liegt, der  Kefir  ist  also  das  Medikament  der 
sekretorischen  und  der  muskulären  Magenin- 
suffizienz. 

Hayem  verordnet  den  Kefir  entweder  zu- 
sammen mit  andern  Nahrungsmitteln,  oder  er 
läßt  seine  Patienten  nichts  anderes  als  Kefir 
genießen.  Diese  relativ  selten  verordnete  „inte- 
grale Kefirkur"  betrachtet  Hayem  lediglich  als 
Vorbereitung  zum  gemischten  Kefirregime.  Sie 
empfiehlt  sich  bei  Kranken,  bei  denen  die  Hyper- 
oder  Apepsie  mit  starker  Diarrhöe  kombiniert 
ist,  ferner  bei  Krebskranken  mit  Erbrechen,  das 


selbst  bei  ausschließlicher  Milchdiät  fortdauert, 
endlich  bei  hyperpeptischen  Tuberkulösen  mit 
Diarrhöe.  Anfangs  erhalten  die  Kranken  5  bis 
6  Gläser  Kefir  pro  Tag  in  gleichen  Zeitab- 
schnitten, eine  Quantität,  mit  der  fortschreitend 
bis  auf  12  Gläser  gestiegen  wird.  Nach  einigen 
Wochen  geht  Hayem  dann  zu  einem  gemisch- 
ten Regime  über,  das  er  in  allen  andern,  als 
den  oben  gekennzeichneten  Fällen  von  vornherein 
zur  Anwendung  bringt.  Dieses  besteht  einfach 
darin,  daß  die  Kranken  zu  den  gewöhnlichen 
3  Mahlzeiten  statt  jedes  anderen  Getränks  1 1/9 
bis  2,  und  bei  guter  Verdauung  und  prompter 
Entleerung  des  Magens  zwischen  Mittag-  und 
Abendbrot  noch  ein  besonderes  Glas  Kefir 
trinken.  Es  gibt  bekanntlich  3  Arten  von  Kefir: 
Kefir  No.  1,  der  einen  Tag  der  Fermentation 
unterlag  und  abführende  Wirkungen  hat,  No.  2, 
der  zwei,  und  No.  3,  der  3  Tage  lang  fermen- 
tiert hat.  No.  2  ist  mehr  indifferent,  während 
No.  3  stopfend  wirkt.  Hayem  ist  fast  stets  mit 
Kefir  No.  2  ausgekommen,  welcher  die  gute 
Eigenschaft  zeigte,  sowohl  bei  Diarrhoikern  als 
bei  Verstopften  den  Stuhl  sehr  bald  zu  regulieren. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  78.) 

Ritterband  (Berlin). 

Die   Einwirkung   des  Alkohols  auf  das   Warm- 
bluterherz.  Von  M.  Kochmann. 

0,3  proz.  Alkohol  -Blutlösungen  sind  ohne 
wesentlichen  Einfluß  auf  das  Warmblüterherz; 
0,4  proz.  Alkohol-Blutlösungen  bringen  schon  einen 
schädigenden  Effekt  hervor.  Die  Pulsfrequenz 
bleibt  intakt,  die  Pulshöhe  sinkt  aber  recht 
merkbar. 

0,5 proz  Lösungen  verlangsamen  auch  die 
Schlagfolge  des  Herzens,  2  proz.  veranlassen  den 
Tod.  Der  schädigende  Einfluß  des  Alkohols  tritt 
stärker  hervor,  wenn  der  Anfangsblutdruck  ein 
höherer  ist. 

Eine  exzitierende  Wirkung  des  Alkohols  auf 
das  Herz  wurde  vom  Verfasser  nie  beobachtet. 
Bei  Hund  und  Kaninchen  verursacht  der  Alkohol 
in  mittleren  Gaben  eine  Blutdrucksteigerung  von 
ungefähr  7  Proz.;  schaltet  man  die  Möglichkeit 
einer  zentralen  Vasomotionserregung  vollkommen 
aus,  so  zeigt  sich  eine  Steigerung  von  durch- 
schnittlich 20  Proz.  Da  der  Alkohol,  nach  den 
vom  Verfasser  angestellten  Versuchen,  auf  die  peri- 
pherischen Gefäße  selbst  keinen  vaaokonstriktori- 
schen  Einfluß  auszuüben  vermag,  so  wird  man 
zu  der  Annahme  genötigt,  den  Angriffspunkt  für 
diese  Wirkung  des  Alkohols  auf  ein  Gebiet 
zwischen  Rückenmark  und  peripherischen  Gefäßen 
zu  verlegen.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  um 
das  sympathische  Geflecht  des  Abdomens. 

Bei  der  durch  Alkohol  hervorgerufenen  Blut- 
drucksteigerung kämpfen  ein  blutdrucksteigernder 
Faktor  (die  Vasokonstriktion  der  Abdominalge- 
fäße) und  ein  blutdrucksenkender  (das  vasomo- 
torische Zentrum)  gegen  einander,  wobei  der 
erstere  die  Oberhand  behält.  Vor  der  Blutdruck- 
Steigerung  tritt  meistens  eine  kleine  Senkung 
zum  Vorschein;  bei  dieser  Erscheinung  summieren 
sich  zwei  Faktoren:  die  Parese  des  vasomotori- 
schen Zentrums  und  die  geringe  schnell  vorüber- 
gehende Schädigung  des  Herzens. 


324 


Rateate. 


:  TU«ri|*uti»cfa» 
L   MonatiWto. 


Bei  großen  Gaben  Alkohol  beherrscht  die 
Lähmung  der  gesamten  Vasomotion  das  ganze 
Bild  der  Wirkung. 

Bei  Menschen  erzeugen  kleine  Mengen 
Alkohol  nach  20  Minuten  eine  Blutdrucksteige- 
rang; größere  Dosen  eine  Senkung.  Der  Vagus 
spielt  keine  Rolle  bei  der  Blutdrucksenkung  und 
bei  der  Pulsverlangsamung. 

Kurz  zusammengefaßt  kann  man  sagen,  daß 

der    Alkohol    das    isolierte  Herz    nur    schädigt, 

daß   er  jedoch,   auf  das  ganze  Tier  wirkend,  in 

kleineren    und    mittleren   Gaben    den  Blutdruck 

hebt    und    dadurch    indirekt    das    Herz  infolge 

besserer  Durchblutung  des    Koronargefäßaystems 

zu  größerer  Tätigkeit  anregen  kann. 

(Arch.  intern,  de  Pharm,  et  de  Ther.  Vol.  XIII.  p.329.) 
Dr.  Impens  (Elberfeld). 

(Au*  dem  W«rkiptt«le  der  Brennberger  Kohlengewerkachaft) 

Ist  Eisen  auf  dem  Wege  der  Inunktionskur  dem 
menschlichen  Organismus  einverleibbar?   Von 
Bergarzt  Dr.  Hugo  Goldman. 
In    einer    vorläufigen    Mitteilung    berichtet 
Goldman  über  Versuche,  Eisen  dem  Organismus 
perkutan   einzuverleiben.     Benutzt  wurde  metal- 
lisches Eisen,  das  nach  dem  Bi  11  itz ersehen  Ver- 
fahren auf  elektrischem  Wege  in  denkbar  feinste 
Verteilung  gebracht  worden  war.     Dieses  Eisen 
wurde  mit  Vaselin,  Lanolin  und  Fetron  Liebreich 
zu  einer  8  proz.  Eisensalbe  verarbeitet,   in  wel- 
cher   Eisenteilchen    durch    Gefühl    nicht    wahr- 
genommen werden  konnten. 

Bei  zwei  an  Ankylostomiaaisanämie  leiden- 
den Patienten  wurden  täglich  einmal  mit  5  g 
Eisensalbe  an  verschiedenen  Körperstellen  In  Mik- 
tionen von  15  —  20  Minuten  Dauer  vorge- 
nommen. Nach  19  Einreibungen  wurden  im 
Harn  der  Pat. ,  deren  Haut  keinerlei  Reaktion 
darbot,  0,011  resp.  0,014  g  Eisen  pro  Liter 
Harn  aufgefunden.  Da  normal  im  Harn  pro 
Liter  0,003 — 0,008  g  Eisen  sich  finden,  so  er- 
scheint der  Beweis  erbracht,  daß  der  hohe  Eisen- 
gehalt durch  die  Resorption  bedingt  worden  ist. 
Blutuntersuchungen,  die  über  den  therapeutischen 
Erfolg  Auskunft  geben  können,  werden  in  Aus- 
sicht gestellt. 

(Wiener  klinische  Wochenschrift  1905,  No.  18.1 

Jacobson. 

Behandlung  der  Hämorrhoiden  bei  Kindern.   Von 

Comby. 

Hämorrhoiden  sind  bei  Kindern  nichts 
seltenes.  Comby  teilt  mehrere  einschlägige 
Fälle  mit  und  weist  darauf  hin,  daß  Hämor- 
rhoiden bereits  in  den  ersten  Lebensmonaten 
mehr  oder  weniger  reichliche  Blutungen  verur- 
sachen können.  Beim  Stuhlgang  verlieren  die 
Kinder  reines  Blut  und  zuweilen  Blutgerinnsel 
ganz  schmerzlos  und  ohne  Stuhldrang.  Diese 
Blutung  hat  ihren  Ursprung  in  inneren  Hämor- 
rhoiden, die  aber  auch  vorhanden  sein  können, 
ohne  sich  durch  Auftreten  einer  Blutung  zu  ver- 
raten. Sie  werden  dann  nur  bei  der  Digital- 
untersuchung des  Rectums  erkannt.  Die  äußeren 
Hämorrhoiden  treten  bisweilen  auch  sehr  früh- 
zeitig auf.  Sie  bilden  weiche,  schmerzlose,  ge- 
wöhnlich bläuliche  Tumoren  in  der  Umgebung 
des  Anus,    die    sich    auf  Druck  verkleinern  und 


nur  selten  ein  größeres  Volumen  erreichen.  Zn 
ihrer  Behandlung  empfiehlt  Comby  Kalt wasaer- 
klyatiere,  Pinselungen  mit  salzsaurem  Adrenalin 
in  einer  Konzentration  von  1  :  1000  oder  Suppo- 
sitorien  von  der  Znsammensetzung 
Extracti  Ratanhiae  1,0 
Butyri  Cacao  3,0, 

von    denen    morgens    und    abends  je  eines  ein- 
geführt wird. 

(La  Presse  midie.  1905,  No.  1.    Archives  de  medecüu 
des  enfants  1904,  November.)         Rittsrband  (Berlin). 

Die    Anwendung    der    elastischen    Binde    beim 
Wechsel  des  Verbandes  von  Gliederwunden. 

Von  Dr.  Isnardi  (Turin). 

Verf.  empfiehlt,  um  die  beim  Wechseln 
trockener  Verbände  von  großen  granulierenden 
Wundflächen  auftretenden  Blutungen  zu  ver- 
meiden, vorher  das  Glied  vertikal  aufzurichten 
und  an  der  Wurzel  mit  einer  elastischen  Binde 
zn  umschnüren  wie  zur  Herbeiführung  der 
künstlichen  Blutleere.  Hierbei  läßt  sich  das 
Abnehmen  auch  festklebender  Verbandstoffe  ohne 
Blutung  bewerkstelligen,  und  auch  eine  Nach- 
blutung tritt  nicht  ein.  Die  Granulationen 
werden  vor  Verletzungen  bewahrt,  werden  schnell 
stärker  und  bluten  später  nicht  mehr. 

(ZentralbL  f.  Chirurg.  1904,  No.  24.) 

Wendel  (Marburg). 

Der  erste  Verband  auf  dem  Schlachtfelds.    Von 

Dr.  van  Stock  um  in  Rotterdam. 
Verf.  hat  seit  4  Jahren  alle  auf  seiner  Ab- 
teilung vorgekommenen  akzidentellen  Wunden 
mit  Perubalsam  behandelt  und  dadurch  hervor- 
ragende Erfolge  erzielt.  Weder  die  Wunde 
noch  ihre  Umgebung  wird  gereinigt,  sondern 
es  wird  sofort  eine  große  Menge  Peru  baisam  in 
die  Wunde  gegossen  resp.  bei  Stichwunden 
(Durchstechungsfrakturen)  mit  steriler  Spritze 
injiziert.  Sodann  wird  ein  aufsaugender  Druck- 
verband angelegt,  welcher  20  Tage  liegen  bleiben 
kann.  Bei  90  nach  dieser  Methode  behandelten 
komplizierten  Frakturen  trat  in  95,5  Proz.,  d.  h. 
in  86  Fällen,  Heilung  ohne  Eiterung  ein!  Von 
den  übrigen  4  Fällen  heilten  3  mit  Eiterung, 
nur  einer  kam  zur  sekundären  Amputation. 

Verf.  vergleicht  seine  Erfolge  tabellarisch 
mit  denen  anderer  Autoren.  Er  empfiehlt  sein 
Verfahren  für  Kriegsverletzungen,  und  zwar  wegen 
folgender  Vorzüge: 

1.  Der  Verwundete  braucht  weder  gereinigt 
noch  desinfiziert  zu  werden. 

2.  Auch  die  Hände  des  den  Verband  An- 
legenden brauchen  nicht  gereinigt  zu 
werden. 

3.  Ein  steriler  Verband  ist  nicht  unbedingt 
nötig.  Jeder  aufsaugende  Stoff,  der 
einigermaßen  elastisch  ist,  kann  in  Not- 
fällen genommen  werden:  Hemd,  wollene 
Decke,  vielleicht  Hon. 

4.  Der  erste  Verband  kann  20  Tage  liegen 
bleiben,  wodurch  Nachteile  eines  Trans- 
portes verringert  werden. 

5.  Derjenige,  welcher  den  ersten  Verband 
anlegt,  braucht  kein  Chirurg  zn  sein. 

(Zentralbl  f.  Chirurg.  1904,  No.  26.) 

Wendel  (Marburg). 


XIX.  Jahrgang«! 
Juni  1906.     J 


325 


l.  Gewöhnliche  Salzlösungen  und  andere  lokale 
Analgetica  bei  der  ambulanten  Behandlung 
von  Krankheiten  des  Rectum  und  Anus. 
(Normal  salt-solutions  and  other  local  anal- 
gealcs  in  the  Office  treatment  of  ano-rectal 
diseases.)  Von  J.  Rawson  Pennington  M.D. 
Professor  of  rectal  diseases  Chicago  Policlinic. 
Tbe  Journal  of  the  American  Med.  Association. 
8.  April  1905,  No.  14. 

a.  Lokale  Anästhesie  bei  der  großen  und  kleinen 
Chirurgie  des  Ohres  nach  Studien  in  der 
Klinik  von  Prof.  Politzer,  Wien.  (Local 
Anesthesia  in  major  and  minor  Operation 
on  the  ear,  as  observed  in  Professor  Politzer'» 
cünic  in  Vlenna.)  Von  George  Pauli 
MarquisA.M.,M.D.andOscarH.KraftM.D.1 
Chicago.    Ebenda.    22.  April,  No.  16. 

1.  Zur  chirurgischen  Behandlung  der  Er- 
krankungen des  unteren  Mastdarm  abschnittes 
und  Anus,  als  da  sind  äußere  und  innere  Hämor- 
rhoiden, Polypen  etc.,  bediente  sich  J.  Rawson 
Pennington  mit  sehr  gutem  Erfolge  der 
lokalen  Anästhesie.  Verf.  hebt  die  vielen  Vorteile 
hervor,  welche  bei  einem  solchen  an  sich  gering- 
fugigen  Eingriff  die  Anwendung  der  lokalen 
Anästhesie  gegenüber  der  allgemeinen  Narkose 
bietet.  Die  Lösungen,  deren  sich  Verf.  zur 
Herbeiführung  der  örtlichen  Unempfindlichkeit 
bedient,  sind  entweder  eine  einfache  sterile 
0,75  proz.  Kochsalzlösung  oder  besser  diese  Lö- 
sung unter  Zusatz  von  0,2  g  /9-Eukainlaktat  und 
10  Tropfen  Adrenalin chloridlösung  (1  :  1000)  auf 
100  ccm.  Die  Beschreibung  der  Injektions-  und 
Operationstechnik  bietet  nichts  Neues.  In  den  75 
so  vorgenommenen  Operationen  war  die  erzielte 
Anästhesie  —  bis  auf  einen  Patienten,  welcher  zu 
nervös  und  ängstlich  war,  um  die  Operation  in 
lokaler  Anästhesie  zu  Ende  führen  zu  lassen  — 
eine  durchaus  zufriedenstellende,  auch  schien  der 
Nachschmerz  geringer  zu  sein  als  bei  in  Allgemein- 
narkose vorgenommenen  gleichen  Eingriffen. 

2.  G.P.Marquis  und  O.  H.  K  rafft  be- 
schreiben die  Anästhesierungstechnik,  die  in  der 
Pol itz ersehen  Ohrenklinik  bei  der  Radikal- 
operation und  einer  ganzen  Reihe  anderer  chi- 
rurgischer Eingriffe  am  Gehörorgan  angewendet 
wird.  Zur  Herbeiführung  der  Schmerzlosigkeit 
werden  3  Lösungen  verwendet,  eine  1  proz. 
Kokainlösung  mit  Zusatz  von  5  Tropfen  Tonogen 
(einem  österreichischen  Nebennierenpräparat)  pro 
ccm,  welche  in  die  Gegend  des  Gehörganges  in* 
ji ziert  wird,  um  eine  recht  lange  anhaltende 
Anästhesie  des  Antra  ms  zu  erzielen,  eine  20  proz. 
Kokainlösung,  welche  auf  einem  Tampon  in  die 
Paukenhöhle  gebracht  wird,  und  schließlich  zur 
Anästhesierung  aller  anderen  Teile  wie  Haut, 
Periost  etc.  eine  1  proz.  Eukainlösung  mit  obigem 
Tonogenzusatz ,  welcher  infolge  der  geringeren 
Giftigkeit  der  Vorzug  vor  dem  Kokain  gegeben 
wurde.  Die  im  ganzen  bei  der  Radikaloperation 
verwendeten  Mengen  betrugen  höchstens  4 — 5  cg 
Eukain  und  3  cg  Kokain.  Vergiftungssymptome 
von  irgend  welcher  Bedeutung  wurden  nie  beob- 
achtet, außer  daß  die  Patienten  manchmal  beim 
Beginn  der  Operation  über  leichte  Kopfschmerzen 
und  Übelkeit,  welche  stets  auf  Darreichung 
einiger  Theelöffel  heißen  Kaffees  mit  Kognak 
verschwanden,  klagten;    kurz  vor  der  Operation 


ließ  man  die  Patienten  essen,  da  das  Kokain 
dann  weniger  toxisch  sein  soll. 

Bei  Operationen,  welche  gewöhnlich  heftigen 
Nachschmerz  verursachen,  wurde  dieser  durch 
Bestäuben  des  Operationsfeldes  mit  einer  Mischung 
von  Anästhesin  und  Borsäure  zu  gleichen  Teilen 
beseitigt. 

Aus  diesem  wie  schon  aus  früheren  Be- 
richten über  das  gleiche  Thema  geht  deutlich 
hervor,  wie  die  lokale  Anästhesie  aus  ihrer 
früheren  Domäne,  der  kleinen  Chirurgie  an  der 
Körperoberfläche,  dadurch,  daß  Mittel  gefunden 
wurden,  welche,  weniger  giftig  als  das  früher 
einzig  dastehende  Kokain,  die  Anwendung 
größerer  Mengen,  d.  h.  die  Anästhesierung 
größerer  Distrikte  erlauben,  immer  mehr  und 
mehr  in  das  Gebiet  der  großen  Chirurgie  vor- 
dringt und  dort  den  Kampf  mit  der  doch  immer 
einen  bedrohenden  Eingriff  darstellenden  All- 
gemeinnarkose aufnimmt.  Th.A.Maass. 

l.  Der  Wert  der  Drüsenausräumung  bei  der  Ope- 
ration des  Uteruskarzinoms«  Von  Dr.  Karl 
Baisch  (Tübingen).  Zeitschr.  f.  Geburtsh.  u.  Gy- 
näkol.  1905,  Bd.  75,  S.  273. 

a.  Beitrag  zur  abdominalen  Radikaloperation  des 
karsinomatOsen  Uterus.  Von  Dr.  Lampe. 
Monatsh.  f.  Geburtsh.  u.  Gynäkol.  1905,  Mai. 

3.  Der  Krebs  der  Gebärmutter:  Ein  Mannwort 
an  die  Frauenwelt.  Von  Prof.  Dr.  Max 
Runge.    Verlag  von  Jul.  Springer  1905. 

1.  In  der  Frage,  ob  die  vaginale  oder  ab- 
dominale Operation  zur  radikalen  Entfernung 
der  karzinomatös  entarteten  Gebärmutter  vor- 
zuziehen ist,  hatte  die  Arbeit  von  Schauta, 
daß  die  Drüsenentfernung  wertlos  sei,  und  die 
Angabe  Wertheims,  daß  er  bei  sämtlichen 
abdominalen  Operationen,  bei  denen  die  Drüsen 
bereits  ergriffen  waren,  trotz  der  Entfernung 
derselben  Rezidive  auftreten  sah,  die  in  die  ab- 
dominale Operationsmethode  gesetzte  Hoffnung 
wesentlich  herabgemindert.  Denn  gerade  die 
Möglichkeit,  erkrankte  Drüsen  mit  zu  entfernen, 
war  bestimmend,  die  vaginale  Operationsmethode 
aufzugeben. 

Auf  Grund  der  in  der  Tübinger  Klinik  von 
Döderlein  gemachten  Erfahrungen  hält  Baisch 
den  von  Schauta  erhobenen  Einwand,  daß  die 
Drüsenentfernung  praktisch  wertlos  sei,  nicht 
für  stichhaltig.  Denn  er  konnte  den  Nachweis 
führen,  daß  das  Auftreten  der  Drüsen  sich  an 
die  physiologisch- anatomischen  Bahnen  hält,  ein 
gleichmäßig  fortschreitendes  ist  und  keine  Sprünge 
kennt,  so  daß,  wenn  die  erste  Etappe  der  Lymph- 
drüsen von  Metastasen  frei  ist,  eine  Infektion 
der  zweiten  Etappe  nicht  anzunehmen  ist.  Auch 
die  Tatsache,  daß  von  8  im  Jahre  1902  von 
Döderlein  auf  abdominalem  Wege  operierten 
Frauen  drei  rezidivfrei  sind,  spricht  nach  Baisch 
für  den  Wert  dieser  Methode.  Beim  Corpus- 
karzinom  allerdings,  bei  dem  die  Drüsen  erst 
spät  ergriffen  werden,  ist  die  vaginale  Total- 
exstirpation  vollkommen  ausreichend,  falls  nicht 
die  Größe  des  Uterus  oder  ein  nicht  selten 
gleichzeitig  bestehendes  Ovarialkarzinom  die  ab- 
dominale Operation  indiziert.  Beim  Collumkrebs 
hingegen  findet  man  in  mehr  als  der  Hälfte  der 


326 


Referate. 


rTherap«uti*che 
L   Monatshefte. 


Fälle  das  Parametrium  ergriffen  (Bai seh  fand 
es  unter  160  Fallen  in  55  Proz.)  und  Baisch 
empfiehlt  daher,  besonders  da  auch  das  scheinbar 
gesunde  Parametrium  bereits  infiziert  sein  kann, 
das  parametrane  Gewebe  bei  der  Operation  in 
möglichster  Ausdehnung  zu  entfernen.  Auch 
das  Verhalten  der  Drüsen  läßt  in  diesen  Fällen 
die  abdominale  Operation  zweckmäßiger  er- 
scheinen. Diese  finden  sich  beim  operablen 
Collumkarzinom  in  ca.  l/3  der  Fälle  karzino- 
matös,  bei  Ergriffensein  des  Parametrium  sogar 
in  der  Hälfte  der  Fälle.  Diese  Fälle  können 
durch  die  vaginale  Operationsmethode  nicht  ge- 
heilt werden.  Das  Freisein  der  Parametrien 
Tom  Karzinom  garantiert  nicht  das  Fehlen  von 
Drüsen erkrankung,  ebensowenig  wie  die  geringe 
Ausdehnung  der  Neubildung  hierfür  spricht.  Die 
ungünstigste  Prognose  geben  die  Cervixkarzinome, 
bei  denen  sich  sowohl  Parametrien  wie  Drüsen 
am  häufigsten  infiziert  finden,  während  das 
Portiokarzinom  im  Anfangsstadium  nicht  zu 
Drüsenmetastasen  neigt,  so  daß  für  dieses  die 
vaginale  Totalexstirpation  mit  Zuhilfenahme  des 
Schuchardt sehen  Paravaginalschnittes  aus- 
reichend ist. 

Auch  bei  der  abdominalen  Operation,  die 
anfangs  äußerst  ungünstige  Resultate  ergab, 
bessert  sich  naturgemäß  die  primäre  Mortalität 
mit  der  größeren  Übung. 

Döderlein  hatte  unter  den  letzten  25  nach 
Wertheims  Methode  operierten  Fällen  keinen 
Todesfall. 

2.  Zu  einer  wesentlich  anderen  Beurteilung 
der  abdominalen  Operationsmethode  kommt 
Lampe. 

Im  städtischen  Diakonissenhaus  zu  Brom- 
berg führte  Lampe  in  dem  letzten  Jahre  7  ab- 
dominnle  Radikaloperationen  wegen  Uterus- 
karzinom aus,  2  Frauen  starben  an  Peritonitis, 
die  beiden  zuerst  operierten  haben  bereits  Rezi- 
dive. Aber  nicht  diese  schlechten  Resultate 
bewogen  ihn,  wieder  zur  vaginalen  Operation 
zurückzukehren,  als  vielmehr  die  sichere  Er- 
kenntnis, welche  er  durch  Ausführung  der  ab- 
dominalen Operationen  sich  erwarb,  daß  nämlich 
auch  bei  den  abdominalen  Operationen  trotz 
ihrer  schlechten  Resultate  eine  Radikaloperation 
mit  Entfernung  alles  karzinomatös  verdächtigen 
Gewebes  nicht  möglich  ist,  da  man  sonst  in 
jedem  Falle  eine  Resektion  des  vesikalen  Teiles 
der  Ureteren  ausführen  müßte.  Bessere  Dauer- 
resultate lassen  sich  nach  Lampe  im  Einklang 
mit  der  Winterschen  Überzeugung  nur  da- 
durch erreichen,  daß  die  Frauen,  über  die  Natur 
der  Erkrankung  aufgeklärt,  möglichst  frühzeitig 
zur  Untersuchung  und  Operation  kommen. 

Diesen  Zweck  der  Belehrung  der  Frau  über 
die  ersten  Erscheinungen  des  Gebärmutterkrebses 
und  seine  Heilbarkeit,  wenn  er  früh  erkannt 
wird,  erfüllt  in  vorzüglicher  Weise  ein  in 
Göttingen  gehaltener  Vortrag  von: 

3.  Prof.  Dr.  Max  Runge:  Der  Krebs 
der  Gebärmutter:  Ein  Mahnwort  an  die 
Frauenwelt,  welcher  im  Verlag  von  Julius 
Springer  1905  als  kleine  billige  Broschüre  er- 
schienen ist,  und  dem  eine  recht  weite  Verbrei- 
tung zu  wünschen  ist.     Liegt  doch,  wie  Runge 


mit  Recht  hervorhebt,  der  Grund  der  so  schreck- 
lich großen  Mortalität  durch  den  Gebärmutter- 
krebs bei  der  Frau  selbst,  die  Belehrung  der 
Frauen  über  den  Anfang  der  Krebserkrankung 
ist  die  kräftigste  Waffe  gegen  diesen  fürchter- 
lichen Feind.  Besonders  wichtig  ist  die  wieder- 
holte Hervorhebung,  daß  fast  regelmäßig  jede 
schmerzhafte  Empfindung  im  Anfang  der  Er- 
krankung fehlt.  Wie  viele  Frauen,  welche  zu 
spät  in  unsere  Behandlung  kommen,  und  denen  wir 
durch  eine  radikale  Operation  nicht  mehr  helfen 
können,  entgegnen  auf  die  Frage,  warum  sie  nicht 
bei  der  ersten  unregelmäßigen  Blutung  gekommen 
sind,  „aber  ich  hatte  doch  keine  Schmerzen". 
Blutungen  und  Ausfluß  sind  die  ersten  Erschei- 
nungen, das  muß  den  Frauen  stets  wiederholt 
werden.  Eine  Anzahl  Erfahrungen  aus  eigner 
Praxis,  in  denen  die  traurigen  Folgen  der  Ver- 
nachlässigung dieser  Symptome  gezeigt  werden,  ist 
in  das  Büchlein  aufgenommen.  Ganz  besonders 
wendet  sich  Runge  gegen  das  Grundübel,  nicht 
gleich  zum  Arzt  gehen,  sondern  Rat  zu  suchen  bei 
Frauen,  welche,  ohne  für  Deutschland  approbiert 
zu  sein,  sich  vielleicht  den  Doktortitel  im  Auslande 
erwarben,  als  Naturheilkundige  jede  Erkrankung 
mit  Massage  behandeln.  Eine  Anzahl  der 
Dührssenschen  Merkblätter  ist  dem  Büchlein 
beigefügt.  Es  fragt  sich  nun,  ob  die  Populari- 
sierung medizinischer  Kenntnisse  im  Sinne 
Winter-Runges  wertvoll  ist.  Sicher  wird 
jeder  beschäftigte  Arzt  bestätigen  können,  daß, 
seitdem  das  Publikum  durch  Broschüren  und 
Zeitungen  über  Art  der  Erkrankung  aufgeklärt 
ist,  viele  Frauen  in  der  Angst,  krebskrank  zu 
sein,  zum  Arzt  kommen.  Viele  sind  es  nicht, 
beruhigt  gehen  sie  aus  der  Sprechstunde,  auf- 
geklärt über  den  Grund  der  vielleicht  harmlosen 
Blutungen,  wenn  aber  nur  eine  unter  zehn 
Frauen  an  Krebs  leidet  und  dadurch  rechtzeitig 
zur  Operation  kommt,  so  ist  viel  geleistet.  Und 
dieses  zu  erreichen,  dazu  will  das  Rungesche 
Schriftchen  beitragen.  Möge  es  durch  Empfeh- 
lung im  Laienpublikum  von  Seiten  der  Ärzte  sich 
recht  ausgedehnter  Verbreitung  erfreuen.     Falk. 

Über  die  diagnostische  und  prognostische  Be- 
deutung der  mikroskopischen  Untersuchung 
des  Lochlaisekretes.  Von  Dr.  Arnold  Leo 
(Halle  a./S.) 

Leo  untersuchte  die  mittels  gläserner  Sonden- 
röhrchen  entnommenen  Lochialsekrete  von  26  fie- 
bernden und  38  normalen  Wöchnerinnen,  einer- 
seits durch  Färbung  mit  Methylenblau  auf  Strepto- 
kokken, andererseits  richtete  er  seine  Aufmerk- 
samkeit auf  Vorgänge  von  Phagozytose  (Einschluß 
von  Bakterien  in  Leukozyten).  Er  kommt  zu  dem 
Schluß,  daß  Streptokokkenfreiheit  der  Scheiden- 
und  somit  der  Uterinlochien  mit  größter  Sicher- 
heit schwerere  Affektionen  des  puerperalen  Genital- 
tractus  ausschließt,  die  Prognose  wird  durch  das 
Fehlen  von  Streptokokken  also  bedeutend  gün- 
stiger. Positiver  Streptokokkenbefund,  selbst 
zahlreichster  und  längster  Ketten  im  Uterin- 
:  sekret  berechtigt  allein  nicht  zur  Annahme  einer 
schweren  Genitalinfektion  mit  absoluter  Sicher- 
'  heit,  da  einerseits  sich  Streptokokkenketten  bis 
|   zu  4  Gliedern    in    den    Scheiden-    und    Uterin- 


XIX.  Jahrgang.! 
Juni  1505.     J 


Referate.  —  Literatur. 


327 


locbien  ganz  normaler  Wöchnerinnen  finden 
'  können.  Ketten  mit  mehr  als  4  Gliedern  hin- 
gegen finden  sich,  namentlich  im  Uterinsekret, 
nnr  bei  Fieber,  gestatten  aber  nicht  einen  Schluß 
auf  die  Schwere  der  Affektion.  Hingegen  ver- 
schlechtert das  Ausbleiben  der  Phagozytose  die 
Prognose,  welche  wesentlich  ungünstiger  wird, 
wenn  die  Sekretentnahme,  die  in  den  ersten 
Tagen  post  partum  erfolgte,  bereits  einen  bedenk- 
lichen mikroskopischen  Befund  ergab.  Leo  em- 
fiehlt  diese  sterile  Entnahme  von  Lochien  zur 
mikroskopischen  Untersuchung  dem  Praktiker 
bei  jedem  zweifelhaften  Fieber  im  Wochenbett. 
(Münch,  med.  Wochenschr.  1904,  No.  48.)        Falk. 

Gefahren  der  Schultzeschen  Schwingungen.    Von 

Dr.  Anton  Hengge. 

Hengge  kommt  auf  Grund  mehrerer  Sek- 
tionspräparate von  Kindern,  bei  denen  nach  der 
Geburt  Schultzesche  Schwingungen  ausgeführt 
waren,  und  bei  denen  sich  subseröse  und  intra- 
parenchymatöse Blutungen  in  den  verschiedensten 
Organen  fanden  —  bei  einem  war  eine  vollstän- 
dige Durchblutung  der  Nebennieren  eingetreten  — 
zu  dem  Schluß,  daß  die  Schultzeschen  Schwin- 
gungen möglichst  einzuschränken  seien;  in  den 
meisten  Fällen  wird  man  mit  einfacheren  und 
schonenderen  Wiederbelebungsversuchen  zum  Ziel 
kommen.  Die  Ausführung  der  Schultz  eschen 
Schwingungen  soll  möglichst  schonend  und  unter 
Vermeidung  stärkerer  Abkühlung  geschehen.  Bei 
schwächlichen,  nicht  ausgetragenen  Kindern  er- 
scheinen die  Schwingungen  besonders  verhäng- 
nisvoll. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  29.  XI,  1904.)        Falk. 

(Ans  der  Abteilung  des  K.  E.  Primararztes  Universltltt- 

profeaaort  B.  Lang  im  EL  K.  Allgemeinen  Krankenhanse  In 

Wien.) 

Ober  die  therapeutische  Verwendung  des  Empyro* 
forma.  Von  Assistenzarzt  Dr.  J.  Pollitzer. 
Das  Empyroform  hat  Verf.  als  5— löproz. 
Salbe,  als  Paste  (Empyroform,  Amylum  *a  10,0, 
Unguentum  simples  20,0  mit  Modifikationen  je 
nach  der  beabsichtigten  Konsistenz)  und  als 
Tinktur  5 — 20proz.  mit  Chloroform  und  Tinc- 
tura  Benzoes  aa  bei  chronisch  entzündlichen, 
pruriginösen  und  parasitären  Prozessen  in  An- 
wendung gezogen. 

In  der  Ekzembehandlung  hat  sich  Empyro- 
form gut  bewährt,  sei  es  bei  chronischen  Formen 
nach  Entfernung  der  Kruste  und  Erweichung 
der  dicken  Epidermis  zur  Beseitigung  der  chro- 
nischen Hyperämie,  sei  es  im  squamösen  ab- 
laufenden Stadium  des  akuten  Ekzems,  um  die 
zarte,  schuppende  Haut  ganz  zur  Abheilung  zu 
bringen  und  den  Juckreiz  zu  beseitigen.  Unter 
seiner  Einwirkung  läßt  das  Nässen,  die  Krusten- 
bildung bald  nach,  die  verdickte  Epidermis  wird 
Bach  und  weich,  und  die  Rötung  wird  beseitigt. 
Sehr  brauchbar  ist  Empyroform  bei  der  Schluß- 
behandlung akuter  Ekzeme,  wo  der  stärker 
reizend  wirkende  Teer  nicht  selten  die  Entzün- 
dung wieder  anfacht.  Selbst  bei  nässenden 
Stellen  akuter  Ekzeme  tritt  lokale  Reizwirkung 
nach  Empyroform  nicht  auf.  Papulöse  Ekzeme 
werden    durch    Empyroformtinktur    schnell    be- 


seitigt, diese  wirkt  auch  günstig  bei  den  squa- 
mösen, seborrhoischen  Kopfekzemen. 

Für  die  Empyroformbehandlung  sind  weiter- 
hin geeignet  Prurigo  und  Pityriasis  rosea;  bei 
Psoriasis  und  Dermatomykosis  tonsurans  circinata 
war  der  Erfolg  nicht  völlig  ausreichend. 

Irgendwelche  üble  Folgeerscheinungen  wie 
Dermatitis,  Akne,  Beeinträchtigung  des  All- 
gemeinbefindens, Auftreten  einer  Phenolreaktion 
im  Harn  wurden  nach  Empyroformgebrauch  nicht 
beobachtet. 


(Heükunde  April  1905,  S.  145.) 


Jacobson. 


Literatur. 


Morphium   als   Heilmittel.     Von   Professor  Dr. 

0.    Rosenbach   in    Berlin.      Fischers    Med. 

Buchhandlung  (H.  Kornfeld).     Berlin  1904. 

Seit  15  Jahren  hat  0.  Hosenbach  der 
heute  herrschenden  Ängstlichkeit  gegenüber  den 
vermeintlichen  Gefahren  der  Morphiummedikation 
entgegenzutreten  gesucht.  In  dem  vorliegenden 
Werke  aber  weist  er  nach,  daß  das  Morphium 
mehr  ist,  als  ein  Sparmittel  zur  Beschonung  der 
Kräfte  oder  ein  Betäubungsmittel  für  Großhirn 
und  Nervenbahnen,  daß  es  vielmehr  eine  direkt 
kraftbildende,  d.h.  die  Aufnahme  gewisser  Energie- 
formen befördernde  Wirksamkeit  entfaltet.  — 
Entweder  liefert  es  als  positiver  Reiz,  d.  h.  als 
ein  dem  Betriebe  zugeführtes  Kraftmaterial  für 
einen  Teil  desselben  durch  seinen  Zerfall  direkt 
künstliche  Energie,  oder  —  und  das  ist  wahr- 
scheinlicher —  es  veranlaßt  als  tonisches  Mittel 
die  Wiederherstellung  der  verloren  gegangenen 
inneren  Spannungen  in  durch  Atonie  insuffizient 
gewordenen,  d.  h.  aus  dem  Gleichgewicht  ge- 
brachten Gewebsteilen.  Dafür  sprechen  alle 
Erfahrungen  über  die  heftig  erregende  Wirkung 
sogar  sehr  kleiner  Morphiummengen  sowie  über 
den  wohltätigen  Einfluß  angemessener  und  in- 
dividuell abgestufter  Dosen  in  der  Hand  des 
vorsichtigen  und  auf  der  Höhe  der  Wissenschaft 
stehenden  Arztes  bei  körperlichen  Anstrengungen. 
Durch  die  Wiederherstellung  des  geweblichen 
Tonus  kann  der  Prozeß  der  Energiebildung  in 
den  feinsten  Gewebselementen  wieder  ungestört 
seinen  Fortgang  nehmen. 

Für  die  Theorie  der  Morphiumwirkung  in 
Fällen  von  weniger  akutem  Verlauf  ist  natürlich 
auch  die  durch  das  Mittel  erzielte  Herabsetzung 
der  außerwesentlichen  Leistungen  von  hervor- 
ragender Bedeutung.  Mit  der  Steigerung  der 
letzteren  muß  reziprok  die  wesentliche  Arbeit, 
die  innere,  für  den  Organismus  verwertbare 
Energieformen  liefernde  Gewebsarbeit,  wie  Rosen- 
bach  verschiedentlich  ausgeführt  hat,  zeitweilig 
unterdrückt  werden,  so  unentbehrlich  jene  auch 
in  ständigem  Phasenwechsel  für  diese  und  diese 
für  jene  ist.  Eine  reziproke  Vermehrung  der 
innern,  wesentlichen  Arbeit  auf  Kosten  der  außer- 
wesentlichen, von  der  auf  die  exosomatische  ein 
großer  Anteil  entfällt,  ist  eine  unumgängliche 
Vorbedingung  für  die  Aufrechterhaltung  des 
organischen   Betriebes,    sobald    irgend    eine    ab- 


328 


Literatur. 


rher*p«utUche 
Monatshefte. 


norme  Steigerung  der  außerwesentlichen  Leistung 
auch  nur  vorübergehend  zu  Stande  gekommen 
war.  Wo  aber  auch  nur  innere  entzündliche 
Reize  wirken,  ist  letzteres  ausnahmslos  der  Fall 
und  die  Teile  des  Organismus  müßten  durch 
Atonie  insuffizient  werden,  wenn  der  ihnen  zu- 
gemuteten Vermehrung  außerwesentlicher  Leistung 
nicht  eine  entsprechende  Steigerung  der  inneren 
Arbeit  parallel  ginge.  Nicht  nur,  daß  eine  Er- 
sparung von  Energie  durch  die  Beschrankung 
der  ersteren  stattfindet  oder  richtiger,  daß  die 
bisher  bei  der  Bildung  und  Abgabe  hochge- 
spannter Energie  für  außerwesentliche  Betätigung 
verbrauchte  lebendige  Energie  dem  innern  Be- 
triebe, der  Erhaltung  der  Spannungen  und  der 
Bildung  von  Vorräten  parater  Energie  zu  gute 
kommt  —  das  Primäre  ist  vielmehr  die  Um- 
spannung  im  Gewebe  selbst,  die  Wiederherstellung 
der  notwendigen  tonischen  Spannung  der  Elemente, 
welche  die  Vorbedingung  zur  Ansammlung  und 
Bildung  von  elementarer  Energie  und  die  Grund- 
lage für  die  im  wechselnden  Phasengange  wieder 
aufzunehmende  außerwesentliche  (sthenische)  Lei- 
stung der  Organe  ist. 

Nun  wirkt  aber  auch  das  Morphium  ganz 
speziell  auf  das  Zentralorgan  und  zwar  auch  hier 
in  einer  Weise,  daß  es  dasselbe  nicht  etwa  lähmt, 
wie  das  Chloroform  und  andere  den  Zustand  der 
Narkose  herbeiführende  Mittel,  sondern  es  in 
einen  starken  diastolischen  Tonus  versetzt,  der 
im  Gegensatz  zur  Verstärkung  des  mittleren,  des 
eigentlichen  Organ -Tonus,  welcher  in  stärkerer 
außerwesentlicher  Tätigkeit  zum  Ausdruck  kommt, 
der  inneren  Arbeit  förderlich  wird. 

Prinzipiell  verschieden  von  der  Betäubung 
durch  jene  auf  das  Zentral  organ  lähmend  wirkenden 
Mittel  aus  der  Reihe  der  Hypnagoge  und  Seda- 
tiva ist  der  durch  das  Morphium  herbeigeführte 
Schlaf  dem  natürlichen  vollständig  äquivalent, 
der  auf  der  einen  Seite  nicht  etwa  nur  eine 
Periode  der  Einstellung  exosomatischer  Betäti- 
gung, auf  der  andern  nicht  eine  solche  absoluter 
Ruhe,  sondern  die  Ruhe  von  außerwesentlicher 
Arbeit  repräsentiert.  Somit  wird  —  auf  die  im 
vorliegenden  Werke  und  andern  Ortes  *)  ge- 
machten Ausführungen  Rosenbachs  im  Detail 
einzugehen,  muß  ich  mir  leider  mit  Rücksicht 
auf  den  mir  hier  zur  Verfügung  stehenden  Raum 
versagen  —  der  Schlaf  und  zwar  ebenso 
der  durch  Morphium  bewirkte,  wie  der 
natürliche,  im  Gegensatz  zu  der  Periode  des 
Wachseins,  in  der  vornehmlich  die  außerwesent- 
liche, kraftverzehrende  Arbeit  geleistet  wird, 
zur  kraftspendenden ,  nicht  nur  zur 
kraftsparenden  Phase   des   Betriebes. 

Betreffs  der  Indikationen  und  der  Details 
der  Morphiumanwendung  muß  auf  das  Original 
verwiesen  werden,  das  wohl  kein  Arzt  aus  der 
Hand  legt,  ohne  die  wertvollsten  Fingerzeige  für 
sein  praktisches  Handeln  am  Krankenbette  ge- 
wonnen zu  haben.  EschU  (Sinsheim). 


!)  Vergl.  0.  Rosenbach:  Der  Nervenkreislauf 
und  die  tonische  (oxygene)  Energie.    Berliner  Klinik 

1896,  Heft  101,   S.  12.    —    Die    Krankheiten    des 
Herzens  und  ihre  Behandlung.    Wien  und  Leipzig 

1897,  S.  745  ff.,  S.  877,  940  ff. 


Die  Fettsucht.  Gemeinverständlich  dargestellt  von 
Dr.  H.  Leber,  dirig.  Arzt  des  Sanat.  Herms- 
dorf  (Mark).  München  1903.  Verl.  d.  ÄrztL 
Rundach.  785.  Preis  2  Mk.  (9.  Heft  von  „Der 
Arzt  als  Erzieher".) 

In  ausführlicher  Darstellung  wird  der  heutige 
Stand  der  Lehre  von  der  Fettsucht  behandelt, 
es  werden  die  verschiedenen  diätetischen  Be- 
handlungsweisen  nach  Harvey  (Banting),  Eb- 
stein, Örtel,  Schweninger,  Kisch, 
von  Noorden,  die  Mineral  Wasserkuren ,  die 
physikalische  und  medikamentöse  Therapie  be- 
sprochen. Verf.  betont,  daß  das  Leiden  nicht 
nur  durch  zu  reichliche  Nahrungszufuhr  oder 
zu  geringen  Verbrauch  entsteht,  sondern  daß 
man  außerdem  eine  konstitutionelle  Fett- 
sucht unterscheiden  muß,  die,  ähnlich  wie  Gicht 
und  Diabetes,  auf  einer  ererbten  oder  erworbe- 
nen mangelhaften  Zersetzungsenergie  der  Körper- 
zellen, z.  T.  auch  aus  gewissen  sexuellen  Vor- 
gängen1) resultierend,  beruht  und  auch  ohne 
Anomalien  von  Nahrungszufuhr  und  -verbrauch 
entstehen  kann  Daher  ist  es  falsch,  für  diese 
verschiedenen  Arten  von  Fettsucht  ein  einheit- 
liches Behandlungsschema  aufzustellen. 

Leber  führt  in  Übereinstimmung  mit 
von  Noorden  aus,  daß  man  nicht  mehr  das 
Recht  habe,  diese  Nahrungsmittel  als  fettbildend 
und  jene  als  nichtfettbildend  zu  betrachten. 
„Jedes  echte,  d.  h.  durch  seine  Zersetzung  im 
Körper  wärmebildende  Nahrungsmittel  ist  be- 
fähigt, zur  Fettbildung  und  zum  Fettansatz  bei- 
zutragen. Ob  es  das  im  Einzelfall  tut,  hängt 
von  dem  Nährwert  der  Gesamt  kost  ab.  Für 
eine  Entfettungsdiät  muß  also  die  Kalorienzufuhr 
geringer  sein  als  der  Kalorienumsatz. *    — 

Neuere  Untersuchungen  weisen  nun  aber 
darauf  hin,  daß  der  Verbrennungswert  der  Nähr- 
mittel keinen  Maßstab  für  ihren  Nährwert  ab- 
geben kann,  weil  68  sich  im  Organismus  nicht 
um  Wärmeprodüktion  als  Selbstzweck  handelt, 
sondern  um  einen  Energiezuwachs  (unter  dessen 
Symptomen  die  Wärme  allerdings  eine  wesent- 
liche Rolle  spielt).  Ein  solcher  kann  aber  nicht 
nur  aus  organischen  Stoffen,  sondern  auch  aus 
anorganischen  Salzen  und  Säuren  resultieren. 
Es  sei  beispielsweise  auf  die  gewaltige  Be- 
deutung der  Salze  hingewiesen,  die  wir  durch 
die  Lehre  vom  osmotischen  Druck  und  den  Ionen 
kennen  gelernt  haben. 

Auf  diesem  Gebiet  sind  noch  so  viele  Auf- 
gaben zu  lösen,  daß  von  einer  bleibend  erfolg- 
reichen Behandlung  der  sogen,  konstitutionellen 
Fettsucht  z.  Z.  noch  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Vielleicht  bringt  die  Forschung  es  dahin,  daß 
wir  die  hier  in  Betracht  kommende  mangelhafte 
Zersetzungsenergie  der  Zellen  durch  -  eine  richti- 
gere Ernährung  derselben  beheben  lernen.  (Ref.) 
Bach  (Bendorf). 

')  Meyer  (Bernstadt)  führt  das  im  weitern 
Sinne  auf  ungenügende  Funktion  derjenigen  Organe 
(Thyreoidea,  Thymus,  Ovarien,  Testikel)  zurück, 
die  sonst  durch  vermehrten  Stoffwechsel  einen 
stärkeren  Fettverbrauch  verursachen  (D.  M.-Z.  1904, 
No.  52)  —  Ref. 


XIX.  Jahrgang.! 
Jmnl  1906.     J 


Literatur. 


329 


Dritter  Jahresbericht  der  Neuen  Heilanstalt 
für  Lungenkranke  zu  Schtimberg,    0.-A. 
Neuenbürg,  nebst  Bemerkungen  zur  Be- 
handlung   der    Larynxtuberkulose.     Von 
Dr.  Schröder  und  Dr.  Nagelsbach. 
Im  Jahre   1901   ist   die  Vergrößerung    der 
Anstalt  durchgeführt  worden,  sodaß  sie  jetzt  über 
65  Betten   verfugt.     Alle  hygienischen  Einrich- 
tungen erstrecken  sich  auf  dos  ganze  Haus :  Liege- 
hallen, Veranden,   Zentralheizung  und  -beleuch- 
tung  (Gasolin),  abwaschbare  Tapeten,  Linoleum- 
bodenbelag etc.     Es  sind  185  Kranke  behandelt 
worden,   davon  mit  positivem  Erfolg  im  I.  und 
II.  Stadium  ca.  91  Proz.,  im  ÜI.  Stadium  64  Proz. 
Im  Einzelnen  wird  folgendes  hervorgehoben : 
Die  Heredität  ist  ohne  Einfluß  auf  den  Eurverlauf, 
die  Prognose  geht  nicht  mit  der  Ausdehnung  des 
Prozesses  parallel.  Das  Verschwinden  der  Bazillen 
gewährleistet    keinen    Dauererfolg,    andererseits 
können    Kranke    mit    bazillenhaltigem    Auswurf 
jahrelang  arbeitsfähig  und  relativ  gesund  bleiben. 
In  der  Anstalt  wird  nur  den   sorgfaltig  er- 
forschten klinischen  Symptomen  Bedeutung  bei- 
gemessen und  die  Probetuberkulininjektion 
vermieden,    weil    sie,    abgesehen   von   der  nicht 
allseitigen    Anerkennung    ihrer    Gefahrlosigkeit, 
auch  bei  Personen  ohne  jeden  klinischen  Befund, 
bei  denen  die  Tuberkulose,  wenn  überhaupt  vor- 
handen, völlig  latent  ist  und  bleibt,  positiv  aus- 
fallen kann. 

Bei  der  Fieberbehandlung  wird  die  Liegekur 
bevorzugt  und  Antipyrese,  wie  z.  B.  Köhlers 
Pyramidonbehandlung  verworfen.  Die  Einführung 
geeigneter  Beschäftigung  halten  die  Verff.  für 
sehr  wünschenswert,  aber  schwierig. 

Vielfach  kamen  Kranke  in  Behandlung,  die 
infolge  ungeeigneter  Ernährung  (Mast)  mit  Darm - 
atonie  hehaftet  waren.  Sie  erhielten  Ölklystiere 
und  gröbere  Diät  zur  Anregung  der  Peristaltik. 
Gastroptose  etc.  wurde  event.  mit  Leibbinde 
oder  Heftpflasterstreifen  behandelt  (nach  Rose 
modifiziert,  2  Streifen  von  Symphyse  zum  Kippen- 
bogen, einer  ums  Abdomen  gelegt). 

Was  endlich  die  Larynxtuberkulose  betrifft, 
so  halten  die  Verff.  sie  für  nicht  ganz  so  be- 
denklich, wie  es  gewöhnlich  geschieht,  indem  sie 
immerhin  in  57  Proz.  der  Fälle  Erfolg  erzielten. 
Die  Larynxaffektion  entsteht  nach  ihrer  Ansicht 
weniger  durch  Kontaktinfektion  als  durch  Ver- 
mittehin g  der  Lymph-  und  Blutbahnen  und  wird 
vor  allem  mit  Ruhigstellung  (Flüstern)  und  Fern- 
haltung von  reizender  Nahrung,  Rauchen  etc. 
behandelt.  Medikamentös  bevorzugen  sie  Alkohol- 
umschläge (Hyperämie),  Menthol-Jodol,  Ortho- 
form-Borsäure  etc.,  event.  Milchsäureätzung. 

Operative  Maßnahmen  wurden  im  Gegensatz 
xu  anderen  Autoren  (Schrötter,  Störk)  mehr- 
fach als  wertvoll  erkannt.  Sie  empfehlen  des- 
halb nötigenfalls  bei  Fieberfreien  Kürettage  der 
Geschwüre,  Galvanokaustik  und  bei  Tuberkulose 
der  Epiglottis  deren  event.  Entfernung. 

Den  Schluß  bildet  eine  tabellarische  Zu- 
sammenstellung betr.  der  'Witterungsverhältnisse 
des  Kurorts,  aus  der  sich  ergibt,  daß  Schömberg 
in  klimatischer  Hinsicht  zum  Kuraufenthalt  für 
Langenkranke  wohl  geeignet  ist. 

(  Sender abdr.  a.  d.  Württ.  med.  Korresp.-Bl.  1902.) 

Eseh  (Bendorf J. 


Das  Malariafieber,  dessen  Ursachen,  Verhütung 
und  Behandlung.  Von  Ronald  Roß,  Walter 
Myrers  Lecturer  an  der  Liverpooler  Schule  für 
tropische  Heilkunde.  Mit  2  Tafeln.  Preis 
M.  2,50.  Berlin,  Wilhelm  Süsserott,  1904. 
Dieses  "Werkchen,  welches  „ Winke  für 
Reisende,  Jäger,  Militärs  und  Bewohner  von 
Malariagegenden"  geben  will,  stellt  sich  dar  als 
eine  Erweiterung  der  Instructions  for  the  Pre- 
vention  of  Malarial  Fever,  die  der  berühmte 
englische  Malariaforscher,  der  1902  durch  den 
Nobelpreis  ausgezeichnet  wurde,  schon  einige 
Jahre  vorher  zusammengestellt  und  durch  die 
Liverpooler  Schule  für  Tropische  Heilkunde  zur 
Veröffentlichung  gebracht  hatte.  Zur  Selbsthilfe 
der  Ansiedler  ist  es  geschrieben  und  dazu  ist  es 
auch  infolge  seiner  knappen,  für  einen  allgemeinen 
Leserkreis  berechneten  Form  durchaus  geeignet, 
und  P.  Müllendorf-Köln  hat  durch  seine  Über- 
tragung ins  Deutsche  ganz  gewiß  auch  den 
Deutschen,  die  in  den  Schutzgebieten  des  Reiches 
oder  in  andern  tropischen  Ländern,  wo  Malaria 
vorkommt,  wohnen  oder  zu  tun  haben  —  auch 
für  das  gelbe  Fieber  und  die  Elefantiasis  hat 
das  Büchlein  Geltung  — ,  einen  wertvollen  Dienst 
geleistet.  Wirklich  nachahmenswert  ist  die  über- 
zeugende Sprache,  die  bereits  erwähnte  Knapp- 
heit und  Gedrängtheit  des  Stiles  und  doch  ander- 
seits die  Anregung  desselben;  denn  ob  man  für 
die  Tropen  Interesse  hat  oder  nicht,  man  legt 
das  Büchlein  nicht  aus  der  Hand,  ohne  die 
präzise  Aufstellung  aller  Thesen  genau  und  be- 
gierig bis  zu  Ende  verfolgt  zu  haben.  Roß  geht 
von  der  Tatsache  aus:  „Nicht  der  Keim,  der 
aus  dem  stehenden  Wasser  kommt,  bringt  die 
Krankheit,  sondern  der  Träger  des  Keimes.  Der 
Anophelesmoskito,  der  die  Parasiten  von  einem 
Menschen  zum  andern  trägt,  legt  seine  Brut 
zumeist  in  stehende  Wasserlachen. K  Nach  den 
Ausführungen  über  die  Malaria  schildert  er  in 
der  zweiten  Abteilung  die  Moskitos,  in  der  dritten 
die  Verhütung  und  in  der  vierten  Abteilung  die 
Behandlung  der  Malaria.  Für  die  letztere  gilt 
als  erste  Regel:  „Wenn  jemand  mit  Malariafieber 
angesteckt  ist,  soll  er  mit  dem  regelmäßigen 
Einnehmen  von  Chinin  wenigstens  drei  bis  vier 
Monate  fortfahren,  gleichviel  ob  er  Fieber  be- 
kommt oder  nicht."  So  könnte  ich  noch  manches 
aus  der  überaus  praktischen  Schrift  namentlich 
auch  betreffs  der  eingehend  behandelten  Ver- 
hütungsmaßregeln anführen,  aber  der  Raum  dazu 
ist  bereits  überschritten.  Unwillkürlich  jedoch 
fordert  Roß  zu  einem  längeren  und  wohl  sehr 
berechtigten  Verweilen  bei  seinem  Werke  auf. 
Arthur  Rahn  (CoUm). 

Das  Geschlechtsleben  des  Weibes  In  physio- 
logischer, pathologischer  und  hygienischer 
Beziehung.     Von  Medizinalrat  Professor  Dr. 
E.    Heinrich    Kisch.      Verlag    von    Urban 
&  Schwarzenberg.    Berlin  und  Wien. 
Verfasser,    der    sich    durch    seine   Arbeiten 
über  die  Beziehungen,  welche  zwischen  den  phy- 
siologischen   und    pathologischen   Zuständen  der 
Sexualorgane  des  Weibes  und  dem  Gesamtorga- 
nismus bestehen,    bereits    rühmlich   bekannt  ge- 
macht hat  —  zu  erwähnen  sind  die  Arbeiten  über 
„Die  Sterilität  de»  Weibes",   „Über  Uterus  und 


330 


Literatur. 


fTherapentteche 
L   Monatelufte. 


Herz",  „Über  das  klimakterische  Alter  der 
Frauen"  —  übernimmt  es,  in  einem  groß  ange- 
legten Werke  eine  umfassende  Darstellung  des 
Geschlechtslebens  des  Weibes  zu  geben,  ein  Ge- 
samtbild der  Beeinflussung  des  Organismus  in 
der  Zeit  der  Entwicklung,  der  Höhe  und  der 
Abnahme,  hervorgerufen  durch  die  physiologi- 
schen Zustände  und  pathologischen  Verände- 
rungen in  dem  weiblichen  Generationsorg&nen ; 
eine  Aufgabe,  welche  Kisch,  so  schwer  sie  auch 
schien,  voll  und  ganz  gelöst  hat.  Eingehende 
Kulturstudien,  welche  Verfasser  ausführte,  reiche, 
vielseitige  Erfahrung  auf  dem  großen  Gebiete 
der  Gynäkologie,  dabei  die  Fähigkeit,  selbst  Be- 
kanntes und  auch  stofflich  weniger  Interessantes 
so  darzustellen,  daß  das  Interesse  an  der  Lektüre 
nicht  erlahmt,  das  sind  die  Mittel,  die  Kisch 
befähigten,  uns  ein  Werk  zu  schaffen,  das  in 
gleicher  Weise  uns  Ärzten,  den  Biologen  und 
nicht  zum  wenigsten  auch  den  gebildeten  Laien 
empfohlen  werden  kann.  Das  Buch  ist  in  drei 
Teile  gegliedert,  die  das  Auftreten  der  Men- 
struation und  die  Entwicklung  des  Geschlechts- 
sinnes, die  Entfaltung  der  sexuellen  Tätigkeit 
und  im  dritten  Abschnitt  das  Erlöschen  der- 
selben schildern.  In  jedem  einzelnen  Abschnitt 
werden  die  anatomischen  Veränderungen  des 
weiblichen  Genitale  in  dieser  Zeit,  die  physio- 
logischen und  pathologischen  Zustände,  ganz  be- 
sonders aber  die  hygienischen  Erfordernisse  aus- 
führlich geschildert.  Im  zweiten  Abschnitt  sind 
besondere  Kapitel  der  Kohabitation  und  dem 
präventiven  geschlechtlichen  Verkehr  gewidmet, 
über  die  wir  in  der  Literatur  wenig  wissen- 
schaftlich in  gleicher  sachgemäßer  Ausführung 
verzeichnet  finden,  und  auch  die  Abschnitte  über 
Fruchtbarkeit  und  Unfruchtbarkeit  sind  besonders 
lesenswert.  Die  Ausstattung  des  Buches  ist  eine 
gute.  Bei  einer  Neuauflage  würde  es  sich  emp- 
fehlen, wenn  Verfasser  bei  Literaturangaben  nicht 
nur  den  Autor,  sondern  auch  die  nähere  Quellen- 
angabe verzeichnete.  Falk. 

Lehrbuch  der  Physiologie  des  Menschen  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  prakti- 
schen Medizin.  Von  Prof.L.Landois,  11.  Auf- 
lage bearbeitet  von  Prof.  Dr.  Rosemann.  Erste 
•Hälfte  (Bogen  1—33).  Verl.  Urban  ÄSchwarzen- 
berg  Berlin  und  Wien. 

Über  ein  Buch,  wie  die  Landoissche  Physio- 
logie, weiches  gewissermaßen  schon  zum  eisernen 
Bestände  unser  Lehr-  und  Nachschlagebücher 
gehört,  viel  Rühmendes  sagen  zu  wollen  ist  eine 
überflüssige  Aufgabe.  Der  bie  jetzt  vorliegende 
Teil  der  elften  von  Rosemann  bearbeiteten  Auf- 
lage beschäftigt  sich  mit  der  Zirkulation  sowie 
dem  Gas-  und  Stoffwechsel.  Ganz  besonders 
hervorgehoben  zu  werden  verdient  die  kurze 
mit  ausgezeichneten  Abbildungen  versehene  ana- 
tomische Einleitung,  welche  der  Beschreibung 
der  Funktionen  jedes  einzelnen  Organes  voran- 
geschickt ist,  eine  gerade  für  ein  Nachschlage- 
werk außerordentlich  wichtige  Beigabe. 

Auf  die  Anordnung  der  Materie  sowie  Be- 
sprechung von  Einzelheiten  behalte  ich  mir  vor 
nach  Vorliegen  der  vollendeten  Neuauflage  zurück- 
zukommen. Th.  A.  Maass. 


Hermaphroditismus  und  Zeugung&unfähigrkeit. 

Eine  systematische  Darstellung  der  Mißbil- 
dungen der  menschlichen  Geschlechtsorgane. 
Von  Prof.  Cesare  Taruffi.  Autorisierte 
deutsche  Ausgabe  von  Dr.  med.  Teuscher. 
Mit  Abbildungen.  Berlin  1903.  Verlag  von 
H.  Barsdorf. 

Verf.  gibt  nach  einem  geschichtlichen  Über- 
blick über  die  Literatur  eine  Schilderung  des 
anatomischen  und  klinischen  Hermaphroditismus, 
dazu  sehr  reiche  Kasuistik.  Das  Buch  eignet 
sich  nicht  zu  einem  Referate.  Jeder  Autor,  der 
sich  mit  dem  in  Frage  stehenden  Thema  be- 
schäftigt, wird  in  Zukunft  auf  das  Werk  recur- 
rieren  müssen  und  dasselbe  mit  wirklichem 
Nutzen   verwerten.  Edmund  Saalfeld  (Berlin). 


Praktische  HoÜran 
und 
empfehlenswerte  Arsneifoi 


Lein« 


Impfung  am  Faß.    Von  Priv.-Doz.  Dr.  deLaHarpe 

(Lausanne).    (Originalmitteilung.) 

Jeanneret  hat  aus  ästhetischen  Rücksichten 
vorgeschlagen,  die  Impfung  an  der  Fußsohle  vor- 
zunehmen (Revue  med.  de  la  Suisse  rom. 
1900):  diese  Gegend  sei  von  allen  Körperteilen 
diejenige,  wo  die  Impfnarben  am  wenigsten 
sichtbarsind.  Außerdemist  bei  kleinen  Kindern 
der  Fuß  für  die  Nachpflege  und  etwaige  Behand- 
lung der  Impfpusteln  sehr  günstig,  viel  günstiger 
als  die  gewöhnlich  bevorzugte  Schultergegend; 
auch  sind  die  Füße  der  Beschmutz ung  durch 
Urin  undFaeces  weniger  exponiert  als  die  Schenkel, 
wo  die  Impfung  gegenwärtig  häufig  stattfindet. 
Ferner  sind  die  Impfpusteln  durch  die  übliche 
Fußbekleidung  gegen  allfällige  Reibung  vortreff- 
lich geschützt.  Es  ist  aber  sehr  zu  wünschen, 
daß  man  die  Impfnarben  mit  Leichtigkeit  ent- 
decken kann,  und  es  dürfte  in  gewissen  Fällen 
ziemlich  schwierig  sein,  die- 
selben an  einer  stark  ver- 
hornten ,  schmutzigen  Fuß- 
sohle zu  konstatieren.  Des- 
halb möchte  ich  empfehlen, 
die  Impfung  an  der  Dorsal- 
flache des  Fußes  zu  machen: 
zwei  Einschnitte  hart  an  den 
Zehenwurzeln ,  einen  dritten 
oberhalb  der  bim  alle olären 
Gelenklinie.  Die  Pusteln  liegen 
so  an  dem  sonst  kleinen  kind- 
lichen Fuß  etwas  entfernt  von 
einander,  was  immer  für  die 
Nachpflege  günstig  ist.  Die 
Narben  sind  später  sehr  leicht 
aufzufinden.  Die  Zeichnung 
stellt  den  Fuß  eines  4jährigen, 
im  3.  Lebensmonat  von  mir 
geimpften  Kindes  dar:  infolge 
des  Wachstums  ist  die  obere  Narbe  von  der 
Gelenklinie  etwas  nach  oben  gerückt. 


i 


XIX.  Jahrgang.  1 
Joni  1906.     J 


Praktisch«  Notizen  und  empfehlenswert*  Arzneiformeln. 


331 


Inhalationen  von  Amylnltrit  bei  Hämoptoe 

fand  Rouget  (Societe  med.  des  höpitaux  7.  April 
1905)  in  einem  Falle  wirksam,  in  welchem  alle 
gebrauchlichen  Mittel  versagt  hatten.  Amyl- 
nitrit  wirkt  durch  Herabsetzung  der  Spannung 
und  Erweiterung  der  peripherischen  Gefäße. 

Inhalationen  von  Amylnltrit  bei  Malaria 

wendet  Rand  in  Washington  (vergl.  La  Semaine 
med.  1905,  No.  19)  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
erfolgreich  an.  Da  der  Beginn  des  Fieberanfalls 
stets  mit  einer  Kontraktion  der  peripherischen 
Gefäße  einhergeht,  läßt  Rand,  sobald  der  Schüttel- 
frost anfangt,  3  Tropfen  Amylnitrit  einatmen. 
Gewöhnlich  tritt  sofort  Besserung  mit  Erweite- 
rung der  Hautgefäße  und  Verschwinden  des  Kopf- 
wehs ein:  Der  Anfall  ist  kupiert. 

Gegen  Oxyuris  vermlcularis  * 
hat  Dr.  A.  Rahn  (Manch,  med.  Wochensch.  1905, 
No.  16)  mit  bestem  Erfolge  Gujasanol  (=  salz- 
saures  Diäthylglykokol-Guajakol)  verwendet.  Er 
verordnete  dies  ungiftige  Mittel  in  4 — 5  proz. 
Lösung  bei  Erwachsenen  und  in  2 — 3  proz.  Lö- 
sung bei  Kindern,  indem  er  folgendermaßen  vor- 
ging: Der  Mastdarm  wurde  mit  einer  dünnen 
Seifenlösung  gespült,  und  zwar  mit  150  cem  bei 
Erwachsenen,  mit  der  Hälfte  bei  Kindern;  diese 
Lösung  war  lauwarm  und  verweilte  nur  ca. 
1  Minute  im  Mastdarm.  Darauf  wurde  mit 
einer  gleichen  Menge  (bezw.  75  cem)  der  obigen 
Gujasanollösung  nachgespült,  und  dieselbe  mußte 
möglichst  2  —  3  Minuten  in  linker  Seitenlage' 
.zurückgehalten  werden.  Diese  Prozedur  wurde 
3  Abende  hintereinander  in  derselben  Weise 
vorgenommen.  Rahn  verordnete  das  Gujasanol 
gleich  in  gebrauchsfertiger  Lösung: 

Rp.    Gujasanol  12,0—15,0 

Aquae  destillatae  ad  450,0 

D.  S.  In  3  Teilen  an  3  hintereinander 
folgenden  Abenden  zum  Einlauf! 

Bei  Kindern  kommt  die  Hälfte  dieser  Ver- 
ordnungsweise in  Frage.  Die  Seifenlösung  kann 
man  leicht  herstellen,  und  zwar  gleich  auf 
3  Abende  berechnet,  indem  man  ein  haselnuß- 
großes Stück  Rasier-  oder  venetianische  Seife  in 
einer  halben  Weinflasche  warmen  Wassers  durch 
Schütteln  auflösen  läßt.  —  In  der  Vernichtung 
der  Oxyuris  erschien  das  Gujasanol  von  fast 
spezifischer  Wirkung. 

Sauers  Kranken-Bouillon 

ist  der  reine  heiß  gewonnene  Saft  aus  Knochen- 
und  fettfreiem  Ochsenfleisch  ohne  jeglichen  Zu- 
satz. Es  fehlt  vor  allen  Dingen  Salz,  Gewürze, 
Gelatine-Zusatz.  Trotzdem  ist  das  Präparat  im 
Winter  oder  auf  Eis  gekühlt  gallertig  und  wird 
in  diesem  Zustande  besonders  gern  genommen. 
Bei  warmer  Temperatur  ist  die  Bouillon  flüssig. 
Sie  wird  zur  Hebung  der  Körperkräfte  und  aU 
anregendes  Mittel  gegeben.  Die  Packung  in 
weithalsigen  Flaschen  mit  Patentverschluß  ge- 
stattet, beim  Verbrauch  nur  die  Tagesmenge  zu 
entnehmen,  den  Rest  aber   in  der  Flasche  nach 


dem  Verschließen  durch  Einstellen  in  kochendes 
Wasser  zu  sterilisieren. 

Siccose  (Saccus  carnis  verus  siecus) 

ist  der  schnell  getrocknete  reine  Saft  aus  rohem 
Ochsenfleisch  ohne  jeden  Zusatz.  Es  schmeckt 
daher  auch  nicht  wie  Fleischextrakt  sondern  wie 
Fleischsaft.  Das  Präparat  kommt  als  Pulver 
und  in  Tabletten  ä  0,25  g  in  den  Handel.  Für  die 
Kombination  mit  andern  Heilmitteln  eignet  sich 
am  besten  die  Verordnung  als  Schachtelpulver. 
Hervorzuheben  ist  die  appetitanregende  Wirkung, 
die  nach  W.  Aufrecht  etwa  !/s  Stunde  nach 
dem  Einnehmen  eintritt. 

Könstatlerung  des  Scheintodes  mittels  Fluoreecin. 

Im  Kriege  kann  es  vorkommen,  daß  Leute 
infolge  einer  an  ihrer  Seite  erfolgten  heftigen 
Explosion  eines  Geschosses,  ohne  direkt  ver- 
wundet zu  sein,  wie  vom  Blitze  getroffen  um- 
fallen. Dabei  können  sie  brüsk  zugrunde  gehen; 
zuweilen  handelt  es  sich  jedoch  nur  um  tiefe 
Ohnmacht.  Vor  dem  Lebendigbegraben  werden 
soll  hierbei  nach  Dr.  Icard  (vergl.  Journ.  des 
Praticiens  1905,  No.  15)  die  Anwendung  des 
Fluorescin  in  Form  der  Injektion  schützen. 
Man  spritzt  8 — 10  cem  der  folgenden  Lösung  ein: 

Fluorescini  10,0 

Natrii  carbonici       15,0 

Aquae  destillatae  50,0 
Ist  noch  Leben  vorhanden,  so  stellt  sich  ein 
intensiver  Ikterus  ein,  und  das  Auge  zeigt  eine 
prächtige  grüne  Verfärbung,  wie  wenn  ein 
schöner  Smaragd  in  die  Augenhöhle  eingesetzt 
worden  wäre. 

Uns  geht  folgendes  an  die  Ärzte  in  Berlin 
und  in  der  Provinz  Brandenburg  gerichtetes 
Zirkular  zu.  Um  demselben  auch  außerhalb  eine 
möglichst  weite  Verbreitung  zu  geben,  bringen 
wir  dasselbe  wörtlich  zum  Abdruck: 

Bitte  um  Mithilfe 
bei  der  Bekämpfung  des  Gebärmutterkrebses. 

Sehr  geehrter  Herr  Kollege ! 

Ihre  tatkräftige  Mithilfe  erbittet  die  Gesell- 
schaft für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie 
zu  Berlin,  damit  durch  frühzeitige  Erkennung 
des  Gebärmutterkrebses  die  Zahl  der  Heilungen 
bei  diesem  Leiden  erhöht  wird. 

Je  eher  der  Krebs  der  Gebärmutter  zur 
Operation  gelangt,  um  so  besser  der  Erfolg ! 
Wenn  auch  die  Operationsgrenze  dadurch  er- 
weitert ist,  daß  außer  dem  Uterus  noch  die 
kranken  Anhänge,  das  Beckenbindegewebe  und 
die  Beckendrüsen  in  vorgeschrittenen  Fällen 
entfernt  werden  können,  so  besteht  doch  darüber 
kein  Meinungsunterschied,  daß  die  unmittelbaren 
Aussichten  der  Operation  ebenso  wie  die  Zahl 
der  Dauerheilungen  gründlich  nur  dadurch  ge- 
bessert werden  können,  daß  die  Krebskranken 
früher  zur  Operation  kommen.  Leider  sucht 
ein  nicht  geringer  Teil  der  Frauen  die  erste 
Hilfe  gegen  ihr  Leiden  noch  nicht  beim  Arzte, 
sondern    bei   der  Hebamme   oder   bei  Pfuschern, 


332 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswert«  Arzneiformeln. 


rherapentfirfae 
Monatshefte. 


nicht  wenige  schleppen  ihr  Leiden  hin,  bis 
operative  Hilfe  aussichtslos  erscheint.  Doch 
haben  Erhebungen,  insbesondere  von  Prof.  Wi  n  t  e  r- 
Königsberg,  festgestellt,  daß  mehr  als  die.  Hälfte 
der  krebskranken  Frauen  die  Hilfe  ihres  Haus- 
arztes zuerst  aufsuchen.  Jedenfalls  steht  dieser 
in  den  meisten  Fallen  vor  der  Aufgabe,  die 
Kranke  auf  den  rechten  Weg  zu  weisen. 

Den  Hebammen  wird  die  Gesellschaft  durch 
ein  besonderes  Merkblatt  in  dringlicher  Weise 
die  Ermahnung  zukommen  lassen,  daß  sie  jede 
Unterleibskranke,  insbesondere  solche  mit  krebs- 
verdächtigen Symptomen  unverzüglich  zur  arzt- 
lichen  Untersuchung  zu  bringen  haben. 

Der  praktische  Arzt  weiß  wohl,  daß  Gleich- 
gültigkeit der  Kranken  gegen  Blutungen  und 
Ausfluß,  solange  keine  Schmerzen  vorhanden 
sind,  ferner  Furcht  vor  der  Untersuchung  oder 
vor  einem  Eingriffe  die  Ursachen  der  Ver- 
schleppung von  Krebsfallen  sind.  Der  Haus- 
arzt als  ständiger  Berater  der  Familie  kann 
hierin  einen  segensreichen  Wandel  schaffen,  wenn 
er  bei  Krebsverdacht  sofort  mit  aller  Energie 
zu  einer  sicheren  Diagnose  zu  kommen  sucht 
und  nicht  wartet,  bis  zunehmende  Blutungen, 
Schmerzen,  Abmagerung  und  schlechtes  Aus- 
sehen die  Natur  des  Leidens  beweisen.  Dann 
ist  es  meist  zur  Heilung  zu  spät. 

Es  ist  unzweifelhaft,  daß  durch  Verordnen 
von  Seeale  oder  Hydrastis  mancher  Krebs  ver- 
schleppt ist,  zumal  wenn  die  Blutungen  darauf- 
hin einige  Zeit  nachlassen. 

Gerade  der  Gebärmutterkrebs  macht  sich 
meist  früh  bemerkbar. 

Wenn  unregelmäßige  Blutungen,  seien 
sie  auch  noch  so  gering,  oder  Blutungen  nach 
dem  Beischlaf,  oder  blutig- wässeriger 
Ausfluß  (Fleischwasser),  oder  Blutabgang  in 
der  Menopause,  oder  gar  übelriechender  Aus- 
fluß und  Schmerzen  (nur  bei  vorgeschritte- 
neren Fällen)  vorhanden  sind,  so  muß  eine 
Untersuchung  stattfinden,  und  zwar  auch 
während  der  Blutung.  Denn  die  Beendigung 
der  Blutung  abzuwarten,  heißt  kostbare  Zeit 
verstreichen  lassen.  Wenn  auch  die  genannten 
Symptome  auf  Grund  anderer  Leiden  als  Krebs 
gelegentlich  vorhanden  sein  können,  so  ist  doch 
solche  Annahme  nur  statthaft,  nachdem  der 
Krebs  ausgeschlossen  ist.  Gerade  weil  sehr  oft 
der  Krebs  in  den  40  er  und  50  er  Jahren  auf- 
tritt, müssen  sich  Arzt  und  Patientin  vor  der 
Täuschung  bewahren,  die  Blutung  als  Folge  der 
Wechseljahre  aufzufassen.  Wird  die  Untersuchung 
verweigert,  so  ist  auf  die  Möglichkeit  bös- 
artiger Erkrankung  und  ihre  Folgen  hin- 
zuweisen und  dann  ohne  Untersuchung  jede 
Behandlung  abzulehnen. 

Der  größte  Teil  der  Gebärmutterkrebse 
nimmt  bekanntlich  seinen  Ausgang  von  der 
Portio  vaginalis  und  der  Cervix,  der  kleinere 
von  der  Schleimhaut  des  Corpus  uteri  oder  den 
hohen  Cervixabschnitten.  Verdächtig  sind  un- 
regelmäßig geformte  Erosionen  am  Muttermund, 
Blutung  bei  Berührung,  harthöckerige  Hervor- 


ragungen. Abbröckelnde  Teilchen  werden  wohl 
immer  krebsig  sein.  In  zweifelhaften  Fällen  ist 
aus  der  verdächtigen  Stelle  ein  Stückchen  im 
Speculum  mit  einem  spitzen  Messer  auszu- 
schneiden (etwa  1/9  —  l  cm  lang,  l/2  cm  breit 
und  Y4  —  Y,  cm  tief).  Bei  hochsitzendem 
Cervixkrebs  und  Corpuskrebs,  bei  denen 
sich  die  Portio  bekanntlich  meist  völlig  gesund 
anfühlt,  und  der  Cervikalkanal,  zumal  bei 
Klimakterischen,  eng,  der  Uteruskörper  meist 
nicht  vergrößert  ist,  muß  mittels  der  Kürette 
die  Schleimhaut  des  Uteruskörpers  und 
der  Cervix  abgeschabt  werden.  Alle  Stückchen 
werden  in  ein  Fläschchen  mit  Alkohol  getan. 
Viele  Mitglieder  der  Gesellschaft  für  Geburts- 
hilfe und  Gynäkologie  haben  sich  bereit  erklärt, 
4ie  zugesandten  Stückchen  mikroskopisch  zu 
untersuchon  und  den  behandelnden  Ärzten  das 
Resultat  mitzuteilen.  Auch  bei  negativer  Diagnose 
wird  die  Patientin  dem  Arzt  für  seine  Mühe  und 
Sorgfalt  Dank  wissen  und  sich  freuen,  daß  eine 
Operation  nicht  notwendig  ist. 

Ist  der  Krebs  durch  die  Untersuchung  mit 
der  Hand,  dem  Spiegel  oder  dem  Mikroskop 
festgestellt,  so  wird  der  Arzt  auf  sofortige 
Operation  dringen.  Jeder  Aufschub  ist  ab- 
zulehnen, denn  der  Krebs  kann  sich  schnell 
weiter  ausbreiten,  Drüsenmetastasen  machen  und 
die  Aussichten  der  Operation  und  der  end- 
gültigen Heilung  verschlechtern. 

Verdächtige  Fälle  zu  beobachten,  ab  w  artend 
oder  mit  Atzmitteln  zu  behandeln,  ist  falsch. 

Die  Patientin,  die  sich  der  Operation  nicht 
unterziehen  will,  muß  über  den  Ernst  ihrer  Er- 
krankung  aufgeklärt  werden. 

Der  Gebärmutterkrebs  kann  durch  Ope-" 
ration  dauernd  geheilt  werden.  Je  früher 
operiert  wird,  um  so  einfacher  und  leichter  ge- 
staltet sich  der  Eingriff.  Bei  frühzeitiger  Ope- 
ration ist  die  Sterblichkeit  eine  geringe,  die 
Wahrscheinlichkeit  einer  Dauerheilung  des  Krebses 
eine  verhältnismäßig  größere,  als  wenn  bei  vor- 
geschrittenem Krebs  operiert  wird. 

Ob  ein  Krebs  inoperabel  geworden  ist, 
kann,  abgesehen  von  ganz  verlorenen  Fällen, 
meist  erst  nach  genauer  Untersuchung  in  Narkose 
vom  Operateur  entschieden  werden. 

Wir  geben  uns  der  Hoffnung  hin,  daß  mit 
fortschreitender  Erkenntnis  und  mit  der  wachsen- 
den Teilnahme  der  Arzte  die  Zahl  der  mit 
Erfolg  operierbaren  Fälle  steigen,  der  heute 
immer  noch  vorkommenden  verschleppten  Fälle 
sich  vermindern  wird.  Einen  Gebärmutterkrebs 
rechtzeitig  "entdeckt,  zur  Operation  und  dadurch 
zur  dauernden  Heilung  gebracht  zu  haben,  wird 
jeden  Arzt  mit  größter  Befriedigung  erfüllen. 
Sein  Verdienst  an  der  Rettung  der  Kranken  ist 
gewiß  dem  des  Operateurs  gleichzustellen. 

Die  Gesellschaft  für  Geburtshilfe  und  Gynäkologie 
zu  Berlin. 

Wir  verweisen  auf  die  an  anderer  Stelle 
dieses  Heftes  S.  326  besprochene  Schrift  von 
Prof.  Runge.  Die  Redaktion. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.JLLanggaard  in  Berlin  SW. 
Verlag  ron  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitate-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  N 


Therapeutische  Monatshefte. 

1905.    Juli. 

Originalabhandlnngen. 


Die  epidemische  Genickstarre  in 
Oberschlesien. 

Von 

Dr.  A,  Hecht  in  BeutheD  Ob.-Scbl. 

Von  den  Epidemien,  welche  im  letzten 
Jahrzehnt  den  oberschlesischen  Industrie- 
bezirk heimgesucht  haben,  hat  wohl  keine 
so  viel  berechtigtes  Aufsehen  erregt,  wie  die 
seit  nunmehr  fünf  Monaten  epidemisch 
herrschende  Genickstarre.  Wenn  diese  in 
den  letzten  Jahren  auch  hin  und  wieder 
sporadisch  aufgetreten  ist,  so  hat  sie  doch 
nie  zu  Besorgnissen  Anlaß  gegeben.  „Gerade 
die  Epidemien  der  Cerebrospinalmeningitis 
zeichneten  sich  bisher  ohne  Ausnahme 
dadurch  aus,  daß  sie  sich  auf  enge  Bezirke 
beschränkten.  In  den  Militärepidemien,  wie 
sie  namentlich  in  Frankreich  auftraten, 
waren  es  meist  nur  vereinzelte  Kasernen, 
und  hier  vielfach  nur  bestimmte  Flügel  und 
Zimmer  der  Kaserne,  in  denen  die  Krankheit 
auftrat.  Herrscht  die-  Epidemie  in  einer 
Ortschaft,  so  pflegen  es  bestimmte  Straßen 
und  Häuser  zu  sein,  in  welchen  sie  festen 
Fuß  faßt.  Daß  große  Städte  oder  ausge- 
dehnte Ländergebiete  in  annähernd  gleich- 
mäßiger Verbreitung  betroffen  werden,  ist 
bisher  kaum  beobachtet  worden.  Beachtens- 
wert ist,  daß  eine  Epidemie  nicht  selten  nur 
eine  geringe  Anzahl  von  Erkrankungen 
umfaßt  und  binnen  wenigen  "Wochen  beendet 
ist.  Immerhin  sind  von  dieser  Kegel  zahl- 
reiche Ausnahmen  bekannt. "  (Eichhorst)1). 
Zu  diesen  zählt  die  gegenwärtige  Epidemie. 
Letztere  zeichnet  sich  auch  vor  der  Epidemie 
des  Jahres  1887,  welche  speziell  im  Kreise 
Beuthen  Ob.-Schl.  ca.  90  Krankheitsfälle  um- 
faßte, durch  ihre  gewaltige  Ausdehnung  aus. 
Ist  doch  gegenwärtig  der  gesamte  Industrie- 
bezirk von  der  Seuche  fast  gleichmäßig 
betroffen.  Wenn  bestimmte  Stadtteile  oder 
Straßen  von  der  Krankheit  bevorzugt  werden, 
so  ist  dies  auf  die  Dichte  der  Bevölkerung 
zurückzuführen.  Es  ist  deshalb  kein  Zufall, 
wenn     die    ersten    Infektionsherde    in    dem 


i)  Deutsche  Klinik,  Bd.  II,  S.  323. 
Th  M.  1905. 


benachbarten  Königshütte  zu  suchen  sind, 
wo  eine  zahlreiche  Arbeiterbevölkerung  dicht 
zusammengedrängt  wohnhaft  ist.  Wie  aus 
früheren  .Epidemien  bereits  bekannt,  trat 
auch  diesmal  die  Krankheit  sprungweise  auf, 
indem  sich  zunächst  einzelne,  umschriebene 
Herde  bildeten,  welche  oft  mehrere  Kilometer 
von  einander  entfernt  waren.  Nachdem  die 
Zahl  derselben  auf  15  angewachsen  war, 
breitete  sich  die  Krankheit  nunmehr  gänz- 
lich regellos  in  Stadt  und  Land  aus.  Bis 
zum  21.  Mai  betrug  im  Reg. -Bez.  Oppeln 
die  Zahl  der  festgestellten  Krankheitsfalle 
2299.  Hiervon  entfallen  auf  Königshütte  424, 
während  im  Kreise  Beuthen  Ob.-Schl. 
450  Krankheitsfälle  zur  Anzeige  kamen. 
Im  Stadtkreise  Beuthen  Ob.-Schl.  und  den 
vier  zu  ihm  gehörigen  Landgemeinden  sind 
auffallenderweise  nur  133  Krankheitsfälle 
gemeldet  worden.  Die  Gesamtzahl  dieser 
Erkrankungen,  verteilt  sich  auf  eine  Be- 
völkerung von  270  000  Seelen  und  einen 
Flächenraum  von  125  Quadratkilometern. 
Demnach  kommt  ein  Krankheitsfall  auf 
circa  270  Menschen.  Wenn  wir  bedenken, 
daß  die  Genickstarre  vorwiegend  eine  Krank- 
heit des  kindlichen  und  jugendlichen  Lebens- 
alters ist,  so  muß  es  auffallen,  daß  die  Zahl 
der  Erkrankungen  bei  dem  Kinderreichtum, 
dessen  sich  Arbeiterfamilien  zumeist  zu  erfreuen 
haben,  nicht  eine  bedeutend  größere  ist. 
Während  andere  kontagiöse  Krankheiten, 
wie  Scharlach  und  Masern  nicht  selten 
mehrere  Kinder  der  nämlichen  Familie 
gleichzeitig  zu  befallen  pflegen,  erkrankt  an 
Genickstarre  in  der  Regel  nur  ein  Familien- 
mitglied. Die  Fälle,  wo  zwei  oder  mehrere 
Erkrankungen  in  derselben  Familie  zu 
gleicher  Zeit  vorkamen,  sind  entschieden  als 
Ausnahmen  zu  betrachten.  So  sind  von  den 
92  in  Stadt  Beuthen  gemeldeten  Krankheits- 
fällen nur  in  drei  Familien  zwei  Kinder,  in 
einer  Familie  drei  Kinder  erkrankt.  Be- 
sonders im  Beginne  der  Epidemie  ist  dieses 
gehäufte  Auftreten  der  Epidemie  häufiger 
beobachtet  worden.  Dabei  stellte  sich  heraus, 
daß  die  Erkrankung  des  zweiten  Kindes  in 
der    Regel    denselben   Ursprung    hatte,    wie 

25 


334 


H«cht,  EpldamUch«  Q«ntekttarr«  In  Ob«rtchl«tien. 


["Therapentiache 
L    Monatshefte. 


diejenige  des  früher  Befallenen.  Nur  in 
vier  Häusern  konnte  ein  durch  größere  Zeit- 
intervalle getrenntes,  zweimaliges  Auftreten 
der  Genickstarre  in  verschiedenen  Familien 
konstatiert  werden.  Die  Anzahl  der  Häuser, 
in  denen  die  Seuche  sich  zeigte,  beträgt  im 
Stadtkreis  Beuthen  80.  In  dem  107  Häuser 
umfassenden  Stadtteil  Friedenshütte,  wo 
lediglich  Arbeiter  mit  ihren  Familien  wohnen 
—  zuweilen  30  Familien  in  einem  Hause  — 
beläuft  sich  die  Zahl  der  verseuchten  Häuser 
auf  22.  Hierbei  ist  auffallend,  daß  nur  in 
dem  Hause  No.  7  zwei  Erkrankungsfälle 
vorgekommen  sind,  während  alle  übrigen 
Häuser  nur  je  einen  Krankheitsfall  aufzu- 
weisen haben.  Wenn  auch  die  Behörden 
bemüht  waren,  durch  Überführung  der  Er- 
krankten in  die  Krankenhäuser  und  durch 
Desinfektion  der  Wohnräume  der  Epidemie 
Einhalt  zu  tun,  so  kann  diese  verhältnis- 
mäßig geringe  Morbidität  nicht  ausschließlich 
diesem  Faktor  zugeschrieben  werden.  Viel- 
mehr erscheint  die  Annahme  naheliegend, 
daß  letztere  auf  die  geringe  Widerstands- 
fähigkeit des  Krankheitserregers  zurückzu- 
führen ist. 

Daß  die  Genickstarre  zu  den  infektiösen 
Krankheiten  zu  rechnen  ist,  geht  schon  aus 
ihrem  epidemischen  Auftreten  hervor.  Ob- 
gleich diese  Vermutung  bereits  seit  ihrem 
ersten  Auftreten  im  Jahre  1805  von  den 
Ärzten  gehegt  wurde,  gelang  es  doch  erst 
1887  Weichselbaum,  den  Infektions- 
erreger „mit  einer  an  Sicherheit  grenzenden 
Wahrscheinlichkeit"  (Eichhorst)  im  Mikro- 
kokkus  intracellularis  meningitidis  (auch 
Meningokokkus  kurzweg  benannt)  nachzu- 
weisen. Einen  zwingenden  Beweis  für  die 
Spezifizität  dieses  Diplokokkus  lieferten  A. 
Bettencourt8)  und  C.  Franca,  welche  regel- 
mäßig bei  Genickstarrekranken  eine  Agglu- 
tination des  Weich  sei  bäum  sehen  Diplo- 
kokkus feststellten.  Diese  Angaben  wurden  in 
dieser  Epidemie  bestätigt.  Es  gelang  nicht, 
vor  dem  sechsten  Tage  das  Fhaenomen  zu  be- 
obachten. Da  die  verschiedensten  Spaltpilze 
eine  eitrige  Meningitis  zu  erzeugen  vermögen 
—  speziell  vom  Pneumokokkus  Fraenkel 
wurde  lange  Zeit  behauptet,  daß  er  die 
epidemische  Cerebrospinalmeniogitis  hervor- 
rufe —  war  erst  mit  der  Auffindung  des 
Meningokokkus  dasjenige  zuverlässige  Kri- 
terium geschaffen,  welches  eine  Unterschei- 
dung der  epidemischen  Genickstarre  von  der 
sporadischen  ermöglichte.  Wie  so  häufig,  spielt 
auch  bei  der  Genickstarre  die  Mischinfektion 
eine  für  den  Verlauf  der  Krankheit  bedeut- 


same Rolle,  denn  außer  den  Pneumokokken 
hat  man  im  eitrigen  Sekret  der  Meningen 
neben  dem  Meningokokkus  auch  den  Strepto- 
kokkus und  Staphylokokkus  pyogenes,  zuweilen 
auch  Influenzabazillen  nachgewiesen.  Umge- 
kehrt konnte  Heubner  unter  14  Fällen 
von  tuberkulöser  Meningitis  zwei  Mal 
Meningokokken  neben  Tuberkelbazillen  auf- 
finden. 

Ein  anderes  Moment,  welches  die  Beant- 
wortung der  Frage  nach  der  Spezifizität  des 
Meningokokkus  außerordentlich  erschwert,  ist 
die  geringe  Lebensfähigkeit  der  künstlichen 
Kulturen,  sowie  die  geringe  Pathogenität 
dieses  Mikrokokkus  für  Tiere.  Neuerdings 
ist  es  jedoch  Heubner  gelungen,  durch 
Einspritzen  von  Meningokokken  in  den 
Subarachnoidealraum  des  Rückenmarks  einer 
Ziege    eine   eitrige   Meningitis  hervorzurufen. 

Einen  weiteren  Beitrag  zur  Lösung  dieser 
Frage  hat  jetzt  Prof.  von  Lingelsheim, 
der  Leiter  des  bakteriologischen  Instituts 
zu  Beuthen  Ob.-Schl.  geliefert,  welcher  den 
Meningokokkus  in  760  Fällen  der  gegen- 
wärtigen Epidemie  gefunden  hat,  und  zwar 
konnte  letzterer  nicht  nur  in  der  Lumbai- 
flüssigkeit, sondern  zuweilen  auch  im  Blute 
nachgewiesen  werden.  Von  großem  Wert 
für  das  Verständnis  der  Krankheit  erwies 
sich  ferner  die"  Beobachtung,  daß  Meningo- 
kokken nicht  selten  im  Sekret  der  Nase, 
des  Rachens,  der  Bronchien  und  im  Exsudat 
der  Paukenhöhle  anzutreffen  sind.  Man 
wird  daher  die  Auffassung  gerechtfertigt 
finden,  wonach  Nase  und  Rachen  als  die 
hauptsächlichsten  Eingangspforten 
und  primären  Lokalisationsstellen  der 
infektiösen  Noxe  zu  gelten  haben. 

Was  die  Eigenschaften  dieses  Spaltpilzes 
betrifft,  so  ist  seine  Lebensdauer  nur  eine 
kurze.  Ist  es  doch  oft  schon  ein  bis  zwei 
Wochen  nach  Beginn  der  Krankheit  nicht 
mehr  möglich, ,  ihn  im  Nasenschleim  oder 
in  der  Cerebrospinalflüssigkeit  aufzufinden. 
Ausnahmsweise  konnte  der  Meningokokkus 
jedoch  von  Hub  er8)  in  einem  Falle  noch 
am  104.  Krankheitstage,  von  Frohmann*) 
in  einem  Falle  noch  am  235.  Krankheits- 
tage in  der  Spinalflüssigkeit  nachgewiesen 
werden.  Ebenso  wenig  widerstandsfähig  zeigt 
er  sich  gegen  Schädlichkeiten  außerhalb  des 
Organismus.  Zwar  hat  Jaeger5)  gefunden, 
daß  Meningealeiter,  auf  Wattebäuschen 
angetrocknet  und  in  Petrischalen  aufbewahrt, 
selbst  nach  127  Tagen  noch  entwicklungs- 
fähige Meningokokken    enthielt.      Doch    will 


')  Zeitschr.  f.  Hygiene  u.  Infektionskrankheiten. 
1904.    Bd.  46. 


*)  Arch.  of  Ped.  1905,  Februar. 

4)  Deutsche  med.  Wochenschr.  1899,  No.  42. 

»)  Deutsche  Klinik,  Bd.  II,  S.  331. 


XIX.  Jahrgang.") 
Juli  1905.      J 


Hecht,  Epidemische  Genlckttarre  in  Obertchleaieo. 


335 


dieses  Faktum  nicht  viel  besagen.  Denn 
würde  der  Meningokokkus  außerhalb  des  Or- 
ganismus dieselbe  Zähigkeit  besitzen,  wie  er 
sie  im  Experiment  gezeigt  hat,  so  würde  die 
epidemische  Genickstarre  noch  viel  grössere 
Ausdehnung  annehmen,  als  sie  bisher  ge- 
funden hat.  Werden  auch  die  Kranken 
durch  Überweisung  an  die  Krankenhäuser 
unschädlich  gemacht,  so  können  doch  auch 
Gesunde  in  ihrem  Nasensekret  virulente 
Meningokokken  beherbergen.  Gerade  diese 
tragen  dann  zur  Verbreitung  der  Krankheit 
am  meisten  bei,  indem  sie  ihr  Nasen-  bez. 
Rachensekret,  ohne  sich  von  den  Folgen 
ihres  Tuns  Rechenschaft  zu  geben,  sorglos 
in  die  Schürze  oder  auf  den  Fußboden  ent- 
leeren. Würde  hier  der  Meningokokkus  eben 
so  lange  entwicklungsfähig  bleiben,  wie  im 
Experiment,  so  dürfte  kein  Blind  einer 
Arbeiterfamilie  von  der  Krankheit  verschont 
bleiben.  Gewöhnlich  erkrankt  aber  nur 
eines.  Wir  dürfen  daher  annehmen,  daß 
der  Mikrokokkus  außerhalb  des  Organismus 
sich  nicht  lange  zu  erhalten  vermag.  Wenn 
daher  Beobachtungen  mitgeteilt  werden, 
wonach  Ansteckungen  durch  leblose  Gegen- 
stände z.  B.  nicht  desinfizierte  Montier ungs- 
stücke  erfolgt  sind  (Panienski)6),  so  kann 
dieser  Weg  der  Übertragung  für  die  Ent- 
stehung einer  Epidemie  nicht  ernstlich  in 
Frage  kommen.  Wenigstens  ist  nicht  be- 
kannt geworden,  daß  Kleidungsstücke,  welche 
aus  verseuchten  Schneiderwerkstätten  hervor- 
gegangen sind,  Träger  der  Ansteckung 
geworden  sind.  Ebensowenig  sind  Er- 
krankungen unter  dem  Bahnpersonal,  welchem 
die  Beförderung  von  Paketen  obliegt,  vorge- 
kommen. Aus  diesem  Grunde  kann  die 
Verfügung  der  Militärverwaltung,  welche 
Pakete,  deren  Absender  im  oberschlesischen 
Industriebezirk  wohnhaft  sind,  von  der  Ab- 
lieferung an  die  Adressaten  ausschließt,  als 
eine  wirksame  Maßregel  zur  Verhütung  der 
Verschleppung  nicht  angesehen  werden. 
Wie  gering  die  Bisposition  zur  Erkrankung 
an  Genickstarre  ist,  wird  am  besten  durch 
die  Tatsache  erwiesen,  daß  in  dieser  Epidemie 
nicht  ein  einziger  Wärter  oder  eine  Wärterin 
angesteckt  worden  ist,  obwohl  gerade  das 
weibliche  Wartepersonal  im  Verkehr  mit 
den  Kranken  nicht  selten  die  nötige  Vorsicht 
vermissen  läßt.  Darum  kann  auch  die  An- 
nahme, daß  bereits  eine  flüchtige  Berührung7), 


•)  cf.  sub  »). 

7)  Anm.  bei  der  Korrektur:  Indessen  kommen 
auch  Aasnahmen  vor.  Am  81.  Mai  er.  besuchte  ein 
Kollege  in  der  sechsten  Nachmittagsstunde  ein 
genickstarrekrankes  Kind,  während  seine  junge 
Gattin  ihn  draußen  im  Wagen  erwartete.  Darauf 
erkrankte   letztere   bereits   nach   wenigen  Stunden 


wie  z.  B.  bei  der  Pest,  zur  Herbeiführung 
eines  Infektes  genügen  soll,  nicht  viel  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich  haben.  Dagegen  ist 
es  nicht  ausgeschlossen,  daß  die  Seuche 
durch  den  Verkehr  verschleppt  wird. 
So  wurde  beobachtet,  daß  ein  Reservist8) 
des  Alezander-Garde-Regiments  die  Krank- 
heit von  Liegnitz  nach  Berlin  verschleppt 
hat.  Auf  gleiche  Weise  soll  Zeitungs- 
berichten zufolge  die  Krankheit  in  jüngster 
Zeit  von  Oberschlesien  nach  Konitz  in 
Westpreußen  übertragen  worden  sein.  Dieser 
Übertragungsmodus  erklärt  sich  leicht  durch 
die  Beobachtung,  daß  virulente  Kokken  auch 
in  den  Sekreten  völlig  gesunder  Menschen 
sich  finden.  So  konnten  in  dieser  Epidemie 
bei  der  Mutter  eines  an  Genickstarre  er- 
krankten Kindes  noch  acht  Tage  nach  Beginn 
der  Erkrankung  virulente  Kokken  im  Nasen- 
schleim nachgewiesen  werden. 

Hieraus  ist  ersichtlich,  daß  zur  Er- 
krankung an  Genickstarre  eine  gewisse  Dis- 
position erforderlich  ist.  Eine  solche  ist 
einmal  gegeben  im  Lebensalter.  Fast  alle 
Epidemien  haben  gezeigt,  daß  das  kindliche 
Lebensalter,  ganz  besonders  das  Säuglings- 
alter und  die  nächst  höheren  Altersstufen, 
am  meisten  gefährdet  ist.  Diese  Disposition 
ist  bedingt  durch  die  häufig  bei  Kindern 
vorhandene  Hyperplasie  des  lymphatischen 
Rachenringes.  Dagegen  beträgt  der  Prozent- 
satz der  Kranken,  welche  über  12  Jahr  alt 
sind,  nur  4  Proz.;  derjenige  Erwachsener  ist 
noch  viel  niedriger.  Letztere  sind  besonders 
dann  zur  Erkrankung  disponiert,  wenn  ihre 
körperliche  Widerstandsfähigkeit  durch  er- 
schöpfende Krankheiten  gelitten  hat. 

Ein  zweites  Moment  bilden  körperliche 
und  in  geringerem  Maße  auch  geistige  Über- 
anstrengungen. Insbesondere  haben  Truppen1 
epidemien  gelehrt,  daß  die  des  Dienstes 
noch  ungewohnten  Rekruten  vorzugsweise 
erkranken,  und  daß  besonders  nach  an- 
strengenden Märschen  die  Krankheit  plötzlich 
epidemisch  auftrat.  In  gleicher  Weise 
können  auch  Traumen  die  Krankheit  zum 
Ausbruch  bringen.  So  beobachtete  ich  bei 
einem  einjährigen  Kinde  den  Ausbruch  der 
Krankheit,  nachdem  es  aus  dem  Bett  der 
Mutter  gefallen  war. 

Ein  drittes,  die  Krankheit  auslösendes 
Moment  bilden  Erkältungen.  Wenigstens  lehrt 
die    Monographie    von    Hirsch9),     daß    die 


am  Abend    desselben  Tages  an  Genickstarre  und 
starb  am  folgenden  Tage  4  Uhr  Nachmittags. 

8)  Eulenburgs  Real-Enzyklopädie,  III.  Aufl., 
Bd.  IV,  S.  428. 

9)  Die  Meningitis  cerebrospinalis  epidemica 
vom  historisch -geographischen  und  pathologisch- 
therapeutischen Standpunkte,  Berlin  1866. 


336 


Hecht,  Epidemisch«  Genickstarre  In  Ohertchletlen. 


rher&pentlsche 
Monatshefte. 


Genickstarre  mit  Vorliebe  in  den  kalten 
Monaten  des  Winters  und  Frühjahrs  aufzu- 
treten pflegt,  zu  Zeiten,  wo  der  Stand  des 
Thermometers  und  Barometers  großen 
Schwankungen  unterliegt,  und  nach  feuchten 
Südwinden  plötzlich  scharfer  Ost-  oder 
Nordwind  eintritt.  Indessen  sind  auch 
Epidemien  beschrieben  worden  z.  B.  aus 
Steiermark  (1889),  welche  bis  Juli  sich 
ausdehnten.  Es  hängt  dies  eben  damit 
zusammen,  daß  auch  in  den  heißen  Sommer- 
monaten Erkältungen  um  so  leichter  auf- 
treten, je  größer  und  schroffer  die  Temperatur- 
schwankungen sind.  Wenn  Kinder  bis  zu 
fünf  Jahren  besonders  gefährdet  sind,  so 
erklärt  sich  dies  dadurch,  daß  erst  mit  dem 
fünften  Lebensjahre  die  Disposition  zu 
akuten  Katarrhen  abnimmt.  Namentlich 
Kinder  von  lymphatischer  und  skrofulöser 
Konstitution  werden  der  Seuche  besonders 
leicht  unterliegen. 

Schließlich  wird  von  Heubner10)  den 
allgemeinen  Schädlichkeiten  der  Armut  und 
des  Elends  als  Hilfsursachen  große  Be- 
deutung beigelegt.  Ganz  besonders,  meint 
er,  sind  in  der  schlechten  Beschaffenheit,  in 
der  Feuchtigkeit,  in  dem  Licht-  und  Luft- 
mangel der  Proletarierwohnungen  Hilfsmo- 
mente von  zweifellos  großer  Bedeutung 
gegeben.  Dagegen  möchte  ich  einwenden, 
daß  die  Wohnungen  der  hiesigen  Industrie- 
arbeiter mit  wenigen  Ausnahmen,  wenn  auch 
räumlich  beengt,  so  doch  in  gesundheitlicher 
Beziehung  einwandsfrei  sind.  Nach  meinem 
Dafürhalten  ist  vielmehr  die  Unbildung  in 
Dingen  der  Hygiene  dafür  verantwortlich  zu 
machen,  wenn  Kinder  der  unteren  Volks- 
schichten häufig  unter  Erkältung  zu  leiden 
haben.  Obwohl  die  Arbeiterwohnungen 
meistens  aus  Stube  und  Küche  bestehen, 
werden  die  Kinder  gewöhnlich  in  der  über- 
heizten Küche  gehalten,  wodurch  zweifellos 
eine  Disposition  zu  Erkältungen  geschaffen 
wird.  Dazu  kommt,  daß  die  Kinder,  mangel- 
haft bekleidet,  bei  Wind  und  Wetter  ins 
Freie  getragen  oder  geschickt  werden. 
Daraus  erklärt  sich  auch  die  Sorglosigkeit, 
welche  man  bei  katarrhalischen  Erkrankungen 
der  Nase  und  des  Rachens,  wegen  ihrer  an- 
geblichen Harmlosigkeit  an  den  Tag  legt. 
Eine  weitere  Folge  ist  der  Mangel  an  Rein- 
lichkeitssinn. Wie  häufig  mag  die  Mutter 
dem  Kinde  beim  Reinigen  der  Nase  mit 
ihrer  Schürze  ihr  eigenes  virulentes  Sekret 
einimpfen ! 

Ein    anderer    Weg,    welcher    direkt    zur 
Ansteckung  führen  mag,   vielleicht   derselbe, 


welchen  Flügge  für  die  Tuberkelbazillen 
nachgewiesen  hat,  ist  im  Verspritzen  des 
Speichels  durch  Hustenstöße  gegeben,  wo- 
durch die  Kokken  in  frischem,  infektions- 
tüchtigem Zustande  bis  auf  eine  Entfernung 
von  fast  einem  Meter  fortgeschleudert  werden 
können.  Ebenso  konnte  de  Leon11)  experi- 
mentell nachweisen,  daß  beim  gewöhnlichen 
Sprechen  kleinere  und  kleinste  Speicheltröpf- 
chen verspritzt  werden,  mit  denen  Mikro- 
organismen in  die  Umgebung  gelangen.  In 
gleicher  Weise  kann  das  Sekret  der  Nase 
durch  Schneuzen  und  Niesen  verstreut  werden. 
Über  die  Inkubationsdauer  sind  bisher 
nur  wenige  zuverlässige  Beobachtungen  ge- 
macht werden.  Nach  Angaben  von  Hirsch19) 
Petersen18)  und  Richter14)  beträgt  dieser 
Zeitraum  durchnittlich  nur  3 — 4  Tage.  In- 
dessen kann  er  auch  nur  wenige  Stunden 
betragen,  wie  obiger  Fall  lehrt. 

Was  die  pathologische  Anatomie,  Symp- 
tomatologie und  den  Verlauf  der  Genick- 
starre betrifft,  so  kann  es  nicht  meine  Auf- 
gabe sein,  diese  hier  erschöpfend  zu  be- 
handeln, zumal  eine  ausfuhrliche  Schilderung 
in  jedem  Handbuch  zu  finden  ist.  Dagegen 
halte  ich  es  nicht  für  überflüssig,  die  Be- 
deutung der  Rachentonsille15)  für  die  Patho- 
genese der  Genickstarre  hier  eingehend  zu 
erörtern. 

Man  ist  in  jüngster  Zeit  immer  mehr 
darauf  aufmerksam  geworden,  daß  eine 
ganze  Anzahl  von  Infektionserregern  sich  in 
den  Lakunen  der  Gaumen-  und  den  Recessus 
der  Rachenmandel  ansiedeln,  um  von  hier 
auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen  in  den 
Körper  einzudringen.  So  ist  es  schon  seit 
längerer  Zeit  bekannt,  daß  Tuberkelbazillen 
verhältnismäßig  häufig  in  den  Mandeln  und 
gar  nicht  selten  in  der  Rachentonsille 
•anscheinend  sonst  gesunder  Personen  vor- 
kommen. Ebenso  enthalten  die  Gaumen- 
mandeln stets  Strepto-  und  Staphylokokken, 
welche  von  Zeit  zu  Zeit  durch  noch  unbe- 
kannte Ursachen  erhöhte  Virulenz  annehmen 
und  zur  Entzündung  der  Mandeln  Anlaß 
geben.  Mit  dieser  Angina  catarrhalis 
simplex  bringt  eine  stattliche  Anzahl  von 
Beobachtern  den  akuten  Gelenkrheumatismus 
in  ätiologischen  Zusammenhang.  Weitere 
Erfahrungen  haben  nun  gelehrt,  daß  auch 
Erkrankungen,  wie  Osteomyelitis,  metasta- 
tische   Eiterungen,    Perikarditis,  Septicämie, 


,0)  Eulenburgs    Real-Enzyklopädie,    Bd.  IV, 


ll)  Arch.  f.  klin.  Chir.   72.  Bd.,  4.  Heft. 

»)  cf.  sub  9). 

")  Deutsche  med.  Wochenschr.  1896,  No.  86. 

")  Breslauer  ärztliche  Zeitschrift  1887,  Bd.  LX, 
Seite  14. 

15)  M.  Schmidt,  Die  Krankheiten  der  oberen 
Luftwege,  111.  Aufl.,  Berlin  1903,  S.  269  fg. 


XJX.  Jahre  aag.l 
Jnli  lfl»&.     J 


Htcht,  Epidemiach«  Genickstarre  la  OteraehlMten. 


337 


kryptogenetische  Pyämie  und  schließlich 
auch  die  Meningitis  cerebro-spinalis  unter 
dem  Bilde  einer  Angina  beginnen.  Da  eine 
Beteiligung  der  Rachentonsille  an  der  Angina 
acuta  durch  die  anatomischen  Verhältnisse 
begünstigt  wird,  so  ist  es  leicht  verständlich, 
wenn  wir  auch  bei  der  Genickstarre  die 
Rachentonsille  entzündlich  verändert  antreffen. 
In  der  Tat  haben  Sektionen,  welche  Westen  - 
hoeffer- Berlin16)  hierselbst  an  29  Leichen 
jüngst  vorgenommen  hat,  in  den  meisten 
Fällen  eine  Vergrößerung  der  Rachentonsille, 
in  vielen  auch  Schwellung  der  Lymphdrüsen 
am  Halse,  ferner  der  Thymusdrüse  (auch 
bei  Erwachsenen)  und  der  Lymphapparate 
im  Darm  nachgewiesen.  Immer  fand  sich 
der  obere  Nasenrachenraum  mit  zähem 
Schleim  angefüllt,  wie  dies  sonst  nicht  beob- 
achtet wird.  Nach  seiner  Entfernung  zeigt 
sich  die  Rachenmandel  geschwollen;  ferner 
ist  die  hintere  Rachen  wand  gerötet,  geschwollen 
und  ödematös.  In  der  Nase  war  der  vordere 
Teil  zumeist  unverändert,  der  hintere  war 
bei  einigen,  namentlich  Erwachsenen,  mit- 
beteiligt. 

Von  den  Nebenhöhlen  war  das  Ohr 
meist  mitergriffen,  teils  mit  schleimigem,  teils 
mit  eitrigem  Inhalt  angefüllt,  häufig  war  die 
Keilbeinhöhle  erkrankt  (10  mal),  mehrfach 
die  Highmorshöhle  (7  mal),  nur  ein  einziges 
Mal  die  S i eb b e in z eilen  bei  einem  Er- 
wachsenen. 

Aus  diesen  Befunden  schließt  Westen- 
hoeffer,  daß  der  Erreger  in  den  lympha- 
tischen Apparaten  des  Nasenrachenraumes 
seine  Eintrittspforte  hat.  Von  hier  oder  den 
Nebenhöhlen  aus  dringen  die  Infektionserreger 
auf  dem  Wege  der  Lymphbahnen  in  den  Sub- 
arachnoidealsack  des  Gehirns  und  Rückenmarks 
ein.  In  anderen  Fällen  kriechen  sie  außerdem 
den  mediastinalen  Bindegewebszügen  entlang 
abwärts  und  erzeugen  die  Befunde  der  eitrigen 
Pleuritis  und  Perikarditis17),  der  ulzerösen 
Endokarditis  und  Myokarditis,  der  Dysenterie 
und  Nephritis,  Komplikationen,  welche 
ebenso,  wie  die  artikularen,  periartikulären 
und  muskulären  Eiterungen  als  eine  Folge 
der  durch  den  Meningokokkus  hervorgerufenen 
Septikämie  zu  betrachten  sind.  Hieraus  er- 
klärt sich  zur  Genüge  die  enorme  Abmage- 
rung und  Blutarmut  der  Kranken,  ohne  daß 
man  einen  besonderen  Einfluß,  etwa  des 
Nervensystems  heranzuziehen  braucht18). 

Neuerdings  sind  Fälle  von  seröser19), 
durch    den    Meningokokkus    hervorgerufener 


l6)  MüDch.  med.  Wochenschr.  1905,  S.  1120. 
")  Ealenburg.    Bd.  IV,  S.  433. 
18)  Nothnagel,  Spez.  Pathol.  und  Therapie, 
Bd.  X,  S.  304. 

,f)  Münch.  med.  Wochenschr.  1903,  S.  1263  fg. 


Meningitis  beschrieben  worden,  bei  denen 
die  Sektion  keine  Spur  einer  Entzündung 
der  Gehirn-  oder  Rückmarkshäute  nachzu- 
weisen vermochte.  In  einem  solchen  von 
Salomon  beschriebenen  Falle,  welcher  mit 
Gelenkschmerzen,  intermittierendem  Fieber 
und  septischen  Exanthemen  einherging, 
konnte  der  Meningokokkus  im  Blute  nach- 
gewiesen werden.  Die  Autoren  nehmen 
deshalb  an,  daß  in  solchen  Fällen  die  Ein- 
wanderung der  Krankheitserreger  nicht  auf 
dem  Wege  der  Lymph-  sondern  der  Blut- 
gefäße erfolgt  ist. 

Wollen  wir  auf  diese  Anschauungen  vor- 
beugende Maßnahmen  gründen,  so  werden 
wir  der  Hyperplasie  des  lymphatischen 
Rachenringes  allezeit  unsere  Aufmerksamkeit 
zuwenden.  Da  die  vergrößerte  Rachenmandel 
in  letzter  Linie  eine  Folge  bakterieller 
Insulte  darstellt,  werden  wir,  schon  um 
letzteren  ein  Ende  zu  bereiten,  sie  operativ 
entfernen,  ganz  abgesehen  von  den  mannig- 
fachen und  zum  Teil  sehr  ernsten  Schädi- 
gungen, welche  dem  Organismus  auch  sonst 
aus   diesen  Wucherungen  erwachsen  können. 

Ist  jedoch  die  Erkrankung  bereits  zum 
Ausbruch  gekommen,  so  werden  unsere 
therapeutischen  Bestrebungen  darauf  gerichtet 
sein  müssen,  der  Brutstätte  direkt  zu  Leibe 
zu  gehen.  Solange  wir  diese  unbeachtet 
lassen,  dürfen  wir  uns  nicht  wundern,  wenn 
immer  wieder  neue  Infektionsmassen  in  die 
Blut-  und  Lymphgefäße  eindringen  und  so 
den  gesamten  Körper  durchseuchen.  Daß 
unter  solchen  Umständen  die  bisher  ange- 
wandten therapeutischen  Maßnahmen  nur 
sehr  bescheidene  Erfolge  aufzuweisen  haben, 
ist  leicht  erklärlich.  Beträgt  doch  die 
Mortalität  der  gegenwärtigen  Epidemie  be- 
reits jetzt  52  Prozent!  Nur  die  Herstellung 
eines  spezifischen  Heilserums  kann  zu 
günstigeren  Resultaten  verhelfen,  wenn  es 
auch  nur  in  solchen  Fällen  seine  volle 
Wirksamkeit  entfalten  wird,  in  denen  die 
Mischinfektion  nur  eine  untergeordnete  Rolle 
spielt.  Wo  Strepto-  und  Staphylokokken 
das  Krankheitsbild  beherrschen,  wird  auch 
das  Heilserum  versagen. 

Vorderhand  müssen  wir  uns  mit  Ein- 
blasungen von  Sozojodolnatrium  und  Acidum 
boricum  «ä  partes  in  Hals*0),  Nase  und  Epi- 
pharynx  behelfen.  Ein  sehr  wertvolles  Heil- 
mittel bilden  die  von  Aufrecht81)  in  die 
Therapie  der  Genickstarre  eingeführten  32°  R. 
warmen  Bäder  von  10  Minuten  langer  Dauer. 
Dieselben     werden     neuerdings      auch     von 


»)  Auch  Westenhoeffer  (1.  c.)  tritt  für  Be- 
handlung der  Rachenorgane  energisch  ein. 
")  Ther.  Monatshefte  1894,  S.  381. 


338 


H«cht,  Epidemisch«  Qtnlekitarre  in  ObonchlMien. 


rher&pentiseb« 
Monatshefte. 


Netter83)  empfohlen.  Nach  diesem  Autor 
sind  sie  3 — 4  stündlich  zu  wiederholen,  ihre 
Dauer  auf  20  Minuten  zu  bemessen.  Ebenso 
hat  Heubner93)  im  Laufe  des  letzten  Jahr- 
zehnts von  diesen  Bädern  oft  zweifellosen 
Nutzen  gesehen.  Er  beginnt  mit  35°  C.  und 
steigt  jeden  Tag  um  1°  bis  auf  39  und 
40°  0.  und  selbst  darüber.  An  das  Bad 
schließt  man  eine  schweißtreibende  Einwick- 
lung  an.  Im  allgemeinen  gibt  Heubner 
täglich  ein  Bad,  doch  hat  er  diese  Prozedur 
auch  schon  am  selben  Tage  wiederholen 
lassen.  Wo  Bäder  nicht  zu  beschaffen  sind, 
bewähren  sich  auch  heiße  Einpackungen94). 
Dagegen  muß  vor  der  Anwendung  kühler 
Bäder96)  bezw.  vor  kalten  Übergießungen 
gewarnt  werden,  da  sie  von  den  Kranken 
entschieden  schlecht  vertragen  werden.  Gegen 
die  vielen  Schmerzen  wird  der  Chapmann- 
8  che  oder  Leiter  sehe  Eisschlauch  mit  Er- 
folg angewendet.  Man  appliziert  ihn  auf 
den  Schädel  bezw.  längs  der  Wirbelsäule. 
Wo  die  Symptome  erhöhten  Hirndrucks  in 
die  Erscheinung  treten,  bringt  die  neuerdings 
auch  zu  diagnostischen  Zwecken  viel  geübte 
Lumbalpunktion  große  Erleichterung,  indem 
nach  ihrer  Ausführung  öfter  Wiederkehr  des 
Bewußtseins  und  Nachlaß  der  Kopfschmerzen 
beobachtet  wird.  Natürlich  muß  dieselbe 
im  Verlauf  der  Krankheit  mehrmals  wieder- 
holt werden.  Gegen  die  Toxämie  habe  ich 
auch  bei  der  Genickstarre  von  subkutanen 
Kochsalzinfusionen,  mehrmals  ausgeführt,  über- 
raschende Erfolge  gesehen.  Auch  Netter 
macht,  wenn  die  Korperkräfte  nachlassen, 
Injektionen  von  künstlichem  Serum.  Leider 
finden  dieselben  noch  immer  nicht  die  ihnen 
gebührende  Wertschätzung.  Von  Medika- 
menten stiften  die  Narkotika  öfter  palliativen 
Nutzen,  insbesondere  sind  subkutane  Morphi- 
uminjektionen9*) bei  hartnäckigem  Erbrechen 
nicht  zu  entbehren;  ebenso  wirken  sie  auf 
Kopfschmerz,  Schlaflosigkeit  und  Delirien 
zauberhaft  ein.  Dagegen  ist  von  den  Anti- 
pyreticis  und  den  Jodpräparaten  eine  heil- 
same Wirkung  nicht  zu  erwarten.  Große 
Sorgfalt  verwende  man  auf  die  Ernährung, 
um  die  rapide  Abmagerung  einigermaßen 
aufzuhalten,  da  bei  protrahiertem  Verlauf 
der  Kranke  weniger  an  den  Folgen  der 
Meningitis,  als  an  Inanition  zugrunde  geht. 
Auch  hierbei  bewähren  sich  Kochsalzin- 
fusionen   aufs    beste,    indem   sie   häufig   den 


w)  Münch.  med.  Wochenschr.  1900,  S.  922. 

*3)  Lehrb.  d.  Kinderheilkunde.  Leipzig  1903, 
S.554. 

8l)  Münch.  med.  Wochenschr.  1896,  S.  1063. 

85)  Nothnagel,  Spez.  Pathol.  u. Therap.  Bd.  X, 
S  SIS 

a6j  Ther.  Monatshefte  1887,  S.  194. 


darnieder  liegenden  Appetit  aufbessern.  Schließ- 
lich sei  noch  erwähnt,  daß  amerikanische  Ärzte97) 
Collargol  auch  bei  Genickstarre  in  Form  von 
Einreibungen  und  intravenösen  Injektionen 
angeblich  mit  bestem  Erfolge  angewendet 
haben. 

Wenn  auch  unsere  therapeutischen  Be- 
strebungen gegen  diese  Krankheit  viel  mehr 
auszurichten  vermögen,  als  vor  zwei  De- 
zennien, so  wird  doch  nach  wie  vor  der 
Schwerpunkt  ärztlicher  Bemühungen  auf  die 
Prophylaxe  zu  legen  sein.  Da  wir  wissen, 
daß  die  Seuche  durch  Mittelspersonen  ver- 
schleppt werden  kann,  wird  es  sich  für  uns 
Arzte  empfehlen,  die  Besuchstour  so  einzu- 
richten, daß  die  Genickstarrekranken  ganz 
zuletzt  besucht  werden.  Um  die  eigenen 
Angehörigen  nicht  der  Gefahr  einer  An- 
steckung auszusetzen,  möchte  ich  dringend 
davor  warnen,  Frau  oder  Kind,  wie  das 
zuweilen  geschieht,  mit  auf  die  Tour  zu 
nehmen.  Ferner  ist  es  ratsam,  beim  Be- 
treten der  eigenen  Wohnung  die  auf  der 
Visitentour  getragene  Kleidung  abzulegen 
und  mit  Formalindämpfen  zu  desinfizieren. 
Ebenso  desinfiziere  man  nochmals  seine 
Hände. 

Ist  bei  einem  Kranken  Genickstarre  fest- 
gestellt, so  wird  man  ihn  für  seine  Um- 
gebung unschädlich  zu  machen  bemüht  sein, 
indem  er  in  ein  Zimmer  gebracht  wird,  wel- 
ches von  der  übrigen  Wohnung  abgesondert 
werden  kann.  Der  Verkehr  der  Angehörigen 
mit  dem  Kranken  hat  zu  unterbleiben;  ebenso 
sind  Krankenbesuche  unter  allen  Umständen 
zu  verbieten.  Ferner  dürfen  weder  Angehö- 
rigen des  Kranken,  noch  Kinder  anderer  in 
demselben  Hause  wohnenden  Familien  öffent- 
liche Schulen  oder  Spielplätze  besuchen. 
Lehrer,  in  deren  Familien  die  Krankheit 
auftritt,  müssen  auf  die  Dauer  von  2  Wochen 
von  der  Schule  fernbleiben,  selbst,  wenn  der 
Kranke  sofort  nach  Feststellung  der  Krank- 
heit einem  Krankenhause  überwiesen  wor- 
den ist. 

In  Krankenhäusern  müssen  Genickstarre- 
kranke in  besonderen  Räumen  untergebracht 
werden,  da  Ansteckungen  anderer  Kranken 
beobachtet  worden  sind.  Ebenso  darf  das 
Wartepersonal  der  ersteren  zur  Pflege  anderer 
Kranken  keine  Verwendung  finden.  Sekrete 
von  Hai 8  und  Rachen,  der  Bronchien  und 
Nieren  müssen  ebenso,  wie  der  aus  dem 
Mittelohr  sich  entleerende  Eiter  desinfiziert 
werden.  Das  Gleiche  gilt  vom  Stuhlgang, 
da  Jaeger  in  den  geschwollenen  Lymph- 
follikeln  der  Darmschleimhaut  Meningokokken 
gefunden  hat. 


*)  Medizin.  Klinik  1905,  S.  578  und  608. 


XIX.  Jahrg&nt.l 
Jall  1905.     J 


Galll-Valerio,  Helminthen  des  Menschen. 


339 


Bei  Abfassung  dieser  Arbeit  bin  ich  von 
den  Herren  Medizinalrat  La  Roche  und 
Professor  von  Lingelsheim  durch  wert- 
volle Mitteilungen  unterstützt  worden.  Für 
diese  Freundlichkeit  sage  ich  ihnen  auch  an 
dieser   Stelle  meinen    verbindlichsten  Dank! 


(fIygieii.*par&sltoIog1sehes  Institut  der  Univerilt&t  Lausanne.) 

J>ie  Verbreitung  und  Verhütung  der 
Helminthen  des  Menschen« 

Von 
Prof.  Bruno  Qalli-Valerio. 

Unter  den  Parasiten,  welche  eine  bedeu- 
tende Rolle  in  der  menschlichen  Pathologie 
spielen,  nehmen  die  Helminthen  eine  der 
ersten  Stellen  ein.  Sie  veranlassen  nicht  nur 
allgemeine  Störungen  des  Kreislaufes,  der 
Ernährung,  des  Zentralnervensystems  u.  s.  w., 
sondern  können  auch  wahre  morbide  En ti- 
lgten erzeugen,  wie  Ankylostomiasis,  Tri- 
chinose, Bilharziose  etc.  Es  ist  recht  zu 
bedauern,  daß  die  Kenntnisse  über  das 
Leben  dieser  Parasiten,  ihre  pathogene 
Rolle,  die  Art  und  Weise  ihrer  Verbreitung 
den  Ärzten  im  allgemeinen  nicht  geläufig 
sind.  Dieselben  pflegen  wenig  Interesse  für 
Helminthen  zu  zeigen,  die  doch  nicht  nur  in 
warmen  Ländern,  sondern  auch  in  unseren 
Gegenden  von  großer  Bedeutung  sein  können. 
Die  pathogene  "Wirkung  der  Helminthen  kann 
verschiedentlich  erklärt  werden: 

1.  Durch  eine  einfach  mechanische  Wir- 
kung: Ihre  Anwesenheit  in  den  verschiedenen 
Organen  kann  Verstopfungen,  Erweiterungen, 
Geschwür-  oder  Neubildungen,  renexe  Reizun- 
gen, Störungen  mehrerer  Funktionen  verur- 
sachen. 

2.  Durch  Blutentziehung,  welche  ent- 
weder von  den  Helminthen  selbst  bewirkt 
wird,  indem  sie  Blut  saugen,  oder  weil  sie 
Verletzungen  erzeugen,  welche  während  eines 
gewissen  Zeitraums  den  Blutabgang  veran- 
lassen, und  zwar  mittels  Inokulation  eines 
Stoffes,  welcher  die  Gerinnung  des  Blutes 
hindert,  wie  es  der  Fall  zu  sein  scheint  für 
Uncinaria  canina1). 

3.  Durch  Erzeugung  toxischer  Stoffe: 
Diese  Wirkungsweise  der  Helminthen  ist  be- 
sonders in  letzterer  Zeit  erforscht  worden. 
Man  hat  im  Extrakt  mehrerer  Helminthen 
die  Anwesenheit  Von  Stoffen  festgestellt, 
welche  Erniedrigungen  oder  Steigerungen  der 
Körperwärme,  Störungen  des  Zentralnerven- 
systems, Erscheinungen  von  Hämolyse  etc. 
verursachen  können.    Es  ist  sehr  wahrschein- 


*)  Zeotralbl.  für  Bakteriologie,  Orig.  XXXVII, 
1904,  p.  93. 


lieh,  daß  mehrere  dieser  toxischen  Sub- 
stanzen auch  von  den  lebenden  Helminthen 
ausgeschieden  werden  und  die  Ursache  einiger 
Krankheitserscheinungen  sind.  Doch  steht 
nicht  zu  bezweifeln,  daß  in  gewissen  Fällen 
diese  toxischen  Stoffe  der  Helminthen  haupt- 
sächlich nach  deren  Tod  produziert  werden. 
So  zum  Beispiel  sind  mir  zwei  Fälle  schwerer 
Anämie,  durch  Botriocephalus  latus  bewirkt, 
bekannt,  die  in  Lausanne  beobachtet  wurden, 
einer  in  der  Abteilung  des  Prof.  Bourget,  der 
andere  in  der  Praxis  des  Prof.  Demi eville. 
In  diesen  2  Fällen  waren  einige  der  eli- 
minierten Würmer  (1  im  ersten,  mehrere  im 
zweiten  Falle)  tot  und  in  beginnender  Mace- 
ratio.  Die  hämolytische  Wirkung  des  Ex- 
traktes dieser  Bothriocephalen,  war  merk- 
licher als  diejenige  des  Extraktes  der  lebendig 
eliminierten  Bothriocephalen. 

4.  Als  Virusträger,  d.  h.,  daß  die  Hel- 
minthen durch  ihre  Wanderungen  und  durch 
die  Verletzungen,  welche  sie  in  den  ver- 
schiedenen Organen  verursachen,  Bakterien 
verschleppen  und  einimpfen  und  dadurch  die 
Erzeugung  von  Keimkrankheiten  begünstigen 
können.  In  den  meisten  Fällen  spielen  diese 
verschiedenen  Wirkungsweisen  eine  gemein- 
same Rolle,  um  die  diversen  Krankheits- 
erscheinungen der  verschiedenen  Helmin thiasis 
zu  erzeugen.  Diese  Krankheitserscheinungen 
stehen  in  keinem  Verhältnis  zu  der  Zahl  der 
Würmer,  die  der  Patient  beherbergt.  Es 
können  manchmal  schwere  Störungen  auf- 
treten bei  Anwesenheit  von  nur  wenigen 
Wurmern,  und  dies  steht  in  Beziehung  zu 
der  Widerstandsfähigkeit  des  angegriffenen 
Individuums  oder  auch  zu  der  stärkeren 
oder  schwächeren  Virulenz  der  Wurmer.  So 
z.B.  habe  ich  an  mir  selbst  beobachtet,  daß  ich 
in  einem  Falle  mehrere  Ascaris  lumbrieoides 
eliminierte,  deren  Anwesenheit  mir  nie  irgend- 
welche Unannehmlichkeit  bereitet  hatte  und 
von  mir  gänzlich  übersehen  worden  war, 
während  in  einem  späteren  Falle  nur  zwei 
von  diesen  Würmern  wiederholte  Koliken, 
Durchfall,  Brechreiz  zur  Folge  hatten;  diese 
üblen  Zustände  dauerten  3  Monate,  d.  h.  bis 
zur  Ausstoßung  der  Parasiten. 

Die  Wege,  mittels  welcher  die  Hel- 
minthen in  den  menschlichen  Organismus  ein- 
dringen können,  sind  folgende: 

1.  Der  Verdauungsapparat.  Auf  diesem 
Wege  können  die  Helminthen  eingeführt 
werden : 

a)  Mit  dem  Fleisch  der  Tiere,  welche 
den  verschiedenen  Parasiten  des  Menschen 
als  Zwischenträger  dienen,  oder  auf  welchem 
Eier  oder  Larven  von  Würmern  gelegentlich 
deponiert  wurden,  hauptsächlich  durch  Fliegen. 
Diese    Zweiflügler    können  in    der  Tat  Hei- 


340 


Galli-Valerio,  Helminthen  de§  Menschen. 


rherapeotlacfee 
Monatshefte. 


mintheneier  und  Larven  übertragen,  nach- 
dem sie  sich  auf  Fäces  gesetzt  haben.  Grassi 
hat  auf  Fliegen  Trichocephalus-,  Taenia-  und 
Oxyuriseier,  und  ich  habe  Eier  von  T.  tri- 
chiurus  und  A.  lumbricoides  gefunden. 

b)  Durch  gelegentliche  Einführung  ge- 
wisser wirbelloser  Tiere,  welche  auch  den 
Helminthen  als  Zwischenträger  dienen. 

c)  Durch  Einführung  gewisser  Gemüse 
oder  Früchte,  auf  welchen  sich  Eier  oder 
Larven  von  Helminthen  befinden  können. 
In  dieser  Beziehung  ist  Salat,  welcher  roh 
genossen  wird,  eines  der  gefährlichsten  Ge- 
müse für  die  Übertragung  der  Helminthen. 
In  einer  Ortschaft,  wo  eine  Darmhelmin- 
thiasis  wütete,  habe  ich  auf  Salat  Eier  von 
T.  trichiurus  und  A.  lumbricoides  gefunden. 
Ceresole3)  hat  oft  sogar  die  Anwesenheit 
von  Eiern  von  Uncinaria  duodenalis  auf 
Salat  angezeigt,  aber,  wenn  die  Sache  auch 
möglich  sein  kann,  frage  ich  mich  doch,  ob 
nicht  ein  Beobachtungsfehler  begangen  wurde. 
Es  ist  tatsächlich  sehr  wichtig,  zu  beachten, 
daß  die  Eier  von  A.  lumbricoides,  in  ein 
äußeres  Medium  gebracht,  d.  h.  auf  Vege- 
tabilien  oder  in  veraltete  Fäces,  eine  Reihe 
Verunstaltungen  und  Veränderungen  in  der 
Weise  durchmachen,  daß  sie  das  Aussehen 
der  Eier  von  TL  duodenalis  gewinnen.  Die 
gelbliche  runzelige  Schale,  welche  die  Eier 
umgibt,  fällt  ab,  und  es  bleiben  nur  ganz 
durchsichtige,  ovale  Eier  mit  glatter  Schale, 
manchmal  schon  in  beginnendem  Teilungs- 
prozeß, Eier,  welche  auf  flüchtigen  Blick 
für  Eier  von  U.  duodenalis  angesehen  werden 
können.  Sie  unterscheiden  sich  aber  von 
diesen  hauptsächlich  dadurch,  daß  sie  nicht 
in  ihrem  Querdiameter  etwas  flach  gedrückt 
sind,  auch  durch  ihre  dickere  Schale  und, 
im  allgemeinen,  Mangel  an  Teilungsprozeß. 
Fast  immer,  wenn  man  mehrere  mikrosko- 
pische Untersuchungen  macht,  findet  man 
neben  den  ganz  ausgeschälten  Eiern  auch 
solche,  die  beginnen,  sich  von  der  äußeren 
gelben  Haut  zu  befreien,  so  daß  diese  nur 
mehr  stückweise  am  Ei  haftet.  Boycott 
und  Haidane3)  geben  auch  an,  daß  die  der 
hügeligen  Schale  beraubten  Eier  von  A.  lum- 
bricoides mehrmals  mit  Eiern  von  U.  duo- 
denalis verwechselt  wurden. 

d)  Durch  verunreinigtes  oder  sumpfiges 
Wasser,  in  welchem  Helmintheneier  oder 
Larven  sich  befinden  können. 

2.  Durch  die  Haut.  Auf  diesem  Wege 
können  die  Helminthen  folgenderweise  ein- 
geführt werden: 

a)  Durch  den  Stich  gewisser  Insekten, 
welche     einigen    Helminthen     als    Z wisch  en- 

»)  Supplemento  al  Policlinico.  10.  Nov.  1900. 
3)  Journal  of  Hygiene,  IV,  1904,  p.  94. 


wirt  dienen  und  ihre  Larven  mit  dem 
Stechen  einimpfen. 

b)  Durch  Auftragen  auf  die  Hautober- 
fläche von  Schlamm,  schlammiges  Wasser 
oder  Stuhl  entleerungen,  in  welchen  diese 
Larven  vorhanden  sein  können.  Looss4), 
bestätigt  diese  von  Schaudinn5)  ermittelte 
Infektionsweise  für  U.  duodenalis;  Pieri*) 
im  Gegenteil  konnte  diese  Art  der  Infektion 
nicht  feststellen,  Boycott  und  Haidane7) 
geben  an,  einer  von  ihnen  hätte  Larven  von 
U.  duodenalis  auf  seinen  Arm  gelegt,  ohne 
lokale  Verletzung  oder  allgemeine  Infizierung 
aufzuweisen.  Ich  selbst  habe  auf  meinen 
Arm  Fäces  aufgetragen,  die  zahlreiche  Larven 
von  U.  duodenalis  enthielten,  und  habe  sie 
dort  eine  ganze  Nacht  unter  einem  leicht 
befeuchteten  Verbände  behalten.  Das  Ex- 
periment fand  am  1.  November  statt;  bis 
jetzt  weise  ich  keine  Infektionszeichen  in 
meinen  Fäces  auf.  Dieselben  enthalten  weder 
Eier,  noch  Würmer.  Diese  negativen  Experi- 
mente können  jedoch  nicht  die  positiven  Resul- 
tate von  Looss  und  Schaudinn  anfechten, 
um  so  weniger,  als  Van  Durme8)  feststellen 
konnte,  daß  auch  die  Larven  von  St.  intestinalis 
durch  die  Haut  der  Tiere  eindringen  können. 

Die  Helminthen  des  Menschen  sind  so- 
wohl in  den  warmen  Ländern  als  auch  in 
unseren  Gegenden  sehr  verbreitet.  Es  schien 
mir  ein  gewisses  Interesse  zu  bieten,  die 
Häufigkeit  des  Vorkommens  von  Helminthen- 
eiern, und  Larven  in  den  am  Wegrand  zer- 
streuten menschlichen  Fäces  zu  untersuchen. 
Eine  solche  Nachforschung  kann  uns  viel 
genauer  über  die  Verbreitung  dieser  Para- 
siten aufklären  als  Untersuchungen,  welche 
an  Fäces  von  Spitalkranken  gemacht  werden. 
Es  kann  in  der  Tat  immer  beobachtet  werden, 
daß,  wenn  diese  Kranken  öfters  Helminthen 
aufweisen,  es  gewiß  die  Folge  ihres  Schwäche- 
zustandes ist,  der  sie  wahrscheinlich  einer 
Infizierung  mit  Helminthen  empfanglicher  ge- 
macht hat.  Die  Untersuchungen  hingegen 
der  am  Wegrand  gesammelten  Fäces  erlauben 
uns  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  anzunehmen, 
daß  wir  es  sehr  wahrscheinlich  mit  gesunden 
Leuten  zu  tun  haben,  und  demnach  werden 
wir  mit  größerer  Sicherheit  über  die  reelle 
Frequenz  der  Helminthen  unterrichtet  werden. 
Eine  solche  Nachforschung  wird  uns  auch 
eine  Weise  der  Zerstreuung  der  Helminthen  er- 


*)  Zentralbl.  für  Bakteriol.,  Bd.  XXIV,  p.  483, 
Bd.  XXIX,  p.  733,  Bd.  XXXIII,  p.  330,  Bd.  XXXVI, 
p.  602. 

s)  Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  8.  Sept. 

6)  Rendic.  della  Reg.  accad.  dei  Liocei  XI, 
p.  217,  XII,  fasc.  9. 

7)  Journal  of  Hygiene,  IV,  1904,  p.  89. 

8)  Thompson  Yate  Laboratory  Reports. 
Liverpool  1902,  p.  71. 


XIX.  Jahrgang.  1 
jwii  im     J 


Qalli-Valario,  Helminthen  da«  Menschen. 


341 


klären:  diese  Fäces,  von  Regen-  und  Schnee- 
wasser durchgewaschen,  lassen  etwaig«  darin 
vorhandene  Eier  an  die  Oberfläche  der  Pflanzen, 
in  die  Gewässer,  in  die  Quellen  gelangen;  und 
.wie  wir  sehr  häufig  feststellen  konnten,  werden 
sie  in  nächster  Nähe  von  Gewässern  deponiert, 
welche  als  Trinkwasser  gebraucht  werden. 

Meine  Untersuchungen  wurden  an  ver- 
schiedenen Orten  gemacht;  in  bezug  auf  die 
Statistik  kann  folgende  Ursache  sie  um  ein 
weniges  gefälscht  haben:  es  ist  klar,  daß  ich 
in  gewissen  Fällen  mehrmals  auf  Fäces  vom 
gleichen  Individuum  stoßen  konnte.  Aber 
die  ziemlich  große  Zahl  der  untersuchten 
Fäces  und  die  Verschiedenheit  der  Ort- 
schaften, wo  die  Einsammlung  geschah,  werden 
uns  doch  einen  ungefähr  genauen  Schluß  über 
die  Verbreitung  der  Helminthen  ziehen  lassen. 

Für  jedes  Exemplar  der  eingesammelten 
Fäces  habe  ich  durchschnittlich  5  Unter- 
suchungen angestellt;  doch  glaube  ich  nicht, 
mich  durch  diese  5  Prüfungen  ganz  sicher 
vergewissert  zu  haben,  daß  die  Fäces,  in 
welchen  ich  keine  Helmintheneier  fand,  auch 
wirklich  keine  enthielten.  Im  Laufe  meiner 
Untersuchungen  hatte  ich  mehrmals  Gelegen- 
heit, in  den  examinierten  Fäces  Eier  von 
A.  lumbricoides  zu  finden,  welche  ihrer  äuße- 
ren gelben  Haut  beraubt  waren  und  Keim- 
zeichen aufwiesen,  welche  sie  annähernd  den 
Eiern  von  U.  duodenalis  gleichen  ließen,  wie 
ich  weiter  oben  andeutete.  Auch  beob- 
achtete ich  sehr  häufig,  daß  die  2  Grund- 
formen der  Eier  von  A.  lumbricoides,  von 
Miura  und  Nishiuchi9)  beschrieben,  d.  h. 
die  befruchteten  und  die  unbefruchteten,  ent- 
weder einzeln  oder  vereinigt  in  der  gleichen 
Fäkalmasse  zu  finden  waren.  Auch  bemerkte 
ich  einige  Male  kleine  Unterschiede  zwischen 
den  Eiern  von  T.  trichiurus;  während  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  diese  Eier  dunkelgelb, 
schmal  und  länglich  sind,  fand  ich  auch  einige 
seltene  breitere  und  heller  gefärbte  Exemplare. 

Ich  fasse  in  umstehenden  Tabellen  die 
Resultate  meiner  Untersuchung  zusammen, 
indem  ich  andeute: 

durch  -f-  die  sehr  zahlreichen  Eier, 
<  die  zahlreichen  Eier, 
—   die  seltenen  Eier, 
0    die  fehlenden  Eier. 

Die  Übersicht  dieser  Tabellen  gestattet 
uns,  folgende  Tatsachen  festzustellen: 

Von  3 15* Fäces,  welche  untersucht  wurden, 
enthielten  224  (71  Proz.)  Helmintheneier. 
In  diesen  224  infizierten  Fäces  findet  man: 

120  mal  Eier  von  A.  lumbricoides;  ge- 
nauer: 76  mal  sehr  zahlreich,  24  mal  zahl- 
reich, 20  mal  selten. 

»)  ZeDtralbl.  für  Bakt.,  Orig.  XXXIII,  1902, 
p.  687. 

Th.M.1005. 


167  mal  Eier  von  T.  trichiurus ;  genauer: 
36  mal  sehr  zahlreich,  63  mal  zahlreich, 
68  mal  selten. 

3  mal  Eier  von  0.  vermicularis;  genauer: 

2  mal  zahlreich,  1  mal  selten. 

4  mal  Eier  von  Larven  von  St.  intesti- 
nalis; genauer:  2  mal  sehr  zahlreich,  2  mal 
zahlreich. 

5  mal    Eier   von    T.   sagin  ata;    genauer: 

3  mal  sehr  zahlreich,  2  mal  selten. 

5  mal  Eier  von  B.  latus;  genauer:  2  mal 
zahlreich  und  3  mal  selten. 

In  mehreren  Fällen  waren  diese  ver- 
schiedenen Eier  assoziiert: 

In  66  Fällen  waren  assoziiert:  A.  lum- 
bricoides und  T.  trichiurus. 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  A.  lumbri- 
coides und  T.  saginata. 

In  3  Fällen  waren  assoziiert:  A.  lum- 
bricoides und  St.  intestinalis. 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  A.  lumbri- 
coides, St.  intestinalis  und  B.  latus. 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  A.  lumbri- 
coides, T.  trichiurus  und  B.  latus. 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  A.  lumbri- 
coides, T.  trichiurus  und  T.  saginata. 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  T.  trichiurus 
und  B.  latus. 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  T.  trichiurus 
und  0.  vermicularis.     . 

In  1  Falle  waren  assoziiert:  T.  trichiurus 
und  T.  saginata. 

In  bezug  auf  die  befruchteten  und  un- 
befruchteten Eier  von  A.  lumbricoides  sehen 
wir,  daß  von  120  Fäces,  welche  Eier  dieses 
Parasiten  enthielten,  23  befruchtete  und  un- 
befruchtete vereinigt,  12  unbefruchtete  und 
85  befruchtete  Eier  aufwiesen. 

Diese  Beobachtungen  zeigen  uns  immer 
mehr  die  große  Verbreitung  der  Helminthen 
in  unseren  Gegenden.  Besonders  bemerkens- 
wert ist  das  häufige  Vorkommen  von  T.  tri- 
chiurus., der  sogar  häufiger  auftritt  als 
A.  lumbricoides.  Und  meiner  Ansicht  nach 
soll  er  noch  häufiger  vorkommen,  als  es 
meine  Untersuchungen  schließen  lassen,  denn 
diese  in  den  Fäkalmassen  oft  nicht  zahl- 
reichen Eier  können  dem  Beobachter  leicht 
entgehen.  Es  ist  mir  oft  begegnet,  1  oder 
2  Eier  von  T.  trichiurus  nur  nach  Anfertigung 
von  mehreren  Präparaten  zu  finden,  so  daß  es 
nicht  ausgeschlossen  ist,  daß  eine  größere  Zahl 
Präparate  mich  nicht  eines  dieser  Eier  hätte 
entdecken  lassen.  Im  Gegenteil  habe  ich 
selten  Eier  von  O.  vermicularis  gefunden, 
obgleich  dieser  Parasit  sehr  verbreitet  ist; 
dies  könnte  dem  Umstände  zugeschrieben 
werden,  daß  ich  nur  selten  mit  Kinderfäces 
zu  tun  hatte,  die  eben  am  häufigsten  mit 
diesem  Wurm  infiziert  sind. 

26 


342 


Qalll-Valarlo,  Halmiathan  de«  Measehan. 


ruerapentiafbj 
Monatshefte. 


Nr. 


Ortiehaft 


3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 
10 
11 
12 
13 
14 
15 
16 
17 
18 
19 
20 
21 
22 
23 
24 
25 
26 
27 
28 
29 
30 
31 
32 
33 
34 
35 
36 
37 
38 
39 
40 
41 
42 
43 

44 
45 
46 
47 
48 
49 
50 
51 
52 
53 
54 
55 
56 
57 
58 
59 
60 
61 
62 
63 
64 
65 
66 
67 
68 
69 
70 


Lausanne 


Ouchy 


Orbe 
(Kt.  Waadt) 


Datum 


15.  XII.  03 


16.  XII.  03 
24.  XII.  03 


28.  XII.  03 


30.  XII.  03 


6. 1.  04 


A.  lum- 
brfooldes 


15.  XI.  04 


S.V.  04 


13.  XII.  03 


20.XH.03 


25.  XII.  03 


0 
0 

+ 
+ 
+ 
0 

ö 
< 

0 
0 
0 
0 

+ 

0 

+ 

0 
0 

+ 

0 
0 

+ 

0 
0 
0 

0 
0 
0 
0 
0 

< 

0 
0 
0 
0 

+ 

0 
0 

+ 

0 
0 

+ 
+ 

0 


■+ 

+ 

0 
0 
0 
0 


0 
0 

< 

0 


T.  trl- 
ohiurna 


< 

0 
0 
0 
0 

+ 

+ 

I       0 


0 
0 
0 

< 

0 
0 
0 

< 

+ 

0 
0 
0 
0 
0 
0 

+ 

0 

+ 

0 

+ 


< 

< 

+ 

0 
0 

+ 
< 

+ 

0 

< 

0 
0 
0 
0 
0 
0 


0 
0 
0 

< 

0 


0 
0 


0 

< 


O.  ver- 
micnlaris 


0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
D 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 

0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 

< 

0 
0 


8t.  in- 
testinalis 


0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0. 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 

0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 


T.  tagt- 
nata 


0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 

0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 

+ 

0 
0 
0 

0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 


B.  latus 


Bemerkungen 


0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 

< 

0 
0 
0 

< 

0 

0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 


0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 


|(  Mehrere  Eier  von 
A.lambricoides  sind 
nicht  befrachtet 


Die  Eier  von  A.  lum- 
bricoides  sind  nicht 
befruchtet. 


Die  Eier  von  A.  lam- 
bricoides  sind  nicht 
befrachtet. 


I 


{Die  Eier  von  A.  lum- 
bricoides  sind  nicht 
befruchtet. 


Die  Eier  von  A.  to»- 
bricoides  sind  nicht 
befruchtet 


XIX.  Jahrgang.") 
Juli  1905.     J 


Qalli-Valerio,  Helminthen  de*  Menschen. 


343 


Nr. 

Ortsenaft 

Datum 

A.  lum- 

T. tri- 

0.  ▼«- 

ßt  In- 

T.sagi- 

B.  latus 

Bemerkungen 

bricoides 

ohiorus 

mleularis 

testinalis 

nata 

71 

Orbe 

25.  XII.  03 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

72 

» 

9 

< 

0 

0 

.0 

0 

0 

73 

0 



0 

0 

0 

0 

Einige  Eier  von 

74 

n 

-f- 

< 

0 

0 

0 

0 

A.lambricoides  sind 

75 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

nicht  befrachtet. 

76 

n 

V 

0 

0 

0 

0 

0 

77 

n 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

78 

» 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

79 

•» 

ff 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

80 

» 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

81 

» 

ff 

-f- 

< 

0 

0 

0 

0 

82 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Die  Eier  von  A.  lum- 

83 

-f- 

< 

0 

0 

0 

0 

{   bricoides  sind  nicht 

84 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[  befrachtet 

85 

»• 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

86 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

87 

n 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

88 

n 

ff 

0 

-f- 

0 

0 

0 

0 

89 

n 

2.1.04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

90 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

91 

+ 

< 

0 

0 

0 

0 

[Die  Eier  von  A.  lum- 

92 

4- 

-h 

0 

0 

0 

0 

|   bricoides  sind  nicht 

93 

-f- 

0 

0 

0 

0 

0 

(  befrachtet. 

94 

» 

« 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

95 

« 

ff 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

96 

i) 

»j 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

97 

n 

ji 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

98 

0 



0 

0 

0 

0 

99 

ff 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

100 

V 

10. 1.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

101 

» 

» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

102 

ff 

ff 

0 

0 

0. 

0 

0 

0 

las 

»- 

» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

104 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

105 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

[Ein  Teil  der  Eier  von 
j   A.  lumbricoides  ist 
(  nicht  befrachtet. 

106 

-h 

0 

0 

0 

0 

0 

107 

ff 

ff 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

108 

ff 

»» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

109 

n 

d 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

110 

n 

ff 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

111 

» 

» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

112 

ff 

» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

118 

. 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

114 

II 

24. 1.  04 

-f- 

-f- 

0 

0 

0 

0 

115 

ff 

. » 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

116 

ff 

ff 

-f 

< 

0 

0 

0 

0 

117 

ff 

f» 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

118 

1* 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

119 

ff 

»i 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

120 

9 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

12t 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

122 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

123 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Ein  Teil  der  Eier  von 

124 

8.  IL  04 

4- 

< 

0 

0 

0 

0 

|   A.  lumbricoides  ist 

125 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

[  nicht  befrachtet. 

126 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

127 

n 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

128 

ff 

»» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

129 

ff 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

130 

ff 

» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

131 

» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

132 

ff 

» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

133 

ff 

» 

0 

-f- 

0 

0 

0 

0 

134 

» 

-+- 

0 

0 

0 

0 

0 

135 

ff 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

2 

136 

14.  IL  04 

0 

-f- 

0 

0 

0 

o 

137 

ff 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

138 

ff 

» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

139 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

140 

ff 

ff 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

141 

ff 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

26' 


344 


Qalli-Valerio,  Helminthen  det  Mennchen. 


Mr. 

Ortschaft 

Dntnm 

A.lum- 

T.tri- 

o.  ▼«•- 

8t.  in- 

T.iagi- 

B.  Utas 

Bemerkungen 

brieoldea 

ohinros 

mlcuUrb 

testinalis 

nftta 

142 

Orbe 

14.  II.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

143 

n 

9 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

144 

ft 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

145 

9 

9 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

146 

» 

»1 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Die  Eier  von  A.  tom- 

147 

» 

J» 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

|    briocides  sind  nicht 

148 

9 

9 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

(   befrachtet 

149 

» 

9 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

150 

„ 

*» 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

151 

n 

r» 

4- 

0 

0 

0 

0 

152 

n 

9 

— 



0 

0 

0 

0 

153 

9 

9 

0 



0 

0 

0 

0 

154 

n 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Befruchtete  and  an- 

155 

n 

» 

4- 

0 

0 

0 

0 

0 

]   befrachtete  Eier  von 

156 

9 

9 

-+-• 

0 

0 

< 

0 

0 

{  A.  lumbricoides. 

157 

» 

H 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

158 

n 

J» 

4- 

— 

0 

0 

0 

0 

[Befrachtete  and  un- 

159 

9 

9 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

|   befrachtete  Eier  von 

160 

7> 

9 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

[  A.  lumbricoidea. 

161 

» 

9 

0 

4- 

0 

0 

0 

0 

162 

9 

21.  fl.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

163 

w 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

164 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

165 

9 

9 

0 



0 

0 

0 

0 

166 

9 

9 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

167 

9 

9 

4- 

4- 

0 

0 

0 

0 

168 

» 

9 

4- 

4- 

0 

0 

0 

0 

169 

9 

91 

0 

0 

0 

0 

0 

170 

n 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

171 

n 

4- 

0 

0 

< 

0 

0 

/Die  Eier  Ton  A.  lumbri- 
J    coides   sind  meistens 
1  nicht  befruchtet 
[Ein  Teil  der  Eier  von 
<   A.  lumbricoides  ist 
l  nicht  befruchtet 

172 

173 

7t 

9 

9 

4- 

0 

0 
0 

0 

•     0 

0 
0 

0 
0 

0 
0 

174 

jj 

4- 

< 

0 

0 

0 

0 

175 

7) 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

176 

9 

9 

4- 

4- 

0 

0 

0 

0 

177 

» 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

178 

9 

9 

0 

—  • 

0 

0 

0 

0 

179 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

180 

9 

9 

0 

— 

0 

0 

— 

0 

181 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

182 

JJ 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

183 

9 

9 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

184 

71 

9 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

185 

n 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

186 

n 

9 

0 

< 

0 

0 

0 

0. 

187 

n 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

188 

7t 

» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

189 

%       » 

13.ÜI.04 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

190 

0 

7t 

0 

0 

0 

0 

Ö 

0 

191 

9 

7t 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

192 

9 

20.  UI.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

193 

n 

7t 

4- 

0 

0 

0 

0 

0 

194 

7t 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

195 

7t 

7) 

0 

0 

0 

4- 

0 

0 

196 

n 

7t 

4- 

< 

0 

0 

0 

0 

197 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

198 

7t 

9 

— 

< 

0 

0 

0 

0 

199 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

200 

9 

17.  IV.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

201 

9 

9 

0 

4- 

0 

0 

0 

0 

202 

V 

9 

0 

4- 

0 

0 

0 

0 

203 

ff 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Ein  Teil  der  Eier  von 

204 

n 

9 

< 

4- 

0 

0 

0 

0 

]   A.  lumbricoides  ist 

205 

» 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

(  nicht  befrachtet. 

206 

9 

24.  IV.  04 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

207 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

208 

9 

9 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

209 

9 

9 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

210 

9 

1.  V.  04 

— 

0 

0 

0 

4- 

0 

211 

» 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

212 

9 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

XIX.  Jahrgang.! 

Juli  1905.     J 


Galli-VaUrlo,  Helminthen  dti  Menschen. 


345 


Nr. 

OHeehsfl 

Datum 

A.  lum- 

T.tri- 

0.  Tör- 

Stiii- 

T.iagi- 

B.latui 

Bemerkungen 

brieolda« 

ehionu 

mleularis 

teränalis 

naia 

213 

Orbe 

7.V.04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Die  Eier  von  A.  lum- 
]    brieoideß  sind  nicht 

214 

n 

n 

< 

4- 

0 

0 

0 

0 

215 

n 

29.  V.04 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

1   befrachtet 

216 

» 

r> 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

[Befrachtete  and  un- 

217 

y> 

i» 

4- 

+ 

0 

0 

0 

0 

j   befrachtete  Eier  von 

218 

n 

j» 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

1   A.  lumbrieoides. 

219 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Befruchtete  und  un- 

220 

n 

5.  VI.  04 

+ 

-h 

0 

0 

0 

0 

|  befrachtete  Eier  von 
(  A.  lumbrieoides. 

221 

n 

» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

222 

n 

» 

-h 

0 

0 

0 

0 

0 

223 

v 

12.  VI.  04 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

[Befrachtete  and  un- 
j  befrachtete  Eier  von 
l  A.  lumbrieoides. 

224 

» 

» 

+ 

— 

0 

0 

0 

0 

225 

» 

» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

226 

n 

3.  vn.  04 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

227 

n 

r» 

< 

— 

0 

o 

0 

0 

228 

i» 

n 

— 

0 

0 

0 

0 

0    . 

229 

9 

n 

-f- 

— 

0 

0 

0 

0 

230 

Valeyres 
(Kt.  Waadt) 

28.  IL  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

231 

» 

n 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

232 

9! 

yt 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

233 

n 

1f 

-+- 

— 

0 

0 

0 

0 

234 

Nauces 
(Kt.  Waadt) 

n 

+ 

-f- 

0 

o 

0 

0 

235 

» 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

236 

Baulmes 
(Kt.  Waadt) 

n 

-h 

0 

0 

0 

0 

0 

237 

<» 

n 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

238 

9 

22.  V.04 

-f- 



0 

0 

0 

0 

239 

7) 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

[Befrachtete  und  un- 

240 

» 

?) 

4- 

< 

0 

0 

0 

0 

|    befruchtete  Eier  von 

241 

Abergement 
(KU  Waadt) 

6.  XI.  04 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

{  A.  lumbrieoides. 

242 

V  all  orbe  s 
(Kt.  Waadt) 

10.  VII.  04 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

243 

» 

„ 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

244 

Brigne 
(Kt  Vallis) 

6.  IV.  04 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

245 

» 

n 

0 

< 

0 

0 

0 

0 

246 

n 

+ 

< 

0 

0 

0 

0 

247 

fc 

» 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

248 

n 

« 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

249 

n 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

250 

n 

n 

0 

— 

0 

0 

0 

0. 

251 

ji 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

252 

» 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

253 

n 

V 

+ 

0 

0 

0 

0 

0 

254 

r> 

n 

— 

o 

0 

0 

0 

0 

255 

n 

9 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

256 

» 

j) 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

257 

i» 

t> 

0 

-f- 

0 

0 

0 

0 

258 

•» 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

259 

» 

n 

-+- 

-+• 

0 

0 

0 

0 

260 

n 

<n 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

261 

7) 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

[Befrachtete  and   un- 

262 

n 

13.  X.  04 

< 

— 

0 

0 

0 

0 

|   befruchtete  Eier  von 

263 

n 

rt 

0 

0 

0 

o 

0 

0 

l  A.  lumbrieoides. 

264 

n 

7) 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

265 

» 

7) 

0 



0 

0 

o 

0 

[  Die  Eier  von  A.  lum- 

266 

n 

n 

— 



0 

0 

0 

0 

|    brieoides  sind  nicht 

267 

n 

lf 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

1   befrachtet. 

268 

» 

n 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

269 

» 

n 

+ 

0 

0 

0 

0 

0 

270 

v 

7) 

0 

4- 

0 

0 

0 

0 

271 

» 

rt 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

272 

Bei  Alp 
(Kt.  Vallis) 

tt 

-h 

< 

0 

0 

0 

0 

273 

» 

7* 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

274 

r> 

f) 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

275 

Locarno 
(Kt  Tessin) 

Juli  04 

H- 

-+- 

0 

0 

0 

0 

346 


Galll-Val«rio,  Helminthen  des  Menschen. 


rTherapeatlidw 
L   Monatshefte. 


Nr. 

Ortschaft 

Datum 

A.  luni- 

T.tri- 

0.  Ter- 

8t  in- 

T.ft&ffl- 

B.  Utas 

Hern  erklingen 

brtooides 

ehiums 

mlealarif 

tMttnftte 

n*U 

276 

Sondrio 
(Veltlin) 

28.  III.  04 

0. 

0 

0 

o 

o 

0 

277 

» 

» 

-f- 

4- 

0 

0 

0 

0 

278 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

{Die  Eier  von  A.  lum- 

279 

» 

i» 

< 

o 

o 

0 

0 

0 

t  bricoides  sind  nicht 
'    befruchtet. 

280 

n 

» 

4- 

< 

0 

0 

0 

0 

281 

n 

29.  III.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

o 

282 

-h 

< 

0 

0 

0 

o 

283 

y> 

» 

-4- 

— 

0 

0 

0 

0 

(  Ein  Teil  der  Eier  von 
{  A.  lumbricoides  ist 
l    nicht  befruchtet 

284 

n 

-h 

4- 

0 

0 

0 

0 

285 

7) 

0 

-4- 

0 

0 

0 

0 

286 

n 

jj 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

287 

» 

ff 

0 

— 

0 

0 

0 

0 

288 

V 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

289 

r> 

15.  IX.  04 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

290 
291 

» 

» 

+ 

0 
0 

0 
0 

0 

o 

o 
o 

s 

\  Ein  Teil  der  Eier  von 
\  A.  lumbricoides  ist 
)    nicht  befruchtet. 

292 

» 

22.  IX.  04 

4- 

— 

0 

0 

0 

0 

293 

Busteggia 
(Veltlin) 

Jf 

3.  TV.04 

-4- 

— 

0 

0 

0 

0 

]  Befruchtete  und  unbe- 

\   fruchtete     Eier    von 

294 

-h 

0 

0 

0 

0 

0 

A.  lumbricoides. 

296 

» 

4- 

— 

0 

0 

0 

0 

296 

Tresivio 
(Veltlin) 

n 

4- 

< 

0 

0 

4- 

.     0 

297 

4- 

0 

— 

0 

0 

0 

rDie  Eier  von  A.  lum- 
j    bricoides    sind  nicht 
1    befruchtet. 
[Befruchtete  und  unbe- 
\    fruchtete      Eier     von 
l   A.  lumbricoides. 

298 
299 

n 

< 

4- 

< 
< 

< 

0 

0 
0 

0 

o 

0 

0 

300 

4- 

0 

0 

0 

0 

0 

301 

rt 

— 

0 

o 

0 

0 

302 

» 

23  IX.  04 

+ 

0 

0 

0 

0 

0 

Idem. 

303 

» 

T> 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

304 

» 

rt 

— 

0 

0 

0 

0 

0 

305 

Valle 

Antognaeco 

(Veltlin) 

31.Vn.04 

— 

0 

0 

0 

0 

0 

306 

n 

Jl 

4- 

< 

0 

0 

0 

0 

307 

y> 

yt 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

308 

Chiesa 
(VelÜin) 

19.VIII.04 

4- 

4- 

0 

0 

0 

0 

[Die  Eier  von  A.  lum- 
\  bricoides  sind  nicht 
l    befruchtet. 

309 

< 

0 

0 

0 

0 

0 

' 

n 

(Befruchtete  und  unbe- 
j  fruchtete  Eier  von 
y    A.  lumbricoides. 

310 

< 

< 

0 

0 

0 

0 

311 

» 

J> 

0 

0 

o 

0 

0 

312 

59 

jy 

0 

4- 

0 

0 

0 

0 

313 

I» 

1« 

4- 

0 

0 

0 

0 

0 

314 

Colico 
(Comersee) 

11.  IX.  04 

— 

0 

0 

4- 

0 

~ ~ 

(Einige  nicht  befruch- 
{  tete  Eier  von  A.  lum- 
l    bricoides. 

315 

" 

* 

+ 

— 

0 

0 

0 

0 

Bemerkenswert  ist  auch  das  gänzliche 
Fehlen  von  U.  duodenalis  auch  in  Brig,  wo 
so  viele  Tunnelarbeiter  sich  befinden.  Das 
häufige  Vorkommen  der  Helminthen  sowie 
ihre  sehr  schädigende  Wirkung  auf  die  Ge- 
sundheit der  damit  infizierten  Menschen  sollte 
immer  mehr  die  Aufmerksamkeit  auf  die- 
jenigen Mittel  lenken,  welche  geeignet  sind, 
die  Verbreitung  dieser  Würmer  zu  beein- 
trächtigen oder  zu  verhindern.  Die  zahl- 
reichen zweckdienlichen  Maßregeln  können 
wie  folgt  zusammengefaßt  werden: 

1.  Immer  größere  Ausdehnung,  auch  auf 
dem  Lande,  der  Fleischschau,  verbunden 
mit  Auferlegung  der  Vernichtung  der  mit 
Beschlag    belegten    Teile,    um    zu   verhüten, 


daß  diese  auf  die  Misthaufen  geworfen  werden, 
wie  es  oft  vorkommt.  In  gewissen  Fällen, 
wie  z.  B.  wenn  es  sich  um  Echinokokkus- 
blasen handelt,  können  diese  Blasen  von 
Hunden  aufgefressen  werden,  welche  dann 
später  die  Eier  von  T.  echinococcus  auf  Gras, 
Gemüse  und  im  Wasser  zerstreuen,  somit  eine 
Infektionsgefahr  für  den  Menschen  erzeugen. 

2.  Schutz  der  Speisen  gegen  die  Fliegen, 
welche  häufig  Helmintheneier  darauf  depo- 
nieren, die  sie  den  Fäces  entnommen  haben. 

3.  Abschaffung  des  Gebrauches,  wie  dies 
schon  an  verschiedenen  Orten  (z.  B.  Rom) 
geschah,  Fruchtpflanzungen,  wie  Erdbeeren 
oder  Gemüse,  besonders  Salat,  mit  dem  In- 
halt der  Abtritte  zu  begießen. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Juli  1905.     J 


Galli-Valerlo,  Helminthen  d—  Menschen. 


347 


4.  Empfehlung  des  ausschließlichen  Ge- 
brauches des  gargekochten  Gemüses  und 
Fleisches,  speziell  der  Fische,  wo  B.  latus 
häufig  vorkommt.  Um  den  Salat  von  etwaigen 
Helmintheneiern  zu  befreien,  sollte  dieser 
nur  nach  mehrmaligem  Waschen  in  sauberem 
Wasser  genossen  werden. 

5.  Vom  Gebrauch  des  verunreinigten, 
speziell  des  schlammigen  Wassers,  ohne  vor- 
herige Abkochung  oder  Filtrierung  desselben 
durch  einen  einfachen  Filter  abraten. 

6.  Allen  Leuten,  besonders  Kindern  und 
Arbeitern  an  Bergwerken,  Tunnels,  Ziegel- 
fabriken, den  Rat  zu  erteilen,  die  Speisen 
nur  mit  sauber  gewaschenen  Händen  anzu- 
rühren. 

7.  Das  häufige  Baden  immer  mehr  in 
Gebrauch  treten  zu  lassen,  besonders  in  Berg- 
werken, Tunnels  etc.,  wo  TL  duodenalis 
und  U.  americana  vorkommen,  um  das  Ein- 
dringen der  Larven  dieser  Parasiten  durch 
die  Haut  zu  verhüten. 

8.  Schutz  der  Wohnungen  und  der  Leute 
gegen  die  Mücken  in  denjenigen  Zonen,  wo 
F.  Bancrofti  existiert;  zu  gleicher  Zeit  soll 
für  Vernichtung  der  Larven  und  Puppen  der 
Culiciden  in  den  Sümpfen  gesorgt  werden. 

9.  Den  Gebrauch  der  Abtritte  auf  dem 
Lande  immer  mehr  verbreiten,  hauptsächlich 
dieselben  da  einzurichten,  wo  Arbeiter  ange- 
häuft sind,  also  in  Bergwerken,  Tunnels  etc. 
wo  Ankylostomiasis  grassiert. 

10.  Wenn  Kranke  mit  schwerer  Darm- 
helminthiasis  zu  einem  Arzte  oder  in  ein 
Spital  in  Behandlung  treten,  muß  dieselbe 
eine  energische  sein;  auch  müssen  die  Eier 
des  Parasiten  in  den  Fäces  vernichtet  werden. 
Zu  diesem  Zweck  ist  die  Anwendung  von 
Schwefelsäure  besonders  gut  geeignet.  Diese 
Mafiregeln  sind  hauptsächlich  im  Falle  von 
Ankylostomiasis  anzuwenden. 

11.  In  denjenigen  Gegenden  wo  Echino- 
kokkusblasen am  Menschen  häufig  zu  finden 
sind,  muß  eine  energische  Behandlung  der 
Hunde  mit  Wurmmitteln  eingeleitet  werden; 
das  Umherlaufen  der  infizierten  Tiere  muß 
verboten  und  ihr  Kot  muß  vernichtet  werden. 

Ich  bin  der  Ansicht,  daß  die  Verbreitung 
der  Kenntnisse  über  Helminthen  unter  Ärzten 
und  Publikum,  hauptsächlich  in  den  mit  ge- 
wissen Helminthiasisformen  behafteten  Gegen- 
den, von  größtem  Nutzen  in  bezug  auf  .den 
Kampf  gegen  diese  gefährlichen  Parasiten 
wäre. 

Lausanne,  8.  Dezember  1904. 


Glossen  zur  Behandlung  der  akuten 
eitrigen  Mittelohrentzündung. 

Von 
Dr.  A.  Eitelberg  in  Wien. 

Die  akute  eitrige  Mittelohrentzündung 
stellt  eine  ebenso  häufige  wie  ernste  Er- 
krankung des  Gehörorganes  dar.  Es  ist 
daher  nur  natürlich,  daß  man,  seitdem  über- 
haupt wissenschaftliche  Ohrenheilkunde  ge- 
trieben wird,  sich  redlich  bestrebt  hat, 
diesem  Übel  erfolgreich  zu  begegnen.  Nun 
wird  seit  fast  einem  Jahrhundert  in  unserem 
Wissenszweige  tüchtig  geforscht  und  gear- 
beitet, und  die  Annahme  dürfte  auf  den 
ersten  Blick  gar  nicht  gewagt  erscheinen, 
daß  über  den  hier  behandelten  Gegenstand 
eine  Einigung  bereits  erzielt,  die  Frage 
endgültig  gelöst  sei.  Wer  das  jedoch 
glauben  würde,  wäre  in  einem  großen  Irrtum 
befangen. 

Da  fand  vor  kaum  zwei  Jahren  ein 
Otologenkongreß  statt,  und  den  wichtigsten 
Punkt  der  Tagesordnung  bildete  just  die 
Therapie  der  akuten  eitrigen  Mittelohrent- 
zündung. Es  kam  zu  einer  recht  lebhaften 
Debatte,  denn  es  galt,  drei  verschiedenen, 
zum  Teile  einander  diametral  entgegenge- 
setzten Verfahren  zur  allgemeinen  Aner- 
kennung zu  verhelfen.  Die  Kämpen,  welche 
die  wissenschaftlichen  Klingen  kreuzten, 
waren  vollkommen  gleichwertig,  durchwegs 
Träger  berühmter  Namen.  Ich  führe  sie  — 
um  auch  äußerlich  eine  Bevorzugung  des 
einen  vor  dem  anderen  zu  vermeiden  —  in 
alphabetischer  Ordnung  an:  Bezold,  Kör- 
ner, Zaufal  (letzterer  durch  seinen  Schüler 
Piffl  vertreten). 

Während  also  Körner  die  möglichst 
baldige  Paracentese  des  Trommelfelles  anrät 
und  durch  statistische  Belege  den  Beweis 
erbringt,  daß,  je  frühzeitiger  die  kleine 
Operation  vorgenommen  wird,  desto  rascher 
und  günstiger  der  Verlauf  sich  gestaltet, 
beeilt  sich  der  nicht  minder  erfahrene 
Zaufal  durchaus  nicht  mit  dem  Trommel- 
fellschnitte,  ja  zieht  ihn  im  großen  und 
ganzen  viel  seltener  in  Gebrauch  und  redet 
vielmehr  entsprechenden  Umschlägen  (mit 
verdünntem  Liquor  Burow.)  das  Wort. 
Bezold  wieder  schrickt  vor  der,  von 
anderen  Ohrenärzten  so  sehr  bei  der  akuten 
Tvmpanitis  perhorreszierten  Lufteintreibung 
nicht  zurück,  welchen  Standpunkt  übrigens 
auch  Politzer  teilt. 

Dem  Praktiker  aber  empfehle  ich,  ent- 
schieden in  seinem  eigenen  wie  auch  im 
Interesse  seiner  Klienten,  sich  beileibe  nicht 
ausschließlich  auf  eine  der  erwähnten  Lehren 
einzuschwören,     mag    er    sonst    welcher   der 


j 


348 


Sit«lb«rf,  Akut«  titrjf«  Mitt«lohr«nUOndunf. 


rTherapentiaefee 
L   Monmtihefte. 


aufgeführten  Autoritäten  immer  huldigen. 
Und  zwar  aus  dem  Grunde  —  weil  sie  alle 
recht  haben;  nur  leider  mit  der  Einschrän- 
kung: insoweit  Menschen  recht  haben 
können.  Wenn  man  die  Medizin  wirklich 
als  eine  Kunst  ansprechen  darf,  so  möchte 
ich  dies  hauptsächlich  mit  Bezug  auf  ihre 
therapeutische  Seite  tun",  ein  Titel,  welcher 
bei  ihren  unzähligen  Hilfsmitteln  jetzt  schier 
nicht  einmal  mehr  der  Diagnostik  recht 
zukommt.  Da  die  Natur,  mag  sie  Gutes 
oder  Böses  schaffen,  niemals  nach  einer 
Schablone  arbeitet,  sondern  immer  produ- 
zierend, das  heißt  künstlerisch,  wirkt,  so  hat 
der  behandelnde  Arzt  nicht  allein  gegen  das 
bereits  gesetzte  pathologische  Produkt  vor- 
zugehen, er  muß  vielmehr  auf  alle  ihre  Re- 
gungen genau  hinzuhorchen  verstehen  und  teils 
ihnen  zu  folgen,  teils  sie  in  günstigere 
Bahnen  zu  lenken  suchen.  Die  Natur  kennt 
kein  mechanisches  Wiederholen,  sie  erzeugt 
immerfort  Neues ,  wenn  sie  auch  den 
Gattungscharakter  jederzeit  dabei  wahrt. 
Und  wie  nicht  zwei  Blätter  desselben 
Baumes  einander  kongruent  sind,  so  wird 
man  bei  einer  präzisen  Prüfung  unter 
hundert  —  man  darf  auch  eine  höhere  Zahl 
setzen  —  Fällen  der  gleichen  Erkrankungs- 
form nicht  zwei  herauszuheben  imstande 
sein,  deren  Symptome  und  Verlauf  sich 
ohne  Rest  decken.  Demgemäß  wird  sich 
aber  auch  die  Behandlung  jedem  einzelnen 
Falle  speziell  anpassen  müssen,  worunter  ich 
mir  freilich  nicht  die  Aufwendung  eines 
'ungeheuer  komplizierten  Apparates  denke 
als  —  im  Gegenteile  —  bloß  eine  rationelle 
Distribuierung  der  je  bescheideneren,  desto 
lieberen  Heilpotenzen.  Ich  bin  der  positiven 
Überzeugung,  daß  die  zuweilen  sich  vor- 
drängende Polypragmasie  zu  einem  guten 
Teile  die  Erfolge  wett  macht,  welche  durch 
die  echten  Fortschritte  in  der  Medizin  sonst 
sichergestellt  wären. 

Doch  ich  will  in  raschen  Strichen  einige 
Beobachtungen  aus  der  jüngsten  Zeit  hier 
skizzieren  und  so  das  mystische  Dunkel 
aufzuhellen  mich  bemühen,  welches  manchem 
über  dem  Gesagten  zu  lagern  scheinen  möchte. 

Eine  junge,  etwa  23jährige  Frau  klagt  über 
heftige  Schmerzen  im  rechten  Ohre,  die  nach  einer 
mäßigen  Angina  aufgetreten  sind  und  seit 
24  Stunden  mit  geringen  Unterbrechungen  an- 
dauern. Sie  zeigt  erhöhte  Temperatur  —  bis 
38,5°  C,  doch  wird  sie  weder  von  Kopfschmerzen 
noch  von  Sausen  oder  Pulsieren  belästigt.  Das 
Trommelfell  ist  diffus  gerötet  und  geschwollen; 
der  Warzen forts atz  stark  druckempfindlich.  Dessen 
Integumente  von  normalem  Aussehen.  Meine 
Taschenuhr  wird  in  20  cm  (normal  2  m)  ver- 
nommen. Therapie:  Bettruhe,  Diät.  Mit  öproz. 
Karbolglyzerin  getränkte  Wattetampons  in  den 
Gehörgang.      Umschläge    mit    verdünntem    Liquor 


Burow.  über  dem  Warzenfortsatze.  Am  nächsten 
Tage  ist  das  Trommelfell  abgeblaßt,  auch  weniger 
geschwollen,  schmutziggrau  und  kleine  Lamellen 
abstoßend,  hinten  unten  vorgewölbt  Die  Uhr 
wird  heute  nur  2  cm  weit  gehört.  Im  übrigen 
St.  idem.  Ich  proponiere  der  Patientiu  den 
Trommelfellschnitt.  Sie  mag  nichts  davon  wissen. 
Am  dritten  Tage  hat  sie  sich  wohl  mit  ihm  schon 
vertraut  gemacht.  Die  hysterische  Frau  —  6ie 
hat  vor  kaum  einer  Woche  einen  kataleptischea 
Anfall  ohne  rechte  Veranlassung  wieder  einmal 
erlitten  —  bringt  aber  trotz  allseitigen  Zuredens 
die  Selbstbeherrschung  nicht  auf,  die  kleine 
Operation  zu  ertragen,  und  zieht  es  vor,  noch  eine 
lange  Nacht  sich  anter  Schmerzen  zu  winden. 

Wenngleich  keine  drohenden  Erscheinungen  im 
Momente  vorhanden  sind,  so  muß  doch  bei  der 
schwächlichen  Konstitution  der  Patientin  auf  mög- 
lichste Abkürzung  des  Prozesses  hingezielt  werden, 
und  es  wird  daher  mit  dem  Hausarzt  vereinbart, 
am  folgenden  Tage  unter  jeder  Bedingung  — 
sollte  nicht  mittlerweile  der  Durchbrach  spontan 
erfolgt  sein  —  das  Trommelfell  einzuschneiden, 
eventuell  in  der  Narkose.  Diese  wurde  indes 
nicht  notwendig.  Die  Frau  hielt  sich  jetzt  tapfer, 
und  schon  wenige  Minuten  nach  geübter  ausgiebiger 
Parazentese  schwanden  der  Ohrschmerz  und  die 
Druckempfindlichkeit  des  Warzenfortsatzes.  Zwei 
Stunden  später  stellte  sich  eine  profuse  Otorrhöe 
ein,  die  nach  drei  Tagen  bereits  sistierte.  Nach 
weiteren  drei  Tagen  konnte  die  uneingeschränkteste 
Restitutio  ad  integrum  konstatiert  werden. 

In  gewissem  Sinne  ein  Gegenstück  zu 
dem  voranstehenden  bietet  der  sich  an- 
schließende Fall: 

Eine  26jährige  Frau  bekommt  gegen  Morgen 
rechterseits  heftige  Ohrschmerzen  infolge  einer 
bereits  abklingenden  akuten  Rhinitis.  Bald  darauf 
spricht  sie  bei  mir  vor.  Man  hat  wohl  nur  selten 
Gelegenheit,  eine  akute  Tympanitis  in  ihren  Uran- 
fängen zu  beobachten,  wie  es  hier  der  Fall  war. 
Das  Trommelfell  war  schwach  retrahiert,  leicht 
rosa  angebaucht,  der  Lichtfleck  noch  deutlich, 
wenngleich  wie  hinter  einem  dünnen  Schleier. 
Bloß  die  Gefäße  längs  des  Hammergriffes  waren 
ziemlich  stark  injiziert.  Der  Warzenfortsatz  ist 
nicht  druckempfindlich,  das  Gehör  für  Uhr 
und  Flüstersprache  normal.  Außer  der 
Otalgie  ist  es  das  Gefühl  des  Verlegtseins,  welches 
die  Frau  in  geringem  Grade  belästigt,  aber  einer 
Lufteintreibung  weicht.  Karbolglyzerin  and  Bü- 
ro wische  Lösung  werden  wie  im  ersten  Falle 
angeordnet  und  die  noch  etwas  geschwollene 
Nasenschleimhaut  mit  1  proz.  Jodjodkaliglyzerin 
bepinselt.  Die  Frau  wird  auf  den  nächsten  Tag 
bestellt,  erscheint  aber  erst  nach  drei  Tagen. 
Unterdessen  hat  sich  die  Situation  erheblich 
geändert.  Die  Membran  bietet  ein  mattfeuchtes 
Aussehen  dar,  ist  hinten  oben  vorgewölbt.  Der 
Lichtfleck  ist  verschwunden  und  ebenso  der 
Kontur  des  Hammergriffes.  Der  Warzenfortsatz, 
namentlich  an  der  Spitze,  gegen  Druck  nicht  mehr 
indolent.  Das  Hörvermögen  ist  für  die  Uhr  auf  9  cm, 
für  die  Flüstersprache  auf  V/A  m  Distanz  gesunken. 
Der  Ohrschmerz  minder  intensiv;  intermittierendes 
leises  Sausen.  Eine  Lufteintreibung  hebt  das 
Gehör  für  Flüstersprache  auf  3  m,  läßt  die  Hör- 
distanz  für  die  Uhr  unbeeinflußt.  Das  therapeu- 
tische Regime  wird  fortgesetzt. 

Die  Frau  ist  während  der  ganzen  Zeit  fieber- 
frei, bei  guter  Laune.  Verdauung  und  Schlaf  in 
Ordnung.  Am  nächsten  Tage  ist  die  Vorbauchung 
des  Trommelfelles  noch  prägnanter,  hat  das  Hör- 
vermögen   eine    weitere  Einbuße   erfahren  (Uhr  ad 


XIX.  Jahrgang.' 
Jult  190». 


] 


Bitalbarg,  Akut*  eitrig*  MiMatohraatefladuag. 


349 


conch.,  Flästersprache  in  10  cm).  Sonst  ist  der 
Zustand  wie  gestern.  Ich  empfehle  der  Patientin 
dringend  die  Vornahme  der  Paracentese,  welche  sie 
indes  für  heute  verweigert.  Da  keine  Gefahr  im 
Verzuge,  billige  ich  ihr  den  gewünschten  24  stän- 
digen Aufschub  am  Ende  za.  Die  Therapie  bleibt 
die  gleiche,  mit  Hinweglassung  der  Luftdusche. 
Als  die  Frau  zur  verabredeten  Stunde  sich  nicht 
meldete,  nahm  ich  an,  daß  sie  sich  an  einen 
anderen  Ohrenarzt  gewendet  habe.  Denn  an  eine 
rasche  Resorption  einer  so  reichlichen  Menge  und 
noch  dazu  eingedickten  Eiters,  worauf  die  Stelle 
der  Hervorwölbung  und  das  Aussehen  des 
Trommelfelles  hinwiesen,  mochte  ich  nicht  glauben. 
(Höchstens  hätte  es  zu  einer  spontanen  Perforation 
mit  Eiterabfluß  kommen  müssen.)  Es  war  aber 
doch  so.  Nach  einer  achttägigen  Pause  stellt  sie 
sich  wieder  vor.     Sie   hatte  nur  noch   einen  Tag 

geringfügige  Schmerzen  gehabt,  dann  ging  es  rapid 
er  Heilung  zu.  Ich  habe  ein  so  schönes  Trommel- 
fell nicht  bald  gesehen,  es  wäre  ein  Prachtexemplar 
für  Demonstrationszwecke.  Selbstredend  war  auch 
das  Gehör  zur  Norm  zurückgekehrt. 

Die  Krankengeschichte,  die  ich  nunmehr 
anreihe,  gehört  einem  kräftigen  24jährigen 
Manne  an,  dessen  chroniche  Rhinopharyngitis 
gerade  eine  subakute  Exazerbation  erfahren 
hatte.  Darauf  in  der  Nacht  rasende 
Schmerzen  im  linken  Ohre. 

In  aller  Frühe  suchte  er  mich  auf.  Ich  para- 
centesiere  sofort  das  stark  gerötete  und  vorgewölbte 
Trommelfell.  Allein,  trotz  der  abundanten  blutig- 
serösen Sekretion  toben  die  Schmerzen  noch  nach 
drei  Stunden  in  der  gleichen  Intensität  fort.  Da 
auch  der  Warzenfortsatz  druckempfindlich  ist, 
lasse  ich  an  diesen  einen  Blutegel  applizieren. 
Die  nächste  Folge  war  eine  profuse  venöse  Blutung, 
die  nach  einer  1  Vi  stündigen  Digitalkompression 
durch  den  Hausarzt  und  auch  nach  Anlegen  einer 
Sperrpinzette  nicht  stehen  wollte  und  erst  mittelst 
Liquor  ferri  sesquichl. -Watte  und  eines  Druckver- 
bandes bezwungen  wurde.  Doch  war  auch  der 
Schmerz  im  Ohre  geschwunden.  Im  weiteren  Ver- 
laufe machten  sich  die  Schmerzen  nur  sehr  selten 
and  in  bescheidenem  Maße  geltend.  Zu  Beginn, 
als  sie  noch  zudringlicher  waren,  leistete  eine 
3proz.  Jodkalilösung  (2—3  Eßlöffel  täglich)  vor- 
zügliche Dienste,  während  Antipyrin  und  Ein- 
träufelungen einer  Kokain-Morphinsolution  gänzlich 
▼ersagten. 

Gegen  den  mittlerweile  schleimig-eitrig  ge- 
wordenen Ausfluß  wurden  Kreolinausspritzungen 
(4  Tropfen  auf  l/A  1  lauwarmen  Wassers)  in  An- 
wendung gezogen.  Der  nach  voraufgegangener 
Reinigung  des  Ohres  den  Gehörgang  obturierende 
Wattepfropf  wurde  zuvor  mit  seinem  inneren 
Drittel  in  öproz.  Karbol glyzerin  getaucht.  Über- 
dies wurde,  sobald  das  erste  Entzündungsstadium 
vorüber  war,  eine  4proz.  Borsäurelösung  einge- 
träufelt. Die  Otorrhöe  dauerte  17  Tage  an. 
Schon  als  sie  spärlicher  ward,  begann  das  Hör- 
vermögen sich  zu  bessern,  und  10  Tage  nach 
sistiertem  Ohrenflusse  hatte  es  die  normale  Höhe 
erreicht.  Die  Trommelfeilücke  war  bereits  früher 
vernarbt.  Der  Verlauf  war  vom  Anfange  bis  zum 
Ende  ein  fieberfreier.  Gepolitzert  wurde  in  diesem 
Falle  nicht  ein  einziges  Mal. 

Ein  anderer  Fall: 

Als  ich  zu  dem  11jährigen  Mädchen  gerufen 
wurde,  bestand  bereits  seit  sechs  Tagen  links- 
seitige Otorrhöe,  die  sich  nach  zweitägigen  prodro- 
malen Schmerzen  im  Gefolge  einer  akuten  Rhinitis 

«l  IL  1905. 


eingestellt  hatte.  Perforation  im  vorderen  unteren 
Trommelfellquadranten.  Die  Umgebung  des  Ohres 
ist  nicht  druckempfindlich;  nur  in  der  Tiefe  des- 
selben bohrt  und  pulsiert  es,  zwar  erträglich,  aber 
immerhin  kontinuierlich.  Die  Temperatur  ist  in 
den  ersten  Tagen  der  Beobachtung  ohne  ersicht- 
liche Ursache,  später  bei  besonderen  Anlässen: 
konkomitierender  Halsdrüsenentzündung,  Obsti- 
pation oder  auch  nur  freudiger  Erregung 
(Geburtstagsfeier)  des  Abends  mäßig  (38,2-38,6°) 
erhöht,  des  Morgens  während  der  ganzen  Dauer 
der  Erkrankung  normal,  mehrmals  sogar  sub- 
normal  (35,6°).  72—80  Pulsschläge  in  der 
Minute.  Das  Kind  hütete  das  Bett,  wurde  anfangs 
auf  strenge  Diät  gesetzt  und  seiner  etwas  trägen 
Verdauung  zeitweilig  nachgeholfen.  Zweimal 
täglich  Ausspritzungen  des  Ohres  mit  schwacher 
Kreolinlösung  und  Einträufelungen  einer  4proz. 
Borsäuresolution.  Als  sich  —  wie  oben  ange- 
deutet —  eine  ziemlich  schmerzhafte  Drüsen- 
schwellung  an    der  gleichnamigen   Halsseite  hinzu- 

fesellt  hatte  —  es  geschah  in  der  dritten  Krank- 
eitswoche — ,  wurde  diese  unangenehme  Episode 
mit  Hilfe  einer  Jodsalbe  und  Burowischer  Dunst- 
umschlage  abgewehrt. 

Der  Krankeitsprozeß  hatte  im  ganzen 
29  Tage  bis  zur  vollkommenen  Wiederher- 
stellung —  auch  quoad  auditum  —  in  An- 
spruch genommen.  Am  normalen  Trommel- 
felle ist  die  Stätte  der  einstigen  Perforation 
nicht  mehr  zu  entdecken. 

Und  der  Silhouette  noch  eines  einschlä- 
gigen Erkrankungsfalles  gönne  man  hier  ein 
Plätzchen: 

Er  betrifft  ein  30 jähriges  Mädchen,  eines  jener 
armen  Geschöpfe,  welche,  fern  der  Heimat  und 
dem  Elternhause,  in  fremden  Landen  sich  ihr  Brod 
kümmerlich  durch  Sprachunterricht  erwerben 
müssen,  nachdem  sie  die  Hoffnung  auf  eine  frohe 
Zukunft  endgültig  eingesargt  haben.  Man  höre  da 
nur  nicht,  mit  der  stolzen  Rüstung  wissenschaft- 
licher Objektivität  angetan,  hohle  Phrasen  heraus! 
Wer  die  menschliche  Psyche  einigermaßen  studiert 
hat  —  und  der  Arzt  sollte  es  jederzeit  und  aller- 
orten tun  —  weiß  es  ganz  genau,  daß  ein  ver- 
härmtes Gemüt  auch  unter  physischem  Leid 
leichter  zusammenbricht  als  von  der  Sonne  des 
Glückes  freundlicher  beschienene  Menschenkinder. 

Diesmal  war  mir  die  Natur  gleichfalls  zuvor- 
gekommen :  sie  hatte  die  Perforation  des  Trommel- 
felles selbst  besorgt.  Seit  zwei  Tagen  fühlte 
sich  die  Patientin  matt  und  abgeschlagen,  war 
verschnupft  und  hatte  Kopfschmerzen.  In  der 
letzten  Nacht  begann  auch  das  rechte  Ohr  zu 
rebellieren,  und  bereits  gegen  Morgen  erzwang 
sich  das  in  der  Paukenhöhle  angesammelte  Sekret 
einen  Ausgang  durch  das  Trommelfell.  Die 
Schmerzen  im  Ohre  wurden  hierauf  geringer,  nur 
beim  Druck  auf  die  Spitze  des  korrespondierenden 
Warzenfortsatzes  zuckte  die  Patientin  unwillkürlich. 
Die  Lücke  in  der  unteren  Trommelfell hälfte  war 
geräumig  genug,  um  dem  Eiter  unbehinderten  Ab- 
fluß zu  gestatten.  Die  Ausspritzung  förderte  ein- 
gedickte krümelige  Massen  zutage.  Gegen  den 
Kopfschmerz  und  die  allenfalls  noch  vorhandenen 
Mahnungen  im  Ohre  bewährte  sich  hier  das 
Aspirin  (0,5  g,  1—2  mal  des  Tages)  vortrefflich. 
Nur  einmal  wurde  38,1°  C.  gemessen,  sonst  war 
die  Temperatur  stets  normal.  Eigentümlich  war 
in  diesem  Falle,  daß  das  Pulsieren  nicht  in  der 
Paukenhöhle  vernommen,  sondern  in  den  Warzen- 
fortsatz verlegt  wurde. 

27 


350 


Blt«lbarf ,  Akut«  altrife  Mlttolohrantsandiuif. 


Das  öftere  Erbrechen,  die  häufigen  Übel- 
keiten, Schwächeanwandlungen,  welche  unter 
anderen  Verhältnissen  eine  Vorbereitung 
ernsterer  Komplikationen  hätten  -vermuten 
lassen,  waren  hier  aus  der  geringeren  Wider- 
standsfähigkeit des  Organismus  zu  erklären. 
Auch  dieser  Fall  endete  binnen  sechs  Wochen 
in  vollständige  Genesung. 

Die  Reihe  ließe  sich  ins  Grenzenlose 
.verlängern,  aber  welchen  Zweck  hätte  dies? 
Ich  habe  auch  gar  keine  Auswahl  unter  den 
Fällen  getroffen  und  sie  nur  so  pele  mele 
aufs  Papier  geworfen,  wie  sie  sich  mir  in  die 
Feder  schoben.  Zudem  sind  es  ganz  ge wohn- 
liche Fälle  mit  der  alltäglichsten  Ätiologie 
und  der  denkbar  einfachsten  Entwickelung. 
Kein  aufregender  Zwischenakt  stört  den 
glatten  Gang  der  Ereignisse.  Wäre  der 
Ausdruck  an  dieser  Stelle  nicht  zu  frivol, 
man  konnte  von  otiatrischer  Dutzendware 
sprechen;  und  gar,  wenn  man  die  Jugend- 
lichkeit der  erkrankten  Individuen  in  Betracht 
zieht,  die  Jugendlichkeit,  welche  auch  kör- 
perliche Leiden  leichter  aberwindet. 

Und  doch!  Stellt  man  diese  Fälle,  die 
ja  alle  in  dieselbe  Erkrankungsgattung  ran- 
gieren, neben  einander,  so  springen  die 
Unterschiede  in  Verlauf  und  geheischter  Be- 
handlung sofort  in  die  Augen.  Es  sei  noch 
eines  Falles  en  passant  gedacht.  Er  gehört 
eigentlich  gar  nicht  hierher,  und  nur  eine 
einzelne  Episode  nähert  ihn  der  in  Rede 
stehenden  Krankheitsgruppe.  Es  handelt 
sich  um  einen  30  jährigen  hochgradigen 
Neurastheniker,  der  sehr  häufig  an  Exsudat 
der  Paukenhöhle  leidet.  Eine  geringfügige 
Erkältung,  ja  eine  psychische  Erregung 
vermag  es  hervorzurufen.  Sofort  treten  Ge- 
hirndruckerscheinungen auf,  welche  bei  ihm 
durchaus  nicht  unbedenklich  sind.  Aber  ein 
kräftiger,  von  oben  bis  unten  reichender 
Trommelfellschnitt  pflegt  alle  Beschwerden 
zu  beheben.  Ein  paar  Tage  sickert  noch 
eine  seröse  Flüssigkeit  in  geringer  Menge 
aus,  dann  verkleben  die  Schnittflächen,  und 
die  Sache  ist  erledigt. 

Einmal  aber  versagte  dieses  sonst  so 
verläßliche  Remedium.  Es  war  eben  auch 
anders.  In  der  klaffenden  Lücke  ward  ein 
zäher  Eiterpfropf  sichtbar,  der  nicht  aus- 
treten mochte.  Ich  versuche,  durch  eine 
Lufteintreibung  ihn  nach  außen  zu  bewegen. 
Er  weicht  nicht  von  der  Stelle.  Der  Patient 
wird  unruhig,  da  der  gewohnte  Erfolg  aus- 
bleibt; droht  in  Ohnmacht  zu  sinken.  Das 
Eingießen  einiger  Tropfen  lauwarmen  Wassers 
ins  Ohr,  welche  den  Pfropf  verflüssigten, 
hat  mich  diesmal  aus  einer  argen  Verlegen- 
heit errettet.  Der  Mann  hatte  freilich  noch 
einige  Tage   zu  leiden  —   so   gemütlich   wie 


sonst  lief  es  jetzt  nicht  ab  —  er  mußte 
sogar  48  Stunden  lang  das  Bett  hüten,  denn 
es  war  eine  veritable  Mittelohrentzündung 
geworden.  Allein  die  Hauptattacke  war 
abgeschlagen,  und  die  weiteren  Belästi- 
gungen hielten  sich  innerhalb  erträglicher 
Grenzen. 

Auch  könnte  ich  noch  einen  schlagenden 
Beweis  dafür  erbringen,  wie  durch  die  oben 
gerügte  Vielgeschäftigkeit  in  einem  Falle 
die  Heilung  auf  Wochen  hinaus  sich  ver- 
zögerte, welche  dann  bei  moderiertem  Ver- 
fahren binnen  10  Tagen  anstandslos  erreicht 
worden  ist.  Doch  genug  der  Muster  und 
Beispiele.  Aber  so  manchem  Leser  mag  die 
ernste  Frage  auf  den  Lippen  schweben: 
Wenn  das  Jurare  in  verba  magistri  verpönt 
ist,  die  Autorität  nicht  unbedingt  bindet, 
woran  soll  man  sich  denn  halten?  Ich  will 
versuchen,  darauf  Antwort  zu  geben,  obwohl 
dies,  da  ich  Details  gerne  vermeiden  möchte, 
recht  schwer  zu  bewerkstelligen  sein  wird. 
Um  die  Aufgabe  einigermaßen  zu  vereinfachen, 
gestatte  man  mir  eine  allgemeine  Bemerkung. 
Die  Schule  lehrt,  oder  richtiger:  sollte 
medizinisch  denken  lehren,  und  die  Er- 
fahrung erwirbt  man  in  der  Spitals-  und 
Privatpraxis.  Und  wie  im  gewöhnlichen 
Leben  noch  niemand  durch  die  Erfahrungen 
anderer  klug  geworden  ist  und  jedermann 
das  Lehrgeld  für  die  erworbene  Lebens- 
weisheit aus  Eigenem  bestreiten  muß:  so 
muß  auch  jeder  Arzt  seine  Wissenschaft 
gleichsam  aufs  neue  erwerben  und  mit  den 
eigenen  Augen  sehen,  mit  dem  eigenen  Ver- 
stände denken  lernen.  Allerdings  sammelt 
man  medizinische  Erfahrungen  nicht  im 
Handumdrehen,  und  es  hört  sich  heiter  an, 
wenn  kaum  flügge  gewordene  Aeskulapjünger 
mit  Vorliebe  sich  „auf  ihre  Erfahrung"  be- 
rufen. Man  darf  indes  nicht  gar  zu  streng 
mit  ihnen  ins  Gericht  gehen.  „Wir  sind 
alle  einmal  jung  gewesen",  sagt  Börne  in 
seiner  reizenden  Mautpredigt. 

Um  medizinisch  richtig  zu  denken,  muß 
man  erst  im  allgemeinen  logisch  denken 
gelernt  haben,  und  ich  gehe  kaum  fehl, 
wenn  ich  die  unstreitig  schärfere  Beobach- 
tungsgabe der  älteren  Ärzte  auf  den  Eifer 
zurückführe,  mit  welchem  sie  die  philo- 
sophischen Studien  pflegten.  Sie  wußten 
freilich  nicht  so  viel  interessante  Einzel- 
heiten, wie  wir  sie  kennen.  Dafür  be- 
wahrten sie  sich  stets  den  Ausblick  auf  das 
Ganze.  Wir  aber  gleichen  —  um  mit 
Schopenhauer  zu  reden  —  dem  Insekte, 
welches  an  dem  Blatte,  auf  dem  es  sitzt, 
die  zarteste  Faserung  erschaut,  jedoch  den 
Menschen  in  einer  Entfernung  von  drei 
Schritten  nicht  wahrnimmt.     Wir  sind  famose 


XIX.  Jahrgang. 1 
Jnll  1905,     J 


Eltalbarg,  Akute  eitrige  Mittelohrentzündung. 


351 


Spezialisten,  die  wahrhaft  großen  Ärzte 
jedoch  —  sollten  mehr  sein. 

Man  verzeihe  die  Abschweifung,  ich 
habe  sie  nicht  ohne  Absicht  gemacht.  Und 
nun  will  ich  die  oben  supponierte  Frage 
durch  die  Erörterung  meines  Verhaltens  in 
der  taglichen  Praxis  wenigstens  teilweise  zu 
losen  trachten.  Sobald  ich  ans  Krankenbett 
trete,  habe  ich  alles  spezialistische  Wissen 
von  mir  abgestreift.  Zunächst  interessiert 
mich  der  Gesamteindruck,  welchen  der 
Kranke  darbietet.  Ist  der  Kräftezustand 
ein  guter  und  herrscht  keine  deprimierte 
Laune,  so  fahre  ich,  auch  wenn  mäßiges 
Fieber  besteht,  und  das  Trommelfell  stark 
gerötet  und  geschwollen  sich  zeigt,  erst  das 
leichtere  Geschütz  auf.  Ich  begnüge  mich  mit 
Karbolglyzerin- Wattetampons  und  Umschlägen 
von  Liquor  Burow.  (l  :  5  Aqu.  dest.).  Ob 
diese  kalt  oder  warm  zu  gebrauchen  sind, 
das  zu  entscheiden,  stelle  ich  dem  Patienten 
anheim,  dessen  subjektives  Empfinden  ihm 
klarer,  als  ich  es  vermöchte,  sagt,  welche 
Art  der  Applikation  ihm  Erleichterung  ver- 
schaffen wird.  Ich  betone  ausdrücklich,  daß 
ich  hier  nicht  eine,  die  akute  eitrige  Mittel- 
ohrentzündung zuweilen  komplizierende  Pe- 
riostitis des  Warzenfortsatzes  im  Auge  habe, 
bei  welcher  ich  mitunter  auch  die  konti- 
nuierliche Kälteanwendung  heranziehe.  An 
dieser  Stelle  werden  überhaupt  nur  jene  akuten 
eitrigen  Tympanitiden  berücksichtigt,  die 
sich  in  den  friedlichsten  Geleisen  bewegen. 
Sonst  müßte  dieser  Abriß  zu  einer  dicken 
Monographie  anschwellen,  was  durchaus 
nicht  in  meiner  Absicht  gelegen  wäre. 

Wenn  ich  mich  also  nicht  durch  Gehirn- 
reizerscheinungen oder  —  zumal  bei  Kindern 
—  durch  hohes  (39,0°  und  darüber)  Fieber 
zur  frühzeitigen  Ausführung  der  Paracentese 
genötigt  sehe,  so  warte  ich  damit  gerne  ein 
paar  Tage  bis  zum  Verstreichen  des 
akutesten  Stadiums,  weil  der  Trommelfell  - 
stich  dann  fast  schmerzlos  ertragen  wird, 
und  anscheinend  auch  der  ganze  Prozeß 
rascher  sich  abspinnt.  Seit  vielen  Jahren 
bereits  halte  ich  es  so  bei  den  periostalen 
Abszessen  des  Warzenfortsatzes,  welches 
zweckmäßige  Verfahren  mich  zuerst  eine 
zufällige  Beobachtung  gelehrt  hatte,  und  in 
dem  mich  spätere  absichtliche  Inzisionsver- 
zögerungen  nur  noch  mehr  befestigten.  Eine 
ahnliche  Wahrnehmung  hat  Urbantschitsch 
bei  der  Otitis  ext.  circumscripta  gemacht. 
Das  nur  in  Parenthese. 

Ich  muß  mich  ja,  will  ich  die  mir 
selbst  gesteckte  Grenze  nicht  überschreiten, 
auf  allgemeine  Andeutungen  beschränken. 
Mir  kommt  es  keineswegs  in  erster  Linie 
auf  diese  oder  jene  Behandlungsmethode  an 


—  verschiedene  Wege  fuhren  nach  dem  Rom 
der  Gesundung.  Worauf  ich  hauptsächlich 
mein  Augenmerk  richte,  ist  die  Tragfähigkeit 
des  Patienten,  der  ich  den  Grad  der  einen 
oder  anderen  Heilmethode  zu  akkommodieren 
mir  angelegen  sein  lasse.  Ich  gehe  anfangs 
tastend  vor  und  beobachte  vorerst,  ob  die 
Natur  auf  meine  Intentionen  einzugehen  sich 
bequemt.  Denn  ohne  ihre  Unterstützung 
vermögen  wir  nichts  auszurichten,  und  wer 
sie  zwingen  zu  können  vermeint,  lebt  in 
einem  für  ihn  süßen,  dem  Patienten  jedoch 
oft  verhängnisvollen  Wahne.  Auch  scheue 
ich  vor  keinem  noch  so  ernsten  Eingriff 
zurück,  wo  er  am  Platze  ist,  halte  aber  das 
Schießen  mit  Kanonen  auf  Spatzen  trotz  der 
wirklich  staunenswürdigen  Leistungen  der 
Aseptik  und  Antiseptik  noch  immer  für  ein 
sehr  gewagtes  Experiment,  auch  wenn  es 
hin  und  wieder  gelingt. 

Von  dieser  Tragfähigkeit  des  Patienten, 
die  jedoch  der  Arzt  und  nicht  der  kranke 
Laie  richtig  zu  taxieren  vermag,  hängt  es 
auch  ab,  ob  eine  ambulatorische  Behandlung 
gebilligt  werden  darf,  oder  auf  absolute 
Bettruhe  gedrungen  werden  muß.  Die  Fälle, 
wo  der  Patient,  „der  Not  gehorchend, 
nicht  dem  eigenen  Triebe",  an  das  Lager 
gefesselt  ist,  meine  ich  natürlich  nicht.  Da 
fließt  die  Entscheidung  aus  einer  inappelablen 
Sphäre.  Daß  aber  eine  richtige  Abschätzung 
des  Kräftevorrates  von  höchster  Wichtigkeit 
ist,  erfährt  man  bisweilen  zu  seiner  unlieb- 
samen Überraschung,  wenn  ein  bettlägeriger 
Patient,  der  behufs  Ausspritzung  des  Ohres 
sich  halb  aufrichtete,  plötzlich  ohnmächtig 
zurücksinkt.  Und  unter  Umständen  ist  von 
solch  einer  Ohnmacht  bis  zum  völligen  Er- 
löschen des  schwach  glimmenden  Lebens- 
funkens nur  ein  kurzer  Schritt.  Das  ist 
nicht  vielleicht  aus  dem  ewig  sprudelnden 
Borne  einer  allzu  überreizten  Phantasie 
geschöpft;  es  ist  die  nackte,  mit  nüchternem 
Auge  geschaute  und  unretuschiert  wieder- 
gegebene rauhe  Wirklichkeit.  Seitdem  nehme 
ich,  wo  ich  ein  derartiges  Kräftemanko 
ahne,  die  indizierte  Ausspritzung  des  Ohres, 
oft  auch  unter  Protest  des  Kranken,  nur 
noch  bei  etwas  erhöhter  Kopflagerung  vor. 
Gewiß,  es  sind  Imponderabilien,  die  sich 
nicht  greifen  und  demonstrieren  lassen; 
wohl  aber  sind  sie  aus  der  Beobachtung  zu 
abstrahieren  und  fallen  —  entgegen  ihrer 
Wortbedeutung  —  bei  der  Behandlung  gar 
schwer  ins  Gewicht. 

Die  von  mir  bei  der  einfachen  und  glatt 
verlaufenden  akuten  Pauken eiterung  geübten 

—  gleichsam  im  Gegensatze  zu  den  soeben 
besprochenen  ideellen  —  sozusagen  reellen 
Behandlungs weisen    sind    aus    den    zitierten 

27* 


352 


Oltutsawikl,  Psychisch«  Entartung. 


rbentpentUehe 
Monfctohefte. 


Krankengeschichten  leicht  abzuleiten,  und 
ich  mag  darüber  weiter  kein  Wort  verlieren ; 
diese  Seite  des  Themas  interessiert  uns  ja 
heute  auch  nicht  in  erster  Reihe.  In  der 
jüngsten  Zeit  wagen  sich  zwar  schüchterne 
Versuche  hie  und  da  hervor,  die  Behandlung 
der  einzelnen  Erkrankungsformen  oder  doch 
einiger  derselben  quasi  zu  kodifizieren  und 
ein  Abweichen  von  der  festgelegten  Norm 
als  Fehler  zu  ahnden.  Gelängen  diese 
Versuche  im  großen  —  und  es  läßt  sich 
nicht  leugnen,  daß  dies  möglich  wäre  — 
so  würde  die  ärztliche  Tätigkeit  zum  Ge- 
werbe degradiert.  Sie  konnte  meinetwegen 
immerhin  noch  ein  Kunstgewerbe  sein,  aber 
nie  und  nimmer  das,  was  sie  sein  und 
bleiben  muß,  so  sie  ihre  erhabene  Mission 
erfüllen  soll:  eine  göttliche  Kunst.  Ein 
wunderbares  Sprießen  und  Knospen  und 
Blühen  zieht  gegenwärtig  durch  die  medi- 
zinische Wissenschaft.  Auf  allen  ihren 
Gebieten  regen  tausend  Hände  sich  in 
emsigem  Schaffen,  und  fast  täglich  noch 
dehnt  sie  ihre  Herrschaft  aus.  Aber  ach! 
auf  jeglichem  Gebiete  wuchert  auch  viel 
Unkraut,  unter  dessen  Wucht  die  edle  Saat 
zu  verderben  droht.  Eines  gewaltigen 
Genies  bedürfte  es,  welches  mit  kühnem 
Griffe  manch  leeren  Plunder  in  weitem 
Bogen  von  sich  würfe  und  die  auseinander 
strebenden  Teile  wieder  vereinigte.  Auf 
dieses  Genie  wartet  in  heißer  Sehnsucht 
einstweilen  noch  unsere  Wissenschaft. 


(Aus  der  Warschauer  Anstalt  für  Sprachstörungen.) 

Die  psychische  Entartung 

und  deren  Verhältnis  zu  verschiedenen 

Kategorien  von  Sprachstörungen« 

Von 

Dr.  Wladytlaw  Oltuszewski. 

In  den  vorhergehenden  Jahrgängen  der 
Therapeutischen  Monatshefte,  1900  und  1902, 
berührte  ich  zwei  allgemeine  Fragen  aus  der 
innerlichen  Medizin,  welche  mit  der  Lehre  von 
den  Sprachstörungen  in  Verbindung  stehen, 
und  zwar:  Das  Verhältnis  der  infantilen  Cere- 
brallähmungen  zu  verschiedenen  Kategorien 
der  Sprachstörungen,  wie  auch  die  psychisch 
mangelhafte  Entwickelung  und  deren  Verhält- 
nis zu  verschiedenen  Kategorien  der  Sprach- 
störungen. Gegenwärtig  beabsichtige  ich  als 
Fortsetzung  und  Schluß  der  beiden  vorher- 
gehenden Arbeiten  das  Verhältnis  der  psy- 
chischen Entartung  zu  denselben  Störungen 
zu  erklären.  Die  Resultate,  zu  welchen  ich 
in  dieser  Hinsicht  gelangt  bin,  bilden  eine 
interessante  und  wichtige  Synthese  in  der 
Anschauung  über   die   Ätiologie   und   Patho- 


genese der  Sprachstörungen.  Ich  glaube  je- 
doch, daß  es  vorteilhaft  sein  wird,  ehe  ich 
zum  eigentlichen  Gegenstande  übergehe,  auch 
im  allgemeinen  Abriß  daran  zu  erinnern,  was 
wir  unter  dem  Namen  Entartung  verstehen, 
welche  Kategorien  von  Kranken  man  hierzu 
zählen  muß  und  welche  Ursachen  dieselbe 
besitzt. 

Soviel  ich  aus  der  mir  zugänglichen 
Literatur,  sowohl  auf  dem  Felde  der  mangel- 
haften psychischen  Entwickelung,  wie  auch 
in  der  Bearbeitung  des  uns  gegenwärtig  be- 
schäftigenden Gegenstandes  urteilen  kann, 
haben  die  französischen  Autoren  das  größte 
Verdienst,  wie  P.  Lucas,  Morel,  Magnan, 
Moreau  (de  Tours),  Charcot,  Rieh  et,  Fere, 
Däjerin,  Balet,  Janet,  Dailly,  Legrain, 
Saury  und  viele  andere,  neben  verhältnis- 
mäßig wenigen  deutschen  Forschern,  Koch, 
Na  ecke,  Arndt,  Kurella,  Möbius, 
Kraft-Ebing  und  anderen. 

Der  Begriff  von  der  Entartung  fing  erst 
an  zu  keimen,  als  die  vortreffliche  Arbeit 
Morels:  „  Traue*  des  degenerescences  de 
l'espece  humaine"  Paris  1857  erschien.  Ihm 
verdanken  wir  die  genaue  Analyse  der  patho- 
logischen Erblichkeit.  Magnan  erweiterte 
die  Gesetze  der  pathologischen  Erblichkeit 
bedeutend,  zählte  alle  Entarteten  zu  einer 
von  den  Gruppen  der  Wahnsinnigen  und 
schloß  in  dieselbe  die  Idioten,  Schwach- 
sinnigen, wie  auch  die  Unequilibrierten  ein 
(die  höheren  Entarteten).  Fe>6  hat  in  seiner 
Arbeit:  „La  famille  neuropathique"  1898 
die  neuropathische  Familie  in  zwei  Zweige 
geteilt:  der  psychische  Zweig:  Geisteskrank* 
heiten,  moralischer  Idiotismus,  Psychopathien 
(die  höheren  Entarteten  von  Magnan),  wie 
auch  die  ihnen  am  ähnlichsten:  Epilepsie, 
Hysterie,  —  und  der  neuropathische  Zweig, 
welcher  die  Neurosen  und  die  Leiden  des 
Nervensystems  mit  der  Unterlage  unbekannter 
Natur  enthält:  Neurasthenie,  die  Basedow- 
sche Krankheit,  Chorea  bei  Kindern  und 
hysterischen  Frauen,  chronische  Chorea  von 
Huntington,  Tic,  Torticolis  neuropathique, 
der  Schreibkrampf,  Paralysis  agitans,  Alters- 
zittern,  die  Thomsensche  Krankheit,  Para- 
myoclonus  multiplex,  die  Migräne,  die  Neur- 
algie, das  Asthma,  Sclerodermia,  wie  auch 
viele  organische  Krankheiten  des  Nerven- 
systems: Paralysis  progressiva,  Tabes,  die 
Friedrichsche  Krankheit,  Paralysis infantilis, 
Atrophia  muscularis  progressiva,  die  primären 
Myopathien  (Typus  von  Erb,  Typus  von 
Landouzy-Dejerin  u.  a.),  Paralysis  pseudo- 
hypertrophica,  Paralysis  bulbaris  progressiva, 
Sclerosis  lateralis  amyotrophica ,  Sclerosi* 
multilocularis1).  Die  biologische  Klassifika- 
tion von  Dallemagne  (Degeneres  et  des  equi- 


XIX.  Jahrgang.*] 
Juli  1906.     J 


01tnss«wikl,  Ptychlacha  Entartung. 


353 


libres  1895)  ist  beinahe  dieselbe  wie  die  von 
Magnan,  nur  nach  dem  Vorbilde  anderer 
Autoren  erweitert  durch  Einschließung  zur 
Gruppe  der  Entartung:  der  Epilepsie,  der 
Hysterie  und  der  Neurasthenie.  Er  unter- 
scheidet das  Vegetationsgleichgewicht,  dessen 
Ziel  die  Ernährung  ist,  das  Gleichgewicht 
des  Gefühls,  welches  die  regelrechte  Funktion 
des  Gefühlslebens  leitet,  und  das  psychische 
Gleichgewicht,  welches  die  geistigen  Er- 
scheinungen regelt.  Jeder  von  diesen  Zu- 
ständen kann  Verwirrungen  unterliegen,  daher 
die  Veränderungen  der  Vegetations-,  Gefühls- 
und psychischen  Individualität,  wie  auch  die 
Einteilung  der  Entarteten  in  drei  Klassen: 
die  niedrigeren  Entarteten  (Idioten,  Schwach- 
sinnige und  Vernachlässigte),  die  höheren 
Entarteten  (Epileptiker,  Hysteriker,  Neur- 
astheniker)  und  die  eigentlichen  Unequi- 
librierten. Diese  Klassifikation  stimmt  dem 
Autor  nach  mit  dem  biologischen  Gesetze 
der  Regression  überein,  das  ist  mit  der 
Ordnung,  nach  welcher  zuerst  die  Abnahme 
der  intellektualen  Sphäre,  dann  die  des 
Gefühls  und  zuletzt  die  der  Ernährung  her- 
vortritt. 

Indem  ich  die  Klassifikation  anderer 
Autoren  übergehe  und  die  angeführten  be- 
rücksichtige, glaube  ich,  daß  es  nicht  richtig 
ist,  die  Entarteten  in  eine  der  Gruppen  des 
Wahnsinns  einzuschließen,  abgesehen  davon, 
daß  die  Entarteten  zweifellos  dem  Wahnsinn 
unterliegen  können,  und  die  psychische  Ent- 
artung das  wichtigste  ätiologische  Moment 
der  Psychose  ausmacht.  Ich  glaube,  daß  es 
richtiger  wäre,  die  Entarteten  in  die  Mitte 
zwischen  Gesunde  und  Wahnsinnige  zu  stellen, 
solange  sie  nur  elementare  psychische  Störun- 
gen darstellen.    Die  Einteilung  der  Entarteten 


l)  Aus  der  genannten  Reihe  der  Krankheiten 
wäre  ich  geneigt,  einige  in  der  ersten  Gruppe  an- 
gefahrte, and  zwar  die  Basedowsche  and  Tnomsen- 
sche  Krankheit,  Paramyoclonas  multiplex,  Paralysis 
agitans,  das  Alterszittern,  Scleroderma,  wie  auch 
einige  organische  Leiden  des  Nervensystems,  wie 
Paralysis  progressiva,  die  Friedrichsche  Krankheit, 
die  infantile  Cerebrallahmunff,  zu  der  Gruppe  von 
Krankheiten  zu  zählen,  welche  wir  bei  den  ent- 
arteten Menschen  antreffen,  also  zu  derjenigen 
Kategorie,  zu  welcher  ich  die  Hysterie  und  die 
Neurasthenie  zähle.  Nur  eine  ausführliche  Erfor- 
schung der  Anamnese  und  eine  genaue  Beschrei- 
bung, in  welchem  Grade  diesem  Leiden  unter- 
liegende Personen  die  pathologische,  auf  die  Nach- 
kommenschaft übergehende  Erblichkeit  aufweisen, 
wie  auch  die  Stygmata,  können  uns  in  dieser  Hin- 
sicht zu  positiven  Resultaten  führen.  Dieses  dank- 
bare Feld  überlasse  ich  den  Neuropathologen.  Was 
solche  krankhaften  Erscheinungen  betrifft,  wie  Neur- 
algie, Asthma,  Tic,  Schreibkrampf,  so  halte  ich 
sie  nicht  für  besondere  Leiden,  sondern  zähle  sie 
zu  den  Störungen  in  den  physischen  Funktionen 
des  Nervensystems,  welche  auf  verschiedenen  Stufen 
der  Entartung  hervortreten. 


von  Fere  in  zwei  Zweige,  den  psychischen 
und  neuropathischen,.  ist  nicht  ganz  genau, 
wenn  wir  unter  diesem  Namen  Störungen 
im  Nervensystem  zusammen  mit  den  be- 
gleitenden Störungen  der  psychischen  Sphäre 
oder  ohne  dieselben  verstehen,  denn,  wie  der 
Autor  selbst  bemerkt,  finden  wir  oft  Ver- 
änderungen in  der  psychischen  Sphäre  bei 
Neurasthenikern  und  bei  Kranken,  welche» 
der  Basedowschen  Krankheit,  der  chronischen 
Chorea  und  andern  unter  dieser  Kategorie  sich 
befindenden  Störungen  unterliegen.  Rationeller 
scheint  mir  die  biologische  Klassifikation  von 
Dallemagne  zu  sein  mit  der  Bedingung, 
daß  hier,  mit  Ausnahme  der  psychischen 
mangelhaften  Entwickelung,  von  einem  quanti- 
tativen Unterschiede  nicht  die  Rede  sein 
kann;  denn  eine  genaue  Abgrenzung  der 
Komponenten  der  geistigen  Sphäre  ist  schwer 
durchzuführen,  und  die  Vernachlässigung  einer 
derselben  ruft  gewöhnlich  Störungen  in  den 
beiden  letzteren  hervor.  Indem  ich  die 
Klassifikation  dieses  Autors  mit  dieser  Be- 
dingung annehme,  möchte  ich  nur  hinzufügen, 
daß  man  überhaupt  beim  Erkennen  der  Ent- 
artung die  Aufmerksamkeit  auf  die  unbedingte 
und  zugleich  die  beständigste  Ursache  der- 
selben lenken  maß,  nämlich  auf  die  patho- 
logische Erblichkeit,  welche  bei  der 
mangelhaften  psychischen  Entwickelung  und 
der  Epilepsie  absolut  und  stark,  aber  bei 
der  Hysterie,  der  Neurasthenie,  wie  auch 
bei  den  Unequilibrierten  bedingungsweise  aus- 
gedrückt ist.  Die  Berücksichtigung  der  patho- 
logischen Erblichkeit  ist  aus  dem  Grunde 
wichtig,  weil,  wie  wir  dies  unten  sehen 
werden,  die  Entarteten  und  Unequilibrierten 
sehr  oft  wenig  dominierende  Stygmata,  be- 
sonders anatomische,  aufweisen,  oder  sie 
können  dieselben  gar  nicht  besitzen.  Im 
Einverständnis  damit  verstehe  ich  unter 
dem  Namen  psychische  Entartung 
eine  allgemeine  Benennung  für 
Kranke,  die  mit  der  pathologischen, 
auf  die  Nachkommenschaft  über- 
gehenden Erblichkeit  behaftet  sind, 
welche  verschiedene  Stufen  der  man- 
gelhaften psychischen  Entwickelung 
und  die  Fallsucht  umfaßt  (die  niedrigeren 
Entarteten),  die  Mehrzahl  der  Fälle  von 
Neurasthenie,  Hysterie  und  wahr- 
scheinlich auch  anderer  Leiden,  die 
ich  oben  erwähnte  (die  Entarteten),  wie 
auch   die   Unequilibrierten. 

In  der  Reihe  der  Entartungsursachen 
spielt  die  Lebenssphäre  eine  wichtige  Rolle 
(Mangel  der  Akklimatisation,  Armut,  der  Ge- 
sundheit schädliche  Berufe,  politische,  religiöse 
und  moralische  Erschütterungen,  schlechte 
Ernährung   der  Kinder,   wie  auch  frühzeitige 


354 


01tuts«wtkl,  Psychisch«  Entartung. 


rTher&peul 
L   Monatoh< 


Monatsheft* 


Arbeit  derselben),  vor  allem  jedoch  die 
pathologische  Erblichkeit  in  weiter  Be- 
deutung, also  nicht  nur  die  mangelhafte  psy- 
chische Entwickelung  in  gerader  Linie  und 
in  der  Seitenlinie  von  Geisteskranken  oder 
Ton  Personen  mit  beschränkter  Geistessphäre, 
sondern  auch  das  Vorhandensein  von  Fall- 
sucht, Hysterie,  Neurasthenie  oder  Gleich- 
gewichtslosigkeit  in  der  Familie.  Von  anderen 
Momenten  sind  zu  erwähnen:  Spätes  oder 
ungleiches  Alter  der  Eltern,  große  Nervosität 
derselben,  übermäßiger  Gebrauch  des  Alkohols, 
Vergiftung  mit  Morphium,  Quecksilber,  Blei 
u.  s.  w.  Vielen  Autoren  gemäß,  wie  Moreau 
(de  Tours),  Esquirol,  Grasset,  F6re  und 
andere,  umfaßt  der  Degenerationsbaum  mit 
seinen  Wipfeln  auch  konstitutionelle  Leiden ; 
denn  in  vielen  Fällen  wechseln  Diathese  und 
Entartung  gegenseitig.  Es  unterliegt  eben- 
falls keinem  Zweifel,  daß  die  erbliche  Lues 
ein  wichtiges  ätiologisches  Moment  vieler 
Entartungszustände  ausmacht. 

Die  Wichtigkeit  der  konstitutionellen 
Krankheiten  als  eines  weittragenden  ätio- 
logischen Momentes  verschiedener  Entartungs- 
zustände teile  ich  gänzlich,  und  bei  Kranken 
mit  Sprachstörungen,  deren  Eltern  mit  kon- 
stitutionellen Krankheiten  behaftet  waren 
oder  die  Syphilis  überstanden  hatten,  hatte 
ich  mehrfach  Gelegenheit,  die  Anzeichen  der 
Ausartung  zu  beobachten.  Ich  glaube,  daß 
eine  sorgfältige  Untersuchung  der  Kranken, 
von  welchen  die  Rede  ist,  zur  Aufklärung 
mancher  in  dieser  Hinsicht  noch  dunklen 
Frage  beitragen  kann9). 

Überhaupt  kann  die  pathologische  Erb- 
lichkeit, welche  besonders  grell  bei  den 
niedrigeren  Entarteten,  teilweise  auch  bei 
Hysterikern,  hervortritt,  in  den  nachfolgenden 
Generationen  sowohl  Geisteskrankheit,  als 
auch  mangelhafte  psychische  Entwickelung, 
Fallsucht,  Hysterie,  Paralysis  progressiva 
(und  auch  wohl  andere  organische  Leiden 
des  Nervensystems),  Neurasthenie,  wie  auch 
die  Gleichgewichtslosigkeit  verursachen. 

Außer  der  Lebenssphäre  und  der  patho- 
logischen Erblichkeit  muß  man  in  der  Ätio- 
logie der  Ausartung  ebenfalls  zufällige  Ur- 
sachen berücksichtigen.     Sie  können  direkt 


')  Kollege  E.  Z  i  e  1  i  n  s  k  i  bewies  in  seiner 
Arbeit:  Von  den  Abweichungen  im  Körperbau  bei 
Schwindsüchtigen,  in  einer  der  ärztlichen  polnischen 
Zeitungen  1901,  auf  Grund  sehr  vieler  Sektionen 
typische  Entartungszeichen  sowohl  im  Knochen- 
system wie  auch  in  den  inneren  Organen.  In  Bezug 
auf  diese  Daten  behauptet  Zielinski,  daß  wir 
bei  Entstehung  der  Schwindsucht  den  Bazillen  von 
Koch  nicht  die  alleinige  Rolle  zuschreiben  können, 
aber  die  Prognose  dieser  Krankheit  muß  man  mehr 
davon  abhängig  machen,  ob  wir  es  mit  einem,  ge- 
sunden oder  entarteten  Subjekt  zu  tun  haben. 


oder  indirekt  durch  die  Mutter  auf  die  Frucht 
wirken.  Einen  direkten  Einfluß  während  der 
Schwangerschaft  haben:  Trauma  oder  Krank- 
heit der  Frucht  (Entzündung  der  Meningen 
und  des  Gehirns,  Blutergießungen  im  Gehirn 
u.  s.  w.),  indirekt  dagegen  eine  überstandene 
ansteckende  Krankheit  der  Mutter  oder  eine 
moralische  Erschütterung  derselben.  Während 
der  Geburt  existieren  viele  zufällige  Ursachen, 
wie  vorzeitige,  erschwerte  oder  unregelmäßige 
Geburt.  Schließlich  können  zufällige  Ursachen 
auch  nach  der  Geburt  des  Kindes  wirken, 
wie  Verletzungen  des  Kopfes,  Hirnleiden, 
starke  Erschütterungen  u.  s.  w.  Den  oceasio- 
nellen  Ursachen,  wie  Vergiftungen  durch  ver- 
schiedene schädliche  Substanzen,  ansteckenden 
Krankheiten,  moralischen  Erschütterungen, 
anstrengender  geistiger  Arbeit,  Verletzungen 
u.  s.  w.  schreiben  wir  bei  den  Entarteten  und 
Unequilibrierten  eine  noch  weittragendere  Be- 
deutung zu. 

Abgesehen  von  dieser  scheinbaren  doppel- 
ten Ätiologie  herrscht  bei  der  psychischen 
Entartung  die  Erblichkeit,  wenn  auch  in  un- 
gleichem Grade,  vor,  denn  die  zufällige  Aus- 
artung trifft  fast  immer  auf  einen  mehr  oder 
weniger  vorbereiteten  Boden,  und  die  Aus- 
artung erscheint  nicht  als  Erfolg  einer  augen- 
blicklichen Erblichkeitswirkung,  sondern  als 
ein  angehäufter  und  langwieriger  Einfluß  der- 
selben. Es  versteht  sich,  daß  die  erworbene 
Neurasthenie,  die  Gleichgewichtslosigkeit,  sel- 
tener schon  die  Hysterie  auch  bei  Personen 
vorkommen  können,  die  nicht  mit  dem  Erb- 
lichkeitsmoment behaftet  sind,  bei  ungünstigen 
Bedingungen  jedoch  kapitalisiert  sich  die 
Erblichkeit  immer  mehr  und  gibt  in  den 
nachfolgenden  Generationen  vielmal  Zinsen 
unter  der  Gestalt  der  Gleichgewichtslosigkeit, 
Entartung  und  Ausartung. 

Die  allerwichtigsten,  allen  Entarteten  ge- 
meinschaftlichen Erscheinungen  sind  die  für 
jede  Kategorie  verschiedenen  Stigmata:  die 
anatomischen,  physiologischen,  eventuell  psy- 
chischen und  sozialen. 

Die  anatomischen  Stigmata  beziehen 
sich  hauptsächlich  auf  Abweichungen  im  Ge- 
hirn- und  Rückenmarksystem  und  im  Skelett 
(Knochen  des  Schädels,  des  Gesichts,  der 
Wirbelsäule  und  der  Extremitäten).  Beson- 
ders sind  sie  bei  Idioten  und  Kretins  aus- 
gedrückt, weniger  deutlich  erscheinen  sie  bei 
Schwachsinnigen,  Vernachlässigten  und  anderen 
Ausartungskategorien.  Die  Veränderungen  im 
Hirn-Rückenmarksystem,  welche  ich  bei  Be- 
schreibung der  psychischen  mangelhaften  Ent- 
wicklung berücksichtigte,  sind  verhältnismäßig 
am  besten  bearbeitet.  Zu  den  Anomalien 
des  Skeletts  zählen  wir:  die  anormalen 
Messungen   des   Kopfes,    die  fehlerhafte   Ge- 


XIX.  Jahrgang .1 
Jall  1905.     J 


Oltutsawikl,   Psychische  Entartung. 


355 


staltung  desselben,  das  anormale  Verhältnis 
des  Kopfes  zum  Gesicht,  Asymmetrien  des 
Gesichts  (welche  sich  hauptsächlich  durch 
einen  ungleichen  Umfang  der  Augenhöhlen, 
wie  auch  durch  ein  ungleiches  Hervortreten 
der  Jochbeine  und  Augenbrauenbogen  charak- 
terisieren), den  Prognatismus  (der  auf  dem 
Hervorstehen  des  Oberkiefers  beruht),  die 
starke  Entwicklung  des  Unterkiefers,  den 
Mangel  einer  regelmäßigen  Schließung  des 
Oberkiefers  mit  dem  Unterkiefer  (übermäßiges 
Hervorstehen  des  Ober-  oder  Unterkiefers), 
die  Umfangs  Verminderung  des  Unterkiefers, 
die  Unregelmäßigkeiten  des  harten  Gaumens, 
wie  ein  zu  schmaler  oder  zu  breiter,  ein 
platter,  bogenartiger,  asymmetrischer  Gaumen, 
die  Verkürzung  seiner  Lange  und  Breite  und 
Spaltung  desselben,  die  Anomalien  im  Zahn- 
system, wie  Doppelzähne,  unvollkommene 
Zahl  derselben,  gestreifte  Zähne,  spina  bifida 
und  verschiedene  Krümmungen  der  Wirbel- 
säule, Abweichungen  in  der  Gestaltung  des 
Brustkastens,  Anomalien  der  Gestaltung  und 
Proportion  der  Gliedmaßen,  wie  Polydaktylia, 
Syndaktylia,  Mangel  der  Finger,  zu  große 
oder  zu  kleine  obere  und  untere  Extremitäten 
im  Verhältnis  zum  Körper,  veränderte  Pro- 
portion der  Finger,  Anomalien  in  den  Ge- 
lenken, eventuell  in  den  Sehnen,  wie  Luxa- 
tionen, Ankylosen,  Deviationen,  Verstümme- 
lungen der  Hand  und  des  Fußes,  wie  auch 
den  Plattfuß. 

Zu  den  anatomischen  oder  physio- 
logischen Anzeichen  in  anderen  Organen 
gehören:  die  angeborene  Taubheit,  die  Ver- 
unstaltung der  Ohren ;  Mangel  der  Augenlider, 
zu  kurze  Augenlider,  Spaltung  und  aufge- 
wickelte Ränder  derselben,  Umfangsverände- 
rung  des  Augapfels,  Veränderung  der  Größe 
und  Konvexität  der  Hornhaut,  Anomalien  in 
der  Färbung  der  Regenhaut,  Spaltungen 
derselben,  Unregelmäßigkeit  der  Pupillen, 
angeborener  weißer  Star,  Anomalien  in  der 
Krümmung  der  Linse,  Veränderungen  der 
Warzen  des  Sehnervs  und  der  Retina  (Reti- 
nitis pigmentosa),  das  Schielen  (auf  Grund 
der  angeborenen  Hypermetropie),  Nystagmus, 
das  ungenaue  oder  fehlende  Entfernungs-  und 
Erbabenheitsgefühl,  die  Farbenblindheit;  eine 
zu  breite  oder  zu  schmale  Öffnung  des  Mundes, 
zu  kurze  oder  zu  große  Lippen,  die  Hasen- 
scharte, Makroglossia  oder  Mikroglossia,  die 
Spaltung  des  weichen  Gaumens  oder  des 
Zäpfchens,  verspätete  oder  zu  frühe  Entwick- 
lung der  Zähne,  der  Speichelfluß;  Mangel 
der  Nase  oder  eine  zu  große  Nase,  Mangel 
des  Nasenseptums  oder  anderer  Nasenknochen, 
Seitenkrümmungen ;  Abweichungen  der  Brüste ; 
ein  zu  großer  Leib,  Bruchfälle,  Gefräßigkeit, 
Wunderlichkeit  im   Geschmack,   Merycismus; 


eine  unregelmäßige  Beharung  der  Haut  und 
der  unangenehme  Geruch  derselben,  Übermaß 
des  Fettgewebes,  Naevi  materni;  Anomalien 
in  den  Geschlechtsorganen:  Krümmung  des 
Penis,  Phimosis,  Hypospadiasis,  Epispadiasis, 
Hermaphroditismus.  Kryptorchismus,  Varico- 
cele,  Masculinismus,  Feminismus,  Infantilis- 
mus, Androginismus  (die  Zustände,  welche 
sich  oft  mit  Abweichungen  in  den  Geschlechts- 
organen bei  Männern  verbinden),  verspätete 
Reife  bei  Knaben;  verspätetes  Gehen,  welches 
mit  der  zurückgehaltenen  Evolution  der  Py- 
ramidalbahn in  Verbindung  steht,  wie  auch 
die  Linkshändigkeit. 

Eine  besondere  Notiz  verdient  die  bei 
den  Entarteten  oft  hervortretende  Gleich- 
gewichtslosigkeit  in  den  physischen  Funktionen 
der  sensorisch -motorischen  Zentren,  wahr- 
scheinlich wegen  schlechter  Ernährung  der- 
selben, welche  sich  in  der  Neigung  zu 
Zuckungen,  Krämpfen  (Tic,  Schreibkrampf, 
Tetania,  Torticolis  neuropathique  u.  s.  w.), 
verschiedenen  Schmerzen,  Parästhesie,  An- 
ästhesie, wie  auch  zu  Anomalien  in  den 
Funktionen  vasomotorischer  Nerven  ausdrückt. 

In  gleichem  Maße  wie  die  anatomischen 
und  physiologischen  Stigmata  zeichnen  psy- 
chische die  Ausartungszustände  aus,  und 
zwar:  die  Reizbarkeit,  das  heißt  Anomalien 
in  der  motorischen  Sphäre  und  in  den  Tätig- 
keiten psychischer  Entstehung,  welche  den 
Mangel  psychischen  Gleichgewichts  verraten, 
als  ein  Abglanz  des  Verlustes  des  Gefühls- 
gleichgewichts, wie  auch  von  Anomalien  in 
der  Sphäre  der  Erschütterungen  und 
Intelligenz  (Phobien,  Verfolgungsideen). 

Einige  von  diesen,  in  der  motorischen 
Sphäre  und  in  den  Tätigkeiten  einigermaßen 
unbewußten  und  automatischen  Anomalien, 
die  meistens  bei  den  niedrigeren  Ausgearteten 
vorkommen,  führen  zur  Gefräßigkeit,  ver- 
schiedenen geschlechtlichen  Verkehrtheiten, 
wie  Blutschande,  Tribadismus,  Onanie  u.  8.  w., 
wie  auch  zu  Verbrechen,  so  der  Trieb  zum 
Totschlag,  zur  Brandlegung,  zum  Diebstahl 
u.  s.  w.,  andere  eigentliche  impulsive,  ob- 
gleich selbstbewußte  Tätigkeiten  werden 
dennoch  auf  unbewußte  Weise  ausgeführt, 
und  wenn  sie  auch  oft  den  Schein  des  Ver- 
brechens haben,  unterscheiden  sie  sich  dennoch 
durch  einen  weniger  offensiven  Charakter, 
wie  Dipsomanie,  Sitiomanie,  Onomatomanie, 
Arithmomanie  u.  s.  w.  Schließlich  führen  andere 
eigentliche  Zwangstätigkeiten,  die  vielmehr 
als  wunderlicher  Charakter  angesehen  werden, 
selten  zu  Verbrechen,  wie  die  Vorliebe  zum 
Spiel,  zu  Einkäufen  u.  s.  w. 

Wenn  die  Reizbarkeit  hauptsächlich  im 
Reiche  der  Erschütterungen,  teilweise  in  der 
intellektuellen    Sphäre   bleibt,    so   haben   wir 


356 


Oltmsawtki,   Psychisch«  Bot  Artung. 


rTherapentisefe* 
L   Monatshefte. 


verschieden  krankhafte  Befürchtungen  (Pho- 
bien), die  mit  dem  Gefühle  des  Schrecks 
verbunden  sind.  Hierher  gehört  die  Furcht 
vor  dem  offenen  Räume  (Agoraphobie)  und 
die  dazu  gehörende  Akrophobie  und  Kreno- 
phobie,  oder  vor  dem  geschlossenen  Räume 
(Klaustrophobie),  ferner  die  Furcht  vor  dem 
Wasser  und  allen  Flüssigkeiten,  die  Furcht 
vor  der  Kälte,  der  Zugluft,  dem  Blitz,  dem 
Feuer,  vor  Dieben,  dem  Gedränge,  Tieren, 
Krankheiten,  Leichen,  dem  Lebendigbegraben- 
sein,  dem  Tode,  endlich  die  Furcht  vor  der 
Einsamkeit  und  die  Menschenscheu.  Die 
Reizbarkeit  in  der  Gedankensphäre  drückt  sich 
durch  die  Zwangsideen  aus3),  wie  die  Nei- 
gung, Zweifel  zu  hegen,  die  Zwangsidee  der 
Antivivisektionisten,  der  moralischen  Skrupel, 
der  Gewissensbisse,  des  Wissensbedürfnisses 
in  pathologischen  Umrissen  u.  s.  w.  Die 
Verwirrungen  der  Erschütterungen  und  der 
Intelligenz  belästigen  die  Mehrzahl  der 
Neurastheniker,  Hysteriker  und  Unequili- 
brierten,  und  da  sie  gewisse  Grenzen  nicht 
überschreiten,  stören  sie  den  Gedankenmecha- 
nismus nicht. 

Es  charakterisiert  die  Entarteten  sowohl 
die  Reizbarkeit  des  Nervensystems,  wie  auch 
eine  gewisse  Depression  seiner  Funktionen. 
Hierher  zählen  wir  außer  den  bezüglichen 
Erscheinungen  bei  der  psychischen  mangel- 
haften Entwicklung  die  Zustände  der  Be- 
drücktheit, der  Apathie  und  mancherlei 
Grade  von  Willenlosigkeit,  die  auf  verschie- 
denen Stufen  der  Degenerationsleiter  vor- 
kommen. 

Die  sozialen  Anzeichen  sind  auf  zwei 
Grundfaktoren  der  Gesellschaftsordnung  ge- 
richtet: die  Achtung  der  Person  und  des 
Eigentums,  und  drücken  sich  auch  im  Mangel 
der  Fähigkeit  aus,  sich  den  Bedingungen  des 
gesellschaftlichen  Lebens  anzupassen.  Unter 
den  Entarteten  höheren  Grades  finden  wir 
antisoziale  Wesen  (Kriminalisten,  Vagabunden) 
und  Gesellschaftslose  (Idioten),  unter  den  Aus- 
artenden und  Gleichgewichtslosen  aber  Gesell- 
schaftswidrige oder  solche,  mit  denen  es 
schwer  ist,  zusammenzuleben. 

Zu  den  wichtigen  Anzeichen  der  Ent- 
artung zähle  ich  ebenfalls  die  Sprach- 
störungen, wovon  weiter  unten. 

Bei  der  Erkennung  der  Stigmata,  be- 
sonders der  anatomischen,  machen  wir  vor 
allem  eine  Ausnahme  der  ethnischen  Eigen- 
tümlichkeiten, gewisser  Varietäten,  die  jeder 
Rasse,  ja  sogar  verschiedenen  Gesellschafts- 
schichten  eigen   sind,    wie   auch   von   Verän- 


3)  Die  Zwangsideen  können  zu  unfreiwilligen 
Tätigkeiten  oder  Reden  führen,  wie  die  Onomato- 
manie, die  Arithmomanie  u.  s.  w. 


derungen,  die  durch  einen  mechanischen 
Grund  entstanden  sind.  Jedem  der  Anzeichen, 
einzeln  genommen,  schreiben  wir  keine  über- 
aus große  Bedeutung  zu,  sondern  allein  einer 
gewissen  Anhäufung  derselben.  Zu  den  be- 
ständigsten anatomischen  Anzeichen  zählen 
wir:  die  Verunstaltung  des  Schädels,  die 
Asymmetrie  des  Gesichts,  den  Prognatismus, 
die  Veränderungen  des  harten  Gaumens,  die 
Abweichungen  in  der  Wirbelsäule,  die  Flecken 
in  der  Iris,  die  Abweichungen  in  den  Ge- 
schlechtsorganen, wie  auch  den  Feminismus, 
Masculinismus  und  Infantilismus.  Ferner 
darf  man  bei  der  Erkennung  der  Degeneration 
nicht  die  physiologischen,  psychischen  und 
sozialen  Anzeichen  übergehen,  wie  auch  das 
überaus  wichtige  Erblichkeitsmoment,  dessen 
Tätigkeit  sich  in  den  nachfolgenden  Gene- 
rationen zeigt.  Schließlich  lenken  wir  die 
Aufmerksamkeit  auf  die  Dissoziation,  welche 
zwischen  der  Ausartung  und  den  anatomischen 
Anzeichen  vorkommen  kann.  Dies  kann  be- 
sonders bei  vielen  Idioten  und  Epileptikern 
stattfinden,  bei  welchen  die  Ausartung  nicht 
wegen  der  angehäuften  Erblichkeit  erscheint, 
sondern  als  Folge  der  Veränderungen,  welche 
im  Leben  des  Embryo,  während  der  Schwanger- 
schaft, oder  kurz  nach  der  Geburt  entstanden 
sind.  Eben  bei  dieser  Kategorie  von  Aus- 
gearteten können  die  anatomischen  Anzeichen 
fehlen.  Die  Berücksichtigung  der  angeführten 
Hinweise  bewahrt  uns  vor  Fehlern  in  der 
Diagnose.  [aehiuf*  folgt.] 

Über  die 

angeblichen  Gegrenindlkationen  für  die 

Anwendung:  des  Chloralhydrats  allein 

und  In  Verbindung-  mit  Morphium  auf 

Grund  von  eigenen  Beobachtungren, 

Von 
Dr.  H.  Kühn  in  Hoya  a.  W. 

Bei  der  Behandlung  von  zwei  schweren 
Krankheitsfallen,  die  eine  ein-  bis  mehr- 
monatliche Darreichung  eines  Beruhigungs- 
mittels in  dem  einen  Falle  wegen  der  großen 
Beschwerden  des  Patienten,  in  dem  anderen 
wegen  großer  augenblicklicher  Lebensgefahr 
des  Patienten  in  Erfüllung  der  Indicatio 
vital is  absolut  notwendig  machten,  konnte 
ich  über  das  „alte"  Schlafmittel,  wie  man 
heutzutage  bei  dem  schnellen  Wechsel  dieser 
Mittel  wohl  sagen  kann,  das  Chloralhydrat, 
allein  wie  in  Verbindung  mit  Morphium  ge- 
geben, Erfahrungen  sammeln,  die  direkt  ent- 
gegenstehen den  üblichen  landläufigen  An- 
gaben in  den  Lehrbüchern  und  sonstigen  ge- 
legentlichen Veröffentlichungen  über  Indika- 
tionen und  Gegenindikationen  bei  Gebrauch 
des    Chloralhydrats    allein    sowie    zusammen 


XIX.  Jahrgang. 
Juli  1905. 


'] 


Kühn,   G«g«oindlkatloD«n  für  die  Anwendung  des  Chloralhydrat!. 


357 


mit  Morphium.  Dieselben  erscheinen  mir 
deshalb  mitteilenswert.  Ich  skizziere  zu- 
nächst kurz  den  ersten  Fall  mit  genauer  An- 
gabe der  verbrauchten  Mengen  der  genannten 
Arzneimittel. 

1.  E.  J.,  55  Jahre  alt,  von  mittlerer  Größe  and 
schlanker  Gestalt,  war  nach  seiner  Angabe  seit 
ca.  5  Jahren  nicht  mehr  so  gut  gestellt  wie  früher, 
er  war  weniger  leistungsfähig  und  leichter  kurz- 
atmig bei  seiner  Arbeit  als  Schlossermeister.  Mitte 
1902  war  er  das  erstemal  einige  Wochen  bettlägerig 
krank.  In  meiner  eigenen,  öfter  mit  anderen 
Kollegen  geteilten  Beobachtung  und  Behandlung 
stand  Patient  vom  14.  II.  bis  21.  III.  1903,  9.  bis 
15.  VII.  1903  und  zuletzt  vom  26.  X.  1904  bis 
31.  III.  1905,  d.  h.  bis  zu  seinem  an  diesem  Tage 
erfolgten  Tode.  Er  klagte  über  Luftmangel,  Schwache 
und  schwere  asthmatische  Anfälle.  Die  angewandte 
Digitalistherapie  linderte  seine  Beschwerden  fast 
stets  recht  gut,  doch  wohl  ein  Beweis,  daß  ihre 
Ursache  im  Herzen  zu  suchen  war,  worauf  auch 
die  objektive  Untersuchung  hinwies:  unregelmäßiger, 
kleiner,  frequenter,  oft  aussetzender  Puls,  sehr  stark 

Seschlängelte  Schläfearterien,  Auftreten  sehr  quälen- 
er,  beängstigender  Anfalle  von  hochgradiger  Kurz- 
atmigkeit, kaltem  Schweiß,  dabei  oft  Schmerzen  in 
der  Herz-  und  Magengegend,  welche  letztere  dann 
deutlich  blasig  aufgetrieben  war.  Kurz  es  bestand 
das  bekannte  Bild  der  Angina  pectoris  infolge  von 
allgemeiner  Arteriosklerose.  Die  Insuffizienz  des 
Herzens  nahm  allmählich  immer  mehr  zu.  Besonders 
schlimm  waren  während  der  ersten  2—3  Monate  seit 
Beginn  der  letzten  Erkrankung  die  Nächte  durch 
die  schweren  Asthmaanfalle,  so  daß  Pat.  kaum  ins 
Bett  kam  und  sehr  schwer  litt.  Etwa  Januar  1905 
stellten  sich  an  den  Fußen  anfangende  und  all- 
mählich immer  mehr  zunehmende  Ödeme  ein,  die 
besonders  auf  der  rechten  Seite  noch  starker  waren 
als  auf  der  linken,  weil  Pat  auf  ersterer  mehr  lag; 
Eiweißgehalt  im  Urin  nach  Essbach  3— 4%o« 
Da  eine  erfolgreiche  kausale  Therapie  nach  Ver- 
sagen der  Digitaliswirkung  unter  diesen  Verhält- 
nissen kaum  möglich  war,  so  galt  es  vor  allem, 
dem  Schwerkranken  seine  vielen  und  großen  Leiden 
nach  Möglichkeit  zu  erleichtern,  sowohl  während 
des  Tages  als  besonders  während  der  Nacht.  Dies 
habe  ich  denn  auch  nach  meinem  pflichtmäßigen 
Ermessen  getan.  Die  Mengen  des  verabreichten 
Cbloralhydrats  und  Morphiums  ergibt  folgende 
Tabelle: 

Menge  dea  verordneten 
Chloralhydrati        und       Morphiums 

5,0 :  100,0  Solution  — 

5,0:100,0  -  — 

5,0:100,0  -  0,06 

5,0:100,0  -  0,1 

5,0:100,0  -  0,1 

5,0:100,0  0,1 

8,0:200,0  -  0,2 

8,0:200,0  -  0,2 

8,0:200,0  0,2 

8,0:200,0  0,2 

8,0:200,0  -  0,2 

8,0:200,0  -  0,2 

8,0:200,0  -  0,2 

8,0 :  200,0  -  0,3 

8,0 :  200,0  -  0,3 

8,0 :  200,0  -  0,3 

8,0:200,0  -  0,3 

8,0:200,0  -  0,3 

8,0:200,0  -  0,3 

16,0 :  400,0  -  0,6 

16,0 :  400,0  -  0,6 

16,0:400,0  -  0,7 


Tag  der  Verordnung 

8.  Nov. 

1904 

2.  Dez. 

- 

5.  Jan. 

1905 

6.  Febr. 

- 

10.       - 

-  ~ 

14.       - 

- 

16.       - 

- 

20.       - 

- 

23.       - 

- 

25.      - 

- 

27.       - 

- 

1.  März 

- 

5.     - 

- 

8.     - 

- 

12.     - 

- 

14.     - 

- 

16.     - 

- 

18.     - 

- 

20.     - 

- 

20.     - 

- 

23.     - 

- 

25. 

- 

Th-K.  190». 

Im  ganzen  sind  also  verbraucht  worden  vom 
8.  XI.  1904  bis  31.  III.  1905  182,0  g  Chloralhydrat 
und  5,46  g  Morphin,  mar.  und  zwar  verteilen  sich 
diese  Quantitäten  auf  die  einzelnen  Monate  in 
folgender  Weise: 


Chloralhydrat 

Morphii 

8.  November  1904 

5,0 



2.  Dezember 

5,0 



5.  Januar        1905 

5,0 

0,06 

1.— 28.  Febr.     - 

55,0 

1,3 

1.— 31.  März      - 

112,0 

4,1 

Es  kommen  also  durchschnittlich  auf  den  Tag 
im  Februar  1,96  g  Chloralhvdrat  und  0,046  g  Mor- 
phium und  im  März  auf  den  Tag  3,61  g  Chloral- 
hydrat und  0,132  g  Morphium. 

Der  Erfolg  dieser  Medikation  war  ein  sehr 
günstiger.  Wenn  auch  natürlich  das  schwere  Herz- 
leiden seinen  ungehemmten  Fortschritt  nahm,  so 
wurden  doch  die  großen  subjektiven  Beschwerden 
dem  Pat.  sehr  erleichtert,  teilweise  ganz  genommen. 

„Wenn  ich  nicht  so  geschwollen  wäre,  so  fühlte 
ich  mich  ganz  wohl",  das  waren  oft  die  Worte  des 
Pat.  Ich  habe  sogar  den  Eindruck  gehabt,  daß 
durch  die  infolge  der  Arzneiwirkung  eingetretene 
allgemeine  Beruhigung  mit  ihrem  günstigen  Einfluß 
auf  den  ganzen  körperlichen  und  seelischen  Zustand 
des   Pat.  das   Leben    desselben    eher    länger   hin- 

f  ehalten  als  abgekürzt  wurde.  Jedenfalls  wurde  der 
leine,  frequente,  unregelmäßige  Puls  mit  der  all- 
gemeinen Beruhigung  auch  ruhiger;  auch  der  Appetit 
wie  die  Verdauung  m  wurden  in  keiner  Weise  un- 
günstig beeinflußt.  Überhaupt  habe  ich  auch  andere 
ungünstige  Arzneiwirkungen  nicht  beobachten  kön- 
nen. Denn  wenn  Pat.,  der  fast  bis  zu  Ende  ziem- 
lich klar  im  Kopfe  war,  in  letzter  Zeit  ab  und  zu 
leichte  Gehörshalluzinationen  hatte  und  vorüber- 
gehend nicht  orientiert  war,  so  können  dies  wohl 
Folgen  der  Arzneien,  aber  auch  der  fortschreitenden 
Krankheit  sein. 

Morphium  subkutan  einverleibt,  hatte  ich  natür- 
lich zuerst  probiert  zur  Linderung  der  Angina 
pectoris.  Der  augenblickliche  Erfolg  war  gut,  aber 
der  Katzenjammer  danach  war  so  groß,  daß  Pat. 
diese  Behandlung  verweigerte.  So  versuchte  ich 
dann  mit  dem  eben  beschriebenem  Erfolge  das 
Chloralhydrat  mit  Morphium. 

Fassen  wir  jetzt  die  Erfahrungen  vor- 
liegenden Falles  kurz  zusammen,  so  haben 
wir  es  hier  mit  einem  schweren  organischen 
Herzleiden,  Arteriosklerose  mit  Myokarditis 
zu  tun,  bei  dem  das  Chloralhydrat  in  Ver- 
bindung mit  Morphium  als  Schlaf-  und  Be- 
ruhigungsmittel zwei  Monate  lang  in  beträcht- 
lichen Gaben,  besonders  während  eines  Mo- 
nates gegeben,  sich  ganz  vorzüglich  bewährte, 
ohne  einen  in  die  Augen  fallenden  Schaden 
anzurichten. 

Im  Gegensatz  zu  dieser  meiner  Erfahrung 
sprechen  sich  Lehrbücher  über  Arzneimittel- 
lehre und  andere  Veröffentlichungen  wesent- 
lich anders  aus  über  die  Anwendung  des 
Chlorais  allein  und  in  Verbindung  mit  Mor- 
phium. So  heißt  es  z.  B.  in  dem  Artikel 
Chloralhydrat  in  Eulenburgs  Realenzyklo- 
pädie (III.  Aufl.,  Bd.  IV,  S.  510):  „Große 
Vorsicht  erfordert  die  Anwendung  des  Chloral- 
hydrats bei  allen  organischen  Erkrankungen 
des  Herzens  und  der  Respirationsorgane 
(Liebreich  u.  a.)a.    Das  schon  etwas  ältere 


358 


Kühn,  G«genlDdikationen  für  die  Anwendung  des  Chloralbydrata. 


rTherapcntiwfe» 
L   Monatshefte. 


Lehrbuch  der  Arzneimittellehre  von  Harnack 
vom  Jahre  1883  sagt  auf  S.  591:  „Die  Ein- 
wirkung, welche  die  Glieder  der  Chlorai- 
gruppe  auf  die  Zirkulation  ausüben,  invol- 
vieren auch  für  die  arzneiliche  Anwendung 
des  Chlorals  eine  nicht  unerhebliche  Gefahr, 
so  daß  man  infolgedessen  nicht  nur  mit  den 
Dosen  vorsichtiger  geworden  ist,  sondern 
überhaupt  die  therapeutische  Verwendung  des 
Mittels  sehr  eingeschränkt  hat  .  .  .  .  Man 
hat  früher,  namentlich  nach  dem  Vorgange 
von  Liebreich,  entschieden  zu  große  Dosen 
angewendet,  was  sich  jetzt  als  unnötig 
herausgestellt  hat  .  .  .  Die  Gefahr  einer 
Herzlähmung  wird  natürlich  vergrößert,  wenn 
schon  vorher  Herzschwäche,  z.  B.  infolge  von 
fettiger  oder  atheromatöser  Degeneration, 
Klappenfehler  u.  s.  w.  besteht,  und  man  ver- 
meidet daher  in  den  letzten  Fällen  den 
Gebrauch  des  Chlorals  gänzlich a.  Auch  von 
den  Verdauungsstörungen,  von  denen  Har- 
nack auf  S.  589  seines  Buches  sagt:  „Es 
ist  wohl  verständlich,  daß  bei  anhaltendem 
Gebrauch  selbst  kleiner  Chloralmengen  recht 
beträchtliche  Verdauungsstörungen  auftreten 
können",  habe  ich  in  meinem  Falle 
nichts  beobachten  können.  Endlich  heißt  es 
im  Artikel  kardiales  Asthma  in  Eulenburgs 
Realenzyklopädie  (Bd.  II,  S.  391):  „Im 
Gegensatz  zum  Morphium  wird  das  Chloral 
von  der  Mehrzahl  der  Herzkranken  schlecht 
vertragen  und  darf  daher  nicht  wie  beim 
Bronchialasthma  ohne  weiteres  als  Ersatz 
desselben  betrachtet  werden.  Es  scheint  dies 
auf  der  ungünstigen  Beeinflussung  der  Herz- 
tätigkeit durch  das  Mittel  zu  beruhen,  welches 
die  Pulsfrequenz  steigert  und  dabei  zugleich 
den  arteriellen  Druck  herabsetzt*4. 

So  weit  die  entgegenstehenden  Angaben 
aus  der  mir  zur  Hand  befindlichen  Literatur. 

Daß  übrigens  die  ungünstige  Beeinflussung 
des  Herzens  durch  Chloral  auch  sonst  nicht 
so  sehr  zu  fürchten  ist,  wie  meist  angegeben 
wird,  beweisen  nach  meinem  Erachten  die 
von  allen  Seiten  anerkannten  Erfolge  der 
Chloralbehandlung  des  Delirium  tremens  und 
der  akuten  alkoholischen  Geistesstörungen, 
Erkrankungen,  bei  denen  der  Puls  wie  das 
Herz  alles  andere  als  normal  und  kräftig 
sind.  Auch  hierfür  kann  ich  eine  eigene  Er- 
fahrung kurz  anführen. 

2.  Vom  19.VI.-31.VUI.  1903  behandelte  ich 
im  hiesigen  Kranken  hause  den  Landwirt  St.  wegen 
schwerster  alkoholischer  akuter  Psychose.  Es  be- 
stand hochgradige,  motorische  Unruhe  bei  dem  Pat., 
der  vollständig  geistesabwesend  war  und  seine  Um- 
gebung nicht  kannte;  er  ist  kaum  im  Bett  zu  halten 
und  läßt  Stuhl  und  Urin  unter  sich.  Nahrungs- 
aufnahme sehr  gering.  Pupillen  waren  eng;  Puls 
ist  meist  kaum  zu  fühlen,  sehr  frequent  und  fein. 
Die  Gefahren  drohenden  Herzkollapses  waren  oft 
sehr  groß.    Dieser  Kranke  erhielt  taglich  ein  Voll- 


bad  und   außerdem    folgende  Gaben  Chloral   und 
Morphium  : 

19.  Juni  1903    10,0  Chloral 
23.     -       -        10  0       - 


30.     - 
11.  Juli 
17.    - 


10,0 
10,0 
10,0 
10,0 


-  und  0,07  Morph. 

-  -    0,07       - 


2  © 


Derselbe  verbrauchte  also  im  ganzen  in 
ca.  32  Tagen  60,0  g  Chloral  und  0,14  g 
Morphium,  und  zwar  40,0  Chloral  in  12  Tagen 
oder  3,3  Chloral  täglich  yom  19.— 30.  VI. 
und  20,0  Chloral  und  0,14  Morphium  in 
20  Tagen  oder  1,0  Chloral  täglich  vom 
1. — 20.  VII.  Die  beruhigende  Wirkung  im 
Verein  mit  den  täglichen  Bädern  war*  eine 
sehr  gute,  natürlich  in  dem  vorliegenden 
äußerst  schweren  Falle  erst  mehr  allmählich 
eintretende.  Am  31.  August  1903  wurde 
Pat.  mit  einer  Gewichtszunahme  von  fast 
20  Pfund  entlassen.  Eine  schädigende  Chlo- 
ralwirkung  auf  das  hier  äußerst  gefährdete 
und  geschwächte  Alkoholikerherz  wäre  wohl 
sehr  leicht  möglich  gewesen,  ist  aber  nicht 
eingetreten;  im  Gegenteil,  mit  der  zunehmen- 
den allgemeinen  Beruhigung  beruhigte  sich 
auch  die  Herztätigkeit  und  wurde  wieder 
kräftiger.  Auch  die  von  Aufrecht  ge- 
fürchtete Kombination  von  Chloral  mit  Mor- 
phium bei  Alkoholikern  war  in  diesem  Fall 
unschädlich.  Ersterer  schreibt  nämlich:  „Auf 
das  eindringlichste  aber  muß  ich  vor  dem 
Zusatz  von  Morphium  zum  Chloral  warnen; 
ich  halte  diese  Kombination  für  lebens- 
gefährlich" (bei  Behandlung  der  Alkoholiker) 
(Therapeut.  Monatshefte  1888,  S.  54). 

Die  mitgeteilten  zwei  Fälle  sind  meiner 
Meinung  nach  wohl  geeignet,  die  bisherige 
Annahme  von  der  Gefährlichkeit  des  Chlorals 
bei  Herzkranken  ins  Wanken  zu  bringen  oder 
mindestens  diese  Annahme  einer  erneuten 
Prüfung  zu  unterziehen.  Freilich  sind  es 
bloß  zwei  Fälle,  aber  charakteristisch  sind 
die  Fälle;  und  so  konnte  mancher  sagen,  Aus- 
nahmen bestätigen  die  Regel.  Möglich  ist 
aber  auch,  daß  die  bisherige  Regel  falsch 
ist  und  einer  anderweiten  Fassung  bedarf. 
Zu  Beobachtungen  in  diesem  Sinne  Praktiker 
und  Kliniker  anzuregen,  sollte  der  Zweck 
vorstehender  Mitteilung  sein. 


Die 

Behandlung  der  Kehlkopttuberkulose. 

Von 

Dr.  Hamm  in  Braunschweig. 

Vortrag,  gehalten  im  Ärztl.Verein  am  31.  XI.  1903. 

Während  man  in  den  ersten  Zeiten  der 
Laryngologie  die  Kehlkopftuberkulose  als 
den    Anfang    vom    Ende    anzusehen    pflegte 


XIX.  Jahrgang/) 
Juli  19Q5.     J 


Hamm,  Behandlung  6mt  Keblkopftuberkuloi«. 


369 


and  der  Krankheit  ziemlich  ratlos  gegen- 
überstand, trat  mit  den  80  er  Jahren  des 
vorigen  Jahrhunderts,  hauptsächlich  durch 
die  Bemühungen  von  Moritz  Schmidt, 
Heryng  und  Krause,  ein  gewaltiger  Um- 
schwung ein,  und  zwar  nach  der  operativen 
Seite  hin,  sodaß  zeitweise  die  Behauptung 
aufgestellt  wurde,  daß  jede  Kehlkopftuber- 
kulose chirurgisch  behandelt  werden  müßte, 
und  es  ist  noch  gar  nicht  lange  her,  daß 
die  Meinung  ausgesprochen  wurde,  die 
Schwere  der  Lungenerkrankung  komme  für 
Eingriffe  am  Kehlkopf  nicht  in  Betracht. 
Die  Kehlkopftuberkulose  ist  nämlich  fast 
immer  eine  sekundäre,  und  zwar  tritt  sie 
gewöhnlich  im  Gefolge  einer  Lungenerkran- 
kung auf;  es,  gibt  zwar  sicher  konstatierte 
Fälle  von  primärer  L.-T.,  auch  durch  die 
Sektion  bestätigt,  doch  sind  diese  so  selten, 
daß  man  eigentlich  jeden  Fall  von  L.-T.  auf 
Lungentuberkulose  zurückführen  kann. 

Die  Tuberkulose  tritt  nun  im  Kehlkopf 
in  verschiedenen  Formen  auf,  die  nebenein- 
ander vorkommen  können,  und  zwar  sind 
dieses,  wenn  ich  der  allgemeinen  Einteilung 
folgen  darf,  der  tuberkulöse  Tumor,  das 
tuberkulöse  Infiltrat  und  das  tuberkulöse 
Geschwür.  Ein'  spezifisch  tuberkulöser 
Katarrh  wird  geleugnet,  derselbe  gilt  vielmehr 
schon  als  Infiltration  mit  Tuberkeln  und 
reagiert  auf  Einspritzung  mit  Tuberkulin. 
Die  isolierte  Entzündung  eines  Stimmbandes 
ist  gleichfalls  schon  sehr  verdächtig  auf 
Infektion  mit  Tuberkulose.  Ich  möchte 
hier  gleich  erwähnen,  daß  ich  seit  längerer 
Zeit  einen  Knaben  beobachte,  der  an  einer 
Entzündung  des  linken  Stimmbandes  leidet; 
alle  therapeutischen  Maßnahmen  schlugen 
fehl,  bis  es  gelang,  den  Knaben  durch  einen 
Aufenthalt  an  der  Nordsee  während  dieses 
Sommers  fast  zu  heilen.  Im  allgemeinen 
ist  Kehlkopftuberkulose  bei  Kindern  selten, 
da  die  Lungentuberkulose  gewöhnlich  viel 
rapider  verläuft  als  bei  Erwachsenen. 

Auch  die  Verdickung  der  Hinterwand 
des  Kehlkopfes  soll  für  Tuberkulose  nur 
dann  diagnostisch  verwertbar  sein,  wenn 
sich  sonst  noch  Zeichen  von  Tuberkulose 
finden.  Die  tuberkulösen  Tumoren  können 
das  verschiedenste  Aussehen  haben,  sodaß 
die  Diagnose  sehr  oft  nur  durch  das 
Mikroskop  zu  stellen  ist  oder  auch  erst 
durch  den  weiteren  Verlauf  der  Krankheit. 
So  behandelte  ich  vor  mehreren  Jahren  eine 
Frau,  die  einen  walzenförmigen  Tumor  des 
einen  Stimmbandes  hatte,  sonst  war  der 
Kehlkopf  gesund.  An  einigen  zur  Probe 
exzidierten  Stückchen  konnte  Herr  Professor 
Bcneke  nur  chronische  Entzündung  diag- 
nostizieren, der  weitere,    sehr    traurige  Ver- 


lauf zeigte  dann  aber,  daß  es  sich  um  Kehl- 
kopftuberkulose handete.  Es  ist  deshalb 
durchaus  erforderlich,  daß  bei  allen 
Kehlkopftumoren  mikroskopische  Unter- 
suchungen stattfinden,  und  zwar  nötigenfalls 
öfter,  bis  die  Diagnose  gesichert  ist. 

Ein  tuberkulöses  Infiltrat  findet  sich  als 
Verdickung  der  befallenen  Partien  am 
häufigsten  an  den  aryepiglottischen  Falten, 
an  der  Hinterwand  des  Kehlkopfes  und  an 
den  Stimmbändern,  oft  in  Gemeinschaft  mit 
Geschwüren.  Die  Verdickung  kann  ver- 
schieden stark  sein;  kürzlich  sah  ich  einen 
Fall,  bei  dem  das  linke  Stimmband  so  ver- 
dickt war,  daß  die  linke  Seite  des  Kehl- 
kopfs wie  ein  flacher  Tumor  aussah.  Die 
tuberkulösen  Geschwüre  finden  sich  häufig 
an  der  Epiglottis,  an  den  aryepiglottischen 
Falten  und  besonders  an  der  Hinterwand 
des  Kehlkopfs;  an  dieser  Stelle  sind  sie  für 
Tuberkulose  besonders  charakteristisch.  Zur 
Unterscheidung  von  syphilitischen  Geschwüren 
sei  bemerkt,  daß  tuberkulöse  Geschwüre 
zerfressene  Ränder  haben  und  sehr  oft 
Granulationen  und  starke  Oedeme  in  der 
Umgebung  aufweisen;  in  schwierigeren  Fällen 
muß  das  Mikroskop  entscheiden.  Auch  die 
Unterflächen  der  Stimmbänder  und  Taschen- 
bänder werden  oft  von  Geschwüren  einge- 
nommen; man  kann  sie  natürlich  nicht 
sehen,  doch  verraten  sie  sich  durch  Oedem 
der  Umgebung.  Miliare  Knötchen,  die  zu 
kleinen  Geschwüren  zerfallen,  aus  welchen 
sich  durch  Konfluieren  größere  bilden,  habe 
ich  noch  nicht  beobachtet,  doch  soll  diese 
Form  auch  vorkommen. 

Die  verschiedenen  Formen  der  Tuber- 
kulose kommen  nun,  besonders  in  den  vor- 
geschrittenen Fällen,  nicht  für  sich  gesondert, 
sondern  nebeneinander  vor,  sodaß  die  aller- 
verschieden 8  ten  Bilder  entstehen.  In  solchen 
Fällen  ist  die  Diagnose  natürlich  leicht, 
dagegen  können  die  allerersten  Anfänge  der 
Kehlkopftuberkulose  viel  Kopfzerbrechen 
verursachen,  besonders  wenn  es  sich  um 
Patienten  handelt,  die  schon  einmal  syphili- 
tisch erkrankt  gewesen  sind.  Im  allgemeinen, 
möchte  ich  sagen,  habe  ich  den  Eindruck 
bekommen,  daß  selbst  schwere  syphilitische 
Zerstörungen  die  Patienten  bei  weitem 
weniger  belästigen  und  in  ihrem  Allgemein- 
befinden herunterbringen,  als  tuberkulöse 
Erkrankung  schon  in  den  Anfängen. 

Die  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulose 
kann  eine  Allgemeinbehandlung  und  eine 
Lokalbehandlung  sein.  Die  erstere  deckt 
sich  fast  völlig  mit  der  Allgemeinbehandlung 
der  Lungentuberkulose,  sodaß  ich  darüber 
nicht  viel  zu  sagen  brauche;  dagegen  möchte 
ich  die  Lokalbehandlung  etwas  ausführlicher 

28* 


360 


Hamm,  Behandlung  der  Kehlkopftuberkuloee. 


["Therapeutische 


besprechen.  Von  vornherein  möchte  ich 
aber  betonen,  daß  man  in  schweren  Fällen 
progredienter  Lungenerkrankung  am  besten 
jedes  lokale  Eingreifen  unterläßt  und  auch 
das  die  Kranken  anstrengende  Inhalieren 
verbietet;  man  beschränke  sich  in  solchen 
Fällen  auf  die  Ordination  von  narkotischen 
Mitteln  und  suche  durch  Einblasen  von 
Orthoform  oder  anderer  lokal  wirkender 
Substanzen  die  Benutzung  von  Morphium 
möglichst  weit  hinauszuschieben.  Die  ein- 
fachste lokale  Therapie  ist  das  Inhalieren, 
wozu  man  verschiedene  Mittel  benutzen  kann. 
Ich  bevorzuge  dabei  den  Perubalsam,  den 
ich  nach  dem  Rezept  von  Moritz  Schmidt 
—  Balsam  peruvian.  10,  Spirit.  vini  5, 
dreimal  täglich  15  Tropfen  —  auf  einen 
Topf  mit  kochendem  Wasser  oder  Kamillen- 
thee  schütten  und  nun  "durch  eine  lange 
Papierröhre  einatmen  lasse.  Man  sieht  doch 
in  leichteren  Fällen  von  sogenanntem  tuber- 
kulösen Katarrh  ein  sehr  promptes  Zurück- 
gehen des  Kehlkopf  leidend.  Ich  kenne  z.  B. 
einen  jungen  Mann,  der  schon  von  einem 
verstorbenen  Kollegen  mit  Perubalsum  be- 
handelt ist,  dieser  Patient  kommt  jedes 
Jahr  ein-  oder  zweimal  mit  tuberkulösem 
Katarrh  und  wird  jedes  Mal  durch  Inha- 
lieren von  Perubalsam  in  8  bis  14  Tagen 
geheilt;  nur  einmal  gelang  die  Heilung  nicht, 
worauf  ich  nachher  noch  zurückkommen  werde. 
Sehr  brauchbar  ist  auch  zur  Inhalation  eine 
schwache  Karbolsäurelösung,  vermittelst  der 
bekannten  kleinen  Inhalierapparate,  doch 
stumpft  die  Karbolsäure  manchmal  den  Ge- 
schmack ab  und  vermindert  dadurch  die 
Eßlust,  was  bekanntlich  bei  Tuberkulösen 
durchaus  vermieden  werden  muß.  Indes 
hilft  das  Inhalieren  nur  in  leichteren  Fällen, 
bestehen  schon  derbere  Infiltrationen  oder 
Geschwüre,  dann  ist  es  nötig,  Atzmittel 
anzuwenden.  Hier  hat  längere  Jahre  auf 
die  Empfehlung  von  Krause  hin  die  Milch- 
säure an  der  Spitze  gestanden,  und  erst 
neuerdings  scheint  sich  die  Erkenntnis  Bahn 
zu  brechen,  daß  der  Milchsäure  durchaus 
kein  spezifisch  günstiger  Einfluß  zukommt, 
sondern  daß  daneben  auch  andere  Ätzmittel 
zu  Recht  bestehen,  so  besonders  die  Tri- 
chloressigsäure  und  die  Galvanokaustik.  Die 
letztere  namentlich  hat  den  großen  Vorzug, 
daß  sie  genau  lokalisiert  werden  kann.  Bei 
der  Milchsäure  ist  es  vorteilhaft,  nicht  zu 
schwache  Konzentrationen  zu  nehmen  und 
mit  einer  gewissen  Kraft  einzureiben;  es 
bildet  sich  bei  Anwendung  der  Ätzmittel  ein 
Schorf,  dessen  Abstoßung  man  am  besten 
abwartet,  um  eventuell  noch  mehrere  Male 
zu  ätzen.  Es  läge  nahe,  daß  man  sich  auf 
die    Dauer    mit    diesen    ziemlich     einfachen 


Maßnahmen  nicht  begnügte,    sondern,    ange- 
feuert   durch    das    Beispiel    der     Chirurgen 
und  unterstützt  durch  das  Kokain,  der  L.-T. 
mit  dem  Messer  beizukommen  suchte.     Man 
hat  hauptsächlich  die   scharfe  Kürette  ange- 
wendet   zum    Auskratzen    von     Geschwüren 
und    die  Doppelkürette    zum    Abtragen    von 
Tumoren   und  Infiltrationen,    auch   zur  radi- 
kalen   Entfernung    von    Geschwüren.       Die 
Kürette  ist  konstruiert  wie  eine  gewöhnliche 
Uterus-Kürette    mit   entsprechender  Biegung 
für    den    Kehlkopf,     die    Doppelkürette    ist 
drehbar     und     hat     verschiedene     Ansätze, 
damit    man    überall    hinkommen   kann.      Es 
klingt    nun    außerordentlich    wahrscheinlich, 
daß  man  auf  diese  Weise  mit  leichter  Mühe 
den  Kehlkopf  von  allem  Krankhaften  befreien 
könnte,    aber  leider    ist   das   durchaus  nicht 
der  Fall.     Vor  allen  Dingen  kann  man  nicht 
alle    Ecken    und    Winkel    des     Kehlkopfes 
sehen,     z.    B.    nicht    die    Unterflächen    der 
Stimm-  und  Taschen b ander,  und  dann  kann 
man    auch    dem    tuberkulösen   Prozeß    nicht 
ansehen,     wie    weit    er    in    die    Tiefe    geht. 
Ein  oberflächliches    kleines    Geschwür    kann 
sich  sehr  weit  in  die  Tiefe  erstrecken,  kann 
unter     der     unversehrten     Schleimhaut    mit 
anderen  konfluieren  usw.     Außerdem  ist  der 
Kehlkopf  der  Durchgangsweg  für  alle  Sputa, 
die  aus   der   kranken   Lunge   heraufbefördert 
werden,  ein  Umstand,  der  durchaus  nicht  zu 
unterschätzen     ist;     nach     meiner    Meinung 
werden    nämlich    viele    frische  Wunden    im 
Kehlkopf    sofort    durch    Sputa    infiziert,    da 
es  doch    nicht  möglich    ist,    sie   durch  Ätz- 
mittel    vollständig     mit     einem    deckenden 
Schorf  zu   schützen.      Wenn    nun   auch    der 
tuberkulöse    Kehlkopf    schon    die     Eingriffe 
ohne    große    Reaktion    aushält,    so   schießen 
aus    der   Wnnde    doch    neue    Granulationen 
auf,  und  wenn  man  glaubt,    an   einer   Stelle 
recht    gründlich    operiert    zu    haben,    kann 
man  erleben,  daß  nach  kurzer  Zeit  die  Stelle 
genau  wieder  so  oder  noch  trauriger   aussieht 
wie    vor    dem    Eingriff.      Infolge    schlechter 
Erfahrungen    ist    denn    auch    das   Operieren 
bei     Kehlkopftuberkulose     ganz     bedeutend 
eingeschränkt    worden,    wenigstens    bei    der 
übergroßen  Mehrzahl  der  Laryngologen,   und 
man     nimmt     wohl     im      allgemeinen     den 
Standpunkt    ein,    der  in    einer   der  jüngsten 
Publikationen    über    diesen    Gegenstand    bo 
präzisiert  ist1): 

„1.  Eine  chirurgische  Behandlung  der 
Laryrx-Tuberkulose  ist  überall  da  am  Platz, 
wo  bei  gutem  Allgemeinbefinden  die  tuber- 
kulösen   Herde  mit    Sicherheit  oder  Wahr- 


')      Münchener     medizinische     Wochenschrift, 
No.  15  and  16,  Jahrgang  1903. 


XIX.  Jahrgang.1 
Ja»  I9Q.1     J 


Hamm,  Behandlung  der  Kehlkopftuberkulofie. 


361 


scheinlichkeit  zu  entfernen  sind.  Die  Laryn- 
gotomie  ist  zu  diesem  Zwecke  nur  in  Aus- 
nahmefällen gestattet.  Die  Normalmethode 
ist  die  Operation  vom  Munde  aus. 

2.  Ist  eine  völlige  Entfernung  nicht 
möglich,  so  sollte  nur  zur  Beiseitigung  be- 
drohlicher Komplikationen  operiert  werden 
oder  zur  Elimination  dessen,  was  anderen 
therapeutischen  Methoden  direkt  hinderlich  ist. 

3.  Keines  der  empfohlenen  Ätzmittel  hat 
spezifische  Wirkung;  das  bisher  beste  der- 
artige Mittel  ist  die  Galvanokaustik. 

4.  Unsere  wichtigste  Aufgabe  bei  der 
Behandlung  ist  die  Anstrebung  der  Spontan- 
heilung. Das  wertvollste  Mittel  hierzu  ist, 
solange  es  kein  spezifisches  Heilmittel  gegen 
Tuberkulose  gibt,  eine  sorgfältig  durchge- 
führte Allgemeinbehandlung,  besonders  auf 
dem  Boden  der  physikalisch  -  diätetischen 
Heilmethode. u 

Was  mich  persönlich  angeht,  so  operiere 
ich  bei  L.-T.  fast  gar  nicht  mehr,  nur  noch 
zu  diagnostischen  Zwecken,  da  ich  ein  Mittel 
schätzen  gelernt  habe,  das  die  in  den  soeben 
verlesenen  Grundsätzen  gewünschte  Spontan- 
heilung sehr  oft  zustände  bringt,  zugleich 
mit  Besserung  der  Lungenerkrankung;  dieses 
Mittel  ist  der  Lipp  spring  er  Arminius- 
brun nen.  Die  Behandlung  mit  Mineral- 
brunnen ist  ja  nicht  neu;  sie  wird  überall 
erwähnt,  aber  immer  nur  so  nebenbei.  Es 
mag  wohl  an  dem  Bestreben  der  Ärzte 
liegen,  nach  Möglichkeit  in  den  Heilungs- 
prozeß aktiv  einzugreifen,  daß  das  Verordnen 
von  Brunnen  bei  L.-T.  sehr  in  den  Hinter- 
grund getreten  ist.  Ich  habe  gerade  von 
dem  Lippspringer  Brunnen  eine  ganze  Reihe 
von  Heilungen  und  Besserungen  gesehen, 
auch  in  Fällen,  die  operativ  ohne  Erfolg  in 
Angriff  genommen  waren.  Der  Brunnen  hat 
den  großen  Vorzug,  daß  er  nicht  schadet, 
und  daß  er  die  Lungenerkrankung  sowie  die 
oft  bestehenden  Tracheal-  und  Bronchial- 
katarrhe bessert;  namentlich  das  Ver- 
schwinden eines  Trachealkatarrhes  kann 
man  öfter  im  Spiegelbilde  verfolgen. 
Dabei  sind  manche  Patienten  ihrem  Berufe 
nachgegangen,  und  trotzdem  hat  sich  ihr 
Appetit  und  Allgemeinbefinden  gebessert, 
während  die  lokalen  Krankheitsprozesse  mit 
überraschender  Schnelligkeit  verschwanden. 
Einen  geradezu  experimentellen  Beweis  von 
dem  Einfluß  des  Brunnens  auf  den  tuber- 
kulösen Kehlkopf  lieferte  mir  ein  Fall,  den 
ich  oben  erwähnte,  als  öfter  durch  Peru- 
balsam geheilt.  In  einem  Sommer  nämlich 
war  der  Patient  wieder  erkrankt,  wandte 
sich  aber  dieses  Mal  an  einen  Vertreter  der 
Wasserheilkunde.  Er  wurde  etwa  acht 
Wochen   mit  Bädern,    Duschen  usw.  behan- 


delt, das  Leiden  verschlimmerte  sich  aber 
immer  mehr,  sodaß  er  zuletzt  zu  mir  kam. 
Er  hatte  nun  dieses  Mal  außer  seinem 
Katarrh  eine  bedeutende  Verdickung  der 
Hinter  wand  des  Kehlkopfs  und  außerdem 
ziemlich  starke  Schluckbeschwerden.  Ich 
verordnete  natürlich  zuerst  Perubalsam,  der 
immer  geholfen  hatte,  aber  dieses  Mal  völlig 
versagte.  Erst  als  der  Patient  nebenher 
Brunnen  trank,  schwand  das  Kehlkopf- 
leiden in  ganz  kurzer  Zeit.  Einen  Fall, 
der  vorher  operativ  ohne  Erfolg  behandelt 
ist  und  durch  Lippspringer  Brunnen  jedes- 
mal bedeutende  Besserung  erfährt,  beobachte 
ich  seit  mehreren  Jahren. 

Die  Verordnung  von  Mineral  brunnen 
gehört  eigentlich  schon  zur  Allgemeinbe- 
handlung; es  liegt  aber  wohl  keine  Veran- 
lassung vor,  über  diese  ausführlicher  zu 
sprechen,  da  sie  fast  völlig  mit  der  Allge- 
meinbehandlung der  Lungentuberkulose  zu- 
sammenfällt; es  8  ei  mir  nur  gestattet,  zwei 
Punkte,  die  für  uns  hier  besonderes  Inter- 
esse haben,  hervorzuheben.  Das  erste  ist 
die  klimatische  Behandlung.  Man  schickt 
L.-P.  im  Winter  gewöhnlich,  wenn  es  mög- 
lich ist,  nach  dem  Süden,  auch  nach  Davos, 
wovor  man  sich  anfänglich  gescheut  hat. 
Es  soll  nun  garnicht  in  Abrede  gestellt 
werden,  daß  die  Erfolge  dort  zuweilen  recht 
gute  sind;  immerhin  sind  mit  diesem  Auf- 
enthalt einige  Nachteile  verbunden,  und  das 
sind  die  weite  Reise,  die  hohen  Kosten  und, 
in  Italien  wenigstens,  die  ziemlich  mangel- 
haften Heizvorrichtungen,  trotzdem  es  dort 
jeden  Winter  eine  ganze  Reihe  kalter  Tage 
gibt,  sowie  der  Straßenstaub.  Dazu  kommt 
der  schroffe  Temper aturabf all  nach  Sonnen- 
untergang, sodaß  Temperaturdifferenzen  von 
20  und  mehr  Grad  in  ganz  kurzer  Zeit 
keine  Seltenheit  sein  sollen.  Unter  diesen 
Umständen  sollte  die  Aufmersamkeit  nach 
meiner  Meinung  auf  unsere  Nordseeinseln 
gerichtet  werden,  wo  man  bestrebt  ist, 
Winterkuren  einzurichten.  Der  Winter  auf 
den  Inseln  ist  bei  weitem  nicht  so  rauh, 
wie  man  sich  das  gewöhnlich  vorstellt,  und 
die  Temperatur  keinen  großen  Schwankungen 
unterworfen,  das  Leben  verläuft  dort  sehr 
ruhig  und  wenig  aufregend,  die  Reise  ist 
nicht  so  beschwerlich  und  die  Kosten  sind 
bedeutend  geringer.  Allerdings  genügt  es 
nicht,  was  Sprengel  schon  einmal  betont 
hat,  und  worauf  in  der  Sektion  für  Kinder- 
heilkunde auf  der  Casseler  Naturforscher- 
versammlung wieder  hingewiesen  ist,  die 
Patienten  auf  4 — 6  Wochen  hinzuschicken, 
sondern  der  Aufenthalt  dort  muß  länger  dauern. 

Der  zweite  Punkt,  auf  den  ich  Ihre 
Aufmerksamkeit  lenken  möchte,    betrifft   die 


362 


Hamm»  Behandlung  d«r  Kehlkopftubarkulose. 


[Th*rapeatiac]» 
Monatshefte. 


Heilstättenbehandlung.  Wie  Ihnen,  meine 
Herren,  aus  dem  Rundschreiben  der  Inva- 
liditäts-  und  Altersversicherungsanstalt  be- 
kannt sein  wird,  nimmt  dieselbe  „mit  Kehl- 
kopf- oder  Darmtuberkulose"  Behaftete  unter 
keinen  Umständen  in  die  Heilstätten 
auf.  Diese  Bestimmung  halte  ich,  wenigstens 
mit  Bezug  auf  die  L.-P.,  für  vollständig 
ungerechtfertigt  und  unhaltbar.  Es  dürfte 
wohl  kaum  eine  Privat- Lungenheilanstalt 
geben,  die  L.-P.  ausschließt;  so  praktiziert 
z.  B.  in  den  Brehmerschen  Anstalten  in 
Görbersdorf  ein  besonderer  Spezialarzt  für 
Kehlkopfkrankheiten.  In  den  staatlichen 
Anstalten  ist  man  zum  Teil  anderer  Ansicht. 
Aus  der  oben  zitierten  Arbeit  aus  der  Münch. 
medizinischen  Wochenschrift  entnehme  ich, 
daß  die  Invaliditätsversicherungsanstalt  für 
Rheinland  Kehlkopf  kranke  nicht  aufnimmt, 
und  in  der  Provinz  Sachsen  ist  es  ebenso. 
Dagegen  teilte  mir  ein  in  Cassel  prakti- 
zierender Kollege  gelegentlich  der  Natur- 
forscherversammlung mit,  daß  die  Invalidi- 
tätsversicherungsanstalt für  Hessen -Nassau 
Kehlkopfphthisiker  ohne  weiteres  aufnimmt. 
Wenn  man  den  Lungenkranken,  die  ver- 
sichert sind,  unter  gewissen  Voraussetzungen 
ein '  Recht  auf  Heilstättenbehandlung  zuer- 
kennt, so  haben  die  Kehlkopftuberkulösen 
genau  denselben  Anspruch,  und  man  kann 
nicht  einfach  dekretieren:  „Die  L.-P.  werden 
zurückgewiesen a,  sondern  muß  den  behan- 
delnden Ärzten  überlassen,  ob  sie  die  be- 
treffenden Patienten  für  heilbar  halten. 
Nach  meiner  Meinung  beruht  der  Beschluß 
der  Invaliditäts-  und  Altersversicherungs- 
anstalten auf  der  falschen  Voraussetzung, 
daß  die  Kehlkopftuberkulose  unheilbar  ist. 
Wenigstens  sollte  man,  wenn  die  Patienten 
schon  nicht  in  die  Heilstätten  aufgenommen 
werden  sollen,  die  L.-P.  nach  Lippspringe 
oder  an  einen  anderen  Lungenkurort  schicken, 
anstatt  sie  völlig  im  Stich  zu  lassen.  In 
welche  Verlegenheit  man  durch  diese  Be- 
stimmung der  Invaliditätsversicherungsanstalt 
kommen  kann,  möchte  ich  Ihnen  an  einem 
Fall  aus  meiner  Praxis  zeigen.  Ein  Patient, 
der  schon  einmal  wegen  Lungenaffektion  in 
der  Nähe  von  Berlin  in  einer  Heilanstalt 
gewesen  und  dort  völlig  geheilt  war, 
erkrankte  hier  an  Kehlkopftuberkulose,  die 
indes  unter  Gebrauch  von  Lippspringer 
Brunnen  einen  günstigen  Verlauf  nahm.  Er 
wollte  nun  gern  in  eine  Heilanstalt,  und 
um  das  zu  ermöglichen,  riet  ich  ihm,  er 
solle  zu  einem  anderen  Arzt  gehen  und  sich 
von  diesem  ein  Attest  ausstellen  lassen,  aber 
nichts  von  seinem  allerdings  fast  geheilten 
Kehlkopfleiden  erwähnen.  Dazu  konnte  sich 
der    Patient    anfänglich     nicht    entschließen, 


und  so  ist  denn  vorläufig  die  Reise  in  die 
Heilanstalt  unterblieben.  Inzwischen  ist  er, 
wovon  ich  mich  erst  vor  einigen  Tagen 
überzeugen  konnte,  völlig  geheilt.  Ein 
anderer  Patient,  der  schon  mehrfach  durch 
Lippspringer  Brunnen  gebessert  ist,  bezieht 
seit  einigen  Jahren  Invalidenrente,  ich  bin 
überzeugt,  daß  er  durch  einen  Aufenthalt  in 
einer  Lungenheilanstalt  längst  geheilt  wäre, 
und  die  Versicherungsanstalt  die  Rente 
sparen  könnte. 

Es  wäre  außerordentlich  wünschenswert, 
daß  diese  Frage  generell  für  ganz  Deutsch- 
land geregelt  würde,  und  die  Heilanstalten 
Anweisung  erhielten,  Kehlkopfphthisiker 
aufzunehmen,  wenn  nach  Ansicht  der  be- 
handelnden Arzte  Aussicht  auf  Besserung 
oder  Heilung  vorhanden  ist. 


Die  „physiologische  Narkose"  und  ihr 
Heilwert  für  die  Praxis. 

Von 
Dr,  Fritz  Kleintorgen  in  Elberfeld. 

Mit  dem  in  der  Heilkunde  bislang  unbe- 
kannten Begriff  der  „physiologischen  Narkose u 
mochte  ich  jenen  Betäubungszustand  be- 
zeichnen, der  im  Gegensatz  zu  dem  durch 
narkotisch  wirkende  Medikamente  hervor- 
gerufenen Schlafzustand  auf  rein  natürlichem 
Wege  unter  alleiniger  Zuhilfenahme  jener 
Momente  zustande  kommt,  die  an  und  für 
sich  die  Grundlagen  des  normalen  Schlafes 
abgeben. 

Als  solche  Vorbedingungen  des  natürlichen 
Schlafes  gelten  nun  in  der  Hauptsache: 
Ruhe  und  Dunkelheit.  Wo  diese  beiden 
Faktoren  vorhanden,  oder  wo  sie  künstlich 
erzeugt  werden,  tritt  sehr  bald  jener  geistige 
Dämmerzustand  ein,  in  dem  nur  noch  die 
vegetativen  und  reflektiven  Organe  an  Stelle 
des  wahrnehmenden  Verstandes  in  Tätigkeit 
treten. 

Dieser  durch  Ausschaltung  resp.  Still- 
egung der  wahrnehmenden  Sinnesorgane 
entstehenden  physiologischen  Narkose  be- 
gegnen wir  nun  nicht  nur  normalerweise  bei 
dem  Schlafe,  sondern  wir  können  es  auch 
erleben,  daß  der  Mensch  sich  ihrer  unter 
gewissen  Verhältnissen  instinktiv  bedient. 

Erlebt  der  Mensch  beispielsweise  plötz- 
lich ein  Ereignis  besonders  grausiger  Art, 
so  können  wir  stets  die  Beobachtung  machen, 
wie  die  etwas  sensibler  veranlagten  Naturen 
unwillkürlich  die  Augen  schließen  und  sich 
die  Ohren  zuhalten.  Sie  setzen  sich 
instinktiv  in  eine  Art  Selbstbetäubung,  von 
dem  richtigen  Gefühl  geleitet,  daß  sie  durch 
Abschließung    der    wahrnehmenden     Sinnes- 


J 


XIX.  Jahrgang. 
Juli  1905. 


] 


Kleintorgan,  Pbytlologische  Narkoao. 


363 


organe  das  Schreckliche  nur  halb  erleben. 
—  Diesem  Verlangen  des  nicht  sehen  und 
hören  Wollens  muß  übrigens  der  Arzt  oft 
Rechnung  tragen,  und  speziell  wird  an  den 
Operateur  von  Patienten  häufiger  das  An- 
sinnen gestellt,  die  Augen  und  Ohren  ver- 
bunden zu  halten. 

Derartige  Erfahrungen  am  Operationsstuhl 
bildeten  denn  auch  den  Ausgangspunkt  dieser 
Betrachtungen  und  legten  zunächst  den  Ge- 
danken nahe,  einen  diese  physiologische 
Narkose  herbeiführenden  Hilfsapparat  zu 
konstruieren,  der  zunächst  als  wesentliches 
Unterstützungsmittel  zur  schnelleren  und 
ruhigeren  Herbeiführung  der  künstlichen 
Narkose  angesehen  werden  sollte. 

Wenn  Ruhe  und  Dunkelheit  schon  die 
Vorbedingungen  des  natürlichen  Schlafes 
abgeben,  so  sind  sie  zur  Herbeiführung  des 
künstlichen  um  so  wünschenswerter,  als 
gerade  hier  vor  und  zu  Beginn  der  Narkose 
die  Sinnesorgane  sich  in  erhöhtem  Reiz- 
zustande befinden,  und  schon  das  leiseste 
Geräusch  schreckhaft  und  störend  auf  den 
Verlauf  der  Narkose  einwirkt. 

In  gleicher  Weise  wie  die  Geräusche 
wirkt  auch  das  helle  Tageslicht  störend  auf 
das  Einschlafen. 

Durch  Anlegung  eines  Schalldämpfers 
und  einer  Dunkelbrille  werden  nun  diese 
den  Eintritt  der  Narkose  hemmenden  Momente 
ausgeschaltet. 

Mit  einem  derartigen  Narkosen-Hilfs- 
apparat kommen  wir  also  einerseits  dem 
Wunsche  wie  auch  dem  instinktiven  Be- 
dürfnis des  Patienten  nach  Abschließung  der 
Bewußtseinssphäre  entgegen,  andererseits 
erreichen  wir  die  Vorteile  eines  schnelleren 
ruhigeren  Eintritts  der  Narkose  sowie  ver- 
ringerten Gasgebrauchs. 

Vielleicht  von  noch  größerer  therapeuti- 
scher Tragweite  ist  die  Übertragung  des 
Prinzips  der  physiologischen  Narkose  auf 
das  Gebiet  der  Nervenheilkunde. 

Alle  nervösen  Leiden  beruhen  in  letztem 
Grunde  auf  Überanstrengung,  sei  sie  rein 
geistiger,  körperlicher  oder  sonstwie  mate- 
rieller Natur. 

Zeitweise  absolute  Ruhe  stellt  daher 
eines  der  wirksamsten  Heilmittel  für  Ner- 
vöse dar.  Eine  derartig  erwünschte  Ruhe 
war  aber  bisher  bei  einer  Krankheit,  deren 
eigentliches  Wesen  die  Unruhe  verkörpert, 
ohne  medikamentöse  Behandlung  schwer  zu 
erreichen.  Hier  tritt  nun  die  physiologische 
Narkose    in    ihr    Recht    ein:     Da   zu  ihrer 


Herbeiführung  möglichste  Stillegung  nicht 
nur  der  geistigen,  sondern  auch  der  körper- 
lichen Tätigkeit,  soweit  diese  in  das  Be- 
reich der  willkürlichen  Bewegungssphäre 
fallen,  besonders  erwünscht  ist,  so  habe  ich 
dem  oben  beschriebenen  Narkosenhilfsapparat 
noch  eine  Hand-  und  Fußbinde  zugefügt 
und  so  einen  „Nervenbindungsapparat"  zu- 
sammengestellt, mit  dessen  Hilfe  man  infolge 
geistiger  wie  körperlicher  Bindung  die 
„Zwangsruhe"  erreicht. 

Die  Einleitung  der  physiologischen  Nar- 
kose geschieht  nun  also:  In  einem  ruhig 
gelegenen,  möglichst  abgeschlossenem  Zimmer 
nimmt  Patient  auf  einem  Ruhebett  oder 
ähnlichen  Lager  in  gerader  Rückenlage 
Platz.  Dann  wird  der  Schalldämpfer  um 
die  Ohren,  die  Dunkelbrille  um  die  Augen 
gelegt;  hiermit  ist  die  geistige  Bindung 
vollzogen. 

Sehr  unruhige  und  nervöse  Personen 
streifen  dann,  um  möglichst  ungewollte  Be- 
wegungen auszuschließen  und  absolute  kör- 
perliche Ruhelage  zu  bewahren,  die  Fuß- 
und  Armbinde  über,  andernfalls  legt  man 
bequem  einen  Fuß  über  den  anderen  und 
hält  die  Hände  gefaltet,  womit  die  körper- 
liche Bindung  beendet  ist. 

In  dieser  Lage  hat  Patient  nun  das 
Gefühl,  der  Außenwelt  entrückt  zu  sein. 

Kein  lauter  Ton  teilt  sich  seinem  Gehirn 
mit  und  löst  hier  Vorstellungen  unange- 
nehmer oder  soöst  wie  erregender  Natur  aus. 
Kein  Lichtstrahl  sendet  dem  Gehirn  ein 
Bild,  das  wieder  zu  einer  Reihe  weiterer 
gedachter    Vorstellungen    Veranlassung   gibt. 

Diejenigen  Sinnesnerven,  die  erst  das 
eigentliche  bewußte  und  empfindende  Leben 
ausmachen,  die  Licht-  und  Gehörswahr- 
nehmungszentren, sind  ausgeschaltet.  Der 
Mensch  lebt  eigentlich  nur  noch  vegetativ 
und  reflektiv,  der  wahrnehmende  Verstand 
ist  außer  Tätigkeit  gesetzt.  Um  nun  auch 
noch  die  reflektive  Geistestätigkeit  auszu- 
schließen, wird  Patient  angewiesen,  in  dieser 
„physiologischen  Narkose a,  genau  wie  in 
der  künstlichen  Narkose,  zu  zählen,  und 
zwar  seine  eigenen  Atemzüge,  jedoch  ohne 
zu  sprechen,  nur  in  Gedanken,  und  zwar  bis 
100  und  wieder  zurück.  Die  langsame 
Folge  derselben  zwingt  zum  ruhigen  ein- 
schläfernden Zählen,  der  einzigen  Arbeit  der 
sonst  ganz  abgebundenen  Denkkraft.  Es 
wird  nicht  lange  dauern,  und  Patient  verfällt 
in  einen  erquickenden  nervenberuhigenden 
Schlafzustand. 


1 


364 


Winckelmann,   Digalen. 


[TherapeutJjefce 
Monatshefte. 


Neuere  Arzneimittel. 


Digalen. 

Von 

Dr.  Winckelmann, 

Oberarzt  Im  Feldartillerie-Regiment  No.  15,  kommandiert 
zum  Aoguatahospltal  In  Cöln. 

In  der  Sitzung  des  unterelsäßischen  Ärzte- 
vereins am  2.  Juli  1904  teilte  Naunyn1)  seine 
ersten  Erfahrungen  über  ein  neues  von  Cioetta 
hergestelltes  Digitaiispräparat  mit.  Dem  letzt- 
genannten Autor9;  ist  es  nach  etwa  öjährigem 
Bemühen  durch  kompliziertes  Verfahren  gelungen, 
ein  amorphes  wasserlösliches  Digitoxin  aus  den 
Digitalisblättern  zu  gewinnen,  für  das  er  die 
Formel  C28  H46  O10  gefunden  hat.  Die  Methode 
der  Darstellung  ist  nicht  bekannt  gegeben.  „Das 
Mittel  kommt  in  wäßriger  Lösung  mit  25  Proz. 
Glyzerin  versetzt  in  kleinen  Fläschchen  unter 
dem  Namen  Digalen  in  den  Handel.  Jeder 
Kubikzentimenter  entspricht  0,3  mg  des  amorphen 
Digitoxins."  Cioetta  konnte  sein  Präparat  als 
Digitoxin  erkennen,  denn  die  Elementaranalyse 
ergab  ein  Übereinstimmen  mit  der  chemischen 
Zusammensetzung  des  Schmiedebergschen  kry- 
stalliniBchen  Digitoxins,  und  minimale  Mengen 
geben  die  Keller  sehe  Reaktion.  „Werden 
0,5  cem  Digalen  mit  0,5  cem  Eisessig,  dem  eine 
Spur  Eisenchlorid  zugesetzt  ist,  gemischt  und 
die  Mischung  mit  1  cem  konzentrierter  Schwefel- 
säure unterschichtet,  so  tritt  alsbald  eine  rötlich 
violette  Zone  an  der  Berührungsstelle,  überlagert 
von  einer  dunkelbraunen  Schicht,  auf,  die  sich 
im  Verlauf  einer  halben  Stunde  verbreitert  und 
nach  unten  mehr  braunrot,  nach  oben  mehr 
bläulich  grün  färbt3)."  Physikalisch  wichtig  ist, 
daß  die  Diffusionsfähigkeit  des  neuen  Körpers 
bedeutend  größer  als  die  des  krystallinischen 
Digitoxins  ist. 

In  der  Naunynschen  Klinik  wandte  Hoff- 
mann4) das  Digalen  bei  einer  Reihe  von  Fällen 
subkutan,  bei  anderen  intravenös  an,  Naunyn 
selbst  hat  es  per  os  gegeben,  ebenso  Bibergeil5) 
in  Senators  Klinik,  ferner  Watti6),  Klem- 
perer7)  und  Kollick8).  Die  angewendeten 
Gaben  sind:  Einzeldosis  0,3  mg  =  1  cem  der 
Lösung,  Maximal -Einzeldosis  2  cem,  Maximai- 
Tagesdosis  4  cem.  Da  das  Mittel  schlecht 
schmeckt,  wird  es  in  verschiedenen  Vehikeln, 
Milch,  Wein,  gegeben.  Mit  süßem  Süd  wein 
nimmt  es  sich  am  besten  ein.  Es  wird  vom 
Magen  gut  vertragen,  auch  in  Fällen  in  denen 
die    Digitalis    in     bisheriger  Verordnung    nicht 


*)  Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  31. 

»)  Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  No.  33. 

*)  Zitiert  nach  Schaerges,  Über  Digalen, 
Pharmazeutische  Zentralhalle  1905,  No.  2. 

4)  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  1905,  16.  Bd.,  H.  1  u.  2. 

4)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1904,  No.  51. 

6)  Deutsche  Ärzte-Zeitung  1904,  No.  20. 

T)  Therapie  der  Gegenwart  1905,  H.  1. 

H)  Neue  Therapie,  Wien  1905,  H.  3  und  Prager 
med.  Wochenschr.  1905,  No.  18. 


I  oder  nicht  mehr  gegeben  werden  konnte.  Die 
|  Wirkung  tritt  rascher  ein,  als  wir  es  von  der 
j  Digitalis  bisher  zu  sehen  gewohnt  waren,  in 
20—24  Stunden,  und  wenn  man  Digalen  auf 
nüchternen  Magen  gibt  bisweilen  schon  in 
6  Stunden.  Die  Wirkung  äußert  sich  in  Steige- 
rung des  Blutdruckes  und  der  Diurese  und  zu- 
meist im  Sinken  der  Pulszahl.  Sehr  angenehm 
ist  die  Genauigkeit  der  Dosierung  mit  Hilfe  der 
beigegebenen  eingeteilten  Pipette.  Bei  der  sub- 
kutanen Anwendung  soll  man  eine  Stelle  wählen, 
an  der  die  Haut  leicht  verschieblich  ist,  und 
soll  nach  der  Injektion  leicht  massieren  und  für 
12  Stunden  einen  feuchten  Verband  mit  essig- 
saurer Tonerde  oder  Bleiwasser  auflegen  — 
denn  die  Injektionen  verlaufen  nicht  reaktions- 
los! Daher  habe  ich  von  dieser  Art  der  An- 
wendung abgesehen,  zumal  der  Eintritt  der  Wir- 
kung nicht  eher  als  beim  Einnehmen  des  Mittels 
eintreten  soll.  In  den  Fällen,  wo  es  sich  darum 
handelt,  in  allerkürzester  Zeit  Digitaliswirkung 
zu  erzielen,  tritt  die  intravenöse  Injektion  des 
Digalens  in  ihre  Rechte.  Der  Gedanke,  ein  so 
ausgesprochen  das  Gefäßsystem  beeinflussendes 
Mittel,  wie  es  die  Digitalis  darstellt,  der  Blut- 
bahn selbst  einzuverleiben,  ist  gewiß  ein  glück- 
licher. Voraussetzung  ist  dabei,  daß  durch  das 
Injizieren  die  Gefäßwand  nicht  alteriert,  die 
Formelemente  des  Blutes  nicht  aufgelöst  werden, 
und  keine  Thrombose  verursacht  wird.  Diese 
Bedingungen  erfüllt  das  Digalen.  Die  Wirkung 
macht  sich  bei  dieser  Darreichungsform  als- 
bald nach  der  Einverleibung  bemerkbar.  Einen 
schädlichen  Einfluß  hat  Kottmann  bei  seinen 
in  dieser  Weise  behandelten  Fällen  nicht  beob- 
achtet .  und  ist  auch  unsererseits  nicht  gesehen 
worden.  Mir  stehen  besonders  lebhaft  3  Pneu- 
moniker  vor  Augen,  bei  denen  ich  die  intra- 
venöse Digaleneinspritzung  gemacht  habe,  bei 
denen  die  Wirkung  glänzend  war.  Die  beiden 
ersteren  hatten  in  der  Nacht  kritisiert  und  waren 
am  Morgen  schwer  kollabiert,  der  beschleunigte 
Puls  kaum  fühlbar;  sofort  nach  der  Injektion 
besserte  sich  der  Puls  und  blieb  bei  absteigenden 
Digalengaben  per  os  weiter  gut.  Beide  sind  ge- 
heilt entlassen.  Bei  dem  dritten  handelte  es 
sich  um  eine  sehr  schwere  langdauernde  Pneu- 
monie dreier  Lappen,  bei  dem  am  7.  Tage  eine 
sehr  beträchtliche  Herzschwäche  eintrat.  Auch 
hier  sofortiger  Erfolg.  Der  Blutdruck  stieg  von 
75  auf  110  mm  Hg  innerhalb  15  Minuten,  die 
Pulszahl  sank  in  ca.  30  Minuten  von  140  auf 
120  Schläge9).  Der  Vorschrift  entsprechend  wur- 
den 3—4  cem  Digalen  eingespritzt.  Die  Flüssig- 
keit ist  steril;  ihre  Haltbarkeit  ist  gut,  doch  wird 
empfohlen,  angebrochene  Fläschchen  nicht  länger 
als  14  Tage  in  Gebrauch  zu  lassen  (Schaerges). 
Das  Digalen  ist  also,  soweit  es  bisher  an- 
I    gewendet  wurde,  als  ein  gut  wirkendes  Präparat 

9)  Anmerkung  bei  der  Korrektur:  Auch  dieser 
Patient  ist  jetzt  geheilt. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Jnll  19<)5.     J 


Eumydrin.  -  Eukodio. 


365 


befanden  worden  und  ist  infolge  seiner  Gleich- 
mäßigkeit der  wirksamen  Substanz  dem  Infus  wie 
dem  Pulver  überlegen  und  übertrifft  diese  in  der 
Schnelligkeit  des  Wirkungseintrittes  bedeutend. 

Eumydrin. 

Als  Ersatz  für  Atropin  wird  unter  dem 
Namen  Eumydrin  das  Atropiniummethylnitrat 
empfohlen.     Dasselbe  hat  die  Formel 

C6  H5^- prT  pQ     r\  p    rr      |^      _.-(CHs), 

CH,  (OH)— -OU  OU  *  U  °7  ö|  l  w  — ~N03 
und  wird  aus  dem  Atropin  durch  Addition  von 
Jodmethyl  und  Fällung  mit  Silbernitrat  als  ein 
weißes,  krystallinisches,  in  Wasser  und  Alkohol 
leicht,  in  Äther  und  Chloroform  schwer  lösliches 
Pulver,  Schmelzpunkt  163°,  gewonnen.  Durch 
die  Anlagerung  von  Jodmethyl  ist  Atropin  aus 
einer  tertiären  in  eine  quaternäre  Base  um- 
gewandelt, welche  die  depressive  Wirkung  des 
Atropins  auf  das  Zentralnervensystem  nicht  mehr 
besitzt,  während  die  peripherische  Einwirkung  auf 
das  Auge  und  die  —  übrigens  allen  Ammonium- 
basen zukommende  —  kurareartige  Wirkung 
auf  die  Nervenendigungen  der  quergestreiften 
Muskulatur  erhalten  ist.  Nach  den  vorliegenden 
Tierversuchen  erscheint  Eumydrin  etwa  50  mal 
geringer  giftig  als  Atropins ulfat;  man  kann  es 
daher  in  größeren  Dosen  verwenden  und  hat 
auch  keine  schwerere  Intoxikation  zu  befürchten, 
wenn  größere  Dosen  plötzlich  zur  Resorption 
gelangen. 

Die  Pupillenerweiterung  tritt  nach  Ein- 
träu feiung  einer  1  proz.  Lösung  von  Eumydrin 
schneller  ein,  als  nach  einer  0,1  proz.  Atropin- 
oder  1  proz.  Homatropinlösung  und  hält  höchstens 
24  Stunden  an;  dabei  wird  die  Tension  weder 
bei  kranken  noch  gesunden  Augen  erhöht.  Das 
Korn eal epithel  wird  durch  Eumydrinlösung  nicht 
ausgetrocknet,  wie  bei  Verwendung  von  Kokain, 
auch  werden  die  Geschwüre  der  Cornea  durch 
Eumydrin  direkt  günstig  beeinflußt  und  die  ciliare 
Injektion  vermindert.  Bei  Iritis  werden  2  proz. 
Lösungen  und  nur,  wo  stärkere  Pupillenerwei- 
terung notwendig  erscheint,  5  proz.  Lösungen 
verwendet,  doch  kann  man  selbst  10  proz.,  die 
aber  unnötig  erscheinen,  ohne  Gefahr  benutzen. 
In  vereinzelten  Fällen  wurden  wohl  von  besonders 
empfindlichen  Personen  nach  einigen  Tropfen 
der  3-  und  4  proz.  Eumydrinlösung  bitterer 
Geschmack  im  Munde,  Trockenheit  im  Pharynx, 
Schlingbeschwerden  und  Kopfschmerzen  ange- 
geben. 

Innerlich  verabreicht,  werden  Tagesdosen 
von  0,005  g  Eumydrin  ohne  Nebensymptome 
vertragen,  es  kann  daher  auch  Kindern  und 
Greisen  unbedenklich  gereicht  werden.  Dosen 
von  0,001 — 0,003  g  erwiesen  sich  brauchbar  zur 
Bekämpfung  der  Nachtschweiße  Lungenkranker. 
In  einigen  Fällen,  in  denen  das  Eumydrin  im 
Stiche  ließ,  versagte  auch  das  nachträglich  ge- 
reichte Atropin.  In  Verbindung  mit  Aspirin 
oder  Pyramidon  gereicht,  vermindert  es  beträcht- 
lich bei  fiebernden  tuberkulösen  Kranken  die 
mit  dem  Fieberabfall  einhergehende  Transpiration. 
Neben  dieser  sekretionsvermindernden  Wirkung 
macht  sich  bei  lungenkranken  Patienten  zugleich 


eine  hustenreizstillende  und  auch  antidiarrhoische 
Wirkung  geltend.  Bei  Erkrankungen  des  Magens 
zeigte  sich  Eumydrin  von  Nutzen  zur  Stillung 
des  Erbrechens  im  Gefolge  von  Pylorusverschluß, 
Magenektasie,  Magengeschwür,  Schwangerschaft 
und  uteriner  Dyspepsie.  Auch  die  Schmerz- 
paroxysmen  bei  Ulcus  ventriculi,  ferner  Krampf 
der  Kardia  und  des  Pylorus  ließen  sich  durch 
seinen  Gebrauch  mildern.  Von  Darmerkrankun- 
gen  kommen  für  die  Behandlung  mit  Eumydrin 
in  Betracht:  Diarrhöe,  Verstopfung,  Ileus,  ferner 
Gallengangskoliken  und  Appendicitis. 

Literatur. 

1.  Eumydrin,  ein  neuer  Atropinersatz.  Von 
W.  Erbe.  Inaugural-Dissertation  München  1903. 

2.  Aus  der  I.  Universitätsklinik  (Vorstand  Hofrat 
Prof.  Dr.  Schnabl)  Wien.  Versuche  mit 
Eumydrin,  einem  Ersatzmittel  des  Atro- 
pinsulfates.  Von  Dr.  Hugo  Goldberg.  Heil- 
kunde, März  1903. 

3.  Aus  der  Universitäts-  Augenklinik  in  Gießen 
(Prof.  Dr.  Vossius).  Eumydrin,  ein  neues 
Mydriaticum.  Von  Dr.  Lindenmeyer.  Ber- 
liner klinische  Wochenschrift  No.  47,  1903. 

4.  Eumydrin,  ein  neues  schweißhemmendes 
Mittel.  Von  Dr.  Engländer,  Wiener  klin.- 
therap.  Wochenschrift  No.  48,  1904. 

5.  Eumydrin  bei  dem  nächtlichen  Schwitzen 
der  Lungenkranken.  Wiener  klinische  Rund- 
schau No.  52, 1904.  Beiblatt.  Von  Universitäts- 
dozent Dr.  Franz  Tauszk,  Budapest. 

6.  Aus  der  IV.  med.  Abteilung  des  k.  k.  Allge- 
meinen Krankenhauses  in  Wien  (Vorstand  Prof. 
Dr.  Friedrich  Koväcs).  Über  die  Wirkung 
des  Atropinderivates  Eumydrin  auf  die 
Nachtschweiße  der  Phthisiker.  Von  Se- 
kundararzt  Dr.  Siegfried  Jonas.  Wiener 
klinische  Wochenschrift  No.  4,  1905. 

7.  Über  Eumydrin.  Von  Dr.  Hagen,  Nord- 
hausen. I.  Das  Eumydrin  als  Atropinersatz. 
Heilkunde,  Januar  1905.  IL  Weitere  Unter- 
suchungen über  die  Wirkung  des  Eumydrins 
bei  Darmparalyse,  Darmstenose,  Appendicitis 
undGallengangskoliken.  Heilkunde,  Februar  1905. 

8.  Das  Eumydrin  als  pupillenerweiterndes 
Mittel.  Von  Dr.  Julius  Fejer,  Budapest. 
Heilkunde,  März  1905. 

9.  Eumydrin,  ein  Atropinersatz  in  der 
Therapie  der  Magen-  und  Darmkrank- 
heiten. Von  Dr.  Gustav  Haas,  Brunn. 
Therapie  der  Gegenwart,  März  1905. 


Eukodin« 

Ebenso  wie  Atropin  und  Apomorphin  beim 
Übergang  von  tertiären  zu  quaternären  Basen 
eine  ausgesprochene  Herab  minder  ung  der  Giftig- 
keit erfahren,  während  ihre  therapeutische  Wir- 
kung voll  erhalten  bleibt,  so  zeigt  auch  das 
Kodein  bei  dieser  Umwandlung  unter  Verlust 
der  charakteristischen  Krampfwirkung  volle  nar- 
kotische Wirkung. 

DasKodeinbrommethylat,  Eukodin  genannt, 
bildet  farblose  Kry stalle,  welche  sich  in  Wasser 
leicht  lösen.  Wenige  Zentigramme  erzeugen 
beim  Frosch  komplette  motorische  Lähmung 
und  zwar  zuerst  Lähmung  der  motorischen 
Nervenendapparate,  später  der  motorischenZentren. 
Hunde  vertragen  selbst  Dosen  von  1  g,  ohne 
daß  Aufregungszustände  und  Krämpfe  folgen. 


Enesol«  —  Lentis. 


fTherap«a 
L   Monatefa 


_  «utUeh* 
Monatshefte. 


Bei  Phthisikern  wirkt  Eukodin  hustenreiz- 
mildernd,  auch  zeigt  sich  zuweilen  eine  Beför- 
derung der  Sekretion,  die  ein  leichteres  Ab- 
husten ermöglicht.  Die  wirksame  Dosis  beträgt 
0,2 — 0,8  g,  doch  können  auch  Gaben  von  0,4  g 
pro  die  wochenlang  ohne  jede  Nebenwirkung 
vertragen  werden.  Die  Darreichung  erfolgt  am 
besten  in  Lösung,  weniger  gut  in  Tablettenform. 

Literatur. 
(Aus    dem   Institut   für  Infektionskrankheiten 
in  Berlin.)    Über  das  Eukodin  (Kodeinbrom- 
methylat).    Von  Dr.  A.  Schütze.    Medizinische 
Klinik  No.  9,  1905,  Separatabdruck. 

Enesol. 

Bei  der  Einwirkung  gleicher  Moleküle 
Methyl  arsensaure  und  basischen  Quecksilber- 
salizylates  auf  einander  soll  ein  saurer  Salizyl- 
säureester der  Ar sen säure  entstehen,  in  welchem 
die  dritte  Hydroxylgruppe  durch  Quecksilber 
ersetzt  ist. 


C6H4(OH)COO- 
QH^OHJCOO 


As- Hg. 


Das  arsensalizylsaure  Quecksilber  oder  Enesol 
ist  ein  weißes,  amorphes  Salz,  welches  sich  bis 
zu  4  Proz.  in  Wasser  löst.  Die  wäßrigen  Lösun- 
gen lassen  sich  ohne  Zersetzung  sterilisieren. 
Sie  geben  weder  mit  Schwefelammonium  noch 
mit  Jodkalium  Niederschläge,  da  das  Quecksilber 
und  ebenso  das  Arsen  in  fester  Bindung  vor- 
handen sind.  Der  Gehalt  an  Quecksilber  be- 
rechnet sich  auf  38,46  Proz.,  an  Arsen  auf 
14,4  Proz. 

Die  Giftigkeit  des  Präparates  ist  geringer, 
als  seinem  Gehalt  an  Quecksilber  und  Arsen 
entspricht.  Kaninchen  vertragen  Injektionen  von 
0,1  g  (=  0,038  Q)  pro  Kilo  ohne  Schädigung, 
während  die  Dosis  letalis  0,3  g  (=  0,144  g  Q) 
beträgt.  Da  die  Dosis  letalis  von  Quecksilber- 
bijodid  bei  0,0045  g  pro  Kilo  liegt,  erscheint 
Enesol  etwa  70  mal  geringer  toxisch  als  das 
Bijodid.  Die  Ausscheidung  durch  den  Harn 
beginnt  1 — 2  Stunden  nach  der  Injektion  und 
ist  in  24  Stunden  unter  allmählicher  Abnahme 
beendet;  werden  die  Injektionen  längere  Zeit, 
etwa  20  Tage  hintereinander,  vorgenommen,  so 
hält  die  Ausscheidung  6  Tage  nach  Beendigung 
der  Kur  an. 

Die  geringe  Giftigkeit  des  Enesols  erlaubt, 
größere  Quantitäten  von  Quecksilber  ohne  Gefahr 
einer  Intoxikation  dem  Organismus  einzuverleiben. 
Der  Gehalt  an  Arsen  verleiht  dem  Präparat  zu- 
gleich eine  tonisierende  Wirkung  und  macht  es 
besonders  für  chlorotische,  anämische,  tuberkulöse, 
überhaupt  für   geschwächte    Patienten    geeignet. 

Die  Injektionen,  die  intramuskulär  —  in 
die  Glutäen  —  vorgenommen  werden,  sind  gar 
nicht  oder  nur  wenig  schmerzhaft.  Nur  aus- 
nahmsweise werden  stärkere,  einige  Stunden  an- 
haltende Schmerzen  und  Infiltrate  bei  Patienten 
mit  schlaffen,  gering  entwickelten  Glutäen  be- 
obachtet. Die  nach  Enesolgebrauch  auftretende 
Stomatitis  mercurialis  ist  nicht  häufiger  als  nach 
anderen  Quecksilberpräparaten,  zwingt  aber  eben- 
falls zu  einer  störenden  Unterbrechung  der  Kur. 


Von  sonstigen  Nebenwirkungen  werden  ab  und 
zu  nervöse  Erregung,  unruhiger  Schlaf  und 
Erektionen  beobachtet. 

Das  Enesol,  das  zu  den  milde  wirkenden 
Quecksilberpräparaten  gerechnet  werden  muß, 
erweist  sich  besonders  geeignet  zur  Behandlung 
der  malignen  Frühformen  und  der  gummösen, 
ulzerösen  Spätformen.  Rezidive  verhindert  es 
freilich  ebensowenig  wie  die  anderen  Mittel. 

Das  Präparat  kommt  in  Ampullen,  die  in 
2  ccm  0,06  g  Enesol  enthalten,  in  den  Handel; 
der  Preis  einer  Schachtel  zu  10  Ampullen  ist 
4  Francs.  Bei  der  Injektion,  die  täglich  ohne 
Pause  vorgenommen  werden  kann,  kommt  der 
Inhalt  einer  Ampulle  zur  Verwendung.  Schon 
nach  wenigen  Injektionen  macht  sich  eine  Be- 
einflussung der  Symptome  bemerkbar;  zum  völligen 
Schwinden  derselben  sind  durchschnittlich  15  bis 
20  Injektionen  erforderlich. 

Literatur. 

1.  Coignet,  Note  sur  un  nouveau  sei  mer- 
curiel  soluble  injectable:  Le  salicyl- 
arsinate  de  mercure.  Lyon  medical  No.  23, 
1904. 

2.  Breton,  Note  sur  le  salicylarsinate  de 
mercure  (Enesol).  Gazette  des  hopitaux, 
12.  Juli  1904. 

8.  Alfred  Martinet,  Le  salicylarsinate  de 
mercure.     Presse  medicale  No.  102,  1904. 

4.  Aus  der  k.  k.  Universitätsklinik  für  Geschlechts- 
und Hautkrankheiten  in  Wien  (Vorstand  Prof. 
Dr.  E.  Finger).  Oskar  Goldstein,  Thera- 
peutische Erfahrungen  üb  er  Enesol  (sali- 
zylarsensaures  Quecksilber)  bei  Syphilis. 
Monatshefte  für  praktische  Dermatologie,  Bd.  40, 
No.  7,  1905. 

5.  Aus  der  Abteilung  für  Dermatologie  und  Syphilis 
des  Primarius  Prof.  Dr.  Franz  Mra&ek  im 
k.  k.  Rudolfsspitale  in  Wien.  Emil  Habrich, 
Enesol,  ein  neues  Quecksilberpräparat 
zur  Injektionstherapie  der  Syphilis. 
Wiener  klinische  Rundschau  No.  14,  Beiheft 
No.  7,  1905.    Separatabdruck. 


Lentin. 

Das  Methaphenylendiamin*),  ein  krystalli- 
nisches,  in  Wasser,  Alkohol  und  Äther  lösliches 
Pulver  mit  Schmelzpunkt  63°,  ist  schon  vor 
Jahren,  als  die  Anschauung  herrschte,  die  Cholera 
werde  durch  die  nitritbildende  Eigenschaft  der 
Cholerabazillen  im  Darminhalte  hervorgerufen, 
als  nitritbindendes  Mittel  bei  Cholera  em- 
pfohlen, aber  nie  angewendet  worden.  Neuer- 
dings hat  Prof.  Reidemeister  von  neuem  auf 
die  antidiarrhoischen  Eigenschaften  des  Mittels 
aufmerksam  gemacht. 

Boye  hat  das  Mittel,  dem  der  Name  Lentin 
beigelegt  ist,  in  einer  Reihe  von  mit  Diarrhöe 
einhergehenden    Verdauungsstörungen    versucht. 


*)    Metaphenylendiamin  =  Metadiamidobenzol 
NH, 

6  Sl 

1. 


NH, 


XIX.  Jahrg**g.1 
Jnll  1905.     J 


RcJbrato« 


367 


Fast  stete  wurde  ein  therapeutischer  Erfolg  er- 
zielt, ohne  daß  Nebenwirkungen  auftraten.  Der 
Urin  nahm  bei  der  Darreichung  von  Lentin  eine 
tiefdunkelbraune  bis  dunkelbraungrüne  Färbung 
an,  und  zwar  hatte  es  den  Anschein,  als  ob  die 
Intensität  der  Färbung  proportional  der  Schwere 
der  Erkrankung  sei.  Die  stuhlstopfende  Wir- 
kung trat  bei  akuten  Diarrhöen  sehr  schnell 
ein,  auch  bei  Patienten,  die  vorher  mit  anderen 
Mitteln  vergeblich  behandelt  worden  waren,  und 
selbst  dann,  wenn  die  bisherige  Kost  nicht  ge- 
ändert wurde.  Bei  einigen  chronischen  Darm- 
leiden sowie  bei  den  Diarrhöen  der  Phthisiker 
versagte  es.  Sehr  zufriedenstellend  waren  hin- 
gegen wieder  um  die  Erfolge  bei  den  Dyspepsien  und 
Enterokatarrhen  der  Kinder.  Es  ist  wahrschein- 
lich, daß  die  stopfende  Wirkung  durch  die  des- 


infizierende Einwirkung  auf  den  Darminhalt, 
ähnlich  wie  bei  Kalomel  oder  Wismut,  zustande 
kommt. 

Die  Dosis  beträgt  für  Säuglinge  und  kleine 
Kinder  0,01  g  ein-  bis  mehrmals  täglich,  Er- 
wachsene erhalten  dreimal  täglich  0,1  g.  Höhere 
Dosen  als  0,9  g  pro  die  sollten  nicht  gegeben 
werden,  da  Metaphenylendiamin  immerhin  ein 
differentes  Mittel  ist;  z.  B.  tötet  1  g  per  os 
Meerschweinchen  unter  Krämpfen. 

Literatur. 
Aus  der  städt.  Krankenanstalt  Magdeburg- 
Sudenburg,  innere  Abteilung  (Direktor  Med. -Rat 
Prof.  Dr.Unverricht).  Metaphenylendiamin 
als  Antidiarrhoicum.  Von  Dr.  Bruno  Boje 
(Halle  a.  S.).  Zentralblatt  für  innere  Medizin  No.  4, 
1905. 


Referate. 


(Au  dem  Jnatitut  für  pathologische  Anatomie  in  Wien. 
Vorstand:   A.  Welehtelbamn.) 

Der  Micrococcus  meningitidis  cerebrospinalis  als 
Erreger  Ton  Endokarditis  sowie  sein  Vor- 
kommen in  der  Nasenhöhle  Gesunder  und 
Kranker.  Von  Prof.  A.  Weichselbaum  und 
Prof.  A.  Ghon. 

Auf  Grund  kritischer  Prüfung  der  in  der 
Literatur  niedergelegten  Beobachtungen  über  das 
Vorkommen  des  Meningokokkus  in  den  Krank- 
heitsprodukten und  Exkreten  Meningitiskranker 
kommen  die  Verf.  zu  dem  Ergebnis,  daß  die 
vielfach  gemachten  positiven  Angaben  Glaub- 
würdigkeit nicht  beanspruchen  können,  da  der 
Nachweis  des  Meningokokkus  meistens  nur 
mikroskopisch,  jedoch  nicht  kulturell  geführt 
worden  ist.  Dieser  Skeptizismus  ist  um  so  mehr 
berechtigt,  als  nach  den  Untersuchungen  von 
Ghon  und  H.  Pfeiffer  bei  Entzündung  der 
Nase  und  ihrer  Nebenhöhlen  eine  Kokken art, 
nämlich  der  Micrococcus  catarrhalis  Pfeiffer, 
vorkommt,  welcher  sich  morphologisch  gar  nicht 
und  auch  kulturell  nur  durch  sehr  genaue  Unter- 
suchung vom  Meningokokkus  unterscheiden  läßt. 
Demnach  kann  der  völlig  einwandsfreie  Nach- 
weis des  Meningokokkus  nach  der  vorliegenden 
Literatur  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  als  ge- 
lungen betrachtet  werden,  und  zwar,  streng 
genommen,  nur  im  Sekret  der  Nasenhöhle 
und  des  Rachens  sowohl  Gesunder  als 
auch    Meningitiskranker. 

Im  zweiten  Teil  ihrer  Arbeit  wird  die  Be- 
deutung des  Meningokokkus  für  die  Entstehung 
von  Komplikationen  auf  Grund  eigener  Unter- 
suchungen zu  erweisen  gesucht. 

Als  sehr  seltene  Komplikation  wird  eine 
frische  Endokarditis  bei  Genickstarre  beschrieben. 
Die  endokarditische  Effloreszenz  zeigt  mikro- 
skopisch mäßig  viele  Gram  negative  Kokken, 
welche  in  der  Kultur  mit  dem  Meningokokkus 
identisch  sind.  Hierdurch  ist  die  Möglich- 
keit seines  Überganges  in  die  Blutbahn 
erwiesen.     Den    nämlichen    Nachweis    führten 


nur  noch  Bettencourt  und  Franca,  welche 
den  Meningokokkus  dreimal  im  Herzblute  fanden, 
freilich  nur  durch  mikroskopische  Untersuchung. 
Auch  die  von  ihnen  beobachtete  Perikarditis 
mag    auf    hämatogenem  Wege    entstanden    sein. 

Was  das  Vorkommen  des  Meningokokkus 
bei  Rhinitis  betrifft,  so  wurde  er  unter  19  Fällen 
18  mal  im  Sekret  der  Nase  bezw.  des  Nasen- 
rachenraumes mikroskopisch  gefunden;  in 
einem  Falle  lehrte  der  Kulturversuch,  daß  es 
sich  um  den  Micrococcus  catarrhalis  handelt. 
Immerhin  glauben  die  Verf.  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit annehmen  zu  können,  daß  es  sich 
in  4  Fällen  um  den  Meningokokkus  gehandelt  hat. 

Jedenfalls  lehren  die  Untersuchungen  der 
Nase,  daß  der  Meningokokkus  bei  der  die  Ge- 
nickstarre so  häufig  begleitenden  Rhinitis  recht 
häufig  vorkommt  und  mit  ihrem  Sekret  auf  die 
Menschen  übertragen  wird.  Da  seine  Wider- 
standsfähigkeit gegen  äußere  Einflüsse  (Eintrock- 
nung und  dergl.)  gering  ist,  wird  seine  Über- 
tragung durch  das  Nasensekret  auch  nur  unter 
solchen  Verhältnissen  möglich  sein,  durch  welche 
seine  Lebensfähigkeit  nicht  geschädigt  wird. 

Was  sein  Vorkommen  in  der  Nasenhöhle 
Gesunder  betrifft,  so  enthielten  von  24  Arbeitern, 
welche  mit  einem  Meningitiskranken  in  Verkehr 
gestanden  haben,  drei  in  ihrem  Nasensekret  den 
mikroskopisch  und  kulturell  differenzierbaren 
Meningokokkus.  Daraus  geht  hervor,  daß  im 
Nasensekret  von  ganz  gesunden  Personen,  selbst 
wenn  diese  frei  von  jeder  Entzündung  der  Nase 
bezw.  des  Nasenrachenraumes  sind,  der  Meningo- 
kokkus vorkommen  kann. 

Hieraus  erklärt  sich  zur  Genüge  das  sprung- 
weise Auftreten  von  Genickstarre  an  Orten,  welche 
nie  von  einem  Meningitiskranken  besucht  worden 
sind. 

(Wiener  klin.  Wochenschr.  1905,  No.  24.) 

Hecht  (Beutken  O.-S.) 


368 


Referat«. 


rTherapeatisdu 
L   Monatsheft«. 


Der  „Micrococcus  rheumaticus";  seine  kulturellen 
und  andern  Eigenschaften«  Von  Dr.  James 
M.  Beattie. 

Beattie  bestätigt  durch  seine  im  patho- 
logischen Laboratorium  der  Universität  Edin- 
burgh angestellten  Untersuchungen  die  Beob- 
achtungen von  Beaton  und  Ainley  Walker, 
sowie  die  von  Paine  und  Poynton.  Das 
Material  hat  er  von  der  Synovia  eines  an  akutem 
Gelenkrheumatismus  erkrankten  Mädchens  und 
von  einer  hiermit  experimentell  erzeugten  Endo- 
karditis eines  Kaninchens  gewonnen.  Der  Orga- 
nismus ist  ein  Mikrokokkus,  der  paarweise  und 
in  Ketten  vorkommt.  Beattie  hat  ihn  auf  ver- 
schiedenen Nährböden  gezüchtet  und  beschreibt 
die  Art  seines  Wachstums  und  das  Aussehen 
der  Kulturen.  Intravenöse  Injektionen  verur- 
sachen bei  Tieren  Endokarditis,  Polyarthritis 
und  Chorea.  Die  Krankheitserscheinungen  treten 
in  der  Kegel  am  dritten  Tage  nach  der  Ein- 
spritzung auf.  Beattie  gelang  es  nicht,  durch 
subkutane  Einspritzung  selbst  großer  Mengen 
Eiterung  hervorzurufen.  Der  Mikroorganismus 
ist  sowohl  durch  die  Art  seines  Wachstums  wie 
auch  durch  seine  Einwirkung  auf  Tiere  von 
den  Streptokokken  sowie  vom  Pneumokokkus 
wesentlich  verschieden.  Er  ist  also  offenbar  der 
spezifische  Erreger  der  akuten  Polyarthritis. 

(British  ntedical  Journal  1904,  3.  Dec.) 

Glossen  (Grube  i.  H.J. 

(Aas  der  Klinik  Ar  Haut-  und  venerlaeh«  Krankheiten  der 
militar-arstliehen  Akademie  in  Petersburg.) 

Ober  den  Streptobacillus  des  Ulcus  mollc  und 
dessen  Toxin.     Von  Dr.  Z.  Sovinski. 

Die  Untersuchungen  von  Ducrey-Krefting 
haben  das  konstante  Vorkommen  eines  eigen- 
tümlichen Streptobacillus  im  Eiter  des  Ulcus 
molle  konstatiert.  Dieser  Befund  wurde  von 
zahlreichen  Autoren  bestätigt,  wobei  die  Spezi- 
fizität  des  Streptobazillus  durch  Reinkulturen 
und  Impfversuche  nachgewiesen  wurde. 

Verf.  verwendete  als  Nährflüssigkeit  eine 
Mischung  von  Agar  mit  Ascitesflussigkeit  (2  :  1) 
und  erhielt  bei  36  —  37  °  C.  eine  reichliche 
Kulturentwicklung.  Die  Kulturen  waren  recht 
charakteristisch,  sodaß  ein  geübtes  Auge  makro- 
skopisch das  Vorhandensein  des  Streptobazillus 
Ducrey  konstatieren  konnte.  Schon  nach  10 
bis  12  Stunden  konnte  man  hellgraue,  tauähnliche, 
durchsichtige  Tropfen  beobachten ;  mikroskopisch 
präsentierte  sich  der  Streptobazillus  als  ein 
kurzes,  dickes,  an  beiden  Enden  abgerundetes, 
in  der  Mitte  schmäleres,  an  den  Polen  sich 
stärker  färbendes  Stäbchen,  sodaß  das  Bild  eines 
Achters  oder  von  Hanteln  resultierte.  Gram- 
negativ. 

Als  ein  besonderes  differential-diagnostisches 
Merkmal  sieht  Verf.  die  Eigenbewegung  des 
Bazillus  an,  welche  im  hängenden  Tropfen  ganz 
genau  zu  sehen  war.  Außerdem  beobachtete 
Sovinski  schon  nach  24  —  48  Stunden  zahl- 
reiche Rückbildungsformen;  wenn  auch  der  all- 
gemeine Typus  unverändert  blieb,  kamen  doch 
zahlreiche  Abwechslungen  vor,  wie  eine  Un- 
gleichheit beider  Hälften,  ein  Kürzerwerden  des 
Mittelstückes  u.  s.  f. 


