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Full text of "Therapeutische Monatshefte"

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No. 

Boston 

Medical  Library 

Association, 

19    BOYLSTON     PLACE. 


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Therapeutische  Monatshefte 


Dritter  Jahrgang.   1889. 


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Therapeutische  Monatshefte. 


Bleh 

UDter  Redactioo  von 
Dr.  A.  limnggaard      and  Dr.  H.  Rabow. 

Dritter  Jahrgang. 
188». 


Berlin. 

Verlag    von    Julius    Springer. 


1689. 


QATALmUED, 


Inhalts-Verzeichniss. 


Originalabhandlangen. 

Seite 

1.  BemerkangeD  über  die  SaggestivÜierapie.    Von  Prof.  0.  Bins wanger 1 

2.  Verwerthon^  der  pneumatischen  Therapie  im  Eindesalter.    Von  Prof.  Ungar 7 

3.  Zar  Therapie  des  Typhus  abdominalis.      Von  Prof.  Purjesz 12 

4.  Zur  Therapie  des  Typhus  abdominalis.    Von  Dr.  £.  Brand 15 

5.  Beitrag  zur  Sozojodoltherapie.    Von  Dr.  Nits-chmann 16 

6.  Otiatrische  Statistik  in  therapentisoher  Beziehung.    Von  Dr.  L.  Jacobson 18 

7.  Ueber  Extractnm  Filicis.    Von  Dr.  de  Man 21 

8.  üeber  Ooloquinthen- Vergiftung.    Von  Dr.  Jansen        39 

9.  Zur  Therapie  der  Seekrankheit.    Von  Dr.'M.  Oohn          47 

10.  Zur  Therapie  der  Hydrocele.     Von  Dr.  von  Flamerdinghe 47 

11.  Zur  Verordnung  des  Kreosots.    Von  Dr.  Seitz 48 

12.  Oephalothrypter  oder  Oraniodast.    Von  Prof.  Dr.  Zweifel 49 

13.  Die  Opiumoehandlung  bei  Psychosen.    Von  Docent  Dr.  Ziehen 61 

14.  Behandlung^  der   ConjunctiTitis   granulosa  mittelst  partieller  Ezcision   der  Bindebaut.     Von 

Dr.  Th.T r eitel 63 

15.  Ueber  Nasenschwindel  spec.  über  Aprosexia  nasalis.    Von  Dr.  Brü  gel  mann 67 

16.  Ein  neuer  Spülapparat.    Von  Dr.  Rörig  jr.  (Wildungen) 70 

17.  Neue  Lanolinsalben.    Von  Dr.  £.  Stern  (Mannheim) 72 

18.  Ueber  Schwitz-Guren  bei  Syphilis.    Von  Dr.  Radestock 74 

19.  Fall  Yon  Vergiftung  mit  Crotonsamen  (Semen  Tislii).    Von  Prof.  H.  Schulz 89 

20.  Ueber  die  Gmwirkung  des  Extractum  Filicis  aethereum.    Von  Dr.  M.  Freyer 90 

21.  Ueber  Jodoform-Dermatitis.    Von  Dr.  Israel  (Gnesen) .  95 

22.  Ueber  Behandlung  der  Hydrocele  vaginalis  mittelst  Injection  reiner  Carbols&ure  nach  Levis. 

Von  Prof.  Helferich  (Greifswald) 97 

28.    Behandlung  von  Phthisikem  mit  Rectalinjectionen  von  flüssiger  Kohlensäure.     Von  Dr.  Max 

Oliven • .    .  100 

24.  Sublimat-Lanolin  als  Antisepticum.    Von  Dr.  A.  Gott  st  ein  (Berlin) 102 

25.  Ueber  Influenz-Elektridt&t  und  die  neue  Influenzmaschine.    Von  Dr.  Bielschowsky     .    .    .  106 

26.  Die  hydropathische  Leibbinde  als  Hypnoticum.    Von  Dr.  Altdorfer 121 

27.  Therapeutische  Mittheilungen.    Von  Dr.  Böttrich  (Hagen)       123 

28.  Ein  Fall  von  Kaffeevergiftung.    Von  Dr.  M.  Cohn  (Beriin) 139 

29.  Künstliche  Em&brung  bei  Behandlung  der  Diphtherie.    Von  Dr.  Renvers 145 

80.  Lithotripsie  bei  eingekapselten  Blasensteinen.    Von  Dr.  Rörigsen 155 

31.  Beitrag  zur  Kenntniss  der  Nebenwirkungen  des  Jod  (Jodkaii).    Von  Dr.  E.  Malachowski    .  162 

32.  Vergleichende  Untersuchungen   über   den   therapeutischen  Werth   der  Moorbäder  und   deren 

Surrogate.    Von  Dr.  Loimann  (Franzensbad) 165 

33.  Unangenehme  Erscheinungen   nach   combinirten   Gocaln-Antipyrininjectionen   am  Zahnfleische. 

Von  John  Wessler  (Stockholm) 1G8 

34.  Menthol  bei  Asthma.    Von  Dr.  Theod.  Jores 169 

35.  Zur  Antipyrintherapie  des  Keuchhustens.    Von  Dr.  Carl  Loewe  (Gronau) 169 

36.  Ueber  einen  Fall  von  Antipyrin-Intoxication.    Von  Dr.  H.  Berg  er  (Berlin)        185 

37.  Behandlung  des  Ileus.     Von  Prof.  H.  Curschmann  (Leipzig) 193 

38.  Erfolge  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopftubercuiose.    Von  Prof.  H.  Krause  203 

39.  Zur  Kreosot-Therapie  bei  Lungentubcrculose.    Von  Dr.  £.  Holm 211 

40.  Ueber  ein  Taschenfläschchen  für  Hustende.    Von  Geheimrath  Dr.  Dettweiler 216 

41.  Beobachtungen  über  Ichthyol  nach  dreijähriger  Anwendung.  Von  Dr.  v.  Hoff  mann  u.  Dr.  Lange  219 

42.  Zur  Ichthyol-Behandlung  des  Erysipelas.     Von  Dr.  von  Brunn  (Lippspringe) 222 

43.  Pneumatischer  Magenaspirator  für  therap.  und  diagnostische  Zwecke.    Von  J.  Gyrnidnski     .  224 

44.  Zwei  Fälle  von  Kaflfoevergiftung.    Von  Dr.  W.  Weinberg  (Stuttgart)  .    . 241 

45.  Haben  die  in  Vaselin  oder  Gel  gelösten  Antisoptica  wirklich  keine  therapeutische  Bedeutung? 

Von  Prof.  Rosenbaoh  (Breslau) 247 


lY  Inh1«..V.«.lclml«.  [^rjSia?* 

46.  Zar  Prophylaxe  der  Tuberculose.    Von  Prof.  F.  Mo sler  (Greifswald) •     •     .  249 

47.  Therapeutische  Mittheilungen.    Von  Dr.  Um pfenb ach  (Andernach) 250 

48.  Ueber  den  practischen  Nutzen  der  operativen  Behandlung  bei  der  Conjunctivitis   follicularis 

(granulosa).    Von  Prof.  Vossius  (Königsberg) 258 

49.  Menthol  bei  Furunculose  des  äussern  Gehörganges.    Von  Dr.  Gholewa 262 

50.  Eine  neue  Mastdarm-Elektrode.    Von  Dr.  Hüner fauth  (Homburg) 264 

51.  Ueber  Creolin-Exanthem.    Von  Dr.  J.  Wackez  (München) 264 

52.  Beitrag  zur  Jodoform-Dermatitis.    Von  Dr.  Kolbe 266 

53.  Zur  Wirkung  des  Antifebrin.    Von  Dr.  Sembritzki  (Königsberg  i.  Fr.)     .......  267 

54.  Ueber  antiseptische  Bohandlunff  der  Variola.    Von  Dr.  Le  wen  tan  er  (Konstantinopel)      .     .  268 

55.  KiTstallisirtes  Jodol  für  Insumationen   in  der  rhinolaryngologischen  Praxis.     Von  Dr.  Max 

Schäffer  (Bremen) 294 

56.  Uebor  Glycerin-Suppositorien.    Von  Dr.  M.  Schmeicher  (Amberg) 291 

57.  Eine  Quollsonde  zur  Behandlung  von  Verengerungen  der  Speiseröhre.   Von  Prof.  Dr.  Senator 

(Berlin) 297 

58.  Zur  Behandlung  der  Lnngentuberculose  mit  Kreosot.    Von  Prof.  Sommerbrodt     ....  298 

59.  Entstehung  una  Therapie  des  acuten  Jodismus.   Von  Dr.  Röhmann  u.  Dr.  Malachowski  .  301 

60.  Ueber  die  therapeutische  Verwerthung  der  Hypnose.    Von  Dr.  Schuster  (Aachen)       .     .     .  315 

61.  Zur  Frage  von  der  Resorption  des  Quecksilbers.    Von  Dr.  Pinner  (Zittau) 320 

62.  Salzbrunn  in  Schlesien.    Von  Prof.  0.  Liebreich 323 

63.  Ueber  einen  Fall  von  Antifebrinvergiftung     Von  Dr.  Alisch  (Hameln) 340 

64.  Chloralformamid,  ein  neues  Schlafmittel.    Von  Dr.  E.  Kny  (Strassbur^) 345 

65.  Ueber  die  therapeutische  Wirkung  des  Rubidinm-Ammonium-Bromid.    von  Prof.  Laufen  au  er  348 

66.  Zur  Therapie  des  Erysipels,  speciell  dessen  mechanische  Behandlung  Von  Dr.  H.  Kr  cell  .  352 

67.  Die  externe  elektrische  Behandlung  der  Kehlkopfkrankheiten.    Von  Dr.  Th.  Glemens      .    .  357 

68.  Zahnverpflanzung  von  einem  Individuum  auf  das  andere.    Von  Zahnarzt  Kirchhofer  .     .     .  360 

69.  Ueber  einige  beruhigende  Mittel  für  Geisteskranke.    Von  Dr.  0.  Dornblüth 361 

70.  Anwendung  der  Sozojodolpr&parate  bei  Nasen-  und  Halsaffectionen.     Von  Dr.  J.  Herzog 

(Graz)     . 364 

71.  Ein  Taschenirrigator.    Von  Dr.  Köhler  (Magdeburg) 366 

72.  Zur  Zerlegung  von  Jodkalium  durch  Kohlensäure,     von  Prof.  H.  Schulz 367 

73.  Eine  Antuebrinvergiftunc.    Von  Dr.  L.  ßrieger  (Neisse) 384 

74.  Beiträge  zur  Kenntniss  des  Godelns.    Von  Dr.  Guido  Rheiner 393 

75.  Ueber  den  Gebrauch  des  Codeins  bei  Frauenkrankheiten.    Von  Dr.  H.W.  Freund     .    .    .  399 

76.  Guajakol  bei  Phthise.    Von  Dr.  Meissen  (Falkenstein) 400 

77.  Noch  einmal  über  Behandlung  der  Conjunctivitis  granulosa  mittelst  Excision  der  Bindehaut. 

Von  Dr.  Th.  Treitel 401 

78.  Zur  Suggestiv-Therapie.    Von  Dr.  v.  Corval 403 

79.  Ueber  Sie  Perineorrnaphie  nach  Tait-Sänger.    Von  Dr.  H.  Rueter 409 

80.  Mastdarm-Elektrode  gegen  Prostata-Leiden.    Von  Dr.  Th.  Clemens 410 

81.  Ein  Fall  von  Creolinvergiftung.    Von  Dr.  Cr  am  er  (Laueuburg) 434 

82.  Ueber  die  Scblitzung  der  Mandeln.    Von  Dr.  Moritz  Schmidt  (Frankfurt  a.  M.)  ....  441 

83.  Ueber  den  practischen  Werth  der  Nitze'schen  Kystoskopie.    Von  Dr.  H.  Goldschmidt  .     .  442 

84.  Ueber  die  Behandlung  der  Uterusmyome  nach  Äpostoli.    Von  Dr.  R.  Schäffer      ....  447 

85.  Die  Lassar'sche  Haarcur  in  der  Privatpraxis.    Von  Dr.  E.  Graetzer  (Sprottau)      ....  452 

86.  Ueber  Sulfonal.    Von  Dr.  M.  Steiner 459 

87.  Zur  Behandlung  der  Hydropsie  mit  Calomel.     Von  Dr.  Kreuzeder  (Dorfen)       460 

88.  Vergiftung  mit  concentrirter  Carbolsäure  bei  einem   diphtheriekranken  Kinde.     Von  Dr.  A. 

Model  (Memminffen) 482 

89.  Graue  Quecksilbersalbe  als  Abortivum  gegen  Panaritium.    Von  Dr.  A.  Model 487 

90.  Anwendung  von  Jod-  und  Brompräparaten  per  Rectum.    Von  Prof.  H.  Köbner      .     .    .    .  489 

91.  Ueber  Sullonalwirkung.     Von  Dr.  Knoblauch  (Heidelberg) 495 

92.  Behandlung  der  Lungenschwindsucht  mit  Kreosot.     Von  Dr.  S.  Engel  (Berlin) 501 

93.  Zu  den  äusseren  Operationen  bei  Larynxtuberculose.    Von  Dr.  Betz  (Mainz) 505 

94.  Heilung  der  syphilitischen  Sklerosis  durch  elektrische  Ströme.    Von  Dr.  Th.  Clemens    .    .  507 

95.  Zur  desodorisirenden  Wirkung  der  Borsäure.    Von  Dr.  \V.  Faust  (Dresden) 514 

96.  Ein  Fall  von  Santoninvergiftung.    Von  Dr.  vanRey 532 

97.  Zu  den  antiseptischen  Mundwässern.    Von  Prof.  Dr.  Miller 536 

98.  Ueber  Jodkaliumwirkung.    Von  Prof.  Opponheimer 537 

99.  Zur  medicaraentösen  Therapie  des  Malansmebers.    Von  Dr.  0.  Schellen g  (Königsberg)  .     .  540 

100.  Ueber   die  Anwendung   des  Olivenöls    bei   der  Behandlung   der   Gallenstcinkrankheit.    Von 

Dr.  Siegfried  Rosenberg  (Berlin) 542 

101.  Ueber  Nieren  Operationen.    Von  Dr.  E.  Herczel  (Heidelberg) 549 

102.  Zur  Nachbehandlung  bei  Operationen  in  der  Nasenhöhle,     von  Docent  Dr.  H.  Suchannek 

(Zürich) .552 

103.  Endolaryngeale  Entfernung  eines  unter  der  Stimmritze  sitzenden  Fibromyxom.    Von  Dr.  Goris 

(Brüssel) 554 

104.  Beiti'äge  zur  Therapie  der  chron.  Gonorrhoe.    Von  Docent  Dr.  W.Fl  einer  (Heidelberg)       .  557 

105.  Ueber  Creolinvergiftung.    Von  Dr.  D  int  er  (Hildburghausen) 578 

106.  Ueber  die  Behandlung  des  Frostes.    Von  Prof.  0.  Liebreich 583 


m.  J«Itrg»iiff.  1 
1889.  J 


Inhaltt*  VenelcliDlM. 


Neuere  Arzneimittel. 


Seite 

107.  Mjrtol,   ein  wirksames  DesiDficionz  far 

die  Luftwege.    Von  Prof.  Eichhorst   .  22 

108.  Zur  Creolinfrage.    Von  Dr.  Plenio  23 

109.  Ueber  Acetjlphenylbydraoin   oder  Py- 
rodin.    Von  0.  Liebreich      ....  23 

110.  ft-Oxynaphtoes&ure.     Von  Dr.  Hei  big 
(Dresden) 75 

111.  Hydroxylamin 124 

112.  Eschscholtzia  califomica 124 

113.  Jurubeba 125 

114.  Methacetin  und  Exalgin 170 

115.  Beitrag  zur  Sulfonalwirkung.     Von  Dr. 
Joachim  (Berlin) 226 

116.  Was  ist  Exalgin? 230 

117.  Agaricins&ure 270 


Seite 

118.  Ueber  Amylenhydrat -Verordnung.  Von 
Prof.  J.  V.  Mering 326 

119.  Das  dithiosalicylsaure  Natron  11.  Von 
Prof.  0.  Liebreich 326 

120.  Ueber  Hyosoin.    Von  Dr.  S.  Rabow   .    867 

121.  Ueber  die  f&ulnisswidrige  Wirkung  der 
Flus88&ure.    Von  Dr.  Gottbrecht      .    411 

122.  Ueber  einige  neue  Schlafmittel.  Ohloral- 
amid.  Chloralammonium.  Ghloralurethan. 
Somnal.     Von  Dr.  A.  Langgaard  461,  515 

123.  Thioresorcin .    618 

124.  Ueber  die  Wirkung  des  Chloralamid  auf 
Kreislauf  und  Athmung.  Von  J.  v. 
Mering  und  N.  Zuntz 565 

125.  ChloraJsubstitutionsmittcL  Von  Prof.  0. 
Liebreich 668 


Therapeutische  Hittheilmigen  ans  Tereinen. 


Seite 

1.  Berliner  med.  Gesellschaft      .    .   24,  126,  329 

2.  Verein  für  innere  Medicin 76 

3.  Balneologen-Con gross  zu  Berlin      .    .    .    231 

4.  18.  Congress  der  deutschen  Gesellschaft 

für  Chirurgie  zu  Berlin      ...  327,  371,  417 

5.  Congress   für   innere   Medicin  in   Wies- 
baden   271,  373 

6.  Deutscher  Gynäkologencongress  zu  Frei- 
burg     369,  415 

7.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte  zu  B^idelberff 618,  568 

8.  Versammlune  der  südwestdeutschen  Irren- 
ärzte in  Eansruhe 24 

9.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien    .    .     .    419 

10.  Wiener  Doctorcn-Collegium 76 

11.  CentraWerein  deutscher  Aerzte  in  Böhmen  77 

12.  Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag    .    .    .  126 

13.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Budapest  .  77,  468 

14.  Verein  der  Aerzte  in  Krakau     ....  172 

15.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Zürich  .     .  78,  171 


Seite 


16.  Academie  de  Medecine  de  Belgique 
(Brüssel) .126 

17.  Societe  beige  de  gynecologie  et  d^obste- 
triqne 4G8 

18.  Academie  de  medecine  (Paris)  25,  79,  332,  420 

19.  SociMe  de  Chirurgie  (Pnris) 419 

20.  Society  de  Biologie  (Paris)    .    .    .     172,  419 

21.  Sociale    m^dicale   des   H6pitaux   (Paris) 

26.  172 

22.  Societe  medico-psychologique  (Paris) .    .    419 

23.  Internationaler  Congress  für  Dermatologie 

zu  Paris 465 

24.  Wissenschaftliche  Verhandlungen  der  Dor- 
pater  med.  Facult&t 128 

25.  Congress  deutscher  Aerzte  in  Petersburg    127 

26.  Gynäkologische  Gesellschaft  zu  Kiew      .      79 

27.  Erster  Congress  der  italienischen  Gesell- 
schaft für  innere  Medicin  zu  Rom .    .    .     128 

28.  Medical  Society  of  Virginia 79 


Toxikologie. 


(Die  fettgedruckten  Zahlen  bexelchnen  Original -Abhandlungen.) 


1.  Ueber  Coloquinthen -Vergiftung      .    .    . 

2.  Ueber  Torübergehenden  Verlust  des  Seh- 
vermögens durch  Opium tinctur  .     .     .     . 

3.  Bedrohliche  Erscheinungen  nach  Antipyrin 

4.  Toxische  Nebenwirkungen  des  Antipyrin 

5.  Vergiftung  durch  HimrodU  Pulver  .    . 

6.  Selbstmord  durch  Verschlucken  von  Ka- 
liumbichromat 

7.  Vergiftung  mit  Crotonsamen  (Semen Tiglii) 

8.  Giftwirkung  des  Extr.  Filicis  aether.  .    . 

9.  Ueber  bisher   nicht  beobachtete  Neben- 
wirkungen der  Salicylate 

10.  Ein  Fall  von  Kafieevergiftung    .... 

11.  Vergiftung  durch  die  Speiselorchel     .    . 


Seite 

89 

41 
41 
41 
42 

42 
89 
90 

92 
139 

140 


12.  Pikrotoxin,  ein  Antidot  des  Morphins    . 

13.  Fall  von  Antipyrin-Intoxication  .... 

14.  Tödtliche  NacowiriLung  des  Chloroforms 

15.  Chorea  nach  Jodofbrm-Intoxication 

16.  Intoxication  durch  Canthariden  .    . 

17.  Zwei  Fälle  von  Kaffee -Vergiftung  . 

18.  Acute  Cocaln-Verriftung   .... 

19.  Amblyopie  durch  Nitrobenzol -Vergiftung 

20.  Zur  toxischen  Wirkung  des  Cocain 

21.  Fall  von  Antifebrin-Vergiftung  .     . 

22.  Eine  Antifebrin-Vergiftung     .    .     . 

23.  Ein  Fall  von  Antifebrin-Vergiftunc 

24.  Zur  Kenntniss  der  Strychnin -Vergiftung  . 

25.  Eine  Antifebrin-Vergiftung 


Seite 
141 
185 
186 
186 
186 
Ul 
242 
242 
288 
288 
288 
840 
341 
884 


VI 


Inhalts- V^rs^iehnlM. 


rThcrap«atl«eh« 
L  MooatiheA«. 


Seite 

26.  Aetzwirkang  des  Broms  nnd  ihre  Behand- 
lunc 384 

27.  Toa  darch  Inhalation  von  Aethylenbromid  885 

28.  Schwere  AntipTriD -Yergiftang  bei  einem 
Kinde 385 

29.  Fall  von  Creolin -Vergiftung  .....  484 

30.  Zur  Casuistik  der  Oxalsäure -Yergiftunffen  435 
81.   Acute  Jod'Intoxication  bei  einem  Nephri- 

tiker 485 

32.   Intoxication   durch  Injection  von  Oleum 

cinereum 436 


Seite 

83.  Schneller  Tod  nach  Einspritzungen  von 
Morphin 436 

84.  Zwei  Fälle  von  Tod  nach  Moiphin-£in- 
spritzuDgen 486 

85.  Vergiftung    mit    Carbolsäure    bei    einem 
diphtheriäranken  Kinde 482 

36.  Fall  von  Cocaiu -Vergiftung 485 

37.  Fall  von  Santonin-Vergiftung     ....  582 

38.  Vergift;ung  mit  Thioresorcin 534 

39.  Fall  von  Cocain -Vergiftung 534 

40.  Ueber  Creolinvergiftung 578 


liitteratnr. 

Seite 

1.  Mittheilungen  aus  der  med.  Klinik  zu  Köuigsberff  i.  Pr.    Von  Prof.  Naunjn     ......  42 

2.  Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.    Von  Dr.  Paul  Bruns 46 

3.  Die  neueren  Arzneimittel.   3.  Auflage.    Von  Dr.  B.  Fischer 47 

4.  Ueber  Unglücke  in  der  Chirurgie.    Von  J.  N.  von  Nussbaum 92 

5.  Lehrbuch  der  Syphilis  uud  der  örtlichen  venerischen  Krankheiten.    Von  v.  Zeissl 93 

6.  Wie  ist  unser  Hebammen  wesen  rationell  zu  bessern?   Von  Dr.  M.  Frey  er 94 

7.  Lehrbuch  der  pathologischen  Anatomie.    Von  Birsh-Hirschfeld 94 

8.  Handbuch  der  Balneomerapie  für  practische  Aerzte.    Von  Dr.  R.  Flechsig 141 

9.  Arbeiten  des  pharmakologischen  Instituts  zu  Dorpat.    Von  Prof.  R.  Kobert 142 

10.  Formulae  magistrales  Berolinenses 143 

11.  Die  Schutzpockenimpfung  und  ihre  Ausführung.    Von  Dr.  E.  Peiper 143 

12.  Lehrbuch  der  venerischen  Krankheiten  und  der  Syphilis.    Von  Prof.  J.  Neumann    .    .    .    .  187 
18.    Chirurgische  Operationslehre.    Von  Karl  Löbker 190 

14.  Klinisches  Jahrbuch.    Von  Prof.  A.  Guttstadt 243 

15.  Die  Bedeutung  und  Therapie  des  Residualhams.    Von  Dr.  L.  Casper 245 

16.  Handbuch  der  kleinen  Chirurgie  für  practische  Aerzte.    Von  Dr.  G.  Wolzendorff    .    .    .    .  246 

17.  Klinische  Diagnostik  innerer  Krankheiten.    Von  Prof.  R.  v.  Jak  seh 293 

18.  Diagnostische  Semiotik  des  Harns.    Von  Dr.  Rosenfeld 293 

19.  Bäder- AI manach.   Vierte  Auflage 293 

20.  Auszug  aus   den  Krankengeschichten   der  in   der  med.  Klinik  des  Geh.  Medicinalrath  Prof. 
Mosler  vorgestellten  Patienten 341 

21.  Hüter-Lossen^s  Grundriss  der  Chirurgie 341 

22.  Die   chemisohe  und  mikroskopisch -bacteriologische  Untersuchung  des  Wassers.    Von  F.  Tie- 
mann  nnd  G.  Gaertner 842 

23.  Handbuch  der  Geburtshülfe.   Von  Prof.  Dr.  P.  Müller 886 

24.  Die  Mikroorganismen  der  Mundhohle.    Von  Prof.  W.  D.  Miller 389 

25.  Die  moderne  Behandlung  der  Nervenschwäche.    Von  Dr.  Löwenfeld 436 

26.  Mittheilungen  aus  der  cnirurg.  Klinik  zu  Kiel.    Von  Dr.  F.  v.  Esmarch 487 

27.  Lehrbuch  der  Ohrenheilkunde.   Von  Prof.  Joseph  Grub  er 437 

28.  Die  Methoden  der  Bacterienforschuns.   Von  Ferd.  Hueppe .  438 

29.  Die  Verbreitung  des  Heilpersonals  der  pharmaceutischen  Anstalten  und  des  pharmaceutischen 
Personals  im  deutschen  Reiche 439 

30.  Handbuch  der  Krankheiten  der  weiblichen  Geschlechtsorgane.   Von  Dr.  Karl  Schröder,  nm- 

gearbeitet  von  Prof.  M.  Hofmeier 485 

[andbuch  der  speciellen  Diagnose  der  inneren  Krankheiten.   Von  Prof.  Leube 485 

32.   Mittheilungen  aus  Dr.  Brehmer^s  Heilanstalt  für  Lungenkranke.   Von  Dr.  Brehmer    .    .    .  486 

38.   Jahrbuch  der  practischen  Medicin.    Begründet  von  Born  er,  herausgegeben  von  S.  Guttmann  487 

34.  Die  neueren  Arzneimittel.  4.  Auflage.   Von  Dr.  B.  Fischer 487 

35.  Annalen  des  städtischen  Krankenhauses  zu  München.   Von  Prof.  v.  Ziemssen 534 

36.  Führer  durch  die  Privatheilanstalten.   Von  P.Berg  er 535 

37.  Die  chirurgischen  Krankheiten  der  Harn-  und  männlichen  Geschlechtsorgane.    Von  Dr.  Paul 

Güterbock 580 

38.  Die  Urämie.    Von  Prof.  L.  Landois 582 

39.  Klinische  Beiträge  zur  manuellen  Behandlung  der  Frauenkrankheiten.    Von  Braun-Fernwald 

und  Kreissl 582 


yv 


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/3^4^ 


Therapeutische  Monatshefte. 


1889.    Januar. 


Oriffi 


A 


[lungen. 


o 


Beinerknngen  über  die  sfiigge^pDi^  o  g 

theraple. 


/ 


Von 


Prof.  Dr.  Otto  Binswanger  in  J^Äs^..^^^^^ 

Die  wissenschaftliche  Erforschung  des 
hypnotischen  Zustandes  durch  Braid,  Hei- 
denhain, Grützner,  Berger,  Charcot 
u.  A.  ist  von  unschätzbarem  Werthe  ge- 
wesen für  die  Erschliessung  eines  grossen 
Gebietes  neuropathologischer  Erfahrungs- 
thatsachen,  für  die  Bekämpfung  abenteuer- 
licher und  mystischer  Ausbeutung  räthsel- 
voller  Zustände  des  Seelenlebens  und  für 
die  endgültige  Widerlegung  berufsmässiger 
Zweifler,  welche  die  hypnotischen  Erschei- 
nungen ins  Bereich  des  Betruges  und  der 
Selbsttäuschung  verweisen  wollten.  Man 
darf,  Dank  dieser  Forschungen,  heut  zu 
Tage  den  Hypnotismus  zum  Gegenstand 
einer  wissenschaftlichen  Untersuchung  und 
Besprechung  machen,  ohne  fürchten  zu  müs- 
sen, phantastischer  Neigungen  geziehen  zu 
werden.  Fast  unabhängig  von  diesen  Fort- 
schritten der  Erkenntniss  hypnotischer  Er- 
scheinungen ist  jetzt  das  Bestreben  in  den 
Vordergrund  getreten,  den  Hypnotismus  als 
Heilmittel  nutzbringend  zu  machen.  Denn 
die  mächtige  Bewegung,  welche  die  Aerzte 
in  allen  Ländern,  wo  eine  wissenschaftliche 
Medicin  betrieben  wird,  ergriffen  hat,  hypno- 
tische Curen  auszuführen,  nimmt  ihren  Ur- 
sprung aus  einer  Zeit,  in  welcher  der  erste 
inductiv  forschende  Bearbeiter  des  Hypnotis- 
mus, Braid,  der  Vergessenheit,  um  nicht 
zu  sagen  der  stillschweigenden  Verachtung 
anheimgefallen  war.  Ein  praktischer  Arzt 
in  Nancy,  Dr.  Liebeault,  hatte  in  gleicher 
Weise,  wie  J.  P.  Philips  (Durand  de 
Gros),  Charpignon  u.  A.  in  den  fünfziger 
Jahren  die  Aufgabe  begonnen,  den  „künst- 
lichen" Schlaf  zu  therapeutischen  Zwecken 
zu  erzeugen.  Er  knüpfte  an  einen  Aus- 
läufer der  Mesmerischen  Schule  der  Heil- 
magnetiseure,  an  Dupotet  an  und  erzielte 
zuerst  den  hypnotischen  Zustand,  indem  er 
den  Blick  der  Versuchsperson  auf  seine 
eigenen  Augen    fixiren    Hess.     Es    war   dies 


j^[j^2rerfanren,  das  schon  im  Anfange  dieses 
^hrhundj/rts  von  Marquis  de  Puysegur, 
deiB* X?hi^alier  de  Barbarin,  insbesondere 
^^afejx^m  Abbe  Faria  eingeführt  und  viel- 
fach geübt  worden  war.  Diese  „spiritua- 
listische"  Schule  des  Mesmerismus  lehrte 
schon,  dass  der  „magnetische  Schlaf"  mit- 
telst des  Glaubens  und  des  festen  Willens 
des  Einzuschläfernden  hervorgerufen  werden 
könne,  dass  die  „Baquets"  und  Salles  de 
crises  von  Mesmer  und  D'Eslon  zu  den 
verwerflichsten  Ausschreitungen  führen  und 
dass  der  Hauptzweck  des  Magnetiseurs  darin 
bestehen  müsse,  einen  ruhigen,  wohlthuen- 
den  Schlaf  hervorzubringen. 

Da  aber  dieses  Verfahren  sehr  häufig 
nur  langsam  zum  Ziele  führte  und  der 
künstliche  Schlaf  hiebei  von  einem  Erre- 
gungszustand (Athmungs-  und  Pulsbeschleu- 
nigung) eingeleitet  wurde,  so  wandte  sich 
Liebeault  dem  ursprünglichen  Brai  du- 
schen Verfahren  zu,  das  im  Jahre  1860 
unter  dem  autoritären  Einfluss  von  Broca 
und  Azam  in  Frankreich  wissenschaftliche 
Geltung  erlangt  hatte.  Aber  auch  diese 
Methode  des  Hypnotisirens  erzeugte  unan- 
genehme Zwischenfälle  (Convulsionen);  gün- 
stiger gestalteten  sich  die  Versuche  mit  dem 
von  Dr.  Durand  modificirten  Braid 'sehen 
Verfahren,  bei  welchem  der  zu  fixirende 
Gegenstand  weniger  glänzend  war  und  von 
der  einzuschläfernden  Person  selbst  in  der 
Höhe  der  Augen  gehalten  wurde. 

Vollständig  befriedigend  aber  behufs  Er- 
zielung eines  ruhigen,  dem  natürlichen 
Schlaf  gleichkommenden  hypnotischen  Zu- 
standes war  ein  „gemischtes"  Verfahren, 
welches  die  Fixation  Dupotet' s  mit  den 
Suggestionen  des  Schlaf  zustandes  seitens  des 
Abbe  Faria  verband.  Zugleich  erweiterte 
Liebeault  die  Einflüsterungen  des  Schlafes, 
indem  er  die  hauptsächlichsten  Symptome 
beim  Eintreten  des  Schlafes  den  Kranken 
vorredete:  das  Bedürfniss  zum  Schlafen, 
die  Schwere  der  Augenlider,  das  Gefiihl  der 
Schläfrigkeit,  die  Verminderung  der  Schärfe 
der  Sinne  u.  s.  w.  Er  wiederholte  diese 
Suggestionen     mehrere    Male     mit     ,,  sanfter 

X 


Binswanger,  Bemerkungen  Über  die  Suggestivtheraple. 


rTberapeutische 
L  Monatshefte. 


Stimme".  „Auf  diese  Weise,  durch  mehr- 
fache Suggestionen,  aber  alle  zum  gleichen 
Zwecke  verwandt,  wurde  allmählich  die  Idee 
des  Schlafens  in  ihrem  Geiste  eingeschaltet 
und  setzte  sich  endlich  darin  fest."  Nur  in 
„rebellischen"  Fällen  griff  er  auf  die  Me- 
thode Ton  Durand  zurück. 

Im  Jahre  1866  yeröffentlichte  Liebe  au  It 
seine  reichen  Erfahrungen  „über  den  Schlaf 
und  analoge  Zustände"   und  stellte  verschie- 
dene Grade   des   hypnotischen  Schlafes   fest. 
Er    verwerthete    die   Macht    der   Suggestion 
zur  Beseitigung  der  verschiedenartigsten  Uebel 
und  vergass  auch  nicht,  was  übrigens  schon 
die  älteren  Magnetiseure  (freilich  auf  Grund 
höchst    verworrener    Ansichten    über    fluidi- 
stische  Kräfte)    in    praxi    geübt   hatten,    zu 
„entmagnetisiren",  d.  h.  um  in  seinem  Sinne 
zusprechen,  zu„desuggestioniren".  Zu  diesem 
Zwecke   ist   es   nothwendig,    vor  Beendigung 
der  hypnotischen  Sitzung  der  Versuchsperson 
zu  suggeriren,  dass  sie  sich  nach  dem  Auf- 
wachen völlig  wohl  fühlen  und  ohne  schäd- 
liche Folgen  durch  die  stattgehabte  Behand- 
lung   bleiben   werde,    sowie    den   Suggestiv- 
befehl   zu    ertheilen,    alles   in   der  Hypnose 
Gedachte    und    Erlebte    zu    vergessen,    falls 
des  Versuches   halber   tief  eingreifende  Ver- 
änderungen   des   normalen  Zustandes    erzielt 
worden   waren.     Sehr  lehrreich   ist   das  fol- 
gende Beispiel,  das  Liebe ault  in  anerken- 
nenswerther  Freimüthigkeit  aus  seinen  Erleb- 
nissen mittheilt,  da  es  sowohl  die  Gefahren 
der  mangelhaften  Desuggestionirung,  als  auch 
die     durch    öfters    fortgesetzte    hypnotische 
Heilversuche    gezüchtete    Suggestibilität    im 
wachen  Zustande  zu  beleuchten  im  Stande 
ist.     „Ich   wollte   eines   Tages   einer  Mutter 
demonstriren ,    dass   ihr  Sohn,    welchen   ich 
behandelte,    und    welcher    schon     von     mir 
hypnotisirt    worden   war,    sogar   im   wachen 
Zustande    geeignet    wäre,    den    Gontre-coup 
einer  Suggestion  auf  den  Organismus  zu  er- 
proben.     Ich   machte  ihn  sofort,    durch  ein- 
fache Versicherung,   für   einige  Zeit   stumm. 
Nachdem    ich   die   Sache   demonstrirt  hatte, 
desuggestionirte  ich  ihn.     Sie  entfernten  sich, 
zusammen   plaudernd  und  über  das  Wunder 
überrascht.      Aber   am   andern   Morgen    kam 
zu   meiner  grossen  Ueberraschung  der  junge 
Mann  ganz  früh  in  höchstem  Grade  bestürzt 
zu  mir;  er  hatte  sich  in  der  Hast  nur  nach- 
lässig   bekleidet:    ich    erinnere    mich   sogar, 
dass  er  an  einem  Fuss  einen  blauen  und  an 
dem   andern  Fuss  einen  rothen  Strumpf  an- 
gezogen   hatte.      Beim    Erwachen    hatte    er 
sprechen  wollen;  aber  die  Stimme  blieb  ihm 
in  der  Tiefe  der  Kehle  stecken!  Man  ermesse 
sein    Erschrecken!     Ich    beeilte    mich,    ihm 
mittelst  Suggestion  ixa  Verlaufe  eines  neuen 


künstlich  erzeugten  Schlafes  das  Wort  wieder- 
zugeben und  versprach  mir,  in  einem  gleichen 
Falle  von  nun  an  das  Vergessen  der  sugge- 
rirtcn  Erscheinung  besser  zu  bekräftigen. 
Ich  kann  mir  diese  eigenartige  Stummheit 
nur  dadurch  erklären,  dass  dieser  Kranke 
ohne  Zweifel  im  Schlafe  geträumt  hatte,  er 
wäre  wieder  stumm  geworden."  (Confession 
d*un  medecin  hypnotiseur.  Revue  de  THypn. 
I.  No.  5.) 

An  gleicher  Stelle  erwähnt  er  eines  Bei- 
spieles, bei  welchem  eine  seiner  Somnambulen 
von  ihren  Mitarbeiterinnen  missbräuchlich 
durch  Suggestionen  im  wachen  Zustande  zu 
verkehrten  Handlungen  veranlasst  und  in 
hallucinatorische  Zustände  versetzt  wurde. 
Liebeault  suggerirte  ihr  deshalb  im  Schlaf- 
zustande, dass 'Niemand  ausser  den  Herren 
Bernheim,  Liegeois  und  ihm  sie  einschlä- 
fern und  Suggestioniren  könne.  Das  half. 
„Auf  gleiche  Weise  verfahren  alle  Hypno- 
tiseure von  Nancy,  um  ihre  Versuchspersonea 
gegen  Eingriffe  Profaner  zu  schützen."  Er 
bemerkt  ausserdem,  dass  bei  solchen  Indi- 
viduen alle  unnöthigen  Suggestionen  vermie- 
den werden  sollen,  um  nicht  den  Rest  ihrer 
Widerstandskraft  zu  zerstören. 

In  einem  andern  Falle  erzeugte  er  bei 
einem  Kranken,  den  er  von  einer  Ischias 
(durch  Suggestion  im  hypnotischen  Zustande) 
geheilt  hatte,  durch  einen  plötzlichen  Schreck 
(im  wachen  Zustande)  heftige  nervöse  Zuckun- 
gen des  ganzen  Körpers,  'welche  mehrere 
Tage  andauerten  und  erst  durch  Professor 
Bernheim  mittelst  „ingeniöser Suggestionen" 
wieder  beseitigt  werden  konnten. 

Aber  die  weise  Vorsicht,  die  Macht  der 
Suggestibilität  auf  die  Person  des  Hypnoti- 
seurs zu  monopolisiren,  hat  nach  Liebeault 
auch  ihre  Schattenseiten;  bei  einem  hyste- 
rischen Mädchen  waren  durch  die  hypnoti- 
sche Behandlung  die  Krankheitserscheinungen 
beseitigt  worden,  kehrten  aber  wieder,  als 
ein  anderer  Arzt,  welcher  von  der  genannten 
Präventivsuggestion  nichts  wusste,  einen 
neuen  Versuch  des  Hypnotisirens  ausführte. 
Durch  diesen  Widerstreit  der  suggerirten 
Vorstellungen  kam  der  neue  Anfall  zu  Stande. 
In  solchen  Fällen  ist  also  nach  Liebeau  It 
nothwendig,  den  Kranken  von  dieser  Vor- 
sichtsmaassregel  Mittheilung  zu  machen. 

Bevor  ich  die  Nutzanwendung  aus  diesen 
üblen  Erfahrungen  Li^beault's  zur  Zeit 
seiner  Lehrjahre  als  „Hypnotiseur"  ziehe, 
möchte  ich  einen  kurzen  Blick  auf  die  ärzt- 
lichen Bestrebungen  in  Deutschland  zur 
wissenschaftlichen  Beseitigung  und  Anwen- 
dung des  thierischen  Magnetismus  als  Heil- 
mittel aus  der  Zeit  vor  Braid  und  Lie- 
beault werfen.     Ich  lehne  mich  hierbei  an 


ITI.  Jahrgang.! 
;  Jannar  1888.  J 


Binswanger,  Bemerkungen  über  die  Suggestivtherapie. 


die  Schilderuogen    eines  Frankfurter  Arztes, 
Dr.  Schwarz  Schild   an,    welcher  im  Jahre 
1843  (veröffentlicht  1853)  Vorlesungen  über 
diesen  Gegenstand  in   seiner  Vaterstadt  ge- 
halten hat.  Wenn  wir  von  seiner  Deutung  des 
thierischen  Magnetismus  als  das  Product  des 
üeberfliessens  eines  im  Nervensystem  des  Mag- 
netiseurs  erzeugten  „Imponderabile^  auf  die 
Versuchsperson  und  die  durch  die  „Manipula- 
tionen" erzeugte  TJebertragung  desselben  ab- 
sehen,   so  muss  9ian  sagen,   dass  der  Autor 
gesunde  Ansichten  über  den  mit  dieser  „Natur- 
kraft" getriebenen  Missbrauch,  sowie  über  die 
abergläubischen  und  betrügerischen  Ausbeu- 
tungen des  Publikums  seitens  vieler  Magneti- 
seure  gehabt  hat.    Man  lernt  aber  auch  durch 
diese  Vorlesungen  die  Tbatsache  kennen,  dass 
schon  damals  so  ziemlich  alle  Erscheinungen 
des  hypnotischen  Zu  Standes  bekannt  gewesen 
sind,    selbst    die   Erscheinungen    der    Auto- 
suggestion, des  „Selbstmagnetismus".    Er  ci- 
tirt  den  gewiss  auch  heute  noch  zu  beherzi- 
genden Ausspruch  eines  der  gelehrtosten  ärzt- 
lichen Magnetiseure,  des  Dr.  Kluge*):   „Von 
den  unmerklichsten  psychischen  Affecten  an 
bis  zur  höchsten  geistigen  Befangung,  die  das 
ganze  gewöhnliche  sensitive  und  intellectuelle 
Leben  aufhebt,  durchläuft  der  magnetisch  be- 
handelte Kranke  das  dunkle  Gebiet  der  Mög- 
lichkeiten  auf  seiner  eigenen,   ungemessenen 
und  nicht  im  Voraus  zu  berechnenden  Bahn". 
Ich  möchte  an  dieser  Stelle  den  Nachweis 
liefern,  dass  die  damaligen  Aerzte,  welche  sich 
mit  dem  thierischen  Msgnetismus  beschäftig- 
ten,  bei  der  Schilderung  der  „magnetischen 
Grade"  den  neuen  Entdeckungen  der  Herren 
Liebeault,     Bernheim    und    Forel    über 
die  Abstufungen  des  hypnotischen  Zustandes 
kaum   nachgestanden    sind.      Ich    folge    wie- 
derum    der    Darstellung     von     Kluge    und 
Schwarzschild. 

1.  Grad.  Grad  des  Wachens  mit  ver- 
änderter vasomotorischer  Hautreaction  und 
abnormen  subjectiven  Empfindungen,  gestei- 
gertem W^ärmegefuhl.  Allmählich  tritt  ein 
Gefühl  von  Leichtigkeit  und  Wohlbehagen 
im  ganzen  Körper  ein,  ohne  dass  gerade 
noch  Schläfrigkeit  und  Schlaf  erfolgt.  Wenn 
aber  letzterer  eintritt,  so  ist  es  noch  kein 
magnetischer  Schlaf,  sondern  ein  natürlicher, 
der  durch  Geräusch,  Anreden  etc.  leicht  ge- 
stört und  unterbrochen  wird  .  .  .  Das  gewöhn- 
liche sinnliche  Leben  ist  noch  völlig  unge- 
stört,  unverändert,  die  Sinnesorgane  dienen 

')  Versach  einer  Darstellung  des  animalischen 
Magnetismus  etc.  1819.111  Auflage.  Niedergeschrieben 
im  ersten  Viertel  unseres  Jahrhunderts,  zu  einer  Zeit, 
als  der  thierische  Magnetismus  unter  dem  Einüuss 
der  naturphilosophischen  Schule  von  Hegel  die  un- 
geheuerlichsten Blüthen  in  Deutschland  trieb!  Ein 
erfreulicher  Kuhepunkt  in  dem  Wirrsal  der  Geister!  | 


noch   dazu,    den  Menschen   mit  der  Aussen- 
welt  in  Verbindung  zu  erhalten. 

2.  Grad.     Grad    des    Halbschlafens 
oder    der  unvollkommenen   Krisis,    mit   Zu- 
nahme der  abnormen  Wärmeempfindung,  ver- 
tiefter, beschleunigter  Respiration,  gesteiger- 
ter Pulsfrequenz.  Dabei  Auftreten  einer  eigen- 
thümlichen  Schwere  der  Augenlider,  Schliessen 
der  Augen,  Unmöglichkeit  dieselben  zu  öffnen. 
„Noch  hört  der  Kranke  Alles,  ja  bei  Man- 
chem sogar  ist  mit  dem  Schliessen  der  Augen 
die  Thätigkeit  der  übrigen  Sinnesorgane  er- 
höht.    Noch    weiss   er   Alles,    was   um  ihn 
herum  vorgeht  und  er  erinnert  sich  des  Ge- 
schehenen sogar  beim  Erwachen."     Den  ärzt- 
lichen  Beobachtern    entgingen   aber   die  fol- 
genden    unangenehmen    Nebenerscheinungen 
nicht:  Ohnmächten,  üebelkeit,    krampfhafte 
Bewegungen  und  Zuckungen  der  Glieder  und 
des  Rumpfes,  Fieberbewegungen,  Schmerzen 
und  „eine  ganze  Reihe  nervöser  Erscheinun- 
gen".   Der  Kranke  vermag  an  ihn  gerichtete 
Fragen  bei  vollem  Bewusstsein  zu  beantwor- 
ten.  —   Daraus  entwickelt  sich  oft  unmerk- 
lich,    oft    unter    Erscheinungen    gewaltiger 
Reaction   (Convulsionen)   der   3.  Grad,    der 
eigentliche     magnetische     Schlaf,     in 
welchem  der  Kranke  völlig  von  der  Aussen- 
welt   abgetrennt  ist,    „wo   auch  die  übrigen 
Sinne   sich  ver schliessen,   wo  er  gegen  alles 
Anreden,    gegen   das   lauteste  Schreien  taub 
und   unempfindlich   wird    und   wo   beim  Er- 
wachen jede  Rückerinnerung  an  diesen  eigen- 
thümlichen  Zustand   durchaus   verschwunden 
ist.     Es  ist  dies  ein  merkwürdiger  Zustand, 
ein    Zustand,    von  dem   die   „Magnetiseurs" 
mit  Recht  sagen,  dass  der  Mensch,  aus  der 
Verbindung  tretend  mit  der  Aussenwelt,  zur 
inneren  Dunkelheit  übergehe".  Dieser  3.  Grad 
entspricht    in    seiner    weiteren    Schilderung 
unserer  Gewährsmänner  fast   völlig   dem  le- 
thargischen   Zustande    Charcot's    (freilich 
mangelte  die  Kenntniss  der  neuromuskulären 
Uebererregbarkeit).   Aus  diesem  magnetischen 
Schlafzustand    aber   giebt  es  „ein  doppeltes 
Erwachen",  entweder  zum  wirklichen,  völligen 
Erwachen,    oder   aber   zum  4.  Grade:   dem 
Schlafwachen,  dem  einfachen  Somnam- 
bulismus   oder    der    vollkommenen   Krisis. 
In    diesem    Zustand    besteht   eine    „äusserst 
feine   und  unerklärliche  Empfindlichkeit  des 
Nervensystems",  eine  verfeinerte  und  erhöhte 
Auffassungskraft  des  Kranken  gegen  Sinnes- 
eindrücke,   ein   gesteigertes   Innenleben,  ein 
inniger  „Rapport"    „zur  höchsten  Sympathie 
mit   dem  Magnetiseur   gesteigert",    eine  un- 
widerstehliche Gewalt   des  Magnetiseurs  auf 
seine  Somnambulen.     Auch   in   die    weiteste 
Entfernung,   ja   auf  viele    100   Meilen   kann 
der    feste,    fixirt^   Willen   des  Magnetiseurs 


Binswanger,  Bemerkungen  über  die  Suggestivtberapie. 


rherapeutUche 
Monatahoft^. 


influiren".  "Wer  gedenkt  hier  nicht  der  neueren 
interessanten  Versuche  Ladame's  und  Lie- 
jeois'  über  die  Vermittlung  der  hypnotischen 
Suggestion  auf  telephouischem  Wege!   — 

Die  „höheren"  Grade  des  magnetischen 
Schlafes,  den  Grad  des  „eigentlichen  Hell- 
sehens", der  Glairvoyance,  sowie  den  sechsten 
Grad,  der  „Exstasis",  der  Desorganisation, 
der  magnetischen  Divination  können  hier 
füglich  übergangen  werden,  da  sie  ausschliess- 
lich historisches  Interesse  besitzen.  Die 
einsichtigen  Aerzte,  welche  sich  mit  diesen 
Fragen  beschäftigten,  wiesen  übrigens  schon 
zur  Zeit  der  Blüthe  dieser  Verirrungen  des 
thierischen  Magnetismus  diese  höheren  Grade 
als  die  Frucht  Yon  Selbsttäuschungen  und 
Betrügereien  zurück,  als  ,,die  unverschul- 
deten Auswüchse  dieser  allerdings  merkwür- 
digen Lebenserscheinung".  Sie  betonten 
schon  damals  die  vielen  Beziehungen  der 
thierisch-magnetischen Erscheinungen  mit  dem 
gewöhnlichen  Schlafe,  mit  dem  Traumleben 
im  Schlafe  und  mit  dem  natürlichen  Som- 
nambulismus oder  Nachtwandeln  und  legten 
jene  Wundererzählungen  der  gesteigerten 
„Phantasiethätigkeit"  der  Somnambulen  und 
der  „Selbstmagnetisining"  der  Magnetiseure 
zur  Last. 

In  den  Händen  dieser  nüchternen  Heilmag- 
netiseure  blieb  der  thierische  Magnetismus  vor 
gröberen  Ausschreitungen  bewahrt;  so  sehr 
diese  Aerzte  von  der  beruhigenden  und  heilen- 
den Macht  dieses  Agens  überzeugt  waren,  so 
sehr  waren  sie  aber  auch  durchdrungen  von 
dessen  unheilvollem  Einfluss  bei  unzweck- 
mässiger Anwendung  zu  Schaustellungen  oder 
in  den  Händen  gewissenloser  Laien.  „Der 
thierische  Magnetismus  macht  aus  dem  ver- 
nünftigen Menschen  einen  Automaten"  .  .  . 
„Die  höheren  Kräfte,  die  Willenskraft,  die 
Freiheit,  das  Bewusstsein  fehlen",  sagt 
Schwarzschild. 

lieber  die  Heilwirkung  des  Mittels  äussert 
sich  unser  Gewährsmann  noch  folgender- 
maassen:  „Man  betrachte  den  Magnetismus 
nur  als  ein  einfaches  Beruhigungsmittel. 
Man  gehe  womöglich  nie  weiter,  als 
bis  zum  2.  Grade,  zum  Grade  des  tiefen 
Schlafes.  Das  Erwachen  aus  diesem  Schlafe 
ist  ein  süsses,  ein  heilbringendes,  und  man 
kann  diesen  Heilversuch  oft  und  ungestraft 
wiederholen.  Sollten  indessen  schon  bei 
den  ersten  Strichen  die  Symptome  einer 
allzu  lebendigen  Phantasie  sich  äussern  und 
der  üebergang  in  den  Traumgrad  (die  Lethar- 
gie) und  in  den  Grad  des  Somnambulismus 
schneller  als  man  erwartet  eintreten,  wie 
ich  es  schon  mehrfach  gesehen,  so  höre  man 
mit  dem  Bestreichen  auf,  so  entferne  man 
9ich  uad  reize  die  Kranke   nicht  durch 


unnöthige  Fragen"  u.  s.  w.  Auf  diese 
Weise  werden  Schlaflosigkeit,  gemüthliche 
Ueberreiztheit,  Schmerzen  und  Krampfzu- 
stände bekämpft  und  nach  Angabe  dieser 
deutschen  Autoren  auch  beseitigt.  Sie  be- 
merken aber  ausdrücklich,  dass  gerade  solche 
Individuen  am  geeignetsten  für  den  Magne- 
tismus sind,  „deren  Nerventhätigkeit 
körperlich  und  geistig  ohnehin  krank- 
haft aufgereizt  und  verstimmt  ist".  Sie 
machen  auf  die  Gefahren  der  vom  Magnetis- 
mus 80  leicht  übrigbleibenden  Krankheit, 
der  „Magnetomanie"  aufmerksam,  „nämlich 
jener  Sehnsucht  zur  Wiederholung  des  Mag- 
netismus". 

Diese  deutsche  Schule  folgte  behufs  Er- 
zeugung des  hypnotischen  Zustandes  vielfach 
sklavisch  den  Modificationen  des  ursprung- 
lich Mesmerischen  Verfahrens,  dermethodischen 
Ausführung  „des  magnetischen  Streichens". 
Doch  wussten  sie  aus  eigener  Erfahrung, 
dass  das  Magnetisiren  „ohne  Manipulationen" 
leicht  ausgeführt  werden  kann.  Ein  Wink, 
ein  Blick,  ja  oft  blos  der  Gedanke  wirkt 
nach  den  Erfahrungen  von  Huf  el  and.  Kluge, 
Schwarzschild  u.A.  einschläfernd  auf  leicht 
empfängliche  Kranke. 

Ich  habe  absichtlich  diese  historische 
Skizze  an  den  Eingang  meiner  Betrachtungen 
über  die  Suggestivtherapie  gestellt,  um  eine 
möglichst  breite  Grundlage  für  eine  objec- 
tive  Würdigung  der  neueren  Bestrebungen 
auf  diesem  Gebiete  zu  gewinnen.  Von 
einem  holländischen  Hypnotiseur^)  ist  den 
deutschen  Aerzten  der  Vorwurf  entgegenge- 
schleudert worden,  dass  sie  fortfahren,  der 
Einführung  der  „suggestiven  Psychotherapie" 
eine  „höhnische  Opposition"  zumachen, 
„während  die  Aerzte  Italiens,  der  Schweiz, 
Russlands,  Oesterreichs,  Norwegens,  Eng- 
lands, Belgiens  und  Hollands  eine  Pilger- 
fahrt nach  Nancy  unternommen  und  in  ihr 
Vaterland  die  Fortschritte  der  Wissenschaft 
zurückgebracht  hätten,  welche  in  den  Kli- 
niken der  Herren  Bernheim  und  Liebeaul t 
verwirklicht  sind". 

Ich  will  mit  dem  Herrn  Dr.  van  Eeden 
nicht  über  seine  persönlichen  Ansichten 
rechten,  ich  will  nur  bemerken,  dass  die 
vorstehende  Behauptung  eine  grobe  Ueber- 
treibung  darstellt!  Die  ganze  Frage  der 
Suggestiv therapie  ist  wissenschaftlich  noch 
so  wenig  abgeklärt,  die  Geschichte  des  Heil- 
magnetismus giebt  uns  ebenso  viele  enthu- 
siastische Lobeserhebungen  als  vorsichtige 
Warnungen  an  die  Hand,  dass  es  wohl  an- 
gezeigt  erscheint,    erst   zu  wägen  und  dann 

*)  De  psychische  Geneeswyce  door  Dr.  F.  van 
Eeden.  Amsterdam  1888.  Analysirt  in  der  Revue 
de  rhypnotisme  No.  9.  (Mars  1888.) 


lÜ.  Jahrgang.l 
Janoar  1889.  J 


fiinswanger,  Bemerkungen  über  die  Suggestivtherapie. 


zu  wagen.  Ich  habe  zuerst  den  Begründer 
der  neuen  Lehre  sprechen  lassen  und  bitte, 
wohl  auf  dessen  Weisungen  zu  achten,  da 
sie  '  am  besten  illustriren  können,  welche 
Gefahren  die  Methode  birgt,  und  welche 
üblen  Erfahrungen  dieser  geübte,  und  sicher 
gewissenhafte,  Hypnotiseur  sammeln  konnte. 
„Aber  diese  Zeiten  des  Tastens  und  Suchens 
sind  jetzt  vorüber.  Dank  der  Studien  Lie- 
beault^s  sind  wir  zu  einer  sicheren,  gefahr- 
losen und  heilbringenden  Methodik  fortge- 
schritten!" Oder  wie  Dr,  E.  B^rillon,  der 
Redacteur  der  Revue  de  Thypnotisme  sich 
ausdrückt:  „^i^^  haben  uns  davon  überzeugen 
können,  dass  die  Mehrzahl  derjenigen,  welche 
nur  unangenehme  Zwischenfälle  (accidents) 
oder  Misserfolge  zu  verzeichnen  haben,  dies 
ausschliesslich  ihrer  fehlerhaften  Methodik, 
ihrer  TJnerfahrenheit  und  ihrer  Unzulänglich- 
keit zuzuschreiben  haben.  Es  ist  naturge- 
mäss,  dass  in  den  Händen  eines  Ungeschick- 
ten, eines  brutalen  oder  unwissenden  Men- 
schen der  Hypnotismus  ebenso  gefährlich 
wird,  wie  die  Digitalis  und  das  Opium  in 
den  Händen  eines  Empirikers." 

In  gleicher  oder  verwandter  Weise  lehren 
alle  Adepten  Liebe  au It^s,  dass  in  der  von 
ihnen  geübten  Methodik  der  Schlüssel  zum 
Verständniss  ihrer  Erfolge  zu  suchen  sei. 

Betrachten  wir  also  zuerst  die  Methodik. 
Ich  habe  den  Entwicklungsgang  der  Sug- 
gestivtherapie  in  den  Händen  Liebe  au It's 
schon  geschildert;  sein  wesentliches  Verdienst 
besteht  darin,  die  physikalischen  Methoden 
zur  Erzeugung  der  Hypnose  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  zu  haben  unter  stetem  Hin- 
weise auf  die  Thatsache,  dass  diejenigen 
Zustandsformen  der  Hypnose,  welche 
zur  therapeutischen  Verwerthuug  der- 
selben nothwendig  seien,  am  leich- 
testen auf  dem  Wege  der  Suggestion 
erlangt  werden  können.  Alle  äusseren 
Hülfsmittel,  Fixation  des  Blickes,  Streichen, 
einförmige  Geräusche  u.  s.  w.  besitzen  hierbei 
nur  die  Bedeutung,  den  Kranken  rascher 
suggestibel  zu  machen  d.  h.  in  seinem  Geiste 
den  Gedanken  zu  wecken,  dass  der  Hypno- 
tiseur die  physische  und  moralische  Macht 
in  Händen  halte,  ihn  seinem  Willen  unter- 
than  zu  machen  und  ihn  einzuschläfern. 
Andere  Proceduren,  wie  das  Zudrücken  der 
Augen,  dienen  nur  zur  Unterstützung  der 
Vorstellung  des  Schlafes.  Ist  nun  diese 
theoretische  Forderung  der  Nancyer  Schule 
in  praxi  von  ihr  erfüllt  worden?  Sind  die 
physikalisch-technischen  Hülfsmittel  zur  Er- 
zeugung der  Hypnose  überflüssig?  Sind 
etwaige  schädliche  Folgen  der  Hypnose  aus- 
schliesslich der  letztgenannten  Methodik  zur 
Last    zu    schreiben    und  bei    der     ..reinen" 


Suggestionshypnose  mit  Leichtigkeit  zu  ver- 
meiden? Ist  die  „Verwerthung*  der  Sug- 
gestibilität  zu  Heilzwecken  nur  bei  letzterer 
Methode  zulässig?  Eine  Reihe  von  Fragen, 
deren  Beantwortung  an  der  Hand  eigener 
Untersuchungen  und  Beobachtungen  und  auf 
Grund  der  in  der  Litteratur  niedergelegten 
Nachweise  kurz  versucht  werden  soll.  Ich 
darf  dabei  vorausschicken,  dass  durch  die 
erneuten  Studien  meine  vor  bald  2  Jahren 
niedergelegten  Anschauungen^)  über  diesen 
Gegenstand  eine  wesentliche  Aenderung  nicht 
erfahren  haben,  sondern  eher  gekräftigt  worden 
sind. 

Der  beredteste  Herold  der  Nancyer 
Schule  ist  Herr  Bern  heim,  dessen  Werk  „die 
Suggestion  und  ihre  Heilwirkung"  neuerdings 
ins  Deutsche  übersetzt  wurde.  Wenn  man 
seiner  Darstellung  ausschliesslich  folgen  würde, 
so  müsste  man  zu  der  Auffassung  gelangen, 
dass  vor  den  Nancyer  Arbeiten  die  Bedeut- 
samkeit der  Suggestion  für  die  Hervorrufung 
des  hypnotischen  Zustandes  überhaupt  nicht 
genau  erkannt  worden  wäre.  Ich  verweise 
zuerst  auf  den  oben  gegebenen  kurzen  Ab- 
riss  der  deutschen  Bestrebungen  aus  der 
1.  Hälfte  unseres  Jahrhunderts,  sodann  auf 
die  bekannten  Arbeiten  Braid's,  welche 
wir,  dank  den  Bemühungen  Preyer's,  als  eine 
unerschöpfliche  Fundgrube  für  hypnotische 
Studien  kennen  gelernt  haben,  auf  die  Ar- 
beiten des  Abbe  Faria  in  alter  und  die- 
jenigen von  0.  Berger  in  neuester  Zeit. 
Gerade  letzterer  hat  völlig  unabhängig  von 
den  Arbeiten  Li^beault's  die  Macht  der 
Suggestion  für  die  Erzeugung  aller  hypno- 
tischen Erscheinungen  mit  aller  nothwendigen 
Klarheit  und  Schärfe  hervorgehoben.  Es  haben 
eben  allerorts  die  Untersucher  die  gleiche  Er- 
fahrung gesammelt,  dass  bei  häufigerer  Wieder- 
holung der  Versuche  an  demselben  Individuum 
die  Empfänglichkeit  zur  Entwicklung  der  Hyp- 
nose von  Versuch  zu  Versuch  sich  steigert, 
dass  also  der  Automatismus,  die  Erregung 
und  Hemmung  bestimmter  motorischer,  sen- 
sibler und  sensorieller  Vorgänge  mittelst  in- 
ducirter,  d.  i.  suggerirter  Vorstellungen,  dann 
immer  vollständiger  und  exacter  in  Erschei- 
nung tritt.  „Dabei  ist  nicht  ausgeschlossen, 
dass  diese  Erscheinungen  bei  Einzelnen  schon 
mit  dem  ersten  Versuche  mit  vollständigster 
Genauigkeit  producirt  werden  können,  wie 
wir  gerade  in  letzter  Zeit  an  einem  Epilep- 
tiker erfahren  haben."  Man  erlaube  mir 
noch  einige  Ausführungen  aus  meiner  oben 
genannten  Arbeit  —  „fast  alle  sorgfaltigen 
und  gewissenhaften  Beobachter  sind  im 
weiteren    Verlaufe    ihrer    Studien    über   den 

*)  Vergleiche  Artikel  Hypnotismus  iu  der  Real- 
encyclopädie  II.  Aufl.  X.  Bd. 


Bintwanger,  Bamerkungen  über  die  SuggeBtlvtherapie. 


r'herapeatlaehe 
MonaUhefte. 


Hypnotismus  allmählich  von  der  Production 
der  hypnotischen  Zustände  durch  physikar 
lisch- technische  Hülfsmittel  zu  derjenigen 
durch  psychische  Einwirkung,  durch  Sug- 
gestion fortgeschritten.  Mit  der  Ausbreitung 
ihrer  Erfahrungen  über  die  hypnotischen 
Erscheinungen,  mit  der  wachsenden  Sicher- 
heit in  der  Beurtheilung  der  hypnotisirbaren 
Individuen,  mit  der  volligen  Beherrschung 
willfähriger  und  durch  öftere  Ver- 
suche oder  nervöse  Constitution  an 
sich  geeigneter  Personen  schwand  die 
Nothwendigkeit  der  Anwendung  complicirterer 
Hülfsmittel,  stieg  der  Reichthum  suggestions- 
fähiger Einfälle  seitens  des  Experimentators 
und  die  Empfänglichkeit  zu  ihrer  Aufnahme 
seitens  des  Mediums;  die  Schlussbilder,  die 
Suggestionen  im  wachen  Zustande,  krönen 
das  künstlerisch  aufgerichtete  Bauwerk  ex- 
perimenteller Psychopathologie. " 

Ich  will  mit  dieser  erneuten  Beweis- 
fuhrung,  dass  die  suggestive  Erzeugung  der 
Hypnose  fast  so  alt  ist,  wie  die  Erkenntniss 
der  Hypnose  selbst,  das  Verdienst  der 
Nancyer  Schule  für  den  psychologischen 
Ausbau  der  Suggestionslehre  in  keiner  Weise 
schmälern,  obgleich  ich  schon  an  diesem 
Orte  sagen  muss,  dass  in  der  psychologischen 
Beweisführung  des  Herrn  Bernheim  viel- 
fach blumenreiche  Redewendungen  die  Stelle 
einer  festen  BegrifPsbildung  und  der  SchafiPung 
neuer  Erkenntniss  auf  diesem  Gebiete  ver- 
treten. Es  kam  mir  vor  Allem  darauf  an, 
für  die  Beantwortung  der  ersten  Frage  Er- 
fahrungs- Material  herbeizutragen.  Denn  in 
ihrer  Lösung  liegt  der  Schwerpunkt  der 
ganzen  Betrachtung.  Wir  haben  wohl  ge- 
funden, dass  die  „physikalischen^  hypnogenen 
Maassnahmen  überflüssig  werden,  sobald  die 
Versuchsperson,  oder  hier  besser  gesagt,  der 
zu  behandelnde  Kranke  durch  den  hypno- 
tischen „  Training "  früherer  Sitzungen  ge- 
nügend vorbereitet  wurde.  Aber  keineswegs 
ist  dies  bewiesen  für  die  erstmalige  Er- 
zeugung der  Hypnose.  Weder  meine  eigenen 
Versuche  sprechen  zu  Gunsten  der  Annahme, 
dass  die  Suggestion  des  Schlafes  hierzu  aus- 
reichend ist,  noch  ist  ein  solcher  Schluss 
aus  den  Schilderungen  der  Nancyer  Schule 
zu  ziehen. 

Zur  Bestätigung  dieses  Satzes  möchte 
ich  zuerst  wieder  eine  bekannte  Beobachtung 
Braid^s  heranziehen:  Er  hatte  einen  Freund 
beauftragt,  einen  Kranken  einzuschläfern. 
Kurze  Zeit  nachher  traf  Braid  den  experi- 
mentirenden  Freund  im  hypnotischen  Zu- 
stand, gerade  auf  dem  Stuhle  sitzend,  den 
Arm  und  Finger,  welchen  er  als  Fixations- 
punkt  für  den  Kranken  emporgehoben  hatte, 
in    kataleptischer    Starre    festgehalten,    den 


Blick  starr  auf  den  Kranken  geheftet!  der 
Kranke  selbst  war  völlig  wach  geblieben. 
Sodann  eine  eigene  Erfahrung:  Ein  12 jähr, 
„nervöses"  Kind,  von  dem  ich  noch  weiter 
unten  berichten  werde,  wird  behufs  einer 
Gesichtsfeldaufnahme  zur  starren  Festhaltung 
des  Blickes  auf  einen  Punkt  genöthigt. 
Nach  kaum  einer  Minute  versinkt  das  Kind 
in  hypnotischen  Schlaf,  so  dass  die  Prüfung 
abgebrochen  werden  muss.  Eine  mehrtägige 
Uebelkeit  und  Schläfrigkeit  war  die  Folge. 
Jeder  Gedanke  einer  Suggestion  auf  den 
Schlaf  war  ausgeschlossen,  ebenso  eine  ent- 
sprechende Autosuggestion,  indem  einestheils 
die  Aufmerksamkeit,  der  Wille  des  Kindes 
in  anderer  Richtung,  auf  die  Sehprüfung  ge- 
richtet war  und  andererseits  auch  niemals 
bei  früheren  Hypnosezuständen  der  Schlaf 
durch  Fixation  erregt  worden  war.  Derar- 
tige Beispiele .  könnten  aus  der  Litteratur 
noch  zahlreich  herbeigetragen  werden;  für 
jeden  Fall  bestätigen  sie  den  Satz,  dass  die 
Hypnose  auch  ohne  Suggestion  durch 
physische  Beeinflussung  allein  erzeugt  wer- 
den kann,  in  gleicher  Weise  wie  auch  wäh- 
rend des  hypnotischen  Zustandes  „physische" 
und  „psychische"  Erscheinungen  in  buntem 
Wechsel  zusammen  auftreten.  Freud,  der 
Uebersetzer  Bernheim^s,  bemerkt  in  seiner 
gehaltvollen  Vorrede  zu  dem  genannten  Werke 
mit  Recht,  dass  jeder  geübte  Experimenta- 
tor gelegentlich  auf  Individuen  stösst,  „die 
auf  Einreden  nur  schwer  in  Schlaf  zu  ver- 
senken sind,  dagegen  leicht,  wenn  man  sie 
einige  Zeit  flxiren  lässt".  Also  für  jeden 
Fall  sind  die  „physikalischen"  Mittel  nicht 
überflüssig  zur  Erzeugung  der  Hypnose  und 
wirken  auch  nicht  ausschliesslich  durch  ihre 
„indirecte"  suggestive  Kraft.  Ich  kann 
mich  deshalb  auch  nicht  dem  Vermittlungs- 
antrage Freud' s  anschliessen ,  diese  „phy- 
siologische" und  „psychische"  Wirkungs- 
weise des  Hypnotismus  dadurch  zu  vereini- 
gen, dass  bei  beiden  Erscheinungsformen 
eine  psychische  Beeinflussung  der  Ver- 
suchsperson, freilich  im  ersteren  Falle  durch 
die  Entstehung  einer  Autosuggestion 
stattfinde.  Es  ist  dies  ein  Ausweg,  den 
Armand  Hü  ekel  (Die  Rolle  der  Suggestion 
bei  gewissen  Erscheinungen  der  Hysterie 
und  des  Hypnotismus)  mit  unzweifelhaftem 
Geschick  zur  Erklärung  mancher  räthsel- 
voller  Erscheinungen  (Transfert  u.  A.)  be- 
treten hat,  der  aber,  meiner  Ueberzeugung 
nach,  zu  eben  so  viel  unbewiesenen  Annah- 
men führt,  wie  die  bisherigen  Deutungsver- 
suche. Um  unsere  Unkenntniss  zu  maski- 
ren,  werden  nun  alle  unerklärten  psycho- 
physiologischen Vorgänge  ins  rein  psychologi- 
sche Gebiet  hinübergespielt.  Weil  thatsächlich 


Janaar  1889.  J 


filtttWanger,  Bemerkungen  Über  die  Suggeitivtherapie. 


im  hypnotischen  Zustand  mittelst  fremder 
und  Autosuggestionen,  also  psychischer  Vor- 
gänge eine  ganze  Reihe  von  complicirtesten 
Störungen  körperlicher  Functionen  erzeugt 
werden  kann,  muss  nach  Ansicht  dieser 
Autoren  die  Entstehung  dieser  gleichen 
Störungen  auf  einem  anderen  Wege,  z.  B. 
durch  Vermittelung  reflec  torisch  er  Erregun- 
gen, welche  nicht  bis  zum  Bewusstseinsor- 
gan  gelangen,  sondern  in  tieferen  cerebralen 
oder  auch  spinalen  Centren  sich  abspielen, 
in  Abrede  gestellt  werden.  Dieser  Schluss 
ist  ebenso  unberechtigt,  wie  ein  anderer 
ähnlich  lautender  der  modernen  Hirnpatho- 
logie. Weil  die  Mehrzahl  der  motorischen 
Vorgänge  durch  Bewusstseinsacte  (Willens- 
erregungen) und  durch  primäre  Reizungen 
des  Bewusstseinsorganes,  der  Hirnrinde  ex- 
perimentell hervorgerufen  werden  können, 
weil  also  in  der  Hirnrinde  der  Ausgangs- 
punkt der  verschiedenartigsten  Bewegungs- 
acte  sich  vorfindet,  hat  sich  eine  durchaus 
irrige  Auffassung  herausgebildet,  dass  ge- 
wisse pathologische  motorische  Reizzustände 
(epileptische  Gonvulsionen)  ihren  Ursprung 
ausschliesslich  in  der  Hirnrinde  be- 
sitzen müssen  und  wurde  damit  die  grosse 
Reihe  associirter,  subcorticaler,  reflectorisch 
erregter  Bewegungsacte  aus  dem  Bilde  des 
epileptischen  Krampfes  ausgeschaltet. 

Betrachten  wir  die  Liebeäult- Beru- 
he ira-ForeTschen  Grundregeln  zur  Erzeu- 
gung des  hypnotischen  Zustandes  genauer, 
so  finden  wir  in  ihren  eigenen  Schilderungen 
eine  weitere  Bestätigung  für  die  Nützlich- 
keit, ja  Nothwendigkeit  physischer  Mittel. 
In  „rebellischen^  Fällen,  d.  h.  bei  solchen 
Kranken,  welche  der  Suggestion  des  Ein- 
schlafens nicht  ohne  weiteres  unterliegen, 
werden  die  verschiedenartigsten  Hülfen  her- 
beigezogen, um  dieselben  suggestibel  zu 
machen.  Das  häufigste  Mittel  ist,  bei  den 
erstmaligen  Sitzungen  die  Versuchsperson 
die  Finger  des  Experimentators  oder  dessen 
Augen  fi xiren  zu  lassen.  Was  ist  das  an- 
deres als  mittelst  eines  gleichmässigen  Sinnes- 
reizes, also  einer  äusseren  Einwirkung  nach 
Art  unserer  physikalisch-technischen  Metho- 
den die  Hypnose  hervorzurufen?  Oder  es 
werden  der  Versuchsperson  die  Augen  lang- 
sam zugedrückt  und  die  Lider  mit  den  Fin- 
gern geschlossen  gehalten.  Dies  Verfahren 
ist  schon  früher  im  Jahre  1865,  unabhängig 
von  den  Nancyer  Arbeiten,  von  Lasegue  an- 
gewendet worden  und  zwar  ohne  alle 
Verbalsuggestion,  um  hysterische  Kranke 
in  den  kataleptischen  Zustand  zu  versetzen. 
Viel  energischer  geht  Prof.  Forel*)  vor;  er 

*)  Vgl.  Corresp.-Bl.  für  Schweiz.  Aerzte.    Dec. 
18SS. 


ist  nicht  nur  ein  streitbarer  Kämpe  des  Heil- 
Hypnotismus  auf  litterarischem  Gebiete,  son- 
dern er  wirft  auch  mit  gewaltigem  Sinne 
alle  Bedenken  der  zu  hypnotisirenden  ein- 
fältigen Menschenseele  zu  Boden,  die  oft 
thöricht  genug  ist,  die  Segnungen  des  Heil- 
mittels nicht  annehmen  zu  wollen.  „Behufs 
Erzielung  der  Hypnose  und  daran  anschliessend 
suggestiver  Wirkungen  muss  die  Seele  des 
Menschen  gleichsam  überrumpelt  werden".  .  .  . 
„Verschiedene  Kniffe  sind  endlich  nothwendig, 
um  den  hypnotischen  Zustand  zu  erzielen, 
Das  Individuum  wird  durch  gewisse  Behaup- 
tungen geradezu  überrumpelt.  Man  lässt 
den  Arm  über  den  Kopf  halten  und  macht 
dem  Patienten  weiss,  derselbe  könne  gar 
nicht  mehr  herabsinken,  sondern  müsse  viel- 
mehr sich  immer  höher  heben,  wobei  durch 
unbemerkte,  durch  künstliche  Stellung  der 
Arme,  das  Individuum  irregeführt  wurde. 
Dabei  muss  auch  auf  die  Phantasie  des  zu 
Hypnotisirenden  mächtig  eingewirkt  werden, 
damit  dieser  zur  Ueberzeugung  komme,  dass 
er  ganz  in  der  Gewalt  des  Hypnotiseurs 
ist".  .  .  .  Das  ist  seine  Suggestivhypnose,  die 
aber  von  der  milden  Erzeugung  des  Schlafes 
der  alten  Heilmagnetiseure  und  auch  der 
Herren  Li^beault  und  Bern  heim  wesent- 
lich abweicht.  Wir  gelangen  damit  zur  Be- 
sprechung der  schon  oben  angeregten  Frage, 
ob  die  Suggestivhypnose  im  Sinne  der  Nan- 
cyer Schule  an  sich  ein  harmloser,  sogar 
wohlthuender  Eingriff  sei  und  alle  Gefahren 
der  Hypnose  nur  den  früheren  Methoden  an- 

^*^^®°-  [Sehlust  folgt.] 


Die  Yerwerthiing'  der  pneniuatiseheii 
Therapie  im  Kiudesalter. 

Vortraff,  gebalten  in  der  pädiatrischen  Sectioa  der 
61.  Versammiang  deatschor  Naturforscher  und 

Aerzte  za  Cöln. 

Von 

Prof.  Dr.  Emil  Ungar  in  Bonn. 

Die  pneumatische  Therapie  ist  bisher  in 
der  Kinderpraxis  nur  wenig  verwerthet 
worden;  man  beschränkte  sich  und  musste 
sich  beschränken  auf  die  Anwendung  der 
allseitig  wirkenden  Luftdruckänderungen  in 
den  pneumatischen  Kammern  und  auf  die 
Benutzung  der  von  Hauke  angegebenen 
Apparate,  des  pneumatischen  Panzers  und 
der  pneumatischen  Wanne.  Die  Einleitung 
einer  pneumatischen  Behandlung  mittelst  der 
sonst  gebräuchlichen  und  bei  Erwachsenen 
vorzugsweise  benutzten  Apparate,  sei  es  nun 
der  sogenannten    Kessel apparate,    sei  es  der 


8 


Ungar,  Die  Verwertfaung^  der  pneumatischen  Therapie  im  Kindesalter. 


t  Therapeutische 
Monatsheft«. 


nach  dem  Princip  des  Gasometers  oder  des 
Blasebalges  und  der  Ziehharmonika  oder  des 
Schöpfradgebläses  construirten  Apparate,  war 
bisher,  bei  jüngeren  Kindern  wenigstens,  un- 
möglich. Die  Verwendung  dieser  Apparate 
scheiterte  an  dem  Unvermögen  der  kleinen 
Patienten,  die  erforderliche  ümschaltung  der 
Ventile,  oder  die  sonstigen  zur  Regelung 
des  Ein-  oder  Ausströmens  der  Luft  nöthigen 
Manipulationen,  den  verschiedenen  Respira- 
tionsphasen genau  entsprechend,  selbst  vor- 
zunehmen und  in  methodischer  Weise  durch- 
zuführen. An  die  etwaige  üebernahme 
dieser  Manipulationen  seitens  eines  Erwach- 
senen war  schon  der  Unregelmässigkeit  der 
kindlichen  Respirationsbewegungen  halber 
nicht  zu  denken. 

In  den  pneumatischen  Kammern  und 
vermittelst  der  Hau  keuschen  Apparate  konnte 
nun  freilich  eine  pneumatische  Behandlung 
ohne  jede  selbstthätige  Mitwirkung  des 
Kranken  und  unabhängig  von  dessen  Willen 
durchgeführt  werden;  sie  konnten  also  auch 
bei  Jüngern  Kindern  Verwendung  finden. 
Nicht  aber  konnten  diese  Apparate  allen 
Ansprüchen  genügen,  welche  man  behufs 
Durchführung  einer  erfolgreichen  pneuma- 
tischen Behandlung  verschiedener  Krankheiten 
an  solche  Apparate  stellen  muss.  Ihre 
Wirkungsweise  war  eine  zu  beschränkte  und 
zu  einseitige.  Zunächst  ist,  weder  bei  Ver- 
wendung der  pneumatischen  Kammern,  noch 
bei  Benutzung  des  Panzers  resp.  der  Wanne 
ein  für  die  verschiedenen  Respirationsphasen, 
für  Inspiration  und  Exspiration,  wechseln- 
der Atmosphärendruck  zu  erzielen.  In  den 
pneumatischen  Kammern  bleibt  ja  der  Druck, 
abgesehen  von  langsamem  Ansteigen  und 
allmählicher  Abnahme,  der  gleiche;  das  Indi- 
viduum befindet  sich  ununterbrochen  ent- 
weder in  verdichteter  oder  in  verdünnter 
Luft,  und  der  gesteigerte  oder  verminderte 
Atmosphärendruck  wirkt  ein  während  In- 
spiration und  während  Exspiration.  Auch 
bei  Verwendung  des  Panzers  resp.  der  Wanne, 
bei  welchen  ja  die  Angriffspunkte  der  anzu- 
wendenden Kraft  nach  aussen  verlegt  sind, 
bei  welchen  also  behufs  Begünstigung  des 
inspiratorischen  Einströmens  der  Luft  in  die 
Lungen  der  auf  der  Thorax -Oberfläche 
lastende  Atmosphärendruck  verdünnt  wird, 
kann  die  Luftverdünnung  im  Panzer  resp. 
in  der  Wanne,  bei  Kindern  wenigstens, 
nicht  dem  Rhythmus  des  spontanen  Athmens 
angepasst  werden.  Die  Frequenz  der  kind- 
lichen Athmungsbewegungen  ist  eine  zu  grosse 
und  noch  dazu  zu  unregelmässige  und  nicht 
durch  Willenseinfluss  genügend  zu  beherr- 
schende, als  dass  isochron  den  Athmungs- 
phasen   ein  regelmässiges  Wechseln  der  auf 


der  Körperoberfläche  lastenden  Luftdichte 
zu  erzielen  wäre.  Die  in  gewissen  Zwischen- 
räumen im  Panzer  bewirkte  Luftverdünnung 
umfasst  daher  wechselnd  eine  grössere  oder 
geringere  Anzahl  von  Respirationen,  also 
Inspirationen  und  Exspirationen  zusammen; 
dadurch  muss  aber  auch  die  Exspiration  in 
demselben  Grade  erschwert  werden,  in  dem 
die  Inspiration  erleicljtert  wird.  Ja  es 
kann,  wenn,  wie  Oertel  hervorhebt,  die 
Luftverdünnung  eine  gewisse  Grenze  über- 
schreitet, namentlich  bei  ganz  jungen  und 
durch  Krankheit  erschöpften  Kindern,  leicht 
ein  Zustand  von  völliger  Apnoe  eintreten. 

Als  eine  Schattenseite  des  pneumatischen 
Panzers  und  der  Wanne  ist  sodann  noch 
der  Umstand  zu  bezeichnen,  dass  die  in- 
spiratorische Erweiterung  des  Thorax  durch 
Einwirkung  eines  negativen  Druckes  auf 
seine  Aussenfläche,  nicht  während  eines  ein- 
zigen Inspirationsactes,  sondern  erst  allmählich 
nach  3 — 5  Inspirationen  zu  Stande  kommt, 
so  dass  die  Beeinflussung  des  auf  die 
Innenfläche  der  Lungen  einwirkenden  Luft- 
drucks eine  für  verschiedene  Inspirationen 
verschiedene  ist. 

Eine  Begünstigung  der  Exspiration  durch 
Erzeugung  eines  positiven  Druckes  auf  die 
Aussenfläche  des  Thorax  ist  vermittelst  der 
Hauke 'sehen  Apparate  nicht  zu  erzielen,  da 
es  nicht  gelingt,  die  Apparate  so  dicht  dem 
Körper  anzuschliessen,  dass  ein  Entweichen 
der  Luft  verhütet  werden  könnte.  In  Bezug 
auf  die  pneumatischen  Kammern  wäre  noch 
hervorzuheben,  dass  mit  ihnen,  da  der  in 
denselben  herrschende  Luftdruck  auf  die 
ganze  Körperoberfläche  einwirkt,  eine  oft 
erwünschte  einseitige  Einwirkung  auf  die 
Lungenoberfläche  nicht  zu  erreichen  ist. 
Berücksichtigen  wir  noch,  dass  die  pneuma- 
tischen Kammern  doch  nur  den  wenigsten 
Aerzten  zur  Verfügung  stehen,  und  dass  die 
von  Hauke  angegebenen  Appai*ate  für  ver- 
schiedene Individuen  verschiedene  Grösse 
besitzen  müssen  und  jedem  Einzelnen  mehr 
oder  weniger  besonders  anzupassen  sind,  so 
wird  es  verständlich  werden,  dass  die  pneu- 
matische Therapie  bisher  für  jüngere  Kinder 
eine  nur   geringe  Verwendung  gefunden  hat. 

Und  doch  war  es  in  hohem  Grade 
wünschenswerth,  die  pneumatische  Therapie 
auch  bei  jüngeren  Kindern  in  ausgedehnterem 
Maasse  anzuwenden.  Den  Wunsch,  von  der 
mechanischen  Wirkung  der  pneumatischen 
Apparate  einen  ausgedehnteren  und  mehr 
zweckentsprechenden  Gebrauch  machen  zu 
können,  empfand  ich  besonders,  wenn  ich 
die  oft  so  hochgradige  AthmungsinsuMcienz 
rachitischer  Kinder  beobachtete,  ohne  directe 
Hülfe    leisten     zu    können,    wenn    ich    den 


tu  Jalurgang.l 
Jannar  1889.  J 


üng^ar,  Öie  Verwerthung  der  pneumatischen  Therapie  im  iCindesalter. 


ö 


Wunsch  hegte,  bestehenden  oder  sich  aus- 
bildenden Atelectasen  durch  Unterstützung 
des  intrapulmonalen  Luftdrucks  entgegenzu- 
arbeiten, wenn  ich  nach  Pleuritis  sich  aus- 
bildender Einziehung  des  Thorax  und  ähn- 
lichen Zuständen  mehr  oder  \veniger  machtlos 
gegenü  berstand . 

Es  könnte  nun  im  ersten  Augenblick  nicht 
zu  schwierig  erscheinen,  durch  selbstthätige 
Ventil  Vorrichtungen,  die  einfach  durch  die 
Saugwirkung  der  Inspiration  und  durch  die 
Druckwirkung  der  Exspiration  in  Bewegung 
gesetzt  würden,  die  gewünschte  alternirende 
Verbindung  der  kindlichen  RespirationsöfP- 
nungen  mit  dem  die  comprimirte  resp.  ver- 
dünn te  Luft  enthaltenden  Raum  isochron 
mit  den  verschiedenen  Athmungsphasen  zu 
erreichen.  Bei  näherem  Eingehen  auf  die 
Sache  stellt  sich  jedoch  heraus,  dass  dies 
nicht  angeht.  Die  Anwendung  von  Ventilen, 
welche  direct  durch  die  Athmung  geofPnet 
und  geschlossen  werden,  ist  nicht  möglich, 
weil  vordem  Ventile  ein  anderer  Druck  herrscht, 
wie  hinter  demselben.  Diese  Druckdifferenz 
müsste  erst  durch  Federn,  Gewichte  oder 
dergleichen  ausgeglichen  werden,  und  müssten 
dann  die  Ventile  für  jeden  Druck  anders 
regulirt  werden.  Dann  aber  würde  es  kaum 
zu  erreichen  sein,  dass  die  so  in  dynamisches 
Gleichgewicht  gebrachten  Ventile  sich  genügend 
leicht  bewegten,  um  durch  den  leichten  Athem- 
hauch  eines  Kindes  prompt  geÖfEnet  und  ge- 
schlossen zu  werden. 

Der  frühere  Assistenzarzt  der  Kinderpoli- 
klinik in  Bonn  Dr.  J.  Füth  hat  nun  in  Ge- 
meinschaft mit  seinem  Bruder,  dem  cand.  med. 
R.  Füth,  eine  Vorrichtung  ersonnen  und  con- 
struirt,  bei  welcher  durch  elektro-magnetische 
Einwirkung,  unabhängig  von  der  Willensein- 
wirkung und  selbstthätigen  Mithülfe  des  respi- 
rirenden  Individuums,  abwechselnd  und  ge- 
nau den  Respirationsphasen  sich  anschliessend, 
die  Oeffnung  und  Schliessung  der  zu  den 
Respirationsapparaten  führenden  Ventile  statt- 
findet. Diesen  Apparat,  welcher  sich  bisher 
durchaus  bewährt  hat,  möchte  ich  mir  er- 
lauben, Ihnen  heute  in  Thätigkeit  vorzuzeigen. 
Vorher  gestatten  Sie  mir  jedoch,  Ihnen  die 
Art  und  Weise  seiner  Wirkung  kurz  zu  de- 
monstriren. 

Bei  diesem  Apparat  werden  die  Ventile 
nicht  direct  durch  die  Athembewegungen  re- 
gulirt, sondern  indirect  durch  Elektromag- 
nete.  Die  Ströme  aber,  welche  zu  den  Elek- 
tromagneten führen,  werden  durch  die  Ath- 
mungsbewegungen  geöffnet  und  geschlossen, 
so  dass  also  indirect  durch  den  Act  der 
Athmung  selbst  die  Ventile  gehandhabt  wer- 
den. Dies  kommt  so  zu  Stande,  dass  die  Athem- 
bewegungen  auf  eine  Gummimembran  über- 


tragen werden.  An  dieser  Membran  ist  der 
senkrechte  Arm  eines  Wagebalken  durch 
Gelenk  befestigt.  An  den  beiden  Enden  des 
horizontalen  Armes  ist  je  ein  Kupferdraht 
angebracht,  welcher  so  gebogen  ist,  dass  seine 
beiden  Enden  nach  unten  iu  Quecksilber- 
töpfchen  eintauchen,  resp.  eben  über  dem 
Quecksilberspiegel  stehen.  Diese  Quecksilber- 
töpfchen  sind  die  Pole  der  Leitungsdrähte 
zweier  galvanischer  Ströme,  in  welche  je  ein 
Elektromagnet  eingeschaltet  ist.  Wird  nun 
die  Gummimembran  durch  den  Inspirations- 
hauch angezogen,  so  neigt  sich  die  Wippe 
nach  der  einen  Seite;  der  Kupferdraht  an 
dieser  Seite  taucht  mit  seinen  Enden  in  die 
Töpfchen  ein  und  schliesst  so  den  Strom. 
Hierdurch  magnetisch  geworden,  zieht  der 
Elektromagnet  seinen  Anker  an.  Mit  diesem 
Anker  ist  nun  aber  das  Ventil  verbunden, 
welches  den  Weg  für  die  comprimirte  Luft 
öffnet,  so  dass  diese  jetzt  in  die  Lungen  ein- 
strömen kann.  Wird  darauf  ausgeathmet, 
so  stellt  sich  die  Gummimembran  in  die  ent- 
gegengesetzte Stellung;  die  Wippe  neigt  sich 
nach  der  anderen  Seite,  der  an  dieser  Seite 
befestigte  Kupferdraht  taucht  mit  seinen  bei- 
den Enden  in  das  Quecksilber  ein,  schliesst 
den  Strom,  der  Magnet  zieht  seinen  Anker 
an,  dieser  Anker  öffnet  das  Ventil  für  Exspi- 
ration und  die  Ausathmuug  in  verdünnte  Luft 
oder  in  die  Atmosphäre  kann  vor  sich  gehen. 

Dies  ist  im  Grossen  und  Ganzen  die  Art 
und  Weise,  wie  der  Apparat  wirkt.  Die 
nähere  Beschreibung  seiner  einzelnen  Theile 
und  namentlich  die  Art  und  Weise,  wie  die 
Gummimembran  angebracht  ist  und  functionirt, 
bitte  ich  in  der  demnächst  in  der  Zeitschrift 
für  klinische  Medicin  erscheinenden,  ausführ- 
licheren Beschreibung  des  Herrn  Collegen 
Füth  nachlesen  zu  wollen. 

Mit  dieser  Vorrichtung  braucht  man  also 
nur  den  mit  verdünnter  oder  verdichteter 
Luft  gefüllten  Raum  in  Verbindung  zu  bringen, 
um  je  nach  Wunsch  comprimirte  Luft  inspi- 
riren  oder  in  verdünnte  Luft  exspiriren,  und 
umgekehrt  verdünnte  Luft  inspiriren  oder 
in  verdichtete  Luft  exspiriren  zu  können. 
Man  kann  hierzu  schliesslich  jeden  der  ge- 
bräuchlichen, tragbaren  pneumatischen  Appa- 
rate benutzen.  Wir  bedienten  uns  bisher 
des  Waldenburg'schen  Apparats.  Um  je- 
doch ein  häufigeres  Umschalten  oder  eine 
Neufüllung  des  Apparates  zu  vermeiden,  würde 
sich  die  Benutzung  eines  grösseren  Gaso- 
meters oder  eines  constant  wirkenden  Appa- 
rates, wie  er  kürzlich  von  Fleischer  con- 
struirt  ist,  empfehlen. 

Man  könnte  nun  leicht  geneigt  sein,  an- 
zunehmen, dass  die  Verwendung  des  Apparats 
bei  kleineren  Kindern  leicht  am  Widerstand« 

2 


10 


Ungar,  Üie  Verwerthung  der  pn6umatisch)Bn  Therapie  im  kindesaitef^ 


r"Hier&peulUclk<ft 
L  Monatahefte.  . 


und  der  Unruhe  derselben  scheitere.  Unsere 
Erfahrung  lehrt,  dass  dies  zwar  hier  und  da 
der  Fall  ist,  aber  nicht  so  häufig  als  man 
erwarten  sollte.  Mit  einiger  Geschicklichkeit 
und  Geduld  gelingt  es,  die  Kinder  an  das 
Tragen  der  Maske  zu  gewöhnen;  ist  dies  ein- 
mal erreicht,  so  macht  es  in  Zukunft  keine 
Schwierigkeit  mehr.  Ja  wir  haben  es  wieder- 
holt beobachtet,  dass  es  schliesslich  den 
Kindern  geradezu  Freude  bereitet,  an  dem 
Apparate  zu  athmen.  Selbst  kleinere  Kinder 
machen  bald  die  Beobachtung,  dass  das  eigen- 
thümliche,  sie  erfreuende,  abwechselnde  Auf- 
schlagen der  Hämmer  yon  ihren  Athembewe- 
gungen  abhängig  ist,  und  freuen  sich  sicht- 
lich, wenn  der  Apparat  in  Thätigkeit  tritt 
und  regelmässig  arbeitet. 

Die  Zahl  der  Fälle,  bei  welchen  der 
Apparat  bisher  in  Anwendung  kam,  ist  nun 
noch  keine  grosse,  doch  ist  in  diesen  Fällen 
das  Resultat  der  Behandlung  ein  so  günstiges, 
dass  es  uns  nur  ermuntern  kann,  den  ein- 
geschlagenen Weg  weiter  zu  verfolgen. 
Herr  cand.  Füth  wird  seiner  Zeit  in  einer 
Dissertation  über  die  betreffenden  Fälle  des 
Genaueren  berichten. 

Ich    hege   die    feste   Hoffnung,    dass    es 
mittelst  dieser    Vorrichtung    gelingen    wird, 
verschiedene  Erkrankungen  jüngerer  Kinder 
aufs  Günstigste  zu  beeinflussen.     Denn  ge- 
rade das  kindliche  Alter  eignet  sich  ja,  wie 
Hauke  zuerst  hervorgehoben  hat,  ganz  be- 
sonders   für     eine     wirksame    pneumatische 
Therapie.    Die  Weichheit  und  Nachgiebigkeit 
der  kindlichen  Brustwandungen,  die  Bildungs- 
fähigkeit  der  kindlichen  Gewebe  sind  günstige 
anatomische  Vorbedingungen   für   eine  wirk- 
same    pneumatische    Behandlung.       Sodann 
tritt  ja  gerade  in   der  Kinderpraxis   relativ 
häufig   die  Indication  ein,    den   Inspirations- 
act   auf  mechanische  Weise   zu   fördern  und 
den     intrathoracischen    Druck     zu     erhöhen, 
seltener   die   Indication,    die  Exspiration   zu 
begünstigen.     Vor  Allem  verspreche  ich  mir 
besonderen   Erfolg   für   die   Behandlung   der 
'bei       Thoraxrachitis        sich        einstellenden 
Athmungs-Insufficienz;     hier,     wo     die     er- 
weichten    Seitentheile      des     Thorax      dem 
äusseren    Atmosphärendruck     und    dem    Re- 
tractionsbestreben     der    Lungen     nicht     ge- 
nügenden  Widerstand    leisten    können,    und 
namentlich  während  der  inspiratorischen  Er- 
weiterung des    Thorax   und   der   damit   ver- 
bundenen Luftverdünnung  nach  einwärts  ge- 
drängt werden,  kann  durch  eine  Vermehrung 
des    intrapulmonalen    Luftdrucks,     wodurch 
derselbe  das  Uebergewicht  über  den  äusseren 
Atmosphären  druck     erhält     und     dem     Re- 
tractionsbestreben    des   Lungengewebes    ent- 
gegenarbeitet,   viel    erreicht    werden.     Was 


die    pneumatische   Therapie   hier   zu   leisten 
vermag,    kann   keine   andere  Encheirese    er- 
setzen.     Mit  Recht    hat   Hauke    hervorge- 
hoben,  dass,    wenn    sonst,    wo   es    sich   um 
Hervorrufung    tiefer    Inspirationen    handelt, 
vielleicht  auch  Hautreize,  namentlich  durch 
kaltes  Wasser   erzeugte,  genügten,    hier  der 
Effect    spontaner  tieferer   Inspiration    durch 
das   um  so    stärkere  Einsinken  der  Thorax- 
wand  paralysirt   werde.     Erßlhrt  jedoch  in 
solchen  Fällen  die  Inspiration  dadurch,  dass 
verdichtete    Luft  in   die  Lungen    eingeführt 
und    so     durch    einen    positiven    einseitigen 
Druck  von  innen  heraus  einem  allzu  starken 
Einsinken  der  erweichten  Rippen   entgegen- 
gearbeitet   wird,     auch    nur    zeitweise    eine 
Unterstützung,    so  ist  schon  viel  gewonnen. 
In  Folge  der  Verringerung  des  Innenraumes 
des    Thorax    und    der    durch    allzu    grosse 
Nachgiebigkeit      der     Seiten  Wandungen     be- 
dingten    Beeinträchtigung     seiner     inspira- 
torischen Erweiterung  ist  ja  die  Ventilation 
der  Lungen  häufig  eine  so  mangelhafte,  dass 
dem    Sauerstoff-Bedürfniss    des    Organismus 
nicht   hinlänglich   Genüge   geleistet  und   für 
ausgiebige      Entfernung      der      angehäuften 
Kohlensäure     nicht     genügend    gesorgt    ist. 
Wird   hier    der  Luftwechsel   in  den  Lungen 
auch  nur  für  die  Zeitdauer  der  Einathmung 
comprimirter  Luft   ein   günstigerer,    so  muss 
dies     dem    Gesammtorganismus     zu    Statten 
kommen   und  kann   zuweilen    geradezu   eine 
Indicatio  vitalis  erfüllen.     Der  Einfluss  der 
Einathmung      verdichteter     Luft     auf     die 
Respirationsinsufficienz  kann  in  solchen  Fällen 
ein     ganz     eclatanter     sein.       Schon     nach 
einigen  Minuten  wird  die  bis  dahin  frequente 
und   oberflächliche   Athmung    eine   ruhigere, 
die    Athemzüge    werden    tiefer,    ausgiebiger 
und  seltener.     Man  kann  dabei  deutlich  be- 
obachten, dass  das  inspiratorische  Einwärts- 
sinken   der    seitlichen    Thoraxpartieen    mehr 
und   mehr  nachlässt    und   sich   die   Thorax- 
bewegungen   mehr   und   mehr   den  normalen 
Excursionen    nähern.       In    der    Einathmung 
comprimirter   Luft   besitzen   wir   sodann   ein 
gewichtiges  Heilmittel    zur  Bekämpfung  der 
die  Rachitis   so   häufig  begleitenden  und  die 
Lungenventilation  noch  mehr  beeinträchtigen- 
den Bronchialkatarrhe.     Vor  allem  aber  dürfte 
die  Einathmung    comprimirter  Luft  und  die 
dadurch    bewirkte    bessere    Ventilation    der 
Lungen   sich  vortheilhaft   erweisen  zur  Ver- 
hütung   der    Atelectasen,     welche     sich    so 
leicht     bei     Rachitis     auszubilden     pflegen. 
Dort  aber,  wo  bereits  solche  Atelectasen  zu 
Stande  gekommen  sind,  dürfte  kein  anderes 
Mittel     so     geeignet     sein,     die     luftleeren 
Lungenpartien     wieder    der    Luft    zugängig 
zu  machen,   als   eine  pneumatische  Behand- 


ni.  Jahrgan^.i 
Juioar  1889.  J 


Ungar,  Die  Verwertbung  der  pneumatischen  Therapie  im  Kindesalter. 


11 


lung,  bei  welcher  die  Inspirationsluft  unter 
höherem  Druck  in  die  Lungen  einströmt 
und  dieselben  aufzublähen  strebt.  Durch 
regelmässige  Anwendung  der  Einathmung 
comprimirter  Luft  wird  aber  auch  der  Aus- 
bildung jener  ThoraxdifFormitäten ,  welche 
sich  schliesslich  im  Gefolge  der  Thorax - 
rachitia  zu  etabliren  pflegen  und  eine 
Noxe  für  das  ganze  spätere  Leben  bilden, 
entgegengearbeitet.  Wird  der  Thorax  täg- 
lich auch  nur  für  einige  Zeit  seiner  nor- 
malen Form  genähert,  so  wird  er  nicht  so 
leicht  seinenormale,  elastische  Gleichgewichts- 
lage aufgeben  und  an  deren  Stelle  jene 
pathologischen  Yerkrümmungen  annehmen. 