Ais  flüssiger  Nährboden  wurde  eine  Mischung 
von  Bouillon  mit  Ascitesflussigkeit  oder  mit 
blutigem  Pleuraexsudat  verwendet,  speziell  Kul- 
turen, dem  letzteren  Nährboden  entstammend, 
zeichneten  sich  durch  große  Giftigkeit  aus. 
Experimentell  wurde  Ulcus  molle  bei  Kaninchen 
und  Meerschweinchen  nach  Einimpfung  von  Rein- 
kulturen erzeugt,  sodaß  Verf.  von  der  Spezifizität 
des  Streptobazillus  Dncrey  überzeugt  ist. 

Das  Toxin,  erhalten  durch  Ausfällen  der 
flüssigen  Reinkulturen  mit  Alkohol  en  masse 
(1  :  3),  zeichnet  sich  durch  lokale  und  allgemeine 
"Wirkung  aus. 

In  die  Bauchhöhle  injiziert,  ruft  das  Toxin 
im  Verhältnis  der  Größe  der  Gabe  Eiterung, 
selbst  Tod  hervor,  0,1  ccm  subkntan  injiziert 
hat  nach  bereits  24  Stunden  Schwellung  an  der 
Injektionsstelle  von  Haselnußgröße  zur  Folge 

Ferner  hat  Verf.  nachgewiesen,  daß  das 
eitererregende  Agens  ausschließlich  der  Substanz 
des  Streptobazillus  selber  angehört  und  in  die 
Nährflüssigkeit  nicht  übergeht. 

Da  der  Bazillus  sehr  schnell  im  tierischen 
Organismus  zugrunde  geht,  ist  dessen  Fehlen  in 
den  in  Eiterung  übergegangenen  Lymphdrüsen 
leicht  erklärlich.  Zum  Schlüsse  betont  Verf., 
daß  alle  seine  Versuche  darauf  hindeuten,  daß 
die  komplizierende  Lymphdrüsenschwellung  die 
Anwesenheit  des  lebenden  Streptobazillus  in  loco 
bedingen,  welcher  durch  das  Absterben  in  ge- 
schlossener Höhle  die  Eiterung  hervorruft. 

(Prseglad  lekanki  No.  28,  1904.) 

QabH  (Lemberg). 

Ober  Scharlach  in  bakteriologischer  Beziehung 
und  über  ein  antiskarlatlnöses  Serum.  Von 
Dr.  W.  Palmirski  und  B.  Zabrowski. 

Im  ersten  Teile  vorliegender  Arbeit  suchen 
die  Verf.  die  Spezinxität  des  Streptococcus  con- 
glomeratus  bei  der  Scharlachinfektion  nachzu- 
weisen. Als  Beweis  dessen  werden  bakteriolo- 
gische Befunde  von  17  Fällen  angeführt,  von 
denen  in  15  Fällen  obenerwähnter  Streptococcus 
bei  der  Nekropsie  in  den  inneren  Organen  nach- 
gewiesen wurde. 

Allerdings  heben  die  Verf.  selbst  hervor, 
daß  eine  genaue  Differenzierung  dieses  Strepto- 
coccus mit  anderen  zu  dieser  Gruppe  gehörenden 
Mikroben  nicht  genau  durchzuführen  i6t,  so  daß 
sie  selbst,  um  ein  wirksameres  Serum  zu  erhalten, 
raten,  bei  der  Immunisierung  sich  mit  Strepto- 
kokken verschiedener  Abstammung  zu  bedienen. 

Mit  diesem  nun  gewonnenen  Serum,  dessen 
genaue  Darstellungsart  in  der  Arbeit  beschrieben 
ist,  wurden  an  1000  Kinder  behandelt. 

Genaue  Aufzeichnungen  sind  aber  bloß  über 
144  im  Warschauer  Kinderspitale  behandelte 
Kinder  vorhanden. 

Wenn  man  davon  11  Fälle  abzieht,  deren 
Exitus  2  bis  12  Stunden  nach  der  Injektion  er- 
folgte, wo  also  das  Serum  noch  nicht  wirken 
konnte,  so  bleiben  133  Krankheitsfälle  zur  Kon- 
trolle. 

Davon  starben  20;  also  ein  Mortalitätsver- 
hältnis von  15  Proz.,  während  gleichschwere 
Fälle  ohne  Soruminjektion  nach  Angabe  der 
Verf.  auf  60  Proz.  Mortalität  zu  rechnen  sind. 


XIX.  Jahrgang.! 
Jnh  1905.     J 


Referate. 


369 


Komplizierende  Nierenentzündungen  traten 
in  3  Proz.  auf,  Moser  berechnet  nach  Injektion 
seines  Serums  IS  Proz. 

Der  Erfolg  der  Serum  Wirkung  offenbarte 
sich  in  raschem  Temperaturabfall,  die  Kranken 
fühlen  sich  wohler,  der  Puls  wird  voller  und 
langsamer,  und  der  weitere  Verlauf  ist  ein  durch- 
aus normaler. 

Die  Menge  des  zu  injizierenden  Serums 
betragt  für  1 — 2jährige  Kinder  25  cem,  für 
altere  50  cem  mit  dem  Vorbehalt  einer  nach- 
träglichen ebensolchen  Injektion,  wenn  nächsten 
Tag  keine  Besserung  eintritt. 

(Medycyna  1905,  No.  2,  3,  4,  5.)     Gabel  (Lemberg). 

Zur  Entstehung  und  Beschaffenheit  milchähnlicher 
„pseudoehyloser"  Ergüsse.  Nebst  Bemer- 
kungen Ober  das  hämolytische  Verhalten 
seröser  Ergüsse.   Von  Prof.  Dr.  H.  Strauß. 

Verf.  hat  in  7  Jahren  5  Fälle  von  opaleszie- 
rendem, seifenwasserähnlichem,  „pseudochy losem" 
Ascites  beobachtet  und  zwar  stets  bei  chro- 
nischer parenchymatöser  Nephritis.  Die  Flüssig- 
keit zeigte  niedriges  spezifisches  Gewicht,  1007 
bis  1009,  und  geringen  Eiweißgehalt,  0,7  bis 
2  Proz.,  mikroskopisch  waren  keine  Fettkörnchen, 
wohl  aber  amorphe  kleine  Körperchen  nachweisbar, 
die  durch  chemische  Untersuchung  als  Spaltungs- 
produkte des  Lezithins  erkannt  wurden  (vergl. 
Micheli  und  Matticolo,  W.  kl.  W.  1900, 
No.  3).  Verf.  vermutet,  daß  der  1  akteszierende 
Charakter  der  Flüssigkeit  hämatogenen  Ursprungs 
sei.  Im  Zusammenhang  damit  hält  er  Hedinger 
gegenüber  an  seiner  Ansicht  fest,  daß  die  hämo- 
lytische Kraft  reiner  Transsudate  geringer  ist 
als  die  des  Blutserums,  und  findet  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  eine  Erklärung  dafür  in  der 
Eiweißarmut  dieser  Flüssigkeiten. 

(Sonderabdr.  aus  den  ChariU-Annalen  XXVII.) 

Esch  ( Bendorf}, 

Zur  Erkältungsfrage.  Von  Dr.  Esch  (Bendorf). 
(Eigenbericht). 

Bei  den  Erkältungskrankheiten  ist  die  Dis- 
position von  größter  Wichtigkeit  und  bedarf 
daher  zunächst  der  Besprechung.  Esch  weist 
an  der  Hand  der  einschlägigen  Literatur  nach, 
daß  die  Mehrzahl  der  neueren  Forscher  die 
Disposition  als  einen  wichtigen  Erkrankungs- 
faktor anerkennt.  Sie  wird  als  ererbte  oder 
erworbene  Minderwertigkeit  des  Körperproto- 
plasmas, Konstitutionsverschlechterung,  herab- 
gesetzte Vitalität  (Liebreich)  aufgefaßt,  derzu- 
folge  der  Organismus  auf  bestimmte  Reize  in 
krankhafter  Weise  reagiert. 

Die  Disposition  entsteht  infolge  un hygieni- 
scher Lebensweise  (ev.  schon  der  Eltern)  und 
zwar  u.  a.  besonders  infolge  quantitativ  und 
qualitativ  falscher  Ernährung,  die  ihrerseits 
wieder  fehlerhafte  Verarbeitung  der  Ingesta,  In- 
suffizienz der  Ausscheidungsorgane  und  damit 
Entstehung  und  Anhäufung  toxischer  -Stoffwechsel- 
produkte im  weitesten  Sinne,  z.  B.  Kohlensäure, 
Harnsäure,  Leukomalne,  Nekrozyten  (du  Bois- 
Reymond,  Adamkiewicz,  Brunuer,  Se- 
nator, Arloing,  Gautier,  Bachmann  etc.) 
herbeiführt. 


Die  in  die  Blutbahn  gelangten  Produkte 
schädigen  dann,  soweit  sie  nicht  durch  Oxy- 
dation und  Ausscheidung  unschädlich  gemacht 
werden  können,  auf  die  Dauer  die  verschiedenen 
Zellen  bezw.  Organe  und  verringern  deren 
Widerstandsfähigkeit  gegen  die  verschiedenen 
Reize,  besonders  führt  die  „Plethora"  der  Winters- 
zeit viele  Organismen  bis  an  die  Krankheits- 
schwelle. 

Was  nun  den  Kältereiz*)  betrifft,  so  stört 
derselbe  zunächst  die  ausscheidende  Hauttätig- 
keit, indem  er  das  mit  den  genannten  Stoffen 
beladene  Blut  durch  Vasokonstriktion  nach  dem 
Körperinnern  drängt. 

Fehlt  nun  (infolge  ungenügender  Funktion 
der  Vasomotoren  wegen  Schwäche,  mangelnder 
Abhärtung)  die  sekundäre  Fluxion  des  Blutes 
zur  Haut  zurück,  die  reaktive  Hyperämie,  oder 
wird  sie  bei  langem  aber  geringem  Kältereiz, 
z.  B.  Schweiß  Verdunstung,  nassen  Füßen,  nicht 
genügend  ausgelöst  bezw.  durch  zu  starke 
Kälte  gelähmt,  so  werden  die  hyperämisierten 
Organe  je  nach  ihrer  bereits  bestehenden  Lokal- 
disposition durch  das  hinzugetretene  Toxin  ge- 
schädigt, es  treten  entzündliche  Reaktionen, 
Rheumatismus,  Gicht,  Katarrhe  auf.  Hier  ist 
das  Gesetz  von  der  Wechselwirkung  der  Organe 
maßgebend,  insbesondere  z.  B.  das  vikariierende 
Eintreten  der  Schleimhäute  für  die  Haut. 

Gleichzeitig  wird  so  auch  der  Nährboden 
für  Mikrobien  günstiger,  und,  da  die  normale 
Widerstandskraft  gegen  dieselben  fehlt,  eventl. 
die  unter  dem  Bilde  der  Infektionskrankheit 
verlaufende  abnorme  Reaktion  nötig  gemacht. 

Da  die  Erkältungskrankheiten  also 
hämatogen  durch  Kongestionierung  dys- 
ämischen  Blutes  in  prädisponierten 
Organen  infolge  gestörter  Hautausschei- 
dung*) entstehen  —  also  ganz  nach  der 
uralten  Retentionstheorie,  die  in  modernem 
Gewände  wieder  auferstanden  ist  —  so  ist  thera- 
peutisch und  prophylaktisch  die  Anhäufung 
toxischer  Produkte  im  Blute  und  die  dadurch 
bedingte  Schädigung  der  Gewebe  zu  heben 
bezw.  zu  verhüten.  Das  geschieht  durch  mäßige 
Nahrungsaufnahme  unter  genügender  Würdigung 
der  so  überaus  wichtigen  Vegetabilien  im  Gegen- 
satz zu  der  stark  überschätzten  Fleischkost 
(Albu,  Balz,  Richter,  Umber,  Kionka, 
L  ah  mann  u.  8.  w.),  durch  ausgiebige  Licht- 
und  Luftzufuhr,  Hautpflege,  Lungengymnastik 
und  Muskeltätigkeit  und  durch  ventilierende, 
durchlässige  Bekleidung. 

Die  so  herbeigeführte  kräftige  Oxydation 
und  Ausscheidungstätigkeit  kann  dann  auch  noch 
bei  gesundheitswidriger  Lebensweise,  wie  sie  ja 
leider  z.  T.  durch  soziale  und  kulturelle  Mißstände 
bedingt  ist,  manchen  Schaden  verhüten  bez.  heilen. 
(Zeitschr.f.  diätet.  u.physik.  Ther.  1904  / 05,  Bd.  VIII). 

*)  Es  kommen  zu  dem  auch  die  Luftdruck- 
schwankungen in  Betracht  (Rosenbach,  Münch. 
med.  Wocheoschr.  1902,  No.  17;  Lehmann,  Der 
krankmachende  Einfluß  atmosphärischer  Luftdruck- 
schwankungen, Stuttgart  1899). 

*)  v.  Leyden-  Goldscheider  in  Nothnagels 
Handb.,  Bd.  10,  S.  189  und  Bruns,  Realenzykl., 
3.  Aufl.,  Bd.  20,  S.  581. 


370 


Referate. 


fTherapentiael» 
L   Mon&tehefte. 


Einige  Bemerkungen   zu  von   Behrings   Ansieht 
Ober  die  Entstehung  der  Lungenschwindsucht. 

Vod    Dr.  N.  Ph.  Tendeloo,    Prosektor    in 

Rotterdam. 

Die  Annahme  Behrings,  „es  sei  die 
Säuglingsmilch  die  Hauptquelle  der  Schwind- 
suchtsent8tehungtf  ist  nach  Tendeloo  eine 
willkürliche,  weil  sie,  von  der  Beobachtung  aus- 
gehend, daß  Tuberkelbazillen  bei  ganz  jungen 
Meerschweinchen  leichter  enterogene  Tuberkulose 
heryorrufen,  als  bei  erwachsenen,  ohne  weiteres 
für  den  Menschen  Toraussetzt: 

1.  daß  sogar  die  abgekochte  S&uglingsmilch 
häufig  eine  zur  enterogenen  Infektion  aus- 
reichende Anzahl  lebender  Tuberkelbazillen 
enthält, 

2.  daß  diese  Bazillen  entweder  zunächst  in 
einem  Bauchorgan  oder  sofort  in  der  Lunge 
oder  in  den  Bronchialdrüsen  den  ersten 
Herd   erzeugen. 

Die  erstere  dieser  Voraussetzungen  erklärt 
Tendeloo  als  für  jeden  Beweises  entbehrend. 
Man  kann  sogar  für  die  unabgekochte  Milch  mit 
gleichem,  d.  h.  mit  ebenso  geringem  Rechte  das 
Umgekehrte  behaupten,  während  abgekochte 
Milch  an  sich  keine  Gefahr  der  Tuberkulose- 
Infektion  mit  sich  bringt. 

Was  aber  die  zweite  Voraussetzung  betrifft, 
so  geht  aus  zahlreichen  Sektionsergebnissen 
hervor,  daß  die  enterogene  Tuberkulose  beim 
Menschen  im  allgemeinen  selten  ist.  Denn,  wie 
übereinstimmend  aus  zahlreichen  Versuchsergeb- 
nissen, —  auch  den  von  Behringschen,  —  und 
aus  Beobachtungen  beim  Menschen  selbst  erhellt, 
kann  eine  primäre  Tuberkulose  der  Longe  oder 
der  Bronchialdrüsen  nur  dann  eine  enterogene 
sein,  wenn  anatomische  Anomalien  der  mesen- 
terialen und  paraortalen  Lymphgefäße  vorliegen. 
Solche  Anomalien  sind  aber  bis  jetzt  nicht 
bekannt  geworden. 

(Beiträge  z.  Klinik  der  Tuberkulose,  Bd. II,  H.4, 1904.) 
Eschle  (Sinsheim). 

Betrachtungen  über  experimentelle  Tuberkulose. 

(Quelques   considerations  sur   la  tuberculose 

explrimentale.)  Von  J.  F.  Hey m ans. 

Der  Verfasser  hat  an  über  1000  Kaninchen, 
600  Meerschweinchen, .  100  Rindern  und  vielen 
Hunden  experimentiert. 

Die  große  Erfahrung,  welche  er  bei  dieser 
umfangreichen  Arbeit  gesammelt  hat,  erlaubt 
ihm,  folgende  interessante  Schlüsse  mit  Sicher- 
heit aufzustellen: 

Nach  Einspritzung  einer  tuberkulösen  Emul- 
sion in  die  Ohrvene  beobachtet  man  beim 
Kaninchen  zuerst  nur  eine  Lungentuberkulose, 
und  man  muß  annehmen,  daß  sämtliche  Bazillen 
in  dem  Lungenkapillarnetz  zurückgehalten  werden. 

Diese  Lungentuberkulose  kann,  wie  schon 
so  oft  beschrieben  wurde,  fortschreiten,  sich  ver- 
allgemeinern und  den  Tod  herbeiführen.  Sie 
kann  aber  auch  heilen  und  vollständig  ver- 
schwinden. Nach  der  Inokulation  findet  man 
bald  das  Lungenparenchym  gleichförmig  mit  röt- 
lichen Pünktchen  übersät;  später  sieht  man  große 
Tuberkeln,  unter  welchen  einige  sehr  schnell 
retrogradieren,  andere  aber  sich  entwickeln,  weiß 
werden  und  später  Abszesse  bilden. 


Die  Abszesse  können  gleichfalls  heilen.  Die 
Tuberkeln  und  die  kleinen  Abszesse  sind  nach 
einigen  Monaten  spurlos  verschwunden. 

Die  großen  tuberkulösen  Herde  dagegen 
rufen  bedeutende  Störungen  hervor;  um  sie 
bildet  sich  eine  emphysematöse  Zone,  welche 
nach  dem  Verschwinden  des  tuberkulösen  Pro- 
zesses allein  zurückbleiben  kann;  in  andren 
Fällen  können  die  sklerogenen  Bildungen  Re- 
traktionen und  Form  Veränderungen  in  der  Lunge 
erzeugen. 

Bei  Kaninchen,  welche  man  4  bis  6  Monate 
nach  der  Inokulation  tötet,  findet  man  die  tuber- 
kulösen Läsionen  ungleichmäßiger  verteilt;  der 
Prozeß  schreitet  in  den  Lungen  von  innen  nach 
außen  fort;  während  das  Innere  vom  Parenchym 
wieder  normal  geworden  ist,  findet  man  in  den 
äußeren  Teilen  des  Hilus,  an  der  Spitze,  und  an 
den  Rändern  Eiteransammlungen  und  Sklerosen. 

Diese  Heilung  der  Lungentuberkulose  schützt 
aber  nicht  in  allen  Fällen  das  Tier  vor  dem  Tod 
durch  Tuberkulose. 

Während  die  Lungen  läsionen  zurückschreiten , 
entwickelt  sich  eine  lokalisierte  Tuberkulose  in 
einem  anderen  Organ  oder  in  anderen  Geweben, 
sei  es  im  Rippenfell,  in  den  Gelenken,  in  der 
Niere,  in  den  Testikeln,  in  der  Leber  etc. 

Das  sind  metastatische  Erscheinungen,  welche 
Monate,  sogar  über  ein  Jahr  nach  der  Inokulation 
sich  entwickeln. 

Nach  intraperitonealer  Injektion  entsteht 
anfangs  eine  Tuberkulose  der  Serosa,  später  der 
Milz,  der  Leber  und  der  Lymphdrüsen. 

Die  peritoneale  Tuberkulose  kann  ebenfalls 
heilen;  häufig  wird  sie  latent;  ein  bis  zwei  Jahre 
nach  der  Inokulation  kann  man  auf  der  Serosa 
graue  Punkte  finden,  deren  Inhalt  mit  virulenten 
Bazillen  gespickt  ist. 

Wenn  die  peritoneale  Tuberkulose  sich  in 
Regression  befindet,  kann  sich  eine  sekundäre 
Lungentuberkulose  entwickeln;  letztere  kann  «um 
Tode  führen,  kann  aber  auch  heilen  und  eine 
andere  peripherische  metastatische  Tuberkulose 
verursachen.  Kaninchen,  welche  lange  Zeit,  Jahre 
sogar,  nach  der  Inokulation  ein  blühendes  Aus- 
sehen gezeigt  haben,  können  allmählich  in  Kachexie 
verfallen,  und  bei  der  Sektion  findet  man  nur 
die  Läsionen  der  chronischen  tuberkulösen  In- 
toxikation,  welche   Graucher  beschrieben  hat. 

Selten  werden  infizierte  Kaninchen  wieder 
ganz  gesund. 

Der  Tuberkelbazillus  benimmt  sich  ganz 
anders  als  die  übrigen  pathogenen  Mikroben: 
er  sezerniert  sehr  wenig  Toxine  mit  allgemeiner 
Wirkung,  denn  die  Kaninchen  und  die  Rinder 
besonders  können  sehr  gesund  aussehen  und  an 
Gewicht  zunehmen,  obgleich  sie  zahlreiche  Tuber- 
keln, reich  an  Bazillen,  tragen. 

Die  lokale  Wirkung  der  Toxine  ist  eben- 
falls sehr  gering:  die  Nekrose  des  Tuberkels 
nimmt  nur  langsam  zu  oder  steht  sogar  oft 
still  in  der  Entwicklung,  trotzdem  die  Bazillen 
lebendig  sind. 

Der  Tuberkelbazillus  dringt  in  den  Körper 
fast  immer  durch  die  Schleimhäute  ein.  X>er 
Verfasser  hat  diese  Erscheinung  für  die  Darm- 
schleimhaut des  Rindes  genau  verfolgen  können. 


XIX.  Jahrgang.! 
Jnll  lSoft.     J 


Referat«, 


371 


Infektion  durch  die  Schleimhaut  der  höheren 
Luftwege  hat  er  ebenfalls  beim  Rinde  beobachten 
können. 

Die  Infektion  des  Lungenparenchyms  ge- 
schieht meistens  durch  Bazillen,  welche  dorthin 
mit    dem    venösen  Blutstrom    gebracht    werden. 

Die  Luftbazillen  können  öfters  die  oberen 
Luftwege  infizieren,  selten  oder  ^nie  direkt  das 
Lungenparenchym  • 

(Archwes  internationales  de  Pharmaoodynantie  et  de 
Therapie.  VoL  XIII,  p.  471.)        Dr.  Impens  (Elberfeld). 

Präventivbehandlung    der    Tuberkulose.        Von 

H.  Chatiniere  (Paris). 

Der  Verfasser  entwickelt  in  der  vorliegenden 
Arbeit  eine  Idee,  die,  wenn  sie  sich  auch  zum 
größten  Teil  auf  hypothetischen  Voraussetzungen 
aufbaut,  doch  eines  praktischen  Interesses 
nicht  entbehrt.  Wenn  die  Tuberkulose,  was 
selbst  die  entschiedensten  Kontagionisten  nicht 
bestreiten,  zu  ihrer  Entwicklung  im  Organismus 
einer  besondern  ererbten  Prädisposition  bedarf, 
wenn  in  den  Geweben  des  Körpers  gewisse  Kräfte 
tatig  sind,  welche  bei  dem  einen  Individuum  in 
erfolgreicher,  bei  dem  andern  freilich  in  unzu- 
länglicher Weise  den  pathogenen  Wirkungen 
der  Krankheitserreger  entgegen  arbeiten,  gewisse 
Stoffe,  die  die  tuberkulösen  Gifte  neutralisieren, 
könnte  man  nicht  versuchen,  so  ist  etwa  der 
Gedankengang  des  Verfassers,  durch  irgendwelche 
dem  Körper  einverleibte  Mittel  die  Entwicklung 
der  Tubelbazillen,  selbst  wenn  sie  bereits  in  den 
Organismus  gelangt  sind,  zu  hemmen,  könnte 
man  nicht  auf  diese  Weise  einen  ursprünglich 
für  die  Bazillen  günstigen  Nährboden  in  einen 
ihnen  ungünstigen  umwandeln  ?  Folgen  wir  nicht 
in  der  Tat  einem  ähnlichen  Gedankengang,  wenn 
wir  eine  von  einem  syphilitischen  Manne  ge- 
schwängerte Frau  mit  antisyphilitischen  Mitteln 
behandeln  in  der  Absicht,  nicht  nur  die  Mutter, 
sondern  auch  ihre  Leibesfrucht  vor  syphilitischer 
Ansteckung  zu  schützen?  Ist  der  Versuch  zu 
gewagt,  in  analoger  Weise  durch  Behandlung 
einer  schwangeren  Mutter  mit  antituberkulösen 
Mitteln  das  werdende  Kind,  das  von  ihr  oder 
von  seinem  Vater  oder  von  beiden  die  Dispo- 
sition zur  Tuberkulose  mitbekommen  hat,  vor  der 
tuberkulösen  Infektion  zu  schützen?  Verf.  hat 
nun  versucht,  diesen  Gedanken  in  die  Praxis  um- 
zusetzen. Bei  mehr  als  300  Tuberkulösen  hatte 
er  sich  in  9  jähriger  Erfahrung  überzeugt,  daß 
wir  im  Guajakol  ein  sehr  wertvolles  antituber- 
kulöses Mittel  besitzen.  Er  behandelt  seine  Tu- 
berkulösen in  der  Weise,  daß  er  ihnen  täglich 
1  ccm  von  folgender  Mixtur  in  die  Nates  in- 
jiziert: 

Guajacol  crystallis.     5—8  g 
Jodoform  1   „ 

Ol.  amygdal.  dulc.  50,0  „ 
Daneben  dringt  er  auf  sorgfältige  Beachtung 
der  gerade  bei  Behandlung  der  Tuberkulose  so 
wichtigen  hygienischen  Grundsätze.  In  5  Fällen 
hat  er  nun  Frauen,  die  bereits  mehrere  Kinder 
an  Tuberkulose  verloren  hatten,  nachdem  sie 
von  neuem  schwanger  geworden  waren,  während 
der  Dauer  der  Gravidität  in  der  oben  beschrie- 
benen   Weise    behandelt.     Die    5    Kinder,    die 


dann  zur  Welt  kamen,  und  von  denen  einige 
bereits  ein  Alter  von  10  Jahren  erreicht  haben, 
sind  bisher  gesund  geblieben.  Der  Verf.  betont, 
daß  natürlich  selbst  für  diese  5  Fälle  damit 
wenig  bewiesen  ist.  Dazu  ist  die  Beobachtungs- 
dauer eine  viel  zu  kurze  gewesen.  Noch  viel 
weniger  lassen  sich  allgemeine  Schlüsse  aus  den 
berichteten  Tatsachen  ziehen.  Jedenfalls  aber 
ermutigen  die  Versuche  zur  Wiederholung  in 
ähnlich  liegenden  Fällen,  zumal  der  Verf.  be- 
tont, daß  die  Frauen,  wenn  ihnen  die  Sachlage 
auseinandergesetzt  wurde,  sich  der  Behandlung 
stets  gern  unterzogen  haben  und  von  dem  er- 
zielten Resultate  sehr  befriedigt  waren. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  82). 

Ritterband  (Berlin). 

v  Der  Einfloß  der  Krankenvertorgung  auf  die 
Bekämpfung  der  «Tuberkulose  als  Volks- 
krankheit. 

a.  Anseigerecht,  Anzeigepflicht  und  Morbiditäts- 
statistik.   Von  Prof.  L.  Brauer  (Heidelberg). 

1.  Bei  der  Tuberkulose  ist  sowohl  Infektion 
wie  Disposition  zu  bekämpfen.  Letzteres  ist 
praktisch  schwer  durchführbar,  zur  Einschränkung 
der  Infektionsgefahr  stehen  uns  dagegen  Mittel 
zur  Verfügung,  die  nach  Brauers  Ansicht  der 
Gesunde  zu  seinem  Schutz  vom  Staate  ver- 
langen kann.  Da  die  Ansteckungsmöglichkeit 
keine  allgemeine  ist,  sondern  lebende  Tuberkel- 
bazillen nur  in  der  Umgebung  bazillenauswerfen- 
der Menschen  vorhanden  sind,  so  wäre  das  wich- 
tigste Mittel  die  —  eventuell  zwangsweise  durch- 
zuführende —  Isolierung  (und  vielfach  durchaus 
nicht  nutzlose  Behandlung)  derjenigen  schwer- 
kranken Schwindsüchtigen,  die  in  Familie  und 
Arbeitsraum  nicht  hygienisch  für  ihre  Umgebung 
leben  können. 

Zu  diesem  Zwecke  wären  die  an  Kranken- 
häusern bestehenden  Tuberkulosestationen  zu  ver- 
mehren und  zahlreiche  Heimstätten  zu  gründen. 
Die  Heilstätten  können  in  dieser  Beziehung 
nichts  leisten,  weil  sie  nur  die  Heilung  von 
Initialfällen  bezwecken.  (In  Wirklichkeit  erreichen 
sie,  wie  3 raun  betont,  vielfach  nur  eine  Ver- 
längerung des  Lebens  und  der  Erwerbsfähigkeit, 
während  andrerseits  manche  auch  spontan  geheilt 
wären.) 

2.  Im  Zusammenhang  mit  den  von  ihm 
gewünschten  Maßnahmen  fordert  Brauer  die 
gesetzliche  Einführung  der  Anzeigepflicht  für 
Tuberkulose  und  führt  zu  dem  Gegenstand  ein 
großes,  tabellarisch  geordnetes,  statistisches  Ma- 
terial an.  Die  Frage,  in  welchem  Umfange 
hygienische  Maßnahmen  den  Kranken  gegenüber 
einzusetzen  hätten,  wäre  nach  Brauer  erst  dann 
zu  erörtern,  wenn  auf  der  Basis  der  Anzeige- 
pflicht Klarheit  geschaffen  wäre  über  die  Trag- 
weite derartiger  Maßnahmen. 

(Beitr.  m.  Klin.  der  Tuberk.  IIt  2,  1904.) 

Esch  (Bendorf). 

Bedeutung  der  Helmstätten  im  Kampf  gegen  die 
Tuberkulose.    Von  Dr.  Elkan,  leit.  Arzt  der 
Heimstätte  Gütergotz. 
Die  Heimstätten    sollen    nach    Elkan    zur 

Aufnahme    solcher   Tuberkulösen  dienen,    deren 


372 


Referate* 


[Therapeutische 
Monatshefte. 


Leiden  für  die  Aufnahme  in  Heilstätten  schon 
zu  weit  vorgeschritten  ist,  dos  aber  noch  Aus- 
sicht auf  Herstellung  einer  Erwerbe- 
fähigkeit bietet.  Es  sind  also  eigentlich 
Heilstätten  mit  etwas  weniger  strenger  Auswahl 
der  Patienten.  Außerdem  sollen  sie  grössere 
Einfachheit  zeigen  als  die  ersteren.  —  Es  wäre 
wohl  zu  wünschen,  daß  diese  Heimstättenprin- 
zipien auch  für  die  Heilstätten  maßgebend  wür- 
den. Ob  allerdings  die  nach  Elkan  in  den 
Heimstätten  üblichen  6  Mahlzeiten  und  3  1  Milch 
pro  Tag  für  die  Patienten  nötig  und  nützlich 
sind,  erscheint  zweifelhaft  (Ref.). 

(Zeüschr.  f.  Tuberk.  u.  Heust.,  Mai  1903,  IV,  4.) 

Esch  (Bendorf). 

Antipyretische  Behandlung   der  Phthisiker.    Von 
Dr.  A.  Sokotowski. 

Mit  Rücksicht  darauf,  daß  die  Fieberinten- 
sität der  Phthisiker  im  engen  Zusammenhange 
steht  mit  der  Einwirkung  der  Toxine  auf  den 
Organismus,  kommt  der  antipyretischen  Behand- 
lung ein  besonderer  Wert  zu.  So  lange  kann 
nämlich  von  einer  Heilung  oder  selbst  entschei- 
denden Besserung  keine  Rede  sein,  bis  nicht, 
wenngleich  zu  Beginn  zeitweise  erscheinend,  Re- 
missionen eintreten.  Wenn  man  aber  sich  die 
Frage  vorlegt,  ob  die  verschiedenen  angewandten 
Mittel  was  nützen,  und  ob  die  bloß  die  Tempe- 
ratur herabsetzenden,  aber  nicht  die  Toxine  ver- 
nichtenden Eingriffe  nicht  den  ganzen  Körper 
eher  schwächen,  so  tritt  damit  die  Frage  in  den 
Vordergrund,  ob  und  wann  eigentlich  eine  anti- 
pyretische Behandlung  bei  Tuberkulösen  ange- 
zeigt ist. 

Verf.  unterscheidet  zweierlei  Typen  fiebern- 
der Phthisiker.  Die  einen,  die  die  Fiebertempe- 
raturen sehr  gut  vertragen,  sie  sind  dabei  bei 
Appetit,  schlafen  gut,  sind  guter  Laune,  bloß 
die  fortschreitende  Abmagerung  gibt  von  dem 
Fortglimmen  des  Prozesses  Kunde;  die  anderen 
leiden  stark  unter  dem  Einflüsse  der  erhöhten 
Temperaturen,  verlieren  den  Appetit,  Schlaf  und 
fühlen  sich  krank  und  müde. 

Bei  den  ersteren  rät  Verf.  von  jedem  tem- 
peraturherabsetzenden Eingriff  ab;  die  Erfahrung 
lehrt,  daß  der  Zustand  solcher  Kranken  sich  bloß 
durch  Freiluftliegen  bedeutend  bessert,  so  daß 
das  Fieber  langsam  nachläßt,  bis  es  ganz  ver- 
schwindet. 

Die  zweite  Kategorie  verlangt  einen  thera- 
peutischen Eingriff,  der  antipyretisch  und  zu- 
gleich den  Allgemeinzustand  bessernd  wirken  soll. 

Zu  diesen  Eingriffen  zählt  Verf.  in  erster 
Reihe  die  Freiluftkur,  nach  Anwendung  welcher 
er  eklatante  Erfolge  gesehen  hat.  Dabei  werden 
hydriatische  Prozeduren  —  Abwaschungen  mit 
14  bis  15  grädigem  Wasser  —  ferner  Eis- 
umschläge auf  den  Thorax  angewendet. 

Zu  den  Arzneien  übergehend,  lobt  Verf.  eine 
Kombination  von  Chinin  und  Salol,  etwa:  Chinin, 
sulf.  0,25,  Saloli  0,50,  Coffein,  citric.  0,1.  D.  S. 
2  Pulver  täglich,  oder  Natr.  salicyl.  in  der 
Form  der  Kote  Hoedermakars  Pillen:  Acid. 
arsenic.  0,01,  Natr.  salicyl.  10,0,  Amyli  q.  8. 
Mf.  ope  aq.  dest.  q.  s.  pill.  No.  100.  Ne  con- 
sperga8.  3  mal  tägl.  2 — 5  Pillen. 


Von  den  anderen  Antipyreticis,  die  Verf. 
nach  der  Reihe  vornimmt,  hat  er  keine  kon- 
stante Wirkung  konstatieren  können. 

(Medycyna,  No.  1  ex  1905.)  Gabel  (Lemberg). 

(Ana  der  III.  med.  Klinik  de*  HofratM  t.  8 ehr 6t t er.) 

Ober  die  Behandlung  chronischer  Bronchitiden 
und  solcher  mit  beginnender  Tuberkulös«  mit 
Kalium  sulfo-guajacolicum  (Sorisln,  Sirupna 
Kai«  sulfo-guajacolicl).  Von  Dr.  Heinrich 
Kümmerling. 

Kümmerling  hat  mit  einem  Guajakol- 
präparat  Versuche  angestellt.  Es  ist  dies  das 
Kalium  sulfo-guajacolicum,  dessen  medizinische 
Zubereitung  eine  10  proz.  Lösung  in  Sirup, 
aurantiorum  das  „Sorisin"  bildet.  Das  Kalium 
sulfo-guajacolicum  ist  eine  Schwefel  Verbindung 
des  Guajakols,  und  zwar  das  Kaliumsalz  der 
Paraguajakol8ulfosäure  —  ein  weißes,  in  Wasser 
lösliches  Pulver,  das  keine  giftigen  Eigenschaften 
hat  und  52  Proz.  Guajakol  enthält.  Kümmer- 
ling hat  das  „Serisin"  auf  der  in.  med.  Klinik 
in  Wien  bei  subakuten  und  chronischen  Bron- 
chialkatarrhen und  in  4  Fällen  seiner  Privat- 
praxis versucht.  Er  ließ  bei  letzteren  3  mal 
täglich  1  Kaffeelöffel  (pro  dosi  0,70  g  Kai.  sulfo- 
guajacolic.  in  Sirup,  aurant.)  nehmen.  Die  Pa- 
tienten vertrugen  das  Mittel  gut,  und  das  All- 
gemeinbefinden besserte  sich  allmählich.  Der 
Husten  wurde  seltener,  und  nach  3 — 5  Wochen 
waren  die  Katarrhe  gewichen.  —  Von  den 
20  auf  der. med.  Klinik  beobachteten  Fällen  führt 
Kümmerling  3  im  Auszuge  an.  Bei  der  An- 
wendung des  Sorisin  fiel  ihm  die  raschere  Besse- 
rung des  bronchitischen  Prozesses,  des  Allgemein- 
befindens und  besonders  des  Appetits  auf.  Ins- 
besondere scheint  ihm  die  Besserung  der  Bron- 
chitis bei  gleichzeitiger  Tuberkulose  von  Belang. 
(Wien.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  17.)  R. 

Ober  chirurgische  Behandlung  der  Kehlkopf- 
Tuberkulose.  Von  Geh.  Hofrat  Dr.  Krieg 
(Stuttgart). 

Für  das  beste  Mittel  gegen  Kehlkopf- 
Tuberkulose  hält  Krieg  die  Galvanokaustik. 
Sie  ist  an  allen  Stellen  des  Kehlkopfs  vom 
Rande  der  Epiglottis  bis  zum  subglottischen 
Raum  anwendbar,  sie  zerstört  alles,  was  man 
will,  lädiert  nichts,  was  man  nicht  will,  ver- 
meidet Blutung  und  stärkere  Schmerzen  und 
wird  gut  vertragen;  nur  erfordert  ihre  An- 
wendung eine  sehr  geübte  Hand.  60  Fälle  von 
etwa  200,  welche  Krieg  in  Behandlung  be- 
kommen hat,  werden  in  einer  Tabelle  als  geheilt 
aufgeführt.  Aber  auch  denjenigen,  welche  sn 
völliger  Heilung  nicht  mehr  gelangen  konnten, 
wurde  nach  Ansicht  des  Verfassers  durch  die 
chirurgische  Behandlung  fast  immer  genützt: 
Schmerzen  und  Schluckbeschwerden  wurden  ge- 
lindert und  infolgedessen  das  Allgemeinbefinden 
gehoben. 

Das  Ideal  einer  Behandlung  der  Kehlkopf- 
Tuberkulose  würde  nach  Krieg  darin  bestehen, 
daß  man  nach  dieser  chirurgischen  Tätigkeit  die 
Patienten  unter  Fortfall  der  Berufsschädlichkeiten 
in  ein  Sanatorium,  womöglich  im  Höhenklima, 
schickt,    wo   ihnen   als   weiteres  Unterstütznnge- 


XIX.  Jahrgang.  1 
Jall  1»0Ä.     J 


Referate. 


373 


mittel   der  Kur  Tuberkulineinspritzungen  verab- 
folgt würden. 

(Archiv  für  LaryngologU,  Bd.  16,  2.) 

Krebs  (Hildesheim). 


Operationsregeln  für  die  Heilung  der  generali- 
eierten  akuten  eitrigen  Meningitis.  Von 
Marcel  Lermoyez,  Vorsteher  der  otolog. 
Abteil,  des  Hospitals  St  Antoine,  und  Leon 
Beilin,  Assistent. 

Die  Frage  der  chirurgischen  Behandlung 
der  otogenen  akuten  eitrigen  Meningitis  ist  keine 
spezielle  Angelegenheit  der  Otologen,  sondern 
yon  großer  allgemeiner  Bedeutung.  Die  Autoren 
betonen,  daß  beispielsweise  in  Paris  nach  den 
Ausweisen  der  Statistik  jede  Woche  15—20  Per- 
sonen an  dieser  Meningitis  sterben.  Und  nicht 
viel  anders  wird  es  wohl  in  anderen  Großstädten 
liegen.  Demgegenüber  steht  die  Tatsache,  daß 
diese  bisher  als  fast  absolut  tödlich  betrachtete 
Krankheit  auf  operativem  Wege  in  der  Mehr- 
zahl der  Fälle  sehr  wohl  heilbar  ist,  wenn  sie 
früh  genug  erkannt  und  der  entsprechenden  Be- 
handlung unterworfen  wird.  Im  Anschluß  an  2 
von  den  Verfassern  beobachtete  und  erfolgreich 
operierte  Fälle  derartiger  otogener  Meningitis 
versuchen  nun  die  Verfasser,  in  vorliegender 
Arbeit  eine  Anzahl  allgemeiner  Regeln  für  die 
Art  des  Vorgehens  in  ähnlichen  Fällen  festzu- 
stellen: Werden  wir  zu  einem  Kranken  mit 
akuter  Meningitis  gerufen,  die  im  Anschluß  an 
eine  Mittelohreiterung  entstanden  ist,  und  ist 
die  Diagnose  durch  Otoskopie  und  Lumbal- 
punktion festgestellt,  so  ist  unsere  erste  Auf- 
gabe, den  primären  Eiterherd  im  Felsenbein  zu 
öffnen  und  auszuräumen.  Hieran  soll  sich  un- 
mittelbar eine  Kraniotomie  schließen  durch  Fort- 
nahme  eines  genügend  großen  Stückes  vom 
Dache  des  Antrum,  um  die  äußere  Fläche  der 
Dura  näher  besichtigen  zu  können.  Durch  dieses 
Vorgehen  ist  einmal  die  Möglichkeit  gegeben, 
etwaige  extradurale  Eiteransammlungen  an  dieser 
Stelle  zu  entleeren,  ferner  das  unter  dem  abnorm 
starken  Druck  des  im  Übermaß  abgesonderten 
Liquor  cerebrospinalis  stehende  und  dagegen 
außerordentlich  empfindliche  Gehirn  von  diesem 
Druck  zu  entlasten.  Die  Dura  selbst  soll  zu- 
nächst unberührt  bleiben,  ausgenommen,  wenn 
außer  einer  Fistel  in  derselben  Eiter  sickert, 
oder  —  bei  Meningitis  ein  sehr  seltener  Fall 
— ,  wenn  gleichzeitig  ein  Gehirnabszeß  vorhanden 
ist.  Denn  ein  Einschnitt  in  die  Dura  mater  ist 
unter  allen  Umständen  eine  sehr  viel  ein- 
greifendere Operation  und  andrerseits  liegen 
mehrere  Beobachtungen  vor,  wonach  lediglich 
durch  das  Evidement  des  Felsenbeins  in  Ver- 
bindung mit  der  Kraniotomie  eine  otogene  Me- 
ningitis geheilt  wurde.  Sollte  aber  nach  Ver- 
lauf von  48  Stunden  der  Zustand  des  Kranken 
sich  nicht  gebessert  haben,  oder  die  Meningitis 
erst  eintreten,  nachdem  wegen  einer  lokalen 
Affektion  des  Felsenbeins  das  Evidement  und 
die  Kraniotomie  bereits  ausgeführt  waren,  so 
inzidiere  man  ohne  Zögern  die  Dura,  und  zwar 
durch  einen  ausgiebigen  Kreuzschnitt.  Ist  dies 
geschehen,  so  mache  man  sofort  eine  oder 
mehrere    Punktionen     in     den    Temporallappen. 


Diese  sind  ungefährlich,  sobald  man  nur  ein 
stumpfes  Instrument  benutzt,  das  die  Nerven- 
fasern der  weißen  Hirnsubstanz  nicht  schneidet, 
sondern  auseinanderdrängt,  also  etwa  eine  kanne- 
lierte Sonde,  die  natürlich  aseptisch  sein  muß, 
und  sobald  man  nicht  über  Eiter  in  die  Tiefe 
dringt.  Diese  Punktion  hat  den  Zweck,  den 
Seiten  Ventrikel  zu  entleeren,  falls  er  durch 
hydropische  Flüssigkeit  ausgedehnt  sein  sollte. 
Nicht  selten  entleert  sich  durch  die  Punktions- 
öffnung ein  latenter  Hirnabszeß.  Gleichzeitig 
erfordert  aber  die  Behandlung  der  Meningitis 
wiederholte  Lumbalpunktionen.  Es  sollen  jedes- 
mal wenigstens  15  com  Flüssigkeit  entleert 
werden,  und  die  Punktion  ist  stets  zu  wieder- 
holen, sobald  die  dadurch  erzielte  Besserung  im 
Befinden  des  Kranken  wieder  zurückzugehen 
droht.  Bessert  sich  der  Kranke,  so  klärt  sich 
der  Liquor  progressiv,  und  seine  Spannung  nimmt 
ab.  In  ihm  enthaltene  Mikroben  verschwinden, 
die  anfangs  reichlichen  vielkernigen  Leukozyten 
nehmen  ab,  werden  durch  Lymphozyten  ersetzt 
und  verschwinden  endlich  ganz.  Hand  in  Hand 
geht  damit  eine  Besserung  der  klinischen  Sym- 
ptome. Häufig  findet  man  bei  den  otogenen 
Meningitiden  auch  Caries  des  Labyrinths.  Dieser 
gegenüber  raten  die  Verfasser,  sich  exspektativ 
zu  verhalten,  selbst  wenn  bereits  nekrotischer 
Knochen  am  Boden  der  Wunde  vorhanden  sein 
sollte.  Wie  die  Erfahrung  zeigt,  besorgt  die 
Natur  selbst  am  schonendsten  die  Loslösung  und 
Ausstoßung  der  sich  bildenden  Sequester. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  85.) 

Ritterband  (Berlin). 

Die  Bekämpfung  der  Knochen-  und  Gelenk- 
tuberkulose im  Kindesalter.  Von  Prof.  Dr. 
A.  Hoffa-Berlin,  Direktor  der  Universitäts- 
Poliklinik  für  Orthopäd.  Chirurgie. 

Alle  Erfahrungen,  die  über  die  Behandlung 
der  lokalen  chirurgischen  Tuberkulose  der  Kinder 
in  den  letzten  25  Jahren  gewonnen  worden  sind, 
lehren,  daß  diese  Behandlung  eine  möglichst 
konservative  sein  soll.  Die  Mortalität  ist 
annähernd  gleich  groß  bei  konservativer  wie  bei 
chirurgischer  Behandlung,  die  funktionellen  End- 
resultate dagegen  sind  bei  der  ersteren  ungleich 
viel  günstiger  als  bei  dieser,  wie  Hoffa,  der 
die  Periode  der  rein  chirurgischen  Behandlung 
der  Knochen-  und  Gelenktuberkulose  mittels 
Resektion  oder  Arthrektomie  der  Gelenke  mit- 
erlebt hat,  auf  Grund  ausgiebiger  Erfahrung 
und  zahlreicher  Nachuntersuchungen  derartiger 
Patienten  versichern  kann.  Ruhigstellung,  Ent- 
lastung (d.  h.  Ausschaltung  aus  der  Funktion) 
und  Distraktion  der  Gelenkenden  sind  neben  der 
Ausnützung  aller  herbeiziehbaren  hygienischen 
Faktoren  die  Grundprinzipien  der  konservativen 
Behandlung. 

Kinder,  die  an  Knochen-  und  Gelenktuber- 
kulose leiden,  pflegt  man  in  neuester  Zeit  mehr 
und  mehr  den  Seehospizen  zuzuführen.  Ein  Er- 
folg ist  aber  nur  bei  dauerndem,  möglichst 
einige  Jahre  hindurch  währendem  Aufenthalt  in 
solchen  einigermaßen  zu  garantieren.  Die  so  zu 
erzielenden  80  Proz.  Heilungen  und  12  Proz. 
Besserungen  reduzieren  sich  auf  30  Proz.  Heilun- 


374 


Referate. 


t Therapeutische 


gen  udcI  Beserungen  beim  Aufenthalt  in  solchen 
Hospizen,  die  nur  Sommerbetrieb  haben.  Des- 
halb plädiert  Verf.  für  die  Errichtung  spezieller 
Heilstätten  für  an  Knochen-  und  Gelenk  tuber- 
kulöse leidende  Kinder,  die  seiner  Ansicht  nach 
nicht  durchaus  an  der  Seeküste  zu  liegen 
brauchen,  sondern  vielmehr  ganz  vorteilhaft  in 
der  Nähe  größerer  Städte  geschaffen  werden 
könnten.  Der  Bau  einer  derartigen  Heilstätte 
wird  im  Anschluß  an  die  Viktoria-Luisen-Kinder- 
heilstätte für  lungenkranke  Kinder  zu  Hohen- 
lychen  bei  Templin  (Mark  Brandenburg)  dem- 
nächst in  Angriff  genommen. 

(Tuberkulosis.  Monatsschrift  des  internationalen  Zen~ 
tral-Bureaus  ssur  Bekämpfung  der  Tuberkulose,  Vol.  TV, 
1905,  No.  1.)  Eschle  (Sinsheim). 

Ober  den  Einfluß  großer  FlOssigkeitsmengen  auf 
das  Herz.  Von  Dr.  Georg  Keferstein  in 
Lüneburg. 

Die  bekannten,  durch  die  klinische  Beob- 
achtung und  durch  das  Experiment  ermittelten 
Tatsachen  sprechen  nach  Keferstein  dagegen, 
daß  Herz  Veränderungen,  die  das  bekannte  Bild 
des  „Bierherzens"  zeigen,  nur  durch  übermäßige 
Flüssigkeitsaufnahme  zustande  kommen  können. 
Gegenüber  den  pseudo-physikalischen  Erklärun- 
gen, die  in  letzter  Zeit  von  gewisser  Seite  bei- 
gebracht wurden,  um  die  Herz  Wirkung  des  Al- 
kohols zu  deduzieren,  verhält  sich  Verf.  erfreu- 
licherweise durchaus  ablehnend.  Wenn  auch  er 
hervorhebt,  wie  weit  wir  noch  davon  entfernt 
sind,  aus  der  Hydrodynamik  allein  Kreislaufs- 
störungen berechnen  und  erklären  zu  können, 
und  wie  die  rein  mechanische  Auffassung  des 
Kreislaufes  und  der  Herztätigkeit  geeignet  ist, 
uns  auf  Abwege  und  unhaltbare  Scheinerklä- 
rungen zu  bringen,  so  stützt  Keferstein  sich 
hierbei  auf  die  Arbeiten  0.  Rosenbachs1)  und 
R.  Tigerstedts2). 

(Zeitschr.  f.  diätet.  und  physikal.  Therapie,  Bd.  VIII, 
1904-1905,  H.  4.)  Eschle  (Sinsheim). 

Das  Opocerebrln  bei  Epilepsie.    Von  Dr.  T.  Za- 

pinski. 

In  zwei  Fällen  von  Epilepsie  wurden  0,3  g 
Opocerebrin  täglich  angewendet  —  ohne  jedweden 
Erfolg. 

Der  erste  Fall  betraf  einen  34  jährigen 
Epileptiker,  bei  dem  man  pro  die  dreimal  1,0  Natr. 
bromat.,  Enthaltsamkeit  von  Fleisch  und  Salz, 
sowie  die  oben  erwähnten  Gaben  von  Opocerebrin 
anwandte.  Trotzdem  traten  die  Anfälle  fast 
wöchentlich  auf.  Der  zweite  Fall  verlief  ganz 
analog. 

(Medycyna  No.  16,  1904.)  Gabel  (Lemberg). 

Der  hellende  Einfluß  eines  Erysipels  auf  atro- 
phische Rhinitis.    Von  Dr.  Valentine  Levi. 

Ein  Patient,  der  seit  mehreren  Jahren  an 
atrophischer  Rhinitis  mit  Ozaena  litt  und  mehr- 
fach mit  geringem  Erfolg,   zuletzt  mit  Kauteri- 


!)  U.  a.  0.  Rosenbachs  Artikel  in  der  Münch. 
med.  Wochenschr.  1901,  S.  534. 

2)  R.  Tigers te dt,  Über  den  Lungenkreislauf. 
Skandin.  Arch.  f.  Physiologie  1903,  Bd.  14,  S.  259. 


sation  behandelt  war,  wurde  innerhalb  eines 
Monats  dreimal  von  Erysipel  befallen.  Jedes- 
mal ging  es  von  der  Nase  aus,  das  erste  Mal 
war  es  am  heftigsten  und  breitete  sich  bis  zum 
rechten  Ohr  aus.  Während  dieser  Erkrankung 
bemerkte  der  Patient,  daß  die  Nase  freier  und 
der  Ausnuß  geringer  wurde.  Schon  nach  Ab- 
lauf des  ersten  Erysipels  war  die  Ozaena  geheilt. 
Nach  dem  dritten  Anfall  war  auch  die  atro- 
phische Rhinitis  geschwunden;  statt  dessen  be- 
stand Schwellung  der  Nasenschleimhaut  und 
Hypertrophie  der  Muscheln  rechterseits. 

Ohne  auf  eine  Erklärung  dieses  Heilungs- 
vorgangs näher  eingehen  zu  wollen,  macht  Levi 
nur  darauf  aufmerksam,  daß  die  Rhinitis  und 
das  Erysipel  zwei  in  ihrem  Wesen  entgegen- 
gesetzte Krankheiten  sind:  die  eine  besteht  in 
Anämie  und  Atrophie,  die  andere  in  Hyper- 
ämie und  Schwellung.  Es  liegt  also  nahe,  an 
einen  Antagonismus  der  beiden  Krankheitserreger 
zu  denken. 

(Therapeutic  gaaette  1904,  No.3.) 

Glossen  (Grube  i.  H.). 

(Aus  der  piycbUtrischen  Klinik  In  Bonn.) 

Ober    perkutane    Wirkung    eines    Schlafmittels 
(Isopral).    Von  Dr.  R.  Foerster. 

Foerster  hat  die  Beobachtung  gemacht, 
daß  ein  Schlafmittel  wie  das  Isopral  auch  bei 
perkutaner  Anwendung  eine  hypnotische  bezw. 
sedative  Wirkung  zu  entfalten  vermag.  Als 
zweckmäßig  fand  er  folgende  Mischung: 

Olei  Ricini 

Alcohol.  abs.  aä    10,0 

Isopral  30,0. 

Die  Applikation  geschieht  in  der  Weise, 
daß  das  gewünschte  Quantum  der  Isoprallösung 
auf  der  Körperhaut  —  des  Oberarmes  und  bei 
mageren  Personen  des  Oberschenkels  —  ein- 
gerieben wird,  und  zwar  nicht  zu  lange,  damit 
keine  v  stärkere  Verdunstung  eintritt.  Alsdann 
Bedeckung  der  benetzten  Hautpartie  mit  Gutta- 
percha und  Befestigung  mittels  Binde.  Die 
Bedeckung  wird  nicht  vor  Ablauf  von  1  bis 
V/2  Stunden  entfernt.  Es  wurden  in  dieser 
Weise  bei  38  weiblichen  Personen  140  Ein- 
reibungen vorgenommen,  indem  mit  kleinen 
Dosen  begonnen  und  vorsichtig  gestiegen  wurde. 
Das  eingeriebene  Quantum  wurde  im  Meßzylinder 
abgemessen  und  entsprach  einer  Dosis  von  1 — 5  g 
des  Präparates.  Über  5,0  Isopral  2  mal  pro  die 
ist  Foerster  nicht  hinausgegangen.  Bei  einem 
Drittel  der  Versuchspersonen  war  ein  positiver 
Erfolg  zu  verzeichnen,  bei  einem  Viertel  war 
er  weniger  ausgesprochen  und  beim  Rest  negativ. 
Der  Schlaf  tritt  gewöhnlich  nicht  vor  Ablauf 
von  Yj — 2  Stunden  ein  und  hält  durchschnitt- 
lich 4 — 7  Stunden  an. 


(Münch.  med.  Wochenschr.  20,  1905.) 


R. 


Ober  die  Wirkung  einiger  gechlorter   Alkottolc 

Von  E.  Frey. 

Der  Verfasser  hat  das  Chloralhydrat ,  das 
Butylchloralhydrat,  das  Chloreton  und  dasChloral- 
aceton chloroform  (Cloran)  in  ihrer  Wirkungs- 
weise verglichen. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Jnli  1905.     J 


Referate. 


375 


Die  hypnotische  Wirkung  des  Chloralhydrats 
setzt  ziemlich  spät  ein,  sie  geht  aber  bald  in 
vollständige  Narkose  über. 

Nach  Ghloreton  tritt  nach  geringer  Gabe 
schon  Schlaf  ein ;  durch  Vergrößerung  der  Dosen 
laßt  sich  eine  Narkose  nicht  erreichen;  dasselbe 
gilt  für  das  schwer  lösliche  und  langsam  resor- 
bierbare Clor  an  und  auch  für  das  Butylchloral. 
Beim  Isopral  ist  dagegen  die  Narkose  leichter 
zu  erreichen. 

Der  Blutdruck  wird  durch  alle  diese  Mittel 
mehr  oder  weniger  herabgesetzt;  die  Atemfrequenz 
wird  erniedrigt. 

Die  Herabsetzung  der  Pulsfrequenz  ist  recht 
unbedeutend. 

Chloreton  und  Isopral  besitzen  eine  lokal- 
an&sthesierende  Wirkung;  bei  den  übrigen  Mitteln 
ist  diese  Eigenschaft  weniger  deutlich  entwickelt. 

Das  Isopral  hat  den  weitesten  Spiel- 
raum zwischen  Dosis  letalis  und  Dosis 
efficax  sowie  zwischen  Dosis  efficax  und 
Dosis  narcotica;  es  hat  eine  prompte  Wir- 
kung bei  geringster  Gefährlichkeit. 

Das  Dormiol  kann  nicht  in  so  verschiedenen 
Dosen  gereicht  werden,  ohne  daß  die  Grenze  der 
Ungefährlichkeit  überschritten  wird. 

Das  Cloran  erreicht  ebenfalls  die  Gaben- 
breite des  Isoprals  nicht;  wegen  seiner  Unlös- 
lichkeit tritt  seine  Wirkung  nur  sehr  langsam 
ein.  Will  man  schnell  Schlaf  erzeugen,  so  wird 
man  ein  leicht  lösliches,  prompt  wirkendes  Schlaf- 
mittel geben,  das  Isopral. 

Handelt  es  sich  aber  darum,  den  Schlaf  zu  ver- 
längern bei  zu  frühem  Erwachen,  so  wird  man 
das  spät  wirkende  Cloran  anwenden  können. 

(Arch.  iniern.  de  Pharm,  et  de  Ther.  Vol.  XIII,  p.  45.) 
Dr.  Impens  (Elberfeld). 

(Ana  der  k.  k.  Unlversitltakllnlk  fflr  Geiehl«ehu-  und  Haut- 
krankheiten in  Wien.    Vont  Prof.  Dr.  B.  Finger). 

l.  Ober  kutane  Darreichung  von  Jodpräparaten. 
Von  Dr.  B.  Lip  schütz.  Archiv  für  Dermatol. 
u.  Syphilis,  Bd.  74,  Heft  2—3,  S.  265. 

(Aas  der  Abteilang  für   Haut-  und  Oeeohlechtskrankheiten 
des  Trieeter  ZlTilapltalei,  Primararzt  Dr.  Nico  lieh). 

a.  Daa  Jothion,  ein  neues  Jodpräparat  aar  per- 
kutanen Applikation.  Von  Dr.  Carlo  Ra- 
vasini  und  Dr.  Ugo  Hirsch.  Ebenda  S.  295. 

3.  Jothion,  ein  perkutan  anzuwendende«  Jodprä- 

parat.   Von  G.  Wesenberg.   Ebenda  S.  301. 

4.  Zur    Anwendung    des    Jothions.      Von    Prof. 

Dr.  Dreser.    Berliner  klinische  Wochenschrift 

No.  23,  1905,  S.  716. 

1.  In  seinen  Studien  über  die  Absorptions- 
fähigkeit der  menschlichen  Haut  für  Jodpräparate 
geht  B.  Lipschütz  zunächst  vom  Jöthion  aus. 
Wird  Jothion  auf  die  anverletzte  Haut  ent- 
weder leicht  aufgepinselt  oder,  auf  Gaze  auf- 
geschüttet, auf  die  Haut  appliziert,  so  läßt  sich 
schon  nach  kurzer  Zeit  im  Harn  und  Speichel 
mittels  der  Nitritprobe  Jod  nachweisen.  Dieser 
Nachweis  gelingt  auch  dann,  wenn  äußerst  ge- 
ringe Mengen  Jothion  (0,005  g)  verwendet  werden. 
Ebenso  schnell,  wie  die  Absorption  erfolgt,  voll- 
zieht sich  auch  die  Ausscheidung  aus  dem  Or- 
ganismus. Die  Aufnahme  erfolgt  durch'  die 
Haut  und  nicht  durch  die  Lungen,  wenigstens 
ließ  sich  nach  5  Minuten  langem  Einatmen  der 


Dämpfe  weder  im  Nasenschleim,  noch  Speichel, 
noch  Harn  Jod  auffinden.  Worden  dagegen 
10  cem  Jodtinktur  auf  die  intakte  Haut  ge- 
pinselt, so  fiel  die  Prüfung  des  Speichels  und 
Harns  stets  negativ  aus. 

Bei  den  Jodkalisalben  konnte  wiederum  eine 
kutane  Jodaufnahme  nachgewiesen  werden.  Die 
Salben,  welche  in  der  Konzentration  von  1,  5 
und  10  %  m*t  Vaselin,  Vasogen,  Fetron,  Vasenol 
und  Lanolin  bereitet  waren,  wurden  auf  Flanell 
gestrichen  auf  die  Haut  appliziert;  darüber  wurde 
ein  abschließender  Verband  angelegt.  Die  Auf- 
nahme ist  zunächst  von  der  Einwirkungszeit  der 
Salbe  abhängig;  so  gab  erst  7  stündige  Einwir- 
kung einer  10  proz.  Salbe  deutliche  Jodreaktion 
in  Speichel  und  Harn.  Sodann  ist  sie  abhängig 
von  der  Salbenmenge,  dem  Prozentgehalt  an 
Jodkali  und  vom  Salbenconstituens.  Mit  Lanolin 
frisch  bereitete  Salben  geben  keine  Jodreaktion 
in  Speichel  und  Harn,  ältere  Lanolinsalben  in 
einzelnen  Fällen,  und  zwar,  weil  in  diesen  sich 
unter  dem  Einfluß  von  Wasserstoffsuperoxyd,  das 
sich  in  geringer  Menge  bei  Gegenwart  von 
Wasser  und  Luft  bei  der  Autooxydation  tierischer 
Fette  bildet,  Jod  aus  dem  Jodalkali  abspaltet; 
die  Zähigkeit  des  frischen  Lanolins  verhindert 
den  Eintritt  der  Luft  und  somit  auch  die  Jod- 
abspaltung. Bei  Verwendung  von  Jodkali vasel in 
und  -Fetronsalben  ist  die  Reaktion  dagegen  sehr 
deutlich;  auch  wenn  nur  1  g  der  10 proz.  Salbe 
benutzt  wird,  ist  sie  angedeutet. 

Die  Absorption  selbst  kommt  ausschließlich 
durch  physikalische  Vorgänge  zustande.  Stoffe, 
die  sich  mit  den  Hautfetten  mischen  oder  in 
ihnen  lösen,  werden  absorbiert.  Es  wird  daher 
das  in  Fetten  leicht  lösliche  Jothion  rasch  auf- 
genommen, ebenso  das  aus  den  Jodkalisalben 
abgespaltene  Jod. 

Die  mit  Jothion  behandelten  30  Fälle  von 
tertiärer  Lues  mit  ausgedehnten  gummösen  Haut- 
geschwüren, Ulzerationen  der  Schleimhäute  oder 
Schwellung  des  Periosts,  die  sämtlich  bis  auf 
zwei  zur  Heilung  gebracht  wurden,  bewiesen 
die  therapeutische  Wirksamkeit  des  Präparates. 
In  einem  Drittel  der  Fälle  trat  leichter  Jodismus 
auf,  der  nach  ein-  bis  zweitägigem  Aussetzen 
des  Jothions  wieder  schwand.  Ein  Patient  be- 
kam nach  der  10.  Pinselung  von  je  5  cem  Jothion 
pro  die  an  der  Kreuzgegend  ein  Erythem  und 
graubraune  Pigmentierungen;  es  steht  jedoch 
nicht  fest,  daß  diese  Affektion  durch  Jothion 
verurBcht  worden  ist.  Subjektiv  machte  sich 
bei  einem  Drittel  der  Patienten  Jucken  und 
Brennen,  das  in  der  Dauer  von  etwa  !/j  Stunde 
stet«  erst  1/i — y9  Stunde  nach  der  Einpinselung 
sich  einstellte,  geltend. 

Auf  Grund  dieser  Ausführungen  empfiehlt 
Verf.,  Jothion  überall  dort  zu  verwenden,  wo 
Jodpräparate  per  os  nicht  vertragen  werden, 
oder  wo  die  innere  Darreichung  wegen  Schluck- 
beschwerden oder  wegen  Sopor  auf  Schwierig- 
keiten stößt;  ferner  da,  wo  eine  lokale  Jod- 
wirkung erwünscht  ist,  weil  Jothion  sehr  rasch  und 
schon  in  geringen  Mengen  absorbiert  wird.  Soll 
die  Jodwirkung  dagen  langsam  erfolgen  und  sich 
auf  Monate  erstrecken,  so  sind  andere  Jodprä- 
parate, z.  B    Jodipin,  zu  wählen. 


376 


Referate. 


[  Tharapeatiscbe 
L   MowttahefU. 


2.  Ravasini  und  Hirsch,  die  eine  20proz. 
Jothion -Vaselin-Lanoiinsalbe  benutzten,  konnten 
in  allen  Fallen  im  Harn  und  Speichel  schon 
drei  Stunden  nach  der  Applikation  Jodreaktion 
erhalten;  nach  24  Stunden  fiel  sie  negativ  aus. 
Die  Reaktion  blieb  auch  negativ,  wenn  zum 
Vergleich  Jodtinktur  oder  Jodkalisalbe  benutzt 
wurde.  •  Der  Heileffekt  war  ein  guter  bei 
Lymphadenitis  inguinalis  nach  Ulcus  durum  und 
Ulcus  molle,  bei  Epididymitis  gonorrhoica  und 
bei  exulzerierten  Gummata;  das  Mittel  versagte 
dagegen  bei  Hodentuberkulose.  In  drei  Fallen 
von  Gonitis  gonorrhoica  trat  einmal  Dermatitis 
auf,  im  zweiten  Fall  verschlimmerte  sich  der 
Zustand,  während  im  dritten  nach  12tägigem 
Jothiongebrauch  Heilung  erfolgte. 

3.  Die  experimentellen  Untersuchungen,  die 
Wesen  borg  mit  Jothion  anstellte,  ergaben  als 
Resultat: 

a)  Es  besitzt  ein  gutes  Durchdringungs- 
vermögen für  die  Haut,  infolgedessen  es  rasch 
und    reichlich    vom   Körper  aufgenommen  wird. 

b)  Infolge  seiner  leichten  Spaltbarkeit  durch 
den  Alkaligehalt  der  Lymphe  und  des  Blutes 
wird  es  rasch  in  Jodnatrium  übergeführt  und 
als  solches  im  Harn  und  Speichel  ausgeschieden. 

c)  Da  bei  dieser  Jodapplikation  der  Magen- 
darmkanal so  gut  wie  völlig  ausgeschaltet  ist, 
werden  Verstimmungen  in  dieser  Beziehung  nur 
selten  und  in  sehr  geringem   Grade  beobachtet. 

d)  Das  unveränderte  Jothion  besitzt  sowohl 
gegenüber  den  als  Eitererreger  u.  s.  w.  in  Betracht 
kommenden  Bakteiien,  wie  auch  gegenüber  den 
verschiedenen  Fadenpilzen,  welche  als  die  Ur- 
sachen der  verschiedenen  .Haut- «und  Haarkrank- 
heiten bekannt  sind,  eine  starke  Desinfektions- 
wirkung, und  selbst  in  beträchtlichen  Verdünnun- 
gen noch  entwickelungshemmende  Eigenschaften. 

4.  Die  Wirkung  des  Jothions  kommt,  wie 
D  res  er  ausführt,  folgendermaßen  zustande:  Es 
wird  allmählich  resorbiert  und  verseift;  das  an 
Ort  und  Stelle  gebildete  Jodalkali  verbreitet 
sich  von  hier  aus,  sich  dabei  fortwährend  ver- 
dünnend, im  Organismus,  entfaltet  also  am 
Erkrankungsherd  die  stärkste  Wirkung. 

Die  Giftwirkung  des  Jothions  läßt  sich  an 
Fischen  bestimmen.  Rotaugen,  in  Wasser  mit 
0,00615  Proz.  Jothion  gesetzt,  zeigen  leichte 
hypnotische  Erscheinungen  .'Schwanken,  Umfallen 
auf  die  Seite.  Auf  das  Molekulargewicht  be- 
zogen, erweist  es  sich  145  mal  stärker  wirksam 
als  das  Äthyiurethan;  eine  innere  Darreichung 
verbietet  sich  daher,  da  schon  0,1  g  (entsprechend 
4  g  Urethan)  narkotisch  wirken  würden.  Die 
subkutane  Applikation  zeigt  denselben  Nachteil 
und   ist   obendrein  nicht  frei  von    Reizwirkung. 

Da  ein,  wenn  auch  kleiner,  Teil  des  Jothions 
im  Harn  als  organisch  gebundenes  Jod  erscheint, 
das  therapeutisch  unwirksam  ist,  empfiehlt  es  sich, 
nicht  einmal  größere,  sondern  lieber  öfters  kleinere 
Dosen  einzureiben.  Da  zur  Tötung  einer  Katze 
0,5  g  Jothion  pro  Kilo,  auf  der  Haut  verrieben, 
erforderlich  sind,  so  berechnet  sich  die  tödliche 
Dosis  für  den  Menschen  auf  18  g,  vorausgesetzt, 
daß  die  Haut  desselben  ebenso  wie  die  Katzen- 
haut resorbiert. 

Jacobson. 


Zur  Frage  der  Verwertbarkelt  größerer  Doten 
Olivenöl  In  der  Therapie  der  Magenkrank- 
heiten.   Von  O.  Blum,  Berlin. 
Nach  den  Erfahrungen  des  Yerf.   wird   das 
öl  von  vielen  Kranken    nicht    gern    genommen. 
Wegen  der  nach  ihnen  eintretenden  Beschwerden 
sind  größere  öldosen   kaum    zu   verwenden.     In 
5  Fällen   von   Hypersekretion    und    Hyperchlor- 
hydrie   wirkte   das   öl   günstig,   aber  ohne   blei- 
benden   Erfolg.      Bei    geschwürigen     Prozessen 
versagte  das  öl.     In  2  Fällen  von  Pylorusstenose 
blieb  der  Erfolg  aus,  ebenso  in  einem  Falle  von 
Pylorospasmus. 

(Berl.  klin.  Wochenschr.  21,  1905.)  R. 

Septikämie  und  Collargol.  Von  Dr.  Ribadeau- 
D  u m  a 8  und  Dr.  B ail  1  e u  1 ,  Hospital  Trousseau, 
Paris. 

Die  Verfasser  berichten  über  vier  Fälle  von 
Septikämie,  die  sie  im  Hospital  Trousseau  mit 
Coilargolinjektionen  —  5  ccm  einer  2  proz.  Lö- 
sung in  eine  der  Venen  der  Ellenbogenbeuge  — 
behandelt  haben.  Im  ersten  Fall,  wo  aus  dem 
Blut  Streptokokken  gezüchtet  werden  konnten, 
war  die  Allgemeininfektion  auf  eine  Phlegmone 
der  Hand  gefolgt  und  hatte  zu  einem  sehr 
schweren  Allgemeinzustand  mit  Fieber  von  39,2° 
geführt.  Die  Collargolinjektion  ließ  bis  zum 
nächsten  Tag  die  Temperatur  auf  38°  sinken, 
besserte  das  Allgemeinbefinden,  und  unter  chirur- 
gischer Behandlung  des  Grundleidens  erfolgte 
ungestörte  Heilung.  Im  zweiten  Fall,  einer  durch 
Staphylococcus  aureus  verursachten  Osteomyelitis 
mit  Septikämie,  bewirkte  die  Operation  nur  einen 
unbedeutenden  Abfall  der  Temperatur  von  40,6 
auf  39,8°.  Da  sie  von  neuem  anstieg,  wurde 
eine  Collargolinjektion  gemacht,  worauf  sie  von 
40,4  auf  38°  fiel.  Bei  einem  wenige  Tage  später 
erfolgten  neuerlichen  Temperaturanstieg  hatte 
die  Collargolinjektion  denselben  prompten  Erfolg. 
Ausgang  in  Heilung.  Ebenso  günstig  verlief 
der  dritte  Fall,  auch  eine  Staphylokokkensepti- 
kämie  nach  Osteomyelitis:  das  Allgemeinbefinden 
hob  sich  nach  der  Injektion,  die  Temperatur 
sank  von  40  auf  38°,  und  die  schon  bestehenden 
meningi tischen  Symptome  verschwanden.  Im 
vierten  Fall,  ebenfalls  einer  nach  Osteomyelitis 
aufgetretenen  Staphylokokkenseptikämie  mit  Milz- 
tumor, Fieber  von  40°  und  sehr  schlechtem  All- 
gemeinbefinden, sank  die  Temperatur  nach' der 
sofort  gemachten  Collargolinjektion  auf  37°,  hielt 
sich  auf  dieser  Höhe,  und  es  erfolgte  Heilung, 
ohne  daß  es  zu  einem  chirurgischen  Eingriff 
gekommen  war,  während  dieser  in  den  drei 
ersten  Fällen  zur  Entleerung  des  angesammelten 
Eiters  nötig  gewesen  war. 

(Journal  des  Praticiens  No.  15,  1905.)  K. 

Ein  Beitrag  zur  Collargoltherapie.  Von  Dr.  Ro  e  a  z. 

Verfasser  wandte  wegen  der  Schwierigkeiten, 
die  den  intravenösen  Injektionen  bei  kleinen 
Kindern  begegnen,  das  Collargol  in  Form  einer 
7  proz.  Salbe  (Unguentum  Crede  auf  die  Hälfte 
verdünnt)  an,  von  der  er  1  —  3  g  pro  Tag 
15  Minuten  lang  in  die  vorher  abgeseifte 
und    mit    Alkohol    entfettete     Haut      der 


KU.  JafcrgaBg.1 
Jnll  IWft.     J 


Referate. 


377 


Achselgegend  einreiben  ließ.  Die  Erfolge 
waren  äußerst  befriedigend  in  einem  Fall  reiner* 
Diphtherie,  einem  Fall  komplizierter  Diphtherie, 
einem  Scharlachfall,  mehreren  Fällen  von  Grippe, 
und  besonders  bei  einigen  Fällen  von  Masern - 
Bronchopneumonie.  Bei  drei  von  dieser  letzten 
Affektion  befallenen  Kindern  war  das  Resultat 
überraschend:  eines  von  ihnen  erkrankte  an 
Masern  nach  einer  mit  Lungenerscheinungen 
komplizierten  Grippe  und  befand  sich  in  einem 
schlechten  Allgemeinzustand  (doppelte  Broncho- 
pneumonie, zahlreiche  Sekundärinfektionen);  hier 
führte  das  Coliargol  in  wenigen  Tagen  die  Ge- 
nesung herbei.  Bei  zwei  andern,  schlecht  ge- 
nährten fandern  änderte  sich  das  Krankheitsbild 
auf  Collargolanwendung  in  derselben  Weise. 
Verfasser  glaubt  daher,  daß  das  Coliargol  in 
der  Kinderheilkunde  ein  ausgedehntes  Indi- 
kationsgebiet finden  wird. 

(Gas.  des  Höp.  de  Toulouse  No.  35,  1905.)  K. 

Ober  zwei  erfolgreich  mit  Unguentum  Credo*  be- 
handelte Fälle  von  Sepsis  puerperalis.  Von 
Dr.  Engel. 

Im  ersten  Fall  handelte  es  sich  um  eine 
septische  Peritonitis  (hochgradiger  Meteorismus, 
Erbrechen,  Fieber,  kleiner,  sehr  frequenter  Puls), 
wo  die  vom  ersten  Krankheitstag  an  täglich  vor- 
genommene Einreibung  der  Oberschenkel  mit 
Ungt.  Crede  binnen  einer  Woche  zur  Entfieberung 
und  Heilung  führte.  Ein  zweiter  Fall,  eine  venöse 
Form  der  Sepsis  puerperalis,  heilte  binnen  vier 
Tagen  unter  täglichen  Einreibungen  der  Bauch- 
haut mit  je  3  g  Ungt.  Crede. 

(Österr.  Ärztezeitung  No.  3,  1905.)  K. 

Collargolpinselungen  bei  Angina  and  Diphtherie. 

Von  Dr.  K.  Justi  in  Hongkong. 

Da  das  in  Hongkong  zu  erlangende 
Diphtherieheilserum  infolge  der  langen  und 
heißen  Reise  nur  in  einem  sehr  fragwürdigen 
Zustand  zur  Verwendung  kommen  kann,  hat 
Justi  auf  dasselbe  von  vornherein  verzichtet. 
Dafür  hat  er  in  zahlreichen  Fällen  von  Angina 
follicularis  und  bei  einigen  Fällen  von  Diphtherie 
des  Isthmus  faucium  Pinselungen  mit  einer  5  proz. 
wässerigen  Collargollösung  vorgenommen.  Die 
erzielten  Resultate  waren  sehr  ermutigend.  Die 
Pinselungen,  welche  mindestens  3  mal  täglich 
vorgenommen  werden  müssen,  sind  nicht  schmerz- 
haft und  werden  stets  gut  vertragen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  49,  1904.)  R. 

Ober  die  therapeutische  Anwendung  Ton  Triferrol. 

Von  Dr.  Josef  Reichelt  (Wien). 

Das  Tri  ferrin  ist  eine  Verbindung  von  Eisen 
und  organisch  gebundenem  Phosphor  im  Verhältnis 
Ton  10:1.  Die  schwach  weingeistige  1,5  proz. 
Lösung,  Triferrol  oder  Essentia  Triferrini  aro- 
matica  genannt,  ist  eine  haltbare,  angenehm 
schmeckende  Flüssigkeit,  welche  0,33  Proz.  Eisen 
und  0,033  Proz.  Phosphor  enthält. 

Reichelt  hat  Triferrol  in  20  Fällen  von 
Anämie  (Chlorose,  Anämie  nach  Ulcus  ventriculi, 
tuberkulöse  und  skrofulöse  Anämie)  gereicht  und 
lobt  das  Präparat,  das,  abgesehen  von  einem  Fall 


hochgradiger  Chlorose  und  Mitralinsuffizienz,  stets 
gut  vertragen  wurde,  als  sicher  wirkendes  Mittel. 
Bei  Chlorose  war  der  Erfolg  am  meisten  ersicht- 
lich: Aussehen  und  Appetit  besserten  sich,  der 
Hämoglobingehalt  stieg  an  und  das  Körpergewicht 
nahm  zu.  Ganz  besonders  trat  eine  günstige 
Wirkung  auf  das  Nervensystem  hervor:  die 
depressive  Stimmung  der  Pat.  machte  einer 
heiteren  und  fröhlichen  Platz. 

Die  Dosis  betrug  bei  Erwachsenen  1 — 2  Eß- 
löffel dreimal  täglich,  bei  Kindern  2—  4  mal  ein 
Kaffeelöffel. 

(Wiener  klinAherapeut  Wochenschr.  1904  f  No.  44.) 

Jacobson. 

i.  Die  Verwendung  von  Balemmum  peruvlaoum 
bei  der  Wundbehandlung«  Von  Dr.  Fritz 
Burger  (Koburg).  München  er  medizinische 
Wochenschr.  No.  48,  1904. 

(Ans  der  medizinischen  Abteilung  dee  Krankenhantee  der 
barmherzigen  Brüder  In  Oms,  Primarius  Prof.  Dr.  t.  Hoff  er). 

a.  Die  Verwendung  des  Baleamum  peruvtanum 
bei  der  Wundbehandlung.  Von  Volontärarzt 
Dr.  R.  Petretto.  Mfinchener  medizinische 
Wochenschr.  No.  52,  1904. 

3*  Noch  eine  Mitteilung  Ober  Baltamum  peruvta- 
num« Von  Dr.  Unschuld,  Neuenahr.  Mün- 
chener medizinische  Wochenschr,  No.  13,  1905. 

4*  Die  Verwendung  dea  Baltamum  peruvtanum 
bei  der  Wundbehandlung.  Von  Dr.  Conrad 
Frank,  München.  Münchener  medizinische 
Wochenschr.  No.  16,  1905. 

1.  Bei  tiefen  Riß-  und  ausgedehnten  Quetsch- 
wunden führt  die  Behandlung  mit  Sublimat, 
Airol,  Jodoform  oder  Borsalbe  nur  langsam  zur 
Heilung.  Viel  schneller  wird  nach  Burger 
dieser  Erfolg  durch  Verwendung  von  Perubalsam 
erreicht.  Die  Wunden  werden  nach  Entfernung 
der  gröbsten  Verunreinigungen  mit  Sublimat- 
lösung durchspült,  sodann  mit  reinem  Perubalsam 
beträufelt  und  mit  von  Perubalsam  durchfeuch- 
teter Gaze,  die  jeden  zweiten  oder  dritten  Tag 
gewechselt  wird,  verbunden.  Unter  der  Ab- 
spaltung von  Zimmtsäure  schießen  rasch  üppige 
und  straffe  Granulationen  hervor,  und  die  Heilung 
geht  schnell  und  glatt  von  statten.  Der  Verband- 
wechsel vollzieht  sich  rasch,  da  ein  Verkleben 
der  Verbandgaze  mit  den  Wundrändern  nicht 
stattfindet.  Auch  bei '  Ulcera  cruris  ist  der 
Balsam  zur  Beförderung  der  Granulation  recht 
brauchbar. 

2.  Bei  chronischen  Untersehenkelgeschwüren, 
selbst  in  schweren  Fällen,  bei  welchen  sonst  die 
Amputation  als  äußerstes  Mittel  in  Frage  kommt, 
bedient '  sich  Petretto  einer  Perubalsamsalbe 
von  folgender  Zusammensetzung: 

Rp.    Argenti  nitrici  0,30 

Baisami  peruviani      6,00 

Unguenti  simplicis  90,00. 

Unter    der  Anwendung   der    Salbe,    welche 

auf   Gaze   oder   Leinwand    gestrichen    appliziert 

wird,    reinigen    sich    die    Geschwüre    rasch,  die 

Sekretion  schwindet,  und  bald  bilden  sich  schöne, 

straffe    Granulationen,    die  zur  Heilung  führen. 

3.  Auch  Unschuld  verwendet  den  Peru- 
balsam mit  bestem  Erfolge  bei  dem  Mal  per- 
forant  der  Diabetiker.  Überraschend  schnell 
macht  sich  Tendenz  zur  Besserung  geltend,  und 


378 


Referat«. 


fTharapeutltcfcflk 


io  vielen  Fällen  laßt  sich  durch  diese  Behand- 
lung die  vollständige  Schließung  des  Geschwürs 
erreichen.  Je  nach  Beschaffenheit  der  Fälle 
kann  man  den  Perubalsam,  der  als  reizendes 
und  tonisierend  wirkendes  Lokalmittel  zu  be- 
zeichnen ist,  entweder  rein,  mit  Spiritus  ver- 
dünnt oder  in  Lanolinsalben  benutzen. 

4.  Frank  hat  in  einem  Fall  von  Ulcus 
cruris,  der  sich  jahrelang  den  verschiedensten 
Behandlungsmethoden  gegenüber  refraktär  erwies, 
unter  Verwendung  von  Perubalsam  innerhalb 
5  Wochen  vollständige  Heilung  erzielen  können. 
Schon  beim  3.  Verbandwechsel  wurden  an  dem 
bisher  torpiden  Geschwür  Granulationen  sicht- 
bar, und  bald  erfolgte  auch  von  der  Peripherie 
her  Überhäutung.  Jacobson. 

Sanoform  als  WundheümltteL    Von  Dr.  F.  Bur- 
chard  (Berlin). 

Das  1896  in  die  Praxis  eingeführte  Sano- 
form hat  dem  Jodoform  sich  vollständig  eben- 
bürtig gezeigt,  „ohne  auch  nur  eine  von  seinen 
unangenehmen  Eigenschaften  zu  besitzen".  Von 
vielen  günstigen  Fällen  der  Sanoformbehandlung 
führt  Burchard  8  Fälle  an,  die  nach  Jodoform 
mehr  oder  weniger  starke  Entzündungs-  und 
Reizerscheinungen  zeigten  und  auf  einmal  auf 
Sanoformgaze  oder  -pulver  sehr  schnell  aus- 
trocknend und  ausheilend  reagierten.  Ferner 
ist  auch  ein  Fall  von  Ulcus  molle  bei  einem 
jungen  Mädchen  hervorzuheben,  wo  ganz  schnell, 
aber  erst  nach  Sanoform  eine  Granulationsbil- 
dung am  Grunde  des  Geschwürs  eintrat;  ebenso 
bemerkenswert  war  der  Erfolg  mit  Sanoform 
bei  dem  Ulcus  varicosum  cruris  von  Handteller- 
größe einer  42jährigen  Frau,  das  über  ein  Jahr 
bestanden  hatte. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1904,  No.  U.) 

Artkur  Rahn  (ColimJ. 

(Au*  dem  PharmakologiMheai  Ixutitnt  der  UnlTenftlt  Berlin.) 
Pharmakodynamische  Studien  über  Euphthalmin. 

Inaugural-  Dissertation,    Berlin    1904.      Von 
Theodor  Mironescu  aus  Rumänien. 

Die  Untersuchungen  haben  ergeben,  daß  das 
Euphthalmin,  welches  als  sicher  wirkendes  My- 
driatikum praktische  Verwendung  findet,  verhält- 
nismäßig wenig  giftig  ist.  Die  tödliche  Dosis 
beträgt  für  mittelgroße  Frösche  0,2  g,  für  Kanin- 
chen liegt  sie  pro  kg  Körpergewicht  bei  sub- 
kutaner Injektion  zwischen  1  und  1,5  g,  bei 
intravenöser  Einspritzung  zwischen  0,06  und 
0,07  g.  Die  Erscheinungen  sind  bei  Fröschen 
allgemeine  zentrale  Lähmung,  unregelmäßige, 
schwache  Herzaktion,  diastolischer  Herzstillstand, 
bei  Kaninchen  Dyspnoe,  Lähmungserscheinungen, 
Krämpfe,  Pupillenerweiterung,  Tod  durch  Herz- 
lähmung. Bei  intravenöser  Injektion  tritt  der 
Tod  sehr  schnell  ein. 

Es  hat  sich  ferner  gezeigt,  daß  das  Euph- 
thalmin nicht  nur  die  mydriatische  Wirkung 
mit  dem  Atropin  teilt,  sondern  daß  es  auch 
sonst  dem  Atropin  ähnlich  wirkt.  Es  lähmt  die 
Vagusendigungen  im  Herzen,  hebt  die  Pilokarpin- 
wirkung  und  die  Wirkung  des  Physostigmin  auf 
den  Darm  auf.  Riegel  hat  bei  Hunden  mit 
Pawlowscher  Magen fistel  gefunden,  daß  Atropin 


die  Magensaftsekretion  vermindert  und  fast  auf- 
hebt, Langgaard  konnte  für  Euphthalmin  das 
gleiche  feststellen.  Es  sind  nur  weit  größere 
Dosen  notwendig  als  vom  Atropin. 

Ein  Unterschied  von  der  Wirkung  des  Atro- 
pins  besteht  darin,  daß  Euphthalmin  in  größeren 
Dosen  eine  durch  Beeinflussung  der  exzitomoto- 
rischen  Ganglien  oder  des  Herzmuskels  bedingte 
Pulsverlangsamung  erzeugt. 

(Da  Euphthalmin  in  ähnlicher  Weise  die 
Drüsentätigkeit  beeinflußt  wie  Atropin,  so  wäre 
es  bei  Nachtschweißen  zu  versuchen.     Ref.) 

rd. 

Blufreranderungen   infolge  Ton   Atheranisthesle 
beim    Menschen    und   bei   niederen    Tieren. 

Von  Dr.  J.  M.  Anders  und  Dr.  L.  Napo- 
leon Boston  in  Philadelphia. 
Daß  die  Äthernarkose  bei  anämischen  Indi- 
viduen bedenklich  ist,  weil  sie  den  Hämoglobin- 
gehalt des  Blutes  herabsetzt,  ist  schon  von  ver- 
schiedenen Seiten  hervorgehoben  worden.  Die 
Untersuchungen  der  V.erff.  bieten  deshalb  Inter- 
esse, weil  sie  diese  Tatsache  von  neuem  be- 
stätigen. Sie  haben  an  Kaninchen  experimentiert 
und  auch  an  narkotisierten  Menschen  Unter- 
suchungen angestellt.  Der  Hämoglobingehalt 
des  Blutes  wurde  jedesmal  vor  Einleitung  der 
Äthernarkose  festgestellt  und  in  normalen  Grenzen 
gefunden.  Durch  in  kurzen  Zeiträumen  wieder- 
holte Untersuchungen  wurde  die  fortschreitende 
Abnahme  des  Hämoglobins  festgestellt.  Der 
stärkste  Abfall  fand  in  den  ersten  zwanzig 
Minuten  statt;  zwischen  24  und  30  Stunden 
später  war  der  niedrigste  Stand.  Bei  Kaninchen 
und  Menschen  war  er  annähernd  gleich.  Bei 
den  Tieren  wurde  außerdem  noch  beobachtet, 
daß  bei  mehreren  Narkosen,  die  unmittelbar  nach 
Wiederherstellung  des  HämoglobingehalU  aus- 
geführt wurden,  das  Hämoglobin  nicht  mehr  in 
demselben  Maße  sank  wie  bei  der  ersten.  — 
Die  roten  Blutkörperchen  nahmen  an  Zahl  zu; 
diese  Vermehrung  ging  mit  der  stets  auftretenden 
Narkose  Hand  in  Hand.  Dabei  zeigten  sie  auch 
degenerative  Veränderungen.  —  Die  weißen  Blut- 
körperchen waren  in  einigen  Fällen  vermehrt, 
in  anderen  nicht. 

(Therapeutic  gazette  1904,  No.  11.) 

Classen  (Grube  i.  H). 

Die  Röntgenstrahlen  und  die  ärztliche  Hilfelelatung 

im  Kriege.    Von  Dr.  H.  Higier. 

Die  Röntgenoskopie  wurde  bis  jetzt  5  mal 
auf  dem  Schlachtfelde  erprobt,  das  erste  Mal  ein 
Jahr  nach  der  Entdeckung  1896  im  Kriege  gegen 
Abessinien  von  den  Italienern,  das  zweite  Mal 
1897  im  griechisch-türkischen  Kriege,  woselbst 
Küttner  reiche  Erfahrung  in  Konstantinopel 
sammelte,  das  dritte  Mal  1898  während  des 
Marsches  der  Engländer  nach  Sudan,  das  vierte 
Mal  1899  im  spanisch-amerikanischen  Kriege, 
schließlich  das  fünfte  Mai  1900  im  Feldzuge 
gegen  die  Boers.  Gegenwärtig  wird  in  Ostasien 
die  Erfindung  das  sechste  Mal  in  Anwendung 
gezogen. 

Verf.  betont,  daß  das  schwerste  Problem 
bei  Anwendung  der  Apparate  im  Felde,  die  Be- 


XIX.  Jahrgang."! 
Juli  1905.     J 


Referate« 


379 


Schaffung  der  elektrischen  Kraftquelle  sei.  Es 
wurden  Holt  zache  Influenzmaschinen,  Teslys 
Transformatoren,  Riesen-Chrom-Batterien  ange- 
wendet; am  praktischsten  würden  Akkumulatoren 
sein,  wenn  nur  immer  eine  Zentrale  bei  der 
Hand  wäre,  woselbst  die  Ladung  erfolgen  würde. 
Schließlich  kam  man  zur  Überzeugung,  daß  es 
am  sichersten  sei,  die  elektrische  Kraftquelle 
selbst  zu  besitzen.  Den  ersten  solchen  trans- 
portablen Apparat  mit  einem  eigenen  Dynamo- 
motor hat  die  Berliner  Firma  Hirsch  man  kon- 
struiert. Japan  hat  wahrend  des  chinesisch- 
japanischen  Krieges  diesen  Apparat  um  5000  Mark 
erworben.  In  9  Kisten  verpackt  betrug  das 
Gesamtgewicht  1600  kg. 

Drei  leichtere  und  bequemere  Feldapparate 
hat  auf  Bestellung  des  Kriegsministeriums  die 
Firma  Siemens  &  Halske  der  deutschen  ost- 
asiatischen Expedition  geliefert.  Ein  Paar 
Pferde  hat  den  1200  kg  schweren  Apparat 
leicht  fortgeschafft.  Am  einfachsten  stellt  sich 
die  Anwendung  im  Schiffslazarett,  woselbst  eigene 
Dynamomaschinen  vorhanden  sind.  Feldzüge 
im  gebirgigen  Terrain  zwingen  den  Transport 
auf  Tragtieren  zu  bewerkstelligen. 

Über  die  Frage,  in  welchen  Feldsanitäts- 
formationen Röntgenapparate  zur  Verwendung 
kommen  können,  ist  Verf.  der  Ansicht,  daß  sie 
in  stabilen  Feldlazaretten,  in  den  base  hospitals 
der  Engländer  oder  den  in  Deutschland  ent- 
sprechenden Reserve- Fest  an  gs-  und  Kriegslaza- 
retten anzuwenden  wären.  Im  jetzigen  ost- 
asiatischen Kriege  sind  die  der  Kampf linie  am 
nächsten  stationierten  Röntgenapparate  in  Liao- 
jang  und  Umgebung.  (Der  Artikel  wurde  Ende 
August  gedruckt.  Ref.)  Mit  Rücksicht  auf  den 
stabilen  Verwendungsort  wurde  die  Fabrikation 
älterer,  am  Wagen  montierter  Apparate  aufge- 
geben, die  einzelnen  Teile  werden  jetzt  einfach 
in  Kisten  verpackt  auf  irgend  einem  Beförde- 
rungsmittel fortgebracht. 

Auf  dem  Kriegsfelde  wird  meistens  Radio- 
skopie, seltener  Radiographie  angewandt,  diese 
letztere  bloß  bei  sehr  interessanten  oder  lehr- 
reichen Fällen.  Das  kleine  photographische 
Atelier  wird  mit  den  einfachsten  und  nötigsten 
Mitteln  versehen;  die  Chemikalien  in  Tabletten- 
form; die  Gefäße  aus  nicht  leicht  brechendem 
Material  (papier-mache).  Eine  zusammenlegbare 
Dunkelkammer  wird  jedem  für  einen  Feldzug 
bestimmten  Röntgenapparat  beigegeben. 

(Medycyna  No.  35,  1904.)  Qabel  (Lemberg).  ^ 

Perniziöses  Erbrechen  von  siebenjähriger  Dauer, 
gehellt  durch  Suspension   der  Niere.     Von 
Dr.  G.  E.  Schoemaker  in  Philadelphia 
Eine  weibliche  Person  von  28  Jahren,  die 
früher    immer    gesund,    kräftig    und    körperlich 
leistungsfähig  gewesen  war,  erkrankte  vor  sieben 
Jahren   an  Typhus,  der  recht  schwer   mit  ver- 
schiedenen   Komplikationen,    Darmblutung    und 
Phlebitis  an  beiden  Beinen,  verlief.    Von  da  an 
war   sie  nicht  mehr  imstande,  feste  Speisen  zu 
essen,  ohne  sofort  zu  erbrechen.     Auch  bei  flüs- 
siger Kost,  von  welcher  sie  in  den  sieben  Jahren 
ausschließlich  lebte,  war  Erbrechen  nicht  ganz 
zu    vermeiden,    trat    namentlich    bei   Aufregung 


und  während  der  Menstruation  auf,  jedoch  konnte 
die  Kranke  sich  auf  leidlichem  Ernährungszustand 
erhalten.  Verschiedene  Mittel  waren  versucht 
worden,  Bettruhe  mehrere  Wochen  lang,  Aus- 
spülungen des  Magens,  jedoch  fast  ohne  jeden 
Erfolg.  —  Bei  der  Untersuchung  fanden  sich 
alle  Organe  gesund;  jedoch  war  die  rechte  Niere 
bis  auf  die  Höhe  des  Nabels  herabgesunken  und 
leicht  verschieblich,  und  außerdem  war  Tube  und 
Eierstock  linkerseits  vergrößert  und  adhärent.  — 
Angesichts  der  Erfolglosigkeit  aller  bisherigen  Be- 
handlung beschloß  Schoemaker  einen  chirurgi- 
schen Eingriff,  nämlich  Befestigung  der  Niere  und 
Entfernung  von  Tube  und  Eierstock.  Die  Operation 
gelang  gut;  zugleich  wurde  auch  der  Wurmfortsatz 
entfernt,  da  er  chronisch  entzündliche  Veränderun- 
gen zeigte.  Von  dem  Tage  der  Operation  an  stand 
das  Erbrechen,  um  nicht  wiederzukehren.  —  Schoe- 
maker nimmt  an,  daß  die  Verlagerung  der 
Niere  allein  die  Ursache  des  Leidens  war,  nicht 
die  Veränderungen  an  den  Genitalien  oder  am 
Wurmfortsatz.  Denn  die  Beschwerden  pflegten 
vor  der  Operation  bei  Rückenlage  etwas  nach- 
zulassen, wodurch  wohl  die  Niere,  nicht  aber 
die  anderen  Organe  beeinflußt  werden  konnten. 

(TherapeuHc  gazetU  1905,  No.  2.) 

Clauen  (Qrube  i.  H). 

Behandlung  der  Blutungen  aus  den  Mandeln  nach 
chirurgischen  Eingriffen.    Von  E.  Escat 

Die  Entfernung  der  Mandeln  wird  in  der 
Praxis  recht  häufig  vorgenommen,  und  es  treten 
nach  diesem  Eingriff  gar  nicht  so  selten  sehr 
hartnäckige  und  selbst  lebensgefährliche  Blu- 
tungen ein.  Es  cat  betont  deshalb  mit  Recht,  daß 
jeder  Arzt,  der  eine  Entfernung  der  Mandeln 
vornimmt,  sich  über  die  Mittel  klar  sein  sollte, 
die  uns  behufs  Bekämpfung  von  etwa  eintretenden 
Blutungen  zu  Gebote  stehen.  Einer  Erörterung 
dieser  Mittel  ist  die  vorliegende  Arbeit  gewidmet. 
Handelt  es  sich  um  eine  leichtere  Blutung,  so 
kann  man  durch  Gurgelungen  mit  kaltem  Wasser 
oder  noch  besser  durch  Eisstückchen,  die  man 
an  die  blutende  Stelle  bringt,  der  Blutung  Herr 
zu  werden  suchen.  Hämostatisch  wirken  auch 
Lösungen  von  Antipyrin  (10  proz.),  Wasserstoff- 
superoxyd (10  —  12  volumproz.),  Ferropyrin 
(20  proz.).  Doch  lassen  diese  Mittel  bei  stärkeren 
Blutungen  meistens  im  Stich.  Etwas  wirkungs- 
voller dürften  Tampons  sein,  die  mit  einer 
Lösung  von  salzsaurem  Adrenalin  1  :  5000  ge- 
tränkt, dann  gut  ausgedrückt  und  an  die  blutende 
Tonsille  gepreßt  werden.  Dagegen  sind  Eisen- 
chloridtampons nicht  empfehlenswert:  Sie  reizen 
zu  stark,  lösen  Schluckkrämpfe  aus  und  machen 
die  Anwendung  wirksamerer  Mittel  häufig  un- 
möglich. Spritzt  das  Blut  im  Strahl  hervor,  so 
kann  man  durch  Andrücken  eines  Argentumstiftes 
oder  noch  besser  der  Spitze  eines  rotglühenden 
Thermokauters  oder  des  Knöpfchens  eines  Galvano- 
kauters  an  die  blutende  Stelle  den  Blntstrom 
in  den  meisten  Fällen  hemmen.  Zuweilen  ge- 
lingt es  auch,  das  Gewebe,  aus  dem  das  Blut 
spritzt,  zwischen  die  Branchen  einer  Kornzange 
oder  Arterienpinzette  zu  klemmen  und  so  die 
Blutung  zum  Stillstand  -zu  bringen.  Am  leich- 
testen ist  dies  noch,  wenn  die  Blutung  am  Rande 


380 


rTher&peutiaehe 
L   Monatsheft«. 


der  Gaumenbögen  ihren  Sitz  hat,  dagegen  miß- 
lingt es  meist,  wenn  sie  aas  der  Nische  her- 
kommt, in  der  die  Tonsille  saß.  Gerade  in 
diesen  Fällen  ist  die  direkte  Kompression  der 
blutenden  Stelle  meist  von  Erfolg  gekrönt.  Man 
drückt  einen  in  eins  der  oben  genannten  Hae- 
mostatica  getauchten  und  ausgepreßten  Watte- 
tampon vermittelst  Zeige-  und  Mittelfinger  oder 
einer  Kornzange  einige  Minuten  lang  gegen  den 
blutenden  Herd.  Für  eine  längere  Kompression 
kann  man  sich  auch  des  Ricordschen  Mandel- 
Kompresseurs  bedienen:  ein  zirkeiförmiges  In- 
strument, dessen  beide  Spitzen  (behufs  Kom- 
pression) je  eine  Pelotte  tragen,  und  dessen 
Branchen  durch  eine  Schraube  beliebig  weit 
voneinander  entfernt  werden  können.  Leider 
ist  die  Applikation  des  Instruments  ziemlich 
schmerzhaft.  Sehr  rationell  erscheint  auch  ein 
anderes  Verfahren,  dos  darin  besteht,  daß  man 
die  beiden  Gaumenbögen  an  der  Stelle,  wo 
zwischen  ihnen  das  Blut  hervorspritzt,  mit  den 
Backen  einer  starken  Museuxschen  Zange  zu- 
sammenpreßt. —  Baum  und  nach  ihm  Heer- 
mann aus  Essen  empfahl  den  vorderen  und 
hinteren  Gaumenbogen  durch  eine  Knopfnaht  an- 
einanderzupressen.  Man  sticht  eine  starke  ge- 
krümmte Nadel  mit  einem  40  cm  langen  und 
starken  Seidenfaden  vom  vorderen  zum  hinteren 
Gaumenbogen  durch,  wenn  die  linke,  und  vom 
hinteren  zum  vorderen,  wenn  die  rechte  Mandel 
blutet,  kreuzt  die  Fadenenden  außerhalb  des 
Mundes  und  verknotet  sie.  Eine  Naht  genügt 
meist  nicht  zur  Blutstillung,  in  der  Regel  muß 
man  1 — 2  cm  unterhalb  der  ersten  noch  eine 
zweite  Naht  anlegen.  Aber  auch  hiernach  sickert 
das  Blut  zuweilen  noch  aus  der  unteren  Öffnung 
des  Kanals,  den  man  durch  die  Nähte  aus  der 
ursprünglichen  Rinne  geformt  hat.  In  diesem 
Falle  empfiehlt  Escat  mit  einer  gekrümmten 
Zange  durch  die  obere  Öffnung  dieses  Kanals 
einen  Wattetampon  in  ihn  einzuführen,  so  weit, 
bis  die  Watte  aus  der  unteren  Kanalöffnung 
hervorkommt.  Blei  bloßer  Naht  ohne  Tampo- 
nade sollen  die  Fäden  erst  nach  4  Tagen  ent- 
fernt werden.  Kombiniert  man  die  Tamponade 
mit  der  Naht,  so  kann  man  den  Tampon  schon 
nach  24  Stunden,  und  wenn  man  sich  überzeugt 
hat,  daß  die  Blutung  steht,  auch  die  Nähte  ent- 
fernen. So  braucht  der  Patient  nur  24  Stunden 
lang  die  Schmerzen  und  Schluckbeschwerden 
zu  ertragen,  die  das  Verfahren  mit  sich  bringt. 
Bleibt  schließlich  auch  die  Gau menbo gen- 
naht mit  nachfolgender  Tampon  ade  ohne  Erfolg, 
so  kommen  als  letzte  Mittel  entweder  die  Ligatur 
der  Carotis  communis  oder  die  Tamponade  des 
Pharynx  in  Betracht.  Die  Carotisunterbindung 
ist  ein  heroisches  Mittel,  das  nur  selten  von 
Erfolg  gekrönt  sein  wird.  —  Die  Tamponade 
des  Pharynx  setzt  natürlich  voraus,  daß  zuvor 
die  Möglichkeit  von  Atmung  und  Ernährung 
gesichert  wird.  Holst  empfiehlt  für  den  ersteren 
Zweck  die  Ausführung  der  Tracheotomie.  Verf. 
möchte  statt  dessen  zur  Anwendung  der  Tubage 
raten,  wobei  man  an  den  Kehlkopf tubus  einen 
Gummischlauch  mit  starren  Wänden  ansetzt, 
dessen  Ende  durch  den  Mund  nach  außen  geführt 
wird.     Hat  man  die  nötigen    Instrumente   nicht 


zur  Hand,  so  kann  man  sie  in  dringenden  Fällen 
durch  eine  einfache  Gummisonde  ersetzen,  deren 
eines  Ende  schräg  abgeschnitten  ist.  Die  Er- 
nährung sichert  man  durch  Einführung*  eines 
Gummischlauches  in  den  Ösophagus.  Um  die 
beiden  Schläuche  wird  dann  die  ganze  Rachen- 
höhle fest  austamponiert. 

(La  Presse  medic.  190X  No.  70). 

Ritterband  (Berlin). 

Behandlung  der  essentiellen  nächtlichen  Htm- 
Inkontinenz  nach  der  epiduralen  Methode» 
Von  Cantas,  Professor  a.  d.  Universität  zu 
Athen. 

Schon  Cathelin  hat  diese  vor  einigen 
Jahren  unter  andern  auch  zur  Behandlung  der 
Incontinentia  urinae  empfohlen.  Sie  besteht, 
wie  bekannt,  darin,  daß  man  in  den  Hiatus 
sacralis  inferior,  aber  nicht  in  die  Medullarhöhle, 
Flüssigkeit,  sei  es  physiologische  Kochsalz- 
sei es  Kokainlösung,  injiziert.  Cantas  hat  die 
Cathelinschen  Erfahrungen  an  15  Patienten  des 
Waisenhauses  Hendzi-Costa  nachgeprüft  und 
damit  stets  einen  überraschenden  Erfolg  erzielt. 
Er  steht  deshalb  nicht  an,  die  epidurale  Methode 
für  die  wirksamste  Behandlungsweiße  der  essen- 
tiellen Harninkontinenz  zu  erklären.  Es  han- 
delte sich  in  seinen  Fällen  um  Kinder,  deren 
Inkontinenz  bereits  Jahre  lang  bestand,  und  die 
in  jeder  Nacht  meist  mehrere  Male  ihr  Bett 
durchnäßten.  Zwei  Kinder  konnten  auch  am 
Tage  ihren  Harn  nicht  halten.  Cantas  nahm 
die  Injektionen  in  linker  Simsscher  Seitenlage 
vor  und  ließ  nach  der  kleinen  Operation  die 
Kinder  noch  1 — 2  Stunden  lang  im  Bette»  wo 
sie  auf  dem  Bauche  mit  etwas  erhöhtem  Kreuz 
liegen  bleiben  mußten.  Was  die  Ausführung 
anbetrifft,  so  ist  sie  sehr  einfach  und  kann  kaum 
je  mißlingen.  Man  sticht  die  Nadel  zunächst 
senkrecht  durch  die  Haut  und  das  Ligament, 
welches  den  Hiatus  verschließt,  bis  man  auf 
Knochen  kommt,  senkt  dann  den  Pavillon  der 
Spritze  bis  zur  Horizontalen  oder  etwas  unter 
dieselbe,  stößt  nun  die  Nadel,  die  sich  jetzt  in 
der  Längsachse  des  Körpers  befindet,  etwa  21/,  cm 
vor  und  hebt  zum  Schluß  den  Pavillon  wieder 
ein  wenig  über  die  Horizontale.  Nunmehr  wird 
langsam  die  Flüssigkeit  entleert.  —  Zur  Injektion 
benutzte  Cantas  eine  Lu ersehe  Glasspritze  von 
5  cem  Inhalt  und  eine  6  cm  lange,  0,7  mm 
dicke  Stahlnadel  mit  einem  3  mm  langen 
Schnabel.  Anfangs  injizierte  er  5 — 10  cem 
physiologische  Kochsalzlösung  alle  3—5  Tage, 
ging  dann  aber  zu  0,2  proz.  Kokainlösung  über 
und  wiederholte  die  Injektion  (stets  10  cem) 
erst  dann,  wenn  das  Bettnässen,  das  meist  schon 
nach  der  ersten  Einspritzung  aufhörte,  wieder- 
kehrte. Verstopft  sich  die  Nadel  mit  Blut- 
gerinnseln, so  muß  man  sie  herausziehen  und 
vom  neuen  einstechen.  Die  folgenden  Schluß- 
sätze, in  denen  der  Autor  seine  Erfahrungen 
zusammenfaßt,  zeigen,  wie  hoch  er  die  Methode 
einschätzt : 

1.  Von  allen  Methoden,  die  gegen  die  es- 
sentielle Harninkontinenz  Anwendung  finden, 
verdient  unstreitig  die  Cathelinsche  Methode  den 
Vorzug. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Jqll  1905.     J 


Referate.  —  Toxlkologi«. 


381 


2.  Sie  empfiehlt  sich  nicht  nur  durch  ihre 
vorzüglichen  Resultate,  sondern  auch  durch  ihre 
Einfachheit  und  Unschädlichkeit. 

3.  Sie  bringt  nicht  nur  die  nächtliche 
Harninkontinenz,  sondern  auch  die  Incontinentia 
dinrna  sowie  die  essentielle  Pollakiurie  zum 
Schwinden. 

4.  Große  Injektionen  (von  10  ccm  Flüssig- 
keit) sind  den  kleinen  (5  ccm)  überlegen. 

5.  Bei  gleicher  Flüssigkeitsmenge  sind 
Eokaininjektionen  wirksamer  als  solche  von  phy- 
siologischer Kochsalzlösung. 

6.  Es  ist  von  Wichtigkeit  das  Intervall 
zwischen  zwei  Injektionen  möglichst  zu  ver- 
längern, um  einer  gewissen  Angewöhnung  vor- 
zubeugen. Die  Resultate  werden  dann  besser, 
und  man  erreicht  sie  mit  einem  Minimum  von 
Injektionen. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  79.) 

Ritterband  (Berlin). 

Die  Heißlufttherapie  bei  Frauenkrankheiten.   Von 

Dr.  Fritz  Heinsius  (Berlin-Schöneberg). 

Die  von  Bier  mit  großem  Erfolg  in  An- 
wendung gebrachte  Methode,  durch  Anwendung 
von  heißer  Luft  eine  aktive  Hyperämie  zu  er- 
zeugen, hat  in  den  letzten  Jahren  auch  in  der 
Gynäkologie  immer  mehr,  und  zwar  durchaus 
berechtigte  Verwendung  gefunden.  In  der  Tat 
gelingt  es,  durch  die  lokale  Anwendung  der 
heißen  Luft  auf  die  Unterleibsorgane,  indem 
man  die  Kranke  in  passend  konstruierte  Heiz- 
kästen legt,  eine  schmerzstillende  und  resor- 
bierende Wirkung  bei  chronisch  entzündlichen 
und  infiltrierenden  Prozessen  des  Beckenbinde- 
gewebes und  der  Uterusanhänge  zu  erzielen. 
Die  Zahl  der  bereits  empfohlenen  Apparate  ist 
keine  kleine,  allen  ist  gemeinsam,  daß  die  Frau 
in  einen  nach  der  Brust  wie  nach  den  Ober- 
schenkeln zu  möglichst  luftdicht  abgeschlossenen 
Heizkasten  gelegt  wird,  in  dem  durch  eine  be- 
liebige Heizquelle  (Spiritus,  Bunsenbrenner  oder 
Elektrizität)  eine  lokale  Anwendung  hoher  Tempe- 


raturen auf  die  Unterleibsorgane  erzeugt  wird. 
Polano,  welcher  das  Verdienst  hat,  die  Methode 
in  der  Gynäkologie  systematisch  erprobt  zu 
haben,  ging  bis  auf  150°.  Im  allgemeinen  ge- 
nügen jedoch  Temperaturen  von  115°,  die  in 
späteren  Sitzungen  bis  auf  125°  erhöht  werden. 
Die  Dauer  der  Behandlung  beträgt  V*-3/*  Stun_ 
den.  Referent  ist  allerdings  bei  etwas  geringeren 
Temperaturen  über  diese  Zeitdauer  wiederholt 
mit  gutem  Erfolg  hinausgegangen.  In  der  Greifs- 
walder  Klinik,  in  der  Heinsius  die  Erfolge 
dieser  Heißluftbehandlung  beobachtete,  kam  der 
von  Klapp,  einem  Assistenten  Biers,  kon- 
struierter Heizkasten  in  Verwendung.  Einzelne 
eigenbeobachtete  Krankengeschichten  gibt  Hein- 
sius in  seiner  mehr  referierenden  Arbeit  nicht 
an.  Die  Hauptindikation  für  diese  Heißluft- 
behandlung, die  naturgemäß  mit  jeder  anderen 
hydrotherapeutischen  Therapie  verbunden  werden 
kann,  bilden  die  chronisch  entzündlichen  Ex- 
sudate, insbesondere  die  im  Anschluß  an  ein 
Puerperium  oder  eine  Operation  entstehende 
diffuse  entzündliche  Infiltration  des  Beckenbinde- 
gewebes, während  frische,  fiebernde  Fälle  von 
der  Behandlung  auszuschließen  sind.  Auch  bei 
der  Form  der  Parametritis,  welche  mit  Neigung 
zur  Einschmelzung  des  Gewebes  und  Entstehung 
größerer  Exsudate  einhergeht,  ist  im  allgemeinen 
diese  Therapie  nicht  angezeigt,  sie  darf  jeden- 
falls nur  unter  andauernd  ärztlicher  Kontrolle 
angewendet  werden,  während  bei  den  chroni- 
schen Formen  Heinsius  eine  poliklinische  Be- 
handlung allerdings  mit  nachfolgender  Bettruhe 
für  gestattet  hält.  Auch  größere  entzündliche 
Adnextumoren  bilden  im  Gegensatz  zu  der  Para- 
metritis, namentlich  bei  bestehendem  Fieber,  eine 
Gegenindikation  für  die  Heißlufttherapie.  Hein- 
sius ist  Recht  zu  geben,  wenn  unter  diesen  Ein- 
schränkungen die  von  Bier  inaugurierte  Heiß- 
luftbehandlung als  eine  Bereicherung  unserer 
therapeutischen  Maßnahmen  betrachtet  wird. 

(Berliner  Klinik  August  1904.) 

Falk. 


Toxikologie. 


Vergiftung  nach  Gebrauch  der  Wiemutbrand- 
blnden.  Von  Kreisarzt  Dr.  Schaeche  in 
Chateau-Salins  (Lothr.). 

Die  Bemerkung  Mahnes  im  Maiheft 
dieser  Zeitschrift,  daß  bei  Anwendung  der 
von  Bardelebenschen  Wismutbrandbinden 
Vergiftungsersch einungen  bisher  nicht  beob- 
achtet worden  seien1),  veranlaßt  mich  eine 
Erfahrung  mitzuteilen,  welche  mir  die  völlige 
Harmlosigkeit  dieser  Behandlungsweise  doch 
zweifelhaft  erscheinen  läßt. 


*)    Über   Wismutvergiftung.      Seite   270.      Im 

fleichen  Sinne  äußert  sich  auch  Sonnenburg  in 
lulenburgs     Real-Enzyklopädie,     III.     Auflage, 
Band  25,  Seite  601,  Art.  Verbrennung. 


Es  handelt  sich  um  ein  sechsjähriges  Mädchen, 
das  am  Gesäß  und  au  den  Oberschenkeln  bis  zu 
den  Kniekehlen  herab  schwere  Brandwunden  er- 
litten hatte.  Unter  feuchten  Verbänden  mit 
schwachen  Lösungen  von  Borsäure  oder  essigsaurer 
Tonerde  reinigte  sich  die  riesige  Wundfläche  all- 
mählich, und  die  Überhäutung  begann,  aber  sie 
machte,  wohl  auch  infolge  der  überaus  ungunstigen 
Pflege-  und  Ernährungsverhältnisse  des  Kindes 
und  seines,  an  sich  sehr  schwächlichen  Körper- 
baues, so  langsame  Fortschritte  und  die  kleine 
Kranke  kam  durch  die  beständigen  Schmerzen  so 
herunter,  daß  ich  mich  zu  einem  Versuch  mit  den 
Wismutbrandbinden  entschloß,  in  der  Hoffnung, 
damit  die  Wundheilung  zu  beschleunigen.  Teils 
aus  Vorsicht,  teils  des  Vergleiches  halber  bedeckte 
ich  aber  nur  das  Gesäß  damit,  während  ich  die  Ober- 
schenkel nach  wie  vor  feucht  verband.  Einen 
hervorstechenden  Unterschied  zugunsten    der  Wie- 


382 


Toxikologie. 


["Therapentiseb« 
L   MonatiheAe. 


mutbinden  konnte  ich  nun  nicht  bemerken.  Wohl 
aber  stellte  sich  nach  mehrtägiger  Anwendung 
derselben  teigige  Schwellung  beider  Füße  und 
trüber  Harn  mit  starkem  Eiweißgehalt  ein,  bei 
spärlicher  Menge,  kurz,  das  ausgesprochenene  Bild 
einer  frischen  Nierenentzündung.  Als  ich  nun  die 
Binden  sogleich  wieder  mit  den  feuchten  Ver- 
bänden vertauschte,  gingen  die  Zeichen  der  Nieren- 
entzündung alsbald  bedeutend  zurück,  schwanden 
aber  doch  nicht  vollkommen,  und  einige  Wochen 
nachher  ging  das  Kind  nach  im  ganzen  etwa  drei- 
monatlichem Krankenlager  an  allgemeiner  Er- 
schöpfung zugrunde. 

Eine  Nierenentzündung  ließe  sich  ja 
nun  auch  als  eine  Folge  der  Verbrennung 
an  sich  erklären.  Aber  hier  mußte  es  doch 
auffallen,  daß  neun  Wochen  lang  nach  der 
ursprünglichen  Verletzung  nichts  davon  zu 
bemerken  war,  und  erst  kurze  Zeit  nach  der 
Wismutanwendung  sich  deren  Merkmale  ein- 
stellten. Da  läßt  sich  ein  ursächlicher 
Zusammenhang  nicht  von  der  Hand  weisen 
und  dafür  spricht  ja  auch  die  augenfällige 
Besserung  nach  Aussetzen  dieser  Behandlung. 
Wenn  nun  auch  hier  bei  dem  überaus  lang- 
samen Heilungsverlauf,  den  ungünstigen 
äußeren  Verhältnissen  und  der  ohnehin  sehr 
großen  Erschöpfung  auf  eine  Genesung 
schwerlich  zu  hoffen  war,  so  muß  doch  die 
Wismutvergiftung  zum  mindesten  als  ein 
Zwischenfall  aufgefaßt  werden,  der  den  un- 
günstigen Ausgang  beschleunigte. 

Daß  das  salpetersaure  Wismut  von  einer 
äußeren  Wundfläche  aus  Vergiftung,  insbe- 
sondere Nierenentzündung  hervorrufen  kann, 
ist  längst  bekannt.  Wenn  dergleichen  beim 
Gebrauch  der  Wismutbrandbindeu,  wie  es 
scheint,  noch  nicht  beobachtet  worden  ist, 
so  mag  das  daran  liegen,  daß  die  Binden 
für  gewöhnlich  auf  die  frischen  Verbren- 
nungen gelegt  werden,  wo  eine  der  Auf- 
saugung fähige  Wundfläche  noch  nicht  be- 
steht. Hat  sich  aber  erst  eine  solche 
gebildet,  so  wird  das  salpetersaure  Wismut, 
als  Brandbinde  aufgelegt,  unter  geigneten 
Umständen  ebenso  gut  Vergiftungen  erzeugen 
können  wie  bei  irgend  einer  anderen  äußeren 
Anwendungsart.  Jedenfalls  muß  man  die  be- 
dingungslose Unschädlichkeit  der  Binden, 
wie  sie  in  der  beigegebenen  Gebrauchsan- 
weisung betont  wird,  nach  solchen  Er- 
fahrungen in  berechtigten  Zweifel  ziehen, 
und  ihre  dort  ebenfalls  empfohlene  Verwen- 
dung bei  Unterschenkelgeschwüren  dürfte 
unter  Umständen  bedenklich  sein.  Vielmehr 
empfiehlt  es  sich,  die  Wismutbinden  bei 
granulierenden  Flächen,  zumal  größerer  Aus- 
dehnung, überhaupt  zu  meiden,  zum  min- 
desten aber  in  solchen  Fällen  vor  und 
während  ihrer  Anwendung  den  Harn  genau 
zu  beobachten.  Bei  frischen  Verbrennungen 
sind  die  von  Bardelebenschen  Binden 
durchaus  am  Platze,  und  sie  stellen  hier  eine 


dankenswerte  Bereicherung  unseres  Heil- 
schatzes dar.  Aber,  wie  gesagt,  ihre  unter- 
schiedslose Anwendung,  wie  sie  die  gedruckte 
Anweisung  empfiehlt,  ist  nicht  ratsam.  Auch 
hier  heist  es,  von  Fall  zu  Fall  entscheiden. 

(Am   der  Klinik  fUr  Hautkrankheiten  der  Universität  KieL) 

Ober  tödlich  verlaufende  Quecksilberdermatideo. 

Von  Hans  Meyer. 

Eine  36jährige  Frau,  die  wegen  starker 
nächtlicher  Kopfschmerzen  schon  eine  Jodkalikur 
durchgemacht  hatte,  erhielt  wegen  eines  luetischen 
Exanthems  30  Inunktionen  mit  grauer  Salbe. 
Da  das  Exanthem  nicht  geschwanden  war,  wurde 
nun  eine  Quecksilbersalbe  mit  Mollin  als  Grund- 
lage verordnet.  Nach  3  Einreibungen  bemerkte 
Pat.  zunächst  Jucken  und  Brennen,  dann  das 
Auftreten  eines  juckenden,  großfleckigen  Haut- 
ausschlages am  Orte  der  letzten  Einreibung. 
Drei  weitere  Einreibungen  hatten  zur  Folge, 
daß  der  Ausschlag  sich  über  den  ganzen  Körper 
verbreitete  und  nun  auch  Bläscheneruption  und 
starkes  Nassen  erfolgte.  Nach  14  Tagen  wurde 
im  Krankenhause  folgender  Befund  erhoben: 

Mit  Ausnahme  des  Gesichts  und  der  Hände 
ist  die  Haut  des  Körpers  diffus,  skarlatinös  ge- 
rötet und  pdematös  geschwollen;  an  den  Unter- 
schenkeln bis  fünfmarkstückgroße  Infiltrate  mit 
kleinsten  Bläschen  bedeckt;  daneben  kleienför- 
mige  Abschuppung  der  Epidermis.  Allgemein- 
befinden gestört,  Temperatur  39,6°,  Puls  122, 
Klagen  über  heftiges  Jucken  und  Brennen.  Sonst 
nur  als  Zeichen  des  Hg-Gebrauches  ganz  leichte 
Gingivitis. 

Die  Bläscheneruption  nahm  am  folgenden 
Tage  zu,  auch  das  Gesicht  wurde  ödematös;  die 
Bläschen  platzten,  so  daß  der  Körper  in  eine 
stark  sezernierende  Fläche  umgewandelt  wurde. 
Nach  Eintrocknen  der  Bläschen  und  Aufhören 
des  Nässens  trat  nun  Wohlbefinden  ein;  Tem- 
peratur normal.  Nach  2  Tagen  erfolgte  eine 
neue'  Eruption  mit  Nässen  und  schnellem  Nachlaß. 

Einer  eintägigen  Pause  folgte  darauf  ein 
neues  Rezidiv  mit  Temperatursteigerung  auf 
38,8°  und  schwachem  Puls,  das  nach  zwei  Tagen 
unter  großlamellöser  Abschuppung  zurückging. 
Am  Abend  desselben  Tages  war  Pat.  kollabiert, 
es  traten  Delirien  auf,  Puls  124,  unregelmäßig. 
Das  folgende  Rezidiv  war  durch  Desquamation 
der  Epidermis  charakterisiert:  an  den  Fingern 
loste  sich  die  Hornschicht  wie  Handschuhfinger 
ab.  Es  erfolgten  profuse  Durchfälle,  der  Harn 
enthielt  jetzt  Spuren  Eiweiß.  Delirien  traten 
auf,  und  es  erfolgte  Tod  unter  zunehmender  Herz- 
schwäche. 

Die  Sektion  ergab  als  wesentlichen  Befund: 
beiderseitig  geringe  Schrumpfniere;  Blutfüllung 
der  Gefäße,  parenchymatöse  Trübung  der  Epi- 
thelien  der  Harnkanälchen,  herd weise  Verödung 
der  Glomeruli.  In  der  Leber  ausgedehnte  fettige 
Nekrose  und  Degeneration  des  Leberparenchjms. 
Milz  groß  and  weich,  Magen  und  Darmmucoea 
hyperämisch  und  ekchymosiert. 

Jedenfalls  handelt  es  sich  bei  dieser  Pat., 
welche  33  Injektionen  ausgezeichnet  vertragen 
hatte,  um  eine  erworbene  Idiosynkrasie  und  zwar 


XIX.  Jahrgang.  1 
Juli  1905.     J 


Toxikologie. 


383 


um  eine  Organidiosynkrasie  der  Haut  im  Sinne 
Tomasczewskys1).  Es  kommt  ferner  in  Be- 
tracht der  Wechsel  des  Constitaens:  vielleicht 
ist  die  Haut  durch  Moliin  gereizt  und  so  gegen 
Quecksilber  empfindlicher  geworden.  Die  Aus- 
scheidung durch  den  Urin  war  ferner  durch  die 
chronische  Schrumpfniere  behindert. 

Von  besonderem  Interesse  ist  die  eigentüm- 
lich rezidivierende  Form  des  Krankheits Verlaufes. 
Verf.  weist  auf  die  Untersuchungen  von  Schade9) 
über  die  kataly tischen  Wirkungen  des  Queck- 
silbers hin.  Dieser  Autor  fand,  daß  das  Queck- 
silber als  Katalysator  die  Oxydierungen  im  Blute 
und  in  den  Geweben,  die  bei  der  luetischen 
Infektion  gehemmt  sind,  wieder  beschleunigt. 
Bei  übermäßiger  Beschleunigung  wirkt  Queck- 
silber toxisch:  es  kommt  zum  Reizzustand,  zur 
Hyperfunktion  und  schließlich  zum  Zelltod,  zur 
Nekrose. 

Die  katalytische  Wirkung  des  Quecksilbers 
ist  nun  in  der  Tat  auch  außerhalb  des  Körpers 
eine  periodische,  wie  B redig  und  Weinmayr8) 
zeigen  konnten:  Wird  Quecksilber  mit  lOproz. 
Wasserstoffsuperoxydiösung  überschichtet,  so  be- 
ginnt allmählich  die  Entwickelung  von  Sauer- 
stoffbläschen. Nach  einiger  Zeit  setzt  die  Gas- 
entwickelung plötzlich  an  der  Quecksilberober- 
fläche aus,  um  nach  sekundenlanger  Pause  wieder 
zu  beginnen.  Diese  „chemischen  Schwingungen", 
die  je  nach  Temperatur,  Konzentration  etc.  variabel 
sind,  dauern  in  oft  regelmäßigen  Intervallen 
rhythmisch  fort.  Jacobson. 

(Ans  der  medliinUehen  Untrertltatsklinlk  In  Zürich.) 
Ober    Quecksilbersepsis.    Von    Hermann   Eich- 
horst. 

Die  Behandlung  der  Syphilis  mit  Queck- 
silber wird  heutzutage  von  allen  Ärzten  aus- 
gesetzt, wenn  sich  die  ersten  Anzeichen  einer 
merkuriellen  Stomatitis  einstellen.  Man  hat  sich 
gewöhnt,  diese  Stomatitis  als  eine  zwar  un- 
angenehme, aber  doch  für  die  Betroffenen  als 
eine  ungefährliche  Begleiterscheinung  anzusehen. 
Eichhorst  teilt  nun  aus  seiner  Erfahrung  zwei 
Fälle  mit,  in  denen  sich  an  eine  merkurielle 
Stomatitis  Sepsis  mit  tödlichem  Ausgang  an- 
schloß. 

Ein  Maschinentechniker,  welcher  viel  mit 
Quecksilber  zu  hantieren  hatte  und  in  einem 
Saale  arbeitete,  in  welchem  größere  Mengen  auf 
den  Boden  verschüttet  wurden,  erkrankte  plötz- 
lich an  starker  Speichelabsonderung  und  ent- 
zündlicher Veränderung  des  Zahnfleisches.  Vier- 
zehn Tage  später  —  er  hatte  inzwischen  seine 
Beschäftigung  nicht  aufgegeben  —  stellten  sich 
Fieber,  Schmerzen  in  den  Beinen  und  Mattigkeit 
ein,  wenige  Tage  später  Schüttelfröste,  große 
Schwäche,  Herzklopfen  und  Atemnot.  Bei  seiner 
Aufnahme  in  das  Krankenhaus  wurde  aus  einer 
Blutprobe  eine  Reinkultur  von  Staphylococcus 
pyogenes  aureus  gewonnen.  Die  klinische  Dia- 
gnose lautete:    Stomatitis  mercurialis,    Endocar- 


>)  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  51,  H.  5  und  6. 
*)  Schade,  Die  elektro-kataly tische  Kraft  der 
MeUlle.   Leipzig  1904. 

')  Zeitschr.  f.  physikalische  Chemie  Bd.  42, 1903. 


ditis  septica  cum  insufficientia  valvularum  aorti- 
carum  et  mitralium,  Septicopyaemia.  Acht  Tage 
nach  der  Aufnahme  trat  plötzlich  der  Tod  ein. 
Die  zweite  Beobachtung  lehrt,  daß  auch 
ein  arzneilicher  Merkurialismus  Stomatitis  mit 
Ausgang  in  tödliche  Sepsis  veranlassen  kann. 
Ein  30  jähriger  an  Roseola  und  Kondylomen 
leidender  Arbeiter  wurde  auf  der  Klinik  mit 
Einreibungen  von  täglich  5  g  Unguentum  cine- 
reum  behandelt.  Nach  der  11.  Einreibung 
wurde  über  Schmerzen  in  einem  kariösen  Backen- 
zahn geklagt.  Obgleich  keine  sonstigen  Ver- 
änderungen in  den  Mundgebilden  nachzuweisen 
waren,  wurden  die  Inunktionen  ausgesetzt.  Nach 
5  Tagen  hatte  sich  unter  anhaltendem  Fieber 
(bis  38,6°)  am  Zahnfleisch  ein  Geschwür  ent- 
wickelt; später  bildete  sich  starke  Schwellung 
des  Zahnfleisches,  der  Zunge  und  der  Mund- 
schleimhaut aus  mit  ausgedehnten  Verschwärun- 
gen  und  gangränöser  Verfärbung.  Stärkster  Foetor 
ex  ore,  Absonderung  eines  übelriechenden,  trüben, 
blutig  gefärbten  Speichels.  Auf  der  Haut  des 
Rumpfes  und  der  Beine  zahlreiche  bis  über 
erbsengroße  Blutungen.  Im  Harn  (500  cem) 
wenig  Eiweiß,  zahlreiche  hyaline  Zylinder  und 
sparsam  rote  Blutkörperchen.  Trotz  Rückgang 
der  Symptome  der  Stomatitis  nahm  der.  Kräfte- 
verfall zu,  und  vier  Wochen  nach  der  Aufnahme 
erfolgte  unter  überhandnehmender  Entkräftung 
der  Tod. 

(Medisinische  Klinik  No.  4,  1905.)  Jacobson. 

Ein  tödlicher  Fall  von  akuter  Sublimatvergiftung. 

Von  Dr.  Scott  Sugden  in  Liverpool. 

Ein  junges  Mädchen  hat  gegen  Kopfweh 
ein  von  einem  Drogisten  bezogenes  Pulver  ein- 
genommen, welches  infolge  eines  nicht  auf- 
geklärten Versehens  etwa  0,15  Sublimat  enthielt. 
Sie  erkrankte  sofort  mit  brennendem  Gefühl  im 
Munde  nebst  Erbrechen.  Die  Schleimhaut  im 
Mund  war  angeätzt,  der  Leib  empfindlich.  Die 
Harnentleerung  war  24  Stunden  völlig  unter- 
drückt. In  den  nächsten  Tagen  erfolgten  mehrere 
Male  blutige  Darmentleerungen  und  blutiges  Er- 
brechen. Am  22.  Tage  starb  die  Kranke  an 
Herzschwäche.  —  Bei  der  Autopsie  fand  sich 
die  Schleimhaut  von  Mund  und  Rachen  bis  in 
die  Speiseröhre  hinein  durch  Ätzung  zerstört 
und  auf  der  Schleimhaut  des  Magens  und  des 
Darms  zahlreiche  Ekchymosen.  Leber  und 
Nieren  waren  fettig  degeneriert. 

(British  medical  Journal  1905.  8.  April.) 

Glossen  (Orube  i.  H.). 

Ober    die    Primelkrankheit    und    andere    durch 
Pflanzen  verursachte  Hautentzündungen.  Von 

Dr.  E.  Ho  ff  mann,  Stabsarzt  a.  D  ,  Privat- 
dozent, Assistent  der  Universitätsklinik  für 
Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  zu  Berlin 
(Prof.  E.  L es s er). 

Verf.  gibt  in  einem  Vortrage  eine  Übersicht 
über  Hautentzündungen,  welche  durch  Pflanzen 
resp.  Pflanzenstoffe  verursacht  werden. 

Am  häufigsten  erzeugt  die  Primel  und  zwar 
Primula  obeonica,  die  japanische  Primel, 
Hauterkrankungen,  seltener  andere  Arten  wie 
Primula  sinensis,  Pr.  Sieboldii  und  Pr. 
cortusoides.      Die    entzündungerregende    Sub- 


384 


Toxikologie.  —  Literatur. 


["Therapeutisch* 
L   Monatshefte. 


stanz  ist  das  dickflüssige,  zähe,  gelbgrüne  Sekret 
der  Drüsenhaare,  aas  welchem  das  hautreizende 
Prinzip  in  rhombischen  Krystallen  ausfällt.  Die 
Erkrankung,  welche  nur  besonders  disponierte 
Personen  befällt,  äußert  sich  in  heftigem  Jucken 
und  schmerzhaftem  Brennen ;  die  Haut  der  Hände, 
Vorderarme,  des  Gesichtes  schwillt  an,  rötet 
sich  und  bedeckt  sich  mit  Blasen,  deren  Inhalt 
anfangs  klar,  später  trübe  ist;  zuweilen  besteht 
auch  Fieber. 

Besser  bekannt  ist  das  toxische  Prinzip  der 
Rh U8 arten,  und  zwar  von  Rhus  toxicodendron, 
dem  Giftsumach,  und  Rh.  vernicifera,  dem 
japanischen  Lackbaum.  Die  Pflanzen  enthalten 
in  dem  Milchsaft  der  Blätter  das  stark  haut- 
reizende Kardol  resp.  eine  diesem  nahestehende 
Substanz.  Die  Wirkung  dieses  Körpers  ist  so 
stark,  daß  besonders  empfindliche  Personen  schon 
erkranken,  wenn  sie  in  der  Nähe  der  Pflanzen 
verweilen.  Kardol  findet  sich  ferner  in  den 
Früchten  von  Anacardium  Orientale  und 
occidentale,  den  Elefantenläusen;  auch  diese, 
welche  als  Volksmittel  bei  Rheumatismus  be- 
nutzt werden,  rufen  zuweilen  erysipelartige  Ent- 
zündungen der  Haut  hervor.  Daß  auch  Chrys- 
anthemum indicum  Hautreizung  veranlassen 
kann,  lehrt  folgende  Beobachtung:  Eine  Gärtners- 
frau, welche  6  Stunden  Chrysanthemum  ge- 
schnitten hatte,  erkrankte  bald  darauf  an  Jucken 
und  Brennen  im  Gesicht  und  an  den  Händen. 
Am  folgenden  Tage  trat  Entzündung  der  Haut 
und  Fieber  auf.  Die  Hautreizung  wird  hier 
wahrscheinlich  durch  ein  ätherisches  öl,  dos 
Kikuöl,  bewirkt. 

Scilla  maritima,  die  Meerzwiebel,  kann 
durch  Einwirkung  der  Blätter  oder  Zwiebeln 
tagelang  anhaltende,  mit  Bläschenbildung  ein- 
hergehende Entzündung    der  Haut    hervorrufen. 

Auch  Thuja  occi dental is,  der  Lebens- 
baum, wirkt  krankmachend.  Ein  Kellner,  der 
die  Blätter  zerdrückt  hatte,  erkrankte  unter 
Fieber  an  heftiger,  erysipel artiger  Hautent- 
zündung des  Gesichts  und  der  Hände,  die  erst 
nach  10  Tagen  unter  Schuppung  abheilte. 

(Münchener  medizinische  Wochenschrift  No.  44,  1904.) 

Jacobson. 


(Ans  der  pgyehiatrUchen  UniTenltltaklinlk  in  Königsberg  L  P. 
Direktor:  Prof.  Dr.  Meyer;. 

Ein  Beitrag  zum  Kodeinismas.  Von  Assistenzarzt 
Dr.  Pelz. 

Ein  an  Melancholie  leidender  Patient  erhielt 
Kodeinpillen  zur  Beruhigung  verschrieben. 
Da  er  nach  Gebrauch  derselben  Erleichterung 
verspürte,  gewöhnte  er  sich  den  Genuß  derartig 
an,  daß  er  bald  täglich  alle  1 — 2  Stunden  etwa 
5  Pillen  ä  0,033  g  Kodein  nahm.  Später  ge- 
brauchte er  auch  neben  diesen  Kodeinpillen 
Opiumpillen  und  schließlich,  um  sich  von  seiner 
Angewohnheit  zu  befreien,  das  stark  morphium- 
haltige  Antimorphin.  Wegen  seiner  andauernden 
Schlaflosigkeit  war  er  gezwungen,  Veronal  zu 
nehmen.  Allmählich  nahm  der  Appetit  immer 
stärker  ab,  er  wurde  elend  und  mager,  die 
Sprache  wurde  schwer,  und  undeutlich  und 
schließlich  wurde  seine  Aufnahme  ins  Kranken- 
haus erforderlich. 


Pelz  erhob  folgenden  Befund:  Patient  sehr 
elend  und  hinfällig.  Liegt  matt,  mit  geschlossenen 
Augen  da,  Bewegungen  mühevoll  und  kraftlos. 
Schwerbesinnlichkeit,  unklarer  Zustand,  erschwerte 
Auffassung.  Auf  Anrufen  reagiert  er  und  gibt 
auf  Fragen  Antwort,  klagt  über  Schlaftrunken- 
heit, Unruhe,  Beklemmung,  Frösteln;  gibt  an, 
daß  er  Gehörshalluzinationen  gehabt  habe.  Die 
Sprache  ist  langsam,  oft  stolpernd  und  undeut- 
lich.    Reflexe    sehr  schwankend  in   der   Stärke. 

Patient,  der  kein  Narcoticum  erhielt,  blieb 
schlaf  1  ob  und  verweigerte  die  Nahrungsaufnahme; 
auf  Nährklysmen  erfolgte  Durchfall.  Chloral- 
hydrat  wurde  sofort  erbrochen.  Das  Erbrechen, 
das  auch  spontan  sowie  bei  jedem  Versuch  der 
Nahrungsaufnahme  eintrat,  konnte  durch  Eis, 
Chloroform  tropfen  und  Kampferinjektionen  be- 
seitigt werden.  Allmählich  besserte  sich  der 
Zustand,  und  es  trat  auch  spontan  Schlaf  ein, 
der  in  den  ersten  Tagen  nur  durch  Veronal- 
darreichung  zu  erzielen  war. 

Auch  dieser  Fall  mahnt  wieder  von  neuem, 

psychopathischen  Individuen  differente  Mittel  nur 

mit  großer  Vorsicht  zu  verabfolgen. 

(Deutsche  medizinische  Wochenschrift,   No.  22,   1905, 
S.  864.)  Jacobson. 

Eine    Belladonnayergiftung.     Von    Dr.   Stock  er 
(Groß -Wangen). 

Ein  4%  jähriges  Kind  hatte  gegen  Abend 
einige  —  wohl  nicht  mehr  als  zwei  —  reife 
Belladonnabeeren  verzehrt.  In  der  Nacht  war 
das  Kind  sehr  unruhig,  schwatzte  unverständ- 
liches Zeug  und  fiel  mehrmals  aus  dem  Bett. 
Am  andern  Morgen  erhob  Stock  er  folgenden 
Befund.  Das  Kind  strauchelt  und  fällt,  wfiizt 
sich  planlos  am  Boden  umher.  An  den  Extremi- 
täten eigentümlich  hüpfende,  an  Chorea  er- 
innernde Bewegungen.  Beständiges,  unverständ- 
liches Lallen.  Blick  leer,  Pupillen  ad  maximum 
erweitert,  absolut  reaktionslos,  Gesichtshaut  und 
Bindehäute  gerötet,  Stirn  warm  und  trocken. 
Im  Bett  wälzt  sich  Pat.  umher.  Puls  180,  voll 
und  kräftig. 

Eine  Injektion  von  0,01  g  Morphinum  hydro- 
chloricum  blieb  ohne  Erfolg.  Am  Nachmittag 
erfolgte  zweimal  schleimiges  Erbrechen.  Auf 
eine  zweite  Injektion  der  gleichen  Dosis  ließen 
die  heftigen  Jaktationen  nach;  doch  bestanden 
bis  zum  Abend  noch  Gesichtshalluzinationen. 
Es  trat  dann  Schlaf  ein,  der  den  ganzen  folgen- 
den Tag  über  andauerte.  Am  dritten  Tage  war 
Pat.  wieder  völlig  wohl. 

(Korrespondenzblait  für  Schweizer  Ärzte  No.  4,  19Ü5J 

Jacobson. 


Literatur« 


Grundzüjre  der  Hygiene  unter Berücksichtigung 
der  Gesetzgebung  des  Deutschen  Reichs  und 
Oesterreichs.  Von  W.  Prausnitz.  VII.  er- 
weiterte und  vermehrte  Auflage.  Mönchen 
1905,  J.  F.  Lehmanns  Verlag.    Pr.  8  M. 

Die  Tatsache  der  VII.  Auflage  beweist  schon 
genügend    den    Wert    des    Werkes.     Es   ist  für 


XIX.  Jahrgang.! 
Jnll  1905.     J 


Literatur. 


385 


Studierende  an  Universitäten  und  technischen 
Hochschulen,  Ärzte,  Architekten,  Ingenieure  und 
Verwaltungsbeamte  geschrieben,  d.  h.  für  die 
akademisch  Gebildeten  Deutschlands  und  Öster- 
reichs, doch  kann  man  das  akademisch  getrost 
streichen,  da  es  ein  Buch  ist,  das  jedem  Gebil- 
deten willkommen  Bein  wird,  der  sich  einen  ge- 
drängten Überblick  über  einzelne  Fragen  der 
öffentlichen  Gesundheitspflege  verschaffen  will. 
Daß  man  dieses  Buch  jedermann  empfehlen  kann, 
beruht  nicht  zum  geringsten  auf  der  klaren,  leicht 
faßlichen  und  gewandten  Darstellungsweise,  welche 
tunlichst  alles  Trockene  vermeidet,  so  daß  die 
Lektüre  einen  Genuß  bietet. 

Für  die  nächste  Auflage  würde  ich  noch 
empfehlen  aufzunehmen  die  Bari ow sehe  Krank- 
heit bei  der  Besprechung  der  Säuglingsernährung, 
ferner  die  Trypanosomiasis  der  Menschen.  Dem 
Zellensystem  in  Schlachthäusern  würde  ich  emp- 
fehlen einige  verdammende  Worte  beizugeben. 
Andererseits  habe  ich  persönlich  große  Freude 
gehabt  über  das  Postulat,  alle  Schlachtungen  in 
gemeinsamen  Schlachthäusern  vorzunehmen,  wo- 
bei ich  darauf  hinweisen  möchte,  daß  in  Frank- 
reich soeben  der  Regierung  ein  Gesetzentwurf 
vorgelegt  wurde  über  die  Errichtung  von  Ge- 
meinde- und  Bezirkaschlachthöfen  unter  gänzlicher 
Ausschaltung  jeglicher  Einzelschlachtstätte.  Aas- 
gezeichnet klar  und  verständlich  sind  die  Ab- 
schnitte über  Entstehung  und  Verbreitung  der 
Infektionskrankheiten  trotz  der  Kürze  der  ihnen 
gewidmeten  Seiten  und  die  Lehre  von  der  Im- 
munität inklusive  Ehrlichs  Seitenkettentherorie. 

Die  Ausstattung  und  der  Druck  des  Buches 
ist  wie  bei  allen  in  Lehmanns  Verlag  erscheinenden 
Werken  glänzend  zu  nennen,  was  bei  einem 
Buche,  in  welchem  sich  ein  Kapitel  über  Schul- 
hygiene befindet,  wobei  auch  die  rasche  Zunahme 
der  Kurzsichtigkeit  während  der  Schulzeit  be- 
sprochen wird,  besonders  sympathisch  berührt, 
da  der  in  so  vielen  Büchern  übliche  zu  kleine 
Druck  auch  Erwachsene,  die  längst  über  die 
Schulzeit  hinaus  sind,  schädigt.  Es  ist  ein  schönes 
Zeichen,  wenn  ein  Buchhändler  nicht  nur  Bücher 
über  Hygiene  verlegt,  sondern  in  seinem  Verlag 
auch  die  Vorschriften  der  Hygiene  befolgt. 
,  Westenhoeffer. 

Führt  die  Hygiene  zur  Entartung  der  Kasse? 
Von  Prof.  Dr.  Max  Gruber,  Direktor  des 
Hygien.  Instituts  der  Universität  München. 
Stuttgart,  Ernst  Heinrich  Moritz,  1904. 

Verf.  weist  in  seinem  auf  der  Generalver- 
sammlung des  Deutschen  Vereins  für  Volks- 
hygiene in  Dresden  am  31.  Juli  1903  gehaltenen 
Vortrage  zunächst  zahlenmäßig  die  gewaltige 
Abnahme  der  Sterblichkeit  in  den  letzten  beiden 
Jahrhunderten  für  alle  Schichten  der  Bevölkerung 
nach.  Aber  ist  dies  von  Vorteil  in  Hinblick 
auf  die  Rasse?  Im  Darwinschen  Sinne  werden 
grade  durch  die  Auslese  die  für  die  Erhaltung 
der  Art  nützlichsten  Eigenschaften  gezüchtet 
und  weiter  vererbt.  Dann  müßten  die  Minder- 
wertigen also  am  besten  schon  als  Säuglinge 
möglichst  schmerzlos  ausgemerzt  werden,  damit 
die  Sterblichkeit  der  höheren  Altersklassen  eine 
geringe  sei.     Andererseits  müßte  dann  in  Wirk- 


lichkeit bei  der  durch  die  Lehren  der  Hygiene 
erreichten  Herabsetzung  der  Kindersterblichkeit 
eine  um  so  größere  Mortalität  der  Erwachsenen 
eintreten. 

Ist  dies  der  Fall?  Reichliche  Tabellen,  ins- 
besondere für  Schweden,  Norwegen  und  die 
Stadt  Genf  zeigen,  daß  trotz  fortwährenden 
Herabgehens  der  Säuglingssterblichkeit  auch  die 
aller  anderen  Altersklassen  unabhängig  vom 
Reichtum  mit  der  Besserung  der  hygienischen 
Verhältnisse  stetig  herabgeht.  Überall  beim  Ver- 
gleiche verschiedener  Gebiete,  verschiedener  Zeiten, 
verschiedener  Klassen  finden  wir  also  dasselbe. 
Im  Gegensatz  zur  Erwartung  nach  der  Auslese- 
theorie günstige  Sterblichkeit  der  höheren  Alters- 
klassen bei  niederer  Kindersterblichkeit. 

Es  müssen  also  Fehler  in  der  angenommenen 
Theorie  der  natürlichen  Auslese  sein.  Diese 
sind : 

1.  Lediglich  der  Zufall  in  Gestalt  äußerer 
Gründe  bedingt  ohne  Rücksicht  auf  Kräftige 
oder  Schwache  die  meisten  Schäden  und  Todes- 
fälle (z.  B.  Wochenbettfieber,  Gonorrhöe,  ver- 
dorbene Milch). 

2.  Kommen  innere  Gründe  (Mangel  an 
Gegengiften)  in  Betracht,  die  sonst  mit  den 
kräftigsten  Konstitutionen  verbunden  sind. 

3.  Wenn  wirklich  Minderwertigkeit  vor- 
liegt, so  ist  es  eine  ganz  willkürliche  Annahme, 
daß  diese  schon  von  Geburt  an  besteht,  sondern 
sie  ist  vielmehr  bedingt,  durch  die  Ungunst 
äußerer  Verhältnisse,  ist  die  Folge  unzulänglicher 
Nahrung  entweder  schon  im  Mutterleibe  oder 
nach  der  Geburt. 

4.  Es  gibt  überhaupt  keine  scharfe  Tren- 
nung zwischen  Minder-  und  Vollwertigen. 

5.  Übrigens  beteiligen  sich  grade  die  Minder- 
wertigen (Tuberkulöse)  ausgiebig  an  der  Fort- 
pflanzung.   Wo  bleibt  da  die  natürliche  Auslese? 

6.  Es  ist  überhaupt  falsch  (s.  1.),  daß  die 
Starken  des  Schutzes  der  Hygiene  entraten 
könnten. 

Also  die  Auslese  der  blinden  Natur  ist  nicht 
das  Erhaltende  des  Menschengeschlechts.  Die 
Hygiene  vielmehr  nützt  nicht  nur  dem  einzelnen 
Individuum,  sondern  auch  der  Rasse,  der  mensch- 
lichen Spezies  im  ganzen. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Die  Alkoholfrage  vom  ärztlichen  Standpunkt. 

Von  Dr.  med.  W.  Pf  äff.  Verlag  von  F.  Pietzner. 

Tübingen  1904.    M.  0,80. 

Daß  der  Verf.  trotz  des  augenscheinlichen 
Flauerwerdens  der  Antialkoholbewegung  an  dem 
Standpunkt  strengster  Abstinenz  festhält,  wird 
man  ihm  nicht  verargen,  daß  der  Alkohol  unter 
allen  Umständen  ein  schweres  und  gefährliches 
Gift  sei,  wird  man  wohl  bestreiten,  aber  als  eine 
immerhin  diskutierbare  Frage  betrachten,  daß 
er  aber  allen  Gegnern  dieser  Anschauung  die 
wissenschaftliche  Qualifikation  und  die  Logik 
abzusprechen  wagt,  mindestens  als  einen  charak- 
teristischen Zug  der  heute  dominierenden  krank- 
haften Verallgemeinerungssucht   ansehen  dürfen. 

Eschle  (Sinsheim). 


386 


Literatur. 


L   Monatshefte. 


Gefrierpunkts-  und  Leitfähigkeitsbestimmun- 
gen. Ihr  praktischer  Wert  für  die  innere 
Medizin.  Von  Dr.  S.  Schoenborn,  Privat- 
dozent  für  innere  Medizin,  I.  Assistent  der 
Heidelberger  medizinischen  Klinik.  Verlag  von 
J.  F.  Bergmann,  Wiesbaden  1904.  8°.  77Seiten. 

Die  noch  gegenwärtig  immer  im  Vorder- 
grunde des  medizinischen  Interesses  stehenden 
physikalisch-chemischen  Untersuchungsmethoden 
(Kryoskopie  aud  elektrische  Leitfähigkeit)  werden 
vom  Verfasser  leicht  verständlich  erörtert  und 
kritisch  besprochen.  Die  vorliegende  Arbeit  um- 
faßt 4  Kapitel,  von  welchen  das  erste  einen 
*  Überblick  über  die  bisherigen  Anschauungen  und 
Ergebnisse  der  Kryoskopie  bringt,  das  zweite 
und  dritte  ist  den  eigenen  Untersuchungen  des 
Verfassers  über  Gefrierpunktserniedrigung  sowie 
den  Leitfähigkeitsbestimmungen  gewidmet.  Das 
Hauptinteresse  des  Verfassers  wendet  sich  selbst- 
verständlich der  Kryoskopie  zu.  Nach  zahlreichen 
Beobachtungen  an  Nierenkranken  folgt  eine  Zu- 
sammenfassung der  Beobachtungsresultate  mit 
Abschnitten  über  Urämie,  therapeutischen  Folge- 
rangen und  einigen  Schlußbetrachtungen.  Die 
Kryoskopie  von  Blut  und  Urin  bei  nicht  Nieren- 
kranken wie  auch  von  anderweitigen  Körper- 
säften (Milch,  Schweiß,  Galle  etc.)  und  Organen 
bleibt  nicht  unberücksichtigt. 

Der  Methodik  der  Leitfähigkeitsbestimmung 
gehen  einige  theoretische  Bemerkungen  voran, 
die  mit  Bestimmungen  an  Blutserum,  Urinen 
und  Cerebrospinalflüssigkeit  enden. 

Zuletzt  folgen  Schlußsätze,  die  im  großen 
und  ganzen  sich  mit  Recht  mit  dem  Co  wischen 
Satze:  „das  ganze  Gebiet  der  Kryoskopie  (und 
um  so  mehr  das  der  elektrischen  Leitfähigkeit. 
Ref.)  gehört  vorläufig  noch  weit  mehr  den 
Forschern  als  den  Praktikern"  folgerichtig  decken. 
Mit  der  Literaturangabe  schließt  die  objektiv 
abgefaßte  Monographie,  die  jedem,  der  sich  mit 
diesem  Thema  zu  beschäftigen  Veranlassung  hat, 
zu  lesen  empfohlen  wird. 

Dr.  Casimir  Strzyzowski  (Lausanne). 

Belastungslagerung.  Grundzüge  einer  nicht 
operativen  Behandlung1  chronisch-entzünd- 
licher Frauenkrankheiten.  Von  Dr.  Ludwig 
Pinous-Danzig.  Verlag  von  J.  F.  Bergmann. 
Wiesbaden  1905.    Preis  3,60  M. 

Im  allgemeinen  Teil  gibt  der  Verfasser  die 
geschichtliche  Entwickelung  der  Behandlung  der 
verschiedenen  gynäkologischen  Affektionen  zu- 
nächst mittels  der  abdominalen  Belastung  allein, 
dann  durch  die  direkte  Kompression  per  vaginam 
und  schließlich  durch  die  Lagerung  auf  der 
schiefen  Ebene  (Mittelhochlagerung).  Alsdann 
geht  er  zur  Schilderung  seiner  eigenen  Methode 
und  Technik  über:  Mittelhochlagerung,  die  Be- 
lastung (Kompression)  in  ihrer  verschiedenen 
Form,  abdominal,  intravaginal,  intermittierend, 
kontinuierlich,  direkt  durch  das  benutzte  Gewicht, 
indirekt  mittels  des  durch  das  Gesetz  der  Schwere 
auf  die  Bauch-  und  Beckenorgane  ausgeübten 
Zuges.  Die  Kompression  des  Abdomen  gelingt 
einfach   durch   einen  2  bis  5  kg  schweren  Sack. 

Die  intravaginale  Kompression  wird  ver- 
mittels   eines    vom   Verfasser    angegebenen  Kol- 


peurynters  ausgeführt.  Das  Verfahren  bietet  den 
großen  Vorteil,  daß  viele  Kranke  ambulant  be- 
handelt werden  können. 

In  einem  andern  Abschnitte  läßt  Pinous 
die  verschiedenen  Indikationen  für  seine  Methode 
sowie  die  verschiedenen  Affektionen  Revue  pas- 
sieren, die  er  zu  behandeln  Gelegenheit  hatte. 
Parametritische  Exsudate,  Erkrankungen  der  Ad- 
neze  und  Beckenserosa,  Retroversio  uteri  fixati 
u.  s.  w.  Alle  akuten  und  subakuten  Prozesse 
bilden  eine  formelle  Kontraindikation. 

Zum  Schluß  äußert  Verf.  sich  über  die 
Kolpeuryntermassage,  die  wegen  des  vollständigen 
Mangels  von  Reizerscheinungen  selbst  bei  hyste- 
rischen und  sehr  impressionablen  Frauen  An- 
wendung finden  kann.  Es  verdient  auch  Beach- 
tung, daß  wir  in  der  Kolpeuryntermassage  ein 
ausgezeichnetes  Mittel  besitzen,  die  Uteruskon- 
traktionen bei  der  Entbindung  anzuregen  und  zu 
verstärken.  Dr.  Weith  (Lausanne). 

Atlas  und  Grundriß*  der  Verbandlelrre  für  Stu- 
dierende und  Ärzte.  Von  Albert  Hoffa, 
3.  vermehrte  und  verbesserte  Aufl.  München. 
J.  A.  Lehmanns  Verlag  1904.  8  M. 
Wie  so  manche  andern  der  Lehmann  sehen 
Atlanten  hat  auch  Hoff  es  Grundriß  der  Ver- 
bandlehre eine  mehrfache,  jetzt  die  3.  Auflage, 
erlebt,  worüber  man  nur  seine  Genugtuung  aus- 
drücken kann,  denn  die  Ausstattung  des  vom 
Autor  gelieferten  Materials  ist  geradezu  ideal 
zu  nennen,  besonders  im  Hinblick  auf  die  natur- 
getreue Darstellung  der  einzelnen  Verbände.  Das 
Werk  enthält  alles  in  bildlicher  Darstellung, 
was  der  Student  und  der  Arzt  braucht,  der  Text 
gibt  in  klarer  und  vorzüglicher  Kürze  die  nötige 
Beschreibung,  wobei  kurze  historische  Notizen 
nicht  fehlen,  was  den  Stoff  noch  mehr  belebt. 
Für*  die  Trefflichkeit  und  den  praktischen  Wert 
des  Werkes  spricht  auch  der  Umstand,  daß  es 
in  mehrere  fremde  Sprachen  übersetzt  worden  ist. 

Wesienhoeffer. 

Hautreizende  Primeln.  Untersuchungen  über 
Entstehung,  Eigenschaften  und  Wirkungen 
des  Primelhautgiftes.  Von  Professor  Dr. 
A.  Nostlor.  Mit  4  Tafeln.  Berlin,  Verlag 
von  Gebrüder  Bornträger,  1,904. 

Der  Verf.  hat  Untersuchungen  über  Ent- 
stehung, Eigenschaften  und  Wirkungen  des 
Primelhautgiftes  angestellt  und  ist  durch  ein- 
gehende Experimente  zu  dem  Resultate  gelangt, 
daß  das  gelblich-grüne  Sekret,  welches  von  den 
Drüsenhaaren  abgesondert  wird,  eine  Substanz 
enthält,  die  jene  hautreizende  Wirkung  hervor- 
ruft. Heilung  tritt  erst  dann  ein,  wenn  die 
Primel  aus  der  Nähe  des  Patienten  entfernt 
wird  und  eine  gründliche  Reinigung  der  Orte, 
wo  Primelteile  lagen,  mit  einem  Lösungsmittel 
des  Primel  gif  tes  wie  Alkohol,  Tenpentinöl  etc. 
erfolgt  ist.  Neben  der  Primula  obeonica  haben 
auch  Primula  sinensis  Lindl,  Primula  Sieboldii, 
Primula  cortussides,  wie  Verf.  festgestellt  hat, 
hautreizende  Eigenschaften.  Ein  ausführliches 
Literaturverzeichnis  erhöht  den  Wert  des  durch- 
aus zeitgemäßen  Werkes.         Edmund  Saatfeld. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Juli  1905.     J 


Praktisch«  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


387 


Praktische  Ifottsen 

and 

empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


Dormiol  als  AnthidroÜcum.  Von  Dr.  Weder  hake 
in  Elberfeld.   (Originalmitteilung.) 

Bei  Besprechung  der  Therapie  der  Nacht- 
schweiße der  Phthisiker  erwähnt  Penzoldt 
kurz:  „Nicht  unwichtig  ist  es,  daß  das  Sulfonal 
die  Schweißbeschränkung  zuweilen  als  Neben- 
wirkung äußert u  (Handbuch  der  Therapie  innerer 
Krankheiten  Bd.  3,  S.  413,  1902  von  Penzoldt 
and  Stintzing).  Vom  Trional  ist  diese  Wirkung 
ebenfalls  schon  länger  bekannt.  Neuerdings 
wurde  darauf  hingewiesen,  daß  das  Yeronal  einen 
ähnlichen  Effekt  haben  kann.  Ulrici  (Therap. 
Monatsh.  1904,  12)  gab  dasselbe  in  Dosen  von 
0,3,  fand  aber,  daß  die  Wirkung  in  der  Regel 
erst   am   3.  Tage   nach  der  Darreichung  eintrat. 

Ich  verwende  seit  1901  fast  ausschließlich 
das  Dormiol  als  Schlafmittel  und  bin  mit  dem- 
selben stets  ausgekommen.  Es  wirkt  unter 
anderm  bei  den  schweren  Delirien  der  Säufer 
so  gut,  daß  ich  von  der  Darreichung  des  Chlorais 
absehen  konnte.  Nebenwirkungen  habe  ich  nie 
gesehen,  obgleich  ich  es  bisher  in  mehreren 
tausend  Dosen  verordnete.  Hierbei  machte  ich 
die  Beobachtung,  daß  es  die  Nachtschweiße  der 
Phthisiker  derart  beschränkte  und  sogar  zeit- 
weise beseitigte,  daß  die  Kranken  schon  aus  sich 
nach  dem  Mittel  verlangten,  wenn  gelegentlich 
ein  anderes  Schlafmittel  zum  Vergleich  gegeben 
wurde. 

Ich  reichte  es  gewöhnlich  in  einer  Dosis 
von  1,5  — 2,0  g,  da  geringere  Dosen  nicht  wirk- 
sam sind.  Es  hat  dies  keinerlei  Bedenken,  da 
ja  das  Dormiol  keinen  Einnuß  auf  das  Zirku- 
lationssystem hat,  im  wohltätigen  Gegensatze 
zum  Chloral.  Nach  meinen  Beobachtungen  kann 
man  ohne  Schaden  bis  zu  3,5  g  gehen.  Diese 
Unschädlichkeit  des  Dormiols  hat  sich  mir  immer 
wieder  erwiesen,  wie  ich  es  schon  1901  in  meiner 
Arbeit  „Über  Dormiol u  angegeben  habe. 

Ein  Heilmittel  gegen  die  Nachtschweiße  ist 
das  Dormiol  nicht.  Oft  kann  man  aber  das 
Mittel  für  mehrere  Abende  aussetzen,  ohne  daß 
neue  Schweiße  auftreten. 

Die  hygienische  Behandlung  der  Fußböden. 

Die  außerordentliche  Bedeutung,  welche  der 
Staub  bei  der  Übertragung  von  Krankheiten  und 
zur  Förderung  derselben  hat,  läßt  die  einschlä- 
gigen Fachkreise  immer  mehr  darauf  sinnen, 
diesen  schädlichen  Feind  der  Menschen  möglichst 
einzuschränken.  Zur  Herstellung  einer  guten 
Luft  in  den  Räumen  der  Krankenhäuser,  Sana- 
torien u.  s.  w.  bemüht  man  sich  nun  auf  das 
angelegentlichste  durch  eine  außerordentlich 
gute  Lüftung  und  peinliche  Sauberkeit.  Beide 
Mittel  bedürfen  freilich  eines  größeren  Kosten- 
aufwandes und  haben  außerdem  den  Nachteil, 
den  Staub  nicht  in  seinem  Ursprünge,  sondern 
erst  später  unschädlich  zu  machen.  Wenn  nun 
viele  Bestrebungen  dahin  gingen,  den  Staub  in 
der  Entstehung  zu  entfernen,  so  gipfelten  diese 


meistens  darin,  auf  dem  Fußboden  eine  feuchte 
Schicht  herzustellen,  wo  der  Staub  festgehalten 
wurde.  Oft  nahm  man  dazu  Fußbodenöle,  welche 
man  gewöhnlich  mit  schweren  Bürsten  in  den 
Boden  hineinrieb,  und  deren  Erhärtung  man 
künstlich  hinderte.  Daß  solche  Mittel  ihren 
Zweck  nur  teilweise  erfüllen  konnten,  liegt  auf 
der  Hand,  denn  eine  solche  feuchte  Schicht  auf 
dem  Fußboden  ist  nicht  jedermanns  Sache,  denn 
Krustenbildungen,  Beschmutzungen  der  Kleider, 
ein  unfreundliches  Aussehen  der  Fußböden  ist 
die  natürliche  Folge. 

Vor  einiger  Zeit  hatte  ich  Gelegenheit,  einen 
bedeutenden  Fortschritt  in  dieser  Hinsicht  zu 
konstatieren.  Bei  dem  Besuche  eines  großen 
Kieler  Krankenhauses  fiel  mir  die  außerordent- 
lich gute  Luft  auf,  welche  hier  herrschte.  Als 
Ursache  nahm  ich  eine  gute  Ventilation  an, 
wurde  aber  auf  meine  Anfrage  dahin  berichtigt, 
daß  lediglich  eine  neue  Behandlung  des  Fuß- 
bodens die  Ursache  sei.  Aufmerksam  gemacht 
und  besonders,  weil  ich  seit  einigen  Jahren  diese 
hygienisch  wichtige  Frage  ernstlich  verfolge,  er- 
kundigte ich  mich  weiter  und  konnte  feststellen, 
daß  die  hier  angewandte  Fußbodenimprägnierung 
folgende  schätzenswerte  Eigenschaften  besitzt: 
Die  Fußböden  bekommen  ein  gutes  Aussehen, 
lassen  sich  ungemein  leicht  durch  einfaches 
Zusammenkehren  mit  scharfem  Besen  reinigen, 
das  schädliche  nasse  Wischen  wird  um  75  Proz. 
vermindert,  und  der  Staub  ist  in  den  Räumen 
nicht  mehr  zu  bemerken.  Außerdem  wurde  mir 
als  großer  Vorteil  hingestellt  die  sofortige  Be- 
nutzungsmöglichkeit der  behandelten  Räume, 
ohne  daß  den  Kranken  durch  das  öl  die  geringste 
Belästigung  zuteil  wird.  Weitere  Umfragen 
meinerseits  ergaben  die  Anwendung  desselben 
Öles  in  Krankenhäusern  Leipzigs,  und  durch 
diese  Notiz  möchte  ich  möglichste  Klarheit  über 
Für  und  Wider  in  dieser  wichtigen  Frage  herbei- 
führen. Es  wäre  mir  deshalb  außerordentlich 
angenehm,  wenn  aus  dem  Interessentenkreise 
dieser  Zeitschrift  mit  mir  Frage  und  Antwort 
ausgetauscht  würde,  in  welcher  Weise  Fuß- 
böden ihrer  Verwaltung  vorteilhaft  behandelt 
werden. 

Es  handelt  sich  hier  um  ein  Mineralöl  mit 
organisch-chemischen  Zusätzen  zum  Imprägnieren 
hölzerner  Fußböden  und  des  Linoleumbelages. 
Das  Einreiben  wurde  mir  demonstriert,  und  ein 
energisches  Überfahren  mit  Seidenpapier  meiner- 
seits auf  der  frischen  Stelle  ergab  nicht  die  ge- 
ringste Beschmutzung  desselben.  Trotzdem  be- 
wirkt dieses  Öl,  daß  die  feineren  Staubteile  im 
Volumen  günstig  verändert  und  60  verhältnis- 
mäßig zu  schwer  werden,  um  noch  aufwirbeln 
zu  können.  Der  eminente  Vorteil  liegt  hier  in 
der  chemischen  Wirkungsweise  gegenüber  einer 
organischen  mit  allen  ihren  Nachteilen. 

Wenn  durch  die  angedeutete  Behandlung 
des  Fußbodens  für  Menschen  hygienisch,  für  die 
Reinigung  große  pekuniäre  Vorteile  entstehen, 
so  dürfte  dies  die  Publikation  dieser  Notiz 
rechtfertigen. 

K.  Langhann,  Ingenieur, 
Assistent  an  der  Techn.  Hochschule  Dresden. 


J 


388 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


rTherapeatisebe 
L   Monatshefte. 


Mesotanvaselin 

an    Stelle    des    gebräuchlichen    Mesotanöls  wird 
von  J.  Ruhemann  (Deutsche  med.  Wochenschr., 
19,  1905)   in   folgender  Verordnung   empfohlen: 
Mesotan  5,0 

yaselin.  amer.  flav.  15,0. 
Infolge  zahlreicher  Beobachtungen  konnte 
Ruhemann  sich  von  der  Reizlosigkeit  des 
Mesotanvaselins  gegenüber  dem  Mesotan  öl  über- 
zeugen. Ein  kühl  es  Aufbewahren  der  Salbe 
ist  erwünscht. 

Tuckers  Asthmamittel, 

welches  seiner  günstigen  Wirkung  wegen  eine 
weit  verbreitete  Anwendung  findet,  besteht  nach 
einer  älteren,  von  Dr.  Aufrecht  vorgenommenen 
Analyse  aus:  Cocainum  hydrochloricum  1  Proz., 
Kalium  nitricum  5  Proz.,  Glyzerin  35  Proz., 
Bittermandelwasser  35  Proz.,  Wasser  25  Proz., 
Pflanzenextraktivstoffe  (Stramonium)  4  Proz.  Eine 
neuere,  von  Bertram  (Zentratbl.  f.  innere  Me- 
dizin, No.  5,  1905)  angestellte  Untersuchung 
ergab  folgendes  Resultat: 

Die  angenehm  riechende,  braunrote,  klare 
Flüssigkeit  ist  neutral,  zeigt  1,097  spez.  Gew. 
und  gibt  5,52  Proz.  Trockenrückstand.  Ge- 
funden wurden  Natriumnitrit  4  Proz.  und  Atro- 
pinsulfat  1  Proz.  Da  die.  Flüssigkeit  (120  g) 
nebst  Zerstäuber  64  Mark  kostet,  empfiehlt 
Bertram  als  billigen  Ersatz  derselben  folgende 
Verordnung: 

Rp.     Atropini  sulfurici     0,15 

Natrii  nitrosi  0,6 

Glycerini  2,0 

Aquae  destill,  ad   15,0. 
M.  D.  in  vitro  fusco.     S.  Im  Apparat  drei 
Minuten  lang  zu  zerstäuben  und  einzuatmen. 

Die  Wirkung  bei  Asthma  und  Heufieber 
scheint  auf  der  Beruhigung  der  Nervenendigungen 
in  den  Bronchialmuskeln  und  auf  der  Sekretions- 
beschränkung der  Bronchialdrüsen  zu  beruhen. 
Der  Apparat  wird  von  Tucker  zum  Preise 
von  32  Mark,  von  Burroughs, Wellcome  &  Co. 
schon  zu  6  Mark  geliefert. 

Die  Seekrankheit 

behandelt  der  englische  Schiffsarzt  Sharpe 
(Brit.  med.  Journ.,  No.  2316),  indem  er  die 
Akkomodation  des  einen  Auges  mittels  Ein- 
träufeln von  2  oder  3  Tropfen  Atropinlösung 
(1  :  125)  in  den  Konjunktivalsack  lähmt.  Nach 
ihm  ist  die  Seekrankheit  als  ein  nervöses  Er- 
brechen "anzusehen.  Der  Reflex  wird  durch  den 
Vagus  ausgelöst.  Wo  die  Atropineinträufelungen 
nicht  gemacht  werden  können,  genügt  das  Ver- 
binden des  einen  Auges  zur  Verhütung  der  See- 
krankheit. Bei  50  in  dieser  Weise  behandelten 
Patienten  trat  in  65  Proz.  der  Fälle  nach  6  bis 
24  Stunden  Genesung  ein.  Auch  einseitige 
Blindheit  scheint  gegen  Seekrankheit  zu  schützen, 
denn  Sharpe  hat  9  Personen  beobachtet,  die 
früher  sehr  unter  der  Seekrankheit  zu  leiden 
hatten,  von  derselben  jedoch  nicht  mehr  befallen 


wurden,  nachdem  sie  das  Sehvermögen  auf  einem 
Auge  verloren  hatten. 

In  der  Syphilisbehandlung 

steht  unter  den  Jodpräparaten  in  bezug  auf 
schnelle  und  zugleich  energische  Wirkung  nach 
wie  vor  das  Jodkalium  an  erster  Stelle,  freilich 
hat  es  den  Nachteil,  am  leichtesten  Jodismus 
hervorzurufen.  Zur  Vermeidung  dieser  Neben- 
wirkung empfiehlt  Lieven  (Münchener  medizin. 
Wochenschr.  Nr.  13,  1905)  Jodkalium  in  folgen- 
der Verordnung  zu  verschreiben: 

Rp.   Kalii  jodati  30,0 

Fern  citrici  ammoniati  4,0 

Strychnini  nitrici  0,02 

Elaeosacch,  menth.  pip.  5,0 

Aquae  florum  Aurantii  ad  120,0. 
S.  1  Theelöffel  voll  in  Wasser  zu  nehmen. 
Es  ist  von  Wichtigkeit,  Jodkalium  nur  in 
starker  Verdünnung  zu  reichen.  1  Theelöffel 
(=  1  g  KJ)  der  Mixtur  ist  daher  mit  mindestens 
1/3  1  Wasser  zu  nehmen.  Die  Mixtur  ist  klar 
und  hell  und  bleibt  lange  Zeit  haltbar. 

Zar  Behandlang  des  Schweißfußes  in  der  Armee 
empfiehlt  Stabsarzt  Dr.  Fischer  (Münch.  med. 
Wochenschr.,  20,  1905)  Vasenolfor  mal  in. 
In  der  dermatologischen  Praxis  lernte  er  in  neuerer 
Zeit  einen  Fettpuder  kennen,  das  Vasenol 
(Dr.  Kopp,  Leipzig-Linden  au),  dessen  vorzüg- 
liche Eigenschaften  ihn  veranlaßten,  es  zur 
Schweißfußbehandlung  zu  benutzen'.  Durch  Zu- 
satz von  Formalin  (5—10  Proz.)  und  Salizyl- 
säure (1  Proz.)  erhielt  er  einen  Schweißpuder 
von  ausgezeichneter  Wirkung.  Nach  tüchtigem 
Abreiben  des  Fußes  mit,  einem  in  1  proz.  Salizyl- 
spiritus  (1  Acid.  salicyl.  :  100  Spirit.  dii.)  ge- 
tauchten Wattetupfer  wird  der  Fuß  mit  dem 
Puder  gut  eingerieben  (der  Puder  darf  nicht 
eingestäubt  werden);  dabei  ist  die  Haut  besonders 
zwischen  und  unter  den  Zehen  zu  berücksichtigen. 
Die  Prozedur  ist  2  mal  täglich  (früh  und  abends) 
vorzunehmen.  Die  Fußbekleidung  ist  dabei  etwas 
einzupudern.  Während  der  üble  Geruch  schon  am 
zweiten  Tage  geschwunden  ist,  trocknet  die  Haut 
unter  schwärzlicher  Verfärbung  der  Hornschicht 
gut  ab,  so  daß  die  Leute  nach  spätestens  S  Tagen 
aus  der  Behandlung  entlassen  werden  können. 

Prei8aafgabe. 

„Es  sollen  im  Anschluß  an  dieW.  A.  Freund- 
schen  Untersuchungen  die  Ursachen  der  Stenose 
der  oberen  Thoraxapertur  und  ihre  Bedeutung 
für  die  Entwickelung  der  Spitzenphthise  unter- 
sucht werden.** 

Bearbeitungen  sind  in  deutscher  Sprache 
bis  1.  Mai  1906  an  Herrn  Professor  Strauß, 
Berlin  NW.,  Alexanderufer  1,  unter  Beifügung 
eines  Mottos  einzusenden. 

Die  preisgekrönte  Arbeit  wird  mit  800  M. 
honoriert. 

Der  Vorsitzende  der  Hufelandischen  Gesellschaft 
Liebreich. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  A.L  an  gg  aar  d  in  Berlin  SW. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitäts-Buchdruck erei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1005.    August. 


Originalabhandlnngen. 


Über  Collargol  (Crede> 

Von 
Dr.  med.  R.  Weittmann  in  Linden fels. 

Der  Aufforderung  der  Redaktion  dieser 
Zeitschrift  über  meine  Erfahrungen  mit 
intravenösen  Injektionen  von  Gollargol  zu 
berichten,  komme  ich  um  so  lieber  nach,  als 
mir  dadurch  Gelegenheit  geboten  wird,  noch- 
mals für  die  so  überaus  einfache  intravenöse 
Applikation  von  Arzneimitteln  eine  Lanze 
zu  brechen.  Andererseits  ist  das  Collargol 
oder  Argentum  colloidale  ein  so  außerordent- 
lich wirksames  Arzneimittel  und  besitzt  eine 
so  ausgedehnte  Anwendbarkeit,  daß  ich  alle 
Kollegen,  welche  seine  Wirksamkeit  erprobten, 
für  verpflichtet  halte,  ihre  Stimme  für  das- 
selbe in  die  Wagschale  zu  werfen.  Der  Arzt 
befindet  sich  heutzutage  gegenüber  der  Hoch- 
flut von  neuen  Arzneimitteln,  mit  welchen 
uns  eine  nur  zu  rührige  chemische  Industrie 
beglückt,  in  einer  doppelt  unangenehmen  Lage. 
Da  die  meisten  dieser  Produkte  ein  äußerst 
kurzes  Dasein  haben,  da  sie  keineswegs 
halten,  was  ihre  Erzeuger  und  Paten  mit 
Emphase  versprechen,  ist  eine  gewissenhafte 
Skepsis  nur  zu  sehr  am  Platze.  Anderer- 
seits verleitet  diese  im  allgemeinen  wohl  an- 
gebrachte Skepsis  den  Arzt  zu  Mißtrauen 
gegenüber  Arzneimitteln,  deren  Wirksamkeit 
über  jeden  Zweifel  erhaben  ist.  Allerdings 
spielt  hier  oft  noch  etwas  anderes  mit,  eine 
Eigenschaft  der  Menschen  im  allgemeinen 
und  der  Ärzte  im  besonderen,  welche  Lom- 
broso  Misoneismus,  Kose  Misokainia  nennt, 
die  tief  eingewurzelte  Neigung  der  Menschen, 
neue  Ideen  zu  bekämpfen.  Rose1)  erkennt 
die  Berechtigung  an,  alles  Neue  mit  Vorsicht 
aufzunehmen.  „Wenn  aber  diese  Vorsicht 
oder  sagen  wir  dieses  Vorurteil  in  Gesell- 
schaft von  Selbstsucht  und  Trägheit,  den 
Erzfeinden  allen  Fortschritts,  auftritt,  so  kann 
man  von  Misokainia  sprechen."  Wer  denkt 
da  nicht  an  das  Geschick  Harveys  und 
Semmelweis'? 


])  Rose,  Misokainia  in  der  Medizin.  Vortrag, 
gehalten  in  der  Deutsch,  med.  Gesellsch.  der  Stadt 
New- York  am  3.  X.  04.  New- York  er  med.  Monats- 
schrift 


In  der  neuesten  Zeit  sind  es  die  Arbeiten 
Landerers  über  die  Behandlung  der  Tuber- 
kulose mit  Hetol  gewesen,  welche  infolge 
der  Misokainia  vieler  Ärzte  in  hervorragen- 
den Stellungen  nicht  die  Anerkennung  ge- 
funden haben,  welche  sie  durchaus  verdienen; 
und  zwar  sehr  zum  Schaden  der  leidenden 
Menschheit.  Da  mir  das  Collargol  bei  weitem 
noch  nicht  genug  gekannt  zu  sein  scheint, 
will  ich  zu  meinem  Teil  dazu  beitragen, 
daß  dieses  ausgezeichnete  Mittel  immer  mehr 
Freunde  sich  erwerbe.  Ich  habe  auch  hierbei 
wieder  den  Umstand  im  Auge,  daß  Heil- 
mittel und  Heilmethoden,  welche  wirklich 
viel  leisten,  unsere  beste  Waffe  im  Kampfe 
gegen  das  Kurpfusch ertum  sind  und  am  meisten 
geeignet  sind,  unser  Ansehen  zu  heben. 

Nach  Georgi3)  reicht  der  Anfang  der 
Cr ed eschen  Silberbehandlung  bis  in  den 
Herbst  1895  zurück.  Der  Erfolg  der  Be- 
mühungen Cr e des,  ein  Silberpräparat  dar- 
zustellen, das  eine  hohe  bakterizide  Kraft 
mit  völliger  Ungiftigkeit  und  Reizlosigkeit 
vereinigte,  war  zunächst  das  Itrol.  Aber  in- 
sofern als  dieses  Silbersalz  in  der  notigen 
Konzentration  mit  Blutserum  Gerinnung  ver- 
anlaßte,  also  sich  nicht  dazu  eignete,  dem 
Blute  einverleibt  zu  werden,  genügte  es 
C  r  e  d  e  nicht  und  veranlaßte  ihn,  die  Darstellung 
reinen  metallischen  Silbers  in  löslicher  Form 
anzustreben.  Es  gelang  der  mit  dieser  Auf- 
gabe betrauten  chemischen  Fabrik  von  Heyden 
ein  lösliches  Silber  darzustellen,  das  Collargol 
genannt  wurde,  und  über  welches  Crede' 
1897  auf  dem  medizinischen  Kongresse  in 
Moskau  zum  ersten  Male  berichtete.  Ich 
übergehe  hier  die  Art  der  Darstellung  des 
Collargols,  seine  chemischen  und  physikali- 
schen Eigenschaften. 

Die  oben  angeführte  Arbeit  Georgis  und 
eine  Monographie  von  Beyer3)  geben  darüber 


3)  Georgi,  Über  die  Bedeutung  der  Silber- 
behandiang  für  die  ärztliche  Praxis.  Zeitschr.  f. 
ärztl.  Fortbildung.    1904,  Nr.  20. 

3)  Beyer,  Über  die  Verwendung  kolloidaler 
Metalle  in  der  Medizin,  besonders  Silber  und 
Quecksilber.  Moderne  ärztliche  Bibl.  Heft  6. 
Berlin  1904. 


Th.  M.  1905. 


390 


W^iiimann,  Ober  Collargol  (Credtf). 


rTherapeotiacto 
L   Monatshefte. 


jedem,  der  sich  dafür  interessiert,  Aufschluß. 
Dagegen  will  ich  hier  an  der  Hand  der  vor- 
handenen Literatur  näher  eingehen  auf  die 
Wirkungsweise  des  Collargols  im  tierischen 
und  menschlichen  Körper.  Crede4)  selbst 
hatte  bisher  angenommen,  daß  die  Einwir- 
kung des  Collargols  in  erster  Linie  auf  einer 
das  Wachstum  der  Bakterien  hemmenden 
Kraft  beruhe.  Schmidt5)  kann  nach  seinen 
Untersuchungen  nicht  die  Anschauung  teilen, 
daß  durch  das  Silber  eine  Mobilmachung 
und  Neubildung  von  Leukozyten  hervorge- 
rufen werde.  Nach  Wenckebash  und  Netter 
gehöre  das  Collargol  zu  den  sogenannten 
Fermenten,  die  als  Katalysatoren  wirken. 
In  Gegenwart  dieser  Fermente,  und  zwar 
ganz  geringer  Mengen,  verlaufen  Reaktionen 
blitzartig  schnell,  die  sonst  einen  langsamen, 
oft  kaum  merkbaren  Verlauf  nehmen.  Schmidt 
führt  ferner  die  Hypothese  Wolfs  an,  daß 
Silber,  mit  organischen  Substanzen  zusammen- 
gebracht, elektrische  Ströme  mit  ausgesprochen 
bakterizider  Wirkung  erzeuge.  Solche  Ströme 
könnten  auch  im  Blut  entstehen.  Nach  Wis- 
licenus  bildeten  gewisse  Metallpaare  elek- 
trische Elemente,  vielleicht  auch  das  Silber 
mit  dem  Eisen  im  Blut.  Gegenüber  diesen 
Hypothesen  bleibt  Schmidt  zunächst  bei 
der  Ansicht,  daß  die  Wirkung  des  Collargols 
als  eine  bakterizide  nicht  unmöglich  sei,  und 
daß  die  außerordentlich  große  hemmende 
Eigenschaft  auch  von  schwachen  Collargol- 
lösungen  die  wesentliche  Ursache  der  Wir- 
kung sei. 

Neuerdings  hat  nun  Rodsewicz6)  durch 
Tierversuche  nachgewiesen,  daß  bei  Einver- 
leibung selbst  verhältnismäßig  großer  Mengen 
von  Collargol  in  keinem  Falle  dauernde  Ver- 
änderungen der  Blutzusammensetzung  auf- 
traten. Ferner  folgte  jeder  einzelnen  Appli- 
kation eine  akute  leukozytäre  Reaktion,  welche 
am  stärksten  nach  intravenöser  Injektion,  am 
schwächsten  nach  der  Einreibung  von  Un- 
guentum  Crede  ausgesprochen  war,  da  durch 
diese  letztere  nur  chemisch  nicht  nachweis- 
bare Mengen  Silbers  in  den  Körper  gelangen. 
Nach  öfteren  Wiederholungen  der  Einrei- 
bungen und  subkutanen  Injektionen  blieb 
die  Leukozytose  bis  zu  zwei  Wochen  be- 
stehen. Intravenöse  Injektionen  gaben  dieses 
Resultat  nicht.  Der  Verfasser  kommt  zu  dem 
Schluß,  daß  die  therapeutische  Wirkung  des 
Collargols     darin     bestehe,     daß     es     erstens 

*)  Crede,  Wie  wirkt  Collargol?  Zeitschr.  f. 
arztl.  Fortbildung    .1904,  Nr.  20. 

*)  Schmidt,  Über  die  Wirkung  intravenöser 
Collargolinjektionen  bei  septischen  Erkrankungen. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  16  u.  16. 

6)  Rodsewicz,  Über  den  Einfluß  des  lös- 
lichen Silbers  (Argentum  colloidale  Crede)  auf  das 
Blut.     Inaug.-Diss.    St.  Petersburg  1904. 


eine  bakterizide  Wirkung  ausübt,  ohne  das 
Blut  zu  schädigen,  und  zweitens  zur  Ver- 
mehrung der  großen  vielkernigen  Leukozyten 
anregt. 

In  einer  zweiten  Arbeit  der  jüngsten  Zeit 
bespricht  Schade7)  die  elektrokatalytische 
Kraft  der  Metalle.  In  der  sehr  lesenswerten 
Arbeit  kommt  Verfasser  zu  dem  Schluß,  daß 
namentlich  die  elektrokatalytische  Kraft  der 
kolloidalen  Formen  der  Metalle  auch  im 
lebenden  Körper  zur  Wirkung  komme.  Hier- 
durch werde  der  Wasserstoff-  und  Sauerstoff- 
ausgleich in  den  tierischen  Flüssigkeiten  er- 
leichtert und  eine  schnelle  und  energische 
Oxydation  im  Organismus  bewirkt.  Es  sei 
naheliegend,  anzunehmen,  daß  diese  Oxy- 
dationsbeschleunigung entgiftend  auf  die  Pto- 
maine  und  Toxine  wirke,  wie  ja  diese  Körper 
schon  durch  die  Einwirkung  des  Sauerstoffes 
der  Luft  in  ungiftige  Körper  übergeführt 
werden.  Außerdem  spricht  Verfasser  dem 
Collargol  eine'  bakterizide  Einwirkung  zu. 

Auf  Grund  der  Arbeiten  von  Rodsewicz 
und  Schade  stellt  sich  Crede8)  die  Wirkung 
des  Collargols  etwa  wie  folgt  vor: 

„Die  Wirkung  wird  bedingt  erstens  durch 
die  bakteriziden  Eigenschaften  des  löslichen 
Silbers,  zweitens  durch  seine  elektrolytische 
Kraft,  d.  h.  durch  seine  Eigenschaft  durch 
Erzielung  elektrischer  Ströme  Oxydations- 
vorgänge einzuleiten,  und  drittens  durch  seine 
Anregung  zur  Vermehrung  der  großen  Leuko- 
zyten. a 

Ich  übergehe  hier  die  Anwendungsformen, 
wie  sie  für  die  operative  Chirurgie  üblich 
sind,  und  will  nur  die  Anwendung  des  Coll- 
argols bei  Verletzungen  besprechen.  Nachdem 
die  Umgebung  der  Wunde  gereinigt  ist,  wird 
die  Wunde  selbst,  falls  es  sich  um  eine 
Fläche  handelt,  mit  Co I largo lpulver  bestreut, 
falls  es  sich  aber  um  Höhlen  wunden  handelt, 
diese  mit  Collargollösung  ausgespült.  Bei 
nischen-  oder  taschenförmigen  Wunden  em- 
pfiehlt es  sich,  ein  oder  mehrere  Collargol- 
tabletten  je  nach  Größe  der  Wunde  in  diese 
zu  versenken  und  dann  zu  tamponieren.  Für 
den  Militärarzt  im  Feldzuge  und  für  den 
Landarzt  sind  die  Collargoltabletten  deshalb 
sehr  praktisch.  Dieselbe  werden  zu  50  Stück 
ä  0,05  Collargol  in  handlichen  Glasröhrchen 
und  Holzhülsen  in  den  Handel  gebracht  und 
versetzen  den  Arzt  in  die  Lage,  jederzeit 
sich  antiseptische  Lösungen  und  Verband- 
stoffe herzustellen. 

Erwähnen  will  ich  noch,  ehe  ich  zu  der 
Anwendung  des  Collargols  als  inneres  Mittel 

7)  Schade,  Die  elektrokatalytische  Kraft  der 
Metalle.    Leipzig,  F.  C.  W.  Vogel,  1904. 

8)  Crede,  Wie  wirkt  Collargol?  Zeitschr.  f. 
ärztl.  Fortbildung  1904,  Nr.  20. 


XIX.  Jahrgang.l 
A«ffo«t  1905.  J 


WtlumiBn,   Ober  CoUargol  (Credl). 


391 


übergehe,  seine  Anwendung  in  der  Augen- 
heilkunde, bei  Verbrennungen  und  bei  Haut- 
erkrankungen infektiöser  Natur  als  1 — 2proz. 
Salbe.  Zur  Einführung  in  Fisteln,  in  die 
Harnröhre,  in  den  Uterus  dienen  die  von 
Klien  angegebenen  2proz.  Silberstäbchen. 
Für  Scheide  und  Mastdarm  sind  Vaginal- 
kugeln oder  Suppositorien  angegeben. 

Näheres  hierüber  möge  man  bei  Cred£9), 
Georgi10)  und  Beyer11)  nachlesen.  Man 
wird  finden,  daß  die  Anwendung  des  Coll- 
argols  bei  Wunden  und  äußeren  Erkran- 
kungen eine  sehr  vielseitige  ist.  Für  den 
praktischen  Arzt  aber  liegt  die  Hauptbedeu- 
tung des  Collargols  in  seiner  Anwendung 
bei  inneren  Krankheiten  infektiöser  Natur. 
Ehe  ich  auf  die  einzelnen  Erkrankungen,  bei 
denen  Collargol  indiziert  ist,  eingehe,  will 
ich  die  verschiedenen  Formen  der  Anwendung 
und  ihre  Indikation  besprechen. 

Die  Einführung  des  Collargols  als  internes 
Mittel  kann  auf  mehrfache  Weise  geschehen, 
nämlich  als  Salbe,  als  Lösung  per  os  oder 
an  um,  als  subkutane  und  als  intravenöse 
Injektion. 

Um  dies  gleich  vorweg  zu  nehmen,  über 
die  subkutane  Anwendung  sind  die  Meinungen 
noch  geteilt.  Während  Ritters  haus19)  sub- 
kutane Injektionen  für  unstatthaft  erklärt, 
da  sie  zu  schmerzhaften  Infiltrationen  und 
Zellgewebsnekrosen  führen,  hat  Wagner18) 
in  einem  schweren  Falle  von  Milzbrand- 
erkrankung Heilung  durch  subkutane  In- 
jektion einer  2proz.  Gollargollösung  erzielt. 
Ich  möchte  die  Frage  dahin  entscheiden, 
daß,  wenn  auch  die  Wirksamkeit  der  sub- 
kutanen Injektion  nicht  geleugnet  werden 
soll,  in  allen  Fällen  die  intravenöse  Injektion 
schon  wegen  ihrer  Schmerzlosigkeit  vorzu- 
ziehen ist,  falla  nicht  eine  andere  Anwen- 
dungsweise, etwa  als  Unguentum  Crede,  an- 
gezeigt ist. 

Was  die  Applikation  des  Mittels  als 
Lösung  resp.  als  Pillen  per  os  und  als 
Klysma  oder  Suppositorien  per  anum  an- 
langt, so  hat  namentlich  Netter14)  diese 
Formen  der  Darreichung  erprobt.  Er  empfiehlt 
das  Collargol    bei  Krankheiten   des   Nerven- 

9)  Crede,  Über  Collargol-Tabletten.  Allgem. 
med.  Zentral-Zeitg...  1904,  Nr.  12. 

10)  Georgi,  Über  die  Bedeutung  der  Silber- 
behandlung für  die  ärztl.  Praxis.  Zeitschr.  f.  ärztl. 
Fortbildung  1904,  Nr.  20. 

11)  Beyer,  Über  die  Verwendung  kolloidaler 
Metalle  (Silber  and  Quecksilber)  in  der  Medizin. 
Moderne  ärztliche  Bibl.,  Heft  6.    Berlin  1904. 

")  Rittershaus,  Intravenöse  Co llargoli Injek- 
tionen bei  septischen  and  infektiösen  Erkrankungen. 
Therapie  der  Gegenwart  Juli  1904. 

1S)  Waffner,  Schwere  Milzbranderkrankung, 
geheilt  durch  subkutane  2proz.  Collargoleinsprit- 
znngen.     Allgem.  med.  Zentral-Zeitg.  1904,  Nr.  37. 


Systems  und  des  Verdauungskanals  an  Stelle 
des  Argentum  nitricum,  da  Collargol  eine 
längere  Zeit  fortgesetzte  Behandlung  erlaube, 
ohne  daß  Argyrie  zu  befürchten  sei.  Per  os 
gibt  Netter  Collargol  in  Pillen  zu  0,01  mit 
0,1  Sacchari  lactis  oder  in  lproz.  Lösung 
10 — 30  ccm  pro  die  mit  einem  Geschmack  8- 
corrigens.  Per  anum  verabreicht  der  Autor 
Klysmen  von  50  ccm  mit  0,1 — 0,5  Collargol 
oder  Suppositorien  mit  0,1  —  0,3  Collargol. 
Netter  sah  gute  Erfolge  bei  Epilepsie,  bei 
welcher  er,  ohne  Anfälle  zu  provozieren,  bei 
gleichzeitiger  Collargoldarreichung  von  6  bis 
12  g  Bromkali  auf  3  g  pro  die  herabgehen 
konnte.  Ferner  wurden  günstig  beeinflußt 
Neuralgien  und  Neurasthenien  sowie  eine 
habituelle  Chorea,  welche  der  Antipyrin-  und 
Arsenikbehandlung  getrotzt  hatte  und  durch 
Collargol  ziemlich  rasch  geheilt  wurde.  Da 
wir  die  meisten  Neuralgien  und  Neurasthenien 
als  Symptome  einer  vom  Magend  arm tr actus 
ausgehenden  Autointoxikation  ansehen  müssen, 
wie  ich15)  erst  unlängst  wieder  betont  habe, 
so  scheint  mir  die  Wirkung  des  Collargols 
bei  diesen  Erkrankungen  sehr  einfach  zu  er- 
klären zu  sein.  Es  dürfte  sich  sehr  empfehlen, 
in  allen  Fällen  von  Magen-  und  Darmatonie 
außer  der  gegen  das  Grundleiden  gerichteten 
Behandlung  noch  Collargol  anzuwenden,  um 
die  vorhandenen  Symptome  der  Autointoxi- 
kation möglichst  schnell  zu  beseitigen. 

Krankheiten  des  Verdauungskanals,  bei 
denen  Netter  gute  Erfolge  erzielte,  sind 
hartnäckige  Diarrhöen,  tuberkulöse  Enteritis 
und  drei  schwere  Dysenteriefälle.  Ferner 
bewährte  sich  ihm  das  Collargol  bei  Typhus 
abdominalis,  protrahierter  Influenza,  Lungen- 
tuberkulose mit  Kavernen  und  in  einem  Falle 
von  infektiöser  Endokarditis. 

Auch  Behr16)  hat  Collargol  per  os  und 
per  anum  gegeben,  weil  diese  Darreichung 
einfacher  sei  als  durch  intravenöse  Injektion. 
Nach  ihm  ist  Collargol  unzweifelhaft  im- 
stande, die  Zahl  der  Eitererreger  im  Sputum 
zu  vermindern.  Er  empfiehlt  seine  Anwen- 
dung auch  bei  allen  nicht  tuberkulösen  eitrigen 
Krankheitsprozessen  in  der  Lunge. 

Löbl17)   tritt  warm   für   die   Anwendung 


u)  Netter,  Über  die  Collargol-Darreichung 
per  os  und  per  rectum.  Bull,  et  Mem.  de  la  Soc. 
med.  des  H6p.  de  Paris  1904,  14;  ref.  Ärztliche 
Rundschau  1904.  Nr.  36. 

,8)  Weißmann,  Über  Enteroptosis  (Magen- 
ujnd  Darmatonie).  München  1905,  Verlag  d.  Ärztl. 
Rundschau. 

18)  Behr,  Über  den  Einfluß  der  Credeschen 
Silbertherapie  auf  die  den  Tuberkelbazillus  be- 
gleitenden Bakterien.  Wiener  klin.  Rundschau 
1904,  Nr.  29. 

,T)  Löbl,  Über  eine  neue  Applikationsmethode 
von  Collargol  (Collargolklysmen).  Therapie  der 
Gegenwart    1904,  IV. 

29« 


J 


392 


Weissmann,  Üb«r  Collargol  (0vd6). 


L   Monatshefte. 


des  Collargols  als  Klysma  ein.  Nach  vorher- 
gegangener Entleerung  des  Darms  durch 
einen  Wassereinlauf  verabreicht  er  als  Klysma 
morgens  und  abends  50  g  einer  1  proz.  Lo- 
sung 8—14  Tage.  In  7  Fällen  von  allge- 
meiner Sepsis  und  in  9  Fällen  puerperaler 
Sepsis  hatte  Verfasser  je  5  Heilungen  zu 
verzeichnen.  Die  Collargolklysmen  sind  nach 
ihm  ebenso  wirksam  wie  die  anderen  Arten 
der  Collargoldarreichung  und  besäßen  eine 
Reihe  von  Vorzügen.  Zuweilen  würden  durch 
sie  noch  Kranke  mit  septischen  Prozessen 
gerettet,  die  sonst  verloren  gewesen  wären. 
Die  beiden  Formen  der  Anwendung  des 
Collargols,  welche  bisher  am  meisten  üblich 
sind,  sind  die  Schmierkur  mit  Unguentum 
Cred£  und  die  intravenöse  Injektion.  Zwischen 
beiden  Anwendungsformen  besteht  ein  prinzi- 
pieller Unterschied  und  es  ist  dringend  an- 
zuraten, in  jedem  Falle  sorgfältig  zu  über- 
legen, welche  Applikationsweise  anzuwenden 
sei.  Handelt  es  sich  um  schwere  akute  Er- 
krankungsfalle, bei  denen  es  darauf  ankommt, 
eine  schnelle  Wirkung  zu  erzielen,  so  ist  die 
intravenöse  Injektion  am  Platze.  Da  aber 
das  Silber  in  ganz  kurzer  Zeit  wieder  aus- 
geschieden wird,  so  darf  man  keine  Dauer- 
wirkung erwarten,  sondern  man  hat  an  der 
Hand  der  Temperaturkurve  die  intravenöse 
Injektion  zu  wiederholen,  so  oft  es  nötig  ist. 
Das  ist  sehr  wichtig  .und  kann  nicht  oft 
genug  betont  werden. 

Die  Einreibung  mit  Unguentum  Cred6 
richtig,  zeitig  und  energisch  ausgeführt  hat 
zwar  fast  denselben  Effekt,  aber  man  erreicht 
eben  nicht  immer  diese  richtige  Anwendung 
und  ist  auch  oft  genug  nicht  in  der  Lage, 
zeitig  einzugreifen.  Für  mehr  schleichend 
verlaufende  und  für  leichtere  Fälle  empfiehlt 
sich  als  beste  Anwendungsweise  die  Schmier- 
kur mit  Unguentum  Crede.  —  Die  Technik 
der  Schmierkur  ist  folgende:  Die  Dosis  für 
Kinder  beträgt  1  g,  für  Erwachsene  2 — 3  g. 
Je  nach  der  Schwere  der  Erkrankung  und 
nach  der  Wirkung  wird  die  Einreibung  1  bis 
4  mal  täglich  gemacht.  Vor  der  Einreibung 
ist  die  Haut  sorgfältig  zu  reinigen  und  mit 
Benzin  oder  Chloroform  zu  entfetten.  Die 
Einreibung  geschieht  auf  dem  Rücken  oder 
einer  der  Extremitäten  mit  der  flachen  Hand 
und  *ist  so  lange,  etwa  15  —  20  Minuten, 
fortzusetzen,  bis  die  Salbe  fast  verschwunden 
ist,  und  die  Haut  keinen  Fettglanz  mehr 
zeigt.  Nach  der  Einreibung  bedecke  man  die 
Haut  mit  einem  wollenen  Stoff.  Die  durch 
die  Wärme  erzeugte  Hyperämie  der  Haut 
bewirkt  eine  möglichst  vollständige  Resorption. 
Die  Schmierkur  ist  natürlich  nicht  ange- 
bracht bei  Kranken,  welchen  die  Einreibung 
Schmerzen  verursachen  würde,    und   bei   sol- 


chen Patienten,  deren  Haut  trocken,  welk 
und  schlaff  ist,  somit  keine  Aufsaugungs- 
fähigkeit besitzt. 

Was  nun  die  Technik  der  intravenösen 
Injektion  anlangt,  so  sollte  man  Annehmen, 
daß  es  unnötig  sei,  darüber  noch  ein  Wort 
zu  verlieren,  nachdem  die  intravenöse  In- 
jektion geradezu  ein  Eingriff  der  wichtigsten 
Art  geworden  ist.  Ich  wiederhole  hier  noch- 
mals, was  ich18)  schon  1902  betont  habe, 
die  intravenöse  Einverleibung  von  Arznei- 
mitteln wird  wegen  der  prompten  Wirkung 
immer  mehr  und  mehr  in  Anwendung  ge- 
zogen werden.  Ich  habe  schon  im  Januar- 
heft 1905  der  Therapeutischen  Monatshefte 
gegenüber  Esch  die  Einfachheit  der  intra- 
venösen Injektion  betont.  In  demselben  Heft 
finde  ich  ein  Referat  von  Ritterband  über 
einen  Aufsatz  von  J.  Dumont  in  La  Presse 
med.  1902,  No.  67,  betitelt  „Intravenöse 
Injektion  von  Merkurialsalzen  bei  Syphilis41. 
Dieses  Referat  stützt  meine  Ansicht,  daß  die 
intravenöse  Einverleibung  von  wirksamen 
Arzneimitteln  eine  große  Zukunft  haben 
dürfte.  In  dem  Aufsatz  von  Dumont  wird 
auch  eine  denselben  Gegenstand  behandelnde 
Dissertation  von  Bonzitat  (Paris  1902)  be- 
sprochen. Nach  Bonzitat  ist  die  Technik 
der  intravenösen  Injektion  sehr  einfach,  die 
Injektion  schmerzlos,  die  Wirkung  schneller, 
sicherer.  Mit  geringerer  Dosis  würde  ein 
stärkerer  Effekt  erzielt.  Die  Methode  er- 
laube eine  bisher  unerreichte  Genauigkeit 
der  Dosierung.  Auch  Charpentier19)  sagt 
von  der  intravenösen  Injektion,  daß  sie 
durchaus  nicht  die  Unzuträglichkeiten  habe, 
die  man  ihr  bisher  zugeschrieben  habe. 

Es  wäre  wirklich  an  der  Zeit,  daß  nun- 
mehr endlich  die  Stimmen  derer  verstummen, 
welche  die  intravenöse  Injektion  für  einen 
schwierigen  und  gefährlichen  Eingriff  aus- 
geben. Die  betreffenden  Autoren  beweisen 
doch  nur,  daß  sie  rückständig  sind.   — 

Während  Crede  zuerst  lproz.  Lösungen 
zur  intravenösen  Injektion  benutzte,  ver- 
wendet er  jetzt  2  proz.,  ja  in  der  letzten 
Zeit  5  proz.  Lösungen.  Von  der  2 proz.  Lö- 
sung werden  5 — 15  ccm,  von  der  5  proz.  3 
bis  9  ccm  injiziert,  also  0,1  —  0,45  g  Coll- 
argol.  Tritt  nach  etwa  6  —  8  Stunden  keine 
Wirkung  ein,  die  sich  in  Besserung  des 
Allgemeinbefindens  und  später  Abfall  der 
Temperatur  sowie  Sinken  der  Pulszahl  zeigt, 
so  muß  die  Injektion  nach   12  —  24  Stunden 


18)  Weißmann,  Heilbehandlung  der  Tuber- 
kulose und  Heilstattenbewegung  und  jhr  Einfluß 
auf  die  wirtschaftliche  Lage  der  Arzte.  Ärztl.  Rand- 
schau   1902,  Nr.  40. 

19)  Charpentier,  Le  collargol  en  injectiona 
intra-veineuses.     These  de  Lyon  1903. 


XJ2L  Jahrgaag.1 
Aognrt  Iftftft.   1 


Woissmann,  Ober  Collargol  (Credtf). 


393 


wiederholt  werden,  wie  ich  schon  oben  er- 
wähnt habe. 

Nun  noch  kurz  einige  Worte  zur  Technik. 
Man  macht  die'  intravenöse  Injektion  am 
besten  in  .  eine  der  Venen  der  Ellenbogen- 
beuge. Der  Oberarm  wird  wie  zum  Aderlaß 
umschnürt.  Man  läßt  den  Arm  möglichst 
strecken  und  die  Hand  fest  zur  Faust  ballen, 
um  so  die  Venen  noch  mehr  schwellen  zu 
lassen.  Nach  Abreibung  der  Ellenbogenbeuge 
mittels  Alkohol  oder  besser  Äther  wird  die 
Nadel  der  Injektionsspritze  in  die  durch 
zwei  Finger  fixierte  Vene  fast  parallel  zu 
dieser  eingestochen.  Abweichend  von  Lan- 
derer, der  bekanntlich  die  intravenöse  In- 
jektion wieder  eingeführt  hat,  läßt  Crede 
die  Hohlnadel  zuerst  allein  einstechen,  dann 
die  nicht  ganz-  mit  der  entsprechenden  Gollargol- 
lösung  gefüllte  Spritze  aufsetzen  und  etwas  Blut 
ansaugen,  um  sicher  zu  sein,  daß  keine  Luft- 
blase mit  eingespritzt  wird,  da  diese  sicher 
in  der  Spritze  zurückbleibt.  Während  der 
Injektion  werden  einige  Pausen  gemacht, 
damit  sich  das  Callargol  besser  im  Körper 
verteile. 

Bas  Anwendungsgebiet  des  Collargols, 
verabreicht  in  der  Form  der  Schmierkur 
oder  der  intravenösen  Injektion  je  nach  Lage 
des  Falles,  ist  ein  sehr  großes. 

Crede  selbst  läßt  die  Schmierkur  machen 
bei  infektiöser  Angina  und  beginnender  Ma- 
stitis. Bei  septischen  Erkrankungen  muß  die 
Schmierkur  so  zeitig  wie  möglich  begonnen 
werden,  selbst  wenu  sie  mal  nicht  nötig  ge- 
wesen sein  sollte;  denn  sie  schadet  nicht. 
Im  Anfange  aller  septischen  Erkrankungen, 
bei  allen  schleichend  verlaufenden  und  bei 
allen  leichten  Fällen  ist  die  Schmierkur 
souverän.  Sobald  aber  der  Zustand  nur 
irgend  zu  Bedenken  Anlaß  gibt,  oder  in 
Fällen,  welche  von  Anfang  an  als  schwere 
zu  betrachten  sind,  zögere  man  nicht  mit 
der  Anwendung  der  intravenösen  Einsprit- 
zungen. Wenn  Crede80)  septische  Kranke 
zu  operieren  habe,  mache  er  häufig  unmittel- 
bar nach  der  Operation  eine  intravenöse 
Collargolinjektion.  Nach  brieflicher  Mittei- 
lung wendet  er  bei  allen  schweren  Ver- 
letzungen, beginnender  Peritonitis  u.  s.  w.  die 
intravenöse  Injektion  schon  lange  prophy- 
laktisch an,  um  die  Kampfesmittel  des 
Körpers  gleich  von  vornherein  zu  stärken, 
zu  einer  Zeit,  wo  die  Toxine  noch  nicht  so 
zahlreich  sind,  also  leichter  überwunden 
werden  können.  Crede  behandelte  ferner 
mit  Collargol  intravenös  schwere  Phlegmonen 


M)  Crede,  Die  Behandlung  septischer  Er- 
krankungen mit  intravenösen  CollargoliDJektionen. 
Archiv  f.  klin.  Chir.    Bd.  69,  Heft  1  u.  2. 


und  Gangränen,  allgemeine  Sepsis,  Puer- 
peralfieber, Pyämie,  septische  Osteomyelitis, 
Polyarthritis  septica,  ulzeröse  Endokarditis, 
schwere  Erysipele,  Peritonitis,  Erythema  no- 
dosum,  Milzbrand  und  ulzeröse  Phthise. 

Um  aus  der  großen  Zahl  der  vorliegenden 
Mitteilungen  über  Collargolbehandlung  nur 
einiges  hervorzuheben,  so  brauchte  Weid- 
mann91) Unguentum  Crede'  bei  Lymphangitis, 
Phlegmonen  und  allen  septischen  Prozessen 
mit  vorzüglichem  Erfolge.  Schirm  er28)  heilte 
8  Fälle  von  Meningitis  cerebrospinalis  epi- 
demica mit  Unguentum  Crede.  Werl  er*3) 
heilte  prompt  eine  akute  Sepsis,  eine  chro- 
nische septische  Affektion  und  eine  multiple 
chronische  Furunkulose  mit  Unguentum  Crede. 
Schloßmann34)  behandelte  mit  Unguentum 
Crede  Phlegmonen,  Pemphigus  neonatorum, 
Drüsenschwellungen  nach  Impfen,  Scharlach 
und  Diphtherie  mit  meist  gutem  Erfolge. 
Daß  seine  Erfolge  bei  chirurgischen  Affek- 
tionen nicht  so  eklatant  waren,  schreibt  Ver- 
fasser der  mangelhaften  Technik  der  Inunk- 
tionen  zu. 

Vielt85)  bezeichnet  das  Argentum  colloi- 
dale  als  ein  Specificum  gegen  Sepsis.  Ver- 
fasser behandelte  20  Fälle,  darunter  alle 
Arten  septischer  Infektion,  Phlegmonen  und 
Puerperalfieber,  Pneumonie,  Diphtherie  und 
Scharlach  mit  Unguentum  Crede.  Nur  zwei 
zu  spät  in  Behandlung  gekommene  Patienten 
starben,  in  den  übrigen  18  Fällen,  darunter 
sehr  schwere,  trat  Heilung  ein. 

Woyer26)  erzielte  in  3  Fällen  von  puer- 
peraler Sepsis  mit  hohem  Fieber  und  Schüttel- 
frost, in  denen  die  anderen  Methoden  keine 
Besserung  gebracht  hatten,  mit  3 — 5  Ein- 
reibungen von  je  3  g  Unguentum  Crede  in 
Zwischenräumen  von  10  Stunden  Temperatur- 
abfall, anhaltende  Besserung  und  Heilung. 

Müller87)  hatte  bei  30  Fällen  von  sep- 
tischen Erkrankungen    prompte   Erfolge    mit 


S1)  Weidmann,  Silber  als  äußeres  and  inneres 
Antisepticum.  Osten*.  Monatsschr.  f.  Tierheilkunde 
1898,  Nr.  8. 

n)  Schirm  er,  Vortrag  in  der  Deutsch,  med. 
Ges.  von  Chicago.  Autoreferat  New- Yorker  med. 
Monatsschr.  1898,  Nr.  9. 

,3)  Werl  er,  Über  chirurgische  Erfahrungen 
mit  löslichem  Silber.    Deutsche  med.  Wochenschr. 

1898,  Nr.  40. 

24)  Schloßmann,  Über  di«  therapeutische 
Verwendung  kolloidaler  Metalle.     Ärztl.  Rundschau 

1899,  Nr.  30. 

**)  Vielt,  Ist  Argent.  coli.  (gen.  Collargolum) 
ein  Specificum  gegen  Sepsis?  Allgem.  med.  Zentral- 
Zeitg.    1901,  Nr.  6  u.  7. 

*6)  Woyer,  Beitrag  zur  Credeschen  Silber- 
therapie in  der  Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 
Münch.  med.  Wochenschr.  1901,  Nr.  42. 

*7)  Müller,  Die  intraven.  Injektion  von  Arg. 
colloid.  Crede  (Collargol)  bei  septischen  Erkran- 
kungen.   Deutsche  med.  Wochenschr.  1902,  Nr.  11. 


394 


Waittmann,  Über  Collargol  (Grade*). 


rher&pentisrhe 
Monataheft*. 


intravenösen  Injektionen  von  Collargol.  Unter 
diesen  Fällen  waren  schwere  Erysipele,  Me- 
ningitis cerebrospinalis  epidemica,  Perime- 
tritis, Mastitis,  hartnäckige  Lymphangitis, 
Phlegmonen,  akute  Polyarthritis,  Pleuritis 
exsudativa,  Appendicitis,  Peritonitis  u.  8.  w. 
Zweimal  beobachtete  der  Autor,  daß  bei 
jauchigem  Empyem  der  Pleura  nach  Rippen- 
resektion der  Gestank  sich  auffallend  schnell 
unter  Collargolbehandlung  verlor,  und  die 
Heilung  schneller  als  gewöhnlich  eintrat. 
Zweimal  beobachtete  er  bei  septischer  Phthise 
Aufhören  des  Fiebers  und  Nachtschweißes, 
Hebung  des  Appetits  und  Gewichtszunahme. 

Jänicke28)  berichtet  über  einen  Fall  von 
septischer  Parametritis  nach  schwerer  Zangen- 
entbindung mit  absolut  infauster  Prognose. 
Eine  intravenöse  Injektion  von  8  ccm  einer 
1  proz.  Collargollösung  hatte  einen  über- 
raschenden Erfolg.  Binnen  36  Stunden  war 
die  Patientin  fieberfrei.  Ein  kindskopfgroßes 
Exsudat  war  in  41/*  Tagen  völlig  geschwunden, 
eine  Perforation  in  Nachbarorgane  war  dabei 
sicher  ausgeschlossen. 

Schräge89)  heilte  einen  Fall  von  Milz- 
brand durch  intravenöse,  "Wagner30)  einen 
ebensolchen  Fall  durch  subkutane  Col largo  1 - 
injektionen. 

Weber31)  beschreibt  3  Fälle  ernster  ty- 
phöser Sepsis;  3 stündliche  Einreibungen  von 
je    2  g  Unguentum  Crede    brachten  Heilung. 

Bei  infektiöser  Endometritis  erzielte 
Hoummel38)  durch  eine  Injektion  von  4  ccm 
einer  lproz.  Collargollösung  in  den  Uterus, 
nachdem  alle  gebräuchlichen  Mittel  vergeb- 
lich versucht  waren,  Herabsetzung  des  Fiebers 
in   12  Stunden  und  Heilung  in  8  Tagen. 

Baylac38)  schreibt  dem  Collargol  eine 
wahrhaft  wunderbare  Wirkung  bei  den  ver- 
schiedensten infektiösen  Erkrankungen  zu. 
Auch  Desanti34)  empfiehlt  auf  Grund  von 
14  Beobachtungen  die  Anwendung  des  Coll- 
argol s  bei  Infektionen  jeder  Art. 


")  Jan  icke,  Zur  Kasuistik  der  intra  venösen 
Collargolbehandlung  septischer  Prozesse.  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  6. 

")  Schräge,  Über  einen  Fall  von  Milzbrand. 
Heilung  durch  intravenöse  Injektion  von  Arg.  coli. 
Crede.     Allgem.  med.  Zentral-Zeitg.    1902,  Nr.  64. 

I0)  Wagner,  Schwere  Milzbranderkrankung, 
geheilt  durch  subkutane  2 proz.  Callorgoleinspritz. 
Allgem.  med.  Zentral-Zeitg.  1904,  Nr.  37. 

3l)  Weber,  Vortrag  über  Typhus  am  2.  Nov. 
1903  vor  der  New- York  er  Post-Grad  uate  Medical 
School. 

zr)  Hoummel,  Le  collargol  comme  topique 
uterin;  ref.  Le  Scalpel    1904,  Nr.  26. 

33)  Baylac,  L'Argent  colloidal  ou  Collargol. 
Archives  medicales  de  Toulouse  1903,  No.  6. 
15.  mars. 

34)  Desanti,  Du  collargol  dans  les  maladies 
infectieuses.     Diss.  inaug.     Paris  1904. 


Warren  Coleman35)  heilte  5  Fälle  von 
Erysipel  durch  intravenöse  Injektionen  von 
Collargol. 

Coudray36),  dem  das  Mittel  sehr  ver- 
heißungsvoll erscheint,  behandelte  3  Fälle 
mit  Erfolg  mittels  Schmierkur,  und  zwar 
eine  akute  Osteomyelitis,  eine  Appendicitis 
mit  eitriger  Infiltration  der  Umgebung  und 
eine  post- puerperale  Septikämie,  welche 
durch  eine  am  11.  Tage  auftretende  In- 
fluenza kompliziert  war.>.  Der  Verfasser  rät 
dringend  zu  weiteren  Versuchen. 

In  derselben  Sitzung  wie  Coudray  be- 
richtet auch  Netter87)  über  seine  Erfolge 
mit  Collargol.  Die  Erfolge  seien  sehr  ver- 
schieden je  nach  der  Natur  und  Virulenz 
der  pathogenen  Keime,  der  Ausdehnung  und 
dem  Alter  ihrer  Lokalisationen,  je  nach  dem 
noch  erhaltenen  Kräftezustand,  nach  der  an- 
gewendeten Menge  des  Collargols  und  nach 
der  Art  seiner  Anwendung.  Es  komme  ganz 
auf  den  Fall  an,  wie  man  vorgehe.  Einmal 
genügen  ein  oder  zwei  Einreibungen;  im 
anderen  Falle  genügen  zwar  auch  Einrei- 
bungen, aber  sie  müssen  mehrere  Tage  hinter- 
einander wiederholt,  oft  auch  zweimal  täglich 
gemacht  werden.  In  schweren  Fällen  sei  ein 
Erfolg  nur  durch  intravenöse  Injektion  zu 
erreichen.  Sache  des  Arztes  sei  es,  den 
Modus  procedendi  zu  entscheiden,  beide  An- 
wendungsweisen seien  gleich  gefahrlos. 

Netter  unterscheidet  erstens  Fälle,  bei 
denen  sich  der  Eiter  noch  nicht  gebildet  hat 
oder  eben  beginnt,  sich  zu  bilden,  zweitens 
Fälle,  in  denen  die  schon  gebildete  Eiterung 
isoliert  ist,  also  keine  Allgemeininfektion 
vorhanden  ist,  drittens  multiple  Eiterungen 
und  viertens  allgemeine  Eiterinfektion,  Py- 
ämie. 

In  Fällen  der  ersten  Art  gelinge  es  mit 
Collargol,  nicht  nur  das  Fortschreiten  des 
Prozesses  aufzuhalten,  sondern  auch  die 
Rückbildung  zu  erreichen.  In  allen  Fällen 
der  zweiten  Art  war  zwar  ein  chirurgischer 
Eingriff  durch  das  Collargol  nicht  über- 
flüssig geworden,  doch  hatte  das  Mittel  die 
Wirkung,  die  Ausdehnung  des  eitrigen  Pro- 
zesses zu  begrenzen,  das  Allgemeinbefinden 
zu  heben,  die  Temperatur  herabzusetzen, 
Heilung  und  Vernarbung  zu  beschleunigen. 
Verfasser   führt   eine    ganze    Reihe   von  ein- 


35)  Warren  Coleman,  Intravenous  injectiona 
of  colloidal  silver  in  the  treatment  of  erysipelas. 
Medical  Record  21.  Nov.  1903. 

36)  Coudray,  Infections  cbirurgicales  et  coll- 
argol. Bullet,  de  la  Societe  de  Pediatrie  de  Paris 
1903,  No.  1. 

3T)  Netter,  Le  collargol  dans  les  infections 
chirurgicales.  Bullet,  de  la  Societe  de  Pediatrie  de 
Paris.     Seance  du  20.  janvier  1903. 


XIX.  J«hrgaag."l 
Augiui  1905.  J 


WaUamann,  Über  CoUargol  (Crodrf). 


395 


schlägigen  Fällen,  auch  -der  dritten  und 
vierten  Kategorie,  an,  aus  denen  die  hohe 
Wirksamkeit  des  Gollargols,  falls  es  früh 
genug  angewandt  wird,  hervorgeht.  In  der 
Diskussion  weist  Variot  darauf  hin,  daß 
die  Anwendung  des  Collargols  die  Therapie 
außerordentlich  vereinfache. 

Netter-Salomon38)  hat  die  Wirkung 
des  Collargols  sehr  imponiert,  und  zwar  bei 
vielen  Erkrankungen,  welche  eine  üble  Pro- 
gnose hatten,  und  welche  sehr  schnell  heilten, 
wie  Endocarditis  infectiosa,  Puerperalfieber, 
Diphtherie,  ferner  bei  weniger  infausten  Er- 
krankungen, bei  denen  aber  die  Genesung 
schneller  als  gewöhnlich  eintrat,  und  schließ- 
lich in  Fällen,  in  welchen  der  Verlauf 
der  eigentlichen  Erkrankung  weniger  ver- 
ändert erschien,  bei  denen  aber  das  Allge- 
meinbefinden wahrnehmbar  gebessert  wurde. 
Die  Autoren  empfehlen,  die  Einreibungen 
nötigenfalls  2 — 3 mal  täglich  zu  machen.  Die 
intravenöse  Injektion  sei  in  schweren  Fällen 
anzuwenden  und  so  lange  zu  wiederholen 
als  notwendig.  CoUargol  sei  ein  gefahrloses 
Mittel. 

Camerer39)  läßt  alle  Wöchnerinnen,  bei 
denen  er  manuell  eingreifen  mußte,  3  Tage 
lang  mit  Cre  de  scher  Salbe  einreiben,  und 
zwar  2  mal  täglich  je  3  g  auf  den  Beinen 
und  dem  Rücken.  30  Fälle  seien  ohne  jede 
Temperatursteigerung  verlaufen.  Die  intra- 
venöse Injektion  sei  angebracht  bei  ausge- 
bildeten septischen  Prozessen,  bei  denen  es 
sich  darum  handle,  daß  eine  große  Menge 
CoUargol  möglichst  rasch  der  Blutbahn  ein- 
verleibt werde.  Das  intravenös  applizierte 
Silber  verlasse  aber,  wie  Lange  nachge- 
wiesen habe,  sehr  schnell  den  Körper  wieder. 
Die  Einreibung  dagegen  bewirke,  daß  gleich- 
sam der  Körper  ständig  mit  Silber  impräg- 
niert sei,  da  eine  ständige  Resorption  vom 
Unterhautzellgewebe  aus  stattfinde. 

Dasselbe  betont  Schmidt40).  CoUargol 
zeige  viel  früher  eine  Beeinflussung  des  All- 
gemeinbefindens als  eine  solche  der  Tempe- 
ratur und  des  Pulses.  Nach  Schmidt  haben 
wir  im  CoUargol  ein  außerordentlich  wert- 
volles Hilfsmittel  in  der  Bekämpfung  der 
verschiedensten  infektiösen  Krankheiten  ge- 
wonnen, das  wohl  für  immer  einen  hervor- 
ragenden Platz  in  der  Therapie  behaupten 
dürfte. 


M)  Netter-Salomon,  L'argent  colloidal  (CoU- 
argol) et  ses  applicatioDs  therapeutiques.  La  Presse 
med.    1903,  No.  12. 

")  C  am  er  er,  CoUargol  als  Prophylacticum 
gegen  septische  Prozesse.  Therapie  der  Gegenwart 
Febr.  1904. 

40)  Schmidt,  Über  die  Wirkung  intravenöser 
Collargolinjektionen  bei  septischen  Erkrankungen. 
Deutsche  med.  Wochenschr.    1903,  No.  15  u.  16. 


Ähnlich  spricht  sich  Harris on41)  aus, 
der  vorzügliche  Resultate  mit  der  intra- 
venösen Injektion  5proz.  Losungen  erzielte. 
Sowohl  seine  eigenen  Erfahrungen  wie  das 
in  genügender  Menge  vorliegende  klinische 
Material  beweisen,  daß  in  den  intravenösen 
Injektionen  von  CoUargol  ein  therapeutisches 
Hilfsmittel  ersten  Ranges  bei  der  Behandlung 
septischer  Affektionen  gegeben  sei. 

Reidhaar4*)  inj  izierte  intravenös  in  einem 
Falle  von  puerperaler  Sepsis,  nachdem  Strepto- 
kokkenserum vorher  3  mal  angewandt  war 
und  nur  Verschlimmerung  eingetreten  war, 
1 — 2  mal  täglich  10  ccm  einer  lproz.  Collar- 
gollösung,  im  ganzen  100  ccm.  Es  trat  sofort 
Besserung  des  Allgemeinbefindens,  Nachlaß 
des  Fieber  8  und  schließlich  vollkommene 
Heilung  ein. 

Rittershaus43)  hat  zwar  nicht  durchweg 
die  günstigen  Erfahrungen  mit  CoUargol  ge- 
macht wie  die  meisten  anderen  Autoren, 
erkennt  aber  doch  an,  daß  das  Mittel  aus- 
nahmslos eine  vorübergehende  Herabsetzung 
der  Temperatur  und  Hebung  des  Allgemein- 
befindens zu  bewirken  vermag.  Auf  Erysipel 
habe  es  einen  direkt  heilenden  Einfluß.  Es 
ist  fraglich,  ob  der  Autor  das  CoUargol 
stets  früh  genug  und  mit  der  durchaus  nötigen 
Ausdauer  angewandt  hat. 

Beyer44)  hebt  hervor,  daß  die  Hebung 
des  subjektiven  Befindens  zeitiger  eintrete 
als  eine  Änderung  von  Temperatur-  und  Puls- 
kurve. Die  nervösen  Beschwerden  wie  Un- 
ruhe, Kopfschmerzen  und  Benommenheit 
gehen  zurück,  der  Patient  fühlt  sich  freier 
und  sieht  frischer  aus.  Es  stellen  sich  Ruhe, 
Neigung  zum  Schlafen  und  auch  Appetit,  ein 
und  schließlich  sinken  Temperatur  und  die 
Zahl  der  Pulsschläge.  Die  Hauptbedeutung 
des  Collargols  liege  in  der  direkten  Be- 
kämpfung der  septischen  Infektionen.  Man 
müsse  das  Mittel  aber  rechtzeitig  anwenden, 
moribunde  Kranke  oder  solche,  deren  Herz 
und  Vasomotoren  in  ihrer  Leistungsfähigkeit 
fast  erschöpft  sind,  können  durch  CoUargol 
nicht  gerettet  werden.  Auf  Abszesse  wirke 
CoUargol  nicht  ein,  da  diese  ja  doch  außer- 
halb der  Blutbahn    liegen;   es  würde  durch- 


Al)  Harris on,  Vortrag  über  Behandlung  sep- 
tischer Erkrankungen  durch  intravenöse  Collargol- 
injektionen in  der  New  York  State  Medical  Asso- 
ciation; ref.  Ärztl.  Rundschau    1903,  No.  50. 

*3)  Reidhaar,  Beitrag  zur  Behandlung  der 
puerperalen  Sepsis.  Monatsschr.  f.  Geburtsh.  u. 
Gynakol.    Bd.  16,  Heft  4. 

43)  Rittershaus,  Intravenöse  Collargolinjek- 
tionen bei  septischen  und  infektiösen  Erkrankungen. 
Therapie  d.  Gegenwart    Juli  1904. 

u)  Beyer,  Über  die  Verwendung  kolloidaler 
Metalle  (Silber  und  Quecksilber)  in  der  Medizin. 
Moderne  ärztl.  Bibl.,  Heft  6.     Berlin  1904. 


396 


Welttmano,  Über  Collargol  (Crodo*). 


fTharm] 
L  Moni 


Monatsheft«. 


aus  falsch  sein,  im  Vertrauen  auf  die  Silber- 
wirkung einen  notwendigen  chirurgischen  Ein- 
griff zu  unterlassen.  —  A^b  Anwendungs- 
gebiet bezeichnet  der  Verfasser:  Phlegmonen, 
Furunkulose,  Erysipel,  osteomyelitische  Pro- 
zesse, Lymphangitis,  phlegmonöse  Anginen, 
putride  Bronchitis,  Appendicitis,  Septikämie, 
Puerperalfieber,  Polyarthritis  acuta  und  go- 
norrhoica, Milzbrand,  Meningitis  cerebro- 
spinalis, Typhus,  Scharlach,  Dysenterie,  sep- 
tische Diphtherie,  Pneumonie. 

Myers45)  hat  in  einem  Falle  von  Puer- 
peralfieber mit  Collargol  glänzenden  Erfolg 
gehabt. 

Vinenberg46)  erzielte  in  einem  Falle 
von  puerperaler  Sepsis  mit  Endokarditis  und 
Beckenvenenthrombose  mit  Unguentum  Crede 
nach  vorhergegangener  wochenlanger  Behand- 
lung trotz  elenden  Zustandes  Heilung. 

Harri  so n47)  beschreibt  einen  Fall  von 
schwerer  Pyämie  mit  septischer  Gonitis  und 
Glutäalabszeß  nach  Abort.  Nach  der  gewöhn- 
lichen Behandlung  war  Verschlimmerung  ein- 
getreten; die  Besserung  setzte  schon  am 
ersten  Tage  nach  der  ersten  Collargolinjek- 
tion  ein. 

Behr  hat,  wie  schon  erwähnt,  Collargol 
bei  Tuberkulose  mit  Misch  in  fektion  mit  Er- 
folg angewandt. 

Ebenso  berichtet  Stachowsky48)  über 
2  Fälle  von  Lungentuberkulose  mit  Misch- 
infektion, in  denen  er  wöchentlich  0,05  g 
Collargol  einverleibte.  Fieber  und  Nacht- 
schweiße verschwanden.  Verfasser  glaubt  durch 
Collargol  die  Mischinfektion  beseitigen  zu 
können,  dadurch  werde  der  Organismus  be- 
fähigt, den  Kampf  gegen  die  Tuberkulose 
besser  führen  zu  können. 

Es  sei  hier  schließlich  noch  daran  er- 
innert, daß  auch  Land  er  er49)  die  Behand- 
lung der  Mischinfektion  der  Tuberkulose 
durch  Collargol  empfohlen  hat. 

Über  eine  Reihe  von  Fällen,  welche  ich 
mit  Collargol  behandelte,  habe  ich50)  schon 
vor  2  Jahren  berichtet.  Ich  habe  10  Fälle 
von  septischer  Infektion,  die  vom  Uterus 
ausgegangen  war,  geheilt.  Unter  diesen 
10  Fällen  waren  6  Puerperalfieber  nach 
normaler  Geburt,  3  Infektionen  nach  Abort 
und    1    Peritonitis    nach    von    anderer   Seite 


45)  46)  4T)  The  Southern  Practitioner  April 
1904;  ref.  in  Deutsche  med.  Wocheoschr.  1904, 
Nr.  6. 

48)  Pester  med.-chirurg.  Presse  1904,  32;  ref. 
Ärztl.  Rundschau    1904,  Nr.  41. 

40)  Landerer,  The  cinnamic  acid  (Hetol)  treat- 
ment  of  tuberculosis.  Amer.  Journ.  of  tub.  Ashe- 
ville  V,  1.    Jan.  1903. 

50)  Weißmann,  Zur  Behandlung  der  m vom 
Uterus  ausgehenden  septischen  Infektion.  Ärztl. 
Rundschau    1903,  Nr.  15. 


gemachtem  Kürettement.  In  8  von  diesen 
10  Fällen  erzielte  ich  die  Heilung  durch 
Unguentum  Crede,  in  2  Fällen  mußte  ich 
zur  intravenösen  Injektion  greifen.  Ich  be- 
richtete damals  auch  noch  über  3  Phleg- 
monen und  2  Furunkulosen,  welche  ich 
mittels  Unguentum  Crede  mit  gutem  Erfolg 
behandelt  hatte. 

Seit  dieser  meiner  Veröffentlichung  habe 
ich  weitere  24  Fälle  mit  Collargol  behandelt. 
Unter  diesen  waren  5  Fälle  Insektenstiche 
mit  nachfolgender  Lymphangitis  sowie  3  Lymph- 
angitiden,  welche  sich  an  andere  kleine  un- 
scheinbare Verletzungen  anschlössen.  Alle 
8  Fälle  gingen  unter  Anwendung  von  Un- 
guentum örede"  in  2  —  4  Tagen  in  Heilung 
aus.  3  Erysipele  heilten  in  3 — 6  Tagen  aus, 
ebenfalls  unter  Gebrauch  von  Unguentum 
Crede. 

Von  4  Phlegmonen  heilten  3  in  auffallend 
kurzer  Zeit,  nachdem  allerdings  ein  not- 
wendiger chirurgischer  Eingriff  gemacht  war. 
Auch  bei  diesen  Fällen  wurde  Unguentum 
Crede  angewendet.  Der  4.  Fall  von  Phleg- 
mone der  rechten  Brustseite,  kompliziert  mit 
Alkoholdelirium,  endete  letal,  24  Stunden 
nach  der  ersten  Konsultation. 

Vom  Uterus  ausgehende  Infektionen  wur- 
den 5  behandelt.  3  von  diesen  verliefen 
letal,  weil  sich  die  Angehörigen  der  recht- 
zeitigen intravenösen  Injektion  von  Collargol 
widersetzten.  In  einem  4.  Falle,  der  mit 
Erysipel  der  Nates  und  großen  Schamlippen 
sowie  einer  Pneumonie  kompliziert  war,  ge- 
nügten 30  g  Unguentum  Crede,  um  innerhalb 
5  Tagen  Fieberabfall  und  in  11  Tagen  voll- 
ständige Heilung  herbeizuführen.  Der  5.  Fall 
war  der  einer  Primipara.  Am  5.  Tage  post 
partum  Frost,  Kopfschmerzen,  aufgetriebener 
Leib.  Nachmittags  5  Uhr  Temp.  39,6°  C, 
Puls  120,  Gesicht  verfallen.  Intravenöse  In- 
jektion von  6  g  einer  5proz.  Collargollösung. 
Abends  8  Uhr  38,5°  C.  Am  2.  Krankheits- 
tage 9  Uhr  37,2Ü  C,  12  Uhr  37,6°  C,  5  Uhr 
36,7°  C.  Am  3.  Krankheitstage  nachts  1  Uhr 
38,9  °  C,  erneute  intravenöse  Collargolinjektion, 
3  g  einer  5  proz.  Lösung.  Um  5  Uhr  morgens 
39,0°  C,  um  8  Uhr  38,6°  C,  um  91/,  Uhr 
37,2,  nachmittags  5  Uhr  36,6.  Patientin 
bleibt  fieberfrei  und  wird  am  6.  Krankheits- 
tage als  geheilt  entlassen. 

Eine  Furunkulose,  eine  infektiöse  Haut- 
entzündung und  drei  Lymphdrüsenentzün- 
dungen akuter  infektiöser  Natur  heilten  in 
wenig  Tagen  nach  Anwendung  von  9  —  15  g 
Unguentum  Crede. 

Sieht  man  von  der  mit  Delirium  tremens 
komplizierten  Phlegmone  ab,  bei  welcher  der 
Arzt  viel  zu  spät  gerufen  wurde,  und  außer- 
dem eine  Herzinsuffizienz   infolge    des  Alko- 


XIX.  Jahrgang.] 
Aognst  1905.  J 


Kraute,  Desinfektion  dar  HAnde  nach  Pürbringer. 


397 


holismua  wohl  die  Todesursache  war,  so 
bleiben  als  ungünstig  verlaufen  nur  3  Fälle 
von  Puerperalfieber.  Ich  glaube,  daß  man 
auch  in  diesen  Fällen  eine  Heilung  hätte 
erzielen  können,  wenn  nicht  die  ganz  un- 
motivierte Furcht  der  weniger  intelligenten 
Volksklassen  vor  „Einspritzungen"  ein  recht- 
zeitiges energisches  Eingreifen  verhindert  hätte. 
Die  Leute  haben  die  Ansicht,  daß  durch  Ein- 
spritzungen das  „Blut  verdorben u  wurde,  und 
es  hält  schwer,  sie  von  dieser  Anschauung 
abzubringen  und  das  umsomehr,  als  leider 
intravenöse  Injektionen  noch  viel  zu  wenig 
und  zu  ungern  von  den  Ärzten  gemacht 
werden,  und  somit  der  Eingriff  als  ganz 
etwas  Besonderes  angesehen  wird. 

Fassen  wir  zusammen,  was  sich  aus  den 
vorstehenden  Ausfuhrungen  ergibt,  so  ergibt 
sich  folgendes: 

Die  Verwendung  des  Collargols  ist  eine 
außerordentlich  vielseitige,  da  die  meisten 
Krankheiten  der  septischen  Gruppe  angehören, 
und  das  Collargol  als  Specificum  gegen  Sepsis 
gelten  muß.  Auch  in  der  Wundbehandlung 
wird  das  Collargol,  namentlich  seit  Einführung 
der  Collargoltabletten,  ausgedehnteste  Ver- 
wendung finden. 

Collargol  ist  ein  ausgezeichnetes  Prophy- 
lacticum  bei  schweren  Verletzungen  und  größeren 
operativen  Eingriffen  jeder  Art. 

Es  ist  für  den  Erfolg  äußerst  wichtig, 
daß  das  Collargol  in  der  für  den  betreffen- 
den Fall  geeigneten  Form  zeitig  angewendet 
wird. 

Da  die  intravenöse  Injektion  in  schweren 
Fällen  zweifellos  die  sicherste  Form  der 
Darreichung  ist,  muß  sich  jeder  Arzt  mit  der 
Technik  der  intravenösen  Injektionen  vertraut 
machen. 


Über  die  Desinfektion  der  Hände 

nach   Furbrlngrer   und  die   wichtigsten 

Operationen    in    der   geburtshilflichen 

Praxis,  auf  Grund  von  270  beobachteten 

Fällen  besprochen« 

Von 

Dr.  med.  Willy  Krause, 

praktischem  Arzt  in  Strasburg  (Westpreußen). 

Angeregt  durch  verschiedene  Abhandlungen 
über  das  Desinfektions verfahren  in  der  geburts- 
hilflichen Praxis,  sowie  über  geburtshilf- 
liche Verrichtungen  beim  Abort,  bei  Placenta 
praevia  u.  ä.  habe  ich  das  mir  zur  Verfügung 
stehende  Material  aus  den  letzten  zehn  Jahren 
meiner  Praxis  zusammengestellt  und  glaube, 
daß  die  von  mir  beobachteten  270  Fälle 
wohl  geeignet  sind,  zur  Beurteilung  mancher 
schwebenden  Fragen  herangezogen  zu  werden. 

Th.  M.  1905. 


Diejenigen  Methoden,  welche  in  der  Stadt- 
und  Landpraxis  außerhalb  der  Klinik  sich 
bewähren,  sind  es,  nach  denen  wir  suchen 
müssen,  denn  eine  Entbindung  in  einer  wohl 
eingerichteten  geburtshilflichen  Anstalt  mit 
reichlicher  Assistenz  und  eine  solche  in  einer 
erbärmlichen  Hütte  sind  eben  zweierlei,  und 
doch  muß  es  unser  ernstes  Bestreben  sein, 
auch  in  den  dürftigsten  Verhältnissen  bei 
einem  physiologischen  Akt  wie  der  Geburt 
den  Müttern  das  Leben  zu  erhalten.  Das 
mir  zu  Gebote  stehende  Material  beweist, 
daß  wir  dieses  Ideal  leider  noch  nicht  er- 
reicht haben,  es  erscheint  ja  auch  fraglich, 
ob  wir  jemals  dahin  gelangen  werden,  denn 
trotz  unserer  eifrigsten  Bemühungen  und 
Bestrebungen  haben  wir  in  der  Praxis  mit 
vielen,  teilweise  unüberwindlichen  Schwierig- 
keiten zu  rechnen,  welche  eine  geburtshilf- 
liche Anstalt  naturgemäß  nicht  kennt.  Droht 
doch  der  Kreißenden  die  Gefahr  nicht  nur 
vom  touchierenden  Finger  der  Hebamme  oder 
des  Arztes:  Scharlach,  Diphtherie,  Erysipel 
sind  für  sie  grausame,  keine  Schonung 
kennende  Feinde.  —  Es  gibt  aber  ein  unter 
solchen  Verhältnissen  gewonnenes  Material 
von  270  Fällen  uns  manchen  Fingerzeig,  wie 
wir  die  Prognose  fortgesetzt  bessern  können, 
wenn  wir  ernstlich  die  Fehlerquelle  allmäh- 
lich auszuschalten  bemüht  sind. 

Bevor  ich  nun  meine  geburtshilflichen 
Fälle  etwas  genauer  einteile  und  bespreche, 
schicke  ich  einige  allgemeine  Bemerkungen 
voraus. 

Ich  desinfiziere  mich  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  nach  dem  Fürbringerschen  Ver- 
fahren. Ich  benutze  zunächst  warmes  Wasser, 
Seife  und  Bürste,  dann  absoluten  Alkohol 
und  eine  1  proz.  Lysollösung;  zum  Schlüsse 
werden  die  Hände  noch  gründlich  in  1  prom. 
Sublimatlösung  abgewaschen.  —  Um  meine 
Kleidungsstücke  nicht  mit  der  "Wöchnerin  in 
Berührung  zu  bringen,  lege  ich  eine  voll- 
kommen anschließende  Gummischürze  an, 
über  welche  nach  der  Desinfektion  der  Hände 
eine  saubere  leinene,  mit  halblangen,  ab- 
schließenden Ärmeln  versehene  Schürze  gelegt 
wird.  —  Wird  eine  künstliche  Entbindung 
oder  ein  sonstiger  Eingriff  vorgenommen,  so 
wird  die  Kreißende  auf  einen  Tisch  mit 
sauberer  Unterlage  in  Steiß -Rückenlage  ge- 
bracht. Im  Bette  nehme  ich  geburtshilfliche 
Operationen  grundsätzlich  nicht  mehr  vor 
und  bin  bei  den  Frauen  auch  der  besseren 
Stände  hierbei  selten  auf  Widerspruch  ge- 
stoßen. Man  hat  dadurch  den  Vorteil,  daß 
man  das  Operationsgebiet  gut  übersehen  und 
infolgedessen  vor  allem  besser  reinigen  kann. 
Zu  diesem  Zwecke  werden  die  Schamhaare 
ganz     kurz     abgeschnitten,     mit    Seife    und 

30 


398 


Kraute,  Desinfektion  der  Hand*  nach  Fürbrlnger. 


rTherapeatUche 
L   Monntaturfta. 


sterilem  Wasser  gewaschen  und  mit  einer 
schwachen  Lysollösung  abgespült.  Dasselbe 
gilt  naturlich  von  den  Oberschenkeln  und 
vom  Abdomen,  sowie  von  der  Vagina.  In 
der  letzten  Zeit  habe  ich  vor  künstlichen 
Geburten  auch  die  Scheide  mit  sterilem 
Wasser  resp.  0,6  proz.  Lysol  ausgespült,  da 
jedenfalls  nach  den  Untersuchungen  von 
Ahlfeldt  und  anderen  Autoren  es  nicht  aus- 
geschlossen ist,  daß  infektiöse  Mikroorganismen 
im  Scheidensekret  vorhanden  sind  und  event. 
eine  puerperale  Infektion  erzeugen  können. 
Es  ist  ja  dieäe  Frage  noch  nicht  ganz  sicher 
entschieden,  doch  kenne  ich  ebenfalls  Fälle 
aus  meiner  Praxis,  die  sehr  wohl  dafür 
sprechen.  So  habe  ich  einen  großen,  doppel- 
seitigen parame  tri  tisch  en  Abszeß  bei  einer 
Wöchnerin  operiert,  die  ihrer  Angabe  nach 
„vor"  der  Entbindung  —  letztere  war  unter 
Leitung  einer  zuverlässigen  Hebamme  spontan 
und  leicht  verlaufen  —  an  Fluor  albus 
gonorrhoicus  gelitten  hatte.  Durch  diesen 
und  ähnliche  Fälle  vorsichtig  gemacht,  habe 
ich  seit  einiger  Zeit,  bevor  ich  an  die 
Kreißende  herantrete,  die  Temperatur  ge- 
messen und  mehrfach  tatsächlich  Fieber 
konstatiert.  Vielleicht  würde  mancher  Fall 
von  Wochenbetterkrankung,  den  man  sich 
nicht  recht  erklären  konnte  und  den  man 
einer  Unterlassungssünde  bei  der  Desinfektion 
seitens  des  Arztes  oder  der  Hebamme  in  die 
Schuhe  schob,  eben  seinen  Grund  in  einer 
Erkrankung  der  Wöchnerin  vor  der  Geburt 
haben. 

Da  es  mein  Bestreben  war,  nach  sorg- 
fältigster Reinigung  „möglichst"  aseptisch  an 
die  Entbindung  heranzugehen,  so  habe  ich 
nach  geburtshilflichen  Eingriffen  keine  Aus- 
spülung mehr  gemacht. 

Selbstverständlich  erhält  die  Wöchnerin 
nach  dem  Geburtsakt  wieder  reine  Wäsche 
und  als  Vorlage  sterile  Gaze  resp.  Watte 
und  wird  in  ein  sauberes,  angewärmtes  Bett 
gebracht.  Das  Instrumentarium  wird  jedes- 
mal vor  dem  Gebrauch  und  bei  nicht  ein- 
wandsfreien  Fällen  sofort  nach  der  Benutzung 
ausgekocht.  Ich  führe  zu  diesem  Zwecke 
einen  Sterilisator  in  meinem  Besteck  mit.  — 

Ich  gehe  nunmehr  zu  der  Besprechung 
des  Materials  selbst  über:  Von  den  270  Fällen 
bin  ich  40  mal  zu  Aborten  und  230  mal  zu 
Entbindungen  geholt  worden.  Eine  Patientin 
habe  ich  vor  vielen  Jahren  nach  einem  Abort 
an  Puerperalfieber  verloren.  Die  Frau  hatte 
lange  Zeit  geblutet,  sich  nicht  geschont  und 
war  schon  infiziert,  als  ich  zu  ihr  gerufen 
wurde.  Trotzdem  in  Narkose  das  Ei  ent- 
fernt wurde,  war  sie  nicht  mehr  zu  retten. 
Freilich  ließ  sie  sich  auch  eine  geregelte 
Nachbehandlung     nicht    gefallen,     den     ein- 


gelegten Tampon  nicht  rechtzeitig  entfernen, 
keine  Ausspülungen  machen  etc.  —  Die 
übrigen  39  Wöchnerinnen  hatten  ein  normales 
Wochenbett.  Ich  behandele  jeden  Abort 
exspektativ  und  greife  nur  dann  ein,  wenn 
eine  gefährliche  Blutung  erfolgt  oder  die 
Ausstoßung  des  Eies  nicht  vorwärts  geht. 
In  diesem  Falle  schreite  ich  nach  gehöriger 
Desinfektion  zur  Tamponade  mit  Dührssen- 
scher  steriler  Jodoformgaze,  von  welcher  ich 
eine  Büchse  No.  1  und  No.  2  stets  bei  mir 
habe.  Geht  hiernach  das  Ei  nicht  spontan 
ab,  so  nehme  ich  den  Finger,  sobald  die 
Cervix  genügend  erweitert  ist,  und  versuche 
mit  oder  ohne  Narkose  —  bei  Mehrgebärenden, 
die  nicht  allzu  empfindlich  sind,  kann  man 
sie  meist  entbehren  —  das  Ei  heraus- 
zuschälen. Mir  scheint  es  unter  allen  Um- 
ständen geboten,  zunächst  den  Finger  zur 
Ausräumung  des  Uterus  zu  benutzen,  da 
man  mit  ihm  auch  gleichzeitig  die  Gebär- 
mutterhöhle abtasten  kann,  um  sich  zu  über- 
zeugen, ob  alles  entfernt  ist.  Ich  habe  nur 
einmal  und  zwar  mit  gutem  Erfolge  hierzu 
den  scharfen  Löffel1)  benutzt,  als  ich  in  den 
Uterus  mit  dem  Finger  noch  nicht  hinein- 
gelangen konnte  und  eine  Tamponade  aus 
dem  Grunde  nicht  vornehmen  mochte,  weil 
das  Ei  bereits  in  Zersetzung  übergegangen 
und  ein  blutig-übelriechender  Ausfluß 
vorhanden  war.  —  Ist  man  aber  nicht  ganz 
sicher,  die  Uterushöhle  bei  Benutzung  des 
Fingers  vollkommen  ausgeräumt  zu  haben, 
oder  kommt  man  zu  Fällen  —  und  dies 
ist  in  der  Landpraxis  garnicht  so  selten  — 
in  denen  Teile  des  Eies  bereits  fort  sind, 
sodaß  von  einer  zusammenhängenden  Lösung 
desselben  doch  keine  Rede  mehr  sein  kann, 
dann  tritt  die  Curette  meiner  Ansicht  nach 
in  ihr  unbestrittenes  Recht.  Ich  kann  mich 
der  Ansicht  Gessners  nicht  anschließen, 
daß  dieselbe  aus  der  Behandlung  des  Abortes 
ganz  zu  verdammen  sei,  würde  dies  vielmehr 
als  einen  Rückschritt  bezeichnen.  Ich  wende 
die  Curette  in  allen  Fällen  an,  in  denen  ich 
noch  Reste  des  Eies  oder  der  Placenta  vermute, 
und  habe  dies  noch  nie  bereut;  im  Gegen- 
teil: es  ist  auffallend,  wie  schnell  sich  die 
Frauen  nach  der  Ausschabung  von  dem 
größten  Blutverlust  erholen.  Sie  können 
wieder  essen  und  schlafen  und  sind  guter 
Dinge,  und  meist  belehrt  eine  sich  an- 
schließende Gravidität,  daß  man  wirklich 
die  abnormen  Bestandteile  sämtlich  entfernt 
hatte.  —  Ich  halte  die  Curette  aber  auch 
nicht    für    gefährlich;    sie    hat    dem    Finger 


*)  Vergl.  den  Aufsatz:  Curettement  bei  Abort 
oder  nicht,  von  Sanitätsrat  Dr.  Michel  et,  Deutsche 
med.  Wochenschrift  1903,  Heft  1,  S.  19. 


XIX.  Jahrgang.! 
Angwt  1906.    I 


Krau««,   Desinfektion  d«r  Hände  räch  P0rbr1fi|r«r. 


399 


gegenüber  den  unbestrittenen  Vorzug,  daß 
sie  wirklich  sicher  sterilisiert  werden  kann, 
und  ein  Durchstoßen  der  Gebärmutter  kann 
man  wohl  bei  einiger  Vorsicht  vermeiden. 
Vor  resp.  nach  der  Anwendung  der  Curette 
mache  ich  eine  Ausspülung  mittels  des 
Uteruskatheters  nach  Bozeman-Fritsch. 
In  der  Regel  benutze  ich  eine  0,5  proz.  Lysol- 
lösung als  Spülflüssigkeit.  — 

Ich  wende  aber  noch  ferner  die  Vorsicht 
an,  daß  ich  fast  nach  jeder  Ausschabung 
und  zwar  stets  auf  dem  Lande  nach  der 
Operation  die  Gebärmutter  mit  Dührssen- 
scher  Gaze  (No.  2)  ausstopfe,  falls  nicht 
gerade  ein  übelriechender  Ausfluß  vorhanden 
ist.  Die  Gaze  regt  die  Uterusmuskulatur 
zu  lebhaften  Kontraktionen  an  und  sollten 
wirklich  noch  kleine  Eireste  zurückgeblieben 
sein,  so  werden  sie  sicher  durch  den  Reiz 
der  Gaze  auf  die  Schleimhaut  nachträglich 
ohne  Blutung  ausgestoßen.  Ich  habe,  seit- 
dem ich  in  der  Landpraxis  dieses  Verfahren 
strikte  durchführe,  glücklicherweise  keine 
Nachblutungen  mehr  erlebt,  ja  man  kann 
mit  einem  gewissen  Gefühl  der  Sicherheit, 
daß  nichts  passieren  kann,  die  Wöchnerin 
verlassen.  Die  Gaze  bleibt  12  —  24  Stunden 
liegen  und  wird  am  nächsten  Tage  durch 
die  Hebamme  entfernt;  eine  Nachbehandlung 
ist  nicht  nötig,  nur  bleibt  die  Patientin  etwa 
eine  Woche  im  Bette.   — 

Die  Narkose  kann  man  beim  Curettement 
meistens  entbehren;  ich  nehme  dasselbe  jeden- 
falls lieber  ohne  Chloroform  vor,  da  das- 
selbe nur  unbedeutend  schmerzt,  und  halte 
die  Patientin  an,  sofort  anzugeben,  wenn  ich 
ihr  Schmerzen  mache;  man  kann  sich  dann 
am  allerbesten  vor  Verletzungen  hüten; 
andererseits  rate  ich  aber,  so  lange  mit  dem 
scharfen  Löffel  die  Piacentarreste  fort zukr atzen, 
bis  man  ein  deutlich  knirschendes  Gefühl 
beim  Hin-  und  Herbewegen  des  Instrumentes 
hat;  dann  ist  der  Erfolg  auch  sicher. 

Bei  den  erwähnten  39  Fällen  habe  ich 
lediglich  die  Tamponade  6  mal,  die  manuelle 
Lösung  des  Eies  oder  der  Placenta  13  mal, 
die  Ausschabung  mittels  Curette,  allein  oder 
kombiniert  mit  der  voraufgegangenen  Aus- 
räumung mittels  des  Fingers,  20  mal  an- 
gewandt. 

Der  günstige,  fieberfreie  Verlauf  des 
Wochenbettes  spricht  meiner  Auffassung  nach 
für  die  Brauchbarkeit  der  Methode  in  der 
Praxis  und  kann  ich  dieselbe  jedem  Kollegen 
nur  warm  empfehlen. 

Ich  gehe  nunmehr  zu  den  Geburten  über, 
von  denen  ich  im  letzten  Dezennium  230 
geleitet  habe. 

In  30  Fällen  =  13  Proz.  hatte  die  Ent- 
bindung   einen   normalen   Verlauf.     Da  man 


als  Arzt  ja  meistens  nur  zu  schwierigen 
Fällen  gerufen  wird,  so  beweist  der  obige 
Prozentsatz,  daß  ich  mich  stets  bemüht  habe, 
der  Natur  ihr  Recht  einzuräumen  und  die 
Austreibung  des  Kindes  den  physiologischen 
Kräften  zu  überlassen.  —  Ich  habe  aber 
unter  diesen  30  Fällen  2  mal  künstlich  die 
Blase  gesprengt,  3  mal  wegen  Atonia  uteri 
die  Tamponade  nach  Dührssen  ausgeführt, 
4  mal  einen  Dammriß  1.  Grades  und  2  mal 
einen  Dammriß  2.  Grades  genäht.  —  Die 
Dammrisse  2.  Grades  waren  bereits  bei 
meiner  Ankunft  vorhanden. 

Ich  nähe  prinzipiell  jeden  Dammriß,  mag 
er  noch  so  klein  sein,  unmittelbar  post  partum 
sehr  sorgfältig,  weil  man  in  allen  Fällen  ein 
Eindringen  von  Eitererregern  dadurch  am 
besten  hindert,  die  Wöchnerin  vor  sekun- 
dären Gefahren  somit  schützt  und  sie  bei 
Dammrissen  2.  Grades  durch  genaue  Damm- 
plastik vor  Senkungen  der  Geschlechtsorgane 
bewahrt.  Ich  hatte  glücklicherweise  die 
Freude,  daß  mir  sämtliche  Dammrisse  1.  und 
2.  Grades  —  ein  solcher  3.  Grades  kam  mir 
bisher  nicht  vor  —  per  primam  intentionem 
geheilt  sind,  und  gehe  wohl  nicht  fehl,  wenn 
ich  dies  auf  die  genaue  Adaptierung  der 
Wundränder  zurückführe. 

Nach  den  normalen  Entbindungen  erlebte 
ich  einen  Todesfall  an  Phthisis  florida.  Die 
andern  Frauen  machten  normale  Wochenbetten 
durch. 

Lediglich  weil  die  Nachgeburt  ganz  oder 
teilweise  nicht  spontan  folgte,  wurde  ich 
unter  230  Fällen  35  mal  in  Anspruch  ge- 
nommen. 

Hiervon    wurde 
die  Nachgeburt  nach  Crede  entfernt    .     .       3 mal 
die  Nachgeburt  manuell  gelöst     ....     25    - 
eine  Placenta  duplex  nach  Zwillingssckwan- 

gerschaft  manuell  entfernt 2    - 

Zurückgebliebene  Stücke  der  Placenta  oder 

Eihäute  wurden  entfernt 5   - 


Summa    35  mal 

Hierzu  kommt  die  manuelle  Lösung 
der  Placenta  nach  künstlichen  Entbindun- 
gen, und  zwar 

nach  Querlage  und  Wendung     .     4  mal 
nach    Fuß-    resp.   Steißlage   und 

Extraktion 2    - 

nach  Zangengeburten      ....     3    - 
nach  Zange  und  Wendung 

(Zwillinge) .     1    - 

nach  totalem  Prolapsus  et  inversio 
uteri  infolge  forcierten  Credes 
durch  die  Hebamme      .     .     . _  1_  - 

Summa  11  mal     11  mal 

Summa     46  mal 
Hiervon  ab  3  mal  nach  Crede       .     .       3  mal 

bleibt     43  mal 

Zieht   man  in  Erwägung,  daß  sich  diese 
43  Fälle   manueller    Lösung   der  Nachgeburt 

30* 


400 


Kraute,   Desinfektion  der  Hände  nach  FÜrbringer. 


rherapeutlicbe 
Monatskarte. 


auf  einen  Zeitraum  von  10  Jahren  beziehen, 
so  wird  man  zugeben,  daß  der  Prozentsatz 
kein  sehr  hoher  sein  kann,  wenngleich  ich 
ihn  nicht  sicher  anzugeben  vermag,  da  mir 
die  Zahlen  der  andern  Herrn  Kollegen,  welche 
in  demselben  Bezirk  praktizieren,  nicht  zur 
Verfügung  stehen.  Wenn  Ah lfel dt9)  angibt, 
daß  in  der  Klinik  ungefähr  unter  1000  Fällen 
die  Flacenta  5  mal  manuell  gelöst  wird, 
so  scheint  mir  obige  Ziffer  dafür  zu  sprechen, 
daß  wir  hier  auch  in  der  Landpraxis  diesen 
Prozentsatz  nicht  überschreiten,  während 
er  für  diese  von  Ah  lfel  dt  auf  5  Proz. 
angegeben  wird.  Allerdings  wird  dieser  Satz 
erreicht,  wenn  man  speziell  die  künstlichen 
Entbindungen  berechnet  (nämlich  11  auf  ca. 
200  Geburten  =  ö  Proz.).  Meiner  Erfahrung 
nach  treten  aber  die  meisten  Störungen 
in  der  Nachgeburtsperiode,  die  Ahlfeldt3) 
auf  26  Proz.  berechnet,  nach  künstlichen  Ent- 
bindungen ein,  da  bekanntlich  die  plötzlichen 
Entleerungen  des  •  Uterus  infolge  der  Ex- 
traktion mittels  Zange  oder  Hand  (siehe  oben) 
am  leichtesten  zu  größeren  Nachblutungen 
führen,  welche  ein  Eingreifen  erforderlich 
machen.  Sodann  habe  ich  auch  gefunden, 
daß  die  Placenten  verhältnismäßig  oft  dann 
festsitzen,  wenn  die  Lage  des  Kindes  eine 
unregelmäßige  war.  Es  wäre  mir  interessant 
zu  erfahren,  welche  Erfahrungen  andere 
Kollegen  hierin  gewonnen  haben. 

Was  die  Mortalität  nach  Placentarlösung 
anlangt,  so  starben  von  jenen  43  Wöchnerinnen 
6.  Auf  diese  6  Todesfälle  kommt  jedoch 
1  Todelfall  wegen  Erysipelas  migrans,  welches 
schon  2  —  3  Tage  vor  der  Geburt  bestand. 
1  Todesfall  an  Lungenödem,  infolge  hoch- 
gradigen Ascites  und  allgemeiner  Ödeme. 
1  Todesfall  an  Phthisis  florida.  2  Todes- 
fälle an  Erschöpfung  und  Verblutung  bald 
nach  meiner  Ankunft. 

In  dem  einen  dieser  Fälle  hatte  sich  die  junge 
Hebamme  gefürchtet,  die  manuelle  Lösung 
der  Placenta  selbst  vorzunehmen,  und  da  die 
Wöchnerin  fast  2  Meilen  von  der  Stadt  wohnte, 
kam  ich  leider  zu  spät.  Trotz  .Kochsalz- 
infusion und  Ätherinjektionen  verschied  die 
hochgradig  anämische  pulslose  Frau  bald  nach 
der  manuellen  Lösung  der  Placenta  im  Kollaps. 
In  dem  andern  Falle  hatte  die  Hebamme 
durch  forcierten  Crede  (!)  den  Uterus  total 
nach  außen  umgestülpt  und  die  Wöchnerin 
ging  nach  Ablösung  der  festverwachsenen 
Placenta  und  Reposition  des  Uterus  sehr 
bald  an  Shock  zu  Grunde. 

Die  Ursache  für  den  6.  Todesfall  ist  mir 
nicht  bekannt  geworden,  da  ich  die  Wöchnerin 

a)  Ahlfeldt,    Behandlung    der    Nachgeburts- 
periode.    Deutsche  Klinik  Bd.  IX,  S.  115. 
a)  Ebenda  S.  114. 


nicht  mehr  gesehen  habe.  Ich  nahm  die 
Lösung  der  Placenta  4  Stunden  post  partum 
manuell  vor  und  hatte  große  Mühe,  da  sie 
in  der  ganzen  Ausdehnung  dem  Uterus  fest 
anhaftete.  Die  Wöchnerin  soll  4  Wochen 
später  gestorben  sein,  ob  an  einer  puerperalen 
oder  an  einer  andern  Infektion  —  es  herrschte 
damals  im  Kreise  der  typhus  abdom.  epi- 
demisch —  vermag  ich  nicht  anzugeben. 

Sehe  ich  also  von  diesem  letzten  zweifel- 
haften Falle  ab,  so  habe  ich  demnach  an 
puerperaler  Erkrankung  nach  manueller  Lö- 
sung der  Placenta  glücklicherweise  keine 
Wöchnerin  verloren. 

Wann  soll  man  nun  zur  Lösung  einer 
Placenta  schreiten  ?  Da  dieselbe  in  typischen 
Fällen  innerhalb  30  Minuten  nach  der  Geburt 
spontan  erscheint,  so  warte  ich  entsprechend 
diesem  normalen  Vorgang  eine'  halbe  Stunde 
post  partum  ab  und  wende  dann  den 
Crede  sehen  Handgriff  an.  Meist  gelingt  es 
damit  leicht,  die  Placenta  und  die  Eihäute 
glatt  herau8zubefördern.  Sitzt  aber  die  Pla- 
centa fest,  wie  lange  soll  man  dann  warten, 
bevor  man  zur  künstlichen  Lösung  schreitet? 
Diese  Frage  ist  noch  immer  strittig.  Es 
gibt  Fälle,  in  denen  es,  ohne  daß  die 
Wöchnerin  post  partum  angerührt  worden 
war,  bald  nach  der  Entbindung  ungeheuer 
blutet,  weil  ein  Teil  der  Placenta  sich 
spontan  löst,  während  der  andere  festsitzt. 
Wenn  man  in  solchen  Fällen  nicht  bald 
eingreift,  geht  die  Wöchnerin,  wie  der  oben 
beschriebene  Fall  beweist,  an  Verblutung 
zu  Grunde.  Selbstverständlich  wird  man 
zunächst  versuchen,  durch  Reiben  des  Fundus 
die  Blutung  zum  Stehen  zu  bringen  und 
durch  den  Cr ed eschen  Handgriff  die  Placenta 
zu  exprimieren.  Gelingt  dies  aber  nicht 
8 ehr  bald  und  blutet  es  trotz  aller  äußern 
Gegenmaßnahmen  weiter,  dann  nehme  ich 
die  manuelle  Lösung  der  Placenta  auf  dem 
Querbett  vor  und  habe  dieses  Verfahren 
noch  nie  zu  bereuen  gehabt,  dagegen  wohl 
manche  Frau  vor  dem  Verblutungstode  ge- 
rettet. Diese  Fälle  indizieren  die  Therapie 
so  klar,  daß  man  keine  Zweifel  zu  hegen 
braucht.  —  Es  gibt  ferner  Fälle,  in  denen 
zwar  die  Blutung  nicht  so  profus  ist,  daß 
eine  Verblutungsgefahr  zu  befürchten  ist,  wo 
das  Blut  aber  dauernd  aus  den  Geschlechts- 
teilen heraussickert,  wo  ein  Teil  in  den 
Uterus  hineinblutet  und  wo  eine  allmählich 
zunehmende  Blässe  des  Gesichts,  verbunden 
mit  dem  ominösen  Gähnen,  einen  zu  großen 
Blutverlust  der  Wöchnerin  verrät.  Soll  man 
hier  so  lange  warten,  bis  die  Frau  erschöpft 
ist  ?  Ich  meine,  nein  !  Gelingt  es  mittels 
der  schonenden  Operation  nicht,  die  Placenta 
zu  entfernen,  dann  kommt  eben  die  manuelle 


XIX.  Jfttargftng.l 
Angqgt  1906.  J 


Kraute,  Desinfektion  der  Hand«  nach  Fürbringer. 


401 


Losung  in  Frage.  Maßgebend  ist  hierfür 
nicht,  ob  eine  halbe  oder  zwei  Stunden  seit 
der  Geburt  verflossen  sind,  sondern  lediglich 
der  Zustand  der  "Wöchnerin.  Die  Methode 
nach  Ahlfeldt4),  die  Menge  des  abgehenden 
Blutes  zu  bestimmen  und  hiernach  sein 
Handeln  einzurichten,  ist  ja  von  großem 
Interesse  und  möge  sich  für  eine  Klinik 
eignen,  für  die  Praxis  aber  ist  sie  meines 
Erachtens  unbrauchbar,  abgesehen  davon,  daß 
sie  bei  Blutungen  in  den  Uterus  im  Stiche 
lassen  dürfte.  —  Maßgebend  ist  auch  für 
mich  hierbei  der  Umstand,  daß  man  wohl 
mit  Recht  heute  annimmt,  daß  ein  Organismus 
eine  event.  Infektionsgefahr  um  so  leichter 
überwindet,  je  geringer  der  Blutverlust  war, 
daß  also  Wöchnerinnen,  die  infolge  Störungen 
der  Nachgeburtsperiode  sehr  viel  Blut  ver- 
loren haben,  entschieden  zu  einer  Erkrankung 
im  Wochenbett  sehr  viel  starker  disponiert 
sind.   — 

Es  gibt  aber  noch  einen  dritten  Fall, 
und  dieser  ist  bezüglich  der  Therapie  viel- 
leicht am  schwersten  zu  beurteilen,  nämlich 
wenn  es  nicht  blutet,  die  Placenta  weder 
von  allein  noch  mittels  des  Cred eschen 
Handgriffs  erscheint  und  der  Zustand  der 
Wöchnerin  als  solcher  ein  Eingreifen  nicht 
notwendig  macht.  Nach  den  Zusammen- 
stellungen von  Kabierske5)  (Freund)  und 
von  Campe  (Schroeder)  erscheint  die  Pla- 
centa in  50  Proz.  erst  nach  6  Std.  allein  und 
in  25  Proz.  nach  12  Stunden,  aber,  wie 
Zweifel  betont,  erkrankte  der  größte  Teil 
der  Wöchnerinnen  unter  sehr  schweren 
Fiebererscheinungen.  Sicher  aber  kommt  es 
für  unsere  Therapie  nicht  darauf  an,  ob 
die  Placenta  normalerweise  erst  nach  vielen 
Stunden  erscheint,  sondern  ob  die  Mutter, 
lediglich  der  Natur  überlassen,  hierbei  gesund 
bleibt.  Zweifel  kommt  daher  mit  Recht  zu 
dem  Schluß,  daß  man  eine  nicht  von  selbst 
abgegangene  Placenta  nach  einer  gewissen 
Frist  herausbefördern  muß.  Es  fragt  sich 
nur,  wie  lange  diese  Frist  zu  dauern  hat. 
Wenn  in  typischen  Fällen  die  Placenta  inner- 
halb 30  Minuten  erscheint,  so  wird  der  Fall 
atypisch,  pathologisch,  wenn  sie  länger  in 
den  Geburtsteilen  verbleibt,  und  deshalb  hat 
man  als  Arzt  nicht  nur  das  Recht,  sondern 
auch  die  Pflicht,  den  in  diesem  Falle  ver- 
sagenden Naturkräften  zu  Hilfe  zu  kommen. 
In  dem  oben  erwähnten  Falle,  welcher  mir 
4  Wochen  nach  der  Geburt  verloren  ging, 
^waren  4  Stunden  nach  der  Entbindung  ver- 
flossen, als  ich  —  es  war  auf  dem  Lande  — 
zur  Losung  der  Placenta  anlangte.    Dieselbe 


«)  Deutsche  Klinik  Bd.  IX,  S.  116. 

*)  Zweifel,  Geburtshilfe,  S.  195.     1895. 


war  total  verwachsen,  die  Lösung  ungemein 
schwer,  weil  der  Muttermund  sich  eng  zu- 
sammengezogen hatte.  —  Chloroform  mochte 
ich  bei  der,  trotz  der  verhältnismäßig  geringen 
Blutung,  immerhin  erschöpften  Frau  ohne 
Assistenz  eines  Herrn  Kollegen  bei  einer  sehr 
unzuverlässigen  Hebamme  nicht  anwenden. 
Ich  hatte  die  Empfindung,  daß  sich  diese 
Placenta  nach  weiteren  4  Stunden  sicher 
auch  nicht  gelöst  hätte,  daß  ich  aber  3  Stunden 
früher  bei  noch  weiter  eröffneter  Cervix  sehr 
viel  leichter  die  Lösung  hätte  vornehmen 
können,  daß  vielleicht  auch  die  Frau  am 
Leben  geblieben  wäre.  Wie  schon  bemerkt, 
weiß  ich  nicht,  ob  sie  einer  puerperalen 
Infektion  oder  einer  interkurrenten  Erkrankung 
erlegen  ist,  jedenfalls  hatte  sich  durch  das 
4  stündige  Warten  auf  den  notwendigen  Ein- 
griff die  Prognose  sicher  nicht  verbessert. 
Ich  könnte  diesem  Falle  noch  mehrere  andere 
mit  gutem,  fieberfreiem  Ausgang  anreihen,  in 
denen  ich  mehrere  Stunden  post  partum 
nach  vergeblichen  Versuchen,  mittels  Credä 
zum  Ziele  zu  kommen,  die  Placenta  manuell 
lösen  mußte  und  in  denen  ich  mir  sagte, 
dieser  Mutterkuchen  wäre  nie  spontan  aus- 
gestoßen worden,  er  wäre  aber  1  Stunde 
post  part.  mit  größerer  Leichtigkeit  entfernt 
worden.  Je  leichter  man  aber  in  den  Uterus 
durch  die  Cervix  eindringen  kann,  desto 
weniger  wird  man  verletzen,  desto  mehr 
wird  man  damit  die  Infektionsgefahr  herab- 
setzen. Daß  man  im  übrigen  eine  Infektion 
nicht  bloß  auf  das  Konto  einer  eingeführten 
Hand  zu  setzen  braucht,  daß  vielmehr  noch 
andere  Momente  mitsprechen,  beweisen  ge- 
rade die  Statistiken,  die  Zweifel  in  seinem 
Lehrbuch  anführt,  beweisen  auch  die  neueren 
Untersuchungen  durch  Ahlfeldt,  Burck- 
hardt,  Kröning  etc6).   — 

Ich  möchte  noch  ein  Wort  über  die 
Narkose  sagen;  ich  suche  sie  bei  den  durch 
Blutverlust  und  Geburtsakt  erschöpften  Wöch- 
nerinnen, namentlich  dann,  wenn  ich  ohne 
„ärztliche"  Assistenz  bin,  zu  vermeiden.  Es 
gelingt  die  Lösung  der  Placenta  auch  ohne 
Chloroform  sehr  gut,  wenn  man  eben  nicht 
allzu  lange  wartet,  bis  die  Cervix  sich  zu 
sehr  geschlossen  hat. 

Aus  diesen  Gründen  habe  ich  allmählich 
bezüglich  der  Nachgeburtsperiode  folgendes 
Verfahren  erprobt: 

Nach'  der  Ausstoßung  des  Kindes  wird 
durch  die  Hebamme  und  von  mir  selbst  der 
Fundus  uteri  überwacht7);  erscheint  binnen 
einer  halben  Stunde   die  Placenta  nicht  von 


6)  Vergl.  den  Aufsatz  von  Hofmeier,  Die 
Verhütung  puerperaler  Infektionen.  Deutsche  Klinik 
Bd.  IX,  S.  46. 

7)  Schroeder,  Geburtshilfe,  S.  215/16.   1884. 


402 


Kraute,  Desinfektion  der  Hände  nach  Fttrbrlnger. 


rherapentiarhe 
Monatshefte. 


selbst,  so  wird  der  C  rede  sehe  Handgriff  an- 
gewandt. Gelingt  es  hiermit  nicht,  die  Placenta 
zu  exprimieren,  so  warte  ich  noch  ein  Weilchen 
und  wiederhole  denselben  2 — 3  mal.  Bleiben 
auch  diese  Bemühungen  erfolglos,  so  des- 
infiziere ich  mich  und  die  Wöchnerin  aufs 
gründlichste  und  bereite  alles  zur  manuellen 
Lösung  vor.  Es  ist  dann  ungefähr  1  Stunde 
nach  der  Geburt  verronnen.  Die  Operation 
selbst  wird  auf  einem  Tische  in  Steißrücken- 
lage vorgenommen,  unmittelbar  hinterher  eine 
Ergotininjektion  (0,25)  gemacht  und  später 
Seeale  cornut.  weitergereicht.  Sollte  trotzdem 
der  Uterus  sich  nicht  genügend  kontrahieren, 
oder  es  gar  bluten,  so  gehe  ich  eventuell 
zur  Kontrolle  auf  zurückgebliebene  Reste 
oder  eine  Nebenplacenta  nochmals  mit  der 
Hand  ein,  drücke  diese  und  eventuelle  Ge- 
rinnsel, indem  die  andere  Hand  den  Uterus 
von  den  Bauch  decken  aus  reibt  und  kom- 
primiert, aus  der  Gebärmutter  heraus  und 
schließe  in  der  Regel  die  Tamponade  nach 
Dührssen  gleichzeitig  an,  die  sich  mir  in 
allen  diesen  Fällen  außerordentlich  gut  be- 
währt hat  und  die  meiner  Ansicht  nach  Ge- 
meingut der  auf  dem  Lande  praktizierenden 
Kollegen  werden  sollte.  —  Daß  ich  einen 
solchen  Uterus  zwei  Stunden  oder  länger  über- 
wache, versteht  sich  von  selbst,  wie  sich  dies 
überhaupt  nach  allen  künstlichen  Entbin- 
dungen speziell  außerhalb  der  Sadtgrenzen 
dringend  empfiehlt.   — 

Ich  komme  nunmehr  zum  nächsten  Kapitel, 
zur  Placenta  praevia.  Ich  habe  im  ganzen 
11  Fälle  unter  230  Geburten  =  4,8  Proz. 
behandelt.  Hiervon  sind  4  Frauen  gestorben 
=  36  Proz.  und  zwar  an  Erschöpfung  resp. 
unstillbarer  Blutung  3  mal,  an  Peritonitis  lmal. 
Lebende  Kinder  wurden  erzielt  in  7  Fällen 
=  63,5  Proz.  Beleuchtet  man  kritisch  die 
4  Todesfälle,  so  ist  der  Fall  von  Peritonitis 
auf  die  Verunreinigung  durch  die  Wöchnerin 
selbst,  sowie  ihr  späteres  Verhalten  zurück- 
zuführen. Sie  hatte  nicht  einmal  eine  Heb- 
amme sich  holen  lassen,  war  vielmehr  bei 
meiner  Ankunft  fast  verblutet.  Die  Ge- 
schlechtsteile waren  entsetzlich  unsauber  und 
zur  Stillung  der  Blutung  alte  Lappen  ver- 
wandt worden.  Wenn  solche  Frau  dann  noch 
bald  nach  der  Geburt  das  Bett  verläßt  und  sich 
vor  die  Thür  setzt,  dürfte  eine  tödliche  Peri- 
tonitis nicht  wunderbar  erscheinen.  —  Im 
zweiten  Falle  war  ebenfalls  keine  Hebamme 
anwesend  —  ebenfalls  auf  dem  Lande  — 
und  die  bereits  fiebernde  Frau  dem  Ver- 
blutungstode nahe,  als  ich  bei  ihr  anlangte. 
Sie  ging  natürlich  an  Erschöpfung  zu  Grunde. 
In  drei  Fällen  habe  ich  die  Wendung  bei 
noch  wenig  eröffnetem  Muttermunde  nach 
Braxton~Hicks  ausgeführt,    kann  mich  je- 


doch nicht  sehr  dafür  erwärmen.  Trotzdem 
ich  mit  der  Extraktion  gewartet  habe,  habe 
ich  2  Fälle  trotz  sachgemäßer  Assistenz  ver- 
loren. In  einem  Falle  handelte  es  sich  um 
eine  atonische  Blutung,  im  andern  Falle  um 
einen  Cervixriß,  der  durch  den  durch- 
tretenden Kopf  verursacht  wurde.  Vielleicht 
wären  die  beiden  Frauen  zu  retten  gewesen, 
wenn  ich,  wie  ich  es  sonst  zu  machen  pflegte, 
so  lange  mit  steriler  Jodoformgaze  tamponiert 
hätte,  bis  der  Muttermund  für  eine  Hand 
durchgängig  gewesen  wäre.  Ich  sehe  auch 
keinen  Grund  ein,  weshalb  man  von 
dieser  Tamponade  abgehen  soll.  Sie  ist  zwar 
etwas  langwierig,  aber  unter  den  oben  ge- 
schilderten Kautel en  sicher  ungefährlich,  jeden- 
falls habe  ich  einen  Fall  von  Infektion  nach 
derselben  noch  nicht  erlebt.  —  In  den  andern 
Fällen  habe  ich  die  Wendung  erst  vorge- 
nommen, nachdem  der  Muttermund  genügend 
durchgängig  war,  und  bei  dieser  Methode 
nicht  nur  die  Mütter  am  Leben  erhalten, 
sondern  auch  —  von  einem  zu  früh  geborenen 
Kinde  abgesehen  —  ein  lebendes  Kind  er- 
zielt. Ich  habe  also  die  günstigsten  Resul- 
tate für  Mutter  und  Kind  dann  gesehen,  wenn 
ich  bis  zur  Erweiterung  des  Muttermundes 
tamponiert  habe,  dann  gewandt  und  vorsichtig 
extrahiert  habe,  und  ich  werde  auch  in  Zukunft 
dieses  Verfahren  möglichst  innehalten.  Ob  in 
klinischen  Räumen  bessern  ach  BraxtonHicks 
verfahren  wird,  lasse  ich  dahingestellt,  zumal 
für  den  Fall  eines  tiefer  gehenden  Cervixrisses 
alles  zu  einer  sachgemäßen  Naht  bei  ent- 
sprechender Beleuchtung  und  Assistenz  vor- 
handen ist.  Gerade  die  Fälle  von  Placenta 
praevia  würden  ja  überhaupt  bessere  Chancen 
haben,  wenn  sich  die  Frauen  bequemen  würden, 
in  eine  geburtshilfliche  Anstalt  oder  in  ein 
Krankenhaus  zu  gehen,  wo  sie  bei  eintretender 
Blutung  sachgemäße  Hilfe  fänden.  Ich  habe 
wiederholt  diesen  Versuch  gemacht,  sie  hierzu 
zu  bewegen;  er  ist  entweder  am  guten  Willen 
oder  an  den  ärmlichen  Verhältnissen  ge- 
scheitert, und  die  betreffenden  Mütter  sind 
später  bei  erneuter  Blutung,  bevor  Arzt  oder 
Hebamme  eintrafen,  zu  Grunde  gegangen. 
Demnach  dürfte  bei  Placenta  praevia  auch 
für  die  Zukunft  die  Prognose  nicht  zu  rosig 
erscheinen.  /Sckty»  j^lj 


Die  Behandlung:,  der  sogenannten 
skrofulösen  Augrenentzündungen. 

Von 
Dr.  Rothholz  in  Stettin. 

Wenn  ich  mein  Thema  die  Behandlung 
der  „sogenannten"  skrofulösen  Augenent- 
zündungen genannt  habe,  so  wollte  ich 
damit    andeuten,    daß    ich    die    Bezeichnung 


XIX.  Jahrgaag.1 
Aogart  1905.  J 


Rothholz,  SkrofulÖM  AugenentsttndUDgen. 


403 


als  skrofulöse  Erkrankungen  nicht  so  ohne 
weiteres  anerkenne.  In  einem  Aufsatze: 
Neuere  Anschauungen  über  Skrofulöse1) 
habe  ich  darauf  hingewiesen,  daß  die  Auf- 
fassung der  Skrofulöse  nach  zwei  Rich- 
tungen eine  Einschränkung  erfahren  habe. 
Einmal  hat  man  mit  Sicherheit  nachweisen 
können,  daß  eine  Reihe  der  als  skrofulös 
angesprochenen  Erscheinungen  tuberkulös 
sind.  Andererseits  aber  hat  man  erkannt, 
daß  Tiele,  ja  fast  alle  Gharacteristica 
skrofulöser  Leiden  die  Folge  von  Eiterungs- 
prozessen in  der  Nase,  ihren  Nebenhöhlen, 
dem  Nasenrachenraum  sein  können. 
Zieht  man  diese  beiden  Kategorien  von  dem 
Sammelbegriff  der  Skrofulöse  ab,  so  bleibt 
nur  ein  verhältnismäßig  geringer  Rest  übrig, 
den  man  wohl  der  konstitutionellen  Skrofu- 
löse zuschreiben  muß.  Ja,  es  gibt  Stimmen, 
die  auch  diesem  Rest  die  Lebensberechtigung 
absprechen  und  den  Begriff  der  Skrofulöse 
überhaupt  ausschalten  wollen,  die  also 
glauben,  daß  skrofulöse  Erkrankungen  in 
toto  entweder  bei  der  Tuberkulose  oder  bei 
den  Folgen  von  Nasen eiterungen  im  weitesten 
Sinne  untergebracht  werden  müssen. 

Nun,  auf  diesen  Streit,  den  ich  in  meinem 
damaligen  Aufsatz  ausführlicher  erörtert 
habe,  will  ich  heute  nicht  eingehen.  Mir 
kommt  es  hier  besonders  darauf  an,  auf  die 
Tatsache  hinzuweisen,  daß  eine  eminente 
Zahl  scheinbarer  Skrofulöse  durch  Nasen- 
eiterung bedingt  sein  kann,  so  viele,  daß 
die  Nasenerkrankung  für  die  Auffassung  des 
skrofulösen  Leidens  und  also  auch  für  ihre 
Behandlung  von  der  größten  Wichtig- 
keit ist. 

Wenn  ich  an  die  Haupterscheinungen  der 
sogenannten  Skrofulöse  erinnere,  an  die 
Schwellung  der  Lymphdrüsen,  die  Ekzeme 
am  Kopfe,  die  Verdickung  der  Oberlippe, 
die  Ohreiterungen  und  die  Augenentzündungen, 
so  ist  es  ja,  mit  Ausnahme  der  Augenent- 
zündungen, sehr  einfach,  sich  den  Zusammen- 
hang der  Erscheinungen  mit  eitrigen  Pro- 
zessen in  der  Nase,  dem  Nasenrachenraum, 
zu  konstruieren.  Die  Nasen eiterung  geht 
auf  dem  Wege  der  Kontinuität  weiter 
und  erzeugt  durch  Fortpflanzung,  hauptsäch- 
lich auf  den  Lymphwegen,  die  genannten 
Folgezustände.  Für  die  Augenerkrankungen 
liegt  der  Weg  nicht  so  klar.  Zwar  ist  ja 
auch  hier  eine  Verbindung  zwischen  Auge 
und  Nase  durch  den  Tränen  nasengang 
gegeben,  zwar  sind  auch  hier  Verbindungen 
durch  Gefäße  und  Nerven  vorhanden.  Es 
unterliegt  auch  keinem  Zweifel,  daß  ein 
direkter  Übergang    einer    Nasen  eiterung    auf 


die  Augen  und  ihre  Adnexe  möglich  ist. 
Aber  die  Zahl  solcher  Prozesse  ist  doch 
eine  recht  beschränkte  und  fällt  zum  Teil 
außerhalb  des  Rahmens  dessen,  was  man  als 
Augenskrofulose  bezeichnet.  —  Ich  möchte 
in  diesem  Zusammenhange  auch  erwähnen, 
daß  nach  meinen  Erfahrungen  —  ich  treibe 
auch  Nasenbehandlung  —  selbst  die  Trä- 
nensackeiterungen durchaus  nicht  so 
häufig  von  Nasenerkrankungen  bedingt  sind, 
als  man  es  meist  in  den  Lehrbüchern  ange- 
geben findet.  Man  findet  recht  oft  bei 
Tränensackeiterungen  keine  Nasenverände- 
rungen, die  man  als  Ursache  ansprechen 
könnte.   — 

Die  skrofulösen  Augenerkrankungen  spielen 
sich  bekanntlich  so  gut  wie  ausschließlich 
an  den  äußeren  Teilen  des  Auges:  Lidhaut, 
Lidrand,  Conjunctiva  der  Lider  und  des 
Bulbus,  Hornhaut  ab,  während  ein  Über- 
greifen auf  die  Vorderkammer  nur  sekundär 
und  außerordentlich .  selten  stattfindet.  Für 
diese  äußerlichen  Erkrankungen  läßt  sich 
nun  ein  innerer  Weg  von  der  Nase  zum 
Auge  nur  schwer  konstruieren.  Er  ist  aber 
auch  nicht  nötig.  Wir  haben  vielmehr 
starke  Gründe  zu  der  Annahme,  daß  diese 
Erkrankungen  durch  äußerliche  Über- 
tragung des  eitrigen  Nasenschleims  oder 
des  Sekrets  von  Ekzemen  am  Kopfe  erzeugt 
werden. 

Wenn  man  bedenkt,  daß  in  einem  guten 
Teil  der  Ekzeme,  um  die  es  sich  hier 
handelt,  Staphylokokken  nachgewiesen  sind, 
und  wenn  festgestellt  ist,  daß  bei  den 
skrofulösen  Augenaffektionen,  sie  mögen 
Lidrandentzündungen,  Konjunktival-Katarrhe, 
Phlyktänen,  Hornhautinfiltrate  sein,  gleich- 
falls in  großen  Untersuchungsreihen  Staphylo- 
kokken gefunden  worden  sind9),  so  wird 
damit  ein  solcher  ätiologischer  Zusammen- 
hang schon  wahrscheinlich.  Aber  damit 
nicht  genug,  hat  man  experimentell  gezeigt3), 
daß  es  möglich  ist,  durch  Staphylokokken, 
die  man  in  Bindehautverletzungen  einbringt, 
bei  Menschen  und  Tieren  Erscheinungen 
hervorzubringen,  welche  denen  der  Augen- 
skrofulose gleichen,  und  zwar  auch  bei 
solchen  Individuen,  welche  eine  konstitutio- 
nelle Skrofulöse  nicht  zeigen.  Auf  Grund 
dieser  Ergebnisse  hat  man  vorgeschlagen, 
die  Bezeichnung:  skrofulöse  Augen  entzün- 
dungen     fallen     zu     lassen,     vielmehr     von 


')  Therap.  Monaten.,  Dezember  1899. 


*)  Straub,  Arch.  für  Augenheilkunde  XXV, 
3,  4.  —  Bach  und  Neumann,  ibidem  XXXIV,  4. 
—  Bach,  Graefes  Arch.  f.  Ophthalm.  XLI,  1,2; 
XLII,  1.  —  Uhthoff  und  Axenfeld,  ibidem 
XLII,  1;  XLIV,  1. 

*)  Bach  und  Neumann,  Arch.  f.  Augen- 
heilk.  XXXVII,  1,  S.  81. 


404 


Roth  holz,  Skrofulös«  Augenenteünducgen. 


rTherap«ntiaeh« 
L   Monmteh«fte. 


ekzematösen  Bindehaut-  und  Horn- 
haut-Erkrankungen zu  sprechen.  Man 
bringt  also  mit  anderen  Worten  diese  Augen- 
erkrankungen mit  den  Gesichtsekzemen,  die 
ja  so  oft  von  Naseneiterungen  herrühren, 
in  eine  Rubrik,  man  betrachtet  sie  als 
Augenekzeme.  Nun  ist  es  ja  bekannt, 
daß  die  Dermatologen  ein  Ekzem  der 
Schleimhäute  nicht  zugeben.  Indes  ist  auf 
diesen  Einwand  zu  erwidern,  daß  die  Con- 
junctiva  nur  in  beschränktem  Umfange 
Schleimhautcharakter  besitzt.  Das  Zylinder- 
epithel geht  nach  der  Hornhaut  zu  all- 
mählich in  Plattenepithel  über,  wird  also 
epidermisch,  und  bekanntlich  spielen  sich  ja 
erst  hier,  in  nächster  Nähe  der  Hornhaut, 
die  in  Frage  stehenden  Augenaffectionen  ab, 
während  die  Peripherie  der  Conjunctiva 
bulbi  frei  bleibt,  abgesehen  von  dem  diffusen 
Katarrh. 

Wenn  ferner  für  das  Entstehen  des 
Ekzems  der  Haut  eine  .Alteration  des  Epi- 
thels angenommen  wird,  so  muß  darauf 
hingewiesen  werden,  daß  dieses  Postulat 
auch  an  den  Augen  erfüllt  ist,  und  daß  bei 
den  augenkranken  Kindern  —  um  solche 
handelt  es  sich  ja  stets  —  mehr  als  genug 
Gelegenheit  gegeben  ist,  die  Augenepithelien 
zu  verletzen  und  in  diese  Verletzungen 
hinein  den  infizierenden  Stoff  zu  impfen. 

Die  kranken  Kinder,  von  starker  Licht- 
scheu geplagt,  bohren  sich  mit  dem  Gesicht 
in  die  Kopfkissen,  pressen  die  Fäuste,  die 
reichlich  Schleim  und  Eiter  aus  der  Nase 
und  ihrer  Umgebung  aufgenommen  haben, 
in  die  Augen;  die  Mütter  malträtieren  die 
Augen  mit  den  so  beliebten  Kamillenthee- 
umschlägen,  unter  deren  feuchter  Wärme  die 
Kokken  gut  gedeihen,  sie  binden  den 
Kindern  die  Augen  fest  zu,  wodurch  das 
Sekret  gestaut  und  in  die  Schleimhaut 
gedrückt  wird,  kurz,  es  sind  alle  Bedingungen 
erfüllt,  um  Epithelverletzungen  und  Infekti- 
onen durch  Eitererreger  experimentell  zu 
erzeugen. 

Und  mit  diesen  theoretischen  Über- 
legungen stimmen  ja  die  Erfahrungstatsachen 
gut  zusammen.  Man  findet  bei  dem  größten 
Teil  der  augenkranken  Kinder  eitrig-schlei- 
mige Absonderung  aus  der  Nase,  oft  mit 
ihren  Folgezuständen,  Ekzemen  im  Gesicht 
usw.  Man  kann  oft  genug  feststellen,  daß 
Rezidive  der  Augenerkrankung  mit  solchen 
der  Naseneiterung  zusammen  auftreten,  und 
das  Schlagendste  ist,  man  kann  verhältnis- 
mäßig schnell  Besserung  erzielen,  wenn  es 
gelingt,  weitere  Übertragung  des  Nasen- 
schleims auf  die  Augen  zu  verhüten. 
Hierauf  aber  möchte  ich  in  diesem  Aufsatze 
besonders  hinweisen. 


Für  die  Behandlung,  auf  die  ich  jetzt 
übergehe,  wäre  es  natürlich  das  rationellste, 
die    Naseneiterung  und   etwaige   konsekutive 
Ekzeme   am    Gesicht  und   Kopf  schnellstens 
zu  beseitigen.      Das   geht  aber  oft   genug 
nicht  so  schnell,  als  es  die  Behandlung  des 
Augenleidens     erfordert.       Ich    mochte     bei 
dieser    Gelegenheit    darauf    hinweisen,     wie 
wichtig    die    schleunigste    Beseitigung   der 
skrofulösen  Augenerkrankung  in  jedem  Falle 
ist.   Die  H or  n  h au  t  ist  fast  stets  affiziert  oder 
in  Gefahr,  ergriffen  zu  werden,  und  jede  Horn- 
hauterkrankung bedeutet  ja  einen  unheilbaren 
Fleck,  also  Schädigung   des  Sehvermögens, 
und    jeder    Nachschub    bringt    einen    neuen 
Fleck,     eine    neue     ernste     Gefahr    für     das 
Sehen.     Man   kann    deshalb   nicht  abwarten, 
bis  man  die  Naseneiterung  geheilt  hat,    und 
damit     eine      neue      Infektion     des     Auges 
unmöglich    ist,    sondern    muß    Vorkehrungen 
treffen,  das  Kind    sofort    gegen   seine  Nase 
und  die  Unvernunft  der  Mutter  zu  schützen. 
Man  hat  also   erstens   dafür   zu  sorgen,    daß 
das    Kind    nicht    mit    den    Händen    an    die 
Augen  kommen  kann.     Bei    der  Wichtigkeit 
dieses  Punktes    scheue    ich    mich  nicht,    bei 
kleinen  Kindern    eventuell   die  Hände  einige 
Tage    fesseln    zu    lassen.     Oft  reicht  ja  die 
bekannte  Pappröhre  aus,    die   das  Ellbogen- 
gelenk   feststellt.       Ein     anderer    bekannter 
Kunstgriff     besteht    darin,     daß    man    dem 
Kinde  ein  Hemd  eines   größeren  Kindes    an- 
zieht,  die    beiden    überstehenden    Ärmel    in 
einen   Knoten  zusammenbindet,   so   daß  das 
Kind    wohl    die    Arme   bewegen,    aber  nicht 
bis  zum  Gesicht  heben  kann.      Ferner  muß 
man  die  Mütter  anweisen,  die  Kinder  nicht 
mit    dem   Gesicht  nach  unten   im  Bette 
liegen  zu  lassen.     Das  gelingt  auch  meistens, 
wenn    man    die  Augen   in  geeigneter  Weise, 
bei    größeren    Kindern    durch    eine    dunkel- 
graue Schutzbrille,  bei  kleineren  durch   einen 
Pappschirm,     gegen     helles     Licht    schützt. 
Jedenfalls    aber    sollen    auf  das   Kopfkissen 
saubere,    öfter    zu    wechselnde     Tücher     ge- 
breitet werden,    damit    das  Kind   sich    nicht 
immer  von  neuem  an  dem  Schmutzdepöt  auf 
dem     Kopfkissen    infizieren    kann.       Solche 
Schmutzdepöts  finden  sich    oft  auch  auf  der 
Schulter    der    Mütter,     die    das     Kind    mit 
Vorliebe  herumtragen,  wobei  es  seine  Augen 
gegen     die     Schulter    drückt.       Man     dringe 
deshalb    darauf,    daß    die    Kinder   nicht  ge- 
tragen   werden,    sondern    laufen     —    schon, 
damit    sie    gezwungen   sind,    die    Augen   zu 
öffnen,    ein    wichtiges    Moment,    weil    damit 
die     Sekretstauung    beseitigt    wird.      Nicht 
unerwähnt   darf    auch   der  Umstand  bleiben, 
daß  zum  Reinigen  der  Augen  nicht  ein  Tuch 
benutzt  werden  darf,   das   für   die  Nase  ge- 


XIX.  Jahrgang .1 
Anguat  1906.  J 


Roth  ho ls,  Skrofulös«  Augenentsündungeo. 


405 


braucht  wird,  und  daß  die  Pflegerin,  wenn 
sie  Medikamente  an  die  Augen  bringt,  sich 
vorher  die  Hände  zu  waschen  hat.  Freilich 
werden  in  Arbeiter  kr  eisen  diese  Wünsche 
nicht  stets  erfüllt  werden  können.  Indes 
sind  sie  für  die  Sicherheit  schnellen  Er- 
folges wichtig  und  deshalb  zu  betonen. 

Was  nun  die  Nase  selbst  betrifft,  so 
soll  man  natürlich  zuerst  für  die  Beseiti- 
gung de  8  Sekret  8  Sorge  tragen.  Daß 
man  zu  diesem  Zwecke  ältere  Kinder  zu 
methodischem,  kräftigem  Schnauben  an- 
halten soll,  ist  ja  selbstverständlich.  Er- 
wähnt werden  darf  wohl  hierbei,  daß  man 
das  kräftige  Schnauben  nicht  in  der  ge- 
wöhnlichen Art  ausführen  lassen  soll,  indem 
beide  Nasenseiten  zugekniffen  werden,  son- 
dern durch  jede  Nasenseite  einzeln.  Man 
vermeidet  auf  diese  Weise  besser,  daß  das 
Nasensekret  in  die  Eustachischen  Rohren 
hineingetrieben  wird.  Bei  kleinen  Kindern 
blase  ich  mittelst  eines  Glasröhrchens,  an 
welchem  ein  Gummirohr  angebracht  ist,  in 
jede  Nasenseite:  Sozojodolzink  1,  Amylum  20. 
Diese  Einblasung  soll  nicht  nur  medikamentös 
wirken,  sondern  sie  schafft  auch,  wenn  man 
kräftig  bläst,  das  Nasensekret,  das  im 
Strome  aus  der  anderen  Seite  herausstürzt, 
gründlich  fort.  Man  kann  eventuell  den 
Angehörigen  ein  solches  Röhrchen  mitgeben 
and  sie  anweisen,  mehrmals  täglich  —  ohne 
Pulver  —  die  Nase  auszublasen. 

Auf  nässende  Gesichtsekzeme  pulvere 
ich  in  dicker  Schicht  Airolpulver  auf,  das 
als  Schutzdecke  liegen  bleibt. 

Von  allgemeinen  Maßnahmen  ist  noch 
die  Notwendigkeit  hervorzuheben,  die  Kinder 
möglichst  viel  an  die  frische  Luft  zu  bringen. 
Hier  stößt  man  ja  meist  auf  großen  Wider- 
stand, auf  die  Furcht  vor  dem  „Zug"  bei 
den  Müttern.  Doch  müssen  die  Kinder 
ins  Freie  gebracht  werden,  nachdem  man 
ihnen  durch  Brille  oder  Lichtschirm  Schutz 
gegen    die    Lichtscheu    verschafft  hat. 

Auf  die  eigentliche  Behandung  der  Nase, 
die  ja  mit  den  Sozojodoleinblasungen  nicht 
erledigt  ist,  will  ich  hier  nicht  eingehen. 
Sie  ist  natürlich  erforderlich,  um  Rezidiven 
vorzubeugen.  Nur  an  die  adenoiden  Wuche- 
rungen möchte  ich  erinnern,  welche  oft 
genug  die  Ursache  für  rezidivierende  sogen, 
skrofulöse  Augenentzündungen  siud  und  des- 
halb entfernt  werden  müssen. 

Mit  einigen  Worten  will  ich  noch  über 
die  eigentliche  lokale  Behandlung  der  Augen 
sprechen.  Von  den  Symptomen  steht  hier 
die  Lichtscheu  und  ihre  Bekämpfung  im 
Vordergründe,  und  diese  ist  fast  ausschließ- 
lich durch  Beteiligung  der  Hornhaut  bedingt. 
Man  kann  ohne  weiteres  annehmen,  daß  ein 

Thu  M.  1905. 


solches  Kind,  das  die  Augen  zukneift,  eine 
Entzündung  der  Hornhaut  in  irgend  einer 
Form  hat,  und  hier  kann  man  durch  geeig- 
netes Atropinisieren  schon  viel  zur  Linderung: 
der  Reizerscheinungen  beitragen.  Natürlich 
soll  man  sich  in  jedem  Falle  bemühen,  sich 
die  Hornhaut  zu  Gesicht  zu  bringen,  und 
wird  bei  geeigneter  Lagerung  und  mit  dem 
Lidhalter  und  Geduld  auch  dahin  gelangen. 
Wenn  nicht,  so  kann  man  zunächst  getrost 
erst  A tropin  in  den  Konjunktivalsack  bringen 
und  wird  dann  oft,  wenn  die  Atropin Wirkung 
eingetreten  ist,  mit  leichter  Mühe  das  Auge 
öffnen  können.  Freilich  wird  das  Ein- 
bringen der  Atropin lösung  oft  Schwierig- 
keiten bereiten,  auch  nicht  immef  nützen, 
weil  durch  die  Tränen  die  Losung  sofort 
herausgeschwemmt  wird.  Es  empfiehlt  sich 
deshalb  für  solche  Fälle  das  Einbringen  des 
trockenen  Atropins  in  Substanz,  von  dem 
ein  minimales  Körnchen  mittels  einer  glatten 
Sonde  aufgenommen  und  in  dem  Konjunkti- 
valsack abgestreift  wird.  Doch  kann  man 
natürlich  dieses  Atropin  in  Substanz  den 
den  Angehörigen  nicht  in  die  Hände  geben. 

Bei  der  Behandlung  dieser  Affektionen 
muß  man  überhaupt  den  Grundsatz  beachten, 
daß  Feuchtigkeit  den  Augen  möglichst 
fernzuhalten  ist.  Ich  erwähnte  schon  die 
beliebten  Kamillentheeumschläge  der  Mütter. 
Sie  sind  aufs  strengste  zu  verbieten.  Auch 
das  Verbinden  der  Augen  ist  schädlich,  weil 
sich  unter  dem  Verbände  feuchte  Wärme 
entwickelt,  die  zu  vermeiden  ist.  Bei  ein- 
seitigen Erkrankungen  läßt  man  deshalb  das 
Auge  mit  einer  lockeren  Klappe  gegen 
das  Licht  schützen,  bei  doppelseitiger,  wie 
schon  erwähnt,  durch  eine  dunkelgraue 
Muschelbrille  resp.  bei  kleinen  Kindern 
durch  einen  Lichtschirm. 

Aus  dem  Gesichtspunkte,  Feuchtigkeit 
zu  vermeiden,  wende  ich  namentlich  im 
Anfange  eine  Salbe  aus  Airol  1,0,  Unguentum 
leniens  14,0  an,  welche  in  den  Konjunktival- 
sack hinein  und  auf  die  Lider  gestrichen 
wird.  Sie  soll  nicht  nur  heilend  auf  den 
Prozeß  wirken,  sondern  auch  dazu  dienen, 
Keime,  die  doch  noch  in  das  Auge  gelangen, 
einzuhüllen  und,  soweit  möglich,  unschädlich 
zu  machen.  Diese  Salbe  lasse  ich  auch  auf 
trockene  Gesichtsekzeme  streichen,  um  sie 
zu  bedecken,  vor  Berührung  zu  schützen. 
Daß  ausgedehntere  Ekzeme,  besonders  auf 
dem  beharrten  Kopfe,  speziell -dermato- 
logischer Behandlung  bedürfen,  braucht  wohl 
kaum  erwähnt  zu  werden. 

Nur  wenn  stärkere  Schleim-  oder  Eiter- 
sekretion an  der  Bindehaut  besteht,  wird 
man  zu  Lösungen  (schwachen  Argentum 
nitricum  -  Einträuflungen)      greifen      müssen. 

31 


406 


Bar  dach,  Araen-Farratoae. 


Auch  wird  unter  Umstanden  ein  größeres 
Hornhaut-Ulcus,  das  starke  Schmerzen  macht, 
einen  Augenverband  erfordern,  der  aber  mit 
Vorsicht  und  möglichst  kurze  Zeit  zu  ver- 
wenden ist. 

Zur  Anwendung  der  bekannten  gelben 
Quecksilberoxydsalbe  wird  man  erst  dann 
übergehen,  wenn  die  Reizerscheinungen 
seitens  der  Hornhaut  erheblich  zurückge- 
gangen sind.  Die  gelbe  Salbe  kann  dann, 
zweckmäßigerweise  mit  Hornhautmassage 
vereinigt,  lange  Zeit,  unter  Umständen 
monatelang,  angewendet  werden.  Es  ge- 
lingt so  manchmal,  frische  Hornhautflecke 
erheblich  zu  verdünnen. 

Ich  will  diese  speziell  augenärztlichen 
Vorschriften  hier  nicht  weiter  ausfuhren. 
Es  war  ja  vielmehr  meine  Absicht,  auf  die 
Wichtigkeit  anderer  Momente  aufmerksam 
zu  machen,  ganz  speziell  auf  die  hervor- 
ragende Bedeutung  der  Nasen eiterungen 
für  die  Behandlung  und  die  Prophylaxe  der 
sogen,  skrofulösen  Augenentzündungen.  Ich 
halte  für  viele  Fälle  die  Beachtung  dieser 
Nasenerkrankung,  die  Verhütung,  daß  die 
Naseneiterkeime  immer  wieder  in  die  Augen 
hineingeimpft  werden,  für  mindestens  ebenso 
wichtig  als  die  lokale  Behandlung  der  Augen. 

Gegen  ein  Mißverständnis  möchte  ich 
mich  aber  zum  Schluß  noch  verwahren.  Ich 
behaupte  nicht  etwa,  daß  nun  alle  skrofu- 
lösen Augenerkrankungen  durch  Naseneite- 
rungen und  deren  Begleiterscheinungen  her- 
vorgerufen werden.  Ich  wage  nicht,  die 
Behauptung  aufzustellen,  daß  eine  konstituti- 
onelle Skrofulöse  überhaupt  nicht  existiere. 
Sondern  ich  hebe  als  Quintessenz  dessen, 
was  ich  hier  entwickelt  habe,  den  Satz 
heraus,  daß  bei  der  Behandlung  soge- 
nannter skrofulöser  Augenerkrankun- 
gen die  Nasenaffektionen  und  deren 
Begleiterscheinungen  auf  das  drin- 
gendste Berücksichtigung  erfordern. 


Über  Anwendung  und  Wirkung 
der  Arsen-Ferratose. 

Von 
Dr.  L.  Bardach  in  Kreuznach. 

Nach  der  alten  Theorie  von  Binz  und 
Schulz  gehört  das  Arsen  zu  den  Sauerstoff- 
mitteln. 

Die  beiden  Forscher  nahmen  an,  daß  das 
lebende  Eiweißmolekül  der  Körperorgane  in 
verschiedener  Stärke  die  arsenige  Säure  ver- 
brenne; je  reicher  die  betreffenden  Organe  an 
Zellen  waren,  desto  lebhafter  sei  die  Ver- 
brennung, das  Bindegewebe  oxydiere  am 
schwächsten.  Umgekehrt  reduzieren  dieParen- 


L   Monatshefte, 


chymorgane  die  Arsensäure,  am  meisten  das 
Blut.  Dieses  Hin-  und  Hernottieren  des 
Sauerstoffes  zwischen  den  zellreichen  Or- 
ganen und  dem  Blute  wirkt  als  starker  Reiz 
auf  den  Stoffwechsel.  Schon  Binz  nahm  eine 
fermentartige  Wirkung  des  Arsens  an. 

Für  diejenigen,  welche  früher  über  Arsen- 
wirkung schrieben,  hatte  diese  Vorstellung, 
wie  Unna  in  Eulenburgs  „Handbuch  der 
allgemeinen  Therapie tt  treffend  bemerkt,  etwas 
Unbehagliches.  Die  neueren  Forschungen  über 
die  katalytischen  Wirkungen  von  Körpern, 
„welche  durch  ihre  bloße  Gegenwart  und 
nicht  durch  ihre  Verwandtschaft  die  bei 
bestimmter  Temperatur  schlummernde  Ver- 
wandtschaft zu  wecken  vermögen,  so  daß  zu- 
folge derselben  die  Elemente  sich  in  anderen 
Verhältnissen  ordnen,  in  Verhältnissen,  durch 
die  eine  größere  elektrochemische  Neutrali- 
sierung hervorgebracht  wird",  (Berzelius) 
fügen  den  älteren  Vorstellungen  über  die 
Wirkung  des  Arseniks  einen  neuen  Wert  zu. 
Die  Hemmung  der  Oxydationsvorgänge,  die 
Retardation  des  Zellstoffwechsels  ist  durch 
die  Hilfshypothese  einer  katalytischen  oder 
Fermentwirkung  des  Arseniks  leichter  er- 
klärbar. 

Ostwald  betont  in  seinem  Vortrag  über 
Enzyme1),  daß  zur  Regelung  der  Reaktions- 
geschwindigkeit (in  unserem  Fall  des  Sauer- 
stoffes) nur  noch  die  Anwendung  von  Kataly- 
satoren übrig  bleibt,  welche  allerdings  die 
Aufgabe  mit  idealer  Vollkommenheit  zu  lösen 
gestatten.  Die  Möglichkeit,  daß  die  spezi- 
fischen Wirkungen  des  Arseniks  von  einem 
Dissoziationsprodukt,  entweder  dem  Metalle 
selbst  oder  einer  Sauerstoffverbindung  in  Ionen- 
form, bedingt  werden,  nimmt  auch  Schmiede- 
berg in  der  neuesten  4.  Auflage  seines  Grund- 
risses der  Pharmakologie  an.  Letzterer  er- 
wähnt auch  die  Arsenikesser  und  ihre  Dosen 
(bis  zu  0,4  g);  er  macht  auf  die  Widersprüche 
aufmerksam,  die  in  den  Arbeiten  über  Stoff- 
wechselvorgänge vorhanden  sind. 

Für  sicher  erwiesen  hält  Schmiedeberg 
nur  die  gefaßerweiternde  Wirkung  des  Mittels 
und  die  dadurch  bedingte,  oft  nur  auf  be- 
stimmte Organe  beschränkte  bessere  Ernährung. 

Bethmann9)  hat  in  einer  Arbeit,  die 
durch  experimentelle  Untersuchungen  gestützt 
war,  Veränderungen  an  roten  Blutkörperchen 
konstatiert,  die  mit  der  Annahme  nicht  in 
Widerspruch  stehen,  daß  die  Arsen  Wirkung 
eine  Enzymwirkung  ist.  Mit  der  Enzym- 
wirkung stimmt  auch  überein  die  Erfahrung 
über  den  Gebrauch  der  kleinen  Dosen  aroen- 

l)  Vortrag  auf  der  Hamburger  Naturforscher- 
Versammlung  (1901)  gehalten. 

*)  Der  Einfluß  des  Arsens  auf  das  Blut  and 
das  Knochenmark  des  Kaninchens  (Heidelberg  1893). 


XIX.  Jahrgaag.1 
Aggnat  I9QS.  J 


Bardach,  AtMn-Femtot«. 


407 


haltiger  Mineralwässer,  in  denen  das  Arsenik 
sicher  nur  in  dissoziierter  Form  enthalten  ist 
und  darum  zu  um  so  intensiverer  Wirkung 
gelangt. 

Die  Erfahrungen,  die  ich  mit  Arsenwässern 
in  einer  langjährigen  Praxis  gesammelt,  ließen 
es  mir  naheliegend  und  zweckmäßig  erscheinen, 
mit  einer  konstant  zusammengesetzten  halt- 
baren und  flüssigen  Form  der  Arsen  darr  eichung 
einige  Versuche  zu  machen. 

Ein  diesen  Anforderungen  entsprechendes 
Präparat  ist  die  „Arsen-Ferratose",  die  mir 
von  der  Firma  C.  F.  Boehringer  u.  Söhne  zur 
Verfugung  gestellt  wurde.  Die  klinische 
Arsen-Ferratose  enthält  in  wohlschmeckender 
Lösung  als  -wirksamen  Bestandteil  Arsen- 
Ferratin. 

Das  Arsen-Ferratin  stellt  den  für  die 
vielseitige  Anwendung  wichtigen  Versuch  dar, 
Arsen-  und  Eisen  Wirkungen  zu  kombinieren, 
in  ähnlicher  Weise,  wie  dies  z.  B.  im  Levico- 
Wasser  der  Fall  ist.  Eine  Tagesdosis  der 
Arsen-Ferratose  gleich  3  Eßlöffel  oder  50  g 
enthält  0,25  Ferratin  und  0,00075  Arsenik 
organisch  miteinander  verbunden. 

Über  Ferratin  und  Ferratose  existiert  ja 
bereits  eine  umfangreiche  Literatur,  auf  die 
ich  verweise.  Die  Verabreichung  des  neuen 
Präparates  geschah  meist  V*  Stunde  nach  der 
Mahlzeit,  wobei  nur  scharfe  Speisen,  Salate, 
rohe  Früchte  u.  s.  w.  vermieden  wurden. 

Gemäß  der  Beschaffenheit  meiner  Kranken 
in  Kreuznach  habe  ich  hauptsächlich  skrofu- 
löse, anämische  Krankheiten  und  ihre  Folge- 
zustände, insbesondere  bei  den  Frauen  und 
Kindern,  zur  Verfugung  gehabt,  ferner  die 
verschiedenen  Formen  der  Dermatosen  und 
protrahierte  Rekonvaleszenz. 

Meine  Beobachtungen  erstrecken  sich  vor- 
läufig auf  20  Kranke,  welche  im  verschiedensten 
Lebensalter  standen,  und  deren  Erkrankung 
eine  Eisen-Arseniktherapie  wünschenswert 
erscheinen  ließ. 

Für  Erwachsene  wurden  meist  3 — 4  Eß- 
löffel täglich  verordnet,  in  einzelnen  Fällen 
bis  zu  6  Eßlöffel  gestiegen,  für  größere 
Kinder  genügten  3  Kinderlöffel,  für  kleinere 
3   Theelöffel. 

Neben  der  tonisierenden  Eigenschaft  war 
auch  in  den  Fällen,  wo  lokale  therapeutische 
Maßnahmen  nötig  waren,  eine  günstige  Beein- 
flussung durch  dieses  Mittel  zu  ersehen,  be- 
trächtliche Körpergewichtszunahme,  blühen- 
deres Aussehen  und  erhöhtes  Kräftegefühl 
sprechen  am  deutlichsten  für  die  gute  Be- 
kömmlichkeit. Einen  Widerstand  der  Pa- 
tienten gegen  die  Verabreichung  vermochte 
ich  in  keinem  Falle  zu  beobachten,  der  Ge- 
schmack und  die  bequeme  Form  des  Mittels 
wurden  gelobt. 


Über  die  Spaltung  des  Arsen-Ferratins  im 
Magen  stellte  auf  mein  Ersuchen  ein  be- 
freundeter  Chemiker  folgenden  Versuch   an: 

5  g  Arsen-Ferratin  (As  —  0,2  Proz.),  ent- 
haltend 0,01  g  Arsen,  wurden  während  48  Stun- 
den mit  Pepsinsalzsäure  im  Thermostaten  bei 
38°  C.  geschüttelt.  Aus  dem  Verdauungs- 
produkt wurde  die  Arsenferratinalbumose 
durch  Essigsäure  ausgefällt,  abfiltriert  und 
ausgewaschen. 

Die  vereinigten  albumosenfreien  Fil träte 
und  Waschwässer  enthielten  0,00055  g  Arsen. 
Demnach  sind  durch  die  Pepsinsalz  säure- Ver- 
dauung 5,5  Proz.  des  gesamten  Arsens  ab- 
gespalten, während  94,5  Proz.  des  Gesamt- 
arsens fest  an  Ferratin  bezw.  dessen  Ver- 
dauungsprodukte gebunden  blieben. 

Folgende  Krankengeschichten  mögen  die 
klinischen  Erfolge  darstellen: 

1.  Rose  B.,  17  J.  alt,  Anämie,  unregelmäßige 
prämaturierte  Menstruation  mit  Schmerzen  vor  Ein- 
tritt derselben.  Starkes  Müdigkeitsgefühl  schon 
nach  kleinen  Spaziergängen,  zeitweise  Nasenbluten 
und  Kopfschmerzen  in  den  Vormittagsstunden.  Sie 
hat  seit  Jahren  mitünterbrechungLevico-,  Roncegno- 
und  Gaberquelle  gebraucht.  Neben  Kreuznacher 
Solbädern  wurde  Arsen-Ferratose  anfanglich  2  mal 
täglich  nach  den  Mahlzeiten  verordnet  und  allmäh- 
lich auf  4  Eßlöffel  im  ganzen  gesteigert  Das  Mittel 
wurde  durch  5  Wochen  gern  genommen,  beein- 
trächtigte in  keiner  Weise  den  Appetit  und  be- 
wirkte bei  der  Patientin  eine  weniger  schmerzhafte 
Menstruation,  das  Aussehen  war  frischer,  das  Kräfte- 
Gefühl  zeigte  sich  gesteigert,  so  daß  das  junge 
Mädchen  stundenlange  Spaziergänge  ohne  Ermüdung 
machen  konnte. 

2.  Gretchen  K.,  23  J.  alt,  litt  seit  ca.  2  Jahren 
an  Furunculosis,  besonders  der  Hals-  und  Nacken- 
gegend.  Gesundheitszustand  sonst  gut,  kein  Zucker. 
Im  vergangenen  Jahre  waren  Schwefelbäder  ge- 
braucht worden,  aber  im  Verlauf  des  Winters  hatten 
sich  wieder  größere  Eruptionen  gezeigt.  Arznei- 
mittel waren  bis  jetzt  nicht  gebraucht  worden.  Eine 
5  wöchentliche  Kreuznacher  Badekur  und  Arsen- 
Ferratose  3  mal  täglich  1  Eßlöffel  während  4  Wochen 
schienen  einen  günstigen  Einfluß  auf  die  Furun- 
culosis ausgeübt  zu  haben,  da  die  bestehenden  sehr 
schnell  in  Heilung  übergingen  und  neue  sich  nicht 
zeigten.  Auch  im  Verlauf  des  folgenden  Wiuters 
ist  die  junge  Dame  von  Erscheinungen  frei  ge- 
blieben. 

3.  Edith  B.,  20  J.  alt  Anämie  und  Dysmenor- 
rhöe. Die  starken,  sich  bis  ins  Unerträgliche  steigern- 
den Schmerzen,  besonders  am  ersten  Tage  der 
Menstruation,  haben  nicht  unbeträchtliche  Störung 
des  Allgemeinbefindens  hervorgerufen  und  auch  die 
Unbequemlichkeiten  der  Anämie  fühlbarer  als  ge- 
wöhnlich gemacht.  Es  waren  schon  2  mal  Solbäder 
hier  gebraucht  worden,  auch  Eisenpräparate  ver- 
schiedenster Art.  Dieses  Mal  wurde  bei  Kreuz- 
nacher Bädern  Arsen-Ferratose  verordnet,  und  konnte 
ein  zufriedenstellender  Erfolg  erzielt  werden,  da 
sich  die  nächste  Menstruation  mit  geringeren  Be- 
schwerden vollzog.  Im  ganzen  wurde  Arsen- 
Ferratose  6  Wochen  hindurch  bis  zu  5  Eßlöffel 
täglich  genommen  und  gut  vertragen. 

4.  Therese  D.,  Stubenmädchen,  25  J.  alt,  Ohio- 
rosis.  Als  junges  Mädchen  stets  gesund,  konnte 
sie    sich  nach  einem  vor  3  Jahren    überstandenen 

31* 


408 


Bar  dach,  Ara«n-F«mtote. 


[Therapeutisch« 
Monatshefte. 


typbösen  Fieber  nie  wieder  ganz  erholen.  Großes 
Müdigkeitsgefühl,  Schlafsucht  und  Kopfschmerzen 
ließen  ihr  das  Leben  als  Qual  erscheinen,  und 
glaubte  sie  den  leichten  Dienst  bei  ihrer  Herrin 
nicht  mehr  leisten  zu  können.  Appetit  gering, 
Widerwille  gegen  Fleisch,  Milch  wurde  nur  zeit- 
weise vertragen.  Da  die  Patientin  schon  in  Paris 
eine  große  Reihe  Eisen-Spezialpräparete  genommen 
hatte,  bestand  bei  ihr  nun  Abneigung  gegen  Medi- 
kamente. Ein  deutsches  Mittel  wollte  sie  noch 
einmal  versuchen,  und  so  nahm  sie  Arsen-Ferratose, 
nachdem  sie  einen  guten  Einfluß  auf  ihren  Appetit 
und  ihren  sonstigen  Zustand  wahrnahm,  volle 
8  Wochen  hindurch,  anfänglich  2  Eßlöffel  täglich, 
während  der  Mahlzeiten  bis  zu  4  Eßlöffel.  Die 
Patientin  fühlte  sich  sehr  gestärkt,  ihr  Aussehen 
war  frisch  und  die  Schleimhaut  fast  zur  Norm  zu- 
rückgekehrt. 

5.  Frau  E.,  43  J.  alt,  chronisches  Ekzem  des 
Gesichts.  Patientin  leidet  an  demselben  seit  fast 
einem  Jahre,  zu  gleicher  Zeit  besteht  Anämie. 
Lokal  wird  Past.  Lassar.  und  innerlich  Arsen-Ferra- 
tose angewendet.  Die  Heilung  vollzieht  sich  im 
Laufe  von  ]0  Tagen.  Arsen-Ferratoso  wird  weiter 
genommen    und    beeinflußt   günstig  die  Blutarmut. 

6.  Frau  S.,  41  J.,  leidet  an  Acne  vulgaris  des 
Gesichts  und  des  Rückens.  Lokal  Resorcin-Lanolio, 
und  Gebrauch  der  Kreuznacher  Seife,  innerlich 
Arsen-Ferratose  3  mal  täglich  1  Eßlöffel  steigend 
bis  auf  6  Eßlöffel  täglich.  Das  Medikament  wird 
gern  genommen  und  gut  vertragen.  Die  günstige 
Beeinflussung  des  Leidens  ist  wohl  nicht  zum 
mindesten  auch  zum  großen  Teil  diesem  zu  ver- 
danken. 

7.  Herr  Rektor  H.,  59  J.  alt,  Psoriasis  vul- 
garis universalis,  verbunden  mit  großer  Nervosität. 
Sein  Hautleiden  besteht  seit  Jahrzehnten  und 
peinigt  ihn  in  den  letzten  Jahren  durch  ein  Haut- 
jucken. Die  Kreuznach  er  Bäder  beeinflussen  die 
Krankheit  in  günstiger  Weise,  zugleich  wird  auch 
Arsen-Ferratose  genommen.  Dieselbe  wird  gern 
genommen  und  gut  vertragen,  Patient  fühlt  sich 
frischer  und  kräftiger  und  klagt  nicht  mehr  über 
Jucken.  Im  ganzen  wird  das  Medikament  etwas 
über  9  Wochen  gebraucht. 

8.  Marga  S.,  16  J.  alt,  Anämie  und  Neigung 
zu  Ekzem.  Behandlung  Kreuznacher  Bäder  und 
Arsen-Ferratose,  2 mal  täglich  1  Eßlöffel  beginnend 
und  bis  4  Eßlöffel  täglich  steigend..  Das  junge 
Mädchen  hat  nach  5  wöchentlicher  Behandlung  ein 
frisches  Aussehen  erlangt,  die  Ekzemerscheinungen 
sind  bei  gleichzeitiger  milder  Salbenbehandlung  ge- 
schwunden. 

9.  Herr  W.,  34  J.  alt,  Stationsassistent,  Ec- 
zema vesiculosum.  Das  Leiden  besteht  seit  einer 
Reihe  von  Jahren  und  peinigt  den  Witterungs- 
insulten ausgesetzten  Patienten  sehr.  Lokale  Salben- 
behandlung und  Arsen-Ferratose  bewirken  nach 
3  Wochen  eine  vollständige  Herstellung.  Arsen- 
Ferratose  wird  bis  6  Eßlöffel  täglich  gut  vertragen. 

10.  Fräulein  E.H.,  27  J.,  Lehrerin,  Neigung 
zu  Ekzemen  und  Blutarmut.  Behandlung  Kreuz- 
nacher Bäder  und  Arsen-Ferratose.  Das  blasse 
Aussehen  der  Patientin  machte  einer  frischen  Ge- 
sichtsfarbe Platz,  und  die  Reizerscheinungen  der 
Haut  verschwanden  vollständig  nach  5  wöchentlicher 
Behandlung.  Arsen-Ferratose  wurde  3 mal  täglich 
1  Eßlöffel  genommen. 

11.  Lina  W.,  18  J.  alt,  Anämie,  Ekzem  des 
Gesichts  und  Schwellung  der  Halsdrüsen.  Das 
junge  Mädchen  hatte  schon  im  vergangenen  Jahre 
eine  Kreuznacher  Badekur  gebraucht,  welche  eine 
wesentliche  Verminderung  der  Drüsenerscheinungen 


herbeigeführt  hatte.  Im  Lauf  des  Winters  war 
durch  Frost  beim  Schlittschuhlaufen  eine  Hant- 
entzündung hervorgerufen  worden,  deren  Folge 
noch  als  ekzematisene  Schuppung  der  Gesichtshaut 
sichtbar  ist.  Im  vergangenen  Jahre  war  mit  gutem 
Erfolge  Jod-Ferratose  gebraucht  worden,  jetzt  gab 
die  Dermatose  mehr  Veranlassung,  Arsen-Ferratose 
gebrauchen  zu  lassen.  Der  Erfolg  war  ein  sehr 
günstiger,  da  schon  nach  etwa  14  Tagen  die  Haut 
glatt  und  normal  war,  im  Verlaufe  der  weiteren 
Woche  besserte  sich  auch  die  Anämie. 

12.  Erich  Seh.,  13  J.  alt,  Eczema  chronicum 
der  Arme  und  Beine  mit  pruriginösem  Charakter. 
Kreuznacher  Bäder  und  Teersalbenbehandlung  zu- 
gleich Arsen-Ferratose  konnten  nach  5  wöchentlicher 
Behandlung  einen  vorzüglichen  Erfolg  herbeifuhren, 
als  das  Ekzem  verschwand  und  bei  dem  schwäch- 
lichen Knaben  eine  Gewichtszunahme  von  7  Pfund 
erzielt  wurde. 

18.  Franz  G.,  11  J.,  Eczema  squamosum. 
Salbenbehandlung  in  Verbindung  mit  Arsen-Ferra- 
tose erzielte  in  31/»  Wochen  einen  vollständigen 
Erfolg.  Arsen-Ferratose  wurde  gern  genommen 
und  gut  vertragen,  es  wurde  mit  3 mal  täglich 
1  Theelöffel  begonnen  und  bis  zu  2  Kindereßlöffel 
gesteigert. 

14.  Sofie  J. ,  23  J.,  Anämie  mit  nervösen  Be- 
schwerden. Starke  kolikartige  Schmerzen  bei  der 
Menstruation.  Neben  Bädern  wurde  3 mal  täglich 
1  Eßlöffel  Arsen-Ferratose,  später  3  mal  2  Eßlöffel. 
Nach  57j  Wochen  blühendes  Aussehen,  besseres 
Allgemeinbefinden  und  Gewichtszunahme  von 
7  Pfund. 

15.  Frau  A.  J.,  32  J.,  Psoriasis  vulgaris 
guttat.,  starke  Nervosität.  Behandlung:  Mineral 
bäder,  Pyrogallussäure  und  innerlich  Arsen-Ferrato»e 
in  steigender  Dosis  bis  zu  3 mal  täglich  3  Eßlöffel. 
Das  Mittel  wurde  gut  vertragen  und  schien  die 
Heilung  des  Hautleidens  günstig  zu  beeinflussen. 
Gewichtszunahme  in  5  Wochen  4  Pfund. 

16.  Louise  St,  17  J.  alt,  Eczema  marginatum. 
Das  Leiden  besteht  über  ein  Jahr  mit  starkem 
Jucken,  Patientin  ist  durch  dasselbe  recht  nervös 
und  anämisch  geworden.  Bäder,  lokale  Behand- 
lung, innerlich  Arsen-Ferratose  bewirken  eine  voll- 
ständige Heilung  nach  4  Wochen.  Gewichtszunahme 
von  3  Pfund. 

17.  Elise  G.,  42  J.  alt,  unverheiratet,  Myoma 
uteri,  geschwächter  Zustand  nach  profusen  Men- 
struationen. 3  mal  täglich  1  Eßlöffel  Arsen-Ferra- 
tose steigend  nach  und  nach  auf  3 mal  2  Eßlöffel 
bewirkte  allgemeine  Kräftigung,  frischeres  Aussehen, 
besseren  Appetit. 

18.  Frau  R.,  36  J.  alt,  Lupus  erythematode^ 
pflaumengroße  Eruption  auf  der  rechten  Backe; 
anämisch;  ist  immer  gesund  gewesen,  keine  Tuber- 
kulose in  der  Familie.  Das  Leiden  hat  vor  5  Jahren 
mit  einem  kleinen  Fleckchen  angefangen.  Behand- 
lung Röntgenbestrahlung.  Arsen-Ferratose  3 mal 
täglich  1  Eßlöffel.  Nach  5  Wochen  ist  der  Krank- 
heitsherd auf  der  Backe  nur  noch  als  5  Pfennig 
große  glatte  und  flache  Narbe  sichtbar,  die  Anämie 
gebessert.     Die  Behandlung  wird  noch  fortgesetzt. 

19.  A.  Z.,  27  J.  alt,  Anämie,  während  der 
Menstruation  Muskelschmerzen  in  beiden  Armen 
und  im  Nacken,  Appetitlosigkeit,  während  der 
Menses  bis  zum  Erbrechen  gesteigert.  Keine  Magen- 
noch  uterine  Erkrankung.  Früher  angewandte 
Atoxylbehandluug  hatte  zeitweise  gute  Dienste  ge- 
leistet. Jetzt  wurde  Arsen-Ferratose  in  kleinen 
Dosen  versucht  und,  da  gut  vertragen,  bis  auf  3 mal 
täglich  1  Eßlöffel  gesteigert.  Erfolg  sehr  zufrieden- 
stellend, da  die  Beschwerden  nach  und  nach  ver- 


XIX.  Jahrgang.! 
Angurt  1905.  J 


Pitartki,  Ober  IiopraL 


409 


schwanden,  und  nach  6  wöchentlicher  Behandlang 
eine  Gewichtszunahme  von  4  Pfand  erzielt  wurde. 
20«  Albert  E.,  17  J.  alt,  leidet  vom  frühesten 
Knabenalter  an  Prurigo.  Intensives  Jucken  in  der 
Nacht  hatte  zu  konsekutivem  Ekzem  und  blutigen 
Infiltrationen  der  Haut,  besonders  der  Oberschenkel, 
geführt  Patient  war  anämisch  und  nervös  ge- 
worden. Kreuznacher  Bäder  mit  Teerbehandlung, 
innerlich  Arsen-Ferratose  bewirkten  nach  kaum 
5  wöchentlicher  Behandlung  ein  Abheilen  der  be- 
stehenden Krankheitserscheinungen,  das  Jucken 
hatte  aufgehört,  und  der  junge  Mann  war  frisch  und 
kraftiger  geworden. 

Wir  können  somit  auf  Grund  unserer 
theoretischen  Erwägungen  ebenso  wie  der 
klinischen  Erfolge  die  Arsen-Ferratose  für  die 
Praxis  in  ihren  Eigenschaften  als  wirksames 
Tonicum  in  der  Rekonvaleszenz  nach  akuten 
und  chronischen  Krankheiten  als  blutbilden- 
des Mittel  bei  Anämien  jeglicher  Art,  end- 
lich als  plastisches  Mittel  für  Dermatosen 
empfehlen. 


(Ana  der  Abteilang  für  Innere  Krankheiten  dei  Prof.  Dr. 
8tan~Pareniki  im  hL  Lazaraakrankenbaoie  in  Krakaa.) 

Über  Isopral  als  schlafwirkendes 
Medikament. 

Von 
Dr.  Thaddaus  Pisarski. 

Die  Anzahl  der  Schlafmittel,  von  denen 
noch  keines  das  Ideal  erreicht  hat,  ist  durch 
ein  neues  Mittel,  Isopral  genannt,  vermehrt 
worden.  Es  wurde  von  der  Firma  vorm. 
Bayer  &  Co.  in  Elberfeld  dargestellt.  Der 
erste,  der  sich  mit  diesem  Mittel  beschäftigte, 
war  Impens;  er  hat,  gestützt  auf  Beobach- 
tungen an  Tieren,  mit  großer  Genauigkeit 
seine  Wirkung  und  seine  physiologischen 
Eigenschaften  beschrieben.  Diese  Beobach- 
tungen sind  zugunsten  des  Isoprals  aus- 
gefallen. Es  bleibt  noch  übrig,  durch  kli- 
nische Versuche  am  Krankenbette  festzu- 
stellen, inwieweit  sich  die  Anwendung  des 
Isoprals  als  Schlafmittel  als  praktisch  erweisen' 
wird. 

Isopral  steht  in  bezug  auf  seine  che- 
mische Struktur  dem  Chloralhydrat  nahe, 
denn  es  ist  ein  Trichlorisopropylalkohol  von 
der  Formel :  G  Cl3 .  CH  (OH)  .  CH8.  Es  kry- 
stallisiert  in  Form  prismatischer  Nadeln, 
schmilzt  bei  49°  C.  und  sublimiert  schon 
bei  gewöhnlicher  Zimmertemperatur  sehr 
leicht.  In  Wasser,  Alkohol  und  Äther  ist 
es  leicht  löslich. 

Die  Beobachtungen  wurden  an  28  Kranken, 
und  zwar  an  22  Männern  und  6  Weibern, 
durchgeführt.  Die  Krankheiten  waren  fol- 
gende '  Lungentuberkulose  10 mal,  darunter 
2  Fälle  mit  pleuritischem  Exsudat  und  einer 
mit  Ulcera  tuberculosa  laryngis;  Pleuro- 
pneumonia  fibrinosa  1;   Pleuritis   sicca  trau- 


matica 1;  Myokarditis,  Arteriosklerosis,  An- 
gina pectoris,  Emphysema  pulm.  maj.  grad.  1 ; 
Insuff.  valv.  bicuspid.  1 ;  Oatarrhus  ventriculi 
chronicus  3,  lmal  mit  einer  großen  Dilata- 
tion ;  Enteritis  catarrhalis  chronica  1 ;  Appen- 
dicitis  1:  Neoplasma  ductus  choledochi  cum 
ictero  1 ;  Ischias  1 ;  Sclerosis  cerebrospinalis 
disseminata  1;  Dementia  senilis  1;  Poly- 
arthritis rheumatica  subacuta  in  ind.  c.  in- 
suff. valv.  bicuspid.  1 ;  Nephritis  mixta  chro- 
nica 1;  Blitzschlag  1;  Morphinismus  1;  Te- 
tanus 1. 

Das  Lebensalter  der  Kranken  schwankte 
zwischen  dem  18.  und  65.  Jahre.  Der 
größte  Teil  der  Patienten  verblieb  konti- 
nuierlich im  Bette,  einige  verbrachten  den 
Tag  außerhalb  des  Bettes,  indem  sie  leichtere 
Arbeiten  ausführten. 

Die  Ursache  der  Schlaflosigkeit  war  sehr 
mannigfaltig,  und  zwar:  Schmerz,  Stechen, 
gastrische  Beschwerden,  nervöse  oder  psy- 
chische starke  Aufregung,  Husten,  Dyspnoe, 
Morphinismus,  Krämpfe,  Anfalle  von  An- 
gina pectoris,  Hautjucken,  Reißen  in  den 
Gelenken. 

Die  Kranken,  bei  denen  sich  der  Schlaf 
durch  indifferente  Mittel  herbeiführen  ließ, 
die  also  leicht  der  Suggestion  zugänglich 
waren,  wurden  von  der  Beobachtung  ausge- 
schlossen. 

Isopral  ist  über  zwei  Monate  lang  ge- 
reicht worden  und  bei  der  mehr  als  160- 
maligen  Anwendung  wurden  ungefähr  150  g 
verbraucht.  Anfangs  wurde  0,25  pro  dost 
gegeben,  die  Gaben  wurden  immer  mehr  ver- 
größert, und  die  größte  Gabe  betrug  2,50 
pro  dost  und  pro  die. 

Am  häufigsten  haben  die  Kranken  Isopral 
um  7  Uhr  abends  eingenommen,  zuweilen 
wurde  es  aber  auch  am  Tage,  und  zwar 
in  dosi  refracta,  gegeben,  weil  es  sich  damals 
um  die  Erforschung  seiner  sedativen  Wirkung 
gehandelt  hat. 

Die  Zeit,  welche  von  der  Einnahme  des 
Isoprals  bis  zum  Auftreten  der  Empfindung 
der  Schläfrigkeit  und  zum  Einschlafen  ver- 
floß, war  sehr  verschieden.  Diese  Differenzen 
waren  nicht  nur  von  dem  Quantum  des  ein- 
genommenen Isoprals,  sondern  auch  von 
vielen  anderen  Umständen  wie  Tageszeit, 
Benehmen  des  Kranken,  Alter,  Geschlecht, 
Ernährungszustand  u.  dergl.  abhängig.  Im 
allgemeinen  konnte  man  konstatieren,  daß 
die  Weiber  sehr  empfindlich  gegen  die  Wir- 
kung des  Isoprals  sind;  sie  schliefen  sogar 
nach  Gaben  von  0,25  g  in  10  Minuten  ein, 
während  die  Männer  bei  so  kleinen  Gaben 
nie  vor  Ablauf  einer  Stunde  und  manchmal 
erst  nach  4  Stunden  einschliefen.  Dasselbe 
geschieht  bei  den  Männern  auch  nach  Gaben 


410 


Pitartki,  Ober  Itopiml. 


rThenpeuUaehK 
L   Mon&talMAa. 


von  0,50  und  0,75,  während  die  Weiber 
spätestens  binnen  einer  Stunde  einschliefen. 
Nach  einer  Gabe  von  1  g  erschien  die 
Schläfrigkeit  bei  den  Männern  durchschnitt- 
lich in  3/4  Stunden;  dasselbe  bezieht  sich 
auch  auf  die  Gabe  1,50.  Große  Gaben,  also 
2  g,  wirkten  in  l/s  Stunde  und  die  Gabe 
2,50  in  10  Minuten.  Das  sind  durchschnitt- 
liche Zahlen,  denn  es  findet  sich  doch  hier 
und  da  ein  gegen  die  Wirkung  des  Isoprals 
immunes  Individuum,  sei  es  infolge  indivi- 
dueller Eigenschaften  oder  infolge  der  An- 
gewöhnung an  ein  anderes  Hypnoticum. 