Selbst  da,  wo  im  Yerlauf  der  Rachitis 
bereits  höhere  Grade  der  Thoraxyerbildung 
eingetreten,  oder  solche  nach  abgelaufener 
Rachitis  zurückgeblieben  sind,  kann  durch 
die  systematische  Einathmung  comprimirter 
Luft  noch  eine  Besserung  der  Form  und 
der  Gapacität  des  Thorax  erzielt  werden.  Die 
unter  höherem  als  Atmosphärendruck  ein- 
strömende Luft  hat  ja  das  Bestreben  die 
Lungen  aufzublähen  und  die  Thoraxwände 
auszudehnen  und  damit  den  Thorax  nach 
aussen  hin  über  die  gewohnte  maximal-in- 
spiratorische Ausdehnung  zu  erweitem.  Für 
dieses  Bestreben  werden  auch  die  Thorax- 
partien einen  Angriffspunkt  darbieten,  welche 
an  Stelle  der  normalen  Wölbung  nach 
aussen,  eine  Einbiegung  nach  innen  erfahren 
haben.  Diese  Partien  werden,  namentlich 
so  lange  das  durch  den  rachitischen  Process 
erweichte  Knochengerüst  noch  nicht  seine 
normale  Festigkeit  erlangt  hat,  dem  während 
der  Einwirkung  der  verdichteten  Luft,  er- 
höhten intrathoracischen  Druck  nachgebend, 
sich  wieder  mehr  ihrer  normalen  Form  zu 
nähern  suchen.  Werden  die  Einathmungen 
genügend  lange  Zeit  wiederholt,  so  werden 
diese  Partien  von  Tag  zu  Tag  mehr  nach 
aussen  gedrängt  werden,  und  wird  so  dem 
Thorax  allmählich  eine  mehr  der  Norm  ent- 
sprechende Gestaltung  zurückgegeben  werden. 

Den  wohlthätigen  Einfluss,  den  die  Ein- 
athmung comprimirter  Luft  bei  schon  be- 
stehender Thoraxdifformität  auszuüben  ver- 
mag, konnten  wir  so  recht  bei  dem  Kleinen 
constatiren,  welcher  sogleich  vermittelst  der 
neuen  Vorrichtung  die  in  einem  Waiden- 
burg'sehen  Apparate  comprimirte  Luft  ein- 
athmen  soll.  Bei  ihm  bestanden  zur  Zeit, 
als  die  pneumatische  Behandlung  begann, 
solche  Einsenkungen  der  seitlichen  Thorax- 
partien, dass  dieselben  tiefe  Mulden  dar- 
stellten; heute,  nach  etwa  3  Monaten,  sind 
die  Seitentheile  des  Brustkorbes  wieder  so 
nach  aussen  getreten,  dass  dieselben,  wenn 
sie    auch    noch  nicht  ihre   normale   convexe 


Biegung  nach  aussen  erreicht  haben,  doch  auch 
keine  Concavität  nach  innen  mehr  aufweisen. 

Eine  Indication  zur  Anwendung  der 
pneumatischen  Therapie  im  frühen  Kindes- 
alter scheint  mir  sodann,  namentlich  auch 
bei  angeborenem,  paralytischem  Thoraxbau, 
bei  dem  sogenannten  phthisischen  Habitus, 
gegeben  zu  sein.  Der  geringen  Excursions- 
fähigkeit,  welche  diese  Thoraxform  besitzt, 
und  in  der  wir  eine  Prädisposition  zur 
Lungenphthise  erblicken  müssen,  kann  nicht 
frühzeitig  genug  entgegengearbeitet  werden. 
Je  eher  wir  gegen  dieses  pathologische  Yer- 
halten  des  Thorax  einschreiten,  je  jugend- 
licher das  Individuum,  je  bildungsföhiger 
also  sein  Thorax  noch  ist,  um  so  eher 
dürfen  wir  erwarten,  dass  unsere  Bemühun- 
gen von  Erfolg  sind,  und  dass  es  gelingt 
eine  bessere  Formation  des  Thorax  zu  er- 
zielen. Kein  Mittel  dürfte  aber  zur  Er- 
reichung dieses  Zieles  so  geeignet  sein,  als 
die  consequent  durchgeführten  Einathmungen 
comprimirter  Luft,  von  welchen  wir  ja 
wissen,  dass  sie  die  Excuxsionen  des  Thorax 
ergiebiger  machen,  die  vitale  Lungencapaci- 
tät  vermehren  und  schliesslich  eine  Ver- 
grösserung  des  Brustumfanges  herbeiführen, 
vor  Allem  aber  auch  die  Individuen  zu 
ausgiebigerem  Athmen  anregen.  Indem  wir 
hier  durch  die  Inhalation  verdichteter  Luft 
der  Raumbeschränkung  des  Thorax  entgegen- 
arbeiten und  eine  bessere  Ventilation  der 
Lungen  begünstigen,  vermindern  wir  die 
Disposition  zur  Lungenschwindsucht. 

Ein  günstiges  Object  der  pneumatischen 
Behandlung  werden  sodann  auch  die  Bron- 
chialkatarrhe, sowohl  acute  als  chronische, 
bilden,  welche  unabhängig  von  Rachitis 
aufgetreten  sind.  Zu  dem  günstigen  Ein- 
fluss, welchen  die  pneumatische  Therapie 
bei  den  gleichen  Leiden  Erwachsener  aus- 
übt, gesellt  sich  der  schwerwiegende  Factor, 
dass  durch  die  Einathmung  comprimirter 
Luft,  welche  den  Luftzutritt  durch  die  ver- 
engten Bronchiallumina  zu  den  Alveolen  för- 
dert, dem  Gollabiren  dieser  Alveolen,  also 
der  Entstehung  von  Atelectase,  und  so 
wiederum  der  Entstehung  lobulär-pneumoni- 
scher Herde  entgegengearbeitet  wird.  Ver- 
mittelts  der  neuen  Vorrichtung  können  nun- 
mehr auch  jüngere  Kinder,  welche  an  pleu- 
ritischen Ergüssen  oder  deren  Folgezuständen 
leiden,  des  Vortheils  einer  pneumatischen 
Behandlung  theilhaftig  werden.  Wie  bisher  bei 
älteren  Individuen,  so  werden  wir  jetzt  auch 
bei  kleineren  Kindern  durch  Einathmung 
verdichteter  Luft  die  Aufsaugung  des  Exsu- 
dates und  die  Wiederausdehnung  der  com- 
primirten  Lunge  zu  xmterstützen  suchen; 
wir  werden  auf  diese  Weise  der  Ausbildung 

2* 


12 


Ungar,  Die  Verwerihung  der  pheumaiisclien  fberapie  im  kindesalter. 


fTherapeotiseiie 
L  Monatshefte. 


consecutiver  Thoraxdifformitäten  entgegen- 
arbeiten; wir  werden  uns  namentlich  auch 
in  den  Fällen,  in  welchen  nach  Empyem 
eine  Thoraxfistel  besteht,  der  von  Walden- 
burg  so  warm  empfohlenen  mechanischen 
Behandlung  durch  Einathmung  comprimirter 
Luft  bedienen  können. 

So  sehen  wir  also,  dass  für  die  Anwen- 
dung der  pneumatischen  Therapie  im  frühen 
Kindesalter  mannigfache  Indicationen  bestehen, 
wir  sehen,  dass  sich  der  Verwerthung  der 
neuen  Vorrichtung  ein  weites  Feld  eröffnet. 
Will  man  sich  aber  der  Einathmungen  ver- 
dichteter Luft  mit  Nutzen  bedienen,  so  darf 
man,  worauf  in  neuerer  Zeit  Schreiber  be- 
sonders aufmerksam  gemacht  hat,  nicht  ver- 
gessen, dass  bei  verschiedenen  pathologischen 
Veränderungen  die  verdichtete  Luft,  wenn 
keine  besonderen  Maassnahmen  getroffen  wer- 
den, vorzugsweise  in  die  gesunden  und  gut 
ventilirten  Lungenpartien  aspirirt  wird  und 
hier  auch,  und  nicht,  wie  beabsichtigt  war, 
in  den  kranken  Partien  zur  Geltung  gelangt. 
Erst  dadurch,  dass  man  die  gesunden  Partien 
des  Thorax  möglichst  in  ihren  Excursionen 
einschränkt,  und  die  Ventilation  der  gesunden 
Lungenpartien  künstlich  behindert,  gelingt 
es  die  gewünschte  Einwirkung  der  verdich- 
teten Luft  auf  die  kranken  Stellen  zu  er- 
zielen. Will  man  z.  B.,  dass  die  verdichtete 
Luft  einer  atelectatischen  Lungenpartie  oder 
einer  nach  pleuritischem  Exsudate,  resp. 
dessen  Folgen,  retrahirten  Lunge  zu  Gute 
komme,  so  wird  man  durch  passende  Lage- 
rung des  Kindes  oder  durch  directe  Com- 
pression  der  gesunden  Seite  die  Athmungs- 
thätigkeit  der  letzteren  möglichst  einzu- 
schränken haben.  Wird  bei  paralytischem 
Thorax  eine  Einwirkung  auf  die  oberen  Brust- 
partien beabsichtigt,  so  ist  es  nöthig  die  un- 
teren Brusttheile  durch  eine  ümschnürung 
an  ausgedehnteren  Excursionen  zu  hindern. 
Eine  Einwickelung  der  oberen  Partien  des 
Abdomens  oder  ein  daselbst  mit  der  Hand 
ausgeübter  Druck  kann  gleichzeitig  einem 
stärkeren  Herabsteigen  des  Zwerchfells  ent- 
gegenarbeiten. Soll  bei  Thoraxrachitis  der 
Zweck ,  dass  die  unter  höherem  Druck  ein- 
strömende Inspirationsluft  der  Einbiegung  der 
seitlichen  Thoraxpartien  entgegenarbeite,  er- 
füllt werden,  so  ist  es  nothwendig,  gegen  die 
allzustarken  Excursionen  des  Zwerchfells  durch 
mechanische  Behinderung  derselben  einzu- 
schreiten. 


Zur  Therapie  des  Typhus  abdominalis. 

Erwiderung    an    Herrn    Dr.  E.  Brand  in   Stettin. 

Von 

Prof.  Dr.  Sigm.  Purjesz  in  Klausenburg. 

Im  Aprilheft  der  Therap.  Monatsh.  1888 
wurde  über  meinen  in  einer  ungarischen 
Zeitschrift  erschienenen  Aufsatze  „Bemer- 
kungen zur  Therapie  des  Fiebers  mit  Rück- 
sicht auf  die  Therapie  des  Typhus  abdo- 
minalis^ referirt.  Auf  dieses  Referat  hin, 
welches  nicht  von  mir  herrührt  und  für 
dessen  richtige  Wiedergabe  ich  demnach 
auch  nicht  verantwortlich  sein  kann,  wurde 
ich  von  Herrn  Dr.  E.  Brand  in  dem  October- 
hefte  angegriffen.  Erlauben  Sie,  Herr  Re- 
dacteur,  dass  ich  auf  die,  schon  dem  Tone 
nach  ganz  eigenthümlichen  und  auch  sach- 
lich durchaus  nicht  begründeten  Angriffe  im 
Interesse  der  Sache  Manches  erwidere. 

Herr  E.  Brand  bemängelt  es,  dass  das 
Referat  seine  und  VogTs  Daten  als  aus 
der  „allerletzten  Zeit"  herrührend  hin- 
stellt und  meint,  dass  die  Zeit,  der  seine 
Daten  entlehnt  sind,  sich  auf  über  36  Jahre 
erstreckt. 

Nun  35  Jahre  sind  ja  eine  geraume 
Zeit,  aber  dennoch  eine  kurze  Spanne  im 
Verhältnisse  zur  Existenz  des  Typhus  und 
im  Vergleich  zu  den  vielen  Jahren,  wäh- 
rend welchen  die  Therapie  des  Typhus 
discutirt  wird.  Hätte  Herr  Brand  das 
ganze  Referat  mit  Aufmerksamkeit  gelesen, 
so  würde  er  auch  schon  daraus  die  Ueber- 
zeugung  gewonnen  haben,  dass  ich  nicht 
meinen  konnte,  dass  „die  hydriatische  Be- 
handlung des  Typhus  heute  noch  nicht  über 
eine  Statistik  verfügt,  die  man  verlässlich 
nennen  könnte"  (wie  es  im  Referate  heisst), 
sondern  dass  wir  überhaupt  zur  Beurth ei- 
lung des  Werthes  der  verschiedenen 
Behandlungsmethoden  des  Typhus  im 
Vergleiche  zu  einander  keine  verläss- 
liche Statistik  besitzen. 

Um  dem  Leser  die  Orientirung  in  dieser 
streitigen  Angelegenheit  zu  ermöglichen,  muss 
ich  Einiges  aus  meinem  Aufs  atze  hier  reca- 
pituliren. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung  über  die 
verschiedenen  Behandlungsmethoden  etc.  des 
Fiebers  und  des  Typhus  abdominalis  heisst 
es  daselbst: 

„Auffallend  ist  es  jedenfalls,  dass  die 
strengen  Hydropathen,  ebenso  wie  die  ge- 
mässigteren,  die  Verehrer  der  Antipyretica 
nicht  minder  als  jene,  die  das  Fieber  ganz 
unbeeinflusst  lassen  wollen,  zum  Beweise 
der  Verlässlichkeit  ihres  Vorgehens  sich 
darauf  berufen,    dass  es  mit  dem  jeweiligen 


III.  Jahrgang.! 
Januar  1889.  J 


Purjeiz,  Zur  Therapie  des  Typhui  abdominalii« 


13 


Verfahren  gelungen  ist,  die  früher  neben 
der  exspectativen  Therapie  beobachtete  Sterb- 
lichkeit von  29—30%  auf  6  —  9%,  ja  noch 
tiefer  zu  reduciren. 

Da  diese  Besserung  der  Sterblichkeits- 
verhältnisse  sich  bei  solch  divergenter  Thera- 
pie gleichmässig  einstellt,  so  ist  es  jedenfalls 
berechtigt  daran  zu  zweifeln,  dass  die  Besse- 
ruDg  eine  Folge  der  Therapie  ist. 

Abgesehen  von  der  Therapie  können  da 
verschiedene  Momente  ihren  Einfluss  geltend 
machen.  So  ist  es  nicht  unmöglich,  dass 
die  Energie  des  Typhusgiftes  in  letzterer 
Zeit  massiger  wurde,  wenigstens  spricht 
hierfür  die  Verschiedenheit  des  Krankheits- 
bildes von  einst  und  jetzt. 

Der  wesentlichste  Antheil  an  der  Besse- 
rung der  Typhusstatistik  dürfte  jedoch  der 
heutigen  besseren  Diagnostik  zufallen.  Denn 
wenn  wir  auch  die  gross te  Achtung  vor  der 
Diagnostik  unserer  Vorgänger  haben,  so  ist 
es  doch  unleugbar,  dass  in  Folge  der 
Thermometrie,  der  Percussion  und  sonstigen 
physikalischen  üntersuchungsmethoden  es 
heute  weniger,  denn  früher  geschieht,  dass 
wir  nicht  jeden  Fall  mit  sogenanntem  status 
typhosus  wirklich  für  Typhus  halten,  sondern 
als  miliare  Tuberculose,  Pneumonie  (asthe- 
nische), Pyaemie,  Endocarditis  (ulcerosa), 
Uraemie  etc.  erkennen. 

Hierdurch  entfällt  eine  grosse  Zahl  sol- 
cher, nur  des  status  typhosus  halber  für 
Typhus  gehaltener,  gewöhnlich  letal  ver- 
laufender und  natürlich  mit  Unrecht  dem 
Typhus  zur  Last  gelegten  Fälle.  Anderer- 
seits zählen  wir  heute  dem  Typhus  viele 
solche  Fälle  zu,  die  früher,  bloss  weil  der 
sogenannte  status  typhosus  ausblieb,  unter 
anderen  Rubriken  geführt  wurden;  es  ent- 
fielen somit  früher  namentlich  die  leichteren, 
die  Sterbestatistik  bessernden  Fälle,  während 
andere  mit  Unrecht  diese  Statistik  be- 
lasteten. 

Obwohl  diese  Verhältnisse  zur  Genüge 
erklären,  weshalb  die  vor  den  60er  Jahren 
bei  der  exspectativen  Behandlung  erreichte 
Sterblichkeit  heute  wesentlich  vermindert 
wurde,  so  ist  es  doch  von  Interesse  zu 
erfahren,  ob  jene  Beobachtungen  wirklich 
auf  eine  Behandlungsweise  sich  beziehen, 
die  dem  entspricht,  was  wir  heute  ex- 
spectativ  nennen.  Die  meisten  Autoren 
führen  nebst  den  Jahreszahlen  nur  die  Zahl 
der  beobachteten  Fälle  und  die  Sterbeziffer 
an  und  betrachten  Alles,  was  nicht  hydria- 
tisch  behandelt  wurde,  als  der  exspectativen 
Behandlung  zufallend.  Nur  Vogl  fügt 
seinen  Daten  auch  Bemerkungen  über  die 
Behandlungsweise  zu  und  fasst  hierbei  die 
Fälle  von    1841  bis  1868  als  der  exspecta- 


tiven Behandlung  zufallend  zusammen.  Wenn 
wir  diese  Daten  etwas  näher  betrachten,  so 
kommen  wir  zu  dem  Resultate,  dass  da  so 
manches  andere  als  exspectative  Behandlung 
mitgespielt  hat.  So  betrug  im  Jahre  1842 
die  Sterblichkeit  38,8%.  Die  Behandlung: 
„Ausleerend,  nach  dem  Fingerzeige  der 
Natur,  gelinde  antiphlogistisch,  mehrmals 
zugleich  ableitend  durch  Sinapismen  und 
Vesicantien,  kalte  Fomente.  Hier  und  da, 
wo  der  Process  örtliche  Entzündungen  zu 
setzen  drohte,  oder  bei  plethorischen  Sub- 
jecten  allgemeine  oder  örtliche  Blutent- 
ziehung." Für  das  Jahr  1843,  wo  die  Sterb- 
lichkeit 40,3%  betrug,  finden  wir  folgende 
Bemerkung:  „Den  herrschenden  Genius  epi- 
demicus  bildete  die  synochale  Form,  weshalb 
V.  S.  und  der  antiphlogistische  Apparat 
besonders  mit  Glück  applicirt  wurde."  So 
geht  es  weiter,  und  auch  noch  im  Jahre 
1851   finden  wir  das  Emeticum  erwähnt. 

Wie  Vogl  unter  solchen  Verhältnissen 
dazu  gelangt,  sagen  zu  können:  „Die  Ge- 
sammtabnahme  der  Mortalitätsziffer  im  Ver- 
gleiche zu  1841  — 1875  ist  zum  grössten 
Theile  durch  die  geringe  Sterblichkeit  bei 
der  methodischen  Kaltwasserbehandlung  er- 
zeugt", ist  uns  nicht  recht  einleuchtend. 
Sollte  die  bessere  Diagnostik  und  das  Ent- 
fallen der  nachtheiligen  Einwirkung  der 
V.  S.,  der  Laxantien,  der  localen  Blutent- 
ziehung, der  Emetica  gar  keinen  günstigen 
Einfluss  auf  die  Sterblichkeitsverhältnisse 
geäussert  haben?!  Es  geht  aus  dem  Ange- 
führten zur  Genüge  hervor,  dass  die  in  den 
40 — 50  er  Jahren  en-eichten  Resultate  durch- 
aus nicht  der  exspectativen  Behandlung  zu- 
geschrieben werden  können.  Es  muss  dies 
besonders  hervorgehoben  werden,  da  bei  der 
Beurtheilung  des  Werthes  der  verschiedenen 
Behandlungsmethoden  gewöhnlich  bis  auf 
die  40 — 50  er  Jahre  zurückgegangen  wird 
und  demnach  die  Kritik  von  falschem  Stand- 
punkte ausgeht,  w^enn  die  in  den  40 — 50  er 
Jahren  erreichten  Resultate  allgemein  der  ex- 
spectativen Behandlung  zugeschrieben  werden. 

Unter  solchen  Verhältnissen  ist  es  über- 
haupt fraglich,  ob  wir  solche  Data  be- 
sitzen, die  zum  Vergleiche  des  Werthes 
der  verschiedenen  Behandlungsmetho- 
den geeignet  sind.  Dies  wäre  nur 
dann  der  Fall,  wenn  das  zum  Ver- 
gleiche benützte  Material  in  allen 
Punkten  identisch  wäre  und  sich  nur 
in  Betreff  der  Behandlung  unter- 
schiede. Wenn  wir  jedoch  berücksichtigen, 
wie  verschieden  schwer  die  Infection  sich 
—  trotz  der  ätiologischen  Einheit  des 
Typhus  —  in  den  verschiedenen  Jahren,  an 
verschiedenen    Orten,    ja  an   gleichen   Orten 


14 


Purjesc,  Zur  Therapie  dei  Typhus  abdomlnaliB. 


[Therapeutlache 
Monatshefte. 


äussern  kann,  wenn  wir  ferner  bedenken,  wie 
verschieden  das  zum  Vergleiche  benützte 
Material  in  Bezug  auf  Alter,  Constitution  etc. 
ist,  so  können  wir  füglich  behaupten,  dass 
uns  ein  passendes  Material  nicht  zur  Ver- 
fügung steht. 

Wie  verschieden  müssen  z.  B.  die  Sterbe- 
verhältnisse —  bei  ganz  identischer  Behand- 
lung —  in  einem  Civil  krankenhause  aus- 
fallen, wo  alte  und  junge  Personen,  Männer 
und  Frauen,  Schwangere,  herabgekommene 
Individuen,  Potatoren  etc.  aufgenommen 
werden,  im  Verhältnisse  zu  den  Ergebnissen 
der  Militärkrankenhäuser,  wo  das  Kranken- 
material individuell  am  wenigsten  verschieden 
ist  und  a  priori  schon  die  günstigsten 
Chancen   zur  Genesung  bietet. 

Wenn  daher  Brand  und  Vogl  so  sehr 
auf  ihr  kleines  Sterbeprocent  pochen,  so 
möge  nicht  vergessen  werden,  dass  sie  ihre 
Daten  der  allerletzten  Zeit  entlehnen  und 
dass  sich  dieselben  fast  ausschliesslich  auf 
in  Militari azarethen  gemachte  Erfahrungen 
beziehen. 

Wie  ungleich  und  unseren  oben  ge- 
stellten Anforderungen  nicht  entsprechend, 
demnach  zum  Vergleiche  über  den  Werth 
der  verschiedenen  Behandlungsmethoden  nicht 
geeignet  das  verfügbare  Material  ist,  geht 
auch  aus  Brandts  Angaben  selbst  dann 
hervor,  wenn  wir  nur  jene  5573  Fälle  be- 
rücksichtigen, von  denen  er  meint,  dass  „das 
Material  nichts  zu  wünschen  übrig  lässt", 
und  von  seiner  grossen  Statistik  (19017  Fälle), 
welche  er  selbst  als  „mixtum  compositum" 
bezeichnet,  absehen.  Von  diesen  5573 
kommen  gegen  3000  auf  Soldaten  (Garnisons- 
lazareth  d.  II.  Armeecorps  2711,  Vogl  221) 
und  können  schon  deshalb  nicht  unter  einen 
Gesichtspunkt  mit  den  übrigen  gestellt 
w^erden.  Die  übrigen  sind  aus  Fällen,  die  aus 
den  verschiedensten  Jahren  und  verschieden- 
sten Gegenden  stammen,  zusammengesetzt, 
worunter    wir  Daten   finden,    wie  Weidner 

20  Fälle    =    0    Sterblichkeit,    Heyfelder 

21  Fälle  =  0  Mortalität,  Roudet  und 
Grabinsky  11  Fälle  =  0  Mortalität.  Es 
mag  in  diesen  Fällen  wohl  das  Wasser  in 
gleicher  Weise  streng  nach  Brand  benützt 
worden  sein,  aber  über  Alles  andere,  was 
nach  dem  oben  Gesagten  bei  einer  Statistik, 
die  vergleichbar  sein  soll,  eine  wesentliche 
Rolle  spielt,  wissen  wir  eigentlich  nichts, 
ja  wir  glauben  nicht  zu  weit  zu  gehen, 
wenn  wir  es  trotzdem  aussprechen,  dass  die 
Verhältnisse  den  oben  gestellten  Anforde- 
rungen nicht  entsprechen. 

unsere  Behauptung,  dass  wir  ein  in 
obigem  Sinne  zum  Vergleiche  verwendbares 
Material  nicht  besitzen,  bedarf  iQßofern  einer 


Correctur,  als  ja  VogTs  Ausweis  aus  dem 
münchener  Militärlazarethe  gerade  dieser 
Anforderung  zu  entsprechen  berufen  wäre. 
Dieser  Ausweis  spricht  so  sehr  für  den  wohl- 
thätigen  Einfluss  der  Brand 'sehen  Behand- 
lungsweise,  dass  wir  nicht  zögern  würden 
uns  denselben  anzuschliessen,  wenn  derselbe 
nicht  so  manche  Einwände  zuliesse. 

In  erster  Linie  müssen  wir  beanstanden, 
dass  die  nach  der  einen  Methode  (metho- 
disch) behandelten  Fälle  vielzu  gering  an 
Zahl  (22 1)  im  Verhältniss  zu  den  combinirt 
behandelten  (767)  sind.  Besonders  fällt 
dies  auf,  wenn  man  die  einzelnen  Jahrgänge 
mit  einander  vergleicht.  Daraus  z.  B.,  dass 
in  dem  Jahrgange  1880/81  auf  der  combi- 
nirten  Abtheilung  von  10  Kranken  3  ihrer 
Krankheit  erlagen,  während  in  der  anderen 
(methodisch)  Abtheilung  auf  25  Kranke  ein 
Todesfall  entfiel,  wäre  es  jedenfalls  sehr  ge- 
wagt folgern  zu  wollen,  dass  die  auf  der 
ersten  Abtheilung  geübte  Behandlung  im 
Allgemeinen  eine  Sterblichkeit  von  18,8%, 
die  auf  der  anderen  Abtheilung  geübte  aber 
eine  solche  von  4%  ergebe;  dieselben  Ver- 
hältnisse finden  wir  auch  in  dem  Jahre 
1881/82.  Aus  so  geringen  Zahlen  lassen 
sich  jedoch  keine  *  allgemeinen  Schlüsse 
ziehen,  selbst  dann  nicht,  wenn  das  Material 
so  gleichmässig  ist,  wie  dies  von  den  Sol- 
daten Vogl's  vorausgesetzt  werden  kann. 
Die  Soldaten  können  wohl  ganz  gleiche 
Uniformen  haben,  aber  schliesslich  sind  sie 
auch  Menschen,  mit  verschiedenen  indivi- 
duellen Eigenschaften. 

Noch  bedenklicher  muss  uns  VogTs 
Vorgehen  erscheinen,  wenn  derselbe  in  einer 
seiner  Arbeit  angefügten  Bemerkung  zugiebt, 
dass  in  den  Jahren  1878/79  und  1881/82 
wohl  in  beiden  Abtheilungen  methodisch 
vorgegangen  wurde  und  dennoch  die  I.  Ab- 
theilung zu  den  combinirt  behandelten  zählt. 
Bei  richtigem  Vorgehen  hätten  diese  Fälle 
den  methodisch  behandelten  zugezählt  werden 
müssen;  freilich  hätte  dann  Vogl  nicht 
sagen  können:  „die  methodische  Behandlung 
überschreitet  auch  in  typhusreichen  Jahren 
nicht  ein  einzigesmal  die  Mortalität  von 
4,7%".  Wir  legen  auf  diese  Einwendung 
gegenüber  den  VogTschen  Daten  ein  um 
so  grösseres  Gewicht,  da  sich  die  Hydria- 
tiker  zumeist  auf  dieselben  berufen,  und  weil 
aus  diesen  Einwendungen  zur  Genüge  hervor- 
geht, dass  jene  nicht  als  Resultate  „thera- 
peutischer Experimente  im  grossen  Stile" 
wie  V.  Ziemssen  meint,  betrachtet  werden 
können." 

Aus  dem  Angeführten  erhellt  also,  dass 
wir  keine  derartige  statistischen  Data  be- 
sitzen, durch  welche  die  Vortheile  der  einen 


TIT.  Jahrgang.^ 
Janaar  1889.  J 


Purjeiz,  Zur  Therapie  des  Typhus  abdominalis. 


15 


BehandlungsAveise  vor  der  anderen  genügend 
bewiesen  wäre. 

Es  ergiebt  sich  aus  dem  Mitgetheilten, 
und  ich  hoffe,  dies  wird  auch  Herr  Dr.  Brand 
einsehen,  dass  ich  mit  Fug  und  Eecht  sagen 
konnte,  dass  die  Daten,  auf  welche  sich 
Brand  und  Yogi  beriefen,  der  allerletzten 
Zeit  entlehnt  sind.  Herr  Dr.  Brand  kämpft 
formlich  gegen  "Windmühlen,  wenn  er  dar- 
über ungehalten  ist,  dass  ich  seine  35jährige 
Thätigkeit  nicht  gehörig  beachtete.  Von  den 
5573  Fällen  entfallen  auf  H.  Brandts 
35  jährige  Thätigkeit  nur  479,  während 
gegen  3000  und  noch  mehr  den  Jahren  1880 
herwärts  entstammen.  Ich  musste  natürlich 
den  Namen  des  Herrn  Brand  mit  Fällen 
in  Zusammenhang  bringen,  die  der  aller- 
letzten Zeit  entstammen,  da  Herr  Brand 
gerade  diese  Fälle  zur  Beweisführung  be- 
nützt; am  allerwenigsten  hatte  ich  da  bloss 
die  eigenen  Fälle  des  Herrn  Brand  vor 
Augen.  Ja,  da  ich  die  gesammten  Angaben 
Brandts  für  nicht  beweisend  halte  —  wie 
dies  aus  Obigem  ersichtlich  ist  —  so  ist 
meine  ganze  Beweisführung  vielmehr  gegen 
YogTs  Angaben  gerichtet,  nichts  desto 
weniger  musste  ich  Brand  und  Yogi  zu- 
gleich nennen,  da  Brand  die  Angaben  YogTs 
als  Beweise  anführt. 

Zweitens  meint  Herr  Brand:  er  ist  leider 
kein   Militärarzt   etc.   —   Weder    in   meinem 
Aufsatze,    noch    in    dem   Referate    ist   auch 
nur  eine  Andeutung  davon,    dass   ich  Herrn 
Brand    für    einen    Militärarzt    hielt.     Herr 
Brand    scheint    das    Referat    nicht    richtig, 
oder  gar  nicht  gelesen  zu  haben.     Da  heisst 
es  bloss,    dass    die  Daten  sich  fast  aus- 
schliesslich   auf  in   Militärlazarethen 
gemachte  Erfahrungen  beziehen.     Herr 
Brand  möge  einmal  Einsicht  in  seine  Zahlen- 
angaben nehmen  und  er  wird  sich  überzeugen 
können,    dass    ich    im    Rechte    bin.      Herr 
Brand  kämpft  wieder  einmal   gegen  Wind- 
mühlen,   wenn   er   sich    gegen    den  Yorwurf 
vertheidigt,  dass  ich  ihn   für    einen  Militär- 
arzt  hielt.     Es    fiel    mir   gar   nicht    ein   zu 
behaupten,     dass     er     die    Erfahrungen    in 
Militärlazarethen  gemacht,  —  er  benützte  nur 
die    Daten,     die   Andere    in   Militärlazare- 
then gesammelt.  —  Hiermit  ist  auch  die  dritte 
Einwendung  des  Herrn  Dr.  Brand  erledigt. 
Viertens    meint    Herr    Brand:    dass    er 
nicht  pocht   auf  ein   kleines  Sterbeprocent. 
Nun    ich    glaube,    dass   darüber,    wie   Herr 
Dr.  Brand  in  seinen  Schriften  sich  benimmt, 
auch    einem    Anderen    ein    Urtheil    zusteht; 
auf  mich  wenigstens  macht  es  den  Eindruck, 
dass    er    auf    seine   Resultate    in    der   That 
pocht.     Es    ist   ja    das    schliesslich    keine 
Schande. 


Im  5.  Punkte  seiner  Erwiderung  lässt 
Herr  Brand  es  durchblicken,  dass  er  den 
Inhalt  der  von  ihm  bemängelten  4  Punkte 
nicht  für  wahr  hält.  Er  hat  nicht  ganz 
Unrecht,  denn  was  im  Punkte  2  und  3 
enthalten  ist,  ist  wirklich  nicht  wahr,  nur 
wurde  das  nicht  von  mir,  sondern  von  Herrn 
Brand  behauptet;  dagegen  erkläre  ich  das, 
was  Punkt  1  und  4  enthält,  für  vollkommen 
wahr  und  bewiesen. 

Schliesslich  kann  Herr  Brand  es  nicht 
unterlassen  seine  Zweifel  darüber  auszu- 
drücken, ob  ich  je  eine  seiner  zahlreichen 
Schriften  in  der  Hand  gehabt  oder  gar  ge- 
lesen habe.  Nun  ich  kann  Herrn  Brand 
versichern,  dass  ich  seine  Schriften  nicht 
nur  gelesen,  sondern  aus  denselben  auch  viel 
und  vor  allem  das  gelernt  habe,  wie  wenig 
es  einer  Sache  nützt,  wenn  man  dieselbe  anstatt 
mit  sachlichen  Gründen,  mit  Fanatismus 
vertheidigt.  Eine  weitere  Folge  dieser  Lehren 
ist  die  Ueberzeugung,  dass  man  gegen  Fana- 
tismus vergebens  mit  Gründen  kämpft,  wes- 
halb ich  auch  gleich  hier  erklären  muss, 
dass  ich  jeden  weiteren  Angriff  des  Herrn 
Brand  in  dieser  Angelegenheit  unberück- 
sichtigt lassen  werde. 


Zur  Therapie  des  Typhus  abdominalis. 

Antwort  auf  die  obige  Erwiderung  des  Herrn 
Prof.  Dr.  Purjesz. 

Von 

Dr.  E.  Brand  in  Stettin. 

Niemand  wird  es,  denke  ich,  mir  ver- 
übeln, wenn  ich  meinem  Grundsatze,  auf  per- 
sönlichen Angriff  nicht  zu  antworten,  auch 
hier  getreu  bleibe. 

Damit  aber  der  Leser  sich  ein  unpar- 
teiisches ürtheil  bilden  kann,  erlaube  ich 
mir  den  Ausspruch  des  Herrn  Prof.  Purjesz 
und  meine  Berichtigung  wörtlich  hier  noch 
einmal  anzuführen. 

Im  Aprilheft  dieser  Zeitschrift  steht  zu 
lesen:  „Wenn  Brand  und  Vogl  so  sehrauf 
ihr  kleines  Sterbeprocent  pochen,  so  möge 
nicht  vergessen  werden,  dass  sie  ihre  Daten 
der  allerletzten  Zeit  entlehnen  und  dass  sich 
dieselben  fast  ausschliesslich  auf  in  Militär- 
lazarethen gemachte  Erfahrungen  beziehen." 

„Die  hydriatische  Behandlung  des  Typhus 
verfügt  heute  noch  nicht  über  eine  Statistik, 
die  man  verlässlich  nennen  könnte." 

Darauf  habe  ich  kurz,  bündig  und,  wie 
ich  glaube,  mit  keinem  Worte  zu  viel  er- 
widert; 


16 


Brand,  Zur  Therapie  des  Typhui  abdominalis. 


[Therapeutische 
Monatxheftp. 


1.  Die  allerJetzte  Zeit,  der  meine  Daten  ent- 
lehnt sind,  erstreckt  sich  über  35  Jahre. 

2.  Bin  ich  nicht  Militärarzt. 

3.  Sind  meine  Erfahrungen  nicht  in  Mili- 
tärlazarethen  gemacht,  sondern  in  der 
Privat'  und  hausärztlichen  Praxis.  Mit 
Ausnahme  einer  geringen  Zahl  während 
des  Krieges  1870/71  in  einem  Privat- 
lazareth  behandelter  habe  ich  nie  einen 
typhuskranken  Soldaten  gesehen. 

4.  Poche  ich  nicht  auf  mein  kleines  Sterbe- 
procent, sondern  lege  im  Gegentheil  den 
Sterblichkeitsziifem  als  Beweismittel  nur 
geringen  Werth  bei. 

5.  Wenn  Herr  Professor  P.  auf  diese  4  An- 
gaben hin  meine  Statistik  nicht  verläss- 
lich  nennt,  so  ist  dieses  Urtheil  w^ohl 
ebenso  begründet,  wie  die  Punkte  1 — 4 
wahr  sind.  Offenbar  hat  Herr  Pro- 
fessor P.  niemals  eine  meiner  zahlreichen 
Schriften  in  der  Hand  gehabt  und  noch 
weniger  sie  gelesen. 

Ich  bedauere,  anstatt  der  Bezeichnung 
wahr  nicht  lieber  richtig  gebraucht  zu 
haben.  Sonst  bin  ich  beim  besten  Willen 
nicht  im  Stande,  auch  nur  ein  Wort  meiner 
Berichtigung  zurückzunehmen. 

Ueber  den  Werth  der  Statistik  der  Wasser- 
behandlung des  Typhus  und  der  Statistik 
als  Beweismittel  überhaupt  werde  ich  mir 
die  Ehre  geben,  an  einem  anderen  Orte  zu 
berichten. 


BeitrasT  zur  Sozojodoltherapie. 

Von 

Dr.  Nitschmann  in  Erfart. 

Seit  etwa  9  Monaten  habe  ich  mit  den 
Terschiedenen  Sozojodolpräparaten  aus  der 
chemischen  Fabrik  H.  Trommsdorf-Erfurt  bei 
einer  grossen  Anzahl  meiner  Patienten  gegen 
mannigfache  Krankheitserscheinungen  Ver- 
suche angestellt,  deren  Resultate  ich  hiermit 
der  Oeffentlichkeit  übergebe,  da  dieselben 
überraschend  gute  genannt  werden  können 
und  das  Sozojodol  nach  denselben  entschieden 
zu  weiteren  Versuchen  geeignet  erscheint. 
Während  der  Zeit,  in  welcher  ich  diese  an- 
stellte, sind  bereits  mehrere  Veröffentlichungen 
darüber  erschienen.  So  hat  Lassar  gute  Er- 
folge gehabt  bei  verschiedenen  Hautkrankhei- 
ten, die  ich  nur  bestätigen  kann,  namentlich 
so  weit  sich  dieselben  auf  parasitäre  Hauterkran- 
kungen beziehen.  Pritsche  rühmt  die  Resul- 
tate der  Sozojodoltherapie  bei  Behandlung  der 
Krankheiten  des  Nasenrachenraumes  mit  In- 
sufflationen  von  theils  reinem  Sozojodolnatri- 
um,  theils  in  Vermischung  mit  Milchzucker. 


Wenn  ich  auch  derartige  Einblasungen  nie 
gemacht  habe,  sondern  statt  derselben  Ein- 
pinselungen oder  Douchen  mit  5 —  7**/o  Lösun- 
gen anwenden  liess,  so  habe  ich  doch  von 
letzterer  Behandlung  dieselben  günstigen  Er- 
folge gesehen.  Als  ich  diese  kurze  Zusam- 
menstellung absenden  wollte,  erschien  im 
Septemberhefte  der  Therapeutischen  Monats- 
hefte noch  eine  ausführliche  Abhandlung 
über  die  chemische  Zusammensetzung  und  die 
Einwirkung  des  Sozojodols  auf  Pilzbildun- 
gen von  Langgaard.  Aus  letzterer  ist 
namentlich  wichtig  die  giftfreie  Wirkung  der 
Präparate,  die  die  Anwendung  in  der  Wund- 
behandlung auch  auf  grössere  Hautdefecte 
ohne  Jodin toxication  gestattet,  wie  ich  denn 
auch  nie  eine  derartige  In  toxication  gesehen 
habe,  und  zweitens  ist  es  wichtig  zu  erfahren, 
in  welchem  Procentsatz  die  Anwendung  er- 
folgen muss,  um  jede  Coccenbildung  sicher 
zu  verhindern.  Ich  gebe  zu,  dass  ich  nach 
der  Veröffentlichung  von  Langgaard  einige 
Medicamente  mit  geringerem  Procentgehalt 
von  Sozojodol  hätte  anwenden  können,  und 
ich  habe  letzteres  auch  in  neuester  Zeit  be- 
reits gethan,  doch  kann  ich  mir  den  Fehler 
mit  zu  starken  Lösungen  wohl  selbst  ver- 
zeihen, da  das  Sozojodol  wenig  oder  garnicht 
irritativ  wirkt  und,  wie  bereits  gesagt, 
Intoxicationen  nicht  verursacht.  Versuche 
wurden  von  mir  angestellt  bei  folgenden 
Krankheitserscheinungen : 

Auf  seine  antiseptischen  Eigenschaften 
von  vornherein  aufmerksam  gemacht  und  als 
solches  (Ersatz  für  Jodoform)  hauptsächlich 
von  der  Firma  H.  Trommsdorf  empfohlen, 
wandte  ich  dasselbe  zunächst  in  der  Wund- 
behandlung an.  Zur  Desinfection  von  Schnitt- 
oder Riss-  und  Quetschwunden  besitzen  wir 
in  den  verschiedensten  Antisepticis  so  vor- 
zügliche und  dabei  billige  Mittel,  dass  wir 
dazu  der  Sozojodolpräparate,  die  immerhin 
theuer  sind,  durchaus  nicht  benöthigen,  und 
würde  ich  dasselbe  daher  hierzu  nie  empfehlen, 
aber  bei  einer  Menge  eiternder  und  jauchen- 
der Wunden,  die  in  der  Praxis  des  Arztes, 
namentlich  Fabrikarztes  so  oft  vorkommen, 
hat  es  mir  vorzügliche  Dienste  geleistet. 
Bei  Schnittwunden  mit  schmutzigem,  öligem 
Messer,  bei  denen  die  prima  intentio  ausge- 
blieben ,  bei  Quetschwunden  von  Zahnrädern 
herrührend,  bei  Brandwunden  durch  glühen- 
des oder  flüssiges  Erz,  bei  oberflächlichen 
Verbrennungen  der  Haut  durch  Explosionen, 
bei  chronischen  ünterschenkelgeschwüren  etc. 
etc.,  in  allen  Fällen,  in  denen  wir  bisher, 
soweit  nicht  Operationen  nothwendig  wurden, 
adstringirende  oder  desinticirende  Mittel  ab- 
wechselnd anwandten,  kann  ich  nur  dringend 
rathen,    Sozojodol    zu  versuchen.     Ich  habe 


III.  Jahrgang.*! 
Januar  1889.  J 


Nitschmann,  Beitrag  cur  Sozododoltherapie. 


17 


früher  meistens  Jodoform  verwandt,  und  so- 
bald die  Granulationen  -wucherten,  mit  Ar- 
gentum  nitricum  touchirt,  um  bei  zu  starker 
Aetzung  wieder  mit  Jodoform  vorzugehen. 
Zwar  habe  ich  damit  auch  stets  günstige 
Resultate  erzielt,  aber  abgesehen  von  dem 
unangenehmen  Geruch  des  Jodoforms  und 
den  schwarzen  Wundrändern  der  Argentum- 
salbe,  müssen  die  Patienten  bei  dieser  Wund- 
behandlung täglich  besichtigt  werden,  was 
sich  besonders  bei  Landpraxis  absolut  nicht 
ausfuhren  lässt.  Die  Sozojodolnatriumsalbe 
wirkt  gerade  vermittelnd  zwischen  den  beiden 
oben  angegebenen  Behandluugsweisen.  Die 
Wundfläche  reinigt  sich  sehr  schuell,  zeigt 
eine  gesunde,  fnschrothe  Farbe  mit  rosa 
Wundrändem,  die  nicht  durch  üppige  Gra- 
nulationen überwuchert  werden,  und  es  ist 
mir  oft  passirt,  dass  Wunden,  die  mit  anderer 
Behandlung  während  14  Tagen  keine  Tendenz 
zur  Verkleinerung  zeigten,  bei  Anwendung 
von  Sozojodol  in  4  bis  5  Tagen  verheilt 
waren.  Zufällig  hatte  ich  Gelegenheit  zwei 
Fälle  zu  beobachten,  die  sich  beide  bei  einer 
Explosion  ausgedehnte  aber  nur  oberfläch- 
liche Hautverbrennungen  zugezogen  hatten; 
bei  beiden  war  die  Verbrennung  fast  dieselbe, 
sodass  ich  die  Fälle  wohl  parallelisiren 
kann.  Der  eine  wurde  mit  Jodoform,  der 
andere  mit  Sozojodol  behandelt,  und  letzterer 
brauchte  gerade  die  halbe  Zeit  zur  Heilung 
wie  ersterer,  und  wer  weiss,  wie  lange  ersterer 
noch  gebraucht  hätte,  wenn  nicht  zuletzt 
auch  noch  Sozojodol  angewandt  wäre,  worauf 
die  Heilung  schnell  fortschritt.  Die  Salbe, 
die  ich  in  allen  diesen  Fällen  lediglich  an- 
wandte, hatte  folgende  sehr  einfache  Zu- 
sammensetzung : 

Lanolini  40,0. 

Sozojodolnatr.   4,0. 

Mf.  ung. 
Die    weiteren    Versuche  erstreckten  sich 
zunächst  auf  acute  und  chronische  Katarrhe 
der  Schleimhäute. 

Bei  acuten  Katarrhen  des  Pharynx  sowie 
bei  acuter  Stomatitis  wirkt  eine  wässrige 
5%  Sozojodolzinklosung,  zweistündlich  ein- 
gepinselt und  bei  brennenden  Schmerzen  mit 
reinem  Wasser  nachgespült,  schnell  und 
sicher.  Bei  einer  hier  herrschenden  Masern- 
epidemie fand  ich  Gelegenheit,  die  gleiche 
Lösung  auch  bei  einer  grossen  Anzahl  acuter 
Gonjunctivitiden  zu  probiren  und  habe  auch 
stets  guten  £rfolg  gehabt,  wenn  man  frei- 
lich auch,  ebenso  wie  bei  Zinc.  sulf.-Losung, 
gezwungen  ist,  nach  der  Einträufelung  ^/4 
Stunde  hindurch  kalte  Umschläge  machen 
zu  lassen.  Bei  Coniunctivitis  purulenta  und 
Blennorrhoe  neonatorum  wählte  ich  wieder 
SozojodolnatriumlÖsung  und  zwar: 


Sozojodolnatrium  2,0 

Aquae  30,0 

da  das  Sozojodolzink  heftigen,  brennen- 
den Schmerz  verursachte,  und  ich  mochte 
es  daher  auch  für  die  acuten  Goniunctivi- 
tiden  nach  letzter  Erfahrung  mehr  empfehlen 
als  das  Sozojodolzink. 

Für  die  Behandlung  der  Urethritis  gonnorr- 
hoica  sorgt  das  Sozojodolzink-Präparat  in 
2  °/o  Lösung  für  Vermehrung  der  vielen  und 
mannigfachen  bereits  bekannten  Mittel,  wenn 
ich  auch  eingestehen  muss,  dass  sich  auch 
bei  diesem  Mittel  die  alte  Hauptregel  be- 
stätigt, dass  der  Patient  selbst  durch  soliden 
Lebenswandel  das  meiste  bei  der  Therapie 
zu  erreichen  vermag.  —  Von  der  Behand- 
lung der  Urethritis  kommen  wir  zu  der  der 
Vaginitis  seu  benigna  seu  maligna.  Zwar 
halte  ich  die  Behandlung  mittelst  Speculum 
und  directer  Aetzung  der  ausgespannten 
Schleimhaut  mit  Acetum  pyrolignosum  oder 
Argen  tum  nitricum  etc.  etc.  für  die  zweck- 
mässigste,  wo  sich  dieselbe  aber  nicht  aus- 
führen lässt,  d.  h.  wo  die  betreffenden  Pa- 
tienten nicht  täglich  zum  Arzt  zu  kommen 
vermögen,  da  habe  ich  bisher  Sublimatsalbe 
mit  Wattetampons  einführen  lassen,  habe 
jetzt  aber  mit  Sozojodolnatr.  -  Salbe  auf 
gleiche  Weise  applicirt  (wiederum  1  :  10) 
bessere  d.  h.  schnellere  Erfolge  gehabt,  und 
die  Patienten  klagen  nicht  so  sehr  über 
brennende  Schmerzen,  wie  es  bei  der  Sub- 
limatsalbe der  Fall  war. 

In  der  Behandlung  der  gynäkologischen 
Fälle  fortfahrend,  kann  ich  es  nicht  genug 
empfehlen  gegen  Gervixkatarrh  (Emmet^s 
Ectropium).  Dieses  ist  der  einzige  Fall,  in 
welchem  ich  das  Sozojodolnatrium  in  Pul- 
verform verwandte.  Anfönglich  versuchte  ich 
es  auch  hier  mit  Application  der  Salbe  durch 
Tampons,  unter  Führung  des  Speculums  un- 
mittelbar auf  die  Wunde  gebracht  und  da- 
selbst liegen  gelassen,  bald  aber  ergab  directes 
Aufblasen  des  reinen  Sozojodolnatriums  auf 
die  Wunde  und  Vorlegen  eines  trockenen 
Tampons  ein  entschieden  besseres  Resultat. 
Während  bei  dem  Aetzen  des  im  Spiegel 
eingestellten  Ulcus  mit  Acetum  pyrolignosum 
die  Wirkung  nur  kurze  Zeit  anhält  und  dann 
bis  zum  nächsten  Tage  eine  weitere  Behand- 
lung meistens  nicht  stattfindet  oder  von  ge- 
ringem Werth  ist  (soweit  sich  Patientin 
dieselbe  selbst  angedeihen  lässt),  während 
ferner  die  eingeführten  Salben  sich  in  der 
Körperwärme  verflüssigen  und  bald  abfliessen, 
löst  sich  aufgepulvertes  Sozojodolnatrium 
bei  der  vorhandenen  geringen  Feuchtigkeit 
sehr  schwer  auf,  bleibt  permanent  mit  der 
ulcecrirten  Fläche  in  Verbindung  und  der 
davorgelagerte    trokene    Tampon     verhindert 

3 


18 


Nlttehtnann,  Baitrag  cur  Sozojodolttaerapie. 


rlierapeutiflche 
Monatshefte. 


ein  Abwischen  des  Sozojodol  durch  die  auf- 
lagernden Vaginalwände.  Wie  sich  hieraus 
theoretisch  ein  guter  Erfolg  demonstriren 
lässt,  80  habe  ich  denselben  in  praxi  that- 
sächlich  gesehen  und  daher  mochte  ich  die 
Herren  Collegen  namentlich  in  diesem  Falle 
bitten,  Versuche  anzustellen.  Das  Aufpul- 
vern geschieht  am  leichtesten  durch  eine 
gerade  Glasrohre,  über  deren  eines  Ende  ein 
^4  bis  ^/j  Meter  langer  Gummischlauch  ge- 
zogen ist.  Man  thut  nun  das  andere  Ende 
der  Glasröhre  in  das  Pulver  hinein,  sodass 
sich  die  Mündung  möglichst  hoch  hinauf  mit 
Sozojodol  verstopft,  nimmt  den  Gummi- 
schlauch in  den  Mund  und  bringt  das  mit 
Sozojodol  versehene  Rohrende  durch  das 
Speculum  hindurch,  ganz  in  die  Nahe  des 
Ulcus,  um  das  Pulver  durch  einfaches  Blasen 
über  die  Wundfläche  auszustreuen. 

Im  weiteren  Verfolge  der  gynäkologischen 
Fälle  kann  ich  es  empfehlen  gegen  Endo- 
metritis, und  zwar  das  Sozojodolzink  in 
concentrirter  Lösung,  d.  h,  etwa  7  7o  ver- 
mittelst der  Brau  n'schen  Spritze  in  den  Uterus 
injicirt,  wobei  ichnur  bitte  nachHil  debrandt 
die  Vorsicht  anzuwenden,  nach  einiger  Zeit 
durch  Aufsaugung  den  Haupttheil  des  Aetz- 
mittels  wieder  aus  dem  Uterus  zu  entfernen, 
um  bei  eventuell  eintretenden  Krampfwehen 
ein  Eintreten  des  Sozojodols  durch  die  Tuben 
in  den  Peritonealraum  unmöglich  zu  machen. 
Um  alle  Fälle  anzuführen,  bei  denen  ich  das 
Sozojodol  versucht,  so  sei  noch  erwähnt, 
dass  ich  auch  bei  Vaginismus  und  bei  Pruritus 
entschiedene  Besserungen  mit  5  %  Sozojodol- 
zinklösung  erzielt  habe. 

Mit  dieser  Mittheilung  schliesse  ich  meine 
Versuche  mit  den  Sozojodolpräparaten  durch- 
aus nicht  ab,  ich  bin  überzeugt,  dass  in 
verschiedenen  Fällen  sich  noch  bessere  Re- 
sultate erzielen  lassen,  sei  es  durch  Ver- 
dünnung, sei  es  durch  Concentrirung  des  be- 
treffenden Präparates,  und  gebe  auch  anderer- 
seits zu,  dass  einige  Versuche  vielleicht 
günstiger  ausgefallen  sind,  als  sie  sich  später 
erweisen  werden.  Ich  habe  durch  diese  kurze 
Mittheilung  nur  die  Aufmerksamkeit  der 
Herren  Collegen  auf  ein  Präparat  lenken 
wollen,  durch  welches  unser  Arzneischatz 
in  letzter  Zeit  bereichert  ist,  und  das  mir 
eine  Zukunft  zu  haben  scheint;  soviel  ich 
vernommen  habe,  soll  dasselbe  auch  zu  inner- 
lichem Gebrauch  mit  Erfolg  verwandt  sein, 
namentlich  das  Sozojodollithion  gegen  Rheu- 
matismus, doch  warten  wir  weitere  Mit- 
theilungen darüber  ab. 


Ueber  otiatrische  Statistik  Insbesondere 
in  therapeutischer  Beziehung:« 

Von 

Dr.  L.  Jacobson, 

Privatdocent  dor  Ohrenheilkundo  an  der  rniverRitHt  Berlin. 

Vortrag,  gehalten   am   19.  September  1888  in   der 

otiatrischen  Section  der  61.  Versammlung  deutscher 

Naturforscher  und  Aerzte  in  Köln. 

Meine  Herren!  Die  Frage,  welche  ich 
mir  erlauben  wollte,  in  dieser  Versammlung 
zur  Sprache  zu  bringen,  hat  für  einige  unter 
den  Fachgeiiossen  in  jüngster  Zeit  eine  be- 
sondere Bedeutung  gewonnen.  Es  wird 
Ihnen  bekannt  sein,  dass  Seine  £xcellenz, 
der  Herr  Cultusminister  von  Gossler, 
sämmtlichen  klinischen  und  poliklinischen 
Universitäts- Anstalten  Preussens  Fragebögen 
und  Zählkarten  hat  zugehen  lassen,  welche 
Material  liefern  sollen  zur  Herausgabe  eines 
„klinischen  Jahrbuchs".  Bei  der  Ausfüllung 
der  genannten  Bögen  für  die  otiatrische 
Universitätsklinik  und  -poliklinik  zu  Berlin 
drängte  sich  mir  eine  Frage  auf,  deren  Be- 
antwortung mir  Schwierigkeiten  verursachte, 
die  Frage  nämlich,  welche  Gesichtspunkte 
bei  der  Bezeichnung  beziehentlich  Gruppi- 
rung  der  erzielten  Behandlungsresultate  als 
maassgebend  zu  betrachten  seien. 

Ich  sehe  davon  ab,  dass  statistische  Zu- 
sammenstellungen der  in  öffentlichen  Kran- 
kenanstalten gewonnenen  therapeutischen  Er- 
gebnisse in  einer  Stadt,  wie  Berlin,  schon 
aus  äusseren  Gründen  nur  geringen  wissen- 
schaftlichen Werth  beanspruchen  dürfen.  Das 
Material  derartiger  Anstalten  gehört  zum 
grösseren  Theil  den  ärmsten  Kreisen  der 
Bevölkerung  an.  Es  ist  natürlich ,  dass 
diesen  die  Sorge  um  die  Existenz  weit 
mehr  am  Herzen  liegt,  als  eine  vollkommene 
Wiederherstellung  ihrer  Gesundheit.  So  er- 
klärt es  sich,  dass  eine  grosse  Anzahl  von 
Kranken,  sind  nur  die  ärgsten  Schmerzen 
oder  ähnliche  schwere  Symptome  beseitigt, 
sich  unserer  Behandlung  lange  vor  Abschluss 
derselben  entzieht.  Tritt  später  wiederum 
eine  erhebliche  Verschlimmerung  des  sub- 
jectiven  Befindens  ein,  so  suchen  dieselben 
nicht  selten  bei  anderen  Ohrenärzten  oder  in 
anderen  otiatrischen  Ambulatorien,  die  ihnen 
vielleicht  ihrer  Lage  oder  Ordinationszeit 
wegen  besser  conveniren,  Hülfe  nach. 

Derartige  Gründe  äusserer  Art  veran- 
lassten mich,  in  einem  im  19.  Bande  des 
Archivs  für  Ohrenheilkunde  veröffentlichten 
Bericht*)    über    die   Thätigkeit    der   berliner 

*)  Jacobson,  L.,  Bericht  über  die  vom 
1.  November  1877  bis  zum  1.  April  1881  unter- 
suchten und  behandelten  Kranken.   Aus  der  otiatri- 


Janaar 'm^J   J^cobsofiy  Ueber  otiatrische  Statistik  Insbesondere  in  therapeutischer  Beziehung. 


19 


otiatriscben  üniversitätspoliklinik  in  den 
Jahren  1877  —  81  von  einer  statistischen 
Zusammenstellung  unserer  therapeutischen 
Resultate  gänzlich  Abstand  zu  nehmen. 
Zur  Rechtfertigung  dieser  Unterlassung  führte 
ich  aber  damals  bereits  ferner  noch  an,  dass 
bei  der  üblichen  Eintheilung  der  Fälle  in 
„geheilte",  „ungeheilte"  und  „gebesserte" 
unter  den  letzteren  gänzlich  verschieden- 
artige Behandlungsergebnisse  zusammen  re- 
gistrirt  vsrerden  müssen,  so  dass  aus  einer 
derartigen  Gesammtstatistik  sich  meines 
Erachtens  ein  Urtheil  über  den  Werth  der  ein- 
zelnen therapeutischen  Maassn ahmen,  welche 
zur  Anwendung  gelangten,  nicht  gewinnen 
lässt.  Wenn,  wir  bei  einem  chronischen 
Idittelohrkatarrh  durch  längere  Behandlung 
mittelst  Luftdouche  die  Hörweite  für  Flüster- 
sprache um  wenige  Decimeter  verbessern, 
und  wenn  wir  andrerseits  in  einem  zweiten 
gleichartigen  Fall,  vielleicht  durch  einen 
geeigneten  operativen  Eingriff,  eine  Zunahme 
der  Hörweite  um  mehrere  Meter  erzielen,  so 
können  beide,  wie  ich  damals  schon  aus- 
führte, solche  sein,  die  zu  den  „gebesserten" 
zu  rechnen  sind,  und  doch  sind  die  erzielten 
Resultate  für  die  Kranken  von  so  ausser- 
ordentlich verschiedener  Bedeutung,  dass 
der  angewandten  Therapie  eine  durchaus 
differente  Dignität  zuerkannt  werden  muss. 

Einige  Jahre  später  hat  Herr  College 
Schubert')  in  einem  Bericht  über  fünf  Jahre 
obren  ärztlicher  Thätigkeit  in  Nürnberg  sein 
vollkommenes  Einverständniss  mit  diesen 
von  mir  entwickelten  Ansichten  ausgespro- 
chen. In  weiterer  Ausführung  derselben 
bemerkte  Schubert,  dass  selbst  dann, 
wenn  unsere  diagnostischen  Sammelnamen 
der  Art  gewählt  würden,  dass  alle  sub- 
summirten  Fälle  wirklich  commensiirabel  sind, 
—  eine  Voraussetzung,  welche  bis  jetzt 
nicht  erfüllt  sei,  —  wenn  ferner  die  Aus- 
drücke „geheilt"  und  „gebessert"  scharf 
genug  definirt,  und  ausserdem  in  den  Ta- 
bellen der  Grad  der  Besserung  wenigstens 
annähernd  genau  vermerkt  werden  würde, 
einer  statistischen  Zusammenstellung  sämmt- 
licber  behandelter  Ohrenkranken  als  „Ge- 
heilte", „Gebesserte"  und  „Ungeheilte"  nach 
seiner  Ansicht  wissenschaftliche  Bedeutung 
dennoch  nicht  zuerkannt  werden  dürfte. 
Denn  bei  einer  Statistik  des  Heilerfolges 
müsse  die  Frage  nach  dem  angewandten 
Heilmittel  obenan  stehen.  Jede  Krankheits- 
gruppe, welche  durchaus  gleichartige  und  ins- 


Bchcn    UnivefBitätspolikliDik    des    Prof.  A.  Lucae. 
Archiv  für  Ohrenheilkunde  Bd.  XIX  S.  28. 

*)  Schubert,  P.,  Bericht  über  das  erste  Lu- 
stnim  ohronärztlicher  Thätigkeit.  Archiv  für  Ohren- 
heilk.    Bd.  XXII  S.  51. 


besondere  prognostisch  gleichwerthige  Fälle 
enthalten  müsse,  sei  also,  wenn  die  Schluss- 
zahlen überhaupt  einen  Werth  haben  sollten, 
nach  den  angewandten  Behandlungsmethoden 
zu  rubriciren.  Eine  Statistik  des  Erfolges 
der  Bor-,  der  Alumen-,  der  Argentum-Be- 
handlung  bei  einer  Gruppe  sorgsam  gewählter, 
möglichst  gleichartiger  Fälle  von  Otitis  media 
purulenta  sei  gewiss  sehr  dank ens werth;  einer 
Berechnung  des  Procentsatzes  geheilter  Mittel- 
ohreiterungen ganz  im  Allgemeinen  könne  er 
ein  Interesse  nicht  abgewinnen.  Schubert 
meint,  dass  eine  derartige,  einer  präcisen 
Fragestellung  entbehrende  Statistik  eine 
nicht  ganz  berechtigte  Eigen thümlichkeit  der 
Otiatrie  sei. 

In  neuester  Zeit  hat  auch  Bezold')  in 
seinem  Bericht  über  die  in  den  Jahren  1884 
bis  86  von  ihm  behandelten  Ohrenkranken 
auf  eine  das  gesammte  Material  umfassende 
therapeutische  Statistik  verzichtet  und  sich 
auf  Zusammenstellung  der  bei  den  .eitrigen 
Mittelohrentzündungen  seiner  Privatpraxis 
erzielten  Resultate  beschränkt,  indem  er 
ausdrücklich  hervorhebt,  dass  diese  noch  am 
ehesten  unter  einheitlichem  Gesichtspunkte 
betrachtet  werden  könnten,  da  sie  zum 
grössten  Theil  derselben  antiseptischen  Be- 
handlungsmethode unterzogen  wurden,  und 
im  Gegensatz  zu  den  Patienten  der  Poli- 
klinik hier  meist  eine  längere  Zeit  fort- 
laufende Beobachtung  möglich  war.  Hieraus 
geht  wohl  hervor,  dass  auch  Bezold  eine 
therapeutische  Statistik  nur  dann  für  be- 
rechtigt oder  wenigstens  für  lohnend  hält, 
wenn  sämmtlichc  zusammengehörige  Fälle 
in  gleicher  Weise  behandelt  wurden.  Sodann 
aber  ergiebt  sich  aus  seiner  Tabelle,  dass  er 
es  ferner  für  noth wendig  erachtet,  ausschliess- 
lich Gleichartiges  zusammenzufassen;  denn 
er  unterscheidet  bei  der  Mittelohreiterung 
als  ünterabtheilungen  eine  grosse  Anzahl 
verschiedener  Erkrankungsformen.  Auch  in 
Bezug  auf  die  erzielten  Behandlungsresultate 
begnügt  sich  Bezold  nicht  damit,  seine 
Kranken  kurz  in  „Geheilte",  „Ungeheilte" 
und  „Gebesserte"  einzutlieilen,  vielmehr 
unterscheidet  er  bei  den  länger  Behandelten 
l)  Beseitigung  der  Otorrhoe  mit  Verschluss 
der  Perforation,  2)  Beseitigung  der  Otorrhoe 
bei  persistirender  Perforation,  3)  persisti- 
rende  Otorrhoe  trotz  längerer  Behandlung. 

Ich  bin  der  Ansicht,  meine  Herren,  dass 
wir,  wenn  eine  therapeutische  Statistik  über- 
haupt beibehalten  werden  soll,  auf  dem  von 
Bezold   eingeschlagenen  Wege   fortschreiten 

^)  Bezold,  F.,  Statistischer  Bericht  über  die 
in  den  Jahren  1884  bis  1886  incl.  behandelten 
Ohrenkranken.  Archiv  für  Ohrenheilk.  Bd.  XXV 
S.  202. 

3* 


20 


Jacobson,  Ueber  otiatritche  Statistik  insbesondere  in  therapeutischer  Beziehung.       [Mon^Seft?'^ 


müsseo.  Wir  müssen  meines  Erachten s  zu- 
nächst uns  bemühen,  nur  gleichartige  Fälle 
in  einer  Rubrik  zusammenzufassen ;  -wir 
müssen  ferner  streng  darauf  achten,  dass 
sämmtliche  derselben  Gruppe  angehörige 
Kranke   in  gleicher  Weise  behandelt  werden 

—  denn  nur  dann  können  wir  aus  den  er- 
zielten Resultaten  ein  Urtheil  über  den  Werth 
des  eingeschlagenen  Heilverfahrens  gewinnen 

—  wir  müssen  drittens  Bezeichnungen  ein- 
führen, welche  die  Art  der  gewonnenen  the- 
rapeutischen Ergebnisse  genau  und  allgemein 
verständlich  präcisiren,  oder  deren  Bedeu- 
tung wenigstens  durch  Vereinbarung  festge- 
stellt worden  ist;  endlich  müssen  wir  nur 
solche  Fälle  in  die  Statistik  aufnehmen, 
welche  genügend  lange  unter  sorgfältiger 
ärztlicher  Beobachtung  sich  befanden. 

In  vielen  öffentlichen  Krankenanstalten, 
namentlich  in  den  Ambulatorien  der  grossen 
Universitätsstädte,  wird  es  aus  den  vorher 
erwähnten  Gründen  nicht  möglich  sein,  den 
genannten  Anforderungen  zu  genügen.  Aber 
auch  dort,  wo  Hin  demisse  äusserer  Art  sich 
nicht  in  den  Weg  stellen,  bleibt  eine  Reihe 
von  Schwierigkeiten  zu  überwinden.  Zu- 
nächst besitzt  unsere  Diagnostik  noch  nicht 
einen  solchen  Grad  von  Vollkommenheit, 
dass  wir  stets  sicher  feststellen  können,  wo 
gleichartige  beziehentlich  gleich  schwere  Er- 
krankungen vorliegen.  Am  leichtesten  ist 
dieses  wohl  bei  den  Affectionen  des  äusseren 
und  bei  den  eitrigen  Entzündungen  des  mitt- 
leren Ohres  möglich,  wenn  auch  bei  den 
letzteren  die  Frage,  ob  gleichzeitig  eine  com- 
plicirende  Labyrintherkrankung  vorliegt,  nach 
meinem  Dafürhalten  häufig  unbeantwortet 
bleiben  muss.  Bei  den  nicht  eitrigen  Affec- 
tionen des  mittleren  oder  gar  bei  denjenigen 
des  inneren  Ohres,  sowie  endlich  bei  solchen 
Patienten,  wo  beide  Abschnitte  gemeinsam 
erkrankt  sind,  sind  wir  bei  dem  heutigen 
Stande  unserer  Wissenschaft  leider  noch 
weit  davon  cDtfernt,  uns  über  Sitz,  Art  und 
Ausdehnung  der  pathologisch-anatomischen 
Veränderungen  intra  vitam  Gewissheit  schaffen 
zu  können.  In  diesen  so  ausserordentlich 
zahlreichen  Fällen  sind  unsere  Diagnosen 
mehr  oder  weniger  „Wahrscheinlichkeits-"  be- 
ziehentlich, wie  von  Tröltsch  sagt,  „Vermu- 
thungsdiagnosen^,  und  es  ist  daher  kaum 
möglich,  die  gleichartigen  und  prognostisch 
gleichwerthigen  Fälle  von  den  ungleicharti- 
gen mit  Sicherheit  zu  trennen.  Hier  bleibt 
uns  meines  Erachtens  nichts  Anderes  übrig, 
als  die  diagnostischen  Grundsätze,  von  denen 
wir  ausgehen,  genau  anzugeben.  In  dieser 
Weise  ist  auch  Bezold  verfahren.  Denn 
in  'dem  vorher  erwähnten  Bericht  bemerkt 
er,    dass  er  sich  in  den  letzten  vier  Jahren 


bei  der  differentiellen  Diagnose  zwischen 
Erkrankungen  des  mittleren  und  inneren 
Ohres  in  erster  Linie  durch  den  Ausfall  des 
Rinne'schen  Versuchs  leiten  Hess,  kleinen 
Veränderungen  am  Trommelfell  dagegen 
eine  erhebliche  diagnostische  Bedeutung 
nicht  mehr  beilegte.  In  Folge  dessen  fand 
er  das  Häufigkeitsverhältniss  der  sogenann- 
ten chronischen  Mittelohrkatarrhe  und  der 
Erkrankungen  des  inneren  Ohres  bei  den  in 
den  Jahren  1884  bis  86  behandelten  Kran- 
ken wesentlich  verschieden  von  dem  in 
seinen  früheren  Berichten  constatirten ,  bei 
welchen  er  sich  zur  Annahme  nervöser 
Schwerhörigkeit  nicht  sowohl  durch  den 
positiven  Ausfall  des  Rinne^schen  Versuchs, 
als  vielmehr  insbesondere  durch  das  Vor- 
handensein constanter  und  verschiedenartiger 
subjectiver  Geräusche,  sowie  charakteristi- 
scher Meniere^scher  Anfälle  hatte  bestimmen 
lassen. 

Eine  Verständigung  über  die  Grundsätze, 
welche  für  die  otiatrische  Diagnostik,  speciell 
zur  Unterscheidung  der  Affectionen  des  mitt- 
leren und  inneren  Ohres,  maassgebend  sein 
sollen,  unter  sämmtlichen  Fachgenossen  her- 
beizuführen, dürfte  bei  den  in  dieser  Bezie- 
hung zur  Zeit  bestehenden  Meinungsverschie- 
denheiten kaum  möglich  sein.  Wohl  aber 
halte  ich  es  für  angängig,  eine  Vereinbarung 
darüber  zu  treffen,  in  welcher  Weise  bei 
zukünftigen  statistischen  Zusammenstellungen 
unsere  therapeutischen  Ergebnisse  bezeich- 
net werden  sollen.  Auch  hierüber  besteht 
Uneinigkeit  unter  den  Autoren.  So  hat 
Schwartze^)  in  seinem  ersten  Bericht  aus 
der  Hallenser  Poliklinik  in  die  Rubrik  der 
„Geheilten"  nur  diejenigen  Personen  aufge- 
nommen, die  durch  die  Behandlung  eine  für 
Sprache  und  Uhr  normale  Hörweite  wieder- 
erlangt hatten.  Bezold  dagegen  scheint 
in  neuerer  Zeit  auch  solche  Fälle  als  geheilt 
zu  bezeichnen,  bei  denen  vollkommen  nor- 
male Hörschärfe  nicht  wiederkehrte.  In 
ähnlicher  Weise  verfährt  Lucae*)  in  seinem 
vor  circa  10  Jahren  veröffentlichten  polikli- 
nischen Bericht,  in  welchem  er  bei  den 
chronischen  Mittel ohreiterungen  zum  Beispiel 
auch  solche  Elranke  als  „geheilt"  aufführt, 
bei    denen    die   Function    nicht    wieder    zur 


*)  Schwartzo,  Statistischer  Bericht  über  die 
in  der  medicinischen  Poliklinik  zu  HaUe  a./S.  im 
Wintersemester  1863/64  und  Sommersemester  1864 
untersuchten  und  behandelten  Ohrenkranken.  Archiv 
f.  Ohrenheilk.  Bd.  I  S.  221. 

^)  Lncae,  A.,  Statistische  Uebersicht  über  die 
vom  1.  November  1874  bis  1.  November  1877  in 
der  berliner  üniversitätspoliklinik  für  Ohren  kranke 
untersuchten  und  behandelten  Kranken,  nebst  Be- 
merkungen zur  practischen  Ohrenheilkunde.  Archiv 
f.  Ohrenheilk.  Bd.  XIV  S.  120. 


m.  Jahrganf.! 
JanoAT  1889.  J 


de  Man,  Ueber  Extf actum  Filicis. 


21 


Norm  zurückgekehrt  war,  hierbei  indessen 
ausdrücklich  betonend,  dass  bei  späteren 
statistischen  Uebersichten  der  Begiiff  ,,  ge- 
heilt" genau  präcisirt  werden  müsse. 

Unter  diesen  Umstanden,  meine  Herren, 
schien  es  mir  zweckmässig,  in  dieser  Ver- 
sammlung eine  Discussion  herbeizufuhren 
über  die  Frage,  wie  unsere  therapeutischen 
Resultate  bezeichnet  werden  sollen.  Wenn 
ich  mir  selber  diesbezüglich  einige  Vor- 
schläge noch  erlauben  darf,  so  mochte  ich 
Sie  zunächst  bitten,  den  bisher  gebräuch- 
lichen Ausdruck  „ungeheilt"  ganz  zu  streichen. 
Denn  un geheilt  sind  auch  die  „gebesserten^ 
Fälle.  Es  scheint  mir  daher  correcter,  neben 
den  „Geheilten"  und  „Gebesserten"  nicht 
„Ungeheilte",  sondern  „Ungebesserte"  aufzu- 
fuhren. „Geheilt"  möchte  ich  im  Anschluss 
an  Schwartze  nur  diejenigen  Kranken 
nennen,  bei  welchen  sich  eine  völlig  normale 
Horschärfe  bei  Abschluss  der  Behandlung 
wieder  eingestellt  hatte;  passend  aber  und 
im  Interesse  einer  deutlicheren  Begriffsbe- 
stimmung zweckmässig  scheint  es  mir,  die- 
selben nicht  kurz  als  „Geheilte",  sondern 
lieber  als  „functionell  Geheilte"  zu  bezeich- 
nen. Da  nun  mitunter  trotz  völliger  Wie- 
derherstellung der  Hörschärfe  noch  subjective 
Gehörsempfindungen  persistiren,  so  müssten 
wir  diese  „functionell  geheilten"  Fälle  trennen 
l)  in  solche,  wo  subjective  Gehörsempfin- 
dungen zurückgeblieben  sind,  2)  in  solche, 
wo  dieses  nicht  der  Fall  ist,  —  und  in 
Bezug  auf  den  objectiven  Befund  l)  in 
solche  mit  völliger  Wiederherstellung  der 
normalen  anatomischen  Verhältnisse,  2)  in 
solche  mit  zurückgebliebenen  Abnormitäten 
des  objectiven  Befundes,  welche  letztere  even- 
tuell als  Verdickungen,  Verkalkungen,  Ver- 
knöcherungen, Perforationen,  Narben,  Ein- 
wärtsziehungen des  Trommelfells  etc.  gesondert 
rubricirt  werden  können. 

Den  „functionell  geheilten"  wären  dann 
als  zweite  grosse  Hauptgruppe  die  „functio- 
nell gebesserten"  und  endlich  als  dritte  die 
„bezüglich  der  Function  ungebesserten"  Fälle 
gegenüberzustellen  und  jede  dieser  beiden 
letzteren  Gruppen  ebenso  wie  die  erste  nach 
dem  Einfiuss  der  Behandlung  theils  auf  die 
bestehenden  subjectiven  Gehörsempfindungen, 
theils  auf  die  pathologisch-anatomischen  Ver- 
änderungen in  eine  Reihe  von  Unterabthei- 
lungen zu  trennen. 

Ich  verkenne  nicht,  meine  Herren,  dass 
eine  derartige  Sichtung  der  therapeutischen 
Resultate  uns  eine  erheblich  grössere  Mühe 
bereiten  wird,  als  dieses  bei  den  bisherigen 
statistischen  Zusammenstellungen  der  Fall 
war,  und  dass  viele  von  uns  schon  aus 
Mangel  an  Zeit  nicht  in  der  Lage  sein  wer- 


den, sich  einer  solchen  Arbeit  zu  unter- 
ziehen. Dann  aber  scheint  es  mir  besser, 
auf  eine  therapeutische  Statistik  ganz  zu 
verzichten,  und  möchte  ich  Sie  in  Bezug 
hierauf  an  eine  Arbeit  erinnern,  in  welcher 
Bürkner*)  den  Versuch  machte,  an  der 
Hand  verschiedener  „poliklinischer  Berichte" 
eine  Reihe  wichtiger  statistischer  Fragen  zu 
beantworten.  Es  ergab  sich  ihm  hierbei, 
dass  ein  Autor  nur  1,9,  ein  anderer  14,0, 
ein  dritter  23,7%  der  behandelten  Kranken 
als  „Un  geheilte"  auffuhrt.  Und  ähnliche 
Differenzen  zeigten  sich  auch  bezüglich  der 
Heilerfolge  bei  den  einzelnen  Krankheits- 
formen. So  bezeichnet  ein  Autor  nur  4,4, 
ein  anderer  dagegen  28,5%  der  wegen  chro- 
nischen Mittelohrkatarrhs  von  ihm  behandel- 
ten Patienten  als  „Geheilte".  Es  verdient 
bemerkt  zu  werden,  dass  die  soeben  mit- 
getheilten  Angaben  sämmtlich  von  noch 
lebenden  Autoren  herrühren,  von  denen  wir 
nicht  annehmen  können,  dass  sie  sich  bezüg- 
lich ihrer  therapeutischen  Leistungen  erheb- 
lich von  einander  unterscheiden.  Die  er- 
wähnten colossalen  Differenzen  lassen  sich 
nicht  anders  erklären,  als  dass  die  Aus- 
drücke „geheilt",  „gebessert"  und  „ungeheilt" 
in  ungleichem  Sinne  gebraucht  und  vielleicht 
auch  in  derselben  Krankheitsgruppe  ver- 
schieden artige  Fälle  zusammengestellt  wurden. 
Dass  solchen  Missständen  sobald  als 
möglich  ein  Ende  zu  bereiten  sei,  darin, 
meine  Herren,  werden  wir,  wie  ich  glaube. 
Alle  übereinstimmen.  Ich  hofife,  dass  meine 
heutigen  Ausführungen  dazu  beitragen  wer- 
den, das  Interesse  der  Fachgenossen  für  die 
von  mir  angeregte  Frage  zu  gewinnen. 


Ueber  Extractum  Filicis. 

Von 

Dr.  J.  0.  de  Man  in  Middelburg  (Niederlande). 

Im  Junihefte  der  Therap.  Monatshefte 
1888  fand  ich,  S.  311,  eine  Vorschrift  von 
Herrn  Geheimrath  Prof.  Gerhardt  bezuglich 
Extr.  Filicis  maris  aeth.  Dieselbe  veranlasst 
mich  auf  eine  kleine  vor  einiger  Zeit  von 
mir  veröffentlichte  Arbeit  hinzuweisen,  in 
welcher  ich  mittheilte,  dass  auch  ich  in 
früheren  Zeiten  fast  immer  einen  Misser- 
folg bei  der  Bandwurmcur  beobachtete, 
das  heisst,  dass  Recidive  sich  einstellten, 
und  dass  ich  gar  keine  Recidive  mehr  be- 
obachtete,   wenn  ich   grössere,    viel  grössere 

®)  Bürkner,  K.,  Beiträge  zur  Statistik  der 
Ohren kraakheiten.      Archiv    f.  Ohrenheilk.  Bd.  XX 

S.  81. 


22 


Eichhortt,  Myrtol,  ein  wirksames  Desinficianc  fOr  die  Luftwege. 


rberapeutische 
Monatshefte. 


Dosen  gab.  In  meiner  Gegend  kam  früher 
der  Bandwurm  fast  niemals  vor,  und  auch 
jetzt  ist  er  beim  Landvolke  noch  sehr  selten. 
In  den  letzten  Jahren  ist  er  etwas  häufiger. 
Seit  1860  wo  ich  anfing  die  grossen  Dosen 
zu  geben,  war  der  Erfolg  in  28  Fällen  ein 
vollständiger,  und  nur  in  3  Fällen  musste 
die  Cur  nach  einigen  Tagen  wiederholt  wer- 
den, weil  die  zarten  Patientinnen  das  Mittel 
wieder  erbrachen.  In  den  anderen  Fällen 
ging  der  Wurm  nach  zwei  oder  drei  Stun- 
den ab,  und  niemals  folgte  ein  Recidiv, 
obgleich  es  mir  nicht  immer  gelang  den 
Kopf  zu  finden.  Es  war  gar  nicht  mein 
Zweck,  das  Extr.  Filicis  maris  anderen  neuen 
Mitteln,  z.  B.  dem  Pelletierin.  tannic.  vorzu- 
ziehen, ich  wählte  nur  Filix  mas,  weil  mir 
das  Mittel  gefiel. 

Vielleicht  interessirt  es  die  Leser  dieser 
Zeitschrift  zu  vernehmen,  dass  man  das 
Mittel  in  grossen  Gaben  geben  kann,  und 
dann ,  wie  viel  und  welchen  Patienten  ich 
das  immer  gut  bereitete  Extract,  meistens 
in  Capseln,  gegeben  habe.  Die  Fälle  waren 
die  folgenden: 

1.  Eine  erwachsene  Dienstmagd       20  g. 

2.  Eine  erwachsene  Dienstmagd      25    - 

3.  Ein  Musik-Director.     Grosse 
nicht  notirte  Dosis. 


4.  Fräulein  V.   14  Jahre  . 

5.  Wittwe  B.  ungefähr  50  Jahre 

6.  Fräulein  S.  30  Jahre    . 

7.  Junger  Herr  L.   14  Jahre. 

8.  Herr  K.  erwachsen  . 

9.  Doctor  medicin.  S.  . 

10.  Herr  F.  erwachsen  . 

11.  Herr  Mag.  jur.  P.    .     .     . 

12.  Herr  Kaufmann  H. 

13.  Herr  W.  22  Jahre  .     .     . 

14.  Junger  Herr  K.  14  Jahre  . 

15.  Herr  D.  ein  Podagra-Kranker 

16.  Herr  Post.  Beamte  K.  . 

17.  Herr  K.  erwachsen  . 

18.  Herr  Mag.  jur.  S.    .     .     . 

19.  Herr  K.  aus  Arabien    . 

20.  Herr  Student  R.      .     .      . 

21.  Junger  Herr  B.  12  Jahre. 

22.  Fräulein  T.  12  Jahre   .     . 

23.  Herr  Mag.  jur.  K.    .      .     . 

24.  Herr  Lieutenant  K.  aus  Indien 

25.  Herr  B.  30  Jahre     .     .     . 

26.  Fräulein  T.  20  Jahre   .     . 

27.  Herr  Lehrer  W.      .     .     . 
Der    Wurm    war    fast     immer 


15  g. 
25  - 
20  - 
15  - 
20  - 
25  - 
25  - 
20  - 
22  - 
30  - 

14  - 

15  - 
22  - 
25  - 
25  - 
28  - 
18  - 
15  - 
10  - 
30  - 
25  - 
32  - 
17  V,- 
17Va- 

die  Sa- 


ginata  oder  Med  io  cannelata.  Bei 
einigen  wenigen  Patienten  folgte  Diarrhoe, 
welche  bald  verschwand. 


Nenere  Arzneimittel. 


Myrtoly  ein  wirksames  Desiiificieuz  für 

die  Liuftweg'e« 

Von 

Prof.  Dr.  Hermann  Eichhorst  in  Zürich. 

Die  unter  dem  Namen  Myrtol  im  Handel 
erscheinende  Flüssigkeit  stellt  ein  wasserklares 
Fluidum  von  erfrischendem,  angenehmen 
Geruch  dar  und  bildet  denjenigen  Antheil 
des  Myrtenöles,  welcher  bei  160—170° 
siedet.  (Vergl.  Pharmaceut.  Centralhalle  f. 
Deutschland.  No.  XXVIII  pag.  191.  Berlin 
1887.)  In  Frankreich  scheint  das  Mittel 
mehrfach  hier  und  da  versucht  worden  zu 
sein,  aber  ausgedehntere  Erfahrungen  sind 
unseres  Wissens  bisher  nur  von  Linarin 
bekannt  gegeben  worden.  (Vergl.  Linarin, 
De  Temploi  du  myrtol  ou  chemie  de  myrte 
principalement  dans  les  maladies  des  voies 
respiratoires  et  genito-urinaires.    Paris  1878.) 

Wir  selbst  lernten  das  Mittel,  welches 
in  deutschen  Hand-  und  Lehrbüchern  l^aum 
genannt  zu  werden  pflegt,  zuerst  aus  Pariser 


Reclamezusendungen  kennen,  welchen  wir 
für  gewöhnlich  keine  Beachtung  zu  schenken 
pflegen,  aber  gleich  bei  dem  ersten  Kranken 
mit  Lungenbrand,  welchen  wir  der  Myrtol- 
behandlung  unterzogen,  war  der  Erfolg  ein 
so  überraschend  schneller  und  guter,  dass 
wir  daraufhin  dem  Myrtol  genauere  Auf- 
merksamkeit schenkten  und  in  ihm  eines  der 
sichersten  Desinficientien  der  Luftwege  kennen 
lernten,  über  welches  wir  zur  Zeit  nach 
unserer  Erfahrung  verfugen. 

Das  Mittel  wird  am  zweckmässigsten  in 
Gelatinekapseln  genommen,  von  welchen 
jede  Kapsel  0,15  Myrtol  enthält.  Anfangs 
benutzten  wir  nur  Pariser  Präparate,  späterhin 
zogen  wir  die  Myrtolkapseln  von  Pohl  in 
Schönbrunn  bei  Dan  zig  vor,  welche  sich  als 
dem  französischen  Präparat  vollkommen  eben- 
bürtig erwiesen.  Manche  Patienten  freilich 
nehmen  die  vollkommen  runden  französischen 
Gelatineperlen  lieber  als  die  ovalen  deutschen 
Gelatinekapseln,  doch  fällt  im  Grunde  ge- 
nommen dieser  Umstand  wenig  in  Betracht. 


III.  Jahrgang.! 
Januar  1889.  J 


Plenio,  Zur  Creolinfrage. 


23 


Zerdrückt  man  eine  Gelatinekapsel  und 
lässt  ihren  Gehalt,  also  nur  0,15  Myrtol  au 
Fliesspapier  oder  Watte  hinabtropfen,  so 
^ird  man  einmal  darüber  erstaunt  sein,  ein 
wie  intensiver  Geruch  nach  Myrtol  sich  ver- 
breitet, und  ausserdem,  dass  sich  derselbe, 
selbstverständlich  unter  allmählich  er  Abnahme, 
Tage  lang  ohne  besondere  Schutzvorrich- 
tungen erhält.  Haben  Menschen  nur  eine 
einzige  Myrtolkapsel  verschluckt,  so  nimmt 
in  der  Regel  binnen  einer  Stunde  die  Aus- 
athmungsluft  einen  sehr  deutlichen  Myrtol- 
geruch  an,  welcher  bis  2  Tage  lang  bestehen 
bleibt. 

Um  bei  putrider  Bronchitis  und  Lungen- 
gangrän einen  desodorirenden  und  desinfi- 
cirenden  Einfluss  auszuüben,  reiche  man  alle 
2  Stunden  2  —  3  Kapseln.  Bei  dem  Gebrauche 
von  3  Kapseln  muss  man  insofern  etwas 
vorsichtig  sein ,  als  man  öfter  Appetitlosig- 
keit auftreten  sieht.  Die  Wirkung  ist  nicht 
selten  eine  erstaunlich  schnelle,  und  man 
sieht  oft  nach  dem  Gebrauch  von  nur  wenigen 
Kapseln  den  widerlichen  Gestank  von  Aus- 
athmungsluft  und  Auswurf  schw^inden.  Die 
Kranken  werden  sich  selbst  nicht  mehr  und 
ebenso  der  Umgebung  durch  den  vordem  be- 
standenen fauligen  Geruch  zur  Last.  Sehr 
bald  nimmt  aber  auch  die  Menge  des  Aus- 
wurfes ab,  ja  mehrfach  saheu  wir  voll- 
kommenste Heilungen  eintreten.  Dagegen 
ist  das  Myrtol  gegen  Tuberkelbacillen  un- 
wirksam, denn  trotz  andauernden  Myrtol- 
gebrauches  sahen  wir  bei  einem  Herrn  mit 
Lungenbrand  die  Gangrän  zurückgehen,  da- 
gegen nach  geheiltem  Lungenbrand  Tuberkel- 
bacillen im  Auswurf  auftreten,  welche  früher 
nicht  vorhanden  gewesen  waren.  Starben 
Patienten,  welche  Myrtol  gebraucht  hatten, 
80  war  es  auffällig,  einen  wie  durchdringenden 
Myrtolgeruch  alle  Eingeweide  verbreiteten. 
(Vergl.  Eichhorst,  Desinfection  der  Luftwege. 
Wiener  Medic.  Presse.   1888  No.  42.) 


Zur  Creoliiifragre. 

Von 

Dr.  Plenio  in  Elbing. 

Als  durch  die  Firma  William  Pearson 
&  Co.  das  unter  dem  Namen  Creolin  gehende 
Präparat  in  den  Handel  gebracht  wurde,  und 
von  ärztlicher  Seite  —  ich  nenne  nur  den 
Namen  Kor  tum  —  warme  Empfehlungen 
für  die  Wiiksamkeit  und  Unschädlichkeit 
dieses  Mittels  ausgestellt  wurden,  glaubte 
man  ein  neues  Antisepticum  gefunden  zu 
haben,  welches  wohl  dazu  angetban  wäre, 
seinen  Platz  neben  Carbolsäure  und  Sublimat 


auszufüllen,  sie  womöglich  zu  überflügeln. 
Verschiedenes  und  nicht  zu  allerletzt  die 
Billigkeit  schienen  darauf  hinzudeuten,  dass 
das  Creolin  sehr  schnell  eine  allgemeine 
Verwendung  finden  würde.  Und  in  der 
That,  die  Versuche,  in  der  kleineren  Chirurgie, 
sowie  in  der  Gynäkologie  das  Mittel  einzu- 
bürgern in  Form  von  Salben,  Umschlägen, 
wässeriger  Lösung  bei  den  Verbänden,  bei 
Spülungen  scheinen  die  Voraussetzung  be- 
wahrheitet zu  haben.  Ueber  Verwendung 
unseres  Präparates  bei  grösseren  Operationen 
hatte  ich  keine  Erfahrung,  und  ich  benutzte 
eine  Unterschenkelamputation,  um  mit  dem 
Creolin  auch  hierbei  einen  Versuch  anzu- 
stellen. Indessen  stellten  sich  einige  Uebel- 
stände  heraus,  welche  mich  zu  dieser  Ver- 
öffentlichung bestimmten,  und  welche  mir  die 
Verwendbarkeit  des  Mittels  immerbin  etwas 
einzuschränken  scheinen.  Zum  ersten  ist 
der  Umstand,  dass  die  Lösung  undurch- 
sichtig ist,  ein  hinderndes  Moment  beim 
Gebrauch  der  Instrumente  insoweit,  als  man 
erst  lange  in  der  Schale  herumsuchen  muss, 
ehe  man  den  Schieber,  oder  was  sonst  schnell 
zur  Hand  sein  soll,  gefunden  hat.  Sodann 
ist  nicht  nur  mir,  sondern  auch  dem  assi- 
stirenden  Herrn  Collegen  sehr  unangenehm 
aufgefallen  die  Schwierigkeit  der  Handhabung 
durch  die  von  der  Solution  berieselten  nassen 
Hände. 

Nicht  nur  die  Instrumente  selbst,  auch 
die  Seide  und  sogar  die  das  Operations- 
gebiet liefernde  Extremität  fassen  sich  wie 
mit  Seife  bestrichen  an.  Es  ist  nicht  nur 
sehr  schwierig,  ein  Instument  anzulegen, 
sondern  auch  um  den  Messerschaft  zu  halten, 
bedarf  es  der  doppelten  Anstrengung.  Ich 
glaube  wohl,  dass  diese  zwei  unangenehmen 
Eigenschaften  der  Creolinlösung,  abgesehen 
von  der  eventuellen  Giftigkeit  (cfr.  Rosin 
und  Cr  am  er,  Therap.  Monath.  1888.  Heft  X 
und  XII),  bei  dem  Gebrauch  derselben  schwer 
ins  Gewicht  fallen  und  halte  es  nicht  für 
überflüssig,  die  operirenden  Collegen  darauf 
aufmerksam  gemacht  zu  haben. 


Ueber  das  Acetylplienylhydracin  oder 

Pyrodin. 

Von 

Dr.  Oskar  Liebreich. 

In  meinem  Bericht  über  das  Pyrodin 
(Therap.  Mon.-Hefte  No.  12,  S.  557)  hatte 
ich  in  einer  Anmerkung  bereits  mitgetheilt, 
dass  Professor  Dreschfeld  auf  die  toxische 
Wirkung  des  Pyrodins  hingewiesen  habe. 
Mir  geht  femer  von  ihm  die  Nachricht  zu, 


24 


Liebreich,  Ueber  das  Acetylphenylbydracin  oder  Psrrodln. 


rTherapeutisehe 
L  Monatshefte. 


dass  reines  Acetylphenylhydracin  viermal 
starker  wirke  als  Pyrodin.  Es  ist  also  die 
von  Prof.  Prescbfeld  angegebene  Dosis  von 
0,12—0,24  für  Kinder  und  von  0,49—0,73 
(2 — 4  grains  und  8 — 12  grains)  nicht  für 
Acetylphenylbydracin  gültig,  sondern  für 
ein  Gemenge  von  Substanzen,  deren  wirk- 
sames Princip  Acetylphenylbydracin  enthalt 
und  welches  als  „Pyrodin"  bezeichnet  ist. 

Die  Giftigkeit  bei  grossen  Dosen  eines 
Heilmittels  ist  natürlich  für  seine  Anwen- 
dung nicht  bequem;  wird  die  Nützlichkeit 
in  kleinen  Dosen  jedoch  bei  einem  Arznei- 
mittel constatirt,  so  liegt  in  dem  ersteren 
Umstand  keine  Contraindication  für  die  An- 


wendung, wie  es  ja  auch  bei  einem  grossen 
Theil  alter  und  bewährter  Heilmittel  der 
Fall  ist. 

Jedenfalls  empfiehlt  es  sich,  nicht  „Pyro- 
din" zu  verschreiben,  so  lange  darunter  ein 
Gemenge  von  Substanzen  verstanden  wird, 
sondern  den  Namen  Acetylphenylbydracin 
für  ersteres  beizubehalten. 

Die  Dosen  für  reines  Acetylphenyl- 
bydracin sind,  da  dasselbe  nach  Mittheilung 
Prof.  Dreschfei d's  viermal  stärker  wirkt, 
als  das  von  ihm  angewandte  Pyrodin,  für 
Kinder  0,03  —  0,06  und  für  Erwachsene 
0,12  —  0,18.  Die  Maximaldose  ist  pro  dosi 
et  die  0,21 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Berliner  Med.  Gesellschaft. 

(Sitzung  vom  7.  November  1888,) 

H.  Leo:  üeber  die  therapeutischen 
Erfolge  der  Magenausspülung  bei 
Säuglingen.  Autoreferat. 
L.  berichtet  über  seine  bei  104  Kindern 
gesammelten  Erfahrungen,  welche  im  Wesent- 
lichen mit  denen  von  Epstein  übereinstim- 
men. «Als  Spülflüssigkeit  wurde  reines  oder 
mit  einigen  Tropfen  einer  20°/o  Thymollösung 
versetztes  Wasser  angewandt.  Die  Darrei- 
chung von  Eiweisswasser  nach  dem  Aus- 
spülen fand  L.  weniger  günstig  als  den  Ge- 
nuss  von  Milch  oder  Haferschleim.  Be- 
sonders auffällig  ist  bei  allen  Affectionen, 
die  mit  Erbrechen  einhergehen,  die  günstige 
Beeinflussung  dieses  Symptoms.  In  der 
Regel  verschwand  es  nach  dem  Ausspülen 
oder  wurde  doch  erheblich  gemildert.  Die 
besten  Erfolge  wurden  mit  der  Ausspülung 
bei  acuter  Dyspepsie  mit  oder  ohne  Er- 
brechen, resp.  mit  Diarrhoe  oder  Obstipation 
erzielt.  Hier  genügte  häufig  eine  einzige 
Ausspülung,  um  Heilung  zu  erzielen. 

Bei  Cholera  infantum  waren  die  Erfolge 
im  Allgemeinen  zwar  weniger  günstig,  doch 
empfiehlt  L.  dessenungeachtet  bei  dieser 
Krankheit  in  geeigneten  Fällen  die  Ausspülung 
anzuwenden  und  dieselbe  mit  der  Darrei- 
chung von  Opium  oder  Calomel  zu  verbinden. 
Auch  bei  einigen  Fällen  von  chronischem  resp. 
subacutem  Magenkatarrh  wurden  gute  Er- 
folge erzielt,  ebenso  bei  einfacher,  zuweilen 
hochgradiger  Diarrhoe.  Besonders  diese 
letzteren  Erfolge  lassen  es  wahrscheinlich 
erscheinen,  dass  die  Magenausspülung  nicht 
nur  aus  dem  Grunde  von  heilkräftiger 
Wirkung  ist,  weil  sie  die  im  Magen  enthal- 


tenen schädlichen  Stoffe  entfernt,  sondern 
auch  dadurch,  dass  sie  die  damiederliegende 
motorische  Thätigkeit  des  Magens  günstig 
beeinflusst. 


XIX.  Versanunlung  der  südwestdeutschen  Irren- 
ärzte in  Karlsruhe. 

(Sitzung  vom  27.  und  28,  October  1888,) 

Prof.  Jolly  (Strassburg):  Ueber  die 
Opiumbehandlung  bei  Manie. 

Vortragender  fand,  dass  diejenige  Periode 
der  Manie,  in  welcher  der  Zustand  eine 
gewisse  Gleichförmigkeit  annimmt,  im  Sta- 
dium der  sogenannten  regulatorischen  Stö- 
rung, am  besten  für  eine  erfolgreiche  Opium- 
behandlung geeignet  sei.  Er  benutzte  hier- 
bei zumeist  die  Tinctura  Opii  simpl.,  von 
der  in  steigender  Dosis  3  Male  10  bis  40 
und  50  Tropfen  täglich  gegeben  wurden.  Un- 
angenehme Nebenerscheinungen  wurden  nur  bei 
besonders  starken  Dosen  beobachtet.  Be- 
züglich der  Theorie  der  Wirkung  neigt  J. 
zu  der  Annahme,  dass  das  Opium  direct 
auf   die   Substanz    des    Grosshims   einwirke. 

Medicinalrath  Wittich  (Heppenheim): 
hat  bis  200  Tropfen  der  Tinctur  an  einem 
Tage  gegeben.  Er  glaubt,  dass  besonders 
das  weibliche  Geschlecht  für  eine  günstige 
Opiumwirkung  empfänglich  ist  und  auch 
stärkere  Dosen  verträgt.  Bei  plötzlichem 
Aussetzen  des  Opiums  in  20  bis  30  Fällen  hat 
er  keine  Abstinenzerscheinungen  beobachtet. 

Prof.  Fuerstner  bestätigt  die  günstige 
Wirkung  des  Opiums  bei  sogen,  chronischer 
Manie  und  glaubt,  dass  diese  Behandlung 
die  Kranken  vor  psychischem  Verfall  schütze. 
Durcheile  seien  selten  und  weichen  wieder, 


m.  Jahrgant.! 
Januar  1889.  J 


Therapeutiscbe  Mittheilung^en  aus  Vereinen. 


25 


auch  vrenn  Opium  weiter  gereicht  werde. 
Während  der  Behandlung  nehmen  die  Kran- 
ken an  Korpergewicht  zu. 

Dr.  Kny  (Strassburg):  Therapeutische 
Wirkung  des  Hyoscins. 

K.  hat  mit  dem  von  Merck  bezogenen 
HTOScinum  muriaticum  bei  innerlicher  Ver- 
abreichung  sehr  zufriedenstellende  Resultate 
erzielt.  (Bei  subcutaner  Anwendung  des 
Mittels  standen  die  unangenehmen  Neben- 
wirkungen in  keinem  Yerhältniss  zu  den 
therapeutischen  Erfolgen.)  88  den  verschie- 
densten Krankheitsgruppen  angehorige  Pa- 
tienten der  Strassburger  Irrenklinik  erhielten 
3000  Einzeldosen.  In  82,2  Proc.  war  der 
Erfolg  gunstig ;  es  trat  nach  1  —  2  Stunden 
ein  6 — 8  stündiger  Schlaf  ein.  Die  meisten 
Misserfolge  kamen  bei  Schlaflosigkeit  ohne 
motorische  Erregung  zur  Beobachtung.  Gün- 
stig wirkte  das  Mittel  dagegen  bei  Schlaf- 
losigkeit mit  heftigen  motorischen  Erschei- 
nungen (Manie  und  Paralyse).  Die  Dosis 
betrug  V« — 1  °*g'  Wegen  Gewohnung  muss 
die  Dosis  bald  gesteigert  werden.  0,003  pro 
die  war  die  höchste  Dosis.  —  Die  selten 
beobachteten  üblen  Nebenerscheinungen  be- 
standen in  Klagen  über  Trockenheit  im 
Halse  und  Durstgefuhl.  Für  Herzkranke 
scheint  das  Mittel  nicht  sehr  gefahrlich  zu 
sein,  in  einem  Falle  von  Aorteninsufflcienz 
wurde  es  ohne  Nachtheil  gegeben.  Die  Ge- 
schmacklosigkeit ,  leichte  Löslichkeit  und 
Billigkeit  sind  besondere  Vorzüge  dieses 
Mittels.  —  Bei  aufgeregten  Kranken  steht 
das  Hjoscin  als  Hypnoticum  obenan,  wäh- 
rend Sulfonal  bei  ruhigen  schlaflosen  Kran- 
ken den  Vorzug  verdient.  Bei  Paralysis 
agitans  und  beim  Intentionstremor  der  mul- 
tiplen Sklerose  hat  das  Hyoscin  sich  als  ein 
palliatives  Mittel  bewährt. 

Dr.  Zacher  will  bei  Verabreichung  des 
Hyoscins  starke  Verdauungsstörungen  und 
Speichelfluss  beobachtet  haben. 

Dr.  Kny  hat  ähnliche  Symptome  gleich- 
falls beobachtet.  Dieselben  gaben  aber  zu 
keinerlei  Besorgniss  Veranlassung. 

Prof.  Emminghaus:  Bei  Herzkranken 
müsse  man  vorsichtig  sein,  denn  der  un- 
schädliche Einfluss  eines  Narcoticums  bei 
einer  Aorteninsufficienz  gestatte  noch  nicht 
den  Schluss,  dass  das  Mittel  nun  auch  bei 
anderen  Herzaffectionen  ohne  Gefahr  gegeben 
werden  könne.  Bei  Geisteskranken  kämen 
häufig  braune  Atrophie  des  Herzens,  Fett- 
herz und  Arteriosklerose  der  Kranzarterien 
vor.  Diese  Affectionen  mahnen  zur  Vorsicht 
in  der  Anwendung  der  Narcotica. 

Prof.  JoUy  ist  auch  dagegen,  dass  man 
die  in  einem   Falle   gemachten   Erfahrungen 


verallgemeinere.  Das  vom  Vorredner  betonte 
häufige  Vorkommen  bestimmter  Herzaffectio- 
nen bei  Geisteskranken  will  er  jedoch  nicht 
beobachtet  haben. 

{Munek.  med.  Wochensehr.  1888  No.  46  u.  4S,)      R. 

Academie  de  medecine  (Paris). 
{Sitzung  vwn  13.  Nov.  1888.) 