Die  nach  Isopral  eintretende  Schläfrigkeit 
trug  den  Charakter  der  normalen,  welche 
immer  vor  dem  natürlichen  Schlafe  einzu- 
treten pflegt.  Dies  bezieht  sich  auf  Gaben 
bis  höchstens  zu  1  g.  Nach  größeren  Dosen 
von  1,50 — 2,50  g  wurde  starkes  Schwindel- 
gefühl sowie  Schwäche  und  Übelkeit  beob- 
achtet, gerade  wie  nach  Genuß  größerer  Mengen 
Alkohols. 

Der  durch  gewöhnliche  Gaben,  0,50  bis 
1,00,  herbeigeführte  Schlaf  dauert  durch- 
schnittlich 7 — 8  Stunden.  Große  Gaben 
wie  2,00 — 2,50  verursachen  einen  langen, 
12 — 14  Stunden  dauernden  Schlaf.  Diese 
Zahlen  stimmen  mehr  oder  weniger  mit  denen 
von  Urstein  und  Mendl  gefundenen  überein. 
Der  Schlaf  ist  mäßig  tief.  In  160  einzelnen 
Beobachtungen  trat  61  mal  keine  Unter- 
brechung des  Schlafes  ein,  93 mal  war  er 
unterbrochen,  und  6  mal  versagte  die  Wirkung 
ganz.  Die  den 'Schlaf  unterbrechenden  Ur- 
sachen waren  Husten,  Bedürfnis  nach  Urin- 
oder Stuhlentleerung,  Aufalle  von  Angina 
pectoris  oder  Schmerzen,  z.  B.  Ischias.  Bei 
sehr  starken  physischen  Beschwerden  sowie 
bei  großer  Unruhe  und  Lärm  im  Kranken- 
saale versagte  die  Wirkung.  Die  Kranken 
waren  leicht  zu  erwecken. 

Im  allgemeinen  wurde  der  Schlaf  von 
den  Kranken  als  ein  durchaus  erquickender 
empfunden,  in  einigen  Fällen  jedoch  wurden 
Klagen  geäußert,  und  zwar  15  mal  über 
leichten  Kopfschmerz,  Gefühl  der  Schwere 
im  Kopfe  und  Schwindel;  lmal  über  unan- 
genehmen Geschmack  im  Munde;  3 mal  über 
Gefühl  der  Ermüdung  und  Schwere  in  den 
Gliedern;  11  mal  dauerte  die  Schläfrigkeit 
noch  einige  Stunden  nach  dem  Erwachen  an, 
und  einmal  hatte  der  Kranke  das  Gefühl 
wie  nach  einem  Alkoholrausch.  Diese  Be- 
schwerden stellten  sich  nach  den  Gaben  1,50  g 
und  mehr  häufiger  ein;  nach  Gaben  von  1  g 
wurde  nur  einige  Mal  ein  leichter  vorüber- 
gehender Kopfschmerz  beobachtet.  Den 
Kranken  wurde  in  diesen  Fällen  schwarzer 
Kaffee  gereicht,  und  es  verschwanden  dar- 
nach bald  alle  unangenehmen  Gefühle.    Gaben 


von  1  g  hinterließen  nie  ein  unangenehmes 
Gefühl. 

Mit  der  Anwendung  von  Dosen  über  2  g 
soll  man  sehr  vorsichtig  sein,  und  man  darf 
sie  nur  bei  stark  psychisch  aufgeregten 
Kranken  anwenden.  Als  Bie spiel  hierfür  sei 
ein  Fall  erwähnt,  in  welchem,  nachdem 
kleinere  Dosen  anstandslos  vertragen  worden 
waren,  eine  einmalige  Gabe  von  2,5  g  eine 
Reihe  unangenehmer  Erscheinungen  auslöste. 
Sofort  nach  der  Einnahme  trat  Schwindel- 
gefühi  und  Schläfrigkeit  ein,  der  Kranke 
schlief  14  Stunden  ohne  Unterbrechung  und 
konnte  nur  mit  Mühe  erweckt  werden.  Nach 
dem  Erwachen  war  er  apathisch,  unzufrieden, 
seine  Bewegungen  waren  sehr  langsam,  es 
bestand  Lichtscheu,  die  Pupillen  reagierten 
auf  Licht  sehr  träge.  Er  klagte  über  Kopf- 
schmerzen und  Schläfrigkeit.  Beim  Gehen 
taumelte  er  und  empfand  Schwindel.  Nach 
dem  Trinken  von  schwarzem  Kaffee  besserte 
sich  der  Zustand  bedeutend,  jedoch  bestand 
die  Empfindung  der  Schläfrigkeit  und  Un- 
sicherheit im  Gehen  noch  den  ganzen  nächsten 
Tag  hindurch.  Erst  am  dritten  Tage  wurde 
der  Zustand  wieder  normal. 

Eine  deutliche  kumulative  Wirkung  wurde 
nicht  bemerkt,  obwohl  Isopral  eine  lange 
Reihe  von  Tagen  in  Dosen  von  1  — 1,50  g 
täglich  gereicht  wurde.  Der  Schlaf  dauerte 
zwar  gewöhnlich  um  so  länger,  je  länger  das 
Mittel  gereicht  wurde,  und  die  Schläfrigkeit 
erhielt  sich  sogar  während  des  Tages;  alle 
diese  Symptome  verschwanden  aber  sofort 
nach  dem  Aussetzen  des  Mittels. 

Eine  gewisse  Gewöhnung  an  das  Mittel 
läßt  sich  manchmal  bemerken.  Zwei  Kranke, 
der  eine  mit  Appendicitis ,  der  andere  mit 
Lungentuberkulose  und  pleuritischem  Exsudat, 
verlangten  stets  zur  Nacht  Isopral,  welches 
sie  anscheinend  nicht  entbehren  konnten. 
Die  Abgewöhnung  ließ  sich  jedoch  leicht 
'durchführen.  Anfangs  wurden  die  Isopral - 
dosen  nach  und  nach  verkleinert,  dann  diese 
Substanz  durch  Veronal  ersetzt,  und  schließ- 
lich wurde  die  völlige  Entwöhnung  durch 
Suggestion  erreicht. 

Am  deutlichsten  war  die  hypnotische 
Wirkung  des  Isoprals  dort  sichtbar,  wo  die 
Schlaflosigkeit  nicht  auf  physischen  Be- 
schwerden beruhte,  also  bei  Fällen  von 
Neurasthenie,  psychischer  Erregung  u.  dgl. 
mehr. 

Ein  unmittelbarer  Einfluß  auf  psychische 
Beschwerden  war  nicht  zu  bemerken,  jedoch 
konnte  man  konstatieren,  daß  die  oben  er- 
wähnten Leiden,  falls  sie  nicht  eine  zu  hohe 
Intensität  erreichten,  durch  die  Herbeiführung 
des  Schlafes  indirekt  gemildert  wurden.  So 
schlief    zum    Beispiel    ein    an    Appendicitis 


XIX.  Jahrgang.! 
Aqgnrt  1906.  J 


Picartki,  Üb«r  Icopral. 


411 


leidender  Kranker,  den  sonst  seine  starken 
Schmerzen  nicht  schlafen  ließen,  nach  1  g 
Isopral  gut,  und  die  Schmerzen  setzten  erst 
morgens  nach  dem  Erwachen  wiederum  ein. 
Ebenso  beeinflußt  wurden  auch  die  Schmerzen 
bei  Ischias,  die  Stiche  bei  Pleuritis  und  das 
Hautjucken  bei  Gelbsucht.  Der  Husten  wurde 
bei  den  Schwindsüchtigen  unzweifelhaft 
seltener,  was  ihnen  einige  Stunden  Schlaf 
ermöglichte.  Es  muß  aber  dabei  erwähnt 
werden,  daß  sie  nach  dem  Erwachen  längere 
Zeit  husteten,  bis  die  während  der  Nacht 
angesammelte  größere  Sputummenge  ent- 
fernt war. 

Außer  der  Schlafwirkung  ließ  sich  auch 
eine  im  hohen  Grade  beruhigende  (sedative) 
Wirkung  konstatieren.  Diese  Beobachtungen 
wurden  an  drei.  Kranken,  von  denen  einer 
an  multipler  Cerebrospinal-Sklerose,  ein  an- 
derer an  Dementia  senilis  und  ein  dritter 
(eine  Frau)  an   Tetanus  litt,  angestellt. 

Bei  dem,  an  multipler  Cerebrospinal- 
Sklerose  leidenden  Patienten  bestand  zit- 
ternder Gang,  welcher  ihm  selbst  mit  Hilfe 
des  Stockes,  und  wenn  er  sich  an  der  Bett- 
lehne festhielt,  keinen  Schritt  zu  gehen  ge- 
stattete. Die  Kniereflexe  waren  gesteigert. 
Der  Kranke  nahm  anfangs  dreimal  täglich 
1  g  Isopral.  Die  Reflexe  wurden  darauf  nach 
einigen  Tagen  beinahe  normal,  und  der  Kranke 
war  imstande,  ohne  sich  zu  stützen,  zu 
gehen. 

Der  andere  mit  Dementia  senilis  behaftete 
Patient  geriet  ab  und  zu  in  solches  Erregungs- 
stadium, daß  man  sogar  zur  Zwangsjacke 
greifen  mußte.  Nach  1  g  Isopral  trat  zwar 
kein  Schlaf  ein,  jedoch  wurde  er  nach  einigen 
Stunden  vollkommen  still  und  gehorsam  und 
benahm  sich  ganz  ruhig.  Bei  demselben 
Kranken  trat  nach  einer  Gabe  von  2  g  Sul- 
fonal  die  beruhigende  Wirkung  erst  nach 
12   Stunden  ein. 

Die  dritte,  an  Tetanus  leidende  Kranke 
wurde  erst  am  sechsten  Tage  der  Krankheit 
ins  Krankenhaus  aufgenommen.  Die  Krämpfe 
wiederholten  sich  alle  paar  Minuten.  Der 
Trismus  war  sehr  stark.  Nach  der  Gabe  von 
1  g  Isopral  wurden  die  Krämpfe  seltener,  und 
die  Kranke  behauptete,  daß  sie  auch  weniger 
schmerzhaft  wären.  Später  erhielt  die  Kranke 
aus  von  mir  nicht  abhängigen  Gründen 
Morphin,  trotzdem  verlangte  sie  hartnäckig 
Isopral  und  empfand,  nachdem  sie  es  bekommen 
hatte,  stets  Linderung. 

Ausgezeichnet  bewährte  sich  Isopral  zur 
Bekämpfung  des  Morphinismus.  Der  be- 
treffende Kranke  schlief  ohne  Morphium  nicht 
eine  Minute,  er  war  unruhig  und  zitterte. 
Darauf  wurde  ihm  auf  einmal  1,50  g  Isopral 
gegeben;  innerhalb  einer  halben  Stunde  trat 


tiefer  Schlaf  ein,  welcher  ohne  Unterbrechung 
11  Stunden  dauerte.  Nach  dem  Aufwachen 
fühlte  sich  der  Patient  sehr  gut  und  forderte 
kein  Morphin.  Gegen  Mittag  erschienen  Spuren 
des  Morphiumhungers;  der  Kranke  erhielt 
0,25  Isopral.  Am  Abend  desselben  Tages 
wurde  ihm  1  g  Isopral  gereicht,  worauf  er 
mit  gutem  Schlafe  reagierte.  Trotzdem  mußte 
man  ihm  morgens  5  Tropfen  einer  lproz. 
Morphinlösung  (innerlich)  und  0,25  Isopral 
geben,  was  zur  vollkommenen  Beruhigung 
ausreichte.  Mit  den  Morphiumdosen  wurde 
immer  mehr  zurückgegangen  und  statt  ihrer 
Isopral  gereicht,  ohne  welches  der  Kranke 
nicht  schlafen  konnte. 

Auf  die  Körpertemperatur  übt  das  Isopral 
einen  sehr  geringen  Einfluß  aus.  Impens  hat 
Temperaturerniedrigung  beobachtet  und  er- 
klärt diese  Erscheinung  einerseits  durch  die 
Verminderung  der  Quantität  des  in  der  Nacht 
aufgenommenen  Sauerstoffes,  andererseits  durch 
die  Erweiterung  der  Kapillargefäße,  was  die 
Wärmeabgabe  erleichtert.  Unter  28  Kranken 
wurde  nur  einmal  nach  Einnahme  von  l,50Iso- 
prals  eine  Temperaturerniedrigung  bis  35,5°  C. 
beobachtet,  und  zwar  bei  einem  Kranken, 
dessen  Temperatur  gewöhnlich  zwischen  36 
bis  37,4UC.  schwankte. 

An  der  Haut  sind  nur  einmal  Verände- 
rungen, nämlich  Urticaria  medicamentosa, 
beobachtet  worden.  Sie  trat  nach  der  Ein- 
nahme von  1  g  auf  und  dauerte  24  Stunden; 
sie  war  über  die  Haut  des  ganzen  Körpers, 
am  meisten  aber  an  den  oberen  und  unteren 
Extremitäten  ausgebreitet  und  verursachte 
Jucken.  9  mal  erwachten  die  Kranken  mit 
starker  Transpiration. 

Bei  Gaben,  welche  die  therapeutischen 
Grenzen  nicht  überschritten,  wurde  kein  Ein- 
fluß auf  die  Respiration  beobachtet,  denn 
wenn  auch  die  Anzahl  der  Atemzüge  im  Schlafe 
meist  ein  wenig  kleiner  war,  so  waren  doch 
die  Differenzen  so  unbedeutend,  daß  man  es 
als  eine  physiologische  Erscheinung  ansehen 
kann,  da  bekanntlich  die  Atmung  im  Schlafe 
immer  verlangsamt  ist.  Die  Atemzüge  waren 
immer  regelmäßig  und  gleichmäßig  tief. 

Auf  die  Herztätigkeit  scheinen  kleine 
Gaben  Isoprals,  0,25 — 0,75  keinen  Einfluß 
auszuüben;  nach  den  mittleren  und  großen 
Dosen  (1  —  2,50)  ist  jedoch  ein  Einfluß  sicht- 
bar. Die  umseitig  stehenden  Tafeln  erklären 
am  besten  diese  Änderungen.  So  zeigt  nach 
der  Einnahme  von  1  g  der  mit  dem  Sphygmo- 
graphen  gemessene  Puls  nach  dem  Ablaufe 
einer  Stunde  eine  höhere  Welle,  wobei  auch 
die  Anzahl  der  Pulsschläge  vergrößert  war. 
5  Stunden  danach  hält  derselbe  Zustand  an, 
nach  12  Stunden  kehrt  sowohl  die  Höhe  wie 
auch    die   Anzahl    der   Pulsschläge    zum  nor- 


412 


Pltartkl,  Übar  Itoptal. 


[Tharapantlach« 


•i 


=3 


■3 


1 


a 

ja 


a 


I 

CA 


5 
CO 


g 


•a 


9 

&. 


3 


£ 


5 

o 


S 


3 

GQ 


XIX.  Jahrgang.  1 
Angmt  1906.  J 


Pitartkl,  Ober  Isopral. 


413 


malen  Zustande  zurück.  Diese  Erhöhung 
der  Pulskurve  laßt  sich  durch  die  von  Impens 
mittels  der  Tierexperimente  festgestellten 
Tatsachen  erklären,  daß  das  Isopral  lähmend 
auf  das  vasomotorische  Zentrum  einwirkt 
und  so  durch  Gefäßerweiterung  eine  Erniedri- 
gung des  Blutdruckes  herbeifuhrt.  Im  all- 
gemeinen ließ  sich  konstatieren,  daß  unter 
28  Kranken,  bei  15  Vermehrung  der  Puls- 
frequenz auftrat;  11  zeigten  keine  Verände- 
rung, und  nur  in  2  Fällen  war  die  Zahl  der 
Pulsschläge  sehr  unbedeutend  vermindert 
worden. 

Diese  Tatsachen  könnten  als  Warnung 
aufgefaßt  werden,  daß  man  beim  Verordnen 
des  Isoprals  bei  Herz-  und  Arterienkranken 
vorsichtig  sein  sollte.  Indessen  hat  die  Beob- 
achtung am  Krankenbette  erwiesen,  daß  auch 
Kranke  mit  Herzfehlern  und  stark  ausgepräg- 
ter Arteriosklerose  Isopral  sogar  in  Dosen 
von  1  g  sehr  gut  vertragen.  Bis  jetzt  erwähnt 
nur  Mendl  einen  Fall,  in  welchem  bei 
einem  mit  Herzfehler  im  Stadium  der  Kom- 
pensation .behafteten  Individuum  nach  zwei- 
maliger Einnahme  von  0,50  g  Isoprals  eine 
Unregelmäßigkeit  des  Pulses  aufgetreten  ist, 
die  aber  bald  nach  dem  Aussetzen  des  Mittels 
verschwand. 

Objektive  Veränderungen  im  Verdauungs- 
kanal hat  man  nie  bemerkt;  einige  Male 
wurde  über  Übelkeit,  welche  ziemlich  lang 
andauerte,  und  einmal  über  Brennen  im  Öso- 
phagus, welches  der  Kranke  als  ein  dem 
Sodbrennen  ähnliches  Gefühl  bezeichnete, 
geklagt. 

Das  Körpergewicht  unterlag  kaum  Schwan- 
kungen, auch  nicht  bei  den  Kranken,  welche 
längere  Zeit  Isopral  nahmen.  Die  einige 
Male  beobachtete  Gewichtszunahme  um  einige 
Hunderte  Gramm  ist  wohl  als  Folge  der 
besseren  Ernährung  der  Patienten  im  Kranken- 
hause, als  zu  Hause  anzusehen. 

Was  den  Urin  anbelangt,  so  hielten  sich 
seine  Differenzen  in  Farbe  und  Reaktion  in 
den  physiologischen  Grenzen.  Die  Menge, 
welche  in  24  Stunden  ausgeschieden  wurde, 
war  bei  16  von  28  Kranken  vermehrt,  in 
einigen  Fällen  sogar  um  das  Doppelte,  8  mal 
unterlag  sie  keiner  Veränderungen  und  nur 
4  mal  wurde  eine  geringe  Verminderung  des 
Urinquantums  beobachtet.  Man  kann  infolge- 
dessen Isopral  als  ein  Mittel,  welches  zwar 
nicht  immer,  aber  häufig  die  Harnsekretion 
erhöht,  ansehen. 

In  einigen  Fällen  wurde  eine  Verminde- 
rung des  spezifischen  Gewichtes  des  Urins 
konstatiert.  Dieselbe  war,  wie  die  Unter-  \ 
suchung  erwiesen  hat,  hauptsächlich  von  einer 
Verminderung  der  Harnstoffmenge  abhängig. 
Der  Harnstoff  wurde  mittels  des  Apparates 
Th.  M.  im. 


von  Zoth  bestimmt,  welcher  auf  dem  Prinzip 
beruht,  daß  sich  der  Harnstoff  unter  dem 
Einflüsse  der  Bromnatronlauge  in  Kohlen- 
säure, Wasser  und  Stickstoff  zersetzt.  Aus 
dem  Quantum  des  entwickelten  Stickstoffes, 
welches  man  direkt  auf  einer  empirischen 
Skala  abliest,  berechnet  man  die  Menge  des 
Harnstoffs.  Diese  Verminderung  der  Harn- 
stoffmenge beweist  eine  Eiweißersparnis  im 
Organismus,  da  bekanntlich  die  Menge  des 
Harnstoffes  von  der  Menge  des  im  Organismus 
verbrauchten  Eiweißes  abhängig  ist. 

Bei  der  Anwendung  des  Isoprals  muß 
man  daran  denken,  daß  es  ein  sehr  leicht 
flüchtiger  Körper  ist  und  mit  der  Zeit  infolge 
dieser  Eigenschaft,  wenn  es  an  einem  warmen 
Orte  und  in  nicht  gut  verschlossenen  Gefäßen 
aufbewahrt  wird,  an  Wirksamkeit  verliert. 
Infolgedessen  hat  sich  die  Verordnung  des 
Mittels  in  flüssiger  Form,  wie  sie  gleich  nach 
der  Einführung  des  Mittels  in  die  Praxis 
üblich  war,  als  unpraktisch  erwiesen.  Jetzt 
verfertigt  die  Fabrik  Bayer-Elberfeld  Pastillen, 
welche  in  kleinen,  mit  Kork  verstopften, 
mit  Paraffin  verschmolzenen  und  mit  drauf- 
gesetzten,  metallenen  Kapseln  verschlossenen 
Glasröhrchen  geliefert  werden.  So  ver- 
schlossen, läßt  sich  Isopral  in  kühlen  und 
dunklen  Bäumen  lange  Zeit  aufbewahren. 
Seine  große  Flüchtigkeit  erlaubt  es  nicht, 
das  Mittel  in  Form  subkutaner  Injektionen 
anzuwenden. 

Ein  großer  Fehler  des  Isoprals,  welcher 
auch  eine  große  Erschwerung  in  seiner  Ein- 
führung in  die  allgemeine  Praxis  ausmachen 
wird,  ist  sein  sehr  unangenehmer  Geschmack. 
Derselbe  ist  scharf,  etwas  an  den  Geschmack 
von  Kampfer  erinnernd,  nur  noch  mehr 
kratzend.  Auf  der  Zunge  hinterläßt  es  einen 
widerlichen  Nachgeschmack  und  die  Empfin- 
dung der  Anästhesie.  Um  den  Patienten 
diese  Unannehmlichkeiten  zu  ersparen,  wurden 
die  Isopralpastillen  in  Oblaten  eingehüllt 
und  Wein  oder  Thee  mit  Rum  zum  Nach- 
trinken gegeben.  Es  ist  zu  hoffen,  daß  die 
Fabrik  die  Pastillen  in  eine  leicht  in  dem 
Magensafte  lösliche  und  den  Geruch  und 
Geschmack  des  Mittels  verdeckende  Substanz 
eingehüllt  anzufertigen  versuchen  wird.  Dieses 
würde  das  Einnehmen  des  Isoprals  bedeutend 
angenehmer  machen  und  sein  Verordnen  außer- 
ordentlich erleichtern. 

Vorliegende  Beobachtungen  wurden  an  dem 
mir  üb  erlassenen  Krankenmateriale  der  Spitals- 
abteilung für  innere  Krankheiten  von  Prof. 
Dr.  St.  Pareiiski  durchgeführt.  Für  die  ge- 
fällige Überlassung  desselben  sowie  auch 
für  die  diesbezüglichen  Ratschläge  spreche 
ich  meinen  verbindlichsten  Dank  aus. 

32 


414 


Oltuszewaki,   Psychisch«  Entartung. 


rTherapftntUcn« 
.    Monatsheft«. 


Literatur. 

1.  Impens,  Therap.  Monatsh.  1903,  Heft  9  und  10. 

2.  E.  Raimann,  Die  Heilkunde  1904,  Heft  8. 

3.  Esc  hie,  Fortschr.  d.  Med.  1904,  Heft  6. 

4.  M.  Urstein,  Therapie  d.  Gegenw.  1904,  Heft  2. 

5.  J.  Mendl,  Prag.  med.Wochenschr.  1904,  Heft  6. 


(Ana  der  Warschauer  Anstalt  für  Sprachstörungen.) 

Die  psychische  Entartung 

und  deren  Verhältnis  zu  verschiedenen 

Kategorien  von  Sprachstörungen. 

Voa 

Dr.  Wladyslaw  Oltuszewski.     (ScJUu/».f 

Jetzt  gehe  ich  zum  eigentlichen  Gegen- 
stande der  gegenwärtigen  Arbeit  über,  und 
zwar  zur  Erklärung  des  Verhältnisses  der 
Entartung  zu  verschiedenen  Kategorien 
von  Sprachstörungen. 

Wir  lenken  unsere  Aufmerksamkeit  zuerst 
auf  die  Aphasie.  Diese  Störung  bemerkte 
ich  weit  mehr  bei  Kindern  (348  Fälle),  als 
bei  Erwachsenen  (45  Fälle).  Nach  der  Aus- 
schließung einer  verhältnismäßig  unbedeuten- 
den Zahl  der  Fälle  von  Aphasie  hysterischer 
Entstehung  bei  Erwachsenen  gehörten  die 
übrigen  nicht  zur  Kategorie  der  Entartung. 
Ganz  anders  war  dies  der  Fall  bei  Kindern, 
bei  denen  die  mangelhafte  psychische  Ent- 
wickelung. verschiedenen  Grades  das  wichtigste 
und  häufigste  ätiologische  Moment  ausmachte. 
Es  war  eine  Aphasie  entweder  infolge  gei- 
stiger Vernachlässigung,  also  der  mangel- 
haften Entwickelung  des  ganzen  Gehirns  als 
des  Denkorgans  (Mangel  des  Verständnisses 
der  Sprache  bei  gänzlichen  Idioten,  Mangel 
der  selbständigen  Sprache  bei  unvollstän- 
digen Idioten  und  Schwachsinnigen),  oder 
auch  zusammen  mit  anatomischen  Verände- 
rungen in  den  motorischen  Wortzentren  (die 
motorische  Aphasie,  die  von  Veränderungen 
in  der  Gegend  von  Broca  oder  im  mitt- 
leren Zentrum  abhängig  ist,  bei  den  soge- 
nannten infantilen  Cerebrallähmungen).  Bei 
Kindern  mit  mehr  oder  weniger  normaler 
Intelligenz  war  die  Aphasie  meistenteils  von 
der  angeborenen  Taubheit  abhängig,  die  mit 
Recht  nach  Fere  zur  Kategorie  der  Ent- 
artung gezählt  wird  (soweit  sie,  versteht  sich, 
nicht  von  überstandenen  pathologischen  Pro- 
zessen nach  der  Geburt  im  mittleren  oder 
inneren  Ohre  abhängig  ist),  oder  von  der 
erworbenen,  von  der  sogenannten  angeborenen 
oder  erworbenen  extracerebralen  Aphasie,  die 
von  der  beiderseitigen  teil  weisen  Erkrankung 
des  Labyrinths  oder  des  inneren  .Ohres  be- 
gleitet wird,  schließlich  von  der  psychischen 
Degeneration,  wo  es,  abgesehen  von  den  sorg- 
faltigsten Anamnesen,  wie  auch  der  objektiven 
Untersuchung,  nicht  gelang,    die  mangelhafte 


Entwickelung  oder  infantile  Cerebrallähmun- 
gen zu  entdecken  (verspätete  Sprache).  So- 
wohl die  extracerebrale  Aphasie,  wie  auch 
die  Worttaubheit  ist  leicht  zu  verstehen, 
wenn  man  daran  denkt,  daß  im  ersten  Falle 
die  Entstehung  des  Wortgedächtnisses  er- 
schwert ist,  also  das  Verstehen  der  Sprache, 
die  Nachahmung,  wie  auch  die  selbständige 
Sprache,  im  anderen  aber  ganz  unmöglich 
ist.  Was  die  verspätete  Sprache  anbelangt, 
so  ist  dieselbe  von  der  Abschwäch ung  des 
sensorischen  Wortgedächtnisses  abhängig  und 
zusammen  damit  vom  Mangel  der  Ausarbeitung 
des  Sprachautomatismus,  also  auch  der  selb- 
ständigen Sprache. 

Die  zweite  Sprachstörung,  welche  in  ihren 
Folgen  nicht  weniger  wichtig  und  in  der  Be- 
handlung sogar  schwieriger  ist  als  die  Aphasie, 
ist  das  Stammeln  bei  Kindern4),  welches 
auf  der  Bildung  eines  gänzlich  unregelmäßigen 
Sprachautomatismus  beruht,  also  einer  un- 
verständlichen Sprache.  In  der  Ätiologie 
dieser  Störung  habe  ich  meistens  eine  man- 
gelhafte geistige  Entwickelung  angetroffen, 
besonders  bei  Schwachsinnigen  und  Vernach- 
lässigten, bei  welchen  sich  infolge  der  Ab- 
schwächung  des  Wortgedächtnisses  allein  die 
stammelnde  Sprache  entwickelt  und,  ver- 
hältnismäßig sehr  spät,  die  den  Naturkräften 
weichende  verspätete  Sprache,  die  motorische 
Aphasie  (meistens  bei  infantilen  Cerebral- 
lähmungen), wie  auch  die  extracerebrale 
Aphasie. 

In  der  Reihe  ätiologischer  Momente  der 
fehlerhaften  Aussprache  notierte  ich  ge- 
wöhnlich :  das  durch  die  Naturkräfte  sich  aus- 
gleichende verspätete  physiologische  Stammeln, 
welches  sich  meistens  bei  Kindern  mit  der 
englischen  Krankheit  und  den  Skropheln 
trifft,  die  Reste  des  pathologischen  Stam- 
meins, meistens  bei  Schwachsinnigen  und 
Vernachlässigten,  wie  auch  die  sehr  oft  er- 
scheinende fehlerhafte  Bildung  der  Kiefer 
und  der  Zähne  bei  Vernachlässigten  und  Un- 
equilibrierten.  Ein  schlechtes  Sprachvorbild 
während  der  Entstehung  der  Sprache  und 
ein  schlechtes  Gehör  bildeten  in  der  Ätio- 
logie der  fehlerhaften  Aussprache  einen  sehr 
geringen  Prozentsatz. 

Was  die  nasale  Sprache5)  zentraler 
Entstehung    anbelangt,    die    meiner    Ansicht 


4)  Das  Stammeln  bei  Erwachsenen,  die  zur 
Kategorie  der  Entarteten  gehören,  trifft  man  ver- 
hältnismäßig selten  (Paralysis  progressiva,  Friedrich- 
sehe  Krankheit  u.  s.  w.). 

&)  Ich  spreche  hier  von  der  eigentlichen  nasalen 
Sprache,  die  von  der  ungenauen  Abgrenzung  der 
Mundhöhle  von  der  Nasen-Rachenhönle  abhängig 
ist,  und  nieht  vom  nasalen  Anklang  bei  verstopfter 
Nase  aus  irgend  welchem  Grunde,  wie  Hyper- 
trophien der  Muscheln,  Polypen  u.  s.  w. 


XIX.  Jahrgang.! 
Attgtmt  1906.  J 


OltutzewtkJ,   Psychische  Entartung. 


415 


nach  von  der  vernachlässigten  Tätigkeit  der 
motorischen  Rindenzentren  abhängig  ist, 
welche  Tätigkeit  die  ungenaue  Abgrenzung 
der  Mundhöhle  von  der  Nasen-Rachenhöhle 
durch  den  weichen  Gaumen  verursacht,  so 
traf  ich  dieselbe  fast  ausschließlich  bei 
Kindern  mit  mangelhafter  psychischer  Ent- 
wickelung  nach  der  zurücktretenden  und 
in  das  Stammeln  übergehenden  motorischen 
Aphasie.  Die  nasale  Sprache  peripherischer 
Entstehung,  gewöhnlich  bei  entarteten  Kin- 
dern mit  mehr  oder  weniger  normaler  In- 
telligenz, mit  dem  sie  begleitenden  Stammeln, 
eventuell  der  fehlerhaften  Aussprache,  hing 
gewöhnlich  von  der  Verkürzung  des  harten 
Gaumens  und  von  Spaltungen  desselben  ab, 
dagegen  in  wenigen  Fällen  bei  nichtentarteten 
Kindern  vom  vernachlässigten  Gehör  oder 
von  verschiedenen  Ursachen,  welche  den 
Mangel  der  Abgrenzung  erwähnter  Höhlen 
verursachen  (adenoide  Wucherungen,  Läh- 
mungen des  weichen   Gaumens  u.  s.  w.). 

Die  vielfach  bestätigte  Verbindung  zwischen 
verschiedenen  Arten  von  Entartungsgraden  und 
der  Aphasie,  dem  Stammeln,  der  fehlerhaften 
Aussprache  und  der  nasalen  Sprache  würde 
uns  am  besten  das  Zahlenverhältnis  illustrieren, 
welches  die  Entartung  in  der  Ätiologie  be- 
sprochener Ausartungen  ausmacht.  Leider 
können  wir  die  in  dieser  Hinsicht  unten  an- 
geführten Zahlen  nur  als  annähernde  be- 
trachten, und  das  aus  folgendem  Grunde. 
Als  ich  vor  12  Jahren  anfing,  auf  dem  Felde 
der  Sprachstörungen  zu  arbeiten,  blieb  die 
Logopathologie,  abgesehen  von  vielen  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  des  ernsthaften  For- 
schers in  der  Abteilung  der  Sprachstörungen, 
H.  Gutzmann,  auf  einem  verhältnismäßig 
niedrigen  Entwickelungsstadium  und  von  der 
Bemerkung  irgend  einer  Verbindung  zwischen 
der  Ausartung  und  den  Sprachstörungen  fand 
ich  nirgends  einen  Hinweis.  In  der  Ätiologie 
der  Aphasie  bei  Kindern  beschränkte  man 
sich  auf  die  Bestimmung,  daß  ein  geistig  ver- 
nachlässigtes Kind  deshalb  nicht  spricht,  weil 
es  nichts  zu  sprechen  habe,  die  Aphasie  da- 
gegen bei  Kindern  mit  normaler  Intelligenz 
leitete  man  allein  zur  nichtssagenden  Benen- 
nung Hörstummheit  (Möglichkeit  des  Sprach- 
verständnisses beim  Mangel  der  selbständigen 
Sprache),  ohne  die  Ursachen  derselben  zu 
erklären.  Man  unterschied  das  Stammeln 
von  der  fehlerhaften  Aussprache  nicht,  und 
von  einer  rationellen  Erklärung  der  Patho- 
genese dieser  Störungen,  wie  auch  der  nasalen 
Sprache  hirnlicher  Entstehung,  war  nicht 
die  Rede.  Abgesehen  von  sehr  ernsthaft  aus- 
geführten Forschungen,  welche  die  Ausartung, 
die  infantile  Cerebrallähmung,  die  mangel- 
hafte Entwickelung  betreffen,   wie   auch  von 


den  Grundlehren  für  die  Logopathologie,  wie 
die  psychische  Grundlage  der  Spracheent- 
wickelung beim  Kinde,  die  Psychologie  der 
Sprache  u.  s.  w.,  läßt  die  Ätiologie  der  wich- 
tigsten Sprachstörungen  bei  Kindern,  und  zwar 
der  Aphasie,  des  Stammeins,  eventuell  der 
fehlerhaften  Aussprache  und  der  nasalen 
Sprache,  im  Auslande  sogar  jetzt  noch  viel 
zu  wünschen  übrig.  So  ist  es  natürlich,  daß 
erst  nach  Berücksichtigung  einer  ganzen  Reihe 
bezüglicher  Arbeiten  fremder  Autoren,  eben- 
falls auf  Grund  der  eigenen,  wie  auch  nach 
einer  eifrigen  Sammlung  von  Anamnesen  und 
genauer  Untersuchung  eines  jeden  Kranken, 
es  mir  nur  allmählich  gelang,  die  erwähnten 
Lücken  auszufüllen  und  eine  rationelle  An- 
sicht über  die  Ätiologie  der  erwähnten 
Störungen  zu  bearbeiten,  weshalb  ich  auch 
wohl  in  den  ersten  Jahren  auf  viele  sich 
hierher  beziehende  wichtige  Erscheinungen 
nicht  die  Aufmerksamkeit  lenkte.  Dennoch 
erlaube  ich  mir,  die  bezüglichen  Zahlen  an- 
zuführen, welche  sich  auf  das  klinische 
Material  der  letzten  10  Jahre  stützen.  Also 
verursachte  auf  806  Fälle  der  erwähnten 
Störungen  und  zwar:  Aphasie  bei  Kindern 
348  (54  Fälle  bei  Erwachsenen  gehörten 
nach  Ausschließung  einiger  von  hysterischer 
Entstehung  nicht  zur  Kategorie  der  Aus- 
artung), Stammeln  77,  fehlerhafte  Aussprache 
319,  die  nasale  Sprache  62,  die  mangel- 
hafte Entwickelung  verursachte  dieselben  in 
177  Fällen,  die  Gehirnlähmung  in  59,  zu- 
sammen in  236  Fällen,  von  den  übrigen 
570  Fällen  erwies  sich  die  Ausartung  ver- 
schiedenen Grades,  die  angeborene  Taub- 
stummheit, die  in  keiner  Verbindung  mit 
den  pathologischen  Prozessen  im  mittleren 
oder  inneren  Ohre  nach  der  Geburt  steht, 
wie  auch  die  Veränderungen  in  den  Artiku- 
lationsorganen hauptsächlich  bei  den  Un- 
equilibrierten  wenigstens  in  der  Hälfte  der 
Fälle.  Aus  den  angeführten  Fakten  ergibt 
sich,  daß  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
von  Aphasie,  Stammeln,  fehlerhafter 
Aussprache  und  nasaler  Sprache  die 
Ausartung  die  allerwichtigste  Rolle 
spielt. 

In  der  Ätiologie  des  Stammeins  notierte 
ich  fast  ausschließlich:  die  pathologische  Erb- 
lichkeit in  weiter  Bedeutung,  also  nicht  nur 
die  Erblichkeit  von  den  Eltern  und  Ver- 
wandten, sondern  auch  das.  Vorhandensein 
geistiger  Krankheiten,  Epilepsie,  Hysterie, 
Neurasthenie,  alle  Arten  von  Gleichgewichts- 
losigkeiten,  constitutioneller  Leiden,  der  an- 
geborenen Taubstummheit,  der  Syphilis  in 
der  Familie;  bei  der  Sammlung  von  Ana- 
mnesen aber  erwähnte  man  sehr  oft  die  eng- 
lische Krankheit,  die  Skropheln,  die  verspätete 

32* 


416 


\ 

Oltutzewtki,  Fiyohlache  Entartung. 


rTfeerapaatiache 
L   MonntBhgfte. 


Sprache,  wie  auch  die  Neigung  der  Kinder 
zu  Krämpfen,  die  nächtliche  Furcht,  den 
Somnambulismus  und  das  unbewußte  nächt- 
liche Bettnässen.  Anderen  prädisponierenden 
Momenten,  wie  die  Zeit  der  Sprachbildung, 
die  Periode  des  zweiten  Zahnwuchses  und 
die  geschlechtliche  Reife,  wie  auch  den 
okkasionellen  (hervorrufenden)  als  schnelle 
Sprache  oder  schlechtes  Sprach  vorbild  in 
der  Periode  der  Sprachbildung,  Verletzung, 
Schreck,  psychische  Ansteckung,  das  ist  der 
Aufenthalt  in  der  Umgebung  von  Stotternden, 
die  Nachahmung,  ansteckende  Krankheiten, 
schreibe  ich  eine  untergeordnete  Rolle  zu; 
denn,  wie  ich  dies  vielmals  konstatierte,  kann 
jede  von  diesen  Ursachen  bei  einem  ganz 
gesunden  Menschen  sehr  selten  das  Stottern 
bewirken,  und  in  den  wenigen  Fällen,  wo 
ich  die  pathologische  Erblichkeit  völlig  aus- 
schließen konnte,  gehorten  die  Patienten, 
welche  dem  Stottern  unterlagen,  gewöhnlich 
zur  Kategorie  nervöser  Menschen. 

Das  Zahlenverhältnis  bestätigt  weit  ge- 
nauer die  Ätiologie  des  Stotterns,  als  der 
oben  besprochenen  Krankheiten;  denn  schon 
zu  Anfang  meiner  Beschäftigung  mit  Sprach- 
störungen habe  ich  auf  die  pathologische 
Erblichkeit  eine  eifrige  Aufmerksamkeit  ge- 
lenkt. Auf  889  Fälle  von  Stottern  notierte 
ich  das  Erblichkeitsmoment  in  508  Fällen 
(die  Erblichkeit  in  enger  Bedeutung  in 
286  Fällen,  in  weiter  dagegen  in  222).  Ich 
bin  überzeugt,  daß  diese  Zahl  faktisch  weit 
größer  ist,  und  zwar  infolge  des  Mangels 
der  Anamnese  in  vielen  Fällen,  wie  auch 
der  oft  vorkommenden  Verheimlichung  neuro- 
pathischer  Momente,  mit  welchen  die  Familie 
belastet  ist,  durch  die  Umgebung. 

Ich  traf  das  Stottern  auf  verschiedenen 
Stufen  der  Degenerationsleiter,  mit  der  man- 
gelhaften Ent Wickelung  beginnend  und  der 
Fallsucht,  der  Hysterie  und  Neurasthenie 
endigend,  am  meisten  jedoch  bei  den  Un- 
equilibrierten6).  Die  Stigmata,  welche  bei 
der  mangelhaften  Entwicklung  und  der  Fall- 
sucht gewöhnlich  grell  ausgedrückt  waren, 
ließen  sich  ebenfalls  oft  genug  bei  den  Un- 
equilibrierten  mit  dem  Stottern  beobachten, 
wie  Asymmetrie  des  Kopfes  und  des  Gesichts, 
fehlerhafte  Gestaltung  des  harten  Gaumens, 
der  Kiefer,  der  Zähne,  Verunstaltung  der 
Ohren,   Migräne,  Tic,  der  Schreibkrampf  und 


6)  Bei  der  Hysterie  sah  ich  meistenteils  das 
Stottern  mit  akutem  Verlauf  in  der  Gestalt  von 
Atmungs-  oder  Stimmstottern  (der  sogenannte 
schließende  oder  unterbrochene  Krampf,  irrtümlich 
unter  dem  Namen  spastische  Aphonie  beschrieben, 
wie  ich  dies  in  den  Therapeutischen  Monatsheften 
1898  bewies.  In  einem  Falle  verband  sich  das 
hysterische  Stottern  mit  dem  Einatmungskrampf 
der  Kehle. 


sehr  zahlreiche  psychische  Anzeichen.  In 
dieser  letzten  Hinsicht  verdienen  eine  An- 
merkung die  dem  Stottern  eigentümlichen 
Phobien,  die  sich  durch  eine  unbegründete 
Furcht  vor  dem  Sprechen  ausdrücken,  der 
Furcht  vor  dem  Stottern  an  gewissen  Stellen 
oder  unter  gewissen  Umständen,  ebenfalls 
die  Zwangsideen,  die  in  der  irrtümlichen 
Überzeugung  bestehen,  daß  der  Kranke  nicht 
imstande  ist,   gewisse  Wörter  auszusprechen. 

Was  schließlich  das  Poltern  betrifft,  so 
fanden  sich  alle  zehn  von  mir  beobachteten 
Fälle  bei  den  Unequilibrierten. 

Indem  wir  die  oben  angegebene  Zahl  der 
Entarteten  bei  der  Aphasie,  dem  Stammeln, 
der  fehlerhaften  Aussprache,  der  nasalen 
Sprache,  wie  auch  die  angeführten  für  das 
Stottern  und  Poltern  berücksichtigen,  können 
wir  dreist  behaupten,  daß  das  allgemeinste 
und  zugleich  das  wichtigste  Moment, 
welches  alle  Kategorien  der  Sprach- 
störungen disponiert,  die  Ausartung 
in  weiter  Bedeutung  dieses  Wortes  ist, 
mit  den  Idioten  beginnend  und  den 
Unequilibrierten  endigend,  wobei,  wie 
wir  das  gesehen  haben,  die  mangelhafte  Ent- 
wicklung in  dem  Maße  das  wichtigste  Grund- 
moment für  die  Aphasie,  das  Stammeln,  die 
nasale  Sprache,  aber  nur  teilweise  für  die 
fehlerhafte  Aussprache  und  das  Stottern  aus- 
macht, in  welchem  Maße  dieses  letztere 
wieder  in  Verbindung  mit  dem  Poltern  haupt- 
sächlich die  Unequilibrierten  befällt.  Diese 
Art  Fakten,  daß  unter  den  Stotternden  oder 
mit  anderen  Sprachstörungen  Behafteten  sich 
ein  verhältnismäßig  bedeutender  Prozentsatz 
fähiger  und  geistig  entwickelter  Menschen  be- 
findet, widersprechen  keineswegs  meiner  An- 
schauung, wenn  wir  uns  dessen  erinnern 
wollen,  daß  die  Kranken,  welche  auf  den 
höchsten  Stufen  der  Degenerationsleiter  stehen, 
sich  durch  eine  völlig  normal  entwickelte 
intellektuelle  Sphäre  auszeichnen  können.  Nur 
ein  verhältnismäßig  geringer  Prozentsatz  von 
Sprachstörungen  ist  durch  pathologische 
Veränderungen  im  Hirngewebe  bei 
Menschen  begründet,  die  nicht*  zu  den 
Ausgearteten  gehören,  wie  die  Aphasie 
von  Dichthysterischer  Entstehung  und  einige 
Fälle  vom  Stammeln  bei  Erwachsenen,  wie 
auch  die  erworbenen  Leiden  des  Ohres  und 
Veränderungen  in  der  Nasen-Rachen- 
höhle, welche  die  Worttaubheit  oder  die 
extracerebrale  Aphasie,  das  Stammeln  oder 
die  fehlerhafte  Aussprache,  wie  auch  die 
nasale  Sprache  bei  adenoiden  Wucherungen, 
Lähmungen  des  weichen  Gaumens  u.  s.  w. 
verursachen  können. 

Aus  dem,  was  ich  bis  jetzt  gesagt  habe, 
folgt,    daß   man   die   Mehrzahl   der  Kranken 


XIX.  Jahrgang ."I 
Angart  1906.  J 


Oltotsewaki,    Psychlache  Entartung. 


417 


mit  Sprachstörungen  zu  den  Ausgearteten, 
den  Entartenden  oder  Unequilibrierten  zählen 
muß,  die  Sprachstörung  selbst  aber  zu 
den  wichtigsten  Symptomen  der  Aus- 
artung. 

Die.  erklärte  Ätiologie  der  Sprachstörung 
hat  eine  ungemein  wichtige  Bedeutung  bei 
der  Bestimmung  des  Ortes,  welchen  die  Logo- 
pathologie in  der  Reihe  anderer  Zweige  der 
ärztlichen  Wissenschaft  einnehmen  muß,  für 
die  Hygiene  der  Sprache,  wie  auch  für  die 
Prognose  und  Behandlung  ihrer  Störungen. 

Indem  wir  die  eigentlichen  Grundmomente 
berücksichtigen,  und  zwar  die  Degeneration, 
wie  auch  die  Veränderungen  des  Nerven- 
gewebes, welche  von  kleinen  Ausartungs- 
stigmaten  begleitet  werden,  können  wir  die 
bis  jetzt  vereinzelt  stehenden  Kategorien  der 
Sprachstörungen  in  ein  Ganzes  zusammen- 
fassen und  die  Lehre  selbst  zur  Abteilung 
der  Psychopathologie  und  Neuropatho- 
logie  zählen,  wo  sie  wohl  in  kurzer  Zeit 
in  den  bezüglichen  Lehrbüchern  ihren  Platz 
finden  wird,  weil  sie,  wie  wir  gesehen  haben, 
sich  mit  der  Otiatrie  und  der  Rhinolaryngo- 
logie  nur  indirekt  verbindet. 

Der  Mangel  des  Raumes  erlaubt  mir 
nicht,  mich  ausführlich  über  die  weittragende 
Bedeutung  auszusprechen,  welche  die  auf 
diese  Weise  erklärte  Ätiologie  für  die  Hygiene 
der  Sprache  besitzt7),  ich  beschränke  mich 
also  nur  auf  die  Notiz,  daß  wir  neben  den 
speziellen  hygienischen  Fingerzeigen,  welche 
jeden  Teil  der  Sprachstörungen  betreffen,  vor 
allem  niemals  das  allgemeinste  Moment  der 
Entartung  aus  dem  Auge  lassen  dürfen.  Wenn 
wir  daran  denken,  können  wir  den  meisten 
Fällen  von  Sprachstörungen  vorbeugen,  indem 
wir  in  den  weiteren  Gesellschaftskreisen  die 
Überzeugung  verbreiten,  daß  Personen,  welche 
den  geistigen  Krankheiten,  den  Neurosen, 
constitutionellen  Leiden,  dem  Alkoholismus 
unterliegen,  oder  die  sich  durch  verschiedene 
schädliche  Substanzen  vergiften,  wie  über- 
haupt Personen,  die  aus  irgend  einem  Grunde 
eine  verminderte  Lebenswiderstandsfähigkeit 
besitzen,  alle  Aussicht  haben,  ihren  Kindern 
die  mangelhafte  Entwickelung,  die  Ausartung 
oder  Gleichgewichtslosigkeit  zu  überweisen, 
welche  sich  oft  mit  verschiedenen  Sprach- 
störungen verbinden.  Es  ist  selbstverständ- 
lich, daß  das  wirksamste  Gegenmittel  der 
pathologischen  Erblichkeit  das  Enthalten  von 
ehelichen  Bündnissen  von  erblich  behafteten 
Gesellschaftsmitgliedern  sein  würde,  eventuell 
die  Verbindung  gesunder  Personen  mit  ent- 
arteten. Mit  Hinsicht  jedoch  auf  die  Schwierig- 


7)  Diesem  Gegenstände  habe  ich  eine  besondere 
Arbeit  gewidmet.     Warschau  1901. 


keit  der  Ausführung  dieser  Aufgabe  muß  man 
die  schädliche  Wirkung  des  Erblichkeits- 
moments dadurch  abschwächen,  daß  man  die 
körperliche  Widerstandsfähigkeit  der  Eltern 
stärkt,  die  Gesellschaft  mit  der  Ätiologie 
der  Entartung  bekannt  macht,  die  Kinder 
von  Eltern  mit  psychopathischer  Disposition 
isoliert,  wie  auch  durch  eine  ganze  Reihe 
von  Mitteln,  welche  heilsam  auf  die  physische 
und  geistige  Entwickelung  dieser  Art  Kinder 
wirken,  denn  wenn  wir  die  Widerstandsfähig- 
keit ihres  Organismus  in  beiden  Richtungen 
stärken,  vermindern  wir  die  Kraft  der  hervor- 
rufenden Momente,  wie  umgekehrt  wieder 
durch  eine  nichtentsprechende  Erziehung  die 
schon  existierenden  psychischen  Mängel  ver- 
größert werden.  Auf  die  leibliche  Entwicke- 
lung der  Kinder  können  wir  heilsam  wirken, 
wenn  wir  von  der  frühesten  Kindheit  an  eine 
entsprechende  Ernährung  anwenden,  indem 
wir  den  Aufenthalt  und  Bewegung  in  frischer 
Luft,  eine  entsprechende  Gymnastik  und  Bäder 
anraten,  die  geistige  Seite  dagegen  stärken 
wir  durch  eine  entsprechende  psychische 
Hygiene.  Da  die  Gefühle  bei  der  Ausbildung 
des  Willens  und  des  Charakters  eine  wichtige 
Rolle  spielen,  so  umgeben  wir  ihre  Ent- 
wickelung mit  einer  sorgsamen  Obhut,  indem 
wir  die  gesunden  Gefühle,  die  dem  vorge- 
steckten Ziele  günstig  sind,  nähren,  indem 
wir  die  Kinder  zur  Herrschaft  über  ihre  Ge- 
fühle gewöhnen  und  schädliche  Erschütterungen 
abschwächen,  wie  unter  anderem  das  Gefühl 
der  Furcht.  Zu  demselben  Zwecke  meiden 
wir  die  frühzeitige  Gefühls-  und  Intelligenz- 
entwickelung, denn  das  erzeugt  einen  reiz- 
baren Charakter  und  zu  Neurosen  geeignete 
Menschen,  dagegen  bemühen  wir  uns,  die 
psychische  Sphäre  im  gleichmäßigen  Grade 
zu  entwickeln.  Die  wichtige  Periode  der 
geschlechtlichen  Reife  umgeben  wir  ebenfalls 
mit  einer  sorgsamen  Obhut. 

Dasselbe  bezieht  sich  mutatis  mutandis 
auf  die  Prognose  und  Behandlung  der 
Sprachstörungen.  Auf  die  Prognose  der 
Sprachstörungen,  die  von  der  mangelhaften 
Entwickelung  abhängen  und  hauptsächlich 
der  Aphasie  hat,  außer  dem  Grade  der  geistigen 
Vernachlässigung,  die  Existenz  der  anatomi- 
schen Veränderungen  im  Gehirn,  bei  der 
nasalen  Sprache,  dem  Stammeln  wie  auch 
der  fehlerhaften  Aussprache  der  Veränderungen 
in  den  Artikulationsorganen,  wie  Defekte  des 
harten  Gaumens,  die  Verkürzung  seiner  Aus- 
messung, die  unregelmäßige  Gestaltung  der 
Kiefer  u.  s.  w.  einen  Einfluß,  beim  Stottern 
und  Poltern  dagegen  der  Grad  der  Gleich- 
gewichtslosigkeit. Wenn  diese  Momente  auch 
die  Behandlung  nicht  unmöglich  machen,  so 
verlängern    sie    dennoch    die   Zeitdauer   der- 


418 


Maats,   Naueate  Arbaltan  übar  Narkose. 


[Therapeutlaehia 
Monatshefte. 


selben.  Was  die  Behandlung  anbelangt,  so 
muß  man  neben  der  Anwendung  spezieller, 
für  jede  Kategorie  der  Sprachstörungen  ent- 
sprechender Heilmethoden  das  geistige  Niveau 
bei  Störungen  heben,  die  von  der  mangel- 
haften Entwicklung  begründet  sind,  bei  Leiden 
dagegen,  die  mit  der  Gleichgewichtslosigkeit 
verbunden  sind,  und  insbesondere  bei  dem 
Stottern,  muß  man  Mittel  anraten,  die  allge- 
mein auf  das  Nervensystem  wirken,  wie 
Hydropathie ,  Klimatotherapie ,  antinervöse 
Mittel  u.  s.  w. 

Meine  Ansicht  über  die  Frage  des  Ent- 
artungsverhältnisses zu  den  Sprachstörungen 
habe  ich  ausführlich  in  einer  polnischen 
Zeitung  „Gazeta  lekarska  1898"  beschrieben 
und  in  Kürze  in  der  Monatsschrift  für  die 
gesamte  Sprachheilkunde  1898.  Es  ist  mir 
angenehm ,  zu  notieren ,  daß  die  deutschen 
Autoren,  wenn  auch  langsam,  diese  Ansichten 
zu  teilen  anfangen.  So  ist  z.  B.  in  Heft  2, 
Band  8,  Archiv  für  Laryngologie  vom  Jahre 
1898,  die  Arbeit  des  Dr.  H.  Mygind  von 
den  Ursachen  des  Stotterns  enthalten,  in 
welcher  der  Autor  bei  der  in  allen  Einzel- 
heiten ausgeführten  Analyse  von  200  beob- 
achteten Fällen  hinsichtlich  der  Ätiologie  zu 
denselben  Schlüssen  wie  ich  gelangt  ist. 
Ebenfalls  notiert  Gutzmann  in  seiner  letzten 
Arbeit  vom  Stottern,  obgleich  er  noch  nicht 
ganz  von  seinen  früheren  Ansichten  zurück- 
tritt, dennoch  die  in  vielen  Fällen  des 
Stotterns  beobachtete  Asymmetrie  des  Gesichts 
und  auch  andere,  wie  er  sie  nennt,  psychische 
Erscheinungen,  die  zweifellos  zu  den  Aus- 
artungsstigmaten  gehören,  wie  die  Furcht  vor 
dem  Räume,  die  Zwangsideen  u.  s.  w.  Ich 
habe  die  wohlbegründete  Hoffnung,  daß  wir 
mit  der  Zunahme  neuer  Arbeiter  auf  dem 
Felde  der  Sprachstörungen  nicht  lange  darauf 
zu  warten  brauchen  werden,  daß  die  ent- 
wickelten Ansichten  auch  die  übrigen  Kate- 
gorien   der   Sprachstörungen   berücksichtigen. 


Neueste  Arbeiten  über  Narkose. 

EiD  Sammelreferat. 
Von 

Dr.  Th.  A.  Maats. 

Je  mehr  die  Chirurgie  durch  Erweiterung 
der  Indikationsstellung  für  operative  Ein- 
griffe und  durch  die  verfeinerte  Technik  ihres 
Vorgehens  selbst  eine  mehr  und  mehr  domi- 
nierende Stellung  in  der  Gesamtmedizin  ein- 
nimmt, um  so  mehr  macht  sich  selbstver- 
ständlich der  Wunsch  geltend,  den  Eingriff 
von  all  den  Gefahren  zu  befreien,  welche 
nicht  unbedingt  in  der  Operation  selbst  be- 
gründet   sind,     sondern     gewissermaßen     als 


äußere,  den  Erfolg  erschwerende  Umstände 
hinzukommen.  In  dem  ständigen  Kampfe 
der  Chirurgen  gegen  diese  sich  ihnen  von 
außen  entgegenstellenden  Hindernisse  sind 
im  Verlaufe  des  letzten  Jahrhunderts  glän- 
zende Siege  erfochten  worden,  von  denen 
der  erste  die  Einführung  der  Narkose  war. 
Durch  sie  wurde  eine  große  Anzahl  von  Ein- 
griffen überhaupt  erst  möglich,  welche  früher 
durch  ihre  lange  Dauer  und  ihre  enorme 
Schmerzhaftigkeit  entweder  überhaupt  nicht 
ausführbar  waren,  oder  zu  denen  sich  der 
Patient  in  Erwartung  der  furchtbaren  Stunden, 
welche  ihm  während  und  nach  der  Operation 
bevorstanden,  nicht  entschließen  konnte,  und 
er  es  daher  vorzog,  an  seinem  Leiden,  welches 
das  Messer  des  Chirurgen  radikal  hätte  be- 
seitigen können,  unter  ungenügender  innerer 
Behandlung  langsam  zugrunde  zu  gehen. 
"Während  nun  diese  der  Menschheit  so 
segensreiche  Entdeckung  hauptsächlich  die 
Menge  der  Operationen  und  dadurch  die 
Zahl  der  Rettung  der  Kranken  aus  dem 
Gesamt  gebiete  der  Medizin  vergrößerte, 
war  es  der  Einführung  der  Antisepsis 
und  Asepsis  vorbehalten,  die  Gefahrziffer 
bei  chirurgischen  Operationen  in 
geradezu  verblüffender  Weise  herunterzu- 
drücken. Ohne  hier  mit  der  Aufführung  von 
statistischem  Material  ermüden  zu  wollen, 
genüge  zur  "Würdigung  dieser  beiden  letzt- 
genannten Fortschritte  die  einfache  Betrach- 
tung, daß  die  Laparotomie,  eine  Operation, 
welche  heute  Tausende  von  Malen  nur  zu 
diagnostischen  oder  prophylaktischen  Zwecken 
vorgenommen  wird,  vor  der  aseptischen  Ära 
ein  Eingriff  war,  welcher  alle  Zuschauer  in 
bewunderndes  Erstaunen  über  die  Kühnheit 
des  Chirurgen  versetzte;  und  für  den  ohne 
diesen  Eingriff  sicher  einem  baldigen  und 
qualvollen  Tode  geweihten  Patienten  war  ja 
immerhin  ein  Fünkchen  Hoffnung  vorhanden, 
von  seinem  Grundübel  durch  das  Messer  des 
Chirurgen  befreit,  nicht  an  der  gewöhnlichen 
Folge  dieses  Eingriffes,  der  Peritonitis,  zu- 
grunde zu  gehen.  Heute  aber  ist  man  auf 
diesem  Gebiete  so  weit  gekommen,  daß  eine 
Infektion  von  außen  ja  nur  als  ein  auCer- 
ordentlich  seltener  und  bedauerlicher  Un- 
glücksfall, wie  er  sich  leider  nie  völlig  wird 
ausschließen  lassen,  zu  betrachten  ist.  Die 
Asepsis  ist  also  ein  chirurgisches  Hilfsmittel, 
von  dem  m#n  sagen  kann,  daß  es  auf  dem 
Gipfel  seiner  Vollendung  steht. 

Etwas  anders  liegt  es  aber  leider  noch 
auf  dem  Gebiete  der  Narkose.  Nachdem 
dieser  mächtige  Bundesgenosse  des  Chirurgen 
in  sein  Arbeitsgebiet  eingetreten  ist,  zeigte 
sich  bald,  daß  ihm  noch  viel  an  Zuverlässigkeit 
fehlte,  und  er  brachte  —  darüber  darf  man  sich 


XIX.  Jahrgang."! 
Angurt  1905.  J 


Mim,  Neueste  Arbeiten  über  N&rkoie. 


419 


nicht  im  Unklaren  sein  —  seinerseits  einen 
neuen  Faktor  in  den  Gefahrenkomplex  der 
chirurgischen  Operation,  den  Narkosentodes- 
fall. Gegen  diese  üblen  Zufalle  der  Nar- 
kose, welche  ohne  irgend  welche  Rucksicht 
auf  die  Große  oder  Kleinheit  der  chirurgi- 
schen Eingriffe,  zu  denen  die  Betäubung  ein- 
geleitet wurde,  schon  manches  blühende 
Menschenleben  dahingerafft  haben,  geht  der 
standige  weitere  Kampf  der  Pharmakologen 
und  Chirurgen,  welcher  aber  leider  noch 
nicht  zu  einem  siegreichen  Ende  geführt  hat. 

Ich  hatte  wiederholt  in  diesen  Heften 
Gelegenheit,  über  die  Fortschritte  zu  be- 
richten, welche  die  Lokalanästhesie  gegen- 
über der  Allgemeinnarkose  erlangt  hat,  und 
welche  im  wesentlichen  an  die  Einführung 
der  ungiftigeren  Ersatzmittel  des  Kokains 
wie  z.  B.  Beta-Eukain  und  Stovain,  und  des 
Zusatzes  von  Adrenalin  zu  den  lokalen 
Anaestheticis  gebunden  sind,  und  der  es 
schon  gelungen  ist,  in  einer  außerordentlich 
großen  Anzahl  von  Fällen  die  allgemeine 
Narkose,  d.  h.  die  beabsichtigte  vorüber- 
gehende Vergiftung  des  zentralen  Nerven- 
systems durch  die  relativ  lokalisiert  bleibende 
therapeutische  Beeinflussung  des  Operations- 
gebietes allein,  zu  verdrängen.  Leider  aber 
ist  doch  noch  ein. großer  Teil  der  Chirurgie 
ausschließliche  Domäne  der  Allgemeinnarkose 
geblieben,  und  so  war  es  nötig,  auf  diesem 
Gebiete  weiter  zu  forschen,  wie  es  dem  Arzte 
möglich  sein  könnte,  das  dem  Körper,  sei 
es  durch  die  Atmung,  sei  es  auf  irgend  einem 
anderen  Wege,  eingeführte  Narcoticum  so  zu 
variieren  und  zu  dosieren,  daß  er  seine 
Wirkung  vollständig  in  der  Hand  behielte. 
Um  hier  einmal  gleich  einen  Zahlenbeleg  über 
den  augenblicklichen  Stand  der  Narkosen- 
technik zu  bringen,  möchte  ich  anfuhren,  daß 
aus  einer  Zusammenstellung  von  1499  Nar- 
kosen, welche  sich  aus  den  Arbeiten  von 
Puschnig,  Dirk,  Israel,  Baker  und 
Landau  (Karewski)  ergibt,  sich  noch 
11  Todesfalle,  d.  h.  ein  Prozentsatz  von 
mehr  als  7  pro  mille,  berechnen  lassen.  Ohne 
hier  auf  die  Verteilung  dieser  verschiedenen 
Todesfälle,  auf  die  verschiedenen  angewen- 
deten Narcotica  eingehen  zu  wollen,  soll 
diese  Zahl  hier  nur  zeigen,  ein  wie  ver- 
besserungsbedürftiges Gebiet  das  der  All- 
gemeinnarkose noch  heute  ist. 

Die  heute  ausgeführten  Inhalationsnarkosen 
fallen  eigentlich  ausschließlich  zwei  Mitteln 
zu,  dem  Chloroform  und  dem  Äthyläther 
sowie  verschieden  dosierten  Gemischen  dieser 
beiden  Substanzen,  welchen  manchmal  noch 
dritte,  relativ  indifferente  Substanzen  zuge- 
setzt sind.  Andere  Substanzen  wie  Stick- 
oxydul und  Äthylchlorid  kommen  ja  nur  für 


!  ganz  kleine  Eingriffe  in  Frage.  Eine  Publi- 
kation von  Harwey  Hiliiard  über  dies 
letztgenannte  Äthylchlorid  kann  mich  übrigens 
durchaus  nicht  davon  überzeugen,  daß  es 
dem  Lachgas  gegenüber  irgend  welche  Vor- 
teile besitzt,  sondern  ich  sehe  es  nach  wie 
vor  als  ein  äußerst  unberechenbares  und 
außerordentlich  gefährliches  Allgemeinnarco- 
ticum  an. 

Eine  Reihe  der  hier  vorliegenden  Publi- 
kationen befaßt  sich  gerade  mit  den  Nar- 
kosen durch  Chloroformäthergemenge,  deren 
Anwendung  aus  der  Erwägung  entsprungen 
ist,  daß  mit  dem  Chloroform,  dem  bedeutend 
stärker  wirkenden  Mittel,  es  leichter  ist,  den 
Patienten  in  das  Toleranzstadium  zu  ver- 
setzen, während  der  wenigstens  auf  das  Herz 
ungiftiger  wirkende  Äther  genügt,  die  mit 
Chloroform  eingeleitete  Narkose  zu  unter- 
halten. 

Benno  Müller  aus  Hamburg  wendet 
sich  nun  hauptsächlich  auf  Grund  von  Tier- 
experimenten gegen  die  Anwendung  derartiger 
Mischungen,  indem  er  die  Meinung  vertritt, 
daß  die  Hauptgefahr  des  Chloroforms,  Fett- 
metamorphose der  inneren  Organe  hervorzu- 
rufen, durch  nachherige  Äthergabe  in  der- 
selben Weise  fortexistiert,  als  ob  nur  Chloro- 
form gegeben  worden  wäre,  und  sich  hierbei 
außerdem  je  nach  der  Dosierung  des  Ge- 
misches auch  noch  die  spezifische  Äther- 
wirkung, d.  h.  Reizung  der  Luftwege,  geltend 
machen  könnte.  Dieser  experimentellen  Ar- 
beit allerdings  steht  die  große  Anzahl  klini- 
scher Mitteilungen  entgegen,  welche  ausge- 
zeichnete Erfolge  mit  der  Mischnarkose  auf- 
führen können. 

Um  hier  gleich  eine  andere  Narkosen- 
art, welche  in  gewissem  Sinne  auch  den 
Titel  „  Mischnarkose  tt  verdient,  zu  behan- 
deln, erwähne  ich  die  Chloroformsauer- 
stoffharkose,  welche,  mit  großem  Enthusias- 
mus begrüßt,  doch  wohl  nicht  all  das  ge- 
halten hat,  was  sie  zuerst  versprach.  So 
berichtet  uns  Dr.  R.Roth  fuchs  aus  dem  Hafen- 
Krankenhause  zu  Hamburg  über  einen  typi- 
schen Chloroformtodesfall,  welcher  nach  An- 
wendung von  nur  47a  g  Chloroform  im  Roth- 
Drag  er  sehen  Apparat  sich  ereignete,  und 
kommt  auf  die  anderen  Fehler,  welche  diesem 
Verfahren  anhaften,  nämlich  die  Verzögerung 
des  Eintrittes  der  Toleranz,  zu  sprechen. 
Wollte  man  der  von  Roth  ausgesprochenen 
Theorie,  daß  der  Sauerstoff  ein  Gegengift  des 
Chloroforms  sei,  beipflichten,  so  wäre  ja 
diese  Narkose  schon  aus  einfach  theoretischen 
Überlegungen  ein  Unding,  denn  man  wird 
ja  nicht  unnötigerweise  den  menschlichen 
Körper,  bei  welchem  man  die  Einwirkung 
des    einen  Giftes  erzielen  will,    zum  Kampf- 


J 


420 


Maata,  Neueste  Arbeiten  Ober  Narkose. 


TTberapeatieehe 
L   Monatsheft«. 


platze  dieses  mit  seinem  Antidote  machen. 
Es  wäre  dann  das  richtige,  eben  nur  das 
Antidot  in  Form  des  außerordentlich  hand- 
lichen komprimierten  Sauerstoffes  bereitzu- 
halten, um  es  gegebenenfalls,  d.  h.  wenn  die 
Chloroformvergiftung  über  das  gewünschte 
Maß  hinausgeht,  anzuwenden.  Aber  auch 
hier  scheint  sich  wieder  einmal  Theorie  und 
Praxis  zu  widersprechen,  und  eine  große 
Anzahl  von  Chirurgen  sind  mit  der  Chloro- 
form- resp.  Äther-Sauerstoffnarkose  sehr  zu- 
frieden, eine  Beobachtung,  welche  dadurch 
nicht  an  Wert  verliert,  daß  auch  bei  dieser 
Methode  einmal  ein  Todesfall  zu  be- 
klagen war. 

Nachdem  ich  bisher  über  die  Narkose 
mit  Chloroformäthergemengen  berichtet  habe, 
wäre  es  jetzt  an  der  Zeit  zu  betrachten, 
welchem  der  beiden  Mittel  allein,  dem  Chloro- 
form oder  dem  Äther,  der  Vorzug  zu  geben 
wäre.  Diese  seit  Jahren  und  Jahren  in  der 
Luft  schwebende  Frage,  welche  wohl  augen- 
blicklich mehr  zum  Vorzuge  des  Äthers  ent- 
schieden zu  werden  verspricht,  läßt  sich  natür- 
lich hier  in  wenigen  Worten  nicht  behandeln. 
Interessante  Beiträge  hierzu  sind  einige  experi- 
mentelle Arbeiten,  welche  die  enorme  und  den 
Äther  um  ein  vielfaches  übertreffende  Giftigkeit 
des  Chloroforms  für  das  isolierte  Säugetierherz 
beweisen,  sowie  eine  Mitteilung  von  Pletzer 
aus  Bonn,  welcher  sich  mit  der  Äthernarkose 
und  mit  den  postoperativen  Entzündungen 
der  Luftwege  befaßt.  Pletzer  kommt  zu 
dem  Schlüsse,  daß  in  dieser  Beziehung  dem 
Äther  mehr  Schlechtes  nachgesagt  wird  als 
er  verdient,  da  nicht  nur  nach  Chloroform- 
anwendung, sondern  sogar  auch  häufig  nach  in 
Schi  eich  scher  Lokalanästhesie  ausgeführten 
Operationen  Pneumonien  beobachtet  worden 
sind,  so  daß  bei  vielen  Eingriffen  nicht  das 
Mittel,  der  Äther,  sondern  einerseits  der  Art 
des  Eingriffes  —  namentlich  Operationen  in 
der  Peritonealhöhle  scheinen  das  Entstehen 
von  Lungenaffektionen  zu  begünstigen  —  und 
andrerseits  Kunstfehlern  bei  der  Narkose, 
weiche  die  Aspiration  infektiösen  Mund- 
inhaltes möglich  machen,  die  Schuld  an 
diesen  postoperativen  Störungen  beizulegen 
ist.  AI  8  die  vorteilhafteste  Methode  der 
Äthernarkose  sieht  Pletzer  die  Witze  Ische 
Tropfnarkose  unter  Anwendung  der  gewöhn- 
lichen Esmarch  sehen  Chloroformmaske  an. 
In  bezug  auf  die  Einzelheiten  dieser  Me- 
thode wie  die  vorherige  Darreichung  kleiner 
Morphiumdosen,  dem  eventuellen  Annarkoti- 
sieren mit  einigen  Tropfen  Chloroform  und 
der  schließlich  gegen  die  Aspiration  gerich- 
teten forcierten  Reklination  des  Kopfes  ver- 
weise ich  auf  das  Original  sowie  auf  die 
verschiedenen     Witz  eischen    Arbeiten    über 


dieses  Thema.  Der  von  Pletzer  apodiktisch 
ausgesprochene  Satz  „der  Äther  ist  gefahr- 
loser als  das  Chloroform a,  erfährt  auch  durch 
eine  mir  vorliegende  Arbeit  zweier  schotti- 
scher Autoren,  Harold  J.  Stiles  und  Stuart 
M'  Donald,  welcher  auf  zwei  mit  schwer 
anatomischen  Läsionen,  namentlich  fettiger 
Degeneration  der  inneren  Organe  einhergehende 
Todesfälle,  welche  sich  erst  mehrere  Tage 
nach  den  Operationen  bei  2  Kindern  er- 
eigneten und  wohl  fraglos  als  verspätete 
Chloroformvergiftungen  aufzufassen  sind,  eine 
Bestätigung. 

Bei  der  Besprechung  der  Pletzer  sehen 
Arbeit  erwähnte  ich  schon  die  Vorbereitung 
zur  Narkose  durch  Morphiumeinspritzung,  und 
es  scheint  dies  zunächst  ein  Gebiet  zu  sein, 
welches  vielleicht  Erfolge  zu  zeitigen  berufen 
ist.  Während  man  das  Morphium  allein  vor 
der  Narkose  schon  seit  längerer  Zeit  an- 
wendete, namentlich  auch,  um  den  Patienten 
schon  in  etwas  künstlich  beruhigtem  Zu- 
stande den  Vorbereitungen  zur  Operation  ent- 
gegensehen zu  lassen  und  um  außerdem  den 
Eintritt  der  Inhalationsanästhesie  zu  be- 
schleunigen, hat  diese  Methode  eine  Ver- 
besserung dadurch  erfahren,  daß  man  dem 
ja  eigentlich  nur  hypalgesierend  und  allge- 
mein beruhigend  wirkenden  Morphium  ein 
zweites  Mittel,  das  mächtige  Hypnoticum 
Skopolamin,  hinzufügte.  Es  ist  hier  nicht 
der  Platz,  auf  die  Schneiderlin-Korffsche 
Skopolamin-Morphiumnarkose  sowie  auf  den 
von  vielen  behaupteten,  aber  von  niemandem 
sicher  bewiesenen  Antagonismus  zwischen 
diesen  beiden  Substanzen  näher  einzugehen, 
sondern  ich  möchte  nur,  wie  schon  erwähnt, 
von  diesen  Einspritzungen  als  Vorbereitung 
zur  Inhalationsnarkose  sprechen. 

Eine  außerordentlich  ausführliche  Mit- 
teilung über  dieses  Gebiet  liegt  aus  der 
geburtshilflichen  gynäkologischen  Abteilung 
des  Landes-Krankenhauses  in  Klagenfurt  von 
Dr.  Roman  Puschnig  vor:  Die  700  Nar- 
kosen verteilen  sich  auf  die  in  der  folgenden 
Tabelle  angeführten  Narcotica. 


Inj  ektions-Narcoticum 


Morphin 

Morphin-Skopolamin 
Morphin-Skopolamin 
Morphin-Skopolamin 

Morphin-Skopolamin 

Morphin-Skopolamin 
Morphin-  Skopolamin 


Zahl 
Inhalatlona-Narcotleuni  I      der 
Narkoa« 


Chloroform 
Äther 

Chloroform-Äther 
Chloroform 
Chloroform 
Äther  nach  Witzel 
Äther-Chloroform 
nach  Witzel 

405 

20 

6 

45 

132 

5 

65 
7 
1 

10 
4 

Anästhol 
Anasthol 
An&sthol-Chloroform 

Summa    700 


XIX.  Jahrgftng.1 
Angnrt  1906.  J 


Mim,  Neueste  Arbeiten  über  Narkose. 


421 


Um  den  Wert  der  vorbereitenden  Injektion 
bei  den  verschiedenen  Arten  der  Inhalations- 
narkose genauer  erwägen  zu  können,  folge 
ich  der  von  dem  Autor  eingehaltenen  Ein- 
teilung, und  es  wäre  als  erstes  zu  betrachten 
die  Morphin -Skopolamin- Injektion  als  Ad- 
juvans  der  Chloroformnarkose.  Aus  den  132 
in  dieser  Art  ausgeführten  Narkosen  zieht 
der  Verfasser  das  nach  seinen  eingehenden 
Einzelbeobachtungen  durchaus  berechtigte 
Resume,  daß  die  Morphin- Skopolamin-Inj  ek- 
tion,  und  zwar  in  der  Menge  von  Va  mg  Sko- 
polamin und  1  cg  Morphin,  ungefähr  30  Minuten 
vor  Einleitung  der  Inhalationsnarkose  der 
reinen  Morphininjektion  vorzuziehen  ist,  weil 
sie  vor  der  Narkose  eine  bedeutend  stärker 
beruhigende  Wirkung  zeigt,  dann  das  Exzi- 
tationsstadium  ausschaltet,  den  Eintritt  des 
Toleranzstadiums  beschleunigt,  die  zu  ver- 
wendende Chloroformmenge  verringert,  welche 
Verringerung  übrigens  hauptsächlich  auf  die 
durch  das  kürzere  Antetoleranzstadium  bedingte 
Verkürzung  der  Gesamtnarkose  zurückzuführen 
ist.  Nach  der  Narkose  sind  die  mit  Morphin- 
Skopolamin  vorbehandelten  Patienten  ruhiger, 
und  tritt  auch  das  Erbrechen  seltener  resp. 
später  ein.  Die  oben  erwähnte  Chloroform- 
ersparnis ist  jedoch  nur  eine  geringe,  so 
daß  wohl  die  Gefahr  der  reinen  Chloroform- 
narkose durch  die  vorhergehende  Einspritzung 
nicht  sehr  herabgedrückt  wird.  Viel  günstiger 
tritt  die  Wirkung  der  vorhergehenden  Morphin- 
Skopolamin-Injektion  bei  Verwendung  der 
Witzeischen  Ätherchloroformnarkose,  welche 
Verfasser  unter  Verwendung  der  Sudeck  - 
Maske  ausführte,  ein.  Hier  kommt  zu  den 
vorhin  erwähnten  Vorzügen  noch  einer  hinzu, 
nämlich  eine  außerordentlich  günstige  Beein- 
flussung der  nach  Äther  immer  so  unange- 
nehm auffallenden  stark  vermehrten  Sekretion, 
welche  infolge  der  hemmenden  Wirkung  des 
in  dieser  Beziehung  atropin artig  wirkenden 
Skopolamins  fast  ausgeschaltet  wird. 

Ein  ganz  außerordentlich  weites  Gebiet 
scheint  dem  Skopolamin  -  Morphiumgemisch 
noch  als  schmerzlindernde  Arznei  während 
der  Geburtsperiode  vorbehalten  zu  sein. 

Eine  in  einer  zweiten  Arbeit  behandelte 
Verwendung  des  Morphin- Skopolamins,  wie 
sie  uns  Dr.  Dirk  von  der  chirurg.  Abteilung 
des  St.  Hedwigkrankenhauses  in  Berlin  schil- 
dert, unterscheidet  sich  von  der  vorigen  durch 
die  größere  verwendete  Menge  dieser  beiden 
Substanzen  und  ist  daher  schön  mehr  als 
reine  Morphin-Skopolamin-Narkose  mit  nach- 
folgender Anwendung  ganz  geringer  Mengen 
von  Inhaiationsanaestheticis  aufzufassen.  Die 
auf  mehrere  Spritzen  verteilte,  von  Dirk 
angewendete  Menge  der  Alkaloide  beträgt 
meist  im   ganzen   1    bis    ll/smg   Skopolamin 


und  21/3'— 3  cg  Morphium.  Die  Art  der  in 
dieser  Narkose  ausgeführten  Operationen  er- 
leuchtet aus  der  folgenden  Tabelle. 

Nach  der  Art  der  Operation  geordnet, 
wurden  operiert: 

46  Perityphlitiden  im  Intervall, 

17  Exstirpationen  der  Gallenblase, 

15  Magenoperationen:  Resektionen  and  Gastro- 
enterostomien, 
6  Entero-Anastomosen, 
6  Nephrektomien  bezw.  Nephrotomien, 

1  Splenektomie  wegen  Morbus  Banti, 

3  Coecumresektionen  wegen  Tuberkulose, 
21  Colon-  und  Rectumresektionen  bezw.  Am- 
putationen, 

18  andere    Darmoperationen     wie    Prolapse, 

Anlegung  oder  Schluß  des  Anus  präter- 
naturalis  etc. 
13  sonstige  Laparotomien, 

18  gynäkologische    Operationen:    Totalezstir- 

pationen,  Ovariektomien,  Myomektomian, 
Kolporraphien, 
21    Radikaloperationen    von    inguinalen    oder 
cruralen  Hernien, 

3  Radikal  Operationen  von  Umbilicalhernien, 

Sa.  188  Bauchoperationen. 

Von  den  übrigen  Operationen  sind  zu 
bemerken: 

19  Mamma- Amputationen  wegen  Karzinom, 
11  Resektionen  bezw.  Amputationen  von  Ex- 
tremitäten, 

4  osteomyelitische  Knochenaufmeißelungen, 
3  Plastiken, 

2  Aufmeißelungen  des  Warzenfortsatzes, 

5  Tumorezstirpationen :   Drüsen,  Lipome  etc. 

Diese  Art  der  Narkose  zeigt  die  Vorteile, 
daß,  wie  schon  gesagt,  nur  sehr  wenig 
des  Inhalationsnarcoticums  angewendet  zu 
werden  braucht,  und  es  ist  auch  ein  vom 
Standpunkte  der  Humanität  außerordentlich 
angenehmer  Faktor,  daß  der  Patient  bereits 
in  einem  so  somnolenten  Zustande  auf  den 
Operationstisch  gelangt,  daß  ihm  jede  Spur 
von  Aufregung  erspart  bleibt.  Leider  hatte 
Verfasser  unter  seinen  gesammelten  Sko- 
polamin-Morphinnarkosen  3  Todesfalle  zu 
verzeichnen,  allerdings  bei  an  sich  schon 
äußerst  dekrepiden  Patienten.  Die  noch  in 
dasselbe  Gebiet  gehörenden  2  von  J.  Israel 
aufgeführten  Todesfälle  nach  Morphin-Skopo- 
lamininjektion  lassen  doch  wieder  zur  äußersten 
Vorsicht  mit  diesen  Mitteln,  namentlich  in 
größerer  Dosierung,  raten.  Den  Gefahren 
der  Morphin-Skopolaminanwendung  gegenüber 
stehen  eine  große  Reihe  von  Vorzügen,  welche 
Dirk  folgendermaßen  zusammenfaßt:  1.  Weg- 
fall des  Angst-  und  Erregungsgefühls  vor  der 
Operation:  2.  der  schonende  Übergang  zur 
Vollnarkose  ohne  Erstickungsgefühl  und  Angst- 
gefühl; 3.  ruhige,  gleichmäßige  Narkose  ohne 
Salivation,  ohne  Tracheairasseln,  ohne  Husten, 
ohne  Brechreiz,  ohne  Asphyxie,  ohne  Kollaps ; 
4.  langer  Schlaf  nach  der  Operation  und 
dadurch  Verschontbleiben  des  Patienten  vom 


422 


Maats,  Neueste  Arbeiten  über  Narkose. 


rTfaerapetitiftehe 
L   Monatshefte. 


ersten  "Wundschmerz ;  5.  Ausbleiben  des 
Erbrechens  auch  nach  der  Operation;  und 
schließlich  6.  haben  wir  nach  der  Meinung 
des  Verfassers  in  der  reinen  Skopolamin- 
Morphinnarkose  ein  Mittel,  welches  uns  auch 
bei  denjenigen  Patienten  eine  Narkose  ermög- 
licht, bei  denen  Chloroform  oder  Äther  lebens- 
gefährlich wirken  kann  —  eine  Auffassung, 
welche  wohl  heute  durch  die  Tatsachen  noch 
nicht  vollständig  bestätigt  ist. 

Sollte  nun  aus  dem  bisher  Mitgeteilten 
nach  sorgfältiger  Erwägung  des  pro  und  contra 
die  Wagschale  sich  doch  noch  zugunsten  des 
Skopolamin-Morphiums  neigen,  so  sind  die 
zwei  im  folgenden  zu  besprechenden  Mit- 
teilungen geeignet  zu  beweisen,  ein  wie  ge- 
fährliches und  unberechenbares  Mittel  die 
Einverleibung  dieser  Alkaloidkombination  ist. 

So  berichtet  Bakes  aus  dem  Kranken- 
hause Trebitsch  über  200  Narkosen  mit 
vorbereitender  Skopolamin- Morphium- Injek- 
tion, unter  denen  er  3  Fälle  mit  tödlichem 
Ausgang  zu  beklagen  hatte.  Die  Alkaloid- 
dosen,  nach  denen  sich  diese  3  Todesfälle, 
und  zwar  zweimal  am  Schlüsse  der  Ope- 
ration und  einmal  ungefähr  4  Stunden  nach 
dem  Eingriff,  ereigneten,  betrugen  0,5  mg 
Sc  -+-  1,5  cg  Mo  resp.  1,0  mg  Sc  -+-  2,75  cg 
Mo  resp.  0,8  mg  Sc  -f-  2  cg  Mo.  Zur  Ver- 
tiefung der  Narkose  wurde  Äther  gegeben. 
Der  letzte  postoperative  Todesfall  gerade  be- 
wies mit  solcher  Deutlichkeit  den  kausalen 
Zusammenhang  mit  der  Morphium-Skopola- 
min-Darreichung ,  daß  er  den  Autor  zum 
völligen  Aufgeben  der  Methode  zwang.  Noch 
schneller  trat  dieser  Erfolg  —  das  Aufgeben 
der  Sc  -+-  Mo-Narkose  in  der  Karewski- 
schen  Klinik  ein.  Wie  uns  Landau  be- 
richtet, waren  dort  16  Narkosen  mit  1  mg 
Sc  -h  2  bis  3  cg  Mo  mit  gutem  Erfolge  aus- 
geführt worden,  bis  der  17.,  unter  dieser  Be- 
täubung ausgeführte  Eingriff  mit  so  unver- 
kennbarer Sicherheit  die  Gefährlichkeit  des 
Alkaloidgemisches  bewies,  daß  man  auf  seine 
fernere  Anwendung  sofort  verzichtete.  Dieser 
Fall,  welcher  deutlich  das  Bild  der  Morphium- 
Skopolamin- Vergiftung  zeigt,  sei  hier  wört- 
lich zitiert  (Landau): 

Magerer,  66  Jahre  alter  Herr;  geringe  Arterio- 
sklerose; keine  auffallende  Anämie;  Herz,  Lungen, 
Harn  ohne  besonderen  Befund.  —  Zwei  Stunden 
vor  der  Operation  0,9  mgS,  2  cg  M;  tiefe  Narkose. 
Vier  innere  Hämorrhoidenknoten  von  Haselnuß- 
größe werden  nach  Kokaininjektion  der  Basis  (im 
ganzen  3  cg  Coc.  mur.)  unter  sehr  geringem  Blut- 
verlust ausgeschnitten,  die  Wunden  genau  vernäht. 
AiroLtamponade.  Die  Venenknoten  waren  nicht 
throrabosiert. 

Patient  wacht  eine  Stunde  post  operationem 
auf,  ist  unruhig,  klagt  über  Schmerzen,  will  sich 
umdrehen.  Puls,  wie  während  der  ganzen  Ope- 
ration, gut.  Aussehen  nicht  mehr  cyanotisch,  als 
wir  es  nach  M-S  öfters  gesehen  hatten.  —  2lu  Stunden 


nach  der  Operation  plötzlicher  Herzkollaps,  der 
auf  Kampfer  langsam  weicht;  eine  halbe  Stande 
später  wird  der  Puls  wieder  schlecht  und  kehrt 
trotz  kunstlicher  Atmung,  Sauerstoff,  Kampfer  nicht 
wieder.    Tod  unter  dem  Bilde  der  Herzlähmung. 

Trotzdem  also  in  diesem  wie  auch  in 
einigen  der  anderen  todlich  verlaufenen  Fälle 
nicht  einmal  die  Einzeldosen  der  Pharma- 
kopoe erreicht  waren,  war  doch  nach  der  Ver- 
wendung der  Kombination  der  beiden  Mittel 
der  Verlust  von  Patienten  zu  beklagen.  Es 
ist  hier  nicht  der  Ort,  Theorien  zu  erörtern, 
wie  die  tödlichen  Vergiftungen  zustande  ge- 
kommen sind,  ob  es  sich  um  eine  additive 
Wirkung  der  beiden  sogenannten  Antago- 
nisten handelt,  oder  ob  das  eine  Gift  gegen 
das  andere  anaphyl aktisch  wirkt,  d.  h.  den 
Korper  gegen  die  Wirkung  des  anderen  höher 
sensibilisiert,  sondern  man  muß  aus  all  den 
hier  gegebenen  —  übrigens  durchaus  nicht 
auf  Vollständigkeit  Anspruch  machenden  — 
Mitteilungen  den  Schluß  ziehen,  daß  die  An- 
wendung von  Skopolamin -Morphium,  wenig- 
stens in  einigermaßen  größeren  Dosen,  einen 
äußerst  bedrohlichen  Eingriff  darstellt,  dessen 
Vorteile  in  keinem  Verhältnis  zu  seiner  Ge- 
fährlichkeit zu  stehen  scheinen.  Besser  als 
alle  Worte  wird  diese  enorme  Gefahr  durch 
die  von  Landau  berechnete  Sterblichkeits- 
ziffer von   1  :  100  bewiesen. 

Man  muß  hiernach  dem  von  Bakes  über 
die  Skopolamin-Morphium-Narkose  gegebenen 
Kennwort:  Unsicher  und  gefährlich, 
völlig  beistimmen. 

Nachdem  ich  so  in  Kürze  über  die  Ver- 
besserungsversuche der  Allgemeinnarkose  im 
Laufe  der  allerletzten  Zeit  berichtet  habe, 
drängt  sich  die  Frage  auf,  ob  wir  eigentlich 
auf  diesem  Gebiete  in  der  besagten  Zeitspanne 
etwas  Wesentliches  erreicht  haben?  Hier  muß 
man  sich  die  Antwort  geben,  daß  die  auf  dem 
Gebiete  der  Inhal ations-  und  Injektionsnar- 
kose erreichten  Fortschritte,  wenigstens  in  be- 
zug  auf  Einschränkung  der  Gefahren  dieser  vor- 
bereitenden Eingriffe,  doch  recht  geringe  sind. 
Trotzdem  aber  oder  sogar  um  so  mehr  wird 
auf  dieser  Bahn  weiter  fortgeschritten  werden 
müssen,  und  hoffentlich  werden  fernere  Ver- 
suche hier  wirklich  einmal  einen  bedeutenden 
Fortschritt  durch  Auffindung  eines  möglichst 
ungefährlichen  Allgemeinnarcoticums  zeitigen. 
Es  möchte  mir  jedoch  fast  scheinen,  als  ob 
der  oben  angedeutete  andere  Weg,  die  mög- 
lichst vollständige  Verdrängung  der  Allgemein- 
narkose durch  die  lokale  Anästhesie,  das  in 
absehbarer  Zeit  erfolgreichere  und  daher  dank- 
barere Vorgehen  sein  dürfte. 

Literaturverzeichii  i*. 
1.    Bakes,  Beiträge  zur  Bauchchirurgie.    Langen- 
becks  Archiv  Bd.  74,  H.  4. 


XIX-  Jahrgang."] 
Aogmt  1905.  J 


Koeppe,  Gesetz  des  osmotischen  Gleichgewichts. 


423 


2.  Dirk,  Über  die  Skooplamin-Morphi  um -Narkose. 

Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  10, 
S.  378. 

3.  Hilliard,  EL,  Ethyl-Chloride  as  an  anaesthetic 

in  general  practice.  The  Practionner  1906, 
No.  2,  S.  203. 

4.  Israel,   J.,    Diskussion   zu   Dirk.    Deutsche 

med.  Wochenschr.  1905,  No.  10,  S.  380. 

5.  Landau,    H.,    Der   Tod    in    der   Morphium- 

Skopolaminnarkose.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1905,.  No.  28,  S.  1108. 

6.  Müller,  B.,  Über  Mischnarkosen  im  Vergleich 

zur  reinen  Chloroform-  oder  Äther-Narkose. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  8, 
S.  296. 

7.  Pletzer,  H.,  Äthernarkose  und  postoperative 

Entzündungen  der  Luftwege.  Med.  Klinik 
1905,  No.  §0,  S.  490. 

8.  Pu  sehnig,    R.,    Über  neuere  Narkosenmittel 

und  Methoden,  insbesondere  Morphin-Sko- 
polamin.  Wiener  klin.  Wochenscnr.  1905, 
No.  16,  S.  395. 

9.  Rothfuchs,    R.,    Zur   Frage    der  Sauerstoff- 

Chloroform-Narkose.  Münch.  med.  Wochen- 
schr. 1905,  No.  17,  S.  811. 

10.  Stiles,  H.  J.  und  M'Donald,  St.,  Delayed 

Chloroform  poisoning.  The  Soottish  med.  a. 
surgic.  journ.,  B.  40,  No.  2,  S.  97. 

11.  Witzel,  Münch. med.Wochenschr.  1902,  No. 48. 


Antwort 

auf  „Ein ige  Bemerkungen  zu  H.  Koeppes 

Arbelt:  Über  das  Gesetz  des  osmotischen 

Gleichgewichts   im   Organismus."    Von 

Prof.  H.  Strauß  in  Berlin. 

Von 
Privatdozent  Dr.  H.  Koeppe  in  Gießen. 

Herr  Prof.  H.  Strauß  beginnt  seine  „Be- 
merkungen "  zu  meiner  Arbeit  „Über  das 
Gesetz  des  osmotischen  Gleichgewichts  im 
Organismus"  u.  a.  mit  den  Worten:  „Seine 
(Koeppes)  Darstellung  erweckt  den  An- 
schein, als  hatte  ich  im  Jahre  1902  in  einer 
Arbeit  „Über  osmotische  und  chemische  Vor- 
gänge im  menschlichen  Chylus"  ohne  eine 
genügend  klare  Begründung  eine  andere 
Anschauung  über  den  Umfang  der  Veränder- 
lichkeit des  osmotischen  Drucks  des  mensch- 
lichen Blutserums  vertreten  als  2  Jahre  vor- 
her bezw.  1  Jahr  vorher.  Dieser  Anschein 
wird  dadurch  erweckt  u.  s.  w." 

Darauf  habe  ich  zunächst  zu  antworten, 
daß  ich  durchaus  keinen  „Anschein"  er- 
wecken wollte,  sondern  ich  habe  klipp  und 
klar  gesagt:  „Diese  sich  widersprechenden 
Schlußfolgerungen  1901  und  1902  in  den 
Strauß  sehen  Arbeiten  und  denen  seiner  Mit- 
arbeiter zu  klären,  ist  mir  nicht  möglich, 
wohl  aber  erscheinen  mir  die  Versuchsresul- 
tate im  Lichte  des  Gesetzes  vom  osmotischen 
Gleichgewichte  wohl  miteinander  vereinbar." 

Was  nun  den  Punkt:  Veränderlichkeit 
des    osmotischen  Druckes    des   menschlichen 


Blutplasmas  anbelangt,  so  muß  man  nach 
den  vorliegenden  Zeilen  des  Herrn  Prof.  Strauß 
annehmen,  daß  es  sich  hierbei  nur  um  Ab- 
weichungen über  den  Umfang  der  Veränder- 
lichkeit handelt,  die  zwischen  der  S  trau  fi- 
schen und  meiner  Auffassung  beständen.  Das 
ist  etwas  ganz  anderes  als  Prof.  Strauß 
früher  angegeben  hat.  Ich  stelle  die  Angaben 
des  Herrn  Prof.  Strauß  nebeneinander: 

1905.  „Seine  (Koeppes)  Darstellung  er- 
weckt den  Anschein,  als  hätte  ich  im  Jahre 
1902  in  einer  Arbeit  „Über  osmotische  und 
chemische  Vorgänge  im  menschlichen  Chylus" 
ohne  eine  genügend  klare  Begründung  eine 
andere  Anschauung  über  den  Umfang  der 
Veränderlichkeit  des  osmotischen  Drucks  des 
menschlichen  Blutserums  vertreten  als  2  Jahre 
zuvor",  und  weiter  unten:  „Vor  allem  hat 
Koeppe  übersehen,  daß  sich,  wie  aus  der 
Arbeit  ersichtlich  ist,  mein  Einspruch  gegen 
den  von  Koeppe  vertretenen  Umfang  der 
Veränderlichkeit  des  osmotischen  Drucks  des 
menschlichen  Blutserums  u.  s.  w." 

1903.  „Was  die  Konstanz  des  osmoti- 
schen Drucks  des  Bluts  alimentären  Ein- 
griffen gegenüber  anbelangt,  eine  Frage,  die 
auch  ich  für  die  Balneologie  für  sehr  wichtig 
halte,  so  vertrete  ich  auch  nach  den  heutigen 
Vorträgen  noch  die  Auffassung  einer  Kon- 
stanz bei  demselben  Individuum,  wenn 
dieses  gesund  ist."  (Veroffentl.  der  Hufe- 
landischen Gesellschaft,  Berlin  1903,  Seite  63.) 

1900.  „Man  kann  im  Experimente 
durch  eine  übertrieben  starke  Salzu- 
fuhr  eine  vorübergehende  Steigerung  des  os- 
motischen   Drucks    im    Blute    erzwingen." 

(Verhandl.  des  XVIII.  Kongr.  f.  innere 
Medizin  1902,  S.  563.) 

1899.  „Die  molekulare  Konzen- 
tration des  Blutserums  des  Menschen 
(und  auch  verschiedener  Tierspezies)  stellt 
eine  physiologische  Konstanz  dar.  Das 
Blutserum  hat  die  konstante  Gefrierpunkts- 
erniedrigung von  0,56°C."  (v.  Koranyi, 
Winter,  Hamburger)  (Roth-Strauß,  Zeit- 
schrft.  f.  klin.  Medizin  1899). 

Der  Gang  der  Anschauungen  von  Herrn 
Prof.  Strauß  ist  also  folgender:  1899  Kon- 
stanz des  osmotischen  Drucks  entsprechend 
der  Gefrierpunktserniedrigung  von  0,56°  C., 
1900  Änderung  des  osmotischen  Drucks  des 
Blutes  möglich  im  Experiment  bei  über- 
triebener Salzzufuhr,  1903  Konstanz  des 
osmotischen  Drucks  des  Blutes  bei  demselben 
Individuum,  wenn  dasselbe  gesund  ist,  1905 
Widerspruch  gegen  den  Umfang  der  Ver- 
änderlichkeit des  osmotischen  Drucks  des 
Blutes. 

Die  Koepp eschen  Anschauungen,  welche 
Herr  Prof.  Strauß  bekämpft,  sind  seit  1896 


424 


Koeppe,  Gaset*  des  osmotischen  Gleichgewichts. 


rTherapentisehe 
L   Monatshefte. 


stets  dieselben  geblieben:  „Der  osmotische 
Druck  derselben  Körperflüssigkeit  wird  nicht 
immer  der  gleiche  sein,  aber  doch  nur  in 
engen  Grenzen  schwanken."  (Arch.  f.  d.  ges. 
Physiologie  Bd.  62,   1896,  S.  573.) 

Die  jetzt  1905  von  Herrn  Prof.  Strauß 
vertretene  Anschauung,  die  sich  nur  noch 
gegen  den  Umfang  der  Veränderlichkeit  des 
osmotischen  Drucks  richtet,  nähert  sich  der 
meinigen  eigentlich  schon  so  weit,  daß  man 
von  einer  Bekämpfung  meiner  Anschauungen 
nicht  mehr  reden  kann,  ebensowenig  wie 
ich  gegen  die  von  Herrn  Prof.  Strauß  nach 
und  nach  modifizierte,  jetzt  aufgegebene  „Kon- 
stanz des  osmotischen  Drucks"  jetzt  noch 
etwas  einzuwenden  habe,  es  genügt  mir  auch 
diese  indirekte  Anerkennung  meines  Stand- 
punktes. 

Nachdem  ich  so  festgestellt  habe,  daß 
Herr  Prof.  Strauß  früher  nicht  nur  gegen 
den  von  Koeppe  vertretenen  Umfang  der 
Veränderlichkeit  des  osmotischen  Drucks 
Einspruch  erhoben  hat,  sondern  eine  Kon- 
stanz des  osmotischen  Drucks  des  Blutserums 
aus  seinen  Untersuchungen  ableitete,  komme 
ich  zu  dem  2.  Punkt  der  Divergenz  unserer 
Ansichten,  nämlich  der  Begründung  der 
Ansicht  von  der  Konstanz  des  osmotischen 
Drucks  des  Blutes  durch  Herrn  Prof.  Strauß: 

„Vor  allem  hat  Koeppe  übersehen,  daß 
sich,  wie  aus  der  Arbeit  ersichtlich  ist,  mein 
Einspruch  gegen  den  von  Koeppe  vertretenen 
Umfang  der  Veränderlichkeit  des  osmotischen 
Drucks  des  menschlichen  Blutserums"  (der 
Einspruch  von  Prof.  Strauß  richtete  sich 
aber  nicht  gegen  den  von  Koeppe  vertretenen 
Umfang  der  Veränderlichkeit,  sondern  gegen 
die  Veränderlichkeit  überhaupt)  „keineswegs 
allein  und  auch  nicht  einmal  vorwiegend  auf 
das  Ergebnis  meiner  Chylusuntersuchungen 
gründet,  sondern  auf  eine  zusammenfassende 
Betrachtung  der  in  derselben  Arbeit  zitierten, 
gleichsinnig  ausgefallenen  Ergebnisse  der 
kryoskopischen  Untersuchungen  von  Viola, 
meiner  eigenen  an  der  Milch  gewonnenen 
Befunde  sowie  der  mir  damals  schon  vor- 
liegenden und  auch  in  meiner  Arbeit  schon 
erwähnten  Ergebnisse  von  Großmanns  Ver- 
suchen, die  in  ihrer  Gesamtheit  an  sich  schon 
genügten,  um  die  Koeppe  sehen  Anschauun- 
gen zu  bekämpfen.  Neben  diesen  Befunden 
habe  ich  allerdings  gleichzeitig  auch  das  Er- 
gebnis meiner  Chylus versuche  mit  berück- 
sichtigt. Warum  ich  die  Gesamtheit  der 
genannten  Befunde  höher  anschlug  als  die 
am  Tiere  gewonnenen  Ergebnisse  von  Nagel- 
schmidt,  habe  ich  klipp  und  klar  ausge- 
sprochen." 

Ich  habe  durchaus  nicht  übersehen,  daß 
Prof.  Strauß  mehrere  Gründe  für  seine  An- 


sicht von  der  Konstanz  des  osmotischen 
Drucks  des  Blutplasmas  hat.  In  meiner 
Arbeit  über  „Das  Gesetz  des  osmotischen 
Gleichgewichts  im  Organismus"  habe  ich  in 
bezug  auf  die  Strauß  sehen  Arbeiten  und 
seiner  Mitarbeiter  hervorgehoben:  „In  keiner 
Weise  wird  weder  von  Strauß  noch  von 
Großmann  erklärt,  warum  das  Ausbleiben 
von  Schwankungen  des  osmotischen  Drucks 
des  Chylus  beweisend  sei  dafür,  daß  auch 
Schwankungen  des  Blutplasmas  nicht  vor- 
kommen können  infolge  Salzzufuhr."  Ich  habe 
die  Chylusversuche  als  Beweis  für  die  Kon- 
stanz des  osmotischen  Drucks  des  Blutes 
beanstandet,  weil  Prof.  Strauß  diesen  Be- 
weis nicht  genügend  begründet  hat.  Er  ist 
jetzt  bereit,  seine  „eigene  Vorstellung  in 
dieser  Unterfrage  aufzugeben,  wenn  er  von 
der  Unrichtigkeit  derselben  überzeugt  wird". 
Ich  meine,  vorerst  müßte  Prof.  Strauß  andere 
von  der  Beweiskraft  seiner  Argumente  in 
dieser  Frage  überzeugen. 

"Weiter  kommen  die  Mi  Ich  Untersuchun- 
gen in  Frage  und  die  Verwertung  der  Re- 
sultate derselben  bei  der  Beurteilung  des 
osmotischen  Drucks  des  Blutes. 

In  den  „Bemerkungen"  sagt  Herr  Prof. 
Strauß  nach  Erwähnung  seiner  und  Nagel- 
schmidts  Untersuchungen  der  Milch  der 
Ziege  sowie  meiner  Untersuchungen  der 
Frauenmilch :  „  Wenn  ich  schließlich  noch  die 
Änderung  meines  Standpunktes  damit  be- 
gründet habe,  daß  ich  der  Gefrierpunkts- 
methode eine  Überlegenheit  gegenüber  dem 
von  Koeppe  benutzten  Hämatokritverfahren 
zusprach,  so  habe  ich  mit  dieser  weiteren 
Begründung  meines  Standpunktes  u.  8.  w.a 
Danach  könnte  man  denken,  daß  meine 
Milchuntersuchungen  nach  dem  Hämatokrit- 
verfahren ausgeführt  wurden,  das  ist  nicht 
der  Fall,  sondern  alle  meine  Untersuchungen 
der  Frauen-  wie  der  Kuhmilch  sind  nach 
den  Methoden  der  Gefrierpunktsbestimmung 
und  der  Leitfähigkeitsbestimmung  ausge- 
führt. 

Das  Wesentliche  meiner  Beanstandung  der 
Schlußfolgerungen  des  Herrn  Prof.  Strauß 
ist  nochmals  wiederholt  folgendes: 

1901  schließt  Nagelschmidt:  „Eine 
deutlich  beobachtbare  Beeinflussung  der  mole- 
kularen Konzentration  der  Milch  auf  alimen- 
tärem Wege  ist  möglich." 

1902  sagt  Prof.  Strauß:  „indem  sie  (die 
Untersuchungen)  dartun,  daß  der  osmotische 
Druck  unter  den  von  mir  gewählten  Ver- 
suchsbedingungen weder  durch  eine  gewöhn- 
liche Mahlzeit  noch  durch  die  Zufuhr  von 
10  g  Kochsalz  in  500  cem  Wasser  in  einer 
der  Ingestion  entsprechenden  Weise  verändert 
wird." 


XIX.  Jahrgang.! 
August  1905.  J 


Strmuß,  Bemerkungen  su  vorstehender  Antwort. 


425 


Indem  nun  Prof.  Strauß  aus  diesen 
Untersuchungsresultaten  vom  Chylus  und 
von  der  Milch  direkt  auf  den  osmotischen 
Druck  des  Blutes  schließt,  war  er  einmal 
gezwungen,  aus  der  Konstanz  des  osmotischen 
Drucks  des  Chylus  auf  Konstanz  des  osmoti- 
schen Drucks  des  Blutes  zu  schließen,  dagegen 
aus  der  Inkonstanz  der  Möglichkeit  alimentärer 
Beeinflussung  des  osmotischen  Drucks  der 
Milch  auch  auf  das  gleiche  inkonstante  Ver- 
halten des  Blutes. 

Dem  gegenüber  habe  ich  hervorgehoben, 
daß  im  Lichte  des  Gesetzes  vom  osmotischen 
Gleichgewichte  diese  anscheinenden  Wider- 
sprüche sich  sehr  wohl  lösen  lassen.  Dies 
hat  jetzt  Herr  Prof.  Strauß  auch  zugegeben, 
und  damit  erscheint  diese  Frage  wie  vorher 
schon  die  der  Veränderlichkeit  des  osmoti- 
schen Drucks  des  Blutes  zugunsten  meiner 
AufPassung  erledigt. 

Nun  bleibt  als  letzter  Punkt  die  Zurück- 
weisung einer  Behauptung  Koeppes  durch 
Prof.  Strauß:  „Dagegen  muß  ich  die  Be- 
hauptung Koeppes  „in  der  Arbeit  von  Roth- 
Strauß  werden  meine  theoretischen  Dar- 
legungen (S.  6 — 7)  vollinhaltlich  wiederge- 
geben (ohne  Hinweis  auf  meine  Publikationen)  " 
ganz  entschieden  zurückweisen. u 

Hier  können  Meinungsverschiedenheiten 
bestehen.  Ich  habe  einfach  konstatiert: 
„In  der  nächsten  diesbezüglichen  Arbeit  von 
Roth- Strauß  werden  meine  theoretischen 
Darlegungen  (S.  6  —  7)  vollinhaltlich  wieder- 
gegeben (ohne  Hinweis  auf  meine  Publika- 
tionen), nur  fehlt  der  von  mir  gegebene 
Hinweis  auf  den  Einfluß,  welchen  eine  ein- 
seitig durchlässige  Wand  bedingt."  Gegen 
diesen  Tatbestand  kann  Herr  Prof.  Strauß 
nichts  vorbringen,  dagegen  will  ich  zugeben, 
daß  die  Klammer  „(ohne  Hinweis  auf  meine 
Publikationen)"  überflüssig  war,  wenn,  wie 
Herr  Prof.  Strauß  darlegt,  bei  „Erörterung 
der  theoretischen  Möglichkeiten  in  ganz  all- 
gemeiner Weise"  oder  bei  „einer  solchen 
ganz  allgemein  gehaltenen  Erwägung 
von  Möglichkeiten"  es  nicht  notwendig  ist, 
hinzuweisen,  wo  die  gleichen  oder  ähnlichen 
Erörterungen  und  Erwägungen  schon  früher 
angestellt  und  veröffentlicht  wurden. 


Bemerkungen  zu  vorstehender  Antwort 
des  Herrn  Kollegen  Koppe -Gießen. 

Von 
H.  Strauß  in  Berlin. 

Die  vorstehende  Antwort  des  Herrn 
Kollegen  Koppe  veranlaßt  mich,  noch  einmal 
zu  betonen,  daß  ich  an  meinen  1899,  1902 
und  1903  ausgesprochenen  prinzipiellen  Auf- 


fassungen über  die  Konstanz  des  osmotischen 
Druckes  des  Blutserums  gesunder  Menschen 
weder  etwas  geändert  habe  noch  z.  Z.  etwas 
zu  andern  Veranlassung  finde.  Wenn  Herr 
Kollege  Koppe  aus  den  von  mir  gebrauchten 
Worten  „Umfang  der  Veränderlichkeit"  den 
Schluß  zieht,  daß  ich  hiermit  seinen  Stand- 
punkt indirekt  anerkenne,  so  muß  ich  gegen  eine 
solche  Deutung  dieser  Worte  Einspruch  erheben, 
und  betonen,  daß  ich  die  betreffende  Fassung 
einzig  und  allein  gebraucht  habe,  um  weit- 
läufige Auseinandersetzungen  über  die  Fehler- 
quellen der  kryoskopischen  Untersuchungs- 
methode zu  vermeiden,  welche  eine  geringe 
(±  0,01  °)  Änderung  des  osmotischen  Druckes 
sowohl  verdecken  als  auch  vortäuschen  können. 
Die  genannten  Änderungen  des  osmotischen 
Druckes  sind  aber  im  Vergleich  zu  den  von 
Koppe  vertretenen  so  gering,  daß  von  einer 
Anerkennung  des  Kopp  eschen  Standpunktes 
nicht  die  Bede  sein  kann.  Zu  einer  Ände- 
rung meines  bisherigen  Standpunktes  wäre- 
ich erst  dann  bereit,  wenn  neue,  die  bis- 
herigen Befunde  an  Bedeutung  überragende 
oder  mit  verbesserter  Methodik  ausgeführte 
kryoskopische  Untersuchungen  am  mensch- 
lichen Blute  andere  Werte  ergeben  würden, 
als  die  bisherigen  kryoskopischen  Unter- 
suchungen am  Menschen.  Auf  das  letztere 
Wort  lege  ich  besonderen  Wert,  da  ich  hier 
zum  dritten  Mal  hervorheben  muß,  daß  sich 
mein  auf  dem  Kongreß  für  innere  Medizin 
1900  ausgesprochener  Satz  einer  experimen- 
tellen Veränderlichkeit  des  Blutserums  durch 
übertriebene  Salzzufuhr  —  ein  Satz,  der  sich, 
wie  aus  dem  Texte  ersichtlich  ist,  auf  die  von 
mir  veranlaßten  Nagel schmidtschen  Tier- 
versuche bezieht  —  ebenso  wie  die  Schluß- 
folgerungen von  Nagel schmidt  selbst  auf 
Tiere  und  nicht  auf  Menschen  erstreckt, 
und  daß  ich  1902  und  in  meinen  im  Juni- 
hefte dieser  Monatsschrift  gemachten  „Be- 
merkungen" klar  und  deutlich  motiviert 
habe,  warum  ich  in  der  vorliegenden  Frage 
die  am  Menschen  erhobenen  Befunde  höher 
stelle  als  die  Ergebnisse  des  Tierexperi- 
mentes. Ich  muß  also  den  mir  gemachten 
Vorwurf  des  Widerspruches  bezw.  „einer  nach 
und  nach  erfolgten  Modifikation  meiner  Auf- 
fassung" auch  diesmal  als  ungerechtfertigt 
zurückweisen.  Was  die  Beziehung  des  osmo- 
tischen Druckes  des  Chylus  zu  demjenigen  des 
Blutserums  betrifft,  so  steht  hier  zwar  Meinung 
gegen  Meinung,  es  ist  aber  diese  spezielle 
Frage  im  Hinblick  auf  das  sonst  vorliegende 
Material  für  die  Beurteilung  der  allge- 
meinen hier  zur  Diskussion  stehen- 
den, das  Verhalten  des  menschlichen 
Blutserums  gegenüber  alimentären 
Eingriffen  betreffenden,  Frage  irrelevant. 


426 


Loevenhart,   B«nsoylauperoxyd. 


[~  Therapeutisch« 
L   Monatshefte. 


Auch  in  bezug  auf  die  von  Koppe  aufge- 
stellte Behauptung  der  Wiedergabe  seiner 
theoretischen  Darlegungen  kann  ich  nur  wieder- 
holen, daß  in  Kopp  es  theoretischen  Dar- 
legungen die  Veränderlichkeit  des  osmo- 
tischen Druckes  des  menschlichen  Blutserums 
den  Ausgangspunkt  darstellte,  während  Roth 
und     ich     gerade     in    der    Annahme    einer 


Unveränderlichkeit  des  osmotischen 
Druckes  des  menschlichen  Blutserums  die 
Voraussetzung  zu  unseren  theoretischen  Er- 
wägungen und  die  Anregung  zu  unseren  am 
Menschen  ausgeführten  Untersuchungen  fanden. 
Indem  ich  in  Kürze  diese  prinzipiellen  Punkte 
feststelle,  betrachte  ich  die  Angelegenheit  für 
mich  als  erledigt. 


Neuere  Arzneimittel. 


Benzoylsuperoxyd, 
ein  neues  therapeutisches  Agens. 

Von 
Dr.  A.  S.  Loevenhart. 

Auoclate  in  Pharmakologie  und  Physiologischer  Chemie  an 
der  John»  Hopkins- Universität  Baltimore  Md. 

Kastle  und  Loevenhart1)  haben  gezeigt, 
'daß  das  Benzoylsuperoxyd 

CH  CH 

Hc/^CH  HC/XCH 

HCl^JcH  HCl       !CH 

C  —  CO.  O.O.  CO — C 

sich  in  vielen  Beziehungen  dem  die  Guajak- 
tinktur  bläuenden  Fermente,  d.  h.  der  Oxy- 
dase,  die  sich  einer  weiten  Verbreitung  in 
der  Natur  erfreut,  sehr  ähnlich  verhält.  Setzt 
man  zu  einer  frisch  bereiteten  Guajak- 
tinktur  Benzoylsuperoxyd,  so  bildet  sich 
sofort  Guajakblau.  Wie  im  Falle  der  Oxy- 
dase  wird  diese  Wirkung  durch  sehr  kleine 
Mengen  Blausäure  aufgehoben.  Die  Analogie 
der  Wirkung  des  Benzoylsuperoxyds  mit  der 
der  Oxydase  ist  sicherlich  eine  auffallende. 
Bach2)  war  der  erste,  der  die  Vermutung 
aussprach,  daß  die  oxydierenden  Fermente 
organische  Superoxyde  sein  könnten.  Es  ist 
zweifellos,  daß  die  Oxydasen  eine  hervor- 
ragende Rolle  im  Lebensprozesse  der  Zelle 
spielen,  und  dies  brachte  den  Verfasser  auf 
die  Idee,  das  Benzoylsuperoxyd  auf  seinen 
therapeutischen  Wert  hin  zu  untersuchen. 
Nachdem  zunächst  die  Harmlosigkeit  des 
Mittels  festgestellt  war,  wurde  seine  anti- 
septische Wirkung  zum  Gegenstand  der  Unter- 
suchung erhoben.  Die  Versuche  waren  schon 
im  Gange,  als  die  Arbait  von  Freer  und 
Novy3)  über  die  antiseptische  Wirkung  von 
Benzoylacetyi  und  von  Diacetylsuperoxyden 
sowie    eine   Veröffentlichung  Siebers*)  über 

!)  American  chemical  Journal  1901,  Bd.  26, 
S.  539. 

3)  Compt.  rend.  1897,  Bd.  124,  S.  951. 

a)  American  chemical  Journal  1902,  Bd.  27, 
S.  161. 


die  Zerstörung  der  bakteriellen  Toxine  durch 
die  oxydierenden  Fermente  und  anorganischen 
Superoxyde  erschienen.  Benzoylacetylsuper- 
oxyd  besitzt  eine  hochgradige  antiseptische 
Wirkung,  seine  Unbeständigkeit  jedoch  und 
seine  örtlich  reizende  Wirkung  stehen  seiner 
therapeutischen  Verwertung  im  Wege. 

Das  Benzoylsuperoxyd  wird  in  folgender 
Weise  gewonnen:  Käufliches  Natriumsuper- 
oxyd (100  g)  wird  mit  einer  äquivalenten 
Menge  Benzoylchiorid  (180  g)  in  Wasser 
bei  einer  Temperatur  von  ca.  4°  C.  behandelt. 
Das  Produkt  wird  abfiltriert  und  aus  heißem 
Alkohol  umkry stall isiert.  Die  Ausbeute  be- 
trägt 60 — 70  Proz.5).  Das  Benzoylsuperoxyd 
ist  eine  beständige,  sich  nicht  verflüssigende, 
geruchlose  Substanz,  die  in  schönen  weißen 
Prismen  vom  Schmelzpunkt  103,5°  kristalli- 
siert. In  Wasser  ist  es  nur  wenig  löslich, 
besser  in  Alkohol.  Mit  Olivenöl  läßt  sich 
mit  Leichtigkeit  eine  2 — 3  proz.  Lösung  her- 
stellen. Die  Strukturverwandtschaft  des 
Benzoylsuperoxyds  mit  Wasserstoffsuperoxyd 
ist  einleuchtend,  wenn  man  es  als  ein  Molekül 
von  Wasserstoffsuperoxyd  betrachtet,  in  dem 
jedes  der  beiden  Wasserstoffatome  durch  ein 
Benzoylradikal  (C6H5CO)  ersetzt  ist.  Im 
Gegensatz  zu  Wasserstoffsuperoxyd  wird  es 
von  Gewebsextrakten  und  Blut  nicht  unter 
Bildung  von  gasförmigem  Sauerstoff  zersetzt. 
Vielen  Substanzen  gegenüber  verhält  es  sich 
als  ein  mächtigeres  Oxydierungsmittel  als 
Wasserstoffsuperoxyd. 

Bei  lokaler  Applikation  zeigt  das  Benzoyl- 
superoxyd keine  irritierende  Wirkung.  Wird 
eine  gesättigte  wäßrige  Lösung  einem  Hunde 
ins  Auge  geträufelt,  oder  wird  die  pulveri- 
sierte Substanz  direkt  eingestäubt,  so  tritt 
weder  Hyperämie  noch  Anämie  ein,  noch 
scheint  der  Hund  irgend  eine  Reizung  zu 
empfinden.    Das  Mittel  scheint  vielmehr  eine 


4)  Zeitschrift  f.  physiolog.  Chemie  1901,  Bd.  32, 
S.  573. 

5)  Diese  Methode  ist  nur  eine  sehr  geringe 
Modifikation  derjenigen  von  Pech  man  und  Vanino. 
Ber.  d.  Deutsch,  ehem.  Ges.  1894,  Bd.  27,  S.  1510. 


XIX.  Jahrgang.! 
Aogoat  1905.  J 


Loevtnhart,  BeazoyUuparoxyd. 


427 


leichte  lokal  anästhetische  Wirkung  zu  be- 
sitzen. 

Die  Peritonealhöhle  eines  Hunde9  wurde 
eröffnet  und  eine  große  Menge  pulverisierten 
Benzoylsuperoxyds  direkt  auf  den  Gedärmen 
ausgebreitet,  ohne  irgend  eine  Reaktion  zu 
verursachen.  Der  Stuhlgang  erfolgte  nor- 
malerweise. Die  Injektion  von  70  ccm  einer 
gesättigten  Lösung  in  physiologischer  Salz- 
lösung in  die  Vena  saphena  eines  nicht 
anästhesierten  Hundes  hatte  keinen  Einfluß 
auf  seinen  Puls,  Respiration  oder  Temperatur. 
Ein  gesundes  Individuum  nahm  per  os  2  g 
und  nach  24  Stunden  nochmals  1  g,  ohne  jedes 
objektive  oder  subjektive  Symptom.  Es  trat 
keine  Störung  des  Schlafes  ein,  und  Stuhl- 
gang so  wie  Urinsekretion  zeigten  keine  Ab- 
weichung von  der  Norm.  Das  Benzoylsuper- 
oxyd  erscheint  im  Urin  als  Hippursäure. 
Da  Benzoylsuperoxyd  im  Körper  zu  Benzoe- 
säure reduziert  wird,  so  unterscheidet  sich 
seine  pharmakologische  Wirkung  von  der  der 
Benzoesäure  nur  durch  seine  Wirkung,  ehe 
diese  Reduktion  stattfindet,  und  fernerhin 
durch  die  Veränderungen  derjenigen  Sub- 
stanzen, die  der  Oxydation  anheimfallen.' 

Um  die  antiseptische  Wirkung  des 
Benzoylsuperoxyds  zu  prüfen,  wurden  Kri- 
stalle auf  Agarplatten,  die  dicht  mit  Strepto- 
coccus pyogenes,  Staphylococcus  pyogenes 
aureus,  Bacillus  diphtheriae  oder  Spirillum 
cholerae  asiaticae  besät  waren,  gebracht. 
Innerhalb  einer  Zone,  deren  Durchmesser  je 
nach  den  verschiedenen  Mikroorganismen  von 
3 — 8  mm  schwankte,  war  das  Wachstum  der 
Bakterien  unterdrückt,  ohne  daß  sie  jedoch 
abgetötet  worden  wären. 

Der  therapeutische  Wert  des  Benzoyl- 
superoxyds trat  gelegentlich  der  Behandlung 
von  Brandwunden  klar  zutage.  Der  Schmerz 
wurde  rasch  gehoben,  und  die  Heilung  trat 
prompt  ein.  Auch  in  zehn  Fällen  von  chro- 
nischem varikösen  Beingeschwür  wurde  es 
mit  Vorteil  verwendet.  Auch  zeigte  es  sich 
erfolgreich  in  der  Behandlung  hochgradig  in- 
fizierter Wunden,  die  bei  Tieren  experimentell 
erzeugt  waren.  Zum  Beispiel  die  Rückenhaut 
eines  Hundes  wurde  in  einer  Ausdehnung 
von  6  cm  inzidiert  und  1  ccm  einer  virulenten 
488tündigen  Bouillonkultur  von  Staphylo- 
coccus pyogenes  aureus  in  die  Wunde  ge- 
gossen. Außerdem  wurde  ein  Stückchen 
steriler  Kartoffel  in  die  Wunde  gebracht  und 
dann  vernäht.  Nach  48  Stunden  wurde  der 
Verband  entfernt,  worauf  sich  Eiter  entleerte, 
und  das  Kartoffelstückchen  ausgestoßen  wurde. 
Die  Wunde  hatte  einen  sehr  üblen  Geruch. 
Sie  wurde  unter  Verwendung  von  ca.  1  g 
pulverisierten  Benzoylsuperoxyds  tamponiert, 
ohne  daß  sie  ausgewaschen  wurde  und  wieder 


verbunden.  Nach  weiteren  24  Stunden  hatte 
die  Wunde  ihren  faulen  Geruch  verloren,  sah 
gut  aus  und  zeigte  Heilungstendenz.  Die  Tam- 
ponade mit  dem  Pulver  wurde  erneuert. 
Nach  vier  Tagen  hatte  sich  ein  sehr  großer 
Senkungsabszeß  gebildet,  der  sich  auf  der 
linken  Seite  bis  zur  Medianlinie  der  Bauch- 
seite erstreckte.  An  einer  Stelle  hatte  ein 
Durchbruch  stattgefunden,  der  Abszeß  war 
jedoch  mit  Eiter  prall  gefüllt  und  hatte 
einen  faulen  Geruch.  Die  Augen  des  Hundes 
waren  matt  und  wäßrig,  und  das  Tier  war 
sehr  schwach.  Das  Tier  schien  im  Begriffe, 
einer  Toxämie  zu  erliegen,  nnd  es  wurde  in 
Erwägung  gezogen,  das  Tier  mittels  Chloro- 
form von  seinen  Leiden  zu  erlösen.  Der 
Eiter  wurde  entleert  und  der  Abszeß  mit 
warmem  Leitungswasser  irrigiert.  Daraufhin 
wurde  wiederum  mit  Hilfe  von  Benzoylsuper- 
oxyd tamponiert  und  Olivenöl  auf  die  Tam- 
pons gegossen,  um  die  Verbreitung  des 
Mittels  in  die  Abszeßbuchten  zu  sichern.  Es 
wurde  keine  Gegenöffnung  mit  Drainage  an- 
gelegt. Diese  Behandlung  wurde  eine  Woche 
lang  täglich  wiederholt.  Nach  dieser  Zeit 
hatte  die  Eitersekretion  aufgehört,  und  die 
Wunde  war  in  voller  Heilung.  Der  allge- 
meine Gesundheitszustand  des  Hundes  war 
gut,  der  Appetit  ausgezeichnet. 

Ausgezeichnete  Resultate  wurden  mit  dem 
Mittel  bei  gewissen  Hautkrankheiten  erzielt. 
Ein  Fall  von  Täenia  Sycosis  hatte  mehrere 
Monate  der  gewöhnlichen  Behandlung  mit 
Unguentum  hydrargyri  ammoniatum  und 
Epilation  widerstanden,  um  äußerst  prompt 
der  Behandlung  mit  einer  10  proz.  Benzoyl- 
superoxydsalbe  in  Lanolin  und  Vaselin  zu 
weichen,  und  zwar  ohne  Zuhilfenahme  der 
Epilation.  Nach  dreiwöchentlicher  Behand- 
lung mit  zwei  Applikationen  pro  die  war 
der  Fall  geheilt  und  blieb  so. 

Das  Mittel  wurde  in  Pulverform,  in 
Losung  in  Olivenöl  und  als  Salbe  ver- 
wendet,   z.  B. 

Benzoylsuperoxyd     3,0 

Lanolin 

Vaselin  ü  15,0 

Der  Verfasser  ist  der  Ansicht,  daß  das 
Mittel  in  einer  Reihe  verschiedener  Affek- 
tionen mit  Vorteil  angewendet  werden  kann. 
Der  Preis  sollte  kein  hoher  sein.  Bis  jetzt 
wird  es  von  Hynson  Westcott  &  Co.  in 
Baltimore  auf  den  Markt  gebracht.  Es  sind 
jedoch  der  Hersteilung  keine  Schranken  ge- 
setzt. Wir  haben  gesehen,  daß  das  Mittel 
in  gewöhnlichen  Dosen  ungestraft  verwendet 
werden  kann.  Es  erfüllt  also  die  erste  Be- 
dingung des  Hippokrates  und  eröffnet  die 
Möglichkeit,     das     Mittel     in    verschiedener 


428 


Referat«. 


rTherapeotiaehc 
L   Monatshefte. 


Weise  zu  versuchen,  z.  B.  zum  Ausspritzen 
des  Halses  oder  als  Dusche  gelöst  in  Pe- 
troleum oder  in  einem  anderen  geeigneten 
Lösungsmittel.  Weiterhin  dürfte  es  vielleicht 
in  Bougieform  in  Fällen  von  Gonorrhöe  von 
Nutzen   sein. 

Die  günstige  Wirkung  des  Benzoylsuper- 
oxyds  ist  wahrscheinlich  weniger  auf  seine 
das  Bakterienwachstum  hemmende  Kraft  zu- 
rückzuführen als  auf  seine  Fähigkeit,  infolge 
seiner  Superoxydstruktur  die  Resistenz  der 
Zellen  zu  erhöhen.  Der  einzige  Grund,  der 
den  Verfasser  verhindert,  die  therapeutische 
Anwendung  des  Mittels  einer  eingehenderen 
Untersuchung  zu  unterziehen,  besteht  im 
Mangel  an  klinischem  Beobachtungsmaterial. 
Der  Verfasser  hofft,  daß  andere,  die  dazu 
bessere  Gelegenheit  haben,  sich  für  dieses 
Mittel  interessieren  mögen  und  seinen  Heil- 
wert bei  lokaler  und  interner  Anwendung 
bestimmen  werden. 


Alypin» 

In  einer  vorläufigen  Mitteilung  teilt  E.  Im- 
pens-Elberfeld  die  Entdeckung  eines  neuen 
lokalen  Anästhetikums,  des  Alypins,  mit.  Der 
Körper  ist  das  primäre  salzsaure  Salz  des  Benzoyl- 
tetramethyldiaminoäthyldimethylkarbinols,  .  steht 
also  chemisch  dem  Stovain  außerordentlich 
nahe,  vor  dem  es  den  Vorteil  der  leichteren 
Löslichkeit,  neutralen  Reaktion  und  weniger 
leichten  Fällbarkeit  durch  Natriumbikarbonat 
haben  soll.  Die  anästhesierende  Wirkung  kommt 
der  des  Kokains  mindestens  gleich.  Die  töd- 
liche Dose  für  Hunde  und  Katzen  ist  ungefähr 
doppelt  so  groß  wie  die  des  Kokains,  also  ist 
der  neue  Körper  ungefähr  ebenso  giftig 
wie  das  Stovain  und  doppelt  so  giftig 
wie  ^-Eukain.  Auf  die  Einzelheiten  der 
physiologischen  Wirkungen  behalten  wir  uns 
vor,  nach  dem  Erscheinen  ausfuhrlicherer  Mit- 
teilungen zurückzukommen. 

Literatur. 
Über    Lokalanästhesie.      Vorläufige    Mit- 
teilung.   Von  Dr.  E.  Im p e n  s  in  Elberfeld.  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1905,  No.  29,  S.  1154. 


Referate. 


(Ana    der  IL  Inneren  Abteilung   des    8tldtiaehen  Kranken- 
hause«  Moabit  in  Berlin.) 

Ober   Herzperkussion.    Von   Geh.  Med.-Rat.  Prof. 

Dr.  Goldscheider  in  Berlin. 

Goldscheider  studierte  un  ter  Heranziehung 
des  orthodiagraphischen  Verfahrens  die  Beziehun- 
gen der  Herzperkussion  zur  Atmung.  Er  erörtert 
zunächst  die  erstaunlichen  Unterschiede  der  Herz- 
projektionsfigur auf  die  Thoraxwand  bei  der 
Orthodiagraphie  in  In-  und  Exspirationsstellung. 
Dieselben  sind  nicht  allein  durch  wirkliche  Ver- 
änderungen der  Gestalt  und  Lage  des  Herzens 
selbst,  sondern  zum  großen  Teil  durch  die  Ver- 
schiebung der  einzelnen  Teile  der  Thoraxwand, 
auf  die  der  Herzschatten  projiziert  wird,  bedingt. 
Da  es  sich  aber  bei  der  Perkussion  der  wahren 
Herzgrenzen  (nicht  der  sogen,  absoluten  Herz- 
dämpfung, bei  der  nur  die  Lungenränder  per- 
kutiert  werden)  ebenfalls  um  eine  Projektion  der 
Herzfigur  auf  die  Brustwand  handelt,  müssen 
auch  hierbei  diese  Verhältnisse  berücksichtigt 
werden.  Bei  tiefer  Exspiration  wird  ein  Teil 
des  Herzschattens  durch  die  hochstehende  Zwerch- 
fellkuppe verdeckt,  und  die  Perkussion  ist  dem- 
entsprechend auch  erschwert.  Außerdem  reicht 
die  linke  Herzgrenze  in  Exspirationsstellung  weit 
nach  außen,  und  diese  ., Seiten wandständigkeit" 
ist  der  Perkussion  ungünstig.  Bei  tiefer  Inspiration 
dagegen  werden  die  Herzgrenzen  im  orthodia- 
graphischen Bild  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
frei  und  sind  daher  auch  der  Perkussion  am 
besten  zugänglich.  Tiefe  Inspirationsstellung  ist 
somit  für  die  Perkussion  der  linken  Herzgrenze 
am  günstigsten.  Da  es  Verf.  indes  nicht  für 
ausgeschlossen  hält,  daßdurch  Dehnung  des  Herzens 
in   tiefster  Inspiration  eine  Erweiterung  des  linken 


Ventrikels  kaschiert  werden  könne,  empfiehlt  er 
die  Perkussion  in  mittlerer  Atmungsstellung, 
daneben  aber  auch  in  tiefer  Inspiration.  Für  den 
oberen  Teil  der  rechten  Herzgrenze  empfiehlt 
sich  die  mittlere  Atmungsstellung,  noch  mehr 
aber  die  tiefste  Exspirationsstellung,  in  der  die 
Grenze  am  schärfsten  erhalten  wird.  Es  tritt 
dabei  zwar  eine  Verschiebung  ein,  deren  Größe 
aber  bekannt  ist.  Der  untere  Teil  der  rechten 
Herzgrenze  muß  wieder  bei  tiefer  Inspiration 
perkutiert  werden,  da  man  bei  Exspiration  gar 
nicht  das  ganze  Herz  bekommt. 

Der  bemerkenswerteste  Teil  des  Vortrages 
ist  entschieden  die  nun  folgende  Erörterung  der 
Frage:  wie  sollen  wir  perkutieren.  Verf.  stellt 
zunächst  fest,  daß  man  bei  jeder  Perkussions- 
stärke Schallunterschiede  iu  der  Gegend  der 
wahren  Herzgrenzen  wahrnehmen  kann.  Es 
bedarf  also  durchaus  nicht  starker  Perkussion, 
um  eine  genügende  Wirkung  in  die  Tiefe 
zu  erreichen,  wie  die  althergebrachte  Ansicht 
lautet.  Am  genauesten  erhält  man  vielmehr 
die  orthodiagraphischen  Herzgrenzen  sogar 
gerade  bei  allerleisester  Perkussion,  d.  h. 
wenn  man  so  leise  perkutiert,  daß  man  mit  nahe 
herangehaltenem  Ohre  eben  nur  gerade  noch 
eine  Schallwahrnehmung  hat.  Die  Erklärung 
hierfür  faßt  Goldscheider  in  dem  von  ihm 
für  diese  Methode  gewählten  Ausdruck  „Schwel- 
lenwertperkussion"  zusammen.  Sobald  durch 
in  der  Tiefe  liegendes  luftleeres  Gewebe  der 
über  den  Lungen  erzeugte,  eben  noch  wahrnehm- 
bare Schall  (Schwellenwert)  die  geringste  Ab- 
schwächung  erfährt,  muß  die  Perkussion  unhörbar 
werden,  d.  h.  man  erhält  einen  ganz  dumpfen 
Schall. 


XIX.  Jahrgang .1 
Angurt  1905.  J 


Referate. 


429 


Bei  der  Ausführung  maß  absolute  Ruhe 
herrschen,  sonst  wird  man  versucht  lauter, 
„übermerklich*  zu  perkutieren.  Ferner  ist  es 
notwendig,  um  den  Vorteil  der  Methode,  daß 
die  Schwingungen  bei  leisester  Perkussion  sich 
offenbar  fast  nur  in  die  Tiefe  und  fast  gar  nicht 
nach  den  Seiten  zu  ausbreiten,  richtig  auszunutzen, 
genau  in  sagittaler  Richtung,  nicht  am  linken 
Herzrand  z.  B.  senkrecht  zur  Thoraxwand,  «um 
•das  Herz  herum"   zu  perkutieren. 

Um  ganz  gleichförmigen  Schall  zu  erzeugen, 
•empfiehlt  es  sich,  nur  in  den  Interkostalräumen 
zu  perkutieren.  Bei  Emphysem  leistet  vornüber- 
geneigte Haltung  in  schwierigen  Fällen  gute 
Dienste.  Die  Genauigkeit  der  Methode  wird 
•durch  Abbildungen,  auf  denen  gleichzeitig  die 
orthodiagraphische  Herzprojektionsfigur  einge- 
zeichnet ist,  demonstriert. 

Die  Normalwerte  der  maximalen  Entfernung 
von  der  Mittellinie  sind  für  den  linken  Herz- 
rand bei  mittlerer  Atmung  9 — 10  cm,  bei  tiefer 
Inspiration  8 — 9 — 10,  bei  tiefer  Exspiration  11 
bis  12  cm.  Für  den  rechten  Herzrand:  bei 
mittlerer  Atmung  3  —  5  cm,  bei  tiefer  Exspiration 
3,3  bis  4,5  cm.  Zum  Schluß  betont  Verf.,  daß 
man  die  großen  Gefäße  („Gefäßwurzelbreite" 
nach  Moritz)  sehr  gut  perkutieren  könne, 
entgegen  der  allgemein  herrschenden  Ansicht, 
find  zwar  auch  am  besten  mittels  der  Schwellen- 
wertperkussion und  in  tiefster  Exspiration,  wobei 
•die  Gefäße  an  die  Thoraxwand  gepreßt  werden 
und  verbreitert  erscheinen. 

(Deutsche  med.  Wochenschrift  1905,  No.  9  u.  10.) 

Mannes. 

x.  Vorschlag  xu  einer  Modifikation  der  Quincke- 
schen  Lumbalpunktion  bei  akuter  Cerebro* 
Spinalmeningitis.  Von  Dr.  Sondermann, 
Dieringhausen. 

a.  Bemerkungen  zu  Sondermanns  Vorschlag.  Von 
W.  Alexander,  Berlin. 

3.  Erwiderung  auf  die  Bemerkungen  Alezanders. 
Von  R.  Sondermann. 

1.  Verf.  schlägt  vor,  die  Wirkung  der 
Lumbalpunktion  dadurch  zu  steigern,  daß  nach 
Analogie  des  früher  von  ihm  beschriebenen  Ver- 
fahrens bei  Gelenkeiterungen  (s.  dieses  Heft  S.435) 
für  einige  Tage  eine  2  mm  starke  Dauerkanüle 
mit  Stilett  eingeführt  wird,  um  nicht  nur  die 
getrübte  Spinalflüssigkeit  so  oft  als  nötig  ab- 
fließen, sondern  auch  gleichzeitig  andere  Flüssig- 
keit (etwa  Kochsalzlösung)  einfließen  lassen  zu 
können.  Infektionsgefahr  wäre  durch  Anlegung 
-eines  gut  abschließenden  Verbandes  zu  ver- 
meiden. 

2.  Alexanders  Bedenken  beziehen  sich 
auf  das  nach  seiner  Ansicht  undurchführbare 
längere  Liegenlassen  der  Kanüle  bei  Menin- 
gitikern,  auf  die  Infektionsgefahr  und  vor  allem 
auf  die  Unmöglichkeit  der  Auswaschung  des 
Duralsacks,  die  nach  Jacob  (Ver.  f.  inner.  Med., 
20.  XI.  99)  zu  stürmischen  Erscheinungen  führt. 

3.  Demgegenüber  hält  Sonder  mann  daran 
fest,  daß  das  Liegenbleiben  der  Kanüle,  wenn 
auch  nicht  in  allen,  so  doch  in  geeigneten 
Fällen  durch  entsprechenden  Verband  wohl  zu 
ermöglichen  wäre,  und  daß  die  Frage  der  Durch- 


spülung des  Duralsacks  noch  der  Diskussion 
unterliege,  was  unter  anderem  aus  den  von 
Franca  (D.  m.  W.  No.  20)  und  Altmann 
(Med.  Klin.  No.  23)  ausgeführten  Lysol infusionen 
hervorgehe. 

(Med.  Klinik  No.  25,  27,  31.)  Esch  (Bendorf). 

(Aus  dem  Pharmakologischen  Institut  Heidelberg.) 

Ober  die  Hers-  und  Gefaßwirkung  des  Diphtherie- 
gift».   Von  R.  Gottlieb. 

Verf.  kommt  auf  Grund  eigener  und  fremder 
Tierversuche  zu  der  Auffassung,  daß  das  Diphtherie- 
gift nach  dem  Typus  zentral  lähmender  Gifte 
meist  durch  Versagen  des  Respirationszentrums 
tötet.  Die  gleichzeitig  sich  entwickelnde  Kreis- 
laufsstörung beruht  in  einem  ersten  Stadium 
vornehmlich  auf  Gefäßlähmung,  weiterhin  tritt 
direkte  Herzlähmung  ein,  und  zwar  rascher  oder 
langsamer,  je  nach  der  Widerstandsfähigkeit  des 
Herzens. 

Beim  Menschen  wird  sich  noch  schwerer 
als  im  Tierexperimente  auseinanderhalten  lassen, 
welcher  Anteil  an  der  Kreislaufschwäche  der 
Gefäßlähmung  und  welcher  einer  direkten  Gift- 
wirkung auf  das  Herz  zuzuschreiben  ist.  Bei 
reiner  Gefäßlähmung  ist  der  Puls  frequent, 
während  Pulsverlangsamung  im  Kollaps  auf 
wirkliche  Herzschwäche  bei  Diphtherie  hinweist. 

In  praktischer  Beziehung  würde  neben 
Kampfer  auch  die  Injektion  rasch  wirkender 
Digitalissubstanzen  (z.  B.  Strophanthin)  bei  jenen 
Kreislaufsstörungen  in  Infektionskrankheiten  in 
Betracht  kommen,  bei  denen  das  Herz  direkt 
beteiligt  zu  sein  scheint. 

(Med.  Klinik  1905,  No.  25.)  Esch  (Bendorf). 

Ein  Fall  von  Polyarthritis  rheumatlca  acuta  im 
Verlaufe  einer  kroupöscn  Pneumonie  nebst 
Bemerkungen  Ober  seine  Herkunft.    Von  Dr. 

F.  Arnstein. 

An  eine  typisch  verlaufende  Pneumonie 
schloß  sich  den  nächsten  Tag  nach  dem  kri- 
tischen Temperaturabfall  eine  Polyarthritis  rheu- 
matica  mit  Erhöhung  der  Temperatur,  An- 
schwellung und  Gelenksschmerzen  zuerst  im 
rechten  Knie  und  Sprunggelenke,  sodann  fort- 
schreitend auf  das  linke  Knie  und  die  beider- 
seitigen Fingergelenke. 

Auf  Salizyl  und  Aspirintherapie  trat  nach 
8  Tagen  restitutio  ad  integrum  ein. 

Verf.  ist  der  Ansicht,  dass  es  sich  hier 
nicht  um  eine  Pneumokokkeninfektion  der  Ge- 
lenke gehandelt  hat,  sondern  um  eine  gewöhn- 
liche Polyarthritis  und  stützt  seine  Anschauung 
auf  folgende  Momente: 

Bei  Pneumokokkeninfektion  werden 

1.  meistens  bloß  ein  oder  zwei  Gelenke  be- 
fallen ; 

2.  die  Entzündung  geht  meistens  in  Eiterung 
über; 

3.  der  Verlauf  ist  ein  bedeutend  schwererer; 

4.  die  prompte  Reaktion  auf  Salizylpräpa- 
rate  spricht  für  eine  gewöhnliche  Poly- 
arthritis. 


(Medycyna  1905,  No.  6.) 


Oabel  (Lemberg). 


430 


Referat«. 


Die  Infektiöse  Natur  de«  rheumatischen  Fiebers. 
Von  Dr.  F.  J.  Poynton. 

Poynton  hatte  Gelegenheit,  bei  einem  an 
Gelenkrheumatismus  verstorbenen  Kinde  ana- 
tomische und  bakteriologische  Untersuchungen 
vorzunehmen.  Es  handelte  sich  um  ein  zartes 
Mädchen  von  neun  Jahren,  welches  ein  Jahr  vor 
seinem  Tode  einen  leichten  Gelenkrheumatismus 
mit  Chorea  durchgemacht  hatte.  Es  war  damals 
ein  systolisches  Mitralgeräusch  zurückgeblieben, 
offenbar  infolge  einer  Endokarditis.  Die  zum 
Tode  fuhrende  Krankheit  war  ein  Rheumatismus 
mit  schweren  fieberhaften  Erscheinungen,  Milz- 
tumor und  Leibschmerzen. 

Bei  der  Sektion  fand  sich  eine  maligne 
Endokarditis  der  Mitralis.  In  den  Vegetationen 
ließen  sich  mikroskopisch  Diplokokken  nach- 
weisen. Durch  Kulturen  wurden  Diplokokken 
derselben  Art  aus  den  Tuben,  der  Milz,  den 
Nieren  und  den  Lungen  gewonnen.  In  den 
Lungen  waren  sie  mit  andern  Mikroorganismen 
vermengt.  —  Durch  Tierversuche  wurden  diese 
Diplokokken  als  pathogen  nachgewiesen. 

Aus  diesem  Fall,  der  den  infektiösen  Cha- 
rakter des  Rheumatismus  beweist,  gebt  auch 
hervor,  daß  es  eine  echte  rheumatische  Broncho- 
pneumonie und  einen  renalen  Rheumatismus  gibt, 
sowie  daß  eine  rheumatische  Pleuritis  und  Peritonitis 
möglich  sind. 

(British  medical  Journal  1904,  14.  Mai.) 

C lassen  (Orube  i.  H.). 

Pathogenese  und  Behandlung  des  chronischen 
Gelenkrheumatismus.  Von  C.  Parhon  und 
J.  Papinian  (Bukarest). 

Die  Verfasser  teilen  eine  sehr  interessante 
Beobachtung  von  chronischem  Gelenkrheumatis- 
mus mit,  die  geeignet  scheint,  einiges  Licht  auf 
die  immer  noch  dunkle  Entstehungsweise  dieser 
Krankheit  zu  werfen,  und  die  Hoffnung  erweckt, 
in  manchen  Fallen ,  denen  wir  bisher  nahezu 
hilflos  gegenüberstanden,  noch  Heilung  oder 
wenigstens  Besserung  bringen  zu  können.  Der 
Fall  betraf  einen  47jährigen  Kaufmann,  der  vor 
mehr  als  20  Jahren  an  einer  schmerzhaften 
Affektion  der  Knie,  der  Tibiotarsalgelenke  und 
der  Fersenbeine  erkrankte,  die  das  Gehen  un- 
möglich machte  und  trotz  aller  Behandlung  nicht 
heilen  wollte.  Im  Oktober  1898  suchte  der 
Kranke  wegen  heftiger  Gelenkschmerzen  das 
Hospital  Pantelimon  in  Bukarest  auf.  Die  Unter- 
suchung ergab  damals  Schwellung  der  Finger- 
und Zehen-,  der  Tibiotarsal-  und  Radiokarpal- 
gelenke,  Krepitation  in  den  Kniegelenken,  Ekzem 
des  Gesichts  und  behaarten  Kopfes,  Albuminurie. 
Natrium  bicarbonicum,  das  der  Kranke  in  Tages- 
dosen bis  zu  40  g  erhielt,  und  gegen  das  Ekzem 
Umschlage  mit  einer  Lösung  desselben  Salzes 
brachten  den  Hautausschlag  zur  Heilung  und 
verminderten  die  Schmerzen.  Im  Dezember 
1902  exazerbierte  das  Leiden  wiederum.  Wieder 
kamen  steigende  Dosen  von  Natrium  bicarbonicum 
bis  zu  70  g  täglich  zur  Anwendung,  die  aber 
wegen  der  auftretenden  Magenstörungen  bald 
ausgesetzt  werden  mußten.  Neben  den  Magen- 
störungen hatte  sich  starke  Polydipsie  und 
Polyurie  (Entleerung  von  6  1  Harn  täglich)  ein- 


[  Therapeutische 
L   Monatshefte. 


—  Im  Oktober  1903  ergab  die  Unter- 
suchung des  Kranken  durch  die  Verfasser  neben 
dem  schon  erwähnten  Ekzem  und  der  Gelenk- 
affektion noch  folgendes:  Die  tägliche  Urin- 
menge betrug  2500— 3000  g.  Der  Kranke  hatte 
beständig  ein  unangenehmes  Kältegefühl.  Trockne 
Haut.  Patient  schwitzt  auch  im  heißesten  Sommer 
niemals.  Spärliches,  fast  weißes  Haar,  das  be- 
reits vor  20  Jahren  zu  ergrauen  begann. 
Streifige,  brüchige,  weiße,  glanzlose,  sich  an 
einigen  Fingern  spontan  ablösende  Nägel.  Die 
meisten  Gelenke  besonders  an  den  Fingern  de- 
formiert und  ankylotisch.  Schwache  Herzaktion. 
78  kaum  fühlbare  Pulse  in  der  Minute.  Er- 
brechen, Obstipation,  Lebervergrößerung.  Albu- 
minurie und  Verminderung  der  Harnstoffausschei- 
dung. —  Gewisse  Symptome  in  diesem  Krank- 
heitsbilde —  das  Kältegefühl,  die  Trockenheit 
und  die  Dystrophie  der  Haut  und  ihrer  Annexe, 
die  verminderte  Harnstoffausscheidung  —  legten 
den  Gedanken  nahe,  daß  dem  ganzen  Symptomen- 
komplex eine  Insuffizienz  der  Schilddrüse  zu- 
grunde liege.  Der  Kranke  erhielt  deshalb  zu- 
nächst Hammel-  und  dann  Kalbsschilddrüse. 
Sehr  bald  begannen  sich  die  Gelenkschmerzen 
zu  vermindern  und  verschwanden  schließlich 
völlig.  Desgleichen  das  Ekzem.  Die  Haut  wurde 
feucht.  Der  Puls  stieg  allmählich  auf  94  bis 
98  Schläge  in  der  Minute.  Die  Nägel  wurden 
normal  und  erlangten  ihren  Glanz  wieder.  Die 
Gelenkbewegungen  wurden  freier,  und  der  Kranke 
begann  wieder  zu  gehen.  Die  Urinmenge  war 
immer  noch  vermehrt,  die  Eiweißmenge  aber 
vermindert  und  die  anderen  Harnbestandteile 
fast  normal.  Die  Verfasser  hatten  den  be- 
stimmten Eindruck,  daß  die  Schilddrüsentherapie 
in  diesem  Falle  geradezu  spezifisch  wirkte,  und 
gewannen  aus  demselben  die  Überzeugung,  daß 
die  chronische  Gelenkaffektion  hervorgerufen  sei 
durch  mangelhafte  innere  Sekretion  der  Schild- 
drüse, eine  Überzeugung,  die  sie  in  interessanten 
epikritischen  Erörterungen  zu  begründen  suchen. 
—  Der  mitgeteilte  Fall  steht  keineswegs  ver- 
einzelt da.  Bereits  Lancereau  und  Paulesco, 
Herthoge,  Claisse,  P.  Marie  und  Crouzon 
haben  ähnliche  Beobachtungen  mitgeteilt.  Einige 
dieser  Autoren  haben  ferner  ebenso  wie  die 
Verfasser  unter  der  Schilddrüsentherapie  eine 
Verminderung  und  sogar  manchmal  ein  Ver- 
schwinden der  Albuminurie  feststellen  können. 
Die  Verfasser  belegen  dieses  Faktum  noch  weiter 
durch  Mitteilung  eines  von  ihnen  beobachteten 
Falles  von  Nephritis  mit  Ödemen,  Oligurie  etc., 
bei  dem  eine  Eiweißmenge  von  6  g  nach  Dar- 
reichung von  Schilddrüsensubstanz  völlig  ver- 
schwand. Derartige  Fälle  scheinen  zu  beweisen, 
daß  manche  Nephritiden  ebenfalls  zur  inneren 
Sekretion  der  Schilddrüse  in  Beziehung  stehen 
und  ferner,  daß  Albuminurie  nicht  immer  eine 
Kontraindikation  gegen  die  Schilddrüsentherapie 
bildet. 

Aber  auch  eine  andere  Drüse  mit  innerer 
Sekretion,  nämlich  das  Ovarium,  kann  bei  ver- 
sagender oder  mangelhafter  Funktion  zu  ahnlichen 
Gelenkaffektionen  führen  wie  die  Thyreoidea. 
Fälle,  die  dies  beweisen,  sind  von  Ord,  Claisse, 
Renon  und  Heitz,    Raymond   und  Courtel- 


XIX.  Jafarganf  .1 
Angurt  1905.  J 


Referate. 


431 


mont  veröffentlicht  worden.  Biese  Tatsache  ist 
merkwürdig  und  schwer  zu  erklären.  Denn 
zwischen  Thyreoidea  und  Ovarium  bestehen  sonst 
antagonistische  Beziehungen,  insofern  als  die 
Funktion  des  Ovariums  mangelhaft  wird  oder 
versagt,  sobald  die  Funktion  der  Thyreoidea 
eine  Steigerung  erfahrt  und  umgekehrt.  Viel- 
leicht liegt  die  Erklärung  darin,  daß  beide 
Drüsen  in  ihrer  Wirkung  auf  den  Stoffwechsel 
nicht  nach  jeder  Richtung  hin  Antagonisten 
sind.  Aus  Versuchen  der  Verfasser  scheint 
nämlich  hervorzugehen,  daß  beide  Drüsen  die 
Bildung  und  die  Ausscheidung  von  Harnstoff 
begünstigen,  und  daß  bei  Insuffizienz  jeder  von 
ihnen  der  durch  den  Urin  eliminierte  Harnstoff 
vermindert  ist.  Auch  konnten  sie  nachweisen, 
daß  durch  Darreichung  sowohl  von  Ovarial-  als 
auch  Schilddrüsenpräparaten  die  Harnstoffaus- 
scheidung merklich  erhöht  wird.  Vielleicht  ist 
diese  verminderte  Harnstoffausscheidung  eine  der 
Bedingungen  für  das  Zustandekommen  des  chro- 
nischen Rheumatismus. 

(La  Presse  nudic.  1905,  No.  1.) 

Ritterband  (Berlin). 

Diabetes  mellttus  mit  rapidem  tödlichem  Verlauf 
im  Gefolge  eine«  Typhus.  Von  J.  F.  C.  Meyler 
in  Dublin. 

Ein  junger  Mann  hatte  einen  schweren, 
lange  dauernden  Typhus  überstanden;  während 
der  Krankheit  war  er  vorübergehend  ikterisch 
und  anhaltend  verstopft  gewesen.  —  Vierzehn 
Tage  nach  der  Rekonvaleszenz  klagte  er  plötzlich 
über  heftigen  Durst  und  bemerkte,  daß  seine 
Diärese  sehr  reichlich  war.  Während  der  Harn 
vorher  stets  zuckerfrei  befunden  war,  enthielt 
er  jetzt  viel  Zucker,  jedoch  kein  Aceton  und 
kein  Eiweiß.  Trotz  vorübergehender  Besserung 
unter  geeigneter  Diät  verfiel  der  Kranke  doch 
schnell  und  ging  schon  nach  sieben  Wochen  im 
Koma  zugrunde. 

Der  außerordentlich  rapide  und  schwere 
Verlauf  des  Diabetes,  trotzdem  es  sich  nicht 
um  eine  durch  Acetonurie  gekennzeichnete 
schwere  Form  handelte,  ist  in  diesem  Falle 
sehr  bemerkenswert.  Komplikationen  bestanden 
nicht.  Auch  kam  in  der  Familie  sonst  Diabetes 
nicht  vor. 

(British  medical  Journal  1903 1  28.  Nov.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

(Ana  der  med,  Klinik  sa  Leipzig,  Geh -Rat  Curaehmann.> 

Zar  Kenntnis  der  Polyneuritis  der  Tuberkulösen. 
Von  Dr.  H.  Stein  er t,  Assistent  der  Klinik. 
Von  der  L an dry sehen  Lähmung  der  Tuber- 
kulösen auf  der  einen  Seite,  von  der  hyper- 
ästhetischen Form  der  Polyneuritis  und  der 
sogen,  sensiblen  Neuritis  mit  sensiblen  Ausfalls- 
erscheinungen und  an  ästhetischen  Flecken  auf 
der  andern  Seite  ist  die  typische  symmetrische 
amyotrophische  Polyneuritis,  die  ein  zwar  nicht 
häufiges,  aber  wohl  charakterisiertes  Vorkommnis 
bei  der  menschlichen  Tuberkulose,  speziell  der 
chronischen  Lungenschwindsucht,  darstellt,  wohl 
zu  unterscheiden.  In  der  Leipziger  Klinik  kamen 
in  den  letzten  Jahren  drei  solcher  Fälle  zur 
Beobachtung,    während    unter   vielen  Tausenden 


von  Phthisiker-Krankengeschichten  früherer  Jahre 
nur  eine  kleine  Zahl  von  Polyneuritiden  zu 
finden  war.  In  den  hier  vom  Verf.  mitgeteilten 
2  neuen  Fällen  war  nun  trotz  genauester  Ex- 
ploration außer  Tuberkulose  keinr  für  die  Neu- 
ritis ätiologisch  in  Betracht  kommender  Faktor 
nachweisbar,  so  daß  er  sie  als  typische  Fälle 
reiner  Tuberkulosepolyneuritis  in  Anspruch  zu 
nehmen  sich  berechtigt  glaubt. 

Was  die  vorgefundenen  anatomischen  Ver- 
änderungen anlangt,  so  waren  diese  in  dem 
einen-  Falle  derart,  wie  wir  sie  nach  den  vor- 
liegenden Forschungen  als  den  Ausdruck^einer 
leichten  selbständigen  Erkrankung  der  Zelle  an- 
zusehen gewöhnt  sind:  Die  peripherischen  Nerven 
zeigten  den  Zustand  des  diskontinuierlichen,  an- 
fangs periachsialen  Markscheiden  Zerfalles  neben 
der  einfachen  Markscheiden atrop hie;  diese  Ver- 
änderungen spielten  sich  ganz  besonders  an  den 
peripherischen  Ästen  ab  und  verloren  sich  proxi- 
malwärts ganz  allmählich.  Es  handelte  sich  also 
um  Veränderungen,  die  wir  gewöhnt  sind,  für 
die  primär  degenerative  Erkrankung  der  Nerven- 
faser im  Gegensatz  zur  wohlcharakterisierten 
Wall  ersehen  Degeneration  als  typisch  anzu- 
sehen. Wir  wissen  aus  experimentellen  Arbeiten 
wie  aus  der  menschlichen  Pathologie,  daß  das 
anatomische  Frühstadium  der  periachsialen  Neuritis 
ohne  klinische  Erscheinungen  zu  verlaufen  pflegt. 
Es  hängt  das  offenbar  mit  der  relativen  Inte- 
grität des  Achsenzylinders  zusammen,  und  auch 
im  vorliegenden  Falle  fand  sich  im  Saphenus 
major  eine  latente  Neuritis.  Die  Ansicht,  daß 
in  der  latenten  Neuritis  der  Phthisiker  ganz 
allgemein  das  Frühstadium  eben  des  Prozesses 
zu  sehen  sei,  dessen  vorgeschrittene  Grade  hier  in 
erster  Linie  in  Betracht  kommen,  dürfte  dem- 
nach wohl  begründet  sein. 

Die  Wurzelzellen  der  erkrankten  Fasern, 
die  Vorderhorn-  und  Spinalganglienzellen  zeigten 
das  Bild  einer  sehr  ausgesprochenen  Chromato- 
lyse,  aber  keine  schwereren  Läsionen.  Die  Aus- 
breitung dieser  anatomischen  Veränderungen  in 
der  Höhe  des  Sakral-  und  Lendenmarks  ent- 
sprach, es  nur  wenig  überschreitend,  dem  Wurzel- 
gebiet derjenigen  Nerven,  die  man  schon  vorher 
auf  dem  Wege  der  klinischen  Untersuchung  als 
erkrankt  nachgewiesen  hatte.  Die  Spinalganglien 
sind  hier  wie  übrigens  auch  im  zweiten  be- 
schriebenen Falle,  und  wie  das  auch  bei  Poly- 
neuritis gewöhnlich  ist,  weniger  stark  als  die 
V  order hornz eilen  verändert. 

Die  letzteren  zeigten  aber  im  zweiten  Falle 
ausgesprochen  das  pathologische  Aussehen,  das 
wir  als  gesetzmäßige  Folge  der  experimetellen 
Durchtrennung  des  Achsenzylinders  kennen.  Im 
Lenden-  und  Sakralmark  fand  sich  hier  peri- 
nukleäre Chrom atolyse  der  Vorderhornzellen  mit 
Kernverlagerung,  in  den  entsprechenden  Spinal- 
ganglien ein  Bild,  das  die  Annahme  des  hier 
vorbereiteten  gleichen  Prozesses  nahe  legt.  Im 
Halsmark  trat  hier  nicht  ein  normales  Bild' wie 
im  ersten  Falle  zutage,  aber  andrerseits  auch 
keine  grobe  pathologische  Zellalteration. 

Verf.,  der  im  Sinne  von  Strümpell, 
Perrin,  Stinzing  u.  a.  die  Polyneuritis  der 
Tuberkulösen  im  Prinzip  als  eine  Neuronerkran- 


432 


Referate. 


fTherapeutiache 
L   Monatshefte, 


kung  auffaßt,  sieht  in  der  gefundenen  Erkran- 
kung im  Gebiet  der  beiden  peripherischen  Neurone 
seine  Auffassung  bestätigt.  Gegenüber  Ley den, 
der  die  Neuritis  der  Schwindsüchtigen  vor 
Jahren  auf  einen  dyskrasisch-kachek tischen  Zu- 
stand bezog,  glaubt  Strümpell  den  Giften,  durch 
Mischinfektion  oder  Zerfall  des  Lungengewebes 
entstanden,  die  ausschlaggebende  ätiologische 
Rolle  zuteilen  zu  müssen.  Er  beruft  sich  dabei  auf 
Hammer,  der  bei  Meerschweinchen  durch  einen 
bestimmten  Infektionsmodus,  die  Impfung  mit 
menschlichem  tuberkulösen  Peritoneum,  konstant 
NerTendegenerationen  erzielen  konnte,  die  acht 
Tage  nach  der  Impfung  persistierten  und  zu  einer 
Zeit  aufgetreten  waren,  in  der  von  Kachexie  noch 
keine  Rede  sein  konnte.  Auch  Carriere  hatte  ja  I 
durch  5  — 6  monatliche  Tuberkulinbehandlung  an 
Meerschweinchen  polyneuritische  Veränderungen 
hervorzubringen  vermocht.  Nicht  unerwähnt 
darf  in  dieser  Hinsicht  übrigens  bleiben,  daß  die 
Großhirnrinde  in  dem  erstbeschriebenen  der 
Fälle  Veränderungen  aufwies,  die  ihrer  Art  nach 
denen  sehr  nahe  stehen,  die  Hammer  an  den 
Rückenmarksganglienzellen  bei  experimenteller 
Tuberkuloseinfektion  beschrieben  hatte. 

(Beitr.  z.  Klin.  d.  Tuberk.  Bd.  IT,  H.  4,  1904.) 

Eschle  (Sinsheim). 

Collca  Intcstinl  coee),  ein  wohl  charakterisierter, 

selbständiger  Symptomenkomplex.    Von  Dr. 

Anton  A.  Christomanos. 

In  der  Praxis  kommt  es  häufig  vor,  daß 
wir  an  das  Lager  eines  an  heftigen  „kolik- 
artigen" Schmerzen  Leidenden  gerufen  werden 
und  dann  bei  ausgesprochener  Lokalisation  des 
Schmerzes  in  der  rechten  Darmbeingrube,  ins- 
besondere bei  gleichzeitig  vorhandener  Empfind- 
lichkeit in  der  Mitte  zwischen  Nabel  und  oberem 
Darmbeinstachel  (Mac-  Burney scher  Punkt) 
ohne  weiteres  eine  Affektion  des  Processus  vermi- 
formis annehmen.  Erst  vor  kurzem  hat  man 
ein  besonderes  charakteristisches  Krankheitsbild 
unter  dem  Namen  „Colica  Processus  vermiformis* 
beschrieben  (A.  Pick,  Breuer,  Talamon). 
Gewöhnlich  sollen  die  kolikartigen  Zusammen- 
ziehungen im  Appendix  durch  hineingeratene 
Fremdkörper  zustande  kommen,  es  ist  jedoch 
bereits  darauf  aufmerksam  gemacht  worden 
(A.  Pick),  daß  dieselben  hier  wie  an  allen 
anderen  Stellen  auch  lediglich  auf  nervöser  Basis 
beruhen  können.  Wenn  die  Einklemmung  be- 
hoben oder  der  Fremdkörper  in  da6  Coecum 
zurückbefördert  ist,  sagt  man,  hören  in  der 
Regel  alle  Beschwerden  auf.  —  Christomanos 
ist  nun  auf  Grund  mehrjähriger  und  wiederholter 
Beobachtung  zu  der  Überzeugung  gekommen, 
daß  auch  der  Blinddarm  ganz  selbständig  zu 
einem  ähnlichen,  wenn  auch  durch  andere 
Ursachen  bedingten  Zustand  Anlaß  geben  kann, 
und  daß  man  gerade  in  letzter  Zeit  bei  Außer- 
achtlassung des  primären  pathologischen  Zu- 
staride8  des  Blinddarms  dem  Wurmfortsatze  auch 
in  dieser  Hinsicht  mehr  Bedeutung  zugeschrieben 
hat,  als  es  der  Wirklichkeit  entspricht. 

Aus  der  Beschreibung  des  Verf.  geht  hervor, 
daß  die  Kolik  des  Blinddarms  ein  selbständig 
auftretendes  Leiden  darstellt,  dessen  8—48  Std.    | 


währende  Anfälle  fast  immer  durch  bestimmte, 
aber  nicht  bei  allen  Patienten  durch  die  näm- 
lichen, schädlich  wirkenden  Speisen,  zuweilen 
durch  einen  kalten  Trunk,  durch  letzteren  nur 
bei  leerem  Magen  und  gleichzeitiger  Erhitzung 
oder  Überanstrengung,  hervorgerufen  werden. 
Die  Temperatur  ist  zu  Ende  des  Anfalls  oft 
leicht  (bis  37,6°)  erhöht.  Vorher  ist  die  Blind- 
darmgegend auf  Druck  ziemlich  empfindlich,  und 
man  glaubt  dort  eine  fingerdicke  Geschwulst 
abzutasten,  die  allerdings  plötzlich  wieder  ver- 
schwindet im  Gegensatz  zu  dem  persistierend 
und  etwas  druckempfindlich  bleibenden  Tumor 
bei  Appendicitis.  Charakteristisch  ist,  daß  sich 
der  Schmerz  durch  Zunahme  des  angewandten 
Druckes  nicht  wie  bei  der  Appendicitis  steigert, 
sondern  daß  ein  kräftigerer  Druck  oft  sogar 
als  erleichternd  empfunden  wird.  Die  anfangs 
schwachen  und  in  längeren  Pausen  sich  wieder- 
holenden Kontraktionen  verstärken  sich  bei  der 
Biinddarmkolik  allmählich  und  folgen  immer 
rascher  aufeinander  bis  zu  einem  ausgesprochenen 
und  oft  stundenlang  dauernden  Tetanus  dieser 
Darmpartie.  Neben  dem  erwähnten  objektiven 
Befunde  des  etwa  fingerdicken  leichtempfindlichen 
Stranges  werden  die  Symptome  beobachtet,  die 
sich  bei  heftiger  Kolik  überhaupt  einzustellen 
pflegen:  Kollaps,  Erbrechen  u.  s.  w.  Mit  dem 
Aufhören  des  Krampfes  und  dem  Verschwinden 
der  fühlbaren  Geschwulst  pflegt  sich  die  Parese 
der  glatten  Darmmuskulatur  in  Form  einer 
einige  Tage  anhaltenden  Auftreibung  des  Blind- 
darms bemerkbar  zu  machen,  die  bei  einer  Kolik 
des  Wurmfortsatzes  schwer  zu  erklären  wäre 
und  somit  auch  ihrerseits  differentialdiagnostisch 
verwertbar  ist. 

Therapeutisch  kommen  neben  Narcoticis, 
speziell  Morphiuminjektionen,  warme  Umschläge 
und  leichte  Massage  der  betreffenden  Partien  in 
Betracht. 

Christomanos  versäumt  nicht  hervor- 
zuheben, daß  er  verschiedentlich  Kranke  gesehen 
hat,  denen  ein  in  jeder  Beziehung  normaler 
Appendix  durch  Operation  entfernt  wurde, 
nachdem  sie  angeblich  an  einer  leichten  Appen- 
dicitis oder  einer  Kolik  des  Wurmfortsatzes 
gelitten  hatten,  während  die  Wahrscheinlichkeit 
vorlag,  daß  es  sich  nur  um  eine  unschuldige 
Blinddarmkolik  gehandelt  hatte.  Bei  einem  so 
Operierten  vermochte  er  das  mit  Sicherheit 
festzustellen. 

(Zeitschr.f.  klin.  Medizin,  Bd.  54,  H.3  u.  4,  1904.) 

Eschle  (Sinsheim). 


(Aus  dem   Laboratorium   der  kgl.  med.  Unlv.-PollkHoik   in 
Berllu.      Direktor  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Senator. 

Ein  Versuch  zur  Lösung  des  Glykogenproblems. 

Von  Dr.  Alfred  Wolf  f. 

Die  Grundlage  für  die  zahlreichen  Glykogen- 
theorien  war  die  bisher  nicht  angefochtene  An- 
schauung, daß  der  normale  im  Gefäßsystem  krei- 
sende Leukozyt  glykogenfrei  sei  und  daß  im 
Protoplasma  desselben  erst  dann  Glykogen  auf- 
träte, wenn  er,  einem  entzündlichen  Reize  fol- 
gend, die  Blutbahn  verläßt.  Die  schon  vor  län- 
gerer Zeit  von  Ehrlich  ausgesprochene  Ver- 
mutung, daß  das  Glykogen  schon  vorher  —  nur 


XIX.  Jahrgang.  1 
Anglist  1905.  J 


Referate. 


433 


in  Form  einer  nicht  färbbaren  Verbindung, 
durch  die  jenes  leicht  abgespalten  wurde  —  zu 
den  normalen  Bestandteilen  eines  Leukozyten 
gehöre,  wurde  erst  durch  eine  Reihe  von  Unter- 
suchungen, an  denen  der  Verf.  in  hervorragendem 
Maße  beteiligt  war,  sichergestellt. 

Das  Glykogen  des  normalen  Leukozyten  ist 
außerordentlich  wasserlöslich  und  deshalb  mit 
den  bisher  üblichen  Methoden  nicht  nachzu- 
weisen: wenigstens  verschwindet  die  Färbung 
sehr  schnell  aus  den  Präparaten  und  ist  nur 
wahrzunehmen,  wenn  die  letzteren  ganz  frisch 
durchgesehen  werden. 

Zum  Nachweis  des  Glykogens  in  den  nor- 
malen Leukozyten  bedarf  man  daher  einer  ganz 
besonderen  Methode,  wie  sie  zuerst  von  Zolli- 
kofer  angewendet  worden  ist,  und  die  im  Prinzip 
darauf  beruht,  daß  die  Joddämpfe  sofort  auf 
das  noch  feuchte  Präparat  einwirken.  Bei  dieser 
sogen,  „vitalen  Jodfixationsmethode"  geht 
man  nach  Wolff  sicher,  keine  Kunstprodukte 
zu  erhalten. 

Die  Wasserlöslichkeit  des  Glykogens  ist  nun 
nicht  nur  bei  den  verschiedenen  Thierspezies 
eine  verschiedene,  sondern  sie  ist  auch  inner- 
halb desselben  Spezies  von  einer  Reihe  von  Um- 
ständen abhängig,  denen  der  Verf.  nachzuforschen 
Anlaß  nahm. 

Die  Löslichkeit  des  Leukozytenglykogens 
wird  bei  der  Emigration  der  Leukozyten  aus 
dem  Gefäßsystem  und  bei  Infektionsprozessen 
vermindert.  Daher  kommt  es,  daß  unter  diesen 
Umständen  das  Glykogen  auch  mit  den  alten 
Methoden  nachweisbar  war,  so  daß  die  für  eine 
degenerative  Natur  eines  derartigen  Befundes 
ins  Feld  geführten  Gründe  nichts  von  ihrer  Be- 
weiskraft eingebüßt  haben;  nur  hat  man  den 
vom  Verf.  vorgetragenen  Ergebnissen  entspre- 
chend die  Lehre  nicht  zu  formulieren:  „Dege- 
nerative Prozesse  sind  mit  Glykogenbildung  in 
den  Leukozyten  verbunden a,  sondern  dahinlau- 
tend:  „verändert  sich  das  in  einem  Leukozyten 
befindliche  Glykogen  derart,  daß  es  schwer  wasser- 
löslich wird,  also  mit  den  alten  Methoden  nach- 
zuweisen ist,  so  handelt  es  sich  um  eine  dege- 
nerative Veränderung,  die  den  Leukozyten  be- 
troffen hat." 

(Zeitschr.  f.  klin.  Medicin.  Bd.  51,  H.  5  u.  6,  1904.) 
Eschle  (Sinsheim). 

Ober  Schreibeangst.  Von  Dr.  S.  S 1  a n  s  k  y  (Pilsen). 
Nach  Analogie  der  Jan  et  sehen  Auffassung 
schildert  Slansky  einen  unter  die  Phobien  zu  j 
rechnenden  Fall,  wo  unter  gewissen  Erscheinungen 
von  Schreibekrampf  ein  allgemeiner  Erregungs- 
znstand eintritt,  sobald  der  Kranke  in  Gegenwart 
einer  zweiten  Person,  oder  wenn  er  an  solche 
denkt,  zu  schreiben  versucht.  Es  handelt  sich 
aber  dabei  nicht  um  einen  in  der  Hand  oder 
im  Arm  lokalisierten  Tick,  wie  etwa  bei  Graphi- 
phospasmus,  sondern  eben  um  eine  der  Platzangst, 
Nachtangst,  der  Klaustrophie  u.  a.  ähnliche 
Phobie.  Völlige  Entziehung  von  Alkohol  und 
Nikotin  —  der  49jährige  Kranke  war  starker 
Potator  —  und  leichte  Galvanisierung  und 
Massage  der  rechten  Hand  und  des  Unterarms 
brachten  den  Zustand  bald  soweit  zur  Besserung, 


daß  ein  Zittern    nur    dann    noch  auftritt,    wenn 

jemand  den  Patienten    direkt  ins  Konzept  sieht. 

(Prager  med.  Wochenschr.  1,  1904.) 

■      Rahn  (Collm  i.  S.). 

Ober  einen  Fall  von  lange  fortgesetztem  Kalomel- 
gebrauch  bei  Vitium  cordls.  Von  Th.  Hitzig 
(Mexiko). 

Bei  einem  59jährigen  Manne  mit  Mitral- 
insuffizienz, dem  Digitalis  und  andere  Diuretica 
gar  nichts  nutzten,  hatte  Kalomel  den  ge- 
wünschten Erfolg.  Während  23/4  Jahren  trat 
infolge  Kalomelverabreichung  (3  mal  täglich 
0,20  g)  nach  3  —  5  Tagen  regelmäßig  ausgiebige 
Diurese  und  Besserung  der  vorhandenen  Be- 
schwerden ein.  Unangenehme  Nebenerschei- 
nungen wurden  nach  den  lange  fortgesetzten 
großen  Kalomeldosen  nicht  beobachtet. 

(Korresp.-Bl.  für  Schweiger  Arzte  1905,  No.  8.)    R. 

Der  Wert  des  Natrium  blsulfuricum  in  der  Be- 
handlang des  Typhus.  VonDr.  JohnEgerton 
Cannaday. 

Das  saure  schwefelsaure  Natron  (NaHS04, 
nicht  zu  verwechseln  mit  Natriumsulfat  oder 
Glaubersalz  Na9S04)  wirkt,  wie  Laboratoriums- 
versuche von  W eddigen  ergeben  haben,  in 
schwacher  Lösung  auf  Typhusbazillen  entwicke- 
lungshemmend,  in  starker  Lösung  tötet  es  sie, 
auch  ist  es  geradezu  ein  Gegengift  gegen  das 
Toxin  der  Typhusbazillen.  Es  zerfällt  leicht  in 
Schwefelsäure  und  Glaubersalz  und  wird  dar- 
gestellt, indem  man  Natriumnitrat  mit  Schwefel- 
säure erhitzt,  oder  indem  man  warme  Schwefel- 
säure auf  Kochsalz  einwirken  läßt. 

Wegen  seiner  Einwirkung  auf  Typhusbazillen 
lag  es  nahe,  es  in  der  Behandlung  des  Typhus 
zu  versuchen,  zumal  es  in  lproz.  Lösung,  Meer- 
schweinchen subkutan  verabfolgt,  keine  Vergiftung 
hervorrief.  Cannaday  hat  es  in  ungefähr  lproz. 
Lösung  (genau  0,9  auf  30),  alle  drei  Stunden  etwa 
vier  Eßlöffel  (zwei  Unzen),  gegeben.  Diese  Lösung, 
die  der  Azidität  des  Magensaftes  entspricht,  soll  gut 
vertragen  werden  und  nicht  unangenehm  schmecken . 
Andere  Medikamente  wurden  nicht  gegeben, 
jedoch  im  übrigen  die  sonst  übliche  Typhus- 
behandlung mit  flüssiger  Diät,  lauwarmen  Ab- 
waschungen und  nötigenfalls  Stimulantien  inne- 
gehalten. Cannaday  schließt,  daß  das  saure 
schwefelsaure  Natron  ein  wirksames  inneres  Anti- 
septicum  ist,  daß  es  den  Mund  reinigt,  die  Ver- 
dauung durch  seinen  Säuregehalt  erleichtert, 
Tympanie  verhindert  und  die  Durchfälle  ver-  N 
ringert. 

(Therapeutic  gazeite  1905 ,  No.  2.) 

Glossen  (Grube  i.  HJ. 

(Aus  der  Berliner  st&dt.  Anstalt  für  Epileptische  in  Wuhl- 
garten.) 

Neuronal  bei  Epilepsie.  Von  Dr.  Peter  Rixen. 
Bei  dem  hohen  Bromgehalt  (41  Proz.)  des 
Neuronal  (=  Bromdiäthylacetamid)  hielt  Rixen 
es  für  angezeigt,  das  Mittel  bei  Epileptikern 
zu  versuchen.  Er  hat  die  Wirkung  desselben 
bei  80  epileptischen  Frauen  in  500  Einzelgaben 
erprobt.  Bei  epileptischen  Erregungs-  nnd  Ver- 
wirrtheitszuständen erfolgte  auf  1,0 — 1,5  g  nach 


434 


Referate. 


TTherapentlaete 
L    Monatsheft«. 


etwa  !/9  Stunde  Beruhigung  und  Schlaf.  Die  nach 
epileptischen  Anfällen  auftretenden  heftigen  Kopf- 
schmerzen werden  durch  Neuronal  günstig  beein- 
flußt. Ebenso  machtesich  eine  beruhigende  Wirkung 
des  Mittels  bei  nervösen  Menstruationsbeschwerden 
bemerkbar.  Ein  Einfluß  auf  die  Zahl  und  Heftig- 
keit der  epileptischen  Anfälle  wurde  nicht  be- 
obachtet. In  Übereinstimmung  mit  den  von 
anderer  Seite  (Siebert)  gemachten  Angaben 
findet  Rixen,  daß  die  hypnotische  Wirkung 
von  1,0  g  Neuronal  derjenigen  von  1,0  g  Trional 
entspricht,  jedoch  schwächer  ist  als  die  von 
1,0  g  Veronal. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  48,  1904.)  R. 

Wirkungen  einiger  Papaverinderlvate.  Von  Julius 
Pohl. 
Der  Verfasser  kommt  zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Die  Annahme,  daß  quaternäre  Basen 
gesetzmäßig  curareartig  wirken,  läßt  sich  in 
dieser  Allgemeinheit  nicht  aufrecht  halten;  den 
quaternären  Papaverinderivaten  fehlt  jegliche 
Wirkung  auf  die  Nervenendplatten.  Dasselbe 
ist  vom  Nikotinmethylat  bekannt. 

2.  Mit  der  Umwandlung  in  quaternäre 
Basen  wird  den  Papaverinderivaten  die  allge- 
meine zentrale  Nervenwirkung  geraubt,  statt 
dessen  tritt  eine  dem  Papaverinkern  als  solchem 
direkt  nicht  zukommende,  aber  in  ihm  latent 
steckende    Nierenwirkung    in    den  Vordergrund. 

3.  Hydrierung  des  Moleküls,  die  in  vielen 
an  deren  Fällen  giftigkeitssteigernd  wirkt,  schwächt 
hier  die  Nervenwirkung  bis  zum  Schwinden. 

4.  Die  meisten  —  viele,  aber  durchaus  nicht 
alle  —  quaternären  Basen  sind  bei  intravenöser 
Injektion  Respirationsgifte  mit  zentralem  An- 
griffspunkt. 

(Arch.  intern,  de  Pharm,  et  de  Ther.  Vol.  XIII.  p.479.) 
Dr.  Impens  (Elberfeld). 

l.  Lokale  Anästhesie  (Local  analgesla).  By  Oap- 
tain  J.  VV.  Houghton,  Royal  army  medical 
corps.  Journ.  of  the  royal  army  medical  corps 
Vol.  IV,  No.  4,  p.  447. 
a.  Die  Anwendung  von  milchsaurem  Benzoyl- 
vinyl-Dlacet  on- Alkami n  (^-Eukaln)  bei  Ein- 
griffen an  Auge,  Ohr,  Nase  und  Kehlkopf. 
(The  use  of  benzoylvinyl-diacetone-alkamine 
(Beta-Eucain)  Lactate  in  eye,  ear,  nose  and 
throat  work.)  Von  H.  Bert.  EUis,  M.  D. 
Los  Angeles. 

1.  Das  Mittel,  dessen  sich  Houghton  zur 
Herbeiführung  der  lokalen  Anästhesie  bedient, 
ist  nach  dem  Vorgänge  von  Bark  er  (vergl. 
Therap.  Monatshefte  1905,  Februar,  p.  108) 
eine  Auflösung  von  0,2  g  /9-Eukain  und  0,8  g 
Chlornatrium  in  100  cem  sterilem  destillierten 
Wasser,  welcher  nach  dem  Erkalten  leem  lprom. 
Adrenalin lösung  hinzugefügt  wird.  Verf.  rät, 
die  Lösung  stets  frisch  zu  bereiten,  da  sie  schnell 
an  Wirksamkeit  einbüßt.  Folgende  Operationen 
wurden  unter  lokaler  Eukainanästhesie  ausgeführt: 

1.  Behandlung  von  eingewachsenen  Nägeln. 

2.  Entfernung  einer  cystischen  Geschwulst, 
die  auf  dem  Schädelperiost  aufsaß. 

3.  Entfernung  eines  Fibroms  an  der  hinteren 
Seite  des  linken  Trochanter  mit  Abtren- 
nung von  Knochen. 


4.  Eröffnung  des  Kniegelenks  zur  Entfer- 
nung von  lockerem   Knorpel. 

5.  Exzision  von  5  varikösen  Venen. 

6.  Exzision  und  Ligatur  von  äußeren  Hämor- 
rhoiden in  einem  Falle,  wo  Chloroform 
kontraindiziert  war. 

7.  Eröffnung  und  Drainage  eines  Leber- 
abszesses. 

8.  Varicocele. 

9.  Laparotomie  wegen  eines  perforierenden 
Darmgeschwürs. 

Bei  all  diesen  Operationen  —  mit  Aus- 
nahme der  Entfernung  des  Schädeltumors,  wo 
wohl  die  Infiltration  nicht  genügend  sorgfältig 
ausgeführt  worden  war  —  gaben  die  Patienten 
übereinstimmend  an,  daß  sie  keinerlei  Schmerz 
fühlten,  obgleich  nicht  immer  völlige  Emp- 
findungslosigkeit erzielt  wurde,  so  daß  einige 
der  Operierten  merkten,  daß  an  ihnen  ge- 
schnitten wurde,  ohne  es  jedoch  unangenehm  zu 
empfinden. 

Besonders  interessant  war  der  Fall  von 
Laparotomie.  Es  handelte  sich  um  einen  aus 
Afrika  zurückgekehrten  Patienten,  welcher  in- 
folge schwerer  Septikämie,  die  durch  die 
Perforation  noch  kompliziert  war,  schwer  kolla- 
biert und  moribund  auf  den  Operationstisch 
kam.  Trotzdem  er  den  Eingriff  nur  15  Stunden 
überlebte,  war  doch  zu  bemerken,  daß  die  Ope- 
ration schmerzlos  und  ohne  Chok  verlief,  und 
daß  Puls  und  Temperatur  sowie  namentlich  das 
Allgemeinbefinden  sich  außerordentlich  besserten, 
was  wohl  hauptsächlich  der  stimulierenden  Wir- 
kung des  Adrenalins  zuzuschreiben  ist. 

2.  Über  die  Verwendung  eines  neueren 
/3-Eukainsalzes,  des  außerordentlich  leicht  löslichen 
Laktats,  in  der  Augen-,  Ohren-,  Hals-  und  Nasen- 
chirurgie berichtet  H.  B.  Ellis. 

Verf.  hatte  schon  bei  Einführung  des 
a-Eukains  und  später  bei  dessen  Ersetzung  durch 
das  /3-Eukain  sich  dieser  Mittel  bedient,  um  so 
die  Anwendung  des  so  viel  giftigeren  Kokains, 
mit  dem  er  wiederholt  die  beängstigenden  Er- 
fahrungen schwerer  Kollapsfälle  gemacht  hatte, 
umgehen  zu  können.  Die  Übelstände  nun,  welche 
den  älteren  Präparaten  doch  noch  anhafteten,  und 
in  ihrer  schweren  Löslichkeit  sowie  manchmal 
beobachteten  Reizwirkung  bestanden,  und  ihre 
Anwendung  namentlich  in  der  Ophthalmologie 
erschwerten,  sind  durch  die  Darstellung  des  in 
Wasser  zu  25  Proz.  löslichen,  schwach  alkalisch 
reagierenden,  milch  sauren  Salzes  völlig  be- 
seitigt worden.  Zur  Anwendung  auf  Schleim- 
häute verwendet,  der  Verf.  für  Hals  und  Nase 
10 — 15  proz.  Lösungen,  für  das  Auge  2 —  5 proz. 
Lösungen.  Zur  Infiltration  bediont  er  sich  fol- 
genden Rezeptes: 

/9-Eucaini  lactici  0,25 

Natrii  chlorati  0,8 

Sol.  Epinephrini  1 :  1000  gutt.  X 
Aquae  destillatae  100,0. 

Die  Vorteile,  welche  die  Eukainanwendung 
gegenüber  der  des  Kokains  bietet,  gehen  am 
besten  aus  den  vergleichenden  Schlußfolgerungen 
des  Verfassers  hervor. 

1.  Die  stimulierende  Wirkung  des  Kokains 
ist  allgemein  bekannt.    Wiederholt  wurden  schon 


XIX.  Jahrgang.! 
Angart  1905.  J 


RofbratB« 


435 


bei  Patienten,  welche  früher  einmal  gleiche  Dosen 
glatt  vertragen  hatten,  bei  späterer  nochmaliger 
Verwendung  derselben  Menge  Synkope  und  andere 
bedrohliche  Erscheinungen  beobachtet;  selbst 
nach  der  Anwendung  schwacher  Lösungen  auf 
Urethra  und  Nasenschleimhäute  waren  schon 
wiederholt  Todesfälle  zu  beklagen. 

2.  Der  fürchterliche  Kokainismus  ist  oft 
die  Folge  der  Anwendung  von  Kokain  in  der 
Nase  zum  Zwecke  der  Anästhesie  bei  Operationen 
oder  bei  Schnupfen. 

3.  Kokain  verursacht  vorübergehende  Ischämie 
und  Schrumpfung  des  Schleimhautgewebes,  was 
oft  Anlaß  zu  sekundären  Blutungen  nach  der 
Operation  gibt. 

4.  Die  obenerwähnten  Zustände  (Ischämie 
und  Abschwellung)  sind  oft  durchaus  unerwünscht. 
Sollte  man  sie  herbeiführen  wollen,  so  gibt  es 
dazu  besser  wirkende  und  namentlich  auch  viel 
harmlosere  Mittel. 

5.  Bei  seiner  Anwendung  im  Konjunktival- 
sack  bewirkt  Kokain  mehr  oder  weniger  starke 
Pupillenerweiterung  und  kann  auch  Sehstörungen 
hervorrufen.  Mitunter  wurden  sogar  Läsionen 
der  Hornhaut  beobachtet. 

1.  Salzsaures  und  besonders  milchsaures 
/9-Eukain  sind  nur  mäßig  giftig,  das  salzsaure 
Eukain  z.  B.  ist  3y3mal  weniger  giftig  als 
Kokain  (für  das  milchsaure  Salz,  welches  etwas 
weniger  Eukain  als  das  salzsaure  enthält,  würde 
das  Verhältnis  sich  naturgemäß  noch  günstiger 
gestalten).  In  der  Literatur  ist  nach  Eukain- 
verwendung  kein  einziger  Todesfall  oder  auch 
nur  irgend  welche  beunruhigende  Folgeerschei- 
nung verzeichnet.  Dies  erklärt  sich  daraus,  daß 
Eukain  (in  den  in  Frage  kommenden  Dosen)  nicht 
auf  das  Herz  wirkt. 

2.  Fälle  von  Eukainismus  sind  nicht  bekannt. 

3.  /9-Eukain  bewirkt  weder  Hyperämie  noch 
Ischämie,  noch  Gewebsschrumpfung ;  man  braucht 
deshalb  nach  seiner  Anwendung  keine  sekundären 
Blutungen  zu  befürchten. 

4.  Dort,  wo  Blutleere  und  Abschwellung 
von  Schleimhäuten  wünschenswert  ist,  kann  man 
sie  durch  lokale  Anwendung  von  Epinephrin 
allein  oder  in  Mischung  mit  yö-Eukainlaktatlösung 
erreichen. 

5.  Bei  Einträuflung  einer  5proz.  yö-Eukain- 
laktatlösung  in  den  Konjunktivalsack  tritt  nach 
dem  anfänglichen  Schmerz,  welcher  übrigens 
stärker  als  bei  Verwendung  einer  4-  oder  5proz. 
Kokainlösung  ist,  später  eine  reine  anästhesierende 
Wirkung  ein.  Die  Pupille  wird  nicht  ver- 
größert, die  Akkomodation  nicht  gestört,  die 
Conjunctiva  wird  weder  blutüberfüllt  noch  blut- 
leer, kein  Gewebe  ist  kontrahiert  und  die  Cornea 
bleibt  intakt. 

6.  Milchsaure  ^-Eukainlösungen  sind  halt- 
bar und  können  durch  Kochen  sterilisiert  werden. 

Nach  all  diesem  muß  man  den  Ausspruch 
des  Verf.:  "Warum  sollte  man  überhaupt  noch 
Kokainlö8ungen  bei  Operationen  an  Auge,  Nase 
und  Kehlkopf  anwenden?  als  durchaus  berechtigt 
ansehen. 

Th.  A.  Maass. 


Ober  lokale  Alkoholtherapie.  Von  R.  Walko. 
Walko  prüfte  die  Wirkung  des  Alkohols 
bei  den  verschiedenen  Erkrankungen  in  lokaler 
Anwendung;  er  verwandte,  je  nachdem  er  in 
die  Tiefe  oder  mehr  oberflächlich  wirken  wollte, 
stärker  konzentrierten  96  proz.  und  schwächeren 
50  proz.,  oder  er  benutzte  das  Alkoholzellit 
(Friedr.  Bayer  &  Co.),  welches  75proz.  ist  und  das 
außerdem  den  Vorteil  der  bequemen  Applikation 
bietet.  Vor  der  Anwendung  muß  die  betreffende 
Hautstelle  durch  Seife  und  Benzin,  falls  angängig, 
gut  entfettet  werden,  da  fettige  Haut  die  Tiefen- 
wirkung des  Alkohols  beeinträchtigt,  die,  wie 
die  bekannten  Untersuchungen  Buchners  u.  a. 
zeigen,  in  einer  Hyperämisierung  des  betreffenden 
Gebietes  bestehen.  Walko  behandelte  27  Fälle 
von  Gesichtserysipel  und  8  Fälle  von  Erysipel 
am  Stamm  und  Extremitäten  durch  Alkohol- 
kataplasmen.  Er  fand  ein  minder  weites  Um- 
sichgreifen des  Prozesses  und  einen  rascheren 
Fieberabfall.  Bei  10  Fällen  sah  er  eine  tuberkulöse 
Peritonitis  durch  Alkoholumschläge  teils  günstig 
beeinflußt  werden,  teils  zur  Heilung  kommen. 
Durch  darüber  gelegte  heiße  Breiumschläge  fand 
er  die  Resorptionsfähigkeit  des  Peritoneums  er- 
höht. Ganz  besonders  da  soll  die  Alkohol- 
behandlung in  ihr  Recht  treten,  wo  Komplikationen 
(allgemeine  und  anderweitige  Tuberkulose)  ein 
anderes  Verfahren  ungeeignet  erscheinen  lassen. 
Zum  Schluß  bringt  Walko  seine  Erfahrungen, 
die  er  bei  Perityphlitis  gemacht  hat,  10  Fälle 
von  Perityphlitis  und  2  von  Pericystitis,  die 
sich  postperityphlitisch  einstellten.  Ein  nicht 
hermetisch  abgeschlossener  Alkoholumschlag, 
eine  Eisblase  darauf  wirkten  ausgezeichnet,  ohne 
selbst  die  empfindlichste  Haut  irgendwie  zu 
irritieren.  Selbstverständlich  schließt  diese  Be- 
handlung weder  chirurgische  Eingriffe  noch 
Rezidive  aus. 

(Prag.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  5.) 

Arthur  Rahn  (Colltn). 

Ein  neues  Verfahren  zur  Behandlung  akuter 
und  chronischer  Gelenkerkrankungen.  Von 
R.  Sondormann,  Dieringhausen. 
Reinigung  und  Hyperämie  des  Gelenkes  ist  * 
die  Absicht  des  S o nderm an n sehen  Verfahrens. 
Er  hat  dazu  einen  Apparat  konstruiert,  der  im 
wesentlichen  aus  einer  eigens  konstruierten 
Kanüle,  einer  Spülkanne  und  einem,  dem 
Potin  ähnlichen  Glasgefäß  besteht.  Mit  einem 
Troikart  wird  unter  Lokalanästhesie  die  Kanüle 
in  das  affizierte  Gelenk  eingeführt,  der  Eiter 
abgelassen  und  je  nachdem  bis  viermal  täglich 
gespült,  und  zwar  so,  daß  mit  einem  Gebläse 
der  Potin  luftleer  gemacht  wird,  und  so  die 
Flüssigkeit  aus  der  Spülkanne  durchs  Gelenk  ge- 
saugt wird.  Ein  Prießnitz,  in  lproz.  Alsollösung 
getränkt,  schließt  das  Gelenk  und  die  Wunde 
gut  aseptisch  ab.  Zur  Spülung  benutzte  Sonder- 
mann in  seinen  beiden  Fällen  einmal  je  1  Liter 
3  proz.  Borlösung,  das  andere  Mal  kaltes  Wasser. 
Er  hat  guten  Erfolg  gehabt  und  möchte  das 
Verfahren  weiter  erprobt  wissen. 

(Med.  Klinik  1905,  No.  16.) 

Arthur  Rahn  (CollmJ. 


436 


Referate. 


rTh«r*peutiaehe 
L   MonAtahcfte. 


(Aua  der  chirarglachen  Abteilung  des  Krankenhausei  in 
Krakau.) 

Intraperitoneale  Blaseneröffnung  und  SchnOrnaht. 

Von  Dr.  Josef  Bogdanik. 

Verf.  hat  einen  Fall  von  Papillomata  vesicae 
urinariae  nach  der  von  Rydygier  angegebenen 
Methode  operiert. 

In  Chloroformnarkose  -wurde  die  Bauchhöhle 
in  der  Linea  alba,  etwas  unterhalb  des  Nabels, 
sodann  die  mit  Borsänrelösung  gefüllte  Blase  er- 
öffnet. 

Der  zur  Eröffnung  der  Blase  angelegte 
Schnitt  -war  intraperitoneal  und  ging  von  der 
hinteren,  mit  Peritoneum  bedeckten  Blasen- 
wand  aus. 

Die  papillären  Exkreszenzen  wurden  mit 
Paquelin  kauterisiert ,  sodann  die  Blasenwand 
mit  Karbol-Catgut-Etageonähten  vereint. 

Die  erste  Kürschnernaht  umfaßte  den  mus- 
kulösen Teil  der  Blase,  die  zweite  Naht  wurde 
durch  das  Peritoneum  geführt. 

Um  ein  besseres  Anliegen  des  Peritoneum 
und  der  Blasenränder  zu  erzielen,  wurde  die 
Schnürnaht  angewendet.  —  Die  beiden  Catgut- 
enden  wurden  mit  Nadeln  armiert  und  etwas 
oberhalb  der  Blasenwunde  auf  die  Weise  mit 
dem  Nähen  begonnen,  daß  beide  Nadeln  schief 
in  die  Muscularis  der  Blase,  ohne  die  Schleim- 
haut zu  berühren,  von  innen  eingestochen 
wurden,  so  daß  sich  die  Nadeln  innerhalb  der 
Muscularis  gekreuzt  haben  —  Dann  wurde  durch 
das  Peritoneum  ausgestochen,  die  Fäden  ge- 
kreuzt und  weiter  so  die  ganze  Wunde  genäht, 
bis  am  anderen  Ende,  wiederum  ein  wenig  über 
den  Wundrand  hinüber,  nach  Zusammenziehen 
der  Fäden  geknüpft  wurde. 

Durch  diese  Art  des  Nähens  erzielt  man 
ein  derart  festes  Anliegen  der  Wundränder,  daß 
selbst  bei  stärkster  Füllung  der  Blase  die  Ränder 
nicht  auseinander  gehen  können.  —  Die  Bauch- 
wunde   wurde    schließlich    etagenförmig   vernäht 

—  die  Hautwunde  mit  fil  de  Florence  geschlossen 

—  in  das  untere  Ende  ein  Drain  und  in  die 
Blase  ein  catheter  ä  demeure  eingeführt.  — 
Innerlich  bekam  Pat.  pro  die  3  g  Helmitol. 

,  Der  Verlauf  war  ein  vollkommen  reaktions- 

loser, nach  18  Tagen  verließ  der  Operierte  als 
vollkommen  geheilt  das  Spital. 

Da  gleichzeitig  ein  analoger  Fall  unter  An- 
wendung der  extraperitonealen  Blaseneröffnung 
oberhalb  der  Symphyse  nach  Kocher  ebenfalls 
mit  gutem  Erfolge  operiert  wurde,  zieht  Verf. 
eine  Parallele  zwischen  diesen  beiden  Methoden 
und  kommt  zum  Schlüsse,  daß  die  extraperi- 
toneale Blaseneröffnung  als  die  leichtere,  ge- 
wissermaßen Schulmethode  anzusehen  ist,  wo- 
gegen die  intraperitoneale,  als  die  schwerere, 
bloß  erfahreneren  Chirurgen  anzuempfehlen  sei, 
um  durch  eine  zahlreichere  Kasuistik  das  end- 
gültige Urteil  fixieren  zu  können. 

(Przeglad  lekarski  1904,  No.  40.)     Gabel  (Lemberg). 

Der  sogenannte  ,.  Ovarialschmerz",  seine  Ursache 
und  seine  Behandlung.  Von  G.  Ernest 
Her  man,  London. 

Auf  der  vorjährigen  Versammlung  der 
British    Medical     Society     zu     Oxford    eröffnete 


Herrn  an  eine  Diskussion  über  obigen  Gegen- 
stand. Er  führte  aus,  daß  Schmerz  und  Druck- 
empfindlichkeit bei  Frauen  an  einer  bestimmten 
Stelle,  zwei  Zoll  innerhalb  der  Spina  anterior 
superior  keineswegs  immer  auf  das  Ovarium  zu 
beziehen  sind.  Er  hat  sich  experimentell  davon 
überzeugt,  indem  er  bei  Leichen  an  jener  Stelle 
eine  lange  Nadel  einstieß,  und  sich  dann  fand, 
daß  sie  nur  in  seltenen  Fällen  gerade  das  Ova- 
rium getroffen  hatte.  Der  Schmerz  kann  vom 
Peritoneum  allein  ausgehen  und  auf  lokaler 
Beckenperitonitis  beruhen;  er  kann  reflektiert 
sein  von  irgendwelchen  erkrankten  Bauchein- 
geweiden her,  darunter  auch  von  den  Ovarien; 
er  kann  aber  auch  rein  neurasthenisch  oder 
hysterisch  sein,  ohne  daß  eine  lokale  Erkrankung 
zugrunde  liegt. 

Beim  Ovarium  kommen  zweierlei  Formen 
von  Erkrankung  vor,  die  sklerös-cystische  Ent- 
artung und  die  Cirrhose.  Jene  kann  auch 
schmerzlos  verlaufen,  und  es  gibt  kein  Kriterium, 
um  zu  entscheiden,  warum  diese  Erkrankung 
zuweilen  Schmerzen  verursacht,  zuweilen  nicht. 
Auch  die  Cirrhose  des  Ovariums  ist  von  der 
einfachen  Altersschrumpfung,  die  schmerzlos  vor 
sich  geht,  nicht  sicher  zu  unterscheiden. 

Die  Behandlung  hat  vor  allem  die  Ursache 
der  Schmerzen  zu  berücksichtigen.  Sind  diese 
reflektiert  von  Erosionen  der  Cervix,  von  ver- 
lagertem Uterus,  von  zurückgehaltenem  Coitus, 
so  kann  eine  dementsprechende  Therapie  Heilung 
bringen.  Beruhen  die  Schmerzen  auf  schwerer 
Dysmenorrhöe,  so  sind  sie  nur  durch  Entfernung 
der  Ovarien  zu  beseitigen.  Jedoch  verschwinden 
die  Schmerzen  auch  nicht  jedesmal  unmittelbar 
nach  der  Operation,  sondern  halten  zuweilen 
noch  monatelang  an.  Die  Ovariotomie  heilt 
also  nicht  den  Ovarialschmerz  direkt,  sondern 
nur  die  zugrunde  liegende  Dysmenorrhöe,  und 
man  hat  sich  vorher  in  jedem  Falle  ernstlich 
zu  überlegen,  ob  Grund  genug  vorliegt,  die 
Patientin  einer  so  eingreifenden  Operation  za 
unterwerfen.  Liegt  Hysterie  zugrunde,  so  ist 
die  Suggestionstherapie  am  Platze.  Auch  hier 
wirkt  ein  operativer  Eingriff  als  mächtige 
Suggestion,  jedoch  hält  die  Wirkung  nicht  lange 
an,  die  Schmerzen  kehren  wieder.  Her  man 
hat  mehrfach  bei  neurasthenischen  und  hysteri- 
schen Patienten  ovariotomiert,  jedoch  stets  nur 
mit  augenblicklichem,  niemals  mit  dauerndem 
Erfolg.  Allein  bei  Dysmenorrhöe  führte  die 
Operation  zur  Heilung.  Er  bestreitet  also,  daß 
in  einem  frei  beweglichen  Ovarium  krankhafte 
Veränderungen  den  Ovarialschmerz  hervorrufen 
können. 

In  der  Diskussion  stimmen  alle  Redner 
Herrn  ans  Ausführungen  im  wesentlichen  zo. 
Einige  betonen  allerdings,  daß  dem  Ovarial- 
schmerz doch  chronische  Veränderungen  der 
Ovarien  zugrunde  lägen,  während  Herr  Cuth- 
bert  Lockyer  dieses  auf  Grund  anatomischer 
Untersuchungen  entschieden  bestreitet.  Er  hat 
bei  einer  Reihe  von  operativ  entfernten  Ovarien 
entweder  gar  keine  Veränderungen  gefunden 
oder  nur  solche,  welche  auch  post  mortem  bei 
Personen,  die  nie  an  Ovarialschmerz  gelitten 
haben,  vorkommen.     Er  gibt  an,  daß  mehrfache 


j 


XIX.  Jahrgang.! 
Angogt  1906.  J 


Referat«. 


437 


„Geburten   mit   anstrengender  Stillung    die    Ent- 
stehung des  Schmerzes  begünstigen. 

(British  medical  Journal  1904,  12.  Od) 

Glossen  (Grube  i.  H.J. 

Styptol  bei  Gebärmutterblutungen.   Von  Dr.  V ine. 
Meyer,  Neapel. 

Das  Styptol  ist  ein  dem  S  typ  ticin  analoges 
Salz,  und  zwar  eine  Verbindung  zweier  Haemo- 
statica,  da  auch  die  Phtalsäure  blutstillend  wirkt. 
Es  stellt  ein  feines,  gelbes  Pulver  dar,  das 
73  Proz.  Cotarnin  enthalt  und  sich  in  warmem 
Wasser  leicht  löst.  Das  Mittel  wird  in  Pulver- 
form oder  am  besten  in  Tabletten  ä  0,05  g 
3 — 5  mal  täglich  verordnet.  Verf.  hat  dasselbe 
in  23  Fällen  (bei  menstruellen  Blutungen,  bei 
Blutungen  post  abortum,  Puerperalblutungen, 
durch  Endometritis  veranlaßten  Genitalblutungen, 
durch  Neubildungen  veranlaßten  Blutungen)  in 
Anwendung  gebracht.  Dasselbe  wirkte  sehr 
günstig.  Es  erfüllt  alle  Ansprüche,  die  man 
an  ein  uterines  Haemostaticum  zu  stellen  be- 
rechtigt ist.  Außer  der  blutstillenden  hat  das 
Styptol  auch  eine  deutlich  sedative  Wirkung. 
(AUg.  med.  Zentr.-Ztg.  49,  1904.)  R. 

Behandlung   der    Ophthalmie   der   Nengebornen. 
Von  M.  Morax. 

Verf.  betont  zunächst  die  Notwendigkeit, 
bei  jeder  Ophthalmie  der  Neugebornen  das  Sekret 
mikroskopisch  zu  untersuchen.  Findet  man 
Gonokokken,  so  handelt  es  sich  stets  um  eine 
schwere  Erkrankung,  bei  der  der  Arzt  jeden 
Tag  sich  vom  Zustande  der  Conjunctiva  und 
der  Cornea  überzeugen  und  persönlich  die  not- 
wendigen Argentumeinträufelungen  vornehmen 
sollte.  Derartige  Ophthalmien  erfordern  vor 
allem  stündliche  Waschungen  des  Auges,  und 
zwar  einfach  mit  abgekochtem  Wasser  oder  lauer 
Borsäurelösung.  Zu  diesem  Zweck  drängt  man  mit 
Daumen  und  Zeigefinger  die  Lider  sanft  von- 
einander und  entfernt  mit  Wattebäuschen,  die 
in  die  Flüssigkeit  getaucht  sind,  den  Eiter,  oder 
noch  besser,  man  spritzt  ihn  mit  einer  kleinen 
vorher  ausgekochten  Ballonspritze  aus.  Ist  nur 
das  eine  Auge  erkrankt,  so  muß  das  andere  vor 
einer  Infektion  geschützt  werden.  Dies  geschieht 
am  sichersten,  wenn  man  in  dasselbe  an  zwei 
aufeinanderfolgenden  Tagen  eine  prophylaktische 
Eintrftufelung  von  2  proz.  Argentumlösung  macht 
und  es  dann  durch  einen  Okklusivverband  ab- 
schließt. 

Neben  diesen  Maßnahmen  muß  das  kranke 
Auge  in  der  ersten  Zeit  2  mal,  später  1  mal 
täglich  mit  einer  Silbernitratlösung  von  1  :  40 
kauterisiert  werden  so  lange,  bis  die  Eiterung 
vollkommen  versiegt  ist.  Man  geht  dabei  in  der 
Weise  vor,  daß  man  zunächst  mit  Watte  den 
Eiter  abtupft,  die  Lider  voneinander  drängt  und 
in  den  Lidsack  sowie  auf  den  freien  Rand  der 
Lider  einige  Tropfen  der  Silberlösung  träufelt 
und  schließlich  die  überschüssige  Flüssigkeit  mit 
hydrophiler  Watte  entfernt.  Morax  konnte  sich 
nicht  davon  überzeugen,  daß  die  so  vielfach 
empfohlenen  neuen  Silbersalze,  das  Protargol 
oder  das  Argyrol  dem  alten,  klassischen  Argen  tum 
nitricum  an  Wirksamkeit  gleichkommen,  und  rät, 


bis  auf  weiteres  an  der  oben  beschriebenen,  durch 
eine  lange  Erfahrung  gestützten  Methode  fest- 
zuhalten. Die  Personen,  die  mit  dem  kranken 
Kinde  in  Berührung  kommen,  sind  nachdrück- 
lich auf  die  Gefahr  der  Ansteckung  aufmerksam 
zu  machen  und  anzuweisen,  sich  nach  jeder  Ma- 
nipulation am  Kinde  die  Hände  mit  Wasser  und 
Seife  zu  reinigen.  Die  oben  beschriebene  Be- 
handlung wird  auch  bei  anderen,  nicht  durch 
den  Gonococcus  erzeugten  Ophthalmien  nie 
Schaden  bringen.  Indessen  genügen  für  die  leich- 
teren Fälle  1  prozentige  Silber-  oder  2,5  pro- 
zentige  Zinksulfatlösungen,  um  die  Eiterung 
schnell  zum  Verschwinden  zu  bringen. 

(Revue  pratique  d'  obsie'tr.  et  depe'diatr.  1904,  No.  184. 
La  Presse  medic.  1904,  No.  82.)      Ritterband  (Berlin). 

Zur  perkutanen  Salicylbehandlung.   Von  Dr.  Ed- 
mund Saalfeld. 

Die  endermatische  Behandlung  rheumati- 
scher Affektionen  mit  Salizylsäure  und  Salizyl- 
säurepräparaten hat  in  der  letzten  Zeit  mehr 
und  mehr  an  Ausdehnung  gewonnen.  Zur  An- 
wendung gelangten  eine  terpentinhaltige  Salizyl- 
salbe,  Gaultheriaöl  (Salizylsäuremethyläther)  und 
neuerdings  Rheumasan  und  Mesotan.  Alle  diese 
Präparate  besitzen  jedoch  die  unangenehmen 
Eigenschaften,  recht  häufig  Hautrötung,  Desqua- 
mation, lästige  Ekzeme,  ja  selbst  gelegentlich 
schwere  Dermatitis  hervorzurufen. 

Saalfeld  empfiehlt  nun  zur  perkutanen 
Behandlung  das  Fetrosal  (früher  als  Velosan1) 
bezeichnet).  Das  Präparat,  das  in  Salbenform 
in  den  Handel  gelangt,  besteht  aus  Salizylsäure, 
Salol  und  Fetron.  Verf.,  der  die  Salbe  in 
50  Fällen  einer  Prüfung  unterzogen  hat,  suchte 
zwei  Fragen  zu  entscheiden: 

1.  Reizt  Fetrosal  gesunde  Haut? 

2.  Ruft  Fetrosal  auf  einer  pathologisch  ver- 
änderten Haut,  bei  der  die  Anwendung 
von  Salbe  nicht  kontraindiziert  ist,  ent- 
zündliche Erscheinungen  hervor? 

In  sämtlichen  Fällen  kam  eine  Hautreizung 
nach  Anwendung  des  Fetrosal  nicht  zur  Beob- 
achtung, ja  es  wurde  sogar  eine  Reihe  von  Der- 
matosen leichteren  Grades  durch  konsequente 
Fetrosal  an  wen  düng  zur  Heilung  gebracht,  wie 
Verf.  annimmt,  infolge  der  keratoly tischen  Eigen- 
schaften der  Salizylsäure.  Die  günstige  Wirkung 
der  Salbe  in  Fällen  von  impetiginösem  Ekzem 
und  von  Impetigo  contagiosa  erklärt  sich  durch 
ihren  Gehalt  an  Salol. 

Die  im  Fetrosal  enthaltene  Salizylsäure 
wirkt  einerseits  antirheumatisch,  andrerseits  wirkt 
sie  —  ohne  gröbere  Haut  Verletzung  hervorzu- 
rufen —  keratoly  tisch  und  ebnet  auf  diese  Weise 
dem  gleichfalls  antirheumatisch  wirkenden  Salol 
den  Eingang  durch  die  Haut  in  den  Orga- 
nismus. 

Ob    das  Fetrosal    außer    bei   rheumatischen 

Affektionen  auch  in  der  Dermatologie  Anwendung 

finden  wird,  bleibt  weiterer  Prüfung  vorbehalten. 

(Allgent,  medizinische   Zentralzeitung   1905,    No.  19, 
S.  353.)  Jacobson. 


x)  J.Jacobson:  Velosan,  ein  neues  Salizyl- 
präparat  zum  äußerlichen  Gebrauch.  Therapeut. 
Monatshefte,  Dezember  1904,  S.  659. 


438 


Toxikologie. 


rherapentiach« 
Monatshefte. 


Toxikologie. 


Mitteilung  über  sieben  Fälle  von  Fisch  Vergiftung 
an  der  medizinischen  Poliklinik  Zürich.   Von 

Dr.  A.  Stoll. 

Nach  Genuß  von  Hechten  erkrankten  sieben 
Personen,  zum  Teil  unter  bedrohlichen  Erschei- 
nungen. Die  Symptome  bestanden  in  Erbrechen, 
Durchfall,  Cyanose.  Die  Pupillen  waren  mittel- 
weit, reagierten  auf  Lichteinfall,  die  Stimme 
matt,  heiser,  das  Aussehen  verfallen.  Schweiße 
am  Körper,  eiskalte  Extremitäten,  Temperatur 
38,5°,  Puls  120.  Kolikartige  Schmerzen  im 
Abdomen,  Krämpfe  in  Waden  und  Oberarmen, 
unstillbarer  Brechdurchfall;  Blut  dickflüssig, 
dunkelschwarz,  nach  einigen  Tagen  Spuren  von 
Eiweiß  im  Urin,  am  11.  Tage  ausgebreitete  Urti- 
caria. 8 — 10  Tage  nach  Beginn  der  Erkrankung 
traten  während  3 — 6  Tagen  subnormale  Tem- 
peraturen von  35,2  —  35,6°  auf.  Bei  einem  der 
Pat.  entwickelte  sich  nach  3  Wochen,  nachdem 
Pat.  schon  8  Tage  außer  Bett  war,  akute  Ne- 
phritis. Zwei  Kinder  starben.  Bei  der  Sektion 
fand  sich  Schwellung  der  Dönndarmfollikel  mit 
oberflächlicher  Nekrose,  Schwellung  der  Mesen- 
terialdrüsen,  geringer  Milztumor,  Fettdegeneration 
der  Leber,  akute  Myodegeneratio  cordis.  Das 
Blut  lackfarben,  dunkelkirschrot,  etwas  ein- 
gedickt. 

Reste  des  Fischgerichtes  waren  nicht  vor- 
handen, die  Untersuchung  desselben  mußte  daher 
unterbleiben.  Die  Hechte  sind  vermutlich  in 
fauliger  Zersetzung  begriffen  gewesen,  obwohl 
Aussehen  und  Geruch  dies  nicht  zu  erkennen 
gaben;  der  Geschmack  soll  nicht  gut  gewesen  sein. 
Durch  die  Zubereitung  waren,  wie  Stoll  an- 
nimmt, nicht  sämtliche  pathogenen  Keime  ver- 
nichtet; ein  Knabe,  der  sofort  nach  der  Zu- 
bereitung von  den  Fischen  aß,  blieb  gesund, 
während  zwei  Frauen,  die  einige  Stunden  später 
von  dem  Gericht  aßen,  erkrankten.  Es  spricht 
dieser  Umstand  dafür,  daß  sich  von  neuem  nach 
dem  Kochen  Mikroorganismen  und  deren  Toxine 
entwickelt   hatten. 

Die  Therapie  bestand  in  Darreichung  von 
Opium,  blutwarmea  Darminfusionen  mit  1  bis 
2 proz.  Tanninlösung,  warmen  Einpackungen,  Thee 
mit  Rotwein,  Schleimsuppen. 

(Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Ärzte  1905,  Xo.5) 

Jacobson. 

(Aus  dem  städtischen  bakteriologischen  Laboratorium  zu 
Padna.) 

Die  Austerninfektionen.     Untersuchungen  von  Dr. 

M.  Vivaldi  und  Dr.  A.  Rodella. 

Die  zahlreichen,  im  Laufe  der  letzten  Jahre 
beobachteten  Masseninfektionen  nach  Austern- 
genuß gaben  den  Verfasser  Veranlassung,  sich 
experimentell  mit  der  Austerinfektion  zu  be- 
schäftigen. 

Die  Erscheinungen  der  Infektion  lassen  sich 
zu  drei  Gruppen  zusammenfassen: 

1.  Nach  Genuß  von  Austern  treten  unter 
Fiebererscheinungen  wochenlang  sich  hinziehende 


schwere,  gast ro- intestinale  Störungen,  charak- 
terisiert durch  Bauchschmerzen,  Diarrhöe  und 
Erbrechen  auf. 

2.  Einige  Stunden  (8 — 10)  nach  dem  Ge- 
nuß der  Mollusken  zeigt  sich  Allgemein  Vergiftung,, 
bestehend  in  Kollaps,  Appetitlosigkeit,  Erbrechen,. 
Darmschmerzen,  übelriechenden  Entleerungen  und 
Frösteln. 

3.  Es  treten  Infektionserscheinungen  auf,, 
welche. sich  von  Beginn  an  oder  erst  in  späterem 
Verlauf  klinisch  als  Typhus  erweisen.  Von> 
88  derartigen  Fällen  endeten  26  tödlich. 

Von  Bakterien  sind  bisher  in  frische» 
Austern  B.  coli  (auch  mit  Proteus  vulgaris  ver- 
gesellschaftet) als  Zeichen  der  Verunreinigung 
mit  Fäkalien  aufgefunden  worden,  nur  ganz  ver- 
einzelt ist  B.  typhi  nachgewiesen.  Die  Verf. 
konnten  ebenfalls  in  400  Austern  die  Abwesenheit 
von  B.  typhi  feststellen;  in  200  Stück,  die  krank- 
machend wirkten,  ließen  sich  Proteus  vulgaris, 
B.  coli  und  ein  Streptokokkus  nachweisen.  In 
4  Austernproben  wurde  ein  neuer,  dem  B.  coli 
ähnlicher,  aber  viel  virulenter  wirkender  Bazillus 
aufgefunden,  der  Tiere  unter  Anzeichen  von  Peri- 
tonitis mit  blutig-serösem  Transsudat,  ausge- 
dehntem akuten  Magen-  und  Darmkatarrh,  MUz- 
ansch wellung,  Hyperämie  der  abdominalen  Organe- 
und  Ödemen  an  den  Impfstellen  tötet. 

Der  Bazillus  hat  die  Gestalt  eines  Kokko- 
ba^tllus,  nimmt  aber  zuweilen  eine  verlängerte 
Gestalt  an.  Er  ist  unbeweglich,  färbt  sich  gut 
mit  Anilinfarben  und  wird  nach  Gram  ent- 
färbt. Die  Gelatinekulturen  zeigen  den  Bazillus 
mit  wohlausgebildeter  Kapsel.  Mit  Blutserum 
von  Ileotyphuskranken  gab  der  Bazillus  keine 
Agglutination.  Bei  Einspritzung  in  die  Haut 
starben  Kaninchen,  Meerschweinchen  und  Mäuse 
innerhalb  24 — 48  Stunden  unter  den  oben  an- 
geführten Erscheinungen.  Intraperitoneale  In- 
jektion wirkte  in  wenigen  Stunden  letal.  Von, 
6  Kaninchen,  die  Bouillonkulturen  per  os  er- 
halten hatten,  starben  2;  diese  wiesen  seröse 
Peritonitis,  Milzanschwellung,  Hyperämie  der 
Leber  und  Nieren,  flüssiges  Blut,  Meteorismus, 
Vergrößerung  der  Mesenterialdrüsen  und  Magen- 
darmkatarrh mit  punktförmigen  Hämorrhagien 
auf.  Verfütterung  an  Mäuse  gab  das  gleiche 
Resultat.  Wahrscheinlich  ist  dieser  Bazillus 
auch  bisweilen  die  Ursache  von  Austern infektioa 
des  Menschen. 

Die  im  Anschluß  an  Austerinfektion  auf- 
tretenden, als  Typhus  gedeuteten  Erkrankungen 
bieten  viele  Analogien  einerseits  mit  Paratyphus, 
andrerseits  mit  Fleischvergiftungen.  Von  den 
letzteren  kommen  nur  jene  Fälle  von  Magen- 
und  Darmaffektionen  in  Frage,  welche  nach  Ge- 
nuß von  Fleisch  vollständig  gesunder  Tiere  auf- 
treten. Es  ist  in  hohem  Grade  wahrscheinlich, 
daß  gemäß  der  van  Ei  men gemschen  Ansicht 
die  Erkrankung  durch  die  Anwesenheit  von 
B.  coli  und  Proteus,  oder  doch  diesen  Gruppen 
angehörende  Bazillen  hervorgerufen  wird.    Diese 


XIX.  JahrgftBg.1 
Anglist  1905.  J 


Toxikologie, 


439 


Bazillen,  zu  denen  auch  der  neue  Kapselbazillus 

gehört,    wirken    dadurch    infektiös,    daß  sie  im 

Magendarmkanal    eine    übermäßige    Vermehrung 

erfahren. 

Prophylaktisch    ergibt    sich    auch    aus   den 

vorliegenden     Untersuchungen     die     Forderung, 

die  Austernb&nke  von  jeder  Verunreinigung  frei 

zu  halten  und  die  Mollusken  nur  in  frischestem 

Zustande  zum  Verkauf  gelangen  zu  lassen. 

(Hygienische  Rundschau  1905,  No.  4,  S.  174.) 

Jacobson. 

Ein   Fall   von   chronischem  Veronalismue.    Von 
Dr.  Hoppe. 

Im  Verein  für  wissenschaftliche  Heilkunde 
in  Königsberg  i.  Pr.  teilte  Hoppe  in  der  Sitzung 
Tom  6.  Februar  1905  einen  Fall  von  chroni- 
schem Veronalismus  mit. 

Ein  26 jahriger  Alkoholiker  erhielt  wegen 
Schlaflosigkeit  w&hrand  der  Entziehungskur  ge- 
legentlich 0,5  g  Veronal.  Etwa  7  Wochen 
später  fiel  auf,  daß  Pat.  bis  gegen  Mittag  fest 
schlief  und  kaum  zu  erwecken  war.  Die  übrige 
Zeit  des  Tages  hielt  er  sich  durch  Genuß  von 
8 — 10  Tassen  starken  Kaffees  und  starkes  Rauchen 
munter,  machte  indes  häufig  den  Eindruck  eines 
Berauschten.  Wie  sich  nachträglich  heraus- 
stellte, hatte  Pat.  täglich  2—3  g  Veronal  ge- 
nommen. Da  Veronal  zurzeit  noch  freihändig 
von  den  Apotheken  abgegeben  werden  darf, 
können  leicht  größere  Mengen  in  die  Hände  von 
Kranken  gelangen.  Es  ist  bei  den  Behörden 
beantragt  worden,  ein  Verbot  des  freihändigen 
Verkaufs  von  Veronal  zu  erlassen. 

In  der  Diskussion  berichtet  Hoeftmann 
über  zwei  Fälle  von  Veronalvergiftung.  In  dem 
ersten  Falle  zeigten  sich  bei  einem  hochgradig 
Nervösen  nach  verhältnismäßig  nicht  großen 
Dosen  starke  psychische  Erregung  und  eigen- 
tümlich schleppende  Sprache,  ähnlich  der  eines 
Betrunkenen.  Im  zweiten  Falle  hatte  eine 
Morphinistin  längere  Zeit  hintereinander  täglich 
2 — 3  g  Veronal  genommen.  Auch  hier  war 
starke  Erregung  mit  Selbstmordtrieb  und  lallende, 
etwas  stotternde  Sprache  vorhanden.  Intervalle 
bestanden  bei  beiden  Kranken  nicht,  sie  machten 
andauernd  den  Eindruck  von  Trunkenen. 

(Deutsche   medizinische   Wochenschrift  1905,  No.  24. 
Vereinsbeüage  S.  971.)  Jacobson. 


Ober  Purgenvergiftang.   Von  San.-Rat  Dr.  Benno 
Holz  (Berlin). 

Nachdem  Verf.  innerhalb  6  Wochen  mit 
gutem  Erfolge  und  ohne  Nachteile  ca.  1  kleines 
Schächtelchen  Purgentabletten  verbraucht  hatte, 
traten  am  folgenden  Morgen  nach  Einnahme  von 
!/t  Tablette  für  Bettlägerige  heftige  Schmerzen 
in  der  Regio  hypogastrica  sinistra  auf;  dieselben 
hatten  krampfartigen  Charakter  und  waren  von 
Schüttelfrösten  begleitet;  daneben  bestanden 
Meteorismus,  Übelkeit  und  Brechneigung,  ferner 
Schmerzgefühl  in  der  linken  Nierengegend,  be- 
sonders beim  Urinieren.  Der  Urin  enthielt  Ei- 
weiß und  rote  Blutkörperchen.  Nach  zwei  Tagen 
löste  sich  der  Darmverschluß,  und  das  Eiweiß 
schwand  innerhalb  5  Tagen. 


Verf.  nimmt  an,  daß  sowohl  der  Darm- 
verschluß, bedingt  durch  Reizung  und  Entzün- 
dung des  Darmrohrs  mit  krampfartiger  Kon- 
traktion desselben,  sowie  die  Nieren affektion  An- 
zeichen einer  Purgen  Vergiftung  gewesen  sei. 

Über  einen  weiteren  Fall  von  schwerer 
Darm-  und  Nierenaffektion  nach  Purgengebrauch 
wird  eine  ausführliche  Mitteilung  in  Aussicht 
gestellt. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift  1905,  No.  29,  S.  931.) 

Jacobson. 

Arznelexanthem  nach  Aspirin.  Von  Dr.  R.  Freund 
(Danzig). 

Im  ersten  der  drei  von  Freund  mitgeteilten 
Fälle  von  Exanthem  nach  Aspiringebrauch  hatte 
ein  an  Zuckerharnruhr  leidender  Mann  wegen 
Kopfschmerzen  1  g  Aspirin  genommen.  Die 
Nacht  verlief  schlaflos  infolge  Stechens  und 
Juckens  am  Präputium,  wo  sich  ein  kleines 
Bläschen  entwickelt  hatte,  das  bei  Berührung 
schmerzte  und  im  Aussehen  einem  Herpes  pro- 
genitalis glich.  Der  zweite  Fall  betraf  einen 
an  Neuritis  erkrankten  Patienten,  der  gegen  die 
Schmerzen  täglich  6  g  Aspirin  gebraucht  hatte. 
An  den  Fingern  auftretende  kleine,  stark  juckende 
und  stechende  Bläschen  führte  Pat.  auf  den 
Aspiringebrauch  zurück.  Als  nach  einer  Pause 
wiederum  1  g  Aspirin  gereicht  wurde,  traten  auch 
wieder  mehrere  kleine  Bläschen  an  der  Finger- 
kuppe auf.  Im  dritten  Falle  hatte  ein  Herr 
eines  Katers  wegen  1  g  Aspirin  genommen  und 
auch  bei  ihm  zeigten  sich  am  Handrücken,  wo 
eine  talergroße,  glatte,  atrophische,  gerötete  Stelle 
vorhanden  war,  die  juckenden  und  stechenden 
Bläschen.  Die  Bläschen  entwickelten  sich  an 
derselben  Stelle  von  neuem,  als  nach  einiger 
Zeit  versuchsweise  wieder  1  g  Aspirin  genom- 
men wurde. 

•     In    allen   3  Fällen   heilten   dte  Bläschen  in 
8  — 14  Tagen  unter  Puder  ab. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  15.  S.  707.) 

Jacobson. 

(Aus  der  Hautkrankenstation  des  städtischen  Kraukenhanses 
xu  Frankfurt  a,  M.,  Obwarst  Dr.  Karl  Herxbolmer.) 

Ein  Fall  ven  Erblindung  nach  Atoxylinjektionen 
bei  Liehen  ruber  planus.  Von  Sekundfirarzt 
Dr.  W.  Bornemann. 

Verf.  teilt  einen  Fall  mit,  in  welchem  sich 
nach  Gebrauch  von  Arsensäureanilid  (Atoxyl) 
äußerst  schwere  Intoxikationserscheinungen  am 
Sehorgan  entwickelten. 

Eine  Pat.,  welche  an  ausgebreitetem  Liehen 
ruber  planus  litt,  erhielt  neben  Einreibungen 
von  Teerschwefelsalbe  etwa  zwei  Monate  lang 
Injektionen  einer  20  proz.  Atoxyllösung,  an- 
fänglich 0,5,  später  bis  2  ccm.  Nach  dieser 
Zeit  machten  sich  die  ersten  Intoxikations- 
erscheinungen, bestehend  in  Mattigkeit,  Herz- 
schwäche, Schwindelanfällen,  Trockenheit  im  Halse 
und  Enteritis,  bemerkbar.  Nach  kurzer  Pause 
erhielt  Pat.  wiederum  zweimal  wöchentlich  In- 
jektionen von  je  1  ccm.  Es  entwickelten  sich 
nun  im  Laufe  von  zwei  bis  drei  Wochon  fol- 
gende Symptome:  Herabsetzung  des  Gehörs, 
Brausen  und  Rauschen  in  den  Ohren,  nächtliches 


440 


Toxikologie.  —  Literatur. 


TTherapeatiaehe 
L    Monatshefte. 


Brennen  und  Bohren  in  den  Fußen,  Nebelsehen, 
Abnahme  der  Sehschärfe  bis  zur  Amaurose  und 
auf  weitere  Erhöhung  der  Dosis  auf  3  mal 
wöchentlich  2  ccm:  Anschwellung  des  Gesichts, 
der  Hände  und  der  Füße.  Nachdem  im  ganzen 
27  g  Atoxyl  verbraucht  waren,  wurden  nunmehr 
die  Injektionen  ausgesetzt  und  Fat.  ins  Kranken- 
haus übergeführt.  Hier  schwanden  unter  Ge- 
brauch von  Zinkpaste  in  kurzer  Zeit  die  Ödeme 
und  auch  die  Grundkrankheit  wurde  in  einigen 
Monaten  unter  Behandlung  mit  Salizylvaselin, 
Chrysarobin,  Karbol- Sublimatsalbe  und  schließ- 
lich mit  Röntgenbestrahlung  abgeheilt. 

Die  Amaurose  blieb  indes  bestehen.  Der 
Augenbefund  erwies  das  Vorhandensein  einer 
Sehnervenatrophie;  es  war  nur  noch  Licht- 
empfindung vorhanden,  trotzdem  reagierten  die 
Pupillen  noch  ziemlich  lebhaft.  Die  Prognose 
dieser  durch  chronische  Arsenvergiftung  hervor- 
gerufenen Neuritis  retrobulbaris  ist  quoad  resti- 
tutionem  sehr  zweifelhaft. 

Ob  in  diesem  Fall  die  Intoxikation  der 
Arsenkomponente  oder  dem  Anilidrest  zuzu- 
schreiben ist,  läßt  sich  mit  Sicherheit  nicht  ent- 
scheiden. Wahrscheinlich  ist  jedoch,  daß  es  sich 
hier  um  eine  Summation  der  Wirkung  beider 
schädlichen  Substanzen  gehandelt  hat. 

Das  Atoxyl  ist  jedenfalls  ein  mit  großer 
Vorsicht  zu  brauchendes  Mittel. 

(Münchener  med.  Wochenschr.  190*>t  No.  22,  S.  1043.) 

Jacobson. 


Literatur« 


Die  Krankheiten  der  Frauen.  Für  Ärzte  und 
Studierende  dargestellt  von  Prof.  Dr.  Heinrich 
Fritsch.  Elfte,  vielfach  verbesserte  Auflage. 
Leipzig,  Verlag  von  S.  Hirzel,  1905. 

Das  in  der  Sammlung  medizinischer  Lehr- 
bücher als  erster  Band  erschienene  Lehrbuch 
von  Fritsch  ist  in  seinen  früheren  Auflagen 
in  dieser  Zeitschrift  wiederholt  besprochen  wor- 
den, so  daß  es  erübrigt,  auf  seine  Vorzüge,  die 
ihm  schnell  einen  großen  Freundeskreis  erwarben, 
einzugehen.  Da  die  Wissenschaft  in  den  4  Jahren 
seit  dem  Erscheinen  der  letzten  Auflage  be- 
sonders in  pathologisch-anatomischer  und  opera- 
tiver Beziehung  vorgeschritten  ist,  so  mußten 
mannigfache  Verbesserungen  vorgenommen  wer- 
den. Zahlreiche  instruktive  Illustrationen  geben 
die  für  die  Diagnosenstellung  wichtigen  patho- 
logischen Veränderungen  im  Bilde  wieder.  Be- 
sonders eingehend  ist  das  Kapitel  über  den 
Uteruskrebs  umgearbeitet.  Während  früher 
Fritsch  bei  der  vaginalen  Operation  die  Bauch- 
höhle tamponierte,  zieht  er  jetzt  einen  voll- 
ständigen Abschluß  derselben  durch  exakte  Naht 
vor,  die  vaginale  Operation  des  karzinomatösen 
Uterus  bevorzugt  er  bis  jetzt  noch  wenn  möglich 
vor  der  abdominalen,  welche  er  für  die  Fälle 
reserviert  wissen  will,  welche  nicht  durch  die 
vaginale  Entfernung  des  Uterus  radikal  zu  be- 
handeln  sind.     Das   Lehrbuch   gibt   die  Lebens- 


erfahrung eines  unserer  ersten  Fachmänner 
wieder,  es  ist  daher  naturgemäß  manche  sub- 
jektive Auffassung,  die  von  anderen  nicht  geteilt 
wird.  Der  Umfang  des  Buches  hat,  trotzdem 
sich  Fritsch  einer  möglichsten  Kürze  befleißigt 
—  in  einzelnen  Kapiteln,  z.  B.  über  Neubildungen 
der  Tube,  sogar  einer  zu  großen  —  dennoch 
zugenommen;  es  bietet  Studierenden  und  Ärzten 
reiche  Anregung  nicht  nur  zum  Lernen,  sondern 
auch  zum  Denken,  klargeschrieben,  anschaulich 
geschildert,  trefflich  illustriert,  ist  es  das  Muster 
eines  Lehrbuches.  Es  ist  sicher  nicht  die  letzte 
Auflage,   die   in  diesen  Heften  besprochen  wird. 

Falk  (Berlin). 

Lehrbuch  der  Vibrationsmassage  mit  beson- 
derer Berücksichtigung  der  Gynäkologie. 

Von  Dr.  Kurt  Witthauer,  Oberarzt  am 
Diakonissenhaus  zu  Halle  a.  S.  Leipzig, 
F.  C.  W.  Vogel,  1905. 

Witthauer  gibt  auf  Grund  der  in  der 
Literatur  niedergelegten  physiologischen  Ver- 
suche und  wissenschaftlichen  Erfahrungen  eine 
zusammenfassende  Darstellung  der  Technik  und 
Wirkungsweise  der  Vibrationsmassage  und  be- 
richtet gleichzeitig  in*  den  einzelnen  Kapiteln 
über  seine  eigenen  Beobachtungen  und  Erfolge 
an  der  Hand  von  Krankengeschichten,  wobei  die 
gynäkologischen  Erkrankungen  besonders  aus- 
führlich berücksichtigt  werden.  Die  allgemeinen 
Anzeigen  und  Gegenanzeigen,  die  Apparate  und 
ihre  Anwendung,  die  spezieilen  Behandlungs- 
methoden bei  den  Erkrankungen  der  einzelnen 
Organe  werden  kritisch  erörtert.  So  gelingt  es 
dem  Verf.  tatsächlich,  diese  von  Kurpfuschern 
durch  unverständige  Handhabung  in  Mißkredit 
gebrachte  Methode  auf  eine  wissenschaftliche 
Basis  zu  8 teilen  und  gleichzeitig  den  Einwurf 
zu  entkräften,  daß  es  sich  bei  der  Vibrations- 
massage um  rein  suggestive  Wirkungen  handele. 
In  dieser  Hinsicht  erscheint  mir  Witthauers 
Bestreben,  die  erzielten  Wirkungen  überall  in 
Einklang  mit  bekannten  physiologischen  Erfah- 
rungen und  Gesetzen  zu  bringen,  besonders 
wertvoll,  und  das  Buch  mag  daher  als  weitere 
Anregung  zu  Versuchen  und  Berichten  über 
diese  noch  viel  zu  wenig  wissenschaftlich  aas- 
gebaute Methode  dienen. 

Mohr  (Bielefeld). 

Handbuch  der  Urologie.  Herausgegeben  von 
Dr.  Anton  v.  Frisch  und  Dr.  Otto  Zucker- 
kand 1.    I.  Band.     Wien  1904,  Alfred  Holder. 

Der  vorliegende  I.  Band  des  Handbuchs 
der  Urologie  gibt  zunächst  eine  „Anatomische 
Einleitung"  von  E.  Zuckerkandl,  die  in  über- 
sichtlicher, fesselnder  Darstellung,  unterstützt 
durch  zahlreiche  klare  Abbildungen  nach  makro- 
skopisch und  mikroskopisch  anatomischem  Mate- 
rial, das  Wesentlichste  über  die  Entwicklung  und 
den  Bau  des  gesamten  Harnapparates  und  der 
männlichen  Geschlechtsdrüsen  bringt.  Der  ana- 
tomischen Einleitung  schließt  sich  das  von 
H.  Koeppe  bearbeitete  Kapitel  über  die  r  Physio- 
logie der  Harnabsonderung"  an,  das  namentlich 
in  bezug  auf  die  Wirksamkeit  des  osmotischen 
Druckes  bei  der  Harnabsonderung,    auch  bezüg- 


XIX.  Jahrgang.1 
Anglist  1905.  J 


Literatur. 


441 


lieh  der  Resultate,  die  die  Bestimmung  der 
Gefrierpunktserniedrigung  und  der  elektrischen 
Leitfähigkeit  des  Harns  bisher  für  die  Beur- 
teilung der  Nieren funktionen  geliefert  hat,  in 
dankenswerter  Weise  recht  ausführlich  behandelt. 
Sigm.  Exner  gibt  über  die  „Physiologie 
der  männlichen  Geschlechtsfunktionen"  und 
J.  M  a  uth  n  er  über  die  „Chemische  Untersuchung 
des  Harns"  aus  diesen  Gebieten  das  für  den 
Arzt  Wissenswerteste.  Einen  großen  Umfang  in 
letzterer  Abhandlung  nimmt,  der  Wichtigkeit 
des  Gegenstandes  entsprechend,  der  chemische 
Nachweis  der  pathologischen  Harnbestandteile, 
der  Eiweißkörper  und  ihrer  Spaltungsprodukte, 
des  Blutfarbstoffs,  des  Zuckers  u.  s.  w.  ein,  sowie 
die  quantitative  Bestimmung  einzelner  derselben. 
Was  die  „zufällig"  im  Harn  angetroffenen 
anorganischen  Bestandteile  wie  Jod,  Brom, 
Quecksilber  u.  s.  w.  anbetrifft,  so  geht  Verf. 
näher  auf  die  Methoden  zur  Quecksilberbestim- 
mung im  Harn  ein,  die  das  ganz  besondere 
Interesse  des  Arztes  beanspruchen.  Vielleicht 
hätte  der  Verfasser  in  diesem  Abschnitte  noch 
erwähnen  können,  daß  unter  den  neueren  Me- 
thoden zur  Quecksilberbestimmung  die  Farup- 
sche  Methode  (genauere  Angaben  darüber  s. 
Arch.  f.  exp.  Pathol.,  Bd.  44,  p.  272),  die  eine 
Kombination  der  Ludwigschen  und  Schu- 
macher-Youngschen  Methode  (s.  Arch.  f.  exp. 
Path.,  Bd.  42,  p.  138  ff.)  darstellt,  sehr  zuver- 
lässige und  genaue  Resultate  liefert,  daß  ferner 
Bardach  (s.  Zentralb],  f.  inn.  Mediz.  1901, 
No.  15)  eine  von  dem  Ludwigschen  Nachweis 
abweichende  Methode  zur  Quecksilberbestimmung 
vermittelst  Zusatzes  von  Eiweißkörpern  zu  dem 
quecksilberhaltigen  Harn  angibt. 

Nachdem  R.  Kraus  die  „Bakterien  der 
gesunden  und  kranken  Harnwege"  in  ausführ- 
licher Darstellung  abgehandelt  hat,  beginnt  der 
eigentlich  klinische  Teil  des  Handbuches,  der 
von  0.  Zuckerkandl  zweckmäßig  durch  eine 
Darstellung  der  „Asepsis  in  der  Urologie"  und 
von  v.  Frisch  durch  „Klinische  Untersuchungs- 
methoden"  eingeleitet  wird.  Letzterem  Abschnitt 
ist  eine  Reihe  instruktiver  Zeichnungen  von 
Katheterformen,  Sonden  und  Cystoskopen  ein- 
gefügt. Der  erste  Teil  des  groß  angelegten 
Werkes  schließt  mit  der  „Allgemeinen  Symptom- 
lehre"  von  0.  Zuckerkandl. 

Das  exakt  wissenschaftliche,  auf  der  Höhe 
moderner  Forschung  stehende  und  in  bezug 
auf  Darstellung  meisterhafte  Werk,  welches  vom 
Verleger  seinem  vornehmen  Inhalte  gemäß  würdig 
ausgestattet  ist,  wird  in  der  Bibliothek  des  Spe- 
zialisten und  des  prakt.  Arztes,  der  sich  über 
die  einschlägigen  Fragen  in  der  Urologie  gründ- 
lich orientieren  will,  bald  unentbehrlich  sein. 
Kaufmann  (Bad  Wildungen). 

Grundrifg  der  Otologie.    Unter  Mitwirkung  von 
•    Geh.  Rat  Schwartze,  ordentl.  Prof.   der  Me- 
dizin   in    Halle,    und  Prof.  Dr.  C.  Grunert, 
I.  Assistenten  der  Ohrenklinik  in  Halle.   Verlag 
F.  C.  W.  Vogel.    Leipzig  1905. 
Bei  dem  wohlbegründeten  Weltruf,  den  die 
Hallenser    Ohrenklinik    durch     ihren    Schöpfer 
und   Direktor  Hermann   Schwartze    seit  De- 


zennien genießt,  und  bei  der  wissenschaft- 
lichen Bedeutung  seines  langjährigen  Assistenten 
C.  Grunert  wird  das  vorliegende  Buch  ohne 
jede  besondere  Empfehlung  unzweifelhaft  einen 
großen  Leserkreis  gewinnen. 

Das  Buch  soll  nach  den  Intentionen  seiner 
Autoren  kein  Nachschlagebuch  für  Ohren- 
ärzte mit  vielfachen  Literaturangaben,  sondern 
lediglich  ein  Nachlesebuch  für  Studierende 
und  praktische  Ärzte  sein  über  das,  was  sie  in 
der  Ohrenklinik  gesehen  und  gehört  haben. 

Der  subjektive  Charakter  des  ganzen  Werkes, 
bes.  der  Diagnose  und  der  therapeutischen  Maß- 
nahmen, gereicht  dem  Buche  schon  mit  Rück- 
sicht auf  die  Bedeutung  der  Schule,  auf  der  es 
basiert  ist,  zum  größten  Vorteil  und  wird  den 
Ohrenärzten  aller  Länder  als  eine  willkommene 
Richtschnur  für  ihr  Handeln  gelten. 

Der  Inhalt  zerfällt  in  einen  allgemeinen 
und  speziellen  Teil.  Zu  dem  allgemeinen  ge- 
hören folgende  akademische  Vorträge:  Allge- 
meine Ätiologie  der  Ohrenkrankheiten;  allge- 
meine Prophylaxe  und  Hygiene;  Symptomato- 
logie; Diagnostik;  Therapie  der  Ohrenkrank- 
heiten. 

Zu.  dem  speziellen  Teil  gehören:  Die  Ver- 
letzungen des  Ohres;  Begutachtung  der  Ohr 
Verletzungen;  Neubildungen  des  Ohres;  Fremd- 
körper und  Neurosen;  Erkrankungen  des  äußeren 
Ohres;  akute  Otitis  media;  chronische  Otitis 
med.;  die  ossalen  Komplikationen  der  Mittelohr- 
eiterungen; die  intrakraniellen  Komplikationen 
der  Mittelohreiterung;  die  Otosklerosis ;  die  Er- 
krankungen des  Labyrinths;  Taubstummheit; 
Mißbildungen  des  Gehörorgans;  Prothesen  und 
Korrektionsapparate. 

Was  einzelne,  aber  nicht  wesentliche  thera- 
peutische Vorschläge  der  Autoren  betrifft,  so 
wird  vielleicht  mancher  Ohrenarzt  —  wie  übrigens 
von  den  Autoren  selbst  erwähnt  ist  —  eine  ab- 
weichende Stellung  ihnen  gegenüber  einnehmen, 
so  z.  B.  in  der  Anwendung  von  Blutegeln  bei 
der  Behandlung  der  Otitis  med.  acuta,  ferner 
im  Gebrauch  der  intratympanalen  Durchspülun- 
gen bei  chron.  Otorrhöe,  des  Jodanstrichs  des 
Warzenfortsatzes  bei  Periostitis  u.  s.  w.  Aber  das 
sind  eigentlich  selbstverständliche  Differenzen, 
die  auf  keinem  Gebiete  der  ärztlichen  Praxis  er- 
klärlicher sind  als  auf  dem  noch  immerhin 
schwankenden  Boden  der  Therapie  der  Ohren- 
krankheiten. 

Die  einzelnen  akademischen  Vorträge  sind 
in  klarem,  fließendem  Stil  geschrieben,  sie  ent- 
halten alles  für  den  Studierenden  und  praktischen 
Arzt  Wissenswerte  und  Wesentliche  in  übersicht- 
licher prägnanter  Form  und  werden  dem  von 
den  Autoren  intendierten  Zweck  in  hervorragender 
Weise  zu  dienen  imstande  sein. 

Die  ganze  Ausstattung  des  Buches  ist 
tadellos.  l.  Kate  (Berlin). 

Die  Verletzungen  des  Gehörorgans.  Von  Geh. 
Medizinalrat  Prof.  Dr.  A.  Passow,  Wiesbaden. 
Verlag  von  J.  F.  Bergmann,  1905. 

Das  mit  großer  Sorgfalt,  Objektivität  und 
Sachkenntnis  verfaßte  Werk,  das  mit  reichen 
Literaturangaben    versehen    ist,    hat    folgenden 


442 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


trherapeatiache 
Monatsheft«. 


Inhalt,  der  in  11  Kapiteln  niedergelegt  ist. 
1.  Verletzungen  der  Ohrmuschel.  2.  Othämatom 
und  Perichondriti8  der  Ohrmuschel.  3.  Ver- 
letzungen des  äußeren  Gehörgangs.  4.  Verletzun- 
gen des  Trommelfells.  5.  Verletzungen  der 
Paukenhöhle.  6.  Fremdkörper  im  Ohr.  7.  Ver- 
letzungen der  Tuba  Eustachii.  8.  Verletzungen 
des  Warzenfortsatzes.  9.  Verletzungen  des  schall- 
«mpfindenden  Apparats.  10.  Hysterie  und  trau- 
matische Neurosen.     11.  Begutachtungen. 

Den  Wert  dieses  vom  praktischen  und  theo- 
retischen Standpunkte  sehr  beachtenswerten 
Werkes  erhöht  die  Tatsache,  daß  der  Autor, 
auf  eigenen  reichen  Erfahrungen  fußend,  seine 
Deduktionen  und  therapeutischen  Vorschlage  in 
prägnanter  und  klarer  Weise  niedergelegt  hat. 
Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  es  jedem 
Ohrenarzt,  speziell  auch  bei  Begutachtungen  und 
forensischen  Angelegenheiten,  eine  willkommene 
Fundgrube  in  vorkommenden  Fällen  gewähren 
wird.  Die  Ausstattung  des  Werkes  entspricht 
Tollkommen  dem  wohlrenommierten  Verlage. 

L.  Katz  (Berlin). 

Kursus  der  Zahnheilkunde.    Ein  Hilfsbuch  für 

Studierende    und    Zahnärzte.     Von    K.  Cohn. 

Dritte  vollständig  umgearbeitete  und  vermehrte 

Auflage. 

Der  Verfasser  ist  in  jeder  neuen  Auflage 
seines  Hilfsbuches  bestrebt,  die  Klarheit  der 
Darstellung  und  die  Anordnung  des  Stoffes  zu 
verbessern.  Mit  der  3.  Auflage  ist  er  hiermit 
wieder  ein  gutes  Stück  weitergekommen.  Er 
vergißt  jedoch  auch  nicht,  die  neuesten  For- 
schungen seinem  Buche  zugute  kommen  zu 
lassen.  So  hat  er  die  Verbesserungen  der  lokalen 
Anästhesie  bei  Extraktionen  und  bei  Auskratzung 
des  kariösen  Dentins  —  Dentin anästhesie  — 
mittels  Kokainadrenalin  mit  aufgenommen,  ver- 
meidet aber  als  vorsichtiger  Praktiker  allen 
Überschwang  dabei  und  macht  auch  auf  ihre 
Schattenseiten  aufmerksam.  Ebenso  bringt  er 
die  neuesten  Forschungen  Müllers  über  Immuni- 
tät gegen  Carieä  der  Zähne  und  all  die  anderen 
neuen  Forschungen  und  Errungenschaften  seit 
Erscheinen  der  zweiten  Auflage,  sei  es  auf  dem 
Gebiet  der  Arzneimittel,  sei  es  auf  dem  histo- 
logischen oder  pathologischen  Gebiet  der  Zähne 
und  des  Mundes.  Nur  wünschte  ich,  daß  z.  B. 
das  Kapitel  über  Zahnbein,  als  ein  für  den  an- 
gehenden Zahnarzt  sehr  wichtiges,  etwas  aus- 
führlicher und  mit  weitergehender  Darlegung 
der  neueren  Forschungen  behandelt  wäre.  Auch 
möchte  ich  gegen  eine  Stelle  des  Buches  Ein- 
spruch erheben,  in  welcher  der  Verfasser  von 
der  Herbstschen  Methode  bei  der  Behandlung 
der  abgeätzten  Pulpa  spricht  und  sie  als 
aseptische  bezeichnet.  Das  Herb  st  sehe  Ver- 
fahren ist  alles  andere  als  ein  der  Asepsis  ent- 
sprechendes. Diese  Bezeichnung  könnte  nur 
schwache  Gemüter  dazu  verführen,  diese  Be- 
handlungsmethode anzuwenden,  was  —  auch 
nach  des  Verfassers  Ansicht  —  doch  nicht  zu 
wünschen  wäre.  Frohmann  (Berlin). 


«        Praktische  Notizen 
und 
empfehlenswerte  Arsnelfoi 


teln. 


Zur  Verhütung  der  Nephritis  bei  Scharlach 
empfiehlt  Ziegler  (Zentralbl.  für  Kinderheilk., 
1.  Mai  190Ö)  die  ausschließliche  Milchdiät.  Seit 
21  Jahren  hat  er  dieselbe  in  einem  Waisen- 
hause bei  231  Scharlachfallen  in  Anwendung  ge- 
bracht. Während  vorher  50  Proz.  Nierenentzün- 
dungen vorkamen,  blieben  unter  diesen  Fällen 
alle  Kinder  frei  von  Nephritis,  dagegen  er- 
krankten unter  10  Kindern,  die  nicht  mit  Milch- 
diät behandelt  wurden,  9  an  Nephritis. 

Gegen   Ohrensausen  infolge  Tubenkatarrh  (akut 

und  chronisch) 
hat  Dr.  Naegeli-Akerblom  in  Genf  (nach  per- 
sönlicher Mitteilung)  in  den  letzten  Jahren  häufig 
mit  Erfolg  Tinctura  Cimifugae  rasemosae  10  bis 
20  Tropfen  in  Wasser  3  mal  täglich  nach  dem 
Essen  in  Anwendung  gebracht. 

Die    Verwendung     des    Rapldtamponators    Ton 
Even*  und  Pistor  (Kassel) 

empfehlen  L.  Haas  und  A.  Hinsch  (Medizinische 
Klinik  1905,  No.  17)  zur  Einleitung  der  künst- 
lichen Fehlgeburt. 

Nach  Erweiterung  der  Cervix  mit  Heg  a  r  sehen 
Sonden  wird  der  Tamponator  bis  zum  Fundus 
eingeführt  und  der  ganze  Uterus  mit  steriler 
Jodoformgaze  fest  ausgestopft.  Der  Tamponator 
besteht  nämlich  aus  einer  am  oberen  Ende  leicht 
gekrümmten  Röhre,  durch  die  die  Jodoformgaze 
durch  einen  oben  gabelförmig  auseinander- 
gehenden Stab  durch  leicht  stopfende  Bewe- 
gungen hindurchgeführt  wird.  Die  Tamponade 
gelingt  leicht  und  vollkommen  und  ermöglicht 
nicht  nur  eine  sterile  Tamponade,  sondern  auch 
Abkürzung  der  ganzen  Zeitdauer  der  Einleitung 
der  künstlichen  Fehlgeburt. 

Komitee   zur   Veranstaltung    Ärztlicher   Studien- 
reisen. 

Der  Besuch    der  fünften  Studienreise  wird 
sich,    vorbehaltlich    etwaiger    notwendigen   Ver- 
änderungen,   auf    folgende    Kurorte    erstrecken: 
Gmunden,  Ebensee,  Ischl,  Aussee,  Salzburg  (mit 
Ausflug  auf  den  Schafberg),  Reichenhall,  Berchtes- 
gaden,  Hallein,   Gastein,  Zell  a.  See,  Innsbruck, 
Igis,  Brennerbad,  Gossensass,  Levico,  Roncegno, 
Arco,  Riva,  Gardone,  Bozen-Gries,  Meran.     Die 
Reise    beginnt    in   München    am    10.  Sept.    und 
endet   in  Meran  am  23.  Sept.     Der  Gesamtpreis 
für  die  14tägige   Reise  (freie   Fahrt  per  Eisen- 
bahn,   Wagen   und  Dampfschiff,   freies  Quartier 
und  volle  Verpflegung  exkl.  Getränke)  einschließ- 
lich des  vom  Komitee  herausgegebenen  offiziellen 
Reiseberichts    beträgt    Mk.  250—.      Die    Fahr- 
karten gelten  bis  zurück  nach  München.    Nähere 
Auskunft  sowie  ausführliches  Programm  erhältlich 
vom  Generalsekretär  Hofrat  Dr.  W.  H.  Gilbert, 
Baden-Baden.  Letzter  Anmeldetermin  20.  August. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  A.  Langgaard  in  Berlin  8W. 
Verlag  von  JuliusSpringerin  Berlin  N.  —  Universitäts-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francice)  in  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte, 


1905»    September. 


Originalabhandlnngen. 


Die  Behandlung*  des  Abortes  In  der 
allgemeinen  Praxis. 

Von 
Dr.  F.  Moebiiis,  Frauenarzt  in  Braunschweig. 

Zum  Thema  möchte  ich  zunächst  be- 
merken, daß  es  hier  nicht  meine  Absicht 
ist,  auf  Einzelheiten,  insbesondere  den 
Mechanismus  des  Abortes,  näher  einzugehen. 
Wer  sich  darüber  orientieren  will,  den  ver- 
weise ich  auf  die  ausgezeichnete  Arbeit 
Seil  heims  „Über  Prinzipien  und  Gefahren 
der  Abortbehandlung a  (Münchener  medizin. 
Wochenschrift  1902,  .Nr.  10).  Nur  einige 
kurze  Bemerkungen  grundsätzlicher  Bedeu- 
tung will  ich  vorausschicken. 

Wenn  man  die  stattliche  Literatur  über 
Abortbehandlung,  insbesondere  aber  die  mo- 
dernen Lehrbücher  der  Geburtshilfe,  durch- 
sieht, so  drängt  sich  unwillkürlich  der  Ge- 
danke auf,  daß  den  Verhältnissen  der  allge- 
meinen, insbesondere  der  Landpraxis,  zu 
wenig  Rechnung  getragen  wird.  Als  einzig 
rationelle,  gleichsam  physiologische  Behand- 
lung der  Fehlgeburt  erkenne  auch  ich  ein 
möglichst  abwartendes  Verhalten  rückhaltlos 
an,  glaube  aber,  daß  dieses  sich  ohne 
Gefahr  für  die  Patientin  nur  in  einer  Klinik, 
wo  jeden  Augenblick  ärztliche  Hilfe  zur 
Verfugung  steht  und  eine  sorgfältige  Be- 
obachtung allein  möglich  ist,  durchführen 
läßt;  in  der  Privatpraxis  stellen  sich  der 
rein  abwartenden  Behandlung  große  Schwierig- 
keiten entgegen,  in  erster  Linie  die  Blutung, 
deren  Stärke  im  einzelnen  Falle  völlig 
unberechenbar  ist.  Hier  ist  meiner  Meinung 
nach  eine  möglichst  schnelle  und  vollständige 
Entleerung  des  Uterus  das  gegebene  Ver- 
fahren. Die  Frage  ist  nur:  Wie  können 
wir  dieses  Verfahren  zu  einem  für  die 
Kranken  möglichst  schonenden  und  gefahr- 
losen gestalten?  Vorausschicken  will  ich  nur, 
daß  ich  jede  instrum enteile  Behandlung, 
sei  es  mit  der  Kürette,  Abortzange  o.  dergl. 
grundsätzlich  verwerfe.  Die  Gründe  dafür 
sind  anderen.  Ortes  sattsam  erörtert,  so  daß 
ich  hier  nicht  .  weiter  darauf  einzugehen 
brauche.     In  folgendem    will    ich    nun  kurz 

Th.  M.  1906. 


ein  Verfahren  erörtern,  wie  es  sich  mir  in 
einer  stattlichen  Anzahl  von  Fällen  stets 
bewährt  hat  und  meiner  Ansicht  nach  den 
Ansprüchen  der  allgemeinen  Praxis  am  besten 
gerecht  wird. 

Wenn  die  Weite  des  Muttermundes  resp. 
des  Cervikalkanales  das  Eingehen  mit  dem 
Finger  gestattet,  zögere  ich  nicht,  die  digitale 
Ausräumung  sofort  vorzunehmen.  Ist  der 
Muttermund  für  zwei  oder  mehrere  Finger 
durchgängig,  so  braucht  man  im  allgemeinen 
nicht  auf  größere  Schwierigkeiten  gefaßt  zu 
sein.  Die  gelösten  Massen  lassen  sich  leicht 
durch  den  Muttermund  nach  außen  befördern. 
Ist  der  letztere  dagegen  nur  gerade  für 
einen  Finger  durchgängig,  so  kann  die  Aus- 
räumung außerordentlich  schwierig  sein  und 
ich  gebe  Nassauer  ohne  weiteres  zu,  daß 
diese  Abortbehandlung  bisweilen  eine  der 
technisch  schwierigsten  von  allen  geburtshilf-' 
liehen  Operationen  ist.  Wenn  Nassauer 
(Münch.  med.  Wochenschr.  1903,  Nr.  38) 
aber  für  diese  Fälle  wieder  ein  neues 
Instrument,  eine  „modifizierte  Abortuszangett 
angibt,  so  fordert  das  den  schärfsten  Wider- 
spruch heraus.  Wenn  Nassauer  geduldig 
noch  einmal  tamponiert,  so  wird  es,  um 
seine  eigenen  Worte  zu  gebrauchen,  sicher- 
lich eine  wahre  Freude  für  ihn  sein,  wenn 
er  nach  zwei  oder  auch  drei  Tagen  die 
komplette  Frucht  hinter  der  Tamponade 
vorfindet  oder  der  Muttermund  nunmehr  ein» 
Eingehen  mit  zwei  oder  drei  Fingern  bequem* 
gestattet,  Wozu  also  das  neue  Instrument? 
Die  Schwierigkeiten  der  Ausräumung  mit 
einem  Finger  vorher  zu  übersehen,  ist 
Sache  der  Erfahrung;  wem  die  Ausräumung 
im  einzelnen  Falle  zu  schwierig  erscheint, 
möge  ruhig  noch  einmal  in  der  unten  be- 
schriebenen Weise  tamponieren.  Übrigens 
liegt  nach  meiner  Erfahrung  in  vielen  Fällen 
nicht  so  sehr  in  der  Abschäl ung  der  Pla- 
centarmassen  die  Schwierigkeit  als  vielmehr 
in  der  Herausbeförderung  der  gelösten 
Massen  aus  dem  Muttermunde,  da  sie  immer 
wieder  dem  Finger  entgleiten.  Da  ist  die 
nachfolgende  Uterusausspülung,  die  ich  grund- 
sätzlich in    jedem  Falle  vornehme,    von  un- 

33 


444 


Moebiua,  Behandlung  dM  Abortes  in  der  allgemeinen  Praxis. 


fTharapeatiMh« 
L   Monatshefte. 


schätzbarem  Werte,  die  gelösten  Massen 
werden  mit  einem  kräftigeren  Strahle  (natür- 
lich unter  Vermeidung  von  Lufteintritt)  in 
den  meisten  Fällen  einfach  herausgeschwemmt. 
Zur  Ausspülung  bediene  ich  mich  eines  ein- 
fachen Zinnrohres. 

Was  die  Technik  der  Ausräumung  selbst 
betrifft,  so  empfiehlt  es  sich  jedenfalls,  die  ein- 
mal in  das  Cavum  eingeführten  Finger  möglichst 
nicht  eher  zu  entfernen,  als  bis  alles  gelöst  ist. 
Ist  es  trotzdem  notwendig,  die  Finger  zu 
entfernen,  müssen  sie  unbedingt  inzwischen 
in  einer  desinfizierenden  Flüssigkeit  abgespült 
werden.  Auch  halte  ich  vor  Beginn  der 
Ausräumung,  abgesehen  von  der  selbstver- 
ständlichen Reinigung  der  äußeren  Genitalien, 
eine  gründliche  Ausspülung  der  Scheide  für 
absolut  notwendig. 

Auf  die  gründliche  Entleerung  antwortet 
der  Uterus  sofort  mit  einer  kräftigen  Kon- 
traktion, so  daß  in  vielen  Fällen  der  innere 
Muttermund  sich  sofort  fest  zusammenschließt. 
Ein  weiteres  Kriterium,  auf  das  ich  großen 
Wert  lege,  ist  die  Beschaffenheit  der  zurück- 
laufenden Spülflüssigkeit.  Ist  letztere  klar, 
nicht  mehr  blutig  gefärbt,  kann  man  in  den 
meisten  Fällen  darauf  rechnen,  daß  die  Ent- 
leerung des  Uterus  vollständig  ist. 

Wie  verhalten  wir  uns  nun,  wenn  der 
Muttermund  nur  wenig  eröffnet  ist?  Hier 
ist  die  feste  Tamponade  und  zwar  des 
Cervikalkanals  und  wenn  möglich  des  ganzen 
Uteruscavum8  das  gegebene  Verfahren.  Die 
Scheidentamponade  allein  hat  verschiedene 
Nachteile:  sie  löst  nur  mangelhaft  Wehen 
aus  und  unter  Umständen  blutet  es  durch. 
Der  eine  Vorteil,  daß  ein  Betreten  der 
Uterushöhle  nicht  stattfindet  und  damit  die 
Gefahr  der  Infektion  nicht  näher  gerückt 
wird,  wiegt  die  oben  erwähnten  Nachteile 
nicht  auf.  Als  Tamponmaterial  benutze  ich 
ausschließlich  die  Dührssensche  Büchse 
Nr.  2.  Dieselbe  enthält  einen  5  cm  und 
einen  3  cm  breiten  Jodoformgazestreifen; 
der  letztere  läßt  sich  unter  allen  Umständen 
einführen,  während  manchmal  das  höhere 
Einführen  eines  5  cm  breiten  Streifens  auf 
Schwierigkeiten  stößt,  sobald  der  Mutter- 
mund nur  wenig  eröffnet  ist. 

Das  Abortinstrumentarium  besteht  nur  aus 
zwei  Kugelzangen,  einem  mittelgroßen 
Sims  sehen  Speculum,  einem  Zinnrohr  mitt- 
leren Kalibers,  einer  Dührssenschen  langen 
Tamponpinzette  und  einem  Fritsch-Boze- 
m  an  sehen  Katheter.  Die  Tamponade  wird 
entweder  auf  dem  Querbett  oder  auf  einem 
Tische  vorgenommen,  wobei  sich  die  Patientin 
eventuell  selbst  leicht  die  Beine  in  Stein- 
schnittlage die  wenigen  Minuten  halten 
kann.      Nach    gründlicher    Desinfektion    der 


äußeren  Genitalien  und  der  Scheide  (eine 
vorhergehende  Uterusausspülung  halte  ich 
bei  nicht  fieberndem  Abort  für  überflüssig) 
wird  unter  Leitung  zweier  Finger  der  linken 
Hand  die  vordere  Muttermundslippe  mit 
einer  oder  zwei  Kugelzangen  angehakt,  die 
Portio  herabgezogen  und  der  hintere  Sims 
eingesetzt.  Die  Tamponbüchse  kann  man 
bequem  zwischen  den  Knien  selbst  halten, 
es  ist  dazu  keine  weitere  Assistenz  nötig, 
auch  das  hintere  Speculum  hält  sich  selbst. 
Nunmehr  wird  der  3  cm  breite,  oder  wenn 
der  Muttermund  es  gestattet,  der  5  cm 
breite  Streifen  möglichst  hoch  hinauf  einge- 
führt und  das  Uteruscavum,  zum  wenigsten 
aber  der  Cervikalkanal  so  fest  wie  möglich 
ausgestopft.  Ich  halte  es  für  besser,  wenn 
das  Cavum  mit  dem  3  cm  breiten,  als  wenn 
nur  die  Cervix  mit  dem  5  cm  breiten 
Streifen  ausgestopft  ist.  Die  Scheide  wird 
mit  der  in  der  Büchse  befindlichen  Salizyl- 
watte  tamponiert.  Diese  Tamponade  kann 
man  bis  zu  48  Stunden,  natürlich  unter 
sorgfältiger  Beobachtung  der  Temperatur, 
ruhig  liegen  lassen.  •  Dann  ist  in  der  Regel 
entweder  das  Ei  in  die  Scheide  oder  den 
Cervikalkanal  mit  der  Tamponade  geboren 
oder  der  Muttermund  so  weit  geöffnet,  daß  er 
das  Eingehen  mit  einem  oder  mehreren 
Fingern  und  die  digitale  Ausräumung  ge- 
stattet. Nur  ausnahmsweise  wird  eine  noch- 
malige Tamponade  erforderlich  sein. 

Die  eben  beschriebene  Art  der  Tampo- 
nade bietet  jedenfalls  eine  fast  absolute 
Sicherheit  gegen  die  Blutung.  Die  Ent- 
fernung der  Gaze  bereits  nach  kürzerer  Zeit  als 
24  Stunden  dürfte  sich  nur  empfehlen, 
wenn  das  Einsetzen  sehr  kräftiger  Wehen 
eine  schnellere  Erweiterung  des  Mutter- 
mundes erwarten  läßt.  Doch  kommen  hier 
leicht  Täuschungen  vor,  da  sich  bei  Fehl- 
geburten in  den  ersten  Monaten  objektiv  die 
Wehentätigkeit  nicht  beurteilen  läßt,  und 
man  somit  lediglich  auf  die  subjektiven  An- 
gaben der  Patientin  angewiesen  ist. 

Noch  einige  Worte  zur  Anwendung  des 
Kolpeurynters  resp.  Metreurynters  bei  Abort. 
Ich  habe  denselben  in  einigen  Fällen  ange- 
wandt, halte  ihn  aber  im  allgemeinen  nicht 
für  zweckmäßig.  Es  kann  hier  natürlich 
auch  nur  eine  intrauterine  Anwendung,  d.  h. 
eine  Metreuryse  in  Frage  kommen.  Die 
Handhabung  des  Kolpeurynters  bringt  über- 
haupt manche  Unbequemlichkeiten  mit  sich; 
man  muß  immer  eine  größere  Anzahl  vor- 
rätig haben,  da  sie  leicht  brüchig  werden 
und  leicht  zerreißen,  die  Sterilisierung  durch 
Auskochen  vertragen  sie  schlecht,  zur  Füllung 
muß  man  eine  besondere  Spritze  bei  sich 
fuhren  usw.      Vor  allem  aber  ist  bei  wenig 


XIX  Jahrgang.  1 
B«pfmb«r  1905.J 


Goldstein,  8tugUBgMterbUolikeit  io  FnqJUb. 


445 


eröffnetem  Muttermund  die  Einführung  eines 
Kolpeurynters  überhaupt  unmöglich;  gestattet 
die  Weite  des  Cervik alkanal  es  die  Ein- 
fuhrung, so  ergeben  sich  im  weiteren  Ver- 
lauf verschiedene  Nachteile.  Insbesondere 
stellen  wir  an  die  Tätigkeit  des  Uterus- 
muskels unverhältnismäßig  große  Ansprüche: 
die  ausgelosten  Wehen  sind  häufig  äußerst 
schmerzhaft,  so  daß  die  Patienten  manchmal 
äußern,  sie  würden  lieber  die  Schmerzen 
einer  rechtzeitigen  Geburt  auf  sich  nehmen. 
Weiterhin  vermißt  man  bei  der  Verwendung 
des  Kolpeurynters  einen  Faktor,  den  ich  bei 
Behandlung  des  Abortes,  zumal  des  fiebernden, 
nicht  missen  mochte:  die  drainierende 
Eigenschaft,  die  der  Gaze  in  hervorragendem 
Maße  zukommt  und  die  beim  fiebernden 
Abort  von  nicht  zu  unterschätzendem  Wert 
ist.  Die  Gaze  saugt  das  Wundsekret  auf, 
durch  den  Gegendruck  des  Kolpeurynters 
dagegen  wird  während  der  Wehe  das 
infektiöse  Material  in  die  eröffneten  Lymph- 
und  Blutbahnen  geradezu  hineingepreßt.  Ob 
bei  Anwendung  des  Kolpeurynters  durch 
den  erzeugten  Gegendruck  während  der 
Wehe  Blut  durch  die  Tuben  hindurch  in  die 
Bauchhöhle  gepreßt  werden  und  so  zur  Ent- 
stehung einer  Hämatocele  Veranlassung 
geben  kann,  lasse  ich  dahingestellt,  theore- 
tisch ist  diese  Möglichkeit  jedenfalls  nicht 
von  vornherein  von  der  Hand  zu  weisen. 
Alles  in  allem  genommen  glaube  ich  nicht, 
daß  die  Nachteile  des  Kolpeurynters  durch 
den  einen  Vorteil,  die  schnellere  Erweiterung 
des  Cervikalkanales,  aufgewogen  werden 
können. 

Auf  Einzelheiten  in  der  Behandlung  des 
fiebernden  Abortes  will  ich  hier  nicht 
näher  eingehen;  sie  deckt  sich  im  allge- 
meinen mit  den  im  Vorhergehenden  ent- 
wickelten Grundsätzen.  Jede  instrum enteile 
Behandlung,  Kürettage  etc.  ist  streng  zu 
verwerfen.  Je  schonender  die  Behandlung, 
um  so  besser  sind   auch  hier  die  Resultate. 


Zur  Säuglingssterblichkeit  in  Preußen. 

Von 
Dr.  Ferdinand  Qoldsteln,  prakt.  Arzt  in  Berlin. 

Der  vom  Statistischen  Bureau  veröffent- 
lichte „Rückblick  auf  die  Entwicklung  der 
preußischen  Bevölkerung  von  1875  bis  1900" 
enthält  reiche  Belehrung  über  die  Vitalität 
unseres  Volkes.  Im  folgenden  will  ich  einige 
Fragen  der  Säuglingssterblichkeit  behandeln. 

Die  Sterblichkeit  der  gesamten  Bevölkerung 
ist  in  Preußen  dauernd  zurückgegangen,  sie  be- 
trug auf  1000  Lebende  1876/80  27,2,  1881/85 


27,0,  1886/90  25,6,  1891/95  24,2,  1896 
bis  1900  22,3,  aber  der  Rückgang  war  in 
Stadt  und  Land  nicht  gleichmäßig.  Es 
starben  nämlich  von  1000  Lebenden  durch- 
schnittlich jährlich: 


lt|l 


In  den  Städten  .  .  . 

In  d.  Landgemeinden 

und  Gutsbezirken 


s 

3 

8 

S 

i 

S 

! 

I 

29,027,8  25,7  24,1 

22,2 

26,5 

26,5  25,4 

24,3 

22,4 

—  6,8 
-4,1 


Der  Rückgang  der  Sterblichkeit  war  also 
in  den  Städten  bedeutender  als  in  den  Land- 
gemeinden und  Gutsbezirken ,  in  ersteren 
sank  die  Ziffer  um  6,8,  in  letzteren  um  4,1, 
und  während  von  1875  bis  1890  die  Sterb- 
lichkeit in  den  Städten  bedeutender  war  als 
auf  dem  Lande,  war  seit  1891  das  Ver- 
hältnis umgekehrt. 

Die  allgemeine  Sterbeziffer  wird  in  hohem 
Grade  von  der  Säuglingssterblichkeit  beein- 
flußt, denn  die  Säuglinge  machen  '/s  a^er 
Gestorbenen  aus.  Es  wird  daher  zu  unter- 
suchen sein,  wie  sich  die  Säuglingssterblich- 
keit in  Stadt  und  Land  verhält.  Darüber 
geben  die  folgenden  beiden  Übersichten  Auf- 
schluß. Von  1000  Lebendgeborenen  im 
Alter  bis  zu  1  Jahr  starben  durchschnittlich 
jährlich 


s 

8 

s 

s 

§ 

»* 

00 
00 

~4 

1 

1 

I 

Bei  den  ehelichen  Kindern. 


Im  ganzen  Staat .   . 

In  Berlin 

In  den  übrigen  Groß- 
städten     .... 
In  allen  Städten     . 
Auf  dem  Lande 


191,91194,6 
271,2I253,9 

229,7  237,4 
211,3  211,4 
183,4185,7 


195,1 
241,2 


192,5 
217,6 


219,5  214,9 
210,1202,6 
186,8|l86,7 


Bei  den  unehelichen  Kindern. 


Im  ganzen  Staat .    . 

In  Berlin 

In  den  übrigen  Groß- 
städten    .... 
In  allen  Städten     . 
Auf  dem  Lande 


348,91351,2358,1 
476,8  487,4413,1 


404,2 
403,1 


407,7 
398,3 


311,6318,5 


389,7 
394,8 
331,8 


358,5 
897,3 

387,0 
385.2 
336,0 


188,7 
191,2. 

201,9 
194,8 
185,1 


353,9 
367,4 

379,1 
373,9 
335,9 


Hieraus  ist  zu  ersehen,  daß  die  Sterbe- 
ziffer bei  den  ehelichen  Kindern  des  Staats 
bis  zum  Jahre  1890  stieg,  dann  aber  um 
6,4  sank.  Dieses  Sinken  ist  ausschließlich 
der  Verminderung  der  Säuglingssterblichkeit 
in  den  Städten  zu  verdanken,  denn  auf  dem 
Lande  ist  letztere  seit  1880/85  fast  völlig 
unverändert  geblieben.  Bei  den  unehelichen 
Kindern  dagegen  ist  die  Sterblichkeitsziffer 
im  ganzen  Staat  von  348,9  auf  353,9  ge- 
stiegen,    und     diese     Steigerung     ist     aus- 


446 


Goldttein,  SftuglingMterbllobkelt  in  Preußen. 


pTherftpmtl 
L   Monatihe 


.  ntbcha 
Monatsheft«. 


schließlich  durch  vermehrte  Hinfälligkeit  der 
unehelichen  Kinder  auf  dem  Lande  verur- 
sacht, denn  in  allen  Städten  ist  ihre  Sterb- 
lichkeit beträchtlich  gesunken.  In  allen 
Jahren  aber  war  die  Säuglingssterblichkeit 
auf  dem  Lande  geringer  als  in  der  Stadt, 
doch  die  Zahlen  nähern  sich  einander  und  haben 
sich  bei  den  ehelichen  Kindern  im  Jahre  1902 
bereits  erreicht;  nach  dem  Statistischen  Jahr- 
buch für  den  Preußischen  Staat  starben  im 
Jahre  1902  von  1000  ehelich  lebendgeborenen 
Kindern  in  den  Städten  und  auf  dem  Lande 
je  162. 

Als  wahrscheinliche  Ursache  für  die 
größere  Hinfälligkeit  der  städtischen  Säug- 
linge gegenüber  den  ländlichen  nimmt  das 
Statistische  Bureau  die  auf  dem  Lande  weiter 
als  in  der  Stadt  verbreitete  Sitte  an,  die 
Säuglinge  mit  Muttermilch  zu  ernähren.  Ob 
das  die  einzige  Ursache  ist,  kann  dahin- 
gestellt bleiben,  sicher  aber  ist  es  ein  sehr 
wichtiger  Grund,  und  aus  derselben  bei  den 
unehelichen  Säuglingen  auf  dem  Lande  immer 
mehr  abnehmenden  Sitte  erklärt  sich  auch 
ihre  zunehmende  Sterblichkeit.  Außereheliche 
Mütter  gehen  mehr  und  mehr  vom  Lande  in 
die  Städte  und  verdingen  sich  als  Ammen. 
Dadurch  erhalten  einerseits  weniger  unehe- 
liche Säuglinge  auf  dem  Lande  die  mütter- 
liche Brust,  anderseits  können  in  den  Städten 
mehr  Säuglinge  mit  Frauenmilch  genährt 
werden.  Dadurch  verschlechtern  sich  für  die 
unehelichen  Säuglinge  auf  dem  Lande  die 
Chancen,  am  Leben  zu  bleiben,  während  sie 
sich  für  städtische  Säuglinge  verbessern. 

Jedoch  liegt  hierin  nicht  oder  doch  nur  zum 
geringsten  Teil  der  Grund  für  die  Verbesserung 
der  Säuglingssterblichkeit  in  der  Stadt  und  ihre 
Unveränderlichkeit  auf  dem  Lande,  der  Haupt- 
grund liegt  vielmehr  in  der  Abnahme  der 
Geburten  in  den  Städten  und  ihrer  numeri- 
schen Konstanz  auf  dem  Lande.  Das  Sta- 
tistische Bureau  stellt  diesen  Zusammenhang 
in  Abrede,  es  verweist  auf  die  Jahre  1880, 
1883,  1884,  1886,  1892,  1895,  die  bei 
hoher  Säuglingssterblichkeit  keineswegs  die 
höchste  Geburtsziffern  aufweisen,  und  auf  die 
Jahre  1879,  1881,  1887,  1888,  1894,  1896, 
1898 ,  die  die  niedrigste  Säuglingssterblich- 
keit, aber  nicht  die  niedrigste  Geburtsziffer 
hatten.  Diese  Argumentation  ist  deswegen 
nicht  stichhaltig,  weil  die  Jahresschwankun- 
gen der  Säuglingssterblichkeit  sich  ceteris 
paribus  nach  den  Temperaturen  in  den 
Monaten  Juli,  August  und  in  gewissem  Grade 
auch  September  richten.  Diese  drei  Monate 
raffen  durch  ihre  Hitze  die  meisten  Kinder 
hin,  und  grade  hierin  liegt  der  Hauptgrund 
für  das  zahlreiche  Sterben  der  menschlichen 
Säuglinge.     Ist   nun   die   Hitze    eines  Jahres 


während  dieser  drei  Monate  höher,  so  sterben 
mehr  Säuglinge  als  in  einem  Jahr  mit  tieferer 
Temperatur.  Das  Statistische  Amt  Berlins 
stellt  regelmäßig  die  Temperaturen  mit  der 
Säuglingssterblichkeit  zusammen;  man  kann 
daraus  den  ziemlich  vollständigen  Parallelis- 
mus zwischen  Säuglingssterblichkeit  und  Tem- 
peratur in  den  Monaten  Juli,  August,  Sep- 
tember ersehen.  Analog  verhalten  sich  natür- 
lich auch  die  Säuglinge  des  Staats;  ihre 
Sterblichkeit  wird  ceteris  paribus  in  einem 
Jahre  niedriger  oder  höher  sein  als  in  einem 
anderen,  je  nachdem  die  mittlere  Temperatur 
der  Monate  Juli,  August,  September  niedriger 
oder  höher  ist.  Um  den  Zusammenhang  zu 
erweisen,  stelle  ich  im  folgenden  die  Säug- 
lingssterblichkeit in  den  von  der  Statistik 
angezogenen  Jahren  mit  den  mittleren  Tem- 
peraturen derselben  Jahre  nach  den  Auf- 
zeichnungen des  Berliner  Statistischen  Amts 
zusammen. 


Jahr 

Sterblichkeit*- 
Kiffer 

Mittlere  Temperatur 

im  Juli,  August, 
September  1b  Berlin 

Jahre  mit  l 

Loher  Säugling 

ssterblichkeit. 

1880.    .    .    . 

217,1 

■  17,8° 

1883.    .    .    . 

211,2 

17,0° 

1884.    .    .    . 

213,2 

18,0° 

1886  .... 

225,3 

17,5° 

1892.    .    .    . 

211,3 

18,0° 

1895.   .   .   . 

211,6 

18,2° 

1900.   .    .    . 

212,5 

17,9° 

Jahre  mit  nie 

adriger  S&uglin 

g88terblichkeit 

1879.    .    .    . 

195,6 

17,4° 

1881  .... 

199,3 

16.8° 

1887.    .    .    . 

199,4 

16,6° 

1888.    ..    . 

198,2 

15,7° 

1894.   .   .   . 

195,7 

16,5° 

1896  .... 

191,4 

16.3° 

1898.   .   .   . 

193,2 

16,4° 

Diese  Zahlen  lehren,  daß  regelmäßig  in 
den  Jahren  mit  hoher  Durch  Schnittstemperatur 
im  Juli,  August,  September  die  Säuglingssterb- 
lichkeit während  des  ganzen  Jahres  sich  über 
die  Jahre  erhob,  in  denen  die  Durch  seh nitts- 
temperatur  in  den  drei  kritischen  Monaten 
niedriger  war.  Eine  Ausnahme  macht  nur 
das  Jahr  1879;  hier  war  bei  hoher  Tem- 
peratur (17,4°)  die  Säuglingssterblichkeit 
niedrig,  niedriger  z.  B.  als  im  Jahre  1883, 
in  dem  die  kritische  Temperatur  niedriger 
war  (17,0°).  Es  ist  mir  bisher  nicht  mög- 
lich gewesen,  den  Grund  für  diese  Abweichung 
von  der  Regel  zu  ermitteln.  Jedenfalls  ent- 
halten die  Zahlen  die  Mahnung,  sich  bei 
Untersuchung  der  Säuglingssterblichkeit  nicht 
auf  einzelne  Jahre  zu  verlassen,  sondern  den 
Durchschnitt  mehrerer  zu  nehmen,  damit 
sich  die  durch  Temperaturschwankungen  her- 
vorgerufenen Unebenheiten  ausgleichen. 


XIX.  Jahrgang- 1 
8«pfmb«r  1906.1 


Goldtteln,  Bftugttngiiterblichkelt  In  Preufton. 


447 


Es  ist  klar,  daß  eine  kinderreiche  Familie 
weniger  für  ein  einzelnes  Kind  sorgen  kann 
als  eine  kinderarme,  denn  das  Einkommen 
der  Eltern  verteilt  sich  auf  -mehr  Köpfe. 
Außerdem  aber  verengt  sich  der  Raum  der 
Wohnung.  Das  ist  bei  den  mangelhaften 
Wohnungen  ärmerer  Familien  von  größter 
Bedeutung.  Ihre  Wohnung  besteht  meist 
aus  Stube  und  Küche,  und  wenn  diese  von 
viel  Insassen  eingenommen  werden,  so  ver- 
schlechtert sich  namentlich  zur  Nachtzeit  die 
Luft  und  wirkt  direkt  oder  indirekt  schädigend 
auf  den  Säugling ;  ist  insbesondere  die  Tempera- 
tur hoch,  so  wird  der  schädigende  Einfluß  noch 
großer.  Wie  wir  gesehen  haben,  vermindert 
sich  in  den  Städten  die  Säuglingssterblichkeit, 
während  sie  auf  dem  Lande  stationär  bleibt. 
Wie  verhält  sich  dazu  die  Natalität?  Darauf 
gibt  die  folgende  Übersicht  Antwort.  Es 
kamen  auf  1000  Einwohner 

Geborene  in  den  Jahren 


In  den  Großstädten  . 
In  den  Mittelstädten 
In  den  Kleinstädten 
In  den  Städten  über- 
haupt   

Auf  d.  platten  Lande 


1880 


1890 


40,4:85,8  33,0 


39,7 
37,7 

38,6 
40,4 


1900 

1900  weniger  alt 
1880 


36,9  37,2 
35,7  34,2 

36,0  j  34,8 
39,5  I  39,5 


-7,4 
-2,5 

—  3,5 

—  3,8 
-0,9 


Auf  dem  Lande  ist  also  die  Geburts- 
ziffer in  den  Jahren  1880—1900  fast  un- 
verändert geblieben,  in  den  Städten  dagegen 
ist  sie  zurückgegangen,  und  zwar  am  meisten 
in  den  Großstädten,  in  denen  auch  die  Säug- 
lingssterblichkeit während  desselben  Zeit- 
abschnitts am  meisten  gesunken  ist.  Der 
Zusammenhang  wird  noch  klarer  werden, 
wenn  man  die  allgemeine  Geburtenziffer  in 
den  Städten,  also  ohne  Unterscheidung  der 
ehelichen  und  unehelichen  Kinder,  mit  der 
Säuglingssterblichkeit  in  ihnen  zusammen- 
stellt. Die  Höhe  der  Geburtenziffer  in  den 
preußischen  Städten  war 

1876/80        1881/85        1886/90        1891/95        1896/1900 

40,9  37,6  36,8  35,8  35,2 

und  die  der  Säuglingssterblichkeit 

231,3        228,8        226,9        219,1  211,3 

Auf  dem  Lande  läßt  sich  der  Zusammen- 
hang zwar  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
nachweisen,  er  ist  aber  nicht  so  unbedingt 
wie  in  den  Städten. 

Man  ist  heute  geneigt,  die  Abnahme  der 
Säuglingssterblichkeit  vor  allem  sozialer  Für- 
sorge zuzuschreiben.  Indessen,  wenn  auch  ihr 
Einfluß  nicht  völlig  in  Abrede  gestellt  werden 
soll,     so    darf    man    ihn    auch    nicht    über- 


schätzen. Wirksame  soziale  Verbesserungen 
für  den  Säugling  müssen  die  Verbesserung  der 
Lage  der  Eltern  zum  Ziele  haben,  aber  die 
heutige  Säuglingsfürsorge  besteht  fast  nur  in 
Milchverbesserung.  Da  die  Zahl  der  Kinder, 
die  mit  Tiermilch  ernährt  werden,  dauernd  be- 
trächtlich steigt,  so  sorgt  man  für  gute  Milch, 
in  der  Hoffnung,  dadurch  die  schlimmste 
Eindergeißel,  den  Brechdurchfall,  bekämpfen 
zu  können.  Diese  Bestrebungen  haben 
keinen  Erfolg  gehabt.  Schon  aus  der 
May  et  sehen  Arbeit  „25  Jahre  Todesursachen- 
Statistik*41)  ist  zu  ersehen,  daß  in  den  Ort- 
schaften mit  über  15  000  Einwohnern  in 
Deutschland  die  Sterblichkeit  an  Brech- 
durchfall zugenommen  hat.  In  Preußen 
starben  von  10  000  Säuglingen  an  Atrophie, 
Brechdurchfall,  Durchfall  und  Krämpfen, 
deren  Ursache  auch  meistens  Verdauungs- 
störungen sind 

1886/90  1891/95 

1468,77   1218,06     1483,15   1220,10 

1896/1900 

1480,45      1214,70 

In  derselben  Zeit  also,  in  der  die  Säug- 
lingssterblichkeit im  allgemeinen  gesunken 
ist,  ist  die  an  Verdauungsstörungen  ziem- 
lich ud verändert  geblieben. 

Der  Rückgang  der  Geburtenzahl  in  den 
Städten  muß  den  Rückgang  der  Geburten- 
zahl und  dementsprechend  den  der  Säuglings- 
sterblichkeit im  ganzen  Staat  nach  sich 
ziehen.  Die  Zunahme  der  Bevölkerung  voll- 
zieht sich  ganz  vorwiegend  zugunsten  der 
Städte.  Den  Grund  für  das  starke  Anwachsen 
der  Städte  trotz  ihrer  geringen  Geburtszahl 
und  die  langsame  Vermehrung  der  Bevölke- 
rung auf  dem  Lande,  ja  ihre  Abnahme  im 
Reich,  habe  ich  an  anderer  Stelle  nachge- 
wiesen. Die  Städte  wachsen  in  erster  Linie 
durch  Zuwanderung  vom  Lande.  Diese  Wan- 
derung erfolgt  nicht  aus  Genußsucht  des 
Landvolks,  Überschuldung  der  Bauern,  Zu- 
nahme des  Großgrundbesitzes  und  was  man 
sonst  für  die  sogenannte  „Landflucht"  an- 
geführt hat,  sondern  weil  auf  dem  Lande 
mehr  menschliche  Arbeitskraft  erzeugt  als 
gebraucht  wird,  in  der  Stadt  dagegen  weniger. 
In  der  Landwirtschaft  bleibt  die  zu  leistende 
Arbeit  annähernd  Jahr  für  Jahr  sich  gleich 
und  demzufolge  auch  die  Zahl  der  ver- 
langten menschlichen  Arbeiter,  ja  die  letztere 
vermindert  sich  mit  der  Ausdehnung  des 
maschinellen  Betriebes,  in  der  Stadt  dagegen 
erhöht    sich    von    Jahr    zu    Jahr   mit    Aus- 


')  Vierteljahreshefte  zur  Statistik  des  Deutschen 
Reiches  1903.  111. 


448 


Ooltfst«in,  8iugUnf«*t«rtoliohk«it  fo  PrauOcn. 


dehnung  der  Industrie  die  Nachfrage  nach 
Arbeitern.  Da  nun  aber  die  Fruchtbarkeit  der 
Menschen  auf  dem  Lande  großer  ist  als  die 
benötigte  Arbeiterzahl,  so  muß  alljährlich 
der  Überschuß  abwandern  und  er  wendet 
sich,  von  der  verhältnismäßig  geringen  Aus- 
wanderung abgesehen,  in  die  Städte,  in  denen 
die  Fruchtbarkeit  wesentlich  geringer  ist  als 
der  Arbeiterbedarf.  Durch  diesen  mit  Regel- 
mäßigkeit Jahr  für  Jahr  verlaufenden  Prozeß 
wird  die  Bevölkerung  mehr  und  mehr  städtisch. 
In  Preußen  entfielen  1871  8014225  Personen 
auf  die  Stadt  und  16625481  auf  das  Land, 
im  Jahre  1900  aber  kamen  auf  die  Stadt 
14847846  Personen,  auf  das  Land  19624663. 
Wie  hier  die  Freizügigkeit  gewirkt  hat,  lehrt 
ein  Blick  auf  frühere  Jahre.  Im  Jahre  1819 
betrug  die  städtische  Bevölkerung  in  Preußen 
3034064,  die  ländliche  7947870;  im  Jahre 
1840  betrug  die  städtische  Bevölkerung 
4  065  164,  die  ländliche  10  863  337.  Die 
Städte  konnten  in '  diesem  Zeitraum  infolge 
fehlender  Freizügigkeit  nur  aus  eigener 
Fruchtbarkeit  wachsen.  Daher  vermehrten 
ihre     Bevölkerung     von     3,0    nur    auf 


sie 


4,0  Millionen  oder  jährlich  um  13,8  °/oo, 
während  von  1880  bis  1900  die  städtische 
Bevölkerung  von  9,7  auf  14,8  Millionen 
stieg,  also  jährlich  um  21,3  °/oo  zunahm. 
Nimmt  man  jedoch  die  Großstädte  allein,  in 
die  sich  ja  hauptsächlich  der  Wanderungs- 
strom ergießt,  so  ist  deren  Bevölkerung  in 
denselben  20  Jahren  von  3,1  auf  5,8  Millionen 
gestiegen,  ihre  jährliche  Zunahme  betrug  also 
31,8  °/oo*  Infolge  der  Industrie  in  den  Städten 
und  der  bestehenden  Freizügigkeit  wird  also 
die  Bevölkerung  Preußens  immer  mehr 
städtisch,  und  da  in  den  Städten  die  Geburts- 
ziffer sich  vermindert,  muß  sie  sich  auch  im 
ganzen  Staat  vermindern,  mit  dieser  ist  aber 
wieder  die  Abnahme  der  Säuglingssterblich- 
keit verbunden. 

In  manchen  Kreisen  erregt  das  Abnehmen 
der  Geburtszahl  in  Preußen  Beunruhigung, 
aber,  wie  das  Statistische  Bureau  hervorhebt, 
liegt  hierzu  keine  Veranlassung  vor,  da  da- 
mit eine  Verminderung  der  Mortalität  Hand 
in  Hand  geht,  ja  letztere  schreitet  sogar 
noch  schneller  vorwärts  als  die  erstere,  und 
die  Folge  davon  ist,  daß  heute  die  natür- 
liche Vermehrung  der  Bevölkerung,  d.  h.  der 
Überschuß  der  Geborenen  über  die  Ge- 
storbenen, größer  ist  als  in  allen  früheren 
Zeitabschnitten.  Die  natürliche  Bevölkerungs- 
vermehrung betrug  nämlich  aufs  Tausend  der 
Anfangsbevölkerung  berechnet  durchschnitt- 
lich jährlich:  1867/71  9,4,  1871/75  12,7, 
1875/80  13,9,  1880/85  12,0,  1885/90  13,4, 
1890/95  14,3,  1895/1900  15,7.  Der  Rück- 
gang  der  Geburtszahl,  verbunden  mit  Rück- 


rTherapeutiscfca 


gang  der  Mortalität,  insbesondere  der  Säug- 
lingsmortalität, bewirkt  also  keine  Abnahme 
der  Volksvermehrung,  sondern  grade  das 
Gegenteil. 

Meine  Untersuchung  hat  also  ergeben, 
daß  mit  dem  Städtischwerden  der  preußischen 
Bevölkerung  die  Geburtszahl  abnimmt,  daß 
damit  eine  Verminderung  der  Säuglings* 
Sterblichkeit  verbunden  ist,  und  daß  haupt- 
sächlich durch  diese  eine  Verminderung  der 
gesamten  Sterblichkeit  bewirkt  wird,  daß 
letztere  bis  1900  noch  schnellere  Fortschritte 
gemacht  hat  als  die  Geburtenabnahme,  und 
daß  dadurch  die  natürliche  Volksvermehrung 
gestiegen  ist. 


Über  die  Desinfektion  der  Hftnde 

nach  Fürtaringer   und  die  wichtigsten 

Operationen    in    der   geburtshilflichen 

Praxis,  auf  Grund  von  270  beobachteten 

Fallen  besprochen. 

Von 

Dr.  med.  Willy  Krause, 

praktischem  Arxt  in  Strasburg  (Westpreufiea). 

{8eMuf*J 

Ich  gehe  nunmehr  auf  die  künstlichen 
Entbindungen  ein,  welche  hauptsächlich  für 
die  Statistik  einigen  Wert  haben  dürften,  und 
beginne  mit  den  Zangengeburten. 

a)  Zange  im  Beckenausgang.  Im  ganzen 
51  Fälle,  davon: 

Kinder  Mfltter 

lebend     ...    47  48 

tot      ....      4  3 


Summa    51 


51 


In  2  Fällen  war  das  Band  wegen  vor- 
gefallener Nabelschnur  bereits  tot,  in  einem 
andern  Falle  hatte  das  Kind  schon  12  Stunden 
im  Beckenausgang  gestanden,  war  bereits  ab- 
gestorben und  hätte  sicher  gerettet  werden 
können,  wenn  die  Hebamme  früher  geschickt 
hätte.  Bas  lange  Warten  kostete  nicht  nur 
dem  Kinde,  sondern  auch  der  Mutter  das 
Leben ;  bei  meiner  Ankunft  waren  die  Scham- 
teile ganz  blaurot  verschwollen,  und  eine 
Venenentzündung  am  linken  Oberschenkel 
mit  todlichen  Metastasen  in  den  Lungen  war 
die  traurige  Folge.  Ferner  starb  eine  Patientin 
zwei  Meilen  von  der  Stadt;  sie  hatte  keine 
Hebamme;  das  Fruchtwasser  war  3  Tage 
fort,  die  Temperatur  betrug  bereits  39,0° 
bei  meiner  Ankunft,  und  leider  ist  die 
Wöchnerin  einer  tödlichen  Peritonitis  er- 
legen. —  Im  dritten  Falle  handelte  es  sich 
um  einen  hochgradigen  Ascites  mit  akutem 
Lungenödem  während  der  Extraktion  des 
Kindes,  sodaß  Mutter  und  Kind  während  des 
Geburtsaktes  verschieden.    Auf  den  Geburt*- 


j 


XIX.  Jmhrgta*.  1 
Septembw  1906.  J 


Kraus«,  DMtnfektioa  d«r  Händo  nach  Furbringer. 


449 


akt  als  solchen  sind  daher  zwei  Todesfalle 
infolge  puerperaler  Infektion  zurückzuführen 
und  auch  diese  hätten  meiner  Ansicht  nach 
bei  rechtzeitigem  Eingreifen  vermieden  werden 
können. 

Die  Zange  im  Beckenausgang  wurde  ent- 
weder wegen  Wehenschwäche  resp.  Nach- 
laasens  der  Wehen  angelegt  oder  wenn 
wegen  räumlicher  Mißverhältnisse  (z.B.  ver- 
hältnismäßig großer  Kopf)  trotz  länger  an- 
haltender Preß  wehen  die  erschöpfte  Mutter  m 
nicht  das  Kind  selbst  ausstoßen  konnte.  Die 
Narkose  wurde  nur  dann  eingeleitet,  wenn 
mir  die  Assistenz  eines  Kollegen  zur  Ver- 
fügung stand.  —  Bezüglich  der  Komplika- 
tionen ist  zu  erwähnen,  daß  zweimal  die 
fest  verwachsene  Placenta  manuell  entfernt 
werden  mußte,  und  einmal  eine  atonische 
Nachblutung  eintrat,  welche  die  Tamponade 
nach  Dührssen  notig  machte.  Zweimal  kam 
es  zu  einem  Dammriß  2.  Grades,  welche,  wie 
oben  geschildert,  behandelt  wurden.  In  allen 
diesen  Fällen  hatte  das  Wochenbett  einen 
normalen,    vollkommen    fieberfreien  Verlauf. 

b)  Bei  schräg-  resp.  hochstehendem  Kopf 
wurde  die  Zange  9  mal  angelegt.  Jedesmal 
wurde  ein  lebendes  Kind  entwickelt  und 
sämtliche  Mütter  blieben  gesund.  In  2  Fällen 
gab  es  —  es  handelte  sich  um  Primiparae  — 
einen  Dammriß  2.  Grades,  und  einmal  wurde 
wegen  Atonia  uteri  die  Tamponade  gemacht. 

Ich  mache  übrigens  statt  einer  hohen 
Zange  lieber  die  Wendung  und  versuche  die 
erstere  nur  dann,  wenn  die  letztere  nicht, 
mehr  ausführbar  ist.  Ich  hüte  mich  aber 
bei  hochstehendem  Kopfe  sehr  vor  über- 
triebenen Traktionen  und  mache  lieber,  wenn 
die  Extraktion  mit  der  Zange  nicht  in 
schonender  Form  vor  sich  geht,  die  Per- 
foration. Ich  scheue  mich  auch  nicht,  ein 
lebendes  Kind  zu  perforieren,  wenn  ich  sonst 
nach  meiner  Überzeugung  das  Leben  der 
Mutter  aufs  Spiel  setzen  würde. 

c)  Bei  Vorderscheitellage  2  Fälle: 

Kind«r           Mütter 
lebend      ...    2  2 

tot  ...     .     .    0 0^ 

Summa    2  2 

In  einem  Falle  (Primipara)  ein  Dammriß 
2.  Grades,  in  dem  andern  Falle  Tamponade 
infolge  mangelhafter  Kontraktion  der  Gebär- 
mutter.    Die  Wochenbetten  verliefen  normal. 

d)  In  Stirnlage  habe  ich  die  Zange  zwei- 
mal in  Narkose  angelegt.  Das  eine  Kindchen 
kam  lebend,  nur  gab  es  in  diesem  Falle 
einen  Dammriß  2.  Grades,  derselbe  heilte 
per  primam,  das  Wochenbett  verlief  normal. 
—  Im  zweiten  Falle  hätte  ich  gern  die 
Perforation  gemacht,  war  mir  jedoch  nicht 
ganz  sicher,   ob   das  Kind  tot  war.     Da  die 


Beckenverhältnisse  sehr  günstige  waren  und 
es  sich  um  die  5.  Entbindung  handelte,  ver- 
suchte ich  deshalb  die  Zange.  Das  Kind 
wurde  leider  tot  geboren,  ohne  daß  im 
übrigen  der  Damm  verletzt  worden  wäre. 
Der  Wöchnerin  ging  es  sehr  gut. 

e)  Gesichtslage,  ein  Fall  mit  nach  vorn 
gerichtetem  Sann,  Zange  wegen  Wehen- 
schwäche. Das  Kind  kam  lebend;  die  Mutter 
hatte  ein  normales  Wochenbett. 

f)  Bei  Zwillingsschwangerschaft  legte 
ich  die  Zange  zweimal  im  Beckenausgang 
an.  Beide  Kinder  kamen  lebend;  die  Mütter 
blieben  gesund,  trotzdem  in  einem  Falle  die 
doppelte  Placenta  manuell  gelöst  und  wegen 
Atonia  uteri  tamponiert  werden  mußte. 

Demnach  wurde  die  Zange  in  Summa 
67  mal  angelegt;  es  wurden  hierbei  62  Kinder 
lebend,  5  tot  entwickelt.  Yon  den  Müttern 
blieben  64  am  Leben,  S  starben,  und  zwar 
an  Lungenödem  1,  an  puerperaler  Infektion  2. 
Diese  beiden  Todesfälle  an  Wochenbetts- 
erkrankung sind  jedoch  weniger  auf  die  Zange, 
als  —  vergl.  oben  —  auf  die  ungünstigen  Be- 
dingungen zurückzuführen,  unter  denen  auf 
dem  Lande,  einmal  ohne  Hebamme,  die  Ent- 
bindung ausgeführt  werden  mußte. 

Bei  diesen  67  Zangengeburten  kam  ein 
Dammriß  3.  Grades  nicht  vor.  Unter  53 
Beckenendzangen  kam  ein  Dammriß  2.  Grades 
2  mal  (Primiparae)  und  unter  14  schweren 
Zangen  ein  solcher  4  mal  (3  mal  Primiparae, 
1  mal  Multipara)  vor,  in  Summa  6  mal. 

In  den  übrigen  61  Fällen  wurde  ein 
Dammriß  glücklich  vermieden  resp.  mit  ein 
bis  zwei  Nadeln  geschlossen. 

Die  Wendung  führte  ich  aus 

a)  auf  die  Füße  mit  nachfolgender  Extraktion 

1.  bei  Kopflage 

wegen  Wehenschwäche     .     .     .  6  mal 

wegen  verengten  Beckens     .     .  4   - 

wegen  Vorfalles  der  Hand    .     .  1   - 

wegen  Nabelschnurvorfalles  .    .  2   - 

wegen  Zwillingsschwangerschaft  5    - 

wegen  Gesichtslage  ....  2  - 

Summa    20  mal    20  mal 
Hierbei   wurden   18  Kinder  lebend 
und  2  Kinder  tot  geboren. 

Die  Mütter  blieben  sämtlich  gesund. 

2.  bei  Schräg-  resp.  Querlage 

bei  stehender  Blase      .     .     .     .     15  mal 
und  abgeflossenem  Fruchtwasser    25   - 

(mit   teilweisem  Vorfall    der 

Nabelschnur  resp.  Armvorfall) 

Summa    40  mal    40  mal 
Hiervon    wurden  30  Kinder  lebend 

und  10  Kinder   tot  geboren  (darunter 

1  Hydrocephalus). 
Die  Mütter  blieben  sämtlich  gesund. 

b)  auf  den  Kopf   bei  Schräglage      1  mal 

Summa       1  mal       1  mal 
Mutter  und  Kind  blieben  leben. 

Summa    61  mal 


450 


Desinfektion  der  Hände  nach  Pürbrlnf  er. 


rTher*peoÜ«ch« 
L   Monatsheft«. 


Unter  diesen  61  Fällen  kam  1  Bammriß 
2.  Grades  zu  stände;  die  Placenta  wurde 
dreimal  manuell,  in  einem  Falle  eine  Neben- 
placenta  mit  der  Hand  entfernt. 

Die  Sterblichkeit  stellt  sich  bei  der 
Wendung  auf  die  Füße  für  die  Kinder  wie 
12  :  60  =  20  Proz. 

Es  ist  jedoch  zu  berücksichtigen,  daß  es 
sich  in  einem  Falle  um  einen  Hydrocephalus 
handelte  und  in  mehreren  andern  infolge 
vorgefallener  Nabelschnur  das  Kind  schon 
vor  der  Operation  abgestorben  war. 

Die  Sterblichkeit  für  die  Mütter  stellte 
sich  trotz  verschiedener  Komplikationen  (Pla- 
centa adnexa!)  auf  0  Proz. 

Die  Embryotomie  habe  ich  im  ganzen 
2  mal  ausgeführt,  und  zwar  beide  Male  wegen 
eingepreßter  Schulter  mit  vorgefallenem  Arm. 
In  dem  ersten  Falle,  der  sehr  selten  sein 
dürfte,  handelte  es  sich  um  ein  lebendes 
Zwillingskind,  welches  nach  der  Geburt  des 
ersten  Kindes  so  plötzlich  durch  kolossal 
stürmische  Wehen  in  das  Becken  quer  hinab- 
getrieben wurde,  daß  ich  zur  Wendung  zu 
Spät  kam.  Ein  Arm  war  bis  an  die  Schulter 
vorgefallen,  und  das  Kind  stand  conduplicato 
corpore  fest  eingeklemmt.  Im  Einverständnis 
mit  einem  schnell  hinzugerufenen  Kollegen 
beschloß  ich,  da  die  Wendung  auch  in  der 
Narkose  unmöglich  war,  das  Kind  zu  opfern. 
Mit  einem  scherenförmigen  Trepan  wurden 
mehrere  Kippen  durchtrennt  und  der  Schnitt 
mit  einer  Syboldschen  Schere  unter  Deckung 
der  linken  Hand  erweitert.  Nunmehr  gelang 
es  verhältnismäßig  leicht,  die  Brust-  und  einen 
Teil  der  Baucheingeweide  mit  den  Fingern 
zu  entfernen  und  das  Kind  an  den  Füßen  zu 
extrahieren.  Der  Wöchnerin  ging  es  gut.  — 
Der  andere  Fall  betraf  ein  totes  Kind.  Der 
Arm  lag  vor  und  war' vom  Muttermund  ver- 
hältnismäßig fest  umschlungen.  Das  Becken 
war  stark  verengt.  Da  der  Arm  bereits  lange 
Zeit  vorlag,  so  war  er  so  stark  angeschwollen, 
daß  es  nicht  gelang,  mit  der  Hand  an  dem- 
selben vorbeizukommen,  und  mir  nichts  übrig 
blieb,  als,  ebenfalls  unter  Assistenz  eines 
Kollegen,  den  Arm  zu  exartikulieren,  was 
ich  mit  einer  Cooperschen  Schere  ausführte. 
Nach  Beseitigung  dieses  Hindernisses  gelang 
es  mir  leicht,  an  einen  Fuß  zu  kommen,  zu 
wenden  und  die  Frucht  zu  extrahieren,  ob- 
wohl die  Entwickelung  des  Kopfes  noch 
einige  Schwierigkeiten  machte.  Ich  weiß 
sehr  wohl,  daß  ich  mich  mit  der  Ex- 
artikulation  des  Armes  abweichend  von  den 
sonstigen  Regeln  verhalten  habe;  jedoch  gibt 
es  eben  in  der  Praxis  gelegentlich  Ausnahme- 
fälle, die  auch  eine  abweichende  Behandlung 
verlangen.  Die  Leichtigkeit,  mit  der  nach  der 
Auslösung  des  Armes  die  Extraktion  gelang, 


das  gute  Allgemeinbefinden  der  Wöchnerin, 
welche  am  4.  Tage  aufstand  und  die  Wirt- 
schaft besorgte,  sprechen  jedenfalls  für  die 
Richtigkeit  der  in  diesem  Falle  eingeschlagenen 
Therapie. 

Die  Perforation  des  Kopfes  habe  ich  im 
ganzen  .  9  mal  ausgeführt,  und  zwar  am  leben- 
den Kinde  2  mal  (1  mal  wegen  Hydrocephalus, 
das  andere  mal  wegen  Stirnlage  [im  Einver- 
ständnis mit  einem  Kollegen]),  bei  bereits  ab- 
gestorbenem Kinde  7  mal. 

Von  den  9  Wöchnerinnen  starb  eine  wäh- 
rend der  Geburt,  weil  ein  mächtiger  Varix 
am  rechten  Labium  majus  bei  leichtem  An- 
drücken mit  dem  touchierenden  Finger  (nicht 
etwa  mit  dem  Perf Oratorium !)  platzte  und  die 
Frau  verblutete,  da  es  weder  durch  Tam- 
ponade noch  durch  die  Naht  gelang,  das 
Lumen  zu  verschließen. 

Eine  zweite  Wöchnerin  starb  2  Tage  post 
partum  an  Lungenembolie  (die  Sektion  wurde 
zwar  nicht  gemacht,  doch  war  die  Wöchnerin 
vollkommen  munter  und  fiel,  als  sie  sich 
im  Bette  aufrichtete  plötzlich  in  die  Kissen 
zurück  und  verschied). 

Die  andern  7  Wöchnerinnen  machten  ein 
fieberfreies  Wochenbett  durch.  — 

Eine  Dekapitation  habe  ich  nicht  aus- 
geführt. 

An  Eclampsia  parturientium  habe  ich 
während  dieser  Zeit  4  Frauen  behandelt. 

In  einem  Falle  handelte  es  sich  um  eine 
verschleppte  Geburt  —  3  Meilen  von  meinem 
Wohnort  entfernt! 

Da  die  Entbindung  trotz  langen  Wartens 
nicht  vor  sich  ging  und  die  Krämpfe  an- 
hielten, wurde  schließlich  ein  hiesiger  Kollege 
gemeinsam  mit  mir  requiriert.  Bei  unserer 
Ankunft  fieberte  die  Kreißende  ziemlich  hoch 
und  war  infolge  der  schweren  eklamp tischen 
Anfälle  stark  erschöpft.  Da  der  Kopf  vorlag, 
wurde  trotz  wenig  erweitertem  Muttermunde 
das  bereits  tote  Kind  perforiert  und,  um  den 
Uterua  zu  entleeren,  extrahiert.  Zwar  hörten 
die  Krämpfe  auf,  doch  ging  leider  die  Pa- 
tientin   trotzdem   einige   Wochen    später  ein. 

In  einem  zweiten  Falle  handelte  es  sich 
um  eine  Gravida  im  VI.  Monat  auf  dem 
Lande.  Da  ich  mit  dem  Finger  durch  die 
fast  verstrichene  Cervix  an  die  Fruchtblase 
gelangen  konnte,  sprengte  ich  dieselbe,  und 
nunmehr  erfolgten  sehr  schnell  Wehen  und 
ein  rascher  Verlauf  des  Abortes.  Die  Krämpfe 
ließen  nach  und  die  Wöchnerin  wurde  schnell 
gesund. 

In  einem  dritten  Falle  bestand  so  hoch- 
gradiger Ascites  und  so  starke  Ödeme,  daß 
fast  Erstickung  infolge  Stauungserscheinungen 
in  den  Lungen  eintrat.  Die  Wehen  waren 
ungemein  spärlich  und  fast  wirkungslos,  so- 


XIX.  Jahrgang.  "I 
September  1905.J 


Krause,  Desinfektion  der  Hinda  nach  PQrbrlnger. 


451 


daß  die  Entbindung  bei  wenig  erweitertem 
Muttermunde  vorgenommen  werden  mußte. 
Unter  sehr  vorsichtiger  Chloroformnarkose, 
welche  ein  Kollege  übernommen  hatte,  machte 
ich  die  Wendung  und  extrahierte  Zwillinge, 
von  denen  einer  12  Stunden  post  partum  starb, 
während  der  andere  noch  lebt.  Die  Nach- 
geburt mußte  manuell  gelost  werden.  —  Die 
Krämpfe  ließen  nach,  und  das  Wochenbett 
verlief  normal. 

In  dem  4.  Falle  waren  so  heftige  eklamp- 
tische  Anfälle,  daß  ich  bereits  alles  zur 
Wendung  vorbereitet  hatte:  da  traten  jedoch 
so  energische  Wehen  ein,  daß  die  Geburt 
spontan  in  kurzer  Zeit  erfolgte.  Gegen 
den  Anfall  selbst  wurde  jedesmal  tiefe 
Chloroformnarkose  eingeleitet,  die  Placenta 
per  Crede  unter  tiefer  Narkose  entfernt  und 
letztere  noch  eine  Weile  fortgesetzt.  Zum 
Schlüsse  injizierte  ich  noch  0,02  Morphium 
und  hatte  die  Freude,  daß  Mutter  und  Kind 
wohl  blieben  und  das  Wochenbett  normal 
verlief.  Die  Ödeme  waren  in  diesem  Falle 
8 ehr  unbedeutend  gewesen  und  von  Eiweiß 
zeigten  sich  nur  Spuren  im  Urin.  Jedenfalls 
standen  sie  zur  Heftigkeit  der  eklamp tischen 
Anfälle  im  umgekehrten  Verhältnis;  dasselbe 
gilt  vom  Fall  3,  in  welchem  trotz  kolossaler 
Eiweißmengen  und  starker  Ödeme  die  Krämpfe 
nur  von  geringer  Heftigkeit  waren.  In  Fall  1 
und  2  konnte  ich  aus  erklärlichen  Gründen 
die  Urinuntersuchung  nicht  vornehmen. 


Geburt  im  Falle  4  zeigt,  daß  die  Natur  sich 
gelegentlich  selbst  in  dieser  Weise  hilft*  und 
daß  sie  uns  damit  einen  Fingerzeig  für  unsere 
Therapie  gibt.  —  Sollte  mir  gelegentlich  ein 
Fall  von  Eklampsie  post  partum  vorkommen, 
so  würde  ich  einen  Aderlaß,  wie  ihn  Zweifel8) 
empfiehlt,  versuchen:  Ich  habe  gelegentlich 
einer  "Scharlachepidemie  bei  Urämie  einen 
eklatanten  Erfolg  davon  gesehen,  und  ein 
gewisser  Zusammenhang  scheint  mir  zwischen 
diesen  beiden  Krampfanfällen  zu  bestehen, 
wenn  ich  auch  nicht  etwa  behaupten  will, 
sie  wären  beide  identisch.  —  Während  ich 
mit  dieser  Arbeit  beschäftigt  war,  veröffent- 
lichte Herr  Kollege  Heinrich9)  in  Frey- 
stadt drei  Fälle  von  Eklampsie  bei  Nephritis 
gravidarum,  die  er  mit  Pilokarpin  behandelt 
hatte  und  von  denen  ein  Fall  todlich  endete, 
während  zwei  Fälle  genasen.  Es  würde 
über  den  Rahmen  dieser  Arbeit  hinausgehen, 
genauer  hierauf  einzugehen;  nur  einen  Punkt 
mochte  ich  hervorheben,  weil  er  mir  für  die 
Therapie  von  Bedeutung  erscheint.  Es  be- 
steht sicher  ein  Unterschied  zwischen  einer 
Nephritis  gravidarum  und  einer  Albuminuria 
gravidarum  oder  sog.  Schwangerschaftsniere. 
Während  bei  der  ersteren  die  starken  Ver- 
änderungen an  den  Epithelien  angetroffen 
werden,  wie  sie  bei  jeder  Nierenentzündung 
sich  finden,  sind  nach  Strümpell10)  bei  der 
letzteren  nur  ein  geringes  interstitielles  Ödem 
und  degenerative  Zustände  an  den  Epithelien 


Übersichtstabelle. 


Ver  riehtun 

g 

Mtttt er 

durch 

durch 

duroh 

No. 

Verblutung  oder 

Interkurrente 

Wochenbetts- 

Art derselben 

Summe 

lebend 

tot 

Erschöpfung 

Erkrankungen 

erkrankungen 

1 

Aborte 

40 

39 

1 



__ 

1 

2 

normale  Gebarten 

30 

29 

1 

— 

1  (Phthisis) 

— 

3 

Lösung  d.  Placenta 

a)  Crede 

3 

3 

0 

— 

— 

— 

b)  manuell 

43 

37 

6 

2 

3  (Erysipelas, 
Phthisis  und 
Langenödem) 

1(?) 

5 

Placenta  praevia 

11 

7 

4 

3 

— 

1 

6 

Zangengeburt 

67 

64 

8 

— 

1  (Lungenöd.) 

2 

7 

Wendung 

a)  auf  den  Kopf 

b)  auf  die  Füße 

1 

1 

0 

—  . 

— 

— 

60 

60 

0 

— 

— 

— 

8 

Embryotomie 

und  Perforation 

11 

9 

2 

1  (aus  einem 

1  (Lungen- 
embolie) 

— 

Varix) 

9 

Eklampsie 

4 

3 

1 

— 

1 

270 

252 

18 

6 

6 

6 

In  allen  Fällen  horten  die  eklamptischen 
Anfalle  post  partum,  also  nach  der  Ent- 
leerung des  Uterus  auf;  sie  sprechen  daher 
für  d ie  von  Dührssen  vorgeschlagene  aktive 
Therapie,  bei  ausgebrochener  Eklampsie  sofort 
zu  entbinden.     Der  präzipitierte  Verlauf  der 

Th.M.1905. 


nachweisbar.  „Nur  selten  sind  stärkere  nephri- 
tische Veränderungen   vorhanden a.     Dement- 


8)  Zweifel,  Geburtshilfe,  S.  432. 

9)  Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  9,    S.  160. 

10)  Strümpell,  Spez.  Path.  u.  Ther.  Ü,  S.  843. 

34 


452 


Kraute,  Desinfektion  der  Hftnde  nach  Fürbringer. 


fTherapei 
L   Monats 


Monatshefte. 


sprechend  äußert  sich  auch  v.  Leyden:  „Die 
Schwangerschaftsniere  behauptet  einen  ganz 
besondern  Platz,  sie  ist  etwas  ganz  Be- 
sonderes, mit  keinem  andern  Prozesse  diffuser 
Nierenerkrankung   zu  vergleichen."   — 

Es  kommen  demnach  auf  sämtliche  270 
geburtshilfliche  Verrichtungen  18  Todesfälle 
=  6,6  Proz.  Hiervon  fallen  ljz  auf  Tod 
durch  Erschöpfung  oder  Verblutung,  7s  au^ 
interkurrente  Erkrankungen,  1j3  auf  Wochen- 
bettserkrankungen =  2,2  Proz. 

Ich  habe  schon  oben  erwähnt,  daß  die 
meisten  Wöchnerinnen,  welche  einer  Wochen- 
bettserkrankung erlegen  sind,  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  entweder  bereits  infiziert 
waren  oder  doch  infolge  der  verschleppten 
und  vernachlässigten  Geburt  hierzu  außer- 
ordentlich disponiert  waren.  Nur  so  erscheint 
es  verständlich,  daß  gerade  die  größte  Sterb- 
lichkeit, 2  :  51  =  4  Proz.,  auf  die  Becken- 
endzangen fällt,  während  bei  Operationen, 
die  für«  die  Kreißende  ganz  besonders  gefähr- 
lich sind,  wie  bei  hohen  Zangen,  Placenta 
praevia  und  adnexa  die  Mortalität  sich  viel 
günstiger  gestaltet  und  bei  der  inneren 
Wendung,  deren  Sterblichkeit  He  gar")  auf 
5,3  Proz.  berechnet,  auf  0  Proz.  herabsinkt. 
Es  beweist  diese  Statistik  aber  auch,  daß 
bei  nicht  infizierten  Kreißenden  die  Des- 
infektionsmethode nach  Fürbringer  sicher 
ganz  außerordentlich  gut  sich  bewähren  muß. 
So  sehr  ich  mir  Mühe  gebe,  an  Geburten 
nur  heranzugehen,  wenn  ich  keine  eiternden 
Wunden  etc.  berührt  habe,  in  der  Praxis 
läßt  sich  diese  an  und  für  sich  berechtigte 
Forderung  leider  nicht  durchführen.  Wenn 
man  Wochen  und  Wochen  keine  Geburten 
zu  leiten  brauchte,  so  kommen  sie  sicherlich 
dann,  wenn  man  der  Infektionsgefahr  wegen 
sie  am  allerwenigsten  wünscht  und  wenn 
eine  Vertretung  durch  einen  Kollegen  nicht 
durchführbar  ist,  weil  er  sich  entweder  in 
gleicher  Lage  befindet  oder  nicht  zu  Hause 
ist.  Man  kann  aber  keine  Wöchnerin  ver- 
bluten lassen,  weil  man  sich  fürchtet,  sie  zu 
infizieren.  Wenn  es  mir  daher  in  solchen 
verzweifelten  Situationen  geglückt  ist,  trotz 
der  Infektionsgefahr  ein  normales  Wochenbett 
zu  erzielen,  so  kann  ich  es  nur  der  subtilen 
Reinigung  der  Kreißenden  sowie  meiner  Hände 
nach  Fürbringer  zu  gute  rechnen.  Wäre 
dem  nicht  so,  so  würden  die  Resultate  der 
Chirurgen  bei  Laparotomien  heute  nicht  so 
günstig  sein;  denn  der  Chirurg  kann  seine 
Hände  in  diesem  strengen  Sinne  auch  nicht 
immer  aseptisch  halten.  Der  Chirurg  hat 
aber  den  Vorteil,  daß  er  das  Operations- 
gebiet unter  günstigeren  Verhältnissen  besser 


!)  Zweifel,  ebenda  S.  653. 


desinfizieren  kann,  und  gerade  hierin  bleibt 
für  den  Geburtshelfer  noch  manches  zu 
wünschen  übrig.  Nicht  allein  die  Säuberung 
der  Kreißenden  durch  Hebamme  oder  Arzt 
während  der  Geburt  ist  es,  die  hierbei  in 
Betracht  kommt;  es  gilt  vielmehr,  die  Frauen 
selbst  zur  prophylaktischen  Sauberkeit  zu 
erziehen,  ihnen  klar  zu  machen,  welche  un- 
geheuren Gefahren  ihnen  gerade  aus  ihrer 
eigenen  Häuslichkeit,  aus  unsauberen  Betten, 
Unterlagen  und  dergl.  drohen  und  welchen 
weiteren  Gefahren  sie  sich  aussetzen,  wenn 
sie  keine  sachgemäß  ausgebildete  Hebamme 
zur  Geburt  holen,  sondern  sich  den  weisen 
Frauen  ihrer  Dorfgemeinde  überlassen.  Daß 
dies  nur  möglich  ist,  wenn  man  den  Kultur- 
zustand dieser  Leute  hebt,  liegt  auf  der  Hand 
und  bedarf  keiner  weiteren  Beweise.  —  Daß 
ferner  leider  unser  Hebammenpersonal  noch 
nicht  erstklassiger  Art  ist,  weiß  jeder  Prak- 
tiker; es  dürfte  auch  eine  wesentliche  Besse- 
rung nicht  erfahren,  bevor  man  die  soziale 
Lage  dieser  Frauen  nicht  hebt.  Wir  haben 
bei  uns  eine  kleine  praktische  Einrichtung 
nach  dieser  Richtung  hin  getroffen,  die  sich 
sehr  bewährt.  Da  die  Hebamme  im  Falle 
einer  Wochenbettserkrankung  eine  gewisse 
Zeit  lang  keine  Geburt  annehmen  darf  und 
infolgedessen  pekuniäre  Nachteile  hat,  so 
zahlt  die  Kommune  ihr  für  den  Fall  eine 
Entschädigung,  wenn  sie  notorisch  ihren  Vor- 
schriften gemäß  bei  der  Desinfektion  gehandelt 
hat,  sodaß  nach  menschlicher  Berechnung  sie 
ein  Verschulden  nicht  trifft.  Die  Hebammen 
sind  seit  dieser  Einrichtung  nicht  mehr  so 
geneigt,  fieberhafte  Erkrankungen  ihrer  Wöch- 
nerinnen zu  verheimlichen. 

Ich  glaube,  daß  auf  diesem  und  auf  ähn- 
lichen Wegen  die  Prognose  der  Geburten  in 
Zukunft  sich  noch  bessern  kann  und  bessern 
wird,  und  ich  schließe  meine  Arbeit  mit 
dem  Wunsche,  daß  sie  speziell  für  die  unter 
gleich  schwierigen  Verhältnissen  praktizieren- 
den Kollegen  eine  kleine  Anregung  zu  freu- 
digem Schaffen  bieten  möge  zum  Heile  unserer 
Mütter  und  zum  Segen  der  Menschheit,  auf 
daß  wir  dem  idealen  Ziele  uns  immer  mehr 
nähern,  daß  eine  Frau  an  den  Folgen  der 
Entbindung  nicht  mehr  stirbt! 


Über  das  „zurzeit  am  besten  wirkende" 
Diureticum. 

Von 

Dr.  Theodor  Homburger,  Arzt  in  Karlsrahe. 

Mit  einem  gewissen,  nicht  unberechtigten 
Mißtrauen  bei  der  noch  immer  anschwellenden 
Hochflut  pharmakologischer  Erzeugnisse  wird 
man    jedes    neu   auftauchende  und  ob  seiner 


XIX.  Jahrgang.  "I 

September  1905.J 


Homburg«  r,  Übar  du  „surs«it  am  betten  wirkend«"  Diuretlcum. 


453 


angeblich  glänzenden,  die  alten  Mittel  an 
Bedeutung  überragende  Präparat  begrüßen 
müssen. 

Wenn  aber  wie  bei  dem  Theophyllin  — 
das  unter  dem  Namen  „Theocin"  in  den 
Handel  gebracht  wird,  weshalb  ich  in  der 
Folge  abwechselnd  beide  Synonyma  ge- 
brauchen werde  —  seit  Jahren  von  ver- 
schiedener, in  ihrem  wissenschaftlichen  Ernste 
unanfechtbarer  Seite  der  bedeutende  Wert 
dieses  Mittels  immer  von  neuem  bestätigt 
wird,  dann  soll  sich  solchen  Empfehlungen 
gegenüber  der  Praktiker  nicht  ohne  weiteres 
ablehnend  verhalten;  um  so  weniger,  wenn 
bei  hydropischen  Erscheinungen,  seien  sie 
welcher  Herkunft  auch  immer,  die  der  Reihe 
nach  versuchten  Diuretica  und  auch  die 
Hautdrainage  im  Stiche  lassen,  während  die 
bedrohlichen,  vor  allem  das  Herz  gefährden- 
den Symptome  und  der  schwer  nach  Luft 
ringende  Kranke  rasche  Hilfe  verlangen. 

Die  bisher  erschienene  Literatur  bezeich- 
net das  Theophyllin  als  überaus  zuverlässiges 
harntreibendes  Mittel,  namentlich  bei  Ödemen 
kardialen  Ursprungs  (Schlesinger  (l)),  als 
das  zurzeit  „am  besten  wirkende  Diureticum" 
(Rattner  (2)).  Diese  und  ähnlich  lautende 
Veröffentlichungen  über  die  starke  Wirkung 
des  als  drittes  Purinderivat  chemisch  nahen 
Verwandten  des  Koffeins  und  des  Diuretins, 
zweier  anerkannt  guter  Diuretica  und  Anti- 
hydropica,  bestimmten  auch  mich,  in  geeig- 
neten Fällen  das  Theophyllin  zu  versuchen 
und  es  seit  etwa  ein  und  einem  halben  Jahr 
in  Anwendung  zu  bringen.  Wie  jede  an- 
dere Publikation  sollen  auch  diese,  aus  der 
Praxis  hervorgegangenen  Erfahrungen  den 
Wirkungskreis  des  Mittels  schärfer  um- 
schreiben. Besonders  eignen  sich  4  Fälle 
meiner  Beobachtung  zur  Klärung  seines  An- 
wendungsgebietes und  als  Beitrag  zu  den 
dem  Theophyllin  zur  Last  gelegten  Neben- 
wirkungen. Ihre  Krankengeschichten  mögen 
hier  in  Kürze  folgen: 

1.  C,  Bahnmeister,  55  Jahre  alt,  seit  mehreren 
Jahren  an  Myodegeneratio  cordis,  Nephritis  inter- 
stitialis  mit  Staaang6erscheinangen  leidend.  Zurzeit 
Hydropsien  am  ganzen  Körper,  häufige  Klagen 
über  Kopfschmerz,  Magen&törangen,  Dyspnoe  u.s.w. 
Bedrohliche  Erscheinungen  von  seiten  des  durch 
den  Hydrops  and  Stauungen  noch  mehr  arbeits- 
überlasteten Herzens  und  die,  trotz  Digitalis  und 
Koffein  nicht  zu  hebende  Diurese  veranlassen  die 
Anwendung  des  Theophyllins  anfanglich  als  Pulver, 
nach  vorheriger  verstärkter  DigitaTisverabreichung 
und  dadurch  erzielter  verbesserter  Herztätigkeit. 
In  zwei  Tagen  werden*  etwa  0,6  g  des  Mittels  ver- 
braucht. Die  Diurese  steigt  schon  nach  wenigen 
Stunden  von  x/s  aQf  *  lya  1  •  un(*  damit  gehen  die 
bedrohlichen  Symptome  zusehends  zurück.  Die 
Ödeme  schwinden,  anfänglich  nur  langsam,  später 
rasch;  der  vorher  hohe  Eiweißgehalt  des  Urins 
geht  in   wenigen  Tagen  auf  ein  Minimum  zurück. 


Mit  drei-  bis  viertägigen  Unterbrechungen,  während 
weicher  Strophanthus  gegeben  wird,  verbrauchte 
der  Kranke  in  drei  Wochen  im  ganzen  etwa  5-6  g 
des  Diureticums.  In  den  theophyll  in  freien  Inter- 
vallen 6inkt  die  Urin  menge  nur  mäßig,  um  etwa 
74 1  pro  Tag,  um  sich  sofort  wieder  mit  Einsetzen 
des  Mittels  auf  die  frühere  Höhe,  selbst  bis  zu  2  1, 
zu  heben.  Zeitweise  auftretende  Übelkeit,  Er- 
brechen, Kopfsohmerz,  Appetitlosigkeit  stören  die 
eingeleitete  Therapie  um  so  weniger,  als  diese 
Symptome  schon  früher  bestanden  haben.  Anders 
aber  eine  zu  Beginn  dieser  Behandlung  auftretende 
Komplikation  von  seiten  des  Nervensystems.  Etwa 
8  Tage  nach  Beginn  der  Theophyllin -Medikation  — 
es  mag  bis  dahin  1,0  g  des  Mittels  verabreicht 
worden  sein,  und  zwar  in  Pulverform  —  beginnt 
der  Kranke  unruhig  zu  werden,  schläft  viel,  deliriert 
laut  und  aufgeregt,  will  fortwährend  aus  dem  Bette; 
die  Sprache  wird  lallend  und  zeitweise  ganz  unver- 
standlich ;  der  Kranke  wird  nur  auf  lautes  Anrufen 
aus  seinem  Dämmerzustande  wach  und  erkennt 
seine  Angehörigen  nur  mit  großer  Mühe  wieder. 
Dabei  verhältnismäßig  gute  Herz-  und  Nierentätig- 
keit Diese  Erscheinungen  klingen  langsam  gegen 
den  dritten  und  vierten  Tag  nach  ihrem  Beginn 
wieder  ab.  Nur  ein  geringes  Kopfweh  ist  als 
Rückstand  des  vom  Nervensystem  überstandenen 
Sturmes  übrig  geblieben.  Sofort  mit  dem  Auftreten  * 
der  bedrohlichen  Symptome  verbiete  ich  die  weitere 
Theophyllinanwendung,  lasse  aber  sechs  Tage  nach 
dem  Verschwinden  der  letzten  Erregungsäußerungen 
vorsichtig  das  Mittel  wieder  geben,  diesmal  aber 
in  Solution,  nach  dem  Rate  Schlesingers  (1),  zur 
Vermeidung  von  nervösen  Exzitationszuständen  in 
einem  Infus  von  Adonis  vernalis:  Theocin  0,6 
Infus.  Adonis  vernalis  (5,0)  180,0  M.  D.  S.  Inner- 
halb zwei  Tagen  zu  verbrauchen.  Wie  früher 
mache  ich  wieder  1 —  2  tägige  Pausen  nach  An- 
wendung einer  Flasche  der  Solution.  Weitere  ner- 
vöse Störungen  sind  fürderhin  völlig  ausgeblieben. 
Der  Kranke  erholt  sich  bei  starker  Urinsekretion 
rasch,  so  daß  er  nach  ca.  19  Tagen,  fast  frei  von 
hydropischen  Ergüssen,  auf  einige  Stunden  das 
Bett  verlassen  kann.  Theocin  wird  nicht  mehr 
gebraucht.  8  Tage  darauf  kollabiert  C.  plötzlich 
unter  größter  Dyspnoe  und  Pulsarhythmie.  Nach 
wenigen  Stunden  tritt  der  Tod  ein. 

2.  Frau  F.,  50  Jahre  alt.  Myodegeneratio  cordis, 
Mitralinsuffizienz  mit  weitverbreiteten  Stauungser- 
scheinungen im  ganzen  Körper:  Leber  sehr  ver- 
größert; häufige,  mit  Opiaten  kaum  zu  bekämpfende 
Durchfalle;  im  Urin  Eiweiß;  diffuses  Ödem  des 
ganzen  Körpers.  Von  anderer  ärztlicher  Seite  ist 
bereits  nach  längerer  Digitalisdarreichung  Theocin 
in  Pulverform  0,3  pro  dosi,  3  mal  täglich,  und 
daneben  Opium  pur.  ordiniert.  Sofort  nach  jeder 
Aufnahme  des  Diureticums  Magenschmerzen  und 
Erbrechen.  Daraufhin  wird  von  mir  Opium  per 
Klysma  und  Theocin  nur  0,1  pro  dosi  in  Pulvern 
gegeben.  Das  Erbrechen  hört  auf  und  die  Harn- 
menge steigt  von  V*  auf  1  1  im  Laufe  eines  Tages. 
Die  schon  seit  Monaten  vorhandene  Schlaflosigkeit, 
der  Appetitmangel  und  Kopfschmerz  werden  durch 
die  Medikation  weder  gebessert  noch  verschlechtert. 
Die  irreguläre  und  schwache  Herztätigkeit  ist  trotz 
hoher  Digitalisgaben  nicht  zu  bessern.  Wenige 
Wochen,  nachdem  ich  die  Kranke  aus  meiner,  nur 
vertretungsweise  übernommenen  Behandlung  ent- 
lassen,  stirbt  sie  an   einem  schweren  Herzkoilaps. 

3.  M.,  9  Jahre  alt,  kräftiges,  bisher  gesund 
gewesenes  Töchterchen  eines  Arztes.  Akute  Nephri- 
tis anschließend  an  eine  Agina  catarrhalis.  Im 
Urin  etwa  '/,  %  Eiweiß,  keine  Zylinder.  Gesicht 
durch  ödem  aufgetrieben,  besonders  die  Augenlider. 

34* 


\ 


454 


Homburg« r,  Übt  du  „zurzeit  am  betten  wirkende«4  Diureticum. 


fTharapeul 
L   Monatehi 


Herztätigkeit  normal.  Appetit  und  Schlaf  schlecht 
Harnmeoge  zwischen  ]/4  und  ]/2  1  pro  Tag,  nach 
Theocin aufnähme  in  Lösung  mit  0,05  pro  dosi  auf 
1  Va  1  im  Laufe  eines  Tages  ansteigend ;  gleichzeitig 
Hebung  des  Appetits;  das  Kind  selbst  viel  munterer, 
Herz  und  Puls  gut,  keine  Störung  im  Bereiche  des 
Nervensystems.  Nach  8  Tagen  noch  Spuren  von 
Eiweiß  im  Urin,  nach  17  Tagen  ist  er  eiweißfrei, 
ödem  ganz  verschwanden.  Während  der  ganzen 
Behandlung  keine  funktionelle  Störung  von  Seiten 
des    Magen  -  Darmkanals.      Theocinverbrauch    im 

fuazen    etwa    1,0.      Sonstige    Behandlung:    Heiße 
äder,   blande  Diät. 

4.  M.,  63  Jahre,  Werkführer.  Mvodegeneratio 
cordis  infolge  Alkoholmißbrauchs.  Lebercirrhose. 
Universalhydrops,  in  wechselnder  Stärke  seit  vielen 
Jahren  bestehend.  Auf  einleitende  Digitalismedi- 
kation mit  nachfolgender  Theocinan  wen  düng  stets 
rmpter  Erfolg.  Theocinpulver  3  mal,  später 
5  mal  täglich,  etwa  0,16,  langsam  einschleichend 
gegeben  und  mit  Eintritt  der  Wirkung  in  täglich 
selteneren  Gaben.  Sehr  starker  Anstieg  dor  Diu- 
rese.  Nie  Erbrechen,  keine  Darmerkrankung;  nur 
geringes  Kopfweh  bald  nach  der  Einnahme  des 
rulvers.  Die  schon  vor  der  Theocinanwendung 
vorhandene  geringe  Albuminurie  nie  vermehrt. 
.Nach  etwa  4—5  Tagen  meist  völliges  subjektives 
Wohlbefinden  erreicht  und  meist  nach  weiteren 
8  Tagen  Arbeitefähigkeit.  Freilich  stets  nach  2  bis 
3  Wochen  beruflicher  Tätigkeit  wieder  ein  Rückfall. 
Seit  z/4  JaDr  m  diesem  Falle  Verwertung  der 
Theocintherapie. 

Welche  Resultate  ergibt  nach  diesen 
eigenen  und  anderen  Erfahrungen  eine  Ana- 
lyse der  Einwirkungen  des  Theophyllins  auf 
den  menschlichen  Organismus?  Wo  hat  es  in 
diesem  seinen  Angriffspunkt  zur  Entfaltung 
seiner  "Wirkung?  Sind  wir  jetzt  in  der  Lage, 
sein  Anwendungsbereich  schärfer  zu  be- 
grenzen x  und  wie  steht  es  mit  den  ihm  nach- 
gesagten toxischen  Nebenwirkungen?  Auf 
diese  Fragen  sollen  die  folgenden  Ausfüh- 
rungen die  Antwort  zu  geben  versuchen. 