G.  See  und  Gley:    Ueber  Strophanthin. 

Die  physiologische  Wirkung  des  Stro- 
phanthins  wurde  an  einem  Producte  unter- 
sucht, das  Wurtz  aus  Strophanthus  Komb^ 
dargestellt  hat.  Strophanthin  ist  ein  kry- 
stallinisches  ,  farbloses  Glykosid ,  das  in 
Wasser  und  Alkohol  loslich,  in  Aether  un- 
löslich imd  von  saurer  Reaction  ist.  —  Die 
Vortragenden  haben  die  Wirkung  des  Stro- 
phanthins  auf  die  motorischen  und  sensiblen 
Nerven,  auf  Athmung,  Herz,  Circulation  und 
Nieren  studirt.  In  physiologischer  Bezie- 
hung ist  als  bemerkenswerthestes  Factum 
zu  verzeichnen:  eine  Vermehrung  der  Energie 
der  Systole,  Hand  in  Hand  gehend  mit 
einer  Steigerung  des  intra-arteriellen  Druckes. 
Der  hauptsächliche  Nutzen  besteht  darin, 
dass  die  Thätigkeit  des  Herzens  eine  kräfti- 
gere wird.  Strophanthin  ist  in  dieser  Hinsicht 
nicht  dem  Spartein  überlegen,  wohl  aber 
wirksamer  als  Digitalis.  See  und  Gley 
haben  sich  des  Strophanthins  in  Dosen  von 
'/s  oder  ^/s  mg  in  allen  Fällen  von  Herz- 
krankheiten bedient.  Eine  besondere  Indi- 
cation  dafür  besteht  bei  den  Mitralfehlern, 
besonders  bei  den  Stenosen  des  Orificium 
mitrale ,  ferner  bei  den  Dilatationen  und 
Hypertrophien,  die  vornehmlich  mit  allge- 
meiner Arteriosklerose  zusammenhängen. 

Burquoy  wendet  seit  länger  als  1  Jahr 
Strophanthus  an  imd  erzielt  dabei  gute  Re- 
sultate. 

Dujardin-Beaumetz  betrachtet  den 
Strophanthus  als  ein  ausgezeichnetes  Mittel, 
das  er  noch  über  die  Digitalis  stellt.  Beim 
Verschreiben  der  Tinctur  dürfte  man  gut 
thun,  die  Stärke  derselben  anzugeben. 

{Lt  Progres  mid.  1888  No.  4S,)  R. 

(Sitzung  vom  20,  November  1888.) 

Otto  Bujwid  (Warschau):  Ueber  Be- 
handlung der  Tollwuth  mit  verschie- 
denen Methoden.  Seit  dem  29.  Juni  1886 
bis  zum  1.  Januar  1887  hat  Vortragender 
104  von  tollwüthigen  oder  der  Tollwuth 
verdächtigen  Hunden  gebissene  Individuen 
behandelt.  Die  einfache  Methode  Pasteur^s 
wurde  bei  diesen  104  Personen  angewandt. 
Dieselbe  bestand  darin,  mit  14  Tage  altem 
Mark  zu  impfen  und  die  Procedur  mit  einer 
täglichen  Impfung  von  5tägigem  Mark  zu 
beschliessen.     Am  23.  November  wurde  ein 

4 


26 


Tharapeutltche  Mittheilungen  aus  Vereinen. 


pTherapeudacho 
L  Monatsheft«. 


Todesfall  bei  einem  11  jährigen,  im  Vorder- 
arm gebissenen  Kinde  beobachtet.  Mit  der 
Behandlung  war  erst  am  neunten  Tage  nach 
dem  Bisse  begonnen  worden.  Darauf  hat 
B.  in  Folge  der  Arbeiten  von  Frisch  (Wien) 
eine  schwächere  Behandlungsmethode  ver- 
sucht und  7  Monate  hindurch  6-  und  7  tägiges 
Mark  inoculirt.  Er  hat  193  Personen  in 
dieser  Weise  geimpft  und  hierbei  8  Todes- 
fälle zu  verzeichnen  gehabt.  —  Im  Monat 
August  vergangenen  Jahres  hat  er  zum  er- 
sten Male  an  2  am  Kopfe  und  Gesichte 
von  einem  zweifellos  tollen  Wolfe  gebissenen 
Leuten  ein  Verfahren  in  Anwendung  ge- 
bracht, das  sich  nur  wenig  von  der  „inten- 
siven** Behandlungsmethode  Pasteur's  un- 
terscheidet. Er  impft  ihnen  12 — 3  tägiges 
Mark  ein,  indem  er  die  Impfungen  2  Mal 
am  Tage  vornimmt  und  die  Serie  3  Mal  in 
folgender  Weise  wiederholt:  Erster  Tag 
12  und  10 tägiges  Mark;  zweiter  Tag  8  und 
7  tägiges  Mark ;  dritter  Tag  6  und  5  tägiges 
und  vierter  Tag  4  und  3 tägiges  Mark. 
Diese  Serie  ist  3  Mal  während  12  Tage 
wiederholt  worden.  Einen  Monat  später 
wurden  2  von  einer  tollen  Wolfin  gebissene 
Personen  in  derselben  Weise  behandelt. 
Diese,  wie  die  vorhergenannten  beiden  In- 
dividuen, sind  gesund  geblieben.  Seither 
sind  370  Personen,  von  denen  30  im  Ge- 
sichte gebissen  worden  waren,  in  der  eben  an- 
geführten Weise  behandelt  worden,  und  nicht 
ein  einziger  Todesfall  ist  zu  verzeichnen  ge- 
wesen. In  Warschau  wird  das  Mark  bei 
einer  Temperatur  von  16  —  18^  getrocknet, 
hierbei  bewahrt  es  seine  Virulenz  besser, 
als  wenn  es  bei  23°  getrocknet  wird.  Alle 
Individuen  waren  stark  gebissen  worden 
von  Thieren,  die  tollwüthig  oder  der  TolJ- 
wuth  im  hohen  Grade  verdächtig  waren. 
Dagegen  sind  8  nicht  behandelte  Personen 
in  Warschau  und  in  den  benachbarten  Gou- 
vernements zu  Grunde  gegangen.  Die  Appli- 
cation der  intensiven  Behandlung  hat  sich 
nicht  nur  als  inoflfensiv,  sondern  auch  als 
recht  wirksam  erwiesen. 

{U  Progrh  med,  1888  No.  47.)  ü- 

Societe  medicale  des  Hdpitaux  (Paris). 

{Sitzung  vom  23.  November  1888.) 

Fereol:  Ueber  Euteroptose.  Vor- 
tragender ist  gegenwärtig  ein  eifriger  An- 
hänger dieser  neuen  Form  von  Dyspepsie, 
welche  von  Glenard  (siehe  Therap.  Monatsh. 
I.  Jahrg.  S.  510)  als  „Enteroptose"  be- 
schrieben worden  ist,  und  welche  sowohl 
durch  subjective  Symptome,  als  auch  durch 
zahlreiche  physikalische  Erscheinungen  cha- 
rakterisirt ist,  wie:  Kopfweh,  Schwindel,  ver- 
schiedene nervöse  Störungen,  Schlaftosigkeit, 


Hypochondrie,  Appetitlosigkeit,  Flatulenz, 
Leibweh  nach  dem  Essen,  Intoleranz  gegen 
Milch,  Erbrechen,  Constipation ,  Diarrhoe, 
Herzklopfen,  Lage  Veränderung  der  rechten 
Niere  und  der  Gebärmutter,  Gefühl  eines 
gespannten  Stranges  vor  dem  Colon  ascen- 
dens  und  Colon  transversum,  Erweiterung 
des  Magens  und  Duodenums,  Heruntersinken 
der  Baucheingeweide.  Diese  Symptome  sind 
so  ziemlich  identisch  mit  denjenigen,  welche 
Bouchard  der  Magendilatation  zuschreibt. 
Unter  denselben  legt  Fereol  ein  ganz  be- 
sonderes Gewicht  auf  die  Intoleranz  gegen- 
über Milch,  auf  die  gegen  4  Uhr  Morgens 
sich  einstellende  Insomnie  und  auf  den  vom 
Colon  ascendens  und  dem  rechten  Winkel 
des  Colon  trausversum  gebildeten  Strang. 
Die  von  den  Patienten  empfundene  Erleich- 
terung beim  Hinaufschieben  der  Eingeweide 
mittelst  der  in  der  Gegend  der  Fossa  iliaca 
eingedrückten  Hände  ist  gleichfalls  ein  werth- 
voUer  Fingerzeig  für  die  Diagnose  und  Be- 
handlung. 

Enteroptose  ist  zu  vermuthen  in  Fällen 
von  Dyspepsie,  Neurasthenie,  Psychose, 
Hypochondrie,  bei  Wanderniere  und  Lage- 
veräuderung  des  Uterus. 

Die  gegen  die  Enteroptose  gerichtete 
Behandlung  giebt  zuweilen  zauberhafte  Er- 
folge, indem  nicht  nur  die  Affectionen  der 
Eingeweide  völlig  schwinden,  sondern  vor 
allem  auch  die  secundären  Störungen.  Man 
muss  mit  Ausdauer  und  Vertrauen  bei  der 
Sache  sein.  Folgende  sind  die  von  Glenard 
angeführten  Indicationen: 

1 .  Bekämpfung  der  Verdauungsstörungen 
mit  grossen  Dosen  Natrium  bicarbon. 
und  wiederholten  salinischen  Abfuhr- 
mitteln (jeden  Morgen  5,0 — 10,0 
Natrium  sulfuricum). 

2.  Unterstützung  der  Bauch  wand  und 
Aufrichtung  der  Eingeweide  durch 
Anlegen  eines  eigens  ad  hoc  construir- 
ten  Tragegürtels. 

Guyot  hat  viele  Lageveränderungen  der 
Nieren  beobachtet  und  dabei  nur  ein  ein- 
ziges Mal  gleichzeitig  Enteroptose  constatirt. 
Der  empfohlene  Tragegurt  ist  schwer  zu  er- 
tragen und  bringt  nicht  immer  Erleichterung. 
Bei  einzelnen  Individuen  schien  ihm  die 
U-förmige  Deviation  des  Colon  transversum 
eine  normale  Disposition  zu  sein  und  Treves 
hat  dieselbe  beim  Foetus  beobachtet. 

Siredey  nimmt  an,  dass  diese  Kranken 
insgesammt  nervöse  Leute,  Neuropathen  seien. 
Der  Erfolg  der  Behandlung  sei  ein  so  wun- 
derbarer, dass  ein  Bestand  der  Heilung  be- 
zweifelt werden  dürfe. 

{Revvt  gen.  df  CUnique  et  de  Therap.  2888  No.  48.) 


Tit  Jahrgrang.'l 
Januar  1889.  J 


Referate. 


27 


Referate. 


lieber  das  Benzanilid  in  der  Kinderpraxis.    Von 
Dr.  Ernst  Kahn  (Frankfurt  a.  M.). 

Das  Benzanilid  hat  die  Formel 
CßHsNH.COCeHs. 

Wie    in    dem    Acetanilid    das    Radical    der 
Essigsäure,  ist  in  dem  Benzanilid  dasjenige 
der  Benzoesäure  enthalten.     Dasselbe  ist  ein 
leicht  krystallinisches,   dem  Acetanilid  glei- 
chendes,- weisses  in  Wasser  schwer  lösliches 
Pulver.     Verfasser  stellte  mit  diesem,  schon 
früher    von   Cahn   und   Hepp    untersuchten 
Korper  Beobachtungen  auf  der  Kinderklinik 
in  Strassburg  an.     Dieselben  erstreckten  sich 
auf  16  Fälle  (Typhus,  Meningitis,  Phthisis, 
Pneumonie,  Bronchitis  etc.).     Von  allen  Pa- 
tienten   wurde    das   Pulver   gern    genommen. 
Aus  den  zahlreichen  (im  Original)  angeführ- 
ten Tabellen   ergiebt   sich,    dass  das  Benza- 
nilid  als   ein  kräftig  wirkendes  Fiebermittel 
anzusehen   ist.     Der  Abfall    der  Körpertem- 
peratur   erfolgt    ungefähr    in     der    gleichen 
Weise,  wie  bei  dem  Acetanilid;  das  Wieder- 
ansteigen    geht    langsamer    vor    sich.      Die 
Entfieberung     geschieht     unter    (nicht    sehr 
plötzlich  und  intensiv  eintretender)  Schweiss- 
bildung.      Cyanose  wurde  in   keinem   Falle, 
dagegen  einmal  ein  grossfleckiges,  bald  vor- 
übergehendes     Exanthem     bemerkt.       Vom 
Magen    und    Darmkanal    wurde    das    Mittel 
gut    vertragen.      Ein    kräftiger  Erwachsener 
ertrug  3,0  (auf  einmal  genommen)  ohne  Be- 
schwerde.    Bezüglich  der  Einzelgabe  dürften 
nicht  unter  0,1  in  der  Kinderpraxis  zu  geben 
und  nicht  über  0,6   bei  Individuen  unter  12 
Jahren    zu    steigen    sein.      Für  Kinder    von 
1  —  3  Jahren    genügen   0,1 — 0,2,  für  solche 
von    4 — 8    Jahren    0,2 — 0,4   und   für   ältere 
bis  0,6.      Cahn    und   Hepp    glauben,    dass 
von  Benzanilid  etwa  doppelt  so  viel  als  von 
Acetanilid,  um  gleiche  Wirkungen  zu  erzielen, 
nöthig  sei;  für  die  Kinderpraxis  ist  die  Zahl 
dieses    Verhältnisses     vielleicht     etwas     zu 
niedrig  gegriffen.    Die  grösste  Tagesgabe,  die 
Verf.  verabreichte,  betrug  3,20  g,  eine  Menge, 
die  im  Allgemeinen  entschieden  zu  gross  ist. 
Bei    der  Darreichung   der   Einzel  dosen   ging 
er  von  dem  Gedanken  aus,    nach  einer  ein- 
maligen  grösseren  Dosis  durch  zweckmässig 
vertheilte  kleinere  die  Temperatur  womöglich 
auf  der  Norm   zu   erhalten.      Die   Verabfol- 
gung   geschah   in    abgetheilten   Pulvern,    mit 
Saccharum  album  gemengt. 

{Jahrbttck/vr  Kinderheilk.  Bd.  38.  Heß  3  u.  4.  188 S.) 

R. 


Bemerkungen  über  die  Behandlung  des  Keuch- 
hustens mit  Antipyrin.  Von  Dr.  Crozer 
Griffith  (Philadelphia).  (Vortrag  gehalten  im 
College  of  Physicians  of  Philadelphia  1888.  — 
Therapeut! c  Gazette). 

G.  hat,  veranlasst  durch  den  Artikel 
Sonnenburger^s  in  der  Deutschen  medic. 
Wochenschrift  No.  14,  pr.  1887  „über  Patho- 
genese und  Therapie  des  Keuchhustens^  etc., 
das  Antipyrin  in  15  Fällen  von  Keuchhusten 
angewendet,  deren  Krankh  ei  tsverlauf  er  kurz 
schildert,  und  stimmen  seine  Resultate  — 
obgleich  er  seinen  Beobachtungen  wegen  der 
geringen  Zahl  der  Fälle  keinen  allzu  grossen 
Werth  beilegen  möchte  —  mit  denen  von  S. 
vollständig  überein.  Das  Mittel  war  höchst 
wirksam,  wenn  es  zu  Beginn  der  Krankheit 
gegeben  wurde,  obgleich  es  sich  auch  sehr 
nützlich  erwies,  wenn  es  erst  in  späteren 
Stadien  verabreicht  wurde.  Unter  seinen 
Fällen  war  nur  einer,  wo  das  Antipyrin  keine 
augenfällige  Wirkung  auszuüben  schien, 
obgleich  auch  in  diesem  Fall  die  Dauer  der 
Krankheit  erheblich  abgekürzt  wurde.  — 
Wenn  man  die  Wirksamkeit  eines  Keuch- 
hustenmittels prüfen  wolle,  so  sei  es  von  der 
grössten  Wichtigkeit,  dass  dasselbe  während 
des  frühen  Stadiums  der  Krankheit  ange- 
wendet werde,  und  nach  Henoch  habe  es 
bisher  keine  Behandlungsmethode  des  Keuch- 
hustens gegeben,  welche  einen  augenschein- 
lich günstigen  Einfluss  auf  das  paroxysmale 
Stadium  ausübe,  während  im  3.  Stadium  fast 
jedes  Mittel  von  scheinbarem  Erfolg  sei.  — 
Brieflich  theilt  G.  dem  Schreiber  dieses  noch 
mit,  dass  Antipyrin  jetzt  sehr  häufig  gegen 
Keuchhusten  in  Philadelphia  gebraucht  werde, 
und  wie  er  glaube,  durchweg  mit  sehr  günstigen 
Resultaten.   — 

Zu  dem  Artikel  „lieber  die  specifische 
Behandlung  des  Keuchhustens  mit  Anti- 
pyrin im  Augustheft  der  Therap.  Monats- 
hefte sei  hier  berichtigend  bemerkt,  dass 
irrthümlicherweise  dort  die  Vermuthung  aus- 
gesprochen wurde,  es  habe  Dr.  v.  Gens  er  in 
dem  dort  citirten  Vortrage  keinen  der  Autoren 
genannt,  die  vor  ihm  über  die  Anwendung 
des  Antipyrins  gegen  Keuchhusten  geschrieben 
hätten. 

Der  Vortrag  ist  unterdessen  seinem 
Wortlaut  nach  in  der  Wiener  medic.  Wochen- 
schrift erschienen  und  ist  Dr.  v.  Gens  er  in 
seinen  Darlegungen  auf  die  Arbeiten  von 
Windelband  und  Sonnenburger  aus- 
führlich eingegangen.  a, 

4* 


28 


Refbrate. 


pTherapeatifohe 
L  Monatehqfte. 


Heilung  eines  Falles  von  Hallucinationen  durch 
Antip3rrin.    Von  Dr.  Salemi  (Nizza). 

Eine  bisher  gesunde,  38  jährige  Frau 
wurde  3  Tage  nach  dem  Tode  ihres  Gatten 
plötzlich  von  Gehörshallucinationen  befalleo. 
Während  der  Arbeit  hörte  sie  ihren  Namen 
rufen;  sie  blickte  nach  der  Richtung,  aus 
der  die  6timme  kam  und  durchsuchte  das 
Zimmer,  ohne  Jemand  zu  finden.  Darauf 
machte  sie  sich  wieder  an  ihre  Arbeit  und 
hörte  von  Neuem  dieselbe  Stimme,  w^elche 
ihr  allerlei  Geschichten  erzählte.  Diese 
mysteriöse  Unterhaltung  wiederholte  sich 
fortan  täglich.  Bald  gesellten  sich  auch 
GesichtshalluciDationen  hinzu,  indemPat.  z.B. 
aus  einem  Fenster  oder  Hause  Rauch  oder 
Flammen  aufsteigen  sah,  in  deren  Mitte  sich 
der  Kopf  einer  Person  bewegte.  Im  Uebrigcn 
war  das  Allgemeinbefinden  gut,  Schlaf  und 
Appetit  ungestört.  3  Jahre  lang  war  dieser 
Zustand  unverändert  geblieben,  bis  Pat.  eines 
Tages  sich  zum  ersten  Mal  über  denselben 
zu  einer  Freundin  aussprach.  Letztere  ver- 
anlasste sie,  sofort  ärztliche  Hülfe  in  An- 
spruch zu  nehmen.  Daher  wurde  S.  consul- 
tirt.  Er  verordnete  täglich  0,5  Antipyrin. 
Nach  Verlauf  von  wenigen  Tagen  blassten 
bereits  die  Hallucinationen  ab.  Die  Anti- 
pyrin-Dosis  wurde  nun  verdoppelt,  und  die 
Gehörs-  und  Gesichtstäuschungen  verschwan- 
den gänzlich.  Die  betreffende  Frau  erfreut 
sich  seither  der  besten  Gesundheit. 

{Bull  gin,  de  Therap.  1888  No.  44.)  R. 

lieber  Asthma,  sein  Wesen  und   seine  Behand- 
lung. Von  Dr.  W.  ßrügelmann  (Paderborn). 

Die  vorliegende  Arbeit  ist  die  Frucht 
langjähriger  Studien  und  Beobachtungen,  die 
B.  als  Leiter  der  Curanstalt  Insel bad  bei 
Paderborn  zu  machen  Gelegenheit  hatte. 
Das  Inselbad  soll  für  Asthmatiker  ein  fast 
immunes  Klima  besitzen.  Ausser  dem  Klima 
kommen  daselbst  als  Heilfactoren  noch  Stick- 
stoifinhalationen,  comprimirte  rareficirte  Luft, 
verdünnte  Luft,  Bäder,  Douchen  etc.  in  An- 
wendung. B.  theilt  das  Asthma  in  5  ver- 
schiedene Gruppen  und  zwar: 

a)  das  nasale  Asthma, 

b)  das  pharyngo-laryngeale  Asthma, 

c)  das  bronchiale  Asthma, 

d)  das  Intoxicationsasthma, 

e)  das  neurasthenische  Asthma. 

Die  Behandlung  des  Asthmas  ist  eine 
so  vielseitige,  wie  dies  vielleicht  bei  keiner 
andern  Krankheit  der  Fall  ist.  Wer  alle 
Formen  desselben  behandeln  will,  muss 
Rhinologe,  Laryngologe,  Neurologe,  Hydro- 
therapeut,  Pneumatotherapeut ,  Gynäkologe 
und  ein  geübter  Anstaltsarzt  sein.  Selbst- 
verständlich wird    sich    dies   Alles   nicht   in 


einer  Hand  vereinigen  lassen,  aber  gute 
Kenntnisse  in  allen  diesen  Fächern  sind  doch 
von  dem  Arzte  zu  verlangen,  der  Asthma 
zweckmässig  behandeln  will.  Ausser  den 
verschiedenen  therapeutischen  Maassnahmen 
kommt  noch  eine  Reihe  von  Arzeimitteln  in 
Betracht,  die  als  Antiasthmatica  ein  gewisses 
Ansehen  gemessen.  Das  älteste  Mittel  von 
allen  ist  wohl  das  Stramonium  und  zwar 
mit  Salmiak  angezündet  und  der  weisse 
reizende  Dampf  inhalirt.  Neuerdings  wird 
dasselbe  auch  zweckmässig  in  Kerzenform 
in  den  Handel  gebracht.  Seine  Wirkung 
bewährt  sich  besonders  bei  Bronchialasthma 
und  Intoxicationsasthma.  Bei  nasalem  und 
pharyngealem  Asthma  ist  es  wirkungslos. 
In  ähnlicher  Weise  und  mit  gleichem  Er- 
folge kommt  Jodkalium  in  Anwendung. 
Das  seit  lange  empfohlene  Arsenik  hat  B. 
bei  Neurasthenie,  zumal  bei  Ekzemen  (im 
palliativen  Sinne)  wirksam  gefunden;  in 
anderen  Formen  nützt  es  nicht.  Cannabis 
indica  und  Pyridin  Hessen  meistens  im 
Stich.  Amylnitrit  that  oft  gute  Dienste, 
vornehmlich  bei  Bronchialasthma  und  In- 
toxicationen ,  wenn  es  sich  darum  handelte, 
den  Krampf  so  weit  abzuschwächen,  dass 
eine  pneumatische  Sitzung  ausgeführt  werden 
konnte.  Cocain  (innerlich  und  in  Injec- 
tionen)  hilft  mitunter  bei  neurasthenischem 
Asthma,  ruft  aber  oft  bedenkliche  Erschei- 
nungen hervor.  Morphium  (in  subcutaner 
Injection)  ist  in  allen  Formen  als  ultima 
ratio  unentbehrlich.  Wenn  die  Kranken 
(theils  durch  Sauerstoffmangel,  theils  durch 
Erschöpfung)  dem  Untergänge  ganz  nahe 
kommen,  ist  Morphium  unser  einzigstes 
noch  wirksames  Mittel.  Desgleichen  ist 
Chloralhydrat  ein  vorzügliches  Beruhi- 
gungsmittel, das  zeitweise  gar  nicht  entbehrt 
werden  kann.  Ganz  besondere  Beachtung 
verdient  die  Anwendung  der  Elektricität. 
Schon  früher  ist  dieselbe  in  Gestalt  des  in- 
ducirten  Stromes  von  Schaeffer  zum  Cou- 
piren des  Anfalls  bei  Bronchialasthma 
und  Intoxication  empfohlen  worden.  Ein 
Pol  auf  den  Vagus,  den  andern  in  die  Nase, 
in  den  Rachen  oder  auf  die  Brust  oder 
beide  Pole  auf  den  Kehlkopf,  je  nach  Sitz 
der  Krankheit,  bringt  oft  ganz  zauberische 
Wirkungen  hervor,  Dauer  der  Sitzung  15 
bis  20  Minuten.  Bei  andern  Formen  erwies 
sich  die  Elektricität  als  nutzlos.  Alle  diese 
Mittel  sind  nur  Palliativa  von  grösserem 
oder  geringerem  Werthe;  die  Heilung,  resp. 
die  Möglichkeit  einer  Heilung  des  Asthmas 
liegt  in  der  richtigen,  jedem  einzelnen  Falle 
angepassten  Combinirung  der  in  der  vorste- 
henden Abhandlung  besprochenen  Disciplinen. 
{Beu*er*8  Verlag.   Berlin  und  Neuwied  1888.     R. 


I£L  Jabrsang.1 
Jannar  1888.  J 


Referate. 


29 


Beitrag  zur  Behandlung  chronischer  seröser  Er- 
güsse.   Von  Dr.  H.  Secretan.    (Lausanne). 

Die  früher  allgemein  geltende  Ansicht, 
dass  das  Eindringen  von  Luft  in  den  Pleural- 
räum  eine  gefahrliche  Complication  bei  seröser 
Pleuritis  bedeute,  ist  zuerst  Ton  Potain 
widerlegt  worden.  £r  wies  nach,  dass  die 
Entstehung  eines  Pneumothorax  unter  Um- 
standen nicht  nur  nicht  gefährlich,  sondern 
im  Gegentheil  einen  Heileffect  herbeiführen 
kann,  wenn  nur  die  Luft  frei  von  pathogenen 
Mikroorganismen  ist.  Ja,  er  hat  auf  Grund 
zufalliger  Beobachtungen  intrapleurale  Luft- 
infusion vorgeschlagen  zur  Behandlung  chro- 
nischer seröser  Ergüsse  in  den  Pleuraraum. 
In  einigen  yon  ihm  so  behandelten  Fällen 
trat  nach  Anlegung  eines  Pneumothorax 
schnelle  Resorption  pleuritischer  chronischer 
Exsudate  ein,  die  bisher  allen  therapeutischen 
Maassn ahmen  getrotzt  hatten.  Die  vorstehen- 
den Beobachtungen  des  franzosischen  Klinikers 
finden  durch  einen  ganz  analogen  von 
Secretan  behandelten  Fall  ihre  vollkom- 
mene Bestätigung.  Hier  wurde  bei  einem 
51jährigen,  hereditär  nicht  belasteten  Pa- 
tienten ein  seit  2  Jahren  bestehendes  pleu- 
ritisches  Exsudat,  welches  trotz  mehrfacher 
Thoracocentese  nicht  ausheilte,  binnen  27 
Tagen  vollständig  und  endgiltig  resorbirt, 
nachdem  gelegentlich  einer  Function  unabsicht- 
lich Luft  in  den  Pleuraraum  gedrungen  war. 

{Bw.  mdd,  de  la  Suuae  Bomande.    1888.  No.  7.) 

B.  Lohnstein  {BerUn)» 

Einige  therapeutische  Versuche  mit  der  Hypnose. 

Von  Dr.  Sperling  (Berlin). 

In  der  vorliegenden  Mittheilung  führt 
Yerf.  8  z.  Theil  auch  symptomatologisch 
sehr  interessante  Fälle  als  Belag  für  die 
tiefgreifende  Wirkung  der  Hypnose  an.  Von 
diesen  zeichnet  sich  besonders  der  erste 
durch  glänzendes  Heilresultat  aus.  Es  han- 
delt sich  um  einen  22  jährigen  Mann,  der  vor 
etwa  5  Jahren  mit  dem  Hinterkopf  auf  das 
Eis  gefallen  war  und  bei  dem  sich  seitdem 
ein  Symptomencomplex  herausgebildet  hatte, 
der  als  traumatische  Hysteroepilepsie  ge- 
deutet werden  musste.  Hier  wurden  die 
Krampfanfalle  vermittelst  der  Hypnose  be- 
seitigt, worauf  die  Genesung  durch  Hydro- 
therapie, Gymnastik,  allgemeine  Faradisation 
etc.  weiter  gefordert  werden  konnte.  —  Ein 
zweiter  Fall  von  Hysteroepilepsie  bei  einer 
25jährigen  Frau  iiess  zwar  auch  den  thera- 
peutischen Erfolg  der  Suggestionsmethode 
erkennen,  gelangte  aber  nicht  zur  Heilung. 
Patientin  war  augenscheinlich  bei  weitem 
nicht  so  für  die  Suggestion  empfänglich  wie 
der  vorige  Fall,  übrigens  auch  durch  häus- 
liche Verhältnisse  vielfachen,  die  Genesung 
störenden  Erregungen  ausgesetzt.  —  Dankbarer 


erwies  sich  wieder  der  3.  Fall  (22jährige8 
hysteroepileptisches  Mädchen),  bei  dem  zu- 
erst die  Krämpfe,  dann  verschiedene  vaso- 
motorische Erscheinungen  (Rothe  und  brennen- 
des Gefühl  im  Gesicht,  Kälte  und  Schweiss- 
ausbruch  an  den  Extremitäten)  beseitigt 
worden  sind.  —  Ein  vierter  Fall  von  Hystero- 
epilepsie hat  sich  unter  dem  Einflüsse  der 
Hypnose  nicht  nur  nicht  gebessert,  sondern 
eher  verschlimmert,  in  so  fern  als  die  Hervor- 
rufung einer  ausgiebigen  kataleptischen 
Starre  anscheinend  einen  rein  epileptischen 
Anfall  im  Gefolge  hatte.  Zwei  weitere  Fälle, 
in  denen  sich  die  Hypnose  wiederum  günstig 
erwies,  gehören  den  für  diese  Behandlung 
besonders  geeigneten  hysterischen  Lähmungen 
an.  Den  Schluss  bilden  2  Fälle  von  Hy- 
sterie, die  sich  an  eine  Infectionskrankheit 
(Malaria  und  Typhus)  angeschlossen  hatten 
und  beiläufig  diagnostisch  erhebliche  Schwie- 
rigkeiten boten.  Beide  wurden  durch  die 
hypnotische  Suggestion  fast  völlig  geheilt. 
Verf.  formulirt  danach  seine  Ansicht  über 
dieselbe  wie  folgt: 

1.  Die  planvolle  Anwendung  der 
Hypnose  als  Heilmittel  ist  durchaus 
berechtigt,  jedoch  soll  sie  nur  als 
ultimum   refugium   betrachtet  werden. 

2.  Es  steht  der  Gebrauch  der  Hyp- 
nose nur  dem  Arzte  zu,  sei  es  zu 
wissenschaftlicher  Forschung  oder  zu 
Heilzwecken. 

3.  Es  wäre  ein  nie  wieder  gut  zu 
machender  Fehler  von  Seiten  der  Aerzte, 
wollten  sie  sich  der  Forschung  auf  diesem 
Gebiete  als  unter  ihrer  Würde  stehend 
enthalten  und  dasselbe  schlecht  bewährten 
Laienhänden  überlassen. 

4.  In  Folge  dessen  ist  es  zweckmässig, 
dass  die  neue  Lehre  im  Publikum  so  wenig 
wie  möglich  Verbreitung  findet;  das  staat- 
liche Verbot  der  öffentlichen  hypnotischen 
Schaustellungen  muss  als  sehr  weise  aner- 
kannt werden. 

5.  Der  Erfolg  der  therapeutischen  Hyp- 
nose hängt  im  einzelnen  Falle  ab: 

a)  von  der  richtig  gestellten  Indication. 
Daher  ist  genaue  Kenntniss  des  Krank- 
heitsbildes unerlässlich; 

b)  von  der  Methode  zu  hypnotisiren  und 
zu  suggeriren.  Daher  sind  die  Resul- 
tate mehr  oder  weniger  individuell; 

c)  von  dem  persönlichen  Einfluss  des 
Arztes  auf  seinen  Patienten. 

6.  Allgemein  gültige  Gesetze  und  Regeln 
für  die  Behandlung  mit  der  Hypnose  be- 
stehen zur  Zeit  noch  nicht,  werden  sich  auch 
kaum  jemals  aufstellen  lassen,  da  mit  indi- 
vidueller Anlage  des  Charakters  der  Ver- 
suchsperson gerechnet  werden  muss. 


30 


Referate. 


[Therapeutische 
llonatebefte. 


7.  Die  oft  angeführten  üblen  Nachwir- 
kungen der  H^'pnose  hat  Verf.  bei  richtiger 
Anwendung  niemals  gesehen. 

(A'euro/.  CeutralbL  1838  No.  21,  13  u.  14.)     Krön. 

Zur  therapeutischen  Verwerthung  der  Hypnose. 

Von  Dr.  M.  Nonno  (Hamburg). 

Ein  29  jähriger  Schriftsetzer  hatte  in 
seinem  7.  Lebensjahre  ziemlich  rasch  unter 
Krampferscheinungen  eine  Lähmung  aller 
Extremitäten  mit  Contractionen  bekommen, 
die  später  auch  auf  die  Halsmuskeln  über- 
gingen, ausserdem  Verlust  der  Sprache  und 
des  Gehörs,  sowie  Beeinträchtigung  des  Ge- 
fühls. Dieser  Zustand  hatte  sich  im  13. 
Jahre  unter  einer  elektrischen  Behandlung 
schnell  verloren.  Vor  7  Jahren  hatte  Fat. 
einen  Anfall  von  Bleicolik  gehabt.  3  Jahr 
später  (4  Jahre  vor  seiner  Aufnahme  in  das 
Krankenhaus)  traten  plötzlich  Parästhesien 
in  der  rechten  oberen  Extremität  auf,  denen 
bald  Lähmung  der  Hand  folgte.  Einige 
Zeit  darauf  kam  es  auch  im  rechten  Bein 
zu  Parästhesien;  dazu  gesellten  sich  öfter 
Anfälle  von  Schwindel.  Es  wurde  auf  der 
Klinik  sensibel -sensorische  Hemianästhesie 
rechts  mit  hochgradiger  Gesichtsfeldeinen- 
gung, zum  Theil  auch  Störung  des  Farben- 
sinns, sowie  völlige  Lähmung  der  rechten 
Hand  constatirt.  Die  elektrische  Erregbar- 
keit, zuerst  normal,  zeigte  nach  einigen 
Wochen  insofern  eine  Veränderung,  als 
sich  eine  deutliche,  wenn  auch  nicht  erheb- 
liche Herabsetzung  der  indirecten  galvanischen 
und  faradischen  Erregbarkeit  an  der  rechten 
Oberextremität  nachweisen  Hess.  Weiterhin 
traten  starke  Schmerzen  im  rechten  Bein 
mit  nachfolgender  Lähmung  desselben  auf, 
die  aber  nach  mehreren  Monaten  laugsam 
wieder  zurückging.  2  74  Jahre  später  bestand 
noch  schlaffe  Lähmung  der  rechten  Oberex- 
tremität. Nach  mehrjährigem  sonstigen  Wohl- 
befinden empfand  Pat.  neuerdings  wieder, 
ohne  andere  Ursache  als  vielleicht  etwas 
Uebermüduug,  Kriebeln  an  beiden  Füssen, 
bald  darauf  durchschiessende  Schmerzen  in 
den  Unterschenkeln.  Schnell  entwickelte 
sich  dann  eine  Paralyse  der  unteren  Extre- 
mitäten. Die  Untersuchung  ergab  ausser 
diesen  Symptomen  noch  verschiedene  ausge- 
breitete Anästhesie  und  Hyperästhesie,  sehr 
lebhafte  Patellarreflexe,  Achillessehnenclonus, 
geringe  Röthung  der  Papillen,  normale  elektri- 
sche Verhältnisse.  —  Die  anfänglich  schwan- 
kende Diagnose  wurde  schliesslich  in  Folge 
des  normalen  elektrischen  Verhaltens,  ganz 
besonders  aber  der  eigenthümlichen  Veränder- 
lichkeit und  Launenhaftigkeit  der  Sensibilitäts- 
störungen auf  functionelle  Lähmung  und 
Anästhesie  gestellt.  (Hysterie  will  Verf.  auf 
Grund  des  Fehlens  hysterischer  Anfälle,  so- 


wie im  Hinblick  auf  die  vor  aufgegangene  Blei- 
iutoxication,  mit  der  die  sichtbaren  Verände- 
rungen der  Retinagefasse  in  Verbindung  zu 
bringen  sind,  endlich  zu  Folge  der  früher  con- 
statirten  geringen  Herabsetzung  der  elektri- 
schen Erregbarkeit  in  der  gelähmten  Oberex- 
tremität für  diesen  Fall  nicht  gelten  lassen.) 
—  Es  wurde  nun  ein  Versuch  mit  der  Hyp- 
nose gemacht,  der  völlig  gelang.  N.  suggerirte 
nämlich  dem  Pat.,  er  werde  am  nächsten  Mor- 
gen bei  der  Visite  die  linke  grosse  Zehe  bewe- 
gen können,  was  auch  geschah.  Jeden  Abend 
nahm  N.  sodann  eine  andere  Zehe  mit  gleichem 
Erfolge  vor.  So  wurde  langsam  fortge- 
schritten, bis  nach  etwa  5  Wochen  die  Läh- 
mung der  Zehen,  Füsse  und  Beine  verschwun- 
den war.  Nach  ungefähr  2  Monaten  konnte 
Pat.  gehen.  Schon  2  Wochen  vorher  war 
die  Sensibilität  für  sämmtliche  Qualitäten 
normal  befunden  worden.  Die  Wiederher- 
stellung der  Motilität  des  seit  5  Jahren 
gelähmten  rechten  Arms  gelang  nach  einem 
Monat  fast  völlig.  Später  besserte  sie  sich 
noch  mehr.  Bei  der  letzten  Untersuchung 
fand  sich,  von  den  noch  immer  lebhaften 
Sehnenreflexen  an  den  unteren  Extremitäten 
abgesehen,  auch  noch  am  unteren  dorsalen 
Drittel  des  rechten  Vorderarms  eine  Störung 
der  Sensibilität. 

{Neurol  Centralbl.  1888  No.  7  u.  8.)  Krön. 

Ein  neues  Anthelmlnticum.  Von  Prof.  Dr.  Pari si 
in  Athen. 

Die  Gocosnusse  sind  nach  P.  ein  gutes 
Bandwurmmittel,  das  allen  andern  Anthel- 
minticis  vorzuziehen  ist,  weil  es  keine  Vor- 
behandlung erfordert.  P.  ass  das  Endocar- 
pium  einer  Nuss ,  nachdem  er  den  Saft 
derselben  getrunken  hatte.  Nach  2  Stunden 
Uebelkeit,  Magenbeschwerden  und  leichte 
Diarrhoe.  Am  folgenden  Morgen  entleerte 
er  eine  Tänie  sammt  Kopf.  Darauf  wurde 
das  Mittel  noch  in  6  anderen  Fällen  ver- 
sucht und  jedes  Mal  derselbe  günstige  Erfolg 
erzielt.  Ueber  diese  Wirkung  der  Cocosnüsse 
ist  bei  den  Bewohnern  Abessyniens  bisher 
nichts  bekannt  gewesen. 

(Nach  Schmidt' s  Jahrb.  1888  u.  AVgem.  med.  CentraU. 
tS88  Ao.  102.)  Ji. 

Subcutane  Kochsalzinjectionen  bei  acuter  Anämie 
und  Cholera  infantum.  Von  Dr.  M.  Weiss 
in  Prag.    (Autoreferat.) 

Bis  vor  Kurzem  hielt  man  die  Erschei- 
nungen der  acuten  Anämie  einzig  und  allein 
bedingt  durch  die  Verminderung  der  ßlut- 
masse  und  durch  den  geringen  Gehalt  des 
noch  im  Körper  kreisenden  Blutes  an  rothen 
Blutkörperchen,  und  in  Consequenz  dieser 
Anschauung  suchte  man  diesen  gefahrdrohen- 
den  Symptomen    durch   Incorporirung    einer 


m.  Jahrgang.l 
Janiur  1889.  J 


Referate. 


31 


hinlänglichen,  einem  anderen  Individuum  ent- 
nommenen Blutmenge  zu  begegnen.  Mit 
wenigen  Ausnahmen  -wurde  durch  fast  200 
Jahre  die  Bluttransfusion  nur  bei  acuter 
Anämie  in  Folge  starker  Blutverluste  geübt; 
erst  in  den  sechsziger  Jahren  wurde  die  In* 
dication  für  dieselbe  auch  auf  cachectische 
Zustande,  Intoxicationen,  acute  und  chro- 
nische Infectionskrankheiten  ausgedehnt. 

Die  Schwierigkeiten  der  directen  Blut- 
transfusion in  die  Arterien  oder  Venen  und 
die  damit  verbundenen  Gefahren  veranlassten 
Ponfick,  anstatt  derselben  die  indirecte  iu 
die  Bauchhohle  zu  versuchen;  die  gerühm- 
ten günstigen  Erfolge  dieser  Methode  wurden 
jedoch  von  anderen  Experimentatoren  nicht 
bestätigt  und  selbst  ihre  Ungefähr! ichkeit 
bestritten,  indem  Mos  1er  einen  Fall  an 
nachfolgender  Peritonitis  verlor.  Der  gleich- 
zeitig von  Amerika  herübergekommene  Vor- 
schlag, die  Bluttransfusion  durch  die  intra- 
venöse Milchinfusion  zu  ersetzen,  konnte 
keine  Anhänger  finden,  da  Nachprüfungen 
ergaben ,  dass  die  Milchinfusion  nicht  nur 
keinen  Nutzen  bringe,  sondern  auch  in  hohem 
Grade   das  Leben  durch  Embolien  gefährde. 

Eine  ganz  andere  Wendung  bekam  die 
Lehre  von  der  Transfusion,  als  Kronecker 
und  Sander  und  gleichzeitig  mit  ihnen 
Jolyet  und  Laffont  die  Cohnheim'schen 
Versuche  mit  Infusionen  von  Kochsalz- 
lösung wieder  aufnahmen,  welche  das  Re- 
sultat ergaben,  dass  die  dem  Verblutungs- 
tode nahe  gebrachten  Thiere  durch  intra- 
venöse Infusion  einer  schwach  alkalischen 
6  "/uo^gci^  Kochsalzlösung  am  Leben  erhalten 
wurden. 

Schwarz,  welcher  diese  Experimente 
mit  günstigem  Erfolge  wiederholte,  erklärte 
die  belebende  Wirkung  der  Kochsalzinfusion 
auf  die  Weise,  dass  dadurch  das  mechanische 
Missverhältniss  zwischen  Weite  und  Inhalt 
des  Gefasssystemes,  welches  in  erster  Reihe 
den  Tod  bei  Entblutungen  bedinge,  wieder 
ausgeglichen  werde.  Die  Ungefährlichkeit 
dieser  Operation  und  die  günstigen  Erfolge, 
welche  Schwarz,  Küstner,  Kocher  u.  A. 
verzeichnen  konnten,  schafften  derselben  bald 
Eingang  unter  den  Aerzten,  so  dass  binnen 
wenigen  Jahren  die  Casuistik  der  Kochsalz- 
infusion  eine  verhältnissmässig  sehr  bedeu- 
tende geworden  ist.  Die  Schwierigkeiten 
bei  der  Ausführung  der  intravenösen  Koch- 
saizinfusion  sind  zwar  bei  Weitem  nicht  so 
gross  wie  bei  der  Bluttransfusion,  aber  immer 
noch  bedeutend  genug,  um  ihre  allgemeine 
praktische  Verwerthung  zur  Geltung  gelan- 
gen lassen  zu  können,  und  es  ist  deshalb 
ein  grosses  Verdienst  von  Samuel,  dass  er 
der    subcutanen  Kochsalzinfusion    als    Be- 


handlungsmethode im  asphyktischen  Stadium 
der  Cholera  Eingang  verschafft  hat. 

Bald  nach  der  ersten  Publication  von 
Samuel  hat  Dr.  Michael  in  Hamburg  den 
Gedanken  angeregt,  die  subcutane  Kochsalz- 
injection  auch  bei  acuter  Anämie  „nach 
irgend  welchen  Blutverlusten"  in  Anwendung 
zu  bringen,  doch  blieb  dieser  Vorschlag, 
weil  nur  nebenbei  gemacht,  ganz  unbeachtet, 
und  erst  im  Jahre  1886  wurde  diese  Me- 
thode gleichzeitig  von  Weiss  in  Prag  und 
Feilchenfeld  in  Berlin  in  Fällen  von 
drohendem  Verblutungstode  praktisch  zur 
Ausführung  gebracht.  Die  glücklichen  Er- 
folge, die  Weiss  in  2  Fällen  von  acuter 
Anämie  zu  verzeichnen  hatte,  veranlassten  ihn, 
die  Indication  auch  auf  CoHaps  bei  Cho- 
lera infantum  auszudehnen. 

Als  Injectionsflüssigkeit  bedient  sich 
Weiss  einer  schwach  alkalischen  6"/ooigen 
Kochsalzlösung,  welcher  nach  dem  Rathe  von 
Jenning  eine  geringe  Menge  Alkohol  als 
Excitans  zugesetzt  wird,  und  um  die  Flüssig- 
keit für  den  Fall  des  Bedarfes  gleich  bei 
der  Hand  zu  haben,  hält  er  eine  sterilisirte 
Lösung  in  steril isirten,  luftdicht  verschlosse- 
nen Flaschen  vorräthig,  welche  unmittelbar 
vor  dem  Gebrauch  auf  38  —  40^  erwärmt  wird. 

Als  Inj ection sapparat  dient  bei  Erwach- 
senen ein  Glastrichter  mit  Kautschukschlauch, 
an  dem  ein  Hahn  angebracht  ist,  dessen  Spitze 
genau  in  die  drainagirte  Canüle  eines  feinen 
Troicarts  passt;  Kindern  wird  die  Injection 
durch  eine  Spritze  mit  langer  drainagirter 
Nadel  beigebracht;  selbstverständlich  wird 
das  Instrumentarium  unmittelbar  vor  dem 
Gebrauche  sorgfältig  desinficirt.  Erwachsenen 
wird  die  Flüssigkeit  in  die  seitliche  Thorax- 
wand, Kindern  unter  die  Abdominalhaut  inji- 
cirt.  Die  Menge  der  einzuspritzenden  Flüssig- 
keit beträgt  bei  Kindern  30 — 50  g,  und  ist 
die  Injection  zu  wiederholen,  sobald  neuer- 
dings die  Erscheinungen  des  Collaps  ein- 
treten; bei  Erwachsenen  genügte  eine  ein- 
malige Injection  von  250  resp.  150  g,  um 
die  Erscheinungen  der  acuten  Anämie  zum 
Verschwinden  zu  bringen,  doch  dürfte  in 
anderen  Fällen  eine  grössere  Menge  noth- 
wendig  sein.  Die  Resorption  der  injicirten 
Flüssigkeit  wird  durch  Massage  zu  fördern 
gesucht  und  eventuell  die  Injection  an  einer 
anderen  Stelle  fortgesetzt,  sobald  trotz  Massi- 
rens  die  Unterhautgeschwulst  eine  grössere 
wird.  Die  üblichen  excitirenden  Behelfe 
werden  vor  und  nach  der  Injection  in  An- 
wendung gebracht. 

Weiss  hat  dieses  Verfahren  bisher  in 
2  Fällen  von  acuter  Anämie  durch  profuse 
Blutung  und  in  5  Fällen  von  Cholera  in- 
fantum angewendet. 


32 


Rafarmte. 


rThontpentlflche 
L  Monatshefte. 


Zur  ersten  Gruppe  gehört  ein  Fall  von 
copioser  Blutung  aus  einem  runden 
Magengeschwür  bei  einem  19  jährigen 
chloro tischen  Mädchen.  Die  äusserst  drohen- 
den Erscheinungen,  als  Syncope,  Erloschen- 
sein  des  Sensoriums  und  der  Reflexe,  kaum 
fühlbarer  Puls  und  Herzchoc,  kühle  Extre- 
mitäten, Leichenblässe  wurden  durch  Injection 
von  250  g  Kochsalzlosung  in  die  seitliche 
Thoraxgegend  sofort  behoben.  Patientin 
genas  nach  langer  Reconyalescenz.  Der 
zweite  Fall  betraf  einen  43  jährigen  Mann, 
der  in  der  dritten  Woche  eines  Typhus  abdo- 
minalis eine  heftige  Darmblutung  be- 
kam. Der  schwere  Gollaps  wurde  durch 
eine  subcutane  Infusion  von  je  75  g  in  die 
rechts-  und  linksseitige  Thoraxgegend  nach 
15  Minuten  gehoben;  auch  dieser  Kranke 
wurde  einer  vollkommenen  Genesung  zuge- 
führt. 

Die  5  Fälle  von  Gholera  infantum  be- 
trafen Kinder  im  Alter  von  3 — 9  Monaten, 
bei  welchen  un zweckmässige  Ernährung  als 
die  nächste  Krankheitsursache  constatirt 
werden  konnte.  Von  diesen  genasen  3  Fälle, 
2  endeten  letal,  doch  hatte  auch  bei 
letzteren  die  subcutane  Injection  von  je 
50  g  Kochsalzlösung  mit  einigen  Tropfen 
Rum  eine  sichtliche,  wenn  auch  bald  vor- 
übergehende Besserung  zur  Folge. 

Das  Resume  seiner  Abhandlung  fasst 
Yerf.  in  folgenden  Sätzen  zusammen: 

1.  Die  subcutane  Kochsalzinjection  ist 
ein  leicht  ausführbares  und  bei  den  nöthigen 
antiseptischen  Gautelen  absolut  ungefähr- 
liches und  unschädliches  Verfahren. 

2.  Bei  acuter  Anämie  kommt  ihr  jeden- 
falls eine  belebende  und,  wie  Fall  I  darthut, 
eine  lebensrettende  Wirkung  zu;  die  intra- 
venöse Kochsalzinfusion  dürfte  durch  die 
subcutane  mit  Erfolg  ersetzt  werden  können. 

3.  Das  Quantum  der  zu  injicirenden  6°/oq, 
mit  einigen  Tropfen  Alkohol  oder  Rum  ver- 
mischten Kochsalzlösung  muss  sich  nach  jedem 
Einzelfalle  richten. 

4.  Bei  chloro  tischen  Individuen  dürften 
250  g  vollkommen  genügen,  weil  die  Gefässe 
in  Folge  ihres  engeren  Lumens  und  grösseren 
Elasticität  der  Wandungen  sich  schon  dem 
geringeren  Inhalte  anpassen.  Aus  diesem 
Grunde  vertragen  auch  solche  Kranke  einen 
relativ  grösseren  Blutverlust. 

5.  Bei  acuter  Anämie  in  Folge  von 
Blutungen  im  Verlaufe  von  Typhus  und 
anderen  Infectionskrankheiten,  überhaupt  bei 
Zuständen,  wo  eine  Degeneration  des  Herz- 
muskels vorausgesetzt  werden  kann,  darf 
principiell  die  Menge  der  zu  injicirenden 
Flüssigkeit  keine  grosse  sein,  weil  eine 
plötzliche     Ueberlastiing     des     degenerirten 


Herzens  leicht  die  bedenklichsten  Erschei- 
nungen hervorrufen  könnte. 

6.  Bei  Gollaps  im  Verlaufe  von  Gholera 
infantum  erwies  sich  eine  subcutane  Injection 
von  30 — 50  ccm  in  hohem  Grade  belebend, 
ob  ihr  aber  eine  lebensrettende  Wirkung 
zukomme,  wie  es  nach  den  3  angeführten 
Fällen  den  Anschein  hat,  kann  nur  nach 
einer  grösseren  Beobachtungsreihe  entschie- 
den werden. 

7.  Es  soll  bei  Gholera  inf.  mit  der 
Kochsalzinjection  nicht  gewartet  werden,  bis 
der  Gollaps  einen  hohen  Grad  erreicht  hat 
und  die  Girculationsstörung  irreparabel  ge- 
worden ist.  Man  soll  vielmehr  gleich  bei 
beginnendem  Gollaps  injiciren  und  die  In- 
jection wiederholen,  so  oft  abermals  Zeichen 
von  Gollaps  auftreten. 

8.  Nebst  der  Injection  darf  aber  weder 
bei  acuter  Anämie  noch  bei  Gholera  infantum 
die  übliche  excitirende  Methode  vernach- 
lässigt werden. 

*    {Wiener  med,  Prti$e  1888  No,  43,  44,  45,  46.) 

lieber  Herrn  Dr.  Bellarmlnow's  neue  Art  der 
ophthalmoskopischen  Untersuchung.  Von 
Prof.  J.  Hirschberg. 

Ueber  die  B  eil  arm  in  o  wasche  Unter- 
suchungsmethode des  Augenhintergrundes 
(S.  Therap.  Monatshefte  1888,  S.  538)  äussert 
sich  Prof.  Hirschberg,  dass  dieselbe  oder  eine 
zum  Verwechseln  ähnliche  bereits  im  Jahre 
1882  im  Archiv  von  du  Bois-Reymond 
(Seite  501)  von  ihm  veröffentlicht  sei^).  — 
Die  von  Hirschberg  citirte  Stelle  lautet: 
„Jetzt  gilt   es,  die  Refraction  des  lebenden 

Hechtauges  unter  Wasser  zu  bestimmen 

Ich  bedecke  den  pupillaren  Hornhautbereich 
mit  Wasser  und  lege  darauf  ein  Stückchen 
von  einem  Deckgläschen  für  mikroskopische 
Präparate.  Die  Hornhaut  ist  jetzt  in  Wasser 
getaucht,  ihre  Wirkung  null.  Die  brechende 
Wirkung  des  planparallelen  Deckgläschen 
ist  gleichfalls  null.  .  .  .  Mit  üeberraschung 
sehe  ich,  wie  ausserordentlich  viel  besser 
der  optische  Apparat  dieses  Fischauges  in 
Wasser,   als  in  der  Luft  arbeitet." 

Für  die  Untersuchung  des  Fischauges  ist 
die  angegebene  Methode  unerlässlich,  für  an- 
dere Thieraugen  dagegen  nicht.  In  Bezug  auf 
die  Untersuchung  des  Auges  bei  Katze  und 
Pferd,  welche  Bellarminow  mit  seiner  Me- 
thode bei  diffusem  Tageslicht  untersucht, 
macht  H.  darauf  aufmerksam,  dass  diese 
Thiere  auch  ohne  Vorbereitung  und  ohne 
Pupillenerweiterung  bei  Tageslicht  bequem 
zu  ophthalmoskopiren  seien.     Auf  das  Men- 


*)  Ein  Auszug    befindet   sich    auch  in  seinem 
Centralblatt  für  prakt.  Augenheilk.  1882  S.  504. 


Januar  1889.  J 


Refermta. 


33 


schenauge  habe  Vf.  damals  die  Glasplatte 
nicht  angewendet ,  weil  die  anästhesirende 
Wirkung  des  Cocains  noch  nicht  bekannt 
war. 

Vf.  führt  an,  dass  das  direct  von  den 
brechenden  Mitteln  des  untersuchten  Auges 
gelieferte  Netzhautbild  auf  seine  optische 
Güte  nicht  untersucht  werden  könne,  wenn 
man  die  brechende  Wirkung  der  Hornhaut, 
den  wichtigsten  Factor  beim  Fernsehen,  aus- 
geschaltet habe.  Um  ein  schwach  yergrösser- 
tes  aufrechtes  Bild  der  Netzhaut  zu  gewinnen, 
brauche  man  nur,  statt  eines  Planglases  auf 
die  Hornhaut  zu  drücken,  ein  starkes  Con- 
cavglas  (l7a — 2  Zoll  Brennweite)  vor  die 
Hornhaut  zu  halten.  £s  sei  dies  die  Me- 
thode von  Helmholtz  und  Stilling^), 
welche  Letzterer  als  Orthoskopie  bezeichnet. 

Prof.  Hirschberg  nimmt  an,  dass  die 
ferneren  Veränderungen  des  Augenhinter- 
grundes mit  der  Be  1 1  arm  in  o  waschen  Me- 
thode nicht  eruirt  werden  können. 

{Berl  kUn.  WocUniehr.  1888  No.  SO.)  L, 

PapaXn  in  der  Behandlung  der  Diphtherie.    Von 
Dr.  J.  R.Bromwell  (Washington). 

Verf.  hat  in  6  Fällen  von  Diphtherie, 
über  welche  er  ausführlich  berichtet,  sich 
mit  bestem  Erfolge  des  Papains  bedient.  — 
Die  Beobachtungen,  die  er  hierbei  machte, 
fasst  er  in  folgenden  Schlüssen  zusammen : 

Die  Wirkung  des  Medicamentes  beruht 
wesentlich  darauf,  dass  es  die  diphtherischen 
Membranen  in  sicherer  und  ziemlich  vollkomme- 
ner Weise  löst.  Gleichzeitig  besitzt  das  Medi- 
cament  exquisit  antiseptische  Eigenschaften. 
—  Mit  dem  Verschwinden  der  diphtherischen 
Membranen  findet  auch  ein  rascher  Tempe- 
raturabfall stat^,  woraus  man,  nach  Jacobi, 
auf  eine  schnelle  Absorption  und  Elimination 
des  Diphtherie -Giftes  aus  dem  Organismus 
schliessen  kann.  Symptome  secundärer  Blut- 
intoxication  wurden  niemals  beobachtet. 

{Joum.  ofiht  Amtrican  3fedical  Association  29.  Sept.  1888.) 

H.  Lohnstein  (Berlin), 

Zur   Behandlimg    der   Hyperemesis    gravidarum. 
Von  Dr.  Günther  in  Montreux. 

Verf.  hat  in  h  Fällen  sehr  gute  Erfolge 
mit  der  Anwendung  des  constanten  Stromes 
erzielt.  Er  applicirte  die  Anode  in  Form 
eines  Schwammes  in  einer  mit  Gummi  über- 
zogenen Metallhülse  auf  den  Cervix  und  das 
benachbarte  Scheidengewölbe,  die  Kathode 
kam  als  10 :  20  cm  grosse  Platte  auf  die 
Gegend  des  8. — 12.  Rückenwirbels  zu  liegen. 
Die  Ströme  werden  mittelst  Edelmann' sehen 
Galvanometers    und  eines   guten   Rheostaten 

*)  Siehe  Artikel:  Ophthalmoskopie  in  Eulen- 
barg^g  Realencjklopädie. 


ein-  und  ausgeschaltet,  um  ein  zu  rasches 
Entstehen  und  Vergehen  des  Stromes  und 
somit  die  Gefahr  des  Abortes  zu  umgehen. 
Die  Stromstärke  betrug  nie  über  5  Milliam- 
peres, die  Dauer  der  Sitzung  im  Beginn  2  —  3', 
später  7  — 10'. 

Bei  täglicher  Sitzung  war  spätestens  nach 
4  Tagen  das  Erbrechen  vollständig  sistirt. 

(CentralblaU  für  Gynäkologie,  XII,  29. 1888.) 

Sckmey  {Beutken  O.-S.). 

Die  Befestigung  von  Wundtampons  durch  Haut- 
faltennähte.   Von  Prof.  Madelung. 

In  Fällen,  in  denen  eine  unverrückbare 
Befestigung  des  Tampons  erwünscht  erscheint, 
empfiehlt  Verf.,  zu  beiden  Seiten  der  Wund- 
spalte möglichst  grosse  Hautfalten  empor- 
zuziehen und  dieselben  mittelst  einiger  Su- 
turen  zu  verbinden.  Es  werden  dadurch 
oft  die  leicht  sehr  quälenden  circulären 
Bindeneinwickelungen,  z.  B.  des  Leibes,  über- 
flüssig, und  besonders  nützlich  erweist  sich 
das  Verfahren  bei  Wunden  in  der  Nähe  des 
Afters  und  der  Geschlechtstheile,  wo  ein 
festes  Anliegen  der  Verbandstücke  stets 
schwer  zu  erreichen  ist. 

(CentralblaU  für  Chirurgie  1888.  No.  iß.) 

hVeyer  [SUttin). 

i)  Echinococcus  der  Niere.  Nephrectomie.  Hei- 
lung, a)  Ein  Fall  von  Oesophagostomie 
wegen  Speiseröhrenkrebs.  Heilung.  Von  Dr. 
A.  Knie  in  Moskau. 

Da  in  der  Litteratur  erst  5  Fälle  von 
Exstirpation  der  ganzen  Niere  behufs  Ent- 
fernung von  Echinococcen  bekannt  sind,  fügt 
Verf.  einen  sechsten  Fall  aus  eigener  Praxis 
hinzu.  Er  hält  die  Totalexstirpation  nur 
dann  für  gestattet,  wenn  der  Echinococcus- 
sack  nur  noch  einen  kleinen  Rest  von  der 
Niere  übrig  gelassen  hat,  nicht  aber,  wenn 
etwa  noch  eine  halbe  Niere  vorhanden  ist. 
In  letzterem  Falle  würden  Incision  des 
Sackes  und  Drainage  geboten  sein. 

In  Fällen  von  Krebs  im  oberen  Drittel 
der  Speiseröhre  plädirt  Verf.  für  die  Oeso- 
phagostomie und  bringt  zur  Befürwortung 
dieser  anscheinend  stiefmütterlich  behandelten 
Operation  einen  günstig  verlaufenen  Fall 
aus  eigener  Praxis. 

{St.  Peterb,  med.  Wochenschr.  1888  No.  37.) 

Freyer  {Stettin), 

Die  antiseptische  Wirksamkeit  des  Quecksilber- 
oxy  Cyanid. 

Wie  neuere  in  den  Comptes.  rend.  d.  Soc. 
d.  Biol.  und  im  American  Journal  of  the 
medical  Sciences  Sept.  1888  veröffentlichte 
Untersuchungen  ergeben  haben,  besitzt  das 
Quecksilberoxycyanid  vor  dem   Sublimat  ev- 

5 


34 


Rafarmta. 


TTherapeatiiche 
L  Monatshefte. 


hebliche  Vorzüge :  1.  Seine  wässerige  Lösung, 
die  alkalisch  reagirt,  fällt  Albumin  nur  in 
geringem  Maasse.  2.  Es  ist  viel  weniger 
reizend  als  Sublimat.  3.  Von  den  Schleim- 
häuten wird  es  weit  weniger  resorbirt  als 
jenes.  4.  Eine  Lösung  von  einer  Concen- 
tration  1  :  1500  greift  metallene  Instrumente 
niemals  an.  5.  Die  germicide  Wirkung  des 
Quecksilberoxycyanids  ist  im  Vergleich  zu 
der  des  Sublimats  nur  unbedeutend  schwächer, 
dagegen  liefert  es  in  der  Wundbehandlung 
bedeutend  bessere  Resultate,  als  das  Queck- 
silberbichlorid ,  da  es  die  Gewebe  nicht  so 
angreift  und  fast  gar  nicht  von  den  Lymph- 
bahnen resorbirt  wird.  —  Aehnliche  Vorzüge 
wie  das  Oxycyanid  besitzt  auch  das  Cyanid 
des  Quecksilbers;  nur  wirkt  es  bei  Weitem 
nicht  so  intensiv  den  Eiterkokken  gegenüber. 
( The  Journal  qf  the  American  Aledical  Assoc.  29.  Sept. 
1888.) 

H.  Lohnstein  {Berlin). 

Die  Allgemeinbehandlung  der  puerperalen  Sepsis. 

Von  Prof.  Max  Runge  (Göttingen). 

Verfasser  giebt  in  dieser  vierten  Mitthei- 
lung über  sein  Heilverfahren  bei  Puerperal- 
fieber, das  bekanntlich  in  der  Darreichung 
von  möglichst  grossen  Gaben  von  Alkohol 
(lO^/a  Flaschen  Portwein  und  Madeira  und 
ca.  2  Liter  Gognac  innerhalb  8  Tagen  in 
einem  Falle  bei  einer  Dame,  die  früher  nie 
Wein  genossen)  in  der  Darreichung  von 
lauen  Bädern  (22— 24«  R.  5—10  Minuten 
lang)  mit  vorangehender  und  nachfolgender 
Alkoholgabe,  in  der  Zufuhr  von  reichlicher 
Nahrung  und  in  der  Vermeidung  jedes  anti- 
pyretischen Medicaments  besteht,  eine  Zu- 
sammenstellung der  hiernach  von  ihm  be- 
handelten 20  Fälle,  von  denen  15  geheilt 
wurden.  Jeden  Zwang  bei  der  Darreichung 
der  Bäder  will  R.  vermieden  wissen  (er  führt 
auf  solchen  einen  Todesfall  zurück),  glaubt 
aber,  dass  das  erste  Bad  oft  schon  einen 
so  günstigen  Einfluss  auf  Respiration  und 
Girculation,  Sensorium  und  Esslust  ausübt, 
dass  die  Kranke  schon  von  selbst  oft  nach 
der  Fortsetzung  der  Bäderbehandlung  ver- 
langt. Vorsicht  beim  Auskleiden  der  Kranken, 
beim  Hineinsetzen  in  das  Bad  und  Heraus- 
nehmen aus  demselben  ist  selbstverständlich 
zur  Vermeidung  von  Collapsanfällen  geboten; 
letztere  müssten  ev.  durch  subcutane  Dar- 
reichung von  Aether  und  Campher  bekämpft 
werden.  Nur  bei  unstillbarem  Erbrechen 
hat  Verf.  keinen  Erfolg  von  dieser  allge- 
meinen, „die  Widerstandsfähigkeit  des  Orga- 
nismus gegen  das  septische  Gift  in  geradezu 
imponrrender  Weise  erhöhenden"  Behandlung 
gesehen,  neben  welcher  er  natürlich  auch 
die  locale,  die  Krankheit  selbst  angreifende 


Behandlung  (Uterusirrigationen,  Eisblase) 
übt.  Von  den  5  Todesfilllen  waren  4  Fälle 
mit  unstillbarem  Erbrechen  complicirt,  einer 
mit  Meningitis. 

{Archiv  für  Gynaekologie^  33-  Band  Heft  1.) 

Landsberg  {Stettin). 

Die   intrauterine   Chlorzinkätzung.     Dr.  Rh  ein - 

Städter  (Köln). 

Veranlasst  durch  eine  Debatte  in  der 
Berliner  gynaekologischen  Gesellschaft,  in 
welcher  jenes  Verfahren  gegen  chronischen 
Gebärmutterkatarrh  von  Dr.  Bröse  empfohlen 
worden  war,  ergreift  Rh.,  der  dasselbe  zuerst 
geübt  hat,  noch  einmal  das  Wort,  um  zu 
constatiren,  dass  er  in  10  Jahre  langer 
Anwendung  desselben  nie  eine  Stenose  oder 
Haematometra  gesehen  habe  bei  praeter 
propter  11  640  Aetzungen  bei  970  Kranken. 
Das  Verfahren  besteht  in  einer  wöchentlich 
ein-  bis  zweimal  vorzunehmenden  Einführung 
einer  mit  Watte  umhüllten  und  in  Zinc. 
chlorat.  Aqu.  dest.  aa  getauchten  Aluminium- 
ätzsonde in  das  erkrankte  Uteruscavum, 
Ausdrücken  während  1  —  2  Minuten,  Stiche- 
lung  der  Portio  und  Aetzuug  mit  der  Chlor- 
zinklösung und  Einlegung  eines  Glycerin- 
tampons  (vergl.  Rh.  Praktische  Grund züge 
der  Gynaekologie  1886,  p.  47  —  54).  In 
ganz  vereinzelten  Fällen,  wo  die  Portio  mit 
Ovula  Nabothi  besetzt  war,  hat  Rh.  am 
Schluss  der  Behandlung  noch  die  Aus- 
kratzung der  Cervix  in  der  Portio  vorge- 
nommen. Mit  dieser  Methode  will  Rh.  alle 
Patientinnen  ohne  jeden  Nachtheil  für  die 
Dauer  in  einem  Zeitraum  von  7  — 12  Wochen 
incl.  der  Periodenwoche,  in  der  nichts  ge- 
schieht, geheilt  und  eine  spätere  Aetzcur 
nie  mehr  nöthig  gehabt  haben;  in  vier 
Fällen  sah  er  sogar  kurz  darauf  Conception 
eintreten,  ein  Beweis,  dass  die  Methode 
Sterilität  nicht  verursacht. 

{Centralblf.  Gynaek.  No.  34.  1888.)  Landsherg  {Stettin). 

Ueber  Chlorzinkätzung  bei  sog.  inoperablem 
Uteniscarcinom  und  bei  chronischer  Endo- 
metritis.   Von  Dr.  E.  Fränkel  (Breslau). 

Frank  el  hat  bald  nach  der  Veröffent- 
lichung Rheinstädter ^s  in  seinen  Grundz. 
d.  Gyn.  anstatt  der  bisher  geübten  Abra- 
sion und  Jodinjection  bei  Endometritis  die 
Ghlorzinkätzung  intrauterin  vorgenommen  und 
bei  mehr  als  100  ambulant  behandelten  Fällen, 
insbesondere  bei  gonorrhoischer  Erkrankung 
des  Endometriums  ausserordentlich  günstige 
Resultate  danach  gesehen.  Gonception  beob- 
achtete er  wiederholt;  jedoch  auch  eine 
Stenose,  wenn  auch  in  einem  Falle,  wo  wegen 
weitausgedehnter  papillärer  Erosion  die  Portio 
wiederholt    intensiv    mit    der   öOprocentigen 


in.  Jahrgrang.l 
Januar  1889.  J 


Referate. 


35 


Losung  bepinselt  worden  war.     Die  Stenose 
Hess    sich    durch    Bougiren    leicht    endgiltig 
beseitigen;   die  Kranke  blieb  von  ihrer  hart- 
näckigen Leukorrhoe  dauernd  befreit.    Irgend 
eine  Gefahr  dieser  Aetzungen  wird  demnach 
auch    von    ihm    geleugnet.     Ferner   hat   Fr. 
die  Aetzung  mit  Chlorzink  (seit  der  Empfeh- 
lung   von   Marion    Sims    1879)    bei    mehr 
als    50  inoperablen   Uterus-    und    Scheiden- 
carcinomen  mit  ausserordentlich  befriedigen- 
dem Resultat  angewandt.     Nachdem  das  er- 
krankte   Gewebe    mit    dem    scharfen    Löffel 
resp.   Messer    entfernt   ist,    verkohlt   er   die 
Wundfläche    durch    tiefes,    energisches   Ein- 
wirkenlassen   des   Paquelin,    desinficirt   die- 
selbe durch  Ausspülung,   bestreut  die  Wund- 
hohle   mit    Jodoform    und     sto2>ft    sie    mit 
Billroth'scher      Tanninjodoformgaze      aus. 
Nach  vollkommener  Abstossung   des  Brand- 
schorfes  und   nach  Entfernung   und  Verkoh- 
lung    etwaiger    noch    verdächtiger    Stellen, 
wird  zur  Ghlorzinkätzung  (2  :  3)  geschritten, 
die     nach     12  —  24     Stunden     einen    festen 
Schorf    setzt,     durch    Einlegen    gut    ausge- 
drückter   Chlorzinktampons.      Nachdem    der 
Aetzschorf  sich,  bei  geduldigem  Warten  ohne 
grossere  Blutung    abgestossen   hat,    besteht 
die    Nachbehandlung    der    zu     rascher    und 
fester   Vernarbung  neigenden  Wundfläche  in 
losem    Jodoformgazeverband  und,    wenn   der 
Wundtrichter  mit  Granulation  ausgefüllt  ist, 
Eingiessen  von  rohem  Holzessig.     Auf  diese 
Weise  hat  Fränkel  6  Fälle  radical  geheilt, 
der  älteste  davon  ist  seit  7  Jahren  recidiv- 
frei,   bei  anderen   die  Blutung  und  Jauchung 
erfolgreich    bekämpft.     Natürlich    gilt    diese 
Behandlungsweise  nur  für   inoperable  Fälle; 
wo  operirt  werden  kann,  führt  auch  Fr.  die 
Exstirpation  aus. 

{Centralblf.  Gynatkol  No.  37. 18S8.)  Landsbery  {Stettin). 

Die  intrauterine  Chlorzinkfttzung.  Von  Dr.  ßröse. 

B.  wendet  die  Rhein städter'sche  Me- 
thode seit  2  Jahren  bei  jedem  uterinen  Fluor 
an  und  bestätigt  die  günstigen  Resultate, 
die  jeuer  hiermit  gehabt  hat.  Er  giebt  die 
Methode  genau  nach  Rh.  an,  wendet  sie  aber 
auch  im  Gegensatz  zu  diesem  bei  frischer 
gonorrhoischen  Infection  an ,  sich  stützend 
auf  die  Untersuchungen  von  Bunna,  dass 
der  primäre  Sitz  der  Krankheit  in  der  Cervix 
und  im  Uterus  (neben  der  Urethra)  ist  und 
Vaginitis  erst  secundär  eintritt.  Stenosen  hat 
er  ebensowenig  wie  Rh.  danach  gesehen,  und 
ebenso  wie  dieser  wiederholt  Conception  kurz 
nach  der  Beendigung  der  Aetzkur  beobachtet. 
Besonders  aufmerksam  macht  B.  auf  die 
während  der  Behandlung  sich  verstärkenden 
menstruellen  Blutungen  (eine  Beobachtung, 
die  Referent  auch  wiederholt  zu  machen  Ge- 


legenheit hatte)  und  empfiehlt  deshalb  von 
Anfang  an  Hydrastis  zu  geben.  (Rhein- 
städter lässt  täglich  0,4  Ergotin  im 
Klysma  darreichen,  wovon  Ref.  auch  ausser- 
ordentlich guten  Erfolg  sah. 

'V     Ergotin  dialys.  spiss.         10,0 
Aquae  dest.  70,0 

Glycerin  20,0 

Acid.  salicyl.  0,2. 

D.  S.  einen  Thee'loffel  mit  3  Essloffeln 
lauwarmen  Wassers  täglich  nach  der  Stuhl- 
entleerung in  den  Mastdarm  zu  spritzen.) 
Brose  wandte  femer  die  intrauterinen  Chlor- 
zinkätzungen mit  Erfolg  bei  puerperaler  Sub- 
involution  des  Uterus  und  an  Stelle  der 
Jodtinctureinspritzung  nach  der  Auskratzung 
des  Uterus  bei  Endometritis  fungosa  an.  Der 
contrahirenden  Wirkung  der  Chlorzinkätzung 
endlich  schreibt  er  die  Volumenabnahme  bei 
Metritis  zu. 

(Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  42.  1888.) 

Landsberg  (StetitH). 

Zur  Behandlung  der  atonischen  Post-partum-Blu- 
tungen  mittelst  Tamponade  der  Uterushöhle. 

Von  Chazan  (Grodno). 

Verfasser  sah  sich  in  3  Fällen  von  Nach- 
blutungen zur  Anwendung  der  Tamponade 
genöthigt,  da  andere  Mittel,  der  Blutung 
Herr  zu  werden,  ohne  Erfolg  blieben  und 
zwar  legte  er  das  erste  Mal  reine,  nicht 
desinficirte  Leinwand,  in  den  beiden  anderen 
Fällen  in  2procentige  Carbolsäure  getauchte 
und  ausgedrückte  Wattetampons  in  die 
Uterushöhle  ein.  Alle  3  Fälle  verliefen 
günstig  ohne  grossere  Puerperal  erkrank  ung, 
nur  im  2.  Falle  stieg  die  Temperatur  am 
Abend  des  3.  Tages  auf  38,4,  der  Puls  auf 
120.  Chazan  bestätigt  dadurch  den  Aus- 
spruch Dührssen^s  „keine  Frau  dürfe  mehr 
an  Verblutung  (post  partum)  zu  Grunde 
gehen",  da  das  Bewusstsein,  in  der  Tampo- 
nade ein  sicheres  Ultimum  refugium  zu  haben, 
dem  Arzt  Ruhe  und  Sicherheit  erhält.  Er 
führt  aber  den  Erfolg  nicht  auf  das  ange- 
wandte Jodoform  (Dührssen)  oder  Carbol 
zurück,  sondern  auf  die  pro phy laotische  Anti- 
sepsis, das  Freisein  der  Hände  von  jedem 
infectiosen  Stoff  und  warnt  darum  vor  der 
Tamponade  dort,  wo  die  prophyl actische 
Antisepsis  nicht  mit  voller  Exactheit  beob- 
achtet werden  kann. 

(Ctntralbl.  f.  Gt/naekol  No.  36.  1888.) 

Landsberg  (Stettin), 

Die  Behandlung  der  Leukorrhoe  durch  Borsäure. 
Von  Harriet  C.  B.  Alexander  (Chicago). 

Das  von  Schwartz  (St.  Louis)  zuerst 
angegebene  Verfahren,  hartnäckige  Leukorrhoe 
ohne    tiefere   Ursache   (Endometritis,    Carci- 

0- 


36 


Referate. 


rlier&peulUche 
Monatehefte. 


nom  etc.)  durch  Borsäure  in  Pulverform  zu 
behandeln ,  hat  sich  dem  Verf.  gleichfalls 
in  mehreren  Fällen,  die  bis  dahin  jeder  Be- 
handlung trotzten^  aufs  glänzendste  bewährt. 
—  Das  Verfahren  besteht  bekanntlich  darin, 
dass  man  zunächst  mittelst  heisser  Wasser- 
imgationen,  so  heiss  wie  sie  die  Patientin- 
nen leiden  mögen,  die  Scheide  möglichst  er- 
giebig ausspült,  hierauf  im  Speculum  erst 
das  vordere,  dann  das  hintere  Scheiden- 
gewölbe sorgfältig  abtrocknet  und  nunmehr 
die  ganze  Portio,  sowie  beide  Forniccs  mit 
pulverisirter  Borsäure  einpudert.  —  Nach 
Me^er  kann  man  den  Effect  wesentlich  ver- 
stärken, wenn  man  statt  des  Pulvers  Bor- 
säurekrystalle  verwendet,  die  durch  Watte- 
tampons, mit  denen  die  Scheide  vollgestopft 
wird,  möglichst  in  loco  gehalten  werden. 
In  den  vom  Verf.  mitgetheilten  Fällen  waren 
niemals  mehr  als  4  Applicationen  nöthig, 
um  die  Leukorrhoe  gänzlich  zum  Verschwin- 
den zu  bringen.  Ausserdem  konnte  man 
in  allen  Fällen  ein  Festerwerden  der  auf- 
gelockerten Portio  vaginalis,  sowie  der 
Schleimhaut  des  Endometrium  constatiren. 
Wie  lange  freilich  die  Heilung  angehalten 
hat,  darüber  fehlt  dem  Verf.  noch  jede  Er- 
fahrung, da  erst  ein  zu  geringer  Zeitraum 
seit  der  Beendigung  der  Behandlung  ver- 
flossen ist. 

{Medieal  Standard,  May  1888.) 

ff.  Lohnstein  {Berlin), 

lieber  Jodoform-Dermatitis  und  Aber  die  Anwen- 
dung des  Cocain  bei  einigen  Dermatitiden. 
Von  Dr.  Josef  Gejer  in  Budapest. 

Gegen  die  Jodoform-Dermatitis  wurde 
bisher  zumeist  eine  solche  Behandlung  em- 
pfohlen, welche  längere  Zeit  in  Anspruch 
nimmt.  Krevet  gelang  es,  eine  an  seinen 
Händen  aufgetretene  derartige  Dermatitis 
durch  locale  hcisse  Momentbäder  nach  eini- 
gen Stunden  zu  heilen.  Verf.  kam  in  die 
Lage,  einen  eigenthümlichen  Fall  von  Jodo- 
form-Dermatitis zu  beobachten,  den  er  zum 
Gegenstande  eingehender  Untersuchungen 
macht.  Ein  kräftiger  junger  Mensch  wurde 
von  ihm  wegen  eines  weichen  Schankers  mit 
Einstäubungen  von  Jodoformpulver  behandelt. 
Die  Heilung  der  Geschwürs  fläche  wurde  da- 
durch günstig  beeinflusst;  in  der  Umgebung 
derselben  entwickelte  sich  eine  Dermatitis, 
die  mit  Bläschenbildung  einherging.  Kopf- 
schmerz, Fieber,  Schnupfen  oder  andere  Sym- 
ptome traten  nicht  auf.  Im  Harne  war  Jod 
enthalten;  in  dem  Bläscheninhalt  konnte 
weder  Jod  noch  eine  andere  Jod  Verbindung 
gefunden  werden.  Nach  der  Heilung  des 
Patienten  begann  Verf.  jetzt  seine  Ver- 
suche.    Nach  Application  des  Jodoform  trat 


stets  die  Dermatitis  auf.  (Bei  Fürst  traten 
ähnliche  Erscheinungen  schon  in  der  Jodo- 
form-Atmosphäre ein,  Ref.)  Blieb  das 
Jodoform  länger  als  eine  halbe  Minute  auf 
der  Haut,  so  trat  die  Hautentzündung  be- 
stimmt auf,  nur  wenn  das  Mittel  kürzere 
Zeit  mit  der  Haut  in  Berührung  blieb,  zeigte 
sich  keine  oder  nur  eine  schwache  Reaction. 
Manchmal  trat  die  Dermatitis  auf  anderen 
Stellen  auf,  als  denjenigen,  aufweiche  das  Jodo- 
form gebracht  wurde.  Mit  der  Zeit  wurde  die 
Empfindlichkeit  der  Haut  gegen  das  besagte 
Mittel  eine  grössere.  Die  oben  erwähnten 
Erscheinungen  traten  bei  localer  Anwendung 
von  Jodtinctur,  Jodkali  u.  Jodol  ebenfalls 
ein.  Bezüglich  des  Jodols  glaubt  Verf.,  dass 
eine  Jodol -Dermatitis  noch  nicht  beobachtet 
wurde.  Trotzdem  dass  Geyer  bei  seinem  Pa- 
tienten, wie  oben  erwähnt,  schon  nach  einer 
halben  Minute  eine  Jodoform-Dermatitis  pro- 
duciren  konnte,  schliesst  er  sich  der  Ansicht 
Erevet^s  an,  dass  eine  Hautentzündung  in 
Folge  des  Ejratzens  auftrete  1  Auf  die  Haut 
gebracht  verursache  das  Jodoform  ein  Jucken 
und  eine  geringe  Entzündung.  Diese  werde 
durch  das  Kratzen  gesteigert.  Man  kann 
daher  nur  von  einem  solchen  Mittel  etwas 
erwarten,  welches  das  Jucken  beseitigen 
könne.  Als  solches  Mittel  bewährte  sich  das 
Cocain.  Es  wurde  die  betreffende  Stelle  mit 
einer  10 — 15  %  starken  Lösung  eingepinselt, 
worauf  die  „Kratzdermatitis"  nicht  auftrat. 
Wurde  mit  der  Einpin  seiung  zu  lange  ge- 
säumt, so  wurde  die  Dermatitis  nicht  beein- 
trächtigt, nur  das  Jucken  verschwand.  — 
Verf.  kann  von  einer  gleich  vorzüglichen 
Wirkung  des  Cocain  gegen  die  Phenylhy- 
draz  in -Dermatitis  berichten,  welche  er 
an  sich  erprobte.  Die  erwähnten  Einpinse- 
lungen  bewährten  sich  bei  Urticaria  und  auch 
bei  Mückenstichen. 

{Orvos-Het  Szemh  1888  No.  27.) 

Schuachny  (Budapest). 

Salz  in  der  Hygiene  der  Haut  und  der  Therapie 
der      Hautkrankheiten.      Von    Dr.   Piffard 

(New- York). 

Hautaffectionen,  die  günstig  durch  syste- 
matischen Gebrauch  von  Seebädern  beein- 
flusst werden,  sind  chronische  Ekzeme,  indo- 
lente Psoriasis,  Sommerausschläge,  w^ie  Furun- 
culosis  und  pruriginöse  Affectionen,  ferner 
scrophulöse  Hautleiden.  Die  Wirkung  5  °/o 
Soole  als  reinigend  und  desodorirend  für  die 
Haut  hat  Verf.  sehr  zu  schätzen  gelernt. 
Er  machte  nun  Versuche  mit  Bädern,  denen 
nicht  Seesalz,  sondern  weisses  Salz  zugesetzt 
war,  und  zwar  in  5,  10,  20  und  25procen- 
tiger  Concentration.  Zwischen  den  ersten 
beiden  war  in  der  Wirkung  nur  ein  geringer 


ni.  Jabrgang.l 
Januar  1889.  J 


Referate. 


37 


Unterschied;  das  Gefühl  im  Bade  ist  behag- 
lich und  angenehm.  Bei  den  stärkeren  Bädern 
ist  die  Tragfähigkeit  des  Wassers  stark  erhöht, 
ein  Fünftel  des  Korpers  bleibt  über  der 
Wasseroberfläche.  Die  Schleimhäute  werden 
nur  wenig  gereizt.  Auf  der  Haut  bleiben 
nur  einige  Wassertropfen  zurück,  alles  andere 
Wasser  fliesst  ab.  Man  streicht,  um  sich 
ganz  zu  trocknen,  nur  mit  der  Hand  jene 
Tropfen  ab  und  kann  sich  sofort  ankleiden. 
Schwächere  Bäder  (5°/o)  erwiesen  sich  als 
günstig  bei  oben  genannten  Affectionen.  Das 
Wasser  sei  so  warm  als  erträglich,  die  Dauer 
des  Bades  15  bis  20  Minuten.  20  bis  30 
solcher  Bäder  sind  zu  nehmen.  Bei  See- 
bädern sei  das  Wasser  yerhältnissmässig  warm, 
der  Aufenthalt  im  Wasser  nicht  zu  lang. 
Nach  dem  Bade  Frottiren  und  schnell  An- 
kleiden. Sollen  die  Bäder  guten  Erfolg 
haben,  so  sind  sie  Monate  lang  fortzusetzen. 
Da  aber  nicht  so  lange  in  der  See  gebadet 
werden  kann,  so  sind  diese  Salzbäder  anzu- 
wenden. Auf  eine  Badewanne  mit  Wasser 
nehme  man  5  Pfund  weisses  Salz.  BäÜer 
mit  Seesalz  sind  nicht  so  zu  empfehlen; 
auch  sie  erzeugen,  wie  die  Seebäder,  ein 
unangenehmes  klebriges  Gefühl  auf  der  Haut. 
{MonaUh.  f.  pract.  Dermal.  1888.  No.  5.  S.  223.) 

George  Meyer  {BerKn). 

Beiträge  zur  Lehre   von   den  Arzneiexanthemen. 
Von  Dr.  Lese  er  (Leipzig). 

Bei  einem  jungen  Mediciner  mit  syphi- 
litischer Initialsclerose  an  der  Unterlippe 
wurde,  da  derselbe  angab,  eine  Idiosynkrasie 
gegen  Quecksilber  zu  besitzen,  weil  er  schon 
nach  Waschung  der  Hände  mit  Va°/oo  Subli- 
matlosuDg  Dermatitis  bekommen,  eine  Calo- 
melolemulsion  (l  :  10)  in  die  Nates  injicirt. 
Da  die  Spritze  sich  verstopfte,  wurde  nur 
etwa  0,06  Galomel  eingespritzt.  11  Stun- 
den nach  der  Injection  scharlachartige  Rö- 
thung  der  Haut  des  ganzen  Körpers  am 
Halse  beginnend,  in  der  Nacht  starkes 
Jucken.  Das  Erythem  blasste  langsam  ab 
unter  starker  Abschuppung  der  Haut.  Es 
wurde  dann  erst  täglich  eine,  dann  steigend 
bis  4  Stück  Pillen  von  Hydr.  tannic.  (ä  0,05) 
eingenommen,  wonach  sich  etwas  Durchfall 
einstellte,  der  dann  wieder  aufhörte.  An 
den  Nägeln  war  nach  Verabreichung  der 
dritten  Pille  dicht  am  Nagelbett  eine  Quer- 
farche  entstanden,  wie  sie  der  Fat.  bei  den 
früheren  Sublimatdermatiden  beobachtet  hatte. 
Fat.  entzog  sich  dann  der  Beobachtung. 
Nach  subcutaner  Einführung  des  Hg.  war 
also  hier  ein  universelles  Erythem  aufge- 
treten. Die  Quecksilber-Exantheme  kommen 
durch  locale  Reizung  der  Haut,  interne 
Wirkung,  oder  durch  eine  Combination  bei- 


der zu  Stande,  sie  entstehen  durch  Störungen 
der  vasomotorischen  Nerven  wahrscheinlich  der 
Centralorgane  durch  das  im  Blut  circulirende 
Medicament.  Hypothetisch  bemerkt  L.,  dass 
diese  Wirkung  auf  die  Gesässnerven  auch 
local,  durch  directe  Application  des  Mittels 
sich  entfalten  kann.  Er  versuchte,  die  Frage 
an  einem  Falle  von  Jod-Erythem  zu  ent- 
scheiden. Bei  einer  54jährigen  Frau  mit 
alter  Lues  trat  nach  Einnahme  von  Kai. 
jodat.  und  Natr.  jodat.,  bei  letzterem 
schwächer,  ein  Erythema  nodosum  am  Kör- 
per auf,  welches  nach  Aussetzen  des  Jods 
sofort  verschwand.  Nach  Injection  von  Kai. 
jod.  (0,2  : 1,0)  in  den  Rücken,  keine  Reac- 
tion;  am  Arm  entsteht  14  Tage  nach  der 
analogen  Einspritzung  ein  kirschgrosser  Kno- 
ten, der  vielleicht  ein  syphilitisches  Infiltrat 
darstellte,  da  er  nach  hydropathischen  Um- 
schlägen und  Einnahme  von  Hg-Pillen  sich 
sehr  verkleinerte.  Letzteres  Resultat  war 
also  für  die  Beantwortung  der  Frage  negativ. 
Für  die  Quecksilbererytheme  ist  aber  wohl 
bewiesen,  dass  sie  durch  centrale  wie  locale 
Einwirkung  entstehen  können. 

{Deutsche  med.  Wochenschr.  1888,  No.  /4,  S.  284.) 

George  Meyer  {Berlin). 

lieber   die    neuere  Therapie    des   Ekzems.     Von 

Dr.  Veiel  (Cannstatt). 

In  der  Therapie  des  Ekzems  ist  das 
acute  und  chronische  zu  unterscheiden.  Bei 
ersterem  ist  eine  innere  Behandlung  nicht 
indicirt.  Beim  chronischen,  weit  verbreiteten 
Ekzem  ist  Arsenik  mit  gleichzeitiger  äusserer 
Behandlung  zu  gebrauchen.  Bei  vorhandener 
Chlorose  reicht  man  eine  Stunde  vor  der 
Mahlzeit  Eisen,  eine  Stunde  nach  derselben 
Arsen.  Die  Therapie  des  scrophulösen  Ek- 
zems der  Kinder  wird  wirksam  durch  Leber- 
thran  unterstützt,  dabei  Regelung  der  Diät. 
Gegen  das  Jucken  innerlich  Chloral  und 
Kai.  bromatum.  Ferner  ist  das  Stadium 
der  Affection  von  Wichtigkeit.  Beim  acuten 
Ekzem  sind  alle  Reizmittel  zu  meiden.  Wo, 
wie  bei  Kindern,  Bäder  nicht  ganz  zu  um- 
gehen sind,  füge  man  diesen  ein  schleimiges 
Vehikel  hinzu.  Alle  Seifen  sind  zu  vermei- 
den. Zur  Milderung  des  Brennens  und  Juckens 
bei  acutem,  noch  nicht  nässendem  Ekzem 
empfiehlt  sich  der  Unna' sehe  Zinkleim: 
*V     Zinc.  oxyd. 

Gelatin.  aa      15,0 

Glycerin.         25,0 

Aq.  dest.  45,0 
(Im  Wasserbade  zu  erwärmen  und  mit 
Borstenpinsel  aufzutragen).  Nach  mehreren 
Tagen  wird  er  lauwarm  abgewaschen.  Bei 
nässendem  Ekzem  werden  die  betreffenden 
Stellen  täglich  ein  Mal  gewaschen,  und  dann 


38 


Referate. 


TTherapeatltche 
L  Monatsheft«. 


der  Leim  wieder  aufgetragen.  Erweist  sich 
dies  als  nutzlos,  so  verwendet  V.  Stärke- 
meblkissen,  die  kühl  erhalten  und  oft  ge- 
wechselt werden.  Wird  bei  universellem  Ek- 
zem der  Leim  nicht  vertragen,  so  pudere 
man  mit  Amylum,  dem  bei  starkem  Jucken 
2  Proc.  Gampher  beigemischt  ist.  Hilft  dieses 
gegen  das  Jucken  nicht,  so  wasche  man  mit 
Borax  oder  essigsaurer  Thonerde   mit  etwas 

Glycerin. 

Liq.  Alum.  acet.      10,0, 

Aq.  dost.  100,0, 

Borac.  3,5, 

Acid.  salicyl.  0,3, 

Aq.  dest.  170,0, 

Glycerini  30,0. 

Gegen  ausgedehnte  stark  nässende  Ek- 
zeme kommen  Salben muUe  und  Pasten  zur 
Anwendung.  Ist  der  Ausschlag  abgetrocknet 
und  schuppend  5  Proc.  Tanninsalbe.  Beim 
chronischen  Ekzem  werden  zuerst  die  Krusten 
und  Schuppen  mit  Schmierseife,  Bädern  oder 
Oelen  gelöst.  Die  Abheilung  der  nässenden 
Stellen  geschieht  dann  wie  vorher.  Sehr 
dienlich  ist  dabei  ein  Zusatz  von  1  bis  2  Proc. 
Ichthyol.  Schuppt  das  Ekzem  dann  noch, 
so  ist  die  Lassar' sehe  Paste  indicirt  oder 
der  Theer  in  Spiritusform 

Pic.  liquid.    1,0 
Spirit.  3,0, 

oder  mit  einer  der  oben  erwähnten  Salben 
zu  1  bis  2  Proc.  Die  Anwendung  letzterer 
ist  an  den  Stellen  der  Bart-  und  Schamhaare 
contraindicirt,  da  sie  hier  leicht  sycosisartige 
Entzündungen  hervorruft.  "Weicht  das  Ekzem 
auch  dem  Theer  nicht,  so  ist  die  Pyrogallus- 
säure  und  Chrysarobin  (Salbe  von  2  bis  lOProc.) 
zuweilen  von  Erfolg  begleitet. 

{Med.  Corr.'Blatt  d.  Württ.  ärtil.  Landesver.  August- 
heft.)  George  Meyer  {Berlin). 


Das  Ekzem  am  Naseneingang.    Von  Dr.  Herzog 
(Graz). 

Die  Behandlung  des  Ekzems  am  Nasen- 
eingange ist  nach  H.  folgende.  Zunächst 
Erweichung  und  schonende  Ablösung  der 
Borken,  um  dem  Eiter  Abfluss  zu  verschaffen. 
Darauf  Behandlung  der  zu  Tage  tretenden 
entzündeten  Stellen  mit  gelber  Präcipitatsalbe 
oder  Ungt.  Vaselin.  plumb.,  Vaselin.  pur.  aa, 
welche  mehrmals  täglich  auf  die  erkrankten 
Stellen  gepinselt  werden.  Die  Nase  ist  Nachts 
mit  genau  eingelegten  Wattekügelchen  zu 
verstopfen,  die  schon  nach  etwa  vierzehn 
Tagen  fortgelassen  werden  können.  Neben 
dieser  localen  Behandlung  ist  auf  die  chro- 
nische Rhinitis,  die  Ursache  des  Ekzems, 
das  grösste  Gewicht  zu  legen.  Zum  Schluss 
bespricht  Verf.  noch  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Ekzem    am  Naseneingang   und   Sy- 


kose,  bei  welch'  letzterer  eine  Rhinitis  chro- 
nica nicht  vorhanden  zu  sein  braucht,  son- 
dern meist  fehlt. 

{Arch.  f.  Kindtrheilk.  JX.  Bd.  3.  Heft.  S.  211.) 

George  Meyer  {Berlin). 

Ein    neues    Suspensorium.      Von    Dr.  £.  Stern 
(Mannheim). 

Die  Mängel  der  alten  Suspensorien  haben 
verschiedene  Specialisten  zu  Neuconstruc- 
tionen  veranlasst.  Der  Hauptfehler,  das 
Herabrutschen  des  Leibgurtes,  wird  durch 
dieselben  nicht  beseitigt  und  das  erste  an 
ein  Suspensorium  zu  stellende  Postulat: 
permanente  Suspension  der  Hoden,  nicht 
erfüllt. 

Zur  Erreichung  dieses  Zieles  hat  Verf. 
nun  ein  Suspensorium  construirt,  das  den 
gerügten  Fehler  beseitigen  soll.  An  Stelle 
des  Leibgurtes  setzte  er  einen  Achselträger- 
Theil,  der  nicht  herabrutschen  kann  und 
den  Beutel  in  der  ihm  einmal  gegebenen 
Lage  absolut  fixirt.  Ausserdem  wurden  am 
Beutel  und  seinen  Aufhängebändern  noch 
einige  kleine,  nicht  ganz  unwichtige  Ver- 
änderungen angebracht. 

Dieses    neue    Suspensorium    besteht   aus 
zwei  Theilen. 

I.    Trägertheil.  Achselbänder  (Fig.  1  und 
2,  a)  sind  vorn  und  hinten  im  spitzen  Winkel 


FiR.l. 


Pig.  2. 


fest  vernäht  (Fig.  1  und  2,  i),  wodurch  eine 
Art  Halsband  gebildet  wird,  das  man  be- 
quem mit  dem  Kopfe  passiren  kann.  Die 
Spitzen  dieses  Halsbandes  laufen  in  40  cm 
lange,  vorn  bis  zum  Mous  veneris,  hinten 
bis  zum  Kreuzbein  herab  reichen  de  Riemen 
(Fig.  1  und  2,  c)  aus,  deren  unteres  Ende 
mit  sechs  Haften  (Fig.  1  und  2,  d)  be- 
setzt ist. 

II.    Beuteltheil.      Er   besteht    aus    einem 
Tragbeutel    (Fig.  3,    ^),    der   sich   theil weise 


III.  Jahrgang.") 
Janaar  188D.  J 


Referate. 


39 


Yon  den  bisherigen  nicht  unterscheidet: 
längsovale  Birnform  aus  grauem  BaumwoU- 
tricot,  mit  rundem  Penis-Loch  und  Bund. 
Von  letzterem  nun  gehen  zwei  kurze  vordere 
Bänder  aus,  die  ohne  Ende  zu  einer  Schlinge 
(Fig.  3,  v)  vereinigt  sind.  Das  Gleiche  ist 
bei   den    viel    längeren   hinteren    (Schenkel-) 


Fig.  3. 

Bändern  (Fig.  3,  h)  der  Fall.  Sie  ent- 
springen vom  hinteren  unteren  Ende  des 
Beutels  nicht  spitzwinkelig,  sondern  gehen 
von  den  Seitenrändem  (Fig.  3,  .r)  aus,  so 
dass  sie  direct  in  die  Glutäalfalten  einbiegen 
können.  Zugleich  bildet  das  hintere,  untere 
Ende  des  Beutels  nicht  eine  das  Perineum 
bedeckende  Spitze,  sondern  endet  an  der 
Kadix  scroti  quer  (Fig.  3,  .f)?  wodurch  der 
Damm   vollkommen   frei   bleibt.      Damit    ist 


jeder  Druck  auf  den  Perinealtheil  der  Urethra 
vermieden  und  eine  Beschmutzung  bei  der 
Defäcation  ausgeschlossen.  —  Von  den  Seiten- 
rändern des  Bundes  gehen  zwei  15  cm  lange 
Bänder  (Fig.  1  und  3,  s)  aus,  die  an  ihrem 
Ende  Garabinerhaken  tragen.  In  der  Mitte 
des  Bundes  ist  ein  kurzer  Riemen  (Fig.  1 
und  3,  m)  mit  endständiger  kleiner  Schlinge 
angebracht. 

Der  Trägertheil  ist  aus  grauem,  ela- 
stischem Gurtstoff  gearbeitet.  Für  die 
vom  Beutel  entspringenden  Bänder  wurde 
nicht  der  übliche  schmale  Band  Stoff  benutzt, 
sondern  weisse  runde  Schnur,  wie  man 
sie  an  Rouleaux  hat.  Die  so  hergestellten 
„Bänder"  schmiegen  sich  jeder  Bewegung 
schneiden    nicht    in   die   Haut   ein  und 


an 


bewahren   auch    bei   einer   etwaigen   Achsen- 
drehung ihre  Form. 

Die  Anlegung  des  Suspensoriums  ge- 
schieht in  folgender  Weise:.  Der  (am  besten 
vollständig  entkleidete)  Patient  hängt  sich 
zunächst  den  Trägertheil  um.  Nachdem 
sodann  die  vordere  Bänderschlinge  v  in  eine 
der  vorderen  Haften,  die  hintere  (Schenkel-) 
Schlinge  h  in  eine  der  hinteren  Haften  ein- 
gehakt sind,  werden  die  Schenkelriemen  nach 
vorne  gezogen  und  durch  die  Seitenbänder  8 
vermittelst  der  Carabinerhaken  festgehalten. 
Da  an  den  Tragriemen  sechs  Haften  be- 
findlich sind,  so  kann  durch  Höher-  resp. 
Tieferhängen  der  vorderen  oder  hinteren 
Schlinge  das  Suspensorium  jeder  Grösse 
angepasst  werden.  Das  mittlere  Band  fn 
wird  je  nach  Bedürfniss  in  eine  der  vorderen 
Haften  eingehängt  (Fig.  l)*). 

{llluBtrirt.  Afonafschr,  der  ärztl.  PolyUchn,  188S,) 

')  Das  Suspensorium  ist  nach  Angabe  des 
Vf.'s  von  A.  Werlin  in  Mannheim  Lit.  E.  2.  6.  zum 
Preise  von  3  M.  zu  beziehen. 


Toxikologie, 


(Ans   der  Poliklinik   für   Magon-   und   Darmkrankliclten   von 

Dr.  Ho» 8 -Berlin.) 

Ueber  Coloquinthen- Vergiftung.  Von  Dr.  Jansen, 
Arzt  in  Stettin. 

Wittwe  M.,  44  Jahre  alt,  bisher  stets 
gesund,  ist  am  6.  IX.  88  plötzlich  erkrankt, 
nachdem  sie  den  Tag  über  ca.  25  aus  einer 
Droguerie  gekaufte  Coloquinthenfrüchte  mit 
^/,  Liter  Urin  behufs  Wanzenvertilgung  ge- 
brüht  hatte.      Sie    will    die  unzerkleincrten 


Früchte,  ohne  sie  zu  berühren,  direct  aus 
der  Düte  in  den  Topf  geschüttet  und  dabei 
weder  Staub  bemerkt,  noch  bitteren  Ge- 
schmack empfunden  haben.  Schon  Mittags 
klagte  sie  über  argen  Schwindel,  „wie  wenn 
sie  im  Kohlendunst  gesessen  hätte";  Wider- 
wille gegen  Speisen;  kein  Erbrechen.  Am 
folgenden  Morgen  heftige  Diarrhoen,  die 
sie  ca.  11  Mal  tagsüber  zu  Stuhle  nöthig- 
ten  und  2  Tage  lang  anhielten     Dabei  mäs- 


40 


TozikolOKla. 


rlierapeutisch« 
Mon  atahefte. 


sige  Schmerzen  im  untern  Theile  des  Ab- 
domen, Kopfschmerzen,  viel  Durst,  Appetit- 
losigkeit, Uebelkeit,  Zunge  dick  belegt.  Am 
Abend  etwas  Frost.  Am  3.  Tage  schmerz- 
hafte Anschwellung  des  Halses,  des  Gesich- 
tes, aber  keine  Schluckbeschwerden.  Im 
Pharynx  ärztlicherseits  nichts  gefunden. 
Einige  Tage  später  Anschwellung  und 
Schmerzhaftigkeit  der  Füsse.  Eine  jetzt 
vorgenommene  Urinuntersuchung  ergab  mas- 
sigen Eiweissgehalt.  Oedem  der  Füsse 
hat  14  Tage  bestanden. 