Von  keiner  Seite  wird  im  Einklaug  mit 
meinen  Wahrnehmungen  von  einer  Schädigung 
des  Herzens  infolge  der  Anwendung  des 
Theophyllins  gesprochen,  aber  ebenso  von 
allen  die  vorherige  Regelung  und  Kräftigung 
der  Herztätigkeit  zur  Erzielung  einer  aus- 
giebigen Diurese  zur  erfüllenden  Vorbedingung 
gemacht.  Zwar  berichtet  Straß  (3)  über 
Fälle,  in  denen  trotz  guter  Herztätigkeit  das 
Theophyllin  unwirksam  blieb,  wo  hingegen 
Kalium  aceticum  und  Agurin  ihren  günstigen 
Einfluß  auf  die  Diurese  zeigten;  vielleicht 
eine  Folge  individueller  Unempfindlichkeit 
gegenüber  dem  Theophyllin.  Andrerseits 
weiß  auch,  kein  Beobachter  von  einer  direkten 
günstigen  Beeinflussung  des  Herzens  und  des 
Blutdruckes  durch  das  neue  Mittel  zu  be- 
richten. Und  doch  scheint  sein  Einfluß 
gerade  bei  Ödemen  kardialen  Ursprungs  in 
der  ersten  Reihe  seiner  Erfolge  zu  stehen. 
Wenn  auch  bisher  kein  fester  Anhaltspunkt 
dafür  vorhanden  ist,  daß  es  ein  reines,  renales 


Diureticum  ist,  so  spricht  sich  doch  die 
Mehrzahl  der  Autoren  auf  Grund  ihrer  Er- 
fahrungen und  Überlegungen  für  diese  An- 
nahme aus.  Sein  hauptsächlicher  Angriffs- 
punkt liegt  wohl  im  Parenchym  der  Nieren, 
das  es  in  kurzer  Zeit  zu  hoher  Arbeits- 
leistung anspornt.  Freilich  sinkt  diese  Mehr- 
leistung schon  nach  wenigen  Tagen  ab,  und 
selbst  größere  Gaben  vermögen  sie  dann  kaum 
nennenswert  zu  steigern.  Nur  eine  (s.  spater) 
der  bisherigen  Veröffentlichungen  berichtet 
über  eine  Schädigung  des  Nierenparenchyms 
durch  das  Präparat.  Dort,  wo  vorher  keine 
Eiweißausscheidung  ist,  tritt  sie  auch  mit 
der  Anwendung  des  Theophyllins  nicht  auf; 
bereits  vorhandene  Eiweißabscheidungen  wer- 
den nicht  vermehrt  (Meinertz  (4),  Gut- 
mann (5)  u.  a.).  Das  Kind  M.  erhielt  von 
mir  trotz  der  von  Alkan  und  Arnheim  (6) 
ausgesprochenen  Warnung  der  Theocin Verwer- 
tung bei  akuter  Nephritis  wahrend  seiner 
akuten  Nierenentzündung  und  bei  verhältnis- 
mäßig recht  hoher  Eiweißausscheidung  zwei 
Wochen  hindurch  das  Mittel;  in  wenigen 
Tagen  war  mit  der  Nephritis  der  Eiweiß- 
gehalt des  Urins  verschwunden.  Zum  gleichen 
Urteil  fuhren  die  von  mir  bemerkten  Erfolge 
des  Diureticums  bei  Albuminurie  in  Verbin- 
dung mit  Stauungsniere.  Andrerseits  soll 
nicht  verhehlt  werden,  daß  Hundt  (7)  das 
Theophyllin  in  7  Fällen  von  akuter  Nephritis 
zweimal  versagte.  Hier  ließen  aber  auch 
andere  Diuretica  im  Stich,  nämlich  bei  einer 
hämorrhagischen  Nephritis  eines  12jährigen 
Knaben  und  bei  einer  Scharlachnephritis 
eines  11jährigen  Kindes.  Ebenso  erwähnt 
Meinertz  (l.  c.)  ein  Ausbleiben  des  diure- 
tischen  Effektes  des  Theocins  bei  akuter  Ne- 
phritis. Mögen  diese  Beobachtungen  auf  in- 
dividuelle Schwankungen  oder  auf  einen 
sonst  noch  nicht  erwiesenen  Grund  zurück- 
zuführen sein,  die  allseitig  und  auch  durch 
meine  Wahrnehmung  bestätigten  Untersuchun- 
gen beweisen  zur  Genüge,  daß  von  einer 
Destruktion  des  Nierenparenchyms  durch  An- 
wendung des  Theophyllins  keine  Rede  sein 
kann  und  lassen  die  gegenteilige  Behauptung 
von  Alkan  und  Arnheim  einer  gründlichen 
Nachprüfung  wert  erscheinen,  wenn  sie  sagen, 
daß  selbst  „Entzündungen  leichter  Art  bei 
akuter  parenchymatöser  Nephritis  durch  das 
heroische  Mittel  wieder  angefacht  werden 
können,  und  daß  daher  bei  frisch  entzünd- 
lichen Veränderungen  der  Nieren  von  seiner 
Anwendung  abzusehen  sei?.  Immerhin  dürfte 
zur  Entfaltung  seiner  vollen  Tätigkeit  die 
Intaktheit  wenigstens  eines  Teiles  des  Nieren- 
parenchyms unbedingte  Voraussetzung  sein. 
Daraus  dürfte  sich  weiterhin  die  Differenz 
der  Angaben  erklären,    nach  denen  der  eine 


XIX.  Jahrgang.  1 
8«pUmber  1906.J 


Homburgar,  Üb«r  das  „surseit  am  bMten  wirkend«**  Diuxatleum. 


455 


Autor  bei  akuter  Nierenentzündung  keinen 
oder  nur  einen  unwesentlichen  Einfluß  auf 
die  Ödeme,  ein  anderer  eine  recht  günstige 
Wirkung  sah,  daß  Hundt  (1.  c.)  bei  chroni- 
scher Nierenentzündung  keinen  Effekt  be- 
merkte, während  Suter  (8)  über  bedeutende 
Erfolge  ausschließlich  bei  chronischer  Nieren- 
erkrankung berichten  konnte.  In  gleicher 
Divergenz  bewegen  sich  die  Angaben,  daß 
seröse  Ergüsse  unter  der  Einwirkung  des 
Mittels  zurückgehen,  z.  B.  pleuritische  Ex- 
sudate (Meinertz  und  Straß  (1.  c.)),  wäh- 
rend andere  eine  wesentliche  Beeinflussung 
solcher  Ausschwitzungen  bestreiten  (Schle- 
singer und  Hundt  (1.  c.)).  Nach  alledem 
und  den  noch  immer  recht  zahlreichen  Wider- 
sprüchen können  bislang  die  wünschenswert 
scharfen  Grenzen  für  das  Anwendungsbereich 
des  Theophyllins  nicht  gezogen  werden. 
Gleichwohl  bleibt  aber  als  Schluß  aller  dieser 
Publikationen  die  einhellige  und  von  keiner 
Seite  bezweifelte  Tatsache  bestehen,  daß  das 
Theophyllin  ein  vorzügliches  Diureticum, 
namentlich  bei  Ödemen  kardialen  Ursprungs, 
darstellt. 

Wie  seine  Wirkungssphäre  selbst,  ist 
auch  der  Kreis  seiner  toxischen  Nebenwirkun- 
gen noch  nicht  geschlossen,  wie  ja  schon 
zum  Teil  aus  den  bisherigen  Ausführungen 
hervorgeht.  Der  eine  spricht  das  Mittel 
völlig  frei  von  jeder  schädigenden  Neben- 
wirkung (Streit  (9))  sowohl  auf  die  Ver- 
dauungsorgane wie  auf  das  Nervensystem, 
Löwenmayer  (10)  hingegen  sah  gerade 
Störungen  in  diesen  Organgebieten  eintreten, 
wenn  das  Mittel  ausgesetzt  wurde.  Eine 
andere  Gruppe  von  Autoren  glaubt  geringere 
und  schwerere  Störungen  des  Appetits  und  der 
Magenfunktion,  die  sich  namentlich  in  Übel- 
keit, Brechreiz,  Erbrechen  und  Durchfällen 
äußern,  auf  das  Schuldkonto  des  Theophyllins 
setzen  zu  müssen  (Hundt,  Rattner  u.  a. 
(1.  c.)),  deren  Hervortreten  mehr  oder  weniger 
von  individuellen  Dispositionen  abhängig  sein 
soll  (&f  einertz  (1.  c.)),  Zufälle,  die  sich  ver- 
meiden lassen  sollen,  wenn  man  nach 
Rattner  (1.  c.)  das  Mittel  statt  in  Pulver- 
form in  Lösung  gibt.  Gleichwohl  fort- 
dauerndes Erbrechen  dürfte,  wie  bereits 
früher  erwähnt,  mehr  mit  Stauungserschei- 
nungen  in  den  Unterleibsorganen  als  mit  der 
direkten  Einwirkung  des  neuen  Diureticums 
in  Zusammenhang  zu  bringen  sein  (Doe- 
ring  (11)).  Immerhin  werden  selbst  tief- 
greifende anatomische  Läsionen  des  Magens  als 
direkte  Folge  dieser  Therapie  angesprochen 
(Allord(l2)).  Wieder  eine  andere  Gruppe  von 
Beobachtern  sah  im  Verfolg  der  Theophyllin- 
anwendung  Schädigungen  mehr  von  Seiten 
des  Nervensystems  in  die  Erscheinung  treten, 


vom  leichtesten  Kopfschmerz  mit  geringer 
Benommenheit  des  Kopfes  und  Unruhe  auf- 
steigend zu  Erregungszuständen  schwerster 
Art  und  selbst  Krämpfen  mit  epileptischem 
Charakter  (Minkowski  (13),  Thienger  (14), 
Schlesinger  (1.  c),  Allord  (1.  c.)  u.  a.), 
die  die  Greifswalder  Klinik  veranlagten,  von 
dem  Mittel  Abstand  zu  nehmen  (Allord). 
Wenn  ich  daraufhin  meine  eigenen  Beob- 
achtungen über  Begleiterscheinungen  beim 
Theophyllingebrauch  einer  kurzen  Prüfung 
unterziehe,  so  muß  ich  erklären,  daß  ich  in 
dem  oben  erwähnten  Fall  des  Kindes  M.  bei 
freilich  kleinen,  aber  doch  gut  wirkenden 
Mengen  keinerlei  nachteilige  Wirkung  sah^ 
eine  Wahrnehmung,  die  mit  jener  Streits 
und  Löwenmayers,  der  in  einem  Falle  die 
enorme  Menge  von  400  Tabletten  ä  0,1, 
also  40  g  Theocin  verbrauchte,  in  vollem  Ein- 
klang steht.  Magenstörungen  empfindlicherer 
Art  beobachtete  ich  nur  in  meinem  zweiten 
und  dritten  Falle  bei  den  infolge  von  Myo- 
karditiden  auftretenden  schweren  Stauungs- 
erscheinungen; sobald  aber  die  Medikation 
statt  in  Pulverform  in  Solution  verabreicht 
wurde,  verschwanden  Brechen  und  Brechreiz; 
außerdem  dürfte  der  schon  vor  der  einge- 
leiteten Theocintherapie  recht  empfindliche 
Magen,  der  wie  alle  Bauchorgane  unter  dem 
Einfluß  schwerer  Stauungen  des  Blutes  litt, 
kein  unanfechtbares  Urteil  über  den  Grad 
seiner  Schädigung  durch  Theocin  gestatten. 
Ein  einigermaßen  guter  Magen  wie  der  des 
Kindes  M.  wird  wohl  durch  das  Mittel  nicht 
nachteilig  beeinträchtigt  werden.  Sind  nun 
die  von  mir  gesehenen  Störungen  im  Bereiche 
des  Nervensystems  während  des  Theocin- 
gebrauches  ohne  weiteres  diesem  neuen  Mittel 
zur  Last  zu  legen?  Das  Kind  zeigte  keinerlei 
nachteiligen  Einfluß  in  dieser  Richtung;  in 
den  drei  anderen  oben  zitierten  Fällen  traten 
jeweils  mit  der  Verabreichung  des  Mittels 
Schlafstörungen  und  leichtes  Eingenommen- 
sein des  Kopfes  hervor;  im  zweiten  Falle 
bei  geringer  Urinsekretion  und  schwerer 
Dyspnoe  Schwindel,  Teilnahmlosigkeit,  er- 
höhte Unruhe  im  Schlaf  und  recht  erheb- 
liche Aufregungszustände  mit  Delirien  mani- 
akalischen  Inhalts;  ferner  Sprachstörungen, 
die  erst  langsam  nach  etwa  5  Tagen  mit  dem 
Aussetzen  des  in  jener  Zeit  in  Pulverform  ge- 
gebenen Medikamentes  abklangen ;  sie  kehrten, 
wie  schon  oben  erwähnt,  nicht  wieder,  als 
nach  etwa  1  Woche  das  Mittel,  nun  aller- 
dings in  Lösung,  wiederholt  wurde.  Krämpfe 
traten  nie  auf.  Wenn  ich  danach  auch  das 
Medikament  nicht  von  aller  Schuld  an  diesem 
Anfall  freisprechen  möchte,  so  war  für  mich 
doch  bei  den  hochgradigen  Ödemen  im  ganzen 
Körper   des  Kranken    und   bei   seiner  gerade 


456 


Homburger,  Über  das  „surselt  am  betten  wirkende"  Diureticum. 


rTherapentlsche 


damals  recht  geringen  Urinsekretion  die  An- 
nahme eines  .urämieähn liehen  Anfalls,  der 
vielleicht  in  dieser  Heftigkeit  ohne  das  Theo- 
phyllin nicht  zum  Durchbruch  gekommen 
wäre,  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  zumal 
bei  "Wiederholung  des  Mittels  in  Lösung  kein 
solcher  Anfall  auftrat.  In  einer  Analyse  der 
einzelnen,  bis  jetzt  in  neun  Beobachtungen 
im  Anschluß  an  die  Theocinanwendung  fest- 
gestellten Krämpfe  und  in  seiner  sich  daran 
anschließenden  Kritik  kommt  neuerdings 
0.  Schmiedeberg  (15)  —  der  ja  für  sich 
beanspruchen  darf,  den  ersten  Anstoß  zur 
Verwendung  des  neuen  Diureticums  gegeben 
zu  haben  —  zu  Erwägungen,  die  trotzdem 
dem  Theocin  günstiger  sind.  Von  jenen 
Krämpfen,  die  von  den  einzelnen  Autoren 
selbst  als  epileptische  oder  epileptiforme  oder 
eklamp tische  bezeichnet  werden,  traten  im 
Falle  Allords  (1.  c),  so  kritisiert  Schmied  e- 
berg,  die  Konvulsionen  erst  auf,  als  das 
Mittel  in  der  Dosis  von  0,3  einen  Tag  zu- 
vor gegeben  war,  dann  aber  wegen  Übelkeits- 
erregung ausgesetzt  wurde,  oder  wie  in 
einem  Falle  von  Straß  (1.  c),  nachdem  es 
schon  2  Tage  ausgesetzt  war,  oder  wie  im 
Falle  Jacobaeus  (16),  wo  es  in  der  Dosis 
von  3  mal  täglich  0,4  3  Tage  hindurch  ver- 
abreicht war,  dann  aber  nach  dem  Auftreten 
eines  eklamp  tischen  Anfalls  weggelassen 
wurde;  weiterhin  wurde  es  wieder  gegeben, 
ohne  daß  ein  Krampf  ausbrach.  Daher 
glaubt  Schmiedeberg  behaupten  zu  können, 
daß  sicher  kein  Zusammenhang  zwischen 
Krampf  und  Arzneiwirkung  besteht;  daß 
ferner  aus  dem  gleichen  Grunde,  aus  dem 
Ausbleiben  der  Krämpfe  nach  dem  Aussetzen 
des  Mittels,  in  dem  ersten  Falle  von  Schle- 
singer sich  ohne  Zwang  kein  Zusammen- 
hang zwischen  diesen  beiden  Faktoren  kon- 
struieren läßt.  Auch  jene  von  mir  bei  einem 
Kranken  gesehenen  hochgradigen  Exzitationen 
mit  Delirien ,  Sprachstörungen  u.  s.  w.  bei 
der  verhältnismäßig  kleinen  Gabe  von  4mal 
0,2  Theocin  pro  Tag  schreibe  ich,  wie  be- 
reits wiederholt  erwähnt,  mit  der  gleichen 
Begründung  eher  der  raschen  Resorption  des 
großen  hy dropischen  Ergusses  als  dem  Arznei- 
mittel selbst  zu.  Auch  der  Charakter  jener 
epileptischen  oder  epileptiformen  Krämpfe 
differiert  zufolge  der  Kritik  Schmiedebergs 
zu  sehr  von  den  tetanischen  Anfällen,  wie 
sie  im  Tierexperiment  die  Purinderivate 
Koffein,  Theobromin  und  Theophyllin  er- 
zeugen können,  als  daß  man  sie  dem  letz- 
teren als  toxische  Nebenwirkung  aufbürden 
dürfte.  Zudem  ist  es  doch  sicherlich  auf- 
fällig und  nicht  durch  eine  individuelle 
Toleranz  gegenüber  dem  Theophyllin  allein 
zu     erklären,     wenn     Löwenmayer    (1.  c.) 


keinerlei  Störungen  des  Nervensystems  be- 
merkte, obwohl  er  bei  seiner  neunjährigen 
Patientin  im  ganzen  40  g  verabfolgte,  daß 
er  im  Gegenteil  mit  dem  Aussetzen  des 
Mittels  eine  Zunahme  des  Brechreizes  und 
Erbrechens  feststellte;  oder  jene  Beobach- 
tungen Meinertz'  (1.  c),  der  durch  viele 
Tage  hindurch  Theophyllin  verabfolgte,  und 
zwar  in  einem  Falle  etwa  26  g,  ohne  schäd- 
liche Nebenwirkung  zu  sehen.  Immerhin 
bleibt  die  vielfach  bestätigte  Tatsache  zu 
Recht  bestehen,  daß  das  neue  Diureticum 
das  Nervensystem  erregt.  Möglich  bleibt  es 
fernerhin,  daß  es  hierdurch  bei  einem  dazu 
Disponierten  einen  epileptischen  Anfall  aus- 
zulösen vermag.  Mit  Recht  betont  Schmiede- 
berg, daß  zur  Klärung  dieser  Fragen  und 
der  Genese  der  dem  Theocin  zur  Last  ge- 
legten Nebenwirkungen  vor  allen  Dingen  die 
volle  Kenntnis  seiner  pharmakologischen  Wir- 
kungen erforderlich  ist.  Bis  dahin  wurde 
es  nur  auf  Grund  der  praktischen  Erfah- 
rungen am  Menschen  als  reines  renales 
Diureticum  angesprochen.  Schmiedeberg 
kommt  in  seinen  pharmakologischen  Aus- 
führungen zu  dem  Ergebnis,  das  hier  natür- 
lich nur  in  seinem  wesentlichen  Extrakt 
wiedergegeben  werden  soll,  daß  Theophyllin 
wie  seine  zwei  Verwandten,  das  Koffein  und 
Theobromin,  wenn  auch  weniger  wie  diese 
beiden,  auf  das  Zentralnervensystem  erregend 
wirkt.  Weiterhin  beeinflussen  die  drei  Sub- 
stanzen den  quergestreiften  Muskel,  indem 
dieser,  um  mit  Schmiedeberg  zu  reden, 
disponiert  wird,  „leichter  seine  chemische, 
potentielle  Energie  in  Arbeit  umzusetzen u; 
dieser  Einfluß  tritt  mehr  auf  das  Herz  bei 
Koffein  hervor  als  beim  Theophyllin.  Da 
fernerhin  das  letztere  auf  das  Zentralnerven- 
system und  dementsprechend  auf  den  Ur- 
sprung der  Gefäßnerven  weniger  stark  wie 
die  beiden  andern  Mittel  erregbarkeits- 
steigernd  wirkt,  so  bleiben  nach  Schmiede- 
berg bei  seinem  Gebrauch  Erscheinungen 
seitens  der  Kreislauforgane  aus.  Als  dritte 
Wirkung  weist  derselbe  Autor  den  drei 
Purinderivaten  einen  direkten  Einfluß  auf 
das  Zellprotoplasma  zu,  der  sich  „als  Steige- 
rung einer  spezifischen  Funktion  und  als 
nutritive  entzündliche  Reizung  darstellt a. 
Eine  solche  Steigerung  der  sekretorischen 
Tätigkeit  der  Lymphepithelien  bewirken 
ebenfalls  diese  Derivate  des  Purins,  und  in 
gleicher  Weise  steigert  das  Theophyllin  die 
spezifische  Funktion  der  Nierenepithelien. 
Selbst  größere  Gaben  des  Mittels  vermögen 
aber  hier  nach  dem  Urteil  desselben  Autors 
keine  entzündliche  Reizung  hervorzubringen, 
eine  Behauptung,  die  in  fast  jeder  bisherigen 
Veröffentlichung   über  das  Präparat  ihre  Be- 


XIX.  Jahrgang*  "I 
B«ptamber  11K)S.J 


Homburgar.  Ober  das  „sursalt  am  b«aten  wirkend«"  Diureticum. 


457 


stätigung  findet.  Die  im  Gebiete  des  Ver- 
dauungsapparates im  Anschluß  an  die  Theo- 
phyllinanwendung  bemerkten  funktionellen 
Störungen  erklärt  Schmiedeberg  als  Äuße- 
rungen einer  entzündlichen  Reizung  der 
Schleimhaut,  zumal  wenn  diese  schon  vorher 
krank  war,  und  nebenbei  die  Gaben  des 
Mittels  groß  bemessen  wurden.  Bei  der 
Sektion  zweier  Patienten,  die  von  Allord 
(I.  c.)  zur  Beseitigung  ihres  Hydrops  Theo- 
phyllin erhalten  hatten  und  daraufhin  von 
Krämpfen  befallen  waren,  fand  derselbe 
punktförmige  Blutungen  und  hämorrhagische 
Flecke  in  der  Magenschleimhaut.  Er  erhielt 
diesen  Befund  im  Tierversuch  bei  Hunden, 
denen  er  am  ersten  Tag  1  —  2,  am  dritten 
Tag  schon  5  g  Theocin  beibrachte,  bestätigt. 
Man  muß  ohne  weiteres  Schmiedeberg  zu- 
stimmen, daß  diese  recht  großen  Gaben  bei 
einem  nur  circa  19  kg  schweren  Hunde  in 
ihrem  Effekt  jedenfalls  nicht  zu  einem  Ver- 
gleich mit  der  Wirkung  beim  Menschen 
herangezogen  werden  können.  Andrerseits 
dürfte  es  doch  fraglich  sein,  ob  in  den  an- 
dern bisher  publizierten  Fällen  solch  tief- 
greifende Veränderungen  an  der  Magen- 
schleimhaut, in  ihren  wohl  markanten  Äuße- 
rungen in  vivo  durch  objektive  Symptome, 
der  Aufmerksamkeit  der  Beobachter  ent- 
gangen wären.  Würden  freilich  die  dem 
Theophyllin  nachgesagten  schweren  Begleit- 
wirkungen auf  das  Nerven  System  und  den 
Magendarmkanal  trotz  der  geäußerten  gegen- 
'  teiligen  Bedenken  durch  weitere  Unter- 
suchungen ihre  Bestätigung  finden,  dann 
wäre  aller  Grund  vorhanden,  mit  der  Greifs- 
walder  Schule  von  seiner  weiteren  Anwen- 
dung abzuraten.  Die,  seitherigen  Veröffent- 
lichungen geben  aber  keine  Veranlassung 
und  kein  Recht,  jenes,  von  dort  ausgegangene 
vernichtende  Urteil  mit  zu  unterschreiben. 
Bei  bereits  tiefgreifenden  Veränderungen 
des  Magendarmschlauches  oder  bei  hoch- 
gradiger, durch  nichts  zu  beseitigender  oder 
zu  bessernder  Insuffizienz  des  Herzens  wird 
man  zweifellos  nach  den  bisherigen  Erfah- 
rungen seinen  Gebrauch  unterlassen.  In  den 
geringeren  Graden  wird  man  zuerst  möglichst 
jene  Störungen  zu  beseitigen  suchen  und 
vor  allem  durch  Digitalis  die  Herztätigkeit 
und  den  Blutdruck  regeln;  dann  dürfte  das 
Theophyllin  sein  günstigstes  Anwendungs- 
bereich finden. 

Mit  Rücksicht  auf  die  erwiesene  Ver- 
schiedenheit seiner  individuellen  Einwirkung 
wird  man  mit  kleinen  Dosen  des  Mittels  be- 
ginnen, auch  schon  deshalb,  weil  die  auf 
größere  Gaben  rasch  und  stark  einsetzende 
Diurese  und  die,  zuweilen  bis  zu  6  Liter 
Harn     gesteigerten    Wasserverluste    im     Tag 


bei  schwer  Herzkranken  für  dieses  Organ 
eine  recht  große  Gefahr  bedeuten.  Bei  Er- 
wachsenen genügen  zu  Beginn  nach  meiner 
Erfahrung  schon  Dosen  von  0,1 — 0,2  und 
0,4 — 0,6  pro  Tag,  in  Lösung  und  nicht  in 
Pulverform,  zur  Einschränkung  schädlicher 
Nebenwirkungen  auf  den  Magen  und  nach 
den  bereits  erwähnten  Empfehlungen  von 
Schlesinger  (1.  c.)  in  einem  Infus  von 
Adonis  vernalis  oder  auch  mit  gleichzeitiger 
Verabreichung  von  Hedonal  oder  Paraldehyd 
zur  Vermeidung  etwaiger  Nebenwirkungen 
auf  das  Nervensystem.  Langsam  steigt  man 
auf  etwa  0,3—0,4  pro  dost.  Während 
Alkan  und  Arnheim  (1.  c.)  keinen  Erfolg 
in  der  Darreichung  per  Klysma  feststellen 
konnten,  empfiehlt  Rattner  (1.  c.)  diese  Art 
der  Anwendung,  wenn  ein  Magenleiden  gegen 
die  Einführung  des  Mittels  per  os  spricht. 
Ein  einziger  Nachteil  in  der  Theophyllin- 
anwendung  hat  leider  einstimmige  Bestätigung 
erhalten  müssen,  daß  nämlich  schon  nach 
einigen  Tagen  sein  Einfluß  auf  die  Nieren- 
absonderung selbst  bei  steigender  Dosis  nach- 
läßt, ob  nun  deshalb,  weil  die  Nieren- 
epithelien  vielleicht  durch  zu  große  Bean- 
spruchung ermüden,  soll  zunächst  eine  offene 
Frage  bleiben.  Es  empfiehlt  sich  daher, 
nach  einigen  Tagen  den  Gebrauch  des  Mittels 
auszusetzen,  andere  Diuretica  zu  Hilfe  zu 
nehmen  und  erst  dann  wieder  zu  jenem 
zurückkehren. 

Wenn  man  nach  alledem  also  auch  nicht 
ohne  weiteres  in  den  vielleicht  allzu  be- 
geisterten Hymnus  derer  einstimmen  soll,  die 
im  Theophyllin  das  beste  derzeitige  Diu- 
reticum  sehen,  eine  Auszeichnung,  die  ihm 
erst  die  völlige  Freisprechung  von  jenen 
zweifellos  bei  seiner  Anwendung  zur  Vor- 
sicht mahnenden  Nebenwirkungen  und  eine 
nachhaltigere  Wirkung  eintragen  dürfte,  so 
muß  man  andrerseits  ihm  bei  aller  Skepsis 
glänzende  diuretische  Erfolge  nachrühmen. 
Sollte  das  leichter  lösliche  und  angeblich 
besser  verträgliche,  neuerdings  hergestellte 
Doppelsalz:  Theocinnatrium  aceticum  diese 
Nebenwirkungen  auf  ein  Mindestmaß  zu  re- 
duzieren vermögen,  so  wird  das  Theophyllin 
nicht  mit  so  vielen  andern  pharmazeutischen 
Erzeugnissen  der  neueren  Zeit  das  Meteoriten 
ähnliche  Los  teilen ,  mit  Blitzeshelle  und 
-Schnelle  aufzuleuchten  und  dann  spurlos 
unterzugehen. 

Literaturverzeichnis. 

1.  Schlesinger.  Therapie  der  Gegen wai 1 3, 1903. 

2.  Rattner.     Dissertation,  Würzburg  1903. 

3.  Straß.  Wiener  klinische  Rundschau  50,  1903. 

4.  M  e  i  n  e  r  t  z.  Therapeutische  Monatshefte  2, 1903. 

5.  Gutmann.     Archiv    für    Kinderheilkunde   34, 

1904. 


458 


Orlipaki,  Qibt  m  gonorrhoische  Exanthem«? 


rTherapentiaete 
L   Moxuitriiflfto. 


6.  Alkan  u.  Arnheim.    Therapeutische  Monats- 

hefte 1,  1904. 

7.  Hundt.    Therapeutische  Monatshefte  4,  1904. 

8.  Sater.  Korrespondenzblatt  für  Schweizer  Ärzte 

7   1904. 

9.  Streit    Die  Heilkunde  4,  1903. 

10.  Löwenmayer.    Therapie    der    Gegenwart  4, 

1904. 

11.  Doering.    Münchener  med.  Wochenschrift  9, 

1903. 

12.  Allord.     Deutsches  Archiv  für  klinische  Me- 

dizin, Bd.  80. 

13.  Minkowski.     Therapie    der    Gegenwart   11, 

1902. 

14.  T hi e n ge r.  Münchener  med.  Wochenschrift  30, 

1903. 

15.  Schmiedeberg.    Deutsches  Archiv  für  klini- 

sche Medizin,  Bd.  82. 

16.  Jacobaeus.    Therapeutische  Monatshefte  11, 

1904. 


Ein  Beitrag  zur  Frage: 
'„Gibt  es  gonorrhoische  Exantheme?" 

Von 
Dr.  med.  Orllpski,  Arzt  in  Halberstadt. 

Es  dürfte  bekannt  sein,  daß  das  Problem 
des  Zusammenhanges  zwischen  Gonorrhoe 
und  gewissen  Erkrankungen  des  Integuments 
nicht  zu  den  erst  neuerdings  in  der  wissen- 
schaftlichen Welt  aufgeworfenen  Zeit-  und 
Streitfragen  gehört.  War  es  doch  schon 
von  einem  medizinischen  Schriftsteller  des 
18.  Jahrhunderts,  Musgrave1),  in  einem 
1723  erschienenen  Werke  angedeutet,  aber 
sicher  ist  Seile')  der  erste  Forscher  von 
Bedeutung,  welcher  1783  aussprach,  daß 
„der  Trippereiter  resorbiert  werden  und  zu 
Hautausschlägen  Veranlassung  geben  könne". 
Doch  gleichwohl  ist  die  Frage,  ob  es  Mani- 
festationen gonorrhoischer  Natur  auf  der 
Haut  der  Tripperkranken  gebe,  in  unsern 
Tagen,  wo  wir  seit  Noeggerath8)  und 
Neißer4)  über  die  Natur  der  Gonorrhoe  so 
vorzüglich  unterrichtet  und  über  eine  Reihe 
andersartiger  Folgezustände  der  Gonorrhoe 
durchaus  nicht  mehr  im  Zweifel  sind,  gleich- 
wohl ist  die  Frage  bezüglich  der  gonorrhoi- 
schen Exantheme  auch  jetzt  noch  nicht  zur 
völligen  Befriedigung  gelöst,  ja  von  manchen 
wird  auch  heute  noch  die  Existenz  der- 
artiger Vorkommnisse  durchaus  bestritten, 
jedenfalls  ihr  Kausalnexus  mit  der  Gonorrhoe 
geleugnet. 

Was  mich  betrifft,  so  waren  es  zunächst 
schon  Betrachtungen  theoretischer  Natur, 
welche  mich  mit  der  Möglichkeit  eines  der- 
artigen Zusammenhanges  rechnen  ließen,  und 
welche  allmählich  aus  Möglichkeiten  und 
Vermutungen  für  mich  die  Überzeugung 
emporwachsen  ließen,  daß  die  Gonorrhoe 
Veränderungen  der  Haut  zu  bewirken  im- 
stande  sei.   —   Solange   man   unter   Führung 


von  Bumm6)  dem  Irrglauben  huldigte,  daß 
der  Gonokokkus  ein  verhältnismäßig  harm- 
loser Epithelparasit  und  insbesondere  ein 
Bewohner  des  einfach  schichtigen  Zylinder- 
epithels sei,  daß  er  an  den  Grenzmarken 
anderer  Gewebsprovinzen,  vor  dem  Platten- 
epithel und  dem  Bindegewebe,  unweigerlich 
Halt  mache  und  in  diesen  Teilen  nicht 
wuchern  und  gedeihen  könne,  so  lange  mochte 
es  mit  der  Annahme  derartiger  Hautmeta- 
stasen seine  Schwierigkeiten  haben.  Denn 
wie  sollte  auch  die  Mikrobe  oder  selbst  nur 
ihr  Toxin  in  die  Blutbahn  gelangen  und  von 
hier  aus  auf  bakteriämischem  Wege  eine  Ver- 
allgemeinerung der  Mikrokokkeninvasion  und 
-intoxikation  herbeiführen,  wenn  sie  nur  in 
dem  oberflächlichen  Zylinderepithel,  also  weit 
ab  von  den  mehr  im  bindegewebigen  Unter- 
gründe der  Schleimhaut  verlaufenden  Lymph- 
und  Blutgefäßen,  ein  kümmerliches  Dasein 
sollte  fristen  können!  „Die  Gonorrhoe  ist 
eine  rein  lokale  Erkrankung,  welche  nur  auf 
Zylinderepithel  zur  Entwickelung  kommt. a 
So  Bumm  und  ähnlich  seine  Schüler  Ger- 
heim6)  und  Weber61),  und  alle  die  bösen 
Zufälle,  welche  man  in  so  sinnenfalliger 
Weise  mit  Gonorrhoe  vergesellschaftet  hatte 
auftreten  sehen  wie  die  Perimetritis  und 
Epididymitis ,  die  Tripperbubonen  und  die 
Parametritis,  die  Bartholinitis  und  die  Rheu- 
matoid- und  Herzerkrankungen  im  Gefolge 
der  Gonorrhoe  —  nach  dieser  Hypothese 
als  gonorrhoische  unerklärbar  —  sollten 
Mischinfektionen  sein.  Leider  ist  dem  aber 
nicht  so,  leider  ist  die  Bumm  sehe  Lehre  von 
dem  Zylinderepithelparasitismus  des  Gono- 
kokkus überholt:  die  Tatsache,  daß  die 
häufigste  Eingangspforte  der  Gonorrhoe,  die 
männliche  Urethra,  in  ihrem  vorderen  Teile 
Pflasterepithel  trägt,  die  Vulvovaginitis  der 
kleinen  Mädchen,  die  Feststellung  Dinklers1), 
welcher  Gonokokken  im  Bindegewebe  der 
Cornea  und  Iris  bei  metastatischer  Chorioideo- 
Iritis  fand,  ferner  Rosinskis8)  Beobachtung 
der  Gonokokken  im  Pflasterepithel  der  Mund- 
höhle von  Neugeborenen,  Toutons9)  und 
Jadassohns10)  Untersuchungen  an  paraure- 
thralen Gängen,  welche  trotz  ihrer  Pflaster- 
epithelauskleidung gonorrhoisch  infiziert,  so- 
gar die  einzigen  mit  Gonokokken  voll- 
gepfropften Teile  waren,  Palt  aufs11)  und 
Sahiis13)  Beobachtungen  und  ganz  besonders 
und  vor  allem  die  grundstürzenden  Unter- 
suchungen Wertheims18)  haben  uns  eines 
besseren  belehrt,  haben  uns  gezeigt,  daß 
der  Gonokokkus  keineswegs  im  Bumm  sehen 
Sinne  „ wählerisch"  sei,  sondern  auf  Zylinder- 
wie  auf  Plattenepithel  und  im  Bindegewebe 
gleich  gut  gedeihe,  sicher  also  in  mehreren 
Sätteln  gerecht  sei.     Wir  wissen  heute,   daß 


XIX.  Jahrgang.  "I 
8«pt«mbw  1906.J 


Orlipaki,  Gibt  m  gonorrhoisch«  Exanthem«? 


459 


die  Gonorrhoe  auf  dem  Wege  der  Meta- 
stasenbildung eine  allgemeine  Erkrankung 
schwerer  Art  werden  kann,  ohne  daß  es 
dazu  der  Aushilfe  einer  sekundären  Infektion 
bedarf;  daß  die  Gonokokken  nicht  bloß  in 
der  Kontinuität  der  Harnorgane,  wo  sie  es 
allerdings  am  häufigsten  tun,  sondern  an 
Herz  und  Nerven,  an  Muskeln  und  Gelenken 
und  last  not  least  auch  auf  der  Haut  ihre 
Wirkungen  entfalten  können. 

Gerade  aber  für  die  Haut  scheint  mir 
diese  Feststellung  noch  nicht  allgemeine  Ver- 
breitung im  ärztlichen  Publikum  gefunden 
zu  haben.  Dieser  Umstand  mag  es  erklären, 
warum  ich  mich  mit  dieser  Mitteilung  an 
eine  größere  Öffentlichkeit  wende,  obwohl 
mir  an  eigenen  Beobachtungen  nur  5  zur 
Verfügung  stehen. 

Ich  werde  nun  erst  meine  5  Fälle*)  mit- 
teilen, dann  eine  Übersicht  über  das  bisher 
auf  diesem  Gebiete  Geleistete  geben  und 
eine  kurze  kritische  "Würdigung  der  Hypo- 
thesen über  die  Entstehung  der  gonorrhoi- 
schen Exanthem  anschließen. 

Eigene  Beobachtungen. 

I*  Fall*  Urticaria  alba  annularis  et  factitia  cum 
Gonorrhoea  totalis  subacuta  urethralia. 

Anamnese:  P.,  20  J.  alt,  will  Weihnachten 
1900  zuerst  Schmerzen  beim  Urin  lassen  and  eiterigen 
Harnröhren  ausfloß  an  sich  beobachtet  haben.  Teils 
ans  falscher  Scham,  teils  weil  die  Schmerzen 
schnell  verschwanden,  begab  sich  P.  nicht  in  eine 
ordnungsmäßige  Behandlang.  Etwa  6  Wochen  nach 
dem  ersten  Auftreten  der  Harnröhrenerkrankang  er- 
wachte er  eines  Morgens  mit  starkem  Jacken  am 
ganzen  Körper.  Eine  Betrachtung  seiner  Haut 
machte  ihn  ängstlich,  er  entdeckte  einen  „Haut- 
ausschlag", welcher  aus  „Blasen  and  Bläschen,  die 
fast  über  den  ganzen  Körper  verbreitet  waren", 
bestand.  Der  Hausarzt  seiner  Eltern  erklärte  das 
für  „Nesseln",  gab  äußerlich  ein  jucklinderndes 
Mittel  und  innerlich  Natr.  salicyl.  Hiernach  soll 
das  Jucken  nachgelassen  und  ein  Teil  der  „Blasen" 
verschwunden  sein.  Aber  in  den  nächsten  Wochen 
zeigten  sich  immer  wieder  Nachschübe,  und  P.  kam 
zu  mir  in  die  Sprechstunde;  ich  eruierte  folgendes : 

Objekt.  Befand:  5 — 10  mm  im  Durchmesser 
haltende,  ziemlich  derbe  weißliche  Erhabenheiten 
sind  über  einen  großen  Teil  der  Haut  verbreitet. 
Durch  Überstreichen  mit  dem  Fingernagel  entsteht 
ein  weißer  Streifen,  welcher  schnell  rot  wird  und 
dann  abblassend  qaaddelartig  sich  abhebt  Unter- 
suchung des  Urins  ergibt:  Trübung,  zahlreiche 
Trippenaden,  2  Gläserproben  beide  Male  -f-,  Harn- 
röhrenaasfloß  serös -eiterig,  zahlreiche  Gonokokken 
in  typischer  Lagerang  in  den  Zellen,  Schwellang 
der  Prostata,  Prostatasekret  enthält  gleichfalls  Gono- 
kokken. 

Diagnose:  Urticaria  alba  et  factitia  gonor- 
rhoica. 


*)  Seit  dieser  Niederschrift  habe  ich  wiederum 
2  Urtikariafalle   and  1  Erytbema  exsadationem  auf 

gonorrhoischer    Basis    mit    Gonokokkenbefund    in 
em  Exanthem  beobachtet,  welche  ich  demnächst 
publizieren  werde. 

Tfa.lL  1906. 


Therapie  und  Verlauf:  Die  Diagnose  wird 
bestätigt  durch  den  Verlauf  and  den  Erfolg  der 
Behandlung:  Die  angeordnete  Urethral -Therapie 
(Ausspülungen  nach  Jan  et  mit  Protargol-,  später 
Kai.  hypermangan.- Lösung,  zugleich  Massage  der 
Prostata)  —  innerliche  Mittel  werden  nicht  gegeben 
—  beseitigt  Gonokokken  aas  Sekret,  verwandelt 
dieses  in  ein  rein  seröses,  farbloses,  wässeriges,  und 
gleichzeitig  verschwindet  das  Jucken  und  die 
Neigung  zur  Quaddelbildung. 

Rezidiv:  Infolge  unzweckmäßiger  Lebensweise 
Rezidiv  der  Gonorrhoe  in  Verbindung  mit 
wieder  auftretendem,  wenn  auch  nicht  sehr 
ausgebreiteten  Quaddelausbruch. 

Heilang:  Endgültige  Heilang  der  Gonorrhoe 
beseitigt  die  Quaddelbildung  definitiv:  wenigstens 
schrieb  mir  P.,  daß  er  seit  1  Jahr  keine  Verände- 
rung der  Haut  mehr  bemerkt  hätte. 

II.  Fall.  Purpura  rheamatica  com  Gonorrhoea 
vaginae,  urethrae  et  cervicis. 

Anamnese:  P.,  30  J.,  verheiratet.  Mann 
wurde  von  mir  an  Gonorrhoe  behandelt.  Eines 
Tages  bittet  mich  dieser,  seine  Frau  zu  besuchen, 
die  „plötzlich"  eigentümliche  „Flecke"  auf  der  Haut 
der  „Unterschenkel"  bekommen  habe,  „dabei  fiebere 
und  aber  schmerzhaften  Harndrang  und  Schmerzen 
in  den  Kniegelenken  klage". 

Objekt.  Befand:  P.  bettlägerig,  T.  38,9 
(nachmittags  6  Uhr),  P.  96.  Schwellang  beider  Knie- 
gelenke. An  den  Unterschenkeln  zahlreiche  blau- 
rote erhabene  Flecke,  besonders  an  der  Streck- 
seite,  auf  Druck  nicht  verschwindend,  von  der 
Größe  eines  Stecknadelkopfes  bis  zu  Linsengröße, 
Bewegungen  in  den  Faß-  and  Kniegelenken  schmerz- 
haft, ebenso  Druck  auf  die  Unterschenkelmuskulatur. 
Befand  am  Genitale:  eiterige  Urethritis,  Vajnnitis, 
Catarrhus  cervicis,  Urin  trübe,  enthält  Eiweiß, 
mikroskopische  Untersuchung  des  Urethral-  und 
Vaginalselcretes  in  bezug  auf  Gonokokken  +,  des 
Cervikalsekretes  dagegen  negativ. 

Diagnose:  Purpura  rheumatica  gonorrhoica. 

Therapie  und  Verlauf:  Rahe,  Kompressen 
am  Gelenke,  leichte  kräftige  Diät,  keine  innere 
Medikation,  Behandlung  der  Urethritis  und  Vaginitis 
mit  Albarginlösung  (AI b argin  -Höchst).  Sofort  mit 
Beginn  der  antigonorrhoiscnen  Behandlung  sistiert 
das  Fortschreiten  der  Purparaflecke,  welche  anfangs 
die  Neigung  hatten,  nach  oben  hinauf  zu  kriechen. 
Schritt  für  Schritt  mit  dem  Abklingen  des  gonor- 
rhoischen Prozesses  verschwinden  die  Erscheinungen 
der  Purpura  rheumatica  auf  Nimmerwiederkehr. 

III.  Fall.  Erythema  exsudativum  multiforme 
cum  Gonorrhoea  urethrae. 

Anamnese:  P.,  24  J.  alt,  ledig,  will  seit 
14  Tagen  an  „Tripper8  leiden,  welchen  er  mit  Zink- 
einspritzangen bekämpft  hat.  Vor  drei  Tagen  hat 
er  zugleich  mit.  einer  Zunahme  der  Harnröhren- 
absonderung eine  auffällige  Veränderung  an  seiner 
Haut  bemerkt,  welche  ihn  zuerst  an  „Syphilis  denken 
ließ",  und  dies  Ereignis  treibt  ihn  in  meine  Sprech- 
stunde. (Wie  P.  mir  versichert,  hat  er  niemals  ein 
„Geschwür"  oder  Knoten  am  Gliede  gehabt.) 

Objekt.  Befund:  Urethritis  conorrh.  acuta 
anterior  et  posterior:  stark  eiteriges  Sekret,  welches 
sich  spontan  und  auf  Druck  entleert,  massenhaft 
Gonokokken  intrazellulär,  akzidenteller  (?)  Fand 
von  eosinophilen  Zellen.  Aaf  der  Haut  von 
Hand-  und  Faßrücken,  des  Rumpfes,  vereinzelt  auch 
im  Gesicht  Flecke  von  roter  oder  blauroter  Farbe, 
von  der  Größe  einer  Hirse  bis  zu  der  einer  Linse 
und  noch  größer,  ein  Fleck  am  Fußracken  von  fast 
der  Größe  eines  Dreimarkstückes,  welcher  in  der 
Mitte  dunkler,  am  Rande  heller  rot  gefärbt  ist. 
Die  Flecke  sind  ohne  körperliches  Unbehagen  auf- 

35 


460 


Orlipeki,   Gibt  •■  gonorrhoisch«  Exanthem«? 


rThempentlaehe 
L    Monatshefte. 


getreten,  haben  sich  teilweise  schnell  vergrößert. 
Auf  einigen  der  Flecke  haben  sich  Bläschen  ge- 
bildet. 

Diagnose:  Ery thema  exsudativum  multiforme 
(vesiculosum  s.  bullosum)  gonorrhoicum.  Das 
Fehlen  jeder  anderen  Ursache  für  das  Auftreten 
dieser  Hautveränderung  (keine  Verdauungsstörung, 
kein  epidemisches  Auftreten  in  der  Zeit  u.  s.  w.) 
ließen  mich  sofort  einen  inneren  Zusammenhang 
zwischen  beiden  Krankheiten  vermuten. 

Verlauf  und  Therapie:  Der  Erfolg  der 
Thorapie  bestätigte  die  Diagnose:  nur  mit  Verord- 
nung von  Ruhe  und  reizloser,  aber  kräftiger  Kost 
und  zugleich  erfolgender  Behandlung  der 
Gonorrhoe,  ohne  jede  äußere  oder  innere  Be- 
handlung (nur  auf  die  bläschentragenden  Flecke 
wurde  ein  Streupulver  aus  Acid.  salicyl.  u.  Magn. 
carbon.  getan),  schwindet  das  Exanthem  fast 
schrittweise  mit  der  Abnahme  der  gonor- 
rhoischen Erscheinungen. 

IT«  Fall«  Scarlatinaähnliches  Exanthem  bei 
Deferentitis  gonorrhoica. 

Anamnese:  P.  hat  sich  vor  6  Wochen  mit 
Gonorrhoe  infiziert,  der  von  ihm  konsultierte  Arzt 
verordnete  Injektionen.  Da  P.  beruflieft  sich  wenig 
schonen  kann,  viel  reisen  muß,  so  bekommt  er 
eines  Tages  Schmerzen  in  der  Leistengegend,  die 
ihm  das  Gehen  erschweren,  und  in  diesem  Zustande 
sucht  P.  mich  auf. 

Objekt.  Befund:  Urethritis  gonorrhoica 
anterior  et  posterior,  Deferentitis  gonorrhoica. 

Verlauf:  Ich  rate  P.  die  Injektionen  zu 
sistieren  und  empfehle  Bettruhe.  Wie  voraus- 
zusehn,  wird  Absonderung  stärker.  Wie  ich  P. 
abends  in  seinem  Hotelzimmer  aufsuche,  finde  ich 
ihn  mit  hochrotem  Kopf,  fieberglänzenden  Augen, 
in  sichtlicher  Unruhe.  P.  klagt  über  Kopfweh, 
Eingenommenheit,  Temp.  39,5.  Schmerzbaftigkeit 
und  Schwellung  des  Samenstranges  nachgelassen, 
Nebenhoden  noch  frei,  Harnröhrensekret  sehr  reich- 
lich, Gonokokken  massenhaft,  Urin  enthält  Spuren 
von  Eiweiß.  Am  nächsten  Tage  Temp.  38,7,  Kopf- 
weh geringer,  etwas  Schlaf  in  der  Nacht,  auf  der 
Haut  des  Bauches,  der  Brust,  der  Ober- 
schenkel und  der  Arme  zeigt  sich  ein 
scharlachähnliches  Exanthem,  welches  an 
den  Armen  bereits  abzuschuppen  beginnt.  Am 
Abend  dieses  Tages  Temp.  37,0,  der  am  Morgen 
erst  entdeckte  Hautausschlag  ist  jetzt  bereits  überall 
in  starker  Abschuppung  begriffen,  in  2  Tagen  war 
die  Abschuppung  vollendet,  von  dem  „Scharlach"- 
Ausschlag  war  nichts  mehr  zu  sehn. 

Epikrise:  Während  der  Exazerbation  einer 
gonorrhoischen  Infektion  war  hier  ein  scarlatina- 
ähnliches Exanthem  aufgetreten,  welches  nach  seinem 
Verlauf  und  schnellem  verschwinden  nur  als  gonor- 
rhoischen Ursprunges  zu  erklären  ist. 

Während  ich  diese  Arbeit  niederschreibe, 
hatte  ich  Gelegenheit,  einen  5.  sichern  Fall 
von  Haut- Anomalie  in  ursächlichem  Zu- 
sammenhang mit  Gonorrhoe,  und  zwar  dies- 
mal chronischer  Gonorrhoe,  kennen  zu  lernen. 

V.  Fall«     Urticaria  gonorrhoica. 

Anamnese:  P.,  Kaufmann  von  außerhalb,  gibt 
an  vor  15  Jahren  schon  einmal  Tripper  gehabt  zu 
haben,  der  mit  Hodenentzündung  einhergegangen 
sei,  und  gibt  ferner  an,  daß  er  damals  einen 
quaddelartigen  Ausschlag  auf  der  Haut 
längere  Zeit  gehabt  hatte,  welcher  durch 
starkes  Jucken  ihn  arg  gepeinigt,  zeitweise  leicht 
und  dann  wieder  stärker  aufgetreten  sei  und 
—  auch  für  den  Patienten  in  auffälliger  Weise  — 


erst  dann  aufgehört  hätte,  als  er  von  seinem 
Tripper  befreit  war.  Darüber  seien  13  Jahre 
hingegangen,  ohne  geschlechtliche  Infektion,  ohne 
sonstige  Krankheit.  Vor  2  Jahren  hatte  er  das 
Unglück,  sich  wieder  frisch  mit  Tripper  anzustecken; 
und  dieses  Mal  war  die  Krankheit  äußerst  hart- 
näckig, dergestalt,  daß  er  trotz  mehrfacher  Behand- 
lung noch  jetzt  an  einem  dünnflüssigen,  bald 
milchigen,  bald  farblosen  Harnröhrenfluß  leidet. 
Obwohl  er  infolge  der  vielfach  vergeblich  ver- 
suchten Heil  versuche  „gegen  die  Krankheit  all- 
mählich indifferent"  geworden  sei,  müßte  er  doch 
wieder  einen  Arzt  befragen:  denn  seit  14  Tagen 
habe  sich  dieselbe  Hauterscheinung  gezeigt, 
welche  ihn  schon  vor  15  Jahren  bei  seinem  ersten 
Tripper  belästigte:  nämlich  ein  über  den  ganzen 
Körper  bald  schwach,  bald  stärker  auftretendes 
Jucken  mit  Quaddelbildung.  Dies  der  Bericht  des  P. 

Objekt.  Befund:  Auf  Bauch-  un d  Brusthaut 
mehrere  linsen-  bis  markstückgroße  weißliche  Er- 
habenheiten. Macht  man  mit  dem  Finger- 
nagel auf  der  Haut  einen  mäßig  starken 
Strich,  so  tritt  nach  augenblicklichem  Ver- 
schwinden des  Erblassens  der  berührten 
Hautstjelle  eine  deutliche  Rötung  und 
Schwellung  derselben  ein.  Außerdem:  Ure- 
thritis gonorrh.  posterior,  Prostatitis  subacuta, 
Prostatasekret  gelb -eiterig,  zahlreiche  Zellen,  Gono- 
kokken, Uringläserprobe  beide  Male  positiv.  Urin 
enthält  kein  Eiweiß. 

Diagnose:  Urticaria  alba  et  factitia  gonor- 
rhoica. 

Verlauf  und  Therapie:  Prostata- Massage, 
Urethral -Druckirrigationen  mit  Alb  argin-  und 
dann  hypermang.  Kai.  -Lösung.  Innerlich  nichts. 
Kein  äußeres  Mittel  für  die  Haut.  4  wöchentliche 
Behandlung  der  Gonorrhoe  beseitigt  die  Tripper- 
reste und  damit  verschwindet  zugleich  auch 
vollständig  die  vorhanden  gewesene  Nei- 
gung zur  Quaddelbildung. 

Das  sind  die  5  Beobachtungen  ans  meiner 
Praxis,  welche  mir  den  schon  an  und  für 
sich  theoretisch  sehr  einleuchtenden  Zusam- 
menhang zwischen  Gonorrhoe  und  gewissen 
Hauterkrankungen  im  Sinne  des  sicheren 
Vorkommens  gonorrhoischer  Hautmanifesta- 
tionen zur  wissenschaftlichen  Überzeugung 
erhoben.  Diese  Fälle  liegen  so,  daß,  wollte 
man  hier  einen  Kausalnexus  leugnen,  man 
den  Dingen  geradezu  Gewalt  antun  müßte.  — 
Die  Hauterscheinungen  betrafen  Leute,  welche 
vor  ihrer  Erkrankung  an  Gonorrhoe  an  Haut- 
erkrankungen  nicht  gelitten  hatten.  Die  Ver- 
änderungen traten  bisweilen  nicht  bloß  wäh- 
rend des  Bestehens  einer  gonorrhoischen 
Genitalaffektion,  sondern  mit  Vorliebe  gerade 
dann  auf,  wenn  diese  aus  irgend  einem  Grunde 
eine  Exazerbation  erlebt  hatte.  Störungen 
von  seiten  der  Verdauungsorgane  waren  in 
meinen  Fällen  nicht  vorhanden,  obwohl  sonst 
bekanntlich  Koprostase  eine  häufige  Kon- 
sequenz der  Tripperinfektion  zu  sein  pflegt. 
Irgendwelche  innere  Medikation,  welche  es 
erlaubt  hätte,  an  Arzneiexantheme  zu  denken, 
hatte  in  meinen  5  Fällen  gleichfalls  nicht 
stattgefunden.  In  dem  einen  Falle  (I)  kam 
es    zu    einem    Rezidiv    der  Gonorrhoe,    und 


X IX.  Jahrgang.  "I 
September  190&J 


Orlipskl,  Gibt  «s  gonorrhoisch«  Exanthem«? 


461 


siebe  da,  auch  die  Hauterscheinungen,  in 
diesem  Falle  eine  Urticaria,  stellen  sich 
wieder  ein.  Im  Falle  Y  kommt  es  bei  zwei 
zeitlich  um  15  Jahre  auseinanderliegenden 
Gonokokkeninvasionen  beide  Male  zu  der- 
selben Form  von  Hauterscheinung.  In  einem 
Falle  wird  gegen  die  Hautveränderung  ein 
Mittel  verwendet,  was  sonst  derartige  Er- 
scheinungen sicher  bekämpft.  Vergebens;  nur 
die  urethrale,  d.  h.  antigonorrhoische  =  ätio- 
logische Therapie  hilft;  denn  prompt  mit 
der  Abheilung  der  Gonorrhoe  verschwindet 
auch  die  Neigung  zu  Erkrankungen  der  Haut. 
Bei  dieser  Sachlage  dürfte  es  schwer  halten, 
an  einen  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen 
Gonorrhoe  und  Hautaffektionen  nicht  zu 
glauben,  die  Lehre  von  der  Existenz  der- 
artiger Exantheme  nicht  zum  festen  Besitz- 
stande der  medizinischen  Erkenntnis  zu  er- 
heben.  — 

Sehen    wir    uns    in    der    Literatur    nach 
ähnlichen  Beobachtungen  um,  so  müssen  wir 
zurückgreifen  auf  das  18.  Jahrhundert.    Denn, 
wie  oben  schon  einmal  bemerkt,  wurde  bereits 
1781    von    einem  damaligen   Berliner  Arzte 
Seile   der  Satz  aufgestellt,   daß  „durch  Re- 
sorption von  Trippereiter  Hautausschläge  ent- 
stehen   können a.     Seile    führt    auch   einige 
Krankengeschichten  kurz  an.    Doch,  wie  wir 
es   oft  in   der   Geschichte   der  Wissenschaft, 
und  speziell  der  medizinischen,  erleben,  diese 
Beobachtung  wurde  vergessen  oder,  was  noch 
schlimmer,  einer  Beachtung  nicht  gewürdigt. 
Aber    grundlegende   Wahrheiten    lassen   sich 
nicht   totschweigen;   allem  Druck  zum  Trotz 
kehren  sie  gleichwohl  immer  wieder:  Naturam 
expellas  furca,   tarnen   usque   recurret.     Der 
Pariser  Dermatologe  Pidoux14)  erweckt  die 
lange    begraben    gewesene  Frage    zu    neuem 
Leben,   indem   er   1866   auf  die  Möglichkeit 
der   Verbindung    von    Gonorrhoe    mit   Haut- 
ausschlägen  hinweist.     Pidoux   ist   geneigt, 
die    Tatsache    des    Vorkommens    von    Haut- 
erscheinungen   bei    Tripper    als    Beweis    für 
seine  Hypothese  von  der  diabetischen  Natur 
des   Trippers   zu  betrachten.     Nach  Pidoux 
schafft  der  Tripper  stets  einex&hnliche  Blut- 
entmischung wie  Masern,  Scharlach,  Typhus, 
welche  gleichfalls  mit  Hauterscheinungen  ein- 
hergehen,  und,    so   wie   hier  die   Hautmani- 
festationen  der   äußere  Ausdruck  einer  Djs- 
krasie   seien,   genau   so   verhalte  es  sich  mit 
den  Tripperexanthemen.  —   Ganz  abgesehen 
von  dieser  Erklärung,  über  die  wir  am  Schluß 
der  Arbeit  noch  sprechen  werden,  hat  Pidoux 
das   Verdienst,    auf    die    Koinzidenz    beider 
Organanomalien  hingewiesen  und   die    ganze 
Frage    wieder    in    Fluß    gebracht  zu   haben. 
Denn     schon     im     nächsten    Jahre     kommt 
Fournier16)  mit  einer  sehr  bemerkenswerten 


Arbeit,  in  der  er  allerdings  Pidoux'  Er- 
klärungsversuch bekämpft,  aber  in  der  Haupt- 
sache sich  als  entschiedenen  Anhänger  der 
Lehre  des  Vorkommens  gonorrhoischer  Ex- 
antheme bekennt. 

Jedenfalls  mehren  sich  jetzt  die  Mit- 
teilungen einschlägiger  Fälle:  1868  be- 
schreibt Meuriot16)  einen  Fall,  wo  im  Ver- 
laufe eines  Trippers  „Gelenkerscheinungen, 
Endokarditis  und  Hautausbruch u  stattfand. 
Meuriot  schildert  „runde,  dreimarkstück- 
große Ekchymosen  und  unter  der  erhabenen 
Epidermis  eine  seröse  schwärzliche  Flüssig- 
keit an  der  rechten  Schulter,  ähnliche  Stellen 
am  Penis,  hinter  dem  rechten  Ohr,  an  der 
rechten  Brustseite,  an  der  inneren  Seite  des 
rechten  Ellbogengelenkes,  in  der  Nähe  des 
rechten  Knies,  des  rechten  Trochanter  und 
endlich  in  der  Umgebung  des  rechten  Malle- 
olus  internus".  In  Verbindung  mit  den  Ge- 
lenkerscheinungen ergibt  das  jedenfalls  das 
Bild  der  Purpura  rheumatica  —  auf  gonor- 
rhoischer Basis.  — 

Auf  Meuriot  folgt  Molenes17).  In  der 
Arbeit  „Sur  un  cas  d'erytheme  blennorrha- 
gique"  erkennen  wir  bereits  die  Wirkung  der 
Ne  iß  er  sehen  Entdeckung;  denn  Molenes 
beschuldigt  direkt  als  Erzeuger  der  Haut- 
manifestationen den  Gonokokkus.  —  Die 
Darstellung  Molenes'  war  so  beweiskräftig, 
daß  Finger18)  (Wien)  daraufhin  ohne  weiteres 
die  Existenz  gonorrhoischer  Ilautanomalien 
zugibt;  und  kurz  darauf,  1880,  ist  Finger 
bereits  in  der  Lage,  aus  eigener  Beobachtung 
drei  Fälle  von  Purpura  rheumatica  blennor- 
rhagica  mitzuteilen,  in  welchen  der  Verlauf, 
die  Beeinflussung  des  eines  Krankheitspro- 
zesses durch  den  anderen  und  die  Therapie 
einen  Zusammenhang  zwischen  Tripper  und 
Hautkrankheit  beweisen.  Diese  Fing  ersehe 
Arbeit  erscheint  mir  für  die  vorliegende 
Frage  von  solcher  Bedeutung,  daß  ich  wenig- 
stens eine  der  drei  Krankengeschichten  nach 
Finger  hier  kurz  skizzieren  mochte. 

Fingers  Fall  I.  Purpura  rheumatica  gonor 
rhoiea. 

Anamnese:  P.,  26  J.  alte  Magd,  am  31.  März 
1880  aufgenommen,  bis  vor  2  Tagen  gesund  ge- 
wesen, plötzlich  abends  Schüttelfrost,  in  der  Nacht 
schmerzhafter  Harndrang,  Brennen  beim  Urinlassen, 
Schmerzen  in  den  Gelenken  und  am  nächsten 
Morgen  „Ausschlag  an  den  Beinen". 

Objekt.  Befund:  An  den  Streckeeiten  der 
Beine  besonders  dicht  gedrängte,  teils  flache,  teils 
über  die  Hautfläche  erhabene  Hämorrhagien  von 
der  Größe  eines  Stecknadelkopfes  bis  zu  der  einer 
Linse.  Bewegung  im  Fuß-  und  Kniegelenk  schmerz- 
haft, Druck  auf  Wadenmuskulatur  schmerzhaft. 
Schleimhaut  der  Vagina  und  des  Vestibulum  mäßig 
gerötet,  aus  der  Harnröhre  eiteriges  Sekret  aus- 
druckbar, Harn  setzt  schleimiges,  mit  wenigen  Blut- 
gerinnseln gemischtes  Sediment  in  reichlicher  Menge 
ab,  reichlich  Albumen.     Temp.  nicht  erhöht. 

35* 


462 


Orllpeki,  Qibt  ••  fonorrhoitefae  Exantheme? 


("Therapeut! 
L   Monatihei 


ntlaeka 
Moa&tahftfte. 


Verlauf:  Bis  zum  14.  April  blaßt  die  Purpura 
ab,  ohne  Nachschübe,  Gelenkschmerzen  lassen  nach, 
Harn  wird  frei  von  Eiweiß,  Harnröhrensekret  ver- 
schwindet unter  Zinkeinspritzung. 

Rezidiv:  Am  16.  April  war  in  der  Nacht  von 
neuem  unter  Gelenkschmerzen  und  vermehrtem 
Harndrang  Purpura  aufgetreten,  im  Harn  Eiweiß 
und  Blat.  Bis  zum  1.  Mai  verlieren  sich  unter  geeig- 
neter Behandlung  die  Purpura  und  die  Gonorrhoe- 
Erscheinungen. 

Fingers  drei  Fälle  lehren,  daß  wenig- 
stens Purpura  rheumatica  auf  gonorrhoischer 
Grundlage  entstehen  kann. 

Mit  Finger  schließen  aber  die  Arbeiten 
auf  diesem  Gebiete  nicht  ab.  "Wir  lernen 
eine  Schrift  von  L.Andret19)  kennen  (1884): 
„Des  manifestations  cutan£es  de  la  blennor- 
rhagiea,  in  welcher  folgende  Thesen  auf- 
gestellt werden:  1.  Die  Gonorrhoe  ist  eine 
virulente,  der  Verallgemeinerung  fähige 
Krankheit.  2.  Die  Gonorrhoe  äußert  sich 
auf  der  Haut  a)  in  Form  lymphatisch -her- 
petischer Ausschläge,  b)  als  knotiges  und 
papuloses  Erythem,  c)  als  scharlachähnliches 
Exanthem.  —  Fugen  wir  hinzu,  daß  Purpura 
und  Urticaria  gonorrhoica  vorkommen,  so 
dürfte  diese  Darstellung  an  Vollständigkeit 
gewinnen.   — 

Es  folgt  Ballets80)  Abhandlung  über 
„Pseudo-Scarlatina",  Michelsohns81)  Mit- 
teilungen von  Urticaria  bei  Gonorrhoe, 
Arbeiten  von  Petrone  und  Klippel  über 
gonorrhoische  Exantheme  und  "W.  A.  Phi- 
lipp 8  **)  Publikation  über  den  Zusammen- 
hang von  Purpura  mit  Gonorrhoe,  mit  Er- 
wähnung eines  Falles,  in  welchem  Flecke 
auf  der  Haut  auftraten,  die  teils  denen  des 
Erythema  nodosum,  teils  denen  der  Purpura 
urticans  ähnlich  waren,  und  schließlich  der 
Fall  von  Pick28),  wo  quaddelformiger  Haut- 
ausschlag bei  einer  gonorrhoisch  infizierten 
Frau  aufgetreten  war  und  mit  Ablauf  des 
gonorrhoischen  Prozesses  die  Urticariaanfälle 
auf  horten.   — 

Die  Mitteilungen  über  gonorrhoische  Haut- 
erkrankungen treten  nun  immer'  zahlreicher 
auf.  Menard84)  veröffentlicht  fünf  Fälle; 
Perrin25)  bespricht  einen  Fall  von  Erythem 
bei  Gonorrhoe,  E.  Frank26)  eine  Urticaria 
gonorrhoica,  und  schließlich  folgt  Ray- 
naud87) mit  drei  sehr  interessanten  Beob- 
achtungen. 

Raynaud.  Fall  I  litt  an  chronischem 
Tripper  und  bot  im  Verlaufe  von  3  Monaten 
anfangs  ein  skarlatinöses,  dann  ein  herpeti- 
formes,  zuletzt  ein  ekzematöses  Exanthem. 

Raynaud.  Fall  II  erkrankte  während 
des  Bestehens  einer  Gonorrhoe  an  einem 
fünf  Tage  dauernden,  rubeolaähnlichen  Aus- 
schlag, welcher  ohne  Beschwerden,  ohne 
Fieber  abheilte. 


Raynaud.  Fall  III  machte  anfangs  die 
Diagnose  zweifelhaft  zwischen  Scarlatina, 
Purpura  oder  gonorrhoischem  Exanthem; 
Raynaud  entschied  sich  für  Purpura  gonor- 
rhoica, weil  stets  mit  zunehmender  Intensität  I 
des  Ausflusses  eine  Exazerbation  des  Ex- 
anthems erfolgte. 

Erwähne  ich  nun  noch  die  Arbeiten  von 
Paltauf11)  und  Horwitz11),  so  betreten 
wir  modern -bakteriologischen  Boden,  indem 
hier  zum  ersten  Male  die  Hautaffektion  als 
echte  Gonokokkenmetastase  —  auch  nach 
dem  bakteriologischen,  nicht  bloß  dem  klini- 
schen Befund  —  erklärt  wird. 

In  ähnlichem  Sinne  bewegt  sich  eine 
bakteriologische  Untersuchung  von  Sahli19) 
(Bern),  welcher  den  Gonokokkus  in  Haut- 
un d  Unterhautabszessen  fand,  und  schließ- 
lich zwei  Beobachtungen  Toutonsf8),  der  in 
Herpesb laschen  „Diplokokken  fand,  welche  von 
Gonokokken  nicht  zu  unterscheiden  waren", 
und  andererseits  in  vier  Fällen  von  Gonorrhoe 
ein  mit  rheumatischen  Empfindungen  im  An- 
satz des  Calcaneus  (sogen.  Achillodynie)  ein- 
hergehendes. Erythema  multiforme  ursächlich 
auf  Verschleppung  von  Gonokokken  zurück- 
führte. 

Das  ist  alles,  was  mir  aus  der  Literatur 
über  diesen  Gegenstand  zugänglich  war. 
Das  Vorkommen  einer  Hautkomplikation  des 
Trippers  ist  hiernach  wohl  über  jeden  Zweifel 
erhaben,  wenn  auch  merkwürdigerweise  immer 
noch  nicht  genügend  bekannt.  — 

Es  bleibt  noch  übrig,  die  Frage  zu  be- 
antworten: "Wie  entstehen  diese  Hautver- 
änderungen? Soweit  ich  sehe,  hat  man  im 
Laufe  der  Zeit  6  verschiedene  Erklärungs- 
wege eingeschlagen,  und  zwar:  Das  Tripper- 
exanthem  sei 

1.  eine  Erscheinungsform  der  Tripper- 
diathese, 

2.  ein  Arzneiexanthem, 

3.  eine  Folge  der  mit  Gonorrhoe  häufig 
vergesellschafteten  Koprostase ,  also 
eine  Autointoxikation  vom  Darme  her, 

4.  eine  Angioneurose, 

5.  eine  Gonokokkenmetastase, 

6.  eine  Gonokokkentoxin  Wirkung. 
Treten     wir     nun     noch     kurz     in     eine 

kritische  Würdigung  dieser  verschiedenen 
Hypothesen  ein,  so  wollte  Pidoux,  der 
Vater  der  Lehre  Ton  der  Tripperdiathese, 
das  gonorrhoische  Exanthem  nach  Analogie 
der  bei  Syphilis,  Tuberkulose,  Lepra  auf- 
tretenden Hautveränderungen  aufgefaßt  wissen 
als  Symptom  einer  durch  die  Tripperkrank- 
heit bewirkten  Blutveränderung.  Obwohl 
damals  die  Mikrobe  der  Gonorrhoe  noch 
nicht  gefunden  war,  mutet  uns  doch  diese 
Hypothese  wie   eine  Vorahnung   dieser  Ent- 


J 


XIX.  Jahrgang.  *1 
September  190S.J 


Orlipski,  Gibt  —  gonorrhoisch*  Exantheme? 


463 


deckung  an.  Aber  trotz  dieses  guten  Kernes 
wurde  sie  hauptsächlich  bekämpft  von  Four- 
nier, welcher  alles  mit  Hilfe  der  mit  dem 
Tripper  verbundenen  Anomalien  des  Allge- 
meinbefindens erklärt;  nur  die  Epididymitis, 
Prostatitis,  Cystitis,  Adenitis  inguinalis  seien 
wirkliche  Trippererscheinungen,  die  Ex- 
antheme dagegen  durch  die  mit  dem  Tripper 
verbundene  und  durch  die  Tripperkur  ver- 
änderte Lebensweise  zu  erklären.  „Der 
menschliche  Körper*  —  sagt  Fournier16)  — 
„wird  durch  die  Eiterung,  durch  Schmerzen, 
Erektionen,  Säfteverluste,  durch  die  infolge 
der  Therapie  oft  entstehenden  Darmkatarrhe 
u.  s.  w.  in  seiner  Ernährung  sehr  beein- 
trächtigt. Endlich  ist  der  psychische  Zustand, 
die  ängstliche  Gemütsstimmung,  die  Hypo- 
chondrie, der  moralische  Zustand  des  Kran- 
ken nicht  gering  anzuschlagen.  Der  Kranke 
nimmt  aus  Sorge  um  seinen  Zustand  keine, 
wenig  oder  ungeeignete  Nahrung  zu  sich,  ent- 
behrt der  Bewegung  in  frischer  Luft  u.  s.  w.  — 
Kurz,  es  wirken  eine  Menge  von  Umständen 
auf  den  Kranken  ein,  welche  seine  Korper- 
ernährung herabsetzen.  Man  wundere  sich 
also  nicht,  daß  ein  Tripperkranker  mit 
schlechter  Ernährung,  bei  schwächlichem 
Körper,  bei  früher  unabhängig  von  Tripper 
habituellen  Hautaffektionen  vielleicht  auch 
jetzt  unter  diese  begünstigenden  Umständen 
Eruptionen  auf  der  Haut  bekommt.  Man 
beachte  diese  Erfahrungen  nicht  als  direkte, 
sondern  als  mittelbare  Folgen  des  Trippers 
und  lasse  die  Tripperdiathese  bei  Seite." 

Gegen  die  von  Fournier  gegebene  Er- 
klärung der  gonorrhoischen  Exantheme  möchte 
ich  mir  einzuwenden  erlauben,  daß  die  von 
ihm  geschilderten  Ursachen  bei  allen  Tripper- 
kranken vorliegen;  gonorrhoische  Exantheme 
bekommen  aber  doch  nur  einige  wenige. 

2.  Arzneiexanthemhypothese.  Man  er- 
klärt das  Exanthem  als  Wirkung  der  bei 
Gonorrhoe  gereichten  Balsamica  (Kubebe, 
Kopaivabalsam,  Sandelholzöl  u.  s.  w.).  Balsa- 
mische Hautaffektionen  sind  bekannt.  1817 
hat  bereits  Montegre  darauf  hingewiesen. 
L.  Lewin29)  erklärt  sie  für  eine  „örtliche 
Wirkung  der  in  die  Haut  gelangten  flüchtigen 
Terpene  des  Balsams",  welche  die  Haut  als 
Ausgangspforte  aus  dem  Körper  benutzen 
und  an  den  Ausscheidungsplätzen  Reizungen 
hervorrufen.  —  Wenn  das  auch  zugegeben 
werden  kann,  so  möchte  ich  gegen  die  Hypo- 
these des  Arzneiexanthems  einwenden: 

1.  Es  gibt  viele  Fälle  von  Gonorrhoe 
ohne  Exanthem,  wo  von  Anfang  an 
eine  innere  Medikation  stattfand. 

2.  Es  ist  Tatsache,  daß  Balsamica,  bei 
anderen  Krankheiten  gegeben,  viel  sel- 
tener Erytheme  erzeugen.  (Molen es.) 


3.  Es  gibt  eine  Reihe  von  Fällen  mit 
gonorrhoischem  Exanthem,  wo  kein 
Tropfen  Balsam  genommen  wurde. 

Schließlich  scheinen  mir  die  balsamischen 
Exantheme  doch  anders  als  die  hier  in  Rede 
stehenden  zu  sein;  denn  man  kennt  wohl 
Uticaria  und  papulöse  Ausschläge  ex  balsa- 
micis,  aber  von  Purpura-Eruptionen  habe  ich 
nichts  finden  können,  welche  doch  gerade 
bei  Gonorrhoe  häufiger  vorzukommen  pflegen ; 
auch  das  gonorrhoische  Erythema  multiforme 
finde  ich  als  Balsamnebenwirkung  nirgends 
erwähnt.   — 

3.  Ein  anderer  Erklärungsversuch  rührt 
von  M.  Flesch30)  her;  als  ob  gonorrhoische 
Exantheme  nur  bei  Männern  auftreten,  führt 
er  die  bei  Gonorrhoe  der  Männer  so  häufig, 
nach  Flesch  stets  vorhandene  Prostata- 
schwellung als  Ursache  von  Koprostase,  da- 
mit als  Veranlassung  zu  autochthoner  Darm- 
intoxikation an,  die  sich  in  Hautaffektionen 
äußern  könne. 

Nun  ist  es  ja  zweifellos,  daß  auf  dem 
Boden  einer  Koprostase  eine  Selbstvergiftung 
vom  Darme  her  sich  entwickeln  kann.  Wissen 
wir  doch  durch  eine  erst  vor  kurzem  er- 
schienene Arbeit  Wallersteins31))  daß  es 
gelingt,  durch  experimentelle  Obstipation  an 
Hunden  und  Kaninchen  Albuminurie  und 
Zylindrurie  zu  erzeugen,  und  bei  Autopsie 
hat  man  in  den  Nieren  Blutfüllung  der 
Glomerulu8kapillaren,  in  den  gewundenen 
Harnkanälchen  Desquamation  des  Nieren- 
epithels, teilweise  zylinderförmige  Gebilde 
aus  degenerierten  Zellen,  in  den  Henleschen 
Schleifen  Cytoporose,  reichliche  Zylinder- 
bildung —  alles  erst  als  Folge  der  Obsti- 
pation —  festgestellt,  genau  dasselbe,  was 
auch  bei  chemischer  Vergiftung  (Sublimat, 
Kantharidin)  in  den  Renes  konstatiert  wird. 
Wenn  solche  Veränderungen  an  den  Nieren 
Platz  greifen  können,  so  kann  man  es  schwer 
für  die  Haut  ausschließen;  was  den  Nieren 
recht  ist,  ist  der  Haut  vielleicht  billig. 

Aber  gleichwohl  erscheint  mir  die  Flesch - 
sehe  Hypothese  nicht  stichhaltig;  denn  erstens 
kennen  wir  gonorrhoische  Exantheme  des 
weiblichen  Geschlechts,  welches  bekanntlich 
keine  Prostata  oder  etwas  ihr  Ähnliches  be- 
sitzt; zweitens  habe  ich  Fälle  von  Gonorrhoe 
gesehen,  wo  die  akuteste  Prostatitis  mit 
Schwellung  der  Drüse  zu  schwersten  De- 
fäkationsstörungen  führte,  ohne  daß  auch 
nur    eine   Spur    von   Exanthem    sich   zeigte. 

Hiernach  bin  ich  geneigt,  dieser  Er- 
klärung nur  eine  gelegentliche  Bedeutung, 
keine  wesentliche,  beizumessen. 

4.  Angioneurose.  Perrin25)  erklärt  die 
gonorrhoischen  Exantheme  für  Angioneurosen, 
bewirkt  durch  den  Reiz,  welchen  die  Gonor- 


464 


Orliptki,  Qlbt  es  gonorrhoisch«  Exantheme? 


[Therapeutische 
L   Monatshefte. 


rhoe  auf  die  Vasomotoren  ausübe.  „Auch 
Balsamica  seien  für  sich  allein  nicht  imstande, 
Erytheme  zu  erzeugen,  sie  täten  das  nur 
auf  einem  von  der  Gonorrhoe  vor- 
bereiteten   Boden." 

Frank36)  neigt  zu  der  Annahme,  daß 
die  Uticariaeruptionen  bei  Tripper  auf  neu- 
ritischer  Grundlage  beruhen:  „Es  ist  der 
kontinuierliche  Reiz  von  Seiten  des  Genital- 
systems, welcher  die  veränderte  Erregbarkeit 
der  vasomotorischen  Nerven  zur  Folge  hat, 
andererseits  sehen  wir  in  der  periodischen 
Steigerung  der  Eruption,  daß  die  normalen 
Funktionen  der  Genitalien  als  auslösender 
Reiz  anzusehen  sind."   — 

Daß  in  der  Tat  Reizungen,  welche  vom 
Genitaltrakt  ausgehen,  öfter  Exantheme 
machen,  dafür  wird  angeführt  die  starke 
Pigmentation  der  Brustwarzen  und  der  Linea 
alba  zur  Zeit  der  Schwangerschaft,  das  Auf- 
treten von  Hautverfärbung  während  der  Men- 
struation. Schon  Hebra  hatte  1855  auf 
einen  solchen  Zusammenhang  hingewiesen; 
in  einer  Schrift  „Über  das  Verhältnis  einzelner 
Hautkrankheiten  zu  den  Vorgängen  in  den 
inneren  Sexualorganen  des  Weibes"  ("Wochen- 
blatt der  „Zeitschrift  der  Gesellschaft  der 
Ärzte")  spricht  Hebra  es  aus,  daß  „solche 
Exantheme  einer  örtlichen  Behandlung 
nicht  weichen,  sondern  nur  durch  die 
Heilung  des  Grundübels,  des  Sexual- 
leidens,   beseitigt  werden   müssen". 

Menstruale  Exantheme  beschreiben  ferner 
Stiller38),  Wilhelm33),  Joseph34),  nämlich 
Urticaria,  Ekchymosen,  Ekzem,  Akne  u.  s.  w. 

Das  wird  als  Beweis  für  die  Möglichkeit 
reflektorischer,  d.  h.  neuritischer  resp.  vaso- 
motorischer Entstehung  von  Hautexanthemen 
angesehen. 

G.  Lewin35)  gelang  es,  durch  mechanische 
Reizung  der  Harnröhre  Erythem  hervorzu- 
rufen, und  Lewin  erklärt  das  Erythema 
exsudativum,  auch  das  gonorrhoische,  für 
eine  vasomotorische  Neurose,  ähnlich 
sein   Schüler  Heller36). 

Wir  können  mit  dieser  Annahme  uns 
einverstanden  erklären,  selbst  wenn  wir  in 
dem  speziellen  Fall  der  Gonorrhoe  in  dem 
Kokkus  oder  seinem  Toxin  den  vasomotori- 
schen Reiz  erblicken. 

5.  und  6.  Reine  Gonokokkenmetastase 
oder  Trippergiftwirkung  —  ohne  das  Binde- 
glied der  Angioneurose. 

Da  man  die  Gonokokken  in  Haut  und 
Unterhaut  gefunden  (cf.  Sahli,  Paltauf, 
Touton),  so  erscheint  es  mir  durchaus  mög- 
lich, daß  die  Gonokokken  in  die  Haut-Blut- 
Lymphgefäße  verschleppt,  in  dem  Gewebe 
der  Haut  angesiedelt  werden  und  nun  ent- 
weder direkt  Hautveränderungen  hervorrufen 


oder  durch  ihr  Toxin.  In  einer  Reihe  von 
Fällen  sind  es  sicher  nur  die  giftigen  Stoff- 
wechselprodukte ,  welche  die  Exantheme 
machen.  So  erklären  wir  uns  die  Exantheme 
bei  Masern,  Scharlach,  Diphtherie,  Röteln, 
Pocken,  Windpocken,  Typhus  und  Syphilis, 
so  auch  die  nach  Tuberkulin-  und  Diphtherie- 
seruminjektion beobachteten  Exantheme ;  genau 
so  verhält  es  sich  mit  manchen  Exanthemen 
im  Gefolge  der  Gonorrhoe.  (Buschke37) 
veröffentlichte  neuerdings  drei  Fälle  von 
Gonorrhoe,  bei  denen  ein  typisches  Erythema 
nodosum  auftrat,  dessen  Entstehung  er  auf 
Toxinwirkung  zurückführt.) 

Hiermit  bin  ich  am  Schluß.  Meine  Ab- 
sicht ist,  auch  meinerseits  in  bescheidenem 
Umfange  dazu  beizutragen,  daß  die  .Ärzte 
auf  dieses  wichtige  Gebiet  noch  mehr  wie 
bisher  aufmerksam  werden;  geschieht  dies, 
so  ist  der  Zweck  dieser  Arbeit  erfüllt. 

Literatur  -  Verzeichnis, 

1.  Musgrave,   De  arthrit.  symptom.  1723. 

2.  Seile,   Med.  Klinik.    Berlin  1781. 

3.  Emil  Noeggerath,   Die   latente    Gonorrhoe 

im  weiblichen  Geschlecht.  Cohen  &  Sohn, 
Bonn  1872. 

4.  Neißer,    „Über  eine  der  Gonorrhoe  eigentüm- 

liche Mikrokokkenform".  Zentral bl.  f.  d.  med. 
Wissensch.   1879,  XVII,  No.  28. 

5.  Bumne,    „Der  Mikroorganismus  der  gonorrh. 

Schleim  hauterkrank  ung".  Wiesbaden  1887. 
Schmidts  Jahrbach  218,  S.  106  ff. 

6.  Ger  heim,    „Misch -Infektion  bei  Gonorrhoe*. 

1888,  Würzburger  Verh.  d.  phys.-med.  Ges. 

6a.    Jacob  Weber,  „Beitrage  zur  Häufigkeit  der 

Tripperkomplikationen".    Inaug.-Diss.  1889. 

7.  D  in  kl  er*   „Über  Gonokokken   im   Hornhaut- 

Irisgewebe  nach  perforierter  Keratitis  infolge 
gonorrh.  Conjunctiva-  Blennorrhoe u.  Wies- 
baden 1888. 

8.  Rosinski,    „Über  gonorrhoische  Erkrankung 

der  Mundhöhle  Neugeborener".  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1891,  S.  569  u.  Zeitschr.  f. 
Geburtsh.  XXII,  H.  1  u.  2. 

9.  Touton,     „Über    Folliculitis    praeputialis    et 

paraurethralis  gonorrhoica"  (Urethritis  externa 
Oedmansson).  Arch.  f.  Derm.  u.  Syph.  XXI, 
S.  15,  1889. 

10.  Jadassohn,    „Über  die  Gonorrhoe  der  para- 

urethralen und  praputialen  Druseng&nge*. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1890,  No.  25  u.26. 

11.  Horwitz-Paltauf,    „Ein  Beitrag    zur  Gono- 

kokkenmetastase". Bakteriol.  Untersuch,  von 
Pal  tauf.  Wiener  klin.  Wochenschr.  1893, 
No.4. 

12.  Sahli,    „Die    Neißer  sehen    Mikrokokken    in 

einer  Hautmetastase  blennorrhoischen_  Ur- 
sprungs". Eorresp.-Bl.  f.  Schweizer  Ärzte 
1887,  No.  16... 

13.  Wertheim,    „Über  aszendierende  Gonorrhoe 

beim  Weibe  u.  Arch.  f.  Gyn.  XLII,  1892,  H.  1. 

—  „Bin  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Gonokokken - 

Peritonitis."     Zentralbl.  f.  Gyn.  1892,  No.20. 

14.  Pidoux,    Gaz.  des  Hop.  30,  1867. 

15.  Fournier,    l'Union  1867. 

16.  Meuriot,    Gaz.  des  Hop.  1868. 

17.  Molen  es,    „Sur   un   cas  d'erytheme  blennor 

rhagique".     Gaz.  des  Hop. 


XIX.  jAhrg an* .  "I 
September  190S.J 


Koch,  Pankreon  als  DifMthrum. 


465 


18. 


19. 

20. 

21. 
22. 


24. 
25. 


27. 

28. 
29. 
30. 


31. 


33. 
34. 
35. 

36. 

37. 


Fioger,  „Purpura  rheumatica  als  Komplikation 

blennorrhagischer   Prozesse".     Wiener  med. 

Presse  XXI,  1880,  S.  48-50. 
„Beitrage    zur    pathologischen    Anatomie    der 

Blennorrhoe  der  männlichen  Sexualorgane. " 

Arch.  f.  Derm.   u.  Syph.  1891,   Erg.-H.  1; 

1893,  H.  1. 
L.  Andret,    „Des  manifestations  cutanees  de 

la  blennorrhagiea.     1884. 
Ballet,  „Pseudoscarlatine  et  pseudoroageole". 

Arch.  gen.  de  med.,  Sept.  1882. 
Michelsohn,    Berliner  kl  in.  Wochenschr. 
W.  A.  Philipp,    „Report  of  a  case  of  gonor- 

rhoea  with  purpur.  rheomatica".  1889.     The 

Journal  of  the  Am.  med.  Assoc  Chicago  1889. 
Pick,   Verh.  d.  deutseh.  derm.  Gesellsch.  1889. 
Menard,    Ann.  de  Derm.  et  de  Syph.   1889. 
Perrin,    Ann.  de  Derm.  et  de  Syph.  1890. 
£.  Frank  (Prag),    „Über  den  Zusammenhang 

von  Genitalleiden  mit  Erythemen«11    Zeitschr. 

f.  Heilk.  XI,  1890. 
Raynaud,     „Manifestations    cutanees    de    la 

blennorrhagie".    Ann.  1891,  S.  213. 
Touton  s.  oben. 

L.  Lewin,  „Nebenwirkungen  der  Arzneimittel". 
M.  F 1  e  8  c  h ,    „  Zur  Erklärung  des  sog.  Tripper- 

exanthems".  Monatsh.  f.  prakt  Derm.  Bd.  XI, 

S.  381. 
Wallerstein,    „Albuminurie  und  Zylindmrie 

bei   künstlich  erzeugter  Koprostase".    Berl. 

kiin.  Wochenschr.  1901,  No.  21. 
Stiller,   Berl.  klin.  Wochenschr.  1877,  No.  50. 
Wilhelm,  Berl.  klin. Wochenschr.  1878,  No.  4. 
Joseph,   Berl.  klin.  Wochenschr.  1879,  S.  37. 
Gr.  Lewin,    „Angioneurosen*.    Arch.  f.  Denn. 

u.  Syph.  1891,  S.  6. 
Heller,    Deutsche    med.  Wochenschr.    1901, 

No.  11,  S.  165. 
Buschke,   Arch.  f.  Derm.  u.  Syph.    Bd.  48. 


Pankreon  als  Digestivum. 

Von 
Dr.  E.  Koch  in  Aachen. 

Bei  der  Lektüre  der  Arbeiten  über  Pan- 
kreon, wie  sie  uns  bis  jetzt  vorliegen,  kann 
man  sich  des  Eindruckes  nicht  erwehren,  als 
hätten  sich  die  meisten  Untersucher  nicht  von 
der  Idee  leiten  lassen,  in  dem  Pankreon  ein 
spezifisches  Mittel  zu  erblicken,  als  hätten 
sie  vielmehr  dem  Präparat  von  Anfang  an 
ein  größeres  Feld  der  Wirksamkeit  zugetraut 
und  die  ausschließliche  Behandlung  von  Pan- 
kreaserkrankungen  mit  demselben  für  ein 
viel  zu  eng  umgrenztes  Gebiet  angesehen. 
Selbstverständlich  sind  es  pathologische  Vor- 
gänge des  Digestionsapparates,  an  denen  das 
Mittel  zumeist  erprobt  wurde,  und  die  für 
die  Therapie  wichtigsten  Arbeiten  sind  aus 
der  Feder  von  Spezialärzten  für  Magen-  und 
D  armleid  en  hervorgegangen . 

Sie  reden  fast  ausnahmslos  dem  Pankreon 
als  einem  symptomatischen  Mittel  das  Wort 
und  rücken  es  damit  dem  Arzte,  der  in  all- 
gemeiner Praxis  das  Feld  seiner  Tätigkeit 
erblickt,   bedeutend   näher.     Dabei   soll  sich 


hinter  „symptomatisch"  nicht  etwa  eine  Art 
Vorwurf  verstecken,  als  käme  es  nämlich 
dem  Praktiker  weniger  auf  das  ätiologische 
Moment  an.  Es  sollte  nur  damit  angedeutet  sein, 
daß  der  praktische  Arzt  recht  häufig  in  die 
Lage  kommt,  auf  ein  symptomatisches  Mittel 
zurückgreifen  zu  müssen,  ein  Umstand,  der 
in  der  Art  seiner  Berufstätigkeit  eine  ein- 
wandfreie Erklärung  findet. 

Seitdem  die  Medizin  anfing,  in  striktem 
Sinne  eine  Wissenschaft  zu  werden,  kamen 
die  symptomatischen  Mittel  etwas  in  Mißkredit, 
und  zwar  aus  einem  doppelten  Grunde.  Man 
lächelte  über  den  Arzt  alten  Schlages,  der 
für  alles  Besondere  eine  besondere  Mixtur 
hatte,  von  deren  Wirksamkeit  er  überzeugt 
war.  Natürlich  konnten  Enttäuschungen  nicht 
ausbleiben,  und  hier  liegt  der  zweite  Grund. 
Wir  haben  der  Zahl  nach  viel  mehr  zuver- 
lässige Symptomatica  als  Specifica,  wir  werden 
sie  aber  noch  recht  lange  nötig  haben,  wahr- 
scheinlich so  lange,  bis  das  Kraut  gefunden 
ist,  das  gegen  den  Tod  gewachsen  ist. 

Diese  Notwendigkeit  mag  es  bedingen, 
daß  man  in  letzter  Zeit  angefangen  hat, 
Organpräparate  zum  symptomatischen  Ge- 
brauch heranzuziehen,  und  zu  diesen  Präpa- 
raten gehört  das  Pankreon.  Man  hat  es  u.  a. 
angewendet  bei  Karzinomen  des  Ösophagus, 
des  Magens,  des  Darmes,  bei  Magenektasien 
und  Darm8trikturen,  bei  Icterus  catarrhalis, 
Dysenterie,  bei  konstant  bestehenden  Magen- 
erscheinungen im  Rekonvaleszentenstadium, 
speziell  des  Typhus,  bei  hartnäckiger  Anorexie 
bei  Lungentuberkulosen,  bei  Tabes. 

Es  findet  sich  an  anderer  Stelle1)  ein 
ausführliches  Referat  über  diese  Fälle  zu- 
sammengestellt. Hier  soll  daran  nur  die 
Frage  geknüpft  werden:  ist  man  angesichts 
dieser  Tatsachen  nicht  berechtigt,  aus  dem 
Pankreon  ein  symptomatisches  Mittel  in  weite- 
rem Sinne,  ein  Verdauungsmittel,  zu  machen? 
Das  Pankreon  ist  ja  schon  zum  Gebrauch 
herangezogen  worden,  wenn  toxische  Ein- 
flüsse die  Sekretion  des  Magens  gehemmt 
haben,  unter  denen  Alkohol  und  Nikotin  im 
alltäglichen  Leben  voranstehen.  Es  scheint, 
als  ob  hier  die  Fälle  von  schwerer  lang* 
dauernder  Diarrhöe  der  Alkoholiker,  bei 
denen  die  Untersuchung  der  Faeces  unverdaute 
Speisebröckel  und  Sehnenfetzen  ergab,  der 
Pankreontherapie  durchaus  zugänglich  sind. 
In  dieses  Gebiet  möchten  wir  auch  jene 
Fälle  rechnen,  bei  denen  es  nach  langwierigen 
akuten  und  chronischen  Krankheitsprozessen 
und  während  derselben  bei  mangelhafter 
Funktion  derVerdauungsorgane  zu  anämischen 

!)  Allgemeine  medizinische  Zentralzeitung  1903, 
No.  37. 


466 


Koch,  Pankreon  als  Digestivum. 


rThorapeotiaehfl 
L   Monatshefte. 


Konstitutionsanomalien  gekommen  ist.  Wir 
haben  hier,  um  uns  auf  das  Feld  des  Spe- 
ziellen zu  begeben,  einige  Fälle  von  Syphilis 
der  Spätperiode  im  Auge.  Die  Patienten 
waren  in  ihrer  Ernährung  ganz  bedeutend 
heruntergekommen  und  vertrugen  eine  spezi- 
fische Kur,  welche  dringend  indiziert  war, 
sehr  schlecht.  Genaue  Diätvorschriften,  künst- 
liche Nährpräparate,  eine  Milchkur,  auf  die 
man  von  vornherein  wie  bei  ähnlichen  Fällen 
seine   Hoffnung   setzte,    alles   ließ   im    Stich. 

Man  nahm  seine  Zuflucht  zum  Pankreon 
im  Sinne  des  Digestivums  und  gab  es  zu- 
sammen mit  einer  aufs  neue  verordneten 
Milchkur.  Die  Milch  wurde  jetzt  vom  ersten 
Tage  an  vertragen,  und  bald  konnte  man 
unter  denselben  Maßregeln  zur  Verabreichung 
größerer  Milchquantitäten  übergehen.  Durch 
die  Besserung  der  Gesamtkonstitution  traten 
dann  die  Komplikationen  der  antisyphiliti- 
schen Kur  mehr  und  mehr  in  den  Hinter- 
grund, später  sogar  fast  ganz  zurück. 

Es  begegnen  dem  Praktiker  genug  Fälle, 
wo  diätetische  Kuren,  unter  denen  die  Milch- 
kur an  hervorragender  Stelle  steht,  schlecht 
vertragen  werden,  wo  der  ganze  therapeu- 
tische Erfolg  von  einer  solchen  Kur  abhängt, 
wo  man  modifizieren  muß,  trotzdem  daß  die 
ungeschmälerte  Vorschrift  gerade  am  Platze 
wäre.  Wenn  man  hier  durch  Verabfolgung 
eines  einfachen  Mittels  die  Verhältnisse  gün- 
stiger gestaltet,  so  wird  das  einfache  Mittel 
zu  einem  Helfer  in  der  Not.  Wenn  man  aber 
nach  dieser  Seite  hin  die  Pankreonwirkung 
aufmerksam  verfolgt,  muß  man  auf  die  Idee 
kommen,  das  Mittel  in  Anwendung  zu  ziehen, 
wo  ausgesprochene  pathologische  Verhältnisse 
nicht  einmal  vorliegen.  Der  eine  kommt  bei 
seinem  schwachen  Magen  in  Konflikt  mit  ge- 
sellschaftlichen Verpflichtungen,  bei  denen 
das  Diner  eine  große  Rolle  spielt.  Der  andere 
kann  alles  genießen,  nur  eine  gewisse  Speise 
nicht,  auf  die  er  sich  —  vielleicht  grade 
deshalb  —  kapriziert.  Der  dritte  verträgt 
während  des  Tages  gar  nichts,  kann  erst  des 
Abends  und  dann  alles  essen,  kommt  aber 
dabei  um  seine  Nachtruhe.  Solche  Leute 
können  oft  aus  einleuchtenden  Gründen  ihre 
Lebensweise  nicht  ändern  und  verlangen  des- 
halb von  ihrem  Hausarzt  ein  Rezept.  Man 
könnte  hier  vielleicht  einem  Organpräparat 
vor  verschiedenen  Extrakten  und  Tinkturen, 
Säuren  und  Mineralwässern  den  Vorzug  geben. 
Und  wenn  Prophylaxe  die  beste  Therapie 
ist,  so  bleiben  wir  nur  im  Rahmen  unserer 
Betrachtungen,  wenn  wir  dem  Gedanken  Raum 
geben,  daß  sich  überall  da,  wo  an  den  Ver- 
dauungsapparat größere  Ansprüche  gestellt 
werden,  als  er  deren  gerecht  werden  kann, 
eine    gleichzeitige    Zufuhr    von   Verdauungs- 


fermenten nur  ah  sehr  angenehme  Zugabe 
bemerklich  machen  kann.  Wir  möchten  auch 
dies  noch  durch  ein  kurzes  Beispiel  illustrieren. 
Siegert  hat  die  Wirkung  des  Pankreons 
am  Organismus  der  Kinder  eingehend  studiert 
und  hat  dieselbe  lobend  hervorgehoben.  Vor 
allem  will  er  bei  guten  Erfolgen  keine  Neben- 
wirkungen beobachtet  haben.  Es  liegt  daher 
durchaus  nichts  Gewaltsames  in  dem  Ge- 
danken, das  Mittel  in  geeigneten  Fällen  der 
Säuglingsnahrung  von  vornherein  hinzuzu- 
geben, bevor  letztere  durch  mangelhafte  Ver- 
dauungsprozesse im  Magendärmkanal  Unheil 
angerichtet  hat.  Es  existieren  bereits  Ver- 
suche mit  anderen  Fermenten,  nur  scheint 
uns  die  Anwendung  der  Pankreonzucker- 
tabletten,  die  als  solche  der  Nahrung  ein- 
fach zugesetzt  werden,  überaus  einfach.  Je 
weniger  manipuliert  wird,  desto  weniger  wird 
irgend  welchen  Keimen  Gelegenheit  gegeben, 
in  die  sterilisierte  Nahrung  zu  gelangen,  und 
man  kann  die  Wichtigkeit  gerade  dieses  Um- 
standes  nicht  von  der  Hand  weisen. 

Ein  bereits  angedeuteter  Vorzug  des  Pan- 
kreons kann  wohl  am  Schluß  noch  einmal 
hervorgehoben  werden.  Die  Wirkung  der 
Pankreasfermente  ist  fast  im  ganzen  Umfange 
im  Präparat  erhalten.  Die  Art  der  Darstel- 
lung macht  diesen  Umstand  erklärlich.  Man 
klagt  vielfach  darüber,  daß  Organpräparate 
durch  den  Chemismus  der  Darstellung  viel 
von  ihrer  ursprünglichen  Wirkung  einbüßen, 
und  bei  dem  aktuellen  Interesse,  welches  die 
Organtherapie  anderen  Methoden  gegenüber 
noch  immer  behauptet,  wird  gerade  hierüber 
viel  geschrieben.  Wenn  z.  B.  Carles*)  in 
einer  interessanten  Arbeit  ausführt,  daß  der 
bisherige  mangelhafte  Erfolg  der  Organ- 
therapie darin  seinen  Grund  habe,  daß  die 
künstlich  hergestellten  Organpräparate  die 
wirksamen  Stoffe  nicht  in  demselben  Grade 
enthalten  wie  in  den  lebenden  Organen,  und 
die  Erklärung  in  der  Darstellungsmethode 
findet,  so  müßte  er  nicht  auf  eine  einzige 
solche,  nämlich  auf  die  mit  flüssiger  Kohlen- 
säure, rekurrieren.  Eines  ziemt  sich  nicht  für 
alles.  Wenn  man  spezielle  Methoden  aus- 
arbeitet, so  wird  man  auch  gute  Resultate 
zu  verzeichnen  haben.  Hier  ruht  die  Basis 
für  den  Aufbau  dieser  Therapie,  für  ihre 
Effekte,  für  ihre  Zukunft. 


*)  Extraits  d'organes  ammaux  et  extraits  d'or» 
ganes  vegetaux.  Journal  de  Medecine  de  Bordeaux 
1903,  No.  50. 


j 


XIX.  Jahrgang.  1 
September  1905.J 


Krefl,  Varonallamu«. 


467 


Veronallsmus. ') 

Von 
Nervenarzt  Dr.  Krefi  in  Rostock. 

Meine  Herren!  Im  Frühjahr  1903  fand 
das  Veronal  seinen  Eingang  in  die  Therapie. 
Es  ist  das  Endresultat  einer  langen  Kette 
von  Überlegungen  über  die  Beziehungen 
zwischen  chemischer  Konstitution  und  hyp- 
notischer Wirkung.  Diese  Forschungen  haben 
ca.  22  Jahre  vorher  mit  v.  Mering  und 
Thierfelder  begonnen,  verknüpften  sich 
epater  vorzüglich  mit  den  Namen  Prof.  Bau- 
mann  und  Käst  und  haben  schließlich  durch 
keinen  geringeren  wie  Emil  Fischer  (Berlin) 
und  v.  Mering  (Halle)  mit  der  Empfehlung 
des  Diäthylmalonylharnstoffs  unter  dem  Namen 
Yeronal  zur  therapeutischen  Erprobung  einen 
gewissen  Abschluß  gefunden.  Es  ist  ein 
Harnstoffderivat ,  welches  sich  von  der  Di- 
äthylmalonylsäure  ableitet.  In  den  wohl- 
klingenden Namen  der  Autoren  und  in  der 
ärztlichen  Sehnsucht  nach  einem  idealen 
Schlafmittel,  welches  bei  prompter  Wirkung 
möglichst  frei  von  akuten  und  chronischen 
Schädigungen  wäre,  war  der  ungeahnte 
Siegeslauf  bedingt,  den  das  Veronal  bis 
heute  genommen  hat:  Es  wirkt  in  kleinen 
Dosen  in  einem  weit  größeren  Prozentsatz 
•  als  unsere  bisherigen  Hypnotica  intensiv  und 
prompt  und  fürs  erste  wurden  auch  wenig 
unangenehme  Nebenwirkungen  bekannt,  jeden- 
falls keine  schlimmeren  als  sie  bei  den  bis- 
her gebrauchten  Hypnoticis  gelegentlich  vor- 
kommen. Die  Einführungsindikationsstellung 
zeigte  obendrein  eigentlich  gar  keine  Ein- 
schränkung für  die  Medikation  zur  Erreichung 
sedative*  und  hypnotischer  Wirkung,  weder 
•auf  somatischem  noch  auf  neurologischem 
oder  psychiatrischem  Gebiet.  Das  Publikum 
ist,  wie  ich  vielfach  von  Kollegen  und 
namentlich  auch  von  Apothekern  gehört  habe, 
für  das  Yeronal  in  einem  Grade  begeistert 
wie  noch  nie  bei  einem  früheren  Hypnoticum. 
In  den  2  Jahren  der  praktischen  Einführung 
hat  sich  eine  enorme  internationale  ein- 
schlägige Literatur  entwickelt.  Indes  es  hat 
nicht  lange  gedauert,  bis  sich  die  ersten 
Schatten  in  die  allgemeine  Begeisterung 
mischten. 

Gestatten  Sie  mir,  daß  ich  auf  das  wich- 
tigste  hierher  Gehörige  bezüglich   der  unge- 
wollten Nebenwirkungen  in  Kürze  noch  ein- 
mal aufmerksam  mache: 
Fischer    erwähnt  Übelkeit,    Erbrechen  und 

Benommenheit  des  Kopfes. 


!)  Vortrag  gehalten  auf  der  29.  ordentlichen 
Versammlung  des  allgemeinen  Mecklenburgischen 
Ärztevereins.  16.  Juni  1905  in  Rostock. 


Th.  M.  1905. 


Rosenfeld  und  Würth  sahen  Arznei- 
exantheme,  Schwindel,  Brechneigung. 

Mendel  und  Krohn  fanden  in  10  Proz. 
der  verabreichten  Dosen  Kopfschmerz, 
Schwindel,   Schweiße. 

Luther  erwähnt  Erbrechen,  Exanthem,  Ein- 
nässen bei  sonst  reinlichen  Kranken. 
Bei  einem  Imbecillen:  taumelnden  Gang, 
mäßige  Verwirrtheit   und   Benommenheit. 

Gerhartz  berichtet  über  eine  Hysterica, 
welche  an  2  aufeinander  folgenden  Abenden 
je  1,0,  am  dritten  3,0  Veronal  nahm. 
Danach  3  stündiger  Schlaf,  dann  heftige 
Jaktationen,  kalte  Extremitäten,  schwacher 
aussetzender  Puls.  Status  gravis  bis  zum 
Abend. 

Lauten  heimer  (Veronalismus)  sah  bei  chro- 
nischem Veronalgebrauch  motorische  Un- 
sicherheit, Schwäche  und  einen  chroni- 
schen rauschartigen  -  Gang. 

Hald  (Stadtkrankenhaus  Kopenhagen)  nimmt 
an,  daß  als  pathognomonische  Symptome 
für  die  Diagnose  der  akuten  Veronal - 
intoxikation  Streckung  des  Kopfes  nach 
hinten  und  tetaniforme  Zuckungen  des 
Korpers  anzusehen  seien.  (Er  hat  übrigens 
einmal  nach  9  g,  welche  in  selbstmörde- 
rischer Absicht  genommen  waren,  keine 
bedrohlichen  Symptome  gesehen. 

Jolly,  Thomsen,  Berent,  Luther,  Spiel- 
meyer, Raimano  u.  a.  haben  Ange- 
wöhnung und  deshalb  Notwendigkeit,  die 
Dosis  zu  steigern,  beobachtet.  Jolly  rät 
von  längerem  Gebrauch  ab. 

Senator  hat  bei  einer  Dame  mit  schwerer 
Neurasthenie,  bei  großer  Toleranz  für  Mor- 
phin und  Chloral  schwerste  Herzerschei- 
nungen mit  Oppressionsgefühl,  Präkordial- 
angst, Schwächeempfindung  nach  Veronal 
gesehen. 

Davids  konstatierte  mehrfach  nach  '/«  und 
Vs  g  noch  Schlafsucht  am  nächsten  Tag 
derartig,  daß  die  Patienten  sich  weigerten, 
das  Mittel  weiter  zu  nehmen.  Weiter 
berichtet  er  von  einer  Bauernfrau,  welche 
nach  1  g  am  folgenden  Morgen  trotz 
Führung  auf  dem  Korridor  umfiel,  im 
Bett  nachher  auf  nichts  reagierte.  Puls 
unregelmäßig,  auffallende  Röte  der  Brust, 
Unterarme  und  Hände,  Beine,  Füße  und 
Rücken.  Dieselbe  war  nur  durch  heftiges 
Anschreien  zu  erwecken,  schlief  gleich 
wieder  ein  und  schlief  den  ganzen  Tag 
und  die  ganze  Nacht  und  wollte  noch 
am  folgenden  Tag  vor  lauter  Müdigkeit 
weiter,  schlafen.  Die  Röte,  welche  unter 
Fingerdruck  schwand,  blieb  2  Tage. 
Nach  10  Tagen  begann  die  Haut  zu 
schuppen. 

36 


468 


Krefl,  Veronaliemue. 


rTher«f»«n 
L   Monatsfr 


MonÄtfthefte. 


Homburger  und  Heinrichs  haben  häufiger 
Kumulativwirkungen  gesehen  und  raten 
deshalb  zu  täglicher  Darmentleerung. 

Würth  sah  bei  2  Kranken  ein  masern- 
ähnliches Exanthem  nach  längerem  Vero- 
nalgebrauch  (juckend,  ohne  Fieber,  am 
Knie,  Ellenbogen,  Nates). 

Poly  sah  starke  Kopfschmerzen,  Müdigkeit 
und  Schläfrigkeit  noch  den  ganzen  fol- 
genden Tag  nach  0,5. 

Lilien feld  (Groß-Lichter feide)  beobachtete 
bei  einer  Hysterica  einen  dem  Antipyrin- 
exanthem  ähnlichen  Ausschlag. 

Oppenheim  sah  ebenfalls  Benommenheit 
und  rausch  ähnliche  Zustände  am  nächsten 
Tag  schon  nach  0,5  Veronal  und  bei 
einem  arteriosklerotischen  Kollegen  nach 
der  gleichen  Dosis  einen  recht  unange- 
nehmen Zustand  von  Benommenheit,  Ver- 
wirrung und  Schwäche. 

Professor  Thomsen  (Bonn)  sah  mehrfach 
Gewohnung,  welche  Steigerung  der  Dosis 
notwendig  machte;  einigemal  anfangs 
kumulierende  "Wirkung,  die  später  nach- 
gelassen haben  soll.  Bei  psychischen 
Erregungszuständen  beobachtete  er  nach 
Yeronal  schwere  Betäubung.  Die  Kranken 
waren  schlafsüchtig,  benommen,  lallten, 
hatten  taumeligen  Gang  und  verloren  den 
Appetit. 

Berent  (Renverssche  Klinik)  konstatierte 
Taumel,  Schwindelgefühl,  Mattigkeit  bei 
2  Neurasthenikern  am  nächsten  Tag. 

Wiener  (Pälsches  Krankenhaus)  und  Off  er 
(Dusseldorf)  beobachteten  ebenfalls  Kopf- 
schmerzen, Taumelgefühl,  Somnolenz  nach 
dem  Erwachen. 

Psychiatrische  Universitätsklinik 
Jena:  7  Fälle  von  Eingenommensein, 
Übelkeit  und  einmal  Erbrechen  am  näch- 
sten Tag. 

Psy chiatrische  Klinik  Freiburg: 
Masernähnliches  Exanthem,  Eingenommen- 
sein, Schwindel,  Somnolenz. 

Psychiatrische  und  Nervenklinik  von 
Prof.  W agn er(Wien)  gelegentlich  Taumeln 
und  Gleichgewichtsstörung. 

Montagnini  (Venedig)  sah  manchmal  Kon- 
gestionen nach  dem  Kopfe.  Diaphorese 
und  Oligurie,  Übelkeit,  Erbrechen.  Bei 
Dosen  von  l1/*— 2  g  Schwindel,  Taumel, 
Betäubung,  Kopfschmerz,    Sprachstörung. 

Euler  sah  komaartige  Zustände  bei  Frauen. 

Hähnel  (Dresden)  akute  Verschlechterung 
der  Ataxie  bei  einem  Tabiker,  welche 
sich  erst  nach  Wochen  allmählich  aus- 
glich. 

Kaan:  Urticariaähnliches  Exanthem. 


Th.  Pisarski:  Bei  75  von  284  Patienten 
am  folgenden  Morgen:  schwerer  Kopf, 
Schwindel,  Kopfweh,  Unsicherheit  des 
Ganges,  bleiernes  Gefühl  in  den  Beinen, 
Ohrensausen,  starkes  Schwitzen.  Eine 
gewisse  kumulative  Wirkung  erscheint 
ihm  unzweifelhaft. 

Weiter  liegen  Berichte  von  Veronal Vergif- 
tung vor  von: 

Kuhn  (Hospitaltidning  No.  2):  Nach  mehr- 
maligen Abenddosen  von  0,5  g  juckendes 
Exanthem  am  Gesicht  und  Oberkörper, 
starke  Schwellung  mit  Blasenbildung  an 
Mund-  und  Rachenschleimhaut,  begleitet 
von  Fieber,  Kopfschmerz,  Eingenommen- 
heit. Heilung  nach  9  Tagen. 
Fonger-Just  und  Johnson  aus  der  schwe- 
disch-norwegischen Literatur,  welche  mir 
jedoch  nicht  zugänglich  sind. 
Ferner  berichtet  Alter  aus  der  Provinzial- 
irrenanstalt  Leubus  (Schlesien)  über 
3  Fälle: 

1.  Fall.  Tuberkulöse  Kranke  mit  Paranoia. 
Abds.  1,0  Veronal.  Bei  Erwachen  Brechreiz,  Kopf- 
weh, Hämoptysis,  schwere  neuralgische  Schmerzen 
im  linken  Trigeminus  und  beiden  Ischiadicis.  Kon- 
gestive Wallungen  (nie  vorher  beobachtet),  ungleich- 
mäßiger, unregelmäßiger  Puls.  Ohne  Temperatur- 
steigeruog  deliriöser  Zustand  und  tiefe  Bewußtseins- 
trübung, lebhafte  Visionen:  blutige  Messer,  rote 
Tiere.  Gegen  11  Uhr  morgens  tiefe  Somnolenz  bei 
schlechtem  Puls.  Nach  2  Uhr  nachm.  langsames 
Erwachen,  wäßrige,  leicht  hämorrhagische  Stahle. 
Bei  verringerten  Dosen  der  folgenden  Tage  trat 
der  gleiche  Symptomenkomplex  in  verringertem 
Maße  auf. 

2.  Fall.  Epilepsie.  Bei  einem  Erregungs- 
zustand abds.  1  g  Veronal.  Morgens  plötzlich  Ver- 
schlechterung der  Atmung,  Cheyne-Stokessches 
Phänomen,  Pupillen  extrem  verengt  und  lichtstarr, 
keine  Haut-  und  Sehnenreflexe,  Enuresis*  Abends 
spontane  Entleerung  mehrerer  wäßriger  Stöhle. 
Stuhl  gibt  Blutfarbstoffreaktion.  Urin  eiweißhaltig, 
abends  Gesichtsstarre,  nächsten  Morgen  Lungen- 
ödem und  Exitus. 

8.  Fall.  Neurasthenie  mit  Agrypnie.  Nach  1  g 
Veronal  per  Rectum  2  Stunden  Schlaf.  Pat.  er- 
wacht dann  mit  starken  Kopf-  und  Leibschmerzen, 
heftigem  Herzklopfen  und  stürmischen  Kongestionen. 
Herzklopfen  steigert  sich  zu  starker  Herzangst. 
Fast  blaurot  kongestioniert  Erhöhter  Blutdruck, 
unregelmäßiger  Puls,  kalte  Extremitäten.  Weiner- 
lich unklar,  sichtlich  präokkupiert,  jaktatoide  Be- 
wegungsunruhe. Lebhafte  Visionen:  Mäuse,  kleine 
Tiere,  Heuschrecken,  Fliegen.  Pat  klagt  über 
Flimmern  und  Grellheit.  Druck  auf  die  Buibi  sehr 
schmerzhaft.  Pat.  verwechselt  den  Arzt,  gibt  keine 
Antworten.  Bei  Reichung  von  starkem  Kaffee  löst 
sich  der  Zustand  in  einigen  Stunden.  Aber  große 
Mattigkeit,  Unruhe  und  leichte  Benommenheit  bleiben 
den  ganzen  Tag. 

Ich  habe  auf  die  kumulativen  Erschei- 
nungen und  deren  Bedenklichkeiten  bereits 
Ende  1903  aufmerksam  gemacht,  durch  ein 
Versehen  war  allerdings  die  Publikation  in 
den  therapeutischen  Monatsheften  um  längere 
Zeit  hinausgeschoben. 


XIX.  Jahrgang.  1 
September  1905.J 


KrcD,   Veronalismus. 


469 


Meine  Herren,  Sie  sehen,  es  ist  ein  ganz 
ansehnliches  Schuldbekenntnis  des  Yeronals, 
wenn  wir  bedenken,  daß  es  erst  gut  2  Jahre 
sind,  seit  das  Yeronal  in  der  Praxis  existiert. 

Wenn  es  sich  in  den  bisherigen  Publi- 
kationen bezüglich  der  Schattenseiten  des 
Mittels  meist  um  akute  Intoxikationserschei- 
nungen handelt,  so  liegt  dies  wohl  haupt- 
sächlich an  der  Jugend  des  Mittels.  Er- 
innern Sie  sich,  daß  beim  Morphium  —  ohne 
indes  das  Yeronal  im  übrigen  mit  demselben 
vergleichen  zu  wollen  —  es  von  der  ersten 
Injektion  in  Deutschland  (Dr.  Bertrand, 
Schlangenbad  1856)  bis  zur  Erkenntnis  der 
Morphium  sucht,  ihrer  Symptome  und  Ge- 
fahren (Fiedler  1871)  15  Jahre  gedauert 
hat;  1875  ist  von  Lewinstein  der  Name 
Morphiumsucht  auf  der  Grazer  Naturforscher- 
Versammlung  eingeführt.  Wenn  wir  auch 
erfahrungsreicher  und  vorsichtiger  geworden 
sind,  so  ist  doch  die  Zeit  noch  kurz  für  Er- 
fahrungen bei  chronischem  Mißbrauch. 

Mir  liegt  nun  ein  Fall  vor,  der  ent- 
schieden allgemeine  Mitteilung  verdient,  ein- 
mal weil  er,  soweit  mir  bekannt,  bis  jetzt 
einzig  in  der  Literatur  dasteht,  und  andrer- 
seits wegen  des  höchst  auffallenden  fatalen 
Ausgangs. 

Es  handelt  sich  um  eine  Patientin,  welche  ich 
am  12.  Mai  1900  zum  erstenmal  sah.  23  Jahre  alt, 
einziges  Kind  einer  neurasthenischen  und  vorzeitig 
leicht  dementen  Mutter,  welche  bei  der  Geburt  der 
Patientin  bereits  ca.  40  Jahre  alt  war,  und  eines 
damals  bereits  60 jährigen  Vaters,  welcher  stark  ge- 
tranken haben  soll  und  kurz  nach  der  Gebort  der 
Tochter  starb.  Als  schwächliches  Kind  mit  skrofu- 
lösen Erscheinungen  verwöhnt  erzogen,  erkrankte 
sie  im  15.  Lebensjahre  mit  allgemeiner  Schlaffheit, 
Arbeitsunlust,  Appetitmangel,  Stimmungswechsel 
ohne  Grund,  Herzklopfen.  Jedenfalls  ist  sie  von 
dieser  Zeit  an  in  ärztlicher  Behandlung,  Eigen- 
willigkeit, Trotz  und  mangelhafte  Selbstdirektive 
wurden  durch  kritiklose  Passivität  der  Mutter  ge- 
züchtet 

Status  praesens  1900.  Hochaufgeschossen, 
174  cm  Größe.  Gewicht  97  Pfund.  Keine  Miß- 
bildungen, Verletzungen,  nachweisbaren  Organ- 
erkrankungen oder  Innervationsstörungen.  Müde, 
abgespannt,  zeitweise  unruhig  aufgeregt,  Herz- 
klopfen, frequenter  Puls,  Globus  im  Halse,  Druck 
im  Magen,  Ovarie,  schlechter  Stuhl,  mangelhafte  Kon- 
zentrationsfähigkeit; episodische  Rückenschmerzen, 
depressive  Gedanken,  starke  Empfindlichkeit  der 
Herzgegend,  Weinkrämpfe.  Hysterisches  Pathos, 
absichtliche  Entstellung,  emphatische  Übertreibung 
und  Lüge.  Zeitweise  Ructus  hystcricus.  Schlaf- 
störung. Kritische  Exacerbation  des  Symptomen- 
komplexes während  der  sonst  normal  verlaufenden 
Menstruation.  Starker,  oft  wechselnder  Widerwille 
gegen  Speisen.  Der  ganze  Ideenkreis  bewegt  sich 
fortwährend  nur  um  das  eigene  Ich  mit  den 
tausendfachen  Variationen  der  verschiedensten  lokali- 
sierten Organempfindungen. 

Diagnose:  Hysteria  gravis. 

Eine  Trennung  von  Mutter  und  Tochter  konnte 
niemals  durchgesetzt  werden,  infolgedessen  wurden 
auch  wesentliche  Besserungen  niemals  beobachtet. 
Im  November  1903  nun  begann  die  Agrypnie  einen 


Agenden  Grad  zu  erreichen,  so  daß  ich  nach 
vielen  physikalischen  Versuchen  mich  zur  medika- 
mentösen Behandlung  gezwungen  sah,  zumal  trotz 
der  sorgsamsten  Pflege  und  Ernährung  das  nur 
mühsam  um  12  Pfund  erhöhte  Körpergewicht 
wieder  abzustürzen  begann,  und  der  Allgemein- 
zustand sich  verschlechterte.  Damals  gab  ich  zum 
erstenmal  Veronal  und  erreichte  mit  0,5  einen  guten 
Schlaf.  Am  nächsten  Abend  noch  einmal  0,6  mit 
gleichem  Effekt,  und  am  folgenden  Morgen  hielt  die 
Schläfrig keit  über  den  ganzen  Tag  an.  Gleich- 
zeitig trat  Übelkeit,  Appetitmangel  und  taumelnder 
Gang  auf,  der  auch  noch  am  nächsten  Tag  sich 
zeigte.  Wegen  dieser  kumulativen  Wirkungen 
setzte  ich  einige  Tage  aus  und  verordnete  dann 
kleinere  Dosen.  Die  Patientin,  welche  trotz  der 
unangenehmen  Nachwirkungen  dringend  nach  Vero- 
nal verlangte,  hatte  gegen  meine  Verordnung 
wieder  0,5  abends  genommen,  und  in  der  Folge 
traten  trotz  täglicher  Veronalmedikation  von  0,5  g 
keine  Kumulativ  Wirkungen  mehr  auf.  Da  Patientin 
gewalttätig  nach  dem  Mittel  begehrte,  entschloß 
ich  mich  angesichts  der  Tatsache,  daß  ich  fast 
gleichzeitig  bei  8  anderen  Agrypnien  Kumulativ- 
wirkungen erlebte,  nach  10  Tagen  kein  Veronal 
mehr  zu  geben.  Ich  wechselte  nun  noch  einige 
Tage  mit  verschiedenen  anderen  Hypnoticis  mit 
schlechterem  Effekt  ab  und  entließ  die  Patientin 
auf  ihren  Wunsch  in  ihre  Heimat,  zumal  ich  be- 
merkte, daß  im  Interesse  der  Patientin  ein  Wechsel 
der  ärztlichen  Persönlichkeit  notwendig  wurde.  Ich 
muß  noch  betonen,  daß  Patientin  nach  8tägiger 
Veronalmedikation  das  Bett  nicht  mehr  verlassen 
wollte. 

Am  20.  Dezember  1903  ließ  ich  die  Patientin 
nach  Hause  reisen  mit  dem  dringenden  Rat,  jeden- 
falls längere  Zeit  gar  keine  Medikamente  zu  nehmen 
und  sich  lediglich  auf  allgemeine  diätetische  kräftige 
Pflege  und  mäßige  Beschäftigung  zu  verlegen. 

Im  November  1904  wurde  ich  dann  —  also 
Dach  ca.  einem  Jahre  —  telegraphisch  von  der 
Mutter  zu  der  Patientin  gerufen. 

In  der  Zwischenzeit  hatte  ich  von  der  Patientin 
nur  im  ersten  Halbjahre  2  Briefe  unzufriedenen 
Inhalts  wegen  der  mangelhaften  Fortschritte  er- 
halten, auf  welche  hin  ich  dieselbe  an  ihren  be- 
handelnden Arzt  verwies.  Kurz  vor  dem  Telegramm 
waren  in  48  Stunden  3  Briefe  mit  taumelnden 
fluchtigen  Schriftzügen,  leicht  verwirrten,  formlosen, 
verzweifelten  und  von  starker  Angst  zeugenden  In- 
halts an  mich  gelangt. 

Bei  meiner  Ankunft  erschrak  ich  über  den  sehr 
verschlechterten  Allgemeinzustand.  Es  bestand 
lebhafte  depressive  Erregtheit,  starke  motorische 
Unruhe,  leichte  Verwirrtheit  Beim  Versuch,  Pa- 
tientin aus  dem  Bett  zu  nehmen,  geriet  sie  ins 
Taumeln  und  drohte  ohne  Stütze  zu  Boden  zu 
fallen.  Bei  Nichtbeachtung  ließ  das  Taumeln  bei 
energisch  gewollten  Aktionen  erheblich  nach.  So 
hatte  sie  selbständig  den  Koffer  gepackt  und  sich 
bereits  reisefertig  angekleidet  und  drängte  mich, 
sie  mit  nach  Rostock  in  Behandlung  zu  nehmen. 
Über  die  Z wischen ereignisse  konnte  ich  von  Mutter 
und  Tochter  sehr  wenig  erfahren.  Ich  hörte  nur, 
daß  3  mal  der  Arzt  gewechselt  worden  war  auf 
Wunsch  der  Patientin,  daß  dieselbe  seit  7  Monaten 
das  Bett  nicht  mehr  verlassen  habe,  während  der 
Menstruationszeit  sehr  starke  Erregtheit  zeige  und 
nun  überzeugt  sei,  daß  sie  von  Hause  weg  müsse. 
Die  Mutter  brachte  die  Tochter  hierher.  Dann 
ließ  ich  die  Mutter  nach  Hause  zurück  und  die 
Tochter  in  dem  Schutz  einer  speziellen  Pflegerin. 

Körperlich  war  auch  jetzt  keine  Erkrankung 
nachweisbar.  Sehnenreflexe  gesteigert.  Pupillen- 
reflexe   intakt.      Lebhafter    Tremor    der    Finger, 


470 


KreO,   VaronaUamur 


rTharapentJ 
L  Mon&tshc 


otlsch« 
Monatshefte. 


taumelnder  Gaus,  episodische  leichte  Verwirrtheit 
Des  Nachts  sehr  unruhiger  Schlaf.  Nahrungs- 
aufnahme befriedigend.  Zeitweise  Übelkeit  und  Er- 
brechen. Prämenstruell  nach  6  Tagen  Steigerung 
der  psychischen  Unruhe  und  Angst,  will  ständig 
aus  dem  Bett.  Nächte  ziemlich  schlaflos.  Nahrungs- 
aufnahme bei  ständigem  Zureden  befriedigend.  Der 
Stuhl  muß  bei  dem  gänzlichen  Darniederliegen  der 
Darmperibtaltik  —  welche  übrigens  bestand,  so- 
lange ich  Pat.  kenne  —  täglich  per  Klysma  ent- 
leert werden,  zeigt  sonst  normale  Verhältnisse. 
Nach  weiteren  4  Tagen  läßt  der  emotive  Zustand 
nach,  und  episodische  Verwirrtheit  und  Unorientiert- 
heit  tritt  mehr  in  den  Vordergrund.  In  meiner 
Gegenwart  relativ  klar  antwortend,  rafft  sich  Pa- 
tientin sichtlich  zusammen.  Dann  wieder  verwirrt^ 
will  in  Hemd  und  Mantel  spazieren  gehen.  Nah- 
rungsaufnahme andauernd  erschwert,  aber  reichliche 
Tagesquantität  erreichbar.  Medikamente  wurden 
nicht  gegeben,  nur  bei  starker  Erregung  Sko- 
polamin  ca.  3  mal  des  Abends  während  der  Men- 
struationserregung. Trotz  der  sorgfältigsten  und 
konzentriertesten  Ernährungsweise  war  im  letzten 
Jahr  keine  Gewichtszunahme  zu  erreichen,  auch 
während  des  hiesigen  Aufenthalts  trat  keine  ent- 
sprechende Erholung  ein.  Am  11.  Tage  nun  ver- 
schlechtert sich  morgens  sichtlich  das  Allgemein- 
befinden: Verwirrtheit  und  stärkere  Bewußtseins- 
störungen wechseln  mit  klaren,  etwa  5—10  Minuten 
langen  Episoden  mit  unbestimmter  Angst;  nach 
2  Stunden  wird  die  Patientin  bewußtlos,  es  be- 
ginnen klonische  Zuckungen  im  rechtsseitigen 
Facialisgebiet.  Die  Bulbi  deviieren  konjugiert  nach 
links  oben.  Die  Pupillen  reagieren  kaum  merklich 
auf  Lichteinfall,  und  es  beginnt  eine  Attacke  von 
kurz  aufeinander  folgenden  epileptiformen  Krampf- 
anfällen über  alle  4  Extremitäten.  Stuhl  und  Urin 
gehen  unwillkürlich  ab.  Für  einige  Minuten  folgt 
eine  kurze  Aufhellung  des  Bewußtseins,  so  daß  ich 
auf  Anrufen  verwirrte  Antworten  in  breiiger  Sprache 
erhalten  kann.  Aber  nur  einige  Minuten.  Da  be- 
ginnt ein  tiefes  Schnarchen,  und  nun  folgt  Zug  um 
Zug  ein  neuer  universeller  konvulsivischer  Krampf. 
Die  Konvulsibilität  steigt  zusehends  von  Attacke  zu 
Attacke.  Nach  einer  Serie  von  9  Anfällen  folgt 
eine  Krampfpause  von  15  Minuten  mit  tiefem  Koma. 
Da  setzt  ein  neuer,  aus  einzelnen  kurz  aufeinander 
folgenden  Attacken  bestehender  Krampfanfall  ein. 
Das  Bewußtsein  kehrt  nicht  wieder,  starkes 
Schnarchen,  schlaffe  Extremitäten,  kalter  Schweiß. 
Reflexe  erloschen.  Nach  einer  kurzen  unheimlichen 
Ruhe  erfolgt  ein  erneuter  Krampfanfall  mit  furcht- 
barer Heftigkeit  und  im  Ansatz  zur  dritten  Attacke 
Exitus  letalis. 

Also  die  hysterische  Patientin  starb, 
28  Jahre  alt,  in  einem  reinen  Status  epi- 
lepticus. 

Meine  Herren,  das  Drama  schloß  gewiß 
sehr  rätselhaft  ab.  Die  Sektion  wurde  nicht 
gestattet,  indes  wäre  auch  durch  dieselbe, 
gleichviel  mit  welchem  Befunde,  bei  dem 
heutigen  Stande  unserer  Kenntnis  wenig  für 
den  Zusammenhangsnachweis  zwischen  chro- 
nischem Veronalabusus  und  dem  außer- 
gewöhnlichen Exitus  gewonnen  worden. 

Da  aber  Patientin  stets  zur  Lüge  und 
Dissimulation  neigte,  suchte  ich  mit  be- 
gründetem Verdacht  nach  Einwirkungen  auf 
den  Organismus,  die  mir  unbekannt  geblieben 
sein  könnten. 


Da  fand  ich  im  Nachttisch  eine  größere 
Anzahl  geleerter  Pulveren veloppes ,  verschie- 
dene 1  g-Pulver  und  2  Veronalrezepte  älteren 
Datums. 

Bei  einer  strengen  Exploration  gab  nun 
die  Mutter  zu,  daß  die  Tochter  eine  größere 
Anzahl  Veronalpulver  mit  hierher  gebracht 
habe,  welche  sie  derselben  einige  Tage  vor 
der  Abreise  noch  habe  besorgen  müssen. 
Das  war  ja  auch  nicht  schwer,  da  dem  frei- 
händigen Verkauf  sowie  der  Wiederholung 
alter  Veronalrezepte  keinerlei  Vorschrift  eine 
Schranke  setzt.  Weiter  erzählte  jetzt  die 
Mutter,  daß  die  Tochter  seit  Anfang  Januar 
1904  wohl  täglich  abends  zuerst  !/ai  später 
1  und  auch  2  Pulver  genommen  habe,  also 
0,5—1,0—2,0  Veronal  ll1/*  Monate.  Die 
unvorsichtige  kritiklose  Mutter,  welche  ent- 
schieden einen  etwas  geistig  stumpfen  Ein- 
druck machte,  war  durch  die  jahrelange  auf- 
reibende Pflege  der  eigensinnigen,  verwohnten, 
schwer,  hysterischen  Tochter  zu  einem  völlig 
willenlosen  Exekutivorgan  der  letzteren 
degradiert;  nur  so  erklärt  es  sich,  daß  mir 
der  Veronalabusus  vollkommen  verheimlicht 
geblieben  ist.  Die  Mutter  sagte  zu  ihrer 
Entschuldigung,  ihre  Tochter  sei  gar  nicht 
zu  beruhigen  gewesen,  wenn  sie  ihr  kein 
Veronal  besorgt  habe,  deshalb  sei  auch 
öfter  der  Arzt  gewechselt  worden,  und  später 
habe  sie  es  auf  alte  Rezepte  und  ohne  Re- 
zepte öfter  gekauft. 

Jedenfalls  lag  also  ein  habitueller  sucht- 
artiger Veronalmißbrauch  mit  Tendenz  zur 
Steigerung  der  Dosis  vor,  und  ich  halte  mich 
zur  Bezeichnung  Veronalismus  deshalb  be- 
rechtigt. Ich  bin  natürlich  nicht  in  der 
Lage,  wie  ich  vorhin  schon  andeutete,  den 
Nachweis  eines  Kausalnexus  zwischen  dem 
Veronalabusus  und  dem  Exitus  zu  erbringen 
—  das  wird  bei  der  Jugend  des  Mittels  vor- 
läufig überhaupt  schwer  möglich  sein  — , 
aber  in  Anbetracht  des  ganz  ungewöhnlichen, 
rätselhaften,  unerwarteten  Abschlusses  bei 
diesem  28jährigen  Mädchen,  welches  ich  seit 
6  Jahren  kannte,  kann  ich  mich  eines  starken 
Verdachtes  in  diesem  Sinn  nicht  erwehren. 

Für  die  Möglichkeit,  daß  der  Exitus  da- 
durch zustande  gekommen  wäre,  daß  die 
Kranke  am  Abend  vorher  eine  ungewöhn- 
liche Quantität  Veronal  zu  sich  genommen 
hätte,  die  den  Exitus  bedingt  haben  könnte, 
spricht  wenigstens  auf  der  Basis  unserer 
heutigen  Kenntnisse  nichts.  Die  Patientin 
hatte  die  letzte  Nacht  vor  dem  Tode  nach 
Bericht  der  Nachtwache  genau  wie  alle  vor- 
hergehenden Nächte  mit  wenig  und  unruhigem 
Schlaf  verbracht  und  bot  auch  am  Morgen 
in  den  ersten  Stunden  noch  keinerlei  Ver- 
änderung.    Das   bis  jetzt  gekannte  Bild  der 


XIX  Jahrgang.  1 
September  I90ftj 


Kr  eil,  Veronalitmut.  —  Clav  In. 


471 


akuten  Intoxikation  ist  ein  ganz  anderes,  und 
über  akute  Intoxikation  bei  chronischem 
Abusus  wissen  wir  noch  nichts.  Jedenfalls 
hat  sich  im  Yeronaljahre  das  vorher  jahre- 
lang ziemlich  stationäre  Erankheitsbild 
wesentlich  verschlechtert  und  modifiziert. 
Erinnern  Sie  sich  noch  einmal  an  den  Kräfte- 
verfall trotz  konzentriertester  Ernährungs- 
weise, an  die  Unmöglichkeit,  das  Gewicht 
zu  erhöhen,  an  die  ständige  Bettlägerigkeit 
seit  Veronal gebrauch,  an  das  starke  Taumeln 
bei  Gehversuchen,  an  die  direktionslose 
Schrift,  an  den  grobschlägigen  Tremor  der 
Finger,  der  beim  Schreiben  verschwindet,  an 
die  chronische  Appetitlosigkeit,  Brechneigung 
und  Obstipation,  an  die  permanenten 
Schwindel  zustände ,  an  das  starke  Hervor- 
treten der  psychischen  Seite  der  Hysterie, 
an  den  Mangel  jeglicher  Initiative,  an  die 
Erinnerungsdefekte  und  -Täuschungen  und 
Verwirrtheitszustände  und  Bewußtseinsverän- 
derungen —  also  eine  Reihe  ungewöhnlicher 
Erscheinungen  im  Bild  der  Hysterie. 

Meine  Herren!  Wenn  Sie  sich  nun  zum 
Schluß  angesichts  dieses  erschütternden  Dra- 
mas noch  einmal  die  eingangs  referierten 
zahlreichen  warnenden  Mitteilungen  von 
akuten  Intoxikations-  und  Gewöhnungserschei- 
nungen  vor  Augen  stellen  wollen  und  gleich- 
zeitig die  sehr  kurze  Zeit  der  praktischen 
Anwendung  des  Mittels  in  Betracht  ziehen, 
so  glaube  ich  doch,  wir  müssen  mit  einer 
gewissen  Vorsicht  an  das  Veronal  heran- 
treten. Schwere  nervöse  Agrypnien  —  auch 
wenn  sie  nicht  hysterischer  Herkunft  sind 
—  tendieren  immer  zu  einem  habituellen 
Abusus    eines    gut    wirkenden   Hypnoticums, 


und  bei  der  für  einen  auffallend  großen  Pro- 
zentsatz bestehenden  äußerst  prompten  und 
intensiven  Wirkungsfähigkeit  ist  diese  Gefahr 
sicher  eine  nicht  zu  unterschätzende.  Es 
kann  außerdem  doch  sicher  für  ein  in  dieser 
Beziehung  empfindliches  Gehirn  und  Nerven- 
system nicht  ohne  nachteilige  Folgen 
bleiben,  wenn  wir  es  nachhaltiger  der  ein- 
greifenden Veronal  Wirkung  aussetzen,  wie  wir 
sie  in  den  foudroyanten  cerebralen  Erschei- 
nungen der  Kumulativ-  und  Nachwirkungen 
sowie  in  den  chronischen  Nebenwirkungen 
erblicken  müssen.  Ich  möchte  Sie  deshalb 
nochmals  an  Jollys  warnenden  Rat  erinnern: 
Veronal  nur  episodisch  anzuwenden  und  das 
Mittel  öfter  zu  wechseln. 

Gleichzeitig  möchte  ich  mir  erlauben, 
noch  den  Rat  anzuschließen,  wenn  Sie 
Veronal  zur  Heilung  von  Agrypnien  ver* 
suchen  wollen,  mit  der  kleinsten  genügend 
wirksamen  Dosis  zu  beginnen  und  schon  in 
den  nächsten  Tagen  das  Bestreben  festzu- 
halten, sich  gradatim  mit  dem  Mittel  aus 
dem  Organismus  wieder  her  aus  zu  schleichen. 
Lang  andauernde  Anwendung  gleich  großer 
Dosen  scheint  auch  beim  Veronal  wie  bei 
andern  Hypnoticis  eher  zum  Gegenteil  als 
zum  gewollten  Ziel  eines  selbständigen 
Schlafs  zu  führen. 

Die  Schuld  scheint  also  vorläufig  weniger 
an  dem  Veronal  als  an  unsrer  unzuläng- 
lichen Kenntnis  und  Erfahrung  für  eine 
präzise  Indikationsstellung  und  individuelle 
Dosierung  zu  liegen. 

Jedenfalls  wäre  aber  wünschenswert,  wenn 
dem  absolut  schrankenlosen  Verkaufsrecht 
möglichst  bald  ein  Ziel  gesetzt  würde. 


Neuere  Arzneimittel 


Clavin. 

Aus  dem  Mutterkorn  sind  von  Kobert  als 
wirksame  Bestandteile  zwei  Stoffe,  die  Sphacelin- 
s&ure  und  das  Cornutin,  isoliert  worden.  Beide 
regen  Uteraskontraktionen  an,  daneben  besitzt 
die  Sphacelins&ure  die  Eigenschaft,  Gangrän  zu 
erzeugen,  während  Cornutin  Krämpfe  hervorruft. 
Später  ist  von  Jacobj  ans  der  Droge  das  Spha- 
celotoxin,  das  ebenfalls  Uteruskon traktionen 
und  Gangrän  erzeugt,  dargestellt  worden.  Diese 
drei  Körper,  welche  samtlich  wasserunlöslich 
sind,  können  indes  nicht  als  chemische  Indivi- 
duen bezeichnet  werden.  Erst  neuerdings  ist  es 
Vahlen  gelungen,  aus  dem  Mutterkorn  einen 
chemisch  einheitlichen,  gut  kristallisierbaren 
Körper  abzuscheiden. 

Das  Clavin,  dem  die  empirische  Formel 
CnH29Na04  zukommt,   kristallisiert   aus   heißer 


konzentrierter  alkoholischer  Lösung  in  7 — 8  mm 
langen  Prismen,  die  beim  vorsichtigen  Erhitzen 
sublimieren.  In  kaltem  absoluten  Alkohol,  Äther, 
Petrol&ther  ist  Clavin  unlöslich,  löslich  dagegen 
in  verdünntem  Alkohol  und  Wasser. 

Clavin  erzeugt  weder  Krämpfe  noch  Gangrän 
wie  Mutterkorn,  ist  auch  frei  von  irgend  einer 
anderen  Allgemein  Wirkung;  Tiere  vertragen  meh- 
rere Dezigramme  intravenös  ohne  Vergiftungs- 
symptome. Spezifisch  ist  dagegen  die  Wirkung 
auf  den  Uterus,  die  sich  schon  nach  Dosen  von 
einigen  Zentigrammen  geltend  macht.  Die  weni- 
gen bisher  vorliegenden  Versuche  bei  Menschen 
—  an  den  Frauenkliniken  zu  Halle  und  der 
Charite  zu  Berlin  —  beweisen  die  Wirkung  des 
Clavins  bei  zögernden  Wehen. 

Clavin  kann  entweder  per  os  oder  subkutan 
verabreicht  werden.  Für  die  innerliche  Verab- 
reichung   sind    Clavintabletten    aus    Zucker    be- 


472 


Referate. 


(~Ther&peu1 
L   Monatsh 


Monatshefte, 


stimmt,  von  denen  jede  0,02  g  Clavin  enthält. 
Zur  subkutanen  Injektion  dienen  die  Kochsalz- 
clavintabletten,  die  aus  0,02  g  Clavin  und  0,08  g 
Kochsalz  bestehen  und  in  1  ccm  Wasser  gelöst 
werden.  Die  wäßrigen  Lösungen  sind  sterilisier- 
bar, sind  aber  stets  frisch  anzufertigen,  da  sie 
sich  bei  längerem  Stehen  trüben  und  unange- 
nehmen Geruch  annehmen. 


Literatur. 
Aus  dem  pharmakologischen  Institut  der  Universität 
in  Halle.  (Direktor:  Geh.  Med.- Rat  Prof.  Dr. 
Harnack.)  Über  einen  neuen  wirksamen 
wasserlöslichen  Bestandteil  des  Mutter- 
korns. Von  Prof.  Dr.  Ernst  Vahlen,  Privat- 
dozenten und  Assistenten  am  Institut.  Deutsche 
medizinische  Wochenschrift  No.  32,  1905, 
S.  1263. 


Referate. 


Die  Behandlung  des  Diabetes  mellitus.  Klinischer 
Vortrag.  Von  Geh.  Med.-Rat  Prof.  B.  Naunyn 
(Straßburg)  in  Baden-Baden. 

Im  knappen  Rahmen  eines  lehrreichen  Vor- 
trages hat  Naunyn  an  der  Hand  einiger  Bei- 
spiele in  klarer,  leicht  faßlicher  Weise  die  me- 
thodische Behandlung  des  Diabetes  mellitus 
seinen  Zuhörern  dargelegt.  Er  stellt  fest,  daß 
man  den  Diabetes  bessern,  auch  eine  relative, 
aber  keine  absolute  Heilung  erreichen  kann,  und 
redet  in  dankenswerter  Eindringlichkeit  der  Pro- 
phylaxe bei  erblich  belasteten,  namentlich  Fett- 
leibigen, ganz  besonders  aber  fettleibigen  Kindern, 
das  Wort. 

Als  unerläßliches  Postulat  für  eine  erfolg- 
reiche Behandlung  stellt  er  mit  Recht  die 
Toleranzbestimmung  hin,- d.i.  die  Bestimmung 
der  Größe  der  Zuck  erzersetz  ung  im  Stoffwechsel. 
Es  handelt  sich  hierbei  zwar  nicht  um  eine 
absolute,  sondern  oberflächliche  Schätzung;  denn 
man  kann  nur  die  als  Brot,  Mehl  etc.  einge- 
führten Kohlehydrate  für  die  Zuckerbilanz  in 
Rechnung  setzen,  während  doch  das  Fleisch  noch 
Glykogen  in  wechselnder  Menge  enthält,  und 
beim  Diabetiker  aus  allen  Eiweißsubstanzen  im 
Stoffwechsel  Zucker  entsteht.  Für  den  prak- 
tischen Zweck  genügt  jedoch  diese  oberflächliche 
Schätzung,  weil  wir  durch  sie  ein  Urteil  über 
die  Schwere  des  Falles  gewinnen. 

Je  nach  der  Toleranzgröße  teilt  der  Vor- 
tragende die  Fälle  in  leichte,  mittelschwere  und 
schwere  ein. 

Schon  vor  einer  längeren  Reihe  von  Jahren 
glaubte  ich  mich  gegen  diese  Einteilung  aus- 
sprechen zu  müssen,  namentlich  aber  erschien 
mir  die  Bezeichnung  „ Mittelform"  für  viele 
Fälle  eher  verwirrend  als  klärend.  Maßgebend 
für  diese  meine  Auffassung  war  mir  die  Beob- 
achtung, wie  schwierig  es  oft  ist,  ganz  besonders 
im  Hinblick  auf  die  verschiedene  Zeitdauer  der 
Krankheit,  bevor  diese  zur  Behandlung  gelangt, 
und  bei  der  dem  Einzelfalle  eigentümlichen  ver- 
schiedengradigen  Progressivität,  sich  ein  sicheres 
Urteil  darüber  zu  bilden,  in  welche  Kategorie 
der  drei  Formen  der  Fall  einzureihen  ist.  Die 
Einteilung  in  chronische  (leichte)  und  akute 
(schwere)  Fälle  schien  mir  eher  am  Platze  zu 
sein.  Indes  ändert  dieser  im  Grunde  genommen 
nur  formelle  Einwand  nichts  an  dem  von  mir 
gewonnenen  Eindruck,  daß  selten  in  einem 
Vortrage  über  Diabetesbehandlung  alle  praktisch 
wichtigen    Momente    so    vortrefflich    geschildert 


und  dem  Verständnis  des  spezialistisch  nicht 
geschulten  Arztes  näher  gebracht  worden  sind, 
als  es  in  dem  vorliegenden  der  Fall  ist. 

Wie  wichtig  ist  beispielsweise  sein  Hinweis 
auf  die  irrtümliche  und  für  die  Praxis  gefähr- 
liche Annahme,  daß  alle  Fälle  leichte  seien, 
welche  bei  vollständiger  Kohlehydratentziehung 
zuckerfrei  werden. 

Die  diätetische  Behandlung  stellt  Naunyn 
obenan.  Für  diese  ist  es  unerläßlich,  daß  die 
Kostordnung  eine  einfache  sei.  Künstliche 
Nahrungsmittel  sollen  daher  nur  ausnahmsweise 
in  Gebrauch  kommen,  um  die  Übersichtlichkeit 
nicht  zu  verlieren.  Die  Kostordnung  muß  unter 
Zugrundelegung  des  Kalorienwertes  der  einzelnen 
Nahrungsmittel  und  mit  Berücksichtigung  des 
Kalorien  bedarf  es  des  Kranken  aufgestellt  werden. 
Der  Diabetiker  soll  „genug"  haben,  aber  »nicht 
zu  viel",  betont  der  Vortragende  mit  besonderem 
Nachdruck. 

In  anschaulicher  Weise  setzt  er  dann  aus- 
einander, welches  Ziel  der  Arzt  sich  bei  den 
drei  genannten  Formen,  insbesondere  der  leichten 
und  mittelschweren  Form,  zu  stellen  hat,  um 
Heilung  beziehungsweise  Besserung  zu  erreichen, 
und  auf  welchem  Wege  dies  am  sichersten  ge- 
schieht. 

In  Übereinstimmung  mit  allen  sachkundigen 
Ärzten  räumt  er  dem  Fett  in  der  Diätordnung 
vermöge  seines  hohen  Kalorienwertes  einen  her- 
vorragenden Platz  ein.  Nicht  ganz  vorbehaltlos 
möchte  ich  der  von  ihm  empfohlenen  Einschal- 
tung von  Hungertagen  in  der  Diabetestherapie 
zustimmen.  In  früheren  Jahren  habe  auch  ich 
ab  und  zu  den  Versuch,  allerdings  zumeist  bei 
vorgeschrittenen  Fällen  mit  einem  Karenztag 
gemacht;  dieser  wurde  jedoch  in  den  weitaus 
meisten  Fällen  schlecht  vertragen :  es  treten  An- 
fälle von  Tachykardie  und  Schlaflosigkeit  ein. 
—  Nach  meinen  Erfahrungen  eignen  sich  noch 
am  besten  solche  Fälle  für  die  Karenz,  welche 
die  vollständige  Abstinenz  von  Kohlehydraten 
mehrere  Tage  ohne  Störungen  in  ihrem  All- 
gemeinbefinden ertragen. 

Die  von  Naunyn  erörterte  Kur  für  die 
leichten  und  mittelschweren  Fälle  ist  auf  un- 
gefähr zwei  Monate  berechnet  und  kann  unter 
gewissen  Bedingungen  auch  in  der  Häuslichkeit 
durchgeführt  werden.  Den  Kurorten  Karlsbad 
und  Neuen ahr  räumt  er  jedoch  hauptsächlich 
deshalb  den  Vorzug  ein,  weil  er  in  gewissen 
Imponderabilien:    in    der  Gemütsruhe    und    den 


XIX  Jahrgang.  1 
Bcptwnber  1905.  J 


Referat*. 


473 


mannigfachen  Anregungen  der  Badekur  einen 
sehr  wirksamen  Faktor  sieht.  Die  schweren 
Fälle  gehören  nach  ihm  nur  in  geschlossene 
Heilanstalten.  Der  direkten  Wirksamkeit  der 
Quellen  in  den  genannten  Kurorten  auf  die 
Zuckerzersetzung  im  Stoffwechsel  scheint  der 
Vortragende  jedoch  einen  geringeren  Wert  bei- 
zulegen, als  ihr  nach  meiner  fest  begründeten 
Überzeugung  zukommt.  Dies  hindert  ihn  jedoch 
andrerseits  nicht,  schon,  wie  mir  scheint,  im 
Hinblick  auf  die  großen  Anforderungen,  die  die 
antidiabetische  Kostordnung  an  die  Organe  des 
chylopoe tischen  Systems  stellt,  die  große  Be- 
deutung der  Karlsbader  und  Neuenahrer  Quellen 
für  die  Diabetestherapie  anzuerkennen. 

Gestützt  auf  eine  mehr  als  dreißigjährige 
Erfahrung  in  Karlsbad,  muß  ich  in  Überein- 
stimmung mit  zahlreichen  sicherlich  urteils- 
fähigen Ärzten  daselbst,  vor  allem  mit  See  gen 
es  als  zweifellos  hinstellen,  daß  die  Karlsbader 
Quellen  auch  direkt  auf  die  Glykosurie  und  die 
Toleranz  einen  außerordentlich  gunstigen  Einfluß 
ausüben.  An  vielen  Hunderten  von  Fällen  ver- 
schiedenen Intensitätgrades  und  verschiedener 
Krankheitsdauer  habe  ich  diesen  Erfolg  kon- 
statiert. Daß  hierbei  noch  andere  Komponenten 
einer  Karlsbader  Kur,  die  der  Vortragende  be- 
reits erwähnt  hat,  mitreden,  räume  ich  ohne 
weiteres  ein,  aber  den  Schwerpunkt  haben  wir 
auf  die  Wirksamkeit  der  Quellen  zu  legen. 

Der  Vortragende  unterläßt  es  nicht,  neben 
den  Lichtseiten  der  diätetischen  Kuren  auch  die 
Schattenseiten  zu  schildern  und  die  Klippen  und 
Gefahren  zu  markieren,  die  mit  einer  langen 
antidiabetischen  Diät    zuweilen    verbunden  sind. 

Es  sind  goldene  Worte,  die  Naunyn  in 
dem  Schlußteile  seines  Vortrages  der  Pflege  des 
Diabetikers  widmet;  denn  mit  einer  einmaligen 
Kur  ist  es  selten  getan.  In  der  dauernden 
Kontrolle  und  Pflege  von  seiten  des  Arztes  liegt 
das  Heil  des  Patienten. 

Es  spricht  hier  nicht  nur  der  vielerfahrene, 
große  Kliniker  und  Lehrer,  sondern  auch  der 
um  das  Wohl  des  Kranken  sorgfältigst  bedachte 
Helfer  und  Berater. 

Aus  wohl  erwogenen  Gründen  verhält  sich 
endlich  der  Vortragende  ablehnend  gegen  die 
eigenartigen  Kurmethoden  bei  Diabetes:  wie 
Pflaumenkur,  Milchkur,  vegetarische  Behandlung, 
Kartoffel-  und  Hafergrützkur. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  25.) 

Jaques  Mayer  (Berlin,  früher  Karlsbad). 

Die  Behandlung  der  Gicht«    Von  Prof.  Dr.  Min- 
k  o  w  s  k  i-Köln  (Fortbild  ungs  vor  trag). 

Wenn  auch  in  der  Pathogenese  der  Gicht 
noch  vieles  unklar  ist,  so  erscheint  ätiologisch 
doch  die  Anhäufung  von  Harnsäure  im  Organis- 
mus sichergestellt.  Dieselbe  hängt,  wie  Verf. 
ausführt,  weniger  mit  einer  abnorm  reichlichen 
Bildung  als  mit  Unregelmäßigkeiten  ihrer  Aus- 
scheidung zusammen,  möglicherweise  infolge 
einer  abnormen  Bin dungs weise  der  Harnsäure 
im  Blute  und  in  den  Gewebssäften,  die  ihrer- 
seits wieder  Folge  einer  komplizierten  Stoff- 
wechselanomalie ist,  welche  sich  vorwiegend  in 
der  Substanz   der  Zellkerne  abspielt.     Die  weit- 


verbreitete Annahme,  daß  eine  allgemeine  Her- 
absetzung der  Oxydationsprozesse  der  Gicht  zu- 
grunde liegt,  erklärt  Verf.,  allerdings  ohne  weitere 
Begründung,  für  falsch. 

Bei  den  Uratablagerungen  kommen  lokale, 
noch  unbekannte  toxische,  infektiöse,  trauma- 
tische Momente  in  Betracht,  indes  ist  der 
Gichtanfall  als  Ausdruck  einer  auf  die  Beseiti- 
gung dieser  Ablagerungen  hinzielenden  Re- 
aktion des  Organismus  anzuseilen. 

Die  genannte  Stoffwechselanomalie  beruht 
auf  einer  hereditär  übertragbaren  Disposition 
und  wird  durch  übermäßige  Nahrungszufuhr,  Be- 
wegungsmangel, Alkoholmißbrauch,  Bleiintoxi- 
kation etc.  begünstigt,  ebenso  durch  Affektionen 
der  Verdauungsorgane. 

Therapeutisch  kommt  für  letztere  Fälle 
eventuell  Falkensteins  Salzsäuremedikation  in 
Betracht.  Im  übrigen  sind  die  erwähnten  Schäd- 
lichkeiten zu  vermeiden ,  speziell  sollen  die 
harnsäurebildenden  nuklein  reichen  Nahrungs- 
mittel, Thymus,  Leber,  Nieren  etc.,  verboten, 
Fleisch  und  Leguminosen  eingeschränkt,  ferner 
schwerverdauliche  und  starkgewürzte  Speisen  ge- 
mieden werden. 

Medikamentöse  Verminderung  der  Harn- 
säurebildung ist  unsicher.  Die  Chinasäure  und 
ihre  Verbindungen  (Urosin,  Sidonal,  Chinotropin, 
Urol),  denen  diese  Eigenschaft  zugeschrieben 
wurde  (Weiß),  wirken  wie  die  ihnen  verwandte 
Salizylsäure  wohl  nur  antineuralgisch. 

Die  Harnsäureausscheidung  wird  nach 
Minkowski  durch  Zufuhr  von  Wasser,  ins- 
besondere Mineralwasser,  befördert,  während  die 
zum  gleichen  Zweck  verordneten  Salizylpräpa- 
rate  wohl  mehr  durch  ihre  schmerzlindernden 
und    schweißerzeugenden    Eigenschaften    wirken. 

Beschleunigung  der  Harnsäure  Oxydation 
durch  Alkalien,  O-Inhalation,  Thyreoidin,  Sper- 
min hält  Verf.  für  unmöglich ;  die  physikalischen 
Methoden,  die  in  dieser  Richtung  in  Betracht 
kämen,  werden  von  ihm  hier  nicht  berück- 
sichtigt. 

Die  Bemühungen,  die  Harnsäure  in  leicht 
lösliche  Verbindungen  überzuführen,  sind 
bisher  besser  im  Reagenzglase  als  im  Organis- 
mus gelungen.  Es  wurden  in  dieser  Beziehung 
Lithium,  Piperazin,  Lysidin,  ferner  Harnstoff, 
Nukleinsäure  ohne  besonderen  Erfolg  versucht, 
Formaldehyd  als  Urotropin  und  Citarin  scheint 
etwas  günstiger  zu  wirken,  am  ehesten  noch  bei 
harnsauren  Steinen. 

Unter  den  vielen  Nervinis  und  Antineural- 
gicis  wird  das  Colchicum,  dessen  Wirkung  theo- 
retisch noch  unklar  ist,  von  den  Kranken  oft 
lebhaft  gepriesen. 

Die  Hauptsache  bleibt  die  Regelung  der 
Ernährung  und  der  Lebensweise  (s.  o.). 

Bei  der  balneo-,  hydro-  und  thermothera- 
peutischen  Allgemeinbehandlung  sind  die  stark 
Wärme  entziehenden  und  steigernden  Proze- 
duren für  die  jüngeren,  rüstigeren  Individuen, 
im  übrigen  die  mäßig  warmen  Bäder  geeignet. 
Der  akute  Anfall  braucht  Ruhe,  warme,  kalte, 
Prießnitz-  oder  Spiritusumschläge  je  nach  dem 
individuellen  Empfinden,  ferner  Anodyna  etc. 
Die    chronischen    Residuen     werden    lokal    mit 


474 


rThaimport 
L   Monatah 


Monatshefte. 


Massage  und  Wärme  in  den  verschiedenen 
Modifikationen  (Brei-,  Moor-,  Fango-,  Thermo- 
phorkompressen ,  heiße  Sandbäder ,  Heißluft- 
duschen, Glühlichtbäder  etc.)  behandelt.  Von 
Badeorten  kommen  je  nach  der  individuellen 
Konstitution  und  Affektion  Kochsalz-,  indiffe- 
rente und  Schwefelthermen,  alkalische,  alkalisch- 
sulfatische,  alkalisch-erdige  Quellen  etc.  in  Be- 
tracht. 

(Deutsche  med.  Wochenschrift  1905,  No.  11.) 

Esch  (Bendorf). 

Zur  Abstinenzfrage.    Von  0.  Rosenbach  (Berlin). 

Die  Forderung  der  totalen  Abstinenz  von 
Alkohol  ist  nach  den  Ausführungen  Rosen- 
bachs der  Anfang  einer  eminent  kulturfeind- 
lichen Bewegung,  deren  letztes  von  den  haupt- 
sächlichsten Vertretern  der  Abstinenzbewegung 
natürlich  nicht  immer  beabsichtigtes  Ziel  die 
Vernichtung  der  Sinnesfreudigkeit,  der  Kadaver- 
gehorsam,  der  Mystizismus   und   die  Askese   ist.' 

So  berechtigt  es  ist,  die  Gefahren  des  über- 
mäßigen Alkoholgenusses  eindringlich  zu  schil- 
dern, um  das  Genießen  nicht  zur  Leidenschaft 
werden  zu  lassen,  so  legt  die  Forderung  der 
absoluten  Abstinenz  und  der  Ruf  nach  strengen 
Gesetzen  gegen  den  bloßen  Verkauf  von  Alkohol 
zum  Zweck  des  Genusses  die  Vermutung  nahe, 
daß  hier  wieder  einmal  der  Versuch  gemacht 
wird,  das  höchste  Gut  dos  Menschen  zu  ver- 
nichten, die  Selbstbestimmung,  das  Recht,  durch 
vernünftige  Wahl  die  beste  und  geeignetste 
Form  des  Lebens  und  seiner  Freuden  und  Ge- 
nüsse zu  finden. 

Ein  jeder  solcher  Versuch  muß  zum  Schaden 
ausschlagen,  weil  er.  nicht  zu  vernunftmäßiger 
Selbstbeherrschung  erziehen,  sondern  in  erster 
Linie  durch  Abschreckung  blinden  Gehorsam  er- 
zielen will. 

(Fortschritte  der  Medizin  1905,  Nr.  17.) 

Eschle  (Sinsheim). 

Die  Behandlung  der  Herzinsuffizienz.  Fortbildungs- 
vortrag von  Dr.  A.  Hoffmann-Düsseldorf. 
Während  bei  absoluter  Insuffizienz  Bett- 
ruhe, Eisblase,  leichte  Ernährung  und  die  ver- 
schiedenen medikamentösen  Maßnahmen  indiziert 
sind  (Digitals,  Diuretin,  Koffein ,  Morphin, 
Kampfer  etc.),  kommen  bei  relativer  Insuffi- 
zienz (Herzschwäche)  indifferent  temperierte 
Bäder,  kühle  Abreibungen  und  besonders  ver- 
nünftige Regelung  der  Lebeweise  in  Betracht. 
Gymnastik,  speziell  Zandergymnastik,  ist  oft 
schädlich,  daher  nur  mit  Vorsicht  zu  verwenden, 
von  Kohlensäure  und  den  neuerdings  mit  großer 
Reklame  angepriesenen  sinusoidalen  Wechsel- 
strombädern sah  Verf.  bei  wirklich  Herz- 
kranken keine  wesentliche  Besserung,  die  sie 
nicht  der  Lebensweise  allein  auch  verdanken 
könnten.  Mit  Recht  weist  Verf.  u.  a.  auch  auf  den 
geringen  Wert  der  Blutdruckmessung  hin. 

(Deutsche  med.  Wochenschrift  1905,  Nr.  18.) 

Esch  (Bendorf). 


Ober  Tuberkulin-  und  Heilstflttenbebandlung 
Lungenkranker.  Von  Dr.  W.  Freymutb,  Ober- 
arzt der  Tuberkulosenabteilung  am  Kranken- 
hause der  Seh  lesischen  Landesversicherungs- 
Anstalt  in  Breslau. 

Die  Schlesische  Landes  Versicherungsanstalt 
in  Breslau  hat  als  erste  Tuberkulosen heilstätte 
die  Tuberkulinbehandlung  in  die  Heilstätten- 
behandlung hineingezogen,  und  in  Westpreußen 
hat  Petruschky  schon  Ambulatorien  für  Nach- 
behandlung mit  Tuberkulin  geschaffen,  ebenso 
wie  wiederum  die  obige  Versicherungsanstalt 
eine  Reihe  von  Kranken  ambulatorisch  oder  in 
ihrem  Kranken  hause  mit  Tuberkulin  nach- 
behandeln läßt.  Statistisch  kann  man  aus  diesen 
bisher  noch  kleinen  Zahlenergebnissen  gerade 
noch  nichts  direkt  Zwingendes  für  das  Tuberku- 
lin ins  Feld  führen,  aber  soviel  sei  auch  schon 
nach  den  Turb  ansehen  Zahlen  vergleichen  sicher, 
daß  die  Tuberkulinbehandlung  ein  dauerndes  Frei- 
werden von  Bazillen  eher  ermögliche,  und  daß  das 
Tuberkulin  in  der  Tuberkulosebehandlung,  und  sei 
es  auch  im  vorteilhaftesten  Sanatorium,  ein  be- 
achtenswertes Plus  in  der  Behandlung  sei  und 
darum  in  einzelnen  Etappen  immer  und  immer 
wieder  angewendet  werden  müsse.  Dann  würden 
auch  andere  Ergebnisse  aus  der  Heilstätten- 
bewegung gezeitigt  werden  und  besser,  als  sie 
Weicker  bisher  veröffentlichte.  Die  Anstalten 
müßten  insgesamt  zu  diesem  kombinierenden 
Verfahren  sich  entschließen,  sie  würden  dadurch 
der  Mißkreditierung  der  Heilstätten-  und  der 
Tuberkulinbehandlung  für  sich  allein  am  besten 
vorbeugen.  Ein  gemeinsames  Vorgehen  ist 
darum  zugunsten  dieser  zwei  bedeutsamen  In- 
stitutionen recht  sehr  am  Platze  und  anzu- 
bahnen. Die  Auswahl  für  die  in  den  Heil- 
stätten mit  Tuberkulin  zu  behandelnden  Kranken 
bezeichnet  am  besten  das  Turban  sehe  Schema, 
und  zwar  die  Repräsentanten  des  Stadiums  1 
und  die  besten  des  Stadiums  2.  Um  nun  die 
Tuberkulinbehandlung  im  Rahmen  der  Heil- 
stättenbehandlung wirksam  zur  Geltung  zu 
bringen,  müsse  man  auch  eine  ambulante  Be- 
handlung im  Sinne  Weicker-Petruschkys 
anbahnen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  1903,  No.  43.) 

Rahn  (CoUm  i.  S.J. 

Mittel  und  Wege  der  antituberkulösen  Propa- 
ganda. Von  Dr.  B 1  um enthal- Moskau. 
Verf.  plädiert  neben  der  Propaganda  durch 
das  gesprochene  und  geschriebene  Wort  noch 
für  eine  solche  durch  Anschauung  vermittelst 
des  Skioptikons  sowie  für  Einrichtung  einer 
Zentralsammelstelle  alles  hierfür  Geeigneten. 

(Zeitschr.  f.  Tuherk.  u.  Heilst.,  Mai  1903,  IV,  4.) 

Esch  (Bendorf). 

Ober  Immunisierung  von  Rindern  gegen  Tuber- 
kulose (Perlsucht)  und  Ober  Tuberkulose- 
Serum  versuche.   Von  Dr.  Fr.  Fr.  Fried  mann 

(Berlin). 

Nachdem  Verf.  bereits  früher  (s.  Ref.  S.  422) 
von  der  Möglichkeit  berichtet  hatte,  Meerschwein- 
chen durch  seinen  Schildkrötentuberkelbazillen- 
stamm  zu  immunisieren,  ist  es  ihm  nunmehr  ge- 


XIX.  Jahrgang.  ~| 
September  1905,  J 


Referate. 


475 


lungen,  mit  demselben  nicht  nur  Rinder  gegen 
nachfolgende  Perlsachtinfektion  zu  schützen,  son- 
dern auch  ein  perlsüchtiges  Rind  zu  heilen.  Das 
Serum  von  auf  diese  Weise  geschützten  Tieren 
immunisierte  seinerseits  wiederum  Meerschwein- 
chen gegen  nachfolgende  Tuberkelinfektion. 

(Deutsche  med.  Woch*nscKr.  1904,  No.  46.) 

(Esch  Bendorf). 

(Aus  dem  pharmakologischen  Institut  sn  Göttingen.) 

Ober  die  Verwendung  des  Santonins  gegen  Lungen- 
tuberkulose. Von  Dr.  Carl  Tollen s. 
Das  Santonin,  das  zu  den  Krampfgiften  ge- 
hört, besitzt,  wie  vor  kurzem  Harnack  gezeigt 
hat,  die  Eigenschaft,  die  normale  Temperatur 
bedeutend  herabzusetzen.  Verf.  überzeugte  sich, 
daß  auch  Tiere,  an  denen  der  Wärm  est  ich  vor- 
genommen worden  war,  auf  Dosen  von  weniger 
als  0,1  g  santoninsaurem  Natrium  einen  Tem- 
peraturabfall von  1°  aufwiesen.  Nach  den  In- 
jektionen beginnt  zugleich  das  Atemvolumen  zu 
steigen,  während  die  Frequenz  abnimmt  und 
erheblich  unter  die  Norm  abfällt;  auch  die  Zahl 
der  Leukozyten  erfährt  durch  die  Injektionen, 
wenn  auch  keine  erhebliche,  so  doch  immerhin 
deutliche  Zunahme.  Aus  allen  diesen  Gründen 
leitet  Tollens  die  Berechtigung  ab,  Santonin 
bei  Lungentuberkulose  des  Menschen  zu  emp- 
fehlen. In  Taschkent  soll  übrigens  Santonin  in 
ausgedehnter  Weise  von  der  einheimischen  Be- 
völkerung bei  dieser  Erkrankung  mit  Erfolg 
benutzt  werden. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  16.) 

Jacobson. 

(Ana  dem  ehem.  Laboratorium  der  Universität  Tübingen.) 
Ober  die  Einführung  von  Stickstoff  In  die  San  tonin  - 
molekel  und  das  physiologische  Verhältnis 
einiger  Santoninstoffe.    Von  Edgar  Wede- 
kind. 

E.  Wedekind  ist  es  gelungen,  stickstoff- 
haltige Derivate  des  Santonins  darzustellen,  welche 
teils  von  Robert,  teils  von  Straub  auf  ihre 
pharmakodynamischen  Eigenschaften  untersucht 
wurden.  Letzterer  Autor  stellte  zur  Yergleichung 
Versuche  mit  dem  Desmotroposantonin,  der  S an- 
tonsäure, dem  oben  erwähnten  stickstoffhaltigen 
Abkömmling  der  salzsauren  d-aminodesmotropo- 
santonigen  Säure  und  schließlich  mit  dem  in  seiner 
starken  toxischen  Wirkung  beim  Menschen  wohl 
bekannten  Wurmmittel,  dem  Santonin,  selbst  an. 
All  diese  Substanzen  erwiesen  sich  nun  auch  bei 
der  drastischsten  Form  der  Einverleibung,  der 
intravenösen,  selbst  in  großen  Dosen  für  Kanin- 
chen als  fast  ungiftig.  Diese  Tatsache  ist  wieder 
als  ein  neuer  Beweis  dafür  aufzufassen,  wie 
durchaus  unzulässig  es  ist,  nach  dem  Versuchs- 
ergebnis, welches  mit  einem  Arzneimittel  oder 
Gift  an  einer  oder  einigen  wenigen  Tierspezies 
erlangt  worden  ist,  Schlüsse  auf  seine  Verwend- 
barkeit oder  Wirkung  beim  Menschen  ziehen  zu 
wollen. 

Die  weiteren  Versuche  beschäftigten  sich 
mit  Studien  über  die  kurativen  Eigenschaften 
des  Santonins  und  seiner  Derivate  in  ihrer  Wir- 
kung auf  Darmparasiten.  Die  zu  diesem  Zwecke 
gewählten    Würmer,    Askariden,    wurden    durch 


einen  Zusatz  von  0,1  g  Santonin  zu  100  ccm  Flüs- 
sigkeit in  4—6  Stunden  getötet,  während  die 
8  anderen  Derivate,  welche  zum  Teil  nur  außer- 
ordentlich geringfügige  Änderungen  der  che- 
mischen Struktur  gegen  ersteres  aufweisen,  dessen 
spezifische  Wirkung  auch  nicht  einmal  angedeutet 
besitzen. 

(Zeitschr.f.physiol.  Chem.  Bd.  63,  H.  3  u.  4,  No.  240  ml.  f.) 

Th.  A.  Maas*. 

Beitrag  cur  Behandlung  der  Ankylostomlasis- 
anftmie  und  der  Tropenanämien.  Von  Dr. 
Otto  Liermberger. 

Empfehlung  der  Levicowässer  zur  Behand- 
lung der  durch  Ankylostomum  auftretenden 
Anämien. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift  1905 f  No.  14.) 

H.  Rosin. 


Filariasis  beim  Menschen,  geheilt  durch  Entfer- 
nung der  erwachsenen  Wurmer  während 
einer  Operation  wegen  Lymphscrotum.  Von 
Prof.  A.  Primrose  in  Toronto  (Kanada). 
Der  Patient  war  aus  Westindien  gebürtig 
und  hatte  sich  wahrscheinlich  schon  vor  1 6  Jahren 
oder  länger  mit  Filaria  sanguinis  infiziert.  Da- 
mals hatte  er  an  einer  Anschwellung  des  Hoden- 
sackes gelitten,  die  als  Hydrocele  aufgefaßt  und 
mit  Punktion  behandelt  wurde.  Seitdem  hatte 
er  in  Abständen  von  einem  bis  anderthalb  Jahren 
Fieberanfälle  gehabt,  die  mit  schmerzhafter  An- 
schwellung der  Inguinal drüsen  begannen.  Wäh- 
rend der  letzten  Jahre  war  dabei  das  Sero  tum 
angeschwollen.  Solche  Anfälle  hatte  er  nur  in 
den  Tropen  gehabt,  niemals  wenn  er  sich  in 
Nordamerika  oder  Europa  aufhielt,  weshalb  er 
sie  für  Malaria  hielt.  —  Als  Pr  im  rose  ihn  in 
Kanada  in  Behandlung  bekam,  war  der  Hoden* 
Back  auf  etwa  das  Dreifache  angeschwollen  und 
hart.  Primrose  diagnostizierte  Elephantiasis 
und  vermutete  gleich  Filaria  als  Ursache.  Im 
Blute  wurden  auch  alsbald  die  Embryonen  in 
großer  Zahl  aufgefunden.  —  Der  größte  Teil 
des  verhärteten  Scrotums  wurde  durch  einen 
elliptischen  Schnitt  entfernt.  Die  Wunde  heilte 
gut.  Bei  Zerzupfung  des  exstirpierten  Gewebs- 
stückes  wurde  ein  lebender  Wurm  und  Bruch- 
stücke von  einigen  anderen  gefunden.  —  Einige 
Wochen  nach  der  Operation  hatte  der  Kranke 
wieder  einen  Fieber anf all,  zum  ersten  Male  im 
nördlichen  Klima.  Einige  Zeit  später  waren  je- 
doch keine  Embryonen  im  Blute,  trotz  mehr- 
facher Untersuchung,  zu  finden.  Primrose 
nimmt  also  an,  daß  die  im  Sero  tum  befindlichen 
Würmer  die  Muttertiere  alier  der  Embryonen 
waren,  die  früher  stets  im  Blut  vorhanden  ge- 
wesen waren.  Durch  Verstopfung  der  Lymph- 
bahnen hatten  sie  die  Elephantiasis  des  Scrotums 
hervorgerufen. 

(British  medical  Journal  1903,  14.  Nov.) 

Classen  (Grübe  4.H.). 

Ergebnisse  der  Schutzimpfung  mit  der  Pasteur- 
schen    Methode    im    Jahre   1903.      Von    Dr. 
W.  Palmirski  u.  Z.  Karlowski. 
Im  Jahre  1903  wurden  1230  Personen  der 

Schutzimpfung  gegen  Lyssa  unterzogen.     Davon 


476 


rherapeutltchfe 
Monatsheft«. 


waren  1087  in  der  ersten  Woche  nach  dem  er- 
folgten Biß ,  108  in  der  zweiten,  je  15  in 
der  dritten  nnd  vierten  Woche,  5  in  späterer 
Zeit  in  Behandlung  getreten.  Von  den  Be- 
handelten sind  an  Lyssa  gestorben  3,  was  einem 
0,24  °/0- Verhältnisse  entspricht.  Auffallend  ist, 
daß  von  den  drei  Gestorbenen  einer  am  vierten 
Tage,  einer  am  dritten,  einer  sogar  am  zweiten 
Tage  der  Behandlung  unterzogen  wurde  — 
also  trotz  verhältnismäßig  sehr  rasch  angewandter 
Injektion  ein  letales  Ende  nahmen.  Es  wurde 
stets  die  verstärkte  Methode  in  Anwendung  ge- 
zogen, mit  achttägigem  Rückenmark  beginnend 
bis  zum  dreitägigen,  bei  Gesichtswunden  bis 
zum  eintägigen  fortschreitend.  Die  Behandlung 
dauerte  16—30  Tage. 

(Medycyna  1904,  No.  45.) 

Gabel  (Lemberg). 

Der  künstliche  Abort.  Von  Professor  Heinrich 
Fritsch  (Bonn.) 

Bezüglich  der  Indikationsstellung  zur  Ein- 
leitung der  künstlichen  Fehlgeburt  warnt  Fritsch 
mit  Recht  vor  einer  zu  großen  und  den  Wünschen 
der  Schwangeren  nachgebenden  Ausdehnung  bei 
der  Tuberkulose.  In  einer  30jährigen  Praxis 
hat  er  von  der  Einleitung  des  künstlichen  Aborts 
bei  Phthise  wenig  Gutes  gesehen.  Namentlich 
darf  die  Annahme,  daß  das  Kind  der  tuberku- 
lösen Mutter  doch  nicht  alt  würde,  kein  Grund 
sein,  die  Schwangerschaft  zu  unterbrechen.  Viel 
wichtiger  ist  es,  das  Kind  nach  der  Geburt,  wenn 
es  angängig  ist,  von  der  kranken  Mutter  zu 
entfernen,  um  die  Gefahr  der  Infektion  zu  ver- 
meiden. Am  häufigsten  gibt  bei  Phthise  ein  an- 
haltendes Erbrechen,  welches  eine  genügende 
Ernährung  unmöglich  macht,  die  Indikation  zur 
Einleitung  der  Fehlgeburt.  An  und  für  sich 
wird  aberHyperemesis,  namentlich  auf  hysterischer 
Basis  beruhende,  nur  in  seltenen  Fällen  zu  opera- 
tivem Eingreifen  zwingen,  die  perniziöse  Hyper- 
emesis  zeigt  als  Symptome  Fieber,  Ikterus  und 
raschen  Kräfteverfall.  Karzinom  des  Uterus  be- 
dingt Totalexstirpation  oder  am  Ende  der 
Schwangerschaft  den  Kaiserschnitt,  nie  aber  die 
Einleitung  einer  Fehlgeburt,  welche  hingegen 
bei  hochgradiger  Beckenverengerung  bei  Osteo- 
malacie  indiziert  ist,  falls  nicht  eine  gleichzeitige 
Radikaloperation  mit  Entfernung  des  Uterus  und 
der  Ovarien  zur  gleichzeitigen  Heilung  der 
Osteomalacie  vorzuziehen  ist. 

Vor  der  Ausführung  des  künstlichen  Abortes 
in  einer  Sitzung  warnt  Fritsch  dringend.  Die 
Kranke  muß  wie  zu  jeder  vaginalen  Operation 
durch  Abführmittel,  Sitzbäder,  desinfizierende 
Scheidenspülungen  vorbereitet  sein.  Alsdann  legt 
Fritsch  einen  Laminariastift  ein,  den  er  nach 
24  Stunden  entfernt,  um  eine  Sondierung  und 
als  Wichtigstes  ein  Ablasssen  des  Fruchtwassers 
anzuschließen.  In  die  so  eröffnete  Eihöhle  wird 
ein  mit  10  proz.  Ichthyolglyzerin  getränkter  Gaze- 
streifen eingeführt.  Nach  Absterben  des  Fötus, 
welches  sich  häufig  durch  Temperatursteigerung 
dokumentiert,  lösen  sich  jetzt  unter  dem  Reize 
der  Wehen  die  Eihäute  und  lassen  sich  am  nächsten 
Tage,  falls  sie  nicht  in  die  Scheide  geboren 
sind,  gewöhnlich  leicht  mit  der  Abortzange  ent- 


fernen. Eine  gründliche  Gebärmutterausspülung 
beendigt  den  operativen  Eingriff.  Auf  diese 
Weise  lassen  sich  die  gefährlichen  Blutungen, 
welche  bei  übereiltem  Verfahren  unvermeidlich 
sind,  sicher  ausschließen. 

(Deutsche  med.   Wochenschr.  1904.  No.  48.) 

Falk  (Berlin). 

Der  zunehmende  Gebrauch  von  Blei  als  Abortiv- 
mittel. Von  Dr.  Arthur  Hall  in  Sheffield. 
Daß  das  Blei  als  Abortivmittel  im  Volke 
in  den  letzten  Jahren  immer  weitere  Verbreitung 
gewinnt,  besonders,  wie  es  scheint,  in  gewissen 
Gegenden  Englands,  ist  den  Ärzten  im  all- 
gemeinen nicht  genug  bekannt.  Es  ist  deshalb 
verdienstvoll  von  Hall,  auf  diese  wichtige  Tat- 
sache hinzuweisen,  indem  er  eine  ganze  Reihe 
von  interessanten  Beobachtungen  anführt.  Wo 
Bleivergiftungen  mit  der  Häufigkeit  einer 
Epidemie  auftreten,  ohne  daß  der  Grund  in 
bleihaltigem  Trinkwasser  oder  industrieller  Be- 
schäftigung zu  finden  ist,  da  ist,  namentlich 
wenn  es  sich  um  weibliche  Personen  handelt, 
stets  an  abortiven  Gebrauch  zu  denken.  Das 
Blei  wird  entweder  als  Unguentum  diaehylon 
oder  in  Gestalt  von  Pillen  genommen,  die  als 
„Frauenpillen  (female  pills)"  oder  unter  ähn- 
lichem Namen  beim  Drogisten  zu  haben  sind. 
Die  Vergiftung  verläuft  entweder  akut  unter 
stürmischen,  das  Leben  bedrohenden  Erschei- 
nungen oder  mehr  chronisch  unter  nicht  minder 
schweren  Störungen.  Unter  den  30  mitgeteilten 
kurzen  Krankengeschichten  war  eine  mit  töd- 
lichem Ausgang;  nur  wenige  verliefen  leicht 
und  schnell  günstig;  bei  den  meisten  handelte 
es  sich  um  ein  schweres  Krankheitsbild  mit 
Anämie,  manchmal  mit  Krämpfen  und  Kollaps. 
Die  Diagnose  stand  in  jedem  Falle  fest,  die 
Ursache  wurde  nicht  immer  von  der  Patientin 
eingestanden,  war  jedoch  aus  den  Umständen 
sicher  zu  erschließen.  Leider  läßt  die  englische 
Gesetzgebung  ein  Verbot  des  Verkaufs  jener 
Pillen  nicht  zu.  Man  kann  deshalb  nur  warnen 
und  die  Kenntnis  von  der  Gefahr  möglichst  ver- 
breiten. 

(British  medical  Journal  1905,  18.  März.) 

Classen  (Grübe  i.  H.). 

Beitrag  zur   Therapie   der  Eklampsie.    Von  Dr. 

Cykowski. 

Von  der  Auffassung  ausgehend,  daß  Eklampsie 
eine  Autointoxikation  des  Körpers  darstellt,  ist 
Verf.  gegen  die  Verabreichung  narkotischer 
Mittel.  Das  Mortalitätsverhältnis  betrug  bei 
letzterwähnter  Medikation  im  Warschauer  Spital 
40  bis  60  Proz.,  wogegen  nach  Einführung  der 
nächstzubeschreibenden  Behandlung  das  Sterb- 
lichkeitsverhältnis auf  13  Proz.  herabfiel.  Die 
Behandlung  besteht,  falls  die  Kranke  im  Beginn 
der  Geburt  bei  1  —  V/2  fingerbreit  offenem  Mutter- 
mund ins  Spital  aufgenommen  wurde,  in  einem 
Aderlaß,  wobei  circa  400  cem  Blut  gelassen 
wird,  mit  nachträglicher  subkutaner  Injektion 
von  800  bis  1000  g  physiologischer  Kochsalz- 
lösung.   Auf  den  Kopf  kommt  ein  Eisbeutel. 

War  aber  der  Muttermund  schon  fast  oder 
ganz  verstrichen,  so  wird  vom  Aderlaß  Abstand 


XIX  Jahrgang.  "I 
ftapUmber  1905.  J 


Referate. 


477 


genommen  und  getrachtet,  die  Geburt  zu  be- 
endigen, wobei  man  aber  einem  eventuell  reich- 
lichen Blutverlust  nicht  hemmend  entgegentritt. 
Dadurch  wird  der  Körper  von  den  im  Blute 
kreisenden  Giften  entlastet. 

Fälle  mit  Temperaturerhöhung  über  39  °  C. 
geben  eine  ungünstige  Prognose,  ebenso  mehr- 
fache Schwangerschaft. 

(Gynekologia  No.  11,  1905.) 

Gabel  (Lemberg). 

Über  die  rationelle  Behandlung  der  Toxämie  In 
den  ersten  Schwangerscnaftsmonaten  and 
insbesondere  des  einfachen  Erbrechens  wäh- 
rend der  Schwangerschaft.   Von  A.  T  u  r  e  n  n  e. 

Der  Zustand  der  Autointoxikation  in  den 
ersten  Monaten  der  Schwangerschaft  beruht  nach 
Turenne  auf  dem  gestörten  Gleichgewicht  in 
der  Produktion  und  der  Ausscheidung  der  durch 
die  innere  Sekretion  der  Genitaldrüsen  gelieferten 
Stoffe.  Seine  Analogie  findet  dieser  Zustand  in 
den  Störungen,  die  bei  essentieller  Amenorrhoe, 
ferner  in  der  natürlichen  oder  artefiziellen  Meno- 
pause auftreten.  Diese  Störungen  sind  von  den 
verschiedensten  Seiten  erfolgreich  mit  Ovarin 
behandelt  worden  und  Verf.  kam  deshalb  auf 
den  Gedanken,  auch  bei  den  zahlreichen  ner- 
vösen Beschwerden,  von  denen  gravide  Frauen 
in  den  ersten  Monaten  der  Schwangerschaft 
heimgesucht  werden,  das  Ovarin  zu  versuchen. 
Turenne  verordnete  je  nach  der  Schwere  der 
Erscheinungen  10 — 60  cg  Ovarin  pro  die  und 
erzielte  damit  in  18  Fällen  nach  1  —  3  Wochen 
einen  vollen  Erfolg. 

(La  Presse  me'dic.   1904,  No.  92.     Revue  obstetr.   de 
Buenos  Ayres  1904,  14.  Mai) 

Ritterband  (Berlin). 

Beitrag  zur  Hydrotherapie  in   der  Geburtshilfe. 

Von  Dr.  Winkler  (Finkenwaide-Stettin). 

Eine  außerordentliche  Einschränkung  des 
Anlegens  der  Zange  kann  nach  den  Erfahrungen 
W'inklers  durch  das  heiße  Fuß-Sitzbad  ver- 
bunden mit  der  innerlichen  Darreichung  von 
heißem  Zuckerwasser  erreicht  werden. 

Da  die  Geburt  eine  physische  Kraftleistung 
ist,  die  nur  bei  und  unter  Entwicklung  einer 
bedeutenden  Wärmeenergie  vor  sich  geht,  so 
hört  die  Wehentätigkeit  auf,  wenn  der  Körper 
wegen  Blutarmut,  wegen  Ermattung  oder  Ab- 
kühlung während  der  Geburt  nicht  mehr  ge- 
nügende Wärme  erzeugen  kann. 

Winkler  führt  in  diesen  Fällen  dem  Körper 
Wärme  zu,  indem  er  ein  Sitzbad  von  37°  C. 
event.  in  einem  Waschbecken  bereiten  läßt,  dabei 
auf  den  Uterus  heiße  Kompressen  legt  und  die 
Füße  in  Wasser  von  40°  C.  stellt  und  gleich- 
zeitig heißes  Zuckerwasser  reicht.  Event,  ge- 
nügen auch  Dampfkompressen  allein  auf  Uterus, 
Knie  und  Waden. 

Das  Sitzbad  hat  noch  die  günstige  Neben- 
wirkung, daß  das  Kind  durch  seine  Schwerkraft 
dem  Beckenausgang  zustrebt  und  so  seinerseits 
durch  Reiz  auf  die  unteren  Uterin  abschnitte 
Wehen  auslöst. 

(Arch.f.phys.-diät  Ther.  1905,  No.  l.)l 

Esch  (Bendorf). 


Ober  Spinalanalgesle   im   Kindesalter.    Von  Dr. 

Karl  Preleitnor. 

In  der  Sitzung  der  K.  K.  Gesellschaft  der 
Ärzte  in  Wien  vom  23.  Juni  1905  bespricht 
Preleitner  die  Anwendbarkeit  der  Spinal- 
analgesie bei  Kindern.  In  40  Fällen  trat  33  mal 
prompt  Analgesie  ein,  fünfmal  war  dieselbe  un- 
genügend und  versagte  zweimal  gänzlich.  Zur 
Ausführung  der  Operation  mußte  in  den  fünf 
Fällen  von  ungenügender  und  den  zwei  von 
fehlender  Analgesie  die  allgemeine  Narkose  vor- 
genommen werden ,  die  nach  Verbrauch  von 
auffällig  geringen  Mengen  Chloroform  eintrat. 

Zur  Analgesie  wurde  ausschließlich  Eucai- 
num  ß  in  dreiprozentiger  sterilisierter  Lösung 
benutzt.  Je  nach  dem  Alter  des  Kindes  wurden 
Mengen  von  0,03—0,06  (=  1—2  ccm  der 
Lösung)  verwendet. 

Als  Einstichstelle  wurde  —  bei  vornüber- 
gebeugter Haltung  des  Patienten  —  die  Gegend 
unterhalb  der  Spitze  des  vierten  Lenden wirbel- 
dorns  gewählt.  Nach  vorsichtigem  Abfließen- 
lassen der  Cerebrospinalflüssigkeit  —  je  nach 
der  zu  injizierenden  Menge  1  — 1,5  —  2  ccm  — 
wurde  langsam  injiziert  und  nach  Entfernung 
der  Nadel  die  Wunde  mit  Jodoformgaze  und 
Pflaster  verschlossen.  Nach  3 — 5  Minuten  be- 
ginnt die  Analgesie  zuerst  am  Perineum  und 
ist  nach  10  Minuten  vollkommen  in  einem  Be- 
zirk vom  Nabel  abwärts.  In  etwa  der  Hälfte 
der  Fälle  trat  Brechreiz  oder  einmaliges  Er- 
brechen auf,  dem  ruhiger  Schlaf  folgte.  Ältere 
Kinder  blieben  häufig  wach. 

Bei  einem  neunjährigen  Mädchen  kam  es 
nach  Injektion  von  2  X  0,03  Eukain  zu  Intoxi- 
kationserscheinungen (Erbrechen,  Muskelzittern, 
Hyperästhesien,  weite  Pupillen,  kollapsähnlicher 
Zustand),  die  am  dritten  Tage  geschwunden 
waren.  Wahrscheinlich  handelte  es  sich  in 
diesem  Falle  um  eine  Idiosynkrasie  gegen 
Eukain.  Bei  Kindern  von  3  —  8  Jahren  wurden 
Dosen  von  0,045  g  (=  1,5  ccm),  bei  jüngeren 
Kindern  und  bei  kürzerer  Dauer  der  Operation 
0,03  g  angewandt.  Das  jüngste  so  behandelte 
Kind  —  große,  linksseitige  Hernie  —  war 
4L/9  Monate  alt. 

Fast  nach  jeder  Injektion  konnte  eine 
Temperatursteigerung  am  ersten  Abend  auf  37,8 
bis  39,2°  beobachtet  werden;  am  dritten  Abend 
war  die  Temperatur  stets  wieder  normal.  In 
5  Fällen  stellte  sich  nach  der  Injektion  eine 
2  —  3  Tage  lang  anhaltende  Harninkontinenz  ein, 
nur  einmal  —  bei  dem  Mädchen,  das  die  oben- 
erwähnte Intoxikationserscheinungen  darbot  — 
dauerte  dieselbe  4  Wochen.  Ausgeführt  wurden 
in  Spinalanalgesie  Operationen  nach  Bassini, 
Epiphysenlösung,  Klumpfußredressement,  Unter- 
schenkelamputation, Hydrocelenoperation,  Exstir- 
pation  eines  Hygroma  praepatellare. 

Die  Spinaianalgesie  ist  demnach,  wie  Verf. 
schließt,  als  gefahrlos  auch  für  das  Kindesalter 
zu  empfehlen,  weil  sie  1.  im  Gegensatz  zur 
Inhalationsnarkose  auch  bei  Herzfehlern  und 
Bronchitiden  gefahrlos  angewendet  werden  kann, 
2.  da  eine  Schluckpneumonie  ausgeschlossen 
werden  kann  und  3.  weil  bei  ihr  der  Narkoti- 
seur  erspart  wird. 


478 


Referate. 


fThermpentiachft 
L   Monatshefte. 


In  der  sich  an  den  Vortrag  anschließenden 
Diskussion  glaubt  Clairmont  die  Spinalanal- 
gesie bei  Kindern  nicht  empfehlen  zu  können, 
weil  sich  in  40  Fällen  5  mal  Harninkontinenz 
eingestellt  hat.  Auch  bei  Erwachsenen  sind 
solche  Fälle  beschrieben  worden,  deren  Ursache 
entweder  in  einer  Verletzung  des  Conus  medul- 
laris  oder  in  der  Bildung  eines  Hämatoms  zu 
suchen  ist.  Auch  v.  Eiseisberg  warnt  vor  zu 
ausgedehnter  Anwendung  der  Lumbalanästhesie, 
da  gerade  bei  Kindern  die  Inhalationsnarkose 
mit  Billrothscher  Mischung  resp.  Äther  aus- 
gezeichnete Dienste  leistet.  Fraenkel  macht 
darauf  aufmerksam,  daß  durch  die  Spinalanal- 
gesie zwar  die  Schmerzempfindung,  nicht  aber 
die  beunruhigenden,  psychischen  Momente,  die 
Furcht  etc.,   ausgeschaltet  werden. 

Im  Schlußwort  weist  Preleitner  darauf 
hin,  daß  die  Harninkontinenz  nicht  von  einem 
Hämatom  oder  einer  Nervenverletzung  abhänge, 
sondern  als  Eukainwirkung  aufzufassen  sei.  Un- 
ruhe und  Furcht  lassen  sich  durch  Ablenkung 
der  Kinder  ausschalten,  zum  Teil  schlafen  die 
Patienten  auch. 

(Wiener  klinische  Wochenschrift  1905,  Nr. 26,  8.709.) 

J.  Jacobson,    , 

Behandlung  von  Säuglingen,  welche  im  Körper- 
gewicht zurückgeblieben  sind  (Atrophie  und 
Athrepsie).    Von  E.  Terrien. 

Seit  Variot  unterscheidet  man  auch  in 
Frankreich  die  Athrepsie,  d.  i.  die  schwere 
Kachexie  eines  Kindes  im  ersten  Vierteljahr, 
von  der  Atrophie,  d.  i.  der  leichteren  Form  der 
Gewichtsabnahme  bei  älteren  Kindern.  Die 
Atrophie  beeinflußt  viel  weniger  den  gesamten 
Organismus  des  Säuglings.  Die  atrophischen 
Kinder  sind  zwar  blaß  und  anämisch,  bieten 
auch  oft  die  Zeichen  der  Rachitis  dar,  in  den 
meisten  Fällen  aber  ist  das  verringerte  Körper- 
gewicht das  einzige  pathologische  Symptom,  das 
sich  bei  ihnen  feststellen  läßt.  Ein  Kind  ist 
also  atrophisch,  wenn  es  weniger  wiegt,  als  ein 
normales  Kind  seines  Alters  wiegen  muß. 
Terrien  gibt  nun  eine  einfache  Berechnung 
für  das  normale  Körpergewicht  eines  Kindes 
in  den  einzelnen  Monaten  des  ersten  Jahres  an. 
Bei  der  Geburt  wiegt  der  normale  Säugling  im 
Durchschnitt  3250  g.  Am  Ende  des  5.  Monats 
hat  er  mit  6500  g  dieses  Gewicht  verdoppelt, 
und  es  mit  8950  g  am  Ende  des  ersten  Jahres 
nicht  ganz  verdreifacht.  Will  man  nun  be- 
rechnen, wieviel  ein  Kind  in  einem  der  ersten 
5  Monate  wiegen  muß,  so  multizipliert  man 
einfach  die  Monatszahl  mit  700  (700  g  beträgt 
nämlich  die  durchschnittliche  Gewichtszunahme 
des  Säuglings  in  den  ersten  5  Monaten)  und 
addiert  dazu  das  Geburtsgewicht.  Ein  Säugling 
am  Ende  des  vierten  Monats  wird  also  4  X  700 
-4-  3250  =  6050  g  wiegen.  Vom  fünften  Monat 
an  beträgt  die  monatliche  Gewichtszunahme  nur 
350  g.  Da  wir  nun  das  Gewicht  am  Ende  des 
fünften  Monats  (6500  g)  kennen,  so  handelt  es 
sich  bei  Berechnung  des  Körpergewichts  in  den 
späteren  Monaten  nur  um  die  Bestimmung  des 
Supplementgewichts.  Soll  beispielsweise  das  Ge- 
wicht des  9.  Monats  berechnet  werden,  so  wird  4 


mit  350  multipliziert  =  1400  und  dazu  6500, 
d.  i.  das  Gewicht  am  Ende  des  fünften  Monats 
hinzuaddiert.  Das  Säuglingsgewicht  am  Ende 
des  neunten  Monats  beträgt  also  7900  g.  So 
kann  man  sehr  schnell  berechnen,  ob  und  wie- 
viel das  Körpergewicht  eines  Säuglings  hinter 
der  Norm  zurückgeblieben  ist. 

Liegt  nun  bei  einem  Kinde  Atrophie  vor, 
so  kommt  es  bei  der  Behandlung  desselben 
darauf  an,  ob  die  akuten  bezw.  chronischen 
Verdauungsstörungen,  die  zur  Atrophie  geführt 
haben,  noch  vorhanden  oder  bereits  abgelaufen 
sind.  Im  ersten  Falle  müssen  zunächst  diese 
Störungen  durch  entsprechende  Mittel  behoben 
werden.  Bei  reiner  Atrophie  ist  das  Wesent- 
liche die  Regelung  der  Ernährung.  Ist  es  mög- 
lich, so  sorge  man  dafür,  daß  das  Kind,  das 
bisher  vielleicht  künstlich  ernährt  wurde,  nun 
regelmäßig  die  Brust  erhält.  Doch  kann  es 
vorkommen,  daß  die  Kinder  die  Brust  zurück- 
weisen oder  bei  Brustmilch  noch  mehr  ab- 
nehmen. In  solchen  Fällen  lasse  man  sterili- 
sierte Milch  versuchen.  Noch  besser  als  diese 
scheinen  gewisse,  leichter  verdauliche  Milch- 
arten vertrkgen  zu  werden,  nämlich  rohe  Esels- 
miich  und  besonders  die  Backhausmilch  Nr.  1, 
von  der  jedoch  das  Kind  etwas  größere  Quan- 
titäten (etwa  ]/5  mehr)  erhalten  muß,  als  von 
sterilisierter  Milch.  Kommt  nun  die  Gewichts- 
zunahme in  Gang,  so  kann  man  diese  speziellen 
Milcharten  ganz  gut  durch  sterilisierte  Milch 
ersetzen.  Bezüglich  der  Milchquantität  und 
-Verdünnung  geht  man  in  folgender  Weise  vor:  Es 
werden  in  die  Milchflasche  zunächst  20 — 25  g 
Wasser  eingefüllt  und  dazu  so  viel  sterilisierte 
Milch  hinzugefügt,  daß  die  Quantität  erreicht 
wird,  welche  das  Kind  zu  jeder  Mahlzeit  er- 
halten soll.  Wieviel  Milch  das  ist,  richtet  sich 
nicht  nach  dem  Alter  des  Kindes,  sondern  nach 
seinem  jeweiligen  Körpergewicht,  und  Verf.  gibt 
eine  einfache  Rechnung  an ,  um  die  nötige 
Menge  jederzeit  bestimmen  zu  können:  Man 
multipliziere  die  ersten  beiden  Ziffern  des 
Körpergewichts  mit  2  und  addiere  dazu  */5  der 
erhaltenen  Zahl,  wenn  das  Kind  weniger  als 
6000  g,  ein  Zehntel,  wenn  es  mehr  wiegt.  Wiegt 
z.  B.  ein  Kind,  wie  alt  es  immer  sei,  5250  g, 
so  stellt  sich  die  Rechnung  2  x  52  =  104. 
Dazu  kommt  '/5  dieser  Ziffer,  also  104  +  20 
=  124.  124  g  sind  demnach  die  Quantität, 
die  ein  Kind  von  5250  g  jedesmal  (d.  h.  7  mal 
in  24  Stunden)  zu  trinken  erhält.  Natürlich 
hat  diese  Zahl  keine  absolute  Geltung,  sondern 
bildet  nur  einen  Maßstab  der  für  ein  Kind 
von  bestimmtem  Gewicht  notwendigen  Nahrungs- 
menge. 

Es  kann  nun  vorkommen,  daß  ein  atrophi- 
scher Säugling  die  sterilisierte  Milch  nicht  ver- 
trägt. In  diesem  Falle  muß  die  Ernährung  nach 
den  Grundsätzen  geändert  werden,  die  für  die 
Behandlung  der  Athrepsie  maßgebend  sind. 
Diese  Ernährungsstörung  und  ihre  Therapie  ver- 
spricht der  Autor  in  einem  besonderen  Artikel 
zu  erörtern. 

(La  Presse  medic.  1904,  No.  104.) 

RMerband  (Berlin). 


XIX.  Jahrgang.  T 
Baptambw  1906.  J 


Referat*. 


479 


Tabes  mesenterica.  Deatfa  rate«  In  England  aince 
1850.  Remarks  by  Wm.  Tath  am -London. 
M.  A.,  M.  D.  Fellow  of  the  Royal  College  of 
Physicians  of  London. 

Die  Tabellen  des  Verf.  geben  die  Sterblich- 
keit in  allen  Altersklassen  von  der  Kindheit 
bis  zum  höchsten  Alter  an  Tabes  mesenterica 
an.  Tabes  mesenterica  ist  ein  ziemlich  un- 
bestimmter Ausdruck ,  unter  den  außer  den 
tuberkulösen  Affektionen  der  Mesenterialdrüsen, 
des  Peritoneums  und  der  Eingeweide  noch  eine 
betrachtliche  Zahl  wenig  scharf  umgrenzter 
Erankheitsbilder  einbezogen  wird ,  bei  denen 
Abzehrung  und  Diarrhöen  die  hervorstechenden 
Symptome  bilden.  Aus  den  Tabellen  geht  nun 
hervor,  daß  sowohl  in  allen  Altersklassen  als 
auch  speziell  in  denjenigen  unter  5  Jahren,  bei 
welchen  die  Krankheit  am  häufigsten  auftritt,  in 
den  Jahren  von  1851  — 1880'  zugenommen  hat, 
seitdem  allmählich  in  der  Abnahme  begriffen 
ist.  Es  scheint  eine  Beziehung  zwischen  Tabes 
mesenterica  und  Diarrhöe  (infektiöser  Enteritis) 
zu  bestehen.  Wenigstens  geht  aus  den  offi- 
ziellen statistischen  Jahresberichten  hervor,  daß 
die  Sterblichkeit  an  diesen  beiden  Krankheiten, 
die  mit  Vorliebe  und  am  heftigsten  Kinder 
unter  einem  Jahre  und  ganz  besonders  die 
Altersklasse  von  3—6  Monaten  befallen,  fast 
immer  zusammen  steigt  und  fallt. 

(Tuberculosis.  Monatsschrift  d.  internationalen  Zentral- 
Bweaus  zur  Bekämpfung  der  Tuberkulose  1905,  Vol  IV, 
Nr.  1.)  Eschle  (Sinsheim). 

Die  Sehnenreflexe  und  Störungen  des  Gefühls  bei 
Tabes.    Von  Dr.  L.  Bregman. 

Die  Arbeiten  letzter  Jahre  haben  bewiesen, 
daß  dem  Fehlen  des  Achillessehnenreflexes  eine 
ebensolche,  wenn  nicht  wichtigere  Bedeutung 
als  dem  We  8  tp  halschen  Symptom  in  der  Dia- 
gnose der  Tabes  incipiens  beizumessen  ist. 

In  diesen  Fällen,  wo  ersterwähnter  Reflex 
fehlt,  bei  erhaltenem  Kniesehnenreflexe,  muß  auf 
den  Sitz  des  Leidens  im  Kreuzteile  und  letzten 
Lumbal  abschnitt  des  Rückenmarks  geschlossen 
werden. 

Verf.  untersuchte  die  Frage,  ob  sich  nicht 
in  jenen  Fällen,  welche  Sensibilitätsstörungen, 
die  der  Ausbreitung  der  von  diesen  Rücken- 
marksteilen versorgten  Partien  entsprächen, 
nachweisen  ließen,  und  kommt  zu  dem  Schluß, 
daß  Sensibilitätsstörungen  später  vernältnismäßig 
klinisch  zu  konstatieren  sind,  so  daß  Reflex- 
störungen als  ein  bedeutend  empfindlicheres  Sym- 
ptom gestörter  Rückenmarkstätigkeit  zu  gelten 
haben. 


(Medycyna  1905,  No.  7.) 


Oabel  (Lemberg). 


Beitrag  zur  Ätiologie  und  Therapie  des  Tic  con- 
yulsif.    Von  t)r.  K.  Noishewski. 

Zwei  Fälle  von  Tic  convulsif  der  rechten 
Oesichtshälfto  —  als  Folgezustand  einer  durch 
lange  Zeit  und  mit  starken  Strömen  behandelten 
Paralyse,  beidemal  des  rechten  Facialis  — 
zessierten  nach  zehnmaliger  bezw.  siebenmaliger 
Faradisation  der  linken  gesunden  Gesichts- 
hälfte.    Verf.  nimmt   als  Krankheitsursache    den 


Hypertonus  der  gelähmten  Gesichtshälfte  an, 
welcher  durch  Faradisation  der  gesunden  Seite 
ausgeglichen  wurde. 

(Nowiny  Ukarskü  1904,  No.  10.)     Oabel  (Lemberg). 

Ziele,  Portschritte  und  Bedeutung  Ton  Ösopha- 
goskopie. Von  Dr.  med.  Georg  Glücksmann, 
Berlin. 

Der  Verf.  hat  die  Methodik  der  Ösophago- 
skopie durch  ein  Instrument  vervollkommnet, 
das  er  vor  kurzer  Zeit  veröffentlicht  hat,  und 
das  augenscheinlich  wesentliche  Fortschritte  in 
der  Freilegung  des  Innern  der  Speiseröhre, 
sowie  der  Beleuchtung  und  Besichtigung  bietet. 
Er  gibt  im  vorliegenden  Artikel  eine  genaue, 
mit  Abbildungen  versehene  Beschreibung  des 
Instrumentes  und  weist  auf  die  Erfolge  hin,  die 
damit  für  die  Diagnostik  und  die  Chirurgie  ge- 
wonnen werden  können.  Einzelheiten  müssen 
im  Original  eingesehen  werden. 

(Berl.  klin.  Wochenschr.  1904,  No.  23.)      H.  Rosin. 

Ein    neues    Irrlgationscystoskop.    Von   Prof.  Dr. 

Leopold  Casper. 

Den  bisherigen  Irrigationscystokopen  haftet 
entweder  der  Fehler  an,  daß  man  sie  nicht  ge- 
nügend desinfizieren  kann;  sie  vertragen  den 
Dampf  nicht;  oder  die  Optik  muß  entfernt 
werden,  um  zu  spülen.  Das  Durchsehen  während 
der  Irrigation  ist  aber  oft  wichtig,  z.  B.  be- 
kommt man  Tumorteile,  die  sich  auf  das  Prisma 
legen,  nur  aus  dem  Gesichtsfeld  heraus,  wenn 
der  Strom  des  Wassers  über  das  Prisma  dahin- 
fährt.  Auch  für  starke  Blutungen  ist  die  Ein- 
richtung des  Irrigationscystokops,  bei  der  man 
sieht,  während  gespült  wird,  nicht  zu  entbehren. 
Gasper  hat  nun  das  Cystokop  dahin  modi- 
fiziert, daß  der  Irrigationskanal  vom  Instrument 
abnehmbar  ist,  derselbe  kann  nun  völlig  sterili- 
siert werden,  man  kann  mit  ihm  ordentlich 
irrigieren  und  während  der  Irrigation  durch- 
sehen. Das  Ganze  bildet  ein  vollkommen 
rundes,  glattwandiges  Cystokop  vom  Durchmesser 
23  Charriere. 

(Monatsberichte  für  Urologie,  X,  3.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

(Aus  dar  Ohren-  und  Kehlkopfklinik  in  Rostock  (i.  M.) 

Die  Tuberkulose  des  Warzenfortsatzes  im  Kindes- 
alter. Von  Privatdozent  Dr.  Henrici  (Rostock). 

1.  Die  Warzenfortsatztuberkulose  im  Kindes- 
alter ist  eine  relativ  häufige  Erkrankung,  etwa 
*/5  aller  kindlichen  Mastoiditiden  sind  tuberkulös. 

2.  Die  tuberkulöse  Mastoiditis  der  Kinder 
ist  in  den  allermeisten  Fällen  eine  primär  ossale, 
d.  h.  auf  dem  Wege  der  Blutbahn  induzierte 
Erkrankung. 

3.  Es  übertrifft  die  primär  ossale  Warzen- 
fortsatztuberkulose an  Häufigkeit  des  Vorkommens 
die  sekundäre,  im  Anschluß  an  eine  Paukenhöhlen- 
tuberkulose entstandene. 

4.  Die  Tuberkulose  des  Warzenfortsatzes 
im  Kind  es  alter  ist  meist  ein  rein  lokales  und 
relativ  gutartiges  Leiden.  Sie  ist  der  Therapie 
wohl  zugänglich  und  gibt,  falls  sie  rechtzeitig 
zur  Operation  kommt,  gute  Aussicht  auf  Heilung. 


480 


Referate. 


rrherapeatisclM 
L   Monatsheft«. 


5.  Bei  der  Operation  gelingt  die  Entfernung 
alles  Krankhaften  meist  durch  die  einfache  Warzen- 
fortsatzaufmeißelung.  Nur  in  wenigen  Fällen  ist 
man  gezwungen,  auch  die  Paukenhöhle  wie  bei 
der  Radikaloperation  mit  aufzudecken  und  aus- 
zuräumen. 

6.  Die  sichere  Diagnose,  daß  Tuberkulose 
vorliegt,  kann  man  nur  in  seltenen  Fällen  aus 
dem  makroskopischen  Bilde  bei  der  Operation 
stellen,  sie  wird  meist  erst  durch  die  mikrosko- 
pische Untersuchung  möglich.  Der  Tierversuch 
gibt  nicht  so  sichere  Resultate  wie  das  Mikroskop. 

7 .  Facialislähmung  ist  verhältnismäßig  selten 
bei  der  tuberkulösen  Mastoiditis  der  Kinder  und 
spricht,  wo  sie  vorhanden  ist,  für  einen  fortge- 
schrittenen Prozeß  im  Warzenfortsatz. 

8.  Eine  Tuberkulose  der  Rachenmandel  hat 

keine   wesentliche  Bedeutung  für   das  Entstehen 

einer  Warzenfortsatztuberkulose  bei  Kindern. 

(Zeitschr.  f.  Ohrenheilk.  etc.  Bd.  48,  Ergänsungsheft) 
Krebs  (Hildesheim). 

Ober  psychische  Störungen  nach  Warzenfortsats- 
operatlonen.  Von  Dr.  Fritz  Großmann, 
Assistenzarzt  der  Kg).  Universitätsohrenklinik 
(Prof.  Lucao)  in  Berlin. 

„Psychische  Störungen  nach  Aufmeißelungen 
des  Warzenfortsatzes  sind  nur  scheinbar  so  selten, 
wie  ihr  rares  Vorkommen  in  der  Literatur  er- 
warten läßt. 

Sie  sind  vielmehr  ebenso  häufig  wie  die 
Psychosen  nach  andern  Operationen  und  stehen 
selbst  den  Geistesstörungen  nach  gynäkologischen 
Encheiresen  und  Kataraktoperationen  wenig  nach, 
vorausgesetzt,  daß  ein  gleichwertiges  Material 
zum  Vergleich  herangezogen  wird.  Ihr  Frequenz- 
verhältnis ist  im  Durchschnitt:  1  Psychose  auf 
500  Aufmeißelungen. 

Ebenso  wie  für  die  gynäkologischen  Opera- 
tionen und  Kataraktextraktionen  lassen  sich  auch 
für  die  Aufmeißelungen  des  Warzenfortsatzes 
besonders  wirksam  prädisponierende  Momente 
eruieren. 

1.  Die  Erschöpfung  des  Gesamtorganismus 
durch  den  Eiterungsprozeß. 

2.  Die  Autointoxikation. 

3.  Die  Meißelerschütterung,  das  Verhäm- 
mern  des  Schädels. 

4.  Die  Nachbehandlung. 

Auch  eine  kurz  vor  der  Operation  vorge- 
nommene Lumbalpunktion  kann  die  Disposition 
zur  seelischen  Erkrankung  steigern. 

Das  wirksamste  Moment  ist  ohne  Zweifel 
die  Operation  selbst,  d.  h.  die  Meißelerschütte- 
rung, da  von  4  Psychosen  3  das  typische  Bild 
des  sekundären  traumatischen  Irreseins  darboten. 

Die  einfache  Eröffnung  des  Antrum  und  die 
Totalaufmeißelung  ergaben  den  gleichen  Prozent- 
satz postoperativer  Psychosen. 

Die  Haupterschütterung  des  Kopfes  wird 
demnach  wohl  bei  dem  Durchmeißeln  einer  sehr 
harten  und  stark  entwickelten  Corticalis  erzeugt. 

Prophylaktisch  ist  der  Gebrauch  des  Meißels 
möglichst  einzuschränken,  eine  Lumbalpunktion 
kurz  vor  der  Operation  nur  bei  strengster  Indi- 
kation vorzunehmen. 


Das  Auftreten  hypochondrisch-melancholi- 
scher  Verstimmung  nach  einer  Warzen  fortsatz- 
operation  ist  ein  alarmierendes  Symptom  und 
fordert  zu  strenger  Überwachung  auf,  da  stets 
die  Gefahr  des  Suicidium  droht." 

(Zeitschr.  f.  Ohrenheilkunde  IL,  3  u.  4.) 

Krebs  (Hildesheim). 

Die  Indikation  zur   Eröffnung  des  Warzenfort- 
satzes bei  akuter  eitriger  Mittelohrentzündung. 

Von  Dr.  Theodor  Hei  man. 

Bei  der  Behandlung  der  akuten  eitrigen 
Mittelohrentzündung,  welcher  Prozeß  immer,  wie 
es  die  Erfahrung  lehrt,  mit  geringerem  oder 
stärkerem  Ergriffensein  des  Processus  mastoideus 
kombiniert  ist,  soll  als  Richtschnur  der  allgemeine 
chirurgische  Grundsatz  gelten:  Wo  die  Bedin- 
gungen zur  Entleerung  des  Eiters  ungünstig 
sind,  dieselben  durch  Eröffnung  künstlicher  Wege 
günstiger  zu  gestalten:  das  ist  in  diesem  Falle 
durch  Eröffnung  der  Cellulae  mastoideae,  even- 
tuell des  Antrum  mastoideum. 

Da  aber  der  Eiterherd  im  Warzenfortsatz 
häufig  durch  Resorption  verschwindet,  sollen  die 
Fälle  gesondert  werden  in  die,  woselbst  die 
Wahrscheinlichkeit  der  Resorption  gegeben  ist, 
von  denen,  wo  nur  durch  operativen  Eingriff 
Heilung  zu  erwarten  ist. 

8  bis  lOtägige  Krankheitsdauer  der  Ent- 
zündungserscheinungen in  der  Trommelhöhle  und 
Warzenfortsatz  bilden  noch  keine  Indikation  zur 
Operation.  Diese  Erscheinungen  schwinden  nach 
zwei  bis  drei  Wochen  oder  auch  später,  ohne 
welche  Folgezustände  zu  hinterlassen. 

Die  Eröffnung  des  Warzenfortsatzes  schon 
in  zwei  Wochen  nach  Beginn  der  Grundkrankheit 
ist  bloß  ausnahmsweise  geboten,  niemals  in  den 
ersten  Krankheitstagen. 

Ist  man  im  Zweifel,  ob  der  Eiter  im  Warzeo- 
fortsatz  durch  Resorption  verschwinden  wird  oder 
nicht,  dann  ist  es  geboten,  den  Warzenfortsatz 
zu  trepanieren;  diese  Ungewißheit  tritt  aber  erst 
im  Laufe  der  dritten  bis  fünften  Woche  des 
Grundleidens  auf. 

Vor  der  Operation  hat  man  antiphlogistisch 
zu  verfahren,  ein-  bis  mehreremale  das  Trommel- 
fell zu  durchstechen,  damit  der  Eiter  abfließen 
kann. 

Ein  konstanter  Schmerz  im  Warzenfortsatz, 
wenn  er  länger  als  drei  bis  vier  Wochen  dauert, 
ist  nicht  Folgezustand  von  Eiterretention,  sondern 
bildet  eine  Indikation  zur  Operation.  Ebenso 
wenn  die  Eiterung  abundant  ist  und  binnen 
einem  Monat  —  trotz  Behandlung  —  nicht 
zessiert. 

Auch  bei  geringgradiger  Eiterung,  weon 
dabei  Fieber  vorhanden  ist  —  oder  ohne  Fieber, 
wenn  der  Zustand  konstant  sieben  bis  acht 
Wochen  dauert  und  das  Gehör  abgestumpft  ist  — 
ist  die  Operation  angezeigt. 

Die  im  Beginn  der  Trommel  höhlen  entzün- 
dung  vorhandene  Schwellung  oder  entzündliche 
Infiltration  des  Warzenfortsatzes  bildet  keine  In- 
dikation zum  chirurgischen  Eingriff,  wohl  aber 
wenn  dieser  Zustand  längere  Zeit  dauert. 

Meningealreizungssymptome  bei  offenem 
Trommelfell  und  gehörigem  Eiterabfluß  bedingen 


XIX.  Jahrgang.") 
BapUmber  190ft.J 


Referate. 


481 


sofortige  Trepanation  des  Warzenfortsatzes;  ist 
Eiterretention  vorhanden,  dann  muß  vorerst  für 
gehörigen  Abfluß  gesorgt  werden. 

In  den  meisten  Fällen  ist  die  Schnittführung 
Wildes  nicht  ausreichend,  es  muß  auch  der 
Warzenfortsatz  eröffnet  werden.  Doch  erweist 
sich  als  genügend  die  Eröffnung  der  Cellulae 
mastoideae  mit  nachfolgender  Ezkochleation ; 
sieht  man  aber  während  der  Operation,  daß  die 
Knocheneiterung  tiefer  greift,  dann  muß  das 
Antrum  bloßgelegt  werden. 

Die  Trepanation  bildet  keinen  gefährlichen 
Eingriff,  eventuelle  Komplikationen,  die  schein- 
bar im  Gefolge  der  Operation  entstanden,  waren 
schon  früher  vorhanden,  nur  konnte  der  chirur- 
gische Eingriff  das  Eintreten  derselben  nicht 
verhindern. 

Statistisch  ist  nicht  nachgewiesen,  daß  eine 
Frühoperation,  d.  i.  vor  dem  angegebenen  Ter- 
mine, günstig  auf  den  Yerlauf  der  Krankheit 
einwirken  würde. 

(Medycyna  No.  47,  48,  49,  50,  1904.) 

Oabel  (Leniberg). 

Zar  Paracenteeenfrage.  Von  Professor  K.Bürkner 

(Göttingen). 

Der  Wunsch,  über  die  von  Zaufal  und 
Pfiffl  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  von  akuter 
Mittelohrentzündung  behauptete  Entbehrlichkeit 
der  Paracentese  aus  eigener  Erfahrung  urteilen 
zu  können,  hat  Bürkner  veranlaßt,  in  einer 
Reihe  von  einschlägigen  Fällen  auf  die  früh- 
zeitige Entleerung  des  Exsudats  zu  verzichten. 
Bürkner  wollte  50  Fälle  derartig  behandeln, 
hat  aber  seine  Versuche  beim  44.  Fall  abge- 
brochen, weil  die  Ergebnisse  ihn  nicht  be- 
friedigten. In  klarer  und  anschaulicher  Weise 
wird  der  ziffernmäßige  Nachweis  erbracht,  daß 
unter  der  paracenteselosen  Behandlung  die 
Ileilungsdaner  eine  längere  ist,  daß  die  Eiterung 
öfter  in  ein  chronisches  Stadium  übergeht,  daß 
Komplikationen  am  Warzenfortsatz  häufiger  auf- 
treten, und  daß  die  Patienten  sich  tagelang  mit 
Schmerzen  herumquälen  müssen,*  welche  durch 
den  kleinen  Eingriff  am  Trommelfell'  beseitigt 
werden  könnten.  „Ich  habe  wahrlich  mitunter 
arge  Gewissensbisse  gehabt",  ruft  der  Verf.  aus. 

Diesen  Versuchen  stellt  Bürkner  350  Fälle 
aus  seiner  Privatpraxis  der  letzten  zehn  Jahre 
gegenüber,  von  denen  200  paracentesiert  wurden 
nnd  150  bereits  mit  einer  spontanen  Perforation 
in  Behandlung  gekommen  waren.  An  erschöpfen- 
den ziffernmäßigen  Tabellen  zeigt  Bürkner  die 
Vorteile  der  frühzeitigen  Paracentese. 

(Archiv  für  Ohrenheilkunde,  Bd.  62,  3  u.  4.) 

Krebs  (Hildesheim). 

Amaurose  nach  Paraffinplastik  einer  Sattelnase. 

Von  W.  Mintz,   Chirurg   am  Alt-Katharinen- 
spital  zu  Moskau. 

Den  zwei  bisher  bekannt  gewordenen  Fällen 
von  Erblindung  nach  Paraffinoplastik  der  Nase 
kann  Mintz  einen  dritten  hinzufügen. 

Ein  26 jähriger  Mann,  der  bereits  vor 
Jahresfrist  wegen  einer  luetischen  Sattelnase 
mit  Paraffininjektionen  behandelt  worden  war, 
erhielt     rechte     und     links    vom    Nasenrücken, 


l]/2  cm  von  der  Nasenspitze  entfernt,  im  ganzen 
0,3  g  Paraffin  von  43°  injiziert.  Wenige  Mi- 
nuten später  traten  Schmerzen  im  linken  Auge 
auf,  nnd  es  kam  sehr  schnell  zur  völligen  links- 
seitigen Erblindung;  daneben  trat  Erbrechen 
auf,  Pulsfrequenz  48.  Da  die  ophthalmosko- 
pische Untersuchung,  abgesehen  von  einer  Parese 
der  Mm.  rectus  internus,  inferior  und  des  M. 
obliquns  inferior  normales  Verhalten  des  Augen - 
innern  und  der  brechenden  Medien  ergab,  war 
eine  Embolie  der  Art.  centralis  retinae  auszu- 
schließen. In  den  folgenden  Tagen  entwickelten 
sich  links  ein  Exophthalmus,  Ödem  der  Augen- 
lider, Chemosis  conjunctivae,  Trübung  der  Cornea. 
Zugleich  nahm  die  Nasenrückenhaut  schwarz- 
bläuliche Färbung  an  und  wurde  anästhetisch; 
später  machten  sich  hier  zwei  thrombosierte 
Bezirke  bemerkbar  sowie  Nekrose.  Das  Ödem, 
der  Exophthalmus  und  die  Trübung  der  Cornea 
nahmen  allmählich  ab.  Am  22.  Tage  nach  der 
Injektion  ergab  sich  als  Augenbefund:  Augen- 
hintergrund gleichmäßig  rot  injiziert,  Papille 
leicht  getrübt.  Im  weiteren  Verlauf  entwickelte 
sich  Opticusatrophie. 

Es  handelte  sich  also  in  diesem  Fall  um 
folgenden  Vorgang:  Im  Anschluß  an  die  Injek- 
tion entstand  eine  Thrombose  der  Venae  nasales 
extern ae,  welche  sich  auf  die  Vena  ophthalmica 
inferior  und  nach  dem  Foramen  opticum  zu  aus- 
breitete; es  gerann  nun  das  Blut  in  der  Vena 
centralis  retinae,  im  Hauptstamm  der  Vena 
ophthalmica  und  im  Plexus  cavernosus;  auch 
das  Gebiet  der  Vena  ophthalmica  superior  wurde 
in  die  Stauung  einbezogen. 

(ZenfralbL  f.  Chirurg.  1905,  No.  2,  S.  47.) 

Jacobson. 

Zur  Behandlung  der  Hautkarzlnöme  mit  fluores- 
zierenden Stoffen.  Von  A.  Jesionek  und  H. 
v.  Tappeiner. 

6  Fälle  von  Haut-  resp.  Schleimhautkarzi- 
nomen sind  von  den  beiden  Autoren  durch  Auf- 
pinselungen und  Injektionen  in  das  erkrankte 
Gewebe  von  solchen  Stoffen  behandelt  worden, 
die  unter  starker  Fluoreszenz  photodjnamische 
Wirkungen  entfalten.  Die  erkrankten  Stellen 
wurden  dem  Sonnenlichte  oder  Bogenlichte  gleich- 
zeitig exponiert.  Die  angewendeten  Substanzen 
waren   Salze    der  Fluoresceinreihe  insbes.  Eosin. 

Die  Erfolge  sind  durch  beigegebene  Abbil- 
dungen illustriert.  Sie  waren  wechselnd.  Bei 
3  Patienten  scheint  absolute  Heilung  eingetreten 
zu  sein,  2  erkrankten  und  starben  an  Kose, 
1  Fall  ist  zweifelhaft  geblieben. 

(Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin.  Bd.  82.) 

A.  Rosin, 

Ueber   den   vergleichenden  Wert    der   alten  und 
neuen  Methoden  in  der  Behandlung  des  Lupus 
vulgaris   und   gewisser   anderer  Hautkrank- 
heiten.    Von  J.  H.  Sequeira. 
Auf     der     diesjährigen    Versammlung     der 
British  Medical  Association   in  Oxford  eröffnete 
Sequeira   eine  Diskussion   über   obigen  Gegen- 
stand.     Er   hält    die   Finsensche   Lichtbehand- 
lung entschieden  für  die  beste  Methode;  sie  gibt 
die  besten  Narben  und  führt  zu  dauernder  Heilung 


482 


Referate. 


[Therapeut 
L   Monatsh 


Monatshefte. 


ohne  Rezidive.  Sie  hat  jedoch  den  Nachteil, 
daß  sie  lange  dauert  und  kostspielig  ist.  Bei 
sehr  ausgedehntem  und  lange  bestehendem,  be- 
sonders aber  bei  ulzeriertem  Lupus  ist  deshalb 
die  Behandlung  mit  Röntgenstrahlen  vor- 
zuziehen. Bei  dieser  heilen  besonders  die  Ulze- 
rationen  schnell,  jedoch  bleiben  häufig  innerhalb 
der  Narbe  vereinzelte  Knoten  übrig,  welche  zu 
Rezidiven  führen  können.  Auch  kann  zu  lange 
Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  zu  einer  Derma- 
titis und  zur  Bildung  eines  Epithelioms  führen. 
Exzision  mit  Auskratzung  sowie  Kauterisation 
soll  nur  bei  fungösen  Wucherungen  zur  Anwen- 
dung kommen.  —  Bei  weit  über  den  Körper 
ausgebreiteter  Erkrankung  soll  man  mit  Tuber- 
kulininjektionen  die  besten  Erfolge  erzielen 
können.  —  Auch  mit  Radiumlicht  lassen  sich 
nach  den  wenigen  Erfahrungen,  über  dieSequeira 
bisher  verfügt,  gute  Heilungen  erzielen ;  besonders 
scheint  es  sich  für  den  Lupus  der  Schleimhäute, 
der  mit  andern  Methoden  schwer  zu  erreichen 
ist,  zu  eignen.  —  Die  Behandlung  mit  stark 
frequenten  elektrischen  Entladungen  hält  Se- 
queira  zur  Behandlung  des  Lupus  nicht  für 
geeignet. 

Beim  Lupus  erythematodes  kommen  alle 
die  eben  genannten  Methoden  auch  zur  Anwen- 
dung, ihr  Erfolg  ist  jedoch  hier  im  ganzen  weniger 
sicher,  Rezidive  kommen  häufiger  vor,  was  offenbar 
darin  seinen  Grund  hat,  daß  die  Krankheit  auf 
allgemeinen  inneren  Ursachen  beruht. 

Beim  Ulcus  rodens  ist  die  Exzision  nur 
bei  geringem  Umfang  angängig.  Sonst  ist  die 
Geschwürsfläche  auszukratzen,  und  dann  sind 
Röntgenstrahlen  anzuwenden.  Sequeira  hat  auf 
diese  Weise  bei  33  Proz.  dauernde  Heilung  ge- 
sehen; auch  wenn  Rezidive  auftreten,  sind  sie 
nicht  schwierig  zu  bekämpfen.  Wenn  die  Rönt- 
genstrahlen versagen,  so  kann  das  Radium  noch 
Erfolg  haben. 

Beim  Epitheliom  sind  die  Ergebnisse  der 
verschiedenen  Methoden  der  Lichtbehandlung 
bisher  unbefriedigend,  so  daß  nur  die  Exzision 
übrig  bleibt. 

An  der  Diskussion  beteiligten  sich  eine 
Reihe  von  Rednern,  die  im  großen  und  ganzen 
alle  Sequeiras  Ausführungen  zustimmten,  so 
daß  diese  die  zurzeit  geltenden  Grundsätze  für 
die  Behandlung  des  Lupus  und  ähnlicher  Krank- 
heiten enthalten. 

(British  med.  Journal  1904,  15.  Okt.). 

Classen  (Grube  i  HJ. 

Ober  die  Behandlang  von  Akne,  Furunkulose 
und  Sykose  mittels  Einimpfung  von  Staphylo- 
kokken-Vaccine.   Von  Dr.  A.  E.  Wright. 

Wright  hatte  schon  im  Jahre  1902  im  Lancet 
seine  Erfahrungen  in  der  Behandlung  von  Haut- 
krankheiten, die  auf  Staphylokokkeninfektion  be- 
ruhen wie  Furunkulose,  Akne  und  Sykosis,  mit 
Injektionen  von  abgetöteten  Staphylokokken- 
kulturen  veröffentlicht.  Wright  war  damals 
durch  Untersuchungen  über  Impfungen  mit  Anti- 
typhusvaccine  auf  den  Gedanken  gekommen,  die 
Staphylokokkenvaccine  in  derselben  Weise  an- 
zuwenden. Er  begann  vorsichtig  mit  kleinen 
Dosen,  indem  er  nach  jeder  Injektion  die  phago- 


zytische Kraft  des  Blutes  prüfte.  Es  zeigte 
sich,  daß  ebenso  wie  bei  den  Typhusimpfungen 
zuerst  eine  negative  Periode,  d.  h.  eine  solche 
verringerter  bakterizider  oder  phagozytischer 
Fähigkeit,  dann  eine  positive  Periode  folgte; 
ferner  daß  die  negative  Periode  von  dem  Quan- 
tum der  injizierten  Vaccine  abhängt  und  daß 
die  klinischen  Ergebnisse  auf  der  kumulativen 
Wirkung  wiederholter  Injektionen  beruhen. 

Zu  den  damals  veröffentlichten  sechs  Fällen 
fügt  er  jetzt  eine  Reihe  von  12  weiteren,  nach 
oben  beschriebener  Methode  behandelten  Fällen. 
Alles  waren  chronische  Affektionen,  die  schon 
monate-  oder  j  ahrelang  bestanden  und  verschiedener 
Behandlung  getrotzt  hatten.  Eins  war  ein  Fall 
von  schwerer,  allgemeiner  Staphylokokkeninfek- 
tion mit  multiplen  Furunkeln,  Paronychien  und 
schwerer  Akne;  die  anderen  betrafen  hartnäckige 
Sycosis  barbae,  leichtere  Furunkulose,  mehr 
oder  weniger  schwere  Akne.  In  den  genauer 
beschriebenen  Fällen  ist  die  phagozytische  Kraft 
des  Blutes  längere  Zeit  hindurch  wiederholt 
geprüft  und  durch  Zahlen  ausgedrückt.  Wenn 
die  Norm  gleich  1  gesetzt  wird,  so  sieht  man, 
wie  die  phagozytische  Kraft  nach  der  Injektion 
er 8t  sinkt,  dann  bis  auf  das  Doppelte  der  Norm 
steigt  und  schließlich  allmählich  wieder  auf  die 
Norm  sinkt.  Injiziert  wurde  sterilisierte  Staphylo- 
kokkenkultur,  und  zwar  ein  Quantum,  dessen 
Gehalt  an  Staphylokokken  bekannt  war  (2500  bis 
5000  Millionen).  Der  Erfolg  war  in  allen  Fällen 
überraschend;  es 'trat  in  kurzer  Zeit  sehr  wesent- 
liche Besserung    oder  gar  völlige   Heilung    ein. 

(British  medical  Journal  1904,  7.  Mai.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

Behandlung  der  Furunkulose  und  Folliculitis  mit 
Hefepraparaten.    Von  Dr.  A.  v.  Kirchbauer 

(Nürnberg). 

Furunkulose  und  Folliculitis  werden  durch 
Mikroben  veranlaßt.  Der  Infektionswege  gibt 
es  zwei,  den  einen  direkt  von  außen,  den  andern 
von  innen  auf  der  Blntbahn  in  die  Haarscheiden 
und  Follikel  der  Haut.  Gegen  diese  Hautkrank- 
heiten wird  die  Hefe  empfohlen.  Verf.  ver- 
wandte mit  Vorliebe  die  Levurinose,  dreimal 
täglich  einen  Kaffeelöffel  vor  dem  Essen  —  mit 
gutem  Erfolge  gegen  Akne,  Folliculitis  und 
Furunkulose.  Seine  Erfahrungen  faßt  er  in  fol- 
gende Sätze  zusammen: 

1.  Die  interne  Behandlung  mit  Hefepräpa- 
raten bei  Akne,  Furunkulose  und  Folli- 
culitis zeitigt  bei  einer  Infektion  von 
innen  sehr  gute  Erfolge; 

2.  Bei  einer  Infektion  von  außen  verspricht 
die  interne  Behandlung  nicht  viel.  Hier 
tritt  die  externe  Behandlung  mit  Hefe- 
seife in  ihre  Rechte,  am  besten  mit 
Salizylschwefelhefeseife ; 

3.  Eine  kombinierte  Behandlung  ist  nur  da 
indiziert,  wo  man  sich  über  die  Ätiologie 
des  Falles  nicht  klar  ist,  oder  falls  bei 
einer  Infektion  von  außen  Infektionsstoffe 
auf  dem  Wege  der  lymphatischen  Re- 
sorption bereits  in  die  Blutbahn  gelangt 
sind. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  IS.)  R. 


XIX.  Jahrgang*  1 
8eptember  1905.J 


483 


(An«  der  II.  media.  Abteilung  des  Kaiser  Franz  Josef-Spital* 
in  Wien.) 

Zur  Frage  der  Folgeerscheinungen,  namentlich 
der  Krampfzustände  nach  Theophyllln- 
gebrauch.    Von  Prof.  Dr.  H.  Schlesinger. 

Verf.  verwendet  seit.  1902  das  Theophyllin 
(„Theocin").  Anfangs  gebrauchte  er  Theophyl- 
linum  purum  (sive  Theocin),  später  Theophyllin- 
natrium, Theophyllinum  natrio-salicylicum,  Theo- 
phyllinum  natrio-aceticum.  Trotz  der  bisweilen 
bedrohlichen  Nebenwirkungen,  die  er  als  erster 
hervorgehoben  hat,  war  er  mit  den  erzielten 
Resultaten  zufrieden.  Das  Mittel  darf  als  eines 
der  wichtigsten  Diuretica  angesehen  werden. 
Die  Wirkung  tritt  am  stärksten  bei  kardialem 
Hydrops  hervor ,  zeigt  sich  aber  auch  bei 
Hydropsien  renalen  Ursprungs.  Die  Verab- 
reichung soll  vermieden  werden  bei  Kopf- 
schmerzen, Erbrechen  oder  Durchfall,  da  in 
solchen  Fällen  nicht  festgestellt  werden  kann, 
wann  die  toxische  Wirkung  des  Theophyllins 
beginnt.  —  Bekanntlich  nimmt  die  Harnaus- 
scheidung sehr  bald  nach  der  Einnahme  des 
Mittels  zu,  erreicht  in  wenigen  Stunden  eine 
außerordentliche  Höhe  und  sinkt  nach  dem 
Aussetzen  wieder  ab.  Eine  Dauerwirkung  wird 
selten  erzielt. 

Häufig  klagen  die  Kranken  nach  Einnahme 
des  Theophyllins  (oder  seiner  Verbindungen) 
über  Druckgefühl  im  Magen,  Appetitlosigkeit, 
Brechreiz  und  Erbrechen.  Bei  Anwendung  von 
Theophyllinum  natrio-aceticum  scheinen  die 
Magenstörungen  seltener  und  schwächer  aufzu- 
treten als  bei  Verordnung  von  Theophyllinum 
purum  (Theocin).  Durchfälle  sind  nach  Theo- 
phyllin gebrauch  häufig;  dieselben  pflegen  drei 
bi*  fünf  Tage  anzuhalten.  Von  besonderer 
Wichtigkeit  sind  die  nach  dem  Mittel  beobach- 
teten allgemeinen  Krämpfe  mit  Bewußtseins- 
verlust von  epileptiformem  Charakter.  Es  sind 
bereits  15  hierher  gehörige  Fälle  bekannt  ge- 
worden. 

Schlesinger  gibt  als  Tagesdosis  1,0  g, 
Maximum  1,5  Theophyllinnatrium  oder  Theo- 
phyllin, natrio-aceticum  in  wäßriger  Lösung  oder 
in  einem  Infus  von  5,0 — 8,0  Adonis  vernalis 
auf  150,0  Wasser  und  läßt  das  Mittel  nie  zwei 
Tage  hintereinander  gebrauchen,  sondern  pausiert 
einen  Tag;  an  diesem  wird  ein  Theobromin- 
präparat  (Theobrominum  purum ,  Diuretin, 
Agurin ,  Urocitrol)  verabreicht.  Tritt  beim 
Theophyllin  gebrauch  Kopfschmerz  oder  Übelkeit 
ein,  so  wird  das  Mittel  sofort  ausgesetzt.  Bis 
zur  Festsetzung  der  Maximaldosis  empfiehlt 
Schlesinger,  von  dem  (am  besten  gar  nicht 
zu  verordnenden)  Theophyllinum  purum  in  der 
Regel  nicht  über  0,8  zu  verordnen;  bei  Ver- 
schreibung  von  Theophyllinnatrium  und  Theo- 
phyllin, natrio-aceticum  nicht  über  1,5  g  pro  die 
hinauszugehen  und  das  Mittel  nicht  mehrere 
Tage  ohne  Unterbrechung  zu  geben. 

CMünchener  med.  Wochensehr.  1905,  Nr.  23.)         R. 

Ober  die  Anwendung  des  Theophylline  als  Diu« 

retlcum.  Von  0.  Schmiedeberg. 

Schmiedeberg  sucht  nachzuweisen,  daß 
verschiedene  unangenehme  Nebenwirkungen,  die 


dem  Theophyllin  von  verschiedenen  Autoren  zu- 
geschrieben worden  sind,  insbesondere  die  epi- 
leptischen Krämpfe  und  Nierenreizungen  gar- 
nicht  auf  das  Mittel  selbst  zurückzuführen  sind. 
Sie  hängen  mit  der  Grundkrankheit,  gegen 
welche  das  Theophyllin  gegeben  wird,  eng  zu- 
sammen. 

Man  verabfolgt  zweckmäßigerweise  eine  wäß- 
rige Lösung  von  Theophyllin-Natrium.  Wenn 
man  eine  Lösung  von  2,25  g :  300  anwendet,  so 
enthält  ein  Eßlöffel  0,1  g.  Davon  gibt  man 
anfangs  einen  Eßlöffel  und  steigt  allmählich  bis 
höchstens  3  mal  3  Eßlöffel.  Die  mittlere  Menge 
ist  2 mal  2  Eßlöffel.  Es  ist  vorteilhaft,  das 
Mittel  von  Zeit  zu  Zeit  auszusetzen.  Man  kann 
auch  zuerst  etwas  Digitalis,  dann  Theophyllin 
nehmen  lassen,  wenn  es  sich  darum  handelt, 
durch  Digitalis  zunächst  den  Tonus  der  Gefäße 
wiederherzustellen . 

(Deutsches  Archiv  für  klin.  Mediain.  Bd.  82.) 

H.  Rosin. 

(Ans  der  dermatologischen  Klinik  in  Krakan.    Prof.  Reiß.) 

Die  Anwendung   des   Thigenol   „Roche"   In   der 
Dermatologie.    Von  Dr.  J.  P  a,  c  y  n  a. 

Verf.  wendete  das  Mittel  in  ca.  100  Fällen 
—  meistens  chronischen  Ekzems  —  an.  Bei 
akuten,  nicht  nässenden  Ekzemen  wurde  10  bis 
20  proz.,  sogar  30  proz.  Lösung  von  Thigenol  in 
Unguentum  simpl.  —  Unguentum  zinci  Wilsoni  — 
Lassar  sehen  Zinkpasta  oder  Lanolin  mit  stets, 
meistens  schon  nach  einer  Woche  zu  beob- 
achtendem guten  Erfolge  angewendet.  Die  An- 
wendungsart war  folgende:  Auf  die  gereinigte 
Haut  wurde  je  12  Stunden  die  Salbe  eingerieben 
und  mit  Zinkpuder  eingestreut.  Vor  jedesmaligem 
Auftragen  muß  die  Haut,  mit  Öl  und  Watte  ge- 
reinigt werden.  Bei  akuten,  nässenden  Ekzemen 
wurde  Thigenol  mit  Unguent.  Hebrae  kombiniert 
oder  in  einer  30 — 50  proz.  alkoholisch-wässerigen 
Lösung  verwendet.  Auch  hier  schwanden  die 
entzündlichen  Erscheinungen  nach  ein  paar  Tagen, 
worauf  eine  der  oben  erwähnten  Kombinationen 
in  Anwendung  gezogen  wnrde.  —  9  länger 
beobachtete  Fälle  von  Thigenol -Einwirkung  auf 
chronische  Ekzeme  ergaben  stets  ein  günstiges 
Resultat  —  insbesondere  unter  Anwendung  von 
Thigenolsalbe  —  wogegen  Thigenol  in  Lösung 
manchmal  einen  Reizungszustand  hervorgerufen 
hat.  Ferner  wurde  Thigenol  angewendet  in 
drei  Fällen  von  Dermatitis  artefaeta,  zwei  Fällen 
von  Impetigo  vulgaris,  je  einem  Fall  von  Tyricho- 
phytia  animalis  faciei,  Liehen  chronicus  Vvidali 
mit  stets  promptem  und  zufriedenstellendem 
Erfolge. 

In  5  Fällen  von  Verbrennung  wurde  die 
exquisit  schmerzlindernde  (Rp.  Thigenol  10,0 
Adipis  lan.  20,0  Vaselini  fl.  30,0  Aq.  dest.  10,0), 
in  2  Fällen  von  Prurigo  die  jucklindernde  Wir- 
kung des  Mittels  konstatiert.  Erwähnung  verdient 
ein  Fall  von  Urticaria,  welche  trotz  aller  Mittel 
zwei  Jahre  lang  bestand.  Die  Anwendung  von 
Thigenol  in  Kombination  mit  Lass arscher  Zink- 
paste hat  binnen  sehr  kurzer  Zeit  die  Heilung 
herbeigeführt.  Scabies  wurde  in  zwei  Fällen 
durch  Thigenol  ebenso  der  Heilung  entgegen- 
geführt. 


484 


Referate. 


r  Therapeatbet» 
L   Monatshefte. 


Verf.  kommt  zur  Überzeugung,  daß  wir  in 
Thigenol  ein  vorzügliches  Mittel  bei  Ekzemen 
und  vielen  anderen  —  speziell  der  durch  Seborrhöe 
hervorgerufenen  Krankheitszuständen  der  Haut  — 
besitzen  und  empfiehlt  das  Mittel  sehr. 

(Przeglad  lekarski.  1904,  No.  5.)     Qabel  (Lemberg). 

Ober  die  Verwendung  de«  farblosen  Teers  „An- 
thrasol".   Von  Dr.  J.  Silberstein. 

Während  die  Wirkungen  des  Teers  sich 
mit  denen  der  Phenole  und  Kohlenwasserstoffe 
decken,  sind  seine  übrigen  Bestandteile  als  Ballast, 
die  Pyridinbasen  sogar  wegen  ihrer  größeren 
Giftigkeit  als  bedenklich  zu  bezeichnen.  Ein 
von  diesen  Bestandteilen  befreiter  und  gereinigter 
Steinkohlen  teer,  gemischt  mit  gereinigtem  Wach- 
holderteer,  ist  das  Anthrasol  (Knoll  &  Co., 
Ludwigshafen  a.  Rh.)  Das  Präparat  besteht 
demnach  fast  nur  aus  den  Phenolen  und  Kohlen- 
wasserstoffen des  Teers.  Die  ersteren  bedingen 
die  juckstillende  und  desinfizierende  Wirkung, 
während  an  die  Kohlenwasserstoffe  die  spezifische 
Teerwirkung  gebunden  ist.  Silberstein  hat 
das  neue  Präparat  mehrfach  in  Anwendung  ge- 
bracht und  recht  günstige  Erfolge  erzielt.  Er 
verordnete  dasselbe  in  Form  von  Salbe: 
Rp.  Anthrasol  5,0 

Yaselin 

Lanolin  aa  30,0 

oder  in  alkoholischer  (5°/0)  Lösung.  Außerdem 
empfiehlt  sich  die  Verwendung  des  Anthrasols 
in  Seifenform.  Seifen  mit  verschiedenen  Zusätzen 
werden  von  der  Firma  G.  Hell  &  Co.  (Troppau) 
in  den  Handel  gebracht,  so  z.  B. 

1.  die  reine  Anthrasolseife  mit  10%  und 
5  °/0  Anthrasol, 

2.  Anthrasolboraxseife  mit  2%  Anthrasol 
und   5%  Borax, 

3.  Anthrasolschwefelseife  mit  10%  Anthrasol 
und  10%  Schwefel  u.  s.  w. 

Eine  interne  Verwendung  des  Anthrasols 
ist  nicht  versucht  worden  und  wegen  des  be- 
deutenden Gehaltes  an  Phenolen  auch  nicht  zu 
empfehlen.  Dagegen  läßt  es  sich  zu  Inhalationen 
verwenden.  Hierzu  nimmt  man  2,5%  Lösungen 
oder  Emulsionen,  das  Mittel  reizt  nicht  so  sehr 
zum  Husten  wie  der  reine  Teer  oder  das  Teer- 
wasser  und  wirkt   stark   sekretionsbeschränkend. 

Die  Darstellung  des  Anthrasols  bedeutet 
einen  Fortschritt  in  der  Dermatotherapie,  da  es, 
ohne  die  Übelstände  aufzuweisen,  dieselben  Heil- 
prinzipien wie  der  Teer  enthält. 


(Aüg.  med.  Zentr.-Ztg.  1904,  No.  27.) 


JR. 


(Aus  der  I.  med.  Abteilung  de«  SUdtkrankenhauMt  su  Riga,) 

Ober  die  Anwendung  de*  Pyramldon  beim  Ab« 
dominaltyphus.  Von  Dr.  H.  von  Kr  annhals. 
Vom  Juni  1903  bis  Juni  1904  kamen 
200  Fälle  von  Abdominaltyphus  in  der  med. 
Abteilung  zur  Behandlung.  In  66  von  diesen 
200  Fällen  wurde  Pyramidon  angewandt.  Die 
meisten  Kranken  standen  im  gewöhnlichen 
Typhusalter.  Die  Mortalität  der  Pyramidonfälle 
betrug  6,06  Proz.  (4  Todesfälle:  2  Männer, 
2  Weiber,  welche  an  Komplikationen  zugrunde 
gingen),  die  Mortalität  der  nicht  mit  Pyramidon 


behandelten  Fälle  8,2  Proz.  —  Anfangs  wandte 
v.  Krannhals  0,2  zweistündlich  Tag  und  Nacht 
an,  später  fand  er,  daß  nicht  selten  mit  viel 
kleineren  Gaben  (0,1  vierstündlich)  fast  ganz 
derselbe  Effekt  erzielt  werden  konnte.  Fast 
stets  wurde  zugleich  -mit  dem  Antipyreticum 
0,2 — 0,3  Coffein,  natro-benzoic.  3  mal  täglich  als 
Herztonicum  verabfolgt,  nachdem  die  mit  Pyra- 
midon allein  behandelten  ersten  Fälle  wegen 
der  bei  dem  plötzlichen  Temperaturabfall  sich 
einstellenden  Kollapserscheinungen  doch  zu 
größerer  Vorsicht  mahnten.  Neben  Pyramidon- 
und  Koffeindarreichung  fand  selbstverständlich 
die  übliche,  rein  symptomatische  Behandlang 
(auch  Bäder)  statt.  Die  günstige  Beeinflussung 
des  Allgemeinzustandes  war  sehr  deutlich  in 
10  Fällen,  aber  dieselbe  war  meistens  eine  nur 
vorübergehende.  8  mal  trat  nach  Pyramidon 
Erbrechen  auf.  Nach  Verfassers  Ansicht  kann 
man  beim  Typhus  ohne  Antipyretica  und  auch 
ohne  Pyramidon  auskommen.  Ein  Versuch  mit 
diesem  Mittel  ist  jedoch  am  Platz,  wenn  es 
darauf  ankommt,  die  Beschwerden  eines  Kranken, 
wenn  auch  vielleicht  nur  vorübergehend,  zu 
lindern  oder  zu  benehmen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  49,  1904.)  R. 

Stade  therapeatlque  eur  le   pyramidon«     Par  le 

Dr.  A.  Blanc. 

Pyramidon  verdient  allen  bekannten  schmers- 
lindernden und  Temperatur  herabsetzenden  Mitteln 
vorgezogen  zu  werden.  Es  wirkt  in  verhältnis- 
mäßig geringer  Dosis  schneller  und  seine 
Wirkung  hält  länger  vor.  Dasselbe  kann  bei 
allen  Krankheiten  in  Anwendung  kommen;  nur 
Diabetes  bildet  eine  Gegenanzeige.  Blanc  ver- 
abreicht Pyramidon  in  flüssiger  Form  zu  0,60 
bis  1,0  g  pro  die  für  den  Erwachsenen  in  ge- 
teilten Gaben  zu  0,30  dreistündlich.  Er  em- 
pfiehlt die  folgende  Verschreibungsweiae: 

Pyramidon         2,40 

Aquae  destill.   90,0 

Sirupi  Ribium  30,0 
Ein    Eßlöffel    enthält    0,30    Pyramidon.  — 
Kinder  sollen  nur  0,15 — 0,20  Pyramidon  in  ge- 
teilten Gaben  erhalten. 

(These  de  Porig  1903.)  Ä. 

Ober  Trigemin.  Von  Dr.  B.  Müller,  Hamburg. 
Das  Trigemin  (eine  Verbindung  von  Pyra- 
midon und  Butylchloralhydrat)  ist  ein  vorzüg- 
liches Beruhigungsmittel  bei  Schmerzen  neural- 
gischer Art,  z.  B.  Trigeminusneuralgie,  Ischias  etc., 
bei  Zahnschmerzen  infolge  Pulpitis,  bei  Migräne, 
dysmenorrhoischen  Schmerzen  und  Kopfschmerzen 
während  der  Menses.  Gegen  100  Fälle  dieser 
Beschwerden  hat  Müller  mit  Trigemin  erfolg- 
reich behandelt.  Anders  verhält  sich  die  Ver- 
wendung des  Mittels  bei  Schmerzen  anderer 
Ätiologie,  und  Müller  konnte  feststellen,  daß 
Trigemin  bei  allen  entzündlichen  Schmerzen, 
akuten  Schmerzanfällen  wie  bei  Rheumatismus  etc., 
namentlich  in  allen  Fällen,  die  mit  Fieber  oder 
Störungen  des  allgemeinen  Wohlbefindens,  der 
Verdauung  und  Magentätigkeit  etc.  ein  hergehen, 
nicht  angebracht  ist.  Bei  solchen  Krankheiten  wird 


XIX.  Jahrgang.  1 
8eptember  1905  J 


Referate. 


485 


es  meist  schlecht  vertragen.  Das  Trigemin  be- 
sitzt neben  einem  sehr  unangenehmen  Geschmack 
auch  eine  stark  reizende  Wirkung  auf  den  Magen. 
Daher  ist  ein  gesunder  Magen  für  die  Verabrei- 
chung erforderlich;  anderenfalls  treten  Erbrechen, 
schneidende  Schmerzen  u.  s.  w.  auf.  —  Man  gibt 
das  Mittel  am  besten  in  Gelatinekapseln  oder 
Oblaten,  aber  niemals  bei  leerem  Magen.  Die 
von  den  Höchster  Farbwerken  empfohlenen  Dosen 
(0,6 — 0,75)  sind  viel  zu  hoch.  Bei  den  meisten 
Menschen  wirken  bereits  0,25  g  genügend. 
Müller  hat  gewöhnlich  bei  Frauen  0,2 — 0,25  g 
und  bei  M&nnern  0,3  g  verordnet.  Nach  wenigen 
Minuten  pflegt  der  Schmerz  beseitigt  zu  sein. 
Die  Wirkung  hält  viele  Stunden  an,  und  nach 
Ablauf  derselben  kann  man  ohne  Bedenken 
wieder  0,25  g  Trigemin  geben.  Eine  Gewöhnung 
an  das  Mittel  tritt  nicht  ein.  —  In  Pulverform 
aufbewahrt,  zersetzt  sich  Trigemin  leicht.  Wenn 
es  gelblich  oder  bräunlich  wird,  ist  es  nicht 
mehr  gut;  es  muß  weiß  aussehen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  7,  1905.)  R. 

Cltarin.  Von  Dr.  Neumann,  Hausarzt  des  Landes- 
bades in  Baden- Bade  q. 

Im  Jahre  1903  hat  Neu  mann  Citarin  bei 
S  Männern  versucht.  Nur  in  3  frischen  Fällen 
kam  nach  kräftigen  Dosen  ein  Erfolg.  1904  ver- 
abreichte er  das  Mittel  bei  22  Männern  und 
1  Frau  wegen  zweifelloser  Gicht.  Die  Dosierung 
war  4,0  g,  in  akuten  Schüben  bis  8,0  g  pro  die 
im  Thermalwas8er  (schwache,  aber  heiße  Koch- 
salz- Lithionlösung).  Nur  in  einem  Falle  blieb 
der  Erfolg  aus. 

Bekanntlich  kann  man  durch  die  stark 
giftigen  Colchicumpräparate  Anfalle  zuweilen 
rasch  unterdrücken,  jedoch  nie  ohne  Störung 
des  Allgemeinbefindens  und  ohne  Einwirkung 
auf  Herz  und  Nieren.  Die  Erfolge  mit  Citarin 
waren  aber  in  24  Fällen  zum  Teil  geradezu  ver- 
blüffend, nur  in  einem  Falle  negativ,  sonst  in 
allen  sehr  befriedigend.  In  einem  Falle,  der  mit 
glänzendem,  schmerzhaftem  Mittelfuß  und  Groß- 
zehe nach  Baden-Baden  kam,  waren  die  Erschei- 
nungen nach  4  Tagen  auf  Gebrauch  von  15,0  g 
Citarin  geschwunden,  und  Patientin  reiste  nach 
10  Tagen  bei  bestem  Befinden  ab.  Sämtliche 
Fälle  betonten  das  allgemeine  Wohlgefühl,  mit 
welchem  der  Heilungsvorgang  verknüpft  war. 
Von  den  Patienten  litten  2  gichtkranke  Sklerotiker 
an  mäßiger  Albuminurie.  Während  des  Citarin- 
gebrauches  konnte  eine  Abnahme  des  Albumens 
beobachtet  werden.  Infolge  dessen  verabreichte 
Neu  mann  das  Mittel  auch  in  einem  Falle  von 
chronischer  Nephritis.  Er  konnte  auch  hier  nach 
kurzem  Citaringebrauch  eine  Verminderung  der 
Albuminurie  nachweisen. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  13.)  R. 

Einige  Beobachtungen  Aber  Hetralin,  ein  neues 
internes  HarnanÜsepticum.  Von  Dr.  H.  Lohn- 
stein (Berlin). 

Das  von  der  Firma  Möller  &  Linsert 
(Hamburg)  neuerdings  in  den  Handel  gebrachte 
Hetralin,  seiner  chemischen  Konstitution  zufolge 
Dioxybenzolhexamethylentetramin,    ist    ein   Uro- 


tropinderivat.  Dasselbe  ist  leicht  löslich  in 
Alkohol  und  Wasser.  Lohnstein  hat  das 
Medikament  eingehend  geprüft  und  zwar  bei 
solchen  Patienten,  bei  welchen  sonst  Urotropin 
und  ähnliche  Präparate  angewendet  zu  werden 
pflegen.  Er  kommt  auf  Grund  seiner  Beob- 
achtungen zu  dem  Ergebnis,  daß  das  Hetralin 
ein  recht  wirksames  Harndesinficiens  darstellt, 
welches  besonders  bei  infektiösen  Katarrhen  des 
Urogenitaltractus,  sowie  bei  Phosphaturie  an- 
gezeigt ist. 

(Allg.  med.  Zentr.-Ztg.  1904,  No.  19.)  R. 

Ober   Xeroformstreupulver.     Von    Dr.   E.   Toff, 
Braila. 

Es  besteht  in  vielen  Gegenden  die  Gewohn- 
heit, Wickelkinder  mit  Reismehl-  oder  Stärke- 
mehlpuder einzustäuben,  und  man  wundert  sich, 
daß  Kinder,  trotzdem  daß  sie  bei  jedem  Windel- 
wechsel mit  Puder  gut  eingestäubt  werden,  doch 
rote  Hautfalten  und  Ekzeme  bekommen.  Toff 
hat  schon  früher  darauf  hingewiesen,  daß  das 
so  beliebte  Amylum  mit  den  Hautsekreten,  dem 
Harne  und  den  Exkrementen  einen  Teig  bildet, 
welcher  in  Gärung  übergeht,  direkt  reizt  und 
schädlich  auf  die  zarte  Haut  des  Kindes  ein- 
wirkt. Aus  diesem  Grunde  wandte  er  Talcum 
venetum  an,  das  sich  in  Verbindung  mit  Xero- 
form vorzüglich  bewährte.  Nach  verschiedenen 
Versuchen  ist  er  zur  Überzeugung  gelangt,  daß 
ein  Pulver,  bestehend  aus  einem  Teile  Xeroform 
und  neun  Teilen  Talcum  venetum,  ein  geradezu 
ideales  Streupulver  für  Kinder  ist  und  sowohl 
als  prophylaktisches  Mittel  als  auch  zur  Be- 
handlung bereits  entwickelter  Hautentzündungen 
ausgezeichnete  Resultate  nicht  nur  bei  Kindern, 
sondern  auch  bei  Erwachsenen  gibt.  Das  Xero- 
formstreupulver ist  geruchlos.  Es  kann  durch 
Zusatz  von  Pulv.  rad.  Iridis  florent.  wohlriechend 
gemacht  werden. 

(Allg.  med.  Zentr.-Ztg.  1,  1905.)  R. 

(Aas  der  Unlvenitüta-Klnderklinik  dm  Charlte-KrankenhaiiMs 
sa  Berlin.) 

Urotropin    bei    Scharlach    zur    Verhütung    von 
Nephritis.     Von  0.  Garlipp. 

Verf.  hat  die  Angaben  Widowitzs,  daß 
Darreichung  von  Urotroprin  das  Eintreten  einer 
Scharlachnephritis  verhindern  könne,  an  dem 
Krankenmaterial  der  Kinderklinik  der  Charite 
nachgeprüft. 

Von  82  Scharlachkranken,  die  mit  Uro- 
tropin nach  der  Widowitzschen  Methode  (Dar- 
reichung in  den  ersten  drei  aufeinanderfolgenden 
Tagen  und  ebenso  zu  Beginn  der  3.  Woche) 
behandelt  worden  waren,  erkrankten  2 1(25,6  Proz.) 
an  Nephritis;    zwei  Kranke    starben    an   Sepsis. 

Nach  Patschkowski,der  Urotropin  dreimal 
je  4  Tage  lang  mit  bestimmten  Unterbrechungen 
reicht,  wurden  13  Kinder  behandelt,  von  denen 
zwei  (15,4  Proz.)  Nephritis  bekamen. 

Da  der  Prozensatz  an  Nephritiserkrankungen 
bei  Scharlach  vor  der  Behandlung  mit  Urotropin 
19,6  Proz.  betrug,  kann  Garlipp  nicht  allzu- 
große Hoffnungen  auf  die  prophylaktische  Wir- 
kung des  Urotropins  bei  Scharlach  setzen. 

(Medizinische  Klinik  1905,  No.  32,  810.)     Jacobson» 


486 


Referate. 


Die  therapeutische  Verwendung  der  Hamamelis 
virginmns.  Von  Dr.  H.  R.  Cos  ton  in  Bir- 
mingham (Alab.). 

Coston  empfiehlt  ein  Mundwasser  von 
folgender  Zusammensetzung:  Extracti  Hamamelis 
destillati,  Aquae  rosarum  ■»  zur  Heilung  blutender 
Gummata  und  anderer  Geschwüre  auf  der  Mund- 
schleimhaut. Wegen  seiner  blutstillenden  und 
adstringierenden  Fähigkeit  eignet  sich  das 
destillierte  Extrakt  auch  zu  Kompressen  bei 
Verbrennungen  und  bei  Ekzem  ,  sowie  zu 
Waschungen  bei  Hyperhidrose.  —  Das  Extrac- 
tum  fluidum  läßt  sich  zu  Suppositorien  bei  Kon- 
gestion der  Hämorrhoidalgefäße  verwenden.  — 
Innerlich  dient  das  Extractum  fiuidum  zur 
Stillung  von  Blutungen  jeglichen  Ursprungs. 
Besonders  bewährt  gefunden  hat  Coston  es  bei 
Nierenblutung. 

(TherapeuHc  gazette  1905,  No.  12.) 

Classen  (Qrube  i  H.). 

Zur  endermatischen  Anwendung   des  Guajakols. 

Von  Dr.  Hecht  in  Beutheo,  O.-Schl. 

Nachdem  Sciolla,  Bard,  Robillard, 
Caessorici,  Sigaela,  Prosorowski,  Un- 
v  er  rieht,  Hasenfeld  die  antipyretische  und 
resorbierende  Wirkung  des  in  Dosen  von  0,5 
bis  1,5  auf  die  Haut  gepinselten  Guajakols  fest- 
gestellt und  es  besonders  bei  exsudativer  Pleu- 
ritis empfohlen  hatten,  hat  auch  Hecht  diese 
Methode  verwandt ,  jedoch  statt  Guajakoi-Jod- 
tinktur  (5  :  25)  eine  lOproz.  Guajakolsalizylsalbe 
appliziert  und  damit  bei  Gelenkrheumatismus 
und  Pleuritis  günstige  Erfolge  erzielt.  Bei  Er- 
wachsenen wurde  Acidum  salicylicum,  Guajakol, 
Ichthyol  m  5,0  :  Vasogen.  spir.  50,0,  bei  Kindern 
nach  Vorgang  von  Filatow,  Bourget  etc.  15 
bis  30  Tropfen  einer  Mischung  von  Guajakol 
1:5  bis  10  Ol.  provencale  verordnet. 

Es  ist  zu  beachten,  daß  nach  jeder  Appli- 
kation Schweißausbruch  erfolgt,  weshalb  die 
Dosis  nicht  zu  hoch  gegriffen  werden  soll.  Da 
nach  nochmaliger  Anwendung  die  Epidermis 
sich  als  Membran  abhebt,  müssen  dann  intakte 
Hautpartien  benutzt  oder  mit  Salokresol,  dem 
Salizylsäureester  des  Kreosots ,  abgewechselt 
werden. 

(Münch.  med.  Wochenschr.  9,  1905.) 

Esch  (Bendorf). 

Der  Wert  des  Nitroglyzerins  in  der  chirurgi- 
schen Pxaxis.     Von  Frank  Elvy. 

Eivy  hat  die  gefäßerweiternde  und  blut- 
drucksteigernde Wirkung  des  Nitroglyzerins  bei 
schwerer  Phlegmone  und  bei  Gangrän  bewährt 
gefunden.  In  einem  Fall  von  Phlegmone  der 
Hand  bei  einem  Nephritiker  und  Alkoholisten, 
wo  schon  die  Amputation  in  Aussicht  genommen, 
jedoch  vom  Patienten  verweigert  worden  war, 
brachte  Nitroglyzerin  in  einmaliger  Dosis  von 
Vioo  Gran  (oder  0,0006)  schnelle  Wendung 
zum  Besseren.  Dasselbe  gilt  von  einem  schweren 
Furunkel  im  Nacken  bei  einem  schwächlichen 
Menschen,  bei  welchem  die  Heilung  eine  Woche 
nach  der  Inzision  gar  nicht  fortschreiten  wollte. 
In  beiden  Fällen  ging  die  faulige,  übelriechende 
Wundsekretion  bald  in  gutartige  Eiterung  über, 


die  Anzeichen  drohender  Gangrän  verschwan- 
den, der  Puls  besserte  sich  und  die  weitere 
Heilung  verlief  ohne  Störung. 

(British  tnedical  Journal  1905,  7.  Jan.) 

Classen  (Qrube  i.  H.J. 

Einiges  Ober  den  Wert  des  Fleischextraktes  and 
anderer   künstlicher   GenoßmltteL    Von    Dr. 

K.  Beerwald  in  Berlin. 

Außer  O.  Liebreich1),  der  sehr  inter- 
essante Versuche  über  den  Nutzen  der  Gewürze, 
speziell  des  Senfes  und  Maggis  Suppenwürze, 
anstellte,  war  es  namentlich  der  Russe  Pawlow, 
der  auf  die  Bedeutung  der  Genußmittel  für  die 
Ernährung  hinwies. 

Beerwald  unterscheidet  nun,  trotzdem  die 
Rolle,  die  die  sogenannten  Nährsalze  im  all- 
gemeinen und  im  Fleischextrakt  im  besonderen 
spielen  sollen,  ihm  recht  zweifelhaft  erscheint, 
in  einer  dem  Leser  nicht  ganz  klar  werdenden 
Weise  zwischen  den  mittels  der  Bouillon  oder 
des  Fleischextraktes  eingeführten  „  Gewürz - 
Stoffen"  —  wenn  auch  das  letztere  niemals  dem 
als  Lösungsmittel  benutzten  Wasser  den  Cha- 
rakter einer  Fleischbrühe  geben  könne  —  und 
den  bloßen  „Geschmackskorrigentien"  wie 
Maggis  Suppenwürze  und  den  in  neuerer  Zeit 
in  den  Handel  gebrachten  Hefepräparaten.  Die 
letzteren  namentlich  sieht  er  in  den  jeweils 
zur  Verwendung  kommenden  Mengen,  als  völlig 
wertlos  für  die  Ernährung  an. 

(Zeitschr.  f.  diätet.  u.  physik.  Ther.  1904,  Bd.  VI II,  H 2.) 
Eschle  (Sinsheim). 

Ranunculos  fiearla  als  Salbe  und  Stuhlzäpfchen. 

Von  Sir  James  Sawyer  in  Birmingham. 

Sawyer  empfiehlt  nach  mehrjähriger  Er- 
fahrung eine  Salbe,  welche  frischen,  im  Frühjahr 
gesammelten  Hahnenfuß  (Ranunculus  ficaria, 
pilewort)  als  wirksamen  Bestandteil  enthält,  sur 
Linderung  von  Hämorrhoidalbeschwerden.  Er 
beschreibt  ausführlich  die  Herstellung  der  Salbe: 
Die  klein  geschnittene  Pflanze  wird  mit  Schweine- 
fett geschmolzen,  das  Ganze  dann  einem  Druck 
ausgesetzt,  damit  der  Saft  der  Pflanze  sich  mit 
dem  Fett  vermischt.  Durch  Zusatz  von  Ceta- 
ceum  läßt  sich  die  Konsistenz  der  Salbe  so  weit 
erhöhen,  daß  man  Stuhlzäpfchen  daraus  formen 
kann. 

(British  medical  Journal  1904,  2  Jan.) 

Classen  (Qrube  u  H.J. 

Eine  neue  Fixationsmethode  von  Blut,  cytologl- 
schen   Präparaten   etc.      Von   Dr.  E.  Rzet- 

kowski. 

Das  Präparat  wird  möglichst  dünn  und 
gleichmäßig  zwischen  zwei  Deckgläschen  zer- 
rieben und  auf  paar  Minuten  auf  einen  trockenen, 
staubfreien  Ort,  z.  B.  unter  einer  Glasglocke  an 
der  Sonne,  oder  beim  Ofen  gestellt.  Inzwischen 
wird  40 — 45  cem  reinstes  Öl  —  oleum  olivarnm 
provinciale  —  welches  durch  2  —  3  maliges  Er- 
hitzen auf  105  —  110°  entwässert  wurde,  vor- 
bereitet und  in  dieses  kalte  Medium  das  Präparat 
mit  der  Anstrichseite  nach  oben  versenkt.  Hierauf 
wird   das  Ganze   auf  ein  Drahtnetz   gestellt,    in 


])  Vgl.  diese  Monatsschrift,  Februarheft  1904. 


XIX.' Jahrgang.  "1 
September  1  »Oft.  J 


Referate.  —  Toxikologie. 


487 


das  Öl  ein  bis  150°  C.  graduiertes  Thermometer 
eingesenkt  and  langsam  erwärmt.  Die  Flamme 
des  Brenners  darf  nicht  zu  intensiv  sein,  deren 
Spitze  soll  das  Drahtnetz  bloß  in  einem  Punkt 
erreichen.  Nach  ein  paar  Minuten  zeigt  das 
.Thermometer  115 — 118°,  worauf  das  Gefäß  bei 
Seite  gestellt  wird,  um  nach  mäßigem  Erkalten  das 
Präparat  herauszunehmen.  Daran  schließt  sich 
sorgfältiges  mehrmaliges  Abwaschen  in  Äther  an, 


bis  beim  Abtrocknen  am  Fließpapier  keine  Fett- 
patzen zurückbleiben;  schließlich  werden  ein  paar 
Tropfen  Alkohol  auf  das  Präparat  gegeben  und 
mit  Wasser  abgespült. 

Diese  Methode  soll  ausgezeichnete  Resultate 
liefern  und  wird  deshalb  und  wegen  der  leichten 
Ausführungsart  behufs  Erprobung  lebhaft  an- 
empfohlen. 

(Medycyna  1904,  No.  50.)  Oabel  (Lemberg). 


Toxikologie. 


t.  Über  einen  Todesfall  nach  Anwendung  der  offi- 
zlnellen  Borsalbe  bei  einer  Brandwunde.  Von 
Dr.  D opfer,  Wasseralfingen.  Münchener  medi- 
zinische Wochenschrift,  No.  16,  1905,  S.  763. 

q.  Todesfall  nach  Anwendung  der  offizinellen  Bor- 
salbe bei  einer  Brandwunde.  Von  E.Harnack. 
Deutsche  medizinische  Wochenschrift,  No.  22, 
1905,  S.  879. 

1.  D opfer  hatte  einem  zweijährigen  Kinde, 
welches  eine  Brandwunde  am  rechten  Unterarm 
hatte,  als  Brandsalbe  Unguentum  acidi  borici 
verordnet.  Wenige  Tage  später  war  die  ge- 
samte Körperoberfläche  mit  Ausnahme  des  Gesichts 
und  der  Kopfhaut  mit  einem  scharlachartigen 
•Exanthem  bedeckt,  an  den  Füßen  und  Händen 
aeigte  sich  blauschwarze,  petechienartige  Ver- 
färbung. Unter  zunehmender  Mattigkeit,  Er- 
brechen, Diarrhöe,  Apathie,  Somnolenz  trat  am 
4.  Tage  nach  dem  Gebrauch  der  Salbe  der  Tod 
ein.  Da  die  Brandwunde  weder  nach  Ausbrei- 
tung noch  nach  Intensität  gefährlich  erschien, 
da  sowohl  septische  Infektion  wie  auch  Scharlach 
auszuschließen  war,  glaubt  D opfer  eine  Bor- 
säureintoxikation annehmen  zu  müssen.  Es  waren 
.hier  in  einer  Ausdehnung  von  12 :  3  ccra  auf 
4Üas  freiliegende  Rete  Malpighi  innerhalb  2  bis 
3  Tagen  80  g  Borsalbe  appliziert  worden. 

2.  Uarnack,  der  diesen  Fall  epikritisch 
bespricht,  weist  darauf  hin,  daß  hier  in  kurzer 
Zeit  bei  einem  zweijährigen  Kinde  auf  einer  resor- 
bierenden Fläche  von  36  qcm  eine  hohe  Dosis 
Borsäure  verwendet  worden  ist,  die  sehr  wohl 
den  letalen  Ausgang  hat  herbeiführen  können. 
Als  Beispiel,  wie  gefährlich  die  erkrankte  Haut 
für  die  Resorption  von  Giften  sein  kann,  führt 
er  einen  Fall  von  schwerer  Pyrogallolvergiftung 
an,  die  dadurch  zustande  kam,  daß  bei  einem 
ausgedehnten  Ekzem  Tanninlösung  in  Form  von 
Umschlägen  und  gleich  darauf  Bäder  mit  Kalium- 
hypermanganat  verordnet  worden  waren. 

/• 

(Aus  dem  städtischen  Bpital  in  Dervent,  Bosnien.) 

Ober  eine  Vergiftung  mit  Helleborus  niger.    Von 

Ernst  Fürth. 

Ein  15jähriger  Knabe  aß  aus  Mutwillen 
den  Inhalt  von  drei  mit  fast  reifen  Samenkernen 
angefüllten  Balgkapseln  von  Helleborns  niger. 
Das  Kauen  verursachte  scharfes,  pfefferartiges 
Brennen  auf  der  Zunge,  bald  darauf  traten  Kopf- 
schmerzen ^  Ohrensausen,    Schwindelgefühl  sowie 


Kratzen  und  Würgen  im  Schlünde  und  der 
Speiseröhre  auf.  Fürth,  der  den  Kranken  nach 
etwa  2  Stunden  sah,  fand  bei  ihm  einen  vollen, 
stark  gespannten  und  leicht  arhythmischen  Puls 
60  in  der  Minute,  leichte  Benommenheit,  er- 
weiterte etwas  träge  reagierende  Pupillen.  Die 
Therapie  bestand  in  ausgiebiger  Magenspülung, 
Darmirrigation  und  in  Darreichung  eines  Brech- 
mittels (1,25  g  Rad.  Ipecacuanhae).  In  der 
Magenspülflüssigkeit  sowie  im  Erbrochenen  fanden 
sich  Samenkerne  und  Reste  davon  vor.  Nach 
weiteren  zwei  Stunden  hatte  sich  die  Püls- 
arhythmie  gehoben,  der  Puls  war  weniger  hart, 
74  in  der  Minute,  es  bestand  aber  noch  Somno- 
lenz. Am  nächsten  Tage  nach  ergiebigem  Schlafe 
besserten  sich  die  Symptome,  am  3.  Tage  war 
das  Sensorium  frei,  die  Pupillen  waren  noch  in 
geringem  Grade  erweitert,  und  erst  am  6.  Tage 
nach  der  Vergiftung  konnte  völlige  Genesung 
festgestellt  werden. 

Die  bisher  bekannt  gewordenen  Vergiftungen 
mit  Helleborus  niger  beziehen  sich  auf  den 
Wurzelstock  und  nicht  auf  die  Samen.  Diese 
enthalten  vorzugsweise  Helleborin,  das  mehr 
narkotisch  wirkt,  während  ihr  Gehalt  an  Helle- 
borein,  das  die  Herztätigkeit  beeinflußt,  drastische 
Wirkungen  besitzt  und  die  Schleimhäute  reizt, 
an  Menge  zurücksteht.  Nach  Schätzung  des 
Autors  sind  Samen  im  Gewicht  von  etwa  0,4  bis 
0,7  g  verzehrt  worden. 

(Medizinische  Klinik  1905,  No.  14.)  Jacobson. 

(Aus  der  dermatologisohen  Klinik  zu  Bern,  Direktor  Prof. 
D.  Jaddaisohn.) 

Ein  Fall   von  Glykosurie  nach  medikamentöser 

Quecksilberverabreichung.    Von  Volontärarzt 

Dr.  Ch.  J.  Fauconnet  (Nyon). 

Die  nach  Quecksilberdarreichung  auftretende 
Glykosurie  ist  bisher  experimentell  häufig  bei 
Kaninchen  und  Hunden  beobachtet  worden,  es 
finden  sich  jedoch  nur  spärliche  Angaben  in  der 
Literatur,  daß  nach  therapeutischen  Dosen  von 
Quecksilber  beim  Menschen  Zucker  im  Urin  auf- 
tritt.   Einen  solchen  Fall  schildert  Fauconnet. 

Ein  20 jähriger  an  fiorider  Syphilis  leidender 
Pat.  erhielt  eine  Injektion  von  salizylsaurem 
Quecksilber  (0,1  g)  und  dann  jeden  zweiten  Tag 
Injektionen  von  1  ccm  einer  5  proz.  Lösung  von 
nukleinsaurem  Quecksilber.  24  Stunden  nach 
der  8.  Injektion  zeigte  der  Harn,  der  bis  dahin 
frei    von   Zucker    und  Eiweiß    war,    Reduktion; 


488 


Toxikologie. 


rThermpeutises* 
L  IfoBatsfatftt. 


innerhalb  24  Standen  wurden  17,2  g  Zucker 
(=  0,8  Proz.)  aasgeschieden.  Der  Zuckergehalt 
fiel  am  nächsten  Tage  auf  0,2  Proz.  und  war 
am  darauffolgenden  Tage  verschwunden.  Noch 
zweimal  kam  die  Glykosurie  in  gleicher  Weise 
nach  Injektionen  desselben  Salzes  zur  Beobach- 
tung; auch  als  das  Präparat  gewechselt  und 
0,02  g  resp.  0,015  g  Sublimat  injiziert  wurden, 
zeigte  sich  von  neuem  Zucker.  Wurde  gleich- 
zeitig mit  den  Injektionen  Traubenzucker  ver- 
abreicht, so  stieg  die  Zuckerausscheidung  bis 
auf  8  g  pro  die,  Traubenzucker  für  sich  allein 
rief,  solange  Pat.  nicht  unter  Quecksilber- 
wirkung stand ,  keine  Glykosurie  hervor.  Ab- 
gesehen von  einer  geringen  Stomatitis  bestand 
sonst  keinerlei  Intoleranz  gegen  Quecksilber;  die 
Roseola  schwand,  und  Pat.  konnte  symptomlos 
entlassen  werden. 

In  diesem  Falle  wurde  also  durch  Queck- 
silber eine  Glykosurie  allein,  ohne  weitere  In- 
toxikationserscheinungen hervorgerufen,  und  zwar 
anscheinend  erst  durch  Anhäufung  des  Queck- 
silbers im  Körper. 

Durch  systematische  Urinuntersuchungen  bei 

Quecksilberkuren     würden     sich    Anhaltspunkte 

dafür     gewinnen     lassen,     ob     die     Queksilber- 

glykosurie  häufiger  auftritt,  und  ob  ihr  überhaupt 

eine  praktische  Bedeutung  zukommt. 

(Münchener  medizinische  Wochenschrift  1905,  No.  20. 
S.  949.)  Jacobson. 

(Aus  Prof.  Kretblchs  Universitätsklinik  In  Gras.) 

Ein  Fall  von  Jodpemphigut  mit  Beteiligung  der 

Magenschleimhaut  VonDr.Rudolf Polland, 

I.  As?,  d.  Klin. 

Die  mannigfaltigen  Hautaffektionen,  die  durch 
den  innerlichen  Gebrauch  von  Jodpräparaten 
entstehen,  kommen  zwar  in  einer  Anzahl  von 
Fällen  erst  bei  fortgesetztem  Jod  gebrauch  zu- 
stande, jedoch  kommt  es  im  aligemeinen  nicht 
auf  die  Menge  und  Zusammensetzung  des  Prä- 
parates, sondern  auf  die  Disposition  des  Be- 
treffenden an.  Vor  allem  ist  die  rasche  Elimi- 
nation des  Jods  aus  dem  Körper  von  Bedeutung, 
weshalb  Herz-  und  Nierenkranke  zu  besonders 
schweren  Formen  des  Jodismus  neigen. 

Polland  hat  nun  ähnlich  wie  Neumann 
(Arch  f.  Derm.,  Bd.  48,  p.  323)  eine  Dermatitis 
tuberosa  mit  Beteiligung  der  Magenschleimhaut 
beobachtet,  die  bei  einem  Patienten  mit  Nephritis 
nnd  Urämie  auftrat,  der  10  Tage  lang  täglich 
1  g  JNa,  aho  im  ganzen  nur  10  g,  erhalten 
hatte.  Es  zeigten  sich  im  Gesicht  und  an  den 
Händen  Effloreszenzen  in  Gestalt  von  Blasen, 
die  zu  größeren  Geschwüren  konfluierten.  Den- 
selben Befund  ergab  auch  die  Sektion  des  Magens, 
nachdem  der  Exitus  infolge  des  Grundleidens 
eingetreten  war.  Jod  war  noch  jetzt,  12  Tage 
seit  der  letzten  Jodmedikation,  im  Inhalt  der 
Harnblase  nachweisbar. 

Das  Nierenleiden  hat,  wie  Polland  aus- 
führt, die  Entstehung  des  Jodexanthems  be- 
günstigt infolge  der  dadurch  herbeigeführten 
verlangsamten  Elimination  und  infolge  der  Stau- 
ung der  jodhaltigen  Ödemtlüssigkeit  in  der  Haut, 
die  zudem  durch  urämische  Heizung  prädisponiert 
war.     Die  Magenaffektion  erklärt  ermitBjelo- 


golowys  (Arch.  f.  Verdauungskr.,  Bd.  X,  No.  3) 
durch  Ausscheidung  freien  Jods  infolge  Vor- 
handenseins salpetrigsaurer  Salze  im  Magen,  was 
bei  Hyperazidität,  an  der  der  Patient  ebenfalls 
litt,  der  Fall  ist.  Letztere  wäre  demnach  auch 
eine  Vorbedingung  für  den  Jodismus  überhaupt. 
Bei  Hyperazidität  und  Nierenleiden  ist  also 
Jod  nur  mit  Vorsicht  zu  gebrauchen. 

(Wien,  klin.  Woch.  1905,  No.  12.) 

Esch  (Bendorf). 


(Ans  der  K.  K.  deutschen  dermstologischen  Universitätsklinik 
in  Prag  (Hofrat  Prof:  F.  J.  Piek.) 

Ober  artefisielle  Dermatitis,  hervorgerufen  durch 
den  Gebrauch  eines  Haarfärbemittel«.    Von 

Dr.  Carl  Botac\  klinischem  Assistenten. 

In  letzter  Zeit  sind  mehrfach  nach  Gebrauch 
von  Paraphenylendiamin,  welches  in  Verbindung 
mit  oxydierenden  Substanzen  die  Haare  dunkel- 
violett färbt,  wochenlang  andauernde  Dermati- 
tiden  beobachtet  worden.  Auch  Verf.  kann  zwei 
einschlägige  Fälle  mitteilen. 

Zum  Dunkelfärben  der  Bart  haare  hatte  der 
erste  Patient  .  das  paraphenylendiaminhaltige 
Haarfärbemittel  Nucin  verwendet.  Schon  am 
Abend  desselben  Tages  stellte  sich  an  Stärke 
zunehmendes  Jucken  und  Brennen  im  Gesicht 
und  am  andern  Morgen  ein  brennesselartiger 
Ausschlag  ein,  der  zwar  in  den  nächsten  Tagen 
zurückging,  dann  aber  wieder  spontan  rezidi- 
vierte, gefolgt  von  einer  Eruption  von  kon- 
fluierenden, mit  wasser klarer  Flüssigkeit  gefüllten 
Blasen.  Unter  Puderbehandlung  heilte  die  bullöse 
Dermatitis  ab,  doch  blieb  noch  bis  in  die  vierte 
Woche  die  Infiltration  sowie  Jucken  und  Brennen 
der  Gesichtshaut  bestehen. 

Der  zweite  Patient  hatte  zwei  Monate  lang 
wöchentlich  einmal  Nucin  gebrancht.  Den  nach 
der  dritten  Applikation  auftretenden  nässenden 
Ausschlag  suchte  er  durch  Bestreichen  der  Haut 
mit  Vaselin  vor  jedesmaligem  Gebrauch  des 
Mittels  zu  verhüten.  Die  Haut  der  Oberlippe 
zeigte  Rötung,  derbe  Infiltration  und  tiefe  Rha- 
gaden. 

(Prag.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  28,  S.  389.) 

Jacobson. 

Ein  Fall   von  Mesotanauaschlag.    Von  Dr.  J.  P. 

Wilis. 

Bei  einer  siebzigjährigen  Frau  war  wegen 
Gicht  das  linke  Handgelenk  und  Kniegelenk  mit 
Mesotan ,  anfangs  rein ,  dann  mit  Olivenöl  zu 
gleichen  Teilen  verdünnt,  mehrmals  bestrichen 
worden.  Nach  einigen  Tagen  bildete  eich  an- 
fangs ein  Erythem,  später  ein  Ausschlag,  ähnlich 
wie  Liehen,  bestehend  aus  harten  roten  Papeln  aas. 
Diese  Affektion  verschwand  nach  wenigen  Tagen. 
Einen  Monat  später  traten  jedoch  große  schmerz- 
hafte Blasen  auf,  die  eröffnet  wurden  und  einige 
Tage  lang  reichliche  Mengen  Serum  entleerten, 
jedoch  schließlich  ohne  Eiterung  heilten. 

(British  medical  Journal  1905.  22.  April.) 

CUssen  (Qrube  u  H.). 


XIX.Jfthrfttf.-l 
Septeftiber  190S.J 


Literatur. 


489 


Literatur. 


Das  Anwachsen  der  Geisteskranken  in  Deutsch- 
land.   Von  Dr.  Max  Hackl,  prakt.  Arzt  in 
Solin  bei  München.   Verlagsbuchhandlung  von 
Seitz  und  Schauer,  1904.  104  S.  Pr.  M.  3,—. 
Die  deutsche  Irrenstatistik  liegt  im   argen. 
Eine  Zahlung  der  Blödsinnigen   und  Irrsinnigen 
im  ganzen  Lande  hat  nur  einmal,  im  Jahre  1871, 
bei    Gelegenheit    der  allgemeinen   Volkszahlung 
stattgefunden. 

Seitdem  nicht  mehr!  Anders  in  einzelnen 
Landern  wie  Preußen  und  Sachsen.  Es  ist  ein 
besonderes  Verdienst  der  fleißigen  Schrift,  auf 
diesen  Übelstand  nachdrücklich  hinzuweisen.  Nur 
mit  großer  Mühe  und  unter  Benutzung  der  aus- 
führlich mitgeteilten  Anstaltsziffern  ist  der  Verf. 
zu  dem  Resultate  gelangt,  daß  die  Zahl  der 
Geisteskranken  in  Deutschland  anwachst,  und 
zwar  über  die  Zunahme  der  Bevölkerung  hinaus. 
Die  sich  naturgemäß  daran  schließende  Frage, 
was  ferner  in  der  Irrenfürsorge  geschehen  müsse, 
wird  eingehend  beantwortet.  Zunächst  ist  eine 
hinreichende  Anzahl  von  Anstaltsplätzen  zu  fordern 
(nach  Kräpelin  soll  auf  500  Einwohner  ein 
Anstaltsplatz  kommen;  in  der  Schweiz  kommt 
schon  jetzt  ein  solcher  auf  250  Einwohner). 
Weiter  brauchen  wir  ein  Irrengesetz,  das  sich 
nach  Rusak  mit  Neu  errieb  tung  und  Konzessio- 
nierung von  Irrenanstalten,  Regelung  des  Betriebes 
und  der  Überwachung  derselben,  Überwachung 
der  aus  den  Anstalten  entlassenen  und  beurlaubten 
und  der  außerhalb  der  Anstalten  untergebrachten 
Kranken  sowie  mit  der  Unterbringung  irrer 
Verbrecher  und  verbrecherischer  Irrer  zu  be- 
schäftigen hätte.  Notwendiger  wäre  noch  der  Aus- 
bau der  Fürsorge  für  die  Imbezillen  und  Idioten 
sowie  Epileptiker  und  geisteskranke  Verbrecher. 
Für  all  diese  Dinge  werden  praktische  Ratschläge 
erteilt.  Besonderer  Wert  wird  mit  Recht  auf  die 
Prophylaxe  gelegt.  Bekämpfung  des  Alkoholmiß- 
brauches, der  Geschlechtskrankheiten  und  der 
nervösen  Erschöpfung.  Das  ist  ungefähr  der 
Inhalt  der  lehrreichen  und  interessanten  Arbeit, 
die  nicht  zum  wenigsten  auch  von  den  zuständigen 
Behörden  gewürdigt  zu  werden  verdient. 

H.  Krön  (Berlin). 

Über  vegetarische  Diät  nnd  Lebensweise  über- 
haupt. Von  Dr.  E.  Singer-Berlin.  Heft  6  von 
Witthauers  med.  Volksbücherei.  Halle  1904, 
C-  Marhold.  25  S.  Preis  M.  —,40. 

Verf.  gelangt  ebenso  wie  Albu  (D.  veg. 
Diät.  Lpzg.  1902)  zu  dem  Schluß,  daß  die  „lakto"- 
vegetarische  Kost  bei  geeigneter  Zubereitung  für 
den  Menschen  wohl  möglich  und  nötigenfalls  aus- 
reichend ist,  aber  als  eine  unzweckmäßige  Er- 
schwerung der  Ernährungsverhältnisse  erscheint 
und  somit  für  den  Gesunden  keine  Vorteile 
vor  der  gemischten  Kost  bietet.  In  gewissen 
Krankheiten  dagegen  kann  sie  in  Verbindung 
mit  den  übrigen  Heilfaktoren  Vorzügliches  leisten. 

Von  den  Stützen  der  vegetarischen  Lehre 
sucht  er  u.  a.  die  geschichtlichen  dadurch  zu 
widerlegen,  daß  Jagd  und  Fischfang  Vorstufen 
des    Ackerbaus  sind,    und    daß  der  Mensch  An- 


passungsfähigkeit an  die  verschiedenste  Nahrung 
besitzt  (die  mit  den  geographischen  und  sozialen 
Verhältnissen  wechselt),  dabei  aber  stets  das 
Streben  nach  der  die  größte  Mannigfaltigkeit 
bietenden  gemischten  Kost  zeigt.  Die  physio- 
logisch-hygienischen Bedenken  betr.  schädliche 
Wirkungen  des  Fleisches  und  seiner  Extraktiv- 
und  Stoffwechsel produkte  sind  nur  bei  über- 
mäßigem Genuß  desselben  gerechtfertigt. 

Bei  der  zum  Verständnis  des  Vegetarismus 
nötigen  Betrachtung  seiner  ethisch-religiösen  Seite 
(die  nach  Albu  als  Reaktion  gegen  zeitweilige 
gesundheitliche  und  sittliche  Verirrungen  aufzu- 
fassen ist)  findet  sich  zwar  manches  Anerkennens- 
werte: Einfachheit,  Mäßigkeit,  gesundheitliche 
Lebensführung,  jedoch  ist  das  alles  auch  bei 
gemischter  Kost  möglich  und  das  Hereinziehen 
von  Moral  und  Religion  in  diese  Ernährungs- 
frage als  Verirrung  aufzufassen. 

Dagegen  ist  zu  betonen,  daß  die  Bedeutung 
des  Fleischeiweißes  bisher  sehr  überschätzt  worden 
ist,  während  man  den  hohen  Wert  der  Pflanzen- 
kost verkannte,  besonders  in  physiologisch- hygie- 
nischer Beziehung,  wo  u.  a.  die  in  ihr  enthaltenen 
Mineralsalze  für  die  osmotischen  Vorgänge,  die 
Nahrungsresorption  etc.  von  Wichtigkeit  sind. 
Aber  auch  nach  der  volkswirtschaftlichen  Seite 
hin  bedarf  die  vegetabilische  Ernährung  bei  der 
steigenden  Bevölkerungszunahme  (für  Deutsch- 
land 800000  Köpfe  jährlich)  immer  mehr  der 
Berücksichtigung. 

Esch  (Bendorf J. 


Lehrbuch  der  Haut-   nnd   Geschlechtskrank- 
heiten für  Aerzte  nnd  Studierende.    Von 
Dr.,  Max   Joseph   in   Berlin.    Zweiter  Teil: 
Geschlechtskrankheiten.    Vierte  vermehrte  und 
verbesserte  Auflage.     Mit  54  Abbildungen  im 
Text  und  drei  farbigen  Tafeln.  Leipzig,  Verlag 
von  Georg  Thieme,  1905. 
Die  neue,  vierte  Auflage  des  Joseph  sehen 
Lehrbuches   der  Geschlechtskrankheiten  zeichnet 
ebenso  wie  die  früheren,   deren  Vorzüge  wir  an 
dieser    Stelle    stets    hervorgehoben    haben,    die 
glückliche  Verbindung  strenger  Wissenschaft  mit 
den  Anforderungen  der  Praxis    aus.     Wir   sind 
überzeugt,  daß  das  Werk  den  großen  Kreis  seiner 
Leser  wiederum  vergrößern  wird,  zumal  es  dem 
augenblicklichen  Stande  der  Disziplin  entsprechend 
ausgestaltet  ist  und  alle  wertvollen  neueren  Unter- 
suchungen   berücksichtigt.     Auch    die  Zahl    der 
Abbildungen  ist  vergrößert.  Wir  sind  überzeugt, 
daß  niemand   dieses  Werk   unbefriedigt   aus   der 
Hand  legen  wird. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Die  Haarkrankheiten,  speziell  die  Entstehung 
der  Glatze,  ihre  Verhütung  und  Behand- 
lung'. Von  Dr.  Meyer,  Gerichtsass.  u.  Bahnarzt 
in  Bernstadt.  2  .  venu.  u.  verb.  Aufl.  München 
1904.  Verl.  d.  Ärztl.  Rundscb.  (O.Qmelin).  36S. 

Meyer  will  nicht  den  Haarschwund  bei  Alo- 
pecia areata,  Herpes,  Favus,  Lues,  erschöpfenden 
Krankheiten,  sondern  nur  die  gewöhnliche  Glatzen- 
bildung besprechen. 

„Die  einseitige  bakteriologische  Auffassung 
vom    Zustandekommen    des    Haarschwundes    ist 


490 


Lita 


unhaltbar,  vielmehr  hat  sie  statt  des  theoretisch 
gedachten  Nutzens  nur  verschlimmernd  gewirkt, 
indem  die  fleißige  Bearbeitung  des  Kopfes  mit 
antiseptischen  Mitteln,  Eiweißgiften, zwar  etwelche, 
zumeist  indifferente  Mikrobien  abtötete,  mit  diesen 
zugleich  aber  die  kümmerlichen  Rudera  des 
Haarwuchses  hinwegfegte. 

Dagegen  müssen  wir  aus  unseren  Beobach- 
tungen den  Schluß  ziehen,  daß  in  den  Körper- 
saften kreisende  protoplasmafeindliche  Stoffe  es 
sind,  die  unter  Umständen  an  den  Stellen  ge- 
ringsten Widerstandes  in  vermehrter  Weise  zur 
Ablagerung  und  Einwirkung  gelangen.  Diese  Stoffe 
sind  im  Darm  gebildete  Eiweißmodifikationen, 
die  bei  lokaler,  vererblicher  Hypersekretion  der 
Haarbodendrüsen  auf  die  Kopfhaut  ausgeschieden 
werden. 

Das  Gebiet  aber,  auf  dem  das  geschieht, 
entspricht  fast  völlig  dem  von  der  männlichen 
Kopfbedeckung  eingenommenen  Bezirk.  Bei  der 
durch  Generationen  fortdauernden  schädigenden 
Einwirkung  der  Kopfbedeckung  entstehen  hyper- 
ämische  Bezirke,  Steigerung  der  Drüsentätigkeit, 
lokale  Hyperhidrosis,  welch  letztere  im  sog. 
Schweißfuß  ein  Analogon  hat. 

Der  Schweiß  als  Träger  toxischer  Stoffe 
muß  nun  an  den  Stellen  vermehrter  Sekretion 
auch  größere  Mengen  Abfallsprodukte  des  Stoff- 
wechsels eliminieren.  Die  Hautoberfläche  reagiert 
aber  auf  dauernde  Reize  stets  mit  Entzündungs- 
erscheinungen. Der  unter  solchon  Umständen 
entstehende  Proliferationsprozeß  der  Oberhaut 
setzt  sich  auf  die  äußere  Wurzelscheide  der 
Haare  fort,  lockert  letztere  und  bringt  sie  zum 
Ausfallen,  es  entsteht  immer  kümmerlicherer 
Nachwuchs  und  unter  allmählicher  Schrumpfung 
der  Haarpapille  die  Glatze." 

Diese  Folgen  würden  zwar  auch  schon  bei 
längerer  Dauer  des  Auflage  ras  von  normalen 
Produkten  der  Hyperhidrosis  eintreten,  umsomehr 
ist  es  aber  der  Fall  bei  dem  Vorhandensein  der 
erwähnten  Toxine. 

Um  die  Bildung  derselben  zu  vermeiden, 
hat  also  die  Behandlung  die  einseitige  Fleisch- 
nahrung, sowie  die  die  Eiweißfäulnis  unter- 
stützende Alkoholzufuhr  zu  verbieten  und  für 
genügende  Ausscheidungstätigkeit  des  Organismus 
zu  sorgen. 

Lokal  ist  nur  leichte,  den  Luftzutritt  ge- 
stattende Kopfbedeckung  zu  verwenden,  die  Kopf- 
haut ist  mit  Seife  und  nebenbei  „umstimmend" 
wirkender  spirituöser  Erdöllösung,  event.  Äther 
zu  reinigen,  zu  massieren,  bei  auffälliger  Hyper- 
sekretion Meyers  Resorcin-Salizyl-Schwefel  wasser 
zu  applizieren,  innerlich  event.  Schwefel,  Arsen 
zu  reichen. 

In  noch  nicht  zu  sehr  veralteten,  aber  ver- 
nachlässigten Fällen  mit  starker  Hyperplasie  des 
Epithels  kann  letzteres  durch  Schwefelseife  ab- 
geschält und  dann  durch  Umschläge  .und  Kan- 
tharidentinkturpinselung  ein  Anreiz  zum  Wachs- 
tum der  Haare  ausgeübt  werden. 

Esch  (Bendorf). 


Lexikon  der  physikalischen  Therapie,  Diätetik 
nnd  Krankenpflege  für  praktische  Aerzte. 

Herausgegeben  von  Dr.  AntonBum.  Mit  zahl- 
reichen Illustrationen.  Urban  u.  Schwarzenberg, 
Berlin  und  Wien  1903. 

Von  dem  Lexikon  der  physikalischen  Therapie 
liegen  die  beiden  Schlußabteilungen  vor.  Das- 
selbe ist  für  die  schnelle  Orientiernng  bestimmt 
und  wird  auch  sicher  seinen  Zweck  erfüllen,  da 
es  die  einschlägigen  Fragen  kurz  mit  Berück- 
sichtigung der  neueren  Forschungen  beantwortet. 
Eine  große  Anzahl  übersichtlicher  Abbildungen 
veranschaulicht  die  technischen  Skizzierungen, 
die  dadurch  auch  demjenigen,  der  dieser  oder 
jener  Frage  bisher  ferner  stand,  näher  gerückt 
werden.  Besonders  wertvoll  erscheinen  uns  die 
Artikel  über  Pneumotherapie  und  pneumatische 
Kammern,  die  sich  auch  durch  viele  Illustrationen 
auszeichnen.  Ebenso  sind  der  Diätetik  und 
Krankenpflege  viele  prägnante,  alles  Unwesent- 
liche ausscheidende  Hinweise  gewidmet.  Das 
Kapitel  über  Kältebehandlung,  das  in  der  Dermato- 
logie in  neuerer  Zeit  eine  größere  Bedeutung  ge- 
winnt, dürfte  in  der  Neuauflage  eine  wesentliche 
Erweiterung  erfahren  müssen. 

Edmund  Saalfeld  {Berlin). 

Leitfaden  für  den  ereburtshilflichen  Operations- 
kurs. Von  Professor  Dr.  Albert  Döderlein. 
Sechste  Auflage.  Leipzig,  Verlag  v.  Georg  Thieme, 
1904. 

Dieser  Leitfaden,  welcher  in  früheren  Auf- 
lagen in  der  Zeitschrift  wiederholt  besprochen 
ist,  ist  in  sechster  und  sicher  nicht  in  letzter 
Auflage  erschienen,  da  er  sich  durch  vortreff- 
liche, das  Beschriebene  klar  darstellende  Abbil- 
dungen für  Unterricht  und  Belehrung  des  an- 
gehenden Geburtshelfers  besonders  eignet.  Die 
neue  Auflage  zeigt  dieselben  Vorzüge,  und  nur 
geringfügige  Änderungen,  wie  die  vorige. 

Falk. 

Für  Mntter  und  Kind.  Von  Dr.  med.  Max  Hackl. 
München,  Deutsch. Zeitschriften verlag, G.  m.b.H. 

Der  Verf.  will  in  dem  vorliegenden  Werke 
der  Frau  Aufklärung  und  Belehrung  geben,  wie 
sie  sich  gesund  erhalten  und  vor  Gefahren  schützen 
kann,  und  wie  dies  der  Weg  wäre,  auf  dem  eine 
gesunde,  blühende  Nachkommenschaft  erstehen 
könne.  Ferner  behandelt  er  die  Fragen  über 
die  Ernährung  und  Erziehung  der  Kinder.  In 
außerordentlich  geschickter  Weise  wußte  der  Verf. 
seine  Aufgabe  zu  lösen.  Die  Auseinandersetzungen 
sind  ebenso  eingehend  wie  klar  und  dürften 
dazu  beitragen,  Gesundheitsfragen  in  Laienkreisen 
ZU   klären.  Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Was  ein  erwachsenes  Mädchen  wissen  sollte. 
Ratschläge  eines  Arztes.  Von  Dr.  med. 
Burlureaux,  Paris.  Autorisierte  Übersetzung 
von  Dr.  med.  Gas  ton  Vorberg,  Freiburg  i.  B. 
Berlin  W.  30,  Verlag  von  Oscar  Coblentz,  1905. 

Der  Verf.  weist  in  eindringlicher  Weise  auf 
die    Gefahren    der    Geschlechtskrankheiten  hin, 
ohne  wesentlich  neue  Gesichtspunkte  zu  bringen. 
[Btimund  Saatfeld  (Berlin). 


XIX.  Jahrgang  •  1 
Baptomtar  1906  J 


Literatur. 


491 


Taschenbuch  för  Obren-,  Nasen-,  Bachen-  und 
Hateärzte  nebst  Spezialisten  Verzeichnis  und 
Taschenkalender  für  das  Jahr  1905/6.  Von 
L.  Jan  kau,  Mönchen,  Seitz  und  Schauer. 

Die  vorliegende  neunte.  Ausgabe  des  Jan- 
k  ansehen*  Taschenbuches  zeugt  wiederum  von 
dem  unermüdlichen.  Beatreben  des  Herausgebers, 
sein  Werk  zu  vervollkommnen.  Auf  engstem 
Raum  werden  dem  Ohren-,  Nasen-  und  Halsarzt 
nicht  nur  die  Fortschritte  seiner  Sonderfächer 
vorgeführt,  sondern  auch  die  der  übrigen  Medizin 
übermittelt.  Ferner  enthält  das  Büchlein  nach 
Art  aller  Medizinalkalender  die  große  Reihe  jener 
wichtigen  und  leicht  .  vergessenen  Ziffern  und 
Daten  aus  dem  Gebiete  der  Anatomie,  Physio- 
logie, Physik,  Pharmakologie,  Statistik,  deren 
Unkenntnis  in  der  Praxis  leicht  zu  Verlegen- 
heiten führt.  Der  vierte  Teil  des  Buches,  Perso- 
nalien der  Oto-Laryngologie.  beansprucht  schon 
deshalb  besonderes  Interesse,  weil  er  unseres 
Wissens  die  einzige  Bearbeitung  dieses  Gegen- 
standes in  deutscher  Sprache  darstellt.  Auch 
dieser  Teil  hat  im  Vergleich  zu  früheren  Jahr- 
gängen an  Gründlichkeit  und  Zuverlässigkeit 
gewonnen.  n       Krehs  (Hildesheim). 

Vorlesungen  über  klinische  Hämatologie,  Von 
Dr.  W.  Türk,  Priv.-Doz.  u.  Ass.  der  IL  med. 
Klinik  (Neusser)  Wien.  I.  Teil:  Methoden  der 
klin.  Blatuntersuchung.  Elemente  der  normalen 
u.  path.  Histologie  des  Blutes.  Wien  u.  Leipzig, 
Braumüller,  1904. 

Die  Blutuntersuchung  nimmt  von  Jahr  zu 
Jahr  an  Bedeutung  zu  und  findet  in  der  Klinik 
sowohl  als  in  der  Praxis  immer  allgemeinere  An- 
wendung. Sie  ist  aber  technisch  schwierig  und 
erfordert  Sachkenntnis,  Übung  und  Erfahrung, 
die  nicht  jedem  zu  Gebote  steht.  Auch  die 
hämatologische  Literatur  gibt  bisher  keine  ge- 
nügende Anweisung  und  Belehrung.  Türk  will 
nun  diesem  Mangel  abhelfen  und  den  Leser  in 
das  ganze  Gebiet  einführen,  sowohl  was  die 
Methodik  als  auch  was  den  heutigen  Stand  der 
Forschung  betrifft. 

Der  vorliegende  erste  Band  behandelt  die 
oben  erwähnten  Gegenstände.  Im  IL  Teil  sollen 
die  Hämatologie  der  Erkrankungen  der  blut- 
bereitenden Organe  und  des  Blutes  sowie  die 
wesentlichen  Veränderungen  des  Blutes  bei  andern 
Krankheiten  abgehandelt  werden. 

Wir  möchten  dem  Werke  die  Worte  von  C. 
S.Engel  (Zeitschr.f.ärztl.  Fortb.  1904,  No. 6) mit- 
geben: „Bis  jetzt  ist  nur.  eine  relativ  geringe  Zahl 
von  gröberen  Blutanomalien  wissenschaftlich  nach- 
weisbar. Wenn  man  bedenkt,  daß  das  Blut  nicht 
nnr  den  Gasaustausch  der  Organe  besorgt,  son- 
dern auch  die  Stoffe  enthält,  die  zur  Ernährung 
der  verschiedenen  Organ zellen  dienen,  wenn  man 
ferner  berücksichtigt,  daß  in  der  Blutflüssigkeit 
auch  die  Stoffwechselprodukte  der  Körper- 
zellen kreisen,  die  teils  zur  weiteren  Verarbei- 
tung andern  Organen  zugeführt  werden,  teils 
zum  Austritt  aus  dem  Körper  bestimmt  sind, 
so  muß  man  als  wichtigste  Aufgabe  der  Blut- 
forschung die  Ausgestaltung  derjenigen  Unter- 
suchungsmethoden ansehen,  die  die  feinstenbio- 
chemischen  Veränderungen,   namentlich   die    des 


Blutserums,  der  Erkenntnis  näherbringen  sollen, 
damit  der  Arzt  auf  die  Fragen  der  Blutverbesse- 
rung, Blutreinigung  etc.  eine  wissenschaftlich 
begründete  Antwort  erteilen  kann." 

Esch  (Bendorf). 

Bakteriologie  und  Sterilisation  im  Apotheken- 
betriebe. Von  Dr.  C.  Stich.  Verlag  von 
Julius  Springer,  Berlin  1903. 

Der  in  handlicher  Form  erschienene,  zirka 
70  Seiten  umfassende  Leitfaden  enthält  alles  für 
den  Apotheker  Wissenswerte.  Zahlreiche  Ab- 
bildungen der  notwendigen  Apparate  erleichtern 
das  Verständnis  des  Inhalts,  der  allerdings  bak- 
teriologische Vorbildung,  zum  mindesten  im  bak- 
teriologischen Praktikum  erworbene  Kenntnisse 
beim  Apotheker  voraussetzt. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Gymnastik  und  Massage  als  Heilmittel.  Von 
Prof.  Dr.  Hoffa,  Geh.  Medizinalrat  in  Berlin. 
Medizinische  Volksbibliothek.  Erster  Band. 
Berlin,  Oskar  Coblentz,  1904. 

Im  Sinne  der  vorliegenden  Sammlung,  dem 
Laien  Aufklärung  zu  bringen,  ihm  Ursachen  und 
Leistungsmöglichkeit  der  Heilmittel  klarzulegen, 
setzt  Verf.  zunächst  das  Wesen  der  Gymnastik 
und  der  Massage,  dann  deren  lokale  und  all- 
gemeine Wirkungen  in  leicht  verständlicher,' 
klarer  Weise  auseinander. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Kurzer  Überblick  über  die  Grundzüire  def 
Röntgen-Technik  des  Arztes.  Von  Dr.  Carl 
Bruno  Schür mayer-Hannover,  Speziaiarzt 
der  Elektrotherapie  und  Röntgen-Technik.  Mit 
13  Abbildungen  und  4  Tafeln.  Sonderabdruck 
des  Anhanges  aus  dem  Werke:  „Konstruktion, 
Bau  und  Betrieb  von  Funkeninduktoren  und 
deren  Anwendung,  mit  besonderer  Berücksichti- 
gung der  Röntgenstrahlen-Technik ,  von  Phy- 
siker Ernst  Ruhmer.  Leipzig,  Hachmeister 
u.  Thal,  1904. 

Die  Brauchbarkeit  der  vorliegenden  Abhand- 
lung wird  dadurch  wesentlich  beeinträchtigt,  als 
es  sich  um  den  Abdruck  eines  Teiles  aus  einem 
größeren  Werke  handelt,  und  auch  in  diesem 
Abdrucke  vielfach  auf  andere  Stellen  des  Werkes 
verwiesen  wird;  naturgemäß  leidet  dadurch  die 
Klarheit  der  Darstellung  ganz  erheblich;  diesem 
Mangel  könnte  in  einer  zweiten  Auflage  wohl 
dadurch  abgeholfen  werden,  daß  der  Abdruck  in 
erweiterter  Form  gegeben  wird. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 


ein. 


Praktische  Notizen 
und 
empfehlenswerte  Arsneifo 


Zur  Applikation  flüssiger  Atzmittel 

wird  von  Hammer  (Monatshefte  f.  prakt.  Der- 
matologie, Bd.  40,  Nr.  8)  die  Glasfeder  emp- 
fohlen. Es  ist  dies  ein  zugespitzter,  mit  spira- 
ligen Rinnen  versehener  Glasstab ,  der  die 
Flüssigkeiten  nur  allmählich  abgibt. 


492 


Praktisch«  Notiztn  und  empfehlenswert«  Arzneiformeln. 


rTharapeti 
L   Moufctoh 


Bei  Lupus  werden  die  Knötchen  durch 
Einstich  geöffnet  nnd  nun  sofort  Wattetampons 
mit  der  Glasfeder,  die  fortwährend  die  Watte 
mit  Acidam  carbolicnm  liquefactnm  trankt,  in 
die  Öffnung  eingestopft.  Der  Tampon,  der  mit 
Watte  und  Kollodium  fixiert  wird,  bleibt  nicht 
langer  als  24  Stunden  liegen.  Die  Glasfeder 
läßt  sich  ferner  mit  vorzüglichem  Erfolge  bei 
kleinen  Epitheliomen  der  Haut,  bei  Verruca 
necrogenica,  bei  Ulcus  molle  sowie  bei  schwie- 
ligen Rhagaden  der  Hände  verwenden,  ebenso 
zum  Tamponieren   und  Ätzen   von  Fistelgangen. 

Zur  Bestimmung  der  Salzsäure 

in  kleinen  Mengen  von  Magensaft  dient  ein 
Apparat,  den  A.  Neumann  (Zentralblatt  f.  innere 
Medizin  No.  23,  1905)  angegeben  hat.  Derselbe 
besteht  aus  einer  U-förmig  gebogenen  Röhre,  die 
am  kürzeren  Schenkel  ein  konisch  zulaufendes 
Gefäß  trägt;  unterhalb  des  Gefäßes  ist  ein  Glas- 
hahn mit  enger  Bohrung  angebracht.  Der  lange 
Schenkel  ist  in  150  Teile  geteilt,  und  zwar  liegt 
der  0- Punkt  oben,  der  Teilstrich  150  über  dem 
Niveau  der  im  Gefäß  befindlichen  Untersuchungs- 
flüssigkeit. Die  Füllung  mit  Normallauge  ge- 
schieht in  der  Weise,  daß  2—3  ccm  bei  geöffnetem 
Hahn  in  das  Gefäß  gegeben  werden,  dieses  mit 
einer  Gummikappe  verschlossen  wird,  und  nun 
durch  Druck  die  Lauge  bis  über  den  O-Punkt 
getrieben  wird.  Nach  genauer  Einstellung  wird 
das  Gefäß  gründlich  ausgewaschen  und  nun  durch 
eine  beigegebene  Pipette  1  ccm  Magensaft  ein- 
gefüllt. Durch  den  Hahn  läßt  man  so  lange 
Lange  zufließen,  bis  —  durch  Kongopapier  oder 
Phlorogluzin-Vanillin  —  keine  freie  Säure  mehr 
nachzuweisen  ist.  Nach  Zusatz  von  1  Tropfen  Phe- 
nolphthalein wird  dann  weiter  bis  zur  bleibenden 
Rotfärbung  Lauge  durch  den  Hahn  hinzugegeben. 
Die  Berechnung  ist  sehr  einfach:  War  z.  B.  bis 
zum  Ausbleiben  der  Blaufärbung  von  Kongo- 
papier erforderlich,  Lauge  bis  zum  Teilstrich  28 
abfließen  zu  lassen  und  weiterhin  bis  zum  Teil- 
strich 54,  um  Neutralisation  zu  erzielen,  so  war 
im  Magensaft  die  freie  Salzsäure  =  28  (d.  h. 
100  ccm  Magensaft  brauchen  zur  Sättigung  der 
freien  Säure  28  ccm  Normallauge)  und  Gesamt- 
azidität 54  vorhanden. 

Außer  zur  Bestimmung  der  Salzsäure  läßt 
sich  der  Apparat,  welcher  von  P.  Haack,  Wien, 
Gaselligasse  4  zu  beziehen  ist,  noch  zur  Pepsin- 
bestimmung und  zur  Untersuchung  auf  Milch- 
säure verwenden. 

Der  Nachwels  der  Asetesslgsäure  im  Harn 

nach  der  Rie  gl  ersehen  Vorschrift  (Ausschütteln 
des  Harns  mit  Chloroform  nach  voraufgehendem 
Zusatz  ven  Jodsäure)  kann  zu  Irrtümern  Anlaß 
geben,  da  einmal  in  stark  verdünnten  Harnen 
wegen  Mangels  der  Harnsäure  die  Reduktion  der 
Jodsäure  ausbleibt,  und  andrerseits  die  Bindung 
von  freigemachtem  Jod  nur  bei  saurer  Reaktion 
für  die  Gegenwart  von  Azetessigsäure  beweisend 
ist.     Zum  einwandsfreien  Nachweis  dieser  Säure 


achlagt  nun  Lindemann  (Mün chn .  medizinische 
Wochenschrift  No.  29,1905)  folgendes  Verfahren 
vor:  10  ccm  des  zu  untersuchenden  Harnes 
werden  mit  5  Tropfen  verdünnter  (30  pros.) 
Essigsäure  angesäuert,  darauf  mit  6  Tropfen  Lo- 
go lscher  Lösung  (Jod  1,  Jodkalium  2,  Aqua  100) 
versetzt  und  nach  Zusatz  von  2  ccm  Chloroform 
gut  durchgeschüttelt.  Bei  Gegenwart  von  Azet- 
essigsäure bleibt  der  Chloroformanszug  farblos, 
bei  Abwesenheit  der  Säure  erfolgt  Violettfärbung. 
Der  Nachweis  gelingt  auch  bei  Harnen,  welche 
Salizylsäure  enthalten,  wo  also  die  Gerhard tsche 
Probe  (Rotfärbung  auf  Zusatz  von  Eisen  chlorid) 
keine  eindeutigen  Resultate  gibt. 

Metaplasma 

nennt  Sarason  (Deutsche  medizinische  Wochen- 
schrift No.  32,  1905)  eine  neue  Art  Verband- 
stoffe, welche  aus  einer  inneren,  mit  Arzneikörpern 
imprägnierten  Lage  entfetteter  nnd  einer  äußeren, 
mit  der  inneren  Schicht  fest  verbundenen  Lage 
nicht  imprägnierter,  unentfetteter,  undurchlässiger 
Watte  besteht.  Zum  Gebrauch  wird  die  innere 
(gefärbte)  Schi  cht  mit  Wasser  oder,  wenn  schnellere 
und  stärkere  Wirkung  erwünscht  ist,  mit  ver- 
dünntem Spiritus  benetzt  und  am  Körper  mit 
Binden  befestigt.  Die  stärkste  Wirkung  erzielt 
man,  wenn  man  über  dem  Metaplasma  eine 
Wärmequelle  (Sandsack,  Thermophor  etc.)  an- 
bringt. Als  Derivantien  kommen  Metaplasma 
mentholi  und  capsici,  als  gut  wirkendes  Anti- 
rheumaticum  Metaplasma  aeidi  salicylici  in  Be- 
tracht. 

Bei  Dentitio  diffiieilis 

hat  Dr.  Naegeli-Akerblom  (Genf)  die  Verab- 
reichung von  Tinct.  Gelsemü  sempervir.  zu 
1 — 3  Tropfen  in  Wasser  oder  Milch  bewährt 
gefunden. 

Bei  Meningitis  cerebrospinalis 
hat  A.  Seibert  (Med.  Record,  17.  Juni  1905) 
Lavements  von  Salizylsäure m  Natron  mit  bestem 
Erfolge  in  Anwendung  gebracht.  Er  injizierte 
4  mal  täglich  1,0  g.  In  einem  Falle  hat  er  sich 
sogar  bis  zu  10,0  g  in  24  Stunden  verstiegen, 
indem  er  10  mal  1,0  g  in  1  Eßlöffel  Wasser  ge- 
löst ins  Rectum  einführte. 

Die  offiziellen  Einladungen  für  den  Internationalen 
Tuberknloeekongreß  vom  a.  tri*  7.  Oktober  d.  J. 

und  die  damit  verbundene  Ausstellung  in  Paris 
sind  an  alle  Interessenten  versandt.  Die  fran- 
zösischen Eisenbahnen  gewähren  zum  Besuch  des 
Kongresses  eine  Fahrpreisermäßigung  von  50 Pros.« 
Das  Stangensche  Reisebureau  hat  sich  bereit  er- 
klärt, für  gute  Unterkunft  in  Paris  Sorge  an 
tragen.  Es  ist  zu  diesem  Zwecke  wichtig,  die 
voraussichtliche  Zahl  der  Teilnehmer  zn  wissen, 
und  wird  gebeten,  die  beabsichtigte  Teilnahme 
dem  Deutschen  Kongreß-Komitee  (Berlin  W.  9, 
Eichhorns traße  9)  jetzt  unverbindlich  mitzuteilen. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  JLLanggaardin  Berlin  BW. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitats-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  BerfiaN. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1905.    Oktober. 

Originalabhandlungen. 


Die  Behandlung: 
der  Tuberkulose  in  Lieysin. 

Berieht  Aber  die  Erfolge  in  den  Sanatorien 

von  Leysin.    1.  Mai  1904  bis  30.  April  1905. 

Von 

Dr.  Morln, 

Voratteendem  der  medisinUehen  AufelchtsbeaBrdcn  In  Leyiin. 

Wie  wir  es  schon  seit  2  Jahren  getan, 
veröffentlichen  wir  hier  die  Resultate,  welche 
im  Jahre  1904 — 1905  in  den  Sanatorien 
des  Höhenkurorts  Leysin  erreicht  worden  sind. 

Die  Kranken,  welche  den  Kurort  während 
dieses  Jahres  verlassen  haben,  sind  nach 
Turbans  Methode  in  drei  Gruppen  einge- 
teilt worden,  und  die  Erfolge  sind  in  zwei, 
denjenigen  der  früheren  Berichte  ähnlichen 
Tabellen  zusammengestellt. 

Aus  dem  Vergleich  dieser  Tabellen  mit 
denjenigen  der  vorhergehenden  Jahre  ist  leicht 
ersichtlich,  daß  die  Resultate  ungefähr  iden- 
tisch sind,  besonders,  wenn  man  dieselben 
Kategorien  von  Kranken  miteinander  ver- 
gleicht. 

Eine  bedauernswerte  Tatsache  ist  immer 
wieder  zu  konstatieren,  und  muß  abermals 
hervorgehoben  werden,  nämlich  die,  daß  die 
Kranken  erst  in  einem  zu  weit  vorgeschrittenen 
Stadium  ihrer  Krankheit  das  Sanatorium  auf- 
suchen. 

Unter  355  Tuberkulösen,  welche  den 
Kurort  nach  einem  Aufenthalt  von  durchschnitt- 
lich 5  Monaten  verlassen  haben,  finden  wir: 

102  Kranke,    die    bei    ihrer  Ankunft   in   dem 
I.  Stadium  waren  (28,7  Proz.). 

149  Kranke,  die  bei  ihrer  Ankunft  in  dem 
Ii.  Stadium  waren  (42  Proz.). 

104  Kranke,  die  bei  ihrer  Ankunft  in  dem 
III.  Stadium  waren  (29,3  Proz.). 

Selbstverständlich  sollte  der  größte  Teil 
der  Kurgäste  eines  Sanatoriums  aus  Kranken 
im  ersten  Stadium  bestehen,  jedoch  bilden 
solche  nicht  einmal  ein  Drittel  der  Zahl 
derer,  die  bisher  zu  uns  in  Behandlung  ge- 
kommen sind. 

Könnten  wir  alle  anderen  Fälle  außer 
acht  lassen,  so  erlangten  wir  gunstige  Er- 
folge bei  98  Proz.  der  behandelten  Kranken, 
so  zu  sagen  fast  in  allen  Fällen. 

Th.  M.  1906. 


Es  soll  damit  nicht  gesagt  werden,  daß 
die  Kranken  des  zweiten  und  dritten  Stadiums 
unbarmherzig  zurückgewiesen  werden  müssen. 
Dies  wäre  sehr  bedauernswert,  da  wir  bei 
ihnen  wohl  87  Proz.  und  57  Proz.  gute  Re- 
sultate erzielt  haben.  Wir  denken  aber,  daß 
die  Folgen  der  Behandlung,  die  sich  als  die 
allerbeste  erweist,  ungemein  günstiger  sein 
werden,  wenn  die  Ärzte  und  die  Kranken 
einmal  von  der  Notwendigkeit  einer  früh- 
zeitigen Diagnose  und  Behandlung  der  Tuber- 
kulose fest  überzeugt  sind. 

Wir  legen  daher  immer  den  Hauptwert 
auf  eine  frühe  Diagnose  und  einen  raschen 
Entschluß  für  die  Behandlung  in  einem 
Höhensanatorium. 

Es  sei  uns  ein  Beispiel  gestattet: 

Ein  junger  Mann  aus  einer  Familie,  in 
der  die  Tuberkulose  vielleicht  schon  Opfer 
gefordert  hat,  zeigt  nach  zu  raschem  Wachsen 
verdächtige  Zeichen  von  Lungentuberkulose. 
Er  wird  mager,  ermüdet  leicht,  hat  Atem- 
beschwerden und  Pulsbeschleunigung,  vielleicht 
hustet  er  auch  morgens  ein  wenig  trocken. 
Bei  einer  gewissenhaften  Untersuchung  wird 
der  Arzt  wahrscheinlich  eine  abnorme  Kon- 
formation des  Thorax  konstatieren.  Er  wird 
sogleich  auf  der  Höhe  der  Lungenspitzen  die 
leichten  Veränderungen  aufsuchen,  welche 
Grancher  so  gründlich  studiert  und  be- 
schrieben hat,  und  welche  sogleich  die 
Germinationsperiode  der  Tuberkulose  offen- 
baren. 

Vielleicht  ist  das  Wahrgenommene  sehr 
unbedeutend:  ein  kleiner  Schallunterschied, 
eine  gewisse  Abschwächung  der  Atmungs- 
geräusche auf  einer  Seite,  ein  rauhes  In- 
spirium,  ein  leicht  verlängertes  Exspirium, 
dies  genügt  bei  den  übrigen  Umständen  des 
Jünglings,  um  die  Diagnose  festzustellen.  Es 
ist  unnütz  und  gefährlich,  den  Auswurf  und 
die  K  ochschen  Bazillen  abzuwarten,  der 
Kranke  ist  tuberkulös,  er  muß  sofort  be- 
handelt werden,  und  sein  Zustand  ist  be- 
denklich genug,  daß  sogleich  zur  wirksamsten 
Behandlung  geschritten  wird. 

Aber  was  geschieht  in  der  Regel,  wenn 
man  einen  solchen  Fall  vor  sich  hat? 

37 


494 


Morin,  Behandlung  d«r  Tuberkulös«  in  Leytin. 


L   Monatshefte. 


Die  Mutter  des  Kranken  ist  sehr  ängst- 
lich, der  Vater  wäre  sehr  bekümmert,  die 
Studien  und  die  Beschäftigungen  seines 
Sohnes  für  eine  längere  Zeit  unterbrechen  zu 
müssen  ....  Gewiß  ist  es,  daß  der  Zustand 
ein  bedenklicher  ist,  doch  vielleicht  vorüber- 
gehend. 

Ein  wenig  Ruhe,  ein  Landaufenthalt, 
stärkende  Kost  werden  ohne  Zweifel  genügen, 
die  Gesundheit  dieses  jungen  Mannes  herzu- 
stellen. Warum  sollte  man  denn  eine  so 
erregbare  Familie  gleich  in  Sorge  ver- 
setzen ? 

Auf  diese  Weise  ergreift  man  halbe  Maß- 
regeln, die  oft  ungenügend  sind. 

Einige  Monate  nachher  geht  es  dem 
Kranken  weniger  gut.  Er  hat  abends  Fieber, 
nächtlichen  Schweiß,  hustet  mehr  und  hat 
alle  Morgen  spärlichen  Auswurf.  Der  Arzt 
sieht  den  Patienten  wieder,  er  konstatiert 
bei  der  Untersuchung  das  Erscheinen  von 
schwachen  abnormen  Geräuschen  an  der 
Lungenspitze,  auch  findet  man  im  Auswurf 
jetzt  einige  seltene  Tuberkelbazillen  .  .  .  dies- 
mal ist  die  Diagnose  unzweifelhaft  .  .  .  der 
Kranke  muß  ins  Sanatorium  geschickt  werden. 

Aber  inzwischen  hat  man  eine  kostbare 
Zeit  verloren,  ebenso  hat  sich  die  Prognose 
wesentlich  verschlimmert.  Ein  Aufenthalt 
von  5  —  6  Monaten,  wird  sogar  unter  den 
besten  Behandlungs-  und  Klimabedingungen 
nun  nicht  mehr  genügen,  um  den  Kranken 
gesund  zu  machen.  Jahre  muß  er  jetzt  opfern, 
um  einen  viel  ungewisseren  Erfolg  zu  erreichen, 
als  wenn  er  sogleich  die  Notwendigkeit  einer 
wirksamen  Behandlung  eingesehen  hätte. 

Wäre  man  mehr  überzeugt  von  dem 
hohen  Wert  der  Behandlung,  so  würde  man 
sich  nicht  so  sehr  vor  einer  Mitteilung  scheuen, 
welche  viel  weniger  ernst  ausfallen  würde, 
da  dem  Kranken  und  seiner  Familie  die 
besten  Aussichten  auf  eine  erfolgreiche  Kur 
garantiert  werden  könnten. 

Wir  sind  fest  überzeugt,  daß  alle  Ärzte 
ganz  mit  uns  einverstanden  sind,  aber  wir 
wissen  auch,  wie  schwer  es  ist,  in  der  Wirk- 
lichkeit und  in  Gegenwart  eines  konkreten 
Falles  zu  handeln,  wie  man  sollte.  Sogar 
wenn  man  es  wollte,  würde  man  oft  auf 
unüberwindliche  Opposition  stoßen. 

Bei  ihrer  schweren  und  heiklen  Stellung 
wird  den  Ärzten  damit  kein  Vorwurf  gemacht. 
Doch  wenn  sie,  wie  wir  es  oft  getan,  die 
außerordentlich  raschen  Fortschritte  und  die 
wunderbaren  Heilungen  konstatieren  könnten, 
welche  ein  frühzeitiger  Aufenthalt  in  einem 
Höhensanatorium  bewirkt,  so  würden  sich 
die  Ärzte  gewiß  bemühen,  den  sofortigen 
Gebrauch  einer  so  günstigen  Behandlung  ins 
Werk  zu  setzen. 


Erfolge  bei  der  Entlassung. 
Tabelle  I. 


if 

PS 

i 

cht  gebessert 
oder  rer- 

aehllmmert. 

NegatlTor 

Erfolg 

o 

0 

o 

1 

3 

© 

00 

« 

I. 

101 

98 

2 

2 

0   — 

102 

II. 

131 

88 

14 

9,4 

4 

2,6 

149 

III. 

66 

53,8 

27 

26 

21 

20,2 

104 

287 

80,9 

43 

12,1 

26 

7 

355 

Tabelle  IL 


fi 

r 

■ 

*• 

* 

a 

S 

0~ 
3 

9 

■s 

o 

N 
l 

1 

o 

H 

2 

PU 

a 
o 

M 

O 
u 
PU 

1 

M 

O 
U 

i 

M 

m 

► 

I. 

71  j  70 

29 

28 

2 

2 

0 

_ 

0 



102 

II. 

31 1  20,8 

100 

67,1 

9 

6 

5 

3,4 

4 

2,7 

149 

in. 

l|  0,9 

55 

53 

18 

17,3 

9 

8,6 

21 

20,2 

104 

103 

30 

184  51 

29 

8 

14 

4 

25 

7 

355 

Das  Studium  der  zwei  Tabellen,  in  welchen 
wir  unsere  Erfolge  zusammenstellen,  ist  sehr 
interessant  und  zeigt  besonders  die  sehr 
große  Wirksamkeit  unserer  Heilmethode  im 
Anfang  der  Krankheit. 

Von  102  Kranken  des  ersten  Stadiums 
sind  70  geheilt,  und  28  gebessert.  Die 
meisten  dieser  letzteren  werden  die  Heilung 
erreichen,  wenn  sie  mit  der  Behandlung  fort- 
fahren. Sie  wären  ohne  Zweifel  schneller 
so  weit  gelangt,  wenn  sie  ihre  Kur  verlängert 
hätten.  Ein  interessanter  Erfolg  ist  auch 
mit  der  Zahl  der  im  zweiten  Stadium  stehenden 
Kranken  aufgezeichnet,  dieselbe  gibt  31  Fälle 
der  Heilung  von  149  an,  also  mehr  als 
20  Proz.,  mit  100  Fällen  von  Besserung 
(67  Proz.) 

Endlich  zeigen  wir  noch  das  Verhältnis 
der  günstigen  Erfolge  bei  den  Kranken  im 
dritten  Stadium  an,  das  mehr  als  50  Proz. 
erreicht. 

Die  meteorologischen  Bedingungen  des 
Winters  1904 — 1905  sind  bestimmt  ungün- 
stiger gewesen  als  die  im  vorhergehenden 
Winter,  der  das  Andenken  eines  ganz  be- 
sonders schönen  zurückgelassen  hat.  Zudem 
hat  uns  die  Influenza,  welche  überall  im 
Anfang  des  Jahres  herrschte,  nicht  verschont, 
aber  mit  Ausnahme  von  einigen  schwer  er- 
krankten Lungenleidenden,  welche  von  der 
Influenza  ziemlich  mitgenommen  wurden,  haben 
wir  konstatiert,  daß  die  Krankheit  weniger 
ernst  auf  dem  Berge  als  im  Tal  war. 

Trotz  diesen  leidlichen  Umständen  sind 
die  günstigen  Erfolge  wenig  verschieden  von 
denjenigen    des    vergangenen   Jahres.     Diese 


XIX.  Jahrgang."! 
Oktober  1906.  J 


Moria,  Behandlung  der  Tuberkulose  in  Leydn. 


495 


Bemerkung  bestätigt  den  Eindruck,  den  wir 
schon  lange  haben,  nämlich,  daß  wenn  auch 
dauernd  schönes  Wetter  die  Kur  leichter  und 
angenehmer  macht,  und  die  Perioden  von 
trüber  Atmosphäre  den  Kranken  langweilen 
und  ihn  ermüden,  so  haben  doch  im  ganzen 
die  meteorologischen  Bedingungen  wenig  Ein* 
fuß  auf  die  Erfolge.  Moralisch  setzt  das 
schlechte  Wetter  den  Kranken  mehr  zu  als 
körperlich,  doch  darf  man  die  Vorsichtsmaß- 
regeln bei  schlechter  Witterung  auch  nicht 
vernachlässigen. 

Dies  trifft  übrigens  mehr  zu  für  den  Berg 
als  für  das  Tal.  Die  dort  akklimatisierten 
Kranken,  die  gewöhnt  sind,  im  Freien  zu  leben, 
ertragen  den  Wechsel  der  Atmosphäre  außer- 
gewöhnlich gut. 

Trotzdem  denken  wir  doch,  daß  wenn 
die  Anzahl  der  Heilungen  und  Besserungen 
dieses  Jahres  eine  geringere  ist  als  im  vorigen, 
dies  mit  der  Tatsache  im  Zusammenhang 
steht,  daß  der  Winter  und  der  Frühling 
weniger  schön  als  gewöhnlich  waren. 

Diese  Naturerscheinung  war  allgemein. 
Der  Süden  und  Algier  waren  nicht  begünstigter 
als  die  Schweiz. 

Unsere  Heilmethode  ist  immer  besonders 
auf  dem  überlegten  Gebrauch  hygienisch- 
diätetischer Mittel  gegründet,  die  so  oft  als 
Faktoren  der  Phthisiotherapie  verordnet  worden 
sind:  Luft  und  Ruhekur  mit  passender  Er- 
nährung. 

Diese  verschiedenen  Mittel  werden  ge- 
braucht und  dosiert,  je  nach  den  speziellen 
Indikationen,  die  von  der  Mannigfaltigkeit 
der  klinischen  Formen  und  von  dem  Unter- 
schied der  Konstitution  herrühren. 

Auf  die  fast  einförmige  Behandlung,  welche 
Brehmer  und  Dettweiler  ursprünglich  ge- 
priesen haben,  folgt  jetzt  eine  verständige 
und  überlegte  Individualisation. 

Wir  haben  immer  die  sehr  feste  Über- 
zeugung von  der  Hauptwichtigkeit  und  von 
dem  großen  Wert  des  Höhenklimas  und 
fahren  fort,  unsere  außergewöhnlich  günstigen 
Resultate  diesen  zwei  kombinierten  Faktoren 
zuzuschreiben:  dem  Sanatorium  und  dem 
Höhenklima. 

Sehr  wenig  zahlreich  sind  die  Fälle  von 
Lungentuberkulose,  welche  eine  entschiedene 
Kontraindikation  dieser  Behandlung  darbieten. 
Unsere  Ärzte  suchen  immer  mehr,  die  den 
verschiedenen  Fällen  angehörenden,  klinischen 
Eigentümlichkeiten  zu  bestimmen,  welche  be- 
sonders wichtig  sind,  um  dem  behandelnden 
Arzte  eine  richtige  Leitung  zu  liefern,  und 
sie  bemühen  sich,  so  genaue  Regeln  als 
möglich  aufzustellen,  um  die  Indikationen 
und  Kontraindikationen  der  Höhenkur  an- 
zugeben. 


Die  genaue  und  geduldige  Beobachtung 
allein  kann  uns  wahre  Begriffe  über  diesen 
Gegenstand  geben.  Man  hat  zum  Beispiel 
vor  einigen  Jahren  behauptet,  die  Anlage  zu 
Hämoptoe  und  die  Kehlkopftuberkulose  seien 
eine  absolute  Kontraindikation  für  eine  Höhen- 
kur, und  jetzt  ist  man  zu  der  diametral 
entgegengesetzten  Überzeugung  gekommen. 
Die  Erfahrung  hat  hier  über  Vorurteile  gesiegt, 
die  theoretische  Anschauungen  allein  hervor- 
gerufen hatten. 

Wir  wollen  hier  nicht  auf  die  konsti- 
tuierenden Elemente  des  Höhenklimas  zurück- 
gehen, aber  wir  möchten  die  Aufmerksam- 
keit unserer  Leser  auf  eines  dieser  Elemente 
richten,  dessen  Wichtigkeit  bis  jetzt  nicht 
nach  seinem  Wert  geschätzt  wurde.  Wir 
wollen  von  der  Intensität  und  von  den  spe- 
ziellen Eigenschaften  des  Sonnenlichtes  auf 
dem  hohen  Berge  reden.    . 

Seit  den  schönen  Forschungen  von  Finsen 
und  den  Arbeiten  von  Bernhardt  (Samaden) 
kennt  man  den  außergewöhnlichen  Heilein- 
fluß der  ultravioletten  Strahlen  des  Sonnen- 
lichtes. Während  die  Wärmestrahlen  das 
Maximum  ihrer  Intensität  in  dem  roten  Teil 
desLichtspektrums  haben,  und  die  leuchtenden 
Strahlen  besonders  in  dem  gelben  mächtig 
sind,  ist  es  anerkannt,  daß  die  chemische 
oder  therapeutische  Wirkung  besonders  kräftig 
ist  in  dem  violetten  und  ultravioletten  Teil 
des  Lichtspektrums.  Gerade  diese  ultraviolet- 
ten Strahlen  von  so  hohem  therapeutischen 
Werte  wurden  von  Finsen  und  Bern- 
hardt benutzt.  Diese  ultravioletten  Strahlen 
werden  aber  sehr  stark  von  der  Atmosphäre 
absorbiert,  und  zwar  so,  daß  sie  eine  enorme 
Abnahme  erleiden,  wenn  man  vom  Berg  ins 
Tal  heruntersteigt.  Die  in  großer  Quantität 
existierenden  ultravioletten  Strahlen  in  dem 
Licht  des  hohen  Berges  wurden  in  Samaden 
(Graubünden)  und  in  Leysin  zur  Behandlung 
von  chirurgischen  Tuberkulosen  angewendet 
und  die  Erfolge  von  Bernhardt  und  Ro liier 
sind  in  dieser  Hinsicht  sehr  überzeugend. 