Fat.  will  sehr  abgemagert  sein  und  klagt 
bei  ihrer  Yorstellung  (20.  IX.)  noch  immer 
über  Schwindel  bei  Bewegungen,  Kopf- 
schmerzen, Appetitlosigkeit,  Druck  nach  dem 
Essen,  Aufstossen,  Schwäche  und  Mattigkeit, 
jnässige  Obstipation.  Fat.  zeigt  ziemlich 
guten  Ernährungszustand,  schlaffe  Bauch- 
decken, nirgends  Druckempfindlichkeit,  nir- 
gends Tumor  oder  Resistenz  in  der  Magen- 
gegend. Grosse  Curvatur  einen  Finger  ober- 
halb des  Nabels.  Kein  Plätschergeräusch  in 
der  Magengegend.  Die  übrigen  Organe  ohne 
Besonderheiten.  Urin  frei  von  Eiweiss  und 
Zucker. 

Der  1  —  l^a  St.  nach  der  Einnahme  eines 
Probefrühstückes  (l  Weissbrod,  2  Glas  Was- 
ser) wöchentlich  2  —  3  Mal  entnommene 
Mageninhalt  erwies  sich  durchweg  fast  gar 
nicht  chymificirt,  von  geringer  oder  massiger 
Menge  (bis  150  ccm),  von  schwach  saurer 
Reaction,  ohne  freie  HCl  (Tropaeolin,  Günz- 
burg'sche  und  Resorcinprobe)  (Boas)^).  Ge- 
sammtacidität  5 — 14  %  '/lo  Normalnatron- 
lauge. Kein  Mucin;  kein  Labferment.  Un- 
deutliche oder  schwache  Milchsäurereaction 
mit  Uffelmann'schem  Reagens.  Jodreaction 
nach  15  Min.  im  Speichel.  Salolprobe  er- 
giebt  nach  1  Stunde  im  Harne  Salicylur- 
säurereaction. 

Am  22.  IX.  Ordination  von  Acid.  hydro- 
chlor.  dil.  3  Mal  täglich  10  —  15  gtt.  und 
daneben  Kochsalz  ^/g  TheelSffel  Morgens 
nüchtern.  Im  Verlaufe  dieser  Therapie  zeigt 
der  Mageninhalt  ein  einziges  Mal,  am  9.  X., 
gute  HCl -Reaction,  Gesammtacidität  von 
35%  ^lio^.'L,  Sonst  wie  vorher  stets  Fehlen 
von  HCl. 

Das  plötzliche  Entstehen  und  die  Art 
der  Beschwerden  der  früher  stets  gesunden 
Frau  unmittelbar  im  Anschluss  an  die  Co- 
loquinthenabkochung :  die  Diarrhöen,  Leib- 
schmerzen, Appetitlosigkeit,  Schwindel, 
Oedeme,  Albuminurie  weisen  auf  die  Wir- 
kung eines  aus  den  Coloquinthen  während 
der   beschriebenen    Procedur   aufgenommenen 

*)  Boas,  Ein  neues  Reagens  für  den  Nachweis 
freier  Salzsäure  im  Mageninhalt.  Centralbl.  f.  klin. 
Med.  1888.  No,  45, 


Giftes  hin.  Ob  wir  auch  den  constanten 
HCl- Verlust  hierauf  zurückzuführen  und  an 
eine  acute  toxische  Gastritis  zu  denken 
haben,  oder  ob  Salzsäure  schon  vorher  im 
Mageninhalt  gefehlt  hat,  lässt  sich  kurzer 
Hand  nicht  mit  Bestimmtheit  entscheiden. 
Es  ist  bisher  nicht  bekannt,  dass  Drastica 
eine  Gastritis  mit  dauerndem  Fehlen  von 
HCl  herbeiführen,  wenn  schon  die  Möglich- 
keit bestehen  mag.  Wie  andererseits  die 
Publicatiou  von  Ewald  und  Wolf  (Berl.  klin. 
Wochsch.  No.  30.  1887)  zeigt,  kann  in  selte- 
nen Fällen  bei  anscheinend  ungestörter  Ver- 
dauung und  dem  Gefühle  des  Wohlbefindens 
totaler  Salzsäuremangel  im  Mageninhalt  bei 
erhaltener  motorischer  Kraft  als  eine  Art  vor- 
zeitiger seniler  Atrophie  vorkommen.  Da 
überdies  der  Salzsäureverlust  in  unserem  Falle 
durch  Wochen,  hindurch  constant  geblieben 
ist,  während  im  Uebrigen  die  Beschwerden  der 
Fat.  zurückgingen,  so  könnte  möglicherweise 
der  Magenchemismus  nach  Analogie  der  von 
den  genannten  Autoren  publicirten  Fälle  zu 
erklären  sein. 

Wie  das  fragliche  Gift  in  den  Organis- 
mus eingedrungen  sein  könnte,  erscheint 
zweifelhaft.  Es  könnte  einmal  in  Substanz 
in  den  Magen  aufgenommen  sein.  Bei  der 
leichten  Verstaubbarkeit  der  Früchte  wäre 
dies  ohne  Weiteres  plausibel,  wenn  nicht 
das  in  diesem  Falle  vorauszusetzende  Auf- 
treten eines  bitteren  Geschmackes  in  Abrede 
gestellt  würde.  Es  könnte  sich  ferner  um 
ein  flüchtiges  Gift  handeln,  das  mit  den 
Dämpfen  entweicht  und,  in  die  Blutbahn 
aufgenommen,  die  erwähnten  Intoxications- 
erscheinungen  hervorgerufen  hätte.  Die  bis- 
her dargestellten  wirksamen  Principien  der 
Coloquinthen,  das  Colocynthin,  Colocynthidin, 
sowie  das  Citrullin  sind  allerdings  nicht 
flüchtig. 

Fälle  von  Coloquinthenvergiftung  scheinen 
in  der  neueren  Litteratur  bisher  kaum  ver- 
öffentlicht zu  sein,  was  wohl  mit  der  immer 
mehr  zurücktretenden  Anwendung  der  Colo- 
quinthen als  Drasticum  zusammenhängen 
dürfte.  Dagegen  konnten  wir  in  Erfahrung 
bringen,  dass  in  einer  hiesigen  Apotheke  ein 
Arbeiter,  der  10  Kilo  der  sehr  leicht  stau- 
benden Früchte  entkernt  und  gesiebt  hatte, 
von  schneidenden  Schmerzen  im  Leibe  be- 
fallen wurde,  welche  ca.  10  Tage  andauerten. 
Dabei  bestand  tagelang  anhaltender  intensiv 
bitterer  Geschmack,  Appetitlosigkeit,  aber 
keine  Diarrhoe  oder  Schwindel.  In  diesem 
Falle  bietet  das  Verständniss  der  Intoxi- 
cation  bei  der  reichlichen  Staubentwicklung 
und  der  grossen  Menge  des  verarbeiteten 
Materiales  keine  Schwierigkeit.  Von  Linne 
stammt  übrigens  schon  der  Ausspruch:  Colo- 


III.  Jahrgaug.l 
JanuAr  1889.  J 


Toxikologie. 


41 


cynthis   deterrime    olens   solo    odore    pur- 
gans  et  vomitoria  est. 

Beide  Fälle  müssen  zur  Vorsicht  mahnen. 
Der  Verkauf  einer  so  differenten  Substanz 
wie  der  Coloquinthen,  deren  Maximaldosis 
bei  0,3  liegt,  sollte  strengeren  Vorschriften 
als  bisher  üblich  unterworfen  sein.  Auch 
dürfte  es  sich  empfehlen,  bei  der  Abgabe 
grösserer  Quantitäten  zu  nicht  medicamen- 
t5sem  Gebrauche  durch  beigegebene  gedruckte 
Formulare  auf  die  Giftigkeit  des  Präparates 
und  die  entsprechenden  Vorsichtsmassregeln 
hinzuweisen. 

Ueber  einen  Fall  von  vorübergehendem  Verlust  des 
Sehvermögens  durch  innerlichen  Gebrauch  von 
Opiumtinctur.  Von  Stabsarzt  Dr.  Hamm  er le 
(Strassburg  i.  E.). 

Dem  Anstreicher  X.,  einem  etwa  30  jährigen 
Manne,  der  wiederholt  an  Bleikolik  gelitten, 
hatte  Verf.  beim  Ausbruche  eines  neuen  An- 
falles 15,0  Tinctur.  Opii  simpl.  verschrieben. 
Davon  sollten  2  stündlich  15  Tropfen  3  bis 
4  Mal  genommen  werden.  Ausserdem  wurden 
wiederholt  kalte  Klystiere  und  hydropathische 
£inwickelung  des  Abdomens  verordnet.  Da 
die  Schmerzen  nicht  nachliessen,  gab  die 
etwas  unverständige  Frau,  ohne  auf  Zeit  und 
Tropfenzahl  zu  achten,  das  Opium  immer 
weiter,  bis  der  Vorrath  zu  Ende  war.  Fat. 
hatte  innerhalb  12  Stunden  die  dreifache 
Tagesmaximaldosis  1,5  Opium  bekommen.  — 
Hierauf  waren  allerdings  die  Schmerzen  ge- 
schwunden, ohne  dass  sich  Stuhlentleerung 
eingestellt  hatte.  H.  fand  den  Fat.  am 
folgenden  Morgen  in  hohem  Grade  benommen, 
mit  blaurother  Gesichtshaut,  mit  ad  maximum 
verengten,  reactionslosen  Fupillen.  Dabei 
wiederholtes  Erbrechen  und  Klagen  über 
Brennen  in  der  Magengegend.  Am  meisten 
beunruhigte  jedoch  die  im  Laufe  des  Vor- 
mittags stetig  zunehmende  Verdunkelung  des 
Gesichtsfeldes,  die  sich  schliesslich  bis  zur 
vollständigen  Erblindung  steigerte.  Der  Puls 
war  kleinwellig,  hart  und  gespannt,  120 
Schläge  in  der  Minute.  Temperatur  dem 
Gefühle  nach  normal. 

H.  verordnete  30,0  Ricinusöl  mit  3  Tropfen 
Crotonöl  auf  2  Mal  (im  Zwischenraum  von 
1  Stunde)  zu  nehmen;  alsdann  Potio  River! 
stündlich  1  Esslöffel,  sowie  Fortsetzung  der 
kalten  Klystiere  und  hydropathischen  Um- 
schläge. Darauf  erfolgte  reichliche  Stuhl- 
entleerung und  Nachlass  der  Schmerzen  in 
der  Magengegend.  Das  Gesicht  erhielt  wieder 
seine  natürliche  Farbe,  die  Verengerung  der 
Pupillen  und  Erblindung  bestanden  noch. 
Erst  nach  4  Tagen  stellte  sich  das  Sehver- 
mögen wieder  ein  und  bald  darauf  war 
Patient  wieder  arbeitsfähig. 


Verfasser  neigt  zu  der  Annahme,  dass 
der  vorübergehende  Verlust  des  Sehvermögens 
in  diesem  Falle  durch  einen  Krampf  der 
Netzhautarterien  bedingt  gewesen  sei. 

{DeutMch,  med,  Woehenschr.  1888  No.  41.)         R, 

Bedrohliche    Erscheinungen    nach    Antipyringe- 
brauch.    Von  Dr.  E.  Rapin  (Genf). 

R.  wurde  vor  Kurzem  schleunigst  zu  einem 
28jährigen  Fräulein  gerufen,  das  er  bisher 
wegen  Ischias  mit  Antipyrin  behandelt  hatte. 
Dosen  von  1,0  hatten  wiederholt  gute  Dienste 
geleistet,  so  dass  Fat.  vor  5  Tagen  aus  der 
Behandlung  entlassen  werden  konnte  mit  der 
Anordnung,  bei  Wiederkehr  der  Schmerzen, 
von  Neuem  1,0  Antipyrin  zu  nehmen.  Das 
war  nun  geschehen.  Aber  kaum  hatte 
Fat.  das  Pulver  genommen,  so  stellten  sich 
heftiger  brennender  Schmerz  im  Magen,  Er- 
brechen und  Collaps  ein.  Die  Lippen  waren 
stark  cyanotisch,  der  Puls  klein  und  be- 
schleunigt. Man  befürchtete  baldigen  Ein- 
tritt des  Exitus  letalis.  Die  Cyanose  steigerte 
sich  noch  zusehends.  Einige  Stunden  später 
Auftreten  eines  juckenden  Exanthems  über 
den  ganzen  Körper.  Alsdann  allmähliche 
Besserung  des  Allgemeinbefindens,  so  dass 
Patientin  nach  24  Stunden  wieder  hergestellt 
war.  Von  der  Reinheit  des  Antipyrins  konnte 
R.  sich  genügend  überzeugen.  Dasselbe  Pulver 
war  zuvor  ohne  jede  Störung  genommen 
worden.  Der  Apotheker  hatte  es  direct  aus 
der  Fabrik  in  Höchst  bezogen.  —  Bei  zwei 
anderen  Patienten  (es  handelte  sich  aller- 
dings um  Individuen  mit  Arterio-Sklerose 
und  Angina  pectoris)  hatte  R.  sehr  bald  nach 
dem  Genuss  von  1,0  Antipyrin  den  Tod 
eintreten  sehen.     Daher  Vorsicht. 

{Revw  mdd.  de  la  Sttisse  Romande.    1888^  No.  IL) 

R. 


Ueber   toxische   Nebenwirkungen    des    Antipyrin 

(Vortrag,  gehalten  in  der  Gesellschaft  der  Aerzto 
von  Zürich  im  März  1888).  Von  Dr.  Ilcrr- 
mann  Müller. 

Die  vielfache  Anwendung,  welche  das 
Antipyrin  seit  seiner  Einführung  in  die  ärzt- 
liche Praxis  gefunden  hat,  ist,  abgesehen  von 
einer  Reihe  wirklich  überraschender  Wirkun- 
gen, im  Wesentlichen  begründet  durch  den 
Mangel  an  unangenehmen  Nebenwirkungen, 
den  man  dem  Präparat  zuschrieb.  Leider 
hat  sich  aber  diese  Meinung,  wie  eine  Reihe 
kürzlich  gemachter  Erfahrungen  zeigt,  als 
irrig  erwiesen.  Nicht  nur  dass  häufig  die 
erhoffte  Wirkung  ausbleibt,  so  treten  zu- 
weilen nach  Anwendung  des  Medicamentes 
Erscheinungen  ein,  die  auf  eine  Beeinflussung 
des  vasomotorischen  Nervenapparates  zu  be- 
ziehen sind  (Exantheme  der  verschiedensten 

Ü 


42 


Toxikologie. 


rlierapentiiche 
Monatshefle, 


Art,  Schleimhautblutungen  etc.).  Complicirt 
werden  diese  Erscheinungen  zuweilen  noch 
durch  schwere  Gehirnsymptome  (Coma,  Con- 
vulsionen  etc.),  sowie  durch  eine  Reihe 
schwerer  Anfalle  von  Herzschwäche.  Bei 
andern  Patienten  endlich  hat  man  gerade 
eine  conträre  Wirkung  des  Medicamentes  zu 
beobachten  Gelegenheit:  die  vorher  massig 
intensiven  neuralgischen  Schmerzen  werden 
nach  mittleren  Antipyringaben  unerträglich, 
eine  nicht  eben  hohe  Fiebertemperatur  steigt 
noch  um  ca.  2  Grade  nach  Anwendung  des 
Medicamentes.  Endlich  beobachtet  man  in 
diesen  Fällen  noch  ganz  gefährliche  cumula- 
tive  Erscheinungen,  wenn  man  nach  einer 
einmaligen  conträr  wirkenden  Gabe  noch 
weitere  Gaben  hinzufugt.  U.  a.  hatte  Verf. 
hiervon  jüngst  selbst  ein  Beispiel  zu  sehen 
Gelegenheit,  wo  bei  einem  10  jährigen, 
an  acutem  Gelenkrheumatismus  erkrankten 
Kinde  nach  einmaliger  Application  von 
0,75  Antipyrin  Steigerung  des  Fiebers,  nach 
2 — 3  maligen,  in  3  stdl.  Intervallen  verab- 
reichten Gaben  schwere  Gehirn  Symptome, 
Herzschwäche  etc.  eintrat.  —  Wahrscheiulich 
handelt  es  sich  in  derartigen  Fällen  um  eine 
besondere  Empfindlichkeit  des  betreffenden 
Individuums  gegen  das  Medicament,  welches 
hier  einen  excessiv  starken  Reiz  sowohl  auf 
das  vasomotorische  Centrum,  wie  auch  auf 
den  nervösen  Central apparat  für  die  Wärme- 
regulation ausübt. 

{Separat- Abdruck   a.  d.  Correspondenzblalt  jür  schwäzer. 

Aerzte  XVII l,  1888). 

II.  Lohnstein  {Berlin), 

Vergiftung  durch  Himrod's  Pulver.    Von  George 
Thorpe. 

Ein  2  7-jähriger  Mann  nahm  zur  Bekämpfung 
asthmatischer  Beschwerden  einen  Theelöffel 
Himrod's  Pulver,  das  aus  Stramonium,  Lobelia 
und  anderen  narkotischen  Mitteln  besteht,  in 
Wasser.  Eine  Stunde  später  fand  ihn  T. 
im  Zimmer  umherschwankend,  in  wilden 
Delirien,  zusammenhangslos  sprechend,  ohne 
Bewusstsein  von  dem,  was  um  ihn  herum 
vor  sich  ging.  Auf  der  Stirn  kalter  Schweiss. 
Die  Pupillen  waren  weit;  c.  25  matte  Puls- 
schläge in  der  Minute.  Nachdem  Pat.  er- 
brochen hatte,  wurden  kalte  Uebergiessungen 
auf  den  Kopf  vorgenommen,  Branntweindosen 
und  Kalkwasser  gegeben.  Am  nächsten  Tage 
Wohlbefinden. 

{The  Lancet  1888   Vol.  I  No.  20,) 

J.  Ruhfmann  (Berlin). 

Selbstmord  durch  Verschlucken  von  Kaliumbichro- 
mat.     Von  J.  Stewart  (Preston). 

Eine  46-jährige  Frau  hatte  1  Unze  Ka- 
liumbichromat  in  Wasser  aufgelost  und  bis 


auf  wenige  Krystalle,  welche  ungelöst  im 
Gefässe  zurückgeblieben  waren,  verschluckt. 
Bereits  5  Minuten  darauf  war  Pat.  bewusstlos. 
Als  Vf.  dieselbe  20  Minuten  darauf  sah,  fand 
er  sie  blass,  mit  schwitzender  Haut  und  noch 
bewusstlos.  Der  Puls  war  klein,  fadenförmig 
und  unregelmässig,  die  Respiration  langsam, 
unregelmässig  und  schnappend.  Spuren  an 
den  Möbeln  zeigten,  dass  Pat.  erbrochen  und 
Darmentleerungen  stattgefunden  hatten.  Vf. 
hält  eine  Wirkung  des  Giftes  auf  das  Re- 
spiration scentrum  für  wahrscheinlich,  da  von. 
Anbeginn  die  Athmung  in  ausgeprägter  Weise 
beeinflusst  war.  Zuweilen  war  ein  Zwischen- 
raum von  7*  Minute  zwischen  zwei  Athem- 
zügen  und  die  Respiration  erlosch  iV*  Minuten 
vor  der  Herzthätigkeit. 

Bemerkenswerth  ist  das  schnelle  Ein- 
treten des  Todes.  Derselbe  erfolgte  40  Mi- 
nuten nach  dem  Verschlucken  des  Giftes. 
Die  Section  war  leider  nicht  zu  erlangen. 

{British  Med.  Joum.  1888.  23.  Aug.  S.  420.) 

rd. 


Lltteratnr. 


Mittheilan^en  ans  der  medieinischen  Klinik 
zu  Königsberfif  i.  Pr.  Herausgegeben  von 
B.  Naunyn.  Strassburg  i.  E.  Leipzig,  Ver- 
lag von  F.  C.  W.  Vogel  1888.    8«.    311  S. 

Das  vorliegende  Buch  umfasst  eine  Reihe 
von  Arbeiten  Naunyn' s  und  seiner  Assi- 
stenten Falkenheim,  Minkowski  und 
Stern,  die  im  Jahre  1887  ihren  Abschluss 
fanden  und  zur  Erinnerung  an  die  Zeit  des 
Zusammenlebens  an  der  Königsberger  Klinik 
gemeinsam  veröffentlicht  sind. 

/.    üeber  primären  und  secundären  Infect 
am  Beispiele  der  Lobärpneumonie  von  B.  Naunyn. 

Die  von  den  meisten  Autoren  angenom- 
mene Ansicht,  dass  bei  Infectionskrankheiten, 
deren  Ursache  ein  specifischer,  pathogener 
Pilz  ist,  neben  diesem  andere  Mikrobenarten 
im  kranken  Körper  auftreten  und  ihre  wei- 
tere krankmachende  Wirkung  entfalten  kön- 
nen, findet  eines  der  besten  Beispiele  in  der 
acuten  lobären  Pneumonie,  bei  der  man  ausser 
dem  specifischen  Krankheitserreger,  der  meist 
der  FraenkeTsche  Pneumoniecoccus  zu  sein 
scheint,  häufig  auch  andere  Pilze,  so  den 
Streptococcus  pyogenes  und  den  Staphylo- 
coccus  aureus  beobachtet.  Es  ist  zweifellos, 
dass  diese  letzteren  dann  gelegentlich  für 
die  sog.  Complicationen  der  Pneumonie  maass- 
gebend  sein  können. 


in.  Jahrg&ng.l 
Januar  1889.  J 


Litteratur. 


43 


Um  dem  störenden  Doppelsinn  der  Be- 
zeichnung Infection,  einmal  als  Yorgang 
der  Uebertragung  und  Wirksamwerden  des 
Infectionsstoffes  und  dann  als  Zustand,  in 
den  der  Organismus  dadurch  gerathen  ist, 
aus  dem  "Wege  zu  gehen ,  schlugt  N.  vor, 
Infection  nur  für  erster e  zu  gebrauchen,  den 
krankhaften  Zustand  aber,  in  welchen  der 
Organismus  im  Ganzen  oder  ein  einzelnes 
Organ  durch  die  Infection  versetzt  wird,  mit 
Infect  zu  bezeichnen. 

Mit  Benutzung  dieser  Ausdrücke  schildert 
N.  den  complicirten  Yorgang  bei  der  Pneu- 
monie so : 

Die  Infection  der  Lungen  mit  Pneumonie- 
coccen  ruft  die  Pneumonie  hervor  und  der 
pneumonische  Infect  der  Lunge  begünstigt 
das  Gedeihen  der  Eitercoccen  in  letzterer; 
sie  entwickeln  sich  und  werden  in  der  Lunge 
herrschend,  so  dass  sich  jetzt  in  dieser  secun- 
där  der  Eitercocceninfect  etablirt.  Dabei 
ist  es  sehr  wohl  möglich,  dass  die  Infection 
der  Lunge  durch  Pneumoniecoccen  und  durch 
Eitercoccen  gleichzeitig  im  Beginn  der  Er- 
krankung stattgehabt  hat,  dass  es  sich  also 
um  eine  gemischte  Infection  handelt.  Als 
Folge  dieser  Mischinfection  tritt  zunächst 
der  pneumonische  Infect  auf;  der  Eitercoccen- 
infect kommt  erst  secundär  in  der  pneumo- 
nisch infecten  Lunge  zur  Geltung. 

II.    Zur  Prognose  und  Therapie  der 
syphilitischen  Erkrankungen  des  Nervensystems 

von  B.  Naunyn. 

Da  die  Durchführung  einer  energischen, 
langdauemden  antisyphilitischen  Cur  mit 
grossen  Ansprüchen  an  die  Geduld  aller  Be- 
theiligten und  oft  mit  mancherlei  Schwierig- 
keiten verbunden  ist,  da  die  Anforderungen 
an  den  Arzt  und  an  den  Kranken  sehr  grosse 
und  die  Enttäuschungen  sehr  häufige  sind, 
so  ist  es  für  die  Praxis  oft  von  grÖsster 
Wichtigkeit,  die  Prognose  im  Einzelfalle 
einer  syphilitischen  Erkrankung  möglichst 
bestimmt  stellen  zu  können. 

Sehen  wir  ab  von  der  syphilitischen 
Tabes  paralytica,  der  syph.  Dementia  para- 
lytica  und  endlich  der  syph.  Polyneuritis, 
welche  alle  nach  Naunyn^ s  Erfahrungen 
prognostisch  ganz  unabhängig  davon  sind, 
ob  Syphilis  im  Spiel  ist  oder  nicht,  und 
sich  Quecksilbercuren  gegenüber  ganz  erfolg- 
los zeigen,  so  scheint  die  Prognose  aller 
übrigen  Fälle  von  Syphilis  eine  erheblich 
bessere  zu  sein  (von  N.'s  88  klinischen 
Fällen  wurden  24  geheilt,  49  gebessert, 
10  blieben  ohne  jeden  Erfolg,  5  starben  in 
der  Klinik)  und  abzuhängen:  l)  vom  Lebens- 
alter bei  Beginn  der  Erkrankung  des  Nerven- 
systems,   2)   vom    Alter    des    Infectes    beim 


Auftreten  der  Affection  des  Nervensystems, 
d.  h.  wie  lange  nach  der  Infection  die  Nerven- 
krankheit auftrat,  3)  davon,  wie  lange  Zeit 
zwischen  der  letzten  anderweiten  Manifesta- 
tion der  Syphilis  und  dem  Auftreten  der 
syph.  Erkrankung  des  Nervensystems  ver- 
gangen war,  4)  wie  lange  die  Nervenkrank- 
heit bereits  bestand,  ehe  sie  energischer  anti- 
syphilitischer  Behandlung  unterzogen  wurde, 
5)  von  der  Symptomengruppe,  d.  h.  der 
Form,  in  welcher  die  Erkrankung  des  Nerven- 
systems auftritt  und  6)  davon,  ob  früher  be- 
reits Quecksilbercuren  überstanden  sind. 

Wo  ein  gutes  Resultat  der  Behandlung, 
eine  Heilung  der  Krankheit,  oder  wenigstens 
eine  ihr  nahe  kommende  Besserung  erreicht 
wird,  da  lassen  fast  immer  die  ersten  An- 
zeichen der  Besserung  nicht  lange  auf  sich 
warten.  In  solchen  günstigen  Fällen  kann 
man  dieselben  bei  Quecksilberbehandlung  oft 
schon  am  Ende  der  ersten  Woche  sicher  con- 
statiren,  nach  Jodkalium  beginnt  die  Besse- 
rung oft  schon  nach  3 — 4  Tagen.  Ist  bei 
Jodkaliumbehandlung  bis  Ende  der  1.  Woche, 
bei  energischer  Quecksilberbehandlung  bis 
Ende  der  2.  Woche  gar  kein  Resultat  er- 
zielt, so  sind  die  Aussichten  für  jede  dieser 
Behandlungsarten  sehr  gering. 

N.'s  Ansicht  nach  ist  „in  jedem  Falle 
von  syph.  Erkrankung  des  Nervensystems 
eine  energische  Inunctionscur  vorzunehmen 
(u.  z.  30 — 40  Inunctionen  von  4,0 — 50  g 
mindestens  und  von  15  —  30  Minuten  Dauer)''^ 
Es  ist  während  der  Cur  sorgsamste  Pflege 
des  Mundes,  mindestens  wöchentlich  3  Bäder, 
Regulirung  des  Stuhlgangs  und  gute  kräftige 
Ernährung  mit  Bewegung  im  Freien  erfor- 
derlich und,  wenn  irgend  möglich,  der  Be- 
rufsthätigkeit  zu  entsagen.  Neben  den  Inunc- 
tionen, die  N.  in  manchen  Fällen  u.  z.  „nicht 
nur  in  solchen,  wo  Eile  Noth  that",  bis  auf 
6,0,  8,0,  ja  10,0  steigerte,  wird  von  Anfang 
an  Jodkalium  1,0—3,0  pro  die  gegeben. 

Sehr  vorsichtig  muss  man  mit  dem 
Quecksilber  sein,  wenn  neben  dem  Leiden 
des  Nervensystems  diffuse  Nephritis  oder 
Hepatitis  oder  gar  beides  besteht.  Solche 
Kranken  vertragen  oft  das  Quecksilber  sehr 
schlecht. 

Nach  Beendigung  der  eigentlichen  Cur 
wird  Jodkalium  weiter  genommen  und  nach 
einem  halben  Jahr  und  öfters  auch  nochmals 
nach  einem  weitern  Jahre,  wenn  es  durch- 
zusetzen ist,  werden  jedesmal  20  Inunctionen 
zu  4,0 — 5,0  in  2 — 3  Abschnitten  gemacht. 

III,    üeber  subcutane  Stryihnineinspritzungen 
von  li,  Naunyn, 

N.  wendet  sich  gegen  das  ungünstige 
ürtheil,    welches    die   neuere   Zeit   über   die 


44 


Littaratur. 


rlierapentische 
Monatshefle. 


Strychnininjectionen  gefällt  hat.  Es  wurzelt 
dasselbe  hauptsachlicli  darin,  dass  das 
Strychnin  nur  die  Erregbarkeit  der  motori- 
schen Centren  steigern  soll  und  also,  weil 
die  Lähmungen  meist  durch  gestörte  Nerven- 
leitung bedingt  seien,  erst  dann  wirksam 
werden  könnte,  wenn  diese  Leitung  wieder 
hergestellt  ist,  ein  Zustand,  bei  dem  be- 
kanntlich die  Lähmung  auch  ohne  Strychnin 
heilen  kann.  N.  kann  diesem  ürtheil  nicht 
beipflichten,  muss  vielmehr  nach  seinen  Er- 
fahrungen dem  Strychnin  eine  viel  umfassen- 
dere Wirkung  auf  das  Nervensystem  zu- 
sprechen. Er  hat  vorzüglich  in  Folge  der 
erfolgreichen  Verwendung  des  Strychnin  in 
der  Ophthalmologie  und  angeregt  durch 
V.  HippeTs  Arbeit,  seit  1873  consequent 
die  Strychuinbehandlung  bei  Motilitätsstö- 
rungen angewandt  und  glaubt  mit  den  Er- 
folgen zufrieden  sein  zu  dürfen. 

N.  braucht  ausschliesslich  d.  Strych.  nitr. 
in  l^iger  Lösung  und  pflegt  an  den  Körper- 
theilen  zu  injiciren,  deren  Function  gestört 
ist.  Es  wird  täglich  eine  Injection  gemacht, 
mit  0,003  und  noch  weniger  begonnen,  täg- 
lich um  0,001  gestiegen  und  nach  imgefähr 
6  Tagen  0,01  erreicht,  welche  Dosis  noch 
5  —  6  Tage  beibehalten  und  nur  höchst 
selten  noch  vermehrt  wird.  Nach  derartigem 
Gebrauch  von  10 — 12  Tagen  wird  6  bis 
8  Tage  ausgesetzt  und  dann  wieder  10  bis 
12  Tage  Strychnin  in  derselben  Weise  wie 
vorher,  injicirt  und  so  fort,  nur  dass  man 
in  der  zweiten  Serie  und  den  spätem  bereits 
mit  mittleren  Dosen  beginnen  darf. 

N.'s  Erfahrungen  nun  über  die  Heilwir- 
kung der  Strychnininjectionen  sind  folgende: 

1.  Dauernde  Nachtheile  von  dem  Mittel 
wurden  nicht  beobachtet. 

2.  Ohne  jeden  Erfolg  blieben  vollstän- 
dige Lähmungen,  ausser  wenn  sonst  eine 
Rückbildung  der  der  Lähmung  zu  Grunde 
liegenden  Krankheit  eintrat,  und  die  Läh- 
mungen, die  ihrer  Natur  nach  fortschreiten, 
wie  Tumoren,  multiple  Sclerose  u.  s.  w.,  wäh- 
rend eine  günstige  Wirkung  zu  verzeichnen 
war  in  Krankheiten,  welche  sich  subacut 
oder  chronisch  zu  einem  stabilen  Zustande 
entwickelt  haben,  so  bei  der  diphtheritischen 
Lähmung  und  bei  der  multiplen  Neuritis. 

3.  Gegenüber  diesen  Fällen  wirkt  das 
Mittel  recht  oft  günstig,  wo  unvollständige 
Lähmungen,  sog.  Paresen,  wenn  auch  recht 
hohen  Grades  vorliegen,  so  bei  älteren  Cere- 
brallähmungen  nach  Apoplexia  sanguinea, 
Apoplexia  embolica,  bei  stabil  gewordenen 
Hirnerweichungen,  bei  Herdsclerosen  der 
MeduUa  spinalis  und  Poliomyelitis  u.  a. 

4.  Auch  in  nicht  wenigen  Fällen  von 
Tabes    dorsalis  paralytica    schien  eine   gün- 


stige Wirkung  eingetreten  zu  sein,  wobei 
ein  Theil  derselben  allerdings  auf  Soolbäder 
und  die  bessere  Hygiene  des  klinischen 
Aufenthalts  gerechnet  werden  dürfte. 

5.  Gross  war  der  Erfolg,  wenn  die 
Grundkrankheit  von  selbst  oder  in  Folge 
anderer  Eingriffe  sich  besserte,  so  bei  diph- 
theri  tisch  er,  syphilitischer  Lähmung  und  in 
einem  Falle  multipler  Neuritis. 

6.  Für  die  Beurtheilung  der  nicht  sel- 
tenen Fälle,  in  welchen  die  Diagnose  der 
Grundkrankheit  zweifelhaft  bleibt,  gilt  das 
unter  2  und  3  Gesagte. 

7.  Falls  die  Strychnininjectionen  eine 
günstige  Wirkung  äussern,  so  ist  diese  ge- 
wöhnlich sofort  zu  bemerken,  sobald  die 
Dosen  die  genügende  Höhe  von  0,007 — 0,008 
bei  Erwachsenen  erreichen,  schreitet  dann 
von  Tag  zu  Tag  fort,  und  wird  nach  5  bis 
6  Tagen  wieder  weniger  bemerkbar,  um  mit 
der  neuen  Strych ninperio de  von  Neuem  zu 
beginnen. 

8.  Durchaus  zu  bestätigen  ist  der  Ruf 
des  Strychnins  als  Mittel  gegen  Incontinentia 
urinae  bei  Lähmungen,  u.  z.  sowohl  bei 
cerebraler  Hemiplegie,  bei  stabil  gewordener 
chronischer  Encephalomalacie  und  Apoplexia 
sanguinea,  als  auch  bei  Rückenmarkerkrau- 
kungen   verschiedener  Art,    auch   bei  Tabes. 

9.  In  vielen  Fällen  endlich  älterer,  über 
Jahr  und  Tag  dauernder  Hemiplegie  nach 
Apoplexie  mit  sehr  unangenehmen  schmerz- 
haften Empfindungen  in  der  gelähmten 
Körperhälftc  nehmen,  obgleich  die  Injectionen 
gegen  die  motorischen  Lähmungen  wirkungs- 
los blieben,  zur  grossen  Erleichterung  des 
Kranken  die  Schmerzen  sofort  ab. 

IV,    lieber  die  Gätvrungen  im  Magen  von 
Dr.  0.  Minkowski. 

Der  normale  Magensaft  ist  unzweifelhaft 
im  Stande,  das  Zustandekommen  von  Gäh- 
rungsprocessen  im  Magen  selbst  zu  verhin- 
dern und  wahrscheinlich  auch  die  durch 
Mikroorganismen  bedingten  Zersetzungsvor- 
gänge im  Darm  in  gewissen  Schranken  zu 
halten  oder  wenigstens  in  bestimmte  Bahnen 
zu  lenken.  Der  normale  Mageninhalt  auf 
der  Höhe  der  Verdauung  ist  so  gut  wie  frei 
von  Mikroorganismen  und  zeigt  höchstens 
vereinzelte  Sprosspilze.  Das  Filtrat  eines 
solchen  Mageninhalts,  welches  freie  Salzsäure 
und  Pepsin  enthält  und  bei  der  Verdauungs- 
probe energische  Wirkung  zeigt,  kann  man 
wochenlang  im  offenen  Gefäss  im  Labora- 
torium stehen  lassen,  ohne  dass  in  demselben 
auch  nur  die  geringste  Entwickelung  von 
Mikroorganismen  stattfindet.  Diese  Eigen- 
schaft verdankt  ein  solcher  Magensaft  in 
erster  Linie  unzweifelhaft  seinem  Gehalt  an 


III.  Jabrgatig.l 
Janaar  1889.  J 


Lltteratur. 


45 


freier  Salzsäure,  aber  nicht  ihm  allein,  viel- 
mehr muss  man,  da  nach  Zerstörung  des 
Pepsins  durch  Kochen  häufig  eine  lebhafte 
Pilz  Wucherung  zu  Stande  kommt,  annehmen, 
dass  im  normalen  Mageninhalt  die  hinein- 
gelangten Pilzkeime  dadurch  unschädlich  ge- 
macht werden  können,  dass  sie  direct  der 
verdauenden  Wirkung  des  Magensaftes  unter- 
liegen können. 

Zur  Untersuchung  der  Gährungen  im 
Magen  bietet  für  praktische  Zwecke  die 
mikroskopische  Untersuchung  des  Magen- 
inhalts immer  noch  das  bequemste  und  ver- 
bal tnissmässig  sicherste  Verfahren,  um  das 
Stattfinden  und  die  Intensität  der  Gährung 
zu  beurtheilen  und  darf  man  da,  „wo  auf 
der  Höhe  der  Verdauung  oder  längere  Zeit 
nach  der  Nahrungsaufoahme  noch  grössere 
Mengen  von  Spross-  oder  Spaltpilzen  im 
Mageninhalte  bei  der  mikroskopischen  Be- 
sichtigung gefunden  werden,  das  Bestehen 
einer  krankhaften  Magengährung  annehmen". 
Die  Frage,  in  welcher  Weise  die  verschie- 
denen Arten  der  Mikroorganismen  wirken 
und  betheiligt  sind,  und  welche  genaueren 
Beziehungen  zu  der  Art  der  Secretionsstö- 
rungen  bestehen,  ist  leider  noch  eine  offene 
Frage. 

Was  das  Vorkommen  bei  Erkrankungen 
angeht,  so  finden  wir  die  schwersten  und 
hartnäckigsten  Magen  gährungen  zunächst  in 
den  Fällen,  in  welchen  ein  wirkliches  Hin- 
demiss  für  die  Entleerung  des  Magens  vor- 
handen ist,  der  Magen  also  niemals  vollstän- 
dig leer  wird  (wie  bei  Garcinom  am  Pylorus, 
Narbenbildungen  u.  s.  w.).  Wenn  die  Ent- 
wickelung  der  Gährung  hier  auch  erst  secun- 
där  im  stagnirenden  Mageninhalt  sich  ent- 
wickelt, so  ist  nichtsdestoweniger  ihre  Be- 
deutung hier  nicht  zu  unterschätzen,  weil 
sie  gerade  für  das  praktische  Handeln  viel 
bestimmtere  und  au ssichtsv ollere  Anhalts- 
punkte gewährt,  als  die  einseitige  Berück- 
sichtigung der  mechanischen  Verhältnisse. 

Die  Störungen,  welche  direct  durch  die 
Gährungen  im  Magen  bedingt  sein  können, 
kommen  dadurch  zu  Stande  1.  dass  Sub- 
stanzen gebildet  werden,  welche  die  Magen- 
schleimhaut reizen  und  katarrhalisch  entzün- 
den,    wie     die    Bildung    abnormer    Säuren, 

2.  durch   erhebliche  Gasbildung  im  Magen, 

3.  durch  Entstehung  von  Substanzen,  welche 
nach  ihrer  Resorption  im  Organismus  schäd- 
liche oder  direct  toxische  Wirkungen  auszu- 
üben im  Stande  sind  (Litten^  s  Coma  dyspep- 
ticum),  4.  durch  Neutralisation  der  etwa 
noch  secernirten  Salzsäure  und  somit  Beein- 
trächtigung der  sterilisirenden  Wirkung  des 
Magensaftes,  ebenso  wie  seiner  peptonisiren- 
den  Function,  5.  endlich  durch  die  Störung 


der  Darmfunction  in  Folge  fortgesetzter 
Zufuhr  von  gegohrenen  und  in  Gährung  be- 
findlichen Massen. 

Ausser  den  vorstehenden  Fällen  mit 
schwerer  mechanischer  Insufficienz  des  Magens 
kommen  nun  auch  Gährungen  vor  in  solchen 
Fällen,  in  welchen  ein  directes  Hinderniss  für 
die  Entleerung  des  Magens  nicht  vorhanden 
ist,  aber  schwere  organische  Erkrankungen 
der  Magen  wand  (wie  Garcinom  an  der  Cardia 
und  an  der  kleinen  Gurvatur)  mit  Störung 
der  Secretion  sich  finden  und  noch  häufiger 
Gährungen  in  den  Fällen,  in  welchen  eine 
schwerere  anatomisch  nachweisbare  Läsion 
des  Magens  nicht  erkennbar  ist  (also  mit 
der  Diagnose  Magenkatarrh,  Dyspepsien,  s.  w.), 
und  in  denen  die  Gährungen  entweder  secun- 
där  zu  einer  bereits  bestehenden  Verdauungs- 
störung hinzutreten  oder  ihrerseits  die  pri- 
märe Ursache  für  die  Functionsstörung  des 
Magens  darstellen. 

Kommen  wir  endlich  zur  Behandlung  der 
Gährungen,  so  bilden,  neben  Regelung  der 
Diät,  Auswaschungen  und  Antiseptica  die 
Hauptmittel.  Erstere  müssen  so  ausgeführt 
werden,  dass  eine  möglichst  vollständige  Ent- 
fernung der  Gährungserreger  bewirkt  wird 
d.  h.  der  Magen  muss  so  lange  —  zuweilen 
bei  schweren  Formen  von  Gährungen  selbst 
mit  10 — 15  Liter  —  durch  immer  erneutes 
Eingiessen  von  Wasser  ausgespült  werden, 
bis  das  abfliessende  Spülwasser  vollkommen 
klar  erscheint.  Während  der  Auswaschung 
muss  man  den  Fat.  häufiger  seine  Körper- 
stellung etwas  verändern  lassen  und  dazu 
veranlassen,  durch  Schütteln  des  Abdomen 
den  Mageninhalt  etwas  aufzurühren.  Die 
Auswaschung  ist  leichter  auszuführen,  wenn 
der  Magen  nicht  übermässig  durch  unver- 
daute Speisereste  angefüllt  ist  und  wird 
daher  zweckmässig  des  Morgens  vor  der 
Nahrungsaufnahme  ausgeführt.  Selbst  in 
Fällen  von  Ulcus  ventriculi  ist  die  Aus- 
waschung von  Nutzen  und  letzterer  jedenfalls 
unvergleichlich  grösser,  als  die  etwaige  Ge- 
fahr einer  durch  die  Ausspülung  hervorge- 
rufenen Blutung  oder  Perforation. 

Von  der  innerlichen  Verabreichung  der 
Antiseptica  erweist  sich  bei  weitem  am  besten 
die  Garbolsäure,  zu  0,1  und  sogar  darüber, 
mehrmals  täglich  vor  der  Mahlzeit  in  ver- 
silberten Pillen  genommen.  Reicht  die  Wir- 
kung der  Garbolsäure  nicht  aus,  dann  ist 
Benzol  (Naunyn)  und  Kreosot  (0,1  —  0,2 
mehrmals  täglich)  zu  versuchen  und  oft 
wirksam. 

Wenn  ich  mich  mit  der  kurzen  Wieder- 
gabe nur  dieser  vorstehenden  Arbeiten  be- 
gnügen muss,  so  geschieht  es  einfach  deshalb, 
weil  sie  mir  therapeutisch  das  weitgehendste 


46 


Utteratur. 


[Therapeatlscbe 
Monatshefte. 


Interesse  zu  beanspruchen  schienen  und  -weil 
das  Referat  bereits  über  die  gewöhnlichen 
Grenzen  sich  ausgedehnt  hat.  Eigentlich 
niusste  jede  einzelne  Arbeit  besprochen 
werden ,  denn  nach  ihrem  Werthe  gemessen 
schiene  es  mir  nothwendig  für  jede.  Sowohl 
die  Arbeiten:  0.  Minkowski,  Beiträge  zur 
Pathologied  er  multiplen  Neuritis,  ferner 
H.  Falkenheim,  Ueb er  Lähmungen  nach 
acuter  Arsenikintoxication,H.  Falken- 
heim, Die  Lähmungen  nach  subcutaner 
Aetherin jection,  O.Minkowski,  Ueber 
den  Kohlensäuregehalt  des  Blutes  beim 
Diabetes  mellitus  und  des  Coma  dia- 
beticum,  H.  Falkenheira,  Zur  Lehre 
vom  Empyem,  wie  endlich  die  casuistischen 
Mittheilungen  über  je  einen  Fall  von  pro- 
gressiver Muskelatrophie  mit  halbseitiger  Be- 
theiligung des  Gesichts,  von  Chorea  St.  Viti 
mit  Pilzbildungen  in  der  Pia  mater,  von 
Febris  recurrens  mit  constantem  Spirochaeten- 
Gehalt  und  von  Hemimyoclonus  —  bieten  des 
Wissenswerthen  und  Neuen,  wie  des  Bekann- 
ten, in  klarer,  übersichtlicher  Form  Gebote- 
nen eine  reiche  Menge  und  zeugen  nur  zu 
deutlich  von  dem  enormen  Fleiss,  der  regen 
Arbeit  und  der  hohen  wissenschaftlichen 
Stellung  der  Konigsberger  Klinik  unter 
Naunyn's  Leitung. 

Und  was  mir  besonders  wohlthuend  an 
dem  ganzen  Buche  auffällt,  ist,  dass  seine 
Arbeiten  sich  nicht  wie  so  viele  der  heutigen 
in  detaillirteste,  theoretische  Betrachtungen 
und  Experimente  hinein  verlieren,  sondern 
dass  sie,  neben  vollendeter  Behandlung  aller 
chemischen,  bakteriologischen  und  sonstigen 
theoretischen  Fragen,  überall  den  Hauptzweck 
unserer  Wissenschaft,  das  Wichtigste  unseres 
ganzen  geistigen  Strebens  d.  i.  das  ärztliche 
Könnnen  und  Handeln  auf  therapeutischem 
Gebiete  vor  Augen  halten  und  voranstellen. 

Wer  wie  Ref.  das  Glück  gehabt  hat,  zu 
Naunyn's  Schülern  zu  gehören,  dem  muss  das 
Buch  eine  besondere  Freude  bereiten  und 
einen  besonderen  Genuss  gewähren,  weil  er 
vieles  wiederfindet,  was  er  einst  gehört 
und  gelernt,  manches  findet,  was  er  kaum 
mehr  wiedererkennt,  weil  es  mittlerweile 
durch  die  Fortschritte  unserer  Wissenschaft 
in  ungeahnter  Weise  gewachsen  und  geför- 
dert erscheint,  aber  jeder  wissenschaftliche 
Arzt  wird  das  Buch  von  Anfang  bis  zu  Ende 
mit  Befriedigung  und  grösstem  Interesse  lesen 
und  es  aus  der  Hand  legen  mit  dem  Gefühl, 
dass  demselben  eine  grössere  und  hervor- 
tretendere  Bedeutung  gebührt,  als  der  Mehr- 
zahl der  heute  erscheinenden  Arbeiten  auf 
diesem  Gebiet. 

G.  Peters  (Berlin). 


Beiträge  zur  klinischen  Chirurgie.  Dr.  Paul 
Bruns.  Mittheilungen  aus  der  chirurg.  Klinik 
zu  Tübingen.  III.  Band,  3.  Heft.  Tübingen  1888. 
Verl.  d.  U.  Laupp'schen  Buchhandlung. 

Das  vorliegende  3.  Heft^)  bringt  wiederum 
einige  interessante  und  lehrreiche  Abhaud- 
lungen  aus  dem  chirurgischen  Gebiete,  die 
in  Gemässheit  der  Tendenz  dieser  Blätter 
vornehmlich  vom  therapeutischen  Standpunkte 
aus  besprochen  werden  sollen. 

In  der  ersten  Abhandlung  (Ueber  In- 
fection  mit  Aktinomycose  durch  einen 
Holzsplitter)  berichtet  E.  Müller  über 
einen  Fall,  der,  wie  aus  der  üeberschrift 
hervorgeht,  sich  besonders  durch  seine  eigen- 
artige Aetiologie  auszeichnet.  Die  Behand- 
lung erfolgte  selbstverständlich  durch  Um- 
schneidung der  erkrankten  Partien,  worauf 
reactionslos  Heilung  erfolgte. 

In  der  zweiten  Abhandlung  (Ueber  die 
Operation  der  Hydrocele  und  ihre 
Endresultate)  erörtert  Hertzberg  die 
verschiedenen  Operationsmethoden  genannter 
Krankheit  und  zeigt  an  der  Hand  der  auch 
die  Endresultate  berücksichtigenden  Sta- 
tistik, dass  der  Incision  bei  weitem  der 
Vorzug  zu  geben  sei. 

Kloos  (Zur  Casuistik  der  Becken- 
fr  action)  theilt  4  Fälle  von  verschiedenen, 
typisch  verlaufenden  Beckenfracturen  mit, 
ohne  auf  die  Behandlung  derselben  bez. 
ihrer  Complicationen,  wie  Blasenruptur,  Blut- 
erguss  etc.  näher  einzugehen. 

Kikuzi  (Ueber  die  Tuberculose  der 
Nasenschleimhaut)  knüpft  an  einen  Fall 
von  Tuberkelgeschwulst  der  Nasenscheiden- 
wand  Betrachtungen  über  das  Vorkommen 
der  Tuberculose  an  der  Nasenschleimhaut 
überhaupt  und  zeigt  an  der  Hand  der  Litte- 
ratur,  dass  Tuberculose  an  der  Nasenschleim- 
haut sowohl  in  Form  von  Geschwülsten,  als 
auch  von  Geschwüren  vorkommt.  Die  Be- 
handlung geschieht  auf  operativem  Wege, 
bald  durch  ausgiebigste  Excision,  bald 
durch  gründliche  und  wiederholte  Kauterisa- 
tion.   Doch  ist  man  vor  Recidiven  nie  sicher. 

Von  wesentlichem  Interesse  ist  die  Ab- 
handlung von  Bruns  über  die  Heilwir- 
kung des  Erysipels  auf  Geschwülste. 
Verf.  ist  die  Litteratur  dieses  Gegenstandes 
durchgegangen  und  hat  aus  derselben  zu- 
nächst die  Thatsache  festgestellt,  dass  sichere 
Heilwirkungen  des  Erysipels  auf  bösartige 
Geschwülste  beobachtet  sind.  Er  kommt 
daher  zu  dem  Schluss,  dass  „die  künst- 
liche Erzeugung  der  Rose  zur  Beseiti- 
gung von  Tumoren  unter  gewissen 
Umständen  als  berechtigt  zu  erklären" 

^)  Das  Referat  über  das  2.  Heft  s.  Ther.  Mon. 
Hefte  1888.  S.  94. 