Zweifellos  scheint  die  tiefe  Wirkung  der 
ultravioletten  Strahlen  zum  Teil  aufgehalten 
durch  die  Substanz  der  Gewebe  selbst, 
welche -sie  durchdringen  sollen,  besonders 
durch  das  Hämoglobin  des  Blutes,  das  große 
Mengen  davon  absorbiert.  Deshalb  kompri- 
miert Finsen  die  Gewebe  des  Lupus  mittels 
einer  Quarzplatte.  Er  bewirkt  dadurch  eine 
lokale  Anämie,  welche  das  Eindringen  der 
Strahlen  erleichtert. 

Wir  haben  jedoch  sehr  bedeutende  Ver- 
änderungen in  tiefgelegenen  tuberkulösen  Ge- 
lenken konstatiert,  wenn  sie  lange  genug 
den  direkten  Sonnenbestrahlungen  ausgesetzt 
worden  waren.     Die  beträchtliche  Dicke  der 

37* 


496 


Morin,  Behandlung  d«r  Tuberkulös«  In  Ltystn. 


pTherapeiitlaeha 
L   MonaUhefle. 


Gewebe,  welche  sie  bedeckten,  hatte  der 
Wirkung  der  Sonnenstrahlen  kein  absolutes 
Hindernis  geboten;  wir  können  daher  an- 
nehmen, daß  auch  durch  die  Brustwand  die 
ultravioletten  Strahlen  auf  die  Lunge  selbst 
wirken  können. 

Abgesehen  von  dem  heilenden  Wert,  den 
die  Erfolge  erlauben,  in  einer  allgemeinen 
Weise  dem  Einfluße  des  Höhenlichtes  zuzu- 
schreiben, sind  wir  zu  der  Ansicht  gekommen, 
daß  wir  durch  die  direkte  Wirkung  der 
Sonnenstrahlen  sowohl  auf  die  Brust  als  auf 
den  Kehlkopf  gunstige  Erfolge  erlangen 
werden.  Die  Forschungen,  welche  in  dieser 
Hinsicht  von  den  Ärzten  in  Leysin  gemacht 
wurden,  bieten  uns  große  Hoffnungen  auf 
diese  neue  Anwendung  des  Lichtes. 

Ohne  Zweifel  waren  bis  jetzt  diese  Er- 
folge in  den  chirurgischen  Tuberkulosen  als 
besonders  rasche  und  evidente  aufgezeichnet 
worden,  die  Heilungen  in  der  Klinik  des 
Dr.  Kollier  sind  hierüber  zweifellos.  Des- 
halb dürfen  wir  die  Gründung  der  Klinik 
unseres  ausgezeichneten  Kollegen  als  eine 
wahre  Bereicherung  der  Station  von  Leysin 
begrüßen. 

Wir  denken  jedoch,  daß  die  hier  ange- 
gebenen Beobachtungen  ein  Fortsetzen  von 
therapeutischen  Versuchen  durch  direkte 
Sonnenbestrahlung  auf  Lunge  und  Kehlkopf 
völlig  berechtigen.  Diese  Versuche  sollten 
mit  Vorsicht  gemacht  werden,  damit  die 
Kongestion  gegen  die  Krankheitsherde  die 
nützliche  Wirkung,  welche  man  erwarten 
kann,  nicht  überschreite.  Der  Arzt  allein 
muß  die  Technik  dieser  Methode  bestimmen. 
Würde  sie  dem  Urteil  des  Kranken  ohne 
genügende  Kontrolle  überlassen,  so  könnte 
sie  zu  bedauernswerten  Komplikationen 
führen. 

Andere  Behandlungsmethoden,  von  denen 
sichere  Erfolge  zu  erwarten  sind,  können 
gleichzeitig  mit  unserer  hygienisch-klimatischen 
Kur  gebraucht  werden.  Keine  dieser  Me- 
thoden besitzt  den  Wert  einer  spezifischen 
Behandlung,  deshalb  dürfen  wir  sie  nur  als 
Hilfsmittel  betrachten,  unter  welchen  der 
Arzt  wählen  kann,  was  für  jeden  Fall  paßt. 

Das  Tuberkulin,  mit  Vorsicht  böi  nicht 
fiebernden  Fällen  angewendet,  hat  uns  gute 
Resultate  gegeben ;  das  Marmoreck  sehe 
Serum  wird  immer  noch  versucht  und  scheint 
in  gewissen  Fieberperioden  der  Tuberulose 
günstig  zu  wirken.  Endlich  wurden  je  nach 
den  symptomatischen  Indikationen  der  ver- 
schiedenen Kranken  die  intratrachealen  Ein- 
spritzungen nach  Mendel,  Thiocol,  Jod, 
Arsen,  Natrium  cacodylicum,  Kampferöl  und 
die  verschiedenen  Derivate  des  Opiums  in 
Anwendung  gezogen. 


Verschiedene  von  diesen  Behandlungs- 
methoden sind  der  Gegenstand  von  spezieilen 
Studien  und  sollen  später  von  unseren  Ärzten 
veröffentlicht  werden. 

Es  ist  immer  schwierig,  uns  über  die 
Dauererfolge  der  in  Leysin  behandelten 
Kranken  zu  erkundigen.  Viele  unserer  früheren 
Kurgäste  unterlassen  es,  uns  den  Wechsel  ihrer 
Wohnorte  mitzuteilen,  und  die  Zahl  der  Ant- 
worten, die  wir  auf  unsere  Fragebogen  er- 
halten, gibt  uns  bei  weitem  nicht  die  Ge- 
samtzahl der  von  Leysin  entlassenen  Kranken. 

Die  Proportion  der  gesund  gebliebenen 
Kranken  von  einem  unserer  Sanatorien  können 
wir  hier  doch  angeben. 

Von  den  1899  Abgereisten  bleiben  geheilt  78  Prot, 

-  -    1900  -  -       92     - 

-  -    1901  -  -       92     - 

-  -    1902  -  -  -     100     - 

-  -    1903  -  -       83     - 

Diese  Zahlen,  ohne  einen  absoluten  Wert 
zu  haben,  sind  jedoch  ein  sprechendes  Zeugnis 
von  der  wohltätigen  Wirkung  der  Höhenkur. 

Die  Station  von  Leysin  hat  sich  in  den 
letzten  15  Jahren  großartig  entwickelt.  Eine 
Volksheilstätte  mit  110  Betten,  ein  Kinder- 
sanatorium mit  35  Betten  und  die  Klinik 
für  chirurgische  Tuberkulosen  von  Dr.  Ro liier 
haben  nacheinander  die  Zahl  der  Anstalten 
in  Leysin  vermehrt  und  aus  diesem  klima- 
tischen Kurort  eine  Station  ersten  Ranges 
gemacht. 

Alle  diese  für  Kranke  von  den  verschieden- 
sten Kategorien  eingerichteten  Anstalten  bieten 
einem  immer  größeren  Publikum  die  wunder- 
baren therapeutischen  Mittel,  die  wir  aufge- 
zählt haben. 

Ein  Sanatorium,  besonders  für  die  Kranken 
englischer  Sprache,  wird  gegenwärtig  gebaut 
und  bildet  eine  neue  Stufe  der  fortschreitenden 
Entwicklung  unserer  Station. 

Wir  wollen  diesen  ärztlichen  Bericht  nicht 
beendigen,  ohne  mit  besonderem  Nachdruck 
die  Tatsache  zu  betonen,  daß  die  Eigen- 
schaften des  Höheklimas  wohltätig  sind  in 
jeder  Jahreszeit,  und  daß  es  für  die  Kranken 
ein  sehr  großer  Vorteil  ist,  nach  Leysin  zu 
kommen,  sobald  die  Diagnose  der  Krankheit 
gestellt  worden  ist,  und  ohne  auf  irgend  einen 
Zeitpunkt  zu  warten,  den  die  Kranken,  nach 
ihrer  Laune  und  Ansicht,  als  besonders  günstig 
betrachten. 

Je  eher  ein  Tuberkulöser  nach  Leysin 
kommt,  je  länger  er  dort  bleibt,  desto  größer 
ist  die  Aussicht  auf  Heilung. 


XIX.  Jahrgang."! 
Oktober  1906.  J 


Fleischer,  Diabetes  mellitus. 


497 


<  Au«  der  internen  Poliklinik  von  Prof.  Dr.  H.  Rosin  sn  Berlin.) 

Zur  Wirkung:  der  gegen.  Diabetes 
mellitus  empfohlenen  Medikamente. 

Von 
Dr.  Kurt  Fleisoher,  prakt.  Arzt. 

Die  folgenden  Betrachtungen  über  die  Wir- 
kung der  neueren  gegen  diabetische  Glukos- 
urie empfohlenen  Medikamente  soll  ein  von 
Senator  (40)  bereits  im  Jahre  1879  aus- 
gesprochener Satz  einleiten: 

„Es  ist  unmöglich,  alle  die  in  der  einen 
oder  anderen  Absicht  vorgeschlagenen  Mittel 
aufzuzählen,  denn  man  kann  ohne  Über- 
treibung sagen,  daß  es  fast  kein  Mittel  aus 
dem  großen  Arzneischatz  aller  Zeiten  und 
Länder  gibt,  welches  nicht  irgend  einmal 
gegen  Diabetes  in  Gebrauch  gezogen  und  von 
dem  nicht  ein  Erfolg,  wenn  auch  nur  in  den 
Händen  seiner  Empfehler  und  Gewährsmänner 
verzeichnet  worden  wäre." 

Ebenso  betonen  viele  andere  Autoren  die 
Unmöglichkeit,  alle  Arzneimittel,  „deren  Zahl 
Legion  ist",  (v.  Mering)  (28)  einer  Betrach- 
tung unterziehen  zu  können.  Auch  ich  werde 
also  den  Anspruch  auf  eine  erschöpfende  Dar- 
stellung der  Materie  schlechthin  nicht  machen 
dürfen.  Eines  beweist  die  Überzahl  der 
Mittel  von  vornherein:  Keins  von  ihnen  hat 
bisher  eine  spezifische  aglykosurische  Wirkung 
erzielt.  Wir  verkennen  nicht,  daß  die  anti- 
diabetische Diät  auch  heute  noch  souveräne 
Herrscherin  im  Reiche  der  Diabetestherapie 
geblieben  ist.  Lenne  (22)  nennt  sie  mit 
Recht  „den  Angelpunkt  unserer  therapeuti- 
schen Maßnahmen a.  Wie  die  Erfahrung  lehrt, 
fuhrt  jedoch  die  strengste  Diät  niemals  oder 
nur  extrem  selten  zur  Heilung.  Und  wenn 
es  die  Aufgabe  des  Arztes  ist,  Krankheiten 
zu  heilen,  so  ist  es  seine  Pflicht,  diesem 
höchsten  Ziele  auf  allen  Wegen  nachzustreben. 
Bis  heut  sind  Heilungen  der  Zuckerharnruhr 
durch  Medikamente  so  gut  wie  niemals  be- 
kannt geworden.  Aber  andere  wichtige  Auf- 
gaben erfüllen  dieselben  auch  heut  schon. 
Arzneimittel  werden  nötig,  wenn  die  Wirkung 
der  strengen  Diät  im  Laufe  der  Zeit  immer 
geringer  wird  oder  bereits  nicht  mehr  vor- 
handen ist,  wenn  sich  ferner  bei  einem  ma- 
rantischen Kranken  von  Anfang  an  die  Durch- 
fuhrung der  Diät  mit  katonischer  Strenge 
von  selbst  verbietet.  Medikamente  sind  in 
vielen  Fällen  imstande,  die  Toleranz  für 
Kohlehydrate  zu  erhöhen  und  dadurch  eine 
mildere  Diät  möglich  zu  machen.  Sie  end- 
lich treten  auf  den  Plan,  wenn  es  gilt,  die 
letzten  auch  durch  strenge  Diät  nicht  schwin- 
denden Reste  des  Zuckers  aus  dem  Urin  zu 
entfernen. 


Kaufmann  (17),  dessen  grundlegende 
Arbeit  noch  des  öfteren  herangezogen  werden 
wird,  umgrenzt  den  Wirkungskreis  der  Medika- 
mente aufs  schärfste,  indem  er  folgende  fünf 
Forderungen  an  dieselben  stellt. 

Ein    antiglykosurisches    Medikament  soll 
i.    unschädlich  sein, 

2.  bei  konstanter  Diät  —  gleichgültig, 
ob  kohlehydratfrei  oder  nicht  —  eine 
geringere  Glykosurie  im  Gefolge  haben, 
als  solche  ohne  Medikation  bestehen 
wurde, 

3.  bei  streng  antidiabetischer  Diät 
schneller  Aglykosurie  bedingen, 

4.  die  Toleranzgrenze  für  Kohlehydrate 
hinaufrücken, 

5.  auch  nach  dem  Aufhören  der  Dar- 
reichung eine  Nachwirkung  haben. 

Davon  also,  daß  die  Arzneipräparate  eine 
„Heilung"  der  Krankheit  herbeiführen  sollen, 
ist  bei  Kaufmann  nicht  die  Rede.  Was  hat 
man  überhaupt  unter  „Heilung"  des  Diabetes 
zu  verstehen?  Erst  jüngst  hat  Leo  (23)  ver- 
sucht, diesen  Begriff  schärfer  zu  definieren. 
Er  erkennt  eine  Heilung  nur  an,  „wenn  ein 
Individuum,  das  bei  einer  von  löslichen  Kohle- 
hydraten freien  Nahrung  Zucker  ausschied, 
trotz  exzessiv  gesteigerter  Zufuhr  von  stärke- 
mehlhaltiger  Nahrung  dauernd  einen  Urin 
ausscheidet,  in  welchem  durch  die  gebräuch- 
lichen Reagentien  Zucker  ohne  weiteres  nicht 
nachweisbar  isttt.  Diese  Definition  ist  scharf, 
aber  ihre  Forderungen  gehen  zu  weit.  Denn 
bei  „exzessiv  gesteigerter"  Kohlehydratzufuhr 
scheidet  auch  der  gesunde  Mensch  Zucker 
aus.  In  der  Praxis  wird  man  nach  dem 
Vorgänge  Cantanis  (23)  von  Heilung  dann 
sprechen,  wenn  der  Diabetiker  „ungestraft 
und  schon  seit  längerer  Zeit  zur  gemischten 
Kost,  insbesondere  aber  zum  mäßigen  Genuß 
von  Amylaceen  zurückgekehrt  isttt. 

Sehen  wir  von  dieser  heilenden  Wirkung 
ihrer  extremen  Seltenheit  wegen  ganz  ab,  und 
fragen  wir  uns,  wie  denn  überhaupt  der  Ein- 
fluß eines  Medikamentes  auf  die  Zuckeraus- 
scheidung zu  erklären  ist.  Die  einen,  wohl 
die  Mehrzahl,  meinen,  die  pathologische  Ver- 
mehrung der  Dextrose  in  Blut  und  Harn  sei 
eine  Folge  vermehrter  Zuckerabspaltung  (Dia- 
stasewirkung),  die  anderen  halten  sie  für  die 
Konsequenz  verminderter  Zuckerzerstörung. 
Wir  unterscheiden  demnach  zwei  Reihen  von 
Mitteln,  die  eine,  größere,  welche  die  zucker- 
hemmenden (antidiastatischen),  die  zweite, 
welche  die  „excitants  de  la  glycolyse" 
(Lepine)  genannten  Medikamente  enthält. 
Wir  kommen  weiter  unten  auf  diesen  Punkt 
zurück.  Ebenso  wichtig  wie  das  Verständnis 


498 


Fleischer,  DlatMtM  maltttos. 


fTharapeal 
L   Monatab 


Monatsheft«. 


der  Arznei  Wirkung  ist  die  objektive  Fest- 
stellung derselben.  Welche  Methode  der 
Arzneiprüfung  erlaubt  uns  nun  am  zuver- 
lässigsten, für  den  Ausschluß  aller  Fehler- 
quellen zu  bürgen,  und  von  welchen  Neben- 
umständen kann  die  Beurteilung  der  Arznei- 
wirkung abhängig  sein?  Diesen  Fragen  tritt 
zuerst  Senator  (40)  näher,  indem  er  auf 
folgende   drei  Umstände   aufmerksam  macht: 

1.  Der  Zuckergehalt  unterliegt  oft  spon- 
tanen Schwankungen.  Dazu  teilt  Leo  (23) 
einen  lehrreichen  Fall  mit.  0,1 — 0,2  Proz. 
Zucker  werden  mit  dem  Urin  ausgeschieden. 
Nach  einer  Diätkur  hat  die  Glykosurie  für 
ein  Vierteljahr  trotz  energischer  Kohlehydrat- 
zufuhr gänzlich  aufgehört.  Plötzlich  erscheint 
wieder  Zucker  im  Urin,  um  nicht  mehr  zu 
verschwinden. 

2.  Die  Größe  der  Zuckerausscheidung 
hängt  von  Nebenumständen  ab.  Psychische 
Alterationen,  große  Anstrengungen,  intermit- 
tierende Erkrankungen  sind  z.  B.  imstande, 
sie  zu  erhöhen.  - 

3.  Die  Diät  muß  während  der  Prüfungs- 
dauer genau  geregelt  sein.  In  diesem  Punkte 
ist  wohl  am  meisten  gefehlt  worden,  und 
seine  Nichtberücksichtigung  erklärt  zum  Teil 
die  oft  widersprechenden  Resultate  der  Unter- 
sucher. 

Kaufmann  (17)  und  Bohland  (4) 
schlagen  vor,  eine  gleichbleibende  Zucker- 
ausscheidung durch  eine  gleichbleibende  Diät 
zu  erzielen,  auf  deren  Kohlehydratfreiheit  es 
dabei  nicht  ankommt,  und  dann  erst  die 
Wirkung  des  Medikamentes  zu  prüfen,  d.  h. 
eine  eventuelle  Toleranzerhöhung  für  Kohle- 
hydrate zu  konstatieren.  Da  Zuckerfreiheit 
des  Urins  nicht  Bedingung  ist,  eignet  sich 
dieser  Modus    besonders   für   schwere   Fälle. 

Weniger  sicher  ist  die  Anordnung,  wenn 
bei  konstanter  Diät  Kohlehydrate  zuerst  ohne, 
dann  mit  Medikament  in  gleich  vermehrter 
Menge  zugeführt  werden  und  aus  der  Höhe 
der  Glykosurie  in  beiden  Fällen  ein  Schluß 
auf  die  Toleranz  gemacht  wird  (Kaufmann). 

Für  leichte  Fälle  empfiehlt  Bohland, 
den  Urin  durch  Diät  zuckerfrei  zu  machen 
und  dann  erst  festzustellen,  wieviel  mehr 
Kohlehydrate  man  mit  dem  Medikamente 
unter  weiterbestehender  Agiykosurie  zufuhren 
kann,  als  ohne  dieses.  Da  erfahrungsgemäß 
die  Zuckerausscheidung  durch  Mehrleistung 
körperlicher  Arbeit  abzunehmen  pflegt,  so 
ist  m.  E.  besonderer  Wert  auf  die  Regelung 
der  Körperarbeit  in  der  Yersuchszeit  zu  legen. 

Die  objektive  Feststellung  der  Arznei- 
wirkung, d.h.  die  Urinuntersuchung,  betreffend, 
sind  folgende  Bemerkungen  zu  machen:  Der 
Prozentgehalt  des  Harnes  an  Traubenzucker, 
der  natürlich   mit   der  Urinmenge  schwankt, 


ist  bei  bekannter  Diät  und  Körperarbeit  zu 
bestimmen. 

Welche  Harnmenge  ist  nun  die  geeignetste? 
Die  Forderung  Posners,  24  Stunden  hindurch 
stündlich  die  Zuckermenge  zu  bestimmen  und 
so  die  Gesamtmenge  zu  berechnen,  begegnet 
in  sehr  vielen  Fällen  äußeren  Hindernissen. 
Annehmbarer  erscheint  Lennes  (21)  Vor- 
schlag, in  der  Stunde  vor  dem  Experiment 
zweimal  urinieren  zu  lassen,  die  zweite  Portion 
zu  untersuchen  und  dann  alle  bis  fünf  Stunden 
nach  dem  Experiment  gelassenen  Portionen 
einzeln  auf  Zucker  zu  prüfen.  Meines  Erachtens 
genügt  es,  wenn  unter  Erfüllung  der  anderen 
Bedingungen  einige  Tage  vor  und  während 
der  ganzen  Yersuchszeit  die  2 4  stündige  Harn- 
menge auf  ihren  Zuckergehalt  hin  geprüft 
wird.  Bevor  wir  nunmehr  in  medias  res, 
d.  h.  die  kritische  Würdigung  der  Medika- 
mente, eintreten,  ist  es  nötig,  zu  überlegen, 
nach  welchen  Gesichtspunkten  geordnet,  wir 
dieselben  an  uns  vorbeiziehen  lassen  wollen. 

v.  Noorden  (32)  teilt  die  Mittel  in  solche 
gegen  die  Komplikationen  des  Diabetes  und 
solche,  die  gegen  die  Erkrankung  selbst  ge- 
richtet sind.  Diese  Einteilung  ist  zwar  rationell, 
aber  wegen  der  Unsicherheit  der  antidia- 
betischen Wirkung  der  Präparate  wohl  nicht 
angebracht.  Ich  schließe  mich  der  von  Kauf- 
mann gewählten  Einteilung  mit  einigen  Ab- 
weichungen an. 

/.  Sedativa 
werden  gegen  Diabetes  gegeben  von  der  Theorie 
ausgehend,  daß  die  Erkrankung  in  irgend 
einem  Zusammenhang  mit  dem  Nervensystem 
stehen  müsse,  eine  Theorie,  welche  in  vielen 
Fällen  durch  die  Ätiologie  eine  Bestätigung 
zu  finden  scheint. 

1.  Opium 
wurde  bereits  im  Jahre  1774  von  Dobaon 
gegen  Diabetes  empfohlen.  Seitdem  ist  es 
in  sehr  verschiedenen  Mengen  zur  Anwendung 
gekommen.  Während  v.  Noorden  großen 
Dosen  das  Wort  redet,  ohne  dabei  die  Gefahr 
der  Intoxikation  zu  verkennen  (von  0,4  .  Ex- 
tractum  Opii  pro  die  aufwärts),  hat  Naunyn 
schon  bei  einer  Tagesdosis  von  0,3  Extract. 
Opii  Erfolge  gesehen,  v.  Mering  gibt  das 
Mittel  höchstens  drei  Wochen  hindurch  drei- 
mal täglich,  in  dieser  Zeit  bis  0,5  aufsteigend 
und  wieder  herabgehend.  Bohland  (4)  ver- 
langt auf  Grund  seines  später  zu  betrachtenden 
Falles  langdauernde  Darreichung  von  größeren 
Dosen  Tinctura  Opii.  Größere  Einigung  ist 
über  die  Indikation  zum  Opiumgebrauch  er- 
zielt worden.  v.  Mering  hat  als  erster 
betont,  daß  das  Medikament  auf  den  aus 
Eiweiß  abgespaltenen  Zucker  besser  wirkt 
als   auf  den   durch  Kohlehydrate  gebildeten. 


XIX.  Jahrgang.! 
Oktober  1906.  J 


Flaltchar,  Diabataa  maUltua. 


499 


Daraus  resultiert  für  die  Praxis,  daß  Opium 
zur  Vertreibung  der  trotz  kohlehydratfreier 
Diät  restierenden  Glukosurie  anzuwenden  ist. 
Denn  es  spart,  wie  Strasser  (41)  hervor- 
hebt, das  dem  Kranken  so  notige  Eiweiß, 
indem  es  die  Bildung  von  Fleischzucker 
hemmt,  v.  Noorden  und  Naunyn  sind  der- 
selben Meinung.  Sie  fugen  hinzu,  daß  Opium 
besonders  beim  „nervösen  Diabetes tt  gute 
Dienste  leistet,  da  es  sedativ  wirkt. 

Eine  Heilung  mit  den  größten  Dosen 
Tinctura  Opii  teilt  Bohl  and  (4)  mit.  Ein 
Diabetiker,  der  trotz  strenger  Diät  in  8  bis 
10  Liter  Harns  5 — 6  Proz.  Zucker  ausscheidet, 
nimmt  ohne  Wissen  des  Arztes  ein  Jahr 
hindurch  bis  zu  300  Tropfen  Tincturae  Opii 
pro  die  gegen  ein  Ischiasleiden.  Zwar  tritt 
eine  Opiumvergiftung  in  die  Erscheinung, 
aber  selbst  bei  gemischter  Diät  bleibt  nun- 
mehr die  Glyko8urie  dauernd  fort,  natürlich 
nach  Aufhören  der  Medikation.  Diese  sich 
über  drei  Jahre  erstreckende  Beobachtung 
mag  wissenschaftlich  sehr  interessant  erschei- 
nen, kommt  wohl  aber  für  die  Praxis  nicht 
in  Betracht.  Ferner  berichtet  Strauß  (42) 
über  einen  Fall,  in  dem  die  trotz  strenger 
Diät  bleibenden  Zuckerspuren  von  6 — 10  g 
täglich  durch  0,125  Extract.  Opii  zum  Ver- 
schwinden gebracht  werden.  Über  die  Dauer 
dieses  Erfolges  ist  leider  nichts  gesagt. 
v.  M  e  r  i  n  g  kann  bei  20  Kranken  leichter 
und  schwerer  Art  stets  erhebliche  Verringe- 
rung oder  Verschwinden  der  Glykosurie  fest- 
stellen. Von  den  11  Fällen  Kaufmanns 
bleiben  nur  3  durch  Opium  ganz  unbeein- 
flußt, während  in  allen  anderen  zum  Teil 
recht  günstige  Erfolge  zu  verzeichnen  sind. 
Dabei  ist  hervorzuheben,  daß  der  trotz  wieder- 
holter strenger  Diät  jedesmal  restierende 
Zucker  durch  Opium  bei  zwei  Kranken  gänz- 
lich vertrieben  wird,  und  daß  für  die  Folge 
Diät  allein  die  Aglykosurie  aufrecht  zu  er- 
halten imstande  ist. 

Überblicken  wir  die  Literatur,  so  stellt 
Opium  ein  Mittel  dar  —  übrigens  das  einzige 
—  welches  „nach  übereinstimmenden  Angaben u 
(v.  M  er  in  g)  (28)  einen  günstigen  Einfluß  auf  die 
Glykosurie  auszuüben  vermag.  Naunyn  (30) 
empfiehlt  es  als  bei  gleicher  Nahrungsauf- 
nahme „sicher"  zuckerherabsetzend.  Skep- 
tischer und  darum  treffender  präzisiert  Kauf- 
mann den  Wert  des  Mittels.  Es  setze  zwar 
gewöhnlich  die  Glykosurie  herab,  sei  jedoch 
keineswegs  für  ein  Spezificum  gegen  Diabetes 
zu  halten.  Das  einzige  gegen  das  Medikament 
erhobene  Bedenken,  nämlich  seine  zucker- 
herabsetzende Wirkung  sei  lediglich  die  Folge 
der  durch  dasselbe  gestörten  Nahrungsresor- 
ption, kann  Naunyn  durch  seine  Beobach- 
tungen   zerstreuen.     Er    hat    wiederholt   bei 


einer  Zunahme  des  Köpergewichtes  die  Gly- 
kosurie heruntergehen  gesehen. 

Opium  ist  das  älteste  und  relativ  zuver- 
lässigste aller  Antiglykosurica  und  darum 
besonders  in  schweren  Fällen  als  wirksames 
therapeutisches  Adjuvans  zu  empfehlen.  Die 
Derivate  des  Opiums  sind  mit  geringerem 
Erfolge  verabreicht  worden. 

2.  Bromkali 
wird  von  v.  Noorden  besonders  gegen  die 
nervösen  und  neurasthenischen  Begleiterschei- 
nungen des  Diabetes  empfohlen.  Er  wendet 
in  einem  leichten  Falle  mit  Beschwerden 
dieser  Art  vier  Tage  hindurch  je  4,0  Kalium 
bromatum  an  und  erzielt  damit  Aglykosurie 
(Kaufmann).  In  neuererZeit  will  v.  Noorden 
das  Bromkali  durch  Bromipin  (Bromfett)  er- 
setzt wissen;  denn  letzteres  bietet  den  Vorteil 
der  gleichzeitigen  Einführung  von  täglich 
30— 40  g  Fett. 

Fußend  auf  der  Theorie,  daß  Zucker- 
bildung und  -Zerstörung  im  Körper  Ferment- 
wirkungen seien,  sind  antifermentative  (anti- 
diastatische)  oder  fermentativ  wirkende  (glyko- 
lytische)  Mittel  verabreicht  worden,  je  nach- 
dem man  den  Diabetes  als  einen  Ausdruck 
vermehrter  Bildung  oder  verminderter  Zer- 
störung des  Zuckers  angesehen  hat. 

IL  Antifermentatwa. 
1.  Sublimat 
wurde  im  Jahre  1898  von  dem  Amerikaner 
Mayer  auf  Grund  seiner  Erfolge  in  11  leichten 
Fällen  empfohlen.  Mayer  gibt  3 mal  täglich 
0,01  des  Mittels  von  der  eigenartigen  Vor- 
aussetzung ausgehend,  daß  die  diabetische 
Glykosurie  die  Folge  einer  Bakterien-  oder 
Toxinwirkung  auf  Glykogenreservoire  oder 
Nervenzentren  sei.  v.  Noorden  und  Kauf- 
mann kommen  durch  Nachprüfungen  zu  dem 
Resultat,  daß  Sublimat  zwar  eine  vorüber- 
gehende geringe  antiglykosurische  Wirkung 
haben  könne,  die  jedoch  in  keinem  Verhältnis 
zu  seiner  großen  Giftigkeit  stehe.  Sie  ver- 
werfen also  das  Medikament. 

2.  Natrium  salicylicum 
wurde  von  Ebstein  (48)  in  die  Diabetes- 
therapie eingeführt  und  von  Senator,  Für- 
bringer  u.  a.  in  einer  Dosis  von  5— 10  g 
empfohlen.  Litten  gab  in  141  Fällen  eine 
Lösung  von  8,0:200,0,  2 — 3stündlich  einen 
Eßlöffel,  und  zog  den  Schluß,  daß  das  Mittel 
symptomatisch  gegen  Polydipsie  und  Pruritus 
Gutes  leiste,  als  Antidiabeticum  jedoch  unzu- 
verlässig sei.  In  neuerer  Zeit  ist  Natr. 
salicyl.  durch 


600 


Pl«Uch«r,  DUb«tM  mellitus. 


fTherapeutbehe 
L   Monatsheft* 


3.  Aspirin  (Acid.  acetylo-salicylicum) 
ersetzt  worden,  v.  Noorden  rühmt  es,  da 
es  besser  vertragen  werde,  als  das  Vorige 
und  in  einer  Dosis  von  täglich  1 — 3  g  die 
Toleranz  für  Kohlehydrate  oft  um  30—60  g 
zu  erhöhen  imstande  sei.  Strasser  kon- 
statiert das  gleiche  und  hebt  hervor,  daß 
das  Korpergewicht  während  der  Medikation 
ansteigt,  also  die  Zuckerverminderung  nicht 
die  Folge  einer  schlechten  Verdauung  sein 
kann. 

Kaufmann  versucht  3,0  Aspirin  pro  die 
in  11  leichten  und  17  schweren  Fällen. 
Häufig  unwirksam  zeigt  es  sich  relativ  am 
wirksamsten  in  den  leichten  Fällen,  in  denen 
es  recht  oft  die  Toleranz  erhöht.  Weniger 
erfolgreich  ist  das  Präparat  in  schweren 
Fällen,  stets  jedoch  ohne  Nebenwirkung.  Am 
deutlichsten  ist  wohl  die  Wirkung  in  Fall  25 
Kaufmanns.  Unter  der  Darreichung  schwindet 
der  Zucker  aus  dem  Urin,  die  Toleranz  steigt, 
und  es  besteht  eine  Nachwirkung,  '  so  daß 
die  Aglykosurie  konstant  bleibt.  Fall  19 
beweist  die  Wichtigkeit  der  medikamentösen 
Therapie  beim  Diabetes  im  allgemeinen  und 
des  Aspirins  im  besonderen.  Der  63jährige 
Patient,  der  wegen  seines  Marasmus  die 
strenge  Diät  nicht  vertragen  würde,  wird 
durch  Aspirin  im  Verein  mit  einer  für  ihn 
bekömmlichen  Diät  zackerfrei  gemacht.  Zuletzt 
sei  erwähnt,  daß  v.  Noorden  eine  einige 
Male  wiederholte  Gabe  von  2 — 3  g  Aspirin 
gegen  Pruritus  sehr  lobt. 

4.    Salol 
wurde   von  Sahli  (38)  im  Jahre  1886  zum 
Versuch  gegen  Diabetes  empfohlen. 

Die  Wirkung  des  Phenol  und  des  Natrium 
salicylicum  war  lange  bekannt.  Eine  Kombi- 
nation beider,  Salol,  müsse,  so  vermutete 
Sahli,  einen  um  so  größeren  Effekt  haben. 
Eine  Menge  von  4 — 6  g  täglich  gestatte, 
ohne  Verdauungsstörungen  zu  machen,  die 
Einführung  einer  siebenmal  größeren  Menge 
von  Phenol,  als  man  dieses  isoliert  ohne 
Schaden  darreichen  könne.  Die  Erfahrung 
hat  diesen  Erwägungen  nur  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  Recht  gegeben.  Nikolaier  (31) 
hat  7  Fälle  mit  Salol  behandelt,  wovon  3 
ohne  jeden  Erfolg.  In  3  Fällen  mittel  schwerer 
Art  seh  windet  der  Zucker  für  kurze  Zeit 
ganz  aus  dem  Urin,  um  entweder  noch  unter 
der  Behandlung  oder  nach  Aufhören  derselben 
wieder  zu  erscheinen.  Nikolaier  gibt  3 mal 
täglich  2  g. 

Tasche  macher  (44),  ein  Neuenahrer 
Badearzt,  hat  seine  Beobachtungen  bei  9  Fällen 
mitgeteilt:  3 mal  gar  keine  und  6 mal  günstige 
Resultate.  Während  eine  vierwöchentliche 
Kur  den  Zuckergehalt   des  Urins  nur  herab- 


zusetzen vermag,  erreicht  Taschemacher 
durch  fünftägige  Darreichung  von  je  4,0  Salol 
ein  Zurückgehen  der  Glykosurie  auf  Spuren 
oder  0.  Über  die  nachwirkende  Kraft  kann 
der  Autor  nichts  aussagen.  Für  die  Praxis 
ist  die  Tatsache  wichtig,  daß  die  Zersetzungs- 
produkte des  Salols  im  Urin  die  Ebene  des 
polarisierten  Lichtes  nach  links  drehen.  Eine 
Salolheilung,  allerdings  nicht  im  strengen 
Sinne  Leos,  teilt  Zaudy  (47)  mit.  Die 
nicht  extrem  strenge  Diät  vermag  die  Zucker- 
menge im  Urin  von  24  Stunden  nur  auf  36 
bis  46  g  zu  vermindern.  Nach  einer  4tägigen 
Darreichung  von  je  4  g  Salol  sinkt  der  Zucker 
auf  Spuren,  um  jedoch  in  den  zwei  darauf- 
folgenden Tagen  wieder  anzusteigen.  Wenige 
Tage  später  ist  keine  Glykosurie  mehr  nach- 
weisbar. Die  weitere  Beobachtung  des  Falles 
lehrt,  daß  auch  noch  im  Jahre  nach  der  ersten 
Medikation  bei  nicht  übermäßiger  Zufuhr  von 
Kohlehydraten  die  Aglykosurie  besteht.  So 
stellt  also  Salol,  am  besten  in  Oblatenform 
zu  geben,  ein  unschädliches,  in  vielen  Fällen 
gegen  Diabetes  wirkendes  Präparat  dar,  ohne 
jedoch   eine  sichere  Wirkung  zu  garantieren. 

5.  Antipyrin 
hat  als  Antidiabeticum  trotz  eifriger  Emp- 
fehlungen von  französischer  Seite  in  Deutsch- 
land so  gut  wie  gar  keine  Anwendung  ge- 
funden. Die  ersten  erfolgreichen  Versuche 
an  Hunden  publizierten  See  und  Gley  (39) 
im  Jahre  1889.  Dann  hat  Robin  (35)  nach 
vielen  günstigen  Resultaten  eine  methodische 
Antipyrin therapie  und  deren  Indikationen 
angegeben.  Dieser  fordert  vor  allem,  das 
Mittel  auszusetzen,  falls  nach  6 — 8tägiger 
Anwendung  keine  Herabsetzung  der  Glykos- 
urie um  25  Proz.  eingetreten  ist.  Die  Wir- 
kung des  Antipyrins  sucht  der  Autor  so  zu 
erklären:  der  beim  Diabetes  gesteigerte  Ge- 
samtstoffwechsel sowie  die  erhöhte  Tätigkeit 
von  Leber  und  Nervensystem  sind  zu  hemmen. 
Diese  Forderung  erfüllt  das  Antipyrin  und 
setzt  damit  die  Glykosurie  herab.  Zum  Be- 
weis für  die  Richtigkeit  dieser  Erklärung 
wird  angeführt,  daß  infolge  der  verminderten 
Oxydationsprozesse  unvollständig  verbrannter 
Schwefel  und  Phosphor  in  demselben  Maße 
mehr  im  Harn  erscheint,  als  der  Zucker- 
gehalt herabgesetzt  ist.  Umgekehrt  begründet 
Robin  mit  seiner  Theorie  die  Wirkungs- 
losigkeit der  die  Stoffwechselintensität  er- 
höhenden Mittel  auf  Diabetes.  Sauerstoff, 
Eisen,  Kalium  permanganicum  oder  das  nerven- 
reizende Strychnin  und  der  elektrische  Strom 
sind  solche.  Im  Jahre  1895  gibt  Robin  (37) 
eine  neben  der  Diät  zu  gebrauchende  „medi- 
cation  altern  ante"  an,  mit  der  er  von  100  Fällen 
24  sicher,  25  wahrscheinlich  geheilt  und  35 


XIX.  Jahrgang.  1 
Oktober  1905.  J 


Pl«iic(«r,  Diabetet  meUthit. 


501 


erheblich  gebessert  hat.  Bei  dieser  abwechs- 
lungsreichen Therapie  hat  neben  Antipyrin 
—  im  Vordergrunde  —  ein  Gutteil  vieler 
anderer  gegen  Diabetes  bekannter  Arzneien 
in  drei  Behandlungsperioden  in  Aktion  zu 
treten.  Da  in  Deutschland  diese  Therapie 
niemals  versucht  worden  ist,  erübrigt  sich 
wohl  eine  Mitteilung  eingehender  Art. 

6.  Piperazin 
will  zuerst  Hildebrandt  (16)  aus  patho- 
logisch-chemischen Erwägungen  heraus  gegen 
Diabetes  angewendet  wissen.  Der  Autor  geht 
davon  aus,  daß  die  Glykosurie  der  Ausdruck 
abnorm  gesteigerter  Tätigkeit  eines  sacchari- 
fizierenden  Fermentes  sei,  dessen  Energie 
durch  die  bei  dieser  Erkrankung  verminderte 
Blutalkale8zenz  noch  gesteigert  werde.  Dem- 
zufolge sucht  Hildebrandt  einen  Stoff  ein- 
zufuhren, der  zugleich  antifermentativ  und 
alkaleszenzerhöhend  wirkt.  Diesen  Anforde- 
rungen scheint  ihm  Piperazin  am  meisten  zu 
entsprechen.  Die  in  vitro  gemachten  Ver- 
suche geben  ihm  Recht.  Das  Mittel  hemmt 
hier  in  der  Tat  den  Fermentvorgang.  Auch 
die  Versuche  am  durch  Phloridzin  diabetisch 
gemachten  Hunde  fallen  positiv  aus.  Die 
Darreichung  von  2 — 3  g  Piperazin  genügt 
für  einen  Hund  von  4 — 6  Kilogramm  Gewicht, 
um  die  Glykosurie  um  90  Proz.  zu  vermindern. 
Versuche  am  Menschen  hat  Hildebrandt 
nicht  gemacht.  Nur  empfiehlt  er,  das  Mittel 
eine  halbe  Stunde  vor  der  Mahlzeit  zu  geben 
und  vorher  den  Magensaft  durch  Natrium 
bicarbonicum  zu  neutralisieren,  damit  es  als 
Base  zur  Resorption  kommen  könne.  Den 
weiter  unten  gemachten  Angaben  über  den 
Unterschied  zwischen  Phloridzindiabetes  des 
Hundes  und  echtem  menschlichen  entsprechend, 
ist  Grub  er  der  einzige,  der  in  einem  Falle 
Erfolg  beim  Menschen  gehabt  hat.  Bohl  and 
dagegen  kommt  bei  einer  Prüfung  des  Pipe- 
razins  an  Hund  und  Mensch  (3  g  pro  die)  zum 
entgegengesetzten  Resultate,  wie  Hilde- 
brandt. Seine  Ergebnisse  fallen  ganz  negativ 
aus.  Nicht  besser  erging  tes  Kaufmann. 
Piperazin  also  in  der  Praxis  zu  gebrauchen, 
wird  im  Hinblick  auf  die  Literatur  nicht 
geraten  sein. 

7.  Chinin  und  Arsen, 
deren  Wirkung  von  Robin  wie  die  des  Anti- 
pyrins  erklärt  wird,  haben  für  die  moderne 
Diabetestherapie  in  Deutschland  geringe  Be- 
deutung. Chinin  gab  man  zu  2  g  täglich. 
Arsen  ist  von  Leube  in  Form  von  30  Tropfen 
Solutio  Fowleri  empfohlen  worden.  Den  zahl- 
reichen entmutigenden  Beobachtungen  steht 
nur  ein  Erfolg  des  Franzosen  Worms  (46) 
gegenüber.    Dieser  hat  eine  Kombination  von 

Tb,  M.  1906. 


Chinin,  sulfuricum  0,2 — 0,3  und  Arsen  ge- 
geben und  nachhaltige  Erfolge  in  schweren 
Fällen  ^erzielt. 

8.  Jod 
ist  gleichfalls  in  den  letzten  Jahren  ganz 
beiseite  gelassen  worden,  obwohl  Seegen 
bei  einer  Verabreichung  von  20 — 30  Tropfen 
Tinctura  Jodi  Aglykosurie  hat  eintreten  sehen. 
Nachwirkung  ist  nicht  vorhanden  gewesen. 
Schon  im  Jahre  1882  berichtet  Mole- 
schott (29)  Erfolge  vom 

9.    Jodoform, 
bei    dessen     innerer    Darreichung    von    0,05 
täglich    nach    12  Tagen    Zuckerfreiheit    ein- 
getreten ist. 

Chinin,  Arsen  und  die  beiden  Jodpräpa- 
rate sind  Antiglycosurica,  welche  in  Deutsch- 
land der  Geschichte  angehören  und  nur  der 
Vollständigkeit  halber  hier  angeführt  worden 
sind. 

HL  Fermentativa 
werden,  um  kurz  zu  rekapitulieren,  gegeben, 
um  die  pathologisch  verminderte  Intensität 
des  zuckerzerstörenden  Fermentes  zu  erhöhen 
und  dadurch  die  Zuckerausscheidung  zu  be- 
seitigen. 

1.  Diastase 
wurde  im  Jahre  1874  von  Kußmaul  (20) 
nach  nicht  vollendeten  Versuchen  zur  weiteren 
Prüfung  empfohlen.  Injizierte  dieser  0,1  bis 
0,2  g  in  l'/s  ccm  erwärmten  Wassers  gelöste 
Diastase  in  das  Unterhautzellgewebe,  so  trat 
keine  Reaktion  ein.  Deutlich  ließ  sich  jedoch 
eine  solche  beobachten,  wenn  die  Injektion 
intravenös  vorgenommen  wurde. 

21  Jahre  später  teilt  Lepine  (24)  4 
durch  Trinkenlassen  einer  Diastaselösung  ge- 
besserte Fälle  mit.  Die  Herstellung  dieser 
Lösung,  von  der  alles  abhängt,  bespricht 
Lupine  (25)  genau  an  anderer  Stelle.  Zu 
einem  Liter  mit  1  g  Acidum  sulfuricum  an- 
gesäuerten Wassers  gebe  man  5  g  der  im 
Handel  erhältlichen  möglichst  reinen  Malz- 
diastase,  bringe  diese  Mischung  auf  35  bis 
38°  und  neutralisiere  sie. 

Leider  ist  die  Beschaffung  dieses  glyko- 
lytischen  Fermentes  sehr  kostspielig  und 
seine  Wirksamkeit  bereits  nach  wenigen  Stun- 
den erschöpft.  In  Deutschland  ist  meines 
Wissens  diese  Le'pinesche  Therapie  nicht 
konsequent  zur  Anwendung  gekommen.  Das 
ist  sehr  zu  bedauern,  obgleich  man  von  der 
Erklärung  der  Glykosurie  durch  eine  ver- 
minderte Fermentwirkung  mehr  und  mehr  ab- 
gekommen ist.  Insbesondere  aber  verdienen 
die  Kußmau  Ischen  Versuche  über  die  intra- 
venöse Injektion  eine  Würdigung,  zumal  sie 
weder    vom   Autor    selbst  genügend   geprüft, 

38 


502 


Fleische r,  Diabetes  mellitus. 


rher&peutiftcht 
Monatsheft«. 


noch    jemals    einer    Nachprüfung    unterzogen 
worden  sind. 

Eine  ähnliche  fermentative  Wirkung  ver- 
sprach sich  seinerzeit  Senator  von  der 

2.  Bierhefe. 
Cassaet  hat  sie  erfolgreich  in  einer  Menge 
von  50  g  täglich  verabreicht.  Leo  konnte 
an  Hunden  die  Wirksamkeit  des  Präparates 
demonstrieren.  Kaufmann  dagegen  berichtet 
über  einen  Fall,  in  welchem  während  der 
Hefedarreichung  die  Zuckerbildung  ansteigt. 
Immerhin  ist  die  NichtWirksamkeit  dieses 
Präparates  zurzeit  nicht  bewiesen,  so  daß 
eine  weitere  Prüfung  überflüssig  wäre. 

lila,   Organextrakte 
der  Leber  und  des  Pankreas  ließen  mit  Recht 
eine  Fermentwirkung  ähnlicher  Art  erhoffen. 

1.  Leberextrakt 
wurde  von  Gilbert  und  Carnot  1896  in 
die  französische  Therapie  des  Diabetes  ein- 
geführt. Drei  Fälle  dieser  Untersucher  zeigen 
bei  der  Behandlung  ein  vorübergehendes 
Sinken,  5  eine  dauernde  Verminderung  und 
4  ein  zeitweises  Schwinden  der  Glykosurie. 
In  Deutschland  ist  Kaufmann  der  einzige 
klinische  Prüfer.  Da  er  zweimal  nur  eine 
minimale  antiglykosurische  Wirkung  festzu- 
stellen vermag,  redet  er  dem  Präparate  nicht 
allzusehr  das  Wort.  Erheblich  mehr  ist  zu 
berichten  über  die  Anwendung  der 

2.  Pankreasmedikation, 
so  viel,  daß  von  ihrer  erschöpfenden  Dar- 
stellung abgesehen  werden  muß.  Der  Fran- 
zose Gomby  injizierte  als  erster  Pankreas- 
saft  subkutan.  Ferner  ist  das  als  wirkend 
angenommene  Agens  dem  Körper  per  os  als 
Saft,  in  Substanz,  als  Extrakt,  in  Tabletten- 
form und  schließlich  per  anum  einverleibt 
worden  (Kaufmann).  Einverleibt  im  wört- 
lichen Sinne  der  Implantation  hat  Williams 
in  Bristol  ein  lebendes  Pankreas  in  einem 
Falle. 

Einzig  dastehende  Versuche  haben  G  u  i  n  a  r  d 
und  Ghatin  (5)  gemacht.  Unter  Beibehaltung 
der  Diät  injizierten  sie  ihren  Kranken  ein  aus 
der  Vena  pancreatica  des  Hundes  bereitetes 
Serum  ins  Rectum.  Leider  ganz  erfolglos! 
Obgleich  schon  diese  französischen  Berichte 
die  Erfolglosigkeit  der  Pankreasmedikation 
deutlich  machen,  sollen  noch  einige  Miß- 
erfolge deutscherseits  angefügt  werden.  Für- 
bringer  (7),  v.  Leyden,  Renvers  berichten 
Schlechtes  über  die  Glyzerinextrakte  des 
Pankreas.  Goldscheiders  große  Versuchs- 
reihen fallen  völlig  negativ  aus.  Auch  Kauf- 


mann schließt  sich  den  vorigen  an,  nachdem 
er  in  sieben  Fällen  keinerlei  Einfluß  auf  die 
Glykosurie  beobachten  konnte. 

Als  Minkowski  (43)  auf  die  auffallend 
häufige  Kongruenz  zwischen  Diabetes  mellitus 
und  Pankreasveränderungen  hingewiesen  hatte, 
bemächtigten  sich  die  Organotherapeuten  der 
Pankreasmedikation  mit  ebensogroßen  Hoff- 
nungen, als  ihre  Enttäuschung  nachher  ge- 
wesen ist. 

Von  den 

IV.    anorganischen  Präparaten 
seien  zuerst  die 

1 .  Alkalien 
einer  Würdigung  unterzogen.  Die  schon  älteren 
Versuche  Senators  (40)  mit  Alkalien  führten 
zu  keinem  Resultate,  ebensowenig  solche 
mit  den  Bestandteilen  der  Brunnen  in  Vicby 
und  Neuenahr.  Trotzdem  verkennt  Senator 
den  günstigen  Einfluß  der  Brunnenkuren  auf 
den  Diabetes  keineswegs.  Nur  schreibt  er 
die  Wirkung  weniger  dem  medikamentösen 
Einflüsse  des  Brunnens  als  der  veränderten 
Lebensweise,  der  geregelten  Diät  und  vor 
allem  dem  „proeul  negotiis"  der  Kranken  zu. 
Weiter  geht  Senators  Meinung  dahin,  daß 
das  bei  solchen  Kuren  an  Ort  und  Stelle  in 
größeren  Mengen  aufgenommene  warme  Wasser 
allein  schon  eine  zuckerhemmende  Wirkung 
habe.  Die  Erfolge,  die  Glax  zweimal  mit 
warmem  Wasser  erzielt  hat,  bestätigen  diese 
Vermutung,  v.  Mering  schließt  sich  nach 
seinen  Versuchen  der  Senatorschen  Ansicht 
über  die  Brunnenwirkung  in  jedem  Punkte 
an.  Er  findet  die  alkalischen  Wässer  auch 
in  den  Fällen  unwirksam,  in  denen  Opium 
einen  deutlichen  Effekt  macht.  Dessenunge- 
achtet empfiehlt  er  in  leichten  und  in  mit 
Fettleibigkeit  komplizierten  Fällen  Kuren  in 
Karlsbad  und  den  vorher  genannten  Bädern 
mit  Erfolg.  Strasser  (41)  rühmt  sowohl 
die  alkalisch-sulfatischen  Wässer  von  Karls- 
bad und  Marienbad  sowie  die  einfach  alka- 
lischen von  Neuenahr  als  zucker-  und  durst- 
vermindernd und  toleranzerhöhend.  Die  in 
schweren  Fällen  symptomatische  Wirkung, 
welche  sie  in  Minderung  der  Glykosurie,  des 
Zuckergeschmackes,  des  Durstes  und  einer 
Stärkung  des  Appetits,  der  Psyche  und  damit 
des  Kraftgefühles  kundtut,  wird  nach  Lenne 
durch  kein  anderes  Mittel,  selbst  Opium  nicht, 
in  dem  hohen  Maße  erreicht  wie  durch 
Brunnenkuren  an  Ort  und  Stelle.  Reines 
Alkali  in  Form  des  Natrium  bicarbonicum 
zu  geben,  hält  B  arth  (3)  bei  leichtem  oder 
gichtischem  Diabetes  für  angebracht. 

Eine  antiglykosurische  Wirkung  der  Al- 
kalien    sowie     der    Brunnenbestandteile    ist 


r 


XIX«  Jahrgang.! 
Oktober  1905.  J 


Fl«iicher,  Diabetes  meUitui. 


503 


also  nicht  sicher  bewiesen.  Dennoch  lehrt 
die  Praxis  den  wohltuenden  Einfluß  der 
Brunnenkuren  immer  wieder  erkennen.  Sie 
sind  darum  stets  zu  empfehlen. 

2.  Kalk 
gegen  die  Melliturie  der  Diabetiker  zu  ge- 
brauchen, hat  zuerst  Grube  (11)  aufgefordert, 
und  zwar  infolge  der  Beobachtung  eines 
Kranken,  dem  von  Laienseite  der  Genuß  von 
Eierschalen  angeraten  war,  welche  in  der 
Hauptsache  bekanntlich  aus  kohlensaurem 
und  phosphorsaurem  Kalk  bestehen.  Die 
Glyko8urie  blieb  zwar  auf  der  alten  Höhe 
von  3  Proz.  stehen,  jedoch  besserte  sich  das 
Allgemeinbefinden  unter  Gewichtszunahme 
zusehends.  In  zwei  weiteren  Fällen  tritt 
dieselbe  Allgemeinwirkung  ein.  Mit  Recht 
weist  Grube  darauf  hin,  daß  der  von 
y.  No orden  beim  Diabetiker  festgestellten 
vermehrten  Kalkausfuhr  bei  Innehaltung  der 
kalkarmen  Fleischdiät  eine  verminderte  Ein- 
fuhr von  Kalk  gegenübersteht.  Die  damit 
wohlbegründete  Kalkdarreichung  veranlaßt 
Lenne  (22)  zu  einer  Nachprüfung. 

Dieser  verordnet  3  mal  täglich  einen  Thee- 

von  10,0  Caiciumphosphat 
90,0  Calciumkarbonat 
leider    mit    gleichbleibender    Erfolglosigkeit, 
so   daß  wir  Naunyns  Rat  folgend  eine  Be- 
stätigung   der    Grub  eschen  Resultate   abzu- 
warten genötigt  sind. 

3.  Ammoniak 
hat  Guttmann  (13)  in  29tägiger  Versuchs- 
zeit bei  einem  Patienten  methodisch  zur  An- 
wendung gebracht.  In  der  ersten  fünftägigen 
Periode  gibt  derselbe  10  g  Ammonium  chlo- 
ratum in  Wasser,  in  der  zweiten  gleichlangen 
Ammon.  carbon.  20,0 

Acidi  citrici  22,5 

Aquae  destillatae  ad  200,0 
S.  an  einem  Tage  zu  nehmen. 
Im  ersten  Teile  der  Behandlung  steigt 
die  Glykosurie  nicht  unerheblich,  um  im 
zweiten  eine  nur  minimale  Herabsetzung  zu 
zeigen.  Mit  mehr  Glück  hat  Adam- 
k  i  e  w  i  c  z  (l)  (2)  Salmiak  und  Ammonium 
citricum  probiert.  Derselbe  erklärt  seine 
Erfolge  damit,  daß  das  eingeführte  Ammoniak 
mit  der  Dextrose  zu  einer  Verbindung  ver- 
schmilzt. In  einem  der  von  Eichhorst  mit 
dem  Medikamente  behandelten  Fälle  schwand 
zwar  der  Zuckergehalt  schnell,  ebensoschnell 
als  eine  komplizierende  Lungenphthise  eine 
letal  endigende  Verschlimmerung  erfuhr.  Über 
die  Wirkung  der  Ammoniaksalze  stehen  also 
noch  wenig  Erfahrungen  zur  Verfügung.  Diese 
aber  sprechen  eher  zu  Ungunsten  des  Mittels. 


4.  Uransalze 
sind  meines  Wissen  nur  von  den  Engländern 
West  (45)  und  Duncan  auf  ihre  antiglykos- 
urische  Wirkung  geprüft  worden.  Der  erstere 
hat  in  fünf  Fällen  Urannitrat  oder  ein  Doppel- 
salz von  Uran  und  Chinin,  mit  einer  Dosis 
von  0,06—0,1  beginnend  und  bis  0,6  —  1,2 
steigend,  verabreicht.  Glykosurie,  Polyurie 
und  Allgemeinzustand  sind  dadurch  günstig 
beeinflußt  worden.  In  weiteren  4  von  5  Fällen 
ist  der  gleiche  Erfolg  zu  verzeichnen.  Auch 
Duncan  pflichtet  dem  vorigen  auf  Grund 
seiner  5  Fälle  bei.  Das  Medikament  ist  außer- 
halb   Englands    bisher   unerprobt   geblieben. 

•  F.    Pflanzliche  Präparate 
sind    gleichfalls    mannigfach   gegen   Diabetes 
zu  Hilfe  gerufen  worden. 

1.    Theeaufgüsse  aus  Leinsamen 
oder  aus  Bohnenschalen 
können  mit  wenigen  Worten  abgetan  werden. 
Nach   Kaufmann    nützen    sie    ebensowenig, 
als  sie  schaden.    Sie  sind  „noch  nicht  Gegen- 
stand exakter  Prüfung  geworden a  (Naunyn). 

2.  Myrtillen, 
das  sind  Heidelbeerblätter,  hat  Weil  im 
Jahre  1892  nach  Erfolgen  bei  4  Kranken 
in  die  Therapie  eingeführt,  zwei  Formen  der 
Darreichung  sind  empfohlen.  Entweder  tut 
man  zwei  Hände  voll  Blätter  in  zwei  Liter 
Wasser  und  kocht  das  Ganze  zu  1  Liter 
Thee  ein,  oder  man  reicht  das  Präparat  in 
Gestalt  der  Pilulae  Myrtilli  Jasper  dar. 
Beides  ist  nach  übereinstimmenden  Aussagen 
von  v.  Leyden,  Bohland,  Kaufmann, 
Lenne  nutzlos.  Insbesondere  hat  K6tly 
die  Wirkungslosigkeit,  aber  auch  die  Un- 
schädlichkeit der  Pillen  dargetan  (v.Mering). 

3.  Haferkuren 
bei  schwerem  Diabetes  bringt  v.No orden  (33) 
auf  der  Naturforscherversammlung  in  Karls- 
bad 1902  in  Vorschlag.  Anfangs  gibt  der 
Autor  200  g  Hafer  am  Tage  unter  Ver- 
meidung anderer  Kohlehydrate  und  erzielt 
damit  ein  Sinken  der  Melliturie.  Die  Ein- 
fuhr dieser  ziemlich  bedeutenden  Hafer- 
mengen ist  jedoch  nach  spätestens  14  Tagen 
auszusetzen,  da  sie  der  Kranke  nicht  länger 
verträgt.  Darauf  bemerkte  v.  No  orden  ein 
um  so  mächtigeres  Ansteigen  der  Glykosurie 
und,  was  viel  schlimmer  ist,  auch  der 
Acetonurie.  Nach  einer  neueren  Veröffent- 
lichung (34)  läßt  v.  Noorden  jetzt  eine 
Suppe  konsumieren,  die  unter  Zusatz  von 
Salz  und  Wasser  bereitet  wird  aus: 


38* 


604 


Pl«itch«r,  DlabetM  mellitus. 


fTlierapeutlacto 
L  Monatshefte. 


250  g  Knorrsches  Hafermehl  oder  Hohen- 

1  oh e sehe  Haferflocke, 
160  -  vegetabilisches  Eiweiß  (Roborat), 
300-  Butter. 

Die  Behandlung  von  etwa  100  Fällen 
mit  dieser  Suppe  geschah  mit  schwankenden 
Ergebnissen.  Über  5  Fälle  wird  Genaueres 
berichtet.  Bei  zwei  Kranken  schlug  die 
herkömmliche  Diät  besser  an  als  die  Kur. 
Ein  Patient  wird  bei  strengster  Diät  weder 
zucker-  noch  acetonfrei.  Eine  ÖOtägige 
Haferkur  bewirkt  hier  anhaltende  Aglyko- 
surie  bei  gutem  Allgemeinbefinden.  Ein 
weiterer  Fall  betrifft  einen  20  jährigen 
Kranken,  dem  bereits  das  Koma  droht. 
Nach  20tägiger  Kur  ist  der  Zuckergehalt 
des  Urins  nur  vorübergehend  gesunken, 
während  das  eingetretene  "Wohlbefinden  er- 
halten bleibt.  Ein  ähnlicher  Erfolg  wird 
bei  einem  lange  bestehenden  Diabetes  er- 
reicht. Die  Glykosurie  bleibt  die  gleiche, 
aber  die  Acetonausscheidung  sistiert  dauernd, 
v.  Noorden  warnt  trotz  seiner  Resultate 
mit  Recht  davor,  die  Haferkur  etwa  als 
ein  „Allheilmittel*4  des  Diabetes  anzusprechen, 
sondern  fordert  zu  weiteren  Versuchen  auf. 
Über  die  Resultate  solcher  berichtet  neuer- 
dings Lipetz  (26  a)  in  der  N au nyn sehen 
Festschrift. 

Erfolge  hat  er  nicht  gesehen,  dagegen 
häufig  Erbrechen  und  gänzliche  Verweige- 
rung der  Diät  beobachtet.  Die  guten  Er- 
folge anderer  führt  er  darauf  zurück,  daß 
die  Kohlehydrate  in  Gestalt  von  Hafermehl 
gar  nicht  oder  nur  minimal  zur  Resorption 
kommen.  Dieser  Ansicht  widerspricht  Lang- 
st ein  (20  a)  in  einem  unlängst  gehaltenen 
Vortrage  nachdrücklich,  soweit  es  den  kind- 
lichen Diabetes  —  und  der  stellt  bekannt- 
lich die  schwerste  Form  dieser  Erkrankung 
dar  —  betrifft.  Von  schlechter  Ausnutzung 
kann  nicht  die  Rede  sein,  da  der  „Nutzen 
eklatant"  war. 

In  einem  Falle  wurde  zwar  die  Zucker- 
ausscheidung durch  die  Haferkur  vermindert, 
jedoch  trat  nach  l1/«  Monaten  der  Tod  im 
Koma  ein.  Günstiger  lag  ein  anderer  Fall: 
Das  achtjährige  Mädchen  schied  in  24  Stun- 
den 1 — 2  °/0  Zucker  aus.  Nach  Verab- 
reichung von  50 — 150  g  Hafermehlsuppe  fiel 
der  Zuckergehalt  auf  0,1  °/0,  um  dann  vier- 
zehn Tage  hindurch  trotz  Beigabe  anderer 
Kohlehydrate  ganz  zu  fehlen.  In  der  Dis- 
kussion rühmen  auch  Mohr  und  Hirsch- 
feld die  Haferkur,  während  Magnus- 
Levy  nicht  viel  Freude  von  ihr  gehabt  hat. 
Mohr  wendet  sich  besonders  gegen  die  An- 
sicht von  Lipetz,  da  er  außerordentliche 
Gewichtszunahmen  bei  der  Haferdiät  beob- 
achten konnte. 


4.  Syzygium  jambolanum, 
eine  westindische  Pflanze,  verdankt  ihre  An- 
wendung der  Empfehlung  Graesers  (10) 
im  Jahre  1889.  Die  Versuche  an  durch 
Phloridzin  diabetisch  gemachten  Hunden  er- 
gaben zur  Evidenz,  daß  diese  experimentell 
bedingte  Glykosurie  konstant  durch  das 
Präparat  herabgesetzt  wurde.  Gleiche  Re- 
sultate unter  gleichen  Versuchsbedingungen 
erhielt  Binz,  der  nunmehr  das  Syzygium 
für  ein  spezifisches  Antiglycosuricum  zu  er- 
klären nicht  anstand.  Inzwischen  hat  sich 
erweisen  lassen,  daß  der  menschliche  Dia- 
betes wesentlich  vom  Phloridzindiabetes  des 
Hundes  verschieden  ist.  v.  Mering  und 
vor  allem  Bohland  haben  gezeigt,  daß 
der  Zuckergehalt  des  Blutes  beim  phloridzin- 
diabetischen  Hunde  nicht  erhöht  ist.  Dar- 
aus, daß  diese  Erhöhung  im  Blute  diabeti- 
scher Menschen  regelmäßig  gefunden  wird, 
läßt  sich  folgerichtig  schließen,  daß  die 
Stoffwechsel  Vorgänge  in  beiden  Fällen  ganz, 
verschiedene  sein  müssen.  Der  durch  Total- 
exstirpation  des  Pankreas  erzeugte  „  Pan- 
kreas di  ab  et  es"  (v.  Mering,  Minkowski) 
dagegen  geht  übrigens  mit  einem  vermehrten 
Zuckergehalt  im  Blute  einher,  steht  also  der 
menschlichen  Zuckerkrankheit  viel  näher. 

Interessante  Versuche  hat  Hildebrandt 
(14)  mit  dem  Mittel  angestellt,  der  ja  die 
Glykosurie  für  die  Folge  abnorm  gesteigerter 
Fermentwirkung  hält.  Er  prüft  zuerst  in 
vitro  den  antifermentativen  Effekt  des  Frucht- 
schalenextraktes und  zeigt,  daß  die  zucker- 
spaltende Wirkung  der  pflanzlichen  Diastase 
sowie  des  Speichels  durch  Syzygium  jambo- 
lanum erheblich  herabgesetzt  wird ,  ohne 
einen  Einfluß  auf  Pepsin  oder  Trypsin  aus- 
zuüben. Der  Erfolg  beim  Menschen  wird 
derart  vorausgesagt,  daß  der  Extrakt  im 
Magendarmtractus  die  Saccharin  zierung  der 
Amylaceen  und  in  den  Geweben  die  des 
Glykogens  •hemme,  ohne  dabei  die  Eiweiß- 
verdauung zu  stören.  Am  diabetischen 
Menschen  läßt  sich  der  Erfolg  nicht  in 
jedem  Falle  demonstrieren,  wie  man  es  nach 
diesen  Vorversuchen  erwarten  sollte.  So 
hat  Gerlach  (8)  das  Medikament  ohne 
irgend  welchen  Effekt  verabreicht.  Dagegen 
vermag  Lewaschew  (26}  „gleichmäßige 
Resultate"  in  acht  Fällen  mitzuteilen.  Der- 
selbe betont,    daß   nur  das    frisch    bereitete 

!  Pflanzenpulver  wirksam  ist.  20 — 40  g  Pulver 
am  Tage  haben  bei  seinen  Kranken  nach 
kurzer  Zeit   Zucker-  und  Harnmenge  herab- 

,  gesetzt.  Unangenehme  Nebenwirkungen  traten 
nicht  auf.  Niemals  ist  Aglykosurie  ein- 
getreten, und  über  eine  etwaige  Nach- 
wirkung wird  nichts  gesagt.  Kaufmann 
hat   das  Präparat   siebenmal    geprüft.     Drei- 


XIX.  Jahrgang.! 
f  Oktober  1906.  J 


Pl«Uch«r,  Diab«tM  mellitus. 


505 


mal  hat  er  eine  deutliche,  aber  für  die 
Praxis  zu  geringe  Herabsetzung  der  Mellit- 
urie  gesehen ,  in  zwei  Fällen  einen  ent- 
schiedenen, auch  praktisch  wichtigen  Erfolg 
und  ebenso  oft  ein  negatives  Ergebnis. 
Kaufmann  gibt  durch  6  Tage  dreimal  tag- 
lich !/a  Theelöffel  von  Extractum  jambo- 
lanum  fluidum  (Merck)  als  dem  haltbarsten 
Präparate  und  schließt  daran  eine  arzneilose 
viertägige  strenge  Diät.  Er  hat  die  Dosis 
ohne  Gefahr  bis  auf  3— 4  mal  täglich  1  Eß- 
löffel steigern  können.  Magendarmstörungen 
werden  nach  v.  Noordens  Angaben  sicher 
vermieden,  wenn  man  einen  Eßlöffel  Extrakt, 
in  Vi  Liter  heißen  Wassers  gelöst,  eine 
Stunde  vor  dem  Mittagessen  und  dem 
Schlafengehen  verabreicht.  Kaufmann  em- 
pfiehlt Syzygium  jambolanum  unbedingt, 
andere  wie  von  Noorden  ,  von  Me- 
ring  und  Strasser  sehen  zwar  „keine 
von  der  Regelung  der  Diät  unabhängige 
entscheidende  Wendung  zum  Guten"  (von 
Noorden)  (32),  raten  aber  dennoch,  einen 
Versuch  mit  dem  unschädlichen  Mittel  zu 
machen. 

Syzygium  jambolanum  erscheint  jeden- 
falls geeignet,  zur  Unterstützung  der  Diät 
empfohlen  zu  werden. 

VI.  Moderne  Spezialpräparate 

nennt  Kaufmann  diese  als  letzte  zu  be- 
trachtende Gruppe  der  Antiglycosurica.  Es 
sind  eine  Reihe  von  Geheimmitteln,  denen 
der  auf  wissenschaftlicher  Basis  arbeitende 
Arzt  wohl  schon  aus  diesem  Grunde  mit 
Recht  nicht  freundlich  gegenübersteht.  Diese 
Mittel  werden  natürlich  als  spezifische,  in 
kürzerer  oder  längerer  Zeit  Aglykosurie  be- 
wirkende angepriesen.  Selbst  wenn  wir 
daran  von  vornherein  nicht  glauben,  ist  ihre 
exakte  Prüfung  dennoch  gerechtfertigt.  Zeigen 
sie  sich  absolut  wirkungslos,  nun,  so  wird 
diese  Tatsache  genügen,  um  ihre  weitere 
Anwendung  ärztlicherseits  zu  hindern.  Setzen 
sie  die  Zuckerausscheidung  in  den  schweren 
Fällen  herab,  in  denen  keine  Diät  etwas 
auszurichten  vermag,  so  haben  sie  genug 
geleistet.  Also  eingehende  Mitteilungen  sind 
meines  Erachtens  nötig,  bevor  man  ver- 
nichtende Urteile  wie  das  folgende  fällt: 
„Jeder,  der  eines  dieser  Präparate,  in  der 
Hoffnung,  seinen  Diabetikern  dadurch  nützen  zu 
können,  anwendet,  fällt  einem  geschickt  an- 
gelegten Humbug  zum  Opfer"  (v.  Noorden) 
(32).     Im  einzelnen  ist  mitzuteilen: 

1.  Antimellin, 
das  mit  Djoeatin  und  Jambulin  identisch  ist 
(Kaufmann),  wurde  von  Börsch  als  wunder- 


wirkendes Spezifik  um  gegen  Diabetes  an- 
gepriesen, v.  Noorden  und  Goldscheider 
stellen  die  Wirksamkeit  des  Mittels  mit 
aller  Entschiedenheit  in  Abrede.  Kauf- 
mann hat  in  13  Fällen  100—125  cem  Anti- 
mellin pro  die  unter  Innehaltung  strenger 
Diät  verabreicht  und  kann  ein  Herabgehen 
der  Glykosurie  in  neun  Fällen  feststellen. 
Dasselbe  erreicht  er  jedoch  mit  strenger 
Diät  allein,  so  daß  er  das  Mittel  als  „über- 
flüssige Zugabe",  die  übrigens  12  Mark 
kostet,  verwirft.  Daß  ein  Teil  der  Wirkung, 
wenn  sie  überhaupt  eintritt,  auf  Rechnung  des 
in  dem  Präpasate  enthaltenen  Acidum  salicyli- 
cum  und  Syzygium  jambolanum  zu  setzen 
sein  konnte,  stellt  Kaufmann  nicht  in  Ab- 
rede. Aber  Opium  und  andere  altbekannte 
Präparate  wirken  ebenso,  und  von  spezifi- 
schem Einfluß  sei  keine  Rede.  Meines  Er- 
achtens hätte  der  Autor  das  Antimellin 
nicht  bei  Kranken  versuchen  sollen,  bei 
denen  alleinige  Diät  schon  wirkt,  sondern 
bei  solchen,  welche  eine  Diät  unbeeinflußt 
läßt.  Noch  abfälliger  als  Kaufmann  ur- 
teilt Hirsch feld  nach  seinen  Ergebnissen 
in  fünf  Fällen.  Keinerlei  Effekt  wird  beob- 
achtet. 

Weitere  Untersuchungen,  besonders  in  der 
soeben  angedeuteten  Richtung,  sind  wohl  am 
Platze. 

2.  Saccharo8olvol, 
ein  vom  Apotheker  Meißner  in  Leipzig  herge- 
stelltes salizylsäurehaltiges  Mittel  —  es  kostet 
6  Mark  —  ist  nur  von  Kaufmann  in  vier 
Fällen  konsequent  zur  Anwendung  gebracht 
worden.  Durch  Darreichung  von  dreimal 
täglich  1  Theelöffel  oder  von  15 — 25  cem 
ebenso  oft  wird  ein  Fall  günstig  beeinflußt. 
„Berichte  über  exakte  Beobachtungen  bei 
Anwendung  des  Saccharosolvols  liegen  in  der 
Literatur  nicht  vor."     (Kaufmann.) 

Man  wird  zugeben,  daß  man  selbst  ein 
„Geheimmittel"  auf  eine  nicht  einmal  ganz 
negative  Prüfung  in  vier  Fällen  hin  gänzlich 
abzutun,  nicht  das  Recht  hat,  sondern  dazu 
weitere  Belege  der  Nicht  Wirksamkeit  nötig 
braucht. 

3.  Glykosolvol 
hat  insofern  eine  bessere  Behandlung  er- 
fahren, als  die  Erklärung  seiner  Nutzlosig- 
keit erst  nach  vielfachen  Versuchen  ab- 
gegeben worden  ist.  Das  Mittel  besteht 
aus  1.  einem  Pulver,  das  Glykosolvol,  Semen 
Syzygii  jambolani  und  Aromatica  ent- 
hält und  in  Form  von  Thee  früh  und  abends 
gegeben  wird,  2.  einer  Tinktur  aus  Glyko- 
solvol in  Extract.  fluid,  fol.  Myrtill.  compos., 
die  mittags  zu  nehmen  ist.  Der  Hersteller, 
Apotheker    Lindner    in    Dresden ,    verkauft 


506 


Fleiich«r,  Diabetei  mellitus. 


rTber&peutUch« 
L   Monatsheft«. 


das  Mittel  für  12  Mark.  Lenne"  erfuhr  die  vol- 
lige "Wirkungslosigkeit  in  drei  solchen  Fällen, 
in  denen  die  Glykosurie  trotz  strenger  Diät 
nicht  weichen  wollte.  Er  führt  mit  Recht 
die  von  Lindner  in  3  — 18  Tagen  erzielte 
Aglykosurie  auf  die  in  der  Gebrauchsan- 
weisung streng  befohlene  Diät  allein  zurück. 
Folglich  ist  Glykosolvol  in  Fällen,  in  denen 
eine  Diät  nichts  ausrichten  kann,  gleichfalls 
unwirksam,  leistet  also  de  facto  gar  nichts. 
Diese  Mitteilung  scheint  mir  recht  be- 
weisend zu  sein.  Kirstein  (18)  hat  sich 
aus  drei  in  Senators  Poliklinik  beobachte- 
ten Fällen  die  Meinung  gebildet,  daß  das 
Mittel  den  Diabetes  „nicht  merklich  beein- 
flußt". Auch  Kaufmann  wendet  es  in  drei 
Fällen  vergeblich  an.  Sprechen  schon  diese 
Mitteilungen  sehr  gegen  das  Präparat,  so. 
entscheiden  die  vom  chemischen  Standpunkte 
gemachten  Einwendungen  Eichengrüns  (6) 
völlig  zuungunsten  des  Glykosolvols.  Die 
angegebene  chemische  Konstitution  als  „pepto- 
nisiertes  oxypropionsaures  Theobromintryp- 
sina  wird  als  „chemischer  Unsinn"  bezeichnet. 
Aus  der  mitgeteilten  Analyse  ist  hervorzu- 
heben, daß  nur  Spuren  von  Theobromin, 
dagegen  60—70  ü/0  Stärke  (!)  gefunden 
wurden. 

Letzterer  Befund  allein  würde  genügen, 
sich  Eichengrün  unbedingt  anzuschließen, 
der  das  Mittel  von  jedem  Arzte  verworfen 
wissen  will.  In  diesem  Falle  erübrigen  sich 
weitere  Untersuchungen. 

Zur  Vervollständigung  sei  zum  Schluß 
auf  ein  ganz  neues,  bisher  unerprobtes  Mittel, 
das  vom  Apotheker  Schubring,  Bavaria- 
Apotheke-Berlin ,  hergestellte  „Senval"  hin- 
gewiesen, welches  ohne  strenge  Diät  den 
Harn  in  8  — 14  Tagen  zuckerfrei  machen, 
also  „sichere  Hilfe  für  Zuckerkranke u 
bringen  soll.  Das  Senval  besteht  aus  einem 
Fluidextrakt  und  einem  Pulver.  Ersteres 
enthält:  Senecio,  Valeriana,  Cina,  Castoreum 
und  Mentha  piperita.  Drei  Likörgläser 
voll  werden  täglich  nach  den  Mahlzeiten 
verabreicht.  Das  Pulver  ist  ein  Gemisch 
von  Natrium  bicarbon.,  Natr.  chlorat.,  Spong. 
maritim.,  Calc.  phosphat.,  Lithium  jodat.  und 
ist  in  einer  Quantität  von  dreimal  täglich 
!/a  Theelöffel  nach  dem  Essen  zu  geben. 
Preis   10  Mark. 

Fälle. 

In  drei  Fällen  von  Diabetes  mellitus 
brachte  ich  Saccharosolvol  zweimal,  Anti- 
mellin  und  Senval  je  einmal  zur  methodi- 
schen Anwendung.  Mit  den  beiden  erst- 
genannten Mitteln  wurden  zwei  Fälle  aus 
der  Poliklinik  des  Herrn  Professor  Rosin 
behandelt.      Den    dritten    Fall    beobachtete 


ich  im  städtischen  Krankenhaus  am  Urban 
zu  Berlin.  Die  beiden  weiblichen  Patienten 
eigneten  sich  zu  den  Prüfungen  deswegen 
besonders  gut,  weil  eine  lange  fortgesetzte 
konsequente  Diät  die  hohe  Glykosurie  zu 
beeinflussen  nicht  imstande  war.  Sie  stellen 
also  den  Typus  der  Fälle  dar,  in  denen  die 
medikamentöse  Therapie  als  letzter  Versuch, 
in  Betracht  kommt.  Es  wurde  besonders 
darauf  acht  gegeben,  daß  die  Kranken 
während  der  Prüfungsdauer  die  gewohnte 
Diät  beibehielten  und  ein  Plus  an  körper- 
licher Arbeit  vermieden.  Vor  jeder  Medika- 
tion wurde  die  unter  Erfüllung  dieser  beiden 
Bedingungen  bestehende  Zuckerausscheidung 
mehrere  Tage  hindurch  festgestellt. 

Fall  L  Frau  R.,  38  Jahre  alt,  gibt  an,  nie- 
mals ernstlich  krank  gewesen  zu  sein,  bis  vor  etwa 
Jahresfrist  ein  bestehender  Diabetes  mellitus  fest- 
gestellt wurde.  Damals  habe  sie  200  Pfund  ge- 
woffen. Ihr  jetziges  Körpergewicht,  das  sich 
wahrend  der  Beobachtungsaauer  konstant  erhält, 
betragt  noch  180  Pfund. 

Von  Medikamenten  hat  sie  im  Dezember  1904 
nur  die  Pilulae  Myrtilli  Jasper  18  Tage  hindurch 
gebraucht;  wie  sie  angibt,  ohne  jeden  Erfolg.  Der 
vom  Apotheker  festgestellte  Zuckergehalt  habe  in 
letzter  Zeit  zwischen  6—7  %  geschwankt  Die 
folgende  Diät  sei  dabei  innegehalten  worden.  Die- 
selbe wird  auch  während  der  Versuchszeit  aufs 
strengste  durchgeführt. 

Morgens  um  4  Uhr:  eine  Tasse  Kaffee  mit  Milch 
ohne  Zucker. 

-  7 Vj  -     eine   Schrippe   mit   Butter, 

-  10      -     V«  Pfund  Fleisch. 
Mittags      -    1      -      Suppe,    Vi    Mund   Fleisch, 

erlaubtes  Gemüse. 
Nachm.      -    4      -     eine  Tasse  Kaffee  mit  Milch 

ohne  Zucker. 
Abends      -    8      -     Va     Pfund      Fleisch      oder 

Va   Pfund    Fisch,    erlaubtes 

Gemüse. 

Zuckergehalt  vor  jeder  Medikation  (polari- 
metrisch  bestimmt): 

Am  29.  XII.  1904  6,2  %  (Gerhardtsche  Probe 
auf  Acetessigsäure  deut- 
lich positiv), 

-  30.  XII.  1904  7,0    -    1         pÄrLarlif^. 

-  2.  I.       1905  67    -         p  G«rhardtsche 

-  5.  I.       1905  6,2    -    J     Probe   8tets  P°8ltlT- 

Vom  7. 1.  1905  an  bekommt  die  Patientin  täg- 
lich drei  Eßlöffel  Saccharosolvol  in  einem  Tassen- 
kopf warmen  Wassers. 

Nachts  vom  7. 1.  zum  8. 1 5,2  % 

Am  8.  1 4,6    - 

-  9.  1 ...  5,0    - 

-  10. 1 6,0    - 

-  11. 1 6,5    - 

-  12. 1 6,7    - 

Der  Gehalt  des  Urins  an  Aceton  ist  während 
der  Medikation  stets  anscheinend  derselbe  ge- 
blieben, so  weit  die  Schätzung  dies  zuläßt.  Jedoch 
ist  die  Eisenchloridreaktion  nier  unbrauchbar,  da 
die  im  Saccharosolvol  enthaltene  Salizylsäure  die- 
selbe Reaktion  bedingt.  Acidum  salicylicum  konnte 
leicht  im  Ätherauszug  des  Harnes  durch  Eiaen- 
chlorid  nachgewiesen  werden.  Aceton  wurde  durch 
die  Legal  sehe  Probe  festgestellt. 


XIX.  Jahrgang.! 
Oktober  1905.  J 


Fleischer,  DUb«t«t  mellitus. 


507 


Am  13.  I.  wurde  Saccharosolvol  als  völlig 
wirkungslos  ausgesetzt.  Nebenerscheinungen  wurden 
nicht  beobachtet.  Preis:  6  Mark.  Darauf  kam 
„Antimellin"  (Essentia  Antimellini  composita)  ein 
jambulhaltiges  Mittel,  bei  der  Patientin  in  An- 
wendung. Es  wurden  laut  Vorschrift  150  ccm  der 
angewärmten  Flüssigkeit  morgens  nüchtern  ge- 
nommen.   Der  Zuckergehalt  war: 

Am  15.  I.   (Urin   2 — 6    Stunden   nach    der 

ersten   Medikation   gesammelt)  .  4,4  % 

-  16.  I 4,2  - 

-  17.  1 4,5  - 

-  18.  1 5,4  - 

-  20.  I.  ...   • 6,3  - 

-  21.  1 6,0  - 

Der  Acetongehalt  ist  dauernd  derselbe  ge- 
blieben. Da  ferner  das  Mittel  Brechreiz  macht, 
wird  es  als  wirkungslos  ausgesetzt.  Preis :  12  Mark. 

Fall  II.  Frau  P.,  48  Jahre  alt,  leidet  seit 
4  Jahren  an  Diabetes  mellitus  und  ist  seit  dem 
10.  IX.  1902  Patientin  der  Poliklinik  des  Herrn 
Professor  Dr.  Rosin.  Hier  wurden  während  der 
Behandlung  vom  10.  IX.  02  bis  zum  30.  VIII.  04 
Zackermengen  festgestellt,  die  zwischen  3,4  und 
6  %  schwankten.  Acetonurie  bestand  niemals. 
Die  in  den  letzten  Jahren  und  auch  während 
der  Beobachtung  streng  innegehaltene  Diät  war 
folgende: 

Morgens     8  Uhr:  eine  Tasse  Kaffee  mit  Milch  ohne 
Zucker,  ein  Knüppel. 
10     -      V,  Stulle  Schwarzbrot  mit  Butter. 
Wurst. 

Mittags      1      -      V>— %  pfuDd  Fleisch.    Kohl. 

Nachm.      4      -      eine  Tasse  Kaffee  mit  Milch  ohne 
Zucker.     !/j  Knüppel. 

Abends      8      -      73  Pfand  Fleisch. 

Die  Beobachtung  vor  der  Medikation  ergab 
folgende  Werte: 

31.  XII.  1904 5,5  °/0 

3.1.      1905  ....      5,8   - 

7. 1.      1905 5,0   - 

9. 1.      1905 3,2   - 

10. 1.      1905 3,7   - 

13. 1.      1905 3,3   - 

Die  intelligente  Patientin  führt  das  spontane 
Herabgehen  der  Glykosurie  am  9.  und  10. 1.  auf 
fehlende  Gemütserregung  an  diesen  Tagen  zurück. 
Sie  führt  das  Entstehen  ihrer  Erkrankung  mit  Be- 
stimmtheit auf  Aufregungen  zurück,  welche  durch 
eine  sich  in  „Anfällen"  wiederholende  Krankheit 
ihres  Mannes  bedingt  werden.  Patientin  will 
oft  beobachtet  haben,  daß  zur  Zeit  gehäufter  An- 
falle des  Mannes  jedesmal  ihre  Glykosurie  steigt 
und  umgekehrt. 

Sie  bekommt  vom  14. 1. 05  ab  täglich  zwei 
Eßlöffel  Saccharosolvol  in  warmem  Wasser.  Zucker- 
gehalt am 

14. 1.  abends  bis  15. 1.  früh   .    ...  4,1  %] 

15. 1 4,0-1     niemals 

16. 1 4,7    -       Aceton. 

17.1 8,9    -J 

Die  bereits  amenorrhoische  Patientin  gibt  an, 
jedesmal  kurze  Zeit  nach  dem  Einnehmen  geringe 
Uterusblutungen  zu  bekommen.  Gegen  die  klimak- 
terische Natur  der  letzteren  spricht  der  Umstand, 
daß  mit  dem  Aussetzen  des  Mittels  auch  die  Blu- 
tungen sistieren. 

21.  I.  (ohne  Medikament)  ...  3,0  %. 

Vom  22.  I.  wieder  Saccharosolvol,  ohne  daß 
Blutungen    wiederkehren.     Auch  jetzt   findet    sich 


kein  Aceton,   obgleich  sich  das  Allgemeinbefinden 
verschlechtert. 

22. 1.  .  .  .  3,7  % 
23. 1.  ...  3,5  - 
24. 1.  .  .  .  3,4  - 
25. 1.  .    .    .  4,3   - 

26. 1.  .    .    .5,2    -    (Gerhardtsche 
Probe  negativ). 
Aussetzen  des  Saccharosolvols. 

Das  Fazit  aus  beiden  Beobachtungen 
lautet:  Völlige  Wirkungslosigkeit  des  Saccha- 
rosolvols wie  des  Antimellins.  In  Fall  I 
setzte  keines  von  beiden,  von  minimalen 
Schwankungen  am  Anfang  abgesehen,  weder 
die  Zuckerausscheidung  herab,  noch  hatte 
es  einen  Einfluß  auf  die  Acetonurie.  Auch 
in  Fall  II  ist  unter  der  Saccharosolvol- 
behandlung  die  Glykosurie  unbeeinflußt  ge- 
blieben, das  Allgemeinbefinden  sogar  ver- 
schlechtert worden. 

Fall  in  betrifft  den  Apotheker  W.,  aus  dessen 
Anamnese  nur  zu  erwähnen  ist,  daß  er  sich  1890 
luetisch  infiziert  und  vor  einigen  Wochen  selbst 
den  Zucker  im  Urin  nachgewiesen  hat.  Der 
Zuckergehalt  betrug  bei  der  Aufnahme  ins 
Krankenhaus  am  8.  März  1905  7  %,  stieg  dann 
bis  zu  dem  höchsten  beobachteten  Wert  von  7l/a  % 
in  den  ersten  Tagen  an,  um  dann  bis  zum  8.  April 
d.  J.  zwischen  diesem  Wert  und  3l/j  %  ^m  Minimum 
ziemlich  unvermittelt  und  täglich  zu  variieren. 
Meist  wurden  5—6  °/o  gefunden  bei  stets  deut- 
lichem Ausfall  der  Gerhardt  sehen  Eisenchlorid- 
reaktion. Dabei  wurde  folgender  täglicher  Speise- 
zettel streng  innegehalten: 

Zweimal  500,0  schwerer  Kaffee, 
60,0  Butter, 

2  Eier, 
60,0  Speck, 
60,0  Brot, 
100,0  Braten, 
100,0  Gemüse, 

4  Eier  oder 
50,0  Wurst  und  50,0  Käse, 
oder  $0,0  Schabefleisch. 
1  Flasche  Selters. 

Da  durch  strenge,  einen  Monat  hindurch  fort- 
gesetzte Diät  Zuckergehalt  und  Acetonurie  nicht 
wesentlich  beeinflußt  werden  konnten,  begann  ich 
am  10.  April  mit  der  Darreichung  von  Senval. 
Der  in  den  nächsten  10  Tagen  niedrigste  Prozent- 

S ehalt  betrug  474  %,  also  mehr  als  ohne  das 
[ittel,  der  höchste  war  6l/a  %.  Die  Acetonaus- 
scheidung  blieb  bestehen.  Verschlechterung  des 
guten  Allgemeinbefindens  trat  nicht  ein.  Patient 
verließ  dann  das  Krankenhaus  und  teilte  mir  einen 
Monat  später,  am  23.  Mai  d.  J.,  mit,  daß  er  sich 
recht  wohl  fühle,  an  Gewicht  zugenommen  habe, 
aber  in  letzter  Zeit  konstant  3  %  Zucker  aus- 
scheide? Er  hat  während  der  ganzen  Zeit  strenge 
Diät  innegehalten  bei  Senval  med  ikation. 

Wenn  auf  Grund  dieses  einen  Falles  ein 
vorläufiges  Urteil  über  das  Senval  erlaubt 
ist,  so  kann  von  einer  Beeinflussung  der 
Glykosurie  schlechterdings  keine  Rede  sein. 
Die  Diät  leistete  allein  dasselbe.  Andrer- 
seits kann  der  dauernd  gute  Kräftezustand 
und    die    Gewichtszunahme    mit    durch    das 


608 


Fl«Uch«r,  Diabetes  mellitus. 


("Therapeutte»« 
L   Monatehefte. 


Medikament  herbeigeführt  worden  sein,  und 
zwar  wohl  eher  durch  das  Pulver  als  durch 
das  Fluidextrakt,  dessen  Bestandteile  als 
Antidiabetica  noch  niemals  Anwendung  ge- 
funden haben. 

So  müssen  wir  am  Schluß  der  Arbeit 
leider  bekennen,  daß  die  antiglykosurische 
Arzneiwirkung  bis  heutigen  Tages  eine  recht 
problematische  geblieben  ist.  Wenn  wir 
auch  nicht  so  pessimistisch  wie  Cantani 
(4a)  glauben,  daß  alle  Medikamente  aus- 
nahmslos nicht  nur  unwirksam,  sondern 
krankheitsverschlechternd  seien,  so  können 
wir  uns  andererseits  der  Ansicht  von  Nau- 
nyn,  Hirschfeld,  Kaufmann  und  anderen 
Autoren  völlig  anschließen  und  nur  dem 
Opium  eine  relativ  sichere  "Wirkung  in 
schweren  Fällen  zuschreiben.  Spezifisch  ist 
auch  diese  keineswegs.  Die  von  Kauf- 
mann als  ebenso  wirksam  bezeichneten 
Salizylpräparate  und  das  Extract.  Syzyg. 
jambol.  möchten  wir  nach  den  Ergebnissen 
der  Literatur  nicht  auf  eine  Stufe  mit  dem 
Opium  stellen.  Die  „  Geheimmittel "  haben 
in  den  bisher  gemachten  spärlichen  Versuchen 
völlig  im  Stich  gelassen. 

Schließlich  erfülle  ich  die  angenehme 
Pflicht,  Herrn  Professor  Dr.  H.  Rosin 
meinen  ergebensten  Dank  für  die  Anregung 
zu  dieser  Arbeit  und  für  die  Überlassung 
zweier  Fälle  und  Herrn  Assistenzarzt  Dr. 
Haake  für  die  des  dritten  abzustatten. 

Literatur. 

1.  Adamkiewicz,  Virchows Archiv,  Bd.76,  S.377. 

2.  idem,  Verhandlungen  der  physiologischen  Ge- 
sellschaft.   Berlin  1878,  Nr.  17. 

3.  Barth,  Sar  le  traitement  da  diabete  sucre. 
Semaine  med.  XIV,  39,  1894. 

4.  Bohland,  Über  den  Einfloß  der  Lävulose 
auf  die  Traubenzuckerausscheidung  bei  Dia- 
betes mellitus  und  über  einige  gegen  den- 
selben empfohlene  Arzneimittel.  Therapeu- 
tische Monatshefte  VIII,  8,  1894. 

4a.  Cantani,  Über  Diabetes  mellitus.  Dtsche.  med. 
Wochenschr.  1889. 

5.  Chat  in  und  Guinard,  Traitement  de  deux 
cas  de  diabete  par  le  seruni  de  la  veine  pan- 
creatique.  Lyon  med.  XCV,  23.  Dezember 
1900. 

6.  Eichengrün,  Angebliche  Kurpfuscherei  seitens 
der    chemischen    Industrie.     Zeitschr.  für    an- 

fe wandte  Chemie,  1900. 
'ürbringer,   Über  die  moderne  Behandlung 
von     Krankheiten      mit     Gewebsflüssigkeiten. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1894. 

8.  Gerlach,  Zwei  mit  Syzygium  jambol  an  um 
behandelte  Fälle  von  Diabetes  mellitus.  St 
Petersburger  med.  Wochenschr.  XV11,  1892. 

9.  Gley,  siehe  38. 

10.  Gräser,  Experimentelle  Untersuchungen  über 
Syzygium  jambol.  gegen  künstlichen  Diabetes. 
Zentralblatt  für  klinische  Med.  28,  1889. 

11.  Grube,  Einige  Beobachtungen  über  die  Be- 
deutung des  Kalkes  bei  Diabetes  mellitus. 
Münchener  med.  Wochenschr.  21,  1895. 


12.  Guinard,  siehe  5. 

13.  Guttmann,  Über  Zuckerausscheidung  in 
einem  Falle  von  Diabetes  mellitus  unter  Ge- 
brauch von  Ammoniaksalzen. 

14.  Hildebrandt,  Zur  Wirkungsweise  des  Syzy- 
gium jambolanum  beim  Diabetes  mellitus. 
Berliner >lin.  Wochenschr.  XXIX,  1,  1892. 

15.  idem,  Über  eine  Wirkung  des  Piperazins  und 
seinen  Einfluß  auf  den  experimentellen  Dia- 
betes. Berliner  klin.  Wochenschr.  XXXI,  6, 
1894. 

16.  Hirschfeld.  Über  Antimellin.  Fortschritte 
der  Med.  1,  1901. 

17.  Kaufmann,  Über  die  Einwirkung  von  Medi- 
kamenten auf  die  Glukosurie  der  Diabetiker. 
Zeitschr.  für  klin.  Med.,  Bd.  48.  (Die  in  der 
Arbeit  ohne  besondere  Hinweise  angeführten 
Autoren  sind  nach  dieser  Abhandlung  zitiert.) 

18.  Kirstein,   Therapie   der  Gegenwart  6,    1899. 

19.  Klemperer,  Grundriß  der  klin.  Diagnostik. 
Hirschwald,  Berlin  1900. 

20.  Kuß  maul,  Zur  Lehre  vom  Diabetes  mellitus. 
Archiv  für  klin.  Med.,  Bd.  14,  1874,  I. 

20a. Langstein,  Beitrage  zur  Kenntnis  des  Dia- 
betes mellitus  im  Kindesalter.  Deutsche  med. 
Wochenschr.  1905,  Nr.  12. 

21.  Lenne,  Einiges  über  den  Diabetes  mellitus. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1892,  S.  472. 

22.  idem,  Zur  Therapie  des  Diabetes  mellitus. 
Therap._ Monatshefte  5,  1897. 

23.  Leo,  Über  Heilung  und  Latenz  des  Diabetes 
mellitus.    Berliner  klin.  Wochenschr.  50,  1904. 

24.  Lepine,  Un  nouveau  traitement  du  diabete. 
La  semaine  med.  1895,  S.  169. 

25.  Lepine  et  Martz.  Sur  le  ferment  glycoly- 
tique.  Archives  de  Med.  experimentale  1895, 
S.220. 

26.  Lewaschew,  Über  die  Behandlung  des  Di- 
abetes mellitus  mit  Syzygium  jambolanum 
Berliner  klin.  Wochenschr.  XXVIII,  8,    1891.- 

26a. Lipetz,  Über  die  Wirkung  der  v.  Noorden- 
schen  Haferkur  beim  Diabetes  mellitus.  Zeitschr. 
f.  klin.  Med.  XVII,  1905. 

27.  Martz,  siehe  24. 

28.  v.  Mering,  Behandlung  des  Diabetes  mellitus 
und  insipidus.     Penzold-Stintzing,  II.  Auflage, 

29.  Moleschott,  Jodoform  gegen  Diabetes  melli- 
tus. Wiener  med.  Wochenschr.  1882, 17, 18, 19. 

30.  Naunyn,  Der  Diabetes  mellitus.  In  Noth- 
nagel, Spezielle  Pathologie  und  Therapie, 
Bd.  VII,  1. 

31.  Nikolaier,  Behandlung  des  Diabetes  mellitus 
mit  Salol.  Therapeut.  Monatshefte  VII,  3, 
1893. 

32.  v.  Noorden,  Über  Arzneibehandlung  des 
Diabetes  mellitus.  Zeitschr.  für  praktische 
Ärzte  1901. 

33.  idem,  Bemerkungen  zur  Pathologie  und 
Therapie  des  Diabetes  mellitus.  Wiener  med. 
Presse,  5.  Oktober  1902. 

34.  idem,  Über  Haferkuren  bei  schwerem  Dia- 
betes mellitus.'  Berliner  klin.  Wochenschr.  36, 
1903. 

35.  Robin,  Traitement  du  diabete  par  l'antipyrine. 
mode  d'emploi.  resultats.  contreindications. 
Gaz.  med.  de  Paris  LX,  1889. 

36.  idem,  Sur  le  traitement  du  diabete.  Gaz.  de 
Paris  LX,  1889. 

37.  idem,  Traitement  du  diabete  par  la  medica- 
tion  alternante.  Bull,  de  Therap.  LXIV,  8, 
1895. 

38.  Sahli,  Über  die  therapeutische  Anwendung 
des  Salols.  Korrespondenzblatt  f.  Schweizer 
Ärzte  1886,  S.  321  u.  350. 


XIX.  Jahrgang."! 
Oktober  1906.  J 


Roten  f«ld,  Diphtherie«pideml«n  und  Dlphtherieempflnglichkelt. 


509 


89.  See  und  Gley,  Untersuch  tragen  über  den 
experimentellen  Diabetes.  Wiener  med.  Wochen- 
schrift XXXIX,  6,  1889. 

40.  Senator,  Diabetes  mellitus  in  v.  Ziemssens 
Handbuch  der  speziellen  Pathologie  u.  Therapie, 

41.  Strasser,  Die  physikalische  und  medikamen- 
töse Therapie  des  Diabetes  mellitus.  Wiener 
med.  Presse  1902. 

42.  Strauß,  Fortschritte  in  der  Behandlung  des 
Diabetes  mellitus.  Deutsche  med.  Wochenschr. 
45,  46,  47,  1904. 

43.  Strümpell,  Lehrbuch  der  speziellen  Patho- 
logie und  Therapie  der  inneren  Krankheiten. 
Vogel,  Leipzig  1900.. 

44.  Taschemacher,  Über  Salol  bei  Diabetes 
mellitus.    Therap.  Monatshefte  1,  1901. 

45.  West,  The  treatment  of  diabetes  mellitus 
br  uranium  nitrate.    Brit.  med.  Journal  1895. 

46.  Worms,  Snr  le  diabete  ä  evolntion  lente. 
Bull,  de  l'Acad.  de  Med.  LVI1,   1893,   S.  663. 

47.  Zaudy,  Ein  geheilter  Fall  von  Diabetes 
mellitus.    Deutsche  med.  Wochenschr.  31,  1900. 

48.  Ebstein,  Die  Zuckerharnruhr,  ihre  Theorie 
und  Praxis.     Wiesbaden  1887. 


EMphtherieepldemlen  und  Diphtherie- 
empfönglichkeit» 

Von 
Dr.  Siegfried  Rosenfeld. 

Die  allgemeinen  Gesetze,  welche  dem 
Auftreten  der  akuten  Infektionskrankheiten 
in  Epidemieform  zugrunde  liegen,  aufzu- 
decken, zählt  zu  den  interessantesten,  aber 
auch  schwierigsten  Kapiteln  der  Epidemiologie. 
Man  kann  durchaus  nicht  sagen,  daß  die  bis- 
herigen Versuche  allzuoft  und  allzuviel  von 
Erfolg  begleitet  gewesen  waren.  Um  so  ge- 
botener erscheint  es,  jedem  neuen  Versuche 
mit  kritischer  Aufmerksamkeit  zu  folgen. 
Einen  solchen  Versuch  der  Erklärung  der 
Diphtherieepidemien  hat  Gott  st  ein  im  Jahre 
1903  mit  seinem  Buche  „Die  Periodizität 
der  Diphtherie  und  ihre  Ursachen"  veröffent- 
licht. Dieses  Buch  bildet  gleichsam  einen 
Abschluß  seiner  zahlreichen  Aufsätze  über 
Diphtheriestatistik  nach  der  positiven  Seite 
hin.  Die  darin  gewonnenen  Resultate  sind 
ebenfalls  auf  statistischem  Wege  gewonnen, 
wiederholen  nur  zum  Teile  schon  früher  von 
Gottstein  Ausgesprochenes.  Im  folgenden 
will  ich  dieselben  näher  beleuchten,  jedoch 
auch  nur  mit  Hilfe  der  Statistik,  obwohl 
ihre  Beleuchtung  von  einem  anderen  Stand- 
punkte, etwa  vom  bakteriologischen,  auch 
sehr  interessant  wäre;  doch  sei  dies  hierzu 
Berufeneren  überlassen. 

Gottstein  erklärt  mit  Hilfe  zweier  neuer 
von  ihm  festgestellter  Tatsachen  die  Synthese 
der  Diphtheriekurven.  Der  Wortlaut  der 
ersten  Tatsache  ist:  „Die  Diphtheriekurve 
kommt    dadurch    zustande,    daß    in   allmäh- 

Th.  M.1906. 


lichem  treppenförmigen  Ansteigen  weniger 
empfängliche  Lebensgenerationen  von  immer 
höher  empfänglichen  gefolgt  werden.  Das 
Auftreten  derjenigen  Generation,  die  die 
größte  Zahl  empfänglicher  Individuen  enthält, 
bewirkt  den  Gipfelpunkt  der  Kurve.  Ebenso 
allmählich  folgen  nun  weniger  empfängliche 
Generationen,  deren  Auftreten  das  Absinken 
der  Kurve  bewirkt."  Die  zweite  Tatsache 
lautet:  „Der  Spannungsraum  zwischen  dem 
Minimum  an  empfänglichen  Varianten  und 
dem  Maximum  bewegt  sich  in  den  einzelnen 
Generationen  innerhalb  weniger  Prozente. 
Das  Maximum  dürfte  mit  6  —  8  Proz.  hin- 
fälliger Individuen  im  allgemeinen  erreicht 
8 ein.  Ganz  exakt  zahlenmäßig  läßt  es  sich 
nicht  bestimmen,  weil  ein  Teil  der  Diph- 
therietodesfälle nicht  auf  Rechnung  ange- 
borener Anlagen,  sondern  erworbener  sozial- 
hygienisch ungünstiger  Außenverhältnisse  und 
anderer  vorangegangener  Krankheiten  kommt, 
weil  andererseits  durch  besondere  Zufälle 
ein  geringer  Bruchteil  hoch  empfänglich  er  In- 
dividuen dem  erforderlichen  Kontakt  mit  der 
Seuche  entrinnen  mag." 

Beschäftigen  wir  uns  zuerst  mit  der 
zweiten  Tatsache,  in  welcher  die  geringe 
Diphtherieempfänglichkeit  der  Neugeborenen 
(„90 — 95,  sogar  bis  98  Proz.  besitzen  einen 
angeborenen  Grad  von  Immunität  gegenüber 
dem  Diphtheriekontagium")  mit  enthalten  ist, 
ein  Ergebnis,  das,  wie  Gottstein  selbst  er- 
klärt, manchem  auffällig  erscheinen  wird. 
Diese  Tatsache  (eigentlich  sind  es  mehrere) 
ist  aus  der  Statistik  des  Königreichs  Preußen 
sowie  vier  ausgewählter  Provinzen  (Hannover, 
Hessen-Nassau,  Schlesien  und  Westpreußen) 
für  die  Jahre  1876—1895  in  der  Art  ge- 
wonnen worden,  daß  die  Diphtheriesterblich- 
keit einer  jeden  Jahresgeneration  bis  zum 
vollendeten  5.  Lebensjahre  berechnet  wird. 
Dieselbe  schwankt  für  das  Königreich  Preußen 
zwischen  1,82  und  4,17  Proz.,  für  Hannover 
zwischen  1,7  uitd  2,8  Proz.,  für  Hessen- 
Nassau  zwischen  2,1  und  3,7  Proz.,  für 
Schlesien  zwischen  2,7  und  4,6  Proz.  und 
für  Westpreußen  zwischen  1,8  und  8,3  Proz. 

Nehmen  wir  vorderhawfr  mit  Gottstein 
an,  daß  aus  der  Höhe  der  Diphtheriesterb- 
lichkeit einer  Provinz  oder  eines  Königreichs 
die  Diphtherieempfänglichkeit  der  Neuge- 
borenen der  ganzen  Provinz  oder  des  ganzen 
Königreiches  berechnet  werden  kann,  so  be- 
dürfen doch  die  Prozentzahlen  Gottsteins 
einer  Korrektur.  Gottstein  berechnet  näm- 
lich die  Höhe  der  Diphtherieempfänglichkeit 
aus  der  Zahl  der  an  Diphtherie  Verstorbenen. 
Er  sagt:  „Wenn  von  10000  Lebenden  des 
ersten  Lebensjahres  im  Jahre  1875  beispiels- 
weise 100   der  Diphtherie   erlegen    sind,    so 


510 


Rot«nfeld,  Dlphth«rie«pid«ini«n  und  Dlphth«rl+ompf&ngllchfc«tt. 


rTherapeutbche 
L   Monaffreft». 


bleiben  9900  übrig;  tob  10000  Lebenden 
des  Jahres  1876  im  Alter  von  1 — 2  Jahren 
erlagen  z.  B.  150,  dann  sind  am  Ende  des 
Jahres  1876  noch  übrig  9900  mal  9850 
durch  10000"  u.  s.  w.  bis  zum  vollendeten 
5.  Lebensjahre.  6 Otts t ein  berechnet  also 
die  Diphtherieempfänglichkeit  etwa  so,  wie 
man  die  Lebenswahrscheinlichkeit  aus  der 
Absterbeordnung  berechnet.  Dieser  Vergleich 
deckt  die  Schwäche  der  O  ottstein  sehen 
Berechnung  auf.  Die  Lebenswahrscheinlich- 
keit kann  man  aus  der  Absterbeordnung  be- 
rechnen (eigentlich  sind  beides  nur  ver- 
schiedene Darstellungen  derselben  Tatsache), 
weil  tatsächlich  alle  aus  dem  Leben  Ge- 
schiedenen mitgezählt  werden.  Die  Diph- 
therieabsterbeordnung nach  Gottstein  gibt 
aber  nur  die  relative  Anzahl  der  an  Diph- 
therie Verstorbenen  wieder.  Diese  aber  bilden 
nur  einen  geringen  Bruchteil  aller  Verstor- 
benen dieser  Generation ;  über  die  Diphtherie- 
empfänglichkeit  der  an  anderen  Krankheiten 
Verstorbenen  erfahren  wir  eigentlich  doch 
nichts.  Wer  wollte  sagen,  daß  die  an  an- 
geborener Leben sschwäche,  an  Magendarm- 
katarrh, an  Bronchialkatarrh  und  Lungenent- 
zündung im  ersten  Lebensjahre  Verstorbenen 
diphtherieimmun  waren,  weil  sie  nicht  an 
Diphtherie  gestorben? 

Wie  die  Vernachlässigung  dieser  Tatsache 
einfach  rechnerisch  wirkt,  sei  an  einem  Bei- 
spiel gezeigt,  in  welchem  der  Bequemlichkeit 
wegen  die  Diphtheriesterblichkeit  für  jedes 
Lebensjahr  bis  zum  vollendeten  fünften  mit 
1  Proz.  angesetzt  wird;  was  für  diesen  Fall 
gilt,  gilt  auch  mutatis  mutandis  für  jede 
andere  Höhe  der  Diphtheriesterblichkeit.  Ich 
zeige  also,  wie  sich  bei  gleicher  Diphtherie- 
empfänglichkeit die  Zahl  der  von  10000  Neu- 
geborenen an  Diphtherie  Verstorbenen  nach 
Gott  stein  und  in  Wirklichkeit  verhält,  wo- 
bei ich  als  Absterbeverhältnis  ungefähr  mich 
an  die  Daten  Block-Scheels  für  Preußen 
während  1866—1875  halte. 


nach  Gottsteln 

iu  Wirklichkeit 

Lebens- 

jahr 

an  Diph- 

an Diph- 

überlebend 

therie 

überlebend 

therie 

gestorben 

gestorben 

m 
0 

10000 

_ 

10  000 

1 

9900 

100 

7900 

100 

2 

9  801 

99 

7  300 

79 

3 

9  703 

98 

7000 

73 

4 

9606 

97 

6800 

70 

5 

9  510 

96 

6  700 

68 

• 

Bei  faktisch  gleicher  Diphtheriesterblich- 
keit erlagen  also  bis  zum  vollendeten  fünften 
Lebensjahre  in  Wirklichkeit  3,9  Proz.,  nach 
der  6  ottstein  sehen  Berechnung  jedoch 
4,9  Proz.  der  Neugeborenen.    Die  Differenz, 


ungefähr  20  Proz.  der  Gottstein  sehen  Zahl, 
entspricht  der  allgemeinen  Sterblichkeit  ver- 
mindert um  die  Diphtheriesterblichkeit. 

Diese  kleine  rechnerische  Korrektur,  die 
ich  nur  deswegen  erwähnt  habe,  weil  sich 
Gottstein  stets  als  genauen  Statistiker  gibt, 
nur  nebenbei.  Hauptsache  ist,  daß  von 
zwanzig  Prozent  des  Beobachtungs- 
materiales  man  keine  Aussage  bezüg- 
lich der  Diphtherieempfänglichkeit 
oder  Diphtherieimmunität  machen 
kann.  Da  ist  es  nun  wohl  ausgemacht,  daß 
die  Prozentzahlen  Gottsteins  nur  einen  sehr 
fraglichen  Grad  von  Zuverlässigkeit  bean- 
spruchen. 

Es  ist  nämlich  von  vorneherein  viel 
wahrscheinlicher,  daß  die  aus  anderen  Ursachen 
in  den  ersten  Lebensjahren  Verstorbenen, 
wenn  sie  in  die  Lage  gekommen  wären,  dem 
Diphtheriekontagium  ausgesetzt  zu  sein,  eine 
weit  höhere  Diphtheriesterblichkeit  gezeigt 
hätten,  als  nach  der  Gottstein  sehen  Berech- 
nungsart  den  Kindern  bis  zum  vollendeten 
5.  Lebensjahre  zukommt.  Denken  wir  z.  B. 
nur  an  jene  Tausende  von  Kindern,  welche 
in  den  ersten  Lebensmonaten  an  Lebens- 
schwäche sterben.  Dem  Diphtheriekontagium 
ausgesetzt,  würde  wirklich  nur  1  Proz.  von 
ihnen  an  Diphtherie  sterben?  Oder  die 
Sterblichkeit  bis  zu  5  Jahren  zugrunde 
gelegt,  nur  4  Proz.  ?  Sollten  wirklich  96  Pro*, 
von  ihnen  diphtherieimmun  sein  ?  Entscheiden 
läßt  es  sich  nicht,  aber  glaubwürdig  erscheint 
es  keineswegs.  Denn  daß  wirklich  „nur  ein 
geringer  Bruchteil  hochempfänglicher  Indivi- 
duen durch  besondere  Zufälle  dem  erforder- 
lichen Kontakt  mit  der  Seuche  entrinnen 
mag",  ist  nichts  anderes,  als  eine  durch 
nichts  bewiesene  Hypothese,  die  durch  später 
vorzubringende  statistische  Tatsachen  haltlos 
erscheint. 

Dem  „durch  besondere  Zufalle a  erfolgten 
Ausfall  an  Diphtherietoten  würde  nach  Gott- 
stein  dadurch  kompensatorisch  entgegen- 
gewirkt werden,  daß  „ein  Teil  der  Diphtherie- 
todesfälle nicht  auf  Rechnung  angeborener 
Anlagen,  sondern  erworbener  sozialhygienisch 
ungünstiger  Außenverhältnisse  und  anderer 
vorausgegangener  Krankheiten  kommt".  Das 
ist  wohl'  richtig,  hat  aber  gar  nichts  mit  der 
Sache  zu  tun.  Wenn  rhachitische  Kinder 
bei  der  Erkrankung  an  Masern  schlechtere 
Prognose  haben,  so  wird  man  doch  selbst- 
verständlich die  Maserntodesfälle  derselben 
auf  das  statistische  Konto  der  Masern  und 
nicht  der  Rhachitis  setzen.  Überhaupt,  wie 
will  Gottstein  entscheiden,  ob  eine  Infek- 
tionskrankheit bei  dem  einen  oder  anderen 
Individuum  auf  angeborener  oder  erworbener 
Anlage  beruht?     Wir  können  nur  das  Vor- 


XIX.  Jafcrgaaf.1 
Oktober  1906.  J 


RQt«nf«14,  Dlphth«rie«pld«mi*n  und  DiphttMri««mpfltaflleh]c«it. 


511 


handensein  der  Disposition  feststellen,  aber 
nur  ausnahmsweise  ihre  angeborene  oder  er- 
worbene Natur. 

Aber  selbst  wenn  wir  in  jedem  Falle 
unterscheiden  konnten,  ob  der  Diphtherietod 
auf  angeborene  oder  erworbene  Anlage  zurück- 
zuführen ist,  wurde  dies  gar  nichts  an  der 
Tatsache  ändern,  daß  der  Todesfall  nach 
Akquisition  von  Diphtherie  aufgetreten  ist. 
Und  darum,  um  die  Diphtherieerkrankung, 
nicht  um  den  Diphtherietodesfall  handelt  es 
sich.  Die  Immunität  gegen  eine  Infek- 
tionskrankheit wird  nicht  dadurch 
charakterisiert,  daß  man  der  Krank- 
heit nicht  erliegt,  sondern  daß  man 
überhaupt  nicht  erkrankt.  Darum  war 
die  Bemerkung  Gottsteins  bezüglich  der 
Kompensation  zwecklos.  Daß  er  sie  machte, 
ist  begreiflich.  Denn  im  Momente,  wo  er 
die  Immunität  aus  den  Todesfällen  und  nicht 
aus  den  Krankheitsfällen  bestimmte,  war  er 
der  Versuchung  ausgesetzt,  die  Wertigkeit 
der  Todesfälle  abzuschätzen. 

Es  ist  zwar  richtig,  daß  die  Statistik  der 
Diphtherietodesfalle,  wenn  auch  nicht  absolut 
zuverlässig,  doch  weit  zuverlässiger  ist  als 
die  Statistik  der  Diphtherieerkrankungen, 
gegen  deren  Verwendung  überdies  noch  zum 
Teile  ortlicher,  zum  Teile  zeitlicher  Mangel 
sprach.  Aber  damit,  daß  die  eine  Statistik 
zuverlässiger  ist  als  die  andere,  ist  noch 
nicht  gestattet,  die  eine  Statistik  an  die 
Stelle  der  anderen  zu  setzen.  Denn  das 
muß  aufs  schärfste  betont  werden,  daß  für 
die  Immunitätsfrage  nicht  die  Todesfall-, 
sondern  die  Krankheitsstatistik  maßgebend 
ist.  Dadurch,  daß  Gottstein  die  erstere 
benutzte,  hat  er  die  Diphtherieimmunität  be- 
deutend kl  einer a  als  sie  wirklich  ist,  berechnet. 
Diesem  Fehler  hätte  Gottstein  auch 
nicht  dadurch  begegnen  können,  daß  er  bei 
der  Benutzung  der  Diphtheriemortalität  auch 
die  Diphtherieletalität  in  Betracht  gezogen 
hätte.  Ist  es  doch  eine  bekannte  Tatsache, 
daß  die  Letalität  der  Diphtherie  für  jedes 
Lebensalter  Jahr  für  Jahr  wechseln  kann, 
und  daß  oft  sehr  beträchtliche  Schwankungen 
vorkommen.  Wir  kommen  daher  stets  wieder 
zu  dem  Schlüsse,  daß  die  Diphtheriesterb- 
lichkeit für  die  zahlenmäßige  Bestimmung 
der  Diphtherieimmunität  unverwendbar  ist. 
Demnach  ist  der  Boden,  auf  welchem 
Gottstein  seine  Tatsachen  aufbaut, 
alles  andere  eher  als  fest. 

Betrachten  wir  nun  einen  anderen  Punkt. 
Gottstein  leitet  sein  Gesetz  der  Diph- 
therieepidemien aus  der  Statistik  Preußens 
her.  Das  ist  aber  nur  die  Statistik  eines 
einzigen  Landes.  Folgerichtig  hätte  Gott- 
stein   nur    das  Recht,    sein  Epidemiegesetz 


nicht  als  Epidemiegesetz  schlechtweg,  son- 
dern als  Epidemiegesetz  Preußens  zu  be- 
zeichnen. Insolange  seine  Geltung  für  andere 
Länder  nicht  ebenfalls  nachgewiesen  würde, 
würde  es  den  allgemeinen  Titel  nicht  be- 
anspruchen dürfen.  Daran  ändert  die  Tat- 
sache nichts,  daß  das  Gesetz  nicht  bloß  für 
ganz  Preußen,  sondern  auch  speziell  für  aus- 
gewählte vier  seiner  Provinzen  gilt.  Denn  es 
ist  nur  allzubekannt,  wie  gerade  die  sog. 
Epidemiegesetze  narren.  Kaum  wird  ein 
Vorkommnis  für  vier  oder  fünf  Orte  als 
identisch  konstatiert  und  dasselbe  zur  Würde 
eines  Gesetzes  erhoben,  wird  für  einen 
sechsten  Ort  sein  Nichtzutreffen  festgestellt. 
Und  dies  auch  bei  der  epidemiologischen 
Seite  der  Immunität.  Ich  erinnere  nur  an 
die  Masern.  Wollte  man  aus  dem  Umstände, 
daß  sie  in  fast  allen  Ländern,  welche  über 
Masernstatistik  verfugen,  jenseits  der  Pubertät 
selten  vorkommen,  folgern,  daß  das  Reife- 
alter als  solches  masernimmun  sei,  würde 
man  gründlich  irren,  wie  das  Beispiel  der 
Faroeer  oder  einiger  Südseeinseln  lehrte. 
Diese  Beispiele  lehrten,  daß  in  den  Kultur- 
ländern jenseits  der  Pubertät  Masern  nur 
deswegen  selten  vorkommen,  weil  ihr  Über- 
stehen im  Kindesalter  Immunität  gewährt. 

Der  in  obigem  enthaltene  Einwand  hat 
für  die  Diphtherie  um  so  mehr  Geltung,  als 
wir  tatsächlich  aus  den  Berichten  anderer 
Autoren  über  Diphtherieepidemien  wissen, 
daß  die  Diphtherieimmunität  eines  lokal  um- 
grenzten Bevölkerungskomplexes  eine  ganz 
erheblich  niedrigere  ist  als  Gott  st  ein  so 
im  allgemeinen  hinstellt.  Es  fällt  mir  nicht 
ein,  die  weitläufige  Diphtherieliteratur,  so- 
weit sie  darauf  bezüglich,  hier  ausfuhrlich 
wiederzugeben.  Ich  begnüge  mich  vielmehr 
nur  mit  zwei  bis  drei  —  allerdings  charak- 
teristischen —  Ausführungen. 

Im  Süden  Rußlands  ist  die  Diphtherie 
epidemisch.  Filatow  (Zur  Epidemiologie 
der  Diphtherie  im  Süden  Rußlands.  Jahr- 
buch für  Kinderheilkunde.  Neue  Folge. 
39.  Band),  welcher  Auszüge  aus  den  Be- 
richten der  russischen  Ärzte  hierüber  in 
kritischer  Sichtung  wiedergibt,  scheint  der 
Meinung  zu  sein,  daß  dies  erst  seit  dem 
Krimkriege  der  Fall  ist.  In  vielen  Bezirken 
starben  12  — 16  pro  mille  der  Bevölkerung. 
Diese  Sterbeziffer  betrifft  Bezirke,  in  welchen 
auch  Gegenden  mit  keiner  oder  nur  mit 
geringer  Epidemie  inbegriffen  sind.  Sie  ist 
daher  nicht  geeignet,  ein  wahres  Bild  der 
Diphtherieempfänglichkeit  zu  entwerfen.  Dazu 
bedarf  es  der  Zahlen  über  die  Ausbreitung 
der  Epidemie  in  einzelnen  Ortschaften.  Hier 
einige  dieser  Zahlen.  Im  Jahre  1876  er- 
krankten   von    den    9740    Einwohnern    von 

39* 


512 


Roten feld,  Diphtheriecpldemleii  und  D tphth er icempflo glich keit. 


rThertpentlsch« 
L   Monatshefte. 


Ssaratschinzy  2710  =  28  Proz.  an  Diph- 
therie und  starben  770  =  7,9  Proz.;  wäh- 
rend der  4  Jahre  langen  Dauer  der  Epidemie 
erkrankten  überhaupt  3284  und  starben  1009. 
In  Sujewzy  erkrankten  im  Jahre  1877  yon 
den  3387  Einwohnern  482  =  14,2  Proz. 
und  starben  291  =  8,6  Proz.,  während  aller 
4  Jahre  erkrankten  1012  und  starben  519. 
Da  sich  die  Zahlen  für  beide  Ortschaften 
auf  die  Gesamtbevölkerung  beziehen,  die 
Diphtherie  aber  hauptsächlich  die  Kinder 
befiel,  so  ist  deren  Diphtherieempfänglichkeit 
eine  weit  höhere  als  aus  den  Verhältniszahlen 
zu  schließen  ist. 

Dies  ersehen  wir  tatsächlich  aus  anderen 
Angaben  Filatows.  So  soll  nach  den  Be- 
obachtungen Ksensenkos,  welche  sich  auf 
vier  Dörfer  beziehen,  die  Morbidität  daselbst 
für  das  Alter  bis  zu  4  Jahren  43,4  Proz., 
für  das  Alter  von  5—9  Jahren  59,7  Proz., 
für  das  Alter  von  10—14  Jahren  sogar 
71,9  Proz.,  für  das  Alter  von  15—19  Jahren 
auch  noch  50,2  Proz.  betragen  haben.  Aus 
diesen  Angaben  ersehen  wir  noch  eines:  Daß 
nämlich  nicht  wie  in  Preußen  (und  Preußen 
gleicht  in  dieser  Beziehung  dem  übrigen 
Deutschland,  Österreich,  Frankreich,  England, 
Italien  etc.)  bei  den  Diphtherieepidemien 
Südrußlands  die  Lebensjahre  nach  15  ziemlich 
diphtherieimmun  sind.  Im  Gegenteile  finden 
wir  hier  Verhältnisse,  die  uns  an  die  beiden 
Masernepidemien  der  Faroeer  gemahnen. 

Einige  russische  Ärzte  und  mit  ihnen 
Filatow  glauben  aber  mit  obigen  Daten,  so 
hoch  sie  auch  sind,  noch  immer  nicht  die 
Höhe  der  Diphtherieempfänglichkeit  bestimmt 
zu  haben.  Um  diese  mit  Sicherheit  festzu- 
stellen, ist  es  nach  ihrer  Meinung  notwendig, 
die  Zahl  der  Kranken  nicht  ins  Verhältnis 
zur  Gesamtzahl  der  Bevölkerung,  sondern 
zur  Zahl  der  in  den  infizierten  Häusern  be- 
findlichen Personen  zu  setzen.  Nur  so  sei 
man  sicher,  daß  die  in  Rechnung  gezogenen 
Personen  auch  wirklich  und  noch  dazu  aus- 
giebig dem  Diphtheriekontagium  ausgesetzt 
gewesen  seien.  So  erkrankten  an  Diphtherie 
nach  Tschenykajew  in  Byk  von  150  bis 
15  Jahre  alten  Kindern  40  infizierter  Häuser 
91  =  60  Proz.,  in  139  Gesinden  des  Schtschi- 
gro wachen  Kreises  mit  551  Kindern  274  = 
49,7  Proz.,  nach  Untit  in  1066  infizierten 
Gesinden  mit  3379 Kindern  1344  =  40,2  Proz., 
wovon  546  =  16,7  Proz.  starben,  u.  s.  w. 
Daß  man  bei  obigen  Daten,  wo  es  sich  um 
halbe  Ortschaften  handelt,  nur  etwa  an 
Familiendisposition  denkt,  mag  ja  geschehen; 
aber  ihr  Eingreifen  erscheint  dabei  sehr  un- 
wahrscheinlich. Aber  selbst  wenn  sie,  wenn 
auch  vielleicht  nur  zum  Teile,  bestanden 
hätte,    so   ist   doch    zu   bedenken,    daß  z.  B. 


in  Byk  die  Zahl  der  3 — 5jährigen  Diph- 
theriekranken 38,4  Proz.  aller  gleichaltrigen 
Kinder  der  Ortschaft  betrug,  und  daß  wir 
anderwärts  gleich  hohe,  ja  sogar  noch  höhere 
Morbiditätszahlen  vorfinden.  Wir  können 
daher  schon  jetzt  behaupten,  daß  die  An- 
gabe Gottsteins  über  die  enorme  Höhe 
der  Diphtherieimmunität  keinen  An- 
spruch auf  allgemeine  Gültigkeit  hat. 
Jedenfalls  nicht  für  Südrußland,  wo  in  in- 
fizierten Häusern  sogar  nach  Karamenko 
87  Proz.  und  nach  Stelmachowitsch 
91,8  Proz.  der  Kinder  Diphtheriedisposition 
aufweisen. 

Ahnliches  wie  in  Südrußland  finden  wir 
auch  manchmal  sogar  in  Deutschland  oder 
der  Schweiz.  Nachdem  ich  bei  Rußland  so 
ausführlich  war,  kann  ich  mich  hier  kurz 
fassen.  So  z.  B.  beschrieb  Hensgen  eine 
Diphtheritisepidemie,  welche  in  Neustadt  am 
Berg  vom  September  1875—1876  von  1250 
Einwohnern  213,  also  ein  Sechstel,  befiel; 
Langfei  dt  sah  in  der  Zeit  vom  1.  Mai  1892 
bis  4.  März  1893  in  einem  abgelegenen  Orte 
von  145  Kindern  in  68  Haushaltungen  130 
von  Diphtherie  befallen  werden,  darunter  76 
von  80  beim  Unterrichte  anwesenden  Schülern ; 
die  Diphtherieepidemie  in  Kerzers  lieferte 
ähnliche  Resultate;  u.  s.  w. 

Wir  kommen  demnach  zu  dem  unab- 
weislichen  Schlüsse,  daß  die  von  Gottstein 
angegebene  geringe  Variation  der  Generation 
hinsichtlich  der  angeborenen  Diphtherieim- 
munität wohl  auch  nicht  überall  der  Wirk- 
lichkeit entspricht,  weil  die  von  Gottstein 
angegebene  untere  Immunitätsgrenze  noch 
immer  zu  hoch  gegriffen  ist. 

Gottstein  könnte  dies  übrigens  ruhig 
zugeben  und  doch  auf  seinem  Standpunkt 
beharren.  Er  könnte  sagen  —  ob  er  dies 
tut,  weiß  ich  natürlich  nicht  — ,  daß  er  bei 
seinen  Aufstellungen  nur  an  größere  Gebiets- 
komplexe sich  habe  halten  müssen,  um  nicht 
durch  singulare  Ausnahmen  jm  Urteil  beirrt 
zu  werden,  und  daß  nur  für  größere  Kom- 
plexe seine  Behauptungen  gelten.  Damit 
sind  wir  wieder  bei  einem  Punkte  angelangt, 
der  ausführlicher  erörtert  werden  muß.  Strittig 
ist  die  Sache  jedenfalls;  lesen  wir  ja  doch 
gerade  in  dem  Filatowschen  Aufsatze  die 
Ansicht,  daß,  wer  sich  über  den  zeitlichen 
Gang  der  Diphtherieepidemien  orientieren 
will,  nicht  ihr  Herrschen  in  ganzen  Provinzen 
beobachten  soll,  weil  er  so  ein  ganz  falsches 
Bild  bekommt.  Hat  ja  übrigens  auch  Gotfc- 
stein  einmal  es  für  notwendig  erklärt,  zur 
Beurteilung  der  Diphtheriesterblichkeit  eines 
Jahres  dasselbe  wenigstens  in  Jahreszeiten 
zu  zerlegen,  um  nicht  durch  Kompensation 
I  getäuscht    zu    werden.      Sollte    Gott  st  ein, 


XIX-  Jahrgang.! 
Oktober  ltf05.  J 


Rot«nf«ld,  Dlphtherie«pid«al«ii  und  Dlphtherieempfingllchkelt. 


513. 


was  er  bei  dem  zeitlichen  Gang  der  Epide- 
mien für  notwendig  hält,  bei  ihrer  ortlichen 
Ausbreitung  für  unnötig  erklären? 

Es  ist  aber  nötig.  "Wird  die  Diphtherie- 
sterblichkeit einer  ganzen  Provinz  in  toto 
Gegenstand  der  Beobachtung,  so  sind  Gegenden 
verschiedenen  Diphtheriecharakters  vereinigt. 
Wir  haben  darin  Städte,  wo  jahrein,  jahr- 
aus Diphtherietodeftfälle  vorkommen,  wo  also 
die  Möglichkeit  der  Ansteckung  für  die  ganze 
Stadtbevölkerung  immer  vorhanden  ist,  dann 
wieder  Ortschaften,  oft  sehr  abgelegene,  wo 
man  Jahre  hindurch  fast  mit  Sicherheit  das 
Nichtvorhandensein  des  Diphtheriegiftes  kon- 
statieren kann,  Ortschaften,  wo  aber  während 
der  Beobachtungszeit  doch  Diphtheriekeime 
das  eine-  oder  andremal  Zugang  finden,  und 
darunter  wieder  Ortschaften,  wohin  die  Diph- 
therie erst  nach  Jahrzehnten  wieder  oder 
überhaupt  zum  erstenmal  e  gelangt  ist.  Der 
Anteil,  den  alle  diese  Ortschaftskategorien  an 
der  gesamten  Diphtheriesterblichkeit  haben, 
wechselt  von  Jahr  zu  Jahr.  Dieser  wech- 
selnde Anteil  wird  aber  bei  der  Berechnung 
der  Diphtheriesterblichkeit  der  ganzen  Pro- 
vinz nicht  berücksichtigt.  Nun  liegt  aber 
die  Vermutung  sehr  nahe,  daß  —  analog 
wie  die  Masern  —  die  Diphtherie  anders 
um  sich  greift  in  Ortschaften,  wo  sie  eigent- 
lich nie  erlischt,  anders  wieder  in  Ortschaften, 
wo  sie  bis  dahin  ganz  oder  fast  ganz  un- 
bekannt war.  Diese  Vermutung  erhält  an 
den  früher  mitgeteilten  epidemiologischen 
Tatsachen  eine  starke  Stütze.  Sahen  wir 
doch,  daß  z.  B.  die  südrussischen  Epidemien, 
gleichsam  der  Typus  frisch  einbrechender 
Epidemien,  nicht  bloß  eine  sehr  geringe  Diph- 
therieimmunität bei  den  Kindern,  sondern 
auch  eine  keineswegs  hohe  bei  den  Erwach- 
senen vorfanden. 

Daraus  folgt,  daß  man  —  wenigstens 
vorderhand,  solange  diese  Verhältnisse  für 
Preußen  noch  nicht  studiert  sind  —  beim 
Studium  und  der  Erforschung  von 
Epidemiegesetzen  strenge  dieGegenden 
mit  konstanter  Möglichkeit  der  An- 
steckung von  den  Gegenden  mit  vor- 
übergeh e  n  der  Ansteckungsgefahr 
scheiden  muß.  Gottstein  hätte  also  die 
Pflicht  gehabt,  sein  Epidemiegesetz  demgemäß 
zu  erforschen.  Nun  ist  es  wohl  noch  nicht 
recht  möglich,  es  für  Gegenden  mit  vorüber- 
gehender Ansteckungsmöglichkeit  zu  studieren. 
Wohl  aber  wissen  wir  aus  der  Bevölkerungs- 
statistik, daß  eine  Reihe  von  Städten  kein 
Jahr  ohne  Diphtherietodesfall  bleiben.  Gott- 
Btein  hätte  also  für  diese  Städte  gesondert 
das  Gesetz  erforschen  sollen.  Er  tat  es  nicht. 
Hätte  er  es  aber  getan,  hätte  er  hier  das- 
selbe Gesetz  wie  jetzt  für  die  ganze  Provinz 


in  Geltung  gefunden,  dann  hätte  er  das  Recht 
gehabt,  von  einem  Epidemiegesetze  zusprechen, 
aber  auch  nur  von  einem  Gesetze  der  Diph- 
therieepidemien in  nie  diphtheriefreien  Ge- 
genden. 

In  Gegenden,  wo  Diphtherie  heimisch  ist, 
ist  das  Vorkommen  von  Diphtheriebazillen 
im  Menschen  durch  die  Zahl  der  Erkran- 
kungsfälle nicht  vollständig  charakterisiert; 
denn  bekanntlich  wurden  sehr  oft  Löfflersche 
Bazillen  in  der  Mundhöhle  Gesunder  gefunden. 
Daß  sie  daselbst  nur  als  ganz  wirkungslose 
Bewohner  hausen,  ist  so  lange  doch  nur  als 
zum  Teil  bewiesen  zu  erachten,  als  nicht 
auch  das  Vorkommen  jener  leichten  Hals- 
entzündungen ausgeschlossen  werden  kann, 
bei  denen  die  Anrufung  ärztlicher  Hilfe  nicht 
als  ausnahmslose  Regel  gilt.  Diese  leichten 
Entzündungen  genügen  aber  meiner  Meinung 
nach,  um  erworbene  Immunität  zu  hinter- 
lassen. 

Auf  diese  Art  mag  es  sich  vielleicht  er- 
klären, daß  die  Diphtherie,  wenn  sie  in  bisher 
von  ihr  verschonte  Gebiete  einbricht,  nicht 
bloß  unter  den  Kindern  wütet,  sondern  auch 
Erwachsene  in  nennenswerter  Zahl  befällt. 
Finden  wir  nun  umgekehrt  eine  relativ  stärkere 
Beteiligung  Erwachsener  an  der  Diphtherie, 
so  liegt  der  Schluß  nahe,  daß  es  sich  viel- 
leicht um  Diphtheriefälle  in  Gegenden  handelt, 
die  bisher  unter  dieser  Seuche  weniger  zu 
leiden  hatten. 

Nun  führt  Gott  stein  tatsächlich  den 
Nachweis,  daß  die  Erwachsenen  gegenwärtig 
stärker  als  vor  dreißig  Jahren  von  Diphtherie 
heimgesucht  werden,  was  er  damit  erklärt, 
daß  sie  eben  zu  jenen  früheren  diphtherie- 
empfänglicheren Generationen  gehören.  Die 
Richtigkeit  der  Tatsache  kann  man  zugeben, 
ohne  an  die  Gottsteinsche  Erklärung  zu 
glauben.  Es  ist  eine,  von  Gottstein  oft 
genug  hervorgehobene  Tatsache,  daß  die 
Diphtherie,  insbesondere  in  den  Städten,  in 
Abnahme  ist.  Worauf  diese  Abnahme  be- 
^ht,  ob  auf  der  "Wirkung  der  prophylak- 
tischen Maßnahmen,  wie  die  einen  sagen,  ob 
auf  rein  epidemiologischen  Vorgängen,  wie  die 
anderen  sagen,  ist  vorderhand  für  uns  gleich- 
gültig. Genug,  die  Diphtherie  nimmt  gegen- 
wärtig in  den  Städten  Preußens  (die  Städte 
anderer  Länder  schließe  ich  damit  nicht  aus) 
ab.  Die  Städte  werden  demnach  auf  die 
Diphtheriesterblichkeit  einer  Provinz  voraus- 
sichtlich von  geringerem  Einflüsse  sein,  es 
wird  sich  die  Gestalt  der  Diphtherieepidemien 
immer  mehr  von  der  Gestalt  der  Diphtherie- 
epidemien in  diphtherieheimischen  Gegenden 
entfernen.  Allerdings  muß,  was  für  Gott- 
stein spricht,  hervorgehoben  werden,  daß 
die  Altersverteilung  der  Diphtherietodesfälle 


.614 


Rotftüfftld,  Diphth«riMpld«ml«B  und  Diphthari*«mpflngllchkelt. 


re 


in  den  preußischen  Stadtgemeinden  nicht 
von  denen  in  den  Landgemeinden  sich  unter- 
scheidet. So  kamen  in  den  Jahren  1891 
bis  1900  auf  das  Alter  nach  dem  10.  Lebens- 
jahre in  jenen  5,5,  in  diesen  5,3  Proz.  aller 
Diphtherietodesfalle.  Ich  glaube  jedoch,  daß 
es  nicht  im  Gottstein  sehen  Sinne  gehandelt 
wäre,  die  Durchschnittsdaten  für  ein  ganzes 
Jahrzehnt,  in  welchem  Jahre  mit  ansteigender 
Diphtheriesterblichkeit  und  Jahre  mit  ab- 
nehmender Diphtheriesterblichkeit  vereinigt 
sind,  als  Beweismittel  für  die  Zuverlässig- 
keit seiner  Deduktionen  anzuführen.  Jeden- 
falls steht  die  Sache  so,  daß  die  Möglichkeit 
gegeben  ist,  daß  die  Tatsache  der  gegen- 
wärtig stärkeren  Diphtheriesterblichkeit  nach 
beginnender  Pubertät  auch  anders,  als  es 
Gottstein  tut,  erklärt  werden  kann.  Pflicht 
desjenigen,  der  eine  Hypothese  aufstellt,  ist 
es,  alle  anderen  Deutungen  der  von  ihm  vor- 
gebrachten Tatsachen  auszuschließen.  In  obigem 
Falle  ist  Gottstein  dieser  Pflicht  nicht  nach- 
gekommen. 

Ich  kann  mir  wohl  vorstellen,  durch 
welchen  Gedankengang  Gottstein  gleichsam 
zur  Idee  gedrängt  wurde,  daß  jeder  Geburten- 
jahrgang mit  verschiedener  Diphtherieimmu- 
nität behaftet  ist.  Für  Gottstein  haben 
die  Diphtheritisepidemien  einen  langjährigen, 
ungefähr  dreißigjährigen  Zyklus,  für  die  süd- 
russischen Ärzte  allerdings  einen  anderen. 
Da  die  Dauer  dieses  Zyklus  ungefähr  mit 
der  durchschnittlichen  Lebensdauer  einer  Ge- 
neration sich  deckt,  drängte  sich  der  Ge- 
danke des  Zusammenhanges  beider  auf. 

Nach  Gottstein  folgen  also  auf  sehr 
diphtherieempfängliche  Generationen  stets 
minder  empfängliche,  bis  ein  Minimumpunkt 
erreicht  ist;  dann  geht  es  wohl  wieder  auf- 
wärts. Die  Diphtherieempfänglichkeit  der 
Generation  wird  durch  das  Geburtsjahr 
charakterisiert.  Nachdem  ich  dies  gelesen 
und  abermals  gelesen,  sagte  ich  mir:  Also 
die  Diphtherieempfänglichkeit  hängt  mit  dem 
Geburtsjahre  zusammen.  Gleichgültig,  ob 
einer  in  der  Hauptstadt,  wo  seine  Vorfahren 
schon  lange  wohnten,  oder  in  einem  abge- 
legenen "Winkel,  wo  es  fast  nur  Heiraten 
durch  Inzucht  gibt,  geboren  wird,  wenn  er 
nur  in  demselben  Jahre  geboren  wird,  hat 
er  dieselbe  relative  Hohe  der  Diphtherie- 
immunität. Und  die  Eltern  dieser  Kinder! 
Sie  verschaffen  ihren  Kindern  die  höchste 
Diphtherieimmunität,  weil  sie  sie  just  zu 
einer  Zeit  zeugten,  daß  die  Geburt  gerade 
in  das  richtige  Jahr  fiel.  Ihren  anderen 
Kindern,  wenn  sie  sie  auch  nur  um  ein  Jahr 
früher  oder  später  zeugten,  konnten  sie  schon 
nur  mehr  eine  niedrigere  Immunität  auf  den 
Weg  mitgeben.    Alles  andere,  von  dem  man 


sonst  behauptet  hat,  daß  es  für  die  Nach- 
kommenschaft von  Belang  wäre,  ist  ganz 
belanglos  gegenüber  der  Geburtszeit.  Wer 
in  dem  betreffenden  Jahre  geboren  wird, 
macht  einen  Immunitätshaupttreffer,  ungefähr 
wie  alle  am  Geburtstage  eines  langersehnten 
Thronfolgers  geborenen  Kinder  vom  erfreuten 
Monarchenvater  ein  Geschenk  bekommen. 
Nein,  so  etwas  kann  man  nicht  glauben. 

Und  doch  hat  es  Gottstein  behauptet 
Er  spricht  von  der  hohen  Diphtherieimmu- 
nität eines  Geburtenjahrganges,  ohne  zu  sagen, 
woher  sie  rührt.  Er  sagt  nicht  von  ihr,  daß 
sie  erworben  ist,  also  hält  er  sie  für  ange- 
boren. Ist  sie  aber  angeboren,  so  ist  sie 
ein  Erbstück  von  Seiten  der  Eltern.  Es  klingt 
aber  ganz  unglaublich,  daß  alle  Eltern  einer 
Provinz  just  in  demselben  Jahre  die  höchste 
vererbbare  Diphtherieimmunität  besitzen.  Es 
klingt  unglaublich,  daß  eine  bestehende 
Familiendisposition  oder  Familienimmunität 
ganz  unabhängig  vom  Zeitpunkte  der  Er- 
werbung sich  je  nach  der  Jahreszahl  nach 
Christi  Geburt,  die  wir  schreiben,  abändern 
solle,  ja  sogar  ganz  verschwinden  kann,  um 
sodann  wiederzukehren. 

Ja  aber  die  Zahlen  sprechen  doch  dafür. 
Gottstein  führt  doch  eine  Statistik  vor, 
aus  der  doch  tatsächlich,  wie  er  sagt,  her- 
vorgeht, daß  einer  hohen  Diphtheriesterblich- 
keit der  Erstjährigen  im  nächsten  Jahre 
eine  hohe  Diphtheriesterblichkeit  der  Zwei- 
jährigen, im  zweitfolgenden  Jahre  der  Drei- 
jährigen u.  8.  w.  entspricht.  Nun,  Zahlen 
wurde  schon  oft  Gewalt  angetan.  Sehen  wir 
uns  die  in  einem  Punkte  gekünstelte  Statistik 
Gott steins  daher  etwas  genauer  an. 

Ein  Teil  dieser  Statistik  für  ganz  Preußen 
lautet: 

Jahr  0—1  Jahr    1-»  Jahr    S-3  Jahr 

1876 122,6  102,2  98,6 

1877 111,7  106,0  105,9 

1878 110,4  100,1  105,7 

1879 112,8  100,0  100,0 

1880 119,3  102,2  97,5 

1881 106,2  97,8  97,3 

1882 104,3  98,9  101,8 

1883 105,5  100,3  100,9 

1884 98,9  99,3  100,8 

1885 93,6  101,2  99,5 

Wir  sehen  einen  Abfall  der  Zahlen  rar 
das  Alter  0—1  Jahr  von  1876  auf  1877, 
dem  entspricht  ganz  nach  Gottsteinschem 
Wunsche  ein  Abfall  für  das  Alter  von  1  bis 
2  Jahren  von  1877  auf  1878  und  für  das 
Alter  von  2—3  Jahren  von  1878  auf  1879. 
Aber  wir  sehen  die  Zahl  für  die  Erstjährigen 
von  1879  auf  1880  stark  ansteigen  und  von 
1880  auf  1881  noch  stärker  fallen;  die  ent- 
sprechenden Zahlen  für  die  Zweijährigen  ver- 
halten sich  aber  umgekehrt.    Die  Generation 


XIX.  Jahrgang.") 
Oktober  1905.  J 


Roianfald,  Diphthorie+pidemton  und  Diphtb«ri«*mpflnglichkeit. 


515 


also,  die  im  Jahre  1880  eine  geringere 
Diphtherieimmunität  hätte  als  die  vorher- 
gehende und  die  nachfolgende  Generation, 
hat  diesen  Charakter  im  nächsten  Jahre  ver- 
loren. Derlei  Beispiele  ließen  sich  noch 
andere  anfahren.  Der  statistische  Beweis 
ist  also  im  Detail  nicht  als  gelungen  zu  be- 
zeichnen. Gottstein  selbst  stützt  sich  ja 
auch  vornehmlich  auf  die  Extreme  der  von 
ihm  angeführten  Altersklassen  und  betont, 
daß  die  Zahlen  für  die  niedrigste  Altersklasse 
im  ganzen  abnehmen,  die  für  die  höchste 
Altersklasse  zunehmen.  Aber  indem  er  seine 
Theorie  nur  auf  zwei  Eckpfeiler  stützt,  bildet 
sie  zwar  einen  kühnen  Bogen,  der  aber  einer 
entsprechenden  Belastungsprobe  nicht  ge- 
wachsen ist. 

Gott  st  ein  hat  die  Diphtheriesterblich- 
keit für  jede  Altersklasse  und  jedes  Jahr 
berechnet,  diese  Zahlen  aber  nicht  mitge- 
teilt, sondern  andere  Zahlen,  welche  er  aus 
jenen  durch  Beseitigung  einer  „Ungleichheit" 
gewonnen  hat;  die  Art  dieser  Beseitigung  ist 
das,  was  ich  vorhin  mit  dem  Ausdruck  ge- 
künstelt bezeichnet  habe.  Er  hat  die  Summen 
für  die  berechneten  Sterblichkeiten  der  (für 
Preußen)  sechs  Altersklassen  gleich  600  ge- 
setzt und  den  Anteil  einer  jeden  Alters- 
klasse dann  wieder  berechnet.  In  früheren 
Zeiten  und  auch  jetzt  noch,  wenn  man  die 
Bevölkerungszahlen  nicht  kennt,  wurde  und 
wird  der  Anteil  einer  Todesursache  an  der 
Gesamtsterblichkeit  auf  diese  Weise  zum 
Ausdrucke  gebracht.  Diese  statistische  Aus- 
drucksform wird  mit  Recht  immer  mehr  und 
mehr  verlassen.  Die  ihr  eigenen  Fehler 
zeigen  sich  auch  bei  der  Gottst einschen 
Rechnung.  "Würde  der  Anteil  einer  jeden 
Altersklasse  an  der  Diphtheriesterblichkeit 
sich  in  der  Gottst  ein  sehen  Berechnung  Jahr 
für  Jahr  unverändert  zeigen,  so  könnte  dies 
ebensowohl  bei  gleichbleibender  Diphtherie- 
sterblichkeit als  auch  bei  zunehmender  als 
auch  bei  abnehmender  Diphtheriesterblichkeit 
sich  einstellen,  wofern  nur  Zu-  oder  Ab- 
nahme alle  Altersklassen  in  gleichem  Ver- 
hältnisse trifft.  In  diesem  Falle  wüßten  wir 
also  gar  nichts  darüber,  ob  die  Diphtherie- 
immunität der  Generationen  gleichgeblieben, 
abgenommen  oder  zugenommen  hat.  Denken 
wir  uns  nun,  daß  die  Sterblichkeit  in  einer 
Altersklasse  abgenommen  hat,  in  anderen 
gleichgeblieben  oder,  wenn  auch  abgenommen, 
so  doch  nicht  in  demselben  hohen  Grade, 
so  werden  wir  für  die  anderen  Altersklassen 
höhere  Anteile,  für  die  eine  Altersklasse 
einen  niedrigeren  als  früher  finden.  Das- 
selbe Verhältnis  werden  wir  auch  finden, 
wenn  die  Sterblichkeit  in  allen  Altersklassen 
zugenommen    hat,    in    der    einen    aber  weit 


weniger.  Können  wir  aus  solchen  Zahlen 
dann  Folgerungen  über  Zu-  oder  Ab- 
nahme derDiphtherieimmunität  ziehen, 
wie  es  Gottstein  tut?  Zumal  wo  Gott- 
stein —  mit  Ausnahme  einer  eigentlich  nur 
kurzen  Andeutung  —  die  Wiedergabe  der 
Diphtheriemortalität  nach  Altersklassen  ver- 
schmäht. 

Die  Mängel  der  Gottstein  sehen  Dar- 
stellung treten,  selbst  wenn  seine  Theorie 
sich  als  richtig  erweisen  sollte,  am  stärksten 
bei  den  Zahlen  für  die  Altersklassen  2—3 
und  3 — 5  Jahre  hervor.  Diese  sollten  nach 
der  Gottst  ein  sehen  Theorie  eine  beträcht- 
liche Abnahme  ihrer  Anteile  aufweisen.  Wer 
aber  z.  B.  die  Zahlen  für  Preußen  liest, 
wird  an  ihnen  keine  nennenswerte  Änderung 
feststellen  können.  Die  Veränderungen  be- 
treffen in  erster  Linie  die  Erstjährigen,  in 
zweiter  Linie  die  Altersklasse  von  über  10 
bis  15  Jahren.  Nach  der  Gottst  ein  sehen 
Folgerungsmethode  würde  in  den  beiden 
Altersklassen  von  2 — 5  Jahren  keine  Ände- 
rung der  Diphtherieimmunität  sich  gezeigt 
haben,  eine  Folgerung,  die  mit  seiner  Theorie 
jedoch  im  Widerspruch  steht. 

Daß  die  Diphtheriesterblichkeit  der  jüng- 
sten und  der  ältesten  der  in  Betrachtung 
gezogenen  Altersklassen  in  ihrem  gegenseitigen 
Verhältnisse  eine  starke  Abänderung  zeigte, 
geht  auch  aus  den  Gott  st  ein  sehen  Zahlen 
hervor.  Und  zwar  nahm  die  Diphtherie- 
sterblichkeit der  jüngsten  Altersklasse  ab, 
die  der  ältesten  gar  nicht  oder  nicht  in  dem 
Maße  oder  gar  zu.  Dies  deutet  Gottstein 
so,  daß  die  früheren  diphtherieempfänglichen 
jüngeren  Generationen  jetzt  herangewachsen 
sind  und  nun  diphtherieempfänglichere  ältere 
Generationen  bilden.  Würde  man  diese 
Deutung  auch  akzeptieren,  so  ist  da- 
mit noch  nicht  gesagt,  daß  sich  dieses 
Spiel  wiederholt.  Gottstein  hat  nur 
für  die  Zeit  eines  einzigen  Seuchenum- 
schwunges die  Zahlen  -gegeben,  damit  aber 
natürlich  nicht  den  Beweis  geliefert,  daß  sich 
die  nächste  Diphtherieperiode  ebenso  verhalte. 

Da  Gottstein  sich  nur  auf  die  oben 
gekennzeichneten  Zahlen  stützt,  aus  denen 
man  aber  auch  mit  seiner  Lesemethode  keine 
Abnahme  der  Diphtherieempfänglichkeit  der 
Altersklassen  von  1  bis  2  Jahren,  von  2  bis 
3  Jahren  etc.  herauslesen  kann,  und  es  ver- 
meidet, einfacher  berechnete  Zahlen  wieder- 
zugeben, so  ist  es  nur  natürlich,  daß  er  sich 
auch  darüber  ausschweigt,  ob  die  Abnahme 
der  Diphtheriesterblichkeit  alle  Altersklassen 
betrifft.  Dies  ist  ja  tatsächlich  der  Fall, 
klingt  aber  mit  seiner  Theorie  nicht  zu- 
sammen. Denn  wenn  die  Diphtherieepide- 
mien   tatsächlich     zyklisch    wären    und    der 


516 


Roten feld,   Diphtherieepidemten  und  Dlphtherieempflogllchkeit. 


r  herapeii  tische 
Iftonatfthrtte. 


Zyklus  nur  von  der  Diphtherieempfänglich- 
keit der  Generationen  bestimmt  würde,  80 
hätten  wir  die  Tatsache  zu  verzeichnen,  daß 
gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  die 
Altersklasse  von  10  bis  15  Jahren  trotz 
ihrer  hohen  Diphtherieempfänglichkeit  eine 
niedrigere  Diphtheriesterblichkeit  aufweist 
als  dieselbe  Altersklasse  mit  einer  unter  der 
Annahme  eines  Zyklus  sehr  geringen  Diph- 
therieempfänglichkeit 10 — 15  Jahre  vorher. 
Schon  dieser  Umstand  zeigt  deutlich,  daß 
die  Diphtherieempfänglichkeit  nicht  den 
Gang  der  Diphtherieepidemien  in  erster 
Linie  bestimmt.  Dies  erkennt  übrigens  ja 
auch  Gottstein  indirekt  an,  indem  er  es 
nötig  findet,  seine  Zahlen  für  die  Hohe  der 
Epidemie  zu  berechnen,  d.  h.  nach  seiner 
Ansicht  dadurch  außerhalb  des  menschlichen 
Organismus  liegende  Bedingungen  der  Diph- 
therieepidemien auszuschalten. 

Daß  die  Diphtherieempfänglichkeit  eine 
Rolle  bei  der  Ausbreitung  der  Diphterie- 
epidemien  spielen  kann,  ist  eine  zu  banale 
Wahrheit,  um  darüber  weiter  zu  reden. 
Aber  die  Diphtherieempfänglichkeit  kann  die 
Rolle  nur  in  Gegenwart  des  Infektionsstoffes 
spielen.  Wenn  die  Möglichkeit,  den  In- 
fektionsstoff zu  verschleppen ,  genommen 
wird,  so  endet  die  Epidemie,  mögen  noch 
so  viele  empfängliche  Individuen  vorhanden 
sein.  Am  besten  sieht  man  dies  an  den 
Typhusepidemien,  deren  Entstehung  von  der 
Verschleppung  der  Typhuskeime  abhängt. 
Die  gegenwärtige  Seuchenprophylaxe  stellt 
die  Verhütung  der  Verschleppung  von  Krank- 
heitskeimen in  den  Vordergrund;  es  macht 
mir  den  Eindruck  —  doch  kann  ich  mich 
geirrt  haben  —  als  ob  Gott  st  ein  darin 
nichts  sehen  könnte,  was  den  Gang  der 
Epidemien  bestimmen  könnte.  Sonst  könnte 
er  ja  nicht  seine  Theorie  der  Periodizität 
der  Diphtherieepidemien  ausschließlich  auf 
die  Empfänglichkeit  des  Individuums  auf- 
bauen. Das  um  sa  weniger,  als  ihm  ja 
doch  bekannt  ist,  daß  der  milde  Verlauf  der 
Bonner  Diphtherieepidemien  mit  der  geringen 
Virulenz  der  dortigen  Diphtheriebazillen  in 
Zusammenhang  gebracht  wurde.  Diesen,  durch 
das  Tierexperiment  festgestellten  Einfluß  der 
Bakterien  Variation  stellt  Gottstein  auf  Grund 
seiner  Zahlen  kurzweg  in  Abrede. 

Für  ihn  ist  vielmehr  die  Frage  der 
Diphtherieepidemien  eine  Frage  der  Ver- 
erbung ,  Zuchtwahl  und  Auslese.  Mit 
dem  Begriffe  der  natürlichen  Auslese  wird 
viel  krebsen  gegangen.  So  betrachten  manche 
eine  große  Säuglingssterblichkeit  als  einen 
Vorgang  der  natürlichen  Auslese.  Das  läßt 
sich  noch  verstehen,  wenn  tatsächlich  nach 
übergroßer    Säuglingssterblichkeit    eine    kräf- 


tigere Generation  mit  geringerer  Sterblich- 
keit im  späteren  Alter  zurückbleiben  würde. 
Aber  wie  soll  man  sich  die  natürliche  Aus- 
lese bei  den  Gottstein  sehen  diphtherie- 
empfänglicheren Generationen  vorstellen? 
Sterben  diese  etwa  aus,  gelangen  sie  etwa 
nicht  zur  Fortpflanzung?  Beides  nicht, 
wenigstens  ist  dafür  kein  Beweis  bei- 
gebracht. Es  sterben  nur  von  diesen  diph- 
therieempfänglicheren Generationen  fraglicher 
Existenz  in  jedem  Lebensjahre  an  Diphtherie 
etwas  mehr  als  von  anderen  Generationen; 
aber  auch  nur  nach  Gottstein.  Aber  selbst 
wenn  dies  wäre,  ist  damit  die  Diphtherie- 
empfänglichkeit dieser  Generation  nicht  be- 
seitigt oder  vermindert,  was  ja  der  Begriff 
der  natürlichen  Auslese  verlangt.  Der  Be- 
griff der  natürlichen  Auslese  erfordert  das 
Aussterben  der  für  den  Kampf  ums  Dasein 
abträglichen  Eigenschaft;  er  verlangt  eine 
stetige  Abnahme  der  Diphtheriesterblichkeit, 
falls  für  sie  nur  oder  hauptsächlich  die 
Diphtherieempfanglichkeit  maßgebend  wäre; 
er  würde  uns  einen  zyklischen  Verlauf  der 
Diphtheriesterblichkeit  mit  Auftreten  von 
Epidemien  etwa  in  30jährigen  Perioden  un- 
verständlich erscheinen  lassen. 

Läßt  sich  denn  aber  die  Tatsache,  daß 
in  Preußen  die  Diphtheriesterblichkeit  der 
jüngsten  Altersklasse  erheblich  stärker  als 
der  Altersklasse  der  beginnenden  Pubertät 
abgenommen  hat,  nicht  anders  erklären  als 
durch  die  Diphtherieempfänglichkeit  und  ihre 
Variation?  Und  zwar  auf  noch  eine  andere 
als  die  früher  angegebene  Art? 

Ich  will  nicht  allzusehr  betonen,  daß 
die  Todesursachenstatistik  weit  zuverlässiger 
geworden  ist,  obwohl  sicherlich  schon  da- 
durch eine  der  Wirklichkeit  nicht  ent- 
sprechende, anscheinend  große  Frequenz- 
änderung so  mancher  Todesursache  statt- 
gefunden hat.  Dies  kann  auch  bei  der 
Diphtherie  der  Fall  gewesen  sein.  Da  die 
Todesursachenstatistik  aus  begreiflichen  Grün- 
den an  Zuverlässigkeit  relativ  stärker  bei 
den  Säuglingen  und  kleinen  Kindern  als  bei 
den  größeren  Kindern  und  bei  den  Er- 
wachsenen gewonnen  hat,  da  ferner  leicht 
möglich  ist,  daß  eine  ärztlich  nicht  be- 
glaubigte Todesursachendiagnose  auf  Diph- 
therie von  den  Laien  auch  in  Fällen,  wo 
keine  war,  gestellt  wurde,  kann  eine  Zu- 
nahme der  ärztlichen  Beglaubigung  der 
Todesursachen  eine  Änderung  in  dem  oben 
genannten  Sinne  hervorgerufen  haben.  Dies 
jedoch  nur  nebenbei. 

Wir  leben  in  einer  Zeit,  wo  der  Krank- 
heitsprophylaxe die  größtmöglichste  Auf- 
merksamkeit gewidmet  wird.  Je  gefahrlicher 
die   Krankheit,    um   so    deutlicher   wird    der 


XIX.  Jahrgang .1 
Oktober  1905.  J 


Gottttein,  Bemerkungen  «u  dem  ▼orttehenden  Auftatse. 


517 


Erfolg  der  Prophylaxe  hervortreten.  Die 
Letalität  der  Diphtherie  ist  in  den  ersten 
Lebensjahren  eine  unvergleichlich  höhere  als 
z.  B.  im  Alter  von  10 — 20  Jahren.  Gelingt 
es  der  Prophylaxe  nur  einigermaßen,  die 
Übertragung  der  Diphtherie  zu  verhindern, 
so  wird  dies  quoad  mortalitatem  bei  den 
kleinen  Kindern  am  stärksten  bemerkbar 
werden.  Gerade  aber  bei  den  kleinen 
Kindern  wird  die  Prophylaxe  auch  sonst  am 
stärksten  ins  Gewicht  fallen,  da  sie  von 
den  Gefahren  der  Familieninfektion  stets  am 
stärksten  bedroht  sind.  Die  Krankheits- 
verhütung mußte  demnach  eine  stärkere  Ab- 
nahme der  Diphtheriesterblichkeit  der  Kinder 
als  der  Herangereiften  bewirken. 

Es  ließe  sich  wohl  noch  so  manches 
sagen.  Doch  glaube  ich  schon  durch  das 
Vorgebrachte  meine  Anschauung,  daß  Gott- 
stein die  Periodizität  der  Diphtherieepide- 
mien nicht  oder  nicht  beweiskräftig  genug 
erklärt  hat,  genügend  gestützt  zu  haben. 
Ob  das  eine  oder  das  andere  der  Fall,  zu 
entscheiden,  bleibt  künftiger  Forschung  vor- 
behalten. 


Bemerkungen 
zu  dem  vorstehenden  Auftatze. 

Von 
Dr.  A.  Gottttein. 

Die  Freundlichkeit  der  Redaktion  gibt 
mir  die  Gelegenheit,  zu  der  Kritik  des 
Herrn  Rosenfeld  sofort  Stellung  zu  nehmen, 
meine  Rechtfertigung  wird  mir  freilich  da- 
durch erschwert,  daß  den  Lesern  dieser 
Zeitschrift  nicht  mein  Buch  selbst  vorliegt, 
sondern  nur  der  Angriff  des  Herrn  Rosen- 
feld. Auf  die  Einzelheiten  der  Kritik  kann 
ich  nicht  eingehen.  Der  Inhalt  meines 
kleinen  Buches,  des  Ergebnisses  dreijähriger 
Rechenarbeit,  ist  einschließlich  der  Tabellen 
auf  40  Seiten  zusammengedrängt,  weil  ich 
darauf  verzichtete,  allgemein  bekannte  Dinge 
so  breit  zu  behandeln,  wie  Rosenfeld  in 
seiner  Kritik.  Dadurch  wird  der  Aufsatz 
von  Rosenfeld  allerdings  fast  ebensolang 
wie  mein  Buch,  er  enthält  aber  weniger  Be- 
weise als  Worte,  darunter  viele  selbstver- 
ständliche und  noch  mehr  mißverständliche. 
Das  Hauptmißverständnis  liegt  darin,  daß 
Rosenfeld  darauf  besteht,  den  Begriff 
Immunität  als  absolut  aufzufassen,  als  die 
Fähigkeit,  auf  eine  Infektion  überhaupt 
nicht  zu  reagieren,  während  ich  ausdrücklich 
Immunität  und  Disposition  im  Sinne  einer 
relativen  Funktion  definiere  und  die  ab- 
solut widerstandslosen  den  absolut  und 
relativ  resistenten  Individuen  gegenüber- 
gestellt habe,  die  entweder  garnicht  erkranken 

Th.M.lf06. 


oder  genesen.  Der  Hauptteil  der  Einwände 
beruht  auf  dieser  verschiedenen  Wortdeutung ; 
ihr  zu  Liebe  zitiert  Rosenfeld  mich  sogar 
unter  Anführungsstrichen  sinnentstellend 
falsch.  (Vgl.  S.  35  meines  Buchs;  nebenbei 
gehört  Bayern  nicht  zu  Preußen.)  Meine 
Tabellen  umfassen  Jahrzehnte,  Länder  und 
Mortalitätszahlen,  seine  Zahlen  aus  Rußland 
einige  wenige  kleine  Orte,  4  Jahre  und 
Erkrankungsziffern,  was  sich  einfach  nicht 
vergleichen  läßt.  Rosenfeld  fordert  ferner 
von  mir  Morbiditätsberechnungen,  obgleich 
er  weiß,  daß  es  diese  in  brauchbarer  Form 
nicht  gibt ;  er  vermißt  Statistiken  von  Städten, 
trotzdem  ich  solche  in  Tabelle  IIb  gegeben 
habe.  Wenn  ich  die  Zahl  der  abgedruckten 
Tabellen  im  Interesse  des  Lesers  auf  das 
für  das  Verständnis  nötige  Maß  beschränkt 
habe,  so  rügt  dies  Rosenfeld  als  fehler- 
hafte Unterdrückung  und  übersieht,  daß  ich 
in  Tabelle  II  und  IX  Stichproben  angegeben 
habe,  die  meine  Kontrolle  ermöglichen. 
Den  Unsinn  von  der  Abhängigkeit  der  Dis- 
position des  Einzelindividuums  vom  Geburts- 
jahr, den  Rosenfeld  mit  so  viel  Behagen  aus- 
malt,, habe  ich  natürlich  nirgends  ausgesprochen. 

Eigentlich  bedürfen  nur  zwei  Einwände 
einer  besonderen  Aufklärung.  Rosenfeld 
beanstandet  die  Richtigkeit  meiner  Absterbe- 
ordnung, da  ich  einen  wesentlichen  Umstand 
weggelassen  hätte  und  daher  zu  kleine 
Zahlen  erhielt;  er  macht  eine  methodisch 
bestimmt  falsche  „Verbesserung",  die  noch 
kleinere  Werte  ergibt;  wollte  ich  seinen 
Einwand  berücksichtigen,  so  müßte  der  An- 
satz ganz  anders  lauten,  würde  aber  am 
Ergebnis  nichts  Wesentliches  ändern.  Er 
meint  ferner,  meine  Tabellen  seien  ge- 
künstelt, weil  ich  sie  auf  einheitliche  Werte 
reduziere;  wenn  ich  z.  B.  den  Nahrungs- 
verbrauch verschiedener  Länder  tabellarisch 
wiedergebe,  führe  ich  nicht  Liter,  Pfunde, 
Unzen  u.  s.  w.  durcheinander  auf,  sondern 
rechne  alles  in  Gramm  um;  mehr  habe  ich 
nicht  getan;  das  Zahlenverhältnis  ist  das- 
selbe geblieben,  nur  durch  meine  Mehrarbeit 
für  den  Leser  übersichtlicher  geworden. 

Hätte  Rosenfeld  dieselbe  Rechnung  wie 
ich  für  ein  anderes  Land,  z.  B.  für  Öster- 
reich, angestellt  und  hätte  gezeigt,  daß  hier 
die  gleiche  Gesetzmäßigkeit  nicht  vorliegt, 
wie  ich  sie  für  mein  Material  auffand,  so 
stände  ich  vor  der  Aufgabe,  entweder  den 
Grund  der  Verschiedenheit  aufzudecken  oder 
meine  Theorie  zurückzunehmen;  alle  sub- 
jektiven Bedenken,  Lesefehler  und  Miß- 
verständnisse des  Herrn  Rosenfeld  zu  be- 
sprechen, liegt  aber  weder  in  meiner  Ab- 
sicht noch  im  Interesse  des  Lesers. 


40 


518 


Rudolph,  Therapie  der  diphtherischen  Larynxitenote. 


rTherapeutbrbt 
L    Monatshefte. 


Zur  Therapie  der  diphtherischen 
Larynxstenose. 

Von 
Dr.  Rudolph  in  Magdeburg. 

Am  24.  III.  1899  wurde  ich  zu  einem 
Kaufmann  F.  gerufen.  Ein  2 jähriger  Junge 
hatte  Erscheinungen  hochgradiger  Kehlkopf- 
stenose bei  ausgedehnten  flatschenartigen  Be- 
schlägen auf  beiden  Tonsillen.  Ich  erfuhr, 
daß  zwei  ältere  Kinder,  die  noch  im  Bett 
lagen,  Diphtheritis  gehabt  hätten,  und  daß 
es  ihnen  dank  der  Behandlung  des  Haus- 
arztes bereits  besser  ginge.  Letzterer  hatte 
erklärt,  das  jüngste  Kind  müsse  operiert  und 
deshalb  ins  Krankenhaus  gebracht  werden, 
was  der  sehr  erregte  Vater  aber  entschieden 
ablehnte,  da  ihm  bereits  in  früherer  Zeit  ein 
Kind  dort  gestorben  wäre,  „lieber  ließe  er 
es  zu  Hause  sterben a.  Sein  Hausarzt  habe 
ihm  erlaubt,  einen  anderen  Arzt  zu  holen. 
Der  betreffende  Kollege  hatte  die  Kinder  mit 
großen  Dosen  Terpentinöl  behandelt,  welches 
er  bei  Diphtheritis  seit  Jahrzehnten  in  aeiner 
großen  Praxis  in  interner  Yerabfolgung  an- 
zuwenden pflegte,  und,  wie  er  mir  gelegent- 
lich selbst  einmal  gesagt  hatte,  mit  bestem 
Erfolge.  Da  der  Vater  bei  seinem  Ent- 
schlüsse blieb,  sein  Kind  nicht  in  das 
Krankenhaus  zu  bringen,  obgleich  auch  ich 
ihm  die  Dringlichkeit  der  Operation  klar- 
machte, ging  ich  folgendermaßen  vor.  Ich 
injizierte  Behring  Nr.  II  und  ordnete  an, 
daß  das  Kind  etwa  alle  6  Stunden  2  Tropfen 
Opiumtinktur  bekommen  sollte.  Zwei  Tage 
und  zwei  Nächte  war  der  Zustand  des  kleinen 
Patienten  höchst  bedrohlich,  dann  ließen  die 
Stenosenerscheinungen  nach,  und  das  Kind 
genas  in  wenigen  Tagen.  In  der  Opium- 
betäubung hatte  das  Kind  die  schwere  Atem- 
not auszuhalten  vermocht,  bis  die  Serum- 
wirkung eintrat.  Jedesmal  wenn  es  aus  dem 
soporösen  Zustande  erwachte,  erhielt  es  etwas 
Nahrung,  hauptsächlich  Milch.  Stellte  sich 
der  Schlafzustand  nicht  wieder  ein,  bekam 
es  Opium,  selbst  wenn  erst  vier  Stunden  seit 
der  letzten  Applikation  vergangen  waren. 
Schon  nach  24  Stunden  ließ  sich  der  gün- 
stige Einfluß  des  Serums  erkennen,  indem 
der  Belag  an  den  Tonsillen  sich  aufzulockern 
begann.  Aber  die  Passage  im  Kehlkopfe 
schien  nach  dieser  Zeit  nicht  nur  nicht 
freier,  sondern  eher  etwas  erschwerter  zu 
sein,  da  die  Atmung  geräuschvoller  war,  und 
die  stern  alen  Einziehungen  in  opiumfreier 
Zeit  sich  fast  noch  deutlicher  markierten, 
was  ich  dadurch  erkläre,  daß  sich  das 
mechanische  Hindernis  im  Kehlkopfe  durch 
die  anfängliche  Einwirkung  des  Serums,  die 
gleichsam  in  einer  Quellung  der  Membranen 


zu  bestehen  scheint,  steigerte.  Am  zweiten 
Morgen  war  der  Stridor  verschwunden,  und 
da  an  den  Tonsillen  die  Beläge  zum 
größten  Teil  eingeschmolzen  waren,  war  das 
gleiche  auch  für  das  Innere  des  Kehlkopfes 
anzunehmen.  Am  30.  III.  wurde  das  Kind 
geheilt  aus  der  Behandlung  entlassen. 

Es  ist  begreiflich,  daß  ich  einen  neuen 
derartigen  Fall  förmlich  herbeisehnte.  Aber 
erst  1902  und  1903  hatte  ich  Gelegenheit, 
je  einen  einschlägigen  Fall  zu  beobachten. 
Diese  Fälle,  die  in  Anamnese  und  Verlauf 
dem  geschilderten  so  ähnlich  sind,  daß  eine 
genaue  Beschreibung  überflüssig  erscheint, 
betrafen  Mädchen  von  9  und  2  Jahren. 
Bei  dem  ersteren  bestanden  die  Stenosen- 
erscheinungen bereits  2  Tage,  bevor  ich  die 
Behandlung  übernahm.  Der  Bruder  der 
letzteren  war  wenige  Tage  zuvor  wegen 
Larynxstenose  tracheotomiert  worden  und 
kurz  darauf  gestorben.  Bei  beiden  Fällen 
war  die  Überweisung  ins  Krankenhaus  ab- 
gelehnt worden.  Die  Behandlung  mit  Serum 
und  Opium  war  von  Erfolg  begleitet.  Sie 
dauerte  bei  der  9jährigen  Z.  vom  21.  XI. 
bis  29.  XI.  1902,  bei  der  2jährigen  L.  vom 
13.  IX.  bis  22.  IX.  1903. 

Die  3  Kehlkopfdiphtheriefälle  —  reif  für 
Tubage  oder  Tracheotomie  —  sind  glücklich 
verlaufen,  ohne  daß  es  nötig  war,  den  Tubus 
einzulegen  oder  den  Schnitt  zu  machen. 
Es  geht  daraus  hervor,  daß  man  mit  den 
chirurgischen  Maßnahmen,  deren  große  Ge- 
fahren ich  nicht  zu  schildern  brauche,  nicht 
zu  vorschnell  sein  darf,  wenn  auch  die 
schwerste  Beteiligung  des  Kehlkopfes  bei 
Erkrankung  an  Diphtherie  durch  die  charak- 
teristischen Symptome  genügend  bewiesen  ist. 
Das  die  Stenose  bedingende  Moment  können 
wir  durch  Heilserum  zielbewußt  und  erfolg- 
reich bekämpfen,  während  die  Qualen  des 
Zustandes  durch  Opium  erträglich  gemacht 
werden,  und  die  Atmung  freier  und  ergiebiger 
wird,  bis  die  Wirkung  des  Antitoxins  ein- 
setzt. Von  der  Opiumtinktur  gebe  ich  so 
viel  Tropfen,  wie  das  Kind  Jahre  zählt, 
4  mal  täglich,  event.  öfter.  Laryngostenotische 
Diphtheriefälle  habe  ich  außer  den  drei  seit 
dem  Jahre  1899  nicht  gesehen.  Überhaupt 
sind  Erkrankungen  an  Diphtherie  in  der  ge- 
nannten Zeit  in  meiner  Praxis  im  Vergleich 
mit  früheren  Jahren  selten  vorgekommen,  und 
diese  wurden  frühzeitig  mit  Serum  behandelt, 
wodurch  die  Weiterverbreitung  des  Prozesses 
auf  den  Kehlkopf  stets  verhindert  worden 
ist.  Denen  aber,  die  immer  noch  nicht  an 
die  Wirksamkeit  des  Behringschen  Heil- 
serums glauben  wollen,  und  die  ganz  beson- 
ders gern  die  trotz  Serumbehandlung  noch 
große    Stenosenmortalität    als    Stütze     ihrer 


XIX.  Jahrgang."! 
Oktober  1905.  J 


Porois,  Neurmtthenle  junger  Ehefrauen. 


519 


Ansicht  anfuhren,  dürften  meine  Beobach- 
tungen den  Wert  des  Serums  klar  vor  Augen 
führen,  denn  ein  schlagenderer  Beweis  für 
den  glänzenden  kurativen  Effekt  des  Serums 
auf  den  diphtheritischen  Prozeß  kann  kaum 
erbracht  werden,  wie  er  durch  die  Heilung 
dieser  drei  schweren  Larynxstenosen  geliefert 
worden  ist. 


Die  Neurasthenie  junger  Ehefrauen. 

Von 

Dr.  Moriz  Porotz  in  Budapest. 

Es  gehört  zum  „Bon-ton",  über  sexuelle 
Dinge  im  Salon  nicht  zu  sprechen.  Auch 
die  Ärzte  sind  Salonmenschen,  leider  auch, 
wenn  sie  als  Ärzte  mit  den  Patienten  sprechen. 

Es  ist  eine  Pflicht  der  nötigen  Fürsorge, 
sich  nach  allen  Umständen  des  Patienten  zu 
erkundigen.  Je  mehr  der  Arzt  von  der 
Lebensweise  und  von  allen  Umständen  des 
Patienten  weiß,  um  so  mehr  erweitert  sich  sein 
Gesichtskreis,  und  um  so  leichter  schwingt  er 
sich  auf  die  Höhe  der  Aufgabe  und  seines 
Wissens,  auf  der  er  stehen  muß,  wenn  er 
dem  Patienten  helfen   will. 

Der  Arzt  kann  niemals  genug  Fragen 
an  den  Patienten  richten,  um  die  Gesund- 
heitsanlage der  Familie  und  die  spezielle 
Individualität  der  betreffenden  Person  genau 
kennen  lernen  zu  können.  Auf  diesem  Ge- 
biete macht  sich  aber  eine  große  Lüeke  be- 
merkbar. 

Falsche  Scham,  Prüderie  seitens  des 
Arztes,  oder  ein  gewisser  „Takt",,  den  die 
Gesellschaft  fordert,  ist  schuld  daran,  daß 
man  bei  jungen  Frauen  das  sexuelle  Leben 
nicht  zur  Sprache  bringt. 

Und  doch  ist  das  sexuelle  Leben  geschlechts- 
reifer Individuen  auf  den  ganzen  Organismus 
von  großer  Bedeutung  und  ist  auf  Leib  und 
Seele  wenigstens  von  solcher  Wirkung,  wie 
der  Umstand,  ob  ein  "Verwandter  väterlicher- 
oder  mütterlicherseits  an  Kopfschmerzen  ge- 
litten hat  oder  nicht.  Wenn  wir  schon  eine 
Frage,  die  in  das  sexuelle  Gebiet  gehört,  an 
die  Patientin  richten,  beschränkt  sie  sich 
höchstens  darauf,  um  festzustellen,  wann  die 
Menstruation  begonnen  hat,  in  welchen  Inter- 
vallen sie  aufzutreten  pflegt,  wie  lange  sie 
anhält,  oder  man  forscht  nach  Daten,  die 
auf  eine  eventuelle  Gravidität  oder  einen 
Partus  Bezug  haben.  Doch  wir  hören  in  den 
meisten  Fällen  sehr  wenig,  was  für  die  Be- 
handlung einer  neurasthenischen  jungen  Frau 
richtunggebend  sein  könnte. 

Den  Neurasthenikern  eine  Wasserkur. 
Das  ist  die  allgemeine  Parole.  Ist  der 
Patient  wohlhabend,  so  wird  ihm  im  Winter 


ein  klimatischer  Kurort,  im  Sommer  aber, 
den  materiellen  Verhältnissen  entsprechend, 
ein  teurer  und  weitgelegener  Kurort  emp- 
fohlen. Und  damit  ist  der  ärztliche  Beistand 
erschöpft. 

Die  geschlechtsreife  Frau,  die  vor  der 
Ehe  kein  sexuelles  Leben  geführt  hat  und 
die  nach  kurzer  Ehe  neuras thenisch  wird,« 
ist  durch  das  sexuelle  Leben  dem  Einflüsse 
solch  überaus  wichtiger  Umstände  ausgesetzt 
gewesen,  daß  man  es  nicht  ganz  unbeachtet 
lassen,  darf,  wenn  wir  ihr  wirklich  einen 
guten  Rat  geben  wollen.  Ich  selbst  kann 
mich  nicht  ganz  dem  Einflüsse  der  Prüderie 
entziehen,  wenn  ich  das  auf  diesem  Gebiete 
Wissenswerte  aufzählen  will. 

Wir  pflegen  über  die  Hygiene  der  Woh- 
nung, der  Lebensweise,  der  Ernährung  öffent- 
lich zu  sprechen,  aber  über  die  Hygiene  des 
sexuellen  Lebens  zu  schweigen  zwingt  uns 
die  Prüderie.  Darüber  spricht  höchstens  die 
Pornographie.  Auch  ich  schweige  deshalb 
darüber,  weil  ich  voraussetze,  daß  die  Ärzte, 
die  selbst  auf  diesem  Gebiete  die  nötigen 
Erfahrungen  gesammelt  haben,  dies  alles 
wissen. 

Ich  halte  es  aber  nicht  für  überflüssig, 
durch  Anführung  einiger  Fälle  die  Aufmerk- 
samkeit der  Ärzte  nach  gewisser  Richtung 
zu  fesseln  und  die  daraus  abzuleitenden 
Lehren  ihnen  ans  Herz  zu  legen. 

Vor  einigen  Jahren  schickte  ein  Frauen- 
arzt einen  seit  zwei  Jahren  verheirateten 
Herrn  zu  mir  mit  der  Frage,  ob  nicht  bei 
ihm  Aspermatismus  zu  finden  ist.  Die  Frau 
dieses  Mannes  ging  zum  Frauenarzt  wegen 
der  Kinderlosigkeit  und  da  bei  ihr  keine 
Ursache  der  Unfruchtbarkeit  zu  entdecken 
war,  schöpfte  er  gegen  den  Mann  Ver- 
dacht. 

Der  Verdacht  war  begründet,  aber  nicht 
von  dem  fraglichen  Gesichtspunkte.  Der 
Mann  litt  nämlich  wegen  rascher  Ejakulation 
an  unvollkommener  Potenz.  Seine  Frau  war, 
seiner  Aussage  gemäß,  ein  wenig  sinnlich 
angelegt,  dabei  überaus  nervös,  litt  oft  an 
Kopfschmerzen,  sah  schlecht  aus  und  ist  in 
der  Ehe  sehr  mager  geworden. 

Von  ihrem  sexuellen  Leben  erzählte  er, 
daß  seine  Frau  wegen  rascher  Ejakulation 
den  Höhepunkt  des  Orgasmus  sehr  selten 
erreichen  kann  und  dies  nur  dann,  wenn  sie 
aus  der  natürlichen  Lage  während  des  Aktes 
in  einen  Situs  inversus  kommen. 

Diesen  Erfahrungen  zufolge  wählten  sie 
immer  diese  Lage,  aber  das  Resultat,  die 
sexuelle  Befriedigung,  war  doch  nur  selten 
von   Belang. 

Die  Ursache  der  raschen  Ejakulation 
fand  ich  in  einer  Atonie    der  Prostata.     Ich 

40* 


520 


Porots,  Neurasthenie  Junger  Ehefrauen. 


Priwrapeati 
L   Monatsh« 


ntiach* 
Monatsheft  ä. 


behandelte  sie  (Prostatafaradißierung) l)  und 
der  Mann  kam  in  Ordnung.  Die  Frau  sah 
ich  niemals,  und  wa9  ich  über  sie  weiß,  das 
hörte  ich  von  ihrem  Arzte  und  ihrem  Manne. 
Kaum  hatte  sich  die  Potenz  des  Mannes 
gebessert,  verbot  ich  ihm,  den  Akt  in  un- 
natürlicher Lage  vorzunehmen.  Ich  ließ  ihn 
systematisch,  in  regelmäßigen  Intervallen 
koitieren.  Die  Frau  erreichte  immer  öfter 
den  Orgasmus,  ihr  Zustand  besserte  sich,  sie 
hatte  seltener  Kopfschmerzen,  und  nach  mehr- 
wöchentlicher Behandlung  ihres  Mannes, 
während  welcher  Zeit  die  Frau  Wasserkur 
—  bisher  vergeblich  wiederholt  —  genommen 
hat,  wurde  auch  die  Frau  ganz  gesund;  sie 
nahm  an  Körpergewicht  zu  und  l'/s  Jahre 
später  war  sie  um  14  Kilo  schwerer  und  ist 
seither  gesund. 

In  einem  anderen  Falle  erzählte  auf  meine 
Fragen  der  an  raschen  Ejakulationen  leidende 
Mann  unter  anderem,  seine  Frau  sei  „sehr 
kalter  Natur"!  Sie  sei  sehr  nervös,  leide 
oft  an  Kopfschmerzen.  Überdies  machte  er 
auch  die  Wahrnehmung,  daß  sie  nach  dem 
Goitus  immer  krank  ist.  Wenn  auch  sie 
den  Höhepunkt  des  Orgasmus  erreicht,  fühlt 
sie  sich  am  anderen  Tage  recht  wohl.  Der 
Orgasmus  trat  aber  nur  einige  Tage  vor  der 
Menstruation  auf  und  ist  nicht  leicht  zu  er- 
reichen. Um  diese  Zeit  nimmt  auch  der 
Mann  vor  dem  Akt  die  sexuelle  Gereiztheit 
wahr;  er  nimmt  wahrscheinlich  an  der  Cli- 
toris  vor  dem  Akt  mutuale  Friktionen  vor. 
Trotz  der  vollkommensten  Seelenharmonie 
und  der  glücklichsten  Hingebung  kann  sie 
sonst  den  Orgasmus  nicht  erreichen.  Die 
erwähnten  Manipulationen  verbot  ich  ihm. 
Mit  der  Besserung  des  Zustandes  des  Mannes 
trat  auch  bei  der  Frau  der  Orgasmus  öfter 
auf.  Nach  mehr  wöchentlicher  Behandlung 
meldete  mir  der  Mann,  er  staune,  „welche 
Glückseligkeit  sich  auf  dem  Gesichte  seiner 
Frau  spiegele".  Sie  fühle  sich  wohler,  sie 
nehme  an  Körpergewicht  zu  und  lege  eine 
solch  hingebungsvolle  Zärtlichkeit  an  den 
Tag,  wie  er  sie  in  den  Flitterwochen  —  es 
war  eine  Liebesheirat  —  nicht  wahrgenommen 
hat.  Daß  man  die  Neurasthenie  solcher 
Frauen  nicht  so  leicht  kurieren  kann,  ist 
klar.  Die  Insulte  wiederholen  sich,  und  bei 
der  Frau  entwickelt  sich  von  neuem  die 
Neurasthenie. 

Eine  solche  Patientin  quält  den  Arzt  und 
auch  ihre  Umgebung,  aber  helfen  können  sie 
ihr  nicht.  Kein  Heilverfahren  hat  einen 
Erfolg,  denn  der  Mann  müßte  eigentlich  be- 
handelt werden. 

Eine  solche  Frau   hat    bei    geschwächter 


Willenskraft  eine  gesteigerte  Libido.  Diese 
beiden  Eigenschaften  sind  auch  von  mora- 
lischem Gesichtspunkte  gefährlich. 

Auf  solche  Umstände  ist  auch  der  Fall 
zurückzuführen,  von  dem  man  mir  erzählt 
hat.  Eine  im  höchsten  Maße  erregte  und 
desperate  junge  Frau  ließ  ihren  Arzt  rufen 
und  gestand  ihm,  daß  sie  nicht  genug  Willens- 
kraft gehabt  habe,  einem  Verführer  wider- 
stehen zu  können.  Wenn  ein  solcher  Fehl- 
tritt den  gewünschten  Orgasmus  hervorzu- 
rufen imstande  ist,  dann  ist  das  weitere 
Schicksal  des  Ehelebens  besiegelt.  Dies  er- 
wähne ich  nur  dem  moralischen  Gesichts- 
punkte zu  Liebe. 

Diese  traurigen  Folgen  wären  zu  ver- 
meiden, wenn  die  Ärzte,  frei  von  jeder 
Prüderie  und  gestützt  auf  ernstes  Wissen, 
sich  auch  für  das  sexuelle  Leben  interessieren 
würden. 

Meinem  Spezial fache  zufolge  kann  ich 
nach  dieser  Richtung  nur  wenig  Erfahrungen 
sammeln.  Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß 
die  Nervenpathologen,  und  namentlich  die 
Hausärzte,  wenn  sie  auf  diese  Umstände 
achten^  wertvolle  Erfahrungen  sammeln  könnten. 

Ich  gestehe  aufrichtig,  daß  es  mir  schwer 
fiel,  die  intimsten  Geheimnisse  des  Ehelebens 
zu  enthüllen.  Ich  konnte  mich  von  dem 
Einflüsse  des  moralischen  „Es  schickt  sich 
nicht"  losmachen.  Nur  das  gab  mir  den 
Mut,  daß  es  ja  Aufgabe  des  Arztes  ist, 
schmerzhafte  Krankheiten  auch  mit  einer 
schmerzhaften  Kur  zu  beseitigen.  Und  so 
bleibt  es  auch,  wenn  die  Schmerzen  der  Arzt 
selbst  zu,  ertragen  hat.  Aber  wieder  die 
Überzeugung,  daß  ich  so  meinen  kranken 
Mitmenschen  helfen  und  den  Ärzten  einen 
richtigen  Weg  zeigen  kann,  verleiht  mir  die 
Kraft,  daß  die  scheinbare  Salonunmoralität  doch 
nur  der  Moral  Dienste  leistet. 


*)  iD&trumeDte  bei  Louis  Löwenstein,  Berlin. 


(Aus  der  mährischen  Landeskraokenanstalt  In  Olmflts.) 

Zur  therapeutischen  und  prophylak- 
tischen Wirkung:  des  Formaldehyds  bei 
inneren  Krankheiten. 

Von 

Med.  univ.  Dr.  Jakob  Zwillinger. 

Angeregt  durch  die  günstigen  Erfolge, 
welche  Dr.  Paul  Rosenberg  in  Berlin  mit 
Formamin ttabletten  bei  inneren  Krankheiten 
erzielte,  haben  wir  im  Laufe  der  letzten 
4  Monate  dieses  Mittel  in  vielen  Fällen  an 
der  hiesigen  internen  Abteilung  in  Anwen- 
dung gebracht.  Der  hierbei  beobachtete 
Erfolg  war  meist  so  günstig,  daß  eine  Publi- 
kation desselben  gerechtfertigt  erscheint. 


XIX.  Jahr  fang.") 
Oktober  1905.  J 


Zwilling« r,  Formaldehyd  bei  inneren  Krankheiten. 


621 


Formaldehyd  wurde  bei  Anginen,  Blasen- 
katarrhen, Erysipel,  Scharlach  und  Diphtherie 
therapeutisch  verwendet,  bei  Scharlach  auch 
als  Prophylacticum  erprobt;  wir  verabreichten 
es  in  Form  der  1  Zentigramm  Formaldehyd 
enthaltenden,  in  den  Apotheken  erhältlichen 
Formaminttabletten. 

Im  nachfolgenden  soll  nun  über  die 
Wirkungsweise  dieses  zur  äußeren  Desinfektion 
schon  seit  langem  benutzten  und  anerkannten, 
bei  inneren  Erkrankungen  aber  noch  wenig 
erprobten  Mittels  berichtet  werden. 

Bei  Angina  catarrhalis  (in  3  Fällen)  und 
Angina  lacunaris  (in  4  Fällen)  zeigte  sich 
schon  nach  Gebrauch  von  8 — 10  Tabletten 
ein  Rückgehen  der  Entzündungserscheinungen. 

Fieber,  Schwellung  und  Schmerz haftigkeit 
ließen  bald  nach,  die  Schluckbeschwerden 
waren  am  2.  Tage  schon  so  gering,  daß 
Speisen  fester  Konsistenz  ohne  Schwierigkeit 
genossen  werden  konnten. 

In  keinem  Falle  kam  es  zur  Entwicklung 
einer  phlegmonösen  Angina. 

Bei  Tabakrauchern  wurde  die  katarrha- 
lische Angina  sowie  die  Pharyngitis  günstig 
beeinflußt;  das  Trockenheitsgefühl,  Kratzen 
im  Rachen  sowie  die  zähe  Schleimsekretion 
ließen  —  namentlich  bei  akuten  Exazerba- 
tionen  —  rasch  nach. 

Es  sei  hier  ausdrücklich  betont,  daß  bei 
den  mit  Formamint  behandelten  Anginen 
weder  Eispillen,  adstringierende  Gurgel- 
wässer, Umschläge  noch  sonst  welche  thera- 
peutische Maßnahmen  in  Anwendung  kamen; 
der  rasch  erzielte  Erfolg  in  der  Behandlung 
rührt  daher  zweifellos  von  der  günstigen 
Einwirkung  des  Formamints  auf  die  er- 
krankten Rachenorgane  her. 

Der  Erfolg  ist  leicht  dadurch  erklärlich, 
daß  beim  Auflosen  der  Formaminttabletten 
im  Mundspeichel  das  Fornfaldehyd  frei  wird 
und  so  direkt  eine  desinfizierende,  bakteri- 
zide und  antiphlogistische  Wirkung  entfalten 
kann. 

Je  großer  der  im  Munde  zur  Auflösung 
gelangende  Teil  der  Pastille  ist,  desto  größer 
ist  natürlich  auch  die  Menge  des  wirkenden 
Bestandteiles.  Es  ist  daher  von  besonderer 
Wichtigkeit,  die  Anginakranken  anzuweisen, 
die  Formaminttabletten  im  Munde  langsam 
zergehen  zu  lassen  und  nicht  zu  kauen; 
dieser  Forderung  fügen  sich  die  Kranken 
sehr  gerne,  da  die  Tabletten  wegen  ihres 
Gehaltes  an  Zucker,  Menthol,  Zitronensäure 
und  anderen  Korrigentien  angenehm  schmecken, 
daher  auch  von  Kindern  gerne  genommen 
werden. 

Ebenso  günstig  wie  in  den  genannten 
Fällen  wirkte  Formamint  auch  bei  Schar  lach- 
anginen und  bewirkte  meist  am  3. — 4.  Tage 


einen  kritischen  Abfall  der  Temperatur, 
während  sich  ein  wesentlicher  Einfluß  des 
Mittels  auf  den  weiteren  Verlauf  des  Schar- 
lachs in  unseren  Fällen  nicht  mit  Sicherheit 
konstatieren  ließ. 

Die  hiermit  behandelten  scharlachkranken 
Kinder  standen  durchweg  im  Alter  von 
5—10  Jnhren.  Im  Fieberstadium  erhielten 
sie  zunächst  stündlich  eine  Tablette  und, 
nachdem  5  Stück  verabreicht  worden  waren, 
zweistündlich  1  Tablette,  so  lange,  bis  die 
Temperatur  normal  wurde,  dann  noch  bis 
zum  8.  Tage  der  Erkrankung  3  stündlich 
1   Stück. 

In  einem  Falle  —  bei  einem  8jährigen 
Mädchen  —  trat  am  3.  Tage  das  Scharlach- 
exanthem  ohne  Temperatursteigerung  auf: 
diese  Erscheinung  als  Formaldehydwirkung 
zu  betrachten,  wäre  aber  gewagt,  da  bekannt- 
lich Scharlachexantheme  ohne  Temperatur- 
steigerung auch  sonst  gelegentlich  vorkommen. 

Weiter  verwendeten  wir  das  Präparat 
therapeutisch  in  10  Fällen  von  Diphtherie. 
In  den  ersten  Fällen  gaben  wir  vorsichts- 
halber auch  Seruminjektionen,  ersetzten  je- 
doch das  Gurgeln  mit  Chlorkali  durch  Dar- 
reichung von  Form  amintp  astillen.  Schon 
nach  verhältnismäßig  kurzer  ^eit  kam  es 
zur  Abstoßung  der  diphtheri tischen  Mem- 
branen ;  die  Schwellung  im  Rachenraum  ging 
zurück,  die  Temperatur  fiel  zur  Norm  ab; 
die  Änderung  war  eine  andauernde,  in  keinem 
Falle  kam  es  zu  einem  Weiterschreiten  des 
Prozesses  in  die  tieferen  Luftwege. 

Der  günstige  Einfluß  des  Formaldehyds 
auf  den  Heilungsverlauf  der  Diphtherie  veran- 
laßte  uns  dann,  in  einigen  leichteren  Fällen 
von  Diphtherie  von  der  Seruminjektion  ab- 
zusehen und  uns  auf  die  Formamintbehand- 
lung  zu  beschränken.  Die  Dosierung  war 
die  bei  Scharlach  anginen  erwähnte.  In  allen 
Fällen  trat  im  Verlauf  kurzer  Zeit  Besserung 
und  Heilung  ein;  bei  keinem  waren  post- 
diphtherische Lähmungen  oder  sonstige  Folgen 
zu  beobachten. 

Die  Diphtheriekranken  waren  meist  kleine 
Kinder,  welche  naturgemäß  nicht  gurgeln 
können ;  aber  die  Formamintpastillen  als 
„Bonbons"  nahmen  sie  sehr  gerne. 

Wir  sind  fest  überzeugt,  daß  dieses 
Präparat  in  solchen  Fällen  einen  sehr  guten 
Ersatz  darstellt  für  desinfizierende  Gurgel- 
wässer. 

Zur  therapeutischen  Verwendung  des 
Mittels  bei  Cystitis  und  Erysipel  veran- 
laßte  uns  der  Umstand,  daß  Rosenberg  den 
„Nachweis  freien  Formaldehyds  im  Blute 
nach  interner  Anwendung"  einwandfrei  er- 
bracht hat;  das  Medikament  wird  also  re- 
sorbiert und  gelangt  in  den  Blutkreislauf. 


522 


Zwilling«r,  Formaldfthyd  bei  inneren  Krankheiten. 


rTherftpei 
L   Monate! 


Monatshefte. 


Derselbe  Autor  berichtet  auch,  daß  schon 
ein  Aufenthalt  von  einer  Minute  in  einem 
mit  Formaldehyddämpfen  zwecks  Desinfektion 
erfüllten  Räume  genügt,  um  Formaldehyd 
im  Harne  der  betreffenden  Personen  nach- 
weisen zu  können. 

Der  Vollständigkeit  halber  sei  erwähnt, 
daß  der  Nachweis  des  Formaldehyds  im 
Harn  mittels  des  Leb  bin  sehen  Reagens 
geschieht. 

1  Teil  Natronlauge,  2  Teile  Wasser, 
0,5  Proz.  Resorcinum  purum  werden  mit  dem 
gleichen  Yolum  eines  formaldehydhaltigen 
Harns  eine  halbe  Stunde  gekocht,  wobei  der 
Urin  sich  rot  färbt. 

Wir  verwendeten  also  Formaminttabletten 
weiter    in    5     Fällen    von    Cystitis,    wovon 

2  nach  akuter  Gonorrhöe   entstanden  waren, 

3  im  Anschluß  an  eine  spinale  Blasenlähmung 
sich  entwickelt  hatten.  Von  den  erst- 
genannten war  der  eine,  welcher  eine  30jäh- 
rige  Frau  betraf,  nach  14  Tagen  vollkommen 
geheilt,  die  2.  Patientin  verließ  leider,  als 
sich  nach  wenigen  Tagen  keine  Besserung 
zeigte,  auf  eigenes  Verlangen  ungeheilt  die 
Anstalt. 

Von  den  letzteren  3  Fällen  waren  2 
durch  viele  Wochen  nach  unseren  bisherigen 
Methoden  —  Urotropin,  Ausspülungen  etc.  — 
erfolglos  behandelt  worden;  wir  verabreichten 
nun  zweistündlich  1  Formaminttablette  und 
konnten  nach  kaum  14tägigem  Gebrauch 
konstatieren,  daß  der  früher  alkalische  Urin 
schwach  sauer  reagierte,  daß  der  früher  trübe 
Urin  jetzt  klar  war,  und  die  subjektiven 
Beschwerden  nachgelassen  hatten. 

Im  letzten  Falle  verwendeten  wir  sofort 
Formaminttabletten,  anfangs  stündlich,  später 
2-,  dann  4 stündlich;  die  Cystitis  war  nach 
3  Wochen  geheilt. 

Wir  gaben  im  Anschluß  daran  durch 
8  Tage  noch  4  stündlich  1  Tablette  und  beob- 
achteten trotz  andauernder  Lähmungserschei- 
nungen und,  obwohl  Patient  aus  äußeren 
Gründen  sich  selbst  den  Katheter  einführte, 
keinen  Blasenkatarrh  mehr. 

Ferner  verwendeten  wir  es  in  2  Fällen 
von  Erysipel,  u.  zw.  bei  einem  9jährigen 
Mädchen,  wo  sich  von  einer  tuberkulösen 
Fistel  in  inguine  ein  Erysipel  entwickelte; 
nach  bereits  3tägiger  Dauer  des  Rotlaufs 
begannen  wir  mit  der  Formamin tbehandlung; 
die  Temperatur  fiel  nun  rasch  ab,  das  Erysipel 
begrenzte  sich  scharf,  und  die  Abschuppung 
begann. 

In  einem  leichten  Falle  von  Gesichts- 
erysipel,  wo  stündlich  eine  Tablette  verab- 
reicht wurde,  trat  schon  em  3.  Tage  Heilung 
ein.  Dies  sind  unsere  Erfahrungen  mit 
Formamint  in  therapeutischer  Hinsicht. 


Sehr  wichtig  scheint  es  uns,  darauf  hin- 
zuweisen, daß  Formamint  auch  in  prophylak- 
tischer Hinsicht  ein  nicht  zu  unterschätzendes 
Medikament  darstellt.  Als  Beweis  dafür 
will  ich  folgende  Beobachtung  mitteilen. 

In  der  ersten  Hälfte  April  d.  Js.  ent- 
stand auf  einer  überfüllten  Abteilung  unseres 
Krankenhauses  eine  Scharlachepidemie,  welche 
in  wenigen  Tagen  6  Opfer  forderte.  Darauf 
wurden  die  Krankenzimmer  daselbst  sofort 
gründlich  desinfiziert,  und  auf  unseren  Vor- 
schlag erhielten  die  vom  Scharlach  bis  dahin 
verschont  Gebliebenen  (Kinder  und  Frauen) 
durch  3 — 4  Tage  zweistündlich  je  eine 
Formamin tp astille;  keiner  von  diesen  Patienten 
ist  später  an  Scharlach  erkrankt. 

Eine  ebensolche  Beobachtung  wurde  später 
an  einer  anderen,  ebenfalls  überfüllten  Ab- 
teilung gemacht.  Ein  11  jähriger  Knabe, 
der  mit  2  Kindern  in  einem  Bette  unter- 
gebracht war,  erkrankte  am  23.  V.  1.  Js. 
an  Scharlach.  Sämtliche  Patienten  des  be- 
treffenden Zimmers  erhielten  sofort  durch 
4  Tage,  die  zwei  Bettgenossen  des  erkrankten 
Knaben  durch  8  Tage  2  stündlich  je  eine 
Formaminttablette.  Keiner  dieser  Patienten 
ist  bisher  (Mitte  Juni)  an  Scharlach  erkrankt. 

Auch  in  ambulatorisch  behandelten  Fällen 
konnten  wir  gleich  günstige  Erfolge  kon- 
statieren. Nachteilige  Wirkungen  des  Form- 
aldehyds wie  Nierenreizung  oder  Vergiftungs- 
symptome fehlten  vollständig. 

Die  gemachten  Beobachtungen  berechtigen 
uns  zu  dem  Schluß,  daß  Formamint  nicht 
nur  therapeutisch,  sondern  auch  prophylak- 
tisch großen  Wert  besitzt,  und  wir  glauben, 
daß  es  bald  einen  hervorragenden  Platz  in 
unserem  Arzneischatze  einnehmen  wird. 

Literatur: 

Dr.  Otto  Hesse:  Formaldehyd. 

Dr.  Paul  Rosenberg:  Nachweis  dos  Form- 
aldehyds im  Blute  nach  interner  Anwenden?. 

Derselbe:  Über  den  Wert  des  Formaldehyds 
für  interne  Erkrankungen. 


Über  den  quantitativen  Nachweis 

einer  organischen  Phosphorverbindung 

in  Traubenkernen  und  Naturweinen. 

Von 

J.  Weirich  und  Q.  Orilieb. 

Mit  der  Untersuchung  von  Weinen  be- 
schäftigt, die  bei  der  Krankenbehandlung 
Verwendung  finden  können,  fiel  uns  ein 
Wein  auf,  der  einen  sehr  hohen  Phosphor- 
gehalt aufwies.  Dieser  Wein,  ein  Süßwein, 
garantiert  ohne  Zusätze  aus  Trauben  der 
Insel  Thyra  gekeltert,  enthielt  0,095  °/o  P*Os. 


Ofrtobw  KwSf ']       W* !  r *  c  h  imd  °*tH««>»  Nichweli  eln«r  organisch«!  Phosphor  Verbindung. 


523 


Ein  älterer  Jahrgang  desselben  Weines  hatte 
bei  der  damaligen  Untersuchung  0,092  P908 
ergeben.     Vergleichsweise  sei  hier  der  Phos- 
phorgehalt anderer  Krankenweine  angegeben : 
Ein  Wein  aus  Trauben  grie- 
chischen Ursprungs  enthielt  0,053  °,<>  P*05 
Malaga  weine  enthalten.     .     .    0,04—0,049  - 
Tokaierweine  enthalten     .     .    0,02—0,06     - 
Nach    Fischer,    Jahresbericht 
des  U.-A.  der  Stadt  Bres- 
lau, enthalten  herbe  Tokaier  0,023—0,041  -      - 

Nachdem  nun  Schulze  und  Likiernik, 
ferner  Schlagdenhaufen  und  Reeb,  in 
neuerer  Zeit  auch  Postern ak  die  Anwesen- 
heit von  Lecithinen  oder  anderen  organi- 
schen Phosphorverbindungen  in  den  Samen 
vieler  Pflanzen  nachgewiesen  hatten,  so 
stellte  sich  uns  die  Frage  auf,  ob  nicht  in 
den  Kernen  reifer  Trauben  sich  ebenfalls 
organische  Phosphorverbindungen  vorfinden, 
von  welchen  dann  ein  Teil  durch  die  Gärung 
und  den  Alkoholgehalt  des  Weines  in  diesen 
mit  übergehe.  "Wir  wurden  durch  den  Ver- 
gleich vieler  Weinanalysen  in  unserer  An- 
nahme bestärkt ,  da  mit  zunehmendem 
Alkoholgehalt  gewöhnlich  der  Phosphor-  und 
oft  auch  der  Stickstoffgehalt  zunimmt.  Wir 
versuchten  nun,  mit  jenem  an  Phosphor  so 
außergewöhnlich  reichen  Thyraweine  obige 
Frage  zu  lösen. 

Ehe  wir  zur  Untersuchung  des  Weines 
selbst  schritten,  wurden  die  Kerne  der  zu 
diesem  Weine  benutzten,  nicht  vergorenen 
Trauben  auf  ihren  Gehalt  an  unorganischem 
und  organischem  Phosphor  (Lecithin)  unter- 
sucht. Zu  diesem  Zwecke  wurden  sorg- 
fältig gereinigte  und  getrocknete  Trauben- 
kerne nach  der  Schulzeschen  Methode1)  mit 
Äther,  Petroläther  und  schließlich  mit  ab- 
solutem Alkohol  bei  einer  Temperatur  von 
45  —  50°  C.  extrahiert.  Im  Gegensatze  zu 
den  Angaben  von  Schulze  konnten  wir 
jedoch  in  dem  als  Öl  und  Fettlösungsmittel 
angewendeten  Äther  und  Petroläther  nach 
der  Extraktion  ebenfalls  Phosphor  nach- 
weisen. 

Bei  2,51  °/0  Mineralbestandteilen  ent- 
hielten die  Kerne  0,5475  g  Mga  P3  07  = 
0,3488  g  P,  06,  als  Gesamtphosphor  in  100  g. 

Die  von  der  Lecithinextraktion  zurück- 
gebliebenen Kerne  enthielten  noch  0,5035  °/0 
Mg3  P9  07  =  0,3210  °/0  Pa  0§.  Berechnet 
man  die  Differenz ,  so  mußten  0,044  g 
•Mg,  P9  07  im  veraschten  Äther-  und  Alkohol- 
extrakt als  Rest  des  organischen  Phosphors 
gefunden  werden.  In  Wirklichkeit  wurden 
im  Extrakt  von  100  g  Kernen  0,0397  g 
Mga  Pj  07  gefunden,   wovon  auf  das   alkoho- 


')  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie  1891, 
pag.  406. 


lische  Extrakt  0,0347,  auf  des  Ätherextrakt 
0,005  Mga  P,  07  kommen. 

Rechnet  man  diese  gefundenen  Werte  in 
Lecithin  (Stearinsäure-  oder  Ölsäure-Lecithin) 
um,    so  ergibt   sich   als  Gesamtlecithingehalt 
in  100  g  Kernen  0,2854  g. 
Hiervon     sind     durch    Alkohol 

extrahiert 0,2498  g 

'durch  Äther,  Petroläther      .     .     0,0360  gf) 

Nach  der  Methode  von  Schlagden- 
haufen und  Reeb,  die  das  Untersuchungs- 
material mit  siedendem  Petroläther  und 
Alkohol  im  Extraktionsapparat  auf  dem 
Wasserbade  ausziehen,  wurden  kleinere  Re- 
sultate an  organischem  Phosphor  gefunden. 
Es  ist  wahrscheinlich,  daß  ein  Teil  der  or- 
ganischen Verbindung  durch  die  50°  über- 
steigende Temperatur  bei  dieser  Behandlung 
zersetzt  wird. 

Nachdem  wir  also  die  Anwesenheit  einer 
organischen  Phosphorverbindung  in  den 
Kernen  nachgewiesen  hatten,  traten  wir  an 
die  Beantwortung  der  Frage  heran,  ob  nicht 
ein  Teil  dieser  organischen  Phosphorver- 
bindung, die  wir  vorläufig,  der  Kürze  halber, 
mit  dem  Namen  Lecithin  bezeichnen  wollen 
—  eine  weitere  Begründung  hierzu  soll 
weiter  unten  angeführt  werden  —  in  den 
Wein  übergehe.  Zu  diesem f  Zwecke  wurden 
500  cem  des  0,095  °/0  P9  05  enthaltenden 
Thyraweines  in  einer  flachen  Schale  auf 
dem  Dampf  bade  bei  einer  50°  nicht  über- 
steigenden Temperatur  bis  zur  Extraktdicke 
eingedampft,  dann  dieses  Extrakt  mit  ge- 
waschenem Seesande  zu  Pulver  zerrieben 
und  schließlich  auf  Glasplatten  im  Trocken- 
schrank wieder  bei  50°  getrocknet,  bis  das 
Pulver  so  trocken  war,  daß  es  sich  unter 
dem  Drucke  eines  Pistells  im  Mörser  nicht 
mehr  ballte. 

Vor  dem  Vermengen  des  Seesandes  mit 
dem  Extrakte  des  Weines  ist  ersterer  auch 
auf  50°  zu  erwärmen,  da  das  Extrakt  beim 
Erkalten  leicht  Klumpen  bildet,  die  sehr 
schwer  zu  verteilen  und  für  das  Extraktions- 
mittel dann  undurchlässig  sind.  Das  mit 
Seesand  vermischte  pulverförmige  Extrakt 
wurde  dann  mit  immer  neuen  Mengen  auf 
45 — 50°  erwärmten  absoluten  Alkohols  in 
einer  Porzellanschale  so  lange  angerieben, 
bis  die  letzten  Portionen  Alkohol  nichts 
mehr  lösten3). 


*)  Zu  bemerken  ist  an  dieser  Stelle,  daß  diese 
Bestimmungen  des  Lecithins  in  den  Trauben- 
kernen auf  unsere  Veranlassung  ebenfalls  durch 
Herrn  E.  Lütt  aasgeführt  worden.  Die  gefundenen 
Resultate  stimmten  vollständig  mit  den  hier  an- 
gegebenen überein. 

■)  Vor  dem  Abgießen  des  Alkohols  ließen  wir 
das  Extrakt  jedesmal  gut  absetzen. 


524 


Weir Ich  und  Ortlieb,  Nachweis  einer  organ  lachen  Photphocrerbindunf. 


rTherapeutiech« 
L   Monatshefte. 


Es  blieb  dann  ein  im  Wasser  mit  der 
Farbe"[des  Weines  klar  losliches  Extrakt 
übrig.  Der  die  gelösten  Stoffe  enthaltende 
absolute  Alkohol  wurde  einige  Tage  stehen 
gelassen,  klar  abfiltriert,  der  Alkohol  auf  dem 
Wasserbade  abgedampft,  das  Extrakt  schließ- 
lich in  eine  Platinschale  gebracht,  verkohlt 
und  mit  Natriumkarbonat  und  Kaliumnitrat 
geschmolzen,  nach  der  bekannten  Methode 
mit  verdünnter  Salpetersäure  ausgelaugt  und 
in  der  Lösung  die  Phosphate  mit  Ammonium- 
molybdatlösung  gefällt  und  der  Phosphor 
schließlich  als  Magnesiumpyrophosphat  ge- 
wogen. Aus  letzterem  wurde  das  ent- 
sprechende Lecithinquantum  berechnet.  Dieser 
Versuch  wurde  viermal  wiederholt  mit  folgen- 
den Resultaten: 

Versuch  I. 

500  ccm  Wein  bei  40°  eingedampft. 

Extrakt  mit  absolutem  Alkohol  extrahiert. 
Resultat  =  0,0245  Mg,  P,  07. 

Versuch  II. 

500  ccm  Wein  mit  Kreide  neutralisiert,  ein- 
gedampft. 

Bei  diesem  Versuche  stieg  die  Temperatur 
während  kurzer  Zeit  auf  zirka  80°.  Extrakt  be- 
handelt wie  bei  I.    Resultat  =  0,0  Mg,  P,  0T. 

Versuch  III. 
500  ccm  Wein  im  Vakuum  eingedampft 
Temperatur  stieg   auf  55°,    sonst    wie    bei   I. 
Resultat  =  0,0240  Mg2  P,  07. 

Versuch  IV. 
500  ccm  Wein    behandelt   wie  bei  I.   Resultat 
=  0,0248  Mg,  P,  Or. 

Der  Ph 08p borgehalt  in  Lecithin  umgerechnet 
gibt  folgende  Resultate: 

Versuch  I     pro  Liter    0,3528  g  Lecithin, 
-        II      -        -       0,0        - 

III  -        -       03456  - 

IV  -        -       0,3571  - 

Ein  fünfter  Versuch  wurde  angestellt, 
um  das  Löslich  k  ei  ts  vermögen  des  Wein- 
lecithins  in  Äther  und  Chloroform  festzu- 
stellen. Zu  diesem  Zwecke  wurde  aus 
500  ccm  Wein  der  Alkohol  im  Vakuum  ab- 
destilliert. Der  etwas  trübe4)  Rückstand 
wurde  dann  zunächst  mit  Äther  und  nach- 
her mit  Chloroform  ausgeschüttelt,  wobei  er 
sich  wieder  aufhellte. 

Beide  Aussen  üttelungsflüssigkeiten  blieben 
vollständig  farblos  und  klar,  färbten  sich 
jedoch  beim  Erwärmen  und  hinterließen  beim 
Abdampfen  einen  braunen  Rückstand,  in 
welchem  Phosphor  nachweisbar  war.  Es 
hatte  also  auch  hier  wie  bei  den  Kernen 
eine  teilweise  Lösung  der  organischen  Phos- 
phorverbindung in  Äther  und  Chloroform 
stattgefunden. 


4)  Ausscheidung  von  Lecithin,   das  in  Wasser 
unlöslich  ist. 


Welche  Fettsäure-Radikale  sich  in  diesem 
Pflanzenlecithin  befinden,  ist  nicht  festgestellt 
worden,  handelte  es  sich  doch  in  dieser 
Arbeit  besonders  darum,  nachzuweisen,  daß 
in  alkoholreichen  Naturweinen  aus  kernen- 
reichen Trauben  organisch  gebundener  Phos- 
phor vorhanden  sein  kann  und  im  unter- 
suchten Weine  vorhanden  war.  Auch  läßt 
sich  der  Gedanke  nicht  ausschließen,  daß 
vielleicht  ein  Teil  des  Phosphors  als  Anhy- 
drooxymethylendiphosphorsäure,  deren  Vor- 
kommen Posternak  kürzlich  in  Pflanzen 
und  Pflanzensamen  nachwies  *),  vorhanden 
sei.  Doch  ist  dies  weniger  wahrscheinlich: 
Wenn  wir,  wie  oben  schon  angedeutet,  diese 
organische  Verbindung  des  Phosphors  mit 
Lecithin  identifizieren  zu  dürfen  glaubten, 
so  gab  uns  hierzu  der  mit  zu-  und  ab- 
nehmendem Phosphorgehalt  sinkende  und 
steigende  Stick  stoffgeh  alt  der  Weinextrakte 
Veranlassung. 

Ein     griechischer     Wein  mit 

0,0585  %  Pi  05  enthalt  .    .    0,025  %  Stickstoff, 

Wein    aus    Thy ratrauben  mit 

0,092  %  P,  05  enthält  .    .    0,05     - 

Wein    aus    Thy  ratrauben  mit 

0,095  %  P,  06  enthalt  .    .    0,057 

Außerdem  ist  mit  einem  Quantum  Trauben 
der  Versuch  gemacht  worden,  vor  dem  Gären 
die  Kerne  zu  zerhacken,  um  festzustellen,  ob 
hierdurch  vielleicht  eine  Erhöhung  des 
Phosphorgehalts  im  fertigen  Weine  zu  er- 
zielen sei,  was  nur  in  geringem  Grade  ein- 
trat, da  der  Phosphorgehalt  sich  auf 
0,0966  °/0  erhöhte.  Der  Stickstoffgehalt  je- 
doch hielt  auch  hier  gleichen  Schritt  und 
erhöhte  sich  auf  0,0596  °/0. 

Hieraus  darf  wohl  geschlossen  werden, 
daß  dieses  gleichmäßige  Steigen  und  Sinken 
des  Phosphors  und  Stickstoffs  auf  Lecithin 
hinweist. 

Durch  die  Feststellung  der  Anwesenheit 
von  Lecithin  im  Weine,  welches  in  alkohol- 
ärmeren Weinen  wohl  nur  in  ganz  kleinen 
Quantitäten  oder  gar  nicht,  in  alkohol- 
stärkeren Weinen  dagegen  wie  in  dem  hier 
untersuchten  mit  15,36  Volumprozenten 
Alkohol  in  schon  ansehnlichem  Maße  vor- 
handen ist,  läßt  sich  auch  die  seit  alters  her 
bekannte  uod  bewährte  kräftigende  Wirkung 
des  Weines  auf  den  menschlichen  Organis- 
mus erklären  und  als  berechtigt  ansehen. 
Dank  der  Anwesenheit  des  Lecithins,  dessen 
physiologisch  wertvolle  Wirkungen  ja  be- 
kannt sind,  wird  bei  der  Krankenbehand- 
lung in  den  Fällen,  in  denen  alkoholische 
Anregungsmittel  indiziert  sind,  starken  natür- 
lichen Südweinen  vor  Destillationsprodukten 


5)  Comptes  rendus  1903,  Tome  137,  No.  6. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Oktober  19u6.  J 


Weirieh  und  Ortl!«b,  Nachwelt  einer  organischen  Phoephorverblndung. 


525 


(Kognak,  Arrak,  Rum  u.  8.  w.)  wohl  der 
Vorzug  gegeben  werden  müssen.  Bei  Be- 
urteilung von  Krankenweinen  ist  also 
Tor  allem  der  Phosphorsäuregehalt 
zu  prüfen  und  die  Anwesenheit  -von 
organisch  gebundenem  Phosphor  fest- 
zustellen. In  Weinen,  denen  ein  großer 
Teil  des  Alkohols  erst  nach  der  Gärung 
und  Entfernung  von  den  Trauben  künstlich 
zugesetzt  wird,  wie  dies  bei  der  Sherry-, 
Malaga-,  Porto-  und  oft  auch  bei  der 
Tokaierbehandlung  geschieht  ,  wird  wohl 
kein  Lecithin  oder  sehr  wenig  vorkommen. 
Die  Gesamtphosphorsäurebestimmung  wird 
dabei  schon  Aufschluß  geben,  da  an  Phos- 
phorsäure arme  Weine  neben  dem  un- 
organischen Phosphor  kaum  noch  Lecithin 
enthalten  können. 

Wenn  das  Vorkommen  von  organisch  ge- 
bundenem Phosphor  in  starken  Südweinen 
sich  als  allgemein  herausstellen  sollte,  so 
könnte  der  Nachweis  desselben  zugleich 
Aufschluß  auf  Naturreinheit  geben.  Und 
sollte  es  sich  bestätigen,  daß  Lecithin  in 
sämtlichen  Naturweinen  sich  befindet,  so  sei 
für  diesen  Fall  hier  noch  eine  letzte  und 
nicht  unwichtige  Schlußfolgerung  angeknüpft. 

Es  werden  seit  längerer  Zeit  schon  ver- 
schiedene Behandlungen  vorgeschrieben,  um 
Wein  vor  Krankheiten  zu  schützen  und 
haltbarer  zu  machen.  Dazu  gehören  das 
Pasteurisieren  des  Weines  und  das  Erhitzen 
des  Mostes  bei  nachheriger  Zugabe  von 
neuer  Hefe 6).  Beides  sind  sicherlich  gute 
Methoden,  um  die  schädlichen  Pilze,  Ur- 
sachen der  bekanntesten  Weinkrankheiten, 
zu  zerstören  oder  am  Weiterentwickeln  zu 
verhindern.  Sie  scheinen  rationell  und  an- 
gezeigt. Sie  sind  aber  auch  Methoden,  die 
sicher  den  Hauptbestandteil  des 
Weines,  das  Lecithin,  zerstören,  das 
schon  bei  wenig  über  50°  sich  zersetzt.  Wir 
möchten  hier  im  Interesse  der  physiologi- 
schen Wirkung  des  Weines  vor  diesen 
Manipulationen,  so  unschuldig  sie  auch  er- 
scheinen mögen,  warnen,  denn  durch  sie 
wird  der  Wein  gerade  seiner  wohltuenden 
Eigenschaften  beraubt,  und  es  bleibt  ein  Ge- 
misch übrig,  dem,  so  sehr  es  auch  dem 
Gaumen  des  Konsumenten  munden  mag,  der 
in  dieser  Arbeit  nachgewiesene  physiologisch 
aktive  Stoff,  das  Pflanzenlecithin,  fehlt, 
und  das  den  Namen  „Weina  im  rein  wissen- 
schaftlichen Sinne  des  Wortes  nicht  mehr 
verdient. 

Fehlt  aber  dem  Weine  diese  organische 
Phosphorverbindung,  so  sind,  so  seltsam  sie 
auch  scheinen  mögen,  die  Behauptungen  der 


6)  Rosenstiehlsches  Verfahren. 


Alkoholfeinde  und  auch  berühmter  Physio- 
logen richtig,  wenn  sie  sagen,  daß  schließ- 
lich Wein  keine  andere  Wirkung  hervor- 
rufen kann  als  ein  entsprechend  verdünnter 
Alkohol.  Und  fürwahr,  entziehen  wir  dem 
Weine  das  Lecithin,  welches  ist  dann  der 
übrigbleibende  Stoff,  dem  eine  kräftigende 
und  stärkende  Wirkung  beigemessen  werden 
könne,  eine  Wirkung,  die  doch  gewiß  nicht 
aus  Irrtum  oder  bloßem  Wahne  seit  Jahr- 
hunderten so  hoch  gehalten,  anerkannt  und 
geschätzt  wurde? 

Auch  vom  Alkohol  oder  den  Ätherarten 
kann  eine  solche  Wirkung  .nicht  herkommen, 
beweisen  doch  all  die  Arbeiten  neuerer  Zeit, 
daß   jene    dem  Körper    eher   schädlich    sind. 

Erhalten  wir  deshalb  dem  Weine  seine 
Bestandteile,  und  er  wird  der  Menschheit, 
auch  künftighin  noch,  als  ein  wahres  Nah- 
rungs-  und  Kräftigungsmittel  große  und 
sichere  Dienste  leisten. 


Zur  Frage 
der  paroxysmalen  Hämoglobinurie. 

Von 
Dr.  Conr.  Schindler, 

gew.  1.  AtstatensarEt  an  der  med.  Klinik  der  Universität  Bern. 

Das  Referat  von  Hrn.  Eschle  (Sinsheim) 
über  die  „Beiträge  zur  Lehre  von  der  paroxys- 
malen Kältehämogiobinurie"  von  J.  Donath 
in  der  Oktobernummer  der  Therap.  Monatsh, 
1904  gibt  mir  Veranlassung  zu  einigen  er- 
weiternden Bemerkungen. 

Die  Frage  der  paroxysmalen  Hämoglobin- 
urie ist  in  letzter  Zeit  experimentell  beleuchtet 
worden  durch  eine  Arbeit  von  J.  Camus1), 
der  auf  Grund  seiner  Untersuchungen  zu 
wesentlich  von  den  bisherigen  Annahmen 
über  die  Herkunft  des  ausgeschiedenen  Hämo- 
globins abweichenden  Folgerungen  gelangt. 

Camus  sieht  die  Quelle  des  in  den  Harn 
übergehenden  Hämoglobins  in  den  Muskeln. 
Die  paroxysmale  Hämoglobinurie  des  Menschen 
zeigt  klinisch  große  Ähnlichkeit  mit  der  u.  a. 
von  Lucet  eingehend  beschriebenen  Hämo- 
globinurie der  Pferde,  wo  stets  in  den  schweren 
Fällen  ausgeprägte  anatomische  Veränderungen 
im  Muskelgewebe  nachzuweisen  sind.  Fröhner 
hat  die  Vermutung  ausgesprochen,  das  Hämo- 
globin im  Urin  mochte  diesen  zerfallenden 
Muskelfasern  (mit  reaktiven  entzündlichen 
Veränderungen)  entstammen. 

Camus'  Versuche  an  Hunden  stellen  nun 
fest    (was    z.  T.    schon    aus   Untersuchungen 


t)  Camus,  Les  Hemoglobinuries.     Paris  chez 
C.  Naud  1903. 


526 


Schindler,  Zur  Frage  der  paroxysmalen  Hämoglobinurie. 


rher&petitfeeb« 
Monatshefte. 


anderer  Autoren  hervorgegangen  war),  daß 
die  Annahme  einer  in tra vaskulären  Hämolyse 
der  Schwierigkeit  begegnet,  daß  das  Plasma 
bei  der  paroxysmalen  Hämoglobinurie  häufig 
keine  sichtbare  Färbung  zeigt  —  weswegen 
auch  Rosenbach  die  Hämolyse  in  die  Nieren 
verlegt  hat  — ,  während  doch  andererseits 
selbst  größere  Mengen  intravenös  eingebrach- 
ten Blutkörperchenhämoglobins  die  das  Plasma 
deutlich  rotlich  tingieren,  im  Urin  nicht 
wieder  zum  Vorschein  kommen,  sondern  im 
Korper,  und  zwar  vornehmlich  im  Lymph- 
system, zurückbehalten  werden,  und  eine  Hämo- 
globinurie erst  durch  Injektion  einer  Hämo- 
globinmenge zu  erzielen  ist,  die  dem  Plasma 
ein  Titre  von  ca.  0,23  (auf  100  Plasma)  ver- 
leiht. Dagegen  tritt  der  Farbstoff  der  roten 
Muskeln  mit  größter  Leichtigkeit  in  den 
Harn  über,  werde  er  nun  in  die  Blutbahn 
injiziert  oder  im  Korper  selbst  durch  Schädi- 
gung der  Muskelfasern  ausgelaugt.  Die  im 
Blut  zirkulierende  Quantität  braucht  nicht 
einmal  genügend  zu  sein,  um  sich  in  einer 
Färbung  des  Plasmas  zu  verraten.  Beim 
Durchgang  durch  die  Nieren  erfährt  das 
Hämoglobin  eine  Konzentration;  das  Hämo- 
globin titre  des  Harns  ist  weit  höher  als  das  des 
Plasmas ;  höher  selbst  als  das  der  eingeführten 
Lösung.  Trotzdem  bleibt  auch  hier  ein  ge- 
wisser Teil  des  injizierten  Hgb  im  Körper 
zurück. 

Der  experimentellen  Hämoglobinurie  geht 
meist  eine  Albuminurie  voraus;  bei  intra- 
venöser Injektion  sowohl  wie  bei  Schädigung 
der  Muskelsubstanz  durch  Einspritzung  von 
destilliertem  Wasser  oder  Glyzerin  und  ent- 
sprechend der  klinischen  Beobachtung  einer 
Albuminurie  als  Äquivalent  der  leichtesten 
Grade  von  Hämoglobinurie  kann  sie  bei  sehr 
geringer  Injektionsmenge  allein  auftreten. 

Den  Beweis,  daß  wirklich  das  Muskel- 
hämoglobin die  Niere  passiert  und  ausge- 
schieden wird,  so  daß  nicht  etwa  bloß  unter 
der  Wirkung  des  Muskel  färb  Stoffs  Blutkörper- 
chen in  den  Gefäßen  oder  in  der  Niere  Hgb 
zur  Elimination  abgeben,  glaubt  Camus 
durch  folgendes  erbracht: 

Ein  durch  Tierkohle  entfärbtes  Extrakt 
von  Muskelsubstanz  verändert  den  Harn  nicht, 
auch  dann  nicht,  wenn  ihm  globuläres  Hämo- 
globin zugefügt  wird  (natürlich  in  einer 
Quantität,  die  die  oben  genannte  Retentions- 
grenze  nicht  überschreitet). 

Bei  gleichzeitiger  Injektion  von  musku- 
lärem und  globulärem  Hgb  gelangt  nicht  mehr 
Hämoglobin  zur  Ausscheidung  im  Harn,  als 
wenn  ersteres  allein  eingeführt  wird. 

Die  Beweiskette  sollte  sich  hier  unschwer 
noch  etwas  enger  schließen  lassen  durch 
bloße    Wiederholung   des    Versuchs   mit  dem 


durch  den  Urin  ausgeschiedenen  Hämoglobin. 
Ist  dieses  wirklich  dem  Muskelfarbstoff  iden- 
tisch, so  muß  es  wohl  auch  dessen  Fähigkeit 
behalten  haben,  seinerseits  mit  größerer  Leich- 
tigkeit eine  Hämoglobinurie  zu  bewirken  als 
globuläres  Hgb. 

Bei  der  Injektion  von  destilliertem  Wasser 
oder  Glyzerin  in  die  Muskulatur  traten  regel- 
mäßig Kontrakturen  und  fibrilläre  Zuckungen 
auf.  In  diesen,  deren  Erzeugung  durch  bloß 
lokale  Abkühlung  einer  Extremität  nicht  ge- 
lingen wollte,  erblickt  Camus  das  Bindeglied 
zwischen  der  experimentellen  und  der  klini- 
schen, der  Kälten ämoglobinurie.  Nicht  die 
direkte  Einwirkung  niedriger  Temperatur 
ist  es,  was  den  Muskel  in  seinem  Geföge 
schädigt  und  seinen  Farbstoff  ins  Blut  über- 
treten läßt,  sondern  die  von  der  Hautober- 
fläche aus  reflektorisch  ausgelöste  heftige  und 
die  Muskelfaser  erschöpfende  Zitterbewegung 
beim  persönlich  zur  Hämoglobinurie  veran- 
lagten Individuum.  Der  Schüttelfrost  gehört 
denn  ja  auch  zu  den  typischen  Symptomen 
des  Anfalls.  Die  Kälteh ämoglobinurie  gehört 
sonach  mit  den  Hämoglobinurien  nach  über- 
mäßiger Anstrengung  grundsätzlich  zusammen. 


Bemerkungen  zu  der  Sauerstofltherapie. 

Von 

Dr.  A.  Heermann  in  Posen. 

Da  bei  der  Diskussion  über  Wert  und 
Indikationen  der  Sauerstoffinhalationen  grade 
neuerdings  wieder  mehrfach  der  Erfolg  nicht 
dem  Sauerstoff,  sondern  teils  der  Suggestion 
teils  der  angeblich  durch  die  Ventilapparate 
modifizierten  Atmung  zugeschrieben  wird, 
sehe  ich  mich  veranlaßt,  einen  in  dieser  Hin- 
sicht lehrreichen  Fall  aus  der  allerersten 
Zeit  der  Sauerstofftherapie  zu  erwähnen. 

Es  handelte  sich  um  ein  zweijähriges 
Kind,  welches  seit  3  Wochen  an  schwerer 
wandernder  Pneumonie  litt,  seit  mehreren 
Tagen  somnolent  und  mit  Kampfer-Benzoe, 
Wein  etc.  hingehalten  wurde. 

Ich  fügte  diesen  Mitteln  die  künstliche 
Atmung  hinzu,  wie  ich  sie  später  geschildert 
habe*),  und  dazwischen  Sauerstoffinhala- 
tionen (2stündl.  5  Liter  aus  einem  Gummi- 
ballon unter  Anwendung  eines  Mundstücke« 
oder  einer  gewöhnlichen  ventillosen  Schimmel- 
busch-Maske). Und  nun  war  es  bemerkenswert 
zu  beobachten,  wie  tagelangbei  jeder  Inhalation 
eine  Verstärkung  des  Pulses  eintrat.  Ob  dies 
auf  die  spätere  Heilung  von  Einfluß  gewesen, 
will    ich    dahingestellt    sein    lassen.      Diese 


*)  Therapeutische  Monatshefte  AuguBt  1901. 


XIX.  Jahrgang. 
Oktober  1906. 


1 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


527 


unzweifelhaft  festgestellte  Tatsache  aber  ent- 
scheidet für  mich  ohne  weiteres  beide  obigen 
Fragen  dahin,  daß  wenigstens  in  einzelnen 
Fällen  wie  hier  der  Sauerstoff  allein  wirken 
muß.  Denn  hier  gab  es  keine  Ventile  und 
keine  Suggestion,  da  das  Kind  in  seinem 
bewußtlosen  Zustande  von  allen  Manipulationen 
nicht  das  Mindeste  bemerken  konnte. 

Nebenbei  war  es  interessant,  die  Puls- 
verstärkung neben  der  analeptischen  Wir- 
kung der  übrigen  Mittel  zu  konstatieren, 
was,  wie  bereits  auch  anderweitig  bemerkt 
wurde,  wohl  auf  einer  anderen  Art  der 
Reizung  beruhen  muß. 


Im  übrigen  habe  ich  auf  Grund  zahl- 
reicher weiterer  Anwendungen  des  Sauer- 
stoffes in  der  Praxis  an  der  Überzeugung 
festgehalten,  daß  der  Sauerstoff,  gewisser- 
maßen als  Nahrungsmittel  für  das  Blut  ge- 
braucht und  in  regelmäßigen  Zeiträumen  ein- 
genommen, nicht  nur  bei  Kohlenoxydvergif- 
tungen  etc.,  sondern  auch  bei  anderen  Lungen- 
erkrankungen mit  Termin dertem  Gasaustausch 
entschieden  von  Vorteil  ist,  ständig  ange- 
wendet werden  sollte,  wo  er  beschafft  werden 
kann,  und  nicht  zu  Enttäuschungen  Veran- 
lassung gibt,  wenn  man  nicht  Unmögliches 
von  ihm  erwartet. 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


L  Kongreß 
der  Internationalen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

Brüssel,  18.— 23.  September. 
Referent:    Dr.  H.  Wohl  gern uth  (Berlin). 

Unter  dem  Vorsitz  von  Kocher  (Bern) 
wurde  der  Kongreß  mit  einer  Ansprache  des 
Ackerbau ministers  Baron  van  der  Bruggen 
eröffnet.  Im  Namen  der  Regierung  begrüßte 
dieser  die  Versammlung,  indem  er  einen  kurzen 
Rückblick  auf  die  ungeheuren  Fortschritte  warf, 
die  die  Chirurgie  in  den  letzten  50  Jahren  ge- 
macht hat.  Er  beglückwünschte  den  Kongreß, 
daß  seine  Leitung  in  den  bewahrten  Händen 
Kochers  läge.  Der  Präsident  der  belgischen 
Gesellschaft  für  Chirurgie,  Professor  Depage, 
begrüßte  die  Versammlung  im  Namen  dieser, 
der  Generalstabsarzt  der  Armee,  Mr.  Logie 
(medecin-prineipal  de  l'armee)  im  Namen  des 
Kriegsministers.  Nach  ihm  gab  der  Präsident 
Herr  Kocher  in  einem  längeren  Vortrag  einen 
"Überblick  über  die  Heilung  des  Karzinoms  auf 
operativem  Wege.  Indem  er  die  Resultate  der 
operativ  behandelten  Karzinome  der  verschie- 
denen Organe  tabellarisch  nebeneinanderreihte, 
kam  er  zu  dem  Schluß,  daß  bis  heute  die  mög- 
lichst frühzeitige  Radikaloperation  der  Karzinome 
die  aussichtsvollste  Therapie  ist,  da  jedes  Kar- 
zinom zuerst  eine  absolut  lokale  Erscheinung 
ist.  Und  wenn  er  auf  die  Forderung  Billroths: 
„die  Therapie  des  Karzinoms  muß  chirurgischer 
werden"  und  ähnliche  Aussprüche  anderer  be- 
rühmter Chirurgen  hinweist,  so  will  er  dabei 
doch  betonen,  daß  die  Chirurgen  bei  dieser  so 
überaus  wichtigen  Frage  keineswegs  der  Hilfe  der 
internen  Mediziner  entbehren  wollen,  aber  für  sich 
in  Anspruch  nehmen  müssen,  was  ihnen  gehört. 

Herr  Ch.  Willems  (Gent),  der  Delegierte 
Belgiens  zum  Kongreß,  weist  darauf  hin,  daß 
auf  diesem  Kongreß  nicht  unzählige  Vorträge 
über  alle  möglichen  Dinge  gehalten  werden, 
sondern  daß  mit  besonderer  Absicht  die  Kongreß- 
leitung darauf  Bedacht  genommen  hat,  eine  be- 
stimmte,   abgeschlossene    Reihe    von    wichtigen 


Fragen  auf  die  Tagesordnung  zu  stellen,  die,  an 
jedem  Tag  eine,  durch  vorher  bestimmte  Redner 
aufgerollt  und  durch  Diskussion  möglichst  er- 
schöpft werden  sollen. 

Die  Tagesordnung  des  wissenschaftlichen 
Teiles  des  Sitzungstages  wurde  eröffnet  mit  der 
Diskussion  über  den  Wert  der  Blut  Unter- 
suchung in  der  Chirurgie. 

Der  erste  Redner,  Herr  Ortiz  de  la  Torre 
(Madrid),  führte  zunächst  aus,  daß  in  Spanien 
die  Wichtigkeit  der  Blutuntersuchung  noch  nicht 
genügend  allgemein  anerkannt  ist,  wie  er  glaubt, 
wahrscheinlich  deshalb,  weil  prima  vista  der 
Untersuchungsmethoden  zu  viel  und  ihre  Technik 
zu  kompliziert  zu  sein  scheint.  Doch  ist  für 
den  Chirurgen  ja  nur  wichtig  einmal  den  Hämo- 
globingehalt, dann  Zahl  und  Qualität  der  Leu- 
kozyten zu  kennen,  um  zu  wissen,  wie  schwer 
die  Infektion  und  wie  stark  die  Defensivkraft 
des  Organismus  ist.  Aber  andererseits  findet 
sich  auch  oft  nach  vollkommen  aseptisch  aus- 
geführten Operationen  eine  vorübergehende,  hin 
und  wieder  recht  beträchtliche  Hyperleukozytose. 
Beim  Abklingen  der  infektiösen  Prozesse  hat 
0.  de  la  Torre  gefunden,  daß,  sobald  die  Zahl 
der  polynukleären  Zellen  abzunehmen  beginnt, 
ihr  Protoplasma  Eosin  annimmt,  doch  ist  diese 
Erscheinung  unabhängig  von  der  Zunahme  der 
wahren  eosinophilen  Zellen  in  der  Rekonvaleszenz. 
Der  Vortragende  schließt  noch  einmal  mit  dem 
Wunsch,  daß  die  Blutuntersuchung  wichtigste 
Aufschlüsse  geben  kann  und  wert  ist,  verall- 
gemeinert zu  werden. 

Herr  Sonnenburg  (Berlin)  als  zweiter 
Referent  ist  der  Meinung,  daß  die  Untersuchung 
des  Blutes  nur  dann  von  Wert  sein  kann,  wenn 
sie  mit  den  anderen  klinischen  Untersuchungs- 
methoden kombiniert  ist.  Bei  dem  heutigen 
Stande  der  Wissenschaft  habe  diese  Unter- 
suchungsmethode allein  nur  einen  reinen  rela- 
tiven Wert.  Für  den  Chirurgen  ist  am  meisten 
wichtig  1.  den  Grad  der  Leukozytose  zu  bestimmen, 
und  2.  die  eventuellen  Krankheitskeime  im  Blut 
aufzufinden. 


528 


Therapeutisch«  Mittellungen  aus  Vereinen. 


(Therapeutische 
L    Ilonatnhefte. 


Auf  die  Leukozytenkurve  will  Sonnen- 
barg  genau  so  großen  Wert  gelegt  wissen  wie 
auf  die  Temperaturkurve,  denn  die  Leukozytose 
zeigt  mit  absoluter  Sicherheit  die  Reaktion  des 
Organismus  und  die  Intensität  der  Infektion  an. 
So  rufen  z.  B.  die  entzündlichen  Vorgänge  bei 
der  Peritonitis  oder  Appendicitis  bei  der  über- 
aus großen  Empfindlichkeit  dieser  Organe  eine 
typische  leukozytäre  Reaktion  hervor,  aber  um 
für  die  Diagnose  von  Wert  zu  sein,  muß  sie 
mit  den  anderen  klinischen  Untersuchungs- 
methoden, mit  der  Temperatur,  dem  Stadium 
der  Infektion  verglichen  werden.  Sonnenburg 
glaubt,  daß  einige  Krankheiten  ihre  ganz  be- 
stimmte und  charakteristische  Leukozytenkurve 
haben. 

Besonders  macht  Sonnenburg  auf  fol- 
gende Zeichen  aufmerksam:  Wenn  bei  einer 
erheblichen  Temperatursteigerung  und  Puls- 
frequenz die  Leukozytose  gering  ist  oder  am 
Ende  ganz  fehlt  oder  im  Abnehmen  begriffen 
ist,  so  kann  man  sicher  sein,  daß  die  Infektion 
äußerst  schwer  und  die  Prognose  sehr  schlecht 
ist.  Wohingegen  schwere  klinische  Symptome 
aber  mit  gesteigerter  Leukozytose  von  einer 
guten  Prognose  sind.  Andererseits  kann  aber 
ein  plötzlicher,  hoher  Anstieg  der  Leukozytose 
ein  Zeichen  des  bevorstehenden  Exitus  letalis 
sein,  wie  Sonnenburg  es  bei  diffuser  Peri- 
tonitis beobachtet  hat. 

Man  muß  dabei  nicht  vergessen,  daß  auch 
einige  Vorbereitungen  und  therapeutische  Maß- 
nahmen, die  der  Operation  voraufgehen,  imstande 
sind  (Abführmittel),  die  Leukozytose  zu  beein- 
flussen. Auch  die  Narkose  ist  dabei  zu  be- 
achten, und  zwar  hat  das  Chloroform  einen 
größeren  Einfluß  auf  die  Leukozytose  als 
der  Äther.  Die  Operation  an  sich,  und  zwar  die 
einfache  probatorische  Laparotomie  bewirkt  eine, 
6  —  7  Stunden  nach  der  Operation  auftretende 
und  2  —  3  Tage  dauernde,  Leukozytose.  Sie 
dauert  länger,  wenn  man  tamponiert  oder  drainiert. 

In  der  Leukozytose  hat  man  ein  absolut 
sicheres  differentiell-diagnostisches  Mittel,  einen 
postoperativen  paralytischen  Ileus  zu  unter- 
scheiden von  einer  entzündlichen  Peritonitis, 
ebenso  wird  man  dank  ihrer  eine  Bleikolik  oder 
die  Typhusreste  *  von  einer  Appendicitis  nach 
der  Zahl   der  Leukozyten  unterscheiden  können. 

Was  nun  die  bakteriologische  Untersuchung 
des  Blutes  anlangt,  so  kann  sie  in  den  Fällen 
von  Wichtigkeit  sein,  in  denen  der  Infektions- 
herd noch  zweifelhaft  ist.  Sie  kann  bestimmend 
für  die  Operation  sein,  ihre  Beschleunigung  z.  B. 
bei  suppurativer  Cholecystitis  ausschlaggebend 
für  eine  sofortige  Amputation,  wenn  bei  einer 
Phlegmone  der  Extremität  im  Blute  schon  Bak- 
terien gefunden  werden.  Auch  die  Prognose 
kann  durch  die  Blutuntersuchung  nach  einer 
bestimmten  Richtung  gelenkt  werden.  So  werden 
in  Fällen  von  Appendicitis  oder  Peritonitis  im 
Blute  gefundene  Pneumokokken  die  Prognose 
sicher  verhältnismäßig  gut  erscheinen  lassen. 

Der  Wert  des  Blutbefundes  muß  nun  natür- 
licherweise unser  therapeutisches  Handeln  inso- 
fern beeinflussen,  ab  wir  es  nach  Möglichkeit 
vermeiden  müssen,  Blut-  und  Lymphbahnen  mehr 


als  nötig  zu  eröffnen,  um  die  Propagation  der 
Keime  nicht  zu  fördern.  Daher  wird  auch  der 
scharfe  Löffel  bei  Osteomyelitis,  endometritischen 
Prozessen  etc.  zu  vermeiden,  ausgedehnte  Spü- 
lungen und  gute  Drainage  werden  am  Platze 
sein.  Redner  macht  noch  darauf  aufmerksam, 
daß  der  Schüttelfrost,  der  zuweilen  dem  Kathe- 
terismus der  Harnröhrenstrikturen  folgt,  oft  ein 
Zeichen  mehr  oder  weniger  schnell  vorüber- 
gehender Allgemeininfektion  ist. 

Herr  W.  W.  Keen  (Philadelphia)  hält  ebenso 
wie  Sonnenburg  die  Blutuntersuchung  für 
gleich  wichtig  wie  die  Thermometrie  und  Radio- 
graphie.  Die  chemische  Untersuchung  desselben 
wird  z.  B.  das  Karzinom  konstatieren  durch 
Verminderung  des  Zuckers,  die  bakteriologische 
in  93  Proz.  beim  Typhus  den  E berthechen  Ba- 
zillus zeigen.  Die  Blut  Untersuchung  kann  in 
mehrere  Unterarten  geteilt  werden. 

1.  Die  Bestimmung  der  Koagulation  inner- 
halb und  außerhalb  der  Gefäße  —  er  möchte 
sie  mit  dem  Namen  Hämatopexie  belegen  — 
wird  beim  Typhus  im  Anfang  durch  langsame, 
gegen  das  Ende  durch  schnelle  Koagulation 
sicheren  Aufschluß  über  die  Ausdehnung  des 
gangränösen  Prozesses  geben.  Während  die 
Koagulation  normalerweise  innerhalb  der  dritten 
und  zehnten  Minute  stattfindet,  wird  eine  Ver- 
spätung derselben  ein  Zeichen  schwerer  Hämor- 
rhagie  nach  der  Operation  sein.  Ikterus  hat 
(in  38  Fällen)  die  Dauer  der  Koagulation  nicht 
beeinflußt. 

2.  Die  Kryo skopie,  die  nach  seiner 
Meinung  kaum  sichere  Anhaltspunkte  gibt. 

3.  Die  Jodophilie.  Sie  kann  gute  Auf- 
schlüsse geben,  um  Osteomyelitis,  Tuberkulose 
oder  einen  gewöhnlichen  eitrigen  Knochenprozeß 
zu  differenzieren,  aber  sie  hat  keinen  quanti- 
tativen Wert.  Im  Verein  mit  der  Leukozyten- 
zählung kann  sie  bei  der  Peritonitis  die  Indi- 
kationsstellung für  die  Operation  und  ihre  Pro- 
gnose sicherer  machen. 

4.  Die  Hämoglobinbestimmung  kann, 
wenn  der  Prozentsatz  sich  um  40  Proz.  ver- 
ringert, eine  Kontraindikation  für  die  allgemeine 
Anästhesie  abgeben. 

5.  Die  Leukozytose,  die  nicht  nur  von 
dem  Einfluß  der  Mikroben,  sondern  vor  allem 
auch  von  der  Verteidigungskraft  des  Organismus 
abhängt.  Sie  ist  die  Reaktion  des  Organismus 
gegen  die  Infektion,  und  ihre  Größe  ist  gleich 
mit  der  größeren  Abwehrkraft.  Doch  kann  sie 
z.  B.  in  Fällen  von  abgekapselten  Abszessen 
fehlen. 

6.  Die  Eosinophilie  ist,  wenn  sie  hoch- 
gradig ist,  nach  Brown  ein  fast  sicheres  Zeichen 
von  Trichinose,  ein  wahrscheinliches  von  Echino- 
kokkus. 

Er  schließt:  Bei  allen  Affektionen  in  der 
Bauchhöhle:  Appendicitis,  Typhus,  Ileus,  Karzi- 
nom, ist  die  Bestimmung  der  Leukozytose  mit 
den  anderen  allgemeinen  Untersuchungsmethoden 
geeignet,  uns  sichere  Indikationsstellungen  zu 
geben.  Die  klinischen  Untersuchungsmethoden 
geben  uns  Aufschluß  über  Größe  und  Schwere 
der  Affektion,  die  Leukozytose  über  die  Kraft 
der  Reaktion. 


XIX.  Jahrgang.! 
Oktober  1906.  J 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


529 


Als  letzter  Referent  faßt  Herr  Depage 
(Brüssel)  noch  einmal  kritisch  die  Ausfuhrungen 
der  Vorredner  zusammen  und  betont,  daß  olle 
4  Referenten  über  den  Wert  der  Blutuntersuchung 
einig  sind.  Im  besonderen  führt  er  auch  aus, 
daß  die  Schätzung  der  Kryoskopie  etwas  an  An- 
sehen verloren  hat.  Auch  kann  die  Jodophilie 
allein  ebensowenig  wie  die  Eosinophilie  oder 
die  Bakteriämie  eine  große  Wertschätzung 
beanspruchen.  So  schließt  er,  daß  alle  Blut- 
untersuchungen, wenn  sie  Ton  bestimmendem 
Einfluß  auf  Diagnose,  Prognose  und  auf  den 
einzuschlagenden  Weg  der  Therapie  sein  sollen, 
sich  im  Einklang  befinden  müssen  mit  den 
übrigen  klinischen  Untersuchungsmethoden.  Was 
insonderheit  die  Messung  des  Hämoglobin- 
gehaltes in  Rücksicht  auf  die  allgemeine  Nar- 
kose anlangt,  so  ist  er  doch  der  Meinung,  daß 
die  Grenze  hier  sehr  tief  liegen  kann,  er  hat 
selbst  bei  einem  solchen  von  20  Proz.  noch 
Heilung  eintreten  sehen.  Basophilie  ist  mit 
Sicherheit  immer  vorhanden  bei  Bleivergiftung, 
niemals  bei  Appendicitis ,  selten  bei  Typhus, 
perniziöser  Anämie,  Botriocephalus,  Karzinom  etc. 
Die  Jodophilie,  deren  Reaktion  eine  äußerst 
feine  ist,  ist  jedoch  auf  keinen  Fall  für  die 
Schwere  der  Affektion  zu  verwerten.  —  Sie  ist 
ein  Zeichen  eines  entzündlichen,  niemals  eines 
eitrigen  Prozesses.  Ist  sie  bei  postoperativem 
Fieber  nicht  vorhanden,  dann  ist  mit  Sicherheit 
die  Infektion  der  Wunde  ausgeschlossen.  Quoad 
Hyperleukozytose  will  er  doch  darauf  auf- 
merksam machen,  daß  die  verschiedensten  Ur- 
sachen imstande  sind,  die  Zahl  der  Leukozyten 
erheblich  zu  vermehren.  Die  qualitative  Ver- 
änderung der  Leukozyten  kann  ein  Zeichen  von 
viel  größerer  Bedeutung  sein  als  ihre  absolute 
Zahl.  Wenn  die  Eosinophilie  auch  eine  sehr 
unsichere  Handhabe  im  allgemeinen  bildet,  so 
ist  sie  doch  imstande,  so  gut  wie  sicher  eine 
Anämie  infolge  von  Ankylostomum  von  einer 
essentiellen,  einen  Echinokokkus  von  einem 
malignen  Tumor  zu  differenzieren.  Die  Bakteri- 
ämie kann  nur  bei  positivem  Befunde  von  Nutzen 
sein.  Die  übrigen  chemischen  und  physikalischen 
Untersuch ungsmethoden  des  Blutes  werden  ebenso 
von  dem  Redner  einer  kurzen  Betrachtung  unter- 
zogen, deren  Schlüsse  sich  mit  denen  der  anderen 
Referenten  decken. 

Diskussion:  Herr  Peugniez  (Amiens) 
berichtet  über  2  Fälle  von  Splenektomie  wegen 
Lebercirrhose  und  über  die  Resultate  der  Blut- 
nnterschungen.  Während  die  Eosinophilie  sich 
nicht  geändert  hat,  ist  doch  die  Zahl  der  Leuko- 
zyten erheblich  heruntergegangen.  Peugniez 
betrachtet  diese  Fälle  aber  als  geheilt  und  glaubt, 
daß  die  Hypertrophie  der  Leber  eine  Folge  der 
Anhäufung  von  polynukleären  Elementen  ist. 

Herr  Rouffart  (Brüssel)  spricht  über  die 
Wichtigkeit  der  Blutuntersuchung  in  der  Gynä- 
kologie. Bei  den  Affektionen  vor  allem,  die  mit 
einer  großen  Anämie  einhergehen  (Myom,  sep- 
tischer Abort,  Polypen  etc.),  ist  sie  von  bedeuten- 
dem Wert  und  bei  der  puerperalen  Infektion  ist 
sie  geeignet,  eine  Indikation  für  die  Hysterektomie 
abzugeben. 

Herr   Legrand   (Alexandrien)  [hat  kbei   der 


Beurteilung  der  Leberabszesse  nach  der  Leuko- 
zytenzählung nicht  in  allen  Fällen  bestimmte 
diagnostische  Anhaltspunkte  gefunden,  doch  hat 
die  enorme  Zahl  derselben  in  einigen  Fällen 
solche  mit  Bestimmtheit  vermuten  lassen,  in 
denen  sie  auch  gefunden  wurden.  Von  22  solcher 
Fälle  haben  14  eine  Leukozytose  von  16-  auf 
32  000  gehabt. 

Herr  Groß  (Nancy)  spricht  sich  in  Rück- 
sicht auf  die  Hyperleukozytose  in  gleichem  Sinne 
wie  die  Vorredner  aus. 

Der  zweite  Tag,  der  der  Prostatahyper- 
trophie und  den  chirurgischen  Affektionen 
der  Niere  gewidmet  war,  begann  mit  dem 
Referat  von  Herrn  von  Rydygier  (Lemberg). 
Der  Vortragende  beschränkte  sich  darauf,  die 
partielle  perineale  Prostatektomie  zu  empfehlen, 
wie  er  sie  auf  dem  polnischen  Chirurgenkongreß 
in  Erakau  1900  empfohlen  hat.  Er  vermeidet 
stets  die  Urethra  zu  eröffnen,  wenn  er  nicht  die 
Blase  drainieren  oder  zugleich  einen  Stein  ent- 
fernen will.  Mit  diesem  Vorgehen  hat  er  stets 
gute  Resultate  erzielt. 

Herr  Reginald  Harrison  (London)  geht 
auch  nur  auf  den  klinischen  Teil  des  Themas 
ein  und  stellt  folgende  Sätze  auf: 

1.  Der  Katheterismus,  vorausgesetzt,  daß  er 
mit  allen  aseptischen  Kautelen  bewerkstelligt 
wird,  ist  durchaus  zu  empfehlen,  er  ist  einfach 
und  von  sofortigem  Erfolge  begleitet. 

2.  Ist  der  Katheterismus  schmerzhaft,  die 
Miktion  zu  häufig,  bilden  sich,  trotz  wiederholter 
Lithotripsie  immer  wieder  Steine  in  der-  Blase, 
ist  Hämaturie,  sind  ernste  Symptome  von  Cystitis 
vorhanden,  und  treten  vielleicht  Zeichen  von 
Intoxikation  auf,  dann  ist  ein  chirurgischer  Ein- 
griff geboten. 

3.  Die  perineale  Prostatektomie  ist  in  England 
wenig  beliebt,  und  der  Vorzug,  den  man  ihr  in 
Deutschland  gibt,  wegen  der  Schonung  des  ductus 
ejaculatorius  scheint  ihm  wenig  begründet  zu 
sein,  weil  ja  die  totale  Resektion  der  Prostata 
notwendigerweise  von  einem  Verlust  der  genitalen 
Funktionen  gefolgt  sein  muß.  Auch  ist  er  der 
Meinung,  daß  die  perineale  Ektomie  stets  einen 
gewissen  Grad  von  Inkontinenz  hervorrufen  muß. 

4.  Dagegen  ist  die  transvesikale  Methode 
die  Operation  der  Wahl  in  den  meisten  Fällen. 
Sie  kann  in  wenigen  Minuten  ohne  bedeutenden 
Blutverlust  ausgeführt  werden,  bietet  einen  guten 
Überblick,  und  man  kann  oft  erleben,  daß  die 
Eröffnung  der  Blase  trotz  digitaler  und  cysto- 
skopischer  Untersuchung  einem  Überraschungen 
bereitet. 

5.  Die  Heilung  geht  schnell  von  statten, 
wenn  man  für  eine  gute  suprapubische  Drainage 
sorgt* 

6.  Die  partielle  suprapubische  Prostatekto- 
mie hat  scheinbar  nicht  so  gute  Erfolge  und 
macht  oft  .einen  zweiten  Eingriff  notwendig. 

7.  Die  Mortalität  ist  bei  beiden  Methoden 
ungefähr  gleich  groß,  ungefähr  10  Proz. 

8.  Die  Kastration,  die  oft  einen  heilsamen 
Einfluß  auf  die  Prostatahypertrophie  ausgeübt 
haben  soll,  scheint  ihm  doch  nicht  imstande  zu 
sein,  große  Massen  des  prostatischen  Gewebes 
zum  Verschwinden  zu   bringen.     Doch   muß  er 


680 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


fTherepeul 
L   Monattb 


Monatsheft«. 


sagen,  daß  die  von  ihm  so  operierten  Falle  sieb 
seit  mehr  als  10  Jahren  recht  gut  befinden,  ob- 
gleich sie  in  einem  Stadium  operiert  wurden, 
wo  die  Gefahr  vollkommenen  Verschlusses  vor 
Augen  lag.  Die  Operation  braucht  also  nicht 
nur  für  die  Fälle  von  beginnender  Hypertrophie 
vorbehalten  zu  werden. 

Herr  J.  Rovsing  (Kopenhagen)  stellt  in 
Kürze  folgende  Thesen  auf; 

1.  Die  Operationen  zur  Behandlung  der 
Prostatahypertrophie,  die  in  den  letzten  Jahren 
gemacht  worden  sind,  haben  oft  der  Überlegung 
entbehrt. 

2.  Die  Operation  nach  Bier  und  die 
Bottinische  Operation  dürften  heute  verlassen 
sein. 

3.  Auch  die  Prostatektomie  möchte  er  nicht 
als  die  allgemeine  und  gewöhnliche  Behandlungs- 
methode hingestellt  wissen. 

4.  Man  soll  daran  stets  denken,  daß  nicht 
die  Prostatahypertrophie  an  sich  Gegenstand 
der  Behandlung  sein  soll,  sondern  die  aus  der- 
selben folgenden  Harnstörungen,  denn  das  ist 
sicher,  daß  80  Proz.  aller  Prostatiker  überhaupt 
keine  Beschwerden  haben. 

5.  Auch  die  Prostata  hat  ihre  Funktionen 
und  ist  ein  so  wichtiges  Organ  für  die  Öko- 
nomie des  Organismus,  daß  man  sie  nur  not- 
gedrungen opfern  sollte. 

6.  Der  Katheterismus  kann  mit  Erfolg  lange 
angewendet  werden,  bevor  ein  Eingriff  nötig 
wird,  doch  ist  er  natürlicherweise  nicht  imstande, 
die  Retention  zu  heilen. 

7.  Die  Frage,  ob  Katheterismus  oder  Ope- 
ration, wird  von  dem  Zustande  der  Blasen- 
muskulatur entschieden  werden.  Bei  atrophischer 
Muskulatur  wird  die  Prostatektomie  wenig  Er- 
sprießliches bieten,  man  wird  besser  tun,  zu 
katheterisieren,  nur  wenn  in  diesem  Falle  die 
Prostata  exzessiv  groß  ist,  wird  man  zur  supra- 
pubischen  Blasendrain age  seine  Zuflucht  nehmen. 

8.  Ist  aber  die  Blasenmuskulatur  nooh 
kräftig,  dann  soll  man  besser  operieren,  und 
zwar  soll  die  Vasektomie  in  allen  den  Fällen 
gemacht  werden,  in  denen  man  es  mit  einer 
parenchymatösen  Hypertrophie  nicht  zu  großen 
Grades  zu  tun  hat,  sie  ist  kontraindiziert  in 
den  Fällen  von  fibröser  oder  sklerosierender 
Hypertrophie  und  dann,  wenn  die  Hypertrophie 
des  Mittellappens  Ursache  der  Retention  ist. 
Seine  Erfahrung  erstreckt  sich  auf  70  Fälle, 
von  denen  er  in  60  Proz.  Heilungen,  30  Proz. 
Besserungen,  10  Proz.  keinen  Erfolg  erzielt  hat. 
Potentia  coeundi  aber  in   allen  Fällen. 

Die  partielle  suprapubische  Prostat- 
ektomie hat  Rovsing  in  allen  Fällen  von 
Mittellappenhypertrophie  angewendet,  wenn  der 
Lappen  stark  in  die  Blase  vorsprang,  Voraus- 
gesetzt, daß  die  Blase  nicht  stark  infiziert  und 
der  Zustand  des  Patienten  nicht  sonst  eine 
Kontraindikation  gegen  die  Operation  abgab. 

Die  totale  Exstirpation  der  Prostata 
—  am  besten  nach  der  Methode  von  Frey  er  — 
soll  für  die  Fälle  vorbehalten  bleiben,  in  denen 
man  eine  maligne  Affektion  vermutet,  oder  wenn 
Hämorrhagien  oder  Abszesse  einen  Radikal- 
eingriff nötig  erscheinen  lassen. 


Die  Cystostomia  suprapubica  ist  in- 
diziert in  den  Fällen,  in  denen  die  Vasektomie 
erfolglos  ist,  ferner  dann,  wenn  eine  schwere 
Infektion  der  Blase  eine  sorgfältige  Dauer- 
drainage  erfordert,  schließlich  in  den  Fällen 
von  Blasenlähmung,  wenn  die  Katheterisation 
per  vias  naturales  sehr  schwer  oder  gar  unaus- 
führbar ist. 

Bei  51  solcher  Fälle  hat  Rovsing  2  an 
Pneumonie  verloren,  die  chloroformiert  waren, 
während  die  anderen  lokal  oder  lumbal  anästhe- 
tisch gemacht  wurden. 

9.  Auf  dem  suprapubischen  Wege  ist  die 
partielle  Prostatektomie  der  totalen  in  der  Mehr- 
heit der  Fälle  vorzuziehen. 

10.  Die  suprapubische  Methode  ist  leichter, 
schneller  und  sicherer  ausführbar  als  die  peri- 
neale. Das  Risiko  der  Infektion,  Verletzung 
der  Urethra  oder  des  Rectums  ist  viel  geringer. 

In  der  Diskussion  tritt  Herr  Legueu 
(Paris)  für  die  Prostatektomie  als  die  einzig 
erfolgreiche  Behandlungsmethode  ein,  und  zwar 
soll  sie  nach  Möglichkeit  eine  totale  sein.  Bei 
den  kompletten  Retentionen  wird  man  mit  ihr 
vollkommene  und  oft  überraschende  Resultate 
erzielen,  bei  inkompletter,  chronischer  Retention 
sind  die  Resultate  weniger  zufriedenstellend, 
doch  kann  man  oft  Fälle  erleben,  in  denen 
später  der  Katheter  ganz  fortgelassen  werden 
kann,  wenn  die  Retention  nicht  schon  gar  zu 
lange  besteht.  Auch  die  Steine,  kompliziert  mit 
alten  Retentionen,  scheinen  ihm  eine  Indikation 
für  die  totale  Prostatektomie  abzugeben.  Er 
bevorzugt  unbedingt  den  perinealen  Weg,  nnr 
wenn  die  Prostata  voluminös  in  die  Blase  vor- 
springt, will  er  die  Ectomia  suprapubica  ange- 
wendet wissen. 

Herr  Hart  mann  (Paris)  berichtet  über 
658  Fälle,  deren  Beobachtung  ihn  die  möglichst 
lange  konservative  Behandlung  mit  Sondierung 
und  Spülungen  sehr  schätzen  gelehrt  hat.  Wenn 
er  gezwungen  ist,  zu  operieren,  dann  bevorzugt 
er  den  transvesikalen  Weg.  Mit  Bottini  hat 
er  sehr  schlechte  Resultate  gehabt  und  hat 
daher  nur  wenige  Fälle  so  behandelt.  Wenn 
er  operiert,  dann  macht  er  stets  die  totale  Ex- 
stirpation, langsam  vorschreitend  mit  ganz 
kleinen  Scheerenschnitten,  langer  und  ausgiebiger 
Drainage.     Seine  Mortalität  ist  so  9  Proz. 

Die  übrigen  Diskussionsredner  sprechen 
sich  teils  für  die  perineale,  teils  für  die 
transvesikale  Methode  aus,  Herr  Demosthenes 
(Bukarest)  empfiehlt  die  Methode  von  Poncet, 
Herr  Freudenberg  (Berlin)  legt  eine  Lanze 
für  den  Bottini  ein,  er  hat  152  Fälle  mit 
gutem  Resultat  operiert ,  Herr  Ve  r  h  o  g  e  n 
(Brüssel),  ein  eifriger  Verfechter  der  perinealen 
Methode,  sagt,  daß,  wenn  man  auch  gezwungen 
ist,  den  prostatischen  Teil  der  Urethra  mitfort- 
zunehmen, das  nichts  schaden  würde,  weil  dieser 
Teil  der  Urethra  doch  nach  der  Prostatektomie 
überflüssig  ist,  da  der  Blasenhals  sich  nachher 
stark  herabsenkt.  .Er  operiert  in  Bauchlage, 
weil  sie  den  besten  Überblick  gibt,  und  die 
Technik  dabei  leichter  ist. 

Herr  Klapp  (Bonn)  empfiehlt  die  Rücken* 
marksanästhesie,  Herr  Kümmell  (Hamburg)  ist 


XIX.  J«lUPf  «B|.l 

Oktober  1906.  J 


Referat«. 


631 


für  die  radikale  Ektomie,  wann  immer  sie  aus- 
fahrbar ist,  und  zwar  mit  möglichst  sofortigem 
und  gutem  Schluß  der  Blasenwunde,  nur  dann 
will  er  keine  Radikaloperation  machen,  wenn 
der  Sphinkter  nicht  mehr  schlußfähig  ist.  Die 
Bi ersehe  Anästhesie  ist  für  die  perineale  Me- 
thode gut,  doch  wegen  der  Beckenhochlagerung 
bei  der  abdominellen  Methode  wenig  angenehm. 
Herr  Alb ar ran  (Paris)  will  auch  nur  die  totale 
Ektomie  (perineal)  gelten  lassen  und  macht  auf 
die  „falschen0  Prostaten  aufmerksam,  die 
Epitheliome  der  Blase.  Herr  Jaffa  (Posen) 
betrachtet  die  Bot tini sehe  Operation  als  Sphinc- 


tereotomia  posteria  und  rühmt  ihre  Erfolge  bei 
schmerzhafter  Prostatitis  und  Sphinkterenkrampf, 
warnt  aber  vor  dem  Bottini  bei  steriler  Blase. 
Herr  Giordano  (Venedig)  sagt,  man  soll  immer- 
hin vor  der  Ektomie  den  Bottini  versuchen, 
Herr  Del a geniere  (Le  Mans)  macht  die  supra- 
pubische  Operation  mit  perinealer  Drainage 
und  Dauerkatheter.  Herr  E.  R.  W.  Frank 
(Berlin)  wendet  sich  dagegen,  daß  man  glauben 
könnte,  die  Bottini  sehe  Operation  werde  in 
Deutschland  der  Radikaloperation  vorgezogen, 
und  schließt  sich  im  allgemeinen  den  Ausfüh- 
rungen  Kümmells   an.  (ForUtnung  folgt.) 


Referate. 


Die  Behandlung  der  Fettleibigkeit  Von  v.Noorden. 
Eingangs  bringt  Verf.  die  verschiedenen  In- 
dikationen für  eine  Entfettungskur:  Erkran- 
kungen der  Zirkulationsorgane ,  chronische  Er- 
krankungen der  Atmungsorgane,  chronische 
Sohrumpfniere ,  chronischer  Gelenkrheumatismus 
und  andere  Erkrankungen  der  Bewegungsorgane, 
intertriginöse  Ekzeme,  manche  Formen  von 
Neuralgien,  bisweilen  auch  Arthritis  urica  und 
Diabetes,  doch  ist  hier  Vorsicht  geboten.  Von 
2  Gesichtspunkten  aus  läßt  sich  die  Entfettungs- 
kur einleiten:  Beschränkung  der  Zufuhr  und 
Erhöhung  der  Ausgaben  (Muskelarbeit).  Die 
diätetische  Behandlung  teilt  Verf.  in  3  Grade; 
der  erste  Grad  der  Entfettungsdiät:  die  Diät  ent- 
hält */s  d^s  gewöhnlichen  Bedarfs,  der  zweite  3/5, 
beim  dritten  Grad  liegt  die  Zufuhr  etwa  zwischen 
s/5  und  8/5  des  gewöhnlichen  Bedarfs.  Hierbei 
kein  Diätschema!  Was  die  Erhöhung  des 
Energieumsatzes  betrifft,  so  kommen  hier  eigent- 
lich nur  die  Terrainkuren  in  Betracht,  alles 
andere  ist  für  die  Kur  ohne  Belang.  Schild- 
drüsenfütterung hat  sich  nicht  bewährt  und  ist 
nicht  ganz  unbedenklich.  Die  verschiedenen 
Bäder,  als  da  sind  Luft-,  Licht-,  Sonnen-  und 
Dampfbad  sind  für  die  Fettleibigen  ebenso  von 
Vorteil  wie  für  die  Normalmenschen.  Zum 
Schluß  rät  Verf.  noch,  den  Pat.  nicht  bloß 
während  der  Kurzeit  zu  beobachten,  sondern 
auch  die  häuslichen  Lebensgewohnheiten  in  ge- 
sundheitsfördernde Ordnung  zu  bringen  und  ein 
richtiges  Verhältnis  zwischen  Energieumsatz  und 
-Zufuhr  herzustellen,  und  dies  wird  Pat.  am 
besten  klar,  wenn  man  ihn  zur  Kur  einer  dies- 
bezüglichen Heilanstat  anvertraut. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  19.) 

Arthur  Rahn  (Cottm). 

Zur    Behandlang    des   Diabetes    mellitus.      Von 

L.  Mohr. 

Mohr  warnt  vor  dem  schematischen  und 
allzu  strengen  Vorgehen  in  der  Diätregelung 
bei  Diabetes.  Oft  kann  man  beobachten,  daß 
bei  Kohlehydratzufuhr  die  Zuckerausscheidung, 
die  bei  Entziehung  von  Kohlehydraten  nicht 
schwinden  wollte,  plötzlich  aufhört.  Bereits 
v.  Noorden     hat     bei     schweren    Fällen     eine 


günstige  Beeinflussung  der  Azidose  und  Ab- 
wendung des  drohenden  Koma  durch  Haferkuren 
gesehen.  Für  die  Haferkuren  kommen  aber  nur 
die  schweren  Diabetesfälle  in  Betracht;  wichtig 
ist  dabei,  daß  außer  den  Kohlehydraten  des 
Hafers  keine  sonstigen  Kohlehydrate  in  der  Kost 
vorhanden  sein  dürfen.  Die  Dauer  der  Kur 
muß  natürlich  von  dem  Erfolg  derselben  und 
von  der  Ausdauer  des  Patienten  abhängen; 
günstigenfalls  nach  2 — 3  Wochen  geht  man 
vom  Hafermehl  auf  die  übliche  Diabeteskost 
über,  indem  man  zweckmäßig  weniger  Kohle- 
hydrate gibt  als  bisher  im  Hafermehl. 

(Med.  Klinik  1905,  No.  16.) 

Arthur  Rahn  (CoUm). 

Ober  die  Behandlung  von  Nervösen  im  Hoch- 
gebirge mit  besonderer  Berücksichtigung  von 
Davos.     Von  Dr.  F.  Jessen  (Davos). 

Vielfach  wird  angenommen,  daß  Nervöse 
nicht  ins  Hochgebirge  geschickt  werden  dürfen. 
Die  Berechtigung  einer  derartigen  Annahme 
dürfte  aber  ebenso  zweifelhaft  erscheinen  wie 
die  Lehre  vom  Verbot  des  Genusses  von  Obst 
während  einer  Eisenkur,  von  der  Gefährlichkeit 
der  Scharlachschuppen,  der  sogenannten  Karls- 
bader Diät  u.  a.  Verf.  versucht,  in  anschaulicher 
Weise  weitere  Kreise  davon  zu  überzeugen,  daß 
das  Hochgebirge  keine  Kontraindikation  für 
manche  nervöse  Leiden  bildet,  daß  es  vielmehr 
für  manche  derartige  Kranke  ein  recht  wirk- 
sames Heilmittel  darstellt.  Es  muß  daran  fest- 
gehalten werden,  daß  zur  Behandlung  von 
Nervösen  im  Hochgebirge  sich  sowohl  Winter 
als  Sommer  eignen,  der  letztere  allerdings  ganz 
besonders.  Im  Winter  ist  es  hauptsächlich  die 
gegen  das  Tiefland  so  intensive  Besonn ung,  im 
Sommer  die  Mischung  von  warmen  Tagen  mit 
stets  folgender  und  Erschlaffung  verhindernder 
nächtlicher  Abkühlung  und  die  beruhigende 
Wirkung  des  herrlichen  Wiesen-  und  Waldgrüns, 
die  zur  Geltung  kommen.  Der  oft  bis  in  den 
November  noch  fast  sommerliche  Herbst  eignet 
sich  ebenfalls,  wahrend  die  Frühlingsmonate  auf 
nervöse  Individuen  ungünstig  zu  wirken  pflegen. 
Organische  Erkrankungen  des  Nervensystems 
eignen  sich  nicht,  ebenso  sind  alle  degenerativen 


532 


Referate. 


rTherapeutUch« 
L   Monatihefte. 


Formen  von  funktionellen  Störungen  Tom  Hoch- 
gebirge fern  zu  halten.  Gute  Resultate  erzielen 
dagegen  die  Neurastheniker,  manche  Fälle  von 
Herzneurosen.  Bedingung  ist  aber  für  diese 
Zustände,  daß  noch  ein  gewisses  Maß  von  Kraft, 
von  Widerstandsfähigkeit  vorhanden  ist.  — 
Weiterhin  zeigt  sich  ein  Aufenthalt  im  Hoch- 
gebirge gewöhnlich  von  bestem  Erfolge  bei 
Basedowkranken,  Asthmatikern  etc.  Die  Annahme, 
daß  Davos  sich  nicht  für  Nervenkranke  eigene, 
weil  dort  Tuberkulöse  in  großer  Anzahl  ihren 
Aufenthalt  nehmen  und  andere  der  Gefahr  einer 
Infektion  aussetzen,  beruht  auf  einem  ganz  un- 
berechtigten Vorurteile.  Der  Typus  „Phthisiker" 
ist  hier  weniger  oft  zu  sehen  als  in  jeder  be- 
liebigen Stadt.  Die  wenigen  Schwerkranken 
befinden  sich  in  den  Betten  der  Heilanstalten 
oder  Wohnungen,  und  die  Straßen  und  Hotels 
sind  angefüllt  von  gesund  aussehenden,  fröhlichen 
Menschen.  Husten  hört  man  weniger  als  anders- 
wo. Ausspeien  auf  der  Straße  ist  bei  Geldstrafe 
verboten.  Also  werden  Nervöse  durch  den  An- 
blick von  Schwerkranken  nicht  ungünstig  beein- 
flußt. Daß  die  Gefahr,  tuberkulös  zu  werden, 
in  Davos  nicht  existiert,  lehrt  die  Erfahrung. 
Es  ist  nachgewiesen,  daß  die  Tuberkulosesterb- 
lichkeit der  Davoser  Bevölkerung  von  1876  bis 
1900  nur  0,97  Proz.  der  Lebenden  betrug,  während 
z.  B.  in  Deutschland  von  1894  bis  1897  2,25  Proz. 
an  Tuberkulose  starben.  —  Das  Hochgebirge 
sollte  zur  Behandlung  nervöser  Störungen  viel 
mehr  als  bisher  benutzt  werden,  und  Davos  eignet 
sich  unter  den  Hochgebirgskurorten  besonders 
zu  diesem  Zwecke.  Psychisch  ungeeignete  Ein- 
drücke oder  eine  Infektionsgefahr  durch  die  in 
Davos  weilenden  Lungenkranken  sind  nicht  zu 
fürchten. 

(Manch,  med.  Wochenschr.  35,  1905.)  R. 


(Auj  der  ProTinsüa-Irrenanstalt  Neiutadt  i.  Holstein.) 
l.   Antithyreoldin  -  Moebins     bei      Basedowscher 

Krankheit  mit  Psychose.  Von  Dr.  Gg.  Lomer, 

I.  Assistenzarzt 
a.   Ein  Beitrag  zur  Serumbehandiung  des  Morbus 

Basedowii.  Von  Dr.  R.  Dürig  in  München. 

1.  Lomer  hat  in  einem  Fall  von  Base- 
dowscher Krankheit,  die  sich  im  Laufe  einer 
Psychose  einstellte,  eine,  wenn  auch  nicht  dauernde, 
so  doch  immerhin  günstige  symptomatische  Wir- 
kung von  der  innerlichen  Darreichung  des  Moe- 
bi  us sehen  Serums  thyreoidektomierter  Hammel 
gesehen,  die  sich  besonders  in  Besserung  der 
Herztätigkeit  zeigte.  Die  Dosis  war  3  mal  täglich 
0,5 — 4,0  allmählich  steigend.  Es  wurden  110  cem 
verbraucht.  Das  subjektive  Befinden  und  der 
Seelenzustand  zeigten  während  der  Medikation 
keine  Änderung. 

2.  Dürig  sah  bei  einem  Fall  von  Base- 
do  w scher  Krankheit  auf  hereditär  neuropathischer 
Basis  nach  der  Serummedikation  Schwinden 
sämtlicher  Symptome  eintreten.  Der  Zustand 
ist  noch  jetzt,  ]/s  Jahr  seit  der  letzten  Serum- 
gabe, sehr  befriedigend.  Außerdem  geht  aus 
Dürigs  Erhebungen  hervor,  daß  die  Größe  der 
Serumgabe  nicht  gleichgültig  ist.  Während  mit 
kleinen    und   verzettelten   Dosen  (jeden   anderen 


Tag)  nichts  erreicht  wurde,  traten  bei  hohen 
Gaben  (über  3  mal  40  Tropfen  pro  Tag)  Kopf- 
schmerzen, Apathie,  Blödigkeitsgefühl,  feiner 
Milz-Nieren-  und  Kreuzschmerzen  auf,  Erschei- 
nungen, die  bei  Aussetzen  des  Serums  wieder  ver- 
schwanden. Im  ganzen  wurden  250  cem  (Merck) 
verbraucht.  Rektale  Applikation  bot  keine  Vor- 
teile. Zwischenmedikation  von  Rodagen  war  er- 
folglos. 

(Münch.  med.  Woch.  1905,  No.  18.) 

Esch  (Bendorf). 

Ober  die  Kombination  von  Exsisions-  and 
Röntgentherapie  bei  Morbus  Basedowii.  Von 
Dr.  Carl  Beck,  Prof.  d.  Chirurgie  und  Chef- 
chirurg  in  New  York. 

Die  operative  Behandlung  der  Basedow- 
schen Krankheit  ist  bereits  vielfach  erfolgreich 
durchgeführt  worden.  (Allerdings  ist  die  Mor- 
talität eine  noch  recht  hohe,  Ref.)  Beck  hat 
nun  in  zwei  Fällen,  bei  denen  er  die  operative 
halbseitige  Ezzision  der  Schilddrüsen  mit  nicht 
allzu  eklatantem  Erfolge  vorgenommen  hatte, 
später  mit  Röntgenbestrahlung  behandelt.  Durch 
dies©  wurden  die  letzten,  von  der  Operation 
nicht  beeinflußten  Symptome  wie  Pulsbeachlen- 
nigung,  Exophthalmus  gänzlich  beseitigt. 

(Bert  Min.  Wochenschrift  1905,  No.  20.)      H.  Rosin. 

Hydrotherapie   der   Infektionskrankheiten.      Von 

Alois  Strasser  (Wien). 

In  einer  längeren  Arbeit  bringt  Strasser 
den  heutigen  Stand  der  Hydrotherapie  bei  In- 
fektionskrankheiten. Bei  Typhus  abdominalis 
beleuchtet  er  die  verschiedenen  Ansichten  der 
Internisten  der  Reihe  nach  kritisch  und  kommt 
schließlich  zu  der  Ansicht,  die  durch  Statistik 
und  eigene  Erfahrung  gestützt  wird:  Bäder  von 
20 — 30°,  in  mäßiger  Weise  angewandt,  wirken 
nicht  nur  vorteilhaft,  sondern  in  gewissem  Sinne 
prophylaktisch  gegen  die  ernsten  Komplikationen,  * 
und  zwar  rät  er,  dies  von  Anfang  an  zu  machen, 
während  Curschmann  u.  a.  die  Hydrotherapie 
erat  bei  Komplikation  angewandt  wissen  wollen. 
Ebenso  günstige  Erfahrungen  hat  Strasser  bei 
Influenza  gemacht.  Obgleich  man  nun  in  dem 
Chinin  ein  Specificum  gegen  Malaria  hat,  so  ist 
doch  durch  Hydrotherapie,  allgemein  und  auf  die 
Milzgegend  appliziert,  Malaria  des  öfteren  durch 
Wasser  geheilt  und  kupiert  worden.  Auch  bei 
Diphtherie  ist  der  günstige  Einfluß  der  kühlen 
Packungen,  abgesehen  von  der  Serumtherapie, 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  Während 
StrasBer  für  die  Cholera  persönliche  Erfahrung 
fehlte,  so  sind  doch  in  der  Literatur  verschiedene 
Fälle  bekannt,  wo  man  gegen  die  Allgemein- 
erscheinungen sowie  gegen  die  Diarrhöen  mit 
Erfolg  hydrotherapeutisch  behandelt  hat.  Bei 
Masern  und  Scharlach  gibt  es  für  eine  in  rich- 
tigen Grenzen  ausgeführte  Hydrotherapie  keine 
Kontraindikation.  Näher  auf  die  Art  der  Appli- 
kation einzugehen,  liegt  nicht  im  Rahmen  dieses. 

(Med.  Klinik  1905,  No.  16.) 

Arthur  Rahn  (CoUm). 


XIX.  J*hrganff.*l 
Oktobf  1906.  J 


Rofiurate« 


533 


Weiterer  Bericht  Ober  die  Behandlung  der  Schwind- 
sucht mittels  Jodoforminfusion.  Von  Thomas 
W.  De  war  in  Dunblane. 

De  war  gibt  hier  weitere  Mitteilungen  über 
seine  zuerst  im  Jahre  1903  veröffentlichte  Me- 
thode der  Schwindsuchtabehandlung,  die  darin 
besteht,  daß  eine  ätherische  Jodoformlösung  in 
die  Venen  injiziert  wird.  Er  hat  seitdem  die 
Methode  modifiziert,  indem  er  dem  Äther  flüssiges 
Paraffin  im  Verhältnis  von  40  Proz.  hinzufügt. 
In  dieser  Flüssigkeit  wird  das  Jodoform  fein 
emulgiert;  es  lassen  sich  dann  auch  verhältnis- 
mäßig kleine  Venen  zur  Injektion  verwenden. 
Die  Injektionen  werden  täglich  oder  einen  am 
den  andern  Tag  ausgeführt,  sind  durchaus  schmerz- 
los und  ohne  unangenehme  Nebenwirkungen.  — 
Aus  den  neun  kurz  mitgeteilten  Krankengeschich- 
ten ergibt  sich,  daß  diese  Methode  wirklich 
überraschende  Erfolge  zu  erzielen  vermag.  Die 
Kranken  litten  an  aasgesprochener,  fieberhafter 
Lungentuberkulose,  zum  Teil  schon  seit  mehreren 
Jahren ;  in  einem  Falle  bestanden  sogar  Kavernen- 
symptome. Andere  therapeutische  Maßnahmen 
außer  den  Injektionen  fanden  nicht  statt,  und  die 
Patienten  lebten  auch  keineswegs  in  einem  be- 
sonders günstigen  Klima.  Dennoch  wurde  stets 
eine  an  Heilung  grenzende  Besserung  erzielt, 
die  zur  Zeit  der  Publikation  bereits  einige  Zeit 
stationär  geblieben  war.  Der  tuberkulöse  Prozeß 
in  den  Langen  war  also  offenbar  zum  Stillstand 
gekommen,  was  sich  in  dem  Falle  mit  Kavernen 
durch  kreidige  Massen  im  Auswurf  zu  er- 
kennen gab. 

(British  medical  Journal  1905,  19.  Jan.) 

Glossen  (Grube  i.  H.J. 

Lungentuberkulose    und    Tetanie.      Von    Dr.  F. 

Koehler,     Chefarzt    der    Heilstätte    Holster- 

hausen  bei  Werden-Ruhr. 

In  dem  von  Koehler  beschriebenen  Falle 
haben  wir  die  nach  v.  Frankl-Hochwart  als 
recht  selten  anzusehende  Kombination  von 
Lungentuberkulose  mit  Tetanie,  allerdings  bei 
gleichzeitig  bestehender  Magendilatation. 

Wie  die  Salolprobe  erwies,  war  die  Mo- 
tilität des  Magens  kaum  gestört,  hingegen  wies 
sein  Chemismus  eine  Abnormität  auf:  eine 
äußerst  geringe  Säureproduktion.  Auffallend 
war,  daß  die  Milchsäure  fehlte,  die  Spülflüssig- 
keit niemals  unverdaute  Brocken,  Sarcine  oder 
dergl.  aufwies,  und  auch  subjektive  auf  Gärungs- 
erscheinungen  hinweisende  Symptome  fehlten. 
Es  bietet  sich  somit  kein  Anhalt  dafür,  daß  eine 
Autointoxikation  infolge  stagnierender  Speise- 
reste die  Veranlassung  zur  Tetanie  hätte  sein 
können.  Verf.  zieht  daraus  den  Schluß,  daß  bei 
dem  Kranken  (dessen  Magenbeschwerden  übrigens 
bis  in  die  frühe  Kindheit  zurückreichten)  die 
Überschwemmung  des  Organismus  mit  Tuber- 
kulosegift die  Dyspepsie  gesteigert  und  ihr  den 
Charakter  einer  tetanieausl Ösen  den  Magenaffektion 
verliehen  haben  dürfte. 

(Beiträge  *ur  Klinik  der  Tuberkulose  1904,  Bd.  II,  H.  5.) 
Eschle  (Sinsheim). 


Beobachtungen  Ober  Ehen  und  Nachkommen- 
schaft Tuberkulöser,  die  mit  Tuberkulin  be- 
handelt wurden.  Von  Prof.  Dr.  Petruschky 
(Danzig). 

Die  elf  mitgeteilten  Krankengeschichten 
sollen  den  Leser  zu  der  Überzeugung  des  Verf. 
bekehren,  daß  nicht  nur  die  Tuberkulose  unter 
Tuberkulinbehandlung  heilt,  daß  den  so  Ge- 
heilten, die  die  Nachprüfung  ohne  Reaktion  über- 
standen, die  Heirat  ohne  Risiko  gestattet  werden 
kann,  und  daß  man  bei  Fällen  geschlossener  und 
selbst  bei  mäßig  schweren  Fällen  offener  Tuber- 
kulose eine  Tuberkulinbehandlung  noch  während 
der  Gravidität  mit  Aussicht  auf  Erfolg  wagen 
kann,  sondern  daß  auch  besondere  Zeichen  er- 
erbter Disposition  (Schwächlichkeit,  Blässe,  die 
von  Rothschild  als  charakteristisch  angegebene 
Verknöcherung  des  Manubrio-Sternalgelenkes) 
8i ch  bei  der  Nachkommenschaft  tuberkulöser 
Eitern  niemals  finden. 

Die  Fälle,  in  denen  sich  hier  Skrofulöse 
und  später  Phthise  entwickelt,  werden  von 
Petruschky  natürlich  auf  Infektion  zurück- 
geführt. 

Bei  kürzer  oder  länger  ausgedehnten  Be- 
handlungsetappen mit  Tuberkulin  soll  jedoch 
auch  hier  —  wenigstens  in  Frühfällen  —  die 
Heilung  in  100  Proz.  der  Fälle  verbürgt  werden. 
Die  Kinder  an  Tuberkulose  Verstorbener  will 
Petruschky  prinzipiell  prophylaktisch  mit 
Tuberkulin  behandelt  wissen. 

Es  ist  etwas  Schönes  um  den  Optimismus! 

(Zeitschr.  f.  Tuberkulose  und  Heilstättenwesen  1904, 
Bd.  VI,  H.  4.)  Eschle  (Sinsheim). 

Die  Vorfahren  und  Nachkommen  einer  schwind- 
süchtigen Generation.  Mit  einem  Stammbaum. 
Von  O.  Koerner  in  Rostock. 
Ein  nicht  tuberkulöses  Ehepaar  hatte 
9  Kinder,  3  starben  an  Schwindsucht,  6  blieben 
frei  von  Tuberkulose.  Von  den  3  an  Lungen- 
schwindsucht später  Gestorbenen  verheirateten 
sich  zwei;  beiderseits  ging  aus  diesen  Ehen  nur 
je  ein  gesunder  Sohn  hervor,  der  beide  Male 
ein  hohes  Alter  erreichte.  Dagegen  erzeugten 
2  der  nicht  tuberkulösen  Söhne  des  erstgenannten 
Paares  mit  gesunden  Frauen  9  Kinder,  von 
denen  7  im  Alter  von  18 — 25  Jahren  an  der 
Lungenschwindsucht  erkrankten,  während  2  von 
Tuberkulose  frei  blieben. 

Daraus  glaubt  Verf.  (unter  Verkennung 
des  Begriffes  „Familiendisposition*,  wie 
dem  Ref.  scheint)  den  Schluß  ziehen  zu 
dürfen,  daß  in  der  besprochenen  Familie,  der  er 
selbst  angehört,  nichts  von  einer  Vererbung  der 
Tuberkulose  oder  von  einer  hereditären  Dispo- 
sition zu  dieser  Infektion  erkennbar  ist. 

(Beiträge  zur  Klinik  der  Tuberkulose  Bd.  II,  H.  5.) 
Eschle  (Sinsheim). 

Ober  den  Wert  der  Laparotomie  bei  Bauchfell- 
tuberkulöse.    Von  Dr.  Band elier. 

In  dem  beschriebenen  Falle,  an  die  Aus- 
führungen Bandeliers  anknüpfend,  handelte  es 
sich  um  eine  Kranke  mit  tuberkulösem  Lungen- 
katarrh, bei  der  infolge  Rezidivs  einer  ursprüng- 
lich   schon    einmal    ly  tisch     in    Heilung    über- 


534 


Referate. 


L   Monatshefte. 


gegangenen  Bauchfelltuberkulose  die  Laparotomie 
für  erforderlich  erachtet  wurde,  um  die  Patientin 
nicht  den  schon  bei  der  ersten  Erkrankung  auf- 
getretenen Anfällen  von  Herzschwäche  aufs  neue 
ausgesetzt  zu  sehen. 

Verf.  glaubt,  daß  die  tuberkulöse  Natur  der 
Peritonitis  schon  dem  klinischen  Bilde  nach  über 
allen  Zweifel  erhaben  war,  wenn  sich  auch  bei 
der  am  8.  Tage  nach  Auftreten  des  Rezidivs 
vorgenommenen  Operation  keine  frische  Tuberkel- 
eruption, sondern  nur  eine  allgemeine  hoch- 
gradige Hyperämie  des  Peritoneum  vorfand  und 
eine  Impfung  an  Tieren  mit  aus  der  eröffneten 
Bauchhöhle  stammendem  Material  nicht  vor- 
genommen wurde.  Bandelier  hebt  in  dieser 
Hinsicht  die  Ergebnisse  des  Tierexperimentes 
hervor,  aus  denen  hervorgeht,  daß  es  zu  dem 
Auftreten  nachweisbarer  frischer  Tuberkelerup- 
tionen einer  nach  Quantität  und  Virulenz  der 
Bazillen  in  ihrer  Länge  variierenden  Zeitdauer 
bedarf. 

Der  glatte  Heilunge  verlauf  —  ein  Jahr 
nach  der  Laparotomie  befand  sich  die  Patientin 
bei  guter  Gesundheit  —  veranlaßt  Bandelier, 
sich  der  Zahl  derjenigen  anzuschließen,  die  eine 
Überlegenheit  der  Laparotomie  über  die  interne 
Behandlung  als  „in  evidenter  Weise  bewiesen" 
ansehen,  wenn  ihm  auch  der  Verlauf  des  Krank- 
heitsprozesses in  seiner  Gesamtheit  ein  Beispiel 
dafür  gibt,  daß  auch  schwere  Fälle  von  serös- 
exsudativer  Bauchfelltuberkulose  bei  sorgsamer 
konservativer  Behandlung  und  Überwachung  wohl 
heilen  können. 

Fast  macht  es  den  Eindruck,  als  wenn  der 
Verf.  sich  wegen  der  Vornahme  des  operativen 
Eingriffes  vor  der  Öffentlichkeit  zu  verteidigen 
bezw.  zu  entschuldigen,  doch  nicht  für  ganz 
überflüssig  hielte! 

(Beiträge  z.  Klinik  der  Tuberkulose  Bd.  II,  H.  5.) 
Eschle  (Sinsheim). 

Die  Therapie  der  Eklampsie.   Dr.  BennoMüller 
(Hamburg). 

Durch  die  neueren  Auffassungen  über  die 
Entstehung  der  Eklampsie,  in  der  man  nicht 
mehr  eine  primäre  Nierenaffektion  sieht,  sondern 
eine  Intoxikation  des  Organismus,  bei  der  die 
Nierenerscheinungen  nur  sekundärer  Natur  sind, 
das  ursächliche  Moment  jedoch  eine  Deportation 
von  Zottenelementen  in  das  Blut  der  Mutter,  ist 
man  von  der  früher  gebräuchlichen  Behandlung 
der  Eklampsie  im  wesentlichen  abgekommen; 
die  Narcotica,  welche  noch  weitere  Schädigung 
des  Herzens  und  der  Nieren  hervorrufen,  wolche 
bereits  durch  das  Gift  der  Eklampsie  gefährdet 
sind,  sind  zu  vermeiden,  keine  Narkose,  kein 
Morphium,  kein  Chloralhydrat ;  hingegen  sind 
die  Mittel  anzuwenden,  welche  eine  Entgiftung 
des  Organismus  durch  Anregung  der  elimi- 
nierenden Funktionen  zu  erzeugen  vermögen. 
Daher  soll  man  durch  alle  erdenklichen  Mittel 
die  Diurese  anzuregen  versuchen;  Infusionen, 
heiße  Bäder,  Packungen,  elektrische  Schwitz- 
bögen sind  Mittel,  die  zu  diesem  Ziele  führen, 
weiter  muß  unser  Bestreben  sein,  die  Herzkraft 
zu  erhalten  und  anzuregen.  Insbesondere  ist  es 
notwendig,  auf  das  Respirationszentrum,  das  bei 


der  Eklampsie  ebenso  wie  bei  der  Chloroform- 
intoxikation gelähmt  wird,  durch  Einleitung  der 
künstlichen  Atmung  einzuwirken,  da  hierdurch 
einerseits  die  Kohlensäureintoxikation  bekämpft 
wird,  sodann  die  Lungen  aus  dem  Blute  nach 
Müller  gasförmige  Giftstoffe  eliminieren.  Zur 
Anregung  der  Nierenfunktion  kommen  außer 
Bädern  und  Packungen  die  bekannten  Diuretica 
in  Betracht,  zur  Hebung  der  Herztätigkeit 
Kampfer  und  Analeptica.  Da  aber  zweifellos 
der  Inhalt  des  Uterus  bei  der  während  der 
Gravidität  und  der  Geburt  eintretenden  Eklampsie 
die  Ursache  der  Intoxikation  ist,  so  ist  das 
wichtigste:  Unterbrechung  der  Gravidität  und 
möglichst  schnelle  Entleerung  des  Uterus,  das- 
selbe gilt  für  die  nach  der  Geburt  er3t  ein- 
tretende Eklampsie,  bei  der  an  der  Uterus- 
innenfläche haften  gebliebene  Piacentarteile  die 
Eklampsie  veranlassende  Ursache  sein  können; 
ja  auch  durch  die  Entfernung  der  Uterus- 
tamponade  hat  man  wiederholt  ein  Aufhören 
wahrscheinlich  infolge  der  Verminderung  des 
Kontraktionszustandes  des  Uterus  beobachtet. 
Bei  der  post  partum  auftretenden  Eklampsie, 
aber  nur  bei  dieser,  kommt,  falls  die  Frau  durch 
Blutverlust  nicht  zu  sehr  geschwächt  ist,  eine 
Venaesektion  von  ca.  3/i  Liter  Blut  mit  nach- 
folgender Infusion  von  ca.  2  Liter  Kochsalz- 
lösung in  Betracht.  Letztere  allein  ist  hingegen 
stets  indiziert  und  sollte  bei  jedem  Falle  von 
Eklampsie  ausgeführt  werden,  da  sie  in  gleicher 
Weise  Nierensekretion  und  Schweißabsonderung 
anregt. 

Zur  Einleitung  der  augenblicklichen  Ent- 
bindung bei  noch  nicht  eröffnetem  Muttermund 
kommen  vor  allem  die  Bossische  Methode  der 
instrumenteilen  Dilatation  und  der  vaginale 
Kaiserschnitt  in  Betracht.  Daß  erstere  selbst 
bei  erhaltenem  Cervikalkanal  am  Ende  der 
Schwangerschaft  ausführbar  ist  und  lebensrettend 
zu  wirken  vermag,  kann  Referent  ebenso  wie 
Müller  bestätigen,  ebenso  aber  auch,  daß  schwere 
Verletzungen  hierbei  entstehen  können,  welche 
im  Hause  der  Kranken  nur  mit  größter  Schwie- 
rigkeit zu  behandeln  sind.  Das  gleiche  gilt  aber 
von  dem  Dührssenschcn  vaginalen  Kaiser- 
schnitt, und  Ref.  möchte  daher  dringend  vor  der 
Ausführung  desselben  in  der  Wohnung  warnen, 
eine  Operation,  die  nach  Müller  auch  in  der 
Dachkammer  der  Großstädte  und  im  Bauern- 
hause auf  dem  Lande  möglich  ist.  Diese  Kranken 
gehören,  wenn  irgend  möglich,  in  die  Klinik, 
falls  man  nicht  durch  Verschlechterung  der 
operativen  Resultate  den  Anhängern  des  exspek- 
tativen  Verfahrens  berechtigten  Grund  für  ihre 
Verwerfung  jeder  Operation  geben  will.  Jeden- 
falls wird  es  aber  nur  notwendig  sein,  während 
der  Gravidität  einen  operativen  Eingriff  auszu- 
führen, wenn  Benommenheit  und  urämische  Er- 
scheinungen auftreten,  in  leichteren  Fällen  wird 
das  Einlegen  eines  Metreurjnters  nach  Erweite- 
rung der  Cervikalhöhle  mit  Hegarschen  Dik- 
tatoren genügen. 

(Prager  medizinische  Woch.  1905,  No.  11,  12,  13.) 

Falk. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Oktober  1905.  J 


Referate. 


535 


Zur  Verhütung  des  Puerperalfiebers.  Eine  Studie 
aus  der  Praxis  von  Dr.  H.  Doerfler  in  Regens- 
barg.  | 

Dem  Dogma,  daß  jede  Puerperalinfektion 
von  außen  komme,  daß  also  ausschließlich  durch 
Schuld  der  Hebamme  bezw.  des  Arztes  Fieber 
im  Wochenbett  entstehe,  ist  schon  von  mehreren  ; 
Seiten  mit  Recht  entgegengetreten  worden,  die 
Tatsache  der  Autoinfektion  kann  nicht  mehr 
bestritten  werden. 

Trotzdem,  so  führt  Doerfler  aus,  muß 
dieses  Dogma  in  vollem  Umfange  bestehen  bleiben, 
wenn  wir  auch  wissen,  daß  es  einige  Übertrei- 
bung enthält,  und  zwar  muß  es  bestehen  bleiben  j 
aus  prophylaktischen  Gründen,  weil  jede  Ein-  ! 
schränkung  im  praktischen  Leben  draußen  seiner 
Aufhebung  gleichkommt. 

Speziell  ist  zu  betonen,  daß  unter  den  ! 
heutigen  Verhältnissen  jede  Hebammen  Unter- 
suchung in  der  Privatpraxis,  besonders  in  der 
Landpraxis  theoretisch  gleichbedeutend  ist  einer 
Infektion  der  Untersuchten.  „Ich  habe  mit  eigenen 
Augen  gesehen,  wie  eine  Hebamme  aus  dem 
Ziegenstall  vom  Misten  kam,  sich  den  Stallmist 
an  ihren  Händen  mit  ihrem  Rock  abwischte,  in 
den  Schmalztopf  der  Kreißenden  griff  und  dann 
eine   vaginale  Untersuchung  vornehmen  wollte. a 

Doerfler  verbreitet  sich  dann  eingehend 
über  die  Gefahren,  die  für  unsere  Frauen  und 
damit  das  ganze  Volk  aus  der  leider  meist  noch 
bestehenden  Art  der  Hebammenpraxis  hervor- 
gehen. Zur  gründlichen  Sanierung  des  Heb- 
ammenwesens und  zur  Verminderung  der  puer- 
peralen Erkrankungen  und  ihrer  Folgezustände 
ist  nach  seiner  Ansicht  ein  Haupterfordernis, 
daß  die  Berufsfreudigkeit  und  damit  auch  die 
Leistungen  der  Hebammen  gehoben  werden. 
Dies  kann  geschehen  zunächst  durch  staatliche 
Garantie  der  Gebührenauszahlung,  Prämien,  In- 
validitäts-,  Krankheits-  und  Sterboversicherung, 
dann  durch  aj [jährliche  3tägige  Repetitionskurse 
in  A-  und  Antiseptik,  durch  gesetzlich  festge- 
legte Verwendung  von  Gummihandschuhen  und 
Verbot  jeder  unnötigen  Untersuchung. 

(Münch.  med.  Woch.  1905,  No.  9  u.  10.) 

Esch  (Bendorf). 

Ober  Badekuren  Im  Kindesalter.  Von  0.  Heubner. 
Die  Balneologie  hat  bisher  ihr  Haupt- 
interesse bei  der  Kinderbehandlung  den  Sol- 
und  Seebädern  zugewandt.  Mit  vollem  Recht. 
Tausendfältige  Erfahrungen  haben  ihre  Heil- 
wirkung bei  einer  Anzahl  weit  verbreiteter  Stö- 
rungen im  kindlichen  Alter,  vor  allem  bei 
Skrofulöse  und  Rachitis  dargetan.  Heubner 
hat  den  Einfluß  der  Solbäder  an  zwei  genau 
und  lange  beobachteten  Kindern  physiologisch- 
chemisch geprüft.  Es  zeigte  sich,  daß  die  Salz- 
bäder eine  Steigerung  der  Zersetzungsvorgänge 
im  Körper  bewirkten.  Nachgewiesen  wurde  dies 
vor  allem  für  das  Eiweiß.  Vermutet  kann  dies 
aber  auch  für  die  stickstofffreien  Substanzen 
werden.  Freilich  ist  das  Wie  in  der  Beziehung 
zwischen  Bad  und  Stoffwechseleinfluß  noch  nicht 
klargestellt.  Es  scheinen  jedenfalls  zwei  Momente 
in  Betracht  zu  kommen:  eine  Ebbe-  und  Flut- 
bildung des  Blutes  zwischen  Körperinneren  und 


der  äußeren  Haut  und  dann  eine  Einwirkung 
auf  die  vasomotorischen  und  sensiblen  Nerven. 
Zu  verlangen  ist  jedenfalls  beim  Solbade,  daß  es 
von  einer  guten  Reaktion  gefolgt  sei;  mindestens 
Yj  Stunde  nach  dem  Bade  soll  eine  rote  Färbung 
der  Schleimhäute,  der  Nägel,  der  Wangen,  eine 
gute  Pulsbeschaffenheit  sich  geltend  machen. 
Während  der  Kur  soll  der  Appetit  sich  steigern 
und  das  Körpergewicht  nicht  abnehmen.  Bei 
blassen,  mageren  und  appetitlosen  Kindern  ist 
große  Vorsicht  geboten.  Und  bei  kalten  See- 
bädern wird  nur  eine  ausgewählte  Gruppe  von 
Kindern  einen  freilich  noch  nachhaltigeren  Er- 
folg gewinnen  als  bei  den  warmen  Solbädern. 
Die  kohlensäurehaltigen  Solbäder  sind  bei 
Kindern  noch  gar  nicht  experimentell  versucht 
worden.  Aus  der  Erfahrung  heraus  aber  emp- 
fiehlt sie  Heubner  bei  herzkranken  Kindern, 
besonders  auch  bei  rheumatischen  Herzkranken, 
namentlich  bei  solchen,  bei  denen  abhärtende 
Prozeduren  eingeleitet  werden  sollen.  Denn  die 
kohlensäurehaltigen  Solbäder  können  kühler  ge- 
geben werden.  Ferner  sind  sie  bei  mancherlei  im 
Kindesalter  vorkommenden  Lähmungen  anzu- 
wenden, so  bei  leichteren  Fällen  von  Neuritis, 
Polyoinyelitis  und  funktioneller  Lähmung.  Heub- 
ner ist  auch  der  Ansicht,  daß  die  Heilfaktoren 
der  Mineralbäder  in  mancher  Hinsicht  größerer 
Ausnutzung  fähig  wären,  als  es  zur  Zeit  der 
Fall  ist.  So  wären  Moor-  und  Schlammbäder 
zu  versuchen,  namentlich  bei  chronischen  Er- 
nährungsstörungen, z.  B.  bei  Lymphatismus,  bei  » 
Kinderlähmungen,  bei  chronischem  Gelenk- 
rheumatismus. Warum  sollten  nicht  auch  die 
Schwefelthermen  bei  chronischen  Hautkrank- 
heiten bei  Kindern  mehr  als  bisher  verwendet 
werden?  Auch  der  Lues  tarda  ist  hier  zu  ge- 
denken, und  schließlich  weist  Heubner  auch 
auf  die  warmen  Bäder  hin,  die  in  den  Wild- 
b ädern  zur  Geltung  kommen.  Sie  finden  ein 
dankbares  Feld  der  Einwirkungen  bei  den 
spastischen  Lähmungen  der  Kinder. 

(Berl.  klin.  Wochenschrift  1905,  No.  17  u.  18.) 

H.  Rosin. 


(Aus  der  hydrotherapeutischen  Anstalt  der  Universität  Berlin, 
Geh.  R.  Prof.  Dr.  Br leger.) 

Ober  den  Einfluß  hellgymnastischer  Arbeiten  auf 
den  Kreislauf.  Von  Stabsarzt  Dr.  Keller- 
mann, kommandiert  zum  Institut. 

Auf  Grund  seiner  Untersuchungen,  die  sich 
nicht  auf  die  Wirkung  der  Muskelarbeit  im  all- 
gemeinen erstrecken,  sondern  die  Beziehungen 
der  einzelnen  Bewegungsformen,  wie  sie  die 
moderne  Heilgymnastik  unterscheidet,  zum  Blut- 
druck und  zur  Pulsfrequenz  klarzulegen  ver- 
suchen, weist  Kell  ermann  zunächst  nach,  daß 
durch  passive  Bewegung  eine  leichte  Senkung 
des  ersteren  bei  unveränderter  letzteren  statt- 
findet. 

Während  der  Ausführung  einer  stati- 
schen Arbeit  demgegenüber  laufen  die  Ver- 
änderungen des  Blutdruckes  mit  denen  des 
Pulses  parallel,  indem  beide  einen  sofortigen 
Anstieg  mit  darauf  folgendem  Abfall  unter  die 
Norm  zeigen.  Nach  dem  Aufhören  der  stati- 
schen   Arbeit     bleibt     der    Blutdruck     niedrig, 


536 


Referate. 


rTherapeu 
L   Monstoh 


entliehe 
Monatshefte. 


während  die  Pulsfrequenz  abermals  über  die 
Norm  steigt. 

Bei  Widerstandsbewegungen  weist  der  Blut- 
druck große  Schwankungen  auf,  die  sich  bald 
über,  bald  unter  der  Norm  bewegen,  und  die 
den  Bewegungen  selbst  synchron  sind.  Während 
die  Pulsfrequenz  dabei  kontinuierlich  ansteigt, 
scheint  der  mittlere  Blutdruck  manchmal  er- 
niedrigt, meistens  aber  nicht  wesentlich  ver- 
ändert zu  sein. 

Die  manuelle  Selbsthemmungsbewegung  er- 
zeugt eine  Blutdrucksenkung  und  gleichzeitig 
eine  Steigerung  der  Frequenz,  welche  nach  dem 
Aufhören  der  Bewegung  noch  zunimmt. 

Bei  Förderungsbewegungen  schließlich  tritt 

eine  Senkung  des  Blutdrucks  und  eine  Verl  an  g- 

samung  des  Pulses  ein. 

(Zeitschr.  /.  diätetische  u.  physikal.  Therapie   1904, 
Bd.  8,  H.  3.)  Eschle  (Sinsheim). 


(Ana  dem  hygienischen  Tmtitnt  der  Univertit&t  Halle  a.  S. 
Direktor:  Geh.  Med.  Rat  Prof.  Dr.  0.  Freenkel.) 

Ober  die  Konservierung  der  Milch  durch  Wasser- 
stoffsuperoxyd. Von  Oberarzt  Dr.  E  rn  s  t  B  a  u- 
mann,  kommandiert  zum  Institut. 

Die  Milch,  die  von  erkrankten  Kühen 
stammt,  kann  zu  Infektion  mit  Tuberkulose, 
Milzbrand,  Maul-  und  Klauenseuche,  vielleicht 
auch  mit  Rotz,  Pocken,  Tollwut  Anlaß  geben; 
durch  nachträgliche  Verunreinigung  der  Milch 
wird  die  Verbreitung  von  Typhus,  Cholera, 
Ruhr,  Scharlach,  Diphtherie  etc.  ermöglicht. 
Durch  das  Pasteurisieren  resp.  Sterilisieren  der 
Milch  werden  die  Mikroorganismen  zwar  fast 
vollständig  abgetötet,  indes  werden  zugleich  durch 
die  Hitze  die  Enzyme  und  Fermente  der  Milch, 
ebenso  die  bakteriziden  Stoffe  geschädigt  oder 
vernichtet.  Das  Erhitzen  wirkt  ferner  ungünstig 
auf  den  Gehalt  der  Milch  an  löslichen  Eiweiß- 
körpern (Albumin,  Globulin),  des  Lezithins  sowie 
auf  die  Gerinnungsfähigkeit  gegenüber  dem  Lab- 
ferment ein;  zugleich  wird  der  Milchzucker  teil- 
weise karamelisiert ,  Geschmack  und  Farbe  der 
Milch  werden  verändert,  die  Widerstandsfähigkeit 
gegen  Fäulnis  geht  verloren,  auch  können 
sich  giftige  Umsetzungsprodukte  des  Eiweißes 
(Schwefelwasserstoff)  bilden,  das  Fett  büßt  die 
feine  Emulgierbarkeit  ein  und  wird  schwerer 
resorbiert,  schließlich  bilden  die  überlebenden, 
peptonisierenden  Keime  Toxine  oder  begünstigen 
die  Eiweißfäulnis. 

Die  Kälte  ist  ebenfalls  zur  Haltbarmachung 
der  Milch  verwendet  worden,  liefert  aber  kein 
einwandfreies  Produkt.  Eine  Konservierung  und 
Sterilisierung  auf  chemischem  Wege  ist  mit 
einer  Reihe  von  Substanzen:  Soda,  Borsäure, 
Borax,  Salizylsäure,  Natriumsulfit,  Kalium- 
bichrom at,  Hexamethylentetramin  u.  a.  versucht 
worden,  v.  Behring  hat  in  letzter  Zeit  Zusatz 
von  Formalin*)  zur  Milch  1:25  000—40  000 
empfohlen.  Die  pathogen en  Keime  (Typhus, 
Ruhr,  Cholera)  werden  indes  durch  diesen  Zu- 
satz nicht  vollständig  abgetötet,  andrerseits  wird 
die  Labgerinnung  durch  Verändeiung  der  Ei- 
weißkörper   und    der    Labenzyme    stark    beein- 


•)  S.  Therap,  Monatshefte  Februarheft  1904. 


trächtigt.  Da  der  fortgesetzte  Genuß  von  mit 
chemischen  Stoffen  versetzter  Milch  gesundheits- 
schädigend auf  die  Säuglinge  wirkt,  ist  das  Feil- 
halten von  Milch,  welcher  chemische  Konser- 
vierungsmittel zugesetzt  worden  sind  durch 
ministerielle  Verfügung  untersagt  worden. 

Ein  Mittel,  welches  die  Milch  praktisch  ge- 
nügend sterilisiert  und  ßie  8  Tage  genußf&hig 
erhält,  dabei  aber  selbst  vollständig  unschädlich 
ist,  ist  das  bereits  von  Heiden hain  vor  Jahren 
empfohlene  Wasserstoffsuperoxyd.  Das  neuerdings 
von  Budde  angegebene  Verfahren,  Milch  mit 
Wasserstoffsuperoxyd  zu  sterilisieren,  ohne  die 
Verdaulichkeit  derselben  zu  beeinträchtigen,  ist 
folgendes:  Die  Milch  wird  auf  48— 50°  erwärmt, 
mit  0,85  pro  mille  Ha  09  versetzt,  ]/2  Stunde  bei 
dieser  Temperatur  umgerührt  und  2 — 3  Stunden 
auf  52°  erwärmt.  Diese  Milch  hält  sich  min- 
destens 8 — 10  Tage,  ohne  zu  gerinnen;  die 
pathogenen  Keime  sind  abgetötet. 

Eine  Untersuchung  über  die  Wirksamkeit 
des  Wasserstoffsuperoxyds  auf  die  Milch  hat 
Bau  mann  vorgenommen: 

Zusatz  von  Wasserstoffsuperoxyd  (Perhydrol 
Merck)  in  geringen  Mengen  tötet  in  der  Milch 
vorhandene  Typhus-,  Cholera-  und  Ruhrkeime 
sämtlich  ab.  Sinkt  der  Gehalt  an  H302  unter 
0,35  pro  mille,  oder  wird  die  Milch  nur  auf  20° 
erhitzt,  so  tritt  nur  Verminderung  der  Keime 
ein.  In  der  gleichen  Weise  werden  auch  die 
Tuberkelbazillen  vernichtet.  Das  Wasserstoff- 
superoxyd selbst  wird  vollständig  in  0  und 
Wasser  zerlegt,  nur  wenn  der  Gehalt  0,54 
pro  mille  erreicht  oder  übersteigt,  bleibt  es 
nachweisbar.  Die  Zerlegung  erfolgt  nicht  durch 
die  Enzyme  der  Milch,  sondern  durch  die  zahl- 
losen in  der  Milch  vorhandenen  Keime.  Die 
Labgerinnung  erfährt  durch  Wasserstoffsuperoxyd 
eine  Veränderung  in  dem  Sinne,  daß  dieselbe 
später  eintritt;  die  Gerinnsel  sind  feinflockig. 
Die  Verdauung  durch  Pepsinsalzsäure  scheint 
bei  der  mit  H9  03  behandelten  MTich  schneller 
und  energischer  zu  erfolgen  als  bei  roher  Milch. 
Der  Geschmack  leidet  in  keiner  Weise. 

Das  Wasserstoffsuperoxyd  erscheint  dem- 
nach wohl  geeignet  zur  Konservierung;  es  ist 
jedoch  erforderlich,  den  Zusatz  unmittelbar  nach 
dem  Melken  vorzunehmen. 

(Münchener  medizinische  Wochenschrift  1905,  No.  23.) 

Jacobson, 

Prinzipien  der  Kieferhöhlenbehandlung.  Von  Prof. 

Dr.  Gerber  (Königsberg  i.  Pr.) 

Gerber  gibt  einen  geschichtlichen  Über- 
blick über  die  Behandlung  der  Kieferhöhle  und 
nimmt  dabei  die  Priorität  der  nach  Luc  und 
Caldwell  benannten  Operation  für  sich  in  An- 
spruch. Diese  Operation,  welche  in  breiter  Auf- 
meißelung  der  Kieferhöhle  von  der  Fossa  canina 
aus,  Anlegung  einer  weiten  Kommunikation  nach 
der  Nase,  primärer  Vernähung  über  der  Fossa 
canina  besteht,  hat  Gerber  schon  Jahre  vor  der 
Lu eschen  Arbeit  ausgeführt  und  durch  seinen 
damaligen  Assistenten  Alsen  beschreiben  lassen; 
nur  mit  der  als  vorteilhafter  erprobten  Änderung, 
die  Verbindung  nach  der  Nase  im  mittleren, 
anstatt  im  unteren  Nasengan.g  anzulegen. 


XIX.  Jahrgang.! 
Oktober  1905.  J 


Referate. 


537 


Die  Behandlung  der  Kieferhöhlenempyeme 
schildert  Verf.  zum  Schluß  in  folgenden  Leitsätzen : 

1.  Das  erste  Prinzip  ist,  die  erkrankte 
Kieferhöhle  möglichst  von  dort  aas  zu  behandeln, 
wo  ihre  natürliche  Kommunikation  mit  der  Nasen- 
höhle ist,  und  jedenfalls  die  Anlegung  neuer 
dauernder  Verbindungen  mit  der  Mund-Rachei- 
hohle  zu  vermeiden. 

2.  Frische  und  leichte  Fälle  werden  anfangs 
nur  vom  mittleren  Nasengange  mit  spitzer  Kanüle 
gespült.  (Noch  schonender  sind  stumpfe  Kanülen, 
welche  durch  die  natürlichen  Öffnungen  der 
Kieferhöhle  geführt  werden.    Referent) 

8.  Bei  länger  dauernden  Eiterungen,  zu 
dickem  Sekrete,  starkem  Foetor  u.  a.  wird  die 
Öffnung  im  mittleren  Nasengange  zunächst  er- 
weitert eventuell  noch  nach  dem  unteren  Nasen- 
gange zu. 

4.  Chronische  und  schwere  Fälle  werden 
einer  breiten  Öffnung  von  der  Fossa  canina  aus 
unterzogen.  Diese  Öffnung  wird  nach  Inspektion 
und  Ausräumung  der  Höhle  und  Anlegung  einer 
breiten  Gegenöffnung  im  mittleren  Nasengange 
wieder  sorgfältig  geschlossen  und  die  Nachbe- 
handlung vom  mittleren   Nasengang  ans  geleitet. 

5.  Ausgenommen  hiervon  und  einer  oralen 
Behandlung  aufgespart  bleiben  nur  a)  diejenigen 
Fälle,  bei  denen  eine  hochgradige  Nasenstenose 
die  nasale  Behandlung  absolut  unmöglich  macht, 
und  b)  diejenigen  Patienten,  die  weder  in  ärzt- 
licher Behandlung  bleiben,  noch  die  Selbstbe- 
handlung vom  mittleren  Nasengang  aus  erlernen 
können. 

(Archiv  für  Laryngologie  und  Rhinologie.  Bd.  17. 1.) 
Krebs  (Hildesheim). 


(Ans  der  medizinischen  Poliklinik  sn  Leipzig,  Abteilung  für 
Hantkranke,  Geheimrat  Prof.  Dr.  Ho  ff  mann.) 

i.  Ober  Unguentum  sulfuratum  mite  =  Thiolan. 

Von  Assistenzarzt  Dr.  Hans  Vorn  er.  Mün- 
chener medizin.  Wochenschrift  No.  16,  1905, 
S.  761. 

(Ana    der   medizinischen    UnlTertlt&tipoliklinik   an   Leipzig, 
Direktor:  Geh.  Med.-R»t  Prof.  Dr.  F.  A.  Hoffmann.) 

a.  Erfahrungen  bei  Behandlung  mit  elektrischem 
Licht  unter  besonderer  Berücksichtigung  einer 
neuen  Lichtsalbenbehandlung  bei  Hautkrank- 
heiten. Von  Assistenzarzt  Dr.  LudwigSteiner. 
Ebenda  S.  748. 

1.  Vorn  er  macht  Mitteilungen  über  Thiolan, 
eine  Salben komposition,  in  welcher  Schwefel  teils 
in  gelöster  Form,  teils  in  äußerst  feiner  Weise 
suspendiert  vorhanden  ist.  Vor  anderen  Schwefel- 
praparaten  zeichnet  sich  Thiolan  durch  eine 
Reihe  von  Vorzügen  aus:  Es  ist  völlig  reizlos 
und  wird  daher  von  der  Haut  gut  vertragen; 
es  ist  ferner  geruchlos,  hell,  in  größerer  Dichte 
von  opakem  Aussehen,  dünn  aufgestrichen  aber 
durchsichtig. 

Bei  einer  großen  Zahl  von  Hautkrankheiten 
erwies  sich  das  Thiolan  als  ein  prompt  wir- 
kendes Mittel.  Seborrhoea  capitis  heilte  unter 
der  Thiolanbehandlung  in  1 — 2  Monaten.  Ek- 
zeme, und  zwar  akute  wie  chronische,  wurden 
mit  Einstreichen  der  Salbe  oder  durch  Auflegen 
von  Salbenläppchen  in  kurzer  Zeit  beseitigt. 
Weitere  Hautaffektionen,  die  der  Thiolanbehand- 
lung   zugänglich    sich    erwiesen,    sind    Prurigo, 


Urticaria,  Pityriasis  versicolor,  Trichophytie 
(Herpes  tonsurans  vesiculosus  und  circinatus), 
Erfrierungen,  Alopecia  areata  (nach  voraufgehen- 
der Anwendung  von  Sublimat-Resorcin-Alkohol), 
leichtere  Fälle  von  Psoriasis,  Scabies  (hier  in 
Verbindung  mit  Acetum  glaciale  0,5  •— 1  %, 
Acetum  salicylicum  und  Resorcin  2 — 3  °/0),  Akne 
rosacea  und  Akne  vulgaris. 

2.  Während  das  einfache  Bogenlicht  in 
Form  des  Freilichtbades  und  des  Kastenbades 
häufig  zur  Entstehung  von  Erythemen  Anlaß 
gibt,  ist  der  mit  Kohlenelektroden  armierte 
Bogenlichtscheinwerfer  frei  von  dieser  unange- 
nehmen Nebenwirkung.  Mit  letzterem,  der  er- 
laubt, die  gewünschte  Wärme  bequem  zu  dosieren, 
und  der  auch  einfach  und  sauber  zu  handhaben 
ist,  hat  Steiner  außer  bei  Ischias,  Neuritiden, 
chronischen  Gelenkentzündungen,  auch  in  je 
einem  Fall  von  Gallensteinerkrankung,  beginnen- 
der Unterlappenpneumonie  und  pleuritischem 
Exsudat  recht  ermunternde  Erfolge  erzielt.  Als 
Hauptdomäne  der  Behandlung  mit  dem  Schein- 
werfer betrachtet  er  die  Hautkrankheiten,  und 
zwar  gibt  bei  diesen  die  Kombination  mit  einer 
Thiolanbehandlung  Resultate,  welche  sich  in 
bezug  auf  Schnelligkeit  und  Größe  der  Heil- 
erfolge durch  kein  anderes  Verfahren  erzielen 
lassen.  Die  erkrankten  Hautpartien  werden 
kurze  Zeit  bestrahlt,  sodann  in  feiner  Schicht 
mit  ThiolanBalbe  bedeckt  und  nun  von  neuem 
während  10 — 30  Minuten  der  Lichtwirkung  aus- 
gesetzt. Aus  seinen  Beobachtungen  zieht  Steiner 
folgende  Schlüsse: 

1.  Die  Wirkung  des  Scheinwerfers  ist  in 
erster  Linie  eine  Wärmewirkung.  Lichtwirkung 
ist  nicht  ausgeschlossen. 

2.  Wesentlich  ist  die  selbst  stundenlange 
Nachwirkung  auf  die  Zirkulation  (aktive  Hyper- 
ämie). 

3.  Die  Heilwirkung  beruht  bei  Hautkrank- 
heiten neben  der  durch  die  Hyperämie  bedingten 
besseren  Ernährung  auf  der  Wachstumshemmung 
der  oberflächlich  parasitierenden  Mikroorganismen. 
Bei  tiefersitzenden  Krankheiten  kommt  wohl 
hauptsächlich  die  resorptionsanregende  Wirkung 
in  Frage. 

4.  Besonders  wirksam  ist  bei  gewissen  Haut- 
krankheiten die  Kombination  von  Scheinwerfer- 
behandlung mit  gleichzeitiger  Salbenbehandlung. 
Sie  übertrifft  sowohl  die  einfache  Scheinwerfer- 
wie  die  einfache  Salbenbehandlung. 

5.  Ob  diese  Wirkung  in  einer  Superposition 
der  Reize  (durch  den  im  Thiolan  enthaltenen 
Schwefel)  oder  in  einer  vermehrten  Resorption 
(von  Schwefel)  oder  schließlich  auf  einer  Ver- 
mehrung der  oberflächlich  bakteriziden  Wirkung 
beruht,  müssen  weitere  Versuche  ergeben.  Indi- 
kationen für  diese  Behandlungsweise  sind:  Ek- 
zeme, subakute  und  chronische,  trockne  und 
nässende,  Dermatitis,  Trychophytie,  Pityriasis 
versicolor,  Erythrasma,  Favus,  seborrhoisches 
Ekzem,  Pityriasis  rosea,  Scabies,  Akne  rosacea, 
hypertrophische  Narben  (Aknekeloid),  Erfrierung, 
Naevus  vasculosus,  Syphilis  (unter  Verwendung 
von  Quecksilber  statt  Thiolan). 

Jacobson 


538 


Referate. 


fTherapeutlftete 
L  Monatshefte. 


Zur  Injektionstherapie   der  Gonorrhöe.    Von  Dr. 

Robert  Lücke  in  Magdeburg. 

Einspritzungen  in  die  Urethra  anterior  unter 
Druck  und  längerem  Zurückhalten  der  injizierten 
Flüssigkeit  sind  wegen  der  Unsicherheit  des 
Verschlusses  der  hinteren  Harnröhre  gegen  die 
vordere  nicht  ungefährlich.  Bei  Erstinfizierten 
kann  man  allerdings  darauf  rechnen,  daß  inner- 
halb der  ersten  14  Tage  der  Sphinkter  urethrae 
ext.  seine  Schuldigkeit  tut;  bei  mehrfach  In- 
fizierten aber,  welche  bereits  eine  Urethritis 
posterior  durchgemacht  haben,  ist  man  dessen 
nie  sicher.  Hieraus  ergeben  sich  folgende  Be- 
handlungsarten: I.  Für  Erstinfizierte,  welche  im 
Anfang  der  Krankheit  in  die  Behandlung  ein- 
treten. Es  kommt  darauf  an,  mittels  der  Druck- 
injektionen während  der  ersten  14  Tage  die 
Entzündungserscheinungen  zu  mildern  und  die 
oberflächlich  liegenden  Gonokokken  zu  beseitigen. 
Ist  dies  erreicht,  so  ist  weiterhin  eine  Erkran- 
kung der  hinteren  Harnröhre  nicht  zu  befürchten, 
wenn  man  nur  mit  einer  stark  keimtötenden 
Flüssigkeit  spritzt.  Als  solche  empfiehlt  sich 
Protargol  oder,  falls  dasselbe  zu  sehr  reizen 
sollte,  Thallium  sulfuricum.  II.  Für  mehrfach 
Inß zierte  und  für  Erstinfizierte,  die  von  der 
dritten  Krankheitswoche  an  zur  Behandlung 
kommen.  Man  macht  zunächst  Katheterspülungen 
oder  Massenspülungen  nach  Jan  et;  sind  diese 
Methoden  nicht  anwendbar,  so  mache  man  mit 
stark  entzündungswidrig  wirkenden  Präparaten 
Einspritzungen  ohne  Druck  und  Verschluß  der 
Harnröhrenmündung,  wobei  der  Abschluß  der 
hinteren  Harnröhre  durch  äußeren  Druck  in  der 
Bulbusgegend  noch  besonders  zu  sichern  ist. 
Erst  wenn  unter  einer  dieser  Behandlungsarten 
die  Entzündungserscheinungen  gemildert  und  die 
oberflächlich  liegenden  Gonokokken  geschwunden 
sind,  gehe  man  zu  den  Druckinjektionen  über. 
—  Im  allgemeinen  lasse  man  4  Wochen  lang 
spritzen.  Die  Heilung  ist  allerdings  erst  er- 
reicht, wenn  die  mechanische  Reizung  gono- 
kokkenfreies  Sekret  ergibt,  bezw.  wenn  die 
Dehnung  der  vorderen  Harnröhre  hier  wieder 
normale  Verhältnisse  geschaffen  hat. 

(Münchener  medizin.  Wochenschrift  1904,  No.  13.) 
Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

(Aut  der  hydroth.  Amt.  su  Berlin,  Geh.  Rat  Prof.  B rieger.) 

Zur  physikalischen  Behandlung  der  gonorrhoi- 
schen Gelenkerkrankungen.  Von  August 
Laqueur. 

Im  akuten  Stadium  der  gonorrhoischen 
Gelenkerkrankungen  werden  neben  den  bekannten 
Prießnitz umschlagen  unter  Ruhigstellen  der  Ge- 
lenke die  heißen  Watteverbände  nach  Diehl 
{Watte  unter  Guttapercha)  angewendet.  (Heiße 
Kataplasmen  sind  ja  schon  seit  längerer  Zeit  in 
Anwendung.)  Weiterhin  sind  zu  empfehlen  die 
Bi ersehe  Stauung  und  die  lokalen  heißen  Luft- 
bäder, beide  Methoden  haben  sich  vorzüglich 
bewährt.  Die  Biersche  Stauung  kann  schon 
im  ersten  akuten  Stadium  verwandt  werden;  es 
kann  mit  3  St.  täglich  bereits  begonnen  werden, 
und  man  kann  bis  zu  10  St.  am  Tage  steigen. 
Die  Heißluftbäder  sind  bald  nach  der  Ent- 
fieberung   anzuwenden.      Vorteilhaft    für    diesen 


Zweck  ist  ein  amerikanischer,  von  Kiefer-Korn- 
feld in  Berlin  geführter  Apparat,  der  an  allen 
Körperteilen  applizierbar  ist.  In  einem  etwas 
späteren  Stadium  der  Erkrankung  können  heiße 
Vollbäder  verwendet  werden,  vorausgesetzt,  daß 
das  Herz  gesund  ist.  Kälteanwendungen  be- 
währen sich  im  akuten  Stadium  im  allgemeinen 
nicht,  ebensowenig  Massage,  nur  sollen  ganz 
leichte  aktive  und  passive  Bewegungen  früh- 
zeitig versucht  werden. 

Im  chronischen  Stadium  ist  dagegen  auf 
Massage,  medikomechanische  Behandlung,  heiße 
Dampfstrahlen,  die  von  kalter  Strahldusche  ge- 
folgt sind,  der  größte  Wert  zu  legen.  Daneben 
Biersche  Stauung  und  Heißluftbäder.  Aktive 
und  passive  Bewegungen  der  erkrankten  Gelenke 
sind  am  besten*  im  heißen  Bade  auszuführen. 

Neben  dieser  physikalischen  Behandlung 
sind  noch  Salben  verbände,  zuweilen  auch  interne 
Salizyldarreichung  am  Platze. 

(Berl.  klin.  Wochenschrift  1905,  No.  23.)    H.  Rosin. 

Ober  Gonosan«    Von  Dr.  J.  B.  Sokal. 

Das  Mittel  wurde  in 21  Fällen  angewendet,  da- 
von waren  16  Uretriden  anteriores  —  2  posteriores 

—  und  3  Cystitiden.  —  Als  Anhänger  der  ex- 
spektaliven  Methode  wendet  Verf.  in  den  ersten 
Tagen  keine  lokale  Behandlung  an,  bloß  Gonosan 
innerlich;  worauf  unter  Einfluß  dieses  Mittels 
bald  die  akut  entzündlichen  Erscheinungen  zen- 
sieren. —  Hierauf  wird  zur  lokalen  Behandlung 
geschritten,  unter  Aufrechterhaltung  der  Dar- 
reichung von  Gonosan.  —  Die  Ergebnisse  dieser 
Behandlungsart  waren  derart  gute,  daß  Verf.  in 
dem   Gonosan  das   beste  —  derzeit   existierende 

—  innerlich  zu  verabreichende  Antigonorrhoicum 
sieht,  welches  die  Heilungsdauer  wesentlich  ab- 
kürzt, und  das  wegen  der  Billigkeit  und  der 
schmerzstillenden  Wirkung  in  jeder  frischen 
Gonorrhöe  angewendet  werden  soll. 

(Przeglad  lekarski  1904,  No.  41.)     Gabel  (Lember%). 

Bornyval  und  seine  Verwendung  In  der  ärztlichen 
Praxi».    Von  Dr.  K.  Beerwald  (Berlin). 

Ausgehend  von  der  Erwägung,  daß  das  Bor- 
nyval wegen  seines  konstanten  Gehaltes  an  Borneol 
und  Valeriansäure  das  Nervensystem  in  günstiger 
Weise  beeinflussen  muß,  hat  Beerwald  dieses 
neue  Präparat  bei  einer  großen  Zahl  von  Fällen 
in  Anwendung  gebracht.  Dabei  ist  er  zu  der 
Überzeugung  gelangt,  daß  dasselbe  unter  allen 
Baldrianpräparaten  die  erste  Stelle  einnimmt. 
Es  hat  sich  bei  Erregungszuständen  ausgezeichnet 
bewährt,  so  daß  es  bei  Neurasthenie  in  ihren 
verschiedenen  Stadien,  bei  Melancholie  und  ganz 
besonders  bei  nervösen  Reizzuständen  des  Herzens 
empfohlen  werden  kann.  In  15  Fällen  hat  Beer- 
wald das  Mittel  außerdem  bei  Influenza  ange- 
wendet, und  wenn  auch  davon  7  Fälle  resultatlos 
verliefen,  so  hat  es  doch  bei  den  8  andern 
unbedingt  sehr  wohltätig  auf  das  Herz  gewirkt 
und  die  Zerschlagenheit  sowie  die  sonstigen  all- 
gemeinen Vergiftungssymptome  in  wenigen  Tagen 
beseitigt.  Das  Bornyval  stellt  eine  wasserklare, 
nach  Baldrian  und  Kampfer  riechende  Flüssig- 
keit dar,   die    von   den  Fabrikanten  in  Gelatine- 


XIX.  Jahrgang.! 
Oktober  1905.  J 


Referate. 


539 


kapseln  zu  je  0,25  g  in  den  Handel  gebracht 
-wird.  Man  gibt  täglich  3—4  Perlen.  Die  be- 
ruhigende Wirkung  kommt  mindestens  derjenigen 
der  Brompräparate  gleich. 

(Allg.  med.  Zentr.-Ztg.  1905,  23.)  R. 

Mesotan  in  der  Behandlung  des  Rheumatismus 
und  verwandter  Zustande.  Von  Charles 
F.  Kieffer  vom  Sanitätsoffizierkorps  der  Ver- 
einigten Staaten  (Wyoming). 

Das  Mesotan,  ein  Salizylsäureester,  gewinnt 
immer  weitere  Verbreitung  als  Ersatzmittel  für 
die  Salizylsäure.  Kieffer  hat  es  in  der  militär- 
ärztlichen Praxis  zur  Behandlung  verschieden- 
artiger rheumatischer  Affektionen  verwendet  und 
stets  da  gut  bewährt  befunden,  wo  man  sonst 
Salizylpräparate  zu  geben  pflegte.  Die  ungün- 
stigen Nebenwirkungen  des  äußerlich  anzuwen- 
denden Mittels,  nämlich  Eruptionen  auf  der  Haut, 
lassen  sich  nach  Kieffers  Erfahrungen  sicher 
▼ermeiden,  wenn  man  es  nicht  in  reinem  Zustande 
(es  ist  eine  ölige  Flüssigkeit),  sondern  mit  Öl, 
wenigstens  zu  gleichen  Teilen  vermischt  ver- 
wendet und  es  auch  nicht  in  die  Haut  einreibt, 
sondern  nur  sanft  aufträgt.  In  vielen  Fällen 
genügte    schon    eine   Verdünnung  von    20  Proz. 

Am  besten  wirkte  es  beim  akuten  Gelenk- 
rheumatismus. Außer  den  Schmerzen  ließ  auch 
das  Fieber  nach.  Nicht  immer  ganz  sicher, 
jedoch  in  den  meisten  Fällen  von  guter  Wirkung 
war  es  beim  subakuten  und  chronischen  Rheuma- 
tismus. Bei  gnorrhoischer  Arthritis  war  es  un- 
wirksam. Bei  der  Arthritis  deformans  ließen 
sich  in  einigen  Fällen  die  Schmerzen  damit 
bekämpfen,  in  andern  nicht.  Sehr  gut  wirksam 
war  es  beim  Muskelrheumatismus,  besonders  bei 
Lumbago;  schließlich  auch  bei  rheumatischer 
Iritis,  indem  es  in  die  Schläfengegend  und  über 
die  Augenbrauen  eingerieben  die  Schmerzen 
stillte.  In  der  Regel  wurde  es  dreimal  täglich, 
manchmal  nur  einmal  täglich  angewendet. 

(Therapeutic  gazette  1905,  Man.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

£tude  8ur  l'emploi  du  narcyl  dans  la  toux,  spe- 
cialement  chez  les  tuberculeux.    (Narcyl  bei 
der  Behandlung  des  Hustens,  besonders  der 
Tuberkulösen).   Par  F.  Berlioz,  professeur  ä 
l'universite  de  Grenoble. 
Ein  zur  Bekämpfung  des  Hustens  der  Tuber- 
kulösen   dienendes  Mittel    darf    nicht  ungünstig 
auf  den  Ernährungszustand  wirken,  den  Appetit 
und  die  Verdauungsorgane  nicht  beeinträchtigen 
und    keinen    schädlichen  Einfluß    auf  die  Zirku- 
lation ausüben.  Diesen  Forderungen  entspricht  das 
Narcyl,    welches    Berlioz    einer    eingehenden 
Prüfung    unterworfen    hat.     Dieses  schon  früher 
von  Ponchel   und   Chevalier  studierte   Mittel 
ist    ein    salzsaures  Äthylnarcein.     Es    ist   wenig 
giftig,    denn    erst    6  bis  8,0  g    vermögen    einen 
Menschen    von   60  kg    zu    töten.     Mit   geringen 
Dosen    von    0,06  bis  0,1  g  pro   die   gelingt  es, 
den    Husten    zu    beruhigen    und    zu    beseitigen. 
Trotz   längeren   Gebrauchs  werden    üble   Neben- 
wirkungen   nicht    beobachtet.     Berlioz    verab- 
reichte  das   Mittel   in    Form   von   Pillen,    5  bis 
6  Stück    zu  0,02  g.      Dasselbe    kann    auch    als 


Narcylsirup    genommen    werden,    in    dem    jeder 
Eßlöffel  0,03  Narcyl  enthält. 

(Les  Nouveaux  Remedes  1905,  11.)  R. 

Etüde  du  narcyl  (chlorhyrdate  d'ethyl-narceeine). 
et  de  ses  effets  clinlques.  Par  P.  Debono. 

Neuere  Untersuchungen  über  die  Konstitution 
des  Narceins  haben  zur  synthetischen  Darstellung 
desselben  geführt.  Den  Ausgangspunkt  bildete 
das  im  Opium  reichlich  vorhandene  Narkotin. 
Um  die  Wirkung  des  Narceins  zu  erhöhen,  wurden 
verschiedene  Äther  desselben  dargestellt.  Unter 
diesen  scheint  Narcyl,  Äthylnarcein  hydrochlori- 
cum  eine  besondere  Beachtung  zu  verdienen. 
Es  ist  dies  eine  kristallinische,  genügend  lösliche, 
wenig  toxische  Substanz,  die  schmerzstillend  und 
beruhigend  wirkt.  Auffallend  ist  die  stark  depres- 
sive Wirkung  auf  den  Vagus  und  Splanchnicus. 
Bei  Lungenaffektionen  dient  es  als  vorzügliches 
Antispasmodicum  und  wertvolles  Hustenmittel. 
Da  dem  Narcyl  nicht  die  üblen  Eigenschaften 
des  Morphins  anhaften,  kann  es  als  dessen  Ersatz- 
mittel Verwendung  finden  und  namentlich  in  der 
Kinderpraxis  z.  B.  beim  Keuchhusten  ausge- 
zeichnete Dienste  leisten.  Die  Verabreichung 
erfolgt  am  besten  in  Form  eines  Sirups.  Er- 
wachsenen kann  man  3  bis  4  Eßlöffel  ä  0,03  Narcyl 
in  24  Stunden  geben.  Kindern  entprechend  weniger 
(von  2 — 4  Jahren  1 — 3  Kaffeelöffel  voll  Sirup; 
von  4 — 7  Jahren  4 — 5  Kaffeelöffel  und  von  7 
bis  15  Jahren  1—2  Eßlöffel).  Auch  in  Form 
von  Granulös  (a  0,02)  kann  das  Mittel  verab- 
reicht werden. 


(These  de  Paris  1904.) 


R. 


Ein    Traggerüst    für    die    oberen   Extremitäten« 

Von    Dr.    Georg    Hager,    Spezialarzt    für 
Chirurgie  in  Stettin. 

Bei  einem  Kranken,  welcher  an  progres- 
siver Muskelatrophie  litt,  wurden  mit  weiterem 
Fortschreiten  der  Krankheit  ganz  wesentliche 
Beschwerden  dadurch  bedingt,  daß  beide  Arme 
schlaff  am  Körper  herunterhingen  und  sich  dem 
Patienten  als  schwere  Last,  die  ein  Gefühl  be- 
ständigen Druckes  auf  Brust  und  Schultern  aus- 
übte, fortwährend  unangenehm  bemerkbar  mach- 
ten. Die  sehr  zweckmäßige  Bandage,  die  Hager 
zur  Abstellung  dieses  Mißstandes  ersann,  besteht 
aus  einem  um  den  Nacken  und  über  die  Schul- 
tern laufenden,  gutgepolsterten  Bügel,  welcher 
nicht  nur  an  den  beiden  vorderen  Enden  in 
zwei  schlangenförmige  Traggurte  für  die 
Hände  ausläuft,  sondern  zwei  ebensolche,  für  die 
Stützung  der  Unterarme  unterhalb  des  Ellbogens 
bestimmt,  von  dem  hinteren  Teil  seiner  Peripherie 
ausgehen  läßt. 

(Zeitschr.  f.    diätetische  und  physikalische    Therapie 
1904/1905,  Bd.  VIII,  H.5.)  Eschle  (Sinsheim). 

Adrenalin  bei  Blutungen  im  Verlauf  des  Typhus. 

Von  Dr.  Clayton  Thrush  in  Philadelphia. 

jThrush  empfiehlt  zur  Bekämpfung  von 
Darmblutungen  beim  Typhus  subkutane  Injek- 
tionen von  Adrenalin,  und  zwar  1,0  einer  1  °/qq- 
Lösung  alle  drei  Stunden,  bis  die  Blutung 
steht ,  wenigstens  während  der  ersten  zwölf 
Stunden.      Später    kann    dasselbe    innerlich    in 


540 


Toxikologie. 


rTheraptutiadu 
L   Monatshefte. 


halb  so  starken  Dosen  gegeben  werden.  Da- 
neben sind  die  sonst  üblichen  Mittel,  Hoch- 
lagerung der  Beine,  Eis  auf  den  Unterleib, 
nicht    zn    vernachlässigen.     Eine    Anzahl    kurz 


mitgeteilter  Krankengeschichten  sprechen  für  den 
prompten  Erfolg  des  Mittels. 

(TherapeuHc  gazetie  1905,  Nr.  12.) 

Glossen  (Grube  i.  H.). 


Toxikologie. 


(Ana  der  inneren  Abteilung  des  Blitabethkrankenhantea  sn 
Berlin.   Direktor:  Geheimrat  Dr.  Hofmeier.) 

Ein  Fall  von  Arten  Vergiftung.    Von  Dr.  Meyer- 
hoff. 

Eine  43jährige  Fran  nahm  zum  Zwecke 
des  Suicidiums  eine  nicht  näher  bekannte  Menge 
Schweinfurtergrün.  4y9  Stunde  später  erhob 
Meyerhoff  folgenden  Befund:  Gesichtsfarbe 
livid,  Pupillen  stark  verengt,  reaktionslos,  Puls 
klein,  fadenförmig,  140.  Leib  druckempfindlich, 
besonders  in  der  Blasengegend.  Durch  Aus- 
heberung werden  aus  dem  Magen  1100  ccm 
trüb  graugrüne  Flüssigkeit  gewonnen;  aus  dem 
Darm  werden  dünne  schleimhaltige  mit  grau- 
grünen Borken  untermischte  Massen  entleert. 
Therapie:  Magenspülung  mit  17  l  Wasser,  Anti- 
dotum  arsenici,  hoher  Einlauf.  In  der  Nacht 
folgen  4  Stühle  mit  heftigem  Tenesmus,  daneben 
Erbrechen  und  quälender  Singultus.  Am  folgen- 
den Tage  Anurie,  Temperatur  35,8°,  Unruhe, 
leichte  Zuckungen  in  den  Extremitäten.  Am 
2.  Tage  kein  Erbrechen,  aber  quälender  Singultus, 
heftige  Leib-  und  Kreuzschmerzen,  anfallsweise 
unerträgliche  Schmerzen  in  den  Beinen.  Es 
werden  25  ccm  Urin  entleert,  die  Spuren  Ei- 
weiß, enorme  Mengen  hyaline  Zylinder  und 
große  Plattenepithelien  enthalten.  In  den  folgen- 
den Tagen  werden  etwas  höhere  Mengen  Urin, 
bis  zu  300  ccm,  ausgeschieden.  Die  Unruhe 
der  Pat.  nimmt  zu,  der  quälende  Singultus  hält 
an,  die  tonisch-klonischen  Zuckungen  einzelner 
Muskeln  häufen  sich  zu  Konvulsionen,  und  schließ- 
lich erfolgt  am  8.  Tage  der  Vergiftung  unter 
leichter  Benommenheit  und  Lungenödem  Exitus 
letalis. 

Bei  der  Obduktion,  die  66  Stunden  post 
mortem   vorgenommen  wurde,    war   die  Fäulnis 


auffallend  weit  vorgeschritten;  eine  Mumifizierung 
der  Leiche  durch  das  aufgenommene  Arsen  war 
nicht  vorhanden. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift,  Nr.  33,  1905.)   J. 

(Am  der  Kfintgl.  dermat.  Univerrit&Uklinik  su  Breslau. 
Stellvertr.  Direktor:  Privatdosent  Kling  m  Oll  er.) 

Eine  lebenbedrohende  Intoxikation  bei  Anwendung 
5oproz.  Resordnpaste.  Von  Dr.  Sigismund 
Kaiser,  Assistent  der  Klinik. 

Ein  an  Lupus  vulgaris,  der  frappante 
Ähnlichkeit  mit  Psoriasis  darbot,  leidender 
Patient,  erhielt  zur  Erweichung  der  Herde  am 
Rücken  in  Ausdehnung  von  600  qcm  zuerst 
Resorcinpflaster  und  zwei  Tage  später  100  g 
50proz.  Resorcinzinkpaste.  Gleich  nach  Anlegen 
des  Verbandes  trat  starkes  Brennen  und  bald 
Schweißausbruch  und  heftiger  Schmerz  auf. 
3/4  Stunden  später  entfernte  Kaiser  den  Ver- 
band. Pat.  wird  bewußtlos,  beginnt  zu  schreien 
und  zu  toben  und  wird  beständig  von  heftigen 
Krämpfen  geschüttelt.  Puls  jagend,  Atmung 
enorm  beschleunigt  und  keuchend.  Das  Stadium 
der  Exzitation  dauert  10  Minuten,  dann  folgt 
Opisthotonus.  In  Pausen  von  20—30  Sekunden 
kauert  Pat.  ganz  zusammen  und  streckt  sich 
dann  mit  gellendem  Schrei  wieder  starr  aus. 
Nach  40 maligem  Wiederholen  folgt  komplette 
Lethargie.  Eine  Stunde  nach  Beginn  des  An- 
falls wird  der  Puls  besser,  die  Reflexe  kehren 
zurück,  und  Pat.  kommt  langsam  zu  sich.  Der 
3y9  Stunden  nach  Auflegen  der  Paste  gelassene 
Urin  ist  grünlich  und  wird  an  der  Luft  bald 
schwarz;  im  Ätherextrakt  ist  Phenol  nachzu- 
weisen, kein  Eiweiß.  Am  4.  Tage  völlige  Wieder- 
herstellung. 

(Berliner  klinische  Wochenschrift,  Nr.  33,  1905.)    J. 


Literatur. 


Schwindsucht  und  Krebs  im  Lichte  vergleichend 
statistisch-genealogischer  Forschung.  Von 
Dr.  A.  Riffel,  prakt  Arzt  u.  Professor  der 
Hygiene  an  der  technischen  Hochschule  in 
Karlsruhe.  Verlag  der  Hofbuchhandlung  Fried- 
rich Gutsch.  Karlsruhe  1905.  2  Teile  (41  u. 
80  S.  Gr  -Quart). 

Seit  nahezu  2  Dezennien  hat  der  hochver- 
diente, leider  in  weiteren  Kreisen  nicht  nach 
seinem  Verdienste  gewürdigte  Verf.  unbeirrt 
durch  Anfeindungen  und  selbst  auferlegte  Opfer 
an  Zeit,  Mühe  und  auch  an  Kosten  es  sich  an- 
gelegen  sein   lassen,   die   heutige  wesentlich  auf 


das  Tierexperiment  gestützte  Lehre  von  der  An- 
steckungsfähigkeit der  Tuberkulose  und  weiter- 
hin auch  des  Karzinoms  durch  unermüdliche 
Sammlung  von  Erfahrungstatsachen  richtigzu- 
stellen resp.  auf  ihren  wahren  Wert  zurückzuführen. 
Von  der  durchaus  einwandsfreien  Überzeu- 
gung ausgehend,  daß  es  gelingen  müßte  dadurch, 
daß  man  das  Geschick,  speziell  auch  die  Todes- 
ursachen in  einem  bestimmten  Kreise  von  Familien, 
in  denen  diese  Krankheiten  heimisch  sind,  durch 
möglichst  ausgedehnte  Zeiträume  rückwärts  ver- 
folgt, suchte  nun  Riffel  Anhaltspunkte  über  das 
Verhältnis  von  Konstitution  und  Infektion  zu  ge- 
winnen. Dies  in  dem  vorliegenden  Werk  zu- 
sammengetragene Material  läßt  trotz  seiner  Reich- 


XIX.  Jahrgang .1 
Oktober  1905.  J 


Literatur. 


541 


haltigkeit  auf  den  ersten  Blick  kaum  die  unend- 
liche Mühe  erkennen,  die  auf  seine  Beschaffung 
verwandt  werden  mußte:  erst  bei  eindringendem 
Studium  der  genealogischen  Tabellen  Riff  eis 
kommt  dem  Leser  der  in  ihnen  steckende  Arbeits- 
wert und  nicht  minder  die  grundsätzliche 
Bedeutung  zum  Bewußtsein,  die  der  hier 
befolgten  Methode  als  solcher  für  die 
Erforschung  der  Ursachen  von  Tuberku- 
lose und  Krebs  zukommt. 

Aus  den  Familientabellen  und  den  ihnen 
beigefügten  Erläuterungen  geht  zunächst  die  Be- 
stätigung der  beiden  bekannten  Tatsachen  hervor, 
daß  in  der  vom  Verf.  zum  Ausgangspunkte  seiner 
Beobachtungen  genommenen  Ortschaft  (Stupfe- 
rich  bei  Karlsruhe)  die  Schwindsucht  in  ein- 
zelnen Familien  besonders  häufig  vorkam,  und  daß 
sie  von  diesen  Familien  auf  andere  Familien  über- 
tragen wurde. 

Kein  einziger  Fall  aber  ließ  sich  einwands- 
frei  zugunsten  der  heute  herrschenden  Auf- 
fassung verwerten,  daß  die  Tuberkulose  eine 
„Wohnungskrankheit"  oder  überhaupt  durch  den 
engen  Kontakt  mit  dem  Kranken  auf  andere 
übertragbar  sei.  Nicht  ein  einziges  Mal  trugen 
die  Wohnung  oder  die  von  dem  Kranken  be- 
nutzten Gebrauchsgegenstände  nachweislich  zur 
Weiterverbreitung  der  Schwindsucht  bei,  auch 
da  nicht,  wo  in  verhältnismäßig  kurzer  Zeit 
mehrere  Personen  an  dieser  Krankheit  starben, 
und  die  betreffende  Wohnung  sofort  ohne  Er- 
folgen einer  Desinfektion  von  andern  Personen 
und  Familien  bezogen  wurde.  Namentlich  be- 
findet sich  unter  den  vielen  Fällen  von  Schwind- 
sucht auch  nicht  ein  einziger,  von  dem  man  an- 
nehmen könnte,  daß  ein  Ehegatte  den  andern 
angesteckt  habe. 

Daß  die  Schwindsucht  eine  auf  erblicher 
Veranlagung  beruhende  und  keine  Infektions- 
krankheit ist,  geht  unzweideutig  aus  folgenden 
Tatsachen  hervor:  Niemals  trat  in  der  betreffenden 
Ortschaft  die  Schwindsucht  epidemisch  auf,  nie- 
mals erkrankten  bei  derselben  Familie,  auch  wenn 
dieselbo  zu  den  am  schwersten  von  Schwind- 
sucht heimgesuchten  gehörte,  zwei  Personen  zu 
gleicher  Zeit  oder  rasch  hintereinander,  wie  wir 
das  bei  Typhus  und  andern  Infektionskrankheiten 
regelmäßig  zu  sehen  pflegen,  vielmehr  liegen 
zwischen  den  einzelnen  Fällen  von  Schwind- 
sucht in  derselben  Familie  oft  Jahre  und  Jahr- 
zehnte dazwischen.  Dem  Ref.  fiel  es  bei  Durch- 
sicht der  Tabellen  als  eine  von  ihm  gelegentlich  ver- 
schiedentlicher  Diskussionen  mit  Kollegen  wieder- 
holt hervorgehobene  Tatsache  auf,  daß  bei  Ge- 
schwistern die  Tuberkulose  mit  Vorliebe  in  einem 
und  demselben  Lebensalter  auftritt,  dessen  Grenzen 
nach  oben  und  unten  etwa  das  Spatium  eines 
Lustrums  umfassen,  und  zwar  selbst  dann,  wenn 
einzelne  dieser  Nachkommen  schwindsüchtiger 
Eltern  schon  in  frühester  Jagend  dem  nach 
der  heutigen  Theorie  gefährlichen  Familienmilieu 
entrückt  werden.  Riffel  selbst  weist  auf  Grund 
jener  Tabellen  darauf  hin,  daß  die  Kinder 
mancher  schwindsüchtiger  Eltern  »ich  nicht  selten 
zu  kräftigen  Jünglingen  und  Jungfrauen  ent- 
wickelten, nichtsdestoweniger  aber  später  doch 
an  der  Schwindsucht  starben,  sowie  daß  einzelne 


Mitglieder  notorisch  schwindsüchtiger  Familien 
zwar  ein  hohes  Alter  erreichten  und  nicht  an 
Schwindsucht  starben,  aber  doch  Nachkommen 
zeugten,  bei  denen  wieder  Schwindsucht  beob- 
achtet wurde.  Diese  Erscheinung  trat  noch 
deutlicher  zutage,  sobald  beide  Eltern  derartigen 
Familien  entstammten. 

Hält  man  hiermit  die  Tatsache  zusammen, 
daß  in  vielen  Familien  neben  Schwindsucht  auch 
Krebs  und  Puerperalfieber,  aber  auch  Apo- 
plexie, Geisteskrankheiten  und  sonstige  Defekte 
in  mehr  oder  minder  ausgesprochener  Häufung 
auftreten,  so  wird  man  die  Schlüsse  des  Verf. 
nicht  von  der  Hand  weisen  können,  daß  alle 
jene  Affektionen  nur  auf  dem  Boden  einer  kon- 
stitutionellen Minderwertigkeit  gedeihen,  und  daß 
speziell  die  Schwindsucht  auf  einer  erblichen 
Disposition  beruht,  die  zu  einem  je  nach  den 
Umständen  früher  oder  später  auftretenden  Zer- 
fall des  Lungengewebes  führt.  Der  Tuberkel- 
bazillus spielt  nach  Riffel  nur  die  Rolle  eines 
echten  Saprophyten,  ist  aber  keineswegs  der 
„Erreger"   der  Lungenschwindsucht. 

Eschle  (Sinsheim). 

Grundrifs  der  prakt.  Medizin  mit  Einschlnfs 
der  Gynäkologie  (bearbeitet  von  Dr.  Zcem- 
pin),  der  Haut- uii d  Geschlechtskrankheiten 

(bearbeitet  von  Dr.  M.  Joseph).  Für  Stu- 
dierende und  Ärzte  von  Prof.  Dr.  Julius 
Schwalbe  in  Berlin.  3.  verm.  Auflage  mit 
65  Abbildungen,  Stuttgart  1904,  Ferdinand 
Encke. 

Der  Schwalbe  sehe  Grundriß  der  spe- 
ziellen Pathologie  und  Therapie  ist  mit  neuem 
Namen  und  in  erneuertem  Gewände  als  Grundriß 
der  praktischen  Medizin,  in  3.  Auflage  erschienen. 
Er  bringt  das  gesamte  Gebiet,  das  der  praktische 
Arzt  beherrschen  soll,  in  kurzer,  aber  doch  ge- 
nügend vollständiger  Weise  und  hat  so  die 
immerhin  nicht  leichte  Aufgabe  erfolgreich  durch- 
geführt, in  äußerst  knapper  Form  (etwa  550  Seiten) 
einen  Grandriß  der  Diagnostik  und  Behandlung 
aller  Erkrankungsformen  auf  dem  Boden  der 
neuesten  Anschauungen  zu  geben,  dessen  Kenntnis 
genau  dem  entspricht,  was  der  praktische  Arzt 
wissen  muß.  Wir  besitzen  im  Zeitalter  der 
Handbücher  und  Enzyklopädien  nur  noch  wenige, 
so  praktisch  abgefaßte  und  in  so  kurzer 
Zeit  durchzuarbeitende,  zweckentsprechende  Lehr- 
bücher. H.  Rosin. 

Hygiene  des  Herzens  im  gesunden  und  kranken 

Zustande.     Von   Prot  Dr.  Eichhorst,    mit 

6  Tafeln,     Stuttgart    1904,    Heinrich    Moritz 

(Bibliothek  der  Gesundheitspflege  1904). 

Populäre     Darstellung     der    Diätetik     und 

Hygiene,   die  für  die  Erhaltung  eines  gesunden 

Herzens    wichtig    ist,    und  Anleitungen    für  die 

Lebensweise  der  Herzkranken.  H.  Rosin. 

Ausgewählte  Kapitel  der  klinischen  Sympto- 
matologie und  Diagnostik.  Von  Hofrat 
Prof.  Dr.  E.  Neuss  er,  Wien.  Wien  und 
Leipzig,  W.  Braunmüller,  1904.  1.  u.  2.  Heft. 

Von  dem  Werk  des  bekannten  Autors  liegen 
bisher    die    beiden    ersten  Hefte   vor,    in  denen 


542 


[' 


'Therapeutische 
Monatshefte. 


Brady-  und  Tachykardie  and  Angina  pectoris 
behandelt  werden.  Verf.  bringt  noch  mehr,  als 
der  Titel  besagt,  denn  er  bespricht  nicht  nur 
Krankheitsbild  und  Diagnostik  in  eingehender 
und  übersichtlicher  Weise,  sondern  fügt  auch 
jedem  Kapitel  noch  einen  kurzen  Abriß  der 
Therapie  bei,  so  daß  man  der  Fortsetzung  des 
Werks  mit  Spannung  entgegensehen  darf. 

Esch  (Bendorf). 

Lehrbuch  der  Haut-  und  Geschlechtskrank- 
heiten für  Studierende  und  Ärzte.  Von  Prof. 
Dr.  Edmund  Lesser,  Direktor  der  Uni- 
versitätsklinik und  Poliklinik  für  Haut-  und 
Geschlechtskrankheiten  in  Berlin.  Erster  Teil : 
Hautkrankheiten.  Mit  50  Abbildungen  im  Text 
und  9  farbigen  Tafeln.  Elfte  umgearbeitete 
Auflage.  Leipzig,  Verlag  von  F.  C.  W.  Vogel, 
1904. 

Da  das  Werk  in  elfter  Auflage  erscheint, 
so  bedarf  es  keiner  besonderen  Empfehlung. 
Der  Kreis  der  Leser  "wird  sich  sicherlich  ver- 
größern, da  zu  den  alten  Vorzügen  sich  einige 
neue  gesellt  haben.  Die  Erweiterungen  er- 
strecken sich  auf  die  Hinzufügung  der  gesicherten 
neuen  Kenntnisse,  auf  eine  Vermehrung  der 
Textabbildungen  und  auf  einen  Zuwachs  von 
neun  farbigen  Tafeln.  Letztere  sind  nach  Vor- 
lagen aus  der  Sammlung  der  Universitätsklinik 
für  Haut-  und  Geschlechtskrankheiten  zu  Berlin 
auf  photographischem  Wege  hergestellt.  Mit 
Recht  sagt  der  Verfasser,  daß  sie  die  vollkom- 
menste bildliche  Darstellung  von  Hautkrankheiten 
bieten,  die  jemals  gebracht  worden  sind.  So 
hat  das  Werk,  das  hauptsächlich  praktischen 
Zwecken  dient,  außerordentlich  gewonnen.  Nicht 
allein  zur  Einführung  in  das  Studium  der  Haut- 
krankheiten eignet  es  sich,  sondern  auch  der 
Praktiker  zieht  aus  demselben  Vorteile,  weil  es 
die  reichen,  geklärten  Erfahrungen  des  Ver- 
fassers auf  einem  verhältnismäßig  kleinen  Raum 
in  übersichtlicher  Weise  enthält. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Ethische  Forderungen  im  Geschlechtsleben. 
Der  männlichen  Jugend  gewidmet  von  Dr.  med. 
Vict.  Cnyrim.  Frankfurt  a.  M.  1903,  Jo- 
hannes Alt. 

Die  kurze  Schrift  ist  der  männlichen  Jugend 
gewidmet,  die  in  eindringlichen,  von  vornehmen 
Gesinnungen  getragenen  Auseinandersetzungen 
zur  sexuellen  Abstinenz  außerhalb  der  Ehe  er- 
mahnt wird.  Die  Ansicht,  daß  letztere  die 
Quelle  gefährlicher  neurasthenischer  Erscheinun- 
gen bilde,  verweist  der  Verf.  in  das  Reich  der 
Fiktion.  Im  Gegensatz  zu  Erb,  der  in  einzelnen, 
nicht  ganz  seltenen  Fällen  Schädigungen,  be- 
sonders im  Sinne  der  Neurasthenie  und  Hysterie, 
und  zwar  bei  beiden  Geschlechtern  als  Folge 
der  Abstinenz  beobachtet  hat,  ist  Cnyrim  der 
festen  Überzeugung,  daß  Keuschheit  weder  der 
Seele  noch  dem  Körper  schadet.  Dem  Büchlein 
ist  weiteste  Verbreitung  zu  wünschen,  damit  es 
seinen  Zweck  erfüllt:  Vernunft  und  Gewissen  in 
der  Betrachtung  des  Geschlechtslebens  aufzurufen 
und  zu  versuchen,  einige  junge  Männer  zur  Ent- 
haltsamkeit   zu   bestimmen;    sie   könnten  wieder 


anderen,   unselbständigen   Naturen    als   Rückhalt 
dienen,  um  desgleichen  zu  tun. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Die  Therapie  der  Magen-,  Darm-  und  Konstitu- 
tionskrankheiten. Von  G.  Graul,  Bad 
Neuenahr.  (Wurzburg  1904,  Stubers  Verlag. 
(Groß  Oktav.    230  S.)) 

Vorliegendes  Buch  soll  den  11.  Teil  zu  dem 
bereits  erschienenen  „Einführung  in  das  Wesen 
der  Magen-,  Darm-  und  Konstitutionskrankheiten  " 
bilden.  In  der  ersten  Abteilung  bringt  Verf. 
die  therapeutischen  Methoden  im  allgemeinen. 
Nach  einigen  Vorbemerkungen  über  die  Physio- 
logie und  Pathologie  der  Ernährungstherapie  — 
es  sei  hier  nur  die  interessante  Abhandlung  über 
die  künstlichen  Nahrungsmittel  erwähnt  —  be- 
spricht Graul  die  hydrotherapeutischen  Proze- 
duren, die  Massage  und  Gymnastik,  Magensonde 
und  Klysmata,  die  Elektrotherapie  und  Mineral- 
wässer. Die  zweite  Abteilung  enthält  die 
spezielle  Therapie  der  wichtigsten  Verdauungs- 
krankheiten und  die  dritto  Abteilung  die  spezielle 
Therapie  des  Diabetes  mellitus,  der  Adiposität 
und  Arthritis  urica.  Das  kurz  und  übersichtlich 
geschriebene  Buch  kann  dem  Praktiker  und 
Studierenden  als  „Leitfaden"  in  des  Wortes 
eigentlicher  Bedeutung  warm  empfohlen  werden; 
es  enthält  die  neuesten  und  wichtigsten  Er- 
fahrungen auf  diesem  Gebiete,  die  für  den  Prak- 
tiker von  Wert  sind.  Einige  allgemein  gehaltene 
Tabellen  und  Diätvorschriften  ermöglichen  es, 
ohne  erst  große  Kompendien  zur  Hand  nehmen 
zu  müssen,  dem  vielbeschäftigten  Arzte  seinem 
Patienten  einen  abwechslungsreichen  Diätzettel 
zusammenzustellen;  und  die  technischen  Winke 
in  der  Ernährungstherapie  vervollständigen  den 
Wert  des  Buches  für  den  Praktiker. 

Arthur  Rahn  (CoUmJ. 

Grundrifs  der  medikamentösen  Therapie  der 
Magen-  nnd  D armk rankheit eo,  einaehliefs- 
lich  Grnndzttge  der  Diagnostik.  Für  prak- 
tische  Ärzte   bearbeitet   von   Dr.  P.  Rodari, 
prakt.  Arzt  und  SpeziaJarzt  für  Krankheiten  der 
Verdauungsorgane  in  Zürich.  Wiesbaden,  Verlag 
von  J.F.Bergmann,  1904,  8°,  178  S.  M.  3,60. 
Das  vorliegende  Buch  wird  bei  den  meisten 
Ärzten  eine  beifällige  Aufnahme  finden,  denn  es 
ist   in   erster  Linie  den  Bedürfnissen  der  Praxis 
angepaßt    und    zeichnet  sich   bei  geringem   Um- 
fange  durch   reichen  Gehalt  und  anregende  Art 
der    Darstellung    aus.     Der   Verfasser    ist    sich 
dessen    bewußt,    daß  es  nicht  an  guten  Werken 
über     die    Krankheiten     der    Verdauungsorgane 
mangelt.     Dieselben   berücksichtigen  jedoch  aus 
leicht  begreiflichen  Gründen  die  erst  in  der  Neu- 
zeit   zu    großer  Bedeutung    gelangten    physikali- 
schen und  diätetischen  Behandlungsmethoden  in 
so   hervorragender  Weise,    daß   die   medikamen- 
töse Therapie  dabei  entschieden  zu  kurz  kommt. 
Daher  will  das  Buch  eine  Lücke  ausfüllen,   die 
vorhandenen  Lehrbücher  gewissermaßen  ergänzen, 
und    man    muß    unbedingt   anerkennen,    daß   es 
dem  Verfasser  gelungen  ist,  in  gedrängter  Form 
und  kritischer  Weise  darzulegen,  was.  neben  der 
physikalisch-diätetischen    Therapie    die    medüta» 


XIX.  Jahrgang.  1 
Oktober  1905.  J 


Literatur« 


543 


mentöse  zu  leisten  vermag.  Die  Einteilung  des 
Stoffes  ist  zweckmäßig  und  übersichtlich,  und 
die  allgemeinen  diagnostischen  Vorbemerkungen 
werden  zweifellos  als  eine  recht  dankenswerte 
Beigabe  begrüßt  werden.  Das  brauchbare  und 
nützliche  Buch  verdient  von  jedem  praktischen 
Arzte  angeschafft  und  mit  Aufmerksamkeit  ge- 
lesen zu  werden.  r. 

Lehrbach  der  Urologie  mit  Einschlufs  der 
männlichen  Sexualerkrankungen.  Von  Dr. 
Leopold  Casper,  Privatdozent  an  der  Uni- 
versität Berlin.  Mit  187  Abbildungen.  Urban 
&  Schwarzenberg,  Berlin  und  Wien  1903. 
Von  dem  Casper  sehen  Lehrbuche  der 
Urologie  liegt  jetzt  der  Schluß  des  Werkes,  die 
2. — 7.  Lieferung,  vor.  Dasselbe  enthält  die  Fort- 
setzung der  Krankheiten  der  Harnröhre  und  des 
Penis,  die  Krankheiten  der  Blase,  der  Prostata, 
des  Hodens,  der  Samenblasen,  der  Nieren,  der 
Harnleiter  und  schließlich  die  funktionellen  Stö- 
rungen des  Sexualapparates.  Der  Verfasser  hat 
somit  das  Gebiet  der  Urologie  weiter  gefaßt,  als 
es  bisher  im  allgemeinen  geschehen  ist.  Be- 
sonders haben  auch  die  sog.  inneren  Nieren- 
krankheiten eine  Besprechung  erfahren,  da  ihm 
der  Urologe,  dem  die  modernen  Untersuchungs- 
methoden zu  Gebote  stehen,  besonders  berufen 
erscheint,  sich  der  Erforschung  und  dem  weiteren 
Ausbau  der  Diagnostik  und  Therapie  der  Nieren- 
krankheiten zu  widmen.  Ebenso  sind  die  Affek- 
tionen, die  den  Hoden  und  seine  Umhüllungen 
betreffen,  eingehend  erörtert,  da  sie  der  Urologe 
bei  Ausübung  seiner  Praxis  häufig  antrifft.  Das 
Werk  wird  nicht  verfehlen,  in  kürzester  Zeit 
zahlreiche  Freunde  zu  gewinnen.  Die  Darstel- 
lung, die  überall  prägnant  und  scharf  das  Wesent- 
liche hervorhebt,  bei  ihrer  Knappheit  doch  alles 
gibt,  was  anerkannter  Besitz  und  Bestand  der 
Urologie  geworden  ist,  dürfte  wohl  das  beste 
bieten,  was  auf  diesem  Gebiete  bisher  geleistet 
worden  ist.  Hierzu  kommt  das  Produkt  langer 
von  Erfolg  gekrönter  experimenteller  wie  kli- 
nischer Forschung,  reicher  theoretischer  wie 
praktischer  Bildung,  eine  ausgezeichnete  Beob- 
achtungsgabe. Der  Niederschlag  aller  dieser 
Vorzüge  macht  sich  in  dem  Werke  geltend,  so 
daß  Praktiker  wie  Spezialisten  sicherlich  das- 
selbe nicht  ohne  große  Befriedigung  aus  der 
Hand  legen  werden.  Für  eine  nächste  Auflage 
dürfte  e6  sich  doch  empfehlen,  daß  der  Verf.  die 
funktionelle  Nierendiagnostik  eingehender  be- 
spricht, zumal  da  gerade  dieses  Kapitel  die 
eigenste  Domäne  des  Autors  ist,  wenngleich  wir 
hierüber  Casper  eine  in  Gemeinschaft  mit 
Richter  herausgegebene  Publikation  verdanken. 
Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Jahresbericht  über  die  Fortschritte  der  inneren 
Medizin  im  In-  nnd  Auslände.  Unter  Mit- 
wirkung zahlreicher  Fachgelehrten  herausge- 
geben von  W.  Ebstein,  redigiert  von 
E.  Schreiber,  Göttingen. 

Es  liegt  mir  vor  des  ersten  Bandes  drittes 
Heft.  Der  Jahresbericht  hatte  mit  dem  ersten 
Jahre  des  laufenden  Jahrhunderts  begonnen  und 
erscheint    wie    alle  späteren     hefteweise  so,    daß 


4  Hefte  zwei  Bände  und  diese  zwei  wieder  je 
einen  Jahrgang  bilden;  und  jedes  Heft  umfaßt 
10  Bogen. 

Das  vorliegende  Heft  handelt  von  den  Er- 
krankungen der  Atmungsorgane,  denjenigen  der 
Pleura,  ferner  den  Erkrankungen  der  Zirkula- 
tionsorgane, des  Mediastinums  und  bringt  den 
Anfang  der  Abhandlungen  über  Verdauungs- 
krankheiten. Der  Umfang  der  Literatur-Zu- 
sammenstellungen ist  ganz  außerordentlich  groß, 
und  dabei  ist  auch  textlich  in  kleineren  Referaten 
dem  Inhalte  der  hauptsächlichsten  Arbeiten  Rech- 
nung getragen.  In  der  Tat,  für  die  ersten 
Sichtungen  eine  enorme  redaktionelle  Arbeit 
und  kein  kleines  Stück  seitens  des  Verlegers. 
Daher  ist  es  auch  kein  Wunder,  wenn  die 
Redaktion  vorsichtshalber  die  Eventualität  aus- 
spricht, dem  Jahrgang  1901  unmittelbar  den 
Jahrgang  1904  folgen  zu  lassen.  Sie  behält  sich 
jedoch  yor,  bei  genügender  Beteiligung  am 
Abonnement  die  Jahrgänge  1902  und  1903 
nachzuholen.  Wir  glauben  im  Sinne  dieses 
mächtigen  und  jedenfalls  die  Allgemeinheit  sehr 
berührenden  Werkes  die  Bitte  der  Redaktion 
keinem  unserer  Leser  vorenthalten  zu  dürfen. 
Die  Redaktion  schließt  ihr  Avis  also:  „Wir 
richten  an  alle  Fachgenossen  des  In-  und  Aus- 
landes die  Bitte,  unser  Unternehmen  durch  Zu- 
senden von  Arbeiten  an  die  Redaktion  zu  för- 
dern. Ebenso  werden  wir  für  jede  sachliche 
Kritik  und  praktischen  Vorschläge  jederzeit 
dankbar  sein  und  jedem  berechtigten  Wunsche 
entsprechen." 

Die  Redaktion  gibt  sich  der  Hoffnung  hin, 
daß  der  Jahresbericht,  welcher  nach  der  Äuße- 
rung der  gesamten  Fachpresse  einem  Bedürfnisse 
entspricht,  so  viele  Abonnenten  finden  wird,  daß 
die  erheblichen  Herstellungskosten  gedeckt 
werden.  Andernfalls  müßte  sie  sich  zu  ihrem 
aufrichtigen  und  lebhaften  Bedauern  entschließen, 
das  Unternehmen  als  ein  den  Bedürfnissen  tat- 
sächlich doch  nicht  entsprechendes  nach  Abschluß 
des  zunächst  zur  Ausgabe  gelangenden  Jahr- 
ganges 1904  wieder  aufzugeben. 

Arthur  Rahn  (CoümJ. 

Die  bei  der  dritten  Deutschen  Ärzte-Studien- 
reise besuchten  Rheinischen,  Hessischen, 
Lippeschen  und  Waldeckschen  Bäder.  Her- 
ausgegeben im  Auftrage  des  Komitees  zur  Ver- 
anstaltung ärztlicher  Studienreisen  von  Gilbert, 
Baden-Baden,  Meißner  und  Oliven,  Berlin. 
(Berlin  1904,  Medizinischer  Verlag.  (Quart. 
339  S.) 

Nachdem  eingangs  die  Satzungen  des  „Ko- 
mitees zur  Veranstaltung  ärztlicher  Studienreisen  * 
erwähnt  und  die  Teilnehmer  angeführt  sind,  wird 
ein  Vorbericht  gegeben:  es  soll  eine  dauernde 
Auskunftsstelle  des  obigen  Vereins  errichtet 
werden,  und  der  Verein  wird  in  seine  Reiseroute 
nicht  mehr  ausschließlich  Bäder  aufnehmen, 
sondern  auch  andere  sanitäre  Institute  besuchen, 
daher  auch  eine  diesbezügliche  Änderung  in  der 
Benennung  des  Komitees.  Ein  kurzes  Programm 
bildet  die  Einleitung  für  die  Reisebeschreibung 
der  ärztlichen  Studienreise  vom  9. — 20.  Sep- 
tember 1903.     Kreuznach,    Münster  a.  St.,    Aß- 


544 


Literatur. 


rherapantiaehe 
Monatsheft«. 


mannshausen,  Marienberg,  Neuen  ahr,  Apollinaris- 
brunnen,  Ems,  Nassau,  Nauheim,  Wildungen, 
Driburg,  Oeynhausen,  Salzuflen,  Pyrmont,  alle 
haben  sie  die  reisenden  Ärzte  in  ihren  gastlichen 
Mauern  aufgenommen.  In  jedem  Bade  wird 
durch  einen  frischen  Vortrag  kurz  auf  die  ge- 
schichtliche Entwicklung  und  ihre  Indikationen 
hingewiesen;  aber  auch  einige  allgemein-  und 
spezialwissenschaftliche  Themata  stehen  auf  dem 
reichhaltigen  Programm,  auf  das  näher  einzu- 
gehen uns  leider  der  Raum  verbietet.  Die  wohl- 
gelungenen Landschaf  t8-  und  Gruppenbilder 
werden  den  Teilnehmern  stets  eine  angenehme 
Erinnerung  sein  an  die  Studienreise,  die,  wie  es 
uns  scheint,  auch  zugleich  eine  Erholungsreise 
war.  Aber  auch  die,  denen  es  nicht  vergönnt 
war,  dabei  zu  sein,  werden  in  den  kurzen  Be- 
schreibungen und  den  klaren,  wissenschaftlichen 
und  doch  frischen  Vorträgen  manche  Anregung 
und  Belehrung  finden.         Arthur  Rahn  (CoUm). 

Neuere  Forschungen  über  die  Verrichtung  der 
Schilddrüse,  ihre  Beziehungen  zu  Kropf. 
Kretinismus,  Epilepsie  etc.  Bearbeitet  für 
Ärzte,  Tierärzte  und  gebildete  Stände  von 
C.  Lindstädt,  Oberroßarzt  a.  D.  2.  ver- 
besserte Aufl.  Berlin,  Fischers  med.  Buch- 
hdlg.  H.  Kornfeld,  1904.    40  S.    Preis  M.  1,50. 

Das  Werkchen  führt  den  Untertitel: 
Studien  auf  dem  Gebiete  der  Nervenphysiologie 
und  Pathologie  sowie  des  Blutlebens  und  drängt 
auf  40  Seiten  eine  Fülle  von  vorzugsweise 
theoretischem  Material  zusammen.  Lindstädt 
gelangt  auf  Grund  seiner  Forschungen  zu  dem 
Schluß,  daß  die  Schilddrüse  (die  'eng  an  die 
Luftröhre  angeschlossen  ist  und  so  durch  deren 
Erweiterung  und  gleichzeitige  Verkürzung  beim 
Tiefatmen  Anregung  zur  Tätigkeit  und  Ent- 
leerung erhält)  in  reger  Beziehung  zur  Respira- 
tion steht,  und  daß  ihr  direkt  ins  Blut  ent- 
leertes Sekret  durch  seine  große  Affinität  zum 
Blut  und  zur  atmosphärischen  Luft  „die  Ent- 
kohlung der  Gewebe  durch  0 -Aufnahme  und  die 
Ausscheidungen  aus  dem  Blut  (besonders  die 
der  COj)  wesentlich  regelt,  inzwischen  aber 
auch  durch  die  Arachnoiden  in  die  Pia  mater 
des  Gehirns  und  Rückenmarks  tritt  (?),  um  hier 
in  'gleicher  Weise  zu  wirken",  denn  das  Schild- 
drüsenepithel ist  seiner  hohen  chemischen  Eigen- 
schaften wegen  die  vermittelnde  und  aus- 
gleichende Substanz  im  Blute.  Auch  erhält  es 
das  Blut  flüssig  und  verhindert  dessen  Ge- 
rinnung. 

Im  Verlauf  der  Arbeit  werden  dann  viele 
Gebiete  der  Physiologie  und  Pathologie  berührt. 
So  läßt  Verf.  den  Kropf  rein  mechanisch  durch 
öftere  Blutstockung  in  der  Schilddrüse  bei  an- 
gehaltenem Atem  entstehen,  wenn  die  Herz- 
tätigkeit nicht  zur  Überwindung  der  Stauung 
genügt  (häufiges  Tragen  von  schweren  Gegen- 
ständen auf  dem  Kopf,  besonders  in  Gebirgs- 
gegenden, Verstopfung  etc.,  alles  bei  gleich- 
zeitiger schlechter  Ernährung).  Er  soll  eine 
Abwehr  des  Blutes  gegen  vermehrte  Absonde- 
rung des  Schilddrüsenepithels  darstellen. 

Die  Epilepsie  dagegen  ist  nach  Lind- 
städt    eine    Folge    von    mangelhafter    Schild- 


drüsensekretion, vielleicht  wegen  fehlerhafter 
Entwickelung  der  zuführenden  Arterien.  Diese 
„epileptische  Anlage"  bedarf  dann  noch  eines 
Anstoßes  zum  Ausbruch  der  Epilepsie  [Trunk- 
sucht, Überanstrengung,  mechanischer  Insult  mit 
event.  Dehnung  der  Schilddrüsenarterien  und 
-Nerven  durch  tiefe  Atmung  (?)]  „Die  von 
dem  Schilddrüsensekret  entblößten  Zentralorgane 
verfallen  in  Krämpfe,  bis  Ersatz  geschaffen  ist." 

Die  Behandlung  der  Epilepsie  hätte  dem- 
gemäß in  Milderung  des  Tonus  der  Schild- 
drüsenarterien behufs  reichlicheren  Blutzuflusses 
zu  bestehen  (feuchtwarme  Umschläge,  Ein- 
reibungen), so  würde  bei  Epilepsie  wahrschein- 
lich auch  das  Tragen  von  Lasten  günstig  wirken. 

Im  Zusammenhang  damit  will  dem  Verf. 
die  Epilepsie  großer  Männer  wie  Cäsar,  Napo- 
leon im  Gegensatz  zu  Lombroso  nicht  „als 
eine  Grundlage  ihrer  Genialität",  sondern  als 
Folge  der  Überanstrengung  ihrer  Zentralorgane 
bei  mangelhafter  Atmung,  also  unzureichender 
Schilddrüsensekretion  und  gleichzeitiger  er- 
worbener Konstitutionsschwäche  erscheinen. 

Weiterhin  wird  das  Milch-  oder  Kalbefieber 
der  Kühe,  der  Hexenschuß  beim  Menschen  auf 
einen  zu  starken  Eintritt  von  Schilddrüsensekret 
ins  Rückenmark  zurückgeführt,  der  Kretinismus 
ist  die  Folge  ungünstiger  Ernährung  und  der 
Inzucht  zwischen  Kropf  trägem  und  Kretins  etc., 
beim  Winterschlaf  tritt  mit  Verlangsamung  der 
Respiration  Aufhören  der  Schilddrüsensekretion 
ein.  Ferner  glaubt  Verf.,  dem  Menschen  sei 
aus  dem  Grunde  nur  ein  mäßiger  Fleischgenuß 
bekömmlich,  weil  er  gegenüber  den  Kami  voran 
eine  erheblich  geringere  äußere  Atmung  und 
damit  auch  geringere  Sekretion  seiner  ohnedies 
schon  an  sich  kleineren  Schilddrüse  zeige,  so  daß 
seine  Oxydations-  und  Ausscheidungsfähigkeit 
für  die  Fleischnahrung  geringer  sei. 

Endlich  hat  Verf.  auch  noch  eine  besondere 
Erklärung  für  die  Schädlichkeit  schlechter  Luft, 
ihre  Beziehung  zur  Schilddrüse  und  zur  Tuber- 
kulose, besonders  dos  Rindviehs,  gefunden.  Bei 
unzureichender  Luft  sucht  sich  der  Organismus 
nämlich  durch  Tiefatmen  zu  helfen,  dabei  erfolgt 
vermehrter  Austritt  des  Schilddrüsensekrets  ins 
Blut,  dieses  kann  nicht  genug  0  aufnehmen  and 
wirkt,  nun  im  Überschuß  vorhanden,  durch  seine 
starke  Alkaleszenz  störend  auf  Blutbildung  und 
-ausscheidung  und  so  disponierend  für  Tuber- 
kulose. 

Zufuhr  reiner  Luft  und  gesunder 
Nahrung  (beim  Vieh  im  Gegensatz  zu  Stall- 
fütterung mit  säuernden  und  erregenden  Brauerei- 
rückständen etc.)  wird  also  eine  naturge- 
mäßere und  bessere  Immunisierung  dar- 
stellen als  die  modernen  Impfbestre- 
bungen. Ebenso  ist  neben  gründlicher  Reinigung 
der  Wohnräume  der  ungehinderte  freie  Luftzu- 
tritt die  sicherste  Desinfektion. 

Bei  einer  event.  weiteren  Auflage  würde 
Ausmerzung  einer  Anzahl  allzusehr  auf  reiner 
Spekulation  beruhender  Ideen  und  mehrerer 
Stilflüchtigkeiten  sowie  eine  übersichtlichere 
Anordnung  des  Stoffes  empfehlenswert  sein. 

Esch  (Bendorf). 


XIX.  Jahrgang.*! 
Oktober  1905.  J 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


546 


Pathologische  Anatomie  der  Gehirnerschütte- 
rung beim  Mensehen.  Gegründet  anf  Leichen- 
öffnungen von  87  Verunglückten  sowie  58  Selbst- 
mördern   durch   Schüsse   in   den    Kopf.    Ver- 
glichen mit  den  Befunden  bei  mehreren  durch 
Gehirnkrankheiten    aus  inneren  Ursachen  Ge- 
storbenen.   Mit  14  Tafeln -Abbildungen.    Von 
Dr.  H.  t.  Holder,    Obermedizinalrat    a.  D. 
Stuttgart,  Verlag  von  Julius  Weise,  Egl.  Hof- 
buchhandlung, 1904,  80  S. 
Das   vorzüglich   ausgestattete  Buch  enthalt 
eine   große  Anzahl   von   eigenen   Beobachtungen 
und  Untersuchungen  des  Verfassers  mit  forensisch 
wichtigen    Erläuterungen.     Es    gliedert    sich   in 
drei    Teile.     Der    erste    enthalt    die    Fälle    von 
Gehirnerschütterung     durch      mechanische     Ge- 
walten   (Schädelbrüche    etc.).     Von    besonderem 
Interesse    ist    hier  die  Bestätigung  der  Befunde 
Dur  et  s,  die  ja  in  der  letzten  Zeit  auch  für  die 
Erklärung  der  traumatischen  Spätapoplexie  Bol- 
lingers  herangezogen  worden  sind.    Im  zweiten 
Teile     finden    wir     die     Beispiele     von    Schuß- 
verletzungen des  Kopfes  bei  Selbstmördern.    Der 
dritte     beschäftigt    sich    mit    der    allmählichen 
Veränderung     der     kapillaren    Apoplexien    und 
größerer  Blutung   bei   den   einige  Zeit  nach  der 
Verletzung  Gestorbenen.  h.  Krön  (Berlin). 


Praktische  H otlse* 
und 
empfehlenswerte  Arsnelfo: 


ein. 


Fetrosal. 

Den  Kühlsalben  stehen  die  erwärmenden 
Salben  gegenüber,  welche  als  Ableitung  bei 
rheumatischen  Affektionen  benutzt  werden. 

Flüssige  Einreibungen  rufen  meistens  nur 
eine  vorübergehende  Erwärmung  hervor,  während 
erwärmende  Salben  wie  das  „Fetrosal"  zu  einer 
länger  dauernden  Wirkung  führen,  ohne  in- 
opportune Reizerscheinungen  zu  zeigen. 

Die  schon  früher  'beschriebenen  Eigen- 
schaften des  Fetrons  als  Salbengrundlage  treten 
hier  vorteilhaft  hervor.  Als  Zusatz  dienen 
wesentlich  Salizylsäure  und  Salol,  deren  anti- 
rheumatische Einwirkungen  bekannt  sind. 

Liebreich. 

Die  Cholera  atiattca 

behandelt  Stumpf  (Berliner  klinische  Wochen- 
schrift, Nr.  37,  1905)«  mit  Darreichung  von 
Bolus  alba  pulverata.  Erwachsene  erhalten 
70—100  g,  Kinder  30  g,  Säuglinge  10— 15  g 
in  Ya  1  frischem  Brunnenwasser  verteilt  in  kleinen 
Portionen  bei  leerem  Magen.  Sofort  läßt  der 
Brechreiz  nach,  es  tritt  Aufstoßen  anf,  und  nach 
Y8 Stunde  erfolgt  starker  Fieberabfall  mit  Schweiß- 
ausbruch, bald  stellt  sich  Schlafbedürfnis  ein. 
Bedingung  für  die  Wirkung  des  Mittels  ist 
gänzliche  Vermeidung  jeder  Nahrungsaufnahme, 
auch  des  Alkohols,  in  den  folgenden  24  Stunden. 
Selbst  in  vorgerückten  Stadien  der  Erkrankung 
erweist  sich  das  Mittel  noch  wirksam.  Die 
Wirkung   beruht   auf  folgendem  Prinzip:    Über- 


schütten der  Bakterien  im  Überschuß  mit  un- 
veränderlicher anorganischer  Materie  in  feinster 
Verteilung  hemmt  ihre  Weiteren twickehmg  und 
bringt  die  Toxinbildung  zum  Stillstand. 

Gegen  Heufieber- Conjunctivitis 
glaubt  Prof.  Kuhnt  (Deutsche  med.  Wochenschr. 
34,  1905)  Anästhesin  zur  weiteren  Prüfung 
empfehlen  zu  können.  In  einem  Falle  von 
schwerer  Heufieber-Gonjunctivitis,  in  dem  alle 
anderen  Mittel  im  Stiche  gelassen  hatten,  zeigten 
sich  Einstäubungen  von  Anästhesin  in  den 
Bindehautsaok  mittels  eines  gewöhnlichen  Maler- 
pinsels, anfänglich  zwei-,  später  dreimal  des  Tages, 
von  ausgezeichneter  Wirkung. 

Zur  Behandlung  des  Schweißfußee 

in  der  Armee  hält  Villaret  (Münch.  med.Wochen- 
schr.  34,  1905)  Formaldehyd  und  Chromsäure 
für  durchaus  ungeeignet.  Diese  beiden  Mittel 
sind  wohl  wirksam,  aber  sie  wirken  nur  dadurch, 
daß  sie  die  Schweißdrüsen  (also  einen  sehr 
wesentlichen  Teil  der  Haut)  zerstören.  Nicht  die 
natürliche  Schweißabsonderung,  sondern  die 
S  oh weißzersetzung  muß  bekämpft  werden.  Das 
tut  nun  in  hervorragender  Weise  die  Salizylsäure, 
und  zwar  ohne  die  Schweißdrüsen  zu  schädigen. 
Mithin  ist  die  Salizylsäure  ein  rationelles  Mittel 
für  die  Schweißfußbehandlung,  und  das  Formalin 
ist,  entgegen  den  erst  kürzlich  wieder  laut  ge- 
wordenen Empfehlungen  von  Fischer  (Münch. 
med.  Wochenschr.  20,  1905),  zu  verbannen.  Nur 
für  die  Desinfizierung  der  Stiefel  und  Schuhe 
eines  mit  Schweißfuß  Behafteten  ist  dasselbe 
recht  brauchbar.  10  Tropfen  einer  10  proz. 
Formalinlösung,  in  einen  solchen  Stiefel  ge- 
träufelt, nehmen  jeden  Geruch  fort.  —  Häufiges 
Waschen  mit  frischem,  nicht  zu  kaltem  Wasser 
ist  ein  vorzügliches  Mittel,  den  durch  vernach- 
lässigte Fußpflege  in  der  Jugend  entstandenen 
Schweißfuß  zu  heilen.  Das  hebt  Villaret,  im 
Gegensatz  zu  der  Warnung  Fischers  vor  dem 
Waschen  der  Schweißfüße,  ganz  besonders  hervor. 

Ein  Apparat  zur  Darmspülung 

in  der  kinderärztlichen  Sprechstunde,  der  sich 
durch  Einfachheit  und  Bequemlichkeit  aus- 
zeichnet, ist  von  E.  Fromm  (Münchener  med. 
Wochenschrift  1905,  No.  24)  angegeben  worden. 
Ein  hölzerner,  der  Kinderbadewanne  angepaßter 
Rost  steht  mit  seinem  schmäleren  Ende  auf 
dem  Boden  der  Wanne  auf;  das  obere,  breite 
Ende  liegt  der  Wandung  im  Niveau  des  obersten 
Fünftels  der  Tiefe  der  Wanne  an.  Das  Kind 
wird  auf  den  durch  qine  abnehmbare  5  mm 
dicke  Gummiplatte  gepolsterten  Rost  gelegt  und 
nun  die  Spülung  vorgenommen.  Das  Spülwasser 
sammelt  sich  am  Boden  der  Wanne  und  wird 
mittels  Abflußrohr  und  Gummischlauch  in  einen 
Eimer  geleitet. 

Die  Prophylaxe  der  Gonorrhöe 

läßt  sich  nach  Zeh  den  (Wiener  klinisch-thera- 
peutische Wochenschrift,  Nr.  37,  1905)  durch 
Anticilloid  genannte  Urethralstäbchen,  welche 


546 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswert* 


rTher&peutfoeba 
L   Monatahefto. 


aus  Kakaobutter  mit  10  Proz.  Protargol  bestehen, 
sicher  erreichen.  Ante  coitum  wird  das  2  cm 
lange  Stäbchen  in  die  Urethralmündung  ein- 
geführt und  die  Mündung  einige  Minuten  bis 
zur  Lösung  mit  dem  Finger  zugedrückt.  Irgend- 
welche schmerzhafte  Reizung  der  Urethralschleim- 
haut  findet  nicht  statt. 

Phenolkampfer 

verwendet  Chlumsky  (Zentralblatt  für  Chirurgie, 
Nr.  33,    1905)    bei    der   Behandlung    infizierter 
Wunden,    Furunkel    und    der   chirurgischen  In- 
fektionen in  folgender  Verordnung: 
Rp.     Acidi  carbolici  purissimi  30,0 
Camphorae  tritae  60,0 

Alcoholi  absoluti  10,0 

Mit  dieser  klaren,  gut  haltbaren  und  ab- 
solut ungefährlichen,  nicht  ätzenden  Mischung 
wird  entweder  die  Haut  wie  beim  Erysipel 
mehrmals  täglich  bestrichen,  eventuell  werden 
mit  ihr  Wattestücke  getränkt  und  mit  Billroth- 
battist  und  Binde  befestigt,  oder  es  wird  die 
Lösung  wie  bei  Abszessen  in  die  Inzisions- 
wunde  eingegossen.  In  infizierte  Wunden  werden 
mit  Phenolkampfer  getränkte  Wattetampons  bis 
zur  Verminderung   der  Eitersekretion   eingelegt. 

Zar  Behandlang  der  Psoriasis 

durch  den  praktischen  Arzt  empfiehlt  Dreuw 
(Münchener  medizinische  Wochenschrift,  No.  20, 
1904)  folgende  Salbenkomposition: 

Acidi  8alicylici       10,0 

Chrysarobini 

Olei  Rusci         m  20,0 

Saponis  viridis 

Adipis  Lanae    «a  25,0 

Die  Salbe  wird  auf  die  Psoriasisstellen 
mittels  Borstenpinsels  morgens  und  abends  4  bis 
6  Tage  lang  eingerieben  und  nach  leichtem 
Antrocknen  mit  Amylum  oder  Zinkpuder  über- 
täubt. Am  5.  resp.  6.  Tage  folgt  1  —  3  Tage 
lang  täglich  ein  warmes  Bad  und  Einreibungen 
mit  Vaselin.  Je  nach  der  Schwere  des  Falles 
wird  diese  gesamte  Prozedur  noch  2 — 3  mal 
bis  zum  Verschwinden  der  Effloreszenzen  wieder- 
holt. 

Die  Psoriasisflecken  reagieren  auf  die  Ein- 
pinselung  schon  am  1.  oder  2.  Tage  mit  einer 
starken  Abschuppung;  die  normale  Haut  wird 
durch  die  Chrysarobinsaibe  nicht  oder  nur  ganz 
unbedeutend  gereizt.  Durch  die  der  Einpinse- 
lung  folgenden  Bäder  und  Vaselineinreibungen 
wird  die  auf  der  Haut  in  Form  einer  pergament- 
artigen schwarzen  Schicht  festhaftende  Salbe  all- 
mählich gelöst. 

In  den  Handel  gelangt  auch  ein  Gutta- 
percha-Pflastermull (Beiersdorf  &  Co.)  mit  Aci- 
dum  salicylicum  5,  Chrysarobin  10,  Oleum 
Rusci  10,  Sapo  medicatus  12,5,  welcher  eben- 
falls sich  als  ganz  reizlos  erweist  und  nament- 
lich zur  Behandlung  der  letzten  Reste  der 
Psoriasis  geeignet  erscheint. 


Alkohol-SUber-Salbe 

ist  nach  A.  Loewe  (Allgem.  medizin.  Zentral- 
Zeitung,  Nr.  9,  1905)  von  günstigem  Erfolge 
bei  Frostbeulen,  Ernährungsstörungen  der  Haut, 
Ulcus  cruris,  Decubitus,  Kontusionen  der  Weich- 
teile, Distorsionen  der  Gelenke,  Verbrennungen 
1.  und  2.  Grades,  bei  Tendovaginitis,  Bnrsitis, 
Phlebitis,  Ekzemen,  infizierten  Wunden,  Pan- 
aritien,  Phlegmonen,  Furunkel,  Bubo  und 
Epididymitis  sowie  bei  Neuralgien.  Zur  Ver- 
wendung gelangt  eine  Salbe  (Chemische  Fabrik 
Helfenberg  vorm.  E.  Dieterich),  welche  Collargol 
0,5  Proz.,  96 proz.  Spiritus,  70  Proz.  Natronseife, 
Wachs  und  etwas  Glyzerin  enthält.  Die  braune, 
weiche  und  geschmeidige  Salbe  ist  verschlossen 
aufbewahrt  gut  haltbar.  Mittels  Spatels  wird 
die  Salbe  messerrückendick  auf  die  gereinigte 
Hautfläche  gleichmäßig  aufgetragen  und  mit 
einer  zweifachen  Schicht  Leinwand  oder  vier- 
fachen Schicht  Verbandmull  resp.  Watte  bedeckt; 
über  diese  Schicht  wird  Gummipapier  durch 
eine  Binde  befestigt.  Der  Verband  ist  täglich 
1  —  2  mal  zu  erneuern ;  vor  jeder  Applikation 
ist  die  erkrankte  Stelle  zu  baden  oder  mit 
warmem  Wasser  abzuwaschen.  10 — 15  Minuten 
nach  der  Applikation  macht  sich  ein  lebhaftes 
Wärmegefühl  bemerkbar,  das  etwa  1  Stunde 
anhält.  Zugleich  schwinden  Schmerzen,  auch 
begleitendes  Fieber,  und  es  tritt  allgemeine  Be- 
ruhigung ein.  Die  Haut  und  die  erkrankten 
Stellen  werden  durch  die  Salbe  in  einen  Zu- 
stand von  Hyperämie  versetzt,  der  die  Auf- 
nahme des  antiseptisch  wirkenden  Collargols 
begünstigt.  Irgendwelche  üble  Nebenwirkungen 
fehlen. 


Röntgenkurse. 

Die  beiden  letzten  Aschaffenburger  Röntgen- 
kurse dieses  Jahres  beginnen  am  7.  Oktober 
und  8.  Dezember.  Die  Dauer  der  Kurse  ist 
5  bis  6  Tage,  während  deren  vormittags  und 
nachmittags  je  3  bis  4  Stunden  gearbeitet 
wird. 

Die  Kursleitung  a  hat  verschiedentlich  ge- 
äußerten Wünschen  entsprechend  in  das  Pro- 
gramm Vorträge  über  die  neuere  Elektronen- 
theorie und  die  Radiumforschung  ein- 
fügen lassen,  welche  von  Ingenieur  Dessauer 
gehalten  werden. 

Das  Programm  ist  im  übrigen  das  be- 
kannte. Ohne  Vorkenntnisse  vorauszusetzen, 
werden  die  physikalischen  Grundlagen  kurz 
durchgesprochen,  dann  eingehend  die  Technik, 
und  zwar  streng  objektiv.  Von  ärztlicher  Seite 
wird  die  Anwendung  des  Verfahrens  in  der 
Chirurgie,  der  inneren  Medizin  und  der  Therapie 
theoretisch  und  praktisch  vorgetragen  und  de- 
monstriert. Das  zur  Verfügung  stehende  Kranken- 
material war  in  den  letzten  Kursen  sehr  reich- 
lich. Nähere  Anfragen  sind  zu  richten  an  den 
Kursleiter  Herrn  Medizinalrat  Dr.  Roth, 
Königlichen  Landgerichts-  und  Bezirks- 
arzt, Aschaffenburg. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  A.Langgaard  in  Berlin  BW. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitäts-Buchdruck erei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 


190)5.    November. 


Originalabhandlnngen. 


(Aas  dem  pharmakologischen  Institut  der  Unirersitit  Wflrs- 
barg:   Prof.  Kunkel.) 

Kritisch  -  experimentelle  Beiträge 

zar  Wirkung'  des  Xebennierenextraktes 

(Adrenalin)* 

Von 

Dr.  med.  S.  Möller  in  Altona. 
( Von  der  medfeln.  Fakultät  Wttrsburg  preisgekrönte  Arbelt.) 

Von  allen  vasokonstriktorischen  Mitteln 
steht  wohl  heutzutage  das  Extrakt  der  Neben- 
niere, das  Adrenalin,  im  Vordergründe  des 
Interesses  sowohl  wegen  seiner  praktischen 
Wichtigkeit  als  auch  wegen  seiner  starken 
Wirksamkeit,  und  ist  dasselbe  daher  wohl 
auch  mit  Recht  als  das  Vasoconstringens 
xat  dlgoxtjv  bezeichnet  worden.  Fast  ebenso 
bekannt  wie  seine  starke  Wirksamkeit  ist 
es  aber  auch,  daß  trotz  der  umfangreichen 
Literatur,  der  vielen  experimentellen  Erfah- 
rungen und  der  ausgebreiteten  praktischen 
Verwendung  man  sich  über  seine  Wirkungs- 
weise noch  nicht  recht  klar  ist.  Wenn  auch 
auf  einzelnen  Gebieten,  speziell  dem  der 
lokalen  Applikation  auf  die  Schleimhäute, 
dasselbe  als  fester  Besitz  der  Kliniker  schon 
eingeführt  ist,  so  ist  man  doch  in  anderer 
Hinsicht,  in  bezug  auf  die  subkutane  In- 
jektion, auf  die  Gabe  per  os  noch  recht  ver- 
schiedener Ansicht,  und  vor  allem  ist  die 
Erklärung  mancher  Erscheinungen  bei  An- 
wendung der  Substanz  auf  den  verschiedenen 
Wegen  noch  eine  offene  Frage,  trotzdem  sie 
schon  der  Gegenstand  mannigfacher  Unter- 
suchungen gewesen  sind.  Bei  dem  Studium 
der  sehr  umfangreichen  Literatur  ergab  es 
sich  nun,  daß  die  experimentelle  Unter- 
suchung der  in  Betracht  kommenden  Fragen 
recht  schwierig  war.  Alle  einfacheren  Me- 
thoden waren  in  den  recht  zahlreichen  Ar- 
beiten und  Versuchen  schon  angewendet 
worden,  und  es  standen  hinsichtlich  vieler 
Fragen  nur  komplizierte  Methoden  zur  Ver- 
fügung, die  einen  gewissen  Grad  physiolo- 
gischer Technik  erforderten.  Bei  der  unge- 
heuren Wirkung  selbst  der  geringsten  Dosen 
Adrenalins  —  selbst  0,00000024  g  bringen 
noch  eine  deutliche  Blutdrucksteigerung  beim 

Th.  M.  1905. 


Tiere  hervor  —  hielt  ich  mich  nicht  für  be- 
rechtigt, einige  der  Fragen  durch  leicht  aus- 
zuführende Versuche  am  Menschen  nachzu- 
prüfen, bis  die  Erfahrungen  bewährter  Kli- 
niker zu  einem  sicheren  Ergebnis  über  die 
Verwendbarkeit  und  über  die  maximale  Dosis 
geführt  haben.  So  habe  ich  es  denn  für  das 
Beste  gehalten  —  denn  es  zeigte  sich  auch 
weiterhin,  daß  eine  genauere  Beantwortung 
einzelner  schwebender  Fragen  eine  intensive 
Beschäftigung  mit  einer  ganzen  Reihe  von 
Spezialgebieten  der  Physiologie  erforderte  — 
eine  Zusammenstellung  aller  klinischen  und 
experimentellen  Erfahrungen,  soweit  sie  mir 
zur  Verfügung  standen,  vorzunehmen  und 
durch  kritische  Durchsicht  der  Resultate  das 
Gemeinsame,  Sichergestellte  herauszuschälen 
und  eine  Entscheidung  der  strittigen  Punkte 
durch  kritische  Zusammenstellung  der  bis- 
herigen Resultate  und,  soweit  es  mir  mög- 
lich war,  durch  einige  experimentelle  Unter- 
suchungen zu  fördern.  Diese  letzteren  mußten 
sich  naturgemäß  auf  die  einzelnen  Gebiete 
verschieden  verteilen  und  konnten  wegen  der 
erwähnten  Umstände  auch  nur  in  beschränktem 
Maße  ausgeführt  werden.  Es  konnten  da- 
her auch  die  vielen  anderen  gefäßverengern- 
den Mittel  (Digitalis,  Strychnin,  Hydrastinin, 
Piperidin  u.  8.  w.)  nur  ganz  vereinzelt  mit 
in  den  Kreis  der  Betrachtungen  gezogen 
werden.  Stehen  dieselben  ja  auch  im  Augen- 
blick nicht  so  sehr  im  Vordergrunde  des 
Interesses  als  eben  das  Nebennierenextrakt, 
das  Adrenalin. 

Über  die  chemischen  Eigenschaften  des 
Stoffes,  der  die  spezifische  Wirkung  der 
Gefäßverengerung  hervorruft,  waren  bis  vor 
kurzem  die  Ansichten  noch  getrennt.  Erst 
im  Jahre  1901  war  es  dem  New  Yorker 
Chemiker  Jokichi  Takamine  gelungen,  die 
Substanz  isoliert  darzustellen.  Bis  dahin 
arbeitete  man  mit  Wasserextrakten,  mit 
Glyzerinextrakten  der  ganzen  Nebennieren. 
Es  hatte  sich  aber  nun  gezeigt,  daß  speziell  - 
die  Marksubstanz  der  Nebennieren  den  spe- 
zifischen Körper  enthalte,  und  war  in  den 
einfachen  Drüsenextrakten  jedenfalls  ein  Teil 
Substanzen  enthalten,  die  nicht  die  spezifische 

41 


548 


Möller,  Wirkung  des  N«b«ool«reo«ztiAktet  (Adrenalin). 


rTherapevtltrk« 
L    Monatahefte. 


Wirkung  ausübten.  Trotzdem  ist  diese  so 
stark,  daß  man  die  Haupteigenschaften  der 
Substanz  fast  vollständig  schon  vorher,  vor 
der  Isolierung,  feststellen  konnte,  und  hat 
man  scheinbar  mit  der  chemisch  reinen  Dar- 
stellung, die  in  den  letzten  Jahren  noch 
vervollkommnet  wurde,  für  die  rein  wissen- 
schaftliche Forschung  der  Wirkung  nicht  viel 
gewonnen.  Anders  ist  dieses  natürlich  für 
die  therapeutische  Anwendung.  Hier  hat 
man  durch  die  Isolierung  der  Substanz  eine 
sichere  Handhabe  für  die  genaue  Dosierung 
gewonnen,  und  ist  man  seither  eifrig  bemüht 
gewesen,  die  chemische  Reinheit  der  Sub- 
stanz möglichst  zu  vervollkommnen.  Diesen 
Bemühungen  sind  wohl  auch  teilweise  die 
verschiedenen  Präparate  entsprungen,  die 
augenblicklich  im  Handel  sind  und  wohl  in 
ihrer  Wirkung  alle  keinen  großen  Unterschied 
zeigen.  Ich  habe  in  meinen  Versuchen  mich 
immer  des  Präparates  „Epirenan"  bedient, 
hergestellt  von  den  chemischen  Werken  vorm. 
Dr.  Heinrich  Byk  in  Berlin,  das  nach  der 
Analyse  von  Abderhalden  und  Bergeil 
in  Emil  Fischers  Laboratorium  die  Substanz 
▼ollig  rein  enthalten  soll.  Dieses  Präparat 
ist  allerdings  weniger  bekannt,  doch  habe 
ich  die  physiologische  Wirksamkeit  mit  dem 
in  Deutschland  am  meisten  angewendeten 
Suprarenin  der  Höchster  Farbwerke  ver- 
glichen, konnte  aber  keinen  nachweisbaren 
Unterschied  in  der  Wirksamkeit  der  beiden 
Präparate  konstatieren.  Das  „Epirenan", 
das  ich  zu  meinen  Versuchen  benutzte,  und 
das  mir  in  liebenswürdigster  Weise  von  der 
Firma  Chem.  Werke  vorm.  Dr.  Heinrich  Byk 
in  beliebiger  Menge  zur  Verfügung  gestellt 
wurde,  zeigte  auch  während  der  ganzen  Zeit 
der  Versuchsdauer  immer  gleich  starke  phy- 
siologische Wirksamkeit,  und  auch  hinsichtlich 
der  Toxizität  konnte  ich  keine  Abweichung 
von  den  Ergebnissen  anderer  Forscher  kon- 
statieren, und  habe  ich  daher  dasselbe  wäh- 
rend der  7  monatlichen  Versuchsdauer  immer 
benutzt.  Der  Firma  sage  ich  auch  hiermit  für 
die  kostenlose  Überweisung  größerer  Mengen 
meinen  besten  Dank.  Kurz  erwähnen  mochte 
ich  hier  nur,  daß  es  nach  den  neueren  Ver- 
öffentlichungen von  Stolz  und  Meyer, 
Jowett,  Friedmann  und  Bertrand  auch 
gelungen  ist,  synthetisch  durch  Einwirkung  von 
Methylamin  auf  Ghlorazetobrenzkatechin  = 
Methylaminoazetobrenzkatechin  einen  stark 
blutdrucksteigernden  Stoff  herzustellen,  der 
identisch  sein  soll  mit  dem  Aminoketon,  das 
durch  Oxydieren  des  Suprarenins  entsteht. 
Das  letztere  ist  dann  nach  Jowett  ein 
Aminoalkohol  und  hat  die  Formel 


H 
C 

/\ 

OHC     C-CHOH.CH,NHCH3 

I       I 
OHC     CH 

\/ 

C 
H 

also  die  schon  1901  von  Aid  rieh  gefundene 
Zusammensetzung  C9H13N03.  Doch  steht 
nach  den  neuesten  Veröffentlichungen  von 
Stolz  noch  die  Formel 

ch 

/\ 

OHC     C .  CH(NHCHS)  CH,  OH 

I       I 
OHC  •  CH 

\/ 
CH 

zur  Diskussion,  und  unterscheidet  sich  die 
synthetisch  dargestellte  Substanz  chemisch 
dadurch,  daß  ihre  Salze  im  Gegensatz  zu 
denen  des  aus  den  Nebennieren  hergestellten 
sogenannten  Adrenalons  (Friedmann)  durch 
Natriumazetat  fällbar  sind.  Auch  ist  die 
physiologische  Wirkung  der  Blutdrucksteige- 
rung, wenn  auch  qualitativ  vorhanden,  so 
doch  quantitativ  viel  geringer. 

Allgemeine  Blutdrucksteigerung. 

Diejenige  Eigenschaft  des  Adrenalins, 
des  Nebennierenextraktes  —  ich  brauche  in 
folgendem  meistens  den  Ausdruck  Adrenalin 
oder  Nebennierenextrakt,  einerlei  um  welches 
Präparat  es  sich  handelt,  abgesehen  natür- 
lich davon,  wo  es  sich  um  eine  bestimmt* 
Zubereitungsart  handelt  — ,  die  zuerst  das 
Interesse  weiterer  Kreise  auf  die  Substanz 
gelenkt  hat,  ist  das  merkwürdige  Phänomen 
der  starken  Blutdrucketeigerung  nach  intra- 
venöser Injektion  selbst  sehr  geringer  Mengen. 
Die  ersten  Mitteilungen  hierüber  erschienen 
fast  gleichzeitig  im  Jahre  1894  von  Oliver 
und  Schäfer  und  von  Cybulski  und  Scy- 
monowiez.  Die  Arbeiten  von  Moore, 
Fränkel,  Mühlmann,  Metzger,  Gürber, 
Abel  und  Crawford  u.  a.  ergaben  dann 
übereinstimmend,  daß  diese  Wirkung  des 
Organ extraktes  der  Nebenniere  geknüpft  sei 
an  eine  Substanz  in  ihr,  die  sich  nach  den 
früheren  Befunden  Vulpians  und  Arnolds 
charakterisierte  durch  starke  Farbenreaktionen 
mit  den  Eisensalzen,  speziell  durch  die  deut- 
liche Grünfärbung  mit  Fe9Cl6.  In  den  beiden 
erwähnten  ersten  Veröffentlichungen  tritt  nun 
ein  grundlegender  Unterschied  hervor  in  der 
Erklärung  dieses  Phänomens.  Cybulski 
und  Scymonowicz  behaupten,  diese  Druck- 
Steigerung  käme  zustande  durch  zentrale  Er- 
regung des  Gefäßnervenzentrums  durch  die 
Substanz,    denn    wenn   sie   das   Rückenmark 


XIX.  Jahrgang.! 
NoT»mb«T  1905.J 


Möller,  Wirkung  d«t  N«benoier«nextraktes  (Adranalio). 


549 


unterhalb  der  Zentren  und  auch  den  Vagus 
durchschnitten,  trat  keine  Veränderung  des 
Blutdruckes  auf,  und  fehlte  auch  die  Ton 
ihnen  beobachtete  Atembeschleunigung.  Oli- 
ver und  Schäfer  dagegen  fanden  auch  nach 
Durchschneidung  des  Rückenmarks  Blutdruck- 
Steigerung  und  kamen  auf  Grund  ihrer  ver- 
schiedenen Versuche,  speziell  'der  plethys- 
,  Biographischen  Messungen  an  den  inneren 
Organen,  der  Milz  etc.,  zu  der  Annahme,  daß 
die  Steigerung  des  Blutdruckes  auf  einer 
hochgradigen  Eontraktion  der  Muskulatur  der 
Gefäße  und  des  Herzens,  also  auf  einer  peri- 
pheren "Wirkung  beruhe.  Daß  die  Ansicht 
der  letzten  die  richtigere  ist,  brauche  ich 
wohl  nicht  näher  auszuführen,  denn  die 
ganze  therapeutische  Anwendung  des  Ex- 
traktes beruht  ja  auf  der  so  starken  peri- 
pheren "Wirkung.  Wie  Boruttau  hervorhebt, 
ist  die  Täuschung  bei  den  Versuchen  von 
Cybulski  und  Scymonowicz  wohl  ziem- 
lich sicher  durch  die  Wirkung  des  Choks 
zu  erklären.  Ob  dagegen  bei  intravenöser 
Injektion  der  Substanz  nicht  auch  eine  Be- 
einflussung der  Zentren  stattfindet,  ist  bis 
heute  noch  ein  Streitpunkt.  Velich,  der 
die  Versuche  bald  nachprüfte,  kam  zu  dem 
Ergebnis,  daß  das  Nebennierenextrakt  sowohl 
auf  die  spinalen  vasokonstriktorischen  Zentren 
wie  auch  auf  die  peripheren  nervösen  Ein- 
richtungen der  Gefäße  wirke.  Daß  auch  ohne 
Einwirkung  der  Zentren  starke  Blutdruck- 
steigerung auftritt,  ist  jedenfalls  sicher.  Doch 
braucht  deshalb  auch  noch  ein  Einfluß  der 
nervösen  Zentren  nicht  ausgeschlossen  zu 
werden.  Denn  Biedl  und  Velich  haben 
Anfang  1896  zu  gleicher  Zeit  ungefähr  Ver- 
suche veröffentlicht,  in  denen  sie  dartaten, 
daß  bei  Säugetieren,  denen  die  Medulla  ob- 
longata  durchtrennt  und  das  ganze  Rücken- 
mark zerstört  war,  dennoch  auf  Nebennieren- 
«xtraktinjektion  hin  die  charakteristische  Blut- 
drucksteigerung  sich  zeigte.  Stricker  und 
Ustimowitsch  hauptsächlich  haben  zuerst 
darauf  hingewiesen,  daß  Tiere  nach  dieser 
so  eingreifenden  Operation  noch  kürzere  Zeit, 
allerdings  bei  sehr  niedrigem  Blutdruck, 
leben  können.  Die  Ursache  des  Todes  ist 
in  diesen  Fällen  die  Anämie  des  Herzens, 
indem  die  Gefäße  ihren  vom  Rückenmark 
■ausgehenden  Tonus  verlieren,  das  Blut  sich 
in  den  erschlafften  Venen  ansammelt,  das 
Tier  —  nach  dem  Ausdrucke  C.  Ludwigs  — 
sich  in  seine  eigenen  Gefäße  innerlich  ver- 
blutet. Biedl  und  Velich  haben  nun  bei 
«olchen  Tieren  durch  intravenöse  Injektion 
des  Nebennierenextraktes  den  Blutdruck  von 
fast  0  bis  auf  160  mm  Hg  getrieben  und 
durch  wiederholte  Zufuhr  einige  Zeit  auf  der 
Höhe    gehalten.      Jedenfalls    ist    dieses    ein 


Beweis  dafür,  daß  die  Ursache  der  Blut- 
drucksteigerung in  der  Verengerung  der  peri- 
pherischen Gefäße  zu  suchen  sei. 

Ob  dabei  jede  Mitwirkung  des  Zentral- 
nervensystems sicher  ausgeschlossen  ist,  läßt 
sich  bis  heute  noch  nicht  sicher  behaupten. 
Vor  allem  hat  E.  von  Cyon  es  betont,  daß 
eine  solche  wohl  sicher  anzunehmen  sei.  Außer 
mehreren  anderen  gewichtigen  Gründen  auch 
deshalb,  weil  er  den  durch  die  Extraktinjektion 
gesteigerten  Druck  nach  Durchschneidung 
beider  Splanchnici  um  ein  beträchtliches 
sinken  sah.  Boruttau  hat'  diese  Versuche 
nachgeprüft  und  dann  bei  kontinuierlicher 
Injektion  von  Extrakt,  um  den  Blutdruck 
längere  Zeit  in  der  Höhe  zu  erhalten,  nur 
unbedeutende,  bald  vorübergehende  Druck- 
verminderung gefunden,  was  er  darauf  zurück- 
führt, daß  der  normale,  vom  Splanchnicus 
vermittelte  Tonus,  der  nach  Durchschneidung 
desselben  ausfallt,  alsbald  wieder  ersetzt 
wird  durch  die  vom  Extrakt  hervorgebrachte 
Verengerung.  Cyon  stützt  seine  Annahme 
auch  hauptsächlich  auf  den  von  ihm  auf- 
gestellten Satz,  daß  Stoffe,  die  das  Herz 
resp.  das  Gefäßnervensystem  beeinflussen,  stets 
auf  alle  hintereinander  geschalteten  Teile  des- 
selben in  gleicherweise,  wenn  auch  in  ver- 
schiedener Stärke  wirken.  Doch  ist  es  ja 
nach  den  bisherigen  Erfahrungen  noch  nicht 
ganz  sicher,  wie  ich  in  späterem  näher  aus- 
führen werde,  ob  der  wirksame  Stoff  der 
Nebennieren  überhaupt  auf  die  peripherischen 
Nervenapparate  oder  aber  direkt  auf  die 
glatte  Muskulatur  wirkt.  Jedenfalls  ist  die 
Beteiligung  des  vasokonstriktorischen  Zen- 
trums an  der  Blutdrucksteigerung  nicht  sicher 
und  würde  scheinbar  bei  der  später  zu  be- 
sprechenden bekannten  starken  lokalen  "Wir- 
kung wohl  nur  sehr  gering  sein.  Doch  spricht 
ja  auch  noch  ein  anderes  Phänomen  für  eine 
Beteiligung  zentraler  Zentren,  das  Auftreten 
von  langsamen  und  vergrößerten  Pulsen  wäh- 
rend der  Blutdrucksteigerung. 

Von  fast  allen  Forschern  wird  die  Blut- 
drucksteigerung in  folgender  Weise  geschil- 
dert: Zirka  5  —  10  Sekunden  nach  der  In- 
jektion beginnt  der  Blutdruck  plötzlich  an- 
zusteigen und  erreicht  schon  nach  5  bis 
8  Sekunden  sein  Maximum,  oft  das  Doppelte, 
selbst  das  Dreifache  seines  Ausgangs  wertes. 
Der  Blutdruck  verharrt  dann  2 — 3  Minuten 
auf  der  Höhe,  öfter  auch  nur  kürzere  Zeit 
und  sinkt  nach  Verlauf  von  etwa  10  Minuten 
wieder  zum  Anfangswerte  oder  häufiger  10  bis 
20  bis  30  mm  unter  diesen  herab.  Einige 
Sekunden  nach  dem  Beginne  der  Druck- 
steigerung beginnt  eine  starke  Pulsverlang- 
samung,  die  auf  der  Höhe  der  Extrakt- 
wirkung   in    Pulsbeschleunigung    umschlägt. 

41* 


550 


ATßller,  Wiikung  da«  Nebennieren«xtrakte«  (Adrenalin). 


("Therapeutische 
L    Monatshefte. 


Das  Auftreten  dieser  verlangsamten  und  ver- 
größerten Pulse  wird  auch  von  allen  Autoren 
bestätigt  (Oliver  und  Schäfer,  Gerhardt 
etc.),  und  nehmen  auch  die  meisten  der- 
selben an,  daß  nach  Atropinisierung  und 
Durchschneidung  des  Vagus  dieselben  auf- 
hörten. Sie  fuhren  sie  demgemäß  auch  auf 
eine  Erregung  des  Vaguszentrums  zurück. 
"Wie  schon  früher  Gürber  und  einige  andere 
suchen  auch  Biedl  und  Reiner  (a)  sie  als 
abhängig  von  dei  Blutdrucksteigerung  dar- 
zustellen analog  der  Puls  verlangsamung  nach 
anderweitiger  Drucksteigerung,  durch  Aorten- 
kompression, Splanchnicusreizung,  Asphyxie 
etc.  Sie  finden  die  Vaguspulse  nicht  während 
des  Druckanstieges,  sondern  erst  nach  dem 
Überschreiten  des  Höhepunktes,  nur  bei  hirn- 
wärts  in  die  Karotis  gerichteter  Injektion 
wollen  sie  Vaguspulse  gleich  zu  Beginn  der 
Druckerhebung  gesehen  haben.  Sie  unter- 
scheiden dann  2  Phasen  der  Vaguswirkung, 
die  erste  als  direkte  Erregung  der  Vagus- 
zentren und  die  zweite,  bei  welcher  die  un- 
mittelbare Erregung  nicht  mehr  mitkonkur- 
riert, als  Folge  des  allgemeinen  Blutdrucks. 
Wodurch  diese  letztere  hervorgerufen  wird, 
wagen  Biedl  und  Reiner  (a)  selbst  nicht 
sicher  zu  entscheiden.  Nun  hat  aber  Ver- 
worn  neuerdings  gelegentlich  seiner  Ver- 
suche über  dyspnoische  Vagusreizung,  bei 
der  er  im  übrigen  eine  leichtere  Erregbar- 
keit des  Vaguszentrums  bei  Blutdruckerhöhung 
durch  Aortenabklemmung  als  wie  auch  durch 
Dyspnoe  feststellte,  die  Beobachtung  gemacht, 
daß  auch  nach  Durchschneidung  des  Vagus 
bei  Nebennierenextraktinjektion  deutlich  die 
erwähnte  Pulsverlangsamung  auftrete  und  hat 
nun  daraus  geschlossen,  daß  dieselbe  durch 
direkte  Wirkung  des  Nebennierenextraktes  auf 
das  Herz  hervorgerufen  würde.  Gegen  ihn 
wendet  sich  wieder  R.  H.  Kahn  (c).  Er 
findet,  daß  nur  bei  sehr  starken  Dosen  von 
Nebennierenextrakt  die  Pulsverlangsamung 
und  Vertiefung  auch  nach  Vagotomie  auf- 
trete. Kahn  wendet  dabei  das  gleiche 
Präparat  und  gleiche  Verdünnung  wie  Ver- 
worn  an.  —  Dagegen  bei  kleineren  Dosen 
bleibt  das  Phänomen  nach  Vagotomie  aus. 
Bei  stärkeren  Dosen  muß  man  also  auch 
nach  Kahn  annehmen,  daß  die  Vaguspulse 
durch  eine  schädigende  Einwirkung  auf  die 
Herzmuskulatur  zustande  kommen.  Ich  werde 
auf  diese  schädigende  Herz  Wirkung  bei  Be- 
sprechung der  Intoxikationserscheinungen  durch 
Nebennierenextrakt  genauer  zurückkommen. 
Bei  niederen  Dosen  scheint  dagegen  dieses 
Vagusphänomen  nur  auf  eine  Erregung  des 
Vaguszentrums  zurückgeführt  werden  zu 
müssen.  Eine  Lähmung  des  Vaguszentrums, 
wie   sie  Verworn    auf   Grund    seiner  Beob- 


achtungen behauptet,  kann  wohl  nicht  ange- 
nommen   werden.      Denn    der    Beweis,    den 
Verworn    hierfür    beibringt,    ist    nach    den 
Ausführungen     Kahns      auch     nicht     ein- 
wandsfrei.     Verworn    hat    nämlich     festge- 
stellt, daß  der  Depressorreflex  auf  der  Höhe 
der   Nebennierenwirkung  nicht  mehr   auslös- 
bar ist.     Der  N.  depressor,  der  besonders  beim 
Kaninchen    gut    isolierbar    ist,     bringt,    wie 
Ludwig  und  Cyon  1866  zuerst  feststellten, 
ja  nach  Durchschneidung    und   Reizung   des 
zentralen  Stumpfes,    wie   man  allgemein  an- 
nimmt  durch    Erregung   des   Vaguszentrums, 
eine  Verlangsamung  und  Vertiefung  der  Herz- 
schläge hervor,  die  nach  Vagus  durch  schneidung 
ausbleibt,    außerdem  ja  noch   ein   deutliches 
Fallen    des   Blutdruckes,    worauf  ich   später 
noch  zu  sprechen  komme.     Aus  einem  Aus- 
bleiben dieses  Depressorreflexes  auf  der  Höhe 
der  Nebennierenextraktwirkung  glaubt  Ver- 
worn   nun    auf    eine    Lähmung    des  Vagus- 
zentrums durch  dasselbe  schließen  zu  dürfen. 
Kahn  gibt  nun  allerdings  zu,  daß  das  Phä- 
nomen der  Vaguspulse   bei  Depressorreizung 
durch  Ad  renal  in  Wirkung  recht  häufig   aufge- 
hoben ist.    Doch  führte  er  dieses  auf  etwas 
anderes  zurück.     Sucht  man   nämlich    durch 
Reizung   des   Vagus   selbst   die   Pulsverlang- 
samung hervorzurufen,   und  sucht  man  sorg- 
fältig die  Reizschwelle  auf,  in  der  die  Vagus- 
reizung einem  gut  ausgesprochenen  Depressor- 
reflex  entspricht,    so    sieht   man   auch   dann 
bei  Vagusreizung  nach  Injektion  von  Neben- 
nierenextrakt   diese     direkte    Vagus  wirkung 
plötzlich   verschwinden.     Es  muß   also  noch 
etwas    anderes    vorliegen    als    Lähmung    des 
Vaguszentrums.       Schon     C  y  b  u  1  s  k  i     und 
Go urfein  und  später  auch  Langley  haben 
nun  darauf  hingewiesen,  daß  hohe  Dosen  von 
Nebennierenextrakt   die  Herzendigungen    des 
Vagus  lähmen.    Auch  E.  von  Cy on  kommt 
auf  Grund   seiner  Versuche   zu   dem  gleichen 
Resultat.     Auch   diese  Forscher  sahen  wäh- 
rend  der  Extraktwirkung    bei  hohen   Dosen 
auf  Vagusreizung    hin    keine   Verlangsamung 
der    Pulse    eintreten.     Das    Ausbleiben    des 
Depressorreflexes    wäre    also   auf  die  Weise 
zu  erklären,    daß   durch  Paralyse   der  Herz- 
vagusendigungen    ein    so    geringer   Reiz    des 
Vagus,    wie    er    eben    durch   die  Depressor- 
reizung zustande  kommt,  nicht  genügend  ist, 
um  seine  Wirkung  auszuüben.    Daß  dagegen 
stärkere  faradische  Reizung  des  Vagus  selbst 
noch   deutliche  Wirkung    hervorbringt,    hebt 
schon    Gerhardt    hervor    u.  a.      Jedenfalls 
spricht  manches  dafür,    daß   das  Ausbleiben 
des  Depressorreflexes  auf  der  Höhe  der  Adre- 
nalinwirkung, wie  er  von  den  meisten  Autoren 
beobachtet  wurde,  nach  der  Annahme  Kahns 
zu    erklären   ist.     Natürlich   ist   hiermit  nur 


XIX.  Jahrgang.! 
Kovtnber  I006.J 


M  Oll  er,  Wirkung  de«  Nebennlerenextraktet  (Adrenalin). 


551 


der  eine  Teil  des  Reflexes,  die  Pulsvertiefung 
und  Verlangsamung,  gemeint.  Eine  andere 
Erklärung  mußte  allerdings  hoch  für  das 
Fehlen  der  Blutdrucksenkung  bei  der  De- 
pressorreizung  gefunden  werden.  Freilich 
sind  bis  heute  die  Ansichten  darüber  noch 
nicht  geklärt,  ob  diese  Blutdrucksenkung 
durch  eine  Erregung  der  Vasodilatatoren  oder 
durch  Abnahme  des  Tonus  der  Vasokonstrik- 
toren  zustande  kommt.  Dabei  ist,  wie  schon 
Ludwig  und  Cyon  gezeigt  haben,  das 
Splanchnicusgebiet  hauptsächlich  beteiligt, 
doch  auch  in  geringerem  Grade  die  anderen 
Gefaßgebiete.  Es  wird  hier  also  die  Er- 
klärung der  Autoren  für  das  Fehlen  des 
Reflexes  eventl.  auf  verschiedener  Basis  be- 
ruhen. Verworn  hebt  nun  hervor,  und  darin 
stimmt  ihm  Kahn,  auch  bei,  daß  das  Neben- 
nierenextrakt vielleicht  eine  so  starke  peri- 
pherische Gefäß  Verengerung  hervorrufe,  daß 
das  Nachlassen  des  zentralen  Gefaßtonus  unter 
dem  Einfluß  der  Depressorreizung  nicht  zum 
Ausdruck  käme.  Aber  schon  viel  früher 
waren  Oliver  und  Schäfer  auch  Cyon 
und  von  den  französischen  Forschern,  die 
sich  mit  Adrenalinwirkung  beschäftigten, 
hauptsächlich  Li  von  zu  der  Ansicht  ge- 
kommen, daß  eine  Lähmung  der  vasomoto- 
rischen Zentren  die  Ursache  davon  sei,  daß 
dieser  vasodilatatorische  Reflex  nicht  zustande 
käme.  Doch  hat  neuerdings  Dubois  bei  seinen 
Versuchen  über  Adrenalin  hervorgehoben,  daß 
Reizung  des  N.  lingualis  auf  der  Höhe  der 
Nebennierenextraktwirkung  an  der  erblaßten 
Zungenschleimhaut  des  Hundes  deutliche 
Rötung  hervorbringt,  daß  also  peripherische 
Reizung  der  Vasodilatatoren  gut  wirksam  ist. 
Aber  auch  zentrale  Erregung,  wie  sie  nach 
Wertheimer,  Gärtner  und  "Wagner,  Roy 
und  Sh errington  das  Strychnin  hervorbringt, 
das  auch  in  den  peripherischen  Gefaßgebieten 
Vasodilatation  verursacht,  hebt  nach  Dubois 
an  der  Zunge  des  Hundes  die  Adrenalin- 
wirkung auf.  Es  könnte  also,  wie  Dubois 
auch  hervorhebt,  diese  Tatsache,  daß  die 
Vasodilatation  auf  der  Höhe  der  Neben- 
nierenextraktwirkung bei  Einfuhrung  des- 
selben in  den  allgemeinen  Kreislauf  eintritt, 
während  dagegen  die  Depressorreizung  un- 
wirksam ist,  dafür  sprechen,  daß  die  De- 
preasorwirkung  überhaupt  durch  Hemmung 
der  vasokonstriktorischen  Zentren  hervor- 
gerufen wird,  die  dann,  wie  auch  Verworn 
und  Kahn  annehmen,  durch  die  starke 
Adrenalin  Wirkung  paralysiert  wird,  zumal 
da  das  Adrenalin,  wie  ich  nachher  noch 
näher  ausführen  werde,  auch  seinen  Haupt- 
einfluß auf  das  vom  Splanchnicus  versorgte 
Gebiet  ausübt.  Eine  sichere  Ansicht  kann 
aber   bis   heute,    da   die    Grundlagen    selbst 


noch  nicht  sicher  sind,  für  das  Fehlen  des 
Depressorreflexes  auf  der  Höhe  der  Extrakt- 
wirkung ebensowenig  wie  für  das  Auftreten 
der  Vaguspulse  während  derselben  ausge- 
sprochen werden.  Zu  erwähnen  wäre  noch, 
daß  Cyon  die  Vaguspulse  auf  Reizung  der 
Hypophyse  durch  den  beginnenden  Druck- 
zuwachs im  Gehirn  bezieht.  Er  folgert  das 
hauptsächlich  daraus,  daß  die  Pulsverlang- 
samung  nur  während  des  Druckanstieges  be- 
stehe, vom  Maximum  ab  aber  durch  Accelerans- 
reizung  verdeckt  werde.  Es  muß  aber  dieser 
Ansicht  Cyon 8  gegenüber  betont  werden, 
daß,  wie  schon  erwähnt,  alle  anderen  Autoren 
diese  Vaguspulse  fast  immer  oder  nur  auf 
der  Höhe  der  Blutdrucksteigerung  sahen, 
eventuell  auch  im  abfallenden  Schenkel. 
Auch  ich  sah  die  Vaguspulse,  wenn  sie  auf- 
traten, auch  auf  der  Höhe  der  Blutdruck- 
Steigerung  und  während  des  Abfalls.  Jeden- 
falls steht  Cyon  auch  mit  seiner  Hypothese 
über  die  Funktion  der  Hypophyse  auch  noch 
ziemlich  isoliert  da.  Ein  Punkt,  den  Cyon 
noch  besonders  hervorhebt,  ist,  daß  nach 
seiner  Ansicht  die  Nervi  accelerantes  des 
Herzens  eine  heftige  Erregung  erfahren,  und 
hiermit  komme  ich  dann  gleich  auf  die  Herz- 
wirkung des  Nebennierenextraktes  zu  spechen, 
die  ja  auch  noch  ein  ziemlieh  umstrittener 
Punkt  ist. 

Wirkung  auf  das  Herz. 
Schon  Oliver  und  Schäfer  wiesen  in 
ihrer  grundlegenden  Arbeit  darauf  hin,  daß 
durch  das  Nebennierenextrakt  eine  Verstär- 
kung der  Herzkontraktionen  speziell  beim 
Frosche  auftrat;  doch  könnte  dies  ja  eben- 
sogut, wie  eine  Anzahl  Autoren  bemerkt 
(Cyon  etc.),  durch  die  Kontraktion  der 
Gefäße  hervorgerufen  werden,  welche  dann 
sekundär  die  Herzarbeit  vermehrt.  Es  scheint 
aber  nach  den  neueren  Untersuchungen  speziell 
Gottliebs  kein  Zweifel  mehr  darüber  zu 
bestehen,  daß  auch  der  Herzmuskel  selbst 
durch  das  Adrenalin  direkt  zu  vermehrter 
Arbeit  angeregt  wird.  Gottlieb  nimmt  sogar 
in  8 ein  er  ersten  Veröffentlichung  an,  daß  die 
Herzwirkung  die  Hauptursache  wäre  bei  der 
Entstehung  der  Blutdrucksteigerung.  Doch 
schon  in  seiner  späteren  Arbeit  kommt  er  da- 
von zurück.  Zuerst  wollte  er  nämlich  aus  der 
Beobachtung,  daß  nach  dem  Fallen  des  Blut- 
druckes bei  starker  Chloralisierung  die  In- 
jektion von  Nebennieren  ex trakt  denselben 
stark  wieder  hob,  schließen,  daß  durch  die 
lähmende  Wirkung  des  Chloralhydrats  auf  die 
Gefäßwände  eine  Wiederverengerung  derselben 
nach  so  starker  Erschlaffung  von  der  Peri- 
pherie aus  unwahrscheinlich  sei.  Diese  An- 
nahme   mußte    er    aber    selbst    durch    einen 


552 


Möller,  Wirkung  des  Nebannterenextraktu  (Adrenalin). 


fThflrap«al 
L   Monatehi 


Monatshefte. 


Durchblutungsversuch  an  einer  stark  chlora- 
lisierten  Niere  mit  Adrenalinzusatz,  die  deut- 
liche Verengerung  der  Gefäße  des  isolierten 
Organ 8  ergab,  wieder  zurückziehen,  v.  Cyon, 
der  diese  Annahme  auch  schon  zurückgewiesen 
hatte,  will  jede  direkte  Erregung  des  Herzens 
durch  das  Nebennierenextrakt  leugnen  und 
will  nur  eine  Reiz  Wirkung  auf  den  herz- 
beschleunigenden Nervenapparat  anerkennen. 
Die  Verstärkung  der  Herzschläge  setzt  er 
auf  Rechnung  der  Kontraktion  der  kleineren 
Arterien,  die  dem  Herzen  mehr  Blut  zuführen 
und  so  eine  energischere  Kontraktion  des- 
selben herbeiführen.  Doch  weist  Gott  lieb 
schon  darauf  hin,  daß  aus  seinen  Versuchen 
mit  Chloral Wirkung  das  Gegenteil  sehr  wahr- 
scheinlich sei.  Denn,  wenn  nach  tiefer  Chlora- 
lisierung  die  Pulse  sehr  langsam  und  niedrig 
geworden  sind,  so  werden  sie  auf  Injektion 
von  Nebennierenextrakt  hin  sogleich  wieder 
frequenter,  ehe  noch  der  Blutdruck  erheblich 
in  die  Höhe  geht.  v.  Cyon  bezieht  dieses 
auf  Reizung  der  Accelerantes.  Daß  diese 
mitbeteiligt  sind,  ist  sehr  wahrscheinlich. 
Ich  werde  bald  darauf  zurückkommen.  Jeden- 
falls geht  aber  aus  den  späteren  Versuchen 
Gottliebs  und  anderer  hervor,  daß  das 
Herz  an  und  für  sich  primär  auch  vom 
Nebennierenextrakt  beeinflußt  wird.  Schon 
aus  den  Versuchen,  in  denen  er  eine  isolierte 
vollständige  Lähmung  des  Herzens  durch  die 
von  Böhm  und  von  Aubert  und  Dehn 
studierte  Wirkung  der  Kalisalze  auf  das 
Herz  hervorbrachte,  und  in  denen  nach  voll- 
ständigem Darniederliegen  des  Herzens  durch 
Nebennierenextrakt  dasselbe  wieder  voll- 
ständig regelmäßig  zu  arbeiten  beginnt,  läßt 
sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  die  direkte 
Einwirkung  auf  das  Herz  schließen;  denn 
das  Versagen  des  Herzens  nach  Kalivergiftung 
tritt  bei  fast  normalem  Blutdruck  ein.  Die 
Restitution  durch  Nebennierenextrakt  kann 
so  eigentlich  nur  auf  Herzwirkung  bezogen 
werden.  Von  ausschlaggebender  Bedeutung 
sind  jedenfalls  die  Versuche,  die  er  dann 
am  isolierten  Herzlungenkreislauf  anstellte, 
welche  Methode  ja  zuerst  von  Hering  und 
fast  gleichzeitig  von  Bock  angegeben  wurde. 
Es  werden  nach  diesem  Verfahren  bekannt- 
lich alle  vom  linken  Herzen  abgehenden 
Gefäße  mit  Ausnahme  der  beiden  Karotiden 
abgebunden  und  die  eine  Karotis  mit  dem 
einen  Manometer  in  Verbindung  gesetzt, 
während  die  andere  dazu  dient,  das  gesamte 
Blut  vom  linken  Herzen  durch  eine  Ver- 
bindungsröhre in  die  Jugularis  und  ins  rechte 
Herz  zu  leiten.  Bock  schaltet  zum  Zweck 
des  Gleichbleibens  des  Druckes  einen  Wider- 
standsapparat ein.  Nebennierenextrakt  be- 
wirkt  nun   nach  Gottlieb   in  diesem  Herz- 


lungenkoronarkreislauf  eine  deutliche  und 
einige  Zeit  anhaltende  Blutdrucksteigerung 
sowie  gleichzeitig  eine  nicht  unerhebliche  Be- 
schleunigung der  Herzaktion,  während  gleiche 
Mengen  physiologischer  Kochsalzlösung  ohne 
Wirkung  sind.  Die  Wirkung  ist  nicht  so 
bedeutend  am  gut  arbeitenden  Herzen  wie 
am  vorher  geschwächten.  Doch  ist  die 
Blutdrucksteigerung  und  Beschleunigung  des 
Herzens  sicher  die  konstante  Folge  der  Ex- 
traktinjektion. Daß  diese  Blutdrucksteigerung 
nicht  vom  Lungenkreislauf  hervorgerufen  sein 
kann,  wird  später  noch  näher  ausgeführt 
werden.  Von  einer  verlangsamenden  Wirkung 
am  Anfang,  wie  sie  in  den  Blutdruckkurven 
fast  regelmäßig  ist,  fand  Gottlieb  keinerlei 
Andeutung. 

Eine  weitere  Bestätigung  gibt  Gottlieb 
auch  noch  in  einer  Anzahl  von  Versuchen, 
die  er  nach  der  zuerst  von  Langen dorff 
beschriebenen  Methode  der  Herzisolierung 
anstellte.  Mittels  dieser  Methode  hat  auch 
Hedbom  in  Tigerstedts  Laboratorium 
neben  einer  Reihe  anderer  Gifte  auch  die 
Wirkung  des  Nebennierenextraktes  unter- 
sucht und  eine  deutliche  Verstärkung  der 
Herzschläge  konstatiert.  Diese  Methode  be- 
steht darin,  daß  das  nach  dem  Verbluten 
des  Tieres  aus  dem  Körper  herausgenommene 
Organ  nach  Durchleitung  deflbrinierten  Blutes 
durch  die  Koronargefäße  alsbald  wieder  zu 
schlagen  beginnt,  und  zwar  geschieht  die 
Durchleitung  von  der  Aorta  aus,  und  das 
Blut  zirkuliert  dabei  nicht  in  den  Herz- 
höhlen, sondern  durch  den  Koronarkreislauf. 
Und  zwar  muß  besonderes  Gewicht  darauf 
gelegt  werden,  daß  Druck  und  Temperatur 
des  durchgeleiteten  Blutes  konstant  bleiben. 
Es  zeigte  sich  nun  mittels  dieser  Anordnung 
in  Gottliebs  Versuchen  bei  Durchleitung 
von  Nebennierenextrakt  ebenfalls  deutliche 
Vergrößerung  und  meistens  auch  Beschleuni- 
gung der  Herzschläge.  Hier  ist  also  sicher 
eine  Gefäßwirkung  ausgeschlossen,  und  würde 
die  Verengerung  der  Koronargefäße  höchstens 
geringere  Durchströmung  des  Herzens  und  so 
entgegengesetzte  Wirkung  hervorrufen.  Auch 
Boruttau  hat  zu  zeigen  versucht,  daß  eine 
Verstärkung  der  Herzarbeit  stattfindet.  Am 
Froschherzen  zeigte  er  mit  dem  von  Jacoby 
angegebenen,  sehr  vollkommenen  Apparat, 
welcher  gleichzeitige  Registrierung  der  Schwan- 
kungen des  Quecksilberfroschherzmanometers, 
eventuell  auch  eines  geeigneten  Volumeters, 
sowie  ständige  Ablesung  des  mittleren  Druckes 
als  Wassersäule  und  Registrierung  der  durch 
eine  Leitung  von  gegebenem  Widerstand  ge- 
preßten Flüssigkeitsmenge  gestattet,  daß  bei  der 
Durchspülung  mit  sauerstoffhaltiger  Gummi- 
lösung   Zusatz    von    Nebennierenextrakt    zu 


XIX.  Jahrgang.  | 
No»*mber  1905.  I 


Möller,  Wirkung  de«  Nebennieren  extrektea  (Adrenalin). 


553 


dieser  die  Schlagfrequenz  alsbald  erhöht  und 
den  Druck  dauernd  steigert.  Aber  auch  für 
das  Warmblüterherz  glaubt  er  diese  Wirkung 
annehmen  zu  müssen  aus  der  Beobachtung 
der  tomographischen  Bulszacken.  In  längerer 
Auseinandersetzung  bespricht  er  die  Bedeu- 
tung der  einzelnen  Phasen  der  tomographischen 
Pulszacke  und  betont  dann  weiterhin,  daß 
durch  Nebennierenextrakt  die  Zacken  der 
tonometrischen  Pulskurve  als  Maß  der  Aus- 
treibungszeit des  Herzens  nicht  nur  in  die 
Höhe  gerückt  werden,  d.  h.  von  der  Abszissen- 
linie entfernt  werden  —  also  den  größeren 
Widerstand  in  den  peripherischen  Arterien  über- 
winden — ,  sondern,  daß  sie  sich  selber  auch 
vergrößern,  also  außer  dieser  Mehrarbeit  zur 
Überwindung  des  peripherischen  Druckes  noch 
eine  direkt  erhöhte  Kontraktionskraft  zeigen. 
Näher  auf  diese  Beweisführung  einzugehen, 
würde  wohl  zu  weit  führen,  zumal  ja  auch 
durch  die  anderen  Versuche  diese  Wirkung 
sehr  wahrscheinlich  gemacht  wird. 

Auch  Gerhardt  glaubt  in  seiner  schon  ver- 
schiedentlich erwähnten  Arbeit  auf  eine  direkte 
Vermehrung  der  Herzarbeit  schließen  zu  dürfen. 
Jedoch  ist  seine  Beweisführung  nicht  ganz 
unanfechtbar.  Wie  er  selbst  betont,  könnte 
die  von  ihm  beobachtete  Drucksenkung  im 
linken  Vorhof  unter  Nebennierenextraktwir- 
kung  nach  Durchschneidung  der  Vagi,  wäh- 
rend sonst  bei  Drucksteigerungen  im  großen 
Kreislauf  immer,  wahrscheinlich  durch  Stau- 
ung, eine  Druck  Vermehrung  auftritt,  auch  auf 
Acceleransreizung  zurückgeführt  werden.  So 
scheinen  denn  die  Versuche  Gottliebs  am 
isolierten  Säugetierherzen  am  beweiskräftig- 
sten zu  sein  dafür,  daß  eine  Beeinflussung 
des  Säugetierherzens  direkt  durch  das  Neben- 
nierenextrakt stattfindet  im  Sinne  einer  Ver- 
mehrung und  Verstärkung  der  Herzschläge. 
Erwähnen  möchte  ich  noch,  daß  Cleghorn 
durch  künstliche  Durchblutung  der  isolierten 
Herzspitze  nach  den  Angaben  von  Porter 
in  dessen  Laboratorium  auch  verstärkte  Kon- 
traktion der  isolierten  Herzspitze  gesehen 
hat,  indem  er  die  Durchblutungskanüle  mit 
Adrenalin  in  einen  Ast  der  Arteria  coronaria 
einband.  Auch  an  isolierten  Muskelteilchen 
des  Herzens  soll  Gleghorn,  dessen  Arbeit 
ich  leider  nicht  selbst  einsehen  konnte,  die 
Kontraktion  der  Herzmuskulatur  durch  Ein- 
wirkung von  Nebennierenextrakt  gesehen 
haben.  Ich  selber  habe  an  einem  Apparate, 
den  ich  nachher  gelegentlich  der  Besprechung 
der  Wirkung  des  Extraktes  auf  die  Darm- 
muskulatur näher  beschreiben  werde,  solche 
isolierten  Herzmuskelstückchen  in  Ringer- 
scher Lösung,  bei  Körpertemperatur,  unter 
Zuleitung  von  Sauerstoff  untersucht,  konnte 
aber   keinerlei  Veränderung   der   Muskulatur 


konstatieren.  Doch  mag  hieran  auch  die 
Anordnung,  die  Art  der  Präparation,  die 
Wahl  der  Muskelstückchen  u.  a.  schuld  sein. 
Wie  gesagt,  konnte  ich  die  Versuchsanordnung 
Cleghorn s  nicht  in  Erfahrung  bringen.  Die 
Versuche  Cleghorns  an  der  Herzspitze,  die 
ja  frei  von  jeglichen  nervösen  Ganglienappa- 
raten ist,  und  an  den  Muskelstückchen  lassen 
nun  darauf  schließen,  daß  eine  direkte  Be- 
einflussung der  Herzmuskulatur  stattfindet. 
Doch  hat  Gottlieb  schon  in  seinen  ersten 
Versuchen  darauf  hingewiesen,  daß  am  Frosch- 
herzen, das  nach  der  ersten  Stanniusschen 
Ligatur  stillsteht,  die  intravenöse  Injektion 
einer  geringen  Menge  von  Nebennierenextrakt 
mit  Sicherheit  erneute  Kontraktionen  aus- 
gelöst werden.  Nach  erneuter  Abschnürung 
unterhalb  der  Atrioventrikulargrenze  steht 
der  Ventrikelrest  auch  nach  Nebennieren- 
extraktin  jektion  still,  und  nun  löst  wieder 
jeder  mechanische  Reiz  an  der  Herzspitze 
nur  eine  Kontraktion  aus.  Es  würden  dem- 
nach die  sämtlichen  automatischen  Ganglien 
des  Froschherzens  durch  das  Nebennieren- 
extrakt gereizt  werden.  Nach  der  ersten 
Stanniusschen  Ligatur  bringt  dann  die  Er- 
regung der  Bidderschen  oder  Atrioventri- 
kularganglien  die  Kontraktionen  wieder  zu- 
stande. Sind  auch  diese  abgeklemmt,  so 
findet  auch  durch  Nebennierenextrakt  keine 
Erregung  mehr  statt.  Nach  der  neueren, 
myogenen  Theorie  der  Herzfunktion  würden 
diese  Beobachtungen  ja  natürlich  ganz  anders 
zu  deuten  sein,  und  hat  neuerdings  Harnack 
den  Versuch  gemacht,  diese  Beobachtungen 
mit  der  Engelmann  sehen  Theorie  in  Über- 
einstimmung zu  bringen.  Er  kommt  aber 
selber  zu  dem  Schluß,  daß  die  Erklärung  im 
Sinne  dieser  Theorie  immerhin  mit  einigen 
Schwierigkeiten  verknüpft  sei.  Es  ist  hier, 
glaube  ich,  nicht  der  Ort,  auf  diese  Frage 
näher  einzugehen.  Ich  möchte  nur  noch 
ganz  kurz  betonen,  daß  das  allgemein  beob- 
achtete Phänomen  der  Pulsbeschleunigung  im 
weiteren  Verlauf  der  Blutdrucksteigerung  wohl 
von  allen  Autoren  als  Erregung  der  Nn.  acce- 
lerantes  gedeutet  wird.  Wie  schon  erwähnt, 
legt  Cyon  ja  hierauf  großes  Gewicht.  Auch 
Gottlieb  und  Gerhardt  u.  a.  sprechen  sich 
in  den  erwähnten  Arbeiten  für  eine  solche 
peripherische  Acceleransreizung  aus,  die  ja  be- 
sonders deutlich  nach  Vagusdurchschneidung 
auftritt.  Ob  dagegen  die  Verstärkung  der 
Herzschläge,  wie  sie  Gottlieb  ja  auch  am 
isolierten  Herzen  beobachtete,  auf  einer  direk- 
ten Beeinflussung  der  Herzmuskulatur  beruht, 
läßt  sich  ganz  sicher  ja  nicht  entscheiden. 
Doch  spricht  ja  manches,  wie  ich  dargelegt 
zu  haben  glaube,  dafür.  Neuerdings  haben 
auch    Bardier    und    Baylac     darauf    hin- 


554 


Möller,  Wirkung  des  Nebennlerenextraktet  (Adrenalin). 


( Therapeutische 
L    MonatRhefte. 


gewiesen,  daß  sowohl  nach  ihren  eigenen 
Versuchen  als  auch  nach  denen  von  Neujean, 
die  ich  selbst  leider  nicht  einsehen  konnte, 
nach  Atropinisierung  des  Vagus  eine  viel 
stärkere  Blutdrucksteigerung  auftritt  als  vor- 
her. Die  Aufhebung  der  Wirkung  der  hem- 
menden Vagusfasern  läßt  demnach  also  die 
Beteiligung  des  Herzens  an  der  Blutdruck- 
steigerung viel  stärker  hervortreten.  Auf 
die  Schädigungen,  die  das  Herz  dabei  treffen 
können,  werde  ich  bei  Besprechung  der  toxi- 
schen Wirkung  des  Extraktes  naher  zu 
sprechen  kommen. 

Beeinflussung  des  peripherischen 
Kreislaufes. 
Trotz  dieser  Herzwirkungen  unterliegt  es 
jedoch  keinem  Zweifel,  daß  die  Blutdruck- 
steigerung zum  größten  Teil  auf  eine  Kon- 
traktion der  peripherischen  Gefäße  des  Kör- 
pers zurückzuführen  ist,  wie  ich  es  ja  schon 
ausgeführt  habe.  Die  Gefäßgebiete  des  Kör- 
pers sind  aber  nicht  alle  gleichmäßig  von 
der  Kontraktion  betroffen.  Schon  Oliver, 
Schäfer  und  Moore  haben  durch  plethys- 
mographische Versuche  an  der  Milz  stets 
starke  Schrumpfung,  an  den  Extremitäten 
meist  Volumenabnahme,  mitunter  aber  auch 
Zunahme  oder  Schwanken  beobachtet,  wobei 
sie  die  Volumenabnahme  als  Effekt  der  Gefäß- 
kontraktion, die  Zunahme  als  passive  Dehnung 
durch  das  Überwiegen  des  gesteigerten  Blut- 
druckes deuten.  Velich  hat  wegen  der 
schwankenden  Ergebnisse  direkte  Inspektion 
der  Organe  vorgenommen  und  am  Darm, 
an  der  Niere,  an  der  Gonjunctiva  und  am 
Kaninchenohr  starkes  Blässerwerden  gefunden. 
Oliver  und  Schäfer  glauben  nun  schon 
aus  dem  konstant  gefundenen  Kleinerwerden 
der  Milz  annehmen  zu  sollen,  daß  die  Blut- 
drucksteigerung hauptsächlich  durch  die  Ge- 
fäße des  Splanchnicusgebietes  bewirkt  wird. 
Auch  Pick  hat  durch  Messung  der  Ausfluß- 
menge aus  der  Vena  jugularis,  der  Vena 
femoralis  und  der  Vena  meseraica  nach 
Extraktinjektion  Gleichbleiben  oder  Verlang- 
samung der  Ausflußmenge  festgestellt,  die 
für  eine  schon  recht  starke  Gefäßverengerung 
spricht,  da  bei  erhöhtem  Druck  eigentlich 
eine  Vermehrung  der  Ausflußmenge  statt- 
finden müßte.  Auch  bei  ihm  war  diese  Ver- 
langsamung, wenn  auch  recht  ausgesprochen 
an  der  Vena  jugularis  und  femoralis,  so 
doch  am  prägnantesten  und  stärksten  an  der 
Vena  meseraica.  —  Was  die  mehr  peripheren 
Gebiete  der  äußeren  Haut  und  der  Schleim- 
häute anbetrifft,  so  sind  hierüber  die  An- 
gaben verschieden.  Velich  gibt  an,  daß 
nach  Adrenalininjektionen  die  Hautgefäße 
mit   von    der  Verengerung   betroffen    werden; 


aber  der  Grad  ist  wesentlich  geringer  als 
an  den  Eingeweiden.  Gerhardt  findet  das- 
selbe. Rißwunden  der  äußeren  Haut  bluten 
nach  ihm  stärker,  und  an  bloßgelegten 
Muskelgefäßen  konnte  er  mit  der  Lupe  eine 
Verengerung  der  Lichtung  weder  an  den 
kleinen  Arterien  noch  an  den  kleinen  Venen 
feststellen.  L angle y  gibt  an,  daß  die  Haut- 
gefäße ziemlich  stark  mitbetroffen  werden. 
Auch  findet  er  deutliches  Erblassen  der 
Wangen-  und  Lippenschleimhaut  nach  In- 
jektion des  Extraktes  bei  Hunden.  Dubois 
will  dagegen  an  der  Lippen-  und  Wangen- 
schleimhaut des  Hundes  deutliche  Vasodila- 
tation  gesehen  haben.  An  der  Zungenschleim- 
haut stellt  er  dagegen  immer  promptes  Er- 
blassen auf  die  Injektion  hin  fest.  Nach 
Dastre  und  Morat  bringt  nun  beim  Hunde 
Reizung  des  Kopfendes  des  vom  Vagus  ge- 
trennten, durchschnittenen  Halssympathicus 
maximale  Erweiterung  der  Schleimhautgefaße 
der  Lippen  und  Wangen  hervor,  während  an 
der  Zunge  dann  Erblassen  eintritt.  Da  die 
gleichen  Erscheinungen  bei  Adrenalininjektion 
eintreten,  schließt  Dubois  daraus,  daß  die 
Adrenalin  Wirkung  auf  einer  Reizung  der  peri- 
pherischen Endigungen  des  Sympathicus  in 
den  Gefäßen  beruhe.  Langley  fugt  dagegen 
hinzu,  daß  die  von  ihm  beobachtete  Wirkung 
analog  sei  der  Gefäß  Verengerung  der  Bucco- 
labialschleimhaut,  die  bei  ganz  schwacher 
Reizung  des  Sympathicus  zu  konstatieren 
sei,  während  bei  starker  Reizung  eben  Dila- 
tation auftritt.  Ich  werde  nachher  bei  der 
allgemeinen  Besprechung  des  Angriffspunktes 
des  Adrenalins  auf  diese  Beobachtungen 
zurückkommen.  Hier  möchte  ich  nur  hervor- 
heben, daß  für  die  verschiedenen  Gefäßbezirke 
verschiedene  Wirksamkeit  der  Adrenalininjek- 
tion konstatiert  ist.  So  viel  steht  jedenfalls 
fest,  daß  die  Gefäße  des  Splanchnicusgebietes 
am  stärksten  von  der  Verengerung  bei  Ein- 
führung der  Substanz  in  den  allgemeinen 
Kreislauf  betroffen  werden.  Bei  geöffneter 
Bauchhöhle  sah  ich  selbst  an  den  Gefäßen 
des  Darms  und  Mesenteriums  beim  Kaninchen 
deutliche  Anämie  auftreten.  Lange  nicht  so 
deutlich  konnte  ich  sie  dagegen  am  Kanin- 
chenohre bei  •  intravenöser  Injektion  größerer 
Dosen,  nämlich  0,2  ccm  der  Solut.  Epirenani 
hydr.  1  :  1000,  auftreten  sehen.  Und  auch  hier 
schien  die  Wirkung  wechselnd  zu  sein.  Deut- 
lich sah  ich  die  Verengerung  nur  zweimal 
eintreten,  einmal  bei  der  Injektion  von  0,2 
und  einmal  bei  Injektion  von  0,25  Epirenan 
in  die  Vena  femoralis  und  in  die  Ohrvene. 
Doch  möchte  ich  hervorheben,  daß  ich  mich 
auch  in  diesen  Fällen  geirrt  haben  mag. 
Denn  durch  die  bekannten  Schiff  sehen 
rhythmischen  Füllungen  und  Entleerungen  der 


XIX.  Jahrgang.] 
November  1905.  J 


Möller,  Wirkung  d«s  Nabennierenextrakte«  (Adrenalin). 


555 


Gefäße  des  Kaninchenohres  konnte  auch  gerade 
eine  Entleerung  stattgefunden  haben,  die  eine 
Verengerung  durch  das  Nebennieren extrakt 
Tortäuschte.  Doch  gibt  auch  Josu6  an,  daß 
er  eine  deutliche  Eontraktion  der  Ohrgefäße 
sah  nach  intravenöser  Injektion  in  die  andere 
Ohrvene,  zuerst  auf  der  einen  und  dann  auf 
der  Injektionsseite,  sowohl  vor  Sympathicus- 
durchschneidung  als  auch  nach  Exstirpation 
des  Gangl.  cervicale  supr.  Die  Venen  ver- 
schwanden; die  Arterien  wurden  ganz  eng 
und  hart  wie  Eisendraht.  Diese  Beobachtung 
habe  ich  allerdings  nicht  machen  können. 
Eine  Erklärung  dieser  Tatsachen  der  Wirkung 
in  verschiedenen  Gefäßgebieten  ist  ziemlich 
schwer  zu  geben,  zumal  da  unsere  Ansichten 
über  das  Verhältnis  der  gef aß  verengernden 
zu  den  gefäßerweiternden  Nervenfasern  noch 
immer  nicht  ganz  klar  sind.  Ich  werde 
nachher  darauf  zurückkommen  und  jetzt  erst 
die  Besprechung  der  Einwirkung  des  Adre- 
nalins auf  die  Lungengefäße  und  auf  die  Hirn- 
gefäße folgen  lassen,  dicwie  in  mancher  anderen 
Hinsicht  so  auch  in  bezug  auf  die  Adrenalin- 
wirkung eine  Sonderstellung  einnehmen. 

Einfluß   auf  die   Lungengefäße. 

Velich  machte  zuerst  die  Beobachtung, 
daß  die  Drucksteigerung,  die  nach  der  all- 
gemeinen Beobachtung  im  großen  Kreislauf 
auftritt,  im  kleinen  nur  sehr  wenig  aus- 
gesprochen ist.  Er  fand ,  daß  in  der  Pul- 
monal arterie  eine  kleine  Drucksteigerung  auf- 
tritt, daß  diese  aber  durchaus  nicht  der  im 
großen  Kreislauf  sich  abspielenden  pro- 
portional ist,  sondern  weit  hinter  ihr  zurück- 
steht, ja  daß  sie  manchmal  ausbleibt.  Direkte 
Inspektion  der  Lungen  ergab,  daß  hier  die 
an  anderen  Organen  wahrzunehmende  Blässe 
nicht  auftritt,  daß  sie  sich  auch  nicht  durch 
direktes  Aufträufeln  des  Extraktes  hervor- 
rufen läßt.  Daß  das  Lungengefäßsystem  über- 
haupt eine  besondere  Stellung  im  Kreislauf 
einnimmt,  ist  schon  längere  Zeit  bekannt, 
speziell  ist  die  Frage,  ob  die  Gefäße  der 
Lunge  motorisch  innerviert  seien,  noch  nicht 
sicher  entschieden.  Von  den  neueren  For- 
schern haben  sich  vor  allen  Bradford  und 
Dean  und  Francois- Frank  für  eine  In- 
nervation der  Lungengefässe  ausgesprochen. 
Doch  sind  ihre  Versuchsergebnisse  von  ver- 
schiedener Seite  speziell  von  Knoll  einer 
Kritik  unterzogen  worden,  durch  die  sie 
mindestens  zweifelhaft  geworden  sind.  Brad- 
ford und  Dean  wollen  durch  Reizung  der 
vorderen  "Wurzeln  der  oberen  Dorsalnerven 
bei  Hunden  eine  geringe  Steigerung  des 
Druckes  in  der  Arteria  pulmonalis  gesehen 
haben.  Sie  wollen  dann  auch  weiterhin  be- 
weisen,   daß   dieser  vasomotorische   Apparat 

Th.  M.  1905. 


reflektorisch  oder  durch  Asphyxie  in  Tätig- 
keit gesetzt  wird.  Doch  berücksichtigen  sie 
dabei,  wie  schon  Knoll  hervorhebt,  weder 
die  Änderung  der  Frequenz  der  Herzschläge 
noch  den  auf  den  linken  Vorhof  rückwirken- 
den Aortendruck  u.  a.  Auch  gegen  Francois- 
Franks  Versuche,  der  den  Druck  im  linken 
Vorhof,  der  Art.  pulmonalis  und  der  Aorta 
maß  und  bei  sensibler  Reizung  ein  Bestehen- 
bleiben der  anfangs  an  allen  drei  Orten  ein- 
getretenen Drucksteigerung  an  der  Art.  pul- 
monalis konstatierte  und  daraus  schloß,  daß 
dieses  durch  Reflex  der  Vasomotoren  der 
Pulmonalis  hervorgerufen  sei,  kann  manches 
eingewendet  werden.  Erstlich  konstatierte  er 
dieses  nur  selten,  und  zweitens  kann  dieses 
nach  Knoll  ebensogut  durch  die  Zunahme 
des  Volumens  der  Lungen  erklärt  werden, 
die,  wie  Francois-Frank  selbst  sagt,  bei 
der  Drucksteigerung  in  der  Art.  pulmonalis 
regelmäßig  auftrat.  Beim  Kaninchen  konnte 
Knoll  jedenfalls  bei  dyspnoischer  und  re- 
flektorischer Reizung  keine  Änderung  in  den 
Druckverhältnissen  konstatieren. 

Auch  Brodie  und  Dixon  heben  in  ihrer 
kürzlich  erschienenen  Arbeit  hervor,  daß  die 
Resultate  Bradford  und  Deans  und  Fran- 
cois-Franks  wohl  wegen  der  nicht  genügend 
beachteten  Einflüsse  der  Herzwirkung  falsche 
seien. 

Sie  selbst  wollen  diesen  Fehler  in  ihren 
Versuchen  ausschalten,  indem  sie  einen  Kreis- 
lauf herstellen  durch  eine  Lunge  und  den 
linken  Vorhof.  Herzventrikel  und  andere 
Lunge  sind  unterbunden.  In  die  Arteria 
pulmonalis  und  das  linke  Herzohr  sind  die 
Kanülen  eingebunden,  die  den  Kreislauf  ver- 
mitteln und  den  Druck  ablesen  lassen. 
Außerdem  ist  ein  komplizierter  Apparat  ein- 
geschaltet, der  einen  immer  gleichbleibenden 
Druck  und  Temperatur  der  Durchströmungs- 
flüssigkeit garantiert.  Brodie  und  Dixon 
bekamen  nun  bei  Reizung  der  betreffenden 
Nerven  an  diesem  isolierten  Lungenkreislauf 
nie  eine  Änderung  des  Druckes  in  der  Art. 
pulm.,  während  bei  Kontroll  versuchen  mit 
dem  gleichen  Apparat  an  Extremitäten  des 
Tieres  deutliche  "Wirkung  hervortrat.  Sie 
glauben  daher  im  Zusammenhang  mit  der 
Unbeeinflußbarkeit  der  Lungengefäße  durch 
die  verschiedenen  pharmakologischen  Agentien 
Muskarin,  Pilokarpin,  Adrenalin  und  deutliche 
Kontraktion  durch  das  muskulär  wirkende 
Baryumchlorid  auf  das  Fehlen  der  Gefäß- 
nerven in  den  Lungengefäßen  schließen  zu 
dürfen.  Jedenfalls  zeigen  sie  aber  auch  in 
ihren  Versuchen  deutlich,  daß  das  Adrenalin 
auf  die  Lungengefäße  keine  "Wirkung  hat. 

Die  oben  erwähnten  Beobachtungen  Ve- 
lichs  fanden  auch  noch  von  anderer  Seite  Be- 

42 


666 


Möller,  Wirkung  de«  NebaootoreMxtrakte«  (Adrenalin). 


rherapeutfedu 
Monatshefte. 


stätigung.  Gerhardt  konstatierte  in  der  schon 
mehrfach  erwähnten  Arbeit  in  etwa  20  Ver- 
suchen, in  denen  er  den  Druck  in  der  Karotis 
und  in  einem  Ast  der  Art.  pulmonalis  maß, 
auf  Adrenalininjektion  hin  entweder  gar  keine 
Steigerung  oder,  das  häufigere  Verhalten,  eine 
unerhebliche  Steigerung  von  6  mm,  als  Maxi- 
mum   einmal    eine    von    15  mm  Hg.      Und 
zur  Erklärung  der  Tatsache   dieser  geringen 
Steigerungen  fuhren  beide,  Velich  und  Ger- 
hardt, ins  Feld,  daß  bei  dem  hohen  Druck 
die  Arteriolenverengerung  im  großen  Kreislauf 
überkompensiert    wird,    und    daß    durch   die 
von    der    Verengerung    nicht    mitbetroffenen 
Gefaßgebiete  dem  rechten  Herzen  mehr  Blut 
zugeführt  wird,  wie  dieses  Slaviansky  und 
Basch    für    den     allgemeinen     Gefäßkrampf 
direkt    gemessen     und    Openchowski     bei 
Beizung    der    Nervi    splanchnici    als    einzig 
mögliche   Erklärung  der  Drucksteigerung  in 
der  Art.  pulmonalis  hervorgehoben  hat.    Auch 
hat  Openchowski  in  Gemeinschaft  mit  Bock 
die  geringe  Bceinflußbarkeit  des  Herzlungen- 
kreislaufes  durch   verschiedene    andere   Gifte 
dargetan.      Also,   schließt  Gerhardt,  zeigen 
die  Lungengefäße  und  das  rechte  Herz   dem 
Nebenneirenextrakt  gegenüber    eine   ähnliche 
Immunität  wie  gegenüber  Digitalis  oder  COs- 
Vergiftung.     Ebendasselbe  haben,    wie  ange- 
führt, ja  auch  Brodie  und  Dixon  mit  der  ganz 
isolierten  Durchblutung  einer  Lunge  dargetan. 
Als    Beweis    für    die    Unbeeinflußbarkeit 
des   Lungenkreislaufes   könnte  ich    vielleicht 
auch    folgende    Beobachtung    anführen.     Be- 
kanntlich kann   man  beim   Frosch   sich    den 
Kreislauf  der  Schwimmhaut  und  des  Mesente- 
riums  leicht  mit  dem  Mikroskop   zur  Beob- 
achtung bringen.     Auch  der  Lungenkreislauf 
kann  nach  Schenk,  „Physiologisches  Prak- 
tikum 1896  ",  unter  Beachtung  folgender  Regeln 
nach  einiger  Übung  zur  Anschauung  gebracht 
werden.     Wenn  man  bei   einem  Frosch    die 
seitliche    Brustwand     direkt    unterhalb    der 
oberen    Extremität    an    der    Übergangsstelle 
vom  Rücken  zum  Bauch  eröffnet,   kann  man 
durch  Einführung  einer  Kanüle  in  die  Trachea 
vom  Maul  aus  die  Lunge  so  weit  aufblasen, 
daß   sie   aus   der   genügend  großen  seitlichen 
Öffnung  heraustritt.     Braucht  man   nun    die 
Vorsicht,  an  einer  Stelle  die  Kanüle  seitlich 
zu    perforieren    und    darüber    ein   Stückchen 
frischen   Froschdarmes  zu   binden,    so    kann 
nach  dem  Aufblähen   der  Lunge,   wenn  man 
oben   die   Kanüle    verschließt,    auch    seitlich 
zwischen  Kanüle  und  Trachea  die  Luft  nicht 
mehr  zurückweichen,  da  der  Darm,  der  sich 
auch  aufbläht,  sich  an  die  Wand  der  Trachea 
anlegt.     Wenn   man  nicht  zu  stark  aufbläht 
und  durch  eine  kleine  mit  einer  Öffnung  ver- 
sehenen   Platte    die    Oberfläche    der    Lunge 


etwas  abflacht,  kann  man  durch  die  Öffnung 
mit  Hilfe  des  Mikroskops  den  Lungenkreis- 
lauf sehr  schön  beobachten.  Es  gehört  nur 
wenig  Übung  dazu,  zu  achten,  daß  die  Lunge 
nicht  zu  stark  aufgeblasen  wird,  da  sonst  der 
Kreislauf  leicht  gestört  wird.  Wie  ich  später 
näher  ausführen  werde,  kann  man  an  der 
Schwimmhaut  und  an  den  Mesenterial  gefäßen 
des  Frosches  bei  lokaler  Applikation  von 
Adrenalin  mit  dem  Mikroskop  eine  deutliche 
Beeinflussung  des  Kreislaufes  durch  dasselbe 
konstatieren.  Beobachtete  ich  nun  an  dem 
nach  der  angegebenen  Weise  präparierten 
Frosche  den  Lungenkreislauf,  so  konnte  ich 
bei  analoger  lokaler  Applikation  einiger 
Tropfen  meines  Nebennierenpräparates,  des 
Epirenans,  nie  eine  Beeinflussung  des  Lungen- 
kreislaufes konstatieren.  Selbst  verhältnis- 
mäßig sehr  starke  Konzentrationen  des  Epi- 
renans, die  ich  mir  aus  der  reinen  Substanz 
darstellte,  zeigten  an  dem  Lungenkreislauf  in 
4  Fällen  nie  eine  Einwirkung,  während  bei 
denselben  Tieren  nachher,  sowohl  an  der 
Schwimmhaut  als  auch  an  dem  Mesenterium, 
die  Adrenalinwirkung  sich  immer  typisch 
demonstrierte. 

Wenn  diese  Beobachtungen  auch  nicht  am 
Säugetiere  stattfanden,  so  scheinen  sie  doch 
zusammen  mit  den  angeführten  Beobachtungen 
anderer  Autoren  für  die  Unbeeinflußbarkeit  der 
Lungengefäße   durch  Adrenalin   zu   sprechen. 

Daß  diese  nicht  durch  eine  zerstörende 
Einwirkung  des  Lungengewebes  selbst  oder 
durch  den  Einfluß  des  hocharteriellen  Blutes 
der  Lunge  hervorgerufen  wird,  darauf  haben 
schon  Langlois  und  Äthan asiu  hingewiesen. 
Ebenso  haben  auch  Carnot  und  Josserand 
durch  Injektion  in  das  Lungengewebe  selbst 
gezeigt,  daß  das  Nebennierenextrakt  auf 
künstlich  gesetzte  Lungen  wunden  keine  an- 
ämisierende  Wirkung  hat,  während  manch- 
mal, wenn  zufallig  etwas  von  der  Substanz 
dabei  in  ein  größeres  Blutgefäß  geraten 
war,  doch  ein  ziemlicher  Grad  allgemeiner 
Drucksteigerung  im  großen  Kreislauf  eintrat. 
Leider  konnte  ich  aus  dem  kurzen  Bericht 
in  den  „Comptes  rendus  de  la  societä  de 
biologie"  das  Nähere  ihrer  Methodik  nicht  er- 
sehen. Neuerdings  haben  auch  von  deutschen 
Forschern  Em b den  und  Fürth  gezeigt,  daß 
in  einer  künstlich  durchbluteten  Lunge  das 
Adrenalin  nur  ganz  minimal  zerstört  wird. 
Ich  werde  auf  diese  Versuche  bei  Besprechung 
der  Zerstörung  des  Adrenalins  im  Körper 
noch  einmal  zurückkommen. 

Einwirkung   auf  die   Gefäße   des  Hirn- 
kreislaufes. 
Eine  ähnliche  Ausnahmestellung   wie  für 
den  Lungenkreislauf  wurde  bis  vor   kurzem 


III.  Jahrgang.! 
November  1906.J 


Möll«r,  Wirkung  dM  N«b«&ni*r«n«xtr*)Lt«t  (Adrenmlin> 


557 


auch  allgemein  für  den  Gehirnkreislauf  an- 
genommen und  muß  auch  jetzt  noch  in  ge- 
wissem Grade  zugegeben  werden.  Die  bis 
dahin  größtenteils  geleugnete  Eiistenz  von 
Vasomotoren  für  das  Gehirn  scheint  aber 
nach  den  neuesten  Arbeiten  vonWiechowski, 
Gottlieb  und  Magnus,  Jensen  im  ent- 
gegengesetzten Sinne  beantwortet  werden  zu 
müssen.  Auch  die  Wirkung  des  Adrenalins 
auf  die  Hirngefäße  scheint  im  ersten  Augen- 
blick für  die  Ausnahmestellung  zu  sprechen. 
Doch  muß,  wie  ich  gleich  näher  ausfuhren 
werde,  auch  dieses  etwas  modifiziert  werden. 
Velich  und  Spina  haben  zuerst  nach- 
zuweisen geglaubt,  daß  die  Hirngefäße  gegen 
Nebennierenextrakt  refraktär  sind.  Spina 
bediente  sich  der  Methode,  daß  er  die  aus 
der  Vena  facialis  ausfließende  Blutmenge  vor 
und  während  der  Extraktwirkung  maß.  Vor 
der  Einspritzung  flössen  20 — 30,  nachher 
30 — 50  Tropfen  in  einer  halben  Minute  aus, 
ein  anderes  Mal  aus  dem  Sinus  falciformis 
vorher  16,  nachher  unzählige  in  einer  Minute. 
In  einigem  Widerspruch  hierzu  stehen  die 
Angaben  von  Fr.  Pick.  Er  fand  nach  In- 
jektion von  Nebennierenextrakt  in  die  Jugular- 
vene,  die  nach  ihm  auch  fast  nur  Blut  aus 
dem  Inneren  der  Schädel  kapsei  erhält,  Strom- 
verlangsamung.  Sie  war  zwar  geringer  als 
in  den  anderen  Venen,  hat  aber  die  Blut- 
geschwindigkeit bis  nahezu  auf  die  Hälfte 
des  Wertes  herabgedrückt.  Spina  führt  als 
weiteren  Beweis  für  die  Gefäßerweiterung  im 
Hirn  die  Tatsache  an,  daß  freigelegtes,  von 
Dura  entblößtes  Hirn  sich  unter  dem  Einfluß 
der  Injektion  rote  und  vorwölbe.  Es  ist 
also  nicht  nur  nicht  Verengerung,  sondern 
sogar  sekundäre  Erweiterung  der  Hirngefäße* 
zu  konstatieren.  Gerhardt  hat  zur  Ent- 
scheidung der  Frage  bei  4  Hunden  den 
Druck  im  tiefsten  Teil  der  Vena  jugularis 
gemessen  und  hat  dort  deutliche  Druck- 
steigerung gefunden.  Dagegen  war  in  der 
Nieren vene  der  Druck  um  2— 4  cm  Wasser 
gesunken,  um  bei  dem  Abfallen  des  Arterien- 
druckes seinen  früheren  Stand  zu  erreichen. 
Er  schließt  daraus,  daß,  während  im  Splanoh- 
sicusgebiet,  wo  starke  Vasokonstriktion  ein- 
tritt, auch  die  Blutzufuhr  zu  den  Venen 
geringer  ist,  im  Gebiet  der  Vena  cava  super, 
stärkerer  Zufluß  venösen  Blutes  stattfinden 
muß,  und  meint,  daß  dabei  eben  hauptsächlich 
das  Hirngefäßsystem  in  Betracht  kommt.  Die 
Versuche  Gerhardts  mit  der  Messung  des 
Liquordruckes  sind  nach  seiner  eigenen  An- 
nahme nicht  ganz  einwandsfrei.  Er  trepa- 
nierte die  Schädelkapsel,  spaltete  die  Dura 
and  führte  in  das  Trepanloch  eine  Kanüle 
ein,  die  er  mit  einem  Wassermanometer  oder 
mit  einer   Marey sehen   Kapsel   verband   oder 


mit  dem  Hürthleschen  Federmanometer.  Bei 
Injektion  der  Substanz,  die  den  Arteriendruck 
um  40  mm  Hg  hob,  stieg  der  Liquordruck 
nur  um  1 — 2  cm  Wasser.  Bayliss  und  Hill 
weisen  darauf  hin,  daß  diese  Methode  fehler- 
haft sei,  weil  das  sich  vordrängende  Hirn 
die  Knochenöffhung  verlege,  und  seien  deshalb 
diese  Resultate  zweifelhaft.  Einen  neuen 
Gesichtspunkt  in  dieser  Frage,  der  sehr  viel 
Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  eröffnen  in 
einer  größeren  Arbeit  über  „Hirnzirkulation 
und  Hirnödem"  IL  Teil  Biedl  und  Reiner. 
Sie  unterziehen  dort  zuerst  die  verschiedenen 
Methoden  der  Messung  der  Hirnzirkulation 
einer  kritischen  Betrachtung,  und  muß  ich, 
um  ihre  Resultate  besser  würdigen  zu  können, 
auch  hierauf  etwas  näher  eingehen.  Ihre 
Präzisierung  der  in  Betracht*  kommenden 
Fragen  hat  auch,  soweit  ich  es  übersehen 
kann,  in  den  neueren  Arbeiten  von  Wie- 
chowski  und  Jensen  etc.  bisher  keine 
Einschränkung  erfahren.  Die  direkte  In- 
spektion der  Gehirnfläche  nach  Trepanation 
wird  von  den  meisten  Autoren  verworfen,  und 
eben  deshalb  hat  auch  Gerhardt,  wie  er 
ausdrücklich  schreibt,  sie  nicht  mit  in  den 
Kreis  seiner  Versuche  gezogen,  während 
Spina,  wie  schon  ausgeführt,  seine  Schlüsse 
über  die  Wirkung  des  Nebennierenextraktes 
auf  das  Hirn  auf  diese  Untersuchungsmethode 
zurückführt.  Biedl  und  Reiner  heben  nun 
hervor,  daß,  wenn  auch  diese  Methode  allein 
nicht  ausschlaggebend  sei,  sie  doch  jedenfalls 
im  Verein  mit  anderen  Methoden,  auf  die 
ich  gleich  zurückkommen  werde, .  wertvolle 
Ergänzungen  und  Bestätigungen  bieten  wird. 
Den  Einwurf,  daß  durch  Freilegung  des 
Hirns  ein  Reiz  auf  die  oberflächlichen  Ge- 
fäße ausgeübt  werde,  so  daß  man  aus  Ver- 
änderungen derselben  nicht  auf  Veränderungen 
der  tiefen  Gefäße  schließen  könne,  sucht  er 
durch  Analogie  mit  den  Verhältnissen  des 
Augapfels  zu  entkräften.  Die  Hyperämie  der 
Conjunctiva  erkennt  man  ja  an  den  sicht- 
baren, also  erweiterten  und  vermehrten  Ge- 
fäßen derselben,  die  Hyperämie  der  Sklera 
sowie  der  tiefer  gelegenen  Teile  des  Corpus 
ciliare  insbesondere  an  einer  diffusen  rot- 
bläulichen Verfärbung  des  Gewebes.  Eben- 
dasselbe glaubt  er  bei  der  Beurteilung  der 
Gefäßfüllung  des  Gehirns  annehmen  zu  dürfen, 
da  außerdem  bei  dem  letzteren  noch  als  Folge 
der  geänderten  Blutfüllung  eine  entsprechende 
Variation  des  Volumens  stattfinde,  diffuse 
Rötung  mit  Vergrößerung  (Anschwellen),  Er- 
blassen mit  Verkleinerung  (Abschwellen)  ein- 
hergehe. Ein  zweiter  Einwurf  gegen  diese 
Methode  der  direkten  Inspektion  ist  der,  daß 
eine  vollständige  Änderung  der  hydrodyna- 
mischen Verhältnisse  der  Schädel  kapsei  statt* 

42* 


558 


Möller,  Wirkung  des  Nebennieren«xtrakte«  (Adrenalin). 


rTherapeutbchc 
L    MonAtahefte. 


finde.  Biedl  und  Reiner  wollen  diesen 
Einwurf  nicht  gelten  lassen.  Sie  behaupten, 
daß  durch  die  Trepanation  eben  nur  eine 
elastische  Stelle  im  Gehirn  mehr  geschaffen 
werde  zu  den  vielen,  die  beim  Erwachsenen 
für  den  Cerebrospinalraum  gegeben  seien. 
Sie  weisen  da  speziell  auf  die  Volumände- 
rungen hin,  die  beim  Hinauf-  und  Herunter- 
fluten der  Cerebrospinalflüssigkeit  stattfinden. 
Eröffnet  man  nämlich  beim  Kaninchen  die 
Membrana  atlantooccipitalis  posterior  in  der 
Bauchlage  des  Tieres,  so  daß  die  knöcherne 
Umrandung  der  Membran  ungefähr  horizontal 
liegt  und  auch  horizontal  liegen  bleibt,  wäh- 
rend man  den  Kopf  und  den  proximalen  Teil 
der  Halswirbelsäule  von  der  Unterlage  ab- 
hebt, so  tritt  beim  Heben  des  Kopfes,  selbst 
bloß  um  wenige  Zentimeter,  so  viel  Liquor 
zurück,  und  beim  Senken  wieder  so  viel  vor, 
daß  die  Aufnahmefähigkeit  des  Duralsackes 
des  Rückenmarks  für  vermehrte  Flüssigkeits- 
mengen geradezu  überraschend  erscheinen  muß. 
Die  elastischen  Verschlüsse  der  Schädelrück- 
gratshöhle vermögen  also,  wenn  sie  auf  ganz 
geringe  Druck erhöhungen  beansprucht  werden, 
Platz  zu  schaffen  für  relativ  große  Inhalts- 
vermehrungen. Sie  fügen  noch  hinzu,  daß 
auch  die  Duraeröffnung,  wenn  auch  etwas 
differente  Verhältnisse  eintreten,  doch  den 
gleichen  Bedingungen  unterworfen  sei.  Sie 
bringen  als  Beweis  ferner,  daß,  wenn  man 
nach  Donders  Beispiel  die  Trepanations- 
öffnung durch  ein  Glasfenster  wieder  luftdicht 
verschließe,  trotzdem  die  den  Puls  und  Atem- 
schwankungen entsprechenden  Veränderungen 
der  Gefäßweite  und  Pia  in  gleicher  Weise 
wahrgenommen  werden.  In  der  Tat  scheint 
diese  Beweisführung  allgemein  angenommen 
zu  sein,  denn  auch  Gottlieb  und  Magnus 
haben  bei  ihren  Arbeiten  über  den  Einfluß 
der  Digitaliskörper  auf  die  Hirnzirkulation 
sich  dieser  Methode  bedient,  und  auch  "Wie- 
chowski  und  neuerdings  Jensen  haben  in 
ihren  Arbeiten  über  Hirnzirkulation  und  Hirn- 
innervation  gegan  diese  Methode  keinen  Ein- 
wand erhoben.  Auch  die  Ansicht  Geigeis, 
der  ja  bekanntlich  in  seinen  Arbeiten  über 
Hirnzirkulation  den  Gedanken  vertritt,  daß 
das  Volumen  der  Hirngefäße  ein  konstantes 
sei,  weil  sie  von  der  inkompressiblen  Hirn- 
masse und  der  starren  Schädelkapsel  um- 
geben seien,  bietet  keinen  "Widerspruch  gegen 
die  Ausführungen  Biedl  und  Reiners.  Denn 
wie  Geigel  gegenüber  den  Angriffen  Hürth- 
les,  von  Bergmanns,  Jensens  neuerdings 
hervorhebt,  sind  seine  Sätze  von  der  Eudi- 
hämorrhisis  und  Hypodiämorrhisis  cerebri  nur 
ceteris  paribus,  d.  h.  bei  gleichbleibendem 
Blutdrucke  gemeint,  und  ferner  nur  für  ganz 
kurze  Zeit,  bis  eben  die  von  ihm  behauptete 


"Wirkung  der  Vasomotoren  durch  die  Volumen- 
schwankungen des  Liquor  cerebrospinalis  para- 
lysiert würden.  So  scheinen  die  Ergebnisse, 
die  man  mit  direkter  Inspektion  der  Hirn- 
oberfläche  erhalten   hat,   beweisend   zu    sein. 

Auch  die  schon  erwähnte  Methode  der 
Messung  des  Liquor  cerebrospinalis-Druckes, 
wie  sie  von  Gerhardt  benutzt  wurde,  ziehen 
Biedl  und  Reiner  mit  in  den  Kreis  ihrer 
Betrachtungen.  Sie  halten  aber  die  Modi- 
fikation für  angebracht,  daß  man  die  in  dem 
Subarachnoidealraum  angebrachte  Kanüle  mit 
einem  horizontal  gestellten  Glasrohr  verbindet, 
dessen  zweites  Ende  offen  ist.  Man  setzt 
dann  den  Liquor  von  vornherein  unter  einen 
stets  gleichbleibenden  Druck,  dessen  Höhe 
abhängig  ist  von  der  Entfernung  des  Glas- 
rohres von  der  mittleren  Höhe  des  Sub- 
arachnoidealraumes.  Die  Veränderungen  der 
Liquorstellungen  geben  dann  Veränderungen 
der  Inhaltsmasse  des  Schädelrückgratkanals 
an,  die  hervorgerufen  werden  erstens  durch 
Änderungen  des  Hirnvolumens  selbst,  durch 
Änderung  des  Blutreichtums,  zweitens  durch 
Änderung  und  Vermehrung  des  abgesonderten 
Liquor  cerebrospinalis.  Man  kann  dann  diese 
beiden  Faktoren  gesondert  zur  Erscheinung 
bringen,  da  ja  das  vermehrte  Volumen  nach 
der  Reizung  sich  wieder  rekonstruiert,  zurück- 
fließt, dagegen  der  frisch  abgesonderte  Liquor 
selbst  in  dem  Röhrchen  stehen  bleibt.  Es 
tritt  also  nur  ein  teilweises  Zurückgehen  der 
Liquorsäule  ein.  Die  Registrierung  des  Hirn- 
volumens allein  kann  durch  diese  Methode 
jedenfalls  nicht  stattfinden.  Sie  ist  daher 
allein,  wie  schon  ausgeführt,  nicht  beweisend. 

Ebenso  ist  die  Methode  der  direkten 
Plethysmographie  mittels  eines  Onkographen 
nach  Roy  und  Sherringtons  Beispiel  nicht 
beweisend,  wenn  man  die  Vermehrung  des 
Liquors  nicht  durch  Sorge  für  guten  Abfluß 
desselben  ausschaltet.  Doch  wollen  Gottlieb 
und  Magnus  mit  einer  Modifikation  der  Roy 
und  Sh erringt on8chen  Anordnung  recht  gute 
Resultate  erzielt  haben.  Die  direkte  Messung 
des  intrakraniellen  Liquordruckes  mit  dem 
Manometer,  wie  sie  ja  von  Gerhardt  aus- 
geführt wurde,  gibt  nach  Biedl  und  Reiner 
ähnlichen  Aufschluß  wie  die  Registrierung 
des  Volumens,  ist  aber,  wie  schon  erwähnt, 
ebenfalls  nicht  ganz  sicher.  Die  beiden 
wichtigsten  Methoden  zum  Studium  der 
Hirnzirkulation,  die  auch  in  den  letzten 
Arbeiten  über  dieses  Thema  zur  Verwendung 
gekommen  sind,  sind  die  Messung  der  Ge- 
schwindigkeit der  Blutströmung  durch  Zählen 
der  Ausflußmenge  aus  der  Vena  jugularis  und 
die  von  Hürthle  eingeführte  Messung  des 
Druckes  im  Circ.  arteriosus  Willisii.  Auf  eine 
genaue   Würdigung   speziell    dieser    letzteren 


XIX.  Jahrgang.! 
NoTWBbw  1»05.J 


II ölltr,  Wirkung  d«t  N«b«onl«r«nextrmktM  (Adrenalin). 


659 


Methode  einzugehen,  würde  wohl  zu  weit 
fuhren.  Ich  verweise  hier  auf  die  erwähnten 
Arbeiten  von  Wiechowski  und  Jensen. 
Ich  mochte  nur  kurz  das  Wesentlichste  der 
Versuchsanordnung  ausfuhren.  Es  wird,  be- 
sonders beim  Kaninchen,  in  die  Karotis  einer 
Seite  sowohl  herzwärts  zur  Registrierung  des 
Blutdrucks  in  der  Aorta  als  auch  kopfwärts, 
nach  Abbindung  aller  Aste  mit  Ausnahme 
der  Carotis  interna,  zur  Aufzeichnung  des 
Druckes  im  Circulus  arteriosus  Willisii  je 
ein  Manometer  eingeführt  und  das  Verhältnis 
des  Circulu8drueke8  p  zum  Aortendruck  c 
unter  verschiedenen  Bedingungen  gemessen. 
Der  Quotient  p/c  ist  nach  den  experimen- 
tellen und  theoretischen  Untersuchungen  von 
Hürthle  ein  Maß  für  die  Gesamtheit  der 
äußeren  Widerstände,  die  der  Blutstrom  in 
der  Strombahn  findet,  an  welcher  die  Mano- 
meter angebracht  sind.  Der  Druck  im  Cir- 
culus arteriosus  Willisii  p  ist  ja  die  Resul- 
tante zweier  Komponenten,  des  allgemeinen 
Blutdruckes  c  und  des  Widerstandes,  den 
das  Circulusblut  beim  Eintritt  in  die  Gefäße 
des  Schädelinnern  findet.  Also  p  =  cw. 
Der  Widerstand  im  Stromgebiet,  wie  oben 
gesagt,  also  w  =  p/c.  Da  dieser  Wider- 
stand w  der  vom  Circulus  arteriosus  Willisii 
abgehenden  Gefäße  und  deren  Verzweigungen 
umgekehrt  proportional  ist  ihrer  Weite,  so 
wird  sein  Wert  bei  jeder  Verengerung  jener 
Gefäße  eine  Zunahme,  bei  jeder  Erweiterung 
eine  Abnahme  erfahren. 

Die  verschiedenen  Einwände  und  Ein- 
schränkungen dieser  Methode  sind,  wie 
gesagt,  in  den  Arbeiten  von  Wiechowski 
und  Jensen  näher  erörtert.  Speziell 
hebt  Jensen  auch  hervor,  daß  auch  diese 
Methode  wieder  nur  in  Übereinstimmung 
mit  den  anderen  wirklich  ausschlaggebend 
sei,  und  so  haben  Biedl  und  Reiner  auch 
noch  die  Methode  des  Ausflusses  aus  der 
Hirnvene  in  ihren  Versuchen  mit  heran- 
gezogen, wie  ich  dieses  schon  von  Pick  und 
Spina  erwähnt  habe.  Diese  Methode  allein 
ist  auch  wieder  nicht  ausschlaggebend.  Es 
lassen  sich  nach  Biedl  und  Reiner  auch 
hier  allerlei  Einschränkungen  machen.  Der 
Gedankengang  dieser  Methode  ist  der,  daß 
durch  das  Anschneiden  der  Vena  jugularis 
das  reichlich  anastomosierende  Venennetz  des 
Hirnes  an  einer  Stelle  eröffnet  wird.  Es 
fließt  dann  ein  aliquoter  Teil  des  Blutstromes 
aus  dieser  Lücke  heraus,  und  dieser  Teil  wird 
ceteris  paribus  um  so  großer  sein,  je  großer 
die  Blutmenge  ist,  die  durch  das  Gehirn 
strömt,  um  so  kleiner,  je  geringer  die  Blut« 
menge  ist.  Man  mißt  die  Tropfenzahl,  die 
in  der  Zeiteinheit  ausfließt,  und  registriert  sie 
mittels  eines  besonderen  Apparates   auf  dem 


Kymographion.  Durch  die  Kombination  dieser 
verschiedenen  Methoden  kommen  nun  Biedl 
und  Reiner  zu  folgenden  Resultaten.  Sie 
stellen  zuerst  fest,  daß  spontane  Schwankungen 
der  Füllung  der  Hirngefäße  mechanisch  unab- 
hängig sind  von  den  meist  isochron  auf- 
tretenden, aber  in  ihren  Ausschlägen  sehr  oft 
direkt  entgegengesetzt  gerichteten  Schwan- 
kungen des  Aortendruckes,  und  schließen 
daraus  auf  eine  selbständige  nervöse  Funktion 
der  Hirngefäße.  Hierauf  näher  einzugehen, 
kann  ja  meine  Aufgabe  nicht  sein.  Dem- 
gegenüber stellen  sie  aber  fest,  analog  den 
Resultaten  Spinas,  Gerhardts  und  Picks, 
daß,  wenn  man  Nebennierenextrakt  dem 
Kreislauf  einverleibt  und  die  bekannte  blut- 
drucksteigernde Wirkung  hervorruft,  die  Hirn- 
gefäße sich  scheinbar  ganz  passiv  verhalten. 
Daraus  aber  zu  schließen,  daß  die  Hirngefäße 
dem  Nebennierenextrakt  gegenüber  sich  re- 
fraktär verhalten,  ist  falsch.  Sie  injizierten  das 
Extrakt  nämlich  nicht,  wie  gewöhnlich,  in 
die  Vena  jugularis,  sondern  peripherwärts  in 
die  Carotis  interna  des  Versuchstieres,  so  daß 
die  Substanz  zuerst  in  den  Hirnkreislauf  kam 
und  dort  seine  Wirkung  ausüben  konnte, 
bevor  es  in  den  allgemeinen  Kreislauf  ge- 
langte. Es  zeigten  sich  dann  folgende  drei 
Phasen  in  dem  Versuche: 

1.  Mechanisches  Ansteigen  im  Circulus- 
druck  (durch  die  Injektion)  bei  gleich- 
bleibendem Aortendruck  und  vermehrter 
Tropfenfolge. 

2.  Physiologischer  Anstieg  im  Circulus- 
druck  (durch  Adrenalin  Wirkung  im  Hirn) 
bei  gleichbleibendem  Aortendruck  und 
Verringerung  der  Tropfenfolge. 

3.  Physiologischer  Anstieg  im  Circulus- 
druck  bei  steigendem  Aortendruck  und 
Vermehrung  der  Tropfenfolge  (unmittel- 
bare Folge  der  Drucksteigerung  im 
großen  Kreislauf)  und  Nachlaß  der 
cerebralen  Vasokonstriktion. 

Das  Verhalten  des  Liquordruckes  war  in 
den  3  Phasen: 

1 .  Bei  mechanischem  Anstieg  des  Circulus- 
druckes  Anstieg  des  Liquordruckes. 

2.  Bei  physiologischem  Anstieg  infolge 
Vasokonstriktion  Verminderung  des- 
selben. 

.     3.    Bei    physiologischem    Anstieg    infolge 
gesteigerten    Aortendruckes    eine    Ver- 
mehrung des  Liquordruckes. 
In   Übereinstimmung   damit   waren    dann 

auch  die  durch  Beobachtung  des  freigelegten 

Hirnes  gewonnenen  Resultate: 

1.  Man  sieht  einen  Moment  die  Injektions- 
flüssigkeit durch  die  Piagefäße  hindurch- 
schießen. Die  Blutfüllung  taucht  wieder 
auf. 


560 


Möller,  Wirkung  d«t  MtbmolirtntxlriktM  (Adranalin). 


rherapentbrh« 
Monatsheft«. 


2.  Sofort  darauf  verschwinden  alle  feineren 
sichtbaren  Blutgefäßästchen  der  Pia, 
nur  die  gröberen  bleiben ,  in  ihrem 
Durchmesser  betrachtlich  verengt,  noch 
sichtbar.  Dabei  zieht  sich  die  Hirn- 
oberfläche als  ganzes  von  der  Trepan- 
öffnung  zurück  und  läßt  einen  kleinen 
Spalt  frei,  also  deutliche  Volumver- 
minderung. 

3.  Das  Gehirn  rötet  sich  -wieder,  wird 
stark  hyperämisch.  Hier  und  dort 
platzt  eines  der  kleinen  Gefäßchen. 
Der  der  Trepanöffnung  entsprechende 
Teil  des  Hirnes  wird  vorgetrieben  und 
lagert  sich  als  Prolaps  vor  (genau  wie 
in  den  Beobachtungen  Spinas). 

Aus  der  Zusammenstellung  dieser  Ver- 
such sresultate  schließen  Biedl  und  Reiner 
also:  Das  Nebennierenextrakt  bringt,  wenn 
es  den '  Hirngefäßen  direkt  zugeführt  wird, 
dieselben  zu  kräftiger  Kontraktion.  Geht  das 
Extrakt  aber  in  den  allgemeinen  Kreislauf 
über,  und  bringt  es  dort  durch  Vasokonstriktion 
allgemeine  Blutdrucksteigerung  hervor,  so 
wird  das  Blut  von  den  stärker  vasokonstrik- 
torisch  innervierten  Gefaßgebieten,  speziell 
dem  Splanchnicusgebiet,  in  das  nur  wenig 
motorisch  innervierte  Hirngefäßgebiet  getrieben 
und  bringt  dort  die  beobachtete  Gefäß- 
erweiterung hervor,  ob  mechanisch,  ob  auf 
reflektorischem  Wege,  ist  eine  zweite  Frage. 

Eine  Bestätigung  dieser  Versuche  von 
Biedl  und  Reiner  durch  Brodie  und 
Ferrier  wird  in  der  schon  erwähnten  Ab- 
handlung von  Brodie  und  Dixon  über  „The 
innervation  of  pulmonary  vessels"  II  ange- 
kündigt (siehe  auch  Prof.  Ferriers  Harveian 
Oration). 

Als  Stütze  für  die  ausgeführte  Erklärung 
der  Versuchsresultate  Biedl  und  Rein  er  s 
kann  man  die  bekannte  Wirkung  der  Er- 
stickung auf  die  vasomotorischen  Centra  an- 
fuhren, wie  sie  zuerst  von  Schul ler,  dann 
genauer  von  Knoll,  Gärtner  und  Wagner, 
Roy  und  Sherrington  und  Wertheimer 
studiert  wurde.  Auch  bei  der  Erstickung 
nimmt  der  Blutstrom  durch  das  Gehirn  zu, 
und  wird  das  Hirnvolumen  vergrößert.  So 
haben  auch  Gottlieb  und  Magnus  in  ihrer 
Arbeit  über  den  Einfluß  der  Digitaliskörper 
auf  die  Hirnzirkulation  den  Nachweis  geführt, 
daß  Strophanthin,  während  es  auf  das  Splanch- 
nicusgebiet stark  gefäßverengernd  wirkt,  im 
allgemeinen  die  Durchströmung  der  Hirn- 
gefäße vermehrt.  Es  tritt  deutliche  Rötung 
des  Hirns,  Vprwölbung,  Vermehrung  des  Aus- 
"flusses  aus  der  Vene  etc.  ein,  so  daß  auch 
'sie  annehmen,  daß  starke  Verengerung  der 
Unterleibsgefäße  (gleichgültig  ob  zentral  oder 
peripherisch,  bedingt  durch  mechanische  oder 


reflektorische  Einflüsse)  eine  Erweiterung  der 
Strombahn  im  Gehirn  zur  Folge  hat.  Jeden- 
falls übt  aber  das  Adrenalin  auf  die  Hirn- 
gefäße bei  direkter  Applikation  auch  seine 
gefäßverengernde  Wirkung  aus. 

Zugunsten  dieser  Annahme  spricht  auch 
eine  vor  kurzem  veröffentlichte  Beobachtung 
R.  H.  Kahns.  Schon  Gerhardt  führt  an, 
daß  die  Gefäße  der  Retina,  die  unter  anderen 
Umständen  ebenfalls,  z.  B.  bei  Erstickung, 
Reizung  des  verlängerten  Marks  etc.,  dasselbe 
Verhalten  zeigen  wie  die  Hirngefäße,  d.  i. 
Erweiterung,  auch  während  der  Nebennieren- 
extraktinjektion  deutliche  Vasodilatation  zei- 
gen. Die  Papille  wird  rosa.  Arterien  und 
Venen  erweitern  sich  ganz  eklatant.  Kahn 
beschreibt  nun,  wie  es  scheint  unabhängig 
von  Gerhardt,  dasselbe,  fügt  aber  hinzu,  daß, 
wenn  man  das  Adrenalin  in  die  Carotis  des 
Kaninchens  peripherwärts  injiziert,  kurz- 
dauernde aktive  Kontraktion  der  Netzhaut- 
arterien eintritt,  während  nachher  bei  Über- 
gang des  Adrenalins  in  den  allgemeinen 
Kreislauf  sehr  starke  Dilatation  sichtbar 
wird.  Kahn  nimmt  allerdings  an,  daß  diese 
Dilatation  befördert  wird  durch  die  nachher 
näher  zu  besprechende  Beeinflussung  der 
glatten  Muskulatur  der  Augen,  der  Orbita 
u.  s.  w.  Jedenfalls  kommt  auch  die  geringere 
vasomotorische  Innervation  der  Retinalgefäße 
mit  in  Betracht,  die  ebenso,  wie  die  Hirn- 
gefäße ja  auch  zum  Gebiet  der  Carotis  interna 
gehören.  Hängt  ja  auch  entwicklungsgesohicht- 
lich  die  Netzhaut  eng  mit  dem  Gehirn  zu- 
sammen. Wir  finden  also  zwischen  Retina 
und  Hirngefäßen  analoge  Verhältnisse. 

Fassen  -wir  nun  einmal  kurz  die  Resul- 
tate der  verschiedenen  Beobachtungen  über 
die  Gefäßverengerung  in  den  verschiedenen 
Gebieten  zusammen,  so  ergibt  sich  erstens, 
daß  das  vom  Splanchnicus  versorgte  Gebiet 
am  stärksten  kontrahiert  wird.  Über  die 
peripheren  Gefäßgebiete,  speziell  die  ober- 
flächlichen Gefäßgebiete  der  Haut  und  der 
Mundschleimhaut  etc.,  gehen  die  Ansichten 
etwas  auseinander,  die  Hirngefäße  zeigen  bei 
Einführung  in  den  allgemeinen  Kreislauf  Er- 
weiterung, sind  aber  nicht  unbeeinflußbar, 
denn  bei  direkter  Zuführung  in  die  Hirn- 
gefäße zeigen  sie  Verengerung;  die  Lungen- 
gefäße sind  dagegen  nicht  beeinflußbar.  Die 
Erklärung  dieser  Tatsache  ist,  glaube  ich, 
nicht  so  schwer,  wenn  wir  die  Lungengefaße 
als  überhaupt  unbeeinflußbar  ausnehmen,  wäh- 
rend alle  anderen  Gebiete  ja  bei  direkter 
Applikation,  worauf  ich  übrigens  gleich  noch 
näher  zurückkommen  werde,  stark  beeinfluß- 
bar sin d.  Ich  glaube,  ich  brauche  da  nur 
auf  die  schon  mehrfach  berührte  Analogie  mit 
Halsmarkreizung,    Reizung    durch    Asphyxie 


XIX.  Jahrgnng.1 
NoTember  190Ö.J 


Möller,  Wirkung  *••  M«benD!«r«o«ztr«kt«t  (Adrenalin). 


661 


und  Digitaliswirkung  etc.  hinzuweisen.  Hals- 
markreizung bringt  nach  Ludwig  und  Thiry 
vorzugsweise  die  Gefäße  der  Abdominalorgane 
zur  Eontraktion,  im  geringeren  Maße  die  der 
Haut,  wenig  und  gar  nicht  die  der  Muskeln ; 
die  letzteren  Gebiete  lassen  eine  Verengerung 
nur  in  den  feinsten  Zweigen,  die  ersteren 
auch  an  den  größeren  Stämmen  erkennen. 
Nach  Dastre  und  Morat  und  Wertheimer 
nehmen  auch  bei  Asphyxie  die  Haut-  und 
Muskelgefäße  mehr  Blut  auf,  während  das 
Splanchnicusgebiet  sich  verengert.  Ganz 
ebenso  verhält  sich  die  Blutverteilung  bei 
toxischer  Erregung  des  Gefäßnervenzentrums 
durch  Strychnin  (Gärtner  und  "Wagner, 
Roy  und  Sherrington,  Wertheimer).  Auch 
die  Wirkung  der  Korper  der  Digitalisgruppe, 
wie  sie,  wie  schon  erwähnt,  Gottlieb  und 
Magnus  genauer  dargestellt  haben,  ist  ganz 
analog.  Auch  hier  steht  die  Erweiterung  der 
Gefäße  in  der  Korperperipherie  in  scheinbarem 
Widerspruch  zu  den  Durchströmungsversuchen 
an  überlebenden  Extremitäten,  an  denen  man 
ganz  wie  an  inneren  Organen  Gefäßverengerung 
konstatiert  hat.  Hier  haben  sie  sicher  nach- 
gewiesen, daß,  wenn  das  Splanchnicusgebiet 
durch  Unterbindung  aller  zu-  und  abführenden 
Gefäße  von  der  Zirkulation  ausgeschlossen 
wird,  nach  Strophanthininjektion  in  der  Peri- 
pherie starke  Gefaßverengerung  eintritt.  Sie 
schließen  daraus  wenigstens  teilweise  auf  eine 
passive  Erweiterung  der  Gefäße  der  Peripherie 
durch  die  starke  Kontraktion  der  Bauchgefäße. 
Aber  auch  eine  reflektorische  Beeinflussung 
der  Gefäßperipherie  auf  dem  Wege  der  Nerven- 
bahnen glauben  sie  annehmen  zu  dürfen. 
Denn  wenn  sie  den  Blutkreislauf  einer  Ex- 
tremität vollständig  mit  einem  Durchblutungs- 
apparat nach  Brodie  isolierten,  §o  daß  nur 
Nervenverbindung  mit  dem  übrigen  Körper 
bestehen  blieb,  so  trat  bei  Injektion  von 
Strophanthin  in  den  Körperkreislauf  aktive 
Yasodilatation  auf,  die  nur  auf  reflektorischem 
Wege  zu  erklären  ist.  Demgegenüber  möchte 
ich  nur  hervorheben,  daß  bei  Adrenalin- 
injektion die  Dilatation  in  der  Körperperi- 
pherie von  keinem  Autor  so  stark  beobachtet 
wurde  wie  hier  in  den  Strophanthin  versuchen. 
Im  Gegenteil  wurde  ja  von  dem  größeren 
Teil  der  Autoren  eine  mäßige  Verengerung 
der  Gefäße  der  Peripherie  bemerkt.  Doch 
mag  dieses  wohl  auf  eine  stärker  gefäßkontra- 
hierende Wirkung  des  Nebennieren extraktes 
zurückzuführen  sein,  so  wie  ja  Gottlieb  und 
Magnus  bei  dem  stark  wirkenden  Digitoxin 
fast  immer  eine  mehr  oder  minder  stark 
verengernde  Wirkung  auf  die  Gefäße  der 
Peripherie  festgestellt  haben.  Es  bliebe  dann 
nur  noch  das  eine  zu  beantworten,  warum 
<las  Digitoxin  auf  die  Hirngefäße  bis  auf  eine 


Ausnahme  immer  etwas  gefaßkontrahierend 
wirkte,  während  das  doch  wahrscheinlich 
ebenso  wirksame  Adrenalin  immer  nur  dila- 

tierend    wirkte.  / Fortsetzung  folgt.] 


Theorie  und  Praxis  in  der  Gicht- 
therapie. 

Von 

Dr.  Alfred  Zucker. 

Die  Nummer  des  „Lancet"  vom  1.  Juli 
1905  enthielt  einen  interessanten  Artikel: 
„  Harnsäure.  Eine  rationelle  Methode  zu 
ihrer  Ausscheidung  im  Lichte  neuer  For- 
schung" aus  der  Feder  des  bekannten  eng- 
lischen Arztes  Robert  Fenner,  welcher  in 
England,  der  Hochburg  der  Gicht,  Aufsehen 
erregte,  und  dessen  Inhalt  auch  dem  deutschen 
Arzte  von  Interesse  sein  dürfte. 

Minkowski  hat  in  seinem  vor  mehreren 
Jahren  erschienenen  hervorragenden  Werke 
„Die  Gicht"  zuerst  die  Frage  aufgeworfen, 
ob  es  nicht  möglich  wäre,  die  Spaltungs- 
produkte der  Nukleinsäure  therapeutisch  bei 
der  Gicht  zu  verwerten,  nachdem  derselbe 
Forscher  konstatiert  hatte,  daß  unter  gewissen 
Versuchsbedingungen  die  Harnsäure  mit  der 
Nukleotinphosphorsäure  (Thyminsäure)  eine 
Verbindung  einzugehen  vermag,  in  welcher 
sie  durch  die  gebräuchlichen  Reagentien  nicht 
mehr  gefällt  werden  kann  und  selbst  bei 
saurer  Reaktion  gelöst  bleibt. 

Minkowski  schreibt:  „Nach  allem  möchte 
ich  es  nicht  für  unwahrscheinlich  halten,  daß 
wie  die  übrigen  Purinverbindungen  so  auch 
die  Harnsäure  im  Blute  und  in  den  Geweb- 
säften zunächst  als  Nukleinsäureverbindung 
auftritt,  und  daß  durch  diese  Paarung  mit 
dem  Nukleinsäurerest  nicht  nur  der  Übergang 
der  Purinbasen  in  Harnsäure,  sondern  auch 
die  Lösung  und  der  Transport  sowie  das 
weitere  Schicksal  der  Harnsäure  im  Organismus 
geregelt  wird.  Wenn  dies  auch  vorläufig  nur 
noch  eine  Hypothese  ist,  so  scheint  mir  diese 
bei  dem  heutigen  Standpunkt  unseres  Wissens 
doch  zum  mindesten  nicht  schlechter  begründet 
als  alle  bisherigen  und  jedenfalls  eher  ge- 
eignet für  das  pathologische  Verhalten  der 
Harnsäure  bei  der  Gicht  einen  Zusammen- 
hang mit  irgendwelchen  abnormen  Stoff- 
wechselvorgängen an  den 'Zellkernsubstanzen 
dem  Verständnis  näher  zu  rücken. tt 

Leider  stellten  sich  der  Darstellung  der 
Nukleotinphosphorsäure  (Thyminsäure)  im 
Fabrikbetriebe  erhebliche  Schwierigkeiten  ent- 
gegen und  erst  in  neuester  Zeit  gelang  es, 
ein  ziemlich  reines  purinbasenarmes  Präparat 
herzustellen,  das  unter  dem  Namen  „Solurol" 


562 


Zucker,  Theorie  und  Praxis  In  der  Gichttherapie. 


fTher»] 
L   Moni 


pentlaene 
Monatshefte. 


von  der  Fabrik  Max  Elb,  G.  m.  b.  H.,  Dresden 
in  den  Handel  gebracht  wird.  Fenners 
klinische  Versuche  mit  diesem  Präparat  haben 
die  Theorie  von  Minkowski  auf  das  glän- 
zendste bestätigt,  und  die  erzielten  Erfolge 
eröffnen  der  Gichttherapie  ein  dankbares  Feld. 
Fenner  führt  im  „Lancet"  folgendes  aus: 

Die  Therapie  der  Gicht  bestand  bisher  in 
der  Verhütung  der  Anhäufung  von  Harnsäure- 
salzen im  Blutsystem  und  der  Begünstigung 
ihrer  Ausscheidung  aus  dem  Körper.  Es  ist 
bisher  aber  kein  Versuch  gemacht  worden, 
die  Harnsäure  per  se  zu  behandeln  oder  die 
Bildung  ihrer  Salze  zu  verhindern.  Eine 
große  Anzahl  der  Mittel  war  und  ist  noch 
im  Gebrauch,  um  das  Blutsystem  von  der 
Gegenwart  der  Harnsäure  zu  befreien.  Es  ist 
gerade  wie  mit  dem  Brunnen,  den  man  zu- 
deckt, nachdem  das  Kind  hineingefallen  ist. 
Auf  Basis  der  neuesten  Forschungen  von 
Minkowski,  Kossei,  Schmoll  etc.  hoffe 
ich  zu  beweisen,  daß  es  in  der  Tat  eine  Sub- 
stanz gibt,  welche  die  Harnsäure  in  Lösung 
hält  und  ihre  Abscheidung  in  den  Geweben 
in  Form  von  Salzen  verhindert.  Gicht  ist 
bisher  allgemein  für  eine  akute  Arthritis  ge- 
halten worden,  welche  von  einem  Niederschlag 
kristallinischer,  harnsaurer  Salze  in  den 
kranken  Gelenken  sowie  von  der  Zirkulation 
eines  Überschusses  dieser  Salze  im  Blute 
begleitet  war.  Nach  der  gewöhnlich  ange- 
nommenen Theorie  ist  das  Übermaß  von 
Harnsäure  im  Blute  entweder  a)  durch  ver- 
mehrte Produktion  oder  b)  durch  verminderte 
Ausscheidung  durch  die  Nieren  verschuldet. 
Garrod  bekannte  sich  zur  zweiten  Ansicht. 
Roberts1)  dagegen  war  der  Meinung,  daß 
die  Harnsäuresalze  als  Quadriurate  im  Blute 
vorkommen,  und  daß,  wenn  dieselben  im 
Übermaß  vorhanden  sind  und  nicht  rasch 
ausgeschieden  werden,  sich  Biurate  bilden. 
Aber  Fischer  bewies  bündig,  daß  diese 
Qnadriurate  eine  Mischung  von  Harnsäure- 
salzen und  Harnsäure  im  freien  Zustand  sind. 
Murchison9)  glaubte,  daß  eine  übermäßige 
Bildung  von  Harnsäure  durch  mangelhafte 
Oxydation  bei  der  Verdauung  entstehe,  woran 
Funktionsstörungen  der  Leber  schuldig  seien, 
und  betrachtet  deshalb  Harnsäure  als  ein 
Zwischenprodukt  der  Oxydation  von  Albu- 
minen. 

Bevor  wir  die  Rolle  betrachten,  welche 
Harnsäure  in  der  Entstehung  der  Gicht  spielt, 
ist  es  wichtig,  ihre  Beziehungen,  die  Ernäh- 
rung betreffend,  zu  besprechen.  Harnsäure 
erfordert  zur  Lösung  ca.  16  000  Teile  kalten 
Wassers.  Es  ist  daher  unmöglich,  daß  Harn- 
säure im  Blute  als  eine  Säure  zirkuliert, 
wenn  sie  nicht  mit  einer  anderen  Substanz 
verbunden  ist,  welche  sie  leicht  löslich  macht. 


Die  Harnsäure  ist  zweibasisch  und  hat  die 
Formel: 

C5H4N40,. 

Sie  bildet  zwei  Klassen  von  Salzen, 
welche  fast  gleich  schwer  löslich  sind;  es 
sind  dies  die  Urate  und  die  Biurate; 

1.  normale  Salze  =  2  Atome  von  H  er- 
setzt durch  2  von  Na  =  C5H3Na,N408 
=  Urate, 

2.  saure  Salze  =  1  Atom  von  H  ersetzt 
durch  1  Atom  von  Na  =  CjHjNaN^O, 
=  Biurate. 

Es  ist  erwiesen,  daß  Harnsäure  nicht  in 
den  Nieren  gebildet  wird.  Wenn  letztere 
herausgeschnitten  werden,  so  hört  die  Bildung 
der  Harnsäure  nicht  auf,  und  sie  wird  in  den 
Organen,  besonders  in  der  Leber  und  in  der 
Milz,  weiter  angehäuft.  Bei  Vögeln,  welchen 
die  Leber  herausgenommen  ist,  wird  Harn- 
säure nur  schwerlich  gefunden.  Ihr  Platz 
ist  eingenommen  durch  fleischmilchsaures 
Ammon.  Daher  können  wir  annehmen,  daß 
Harnsäure  synthetisch  in  diesem  System  ge- 
bildet wird,  wovon,  das  ist  ein  wichtiger 
Punkt,  mit  welchem  ich  mich  später  befassen 
werde.  Die  Bedingungen,  welche  zu  einer 
vermehrten  Ausscheidung  von  Harnsäure  im 
Urin  führen,  sind: 

1.  eine  Vermehrung  des  Fleischgenusses 
und  eine  Verschlechterung  der  Oxy- 
dation im  Körper,  welche  durch  sitzende 
Lebensweise  verursacht  sein  kann, 

2.  eine  Vermehrung  der  weißen  Blut- 
körperchen. Die  Leukozyte  enthalten 
große  Quantitäten  von  Nukleinen  und 
aus  letzteren  entstehen  die  Xanthin- 
basen,  mit  denen  Harnsäure  in  enger 
Beziehung  steht. 

Harnsäure  ist  lange  Zeit  für  das  Produkt 
einer  unvollkommenen  Oxydation  von  Albumin 
gehalten  worden.  Im  Gegensatz  zu  Garrod 
nahm  Bouchard3)  an,  daß  ihre  Vermehrung 
im  Serum  und  im  Urin  durch  eine  mangel- 
hafte Oxydation  verschuldet  wird,  und  dies 
war  ungefähr  die  Krankheitslehre  der  Gicht. 
Sorgfältige  chemische  Forschungen,  wie  die 
glänzenden  Entdeckungen  von  Fischer4)  be- 
züglich des  Zusammenhangs  von  Harnsäure 
mit  den  Bestandteilen  der  Xanthinbasen  und 
die  Resultate  der  physiologischen  Forschungen 
von  Kossei5)  trugen  wesentlich  zur  Erkenntnis 
des  Ursprungs  der  Harnsäure  im  Organismus 
bei.     Es  gibt  drei  Klassen  von  Proteiden: 

1.  das  Albumin,  das  Protoplasma  der 
lebenden  Zelle,  welches  keinen  Phos- 
phor enthält, 

2.  die  Paranukleine.  Die  Eigenschaften 
derselben  sind  denen  der  albuminoiden 
Körper   ähnlich,    nur  mit  dem   Unter- 


XIX.  Jahrgang.! 
NoTembw  1905.J 


Zuektr,  Thtorte  un4  Praxis  In  der  Glcbttbaript«. 


563 


schiede,  daß  sie  einen  geringen  Prozent- 
satz von  Phosphor  enthalten.  Sie  sind 
vertreten  im  Eigelb  und  im  Kasein  der 
Milch, 
3.  die  Nukleine,  welche  das  Knochen- 
gehäuse der  Zelle  bilden  und  Phosphor 
in  ziemlicher  Menge  enthalten. 

Bei  Spaltung  der  Nukleine   erhalten   wir 
nach  Schmoll: 

a)  Albumin  (wie  im  Protoplasma)  und 

b)  die  Gruppe  der  Nukleinsäure. 

Auf  diese  Weise: 

Nukleine 

/  \ 

Albumin  Nukleinsäure 

/  \ 

Thyminsäure  Xanthinbasen 

oder  Porinbaseu 

Harnsäure 
Die  Nukleine  geben  bei  der  Verdauung 
einfaches  Albumin  und  Nukleinsäure.  Die 
Nukleinsäure  gibt  Thymin  säure  und  die 
Xanthinbasen.  Fischer  hat  die  chemische 
Zusammensetzung  der  Harnsäure  und  der 
Xanthinbasen  eingehend  untersucht  und  kam 
zu  dem  Resultate,  sie  als  Abkömmlinge  des 
Purins  zu  betrachten.  Er  nannte  sie  Purin- 
körper.  Der  einfachste  Vertreter  der  Purin- 
körper  ist  das  Hypoxanthin,  welches  in  seinem 
Molekül  ein  Atom  Sauerstoff  enthält.  Wenn 
man  das  Hypoxanthin  oxydiert,  so  erhält 
man  das  Xanthin  und  bei  der  Oxydation  des 
Xanthins  erhalten  wir  Harnsäure.  Wenn  wir 
nun  die  Amidogruppe  in  das  Purin  einführen, 
so  erhalten  wir  Adenin  und  bei  der  Oxy- 
dation des  letzteren  Guanin.  Man  kann  also 
von  den  Purinbasen  ausgehen  und  durch 
einfache  chemische  Operation  Harnsäure  be- 
kommen. Die  Purinkörper  werden  überall 
im  Organismus  gefunden,  wo  Nukleine  vor- 
handen sind.  Die  Xanthinbasen,  die  im 
menschlichen  Körper  gefunden  werden,  sind 
hauptsächlich  Adenin  und  Guanin.  Die  Basen 
können  mit  Thyminsäure,  um  Nukleinsäure 
zu  bilden,  nach  folgendem  Schema: 

Nukleinsäure  =  Adenin  -f-  Guanin 
-4-  Thyminsäure 
verbunden  werden.  Wenn  wir  nun  daran 
denken,  daß  Nukleinsäure  durch  Spaltung 
schließlich  Harnsäure  und  Thyminsäure  er- 
gibt, und  wenn  wir  diese  Theorie  auf  die 
Gegenwart  von  Thyminsäure  bei  der  inner- 
organischen Bildung  von  Harnsäure  gründen, 
so  kommen  wir  zu  der  von  Minkowski  und 
Kossei  aufgestellten  Hypothese,  daß  Thymin- 
säure diejenige  Substanz  ist,  welche  in  Ver- 
bindung mit  Harnsäure  letztere  löslich  macht 
und  ein  Produkt  bildet,  in  welchem  sich  die 
Harnsäure     weder     durch     Essigsäure     noch 

Th.  M.  19C5. 


ammoniakali8che  Silberlösung  niederschlagen 
läßt.  In  der  Tat  kann  Harnsäure  in  Ver- 
bindung mit  Thyminsäure  nicht  leicht  isoliert 
werden,  es  sei  denn  durch  sehr  langes  Kochen. 
Auf  Grund*  dieser  Vorgänge  bekommen  wir 
nunmehr  eine  ganz  exakte  Anschauung  über 
die  Tätigkeit  der  Harnsäure  im  menschlichen 
Körper.  Sobald  die  Harnsäure  gebildet  ist, 
verbindet  sie  sich  mit  der  Thyminsäure.  In 
dieser  Verbindung  zirkuliert  sie  im  Blut  und 
verhindert  die  Entdeckung  ihrer  Gegenwart 
im  Blutserum.  Sie  wird  durch  die  Nieren 
ausgeschieden,  zum  Teil  in  der  genannten 
Verbindung,  zum  Teil  auch  nach  Auflösung 
dieser  Verbindung.  Die  Gegenwart  von 
Thyminsäure  im  gesunden  Körper  erklärt 
also,  warum  die  Harnsäure  im  Urin  durch 
Säuren  nicht  gänzlich  niedergeschlagen  werden 
kann.  Weintraud6)  hat  den  Konnex  zwischen 
Nukl einen  und  Harnsäure  nachgewiesen,  in- 
dem er  zeigte,  daß  nach  der  Fütterung  mit 
Kalbsthymus,  welcher  sehr  reich  an  Nukleinen 
ist,  die  Ausscheidung  der  Harnsäure  von  lj.3  g 
auf  1,8  und  2  g  in  24  Stunden  stieg.  Heß 
und  Schmoll7)  haben  ferner  bewiesen,  daß 
die  Nukleine  als  alleiniges  Ausgangsmaterial 
der  Harnsäure  anzusehen  sind.  Es  zeigte 
sich,  daß  bei  einer  gesunden  Person  mit 
regelmäßiger  Diät  der  einzige  Weg,  bei 
welchem  die  Ausscheidung  von  Harnsäure 
im  normalen  Prozentsatz  beeinflußt  werden 
konnte,  der  war,  daß  Nährmittel  gegeben 
wurden,  die  Purinbasen  enthielten.  Die 
Eingabe  von  Albuminen  dagegen  bewirkte 
keine  Änderung  im  ausgeschiedenen  Quantum. 
Es  ist  ferner  nachgewiesen  worden,  daß  im 
gesunden  physiologischen  Zustande  Harnsäure 
nicht  im  Blutserum  gefunden  wird.  Sie  ist 
ferner  nicht  in  den  Nieren  gebildet  und  wird 
vor  ihrer  Ausscheidung  im  Blutserum  weiter- 
getragen. Alle  Vermutungen  waren  daher 
unrichtig,  bevor  man  nicht  die  Harnsäure 
in  Kombination  mit  der  Thyminsäure  ent- 
deckt hatte.  Es  ist  heute  wohl  ganz  zweifellos, 
daß  die  Harnsäure  nur  in  dieser  Form  im 
Blute  vorhanden  ist.  Die  Gegenwart  von 
Harnsäure  im  gichtischen  Fluidum  und  in 
den  Geweben  muß  deshalb  durch  die  Ab- 
wesenheit eines  äquivalenten  Teiles  der 
Thyminsäure  erklärt  werden,  welche  sich 
mit  der  Harnsäure  verbindet  und  sie  in 
Losung  hält.  Im  normalen  Stadium  wird 
Harnsäure  durch  Oxydation  der  Purinbasen 
erzeugt.  Im  gichtischen  Stadium  aber  findet 
die  Verbindung  mit  Thyminsäure  nicht  statt. 
Wenn  man  nun  Gichtikern  Thyminsäure  ein- 
gibt, so  verbindet  sich  die  Harnsäure,  wie 
Schmoll8)  experimentell  nachgewiesen  hat, 
mit  der  Thyminsäure.  Es  ist  wahrscheinlich, 
daß   bei    der   Gicht   Harnsäure    aus    anderen 

43 


564 


Zuckar,  TbaorU  und  Praxis  in  d«r  Glcbtth«rapie. 


j~  Therapeutische 
L    Monatshefte. 


Stoffen  gebildet  wird  und  nicht  aus  den 
Nukleinen,  wobei  Thyminsäure  nicht  zu 
gleicher  Zeit  hergestellt  wird.  Minkowski 
hat  die  synthetische  Bildung  der  Harn- 
säure bei  den  Vögeln  und  Wiener  hat  sie 
auch  an  anderen  Tieren  und  am  Menschen 
festgestellt.  Wir  können  die  Krankheitslehre 
der  Gicht  nunmehr,  wie  folgt,   aufbauen : 

Harnsäure  wird  im  gichtischen  Organismus 
synthetisch  gebildet,  während  sie  im  nor- 
malen Stadium  durch  Oxydation  gebildet 
wird.  Im  letzteren  Falle  verbindet  sich 
Thyminsäure,  welche  immer  vorhanden  ist, 
mit  Harnsäure  und  in  dieser  Verbindung 
zirkuliert  die  Harnsäure  im  Blute.  Die  Ab- 
wesenheit der  Thyminsäure  bei  der  Gicht 
erklärt,  warum  die  Harnsäure  in  den  Gelenken 
niedergeschlagen  wird.  Schmoll  hat  eine 
Reihe  von  Versuchen  gemacht  und  dabei  den 
ausgesprochenen  Einfluß  der  Thyminsäure  auf 
die  Ausscheidung  von  Harnsäure  bei  der 
Gicht  bewiesen.  Sie  war  in  jedem  Falle 
bis  auf  25  —  50  Proz.  vermehrt.  Dagegen 
hat  eine  andere  Serie  von  Versuchen  an  dem 
normalen,  gesunden  Menschen  gezeigt,  daß 
die  Eingabe  von  Thyminsäure  ohne  Ein- 
fluß auf  die  Ausscheidung  der  Harnsäure 
war. 

Welches  sind  nun  die  Eigenschaften  der 
Substanz,  welche  Harnsäure  so  an  sich 
kettet,  daß  sie  uns  in  gesundem  Zustande 
nicht  nachweisbar  begegnet  und  in  den  Ge- 
weben oder  Gelenken  nicht  niedergeschlagen 
wird?  Eine  Verbindung  so  fester  Art,  daß 
Harnsäure  nicht  einmal  im  Blute  entdeckt 
werden  kann!  Ich  habe  es  vorgezogen,  diese 
Substanz  Thyminsäure  zu  nennen  und  nicht 
thymische  Säure,  wie  Schmoll  es  getan  hat, 
weil  dies  leicht  Verwechslungen  mit  den 
Produkten  aus  der  Pflanze  Thymian  hervor- 
rufen könnte.  Auch  den  Ausdruck  Nukleotin- 
phosphorsäure ,  wie  es  Minkowski  und 
Walker  Hall  gemacht  haben,  finde  ich  nicht 
geeignet.  Walker  Hall  sagt  in  seinem 
wertvollen  Buche  über  Purinkörper  Seite  139: 
„Ein  interessanter  Ausblick  ist  die  Tätigkeit 
einiger  Körper,  welche  den  Niederschlag  von 
Harnsäure  und  Xanthinbasen  verhindern  oder 
vorbeugen.  Minkowski  fiel  seit  einiger  Zeit 
diese  Eigenschaft  der  Nukleotinphosphorsaure 
auf,  und  er  hat  diese  Substanz  Patienten  ein- 
gegeben, hoffend,  die  Festhaltung  der  zirku- 
lierenden Purine  in  Lösung  zu  bewirken.  Zur- 
zeit ist  diese  Nukleotinphosphorsaure  nicht 
leicht  erhältlich,  deshalb  sind  nur  wenige 
Resultate  über  die  Wirkung  derselben  be- 
kannt." 

Thyminsäure  ist  ein  amorphes  Pulver  von 
braungelber  Farbe,  löslich  in  kaltem  Wasser, 
leicht  schmelzend,  schwach  sauer   und  ziem- 


lich   geschmacklos.       Minkowski     gibt    ihr 
folgende  Formel: 

CMH46N40!5.2P,05. 

Kossei  diese: 

CHnNgP.O,,. 

Sie  besitzt  die  sehr  wichtige  Eigenschaft, 
ihr  eigenes  Gewicht  Harnsäure  bei  einer 
Temperatur  von  20°  C.  in  Lösung  zu  halten. 
Dieses  Lösungs vermögen  wird  aber  noch  um 
50  Proz.  erhöht  bei  einer  Bluttemperatur 
von  37°.  Man  kann  sich  hiervon  leicht  über- 
zeugen. Eine  schwach  alkalische  Lösung  von 
Harnsäure  wird  in  einem  Reagenzglas  vor- 
bereitet, wobei  dafür  zu  sorgen  ist,  daß  man 
nur  ein  kleines  Quantum  Harnsäure  verwendet, 
ca*  Vö  gram  oder  noch  weniger.  In  einem 
anderen  Reagenzglas  wird  eine  Lösung  von 
etwas  mehr  Thyminsäure  in  Wasser  her- 
gestellt. Die  Hälfte  des  Inhalts  beider  Reagenz- 
zylinder gießt  man  in  ein  drittes  Glas  und 
schüttelt  um.  Säuert  man  diese  Mischung 
stark  an,  so  wird  man  finden,  daß  die  Harn- 
säure in  Lösung  bleibt  und  nicht  gefällt  wird. 
Wenn  man  nun  das  Glas,  welches  die  übrig- 
gebliebene Hälfte  der  Harnsäurelösung  ent- 
hält, mit  Wasser  auffüllt  und  ansäuert,  so 
wird  hier  die  Harnsäure  entweder  als 
amorpher  Niederschlag  sich  ausscheiden,  oder, 
wenn  die  Lösung  schwach  ist,  werden  sich 
Kristalle  von  Harnsäure  bilden.  Nach  Kos  sei, 
Goto9)  und  anderen  wird  die  Lösungsfahig- 
keit  der  Thyminsäure  erhöht,  wenn  ein  ge- 
ringes Quantum  Nukleinsäure  noch  vorhanden 
ist.  Die  Thyminsäure  kann  innerlich  als  ein 
Pulver,  ferner  in  Lösung  oder  in  Form  von 
Tabletten  gegeben  werden.  Ihre  Anwendung 
hat  nach  meinen  Erfahrungen  keine  unan- 
genehmen Nebensymptome  gezeigt.  Sie  wird 
am  besten  mit  oder  unmittelbar  nach  der 
Mahlzeit  gegeben  in  Dosen  von  4 — 7  grains 
(0,25 — 0,45  Gramm).  Ich  verordne  gewöhnlich 
Dosen  von  4 — 8  Grains  (0,25 — 0,5  Gramm), 
und  zwar  in  Tablettenform  nach  der  Mahl- 
zeit. Während  dieser  Behandlung  habe  ich 
kein  anderes  Mittel  angewandt  und  fast  aus- 
schließlich befriedigende  Resultate  erzielt. 
In  4  akuten  Fällen  hob  die  Behandlung  die 
Entzündung  auf  und  führte  rasch  zur  Ge- 
nesung. In  chronischen  Fällen  hat  längere 
Eingabe  des  Mittels  zu  einer  bemerkbaren 
Besserung  in  fast  jedem  Falle  geführt.  Nach- 
folgende Beispiele  sind  aufs  Geratewohl  aus 
meiner  eigenen  Praxis  und  aus  jener  der 
Herren  Dr.  Butler  Harris,  Dr.  Abbot 
Anderson  und  Dr.  E.  F.  Cronin,  denen 
ich  •  für  gütige  Übersendung  der  Tabellen 
ihrer  Fälle  verpflichtet  bin,  herausgegriffen 
worden. 


XIX.  Jahrgang.1 
November  1906.J 


Zucktr,  Theorie  und  Praxis  in  der  Gichttherapie. 


565 


Tafel  I  —  Fälle  von  akuter  Qicht. 


Vorhergang 


Status  bei  der 
Aufnahme 


Dosis 


Bemerkungen 


M 


M 


46 


42 


45 


55 


M 


68 


65 


Hat  wiederholte  Anfalle 
von  akuter  Gicht  in  den 
Füßen  und  Knien  gehabt 
während  der  letzten  3  J. 

Hat  2   oder  3   frühere 
Anfalle  gehabt.  - 


Akute  Gicht  im  rechten 
Knie. 


Hat     an     mannigfachen 

Anfallen  von  akuter 
Gicht  in  Zwischenräumen 

während  der  letzten 

6  Jahre   gelitten.     Hat 

Spuren  von  Albumin  und 

ziemlich  viel  Zucker  im 

Urin. 


Hat  jahrelang  Gicht  ge- 
habt, hat  schwere  Anfälle 
von  Arthritis  gehabt,  ge- 
wöhnliche Dauer  der  An- 
fälle 3  —  4  Wochen. 

Hat  verschiedene  An- 
fälle von  Gicht  in  den 
letzten  4  Jahren  gehabt, 
gewöhnliche  Dauer  meh- 
rere Wochen. 


Die  rechten  Gelenke 
geschwollen,  entzün- 
det und  schmerzhaft. 


Die   linken  Gelenke 
gleichzeitig  ange- 
griffen. 


Schmerzhafte,  ent- 
zündete   Schwellung 
des  Knies. 


Akute  Dyspepsie  mit 
Erbrechen  und  gich- 
tische Pharyngitis, 


Akute  Arthritis   des 
linken  Knies. 


Schwerer   Anfall  im 

linken  Fuß  und 

Knöchel. 


4    Grains    3  mal 
täglich. 


5    Grains    3  mal 
täglich. 


4  Grains  alle 
4  Stunden. 


do. 


54  Hatte  wiederholte  An- 
fälle von  Gelenkgicht, 
10 — 15  Tage    dauernd. 


Akute  Arthritis    des 
linken  Fußgelenks. 


4  Grains  alle 
4    Stunden    vom 
2.  Tage  des  An- 
falls. 


4    Grains    3  mal 

täglich,  Beginn 

am  3.  Tage   des 

Anfalls. 


4    Grains   3  mal 
täglich. 


Kuriert  in  5  Tagen, 
frühere  Anfälle  dauerten 
gewöhnlich   3    Wochen. 


Vollkommen  wohl  in 
4  Tagen,  frühere  Anfälle 
haben   7  —  10  Tage   ge- 
dauert. 

Das  Knie  war  in  5  Tagen 
gesund,  und  die  Pharyn- 
gitis   verlief   ruhig    bei 
dieser  Behandlung. 

Die  akuten  Symptome 
waren  in  5  Tagen  ver- 
schwunden, am  9t  Tage 
der  Zucker  verringert  von 
3,13  Grains  per  Unze  auf 
1,36  Grains  per  Unze.  Hat 
keinen  weiteren  Anfall 
gehabt,  seit  er  4  Grains 
Thyminsäure  2  mal  tag), 
nimmt,  der  Zucker  ist 
tatsächl.    verschwunden. 

Kuriert.  Entzündung  ver- 
schwand   in    4    Tagen. 


Kuriert  am  11.  Tage  des 
Anfalls.  Der  Patient 
hörte  mit  Thyminsäure 
auf  und  hatte  2  Monate 
später  einen  anderen  An- 
fall, welcher  ebenso 
schnell  wieder  kuriert 
war. 

Kuriert  in  4  Tagen. 


Tafel  II  —  Fälle  von  chronischer  Qicht. 


1 

1 

i 

s 

< 

Vorhergang 

Dosis 

Bemerkungen 

1 

2 

F 
M 

70 
37 

Hat  viele  Jahre  an  gichti- 
scher Arthritis  der  Finger- 
gelenke und  Knie  gelitten 
und   zuletzt  an  hartnäcki- 
gem Ekzem  der  Hände. 

Empfindliche     Schwellung 

im  Mittelgelenk  der 

rechten  Hand. 

4  Grains 

3  mal  täglich 

nach  dem 

Essen. 

4  Grains 
3  mal  täglich. 

Große  Erleichterung  nach    einmonatiger 
Behandlung,  fähig  bequem  zu  gehen  und 
die  Hände  zu  gebrauchen.     Am  Ende 
von  6  Wochen  war  das  Ekzem  gänzlich 
verschwunden,  und  eine  kleine  Dosis  hat 
sie  seitdem  in  guter  Gesundheit  erhalten. 

Bei  verlängertem  Gebrauch  von  Thymin- 
säure Allgemeinbefinden  gebessert,  die 
Schwellung  vermindert  und  die  Empfind- 
lichkeit verschwunden. 

43  • 


566 


Zucker,  Tn«ori«  und  Frate  in  dar  Qlchtth«r*pl«. 


fTh0r«p«a( 
L   Monatah« 


Monatshefte. 


'S 


VorhergaDg 


Dosis 


Bemerk  ungcn 


7  Grains 
\ mal  täglich. 


do. 


3  F         45      Schwellung  und  Empfind- 
lichkeit der  Füße. 

4  F  60  Steifheit  in  den  Gelenken 
and  Rücken,  Verdickung 
der  Fingergelenke,  Über- 
maß   von    Harnsäure    und 

Uraten  im  Urin. 

69  Seit  Jahren  verdickte 

Fingergelenke,    zu    Zeiten 
entzündet  und  schmerzhaft, 

verschiedentlich  Tophi 
zeigend ;  beide  Knie  waren 
geschwollen  und  schmerz- 
haft 


66  Subakute  Arthritis  speziell        4  Grains 
der  Knie,  Magenschwäche    3 mal  täglich. 

und  Verbtop  fang, 

63      Gichtische    Schmerzen    in        7  Grains 
linker    Hand,    Tophi    am   3 mal  täglich, 
kleinen  Fingergelenk   bei- 
der   Hände,     Ekzem     an 
Armen  und  Schenkeln. 

67  Gicht    and    Diabetes    zu-        4  Grains 
sammen  treffe  od  mit  einem   3  mal  täglich. 
Anfall  von  Luftröhrenent- 
zündung.  Höhe  des  Zuckers: 

8  Grains  auf  die  Unze. 

46  Gicht  und  Glukosurie.  8  Grains 

Zucker   29,14  Grains    per   3  mal  täglich. 
Unze.  Ein  großer  Gourmand 
und  Alkoholiker. 


4  Grains        In    einer  Woche    war  das  Befinden  so 
3  mal  täglich,     gebessert,  daß  sie  bequem  gehen  konnte. 


10  F         43      Litt  an  Fettleibigkeit,  peri-        4  Grains 

odischen  Kopfschmerzen,     3  mal  taglich. 
Schlaflosigkeit,  Dyspepsie. 


11  M         48      Gichtische  Halsentzündung 
und  Ekzem  der  Hände. 

Gegenwärtig  Tophi  an  den 
Onren. 

12  .       M         46      Hat  ^an  wiederholten  An- 
fallen von  Steingries 
während  der  letzten 

6  Jahre  gelitten. 


Literatur. 

1.  Roberts:  On  the  Chemistry  and  Therapeutics 
of  Uric  Acid,  Gravel  and  Gout,  1892. 

2.  Murchison:  Clinical  Lectures  on  Diseases  of 
the  Liver,  1877. 

8.  Bouchard:  Lecons  sur  les  Maladies  par  Ralen- 
tissement  de  la  Nutrition,  III.  edition,  Paris  1890. 

4.  Fischer:  Synthesen  in  der  Puringruppe,  Be- 
richte der  Deutschen  Chemischen  Gesellschaft, 
1899,  Band  XXXII. 


Nach   3  Wochen    eine    vermehrte  Aus- 
scheidung   von    Harnsäure,    die    Urate 
waren  verschwunden  und  die   Steifheit 
sehr  gebessert. 


In  14  Tagen  wohlempfundene  Besserung, 
Hand  ganz  frei  von  Schmerz,  Knie  haben 
wieder  Form  und  Beweglichkeit  be- 
kommen, und  alle  Gelenke  waren  biegsam. 


Arthritis    beständig    gebessert,    ebenso 
Dyspepsie. 


Besserung   sehr   merkbar,    Ekzem    ver- 
schwanden. 


Zucker  quantitativ  stufenweise  vermindert 
und  gänzlich  verschwunden  in  14  Tagen; 
ist  nicht  wiedergekehrt.  Der  Patient 
nimmt  gelegentlich  Dosen  von  Thymin- 
säure  (Solurol). 

In  einem  Monat  fiel  der  Gehalt  an 
Zucker  auf  8,75  Grains  per  Unze,  in 
2  Monaten  auf  3,64  Grains  per  Unze. 
Wohnt  jetzt  abseits,  erfreut  sich  guter 
Gesundheit 

Nach  dreimonatlicher  Behandlung  hatte 
der  Patient  9  Pfund  an  Gewicht  ver- 
loren, die  Kopfschmerzen,  Dyspepsie 
und  Schlaflosigkeit  waren  verschwunden, 
und  er  war  fähig,  regelmäßige  Gehver- 
suche zu  machen.  Er  fahrt  fort,  Thymin- 
säure  zu  nehmen  (4  Grains  2  mal  täglich). 

do.  Kuriert  nach  zweiwöchiger  Behandlung, 

aber  da  Patient  ein  sorgloses  Wesen  war, 
kehrten  die  Symptome  wieder,  sind  aber 
nach  Behandlung  rasch  verschwanden. 

do.  Nach  sechswöchiger  Behandlung,  während 

welch.  Zeit  er  frei  v.  Schmerzen  war,  hatte 
er  einen  Anfall  von  Nierenkolik,  welche 
mit  dem  Abgang  von  kleinen  harnsauren 
Nierensteinen  endete.  Seitdem  ist  er 
vollkommen  wohl. 

Kos  sei:    Über   Nukleinsäure,    Zentralblatt  für 
die  medizinischen  Wissenschaften  1893.   Kossei 
und  N  e  u  m  a  n  n :  Über  Nukleinsäure  und  Thymin- 
säure,  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie  1896. 
Weintraud:   Berl.  klin.  Wochenschr.  1893. 
Heß  und  Schmoll:    Archiv  für  experimentelle 
Pathologie  und  Pharmakologie  1896. 
Schmoll":    Arch.  General,  de  Med.  39,  1904. 
Goto:  Zeitschrift  für  physiologische  Chemie. 


XIX.  Jahrgang.*! 
November  1905.J 


Neumann,  Balneologiacha  BahandJung  alter  Hemiplegien. 


567 


I>ie  balneologrische  Behandlung  alter 
Hemiplegien* 

Von 

Dr.  Neumann  (Baden -Baden). 

Vortrag,  gehalten  im  Gr.  Landesbade  während 
des  balneologischen  Kurses  Oktober  1904. 

Der  Zweck  dieser  Mitteilung  ist  nicht 
der,  die  ganze  Pathologie  der  Apoplexie  und 
verwandter  Zustände  zu  besprechen,  sondern 
der  Frage  nahezutreten:  Ist  auf  Grund  von 
Erfahrungen  die  balneo logische  Behandlung 
zulässig;  welche  Erfolge  kann  man  erreichen, 
und  wie  lassen  sich  angesichts  bestehender 
Krankheitsherde  Besserungen  im  Befinden  der 
betreffenden  Kranken  erklären? 

Unter  den  verschiedenartigen  Kranken, 
die  das  Landesbad  aufnimmt,  suchen  auch 
eine  Reihe  von  Leuten  Zuflucht  und  Hilfe, 
welche  Schlaganfälle  erlitten  haben  und  nun 
Wiederherstellung  ihrer  Arbeitsfähigkeit,  Er- 
leichterung von  Schmerzen  in  den  Gliedern 
suchen ;  bescheidenere  erhoffen  wenigstens  von 
dem  Gefühl  bleierner  Lähmung  befreit  zu 
werden  und  wenigstens  sich  selbst  wieder 
an-  und  auskleiden  zu  können,  ein  wenig 
schreiben    zu   lernen   und    dergleichen   mehr. 

Schon  das  Bewußtsein,  ihren  Angehörigen 
weniger  zur  Last  zu  fallen,  ist  für  viele  ein 
hohes  und  erstrebenswertes  Ziel. 

Denn  keinem  von  allen  ist  es  vergönnt, 
im  eleganten  Fahrstuhl  auf  schönen  Wegen 
die  Welt  zu  sehen  und  an  einem  beschränkten 
Lebensgenüsse  teilzunehmen. 

Unter  diesen  Verhältnissen  muß  der  Arzt 
sich  die  Frage  vorlegen,  ist  es  denn  möglich, 
in  der  kurzen  Zeit  von  4  —  5  Wochen  einen 
meist  schon  lange  bestehenden  krankhaften 
Zustand  irgendwie  günstig  zu  beeinflussen? 
Andererseits  haben  derartig  schwierige  Pro- 
bleme für  den  Arzt  immerhin  einen  gewissen 
Reiz,  abgesehen  von  den  humanen  Aufgaben, 
welche  einigermaßen  zu  lösen,  der  geborene 
Zweck  unserer  Anstalt  ist. 

Lassen  denn  überhaupt,  wenn  man  sich 
vor  Täuschung  bewahren  will,  die  anatomi- 
schen Folgen  der  verschiedenen  Vorgänge, 
welche  zu  dem  Biläe  des  sogenannten  Schlag- 
anfalls führen,  eine  Änderung,  natürlich  im 
Sinne  der  vom  Kranken  erstrebten  Besse- 
rung, zu? 

Im  allgemeinen  erweist  der  anatomische 
Befund,  daß  die  zerstörten  Herde  im  Gehirn, 
von  oben  nach  unten  genommen,  in  der 
Minderzahl  der  Fälle  in  der  Gehirnrinde  und 
deren  Bewegungszentren  sitzen.  Dann  kom- 
men die  Herde  im  Marklager  und  den  Stamm- 
ganglien, besonders  dem  Linsenkern,  besonders 
die,  welche  in  dem  hinteren  Teil  der  inneren 
Kapsel   auf  dem  Weg  nach  den  Pyramiden- 


bahnen folgen;  dann  folgen  die  Erkrankungen 
der  Hirnschenkel,  der  Brücke  bis  oberhalb 
der  Pyramidenbahn.  Zur  Lähmung  treten 
noch,  wie  auch  das  Experiment  zu  entschei- 
den schien  und  auch  für  die  Mehrzahl  der 
Fälle  bestätigte,  sogenannte  Kontrakturen, 
d.  h.  ein  Übergewicht  einzelner  Muskelgruppen 
in  dem  Sinne,  daß  immer  gewisse  Muskel- 
gruppen im  Zustand  der  Zusammenziehung 
sich  befinden,  während  die  anderen  Gruppen 
der  Antagonisten  diesem  stärkeren  Zug  der 
Innervation  nicht  widerstehen  können.  Sitz 
der  Kontraktur  sind  diejenigen  Muskelgruppen, 
die  schon  unter  physiologischen  Verhältnissen 
das  Übergewicht  haben. 

So  bleibt  am  Arm  die  Gruppe  der  Mus- 
keln, die  den  Arm  an  den  Rumpf  anziehen, 
in  Dauerspannung,  während  der  Arm  nach 
der  Seite  hin  nicht  oder  schwer  vom  Rumpf 
entfernt  werden  kann.  Der  Vorderarm  ist 
gegen  den  Oberarm  gebeugt,  die  Hand  ein- 
wärts gedreht,  die  Finger  gebeugt. 

Am  Oberschenkel  dagegen  überwiegen  die 
Streckmuskeln,  am  Unterschenkel  die  Beuge- 
muskeln und  Einwärtsroller  des  Fußes. 

Trotz  dieses  typischen  Bildes  gibt  es 
nicht  wenige  Fälle,  in  denen  von  selbst 
nach  verhältnismäßig  kurzer  Zeit,  selbst 
nach  ganz  ausgesprochenen  Halblähmungen,* 
über  deren  Lokalisation  gar  kein  Zweifel 
sein  kann,  ganz  überraschende  Besserungen 
sich  einstellen. 

Wir  wissen  ja,  daß  allerdings  in  der 
Umgebung  eines  frischen  Blutungsherdes  oder 
einer  thrombotischen  oder  embolischen  Er- 
weichung Zirkulationsstörungen  sich  wieder 
ausgleichen  können;  doch  darf  die  Dauer 
einer  solchen  Zirkulationsstörung  nicht  lange 
währen,  da  ja  die  sogenannten  Endarterien, 
besonders  im  Gebiet  der  großen  Ganglien 
und  deren  Nachbarschaft,  eine  kollaterale 
Ausgleichung  nicht  zulassen. 

Ein  nur  wenige  Minuten  dauernder  Ab- 
schluß des  Blutes  von  der  Gehirnsubstanz 
genügt,  um  dieselbe  für  immer  funktionell 
zu  vernichten. 

Wie  kommt  es  nun,  daß,  nachdem  diese 
pathologischen  Tatsachen  feststehen,  wesent- 
liche Ausgleichungen  von  Lähmungen  statt- 
finden, trotzdem  die  Hauptleitung  zwischen 
den  Bewegungszentren  zu  den  Rückenmarks- 
bahnen teils  direkt  zerstört,  teils  durch  ab- 
steigende Degeneration  1  ei  tungs  unfähig  ge- 
worden ist. 

Die  Studien  der  letzten  Zeit  haben  er- 
geben, daß  neben  der  Hauptleitungsbahn 
noch  weitere  Nebenbahnen  existieren,  welche 
nach  unten  in  der  Tierreihe,  z.  B.  beim  Hund, 
noch  den  Ausgleich  von  Zerstörungen  im 
Gehirn    und    der   Pyramidenbahn   völlig   ge- 


668 


Naumann,  Belneoloffieehe  Behandlung  alter  Hemiplegien. 


[Therapeut 


Mnimtühefle. 


statten,  während  sie  beim  menschenähnlichen 
Affen  zwar  schwächer,  aber  noch  ziemlich 
leistungsfähig  vorhanden  sind.  Beim  Menschen 
jedoch  treten  sie  durch  die  überwiegende 
Ausbildung  des  Gehirns  und  der  damit  zu- 
sammenhängenden direkten  Bahnen  zurück, 
lassen  sich  aber  immerhin  noch  anatomisch 
und  funktionell  nachweisen. 

£s  ist  dies  die  mit  der  Gehirnoberfläche, 
und  zwar  beider  Gehirnhälften,  zusammen- 
hängende, dem  Umfang  nach  schwache  Bahn, 
welche  durch  die  Sehhügel  und  Vierhügel  in 
den  vorderen  Pyramidenstrang  herabfuhrt, 
ohne  von  der  Zerstörung  und  Degeneration 
des  kranken  Herdes  berührt  zu  werden. 

Diese  Verhältnisse  sind  in  den  letzten 
Jahren  besonders  von  Lazarus  und  Roth- 
mann eingehender  studiert  worden. 

Es  erscheint  sehr  plausibel,  anzunehmen, 
daß  diese  mit  dem  Krankheitsherd  in  keiner 
direkten  anatomischen  Beziehung  stehenden 
Bahnen  in  Funktion  für  ausgefallene  Bahnen 
treten,  und  daß  je  nach  ihrer  bekanntlich 
wechselnden  individuellen  Entwicklung  sie 
durch  Anregung  und  Regelung  der  Zirkulation, 
durch  Übung,  eine  Anpassung  an  die  krank- 
haften Zustände  erreichen  können  und  so 
stellvertretend  krankhafte  Defekte  teilweise 
auszugleichen  imstande  sind. 

So  würde  es  sich  auch  erklären,  warum 
die  Besserungen  einen  oft  schwerverständ- 
lichen Verlauf  nehmen,  warum  selbst  bei 
anfänglich  schweren  und  ausgedehnten  Aus- 
fall- und  Reizerscheinungen  ein  überraschen- 
der Ausgleich  zustande  kommt,  der  in  viel 
leichteren  Fällen  ausbleibt. 

Wir  hatten  im  Verlauf  des  ablaufenden 
und  des  vorigen  Geschäftsjahres  allein  zu- 
sammen 26  Fälle,  welche  als  abgelaufene 
Apoplexien  in  die  Anstalt  eingewiesen  wurdeo. 

Die  Zeit,  welche  seit  dem  Anfall  ver- 
strichen war,  betrug  von  1  Monat  in  einem 
Fall  bis  zu  zehn  Jahren. 

Die  meisten  Fälle  waren  von  fünf  Monaten 
bis  zu  drei  Jahren  alt.   — 

Das  Lebensalter  war  bei  dem  jüngsten 
Patienten  26  Jahre,  dagegen  kamen  16  Fälle 
im  fünften  Dezennium  des  Lebens  vor. 

In  der  Privatpraxis  hatte  ich  ein  junges 
Mädchen  mit  einer  zweifellos  embolischen 
Hirnerkrankung  behandelt,  welche  ihren  An- 
fall mit  22  Jahren  bekommen  hatte. 

Wir  sehen  also,  daß  doch  überwiegend 
die  zur  Halblähmung  führenden  Zufalle  in 
einem  Alter  Zustandekommen,  in  dem  Verände- 
rungen an  den  peripheren  Gefäßen  wie  auch 
am  Herzen  sich  schon  lange  ausgebildet  haben, 
auch  im  Gehirn  vorausgesetzt  werden  dürfen. 

Bei  den  von  mir  beobachteten  Fällen 
habe     ich    nicht    in    einem    einzigen    einen 


Klappenfehler  nachzuweisen  vermocht.  Da- 
gegen waren  nicht  selten  Erschlaffungs- 
zustände  des  Herzens  vorhanden,  welche  es 
als  möglich  erscheinen  ließen,  daß  von  Ge- 
rinnseln des  linken  Vorhofs  und  Herzohrs 
aus  doch  eine  Embolie  Zustandekommen 
konnte. 

In  den  meisten  Fällen  war  es  natürlich 
nach  so  langer  Zeit  nicht  festzustellen,  ob 
es  sich  im  Einzelfalle  seinerzeit  um  eine 
Gehirnblutung,  um  einen  embolischen  oder 
thrombotischen  Prozeß  gehandelt  hatte.  In 
einer  Reihe  von  Fällen  ist  es  mir  gelungen, 
von  den  Patienten  zu  erfahren,  daß  der  An- 
fall durchaus  nicht  mit  einem  Bewußtseins- 
verluste eingetreten  war,  und  daß  auch  un- 
mittelbar oder  längere  Zeit  nach  dem  Anfall 
das  Bewußtsein  nicht  getrübt  wurde. 

Auch  von  Vorläufererscheinungen,  ab- 
gesehen von  etwas  Schwindel  oder  ein- 
genommenem Kopf,  wußten  die  Leute  nichts 
zu  sagen.  Nur  für  einen  Fall  entsinne  ich 
mich  der  Angabe,  daß  längere  Zeit  vor  dem 
Zufall  in  der  später  gelähmten  Seite  neur- 
algieähnliche Schmerzen  bestanden  hatten, 
welche  freilich  anfänglich  als  Rheumatismus 
gedeutet  worden  waren. 

Von  den  26  Kranken  waren  4  Frauen 
und  22  Männer. 

Diese  Tatsache  regt  auch  die  Frage  an, 
inwieweit  eventuell  der  Alkoholgenuß  an  der 
Entstehung  von  Schlagzufallen   beteiligt   sei. 

Die  Ziffer  4  der  Frauen  entspricht  nicht 
dem  Prozentsatz  der  im  Landesbad  ver- 
pflegten Frauen,  der  sich  um  35  bis  40  Proz. 
herum  bewegt.  Immerhin  möchte  ich  darauf 
aufmerksam  machen,  daß  ich  in  meiner  früher 
sehr  ansehnlich  gewesenen  Familienpraxis 
wiederholt  beobachtet  habe,  daß  da,  wo 
erbliche  Gefäßveränderungen  vorkommen, 
gerade  die  Frauen  von  Schlaganfällen  be- 
troffen wurden  und  später  an  deren  Folgen 
zugrunde  gingen,  während  die  ebensoalt  und 
älter  gewordenen  Brüder  verschont  blieben. 
Die  betreffenden  Frauen  hatten  in  ihrem 
ganzen  langen  Leben  nicht  so  viel  Alkohol 
getrunken  als  die  betreffenden  Brüder  jeweils 
in  2  —  3  Monaten. 

Überhaupt  habe  ich  bei  ausgesprochenen 
Trinkern  Apoplexien  nicht  gerade  häufig  ge- 
sehen. 

Interessant  ist  es  auch,  daß  der  Verlust 
des  Bewußtseins  und  das  Freibleiben  des 
Bewußtseins  durchaus  nicht  immer  der 
Schwere  des  Anfalls  und  der  Ausdehnung 
der  bleibenden  Lähmung  entsprechen. 

So  hatte  einer  unserer  Patienten  das 
Bewußtsein  im  Anfange  und  nachher  völlig 
erhalten  und  doch  anderthalb  Jahre  lang 
schwere  Reizzustände,  permanente  Zuckungen, 


XIX.  Jahrgang.*! 
No™mbT  19Q5.J 


Neu  mann,   BalnaologUche  Behandlung  alter  H«mipl«gi«n. 


569 


Zittern  und  schwere  Kontrakturen  in  Arm 
und  Bein  davongetragen. 

Man  begreift,  daß  besonders  bei  langem 
Bestand  der  Folgen  der  Apoplexien  man 
nicht  gerade  mit  großem  Vergnügen  an  die 
Behandlung  solcher  Zustände  herantritt. 

Nach  so  langer  Dauer  finden  sich  keine  auf- 
fallenden Sensibilitätsstörungen  mehr.  Manch- 
mal ist  das  wohl  mit  einer  unverkennbar 
allgemein  verminderten  Sensibilität  zusammen- 
zubringen, wie  das  ja  auch  häufig  in  höherem 
Alter  überhaupt  der  Fall  ist.  Besonders  das 
Tastgefühl  ist  in  der  Regel  wieder  völlig 
hergestellt,  und  eingehende  Prüfungen  lassen 
auch  erkennen,  daß  keine  Dissoziation  der 
Empfindung  vorhanden  ist. 

Dagegen  bleiben  neben  den  hemiplegischen 
Erscheinungen  in  den  paretischen  Teilen  die 
Reflexerregbarkeit,  vasomotorische  Symptome 
zurück;  Atrophien  der  gelähmten  Teile,  die 
ja  in  ihrer  Deutung  noch  nicht  ganz  lücken- 
los sind,  müssen  als  seltenes  Vorkommnis 
bezeichnet  werden. 

Vor  allem  wirft  sich  die  Frage  auf,  können 
denn  nach  der  Lage  der  anatomischen  Ver- 
änderung die  Folgezustände  einer  lokalen 
Hirn-  und  Strangzerstörung  irgendwie  beein- 
flußt werden.  Schadet  man  dann  nicht  viel 
eher  mit  sämtlichen  therapeutischen  Ver- 
suchen? 

Ferner  ist  es  möglich,  auf  die  Folge- 
zustände, .die  das  Allgemeinbefinden  und  be- 
sonders die  Psyche  betreffen,  irgendwie  in 
günstigem  Sinne  einzuwirken? 

In  den  einleitenden  Bemerkungen  über 
die  Pathologie  habe  ich  schon  erwähnt,  daß 
bei  Blutung  wie  bei  Erweichungsherden  das 
betroffene  Gewebe  funktionell  vollständig  ab- 
getötet wird,  und  daß  nur  Reizzustände  vor- 
übergehender Natur  in  der  Nachbarschaft  des 
Krankheitsherdes  einen  Ausgleich  gestatten. 
Für  Tiere  hat  das  Experiment  die  Möglich- 
keit   eines  Ausgleichs    der   Lähmung   bejaht. 

Bei  Affen  und  Hunden  hat  man  sowohl 
die  Rindenzentren  für  Bewegung  wie  auch 
Herde  der  Marklager  entfernt  und  zerstört 
und  Durchschneidung  der  Pyramidenbahn 
vorgenommen  und  dabei  beobachtet,  daß  auch 
die  dabei  auftretenden  Kontrakturen  durch 
frühzeitige  Anregung  der  gelähmten  Körper- 
teile sich  vermeiden  ließen. 

In  jüngerer  Zeit  haben  einzelne  Arzte  es 
auch  versucht,  unmittelbar  nach  dem 
Schlaganfall  die  Leitungsbahnen  von  der 
Peripherie  her  durch  Gymnastik  und  Galvani- 
sation anzuregen,  und  man  will  auch  Kon- 
trakturen vermieden  und  beseitigt  und  auch  die 
Ausdehnung  der  Lähmung  beschränkt  haben. 

Ich  gestehe,  daß  ich  solchen  Bemühungen 
gegenüber  mich  sehr  skeptisch  verhalte.    Wir 


müssen  doch  bedenken,  daß  es  sich  bei 
der  Gehirnblutung  und  der  Gehirnthrombose, 
weniger  bei  Embolie,  um  Zustände  handelt, 
bei  welchen  schon  lange  vor  dem  Eintritt 
des  Anfalls  Veränderungen  in  den  Gehirn- 
gefäßen, und  zwar  sowohl  in  den  gröberen 
wie  in  den  Endarterien,  bestanden  hatten. 
Ich  erinnere  nur  an  das  lange  Bestehen  der 
Miliaraneurysmen.  Auch  wenn  durch  einen 
Anfall  ein  Krankheitsherd  gebildet  ist,  so 
wird  das  übrige  Gehirn  in  den  meisten 
Fällen  eben  nicht  ganz  gesund  sein,  während 
beim  Experiment  am  gesunden  jungen  Tier 
die  Entfernung  einer  Hirnpartie  ein  sonst 
durchaus  intaktes  und  auch  weniger  empfind- 
liches Hirn  verletzt,  als  beim  Menschen  der 
Fall  ist. 

Bei  einer  frühzeitigen  Anwendung  ver- 
schiedener physikalischer  Heilmittel  ist  immer 
zu  befürchten,  daß  sich  durch  wechselnde 
Füllung  und  Überfüllung  der  Gehirngefäße 
neue  Reizzustände  bilden,  welche  einen  Nach- 
schub von  Blutung  herbeiführen  können.  Sieht 
man  doch  nicht  selten,  daß  bei  scheinbar 
stationären  Kranken  der  vorsichtigste  Gebrauch 
von  einfachen  genau  temperierten  Thermal- 
bädern Schwindel,  Kopfweh,  größere  Unsicher- 
heit in  den  gelähmten  Gliedern,  Schmerz- 
empfindung und  dergleichen  hervorruft,  und 
für  einige  Zeit  eine  vasomotorische  Reizbar- 
keit zurückbleibt. 

Als  Folgezustände  von  Halblähmungen 
sind  den  Kranken  vor  allem  peinlich  die 
einseitige  Schwäche  und  die  erschwerte  Ge- 
brauchsfähigkeit der  einen  Seite,  die  durch 
Bewegungsversuch  natürlich  sich  noch  mehr 
bemerklich  macht;  ferner  die  Kontrakturen, 
Zuckungen  in  den  gelähmten  Gliedmaßen, 
die  vasomotorischen  Störungen  in  der  ge- 
lähmten Seite,  in  deren  Folge  ödematöse 
Schwellungen,  Störungen  der  Hauternährung, 
Mißempfindungen  aller  Art  den  Kranken 
quälen. 

In  den  meisten  Fällen  leiden  die  be- 
treffenden Kranken  auch  gemütlich  sehr;  sie 
fühlen  eine  fortschreitende  Änderung  ihrer 
Persönlichkeit,  ihr  Hemmungsvermögen,  be- 
sonders Verstimmungen  gegenüber,  nimmt  ab. 
Sie  werden  gedrückt,  weinerlich  und  im  Ver- 
kehr mit  andern  sehr  reizbar  und  ungleich- 
mäßig. 

Man  wird  immer  darauf  zurückkommen,  ein- 
mal die  peripherischen  Störungen,  Kontraktur, 
lokale  Schwäche  zu  behandeln,  auf  der  andern 
Seite   aber   das  Allgemeinbefinden  zu  heben. 

Nach  der  ersteren  Richtung  bin  sind  ja 
Massage  der  gelähmten  Teile,  insbesondere 
Widerstandsgymnastik,  zur  Verwendung  ge- 
langt; man  hat  galvanisiert,  man  hat  die 
geschwächten  Glieder   faradisiert,    um    durch 


570 


Naumann,  Balneologitch«  Behandlung  alt«r  H«mlpl«gi«n. 


Hebung  der  peripheren  Zirkulation  Reste 
alter  Leitungsbahnen  oder  stellvertretende 
Leitungsbahnen  anzuregen  und  so  den  Krank- 
heitsherd indirekt  und  direkt  zu  beeinflussen, 
welch  letzteres  ja.  ein  eitles  Bemühen  ist. 

Wie  mir  scheint,  ist  man  endlich  von 
der  zentralen  Galvanisation  des  Gehirns  mit 
allen  ihren  Geheimnissen  und  Gefahren  ab- 
gekommen. Bei  der  sogenannten  zentralen 
Galvanisation  sieht  man  selbst  bei  geringster 
Stromstärke  und  Einschleichen  des  Stroms 
mit  dem  Rheostat  doch  leicht  Schwindel- 
empfindungen, Wechsel  der  Gesichtsfarbe  ein- 
treten, demnach  doch  vasomotorische  Schwan- 
kungen der  Zirkulation  im  Schädelinnern.  — 
Mir  scheint,  da  man  sichere  therapeutische 
Erfolge  dieser  Behandlung  nicht  nachweisen 
kann,  es  klüger  und  im  Interesse  der  Kranken 
geboten,  diese  Behandlungs weise  nicht  zu 
versuchen. 

Von  altersher  genießen  die  natürlichen 
Thermen  einen  allgemein  geltenden  Ruf  als 
Heilmittel  nach  Apoplexien  aller  Art.  Meines 
Wissens  waren  hierin  besonders  bevorzugt 
Teplitz,  Wildbad  Gastein  und  Wildbad  in 
Württemberg.  Eigene  Erfahrungen  über  die 
an  den  bezeichneten  Orten  erreichten  Heil- 
erfolge besitze  ich  nicht.  Doch  auch  von 
den  hiesigen  Bädern  wird  häufig  Gebrauch 
gemacht. 

Meine  personlichen  Erfahrungen  sind  maß- 
vollen Erwartungen  gegenüber  durchaus  nicht 
ungünstig.  —  Vor  allem  gilt  es,  die  Bäder 
so  zu  temperieren,  daß  keine  Reizung  der 
Zirkulation  eintreten  kann. 

Der  Puls  muß  nach  den  Bädern  mindestens 
nicht  frequenter  werden,  womöglich  sollte  man 
eine  mäßige  Verlangsamung  desselben  erzielen. 
Der  Kranke  darf  kein  kongestioniertes  Aus- 
sehen bekommen;  er  darf  nach  den  Bädern 
keinen   Schwindel    oder  Kopfweh    empfinden. 

Nicht  zu  unterschätzen  ist  die  subjektiv 
angenehme  Empfindung  des  Kranken  im 
Thermalbad  selbst. 

Inwieweit  der  natürliche  Kochsalzgeh  alt 
der  Therme  die  Nervenendigungen  in  der 
Haut  in  einer  dem  Gemeingefühl  behaglichen 
Weise  anspricht,  vermag  ich  nicht  mit  Sicher- 
heit zu  bestimmen;  mir  scheint,  daß  das  im 
Thermalbad  empfundene  Behagen  hauptsäch- 
lich durch  physikalische  und  chemische  Zu- 
sammensetzung des  Wassers  bedingt  ist;  denn 
in  einem  stark  kalkhaltigen  Wasser  oder  in 
einer  starken  Sole  kommt  das  beruhigende 
Wohlbehagen  nicht  so  zustande  wie  in  den 
sehr  schwachen  Salzlösungen  (Salzlösungen 
im  weitesten  Sinne)  der  hiesigen  natürlichen 
Thermal  wässer. 

Die  Badener  Therme,  welche  in  ihrer 
Zusammensetzung  der  physiologischen  Koch- 


fTharapautiaelM 
L   Monatnb«fte. 


Salzlösung  nahesteht,  beeinflußt,  wie  ich  an 
einem  ungewöhnlich  großen  Krank enm&terial 
nachweisen  konnte,  sowohl  die  Ernährung 
wie  die  Tätigkeit  des  Herzen6  in  sehr 
günstiger  Weise,  besonders  kommen  hier 
Gefäßsklerose  und  Muskelerkrankungen  in 
Betracht. 

Diese  subjektive  Hebung  des  Gemein- 
gefühls durch  das  Wasser  wirkt,  wie  sich 
leicht  erproben  läßt,  auf  die  Beruhigung  der 
gesamten  Hautoberfläche  und  beeinflußt  so 
alle  sensiblen  Bahnen. 

Erhöhte  Reflexe,  die  ja  nach  apoplekti- 
schen  Zufällen  sich  stets  finden,  werden 
geringer;  Kontrakturen  lassen  sich  im  Bade 
leichter  überwinden,  die  ersten  Fort- 
schritte aktiver  Bewegung  in  geschwächten 
und  gelähmten  Teilen  werden  vom  Kranken 
selbst  im  Bade  überhaupt  zuerst  wahr- 
genommen. 

Diese  leicht  zu  bestätigenden  Beobach- 
tungen sind  auch  der  Ausgangspunkt  der 
therapeutischen  Bestrebungen  und  zweifellos 
das  beste  und  ungefährlichste,  was  wir  solchen 
Kranken  bieten  können.  Auf  dem  Weg  der 
Prüfung  des  Gemeingefühls  läßt  sich  auch 
bezüglich  der  Temperaturen  eine  erfahrungs- 
gemäß e  Bestimmung  der  Badewärme  treffen. 
Trotzdem  solche  Kranke  häufig  leicht  frieren 
und  von  unangenehmen  Temperatursensationen 
anderer  Art  heimgesucht  werden,  habe  ich 
den  bestimmten  Eindruck  gewonnen,  daß 
mittlere  Temperaturen  von  26 — 26!/9°  R.  die 
besten  Erfolge  bezüglich  des  Behagens,  der 
Verlangsamung  der  Zirkulation  und  einer 
leichten  Hebung  des  Blutdruckes  geben. 

Wenn  der  Eindruck  gewonnen  ist,  daß 
durch  eine  während  des  Bades  konstante, 
mäßige  Temperatur  der  Zustand  sich  bessert, 
so  versuche  ich,  durch  ebenfalls  schwache 
Temperaturdifferenzen  einen  ungefährlichen 
und  anregenden  Reiz  einzuführen.  Ich  ver- 
wende dann  Bäder,  die  mit  24°  R.  beginnen 
und  gegen  das  Ende  auf  26°  steigen.  Ab 
und  zu  verstärke  ich  den  Reiz  der  schwachen 
Temperaturdifferenz  durch  einen  schwachen 
Salzzusatz,  so  daß  ich  höchstens  eine  2  proz. 
Salzlösung  in  Thermalwasser  verwende.  Die 
Dauer  des  Bades  beträgt  8  —  20  Minuten, 
allmählich  steigend.  Solche  schwachen  Salz- 
lösungen gestatten  durch  ihren  Eigenreiz 
wieder  die  Herabsetzung  der  Temperatur 
auf  24°. 

Nach  dem  Bade  folgt,  wie  das  gewisser- 
maßen zur  Hausordnung  des  Landesbades 
gehört,  direkt  mehrstündige  Bettruhe, 
wobei    die   Pulsverlangsamung   lange   dauert. 

Als  ein  mächtiges  Hilfsmittel  zur  Beseiti- 
gung von  Kontrakturen,  zur  Hebung  der  Er- 
nährung  der  paretischen  Teile  betrachte  ich 


XIX.  Jahrgang .1 
November  1905.  J 


Neumann,  Balneologitche  Behandlung  alter  Hemiplegien. 


571 


die  Zander  sehe  Gymnastik.  Wer  mit  ihr 
arbeiten  will,  ohne  den  Kranken  zu  schädigen, 
der  muß  mit  ihr  gut  bekannt  sein  und  den 
betreffenden  Fall  eingehend  studiert  haben. 
Vom  Standpunkt  der  Kranken  kann  ich  nur 
hervorheben,  daß  ich  meist  bei  einer  wieder- 
holten Kur,  wo  ich  mit  der  Gymnastik  an- 
fanglich zurückhalte,  dringend  um  dieselbe 
gebeten  werde.  Als  Wirkung  derselben,  und 
das  kann  ich  bestätigen,  werden  größere 
Frische,  leichtere  Beweglichkeit  und  Ände- 
rungen des  Schwächegefühls  hervorgehoben, 
selbst  da,  wo  meine  objektive  Prüfung  eine 
sachliche,  später  eintretende  Änderung  im 
Beginn  noch  nicht  erkennen  läßt.  Der  durch 
Bad  und  Massage  bedingte  Wegfall  von  pein- 
lichen Mißempfindungen  wirkt  offenbar  im 
günstigen  Sinne  auf  das  Gemeingefühl  der 
Kranken. 

Günstig  ist  es,  wenn  man  den  betreffen- 
den Kranken  die  Wohltat  einer  solchen  Kur 
mehrere  Jahre  nacheinander  angedeihen  lassen 
kann.  Eine  von  mir  beliebte  Methode  ist 
ein  vierwöchentlicher  Badegebrauch  im  Früh- 
jahr und  eine  zweiwöchentliche  Wiederholung 
im  Herbst. 

Es  wird  bei  dieser  Therapie  natürlich 
nicht  gelingen,  besonders  quälende  Erschei- 
nungen völlig  zu  beseitigen;  das  ist  aber 
auch  bei  den,  wie  ich  hoffe,  zur  Seite  ge- 
legten elektrischen  Anwendungen,  um  apo- 
plektische  Sprachstörungen,  zentrale  Atro- 
phien in  einzelnen  Gliedern  zu  bessern,  auch 
nicht  gelungen.  Der  ungefährlichste  Weg 
der  Behandlung,  nämlich  der  mit  wohl- 
angepaßten Badeprozeduren,  scheint  alles  in 
allem  immerhin  der  beste  zu  sein,  und  bei 
einer  gewissen  Anzahl  von  Erkrankungen 
gelingt  es  eben  doch,  ganz  auffallende  Besse- 
rungen sowohl  in  der  örtlichen  Lähmung  und 
Schwäche  wie  im  Allgemeinbefinden  herbei- 
zuführen. 

Wie  anfangs  bemerkt,  habe  ich  Apo- 
plexien der  verschiedensten  Art  zu  behandeln 
gehabt.  Wenn  nun  bei  einer  einfachen  Be- 
handlung, bei  Überwachung  der  Diät,  der 
Bewegung  wesentliche  Besserung  nach  2  bis 
10  jährigem  Bestand  einer  Halblähmung  ein- 
tritt nach  einem  nur  4  —  5  wöchentlichen 
Bädergebrauch,  so  ist  man  doch  gezwungen, 
anzunehmen,  daß  die  Besserung  ein  Effekt 
der  Behandlung  ist.  Ich  weiß  ja  wohl,  daß 
man  eigentlich  ohne  jede  sichere  Aussicht 
auf  Erfolg  an  solche  Fälle  herantritt.  Ich 
habe  z.  B.  im  Verlauf  des  Sommers  einen 
Mann  aufgenommen,  bei  dem  wenige  Monate 
zuvor  zuerst  auf  der  einen  Seite  eine  ge- 
kreuzte Lähmung  mit  Kontrakturen  auf- 
getreten war,  während  einen  Monat  nachher 
derselbe  Prozeß  auf  der  andern  Seite  in  der 

Th.lL  1906. 


andern  Hirnhälfte  sich  wiederholte.  Ohne 
genaue  Anamnese  hätte  man  beim  Bestehen 
beiderseitiger  Extremitätenlähmung  mit  Kon- 
trakturen, beiderseitiger  Gesichtslähmung  nicht 
einmal  eine  genaue  Diagnose  machen  können. 
Die  Aussichtslosigkeit  der  Behandlung  in 
diesem  Fall  veranlaßte  mich  nach  kurzer 
Zeit,  den  Angehörigen  den  Rat  zu  geben, 
den  Kranken  wieder  nach  Hause  zu  bringen. 

Daß  aber  auch  schwere  Fälle  sich  bessern 
können,  lehrte  mich  ein  Kranker,  der  vor 
drei  Jahren  wegen  myokarditischer  Beschwer- 
den im  Landesbad  gewesen  war  und  das  Jahr 
darauf  von  einer  gekreuzten  Hemiplegie  (wohl 
Thrombose)  heimgesucht  wurde.  Nach  zwei- 
jährigem Bestände  volle  Unfähigkeit  zu  gehen, 
stammelnde  Sprache,  schwerleidendes  Aus- 
sehen. Der  Kranke  mußte  den  Fahrstuhl 
benützen. 

Nach  14  Tagen  fing  die  Sprache  an  besser 
zu  werden;  es  wurden  am  Stock  vorsichtige 
Gehversuche  gemacht;  zum  Schluß  wurde 
die  Sprache  ruhig  und  deutlich,  der  Kranke 
konnte  an  einem  Stock  Treppen  steigen,  und 
bei  längeren  Ausfahrten  machte  es  ihm  ein 
ungemessenes  Vergnügen,  seinen  Fahrstuhl 
streckenweise  selbst  zu  schieben. 

Ferner  habe  ich  dieses  Jahr  zwei  Leute 
behandelt,  die  mittelschwere,  wahrscheinlich 
thrombotisch  bedingte,  leichtere,  aber  zweifel- 
lose Hemiplegien  gehabt  hatten,  und  die  ihren 
Dienst  als  Stationsverwalter  wieder  aufnehmen 
konnten,  wenn  auch  ein  leichtes  bogenförmiges 
Ausweichen   des  Beines   unverkennbar   blieb. 

Vor  zwei  Jahren  behandelte  ich  einen 
leichten  Hemiplegiker,  der  pensioniert  ge- 
wesen war  und  nach  der  Kur  recht  wohl  seinen 
Bureaudienst  wieder  übernehmen  konnte. 

Lokale  Besserungen,  besonders  Verschwin- 
den der  Adduktionskontraktur  des  Oberarms 
mit  der  Möglichkeit,  den  Arm  zur  Horizontalen 
und  darüber,  und  zwar  in  abduzierter  Stellung, 
zu  heben,  habe  ich  nach  mehrjährigem  Bestand 
der  Hemiplegie  mit  Kontrakturen  mehrfach 
gesehen. 

Da  wir  von  unsern  Kranken  häufig  wieder 
hören  oder  auch  direkte  Nachrichten  bekom- 
men, so  wissen  wir  auch,  daß  solche  Besse- 
rungen häufig  anhalten,  und  es  ist  nicht 
phantastisch,  hier  Suggestion  auszuschließen, 
besonders  wenn  vor  der  Kur  ein  krankhafter 
Zustand  jahrelang  ohne  Änderung  bestanden 
hatte. 

Daß  solche  Besserungen  wie  der  er- 
weiterte Gebrauch  eines  bis  dahin  unbrauch- 
baren Armes,  daß  die  Möglichkeit,  wieder  zu 
schreiben,  daß  die  Fähigkeit,  etwas,  wenn 
auch  beschränkt,  zu  verdienen,  seinen  An- 
gehörigen weniger  zur  Last  zu  fallen,  unab- 
hängiger von  ihnen  zu  werden,   das  Selbst- 

44 


572 


Scher k,  IoneoUhr«  und  Thtnpie. 


rilwrftpeiitisch« 
L   Monatshefte. 


bewußtsein  heben  und  die  Gesamternährung, 
auch  des  Gehirns,  günstig  beeinflussen,  ist 
ohne  weiteres  klar. 

Es  bleiben  bei  einem  großen  Umfang  des 
Materials  leider  Fälle  genug,  wo  man  durch 
die  Ausdehnung  und  Lokalisation  des  Krank- 
heitsherdes im  Gehirn  nichts  erreichen  kann. 

Besserungsfähig  bis  zu  einem  mäßigen 
Prozentsatz  der  Erwerbsfähigkeit  bleiben 
immerhin  30  —  40  Proz.  der  Fälle. 

Um  nicht  mißverstanden  zu  werden,  be- 
tone ich  noch  einmal,  daß  auch  beim  günstig- 
sten Resultat  Defekte  bleiben;  aber  der  Kranke, 
empfindet  schon  jede  Defektverminderung  als 
ein  Glück. 

Meiner  Auffassung  nach  muß  der  Arzt 
den  Kranken  völlig  in  der  Hand  haben; 
er  darf  sich  zu  keinerlei  Kunststücken  und 
Versuchen  drängen  lassen.  Er  muß  sich  be- 
scheiden, mit  einfachen  Mitteln  zu  arbeiten, 
und  nie  vergessen,  daß  es  in  der  Behandlung 
von  Apoplexien  aller  Stadien  keine  Blender 
gibt. 


Ioiienlehre  und  Therapie. 

Von 

San.-Rat  Dr.  Scherk  (Bad  Homburg). 

Ais  ich  im  Jahre  1897  im  Archiv1)  der 
Balneotherapie  und  Hydrotherapie  meine  Ar- 
beit über  die  Wirkungsweise  der  Mineral- 
wassertrinkkuren in  ihrer  Beziehung  zur  Fer- 
mentwirkung und  Ionenspaltung  veröffent- 
lichte, hob  ich  Faradays  Anschauung  über 
die  Elektrolyte  der  wäßrigen  Lösungen  hervor. 

Derselbe  äußerte  sich  schon  im  Jahre 
1874  in  folgender  Weise: 

„Wie  sich  die  elektrochemische  Analyse 
auf  den  Grundprinzipien  der  Ionentheorie 
aufbaut,  so  lassen  sich  auch  die  einzelnen 
Reaktionen  in  der  analytischen  Chemie  auf 
die  Spaltung  der  chemischen  Verbindungen 
und  die  Wirksamkeit  der  Ionen  zurückführen. 
Die  Vermittler  unserer  analytischen  Reak- 
tionen sind  also  die  Ionen. a 

Dementsprechend  habe  ich  meine  Ansicht 
in  der  gen.  Abhandlung  in  folgenden  Sätzen 
präzisiert: 

„Die  Lehre  der  Bildung  von  Dissoziations- 
produkten in  verdünnten  Salzlösungen  und 
die  Erkenntnis  der  osmotischen  Prozesse, 
welche  durch  die  Differenzierung  der  per- 
meablen resp.  semipermeablen  organischen 
Membranen  reguliert  werden,  haben  uns  ganz 
neue  Bahnen  eröffnet,  auf  welchen  wir  den 
Assimilations Vorgängen  im  Zellenleben  nach- 
spüren können. u 

»)  Heft  3.  Verlag  von  Carl  Marhold,  Halle  a./S. 


„Das  wissenschaftliche  Gepräge,  welches 
den  epochemachenden  Entdeckungen  durch 
die  autoritativen  Arbeiten  eines  van'tHoff, 
eines  Arrhenius,  Kohlrausch,  Ost- 
wald, N ernst  und  anderer  Forscher  der 
physikalischen  Chemie  verliehen  ist,  gestattet 
uns,  eine  fundamentale  Grundlage  anzuer- 
kennen, welche  wir  als  Basis  für  weitere 
Forschungsresultate  hochzuschätzen  und  zu 
würdigen  lernen  müssen." 

Blicken  wir  nun  auf  die  Entwickelung 
der  Ionenlehre  in  den  letzten  10  Jahren 
zurück,  so  wird  jeder  unparteiische  Kritiker 
mir  beistimmen,  daß  die  Prognose,  welche 
ich  damals  der  Ionentheorie  gestellt  habe, 
sich  vollständig  bewährt  hat,  denn  nicht  nur 
in  den  balneologischen  Forschungen,  sondern 
auch  in  der  chemischen  Physiologie  und  Patho- 
logie können  wir  die  elektrolytischen  Vorgänge 
nicht  mehr  entbehren.  Dieselben  liefern  uns 
einen  bedeutsamen  Fingerzeig,  wie  wir  in 
der  Therapie  die  Anwendung  der  verschie- 
denen Energieformen  deuten  sollen.  Nicht 
nur  die  Wirkungsweise  der  chemischen  Energie, 
sondern  auch  die  Einwirkung  der  ther- 
mischen, photischen,  elektrischen  und  elektro- 
magnetischen Energie  lassen  sich  durch  die 
Ionenwanderung  erklären,  und  die  Forschungen 
über  das  Verhältnis  der  positiv  zu  den 
negativ  elektrisch  geladenen  Ionen  in  der 
Atmosphäre  berechtigen  jetzt  schon  zu  der 
Hoffnung,  daß  dieser  Unterschied  uns  Auf- 
klärung über  k  1  im ato logische  Fragen  liefern 
wird,  welche  bis  heute  in  tiefes  Dunkel  ge- 
hüllt sind.  Fassen  wir  alle  diese  Forschungs- 
resultate zusammen,  so  ist  die  Bedeutung 
der  Ionenlehre  für  die  medizinische  Wissen- 
schaft nicht  mehr  von  der  Hand  zu  weisen, 
und  es  ist  keineswegs  zu  billigen,  daß  für  die 
Mehrzahl  der  Kollegen  die  Errungenschaften  des 
physikalisch-chemischen  Studiums  immer  noch 
als  dunkele  Punkte  auftauchen,  welche  durch 
eine  terra  incognita  verschleiert  erscheinen. 

Deshalb  hoffe  ich,  daß  es  von  Interesse 
sein  wird,  einzelne  Arbeiten,  welche  auf 
diesem  Felde  neuerdings  bewerkstelligt  sind, 
zu  beleuchten;  zumal  alltäglich  Entdeckungen 
veröffentlicht  werden,  welche  neues  Licht 
verbreiten  und  uns  Aufklärung  über  Ver- 
hältnisse liefern,  von  denen  wir  vorher  keine 
Ahnung  hatten.  Insbesondere  müssen  wir 
das  Studium  der  radioaktiven  Substanzen 
von  diesem  Standpunkt  aus  würdigen,  und 
die  Einwirkung  der  verschiedenen  Strahlen- 
arten wird  uns  einen  Anhaltspunkt  geben, 
um  den  Einfluß  der  differenten  Energien  auf 
die  verschiedenen  Zellen  im  Organismus 
deuten  zu  können. 

Frappierend  ist  die  Äußerung  des  genialen 
englischen  Forschers  J.  J.  Thomson:   „Wir 


XIX.  Jahrgang.*! 
Novmbor  1906.J 


Scherk,  IonenJthi*  und  Therapie. 


573 


wissen    über    das    Ion    viel    mehr   als  über 
das  ungeladene  Molekül." 

Fassen  wir  die  Stromleitung  in  Gasen, 
Metallen  und  verdünnten  Salzlosungen  als 
einen  Transport  atomistisch  geteilter  Elek- 
trizitätsmengen auf,  welcher  durch  Bewegung 
kleinster  Stoffteilchen  vermittelt  wird,  so 
sprechen  wir  letztere  als  Ionen  an,  während 
die  Elektronen  Elektrizitätsmengen  dar- 
stellen, welche  sich  in  den  Körpern  bewegen, 
ohne  an  materielle  Teilchen  gebunden  zu 
sein.  —  Die  Elektronen  werden  als  Bestand- 
teile der  Atome  betrachtet.  Schon  Newton 
hat  die  Lichtstrahlung  in  der  Weise  gedeutet, 
daß  von  den  strahlenden  Gegenständen  äußerst 
kleine  Teilchen  oder  Korpuskeln  ausgesendet 
werden,  die  sich  in  geradlinigen  Bahnen 
nach  allen  Richtungen  hin  durch  den  Raum  fort- 
pflanzen. —  „Heute  wissen  wir"  —  wie  Fre- 
derick Soddy8)  in  seiner  vorzüglichen  Ar- 
beit: „Die  Entwickelung  der  Materie  ent- 
hüllt durch  die  Radioaktivität"  hervorhebt  — 
„daß  das  Licht  durch  eine  Wellenbewegung 
des  Lichtmediums  erklärt  werden  muß.  An- 
dererseits wurden  die  von  den  radioaktiven 
Elementen  ausgehenden  Strahlungen  anfangs 
für  Wellen  gehalten,  während  man  sie  jetzt 
als  eine  Verwirklichung  von  Newtons  Licht- 
theorie erkannt  hat.  Diese  Strahlungen 
werden  durch  den  radialen  Flug  kleiner 
Teilchen  (Korpuskeln)  verursacht,  und  jedes 
dieser  Teilchen  führt  eine  elektrische  Ladung 
mit  sich.  Mit  dem  Wort  Strahlung  be- 
zeichnet man  also  jetzt  zwei  ganz  verschie- 
dene Erscheinungen. a  Bekanntlich  sendet 
das  Radium  drei  Gattungen  von  Strahlen 
aus,  doch  liegt  nach  Rutherfords  Experi- 
menten die  Quintessenz  der  Wirkung  in  den 
positiv  geladenen  a- Strahlen,  während  die 
^-Strahlen  negativ  elektrisch  geladen  sind. 
Auch  die  Kathodenstrahlen  sind  Repräsen- 
tanten der  negativ  elektrischen  Belastung; 
erleiden  dieselbe  eine  Geschwindigkeitsände- 
rung, stoßen  dieselben  auf  ein  Hindernis,  so 
geht  von  den  Kathodenstrahlenteilchen  eine 
plötzliche  elektromagnetische  Schwingung 
nach  allen  Richtungen  hin  aus  und  veran- 
laßt die  Entstehung  von  X-Strahlen,  welche 
bekanntlich  Röntgen  entdeckt  hat. 

Es  steht  heutzutage  fest,  daß  die  a-  als 
auch  0-Strahlen  durch  die  Bewegung  mate- 
rieller Teilchen  erzeugt  werden,  doch  sind 
die  Akten  über  das  Wesen  der  /-Strahlen 
noch  nicht  geschlossen.  Während  die  y- 
Strahlen  leicht  durch  eine  zolldicke  Stahl- 
platte  gehen,    werden   die   a-Strahlen   durch 

*)  Autor.  Übersetzung  von  Prof.  Dr.  Siebert: 
Wilde  -Vorlesung,  gehalten  am  23.  2.  04  in  der 
Literary  and  Philosophical  Society  in  Manchester. 
Verlag:   Joh.  Ambrosius  Barth  (Leipzig). 


ein   Blatt  Briefpapier    vollständig    zurückge- 
halten. 

„Die  a-Strahlen  der  Korpuskulargruppe 
und  die  X-Strahlen  der  Wellenstrahlengruppe 
lassen  sich  nur  durch  sehr  kräftige  Agentien 
und  mit  Hilfe  der  feinsten  Meßinstrumente, 
über  die  wir  heute  verfügen,  voneinander 
unterscheiden. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  ein  Unter- 
schied der  Wirkungsweise  der  verschiedenen 
Strahlenarten  auf  organische  Gebilde  vor- 
nehmlich durch  die  differenten  Ionenwerte 
bedingt  ist,  jede  Zelle  im  Organismus  ist 
auf  die  Einwirkung  einer  bestimmten  Energie- 
form speziell  zugeschnitten.  Nicht  nur  die 
chemische  Beschaffenheit  derselben,  sondern 
auch  die  spezifische  Molekülekonfiguration 
bilden  die  maßgebenden  Faktoren  nach  dieser 
Richtung  hin.  —  Auch  bei  der  Wirkung  der 
gewöhnlichen  Lichtstrahlen  machen  sich  diese 
Momente  geltend,  denn  es  steht  heutzutage 
fest,  daß  die  Stäbchen  der  Retina  nur  die 
Empfindung  von  hell  und  dunkel  vermitteln, 
die  Zapfen  dagegen  auf  Farbenunterschiede 
reagieren,  während  die  roten  Wärmestrahlen 
auf  diese  Endigungen  des  Sehnerven  keinen 
Einfluß  ausüben.  Da  die  chemische  Zu- 
sammensetzung bei  beiden  Gebilden  dieselbe 
ist,  so  kann  der  Unterschied  nur  durch  die 
düferente  Anordnung  der  Moleküle  bedingt 
sein,  welche  auf  den  Angriff  bestimmter  Ionen 
zugeschnitten  ist. 

Analoge  Verhältnisse  finden  wir  bei  der 
Wirkungsweise  der  verschiedenen  Fer- 
mente im  lebenden  Organismus.  Auch  hier 
gilt  der  Grundsatz,  daß  ein  Ferment  nur 
wirksam  sein  kann,  wenn  die  zu  zersetzende 
Substanz  sich  ihrer  Molekulekonfiguration 
nach  dem  spezifischen  Fermente  derartig 
anpaßt,  daß  dieselbe  bestimmte  Angriffs- 
punkte darbietet.  Es  werden  beispielsweise 
bei  der  Wirkung  der  hydrolytischen  Fermente 
die  H- Ionen  die  bedeutungsvollen  Faktoren 
darstellen,  durch  deren  Aufnahme  die  Inver- 
tierung dann  bedingt  wird. 

Schon  vor  Jahren  hat  Nasse  nachge- 
wiesen, daß  die  elektrische  Leitfähigkeit 
eines  aktivierten  Fermentes  erhöht  ist. 

Bei  den  Sauerstoff  übertragenden  Oxydasen 
wird  es  sich  um  Aufnahme  von  Hydroxyl- 
ionen  handeln. 

Wir  wissen,  daß  bei  der  Wirkungsweise 
der  hydrolytischen  Enzyme  die  chemische 
Beschaffenheit  der  zu  zei setzenden  Substanz, 
neben  der  Reaktion  des  Mediums,  sowie  die 
Zusammensetzung  des  spezifischen  Fermentes 
selbst  zu  berücksichtigen  ist.  Analoge  Fak- 
toren sind  bei  den  katalytischen  Wirkungen 
der  Oxydasen  auf  die  Wagschale  zu  legen, 
hier  spielen  Metalle  eine  hervorragende  Rolle. 

44» 


574 


8oh«rk,  Ion«nl«br«  und  Therapl«. 


[TiMrspentiMiM 
Monatsheft«. 


—  Die  Bedeutung  der  anorganischen  Sub- 
stanzen ist  für  die  Bestreitung  dieser 
biologischen  Prozesse  zweifelsohne  von  der 
größten  Bedeutung,  und  speziell  die  mini- 
malen Werte  der  verschiedenen  anorgani- 
schen Substanzen  werden  ihre  Funktion  nur 
dann  erfüllen  können,  wenn  sich  Dissozia- 
tionsprodukte gebildet  haben.  —  Auf  die 
Wechselwirkung  resp.  auf  den  gegenseitigen 
Austausch  von  Ionen  sind  die  Prozesse  in 
den  Zellenlaboratorien  des  Organismus  heut- 
zutage zurückzuleiten,  dieselben  werden  durch 
die  Affinitätsgesetze  und  durch  die  relative  Per- 
meabilität der  Membranen  reguliert.  —  Durch 
Endosmose  und  Exosmose  läßt  sich  anderer- 
seits die  selektive  Zellenfunktion  in  einfacher 
Weise  deuten.  Wir  müssen  auf  diese  phy- 
sikalisch-chemischen Gesetze  unser  Augen- 
merk vornehmlich  richten,  wenn  wir  durch 
Anwendung  chemischer  Energie  unsere 
therapeutischen  Anordnungen  treffen.  —  Der 
Grundsatz,  daß  jede  Energie  heilend  oder 
schädigend  auf  den  Organismus  wirken  kann, 
kommt  auch  hier  wieder  zur  Geltung.  Nicht 
nur  die  Methode  der  Anwendung,  sondern 
Qualität  und  Quantität  sind  neben  der  Emp- 
fänglichkeit der  bestimmten  Zellen,  welche 
beeinflußt  werden  sollen,  bei  der  Verordnung 
innerer  Mittel  in  Betracht  zu  ziehen.  Wir 
wissen,  daß  bestimmte  Nervenzellen  beispiels- 
weise zur  Aufnahme  von  Bromionen  beson- 
ders geeignet  sind,  daß  die  Zellen  der  blut- 
bereitenden Organe  die  Aufnahme  von  Eisen- 
ionen begünstigen,  und  können  auf  diese 
Weise  je  nach  Auswahl  der  verschiedenen 
Zellensysteme  im  lebenden  Organismus  unter 
pathologischen  Verhältnissen  unsere  therapeu- 
tischen Maximen  modifizieren. 

Bestätigt  werden  diese  selektiven  Prozesse 
durch  die  Einwirkung  der  verschiedenen 
pathogenen  Mikrobienprodukte  und  anderer 
Gifte  auf  ganz  bestimmte  Zellen,  wie  jeder 
Arzt  im  Verlaufe  der  akuten  Infektions- 
krankheiten am  Krankenbette  alltäglich  be- 
stätigen kann.  Aus  den  exakten  Arbeiten 
von  Louis  Kahlenberg,  Rodney,  H.  True 
und  E.  S.  Hald,  welche  in  Wisconsin  aus- 
geführt wurden,  geht  hervor,  daß  die  Gift- 
wirkung verdünnter  Lösungen  von  Salzen 
und  Säuren  auf  die  Einwirkung  der  H-Ionen 
zurückzuführen  ist  (Bot.  Gazette  1896,  Vol. 
23,  p.  82). 

Von  diesem  Gesichtspunkte  ausgehend, 
wird  uns  auch  die  Wirkungsweise  der 
Mineralwassertrinkkuren,  wie  ich  in 
verschiedenen  Arbeiten  in  den  letzten  Jahren 
hervorgehoben  habe,  verständlich. 

Wenn  von  anderer  Seite  hervorgehoben 
wird,  daß  die  physikalisch-chemische  Analyse 
der  Heilquellen,  wie  dieselbe  jetzt  allgemein 


durchgeführt  wird,  der  Reklame  für  bestimmte 
Mineralquellen  Tor  und  Tür  öffne,  so  ist  der 
Fortschritt,  welcher  durch  die  Anerkennung 
der  Ionentheorie  in  der  Balneologie,  in  der 
Erkenntnis  der  Heilfaktoren  der  natürlichen 
Mineralwässer,  immerhin  zu  verzeichnen  ist, 
so  bedeutungsvoll,  daß  die  Reklameangst  den 
wissenschaftlichen  Bestrebungen  gegenüber 
nicht  in  die  Wagschale  fällt. 

Durch  die  Würdigung  der  Ionenlehre 
wird  die  praktische  Erfahrung,  welcher  die 
Baineologen  gegenüberstehen,  in  einfacher 
Weise  bestätigt,  denn  auf  diesem  Wege  fällt 
der  Widerspruch  fort,  daß  bestimmte  Quellen, 
welche  nach  der  alten  Analysenform  eine 
differente  Zusammensetzung  haben,  bei  ein 
und  derselben  Krankheit  eine  Besserung  der 
Symptome  erzielen  können,  und  daß  ein  und 
dieselbe  Quelle  bei  verschiedenen  Krankheits- 
formen mit  gutem  Erfolg  angewendet  werden 
kann.  Es  wird  sich  um  die  einzelnen  Disso- 
ziationsprodukte handeln,  welche  neben  den 
neutralen  Salzmolekülen  ihre  spezifische  Wir- 
kung bei  pathologischen  Modifikationen  im 
Zellenchemismus  ausüben. 

Es  ist  auffallend,  daß  die  Einführung  der 
Ionenlehre  in  die  balneologischen  Forschungen 
mit  enormen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  hat, 
zumal  bei  Anwendung  anderer  Energieformen 
in  der  Therapie  die  Wirkung  der  Ionen- 
wanderung nie  angezweifelt  ist.  In  erster 
Linie  ist  die  Behandlung  mit  dem  Induktions- 
und konstanten  Strom  anzuführen. 

Ebensowenig  wie  bei  der  Anwendung  der 
elektrischen  Energie  die  Ionenbewegung 
ausgeschlossen  werden  kann,  ist  dieselbe  bei 
dem  jüngsten  Sprößling  der  physikalischen 
Behandlungsmethoden,  der  elektromagne- 
tischen Energie,  von  der  Hand  zu  weisen. 

Schon  F$raday  hat  den  magnetischen 
Kraftlinien  eine  physische  Existenz  zuge- 
schrieben. Während  mit  dem  ruhenden,  dem 
sich  gleichbleibenden  Magnetismus  kein  phy- 
siologischer und  therapeutischer  Erfolg  erzielt 
wird,  steht  heutzutage  fest,  daß  das  elektro- 
magnetische Wechselfeld,  der  sich  stetig  ver- 
ändernde Magnetismus,  dagegen  ein  positives 
Resultat  liefert.  Kalischer3)  hebt  mit 
Recht  hervor,  daß  die  ruhende  Elektrizität 
auf  den  menschlichen  Organismus  ebenfalls 
keinen  Einfluß  ausübt,  wohl  aber  die  strö- 
mende Elektrizität,  die  Elektrizität  in  Be- 
wegung. Ein  konstanter  Gleichstrom  wirkt 
anders  als  ein  intermittierender  Strom  oder 
ein  Wechselstrom  oder  ein  solcher  von  hoher 
und  niederer  Frequenz  oder  ein  undulierender 

3)  Über  die  physikalischen  Grundlagen  der 
elektromagnetischen  Therapie.  Von  Prof.  Dr.  Ka- 
lis eher.  Die  elektromagnetische  Therapie  (System 
Trüb).    Verl.  Gebr.  Lüdeking,  Hamburg  1905. 


XIX.  Jahrgang.") 
November  1906.  J 


Schark,  Ionanlehra  und  Tharapla. 


675 


Strom.  Der  sedative  Einfluß,  welcher  auf 
bestimmte  nervöse  Gebilde  bei  pathologisch 
erhöhter  Erregbarkeit  durch  die  elektro- 
magnetische Bestrahlung  ausgeübt  wird,  ist 
heutzutage  nicht  mehr  zu  bezweifeln. 

Bei  dem  innigen  Zusammenhang,  welcher 
zwischen  Elektrizität  und  Elektromagnetismus 
existiert,  ist  auch  hier  die  Ionenwanderung 
nicht  auszuschließen,  dieselbe  bildet  das 
punctum  saliens  der  therapeutischen  Wir- 
kungsweise. 

Von  welcher  Bedeutung  schließlich  die 
Ionenfrage  für  klimatologische  resp. 
meteorologische  Fragen  ist,  beweisen  die 
Forschungsresultate  der  Aeronauten,  welche 
festgestellt  haben,  daß  je  nach  der  Höhe 
der  Luftschichten  ein  Unterschied  in  dem 
Verhältnis  der  positiv  elektrisch  zu  den 
negativ  elektrisch  geladenen  Ionen  stattfindet 
(vergl.  Aeronautische  Meteorologie  und  Physik 
in  der  Atmosphäre.  Weitere  Messungen  der 
elektrischen  Zerstreuung  im  Freiballon.  Von 
Prof.  Dr.  Hermann  Ebert.  Illustr.  aero- 
nautische Mitteilungen.  Deutsche  Zeitschrift 
für  Luftschiffahrt,  Nr.  2,  1901.) 

Durch  diese  Versuche  mit  dem  Fangkäfig 
findet  die  von  Elster  und  G eitel  aufgestellte 
Ansicht,  daß  die  Atmosphäre  mit  frei  beweg- 
lichen elektrisch  geladenen  Partikelchen,  also 
mit  Ionen  erfüllt  sei,  eine  einwandsfreie  Be- 
stätigung. 

Auch  die  interessanten  Untersuchungen 
Thomsons  über  Bildung  von  Ionennebel 
berechtigen  uns,  Schlüsse  auf  die  Nebel- 
bildung in  der  Atmosphäre  zu  ziehen.  Der- 
selbe hat  nachgewiesen,  daß  bei  einem  ge- 
ringen Grade  von  Abkühlung  sich  die  Nebel- 
tröpfchen nur  um  negative  Ionen  bilden, 
und  erst  bei  größerer  Temperaturerniedrigung 
entstehen  auch  die  positiven  Ionen  (vergl. 
Prof.  G.  Mie:  Moleküle,  Atome,  Weltäther. 
Verlag  von  B.  G.  Teubner,  Leipzig  1904). 

Es  ist  einleuchtend,  daß  diese  For- 
schungen, welche  jetzt  noch  im  Anfangs- 
stadium sich  bewegen,  mit  der  Zeit  für  die 
Deutung  der  Höhenluftwirkung  auf  den 
menschlichen  Organismus  unter  normalen 
und  pathologischen  Verhältnissen  sowie  für 
die  Einwirkung  der  Witterungsmodifikationen 
von  großem  Einfluß  sein  werden.  —  Gehen 
die  Resultate  in  der  Erkenntnis  doch  schon 
so  weit,  daß  neuerdings  Ridout  in  der 
physikalischen  Gesellschaft  in  London  kon- 
statiert hat,  daß  in  runden  Zahlen  1141/9  Mill. 
Wasserstoffatome  dazu  gehören,  um  anein- 
ander gereiht  eine  Linie  von  einem  Zenti- 
meter Länge  zu  bilden.  Thomson  fand 
unabhängig  von  Ridout  die  Größe  eines 
Wasserstoffmoleküls,  doppelt  so  groß  wie 
Ridout  den  Wert  für  den  Durchmesser  des 


Wasserstoffatoms  berechnet  hatte.  Da  das 
H-Molekül  doppelt  so  groß  wie  ein  H-Atom, 
so  stimmen  demnach  beide  Rechnungen  in 
frappierender  Weise. 

Wir  sind  nach  Thomson  heutzutage  zu 
der  Annahme  berechtigt,  daß  jede  Art  von 
Stoff  Elektrizität  in  sich  birgt,  dieselbe 
bildet  die  bewegende  Kraft  in  den  Schwin- 
gungen der  Atome. 

Deshalb  haben  wir  allüberall  mit  der 
Ionen  Wanderung  zu  rechnen,  nicht  nur  im 
Reagenzglase,  sondern  im  Zellenchemismus 
unter  physiologischen  und  pathologischen  Be- 
dingungen bildet  die  Ionenlehre  die  Grund- 
lage der  weiteren  Erkenntnis  im  Zellen- 
leben. 

Wir  stehen  jetzt  auf  dem  Standpunkte, 
daß  unter  physiologischen  Bedingungen  die 
Eindrücke,  welche  die  Sinnesorgane  infolge 
der  verschiedenen  energetischen  Leistungen 
der  Außenwelt  empfangen,  auf  Einwirkung 
bestimmter  Ionen  resp.  auf  den  sogen.  Ionen- 
stoß zurückzuführen  sind. 

In  diesem  Sinne  hat  Louis  Kahlen- 
berg  schon  vor  Jahren  konstatiert,  daß  sich 
die  verschiedenen  Ionen  durch  den  Ge- 
schmacksinn unterscheiden  lassen.  Der  sauere 
Geschmack  ist  der  Konzentration  der  Wasser- 
stoffionen, der  alkalische  Geschmack  der 
der  Hydroxylionen  proportional.  Dagegen 
schmecken  die  Chlorionen  salzig,  die  Kai  mm - 
ionen  bitter,  die  Silberionen  metallisch  etc. 
Je  intensiver  die  Ionen  das  Protoplasma 
durchdringen,  um  so  deutlicher  tritt  der 
Geschmack  hervor  (Ob ertön). 

Im  Jahre  1896  hebt  N ernst  in  seiner 
Festrede,  welche  derselbe  zur  Einweihung 
des  Instituts  für  physikalische  Chemie  und 
Elektrochemie  in  Göttingen  gehalten  hat, 
hervor : 

„In  der  Diffusion  der  Salze,  in  zahl- 
reichen chemischen  Vorgängen  spielen  nach 
unseren  jetzigen  Anschauungen  elektrische 
Kräfte  eine  entscheidende  Rolle.  Umgekehrt 
lehren  die  Erscheinungen  der  Ionen  Wanderung 
und  Elektrolyse,  daß  wir  durch  Zufuhr  elek- 
trischer Energie  Diffusionsvorgänge  und  zahl- 
reiche chemische  Prozesse  hervorrufen  können. a 

Wenn  andererseits  der  Vorwurf  erhoben 
wird,  daß  die  Anerkennung  der  minimalen  Werte 
und  ihrer  Bedeutung  im  Zellenhaushalte  der 
Hahnemann  sehen  Irrlehre  eine  Stütze 
liefere,  so  ist  zu  entgegnen,  daß  die  Errungen- 
schaften der  physikalisch  chemischen  Wissen- 
schaft mit  dem  naiven  Grundsatze:  „similia 
similibus  curantur"  absolut  nichts  zu  schaffen 
haben. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  wir  bei  den 
komplizierten  Vorgängen  im  lebenden  Orga- 
nismus   den   Grad   der  Verdünnung  von  Lö- 


576 


Sti«rlln,  Üb«r  HlttoMD. 


fThartpeutlflclie 
L  Monatshefte. 


sungen  nicht  nach  einem  Schema  beurteilen 
dürfen;  welche  Faktoren  zu  berücksichtigen 
sind,  betont  J.  Matuscheck  (Chem.-Ztg. 
Nr.  41,  1902). 

„Wenn  zwei  Verbindungen  aufeinander 
wirken  sollen,  so  ist  es  in  vielen  Fällen 
nötig,  daß  sie  sich  vorher  in  Lösung  befinden. 
Ein  Gleichgewichtszustand  tritt  dann  ein, 
wenn  sich  neben  dem  beständigeren  Körper 
der  unbeständigere  oder  der  in  einem  Lö- 
sungsmittel weniger  lösliche  neben  dem 
löslicheren  gebildet  hat.  Die  Reaktion  wird 
um  so  schneller  verlaufen,  je  schneller  die 
hydrolytische  Spaltung  der  einzelnen  Kom- 
ponenten und  je  größer  die  chemische  Ver- 
wandtschaft der  in  Lösung  befindlichen 
Ionen  zueinander  sein  wird.  Ist  die  Ioni- 
sation eine  geringe,  so  kann  oft  durch 
Wärmezufuhr  oder  Elektrizität  eine  Reaktion 
der  Körper  herbeigeführt  werden.  Die  che- 
mische Verwandtschaft  der  einzelnen  Ionen 
der  neuen  Verbindung  im  Vergleiche  zu 
jenen  der  aufeinander  einwirkenden  wird 
dann  den  höchsten  Wert  erreicht  haben, 
wenn  zur  Spaltung  weder  Wärme  noch  Elek- 
trizität noch  ein  Lösungsmittel  notwendig 
war,  wenn  also  die  Körper  in  festen  Formen 
durch  bloße  Berührung  aufeinander  ein- 
wirken." 


Über  HistosaD. 

Von 
Dr.  R.  Stierlin, 

dirigierendem  Arzt  des  Kantontspitals  Wmterthur. 

Im  Juni  1903  stellte  mir  Herr  Dr.  H.  C. 
Fehrlin,  technischer  Chemiker  in  Schaff- 
hausen (Schweiz),  eine  von  ihm  hergestellte 
Guajakolei  weiß  Verbindung  zur  Verfügung  mit 
der  Bitte,  dieselbe  bei  Tuberkulosen  alier 
Art  im  Kantonsspital  Winterthur  versuchs- 
weise anzuwenden. 

Herr  Dr.  Fehrlin  schrieb  mir  dazu  fol- 
gendes: „Da  sich  unter  allen  zur  Bekämpfung 
der  Tuberkulose  angewendeten  Arzneimitteln 
das  Guajakol  am  besten  bewährt,  habe  ich 
mich  bestrebt,  ein  Präparat  davon  her- 
zustellen, das  die  bis  jetzt  vorhandenen 
Präparate  an  Wirksamkeit  übertrifft,  indem 
es  einerseits  das  Guajakol  in  möglichst  un- 
veränderter Form  enthält  und  andererseits 
keine  unangenehmen  Nebenwirkungen  ausübt. 
In  der  von  mir  hergestellten  Guajakoleiweiß- 
verbindung,  die  ich  unter  dem  Namen  Histosan 
in  den  Handel  bringen  möchte,  glaube  ich, 
ein  solches  Mittel  gefunden  zu  haben. 

Vor  allem  hat  das  Histosan  die  Eigen- 
schaft, im  sauern  Magensaft  unlöslich,  da- 
gegen  in    verdünnten  Alkalien   leicht  löslich 


zu  sein  und  daher  nur  vom  Darme  resorbiert 
werden  zu  können.  Dasjenige  von  den  bis- 
lang bekannten  Präparaten,  das  in  dieser 
Beziehung  am  meisten  versprach,  das  Gua- 
jakolkarbonat  oder  Duotal,  spaltet  sich  bei 
krankhaften  Zuständen  des  Magens  schon 
dort  und  ist  überdies  wie  alle  andern  Gua- 
jakolpräparate  mehr  oder  weniger  in  Alkohol, 
sogar  in  verdünntem,  löslich.  Es  kann  da- 
her unter  Umständen  schon  im  Magen  resor- 
biert werden,  so  daß  Intoxikationswirkungen 
leichter  entstehen. 

Hiervon  abgesehen,  hat  aber  das  Histosan 
gegenüber  allen  andern  Guajakolverbin düngen 
auch  noch  den  Vorteil,  daß  es  das  Guajakol 
in  seiner  wirksamsten  Form  dem  Körper  zu- 
führt, während  im  sogenannten  Thiokol  be- 
ziehungsweise Sirolin  die  Wirkung  des  Gua- 
jakols  naturgemäß  durch  die  Sulfogemische 
so  abgestumpft  ist,  daß  das  Thiokol  keine 
antiseptischen  Eigenschaften  mehr  besitzt 
(Korrespondenzblatt  f.  Schweizer  Ärzte  1903, 
Beil.  23,  790  und  791  und  Arch.  f.  experi- 
mentelle Pathologie  und  Pharmakologie,  Bd.  50, 
pag.  333). 

Außerdem  dürfte  die  Eiweißzufuhr  bei 
Genuß  des  Albuminates  ebenfalls  eine  nicht 
zu  unterschätzende  heilsame  Wirkung  auf 
den  Ernährungszustand  der  Patienten  üben, 
und  ferner  erscheint  es  äußerst  wichtig,  daß 
das  Histosan  als  hochmolekulare  Eiweiß- 
verbindung im  Körper  sehr  haltbar  ist,  wes- 
halb es  seine  bakterizide  Wirkung  lange 
Zeit  hindurch  entfaltet  und  dadurch  nicht 
nur  heilend,  sondern  auch  prophylaktisch 
wirkt.  Auf  Grund  chemischer  Versuche  muß 
man  nämlich  annehmen,  daß  das  Guajakol- 
albuminat  ganz  langsam  vom  Darmsaft  auf- 
gelöst und  resorbiert  wird.  Diese  vom  alka- 
lischen Darmsaft  bewirkte  Lösung  ist  ge- 
spaltenes Guajakolalbuminat  in  Form  eines 
Gemenges  von  Guajakolnatrium  und  Gua- 
jakolnatriumalbuminat,  und  diese  beiden  Kom- 
ponenten wirken  dann  auf  ihrem  ferneren 
Gange  -durch  den  Organismus  teils  für  sich, 
teils  erleiden  sie  weitere  chemische  Verände- 
rungen, so  daß  Guajakol  selbst  abgespalten 
und  schließlich  im  Harn  als  Ätherschwefel- 
säure ausgeschieden  wird." 

Obschon  die  in  dieser  Zuschrift  ent- 
haltenen Prämissen  über  die  Wirkungsweise 
des  Guajakols  einer  strengen  Kritik  kaum 
standhalten,  so  ging  ich  doch  gerne  auf 
die  Wünsche  des  Herrn  Dr.  Fehrlin  ein, 
da  auch  ich  nach  meinen  Erfahrungen  das 
Kreosot  resp.  seine  von  Sahli  und  Pen- 
zoldt  empfohlene  Hauptkomponente,  das 
Guajakol,  unter  den  gegen  Tuberkulose  em- 
pfohlenen internen  Mitteln  auf  den  ersten 
Platz  stelle. 


XIX.  jAhrgang/! 
November  1905.J 


Stlerlln,  Üb«r  HtotoMn. 


577 


Für  Ungiftigkeit  des  Histosans  in  der 
von  ihm  angegebenen  Dosierung  übernahm 
Herr  Dr.  Fehrlin  auf  Gruod  zahlreicher 
Versuche  an  Gesunden  jede  Garantie. 

Das  Mittel  wurde  ungefähr  ein  Jahr  lang 
angewendet,  und  zwar  ausschließlich  bei  Tuber- 
kulösen .  Anfangs  erhielten  wir  es  in  Pulverform 
mit  der  Weisung,  Erwachsenen  3  mal  0,5,  Kin- 
dern 3 mal  0,25  pro  die  zu  verabreichen,  später 
stellte  Herr  Dr.  Fehrlin  einen  5proz.  Sirup 
dar,  von  dem  man  also,  um  die  gleiche  Do- 
sierung zu  erhalten,  Erwachsenen  3  mal  10, 
Kindern  3  mal  5  ccm  pro  die  zu  geben  hatte. 
Das  Pulver  war  von  hellbrauner  Farbe  und 
roch  stark  nach  Guajakol,  die  sirupöse  Lö- 
sung ist  eine  gelbe,  klare  Flüssigkeit,  die 
meinem  Gaumen  wegen  ihres  scharfen,  etwas 
brennenden  Geschmackes  nicht  gerade  zu- 
sagte, aber  von  allen  Kranken,  Erwachsenen 
wie  Kindern,  gerne  genommen  wurde. 

Im  ganzen  haben  27  Kranke  das  Histosan 
längere  Zeit  gebraucht.  Erst  waren  wir,  wie 
es  sich  einem  neuen  Mittel  gegenüber  gehört, 
mit  seiner  Anwendung  sehr  vorsichtig,  wählten 
nur  leichtere  Fälle  aus  mit  noch  gutem  Kräfte- 
zustand  und  ließen  es  auch  diesen  nur  bei 
vollem  Magen  verabreichen.  Als  wir  aber 
sahen,  daß  das  Präparat  ausnahmslos  gut 
vertragen  wurde,  zogen  wir  es  auch  zur  Be- 
handlung schwerkranker,  fiebernder,  herunter- 
gekommener Patienten  heran. 

Aus  allen  unsern  Beobachtungen  darf  ich 
mit  Überzeugung  den  Schluß  ziehen,  daß  das 
Histosan  der  Grundbedingung  eines  Arznei- 
mittels „ nihil  nocere"  in  jeder  Hinsicht  ge- 
recht wird.  Bei  keinem  einzigen  Kranken 
konnten  wir  eine  schädliche  Wirkung  des 
Präparates  konstatieren:  wir  haben  weder 
Magenverstimmungen  noch  Brechreiz  noch 
Abnahme  des  Appetites  noch  unangenehme 
Wirkungen  auf  den  Darm  gesehen;  ebenso- 
wenig irgend  welche  Alterationen  des  Allge- 
meinbefindens. Doch  gilt  dies  Urteil  nur, 
solange  man  an  der  von  Dr.  Fehrlin  an- 
gegebenen Dosierung  festhält.  Denn  bei  zwei 
Patienten,  bei  denen  wir  versuchsweise  die 
täglichen  Gaben  steigerten,  begann  alsbald 
der  Magen  zu  protestieren.  Die  von  Fehrlin 
eingeführte  Dosierung  dürfte  somit  —  Aus- 
nahmen vorbehalten  —  die  richtige  sein. 

Aber  freilich  —  ein  Medikament  soll 
nicht  nur  in  präzisierten  Dosen  anstandslos 
vertragen  werden,  sondern  es  soll  auch  Heil- 
wirkungen entfalten,  sonst  hat  es  eben  kein 
Anrecht  auf  einen  Platz  im,  Arzneischatze. 
Und  deshalb  will  ich  nun  getreulich  be- 
richten, was  aus  den  27  Patienten,  denen  wir 
Histosan  längere  Zeit  hindurch  ordinierten, 
geworden  ist. 


1.  Zunächst  10  Patienten  mit  Lunge  ntuber- 
lose,  7  männlichen,  3  weiblichen  Geschlechts.  Bei 
allen  wurde  das  Histosan  mehrere  Wochen  bis 
einige  Monate  fast  unausgesetzt  gegeben. 

Von  diesen  10  Kranken  sind  3  gestorben  -r- 
lauter  sehr  schwere  Fälle  und  zu  dem  Zeitpunkte, 
als  die  Histosanbehandlung  begann,  schon  in  vor- 
geschrittenen Stadien  befindlich.  Ein  ebenfalls 
schwerkrankes  Mädchen  wurde  auf  seinen  dringen- 
den Wunsch  völlig  ungeheilt  nach  Hause  entlassen. 
Ich  weiß  seither  nichts  mehr  von  ihm. 

2  Kranke  wurden  in  die  zürcherische  Heil- 
stätte für  Lungenkranke  in  Wald  versetzt,  nach- 
dem sich  ihr  Befinden  wesentlich  gehoben  hatte. 
Von  den  4  übrigen  Fällen  konnten  3,  zwei  leichte 
und  ein  mittelschwerer  rückfalliger,  wesentlich  ge- 
bessert, um  nicht  zu  sagen  geheilt,  mit  beträcht- 
licher Gewichtszunahme  nach  Hause  entlassen  werden. 
Dem  mittel  schweren  Fall  geht  es  auch  jetzt  nach 
Jahresfrist  sehr  gut.  Ich  begegne  dem  Mädchen 
sehr  häufig. 

Der  10.  Patient,  eine  überaus  chronisch  ver- 
laufende, wenngleich  nach  den  physikalischen  Er- 
scheinungen gar  nicht  leichte  Lungentuberkulose, 
befindet  sich  jetzt  etwas  über  2  Jahre  im  Spital 
mit  stets  in  mäßigen  Grenzen  schwankendem  Körper- 
gewicht und  fast  unverändertem  Befund.  Die  Zeit, 
während  welcher  er  Histosan  einnahm,  hatte  keine 
eklatante  Besserung  nach  sich  gezogen. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  können  wir 
zunächst  einen  sichern  Schluß  ziehen,  den 
nämlich,,  daß  bei  vorgeschrittenen  Fällen  die 
Histosanbehandlung  aussichts-  und  erfolglos 
ist,  was  übrigens  von  vornherein  zu  erwarten 
war.  Auch  von  ihren  wärmsten  Verehrern 
sind  die  Kreosotpräparate  nicht  als  Panacee 
gegen  Lungentuberkulose  empfohlen  worden, 
und  daß  das  Histosan  in  dieser  Hinsicht 
keine  Ausnahmestellung  einnehmen  werde, 
ließ  sich  denken. 

2.  Drei  Kranke  mit  Peritonitis  tuberculosa, 
sämtlich  jugendliche  Individuen.  Hiervon  wurden 
zwei  laparotomiert,  weil  mit  starkem  freien  Erguß 
einhergehend,  dann  mit  Histosan  nachbehandelt 
und  in  sehr  kurzer  Zeit  völlig  geheilt  mit  Gewichts- 
zunahme entlassen.  Der  eine  Kranke  ist  seither 
völlig  gesund  geblieben  und  versieht  schwere  Arbeit, 
den  andern  habe  ich  aus  den  Augen  verloren.  Der 
dritte  Patient  war  bei  der  Aufnahme  schon  in  deso- 
latem Zustand.  Eine  Laparotomie  gelang  nicht,  da 
alle  Baucheingeweide  untereinander  verwachsen 
waren.    Er  starb  nach  wenigen  Wochen. 

3.  Ein  Patient  mit  seröser  Pleuritis  sicher  tuber- 
kulöser Natur.  Rasche  Entfieberung,  Resorption 
und  Gewichtszunahme.    Gänzlich  geheilt  entlassen. 

4.  Ein  Patient  mit  Tub.  testis  und  gleich- 
zeitiger Hauttuberkulose.  Der  Hode  wurde  selbst- 
verständlich entfernt,  die  Hautaffektion  durch  His- 
tosanbehandlung nicht  beeinflußt. 

5.  Zwölf  Kranke  mit  Tuberkulose  der  Knochen 
und  Gelenke.  Hiervon  ist  ein  Kind  an  Meningitis 
tub.  gestorben,  nachdem  es  wegen  Tuberkulose 
des  Kniegelenks  erst  reseziert  und  dann  amputiert 
worden  war  —  also  vollständig  erfolgloser  Fall 
von  Histosanbehandlung. 

In  ganz  unverändertem  resp.  seit  einigen 
Wochen  sich  verschlechterndem  Zustande  befindet 
sich  ein  Junge  mit  Spondylitis  dorsalis.  Ein  junger 
Mann  mit  Spondylitis  cervicalis  abscedens  ist  in 
ziemlich  elendem  Zustande  auf  seinen  Wunsch  ent- 


578 


Sti«rlin,  Üb«r  HistoMn. 


rTharaf»nti»ehe 
L   Monatihefte. 


lassen  worden,  soll  sich  aber  seither  erstaunlich 
erholt  haben.  Ein  weiterer  mit  Beckentuberkulose 
hat  die  Anstalt  ganz  ungeheilt  verlassen.  Ein 
Mann  in  mittlerem  Alter,  der  wegen  multipler  Tuber- 
kulose (am  Schädel,  Stern  um,  Testis)  mehrmals 
operiert  worden  war,  wurde  so  gebessert,  daß  er 
entlassen  werden  konnte.  Er  kam  dann  nach  einiger 
Zeit  wieder  mit  einem  schweren  Rezidiv.  Wieder 
erhielt  er  Histosan,  seine  Ulzerationen  wurden  nach 
chirurgischen  Grundsätzen  behandelt,  und  wieder 
ging  er  sehr  gebessert  von  dannen. 

Ein  weiterer  Fall  von  Spondylitis  ging  geheilt 
nach  Hause.  Es  versteht  sich  von  selber,  daß  auch 
ihm  neben  dem  Gebranch  von  Histosan  die  Be- 
handlung zuteil  wurde,  wie  sie  die  moderne  Ortho- 
pädie für  solche  Fälle  vorschreibt. 

Fünf  Patienten  wurden  operiert  (Tub.  cubiti, 
malleoli,  tarsi,  trochanteris,  costae)  und  erhielten 
während  der  Nachbehandlung  Histosan.  Sie  sind 
geheilt  mit  Ausnahme  der  Rippenerkrankung.  Diese 
wurde  rezidiv  —  es  handelte  sich  um  ein  Mädchen 
von  sonst  gesundem  Habitus  —  und  heilte  erst 
nach  einer  zweiten  Operation  aus,  nach  welcher 
Histosan  nicht  mehr  gegeben  worden  war.  In 
diesem  Falle  muß  also  jeder  Erfolg  des  Mittels 
in  Abrede  gestellt  worden. 

Der  Fall,  den  ich  mir  für  zuletzt  aufgespart 
habe,  ist  eine  pathologische  Merkwürdigkeit.  Es 
handelt  sich  um  einen  Jungen  von  11  Jahren,  der 
sich  vom  Frühjahre  1899  bis  zum  Frühjahre  1904, 
also  volle  5  Jahre,  in  der  Anstalt  aufhielt,  und 
zwar  wegen  Tub.  coxae,  erst  Extensionsbehandlung, 
dann  Resektion.  Keine  Ausheilung,  die  Pfanne 
und  die  angrenzenden  Beckenabschnitte  stark  affi- 
ziert.  Multiple,  stark  sezernierende  Fisteln,  im 
Laufe  der  Zeit  Amyloid  degeneration  von  Leber 
und  Nieren,  erstere  durch  Vergrößerung  aufs 
Doppelte,  letztere  durch  konstante  Albuminurie 
sicher  nachgewiesen,  übrigens  auch  ganz  typisches 
wachsartig  es  Aussehen.  Auf  einmal  im  Frühjahr 
1903  ein  Umschwung:  der  Appetit  wird  besser, 
das  Aussehen  ebenfalls,  die  Fisteln  sezernieren 
weniger,  einzelne  schließen  sich,  die  Leber  ver- 
kleinert sich  zusehends,  und  gleichzeitig 
verschwindet  das  Eiweiß  dauernd  aus  dem 
Urin.  Im  Winter  1903/04  beginnt  Patient  mit 
Krücken  zu  gehen,  und  im  Sommer  1904  kann  er 
am  Stocke  gehend  entlassen  werden.  Bis  jetzt 
geht  es  ihm  andauernd  gut. 

Der  Fall  dürfte  beinahe  ein  Unikum 
sein  —  ich  wenigstens  habe  bisher  nie  ge- 
wußt, daß  vorgeschrittene,  klinisch  un- 
verkennbare Amyloiddegeneration  der  großen 
Unterleibsdrüsen  einer  Rückbildung  fähig  ist. 

Der  Patient  hat  sehr  lange  Histosan  ein- 
genommen, allein  ich  muß  wahrheitsgetreu 
berichten,  daß  der  Beginn  der  Besserung  zeit- 
lich nicht  ganz  mit  der  Histosananwendung 
zusammenfiel,  sondern  ihm  etwas  vorausging. 
Immerhin  waren  die  Fortschritte  in  der  Ge- 
nesung während  der  Histosanperiode  enorm 
und  rapid. 

Soviel  über  das  Schicksal  der  27  Kranken, 
denen  Histosan  längere  Zeit  hindurch  ver- 
abreicht wurde.  Ist  es  nun  gestattet,  hier- 
aus bestimmte  Schlüsse  hinsichtlich  der  Heil- 
wirkung des  Mittels  zu  ziehen?  Ich  glaube 
kaum,  am  allerwenigsten,  wenn  wir  nur  die 
Zahlen  sprechen  lassen  und  ziffermäßig  die 


Heilresultate  feststellen  wollten.  Nirgends 
ist  es  heutzutage  weniger  erlaubt,  an  das 
„post  hoc  ergo  propter  hoc"  zu  glauben  als 
bei  einem  Mittel  gegen  die  Tuberkulose. 
Eines  nur  ist  unbestreitbar,  und  das  ist  der 
Wert  guter  Pflege  in  wohlgeleiteten  Anstalten. 
Günstige  klimatische  Lage  einer  Anstalt  ist 
natürlich  ein  vorzügliches  Unterstützungs- 
mittel der  Kur,  doch  können  wir  in  unseren, 
inmitten  von  Städten  liegenden  Kranken- 
häusern täglich  beobachten,  daß  gute  Ver- 
pflegung allein  schon  recht  viel  leisten  kann. 

Alle  eigentlichen  Arzneimittel,  die  wir 
neben  der  diätetischen  Kur  verabfolgen,  sind, 
wenn  wir  offen  sein  wollen,  nur  mehr  weniger 
wertvolle,  meist  aber  nicht  eben  mächtige 
Bundesgenossen  im  Kampfe  gegen  den  Tuber- 
kelbazillus und  seine  Verheerungen. 

Und  doch,  wenn  ich  die  vorstehenden 
Histosanfälle  im  einzelnen  durchgehe,  wenn 
ich  mir  an  Hand  der  Krankengeschichten 
den  Kurverlauf,  den  ich  hier  nur  andeuten 
konnte,  genau  rekonstruiere,  kann  ich  mich 
dem  Eindruck  nicht  entziehen,  daß  dieser 
und  jener  Fall  von  dem  Mittel  wirklich 
günstig  beeinflußt  worden  ist.  Manche  Lungen- 
kranke haben  sich  überaus  rasch  und  voll- 
ständig erholt  unter  starker  Zunahme  des 
Körpergewichts  und  erheblicher  Verbesserung 
des  physikalischen  Befundes,  viele  von  den 
chirurgischen  Tuberkulosen  sind  schneller  aus- 
geheilt, als  wir  es  sonst  zu  sehen  gewohnt 
waren. 

#  Ich  stehe  daher  nicht  an,  das  Histosan 
weiter  zu  empfehlen.  So  viel  wie  andere 
Guajakolpräparate  leistet  es  bei  Tuberkulösen 
jedenfalls,  wahrscheinlich  mehr.  Der  Gedanke, 
das  Guajakol  mit  Eiweiß  zu  verbinden,  ist 
in  mancher  Hinsicht  ein  glücklicher  zu  nennen. 

Eine  seriöse  Nachprüfung  verdient  das 
Histosan  unbedingt,  und  ich  würde  es  sehr 
gerne  sehen,  wenn  dieselbe  vor  allem  da  in 
die  Hand  genommen  würde,  ,wo  die  Behand- 
lung Tuberkulöser  ausschließlich  geübt  wird, 
und  wo  man  infolge  davon  dem  Verlaufe 
jedes  Falles  noch  mehr  im  einzelnen  nach- 
gehen kann,  als  dies  in  einem  großen  allge- 
meinen Krankenhause  möglich  ist,  nämlich 
in  den  zahlreichen  Heilstätten  für  Lungen- 
kranke. 

Daneben  aber  empfehle  ich  auch  den 
Leitern  chirurgischer  Abteilungen  und  den 
Direktoren  von  Kinderspitälern  gelegentlich 
in  der  Nachbehandlung  operierter  Tuber- 
kulosen das  Histosan  zu  ordinieren  statt  des 
Lebertrans  und  sonst  üblicher  Mittel. 


XIX.Jahrgftnff.1 
November  1906.  J 


Bay«r,  Behandlung  d«r  kroupös«n  Pneumonie. 


579 


Direkte  Behandlung:  der  kroupösen 
Pneumonie. 

Von 

Dr.  Leopold  Bayer  in  Hatzfeld  (Ungarn). 

Das  Verfahren,  welches  ich  jetzt  bei  der 
Behandlung  der  Pneumonie  befolge,  bietet 
mir  die  Möglichkeit,  die  Krankheit  selbst  als 
das  nächste  Ziel  meiner  Therapie  ins  Auge 
zu  fassen,  ohne  sie  in  ihren  einzelnen  Sym- 
ptomen bekämpfen  zu  müssen.  Auf  zwei 
vielgebrauchte  Antipyretica  —  Chinin  und 
Natrium  salicylicum  —  sich  stützend,  unter- 
scheidet es  sich  von  der  sonst  üblichen 
antipyretischen  Anw endungs  weise  dieser  Mittel 
durch  die  relative  Kleinheit  der  Einzelgaben 
und  deren  Verteilung  auf  größere  Zeitab- 
schnitte. Für  Personen  im  mittleren  Lebens- 
alter verschreibe  ich: 

Rp.    Chinini  hydrochlorici   1,0 
Natrii  salicylici  2,0 

M.   Divide  in  part.  aequ.  No.  VI. 
S.   Täglich  3—4  Pulver. 

Mit  der  Diagnose  der  Pneumonie  ist  zu- 
gleich auch  die  Indikation  £ür  die  Anwendung 
des  Mittels  gegeben.  Es  eignet  sich  sowohl 
für  schwere  als  für  leichte  Fälle,  auch  für 
Personen  im  höheren  Alter  und  in  jedem 
Stadium  der  Krankheit.  Zur  Zeit  der  heran- 
nahenden Krise  gegeben,  scheint  es  sogar 
deren  Eintritt  zu  fördern.  In  manchen  Fällen 
mußte  es  nur  einmal,  in  anderen  bis  dreimal 
—  gewöhnlich  jeden  zweiten  Tag  —  ver- 
schrieben werden.  Eine  Kontraindikation  läßt 
sich  kaum  denken,  da  von  den  kleinen  Gaben 
schädliche  Nebenwirkungen  nicht  zu  befürchten 
sind. 

Der  Einfluß  auf  den  Verlauf  der  Krankheit 
zeigt  sich  —  oft  schon  nach  dem  Verbrauch 
der  ersten  Pulver  —  in  der  Mäßigung  der 
Hauptsymptome:  des  Fiebers,  Seitenstechens 
und  der  Atemnot,  demnach  auch  in  der 
Besserung  des  Allgemeinbefindens.  Die  Tem- 
peratur wird  wohl  nicht  auf  die  Norm  herab- 
gedrückt, hält  sich  aber  auf  mäßiger  Höhe 
(um  38,5°).  Manchmal  gelingt  es,  die  Krank- 
heit abzukürzen.  Der  Ausgang  in  Genesung 
ist  mit  ziemlicher  Gewißheit  zu  erwarten; 
die  Krisis  ist  leicht,  und  die  Kranken  erholen 
sich  meist  in  auffallend  kurzer  Zeit. 

Diese  Wirkung  des  Mittels  konnte  be- 
sonders gut  in  zehn  aufeinander  folgenden 
Fällen  von  Pneumonie  beobachtet  und  kon- 
statiert werden,  welche  behufs  Entscheidung 
der  Frage,  ob  das  von  mir  schon  seit  Jahren 
mit  Vorliebe  angewandte  Mittel  der  indicatio 
morbi  genüge,  also  als  ein  direktes  Heilmittel 
der  Krankheit  in  Betracht  kommen  könne, 
mit  Ausschluß  jedes  anderen  Mittels  behandelt 
wurden.     Die  Probe  gelang  vorzüglich,  denn 


alle  Fälle  verliefen  so  glatt  und  glücklich, 
daß  ich  zur  Anwendung  eines  anderen  Mittels 
keinen  Anlaß  hatte,  wie  aus  der  folgen- 
den kurzen,  vorwiegend  die  therapeutischen 
Momente  berücksichtigenden  Beschreibung  der 
Fälle  zu  ersehen  ist. 

I.  Fall.  Anna  W.,  77  Jahre,  erkrankte  am 
23.  April  1904  mit  Schüttelfrost  and  Stechen  aaf 
der  Brust. 

24.  IV.  Dämpfung  and  bronchiales  Atmungs- 
geräusch  über  dem  linken  Unterlappen.  Ther.: 
Chin.  mar.  0,6,  Natr.  salicyl.  1,0.  In  dos.  VI. 
Täglich  4P. 

26.  IV.  Ther.:  Chin.  0,4,  Natr.  salicyl.  1,0.  In 
dos.  VI.    Täglich  3  P. 

27.  IV.    Temperatur  und  Puls  normal. 
29.  IV.   Vollkommen  wohl. 

Nach  weiteren  acht  Tagen  ganz  hergestellt. 

2.'  Fall.    Josef.  Scb.,  18  Jahre,  erkrankte  am 

18.  Juli  mit  Schüttelfrost  und  Seitenstechen. 

20.  VII.  Rostfarbenes  Sputum,  Dämpfung, 
Bronchialatmen.  Puls  100.  Ther. :  Chinin  1,0,  Natr. 
salicyl.  2,0.    In  dos.  VI.    Täglich  4  P. 

22.  VII.    Puls  70.     Temp.  normal. 
Giüg  am  26.  in  Arbeit. 

8«  Fall.  Anna  Str.,  68  Jahre.  Hat  im  ver- 
gangenen Jahre  eine  Pneumonie  überstanden  und 
litt  vor  zwei  Monaten  an  Asthma.    Erkrankte  am 

19.  Juli. 

21.  VII.  Sehr  heftiges  Seitenstechen.  Ther.: 
Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0.  In  dos.  VI.  Täglich  3  P. 

23.  VII.  Dämpfung  und  Bronchialatmen  in  der 
rechten  Schulterblattgegend.  Sputum  rostfarben. 
Ther.:  Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0.    Wie  vorher. 

25.  VII.  Befinden  befriedigend.  Temp.  38,5°. 
Ther.:    Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0,  zum  drittenmal. 

27.  VII.  Schwitzt  seit  gestern.  Temp.  und 
Puls  normal.    Etwas  Hasten,  sonst  wohl. 

4.  Fall.  Michael  B.,  42  Jahre.  Erkrankte  am 
6.  September  mit  Frost. 

7.  IX.  Temp.  39°.  Ther.:  Chin.  1,0,  Natr. 
salicyl.  2,0.    In  dos.  VI.    Taglich  4  P. 

9.  IX.  Temp.  38,2°.  Ther.:  Chin.  1,0,  Natr. 
salicyl.  2,0.    In  dos.  VI.    Täglich  4  P. 

II.  IX.  Begann  gestern  abends  zu  schwitzen; 
schwitzt  noch.    Temp.  36.7°. 

5.  Fall.  Peter  M.,  42  Jahre,  Taglöhner  von 
schwächlicher  Konstitution,  dessen  Vater  an  Tuber- 
kulose gestorben  iat.  Erkrankte  am  25.  September 
mittags  mit  Schüttelfrost. 

26.  IX.  Stechen  in  der  rechten  Seite.  Dämpfung 
und  bronchiales  Atmen  über  dem  rechten  Unter- 
lappen. Temp.  38,5°.  Ther. :  Chin.  1,0,  Natr.  salicyl. 
2,0.    In  dos.  VI.    Täglich  4  P. 

29.  IX.  Hätte  gestern  die  Pulver  wiederholen 
sollen,  nahm  aber  nichts,  weil  er  sich  wohl  fühlte. 
Nachts  trat  dann  Stechen  in  der  linken  Seite  auf. 
Temp.  38,7°.  Ther.:  Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0. 
In  dos.  VI.     Täglich  4  P. 

1.  X.  Stechen  hat  nachgelassen.  Sputum  honig- 
gelb, zähe.  Links  über  dem  Unterlappen  Dämpfung 
und  Bronchialatmen,  rechts  in  der  Gegend  des 
Schulterblattes.  Pneumonia  bilateralis.  Temp.  38,7°, 
Puls  100.  Ther.  Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0  (zum 
drittenmal). 

2.  X.  (abends).  Nahm  heute  nachmittag  um 
3  Uhr  das  letzte  Pulver.  Um  4  Uhr  Beginn  der 
Krise.    Puls  80,  Temp.  37,0°. 

3.  X.  Temp.  normal.  Physikalische  Zeichen 
der  Pneumonie  noch  vorhanden. 


580 


Bay«r,  Behandlung  dar  kroupöten  Pneumonie. 


["Therapeutisch* 
L   Monatshefte. 


7.  X.  Noch  immer  einige  Dämpfung  und 
bronchiales  Atmen. 

8.  X.    Macht  schon  kleine  Ausgänge. 

Nach  weiteren  14  Tagen  vollkommen  genesen. 

6.  Fall.  Nikolaus  K.,  36  Jahre.  Erkrankte  am 
1.  Oktober  abends  mit  Schüttelfrost. 

4.  X.  Erster  Besuch.  Pneumonie  in  der  rechten 
Lungenspitze.  Temp.  39°.  Ther.:  Chin.  1,0,  Natr. 
salicyl.  2,0.     In  dos.  VI.     Täglich  4  P. 

5.  X.  Dämpfung  rechts  vorne  bis  zur  3.  Rippe 
herabreichend,  rückwärts  bis  zur  Hälfte  der  Scapula. 
Temp.  38,6°. 

6.  X.    Ther.:  Chin.  1,0.  Natr.  salicyl.  2,0. 

7.  X.  Hat  nachts  stark  geschwitzt,  fühlt  sich 
wohl.  Temp.  37°.  Rechts  oben  feinblasiges  Rasseln 
während  der  Inspiration. 

10.  X.   Außerhalb  des  Bettes. 

7.  Fall.  Franz  Kr.,  13  Jahre.  Seit  3.  Oktober 
krank.  Kam  am  8.  Oktober  (5.  Krankheitstag)  in 
Behandlung.  Ther.:  Chin.  0,5,  Natr.  salicyl.  1,0. 
In  dos.  VI.     Täglich  4  P. 

9.  X.    Krisia  mit  ausgiebigem  Schweiß. 

8.  Fall.  Matthias  M.,  58  Jahre,  Fuhrmann. 
Wurde  am  25.  Dezember  krank.  Hatte  Schüttel- 
frost und  mußte  seither  liegen. 

29.  XII.  Erster  Besuch.  Vergangene  Nacht 
trat  Delirium  pot  auf.  Der  Kranke  ging  durch  und 
irrte  mehrere  Stunden  im  Freien  umher.  Pneumonia 
dextra.  Kein  Auswurf,  wenig  Husten.  Puls  110. 
Ther.:  Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0.  In  dos.  VI. 
Täglich  4  P. 

31.  Xn.  War  schon  vorgestern  nach  den  ersten 
Pulvern  ruhiger  geworden  und  schläft  seither  viel. 
Subjektives  Befinden  besser.  Puls  100.  Ther.: 
Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0.    Wie  vorher. 

2.  I.  Hat  die  letzten  zwei  Pulver  refüsiert. 
Deliriert  seit  gestern  abend  wieder  mehr.  Temp. 
38,7.  Puls  90.  Ther.:  Natr.  salicyl.  2,0  in  Lösung, 
zweistündlich  einen  Eßlöffel  voll. 

4.1.    Temp.  87,8°. 

5. 1.  Befinden  gut.  Dämpfung  und  Bronchial- 
atmen von  unten  bis  zur  Mitte  der  Scapula  noch 
vorhanden.     Temp.  37°. 

Ging  nach  weiteren  acht  Tagen  schon  aus. 

Die  Komplikation  mit  Delirium  erheischte  keine 
Änderung  der  gewöhnlichen  Therapie. 

9.  Fall.  Florian  L.,  17  Jahre.  Erkrankte  am 
31.  Dezember  mit  Schüttelfrost.  Hernach  Seiten- 
stechen und  Husten. 

2. 1.  Dämpfung,  Bronchialatmen,  rostfarbenes 
Sputum.  Ther.:  Chin.  1,0,  Natr.  salicyl.  2,0.  In 
dos.  VI.    Täglich  4  P. 

4.  I.  Abermaid  Chin.  1,0  mit  Natr.  salycil.  2,0. 
In  dos.  VI. 

6. 1.    Temp.  normal. 

Nach  einigen  Tagen  ganz  genesen. 

10.  Fall.  Theodor  W.,  22  Jahre.  Erkrankte 
am  9.  Januar  1905  mit  Schüttelfrost  und  Seiten- 
stechen. 

11.  I.  Pneumonie.  Ther.:  Chin.  1,0,  Natr. 
salicyl.  2,0.     In  dos.  VI.  Täglich  4  P. 

13.1.  Ther.:  Chin.  1,0  mit  Natr.  salicyl.  2,0. 
Wie  vorher. 

15.  I.    Krise. 
Schnelle  Genesung. 

So  einfach  und  exklusiv  wie  in  diesen 
Fällen,  wo  es  galt,  die  Leistungsfähigkeit 
des  Mittels  klar  zu  stellen,  muß  sich  jedoch 
die    Therapie    nicht    immer    gestalten.      Es 


können  selbstverständlich  nebenher  auch 
andere  Mittel  Verwendung  finden,  um  be- 
achtenswerten symptomatischen  Indikationen 
zu  entsprechen. 


(Aus  dem  Institut  für  Pathologie  und  Bakteriologie 
in  Bukarest.    Direktor:  Prof.  Dr.  V.  B  ab  es.) 

Einige  Veränderangren 
des  exprimierten  Mageninhalts  in  vitro« 

Von 
Dr.  Theodor  Mironetcu,  Assistenten  des  Instituts. 

Daß  in  dem  Mageninhalt,  nachdem  er 
vom  Magen  durch  die  Sonde  exprimiert 
wird,  Veränderungen  in  vitro  auftreten 
können,  wird  meistens  angenommen,  in  der 
Literatur  jedoch,  soweit  ich  es  feststellen 
konnte,  wird  nichts  Genaueres  darüber  ange- 
geben. 

Soupault1)  sagt  ausdrucklich,  daß  die 
Flüssigkeit,  sobald  sie  vom  Magen  ausge- 
pumpt wird,  so  schnell  wie  möglich  nitriert 
und  auch  analysiert  werden  soll,  weil  sonst 
große  Veränderungen,  besonders  was  die 
Azidität  anbetrifft,  eintreten. 

Es  hat  mich  im  besonderen  interessiert, 
zu  erfahren,  ob  wirklich  in  dem  exprimi- 
mierten  Probefrühstück  (nach  Ewald-Boas) 
Veränderungen  in  vitro  auftreten,  und  welche 
Bedeutung  dieselben  für  das  Resultat  der 
Analyse  haben  können. 

Diese  Frage  hat  außer  der  wissenschaft- 
lichen auch  eine  praktische  Bedeutung,  weil 
man  oft  die  Analyse  nicht  sofort  nach  der 
Exprimierung  vornehmen  kann,  oder  weil  die 
Flüssigkeit,  wie  es  bei  uns  gewöhnlich  ge- 
schieht, in  ein  Laboratorium  gesendet  wird, 
wodurch  die  in  vitro  entwickelten  Verände- 
rungen, die  von  großer  Bedeutung  sein  können, 
oft  zu  ganz  falschen  Resultaten  fuhren.  Um 
die  Frage  zu  entscheiden,  wie  die  Verände- 
rungen der  Azidität  das  Resultat  der  Ana- 
lyse beeinflussen,  haben  wir  die  folgenden 
Untersuchungen  angestellt:  Bei  allen  Patien- 
ten wurde  erstens  der  nüchterne  Magen- 
inhalt exprimiert  und  ihnen  nachher  ein 
Probefrühstück  gereicht,  welches  aus  einer 
Tasse  schwachen  Thees  ohne  Zucker  und  etwa 
50  g  Brot  bestand.  Wenn  eine  Magener- 
weiterung mit  Stase  vorlag,  wurde  zuerst 
der  Magen  ausgespült  und  nachher  das  Probe- 
frühstück gegeben.  Eine  Stunde  später  wurde 
der  Mageninhalt  exprimiert  und  in  mehrere 
Teile  geteilt.  Eine  Portion  wurde  sofort 
filtriert  und  analysiert,  und  zwar  wurde  nur 
die  freie  Salzsäure,  die  tolale  Azidität 


')  Soupault,  Traite  des  maladies  de Pestomac 
Paris  1905. 


XIX.  Jahrgang.-) 
November  190SJ 


Mironeacu,  Varflndarungen  das  eocpritniartan  Maganlnhalts  In  vitro. 


581 


and  die  gesamte  Salzsäure  bestimmt.  Von 
den  anderen  Portionen  wurde  anfangs  die 
Hälfte  sofort  filtriert  und  in  kleine  Gefäße 
▼erteilt,  während  der  Rest  unfiltriert  in 
kleinen  Eölbchen  aufgehoben  wurde.  Ein 
Teil  von  den  mit  filtriertem  und  unfiltriertem 
Mageninhalt  gefüllten  Kölbchen  wurde  bei 
Zimmertemperatur  (20 — 22°)  gelassen,  wäh- 
rend der  andere  Teil  im  Thermostaten  bei 
37°  aufgehoben  wurde.  Wir  haben  bald 
gesehen,  daß  die  sofortige  Filtration  keine 
besondere  Bedeutung  hat,  und  da  solche 
Untersuchungen  getrennter  (filtrierter  und 
nicht  filtrierter)  Portionen  sehr  große  Mengen 
Ton  Mageninhalt  verlangen,  so  haben  wir 
nur  unfiltrierten  Mageninhalt  aufgehoben. 
Jede  zwölfte  Stunde  wurde  von  der  Flüssig- 
keit filtriert  und  analysiert.  Wir  haben 
zahlreiche  Untersuchungen  gemacht,  und,  um 
die  Resultate  vergleichen  zu  können,  haben 
wir  dieselben  in  drei  Gruppen  eingeteilt,  je 
nachdem  eine  Hyperchlorhydrie,  Hypochlor- 
hydrie  oder  normale  Azidität  vorlag.  Die 
Fälle  jeder  dieser  Gruppen  hatten  große 
Ähnlichkeit  untereinander.  Wir  geben  neben- 
stehend drei  Fälle  an,  weiche  zu  den  drei 
verschiedenen  Gruppen  gehören. 

Man  kann  daraus  ersehen,  daß  bei 
Hyperchlorhydrie  keine  Veränderungen  ein- 
treten. In  einigen  Fällen  schien  mir  die 
Menge  der  freien  Salzsäure  etwas  geringer 
zu  sein,  doch  in  unbedeutendem  Maße.  In 
den  anderen  zwei  Gruppen  ist  gewöhnlich 
eine  Änderung  wahrzunehmen,  sie  ist  bei 
der  normalen  Azidität  auch  nicht  be- 
deutend. Bei  normaler  Azidität  steigt  in 
vitro  die  totale  Azidität,  diese  Steigerung 
ist  nach  24  Stunden  oft  sehr  gering.  Von 
Wichtigkeit  erscheint  mir  die  Tatsache  hier- 


bei, daß  die  freie  Salzsäure  gewöhnlich 
unverändert  bleibt,  so  daß  wir  auch  nach 
24  Std.  fast  immer  dieselbe  Menge  gefunden 
haben.  Wo  bei  der  sofortigen  Untersuchung 
keine  Frei  salz  säure  festgestellt  wurde,  trat 
aber  eine  bedeutende  Vermehrung  der  totalen 
Azidität  besonders   im  Thermostaten   auf. 


Dia  frela  Saltaftnre1) 

Die  getan 
Gleich 

nte  Atiditit1) 

Gleich 
nach  der 

Bxprl- 
mierang 

Nach  tiStd. 

Nach24  8td. 

Patient 

bei 
80° 

bei 

37° 

narh  der 
Bxprl* 
mterang 

bei 
20° 

bei 

«7° 

oem 

c«in 

rem 

com 

eem 

ecm 

K.  aus  Galatz 

(allgemeine 

Neurose). 

1,3 

1,3 

1,2 

2,9 

3,2 

3,2 

No.  nr. 

Krankenhaus 

2,8 

2,8 

2,8 

3,6 

3,6 

3,6 

Philanthropia 
(Trinker). 

No.  IX. 

Krankenhaus 

0 

1,2 

1,4 

U 

Philanthropia 
(Cancer). 

Für  das  Resultat  der  Analyse  sind,  was 
die  diagnostische  Bedeutung  der  Bestimmung 
der  Salzsäure  anbelangt,  diese  Veränderungen 
in  vitro,  wie  hieraus  zu  sehen  ist,  ohne 
Belang.  Die  freie  Salzsäure,  worauf  es 
hauptsächlich  ankommt,  bleibt  unverändert. 
Doch  bemerken  müssen  wir,  daß  alle  diese 
unsere  Untersuchungen  ausschließlich  nach 
dem  Probefrühstück  (nach  Ewald-Boas) 
gemacht  wurden.  Hier  handelt  es  sich  nur 
um  kleine  Mengen  von  Eiweiß,  und  sehr 
wahrscheinlich  haben  wir  deswegen  auch  so 
unbedeutende  Veränderungen  in  vitro  ge- 
funden. 


Neuere  Arzneimittel 


Über  das 
Zinkperhydrol,   ein  neues  Wundmittel. 

Ans  der  Poliklinik  des 

Dr.  Eduard  Wolffenttein. 

Das  Zinkperhydrol1)  stellt  ein  Wund- 
pulver vor,  welches  durch  Verbindung  des 
Zinks  mit  dem  Perhydrol  dargestellt  ist. 

In  diesem  Zinkperhydrol  ist  das  Per- 
hydrol —  bekanntlich  reinstes  100  volumen- 
prozentiges Wasserstoffsuperoxyd  —    gleich- 


')  Das  Zinkperhydrol  wird  von  der  Fabrik 
E.  Merck  in  Darmstaat  neuerdings  in  den  Handel 
gebracht. 


sam  in  fester  Form  enthalten,  und  so  ist  ein 
Präparat  geschaffen,  in  dem  die  günstige 
adstringieren  de -Wirkung,  welche  das  Zink 
allgemein  ausübt,  mit  der  desinfizierenden  des 
Perhydrols  zusammen  zur  Geltung  kommt. 

Ich  habe  nun  mit  dem  Zinkperhydrol 
bei  mehr  als  600  Patienten  Versuche  aus- 
geführt.    Eine  schädliche  Wirkung  des  Prä- 


')  Die  Azidität  wird  überall  in  com  von 
Vio  Na  0  H-Normallösung  ausgedrückt. 

Die  Methode  der  Bestimmung  war  die  folgende: 
Erstens  wurde  die  freie  Salzsäure  nach  der  Methode 
von  Minz  und  dann  die  gesamte  Azidität  bestimmt. 
Die  gesamte  Salzsäure  wurde  nach  der  Methode 
von  Braun  (v.  Leube,  Diagnostik)  bestimmt. 


582 


Wolffentr«in(  21okp«rhydrol,  •in  cauti  Wundmitt«L  —  Novaoaln. 


tTlior&pe«ti*eh< 


parats  habe  ich  in  keinem  dieser  vielen 
Fälle  beobachtet,  so  daß  ich  es  den  Kollegen 
-wohl  zur  Nachprüfung  empfehlen  kann. 

Das  Zinkperhydrol  übt  allgemein  bei  aus- 
gedehnten eiternden  Wunden  eine  gute 
Heilwirkung  aus.  Die  abgestorbenen  Geweb- 
stücke stoßen  sich  rasch  ab,  und  die  Se- 
kretion wird  zusehends  geringer.  In  dieser 
Weise  wurden  wiederholt  Verletzungen,  die 
von  Maschinenunfällen  herrührten,  und  tiefe 
Quetschwunden  zur  Heilung  gebracht.  Das 
Zinkperhydrol  bildet,  auf  die  Wunde  gebracht, 
nicht  wie  das  Aristol  eine  zusammenbackende 
Kruste,  unter  der  die  Sekrete  sich  ansammeln 
und  festgehalten  werden,  sondern  es  bleibt 
ein  lockeres  Pulver,  so  daß  es  beim  Verband- 
wechsel —  soweit  es  noch  nicht  verbraucht 
war  —  einfach  im  Verbandsmuli  hängen 
bleibt.  Ich  habe  auch,  um  die  Wirkung 
des  Zinkperhydrols  näher  zu  studieren,  ver- 
gleichsweise nur  mit  steriler  Gaze  und  das 
andere  Mal  unter  Zusatz  von  Zinkperhydrol 
verbunden.  Hier  zeigte  sich  bei  den  mit 
Zinkperhydrol  versetzten  Verbänden,  daß 
dieselben  nur  alle  5  Tage  gewechselt  zu 
werden  brauchten,  während  die  anderen 
schon  nach  2  Tagen  einen  Wechsel  nötig 
machten. 

Ferner  habe  ich  das  Zinkperhydrol  bei 
Beingeschwüren  in  Anwendung  gebracht 
und  diese  Frage  speziell  studiert.  Das 
Präparat  gelangte  hierbei  entweder  in  Form 
einer  Salbe,  einer  Paste  oder  auch  als 
Pulver,  mit  Wasser  aufgeschwemmt,  zur 
Verwendung.  Bei  solchen  Leiden  habe  ich 
wiederholt  Heilresultate  gesehen,  die  ich 
mit  andern  Mitteln  nicht  erreichen  konnte. 
In  welcher  Anwendungsform  man  hierbei 
das  Zinkperhydrol  verwendet,  ob  als  Salbe, 
als  Paste  oder  in  der  Aufschwemmung 
mit  Wasser,  hängt  je  von  der  Art  und 
Größe  der  Geschwüre  wie  von  den  Einzel- 
fällen ab. 

Es  liegt  also  im  Zinkperhydrol  ein  Mittel 
vor,  welches  bei  Beingeschwüren  vielfach 
gute  Dienste  leistet,  insbesondere  wenn 
Höllenstein  schlecht  vertragen  wird. 

Eine  spezifisch  günstige  Wirkung  übt  das 
Zinkperhydrol  bei  Brandwunden  aus;  tiefe 
ausgedehnte  Verbrennungen,  bei  denen  die 
vielgerühmte  Wismut -Brand  bin  de  keine  guten 
Resultate  lieferte  —  sind  doch  erst  neuer- 
dings Wismut- Vergiftungen  mit  Nephritis  bei 
Anwendung  der  Brandbinden  beobachtet 
worden  —  heilen  in  kürzester  Zeit  und  ohne 
nennenswerte  Schmerzen.  Die  Verbände  mit 
Zinkperhydrol  wurden  hierbei  täglich  er- 
neuert. 

Die  absolute  Ungiftigkeit  des  Präparates 
habe   ich,    wie   erwähnt,   beim   Arbeiten   mit 


demselben  angenehm  empfunden.  In  2  Fällen 
von  Blinddarmoperationen,  wo  ich  wochen- 
lang tief  tamponiert  habe,  schüttete  ich 
bei  jedesmaligem  Verbandwechsel  erhebliche 
Mengen  Perhydrolpulver  in  die  Wunde.  Die 
Sekretion  nahm  rasch  ab.  Wäre  das  Zink- 
perhydrol irgendwie  giftig,  so  hätte  es  hierbei 
so  nahe  dem  Bauchfell  und  in  diesen  großen 
Dosen  irgendwelche  schädlichen  Wirkungen 
zeigen  müssen. 

An  Stelle  der  Höllensteinsalbe  resp.  des 
Höllensteinstiftes  habe  ich  das  Zinkperhydrol 
in  etwa  50  Fällen  bei  ausgedehnter  Phlegmone 
der  Hand  und  des  Vorderarms  angewandt; 
nachdem  die  20  —  30  cm  langen  Inzisions- 
stellen  zu  reinen  Granulationsflächen  geworden 
waren,  erfolgte  unter  Zinkperhydrol  die 
Epidermisierung  oft  in  erstaunlich  kurzer 
Zeit. 

Kurz  zusammengefaßt,  stellt  also  das 
Zinkperhydrol  ein  nicht  reizendes,  durchaus 
ungiftiges  Wundpulver  vor,  welches  als  solches 
oder  als  Salbe  bezw.  Paste  in  verschieden- 
artigster Anwendungsform  bei  aseptischen 
wie  bei  infizierten  Wunden  —  speziell  bei 
Beingeschwüren  und  Brandwunden  —  gute 
Dienste  leistet. 

Das    Zinkperhydrol     bewährte    sich    in 
folgenden  Zusammensetzungen : 
Rp.    Zinkperhydrol 

.Amyli  tritici  aa  12,5 

Vaselini  americani  ad  50,0 
M.  D.  S.    Paste.     Äußerlich. 


Rp. 


Zinkperhydrol  5,0 

Unguenti  Lanolini  ad  50,0 

S.    Salbe. 


Novocaln. 

Als  neuestes  lokales  Anästhetikum  wird  von 
Braun  das  Novocain  empfohlen.  Es  ist  das 
salzsaure  Salz  des  p-Aminobenzoyldiäthylamino- 
athenols 

NH, 
I 

HC         CH 


HC 


CH 


I 
GOO.C»Hl.N(qtHs)».  HCl 

und  kristallisiert  in  kleinen  Nadeln,  welche  bei 
156°  schmelzen.  Es  löst  sich  leicht  in  gleichen 
Gewi  chts  teilen  Wasser  sowie  in  30  Teilen 
Alkohol.  Die  wäßrige  Lösung,  aus  welcher 
Alkalien  die  freie,  bei  58 — 60°  schmelzende  Base 


XIX.  Jahrgang.  | 


Therapeutlache  Mittellungen  aus  Vereinen. 


583 


ausfällen,  die  sich  aber  mit  Natriumkarbonat- 
lösung  ohne  Trübung  mischen  läßt,  läßt  sich, 
ohne  Zersetzung  zu  erleiden,  aufkochen. 

Im  Tierversuch  erweist  sich  die  0,25  proz. 
Lösung  imstande,  isolierte  Nervenstämme  inner- 
halb 10  Minuten  zu  anästhesieren.  Irgend  welche 
Reizerscheinungen  rufen  auch  stark  konzentrierte 
Lösungen  nicht  hervor,  die  Cornea  verträgt  das 
Präparat  in  Pulverform.  Dosen  "von  0,16—0,2 
pro  Kilo  Kaninchen  ändern  bei  subkutaner  Ver- 
abreichung Blutdruck  und  Atmung  fast  gar  nicht. 
Intravenös  einverleibt,  setzt  es  durch  Einwirkung 
auf  das  vasomotorische  Zentrum  den  Blutdruck 
herab  und  verlangsamt  und  verflacht  die  At- 
mung; die  peripherischen  Gefäße  werden  nicht 
beeinflußt. 

Im  Vergleich  zu  Kokain  und  Stovain  ist 
Novocain  weit  weniger  toxisch.  So  beträgt  die 
Dosis  toxica  bei  Kaninchen  (subkutan): 

Novocain         Koksin  8tova1n 

0,35-0,4    0,05—0,1       0,15 


beim  Hund 
höher  als      0,25  0,05 


0,15   pro  Kilo. 


Versuche  am  Menschen  zeigten,  daß  Novo- 
cain ein  kräftig  wirkendes  lokales  Anästhetikum 
ist,  das  ebenso  wie  Eukain  völlig  frei  von  Reiz- 
wirkungen ist;  erst  10  proz.  Lösungen  erzeugen 
wie  alle  andern  hyperosmotischen  Salzlösungen 
einen  leichten  Heizzustand.  Die  anästhesierende 
Wirkung    ist   jedoch   so   flüchtig,   daß  Novocain 


für  sich  allein  nicht  als  Ersatzmittel  für  Kokain 
benutzt  werden  kann.  Eine  ausreichend  lange 
Anästhesie  läßt  sich  nur  durch  Zusatz  von 
Suprarenin  erzielen. 

Novocain  ist  bisher  bei  150  Operationen  zu 
Gewebsinjektionen  versucht  worden.  Unter  den 
Operationen  befanden  sich  Gastrostomie,  Entero- 
stomie ,  Laparotomie ,  Leistenbruchoperation, 
Kastration,  Fingerexartikulation  etc.  Stets  war 
die  Anästhesierung  ebenso  wie  mit  Kokainlösung 
zu  erreichen,  ebenso  gelang  bei  Zahnextraktionen 
die  Anästhesierung. 

Benutzt  wurden  0,1  — 1,0  proz.  Lösungen 
von  Novocain  in  physiologischer  Kochsalzlösung 
unter  Zusatz  von  5  —  10  Tropfen  einer  Supra- 
reninlösung  1  :  1000.  Toxische  Nebenwirkungen 
oder  Reizwirkungen  fehlten  bei  den  Gewebs- 
injektionen, dagegen  zeigten  sich  in  den 
wenigen  Fällen,  in  denen  Novocain  zur  Medullar- 
anästhesie,  und  zwar  ebenfalls  mit  gutem  Er- 
folge, benutzt  wurde,  zweimal  Nachwirkungen 
in  Form  von  Kopfschmerzen  und  leichter  menin- 
gealer  Reizung. 

Literatur. 

Aus  der  chirurgischen  Abteilung  des  Diako- 
nissenhauses in  Leipzig-Lind enau. 

Über  einige  neue  örtliche  Anästhetika  (Stovain, 
Alypin,  Novocain).  Von  Prof.  Dr.  H.  Braun. 
Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1905,  No.  42, 
p.  1667. 


Therapeutische  Mitteilungen  ans  Vereinen. 


I.  Kongreß 
der  Internationalen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

Brüssel,  18.— 23.  September. 
Referent:    Dr.  H.  Wohlgemuth  (Berlin). 

[Fort$4t*ung]. 

An  die  Frage  der  Behandlung  der  Prostata- 
hypertrophie schloß  sich  die  Diskussion  über 
die  chirurgischen  Nierenaffektionen, 
die  auf  den  Vorschlag  Giordanos  (Venedig) 
dahin  vereinfacht  wurde,  daß  man  gleich  in  die 
Diskussion  eintrat,  da  die  Thesen,  die  die  Refe- 
renten aufgestellt  haben,  gedruckt  in  den  Händen 
der  Teilnehmer  waren.  Da  aber  die  Redner 
z.  T.  auf  die  von  den  Referenten  aufgestellten 
Sätze  rekurrieren,  sollen  sie  in  Kürze  angeführt 
werden : 

Herr  Albarran  (Paris)  macht  folgende 
Unterscheidungen : 

A.  Gesamtprüfung  der  Nierenfunktion.  Die 
chemische  Analyse,  mehrere  Tage  lang  fort- 
gesetzt, gibt  bei  der  chronischen  Pyelonephritis, 
bei  der  Tuberkulose  wichtige  Fingerzeige.  Die 
Densimetrie  hat  wenig  Wert.  Die  Kryo- 
skopie  hat  im  allgemeinen  wenig  praktisches 
Interesse,  Kümmel ls  und  Rumpels  Schlüsse 
sind  zu  exklusiv.  Ebensowenig  hat  die  Unter- 
suchung der  Toxizität  des  Urins  einen  prak- 
tischen   Wert.      Dagegen    hat    die    Methylen- 


blaumethode ihre  wichtigen  Indikationen. 
Die  Phloridzinmethode  am  Gesamturin  an- 
gewendet, ist  wertlos,  aber  die  Übereinstimmung 
sämtlicher  dieser  Untersuchungsmethoden  kann 
große  Beweiskraft  haben. 

B.  Auf  die  Frage:  Ist  die  Niere  oder 
ein  anderes  Organ  Ursache  der  Erschei- 
nungen? wird  man  sich  zuerst  entscheiden,  ob 
ein  Nierentumor  vorhanden  ist.  Die  klini- 
schen Untersuchungsmethoden  werden  gewissen 
Anhalt  und  die  getrennte  Prüfung  beider  Nieren- 
sekrete wird  im  Falle  eines  Neoplasmas  eine 
Verminderung  der  Ausscheidungen  der  er- 
krankten Seite  geben.  Doch  wird  auch  dann, 
wenn  ein  Tumor  der  Kapsel,  Karzinom  der 
Hilusdrüsen  oder  ein  paranephri tischer  Tumor 
vorliegt,  die  Differentialdiagnose  sehr  schwer 
sein. 

C.  Ob  renale  oder  vesikale  Affektion, 
wird  die  Cystoskopie  und  der  Ureterenkathete- 
rismus  entscheiden,  ebenso  welche  Niere  Sitz 
der  Erkrankung  ist,  oder  ob  vielleicht  beide 
Nieren  befallen  sind. 

D.  Bei  der  Prüfung  der  funktionellen 
Kraft  jeder  Niere  wird  man  kaum  mit  Sicher- 
heit nachweisen  können,  daß  die  eine  oder  an- 
dere Niere  vollkommen  normal  ist,  doch  wird 
man  zufriedenstellende  Resultate  erhalten,  wenn 
man  folgende  Forderungen  erfüllt: 


584 


Therapeutisch©  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


rTherapeatbche 
L   Monatshefte. 


1.  Den  Urin  von  zwei  Stunden  sammeln. 

2.  Seine  Quantität,  J- Punkt,   bestimmen, 
seine  chemische  Analyse  machen. 

3.  Methylenblau-  und  Phloridzinprobe. 

4.  Mikroskopische  Untersuchung. 

5.  Experimentelle  Polyurie. 
Vergleicht  man  nun  die  funktionellen  Resul- 
tate beider   Nieren,    dann    wird   man   folgendes 
finden: 

1.  Im  allgemeinen  ist  auf  der  kranken 
Seite  die  Quantität  geringer,  und  der  J-  Punkt 
ist  niedriger. 

2.  Die  Durchlässigkeit  der  Niere  für  Farb- 
stoffe ist  auf  der  gesunden  Seite  rapider. 

3.  Die  Chlorüre  und  Phosphate  sind  im 
allgemeinen   auf  der  gesunden  Seite  reichlicher. 

4.  Die  Phloridzinglykosurie  ist  reichlicher 
auf  der  gesunden  Seite,  doch  läßt  sie  keinen 
Schluß  auf  die  vollkommene  Intaktheit  der  einen 
oder  der  anderen  Niere  zu. 

Die  Frage  schließlich,  ob  eine  Niere  den  Aus- 
fall der  anderen  vollkommen  ersetzen  kann, 
kann  einzig  und  allein  durch  experimentelle 
Polyurie  gelöst  werden. 

Die  Hauptpunkte,  die  der  zweite  Referent, 
Herr  Eümmell  (Hamburg),  aufstellt,  sind  fol- 
gende: Er  leugnet  nicht  den  Wert  der  alten 
Untersuchungsmethoden,  doch  ist  die  Sicher- 
heit der  neueren  physikalisch-chemischen  Unter- 
suchungen in  Hinsicht  auf  die  Existenz  zweier 
Nieren  und  die  funktionelle  Größe  einer  im 
Falle  einer  tiefen  Erkrankung  der  anderen  mit 
besonderem  Nachdruck  zu  betonen. 

Insonderheit  präzisiert  er: 

1.  Die  Röntgenstrahlen  erlauben,  mit  Sicher- 
heit einen  Nierenstein  festzustellen,  und  die  Ab- 
wesenheit jedes  Schattens  auf  der  Platte  —  vor- 
ausgesetzt, daß  die  Aufnahme  mit  allen  Vorsichts- 
maßregeln gemacht  ist  —  läßt  ebenso  sicher 
«inen  solchen  ausschließen. 

2.  Die  exakteste  Methode,  den  Urin  jeder 
Niere  aufzufangen,  ist  der  Ureterenkatheterismus; 
ist  derselbe  nicht  ausführbar  wie  bei  Kindern, 
dann  darf  man  unter  keinen  Umständen  zur 
Entfernung  einer  Niere  schreiten,  wenn  man 
«ich  nicht  vorher  durch  temporäre  Nephrotomie 
von  der  Existenz  der  anderen  überzeugt  hat. 

3.  Kein  Separator  oder  Segregator  kann 
absolut  sichere  Resultate  geben. 

4.  Dagegen  gibt  die  Phloridzinprobe  sehr 
gute  Anhaltspunkte. 

5.  Die  Kryoskopie  ist  von  bedeutendem 
Wert,  wenn  sie  von  technisch  geübten  Unter- 
suchern ausgeführt  wird.  Sie  ist  in  ca.  1000 
Fällen  bei  Individuen,  die  an  keiner  Nieren- 
erkrankung litten,  fast  stets  0,56°,  einigemal 
0,57°,  ausnahmsweise  0,53°  gewesen.  Bei  mehr 
als  200  Fällen  von  Erkrankungen  der  Niere, 
die  eine  gewisse  Stase  der  Funktion  im  Gefolge 
haben  (chronische  Nephritis,  aufsteigende  Pyelo- 
nephritis, Pyonephrose,  Nephrose,  Nephrolithiasis, 
doppelseitige  Tuberkulose,  Tumor  etc.),  ist  der 
Gefrierpunkt  stets  unter  0,58°  herabgestiegen, 
sehr  häufig  0,66°  bis  0,71°,  einmal  sogar  0,81° 
gewesen.  Das  progressive  Herabsteigen  des 
Gefrierpunktes  hat  fast  stets  eine  drohende 
Urämie  angezeigt.     Bei    einseitiger  Erkrankung, 


ohne  totale  Funktionsstörung  des  Organs,  bleibt 
der  Gefrierpunkt  normal. 

K  ü  m  m  e  1 1  gegenüber  hebt  Giordano 
(Venedig)  als  3.  Referent  den  unverrückbaren 
Wert  der  alten  klinischen  Untersuchungs- 
methoden mit  Nachdruck  hervor.  Sie  aus  den 
Augen  zu  verlieren,  sei  eine  große  Gefahr,  die 
Diagnosestellung  mit  ihren  Hilfsmitteln  sei 
einfacher  und  nicht  weniger  sicher  als  mit 
den  neueren  Methoden.  Von  ganz  eminentem 
Wert  sei: 

1.  Genaueste  Anamnese.  Erblichkeit,  vorauf- 
gegangene Krankheiten,  Ent wickelungsgang  der 
bestehenden  Krankheit,  Schmerzen  etc. 

2.  Differentielle  Diagnose  zwischen  wirk- 
licher renaler  und  nervöser  Erkrankung,  die 
nicht  selten  eine  renale  vortäuschen  kann,  ner- 
vöse Albuminurie.  Allgemeinerkrankungen  (Ma- 
laria, Scabies),  die  renale  Symptome  vortäuschen 
oder  mit  ihr  kompliziert  sein  können. 

3.  Genaueste  Palpation  (Hydronephrose, 
Tumor). 

4.  Massage  der  Niere,  Expression  des 
Nierenbeckens,  Untersuchung  in  Beckenhoch- 
lagerung. 

5.  Untersuchung  und  Bestimmung  der 
Schmerzpunkte,  bes.  im  Verlauf  des  Ureters. 

6.  Urinuntersuchung:  Differenzierung  von 
Hämaturie  und  Hämoglobinurie,  vesikalen  oder 
renalen  Ursprungs  des  Blutes  oder  Eiters.  Aus- 
waschung der  Blase.  (Sie  hellt  den  Urin  auf 
bei  vesikaler  Eiterung,  rötet  ihn  nur  noch  mehr 
bei  vesikaler  Blutung.)  Bestimmung  des  Harn- 
stoffs und  der  Salze. 

Wenn  man  dies  alles  genauest  gemacht 
hat,  wird  man  die  Diagnose  so  sicher  stellen 
können,  daß  die  neueren  Methoden  höchstens 
imstande  wären,  sie  zu  unterstützen. 

Lächerlich  sei  es,  die  ganze  Nierenpatho- 
logie auf  der  Untersuchung  der  Harnwege,  der 
Meatoskopie,  aufzubauen.  Der  Ureterenkathe- 
terismus ist  ein  ideales  Untersuchungsmittel, 
aber  ja  nicht  frei  von  Nachteilen,  die  intra- 
vesikale  Segregation  liefert  fast  gleich  gute  Re- 
sultate. Die  neuen  physikalisch- chemischen  Me- 
thoden sind  teils  wenig  praktisch,  teils  haben 
sie  nicht  gehalten,  was  sie  versprochen  haben, 
wie  die  Kryoskopie.  Einzig  die  Chromatoskopie, 
die  Phloridzinmethode  und  die  experimentelle 
Polyurie  haben  einen  praktischen  Wert. 

Nun  kann  man  allerdings  nicht  die  Sym- 
ptome der  verschiedenen  Nierenaffektionen  schema- 
tisch gruppieren,  die  Nephriten,  die  Syphilis, 
die  Tuberkulose,  die  Eiterungen,  die  Tumoren, 
die  Steine  haben  nicht  ihre  ganz  bestimmten 
Sondersymptome,  zur  Diagnose  müssen  erst  alle 
klinischen  und  wissenschaftlichen  Untersuchungs- 
methoden herangezogen  werden.  Dann  aber  soll 
der  Chirurg  mit  Energie  und  Kühnheit  handeln. 
Und  wenn  es  wahr  ist,  daß  kein  Kranker  mehr 
an  einer  Niereninsuffizienz  zu  sterben  braucht, 
so  hat  er  es  gewiß  noch  weniger  an  einer  In- 
suffizienz der  Entschlossenheit  des  Chirurgen 
nötig. 

In  der  Diskussion  tritt  Herr  Bazy  (Paris) 
nun  sehr  warm  für  die  alten  klinischen  Unter- 
suchungsmethoden ein  und  macht  besonders  auf 


XIX.  Jahrgang.] 
November  1905.) 


Therapeutisch«  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


585 


den  diagnostischen  Wert  eines  Symptoms  auf- 
merksam, der  Pollakiuria  nocturna.  Sie 
kann  ein  um  so  wichtigeres  Zeichen  sein,  als 
die  Symptome  der  infektiösen  Nierenerkrankungen, 
der  tuberkulösen  sowohl  wie  der  nichtuberkulösen, 
täuschend  denen  der  eitrigen  Cystitis  ähneln, 
häufiger  Harndrang,  Endschmerz  und  auch  Hämat- 
urie. Doch  bei  der  Cystitis  ist  die  Pollakiurie 
nur  tagsüber,  nicht  während  der  Nacht.  Großen 
Wert  legt  er  auf  die  Druckpunkte,  den  para- 
umbilikalen,  subkostalen  und  lumbalen  Punkt. 
Alle  neueren  funktionell- diagnostischen  Methoden, 
insonderheit  die,  eine  gesunde  Niere  zu  be- 
stimmen, sind  nacheinander  wieder  verlassen 
worden,  ein  Beweis,  daß  sie  nicht  brauchbar 
waren.  Sie  setzen  alle  die  Möglichkeit  einer 
Urin  Separation  voraus,  die  nicht  immer  existiert. 
Die  Methylenblaumethode  hat  ihm  immer  sehr 
gute  Resultate  gegeben. 

Herr  Legueu  (Paris)  vertritt  genau  die 
•entgegengesetzte  Ansicht  und  sieht  das  Heil 
«in er  exakten  Diagnose  nur  im  getrennten  Auf- 
fangen beider  Urine,  zwar  nicht  durchaus  mittels 
Ureterenkatheterismus,  sondern  mittels  intraveei- 
kaler  Separation. 

Nächst  genauester  Anamnese  und  Palpation 
in  verschiedenen  Körperlagen  lenkt  Herr  Hart- 
mann (Paris)  die  Aufmerksamkeit  noch  auf 
einige  besondere  Maßnahmen,  das  Ballotement 
bei  kleineren  Tumoren,  den  Ureterenkatheteris- 
mus mit  Bleimandrin  bei  Tumoren  an  ektopischen 
Nieren,  wie  es  vielfach  empfohlen  wurde.  Für 
solche  Tumoren  dürfte  allerdings  eine  ein- 
fachere Aufklärungsmethode  die  extreme  Becken- 
hochlagerung sein.  Bei  der  Perkussion  soll  man 
das  Kolon  aufblasen.  Bei  der  Methylenblau- 
probe hält  er  es  für  gefährlich  anzunehmen, 
daß  bei  manifester  Erkrankung  einer  Niere,  aber 
normaler  Methylenblauausscheidung  die  andere 
Niere  gesund  ist.  Für  durchaus  notwendig  hält 
er  gesondertes  Auffangen  der  Urine,  und  zwar 
.mittelst  des  Luysschen  Separators.  Anderthalb 
Stunden  vor  der  Separation  soll  1  Zentigramm 
Methylenblau  unter  die  Haut  gespritzt  werden. 
Bei  der  Separation  kann  man  auch  besser  als 
beim  Ureterenkatheterismus  beobachten,  wie  der 
Urin  in  die  Blase  gespritzt  wird. 

Weiter  tritt  noch  Herr  Kapsammer  (Wien) 
für  den  Ureterenkatheterismus,  Phloridzin-  und 
Methylenblaumethode  ein,  Herr  Hannecart 
{Brüssel)  für  die  Radiographie  bei  Nierensteinen. 

Die  dritte  Sitzung  beschäftigte  sich  mit 
den  chirurgischen  Interventionen  bei 
den  nichtkanzerösen  Affektionen  des 
Magens. 

Herr  Monprofit  (Angers)  gibt  sozusagen 
eine  Revue  der  bis  heute  üblichen  Operationen 
bei  gutartigen  Magenaffektionen,  ausgeschlossen 
die  traumatischen,  und  geht  bei  jeder  Operation 
mit  einigen  Worten  auf  ihre  Geschichte,  Indi- 
kation, Technik  und  Resultate  ein.  Des  längeren 
verweilt  er  bei  der  Gastroenterostomie,  die  er 
95  mal  bei  nichtkanzerösen  Magenerkrankungen 
ausgeführt  hat.  36  mal  wegen  Ulcus,  18  mal 
wegen  Pylorusverengerung,  Dilatation  26  und 
chronischer  Gastritis  15  mal.    Seine  persönlichen 


Erfahrungen    nun   lassen   ihn  folgende   Schlüsse 
aufstellen : 

Die  nichtkanzerösen  Magen affektionen,  die 
ernster  und  vernünftiger  medikamentöser  Be- 
handlung getrotzt  haben,  lassen  sich  fast  alle 
durch  einen  chirurgischen  Eingriff  zur  Heilung 
bringen,  ja  die  meisten  werden  von  vornherein 
schneller  und  sicherer  auf  chirurgischem  als  auf 
medizinischem  Wege  geheilt.  Es  ist  ein  großer 
Irrtum,  zu  glauben,  daß  nur  die  Stase  und  die 
dauernde  Abmagerung  eine  Indikation  zur  Ope- 
ration abgeben;  hier  unterliegt  die  Notwendig- 
keit des  chirurgischen  Eingriffs  keinem  Zweifel, 
doch  schon  die  ersten  *  Schmerzen ,  die  ersten 
Zeichen  des  Widerstandes  eines  kontrakten 
Pylorus,  einer  leichten  Ulzeration,  einer  unvoll- 
kommenen Entleerung  sollten  ein  Grund  zu 
demselben  sein.  Die  Operation  der  Wahl  ist 
die  Gastroenterostomie.  Andere  Operationen, 
Resektion,  Fixation,  Faltenbildung  etc.,  können 
in  gewissen  Ausnahmefällen  indiziert  sein.  Die 
besten  Resultate  hat  ihm  die  Gastrojejuno- 
stomie  in  Y-Form  nach  Roux  gegeben  oder 
eine  ihrer  mehrfachen  Modifikationen.  Der 
sicherste  Schluß  ist  die  Naht.  Frühzeitige  und 
fehlerlose  Operation  bei  den  gutartigen  Magen- 
affektionen ist  die  beste  Präventivbehandlung 
einer  malignen  Degeneration. 

Der  zweite  Referent,  Herr  Mayo  Robson 
(London),  basiert  seine  Erfahrungen  auf  500 
operative  und  eine  sehr  große  Zahl  nicht  operativ 
behandelter  Fälle. 

Das  Ulcus  und  seine  Komplikationen,  der 
Sanduhrmagon,  Dilatation,  Stenose  der  Kardia, 
akute  poatoperative  Dilatation,  Gastroptose,  hyper- 
trophische Gastritis,  Phlegmone  des  Magens,  kon- 
genitale hypertrophische  Stenose  des  Pylorus, 
Traumatismen  und  Verbrennungen,  Hyperchlor- 
hydrie  und  andauernde  hochgradige  Gastralgie 
haben  ihm  Veranlassung  zur  Operation  gegeben. 
Vortragender  gibt  dann  einen  Überblick  über 
die  Operations-  und  Dauerresultate. 

Die  Operationsmortalität  bei  der  wegen 
U 1  c  u  8  ausgeführten  Gastroenterostomie  ist 
1  Proz.  in  der  Privatpraxis,  3,7  Proz.  der  Ge- 
samtoperationen. Komplikationen  wie  andauern- 
des Erbrechen,  Circulus  vitiosus  waren  stets  zu 
vermeiden. 

Die  Dauerresultate  der  Gastroenterostomie 
wegen  Dilatation  bei  Pylorusenge  waren 
stets  gute,  bei  Atonie  aber  wenig  zufrieden- 
stellend, so  daß  er  sich  von  der  Operation  hier 
in  Zukunft  keinen  Vorteil  verspricht. 

Bei  Blutungen  infolge  eines  Ulcus 
hat  die  Gastroenterostomie,  indem  sie  Magen 
und  Duodenum  ruhigstellte,  im  allgemeinen  ge- 
nügt, Heilung  herbeizuführen,  ohne  daß  es  nötig 
war,  das  blutende  Gefäß  aufzusuchen  oder  gar 
das  Ulcus  zu  entfernen. 

Das  chronische  Ulcus  ist  durch  Gastro- 
enterostomie in  92  Proz.  dauernd  geheilt  worden. 
Wenn  allerdings  durch  das  lange  Bestehen  des 
Ulcus  vor  der  Operation  sich  schon  zahlreiche 
perigastri tische  Verwachsungen  gebildet  haben, 
gehört  zu  einem  dauernden  Wohlbefinden  der 
Patienten  noch  die  Notwendigkeit  einer  ge- 
mäßigten Diät. 


586 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


rh«r*peatiaeh« 
Monatshefte. 


Die  Pyloroplastik  hat  oft  einen  unmittel- 
baren and  überraschenden  Erfolg,  doch  ist  sie 
nicht  die  geeignete  Operation  der  postulzerösen 
Stenose.  Bei  der  spastischen  Sklerose  oder  der 
kongenitalen  Hypertrophie  des  Pylorus  ist  sie 
vielleicht  eher  am  Platze. 

Der    Schluß    der    Ausfahrungen    Robeons 
ist  ebenfalls  eine  dringende  Mahnung,  die  Magen- 
erkrankungen nicht  monate-  und  jahrelang  medi- 
kamentös zu  behandeln,  da'  die  Kranken,  zu  einer 
frühen   und  noch  günstigen  Zeit  dem  Chirurgen 
anvertraut,    schnell    und    mit    geringem    Risiko   I 
geheilt  werden  könnten.    Eine  bis  an  die  Grenze   I 
der  Möglichkeit  durchgeführte  medizinische  Be-   I 
handlang  vermehrt  die  Gefahren  und  die  Schwierig-   ' 
keiten  der  Operation,    verringert  ihre  Wirksam- 
keit.    Sie  steigert   die  Chancen  einer  malignen 
Degeneration. 

Majo  Robson  bevorzugt  die  Gastroentero- 
stomia  posterior,  verwirft  den  Murphyknopf  und 
nimmt    an  seiner  Stelle  dekalzinierten  Knochen. 

Der  dritte  Referent,  Herr  M.  Rotgans 
(Amsterdam),  betrachtet  fast  ausschließlich  die 
Behandlung  des  Ulcus  ventriculi,  seine  Ätiologie 
und  die  Indikationen  zur  Operation.  Er  beruft 
sich  auf  76  eigene  Fälle  und  stellt  folgende 
Thesen  auf: 

Die  Behandlung  des  Magengeschwürs  kann 
nur  symptomatisch  und  ausschließlich  lokal  Bein, 
da  die  wirkliche  Ursache  desselben  uns  noch 
verborgen  ist. 

In  zahlreichen  Fällen  von  Magengeschwür 
bleibt  jede  medizinische  Behandlung  unwirksam, 
das  zeigen  uns  die  persistierenden  solit&ren  oder 
mehrfachen  Ulcera,  ihre  Rezidive  und  Kompli- 
kationen,  Hämorrhagie,   Stenose,   Karzinom    etc. 

Er  glaubt  aber  nicht,  daß  der  Chirurg 
gleich  bei  den  ersten  manifesten  Zeichen  von 
Ulcus  eingreifen  muß;  denn  die  Resultate  medi- 
zinischer Behandlung  sind  oft  recht  zufrieden- 
stellend und  das  Risiko  eines  fehlschlagenden 
operativen  Eingriffs  zu  groß,  um  eine  übereilte 
oder  Frühoperation  zu  rechtfertigen. 

An  68  Patienten  hat  er  76  Operationen 
gemacht  mit  5 1/3  Proz.  Mortalität.  Diese  4  Fälle 
sind  1.  an  Circulus  vitiosus,  2.  Perforation  eines 
Ulcus  sechs  Tage  nach  dem  Eingriff,  3.  Miliar- 
tuberkulose und  4.  an  Fettnekrose  pankreatischen 


Ursprungs  gestorben,  so  daß  er  wohl  mit  Recht 
von  einer  Operationsmortalität  von  nur  2  %  Proz. 
sprechen  kann.  Von  den  64  Patienten  nun  sind 
7  nicht  geheilt,  2  geheilt,  aber  später  infolge 
ihrer  Magenaffektion  gestorben,  54  vollkommen 
oder  wenigstens  zufriedenstellend  (!)  geheilt,  einer 
unbekannt  geblieben. 

Die  Indikation  zur  Operation  ist  ge- 
geben : 

Wenn  motorische  Störungen  mechanischer  Natur 
vorhanden    sind,    welches    auch   immer   ihre 
anatomische  Form  sein  mag. 
Auch   wenn  .  motorische   Störungen   fehlen,    aber 
sehr  heftiger  oder  lange  anhaltender  Schmerz 
vorhanden  ist. 
Bei  Tumoren,  auch  ohne  Verdacht  auf  Karainom, 
anhaltender  oder  wiederholter  Blutung,  Per- 
foration, andauernder  Abmagerung. 
Bei    begründeter  Furcht  oder  Verdacht  karzino- 
matöser  Degeneration. 

Die  Operation  ist  anzuraten: 

Bei  motorischen  Störungen  dynamischer  Natur, 
wenn  der  Magen  allein  befallen  ist  (aus- 
genommen die  Gastroptose). 

Bei  chronischem  Magengeschwür,  das  energischer 
medizinischer  Behandlung  getrotzt  hat. 

Bei  akuter  Magenblutung,  wenn  Gefahr  vor- 
handen ist. 

Rotgans  zieht  ebenfalls  die  Gastroentero- 
stomie der  Pyloroplastik  und  der  Resektion  des 
Ulcus  vor,  die  er  nur  dann  ausführt,  wenn  Ver- 
dacht auf  Karzinom  vorhanden  ist,  oder  wenn 
die  Schmerzen  und  die  Blutung  das  Krankheits- 
bild beherrschen.  Er  macht  die  Gastroentero- 
stomia  antecolica  nach  Wolf ler,  deren  Technik 
leichter  ist  als  die  von  Roux  und  dieselben 
Resultate  gibt. 

Die  Kauterisation  des  Ulcus,  das  Kürette- 
ment,  die  Ausschaltung  des  Pylorus,  die  Gastro- 
stomie, Jejunostomie  haben  ihre  ganz  besonderen 
Indikationen. 

Die  Gastroptose  operiert  er  nur,  wenn 
mechanische  und  ulzeröse  Komplikationen  dabei 
sind.  In  diesem  Falle  macht  er  die  Gastro- 
enterostomie eventuell  mit  Gastropexie. 

[f\>rts*txung  folgU] 


Referate. 


Zur  Verhütung  der  epidemischen  Cerebrosplnal- 
menlngitis.  Von  Dr.  Otto  Dornblüth 
(Frankfurt  a.  M.). 

Tatsache  ist,  daß  weitaus  die  meisten  Er- 
krankungen an  der  epidemischen  Cerebrospinal- 
meningitis  in  die  jüngere  Lebensepoche  fallen, 
zum  mindesten  nach  dem  30.  Lebensjahre  nur 
noch  selten  auftreten.  Das  kommt,  sagt  0.  Dorn- 
blüth, daher,  daß  die  Empfindlichkeit  der  ade- 
noiden Organe,  namentlich  aber  der  Rachen- 
mandeln, sehr  abgenommen  hat  —  und  die 
Rachen-    und  Gaumenmandeln    sind    es,    welche 


den  Meningokokkus  einladen  und  vermitteln. 
Daher  ist  sehr  auf  die  adenoiden  Gebilde  zu 
achten,  und  auch  diese  gerade  sich  bahnmachende 
Cerebrospinalmeningitis  mahnt  die  Mütter  recht 
nachdrücklich  dazu,  die  Rachen  Vegetationen  kon- 
trollieren und  wegnehmen  zu  lassen. 

Für  die  Behandlung  rät  Dornblüth  zu 
den  von  Aufrecht  empfohlenen  heißen  Bädern, 
38  —  40°  C,  in  schweren  Fällen  täglich,  und  zu 
den  Lumbalpunktionen  nach  Quincke. 

(Münch.  med.Wochenschr.  2905,  No.  21.) 

Arthur  Rahn  (Coihn/. 


XIX.  Jahrgang.! 
Noy«mh«r  IWA.J 


587 


Zur    Behandlung    der   epidemiechen   Meningitis. 

Von  Dr.  Garlos  Franca,  Abteilungsvorsteher 
und  Arzt  am  Hospital  in  Lissabon. 

Verf.  berichtet  über  das  von  ihm  gelegent- 
lich der  portugiesischen  Epidemie  von  1902  an- 
gewandte Verfahren.  Er  erkennt  die  Lumbal- 
punktion nach  Quincke  als  die  rationellste 
Methode  zur  Bekämpfung  der  Meningitis  an; 
denn  sie  vermindert  den  starken  Druck  der 
Cerebrospinalflüssigkeit  und  entzieht  eine  beträcht- 
liche Menge  Bakterien  und  von  ihnen  herrührende 
toxische  Produkte.  Da  verschiedene  Fälle  von 
eitriger  Meningitis  durch  die  einfache  Lumbal- 
punktion nur  schwer  zur  Heilung  kamen,  schritt 
Franca  zu  antiseptischen  Injektionen  in  den 
Wirbelkanal,  und  da  der  Erreger  der  epidemischen 
Meningitis  in  diesem  Kanal  seinen  Sitz  hat, 
scheint  es  rationell,  seine  Bekämpfung  durch 
die  Einfährung  von  Antisepticis  in  die  Sub- 
arachnoidalräume  zu  versuchen.  Nach  Entziehung 
von  25  —  50  ccm  Flüssigkeit  mittels  Lumbal- 
punktion machte  er  eine  Einspritzung  1  proz. 
Lysollösung  in  den  Wirbelkanal.  Je  nach  dem 
Alter  der  Kranken  injizierte  er  12 — 18  ccm  bei 
Erwachsenen,  3—9  bei  Kindern.  Bei  besorgnis,- 
erregenden  Befunden  werden  die  Einspritzungen 
täglich  wiederholt,  bis  die  Cerebrospinalflüssig- 
keit  sich  steril  zeigt.  Die  Vorteile  dieser  Be- 
handlungsweise  scheinen  folgende  zu  sein: 

1.  Nicb  tauf  treten  der  bei  Meningitiserkran- 
kungen so  häufigen  Ruck  fälle. 

2.  Beträchtliche  Abkürzung  der  Krankheits- 
dauer. 

3.  Rasches  Verschwinden  der  Diplokokken. 

4.  Geringe  Abmagerung  der  Kranken;  Fehlen 
größerer  trophischer  Störungen. 

5.  Seltenheit  der  mentalen  Störungen,  von 
Paralysen  und  den  Störungen  der  Sinnes- 
organe. — 

Was  die  Statistik  anbelangt,  so  waren  die 
Resultate  folgende:  Von  47  Kranken,  die  mittels 
Lumbalpunktion  und  mittels  dieser  und  Spülung 
des  Kanals  behandelt  wurden,  starben  30.  Von 
den  47  Kranken  litten  16  an  purulenter  Menin- 
gitis; unter  den  Fällen  mit  eitriger  Flüssigkeit 
wurden  nur  4  geheilt.  In  58  Fällen,  die  nach 
Verfassers  Methode  mit  Lysolinjektionen  behandelt 
wurden,  starben  nur  17  Kranke.  31  Patienten 
litten  an  purulenter  Meningitis,  von  diesen  wurden 
15  geheilt.  —  Kalte  Klistiere  wurden  täglich 
angewendet.  Häufig  Kalomel.  Beim  Auftreten 
von  Albumin  im  Harn  Schröpfköpfe  in  der 
Nierengegend  und  reichlicher  Gebrauch  von 
Milchzucker.  Bei  ausgesprochener  Adynamie 
Injektionen  von  Kampferöl. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  20.)  R. 

(Aus  dem  KnapptchafUlaiarett  In  Zabrie.) 

Die  epidemische  Genickstarre.  Von  R.  Altmann. 
Da  im  Kreise  Zabrze  jede  der  Krankheit 
verdächtige  Person,  auch  Frauen  und  Kinder, 
sofort  dem  Krankenhause  überwiesen  wird  und 
die  letalen  Fälle  ausnahmslos  zur  Sektion  ge- 
langen, so  konnten  160  Fälle  genau  beobachtet 
werden. 


Die  Krankheit  zeigte  eine  Mortalität  von 
ca.  80  Proz.,  von  den  Genesenen  war  ]/s  taub. 
Sie  befiel  vorwiegend  Kinder,  Erwachsene  nur 
in  7  Proz.  der  Fälle.  Die  Inkubation  betrug 
2 — 4  Tage.  Es  wurde  nicht  nur  die  ärmere 
Bevölkerung  ergriffen,  sondern  es  blieb  kein 
Stand  verschont.  Besonders  disponiert  sind 
Kinder  mit  lymphatischer  Konstitution. 

Die  Vorboten  der  Krankheit  bestehen  in 
Kältegefühl,  Erbrechen,  Gliederschmerzen,  Kopf- 
weh, Abgeschlagenheit,  Nackenschmerzen.  Alt- 
mann unterscheidet  1.  sehr  rasch  verlaufende, 
2.  über  eine  Woche  sich  hinziehende,  3.  Wochen 
und  Monate  lang  sich  ausdehnende  Erkrankungen. 
Die  zweite  Form  ist  die  häufigste.  Außer  den 
bekannten  Symptomen  wurde  folgendes  beob- 
achtet: Herpes  trat  öfter  auf  als  Hautausschläge 
masernartigen  Charakters.  Die  letzteren  bei 
wenigen  günstig  verlaufenden  Fällen*).  Hyper- 
leukozytose  war  stets  vorhanden.  Hauthyper- 
ästhesie und  Kernigs  Symptom  (Oberschenkel- 
flexion beim  Anheben  des  Kopfes)  bestand  nicht 
immer.  Die  Reflexe  boten  kein  regelmäßiges 
Verhalten,  Krämpfe  wurden  besonders  bei  Säug- 
lingen gesehen.  Je  zarter  das  Alter,  desto  un- 
günstiger war  der  Ausgang.  Das  stürmische  Ein- 
setzen schwerer  Erscheinungen  bedingte  keines- 
wegs immer  einen  tödlichen  Verlauf. 

Die  Behandlung  bestand  in  sorgfältiger 
körperlicher  Pflege  und  ausgiebiger  wiederholter 
Lumbalpunktion,  ferner  wurden  warme  Bäder 
und  Jodnatrium  zur  Resorption  des  Ergusses 
gegeben.  Infusion  von  Hydrarg.  oxycyanat. 
1  :  4000  nach  der  Punktion  blieb  bei  den  so 
behandelten  3  schweren  Fällen  erfolglos.  Francas 
Empfehlung  des  Lysols  hält  Verf.  für  der  Nach- 
prüfung wert. 

(Med.  KUn.  1905,  No.  25.)  Esch  (Bendorf). 


(Ana  dar  III.  medliin.  Klinik  dar  Charit«. 
Dlraktor:  Gab. -Bat  Prof.  Senator.) 

1.  Gicht  und  Tuberkulose.  Von  Prof.  H.  Strauß, 
Assistent  der  Klinik.  (Beiträge  z.  Klinik  der 
Tuberkulose,  Bd.  IT,  H.  5,  1904.) 
a.  Ober  einen  Fall  von  akuter  tuberkulöser 
Bauchfellentzündung  bei  einem  an  primärer 
Gelenkgicht  leidenden  Kranken,  zugleich  ein 
Beitrag  zur  Lehre  von  dem  Nebeneinander- 
vorkommen von  Gicht  und  Tuberkulose. 
Von  Wilhelm  Ebstein,  (Göttingen).  (Eben- 
daselbst.) 

Man  hat  bekanntlich  das  Nebeneinander- 
bestehen von  gich tischen  und  tuberkulösen  Er- 
krankungen für  äußerst  selten,  wenn  nicht  aus- 
geschlossen gehalten.  Unter  den  mannigfaltigen 
Erklärungsversuchen     verdient    der    von    Min- 


*)  Daß  diejenigen  Fälle  von  Meningitis,  bei 
denen  kräftige  Hautausschläge  auftreten,  günstiger 
verlaufen,  wurde  auch  von  anderer  Seite  beob- 
achtet. Diese  bei  den  exanthematischen  Krank- 
heiten (Masern,  Scharlach  etc.)  ja  längst  bekannte 
Erscheinung  findet  sich  auch  bei  Typnus.  Kühn 
(Die  Frühdiagnose  des  Abdominaltyphus.  Jena  1904) 
bringt  die  Roseola  in  Besiehung  zu  Agglutination. 
Demnach  wären  die  Ausschläge  als  günstige  Re- 
aktionen des  Organismus,  als  Evakuations- 
prozesse  der  Toxine  etc.  aufzufassen. 


588 


Referate. 


tThempeatteae 
Mcmatafeefte. 


kowski1)  gegebene  hervorgehoben  zu  werden, 
daß  der  durch  die  Tuberkulose  schwer  geschädigte 
Organismus  in  der  Regel  nicht  mehr  jene  Reak- 
tionsenergie aufzuweisen  pflege,  welche  für  das 
Auftreten  der  typischen  Gichtanfälle  offenbar 
notwendig  ist.  Ebstein  (2)  halt  die  erwähnte 
Tatsache  im  Gegensatz  zu  einer  Reihe  sonstiger 
(auf  humoralpathologischer  Anschauungsweise  er- 
wachsener) Hypothesen  mit  Recht  schon  durch 
die  Tatsache  hinreichend  erklärt,  daß  die  Gicht 
sich  bei  den  hierzu  Disponierten  erst  in  einem 
Alter  einzustellen  pflegt,  in  dem  die  Disposition 
zu  tuberkulösen  Erkrankungen  an  sich  schwächer 
geworden  ist.  Nichtsdestoweniger  glaubt  er,  daß 
eine  exakte  Feststellung,  dahingehend,  ob  etwa 
durch  die  Harnsäureretention  im  gichtisohen 
Organismus  die  Virulenz  des  Tuberkelbazillus 
in  nennenswerter  Weise  modifiziert  werde  — 
so  unwahrscheinlich  das  nach  Analogie  des  Ver- 
haltens der  Eitererreger  (Bendix)  auch  von 
vornherein  erscheint  —  angebracht  wäre. 

Diese  Frage  ist  nun  durch  zwei  von  Strauß  (1) 
beschriebene  Fälle,  von  denen  der  eine  einen 
an  Tuberkulose  und  Gicht,  der  andere  einen  an 
chronischer  indurativer  Nephritis  und  Lungen- 
tuberkulose leidenden  Mann  mittleren  Alters 
betraf,  im  negativen  Sinne  entschieden.  Die 
Untersuchung  des  Blutserums  ergab  beide  Male 
als  „Retentions*-  oder  „ Rest B-  Stickstoff  das 
Doppelte  bezw.  mehr  als  das  Doppelte  der 
Zahlen,  die  derselbe  Autor  an  anderer  Stelle9) 
als  normal  bezeichnet  hatte.  Gleichzeitig  ist 
der  eine  der  beiden  Fälle  im  Rückblick  auf  die 
oben  wiedergegebene  Bemerkung  Minkowskis 
von  Interesse  durch  die  Tatsache,  daß  das  Vor- 
handensein einer  ausgeprägten  Tuberkulose  mit 
Schwächung  des  Gesamtorganiamus  das  Auftreten 
eines   Gichtanfalles    hier    nicht  hindern  konnte. 

Auch  Ebstein  (2)  teilt  einen  plötzlich  ein- 
setzenden, in  seinem  Beginne  wie  ein  Unterleibs- 
typhus verlaufenden  Fall  von  tuberkulöser  Bauch- 
fellentzündung bei  einem  an  primärer  Gelenkgicht 
leidenden  Kranken  mit.  Es  wird  wohl  kaum 
jemandem  einfallen,  die  prompte  Ausheilung  der 
Bauchfellentzündung  nach  vorgenommener  Laparo- 
tomie irgend  welchen  Theorien  zuliebe  auf 
Rechnung  der  Gicht  setzen  zu  wollen. 

Für  die  Auffassung  der  Beziehungen  zwischen 
Gicht  und  Tuberkulose  ist  es  vielleicht  nicht 
unwichtig  zu  berücksichtigen,  daß  der  Kranke 
von  Strauß,  welcher  zu  der  obigen  Erörterung 
Anlaß  gab,  in  keiner  Weise  den  Habitus  der 
konstitutionellen  Form  der  Gicht,  sondern  eher 
einen  leichten  Habitus  phthisicus  zeigte  und 
zudem  die  erworbene  Form  der  Gicht,  die  sogen. 
„Bleigicht"  (Patient  war  Maler),  darbot.  Es 
scheint  überhaupt  die  relative  Seltenheit  von 
Tuberkulose  bei  Gichtkranken  nach  Strauß 
wesentlich  für  die  konstitutionelle  Form  der 
Gicht  zuzutreffen,  und  es  machte  ihm  immer  den 
Eindruck,  als  wenn  bei  dieser  Gruppe  von  Gicht- 


l)  Minkowski,  „Die  Gicht"  in  Nothnagels 
Spez.  Pathologie  und  Therapie,  Bd.  VII,  Wien  1908. 

*)  H.  Strauß,  Die  chronische  Nierenentzün- 
dungen in  ihrem  Einfluß  auf  die  Blutzusammen- 
setzung.   Berlin,  Hirsch wald,  1902.   p.  14. 


kranken  die  Tuberkulose  weniger  aus  dem  Grande 
eine  Seltenheit  ist,  weil  eine  Gicht  vorliegt,  als 
deshalb,  weil  die  Vertreter  der  konstitutionellen 
Form  der  Gicht  einen  Körperbau  und  eine  Er- 
nährung zeigen,  bei  welchem  Tuberkulose  relativ 
selten  angetroffen  wird. 

Der  Beleg  dafür,  daß  trotzdem  bei  gichtisch 
erkrankten  bezw.  disponierten  Individuen  tuber- 
kulöse Affektionen  —  und  oft  der  schlimmsten 
Art  —  zustande  kommen  können,  wird  ferner 
durch  eine  umfangreiche  Zusammenstellung  von 
Normann  Moore,  auf  die  auch  Ebstein  in 
seiner  Publikation  Bezug  nimmt,  erbracht.  Aus 
den  Mooreschen  Beobachtungen  ergibt  sich  auch, 
daß  es  sich  bei  der  Tuberkulose  der  an  Gicht 
gleichzeitig  leidenden  Individuen  keineswegs  um 
Schrumpfungsprozesse  handelt,  sondern  daß  dabei 
so  wohl  die  miliaren  Formen  ebensowie  geschwürige 
und  käsige  tuberkulöse  Prozesse  keineswegs 
Seltenheiten  sind. 

.     EschU  (Sinsheim). 

(Am  dem  pharmakol.  Initital  in  Jena.) 

Entstehung  und  Wesen  der  Gicht  Von  H.  Kionka. 

Da  schon  bei  Vögeln  und  bei  karnivoren 
Säugetieren  nach  ausschließlicher  Fleischkost 
pathologische  Veränderungen  in  Leber  und 
Nieren  nachgewiesen  sind  (Kionka,  Pflüger, 
Kochmann),  so  war  zu  erwarten,  daß  diese 
Ernährungsweise  bei  Pflanzenfressern  noch  gröbere 
Veränderungen  hervorrufen  würde.  Tatsächlich 
zeigten  auch  Mäuse  bei  Kionkas  Versuchen 
Nekrosen  in  Leber  und  Nieren  (nachdem  Kanin- 
chen sich  für  diesen  Zweck  als  unbrauchbar 
erwiesen  hatten  wegen  Versagens  der  Peristaltik). 

Beim  Menschen  sind  pathologische  Nieren- 
veränderungen infolge  von  Gicht  schon  lange 
bekannt,  von  der  Leber  dagegen  wenig  anato- 
mische   Befunde    berichtet    (Leube,   Ebstein). 

Da  die  Leber  aber  nicht  nur  der  Ursprungs- 
ort für  die  Harnsäure  ist,  sondern  dieselbe  in 
ihr  auch  zerstört  wird  (ebenso  wie  in  den  Nieren), 
so  könnten  auch  funktionelle  Schädigungen 
der  Leber  sehr  wohl  Störungen  des  Harnsäure- 
stoffwechsels zur  Folge  haben. 

Nach  seinen  diesbezüglichen  Untersuchungen 
spricht  Kionka  als  Ursachen  für  die  Ent- 
stehung der  Gicht  an: 

1.  Eine  Funktionsstörung  in  der  Leber 
(und  wohl  auch  in  andern  Organen),  bestehend 
in  dem  Ausfall  oder  der  Beschränkung  der 
Tätigkeit  des  „harn  Stoff  bildenden  Ferments*. 

2.  Eine  Störung  der  Harnsäureausscheidung 
durch  die  Nieren  —  möglicherweise  auch  nur 
funktionell  und  vielleicht  bedingt  durch  die  Art 
der  Harnsäurebindung  im  Blute  des  Gichtikers. 

Beim  Gichtiker  bleibt  der  Harnsänreabbau 
auf  der  Stufe  des  Glykokolls  stehen  (Wiener), 
und  da  bei  ihm  die  „urolytische  Fähigkeit -  des 
Blutes  nicht  vermindert  ist  (Klexnperer),  so 
wird  er  aus  seinem  reichen  Harnsäure  Vorrat  fort- 
während auch  reichlich  Glykokoll  bilden.  So 
bedingt  das  vollständige  oder  zeitweise  Fehlen 
des  glykokollzerstörenden  Ferments  die  „gichtisch« 
Disposition".  Das  Glykokoll  aber  befördert 
das  Ausfallen    der    Urate    aus    dem    Blut 


XIX  Jahrgang  .1 
KorembT  1905.  J 


580 


(während  der  Harnstoff  ee  verzögert). 
(Kionka,   Frey.) 

Den  Umstand,  daß  gerade  die  Gelenke  von 
der  Gicht  befallen  werden,  erklärt  Kionka  auf 
Grand  von  Freys  Versuchen,  die  in  intra  vitam 
gequetschtem  Knorpel  nach  24  Stunden  Glykokoll 
feststellten.  Bei  der  Schädigung  von  Knorpel 
oder  Bindegewebe  (Sehnenscheiden,  Schleim- 
beutel etc.)  z.  B.  durch  Trauma,  Erfrierung, 
mangelnde  Ernährung  und  bei  gleichzeitig  be- 
stehender gichtiacher  Disposition  (s.  o.)  sind  die 
Bedingungen  für  das  Ausfallen  der  XJrate  aus 
dem  Blut  gerade  an  dieser  Stelle  gegeben.  Ist 
aber  erst  einmal  eine  kleine  TJratablagerung  vor- 
handen, so  wirkt  diese  ihrerseits  nekrotisierend 
auf  das  Nachbargewebe  (Fund w ei ler). 

Da  nun  die  Verhältnisse  der  Blut- 
versorgung und  des  Harnsäuregehalts  des 
Blutes  abhängig  sind  von  der  Art  und 
Beschaffenheit  der  Nahrungsaufnahme, 
den  Verdauungs-  und  Ausscheidungsvor- 
gängen, so  kann  das  eine  Mal  ein  ganz  all- 
mähliches, ziemlich  reizloses  Wachsen  des  Tophus, 
das  andere  Mal  ein  plötzliches  Größerwerden,  der 
akute  Anfall,  entstehen. 

Von  den  therapeutischen  Maßnahmen  soll 
die  lokale  Wärme-  und  Hautreizmittelapplikation 
der  reichlicheren  Durchblutung  des  erkrankten 
Gewebes,  der  Durchspülung  und  Urolyse  dienen, 
kann  aber  auch  andrerseits  wegen  des  vermehrten 
Hinschaffens  von  Harnsäure  ungünstig  wirken. 
Daher  die  wechselnden  Resultate  der  Wärme- 
applikation. 

Operative  Entfernung  kann  behufs  Weg- 
schaffung der  betr.  Glykokollquelle  (s.  o.)  indi- 
ziert sein. 

Die  sog.  harnsäurelösenden  Mittel  können 
ihre  Wirkung  zwar  nicht  im  Blut  und  in  den 
Geweben,  wohl  aber  unter  Umständen  im  Harn 
entfalten  und  so  die  Ausscheidung  der  Harnsäure 
erleichtern.  Hierhin  gehören  die  Alkalien,  die 
organischen  Basen  Piperazin,  Lysidin,  Lycetol, 
ferner  der  Harnstoff  und  die  im  Körper  Form- 
aldehyd abspaltenden  Präparate  (Urotropin, 
Helmitol  u.  a.). 

Die  sog.  spezifischen  Gichtmittel,  das  Col- 
chicin,  die  Chinasäure  und  die  Salizylpräparate 
wirken  wegen  ihrer  Eigenschaft  als  Cholagoga, 
da  ja  die  Gicht  hauptsächlich  auf  einer  patho- 
logischen Veränderung  der  Leberfunktion  beruht. 
Vom  Salizyl  und  der  im  Darm  zu  Benzoesäure 
werdenden  Chinasäure  steht  die  cholagoge  Wir- 
kung fest,  vom  Colchicin  konnte  Kionka  sie 
an  Gallenfistelhunden  nachweisen.  Bei  länger 
fortgesetzter  Medikation  steigt  nach  Freys 
Untersuchungen  nicht  nur  die  Ausscheidung  der 
Gallenflüssigkeit,  sondern  auch  die  der  Gallen- 
säuren. 

Auch  die  Abführmittel  (Salzschlirf,  Karlsbad) 
bewirken  nebenbei  eine  Anregung  der  spezifischen 
Leberfunktionen,  ebenso  wie  die  von  Falken- 
stein, allerdings  aus  andern  Gründen,  empfohlene 
Salzsäure  (Wertheim er). 

Endlich  sind  China-  bezw.  Benzoesäure  und 
Salizyl  auch  noch  deshalb  wertvoll,  weil  sie  sich 
mit  dem  Glykokoll  paaren  und  so  seine  fällende 
Wirkung  auf  die  Harnsäure  verhindern. 


Diesen  lichtvollen  und  gut  gestützten  Aus- 
führungen gegenüber  brauchen  Äußerungen  wie 
die  von  Watson  (Brit.  Med.  Journ.  04)  daß 
die  Gicht  eine  Infektionskrankheit  sei,  nur  an- 
geführt zu  werden,  um  sie  als  das  zu  charak- 
terisieren, was  sie  sind,  nämlich  als  einen  der 
widerwärtigen  Ausflüsse  der  immer  unerträglicher 
werdenden  Bakteriomanie  unserer  Zeit. 

{Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  29.) 

JBsch  (Bendarf). 

Würfelzucker   alt   Nahrungsmittel  bei  Diabetet. 

Von  Dr.  Oefele   in  Bad  Neuenahr  (Rhein- 
pro via  z). 

Schon  einmal  hat  Oefele  über  die  Dar- 
reichung des  Zuckers  an  die  Zuckerkranken  Vor- 
schriften in  seinen  bei  Fritzsche  und  Schmidt 
in  Leipzig  erschienenen  „Allgemeinen  Diätfragen 
für  Zuckerkranke0  gegeben  und  damit  Gesichts- 
punkte eröffnet,  die  für  die  heutigen  Tages  mehr 
und  mehr  diskutierbare  Diätfrage  bei  Diabetes 
von  großem  Werte  sind  und  nicht  genug  be- 
achtet werden  können.  In  der  Tat,  wie  oft  und 
wie  intensiv  kommt  dem  Zuckerkranken  der 
Widerwille  gegen  Diät  Vorschriften ,  welche  nur 
die  Beschränkung  der  Kohlehydrataufnahme  im 
Sinne  haben,  und  wie  wenig  ist  andrerseits  auch 
objektiv  dem  Zuckerkranken  mit  der  bloßen 
Fleischdiät  gedient,  da  seine  Pankreaserkrankung 
die  Muskelfasern  zu  wenig  auszunützen  erlaubt! 
Und  schließlich  birgt  die  ausschließliche  Eiweiß- 
fettdiät auch  eine  große  Gefahr  in  sich,  nämlich 
die  Gefahr  ungenügender  Oxydation  des  Stick- 
stoffes wie  der  Fette  und  die  Gefahr  einer 
Diatese  mit  niederen  Oxyfettsäuren  und  Harn- 
säure. 

Nun  also,  nicht  bloß  um  den  Kranken  in 
Stimmung  zu  halten,  nicht  um  ihn  über  die 
Strenge  des  Diätzwanges  hinwegzusetzen,  nein 
auch  um  die  doppelten  Gefahren  der  Diatese 
oder  gar  eines  Komas  zu  vermeiden,  ist  es  an- 
gebracht, den  Körperhaushalt  zu  verbessern,  und 
dies  erreicht  man  mit  dem  in  der  Küche  üblichen 
Würfelzucker.  Merkwürdig,  wie  gut  dieser 
Würfelzucker  von  den  Zuckerkranken  vertragen 
wurde!  Bei  bestimmten  Vorsichtsmaßregeln  blieb 
in  95  Proz.  der  Fälle  nicht  bloß  eine  ungünstige 
Wirkung  auf  die  Harnzuckermenge  aus,  sondern 
die  Leistungsfähigkeit  und  das  Gefühl  der 
Leistungsfähigkeit  wurde  direkt  durch  den 
Zuckergenuß  gehoben.  Zu  beobachten  ist  dabei, 
sagt  Oefele,  daß  man  den  Zucker  zeitlich  ge- 
trennt von  der  Eiweißnahrung  in  Form  von 
Zuckerwasser,  gezuckertem  Kaffee  u.  a.  und  zwar 
unmittelbar  vor  Muskelarbeit  —  vergleiche  die 
Beobachtung  Leitensdorfers  beim  Militär  — 
verabreicht,  denn  hier  gilt  vor  allem  auch  der 
Grundsatz:  „Keinen  Zucker  ohne  folgende  Mus- 
kelarbeit und  keine  größere  Muskelarbeit  des 
Zuckerkranken  ohne  vorgängige  Zuckerdar- 
reichnng". 

(Münch.  med.Wochenschr.  2905,  Aro.  21.) 

Arthur  Rahn  (Colltn). 


590 


Referate. 


rTharapeirttel» 
L    Monatsheft», 


(Aas  der  medlsin.  Klinik,  Abteilnag  des  «tftdt.  Krankanhaasea 
sn  Frankfurt  n.M.   Direkter:   Prof.  Dr.  von  Noorden.) 

Ober  die  Ausnutzung   von  Zuckerklystieren   bei 

Diabetikern.     Von   Dr.   Edward   Orlowski 

aas  Warschau. 

Orlowski  unternahm  auf  Veranlassung 
von  Noordens  die  Nachprüfung  der  von 
J.  Arn  heim1)  veröffentlichten  Untersuchungs- 
ergebnisse, nach  denen  die  auf  rektalem  Wege 
einverleibten  Kohlehydrate  gut  und  erheblich 
besser  als  bei  bukkaler  Zuführung  assimiliert 
werden  und  die  Azetonkörper  dabei  aus  dem 
Harn  verschwinden  sollen. 

Orlowski  vermochte  nun  an  vier  Diabetikern, 
die  an  verschieden  hohen  Graden  der  Krankheit 
litten,  zunächst  zu  bestätigen,  daß  nach  rektaler 
Einverleibung  von  Glykose  die  Zuckerausscheidung 
erheblich  weniger  ansteigt  als  bei  bukkaler 
Zufuhr.  Während  nach  letzterer  bei  allen  der 
beobachteten  Diabetes -Patienten  der  erwartete 
Anstieg  fast  regelmäßig  prompt  eintrat,  war 
sogar  öfters  auch  in  den  schweren  Fällen  kein 
Anstieg  der  Glykosurie  nach  dem  Zuckerklistier 
zu  bemerken. 

Der  etwa  zu  erhebende  Einwand,  daß  eine 
ungewöhnlich  schlechte  Resorption  vom  Darm 
aus  den  geringen  Effekt  der  rektalen  Applikation 
verursacht  haben  könnte,  ließ  sich  dadurch 
widerlegen,  daß  auf  diesen  Punkt  gerichtete 
Untersuchungen  auch  hier  die  Durchschnitts- 
zahlen ergaben,  wie  sie  für  die  rektale  Resorption 
der  Glykose  bekannt  sind. 

Nun  erhob  sich  vom  Gesichtspunkte  einer 
therapeutischen  Verwertung  der  Resultate  natür- 
lich die  Frage,  ob  die  Glykose  wirklich  als 
solche  resorbiert  und  damit  befähigt  wird,  die 
gleiche  Rolle  im  Organismus  wie  das  vom 
Magen  aus  in  die  Blutbahn  gelangende  und  in 
den  Geweben  verbrennende  Kohlehydrat  zu  spielen 
oder  ob  im  wesentlichen  nur  Zersetzungsprodukte 
des  Traubenzuckers  (die  zwar  den  respiratorischen 
Quotienten  auch  erhöhen,  aber  nicht  den  spezi- 
fischen Wert  des  Zuckers  besitzen)  ins  Blut 
gelangen.  Untersuchungen  des  Kotes  ergaben 
nun,  daß  nur  wenige  Prozent  der  nachträglich 
jenem  zugesetzten  Glykose,  die  im  Brutofen  der 
Nachgärung  überlassen  wurde,  und  ebenso  des 
nach  Zuckerklistieren  entleerten  Kotes  ver- 
schwanden, daß  somit  kein  Grund  zum  Zweifel 
vorliegt,  daß  der  erwähnte  namhafte  Anteil  des 
Glykoseklistiers  wirklich  als  Kohlehydrat  un- 
vergoren  resorbiert  wird. 

Um  weiter  zu  prüfen,  ob  die  Langsam- 
keit der  rektalen  Resorption  gegenüber  der 
stomacho -jejunalen  vielleicht  die  Unterschiede 
der  Wirkung  erkläre,  wurde  das  per  os  ein- 
zuführende '  Vergleichsquantum  verschiedentlich 
in  2 ya  stündigen  kleinen  Raten  verabfolgt:  der 
Effekt  blieb  aber  der  gleiche  wie  bei  der  früheren 
Versuchsanordnung. 

Etwas  abweichend  von  den  Resultaten 
Arnheims    waren    die    Ergebnisse    der    Unter- 

')  Vgl.  J.  Arnheim,  Das  Verhalten  rektal 
eingegebener  Zuckermengen  beim  Dia- 
betiker (Zeitschr.  f.  diätetische  u.  physikalische 
Therapie,  Bd.  VIII,  Heft  2,  1904). 


suchungen,  die  den  Einfluß  der  rektalen  Glykose- 
zufuhr  auf  Azetomine  und  Azidosie  zum  Gegen 
stand  hatten,  indem  dieser  offenbar  selbst 
bei  mehrtägigen  Klistierperioden  sehr  gering 
war.  Dadurch  werden  die  Indikationen  der 
rektalen  Zuckereinverleibung  auch  wesentlich 
eingeschränkt.  Nur  für  gewisse  kurze  Perioden, 
wenn  die  sonstige  Ernährung  auf  Schwierigkeiten 
stößt,  dürfte  dieselbe  wirklich  praktische  Be- 
deutung haben. 

(Zeitschr.  für  diätetische  und  physikalische   Therapie, 
Bd.  VIII,  Heft  9.)  Eschle  (Sinsheim). 

Experimentelle  Untersuchungen  Ober  die  Ver- 
änderung des  Blutes  nach  Injektion  thera- 
peutischer Sera  und  normalen  Pferdeblut- 
Serums.  (Recherches  experhnentales  aar  les 
modificatlons  du  sang  apres  les  injections  de 
serums  thfrapeutlques  et  de  slrum  normal  de 
chcval)    Von  H.  Kucharzewski. 

1.  Das  Diphtherieserum  setzt  in  geringem 
Grade  die  Hämoglobin  menge  und  die  Blut- 
körperchenzahl herab.  Dies  ist  eine  konstante 
Erscheinung.  Das  spezifische  Gewicht  des  Blutes 
erfährt  keine  gleichmäßige  Veränderung.  Kleine 
Dosen  sind  ohne  Einfluß  auf  die  Leukozyten; 
größere  Dosen  vermehren  ihre  Zahl,  besonders 
diejenige  der  Lymphozyten.  Die  Körpertempe- 
ratur bleibt  unverändert;  das  Körpergewicht 
nimmt  ab.  Das  Allgemeinbefinden  bleibt  gut, 
selbst  nach  hohen  Dosen. 

2.  Das  Tetanusserum  hat  auf  die  Ery- 
throzyten eine  ähnliche,  aber  ungleichmäßig  vor- 
kommende Wirkung.  Bei  geringen  Dosen  wird 
die  Zahl  der  Leukozyten  nicht  beeinflußt;  bei 
starken  Dosen  zeigt  sich  Hyperleukozytose,  und 
zwar  ist  es  hier  besonders  die  Zahl  der  Pseudo- 
eosinophilen ,  welche  eine  Steigerung  erfahrt. 
Temperatur,  Körpergewicht  und  Allgemein- 
befinden bleiben  normal,  selbst  nach  hohen  Dosen. 

3.  Das  Streptokokkenserum  hat  eine  ganz 
analoge  Wirkung  wie  das  Tetanusserum. 

4.  Wenn  man  die  drei  Sera  auf  70°  er- 
wärmt, so  wird  nichts  an  ihrer  Wirkung  ge- 
ändert. 

5.  Das  gewöhnliche  Pferdeblutserum  hat 
eine  ähnliche  Wirkung  wie  die  vorher  be- 
schriebenen. 

6.  Die  Veränderungen  und  die  Neben- 
wirkungen, welche  man  nach  Anwendung  der 
therapeutischen  Sera  beobachtet,  sind  nicht 
ä  conto  der  Antitoxine,  wohl  aber  des  Serums 
selbst  zu  schreiben. 

(Ar eh.  internat.  de  pharmacodunamie  et  de  fhirapis, 
vol.  XIII,  p.  117.)  Dr.  Impens  (Eiberfeld). 

Behandlung    des    Zungenkarzinoms.     Von   J.-L. 

Taure. 

Die  Prognose  des  Zungenkrebses  ist  durch 
die  Fortschritte  der  modernen  Chirurgie  viel 
weniger  gebessert  worden  als  diejenige  der 
meisten  anderen  operablen  Karzinome.  Der 
Zungenkrebs  erfordert  fast  stets  sehr  schwere 
Eingriffe,  von  denen  ein  unverhältnismäßig  hoher 
Prozentsatz  auch  heute  noch  tödlich  endet.  Selten 
nur  führt  eine  Operation  zur  definitiven  Heilung. 
Fast  stets  entwickelt  sich  in  kürzerer  oder  längerer 


XIX.  Jahrgang.! 
November  iHQft.J 


Referate. 


591 


Zeit  ein  Rezidiv,  daß,  selbst  wenn  es  noch  ope- 
rabel ist,  nur  selten  bessere  Heilungsaussichten 
bietet  als  die  primäre  Geschwulst.  Freilich 
hat  der  Chirurg  gerade  beim  Zangenkarzinom 
ganz  besondere  Schwierigkeiten  zu  überwinden. 
In  den  meisten  znr  Operation  kommenden  Fällen 
sind  stets  auch  die  Lymphdrüsen  des  Halses  in 
mehr  oder  weniger  großer  Außdehnung  krebsig 
entartet,  und  es  besteht  die  Notwendigkeit, 
gleichzeitig  im  Munde  und  am  Halse  zu  operieren, 
wobei  gewöhnlich  der  Boden  der  Mundhöhle 
entfernt  und  so  eine  Kommunikation  zwischen 
beiden  Operationsgebieten  hergestellt  wird.  Er- 
wägt man,  daß  die  Krebsgeschwulst  in  der  Mund- 
höhle einen  Zustand  hochgradiger  Sepsis  unter- 
hält, so  kann  es  nicht  wundernehmen,  daß  von 
ihr  aus  fast  unausweichlich  auch  die  Hals- 
wunde infiziert  wird  und  eine  unverhältnismäßig 
hohe  Zahl  der  Operierten  zugrunde  geht.  Der 
Verfasser  unternimmt  es  nun,  in  vorliegender 
Arbeit  gewisse  Grundregeln  festzustellen,  die 
seiner  Meinung  nach  geeignet  wären,  die 
Schwierigkeit  und  die  Gefahren  der  Operation 
zu  verringern  und  andrerseits  die  Aussichten 
auf  Heilung  des  Zungenkrebses*  bedeutend  zu 
verbessern.  Vor  allem  betont  er,  daß  möglichst 
frühzeitig  operiert  werden  müsse.  Jede  längere 
Beobachtung  einer  verdächtigen  Zungenaffektion, 
selbst  die  Durchführung  einer  spezifischen  Be- 
handlung behufs  Klärung  der  Diagnose  soll 
unterlassen  werden,  weil  sich  der  Krebs  in- 
zwischen weiter  ausbreitet,  und  durch  Zuwarten, 
sich  die  Aussichten  auf  Heilung  in  jedem  Falle 
verschlechtern.  Man  mache  es  sich  zur  Regel, 
bei  jeder  verdächtigen  Zungenaffektion  ohne 
Zögern  ein  Geschwulststückchen  zu  exstirpieren 
und  histologisch  untersuchen  zu  lassen.  Ergibt 
sich  Krebs,  dann  soll  auch  sofort  operiert 
werden.  Was  nun  die  Operation  selbst  betrifft, 
so  bekennt  sich  Verfasser  als  ein  Gegner  der 
präliminaren  Tracheotomie.  Er  tracheotomiert 
nur,  falls  sich  im  Verlaufe  der  Operation  Stö- 
rungen von  Seiten  der  Atmung  einstellen,  und 
entfernt  nach  Beendigung  des  Eingriffs  die  ein- 
geführte Kanüle  wieder.  Auf  diese  Weise  glaubt 
er  am  besten  die  so  häufige  Infektion  der 
Respirationsorgane  verhüten  zu  können.  Ferner 
begnügt  er  sich,  um  die  Operation  nicht  zu 
komplizieren,  stets  mit  der  Entfernung  der 
Halslymphdrüsen  auf  der  kranken  Seite,  da  ihn 
die  Erfahrung  gelehrt  hat,  daß  durch  Schonung 
der  Drüsen  auf  der  gesunden  Seite  die  Heilungs- 
aussichten nicht  wesentlich  verringert  werden. 
Die  Methode,  die  sich  bei  anderen  Karzinomen 
so  außerordentlich  bewährt  hat,  nämlich  in  einem 
Zuge  das  originäre  Neoplasma,  die  entsprechenden 
Drüsen  samt  den  Lymphgefäßen,  durch  die 
Drüsen  und  Neubildung  miteinander  kommuni- 
zieren, in  möglichst  weiter  Ausdehnung  gleich- 
zeitig zu  entfernen,  ist  zwar  bei  Zungenkarzinomen 
nicht  völlig  ungangbar,  bildet  aber  eine  so 
mörderische  Operation,  daß  sie  nur  für  die 
verzweifeltsten  Fälle  in  Betracht  kommen  sollte. 
Wenn  z.  B.  die  Basis  der  Zunge,  der  Boden 
der  Mundhöhle  sowie  die  ganze  Regio  sub- 
maxillaris  und  carotidea  einen  einzigen  Krebs- 
block bilden,  so  muß  natürlich,  wenn  man  hier 


überhaupt  noch  operieren  will,  in  einem  Zuge 
die  Zunge,  der  Boden  der  Mundhöhle,  die  Regio 
carotidea  und,  wenn  nötig,  auch  der  Unterkiefer 
entfernt  werden.  So  viele  Kranke  auch  nach 
der  Operation  an  Bronchopneumonie  oder  Septik- 
ämie  zugrunde  gehen,  so  vermindert  der  Eingriff 
doch  bei  einer  ganzen  Anzahl  der  Überlebenden 
wenigstens  die  entsetzlichen  Qualen  für  längere 
oder  kürzere  Zeit,  und  bei  einzelnen  kann  sogar 
völlige  Heilung  eintreten. 

Glücklicherweise  liegen  die  Dinge  in  vielen 
Fällen  weitaus  günstiger,  und  ihre  Zahl  wird 
um  so  größer  werden,  je  häufiger  der  Zungen- 
krebs in  seinen  Anfängen  diagnostiizert  wird  und 
zur  Operation  kommt.  Für  die  die  große  Ma- 
jorität bildenden  Fälle,  in  denen  die  Neubildung 
gewöhnlich  auf  den  Rand  der  Zunge  beschränkt 
ist  und  noch  nicht  den  Boden  der  Mundhöhle 
ergiffen  hat,  empfiehlt  der  Verfasser  nach  einem 
Vorschlage  Poiriers  und  Buttlins  die  Ope- 
ration zweizeitig  vorzunehmen  und  dabei  den 
Boden  der  Mundhöhle  zu  schonen:  Man  beginne 
mit  der  Wegnahme  des  Neoplasma  an  der  Zunge. 
Nach  Durchschneidung  der  Genioglossi,  des 
vorderen  Gaumenbogens  und,  wenn  nötig,  Spaltung 
der  Wange  läßt  sich  die  Zunge  so  weit  nach 
vorn  ziehen,  daß  man  sie  mit  Leichtigkeit  fast 
bis  zur  Basis  abtragen  kann.  Nachdem  dies 
geschehen,  näht  man  die  Zungenwunde,  die  dann 
meistens  in  einigen  Tagen  geheilt  sein  wird. 
Nach  zwei  Wochen  kann  man  dann  bequem 
unter  voller  Asepsis  die  Drüsen  am  Halse  auf- 
suchen und  entfernen.  Jede  dieser  beiden  Ope- 
rationen ist  technisch  leicht  und  ohne  große 
Zerstückelungen  ausführbar.  Da  überdies  die  un- 
heilvolle Verbindung  zwischen  Mund-  und  Hals- 
wunde fehlt,  lassen  sich  Infektionen  und  ihre 
verhängnisvollen  Folgen  unschwer  vermeiden. 
Bei  kleinen  Krebsknoten  in  der  Zunge,  die  sich 
noch  in  den  allerersten  Anfängen  befinden,  kann 
man  sogar  beide  Operationen  in  einer  Sitzung 
machen.  Man  wird  dann  aber  zunächst  die 
Halsoperation  vornehmen  und  erst  nach  deren 
Vollendung  den  Eingriff  in  der  Mundhöhle  aus- 
führen. 


(La  Presse  medic.  1904.) 


Ritterband  (Berlin). 


Das  Wachstum  des  Krebses  unter  natürlichen  und 
experimentellen  Bedingungen.  (The  growth 
of  Cancer  under  natural  and  experimental 
conditions.  Von  Dr.  E.  F.Bashford  (London). 

Bashford  berichtet  über  biologische  und 
pathologische  Studien,  insbesondere  über  Krebs- 
übertragungen bei  Tieren,  aus  den  Laboratorien 
des  englischen  „Cancer  research  fund".  Aus 
diesen  ergibt  sich,  daß  die  Erklärung  des  Wesens 
des  Krebses  identisch  ist  mit  der  Erklärung 
der  anscheinend  kontinuierlichen  Proliferation 
beim  Krebs.  Das  Karzinom  bei  der  Maus  zeigt 
einen  histologischen  Bau,  welcher  dem  beim 
Menschen  ähnlich  ist;  auch  bei  künstlicher  Über- 
tragung behält  es  den  Charakter  der  bösartigen 
Geschwulst  bei.  Aus  Bashfords  experimentellen 
Studien  ergeben  sich  folgende  Hauptaigentümlich- 
keiten  des  Karzinoms:  Die  umschriebene  Natur 
des  primären  Herdes  ergibt  sich  aus  dem  Um- 
stand, daß  in  transplantierten  Geschwülsten  sich 


592 


rTbormpetitiae** 
L   Manatabaft«. 


alle  Eigentümlichkeiten  sporadischer  Geschwülste 
wiederfinden.  Die  relative  Unabhängigkeit  des 
Zellwachstums  zeigt  sich  am  schärfsten  in  der 
Tatsache,  daß  nach  dem  Tode  des  primär  affi- 
zierten  Tieres  die  künstlich  übertragene  Geschwulst 
durch  Generationen  hindurch  fortwuchert.  Diese 
Wucherungsfähigkeit  ist  unbegrenzt.  Die  Meta- 
stasenbildung beim  Menschen  scheint  ähnlich  zu 
sein  der  Transplantation  auf  ein  anderes  Indi- 
viduum und  noch  von  anderen  Faktoren  als  der 
einfachen  Verschleppung  von  Zellen  abzuhängen. 
Hohes  Alter  ist  bei  Säugetieren  und  anderen 
Yertebraten  verknüpft  mit  dem  Beginn  der 
Krebswucherung;,  jedoch  ist  der  Beweis  erbracht, 
daß  ein  seniler  Organismus  für  das  andauernde 
Wachstum  des  Krebses  nicht  notwendig  ist. 

Die  Technik  der  Transplantation  bösartiger 
Geschwülste,  die  genaueren  histologischen  Einzel- 
heiten im  Bau  dieser  Geschwülste  werden  genauer 
erörtert  und  mit  den  bei  spontan  entstandenen 
Krebsen  bekannten  Tatsachen  verglichen.  Zahl- 
reiche gute  Abbildungen  von  Tierkarzinomen 
werden  beigegeben.  Ausführlich  wird  auch  über 
Experimente  mit  Radium- Einwirkung  auf  Tier- 
karzinome berichtet. 

(Scientific  reports  on  the  investigations  of  the  imperial 
Cancer  research  rund,  No.  2.  London  1905.) 

Mohr  (Bielefeld). 

Statistische   Untersuchungen  Aber  Krebs.     (The 
Statistical  investlgatlon  of  Cancer.)    Von  Dr. 

E.  F.Bashford    (London). 

Bashford  verwendet  das  statistische 
Material  über  bösartige  Neubildungen  aus  einer 
Anzahl  von  Londoner  Krankenhäusern,  aus  eng- 
lischen Kolonien  nnd  aus  amtlichen  Mitteilungen. 
Die  Resultate  werden  in  einer  Anzahl  von 
Tabellen  zusammengestellt,  die  Grenzen  einer 
statistischen  Untersuchung  des  Krebses  werden 
erörtert,  ebenso  die  Beziehungen  biologischer 
und  experimenteller  Krebsforschung  zur  Statistik, 
ferner  u.  a.  die  Beziehungen  der  Krebsfrequenz 
zum  Alter,  zur  Rasse  etc. 

Aus  den  Hauptergebnissen  des  sehr  großen 
bearbeiteten  Materials  sei  hervorgehoben,  daß 
das  Sarkom  genau  in  gleicher  Weise  wie  das 
Karzinom  mit  zunehmendem  Alter  häufiger  wird ; 
diese  Feststellung  bringt  die  Anschauung,  daß 
Karzinom  und  Sarkom  von  Grund  aus  verschiedene 
Dinge  seien,  ins  Wanken.  Die  Störung  der 
Funktion,  die  Änderung  der  Form  infolge  Ent- 
wicklung einer  bösartigen  Geschwulst  in  irgend 
einem  Organ  ist  sehr  wechselnd.  Beides  kann 
ganz  fehlen,  oder  die  ersten  Krankheitserschei- 
nungen können  sich  so  akut  oder  in  einem  so 
späten  Stadium  der  Erkrankung  entwickeln,  daß 
sie  ganz  der  Beobachtung  entgehen.  In  vielen 
Fällen  sind  außer  der  Neubildung  noch  andere 
Erkrankungen  vorhanden,  welche  die  Neubildung 
vollkommen  maskieren.  Die  enorme  Wucher  ungs- 
kraft  des  Karzinoms  beginnt  in  den  Endstadien 
des  normalen  Lebenszyklus,  wenn  die  Fähigkeit 
der  Zell  Vermehrung  aufzuhören  beginnt.  Diese 
Periode  beginnt  beim  Chorion  vor  der  Geburt, 
bei  Gebärmutter  und  Brustdrüse  um  die  Zeit 
des  Klimakteriums,  etwas  später  noch  bei  der 
Haut.     Die  Statistik  ergibt  ferner,  daß  die  Art 


der  Diät  keinen  primären  Einfluß  auf  das  Auf- 
treten des  Krebses  bei  den  verschiedenen  Rassen 
hat,  ebenso  wenig  bei  den  Tieren.  Eine  tat- 
sächliche Zunahme  der  Krebssterblichkeit  läßt 
sich  nicht  nachweisen.  Krebs  kann  experimentell 
nur  durch  tatsächliche  Transplantation  von 
Gewebe  übertragen  werden.  Bösartige  Neu- 
bildungen machen  keine  spezifischen  Symptome, 
auch  die  Kachexie  ist  kein  solches. 

(Scientific  reports  on  the  investigations  of  the  imperial 
cancer  research  fund,  No.  2,  London  1905.) 

Mohr  (Bielefeld). 

(Ana  dem  Sanatorium  der  Landaa-Vanieherungaanaialt 
Berlin  la  Beeilt*.) 

Die   Neurasthenie   In   Arbeiterkreisen.     Von   Dr. 

P.  Leubuscher  und  W.  Bibrowicz. 
An  der  Hand  eines  großen  Beobachtungs- 
materials (1564  Fälle  von  männlichen  Patienten) 
berichten  die  Verfasser  über  Vorkommen  und 
Ursache  der  Neurasthenie  bei  Arbeitern.  Das 
Ergebnis  ihrer  beachtenswerten  Wahrnehmungen 
und  Schlußfolgerungen  ist  in  kurzer  Zusammen- 
fassung folgendes.  Es  ist  eine  enorme,  und  zwar 
stets  steigende  Verbreitung  der  Neurasthenie  in 
den  großstädtischen  Arbeiterkreisen  vorhanden. 
Drei  Viertel  dieser  Neurasthenien  sind  erworben. 
Das  Anwachsen  der  neurasthenischen  Symptome 
bis  zur  schweren  Beeinträchtigung  der  Erwerbs- 
fähigkeit fällt  in  das  Alter  zwischen  25  nnd 
45  Jahren.  Besonders  gefährdet  sind  die  geistig 
höher  stehenden  Arbeiter,  bei  denen  ein  Miß- 
verhältnis besteht  zwischen  geistigen  Bedürfnissen 
und  ihrer  Befriedigungsmöglichkeit  durch  den 
Beruf.  Abgesehen  von  der  Prophylaxe,  welche 
eine  Reihe  von  schweren  sozialen  Fragen  berührt, 
bietet  eine  frühzeitige  und  ausgedehnte  Behand- 
lung in  zweckmäßig  dazu  eingerichteten  Nerven- 
heilstätten hinsichtlich  des  momentanen  Erfolges 
wie  auch  der  Fortdauer  der  wiedergewonnenen 
Erwerbsfähigkeit  die  günstigsten  Aussichten.  — 
Die  weitere  Begründung  von  Volksheilstätten 
für  Nervenkranke  erscheint  als  ein  dringendes 
Bedürfnis. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  21.)  R. 

Bericht  Aber  zwei  weitere,  mit  Elektrolyse  be- 
handelte Pille  von  Aneurysma  der  Aorta 
und  einen  der  Anonyme.  Von  Dr.  H.  A. 
Hare. 

Als  Ergänzung  von  acht  früher  veröffent- 
lichten Fällen  teilt  Hare  drei  weitere  Beob- 
achtungen mit.  Nach  Feststellung  der  Diagnose 
des  Aneurysmas  wurde  in  der  üblichen  Weise 
durch  eine  Kanüle  ein  Golddraht  von  mehreren 
Fuß  Länge  in  den  Sack  eingeführt  und  ein  elek- 
trischer Strom  30  bis  50  Minuten  lang  hin- 
durch geleitet.  Der  unmittelbare  Erfolg,  be- 
stehend in  Erleichterung  der  subjektiven  Be- 
sehwerden, war  jedesmal  sehr  auffällig  und  hielt 
auch  einige  Wochen  an.  Nach  Verlauf  von 
vier  bis  sechs  Monaten  trat  jedoch  der  Tod  ein, 
und  es  konnte  jedesmal  die  Sektion  gemacht 
werden.  Dabei  zeigte  sich,  daß  der  Golddraht 
in  einem  festen  Blutgerinnsel  eingebettet  lag, 
daß  jedoch  an  den  Bändern  desselben  die  Aas- 
buchtung  der  Arterienwand  fortgeschritten  war. 


XIX.  Jahrr  an*."! 
November  1905.J 


593 


In  dem  Falle  von  Aneurysma  der  Anonyma 
konnte  merkwürdigerweise  der  Draht,  welcher 
zwei  Fuß  lang  gewesen  war,  gar  nicht  wieder- 
gefunden werden. 

Wenn  also  eine  völlige  Heilang  nicht  er* 
zielt  wurde,  so  hat  die  Behandlung  doch  zweifel- 
los das  Leben  verlängert  und  die  subjektiven 
Beschwerden  erleichtert. 

(TherapeuHc  genette  1905,  No.  7.) 

CUxmen  (Grub«  i.  HJ. 

Über  die  behauptete  Entgiftung  des  Morphiums 
durch  Kaliumpermanganat.  (Sur  1a  pretendue 
desintoxlcation  de  la  morphine  ä  l'alde  du  per» 
manganate  de  potaesium.)  Von  DeBusscher. 

Nach  den  Versuchen  des  Verfassers  zu 
urteilen,  hat  das  Kaliumpermanganat  keinen 
oder  einen  nur  sehr  unsicheren  Wert  als  Antidot 
des  Morphins. 

Das  Permanganat  kann  wohl  einige  der 
Vergiftungssymptome  maskieren  oder  sogar  lin- 
dern; die  Gefahr  wird  aber  dadurch  nicht  ver- 
mindert. 

Brechmittel  und  Magenspülungen  bleiben 
noch   immer  die  sicherste  Behandlungsmethode. 

(Ar eh.  Internat,  de  pharmacodynamie  et  de  ihcrapie, 
vol.  XIII,  p.  309.)  Dr.  Impens. 

Veratron.  Von  Dr.  Houghton  und  Hamilton 
in  Detroit. 

Veratron  ist  ein  ohne  Alkohol  hergestelltes 
Pr&parat  von  Veratrum  viride  von  einem  Viertel 
der  Stärke  des  offiziellen  Extractum  fluid  um 
der  amerikanischen  Pharmakopoe.  Durch  einen 
Zusatz  von  Ghloreton  ist  es  steril  und  nicht 
zersetzlich.  -r-  Verff.  haben  es  unmittelbar  am 
freigelegten  Froschherz  sowie  innerlich  und  sub- 
kutan bei  Hunden  geprüft.  Sie  kommen  zu  dem 
Schluß,  daß  es  in  kleinen  Dosen  die  Atmung 
vertieft  und  verlangsamt,  den  Puls  verlangsamt, 
den  Blutdruck  herabsetzt;  in  starken  Dosen  das 
Atmungszentrum  reizt  und  schließlich  lähmt. 
Dosen  von  1  oder  2  com  innerhalb  oder  halb  so 
stark  subkutan  sind  hinreichend,  um  beim 
Menschen  eine  physiologische  Wirkung  hervor- 
zubringen. 

(Therapeutic  gamette  1905,  Januar.) 

Classen  (Grube  i.  H.). 

(Ans  dem  pharmakol.  Univereltatainetttut  in  Gent.) 

Die  Wirkung  dea  Alkohole  auf  den  Blutkreislauf 
dee  Menschen.  Von  Dr.  M.  Koch  mann, 
I.  Assistenzarzt 

Aus  den  Untersuchungen  ergab  sich,  daß 
der  Alkohol  bei  passender  Dosierung  eine  Blut- 
drucksteigerung hervorzurufen  vermag,  die  trotz 
gleichzeitiger  peripherischer  Vasodilatation  durch 
Vasokonstriktion  des  vom  N.  splanchnicus  ver- 
sorgten Gefäßgebietes  zustande  kommt.  Dadurch 
wird  für  eine  bessere  Durchblutung  des  Herz- 
muskels gesorgt,  der  so  zu  erhöhter  Tätigkeit 
angeregt  wird.  Inwieweit  das  auch  bei  patho- 
logisch verändertem  Kreislauf  der  Fall  ist, 
müßten  weitere  Versuche  lehren.  Vom  pharma- 
kologischen Standpunkt  aus,  meint  Verf.,  kann 
also    der  Alkohol   wohl   eine   Bedeutung  haben, 


wenn    auch    manche    ihn   aus  sozialen   Gründen 

durch  andere  Arzneimittel  ersetzen  möchten. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  190$,  No.  24.) 

Esch  (Bendorf). 

Die  perkutane  8alizylbehandlung.    Von  Dr.  Ed- 
mund Saalfeld. 

Den  Vorzug  einer  deutlichen  Salizyiwirkung, 
ohne  unangenehme  Erscheinungen  von  Seiten  der 
Haut  hervorzurufen,  besitzt  eine,  früher  Velos  an 
(vergl.  Therap.  Monatsh.  Dezember  1904,  S.  659), 
jetzt  Fetrosal  genannte  Salbe.  In  derselben 
sind  außer  der  Salizylsäure  u.  a.  noch  Salol 
und  Fetron  enthalten.  Saal  fei  d  hat  das  Prä- 
parat hinsichtlich  seines  Einflusses  auf  die  Haut 
geprüft.  In  50  hierher  gehörigen  Fällen  konnte 
er  bei  Anwendung  des  Fetrosals  keine  Haut- 
reizung beobachten.  Es  kam  eine  Reihe  von 
Dermatosen  leichteren  Grades  durch  Fetrosal- 
anwendung  zur  Heilung.  Zur  Behandlung  der 
rheumatischen  Affektionen  dürfte  das  Fetrosal 
zu  empfehlen  sein. 

(Allgcm.  medizm.  Zentr.-Ztg.  19,  1905.)  R. 

Anwendung  des  Mesotan vaselins.   Von  Dr.  Ru be- 
mann (Berlin). 

Während  Mesotan  mit  Olivenöl  öfters  haut- 
reizend wirkte  —  wahrscheinlich  zersetzte  sich 
das  öl  in  der  Mischung  —  so  fand  Verf.,  daß 
diese  unangenehme  Nebenwirkung  bei  Mischung 
mit  Vasel.  flav.  americ.  (5,0  auf  15,0  Vasel.) 
ausblieb. 

Er  ließ  z.  B.  bei  akutem  Gelenkrheumatis- 
mus mehrmals  täglich  26  Tage  lang  mit  aus- 
gezeichnetem Erfolg  einstreichen.  Außerdem  ist 
bei  dieser  Applikationsform  der  Vorteil,  daß 
man  das  Mesotan  der  Haut  viel  energischer  bei- 
bringen kann.  Auch  Erysipelas  faciei  sah  Verf. 
durch  Mesotan,  wie  es  ja  auch  schon  Meißner 
und  Rahn  fanden,  günstig  beeinflußt,  ganz  be- 
sonders aber  in  den  Fällen,  wo  es  mit  Vaselin 
aufgetragen  war.  Preis  des  Rp.  Mesotan  10,0, 
Vasel.  40,0  beträgt  1,90  Mk. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  19.) 

Arthur  Rahn  (Colhn). 


(Aus  der  medislnisonen  Klinik  der  Universität  Jena. 
Direktor:  Geh.  Med.- Rat  Prof.  Dr.  R.  Stintsing.) 

i.    Einwirkung   von    Salizylprflparaten    auf   die 
Nieren.    Von  Dr.  Quenstedt,  Assistent  der 
Klinik.    Therapie  der  Gegenwart    März  1905. 
(Ans  der  1.  med  «kriechen  Klinik  der  Universität  Berlin.) 

a.   Zar  Frage   der  Salisylwlrkung.      Von   G.  J. 

M  am  lock.    Medizinische  Klinik,  No.  21,  1905. 

(Ane  dem  pharmakologischen  Institut«  der  Universität  Jena. 
Direktor :   Prof.  Dr.  K  i  o  n  k  a.) 

3.   Die  Vermeidung  der  Nierenreiznng  nach  großen 
Saliaylgaben.     Von  Dr.  Ernst  Frey,  Assis- 
tent  am   Institut.    Münch.  med.  Wochenschr. 
No.  28,  1905. 
1.    Die   Beobachtung    Lüthjes1),    daß    die 

Darreichung    von    Salizylpräparaten    regelmäßig 


l)  H.  Lüthje,  Über  die  Wirkung  von  Salizyl- 
präparaten auf  die  Harnwege  nebst  einigen  Bemer- 
kungen über  die  Genese  der  Zylinder  und  Zylin- 
droide.  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Med.,  Bd.  74. 
Referat  in  Therap.  Monatsh.    Mai  1903,  p.  265. 


594 


Referate» 


fTfc«ra.p«uti«cha 


das  Auftreten  von  Eiweiß  and  Zylindern  im 
Harn  zur  Folge  hat,  ist  von  andern  Autoren 
(Brugsch,  Knecht,  Klieneberger  and 
Öxenius)  bestätigt  worden.  Auch  Quenstedt 
hat  bei  seinen  Kranken  eine  Nierenreizung  nach 
Verabreichung  von  Natriumsalizylat  konstatieren 
können;  er  fand  bei  25  Fällen  in  200  Einzel- 
untersuchungen 110  mal  Eiweiß  —  allerdings 
nur  in  wenigen  Fällen  in  größeren  Mengen  — 
und  96  mal  Zylinder,  meist  hyaline  und  granu- 
lierte, äußerst  selten  Epithelial-  oder  Leuko- 
zytenzylinder. Diese  Anzeichen  der  Nierenreizung, 
die  schon  kurze  Zeit  nach  Anwendung  von 
Salizylsäure  in  den  gewöhnlichen  mittelhohen 
Dosen  auftreten,  dauern  während  der  Darreichung 
von  Salizyl  an,  schwinden,  wenn  die  Behandlung 
ausgesetzt  wird,  und  stellen  sich  wiederum  ein, 
wenn  von  neuem  mit  der  Verabreichung  begonnen 
wird.  Bei  definitivem  Aussetzen  heilt  die  Sali- 
zylnephritis  ohne  irgend  welche  Folgen  schnell 
aus,  es  liegt  daher  kein  Grund  vor,  auf  die  Dar- 
reichung der  Salizylsäure,  namentlich  bei  akuten 
Fällen  von  Rheumatismus,  Verzicht  zu  leisten. 

2.  Mamlock  hat  die  Frage  studiert,  ob 
kleine  nicht  therapeutische  Salizyl  dosen  Gesund- 
heitsschädigungen hervorrufen  können.  19  Pati- 
enten, die  an  den  verschiedenartigsten  Krank- 
heiten litten,  deren  Urin  aber  frei  von  patho- 
logischen Bestandteilen  war,  erhielten  täglich 
Dosen  von  0,005 — 0,15  g  Salizylsäure  in  Him- 
beersaft etwa  eine  Woche  lang.  Der  Urin  blieb 
während  dieser  Zeit  frei  von  Eiweiß  und  zellu- 
lären Elementen;  nur  in  zwei  Fällen  gab  der 
Harn  nach  Einnahme  der  höchsten  Dosis  von 
0,15  g  Salizylreaktion.  Diese  Reaktion  war 
ferner  bei  einigen  normalen  Personen  vorhanden, 
die  täglich  0,3  g  Salizylsäure  erhalten  hatten, 
jedoch  auch  hier  blieben  pathologische  Bei- 
mengungen aus.  Jedenfalls  ist  aus  diesen  Unter- 
suchungen zu  folgern,  daß  kleine  Dosen  Salizyl- 
säure, wie  sie  z.  B.  zur  Konservierung  von  Him- 
beersaft verwandt  werden,  eine  Nierenreizung 
nicht  •  hervorrufen. 

3.  Die  Nierenschädigung  durch  Salizyl- 
darreichung  kann  entweder  durch  lokale  Reiz- 
wirkung der  Salizylsäure  auf  die  Nieren  oder 
nach  der  Resorption  durch  Giftwirkung  auf  das 
Blut  (Blutungen  und  Gefäßverlegungen)  zustande 
kommen.  Wie  nun  Frey  nachweist,  treten  Ei- 
weiß und  Zylinder  nach  Salizyldarreichung  nur 
im  sauer  reagierenden  Harn  auf;  man  hat  dem- 
nach die  Nierenreizung  als  Folge  einer  lokalen 
Reizwirkung  der  im  sauren  Harn  frei  werdenden 
Salizylsäure  aufzufassen.  Will  man  also  die 
schädigenden  Wirkungen  der  Salizylsäure  auf 
die  Niere  am  Krankenbett  verhindern,  so  kann 
man  dies  ohne  gleichzeitige  Abschwächung  der 
Salizylwirkung  durch  reichliche  Zufuhr  von 
Alkali  —  alkalische  Wässer  resp.  Natriumbi- 
karbonat —  verhindern. 

Jacobson. 

Wie  sollen  Säuglinge  künstlich  ernährt  werden? 

Von  Dr.  E.  Furth-Dervent  (Bosnien). 

Die  üblichen  Wege  der  künstlichen  Er- 
nährung mit  Kuhmilch  befriedigen  nur  un- 
vollkommen,  ebenso  ist  der  Versuch,  die  Diffe- 


renzen zwischen  Frauen-  und  Kuhmilch  aus- 
zugleichen, nur  unvollständig  geglückt,  wie  der 
von  Fürth  kurz  dargestellte  Entwicklungsgang 
der  künstlichen  Ernährung  mit  Kuhmilch  bis 
zum  heutigen  Stande  dieser  Frage  zeigt;  oft 
sind  es  nur  äußere  Gründe,  Schwierigkeiten  der 
Beschaffung,  Höhe  des  Preises,  die  ein  an  und 
für  sich  wertvolles  Präparat  weiteren  Kreisen 
unzugänglich  machen.  Den  am  meisten  be- 
liebten Kinder mehlen  haftet  der  Fehler  an,  daß 
ihre  Kohlehydrate,  dazu  bestimmt,  die  dem 
Körper  nötige  Fettmenge  zu  liefern,  nur  im 
kleinsten  Maße  vom  Verdauungsapparat  auf- 
genommen werden,  und  daß  sie  nur  einen 
schweren  Ballast  für  ihn  darstellen.  Fürth 
wählte  für  sein  eigenes,  schwer  atrophisches 
Kind  aus  diesen  Gründen  und  nach  reiflicher 
Überlegung  die  in  chemischer  Hinsicht  der 
Muttermilch  nahe  verwandte  Theinhardsche 
Kindernahrung.  In  ihr  sieht  er  alle  jene  Postu- 
late,  die  Monti  an  eine  Verbesserung  der  Kuh- 
milch stellt,  erfüllt  (bezüglich  der  hohen  Azidität 
der  Kuhmilch  gegenüber  der  Frauenmilch,  der 
großen  Menge  des  Kaseins  im  Verhältnis  zu  den 
andern  Eiweißkörpern  der  Milch  und  eine  Än- 
derung seines  Gerinn ungs Vermögens;  desgleichen 
bezüglich  der  Erhöhung  des  Fettgehaltes,  die 
durch  eine  größere  Menge  an  gelösten  Kohle- 
hydraten erreicht  wird,  welche  ja  nach  Rubner 
den  Fetten  äquivalent  sind.  Ihr  Gehalt  an 
Phosphorsäure  ist  ein  weiterer  Vorzug  ebenso 
wie  ihre  durch  Sterilisation  bewirkte  relative 
Reinheit  von  Bakterien).  Nach  Fürth  hat  sich 
bei  seinem  eigenen  Kinde  und  vier  andern 
Kinderatrophien  das  Kindermehl  so  vorzüglich 
bewährt,  daß  er  in  dem  Mittel  bei  Mangel  der 
Mutterbrust  einen  guten  Ersatz  derselben  ge- 
funden zu  haben  glaubt. 

(Medizinische  Klinik  No.  26,  1905.) 

Homburger.  (Karlsruhe). 


(Au*  der  Unfvenittts-KInderkllnlk  sn  Leipzig: 
Geb.-Rat  Soltmann.) 

Rohe  oder  gekochte  Milch?  Von  Dr.  med.  Herrn. 
Brüning,  Laboratoriumsassistent  und  Pro- 
sektor. 

Bei  der  natürlichen  Ernährung  an  der 
Mutterbrust  erhält  das  Kind  Rohmilch  seiner 
eigenen  Gattung  gegenüber  der  artfremden 
Tiermilch,  die  ihm  bei  der  künstlichen  Ernäh- 
rung mit  Kuhmilch,  und  zwar  im  gekochten  Zu- 
stand verabfolgt  wird.  Die  neueren  Bestrebungen 
laufen  bekanntlich  darauf  hinaus,  auch  die  Tier- 
milch im  rohen  Zustande  dem  Kinde  als  Nah- 
rung zu  bieten.  Die  Bedeutung  einer  solch 
tiefeinschneidenden  Entscheidung  gab  Brüning 
Veranlassung,  dieser  Frage  experimentell  näher 
zu  treten.  Von  4  Hunden  eines  Wurfes  ernährte 
er  2  an  der  Mutter,  2  mit  der  Flasche,  and 
zwar  das  eine  mit  gekochter  und  das  andere  mit 
roher  Milch,  in  30  tägigem  Versuch.  Die  Tiere, 
die  arteigene  Muttermilch  erhielten,  zeigten  gute 
Gewichtszunahmen  und  keinerlei  pathologische 
Veränderungen  an  ihrem  Skelett;  das  mit  ge- 
kochter Kuhmilch  genährte  Tier,  welches  bei 
der  Geburt  das  schwerste  war,  blieb  weit  hinter 
den    beiden     ersten     an    Gewicht    zurück;    sein 


X IX.  Jahrgang  1 
Kovmbw  1906.J 


Referate. 


595 


Bauch  war  aufgetrieben,  das  Haar  struppiger 
und  die  Rippenknorpel  aufgetrieben.  Das  mit 
roher  Kuhmilch  gefütterte  Tier  zeigte  das  ge- 
ringste Körpergewicht  am  Schlüsse  des  Ver- 
suches; matte,  trübe  Augen,  dünnes,  kurzes  Haar 
and  fast  kahle  Stirne,  aufgetriebenen  Bauch, 
unsicheren  Gang  und  Knochen  Veränderungen,  die 
mit  der  Rachitis  des  Menschen  die  größte  Ähn- 
lichkeit haben.  Das  Tier  hatte  freilich  eine 
Nephritis  durchgemacht.  Aus  diesen  und  an- 
dern Tierfütterungs versuchen  glaubt  Brüning 
schließen  zu  dürfen,  daß  ihre  Ergebnisse  nicht 
übereinstimmen  und  daher  keineswegs  schlecht- 
hin für  die  Rohmilchernährung  sprechen. 

(Münchener  med.  Wochenschrift  No.  8,  1905.) 

Homburger  (Karlsruhe). 

Hautgangrän  nach  Anwendung  eines  neuen  lokalen 
Anasthetikwns  Stovain.  (Gangrene  of  the 
ekln  following  the  nse  of  stovaine,  a  new 
local  anaesthetic.)  Von  D.  A.  Sinclair  M.  D. 
New  York.  Lecturer  in  genito-urinary  surgery. 
N.  Y.  Policüoic   medical  school  and  hospital. 

Verf.  verwendete  bei  mehreren  Operationen 
an  den  Harn-  und  Geschlechtsorganen  zur  Er- 
zeugung der  lokalen  Anästhesie  Stovain. 

Das  Verhalten  des  Mittels  erleuchtet  am 
besten  aus  dem  Bericht  der  Eingriffe  und  ihres 
Verlaufs. 

1.  Fistula  ani.  Verwendung  von  12  ccm 
2  proz.  Stovain lösung.  Anästhesie  trotz  vor- 
heriger Darreichung  von  0,03  g  Morphium  un- 
vollkommen oder  überhaupt  nicht  vorhanden. 
Wundheilung  sehr  verzögert. 

2.  Chronische  Urethritis,  Meatotomie. 
Verwendung  von  10  Tropfen  2  proz.  Stovain- 
lösung.  Vollkommene  Anästhesie.  Nach  der 
Operation  Kollapsanfall.  Während  der  Nach- 
behandlung an  der  Injektionsstelle  ziemlich 
ausgebreitete  Gangrän,  welche  lange  bestehen 
bleibt. 

3.  Zirkumzision.  Verwendung  von  8  ccm 
2  proz.  Stovainlösung.  Keine  vollständige  An- 
ästhesie. Nach  der  Operation  ödem  und  später 
tiefgehende,  fast  über  den  ganzen  Penis  ausge- 
breitete Gangrän.    Heilungsdauer  etwa  7  Wochen. 

4.  Zirkumzision.  Verwendung  von  8  ccm 
2  proz.  Stovainlösung.  Unvollkommene  An- 
ästhesie. Unmittelbar  nach  dem  Eingriff  Übel- 
keit und  Schwindelgefühl,  drohender  Kollaps. 
Im  Wundverlauf  tritt  Ödem  und  ulzerierende 
Dermatitis  der  Wundnaht,  später  ausgebreitete 
Gangrän  ein.  Nach  Exzision  Heilungsdauer 
etwa  6  Wochen. 

5.  Zirkumzision.  Heilungsverlauf  durch 
Ödem  und  Gangrän  gestört.  Wundränder  nach 
4  Wochen  noch  nicht  fest  verheilt. 

Durchaus  im  Einklänge  mit  diesen  Beob- 
achtungen stehen  die  ungünstigen  Erfahrungen, 
welche  Braun-Leipzig  in  seinem  Buche  „Die 
Lokalanästhesie,  ihre  wissenschaftlichen 
Grundlagen  und  praktische  Anwendung 
(Leipzig,  Johann  Ambrosi us  Barth,  1905)  nach  dem 
Ergebnis  eigener  Versuche  mitteilt.  „DieSchmerz- 
haftigkeit  der  Injektion,  die  der  Injektion  folgende 
auffallend    heftige    Hyperämie,    die    keineswegs 


fehlende  Gewebsschädigung  (Braun  hatte  auch 
Gelegenheit,  das  Auftreten  von  Gangrän  nach 
Stovainanwendung  zu  beobachten.  Ref.)  durch 
das  Mittel  sind  doch  erhebliche  Nachteile,  die 
weder  dem'Eukain  noch  dem  Tropakokain 
anhaften.  Also  wozu  das  neue  Mittel?  Dieselbe 
.anästhesierende  Wirkung,  die  mit  einer  Stovain- 
lösung zu  erreichen  ist,  gewährt  eine  Kokain-  % 
lösung,  ja  auch  eine  Eukain-  oder  Tropakokain- 
lösung  von  erheblich  geringerer  Konzentration. 
Damit  entfällt  auch  der  Vorteil  der  anscheinend 
geringeren  toxischen  Wirkung." 

Diese  hier  mitgeteilten  Erfahrungen  dürften 
wohl  genügen,  uns  dem  Enthusiasmus  über  das 
Stovain  mit  einer  gewissen  Skepsis  entgegen- 
treten zu  lassen,  zumal  ja  in  den  von  Braun 
genannten  Mitteln  zwei  dem  Stovain  weit  über- 
legene lokale  Anästhetika  zur  Verfügung  stehen. 

(The  Journal    of   cutaneous    diseases.      New    York, 
July  1905.)  Th.  A.  Maass. 

(Ans  dem  Protozoenlaboratorium  des  Kataerl.  Qeeandbeitiamtee 
und  »u*  der  Könlgl.  Unlveraitite-  Klinik  für  Haut-  und 
Geechlerhtekrankhei  ten. ) 
Ober  Spirochaete   pallida   bei  Syphilis   und   die 
Unterschiede  dieser  Form  gegenüber  anderen 
Arten      dieser     Gattung.       Von     Dr.  Fritz 
Schaudinn,  Regierungsrat  und  Mitglied  des 
Kaiserl. Gesundheitsamtes,  und  Dr. Erich  Hoff- 
mann, Stabsarzt  a.  D.  und  Privatdozent.  (De- 
monstration  in    der  Berliner  medizin.  Gesell- 
schaft am  17.  Mai  1905.) 
Alle  Anzeichen  lassen  darauf  schließen,  daß 
die    führende    Rolle,    welche    die    Bakteriologie 
nahezu  ein  Vierteljahrhundert  einnahm,  nunmehr 
an  die  Protozoenforschung  gefallen  ist.    Offenbar 
ist  diese  für  die  nächste  Periode  durch  fortgesetzt 
neue   und   sensationelle  Entdeckungen   prädesti- 
niert, den  Sauerteig  zu  liefern,  dessen  der  ärzt- 
liche Praktiker  zu   bedürfen   scheint,    um  wirk- 
liches Brot  am  Tische  der  Wissenschaft  zu  essen 
und  nicht  auf  die  steinigen   Brocken  aussichts- 
loser roher  Empirie  angewiesen  zu  sein.    Hoffent- 
lich   wird    das   Gebäck    nicht    wieder  zu   frisch 
gegessen    und  ruft  dann  beunruhigende  Erschei- 
nungen hervor! 

Daß  Schaudinn  und  Hoffmann  selbst, 
die  Entdecker  der  Spirochaete  pallida,  unschuldig 
daran  sein  würden,  wenn  ein  überstürzt  ver- 
allgemeinernder Optimus  auch  heute  wieder  vor- 
eilige ätiologische  Schlüsse  und  entsprechende 
überstürzte  Konsequenzen  zöge,  geht  übrigens 
deutlich  aus  der  Reserve  hervor,  die  sich  die 
genannten  Autoren  hinsichtlich  der  Folgerungen 
in  erwähnter  Hinsicht  selbst  auferlegen. 

Es  gelang  den  beiden  Forschern,  im  frischen 
Gewebssaft  mit  allen  Vorsichtsmaßregeln  exzi- 
dierter  syphilitischer  Papeln,  in  den  tieferen 
Schichten  von  Primäraffekten  in  den  spezifisch 
erkrankten  Leistendrüsen  und  auch  im  Milzblut 
einer  frisch  syphilitischen  Person  (am  5.  Tage 
vor  Auftritt  der  Roseola)  sowohl  lebend  als  auch 
im  gefärbten  Präparat  (Gie ms asche  Eosin-Azur- 
färbung) einen  Spirochaeten  nachzuweisen,  den 
sie  im  Gegensatz  zu  der  bei  Papillomen  und 
Balanitis  festgestellten  gröberen  Form  „Spirochaete 
refringens"  nannten.  Die  mit  undulierender 
Membran  versehenen,    eine  flexible   Gestalt   be- 


596 


Roferato. 


rThor*peutibche 
L  Monatshefte. 


sitzenden  tierischen  Parasiten  zeichnen  sich  nicht 
nur  durch  Kleinheit  und  Zartheit  und  ihr  ge- 
ringes Lichtbrechungsvermögen,  sondern  auch  vor 
allem  durch  die  Art  ihrer  spiraligen  Aufwindung 
aus,  die  man  wegen  ihrer  großen  Zahl,  Regel- 
mäßigkeit, Enge  und  tiefen  Buchtung  am  treffend- 
sten als  korkzieherartig  bezeichnet.  Im  Leben 
schraubt  sich  der  spiralig  aufgewundene  Spiro- 
chaetefaden  unter  Rotation  um  seine  Längsachse 
bald  nach  der  einen  Richtung,  bald  nach  ruck- 
weisem Stillstand  nach  der  anderen;  auch  ohne 
Lokomotion  sieht  man  zuweilen  undulierende 
Bewegungen  über  das  ganze  Gebilde  laufen,  als 
Ausdruck  des  Spiels  der  undulierenden  Membran. 
Hierzu  gesellen  sich  biegende,  schlängelnde  und 
peitschende  Bewegungen  des  ganzen %  Körpers, 
der  demnach  nicht  wie  bei  den  Spirillen  eine 
starre  Längsachse  besitzt. 

(Berliner  klin.  Wochenschr.  1905,  No.  22.) 

Eschle  (Sinsheim). 


(Aus  der  Poliklinik  für  Hautkrankheiten  ron  Dr.MazJoieph 

in  Berlin  und  aus  der  Praxis  von  Dr  Dreyer,  8peztalarzt 

für  Hautkrankheiten  in  Köln.) 

Ober   die  Behandlung   der  Syphilis   mit  45  proz« 

Oleum    mercurloli.      Von    Dr.    Lenge feld, 

Assistent  der  Poliklinik. 

Das  Merkuriolöl  ist  ein  zur  Injektion  be- 
stimmtes Präparat,  welches  90  Proz.  Quecksilber 
als  Aluminium-Magnesium-Amalgam,  wasserfreies 
Lanolin  und  Mandelöl  enthält.  Die  salben- 
ähnliohe  Masse  wird  unter  Erwärmen  mit  gleichen 
Teilen  wasserfreien  Mandelöles  zur  Anwendung 
verdünnt.  Von  dieser  45  proz.  öligen  Lösung 
injiziert  Lengefeld  jeden  4.  Tag  mit  sorgfältig 
vor  Berührung  mit  Wasser  bewahrter  Spritze*) 
0,05 — 0,2  ccm  intramuskulär  in  die  Nates,  wie 
dies  auch  schon  Möller  (Archiv  f.  Dermatol.  u. 
Syphilis  Bd.  66)  empfohlen  hatte.  Mit  der 
kleinsten  Dose  wurde  begonnen  und  bald  auf 
0,2  ccm  gestiegen ;  im  ganzen  wurden  durch- 
schnittlich 10 — 12  Injektionen  vorgenommen. 
Dieselben  wurden  recht  gut  vertragen,  nur  selten 
konnten  Infiltrate  festgestellt  werden,  welche  die 
Größe  einer  Haselnuß  nicht  überschritten.  Eigent- 
liche Schmerzen  traten  im  allgemeinen  nach  den 
Injektionen  nicht  auf,  nur  Druck-  und  Müdig- 
keitsgefühl und  Steifigkeit  wurden  angegeben. 
In  wenigen  Fällen  waren  die  Schmerzen  jedoch 
so  heftig,  daß  Merkuriolöl  nicht  weiter  gereicht 
werden  konnte.  Sonstige  Nebenwirkungen  wie 
Stomatitis  und  Diarrhöe  waren  leichter  Natur;  ein 
Pat.,  der  aber  neben  Merkuriolölinjektionen 
Inunktionen  gebrauchte,  wies  schnell  vorüber- 
gehende Albuminurie  auf. 

Der  Einfluß  auf  das  Verschwinden  der  Sym- 
ptome war  nicht   besonders  kräftig.     Nur  wenn 


*)  Wasser  zerlegt  das  Amalgam  in  Quecksilber, 
Aluminium-  und  Magnesiumhydroxyd  uod  Wasser- 
stoff: 

AlMgHg-f-5H80  = 

Hg  -t-  AI  (OH),  4-  Mg  (OH),  +  5  H. 
Diese  Zerlegung  erfolgt  auch  in  Berührung  mit  dem 
menschlichen  Gewebe.  Das  Quecksilber  kommt  in 
feinster  Verteilung  —  in  statu  nascendi  —  zur 
Wirkung. 


Haut  oder  Schleimhäute  für  sich  ergriffen 
waren,  zeigte  sich  eine  schnelle  Einwirkung; 
waren  beide  zugleich  erkrankt,  so  bedurfte  es 
12  Injektionen  zur  Rückbildung. 

Verf.  hat  den  Eindruck  gewonnen,  daß  es 
in  bezug  auf  therapeutische  Wirksamkeit  dem 
Quecksilbersalizylat  gleichzustellen  ist.  Es  emp- 
fiehlt sich  besonders  in  den  Fällen,  in  denen 
letzteres  zu  schmerzhaft  ist,  oder  in  denen  Oleum 
cinereum  nicht  vertragen  bezw.  seiner  unan- 
genehmen Nebenwirkungen  wegen  gefürchtet  wird. 

(Wiener    klinisch 'therapeutische    Wochenschr.    1905, 
No.  24.)  Jacobson 


l.   Nochmale  mein  Hellmittel  aas  der  Küche.  Von 

Wilhelm  Winternitz.    Blätter  für  klinische 
Hydrotherapie  1905,  No.  1,  S.  1. 

(Au«  der  bydriAtiaehen  Abteilung  der  allgemeinen  Poliklinik 
de«  Hofr.  Prof.  Winternitz.) 

a.   Zur  Methodik  und  Kasuistik  der  Behandlung 
▼on  Darmkrankheiten  mit  Heidelbeerdekokt. 

Von  Dr.  Max  Heinrich,   Assistent    der  Ab- 
teilung.   Ebenda  S.  6. 

1.  Winternitz,  der  schon  im  Jahre  1891 
auf  die  Wirksamkeit  des  Heidelbeerdekoktes  bei 
den  verschiedensten  Formen  der  Diarrhöe 
bei  Leukoplakia  buccalis  aufmerksam  gemacht 
hat,  berichtet  über  weitere  Indikationen  des 
Mittels. 

Abgesehen  von  akuter  und  chronischer  An- 
gina und  Pharyngitis,  akuter  und  chronischer 
Gonorrhöe  sowie  von  Fluor  und  Vaginalkatarrh, 
wird  ganz  besonders  das  Ekzem  durch  das 
Heidelbeerdekokt  günstig  beeinflußt. 

Zur  Herstellung  werden  500  g  der  ge- 
trockneten Beeren  mit  2  Litern  kalten  Wassers 
übergössen,  und  nach  24 stündigem  Stehen  an 
warmer  Stelle  wird  der  Aufguß  zur  Sirup- 
konsistenz langsam  eingekocht.  Die  Masse  wird 
dann  durch  ein  feines  Haarsieb  gestrichen,  mit 
1  g  Borsaure  versetzt  und  nach  weiterem  Ein- 
dicken in  gut  verschließbare  Gefäße  eingefüllt. 
Mit  diesem  Präparat  reibt  man  die  erkrankten 
Hautstellen  kräftig  ein  und  bindet  mittels  Gaze- 
binde eine  dünne  Watteschicht  darüber  fest,  die 
12 — 24  Stunden  liegen  bleibt;  dann  folgt  eine 
Abwaschung  mit  Wasser. 

Neuerdings  benutzt  Verf.  das  Dekokt  auch 
bei  Enteritis  membranacea  sowie  bei  akutem  und 
chronischem  Schnupfen.  Bei  akuter  Rhinitis 
beseitigt  die  Durchspülung  der  Nasenhöhle  mit 
dem  Dekokt  in  kurzer  Zeit  vorübergehend  oder 
auch  dauernd  den  größten  Teil  der  Beschwerden. 
Ebenfalls  wird  der  üble  Geruch  bei  verschie- 
denen Koryzaformen,  auch  der  üble  Geruch  aus 
der  Mundhöhle  zum  Verschwinden  gebracht. 

2.  Heinrich  macht  nähere  Angaben  über 
die  Verwendung  des  Heidelbeerdekokts  bei 
Enteritis  membranacea  (Colitis  mueosa)  sowie 
bei  katarrhalischen  und  ulzerösen  Prozessen  des 
Dickdarmes. 

Des  Morgens  erhält  der  Pat.  ein  reinigendes, 
lauwarmes  Wasserklistier.  Nach  der  Entleerung 
wird  in  rechter  Seitenlage  des  Pat.  mit  mög- 
lichst gebeugten  Oberschenkeln  mittels  des 
Gaertn ersehen  Apparates  Wasser  von  40°  vor- 
sichtig eingegossen.     Je  nach   der  Toleranz  dea 


XIX.  Jahrgang.  1 
November  1SQS.J 


Literatur. 


597 


Pat.  werden  500—2500  ccm  auf  einmal  ein- 
gegossen. Die  Spülung  wird  so  laoge  wieder- 
holt, bis  das  Wasser  frei  von  Schleimhautfetzen 
abläuft.  Nunmehr  wird  das  lauwarme  Heidel- 
beerdekokt  in  einer  Menge  von  1  —  iya  Liter  ein- 
gegossen und  10  Minuten  oder  auch  bis  zur 
nächsten  Stuhlentleerung  im  Darm  belassen.  Die 
Darmtätigkeit  wird  in  kürzester  Zeit  durch  diese 
Behandlung  geregelt,  die  blasse  Gesichtsfarbe 
schwindet,  und  die  Nahrungsaufnahme  wird 
günstig.  Jacobson. 


Literatur. 


Beiträge  zur  Ohrenheilkunde.  Festschrift, 
gewidmet  August  Lucae  zur  Feier 
seines  siebzigsten  Geburtstages.  Mit 
einer  Heliogravüre,  vier  Tafeln  und  zwölf 
Textabbildungen.  Berlin,  Julius  Springer,  1905. 
Gr.  8°,  420  S. 

Dem  Berliner  Altmeister  der  Ohrenheil- 
kunde, August  Lucae,  haben  zum  siebzigsten 
Geburtstage  24  „Kollegen,  Freunde  und  Schüler" 
ein  stattliches  Buch  als  wissenschaftliche  Fest- 
schrift gewidmet. 

Vorrede  und  Zueignung  vertritt  ein  Brief 
von  JL  Schwartze  (Halle  a.  S.):  „Meinem 
Freunde  August  Lucae  in  Berlin  Gruß  und 
Glückwunsch  zum  siebzigsten  Geburtstage".  Er 
beginnt  mit  der  Schilderung,  wie  die  beiden 
Duzfreunde  vor  45  Jahren  als  einjährig-frei- 
willige Ärzte  in  Berlin  gemeinsam  ihre  otolo- 
gischen  Studien  begannen.  Schwartze  hatte  die 
Methode  des  Ohrenspiegelns  soeben  aus  Würzburg 
von  ihrem  Erfinder  Trölsch  importiert  und 
zeigte  sie  Lucae,  während  dieser  ihm  das  Kehl- 
kopf- und  Nasenspiegeln  beibrachte.  In  kunst- 
vollen Strichen  skizziert  der  Brief  den  weiteren 
Lebensgang  der  beiden  Freunde,  den  gegen- 
wärtigen Stand  der  Otologie  und  deutet  hin  auf 
die  nächsten  ihrer  Lösung  harrenden  Probleme. 
Die  Lektüre  des  Briefes,  dessen  Stil  und 
Inhalt  mancherlei  Charakterzüge  des  Schreibers 
getreulich  wiederspiegeln,  gewährt  einen  hohen 
und  eigenartigen  Reiz  und  erregt  den  Wunsch, 
es  möchten  dereinst,  ebenso  wie  vor  einigen 
Jahren  Billroths  Briefe,  so  auch  Schwartzes 
gesammelt  und  der  Öffentlichkeit  übergeben 
werden. 

Auf  den  Brief  folgt  ein  Vortrag  Schwartzes: 
„Zur  Einführung  in  die  Aufgaben  des  praktischen 
Arztes  bei  der  Behandlung  Ohrenkranker ".  Darin 
wird  die  Wichtigkeit  der  Ohrenheilkunde  für  den 
praktischen  Arzt  betont  und  die  neue  ärztliche 
Prüfungsordnung,  in  welcher  die  Otologie  nicht 
zu  ihrem  Eechte  gekommen  ist,  kritisiert. 

A.Politzer  (Wien), „BartolomeoEustachio", 
vereinigt  in  einer  historischen  Studie  Gelehrsam- 
keit und  fesselnde  Darstellung  in  mustergültiger 
Weise.  Der  Wiener  Autor,  ebenfalls  ein  Siebzig- 
jähriger, hat  im  letzten  Jahre  auch  auf  klinischem 
und  anatomischem  Gebiete  sehr  bedeutende  Ar- 
beiten veröffentlicht,  und  man  weiß  nicht,  ob  man 
seiner  genialen  Vielseitigkeit  oder  seiner  jugend- 
lichen  Tatkraft  mehr   Bewunderung  zollen  soll. 


A.  Knapp  (New  York),  „Report  of  a  case 
of  Panotitis  in  an  adult",  beschreibt  in  englischer 
Sprache  einen  Fall  von  akuter  Mittelohreiterung 
mit  Labyrinthsymptomen,  welcher  nach  Auf- 
meißelung  der  Mittelohrräume  ohne  Labyrinth- 
eröffnung geheilt  ist. 

Weitere  kasuistische  Beiträge  liefern  E.Haug 
(München),  „Naevus  cutaneus  des  Meatus  und 
des  Trommelfells0,  V.  Hinsberg  (Breslau),  „Zur 
Kenntnis  der  vom  Ohr  ausgehenden  akuten 
Sepsis",  P.  Man as 8 e  (Straßburg),  „Über  hämor- 
rhagische Meningitis  nach  eitriger  Mittelohrent- 
zündung", W.Kümmel  (Heidelberg),  „Ein  Fall 
von  seröser  Meningitis  neben  Klein hirnabszeßa 
[Nebenbei  bemerkt  ist  das  Wort  „neben"  hier 
nicht  ganz  richtig,  weil  der  Kleinhirnabszeß,  wie 
Kümmel  selbst  mit  nachahmenswertem  Freimut 
bekennt,  erst  hinterher  als  Folge  seiner  Operation 
auftrat.],  E. Berthold (Königsberg/Pr.),  „ Syringo- 
myelie  nach  einem  Trauma,  Otitis  media,  schnelle 
Bildung  eines  Cholesteatoms,  Radikaloperation 
und  einander  widersprechende  Gutachten". 

D.  Schwab  ach  (Berlin),  „Beitrag  zur  patho- 
logischen Anatomie  des  inneren  Ohres  und  zur 
Frage  vom  primären  Hirnabszeß",  und  J.Hab  er- 
mann (Graz),  „Über  Veränderungen  des  Gehör- 
organ es  bei  der  Anencephalie",  bringen  genaue 
anatomische  Beschreibungen  je  eines  Falles. 

Der  Aufsatz  von  A.  Thost  (Hamburg),  „Der 
chronische  Tubenkatarrh  und  seine  Behandlung", 
zeugt  von  großer  therapeutischer  Erfahrung  und 
von  selbständigem  Urteil  des  Verfassers,  könnte 
aber  etwas  kritischer  und  kürzer  sein. 

Etwas  ausführlich  gehalten  ist  ebenfalls 
O.  Briegers  (Breslau)  lesenswerte  Arbeit  „Zur 
Klinik  der  Mittel ohrtuberkulose". 

0.  Körner  (Rostock),  „Können  die  Fische 
hören",  ist  bei  kritischer  Betrachtung  der  bis- 
herigen anderweitigen  Versuche  und  auf  Grund 
seiner  eigenen  geneigt,  die  Frage  des  Themas 
zu  verneinen,  drückt  sich  jedoch  darüber  bei 
aller  —  ihm  stets  nachzurühmender  —  Klarheit 
mit  großer  Vorsicht  aus. 

E.  P.  Friedrich  (Kiel),  „Ein  Beitrag  zur 
ohrenärztlichen  Begutachtung  von  Unfallskran- 
kenu,  bespricht  die  ohrenärztliche  Begutachtung 
bei  Schädelbasisbrüchen  in  seiner  bekannten,  ge- 
diegenen und  überlegten  Weise.  Doch  scheint 
bei  ihm  eine  gewisse  Neigung  zu  bestehen,  den 
Ausfall  der  Erwerbsfähigkeit  beim  Verletzten  zu 
unterschätzen.  So  erblickt  er  in  einer  einseitigen 
Taubheit  keinen  Rechtsanspruch  auf  Invalidität, 
und  in  einem  besonderen  Falle  gibt  er  sogar 
das  Gutachten  ab,  daß  doppelseitige  chronische 
Mittelohreiterung  mit  Caries  eine  Rente  nicht 
bedinge. 

E.  Bloch  (Freiburg  i. Br.),  „Zur  Skopolamin- 
narkose  in  der  Otochirurgie",  hat  bei  124  Fällen 
von  Warzenfortsatzoperationen  die  Skopolamin- 
Morphiumnarkose  angewendet.  Bei  einem  Manne 
(Potator)  erfolgte  eine  Stunde  nach  der  Operation 
Atmungsstillstand,  1 '/^ständige  künstliche  At- 
mung, Pneumonie,  nach  7  Tagen  Tod. 

L.  Katz  (Berlin),  „Allgemeines  und  Spezi- 
elles über  die  Bedeutung  und  die  Technik  der 
mikroskopischen  Untersuchung  des  inneren  Ohres 
mit    einigen    histologischen    Bemerkungen    und 


698 


Literatur. 


rheraptutfjche 
Monatsheft*. 


drei  Abbildungen a,  beschreibt  einige  Methoden 
der  Fixierung,  Konservierung,  Entkalkung  und 
Einbettung  des  Gehörorganes ,  welche  sich  ihm 
persönlich  als  „praktisch  und  relativ  zuverlässig" 
erwiesen  haben,  und  mittels  deren  er  unsere 
Kenntnisse  vom  feineren  Bau  des  inneren  Ohres 
in  nennenswerter  Weise  bereichert  hat. 

A.  Passow  (Berlin),  „ Gehörgangsplastik  bei 
der  Radikaloperation  chronischer  Mittelohreite- 
rungen", teilt  eine  neue  Plastik  nach  Totalauf- 
meißel ung  der  Mittelohrräume  mit,  eine  Kom- 
bination der  Körn  ersehen  Plastik  mit  der 
Stackeschen  aber  mit  der  Lappenbasis  nach 
oben. 

A.  Barths  (Leipzig)  Beitrag,  „Einige  all- 
gemeine Betrachtungen  über  Indikationen  zum 
Operieren  bei  schweren  Ohrerkrankungen" ,  ist 
„eine  Art  Beichte,  welche  der  frühere  Schüler 
seinem  verehrten  Lehrer  nach  zwanzigjähriger 
selbständiger  Tätigkeit  ablegt,  zugleich  aber  eine 
schriftliche  Kiarlegung  der  eignen  Grundsätze, 
eine  Rechtfertigung  vor  dem  eigenen  Gewissen 
bei  dem  Vorgehen  in  der  Behandlung,  das  oft 
über  geringere  oder  größere  dauernde  Schädigung, 
nicht  selten  sogar  über  Leben  und  Tod  der 
Kranken  entscheidet". 

H.Bennert  (Berlin),  „Zweckmäßige  Einrich- 
tungen im  Gehörorgan",  und  F.  Kretschmann 
(Magdeburg),  „Über  Mittönen  fester  und  flüssiger 
Körper",  bringen  eine  Wiederholung  ihrer  auf 
der  14.  Versammlung  der  Deutschen  otologischen 
Gesellschaft  zu  Homburg  v.  d.  H.  gehaltenen 
Vorträge.  Ebenso  R.  Panse  (Dresden),  „Die 
klinische  Untersuchung  des  Gleichgewichtssinnes", 
dessen  schöne  Untersuchungen  über  den  Schwindel 
in  der  otologischen  Praxis  noch  nicht  die  ge- 
bührende Beachtung  gefunden  haben. 

Die  drei  letzten  Aufsätze  des  Buches  stam- 
men aus  der  vom  Jubilar  geleiteten  Universitäts- 
ohrenklinik zu  Berlin:  Der  erste  Assistent 
B.  Heine,  „Zur  Kenntnis  der  subduralen  Eite- 
rungen", beschreibt  zwei  Fälle  von  subduraler 
Eiterung  nach  Mittelohrentzündung,  von  denen 
der  eine  geheilt  wurde,  der  andere  das  Material 
zu  einer  wunderschönen  kolorierten  Abbildung 
des  Gehirns  geboten  hat. 

F.  Groß  mann,  „Über  Mittelohreiterung  bei 
Diabetikern",  kommt  an  der  Hand  von  zehn 
Fällen  von  Mittelohreiterung  bei  Diabetikern 
zum  Schluß,  daß  bei  diesen  eine  Komplikation 
seitens  des  Warzenfortsatzes  häufiger  eintritt  als 
bei  Nichtdiabetikern. 

H.  Sessous,  „Die  Veränderungen  des 
Augenhintergrundes  bei  otitischen  intrakraniellen 
Komplikationen",  berichtet,  daß  in  104  Fällen 
von  intrakraniellen  Komplikationen  44  mal  eine 
Veränderung  des  Augen hintergrundes  festgestellt 
wurde;  über  die  Art  der  intrakraniellen  Er- 
krankung lassen  nach  seiner  Zusammenstellung 
die  Augenspiegelbefunde  keine  oder  nur  be- 
schränkte Schlüsse  zu. 

Diese  kurze  Inhaltsangabe  gibt  wohl  eine 
Vorstellung  von  der  Reichhaltigkeit  und  Gediegen- 
heit der  wissenschaftlichen  Huldigung,  welche 
L  u  c  a  e  in  der  Festschrift  dargebracht  wird. 
Sie  ist  eine  wertvolle  Probe  von  dem,  was  die 
gegenwärtige  Otologie,  insbesondere  die  deutsche 


Otologie,  leistet.  Wenn  der  gefeierte  Jubilar 
den  jetzigen  Stand  der  Ohrenheilkunde  vergleicht 
mit  ihrer  Dürftigkeit  vor  45  Jahren,  als  er  ge- 
meinsam mit  Schwartze  die  oben  erwähnten 
Übungen  mit  dem  Ohrenspiegel  vornahm,  wenn 
er  aus  dem  ihm  gewidmeten  Buche  von  neuem 
sieht,  wie  die  Ohrenärzte  weiterhin  rüstig 
arbeiten,  nicht  nur  auf  dem  Gebiete  der  Dia- 
gnostik und  Therapie,  sondern  auch  der  ein- 
schlägigen Anatomie,  Physiologie,  vergleichenden 
Physiologie,  Geschichte,  Unfallkunde,  patholo- 
gischen Anatomie,  Hirnchirurgie  und  Beziehungen 
zur  Allgemeinmedizin,  so  wird  er  dem  stattlichen 
und  weiter  aufstrebenden  Bau  der  gegenwärtigen 
Otologie  seine  Anerkennung  zollen.  Und  gerechte 
Freude  und  befugter  Stolz  wird  seine  Brüstt 
durchziehen,  wenn  er  sich  sagt,  daß  er  und  seine 
Schüler  ein  bedeutendes  Stück  an  diesem  Bau 
geschaffen  haben! 

Die  Verlagsbuchhandlung  hat  für  vorzüg- 
liche Ausstattung,  Drucklegung  und  Abbildungen 
Sorge  getragen  und  dadurch  das  ihrige  getan, 
um  das  Buch  zu  einer  vornehmen  Festgabe  zu 
machen.  Die  beigegebene  vorzügliche  Helio- 
gravüre zeigt  wohlgetroffen  die  würdigen  und 
angenehmen  Züge  August  Lucaes. 

Krebs  (Hüdesheim). 

L.  Landois,  Lehrbuch  der  Physiologie  des 
Menschen  mit  besonderer  Berücksichti- 
gung1 der  praktischen  Medizin.  Elfte  Auf- 
lage. Bearbeitet  von  Prof.  Dr.  R.  Rose  mann  t 
Direktor  des  physiologischen  Instituts  in 
Münster  i.  W.  Zweite  Hälfte.  Verlag  Urban  & 
Schwarzenberg ,  Berlin -Wien  1905. 

Die  2.  Hälfte  der  jetzt  vollendeten  11.  Auf- 
lage dos  Landoisschen  Lehrbuches  verdient  im 
vollsten  Maße  dasselbe  Lob,  welches  in  diesen 
Heften  der  ersten  gezollt  wurde.  Besonders  an- 
genehm berührt  bei  der  Durchsicht  des  Ganzen 
die  gleichmäßig  sorgfältige  und  liebevolle  Behand- 
lung eines  jeden  einzelnen  Kapitels.  Ob  sich 
Autor  und  Neubearbeiter  mit  Verdauung  oder 
mit  Gehirnphysiologie  beschäftigen,  niemals  wird 
man  den  Eindruck  haben,  daß  der  eine  Abschnitt 
auf  Kosten  des  anderen  zu  kurz  behandelt  ist, 
oder  irgend  einer  breiter  besprochen  wird,  als 
dem  Umfange  des  Ganzen  angemessen  wäre. 
Einen  besondern  Dank  hat  sich  Prof.  Rose- 
mann auch  dadurch  verdient,  daß  er  eine  bis 
dahin  empfindliche  Lücke  in  dem  klassischen 
Lehrbuch  ausfüllte,  indem  er  ein  sorgfältig  be- 
arbeitetes Literaturverzeichnis  beifügte,  dessen 
Anordnung  —  kapitelweise  Aufführung  der  ein- 
schlägigen Literatur  am  Schlüsse  des  Ganzen  — 
als  außerordentlich  bequem  und  praktisch  zu 
bezeichnen  ist.  Das  altbewährte  Mittel,  im  Texte 
das  unbedingt  Notwendige  von  den  mehr  speziellen 
Hinzufügungen  durch  verschieden  großen  Drnck 
zu  unterscheiden,  ist  geschickt  angewendet.  Druck 
und  Illustrationen  entsprechen  durchaus  den  an 
ein  Lehrbuch  zu  stellenden  Anforderungen. 

Nach  allem  vorher  Gesagten  ist  das  Bach 
ebensowohl  dem  mit  einigen  Vorkenntnissen  ver- 
sehenen Studierenden  als  auch  dem  praktischen 
Arzte,  der  seine  Kenntnisse  auffrischen  und  er- 
weitern  will,   wie    auch  schließlich  dem  Physio- 


XIX.  Jahrgang.] 
November  1905.J 


Literatur. 


599 


logen,    der    ein    kleineres   Nachschlagewerk   zur 
Hand  haben  will,  auf  wärmste  zu  empfehlen. 

Th.  A.  Maass. 

Die  Kinderernährung  im  Säuglingsalter  und 
die  Pflege  von  Mutter  und, Kind.  Wissen- 
schaftlich und  gemeinverständlich  dargestellt 
von  Professor  Ph.  Biedert  V.  Auflage  bei 
Ferdinand  Enke,  Stuttgart  1905. 
„Zur  fünften  Auflage  wurde  dies  Buch, 
trotz  wachsenden  Mitbewerbs  anderer,  geführt 
durch  die  noch  immer  sich  zeigende  Gunst  der 
Leserinnen,  ....  ebenso  wie  durch  sein  stets 
gleiches  Bestreben,  den  Fachmännern  alles,  was 
Wissenschaft  und  Praxis  gebracht  haben,  zu 
bieten."  Der  freudige  Stolz,  der  aus  diesen  das 
Vorwort  der  Neuauflage  einleitenden  Worten 
spricht,  er  hat  schon  allein  eben  durch  die 
Tatsache  der  notwendig  gewordenen  fünften  Auf- 
lage des  bekannten  Buches  seine  volle  Berechti- 
gung. Welche  Fülle  von  literarischem  Material, 
von  praktischer  Erfahrung  spricht  aus  jedem 
Kapitel  belehrend  und  anregend  zu  uns!  .  .  . 
Die  hohe  Kindersterblichkeit  im  ersten  Lebens- 
jahr, diese  jetzt  mehr  denn  je  die  Regierungen, 
leitenden  Kreise  und  Arzte  beschäftigende  Er- 
scheinung; die  verschiedenen,  ebenso  den  National- 
ökonomen wie  den  Arzt  interessierenden  Einflüsse 
auf  die  Höhe  dieser  Mortalität  und  wiederum 
die  Rückwirkung  der  Sterblichkeit  auf  das  Volks- 
wirtschaftsleben und  die  daraus  sich  ergebenden 
Aufgaben  für  den  einzelnen  wie  vor  allem  für 
den  Arzt,  die  Mittel  zur  Eindämmung  der  Kinder- 
sterblichkeit; diese  und  eine  große  Fülle  ähnlicher 
Fragen  finden  im  ersten  Kapitel  ihre  Erledigung. 
Das  nächste  Kapitel  bespricht  die  zur  Auf- 
nahme und  Verarbeitung  der  Nahrung  dienenden 
Organe  des  menschlichen  Körpers,  ihre  physio- 
logischen Funktionen ;  weiterhin  die  verschiedenen 
Nahrungsmittel  der  Kinder,  besonders  die  Unter- 
schiede zwischen  Menschen-  und  Tiermilch  in 
ihrer  Zusammensetzung  und  in  ihrem  Einfluß 
auf  den  Stoffwechsel  des  Kindes.  Gebiete,  die 
von  jeher  mit  besonderer  Vorliebe  von  Biedert 
bebaut  und  erweitert  wurden,  auf  denen  wir  ihm 
große  Errungenschaften  und  Anregungen  zu  ver- 
danken haben. 

Das  dritte  Kapitel  verweilt  zunächst  beim 
Stillen  durch  die  eigene  Mutter,  den  Vor- 
bereitungen zur  Erreichung  dieses  für  das  Kind 
so  lebenswichtigen  Zieles;  dann  bei  der  Gesamt- 
pflege des  Neugeborenen  und  der  Mutter  während 
der  Stillperiode;  den  vielen  kleinen,  aber  für 
das  Wohl  beider  nicht  unwichtigen  Verhaltungs- 
maßregeln. Weiterhin  begleiten  die  Ausführungen 
den  Entwicklungsgang  des  Kindes,  die  Ent- 
wöhnung, Impfung,  Zahnung  etc.  Anschließend 
an  die  Erörterung  der  Gründe  gegen  das  Stillen 
und  den  hierdurch  notwendigen  Ersatz  der 
Mutterbrust,  der,  wenn  möglich,  nicht  in  der 
Wahl  einer  Amme  bestehen  soll,  deren  für  das 
Süllen  unerläßliche  Eigenschaften  jedoch  im 
einzelnen  aufgeführt  werden.  Biederts  Be- 
merkung zu  diesem  viel  erörterten  Thema  ver- 
dient auch  hier  zitiert  zu  sein,  daß  „es  der 
Gedankenlosigkeit  öfters  nahegelegt  werden  muß, 
daß   jede    unnötig    getroffene    Ammenwahl    eine 


statistisch  festgestellte  Beteiligung  an  einer 
Kindestötung  ist.  Auf  Grund  solcher  Erwägungen 
zieht  Biedert  die  künstliche  Ernährung  unter 
gewissen  Voraussetzungen  vor.  Das  Wesen  der 
künstlichen  Ernährung,  besonders  mit  Kuhmilch, 
die  verschiedensten  Arten  ihrer  Zubereitung,  die 
guten  und  schlechten  Surrogate  der  Kuhmilch- 
ernährung, deren  jedes  von  dem  Autor  nach 
Wert  und  Erfolg  genau  abgewogen  wird,  bilden 
den  Inhalt  des  vierten,  und  die  Störung  der 
Ernährung  jenen  des  fünften  Kapitels  mit  be- 
sonderer Bevorzugung  der  Magendarmkrankheiten 
des  Säuglings  und  ihrer  diätetischen  Behandlung. 
Ein  Rückblick  (6.  Kapitel)  kommt  zu  dem  weit- 
ausschauenden Schlüsse,  daß  die  Frage  der 
Kinderernährung,  so  beschränkt  sie  zunächst 
erscheint,  eine  sehr  vielgestaltige  ist,  eine  Frage 
der  Volkswirtschaft,  der  Humanität  und  der 
Sittlichkeit  oder,  umfassend  gesagt,  nur  eine 
Frage,  die  Frage  nach  der  Entwicklung  des 
menschlichen  Geschlechts.  Diese  Gesichtspunkte 
und  nicht  nur  rein  ärztliche  Motive  leiteten 
Biedert  in  der  Abfassung  seines  Buches,  das 
schon  in  seiner  ersten  Auflage  Dinge  wie  die 
gemischte  Ernährung,  die  Benützung  aseptischer 
Rohmilch,  das  Einzelflaschen  verfahren,  die  Ab- 
wägung der  einzelnen  Nahrungsbestandteile  nach 
ihrem  Nähewert,  die  Stoffwechselgleichung,  Prüfung 
der  Vollmilch  etc.  und  vieles  andere,  was  jetzt 
scheinbar  neu  in  der  Literatur  und  Praxis  auf- 
lebt, in  den  Kreis  seiner  Betrachtungen  gezogen 
hat.  Die  überreiche  Fülle  des  Wissens,  den 
großen  Umfang  des  hier  erschöpfend  behandelten 
Gebietes  illustriert  am  besten  die  vom  Verf. 
benützte  und  im  Anhang  einzeln  aufgezählte 
Literatur,  die  bis  in  die  jüngste  Zeit  hinein  in 
dem  mit  recht  guten  Illustrationen  versehenen 
Buche  Verwertung  fand,  das  sich  ja  ebenso  wie 
seine  Vorgänger  die  hohe  und  schwere  Aufgabe 
gestellt  hat,  wissenschaftlich  und  doch  gemein- 
verständlich zugleich  zu  sein,  ein  fast  unmöglich 
erscheinendes  Problem,  dessen  Lösung  Biedert, 
wie  man  ihm  bezeugen  darf,  in  der  vollständigen 
Umarbeitung  der  früheren  Auflagen  gleichsam 
zu  einem  „neuen  Werk"  gefunden  hat.  Der 
praktische  Arzt  wird  in  ihm  wie  der  Forscher 
tiefe  Belehrung  und  reiche  Anregung  finden ;  der 
Inhalt  einzelner  Kapitel  besonders  wird  auch  dem 
gebildeten  Laien  zugänglich  und  förderlich  sein. 
Homburger  (Karlsruhe). 

Leitfaden  zur  Pflege  der  Wöchnerinnen  und 
Neugeborenen.    Zum  Gebrauche  für  Wochen- 
pflege- und  Hebammenschülerinnen.    Von  Dr. 
Heinrich   Walther,    Professor  an   der  Uni- 
versität   Gießen,    Frauenarzt    und  Hebammen- 
lehrer.   Mit  einem  Vorwort  zur  I.  Auflage  von 
Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  Hermann  Loh  lein  +. 
Zweite     vermehrte     und    verbesserte    Auflage. 
9  Figuren    im    Text.     25  Temperaturzettel  in 
Briefumschlag.      Wiesbaden,    J.  F.  Bergmann, 
1905.    8°.    161  S.     Preis  eleg.  geb.  M.  2,40. 
Der  von  einem  hervorragenden  Fachmanne 
mit   wohltuender   Klarheit   und    ungewöhnlichem 
Geschick    abgefaßte    Leitfaden     hat    schon    bei 
seinem   ersten   Erscheinen   die   verdiente  Beach- 
tung   und     allgemeine    Anerkennung    gefunden. 
Die  nach  wenigen  Jahren  erforderlich  gewordene 


600 


Praktische  Notixen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


[rheropantbebe 
Monatshefte. 


Neuauflage  ist  entsprechend  den  modernen  An- 
schauungen und  Fortschritten  der  Wissenschaft 
vielfach  ergänzt  und  verbessert  worden.  So 
sind  die  wichtigen  Abschnitte  über  Desinfektion, 
über  die  Pflege  der  Wöchnerinnen  und  Pflege 
des  Kindes  mit  reichlichen  Zusätzen  versehen 
worden.  Und  ein  ganz  besonderer  Wert  ist  dem 
Umstände  zuzuschreiben,  daß  die  Lehren  des 
erst  kürzlich  erschienenen  preußischen  Hebammen- 
lehrbuches die  tunlichste  Berücksichtigung  ge- 
funden haben.  Ohne  Übertreibung  darf  wohl 
gesagt  werden,  daß  das  in  jeder  Beziehung  aus- 
gezeichnete Werkchen  die  wärmste  Empfehlung 
verdient,  daß  es  sicherlich  nicht  nur  in  Heb- 
ammen- und  Pflegerinnenkreisen  hochwillkommen 
sein  wird,  es  wird  auch  von  vielen  Fachgenossen 
mit  großem  Interesse  und  Nutzen  gelesen  werden. 

liäbow. 

Die  Verhütung:  und  operationslose  Behandlung 
des  Gallensteinleidens.  Gemeinverständliche 
Darstellung  von  Dr.  F.  Kuhn,  dir.  Arzte  am 
Elisabeth  krankenhause  in  Cassel.  3.  u.  4.  vcrm. 
u.  verb.  Aufl.  München  1905.  0.  Gmelin. 
Preis  M.  1,60. 

In  der  Arbeit,  die  das  10.  Heft  der  Samm- 
lung „Der  Arzt  als  Erzieher"  bildet,  bringt 
Kuhn  seine  z.  Z.  in  der  „Berliner  Klinik* 
niedergelegten  Ansichten  in  populärer  Form  zur 
Darstellung.  Wir  haben  unserem  Referat  im 
Märzheft  außer  der  Anerkennung,  die  das  modi- 
fizierte Urteil  über  die  Ostertagsche  Binde 
und  die  Erwähnung  des  Rose-Weißmannschen 
Heftpflasterverbandes  bei  Enteroptose  verdient, 
nur  noch  den  Wunsch  beizufügen,  daß  die  an- 
regend, klar  und  sachlich  gehaltenen  Ausfüh- 
rungen des  Verfassers  bei  den  vielen  mit  dem 
genannten  Leiden  behafteten  Patienten  segens- 
reich wirken  und  namentlich  auch  ihnen  die 
Augen  öffnen  möchten  über  die  gerade  auf 
diesem  Gebiete  so  zahlreichen  Charlatane  und 
Kurpfuscher.  Mit  Recht  macht  Kuhn  hier  u.  a. 
auf  das  Lächerliche  der  Befriedigung  und  Ge- 
nugtuung aufmerksam,  mit  der  das  Volk  das 
Abgehen  von  Gallensteinen,  sei  es  mit  oder  ohne 
ärztliche  Beihilfe  begrüßen,  als  ob  das  etwas  für 
die  Heilung  und  das  Aufhören  der  Anfälle  be- 
wiese, so  lange  die  Grundursache  nicht  ge- 
hoben ist.  Esch  (Bendorf). 


Praktiache  Notizen 
and 
lpfehleiiflwerte  Arzneiformeln. 


Bemerkung  zu  der  Behandlang  akuter  and  chro- 
nischer   Gelenkerkrankungen    nach   Sonder- 
mann.   Von  Dr.  Weis  flog  (St  Gallen). 
In  No.  8  dieser  Monatshefte  wird  über  eine 
„neue",  von  Sondermann  angegebene  Behand- 
lung chronischer  und  akuter  Gelenkerkrankungen 
berichtet.     Es  sollen  täglich  nach  Abzapfung  des 
Eiters  bis  4  Borsäurespülungen  gemacht  werden. 
Vielleicht  ist  es  gestattet,    einige  meiner  bezüg- 
lichen Erfahrungen  ebenfalls  kund  zu  tun. 


Ich  habe  im  Verlaufe  der  letzten  10  Jahre 
öfters  Gelegenheit  gehabt,  bei  tuberkulöser  und 
gonorrhoischer  Gonitis  Punktionen,  bei  letzterer 
auch  Auswaschungen  mit  Kochsalzlösung  vor- 
zunehmen. Trotz  sorgfältiger  Ausführung  war 
fast  jedesmal  die  Reaktion  eine  recht  bedeutende, 
selbst  bei  einfacher  Punktion  ohne  Auswaschung. 
Sie  schien  mir  erklärlich  durch  die  zu  plötzlich, 
gesetzte  intraartikuläre  Druckverminderung.  Auch 
bei  subakuten  gonorrhoischen  Arthritiden,  bei 
welchen  jew eilen  nicht  reiner  Eiter,  sondern  ein 
kokkenhaitiges,  mit  körnigem  Leukozytendetritus 
versetztes,  trüb -seröses  Exsudat  entleert  und 
sterile,  warme  physiol.  Kochsalzlösung  —  die 
schwerlich  mehr  reizt  als  Borsäure  —  zur  Aus- 
waschung benutzt  wurde,  kamen  einige  äußerst 
heftige  Reaktionen  vor.  In  einem  vor  kurzer 
Zeit  beobachteten  Falle  von  Gonitis  gonorrhoica, 
bei  dem  sich  die  Indikation  zur  Punktion  und 
Auswaschung  aus  dem  septischen  AUgemein- 
zustande  ergab,  verlief  der  kleine  Eingriff  unter 
Benützung  von  Kochsalzlösung  und  Dieulafoys 
Aspirateur  ganz  gemütlich.  Eine  halbe  Stunde 
nachher  schon  begann  nach  Aussage  der  Um- 
gebung unter  heftigen  Schmerzen  die  Reaktion, 
und  nach  3  Stunden  fand  ich  den  Patienten 
stöhnend  mit  stark  flektiertem,  prall  fluktuierendem 
um  das  3  fache  vergrößertem  Kniegelenke,  das 
den  Verband  zu  sprengen  drohte.  Unter  Eis 
ging'  die  Reaktion  innerhalb  24  St.  beträcht- 
lich, innerhalb  4  Tagen  ganz  zurück.  Erfolg 
im  übrigen  für  den  Allgemeinzustand  und  auch 
funktionell  brillant. 

Punktion  und  Auswaschung  der  Gelenke 
mit  antiseptischen  Flüssigkeiten  (3  proz.  Karbol- 
säure) an  sich  sind  alte  bekannte  Methoden 
(vergl.Rinne  und  Eulen  bürg,  Real  enzyklopädie, 
pag.  105).  Neu  ist  vielleicht  die  Verwendung 
der  Borsäure  in  größeren  Quantitäten  und  die 
Benutzung  einer  Art  Potin.  Es  scheint  mir 
aber  der  Dieulafoysche  Apparat  in  der  Hand- 
habung mindestens  ebenso  einfach  zu  sein.  Im 
übrigen  habe  ich  mit  ganz  vereinzelten  Koch- 
salzspülungen unter  sorgfältiger  Indikations- 
stellung prächtige  Resultate  gesehen.  Aber  — 
und  das  hervorzuheben,  ist  der  Zweck  dieser 
Zeilen  —  dem  Praktiker  dürfen  diese  Methoden 
nicht  empfohlen  werden,  ohne  zu  betonen,  daß 
event.  sehr  unangenehme  reaktive  Erscheinungen 
zu  erwarten  stehen,  und  sie  deshalb  nur  da  zur 
Anwendung  kommen  sollen,  wo  die  äußeren  Ver- 
hältnisse auch  die  Möglichkeit  einer  ausgiebigen 
Kapselspaltung  zur  endgültigen  Herabsetzung  des 
Innendruckes  und  regelrechten  Gelenkdrain  age 
bieten. 

Wenn  also  ein  neues  Prinzip  der  Gelenk- 
behandlung im  Sondermann  sehen  Verfahren 
kaum  gegeben  ist,  so  bleibt  seinem  Autor  doch 
das  ungeschmälerte  Verdienst,  als  erster  wieder 
den  hohen  Wert  der  Gelenkauswaschungen  ver- 
kündet zu  haben. 

Hustenpastillen  bei  Pertussis,  Asthma  und 
Bronchialkatarrh.  Von  Dr.  med.  W.  Zeuner, 
praktischem  Arzt  in  Berlin. 

Vielfach  ist  heute  noch  im  Volke  die 
Meinung     verbreitet,     daß    gegen    Keuchhusten 


XIX.  Jahrgang."] 
November  I9Q5.J 


Praktische  Notixen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


601 


nichts  zq  machen  sei,  und  doch  stehen  jetzt 
dem  Arzte  eine  ganze  Reihe  von  Mitteln  zu 
Gebote,  die  von  günstigem  Einflasse  auf  das  ge- 
fürchtete Leiden  sind,  z.B. Bromoform,  Aristochin, 
Thymobromal,  Pertussin,  Konvulsin,  Antitussin 
n.  s.  w.  Es  hat  sich  eben  unleugbar  gezeigt, 
daß  der  Stickhusten  ebenso  wie  andere  Krank- 
heiten einer  medikamentösen  Behandlung  zu- 
gänglich ist.  Ein  neues  diesbezügliches  Präparat, 
welches  nach  meinen  Angaben  in  der  Viktoria- 
Apotheke,  Berlin  SW,  Friedrichstr.  19,  her- 
gestellt wird,  sind  Zeuners  Hustenpastillen  von 
Dr.  Lab  ose  hin.  Sie  enthalten  Thymus  vulgaris, 
Th.  Serpyllum,  Resina  Guajaci  und  Anästhesin 
und  sind  vermöge  ihrer  Bestandteile  imstande, 
nicht  nur  beruhigend  und  antispasmodisch,  sondern 
auch  konstant  und  zuverlässig  schleimlösend  auf 
die  zur  Reflexauslösung  gereizten  und  mit  zähem 
Sekret  überladenen  Schleimhäute  bei  Pertussis 
zu  wirken.  Spieß1)  (Frankfurt  a.  M.)  beobachtete 
nach  Einblasungen  von  Anästhesin  in  den  Larynx 
bei  Keuchhusten  Abnahme  der  quälenden  Husten- 
ahfälle,  was  mich  bestimmte,  den  Hustenpastillen 
Anästhesin  zuzusetzen.  In  Pastillenform  kommt 
die  Wirkung  der  einzelnen,  oben  angegebenen 
Bestandteile  recht  zur  Geltung,  weil  sich  die 
einzelnen  Medikamente  hierbei  im  Munde  ganz 
allmählich  lösen,  und  sie  sich  dem  Rachenschleim 
fast  andauernd  oder  wenigstens  häufig  genug 
intensiv  beimengen,  um  im  Halse  den  Husten- 
reiz bekämpfen  zu  können.  Daß  dem  Thymian 
«ine  ganz  vorzügliche  Wirkung  als  Expectorans 
zukommt,  ist  bekannt,  während  wir  die  Em- 
pfehlung des  Guajakharzes  als  Reinigungsmittel 
für  die  Halsschleimhäute  Semon  (London)  ver- 
danken. 

Läßt  man  von  diesen  Hustenpastillen  je 
nach  der  Schwere  des  Falles  halbstündlich  oder 

1  —  2  stündlich  eine  Pastille  langsam  im  Munde 
zergehen,  so  werden  die  heftigen  Husten attacken 
und  das  Erbrechen  bald  aufhören,  der  konvul- 
sivische Charakter  des  Stickhustens  verliert  sich 
schnell,  und  die  Expektoration  wird  leicht  und 
locker,  so  daß  das  entsetzliche  Würgen,  die 
Erstickungsanfälle  und  das  Blauwerden  völlig 
wegfallen.  In  mehr  als  20  Fällen  von  Pertussis 
habe  ich  dies  ohne  jede  weitere  Medikation 
konstatieren  können.  Dabei  sind  die  Husten- 
pastillen unschädlich  und  von  angenehmem  Ge- 
schmack und  werden  daher  auch  von  kleinen 
Kindern  als  medizinische  Art  von  Bonbons  nicht 
ungern    genommen.     Ein    kleines   Mädchen    von 

2  Jahren,  welches  immer  neidisch  war,  wenn 
«ein  Brüderchen  diese  Plätzchen  bekam,  und 
manchmal  deshalb  weinte,  verzehrte  einmal 
heimlich  in  einer  halben  Stunde  35  Stück  davon 
ohne  irgendwelchen  Nachteil,  nicht  einmal  Dick- 
darmkatarrh, der  nach  längerem  Gebrauch  von 
Pertussin  sich  oft  bemerkbar  macht,  trat  auf. 

Natürlich  müssen  kleine  Kinder  erst  lernen, 
die  Pastillen  nicht  hinunterzuschlucken,  sondern 
im  Munde  langsam  zerlaufen  zu  lassen,  aber  das 
lernen  sie  gewöhnlich  sehr  gern  und  schneller, 
als  man  denkt.  Ganz  kleine  Kinder  von  1  Jahr 
oder  darunter,  die  das  noch  nicht  fertig  bringen, 


')  Münchener  med.  Wochenschr.  1902,  No.  39. 


läßt  man  entweder  abgebröckelte  Stückchen  der 
zerkleinerten  Hustenpastillen  nehmen  oder  die 
Plätzchen  in  etwas  Milch  aufgelöst  schluckweise 
trinken.  Daß  sich  die  Kleinen  dabei  ver- 
schlucken, wie  manche  fürchten,  ist  nicht  der 
Fall,  im  Gegenteil  werden  Kinder  mit  diesen 
Arznei-Bonbons  bald  vertraut  und  wenden  sie 
dann  richtig  an.  Unangenehme  Nebenwirkungen 
kamen  dabei  nicht  zur  Beobachtung. 

Schon  nach  wenigen  Tagen,  ja  oft  schon 
am  2.  Tage  nach  Gebrauch  dieser  Hustenpastillen 
wird  der  Keuchhusten  insofern  günstig  beeinflußt, 
als  Zahl  und  Gewalt  der  Anfälle  rapide  ab- 
nehmen, und  in  kurzer  Zeit  auch  der  dann  noch 
restierende  lockere  Husten  mehr  und  mehr  nach- 
läßt, so  daß  also  Komplikationen  und  ein  Weiter- 
schreiten der  Infektion  in  die  tieferen  Abschnitte 
des  Respirationsapparates  verhütet  werden.  Wir 
stehen  demnach  jetzt  dem  Keuchhusten  gegen- 
über nicht  mehr  so  machtlos  da  wie  früher, 
sondern  können  den  Kampf  gegen  diese  äußerst 
verhaßte  Krankheit  mit  gutem  Rüstzeug  getrost 
aufnehmen,  auch  wenn  sich  Luftveränderung 
nicht  durchführen  läßt. 

Die  Zusammensetzung  der  Hustenpastillen 
läßt  es  leicht  begreiflich  erscheinen,  daß  die- 
selben auch  bei  Emphysem,  Bronchialasthma 
sowie  mitunter  auch  bei  Kehlkopf-  und  Bronchial- 
katarrhen und  Phthisis  in  hervorragendem  Maße 
Stillung  des  Hustenreizes,  Leichtatmigkeit  und 
Abnahme  der  Sekretion  erzielen,  denn  neben 
der  expektorierenden  und  die  Atmung  sofort 
merkbar  anregenden  Wirkung  des  Thymians 
bietet  das  Präparat  ein  für  die  Schleimhäute 
sehr  erwünschtes  Reinigungsmittel  im  Guajak- 
harz,  welches  auch  die  Sekretion  in  Schranken 
hält,  und  ferner  das  Anästhesin,  welches  die 
Reflexerregbarkeit  herabsetzt,  so  daß  der  an- 
dauernde Hustenreiz  bald  nachläßt. 

Vielfach  habe  ich  nicht  nur  Kehlkopf-  und 
Bronchialkatarrhe,  sondern  speziell  das  sonst  sehr 
hartnäckige  Emphysem  alter  Leute  mit  profuser 
Schleimbildung,  Kurzatmigkeit  und  höchst  an- 
strengenden Hustenanfällen  sowie  Bronchialasthma 
auch  bei  Kindern  nach  dem  Gebrauch  der  Husten- 
pastillen überraschend  schnell  gänzlich  heilen 
sehen,  so  daß  alle  Symptome  davon  beseitigt 
waren,  und  die  Atmung  darnach  in  wohltuender 
Weise  frei  und  unbehindert  von  statten  ging, 
während  vorher  die  Nächte  wegen  der  großen 
Atemnot  meist  außer  Bett  sitzend  verbracht 
werden  mußten,  öfters  trat  dieser  günstige  Er- 
folg schon  nach  Verbrauch  von  2  Schachteln 
ein. 

Zur    Kenntnis    des    „Valofln1*.     Von    Dr.  Modo 
(Karlshorst). 

Auf  Veranlassung  der  „Chemischen  Fabrik 
Helfenberg"  habe  ich  das  „ Valofln",  ein  von 
derselben  aus  Baldrian  und  Pfefferminz  her- 
gestelltes Präparat,  einer  praktischen  Prüfung 
unterzogen.  Die  beiden  Drogen  sind  altbekannte 
und  beliebte  Bestandteile  des  Arzneischatzes, 
und  das  Interesse  für  dieselben  gibt  sich  neuer- 
dings in  einer  Anzahl  aus  denselben  hergestellter 
Präparate  kund;  ich  denke  im  Augenblick  an 
Validol,    Valyl,     Bornyval,    Forman.       Es    lag 


602 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


[Therapeutische 
L    Monatshefte. 


daher  der  Fabrik  im  wesentlichen  daran,  die 
Bekömmlichkeit  und  Schmackhaftigkeit  des  Mittels 
festzustellen.  Diese  Prüfung  ist,  wie  ich  vor- 
wegnehmen will,  nicht  ungünstig  ausgefallen. 
Ich  verabfolgte  das  Mittel  zu  je  15  Tropfen  auf 
eine  Tasse  heißen  Wassers  mit  etwas  Zucker. 
In  dieser  Form  erinnert  der  Geschmack  lebhaft 
an  den  des  Baldrianthees,  für  welchen  es  einen 
schnell  herzustellenden,  bequemen  und  billigen 
Ersatz  darstellen  soll.  Ich  versuchte  das  Mittel 
an  15  Personen.  Es  handelte  sich  bei  ihnen  in 
der  Hauptsache  um  Neurasthenie  bezw.  um 
Erregungszustände  sekundärer  Art,  insbesondere 
Schlaflosigkeit.  Von  13  dieser  Personen  wurde 
das  Mittel  anstandslos  getrunken,  und  es  erfolgte 
auch  keine  sichtbare  üble  Nebenwirkung;  nur 
einmal  wurde  es  von  einer  34  jährigen  Frau, 
die  an  einer  hochgradigen  Erregung  von  fast 
maniakalischer  Art  litt,  sofort  wieder  ausge- 
brochen, ein  anderes  Mal  wurde  es  von  einem 
61  jährigen  Manne,  der  an  Dementia  senilis  mit 
Tobsuchtsanfällen  litt,  energisch  abgelehnt  mit 
dem  Bemerken,  es  schmecke  schlecht.  Der 
Kranke  weigerte  sich,  es  noch  einmal  zu  ver- 
suchen; auch  seiner  Ehefrau,  die  davon  kostete, 
mißfiel  der  Geschmack.  Sonst  wurde  das  Mittel 
oft  sogar  gern  genommen,  zuweilen  wochenlang 
täglich,  und  mehrfach  günstige  Veränderungen 
des  Krankheitszustandes  auf  dasselbe  zurück- 
geführt. So  konstatierte  ein  29  jähriger  Reit- 
bursche mit  schwerer  Neurasthenie  und  Anämie, 
daß  sich  seine  Magen-  und  Herzbeschwerden 
danach  besserten.  Ein  38  jähriger  Lithograph 
mit  Neurasthenia  cordis  fand,  daß  das  Mittel 
sich  sehr  gut  nehmen  läßt  und  sehr  angenehm 
]*6t.  Ein  24  jähriger  Kaufmann,  der  infolge 
einer  Lungenblutung  erregt  wurde,  sah,  daß 
seine  Brustbeklemmungen  und  Stiche  regelmäßig 
nach  Gebrauch  des  Mittels,  das  besser  als 
Baldrian  schmecke,  nachließen.  Eine  25  jährige 
Verkäuferin  mit  Vitium  cordis  nahm  jeden  Abend 
vor  dem  Schlafengehen  eine  Tasse  voll  und 
erklärte,  daß  sie  danach  schlafen  könne,  während 
Baldrian  garnichts  nützte.  Eine  31  jährige 
Näherin,  Rekonvaleszentin  nach  Influenza, 
anämisch  und  neurasthenisch,  schrak  im 
Einschlafen  häufig  auf  und  fand,  daß  das 
Valofin  beruhigend  wirkte.  Auch  ein  40  jähriger 
Influenza- Rekonvaleszent  konnte  nach  Gebrauch 
des  Mittels  schlafen  und  war  ebenfalls  mit  dem 
Geschmack  des  Mittels  sehr  zufrieden.  Das 
gleiche  gilt  von  einer  35  jährigen  Frau  mit 
Influenza,  Schlaflosigkeit  und  Herzklopfen,  einem 
38  jährigen  Lehrer  mit  schwerer  Neurasthenie, 
Schlaflosigkeit  und  starker  Reizbarkeit  (seine 
Ehefrau  gebrauchte  es  mit  Erfolg  gegen  Kopf- 
schmerzen), einem  22  jährigen  Bankbeamten  mit 
erheblicher  Depression,  Angstgefühl  'und  Schlaf- 
losigkeit und  einer  25  jährigen  Buchhalterin 
mit  nervösen  Herzbeschwerden  und  schlechtem 
Schlaf.  Auch  ein  52  jähriger  Eisenbahnsekretär 
mit  schwerer  Myokarditis  glaubte  nach  der  Ein- 
nahme des  Präparates  etwas  Ruhe  von  seinen 
Beschwerden    gewonnen    zu    haben.     Es    bleibe 


dahingestellt,  wie  weit  die  günstigen  Wirkungen 
auf  Zufall  bezw.  Suggestion  beruhen;  zweifellos 
wurde  das  Mittel  in  der  überwältigenden  Mehr- 
zahl der  Fälle,  wozu  ich  auch  den  günstigen 
Gebrauch  gegen  Magenkrämpfe  seitens  eines 
22jährigen  Dienstmädchens  rechne,  gern  nnd 
ohne  üble  Nebenwirkung  genommen.  Es  empfiehlt 
sich  daher,  das  Präparat  an  einer  weit  größern 
Zahl  von  Fällen,  als  mir  zu  Gebote  standen,  za 
versuchen. 

Bei  Oxyurls  vermlcularis 

empfiehlt  Rahn  (Münchener  medizin.  Wochen- 
schrift, No.  16,  1905)  das  Gujasanol  als  ein  in 
der  Verwendung  einfaches  und  in  seiner  Wirkung 
nachhaltiges  Mittel.  Das  Gujasanol,  das  salz- 
saure Diäthylglykokoll-Guajakol,  scheint  spezifisch 
auf  Oxyuren  einzuwirken.  Die  Verabreichung 
geschieht  folgendermaßen:  Nach  Ausspülung  des 
Mastdarmes  mit  150  ccm  einer  dünnen  lau- 
warmen Seifenlösung  mittels  Gummirohres  wird 
mit  einer  4 — 5  proz.  wäßrigen  Gujasan Öllösung, 
die  3—5  Minuten  in,  linker  Seitenlage  im  Mast- 
darm zurückzuhalten  ist,  nachgespült.  Diese 
Spülungen  werden  an  drei  aufeinander  folgenden 
Tagen  vorgenommen.  Bei  Kindern  verwendet 
man  zur  Spülung  75  ccm  und  2  —  3  proz. 
Gujasan  Öllösung. 

Balneologlsche  und  physikalisch- diätetische  Korse 
der  GroßherzogL  Badanstalten-Kommisslon  in 
Baden-Baden. 

Wie  in  den  vorhergehenden  Jahren  wurde 
auch  in  diesem  Jahre  diese  Institution  von  selten 
der  Ärzte  mit  großem  Beifall  aufgenommen. 
Eine  stattliche  Anzahl  von  Teilnehmern  aus 
allen  Gauen  Deutschlands  und  aus  der  Schweiz 
fanden  sich  auf  die  Einladung  der  Großh.  Bad- 
anstalten-Kommission, an  deren  Spitze  Herr 
Geheimrat  Haape  sowie  die  Herren  Medizinalrat 
Dr. N e u m a n n  und  Hofrat  Dr.  Obkircher  stehen, 
ein,  um  die  Gelegenheit  zur  Bereicherung  ihres 
Wissens  auf  dem  Gebiete  der  Balneologie  nnd 
der  physikalisch -diätetischen  Heilmethoden  zu 
benützen. 

Die  technische  Organisation  war  in  den 
Händen  der  Herren  Hofrat  Dr.  W.  H.  Gilbert 
und  Dr.  Curt  Hoff  mann,  Baden-Baden.  Namen 
der  Vortragenden  wie  Geheimrat  Professor  Dr. 
Engl  er- Karlsruhe  und  Geheimrat  Professor  Dr. 
Fl  ein  er- Heidelberg  bürgten  schon  im  voraus 
für  den  interessanten  Inhalt  der  theoretischen 
Abteilungen,  während  die  Baden-Badener  Arzte 
an  der  Hand  der  mustergültigen  Heilanstalten 
Friedrichsbad,  Augustabad,  Landesbad  und  In- 
halatorium die  praktischen  Demonstrationen  in 
sachgemäßer  Weise  übernommen  hatten. 

Von  allen  Teilnehmern  wurde  lebhafte  Be- 
friedigung über  die  Fülle  des  Gebotenen  und 
die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  diese  Kurse  zur 
Fortbildung  der  Arzte  wesentlich  beitragen,  da 
sie  nicht  nur  theoretisch  anregend,  sondern  auch 
sehr  erfolgreich  durch  die  Praxis  für  die  Praxis 
wirken. 


Für  die  Redaktion  verantwortlich:   Dr.  A.  Langgaard  in  Berlin  SW. 
Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Universitäts-Buchdruck erei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  X. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1905.    Dezember. 

Originalabhandlüngen. 


(An«  dem  HH*niau-San&toriam,  Dansig.) 

Über  moderne  Digitalis-Präparate« 

Von 

Dr.  R.  Freund. 

Seitdem  die  Fortschritte  der  Chemie  es 
uns  ermöglicht  haben,  die  wirksamen  Be- 
standteile therapeutisch  verwendeter  Drogen 
chemisch  rein  darzustellen,  ist  die  Anwendung 
der  Drogen  eine  verhältnismäßig  seltene,  denn 
der  Arzt  wird  stets  vorziehen,  die  genau 
dosierbaren  und  in  ihrer  Wirksamkeit  kon- 
stanten chemischen  Produkte  anzuwenden. 
Stets  wird  man  eine  Rückkehr  zur  Behand- 
lung mit  Drogen  resp.  den  aus  ihnen  ge- 
wonnenen Thees,  wie  sie  vor  einigen  Jahren 
in  Berlin  von  bestimmter  Seite  wieder  ins 
Leben  gerufen  wurde,  für  einen  gewaltigen 
Rückschritt  ansehen  müssen.  Die  einzige 
Droge,  die  bisher  ihren  Platz  stets  behauptet 
hat,  ist  die  Folia  Digitalis.  Trotzdem  seit 
nunmehr  ca.  25  Jahren  die  einzelnen  wirk- 
samen Bestandteile  der  Digitalis  purpurea 
bekannt  sind,  und  auch  aus  anderen  Pflanzen 
eine  ganze  Reihe  ähnlich  wirkender  „Digi- 
taline" hergestellt  werden  konnten,  haben 
sich  hier  das  aus  der  Droge  gewonnene 
Infus  oder  die  pulverisierten  Blätter  ihren 
Platz  erhalten  und  konnten  bisher  durch  die 
chemisch  reinen  Produkte  nicht  verdrängt 
werden.  Die  wirksamen  Substanzen  der 
Folia  Digitalis  sind  nach  Schmiedebergs  (l) 
Arbeiten  das  Digitalin,  das  Digitalein  und 
das  Digitoxin,  ferner  das  Digitonin.  Die 
Wirkung  der  Substanzen  auf  den  tierischen 
Organismus  ist  die  für  die  Digitalis  charak- 
teristische Herzwirkung,  die  ich  hier  nur 
mit  wenigen  Worten  anführen  will:  Die 
Pulsfrequenz  wird  bei  kleinen  Dosen  herab- 
gesetzt, bei  großen  Dosen  beschleunigt.  Der 
Blutdruck  wird  gesteigert  durch  eine  der- 
artige Änderung  der  Elastizitätsverhältnisse 
des  Herzmuskels,  ohne  daß  die  Kontraktilität 
beeinträchtigt  wird.  * 

Auch  die  Muscularis  der  Gefäße  wird 
beeinflußt,  indem  die  Gefäße  sich  kontra- 
hieren, dadurch  tritt  eine  Zunahme  der 
Arterienspannung  auf.  Werden  zu  große 
Dosen  gegeben,  so  sinkt  der  Blutdruck  wieder, 

Th.  M.  1905. 


der  anfangs  verlangsamte  Puls  wird  schneller, 
die  Herztätigkeit  wird  arhythmisch  und  hört 
schließlich  ganz  auf,  indem  das  Herz  in 
Diastole  stehen  bleibt.  Schmiedeberg 
kennzeichnet  danach  die  drei  Stadien: 

1.  mit  verlangsamtem  Puls  und  erhöhtem 
Blutdruck, 

2.  mit  beschleunigtem  Puls  und  erhöhtem 
Blutdruck, 

3.  mit  arhythmischem  Puls  und  sinkendem 
Blutdruck. 

Diese  drei  Stadien  sind  für  alle  zu  der 
Digitalisgruppe  gehörenden  Körper  charak- 
teristisch. 

Die  Tierversuche  haben  ergeben,  daß  der 
durch  Arbeit  maximal  erschöpfte  Herzmuskel 
keine  neuen  Kräfte  durch  Zufuhr  von  Digi- 
talispräparaten entwickeln  kann.  Es  kommen 
also  nur  die  Reservekräfte  des  Herzens  bei 
Anwendung  der  Digitalis  zur  Ausnutzung. 
Sind  diese  bereits  erschöpft,  so  kann  die 
Digitalistherapie  keine  Wirkung  mehr  haben. 
Die  eintretende  Pulsverlangsamung  beruht 
auf  Erregung  des  Vagus.  Es  muß  dazu  der 
vom  Vaguszentrum  unterhaltene  Tonus  vor- 
handen sein  (2). 

Brandenburg  (3)  hat  nachgewiesen,  daß 
die  Digitaline  die  Eigenschaft  haben,  den 
Herzmuskel  gegen  äußere  Reize  abzustumpfen. 
Es  läßt  sich  danach  die  Tatsache  feststellen, 
daß  die  Digitalis  in  vielen  Fällen  die  Un- 
regelmäßigkeit der  Herztätigkeit  beseitigt, 
eine  Verminderung  der  Anspruchsfähigkeit 
des  Herzens  auf  krankhafte  Reize  zurück- 
zuführen, indem  das  Herz  auf  Reize,  welche 
sonst  Extrasystolen  auslösen,  nicht  mehr 
reagiert. 

Gottlieb  und  Magnus  (4)  haben  be- 
sonders sich  mit  der  Gefäßwirkung  der  Digi- 
taliskörper befaßt  und  nachgewiesen,  daß 
die  Gefäßwirkung  beim  Digitoxin  eine  allge- 
meine ist,  während  sie  sich  beim  Digitalin, 
Strophanthin  und  Konvallamarin  mehr  auf 
das  Splanchnicusgebiet  beschränkt.  Es  wird 
somit  von  Digitoxin  durch  die  allgemeine 
Gefäßverengerung  das  Blut  von  der  venösen  auf 
die  artierelle  Seite  des  Kreislaufs  verlagert. 
Bei    den    anderen   Digitaliskörpern    wird    es 

45 


604 


Fr  «und,   Modarne  Digitalis- Präparate, 


[Therapeutische 


aus  dem  Körperinnern  nach  der  Peripherie 
verdrängt.  Es  sind  diese  Daten  wichtig,  da 
sie  zeigen,  daß  die  verschiedenen  Körper 
verschieden  wirken,  wobei  sich  vielleicht 
später  einmal,  bei  genauer  Kenntnis  der  durch 
lokale  Stauung  bedingten  Krankheitserschei- 
nungen, eine  wirksame  Therapie  begründen 
läßt.  Gottlieb  und  Magnus  haben  weiter 
nachgewiesen,  daß  das  Strophanthin  eine  Zu- 
nahme des  Blutstromes  durch  das  Gehirn 
bewirkt  (5),  während  das  Splanchnicusgebiet 
kontrahiert  wird. 

Durch  die  eintretende  Blutdrucksteigerung 
werden  die  Kapillaren  stärker  vom  Blut 
durchströmt.  Außer  der  Herzwirkung  wird 
auch  der  Gefäßtonus  durch  die  Digitalis- 
präparate beeinflußt,  und  zwar  am  stärksten 
durch  die  Digitaliskörper,  schwächer  durch 
die  Strophanthuskörper  (6),  (7),  welche  sich 
überhaupt  durch  Ausbleiben  des  Vaguereizes 
von  den  eigentlichen  Digitaliskörpern  unter- 
scheiden, mit  denen  sie  sonst  gleiche  Wir- 
kung haben. 

Nach  Schmiedeberg  beruht  die  Herz- 
wirkung auf  Veränderung  des  Elastizitäts- 
verhältnisses des  Herzmuskels. 

Ein  Einfluß  der  Digitalis  auf  die  Re- 
spirationsorgane wurde  von  Hofbauer  (8) 
nachgewiesen,  der  eine  Verpflanzung  der 
Atmungskurve  im  Marey  sehen  Kardiopneu- 
mographen  nachwies,  die  sich  sowohl  auf 
Inspiration  als  Exspiration  erstreckt. 

Trotzdem  die  Digitalis  ihrer  Wirkungs- 
weise nach  als  auch  ihrer  chemischen  Zu- 
sammensetzung nach  einen  der  genauest  be- 
kannten Körper  des  Arzneischatzes  darstellt, 
ist  eine  einheitliche  Anschauung  über  die 
Anwendung  noch  nicht  gezeitigt.  Trotz  der 
vielen  Versuche,  an  Stelle  der  Digitalis- 
blätter die  wirksamen  Substanzen  zu  setzen, 
sind  die  erfahrensten  Praktiker  immer  wieder 
zum  Gebrauch  der  reinen  Blätter  zarück- 
gekehrt,  und  zwar  wird  von  den  meisten 
das  Infus  oder  die  pulverisierten  Blätter 
empfohlen,  wobei  sie  im  allgemeinen  [Rom- 
berg (9),  J.V.Bauer  (10)  undNaunyn  (ll)] 
annahmen,  daß  1  g  des  Pulvers  2  g  im  Infus 
entspricht,  so  daß  in  zwei  bis  drei  Tagen 
2  — 4  g  im  Infus  oder  0,8 — 1,5  g  in  Substanz 
gegeben  werden. 

Es  war  dies  die  Medikation,  welche  stets 
die  sichersten  Erfolge  zu  haben  scheint,  trotz- 
dem sie  häufig  versagte.  Erst  in  neuerer 
Zeit  ist  man  darauf  aufmerksam  geworden, 
daß  dieses  Versagen  auf  den  verschiedenen 
Gehalt  der  Droge  an  wirksamer  Substanz 
zurückzuführen  ist,  und  hat  diesem  Punkte 
außerordentliche    Aufmerksamkeit    geschenkt. 

Es  liegt  eine  ganze  Reihe  Publikationen 
vor,   die  alle  den  letzten  Jahren  entstammen, 


welche  nachweisen,  daß  der  Gehalt  der  Blätter 
ein  ungeheuer  verschiedener  ist  und  im  Ver- 
hältnis von  1  :  4  schwankt.  Wie  schwer 
wird  es,  bei  diesem  wechselvollen  Verhalten 
des  Präparates  eine  sichere  Therapie  bei  so 
unsicherer  Dosierung  einzuleiten!  Die  indi- 
viduell verschiedene  Reaktion  auf  das  an- 
geführte Medikament  können  wir  ja  als  Ärzte 
leider  nicht  vorausbestimmen;  eines  aber 
sollten  wir  stets  anstreben,  genau  zu  wissen, 
welche  Mengen  eines  Medikamentes  wir  ein- 
führen, um  damit  zunächst  einmal  die  Reaktion 
des  zu  behandelnden  Kranken  kennen  lernen 
und  für  die  Folgezeit  unser  Handeln  danach 
einrichten  zu  können.  Die  Arbeiten  Sieberts 
und  Ziegenbeins  (12)  haben  zunächst  nach- 
gewiesen, daß  geprüfte  Drogen  eine  durch- 
aus verschiedene  Wertigkeit  enthalten.  Sie 
suchen  eine  sogenannte  physiologische  Wert- 
bestimmung einzuführen,  durch  Feststellung 
der  Wirkung  der  Prüfungsobjekte  auf  das 
Froschherz,  indem  angegeben  wurde,  wieviel 
Extrakt  in  den  Lymphdrüsensack  beim  Frosch 
injiziert  werden  muß,  um  innerhalb  zweier 
Stunden  systolischen  Herzstillstand  hervor- 
zurufen. Die  Dosis  wurde  auf  100  g  Frosch- 
gewicht berechnet. 

Durch  die  Versuche  wurde  nachgewiesen, 
daß  bereits  die  Herstellung  der  Infuse  eine 
Verschiedenheit  in  der  Stärke  bewirken  kann. 
Die  geschnittenen  Blätter  zeigten  eine  schwä-  * 
chere  Wirkung  als  die  grobgepulverten,  die 
stärkste  Wirkung  wurde  durch  Infus  aus 
feinstem  Pulver  erreicht,  das  Verhalten  von 
geschnittenen  Blättern  zu  grobem  Pulver  und 
feinstem  Pulver  ist  nach  ihren  Versuchen 
wie  2  :  1,5  :  1. 

Durch  die  physiologische  Methode  prüften 
sie  ihre  Präparate  alle  4  Wochen  nach,  um 
sich  von  der  Konstanz  der  Wirksamkeit  zu 
überzeugen,  und  ist  es  ihnen  nach  den  vor- 
liegenden Berichten  in  der  Tat  gelungen, 
Extrakte  von  gleicher  Zusammensetzung  zu 
gewinnen. 

Gewiß  ist  diese  Möglichkeit  der  physiolo- 
gischen Wertbestimmung  der  Infuse  gegeben, 
doch  ist  die  Methode  eine  umständliche  und 
noch  immer  nur  eine  angenäherte.  Eine 
weitere  Arbeit,  welche  zeigt,  wie  verschieden 
der  Gehalt  der  Digitalisblätter  an  wirksamen 
Substanzen  ist,  ist  die  Arbeit  Fockes  (13). 
Die  Arbeit  ist  besonders  auch  dadurch  inter- 
essant, weil  sie  nachweist,  daß  die  Wirksam- 
keit der  Digitalis  im  Herbste,  wo  frisch  ge- 
sammelte Blätter  in  Gebrauch  kommen,  eine 
weit  kräftigere  ist  als  im  Frühjahr,  wenn 
die  Droge  gelagert  ist.  Es  gelang  Focke, 
sogar  an  Hand  der  über  Digitalis  vor- 
liegenden Kasuistik  dieses  Verhalten  nach- 
zuweisen.    Wenn  nun  aber  die  Droge  schon 


XIX.  Jahrgang.! 
Deyrober  I90&.J 


Preuod,  Moderbe  Digitalis-Präparat«. 


605 


im  Verlauf  eines  Jahres  sich  im  Herbst  vier- 
mal  so  wirksam  zeigt  wie  im  Frühjahr,  wie- 
yiel  mehr  wird  sie  erst  durch  jahreslanges 
Liegen  einbüßen,  was  doch  in  Apotheken,  in 
denen  der  Gebrauch  nicht  sehr  groß  ist,  vor- 
kommen kann. 

Man  hat  versucht,  die  Verschiedenheit 
4er  Infnse  darauf  zurückzuführen,  daß  die 
Substanz,  welcher  man  die  größte  Wirksam- 
keit zuschrieb,  das  Digitoxin,  nur  in  geringer 
Menge  in  die  Lösung  überging,  jedoch  hat 
Siebert  (14)  versucht,  aus  dem  Rückstand 
bei  Herstellung  von  Digitalis  -Infusen  noch 
Digitoxin  mit  Alkohol  zu  extrahieren,  konnte 
jedoch  keine  wirksame  Substanz  mehr  ge- 
winnen. Die  Tatsache  steht  fest,  daß  die 
Verschiedenheit  an  wirksamen  Substanzen  bis 
zu  100  Proz.  betragen  kann. 

Eine  trockene  Droge  kann  durch  Zu- 
sammensetzung noch  weit  mehr  verschlechtert 
werden.  Focke  hat  in  seinen  Untersuchungen 
zwischen  den  im  September  frisch  gesammelten 
Blättern  und  denselben  Blättern  im  Juni 
des  folgenden  Jahres  verschiedentlich  Unter- 
schiede bis  zu  400  Proz.  gefunden.  Dabei 
ist  wohl  auch  zu  berücksichtigen,  daß  sich 
bei  aufbewahrten  Präparaten  schädliche  Zer- 
setzungsprodukte bilden,  von  denen  Fer- 
rier  (15)  in  dem  Digitaliresin  und  Toxiresin 
zwei  vom  Gehirn  aus  krampferregende  Sub- 
stanzen nachwies. 

Schmiedebergs  hervorragende  Arbeit 
über  die  Bestandteile  der  Digitalis  erschien 
im  Jahre  1874.  Schon  vorher  existierten 
Digitalispräparate,  Digitaline  amorphe,  so 
auch  die  französischen  von  Homolle  und 
Quevenne  dargestellten  und  Digitalin  ge- 
nannten Präparate,  ferner  das  sogenannte 
Digitalinum  crystallisatum  Nativell. 

Schmiedeberg  wies  nach,  daß  es  sich 
bei  diesen  Präparaten  nicht  um  einen  ein- 
heitlichen Körper  handle,  sondern  um  eine 
Menge  verschiedener  Körper,  die  seither  und 
besonders  durch  Schmiedebergs  Unter- 
suchungen genau  bekannt  wurden. 

Das  Digitoxin  ist  in  Wasser  unlöslich, 
muß  also  in  alkoholischen  Lösungen  ge- 
geben werden.  Es  ist  von  allen  Substanzen 
das  häufigste  und  wirkt  stark  örtlich  reizend. 
Subkutan  lassen  sich  die  beiden  Mittel  wegen 
Gefahr  eintretender  Abszesse  nicht  anwenden. 
Dazu  steht  ferner  der  hohe  Preis  einer  allge- 
meinen Anwendung  noch  hindernd  im  Wege. 
Die  übrigen  Digitaline,  besonders  aber  die 
französischen  Präparate,  sind  in  ihrer  Zu- 
sammensetzung so  inkonstant  und  daher  in 
ihrer  Wirkung  so  schwankend,  daß  sie  vor 
den  Folia  Digitalis  nichts  voraushaben,  deren 
Hauptfehler  ja  auch  in  dem  verschiedenen 
Gehalt  an  wirksamen  Substanzen  besteht. 


Ein  Nachteil  aller  bisher  genannten  Prä- 
parate ist  ferner  ihre  „kumulative  Wirkung*, 
welche  eine  länger  dauernde  Anwendung 
größerer  Dosen  unmöglich  machte,  da  der 
Patient  daran  zugrunde  gehen  konnte.  Man 
mußte  daher  das  Einnehmen  auf  wenige  Tage 
der  Woche  beschränken.  Die  ferneren  Neben- 
wirkungen wie:  Nausea,  Erbrechen  und  Durch- 
fall waren  ebenso  allen  Präparaten  gemein. 
Das  Digitalein  scheint  als  reines  Präparat 
sehr  wenig  angewandt  zu  sein.  Die  üblichen 
Dosen  sind  folgende  (16): 

Digitoxinum  crystallisatum  Merck 
welches  in  Tabletten  zu  je  ljA  mg  dispensiert 
wird.  Die  Gabe:  1/ä  mg  pro  dosi,  2  mg  pro 
die,  wenn  es  innerlich  genommen  werden  soll. 
Nach  Penzoldt  ist  auch  die  Darreichung 
per  Klysma  möglich  nach  der  Formel: 
Rp.  Digitoxini  crystalii- 

sati  (Merck)        0,01  g 
Alkohol  10,0  g 

Aquae  destillatae  200,0  g 
15  g   dieser  Lösung  mit  100  g  Wasser  zum 
Klistier,  ein-  bis  dreimal  täglich. 

Digitalinum  verum  Kiliani. 
Innerlich  0,002  bis  0,006   pro   dosi;    in 
maximo  0,02   pro   die.     Die  Formel   lautet: 
Rp.  Digitalini  ver. 

(Kiliani)  0,02  g 

Spiritus  10,0  g 

Aquae  destillatae  70,0  g 
Sirupi  simplicis      20,0  g 
D.  S.:    Ein   Eßlöffel   voll   drei-   bis    ein- 
stündlich zu  nehmen. 

Subkutan  sollen  beide  Körper  verwendet 
werden  können,  aber  Entzündung  an  den 
Einstichstellen  kommt  gar  leicht  zustande, 
besonders  nach  dem  Digitoxin. 

Die  übrigen  in  die  Digitalisgruppe  ge- 
hörigen Herzmittel  zeigen  noch  große  In- 
konstanz der  Zusammensetzung  wie  die 
Digitalis  selbst,  so  daß  sie  stets  hinter  der 
Digitalis  zurückgestanden  haben.  Ich  möchte 
hier  folgende  nennen:  Helleborus  viridis 
und  niger,  Adonis  vernalis,  Convellaria  ma- 
jaiis  und  den  Oleander.  Ihre  wirksamen 
Substanzen  sind  das  Helleborin,  Konvalla- 
marin,  Adonidin  und  Oleandrin.  Sie  finden 
noch  weniger  Anwendung  als  die  Digitalis- 
präparate. 

Bulbus  Scillae  und  die  aus  ihm  gewonne- 
nen Präparate,  werden  heutzutage  kaum 
noch  angewandt,  dagegen  ist  ein  anderes 
Präparat  in  engeren  Wettbewerb  mit  der 
Digitalis  getreten,  „Strophanthus",  welches 
1868  von  Livingßton  aus  Zentralafrika  als 
ein  aus  Strophanthus  bereitetes  Pfeilgift  mit- 

45* 


606 


Preund,  Moderne  Dlgitalit-Frtptrat«. 


fTherapantlselie 
L   Monatahefte. 


gebracht  wurde.  Die  klinische  Anwendung 
rührt  von  Fräser  (17)  her.  Ihr  wirksamer 
Bestandteil  ist  das  Strophanthin.  Therapeu- 
tisch wird  vor  allem  die  Tinctura  Strophantin 
verwandt.  Ähnlich  wie  bei  Digitalis  wird 
die  Systole  des  Herzens  verstärkt  und  die 
Pulsfrequenz  verlangsamt.  In  größeren  Dosen 
tritt  systolischer  Herzstillstand  ein.  Die  der 
Digitalis  zukommende  Gefäß  Wirkung  fehlt 
nach  Kobert  bei  Strophanthus  gänzlich.  Zu 
beobachten  ist  die  von  verschiedenen  For- 
schern hervorgehobene  eminente  Giftigkeit, 
die  besonders  auch  Eakowski  (18),  Schä- 
del (Nauheim)  (19)  hervorhoben,  und  die  ich 
selbst  (20)  bei  meinen  vergleichenden  Unter- 
suchungen über  Digitalispräparate  feststellen 
konnte. 

Schulz  (21)  wies  im  Tierversuch  nach, 
daß  eine  subkutane  Anwendung  der  Stro- 
phanthuspräparate  seiner  außerordentlich  hefti- 
gen 'Wirksamkeit  wegen  kaum  möglich  sei, 
0,0001  g  pro    Kilo    bewirkten    schon    nach 

5  Minuten  deutliche  Vergiftungserscheinungen. 
Die  doppelte  Dosis  führte  schon  den  Tod 
herbei.  Ein  Vorteil  der  Strophanthuspraparate 
beruht  darauf,  daß  keine  Gewöhnung  und 
keine  kumulative  Wirkung  auftritt. 

Die  mangelhafte  Dosierung,  die  den 
eigentlichen  Digitalispräparaten  anhaftet, 
kommt  auch  den  Strophanthuspräparaten  zu, 
die  hier  bei  der  weit  größeren  Giftigkeit  der 
Droge  noch  gefährlicher  ist. 

Man  hat  versucht,  das  Strophanthus  durch 
die  aus  ihm  gewonnenen  Präparate  durch 
das  Strophanthin  zu  ersetzen,  da  die 
Tinctura  Strophantin  sehr  ungleichmäßig  in 
ihrer  Zusammensetzung  ist.  Im  Handel  sind 
2  Strophanthine,  das  Strophanthin  Merck 
und  das  Strophanthin  Thoms,  das  erstere 
wurde  von  Zerner  und  Low  (22)  versucht, 
über  das  letztere  liegt  eine  genaue  Studie 
von  Schädel  (23)  vor,  der  es  in  Dosen 
von  3  mal  täglich  5  Tropfen  einer  1  proz. 
Lösung  empfiehlt. 

Auch  wir  haben  das  Mittel  verschiedent- 
lich angewandt  und  guten  Erfolg  gesehen, 
bestehende  Ödeme  schwanden,  die  subjektiven 
Beschwerden  ließen  nach,  doch  traten  in 
einem  Fall  die  typischen  unangenehmen 
Nebenwirkungen  auf,  welche  sich  in  Übelkeit 
und  Erbrechen  äußerten,  so  daß  wir  das 
Mittel  aussetzen  mußten.  Im  übrigen  ist 
die  Wirkung  wie  überhaupt  bei  den  Stro- 
phanthuspräparaten eine  wenig  nachhaltige, 
wie  wir  besonders  in  einem  Falle  von  Mitral- 
insuffizienz beobachten  konnten,  wo  sich  die 
bestehenden  Ödeme  zwar  zurückbildeten, 
jedoch    nach    Aussetzen     des    Mittels,     das 

6  Wochen  gegeben  wurde,  sehr  schnell  wieder 
eintraten,     während     das     nun     angewandte 


Digalen    ein    Stadium    länger    anhaltender 
Wirkung  herbeiführte. 

Die  wenig  nachhaltende  Wirkung  der  Stro- 
phanthuspraparate hat  den  Vorteil,  daß  keine 
kumulative  Wirkung  eintritt,  und  man  sonach 
bisher  Strophanthus  in  allen  den  Fällen  zu 
geben  pflegte,  in  welchen  eine  dauernde 
Wirkung  auf  das  Herz  auszuüben  am  Platze 
schien.  Es  liegen  in  dieser  schnell  vorüber- 
gehenden Wirkung  die  Vorteile,  aber  auch  die 
Nachteile  der  Strophanthus- Medikation  (24). 

Es  wird  dadurch  die  Möglichkeit  gegeben r 
das  Präparat  monatelang  anzuwenden.  Die 
im  Tierversuch  deutliche  Digitaliswirkung  der 
Strophanthuspraparate  schien  jedoch  am 
Krankenbette  der  Wirkung  der  eigentlichen 
Digitalis  nachzustehen,  wobei  wohl  der  Um- 
stand mitspricht,  daß  die  Strophanthus- 
praparate auf  das  Gefäßsystem  nicht  die  der 
Digitalis  zukommende  gefaßmuskel-kontrahie- 
rende  Eigenschaft  besitzen. 

Die  reinen  Präparate  des  Strophanthus 
haben  bis  jetzt  noch  keinen  großen  Eingang 
gefunden.  Dagegen  ist  die  Tinctura  Stro- 
phanthi  bei  organischen  Herzleiden  sowohl 
wie  bei  solchen  auf  nervöser  Basis  vielfach 
empfohlen  und  gebraucht,  ob  bei  letzterem 
Leiden  mit  Recht,  möchte  ich  bezweifeln, 
da  hier  meist  indifferente  Analeptica  völlig 
den  gleichen  Dienst  verrichten  wie  das 
durchaus  nicht  gleichgültige  Strophanthus. 
Bei  Herzkranken  ist  das  Strophanthus  zum 
Teil  deswegen  beliebt  gewesen,  weil  seine 
Wirkung  schneller  eintritt  wie  die  der  Digi- 
talis, und  wird  deshalb  häufig  mit  Digitalis 
zusammen  verordnet. 

Die  von  Schädel  angeregte  Einführung 
des  Strophanthins  Thoms  in  wäßriger  Losung 
an  Stelle  der  Tinctura  Strophanthi  ist  ent- 
schieden beachtenswert,  da  wir  hierdurch 
eine  sichere  Dosierung  erhalten. 

Eine  subkutane  Injektion  des  Präparats 
ist  freilich  nach  den  vorliegenden  Tierver- 
suchen nicht  möglich. 

Um  gleichmäßige  Digitalispräparate  zu 
erhalten,  versuchte  man  die  Zersetzung  der 
Blätter  zu  verhindern.  Es  liegt  hierüber 
eine  Mitteilung  von  Wolff  (44)  vor.  Um 
die  Glykosidabspaltung  zu  verhindern,  wurde 
die  frische  Droge  schnell  im  Vakuumapparat 
von  jeder  Feuchtigkeit  befreit  und  mit  Milch- 
zucker und  Amylum  in  Tablettenform  ge- 
bracht und  luftdicht  überzogen.  Der  Gehalt 
an  wirksamen  Substanzen  soll  ein  gleich- 
mäßiger sein,  und  werden  die  von  Robert 
geprüften  Präparate  als  sehr  geeignet  für 
ärztliche  Zwecke  empfohlen. 

Ein  besonderes  Präparat,  welches  eben- 
falls das  Prinzip  verfolgt,  bestimmte  Mengen 
wirksamer  Substanzen  zu   enthalten,   ist   von 


XiX.Jahrgaag.1 
Detember  1906.J 


Pro  und,  Moderne  Difitalit-Prlperate. 


607 


der  Firma  Cäsar  Lorenz  in  Halle  hergestellt 
durch  frühzeitiges  Trocknen  der  Blätter  bei 
80°,  wobei  ein  konstanter  Wert  erzielt  werden 
soll.  Ebenso  hat  die  Universitäts  -  Apotheke 
in  Rostock  (Dr.  Brunnengräber)  Digitalis- 
blätter, Digitalistinktur  und  Strophanthus- 
tinktur  in  pharmakodynamischem  Titer  in 
den  Handel  gebracht. 

In  neuerer  Zeit  hat  man  versucht,  Medi- 
kamente mit  konstantem  Gehalt  an  wirksamen 
Digitalissubstanzen  herzustellen.  Es  wäre 
hier  zunächst  Dialysat  Golaz  zu  nennen. 
Über  die  Wirksamkeit  des  von  Golaz  &  Co. 
hergestellten  Dialysats  hat  Bosse  (25)  im 
Jahre  1899  zuerst  berichtet.  Nach  ihm 
Schwarzenbeck  (26)  im  Jahre  1901. 
Beide  Arbeiten  stammen  aus  der  Klinik  von 
Prof.  Unverricht.  Es  ist  ein  Präparat, 
welches  vermittelst  Dialyse  gewonnen  wird, 
worauf  zunächst  der  Gehalt  einer  chemisch 
wirksamen  Substanz  festgestellt  wird.  Ferner 
wird  durch  pharmakodynamische  Versuche 
an  Tieren  die  physiologische  Wirksamkeit 
geprüft,  dieselbe  soll  im  wesentlichen  auf 
Gehalt  an  Digitoxin  beruhen.  Schwarzen- 
beck hebt  in  seiner  Arbeit  hervor,  daß  sich 
das  Dialysat  wochenlang  ohne  Nachteil  in 
der  von  Kußmaul  und  Grödel  empfohlenen 
Weise  nehmen  lasse,  doch  trete  gelegentlich 
Erbrechen  auf,  welches  zwinge,  das  Mittel  einige 
Tage  auszusetzen.  Schwarzenbeck  glaubt 
jedoch  nachzuweisen,  daß,  wenn  auch  keine 
kumulative  Wirkung  auftritt,  ein  Vorteil  durch 
fortgesetzten  Dialysatgebrauch  an  Kranken 
nicht  erreicht  wird.  In  beiden  Arbeiten  wird 
die  Digitaliswirkung  des  Mittels  hervorgehoben 
und  somit  seine  Brauchbarkeit  festgestellt. 

Jedoch  tritt  die  Wirksamkeit  nie  vor 
dem  2.  Tage,  in  einzelnen  Fällen  am  3.  oder 
4.  Tage  auf,  was  bei  jedem  Falle  seine  An- 
wendung bei  Kranken,  die  schneller  Hilfe 
bedürfen,  in  Frage  stellt. 

Eine  weitere  Mitteilung  über  das  Dialysat 
Golaz  machte  Görges  (27)  in  der  Berliner 
medizinischen  Gesellschaft  am  28.  Mai  1902 
und  rühmte  seine  Wirksamkeit.  In  der  Dis- 
kussion stimmte  ihm  Senator  bei,  der  jedoch 
das  Infus  für  wirksamer  hält.  Senator 
erkennt  ihm  vor  dem  Infus  nur  den  Vorteil 
zu,  weniger  Nebenwirkungen  zu  haben.  Weitere 
Empfehlungen  liegen  von  Brondgest  (28), 
Jeltner  (29)  und  Doebert  (30)  vor. 

Ein  anderes  Dialysat  wurde  unter  dem 
Namen  Digitalysat  von  Bürger  und  Wein-, 
hagen,  Wernigerode,  in  den  Handel  ge- 
bracht. Ich  habe  in  der  mir  zugängigen 
Literatur  keine  Angaben  über  seine  Wirkung 
am  Krankenbette  finden  können.  Im  Tier- 
versuch konnte  ich  eine  deutliche  und  regel- 
mäßige Digitaliswirkung  nachweisen  (31). 


Von  den  reinen  Glykosiden  ist  bisher 
das  Digitoxin  das  einzige,  welches  ausge- 
dehntere Anwendung  am  Krankenbett  ge- 
funden hat.  Für  Anwendung  desselben  tritt 
an  Stelle  der  übrigen  Digitalispräparate 
Masius  (32)  ein,  und  auf  dessen  Empfehlung 
später  Unverricht,  aus  dessen  Klinik 
Wentzel  (33)  eine  Arbeit  über  die  Wirkung 
des  Digitoxins  veröffentlichte.  Daß  jedoch 
leicht  Intoxikation  auftritt,  zeigt  die  Arbeit 
Wentzels,  welcher  bei  2  Fällen,  trotz 
Applikation  vom  Rectum  aus,  Erbrechen  und 
Übelkeit  eintreten  sah.  Für  das  Digitoxin 
trat  auch  Bosse  ein.,  der  es  per  os  und 
per  klysma  empfiehlt,  jedoch  auch  häufig 
Erbrechen  beobachtet  hat.  Ein  weiterer 
Nachteil    ist    die   spät   eintretende   Wirkung. 

Das  Mercksche  Digitoxin  zeigt  seine 
Wirksamkeit  nach  den  Tierversuchen  von 
Fränkel  (34)  selbst  bei  Injektion  toxischer 
bis  tödlicher  Gaben  erst  nach  24  Stunden, 
da  das  Mittel  erst  um  diese  Zeit  zu  den 
giftempfindlichen  Apparaten  des  Herzens  ge- 
langt, bei  subkutaner  Injektion  (35,  36) 
treten  aseptische  Eiterungen  auf.  Das  Digi- 
talinum  verum  Schmiedebergs  eignet  sich 
nach  den  Untersuchungen  D  euch  er  s  (37) 
ebenfalls  wegen  der  starken  Schmerzen  und 
der  von  Fieber  begleiteten  Entzündung  nicht 
zur  subkutanen  Injektion.  Der  Wert  des 
Digitalin  ist  überhaupt  sehr  strittig.  Im 
Tierversuch  zeigt  es  allerdings  kumulative 
Digitaliswirkung,  und  werden  von  Pf  äff  (38), 
Jaquet  und  Stoitscheff  (zitiert  nach 
K ottmann)  gute  Erfolge  berichtet.  Dagegen 
sah  jedoch  Klingenberg  (39)  keine  Erfolge, 
ebenso  D euch  er.  Gerühmt  wird  es  von 
Allard  (40),  welcher  jedoch  ziemlich  starke 
Vergiftungserscheinungen  auftreten  sah. 

Die  günstigsten  Erfolge  mit  neueren  Er- 
satzmitteln der  Digitalis  werden  über  das 
von  der  Firma  Hoff  mann  La  Roche  nach 
Angabe  von  Cloetta  dargestellte  und  „Di- 
galen"  genannte  Präparat  berichtet.  Das 
Urteil  sämtlicher  Autoren  ist  einstimmig  ein 
gutes,  und  in  den  bisher  veröffentlichten 
Publikationen  werden  nirgends  irgend  welche 
schädliche  Nebenwirkungen  erwähnt. 

Über  das  Mittel  berichtet  Cloetta  in  der 
Münchener  med.  Wochenschrift  1904  No.  33. 
Er  hält  es  für  amorphes  Digitoxin  und 
teilt  seine  chemische  Zusammensetzung  mit. 
Es  liegt  in  der  kurzen  Zeit  bereits  eine 
große  Menge  von  Publikationen  vor.  Das 
Mittel  scheint  in  der  Tat  allen  Anforderungen, 
welche  man  an  das  Digitalispräparat  stellen 
kann,  zu  entsprechen.  Es  zeigt  stets  gleich- 
mäßigen Gehalt  an  wirksamen  Substanzen 
und  läßt  sich  sowohl  per  Os  als  auch  subkutan 
und  intravenös  geben,   worin    ein  besonderer 


608 


Freund,   Moderne  Digitalis-Präparate. 


fTherapetitiflch* 
L   Monatshefte. 


Vorzug  vor  allen  bisher  in  den  Handel  ge- 
brachten Präparaten  besteht.  Das  Präparat 
hat  sich  dadurch  auch  sehr  schnell  in  die 
Praxis  eingeführt.  Es  wurde  zum  erstenmal 
in  der  Sitzung  des  Unter elsässischen  Ärzte- 
vereins im  Juni  1904  von  Naunyn  empfohlen, 
der  hier  seine  Erfahrung  dahin  formuliert, 
daß  die  Wirkung  rascher  sei  als  die  des 
Digitalisinfuses,  indem  sie  nach  den  Gaben 
von  1  ccm  3  mal  täglich  binnen  24  Stunden 
einträte  und  sich  durch  gesteigerte  Diurese 
kennzeichne.  Naunyn  hebt  die  Bedeutung 
dieser  schnellen  Wirkung  für  akute  Herz- 
schwäche hervor. 

Als  wesentlicher  Vorteil  wird  in  den  ver- 
schiedenen Arbeiten  hervorgehoben,  daß  das 
Bigalen  nicht  kumulativ  wirkt.  An  experi- 
mentellen Untersuchungen  über  das  Digalen 
liegt  außer  meinen  Versuchen  am  Frosch- 
herzen, welche  die  ausgesprochene  Digitalis- 
wirkung  des  Präparats  nachweisen,  die  aus- 
führliche Arbeit  von  Sasacki  (45)  vor,  der 
zu  dem  Resultate  kam,  daß  das  Digalen  sich 
durchaus  in  analoger  Weise  wie  ein  Infus 
von  Digitalisblättern  in  seiner  Einwirkung 
auf  das  Froschherz  verhält.  Ebenso  ist 
die  toxikologische  Wirkung  beider  Präparate 
sehr  ähnlich,  so  daß  Digalen  auf  das 
Froschherz  im  wesentlichen  die  Wirkung 
des  Digitalisinfuses  zeigt.  Sasacki:  „Be- 
sonders betont  zu  werden  verdient  viel- 
leicht noch  die  Tatsache,  daß  arhythmische 
Störungen  in  der  Regel  nur  in  dem  aller- 
letzten Stadium  der  Digalenvergiftung  auf- 
treten und  auch  hier  nie  größere  Grade  er- 
reichen. u 

Auf  Grund  der  klinischen  Beobachtungen 
kommt  Hochheim  zu  folgendem  Resultat: 
„Dasselbe  erhöht  den  Blutdruck  und  wirkt 
bei  Arhythmien  regulierend  auf  die  Herz- 
tätigkeit besonders  insofern,  als  es  die  Extra- 
systolen beseitigt  oder  wenigstens  ihre  Zahl 
wesentlich  vermindert.  Bei  hochgradiger  Be- 
schleunigung der  Herzaktion  setzt  es  die  Zahl 
der  Kontraktionen  herab.  Bei  Stauungszu- 
ständen,  die  auf  Kompensationsstörungen  be- 
ruhen, wirkt  Digalen  stark  diuretisch.  Die 
starke  Diurese  zeigt  sich  meist  zuerst  in  der 
Zeit  vom  zweiten  zum  dritten  Behandlungs- 
tage mit  Digalen,  und  nach  dem  Aussetzen 
des  Mittels  pflegt  mehrere  Tage  noch  die 
Menge  des  in  24  Stunden  ausgeschiedenen 
Urins  größer  als  normal  zu  sein.  Hand  in 
Hand  mit  der  Diurese  geht  das  Schwinden 
der  Stauungserscheinungen. " 

Wenn  Hochheim  das  Mittel  dem  früher 
von  Unverricht  empfohlenen  Digitoxin 
gleichwertig  erachtet,  so  lassen  sich  dagegen 
doch  verschiedene  Einwände  erheben.  Zu- 
nächst  der,    daß   nach    dem  Digalen   niemals 


Erbrechen  eintrat,  was  nach  dem  Digitoxin, 
nach  der  Arbeit  Wen tzel  8  in  2  Fällen  selbst 
bei  Applikation  vom  Rectum  aus,  eintrat. 

Diese  unangenehme  Nebenwirkung  de» 
Digitoxins  kann  durch  das  Digalen  umgangen 
werden,  indem  hier  die  Möglichkeit  vorliegt, 
das  Mittel  intravenös  anzuwenden.  Das  ist 
aus  zwei  Gründen  wichtig:  Abgesehen  davon r 
daß  das  Digitoxin  Erbrechen  vom  Darm- 
kanal auslösen  kann,  ist  durch  Deucher  (41) 
nachgewiesen,  daß  die  Magenverdauung  die 
Digitalispräparate  schädigen  kann.  Es  mag 
zum  Teil  auf  dieser  Abschwächung  durch 
die  Magensäfte  die  verschiedene  Wirksamkeit 
der  Digitalisinfuse  beruhen  und  nicht  auf 
ihrem  verschiedenen  Gehalt  an  wirksamen 
Bestandteilen. 

Alle  diese  Schwierigkeiten  werden  durch 
die  intravenöse  Anwendung  umgangen,  jeden- 
falls ist  diese  Tatsache  ein  Moment,  welches 
die  ganze  Frage  erschwert.  Es  sind  deshalb 
die  von  Kottmann  angestellten  Versuche 
mit  intravenösen  Injektionen  besonders  be- 
merkenswert. Während  bisher  angenommen 
wurde,  daß  bei  Einführung  größerer  Mengen 
Digitalispräparate  in  die  Blutbahn  sehr  leicht 
die  Giftwirkung  einträte,  und  diastolischer 
Herzstillstand  bewirkt  werde,  so  daß  der 
Tod  unter  der  Erscheinung  einer  plötzlichen 
Herzlähmung,  Dyspnoe  und  Konvulsion  ein- 
träte (42),  hat  Kottmann  (43)  bewiesen, 
daß  sich  das  Cloettasche  Digalen  sehr  wohl 
intravenös  injizieren  läßt.  Ich  gebe  hier  die 
Technik  des  Verfahrens  nach  den  Angaben 
K ottmanns  an,  da  sie  allgemein  verbreitet 
zu  werden  verdient,  ihrer  unmittelbaren  Wir- 
kung wegen. 

„Die  Technik  der  Injektion  ist  bei  Übung 
nicht  schwierig.  Am  besten  eignet  sich  eine 
Platiniridiumnadel  und  eine  gläserne  Spritze 
zum  Auskochen.  Die  Injektion  geschieht 
am  besten  in  der  Ellenbogenbeuge,  nachdem 
man  die  Vene  durch  Anlegung  eines  Gummi- 
schlauches am  Oberarm  gestaut  hat.  Bei 
Übung  gelingt  die  intravenöse  Injektion  auch 
bei  Patienten,  deren  Venen  kaum  sichtbar 
sind.  Selbst  bei  starkem  Armödem  gelang 
mir  die  Injektion  in  die  Vena  mediana  oder 
eine  andere  Armvene  fast  immer.  Ein  ein- 
ziges Mal  war  ich  genötigt,  in  die  Vena 
jugularis  zu  injizieren. tt 

„Um  ein  Ausweichen  der  Vene  zu  ver- 
meiden, fixiert  man  die  Vene  mit  der  einen 
Hand,  während  man  mit  der  anderen  in- 
jiziert. a 

„Sobald  die  Spitze  im  Venenlumen  ist, 
tritt  gewöhnlich  sofort  eine  Blutsäule  in  die 
Spritze.  Sonst  aspiriert  man,  um  sicher  zu 
sein,  in  den  Venen  zu  sein.  Dann  löst  man 
die  Ligatur  und  injiziert  ganz  langsam. tt 


XIX.  Jahrgang.  ~| 
Deawmber  1906.) 


Freund,   Modarne  Digital!»- Priparmte- 


609 


Die  intravenös  zur  Anwendung  kommende 
Dosis  beträgt  beim  Digalen  3 — 10  ccm.  Die 
Dosis  ist  also  bedeutend  großer  als  die  bei 
subkutaner  Anwendung  oder  per  os  gegebene. 
Es  mag  dies  paradox  erscheinen,  K ottmann 
fuhrt  es  auf  die  schnelle  Ausscheidung  durch 
die  Nieren  zurück,  welche  bisher  allerdings 
noch  nicht  experimentell  nachgewiesen  ist. 
Die  Wirkung  bei  intravenösen  Injektionen 
tritt  nach  2 — S  Minuten  ein  und  äußert  sich 
in  mäßiger  Blutdrucksteigerung,  die  zirka 
24  Stunden  anhält.  Die  Pulsfrequenz  wird 
hierbei  meistens  nicht  beeinflußt. 

Wird  auch  die  intravenöse  Injektion  nicht 
für  alle  Fälle  von  Herzschwäche  Anwendung 
finden,  so  eignet  sie  sich  doch  da,  wo  schnelle 
Hilfe  nötig  ist,  z.  B.  beim  Asthma  cardiale, 
bei  dem  unsere  bisherigen  Mittel  versagten, 
weil  ihre  Wirkung  nicht  schnell  genug  auf- 
trat. 

Der  K  o  ttmann  sehe  Fall  18,  ein 
Asthma  cardiale  und  Myodegeneration  des 
Herzens,  beweist,  daß  sich  ein  derartiger 
Anfall  durch  schnelle  Diagaleninjektion  kou- 
pieren  läßt. 

Ebenso  habe  ich  noch  nie  einen  Anfall 
akuter  Herzdehnung  so  schnell  vorübergehen 
sehen  wie  bei  Digalen,  intravenös  gegeben 
(s.  unten). 

Hervorzuheben  ist  noch,  daß  die  Injek- 
tion absolut  schmerzlos  ist  und  bloß  einmal 
alle  24  Stunden  angewandt  zu  werden  braucht. 
Kottmann  hebt  hervor,  daß  die  Herz  Wan- 
dung bei  den  intravenösen  Injektionen  stets 
günstig  beeinflußt  wird,  daß  auch  keine 
Symptome  auftreten,  *  die  auf  mangelhafte 
Gehirnzirkulation  schließen  lassen,  wie  man 
sie  nach  den  experimentellen  Untersuchungen 
über  Injektion  mit  kristallisiertem  Digitoxin 
hätte  erwarten  müssen. 

Ich  möchte,  bevor  ich  die  bisherigen 
Veröffentlichungen  über  Digalen  bespreche, 
noch  einige  Krankengeschichten  anführen, 
welche  eine  Anwendung  des  Digalens  in 
Fällen  betreffen,  wie  sie  bisher  noch  nicht 
veröffentlicht  sind. 

Fall  i.  Herzschwäche  nach  Chloroformnarkose. 
Frau  N.,  53  Jahre  alt.  Pat.  will  stets  schwach 
und  herzleideud  gewesen  sein,  litt  viel  an  Blutungen. 
Sie  wurde  am  25.  II.  05  wegen  der  Blutungen  total 
exstirpiert.  Am  Herzen  bestanden  damals  eine  maßige 
Vergrößerung  und  systolische  Geräusche.  Pat.  ver- 
trug die  Chloroformnarkose  gut,  jedoch  traten  3  Tage 
nach  der  Operation  Kurzatmigkeit,  Husten  und 
Beklemmungsgefühl  auf.  Puls:  Unregelmäßig,  76. 
Atmung:  40.  In  den  abhängigen  Partien  der  Lunge 
vereinzelte  Rasselgeräusche.  Pat.  erhielt  3  mal  tägl. 
1  ccm  Digalen,  nach  24  Stunden  schwanden  die 
Beschwerden.  Seitdem  keine  Beschwerden  von 
Seiten  des  Herzens  mehr  aufgetreten.  Die  Medi- 
kation wurde  3  Tage  fortgesetzt. 


Fall 2.  Akute  Herzdehnung  infolge  Überanstrengung* 
Herr  X.,  37  Jahre  alt.  Pat.  will  stets  gesund 
gewesen  sein.  Hat  von  Jugend  auf  viel  Sport  ge- 
trieben und  gehört  verschiedenen  Sportvereinen  an. 
Er  ist  Meisterfahrer  der  hiesigen  Provinz,  Meister- 
schlittschuhläufer  und  einer  der  besten  Schwimmer 
und  Taucher.  Seit  einigen  Wochen  trainiert  er 
sich  für  das  Wettschwimmen,  das  am  20.  VIII. 
stattfinden  sollte.  Er  hat  dabei  8  Pfd.  abgenommen 
und  fuhr  gleichzeitig  anstrengend  Rad,  alles  neben 
seiner  geschäftlichen  Tätigkeit.  Um  sich  noch 
weiter  zu  stärken,  nahm  er  am  16.  VIII.  Anwärmen 
im  Lichtkasten  2  Min.  mit  nachträglicher  kalter 
Dusche.  Es  traten  Schmerzen  im  Rücken  auf,  und 
Pat.  schlief  die  Nacht  schlecht.  Da  er  das  Miß- 
behagen auf  Erkältung  zurückführte,  nahm  er 
17.  VIII.  nochmals  Anwärmen  im  Lichtkasten,  je- 
doch 8  Min.  mit  nachträglicher  Dusche.  Es  traten 
heftige  Schmerzen  in  der  Brust  auf,  und  Pat.  konnte 
nur  mit  Mühe  auf  dem  Rade  fahren,  das  er  zu 
seinem  Weg  benutzte.  Die  am  Abend  6  Uhr  vor- 
genommene Untersuchung  ergab  folgendes:  Sehr 
blasses  Aussehen,  guter  Ernährungszustand,  gut 
entwickelte  Muskulatur. 

Cor.:  Zweifiugerbreit  rechts  vom  Sternum  bis 
einfiogerbreit  außerhalb  der  linken  M.-L.-Töne  rein, 
leicht.  Puls:  Weich,  klein,  leicht  zu  unterdrücken, 
56.  Blutdruck  nach  Basch:  12.  (Bei  Mitteilung 
des  Befundes  gibt  Pat.  an,  das  Herz,  welches  er 
jedes  Jahr  habe  untersuchen  lassen,  sei  stets  nor- 
mal befunden  worden.)  Sonstige  Untersuchung 
ergibt  keine  Besonderheiten.  Pat.  erhielt  dreimal 
täglich  Digalen.  Das  Orthodiagramm  ergibt  fol- 
gende Maße:  Vor  der  Behandlung:  Medianabstand 
rechts  4,0,  links  12.  Größter  Querdurchmesser  12, 
größter  Längsdurchmesser  17.  Oberfläche  165  qcm. 
Am  4.  Tage  der  Behandlung  hatten  sich  alle  Er- 
scheinungen zurückgebildet.  Orthodiagramm:  Me- 
dianabstand: Rechts  3,1»  links  10,2.  Größter  Quer- 
durchmesser 9,3,  größter  Längsdurchmesser  14,3. 
Oberfläche :  104  qcm. 

Fall  3,   Akute  Herzdehnung  infolge  Überanstrengung. 

Herr  R.,  32  Jahre  alt.  Pat.  kommt  um  5!/2  Uhr 
in  hochgradiger  Angst  und  dyspnoisch  an.  Über 
die  Entstehung  seines  Leidens  macht  er  folgende 
Angaben.  Er  will  nie  krank  gewesen  sein,  doch 
bereits  einen  derartigen  Anfall  von  Kurzatmigkeit, 
Beklemmung  und  starkem  Herzklopfen  vor  ca. 
5  Wochen  nach  einem  Seebade  gehabt  haben. 
Letzte  Nacht  hat  Pat.  «viel  Kaffee  und  Kognak  ge- 
trunken. Es  traten  gegen  Morgen  heftige  Schmerzen 
in  der  Herzgegend  ein,  die  zunächst  etwas  nach- 
ließen, jedoch  im  Laufe  des  Tages,  wie  Pat.  sich 
bewegte,  stärker  wurden,  so  daß  er  gegen  1  Uhr 
sich  legen  mußte.  Da  die  Schmerzen  nicht  auf- 
hörten, suchte  er  mich  auf. 

Puls:  124,  klein,  kaum  zu  fühlen,  weich,  regel- 
mäßig. Blutdruck  nach  Basch:  10.  Cor.:  Zwei- 
fingerbreit außerhalb  der  rechten  M.-L.  bis  an- 
derthalbfingerbreit außerhalb  der  linken  M.-L.  3 
bis  7.  Rippe.  120  Puls  am  Herzen,  Töne  rein, 
leise.  Atmung:  25,  keine  cyanotische  Färbung. 
Lungen:  Frei. 

Die  intravenöse  Digaleninjektion  wurde  in  der 
von  Kottmann  angegebenen  Weise  vorgenommen. 
625  Uhr  wurde  injiziert.  Bereits  nach  5  Sek.  machte 
sich  die  Digitaliswirkung  geltend.  Der  anwesende 
Kollege  zählte  am  Puls  ein  Heruntergehen  von  120 
auf  zunächst  76,  später  (nach  1  Min.)  68  Schläge. 
Gleichzeitig  wurde  der  Puls  voll  und  kräftig.  Be- 
schwerden traten  nicht  auf.  Um  7  Uhr  war  der 
Puls  noch  68.  Um  8  Uhr  72  Schläge,  voll,  regel-  . 
mäßig.     Herzgrenze  um  ca.  2  cm  im  Umkreis  ver- 


610 


Pr«und,  Modern«  Digitalis-Präparate. 


lodert  (Leider  war  es  unmöglich,  eine  ortho- 
diagraphische  Aufnahme  vorzunehmen,  da  Pat.  zu 
angegriffen  war.) 

2  Tage  später:  Puls  regelmäßig,  72.  Keine 
Beschwerden,  nach  Hause  entlassen. 

Die  übrigen  Fälle,  in  denen  ich  Digalen 
gegeben  habe,  waren: 
4  Fälle  chron.  Myokarditis,  in  denen  ich  das 

Digalen  mit  gutem  Erfolge   in  der  von 

Kußmaul     und    Grödel    empfohlenen 

Art  nehmen  ließ. 
2  Fälle  von  Mitralinsuffizienz,   bei  einem  mit 

bereits  hochgradigem  Hydrops. 

1  Fall  von  Pleuritis  mit  Herzschwäche. 

Die  Mittel  wurden  stets  gut  vertragen 
und  zeitigten  den  gewünschten  Erfolg. 

Um  zeigen  zu  können,  daß  das  Digalen 
sich  bei  allen  den  Fällen  bewährt  hat,  bei 
denen  ein  Digitalispräparat  therapeutisch  an- 
gezeigt schien,  gebe  ich  eine  Übersicht  über 
die  .bisher  veröffentlichten  Krankengeschichten, 
die  ich  selbst  um  10  Fälle  vermehre. 

Fassen  wir  noch  zum  Schluß  die  Vor- 
teile zusammen,  welche  das  Digalen  vor 
allen  bisherigen  Mitteln  bietet,  so  ist  es, 
und  darin  betrachte  ich  seinen  Hauptvorzug 
vor  allen  übrigen,  das  einzige  Mittel,  das 
sich  nach  den  vorliegenden  Untersuchungen 
intravenös  geben  läßt  und  hierdurch  eine 
fast  sofortige  Injektion  ermöglicht,  eine  'Wir- 
kung, die  bei  subkutaner  Injektion  mindestens 

2  Stunden,  bei  anderer  Medikation  12  bis 
24  Stunden  auf  sich  warten  läßt. 

Derartige  schnelle  Wirkungen  waren  mit 
allen  anderen  Präparaten  bisher  nicht  zu 
erreichen.  Ein  weiterer  Yorteil  ist  das  Aus- 
bleiben von  Intoxikationserscheinungen.  Die 
einfache  Technik  der  intravenösen  Injektion 
des  Mittels  wird  sich  sehr  bald  allgemeinen 
Eingang  verschaffen,  da  bisher  kein  Mittel 
die  Erscheinungen  bei  akuten  Herzschwäche- 
anfallen so  schnell  beseitigen  kann  wie  das 
Digalen,  intravenös  gegeben.  Bei  Medikation 
per  os  ist  sicher  dieses  oder  jenes  Präparat 
dem  Digalen  gleichwertig  und  möge  viel- 
leicht der  Billigkeit  wegen  vorgezogen  werden, 
doch  hat  man  in  keinem  derselben  ein 
Mittel  zur  Hand,  das  so  rasch  seine  segens- 
reichen Wirkungen  entfalten  kann  wie  das 
Digalen.  Es  ist  ja  nicht  unmöglich,  daß  die 
kommenden  Jahre  uns  noch  andere  Mittel 
an  die  Hand  geben,  welche  ähnlich  günstige 
Wirkungen  zeigen,  zumal  immer  neue  Körper 
gefunden  werden,  die  in  die  Digitalisgruppe 
hineingehören1).  Alle  diese  Körper  kennen 
wir  jedoch  noch  so  wenig,  daß  ihre  Anwen- 

l)  So  kürzlich  wieder  von  Schi  agenhaufer 
und  Reeb  das-  Erysimum  anreum.  Comp.  rend. 
131,  p.  753. 


f  Therapeutisch« 


dung  am  Krankenbette  noch  kaum  in  Frage 
kommt.  Vielleicht  zeigt  das  eine  oder  das 
andere  günstigere  Wirkungen  als  die  bisher 
bekannten  Präparate. 


Digalen 
wurde  aIm  angewandt  bei 

i 

1 

< 

ron 

Chron.  Myokarditis 

u 

Hochheim  5,  Naunyn  1, 
Kolleck  1,  Kottmann  1, 
Freund  4. 

Mitralinsuffizienz 

7 

Hochheim  1,  Bibergeil  1, 
Kolleck  1,  Kottmann  2, 
Freund  2. 

Insuffizienz  der  Aorten- 
klappen 

2 

Kolleck  1,  Bibergeil  1. 

Herzschwäche  bei  Pneu- 
monie 

5 

Kolleck  1,  Winckel- 
mann  3,  Kottmann  1. 

Mitralstenose 

3 

Walti  1,  Kottmann  2. 

Aorten-  und  Mitral- 
insuffizienz 

2 

Waiti  1,  Hochheim  1. 

Mitralinsuffizienz, 
Pleuritis  u.  Tuberkulose 

1 

Bibergeil. 

Endokarditis 
bei  Gelenkrheumatismus 

1 

Bibergeil. 

Plötzlich.  Herzschwäche 

1 

Bibergeil. 

Herzschwäche 
bei  Pleuritis 

3 

Bibergeil  1,  Kottmann  1, 
Freund  1. 

Mitralstenose 
und  Myokarditis 

1 

Bibergeil. 

Nephrit,  parenchymatosa 

1 

Bibergeil. 

Arteriosklerose 

2 

Hochheiml,Kottmannl . 

Paroxysmale  Tachy- 
kardie 

1 

Hochheim. 

Lebercirrhose,  Aorten- 
insuffizienz 

{ 

Bibergeil. 

Morbus  Basedowii 

1 

Bibergeil. 

Akuter  -Herzdehnung 

2 

Freund  2. 

Akuter  Herzschwache 
nach  Chloroformnarkose 

1 

Freund. 

Emphysem  mit  Herz- 
schwäche 

1 

Kottmann. 

Empyem  mit  Herz- 
schwäche 

1 

Kottmann. 

In8ufficientia  Cordis 

2 

Kottmann. 

Nach  unserem  jetzigen  Stande  der  Digi- 
talisfrage glaube  ich  jedoch  nicht  zu  viel  zu 
sagen,  wenn  ich  das  Digalen  für  das  voll- 
kommenste Präparat  erkläre,  das  zurzeit 
existiert. 

Literatur. 

1.  Schmiedeberg:    Archiv    für   experimentelle 

Pathologie  HI,  1874,  Nr.  16,  „Untersuchung 
über  die  pharmakologischen  wirksamen  Be- 
standteile der  Digitalispräparate". 

2.  F  i  1  e  h  n  e :  Lehrbuch  der  Arzneimittellehre  and 

Arzneiverordnungslehre,  S.  174. 

3.  Brandenburg:    Zeitschrift  für  klinische  Me- 

dizin 1904,  Bd.  53. 


XIX.  Jahrgang.  1 


Freund,   Moderne  Digitalis-Präparate. 


611 


4.  Gottlieb    und    Magnus:     Allgemeine    Zeit- 

schrift für  Psychiatrie  und  gerichtliche  Me- 
dizin, Bd.  58,  Heft  6. 

5.  Gottlieb  and  Magnus:    Archiv  für  experi- 

mentelle Pathologie  und  Pharmakologie, 
Bd.  48,  3.  u.  4.  Heft,  „Ober  den  Einfluß 
der  Digitaliskörper  auf  die  Hirn  Zirkulation". 

6.  Tapp  ein  er:   Lehrbuch  der  Arzneimittellehre. 

7.  G.  Günther:  Therapeutische  Monatshefte  1905, 

„Zur  Kenntnis  der  Strophanthuswirkung". 

8.  Hofbauer:    Wiener   klinische   Wochenschrift 

1903,  Nr.  19,  „Über  den  Einfluß  der  Digitalis 
auf  die  Respiration". 

9.  Romberg:  Ebstein  und  Schwalbcs  Handbuch 

der  praktischen  Medizin. 

10.  J.  t.  Bauer:  E.  Penzoldt  und  Stinzings  Hand- 

buch. 

11.  Naunjn:    Therapeutische  Monatshefte  1900. 

12.  Siebert  und  Ziegenbein:  Berliner  klinische 

Wochenschrift  1903,  Nr.  35,  „Wertbestim- 
mung von  Digitalis  und  Strophanthus  durch 
Prüfung  am  Froschherzen a. 

13.  F ock  e :  Zeitschrift  für  klinische  Medizin,  Bd. 46, 

S.  377. 

14.  Siebert:    1.  c. 

15.  Ferrier:     Archiv    für   experimentelle    Patho- 

logie HI,  Nr.  16,  1874. 

16.  T  h.  v.  J  ü  r  g  e  n  s :  „  Erkrankungen  der  Kreislaufs- 

organe. Insuffizienz  (Schwäche)  des  Herzens," 
S.  205. 

17.  Th.  R.  Fräser:   „The  action  and  uses  of  Digi- 

talis and  its  Substitutes,  with  special  reference 
to  Strophantin."    Brit.  med.  Journ.  1878. 

18.  Kakowski:    Zitiert  nach  Schädel. 

19.  Schädel  (Nauheim):  „Zur  Strophanthus  frage8. 

1904. 

20.  R.    Freund:      Zeitschrift    für    experimentelle 

Pathologie  und  Therapie  1905,  „Über  Abys- 
sinin  und  sein  Vergleich  in  einigen  Digitalis- 
präparaten *. 

21.  Schulz:     Vierteljahreshefte    für     gerichtliche 

Medizin,  3.  Folge,  Bd.  21,  „Ein  weiterer 
Beitrag  zur  Strophanthin Wirkung". 

22.  August  Tb.  Zerner  jun.  und  A.  L.  Low: 

Wiener  medizinische  Wochenschrift  1878, 
„Über  den  therapeutischen  Wert  der  Prä- 
parate von  Strophanthus  Kombe". 

23.  Schädel  (Nauheim):  „Zur  Strophanthusfrage«. 

1904. 

24.  Kobert:   Pharmakotherapie,  S.  273. 

25.  Bosse:   Siehe  Zentralblatt  für  innere  Medizin 

1899,  Nr.  27. 

26.  Schwarzenbeck:     Zentralblatt    für    innere 

Medizin  1901,  Nr.  17. 

27.  Görges:     Münchener    medizinische   Wochen- 

schrift 1902,  S.  946. 

28.  Brondgest:    Zentralblatt  für  innere  Medizin 

1903,  Nr.  37. 

29.  Jeltner:    Münchener'  medizinische    Wochen- 

schrift 1900,  Nr.  26,  S.  825. 

30.  Döbert:     Berliner  Therapie   der   Gegenwart 

1904,  April,  „Klinische  Erfahrungen  über 
Digitalis-Di&lysat". 

81.   R.  Freund:   I.e.  s.  Lit.  20. 

32.  Mas  ins:    „Des   effects   therapeutiques   de   la 

digitoxine".    1894. 

33.  Wentzel:    Zentralblatt    für    innere    Medizin 

.1895,  Nr.  19,  „Über  die  therapeutische  Wirk- 
samkeit de 8  Digitoxins". 

84.  Frank el:  Archiv  der  experimentellen  Patho- 
logie und  Pharmakologie,  Bd.  51,  1903. 

35.  Koppe?  Archiv  für  experimentelle  Pathologie 
und  Pharmakologie,  Bd.  III,  1875. 

86.  Schmiedeberg:  Grundriß  der  Pharmakologie. 
1902. 

Th.M.1906. 


37 


38, 


D  euch  er:     Deutsches    Archiv    für    klinische 

Medizin  1896. 
Pf  äff:    Archiv  für   experimentelle   Pathologie 

und  Pharmakologie,  Bd.  32. 

39.  Klingenberg:     Archiv    für    experimentelle 

Pathologie  und  Pharmakologie,  Bd.  33. 

40.  Allard:     „Digitalinum    crystallisatum    Herz- 

tonicum.    Hygiea  1900. 

41.  Deucher:     Deutsches    Archiv    für    klinische- 

Medizin  1897. 

42.  Filehne:    Arzneimittellehre,  1896,  S.  174. 

43.  Kottmann:    Zeitschrift  für  klinische  Medizin, 

S.  147. 

44.  Wolff:    „Über  die    physiologische  Dosierung 

von  Digitalispräparaten". 

45.  Sasacki:     Berliner    klinische    Wochenschrift 

1905,  Nr.  26. 


Über  die  therapeutische  Wirkung  de» 
Styracols. 

Von 
Dr.  Hellmuth  Ulrici, 

Hausarzt  an  der  Heilanstalt  Reiboldagrfln  i.  V. 

1830  ist  das  Kreosot  von  Reichenbach 
zur  Behandlung  der  Lungenschwindsucht 
empfohlen  worden,  um  dann  Jahrzehnte  lang 
der  Vergessenheit  anheimzufallen.  Seit  es 
von  Bouchard  (l),  Curschmann  (2)r 
Fraentzel  (3),  Sommerbrodt  (4)  u.  s.  w* 
dieser  Vergessenheit  wieder  entrissen  wurde, 
tobt  ein  nun  fast  30 jähriger  Krieg  um  seinen 
Wert  oder  Unwert.  Es  muß  heute,  wo  die 
Literatur  über  Kreosot  und  seine  Derivate 
schier  ins  Unermeßliche  gewachsen  ist,  fast 
als  ein  Wagnis  erscheinen,  mit  Beobachtungen 
über  eine  kleinere  Zahl  von  Fällen,  die  mit 
einem  Kreosotpräparat  behandelt  wurden,, 
hervorzutreten.  „Es  ist  .  .  .  keine  leichte 
Sache,  zuverlässige  Beobachtungen,  die  ein 
Urteil  über  die  Nützlichkeit  oder  Nutzlosig- 
keit eines  Arzneistoffes  der  Tuberkulose 
gegenüber  gestatten,  in  genügender  Anzahl 
zu  sammeln,"  sagt  Nolen  (5)  ganz  mit 
Recht.  £s  soll  denn  mit  den  folgenden 
Zeilen  auch  keineswegs  ein  Urteil  über  die 
Kreosottherapie  gefallt  sein.  Die  heute  in* 
früher  nicht  geahntem  Umfang  durchgeführte 
Heilstättenbehandlung  der  Tuberkulose  hat 
naturgemäß  die  medikamentöse  Therapie  in 
den  Hintergrund  gedrängt.  Die  Heilstätte 
wirkt  mit  so  mächtigen  Faktoren  auf  den 
Organismus  ein,  daß  sie  einer  Therapie 
füglich  entraten  kann,  die  eine  den  Organismus» 
im  Kampfe  gegen  die  Tuberkulose  unter- 
stützende Rolle  spielen  soll,  und  in  der  nur 
therapeutische  Enthusiasten  eine  spezifische 
Behandlung  erblicken.  Für  die  große  Schar 
der  Kranken,  die  nicht  oder  nicht  mehr  in 
der  Heilstätte  Behandlung  finden  können,  be- 
darf aber  der  Arzt,  zumal  wenn  er  kein 
Anhänger  der  ebenfalls  wieder  auferstandenen 

46 


612 


Ulrici,  Therapeutische  Wirkung  de*  Styracols. 


rherapenüaeht 
Monatshefte. 


Tuberkulinbehandlung  ist,  trotz  allem  solcher 
Medikamente,  die  tonisieren,  den  Appetit  an- 
regen, kurz  das  Allgemeinbefinden  heben. 
Solange  über  das  Kreosot  und  seine  Derivate 
das  letzte  Wort  noch  nicht  gesprochen  ist, 
und  solange  uns  kein  Ersatz  dafür  geboten 
ist,  der  mehr  leistet,  können  und  wollen 
wir  es  nicht  entbehren. 

In  seiner  ausführlichen,  zusammenfassenden 
Arbeit  über  die  Kreosottherapie  sagt  von  Weis- 
mayr  (6),  sich  den  Worten  Bern  heims  an- 
schließend: „Die  Wirkung  des  Kreosots  kann  im 
günstigsten  Falle  nur  eine  indirekte  sein,  sei  es,  daß 
die  vom  „Kreosotblut"  gespeisten  Gewebe  einen 
schlechten  Nährboden  für  die  Bazillen  abgeben, 
sei  es,  daß  die  Widerstandskraft  des  Organismus 
selbst  erhöht  wird.  Diese  dynamogene  Wirkung 
des  Kreosots  und  seiner  Derivate  ist  zweifellos." 
Zur  selben  Frage  äußert  sich  Nolen  (5)  in  einem 
größeren  Referat:  „so  hat  sich  doch  wohl  aus  den 
allerwärts  angestellten  überaus  zahlreichen  Beob- 
achtungen mit  Sicherheit  herausgestellt,  daß  in 
vielen  Fällen  von  Tuberkulose  dem  Mittel  eine 
günstige  Wirkung  nicht  abgesprochen  werden  kann." 

Unter  den  Guajacolpräparaten  verdient 
das  Styracoi,  das  schon  1891  von  Knoll 
und  Co.  in  Ludwigshafen  in  den  Handel  ge- 
bracht wurde,  aus  verschiedenen  Gründen 
unsere  besondere  Beachtung,  ohne  sie  bisher 
gefunden  zu  haben.  Von  Weismayr  erwähnt 
es  z.  B.  in  der  genannten  Arbeit  nur  ganz 
nebenbei,  Nolen  in  dem  zitierten  Referat 
überhaupt  nicht.  Styracoi  ist  der  Zimt- 
säureester des  Guajacols,  setzt  sich  also  aus 
zwei  Komponenten  zusammen,  die  beide  zur 
Behandlung  der  Tuberkulose  warm  empfohlen 
sind.  Auch  über  die  Zimtsäure  sind  die 
Akten  noch  nicht  geschlossen,  wenn  auch 
wohl  die  Theorie  der  reaktiven  Entzündung 
und  bindegewebigen  Umwandlung  des  Tuber- 
kels als  Folge  der  Zimtsäurebehandlung 
nur  noch  wenige  Anhänger  zählt.  Man  hat 
verschiedene»  Verbindungen  von  Kreosot  und 
Zimtsäure  dargestellt  und  zu  verwenden 
gesucht,  dabei  aber  mehr  Wert  auf  die 
Zimtsäure  und  die  Möglichkeit  der  sub- 
kutanen bezw.  intravenösen  Anwendung  ge- 
legt. Hetokresol  und  ähnliche  Verbindungen, 
auch  Styracoi,  eignen  sich  zu  dieser  Appli- 
kation allerdings  nicht,  weil  sie  zu  starke 
Reizungen  und  Entzündung  hervorrufen. 
(S.  Fränkel  (7)). 

Abgesehen  von  seiner  Zusammensetzung 
hat  Styracoi  weiter  bemerkenswerte  physio- 
logische Eigenschaften.  Es  ist  in  Wasser 
und  schwachen  Säuren  fast  unlöslich,  passiert 
also,  normale  Magenfunktion  vorausgesetzt, 
den  Magen,  ohne  ihn  zu  reizen  oder  zu  be- 
lästigen, und  wird  erst  im  alkalischen  Darm- 
saft gelöst.  Es  wird  ferner  nach  Versuchen  am 
Menschen  von  Knapp  und  Suter  (8)  am 
vollständigsten  von  den  bekannteren  Guajacol- 


ersatzmitteln  im  Darm  in  seine  Komponenten 
zerlegt  und  resorbiert. 

Nach  ihren  Analysen  erscheinen  beim  Duotal 
50  Proz.  des  eingegebenen  Guajacols  an  Äther- 
schwefelsäuren gebunden  im  Harn.  Nach  Thiocol- 
medikation  erscheint  die  Menge  der  Ätberschwefel- 
säuren  überhaupt  nicht  vermehrt;  Thiocol  spaltet 
auch,  im  Brutschrank  bei  alkalischer  Reaktion  der 
Einwirkung  von  Pankreasferment  und  Fäulnis- 
bakterien ausgesetzt,  kein  Guajacol  ab.  Aus  beiden 
Ergebnissen  schließen  die  Verfasser,  daß  Thiocol 
unverändert  den  Darm  passiert.  Das  Oreaon 
spaltet  im  Organismus  nur  sehr  wenig  freies 
Guajakol  ab;  im  Harn  erscheint  ein  Oxydations- 
produkt desselben  an  Atherschwefelsäure  gebunden. 
Ganz  anders  beim  Styracoi;  nach  den  Verfassern 
erscheinen  von  dem  „im  Styracoi  eingegebenen 
Gujacol  85,94  Proz.  an  Ätherschwefelsäure  gebunden 
im  Harn. 

Was  die  Anwendung  des  Styrakols  bei  Lungen- 
kranken betrifft,  so  ist  die  Literatur  hierüber  eine 
recht  bescheidene.  Engels  (9),  der  Styracoi  als 
Antidiarrhoicum  mit  gutem  Erfolg  anwendete,  er- 
wähnt nebenbei,  daß  „nach  seiner  Beobachtung 
auch  bei  Phthisikern  Husten  und  Auswurf  nach- 
ließen". Nacht  (10)  hat  eine  Zusammenstellung 
von  11  mit  Styracoi  behandelten  Fällen  von  Lungen- 
tuberkulose mit  und  ohne  Komplikationen  ver- 
öffentlicht. Er  beobachtete  „vor  allem  eine  Beein- 
flussung der  Symptome:  Fieber,  Husten,  gestörter 
Stoffwechsel".  Nachlaß  des  Hustens  und  Abnahme 
der  Sputummenge  sah  er  nach  Styracoi  prompter 
und  anhaltender  eintreten  als  bei  der  Anwendung 
anderer  Guajacolpräparate;  auch  eine  lösende, 
expektorationsbef ordernde  Wirkung  glaubt  er  bei  eini- 
gen Patienten  konstatieren  zu  können.  Er  glaubt 
„die  Hetolinjektionen  Landerers  durch  das  kom- 
binierte Zimt8äure-Guajacolpräparat  vollwertig  er- 
setzen zu  können",  und  meint,  daß  „sich  in  Jedem 
Falle  eine  Wirkung  auf  den  tuberkulösen  Prozeß 
nicht  bestreiten  läßt". 

Ich  habe  das  Styracoi  in  einigen  vierzig 
Fällen  von  Lungentuberkulose  jeden  Stadiums 
und  bei  Lungenkranken  mit  verschieden- 
artigen Darmaffektionen  angewendet  und 
möchte  über  die  Resultate  kurz  berichten. 
Es  handelt  sich  ausschließlich  um  Patienten 
der  Heilanstalt,  Kranke  also,  die  unter  den 
denkbar  günstigsten  hygienisch -diätetischen 
Verhältnissen  nur  ihrer  Kur  lebten.  Es 
konnte  mir  unter  diesen  Umständen  natür- 
lich nicht  beifallen,  eine  etwa  zu  kon- 
statierende Besserung  des  Lungenbefundes 
oder  der  verschiedenen  Symptome,  Husten, 
Auswurf,  Nachtschweiße  u.  s.  w.,  lediglich 
auf  das  Styracoi  zu  beziehen.  In  den  fol- 
genden Tabellen  I  und  II  habe  ich  aus 
meinem  Material  eine  Anzahl  der  präg- 
nanteren Fälle  zusammengestellt.  Um  die 
Übersicht  nicht  durch  eine  zu  große  Zahl 
von  Fällen  zu  erschweren,  habe  ich  Tor 
allem  solche  Fälle  weggelassen,  bei  denen 
man  zweifelhaft  sein  kann,  ob  der  Effekt 
wirklich  nur  dem  Styracoi  zu  danken  war. 
In  Tabelle  I  sind  solche  Fälle  von  Lungen- 
tuberkulose zusammengestellt,  die  nicht  mit 
Störungen  von  Seiten  des  Yerdauungstractus 


XIX.  Jahrgang.! 
Dezember  190S.J 


Ulrici,  Therapeutische  Wirkung  dea  Styracols. 


613 


Tabelle  I. 


Name,  Alter, 
Geschlecht  des 

Stadium  der 
Krankheit 

Kom- 
plikationen 

Datnm 

Bemerkungen 

Ge- 
wicht 

Ordination 

Patienten 

nach  Turban 

1.   H.  Z., 

I. 

früheres  Höchstgewicht 

? 

21.  J., 

4.  3.  05 

Tag  der  Aufnahme 

58,4 

m&Dnl. 

24.  3.  05 

— 

62,2 

1.  4.  05 

Appetit  geringer 

62,2 

Styr.  3  m. 
tgl.  1,0 

22+  4.  05 

Appetit  gut 

63,8 

2.    0.  D., 

I. 



früheres  Höchstgewicht 

67,0 

24  J., 

24.  3.  05 

Tag  der  Aufnahme 

Gefühl  des  Vollseins  nach  dem  Essen 

67,0 

männl. 

1.  4.  05 

67,5 

Styr. 

22.  4.  05 

nie  Verdauungsbeschwerden 

70,4 

3.    H.  S., 

L— II. 

— 

früheres  Höchstgewicht 

90,0 

40  J., 

2.  5.  05 

Tag  der  Aufnahme 

83,4 

männl. 

ß,  5.  05 
13.  5.  05 



83,1 
83,6 

Styr. 

4.    KP., 

I. 

— 

früheres  Höchstgewicht 

52,0 

30  J., 

IL  4.  05 

Tag  der  Aufnahme 

61,3 

männl. 

3.  5.  05 
12.  5.  05 

Appetit  gering 
unverändert 

52,0 
52,0 

Styr. 

5.    M.M., 

I.-ll. 

_ 

früheres  Höchstgewicht 

? 

21  J., 

6.  4.  05 

Tag  der  Aufnahme 

61,7 

mann). 

27.  4.  05 
14.  5.  05 

— 

61,6 
62,3 

Styr. 

6.    R.  G., 

1. 



früheres  Höchstgewicht 

64,0 

29  J., 

31.12.04 

Tag  der  Aufnahme 

57,2 

männl. 

18,  2.  05 

Gewicht  seit  Wochen  kaum  gestiegen 

60,2 

25.  2.  05 

— 

59,4 

Styr. 

4.  3.  05 



59,4 

Eisen 

29.  3.  05 

— 

59,6 

7.   A.  S., 

u.— m. 



früheres  Höchstgewicht 

58,0 

21J., 

29,1.05 

Tag  der  Aufnahme 

55,9 

männl. 

4.  3.  05 

— 

59,8 

8.  4.  05 

Appetit  geringer 

59,0 

Styr. 

22.  4.  05 

— 

59,2 

8.    E.U., 

ÖL 



früheres  Höchstgewicht 

72,0 

34  J., 

25.  4.  05 

Tag  der  Aufnahme 

71,4 

männl. 

3.  5.  05 
13.  5.  05 

— 

71,2 
74,1 

Styr. 

9.    A.  G., 

IL-LLL 



früheres  Höchstgewicht 

72,0 

43  J., 

1.5.05 

Tag  der  Aufnahme 

70,6 

männl. 

li.  5.  05 
13.  5.  05 

— 

70,7  • 
71,8 

Styr. 

10.    A.  H., 

II. — III. 



früheres  Höchstgewicht 

72,0 

31J., 

23, 1.  05 

Tag  der  Aufnahme 

66,4 

männl. 

3.4.05 

Appetit  seit  Wochen  schlecht 

67,7 

Eisen 

24.4.05 

unverändert 

68,1 

Styr. 

1.5.05 

desgl. 

68,0 

11.    J.  P., 

End8tadium 

hohes 

früheres  Höchstgewicht 

42,0 

17  J., 

Fieber 

12. 10. 04 

Tag  der  Aufnahme 

38,2 

weibl. 

8. 12.  04 

Fieber  nicht  über  37,6.    Appetit  schlecht 
Appetit    nicht    besser.      Gibt    an,    nach 

S"8 

Styr. 

12. 12. 04 

36,8 

Styracol   Aufstoßen   und   Erbrechen 

zu  bekommen 

12.   L.  K., 

III.  schwer 

Fieber, 

früheres  Höchstgewicht 

55,0 

41.  J., 

schwere 

19. 11. 04 

Tag  der  Aufnahme 

53,3 

weibl. 

Larynx- 

30.11.04 

Temperatur  fast  normal.  Appetit  schlecht 

52,9 

Styr. 

tuberk. 

15. 12. 04 
28.  2.  05 

Appetit  immer  gut 

56,6 
58,3 

13.   R.  v.S. 

III.  schwer 

leichtes 

früheres  Höchstgewicht 

65,0 

40  J., 

Fieber 

19.  7.  04 

Tag  der  Aufnahme 

62,9 

weibl. 

31. 10. 04 
9.1.05 

seit  Monaten  kein  Fieber 
öfter  Fieber  bis  37,6 

65,9 
53,3 

16. 1.  05 

unverändert 

53,3 

Styr. 

28. 1.  05 

gibt  an,  nach  Styracol  viel  mehr  zu  husten 

53,6 

46* 


614 


Ulrici,  Therapeutische  Wirkung  dea  Styracolt. 


L    Monatsheft*, 


kompliziert  waren.  leb  suchte  bei  diesen 
Fällen  nur  festzustellen,  ob  sich  eine  Ein- 
wirkung des  Styracols  auf  Appetit  und  All- 
gemeinbefinden konstatieren  ließ;  als  Maßstab 
hierfür  gebe  ich  mangels  anderer  Anhalts- 
punkte nur  die  Körpergewichtszahlen.  Miß- 
erfolge konnten  um  so  weniger  ausbleiben, 
als  ich  mit  dem  Styracol  eine  Wirkung  meist 
dann  zu  erreichen  suchte,  wenn  diese  durch 
die  Anstaltskur  an  sich  nicht  erzielt  wurde. 
Ich  bin  auch,  wie  schon  erwähnt,  nicht  ganz 
sicher,  ob  alle  scheinbaren  Erfolge  wirklich 
auf  das  Styracol  zu  beziehen  sind,  und  bin 
mir  wohl  bewußt,  daß  kaum  etwas  schwerer 
zu  beurteilen  ist  als  der  therapeutische 
Effekt  eines  Mittels  nicht  auf  ein  bestimmtes 
Symptom,  sondern  auf  das  Allgemeinbefinden. 
Zur  Orientierung  über  die  Ausdehnung  des 
Erankheitsprozesses  auf  den  Lungen  ist  die 
Einteilung  in  Stadien  nach  Turban  gewählt. 
Ich  gab  in  diesen  Fällen  durchweg  3  mal 
täglich  1,0  Styracol  in  Tabletten,  die  übrigens 
gekaut  werden  müssen.  Styracol  hat  nur 
geringen  und  nicht  unangenehmen  Geruch 
und  Geschmack  und  wird  stets  gern  und 
ohne  Beschwerden  genommen. 

Fall  1 —  6  der  Tabelle  I  sind  initiale  Lungen- 
tuberkulosen. Bei  Fall  4,  der  nur  9  Tage  Styracol 
bekam,  fehlt  jeder  Effekt,  ebenso  bei  Fall  6,  der 
7  Tage  Styracol  bekam;  der  letztere  Patient  bekam 
anschließend  wochenlang  Eisen,  ebenfalls  ohne  jeden 
Erfolg.  Fall  1  (3  Wochen  Styracol,  Besserung  des 
Appetits)  und  Fall  2  (3  Wochen  Styracol,  Beseiti- 
gung kleiner  Verdauungsbeschwerden)  scheinen 
gunstig  beeinflußt  zu  sein.  Bei  Fall  5  und  7  hat 
erst  mit  der  Styracolmedikation  die  Zunahme  be- 
gonnen. 

Fall  7—10  sind  mittelschwere  Falle.  Fall  7 
(14  Tage  Styracol)  erscheint  kaum  beeinflußt,  ebenso- 
wenig Fall  10  (7  Tage  Styracol);  der  Patient  No.  10 
hatte  vorher  3  Wochen  Eisen  ohne  nennenswerten 
Erfolg  .bekommen.  Bei  Fall  8  (10  Tage  Styracol) 
und  9#(7  Tage  Styracol)  hat  die  Zunahme,  die  bei 
ersterem  recht  beträchtlich  ist,  erst  auf  die  Styracol- 
medikation hin  begonnen. 

Fall  11 — 13  endlich  sind  ganz  schwere  Fälle. 
Fei  Fall  11  (Endstadium,  Fieber)  schien  der  Magen 
das  Styracol  zu  refüsieren;  es  wäre  unrecht,  dies 
dem  Styracol  zur  Last  zu  legen,  da  auch  die 
Nahrungsaufnahme  fast  ganz  verweigert  wurde,  und 
die  Magenfunktion  augenscheinlich  schwer  irritiert 
war.  Bei  Fall  13  (schwere  Pharyngitis,  Bronchitis) 
schien  sich  ein  Einfluß  auf  die  Expektoration  geltend 
zu  machen.  Nur  Fall  12  verlief  über  alles  Er- 
warten günstig:  wahrend  der  Styracolmedikation 
(15  Tage)  3,7  kg  Zunahme,  weiter  in  fast  11  Wochen 
nur  1,7  kg. 

Ein  sichrer  Schluß  läßt  sich  aus  der 
kleinen  Zahl  von  Fällen  nicht  ziehen.  Unter 
Einrechnung  der  drei  ganz  schweren 
Fälle  erscheinen  7  von  13  günstig  be- 
einflußt. Dies  Resultat  erscheint 
recht  befriedigend,  wenn  man  berück- 
sichtigt, daß  Styracol  zu  wirken  schien,  ob- 
wohl alle  Patienten  in  den  überaus  günstigen 
Verhältnissen  der  Anstaltsbehandlung  bereits 


einen    mächtigen    Rückhalt    in    dem    Kampf 
des  Organismus  gegen  die  Tuberkulose  hatten. 

Das  Styracol  hat  nun  weiter  eine  klinisch 
sehr  wichtige  Eigenschaft;  seine  beiden 
Komponenten  wirken  im  Darm  in  her- 
vorragendem Maße  desinfizierend  und 
fäulnis widrig.  Es  ist  natürlich  schwer 
zu  entscheiden  und  auch  praktisch  kaum  von 
Wert,  ob  an  dieser  Einwirkung  Guajacol 
oder  Zimtsäure  mehr  teilhaben ;  beide  wirken 
ja  stark  desinfizierend. 

Experimentell  haben  Knapp  und  Suter  in 
der  zitierten  Arbeit  diese  faulniswidrige  Wirkung 
des  Styracols  nachgewiesen.  Beim  Zusatz  von 
Styracol  zu  Pankreasaufschwemmung  in  lproz. 
Sodalösung  tritt  der  faulige  Geruch,  den  die  fcon- 
trollprobe  und  eine  mit  Thiocol  versetzte  Probe 
nach  kurzer  Zeit  zeigten,  nicht  auf. 

Engels  (9)  hat  Styracol  bei  Diarrhöen  ver- 
schiedensten Ursprungs  durchweg  mit  bestem  Er- 
folg verwendet  Er  berichtet  über  17  Fälle,  die 
sämtlich  durch  Styracol  sehr  günstig  beeinflußt 
waren.  Es  befanden  sich  unter  diesen  auch  4  Fälle 
schwerer  Diarrhöen  bei  Phthisikern,  von  denen 
einer  dauernd  gut  beeinflußt  war,  einer  für  lange 
Zeit  und  2  nur  während  der  eigentlichen  Behand- 
lung. Engels  sieht  Styracol  „als  ein  wertvolles 
Mittel  bei  der  Behandlung  schwerer  Fälle  von 
Darmkatarrh"  an. 

Auch  Nacht  (10)  sah  bei  4  seiner  mit  Styracol 
behandelten  Fälle  von  Phthisis  prompte  Wirkung 
des  Mittels  gegen  Diarrhöen.  Endlich  berichtet 
Silberstein  (11)  über  7  Fälle  verschiedenartiger 
Darmkatarrhe,  die  er  mit  Styracol  sehr  günstig 
beeinflußte;  in  2  Fällen  handelte  es  sich  auch  hier 
um  Diarrhöen  bei  Phthisikern. 

Ich  selbst  habe  einige  20  Fälle  von  Darm- 
katarrhen bei  Lungenkranken  mit  Styracol 
behandelt.  Ausgeschlossen  habe  ich  ganz 
akute  Magendarmstörungen,  die  man  mit 
einem  Laxans  innerhalb  von  24  Stunden 
leicht  beseitigt.  Meine  Fälle  umfassen  im 
übrigen  die  ganze  Skala  der  verschieden- 
artigen Diarrhöen  bei  Lungenkranken  von 
schweren  Darmtuberkulosen  bis  zum  leichten 
verschleppten  Magendarmkatarrh,  den  man 
gewöhnlich  mit  einem  Adstringens  behandelt. 
Durchweg  war  der  Erfolg  sehr  befriedigend. 
Ich  gab  hier  3  mal  bis  höchstens  5  mal  tag- 
lich 1,0  Styracol  in  Tablettenform  oder, 
wenn  das  Kauen  der  Tabletten  den  Patienten 
unangenehm  war,  als  Pulver;  auch  hier 
wurde  Styracol  stets  gern  genommen  und 
gut  vertragen  und  veranlagte  keinerlei  Magen- 
beschwerden. In  der  Tabelle  II  habe  ich 
eine  Anzahl  instruktiver  Fälle  zusammen- 
gestellt. 

Fall  1—5  sind  ganz  schwerkranke,  sämtlich 
kurze  Zeit  später  ad  exitum  gekommene  Patienten,, 
die  klinisch  neben  schwerer  Lungentuberkulose  das 
Bild  der  Darmtuberkulose  boten:  rapider  Verfall, 
wäßrige,  faulig  riechende  Stühle,  Tenesmen,  Koliken, 
Schmerzhaftigkeit  des  eigentümlich  gespannten 
Leibes  etc.  Fäll  5  war  völlig  desolat:  weder  Sty- 
racol   noch   Tannigen    noch   selbst  Opium   hatten 


XIX.  Jahrgang.! 
Dezember  1905.J 

Ulrici 

,  Therapeutische  Wirkung;  dea  Styracola. 

615 

Tabelle  11. 

Mama,  Alter, 

Stadium  der 

Kom- 

Ge- 

, 

Geaehleebt  das 

Krankheit 

Datum 

Bemerkungen 

Ordination 

Patienten 

nach  Turban 

plikationen 

wicht 

1.    J.  Z., 

Endstadium 

hohes       1 

9.7.04 

Tag  der  Aufnahme 



1 

21J., 

Fieber,     \ 

20. 10. 04 

seit  4  Wochen  häufig  Durchfaule;    Tan- 

Styr. 3  m. 

weibl. 

Larynx-     \ 
•tub. 

22. 10. 04 
2. 11.  04 

nigen  seit  10  Tagen  ohne  Erfolg 
kein  Durchfall  mehr 
kein  Durchfall  wieder 

tgl.  1,0 

2.   E.  E., 

Endstadiam 

hohes 

6.  10.  04 

Tag  der  Aufnahme 



Tannig. 

18  J., 

Fieber, 

tgl.  3— 4  mal  Durchfall  seit  Wochen 

3  m.  tgl. 

weibl. 

Larynx- 
tub. 

18. 10. 04 
24. 10. 04 
6. 11.  04 

langsame  Besserung  d.  Durchfalls;  jetzt 

1  mal  tgl.  norm.  Stuhl 
wieder  2  mal  tgl.  Durchfall 

langsame  Besserung;  jetzt  lmal  tgl.  nor- 
maler Stuhl 

1,0 

Styr.  3  m. 
tgl.  1,0 

3.   F.  W., 

Endstadium 

hohes 

28. 10. 04 

Tag  der  Aufnahme 

— 

28  J., 

Fieber 

hat  öfter  Durchfälle 

weibl. 

12.12.04 
20.12.04 
24. 12. 04 
31. 12. 04 
4. 1.  05 

seit  14  Tagen  Durchfall 

Besserung;  lmal  tgl.  fast  norm.  Stuhl 

heftige  Durchfälle 

seit  5  Tg.  2  mal  tgl.  dünn-dickbreiiger  St. 

Stuhl  wie  31. 12. 

Styr. 

Styr. 
Tannig. 

4.    J.L., 

Endstadium 

Fieber 

28.  6.  04 

Tag  der  Aufnahme 

52,0 

29  J., 

7.  12.  04 

seit  3Mon.  16  Pfd.  Abnahme,  seit  14 Tagen 

weibl. 

14.12.04 
8. 1.  05 

Neigung  zu  Durchfällen 
seit  4  Tagen  fester  Stuhl 
hatte  2  mal  Neigung  zu  Durchf.,  auf  Styr. 

sofort  Besserung 

44,3 
44,6 

Styr. 

5.   L.H., 

Endstadium 

hohes 

13  4.  05 

Tag   der  Aufnahme;    seit  4  —  6  Wochen 

— 

Styr. 

22  J., 

Fieber 

3  mal  tgl.  wässeriger  Stuhl 

Tannig. 

weibl. 

kein  Erfolg 

Opium 

6.   M.U., 

II. — III. 

__ 

26.  3.  05 

Tag  der  Aufnahme 

66,0 

36  J.f 

seit  Wochen   lmal  tgl.  dunnbreiiger  St. 

männl. 

1.4.05 

8.  4.  05 

22.  4.  05 

29.  4.  05 

6.  5.  05 

Aufstoßen 
unverändert 

Stuhl  fest,  Aufstoßen  besser 
Stuhl  immer  fest,  kein  Aufstoßen 
wieder  Durchfall 
so  lange  U.  Styr.  hat,  Stuhl  normal,  bei 

Aussetzen  Durchfall 

69,3 
70,0 

Styr. 
Styr. 

7.   B.Q., 

III.  schwer 

schwere 

2. 10.  04 

Tag  der  Aufnahme 

— 

34  J., 

Larynx- 

21.  3.  05 

seit  14  Tagen  dünner  Stuhl 

Plasmon 

weibl. 

tub. 

28.  3.  05 

31.  3.  05 

4.  4.  05 

unverändert 
Stuhl  dickbreiig 
Stuhl  fest 

Styr. 

8.   E.T., 

III. 



18.  6.  05 

Tag  der  Aufnahme 

50,6 

36  J., 

seit  6  Wochen  3  mal.  tgl.  Durchfall 

weibl. 

22.  6.  05 
6.  7.  05 

unverändert 

Stuhl  nur  alle  2—3  Tage  und  etwas  kon- 
sistenter 

49,8 
50,4 

Styr. 

9.   A.B., 

III. 

Fieber 

20.  6.  05 

Tag  der  Aufnahme 

— 

35  J., 

seit  V,  J.  2— 3  mal  tgl.  Durchfall 

männl. 

22.  6.  05 
2.  7.  05 
5.  7.  05 
6.7.05 

10.  7.  05 

unverändert 

Stuhl  2 mal  tgl.  dickbreiig 

Stuhl  fast  normal 
|  wieder  Durchfall 
1  kaum  Besserung 

Styr. 
Tannig. 

10.   R.  H., 

II.-JII. 



21.  4.  05 

I  Tag  der  Aufnahme 

58,3 

26  J., 

1  seit  3  Mon.  1—2 mal  tgl.  dünnbreiiger  St. 

männl. 

25.  4.  05 

i  unverändert 

58,4 

Styr. 

15.  5.  05 

Stuhl  lmal,  konsistenter 

59,5 

11.    G.  T., 

IL— III. 



14.  3.  05 

'  Tag  der  Aufnahme 

62,0 

40  J.,' 

2.  5.  05 

1  seit     Monaten     immer     wiederkehrende 

männl. 

9.  5.  05 

|          Durchfalle   mit  Schmerzen  im  Leib 
|  Stuhl  und  Schmerzen  besser 

66,0 
66,7 

Styr. 

616 


Ulric),  Ttierapeutische  Wirkung  d«s  Slyracol«. 


["Therapeutische 
L    Monatshefte. 


Name}  Alter, 

Geschlecht  des 

Patienten 


Stadium  der 

Krankheit 

nach  Turban 


Kom- 
plikationen 


Datum 


Bemerkungen 


Ge- 
wicht 


Ordination 


12. 


13. 


14. 


S.  L., 
45  J., 

mäunl. 


F.  R., 
36  J., 
weibl. 


A.  K.. 
40  J., 

weibl. 


III. 


IL 


III.  schwer 


Lues  1. 11. 04  ,  Tag  der  Aufnahme 

14.11.01  i  seit  2  Tagen  Stomatitis,    heftige  Durch- 
fälle, geringes  Fieber 
17.11.04        keine  Durchfälle 
8. 12. 04       Befinden  gut 

—  6. 1. 05       Tag  der  Aufnahme 

1    13. 1.  05       seit  2  Tagen  heftige  Durchfalle 
20. 1.  05       seit  4  Tagen  norm.  Stuhl 
31.  1.  05       Befinden  gut 

—  !    15.  1.  05  ,  Tag  der  Aufnahme 

;    11.  4.  05       seit  3  Tagen  heftige  Durchfälle 
|    14.  4.  05        Stuhl  seit  gestern  in  Ordnung 


51.2  I 

51.3  j      Styr. 
54,5  \ 


61,7 
61,0 
61,8 
62,2 

64,0 
61,9 
62,2 


Styr. 


Stvr. 


irgend  welchen  Erfolg.  Fall  2  und  3  zeigen  eine 
der  Wirkung  des  Tannigens  gleiche,  günstige,  aber 
vorübergehende  Styracol  Wirkung.  Bei  Fall  I  über- 
traf Styracol  das  Tannigen;  dieser  wie  Fall  4 
wurden  durch  Styracol  überraschend  günstig  be- 
einflußt. In  allen  4  Fällen  schwanden  während 
der  Styracolbehandlung  Tenesmen  und  Koliken. 

Auch  Fall  6—9  sind  schwere  chronische  Darm- 
katarrhe, die  auf  Darmtuberkulose  recht  verdächtig 
waren,  doch  fehlten  hier  kolikartige  Schmerzen 
und  ein  objektiver  Befund  am  Abdomen.  Fall  6, 
8  und  9  zeigten  während  der  Styracolmedikation 
ein  sehr  befriedigendes  Verhalten;  Fall  7  auch 
darüber  hinaus,  doch  wurde  hier  die  weitere  Beob- 
achtung sehr  bald  abgebrochen. 

Fall  10  und  11  sind  leichtere  chronische  und 
eubakute  Darmkatarrhe,  die  ebenfalls  durch  Styracol 
sehr  günstig  beeinflußt  wurden;  beide  Fälle  ver- 
liefen auch  weiterhin  6ehr  günstig. 

Fall  12 — 14  endlich  sind  akute,  etwas  ver- 
schleppte Magendarmkatarrhe,  bei  denen  Styracol 
ganz  nach  Wunsch  wirkte. 

Gleichzeitig  mit  der  Zahl  und  Konsistenz 
der  Stühle  besserten  sich  in  allen  Fällen  das 
subjektive  Befinden,  vor  allem  Mattigkeit 
und  Tenesmen,  in  den  ganz  schweren  Fällen 
auch  die  kolikartigen  Schmerzen.  Das  All- 
gemeinbefinden hob  sich  zusehends,  und  die 
Patienten  waren  mit  dem  Erfolg  recht  zu- 
frieden. Der  faule,  widrige  Geruch  der 
Stühle  schwand  innerhalb  einiger  Tage,  und 
die  Flatulenz  ließ  nach.  Styracol  ver- 
dient deshalb  als  Antidiarrhoicum  bei 
Phthisikern  weitestgehende  Berück- 
sichtigung. 

Wir  haben  im  vorhergehenden  zwei 
Gruppen  von  Fällen  gesondert  betrachtet. 
Während  bei  der  2.  Gruppe,  den  Fällen  von 
Darmstörungen  bei  Lungenkranken,  die  ob- 
jektive Beurteilung  keine  Schwierigkeiten 
bietet,  die  antidiarrhoische  Wirkung  des 
Styracols  klar  und  deutlich  zutage  tritt,  muß 
man  sich  bei  der  Beurteilung  der  1.  Gruppe 
doch  größere  Reserve  auferlegen.  Selbst  in 
den  anscheinend  sehr  günstig  durch  Styracol 
beeinflußten  Fällen  ist  es  schwer  zu  trennen, 
wieviel  der  Anstaltsbehandlung  an  sich,  wie- 
viel dem  Medikament  zu  danken  ist.    Wäh- 


rend aber  die  günstige  Beurteilung  etwaiger 
objektiver  Besserung  des  Lungenbefundes 
ausdrücklich  vermieden  werden  soll,  ist  doch 
in  einer  Reihe  von  Fällen  eine  günstige  Be- 
einflussung des  Allgemeinbefindens  unver- 
kennbar. Man  darf  auch  in  dem  an  sich 
berechtigten  Skeptizismus  einem  solchen  Medi- 
kament gegenüber  nicht  allzuweit  gehen  und 
etwa  das  Medikament  verwerfen,  weil  sich 
der  Erfolg,  der  klinisch  unverkennbar  ist, 
nicht  in  einer  Tabelle  evident  erweisen  läßt. 
Wenn  man  erwägt,  daß  man  selbst  in  der 
Heilanstalt  derartige  Medikamente  bei  monate- 
langer Behandlung  kaum  entbehren  kann, 
schon  weil  der  Patient  die  zu  langsame 
Besserung  in  ersichtlicher  Weise  beschleunigt 
sehen  möchte,  so  kann  um  so  weniger  der 
in  der  allgemeinen  Praxis  stehende  Arzt  sich 
ohne  solche  Mittel  behelfen.  Wenn  es  sich 
darum  handelt,  unter  den  zur  Be- 
handlung bei  Lungenkranken  empfoh- 
lenen Medikamenten  eine  Auswahl  zu 
treffen,  sollte  das  erst  seit  wenigen 
Jahren  zur  Geltung  kommende  Styracol 
weitgehende  Beachtung  finden. 

Literatur. 

1.  Bouchard,    Bulletin    gener.  de  Therapie. 
15.  10.  77. 

2.  Curschmann,    Berl.  klin.  Wochenschrift 
1879,  No.  29  u.  30. 

3.  Fraentzel,  Charite-Annalen,  Bd.  4. 

4.  Sommerbrodt,   Berl.  klin.  Wochenschrift 
1887.  No.  15  u.  48. 

5.  Nolen,  in  Schröder-Blumenfelds  Therapie 
der  chron.  Lungenschwindsucht,  Abt.  II,  3. 

6.  von  Weismayr,  in  Otts  Chemischer  Pathol. 
d.  Tuberk.  16,  B. 

7.  S.  Fränkel,  zit.  bei  v.  Weismayr,  cf.  No.  6. 

8.  Knapp  u.  Suter,  Arch.  f.  exper.  Pathol.  u. 
Pharmakol.  1903,  Bd.  50. 

9.  Engels,  Ther.  d.  Gegenw.  1904,  Hft  8. 

10.  Nacht,  Arztl.  Zentr.-Zeit.  1904,  No.  49. 

11.  Silberstein,  Deutsohe  Praxis  1905. 


XIX.  Jahrgang.  1 
Pozember  IMS.  J 


Rau,   Kasuistische  Mitteilungen  Über  Collargolbehandlung. 


617 


Kasuistische  Mitteilungen   über 
Collargrolbehandlung. 

Von 
Stabsarzt  Dr.  Rau  in  Wre sehen. 

Der  Artikel  über  Collargol  in  der  August- 
nummer  dieser  Zeitschrift  läßt  es  mir  wün- 
schenswert erscheinen,  weitere  Beiträge  über 
dieses  Thema  der  Öffentlichkeit  zu  über- 
geben. 

Wenngleich  in  der  Weiß  mann  sehen  Ab- 
handlung eine  ziemlich  reichliche  Literatur- 
angabe vorliegt,  so  halte  ich  es  bei  der 
Wichtigkeit  dieses  neuen  therapeutischen 
Weges  doch  für  notwendig,  alle  Fälle  zu 
veröffentlichen,  die  geeignet  sind,  für  diese 
Behandlung  genaue  Indikationen  zu  bieten; 
je  mehr  diesbezügliche  Mitteilungen  in  die 
Öffentlichkeit  gelangen,  um  so  mehr  wird 
der  Anwendungsbezirk  eines  Mittels  genau 
beschrieben,  um  so  weniger  wird  man  dann 
Ursache   haben,    über   Mißerfolge   zu   klagen. 

Die  von  Weißmann  veröffentlichten 
24  Fälle  sind  meines  Erachtens  nicht  sämt- 
lich beweisend  für  die  Wirkung  des  Collargols ; 
die  8  Fälle  von  Lymphangitis  nach  Insekten- 
stichen bezw.  kleineren  Verletzungen  sind 
wohl  a  priori  auszuscheiden,  da  derartige  Er- 
krankungen auch  ohne  Collargolbehandlung 
günstig  zu  verlaufen  pflegen;  auch  die  vier 
Phlegmonen  wären  vermutlich  geheilt,  nach- 
dem, wie  Weiß  mann  selber  angibt,  die 
„notwendigen  chirurgischen  Eingriffe tt  ge- 
macht waren;  ferner  sind  kurz  verlauf  ende 
Erysipele  auch  keine  Seltenheit.  Interessant 
sind  hingegen  die  von  Weiß  mann  angeführten 
puerperalen  Erkrankungen,  weil  hier  in  relativ 
kurzer  Zeit  ein  sehr  günstiges  Resultat  er- 
reicht worden  ist.  Wenn  Weiß  mann  die 
Wirkungsweise  des  Collargols  bei  Behand- 
lung frischer  Wunden,  Verbrennungen  u.  8.  w. 
lobend  hervorhebt,  so  mochte  ich  glauben, 
daß  bei  Empfehlung  eines  Mittels  in  so 
vielseitiger  Gestalt,  als  Verbandmittel,  Streu- 
pulver, Tabletten,  Stäbchen,  Vaginalkugeln, 
schließlich  die  Hauptsache  vergessen  werden 
kann,  das  heißt  die  Wirkungsweise  dieses 
Medikamentes  auf  allgemeine  Infektionen; 
dies  scheint  mir  doch  im  wesentlichen  das- 
jenige Gebiet  zu  sein,  auf  dem  noch  am 
meisten  zu  tun  übrig  bleibt.  Wir  haben 
zur  Behandlung  äußerer  Wunden  und  Ver- 
letzungen ein  so  reichliches  Arsenal  von 
Mitteln,  daß  wir  füglich  auf  neuere  Mittel 
verzichten  können,  wenn  sie  nicht  gerade 
ganz  Besonderes  leisten,  und  das  scheint 
mir  vom  Collargol  noch  nicht  erwiesen.  Die 
bisher  erschienene  Literatur  über  Collargol 
enthält  im  wesentlichen  auch  nur  Mitteilungen, 
die    die   Wirkungsweise    des    Collargols    bei 


allgemeinen  septischen  Prozessen  betreffen,  die 
vom  puerperalen  Uterus  oder  einer  anderen 
schwer  infizierten  Körperstelle  ausgehen;  eine 
kausale  Therapie  ist  in  solchen  Fällen  in 
ausreichendem  Maße  häufig  nicht  möglich, 
leider  müssen  wir  uns  vielfach  auf  die  sym- 
ptomatische Behandlung  beschränken. 

Ich  verfüge  über  zwei  in  letzter  Zeit 
gemachte  Beobachtungen,  die  so  sehr  für  die 
Collargolbehandlung  sprechen,  daß  ich  in 
jedem  ähnlichen  Falle  diese  Behandlung  vor- 
nehmen werde;  ehe  ich  weitere  Erfahrungen 
gesammelt  habe,  möchte  ich  diese  beiden 
Fälle  veröffentlichen,  um  weitere  Kreise  für 
diese  Behandlung  zu  interessieren,  die  wohl 
geeignet  ist,  manches  gefährdete  Menschen- 
leben zu  retten. 

Der  erste  Fall  betrifft  einen  19  jährigen  Men- 
schen, der  in  meiner  Sprechstande  erscheint  und 
angibt,  seit  4  Tagen  ein  Geschwür  am  Halse  zu 
haben.  Die  Vorgeschichte  ergibt,  daß  Patient  vor 
etwa  14  Tagen  einen  Furunkel  im  Nassen  hatte, 
der  nach  Auflegung  eines  Zugpflasters  aufgegangen 
sei;  in  der  Tat  befindet  sich  am  Nacken  eine  im 
Durchmesser  10  mm  große,  ziemlich  flache  Weich- 
teilswunde, die  mit  gutaussehenden  Granulationen 
bedeckt  ist.  Am  Stern  um,  oberhalb  des  Clavicula- 
ansatzes  links,  befindet  sich  eine  walnußgroße, 
fluktuierende  Geschwulst;  Halsdrüsen  stark  ge- 
schwollen. Pak  ist  ein  kraftiger  Mensch,  der  mir 
von  früher  her  bekannt  ist,  der  mir  aber  durch  sein 
schlechtes  Aussehen  auffällt.  Temperatur  in  der 
Achselhöhle  40,2  (mittags  2  Uhr);  der  rechte  Unter- 
arm stark  geschwollen;  es  scheint  sich  oberhalb 
des  Handgelenkes  und  dicht  über  dem  Ellenbogen- 
gelenk ein  Abszeß  zu  entwickeln.  Inzision  des 
fluktuierenden  Abszesses;  dem  Vater  wird  dringend 
geraten,  den  Sohn  in  Krankenhausbehandlung  zu 
geben.  Am  nächsten  Tage  kommt  Patient  wieder; 
am  Unterarm  haben  sien  2  große  Abszesse  ent- 
wickelt, die  inzidiert  werden.  Temperatur  40,0, 
soll  morgens  36,5  gewesen  sein;  Allgemeinbefinden 
sehr  schlecht;  an  der  linken  Thoraxseite  beginnen- 
der Abszeß;  es  besteht  starker  Durchfall;  Puls  140. 
Da  Vater  sich  weigert,  den  Sohn  in  ein  Kranken- 
haus zu  geben,  werden  2  g  einer  4  proz.  Collargol- 
lösung  intravenös  injiziert.  Am  nächsten  Tage 
Inzision  des  Abszesses;  es  entwickelt  sich  ein 
weiterer  in  der  Inguinalgegend.  Allgemeinbefinden 
wesentlich  gebessert,  Temperatur  38,2,  Puls  100. 
2  g  Collargollösung  intravenös  injiziert.  Am  näch- 
sten Tage  erklärt  Patient,  gesund  zu  sein;  Tem- 
peratur 37,0,  All  gemein  befindein  gut;  hat  seit 
5  Tagen  zum  ersten  Male  tüchtig  gegessen.  Am 
nächsten  Tage  wird  Abszeß  in  der  Inguinalgegend 
eröffnet,  abermals  Collargol  intravenös.  Die  Tem- 
peratur blieb  dauernd  normal,  obgleich  noch  vier 
Abszesse  an  den  verschiedensten  Körpergegenden 
auftraten:  Es  wurden  im  ganzen  an  6  Tagen  12  g 
einer  4  proz.  Collargollösung  injiziert. 

In  vorliegendem  Falle  handelte  es  sich 
um  eine  schwere  Infektion,  welche  von  der 
granulierenden  Wunde  im  Nacken  herrührte. 
Mit  Erfolg  sind  die  schweren  pyämischen 
Erscheinungen  durch  die  Collargol  inj  ektion 
gehoben  worden,  obgleich  die  metastatischen, 
wesentlich  das  Unterhautzellgewebe  betreffen- 
den Entzündungen  weiter  fortbestanden. 


618 


Rau,  Kasuiatiach«  Mitteilungen  über  Collargolbehandlung. 


iTberapentlaeh« 
L   Monatshefte. 


Der  zweite  Fall  betrifft  eine  Puerperalkranke. 
Frau  J.,  Primipara,  wird  mittels  Zange  von  mir  am 
22.  IX.  05  entbunden.  Dabei  entstellt  ein  kleiner 
Dammriß  I.  Grades,  der  durch  2  Nadeln  geschlossen 
wird.  Am  Tage  nach  der  Entbindung  Schmerzen 
links  vom  Uterus,  die  sich  allmählich  unter  Fieber 
steigern.  5  Tage  post  partum  werde  ich  zur  Kranken 
gerufen;  Temperatur  40,2,  starke  Kopfschmerzen, 
mehrfach  Schüttelfröste,  mehrmals  täglich  Erbrechen, 
Stuhlgang  regelmäßig,  Dammriß  per  primam  geheilt, 
starke  Schmerzhaftigkeit  links  vom  Uterus,  Lochien 
übelriechend.  Aus  folgender  Tabelle  ergibt  sich 
alles  Weitere.  Die  Frau  ist  jetzt  vollkommen  gesund. 


28.  IX. 

-   1 40,2  40,0 

2^.  IX. 

39,2:40,2' 40,2 



30.  IX. 

38,9  38,5  38,5 

6  g  2  proz. 

Collargollösung 

1.  X. 

38,0(37,5:38,2 

6g 

do. 

2.  X. 

38,0;38,0  37,3 

3g 

do. 

3.  X. 

36,3;  —   |37,5 

3g 

do. 

4.  X. 

37,0 

37,5137,8 

— 

5.  X. 

36,4 

37,0  38,0 

6  g  2  proz. 

Collargollösung 

6.  X. 

36,0 

37,0  38,1 

3g 

do. 

7.  X. 

35,9 

36,8 1 37,0 

— 

Was  die  Entstehung  des  Leidens  betrifft, 
so  ist  wohl  eine  Autoinfektion  anzunehmen; 
Pat.  ist  im  Januar  1904  von  mir  wegen  eines 
entzündlichen  Prozesses  im  linken  Para- 
metrium  längere  Zeit  behandelt  worden;  sie 
litt  damals  an  den  gleichen  Schmerzen  wie 
diesmal  post  partum.  Nachdem  ich  am  30.  IX. 
die  erste  intravenöse  Injektion  vorgenommen 
hatte,  war  bereits  die  Abendtemperatur  bei- 
nahe einen  halben  Grad  niedriger  wie  die 
Morgentemperatur.  Interessant  ist  es  auch, 
daß  das  sehr  quälende  Erbrechen  am  1 .  X.  05 
wegblieb  und  nicht  wieder  auftrat.  Die  In- 
jektionen wurden  2  mal  täglich  ausgeführt; 
am  4.  X.  05  mußten  sie  unterbleiben;  den 
Grund  dafür  werde  ich  weiter  unten  erörtern. 
Man  könnte  nun  sagen,  die  Frau  wäre  auch 
ohne  Collargol  gesund  geworden;  gewiß,  auch 
dies  kommt  oft  vor,  jedoch  ein  so  kurzer 
Verlauf  der  Krankheit  ist  immerhin  selten, 
wenn  die  Krankheit  so  schwer  eingesetzt  hat, 
und  auffallend  ist  sowohl  in  dem  ersten  wie 
zweiten  Falle  die  sofortige  Besserung  des 
Allgemeinbefindens  und  der  bald  eintretende 
Temperaturabfall.  In  der  Bewertung  der 
Zweckmäßigkeit  einer  neuen  Therapie  ist  die 
ärztliche  Erfahrung,  ich  möchte  auch  sagen 
das  ärztliche  Gefühl,  ein  wesentlicher  Faktor, 
und  ich  habe  die  Überzeugung,  daß  wohl 
beide  Patienten  ohne  Collargolbehandlung 
nicht  genesen  wären.  Selbstverständlich  ist 
in  beiden  Fällen  von  allen  übrigen  thera- 
peutischen Maßnahmen  Gebrauch  gemacht 
worden. 

Die  „Misokainia"  vieler  Ärzte  habe  ich 
bisher  auch  geteilt,  jedoch  gebe  ich  gerne 
zu,  daß  diese  Furcht  vor  der  intravenösen 
Injektion  nicht  begründet  ist.  Ich  habe  aller- 
dings zuerst  die  Lander  ersehen  Hetolinjek- 
tionen  bei  einer  Reihe  von  Patienten  gemacht 


und,  wie  ich  gelegentlich  später  ausführlich 
berichten  werde,  mit  gutem  therapeutischen 
Erfolg;  diese  Art  der  Injektionen,  bei  denen 
es  sich  um  die  Injektion  von  sehr  geringen 
Mengen  Flüssigkeit  handelt,  bietet  nicht  die 
geringsten  Schwierigkeiten.  Etwas  kompli- 
zierter gestaltet  sich  die  Injektion  der  Col- 
largollösung; erstens  ist  die  dunkle  Farbe 
der  Flüssigkeit  insofern  störend,  als  allmählich 
in  der  Umgebung  der  kleinen  Stichwunde  sich 
bläulichschwarze  Hautverfärbungen  bilden, 
die  nach  einigen  Tagen  genau  so  aussehen 
wie  Yenen,  so  daß  man  bei  schlecht  ent- 
wickelten Venen  wie  in  meinem  zweiten 
Falle  nachher  die  Venen  von  den  verfärbten 
Collargolstreifen  nicht  unterscheiden  kann. 
Aus  diesem  Grunde  mußte  auch  die  Injektion 
am  4.  X.  unterbleiben.  Hat  man  das  Unglück, 
in^inem  solchem  Falle  die  Vene  nicht  gleich 
zu  treffen,  und  injiziert  dann  etwas  Collargol 
perkutan  statt  intravenös,  so  entwickelt  sich, 
wie  in  meinem  Falle,  ein  kleiner  Abszeß; 
derselbe  heilte  zwar  in  wenigen  Tagen,  es 
ist  aber  doch  möglich,  daß  schwerere  Sym- 
ptome dadurch  bedingt  werden  können.  Ferner 
ist  die  relativ  große  Menge  Flüssigkeit  störend. 
Etwa  3  Pravaz spritzen  ist  eine  ganze  Menge 
Flüssigkeit,  und  es  entsteht  bei  der  Injektion 
häufig  ein  Schmerz,  der  allerdings  sofort  nach 
Entfernung  der  Umschnür ung  verschwindet; 
immerhin  ist  es  zweckmäßig,  den  Patienten 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  etwas 
Schmerz  auftreten  kann.  Es  würde  sich 
empfehlen,  das  Collargol  nach  dem  Vorgang 
Credos  in  5  proz.  Lösung  zu  injizieren, 
um  so  mit  einem  geringeren  Volumen  aus- 
zukommen. Die  Erfahrung  muß  dann  lehren, 
ob  diese  immerhin  starke  Überflutung  des 
Blutes  mit  Silber  dem  Organismus  nicht 
nachteilig  ist;  auf  Grund  der  bisherigen  Re- 
sultate ist  das  allerdings  nicht  zu  befürchten. 
Es  scheint  mir  wahrscheinlich,  daß  die 
Collargolbehandlung  den  Beifall  weiterer 
ärztlicher  Kreise  finden  wird;  wenn  erst 
jedermann  sich  mit  der  Technik  befreundet 
und  die  Furcht  vor  der  „Luftblase"  verloren 
haben  wird,  so  wird  sich  auch  die  Anwen- 
dung intravenöser  Injektion  anderer  Medi- 
kamente allmählich  Freunde  erwerben;  denn 
ich  verstehe  nicht,  warum  man  nicht  auch 
andere  Mittel  wie  Morphium,  Digitalis,  Stro- 
phanthus,  Kampfer  intravenös  anwenden  soll, 
zumal  wenn  es  darauf  ankommt,  rasche 
Wirkung  herbeizuführen.  Die  Tierarznei- 
kunde ist  uns  in  dieser  Hinsicht  mit  gutem 
Beispiel  vorangegangen;  auch  dort  wird  vor- 
zugsweise mit  intravenöser  Injektion  seit 
längerer  Zeit  gearbeitet  und,  wie  mir  ver- 
sichert wurde,  mit  vorzüglichem  Erfolge. 


XIX.  Jahrgang.! 
De»emb»r  1906.J 


Aufrecht,   Eine  neue  Flasche  für  Säugling*. 


619 


Eine  neue  Flasche  für  Säuglinge« 

Von 
Geh.  San.-R.  Dr.  Aufrocht  in  Magdeburg. 

Die  zur  künstlichen  Ernährung  von  Säug- 
lingen allgemein  gebräuchliche  Flasche  be- 
findet sich  auch  heutzutage  noch  in  einem 
primitiven  Zustande,  vor  allem  deshalb,  weil 
während  des  Saugens  die  Öffnung  des  Gummi- 
säugers, durch  welche  der  flüssige  Inhalt 
der  Flasche  entzogen  wird,  auch  der  Luft 
den   Eintritt   in   die   Flasche   gestatten   muß. 

Wer  unter  diesen  Verhältnissen  die  Kinder 
beim  Saugen  zu  beobachten  Gelegenheit  hat, 
der  kann  sich  leicht  davon  überzeugen,  daß 
mit  dem  Eintreten  der  Luft  durch  dieselbe 
Öffnung  des  Säugers,  aus  welcher  die  Nähr- 
flüssigkeit austritt,  zweierlei  Mängel  ver- 
knüpft sind.  Ist  die  Öffnung  im  Säuger  zu 
klein,  dann  kann  die  Luft  nicht  bequem  und 
rasch  genug  in  die  Flasche  eintreten,  der 
Säuger  fallt  infolge  der  Luftverdünnung  in 
der  Flasche  zusammen,  die  Kinder  können 
nicht  weiter  trinken;  der  Säuger  muß  von 
den  Lippen  losgelassen  werden,  und  damit 
wird  das  Saugen  ein  unterbrochenes  und 
mühsames. 

Wird  aber  umgekehrt  die  Öffnung  im 
Säuger  etwas  groß  angelegt,  dann  kann  zwar 
sehr  leicht  neben  dem  austretenden  Nahrungs- 
stoffe Luft  in  die  Flasche  eintreten,  aber  in 
den  meisten  Fällen  ist  damit  ein  anderer, 
bei  weitem  bedeutsamerer  Übelstand  ver- 
knüpft, die  Flüssigkeit  strömt,  zumal  beim 
anfänglichen  Hineinhalten  des  Säugers  in  den 
Mund  des  Kindes,  in  so  reichlicher  Menge 
in  den  Mund,  daß  sie  durch  die  Schluck- 
bewegungen nicht  bewältigt  werden  kann. 
Die  Folge  davon  ist,  daß  das  Kind  sich 
„ verschluckt a,  d.  h.  daß  ein  Teil  der  Flüssig- 
keit in  die  Luftröhre  gerät  und  aspiriert 
werden  kann.  Sobald  aber  die  Pflegerin 
diesem  Übelstande  zu  entgehen  sucht  und 
dem  Kinde  die  Flasche  so  hält,  daß  die 
Flüssigkeit  eben  an  die  Öffnung  im  Säuger 
gelangt,  kann  es  leicht  geschehen,  daß  das 
Kind  zugleich  mit  der  Milch  auch  Luft  ver- 
schluckt. 

Eine  Mutter,  die  sich  ausschließlich  der 
Pflege  ihres  einzigen  Säuglings  widmet,  wird 
wohl  imstande  sein,  die  Schwierigkeiten  zu 
überwinden,  welche  durch  die  technischen 
Mängel  der  Saugflasche  bedingt  sind;  sie  wird 
ein  zu  reichliches  Ausfließen  der  Nährflüssig- 
keit aus  dem  Säuger  durch  Hochrichten  des 
kindlichen  Oberkörpers,  durch  entsprechendes 
Halten  der  Saugflasche  zu  verhüten  wissen 
und  sowohl  eine  Aspiration  der  Flüssigkeit 
als  auch  das  Mitschlucken  von  Luft  ver- 
meiden.    Eine  solche  Sorgfalt   aber  kann  in 

Th.  M.  1005. 


Findelhäusern  oder  in  Säuglingsheimen  oder 
in  Krankenhausabteilungen  für  kranke  Säug- 
linge nicht  oder  wenigstens  nicht  immer  auf- 
geboten werden.  Ich  glaube  kaum,  daß  irgend 
eine  derartige  Anstalt  existiert,  in  welcher 
eine  Pflegerin  weniger  als  6  Säuglinge  zu 
versorgen  hat,  sicher  aber  gibt  es  viel  mehr 
Anstalten,  in  welchen  die  Zahl  der  auf  eine 
einzelne  Pflegerin  angewiesenen  Kinder  eine 
größere  ist.  In  solchen  Fällen  aber  kommt 
es  dazu,  daß  den  Kindern  die  gefüllte  Flasche 
mit  dem  Säuger  in  den  Mund  gesteckt  und 
vor  ihnen  liegen  gelassen  wird.  Wie  häufig 
dabei  die  Kinder  ihr  Saugen  unterbrechen 
und  zu  husten  anfangen  —  ein  Beweis,  daß 
sie  sich  verschluckt  haben  —  wissen  die 
Pflegerinnen  am  besten;  wie  häufig  Luft  mit 
der  Flüssigkeit  zugleich  in  den  Magen  ge- 
langt ist,  vermögen  sie  aber  kaum  fest- 
zustellen. 

Nach  meinem  Urteil  ist  ein  Teil  der 
Verdauungsstörungen  bei  Säuglingen,  welche 
der  Massenfürsorge  anheimgefallen  sind,  auf 
die  durch  eine  zu  große  Öffnung  erzwungene 
rasche  Aufnahme  der  Nährflüssigkeit,  mit 
welcher  häufig  auch  Luft  verschluckt  wird, 
zurückzuführen,  und  die  größte  Zahl  von 
katarrhalischen  Pneumonien,  welche  bisher 
als  kachektische  aufgefaßt  worden  sind,  ebenso 
wie  die  Aspirationspneumonien  bei  Säuglin- 
gen1) sind  als  eine  Folge  des  „Verschluckens* 
der  Nährflüssigkeit,  welche  in  die  Luftröhren- 
zweige gelangt  ist,  anzusehen. 

Um  diesen  Übelständen  abzuhelfen,  habe 
ich  mir  eine  Flasche  für  Säuglinge  anfertigen 
lassen,  welcher  die  erwähnten  Mängel  —  Er- 
schwerung der  Entleerung,  also  Unbrauchbar- 
keit  bei  zu  enger  Öffnung  im  Säuger  einer- 
seits, allzu,  reichliches  Ausfließen  bei  zu 
weiter  Öffnung  mit  den  erwähnten  schäd- 
lichen Folgen  andererseits  —  nicht  an- 
haften. 

Diese  Flasche  hat  nicht  die  bisherige 
nahezu  zylindrische  Form,  sondern  die  eines 
halben  Zylinders,  kann  also  platt  aufliegen. 
Außer  der  Flaschen  Öffnung,  auf  welche  der 
Säuger  aufgesteckt  wird,  befindet  sich  auf 
dem  höchsten  Punkte  des  Halbzylinders  eine 
kleine  Öffnung,  durch  welche  entsprechend 
dem  Quantum  der  abgesaugten  Nährflüssigkeit 
Luft  in  die  Flasche  einströmen  kann.  Der 
Hals  der  Flasche   ist   etwas   nach  unten   ge- 


')  Vgl.  Aufrecht,  Die  Lungenentzündungen 
in  Nothnagels  Pathologie  and  Therapie  Bd.  14, 
Teil  2,  1897,  S.  181  und  241.  Ferner:  Die  Pneu- 
monie im  Kindeaalter.  Verhandlungen  der  Gebell- 
schaft für  Kinderheilkunde  1898,  Bd.  14.  —  Die 
Unterschiede  zwischen  katarrhalischer  und  Aspi- 
rationspneumonie  sind  an  den  angegebenen  Stellen 
eingehend  erörtert. 

47 


620 


Aufrecht,  Ein«  neu*  Flasche  für  Säuglinge. 


rrbarapeirtladia 
L    Monatshefte. 


neigt.  Der  nachfolgende  Längsdurchschnitt 
dürfte  das  Ganze  zur  Genüge  illustrieren. 

Bei  einer  derartig  konstruierten  Flasche 
darf  die  Öffnung  im  Säuger  so  eng  sein,  daß 
der  flüssige  Inhalt  eben  tropfenweise  heraus- 
dringt, der  kindliche  Mund  aber  vermag  ihn 
ohne  Schwierigkeit  herauszusaugen,  weil  die 
Luft  durch  die  kleine  Öffnung  am  obersten 
Punkte  der  Flasche  nachdringen  kann. 

Diese  Form  der  Säuglingsflasche  ist  nun 
seit  2  Jahren  auf  der  Säuglingsabteilung  der 
inneren  Station  des  Altstädter  Krankenhauses 
im  Gebrauch  und  erfreut  sich  vor  allem  des 
Beifalls  der  Pflegerinnen. 


^ 


Im  übrigen  sind  die  Vornahmen  bei  der 
Herstellung  der  Nährflüssigkeit  so,  wie  sie 
bisher  getroffen  worden  sind.  Die  Milch  wird 
mit  dem  entsprechenden  Zusatz  von  Wasser 
oder  einer  Hafermehlabkochung  in  die  Flasche 
getan,  die  Halsöffnung  derselben  wie  seit 
14  Jahren  auf  Grund  meiner  damaligen 
Empfehlung8)  mit  Watte  geschlossen,  was 
jetzt  auch  mit  der  kleinen  seitlichen  Öffnung 
geschieht,  und  nun  im  Soxhletapparat  gekocht. 
Entsprechend  der  Flaschenform  hat  der 
Flaschenhalter  etwas  anders  geformte  Aus- 
schnitte erhalten.  Wenn  die  Flasche  resp. 
deren  Inhalt  verwendet  werden  soll,  wird 
die  Watte  aus  dem  Halse  entfernt,  dieser 
mit  einem  sterilen  Gazeläppchen  ausgewischt 
und  dann  der  Säuger  aufgesetzt.  In  diesen 
Säuger  ist  eine  Öffnung  eingebrannt,  die  so 
klein  sein  muß,  daß  der  Inhalts  der  Flasche 
nur  tropfenweise  ausfließen  kann.  Für  das 
saugende  Kind  reichen  solche  Öffnungen  voll- 
kommen aus,  weil  durch  das  kleine  seitliche 
Loch  in  der  Flasche  die  Luft  bequem  nach- 
dringen kann.  Der  hier  angebrachte  Watte- 
verschluß ermöglicht  die  Filtration  der  in 
die  Flasche  eintretenden  Luft.  Wird  das 
Wattestückchen  feucht,  dann  kann  es  sehr 
leicht  ersetzt  werden. 

Außer  der  Vermeidung  der  erwähnten 
Mängel  der  bisher  benutzten  Flasche  bietet 
die  hier  empfohlene  noch  den  Vorteil,  daß 
sie  mit  ihrer  platten  Fläche  gut  liegen  kann 
und  dem  saugenden  Kinde  nicht  immer  vor- 
gehalten zu  werden  braucht.  Nur  wenn  die 
Flüssigkeit  in  der  Flasche  auf  die  Neige 
geht,  muß  darauf  geachtet   werden,    daß  von 


3)  Aufrecht,  Eine  Notiz  über  die  Zubereitung 
der  Kindernahrang  für  Säuglinge.  Deutsche  med. 
Wochenschrift  1892,  No.  51. 


dem  Kinde  nicht  gleichzeitig  Luft  eingesaugt 
wird. 

Ich  bin  überzeugt,  daß  die  in  Findel- 
und  Krankenhäusern  häufig  im  An- 
schluß an  Darmkatarrhe  auftretenden 
katarrhalischen  Pneumonien,  die  einen 
bedeutenden  Faktor  der  Kindersterb- 
lichkeit in  solchen  Anstalten  bilden 
und  bisher  als  kachektische  katarrha- 
lische Pneumonien  oder,  richtiger  ge- 
sagt, als  Pneumonien  kachektischer 
Kinder  aufgefaßt  worden  sind,  bei  der 
Benutzung  der  von  mir  empfohlenen 
Flasche  nicht  mehr  auftreten  werden, 
weil  hierdurch  ein  allzu  reichliches 
Einströmen  von  Milch  in  den  Mund 
der  Kinder  verhütet  wird.  Wenn  gerade 
bei  den  durch  Darmkatarrhe  geschwächten 
Kindern  am  allerhäufigsten  katarrhalische 
Pneumonien  vorkommen,  so  erklärt  sich  das 
aus  dem  Umstände,  daß  gerade  diese  ge- 
schwächten Kinder  nicht  imstande  sind,  die 
in  den  Larynx  und  Pharynx  hineingeflossene 
Milch  durch  entsprechend  kräftige  Husten- 
stoße zu  entfernen,  so  daß  dieselbe  in  die 
feineren  Bronchien  gelangen  und  hier  ent- 
zündungserregend wirken  kann3). 


Zur  Therapie  der  diphtheritlschen 
Iiarynxstenose. 

Von 
Dr.  Heoht  in  Beutben,  O.-Schl. 

Im  Oktoberheft  dieser  Monatsschrift 
(S.  518)  bringt  Dr.  Rudolph  in  Magdeburg 
die  Opiummedikation  der  diphtheritischen  La- 
rynxstenose  auf  Grund  dreier  glücklich  ver- 
laufener Fälle  in  empfehlende  Erinnerung. 
Merkwürdigerweise  wird  diese  Behandlungs- 
methode, welche  meines  Wissens  zuerst  von 
Dr.  Stern1)  empfohlen  worden  ist,  in  den 
Lehrbüchern  nicht  erwähnt,  obwohl  die  Be- 
rechtigung zu  ihrer  Anwendung  in  geeigneten 
Fällen  nicht  bestritten  werden  kann.  Es 
handelt  sich  nur  um  die  Frage,  in  welchen 
Fällen  ist  begründete  Aussicht  vorhanden, 
den  Luftrohrenschnitt  durch  die  Opiummedi- 
kation zu  ersetzen. 

Bei  Beantwortung  dieser  Frage  ist  zu- 
nächst darauf  hinzuweisen,  daß  die  Opium- 
behandlung einen  kräftigen  Puls  zur  Yoraus- 


3)  Die  neue  Flasche  wird  von  Herrn  Instru- 
mentenmacher Middendorff,  Magdeburg,  Breite- 
weg 155,  einzeln  zum  Preise  von  15  Pf.,  bei  Ab- 
nahme einer  größeren  Menge  zum  Preise  von  12  Pf. 
and  als  Probe  nach  auswärts  mit  Einschloß  von 
Porto  und  Verpackung  zum  Preise  von  40  Pf. 
geliefert. 

>)  Tberap.  Monatsh.  1894,  S.  197  f. 


XIX.  Jahrgang.! 
Peiembcr  I906.J 


H*Cht,  Thttapfe  der  diphtherischen  Larynxstenote. 


621 


Setzung  haben  muß.  In  Fällen,  wo  eine 
akute  Myokarditis  als  Komplikation  nach- 
gewiesen wird,  werden  wir  demnach  berech- 
tigte Bedenken  hegen  müssen,  Opium  zu 
verordnen,  wollen  wir  nicht  Gefahr  laufen, 
«inen  Kollaps  hervorzurufen.  Alsdann  muß  die 
Möglichkeit  gegeben  sein,  die  Erscheinungen 
der  Larynxsteno8e  in  den  nächsten  24  Stunden 
zu  beseitigen.  An  diese  Möglichkeit  ist  aber 
nur  zu  denken,  wenn  das  Atmungshindernis 
nicht  durch  diphtheritische  Pseudo- 
membranbildung,  sondern  durch  akute 
Schwellungszustände  und  entzündliche 
Reizungen  im  Larynx  bedingt  ist.  Gerade 
diejenigen  Fälle  sind  als  die  mildesten  Formen 
der  Diphtherie  zu  betrachten,  welche  lediglich 
katarrhalische  Veränderungen  der  Schleimhaut 
darbieten.  Diese  katarrhalische  Laryngitis 
kann  sich  in  derselben  Weise  äußern,  wie 
der  echte  fibrinöse  Krup  (Baginsky2)). 

So  wurde  ich  am  28.  November  1904 
zu  der  7  Jahre  alten  Tochter  des  Werk- 
meisters Z.  gerufen,  weil  sie  fiebere  und 
über  Halsschmerzen  sowie  Heiserkeit  klage. 
Ich  konstatierte  eine  katarrhalische  Angina 
und  Laryngitis.  Heiße  Umschläge  und  In- 
halationen mit  einer  1  proz.  Zink- Alaunlösung 
pflegen  mir  in  diesen  Fällen  gute  Dienste 
zu  leisten.  Und  so  glaubte  ich,  auch  in 
diesem  Falle  mit  dieser  Medikation  baldige 
Besserung  in  Aussicht  stellen  zu  können. 
Jedoch  sollte  ich  mich  bald  davon  überzeugen, 
daß  die  Erkrankung  ernsterer  Natur  ist.  Als 
ich  am  folgenden  Tage  das  Kind  abermals 
besuchte,  machte  es  einen  schwerkranken 
Eindruck.  Fahle  Gesichtsfarbe,  tiefliegende 
Augen,  unheilverkündende  Schatten  um  die- 
selben, mühevolles,  langgezogenes  inspira- 
torisches Atmen  ließen  keinen  Zweifel  zu, 
daß  die  Laryngitis  diphtheritischer  Natur  ist, 
obgleich  der  Pharynx  auch  an  diesem 
Tage  von  diphtheritischen  Belägen 
völlig  frei  war.  Infolgedessen  injizierte 
ich  sofort  Behrings  Heils erunm  No.  III 
und  ließ  den  Dampfspray  fortgebrauchen. 
Jetzt  ließ  die  Besserung  nicht  mehr  lange 
auf  sich  warten.  Bei  meiner  am  folgenden 
Tage  abgestatteten  Visite  konnte  ich  mit 
großer  Genugtuung  feststellen,  daß  die  ste- 
notischen Erscheinungen  behoben,  und  damit 
jede  Gefahr  beseitigt  war. 

Dasselbe  Krankheitsbild  beobachtete  ich 
bei  dem  4  Jahre  alten  Knaben  des  Maschinen- 
putzers F.  aus  Alt-G.  Am  7.  August  1903 
wurde  mir  derselbe  wegen  Heiserkeit  zuge- 
führt. Da  der  Pharynx  nur  katarrhalische 
Veränderungen   darbot,    ließ    ich    Zinkalaun 

')  Nothnagels  Spez.  Pathologie  und  Therapie, 
Bd.  II.  Diphtherie  und  diphtherischer  Krup  von 
Prof.  Dr.  A.  Baginsky,  S.  237. 


inhalieren  und  um  den  Hals  Kompressen 
machen.  Nach  36  Stunden  hatte  sich  eine 
solche  bedrohliche  Atemnot  eingestellt,  daß 
der  Luftröhrenschnitt  angezeigt  erschien.  Da 
jedoch  zur  Vornahme  der  Operation  Vor- 
bereitungen nicht  getroffen  waren  —  die 
Eltern  wohnen  auf  dem  Lande  in  freiem 
Felde  —  injizierte  ich  außer  Heilserum 
No.  III  Morphium  0,003  und  ließ  den  Dampf- 
spray unausgesetzt  funktionieren.  Auch  in 
diesem  Falle  konnte  ich  weder  in  der 
Nase  noch  im  Rachen  irgend  welche 
für  Diphtherie  sprechende  Befunde 
feststellen.  Trotz  der  eingeschlagenen  Be- 
handlung nahmen  zunächst  die  stenotischen 
Erscheinungen  in  der  folgenden  Nacht  derart 
zu,  daß  das  Kind,  wie  die  Mutter  berichtete, 
jeden  Augenblick  zu  ersticken  drohte.  Plötz- 
lich —  es  war  in  der  sechzehnten  Stunde 
nach  der  Injektion  des  Heilserums  —  ließ 
der  Stridor  nach,  die  Atmung  wurde  ruhiger, 
tiefer  Schlaf  stellte  sich  ein,  und  das  Kind 
war  gerettet. 

In  solchen  Fällen,  wo  im  Nasenrachen- 
raum keinerlei  diphtheritische  Plaques  sich 
nachweisen  lassen,  kann  der  scheinbar  primäre 
Larynxkrup  im  Gefolge  eines  leicht  fieber- 
haften, anscheinend  harmlosen  Schnupfens 
durch  Überspringen  der  Entzündung  von  der 
Rachentonsille  auf  den  Larynx  entstanden 
sein  (Heubner3)).  An  diese  Möglichkeit 
muß  auch  schon  deswegen  gedacht  werden, 
weil  die  Erfahrung  lehrt,  daß  schon  ein  ein- 
facher Schnupfen  in  sehr  kurzer  Zeit  zu 
stenotischen  Erscheinungen  im  Larynxeingange 
Anlaß  geben  kann  (Henoch4)).  In  anderen 
Fällen  entwickelt  sich  die  Larynxstenose  im 
Laufe  einer  scheinbar  harmlosen  Angina  la- 
cunaris. Hierbei  kann  es  geschehen,  daß  die 
Pfropfe,  zumal  wenn  sie  nur  winzig  klein 
und  wenig  zahlreich  sind,  sehr  bald  dem 
Nachweise  sich  entziehen,  so  daß  der  Unter- 
sucher bei  Beurteilung  des  Halsleidens  ledig- 
lich auf  die  schmerzhafte  Schwellung  der 
retromaxillaren  Lymphdrüsen  angewiesen  ist. 
An  diese  Möglichkeiten  wird  sich  der  Arzt 
zu  erinnern  haben,  ehe  er  zu  der  Diagnose 
des  primären  Larynxkrup  sich  bestimmen 
läßt.  Diese  Diagnose  ließe  sich  nur  dann 
rechtfertigen,  wenn  die  bakteriologische  Unter- 
suchung auf  Diphtheriebazillen  im  Nasen- 
und  Rachensekret  fehlschlägt.  Jedenfalls  ge- 
winnt der  Beobachter  gerade  bei  solchen 
Fällen,  wo  weder  ätzendes  Nasensekret  noch 
diphtheritischer  Belag  im  Pharynx  nachweis- 
bar ist,  den  Eindruck,  daß  die  diphtheri- 

8)  Lehrbuch  der  Kinderheilkunde.  Leipzig  1903. 
Bd.  I,  S.  461. 

4)  Vorlesungen  über  Kinderkrankheiten.  VI.  Aufl. 
S.  329. 

47* 


622 


H*cht,  Thmwpie  der  diphtherischen  Larynxttenose. 


fTner*] 
L   Moni 


Monatsheft«. 


tische  Larynxstenose  weniger  durch 
Pseudomembranbildung  als  durch  ka- 
tarrhalische Schwellung  der  Schleim- 
haut bedingt  ist. 

Für  die  Richtigkeit  der  von  mir  ver- 
tretenen Anschauung  sprechen  auch  folgende 
Beobachtungen: 

Am  10.  Februar  1903  wurde  ich  1 '/,  h.  p.  m. 
zu  der  6  Jahre  alten  Tochter  des  Hausbesitzers 
Schw.  gerufen.  Nach  Angaben  des  Vaters  erkrankte 
das  Kind  am  8.  Februar  1903  abends.  Der  herbei- 
gerufene Arzt  konstatierte  Diphtherie  und  spritzte 
noch  am  selben  Tage  Heilserum  ein.  Im  Laufe 
des  folgenden  Tages  stellten  sich  Hasten  und  Heiser- 
keit ein.  Hierzu  gesellte  sich  bald  eine  solche 
Atemnot,  daß  der  behandelnde  Arzt  den  Luft- 
röhrenschnitt in  Vorschlag  brachte.  Da  er  jedoch 
für  die  Erhaltung  des  kindlichen  Lebens  keine 
Garantie  übernehmen  wollte,  lehnte  der  Vater  die 
Vornahme  der  Operation  ab  und  zog  einen  andern 
Arzt  zu.  Aber  auch  dieser  erklärte  den  Zustand  für 
höchst  bedrohlich  und  gab  jede  Hoffnung  auf  Er- 
haltung des  Lebens  auf.  Als  ich  das  Kind  zum  ersten- 
mal sah,  fand  ich  den  Pharynx  bereits  frei  von  diph- 
therischen Belägen.  Trotzdem  bestand  hochgradige 
Atemnot  und  Unruhe.  Da  nach  dem  Rachenbe- 
funde zu  urteilen,  die  Wirkung  des  Heilserums  be- 
reits eingetreten  sein  mußte,  konnte  meines  Er- 
achten 8  die  Larjnxstenose  nicht  mehr  durch  Pseudo- 
membranbildung, sondern  lediglich  durch  entzünd- 
liche Schwellung  der  Larynxschleimhaut  bedingt 
sein.  Aus  diesem  Grunde  verordnete  ich  nur  den 
Dampfspray  mit  dem  überraschenden  Erfolge,  daß  die 
Erstickungsgefahr  nach  drei  Stunden  beseitigt  war. 

Ein  anderer  Fall  betraf  die  8  Jahre  alte  Tochter 
des  Kontrolleurs  v.  F.  Dieselbe  erkrankte  am 
21.  Juni  1903  an  Angina  follicularis  und  daran 
anschließend  an  multiplem  Gelenkrheumaiismus. 
Am  27.  Juni  1903  —  das  Kind  hatte  das  Bett 
wegen  des  Rheumatismus  noch  nicht  verlassen  — 
konstatierte  ich  nachmittags  auf  der  rechten  Mandel 
diphtherischen  Belag  von  Bohnengröße  und  Heiser- 
keit mäßigen  Grades.  Trotzdem  sofort  Heilserum 
No.  III  eingespritzt  worden  ist,  steigerte  sich  der 
Luftmangel  in  der  folgenden  Nacht  derart,  daß  ich 
an  die  Vornahme  des  Luftröhrenschnittes  denken 
mußte.  Nur  die  Erwägung,  daß  bei  der  geringen 
Ausdehnung  des  Belages  die  Krupmembranbildung 
sich  unmöglich  bereits  auf  das  Kehlkopfinnere 
erstreckt  haben  konnte,  bestimmte  mich  noch  ab- 
zuwarten. Zur  Beruhigung;  erhielt  das  Kind  vier- 
stündlich 3  Tropfen  Tinct.  tnobaica,  außerdem  wurde 
der  Dampfopray  unausgesetzt  in  Gang  erhalten. 
Auf  diese  Weise  gelang  es  nach  18  Stunden,  die 
Erstickungsgefahr  zu  beseitigen. 

Ein  dritter  Fall  betraf  den  3  Jahre  alten 
Knaben  F.  N.     Derselbe   hatte    im  März  1902  zu 

§  leicher  Zeit  mit  seinen  beiden  Geschwistern  Masern 
urchffemacht.  Im  Verlaufe  derselben  stellte  sich 
Heiserkeit  ein,  welche  der  üblichen  Behandlung 
nicht  weichen  wollte.  Da  die  Halsorgane  nur 
katarrhalische  Veränderungen  aufwiesen,  mußte  die 
Hartnäckigkeit  des  Kehlkopfleidens  Verdacht  er- 
regen, zumal  letzteres  die  ursprüngliche  Krankheit 
bereits  um  12  Tage  überdauerte.  Gewißheit  über 
die  Natur  des  Halsleidens  brachte  erst  das  Auf- 
treten stenotischer  Erscheinungen.  Da  dieselben 
einer  Injektion  von  Behring  No.  III  bereits  in  den 
nächsten  24  Stunden  wichen  —  der  Dampfspray 
wurde  fortgesetzt  — ,  i&t  die  Annahme  gerechtfertigt, 
daß  dieLaryngitisdiphtheritischerNaturwar,  obgleich 
der  bakteriologische  Nachweis  nicht  erbracht  ist. 


Dieser  Fall  mahnt  uns,  wie  schon  He  noch5) 
geraten  hat,  die  bei  den  Masern  auftretende 
Heiserkeit  immer  recht  ernst  zu  nehmen, 
weil  aus  dem  Larynxkatarrh  leicht  eine 
heftigere  Entzündung  mit  fibrinösem  Exsudat, 
mit  einem  Worte  wahrer  Krup,  sich  bilden 
kann.  „Im  Halse  ist  meist  kein  Belag  zu 
sehen,  und  man  ist  noch  darüber  uneinig,  ob 
alle  Fälle  oder  nur  ein  Teil  von  ihnen  auf  echte 
Diphtheritis  des  Kehlkopfes  zurückzufuhren 
sind,  und  der  Rest  auf  einer  besonders 
starken  Laryngitis  infolge  der  Masern  be- 
ruht" (Romberg6)). 

Diese  Fälle,  denen  ich  noch  eine  Reihe 
anderer  hinzufügen  könnte,  mögen  genügen, 
um  die  noch  wenig  gewürdigte  Tatsache  zu 
erhärten,  daß  ein  Teil  der  Fälle  von  diphthe- 
ritischer  Larynxstenose  nicht  durch  Mem- 
branbildung, sondern  durch  ödematose 
Schwellung  der  Kehlkopfschleimhaut 
bedingt  ist.  Wurde  das  Diphtherieheil- 
serum frühzeitig  und  in  gehörigen  Dosen 
injiziert,  so  ist  die  Hoffnung  berechtigt,  daß 
es  gelingen  wird,  das  Atmungshindernis  in 
den  nächsten  24  Stunden  zu  beseitigen.  Zu 
diesem  Zwecke  lasse  man  mehrmals  täglich 
den  Dampfspray,  vielleicht  auch  den  Kokain- 
Adrenalinspray  gebrauchen  und  gebe  zur 
Stillung  des  Lufthungers  Opium  innerlich. 

Wenn  wir  erwägen,  daß  durch  die  Trachco- 
tomie  die  nasale  Atmung  ausgeschaltet  wird, 
und  hierdurch  günstige  Bedingungen  zur  Ab- 
siedlung septischer  Mikroben  wie  des  Strepto- 
kokkus und  Pneumokokkus  geschaffen  werden, 
daß  ferner  der  ohnehin  geschwächte  Organis- 
mus an  den  Folgen  dieser  Mischinfektion 
zugrunde  gehen  kann  (Heubner7)),  so  wird 
den  Bestrebungen,  welche  den  Luftröhren- 
schnitt zu  vermeiden  suchen,  wissenschaftliche 
Berechtigung  nicht  abgesprochen  werden 
dürfen. 


(Aus  dem  pharmakologischen  Institut  der  Unlrersit&t  Wfire- 
burg:   Prof.  Kunkel.) 

Kritisch -experimentelle  Beiträge 

zur  Wirkung:  des  Neben  nierenextrakte* 

(Adrenalin). 

Von 

Dr.  med.  8.  Möller  in  Altona. 

(Von  der  medizin.  Fakultät  "Wartburg  preisgekrönte  Arbeit.) 

[Forttttxung.] 

.Da  ja  bekanntlich  in  der  therapeutischen 
Anwendung  der  Nebennierenextrakte  bis  jetzt 
fast  nur  die  lokale  Applikation  in  Frage 
kommt,  lohnt  es  sich  wohl,  auch  auf  diesen 

*)  Ibidem  S.  696. 

6)  Lehrbuch    der   inneren    Medizin   von    Prof. 
v.  Mering.   III.  Aun.   S.  156. 

7)  Ibidem  S.  464. 


XIX.  Jahrgang.! 

Dewabw  IW5.J 


Möller»  Wirkung  det  Neb«nnlerenextr*ktOT  (Adrenalin). 


623 


Punkt  etwas  näher  einzugehen.  Wenn  ja 
auch  natürlich  hier  die  klinischen  Erfolge 
die  Hauptsache  sind  und  in  den  Vorder- 
grund der  Betrachtungen  speziell  für  den 
Kliniker  zu  stellen  sind,  so  muß  doch  wohl 
betont  werden,  daß  durch  die  theoretische 
Betrachtung  und  durch  die  Nachprüfung  im 
Laboratorium,  im  Tierexperimente  manches 
aufgeklärt  werden  kann,  was  in  der  thera- 
peutischen Anwendung  sich  wohl  durch  die 
Erfahrung  zeigte,  aber  nicht  mit  Sicherheit 
bewiesen  werden  konnte.  So  ist  auch  in 
bezug  auf  die  Frage  der  lokalen  Adrenalin- 
wirkung noch  manches  zu  beantworten,  speziell 
ist  die  Frage,  wie  weit  sich  die  Allgemein- 
wirkung des  Adrenalins  bei  lokaler  Appli- 
kation erstreckt,  noch  ziemlich  unbeantwortet. 
Yon  mehr  theoretischem  Interesse  ist  es,  ob 
die  so  eklatante  Anämisierung  durch  die 
Gefäßkontraktion  sich  auch  bis  auf  die  feinsten 
Kapillaren  hin  erstreckt.  Wie  verhält  es 
sich  mit  der  yon  manchen  beobachteten 
Nachblutung? 

Lokale  Applikation.    Wirkung  auf 
verschiedene  Gefäßgebiete. 

Daß  sich  die  kontrahierende  Wirkung  bei 
lokaler  Applikation  wohl  auf  alle  Gefäß- 
gebiete erstreckt,  mit  Ausnahme  der  Lungen, 
darf  wohl  als  sicher  angenommen  werden. 
Daß  das  Lungengefäßgebiet  auch  bei  lokaler 
Applikation  von  der  Konstriktion  ausge- 
schlossen ist,  darauf  habe  ich  ja  schon  im 
vorigen  Abschnitt  hingewiesen.  Ich  betone 
hier  noch  einmal  die  Beobachtungen  Velichs, 
der  wie  auch  Langlois  bei  direkter  Appli- 
kation auf  die  Lunge  kein  Erblassen  ein- 
treten sah.  Auch  meine  Beobachtungen  an 
der  Lunge    des  Frosches    sprechen   dagegen. 

Wie  nun  die  von  einigen  Klinikern  beob- 
achtete günstige  Wirkung  des  Adrenalins  bei 
Hämoptyse  zu  erklären  ist,  läßt  sich  nicht 
sagen.  Andere  wie  Renon  und  Louste, 
Kasten  etc.  haben  nie  eine  solche  gesehen. 
Ob  durch  die  tuberkulösen  Prozesse  eine 
solche  Veränderung  der  Blutgefäße  der  Lunge 
stattgefunden  hat,  daß  das  Nebennierenextrakt 
auf  sie  wirken  kann,  darüber  läßt  sich  natür- 
lich nichts  sagen,  und  ist  dieses  wohl  so  gut 
wie  ausgeschlossen.  Auf  die  normalen  Lungen- 
gefäße ist  es  jedenfalls  ohne  Wirkung.  Es 
wird  vielmehr  neuerdings  von  'französischen 
Forschern  gerade  das  Gegenteil  für  die  Hämo- 
ptyse empfohlen,  das  Amylnitrit,  das  durch 
die  Gefaßerweiterung  eine  starke  Herabsetzung 
des  Blutdruckes  in  der  Lunge  bewirkt  und 
so  die  Blutung  vermindert. 

Was  die  übrigen  Gefäßbezirke  anbetrifft, 
so  haben  die  schon  bei  der  Allgemeinwirkung 
erwähnten  Versuche  ja  ergeben,  daß  fast  alle 


Bezirke  in  dem  einen  oder  dem  anderen 
Falle  durch  Adrenalin  eine  deutliche  Gefaß- 
verengerung zeigen.  Durch  die  künstliche 
Durchblutung  der  isolierten  Organe,  Extremi- 
täten etc.  ist  dann  gezeigt  worden,  daß  die  Wir- 
kung überall  peripherischer  Natur  ist.  Schon 
Biedl  und  Velich  haben  mit  dem  Neben- 
nierenextrakt an  künstlich  durchbluteten  iso- 
lierten Organen  diese  peripherische  gefäß- 
kontrahierende Eigenschaft  festgestellt,  und 
seitdem  sind  teils  mit  dem  Onkometer  nach 
Roy,  teils  durch  Messung  der  Ausflußmenge, 
teils  durch  Inspektion  diese  Versuche  zu  den 
verschiedensten  Zwecken  wiederholt  worden. 
So  zeigt  Gottlieb  an  der  isolierten  Niere 
die  Wirkung  des  Adrenalins  auf  ein  vorher 
mit  Ghloralhydrat  behandeltes  Organ.  B  ardier 
und  Frenkel  vergleichen  das  Nieren volumen 
vor  und  nach  Adrenalinwirkung  im  Zusammen- 
hang mit  Störungen  der  Urinsekretion. 

Batelli  und  Embden  und  Fürth  auch 
Langlois  benützen  diese  künstlich  durch- 
bluteten Organe,  um  zu  zeigen,  ob  in  der 
Leber  das  Adrenalin  bei  der  Ausübung  seiner 
gefäßverengernden  Wirkung  mehr  zerstört  wird 
als  an  den  Extremitäten  und  so  noch  anderes. 
Überall  zeigte  sich  hier  die  Gefäßkonstriktion, 
nur  nicht  an  der  Lunge.  Recht  eklatant  soll 
sich  auch  nach  Kurdinowski  diese  Wirkung 
der  Gefäßverengerung  an  dem  künstlich  durch- 
strömten Uterus  zeigen.  In  einer  größeren 
Anzahl  von  Versuchen  ist  ferner  gezeigt 
worden,  daß  durch  die  lokale  Applikation 
an  den  verschiedenen  inneren  Organen  recht 
gute  anämisierende  Wirkung  erzielt  werden 
konnte.  Hervortretend  ist  hier,  wie  dieses 
natürlich  auch  einleuchtend  ist,  der  Unter- 
schied, der  in  der  an  anvisierenden  Wir- 
kung je  nach  dem  Blutreichtum  des  be- 
treffenden Organes  auftrat.  Die  schon  ein- 
mal erwähnten  Versuche  von  Carnot  und 
Josserand  ergaben  allerdings  bei  direkter 
Applikation  ein  ziemlich  negatives  Resultat. 
In  den  Fällen,  wo  sie  bis  1  mg  durch  Auf- 
tropfen applizierten,  sahen  sie  auf  Magen 
und  Darm  geringe  anämisierende  Wirkung, 
auf  Leber,  Niere  und  Lunge  gar  keine  Wir- 
kung. Auch  bei  lokaler  Injektion  kleiner 
Dosen  war  hier  die  Anämisierung  sehr  gering. 
Doch  hat  ja  das  Experimentieren  an  er- 
öffneter Bauchhöhle  immer  seine  Nachteile, 
da  die  Abkühlung  und  andere  pathologische 
Reizung  bei  den  empfindlichen  abdominalen 
Organen  immer  mit  in  Betracht  zu  ziehen 
sind,  und  nebenbei  diese  Wirkung  therapeu- 
tisch ja  noch  wenig  in  Betracht  kommt. 
Andere  Autoren  haben  hier  allerdings  speziell 
bei  der  lokalen  Injektion  viel  bessere  Resultate 
erhalten,  wie  wir  gleich  sehen  werden. 


634 


Möller,  Wirkung  dM  N*b«uü«r«a«xtr**t«s  (Adrenalin). 


Therapeutische  Anwendung. 
Subkutane  Injektion. 
Die  Wirkung  verschiedener  Dosierung  bei 
subkutaner  Iojektion  ist  zuerst  von  Braun 
näher  analysiert  worden.  Er  bildete  mit 
verschiedenen  Verdünnungen  der  käuflichen 
Sol.AdrenaLhydrchl.  Quaddeln  am  Vorderarm 
von  dem  Durchmesser  f/a  cm-  Bei  ^er  Lösung 
1 :  1000  erhielt  er  dann  eine  anämische,  voll- 
kommen weiße  Zone  in  der  Umgebung  der 
Quaddel,  so  daß  der  Durchmesser  dieser 
Stelle  dann  2 — 6  cm  betrug.  Die  Anämie 
hielt  etwa  1  Stunde  an  und  ist  nach  3  bis 
4  Stunden  wieder  restituiert.  Mit  einer 
Adrenalinlosnng  1  :  10000  wurde  ein  Bezirk 
von  1 — 2  ]/9  cm  Durchmesser  anämisch.  Die 
Dauer  war  !/f  Stunde.  Eine  Lösung  von 
1  :  100000  ergab  noch  einen  anämischen 
Hautbezirk  vod  doppeltem  Durchmesser,  und 
nach  */4  Stunde  begann  die  Rückkehr  zur 
Norm.  Sogar  in  der  Verdünnung  1  :  1000000 
zeigt  sich  noch  eine  Blässe  der  Quaddel  ein 
ein  Nichtbluten  des  Stichkanales,  während 
eine  Quaddel  mit  reiner  Kochsalzlösung  schnell 
nach  der  Injektion  hyperämisch  wird.  Von 
den  sonstigen  Erscheinungen  ist  noch  zu  er- 
wähnen, daß  sich  in  der  Umgebung  der 
anämischen  Stelle  eine  leichte  hyperämieche 
Zone  allmählich  einstellt,  die  wohl  analog 
dem  hyperämischen  Herde  bei  anämischem 
Infarkt  zu  erklären  ist.  Das  Auftreten  einer 
sogenannten  Gänsehaut  ist  wohl  analog  der 
von  Lewandowsky  gefundenen  Wirkung  auf 
den  Muscul.  arrect,  pilorum  zu  erklären,  auf 
die  ich  später  noch  zurückkommen  werde. 
In  weiterem  führt  Braun  dann  aus,  wie 
diese  so  eklatante  Anämisierung  des  sub- 
kutanen Gewebes  mit  Erfolg  in  der  kleineren 
chirurgischen  Praxis  verwendet  werden  kann. 
Auf  die  Methode  der  Kombination  mit  Kokain 
zur  Analgesierung,  um  die  sich  Braun  wie 
ja  überhaupt  um  die  Frage  der  lokalen 
Anästhesie  besonders  verdient  gemacht  hat, 
werde  ich  nachher  näher  zurückkommen. 
Hier  möchte  ich  erwähnen,  daß  diese  Methode 
der  Injektion  zur  Erzeugung  lokaler  Blutleere 
nicht  nur  auf  das  subkutane  Gewebe  be- 
schränkt geblieben  ist,  sondern  auch  einige 
Chirurgen  dazu  gebracht  hat,  sie  auch  bei 
Operationen,  bei  denen  sonst  starke  Blutung 
recht  hinderlich  ist,  anzuwenden.  Ich  meine 
hier  speziell  die  Strumenexstirpation,  die 
Operationen  an  der  Leber  etc.  Allerdings 
befinden  sich  diese  Methoden  erst  in  ihren 
allerersten  Stadien  und  werden  fürs  erste  wegen 
der  Gefahr  der  Allgemeinwirkung  sich  wohl 
noch  nicht  allgemein  einführen.  Doch  hat 
zuerst  Lehmann  und  neuerdings  Müller 
in  sehr  schönen  experimentellen  Studien  am 
Hunde  gezeigt,    daß  durch  das  Nebennieren- 


extrakt speziell  an  der  Leber,  dem  OrganT 
das  wegen  der  starken  Blutungsgefahr  sonst 
chirurgisch  fast  ganz  unangreifbar  war,  eine 
vollständige  Anämie  herbeigeführt  wird,  und 
jeder  chirurgische  Eingriff,  wenn  man  sieh 
nur  streng  in  der  anämischen  Zone  hält, 
vorgenommen  werden  kann.  Allerdings  müssen 
hier  stärkere  Konsentrationen  und  größere 
Mengen  der  Substanz  angewendet  werden  als 
z.  B.  bei  dem  Anämisieren  des  subkutanen 
Gewebes.  Müller  führt  des  näheren  die 
Technik  aus,  wie  man  bei  der  Injektion 
vorgehen  soll,  und  bespricht  auch  die  Dosen, 
die  anzuwenden  sind,  je  nach  dem  Blutreich- 
tum der  Organe,  bei  Haut,  Muskel  und  Fett- 
gewebe 1  :  5000  uod  bei  größeren  Bezirken 
1:10000,  bei  blutreichen  parenchymatösen 
Organen,  Leber,  Niere,  Drüsen,  bei  kleinem 
Bezirk  1  :  1000,  bei  großem  1 :  2000  der 
Substanz.  Auch  hinsichtlich  der  Dauer  und 
des  Eintrittes  der  Anämisierung  läßt  sich  je 
nach  der  Konzentration  ein  bedeutender 
Unterschied  erkennen,  wie  es  ja  aus  den 
erwähnten  Quaddel  versuchen  Brauns  hervor- 
geht. Müller  betont  noch,  daß  auch  in 
den  blutreicheren  Organen  die  Wirkung  des 
Adrenalins  viel  eher  aufhört,  wahrscheinlich 
weil  durch  die  ausgedehntere  Zirkulation 
mehr  Adrenalin  in  den  allgemeinen  Kreis- 
lauf übergeht.  Es  wird  mehr  verdünnt  durch 
das  Blut  und  auch  weiter  in  die  Umgebung 
fortgeführt.  Ich  werde  nachher  wohl  noch 
einmal  darauf  zurückkommen.  Von  den 
vielen  anderen  Veröffentlichungen  über  den 
Einfluß  der  subkutanen  oder  parenchymatösen 
Injektionen  führe  ich  hier  keine  an,  da  sie 
sich  im  wesentlichen  mit  den  Anschauungen 
Brauns  und  Müllers  vollkommen  decken. 
Eine  neuerdings  mehr  in  Aufnahme  kommende 
Anwendung  des  Adrenalins  zur  Anämisierung 
der  Portio  vaginalis  bei  Probeexzisionen,  bei 
der  auch  Müller  recht  gute  Resultate  erzielt 
hat,  wird  kürzlieh  in  einer  Veröffentlichung 
von  Freund  als  ziemlich  unwirksam  be- 
trachtet. Woran  die  schlechten  Resultate 
dieses  Verfassers  liegen,  kann  ich  im  Augen- 
blicke nicht  erklären,  zumal  da  entgegen- 
gesetzte Ansichten  auch  von  anderer  Seite 
vorliegen,  von  Fiat  au  etc.  An  dem  Präparat 
kann  es  wohl  auch  nicht  gelegen  haben, 
denn  Freund  erhielt  zur  Anämisierung  bei 
Dammplastik  recht  schöne  Erfolge. 

Man  kann,  wie  gesagt,  aus  den  grund- 
legenden Arbeiten  Brauns  und  Müllers 
ein  recht  schönes  Gesamtbild  über  die  An- 
wendung der  subkutanen  Injektionen  in  der 
Klein  Chirurgie  erhalten,  so  daß  ich  nicht  näher 
darauf  eiuzugehen  brauche.  Vielmehr  möchte 
ich  jetzt  kurz  über  die  lokale  Applikation  auf 
die   äußere  Haut   und   die  Schleimhäute  be- 


XIX.  Jahrgang.! 
Deaember  1905.J 


NölUr,  Wirkung  du  N«b*nnl«r«n«ztraktM  (Adrenalin). 


625 


richten,  um  im  Anschluß  daran  noch  einige 
mehr  theoretische  Fragen  in  betreff  der 
Dauer  und  Ausbreitung  der  Nebennieren- 
extraktwirkung  zu  erörtern. 

Lokale  äußerliche  Applikation. 

Gebe  ich  in  folgendem  eine  kurze  Über- 
sicht über  die  teilweise  durch  klinische  Be- 
obachtung, teilweise  durch  Versuche  im  La- 
boratorium gewonnenen  Resultate,  so  wäre 
zuerst  zu  erwähnen,  daß  die  Applikation  auf 
die  äußere  Haut  ohne  jegliche  Einwirkung 
auf  die  Gefäße  ist,  denn  die  Substanz  dringt 
nicht  durch  die  unverletzte  Epidermis  hin- 
durch, wovon  man  sich  in  jedem  Augenblick 
überzeugen  kann.  Entfernt  man  jedoch  die 
Epidermis  auf  irgend  eine  Weise,  z.  B.  durch 
Abreiben  mit  feinem  Schmirgelpapier,  so 
kann  man,  wie  dieses  zuerst  Bukofzer  be- 
obachtete, die  konstringierende  Wirkung  gut 
sehen.  Er  fand,  daß  man  dann  mit  einem 
feinen,  in  Adrenalin  getauchten  Pinselchen 
deutlich  Figuren  auf  die  betreffende  Stelle 
zeichnen  kann,  die  sich,  wenn  auch  etwas 
vergröbert,  scharf  abheben  als  weiße  Striche 
und  zirka  6  Stunden  gut  sichtbar  sind. 
Ich  habe  diese  Beobachtung  genau  in  der 
gleichen  Weise  bei  mir  selber  anstellen 
können.  Die  Figuren  hoben  sich  von  der 
durch  die  mechanische  Irritation  des  Abreibens 
etwas  hyperämischen  Stelle  sehr  deutlich 
hellweiß  ab,  waren  auch  viel  blässer  als  die 
Stellen  der  umgebenden  intakten  Epidermis. 
Schon  Va  Minute  nach  der  Applikation  war 
sie  recht  deutlich  zu  sehen,  um  nach  6  bis 
7  Minuten  das  Maximum  der  Eonstriktion 
zu  zeigen,  die  nach  2  Vt  Stunden  noch  fast 
ebenso  stark  bestand,  und  auch  nach  5  Stun- 
den war  sie  noch  recht  deutlich  sichtbar. 
Diese  anämisierende  Wirkung  wird  neuer- 
dings auch  in  der  Hauttherapie  angewendet, 
um  an  von  Epidermis  entblößten  Stellen, 
z.  B.  bei  Lupus,  die  therapeutische  Wirkung 
einiger  Mittel,  die  durch  den  Blutstrom  etwas 
am  Eindringen  in  die  tieferen  Schichten  ge- 
hindert werden,  intensiver  zu  gestalten.  Ganz 
ähnlich  ist  ja  auch  die  Wirkung  an  den 
Schleimhäuten.  Hier,  wo  die  schützende 
Epidermisdecke  fehlt,  dringt  das  Adrenalin, 
wie  leicht  verständlich,  eher  in  die  tieferen 
Schichten  ein  und  bringt  die  bekannte  anämi- 
sierende Wirkung  hervor,  die  ja  so  viel  in 
der  Ophthalmologie  und  wohl  noch  mehr  in 
der  Rhinol ogie  und  der  Laryngologie  benutzt 
wird.  Wie  Dor  zuerst  fand,  bringt  ja 
Adrenalin,  in  den  Conjunctivalsack  ein  ge- 
geträufelt, dort  nach  wenigen  Minuten  eine 
fast  vollständige  Blässe  der  vorher  stark 
injizierten  Eonjunktiva  hervor.  Ebenso  deut- 
lich   läßt    sich    auch    die  Wirkung  auf  der 


Nasenschleimhaut  zeigen.  Geringe  Mengen, 
auf  einem  Wattebausch  oder  mit  einem 
Pinsel  auf  die  Schleimhaut  der  Nasenscheide- 
wand gebracht,  bringen  dieselbe  in  kurzer 
Zeit,  je  nach  der  Konzentration,  in  2  bis 
10  Minuten  zur  Abblassung.  Nur  die  tiefer 
gelegenen  Gefäße  mit  ihren  Verzweigungen 
treten  deutlich  auf  dem  weißen  Hintergrunde 
hervor.  In  der  gleichen  Weise  bringt  das 
Adrenalin  wohl,  lokal  appliziert,  eine  mehr 
oder  minder  stark  anämisierende  Wirkung 
auf  allen  Schleimhäuten  hervor.  In  der' 
Laryngologie  ist  diese  Wirkung  auf  die 
Schleimhaut  des  Kehlkopfes  von  Bukofzer 
und  vielen  anderen  betont  worden.  Besonderes 
Gewicht  wird  hier  auch  darauf  gelegt,  daß 
auch  auf  entzündlich  geschwollenen  Schleim- 
häuten diese  gefäßkontrahierende  Wirkung 
auftritt  und  therapeutisch  verwendet  wird, 
nicht  nur  zur  Anämie,  sondern  auch  zur 
Abschwellung  der  entzündlich  hvperämisch 
geschwollenen  Schleimhaut.  Für  die  Nasen- 
schleimhaut ist  dieses  als  recht  wichtig  und 
förderlich  bei  der  Diagnose  der  Kieferhöhlen- 
empyeme  hervorgehoben  worden  und  wird 
jetzt  auch  wohl  überall  angewendet.  Eben 
dasselbe  gilt  auch  von  der  Larynxschleim- 
haut,  und  ist  hier  besonders  die  Wirkung  bei 
akuten  Laryngitiden,  die  mit  schwerer  Heiser- 
keit einhergehen,  lobend  erwähnt  worden. 
Auch  für  die  Blasen-  und  Urethralschleimhaut 
wird  die  Wirkung  dünner  Lösungen  betont, 
die  gut  auf  die  entzündete  Blasenschleimhaut 
und  zur  Abschwellung  der  entzündeten 
Urethralschleimhaut  speziell  beim  Bougieren 
von  Strikturen  wirken  sollen.  Für  die 
Schleimhaut  der  Gebärmutter  ist  es  nach 
den  Erfahrungen  von  Cr  am  er  u.  a.  ebenso. 
Auch  hat  Fenomenoff  bei  lokaler  Appli- 
kation des  Adrenalins  mittels  eines  Watte- 
bausches auf  ein  Uterushorn  beim  Kaninchen 
deutliche  zirkumskripte  Anämie  durch  das 
Peritonaeum  hindurch  hervorgebracht.  Schließ- 
lich ist  hier  die,  wenn  auch  oft  lobend 
erwähnte,  so  doch  nicht  so  sehr  hervor- 
stechende Wirkung  der  Blutstillung,  z.  B. 
bei  Epistaxis  und  anderen  kleinen,  stark 
blutenden  Wunden,  zu  erwähnen,  wo  die 
Applikation  von  mit  Adrenalin  getränkten 
Tampons  durch  Kontraktion  der  Gefäße  die 
Blutstillung  bewirkt.  Besonders  bei  Hämo- 
philen, wo  die  gerinnungsbefördernden  Mittel 
weniger  wirken,  sind  hier  recht  eklatante 
Erfolge  berichtet.  Auch  bei  Blutungen  im 
Gastrointestinaltractus ,  speziell  bei  frischen 
Ulcus  ventriculi  Blutungen,  wie  auch  bei 
typhösen  Darmblutungen  scheint  das  Adre- 
nalin nach  Fenwicks,  Graeser  u.  a.  recht 
gut  zu  wirken.  Doch  sind  hier  wohl  immer 
stärkere    Dosen    notig,     da   ja    eine    starke 


626 


Möller,  Wirkung  det  Nebenniaren«ztrakt*t  (Adrenalin). 


TTlMrapeutiache 
L    lfton&tftfacfte. 


Verdünnerung  im  Magen  eintritt.  Doch 
scheinen  diese  nicht  sehr  schädlich  zu  sein, 
Weil  die  Resorption  vom  Magendarmkamal 
aus,  wie  ich  nachher  noch  etwas  näher  be- 
leuchten werde,  wohl  nur  verhältnismäßig  sehr 
geringen  Grades  ist.  Doch  scheinen  hier  bei 
den  relativ  wenig  veränderten  frischen  Ge- 
schwüren nach  den  bisherigen  Berichten  die 
Erfolge  am  besten  zu  sein,  was  ja  wohl  auch 
recht  begreiflich  ist.  Wenn  auch  der  Er- 
folg nicht  immer  ganz  sicher  ist,  da  es  un- 
möglich ist,  die  Substanz,  per  os  gegeben, 
nach  der  richtigen  Stelle  zu  dirigieren,  so 
darf  diese  Therapie  doch  wohl  mit  einiger 
Berechtigung  angewendet  werden  und  muß 
es  auch,  wenn  andere  Mittel  versagen.   — 

Theoretische  Analyse. 
Wirkung  auf  größere  Gefäße. 
So  viel  von  den  praktischen  Erfahrungen. 
Eine  nähere  Analyse  dieser  gefäß verengernden 
Wirkung  bei  lokaler  Applikation  hat  zuerst 
Bukofzer  zu  erbringen  versucht  und,  wie 
es  scheint,  mit  Erfolg.  Ausgehend  von  den 
Beobachtungen  an  der  Nasenschleimhaut,  daß 
bei  starker  Anämisierung  der  oberflächlichen 
Schicht  die  größeren  Gefäße  doch  deutlich 
aus  der  Tiefe  hindurchleuchten,  sucht  er 
zuerst  darzulegen,  daß  auch  die  größeren 
Gefäße  vom  Adrenalin  beeinflußt  werden. 

An  den  Ohrgefäßen  eines  Kaninchens 
ritzte  er  nach  Entfernung  der  Haare  mittels 
Calci  um sulfhydrates  die  Haut  an  der  Stelle 
der  Gefäße  ein  wenig  an  und  konnte  nun 
nach  Einreibung  einiger  Tropfen  Adrenalin 
sowohl  an  der  Arterie  als  an  der  Vene  eine 
deutliche  lokale  Einschnürung  feststellen,  die 
nach  !/a  —  1  Minute  auftritt.  Bei  isolierter 
Behandlung  der  Arterie  war  zentripetal  nur 
knapp  1  cm  weit  die  Wirkung  zu  sehen, 
zentrifugal  aber  zeigte  sich  infolge  der  rela- 
tiven Leere  die  Arterie  nur  als  ein  ganz 
feiner  pulsierender  Faden.  Auch  die  Vene 
schien  dann  blutleer.  Bei  isolierter  Appli- 
kation auf  die  Vene  zeigte  sich  gleiches, 
doch  nicht  in  derselben  Ausdehnung  wie  an 
der  Arterie.  Dieser  Versuch  läßt  sich  leicht 
wiederholen.  Doch  fand  ich,  daß  meistens 
nur  die  lokale  Kontraktion  zu  sehen  ist, 
und  ist  der  Einfluß  auf  den  peripheren  Teil 
der  Arterie  bei  meinen  Tieren  recht  unbe- 
deutend gewesen.  Die  okalen  Einschnürungen 
zeigten  sich  aber  in  den  6  untersuchten 
Fällen  immer  ganz  deutlich.  Es  ist  also 
kein  Zweifel,  daß  bei  der  lokalen  Applikation 
sowohl  Arterien  wie  Venen  stark  im  Sinne 
einer  aktiven  Kontraktion  beeinflußt  werden. 
Dieses  haben  auch  Braun  u.  Müller  in 
ihren  Versuchen  bei  der  subkutanen  und 
intraparenchymatösen  Injektion  hervorgehoben. 


Speziell  Müller  weist  darauf  hin,  daß  nach 
Infiltration  des  Gewebes  mit  der  Adrenalin- 
lösung man  die  Beobachtung  macht,  z.  B. 
beim  Durchtrennen  der  Bauchmuskeln  zur 
Laparotomie  recht  deutlich,  daß  nicht  nur 
die  diffuse  Blutung  aus  Haut,  Muskulatur 
und  Fettgewebe  ganz  fehlt,  die  Haut  z.  B. 
an  den  Stellen,  wo  kein  größeres  Gefäß 
durchschnitten  worden  ist,  tatsächlich  gelb- 
lichweiß auf  dem  Durchschnitte  aussieht, 
wo  sie  sonst  mit  Blut  rot  gefärbt  ist,  sondern 
daß  auch  die  größeren  Gefäße,  die  sonst 
stark  bluteten,  jetzt  bedeutend  weniger  bluten 
und  bald  nach  dem  Durchschneiden  auch 
ohne  Unterbindung  von  selbst  versiegen.  Er 
erklärt  sich  das  denn  auch  in  der  Weise, 
daß  das  Adrenalin,  in  die  Umgebung  des 
intakten  Gefäßes  gespritzt,  nicht  vermag,  die 
Muskulatur  derart  zu  reizen,  daß  das  Gefäß 
bis  zum  Verschluß  des  Lumens  kontrahiert 
wird.  Erst  nach  der  Durchschneidung  wird 
besonders  an  den  kleineren  Gefäßen  die 
Durchschnitts  stelle  so  kontrahiert,  daß  eine 
Einstülpung  der  Gefäßwand  nach  innen  statt- 
findet, und  so  ein  vollständiger  Verschluß 
des  Lumens,  unterstützt  von  gerinnendem 
Blute,  herbeigeführt  wird.  Ob  diese  Auf- 
fassung ganz  richtig  ist,  mag  dahingestellt 
bleiben.  Jedenfalls  steht  fest,  daß  eine 
deutliche  aktive  Kontraktion  an  den  größeren 
Arterien  und  Venen  bei  lokaler  Applikation 
stattfindet. 

Daß  die  kleineren  Gefäße  kontrahiert 
werden,  ist  ja  nach  den  eben  beschriebenen 
Erscheinungen  der  durchtrennten  Haut  und 
der  lokalen  starken  Anämie  der  Schleim- 
häute beim  Betupfen  mit  Adrenalin  kein 
Zweifel.  Die  Frage  aber,  ob  sich  diese 
Kontraktion  auch  auf  die  Kapillaren  erstreckt, 
ist  bis  jetzt  noch  nicht  endgültig  entschieden. 

Wirkung  auf  kleinere  Gefäße. 
Bukofzer  ist  dieser  Frage  näher  ge- 
treten, indem  er  die  Froschschwimmhaut,  die 
ja  im  allgemeinen  recht  geeignet  ist  zur  Analyse 
und  Betrachtung  von  Einwirkungen  auf  ein 
kleines  Gefäßgebiet,  einer  Behandlung  mit 
Adrenalin  unterwarf,  und  zwar  verfuhr  er  in 
folgender  Weise.  Das  Tier  wurde  in  4  proz. 
Alkohol  gebracht  und  nach  Verlauf  einer 
halben  Stunde  völlig  betäubt  unter  das 
Mikroskop  gelegt.  Das  allgemein  bekannte 
Bild  der  Blutzirkulation  war  besonders  deut- 
lich am  Schwimmhautrande  zu  sehen.  Bu- 
kofzer suchte  eine  Stelle  aus,  an  der  sowohl 
je  eine  Arterie  und  Vene  als  auch  eine 
ganze  Reihe  größerer  und  kleinerer  Kapillaren 
sich  im  Gesichtsfelde  befanden.  Auf  den 
Schwimmhautrand  wurde  nun  eine  minimale 
Menge  Adrenalin  gepinselt.    Bukofzer  beob- 


XIX.  Jahrgang. 1 
Deieroher  1905.J 


Möller»  Wirkung  das 


(Adranmlin). 


627 


achtet  dann  folgendes:  „Während  Arterie, Vene 
nnd    die    größeren    Kapillaren     unverändert 
bleiben,  sieht  man,  daß  die  kleineren  Kapil- 
laren an  einzelnen  Stellen  nur  von  wenigen 
Blutkörperchen  und  in  verlangsamter  Bewe- 
gung passiert  werden.    Das  Kapillarrohr  zeigt 
in  seinem  Yerlaufe  keine  sichtbare  Verände- 
rung; an  seiner  Ursprungsstelle  jedoch  scheint 
sich    dem    Strom    der    Blutkörperchen     ein 
Hindernis  entgegenzustellen.    Man  sieht  deut- 
lich,   wie    ein   Teil   der   Körperchen  in   das 
ursprüngliche  Strombett  einzudringen  versucht, 
aber  ohne  Erfolg;  in  schwankender  Bewegung 
bleiben  sie  an  dieser  Stelle  liegen  und  strömen 
schließlich  in  eine  Nebenarkade  ein.    Nur  ab 
und   zu    gelangt    ein  Blutkörperchen  in   das 
Kapillarrohr;    mitunter    freilich    stürzt    eine 
ganze  Anzahl  in  das  Kapillarlumen  wie  durch 
äußeren    Druck    hinein,    um    dort    entweder 
liegen    zu    bleiben    oder    mit  dem   nächsten 
Schub    fortgerissen    zu    werden.      In    vielen 
Kapillaren  sieht  man  dann  Konglomerate  von 
Blutkörperchen,  andere  sind  ganz  leer,  manche 
verraten     ihre    Gegenwart     nur    durch     die 
Bewegung  im  Innern.   —  Nun  macht  sich  in 
vielen  Kapillaren  eine  Schwankung  des  Inhalts 
nach  vor- und  rückwärts  geltend.  —  Inzwischen 
ist    auch    die  Bewegung  in   der  Vene  lang- 
samer geworden,   und   auch   die  Arterie  hat 
nicht  mehr  die  Kraft,    den  Widerstand    an 
den    Teilungsstellen    zu    überwinden.      Das 
Blut  sucht  einen  mehr  zentral  gelegenen  Weg, 
um  in  die  Vene  zu  gelangen,  das  dann  unter 
stärkerem  Druck  peripherwärts  strömt  unter 
Überwindung    des   sehr  matten  zentripetalen 
Druckes    in     der    Vene.       Die     zentrifugale 
Strömung    gewinnt    die    Oberhand,    es    tritt 
eine    starke    rückläufige  Bewegung    in  Vene 
und  Kapillaren    auf,    die  ihrerseits   auf  den 
peripheren  Teil   der  Arterie  wirkt  und  auch 
hier  eine  Schwankung  nach  vor-  und  rück- 
wärts veranlaßt.     Plötzlich   steht    alles  still. 
Nach  langer  Zeit  tritt  wieder  Bewegung  ein, 
und  es   dauert  stundenlang  bis  alles  wieder 
seinen  alten  Weg  geht." 

In  fast  gleicher  Weise  schildert  Hahn 
seine  Beobachtungen  bei  der  Applikation 
des  Nebennierenextraktes  auf  die  Schwimm- 
haut des  Frosches.  Auch  er  legt  das  Haupt- 
gewicht auf  die  Behinderung  des  Eintrittes 
des  Blutes  in  die  Kapillaren,  trotzdem  auch 
er  keine  sichtbaren  Veränderungen  weder 
an  den  großen  Arterien  und  Venen  noch  an 
den  Kapillaren  beobachten  konnte.  Er  hebt 
nur  hervor,  daß  es  nicht  immer  mit  Sicher- 
heit gelingt,  diese  Einwirkung  des  Adrena- 
lins auf  den  Kreislauf  der  Schwimmhaut  zu 
beobachten,  und  zwar  macht  er  dieses  ab- 
hängig von  gewissen  individuellenVerschieden- 
heiten  der  Tiere,  die  sich  teils  auf  die  Ge- 

Th.lL  1905. 


fäße,  teils  auf  die  Schwimmhautbeschaffenheit 
erstrecken,  und  er  findet  darin  eine  Bestäti- 
gung der  häufiger  in  der  Praxis  gemachten 
Erfahrung,  daß  unter  einer  Reihe  erfolgreich 
mit  Adrenalin  behandelter  Patienten  einer 
oder  der  andere  der  therapeutischen  Anwen- 
dung des  Mittels  spottet.  Auch  mit  bloßen 
Aufträufelungen  des  Adrenalins  aus  einer 
Pipette,  um  eventuelle  Reizungen  der  Schwimm- 
haut durch  das  mechanische  Bestreichen  zu 
vermeiden,  und  mit  gleichen  Untersuchungen 
auf  der  Zunge  des  Frosches  erhielt  Hahn 
ganz   analoge  Resultate. 

Noch  bevor  ich  Hahns  Arbeit  zu  Gesicht 
bekam,  konnte  ich  die  Befunde  Bukofzers 
bestätigen,  und  zwar  war  auch  mir  auffallend, 
daß  an  den  größeren  Gefäßen  keinerlei 
Veränderungen  auftraten.  Es  waren  selbst 
mit  Zuhilfenahme  des  Okularmikrometers 
keinerlei  Verengerungen  weder  an  den  Ar- 
terien und  Venen  der  Schwimmhaut,  noch 
an  den  Kapillaren  zu  beobachten,  und  doch 
mußte  ja  ein  Einfluß  auf  den  Kreislauf  statt- 
gefunden haben.  Ja  ich  beobachtete  in  einer 
Anzahl  von  Versuchen  ein  viel  stürmischeres 
Auftreten  der  Erscheinungen,  so  daß  ich  oft 
die  Beobachtungen  gar  nicht  so  genau  ana- 
lysieren konnte,  wie  Bukofzer  dieses  tat. 
Ich  gebe  hier  als  Beispiel  wieder  das 

Venuchsprotokoü  vom  8.  VII.  04. 

Rana  esculenta;  betäubt  mit  0,3  ccm  Curare  1 :  1500. 

10  Uhr  40.  Aufspannung.  Zirkulation  der  Schwimm- 
haut ist  gut.  In  Arterie  und  Vene  kann  man 
wegen  der  Schnelligkeit  die  Richtung  kaum 
erkennen. 

10  Uhr  51.  Bestreichen  der  unter  dem  Mikroskop 
sichtbaren  Stelle  mit  einem  in  Epirenan  1 :  1000 

fetauchten  feinen  Pinsel, 
r  53.    Verlangsamung    des    Stromes    in   den 
Kapillaren,  in  einzelnen  Stillstand,   Hin-  und 
Herbewegung.    In  den  größeren  Bewegung. 
10  Uhr  55.    Auch  Stillstand  in  der  Randvene.    In 

der  Arterie  noch  langsamer  Strom. 
10  Uhr  56.  In  der  Arterie  Hin-  und  Herschwanken 
des  Blutstroms;   in  der  Vene  rückläufige  Be- 
wegung. 

10  Uhr  58.    Langsamer    Wiederbeginn    der    regel- 

mäßigen Zirkulation  in  der  Arterie  und  Vene. 
Die  meisten  Kapillaren  noch  stillstehend. 

11  Uhr  10.  Herstellung  der  Zirkulation  des  ganzen 

Gebietes,    wenn    auch    vielleicht   noch    etwas 
langsam. 

Aus  diesen  kurzen  Notizen  kann  man 
sich  wohl  nach  der  erwähnten  Schilderung 
Bukofzers  den  Gesamtverlauf  wieder  re- 
konstruieren. Wie  gesagt,  ist  das  schnellere 
Eintreten  der  Wirkung  und  vor  allem  auch 
das  schnellere  Abklingen  auffallig  in  diesem 
Versuch.  Ebendasselbe  sah  ich  in  einer 
Reihe  anderer  analoger  Versuche,  und  auch 
an  der  Zungenschleimhaut  des  Frosches 
konnte  ich  eine  so  schnelle  Wirkung  der 
Epirenan applikation  konstatieren.   Doch  mag 

48 


628 


Möller,  Wirkung  d«t  N«bennl*r*nextraktes  (Adrenalin). 


rTberapen  tisch 
l    Mnnnt'hffYA. 


dieses  wohl  auf  einer  speziellen  Individualität 
der  zuerst  von  mir  benutzten  Sommerfrösche 
beruhen.  Denn  als  ich,  eigens  um  dieses 
zu  prüfen,  den  Versuch  im  Oktober  wieder- 
holte, zeigte  8 ich  ein  Verhalten  analog  den 
Beobachtungen  Bukofzers  und  Hahns.  Ja 
es  trat  sogar  die  Wirkung  nicht  ganz  so 
stark  hervor,  wie  diese  Autoren  es  schil- 
dern. Zweimal  war  nur  eine  gewisse  Ver- 
langsamuog  zu  konstatieren.  Es  ist  ja  auch 
eine  bekannte  Tatsache,  daß  das  Reaktions- 
vermögen der  Frösche  auf  mannigfache  Reize 
im  Winter  immer  sehr  viel  geringer  ist  als 
im  Sommer,  und  werden  deshalb  die  Sommer- 
frösche auch  bei  vielen  Versuchen  vorgezogen. 
Ich  möchte  hier  gleich  noch  eine  weitere 
Beobachtung  schildern,  die  mir  bei  Verfolgung 
dieser  Versuche  auffiel. 

Wiederholte  Applikation.  Ermüdungs- 
erscheinung. 
Wenn  man  nämlich  nach  Abklingen  der 
Adrenalin  Wirkung  und  fast  vollständiger  Re- 
stitution des  Schwimmhautkreislaufes  ein 
zweites  Mal  die  Substanz  appliziert,  so  zeigt 
«ich  eine  geringere  Wirksamkeit.  Die  Ver- 
langsamung tritt  erst  nach  längerer  Zeit  ein, 
und  auch  die  Restitution  ist  etwas  verzögert. 
Als  Beispiel  lasse  ich  hier  folgen  das 

Versuchsprotokoll  vom  11.  VIL  04. 
Rana  esculenta,  weiblich;  Betäubung  mit  Curare 

0,3  cem  1 :  1500. 
10  Uhr  40.    Aufspannung.     Zirkulation  gut. 
10  Uhr  45.     Auftropfen    von    3   Tropfen    Epirenan 

1 :  1000. 
10  Uhr  46.    Deutliche  Verlangsamung  in  den  Kapil- 
laren. 
10Uhr4B,5.     Auch  in  der  Vene. 
10  Uhr  47.    Auch  in  der  Arterie. 
10  Uhr  48.     Stillstand  in  den  Kapillaren,  Hin-  und 
üerbewegen  in  der  Vene,  schließlich  rückläufige 
Bewegung  in  der  Arterie,  Stillstand. 

10  Uhr  54.   Wiederbeginn  der  Zirkulation. 

11  Uhr  2.    Fast  vol  Island  ige  Restitution  der  Zirku- 

lation. Mit  Watte  wird  der  Rest  des  Epirenans, 
der  noch  auf  der  Schwimmhautstelle  war,  weg- 
gewischt. 

11  Uhr  7.  Neue  Auftrfiufelung  von  3  Tropfen  Epi- 
renan. 

11  Uhr  10  tritt  erst  deutliche  Verlangsamung  in 
den  Kapillaren  ein.  Es  tritt  auch  keine  voll- 
ständige Stase  der  Zirkulation  ein  wie  vorher, 
nur  deutliche  Verlangsamung,  auch  in  Arterie 
und  Vene.     Restitution  erst  nach  80  Minuten. 

Es  mag  diese  Erscheinung  wohl  mit  der 
auch  sonst  beobachteten  Ermüdung  oder 
Gewöhnung  der  Muskulatur  an  die  Substanz 
zusammenhängen,  worauf  ich  später  bei  Be- 
sprechung der  Zerstörung  der  Substanz  im 
Körper  genauer  kommen  werde.  Auch  ist 
klinisch  die  Beobachtung  gemacht  worden, 
daß  eine  zweite  Applikation  der  Substanz 
auf  die   Schleimhäute   nicht  so   wirksam  ist 


wie  die  erste,  wie  dieses  neuerdings  auch 
Baum  hervorhebt  in  einer  Studie  über  lokale 
Nebennierenextraktwirkung.  Auch  in  diesem 
Versuch  tritt  der  schnelle  Verlauf  der  Adre- 
nalinwirkung im  Gegensatz  zu  den  Beobach- 
tungen Bukofzers  hervor.  Aber  auch  hier 
konnte  man,  wie  auch  in  allen  anderen  Ver- 
suchen an  der  Schwimmhaut  und  der  Zunge 
des  Frosches  keine  deutlichen  Veränderungen 
an  den  Gefäßen  selbst  wahrnehmen.  Bas 
Hervorstechende  war  hier  immer  die  Zirku- 
lationsstörung. 

Anders  ist  dieses  beim  Mesenterium  des 
Frosches.  Eröffnet  man  bei  einem  leicht 
kurarisierten  Frosch  die  Bauchhöhle  ohne 
Verletzung  der  median  verlaufenden  Bauch- 
vene, so  kann  man  bekanntlich  unter  vor- 
sichtiger, nicht  zu  starker  Zerrung  einen  Teil 
des  Mesenteriums  über  einen  Korkring  unter 
entsprechender  Lagerung  des  Frosches  auf 
ein  Brettchen  spannen  und  auch  hier  die 
Zirkulation  deutlich  beobachten.  Es  erfordert 
nur  zuerst  einige  Übung,  daß  man  durch  zu 
starkes  Spannen  nicht  die  Zirkulation  in  den 
kleinen  Kapillaren  stört.  Die  Anordnung 
ist  in  den  verschiedenen  Arbeiten  über  Ent- 
zündung, deren  Grundlagen  ja  an  dem 
gleichen  Präparate  studiert  sind,  näher  be- 
schrieben. An  diesem  Präparate  kann  man 
nun  bei  lokaler  Adrenalinapplikation  eine 
deutliche  Verengerung  der  Arterien  und 
Venen  konstatieren.  Gestört  werden  diese 
Versuche  allerdings  dadurch,  daß  schon  nach 
kurzer  Zeit  Entzündungserscheinungen  auf- 
treten, wie  sie  ja  zuerst  Cohnheim  genauer 
beschrieben  hat,  und  so  gibt  die  nachherige 
Veränderung  der  Gefäßlumina  nicht  mehr 
das  reine  Bild  der  Adrenalinwirkung.  Jedoch 
ist  die  Wirkung  des  Adrenalins  recht  eklatant, 
und  geben  die  Messungen  mit  dem  Okular- 
mikrometer ein  recht  deutliches  Bild  der 
Gefäßverengerung.  Als  Beispiel  lasse  ich 
folgen 

Versuchsprotokoll  12,  vom  20.  VIL  OL 
Rana  esculenta;    Injektion  von  0,3  cem  Curare 
1:1500  um  9  Uhr  45. 
Mesenterium  freigelegt,   auf  Korkrahmen  auf- 
gespannt.  Zirkulation  ist  gut  unter  dem  Mikroskop 
zu    sehen.     10  Uhr  15   wird   zuerst   gemessen    mit 
Okularmikrometer  Seibert,  Okular  llf  Objekt  II. 
10  Uhr  15.    Arterie  48.     Vene  40  Teilstriche. 
10  Uhr  16.     Auftropfen  von  8—4  Tropfen  fipirenaiL 
10  Uhr  16,5.    Arterie  30.     Vene  35. 
10  Uhr  18.     Arterie   25.    Vene   34.    Jetzt   ist  die 
Zirkulation  in  Arterie  und  Vene  sehr  langsam. 
10  Uhr  20.    Stillstand.  Im  Lumen  keine  Änderung. 
10  Uhr  21.    Wiederbeginn. 

10  Uhr  25.    Zirkulation    wieder  einigermaßen   her- 
gestellt.   Arteiie  28.    Vene  34. 

Auch  hier  im  Mesenterialkreislaufe  zeigte 
sich  zuerst  eine  Störung  des  Kapillarkreis- 
laufes,   früher    als    in    den  großen   Gefäßen. 


XIX.  Jahrgang.1 
DezemW  1905.J 


Möller,  Wirkuog  det  N*b*nnler«o*xtrmktet  (Adrenalin). 


629 


Doch  ist  dieses  nicht  so  eklatant  wie  in  den 
Schwimm  haut  versuchen.  Vielmehr  sieht  man 
hier  von  Zeit  zu  Zeit  noch  kürzere  Etappen 
regelrechter  Zirkulation  auftreten  bis  zu  dem 
Augenblick,  wo  auch  die  Zirkulation  in  den 
Arterien  und  Venen  gestört  ist.  Es  mag  dieses 
wohl  damit  zusammenhängen,  daß  der  Kreis- 
lauf im  Mesenterium  nicht  so  sehr  ein  End- 
arteriennetz ist,  wie  dieses  bei  der  Schwimm- 
haut der  Fall  ist,  vielmehr  auch  noch  Verbin- 
dungen der  Kapillaren  direkt  zu  den. Gefäßen 
des  Darmes  selbst  wohl  noch  bestehen.  Hin- 
weisen mochte  ich  hier  vor  allem  darauf, 
daß  sowohl  in  Arterie  wie  auch  in  Vene  eine 
deutliche  gut  meßbare  Verengerung  auftritt. 
Doch  geht  schon  aus  dem  angeführten  Proto- 
koll deutlich  hervor,  daß  dieselbe  an  den 
Venen  wesentlich  geringeren  Grades  ist. 
Gleiches  geht  aus  zwei  weiteren  Versuchen 
hervor,  deren  Zahlen  werte  ich  jetzt  folgen 
lasse. 

Versuchsprotokoll  15,  vom  27.  VII.  04. 
Rana  esculenta;  Injektion  von  0,3  ccm  Curare  1 :1500. 
Mesenterium  freigelegt     Zirkulation  gut. 
9  Uhr  45.    Arterie   43.    Vene   50.    Aufträufelung 

von  4  Tropten  Epirenan  1 :  1000. 
9  Uhr  46.     Arterie  30.    Vene  43. 
9  Uhr  47.    Arterie  30.    Vene  40.   Zirkulation  steht 

in  den  Kapillaren. 
9  Uhr  48.     Arterien-    und    Venenzirkulation    sehr 
langsam.  Es  tritt  aber  kein  vollständiger  Still- 
stand ein. 

10  Uhr.     Zirkulation  wieder  ganz  gut.     Arterie  30. 

Vene  42. 

Versuchsprotokoll  16,  vom  28.  VII.  04. 
Rana  fusca;  Injektion  von  0,4  ccm  Curare  1 :  1500. 
Aufgespannt    um    11  Uhr  20.     Zirkulation    im 
Mesenterium  gut.  Beginn  der  Beobachtung  11  Uhr 30. 

11  Uhr  30.   Arterie  45.  Vene  55. 

11  Uhr  31.  Aufträufelung  von  3  Tropfen  Epirenan 
1:1000. 

11  Uhr  32.  Arterie  30.  Vene  45.  Zirkulation  schon 
langsam. 

11  Uhr  36.  Arterie  32.   Vene  45.   Zirkulation  steht 

11  Uhr  39.  Arterie  33.  Vene  44.  Zirkulation  be- 
ginnt wieder. 

11  Uhr  48.  Arterie  40.  Vene  46.  Zirkulation  fast 
hergestellt    Vene  noch  langsam. 

Aus  diesen  Beispielen  kann  man  wohl 
ersehen,  daß  im  allgemeinen  die  Verengerung 
an  den  Venen  etwas  geringer  ist  als  an  den 
Arterien.  Doch  ist  der  Unterschied  nicht 
sehr  groß.  Man  kann  wohl  daran  denken, 
daß  die  geringere  Anzahl  der  konstriktori- 
schen  Elemente  der  Venen  Wandungen  an 
dieser  geringeren  Verengerung  hauptsächlich 
schuld  sei,  .wie  denn  überhaupt  auch  die 
Venen  in  viel  geringerem  Grade  der  motori- 
schen Innervation  unterworfen  sind  und  mehr 
eine  passive  Rolle  spielen. 

Die  gleichartigen  Versuche,  die  ich  dann 
am  Lungenkreislauf  anstellte,  sind,  wie  ja 
schon  früher  ausgeführt,   immer  ohne  Erfolg 


gewesen.  Selbst  starker  konzentrierte  Epi- 
renanlösungen  erzielten  hier  keine  Einwir- 
kung, während  bei  den  gleichen  Tieren  vorher 
oder  nachher  deutliche  Verengerung  am 
Mesenterium  konstatiert  wurde. 

Einwirkung  auf  entzündetes  Gewebe. 
Es  lag  nun  nahe,  auch  zu  untersuchen, 
wie  sich  die  Einwirkung  des  Adrenalins  auf 
das  entzündete  Mesenterium  gestalten  würde. 
Wie  schon  erwähnt  wurde,  bewährt  sich  ja  die 
gefäßverengernde  Wirkung  klinisch  recht  gut 
bei  akut  hyperämisch  entzündlichen  Schwel- 
lungen der  Schleimhäute,  während  bei  mehr 
chronischen  Entzündungen  der  Haut  und  der 
Schleimhäute  dieselbe  fast  gar  nicht  zur 
Geltung  kommt.  Es  ließ  sich  nun  auch  mit 
dem  Okularmikrometer  auf  dem  Froschmesen- 
terium,  auch  wenn  die  Entzündungserschei- 
nungen, Eongestion  der  Blutgefäße,  Emigration 
der  Leukozyten  etc.  im  vollen  Gange  waren, 
die  Gefäß  Verengerung  durch  Applikation 
des  Adrenalins  recht  schön  beobachten. 
Allerdings  waren  die  Erfolge  nicht  so 
eklatant  wie  am  frischen  Mesenterium  und 
ließen  sogar  einige  Male  ganz  im  Stich;  doch 
mag  dieses  auch  an  der  Individualität  des 
Versuchstieres  oder  auch  an  der  zu  großen 
Menge  des  Exsudates  gelegen  haben,  die  das 
Eindringen  des  Adrenalins  verhindert  haben 
kann.  Ich  lasse  hier  kurz  als  Beispiel  wieder 
drei  Versuchsprotokolle  folgen. 

Versuclisprotokoll  22,  vom  6.  X.  04. 

Rana  esculenta,  ziemlich  groß;  Injektion  von  0,4  ccm 

Curare  1 :  150Ö. 

Aufspannung  dauert  fast  10  Minuten  und  ist 
beendigt  um  11  Uhr  50.  Dann  zeigt  sich  Vene  60, 
Arterie  40. 

Nachmittags  3  Uhr  45  findet  sich  Vene  60, 
Arterie  45.  Strömung  in  den  Kapillaren  etwas  ver- 
langsamt. Randstellung  der  Leukozyten;  reichlich 
Leukozyten  sind  ausgewandert  und  finden  sich  im 
Z  wischengewebe. 
3  Uhr  55.  Arterie  45.  Vene  60. 
3  Uhr  56.  Aufträufelung  von  6  Tropfen  Epirenan. 
3  Uhr  57.  Arterie  30.   Vene  45. 

3  Uhr  58.  Bewegung  der  kleinen  Kapillaren  steht, 

in  den  großen  starke  Verlangsamung. 

4  Uhr  10.   Arterie  30.  Vene  40.     Zirkulation  etwas 

besser.      Entzündungserscheinungen    schreiten 
fort. 

Versuchsprotokoll  23,  vom  6.  und  7.  X.  04. 

Rana  esculenta,  männlich;   Injektion  von  0,25  ccm 

Curare  1 :  1500  subkutan. 

6.X.  um  6  Uhr  40  abends  Aufspannung  des 
Mesenteriums,  wobei  durch  leichte  Blutung  einige 
Erythrozyten  auf  das  Mesenterium  sich  lagern. 
Arterie  31.    Vene  33. 

7.  X.  um  9  Uhr  30  morgens  Mesenterium  mit 
leichtem  Blutcoagulum  bedeckt,  das  leicht  zu  ent- 
fernen ist.  Darunter  zeigen  sich  leichte  Entzün- 
dungserscheinungen, einige  ausgewanderte  Leuko- 
zyten, sonst  nichts.    Arterie  30.    Veue  26. 

48  • 


680 


M5U*r,  Wirkung  d—  N*b«iinUr*nextraktet  (Adrraalin). 


rTliarap«utiarb* 
L   M<m«t«lirfla. 


Um  4  Uhr  nachmittags  ziemlich  starke  Entzündongs- 
erscheinungen,  starke  Emigration.  Arterie  34. 
Vene  80. 

4  Uhr  30.    Auf  Epirenanbetr&afelnng   scheint  kein 

Einfloß  sich  zu  zeigen,  vielleicht  ganz  geringe 
Verengerung. 

Versuchsprotokoll  24,  vom  7.  X.  04. 
Rana  esoulenta;  Injektion  von  0,25  ccm  Curare 
1 :  1500. 
Um  10  Uhr  35  früh  Aufspannung  des  Mesen- 
teriums; gute  Zirkulation. 

5  Uhr  nachmittags  Emigration  gut  im  Gange. 

Arterie  18.    Vene  40.    Vene  30. 

6  Uhr  5.   Auftraufelung  von  4—5  Tropfen  Epirenan 

1 :  1000. 

6  Uhr  6.  Arterie  16.  Vene  37.  Vene  27. 

6  Uhr  7.  Arterie  13.  Vene  36.  Vene  25.  Zirku- 
lation in  den  Hanptgefaßen  ist  wenig  be- 
einflußt. Einige  Kapillaren  zeigen  Störung. 
Emigration  schreitet  fort. 

Es  ergeben  also,  wie  schon  gesagt,  diese 
Versuche  am  entzündeten  Mesenterium  ziem- 
lich verschiedene  Resultate.  Nach  Protokoll  22 
ist  eine  ziemlich  starke  Verengerung  möglich, 
23  zeigt  gar  keine,  24  nur  solche  geringeren 
Grades.  Es  zeigte  sich  aber  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  doch  eine  entschiedene  Beeinfluß- 
barkeit. Ja,  in  den  ausgesprocheneren  Fällen 
konnte  man  schon  makroskopisch  deutlich 
die  Verengerung  der  beträufelten  Stelle  er- 
kennen, während  zentral  und  peripher  von 
dieser  Stelle  die  Gefäße  viel  weiter  erschienen. 
Auch  mochte  ich  bemerken,  daß  ich  auch  in 
einigen  Fällen  auf  der  entzündlich  geröteten 
Darmserosa  des  Frosches  makroskopisch  deut- 
liche Abblassung  auf  Epirenanbeträufelung 
hin  sah.  Auffällig  war  bei  diesen  Versuchen 
immer,  daß  die  lokale  Applikation  des  Epi- 
renans  nie  auf  den  Fortgang  der  Eutzündungs- 
erscheinungen  einen  Einfluß  hat.  Speziell 
ließ  sich  auch  auf  die  Bewegungsfähigkeit 
der  Leukozyten  nie  ein  Einfluß  konstatieren. 
Frösche,  denen  das  Mesenterium  mit  Adre- 
nalin behandelt  war,  zeigten  am  folgenden 
Tage  graduell  die  gleichen  Entzündungs- 
erscheinungen wie  die  Eontrollfrösche,  die 
nicht  mit  der  Substanz  behandelt  waren. 
Von  einer  Reihe  anderer  Stoffe,  speziell 
Arzneistoffe,  ist  ja  eine  solche  entzündungs- 
widrige Wirkung  festgestellt  worden,  deren 
genauere  Analyse  allerdings  noch  nicht  ganz 
sicher  gestellt  ist.  Auf  Veränderung  der 
vitalen  Eigenschaften  der  farblosen  Blut- 
körperchen führt  Binz  die  experimentell 
nachgewiesene  Tatsache  zurück,  daß  infolge 
von  Sauerstoffmangel  die  Auswanderung  auf- 
hört, daß  ferner  gewisse  Medikamente,  denen 
die  Wirkung  von  Protoplasmagiften  zukommt 
(z.  B.  Eukalyptol,  Jodoform),  ein  Aufhören 
der  Emigration  in  entzündeten  Teilen  be- 
wirken. Demgegenüber  machte  Pekelharing 
geltend,  daß  jene  Arzneikörper  auch  auf  die 


Gefäßwand  wirken,  indem  sie  Verengerung 
der  Venen  und  Beschleunigung  des  Blut- 
stromes herbeiführen.  Die  Verminderung  der 
Auswanderung  würde  aus  diesen  Veränderun- 
gen erklärt  werden.  Durch  Experimente  von 
Disselhorst  und  Eberth  wurde  nach- 
gewiesen, daß  Chinin,  Karbol,  Sublimat, 
Salizyl  etc.  Erweiterung  der  Venen  hervor- 
rufen und  nach  anfangs  bemerkter  Be- 
schleunigung des  Blutstromes  eine  Ver- 
langsamung desselben  hervorrufen,  die  an 
sich  günstig  für  den  Eintritt  der  entzünd- 
lichen Veränderungen  ist.  Da  nun  nach  den 
Beobachtungen  der  letztgenannten  Autoren 
die  Leukozyten  in  den  angewandten  Losun- 
gen noch  lange  lebensfähig  bleiben,  so  wird 
eine  Veränderung  der  Gefäßwand,  welche 
die  Adhäsion  der  farblosen  Blutzellen  er- 
schwert, als  Ursache  der  veränderten  Aus- 
wanderung angenommen.  Ein  Überblick  über 
die  Gesamtliteratur  dieser  Einwirkung  von 
Arzneimitteln  auf  die  Auswanderung  der 
Leukozyten  und  die  sonstigen  Gefäßerschei- 
nungen findet  sich  in  den  Dissertationen  von 
Engelmann  und  von  Schuhmacher,  Dorpat 
1891  und  1892. 

Da  das  Adrenalin  nun  ja  eine  so  be- 
deutende Gefäßwirkung  hat,  ließ  es  sich 
eventuell  denken,  daß  eine  ähnliche  Ein- 
wirkung auf  die  Entzündungserscheinungen 
vielleicht  zu  konstatieren  sei.  Eine  Lähmung 
der  Leukozyten  analog  den  anderen  Proto- 
plasmagiften ist  ja  bei  dem  physiologischen 
Vorkommen  der  Substanz  im  Körper  so  gut  wie 
ausgeschlossen.  Aber  auch  trotz  der  Gefäß- 
wirkung ließ  sich  keinerlei  Einfluß  auf  den 
Eintritt  der  Entzündungserscheinungen  finden. 
Ich  habe  auch  analog  den  Versuchen  von 
Pekelharing  und  Disselhorst  eine  kon- 
stante Beträufelung  des  Mesenteriums  während 
12  Stunden  vorgenommen.  Der  Frosch,  leicht 
kurarisiert,  wurde,  wie  schon  beschrieben,, 
aufgespannt.  Es  wurde  für  konstante  Be- 
feuchtung der  Oberfläche  Sorge  getragen,, 
damit  das  Mesenterium  nicht  eintrockne,  in- 
dem das  Tier  in  Fließpapier  eingehüllt  wurde, 
das  konstant  mit  Wasser  getränkt  war.  Die» 
Auftraufelung  geschah  mittels  einer  ganz  fein» 
gezogenen  Kanüle  oder  Pipette,  die  oben  eine 
starke  Erweiterung  zur  Aufnahme  der  Be- 
rieselungsflüssigkeit hatte.  Ungefähr  nach  je 
einer  Minute  erfolgte  das  Herunterfallen 
eines  Tropfens.  Es  zeigte  sich  aber  auch 
eine  fortgesetzte  Berieselung  ebenso  unwirk- 
sam gegen  das  Auftreten  der  Entzündungs- 
erscheinungen und  die  Stärke  der  Leukozyten- 
emigration, so  daß  kein  Unterschied  gegenüber 
dem  nicht  behandelten  Eontrollpräparat  zu 
erkennen  war. 


XIZ.J«hrfMg.-| 
DeKcmber  180M 


MölUr,  Wirkung  das  Hebennl«r«ti«xtrmktM  (Adreaalio). 


631 


Vermchtprotokoll  18,  vom  1.  und  2.  VIII.  04. 
Rana  esculenta;  Injektion  von  0,3 ccm  Curare  1:1500. 

Am  1.  VIII.  abends  6  Uhr  30  Aufspannung  des 
Mesenteriums.  Zirkulation  gut.  Das  Tier  wird  in 
feuchte  Kammer  gebracht  Mittels  Pipette  konstante 
Beträufelung  des  Mesenteriums,  ungefähr  nach  je 
l1/,  Minute  ein  Tropfen  der  Solutio  Epirenani. 

Um  6  Uhr  60  Kontrollfrosch  in  der  gleichen 
Weise  Mesenterium  aufgespannt  und  in  feuchte 
Kammer  gebracht. 

2.  VIII.  morgens  8  Uhr  30.  Bei  beiden  Tieren 
ausgesprochene  Entzündungserscheinungen.  Es  laßt 
sich  kein  merkbarer  Unterschied  in  der  ausgewan- 
derten Leukozyten  zahl  finden. 

Diese  verschiedenen,  hinsichtlich  des  Ein- 
tretens der  Entzündung  und  des  Fortganges 
gemachten  Beobachtungen  decken  sich  ja 
auch  mit  den  klinischen  Erfahrungen.  Es 
kann  eine  solche  Adrenalinapplikation  aller- 
dings die  augenblicklichen  Beschwerden  einer 
akuten  Entzündung  der  Schleimhäute,  z.  B. 
bei  Rhinitis,  Laryngitis  etc.,  beheben,  kann 
aber  keinen  dauernden  Einfluß  auf  den  Fort- 
gang des  Prozesses  haben,  besonders  wenn 
die  Schädlichkeiten,  wie  hier  in  den  Mesen- 
terial versuchen,  dieselben  bleiben. 

Einwirkung  auf  die  Kapillaren. 

Kehren  wir  nun  nach  dieser  kleinen  Ab- 
schweifung, die  die  Verfolgung  der  Experi- 
mente mit  sich  brachte,  zur  näheren  Analyse 
der  lokalen  Gefaßwirkungen  des  Adrenalins 
zurück,  so  hat  sich  bisher  noch  kein  sicher 
positiver  Beweis  erbringen  lassen,  ob  die 
Kapillaren  auch  beeinflußt  werden  oder  nicht. 
Wie  schon  hervorgehoben,  glaubten  Bukofzer 
und  Hahn  dieses  annehmen  zu  dürfen  aus 
den  beschriebenen  Erscheinungen  bei  lokaler 
Applikation  auf  die  Schwimmhaut.  Zuerst 
stockt  der  Kreislauf  in  den  Kapillaren.  Es 
scheint  der  Eintritt  der  Blutkörperchen  in 
dieselben  erschwert  zu  sein,  und  erst  sekundär 
tritt  das  Stocken  auch  in  Arterie  und  Yene 
auf.  Es  können  ja  auch  an  der  Arterie  und 
Yene  keinerlei  Veränderungen  des  Lumens 
und  der  Wandungen  wahrgenommen  werden. 
Auch  auf  dem  Mesenterium  konnte  ich  ebenso- 
wenig wie  an  der  Schwimmhaut  eine  aus- 
gesprochene Veränderung  der  Kapillaren 
wahrnehmen,  trotzdem  auch  hier  das  Stocken 
des  Blutstromes  wohl  immer  zuerst  an  den 
Kapillaren  deutlich  sichtbar  wurde  und  erst 
nachher  in  den  größeren  Gefäßen.  Da  ich 
nun  bei  meinen  Beobachtungen  an  der 
Schwimmhaut  bemerkt  hatte,  daß  die  Ver- 
langsamung des  Blutstromes  immer  zuerst  an 
den  ganz  oberflächlich  gelegenen  Kapillaren 
sichtbar  war,  während  etwas  tiefer  gelegene, 
die  erst  beim  Drehen  der  Mikrometerschraube 
deutlicher  hervortraten,  oft  noch  ganz  normale 
Zirkulation  zeigten,  dachte  ich  daran,  daß 
die  scheinbare  Unwirksamkeit  auf  die  größeren 


Gefäße  der  Schwimmhaut  im  Gegensatz  zu 
denen  des  Mesenteriums  vielleicht  dadurch 
hervorgerufen  sei,  daß  dieselben  in  der 
Schwimmhaut  vielleicht  etwas  zu  tief  gelegen 
seien,  und  daß  die  Substanz  nicht  in  ge- 
nügender Konzentration  an  sie  herantreten 
könnte,  zumal  da  sie  hier  auch  noch  das  sicher 
widerstandsfähigere  Epithel  der  Schwimmhaut 
durchdringen  mußte.  Ich  versuchte  daher, 
durch  leichtes  Anritzen  der  Schwimmhaut 
die  Substanz,  analog  den  oben  erwähnten 
Versuchen  am  Kaninchenohr,  etwas  näher  zu 
bringen.  Doch  gelangte  ich  hier  zu  keinem 
sicheren  Resultat,  da  durch  die  mechanische 
Verletzung,  ferner  durch  Blutaustritt  aus  den 
kleinen  Kapillaren  das  mikroskopische  Bild 
zu  sehr  getrübt  war.  Die  Gefäße  selbst 
waren  durch  den  mechanischen  Reiz  wohl 
auch  etwas  geschädigt,  so  daß  ich  nicht  dazu 
kam,  eine  deutliche  Verengerung  der  Gefäße 
der  Schwimmhaut  bei  lokaler  Applikation  zu 
beobachten. 

Bei  intravenöser  Injektion  größerer  Mengen 
in  den  allgemeinen  Kreislauf  glaubte  ich,  wie 
ich  später  noch  etwas  ausführlicher  berichten 
werde,  in  einigen  Fällen  eine  geringe  Ver- 
engerung um  3 — 4  Teilstriche  des  Okular- 
mikrometers zu  beobachten.  Aber  auch  hier 
konnte  ich  nicht  mit  Sicherheit  sagen,  ob 
eine  Beeinflussung  der  Kapillaren  oder  viel- 
leicht nur  der  kleinsten  Arteriolen  und  Venen 
stattfindet,  die  die  so  eklatante  Kreislauf- 
störung hervorbringt.  Die  Beeinflussung  durch 
intravenöse  Injektion  ist  übrigens  ja  schon 
von  Oliver  und  Schäfer  an  der  Schwimm- 
haut und  am  Mesenterium,  ebenso  auch  von 
Salvioli  und  Pezzolini  und  anderen  beob- 
achtet worden. 

Die  Frage,  ob  sich  die  Kapillaren  über- 
haupt aktiv  verändern  können,  ist  bis  heute 
noch  nicht  ganz  einstimmig  entschieden.  Man 
war  früher  der  Meinung,  daß  die  Weite  des 
Kapillarlumens  einzig  und  allein  von  der 
größeren  oder  geringeren  Füllung  mit  Blut 
abhinge,  als  Stricker  in  verschiedenen 
Veröffentlichungen  darauf  hinwies,  daß  die 
Kapillaren  der  Nickhaut  des  Frosches  eine 
deutliche  Eigenbewegung  hätten,  indem  sie 
sich  abwechselnd  verengten  und  erweiterten. 
Golubew,  der  die  gleiche  Erscheinung  beob- 
achtete, erklärte  die  Strick  ersehen  Befunde 
als  Termin alersch einungen,  als  Zeichen  des 
Absterbens.  Tarchanow  hingegen  faßt  sie 
nach  seinen  Beobachtungen  im  Straßburger 
pathologischen  Institut  als  vitale  Kontraktilität 
auf,  denn  er  konnte  durch  chemische  Reize, 
z.  B.  stark  verdünnte  Essigsäure  etc.,  pder 
durch  mechanische  Reize  dieselben  hervor- 
rufen. Golubew  schon  und  auch  Tarcha- 
now machen  zuerst   auf  die  Bedeutung  der 


632 


Möll*r,  Wirkung  des  Neb«nnl«r«Bextrakt*t  (Adreoalio). 


rTher&pentbehe 


spindelförmigen  Kerne  der  Kapillarendothelien 
aufmerksam  bei  diesen  Kontraktionen.  Sie 
wollen  die  Haupterscheinungen  der  Verengerung 
darin  erblicken,  daß  diese  Spindelelemente 
sich  auf  kurze  Zeit  hin  verkürzen  und  ver- 
dicken, um  so  das  Gefaßlumen  zu  verengern 
respektive  zu  verschließen.  Stricker  will 
allerdings  auch  eine  direkte  Verengerung 
durch  dichtes  Aneinanderlegen  der  Kapillaren 
beobachtet  haben,  und  zwar  sah  er  diese 
Erscheinungen  am  eklatantesten  auf  elek- 
trische Reizung  hin  eintreten.  Giovanni 
beobachtete,  daß  die  Kapillaren  der  ent- 
zündeten Froschzunge  unregelmäßige  Gestalt 
bekamen,  hohle  Vorsprünge  aussendeten  und 
wieder  einzogen,  sich  abwechselnd  hier  ver- 
engten, dort  erweiterten.  Severini  sah  bei 
Einwirkung  von  COa  eine  Verschmalerung 
der  Endothelzellkerne  der  Kapillarwandung, 
bei  Einwirkung  von  0  Verdickung  derselben. 
Trotz  aller  dieser  Beobachtungen  wird  eine 
aktive  Kontraktil ität  der  Kapillaren  noch 
nicht  allgemein  angenommen,  weil  man  nicht 
sicher  auf  Reizung  vom  Nerven  hin  Bewegung 
der  Kapillarwände  hervorzurufen  imstande 
war.  In  der  letzten  Zeit  hat  diese  Frage 
wieder  ein  etwas  anderes  Stadium  ange- 
nommen, seitdem  S.  Mayer  nach  anatomischen 
Untersuchungen  die  Behauptung  aufgestellt 
hat,  daß  die  Kapillarwand  nicht  bloß  aus 
Endothelzellen  betehe,  sondern  daß  auch 
muskuläre  Elemente  nachzuweisen  seien,  die 
sich  beim  Übergang  der  größeren  Gefäßchen 
in  die  echten  Kapillaren  auf  die  letzteren 
fortsetzten  und  derart  der  Grundhaut  der 
Kapillaren  aufgelagert  seien,  daß  der  Kern 
parallel  der  Längsachse  der  Kapillaren  stehe, 
die  Zellsubstanz  aber  sozusagen  ausgeflossen 
sei  in  senkrecht  vom  Kern  ausstrahlende  und 
sich  öfters  teilende  Fädchen,  die  die  Gefaß- 
röhren wie  Faßreifen  umspannten.  Schon 
Rouge t  hatte  in  verschiedenen  Veröffent- 
lichungen von  1874 — 79  eine  aktive  Kon- 
traktion der  Kapillaren  als  physiologisch 
notwendig  bezeichnet  und  ein  ähnliches  Vor- 
kommen von  muskulären  Elementen  in  der 
Gefäßwand  angenommen.  Und  nun  wollen 
auch  Stein  ach  und  Kahn  auf  Grund 
physiologischer  Reizversuche  eine  Bestätigung 
der  Rouget- May  ersehen  Annahme  gefunden 
haben,  und  zwar  wollen  sie  mittels  einer 
Modifikation  der  Reizleitung,  wie  sie  Stricker 
angewendet  hatte,  und  auch  der  Reize  selbst 
erstens  sowohl  eine  deutliche  aktive  Kon- 
traktion und  Verengerung,  als  auch  zweitens 
bei  Reizung  vom  Nerven  aus,  nämlich  dem 
Sympathicus,  die  gleichen  Erscheinungen 
beobachtet  haben.  Sie  heben  insbesondere 
hervor,  daß  sie  eine  deutliche  Verengerung 
des  Gesamtquerschnittes  der  Kapillaren  sahen, 


während  die  letzten  Veröffentlichungen,  speziell 
die  von  Biedl  am  Mesenterium  mehr  die 
Veränderung  der  Lumina  betonten.  Biedl 
sah  am  Froschmesenterium  nach  Erwärmung 
Lumen  Veränderung,  indem  die  Wandungen 
dicker  wurden,  beim  Abkühlen  durch  Dünner- 
werden der  Wandungen  Lumenerweiterung. 
Steinach  und  Kahn  fanden  dagegen  deut- 
liche Veränderungen  des  Gesamtquerschnittes, 
sowohl  der  ganzen  Kapillaren  als  auch  in 
lokal  beschränkter  Ausdehnung.  Sie  betonen, 
daß  man  speziell  an  den  etwas  weiteren 
Kapillaren  bei  diesen  lokalen  Kontraktionen 
eine  regelrechte  Einschnürung  beobachten 
kann.  Es  erschienen  nämlich  nach  der 
elektrischen  Reizung  eigentümliche  Längs- 
streif un  gen  von  einer  Stelle  ausgehend,  die 
auf  eine  Art  Faltung  der  Kapillaren  schließen 
ließen,  und  sie  glauben  nun,  in  diesen  Er- 
scheinungen einen  Beweis  für  die  Existenz 
der  von  Mayer  auf  anatomischer  Grundlage 
angenommenen,  oben  beschriebenen  muskulären 
Elemente  der  Kapillaren  annehmen  zu  dürfen. 
Sie  beschreiben  also  sowohl  bei  direkter 
Reizung  auf  dem  Objektträger  als  auch  bei 
Nervenreizung  vom  Sympathicus  aus  an  der 
Nickhaut  des  Frosches  diese  aktive  Kon- 
traktion sowohl  ganzer  Kapillar  lumin  a  als 
auch  mehr  lokale  Einschnürung  durch  die 
Ausläufer  der  Muskelzellen. 

Um  einen  eventuellen  Einfluß  des  Adre- 
nalins auf  die  Kapillaren  sicher  konstatieren 
zu  können,  habe  auch  ich  einige  Versuche 
an  dem  von  allen  angeführten  Autoren  be- 
nutzten klassischen  Objekte  der  Kapillar- 
untersuchung, der  Nickhaut  des  Frosches, 
angestellt.  Doch  bin  ich  auch  leider  hier 
wieder  nicht  zu  ganz  sicheren  Resultaten 
gekommen.  Immerhin  möchte  ich  meine 
Beobachtungen  doch  schildern.  Ich  habe 
die  Versuche  derart  angeordnet,  wie  sie 
Stein  ach  und  Kahn  beschrieben  haben. 
Den  Fröschen  wurde  die  Wirbelsäule  durch- 
schnitten und  nach  Verblutung  und  Aus- 
bohrung des  Rückenmarks  und  des  Hirns 
mit  einigen  Scherenschnitten,  unter  möglichster 
Vermeidung  mechanischer  Reizung  und  Zerrung 
die  Nickhäute  ausgeschnitten  und  auf  einem 
Objektträger  in  physiologischer  Kochsalzlösung 
ausgebreitet,  so  daß  die  Innenfläche  der  Nick- 
haut nach  oben  sah,  und  mit  einem  Deckglas 
bedeckt.  Ich  benutzte  gewöhnlich  beide 
Nickhäute  zum  Vergleich,  indem  das  eine 
als  Kontrollpräparat  diente.  Die  Präparate 
wurden  möglichst  schnell  unter  das  Mikroskop 
gebracht  und  eine  Stelle  eingestellt,  wo  ein 
zuführendes  Gefäßchen  mit  Teilung  in  den 
Kapillaren,  event.  auch  ein  abführendes  Gefäß- 
chen zu  sehen  war.  Die  Blutfülle  war  recht 
verschieden.     Manchmal  war  ein  großer  Teil 


XIX.  Jahrgang."! 
Dwmfwr  ls*OS.J 


Möller,  Wirkung  des  Nebenolerenextraktcs  (Adrenalin). 


633 


der  Gefäße  ziemlich  leer,  ein  anderes  Mal 
waren  die  meisten  strotzend  mit  Blut  gefüllt. 
Auch  waren  die  Gefäßanordnungen  verschieden. 
Bei  manchen  konnte  man  nur  mit  Mühe 
feinere  Kapillaren  finden.  Bei  anderen  waren 
in  jedem  Gesichtsfelde  größere  und  kleinere 
zu  sehen.  Das  Adrenalin  applizierte  ich 
meistens  in  der  Weise,  daß  ich  die  physio- 
logische Kochsalzlösung  mittels  Fließpapier 
auf  der  einen  Seite  des  Beckglases  absaugte 
und  von  der  anderen  Seite  einige  Tropfen 
des  Adrenalins  nachfließen  ließ. 

Es  leigte  sich  nun  regelmäßig  nach  der 
Adrenalinapplikation  ein  deutlicheres  Hervor- 
treten der  schon  erwähnten  spindelförmigen 
Elemente  der  Kapillar  wand,  sowohl  an  den 
größeren  als  auch  an  den  kleineren  Kapillaren. 
An  den  größeren  konnte  ich  auch  einige  Male 
eine  ausgesprochene  Verengerung  des  Durch- 
messers mit  dem  Okularmikrometer  messen. 
Doch  muß  ich  betonen,  daß  dieses  nur  bei 
den  weiteren  der  Fall  war,  so  daß  ich  nicht 
ganz  sicher  bin,  ob  es  nicht  eventuell  auch 
kleinste  Arteriolen  waren,  die  sich  ja  über- 
haupt schwer  von  den  größeren  Kapillaren 
trennen  lassen.  Am  deutlichsten  war  der 
Unterschied  an  den  kleineren  Kapillaren. 
Hier  traten  die  Spindelelemente  sehr  deutlich 
hervor,  waren  manchmal  knopfförmig  vor- 
springend, die  Wandungen  schienen  verdickt, 
doch  glaube  ich  auch  sicher  nicht  nur  eine  Ver- 
engerung des  Lumens  der  Kapillaren,  die  ekla- 
tant war  und  sich  durch  Zusammenpressen  der 
darin  enthaltenen  roten  Blutkörperchen  doku- 
mentierte, durch  Dickerwerden  der  Wände, 
sondern  auch  eine  direkte  Verengerung  des  ganzen 
Kapillardurchmessers  beobachtet  zu  haben, 
so  daß  manche  nur  noch  als  dünner  Strang 
sichtbar  blieben.  Auch  sah  ich  einige  Male 
deutlich  das  Bild  der  lokalen  Einschnürung, 
wie  St  ei  nach  undKahn  es  beschrieben  haben. 

Was  mich  nun  an  der  Beweiskraft  dieser 
Beobachtungen  zweifeln  macht,  ist  die  Tat- 
sache, daß  auch  bei  den  Kontrollpräparaten, 
die  nur  in  physiologischer  Kochsalzlösung 
lagen,  nach  einiger  Zeit  mehr  oder  minder 
ausgesprochene  ähnliche  Erscheinungen  auf- 
traten wie  die  eben  beschriebenen.  Aller- 
dings nie  so  schnell  wie  bei  der  Adrenalin- 
applikation. Es  mögen  ja  diese  Erscheinungen 
auch  hervorgerufen  sein  durch  die  mechanischen 
Reizungen  bei  der  Präparation  oder  durch 
den  Druck  des  Deckglases  auf  die  feinen 
Gewebe  der  Schwimmhaut  oder  durch  den 
Reiz  des  Nachströmens  der  Substanz  bei 
Absaugung  der  Na  Cl-  Lösung.  Auch  war 
mir  auffällig,  daß  diese  Erscheinungen  nie 
an  allen  Kapillaren  deutlich  hervortraten, 
vielmehr  immer  eine  Anzahl  scheinbar  ganz 
unbeeinflußt  blieb.     Der    letzteren    Tatsache 


gegenüber  möchte  ich  allerdings  einwenden, 
daß  auch  Steinach  und  Kahn  besonders 
darauf  hingewiesen  haben,  daß  in  vielen 
Fällen  ihrer  Versuche  die  Kapillaren  über-« 
haupt  unerregbar  waren ;  auch  zeigte  bei  ihnen ' 
der  venöse  Teil  des  Netzes  im  allgemeinen 
viel  geringeren  Grad  der  Kontraktion.  Ich 
konnte  hierüber  in  meinen  Versuchen  keine 
bestimmte  Regel  aufstellen,  doch  zeigte  sich' 
auch  bei  mir  einige  Male  fast  gar  kein 
Einfluß  der  Adrenalinapplikation.  In  dieser 
Hinsicht  würde  wohl  kein  Einwand  zu  machen 
sein  gegen  die  Beweiskraft  der  Kontraktions- 
erscheinungen durch  Adrenalin.  Es  muß  hier 
schließlich  auch  noch  in  Erwägung  gezogen 
werden,  daß  bei  der  doch  immer  deutlich  be- 
obachteten Füllung  der  Gefäße  mit  Blut- 
körperchen durch  die  Kontraktion  des  einen 
Teiles  der  Gefäße  die  anderen,  die  weniger 
beeinflußt  werden,  passiv  sich  sogar  erweitern 
müssen,  um  die  größere  Zahl  der  Blut- 
körperchen, die  aus  den  verengten  Teilen 
herausgetrieben  waren,  aufzunehmen.  Man 
konnte  deutlich  solche  mit  Blutkörperchen 
strotzend  gefüllten  größeren  und  kleineren 
Kapillaren  erkennen.  Jedenfalls  möchte 
ich  betonen,  daß  nach  Adrenalinappli- 
kation diese  Verengerung  viel  deutlicher 
und  schneller  hervortrat,  wie  aus  allen  Ver- 
suchen hervorgeht.  Ich  möchte  die  Versuchs- 
protokolle nicht  detailliert  wiedergeben,  da 
sie  gar  keinen  neuen  Gesichtspunkt  geben. 
Ich  applizierte  das  Adrenalin  meistens  in 
der  oben  besprochenen  Weise  durch  Weg- 
saugen der  Na  Cl- Lösung  und  erhielt  auch 
die  promptere  Wirkung  und  den  Unterschied 
dann,  wenn  ich,  um  die  mechanische  Reizung 
möglichst  gleich  zu  machen,  auch  an  dem 
Kontrollpräparate  die  Na  Ci-Lösung  absaugte 
und  frische  hinzutreten  ließ.  Hübsch  war 
auch  der  Unterschied  in  einigen  Fällen  zu 
sehen,  wo  ich  die  eine  Nickhaut  gleich  in 
Adrenalin  ausbreitete,  um  den  Unterschied 
von  dem  in  Na  Cl-Lösung  eingelegten  Kontroll- 
präparat zu  konstatieren.  Aber  auch  hier 
waren  die  Ergebnisse  wechselnd.  Wie  gesagt, 
ergeben  die  Versuche  also  keinen  sicheren 
Beweis  für  eine  Beeinflussung  der  Kapillaren 
durch  das  Nebennierenextrakt,  denn  ähnliche 
Veränderungen  konnten  auch  durch  einfache 
mechanische  Reize  hervorgebracht  werden 
oder  auch  Zeichen  des  Absterbens  sein,  worauf 
Golubew  und  Tarchanow  ja  besonders 
hingewiesen  haben.  Doch  war  in  einzelnen 
Fällen  die  Wirkung  so  eklatant  nach  der 
Extraktapplikation  im  Vergleich  zu  vorher, 
daß  ich  wohl  sicher  mit  den  neueren  Forschern 
eine  aktive  Kontraktil ität  der  Kapillaren  an- 
nehmen darf,  wenn  die  Erscheinungen  viel- 
leicht auch  nur  durch  die  mechanische  Reizung 


634 


Möll«r,  Wirkung  des  N«b«nnl«r«n«ztrmkt««  (Adraftattn). 


rbermpe 
Monatshefte. 


bei  der.  Adrenalinzufuhr  eingetreten  sind. 
Doch  spricht  auch  das  schnellere  und  ekla- 
tametere  Auftreten  der  beschriebenen  Ver- 
engerung dafür,  daß  das  Adrenalin  wohl 
noch  einen  besonderen  Reiz  auf  die  Kapillar- 
wände ausübt. 

Einige  Versuche,  die  speziell  darauf  hin- 
zielten, an  der  Schwimmhaut  des  Frosches 
und  an  dem  Mesenterium  ein  deutlicheres 
Auftreten  und  Vorspringen  der  oben  be- 
schriebenen Spindelelemente  während  der 
Adrenalinwirkung  zu  sehen,  ergaben  keine 
sicheren  Resultate.  Wohl  konnte  man  speziell 
an  den  Knickungsstellen  solche  Spindelelemente 
erblicken,  und  glaubte  ich  manchmal  auch  ein 
deutlicheres  Hervortreten  derselben  zu  beob- 
achten, so  daß  sie  das  Lumen  verlegten  und 
die  Zirkulation  der  Blutkörperchen  hinderten. 
Doch  konnte  von  einer  eklatanten  Verenge- 
rung, wie  sie  an  den  Nickhäuten  beobachtet 
wurde,  keine  Rede  sein. 

Ich  kann  also  mich  hinsichtlich  der  Be- 
einflussung der  Kapillaren  durch  das  Adrenalin 
zu  keiner  sicheren  Ansicht  bekennen.  Auch 
die  Annahmen  Bukofzers  und  Hahns  sind 
sind  ja  nur  ein  Wahrscheinlichkeitsschluß  aus 
der  Tatsache  der  eklatanten  Zirkulations- 
störung ohne  sichtbare  Beeinflussung  der 
größeren  Gefäße.  Und  am  Mesenterium  sind 
diese  ja  nach  meinen  Beobachtungen  so  auf- 
fällige, daß  man  das  Fehlen  an  der  Schwimm- 
haut eigentlich  nur  dadurch  erklären  könnte, 
daß  das  Adrenalin  an  dieselbe  nicht  heran- 
dringt. 

Eine  Beeinflussung  des  Blutes  im  Sinne 
einer  Gerinnungsbeförderung  ist,  wie  ich 
später  noch  etwas  ausführlicher  zeigen 
werde,  auch  nicht  anzunehmen.  Es  bleibt 
demnach  kaum  etwas  anderes  übrig,  als  trotz 
der  negativen  Befunde  bei  der  mikroskopischen 
Betrachtung  der  Schwimmhautzirkulation  doch 
eine  Beeinflussung  der  kleinsten  Gefäße  an- 
zunehmen. Hinsichtlich  der  Versuche  an  der 
Nickhaut  bedarf  es  wohl  noch  einer  etwas 
exakteren  Methode  und  eines  mikroskopisch 
mehr  geschulten  Auges,  um  ein  sicheres  Ur- 
teil über  die  Erscheinungen  zu  fällen.  Bis 
jetzt  müssen  wir  aber  wohl  noch  annehmen, 
daß  die  lokale  Anämie,  wie  sie  durch  die  Appli- 
kation des  Adrenalins  auf  die  oberflächlichen 
Schleimhäute,  durch  die  Injektion  auch  in  tieferen 
Schichten  des  Gewebes  hervorgerufen  wird, 
hauptsächlich  durch  eine  Kontraktion  der 
kleinen  Arteriolen  und  Venen  hervorgerufen 
wird,  deren  Beeinflussung  jedenfalls  sicher 
gestellt  ist. 

[Fortsetzung  folgt.] 


Über  eine  neue  Form  der  Eisen- 
verordnun?» 

Von 
Dr.  Ehrmann  in  Berlin. 

Es  wird  wohl  kaum  ein  Tag  vergehen, 
an  dem  wir  Ärzte  nicht  eine  Zuschrift  er- 
halten, die  einer  pharmazeutischen  Anstalt 
entstammt,  und  durch  die  uns  ein  neues 
Nährmittel  oder  Kräftigungsmittel  für  Blut- 
arme angepriesen  wird.  Immer  neue  Prä- 
parate aller  möglichen  Natur  werden  auf  dem 
Medikamentenmarkt  aufgestapelt,  so  daß  man 
geradezu  in  Verlegenheit  gerät,  wenn  man 
alles  prüfen  und  das  Beste  wählen  soll.  Und 
dabei  streben  doch  alle  Schöpfer  dieser 
„bahnbrechenden  und  epochemachenden"  Er- 
zeugnisse nur  dem  einen  Ziele  zu,  das  Blut 
zu  verbessern.  Für  uns  können  bei  der 
Frage  nach  der  Regeneration  des  Blutes  auf 
dem  Wege  der  Eisentherapie  nur  zwei  Krank- 
heitsbilder in  Betracht  kommen :  Anämie  und 
Chlorose.  Inwieweit  beide  gesondert  oder 
in  Beziehung  zueinander  gestellt  werden 
sollen,  mag  hier  nicht  näher  untersucht  wer- 
den. Jedenfalls  dürfen  wir  mit  v.  Noorden 
annehmen,  daß  es  sich  um  eine  Schwäche 
im  System  der  blutbildenden  Organe  handelt, 
durch  die  sie  verursacht  werden.  Diese 
„plastische  Adynamie  im  Bereiche  der  Blut- 
bildung a,  wie  Virchow  sagt,  nach  Kräften 
zu  korrigieren,  ist  unsere  vornehmlichste 
Aufgabe.  Mögen  wir  nun  zu  ihrer  Lösung 
uns  aller  möglichen  Nähr-  und  Genußmittel 
bedienen,  immer  bleibt  ein  Faktor,  wel- 
cher der  Qualität  des  Blutes  den  eigent- 
lichen Charakter  verleiht,  dominierend,  das 
Eisen. 

Von  dem  Hämoglobingehalt  hängt  be- 
kanntlich die  Wertigkeit  des  Blutes  ab,  und 
dieser  in  erster  Linie  von  seinem  Eisengehalt. 
Die  alten  Ärzte  der  vorigen  Jahrhunderte 
wußten,  ohne  auf  der  Höhe  der  heutigen 
Kenntnis  der  Blutchemie  zu  stehen,  sehr  wohl, 
was  sie  taten,  wenn  sie  ihren  blutarmen  Kranken 
Eisenmittel  zur  Verbesserung  ihres  Zustandes 
reichten.  Wir  wissen  jetzt,  namentlich  nach 
den  Untersuchungen  von  Quincke,  daß  die 
durchschnittliche  Tagesdosis  für  unsere  Pa- 
tienten 0,1  g  metallischen  Eisens  betragt. 
Wenn  wir  nun  auch  teils  durch  vegetabilische, 
teils  durch  animalische  Kost  sowie  durch 
eisenhaltige  Mineralwässer  unleugbar  eine 
gewisse  Eisenmenge  zuführen,  so  ist  diese 
jedenfalls  in  den  weitaus  meisten  Fällen 
nicht  ausreichend,  und  es  bleibt  dem  Arzt 
nichts  anderes  übrig,  als  dieses  Defizit  durch 
ein  Eisenpräparat  zu  decken.  Die  gang- 
barsten,   d.  h.  solche,    die  die  Patienten  am 


ZU.  Jahrgang.! 


Ehr  mann.  Nana  Form  dar  Eiaanvarordnung. 


635 


besten  vertragen,  werden  entweder  in  flüssiger 
Form  oder  als  Pillen  verordnet.  Die  jeweilige 
Verordnungs weise  ist  sehr  individuell,  zumal 
vielen  Patienten  das  Pillenschlucken  sehr 
schwer  fällt. 

Ich  habe  nun  ein  ziemlich  großes  Kranken- 
material von  Chlorosen  und  Anämien  .viele 
Wochen  hindurch  auf  den  Grad  der  Bekömm- 
lichkeit der  einzelnen  Eisenpräparate  beob- 
achtet und  fand  zu  meinem  Erstaunen,  daß 
«s  in  der  Tat  nicht  angebracht  ist,  hierbei 
zu  schematisieren,  daß  dem  einen  Pat.  z.  B. 
Tinct.  Ferri  compos.  außerordentlich  förder- 
lich war,  während  sie  bei  anderen  Unbequem- 
lichkeiten im  Magen  verursachte,  und  mir 
oft,  trotz  des  gar  nicht  zu  großen  Wein- 
gehaltes, allerlei  Sensationen  angegeben  wur- 
den. Nicht  anders  fand  ich  die  Wirkung 
verschieden  bei  Anwendung  des  Liqu.  Ferri 
album.  oder  Liqu.  Ferri  mang,  peptonat.  In 
zweiter  Reihe  wurde  eine  größere  Zahl  von 
Pat.  mit  Blaudachen  Pillen  behandelt.  Wie- 
wohl die  Pillen  beb  andlung  weniger  beliebt 
wird,  ist  sie  doch  die  ausnutzungsreichste 
und  für  den  Arzt  wegen  der  genauen  Dosier- 
barkeit  am  dankbarsten.  Nach  der  ursprüng- 
lich von  Blaud  i.  J.  1831  gegebenen  Formel 
enthielt  jede  Pille  0,25  g  schwefelsauren 
Eisens,  und  man  kann  sich  vorstellen,  welch 
quälende  Magenbeschwerden  durch  eine  solche 
Dosierung  hervorgerufen  wurden,  wenn  man 
damit  die  heutzutage  landläufigen  Blaudschen 
Pillen  vergleicht,  welche  nur  0,0065  g  Ferri. 
sulf.  enthalten  und  trotz  der  geringeren 
Menge  schon  nach  kurzer  Zeit  der  Eisen  kur, 
wie  ich  mich  überzeugen  konnte,  von  üblen 
Nebenwirkungen  wie  Gastralgie,  Appetitlosig- 
keit und  Obstipation  begleitet  sind. 

Gerade  diese  Faktoren  sind  es,  die  bei  der 
schon  ohnehin  bei  Anämischen  so  sehr  ernäh- 
rungswidrigen Anorexie  während  einer  solchen 
Kur  besonders  störend  mitsprechen. 

Um  diese  äußerst  störende  Neben- 
erscheinung bei  der  Eisenkur  auszuschalten, 
hat  Dr.  Meißner,  Berlin,  auf  Grund  der 
Erfahrungen  von  Sommerbrodt,  der  das 
Kreosot  mit  einem  öligen  Vehikel  verab- 
reicht, um  hierdurch  die  Ätz  Wirkung  zu 
beseitigen,  die  alten  Blaudschen  Pillen  in 
sehr  zweckmäßiger  Weise  modifiziert. 

Gelangt  die  Blaudsche  Pille  in  den  Magen, 
so  wird  aus  dem  Ferrum  sulfuricum  und 
Kalium  carbonicum  Eisenoxydulkarbonat  und 
Kalium  sulfuricum,  wobei  also  das  Eisen- 
oxydulsalz als  niedrige  Oxydationsstufe  zu 
resorbierbarem  Fe  wird.  Nun  wird  aber 
die  Blaudsche  Pillenmasse  nach  ihrer  bis- 
herigen Herstell ungs weise  mit  Wasser  an- 
gesetzt, und  es  entsteht  schon  bei  der  Be- 
reitung   Eisenoxydhydrat,    welches    den    ge- 


wöhnlichen Rost  darstellt  und  natürlich  für 
eine  Resorption  gänzlich  unbrauchbar  ist; 
d.  h.  also:  dieses  Pillenmaterial  wird  im 
Magendarmtractus  nur  zum  geringsten  Teile 
ausgenutzt.  Diesem  Mangel  an  therapeutischem 
Werte  zu  begegnen,  hat  nun  Dr.  Meißner 
die  Formel  für  die  Pillen  in  der  Weise 
verändert,  daß  statt  des  Wassers  Lebertran 
und  statt  des  Kalium  carbonicum  Natrium 
carbonicum  zur  Anwendung  gelangt.  Das 
Wesentliche  an  der  Pille  ist  aber,  daß  weder 
bei  noch  nach  der  Herstellung  Wasser  bezw. 
feuchte  Luft  hinzutreten  kann;  denn  zur 
Konservierung  wird  sie,  von  Meißner  als 
Plenula  bezeichnet,  mit  einer  luftdichten 
Gelatinekapsel  umschlossen. 

Die  besonderen  Torzüge  dieser  Dar- 
stellungsweise der  neuen  Pilulae  Blaudii 
gehen  nicht  nur  aus  den  wohlbegründeten 
Anschauungen  des  Autors,  die  er  gelegent- 
lich eines  Vortrages  im  Verein  für  innere 
Medizin  in  Berlin  entwickelte,  sondern  auch 
aus  der  praktischen  Anwendung  hervor.  In 
der  erwähnten  Gelatinekapsel  ist  das  Ferrum 
sulf.,  Natr.  bicarbon.  und  Ol.  jecoris  aselli 
im  Verhältnis  von  9  :  7,5  :  12  gemischt.  Im 
Magen  platzt  die  Gelatinekapsel  und  bei 
der  chemischen  Umsetzung  des  Fe  in  Eisen- 
oxydulkarbonat wird  der  schnelleren  Oxy- 
dation und  Anätzung  der  Magenschleimhaut 
durch  den  Lebertran  vorgebeugt,  und  das 
gleichzeitig  entstehende  Na,  S04  =  Glauber- 
salz bildet  ein  bedeutendes  Anregungsmittel 
zur  Absonderung  des  Magensaftes.  Wer  die 
pharmakodynamische  Wirkung  des  Eisens 
wiederholt  beobachtet  hat,  weiß,  wie  die 
Obstipation  den  sonstigen  Segen  der  Eisen- 
mittel verleidet,  und  so  ist  die  Vergrößerung 
der  Magensaftabsonderung  ein  wesentliches 
Mittel,  diese  Störung  zu  beherrschen.  Weiter- 
hin wird  denn  auch  der  Darm  zu  ergiebigerer 
Sekretion  und  zu  energischerer  Resorption 
des  Eisenoxydulkarbonats  befähigt.  In  der 
Tat  ist  der  Erfolg  mit  den  Plenulae  oft  ein 
erstaunlicher. 

Ich  habe  sie  sowohl  bei  chlorotischen  und 
anämischen  jungen  Mädchen  wie  bei  vielen 
Frauen  und  Greisen  angewandt.  Während 
ich  sonst  nach  dem  Genuß  von  Eisentink- 
turen, mineralischen  Eisen  wässern  und  son- 
stigen gleichwertigen  Mitteln,  wie  das  jeder 
Arzt  aus  Erfahrung  weiß,  wiederholt  Klagen 
über  Magenschmerzen  und  Obstipation  zu 
hören  bekam,  war  das  Urteil  der  Patienten 
über  die  Plenulae  —  und  es  war  mir  um  so 
maßgebender,  als  es  mir  unvermittelt  berichtet 
wurde  —  in  den  allermeisten  Fällen  zufrieden- 
stellend. Fast  durchgehends  trat  namentlich 
bei  den  Chlorosen  nach  täglichem  Gebrauche 
von    3  mal    täglich  2  Pillen,    und   zwar  vor 


636 


Jacob  7,  Behandlung  von  Brandwundan  mit  Zinkperhydrol. 


rherapfttittaeh« 
Monatshefte. 


dem  Essen,  ein  reges  Bedürfnis  nach*Nahrung 
auf.  Aus  der  Reihe  meiner  beobachteten 
Fälle  mag  nur  ein  sehr  eklatanter  erwähnt 
sein,  und  zwar  handelt  es  sich  um  eine 
19  jährige  Patientin,  die  ich  zwei  Jahre  hin- 
durch wegen  anämischer  Beschwerden  be- 
handelt hatte,  und  deren  Körpergewicht  trotz 
bester  Kost,  besonders  wegen  der  nur  schwer 
zu  beherrschenden  Appetitlosigkeit,  nicht  zu- 
nehmen wollte.  Nach  der  Anwendung  der 
Plenulae  stieg  innerhalb  dreier  Wochen  das 
Körpergewicht  um  fünf  Pfund.  Sehr  bedeut- 
sam war  für  mich  die  Angabe  mancher 
Ghlorotischen  über  die  Regulierung  ihrer 
sonst  trägen  Darmtätigkeit,  und  mit  dem 
Beginn  einer  lebhafteren  Verdauung  und  der 
zugleich  eintretenden  größeren  Resorptions- 
kraft des  Darmes  verschwand  die  Blässe  der 
Haut,  und  es  bezeugte  bei  manchen  schon 
nach  zweiwöchiger  Eisenkur  eine  gewisse 
Frische  der  Wangen,  daß  das  genossene  Eisen- 
präparat seine  Wirkung  nicht  verfehlt  hatte. 
Freilich  versagte  das  Mittel  auch  bei  manchen 
anämischen  Zuständen,  in  der  Regel  aber 
nur  dann,  wenn  chronischer  Magenkatarrh 
dieselben  begleitete;  unter  solchen  Bedin- 
gungen ist  man  allerdings  auch  sonst  ge- 
zwungen, von  einer  Eisentherapie  Abstand 
zu  nehmen.  Als  übelwirkende  Nebenerschei- 
nung erwies  sich  nach  dem  Genüsse  der 
Plenulae  häufig  Aufstoßen,  wahrscheinlich 
infolge  des  Lebertrans,  das  jedoch  durch 
Natr.  bicarbon.  bald  beseitigt  wurde.  Eine 
mechanische  Störung  in  dieser  so  zweck- 
mäßigen Form  der  Eisendarreichung  bot  der 
Umstand,  daß  manche  Pat.  die  Plenulae 
nicht  schlucken  konnten,  man  kann  aber 
auch  diesem  Übelstande  abhelfen,  wenn  man 
sie  in  einem  schleimigen  Vehikel  nehmen 
läßt.  Wenn  wir,  wie  ich  zusammenfassend 
noch  hervorheben  möchte,  schon  aus  diesem 
Grunde  der  landläufigen  flüssigen  Eisenmittel 
unserer  Pharmakopoe  auch  in  Zukunft  nicht 
immer  werden  entraten  können,  so  scheint 
mir  doch  die  Plenula  in  physiologisch-chemi- 
scher Hinsicht  die  Idealform  der  Eisen- 
darreichung zu  sein,  eben  weil  in  ihr  das 
bei  der  Herstellung  eines  Eisenpräparates 
unbedingt  auszuschaltende,  das  unresorbier- 
bare  Eisenoxydhydrat,  d.  i.  Rost,  erzeugende 
Wasser  vollständig  fehlt,  und  sich  nach  ihrer 
Aufnahme  die  niedrigsten  Oxydationsstufen 
des  Eisens  im  Magen  bilden  und  als  solche 
im  Darmtractus  nachher  zu  leicht  resorbier- 
baren und  assimilierbaren  Blutförderern  ent- 
wickeln. 


Über  die  Behandlung  von  Brandwunden 
mit  Zinkperhydrol. 

Von 
Dr.  Robert  Jaeoby  io  Berlin. 

Seit  Oktober  1904  habe  ich  mit  dem 
Zinkperhydrol  (Merck)  in  Salben-  und 
Pulverform  Versuche  angestellt.  Ich  habe 
es  bei  frischen  Wunden,  bei  Operations- 
wunden, bei  Verletzungen,  bei  Beingeschwüren 
und  bei  verschiedenen  Hautausschlägen  be- 
nutzt. 

Den  eklatantesten  Erfolg,  so  wie  er  mir 
bisher  bei  anderen  Behandlungsmethoden  nie 
in  gleicher  Weise  entgegengetreten  ist,  habe 
ich  bei  Brandwunden  gehabt. 

Bei  frischen  Brandwunden  wurden  die 
heftigen,  brennenden  Schmerzen  sofort  nach 
Anlegung  des  Verbandes  gelindert.  Die  Wun- 
den heilten  nach  einigen  Tagen  in  tadelloser 
Weise.  Vor  allen  Dingen  kam  es  niemals 
zu'  Eiterungen  an  den  Wunden  oder  zu 
Reizungszuständen  in  der  Umgebung  der- 
selben. 

Auch  ältere  Brandwunden  zeigten  nach 
einigen  Tagen  ein  sehr  günstiges  Bild  und 
heilten  ähnlich  den  frischen  in  kurzer  Zeit. 
Das  Zinkperhydrol  hat  eine  austrocknende 
und  desinfizierende  Wirkung. 

Ich  möchte  dem  Mittel  einen  besonderen 
Platz  in  der  Behandlung  von  Brandwunden 
eingeräumt  wissen  und  empfehle  den  Herren 
Kollegen  die  Anwendung  des  Zinkperhydrols 
als  Salbe  oder  als  Pulver  in  folgender  Ver- 
ordnung: 

Rp.  Zinkperhydrol  Merck      50 
Talci  Veneti  200 

M.  f.  pulvis. 

Rp.  Zinkperhydrol  50 
Vaselini  flavi  200 
M.  f.  unguentum. 

Irgendwelche  schädliche,  ätzende  oder 
gar  giftige  Erscheinungen  habe  ich  in  keiner 
Weise  auch  während  wochenlanger  Behand- 
lung feststellen  können. 

Ich  beabsichtige,  in  Zukunft  mit  dem 
Zinkperhydrol  imprägnierte  Verbandstoffe  zu 
verwenden,  um  dieses  Präparat  in  geeigneter 
Weise  bei  Verbrennungen  jederzeit  zur  Hand 
zu  haben.  Über  diese  Versuche  werde  ich 
später  berichten. 


XIX.  Jahrgang.l 
Deaemher  ltfOS  J 


Goldman n,  G«g«n  Diabatet  mellitus  empfohlen«  Medikament«. 


637 


Zur  Wirkung*  der  gegen  Diabetes 
mellitus  empfohlenen  Medikamente.1) 

Von 
Felix  Qoldmann  in  Berlin. 

In  der  Aufzählung  der  für  die  Behand- 
lung des  Diabetes  mellitus  empfohlenen 
chemischen  Präparate  und  Spezialitäten  findet 
sich  auch  das  von  der  Bavaria-Apotheke 
hergestellte  „Senval"  angeführt.  Es  wurde 
von  Fleischer  einmal  und  mit  negativem 
Erfolge  verwendet,  denn  es  vermochte  nicht 
mehr  als  die  übliche  Diät  zu  leisten. 

Diesem  einen  Fall  bin  ich  in  der  Lage 
einen  zweiten  hinzuzufügen. 

Unter  den  21  Präparaten,  unter  denen 
sich,  wie  ich  glaube,  wohl  alle  chemischen 
Substanzen,  Geheimmittel,  Spezialitäten  etc. 
befinden,  die  im  Verlauf  des  letzten  Jahr- 
zehntes, sei  es  durch  Annoncen  oder  Bro- 
schüren bekannt  wurden,  sei  es  in  der 
Literatur  Besprechung  fanden,  unter  diesen 
Substanzen,  die  ich  im  Verlauf  von  mehr 
als  6  Jahren  an  mir  selbst  erprobte,  befindet 
sich  der  Reihe  nach  als  letzte  (im  Monat 
Oktober  wurde  noch  keins  empfohlen)  die 
mit  „Senval"  bezeichnete  Spezialität.  Zur 
Charakteristik  der  Erkrankung  sei  bemerkt, 
und  das  möge  auch  bei  der  Beurteilung  des 


Medikamentes  mit  in  Rechnung  gezogen 
werden,  daß  es  sich  im  vorliegenden  Fall 
um  einen  Diabetes  handelt,  der  durch  Diät 
beherrscht  werden  kann,  und  zwar  dergestalt, 
daß  nach  36  stündiger  kohlehydratfreier  Kost 
auch  der  Harn  zuckerfrei  ist.  In  einer  Vor- 
periode wurden  täglich  50  g  Kohlehydrate 
(gemischte  Kost)  zugeführt  und  nach  Ablauf 
von  2  Tagen  die  Ausscheidung  bestimmt;  sie 
betrug  genau  8,7  g  Glukose  in  24  Stunden.  Dann 
wurde  10  Tage  lang  das  Senval-Präparat, 
das  ich  direkt  vom  Produzenten  erwarb, 
genau  nach  Vorschrift  —  es  handelt  sich 
um  ein  Pulver  und  um  eine  Flüssigkeit  — 
gebraucht.  Nach  Abschluß  der  Kur  belief 
sich  die  Ausscheidung  genau  auf  rund  15,1  g 
Glukose  bei  50  g  Kh-Kost. 

Dieses  Zuviel  braucht  keineswegs  durch 
das  Mittel  bedingt  zu  sein;  die  Tatsache 
läßt  sich  jedoch  nicht  ableugnen,  daß  es 
nicht  vermochte,  trotz  der  doch  sicherlich 
mäßigen  Zufuhr  von  Kohlehydraten  die  Menge 
der  ausgeschiedenen  Glukose  günstig  zu  beein- 
flussen. 

Über  Antimellin,  Djöat,  Saccharosovol 
wurde  ja  bereits  von  anderer  Seite  ein  Urteil 
abgegeben,  ich  kann  dasselbe  auf  Grund 
eigener  Versuche  bestätigen;  die  Mittel  hatten 
nicht  den  geringsten  Einfluß  auf  die  Zucker- 
ausscheidung. 


Neuere  Arzneimittel. 


Protosal. 

Die  therapeutischen  Resultate  der  per- 
kutanen Anwendung  von  Salizylsäure  und 
deren  Verbindungen,  besonders  von  Mesotan, 
sind  so  günstig,  daß  diese  Methode  allge- 
meine Anwendung  gefunden  hat.  Das  Mesotan 
verursacht  jedoch  leicht  Reizzustände  der 
Haut  und  führt  zu  entzündlichen  und  jucken- 
den Exanthemen,  die  Veranlassung  werden 
können,  das  Mittel  auszusetzen.  Als  Ursache 
der  reizenden  Wirkung  ist  wohl  die  leichte 
Zersetzlichkeit  des  Mesotans  anzusehen,  wel- 
ches schon  durch  feuchte  Luft  in  Salizylsäure, 
Methylalkohol  und  Formaldehyd  gespalten 
wird.  y 

Von  diesen  reizenden  Eigenschaften  scheint 
nach  den  bis  jetzt  gemachten  Beobachtungen 
der  Salizylsäureglyzerinformalester*)  frei  zu 
sein. 


»)  Therapeutische  Monatshefte  X,  1905. 


Er  ist  eine  ölige  farblose  Flüssigkeit  vom 
spez.  Gew.  1,344  bei  15°,  siedet  gegen 
200°  bei  12  mm -Druck  unter  geringer  Zer- 
setzung, ist  leicht  löslich  in  Äther,  Alkohol, 
Benzol,  Chloroform,  Rizinusöl,  etwas  schwerer 
löslich  in  Olivenöl  und  Sesamöl,  unlöslich 
in  Wasser,  Petroläther,  Glyzerin,  Vaselin. 
Durch  verdünnte  Säuren  und  Alkalien  wird 
die  Substanz  in  Salizylsäure,  Glyzerin  und 
Formaldehyd  gespalten. 

Von  einer  Mischung  gleicher  Teile  des 
Esters  und  Olivenöls,  dem  10  Proz.  Alkohol 
hinzugesetzt  waren,  habe  ich  dreimal  täglich 
1  Teelöffel  voll  kräftig  in  die  Haut  des  Ober- 
schenkels  eingerieben,    ohne   daß    sich    Reiz- 


*)  Der  Körper  hat  die  Formel: 

CH, .  0  .  OC .  C6H4  (OH) 

I 
CHON 


'\ 


CHa0/ 


CHa 


638 


FrotoMl.  —  Formieio. 


fTherapeul 
L   M<m»teh 


erscheinungen  geltend  gemacht  hätten.  Die 
Resorption  durch  die  Haut  ist  eine  sehr 
gute.  Der  12  Stunden  nach  der  ersten  Ein- 
reibung gelassene  Urin  gab  bereits  starke 
Salizylsäurereaktion.  Am  folgenden  Morgen 
schien  die  Reaktion  noch  stärker  zu  sein, 
sie  nahm  im  Laufe  des  Tages  allmählich  ab, 
aber  es  konnten  noch  am  3.  Tage  geringe 
Mengen  Salizylsäure  im  Urin  nachgewiesen 
werden.     Album en  war  nicht  vorhanden. 

Auch  die  Einreibung  von  10  Tropfen 
der  unverdünnten  Substanz  in  die  Haut  der 
Beugeseite  des  Unterarmes  war  reizlos,  es 
stellte  sich  nur  vorübergehend  ein  leichtes 
Wärmegefühl  ein.  Nichtsdestoweniger  dürfte 
sich  für  die  Praxis  doch  die  Verdünnung 
mit  einer  gleichen  Menge  Öl  empfehlen. 

Der  gekennzeichnete  Vorzug  vor  dem 
Mesotan,  das  ebenfalls  Salizylsäure  und 
Formaldehyd  in  gebundener  Form  enthält, 
findet  seine  Erklärung  in  der  Konstitution 
der  neuen  Verbindung.  Die  Abspaltung  der 
Salizylsäure  bedingt  nicht  die  sofortige  Ab- 
spaltung von  Formaldehyd,  wie  das  beim 
Mesotan  der  Fall  ist.  Die  Zerlegung  kann 
man  sich  vielmehr  so  erklären,  daß  zuerst 
Salizylsäure  und  Glyzerinformal  entsteht  und 
dann  aus  dem  letzteren  erst  allmählich  Form- 
aldehyd frei  gemacht  wird. 

Herr  Dr.  R.  Friedländer  hat  auf  mein 
Ersuchen  die  Substanz  in  seiner  Praxis  bei 
einer  Anzahl  rheumatischer  Affektionen  ge- 
prüft und  gute  Resultate  erhalten,  über  die 
er  selber  ausführlich  berichten  wird.  Auch 
hier  fehlten  jegliche  Reizerscheinungen.  Be- 
nutzt wurde  die  gleiche  von  mir  verwendete 
Mischung. 

Der  Salizylsäureglyzerinformalester  wird 
von  der  Chemischen  Fabrik  auf  Aktien  (vorm. 
E.  Schering)  dargestellt  und  mit  dem  Namen 
Protosal  bezeichnet. 

Die  Verordnung  geschieht  zweckmäßig 
nach  folgender  Formel: 

Rp.     Protosali  25,0 

Spiritus  2,5 

Olei  Olivarum  ad     50,0 
M.  D.  S.    Äußerlich. 

A.  Langgaard. 


Formicin. 


Als  Ersatzmittel  für  das  Jodoform  glyzerin, 
sodann  als  Desinficiens  und  Desodorans  wird 
neuerdings  das  Formicin  (Formaldehyd-Acet- 
amid)  empfohlen. 

Das  Pr&parat,  welches  als  schwach  gelblich 
gefärbte,  dickliche,  sirupöse  Flüssigkeit  in  den 
Handel    gelangt,    riecht    schwach    nach    Sauren 


und  schmeckt  etwas  bitter;  spezifisches  Gewicht 
1,13—1,15.  Mit  Wasser  und  Alkohol  ist  es 
mischbar,  in  Äther  dagegen  unlöslich.  Auf 
37°  C.  erwärmt,  beginnt  die  wäßrige  Lösung 
Formaldehyd  abzuspalten;  mit  steigender  Tempe- 
ratur nimmt  die  Abspaltung  zu.  Das  Formicin 
besitzt  demnach,  auf  Bluttemperatur  erwärmt, 
starke  desinfizierende  Wirkung.  In  Gaben  von 
3  g  pro  die  in  Wasser  gelöst,  kann  es  wochen- 
lang ohne  Gesundheitssch&digung  genommen 
werden.  Metallinstrumente  werden  durch  die 
wäßrige  Lösung  nicht  angegriffen. 

Die  5  proz.  dünnflüssige,  wäßrige  Formicin- 
iösung  läßt  sich  an  Stelle  der  Jodoformglyzerin- 
emulsion zu  Injektionen  in  Gelenke,  Weich- 
teile, Abszesse  etc.  verwenden;  die  Anwendung 
dicker  Kanülen  ist  nicht  erforderlich.  Erheb- 
lichere Schmerzen  nach  der  Injektion  wie  bei 
Formaldehydinjektionen  sind  nicht  vorhanden, 
höchstens  tritt  mehr  oder  weniger  starkes  Brennen 
auf,  das  indes  bald  nachlaßt  und  -nur  selten 
einige  Stunden  andauert.  Außer  bei  tuber- 
kulösen Gelenkaffektionen  ist  Formicin  mit  gutem 
Erfolge  bei  Gelenkentzündungen  im  Gefolge  von 
Tabes,  Gelenkrheumatismus,  kongenitaler  Lues 
und  Trauma  benutzt  worden. 

Daß  Formicin  auch  intravenös  vertragen 
wird,  beweist  ein  Fall  von  malignem  Lymphom, 
in  welchem,  allerdings  ohne  therapeutischen 
Erfolg,  taglich  wahrend  6  Wochen  0,25  ccm 
einer  lproz.  ansteigend  bis  zu  2  ccm  einer  Öproz. 
wäßrigen  Lösung  injiziert  wurden. 

Bei  chronischer  Cystitis  infolge  von  Prostata- 
hypertrophie mit  Residualharn  bewirkten  tag- 
liche Blasenspülungen  mit  2  proz.  Lösungen 
—  5  proz.  wurden  wegen  intensiven  Brennens  in 
Blase  und  Urethra  nicht  vertragen  —  schnelle 
El&rung  des  trüben  Urins  innerhalb  acht  bis 
zehn  Tagen;  der  stinkende  Geruch  des  Harns 
war  fast  stets  nach  der  ersten  Spülung  ge- 
schwunden. 

Als  Desodorans  zeigte  Formicin  guten  Er- 
folg bei  stinkendem  Empyem  nach  Rippen- 
resektion; in  zwei  Tagen  wurde  der  Eiter  ge- 
ruchlos. Ebenso  günstig  erwies  sich  das  Prä- 
parat bei  stinkenden  Ulcera  cruris;  es  kam  hier 
in  2 proz.  Lösung  in  Form  von  feuchten  Ver- 
banden zur  Verwendung. 

Ungeeignet  scheint  Formicin  selbst  in  5  proz. 
Lösungen  bei  tuberkulösen,  granulierenden  Flachen 
zu  sein,  weil  dem  freiwerdenden  Formaldehyd 
nur  eine  Oberflächen  Wirkung  und  keine  Tiefen- 
wirkung zukommt. 

Brauchbar  ist  die  1  proz.  Lösung  dagegen 
in  Form  von  feuchten  Umschlagen  zur  vorbe- 
reitenden Dauerdesinfektion  zwecks  Erzielung 
aseptischer  Operationsgebiete,  z.  B.  bei  Laparo- 
tomien ,  Bruchoperationen ,  Gelenkresektionen. 
Zwölf  Stunden  lange  Einwirkung  der  1  proz. 
Lösung  gerbt  keineswegs  wie  es  Formalin- 
umschläge  tun,  die  Haut,  die  sich  stets  leicht 
und  glatt  schneiden  läßt. 

Literatur. 
Aus  der  chirurgischen  Abteilung  de*  Stadtt* 
sehen    Krankenhauses    in    Wiesbaden    (Oberarzt: 
Dr.  Landow):    Klinische  Versuche  mit  For- 


XIX.J»hrf*n*.-| 


Parisol.  -  AcldoL 


639 


micin  (Formaldehyd- Acetamid).  Von  Dr. 
Kurt  Bartholdy,  Assistenzarzt  Deutsche  medi- 
zinische Wochenschrift  No.  40,  1905,  S.  1601. 


Parisol. 

Mit  dem  Namen  Parisol  wird  ein  Konden- 
sationsprodukt von  Formaldehyd  und  verseiften 
Naphthachinonen  bezeichnet,  das  eine  helle, 
wasserklare  Flüssigkeit  von  angenehmem,  er- 
frischendem Geruch  darstellt.  Das  Pr&parat  ist 
mit  Wasser  leicht  mischbar,  in  kalkhaltigem 
Wasser  entsteht  eine  wolkige  Trübung,  die  indes 
der  Wirksamkeit  keinen  Abbruch  tut. 

Die  bakteriologische  Prüfung  des  Parisols 
erwies  seine  Überlegenheit  gegenüber  den  ge- 
brauchlichsten Antiseptika,  wie  Lysol,  Karbolsäure 
und  selbst  Sublimat.  Vor  dem  letzteren  hat  es 
noch  den  Vorzug,  daß  selbst  hohe  Konzentra- 
tionen keine  Ätzung  auf  die  Gewebe  ausüben. 

Die  hohe  bakterizide  Kraft  äußert  Parisol 
auch  im  lebenden  Gewebe;  es  dringt  tief  in  die 
Haut  und  Schleimhaut  ein  und  beseitigt  rasch 
den  üblen  Geruch  von  Wunden  und  Sekreten. 

Die  5  proz.  Lösung  läßt  sich  mit  bestem 
Erfolge  an  Stelle  des  Sublimats  zur  Hände- 
desinfektion verwenden.  Höhere  Konzentrationen 
geben  allerdings  zur  momentanen  Entzündung 
und  Schmerzhaftigkeit  Anlaß,  doch  schwinden 
diese  Übelstände  nach  Beseitigung  des  Mittels. 
Ekzeme,  wie  nach  Sublimat,  oder  Gangrän,  wie 
nach  Benutzung  von  Karbolsäure,  werden  durch 
Parisol  nicht  hervorgerufen. 

Eiternde  Wunden  werden  mit  3  bis  öproz. 
Parisollösung  ausgewaschen  und  durchspült,  wo- 
bei die  Lösung  längere  Zeit  in  der  Wunde  be- 
lassen wird,  daneben  kommen  nasse  Verbände 
mit  der  0,1  bis  0,3  proz.  Lösung  zur  Verwen- 
dung. Unter  dieser  Behandlung  sistiert  die 
Eiterung  in  kurzer  Zeit,  ebenfalls  schwindet  der 
üble  Geruch,  selbst  wenn  die  Wunden  stark 
jauchen.  Ganz  besonders  macht  sich  die  deso- 
dorier ende  Wirkung  bei  zerfallenden  und  jauchigen 
Krebsgeschwüren  geltend. 

Das  Parisol  erscheint  ferner  in  der  Gynä- 
kologie von  besonderem  Wert.  Katarrhe  der 
Scheide,  der  Gebärmutter  werden  günstig  be- 
einflußt, der  stinkende  Ausfluß  bei  inoperablen 
Uteruskarzinomen  wird  schnell  beseitigt.  Die 
0,3  bis  0,5  proz.  Lösung  läßt  sich  als  reizloses, 
ungiftiges  Ersatzmittel  für  Sublimat  etc.  mit 
Vorteil  zu  Uterusspülungen  nach  geburtshilf- 
lichen Operationen  verwenden. 

Literatur, 
Parisol,  ein  neues  Antiseptikum  und 
Desodorans.    Von   Dr.  Benno  Müller   (Ham- 
burg).   Deutsche  Zeitschrift  für  Chirurgie,  Bd.  79, 
Separatabdruck. 


AcidoL 

Der  bei  einer  Reihe  von  krankhaften  Stö- 
rungen des  Verdauungsapparates  unentbehrlichen 
Salzsäure  haftet  der  Übelstand  an,  daß  beim 
Aufbewahren  ihre  Dämpfe,  welche  auch  aus  ge- 


schlossener Tropfflasche  entweichen,  Metall  gerate 
und  Gebrauchsgegenstände  angreifen.  Da  ferner 
viele  Patienten,  denen  Salzsäure  in  Tropfenform 
verordnet  ist,  die  Tropfenflasche  bei  sich  tragen 
müssen,  'wodurch  Kleider,  Kofferinhalt  etc.  oft 
gefährdet  werden,  erscheint  die  Darreichung  von 
Salzsäure  in  fester  Form  von  praktischer  Be- 
deutung. 

Acidol,  Betainchlorhydrat1),  bildet  farb- 
lose, in  Wasser  sehr  leicht,  in  Alkohol  schwieri- 
ger lösliche  Kristalle.  In  trockenem  Zustand» 
ist  es  gut  haltbar  und  gibt  selbst  beim  Er- 
wärmen keine  Salzsäure  ab,  in  wäßriger  Lösung 
dagegen  zerfallt  es  hydrolytisch,  und  zwar  nimmt 
die  Hydrolyse  mit  steigender  Verdünnung  zu: 
in  1  proz.  Lösung  sind  etwa  40  Proz.  des  Prä- 
parates aufgespalten. 

Da  Acidol  23,78  Proz.  Salzsäure  enthält, 
also  etwa  ebensoviel  wie  die  offizineile  Salz- 
säure (25  Proz.),  so  entsprechen  —  unter  Berück- 
sichtigung der  unvollständigen  Spaltung  — 
5  Tropfen  Acidum  hydrochloricum  etwa  0,5  g 
und  8  Tropfen  ca.  1  g  Acidol.  In  dieser  Do- 
sierung kommen  Pastillen  in  den  Handel,  doch 
kann  ebensogut  das  Präparat  in  Pulverform  ver- 
abreicht werden.  Die  Pastillen  lösen  sich  äußerst 
leicht  in  Wasser;  der  Geschmack  der  wäßrigen 
Lösung  ist  angenehmer  als  der  der  Salzsäure. 
Irgendwelche  Reizung  der  Schleimhäute,  wie  ab 
und  zu  nach  >  Salzsäuremedikation  beobachtet 
wird,  soll  dem  Präparat  fehlen.  Die  frei  werden  de- 
Betainkomponente  ist  für  den  Organismus  voll- 
ständig indifferent. 

Das  Indikationsgebiet  für  Acidol  ist  das- 
gleiche  wie  für  SalzBäure.  Bei  dyspeptischen 
Störungen,  die  auf  mangelnder  Abscheidung  von 
Salzsäure  beruhen,  steht  sein  therapeutischer 
Erfolg  dem  von  Acidum  hydrochloricum  nicht 
nach,  bei   nervöser  Sub-  und  Anacidität  scheint 


])  Beta  in  (Oxyneurin,  Lycin,  Trimethylglycin) 

(CHt)tN  — 0 
I  I 

CHf  -  CO 

findet  sich,  wie  Liebreich  gezeigt  hat,  in  der 
Rübenmelasse,  aus  welcher  es  durch  Behandeln 
mit  Salzsäure  oder  Kochen  mit  Baryt  gewonnen, 
werden  kann.  Es  kommt  ferner  vor,  in  Lycium 
barbarum,  Gossypium  herbaceum,  Vicia  sativa,  My- 
tilus  edulis  sowie  im  Harn. 

Aus  Gholin  kann  es  durch  Oxydation  gewonnen, 
werden 


CH,- 


CO 


CH,OH 

|  +20  =    |  |     +2HfO 

CH,  N(CH,)j  OH  N  (CH,)S  -  0 

Ctaolin  B*Uln 

ferner   synthetisch  auB  Trimethylamin   und  Chlor- 
essigsäure (Liebreich): 

Cl.CHfCO,H  +  N(CHl)s  = 

Chloreulfftiur«         Trimethyl- 
amin 

C1.N(CHS),CH,.C0,H 

Betalnehlorhydrat. 


640 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


rTheraptntbehe 
L   Monatehefte. 


es  noch  wirksamer  als  die  Säure  selbst  zu  sein. 
Eine  weitere  Anwendung  findet  Acidol  zur  Her- 
stellung von  Pepsin-Salzsäure  Dragees.  Die  mit 
wäßriger  Salzsäure  hergestellten  Pepsinpräparate 
sind  nur  kurze  Zeit  haltbar,  während  Mischungen 
von  Pepsin  mit  Acidol,  die  sich  in  jedem  be- 
liebigen   Verhältnisse    herstellen    lassen,     noch 


nach  Jahresfrist  in  Wirkung  und  Aussehen  keine 
Veränderung  erkennen  lassen. 

Literatur. 
Acidol,    ein    Ersatz    für   Salzsäure    in 
fester  Form.    Von  Dr.  Robert  Flatow  (Berlin). 
Deutsche  medizinische  Wochenschrift,  No.  44,  1905, 
S.  1754. 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


L  Kongreß 
der  Internationalen  Gesellschaft  für  Chirurgie. 

Brüssel,  18.— 23.  September. 
Referent:    Dr.  H.  Wohl  gern  uth  (Berlin). 

(FMrtMtntng]. 

Auch  der  folgende  Referent  Herr  M.  A. 
Mattoli  (Rom),  der  seine  Ansichten  nicht  per- 
sönlich vorträgt,  läßt  die  verschiedenen  gut- 
artigen Magen affektionen  Revue  passieren,  bei 
denen  ein  chirurgischer  Eingriff  am  Platze  ist, 
und  beleuchtet  kurz  die  Indikationen  und  die 
voraussichtlichen  Resultate  der  jedesmal  ange- 
brachten Operationsmethode.  Er  wiederholt  im 
allgemeinen  die  Ansichten  seiner  Vorredner  mit 
wenigen  Ausnahmen.  So  gibt  er  z.  B.  bei  Pyloro- 
spasmus  der  Divulsion  nach  Loreta  vor  der 
Fissur  des  Pylorus  den  Vorzug.  Er  schließt  mit 
folgenden  Worten:  Eine  Operation  beherrscht 
souverän  das  Feld  der  Magen  Chirurgie,  das  ist 
die  Gastro-Enterostomie.  Zuerst  mit  Mißtrauen 
sogar  von  den  berühmtesten  Chirurgen  ,  aufge- 
nommen, ist  sie  schließlich  sieghaft  in  die  Praxis 
eingedrungen  und  dank  ihrer  zahlreichen  Ver- 
vollkommnungen und  rationeller  Auswahl  ihrer 
verschiedenen  Methoden  entscheidend  und  glän- 
zend in  ihren  Resultaten  geworden.  Ein  be- 
rühmter italienischer  Kliniker  sagte,  die  Operation 
müßte  „populär"  werden,  und  es  läge  wohl  an 
dem  Vorurteil  des  Publikums,  daß  dies  nicht 
geschähe.  Er  glaube  vielmehr,  daß  der  Mangel 
an  Popularität  dieser  Operation  in  einem  un- 
verständlichen Vorurteil  der  internen  Kliniker 
zu  suchen  sei,  die,  erfüllt  von  einem  über- 
triebenen Zutrauen  zu  ihren  therapeutischen 
Maßnahmen,  sich  hartnäckig  gegen  einen  chirur- 
gischen Eingriff  sträuben  wie  gegen  eine  ultima 
ratio  und  erst  dann  dazu  raten,  wenn  die>  Pro- 
gnose schon  kaum  mehr  Hoffnungen  hat. 

Herr  von  Eiseisberg  (Wien),  der  folgende 
Referent,  berichtet  über  seine  Erfahrungen  bei 
Fremdkörpern,  Traumen,  Pylorospasmus 
und  Ulcus.  Er  hat  niemals  operativ  einge- 
griffen bei  Kranken,  die  keine  anatomischen 
Läsionen  gehabt  haben.  So  ist  ihm  die  ein- 
fache Dyspepsie,  wie  sie  von  einzelnen  Chirurgen 
mit  gutem  Erfolge  operativ  geheilt  ist,  niemals 
als  ein  Grund  zur  Intervention  erschienen.  Was 
v.  Eiseisberg  über  das  operative  Vorgehen  bei 
Fremdkörpern  und  perforierenden  Traumen  sagte, 
kann  als  allgemein  feststehend  angenommen 
werden.    In  zwei  Fällen  von  kompletter  Striktur 


des  Magens  hat  er  nacheinander  folgende  Ope- 
rationen gemacht:  1.  Jejunostomie,  2.  einige 
Wochen  später  Gastrostomie  und  retrograder 
Katheterismus  der  Ösophagusstriktur,  3.  nach 
einem  Monat  Jejunorrhaphie  und  Gastro-Entero- 
stomie, 4.  nach  mehreren  Monaten,  als  der 
Katheterismus  per  os  möglich  war,  Gastror- 
rhaphie.  In  beiden  Fällen  war  das  Resultat  ein 
vollkommenes. 

Beim  Pylorospasmus  hat  er  ebenfalls 
mit  der  Pyloroplastik  weniger  gute  Resultate  er- 
zielt als  mit  der  einfachen  Gastro-Enterostomie. 
Die  erstere  hat  in  einem  Falle  nur  vorüber- 
gehende Erleichterung  verschafft,  während  die 
Gastro-Enterostomie  kompletten  Erfolg  in  einem 
zweiten  Falle  hatte. 

Über  das  perforierte  Ulcus,  die  mög- 
lichst schnelle  Laparotomie,  die  Exzision  des 
Geschwürs,  seine  eventuelle  Übernähung  mit 
Epiploon,  Tamponade  etc.,  über  die  Behandlung 
des  hämorrhagischen  und  des  nicht  blutenden 
Ulcus  mit  Exzision,  Resektion,  Exklusion  des 
Pylorus,  Gastro-Enterostomie  und  Jejunostomie, 
über  die  sich  der  Vortragende  des  weiteren  ver- 
breitet, decken  sich  seine  Ansichten  ebenfalls 
mit  denen  der  anderen  Autoren.  Auch  er  er- 
kennt die  Resektion  als  die  theoretische  Ideal- 
operation an,  die  doch  aber  nur  indiziert  ist 
bei  kau  z  er  ose  r  Degeneration.  Doch  glaubt  er, 
daß  die  Furcht  davor  durch  die  verhältnismäßig 
geringe  Zahl  der  Fälle  nicht  gerechtfertigt  wird. 

Für  außerordentlich  wertvoll  hält  er  die 
Ausschaltung  des  Pylorus  und  gibt  ihr  den 
Vorzug  vor  der  Gastro-Enterostomie,  wenn  immer 
sie  nur  ausführbar  und  die  Resektion  zu  gefähr- 
lich zu  sein  scheint. 

Die  Gastro-Enterostomie  hat  ihre  besten 
Erfolge,  wenn  das  Ulcus  nahe  am  Pylorus  sitzt; 
je  mehr  es  sich  der  Kardia  nähert,  um  so  mehr 
verringert  sich  ihre  Wirksamkeit.  Man  soll, 
wenn  möglich,  die  Gastro-Enterostomia  posterior 
machen;  ist  man  aber  gezwungen,  die  vordere 
Gastro-Enterostomie  auszuführen,  so  soll  man  die 
Enteroonastomose  anschließen,  um  den  Circulus 
vitiosus  zu  vermeiden. 

Die  Jejunostomie  ist  die  beste  Palliativ- 
operation bei  Geschwüren,  die  in  der  Nähe  der 
Kardia  sitzen,  bei  sehr  großer  Kachexie,  bei 
Sanduhrmagen  mit  sehr  kleinem  kardialen  Ab- 
schnitt, bei  totaler  Magenretraktion. 

Die  Pyloroplastik,  Gastroplastik ,  Gastro- 
lysis    verdienen    wenig    Vertrauen.      Der    Vor- 


XIX.  Jahrgang/! 
Des«mb<*r  l!Hift.  I 


Therapeutisch«  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


641 


tragende  reiht  hieran  noch  eine  Statistik  der 
von  ihm  operierten  33  blutenden,  64  nicht 
blutenden  Ulcera,  50  Pylorusstenosen  nach  Ge- 
schwür, 5  Geschwüre  des  Duodenum  mit  Stenose. 

Als  sechster  und  letzter  Referent  faßt  Herr 
Jonnesco  (Bukarest)  noch  einmal  die  nicht 
karzinomatösen  Magenerkrankungen  zusammen  in 
bezug  auf  ihre  Indikationen  zur  Operation,  die 
Wahl  des  Operationsverfahrens,  seine  augenblick- 
lichen und  späteren  Resultate.  Wir  wollen,  um 
nicht  zu  oft  zu  wiederholen,  nur  einzelnes  und 
Bemerkenswertes  aus  den  Ausführungen  Jon- 
n  es  cos  hervorheben: 

Der  Pylorospasmus,  sagt  er,  der  noch  1903 
von  Mayo  Robson  geleugnet  wurde,  ist  eine 
häufigere  und  schwerere  Affektion,  als  man  zu 
glauben  geneigt  ist;  73  operierte  Fälle  der  ver- 
schiedenen Autoren  zählt  er  auf  und  reiht  ihnen 
8  eigene  an,  6  mit  Ulcus,  2  idiopathische. 
Während  einige  Autoren  den  Pylorospasmus, 
den  sekundären  sowohl  infolge  von  Ulcus  wie 
den  primären  von  chronischer  Gastritis,  auf  eine 
wenn  auch  kleine  Alteration  der  Schleimhaut, 
Erosionen  oder  Fissuren  zurückführen,  scheint 
ihm  der  Spasmus  stets  eine  Folge  von  Hyper- 
chlorhydrie  zu  sein,  hervorgerufen  durch  eine 
Reizung  der  Mucosa  duodenalis,  deren  Reflex 
die  Kontraktur  des  Sphincter  pylori  zur  Folge 
hat.  Die  Läsionen  der  Mucosa  pylori  sind  also 
sekundärer  Natur.  Durch  Hypertrophie  des 
Sphinkter  nun  wird  der  Spasmus  permanent, 
durch  Sklerose  wird  aus  dem  Spasmus  eine 
fibröse  Stenose. 

Die  Hyperchlorhydrie  ist  also  nicht,  wie 
Carle  und  Fantino  meinen,  ein  Resultat  des 
Spasmus. 

In  Übereinstimmung  mit  seinen  Vorrednern 
sieht  er  die  Pylorektomie  als  die  ideale  Ope- 
ration an  und  hält  es  in  Rücksicht  auf  einen 
Fall  von  Ulcus  pylori,  in  dem  er  ein  Jahr  nach 
der  Gastro  Enterostomie  den  Kranken  an  karzi- 
nomatöser  Metastase  in  der  Leber  hat  zugrunde 
gehen  sehen,  für  notwendig,  wenn  nur  immer 
die  anatomischen  Bedingungen  und  der  Zustand 
des  Kranken  es  erlauben,  den  ulzerierten  Pylorus 
oder  das  Ulcus  pylori  mit  Stenose  zu  resezieren, 
um  die  kanzeröse  Degeneration  nach  Möglichkeit 
zu  vermeiden. 

Die  Gastro-Enterostomie  ist  die  Methode 
der  Wahl.  Bei  der  Ausübung  der  v.  Hack  er- 
sehen Methode  mit  der  Annähung  der  beiden 
Jejun umschlingen  an  die  Magenwand  konnte  er 
bis  jetzt  stets  Circulus  vitiosus  und  Ulcus  pep- 
ticum  vermeiden,  ohne  weiter  zur  Braun  sehen 
Anastomose  seine  Zuflucht  zu  nehmen.  Er  macht 
stets  die  Naht  in  zwei  Etagen  mit  Catgut.  Die 
erste  Naht  greift  durch  die  ganze  Dicke  der 
Wandungen,  die  zweite  ist  nur  eine  sero-serö6e. 
Die  Resektion  der  Mucosa  hält  er  für  unnötig. 
Seine  Kranken  bekommen  gleich  am  Operations- 
tage Nahrung  per  os.  Das  hat  nie  Gefahr, 
wenn  die  Naht  gut  ist. 

In  der  Frage  der  übrigen  gutartigen  Magen- 
erkrankungen schließt  sich  Jonnesco  den 
vorigen  Referenten  im  allgemeinen  an.  Bei  der 
Ektasie  und  Gastroptose  bevorzugt  er  die 
Faltung  oder  Gastrorrhaphie  mit  Gastro- Jejuno- 


stomie  und  eventuell  Gastropexie.  Die  essentielle 
Gastroptose,  die  mit  Splanchnoptose  kom- 
pliziert ist,  gehört  viel  mehr  in  das  Gebiet  der 
Orthopädie  als  der  Chirurgie. 

Die  Tetanie  gastrischen  Ursprungs  ist  ihm 
einmal  Gegenstand  chirurgischen  Handelns  ge- 
wesen. Die-  Gastro- Jejunostomie  hat  hier  Hei- 
lung gebracht.  Wie  wirksam  selbst  hier  der 
chirurgische  Eingriff  ist  in  diesen  sonst  fast 
btets  tödlichen  Fällen,  zeigt,  daß  von  den  11 
bekannten  operierten  Fällen  8  geheilt,  3  an 
postoperativen  Komplikationen  zugrunde  ge- 
gangen sind. 

Jonnesco  kommt  dann  noch  zu  sprechen 
auf  die  seltenen  Fälle  in  denen  der  Magen 
von  der  Dimension  eines  Dünndarms  mit 
dicken  Wandungen  und  ganz  engem  Lumen 
wohl  nur  Gegenstand  der  totalen  Ektomie  mit 
nachfolgender  Kardio- Jejunostomie  sein  kann. 
Die  Natur  dieser  Krankheit  ist  noch  zweifel- 
haft. Während  die  einen  Karzinom  annehmen, 
glauben  die  anderen  eine  gutartige  sekun- 
däre Entzündung,  chronische  Gastritis  oder 
eine  Entzündung  des  submukösen  Zellgewebes 
oder  die  Propagation  einer  retroperitonealen 
Entzündung  anschuldigen  zu  müssen.  In  seinem 
Fall  war  die  entzündliche  Natur  der  Erkrankung 
außer  allem  Zweifel.  Folgen  die  gutartigen 
Affektionen  der  Kardia  und  die  Traumen.  Der 
Vortragende  schließt  seine  Ausführungen:  der 
chirurgische  Eingriff  bei  den  gutartigen  Magen- 
affektionen, der  in  vielen  Fällen  zur  Heilung 
führt,  wenn  die  interne  Behandlung  keine  Wir- 
kung hat,  muß  möglichst  früh  gemacht  werden. 
Die  Ärzte  müssen  sich  von  der  großen  Wohltat 
desselben  in  der  modernen  Magenchirurgie  über- 
zeugen und  dem  Chirurgen  die  Kranken  über- 
liefern, bevor  sie  schwere  Komplikationen  haben, 
zum  Heile  der  Menschheit  und  zum  Ruhme  der 
chirurgischen  Kunst. 

14  Redner  beteiligten  sich  an  der  Dis- 
kussion. Herr  Hartmann  (Paris)  verfügt  über 
121  operierte  Fälle,  und  seine  Mortalität  ist  von 
23,7  %  vor  1900  auf  6  %  nach  1900  gefallen. 
Er  glaubt  dieses  glänzende  Resultat  der  jetzt 
durchgeführten  frühzeitigen  Operation  zu  danken. 
Wenn  auch  die  häufigste  Ursache  zur  Operation 
das  Ulcus  ist,  so  möchte  er  doch  zu  bedenken 
geben,  daß  die  meisten  nicht  komplizierten 
Ulcera  durch  medikamentöse  Maßnahmen  ge- 
wöhnlich ausheilen. 

Herr  Lambotte  (Antwerpen)  hat  ein  Material 
von  167  Fällen  aufzuweisen  mit  10%  Mortalität. 
Er  ist  doch  der  Ansicht,  daß  die  Gastro-Entero- 
stomie nicht  in  allen  Fällen  zum  Ziele  führt. 
Bei  den  einfachen  Gastropathien  hält  er  die 
Resektion  des  Sphincter  pylori,  bei  den  biliären 
Gastropathien  außerdem  noch  die  Cystektomie, 
bei  der  Ptose  die  Gastropexie  und  Pylorektomie 
für  besser.  Herr  Garre  (Breslau)  steht  im  all- 
gemeinen auf  einem  weniger  eingreifenden  Stand- 
punkte als  die  Referenten.  Er  ist  unbedingt 
für  einfache  Gastro-Enterostomie  bei  gutartigen 
Affektionen.  Die  Frage  des  Ulcus  pepticum 
scheint  ihm  noch  nicht  ganz  geklärt  zu  sein. 
Bei  123  Gastroenterostomien  hat  er  noch  keines 
erlebt  und   ist  daher  der  Ansicht,  daß  die  Art 


642 


Therapeutische  Mitteilungen  aus  Vereinen. 


("Therapeut 
L  Monate* 


itieche 


seiner  Schleimhautnaht  vielleicht  davor  Schatz 
geboten  hat.  Gastro-  und  Pjloroplastik  hat  auch 
er  wieder  verlassen,  ebenso  die  Gastrolysis,  doch 
hält  er  wie  Herr  v.  Eiseisberg  die  Gastro- 
pexie  für  eine  gute  Operation.  Herr  Ricard 
(Paris)  ist  nicht  der  Meinung,  daß  jedes  Ge- 
schwür a  priori  eine  chirurgische  Affektion  ist. 
Herr  Rovsing  (Kopenhagen)  hat  die  Erfahrung 
gemacht,  daß  die  Gastroptose  häufiger  bei  Nulli- 
paren  als  bei  Multiparen  vorkommt.  Von 
55  Fallen  46.  Herr  Segond  (Paris)  erwähnt 
einen  Fall  von  adhäsiver  Perigastritis,  der  voll- 
kommen das  Bild  eines  Pyloruskarzinoms  bot, 
aber  nach  einfacher  Gastrolysis  seit  7  Jahren 
geheilt  geblieben  ist.  Herr  Czerny  (Heidel- 
berg) ist  ein  großer  Freund  der  Exzision  der 
Geschwüre,  doch  hält  auch  er  die  Operation  nur 
nach  gründlicher  und  vergeblicher  interner  Be- 
handlung für  notwendig.  Die  Operation  der 
Wahl  ist  aber  auch  nach  seiner  Meinung  die 
Gastro- Enterostomie,  wenngleich  ihm  die  Exzision 
die  folgerichtige  Operation  zu  sein  scheint,  sie 
wird  immer  den  plastischen  Operationen  über- 
legen sein.  Was  nun  die  Technik  der  Gastro- 
Enterostomia  anlangt,  ob  anterior  oder  posterior, 
ist  er  überzeugt,  daß  jeder  mit  seiner  Methode 
die  besten  Resultate  haben  wird,  wenn  er  sie 
gut  ausgebildet  hat.  Während  des  weiteren  die 
Herren  Gardenal  (Barcelona),  Sinclair  White 
(Sheffield),  Kocher  (Bern)  und  Herczel  (Buda- 
pest) sich  über  die  Technik  der  Gastro-Entero- 
stomie  äußern,  lenkt  Herr  Lorthioir  (Brüssel) 
die  Aufmerksamkeit  auf  die  kongenitale 
Atresie  des  Pylorus,  die,  wenig  gekannt,  oft 
unbemerkt  bleibt  oder  mit  einer  Gastro-Enteritis 
verwechselt  wird.  Herr  Gerulanos  (Kiel)  teilt 
einen  Fall  von  Myom  des  Pylorus  mit,  Herr 
Sonnenburg  (Berlin)  glaubt  feststellen  zu 
können,  daß  die  Diskussion  das  Gute  gehabt  hat, 
daß  man  in  Zukunft  beim  Ulcus  mit  Verhärtung 
die  Exzision  und  Gastro-Enterostomie  machen 
wird,  und  die  verschiedenen  Referenten  drücken 
in  ihren  Schlußworten  die  Genugtuung  darüber 
aus,  daß  ihre  Thesen  von  den  meisten  Rednern 
angenommen  worden  sind. 

Die  nächste  Sitzung,  die  unter  dem  Vorsitz 
von  Demont  (Bordeaux)  stattfand,  beschäftigte 
sich  mit  der  Gelenktuberkulose. 

Der  erste  Referent,  Herr  Bier  (Bonn)  ließ 
durch  seinen  Assistenten  Herrn  Klapp  "seinen 
Standpunkt  zu  der  Frage  mitteilen,  der  im 
wesentlichen  folgender  ist: 

Die  Gelenktuberkulose  ist  eine  im  wesent- 
lichen heilbare  Affektion.  Die  systematische  Ab- 
tragung der  tuberkulösen  Herde  ist  eine  lächer- 
liche und  veraltete  Therapie.  Die  Behandlung 
des  Allgemeinbefindens  spielt  eine  gewisse  Rolle 
in  bezug  auf  die  Besserung  des  lokalen  Zu- 
standes.  Die  Immobilisation  ist  eine  der  besten 
lokalen  Maßnahmen.  Sie  ahmt  das  natürliche 
Heilungsbestreben  nach.  Jodoform,  Tuberkulin, 
Ignipunktur,  Chlorzink  sind  alles  nützliche  Hilfs- 
mittel der  Therapie,  indem  sie  eine  Hyperämie 
der  kranken  Gegend  herbeiführen.  Das  wirk- 
samste Mittel  und  das  einfachste  der  konser- 
vativen Behandlung    ist    die  passive  Hyperämie 


durch  venöse  Stauung.  Sie  genügt  auch  für 
offene  Tuberkulosen,  ohne  daß  antiseptische 
Verbände  oder  Kürettage  gemacht  zu  werden 
brauchen.  Kalte  Abszesse  müssen  durch  In- 
zision,  Punktion  oder  Aspiration  entleert  werden. 
Kontraindikationen  der  Hyperämie  sind  nur 
amyloide  Degeneration  oder  schwere  Lungen- 
tuberkulose. Auch  fehlerhafte  Stellungen,  die 
nach  der  Heilung  ein  schlechteres  funktionelles 
Resultat  geben  würden  als  nach  der  Resektion, 
wird  man  besser  dieser  unterwerfen.  Die  Stau- 
ungehyperämie gestattet  es,  sehr  früh  aktive  und 
passive  Bewegung  wieder  aufzunehmen,  und  die 
Heilung  erfolgt  häufig  mit  vollkommener  Be- 
weglichkeit trotz  weit  vorgeschrittener  Erkran- 
kung. Sie  erlaubt  eine  ambulante  Behandlung 
der  Kranken,  denn  der  Krankenhausaufenthalt 
ist  ihnen  in  keinem  Falle  nützlich.  Die  mittlere 
Dauer  der  Behandlung  beträgt  wenigstens 
9  Monate.  Die  Anwendung  von  Apparaten,  be- 
sonders nach  dem  Prinzip  von  Hess  in  g  ist 
eine  vorteilhafte  Unterstützung  der  Stauungs- 
behandlung. Das  wesentliche  Ziel  der  Behand- 
lung muß  das  Erreichen  einer  möglichst  guten 
Funktion  sein.  Bei  den  Tuberkulosen  des  Knies 
und  des  Fußes  wird  man  daher  manchmal  die 
Resektion  der  Hyperämie  vorziehen,  weil  hier 
die  Beweglichkeit  weniger  wichtig  ist  als  eine 
gute  Stellung.  Rezidive  sind  bei  der  Stauungs- 
behandlung nicht  seltener  und  nicht  häufiger 
als  bei  den  übrigen  Methoden.  Eine  Statistik 
der  von  ihm  in  den  letzten  anderthalb  Jahren 
behandelten  Fälle  schließt  den  Vortrag. 

Der  zweite  Referent  Herr  Broca  (Paris) 
gibt  in  kurzen  Zügen  ein  Programm  seiner  Be- 
handlungsweise  der  Gelenktuberkulose  bei  Kin- 
dern. Er  hält  die  medikamentöse  Behandlung 
für  unentbehrlich,  einen  dauernden  Aufenthalt 
an  der  See  für  unnötig.  Lokal  geht  er  folgender- 
maßen vor:  Die  oberflächlichen  synovialen 
Erkrankungen  werden  mit  Jodoform -Äther- 
Injektionen  und  relativer  Immobilisation  von 
kurzer  Dauer  behandelt;  die  Osteo-Arthriten 
mit  kompletter  Immobilisation,  vollkommener 
Streckung  bei  den  Erkrankungen  von  Knie, 
Handgelenk,  Finger,  Zehen,  Extension,  leichter 
Abduktion  und  Rotation  nach  außen  bei  der 
Hüfte,  rechtwinkliger  Beugung  beim  Ellenbogen 
und  Fußgelenk.  Das  Redressement  fehler- 
hafter Stellungen  wird  durch  kontinuierliche 
Extension  ausgeführt.  Luxierte  oder  deformierte 
Knochen  werden  durch  forciertes  Redressement 
gerade  gestellt,  und  er  glaubt  nicht,  daß  dieser 
Behandlungsweise  alle  die  Nachteile  eigen  sind, 
deren  man  sie  beschuldigt.  Nach  dem  Redresse- 
ment läßt  er  die  Patienten  mehrere  Monate  im 
Bett  in  einem  Apparat  liegen  und  gibt  ihnen 
später  erst  einen  Gehapparat.  Broca  schließt: 
Die  Immobilisation  ist  die  Basis  der  Behand- 
lung, wenn  man  auch  auf  einige  Hilfsmittel  wie 
Kompression,  Stauung,  Injektionen  etc.  nicht 
verzichtet.  Eine  Operation  ist  nur  ausnahms- 
weise indiziert;  wenn  sie  aber  gemacht  wird, 
dann  ist  die  Resektion  der  Synovektomie  vorzu- 
ziehen. Ist  diese  aber  eine  vollkommene,  dann 
hat  sie  enorme  Verkürzungen  im  Gefolge.  Schont 
sie  andererseits  die  Gelenkknorpel  und  die  Epi- 


XIX.  Jahrgang."] 
December  1H05.J 


643 


physen,  so  riskiert  sie,  unvollkommen  zu  sein 
und  schwere  Deformitäten  herbeizuführen.  Ein 
vereiterter  Tumor  albus  wird  am  besten  mit 
Punktion  oder  Injektion  von  Jodoformäther  be- 
handelt. Stark  reizende  Injektionen  sind  nicht 
zu  empfehlen.  Partielle  Auslöfflungen  sind 
nicht  ratsam,  führen  eher  eine  Verschlechterung 
herbei'.  Eine  drohende  Infektion  kann  zu  breiter 
Eröffnung  und  Drainage  der  Knochenherde 
zwingen.  Eine  Septikämie  oder  schwere  Lungen- 
tuberkulose darf  die  einzige  Ursache  einer  Am- 
putation sein.  Falsche  Stellungen  sollen  nur 
dann   korrigiert  werden,   wenn  jeder  Infektions- 


herd erloschen  ist.  Mit  der  Immobil  isation  darf 
erst  dann  aufgehört  werden,  wenn  jeder  Schmerz 
verschwunden  ist.  Bewegungs versuche  müssen 
langsam  und  allmählich  gemacht  werden,  und 
bei  dem  geringsten  Aufflackern  muß  wieder  zeit- 
weilig immobilisiert  werden.  Man  wird  nicht 
gar  zu  große  Anstrengungen  machen,  um  die 
Gelenke  zu  mobilisieren.  Die  Ankylose  der 
unteren  Extremität  wird  man  in  Ruhe  lassen, 
die  falsche  Stellung  eher  durch  Osteotomie  oder 
Resektion  als  durch  forciertes  Redressement 
korrigieren.  Die  Ankylose  der  oberen  Extremi- 
tät wird  man  zu  mobilisieren  versuchen. 

f Schlot  folgt.) 


Referate. 


Der  heutige  Stand  der  Pathologie  und  Therapie 
der  Epilepsie.  Von  Dr.  Arthur  v.  Sarbo, 
Privatdozent  an  der  Universität  in  Budapest. 
Separat- Abdruck  aus  der  „Wiener  Klinik" 
1905.    Urban  &  Schwarzenberg,  1905,  64  S. 

Bei  der  Begriffsbestimmung  der  Epilepsie 
ist  neben  den  motorischen  auch  den  fast  stets 
vorhandenen  psychischen  Symptomen  Rechnung 
zu  tragen:  »Die  Grundlage  der  genuinen  Epi- 
lepsie bildet  eine  angeborene  Nervenkonstitution, 
welche  sich  in  beständig  vorhandenen  motorischen 
und  psychopathischen  Erscheinungen  —  inter- 
paroxysmale Erscheinungen  —  äußert ;  die  Mannig- 
faltigkeit der  auslösenden  Momente  macht  diese 
Konstitution  auffälliger  und  progredienter  durch 
Hervorrufung  paroxysmaler  motorischer  und 
psychopathischer  Erscheinungen. "  In  der  Patho- 
genese des  Leidens  spielt  die  nervöse  Belastung 
die  Hauptrolle.  Von  den  Momenten,  welche 
auf  dieser  Basis  die  Epilepsie  zur  Entwickelung 
bringen,  werden  Infektionskrankheiten  des  Kindes- 
alters, Eklampsien,  intra-  und  extrauterine  Ge- 
hirnkrankheiten (Encephalopathia  infantilis),  für 
manche  Fälle  Trauma,  Reflexe  von  der  Peripherie 
her,  psychische  Erregungen,  besonders  Erschrecken, 
Menstruation  angeführt.  Arteriosklerose,  Alko- 
holismus, Syphilis  können  sekundäre  genuine 
Epilepsie  hervorrufen.  Die  senile  Epilepsie 
(Epilepsia  tarda)  wird  meist  durch  die  Arterio- 
sklerose ausgelöst,  es  gibt  aber  auch  Fälle,  in 
denen  sich  die  Epilepsie  ohne  diese  im  späteren 
Alter  ausbildet.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß 
der  Ursprung  und  der  Verlaufsort  auch  der 
motorischen  Symptome  der  genuinen  Epilepsie 
in  der  Gehirnrinde  zu  suchen  ist.  Die  Anhänger 
der  Theorie  doppelten  —  kortikalen  und  infra- 
kortikalen —  Ursprungs  sind  allerdings  in  der 
Überzahl.  Die  Frage  nach  der  ursächlichen  Be- 
deutung der  Stoffwechselprodukte  harrt  noch 
ihrer  Erledigung.  Selbstverständlich  ist  im  Blute 
von  Epileptikern  auch  ein  Mikrokokkus  (Neuro- 
kokkus!)  gefunden  worden.  Die  Symptomatologie 
ist  sehr  eingehend  geschildert.  Bei  der  Diffe- 
rentialdiagnose kommt  im  wesentlichen  die 
Hysterie  und  die  Simulation  in  Betracht.  Die 
pathologische  Anatomie  liefert  noch  immer  wenig 
Ausbeute.      Es    scheint,    daß    die    Epilepsie    zu 


diffuser  Gliose  führen  kann.  Dieselbe  beschränkt 
sich  aber  nicht  auf  die  Ammonshörner,  kann 
vielmehr  auch  die  gesamte  Rinde  betreffen.  Das 
Kapitel  der  Therapie  beginnt  mit  den  pro- 
phylaktischen Maßnahmen:  Bekämpfung  des  Al- 
koholismus, Verhinderung  des  Heiratens  Epi- 
leptischer, sofern  körperliche  oder  psychische 
Stigmata  der  ererbten  Disposition  auffindbar 
sind.  In  der  speziellen  Therapie  werden  mit 
Binswanger  die  konstitutionellen  (hygienisch- 
diätetischen), die  arzneilichen  und  die  operativen 
Maßnahmen  auseinandergehalten.  Geistige  Über- 
anstrengung ist  zu  vermeiden,  der  Schulbesuch 
zu  untersagen.  Erscheinen  die  Anfälle  selten, 
und  fehlen  interparoxysmale  neurasthenische 
Symptome,  so  ist  der  Privatunterricht  (2  bis 
3  Stunden  täglich)  zu  gestatten.  Wird  die  Epi- 
lepsie im  Pubertätsalter  manifest,  so  ist  ein 
Berufswechsel  dann  am  Platze,  wenn  die  Intelli- 
genz zu  leiden  scheint.  Körperlich  gut  ent- 
wickelte, geistig  intakte  Individuen  können  bei 
Einhaltung  allgemeiner  hygienisch  -  diätetischer 
Maßregeln  eventuell  ihre  Studien  fortsetzen. 
Körperliche  Beschäftigung  darf  im  allgemeinen 
nur  dazu  geeigneten  Kranken  angeraten  werden. 
Einrichtung  epileptischer  Kolonien  und  separater 
Institute  ist  zu  empfehlen.  Richtige  pädagogisch- 
psychische Beeinflussung  ist  von  großem  Werte. 
Die  hypnotische  Suggestion  hat  keine  anzu- 
erkennenden Erfolge  aufzuweisen.  In  der  medi- 
kamentösen Behandlung  steht  das  Brom  obenan. 
Die  Furcht  vor  dem  Bromismus  ist  nach  den 
eigenen  Erfahrungen  des  Verfassers  bei  Rein- 
haltung der  Haut  durch  Bäder  und  Sorge  für 
regelmäßigen  Stuhl  unbegründet.  Die  Art  der 
Anwendung  ist  von  Wichtigkeit.  Verf.  beginnt 
bei  einem  mittelschweren  Falle  mit  einer  täglichen 
Dosis  von  3  g  Bromkalium;  sie  wird  wöchentlich 
um  1  g  erhöht  (bis  zu  6—8 — 10 — 12  g  pro  die) 
mit  der  Weisung,  bei  der  Dosis  zu  verbleiben, 
bei  der  die  Anfälle  sistieren.  Ist  eine  an  falls- 
freie Zeit  von  2 — 3  Monaten  erreicht,  so  wird 
die  Dosis  wöchentlich  um  1  g  pro  die  wieder 
verringert  bis  zu  2 — 3  g  pro  die.  Der  Kranke 
muß  es  lernen,  sein  Befinden  zu  kontrollieren, 
um  danach  die  Dosierung  des  Broms  selbst 
regulieren    zu    können.      Die    Behandlung    muß 


644 


L' 


Thei-ftpentiaefee 
Monatsheft«. 


Jahre  hindurch  ununterbrochen  fortgesetzt  werden, 
denn  Brom  heilt  nicht  die  Epilepsie,  es  unter- 
druckt nur  die  Anfalle.  Die  Opium -Bromkur 
Flechsigs  ist  als  stellvertretendes  Verfahren 
für  die  reine  Brombehandlung  in  Betracht  zu 
ziehen,  aber  nur  in  Anstalten.  Gute  Erfolge  hat 
das  Verfahren  von  Richet  und  Toulouse.  Sie 
geben  kochsalzarme  Diät  in  der  Annahme,  daß 
der  Körper  bei  Chlorentziehung  für  Brom,  das 
dann  die  Stelle  des  Chlors  in  den  Verbindungen 
einnimmt,  empfindlicher  wird.  Chirurgische 
Eingriffe  sind  in  der  Behandlung  der  genuinen 
Epilepsie  vorläufig  nicht  am  Platze.  So  viel  aus 
der  lesenswerten  Arbeit,  die  ihre  Aufgabe  löst, 
ohne  auf  den  überflüssigen  Ballast  Rücksicht  zu 
nehmen. 

H.  Krön  (Berlin). 

Bemerkungen  Ober  die  Behandlung  der  Leukämie 
mit  Röntgenstrahlen.  Von  Prof.  Otto  mar 
Rosenbach  (Berlin). 

Während,  wie  Rosenbach  seit  langen 
Jahren  immer  wieder  ausgeführt  hat,  die  feinsten 
Ströme  der  Energie,  die  sogen.  dunkUn  Strahlen, 
in  ihrer  primären  Form  oder  nach  ihrer  Trans- 
formation im  Organismus  die  größte  Bedeutung 
für  den  protoplasmatisohen  Betrieb  haben,  und 
dementsprechend  ihre  rationelle  Verwendung  für 
therapeutische  Zwecke  einer  der  größten  Fort- 
schritte sein  müßte,  stellen  Energieformen,  wie 
die  in  den  Röntgenstrahlen  wirkenden  immer- 
hin schon  Reize  gröbster  Art  dar.  Ein  der 
Gesundheit  förderlicher  Betrieb  des  Individuums 
—  mag  es  sich  nun  um  Erhaltung  der  Norm 
oder  um  ihre  Wiederherstellung  in  pathologischen 
Fällen  handeln  —  kann  nur  durch  kleinste 
Reize,  nicht  durch  Katastrophen  gefördert 
werden  und  in  therapeutischer  Hinsicht  muß  es 
dementsprechend  mehr  darauf  ankommen,  durch 
langsamstes  und  vorsichtigstes  Vorgehen  eine 
allmähliche,  der  Norm  entsprechende  Einwirkung 
als  große  Wirkungen  zu  erzielen.  Besteht  so 
von  vornherein,  wenn  man  Rosenbachs  Auf* 
fassung  teilt,  der  Verdacht,  daß  es  sich  bei 
den  enthusiastisch  verkündeten  Heileffekten,  die 
man  nach  der  Anwendung  der  Röntgenstrahlen 
beobachtet  haben  will,  wohl  nur  um  Schein- 
erfolge handelt,  so  liegt  es  doch  nicht  in  der 
Art  dieses  ernsten  und  gewissenhaften  Forschers, 
XJnter8uchungsergebnisse  von  anderer  Seite  ohne 
weiteres  zu  ignorieren  oder  auf  Grund  theoretischer 
Deduktionen  zu  bestreiten. 

Auch  in  der  vorliegenden  Arbeit,  die  an 
die  experimentellen  Untersuchungen  von  Hei b er 
und  Lins  er1)  über  die  Einwirkung  der  Röntgen- 
strahlen auf  das  Blut  anknüpft,,  erhebt  Rosen- 
bach durchaus  keinen  Widerspruch  gegen  die 
von  diesen  Autoren  aufgestellte  Behauptung,  daß 
bei  der  Bestrahlung  weiße  Blutzellen  in  größerem 
Umfange  zugrunde  gehen  —  er  hält  sogar  den 
Nachweis  hierfür  völlig  für  erbracht.  Nur  gegen 
die  Schlußfolgerungen,  die  an  diese  Tatsache  ge- 
knüpft werden,  erhebt  er  Einspruch  und  warnt, 
indem  er  scharf  auf  die  Lücken  der  Beweis- 
führung in  den  Deduktionen  hindeutet,  vor  einem 


l)  Münch.  med.  Wocheoschr.  1905,  No.  15. 


zu  großen  Optimismus  in  der  therapeutischen 
Verwertung  jener  Resultate. 

Helber  und  Lins  er  führen  das  fast  völlig» 
Verschwinden  der  weißen  Zellen  aus  dem  Blute 
auf  eine  elektive  Einwirkung  der  Röntgen- 
strahlen gerade  auf  diese  Bestandteile  auch  des 
normalen  Blutes  zurück,  sie  ziehen  ferner  aua 
der  Tatsache,  daß  nur  in  den  blutbildenden  und 
blutführenden  Organen  (neben  dem  Blute  selbst 
in  der  Milz  und  in  den  Nieren)  wesentliche 
Veränderungen  festgestellt  werden  konnten,  den 
Schluß,  daß  hier  der  Ort  jener  elektiven  Wirkung 
zu  suchen  sei,  indem  unter  dem  direkten  Ein- 
flüsse der  Röntgenstrahlen  eine  Insuffizienz; 
der  Milz  resp.  der  Drüsen  zustande  käme. 
Diese  hätte  dann  ein  Sistieren  der  Leukozyten- 
produktion zur  Folge. 

Helber  und  Linser  haben  nun  alle  inneren 
Organe  untersucht  und  stützen  ihre  Folgerungen 
auf  die  sonst  überall  (übrigens  mit  Ausnahme 
der  Lunge,  in  der  sich  in  einzelnen  Fällen  mehr 
oder  minder  starke  entzündliche  Veränderungen 
mit  der  mindestens  auffallenden  Leukopenie 
vergesellschaftet  vorfanden)  erhobenen  negativen 
Befunde.  Es  fehlt  aber,  worauf  Rosenbach 
hinweist,  eine  eingehende  mikroskopische  Unter- 
suchung desHautorgans  und  dieses  ist  es  gerade, 
welches  nach  seinen  eigenen  Ermittelungen  nicht 
nur  ohne  das  Zutragetreten  makroskopisch  sieht* 
barer  Veränderungen  unter  gewissen  Bedingungen 
ganz  auffällige  Anhäufungen  färbbarer  Elemente 
in  seinem  Parenchym  erkennen  läßt,  sondern  auch 
in  gewissen  Wechselbeziehungen  zu  drösigen 
Organen,  namentlich  neben  den  Nieren  auch  zur 
Milz,  zu  stehen  scheint1). 

Die  Verarmung  der  Milz,  der  Drüsen  u.  s.  w. 
an  weißen  Blutkörperchen  ist  nach  Rosenbach 
nicht  durch  eine  Insuffizienz  dieser 
Organe,  sondern  durch  eine  regulato- 
rische Hemmung  seiner  Funktion  zu  er- 
klären. Nach  dieser  wohlbegründeten  Anschau- 
ung ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  ein  Teil 
der  zirkulierenden  Leukozyten  (entsprechend  der 
Reizung  der  Haut  durch  die  Röntgenstrahlen)  in 
dieses  Organ  übertritt,  ein  Vorgang  der  regula- 
torisch eine  gewisse  Hemmung  der  Produktion 
von  Leukozyten  eben  wegen  jener  Veränderung: 
des  Blutes,  des  Organs  der  Reize  für  die  Gewebe- 
tätigkeit zur  Folge  zu  haben  vermag.  Wenn 
nämlich  Bestandteile  weißer  Blutkörperchen  —  so» 
führt  Rosenbach  aus  —  ohne  ihre  Funktion,  d.h. 
das  Ziel  ihrer  natürlichen  Transformation  völlig 
erfüllt  zu  haben,  zu  den  Leukozyten  produ- 
zierenden Organen  plötzlich  in  großer  Menge 
gelangen,  so  muß  das  an  sich  als  eine  Ver- 
minderung des  normalen  Reizes  für  diese,  also» 
als  Hemmung   wirken    —    geradeso  wie  die  zu 


')  Rosenbach  hat  bekanntlich  seit  langen 
Jahren  deu  Zusammenhang  der  Milzschwellung  mit 
den  Veränderungen  der  Haut,  welche  den  Schüttel- 
frost und  vor  allem  das  kontinuierliche  Fieber 
charakterisieren,  in  konsequentester  Weise  verfolgt 
und  festgestellt,  daß  die  Funktion  der  Milz  zu 
rein  thermischer  Reizung  der  Haut  in  ähnlicher 
Beziehung  zu  stehen  scheint  wie  die  von  ihm  er- 
mittelte der  Nierentätigkeit  zu  abnorm  niedrigen 
Temperaturen. 


XIX  J«higaac.1 
Diuaber  1»06. 1 


645 


reichliehe  Einführung  von  Salzs&ure  nnd  Pepsin, 
also  Ton  Produkten  der  Magendrüsen,  die  Funktion 
der  letzteren  sistiert. 

Eine  ganze  Reihe  von  Beobachtungen  macht 
es  wahrscheinlich,  daß  es  ganz  gleichgültig  ist, 
ab,  wie  in  den  besprochenen  Versuchen,  gerade 
die  Milz  bestrahlt  wird,  oder  ob  man  von  einer 
anderen  Stelle  aus  das  Hautorgan  in  Angriff 
nimmt. 

Im  großen  und  ganzen  haben  die  bisherigen 
Erfahrungen  aber  immer  mehr  gezeigt,  daß  die 
Röntgenstrahlen  (wie  übrigens  auch  das  Radium!) 
nur  eine  besondere  Klasse  der  kaustischen  Mittel 
bilden:  eine  besondere  Form,  weil  sie  auch  bei 
vorsichtiger  Anwendung  durch  allmähliche  Kumu- 
lation der  Reizung  eine  destruktive  Wirkung 
auf  das  Hautorgan  ausüben. 

Ganz  unabhängig  davon,  ob  man  die  ja 
allerdings  nicht  strikte  bewiesene  Annahme 
akzeptiert,  daß  die  durch  den  Destruktionsprozeß 
des  Blutes,  resp.  seiner  weißen  Bestandteile 
(übrigens  wohl  nur  vorwiegend  dieser!)  ge- 
schaffenen Produkte  als  einzige  Faktoren  der 
Hemmung  wirken:  das  eine  ist  jedenfalls  klar, 
daß  wir  es  bei  dem  ganzen  Vorgange  nicht, 
wie  man  das  optimistischerweiße  deutet,  um 
eine  Beseitigung  der  Ursache  des  Krank- 
heitszustandes, sondern  nur  um  die  Unter- 
drückung eines  Symptoms  handelt.  Eine 
solche  muß  aber  nach  Rosenbach  immer,  wenn 
sie  plötzlich  erfolgt,  als  bedenklich,  wahrschein- 
lich sogar  als  schädlich  angesehen  werden.  Es 
wird  eben  die  kompensatorische  Leistung  des 
Organismus  übermäßig  in  Anspruch  genommen 
ohne  irgend  eine  Gewähr  dafür,  daß  der  abnorme 
Reiz,  welcher  das  Symptom  hervorrief,  dauernd 
und  radikal  eliminiert  oder  auch  nur  in  seinen 
sonstigen  Wirkungen  unschädlich  gemacht  wird! 

CMünch.  med.  Wochenschr.  1905,  Nr.  22.) 

Eschle  (Sinsheim). 

Aronsons  Antistreptokokkenserum  bei  puerperaler 
Sepsis.  Von  Dr.  P.  Hanel  (Berlin). 
Verf.  empfiehlt,  gestützt  auf  Erfahrungen  in 
drei  Fällen,  bei  schwerer  puerperaler  Sepsis  das 
Aronsonsche  Antistreptokokkenserum  in  großen 
Dosen.  In  dem  einen,  genauer  mitgeteilten  Falle 
erkrankte  eine  II  para  am  5.  Tage  mit  hohem 
Fieber  (40°).  Puls  klein,  136—140,  Sensorium 
benommen,  Allgemeinbefinden  schlecht.  Trotz 
lokaler  Behandlung  nnd  ausgiebiger  Verwendung 
Ton  Unguentum  Crede  blieb  das  Fieber  gleich 
hoch.  Am  4.  Tage  sank  die  Temperatur  nach 
Injektion  von  100  ccm  Serum  auf  87,0°  und 
blieb  auf  eine  zweite  Injektion  von  100  ccm 
dauernd  auf  dieser  Höhe;  zugleich  besserte  sich 
das  Allgemeinbefinden,  das  Sensorium  wurde 
klar,  Puls  106,  also  ein  fast  kritischer  Um- 
schwung. 

Als  Ort  der  Injektion  bevorzugt  Verf.  die 
seitliche  Bauchgegend,  da  sie  hier  ohne  Be- 
schwerden ertragen  wird.  Unangenehme  Neben- 
wirkungen fehlen  auch  bei  so  hohen  Dosen 
gänzlich;  antiseptische  Kautelen  sind  natürlich 
zu  beachten.  Die  Wunde  ist  mit  Kollodium 
nnd  Wattebausch  zu  verschließen.  Es  empfiehlt 
sich,   kleinere  Dosen    von   20  ccm  Antistrepto- 


kokkenserum auch  in  den  Fällen  zu  injizieren, 
wo  nur  Verdacht  auf  eine  stattgehabte  Infektion 
besteht. 


(Demische  med.  Wochenschr.  No.  45,  1905.) 


acobson. 


(Au  der  bmkteriol.  Abt.  Am  XL  Armeekorp«  U  CmmI.) 

i.  Beobachtungen  bei  Genickstarre.     Von  Stabs- 
arzt Dr.  v.  Drigalski. 
(Aut  dam  KnapptehaftaUuMtt  in  Lauraafltte.) 

2.  Weitere  Bemerkungen  Aber  die  epidemische 
Genickstarre.  Von  Dr.  Rad  mann,  leitendem 
Arzt. 

1.  Verf.  konnte  in  mehreren  Fällen  den 
Meningokokkus  von  Weichselbaum  im  Ex- 
sudat, einmal  auch  in  den  Herpesbläschen  kul- 
turell nachweisen.  In  einem  Fall  ohne  patholo- 
gisch-anatomische Anzeichen  von  Genickstarre, 
konnten  Meningokokken  aus  dem  Halsmark,  den 
Seitenventrikeln  und  aus  den  Lungen,  hier  mit 
Pneumokokken  vergesellschaftet,  gezüchtet  wer- 
den. Therapeutisch  schlägt  Verf.,  ähnlich  wie 
Sonder  mann  (Med.  Klin.  05,  Nr.  25),  Lumbal- 
punktion  mit  Einlegung  von  Dauerkanülen  vor. 

2.  In  61  weiteren  Fällen  hat  Verf.  außer 
dem  gewöhnlichen  Befund  noch  fleckige  Rötungen 
und  Petechien  im  Verdauungskanal  sowie  Me- 
senterialdrüsenschwellungen  beobachtet.  Im  Ge- 
gensatz zu  der  herrschenden  Anschauung  nimmt 
Verf.  indirekte  Infektion  vom  Kreislauf  aus 
an,  was  ja  für  Tuberkulose  auch  von  Ribbert, 
für  die  Infektionskrankheiten  überhaupt  von 
Buttersack,  Menz er  etc.  geschieht.  Versuche 
mit  Dauerkanülen  nach  Lumbalpunktion  wurden 
meist  durch  Verstopfung  der  Kanüle  vereitelt, 
Gehirnpunktion  zeigte  wechselnde  Erfolge. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  26.) 

Esch  (Bendorf). 


Die  Behandlung  des  Heufiebere.    Von  Prof.  Dr. 

Alfred  Denker  in  Erlangen. 

Da  es  zweifellos  Heufieber-  Patienten  gibt, 
bei  welchen  von  einer  allgemeinen  nervösen  Ver- 
anlagung nicht  die  Rede  sein  kann,  so  neigt 
Denker  der  von  Thost  ausgesprochenen  An- 
sicht zu,  daß  bei  allen  Heufieberkranken  eine 
lokale  Disposition  der  Nasensohleimhänte  vor- 
handen ist.  Von  dieser  Annahme  ausgehend, 
kam  es  ihm  darauf  an,  die  Empfindlichkeit  der 
Nasenschleimhäute  zu  bekämpfen,  und  zwar 
glaubt  Denker  nach  seinen  Erfahrungen  in  der 
Massage  der  Mucosa  der  Nase  ein  Mittel  zu  be* 
sitzen,  um  die  angenommene  erhöhte  Reizbarkeit 
derselben  herabzusetzen.  „Daß  die  Massage  bei 
einer  in  hohem  Reizzustand  befindlichen  Nasen- 
schleimhaut mit  größter  Behutsamkeit  und  nach 
vorhergegangener  Anästhesierung  vorgenommen 
werden  muß,  ist  selbstverständlich. *  Denker 
hat  dieselbe  an  sämtlichen  von  ihm  behandelten 
Heufieberpatienten  während  der  kritischen  Zeit 
in  folgender  Weise  ausgeführt: 

In  eine  Lösung  von  1,00  Cocain  um  hydro* 
chloricum  und  0,01  Adrenalinum  hydrochloricum 
auf  10,0  Aqua  destillata  wird  die  mit  Watte  um- 
wickelte Nasensonde  getaucht;  mit  derselben 
werden  alsdann  in  vorsichtiger  Weise  die  ganzen 
Schleimhäute  der  Nasenhöhle,  soweit  sie  zu  er- 


646 


Rafer&to. 


("Therapeutische 
L   Monatsheft«. 


reichen  sind,  bestrichen.  Bei  sehr  sensiblen 
Patienten  wendet  Denker  vor  der  ersten  Be- 
pinselnng  einen  Kokainspray  (1,0  :  100,0)  an,  der 
aber  in  der  Regel  bald  in  Wegfall  kommen 
konnte.  Die  Massage  selbst  wird  ebenfalls  mit 
wattenmwickelter  Sonde,  die  vorher  in  Enrophenöl 
(1,0:10,0)  getaucht  wird,  vorgenommen;  Denker 
beginnt  mit  langsamem,  leichtem,  vorsichtigem 
Bestreichen  der  unteren  Muschel,  beschleunigt 
alsdann  das  Tempo  und  verstärkt  den  ausgeübten 
Druck;  darauf,  wird  der  mittlere  Nasengang,  die 
mittlere  und,  wenn  möglich,  auch  die  obere 
Muschel  in  derselben  Weise  in  Angriff  ge- 
nommen, und  schließlich  kehrt  man  über  die 
Schleimhaut  des  Septums  zum  Nasenboden  zu- 
rück. Die  ganze  Manipulation,  die  täglich  ein- 
mal ausgeführt  wird,  nimmt  in  den  ersten  Tagen 
2 — 3  Minuten,  später,  wenn  die  Patienten  weniger 
empfindlich  sind,  3 — 4  Minuten  für  jede  Nasen- 
seite in  Anspruch.  In  den  Fällen,  bei  welchen 
mit  der  Besserung  in  der  Nase  eine  günstige 
Veränderung  der  Augensymptome  nicht  gleichen 
Schritt  hielt,  hat  Denker  befriedigenden  Erfolg 
nach  Einträufelung  von  Tinct.  Opii  crocata  zu 
gleichen  Teilen  mit  Aqua  destill,  in  den  Kon- 
junktivalsack  (1 — 2  mal  pro  die)  gehabt. 

Denker  hatte  diese  angegebene  Behandlungs- 
methode ausgearbeitet,  und  nachdem  er  Erfolge 
damit  gesehen  hatte,  setzte  er  dieselbe  im  ganzen 
an  8  Fällen  fort.  Er  erreichte  durch  seine 
Massage  (täglich  1  mal  auf  3 — 6  Wochen)  eine 
baldige  Besserung  und  konnte  bei  drei  Fällen 
im  Jahre  darauf  konstatieren,  daß  die  also  be- 
handelten Pat.  rezidivfrei  blieben. 

Nach  diesen  Erfolgen  hatte  er  das  Dun  bar- 
sche Pollantin  außer  acht  gelassen,  zumal  es  ihm 
bei  Beginn  seiner  therapeutischen  Versuche  noch 
unmöglich  gewesen  war,  dasselbe  im  Handel  zu 
erlangen. 

Eine  Probe  des  Dunbarschen  Toxins  hatte 
Denker  aber  dazu  benutzt,  um  versuchsweise  an 
3  Heufieberkranken  durch  Einbringung  des  Toxins 
in  die  Nase  und  auf  die  Conjunctiva  einen  Heu- 
fieberanfall auszulösen;  dies  gelang  ihm  jedoch 
nicht. 

Infolgedessen  ist  es  nach  der  Meinung 
Denkers  nicht  angängig,  das  Roggenpollentoxin 
—  wie  es  Thost  und  mit  ihm  Labbert  und 
Prausnitz  vorgeschlagen  haben  —  als  ein 
brauchbares  differentialdiagnostisches  Hilfsmittel 
gegenüber  der  Coryza  nervosa  und  andern  Nasen- 
affektionen  hinzustellen. 

(Münch.  med.Wochenschr.  No.  19,  1905.) 

Arthur  Rahn  (Collm). 

(Aus  dem  städtischen  Krankenbaase  Frankfort  a/M.) 

Ober  individualisierende  diätetische  Behandlung 
der  Gicht.  Von  C.  v.  Noorden  u.  L.  Schlieb. 
Es  ist  bekannt,  daß  beim  Gichtkranken  vor 
allem  die  Retention  der  Harnsäure  eine  her- 
vorragende Rolle  spielt.  Ferner  weiß  man,  daß 
die  Produktion  der  Harnsäure  im  Organismus 
auf  ein  Minimum  eingeschränkt  werden  kann, 
wenn  in  der  Nahrung  keine  Purinsubstanzen  zu- 
geführt werden.  Will  man  einen  Gichtanfall 
verhüten,  so  sorgt  man  dafür,  daß  nur  so  viel 
Purinbasen    zugeführt    werden,    wie  der  Kranke 


tolerieren  kann,  das  heißt  als  er  noch  ohne  Re- 
tention auszuscheiden  imstande  ist.  In  diesem 
Sinne  haben  v.  Noorden  und  Schlieb  eine 
individualisierende  Behandlung  eingeführt.  Sie 
prüfen  wieviel  Harnsäure  der  betr.  Patient  bei 
purinfreier  Nahrung  ausscheidet,  und  versuchen 
dann,  ob  bei  Zulage  von  Purinbasen  dieser 
entsprechend  mehr  Harnsäure  ausgeschieden  wird. 
Ist  dies  der  Fall,  so  liegt  kein  Grund  vor,  diese 
Form  der  Nahrung  zu  entziehen.  Wo  nicht,  so 
muß  durch  diese  Toleranzbestimmung  jeweils  die 
individuelle  Fähigkeit  festgestellt  werden  für 
die  Ausscheidungsfähigkeit  der  Harnsäurebildner. 

(Berliner  kliru  Wochenschrift,  1905,  No.  4L) 

H.  Rosin, 

Neue  Beobachtungen  zur  Erklärung  und  ratio- 
nellen Behandlung  der  chronischen  habi- 
tuellen Obstipation.  Von  Professor  Dr.  A. 
Schmidt  (Dresden). 

Von  alters  her  verordnet  man  den  Obsti- 
pierten,  deren  Ursache  der  Verstopfung  oft  eine 
zu  gute  Ausnützung  der  Nahrung  ist,  eine  grobe 
schlackenreiche  Kost:  Schwarzbrot,  Salate,  Obst, 
Nüsse  u.  8.  w.,  offenbar  in  der  Absicht,  ihre 
Verdauung  zu  verschlechtern.  Diese  zellulose- 
reichen Nahrungsmittel  werden  vom  gesunden 
Darm  schlecht  ausgenützt;  der  Stuhl  wird  massig, 
breiig  und  wird  häufiger  abgesetzt.  Bei  den 
Obstipierten  beobachtet  man  aber  gar  nicht 
selten,  daß  trotz  einer  derartigen  Diät  der  Stuhl- 
gang hart  bleibt,  und  die  Entleerung  nach  wie  vor 
stockt.  Dies  erklärt  sich  dadurch,  daß  der  Darm 
der  Obstipierten  auch  die  Zellulose  besser  ver- 
daut als  der  normale  Darm.  Mit  der  schlacken- 
reichen Kost  ist  es  also  in  vielen  Fällen  nicht 
getan.  Man  muß  versuchen,  der  Nahrung  solche 
Bestandteile  hinzuzusetzen,  die  sicher  nicht  ge- 
löst werden  können  (Kleie,  Korkstücke,  Säge- 
späne, Sand),  alle  diese  Dinge  sind  schon  ver- 
sucht worden,  aber  ohne  besonderen  Erfolg,  und 
das  ist  verständlich,  da  sie  allenfalls  den  Kot 
etwas  voluminöser  machen  können,  aber  nicht 
weicher,  wasserreicher,  und  gerade  darauf  kommt 
es  an,  wenn  die  Entleerung  erleichtert  werden  soll. 
Eine  Substanz,  welche  beide  Bedingungen 
(größeres  Volumen  und  größeren  Wasserreichtum 
des  Kotes)  erfüllt  und  dabei  vollkommen  un- 
schädlich und  reizlos  ist,  ist  das  Agar-Agar. 
Das  Agar-Agar  (Gelatina  japonica  Tientjan)  wird 
aus  in  Ostasien  vorkommenden  Meeralgen  (Geli- 
dium  corneum)  bereitet  und  besteht  größtenteils 
aus  der  sehr  quell ungsfähigen  Gelose  (Para- 
rabin).  Sein  Zellulosegehalt  beträgt  0,6  Proz. 
Gequollen  gibt  es  das  Wasser  sehr  schwer  wieder 
ab,  auch  nicht  unter  dem  Einflüsse  der  Fäulnis, 
der  es  lange  widersteht.  Bezüglich  des  Ver- 
haltens des  Agar-Agar  im  Verdauungskanale 
hat  Schmidt  zahlreiche  Versuche  angestellt. 
Gibt  man  dasselbe  (zu  Schüppchen  geschnitten), 
so  quillt  es  schon  im  Munde,  noch  mehr  im 
Magen  auf  und  erscheint  unverändert  in  den 
Faeces  wieder.  Der  Kot  wird  dadurch  wasser- 
reicher, weicher  und  wird  gewöhnlich  auch 
prompter  abgesetzt.  Eine  Reizwirkung  auf  die 
Verdauungsorgane  wird  nicht  beobachtet.  Nur 
in  fein  pulverisiertem  Zustande  bewirkte   es  ge- 


XIX.  Jahrgang«! 
Dezember  HH).\j 


Referate. 


647 


legen  tl ich  infolge  der  schnelleren  und  stärkeren 
Quellung  Leibschmerzen  und  Durchfälle.  Be- 
tont muß  noch  werden,  daß  Agar-Agar  nicht 
zugleich  einen  Reiz  auf  die  Darmwände  ausübt, 
wie  es  die  normalerweise  im  Dickdarme  sich 
bildenden  Zersetzungsprodukte  tun.  Diese  fehlen 
gewöhnlich  bei  der  chronischen  Obstipation. 
Nun  muß  aber  zu  dem  mechanischen  Moment 
(der  Kotansammlung)  noch  ein  chemisches  hin- 
zukommen, um  die  Entleerung  herbeizuführen. 
Um  dieses  fehlende  chemische  Reizmoment  zu 
ersetzen,  fügt  Schmidt  dem  Agar-Agar  noch 
25  Proz.  wäßriges  Cascaraextrakt  hinzu.  Das- 
selbe läßt  sich  nach  einem  von  der  Chem.  Fabrik 
Helfenberg,  A.-G.,  geübten  Verfahren  so  fest  an 
das  Agar-Agar  binden,  daß  es  demselben  keinerlei 
Geschmack  mitteilt  und  größtenteils  erst  im 
Darm  aus  dem  gequollenen  Agar  diffundiert. 

Mit  dem  so  verbesserten  Cascaraagar, 
welches  von  der  Chem.  Fabrik  Helfenberg,  A.-G., 
unter  dem  Namen  „Regulin"  in  den  Handel 
gebracht  wird,  hat  nun  Schmidt  gute  Erfolge 
erzielt.  Die  Patienten  nehmen  das  Mittel  am 
besten  in  Apfelmus  oder  auch  zu  Kartoffelbrei 
gemischt,  und  zwar  täglich  etwa  1  Teelöffel  bis 
2  Eßlöffel,  das  sind  etwa  l1/,— 8,0  g.  Da  das 
Mittel  kein  eigentliches  Abführmittel  ist,  sondern 
(wie  der  Name  andeuten  soll)  zur  Regelung  des 
Stuhlganges  dient,  so  muß  es  Tag  für  Tag  ge- 
nommen werden.  Tritt  in  den  ersten  Tagen 
kein  Erfolg  ein,  so  muß  mit  einem  Glyzerin- 
suppositorium  oder  Klysma  nachgeholfen  werden. 
—  Dem  Regulin  an  die  Seite  gestellt  zu  werden 
verdient  das  Paraffin  um  liquidum.  Man  kann 
dasselbe  bis  zu  30,0  g  geben,  ohne  schädigende 
Wirkungen  zu  sehen.  Wie  dem  Agar  fehlt  auch 
dem  Paraffin,  liquid,  die  Eigenschaft,  eine  che- 
mische Reizwirkung  auf  die  Darmwände  auszu- 
üben; man  setzt  daher  zweckmäßig  10  Proz. 
Cascaraextrakt  hinzu  und  gibt  die  emul gierte 
Mischung  in  Gelatinekapseln.  Die  Chem.  Fabrik 
Helfenberg  vertreibt  das  so  zusammengesetzte 
Mittel  in  dunkel  gefärbten  Kapseln  zu  3,0  g 
unter  dem  Namen  „Pararegulin".  Damit  soll 
angedeutet  werden,  daß  es  zur  Unterstützung 
des  „Regulins"  dient.  Von  der  Kombination 
beider  Mittel  hat  Schmidt  oft  noch  Erfolge 
gesehen,  wo  eines  allein  versagte.  Das  Para- 
regulin allein  wirkt  schwächer  als  das  Regulin, 
weil  es  nicht  gut  in  genügend  großen  Dosen 
gegeben  werden  kann.  Zur  Erzielung  einer  Wir- 
kung wären  etwa  6  —  8  Kapseln  erforderlich, 
während  zur  Unterstützung  der  Regulierung  2 
bis  3  Kapseln  genügen. 

(Manch,  med.  Wochenschr.  1905,  No.  41.)  R. 

Zur  Therapie  des  Ulcus  ventriculi  und  der  Hyper- 
azidität  des  Magensaftes.  Von  Dr.  A.  Köhler 
(Teplitz). 

In  manchen  Gegenden  ist  das  Öl  ein  Volks- 
mittel und  bei  vielen  Magenkrankheiten  im 
Gebrauche.  Neuerdings  hat  die  Ölkur  in  der 
Therapie  einer  Reihe  von  Magenerkrankungen 
wieder  mehr  Eingang  gefunden.  Nach  Cohn- 
heim  wird  Pylorospasmus  infolge  Ulcus  oder 
Fissur  durch  öl  in  kurzer  Zeit  geheilt  oder 
gebessert;    die  narbige  Pylorus-  oder  Duodenai- 


stenose  mit  Gastrektasie  wird  ebenfalls  (relativ) 
geheilt  durch  die  mechanische  Wirkung  des  Öls, 
als  des  wichtigsten  Momentes,  „das  Öl  wirkt 
auf  den  Pylorusspasmus"  wie  ein  Narcoticum.  — 
Indem  es  krampfstillend  wirkt,  setzt  es  die 
Sekretion  herab  und  wirkt  so  gegen  die  Hyper- 
azidität  beim  Ulcus  und  gegen  die  Gastrosukorrhöe 
bei  der  relativen  Pylorusstenose.  Einen  sehr 
günstigen  Einfluß  übt  auch  das  öl  beim  inoperablen 
Ulcus  carcinomatosum  aus,  indem  sich  hier  zu 
der  anästhesierenden  noch  die  nährende  Wirkung 
des  Öls  gesellt. 

Bei  der  Verordnung  des  „eßlöffelweisen 
Trinkens "  stößt  man  oft  auf  den  Widerstand 
der  Geschmacksempfindung.  Köhler  hat  daher 
angeregt,  das  öl  in  Gelatinekapseln  zu  ver- 
abreichen. In  einer  mit  einem  Antisepticum 
sterilisierten  Gelatinehülle  ist  Oleum  Olivarum 
in  einer  Menge  von  3  und  5,0  g  enthalten,  und 
entsprechen  10  Kapseln  ä  5,0  g  3  Eßlöffeln  Öl. 
Diese  in  Kartons  zu  30  und  50  Stück  fertig- 
gestellten Kapseln  wurden  mit  dem  Namen: 
Capsulae  Olei  Olivar.  asepticae  bezeichnet 
und  haben  sich  bei  unkomplizierter  Gastritis 
hyperaeida  (zu  3,0  g)  und  in  Fällen  von  Ulcus 
pylori  und  Gastrektasie  (zu  5,0  g)  durchaus 
bewährt. 

(Wiener  med.  Wochenschr.  1905,  No.  21.)  R. 

Echinacea  angustifolia.  Von  Dr.  FinleyElling- 

wood  in  Chicago. 

Ellingwood  berichtet  über  die  anscheinend 
geradezu  erstaunlichen  Wirkungen  einer  in 
Europa  wohl  noch  ziemlich  unbekannten  Droge, 
der  Echinacea  angustifolia,  die  nur  in  den  west- 
lichen Prärien  der  Vereinigten  Staaten  wachsen 
soll,  die  östlich  vom  Mississippi  vorkommende 
Varietät  soll  die  therapeutischen  Eigenschaften 
nicht  besitzen.  Sie  wird  mit  einheimischem 
Namen  „Black  Sampson"  oder  „Negerkopf"  ge- 
nannt, wegen  der  schwarzen  Farbe  ihrer  Früchte. 

Im  Jahre  1870  hatte  ein  sonst  nicht  be- 
kannter Arzt  Dr.  Meyer  in  Nebraska  behauptet, 
man  könne  den  Biß  giftiger  Schlangen  durch 
Auswaschen  der  Wunde  mit  einer  Tinktur  von 
Echinacea  und  durch  innerliche  Anwendung  der- 
selben unschädlich  machen.  Die  Angabe  blieb 
jedoch  unbeachtet;  erst  in  den  letzten  zehn 
Jahren  soll  das  Mittel  wieder  in  Aufnahme  ge- 
kommen, aber  gleich  so  übertrieben  angepriesen 
sein,  daß  es  immer  noch  bei  vielen  Ärzten  in 
nicht  genügender  Achtung  steht.  Ellingwood 
gibt  nun  auch  keine  genauen  Krankengeschichten, 
macht  auch  keine  Angaben  über  die  Herstellungs- 
weise des  Präparats,  sondern  erwähnt  nur  ein 
flüssiges  Extrakt,  welches  innerlich  und  subkutan 
wie  auch  als  Wundwaschwasser  anzuwenden  ist. 

Abgesehen  von  Schlangenbissen,  soll  die 
Echinacea  ihre  Anwendung  finden  bei  infizierten 
Wunden,  beim  Tetanus,  bei  allgemeiner  septischer 
Infektion,  ja  sogar  bei  der  Urämie  und  der  Menin- 
gitis. Ellingwood  gibt  an,  das  Mittel  selbst 
vielfach  mit  großem  Erfolg  angewendet  zu  haben, 
jedoch  wäre  die  Mitteilung  von  Einzelheiten 
sehr  erwünscht. 

(Therapeutic  gazette,  Mai  1905.) 

Classen  (Qrube  i.  H.). 


648 


Ober  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher  das  in  die 
Vene  injizierte  Nebennierenprinzip  an«  dem 
Blute  verschwindet.  (De  la  raplditi  avec 
laquellc  le  principe  actif  des  capsules  surre- 
nales,  donne  en  injection  In  travel  neust,  dls- 
parait  du  sang.)  Von  De  Vos  und  Koch- 
mann. 

Aus  den  Versuchen  der  Verfasser  tritt  eine 
interessante  Tatsache  in  den  Vordergrund:  die 
intensive  Wirksamkeit  des  Nebennierenprinzips, 
welches  noch  in  Dosen  von  0,0004  mg  bei 
Kaninchen  eine  Blutdruckerhöhung  hervorruft. 

Die  Dosis  letalis  minima  ist  1800  mal  höher 
als  die  Dosis  efficax  minima. 

Zehn  Minuten  nach  der  Einspritzung  der 
kleinsten  tödlichen  Menge  (0,7  mg  pro  Kilo)  ist 
die  Substanz  im  Blute  nicht  mehr  nachweisbar; 
nach  Injektion  von  %  UQd  Vs  dieser  Dosis  ist 
das  Nebennierenprinzip  schon  nach  5  resp.  3  Mi- 
nuten aus  dem  Blute  verschwunden. 

In  vitro  wird   das   Nebennierenprinzip  vom 

Blute   nach   so   kurzer  Zeit  nicht  zerstört.     Die 

Verfasser  nehmen  demnach  an,  daß  die  Substanz 

durch    Fixation    in    gewissen    Geweben    (in  den 

glatten  Muskeln  der  Gefäße,  im  Myokard  und  im 

Nervensystem)  aus  dem  Blut  entfernt  wird. 

(Arch.  Internat  de  pharmacodynamie  et  de  therapie, 
vol  XI V,  p.  81.)  Dr.  Inipens  (Elberfeld). 

Die  Verwendung  der  Spiritusverbände.  Von  Ober- 
stabsarzt Dr.  Brugger  (Frankfurt  a.  M.). 

Die  Anwendungsmethode  der  Alkoholver- 
bände ist  folgende :  Verbandmull  in  8  facher 
Lage,  je  nach  dem  Entzündungsgrade  wird  mit 
40 — 90  proz.  Spiritus  getränkt,  60  daß  der  Ver- 
band feucht  ist,  darauf  eine  lockere  Schicht 
Watte,  darüber  undurchlässiger  durchlochter  Ver- 
bandstoff. Neuerdings  verwendet  Brugger  Alko- 
holzellit  -  Bayer  und  Duralkol  -  Helfen berg. 
Was  die  Wirkung  der  Spiritus  verbände  betrifft, 
so  bestätigt  Brugger  die  Angaben  anderer 
Autoren:  Beschränkung  der  Entzündung,  rasche 
Einschmelzung,  bisweilen  abortiver  Verlauf,  oft 
unter  Verweidung  von  großen  Inzisionen  und 
damit  von  auffälligeren  Narben.  Brugger  hat 
diese  Verbände  angewendet  wo  immer  überhaupt 
ein  Umschlag  oder  ein  Verband  gemacht  werden 
kann,  wenngleich  er  den  Spiritusverband,  wie 
er  am  Schluß  der  Arbeit  sagt,  nicht  als  Panacee 
betrachtet  wissen  will  und  eine  kritische  An- 
wendung desselben  empfiehlt.  Panaritien,  Fu- 
runkel, Phlegmonen,  Lymphgefäßentzündungen, 
Mastitiden,  Erysipele,  Bursitis,  Gelenkentzün- 
dungen^ Gelenkrheumatismus  (auch  gonorrho- 
ischer Ätiologie),  Gicht,  lokale  Knochentuber- 
kulose, Danntuberkulose,  verschiedene  Formen 
von  Hautkrankheiten,  Periostitis,  Osteomyelitis, 
Brandwunden,  Rachen mandelentzündungen,  Peri- 
typhlitis, Periproktitis,  eitrige  Erkrankungen  im 
kleinen  Becken,  Peritonitis,  Phlebitis  und  Throm- 
bosen, komplizierte  Frakturen  und  maligne  Tu- 
moren mit  Geschwürbildung  und  Zerfall,  alles 
dies  hat  Brugger  teils  selbst  mit  Alkohol  ver- 
bänden behandelt,  teils  rät  er  hierbei  die  An- 
wendung derselben  auf  Grund  der  Erfahrungen 
anderer.  Unangenehme  Nebenwirkungen  auf 
die  Haut   sollen   sich   bei    richtiger   Applikation 


des  Verbandes    mit    reinem    Spiritus   vermeiden 
lassen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  7.) 

Arthur  Rahn  (Colm). 


(Aus  der  k.  k.  Ualvertltltskltiifk  In  Wkm.    Vor»* »od: 
Prof.  Htohorfoh.) 

i.  Wie  können  wir  das  Stillen  der  Matter  for- 
dern? Von  Dr.  Franz  Hamburger,  klin. 
Assistent. 

a.  Antrag  auf  Einsetzung  eines  Komitees  betraft 
Ausarbeitung  von  Vorschlägen  zur  Förderung 
der  Brusternährung.  Von  Prof.  Th.  Escherieb. 

3.  Zur  Diskussion  Ober  natürliche  SftugUngs- 
ernährung.  Von  Dr.  Jos.  H.  Friedjung. 
Die  noch  immer  hohe  Sterblichkeitsziffer 
der  Säuglinge  trotz  aller  sogenannten  Verbesse- 
rungen der  Ernährung  hat  diese  Frage  in  den 
letzten  Jahren  von  neuem  in  Fluß  gebracht. 
Die  Sterblichkeitsstatistik  aller  Länder  beweist 
jahraus,  jahrein  die  hohe  Mortalität  gerade  unter 
den  Säuglingen,  die  durchschnittlich  !/3  aller 
Todesfälle  ausmacht;  hierfür  macht  auch  der 
Verf.  mit  allen  andern  Forsehern  die  Pflege  und 
Ernährung  der  Kinder  verantwortlich.  Schlechte 
Pflege,  d.  h.  Mangel  an  guter  Luft,  Licht  und 
Reinlichkeit  und  unnatürliche  Ernährung  mit 
Kuhmilch  bilden  die  Hauptgefahr  für  das  Leben 
der  Säuglinge.  Kommt  dazu  noch  eine  fehler- 
hafte künstliche  Ernährung  mit  Nichtbeachtung 
der  Nahrungspausen  und  -Mengen,  der  Milch- 
reinlichkeit u.  s.  w.,  so  haben  wir  hierin  schon 
genügende  Begründung  für  den  hohen  Prozent- 
satz der  Säuglingssterblichkeit.  Die  beste  Kuh- 
milch wird  aber  weitaus  übertroffen  an  Wert 
von  der  Muttermilch,  und  daher  muß  mit  allen 
Mitteln  das  Selbststillen  der  Mütter  angestrebt 
werden.  Auch  der  Verf.  sucht,  wie  so  viele 
vor  ihm,  sich  über  die  Gründe  klar  zu  werden, 
warum  so  wenig  Mütter  ihre  Kinder  stillen: 
Neben  der  Unfähigkeit  ist  es  die  Unkenntnis 
vom  Werte  und  der  Bedeutung  des  Stillens, 
dann  die  Bequemlichkeit  der  Mütter,  oft  aber 
auch  die  soziale  Lage,  die  einen  Teil  der  Schuld 
trägt  an  der  geringen  Zahl  der  stillenden  Frauen. 
Einen  der  Hauptgründe  sieht  Hamburger  — 
und  nach  des  Ref.  Ansicht  mit  vollem  Rechte  — 
in  dem  schwerwiegenden  Einfluß  der  Hebammen 
auf  die  Mütter,  die  ihnen  das  Stillen  anraten 
oder,  wie  es  meist  geschieht,  abraten.  Er  ver- 
langt daher  als  wirksames  Mittel  zur  Bekämpfung 
der  hohen  Säuglingssterblichkeit  gründlichere 
Unterweisung  der  Hebammen  als  bisher  über 
die  Bedeutung  des  Stillens,  über  das  Schwer- 
wiegende ihres  Rates  für  das  Leben  des  Kindes. 
Er  sieht  es  als  Kurpfuscherei  an,  wenn  eine 
Hebamme  in  der  Säuglingsernährung  auf  eigene 
Faust  eine  solche  Entscheidung  trifft,  und  ver- 
langt deshalb  zur  Lösung  dieser  Frage  die  Hin- 
zuziehung eines  Arztes  und  Androhung  einer 
gesetzlichen  Strafe  für  die  Hebammen,  wenn  sie 
selbst  eine  solche  Entscheidung  bewirkt.  Dann 
sollte  aber  auch  der  Studierende  und  der  junge 
Arzt  auf  dem  Gebiet  der  Pflege  des  Neugeborenen 
und  der  Ernährung  des  Säuglings,  der  natür- 
lichen und  der  künstlichen,  besser  unterrichtet 
sein  als  bisher,  und  zu  diesem  Zwecke  empfiehlt 


XIX.  Jafargang.l 
Desember  190.4.  J 


649 


er  in  Anlehnung  an  ähnliche,  frühere  Vorschläge 
die  Errichtung  von  Sänglingskliniken  zur  Unter- 
bringung von  Mutter  und  Kind. 

Im  Anschluß  an  diese  Ausführungen  Ham- 
burgers betont  Escherich,  daß  angesichts  der 
hohen  Säuglingssterblichkeit  von  den  Staaten 
noch  sehr  wenig  geschehen  ist,  während  alle 
Krankheiten  mit  hoher  Sterblichkeit,  z.  B.  Tuber- 
kulose, Scharlach,  Masern,  sich  eigener  Anstalten 
•erfreuen  und  staatliche  Hilfsmittel  in  reichem 
Maße  zugemessen  erhalten. 

Wenn  es  demnach  allgemein  anerkannt  wird, 
daß  ein  energisches  Eintreten  für  die  Verbrei- 
tung der  Ernährung  an  der  Brust  als  bestes 
Mittel  zur  Bekämpfung  der  hohen  Säuglings- 
eterblichkeit nötig  ist,  so  muß  mehr  geschehen, 
als  bisher  nur  in  Findol anstalten,  Kliniken  und 
Wöchnerinnenheimen  in  dieser  Richtung  erreicht 
wurde.  Vor  allen  Dingen  muß  neben  der  Unter- 
weisung der  Mütter  vom  Werte  des  Stillens 
durch  Geldunterstützung,  wie  in  Frankreich,  oder, 
wo  dies  nicht  angängig,  durch  Verabreichung 
von  besserer  Nahrung  an  die  nährende  Frau 
diese  in  ihrem  Stillgeschäft  unterstützt  werden. 
Darin  ist  Escherich  einer  Ansicht  mit  Ham- 
burger, daß  die  Hebammen  besser  unterrichtet 
werden  müssen  über  die  Bedeutung  der  natür- 
lichen Ernährung  und  nicht  nur,  wie  bisher, 
über  die  erste.  Pflege  des  Säuglings  gründliche 
Unterweisung  erhalten.  Da  die  Lebenserhaltung 
des  Kindes,  wenn  sich  die  Mutter  für  seine 
künstliche  Ernährung  entscheidet ,  auf  ein 
Siebentel  und  bei  direkt  unzweckmäßiger  Er- 
nährung auf  ein  Zehntel  und  weniger  der  Lebens- 
wahrscheinlichkeit des  Brustkindes  herabsinkt, 
und  da  bei  der  Entscheidung  dieser  wirtschaft- 
lich und  sozial  überaus  wichtigen  Frage  die 
Hebamme,  gleichsam  als  Stellvertreterin  des 
Arztes,  als  einzige  Ratgeberin  der  Mutter  zur 
Seite  steht,  wenigstens  bei  der  armen  Bevölke- 
rung, so  hat  der  Staat  ein  volles  Interesse  daran, 
wie  ihre  Entscheidung  ausfällt.  Vor  allem  muß 
daher,  so  fordert  Escherich,  die  Hebammen- 
ausbildung eine  Reform  erfahren  und  diese  eine 
Instruktion  im  Sinne  einer  der  Bedeutung  des 
kindlichen  Lebens  und  dem  gegenwärtigen  Stande 
der  Ernährungslehre  entsprechende  Umänderung 
enthalten.  Zur  richtigen  Belehrung  der  Heb- 
ammen muß  neben  dem  Geburtshelfer  der  Kinder- 
arzt stehen.  Weiterhin  hält  Escherich  die 
richtige  Anweisung  und  Kontrolle  der  Heb- 
ammen bezüglich  ihrer  Einflußnahme  auf  die 
Ernährung  des  Säuglings  für  den  wichtigsten 
und  ersten  Schritt  auf  dem  Wege  zur  Brust- 
ernährung. Zu  einer  Ausarbeitung  einer  solchen 
Reform  schlägt  Escherich  die  Bildung  eines 
Komitees  vor  (das  inzwischen  schon  zusammen- 
getreten ist.     Anm.  des  Ref.). 

Fried  jung  glaubt  in  seiner  Erörterung 
der  Ausführungen  Hamburgers,  daß  die  Am- 
bulatorien für  kranke  Kinder  noch  lange  nicht 
das  zur  Aufklärung  der  Mütter  bezüglich  der 
Ernährung  der  Kinder  leisten,  was  von  ihnen 
gefordert  werden  kann.  Der  gleiche  Vorwurf 
trifft  auch  die  Ärzte.  Keine  Gelegenheit  sollte 
vorübergehen,  auch  im  Unterricht  der  Heb- 
ammen  und  Ärzte  den  Gegensatz  zwischen  der 


natürlichen  und  „unnatürlichen"  Ernährung,  wie 
er  sinnfällig  die  künstliche  Ernährung  stets  ge- 
nannt wissen  will,  hervortreten  zu  lassen.  Die 
Kontraindikation  des  Selbststillens  müßte  tun- 
lichst eingeschränkt  werden  und  die  verschie- 
denen Methoden  des  Muttermilchersatzes  mit 
gebührender  Skepsis  behandelt  werden,  auch 
gegenüber  den  Hebammen.  Eine  tiefere  Unter- 
weisung derselben  auf  diesem  Gebiete  hält 
Friedjung  vom  Übel,  weil  sie  nur  Halbwissen 
der  Hebammen  fördert.  Besonders  müßten  ihnen 
die  Vorzüge  der  gemischten  Ernährung  vor- 
gestellt werden,  die  sie  meist  nicht  kennen. 
Vom  Vorschlage,  die  Hebamme,  die  zu  künst- 
licher Ernährung  rät,  mit  Strafe  gesetzlich  zu 
belegen,  verspricht  sich  Fried  jung  nicht  viel, 
weil  das  Ertappen  auf  frischer  Tat  nur  in  den 
seltensten  Fällen  gelingen  dürfte,  und  später  der 
Beweis,  ob  das  Stillen  möglich  war,  meist  nicht 
mehr  erbracht  werden  kann.  Mehr  hält  er  von  der 
Prämiierung  derjenigen  Hebammen,  die  in  ihrem 
Kreise  das  Stillen  fördern.  Verlangen  wir,  daß 
jeder  Mutter,  auch  der  armen,  durch  das  Kranken- 
kassengesetz geschützten,  die  Möglichkeit  ge- 
geben wird,  ihr  Kind  selbst  zu  stillen,  so  muß 
dem,  so  argumentiert  Friedjung,  eine  Still- 
pflicht entsprechen;  nicht  die  Hebamme,  die 
Mutter  ist  hierfür  haftbar  zu  machen.  Diese 
Einschränkung  der  persönlichen  Freiheit  hat  ja 
Vorbilder  im  Schulzwang,  im  Impfzwang,  der 
Wehrpflicht  u.  s.  w.  Die  Mutter,  die  sich  der 
„allgemeinen  Stillpflicht-  entzieht  —  ihre_  Be- 
fähigung müßte  von  Staats  wegen  durch  Ärzte 
festgestellt  werden  —  wäre  zu  einer  Geldstrafe 
zu  verurteilen,  und  die  Strafe  wäre  nach  oben 
hin  für  die  Besitzenden  progressiv  zu  steigern. 
Gerichtliches  Einschreiten  verlangt  Friedjung 
auf  Grund  des  Lebensmittelgesetzes  gegen  die 
zahlreichen  als  vollwertigen  Ersatz  der  Mutter- 
milch angepriesenen  Nährpräparate,  weil  hier 
unter  falscher  Vorspiegelung  dem  Käufer  sein 
Geld  entlockt  wird.  Zur  praktischen  Durch- 
führung dieser  Lehren  muß  namentlich  dort,  wo 
die  Milchproduktion  nicht  ausreicht,  oder  die 
Mutter  einem  Gewerbe  nachgeht,  die  fast  über- 
all durchführbare  gemischte  Ernährung  empfohlen 
werden :  Wo  viele  Frauen,  z.  B.  in  einer  Fabrik, 
beschäftigt  sind,  könnte  vielleicht  ein  Raum 
eingerichtet  werden,  wo  die  stillenden  Mütter 
ihre  Kinder  ablegen  und  alle  drei  Stunden 
nähren.  Daß  Kontraindikationen  gegen  das 
Stillen  nicht  vorschnell  aufgestellt  werden  sollen, 
z.  B.  solche  durch  akute  Krankheiten,  zeigt 
Friedjung  an  einigen  Beispielen.  Auch  über 
die  Ammenhaltung  verbreitet  sich  der  Autor  in 
wenigen  Worten,  vor  allem  mit  der  Forderung, 
daß  gesetzlich  wie  in  Frankreich  bestimmt 
werde,  daß  Ammen  erst  mehrere  Monate  nach 
ihrer  Entbindung  gedungen  werden  dürfen,  um 
so  wenigstens  die  erste  Zeit  bei  ihrem  Kind 
verbleiben  zu  können;  späterhin  soll  jeder,  der 
eine  Amme  für  sein  Kind  nimmt,  verpflichtet 
sein,  ihr  Kind  mit  aufzunehmen  aus  ethischen 
und   vor   allem   auch   gesundheitlichen  Gründen. 

(Wiener  klinische  Wochenschrift  No.  22,  1905.) 

Homburger  (Karlsruhe). 


650 


Referate. 


fTherspeutlaehe 
L  Monatshefte, 


Rekurrierendes    Erbrechen    bei    Kindern.      Von 

H.  Batty    Shaw    (in    Brompton)    und   R.  H. 

Tribe  (in  Chelsea). 
Ober  rekurrierendes  Erbrechen  in  der  Kindheit, 

mit  Bericht   Aber   zwei  Fälle.    Von  Fredk. 

Langmead. 

Dos  rekurrierende  Erbrechen  der  Kinder 
ist  ein  in  Wesen  und  Ursache  nur  wenig  auf- 
•  geklärtes,  jedenfalls  sehr  ernstes  und  schwer  zu 
behandelndes  Leiden.  Shaw  und  Tribe  be- 
richten über  ein  11  jähriges  Mädchen,  welches 
innerhalb  dreier  Jahre  siebenmal  von  dem  Leiden, 
jedesmal  von  der  Dauer  eines  Monats,  befallen 
war.  Als  es  während  des  achten  Anfalles  in 
Behandlung  kam,  war  es  so  stark  abgemagert, 
daß  es  für  schwindsüchtig  gehalten  wurde.  Die 
Behandlung  bestand  anfangs  ausschließlich  in 
Rektalernährung;  später  wurde,  weil  lokale 
Reizung  auftrat,  leichte  Kost  teils  mit,  teils 
ohne  große  Dosen  Natrium  bicarbonicum  gegeben. 
Am  wenigsten  erbrach  das  Kind  bei  Rektal- 
ernährung, unter  Natron  etwas  mehr  als  ohne 
dieses.  Dabei  nahm  das  Körpergewicht  konstant 
zu,  ein  völliges  Verschwinden  des  Erbrechens 
wurde  jedoch  in  fast  achtwöchentlicher  Behand- 
lung nicht  erreicht.  —  Die  Behandlung  scheint 
also  im  allgemeinen  wenig  erreichen  zu  können. 
Die  Prognose  wird  um  so  günstiger,  je  mehr 
sich  die  Patienten  der  Pubertät  nähern. 

Langmead  berichtet  über  zwei  Fälle,  von 
denen  der  eine  zur  Autopsie  kam.  Das  Kind 
war  unter  Krämpfen  im  Qoma  gestorben.  Bei 
der  Autopsie  fand  sich  fettige  Degeneration  der 
Leber  und  kleine  Blutungen  in  der  Magen- 
schleimhaut, also  nichts  Spezifisches,  sondern 
nur  Folgeerscheinungen  der  allgemeinen  Inanition 
und  der  terminalen  Krämpfe.  —  Der  zweite 
Fall  betraf  einen  schwachsinnigen  Knaben. 
Während  des  mehrtägigen  Erbrechens  hatte  völlige 
Stuhlverhaltung  bestanden;  nachdem  Stuhlgang 
spontan  eingetreten,  ließ  auch  das  Erbrechen  nach. 

(British  medical  Journal  1905,  18.  Febr.) 

Classen  (Grube  i.  H.J. 

(Aus  dem  Franenspital  io  Basel  -  Stadt.) 

Die   Frage    der   Opferung   des   lebenden   Kindes 
zum  Vorteil  der  Mutter.     Von  0.  v.  Herff. 

In  diesem  Artikel  tritt  v.  Herff  warm  ein 
für  die  künstliche  Frühgeburt  zur  vorbeugenden 
Umgehung  der  Perforation  des  lebenden  Kindes. 
Er  beweist  Bai  seh,  der  diesen  Vorschlag  für 
nicht  mehr  zeitgemäß  hält,  mit  berechtigtem 
Nachdruck  an  der  Hand  einer  genügend  großen 
Statistik,  daß  durch  künstliche  Frühgeburt  in 
Basel  20  Proz.  mehr  Kinder  dauernd  am  Leben 
erhalten  wurden,  indem  hierbei  die  Mortalität 
der  Mutter  kaum  10  Proz.  beträgt,  während 
doch  bei  Kaiser-  und  Schambeinschnitten  die 
Sterblichkeit  der  Mutter  bis  fünfmal  so  groß 
wird,  die  Mortalität  der  Kinder  allerdings  um 
70  Proz.  geringer  ist.  Mit  Recht  kann  deshalb 
auch  v.  Herff  Baisch  gegenüber  behaupten, 
daß  die  künstliche  Frühgeburt  bei  Frauen  mit 
engem  Becken  ein  durchaus  berechtigter  Ein- 
griff ist  und  keineswegs  als  obsolet  bezeichnet 
werden  darf. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  7.) 

Arthur  Rahn  (CollmJ. 


(Aua  dem  Krankephaate  des  Kreises  Teltow  in  Biite. 
Dirlg.  Arzt:    Dr.  Riese.) 

Thiosinamin   bei   Narbenkontrakturen.     Von  Dr. 

Meilin. 

Thiosinamin,  ein  Derivat  des  ätherischen 
Senföls,  Allylthioharnstoff,  in  Alkohol  und  Äther 
leicht,  in  Wasser  schwer  löslich,  ist  bisher  bei 
allerhand  narbigen  Veränderungen  mit  gutem 
Erfolge  angewendet  worden.  Meli  in  hat  nach 
einer  Verbrennung  bei  ausgedehnten  Narben- 
bildungen im  Gesicht,  auf  Armen  und  Händen, 
die  eine  Bewegung  fast  unmöglich  machten,  von 
25  Injektionen,  die  etwa  2,  3  g  Thiosinamin  ent- 
hielten, ein  ausgezeichnetes  Resultat  gesehen. 
Angewendet  wird  das  Thiosinamin  in  15 — 20  proz. 
alkoholischer  Lösung  als  Injektion  rasch  steigend 
von  Yg— 1  Pravazspritze  oder  in  10  proz.  wäß- 
riger Lösung  mit  Glyzerin,  da  diese  nicht  so 
schmerzhaft  ist.  Injektionsstelle  ist  gleichgültig, 
nur  darf  man  nicht  in  das  Narbengewebe  in- 
jizieren, außerdem  muß  die  Entzündung  längere 
Zeit  abgelaufen  sein,  weil  sonst  leicht  ein  Auf- 
flackern des  Prozesses  entsteht. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  5.) 

Arthur  Rahn  (CoUmJ. 

l.  Grundsätze  der  Syphilisbehandlung.   Von  Prof. 

Dr.  H.  Hallopeau  in  Paris. 
a.  Zur  Behandlung  der  Syphilis.    Von  Sanitätsrat 

Dr.  0.  Rosenthal  in  Berlin. 

Hallopeau  hält  es  für  angezeigt,  jedesmal, 
wenn  es  sich  machen  läßt,  die  Ezstirpation  des 
Primäraffektes  vorzunehmen;  auch  soll  die  Ent- 
fernung der  benachbarten  Lymphdrüsen,  soweit 
sie  geschwollen  sind,  angeschlossen  werden. 
Wenn  auch  nicht  ein  abortiver  Verlauf  der 
Krankheit  herbeigeführt  werden  kann,  so  sind 
doch  die  Folgeerscheinungen  abzuschwächen.  Die 
Allgemeinbehandlung  soll  nicht  bis  zum  Auf- 
treten von  Sekundärerscheinungen  verschoben 
werden,  im  Gegenteil  muß  man  gerade  in  diesem 
Anfangsstadium ,  wo  das  Krankheitsgift  seine 
stärkste  Wirksamkeit  entfaltet,  seine  Zuflucht  zu 
Mitteln  nehmen,  die  geeignet  sind,  die  Kraft 
des  Giftes  zu  vermindern.  Die  Behandlung  soll 
vier  Jahre  währen,  und  zwar  nicht  allein  intensiv, 
sondern  auch  kontinuierlich.  Das  Jod  löse  das 
Quecksilber  ab;  behufs  möglichster  Verlängerung 
der  Dauer  der  gemischten  Behandlung  läßt 
Hallopeau  20  Tage  lang  tägliche  Einspritzungen 
von  3 — 4  g  Jodipin  oder  Lipijodol  folgen,  die 
gestatten,  enorme  Mengen  Jod  dem  Körper  ein- 
zuverleiben, das  sich  nur  langsam  ausscheidet. 
Daneben  ist  die  spezifische  Lokalbehandlung 
nicht  außer  acht  zu  lassen:  bei  ausgebreiteten 
Syphilisausschlägen  Quecksilberbäder,  für  die 
lokalisierten  Pflaster,  Salben,  Lösungen,  für  die 
Schleimhäute  Quecksilberätzmittel,  für  die  tiefe- 
ren Körperhöhlen  langdauernde  Einspritzungen, 
Räucherungen  bezw.  Inhalationen,  für  tiefere 
Neubildungen  subkutane  und  intramuskuläre  Ein- 
spritzungen, für  die  Affektionen  des  Rücken- 
marks die  intraarachuoidalen  Einspritzungen.  — 
Bei  der  Bekämpfung  der  Mikroorganismen  der 
Spätformen  kommt  der  Jodbehandlung  ein  größe- 
rer Anteil  zu,  ohne  daß  jedoch  das  Quecksilber 
auszusetzen  ist.    Die  Beeinflussung  der  örtlichen 


XIX.  Jahrgftog.l 
Dezember  1905.J 


Referate« 


651 


Spätformen  durch  spezifische  Heilmittel  beweist, 
daß  sie  nicht  unabhängig  von  den  pathogenen 
Organismen  durch  Toxine  hervorgerufen  werden; 
denn  diese  werden  von  der  Behandlung  nicht 
angegriffen.  —  Nachkrankheiten  wie  Tabes  und 
progressive  Paralyse  sind  dann  besonders  der 
Behandlung  zugänglich,  wenn  Anfangsstadien 
oder  Vorläufer  vorhanden  sind.  —  Kompli- 
zierende Infektionen  wie  chronische  Rhinitis, 
Balanitis,  Proktitis,  Seborrhöe,  Folliculitis,  Malaria, 
Tuberkulose  müssen  unmittelbar  mit  denjenigen 
parasitiziden  Mitteln  behandelt  werden,  die  für 
sie  spezifisch  sind.  Das  ist  der  einzige  Fall,  in 
dem  es  erlaubt  ist,  gegen  Syphiliserscheinungen 
andere  Mittel  zu  gebrauchen  als  Quecksilber 
und  Jod. 

2.  0.  Rosenthal  nimmt  in  vielfacher  Be- 
ziehung einen  von  den  soeben  skizzierten  Hallo- 
pe  auschen  Grundsätzen  abweichenden  Standpunkt 
ein;  er  verwirft  im  allgemeinen  die  abortive 
Behandlung  der  Syphilis,  weil  durch  dieselbe 
die  Diagnose  verdunkelt  und  der  Syphilophobie 
und  Neurasthenie  ein  breiter  Weg  geöffnet  wird. 
Außerdem  bleiben  keineswegs  Rezidive  aus.  Den 
Anhängern  dieser  Methode  kann  der  Vorwurf 
nicht  erspart  bleiben,  daß  sie  den  Boden  der 
Empirie  betreten  und  den  der  strengen  Wissen- 
schaftlichkeit verlassen.  —  Für  einen  früheren 
Beginn  der  Allgemeinbehandlung  sind  jedoch 
Ausnahmen  zuzulassen:  Extragenitale  Primär- 
affekte an  Lippen,  Nase,  Augen,  welche  mit 
starken  Schmerzen  verbunden  sind  oder  zu 
ausgiebigen  Zerstörungen  und  Entstellungen 
führen  können  oder  für  die  Infektion  der  Um- 
gebung eine  besondere  Gefahr  bilden;  ferner 
schwere  zerfallende  Sklerosen,  welche  durch  ihr 
Weiterfortschreiten  oder  ihren  Sitz,  z.  B.  an 
der  Urethralöffnung,  ausgedehnte  Zerstörungen 
befürchten  lassen.  Auch  Frauen,  die  in  der 
Gravidität  infiziert  werden,  sind  sofort  einer 
allgemeinen  Behandlung  zu  unterwerfen.  —  Was 
die  Behandlung  betrifft,  so  bekennt  sich  Rosen - 
thal  zu  der  chronisch-intermittierenden  Methode, 
die  selbstverständlich  gleichzeitig  auch  eine  indi- 
vidualisierende sein  muß.  Daß  dem  Queck- 
silber eine  präventive  Kraft  auch  bei  nicht 
sichtbaren  Symptomen  zukommt,  zeigt  sich  am 
klarsten  bei  graviden  Frauen,  die  frei  von  Er- 
scheinungen sind,  oder  bei  Frauen,  welche  an 
häufigem  oder  habituellem  Abort  leiden  oder 
syphilitische  Kinder  zur  Welt  gebracht  haben. 
Die  Gefahren  des  Merkurialismus,  durch  den 
besonders  die  Widerstandsfähigkeit  des  Nerven- 
systems herabgesetzt  werden  soll,  erkennt  Rosen - 
thal  nicht  an.  Die  Inunktionskur  bezeichnet 
er  als  eine  unsichere  und  wissenschaftlich  nicht 
gestützte  Methode  und  will  deswegen  ihren  Ge- 
brauch möglichst  einschränken;  die  Anwendung 
der  schwer  löslichen  Quecksilborsalze  ist  als  die 
wertvollste  und  intensivste  Behandlungsart  an- 
zusprechen. —  Um  die  bei  größeren  Dosen 
Quecksilber  (die z.B.  zu  differential-diagnostischen 
Zwecken  zeitweise  notwendig  werden)  auftreten- 
den Störungen  wie  Fieber,  Magenverstimmung, 
Abgeschlagen heit  zu  vermeiden,  ist  der  Ge- 
brauch von  Opium,  event.  auch  prophylaktisch, 
dringend  zu   empfehlen.     Die  Inunktionskur  ist 


häufig  mit  Bettruhe  zu  verbinden,  da  das  Queck- 
silber auch  durch  Inhalation  zur  Aufnahme  ge- 
langt und  im  Bette  eine  größere  Menge  gleich- 
mäßig verdunstet.  Besonders  bei  Tabeskranken 
hat  sich  diese  Methode  bewährt,  abgesehen 
davon,  daß  bei  einem  schweren  Nervenleiden 
noch  andere  Momente  mitsprechen,  welche  die 
Durchführung  der  Kur  im  Bett  als  besonders 
geeignet  erscheinen  lassen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  38.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

(Aus  der  K.  K.  UnW.-KUnik  f.  GeschL-  u.  Hautkr. 
in  Wien,  Fioger.) 

Die  kombinierte  Chininjodbehandlung  des  Lupus 
erythematosus  nach  Holländer  und  eine  Er- 
klärung für  diese  Therapie.  Von  Dr.  M.  0  p  p  e  n- 
heim,  Assist,  d.  Klinik. 

Holländers  Kombination  der  schon  früher 
gebräuchlichen  internen  Chinin-  und  externen 
Jodbehandlung  wurde  an  Fingers  Klinik  fol- 
gendermaßen modifiziert: 

Nachdem  durch  Darreichung  von  0,05  Chinin, 
sulf.  die  Abwesenheit  von  Idiosynkrasie  festge- 
stellt war,  bekamen  die  Patienten  die  ersten 
3  Tage  früh  und  abends  0,5  Chinin.  Sodann 
wurden  die  lupösen  Stellen  mit  Alkohol  und 
Äther  von  den  Krusten  befreit  und  2  mal  täglich 
mit  einem  Borstenpinsel  energisch  Jodtinktur  ein- 
gepinselt. Nach  je  3  Tagen  wurde  mit  dem 
Chinin  um  0,5  gestiegen  bis  zu  8  mal  0,5  pro  die 
je  nach  Intensität  des  Falles.  Bei  dieser  Dosis 
wurde  verblieben,  bis  deutliche  Abblassung  und 
Abflachung  der  Krankheitsherde  zu  konstatieren 
war,  worauf  lafigsam  bis  auf  2  mal  0,5  herab- 
gegangen wurde.  Ohrensausen  und  Schwerhörig- 
keit indizierte  Herabsetzung  der  Dosis,  die 
nach  Aufhören  dieser  Erscheinungen  wieder 
anstieg. 

Alle  6  Behandelten  bekamen  über  100  g 
Chinin  in  wenigen  Wochen  ohne  Schaden, 
2  wurden  geheilt,  4  wesentlich  gebessert. 

Oppenheim  glaubt  die  Wirkung  dadurch 
erklären  zu  können,  daß  sich  in  der  Haut  eine 
Chininjodverbindung  bildet.  Experimentell  konnte 
er  nachweisen,  daß  die  jodierte  Haut  von  mit 
Chinin  behandelten  Kaninchen  mehr  Chinin  ent- 
hält als  die  nicht  jodierte,  was  er  im  Gegen- 
satz zu  Holländer  nicht  auf  Kongestion  bezw. 
Drüsenverstopfung  der  Haut,  sondern  auf  die 
chemotaktische  Wirkung  des  Jods  auf  das 
Chinin  zurückführt. 

Weitere  Versuche,  so  u.  a.  mit  Ersatz  des 
Jods  durch  Jothion  werden  in  Aussicht  gestellt. 


(Wien.  Min.  Woch.  1905,  No.  3.) 


Esch  (Bendorf). 


Lepra  eine  heilbare  Krankheit.  Von  T.  J.  Tonkin. 
Tonkin,  der  viel  eigene  Erfahrungen  über 
die  Lepra,  namentlich  im  Sudan,  gesammelt  hat, 
spricht  es  offen  aus,  daß  die  Lepra  als  eine 
heilbare  Krankheit  anzusehen  ist.  Zwar 
ist  sie  nicht  mit  bestimmten  Medikamenten  zu 
bekämpfen,  wohl  aber  kann  sie  unter  günstigen 
äußeren  Verhältnissen  spontan  ausheilen  ebenso 
wie  die  Tuberkulose.  Auf  Grund  seiner  Er- 
fahrungen nimmt  Tonkin    an,    daß  die  längste 


652 


Referate. 


fTherApeutlflche 

L   Monatshefte. 


Dauer  der  Krankheit  zwölf  Jahre  betragen  kann, 
d.  h.  daß  Patienten,  welche  nicht  innerhalb  dieser 
Zeit  gestorben  sind,  als  geheilt  gelten  können. 
Ton k in  hat  festgestellt,  daß  unter  220  Fällen 
von  Lepra  im  Sudan  24  Proz.  die  Dauer  von 
fünfzehn  Jahren  überlebt  hatten,  wobei  freilich 
solche  Kranke,  welche  Verstümmelungen  an  den 
Gliedern  oder  im  Gesicht  erlitten  hatten,  trotz- 
dem schließlich  als  geheilt  gelten  müssen.  Bei 
frühzeitig  eintretender  Behandlung,  d.  h.  bei 
Versetzung  unter  günstige  Lebensverhältnisse, 
kann  jedoch  auch  die  Heilung  schon  früher  und 
ohne  dauernde  Schädigung  eintreten. 

Auf  Einzelheiten  der  Behandlung  läßtTonkin 
sich  an  dieser  Stelle  absichtlich  nicht  ein.  Er 
betont  nur,  welche  großen  praktischen  Folgerun- 
gen die  allgemeine  und  öffentliche  Anerkennung 
der  Heilbarkeit  der  Lepra  notwendigerweise  haben 
muß. 

(British  medical  Journal  19  4,  17.  Sept.) 

C lassen  (Qrube  i.  H.J. 

(Aus  der  Klinik  für  Syphilis  und  Dermatologie  in  Wien 
Interim.  Leiter:  Dos.  Dr.  R  Mattenaue r.) 

Ober  bleibende  Hautveränderungen  nach  Röntgen- 
bestrahlung.  Von  Dr.  L.  Freund  und  Dr. 
M.  Oppenheim,  Assistenten  der  Klinik. 

Die  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  die 
Gewebe  kann  sich  in  zweifacher  Weise  äußern: 
erstens  in  der  Degeneration  der  zelligen  Ele- 
mente, zweitens  in  einer  oft  langandauernden 
Hyperämie  und  chronischen  Stauung.  Letztere 
Erscheinung  besitzt  —  neben  den  in  bestrahlter 
Haut  ebenfalls  nachgewiesenen  Destruktions-  und 
Obliterationsprozessen  der  Gefäße  —  eine  her- 
vorragende Bedeutung  für  die  Entstehung  ge- 
wisser bleibender  Hautveränderungen,  die  sich 
im  Gefolge  der  Bestrahlung  einstellen  können. 
In  dieser  Hinsicht  kommen  in  erster  Reihe  die 
Teleangiektasien  in  Betracht,  ferner  Alopecie, 
Sklerodermie,  vielleicht  auch  Atrophie;  auch  be- 
ruht hierauf  zum  Teil  die  geringe  Heilungs- 
tendenz der  Röntgenulcera.  Die  Vorsicht  ver- 
langt daher,  daß  bei  Bestrahlung  einer  emp- 
findlichen Haut  oder  einer  Haut,  welche  sich 
bereits  im  Zustande  entzündlicher  Hyperämie 
befindet,  nur  ganz  schwache  Dosen  angewendet 
werden.  Da  ferner  erfahrungsgemäß  diejenigen 
Strahlungen,  welche  ihre  Wirkung  hauptsächlich 
in  den  oberen  Hautschichten  entfalten  (weiche 
Röhren),  schädlicher  sind  als  jene,  deren  WTir- 
kungsgebiet  mehr  in  der  Tiefe  liegt  (harte 
Röhren),  so  empfiehlt  sich  im  allgemeinen  die 
Anwendung  harter  Röhren.  Liegen  die  zu  be- 
einflussenden Krankheitsprozesse  ganz  oberfläch- 
lich, so  sind  freilich  weiche  Röhren  indiziert, 
jedoch  unter  Anwendung  möglichst  schwacher 
Dosen.  —  Die  nach  Röntgenbestrahlung  auf- 
tretenden Teleangiektasien  sind,  wie  Verfasser 
aus  dem  mikroskopischen  Befund  bei  einem  von 
ihnen  beobachteten  Fall  schließen,  Erweiterungen 
präexistierender  Kapillaren  des  oberen  Kapillar- 
netzes der  Haut,  ohne  daß  die  Zahl  der  ur- 
sprünglich vorhandenen  Kapillaren  vermehrt  ist. 
Die  Erweiterungen  kommen  dadurch  zustande, 
dali  die  vermutlich  primär  erkrankten  Gefäß- 
wände    der     durch     die    Hyperämie     bedingten 


Drucksteigerung    auf    die    Dauer    nicht    wider 
stehen  können. 

(Wiener  klinische  Wochenschrift  1904,  No.  12.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Ein  Substanzverlust  der  Haut,  durch  Überpflan- 
zung mit  Kaninchenhaut  zum  Hellen  gebracht. 

Von  Laehlan  Frater  in  North-Shields. 

Bei  einem  vierjährigen  Kinde  war  durch 
zu  heiße  Grützverbände  auf  der  Brust  eine  große 
Verbrennung  dritten  Grades  entstanden,  die  sich 
in  ein  fauliges  Geschwür  umwandelte.  Nachdem 
das  Geschwür  unterBorwasserumschlägen  gereinigt 
war,  wurden  die  Granulationen  in  Narkose  ab- 
gekratzt und  darauf  eine  große  Anzahl  Haut- 
stückchen von  der  rasierten  Haut  von  Bauch 
und  Brust  eines  Kaninchens  nach  der  Methode 
von  Thiersch  übergepflanzt.  Alle  Stückchen 
bis  auf  zwei  oder  drei  heilten  an.  Das  Kind 
blieb  noch  sechs  Wochen  nach  der  Operation 
in  Beobachtung.  Zuletzt  zeigte  sich  auf  einzelnen 
Stellen  ein  feiner  Flaum;  die  meisten  Stückchen 
blieben  jedoch  frei  davon. 

Das  Kind  hatte  an  ausgedehntem  Impetigo 
gelitten,  weshalb  seine  eigene  Haut  zur  Über- 
pflanzung nicht  geeignet  schien. 

(British  medical  Journal  1905,  1.  Aprü.) 

Classen  (Qrube  i.  H). 

Oedeme  der  Füße  und  Beine  infolge  übermäßigen 
Genusses  von  Kochsalz.  Von  Dr.  F.  H.  B  r y  a  n  t 

in  London,  Guy's  Hospital. 

Ein  im  übrigen  gesunder  Mann,  Arzt  von 
Beruf,  bemerkte,  daß  ihm  die  Füße  und  Beine 
anschwollen  zugleich  mit  einem  Gefühl  von 
Schwere  in  denselben.  Da  gar  keine  Organ- 
erkrankung nachzuweisen,  namentlich  der  Harn 
frei  von  abnormen  Bestandteilen  war,  so  forschte 
Bryant  nach  etwaigen  Diätfehlern  und  erfuhr 
dabei,  daß  Pat.  gewohnt  war,  mit  der  täglichen 
Kost  ungeheure  Mengen  Kochsalz  zu  sich  zu 
nehmen,  und  zwar  das  Doppelte  bis  Vierfache 
der  sonst  üblichen  Menge.  Da  auch  von  anderer 
Seite  die  Retention  von  Chloriden  in  den  Ge- 
weben mit  Ödem  in  Verbindung  gebracht  wird, 
so  vermutete  Bryant  auch  hier  einen  ursäch- 
lichen Zusammenhang,  zumal  der  Harn  des 
Patienten  fast  dreimal  so  viel  Chloride  enthielt 
wie  gewöhnlich.  Er  riet  ihm  deshalb,  das  Salz 
einzuschränken,  was  Pat.  tat,  wenn  auch  mit 
Entbehrung,  da  er  zu  sehr  an  den  Salzgenuß 
gewöhnt  war.  Der  Erfolg  blieb  nicht  aus:  schon 
nach  drei  Wochen  waren  die  Ödeme  verschwun- 
den, und  der  Harn  hatte  wieder  seinen  normalen 
Gehalt  an  Chloriden. 


(Practitioncr  1905,  August.) 


Classen  (Grube  i.  H). 


(Aus  der  Universlt&tsfraaenklinik  In  Heidelberg.) 
Die  Behandlung  der  puerperalen  Infektion.    Kün. 
Vortrag  von  Prof.  Dr.  v.  Rosthor n. 

Das  Wesentliche  bei  der  zunächst  anzu- 
wendenden intrauterinen  Spülung  ist  nicht 
die  antiseptische  Wirkung  sondern  die  mechanische 
Reinigung,  Beseitigung  der  Sekretstauung,  Hinaus- 
beförderung zersetzter  Eihautfetzen  oder  Blut- 
gerinnsel;   man  könnte  daher  das  Resultat  auch 


XIX.  J&hrgaoff.l 
Deaember  190S.J 


Referate. 


653 


mit  sterilem  Wasser  erzielen.  Sublimat  ist  wegen 
seiner  Giftigkeit  verpönt,  am  meisten  im  Ge- 
brauch eine  schwache  Lysollösung  (6 — 8  1).  Zu- 
weilen ist  Kombination  von  Spülung  und  Tam- 
ponade erfolgreich,  manche  verwenden  Alkohol- 
spülung. 

Durch  Verschluß  der  Lymphgänge  wirken 
die  Seealepräparate  dem  Weitergehen  der 
Infektion  entgegen,  v.  Host  hörn  benutzt  das 
Ergotin  Bombeion.  Als  thermische  Reize 
wirken  heiße  Scheidenduschen  und  Eisblase  aufs 
Abdomen. 

Dauert  das  Fieber  trotzdem  fort,  so  kommt 
statt  der  intrauterinen  Manipulationen  Ruhe, 
gute  Ernährung,  hydropathische  Behandlung, 
kalte  Einpackung,  kühle  Bäder  in  Betracht. 
Hohe  Alkoholgaben  haben  sich  als  erfolglos  er- 
wiesen, Antipyretica  verwendet  v.  Rosthorn 
nicht  mehr,  weil  sie  nicht  nur  wirkungslos  sind, 
sondern  auch  noch  unangenehme  Nebenwirkungen 
haben,  von  Kochsalzinfusionen  hat  er  ebenfalls 
keinen  Erfolg  gesehen,  verkennt  aber  nicht  ihre 
Bedeutung,  besonders  bei  stark  ausgebluteten 
Individuen.  Hofbauers  Nukleingaben  (5  —  6  g 
alle  12  Stunden)  wirken  vielleicht  günstig  durch 
Erzeugung  von  Leukozytose. 

Hysterektomie  kommt  nur  in  Betracht 
bei  jauchenden  Neubildungen  der  puerperalen 
Gebärmutter,  bei  Komplikation  mit  Zerreißung, 
Inversion  oder  Vorfall  derselben,  bei  Unmöglich- 
keit der  Ausräumung  faulender  Nachgeburtsteile. 
In  einigen  seltenen  Fällen  kann  die  Venen- 
resektion  erfolgreich  sein. 

Der  intravenösen  Kollargolinjektion  und  der 
Serumtherapie  gegenüber  bewahrt  Verf.  wohl- 
wollendes Abwarten. 

(Deutsche  tned.  Wochenschr.  1905,  No.  23.) 

Esch  (Bendorf). 

(Aui  Josephs  Poliklinik  für  Hautkrankheiten  in  Berlin.) 
Ober  das  Jothion.  VonM.  Joseph  u.  M.  Schwarz- 
schild. 

Das  Jothion,  ein  Jodwasserstoffester  mit 
80  Proz.  organisch  gebundenem  Jod ,  ist  nach 
den  Untersuchungen  der  Verff.  zurzeit  dasjenige 
Jodpräparat,  das,  perkutan  angewandt,  die  besten 
Resorptionsverhältnisse  bei  fast  völlig  fehlenden 
Reizerscheinungen  aufweist,  und  ist  deshalb  dem 
Jod  und  dem  Jodvasogen  überlegen,  soweit  die 
äußerliche  Anwendung  in  Betracht  kommt. 

Ob  innerliche  Darreichung  von  Jodkali  oder 
Einreibung  von  Jothion  vorzuziehen  sei,  ist  von 
Fall  zu  Fall  zu  entscheiden.  Wollen  wir  bei 
schweren  luetischen  Symptomen  rasch  wirken,  so 
ist  Jodkali  höchstens  bei  Idiosynkrasie  zu  ent- 
behren. Bei  Arteriosklerose  dagegen  und  chronisch 
entzündlichen  Zuständen  innerer  Organe  wird 
Jothion  den  Vorzug  verdienen. 

Es  wird  in  25 —  50  proz.  Salben  verwandt 
nach  der  Formel 

Jothion  25,0—50,0 

Lanolin  anhydr. 

Vaselin  äa  ad  100,0 

Tägl.  ein  Theelöffel  voll  einzureiben 

(5  Tage,  dann  1  —  2  Tage  aussetzen). 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  24.) 

Esch  (Bendorf). 


Die  kosmetische  Behandlung  der  Blatternarben 
mit  Vaselin  und  Ölvaselin.  Von  R.  Steg- 
mann. 

Stegmann  berichtet  von  einem  Patienten, 
dessen  mageres  Gesicht  von  Blatternarben  auf 
Stirn  und  Wangen,  Schläfengegend  und  Kinn 
sehr  enstellt  wurde,  und  wo  durch  Injektion  von 
Vaselin  und  Ölvaselin  eine  ganz  bedeutende 
Besserung  erzielt  wurde.  Er  injizierte  in  die  beiden 
Fossae  caninae  beiderseits  bis  dicht  auf  den 
Knochen  2  cem  Vaselin  und  ebenso  in  die  Kinn- 
gegend 1  ccm.  Diese  Injektionen  dürfen  nicht 
zu  oberflächlich  gemacht  werden,  da  sonst  er- 
hebliche Bewegungsstörungen  sich  geltend  machen 
können,  während  sie  in  die  Tiefe  ein  gutes 
"Widerlager  für  die  Ölvaselin-Injektionen  (1  Teil 
Vaselin,  4  Teile  Olivenöl)  bilden.  Hierbei  hat 
man  zu  beachten,  daß  man  nicht  intrakutan 
wegen  der  dann  eintretenden  Nekrosen  spritzt. 
Nach  Einstich  der  Nadel  muß  man  eine  kräftige 
Aspiration  ausüben  und  so  prüfen,  ob  ein  Blut- 
gefäß angestochen  ist.  In  diesem  Falle  wurden 
20  ccm  Ölvaselin  in  7  Sitzungen  alle  2  Tage 
injiziert. 

(Wiener  Min.  Wochenschr.  1905,  No.  13.) 

Arthur  Rann  (CoUm). 

Ober  Gynochrysma  Hydrargyri.  Von  Dr.  J.  F. 
v.  Crippa  (Bad  Hall). 

Die  Syphilidologen  betrachten  mit  Hecht 
die  Inunktion  als  wirksamste  Darreichungsform 
des  Quecksilbers.  Die  zur  Inunktionskur  ver- 
wendete offizineile  graue  Salbe  zeigt  indes  eine 
Reihe  von  Übelständen:  sie  dringt  nicht  leicht 
und  gleichmäßig  in  die  Haut  ein,  sie  erzeugt 
Reizung,  schwärzt  Haut  und  Wäsche  und  hinter- 
läßt auf  der  Haut  ein  unangenehmes,  fettiges 
Gefühl.  Von  den  Ersatzpräparaten,  die  an  Stelle 
der  grauen  Salbe  empfohlen  worden  sind,  soll 
in  erster  Linie  das  Resorbinquecksilber  frei  von 
diesen  Unzuträglichkeiten  sein.  Es  hat  sich  aber 
gezeigt,  daß  nur  die  frisch  bereitete  Emulsion 
den  Anforderungen  genügt;  bei  längerem  Stehen 
scheidet  sich  das  Wasser  aus  der  Emulsion  teil- 
weise aus,  die  Salbe  selbst  wird  zäher,  klebriger 
und  läßt  sich  nicht  mehr  vollständig  in  die  Haut 
einreiben.  Ein  anderes  Ersatzpräparat  ist  die 
Mercuro-Creme.  Als  Vehikel  ist  eine  Glyzerin- 
lösung von  neutralem  stearinsauren  Kali  gewählt; 
dasselbe  dringt  so  außerordentlich  rasch  in  die  Haut 
ein,  daß  ein  Teil  des  suspendierten  Quecksilbers 
nicht  zu  folgen  vermag  und  sich  unter  der 
reibenden  Hand  zu  Kügelchen  zusammenlaufend 
aus  der  Creme  abscheidet. 

v.  Crippa  hat  nun  in  Verbindung  mit 
Ts eherne  eine  Kombination  aus  metallischem 
Quecksilber,  Fett  und  Glyzerinseifenlösung  her- 
gestellt, welche  genügend  rasch  ohne  wahrnehm- 
bare Abscheidung  von  Quecksilber  in  die  Haut 
eindringt. 

Das  Gynochrysma  Hydrargyri  enthält 
33  V3  Proz.  Quecksilber.  Als  Fett  wurde  eine 
Mischung  von  Oleum  jeeoris  aselli  und  Oleum 
Gynocardiae  (Chaulmoograöl)  gewählt;  ein  ge- 
ringer Zusatz  von  Oleum  Menthae  piperitae  be- 
wirkt eine  leichte,  andauernde  Hyperämie  der 
eingeriebenen  Hautstellen    und    befördert   durch 


654 


Referate. 


fTherapeuti*efce 
L   Monatshefte. 


den  gesteigerten  Gewebsstrom  den  rascheren  und 
energischeren  Transport  des  Quecksilbers  in  den 
Kreislauf.  Das  Präparat  dringt  bei  der  Inunk- 
tion  rasch  in  die  Haut  ein  unter  Zurücklassen 
einer  zarten  grauen  Färbung,  die  sich  nicht  oder 
nur  in  geringem  Grade  auf  die  Wäsche  über- 
trägt. Es  hat  ferner  weder  lästigen  noch  auf- 
fälligen Geruch  und  hinterläßt  beim  Einreiben 
kein  unangenehmes  Gefühl. 

In  einer  Reihe  von  Erkrankungen,  worunter 
Fälle  mit  Primärerscheinungen,  Fälle  von  sekun- 
därer und  Ton  tertiärer  Lues,  zeigte  sich  das 
Präparat  stets,  zuweilen  auffallend  rasch  von 
Erfolg.  Erforderlich  waren  zehn  bis  dreißig 
Einreibungen  von  je  3 — 4  g.  Die  begleitende 
Gingivitis,  die  durchschnittlich  nach  der  fünften 
bis  zehnten  Friktion  auftrat,  hielt  sich  in  mäßigen 
Grenzen,  nur  in  2  Fällen  —  unter  64  —  mußte 
die  Kur  wegen  drohender  Stomatitis  unterbrochen 
werden.  Von  Nebenerscheinungen  machte  sich 
nur  leichte  Folliculitis  an  sehr  behaarten  Körper- 
stellen bemerkbar. 

(Wimer  klinische   Wochenschr.  No.  31,  1905,  S.  827.) 

Jacobson. 


(Aus  der  syphüidologitchen  Abteilung  des  stldtlsehen  Kranken- 
hauses am  Urban  in  Berlin.) 

Ober  das  Vorkommen  von  Spirochaeten  in  Inneren 

Organen    eines   syphilitischen   Kindes.    Yon 

Privatdozent  Dr.  A.Buschke  und  Dr.  Fi  seh  er. 

Buschke  und  Fischer  haben  die  Organe 

eines    an    Lues   congenita    verstorbenen    Kindes 

auf  Schaudinn -II  offmann  sehe  Spirochaeten  hin 

untersucht  und  sind  zu  einem  positiven  Resultate 

gelangt. 

Die  Ausstrichpräparate  aus  tiefen  Schichten 
vom  Milzsaft  und  Lebersaft,  Lymphdrüsen  und 
anderen  Geweben  wurden  in  entsprechender  Weise 
fixiert  und  nach  Giemsa,  Modifikation  Schau- 
dinn-Hoffmann,  gefärbt.  Sowohl  in  den  Aus- 
strichen von  der  Milz  wie  von  der  Leber,  in 
denen  andere  Bakterien  nicht  nachzuweisen  waren, 
fanden  sich  außerordentlich  zahlreicheSpirochaeten , 
sowohl  kürzere  wie  längere,  bis  zu  14  Win- 
dungen. Lymphdrüsensaft  wie  Gewebesaft  ex- 
zidierter  Papeln  zeigten  keine  Organismen,.  Kon- 
trolluntersuchungen mit  Milzsaft  aus  Leichen 
Nichtsyphilitischer  ergaben  bisher  negativen  Be- 
fund. Die  Verfasser  registrieren  die  Tatsachen, 
ohne  sie  irgendwie  zu  deuten. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1903,  No.  20.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Die  Therapie  der  Lepra.  Von  Dr.  P.  H.  Lie, 
dirigierendem  Arzt  des  Leprahospitals  in  Bergen, 
Norwegen. 

Der  Verfasser  bespricht  die  Behandlung 
der  Lepra  und  hebt  hervor,  daß  das  Tuberkulin 
eine  ziemlich  konstante  Wirkung  besitzt,  wenn 
es  in  etwas  größeren  Dosen  und  in  etwas  längerer 
Zeit  als  bei  der  Tuberkulose  angewendet  wird. 
Man  darf  wohl  daher  annehmen,  daß  der  Lepra- 
und  der  Tuberkelbazillus  außer  ihren  morpho- 
logischen bezw.  tinktoriellen  Analogien  auch 
gemeinsame  biologische  Eigentümlichkeiten  be- 
sitzen. Solange  man  den  Leprabazillus  nicht 
züchten   und   sein   Toxin    darstellen   kann,    muß 


es  daher  naheliegen,  das  Tuberkulin  als  Surrogat 
des  Leprins  anzuwenden.  Damit  die  Versuche 
mit  Tuberkulin  nicht  vorzeitig  abgebrochen 
werden,  muß  man  im  Auge  behalten,  daß  die 
anscheinend  neuen  leprösen  Knoten,  die  während 
der  Behandlung  entstehen,  nichts  anderes  sind 
als  Reaktionserscheinungen.  Dem  Tuberkulin 
steht  in  seiner  Wirkung  gegenüber  der  Lepra 
das  Jodkalium  sehr  nahe;  es  ist  auch  schon  als 
Reagens  auf  die  Heilung  derselben  benutzt 
worden;  man  muß  mit  sehr  kleinen  Dosen, 
einigen  Milligrammen,  anfangen  und  vorsichtig 
steigen;  namentlich  muß  der  Larynx  wegen 
eines  drohenden  Glottisödems  dauernd  berück- 
sichtigt werden.  —  Auch  andere  Jodpräparate 
wie  Airol  wirken  lokal  günstig.  —  Vom  Chaul- 
moograöl  werden  in  neuerer  Zeit  40 — 50  g  pro 
die  verabfolgt  in  Verbindung  mit  reichlicher 
Milchdiät;  es  wirkt  jedoch  schädigend  auf  den 
Digestionsapparat;  nach  Injektionen  sind  Em- 
bolien beobachtet.  —  Die  Finsensche  Licht- 
therapie ist  zwar  versucht,  doch  kein  abschließen- 
des Urteil  gewonnen. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  38.) 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Ist  der  Arit  verpflichtet,  einem  Lungenkranken 
die  Wahrheit   Ober   sein   Leiden  zu  sagen? 

Von  Dr.  R.  Purschke,  Ol  mutz,  derzeit 
Volontärarzt  an  Hofrat  Turbans  Sanatorium 
in  Davos-Platz. 

Von  dem  interessanten  und  praktisch  wich- 
tigen Aufsatze  sei  an  dieser  Stelle  nur  der  letzte 
Abschnitt  wiedergegeben,  der  die  präzise  Ant- 
wort auf  die  in  der  Überschrift  gestellte  Frage 
enthält. 

„Wenn  wir  die  einschneidende  Wichtigkeit, 
welche  die  Mitteilung  der  Diagnose  für  den 
Kranken  und  nicht  zuletzt  für  seine  Umgebung 
und  die  Allgemeinheit  hat,  nach  allen  Gesichts- 
punkten noch  einmal  reiflich  überlegen,  so 
müssen  wir  zu  der  Überzeugung  kommen,  daß 
der  Arzt,  sobald  der  begründete  Verdacht  oder 
der  positive  Befund  für  eine  tuberkulöse  Er- 
krankung der  Lunge  spricht,  die  Heilung  des 
Zustandes  vorausgesetzt,  dem  Patienten 
selbst  und,  wenn  keine  Aussichten  auf  Heilang 
vorhanden  sind,  wenigstens  den  Angehörigen 
davon  Mitteilung  zu  machen  in  seinem  Gewissen 
verpflichtet  ist,  und  daß  die  Unterlassung  nicht 
nur  eine  Unehrlichkeit  dem  Kranken  gegenüber, 
sondern  eine  direkte  Pflichtverletzung  bedeutet." 
(Wien.  med.  Wochenschr.  1905,  No.  42.)  R. 


Literatur, 


Zur  Frage  der  Borwirkung.  Eine  Kritik  des 
Dr.  Wileyschen  Berichtes  an  das  ameri- 
kanische Ackerbau-Ministerium.    Von  Dr. 

Oscar  Liebreich,  o.  ö.  Professor,  Geh.  Med. - 
Rat.  Mit  4  Tafeln.  Berlin  1906.  Verlag  von 
August  Hirschwald. 

Die   Frage   nach   der  Zulassigkeit   der  Bor- 
säure  und   ihrer   Salze   als  Konservierungsmittel 


XIX.  Jahrgang.*] 
Dezember  190S.J 


Literatur. 


655 


ist  ebensowohl  wissenschaftlich  als  auch  volks- 
wirtschaftlich von  größtem  Interesse.  Obgleich 
nun  die  wissenschaftliche  Seite  dieser  Frage  noch 
heute  als  offene  Diskussion  anzusehen  ist,  hat 
die  volkswirtschaftliche  Seite  leider  schon  vor 
längerer  Zeit  eine  gesetzliche  Regelung  im  Ver- 
bote des  Zusatzes  von  Borpräparaten  zu  Fleisch- 
waren erfahren.  Der  betreffende  Zusatz  zum 
Fleischbeschaugesetz  stammt  vom  18.  Februar 
1902  und  verbietet  neben  der  Borsäure  und 
ihren  Salzen  auch  Formaldehyd,  die  Alkali-  und 
Erdalkalihydrate  und  Karbonate  und  die  Salze  der 
schwefligen,  unterschwefligen  Fluorwasserstoff-, 
Salizyl-und  Chlorsäure  als  konservierende  Zusätze. 
Seine  wissenschaftliche  Begründung  fand  dieses 
Verbot  in  den  Arbeiten  aus  dem  Reichsgesund- 
heiteamt  sowie  denen  einiger  anderer  Autoren, 
welche  die  Giftigkeit  der  Borpräparate  nachzu- 
weisen versuchten.  Diese  Arbeiten  wurden  für 
die  legislatorische  Behandlung  der  Frage  als 
einzig  maßgebend  angesehen,  während  die  gegen- 
teilige Meinung,  welche  von  berufenen  Forschern, 
in  erster  Linie  von  Liebreich,  vertreten  wurde 
und  die  in  Übereinstimmung  mit  der  Jahrhunderte 
alten  Erfahrung  durch  einwandsfreie  Versuche 
erwies,  daß  die  Borsäure  und  ihre  Salze  besonders- 
in  den  für  Konservierungszwecke  in  Frage  kommen- 
den Mengen  vom  physiologischen  Standpunkte  als 
durchaus  indifferent  anzusehen  seien,  ungehört 
verhallte. 

Trotzdem  daß  aber  die  Gesetzgebung,  wenig- 
stens in  Deutschland,  in  dieser  Frage  ihr.  be- 
stimmtes Votum  abgegeben  hatte,  war  der  wissen- 
schaftliche Streit  damit  durchaus  .noch  nicht 
erledigt,  und  die  Stimmen  pro  und  contra  wurden 
in  der  Folgezeit  ebenso  lebhaft,  vielleicht  sogar 
noch  lebhafter  abgegeben  als  vorher. 

Während  nun  diese  Arbeiten  mit  Ausnahme 
einiger  Spezialuntersuchungen,  welche  die  Aus- 
scheidungsverhältnisse betrafen,  meist  an  Tieren 
vorgenommen  wurden,  liegt  jetzt  eine  an  Menschen 
ausgeführte  Untersuchung  über  die  Wirkung  der 
Borsäure  vor;  diese  wurde  in  Washington  von 
H.  W.  Wiley  im  „Department  of  Agriculture" 
angestellt  und  erstreckte  sich  über  5  verschieden 
lange  Perioden,  in  denen  je  6  Personen  nach 
der  üblichen  Art  des  Stoffwechselversuches,  das 
ist  der  Einteilung  in  Vor-,  Haupt-  und  Nach- 
periode, mit  einer  mit  Borpräparaten  versehenen 
Nahrung  ernährt  wurden.  Die  Beobachtungen 
bei  diesen  Versuchen,  bei  denen  die  Borsäure 
in  verschiedener  Art,  Menge  und  Darreichungs- 
dauer gegeben  wurde,  erstreckten  sich  auf  Körper- 
gewicht, Nahrungsaufnahme,  Zahl  der  Blutkörper- 
chen und  Menge  des  Hämoglobins  im  Blute, 
Menge  und  Beschaffenheit  des  Kots  und  Urins 
sowie  Stickstoff-,  Phosphorsäure-  und  Fettstoff- 
wechsel, Oxydation  der  brennbaren  Substanzen 
in  der  Nahrung,  die  Ausscheidung  fester  Sub- 
stanzen und  die  Beeinflussung  des  Allgemein- 
befindens. 

Nach  der  Art  und  Größe  dieses  Planes  hätte 
man  nun  ohne  weiteres  annehmen  sollen,  daß 
mit  seiner  genauen  Aasführung  die  Frage  nach 
der  Verwendbarkeit  der  Borpräparate  eindeutig 
gelöst  wäre.  Daß  dies  jedoch  nicht  der  Fall 
ist,  wird  deutlich  durch  eine  soeben  erschienene 


Broschüre  von  0.  Liebreich:  „Zur  Frage  der 
Borwirkung,  eine  Kritik  des  Dr.  Wiley  sehen  Be- 
richtes an  das  amerikanische  Ackerbaumini- 
sterium", bewiesen.  Die  außerordentlich  beweis- 
kräftigen Einwände  Liebreichs  gegen  ver- 
schiedene der  Wiley  sehen  Resultate  leiten  sich 
zum  Teil  aus  einer  kritischen  Sichtung  des 
amerikanischen  Materials  her,  während  ein  an- 
derer Teil,  welcher  hauptsächlich  die  Versuchs- 
anordnung im  allgemeinen  kritisiert,  aus  den 
Eindrücken  entsprungen  ist,  welche  Liebreich 
an  Ort  und  Stelle  der  Versuche,  das  ist  in 
Washington  selbst,  gewonnen  hat. 

Was  die  ganz  allgemeine  Anordnung  der 
Versuche  betrifft,  so  tadelt  Liebreich  in  erster 
Linie  die  Mangelhaftigkeit  der  für  wirklich  aus- 
schlaggebende Versuche  im  weitesten  Umfange 
nötigen  fortdauernden  ärztlichen  Beobachtung 
der  Versuchspersonen.  Es  berührt  höchst  merk- 
würdig, wenn  wir  erfahren,  daß  für  die  Fest- 
stellung der  Allgemeinwirkung  einer  Substanz 
wie  der  Borsäure,  der  man  schon,  allerdings 
durch  keinerlei  Beweise  gestützt,  die  Verant- 
wortung für  die  verschiedenartigsten  Störungen 
des  Befindens  der  Konsumenten  zur  Last  legen 
wollte,  eine  alle  1 0  Tage  vorgenommene,  20  Minuten 
dauernde  ärztliche  Inspektion  ausreichen  soll. 

Ein  anderer  Punkt,  welcher  auf  den  ersten  Ein- 
druck natürlich  einen  großen  Vorzug  der  Wiley- 
schen  Untersuchung  vor  den  meisten  anderen  zu 
bedeuten  scheint,  nämlich  der,  daß  seine  Resul- 
tate nicht  am  Tier,  sondern  am  Menschen  selbst 
gewonnen  sind,  birgt,  wie  Liebreich  betont, 
andererseits  eine  im  Tierversuche  nicht  vorhandene 
Fehlerquelle  in  sich:  das  ist  das  psychische 
Moment.  Während  die  natürlich  stets  zuun- 
gunsten der  untersuchten  Substanz  ausfallende 
psychische  Beeinflussung  der  Resultate  nur  dann 
völlig  ausgeschlossen  werden  kann,  wenn  die 
betreffende  Versuchsperson  bei  absolut  unver- 
änderter Lebensweise  von  der  Anstellung  des 
mit  ihr  vorgenommenen  Versuches  möglichst 
wenig  merkt  und  absolut  nicht  in  irgend  welchen 
Lebensgewohnheiten  oder  kleinen  Bequemlich- 
keiten dadurch  behindert  wird,  so  kann  man 
Wiley  nicht  den  Vorwurf  ersparen,  daß  er 
diese  Faktoren  ziemlich  außer  acht  gelassen  hat. 
Schon  der  von  jedem  Teilnehmer  des  Bortisches 
zu  unterschreibende  Revers,  in  dem  sich  z.  B. 
das  Department  of  Agriculture  dagegen  ver- 
wahrt, für  Krankheiten  oder  Unfälle  der  Tisch- 
genossen während  der  Versuchszeit  haftbar  ge- 
macht zu  werden,  kann  bei  einigermaßen  nervösen 
Personen  —  und  solche  dürften  wohl  in  einer 
amerikanischen  Großstadt  wie  in  andern  Groß- 
städten reichlich  vorhanden  sein  —  ein  gewisses, 
das  Allgemeinbefinden  gerade  nicht  günstig  beein- 
flussendes Moment  auslösen.  Ganz  besonders 
aber  ist  die  Lage  und  Art  des  Speiseraumes,  in 
dem  die  betreffenden  Personen  längere  Zeit  hin- 
durch verpflichtet  waren,  ihre  Mahlzeiten  einzu- 
nehmen, und  dessen  genauere  Beschreibung  wir 
erst  der  von  Liebreich  vorgenommenen  Lokalin- 
spektion verdanken,  durchaus  geeignet,  eine  Ver- 
minderung des  Appetits  und  somit  auch  Stoff- 
wechselveränderungen hervorzurufen.  Es  genüge 
hier,    daß    der    Speisesaal    des    Bortisches    ein 


656 


Literatur. 


["Therapeutische 
L   Monatshefte. 


Souterrainraum  in  einem  Laboratorium gebäude 
•  war,  der  nach  seiner  Lage  zu  benachbarten  Räumen 
unfehlbar  mit  einem  Gemisch  von  chemischen, 
Schmieröl-  und  Küchendünsten  parfümiert  sein 
mußte. 

Ein  weiterer  von  Liebreich  gerügter  Fehler 
ist  die  Art  der  Bordarreichung.  Diese  goschah 
in  der  Art,  daß  das  Mittel,  dessen  Bekömmlich- 
keit in  geringen  Zusätzen  zur  Gesamtnahrung 
erprobt  werden  sollte,  entweder  in  Gelatine- 
kapseln oder  in  einem  kleinen  Teile  der  Gesamt- 
nahrung, in  Milch  oder  Butter  gelöst,  gegeben 
wurde.  Daß  die  hierbei  entstehenden  außer- 
ordentlich hohen  und  durchaus  den  in  praktischen 
Verhältnissen  gegebenen  entsprechenden  Kon- 
zentrationen der  Borsäure  im  Magen  zu  keinen 
gastrointestinaien  Heizungen  geführt  haben,  muß 
als  ein  neuer  Beweis  für  die  Unschädlichkeit  der 
Borate  angesehen  werden. 

Sind  nun  durch  diese  Faktoren  die  manchmal 
beobachteten  höchst  minimalen  Schädigungen  des 
Allgemeinbefindens  der  Bortischgenossen,  auch 
selbst  dann,  wenn  man  keine  äußeren  Zufälligkeiten 
annehmen  will,  als  ausreichend  begründet  anzu- 
sehen, so  genügen  einige  weitere  Tatsachen,  wie 
z.B.  die,  daß  die  Vorperioden  stets  zu  kurz  waren, 
als  daß  sie  die  wirklich  zum  Gleichgewichts- 
zustande für  die  betreffenden  Personen  notwendige 
Nahrungsmenge  ergeben  konnten,  um  im  Zu- 
sammenhange mit  dem  vorher  Gesagten  die  außer- 
ordentlich geringe  Gewichtsabnahme,  welche  beob- 
achtet wurde,  erklären  zu  können.  Ohne  hier 
des  näheren  auf  die  Einzelheiten  der  vorgenom- 
menen Stoffwechseluntersuchungen  eingehen  zu 
wollen,  genüge  die  Aufführung  folgender  Tat- 
sache, um  ihre  mangelnde  Beweiskraft  völlig 
klarzulegen: 

Gerade  bei  einem  so  komplizierten  Stoff- 
wechselvorgang, wie  es  die  Änderung  der  Phos- 
phorsäurebilanz des  Körpers  ist,  welche  Sub- 
stanz ja  so  viele  Quellen  und  Reservoire  im 
Körper  hat  wie  kaum  eine  andere,  können  nur 
dann  einwandsfreie  Resultate  erhalten  werden, 
wenn  mit  der  minutiösesten  Genauigkeit  auf 
gleichmäßige  Zufuhr  in  den  einzelnen  Perioden 
geachtet  wird. 

Da  nun  aber  bei  der  Wiley sehen  Unter- 
suchung in  den  verschiedenen  Perioden  ganz 
verschiedene  Mengen  Phosphor  zugeführt 
wurden,  ist  es  durchaus  unerlaubt,  bei  einer 
solchen  Anordnung  die  Borsäure  dafür  verant- 
lich  zu  machen,  daß  ab  und  zu  eine  höhere 
Ausscheidung  eintrat.  Ganz  besonders  aber  wird 
dieses  Resultat  dadurch  hinfällig,  daß  Wiley  es 
aus  einer  prozentischen  Rechnung  ableitet,  und 
zwar  einer  Rechnung,  welche  sowohl  bei  posi- 
tiver wie  negativer  Phosphorbilanz  in  den  Vor- 
perioden gleichmäßig  angestellt  wurde.  Obgleich 
dieser  Faktor  genügen  würde,  die  sogenannte 
vermehrte  Phosphorsäureausgabe  durch  Borpräpa- 
rate hinfällig  zu  machen  und  somit  diese  einzige 
beunruhigende  Angabe  von  Wiley  völlig  zu 
entkräften  —  seine  Angaben  über  den  Stickstoff- 
Stoffwechsel  ergeben  nämlich  keinerlei  Resultate, 
da  sogar  in  einigen  Fällen  bei  Bordarreichung  eine 
Verbesserung  der  Stickstoff bilanz,  die  allerdings 
von  Wiley  als  Störung  bezeichnet  wird,   beob- 


achtet wurde  —  unterzog  sich  Liebreich  doch 
noch  der  Mühe,  jede  der  einzelnen  Wiley  sehen 
Phosphortabellen  einzeln  zu  kritisieren;  und 
hierbei  ergab  sich,  daß  das  Sinken  und  Steigen 
der  Phosphorausscheidung  in  keinerlei  Verbindung 
mit  der  Menge  und  Dauer  der  Bordarreichung 
stand.  Berechnung  der  Kalorienwerte  gibt  Wiley 
selbst  als  nicht  entscheidend  an. 

Wir  sehen  also,  daß  die  Wiley  sehen  Ar- 
beiten im  Gegensatz  zu  den  Schlußfolgerungen, 
welche  der  Autor  selbst  aus  ihnen  zieht,  nichts 
weiter  beweisen,  als  daß  die  Borsäure  keinerlei 
irgendwie  merkliche  Einflüsse  auf  den  Stoff- 
wechsel und  auf  das  Allgemeinbefinden,  welches, 
wie  Wiley  selbst  angibt,  nach  Beendigung  des 
Gesamtversuches  bei  den  meisten  Personen  besser 
war  als  vorher,  ausübt,  ein  Resultat,  welches 
mit  dem  von  Rosenheim  und  Tunnicliffe  bei 
einer  ähnlichen  Untersuchung  gefundenen  durch- 
aus übereinstimmt.  Wir  können  daher  nur  immer 
wieder  unser  Bedauern  darüber  aussprechen,  daß 
durch  das  Verbot  einer  solchen  Substanz  der 
Genuß  von  auf  unschädliche  Weise  konservierten 
Fleischwaren  unmöglich  gemacht  wird. 

Th.  A.  Maass. 

Dr.  Jessiiers  dermatologische  Vorträge  für 
Praktiker.  Heft  13:  Die  Schuppenflechte 
(Psoriasis  vulgaris)  und  ihre  Behand- 
lung. Würzburg,  A.  Stubers  Verlag  (C.  Ka- 
bitzscb),  1904.    Preis  M.  0,60. 

.  Von  den  bekannten  dermatologischen  Vor- 
trägen für  Praktiker  ist  jetzt  Heft  13  erschienen. 
Jeßner  behandelt  in  demselben  die  Schuppen- 
flechte.  Die  Vorzüge,  die  wir  an  den  früheren 
Vorträgen  rühmten,  zeichnen  auch  die  vorliegende 
Monographie  aus:  Klarheit  der  Darstellung,  Er- 
schöpfung des  Stoffes,  soweit  der  vorliegende 
Zweck  erreicht  werden  soll.  Bemerkenswert  ist, 
daß  auch  der  Verf.  der  Lichttherapie  keine  allzu 
große  Bedeutung  beilegt,  da  weder  Lichtbäder 
noch  Röntgenstrahlen  Rezidive  der  Psoriasis  zu 
verhindern  vermögen;  mehr  spezifische  Licht- 
wirkung läßt  sich  von  den  Bogenlichtbädern  er- 
warten; aber  bisher  liegen  zuverlässige  Mit- 
teilungen über  auf  diesem  Wege  erzielte  Heilung 
der  Psoriasis  nicht  vor. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Adam  und  Eva.  Ein  Beitrag  zur  Klärung 
der  sexuellen  Frage.  Von  Dr. med. L.Wolf t, 
Karlsruhe.    Seitz  und  Schauer,  München. 

Die  allgemeine  Bedeutung,  die  der  sexuellen 
Frage  durch  Erziehung,  gesellschaftliches  und 
soziales  Leben,  Kunst  und  Wissenschaft  zukommt, 
läßt  sie  weder  vom  rein  medizinischen  noch  vom 
moralischen  Standpunkte  allein  beantworten;  sie 
berührt  den  ganzen  Menschen  und  soll  deshalb 
auch  von  allgemein  menschlichen  Gesichts- 
punkten aus  betrachtet  werden.  Der  Verfasser 
sucht  diesen  Forderungen  gerecht  zu  werden, 
indem  er  die  Entwicklungsideen  der  antiken 
wie  modernen  Welt  sowie  die  Psychologie  in 
den  Kreis  seiner  Betrachtungen  zieht;  ferner 
aber  auch  soziale  Verhältnisse  wie  Ehe,  Prosti- 
tution und  das  ganze  gesellschaftliche  Leben 
berücksichtigt.    Das  Resultat  ist  die  Erkenntnis, 


Degerober  1905.J 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


657 


daß  wir  uns  in  einem  Durchgangsstadium  be- 
finden, in  dem  noch  Toleranz  in  sexuellen  Dingen 
am  Platze  ist.  Das  Dogma  der  sexuellen  Un- 
fehlbarkeit steht  in  seiner  Verlogenheit  im 
krassen  Gegensatz  zu  seiner  selbstgefälligen 
Hohe.  Die  Sicherheit  auf  sexuellem  Gebiete 
verschafft  sich  nur  derjenige,  der  die  sinnliche 
Spannung  durch  geistigen  Genuß  zu  verdrängen 
weiß.  —  Das  Buchlein,  das,  wie  angedeutet, 
viele  Fragen  anschneidet,  verrät  eine  außer- 
ordentliche Vielseitigkeit  des  Verf.  und  gibt  zu 
mannigfachen  Erwägungen  Anlaß. 

Edmund  Saalfeld  (Berlin). 

Werden  und  Vergehen.  Eine  Entwicklungs- 
geschichte des  Naturganzen  in  gemeinverständ- 
licher Fassung  von  Garus  Sterne.  Sechste 
neubearbeitete  Auflage,  herausgegeben  von 
Wilhelm  Bö  Ische.  Zwei  Bände.  Mit  zahl- 
reichen Abbildungen  und  Tafeln.  Berlin, 
Gebrüder  Bornträger. 

In  sechster  Auflage  liegt  nunmehr  das  Werk 
über  Entwicklungsgeschichte  Werden  und  Ver- 
gehen vor,  das  wie  kein  anderes  allgemeine 
Beliebtheit  und  weite  Verbreitung  gefunden  hat. 
Zum  ersten  Mal  zeichnet  als  Herausgeber  nicht 
mehr  Carus  Sterne,  sondern  Wilhelm 
Bölsche.  Und  wahrlich,  das  Erbe  von  Carus 
Sterne  konnte  keinem  Würdigeren  anvertraut 
werden  als  gerade  ihm.  Hat  doch  gerade 
Bölsche  sich  in  zahlreichen  Schriften,  die 
ebenso  wie  Werden  und  Vergehen  sich  an  breite 
Schichten  des  Volkes  wenden,  als  meisterhafter 
Darsteller  naturgeschichtlicher  Vorgänge  erwiesen. 
Um  so  mehr  ist  es  anzuerkennen,  daß  die  neue 
Bearbeitung  die  uns  lieb  gewordene  Darstellung 
der  Entwicklungsgeschichte  Carus  Sternes 
pietätvoll  wahrt.  Selbst  dort,  wo  die  Auffassung 
Bölsches  von  dem  Werdegange  in  der  Natur 
von  der  Stern  eschen  Anschauung  abweicht,  ist 
letztere  beibehalten  worden,  sofern  nicht  die 
neueren  wissenschaftlichen  Forschungen  eine 
Änderung  erfordern.  So  beschränkt  sich  denn 
die  Tätigkeit  des  Bearbeiters  mehr  auf  ein 
Sichten  und  Ordnen  des  Stoffes  sowie  auf  Be- 
seitigung von  Irrtümern  und  Widersprüchen,  so 
daß  das  Werk  wieder  wie  aus  einem  Guß  ver- 
faßt erscheint.  Die  Verlagsbuchhandlung  hat 
auch  die  neue  Auflage  aufs  sorgfältigste  aus- 
gestattet. Die  zahlreichen  Textillustrationen  und 
Tafeln  tragen  wesentlich  zum  leichteren  Ver- 
ständnis bei.  Eine  Reihe  von  Tafeln  sind  neu 
aufgenommen.  Besonders  erwähnt  seien  die 
astronomischen  Tafeln  von  Archenhold,  die 
paläobotanischen  Abbildungen  von  Potonie 
und  die  Tafel  Rotalgen  von  Gilg. 

Möge  das  Werk,  das  jetzt  zur  Weihnachts- 
zeit in  neuem  schmucken  Gewände  erscheint, 
als  willkommenes  Geschenkwerk  auch  unter  der 
heranwachsenden  Generation  Neigung  und  Sinn 
für  die  Naturerkenntnis  erwecken,  gleichwie  die 
früheren  Auflagen  in  der  älteren  Generation 
zahlreiche  Freunde  sich  erworben  und  dem 
Studium  der  Naturvorgänge  zugeführt  haben. 

Jacobson, 


Praktische  Notizen 

und 

empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


Zur  Therapie  der  diphtherischen  Larynxstenose. 

Der  in  meiner  Arbeit  (s.  dieses  Heft  S.  622) 
empfohlene  Kokain -Adrenalinspray    lautet    nach 
E.  J.  Moure: 
Rp.    Cocaini  hydrochlorici       0,12—0,20 
Sol.  Adrenalin,  hydrochloric. 

(l%o).  2,65 

Antipyrini  4,0 

Glycerini 

Aq.  Menthae  pip.  aa     24,0 

Aq.  destillatae  ad     180,0 

M.  D.  S.    Als  Spray  3—4  mal  täglich 

zu  gebrauchen. 
Diesen  Spray  empfahl  Moure  zur  Behand- 
lung    der     ödematösen     Form     der     Laryngitis 
Influenza-Kranker  (cf.  Medizinische  Klinik  1905, 
No.  45,   S.  1149).  Hecht  (Beuthen  O.-Schl.J. 

Bei  Angina   und  Ähnlichen  schmerzhaften  Hals- 
affektionen 

hat  Strzyzowski  in  Lausanne  (Eigene  Mit- 
teilung) die  folgende  Verordnungsweise  sehr 
bewährt  gefunden: 

Rp.       Tinct.  Ratanhiae     30,0 

Chloroformii  5,0 

Olei  Salviae  1,0    " 

M.  D.  S.    Äußerlich.    20—30  Tropfen  auf  74  Glas 

recht  warmen  Wassers  zum  Gurgeln.    (Das 

Gurgelwasser  jedesmal  frisch  zu  bereiten.) 

Anästhesin  gegen  Erbrechen 
verwendet  E.  Reiß  (Therapie  der  Gegenwart, 
Oktober  1905,  S.  458).  Von  Nutzen  ist  es 
allerdings  nur  dann,  wenn  das  Erbrechen  reflek- 
torisch von  der  Magenwand  erzeugt  wird;  es 
versagt,  wenn  das  Erbrechen  durch  Erregung 
zentraler  Gebiete,  wie  nach  Apomorphininjek- 
tionen  und  bei  Seekrankheit  verursacht  wird. 
Dreimal  tägliche  Dosen  von  0,5  g  genügen,  um 
bei  akuten  und  chronischen  Magenkatarrhen  Er- 
brechen (und  auch  Schmerzen)  zu  beseitigen;  nur 
bei  sehr  heftigem  Brechreiz  ist  Darreichung  von 
0,5  g  alle  15  Minuten  erforderlich.  Anästhesin 
wird  am  besten  in  Pulverform  und,  um  die 
Anäthesie  der  Zunge  und  des  Gaumens  zu  ver- 
meiden, in  Oblaten  gereicht;  Tabletten  sind  un- 
zweckmäßig, da  sie  oft  nicht  aufgelöst  werden 
und  durch  mechanische  Reizung  das  Erbrechen 
verstärken..  Anästhesin  läßt  sich  ferner  auch 
verwerten,  um  die  Einnahme  anderer  Medika- 
mente oder  auch  Nahrungsmittel  zu  ermöglichen, 
wenn  andauerndes  Erbrechen  dies  verhinderte. 
Obgleich  die  Seekrankheit  auf  zentraler  Erregung 
des  Brechzentrums  beruht,  so  wirkt  doch  An- 
ästhesin in  prolongierten,  schweren  Fällen  oft  aus 
dem  Grunde  günstig  ein,  weil  durch  die  anfäng- 
lichen krampfhaften  Kontraktionen  ein  Magen- 
katarrh hervorgerufen  wird.  Bei  Erbrechen  der 
Schwangeren  versagt  das  Mittel,  wenn  der  Magen 
intakt,  und  das  Erbrechen  reflektorisch  vom 
Uterus  ausgelöst  wird. 


658 


Praktische  Notizen  und  empfehlenswerte  Arzneiformeln. 


["Therapeutisch* 
L   Monatshefte. 


Zur  Verhütung  des  Erbrechens   bei  Bandwurm- 
kuren 

sei  es  nach  Gebrauch  von  Cortex  Radicis  Gra- 
nati, Flores  Koso  oder  Extractum  Filicis  maris 
schlagt  Apolant  (Deutsche  med.  Wochenschr. 
No.  44,  11)05)  die  Darreichung  von  Menthol  vor. 
Eine  Viertel-  bis  eine  halbe  Stunde  vor  dem 
Einnehmen  des  ßandwurmmittels  werden  1  bis 
2  Pulver  aus  Menthol  und  Saccharum  lactis 
ü  0,3  gereicht.  Durch  dieses  einfache  Verfahren 
läßt  sich  das  Erbrechen  sicherer  als  durch  das 
übliche  Verordnen  von  schwarzem  Kaffee,  Kognak, 
Zitronensaft  oder  Pfefferminzplätzchen   verhüten. 

Gegen  Ischias 

sind  subkutane  Injektionen  von  Strychnin  von 
Retivov  (Vratchebnaya  Gazetta  22,  1905;  nach 
Les  Nouv.  Remedes  8.  Octbr.  1905)  in  9  Fällen 
mit  überraschend  günstigem  Erfolge  in  An- 
wendung gebracht  worden.  Retivov  injizierte 
täglich  0,01 — 0,02  g  Strychnin  in  die  Gegend 
der  schmerzhaften  Punkte.  Während  die  vorher 
verordneten  Mittel  sich  wirkungslos  zeigten, 
besserte  sich  die  Ischias  in  allen  Fällen  bald 
nach  deu  Strychnininjektionen. 

Oegen  Enuresis  nocturna 

bei  einem  5jährigen  Mädchen  hat  Schumann 
(Fortschritte  der  Med.  18,  1905)  Bornyval  mit 
Erfolg  verabreicht.  Er  gab  der  kleinen  Patientin 
dreimal  täglich  eine  Bornyvalperle  (a  0,25  g) 
und  schon  vom  vierten  Tage  an  blieb  das  Nässen 
dauernd  weg. 

Zur  Behandlung  eingeklemmter  Brüche 
empfiehlt  Oberstabsarzt  Dr.  Brix  in  Posen 
(Deutsche  med.  Wochenschr.  1905,  No.  27)  auf 
Grund  mehrerer  von  ihm  behandelter  Fälle 
behufs  ^  Reposition  eingeklemmter  Brüche  statt 
Äther  Äthylchlorid  zu  verwenden,  weil  es  schneller 
und  intensiver  verdunstet  wie  der  Äther,  und 
dadurch  eine  bedeutend  stärkere  Kältewirkung, 
Blutleere,  Erweiterung  des  Bruchringe»  und  Ver- 
kleinerung der  Geschwulst  erzielt  wird.  Es  ist 
namentlich  in  den  Fällen  von  Wert,  wo  die 
Operation  nicht  angängig  ist  oder  verweigert 
wird,  und  kann  nötigenfalls  auch  dem  Patienten 
in  die  Hand  gegeben  werden. 

Kaliumpermanganat  als  lokales  Haemostaticum 

empfiehlt  H.  Vörner  (Münchener  med.  Wochen- 
schrift No.  88,  1905,  S.  1826)  bei  lebhaften 
Blutungen  nach  kleinen  Operationen.  Nach  kurz- 
dauerndem Komprimieren  der  blutenden  Stellen 
mittels  Tupfers  wird  Kaliumpermanganat  in 
Pulverform  oder  besser  als  Paste  appliziert  und 
fest  angedrückt.  Bei  stärkeren  Blutungen  ist 
die  Manipulation  ev.  mehrmals  zu  wiederholen. 
Die  Braun-  oder  Schwarzfärbung  der  betreffenden 
Stellen  läßt  sich  an  sichtbaren  Körperpartien 
durch  Zinkpflaster  verdecken.  Der  einzige  Nach- 
teil dieser  sicheren  und  billigen  Methode  be- 
steht in  leichtem  Brennen,  das  bei  empfindlichen 
Patienten    durch    voraufgehende   anästhesierende 


Injektion  oder  durch  Auflegen  eines  Körnchens 
Kokain  vermieden  werden  kann.  Einen  Über- 
schuß der  Paste  entfernt  man  mit  Olivenöl, 
nicht  mit  Wasser,  da  durch  Lösung  leicht  wieder 
Blutung  zustande  kommt.  Eine  Infektion  ist  bei 
der  stark  antiseptischen  Wirkung  des  Kalium- 
permanganats nicht  zu  befürchten. 

Konzentrierte  Karbolsäure 

ist  nach  den  Erfahrungen  Vörners  (Münchener 
med.  Wochenschr.  No.  42,  1905,  S.  2017)  ein 
geeignetes  Mittel  zur  lokalen  Behandlung  von 
Skrophuloderma  und  Furunkulose.  Die  an 
Skrophuloderma  erkrankten  Hautpartien  werden 
bis  zu  8  Tagen  hintereinander  täglich  einmal 
mit  einer  konzentrierten  Auflösung  von  reiner, 
kristallisierter  Karbolsäure  in  absolutem  Alkohol 
—  diese  Lösung  ist  wirksamer  als  Acidum 
carbolicum  liquef actum  und  dunkelt  nicht  nach  — 
touchirt,  wobei  das  abgestorbene  Gewebe  mit 
dem  scharfen  Löffel  entfernt  wird.  Unter  in- 
differentem Salben  verbände  tritt  bald  glatte 
Heilung  ein. 

Bei  der  Furunkulose  werden  unerweichte, 
kleinere  Knoten  im  Zentrum  mit  der  alkoholi- 
schen Karbolsäurelösung  betupft,  bei  größeren 
Knoten  touchirt  man  mittels  Nadel  oder  Sonde 
die  zentral  gelegenen  Haarbälge  resp.  Talgdrüsen- 
öffnungen. Ist  ein  zentraler  Kanal  vorhanden, 
so  wird  das  Instrument  möglichst  tief  eingeführt. 
Erweichte  Knoten  werden  durch  einen  Einstich 
hindurch  tuschiert.  Je  nach  Größe  der  Knoten 
genügt  einmalige  Touchirung  oder  wiederholte 
Behandlung  (bis  zu  8  Tagen).  Bei  erheblicher 
Schwellung  werden  Umschläge  appliziert,  dann 
folgt  ein  Verband  mit  Bor-  oder  Silbernitrat- 
Salbe. 

Für  die  Behandlung  der  Hyperhidrosis  der  Füße, 
der  Hände,  der  Achselhöhlen  und  der  Leisten- 
gegend 

empfiehlt  Lengefeld  (Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 36,  1905)  ein  neues  Aluminiumacetat, 
das  die  Bezeichnung  „Lenicet"  erhalten  hat. 
Dasselbe  hat  die  Form  eines  feinen,  voluminösen, 
weißen  Pulvers,  das  sich  nur  wenig  löst  und 
ungiftig  ist.  Lenicet  stellt  eine  kondensierte, 
wasserfreie  Form  des  in  der  essigsauren  Tonerde* ' 
Solution  gelösten  Aluminiumacetats  dar,  mit 
einem  Essigsäuregehalt  von  70Proz.  und  einem 
Aluminiumoxydgehalt  von  30  Proz.  Es  ist  nicht 
zu  verwechseln  mit  dem  bekannten  Aluminium 
aceticum  siecum,  das  leicht  löslich  und  wasser- 
haltig ist.  Das  Präparat  kam  in  der  Poliklinik 
für  Hautkrankheiten  des  Dr.  Max  Joseph  in 
Berlin  sowohl  rein  als  auch  mit  Talkum  ver- 
mischt zur  Anwendung.  Die  Patienten  mußte» 
den  Puder  zweimal  täglich  an  den  erkranktem 
Stellen  in  die  Haut  einreiben.  Die  austrocknende 
und  zugleich  desodorierende  Wirkung  des  Lenicets 
machte  sich  in  der  Regel  sehr  rasch  bemerkbar. 
Anfänglich  wurde  das  un vermischte  Lenicet  be- 
nutzt, doch  fand  sich  bald,  daß  30 — 50  proz. 
Puder  vollkommen  ausreichten. 


Namen-Register. 

(Di«  fettf*dniekt«n  Zahlaii  bMciohnen  Original-Abhandlung«.) 


Albarran,  Prostatahypertrophie  581 
—  Chirurgische  Nierenaffektionen 
683. 

Albere  -  Schönberg,  Wirkung  der 
Röntgenstrahlen  auf  den  Tierorga- 
nismus 48. 

Alexander,  Lumbalpunktion  429. 

Allard,  Theocinvergiftung  150. 

Alt,  Sohilddrüsenbehandhing  des  Myx- 
ödems 104. 

Altdorfer,  Erlebnis  mit  Wasserstoff- 
superoxyd 275. 

Altmann,  epidemische  Genickstarre 
587. 

Anders,  Blotverandernng  nach  Äther- 
anasthesie  378. 

Anschütz,  Leberresektion  267. 

Arnstein,  Polyarthritis  rheamsüca  429. 

Aufrecht,  Nene  Säuglingsflasohe  619. 

Aufechleger,  Hemichorea  152. 

B&cker,  Chininom  snlforicum  267. 

Baer,  Untersuchungen  über  Acidose 
151. 

Baülenl,  Gollargol  bei  Septikämie  376. 

Baisch,  Drüsenausriomang  bei  Uterus- 
karzinom  825. 

Bandelier,  Laparotomie  bei  Bauchfell- 
tuberkulöse  533. 

Bardach,  Arsen -Ferratose  406. 

Bargebuhr,  Aristoohin  bei  Keuchhusten 
150. 

Barker,  Lokal -Anasthesie  107. 

Barr,  Behandlang  seröser  Ergüsse  142. 

Bashford,  Krebswachstum  591  —  Sta- 
tistische Untersuchungen  über  Krebs 
692. 

Baumann,  Konservierung  der  Milch 
durch  Wasserstoffsuperoxyd  536. 

Bayer,  Behandlang  der  kroupösen 
Pneumonie  579. 

Bazy,  Pollakuria  nocturna  584. 

Beattie,  Micrococcus  rheomaticns  868. 

Beck,  Carl,  Exzisions-  and  Röntgen- 
therapie des  Morbus  Basedowii  532. 

Becker,  Fetronpriparate  298. 

Beckmann,  Eindringen  der  Tuberkel- 
bazillen  160. 

Beerwald,  Wert  des  Fleischextraktes 
486  —  Bornyval  638. 

Beilin,  Operationsregeln  bei  akuter, 
eitriger  Meningitis  373. 

Berliner,  Vergiftung  mit  Chloralhydrat 
51. 

Berlioz,  Narcyl  539. 

Bettmann,  Abortivbehandlung  der 
Gonorrhöe  216. 

Bibrowicz,  Arbeiterneurasthenie  592. 

Biedert,  Sanglingsernahrong  699. 

Bier,  Gelenktaberkolose  642. 

Binkerd,  Petroleum  als  Heilmittel  150. 

Blanc,  Pyramidon  484. 


Blum,  Tuberkulosebekämpfung  320  — 
Olivenöl  bei  Magenkrankheiten  376. 

Blumenthal,  Antituberkulöse  Propa- 
ganda 474. 

Boelsche.  Werden  and  Vergehen  657. 

Bogdan  ei,  Blasen eröffnnng  und  Schnür- 
naht 436. 

Bornemann,  Erblindung  nach  Atoxyl- 
injektion  439. 

Boß,  Bornyval  211. 

Boston,  Blotverandernng  nach  Äther- 
an&sthesie  878. 

Bota6,  Dermatitis  durch  ein  Haar- 
färbemittel 488. 

Brauer,  Einfloß  der  krankenversor- 
gung  auf  die  Tuberkulosebekämpfung 
146,  371  —  Anzeig erecht,  Anzeige- 
pflicht und  Morbiditätsstatistik  871. 

Bregman,  Sehnenreflexe  bei  Tabes 
479. 

Broca,  Gelenktaberkolose  642. 

Brüning,  Rohe  oder  gekochte  Milch? 
594. 

Bragger,  Spiritusverbande  648. 

Bryant,  öaeme  nach  Kochsalzgenuß 
652. 

Büchmann,  Phosphorstoffwechsel  322. 

Bürkner,  Paracentesenfrage  481. 

Born,  Lexikon  der  physikalischen 
Therapie  490. 

Barchard,  Sanoform  378. 

Barckbardt,  Vererbung  der  Disposition 
zur  Taberkolote  319. 

Barger,  Seeale  cornutum  214  —  Bal- 
samom  peruvianum  877. 

Borloreaux,  Was  ein  Mädchen  wissen 
soll  490. 

Burwinkel,  Ursache  and  Bekämpfung 
der  Gicht  272. 

Basohke,  Spirochaeten  in  inneren 
Organen  654. 

Buttersack,  Urotropin  gegen  Scharlach- 
nephritis  107  —  Mangel  in  der 
psychischen  Konstitation  unserer  Zeit 
210. 

Cahn,  Klistierverletsungen  44. 

Cannaday,  Natrium  bisulfuricum  bei 
Typhös  433. 

Cantaa,  Epidurale  Behandlang  der 
Harninkontinenz  380. 

Cardenal,  Chirurgische  Magenaffek- 
tionen 642. 

Casper,  Irrigationscrstoskop  479  — 
Lehrbuch  der  Urologie  543. 

Cbantemesse,  Serotherapie  des  Typhus 
41. 

Chatiniere,  Präventivbehandlung  der 
Taberkolose  371. 

Chevalier,  Succub  Valerianae  44. 

Chiene,  /9-Eukain  und  Adrenalin  45. 

Christophers,  Malariaprophylaxe  149. 


Christomanos,  Colica  intestini  ooeci 
432. 

Clemm,  Zellmast  27  —  Gallenstein- 
krankheit 157. 

Cnyrim,  Ethische  Forderung  im  Ge- 
schlechtsleben 542. 

Cohn,  Zahnheilknnde  442. 

Colasnono,  Hornhaotgeschwür  109. 

Comby,  Hämorrhoiden  bei  Kindern 
824. 

Cornelias,  Nervenmassage  227. 

Coston,  Hamamelis  virginica  486. 

v.  Crippa,  Gynochrysma  Hydrargyri 
653. 

Croner,  Kreosottherapie  der  Lungen- 
schwindsucht 40  —  Problem  der 
Ätiologie  der  Tabes  257. 

Cykowslu,  Behandlung  der  Eklampsie 
476. 

Cyriax,  Mechanische  Behandlung  nach 
Kellgren  161. 

Czerny,  Haasliche  Behandlung  der 
Tuberkulose  39  —  Chirurgische 
Magenaffektionen  642. 

Deaver,  Leberdrainage  213. 

Debono,  Narcyl  539. 

De  Busscher,  Morphiumentgiftung 
durch  Kaliumpermanganat  593. 

Delageniere,  Prostatahypertrophie  581. 

Delbanco,  Kasein -Albnmoseseife  215. 

Dempel,  Phenosal  bei  Kehlkopftuber- 
kulose 165. 

Denker,  Otosklerose  274  —  Heufieber 
645. 

Denuce,  Wasserzufuhr  bei  Chloroform- 
narkose 218. 

Depag e,  Wert  der  Blutuntersuchung 
in  der  Chirurgie  629. 

Dewar,  Jodoforminfusion  bei  Schwind- 
sacht 583. 

Döderlein,  Geburtshilflicher  Opera- 
tionskurs 490. 

Doerfler,  Verhütung  des  Puerperal- 
fiebers 635. 

Doberauer,  Behandlung  des  Erysipels 
143. 

Dopfer,  Tod  nach  Gebrauch  von  Bor- 
salbe 487. 

Dornblüth,  Verhütung  der  Cerebro- 
spinalmeningitis  586. 

Downie,  Paraffin  bei  Nasendeformi- 
tfiten  48. 

Drenkhahn,  Atropin  bei  Frauenkrank- 
heiten 57. 

Dreser,  Jotbion  376. 

Dreuw,  Hefeseifen  214. 

v.  Drigalski,  Genickstarre  645. 

Durig,  Serumbehandlung  des  Morbus 
Basedowii  582. 

Dumont,  Intravenöse  Injektion  von 
Merkursalzen  50. 


660 


Namen-Register. 


rniiamiiwiiiiiin 

L  MooJktadMfta. 


Ebstein,  Exodia  151  —  Jahresbericht 
Aber  Portschritte  in  der  innern 
Medizin  543  —  Gicht  und  Tuber- 
kulose 587. 

Eckstein,  Paraffinnasenplastik  48  — 
Yaselin  oder  Hartparaffinprothese 
154. 

Edel,  Wetterverhaltnisse  an  der  Nord- 
see 66. 

Ehrmann,  Neue  Form  der  Eisenver- 
ordnung 634. 

Eichhorst,  Digttalistberapie  148  — 
Quecksilbersepsis  383  —  Hygiene 
des  Herzen b  541. 

v.  Eiseisberg,  Chirurgische  Magen- 
affektionen 640. 

Eitelberg.  Behandlung  der  Mittelohr- 
entzündung 347. 

Elkan,  Heimstätten  und  Kampf  gegen 
Tuberkulose  371. 

Ellingwood,  Echinacea  angustifolia  647. 

EUis,  /9-Eukain  434. 

Elvjr,  Nitroglyzerin  486. 

Engel,  Unguentnm  Crede  bei  Sepsis 
pnerperalis  877. 

Escat,  Behandlung  der  Blutungen  nach 
Mandeloperationen  379. 

Esch,  Intravenöse  Hetolinjektionen  110 
—  Zur  Erkaltungsfrage  369. 

Escherich,  Beorderung  der  Brost- 
em&hrung  648. 

Esehle,  Krankhafte  Willensschwäche 
160. 

Euler,  Neuronal  168. 

JFauconnet,  Quecksilberglykosnrie  487. 

Feldmann,  Argentum  colloidale  bei 
Erysipel  211. 

Fischer,  B.,  Ausheilung  von  Lungen- 
kavernen 40. 

Fischer,  Spirochaeten  in  inneren 
Organen  654. 

Fleischer,  Medikamente  gegen  Dia- 
betes mellitus  497. 

Flesch,  Sirupus  Colae  comp.  Hell  150. 

Fließ,  Hartparaffininjektionen  bei 
Ozaena  47. 

Fo  erster,  Isopral  374. 

Fraenkel,  M.,  Antibtreptokokkenserum 
bei  Sepsis  105. 

Franca,  Behandlung  der  epidemischen 
Meningitis  587. 

Frank,  Alfred,  Perhydrol  213. 

Frank,  C,  Balsamum  peruyianum 
877. 

Frank,  E.  E.  W.,  Prostatahypertrophie 
531. 

Franke,  Erysipelbehandlung  143. 

Frater,  Ersatz  von  Substanzverlusten 
durch  Kaninchenhaut  652. 

Freudenberg,     Prostatahypertrophie 
530. 

Freudentbai,  Lungentuberkulose  und 
Erkrankungen  der  Nase  und  des 
Rachens  320. 

Freund ,  H. ,  Eukain  -  Adrenalin  -  An- 
ästhesie 107. 

Freund,  L.,  Hautveränderungen  nach 
Röntgenbestrahlung  652. 

Freund,  M.,  Stypticin  92. 

Freund,  R.,  Arznei  ex  an  them  nach  As- 
pirin 439  —  Digitalispräparate  603. 

Frey,  Wirkung  gechlorter  Alkohole 
374  —  Vermeidung  der  Nieren- 
reizung nach  Salizyl  593. 

v.  Frey,  Physiologie  161. 


Freymuth,  Tuberkulin  in  der  Heil- 
st ättenbehand  long  Tuberkulöser  474. 

Frick,  Liquor  sanguinalis  Krewel  76. 

Frieben ,  Hoden  Veränderung  nach 
Röntgenbestrahlung  155. 

Friedjung,  Natürliche  S&uglings- 
ernäbrung  648. 

Friedmann,  Tuberkulose- Immunisie- 
rung mit  Scbildkrötentuberkel- 
bazillen  263  —  Immunisierung  von 
Rindern  gegen  Tuberkulose  474. 

v.  Frisch,  Urologie  440. 

Fritsch,  Frauenkrankheiten  440  — 
Kunstlicher  Abort  476. 

Fuchs,  R.,  Flatulinpillen  314. 

Fürth,  Vergiftung  durch  Helleborus 
niger  487  —  Säuglings ernährung 
594. 

Craertner,  Viferral  143. 

Ganghofer,  Antistreptokokkenserum 
bei  Scharlach  321. 

Gans,  Bai  neologisch- diätetische  Be- 
handlung der  chronischen  Diarrhöen 
170. 

Galli-Valerio,  Entdeckungen  der  Para- 
sitologie  und  Hygiene  277  —  Iso- 
form 259  —  Verbreitung  und  Ver- 
hütung  der  Helminthen  339. 

Garlipp,  Urotropin  bei  Scharlach- 
Nepnritis  485. 

Garre,  Chirurgische  Magenaffektionen 
641. 

Gelpke,  Chirurgische  Behandlung  der 
chronischen  Nephritis  47  —  Chloro- 
formausscheidong  durch  den  Brech- 
akt 152. 

Gerber,  Kieferhöhlenbehandlung  536. 

Gerulanos,  Chirurgische  Magenaffek- 
tionen 642. 

Ghon,  Microcoocus  meningitidis  cere- 
brospinalis als  Erreger  von  Endo- 
karditis 367. 

Gilardoni,  Wirkung  bydriatischer 
Prozeduren  auf  die  Magensekretion 

Gilbert,  3.  ärztliche  Studienreise  543. 
Giordano,    Prostatahypertrophie    531 

—  Chirurgische    Nierenaffektionen 
584. 

Glücksmann,  Ösophagoskopie  479. 

Goldmann,  Einverleibung  von  Eisen 
durch  Iounktion  324  —  Mittel  gegen 
Diabetes  mellitus  637. 

Gold  scheid  er,  Diagnose  der  Nerven- 
krankheiten 53  —  Herzperkussion 
428. 

Goldsohmidt,  Chemische  Reaktionen 
im  Darmkanal  37. 

Goldstein,  Erhält  unser  Volk  genug 
Fleisch?  136  —  Duplik  140,  254 

—  Säuglingssterblichkeit  in  Preußen 
445. 

Goliner,     Condnrango-Elixier  219. 

Gottlieb,  Herzwirkung  des  Diphtherie- 
giftes 429. 

Gottstein,  Diphtherieepidemien  und 
-empfänglichkeit  517. 

Graßmann,  Morphium  bei  Herzkranken 
106. 

Grawitz,  Therapie  der  perniziösen 
Anämie  103. 

Graul,  Magen-,  Darm-  und  Konstitu- 
tionskrankheiten 542. 

Grosglik,  Diagnostischer  Wert  der 
Uroskopie  215. 


Groß,  Wert  der  Blutuntersuchung  in 
der  Chirurgie  529. 

Großmann,  Psychische  Störungen  nach 
Warzenfortsatzoperationen  480. 

Gruber,  Hygiene  und  Rassenentartung 
885. 

Grunert,  Otologie  441. 

Hackl,  Anwachsen  der  Geisteskranke» 
489  —  Für  Mutter  und  Kind  490. 

Hager,  Traggerüst  für  obere  Extremi- 
tät 539. 

Hall,  Blei  als  Abortivmittel  476. 

Hall-Edwards,      Dermatitis      nach 
Röntgenbestrahlung  155. 

Hallopeau,  Syphilisbehandlong  650. 

Hamburger,  Beförderung  des  Stillens 
der  Mutter  648. 

Hamilton,  Veratron  593. 

Hamm,    Behandlung    der    Kehlkopf- 
tuberkulose 358 

Hanel,    Antistreptokokkenserum    bei 
puerperaler  Sepsis  645. 

Hannecart,  Chirurgische  Nierenaffek- 
tionen 585. 

Hare,  Elektrolyse  bei  Aneurysmen  592. 

Harnack,    Tod    nach    Gebrauch,    von 
Borsalbe  487. 

de  la  Harpe,   Fangobehandlung  289 

—  Impfung  am  Fuß  330. 
Harrison,  Prostatahypertrophie  529. 
Hartmann,   Prostatahypertrophie  590 

—  Chirurgische  Nierenaffektionen 
585 — Chirurgische  Magenaffektionen 
641. 

Hayem,  Indikationen  für  Kefirgebrauch 
322. 

Hecht,  Cholelithiasis  172  —  Ender- 
matische  Applikation  von  Guajakol 
266  —  Fall  von  Icterus  tozicns 
269  —  Epidemische  Genickstarre 
in  Oberscblesien  333  —  Guajakol 
486  —  Diphtherische  Laryni- 
stenose  620,  657. 

Hecker,  Zuckerproben  175. 

Heer  mann,  Sauerstofftherapie  526. 

Heimann,  Indikationen  aar  Eröffnung 
des  Warzenforteatzes  480. 

Heinecke,  Wirkung  der  Radiumstrahlen 
auf  tierisches  (Jewebe  155. 

Heinrich,  Heidelbeerdekokt  596. 

Heinsius,  Heißlufttherapie  bei  Frauen- 
leiden 381. 

Hengge,  Gefahren  der  Scholtzeeehen 
Schwingungen  327. 

Henrich,  Maretin  124. 

Henrici,     Tuberkulose    des    Warzen- 
fortsatzes 479. 

Hempel,  Antithyreoidinserom  bei  Mor- 
bus Basedovrii  210. 

v.  Herff,    Opferung   des    Kindes   tun» 
Vorteil  der  Mutter  650. 

Herman,  Ovarialschmerz  436. 

Herz,  Chronische  Entzündungen  der 
Blinddarmgegend  116,  178. 

Heryng.  Kehlkopfkrankheiten  271. 

Herzfeld,    Behandlung    der   Kapillar- 
bronchitis 274. 

Heubner,  Badekuren   im  Kindesalter 
535. 

Hey m ans,  Experimentelle  Tuberkulös* 

•     370. 

Higier,  Röntgenstrahlen  im  Krieg  378. 

Hirsch,  A.,    Indikationen    für   Kefir- 
gebrauch 71. 

Hirsch,  Ugo,  Jothion  375. 


XIX  Jakrganff.1 
~  1905.J 


Nexnen>Rogisler. 


661 


Hirschfeld,  Phenacetinvergiftung  157. 

Hirst,  100  Eklampsiefälle  211. 

Hitzig,  Kalomel  bei  Vitium  cordis  488. 

Hockauf,  Verwechselung  yon  Enzian- 
wurzel mit  Beliadonnawarzel  52. 

v.  Holder,  Pathologische  Anatomie  der 
Gehirnerschütterung  646. 

Hoffa,  Bekämpfung  der  Knochen-  und 
Gelenktuberkulose.,  im  Kind»salter 
873  —  Atlas  und  Grundriß  der 
Verbandlehre  386  —  Gymnastik 
und  Massage  als  Heilmittel  491. 

Hoffmann,  Antistreptokokkenserum  bei 
puerperaler  Sepsis  106  —  Primel- 
krankheit 383  —  Behandlung  der 
Herzinsuffizienz  474. 

Hoffmann,  Erich.  Spirochaete  pallida 
695. 

Holobat,  Injektion  yon  Gehirnemulsion 
bei  Tetanns  265. 

y.  Holst,  Vieriig  Jahre  neurologischer 
Praxis  53.  * 

Holz,  Atropinvergiftung  52. 

Holz,  B.,  rurgen Vergiftung  489. 

Homburger,  Das  zur  Zeit  am  besten 
wirkende  Diareticnm  452. 

Hoppe,  Veronalismns  439. 

Hooghton,  Lokale  Anästhesie  484  — 
Veratron  593. 

Jacoby,  Ziokperhydrol  bei  Brand- 
wunden 636. 

Jaffe,  Prostatabypertrophie  531. 

James,  Malariaprophylaxe  149. 

Jankau,  Taschenbuch  für  Ohren-  etc. 
Arzte  491. 

y.  Janregg,  Endemischer  Kretinismus 
und  Schilddrusensubstanz  104. 

Jesionek,  Fluoreszierende  Stoffe  bei 
Hautkarzinom  481. 

Jessen,  Behandlung  Nervöser  im  Hoch- 
gebirge 581. 

Jeasuer,  Mitin  268  —  Schuppenflechte 
656. 

Joklik,  Erhalt  unser  Volk  genug 
Fleisch?   138. 

Jonnesco,  Chirurgische  Magenaffek- 
tionen 641. 

Joseph,  Haut-  und  Geschlechtskrank- 
heiten 489  —  Jothion  658. 

Isnardi,  Elastische  Binde  bei  Verband- 
wechsel 3*24. 

Juliusberg,  Zioksnlfat  oder  Silbersalze 
bei  Gonorrhöe?   216. 

Justi,  Kollargol  bei  Angina  und 
Diphtherie  377. 

Kaiser,  Intoxikation  durch  Resorcin- 
paste  540. 

Kapsamer,  Chirurgische  Nierenaffek- 
tionen  685. 

Karlowski,  Impfung  nach  Pasteur  1908 
476. 

Kassel.  Organische  Schwefelpräparate 
bei  Otitis  externa  218. 

Kaufmann ,  Pathologische  Anatomie 
274. 

Kanpe,  Maretin  265. 

Kayserliog,  Volksbelehrung  und  Tuber- 
kulosebekämpfung 320. 

Keen,  Wert  der  Blutunters ucbung  in 
der  Chirurgie  528. 

Keferstein,  Einfluß  von  Flüssigkeits- 
mengen auf  das  Herz  374. 

Kehr,  Choledocbusfege  213. 

Kellermann,  Einfluß  der  Heilgymnastik 
auf  den  Kreislauf  535. 


Kieffer,  Mesotan  539. 

Kien,  Gruber- Vidalsche  Reaktion  1. 

Kionka,  Baldrianwirkung  43  —  Wesen 
der  Gicht  688. 

y.  Kirch  bau  er,  Hefepräparate  482. 

Kisch,  Geschlechtsleben  des  Weibes 
329. 

Klapp,  Prostatahypertrophie  680. 

Klau,  Eröffnung  der  Mittelohrräume 
17,  79. 

Klein,  Antistreptokokkenserum  149. 

Kleinsorgeo,  Zufuhr  Zahn  und  Knochen 
bildender  Substanzen  295  —  Phy- 
siologische Narkose  362. 

Kluge,  Tuberkulose  des  Kindesalters 
320. 

Knapp,  Scheintod  der  Neugeborenen 
54. 

Kob,  Botulismus  156. 

Koch,  Pankreon,  465. 

Kocher,  Karzinomheilung  527. 

Kochmann,  Alkohol  und  Warmblüter- 
herz 323  —  Alkohol  und  Blutkreis- 
lauf 693  —  Verschwinden  des  Neben- 
nierenprinzips aus  dem  Blut  648. 

Kögl,  Stypticin  215. 

Koehler,  Lungentuberkulose  und 
Tetanie  533  —  Ulcus  ventriculi  und 
Hyperazidität  647. 

Koeppe,  Buttermilchkonserve  106. 

Koeppe,  Gesetz  des  osmotischen  Gleich- 
gewichts im  Organismus  127,  423. 

Koerner,  Pauk  en  höh  lenentzün  düng  268 

—  Vorfahren  und  Nachkommen  einer 
schwindsüchtigen  Generation  538. 

Kornfeld,  Empyroform  49. 

Kraft,  Lokalanästhesie  bei  Ohropera- 
tionen 825. 

Kramer,  Kaliumpermanganat  als 
Morphiumantidot  157. 

v,  Krannhals.  Pyramidon  bei  Typhus 
484. 

Krause,  W.,  Handedesinfektion  379, 
448. 

Kreß.  Verona!  37  »—  Elektromagne- 
tische Therapie  300  —  Veronalismus 
467. 

Krieg,  Kehlkopftuberkulose  372. 

Kulkarzewski,  Blutveränderung  nach 
Seruminjektion  590. 

Kühn,  Gegenindikation  für  Chi  oral - 
hydrat  allein  und  mit  Morphium 
356. 

Kümmel],  Prostatabypertrophie  580  — 
Chirurgische  Nierenaffektionen  584. 

Kümmerling,  Behandlung  des  chroni- 
schen Bronchialkatarrhs  mit  Sorisin 
372. 

Kuhn,  Gallensteinleiden  157,  600. 

.Laengner,  Theocinum  natrio-aceticum 
und  Citarin  283. 

Lambotte,  Chirurgische  Magenaffek- 
tionen 641. 

Lampe,  Radikaloperation  des  Uterus- 
krebses  326. 

Landois,  Physiologie  330,  698. 

Langgaard,  Protosal  637. 

Langhann,  Hygienische  Behandlung 
der  Fußböden  387. 

Langmead,  Rekurrierendes  Erbrechen 
der  Kinder  650. 

Laquenr,  Ausscheidung  yon  Wuk  265 

—  Physikalische  Behandlung  der 
gonorrhoischen  Gelenkerkrankungen 
538. 


Lazarus.  Pankreaserkrankungen  58. 

Leber,  Fettsucht  328. 

Legrand,  Wert  der  Blutuntersuohung 
in  der  Chirurgie  529. 

Legueu,  Prostatabypertrophie  530  — 
Chirurgische  Nierenaffektion  586. 

Lengefeld,  Merkuriolöl  596. 

Lenhartz,  Epidemische  Genickstarre 
262. 

Leo,  Lochialsekret  326. 

Lermoyez,  Operationsregeln  bei  akuter 
eitriger  Meningitis  873. 

Lesage,  Adrenalin  153. 

Lesser,  Haut-  und  Geschlechtskrank- 
heiten 642. 

Leubuscher,  Arbeiterneurasthenie  592. 

y.  Leyden.  Ernährung  und  Diätetik 
52  —  Organtherapie  des  Morbus 
Basedowii  263  —  Mammakarzinom 
einer  Katze  264. 

Leyy,  V.,  Atrophische  Rhinitis  geheilt 
durch  Erysipel  374. 

Lewaschew,  Eibudative  Pleuritis  320. 

Libbertz,  Immunisierung  yon  Rindern 
gegen  Perlsucht  263. 

Lie,  Therapie  der  Lepra  654. 

Liebe,  Aufnahme  Nichttuberkulöser 
in  Heilstätten  104. 

Lieber,  Radiumkleid  818. 

Liebreich.  Tonisieren  de  Wein  präparate 
6  —  Fetrosal  545  —  Frage  der 
Borwirkung  654. 

Liermberger,  Ankylostomiasisanämie 
475. 

Lippschütz,  Kutane  Darreichung  yon 
Jodpräparaten  375. 

Loeyeohart,   Benzoyisüperoxyd    426. 

Lohnstein,  Silberpräparate  156  — 
Methodik  der  Milchanalyse  248  — 
Hetralin  485. 

Lomer,  Antitbyreoidin  und  Morbus 
Basedowii  632. 

Lorthioir,  Chirurgische  ,  Magenaffek- 
tionen 642. 

Lücke,  Gonorrhöetherapie  538. 

Haaß,  Narkosearbeiten  418. 

Macewen,  Funktion  des  Blinddarms 43. 

Mac  Hardy,  Katarakt-Reifung  164. 

Mahne,  Wismutvergiftung  270. 

Malherbe,  Sohwarztärbung  des  Penis 
nach  Antipyringebrauch  44. 

Mamlock.  Salizyl Wirkung  593 

Marek,  Stickstoff-  und  Eiweißbestim- 
mung bei  Carcinoma  ventriculi  163. 

Marquis,  Lokalanästhesie  bei  Ohr- 
operationen 326. 

Mattoli,  Chirurgische  Magenaffektionen 
640. 

Matzenauer,  Vererbung  der  Syphilis  66. 

Maybaum,  Kauen  und  Magensaft- 
sekretion 161. 

Meißner,  Dritte  ärztliche  Studienreise 
548. 

M ellin,  Thiosinamin  bei  Narbenkon- 
trakturen  650. 

Mendel,  F.,  Fibrolysin  93,  177. 

Mendelsobn,  Antistreptokokkenserum 
bei  Scharlach  321. 

Mende,  Formaliu-Desinfektion  sachrank 
307. 

Meyer,  Haarkrankheiten  489. 

Meyer,  A.,  Milchsaures  Eukain,  Stovain 
240. 

Meyer,  H.,  Tödliche  Quecksilber- 
dennatitiden 382. 


662 


Namen-Register. 


t 


Monatahefte. 


Meyer,    Otto,    Pikrinsäareanwendung 

Meyer^  V.,  S  typ  toi  437. 

Meyerhoff,  Arsenvergiftung  540. 

Meyler,  Diabetes  mellitus  431. 

Minkowski,  Behandlung  der  Gicht  473. 

Minti,  Amaurose  nach  Paraffinplastik 
481. 

Mironescu,  Euphthalmin  378  —  Ver- 
lüdet ung  des  ausgepreßten  Magen- 
inhalts 580. 

Mode,  Vaiofin  601. 

Moebius,  Abortbebandlunff  443. 

Möller,  Wirkung  des  Nebennieren- 
extrakts 547,  622. 

Mohr,  Allgemeines  Aber  den  Krebs 
162  —  Diabetes  mellitus  531. 

Monprofit,  Chirurgische  Magenaffek- 
tionen 585. 

Monsarrat,  Tetanusserumeinspritzun- 
gen 265. 

Moorhead,  Ätiologie  der  Leukämie  264. 

Moraz,  Ophthalmie  der  Neugeborenen 
487. 

Morelli,  Wurstvergiftung  51. 

Morin,  Tuberkulosebenandlung  in 
Leysin  13,  493. 

Muller,  Bequeme  Art  der  Chinindar- 
reiohung  275  —  Vulnoplast  310  — 
Trigemm  484  —  Eklampsietherapie 
534. 

Möller,  Ottfried,  Diazoreaktion  und 
Fieber  bei  Masern  42. 

Mulert,  Wirkung  von  Crocus  217. 

Nagelsbach,  Dritter  Schömberger 
Jahresbericht  829. 

Naunyn,  Diabetes  mellitus  472. 

Nestler,    Hautreizende   Primeln    386. 

Neter,  Sfiuglingskrankheiten  214. 

Neujean,  Adrenalin  153. 

Neumann,  Wirkung  physikalischer  Heil- 
methoden auf  die  Magenfunktion 
151  —  Mittelohreiterung  269  — 
Citarin  485  —  Balneologische  Be- 
handlung der  Hemiplegien  567. 

Neußer,  Klinische  Symptomatologie 
541. 

Newcomat,  Tuberkulose  und  Röntgen- 
strahlen 41. 

Newman,  Nephrorhaphie  der  flottie- 
renden Niere  47. 

Nicolaier,  Methylenhippursäure  7  — 
Urotropin,  HelmitoJ,  Neuurotropin 
49. 

Nienhaus,  Kampferölinjektionen  bei 
Tuberkulose  211. 

Noishewski,  Tic  convulsif  479. 

t.  Noorden,  Fettleibigkeit  [531  —  Dia- 
tetische Behandlung  der  Gicht  646. 

Oefele,  Würfelzucker  bei  Diabetes 
mellitus  589. 

Oestreioh ,  Anatomisch  -  physikalische 
Untersuchungsmethoden  273. 

Oliven,  Dritte  ärztliche  Studienreise 
548. 

Oltuszewski,  Psychische  Entartung  und 
Sprachstörung  352,  414. 

Opfer,  Antistreptokokkenserum  bei 
puerperaler  Infektion  105. 

Oppenheim,  Chininjodbehandlung  des 
Lupus  651  —  Hautveränderungen 
nach  Röntgenbestrahlung  652. 

Oppenheimer,  C,  Fermente  273. 

Oppenheimer,  K,  Säuglingsernahrung 
160. 


Orlipski,  Gonorrhoische  Exantheme 
458. 

Orlowski,  Zuckerklistiere  für  Dia- 
betiker 590. 

Ortlieb,  Phosphorverbindungen  in 
Trau benkern en  und  Naturweinen 
522. 

Ortiz  de  la  Torre,  Wert  der  Blutunter- 
suchung in  der  Chirurgie  527. 

Pacyna   Thigenol  483. 

Palmirski,  Scharlach  und  Soharlaoh- 
serum  868  —  Schutzimpfung  nach 
Pasteur  1903  475. 

Papinian,  Chronischer  Gelenkrheu- 
matismus 480. 

Parton,  Chronischer  Gelenkrheuma- 
tismus 430. 

Passow,  Verletzung  des  Gehörorgans 
441. 

Pelizaeus,  Kritik  der  Jodbäder  198. 

Pelz,  Kodeinismas  384. 

Pennington,  Salzlösungen  und  andere 
Analgetica  825. 

Petretto,  Balsamum  peruvianum  377. 

Petroschky,  Kochs  Tuberkulin  40  — 
Ehen  und  Nachkommen  mit  Tuber- 
kulin Behandelter  538. 

Peugniez,  Wert  der  Blutontersuchung 
iq  der  Chirurgie  529. 

Pfaff,  Alkoholfrage  385. 

Pick,  Erste  Hufe  bei  Augen  Ver- 
letzungen 236. 

Pineas,  Belastungslagerung  bei  Frauen- 
krankheiten 386. 

Pisarski,  Isopral  409. 

Plaveo,  Diuretische  Wirkung  des  Theo- 
bromins  43. * 

Podhoretzki ,  Hedonal  -  Chloroform- 
narkose 212. 

Pohl,  Papaverinderivate  434. 

Polland,  Jodpemphigus  488. 

Pollitzer,  Empyroform  327. 

Porosz,  Tonogen,  suprarenale  sec  268 

—  Verhütung   der   Gonorrhöe  269 

—  Neurasthenie  junger  Ehefrauen 
519. 

Posner,  Urotropin  106. 

Post,    Behandlung     der    granulösen 

Augenentzundung  109. 
Pouohet,  Sucou8  Valerianae  44. 
Poynton,  Rheumatisches  Fieber  430. 
Prausnitz,  Grundzupe  der  Hygiene  384. 
Preisich,    Urotropm    bei    Scbarlacb- 

nephritis  322. 
Primrose,   Filariasis   beim  Menschen 

476. 
Prölss,  Verona!  in  der  Landpraxis  77. 
Prym,    Hetolbehandlung   der   Tuber- 
kulose 147. 
Purscbke,  Verpflichtung  des   Arztes, 

Lungenkranken    die   Wahrheit   zu 

sagen  654. 
Quenstedt,    Salizyl Wirkung    auf   die 

Niere  593. 
Rabow,  Formalinreaktion  beim  Dia- 

beteshsrn  109. 
Radmann,  Genickstarre  645. 
Rau,  Collargolbehandlung  617. 
Kavasini,  Jothion  375. 
Reichelt,  Triferrol  377. 
de  Reusi,  Diabetesbehandlung  150. 
Ricard,  Chirurgische  Magenaffektionen 

642. 
Ribadeau-Dumas,  Collargol  bei  Septik- 

&mie  376. 


Riffel,  Schwindsucht  und  Krebs  540. 

Rizen,  Neuronal  bei  Epilepsie  433. 

Robson,  Chirurgische  Magenaffek- 
tionen 585. 

Rodari,  Magen-Darmkrankheiten  542. 

Rodella,  Austerninfektion  438. 

Rocaz.  Collargoltherapie  376. 

Roeder,  Hautkrankheiten  der  Säuglinge 
214. 

Rosenbach,  0.,  Ätiologie  der  Tabes 
111  —  Morphium  als  Heilmittel 
327  —  Abstinenzfrage  474  —  Leu- 
kämie und  Röntgenstrahlen  644. 

Rosenfeld,  Diphtherieepidemien  und 
Diphtherieempfangliehkeit  509. 

Rosenthal,  Syphilisbehandlung  650. 

v.  Rosthorn,  Behandlung  der  puerpe- 
ralen Infektion  652. 

Roß,  Malariaprophylaxe  149  — 
Malariafieber  329. 

Rottfans,  Ulcus  ventrieuli  586. 

Rothholz,  Skrofulöse  Augenentxün- 
dungen  402. 

Rouffart,  Wert  der  Blatuatersuchung 
in  der  Gynäkologie  529. 

Rovsing,  Prostatahypertropbie  530  — 
Chirurgische  Magenaffektionen  642. 

Rudolph,  Diphtheritische  Larynx- 
stenose  518. 

Ruhemann,  Mesotanvaselin  593. 

Runge,  Gebärmutterkrebs,  Mahn  wort 
825. 

Rappel,  Immunisierung  von  Rindern 
gegen  Perlsucht  263. 

v.  Rydygier,  Perineale  Prostatektomie 
529. 

Rzetkowski,  Fixationsmethode  von 
Blut  486. 

Saalfeld,  Vorzeitiger  Haarausfall  192 
—  Perkutane  Sauzylbehandlnng437, 
593. 

Saleoker,  Nebennierensubstanzen  zur 
Erzielung  örtlicher  Analgesie  45. 

v.  Sarbö,  Epilepsie  643. 

Sawyer,  Ranunculus  ficaria  486. 

Schatz,  Ursachen  d.  Genitalprolaps  214. 

Schaudinn,   Spiroohaete  pallida  595. 

Schaeche.  Vergiftung  nach  Gebrauch 
von  Wismutbrandbinden  38L 

Scherk,  Ionenlehre  und  Therapie  572. 

Scbeabe,  Krankheiten  warmer  Linder 
53. 

Schiele,  Behandlung  schwerer  Hand- 
verletzungen 61. 

Schiff.  Röntgentherapie  274. 

Schilling,  Gallensteinkrankheit  157. 

Schindler,  Jothion  266  —  Paroxysmale 
Hämoglobinurie  525. 

Schlesinger,  Folgeerscheinungen  nach 
Theophyllingebrauch  483. 

Schlieb,  Diätetische  Behandlung  der 
Gicht  646. 

Schliep,  Elektrische  Bäder  303. 

Schmeichler,  Trachominfektion  109. 

Schmidt,  Chronische  habituelle  Ob- 
stipation 646. 

Schmiedeberg,  Theophyllin  483. 

Schoemaker,  Erbrechen  durch  Nierem- 
suspension  geheilt  379. 

Schoenborn,  Gfefrierpunktsbestimmung 
und  Leitfthigkeitebestimmung  386. 

Scholtz,  Röntgen-  und  Radiumstrahlen 
155. 

Schräge,  Behandlung  der  Lungen- 
tuberkulose nach  Landerer  148. 


XIX.  Jahrgang.1 

~  -       1905.J 


Nam«n-R«fl&t«r.  —  8aoh-Regitt«r. 


663 


Schröder,  Heilstättenbehandlung  Lun- 
genkranker 108  —  Dritter  Sohöm- 
bergscher  Jahreeberieht  829. 

Schürmayer,  Röntgentechnik  491. 

Schwalbe,  Grundriß  der  praktischen 
Medizin  541. 

Schwartze,  Otologie  441. 

Schwarz,  Innere  Krankheiten  68. 

Schwarzschild,  Jothion  658. 

ScotirSngden,  Akute  Sublimatver- 
giftung 883. 

Segond,  Chirurgische  Magenaffektionen 

v.  Seiller,  Inhalationstherapie  820. 

Senator,  Zirkulationsstörung  nach 
Veronal  157. 

Seqneira,  Lupus  vulgaris  481. 

Sewell,  Malariapropbylaxe  149. 

Shaw,  Rekurrierendes  Erbrechen  bei 
Kindern  650. 

Silbermark,  Spinalanalgesie  45. 

Silberstein,  Anthrasol  484. 

Sinclair,  Hautgangran  nach  Stovain  595 
—  Chirurgische  Magenaffektionen 
642. 

Singer,  Vegetarische  Diät  489. 

Sintenis,  Coma  diabeticum  nach  Ope- 
rationen 42. 

Slaneky,  Schreibangst  488. 

Sobernheim,  Milzbrandserum  104. 

Sokal,  Gonosan  588. 

Sokolowsky.  Paraffinerfolge  bei  Nasen- 
difformitaten  und  -Defekten  47. 

Sokotowski,  Antipyretische  Behand- 
lung der  Phthisiker  872. 

Sommer,  Theophyllin  285. 

Sondermann,  Lumbalpunktion  429  — 
Gelenkerkrankungen  485. 

Sonnenburg,  Wert  der  Blutunter- 
suchung in  der  Chirurgie  527  — 
Chirurgische  Magenaffektionen  642. 

Sowinski,  Inokularionsversuohe  der 
Syphilis  auf  Ferkel  50  —  Strepto- 
bazillen  des  Ulcus  molle  868. 

Spannbauer,  Kupfervergiftung  52. 

Spira,  Otitis  media  acuta  214. 

Staohowski,  Collargol  149. 

8tadelmann,  Vergiftung  mit  Schwefel- 
alkalien 270. 

Stegmann,  Vaselin  und  ölvaselin  bei 
Blatternarben  658. 

Stein,  Paraffininjektionen  48. 


Steiner,  Lichtsalbenbehandlung  der 
Hautkrankheiten  587. 

Steinert, Polyneuritis  der  Tuberkulösen 
481. 

Stephens,  Malariaprophylaxe  149. 

Stern,  Medikamentöse  Behandlung  der 
Lungentuberkulose  243  —  Trauma 
und  Lungentuberkulose  819. 

Sterne,  Carus,  Werden  und  Vergehen 
657. 

Stieb,  Bakteriologie  in  Apotheken  491. 

Stierlin,  HistoBan  576. 

Stiller,  Gallensteinkrankbeit  152. 

Stocker,  Belladonnavergiftung  884. 

van  Stockum,  Erster  Verband  auf  dem 
Schlachtfelde  324. 

Stoll,  Fischvergiftung;  488. 

Straßer,  Hydrotherapie  bei  Hautkrank- 
heiten 582. 

Strauß,  Osmotisches  Gleichgewicht 
316  —  Pseudocbylöse  Ergüsse  869 
—  Bemerkung  425  —  Gicht  und 
Tuberkulose  587. 

S trÖll,  Myrrhentinktur  bei  Diphtherie 
211. 

Strzyzowski,  Reaktion  des  Diabetes- 
harns 109. 

Tarnffi,  Hermaphroditismus  und  Zeu- 
gungsunfähigkeit 830. 

Tatham,  Tabes  mesenterica  479. 

Taure,  Zungenkarzinom  590. 

Tendeloo,  v.  Behrings  Ansieht  über 
Lungenschwindsucht  870. 

Temen,  Atrophie  und  Atrepsie  478. 

Thienger,  Antithyreoidin  210. 

Thrush,  Adrenalin  bei  Typhus  589. 

Toff,  Xeroformstreupulver  485. 

Tollens,  Santonin  bei  Lungentuber- 
kulose 475. 

Tonkin,  Heilbarkeit  der  Lepra  651. 

Türk,  Klinische  Hämatologie  491. 

Torenne,  Toxämie  in  der  Schwanger- 
schaft 477. 

Ulrici,  Wirkung  des  Styrakols  611. 

Unger,  Sanoform  141. 

Unschuld,  Balsamum  pemvianum  377. 

Verhogen,  Prostatahypertrophie  580. 

Vivaldi,  Austerninfektion  488. 

Vörner,  Thiolan  537. 

Vollana,  Behandlung  der  trocknen 
und  verstopften  Nase  36. 


de  Vos,  Verschwinden  des  N?ben- 
nierenprinzip8   aus  dem  Blut  648. 

Waldvogel,  Isosafrolvergiftung  271. 

Walko,  Lokale  Alkoholtherapie  485. 

Walther,  Wöchnerinnenpflege  599. 

Watson,  Infektiöse  Ursache  der  Gicht 
41. 

Wedekind,  N-haltige  Santoninderivate 
476. 

Wederhake,  Dormiol  als  AnthidrcK 
ticum  387. 

Weichselbaum,  Mierococcus  meningi» 
tidis  als  Erreger  der  Endokarditis 
367. 

Weirich,  Organische  Phosphorverbin- 
dungen in  Traubenkernen  522. 

Weißflog,  Gelenkerkrankungen  600. 

Weißmann,  Hetolinjektionen  55,  163 

—  Collargol  389. 

Weisz,  Wert  der  Bäder  bei  Gicht  292. 

Wesenberg,  Perkutane  Jodapplikation 
199  —  Jothion  375. 

Wickham,Quecksilberein8pritzung  269» 

Wills,  MesotanausBchlag  488. 

Winokelmann,  Röntgenstrahlen  bei 
Leukämie  258  —  Digalen  364. 

Winckler,  Hydrotherapie  in  der  Ge- 
burtshilfe 477. 

Winternits,  Heilmittel  aus  der  Küche 
596. 

Witthauer,  Viferral  143  —  Vibrations- 
massage 440. 

Wolff,  Glykogenproblem  482. 

Wolffenstein,  Zinkperhydrol  581. 

Wright,  Staphylokokken -Vaccine  bei 
Alne  482. 

Zabludowski,  Überanstrengung  beim 
Schreiben  154  —  Schreib-  und 
Muskelkrampf  212. 

Zangger,  Infantile  Bronchopneumonie 

Zapinski,  Dormiol  als  Hypnoticum 
106  —  Opocerebrin  bei  Epilepsie 
874. 

Zeuner,  Kosmetischer  Hautcreme  16£ 

—  Hustenpastillen  600. 
Zubrowski,  Scharlach  und  Scharlach- 

serum  868. 
Zucker,  Giobttherapie  561. 
Zuckerkandl,  Urologie  440. 
Zwillinger,  Formaldehyd  bei  inneren 

Erkrankungen  520. 


Sacli-Register. 


Abort,  Behandlung  443. 

— ,  künstlicher  476. 
Abstinenzfrage  474. 
Acidol  689. 
Aeidose  151. 
Adam  und  Eva  656. 
Adrenalin  153. 

—  bei  Hydrocele  66. 
typhösen  Blutungen 

639. 

—  und  Lokalanästhesie  45. 
— ,  Wirkung  547,  622. 


Alkohol- Frage  385. 
— ,  Herzwirkung  323. 
—  -Silber- Salbe  546. 

Therapie  435. 

— ,  Wirkung  auf  den  Blut- 
kreislauf 598. 
Alypin  428. 

Amaurose     nach    Paraffin- 
plastik 481. 
Amylnitrit    bei    Hämoptoe 
331. 
Malaria  331. 


Anästhesie  bei  Operationen 

326. 
—  lokale  434. 
Anästhesin    bei   Erbrechen 

658. 
Anästhol  110. 
Anästholspray  276. 
Anämie,  perniziöse  103. 
Analgetica  bei  Rectumopera- 

tionen  326. 
Anatomie,    pathologische 

274. 


Anatomische  u.  physikalisch» 
Untersuchungsmethoden 
273. 

Aneurysma,  durch  Elektro- 
lyse geheilt  592. 

Angina  657. 

Ankylostomiasisanämie 
475. 

Anthrasol  484. 

Anticiiloid  546. 

Antipyrin ,    Schwarzwerden 
des  Penis  nach  44. 


664 


Sach-Reglater. 


Antistreptokokkenserum 

Ghininanwendung  275. 

Erbrechen ,     Nierensuspen- 

Genickstarre,     epidemische 

105,  149,  645. 

Chinin  als  Wehenmittel  267. 

sion  bei  379. 

262,  275,  333,  587,  645. 

—  bei  Scharlach  321. 

Chininjodbehandlung  des 

—  bei  Bandwurmkuren 

Genitalprolaps.  Ursache  214. 

Antithyreoidin   bei  Morbus 

Lupus  651. 

658. 

Geschlechtsleben  des  Weibes 

Basedowii  532. 

Chloroformausscheidung 

— ,  rekurrierendes  der  Kin- 

329. 

Serum  210. 

durch  den  Brechakt  152. 

der  650. 

— ,  ethische  Forderung  im 

Anzeigerecht    und    -pflicbt 

Chloroform  narkose,  Wasser- 

Ergüsse,  pseudocbylöse  369. 

542. 

371. 

zufuhr  bei  213. 

— ,  seröse  42. 

Gichr,  Bäder  bei  292. 

Argentum     colloidale     bei 

Chloralhydrat     und     Mor- 

Erkaltungsfrage 869. 

— Behandlung  272,  473, 

Erysipel  211. 

phium  356. 

Ernährung  und  Diätetik  52. 

561,  646. 

Aristochin  150. 

Chloralhydratvergiftnng  51. 

Erysipelbehandlung   143, 

— ,  infektiöse  Ursache  der 

Arsen- Ferratose  406. 

Uholedochusfege  213. 

211. 

41. 

Arsen  Vergiftung  540. 

Cnolelithiasis  172. 

Eucainum  lacticum  110, 240, 

—  und   Tuberkulose   587. 

Ärzte  -  Studienreise ,     dritte 

Cholera  asiatica  545. 

424. 

— ,  Wesen  der  588. 

543. 

Citarin  283,  485. 

Eukain- Adrenalin  107. 

Glasfeder  491. 

Aspirinexantbem  439. 

Clavin  471. 

Eukodin  365. 

Glatze,  Entstehung  der  489. 

Asthmamittel,  Tackers  388. 

Colica  intestini  coeci   432. 

Eumydrin  365. 

Glykogen  prob  lern  432. 

Ätheran&sthesie,  Blutverfin- 

Collargol  149,  389. 

Euphtbalmin  378. 

Gonorrhöe,  Behandlung  216, 

derung  nach  378. 

—  bei  Septik&mie  876. 
Pinselangen    bei   An- 

Exantheme,   gonorrhoische 

538. 

Atoxylinjektion,  Erblindung 
nach  439. 

458. 

— ,  Prophylaxe  545. 

gina  377. 

Exodin  151. 

Gonosan  538. 

Atropin    bei    Frauenkrank- 

— -Therapie  376,  617. 

Fangobehandlung  289. 

Griserin  209. 

heiten  57. 

Coma  diabeticum  nach  Ope- 

Fermente 273. 

Gruber-  VidalscheReak  tion  1. 

—  -Vergiftung  52. 

rationen  42. 

Fetron präparate  298. 

Gaajakol  266,  486. 

Atzmittel,  flüssige  491. 

Condurangoelixier  219. 

Fetrosal  298,  437,  545. 

Gujasanol  602. 

Augenentzundung,  granulöse 

Crocus,  EigenartigeWirkung 

Fettleibigkeit  531. 

Gymnastik  als  Heilmittel  491. 

109. 

217. 

Fettsucht  328. 

Gynochrysma  Hydrargyri 

— ,  skrofulöse  402. 

]>armkanal,  chemische  Re- 

Fibrolysin 93,  177. 

653. 

Augenverletzungen  236. 

aktionen  im  37. 

Filariasis  475. 

Haarausfall  vorzeitiger  192. 

Austerninfektion  438. 

Darmspülung,  Apparat  zur 

Finnenkrankheit  217. 

Haarfärbemittel,   Dermatitis 

Azetessigs&ure  492. 

545. 

Fischvergiftung  438. 

durch  488. 

Badekuren  im  Eindesalter 

Dentitio  difficüis  492. 

Fixationsmethode   für   Blut 

Haarkrankheiten  489. 

535. 

Dermatitis  durch  ein  Haar- 

486. 

Hämatologie,  klinische  491. 

Bakteriologie  in  Apotheken 

färbemittel  48*. 

Flatulinpillen  314. 

Hämoglobinurie,     paroxys- 

491. 

Diabetesharn ,     Reaktion 

Fleischextrakt,  Wert  486. 

male  525. 

Baldrianwkung  43. 

109. 

Fleischversorgung  136, 138, 

Hämorrhoiden    der    Kinder 

Balneologische   Kurse  602. 

Diabetes  mellitus,  431,  472, 

254. 

324. 

Balneologiscber  Kongreß  56. 

531. 

FJ  uorescin  bei  Scheintod  331 . 

Hamorrhoisid  276. 

Balsam  um  peruvianum  377. 

,  Medikamente      für 

Flüssigkeiten,    Einfluß    auf 

Hamamelis  virginica  486. 

Basedow,      Antitnyreoidin- 

497,  637. 

das  Herz  374. 

Haodedesinfektion  397, 448. 

sernm  gegen  210,  532. 

,  Würfelzucker      bei 

Formaldehyd,  Wirkung  520. 

Handverletzungen  61. 

— ,  Organtberapie  bei  263. 

589. 

Formalin  desinf ek  tions- 

Harninkontinenz,   epidurale 

Baucofelltuberkulose,  Lapa- 

 ,  Zuckerklistiere    bei 

schrank  307. 

Behandlung  der  580. 
Hautcreme  162. 

rotomie  bei  533. 

590. 

Formalinreaktion    im    Dia- 

Belastungslagerung 386. 

Diarrhöe,  chronische  170. 

betesbarn  109. 

Hautentzündung  durch 

Belladonnavergiftung  384. 

Di&t,  vegetarische  489. 

Formicin  638. 

Primeln  383. 

Benzoylsuperoxyd  426. 

Digalen  364. 

Frauenkrankheiten  440. 

Hautgan  gr&n   nach  Stoyain 

Blaseneröffnung,    intraperi- 

Digitali8pr&parate 603. 

— ,  Heiß  Inf  ttherapie    bei 

695. 

toneale  436. 

Digitalistherapie  148. 

381. 

Hautkarzinom,   fluores- 

Blausteinvergiftnng 52. 

Diphtherieepidemie  509, 

Für  Mutter  und  Kind  490. 

zierende  Stoffe  bei  481. 

Blei  als  Abortivmittel  476. 

517. 

Furunkalose,     Behandlung 

Hautkrankheiten  der  Säug- 

Blennorrhoe, Verhütung  269. 

Gift,  Herzwirknng  429. 

mit  Karbolsäure  658. 

linge  214. 

Blinddarm,  Funktion  43. 

— ,  Myrrhen  tinktur  bei  211. 

Fußböden,  hygienische  Be- 
handlung der  387. 

Haut-  und  Geschlechtskrank- 

 Gegend,    Entzündung 

Diureticum,    bestwirkendes 

heiten  489,  542. 

der  116,  178. 

452. 

Fußgeschwüre  163. 

Hebammen- Lehr  b  ach  161. 

Blutnutersuchung,  Wert  für 

Dormiol  387. 

(irallensteinkrankheit     152, 

Hedonal  -  Chloroform  -  Nar- 

die Chirurgie  527. 

Echinacea  angustifolia  647. 

157. 

kose  212. 

Blutverftnderung    nach    Se- 

Eisen-In  unk  tion  324. 

Gallensteinleiden,  Verhütung 

Hefepr&parate     bei    Furun- 
kulose 482. 

ruminjektion  590. 

Eisenverordnung  634. 

600. 

Bornyval  211,  538. 

Eklampsie  211,  476,  534. 

Gebärmutterkrebs,  Bekämp- 

Hefeseife 214. 

Borsalbe,     Todesfall    nach 

Elastische  Binden  beim  Ver- 

fung 331. 

Heidelbeerdekokt  595. 

Gebrauch  von  487. 

bandwechsel  824. 

— ,  Mabnwort  325. 

Heilgymnastik    und    Kreis- 

Borwirkung 654. 

Elektrische  Bäder  303. 

Gehirnerschütterung,  patho- 

lauf 635. 

Botalismus  51,  156. 

Elektromagnetische    Thera- 

logische Anatomie  der 545. 

Heilmittel  aus  der  Küche 596. 

Brandwunden,    Behandlung 
mit   Zinkperhydrol    636. 

pie  300. 

Gehörorgan,     Verletzungen 

Heilst&ttenbehandlung  Lun- 

Empyroform 49,  327. 

441. 

genkranker  103,  474. 

Bronchitis,  Behandlung  372. 

Enesol  366. 

Geisteskranken,  Anwachsen 

Heißiuftbehandluojc  von 

Bronchopneumonie  266. 

Entartung,  psychische  und 

der  489. 

Frauenleiden  381. 

Brüche,  eingeklemmte  658. 

Sprachstörung  352,  414. 

Gelenkerkrankungen,      Be- 

Helleboras niger,  Vergiftung 

Battermilchkonserve  106. 

Enuresis  nocturna  658. 

handlung  600. 
— ,  chronische  435. 

durch  487. 

Carcinoma    ventriculi,     N- 

Enzianwurzel,  Verwechslung 

Helminthen,  Verhütung  339. 

und      Eiweiß  bestimm  ung 

mit  Belladonnawurzel  52. 

— ,  gonorrhoische  538. 

Helmitol  49. 

bei  153. 

Epilepsie,  Opocerebrin  bei 

Gelenkrheumatismus  430. 

Hemichorea  52. 

Gerebrospinalmeningitis 

374. 

— ,  Zitronensaure  bei  276. 

Hemiplegie,   balneologische 
Behandlung  567. 

586. 

Epilepsie,  Therapie  643. 

Gelenktuberkulose  642. 

XIX.  Jahrgang .1 
Dwember  190Ö.J 

Sach-fi 

.•gilter. 

665 

Hermaphroditismus  undZeu- 

Kieferhöhlen  b  ehan  dlung 

Mandeloperationen,   Be- 

Nierenaffektion, Chirurgi- 
sche Behandlung  583, 

gungsunfähigkeit  330. 
Herz,  Hygiene  541. 

536. 

kämpfung     der    Blutung 

Klistierverletzungen  44. 

nach  379. 

Nitroglyzerin  486. 

Herzin8u1fizienz,Behand]ung 

Kocb8alzgenoß,ödeme  nach 

Maretin  124,  265. 

Nitropropioltabletten  164. 

der  474. 

übermäßigem  652. 

Masern,    Diazoreaktion  42. 

Nordsee,  Wetterverhältnisse 

Herzperkussion  428. 
HetoliDjektionen    55,    110, 

Kodeinismus  384. 

Massage  als  Heilmittel  491. 

an  der  66. 

Kongreß  für  innere  Medizin 

Medizin,  Grundriß  der  prak- 

Novocain 582. 

147,  163. 

164. 

tischen  541. 

Obstipation,  habituelle  646. 

Hetralin  485. 

Konstitution,  Mangel  in  der 

— ,  Jahresbericht  überFort- 

Ösophagoskopie 479. 

Heafieber  645. 

psychischen  210. 

schritte  der  543. 

Ohrenheilkunde  597 

—  -Conjunctivitis  545. 

Krankheiten  innere  53. 

Meningitis     cerebrospinalis 

Ohrensausen  und  Tuben- 

Histosan 575. 

—  warmer  L&nder  53. 

492,  687. 

katarrh  442. 

Hochgebirgsaufenthalt      för 

Krebs,  Allgemeines  über  162. 

— ,  Operationsregeln  bei 

Ohroperationen,  Lokal- 

Nervöse 531. 

— ,  statistische  Unter- 

373. 

anästhesie  bei  325. 

Hordeolum  168. 

suchungen  590. 

Merkursalze,  intravenöse 

Olivenöl  bei  Magenkrank- 

Hornhautgeschwüre 109. 

—,  Wachstum  591. 

Injektion  50. 

heiten  376. 

Hustenpastillen  600. 

Kreosottherapie  der  Lungen- 

Mesotan 539. 

Oleum  mercurioli  596. 

Hydrocele,  Adrenalin  bei  56. 

schwindsucht  40. 

—  -Ausschlaff  488. 

Operationskurs,  geburtshilf- 

Hydrotherapie   der    Infek- 

Kretinismus,   Schilddrüsen- 

 Vaselin  388,  693. 

licher  490. 

tionskrankheiten  532. 

behandlung  104. 

Metaplasma  492. 

Opferung  des  lebenden 

—  in  der  Geburtshilfe  477. 

Kupfersulfatvergiftung  52. 

Methylenhippursäure  7. 

Kindes  für  die  Mutter  650. 

Hygiene,  Grundzüge  der  384. 

^Laparotomie  bei  Bauchfell- 

Methylenzitronensäure  49. 

Ophthalmie  der  Neugebore- 

— u.  Rassenentartung  385. 

tuberkulöse  533. 

Micrococcus  meningitidis 

nen  437. 

Hyperazidität  647. 

Larynxstenose,   diphtheri- 

cerebrospinalis 367. 

Opocerebrin  b.  Epilepsie  374. 

Hyperhidrosis  658. 

sche  518,  620,  657. 

—  rheumaticus  368. 

Osmotisches    Gleichgewicht 

Icterus  toxicos  269. 

Larynxtuberkulose  329. 

Milchanalyse  248. 

127,  316,  423. 

Impfung  am  Fuß  330. 

Leber drainage  213. 

Milcbkonservi*  rung     durch 

Otosklerose  274. 

Incontinentia  nrinae  320. 

Leberresektion  287. 

Wasserstoffsuperoxyd 

Otitis  externa  218. 

Infektion,   Behandlung  der 

Lenicet  658. 

536. 

—  media  acuta  214. 

puerperalen  652. 

Lentin  366. 

Milch,  rohe  oder  gekochte? 

Otologie,  Grundriß  441. 

Inhalationstherapie  320. 

Lepra,  Heilbarkeit  651. 

694. 

Ovarialschmerz  436. 

Irrigationscystoskop  479. 

— .  Therapie  654. 

Milzbrandserum  104. 

0xyuri8    vermicularis    331, 

Isoform  259,  261. 

Leukämie,  Ätiologie  264. 

Mitin  268. 

602. 

IsophybObtttfmin  88. 

—  und  Röntgenstrahlen 

Mittelohr- Eiterung  267. 

Pankreaserkrankungen   53. 

Isopral  409,  374. 

258,  644. 

Entzündung,    akut 

Pankreon  465. 

Isosafrolvergiftung  271 . 

Liquor   sanguinalis   Krewel 

eitrige  347. 

Papaverinderivate,  N-haltige 

Jodapplikation ,    perkutane 

76. 

Räume,  Eröffnung  der 

434. 

199. 

Lochialsekret,    mikroskopi- 

17, 79. 

Paracentesefrage  481. 

Jodbäder  198. 

sche  Untersuchung  326. 
Lokalanästhesie  107. 

Morphium  als  Heilmittel 

Paraffin -Injektion  47,  48. 

Jodoformin  Fusion  533. 

327. 

—  -Nasenplastik  48. 

Jodpemphigii8  488. 

Lumbalpunktion  429. 

—  bei    Herzkranken    106. 

Plastik,  Amaurose 

Jodpräparate,p  erkutane  375. 

Lungenkavernen,  Ausheilung 

—  Entgiftung    d.   Kalium- 

nach 481. 

Ionenlehre     und     Therapie 

40. 

permanganat  593. 

Parapbenylendiamin  488. 

572. 

Lungenschwindsucht,     An- 

Muskelkrampf 212. 

Parasitologie   und  Hygiene 

Jothion  375,  653. 

sicht  v.  Behrings  über  370. 

Myrrhentinktur  bei  Diphthe- 

277. 

Ischias,  Stryohnin  bei  658. 

— ,  Kreosottherapie  40. 

rie  211. 

Parisol  639. 

Kaliumpermanganat  als 

Lungentuberkulose,  Behand- 

Myxödem,   Schilddrüsenbe- 

Paukenhöhlenentzündung 

Morphiumantidot  157. 

lung  243. 

handlung  104. 

268. 

H&mo8taticum  658. 

— ,  —  nach  Landerer  148. 

Xarcyl  639. 

Perhydrol  213. 

Kalium    sulfo  -  guajacolicum 

— ,  Santonin  bei  475. 

Narkose- Arbeiten  418. 

Perubalsam,  Verwen  düng  56. 

372. 

—  und  Nasenrachen- 

— ,  physiologische  362. 
Nase,  Behandlung  der 

Petroleum  als  Heilmittel  150. 

Kalomel  bei  Vitium  cordis 

erkranknngen  320. 

Phenacetinvergiftung  157. 

433. 

Tetanie  533. 

trockenen  und  verstopften 

Phenolkampfer  546. 

Kalomelol  262. 

Lupus ,     Behandlung     mit 
Chinin-Jod  651. 

36. 

Phenosalyl  165. 

Kampferöl  bei  Lungentuber- 
kulose 265. 

Natrium   bisulfuricum   433. 

Phosphorstoffwechsel  322. 

—  vulgaris,  Behandlung 

Nebennieren  -  Extrakt, 

Phosphorverbindung  in 

Kapillarbronchitis  274. 

481. 

Wi'kuug  547,  622. 

Traubenkernen  522. 

—  der  Kinder  200. 

Magenaffektionen,     chirur- 

— -Substanzen,  örtliche 

Phthisiker,  antipyretische 
Behandlung  372. 

Karbolsäure,    konzentrierte 

gische  Behandlung   585, 

Analgesie  mit  45. 

658. 

640. 

— ,  Verschwinden  aus.  dem 

Physiologie,  Lehrbuch  330, 

Karzinom  bei  Katze  264. 

Magen-  Darmkrankheiten 

Blut  648. 

598. 

Kasein- Albumoseseife  215. 

542. 

Nephritis  bei  Scharlach  442. 

— ,  Vorlesungen  über  161. 

Katarakt,  Reifung  154. 

Magenfunktion    und   physi- 

—,  Chirurgische  Be- 

Pikrinsäureanwendung 221. 

Kefir,  Gebrauch  71. 

kalische    Heilmethoden 

handlung  47. 

Pikrins&ureflecken  276. 

— ,  Indikationen  322. 

151. 

Nephrorraphie  47. 

Pleuritis,  medikamentöse 

Kehlkopf  krankheiten.  271. 

Mageninhalt,  Veränderungen 

Nervenmassage  227. 

Behandlung  320. 

Kehlkopfiuberkulo8e     358, 

in  vitro  580. 

Neurasthenie    der   Arbeiter 

Pneumonie  579. 

372. 

Magenkrankheiten,  Olivenöl 

592. 

Polyarthritis  rheumatica429. 

— ,  Phenosalyl  bei  165. 

bei  376. 

Ehefrauen  519. 

Polyneuritis    der   Tuberku- 

—,  Schlingschmerz  bei  163. 

Magensekretion  beim  Kauen 

Neurologische  Praxis, 

lösen  431. 

Kellgrens  mechanische  Be- 

151. 

40jährige  53. 

Preisaufgabe  388. 

handlung  161. 

Magen,  Wirkung   hydriati- 

Neuronal  168,  433. 

Primelkrankheit  383. 

Keuchhustenanfalle  220. 

so her  Prozeduren  auf  151. 

Neuurotropin  49. 

Primeln,  hautreuende  386. 

Keuchhustenbebandlung  mit 

Malariafieber  329. 

Nierensuspension  bei  Er- 

Propaganda, antituberkulöse 

Aristochin  150. 

Malariaprophylaxe  149. 

brechen  379. 

475. 

666 


Sach-Regiate*. 


fTheraperatiaek 
L   Monatahefte. 


Prostatahypertrophie  529. 

Protosal  637. 

Pseudoleukämie,    Röntgen- 
bestrahlung 258. 

Psoriasisbehandlung  546, 
656. 

Puerperalfieber,    Verhütung 
535. 

Pargenvergiftung  439. 

Pyramidon  484. 

Quecksilber-Dermatitis  382, 
487. 
Einspritzungen  269. 

—  -Sepsis  383. 
Radiumkleid  318. 

— ,  Wirkung  auf  tierisches 

Gewebe  155. 
Ranunculu8  ficaria  486. 
Rapidtamponator  442. 
Resorcinpaste ,     Vergiftun  g 

durch  540. 
Rheumatisches  Fieber  430. 
Rhinitis  atrophicans,  geheilt 

durch  Erysipel  874. 
Rinder,  Immunisierung 

gegen  Tuberkulose  474. 
Röntgenbehandlung  der 

Leukämie    and    Pseudo- 

leakftmie  258. 

—  Kurse  546. 

—  Strahlen  878. 

bei  Leukämie  644. 

,  Dermatitis  nach  165. 

»Erfolge  der  274. 

,  Hautveranderungen 

nach  652. 

,  Hodenveranderun- 
gen nach  155. 

und  Radiumstrahlen 

155. 

■ Tuberkulose  41. 

,  Wirkung    auf    den 

Organismus  48. 

—  Technik,  Grundzüge  der 
491. 

Salizylanwendung,  per- 
kutane 593. 

Salizylbehandlung,  per- 
kutane 437. 

Salizyl,  Nierenreizung  dnrch 
593. 

Salzlösungen    bei    Rectum- 
operationen  325. 

Salzsaurebestimmung  492. 

Sanoform  141,  378. 

Santonin     gegen    Lungen- 
tuberkulose 475. 
— ,  N-haltige  Derivate  475. 

Säuglingsernährungl60, 594, 
599. 
— ,  natürliche,  648. 

Säuglingsflasche  619. 

Säuglingssterblichkeit  445. 

Sauers  Krankenbouillon  331. 

Sau  erst  offtherapie  526. 

Scharlach,  Antistrepto- 
kokkenserum  bei  321. 
— ,  Urotropin  bei  322. 

—  und  Scharlachserum 
368. 

Scheintod  der  Neugeborenen 

54. 

— ,  Fluorescin  bei  381. 
Schilddrüse,  Verrichtung  der 

544. 


Schnupfen,  akuter  220. 
Schömb  erger  dritter  Jahres- 
bericht 329. 
Schreibangst  438. 
Schreibkrampf  212. 
Schuppenfleohte  656. 
Schutzimpfung  nach  Pasteur 

Schwefelalkalien,  Vergiftung 
durch  270. 

Schwefelpräparate,  orga- 
nische 218. 

Schweißfuß  388,  545. 

Schwindsüchtige  Generation 
588. 

Schwindsucht    und    Krebs 
540. 

Schwingungen,  Gefahren  der 
827. 

Scrophuloderma,  Karbol- 
säure bei  658. 

Seeale  cornutum  214. 

Seekrankheit,    Atropin   bei 
388. 

Sepsis,  Ung.  Crede  bei  877. 

Septikämie    und    Collargol 
376. 

Serotherapie  des  Typhus  41. 

Serumbehandlung  des 
Basedow  532. 

Siccose  337. 

Silberpräparate,     Wirkung 
auf  die  Harnröhre  156. 

Sirupus   Golae  comp.  Hell 
150. 

Sodbrennen  276. 

Sorisin  372. 

Spinalanalgesie  im  Kindes- 
alter 477. 

Spiritusverbände  648. 

Spirochaete  pallida  595. 

Spirochaeten  in  inneren 
Organen  654. 

Sprachstörung  352,  414. 

Staphylokokken- Vaccine  bei 
Akne  482. 

Stillvermögen    der   Frauen 
220,  648. 

Stovain  207,  240. 

—  Hautgangrän  nach  595. 
Streptobazillen    bei    Ulcus 

molle  368. 
Strychnin   bei  Ischias  658. 
Studienreise,  ärztliche  164, 

442. 
Stypticin  92,  215. 
Styptol  437. 
Styrakol  611. 
Sublimatvergiftung  388. 
Succus  Valerianae  44. 
Symptomatologie,  klin.  541. 
Syphilis,   Behandlung   276, 
388,  650. 
— ,  Inokulation  auf  Ferkel 

50. 
— ,  Vererbung  65. 
Tabes,  Ätiologie  111,  257. 

—  me8enterica  479. 

— ,  Sehnenreflexe  bei  479. 
Taschenbuch  für  Ohrenärzte 

491. 
Tetanus,      Gehirnemulsion- 
einspritzung bei  265. 
— ,  Serumeinspritzung   bei 
265. 


Theobromin,  diuretisohe 

Wirkung  48. 
Theooin  452. 
Theocin  natrio-aceticum 


Theocinvergiftung  156. 
Theophyllin  285. 
— ,  Folgeerscheinungen 

nach  483. 
— ,  als  Dinreticum  488. 
Therapie,  Lexikon  der 
physikalischen  490. 
Thigenol  483. 
Thiolan  537. 
Thio8inamin    bei    Narben- 

kontrakturen  650. 
Tic  con*ulsif  479. 
Tonogen  suprarenale  268. 
Toxämie  in  der  Schwanger- 
schaft 477. 
Trachominfektion  109. 
Traggerüst   für   obere   Ex- 
tremität 539. 
Trauma   und  Lungentuber- 
kulose 319. 
Triferrol  377. 
Trigemin  484. 
Trituration  der  Katarakt  154. 
Tuberkulin  40,  492. 
Tuberkulinbehandelter, 
Ehen  und  Nachkommen- 
schaft 533. 
Tuberkulose,    Anzeigerecht 
146. 
— ,  Behandlung  im  Hause 

39. 
— ,  Behandlung  in  Leysin 

13,  493. 
Bekämpfung  820. 

—  der  Knochen  und  Ge- 
lenke 378. 

—  des  Kindesalters  320. 
— ,  Eindringen     und    Be- 
kämpfung 160. 

— ,  experimentelle  370. 
— ,  Heilbehandlung     der 

147. 
— ,  Immunisierung  mit 

Schildkrotentuberkel- 

bazillen  263. 
— ,  Immunisierung  von 

Rindern  gegen  263. 
— ,  Krankenversorgung 

146,  371. 
— ,  Präventivbehandlung 

371. 

—  und   Heimstätten   871. 

Röntgenstrahlen  41 

— ,  Vererbung    der    Dis- 
position 819. 

Typhusbazillen,  Anwendung 

abgetöteter  1. 
Typhus,    Serotherapie   des 

Überanstrengung    beim 
Schreiben  154. 

Überpflanzung  von  Kanin- 
chenhaut 652. 

Ulcus  cruris  163. 

—  molle,    Streptobazillen 
bei  868. 

—  ventriculi  686,  647. 
Unguentum  Crede  bei  puer- 
peraler Sepsis  377. 

—  sulfuratum  mite  537. 


Urologie  440,  543. 
Uroskopie,     diagnostische 

Wert  215. 
urotropin  49,  106. 

—  zur  Verhütung  von 
Scharlachnephritis  107, 
322,  485. 

Uteruskarzinom,  Drüsenaoi 

—  räum  ung  bei  325. 
— ,  Mahnwort  325. 

— ,  Radikaloperation    321 
Valofin  601.  I 

Vaselin    bei   Blatternarbe 

653. 
Vaselin-    oder  Paraffin  pro 

these  154. 
Vasenolformalin  388. 
Veratron  593. 
Verband,    erster    auf   dei 

Schlachtfelde  324. 
Verbandlehre,   Atlas   der 

386. 
Verona!  37,  77. 
Veronaiismus  439,  467. 
Veronal,  Zirkulationsstörtui 

nach  157.  1 

Vibrationsmassage  440. 
Viferral  143. 
Vitium  cordis,  Kalomel  b< 

433. 
Volksbelehrung  und  Tuba 

kulosebekämpfung  320. 
Vulnoplast  310. 
Warzenfortaatz,  Eröffnun 

des  480. 
— ,  psychische    Störung« 

nach  Operation   am  49 

—  Tuberkulose  des  479. 
Wasserstoffsuperoxyd,    El 

lebnis  mit  275. 

—  zur  Milchkonservierui 
586. 

Weinpräparate,  tonisiered 
6. 

Werden  und  Vergehen  66' 

Willensschwäche,  krank- 
hafte 160. 

Wismntbrandbinden ,  V« 
giftung  mit  381. 

Wismutrergiftung  270. 

Wöchnerinnenpflege  599. 

Wuk,  Ausscheidung  tc 
265. 

Wund  naht,  sehmenlo&eYi 

Würfelzucker  bei  Dia- 
betikern 589. 

Wurmfortsatz,  Funktion  d 
48. 

Wurstvergiftung  51. 

Xeroformstreupulver  485 

Zahnheilkunde  442. 

Zahn  und  Knochen  bilden* 
Substanzen,  Zufuhr  t< 
295. 

Zellmast  27. 

Zinoum  sulfuricum  oder 
Silber präparate?  216. 

Zinkperhydrol  58  L 

—  bei  Brandwunden  63 
Zuckerproben  175. 
Zuckerklistiere  590. 
Zungenkarzinom,     Baku 

lung  590. 
Zungenspatel,  selbst-; 
leuchtender  168. 


Für  die  Redaktion  rerantwortlich:  Dr. A.Langgaardin  Berlin  SW. 
Verlag  ron  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  UnirerBitäts-Buchdruckerei  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  in  Berlin  X. 


fcEC 


8. 
& 

5 

31 


kl 


tftc 


'S 


TT 


I 


&1l  +