IIL  Jabrgang.l 
Januar  1889.  J 


Practische  Kotlzen  und  empfehlenswertbe  Arznelformein. 


47 


sei,  dass  aber  einstweilen  nur  die  Sarcome 
sich  als  geeignet  für  die  Erysipel -Behand- 
lung erwiesen  haben.  Nur  ist  für  die 
Technik  der  Behandlung  zu  bemerken, 
dass  die  üebertragung  selbst  der  Fehleisen'- 
schen  Reinculturen  von  Erysipel-Kokken  noch 
oft  im  Stiche  lasst. 

Es  folgen  dann  von  v.  Noorden  zwei 
casuistiscfae  Beiträge  über  das  verkalkte 
Epithelium  und  über  Osteome  der  Ferse, 
sowie  von  Kikuzi  über  zwei  Fälle  von 
Stirnhöhlen-Osteom  und  über  Keloid 
des    Ohrläppchens.  Freytr  {Stettin). 

Die  neueren  Arzneimittel.  Für  Apotheker,  Aerzto, 
und  Drogisten  bearbeitet  von  Dr.  Bernhard 
Fischer,  Assistent  am  pharmakologischen 
Institut  der  Universität  Berlin.  Dritte  ver- 
mehrte Auflage.  Berlin,  Verlag  von  Julius 
Springer  1889.   8^    262  S. 

Wie  jeder  unbefangene  Fachmann  bei 
dem  ersten  Erscheinen  dieses  nützlichen  und 
zeitgemässen  Buches  vor  2  Jahren  voraus- 
sehen konnte,  hat  dasselbe  bald  die  wohl- 
verdiente Anerkennung  und  Verbreitung  ge- 
funden. Gegenwärtig  liegt  uns  bereits  die 
dritte  Auflage  vor.  Dieselbe  ist,  entsprechend 
den  Fortschritten  der  Wissenschaft,  umgear- 
beitet und  vermehrt  worden.  Neu  aufgenom- 
men wurden :  Jodum  trichloratum,  Magnesium 
salicjlicum,  Hydrargyrum  salicylicum,  Sulfo- 
nalum,  Sozojodol  -  Präparate,  Guajacolum, 
Antbrarobinum  und  Liquor  ferri  peptonati. 
Ohne  Schaden  hätte  das  Antithermin  fort- 
gelassen werden  können,  da  ihm  kaum  die 
Berechtigung,  ein  Arzneimittel  zu  heissen, 
zugesprochen  werden  dürfte.  —  Des  Ver- 
fassers ungewöhnlich  klare  und  leicht  fass- 
liche Darstellungsweise,  die  schon  seinem 
^ Lehrbuche  der  Chemie"  eine  so  grosse  Be- 
liebtheit und  Popularität  verschaffte,  fesselt 
den  Leser  auch  beim  Studium  der  neuen 
Auflage  der  neueren  Arzneimittel.  Daher 
möge  auch  derselben  die  ihr  gebührende 
Beachtung  von  allen  Seiten  im  reichsten 
Maasse  zu  Theil  werden.  Rahow. 


Practische  Notiseii 

und 

empfehleüswerthe  Arsneiformeln. 


Zur  Therapie   der  Seekrankheit.     Von  Dr.  Max 
Cohn  in  Berlin. 

Als  Schiffsarzt  der  Hamburg -Amerika- 
nischen Packetfahrt- Gesellschaft  habe  ich 
Gelegenheit  genommen,  mit  dem  Antifebrin 
und  dem  Antipyrin,  von  denen  besonders 
das   letztere    in    neuerer   Zeit    mehrfach    als 


Mittel  gegen  die  Seekrankheit  empfohlen 
wurde.  Versuche  anzustellen.  Ich  habe  das 
Antipyrin  in  Dosen  von  1,0  g,  das  Antife- 
brin in  Dosen  von  0,5  g,  beide  sowohl  pro- 
phylactisch  vor  der  Ausfahrt,  als  auch  wäh- 
rend des  Anfalls  gereicht.  —  Mit  dem  Anti- 
febrin hatte  ich  überhaupt  keine,  in  prophy- 
lactischer  Hinsicht  auch  mit  dem  Antipyrin 
keine  Erfolge  zu  verzeichnen.  Dagegen  ge- 
lang es  mir,  in  einigen  Fällen  mit  1  bis 
2  Dosen  Antipyrin  während  des  Anfalls  eine, 
wenn  auch  vorübergehende  Erleichterung  zu 
erzielen.  Die  Patienten  fühlten  sich  im  All- 
gemeinen wohler,  die  Kopfschmerzen  wurden 
geringer,  es  trat  wieder  Appetit  ein,  der 
Brechreiz  hörte  auf.  Vielfach  aber  versagte 
das  Mittel  auch,  und  ich  war  nicht  im  Stande, 
irgend  einen  Einfluss  des  Alters  und  Ge- 
schlechts der  Patienten  oder  der  Schwere 
der  Erkrankung  auf  die  Wirksamkeit  zu 
constatiren. 

Als  ein  Allheilmittel  der  Seekrankheit 
darf  man  das  Antipyrin  jedenfalls  nicht  be- 
trachten, und  ich  glaube  kaum,  dass  über- 
haupt ein  sicher  wirkendes  Medicament  gegen 
dieses  auf  CirculationsstÖrungen  innerhalb 
des  Cerebnim  beruhende  Üebel  gefunden  wer- 
den wird.  Immerhin  ist  das  Antipyrin  eines 
Versuches  werth.  —  Am  wohlsten  fühlten 
sich  meine  Patienten  stets  bei  längerem  Auf- 
enthalt auf  Deck  in  ausgestreckter  Lage  mit 
tief  liegendem  Kopfe.  Eiskalte  Speisen  und 
Getränke  in  kleinen  Quantitäten  wurden  am 
besten  vertragen. 

Zur   Therapie    der   Hydrocele.     (Mitgetheilt   von 
Dr.  V.  Flamerdinghe.) 

Obwohl  namentlich  von  Seiten  franzö- 
sischer Autoren  empfohlen  und  ohne  Zweifel 
auch  von  einer  Anzahl  deutscher  Chirurgen 
und  praktischer  Aerzte  erprobt,  scheint  doch 
die  Verwerthung  des  Cocains  als  locales 
Anästheticum  bei  der  Radicalcur  der  Hydro- 
cele testis  bei  uns  noch  nicht  in  dem  Maasse 
bekannt  zu  sein,  wie  sie  es  verdient.  Die 
Behandlung  des  Leidens  vermittelst  der  Func- 
tion mit  nachfolgender  Jodinjection  ist  mit 
so  wenig  Umständen  verknüpft,  dass  auch 
der  praktische  Arzt  im  Stande  ist,  sie  aus- 
zuführen, zumal  ihm  die  gleich  zu  bespre- 
chende Anwendung  des  Cocains  den  Vor- 
theil  gewährt,  die  an  die  Injection  der  Jod- 
tinctur  oder  eines  anderen  Reizmittels  sich 
anschliessenden,  recht  heftigen  Schmerzen 
dem  Patienten  zu  ersparen.  —  Das  von 
meinem  verehrten  Chef,  Herrn  Dr.  Harbordt 
in  ca.  13  Fällen  seiner  Hospitals-  und  Privat- 
praxis eingeschlagene  Verfahren  ist  kurz 
folgendes:  Nachdem  mit  Hülfe  eines  gut 
desinflcirten ,   mittelstarken,    mit  Hahn   ver- 


48 


Practische  Notizen  und  empfehlemwerthe  ArzneiibnnelB. 


fTherapeutlsche 
L  Monalshefte. 


sehenen  Troikart  die  Flüssigkeit  unter  lang- 
samer Compression  der  Geschwulst  abge- 
flossen, wird  der  Hahn  geschlossen  und  nun 
die  Mündung  einer  mit  Cocainlösung  gefüllten 
grosseren  Pravaz'schen  Spritze  in  die  genau 
schliessende  Ausflussöffnung  des  Troikart 
eingefügt,  der  Hahn  geöffnet  und  die  Lösung 
eingespritzt.  Bei  mangelhaftem  Ineinander- 
passen beider  Instrumente  empflehlt  es  sich, 
die  Verbindung  der  Canülen  durch  ein  kurzes 
Stück  Gummirohr  (Drain)  herzustellen.  Die 
Concentration  der  regelmässig  angewandten 
Lösung  beträgt  4  :  100,  während  die  einge- 
führte Menge  je  nach  der  Grösse  des  Hydro- 
celensackes  abgestuft  werden  muss.  Für  die 
mittel  grossen  ca.  300  g  fassenden  Hjdrocelen 
Erwachsener  dürften  nach  unseren  Erfahrun- 
gen als  unschädliche  Dosis  2,5  g  obengenann- 
ter Lösung  =  0,1  Cocain  genügen.  Hat  man 
nun  durch  leichtes  Kneten  die  Flüssigkeit 
möglichst  gut  yertheilt,  so  lässt  man  nach 
1  —  2  Minuten  den  üeberschuss  abfliessen  und 
schliesst  sofort  die  Injection  reiner  Jodtinctur 
in  oben  beschriebener  Weise  an.  Dieselbe 
wird  nunmehr  überraschend  gut  vertragen. 

Zur  Verordnung  des  Kreosots 

wird  uns  von  Herrn  Dr.  Seitz,  Assistenten 
an  der  med.  Poliklinik  zu  Heidelberg  ge- 
schrieben : 

Als  eine  recht  brauchbare  Form  der  Dar- 
reichung des  neuerdings  wieder  gegen  tubercu- 
löse  und  chronisch-katarrhalische  Affectionen 
vielfach  gerühmten  Kreosots  hat  sich  uns  — 
besonders  während  der  kühleren  Jahreszeit  — 
eine  Combination  mit  Leberthran  erwiesen. 
Wir  verordnen  nach  der  Formel: 

J^     Kreosot.  2,5 

Ol.  jecor.  asell.  200,0 

Saccharin  i  0,1 

M.  D.  S.  1  —  2— Sxtägl.  1  Kaffee-  bis  Ess- 

lüffel  zu  nehmen. 
(NB.    Für  Erwachsene!    Für   Kinder   ent- 
sprechend geringere  Dosen). 
Als  Vorzüge    dieser  Medication    möchten 
wir  den,  gegenüber  den  andern  bisher  üblichen 
Mischungen,  weniger  unangenehmen  Geschmack 
hervorheben  —  manche  der  damit  Behandelten 
finden,  w^ohl  mit  Aufwand  einiger  Phantasie, 
Aehnlichkeit  mit  dem  Geschmack  geräucherten 
Schinkens. 

Ferner  dürfte  die  altbewährte  Anwendung 
des  Leberthrans  gleichzeitig  mit  Kreosot  in 
vielen  Fällen  als  wünschenswerth  erscheinen. 
Endlich  leidet  der  Appetit  bei  richtiger 
Anwendung,  d.  h.  bei  allmählichem  Steigern 
der  Dosen  so  gut  wie  nie. 

Indem  wir  somit  obige  Combination  nach 
unserer  bisherigen  Erfahrung  bestens  empfehlen 


können,  glauben  wir  es  nicht  unterlassen  zu 
dürfen,  darauf  an  dieser  Stelle  aufmerksam 
zu  machen. 

Bei  Uterinblutungen 

wendet     Montgommery     (Bull.    med.    und 
Lyon.  med.  1888  No.  48)  folgende  Mixtur  an: 
^V   Extr.  Cannab.  ind.  0,5 

Extr.  Secal.  corn.  4,0 

Extr.  liquid.  Hamamel. 
Tinct.  Canelae  aa  15,0. 

D.  S.    3  Male   täglich    1  Kaffeelöffel    voll 
zu  nehmen. 

Bei  der  Behandlung  des  Erysipels 

hat  Dr.  Nolte  (Allgem.  med.  Centr.  Ztg. 
No.  100/88)  seit  Jahren  mit  sehr  gutem 
Erfolge  Mucilago  gummi  arabici  unter  Zusatz 
von  Carbolsäure  angewendet.  Er  lässt  die 
afficirten  Stellen  und  einige  Centimeter  darüber 
hinaus  2  Mal  täglich  mit  3 — 5  procen tigern 
Carbolgummischleim  pinseln  und  diesen  dann 
trocknen. 

In  vielen  Fällen  von  Laryngismus  stridulus 

sah  Perceval  (Lancet,  November  1888)  von 
der  Anwendung  des  Antipyrins  in  stündlichen 
Dosen  von  0,12  sehr  guten  Erfolg. 

Ueber  Scharlachdiphtherie  und  ihre  Behandlung. 

Nach  Prof.  Heubner  (Volkmann's  klin. 
Vorträge  No.  322)  ist  die  Scharlachdiphthe- 
rie durch  das  Scharlachcontagium  bedingt. 
Wie  alle  die  übrigen  Symptome  wird  auch 
die  Halsaffection  durch  das  noch  unbekannte 
Virus  hervorgerufen.  H.'s  vielfach  erprobte 
und  bewährte  Behandlung  besteht  in  Ein- 
spritzungen einer  3 — 5  %  Garbolsäurelösung 
in  das  Gewebe  der  Tonsillen  und  des  weichen 
Gaumens.  Dadurch  gelangt  die  desinficirende 
Flüssigkeit,  hinreichend  concentrirt,  in  die 
Gewebsräume,  in  den  Lymphstrom  und  in  die 
Lymphdrusen.  Die  Injectionen  sind  so  lange 
fortzusetzen,  bis  die  Drüsen  abgeschwollen 
und  das  Fieber  zurückgegangen. 

Wie  soll  der  Arzt  seine  Instrumente  desinficiren  ? 

Nach  eingehenden  Untersuchungen  im 
Berliner  hygienischen  Institut  fand  Dr.  Da- 
vid s  o  h  n  (Berl.  klin.  Wochenschr.  1 888  No.  35), 
dass  die  ärztlichen  Instrumente  am  besten 
und  gründlichsten  durch  folgendes  Verfahren 
desinficirt  werden:  Aufkochen  in  "Wasser 
bei  100°  C.  auf  die  Dauer  von  5  Mi- 
nuten, wobei  das  Gefäss  durch  einen 
Deckel  verschlossen  wird.  Alle  patho- 
gen en  Mikroorganismen  werden  hierdurch 
vernichtet,  ohne  dass  die  Instrumente  den 
geringsten  Schaden  erleiden. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  von  Guatav  8chade  (Otto  Francke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatsheftee 


1889.    Februar. 


Originalabhandlnngen. 


Cephalothrypter  oder  Craniodast? 

Von 

Prof.  Dr.  P.  Zweifel  üi  Leipzig. 

Verebrtester  Herr  Redacteurl 

Da  Ihre  » 'Therapeutischen  Monatshefte" 
die  Schranke  durchbrechen,  welche  eine  alte 
Gewohnheit  um  den  Begriff  Therapie  zog, 
Tielmehr  ihre  Spalten  jeder  Besprechung 
offnen,  welche  das  ärztliche  Handeln  am 
Krankenbette  betrifft,  so  gestattet  mir  die 
weite  Fassung  Ihres  Programms  in  den  fol- 
genden Zeilen  ein  Thema  zu  besprechen, 
das  für  den  praktischen  Arzt  eine  grosse 
Bedeutung  hat.  Es  ist  die  Frage,  mit  wel- 
chen  Instrumenten  und  nach  welcher  Me- 
thode  ist  die  Perforation  und  besonders  die 
Extraction  des  perforirten  Kindes  am  sicher' 
sten  auszuführen? 

Die  Perforation  ist  keine  alltägliche 
Operation.  In  Gegenden,  in  denen  enge 
Becken  selten  sind^  können  Jahre  yergehen, 
ehe  ein  Arzt  in  guter  Praxis  vor  diese  Auf- 
gabe gestellt  wird.  Die  Häufigkeit  oder 
Seltenheit  des  Vorkommnisses  entscheidet 
jedoch  keineswegs  dessen  Bedeutung,  sondern 
die  Möglichkeit,  helfen,  nützen  zu  können. 
I>er  Arzt  muss  solcher  Fälle  froh  sein,  wo 
er  die  Ueberlegenheit  seiner  Kunst  gegen- 
über dem  Pfuscher-  imd  Quacksalberthum 
glänzend  an  den  Tag  legen  kann. 

Zwar  ist  die  Aufgabe  für  den  Praktiker 
nicht  immer  sehr  begehrenswerth.  Gerade 
-weil  die  Perforation  nicht  alltäglich  vor- 
kommt, wird  sich  mancher  Arzt  gegebenen 
Falls  ungewohnt  fühlen  und  um  so  schwerer 
zu  dieser  Operation  entschliessen.  Um  so 
dringender  ist  es  Pflicht  aller  Special isten, 
die  Aufgabe  der  Praktiker  zu  erleichtem, 
^weil  die  Erfahrung  allgemein  ist,  dass  die 
Zange  zu  viel  und  oft  da  gebraucht  wird, 
wo  dies  nicht  geschehen,  wo  sie  durch  das 
Perforatorium  ersetzt  werden  sollte. 

Sicher  trägt  aber  die  Uneinigkeit  der 
Fachgenossen  über  die  Art,  wie  der  per- 
forirte  Kopf  am  besten  zu'  entwickeln  sei, 
keineswegs  zur  Erleichterung  bei.  Der  Arzt, 
welcher  allgemeine  Praxis  treibt,   muss  sich 


in  solchen  technischen  Fragen  an  das  ürtheÜ 
der  Specialisten  halten,  weil  es  nur  diesen 
möglich  ist,  Erfahrungen  grösseren  ümfangs 
über  verschiedene  Methoden  zu  sammeln. 

Als  vor  1 1  Jahren  auf  der  Versammlung 
der  deutschen  Gynäkologen  zu  München  ein 
interessanter  Gedankenaustausch  stattfand^) 
über  die  Erfahrungen  mit  dem  Craniodast 
und  dem  Cephalothrypter ,  musste  der  un- 
vereinbare Gegensatz  der  Berichte  lebhaft 
überraschen.  Wären  es  Anschauungen  ge- 
wesen, wer  hätte  sich  darüber  gewundert! 
Es  waren  jedoch  Erfahrungen  über  dias 
gleiche  Instrument,  den  Cephalothrypter,  den 
einige  der  anwesenden  Gynäkologen  stets 
mit  vollster  Zufriedenheit  verwendet  hatten, 
den  andere  CoUegen,  vorwiegend  aus  der 
jüngeren  Generation,  in  Acht  und  Bann  ge- 
than.  Crede,  der  die  Anregung  zu'  der 
Discussion  gab,  trat  lobend  für  den  Cepha- 
lothrypter ein  und  nahm  für  ihn  eine  Reihe 
von  Vorzügen  in  Anspruch.  Wenn  er  auch 
mit  seiner  Ansicht  nicht  allein  stand  und 
seine  gunstigen  Erfahrungen  von  Hennig, 
Olshausen  und  Schwartz  bestätigt  wurden, 
so  hat  doch  jene  Empfehlung  des  Cephalo- 
thrypters  der  zunehmenden  Unbeliebtheit 
dieses  Instrumentes  und  der  wachsenden 
Bevorzugung  des  Cranioclastes  nicht  Einhalt 
zu  thun  vermocht. 

Von  allen  neueren  Lehrbüchern  empfohlen, 
gewinnt  der  Craniodast  mehr  und  mehr  an 
Beliebtheit.  Es  liegt  dem  Sprachgebrauch 
unserer  Zeit  nahe,  davon  zu  sprechen,  dass 
der  Craniodast  in  die  Mode  gekommen  sei. 
Doch  glauben  wir  nie  an  das  Aufkommen 
einer  Mode  in  einer  so  ernsten  Angelegen- 
heit der  wissenschaftlichen  Discussion;  denn 
was  ist  die  Mode  anderes  als  ein  urtheil- 
loses  Nachahmen  einer  persönlichen  Ge- 
schmacksrichtung! Wir  sind  ganz  überzeugt, 
dass  in  einer  praktisch  so  ausserordentlich 
wichtigen  Frage  zuletzt  das  Beste  trium- 
phiren  wird  und  dass  es  nur  nöthig  ist, 
an  eine  vorurtheilslose,  praktische  Prüfung 
heranzutreten,  um  das  Beste  zu  finden. 


')  Arch.  f.  Gyn.  Bd.  XH  p.  275. 


50 


Zweifel,  Cephalothrypter  oder  Cranioelait? 


rrherapeotlMh« 
L  Monatahflfta. 


Um  eine  solche  Prüfung  in  weiteren 
Kreisen  der  Fach  genossen  anzuregen,  wurden 
diese  Zeilen  yerfasst. 

Der  Wettbewerb  betrifft  zur  Zeit 
nur  2  Instrumente:  Cephalothrypter  und 
Cranioclast.  Mit  Recht  wird  allgemein  der 
scharfe  Haken  diesen  beiden  Instrumen- 
ten nachgestellt.  Derselbe  ist  weit  geföhr- 
licher  für  die  Ereissende  und  den  Opera- 
teur. Deswegen  kann  er  für  die  gewöhn- 
liche Praxis  nicht  empfohlen  werden. 

Oben  wurde  gesagt,  dass  d 
clast  von  allen  neueren  Lehrb 
pfohlen  und  dem  Gephalothr 
zogenen  wird.  Ich  muss  geste 
selbst  an  dieser  Empfehlung  The^ 
habe,  zwar  keineswegs  mit 
Enthusiasmus  —  denn  dazu  fehlten 
Yon  Anderen  geschilderten,  nie  versagenden 
Dienste  des  Cranioclastes.  Wenn  auch  in 
den  früher  ausgeführten  mehr  als  30  Per- 
forationen der  Cranioclast  von  mir  häufiger 
benutzt  wurde  als  der  Cephalothrypter,  so 
geschah  es  nicht,  weil  er  sich  heryorragend 
bewährte  und  nie  abglitt,  sondern  nur  weil 
er  nicht  ebenso  häufig  den  Dienst  versagte 
wie  der  Cephalothrypter.  Denn  nur  ein 
einziges  Mal  hielt  der  Cephalothrypter  beim 
kräftigen  Ziehen  fest  und  gestattete  den 
Kopf  zu  entwickeln,  während  im  gleichen 
Falle  der  Cranioclast  wiederholt  abgeglitten 
war. 

Ausser  der  ünzuverlässigkeit  des  Ce- 
phalothrypters  als  Extractionsinstrument  ist 
uns  niemals  irgend  ein  Nachtheil  aufge- 
fallen. Von  irgend  welcher  Geföhrdung  der 
Kreissenden  durch  das  Instrument  als  sol- 
chem kann  nicht  die  Rede  sein.  Wer  mit 
dem  Cephalothrypter  Verletzungen  der  Mutter 
macht,  muss  sich  selbst  die  Schuld  zu- 
schreiben. 

Das  Abgleiten  des  Cephalothrypters  ist 
jedoch  Grund  genug  des  Instrumentes  über- 
drüssig zu  werden.  Weil  wir  dies  selbst 
oft  genug  erlebt  haben,  können  wir  die 
Stimmung  der  Fachgenossen,  die  in  der 
Mehrzahl  einen  Schritt  weiter  gehen  und  das 
Instrument  ganz  aus  dem  Armamentarium 
Lucinae  bannen  wollen,  ganz  gut  verstehen. 

Auch  in  München  zählte  ich  zu  den- 
jenigen, welche  die  Worte  Crede's,  „dass 
der  Cephalothrypter  sicher  festhalte", 
mit  Verwunderung  anhörten,  weil  diese  An- 
gabe mit  den  eigenen  Erfahrungen  in  Wider- 
spruch stand. 

Zwar  hat  es  Crede  nicht  fehlen  lassen 
(1.  c.  p.  279  u.  280)  ausdrücklich  zu  betonen, 
dass  er  seine  guten  Erfahrungen  ausschliess- 
lich mit  dem  Busc haschen  Modell  gesammelt 
habe    und  bei  Versuchen  mit   den   Cephalo- 


thryptoren  von  Scanzoni,  Braun  und 
Kiwi  seh  sich  bald  von  deren  ünzuver- 
lässigkeit überzeugte.  Aber  um  des  be- 
mühenden und  entmuthigenden  Abgleitens 
willen,  das  uns  so  oft  mit  dem  Breisky'- 
schen  Cephalothrypter  vorgekommen,  welcher 
von  anderer  Seite  ja  auch  warm  empfohlen 
wurde,  konnten  wir  uns  nicht  entsch Hessen, 
einen  Busch 'sehen  Cephalothrypter  anzu- 
schaffen, umso  weniger  als  mit  dem  Cranio- 
^t  oder  mit  den  Bo er' sehen  Knochen- 
^ippetten,  wenn  auch  oft  mit  grosser  An- 
und  einigen  Enttäuschungen,  doch 
ihzukommen  war,  und  keine  durch 

Entbundene  starb. 
IS  mir  erging,  mag  es  anderen 
Tssen  ebenfalls  ergangen  sein.  Weil 
eine  Erprobung  des  Busch' sehen 
Cephalothrypter  (in  14  Fällen  seit  meiner 
Wirksamkeit  in  Leipzig)  mir  gezeigt  hat, 
dass  dieses  Instrument  ganz  ausgezeichnet 
wirkt  und  vollauf  das  höchste  Lob  ver- 
dient, möchte  ich  meine  personlichen  Er- 
fahrungen den  Fachgenossen  vorlegen,  um 
dieselben  zu  einer  nochmaligen  Prüfung  mit 
dem  Busch' sehen  Cephalothrypter  zu  er- 
muntern, ehe  sie  der  ungünstigen  Erfah- 
rungen willen,  die  sie  mit  anderen  Instru- 
menten gemacht  —  das  Kind  mit  dem  Bade 
ausschütten. 

Es  besteht  zwischen  den  2  Cephalo- 
thrypter-Modellen,  dem  Brei sky' sehen  und 
demjenigen  von  Busch  ein  Unterschied  im 
Festhalten,  wie  er  nicht  grösser  gedacht 
werden  kann.  Danach  ist  die  Vermuthung 
gerechtfertigt,  dass  auch  die  früheren  un- 
günstigen Erfahrungen  mit  anderen  Instru- 
menten erlebt  wurden.  Das  sprach  auch 
Spiegelberg  aus. 

Das  Festhalten  des  Instrumentes  ist  bei 
seiner  sonstigen  üngefährlichkeit  ein  voll- 
berechtigter Grund  zu  seiner  Empfehlung, 
ja  zu  seiner  Bevorzugung  vor  dem  Cranio- 
clast; denn  es  gestaltet  dieses  feste  Fassen 
des  Kopfes  die  ganze  Operation  über- 
raschend einfach  und  bequem,  noch  leichter 
als  die  Cranioclasie  ist.  In  der  Regel 
waren  die  14  Perforationen,  welche  in  den 
Jahren  1887  und  1888  während  meines 
Hierseins  und  zum  grössten  Theil  von  mir 
selbst  ausgeführt  wurden,  innerhalb  von  5  Mi- 
nuten vom  Ansetzen  des  Perforatorium  bis 
zur  Entwickelung  des  Kindes  vollendet.  So 
bequem  war  die  Cranioclasie  ganz  ausnahms- 
weise. Die  einzelnen  Fälle  dieser  Operation 
waren  unvergleichlich  mühsamer,  als  die 
hiesigen  Cephalotrypsieen. 

Da  früher  eingewendet  wurde,  gerade 
der  Cephalothrypter  tauge  bei  engem  Becken 
nicht,   so  sei  es  gestattet  einen  Fall  zu  er- 


m.  JalirgaBff.1 
Febniar  1889.J 


Zweifel,  Cephalothrypt«r  oder  Cranioclatt? 


51 


wähnen,  der  das  Yerhältniss  der  beiden 
rivalisirenden  Instrumente  kennzeichnen  kann. 
Wir  bekamen  eines  Abends  die  dringende 
Aufforderung,  am  folgenden  Morgen  mit  dem 
ersten  Zug  nach  Pegau  zu  kommen,  um 
wegen  absoluter  Gebärunmoglichkeit  einen 
Kaiserschnitt  auszuführen.  Dort  angekommen 
erfuhren  wir,  dass  Tags  vorher  die  Perfora- 
tion gemacht  wurde,  weil  das  Kind  todt 
war,  dass  drei  junge  tüchtige  Aerzte  sich 
mit  dem  Cranioclast  einen  halben  Tag  lang 
erfolglos  abgemüht  hatten  und  jetzt  keine 
andere  Rettung  kannten  als  durch  den 
Kaiserschnitt,  weil  selbst  das  zerstückelte 
Kind  um  der  ausserordentlichen  Becken- 
verengerung willen  nicht  zu  entwickeln  war. 
Die  Kreissende  hatte  ein  rhachitisch  platt 
verengtes  Becken  mit  einer  Conjugata  diago- 
nalis  von  6,25  cm.  Es  wurde  dieselbe 
dreimal  gemessen. 

Nach  der  Berechnung  betrug  die  Con- 
jugata Vera  4,26 — 4,6  cm.  Es  war  nicht 
zu  erwarten,  dass  die  Entwickelung  durch 
ein  so  hochgradig  verengtes  Becken  möglich 
sei.  Nur  weil  die  Aussichten  für  die  Frau, 
besonders  wenn  der  Kaiserschnitt  an  dem 
Orte  selbst  in  einer  finsteren,  niedrigen 
und  ungelüfteten  Bauernstube  ausgeführt 
werden  sollte,  sehr  ungünstig  waren,  legte 
ich  den  Bus ch^ sehen  Cephalothrypter  an. 

Der  Cephalothrypter  wird  genau  ebenso 
eingeführt,  wie  eine  Zange  an  den  hoch- 
stehenden Kopf.  Der  Schädel  hatte  sich 
nur  mit  einem  kleinen  Segment  in  den 
Beckeneingang  eingestellt.  Er  wurde  von 
den  Bauchdecken  aus  fixirt.  Dann  wurde 
die  rechte  Hand  so  weit  eingeführt  wie 
möglich,  4  Finger  an  dem  Kopf  empor- 
geschoben, mit  der  linken  das  linke  Blatt 
des  Cephalothrypters  gefasst  und  dasselbe, 
mit  seiner  polirten  Aussenfläche  nach  der 
Synchondrosis  sacro-iliaca  gewendet,  auf 
der  Yolarfläche  der  Hand  zwischen  der 
Schädel wölbimg  und  den  Fingern  möglichst 
weit  eingeführt. 

Durch  eine  Drehung  am  Griff  wird  das 
Blatt  seitlich  an  den  Kopt  gebracht,  der 
Griff  stark  gegen  den  Damm  gesenkt  und 
einem  Assistenten  zum  Festhalten  über- 
geben. 

Genau  ebenso,  nur  unter  einem  Wechsel 
der  Hände,  wird  das  rechte  Blatt  eingelegt. 
Dann  kommen  die  beiden  Blätter  in^s 
Schloss,  der  Braun^sche  Compression sapparat 
wird  angelegt,  langsam  zusammengeschraubt 
und  das  ausgepresste  Gehirn  und  Blut  fort- 
während weggespült. 

Hat  die  Compression sschraube  ihr  Ende 
erreicht,  so  versucht  man  —  ohne  Gewalt 
—  ob    sich    der    von    beiden    Seiten    platt 


gedrückte  Kopf  durch  Drehen  des  Cephalo- 
thrypters  nach  rechts  oder  nach  links  in 
die  von  vorn  nach  hinten  abgeplattete 
Beckenspalte  bringen  lasse.  Gewöhnlich 
dreht  sich  der  Cephalothrypter  bei  leichtem 
Ziehen  ?on  selbst  nach  der  einen  oder  der 
anderen  Seite. 

Nun  beginnt  der  Zug,  unter  abwechseln- 
der Controle,  ob  der  Kopf  folgt,  ob  die 
Löffel  richtig  liegen  und  nichts  vom  Mutter- 
mund oder  von  der  Scheide  gefasst  sei. 

Als  ich  in  dem  erwähnten  Fall  kräftig 
zu  ziehen  begann,  folgte  der  Kopf.  Inner- 
halb von  2  Minuten  war  das  Kind  entwickelt. 

Dasselbe  hatte  alle  Zeichen  der  Reife 
und  war  der  Berechnung  nach  vollkommen 
ausgetragen.  Doch  konnten  die  Angaben 
über  Gewicht  und  Länge  nichts  dafür  be- 
weisen, weil  durch  vollkommene  Zerstörung 
des  Schädeldaches  und  durch  das  Wegfliessen 
des  Gehirns  beide  Maasse  künstlich  ver- 
ändert waren. 

Auch  die  übrigen  Fälle  von  Perforationen 
boten  zum  Theil  sehr  starke  Beckenver- 
engerungen dar.  Die  Zahlen  folgen  um- 
stehend tabellarisch  geordnet. 

Wie  in  der  Tabelle  vermerkt  ist, 
kam  ein  halbes  Abgleiten  der  einen  Branche 
des  Cephalothrypters  einmal  vor.  Dieses 
Blatt  war  aber  vom  Assistenten  über  die 
Nabelschnur  angelegt  worden,  wobei  das 
Abgleiten  keineswegs  der  Zuverlässigkeit 
des  Instrumentes  Eintrag  zu  thun  vermag. 
Uebrigens  begann  der  Cephalothrypter  erst 
abzugleiten,  als  der  Kopf  beinahe  geboren 
war.  Er  hielt  immer  noch  so  fest,  dass 
mittelst  desselben  und  der  blossen  Hand  der 
Kopf  vollends  aus  den  äusseren  Genitalien 
entwickelt  werden  konnte. 

Es  kann  nach  den  vorgelegten  Angaben 
Niemand  behaupten,  dass  nur  leichte  Fälle 
von  geringem  räumlichem  Missverhältniss  bei 
unseren  Cephalothrypsieen  vorgekommen  seien. 

Wo  liegen  nun  die  Unterschiede  in  der 
Construction ,  da  sich  so  ausserordentlich 
verschiedene  Erfolge  in  der  praktischen  Ver- 
wendung zwischen  dem  Cephalothrypter  von 
Busch  und  von  Breisky  herausgestellt 
haben?  Ich  will  auch  den  kleinsten  Schritt 
auf  das  Gebiet  der  Speculation  vermeiden 
und  deswegen  mich  darauf  beschränken,  die 
Maass-  und  Grössenunterschiede  der  von  mir 
benutzten  Cephalothryptoren  anzugeben. 

Das  Busch' sehe  Instrument  ist  beträcht- 
lich länger  als  der  Cephalothrypter  von 
Breisky.  Es  misst  der  erstere  52  cm,  der 
letztere  43^3  cm.  Die  Beckenkrümmung  ist 
stärker  (10  :  9  cm),  die  Kopfkrümmung  be- 
deutend geringer,  nur  2,5  cm  im  Lichten  und 
zwischen    den  Kanten   der  beiden  Löffel  ge- 


7* 


52 


Zweifel,  Cephalothrypter  oder  Cranioclait? 


1.  Hhachitisch  plattes  Becken.  Poliklinik  1887,  No.  216. 
P.  litt  in  der  Kindheit  an  der  englischen  Krankheit,  lernte 
das  Gehen  erst  im  3.  Jahre.  II.  P.  von  24  Jahren.  Erste 
Geburt  angeblich  normal  verlaufen,  weil  das  Kind  klein 
war.  Die  Geburt  fand  am  22.  Mai  statt,  die  Periode  war  im 
Juli  ausgeblieben.  Vorfall  der  Nabelschnur,  das  Kind  vor 
der  Perf.  schon  abgestorben.  Wochenbett  normal.  Die  ganze 
Operation  dauerte  seit  Beginn  der  Narkose  10  Minuten. 

2.  Plattes  Becken.  Poliklinik  1887,  Nr.  403.  27  jährige 
in.  P.  Kreissende  hatte  schon  2  mal  Geburten  mit  todten 
Kindern  durchgemacht,  das  zweite  Mal  kam  das  Kind  todt 
nach  einer  Wendung.  Das  Kind  ruckte  trotz  langer  Geburts- 
thätigkeit  nicht  vor,  war  im  Absterben  begriffen,  stand  in 
Vorderscheitelbeinstellung.    Normales  Wochenbett. 

3.  Einfach  plattes  Becken  3.  Grades  mit  einer  Verenge- 
rung des  geraden  Durchmessers  auf  6  cm ;  Tumor  in  der  hin- 
teren Scheidenwand.  Ein  Dermoidkjstom ,  welches  später 
vereiterte  und  durch  Laparotomie  operirt  werden  musste. 
Kind  todt  vor  der  Perf.    Poliklinik  1888,  No.  447. 

4.  Einfach  plattes  Becken,  in.  P.  schon  2  mal  lebende 
Kinder  geboren.  Klinik  1887,  No.  130.  Ausserordentlich  grosses 
Kind  (60  cm  lang,  4100  g  schwer).  Vor  der  Perforation  Ver- 
langsamung der  Herztöne  und  Meconium-Abgang.  Eine  starke 
Dehnung  aes  unteren  üterinsegmentes  zwang  zur  Entbindung. 
Die  Entwicklung  des  Kopfes  rasch  und  sicher,  diejenige  der 
Schultern  macht  die  grössten  Schwierigkeiten.  Das  Wochen- 
bett mit  hohem  Fieber  complicirt,  Entlassung  am  36.  Tag. 

5.  Klinik  1887,  No.  219.  11.  P.  Erste  Geburt  spontan. 
Kind  starb  nach  4  Tagen.  U.  Gesichtslage,  Gesichtshnie  im 
queren  Durchmesser,  Kopf  noch  beweglich  über  dem  Becken- 
eingang. Kind  starb  ab.  Perforation.  Einsetzen  des  scharfen 
Hakens  am  Oberkiefer.  Wochenbett  gestört,  doch  konnte 
die  Entlassung  am  11.  Tag  erfolgen. 

6.  Einfach  plattes  Becken.  Klinik  1887,  No.  492.  25  Jahre 
alt,  vor  4  Jahren  Entbindung  eines  todton  Kindes  durch  die 
Zange.  II.  Vorderscheitellage,  96  stündige  Geburtsdauer,  vier 
Stunden  vor  der  Perforation  keine  Herztöne  mehr.  Durch 
Perf.  und  Cephalothrypsie  in  10  Minuten  leicht  entbunden. 
Kind  50  cm  lang  und  2700  g  ohne  Hirn.  Fieber  im  Wochen- 
bett, Entlassung  am  17.  Tag. 

7.  Allgemein  gleichmässig  verengtes  Becken.  Klinik  1887, 
Nr.  563.  Die  Kreissende  nur  140  cm  lang,  HI.  P.  frühere  Ge- 
burten angeblich  normal.  Jetzt  vorzeitiger  Blasensprung, 
Muttermund  nicht  erweitert,  Vorfall  des  Armes.  Als  keine 
Herztöne  mehr  zu  hören  waren,  Reposition  des  Armes.  Per- 
foration, Cephalothrypsie.     Grosse  Blutung.     Cervixrisse,  die 

fenäht    werden.      Im    Wochenbett    vorübergehend    geringes 
ieber  wegen  der  grossen  Schwäche  bis  zum  26.  Tag  in  der 
Anstalt  behalten. 

8.  Allgemein  verengtes  plattes  Becken  zweiten  Grades. 
Klinik  1888,  Nr.  394.  H.  P.  Weiss  nicht,  wann  sie  das  Laufen 
lernte.  I.  Geburt  vor  2  Jahren.  Sie  wurde  chloroformirt  und 
durch  Operation  entbunden,  weiss  aber  nicht,  was  geschah. 
Es  stellte  sich  später  heraus,  dass  schon  damals  perforirt 
wurde.  Wendung.  Als  auch  nachher  das  Kind  nicht  voi> 
rückte,  Extraction,  worauf  Perforation  und  Cephalothrypsie 
des  nachfolgenden  Kopfes;  Wochenbett  normal,  Entlassung 
am  11.  Tag. 


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9,5-10  7,5—8 


18,5 


22 


26 


22 


28,5 


31,5 


29 


24 


31 


30 


19 


10 


10,75 


8 


8,75 


17,5      10,5 


18 


8,5 


11,25 


23 


24,5 


28 


18,25 


10,25 


9,25 


8,25 


Febnutr  1888J 


Zweifel,  Cephalothrypter  oder  Cranioelast? 


53 


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In  cm: 


9.  Schwächliche  kleine  Person  von  132  cm  Eörpergrösse; 
Becken  klein  n.  platt.  LP.  Klinik  1888,  Nr.  369.  Kind  51cm 
1.  u.  2800 g  ohne  Gehirn.  Wochenbett  normal,  Entlassung 
am  10.  Tag. 

10.  Rhachitisch  allgemein  verengtes,  plattes  Becken. 
Klinik  1888,  Nr.  561.  Die  Kreissende  nur  139  cm  lanc.  11.  P. 
Erste  Geburt  spontan,  Nabelschnurvorfall.  Bei  der  II.  Geb. 
wieder  Nabelschnurvorfall,  Absterben  des  Kindes,  Perf.  u. 
Cepbalothr.  Hier  halbes  Abgleiten,  weil  das  eine  Blatt  über 
die  Nabelschnur  gelegt  war.  Kind  53  cm  1.  u.  3000  g  ohne 
Gehirn.    Wochenbett  normal,  Entlassung  am  10.  Tag. 

11.  Poliklinik  1887,  Nr.  287.  Stimlage  normales  Becken. 
Kind  todt  vor  der  l'erf. 


24 


24,5 


todt. 


12.   Poliklinik  1887,  Nr.  444.    Nabelschnurvorfall.  Kind 


26 


26,5 


29 


27 


20 


16 


13.   Poliklinik  1887,  Nr.  452.   I.  VorderscheiteUage,  dro- 
hende ütemsruptur. 


Für  die  Frage  des  Festhaltens  des  Cephalothrjpters  am  vorausgehenden  Kopf  kommen  Nr.  5  und  8 
in  WegfaU. 


10,75 


8,75 


10,5 


8,5 


messen.  Die  Kopfkrummung  am  Modell  von 
Breisky  beträgt  4  cm.  Dessen  Innen- 
flächen sind  parallel,  glatt  polirt  und  ge- 
fenstert.  Die  Löffel  des  Bus  eh  ^  sehen  In- 
strumentes sind  ausgehöhlt,  ungefenstert 
und  an  der  Innenfläche  mit  feinen  Spitzen 
yersehen,  wie  bei  einer  Raspel. 

Das  sind  alles  Unterschiede,  die  für 
Festhalten  oder  leichtes  Abgleiten  recht  gut 
entscheidend  sein  können. 

Der  Cranioelast  ist  dem  Abgleiten  mehr 
ausgesetzt,  als  der  Busch 'sehe  Cephalo- 
thrypter. 

Wir  wollen  die  Frage  nicht  übergehen, 
welches  Instrument  bei  uneröffnetem  Mutter- 
munde eher  verwendbar  sei?  Unbedingt  ist 
hier  der  Cranioelast,  weil  er  schlanker  und 
schmaler  ist,  eher  möglich;  denn  die  Breite 
der  Blätter  beträgt  beim  Cephalothrypter 
4,  beim  Cranioelast  2  cm.  Dies  kann  je- 
doch die  Wahl  zwischen  den  2  Instrumenten 
nicht  entscheiden.  Die  Indication  zur  Per- 
foration bei  sehr  engem  Muttermund  ist  eine 
seltene  Ausnahme.  Es  sind  die  2  Fälle  von 
schwerster  Rigidität  oder  Cancroid  der 
Portio.  Und  muss  in  solchen  Fällen  äusser- 
ster  Engigkeit  und  Unnachgiebigkeit  ent- 
bunden werden,  so  kann  auch  die  Branche 
des  Cranioclastes  zu  breit  sein.  Ich  habe 
einmal  die  Perforation  in  solcher  Lage  aus- 
fahren müssen,  wo  der  Muttermund  nur  für 


das  Trepan-Perforatorium  von  E.  Martin 
durchgängig  war.  In  solchen  Ausnahmefällen 
bleibt  nur  das  ultimum  refugium  —  der 
scharfe  Haken  —  für  die  Extraction  des 
perforirten  Kopfes  übrig. 

Die  Schilderungen  von  Verletzungen, 
welche  der  „massige^  Cephalothrypter  setze, 
dass  er  schwere  Erkrankungen  bedinge,  können 
heute  nicht  mehr  gelten.  Wenn  eine  Ver- 
letzung durch  Mitfassen  von  Falten  des 
Muttermundes  oder  der  Scheide  entsteht,  so 
ist  der  Cephalothrypter  nicht  zu  beschul- 
digen. Er  darf  deswegen  noch  nicht  ver- 
worfen werden,  denn  die  gleichen  Vorkomm- 
nisse können  sich  unter  mangelhafter  Vor- 
sicht auch  beim  Gebrauch  des  Cranioelast, 
ja  sogar  bei  der  Zange  ereignen.  Sie  sind 
sehr  leicht  zu  vermeiden,  wenn  man  sich 
gewöhnt,  alle  in  die  Genitalien  eingeführten 
Instrumente  zu  decken.  Wo  Todesfälle 
früher  vorkamen,  da  muss  man  gerechter- 
weise in  jedem  Einzelfall  nachfragen,  wie  es 
bei  der  Entbindung  zuging?  Es  ist  nicht 
zu  viel  gesagt,  dass  das  Geschehene  oft 
jeder  Beschreibung  spottete.  Das  lege  man 
nicht  der  Cephalothrypsie  zur  Last,  weil  zu- 
fällig neben  allen  möglichen  vorhandenen 
Instrumenten  auch  dieses  aus  dem  rostigen 
Armamentarium  hervorgeholt  wurde.  Seit- 
dem die  Antisepsis  ihren  Einzug  in  die  Ge- 
burtshilfe   hielt    und    auch    für  Pflege    und 


1 


54 


Zweif«l,  C^phalofhryptor  od«r  Craaloelut? 


L  MonatilMft«. 


Sauberkeit  der  Instrumente  ein  Auge  ofifen 
gehalten  wird,  ist  die  Perforation  eine  un- 
gefährliche Operation  geworden.  Es  sind  in 
den  Jahren  1883  bis  und  mit  1888  in  der 
hiesigen  geburtshülflichen  Poliklinik  auf 
3683  Geburten  55  Craniotomieen  ausgeführt 
worden,  darunter  2  mal  bei  schon  bestehender 
Ruptura  uteri,  einmal  bei  Eklampsie.  Diese 
3  Frauen  starben,  keine  an  Folgen  der 
Craniotomie.  Noch  gunstiger  waren  die  Er- 
folge in  der  geburtshilflichen  Klinik,  wo 
während  desselbn  Zeitraumes  unter  3455  Ge- 
burten 18  Craniotomieen  vorkamen,  davon 
2  mal  bei  Eklamptischen,  welche  an  dieser 
Krankheit  starben.  Wo  die  Kreissenden  vor 
dem  Eintritt  in  die  Klinik  nicht  maltraitirt 
waren,  besonders  durch  die  gewaltsamen 
Versuche  mit  der  an  den  hochstehenden 
Kopf  angelegten  Zange,  da  war  das  Wochen- 
bett in  der  Regel  ganz  normal.  Von  den 
erwähnten  16  hatten  nur  3  längere  Zeit 
Fieber,  die  anderen  genasen  rasch  und  konnten 
6  derselben  schon  am  10.  Tag  p.  p.  entlassen 
werden.  Von  den  68  Craniotomieen,  die 
nicht  um  der  Eklampsie  oder  üterusruptur 
willen  schon  vor  der  Operation  dem  Tod 
verfallen  waren,  ist  keine  Person  ge- 
storben. Auch  mir  persönlich  ist  keine  durch 
Craniotomie  Entbundene  verloren   gegangen. 

Darum  möchte  ich  recht  betonen,  dass 
die  Perforation  und  Cephalothrypsie  eine 
ungefährliche  und  für  den  Praktiker  bequem 
eingerichtete  Operation  ist,  um  die  Collegen 
möglichst  vor  dem  Missbrauch  der  Zange 
abzuhalten  und  zur  Ausfuhrung  der  Cranio- 
tomie im  entsprechenden  Fall  anzuregen. 

Der  Act  der  Perforation  im  engeren  Sinn 
des  Wortes,  also  das  Eröffnen  des  Schädels, 
wird  von  der  Art  des  Extractionsinstrumentes 
nur  unwesentlich  beeinflusst.  Gerade  wer 
zur  Verkleinerung  des  Kopfes  den  Cephalo- 
thrypter  benutzt,  kann  den  Kopf  mit  einem 
Trepan  oder  einem*  scheerenförmigen  Per- 
foratorium  durchbohren.  Es  kommt  nur 
darauf  an,  den  Kopf  vollkommen  festzuhalten 
und  die  Spitzen  des  Instrumentes  durch 
vorgelegte  Finger  sorgfältig  zu  decken. 

Anders  beim  Cranioclast.  Die  Trepan- 
öfFnung  ist  nicht  gross  genug,  um  die  innere 
Branche  in  die  Schädelhöhle  einzuführen. 
Man  braucht  dazu  ein  scheeren-  oder  dolch- 
förmiges  (das  beste  der  letzteren  Kategorie 
ist  dasjenige  von  Blot)  Perforatorium ,  um 
die  Oeffhung  genügend  zu  erweitem.  Für 
die  Gefährdung  der  Kreissenden  besteht  kein 
Unterschied  zwischen  den  einen  oder  den 
anderen  Perforatorien.  Beide  werden  unter 
drehenden,  bohrenden  Bewegungen  fest  an- 
gedrückt und  durchdringen  das  Schädeldach 
regelmässig  rasch  und  leicht. 


Nach  eigener  Erfahrung  lässt  die  Ver- 
wendung des  Cephalothrypters  von  Busch  zur 
Extraction  perforirter  Köpfe  an  Sicherheit 
und  Bequemlichkeit  nichts  zu  wünschen 
übrig.  Jedenfalls  ist  dieselbe  leichter  als 
die  Cranioclasie.  Im  Interesse  der  Praktiker 
wäre  es  zu  beklagen,  wenn  ein  so  gutes 
Hülfsmittel,  wie  der  genannte  Cephalothrypter 
in  den  Hintergrund  und  schliesslich  in  die 
Vergessenheit  verdrängt  würde,  wesentlich  aus 
dem  Grunde,  weil  mit  Instrumenten  anderer 
Constructiou  schlechte  Erfahrungen  gemacht 
wurden.  Darum  wende  ich  mich  an  alle 
vorurtheilslosen  Fachgenossen  mit  der  Auf- 
forderung: Prüfet  aber  Alles  und  behaltet 
das  Gute. 


Bemerkiingren  über  die  SugrST^tiv- 

therapte« 

Von 

Prof.  Dr.  Otto  Binswanger  in  Jena. 

fPorttetgunfi.J 

Wie  bekannt,  hat  gegenwärtig  bei  dem 
Studium  der  hypnotischen  Erscheinungen 
die  Gegensätzlichkeit  der  Ergebnisse  der 
Pariser  Schule  unter  der  Führung  von  Char- 
cot  und  derjenigen  der  Nancj^er  Schule  zu 
der  Erörterung  genöthigt,  ob  die  einseitig 
oder  vorwaltend  durch  Suggestion  bewirkte 
Hypnose  in  allen  Fällen  derjenigen  gleich- 
werthig  zu  erachten  sei,  welche  wir  mittelst 
der  äusseren  Einwirkungen  durch  Sinnenreize 
ohne  jede  Suggestion  erregt  haben. 

Die  Antwort  wird  bei  unbefangener  Prü- 
fung des  vorhandenen  Beobachtungsmaterials, 
z.  B.  der  Vergleichung  der  ersten  Ergebnisse 
Braid^s,  der  Forschungen  Heidenhain^s, 
der  Studien  der  Charco tischen  Schule  und 
nach  eigenen  Untersuchungen  verneinend 
ausfallen  müssen.  Die  hypnotischen  Zu- 
stände nach  physikalischen  Eingriffen  mit 
Ausschluss  der  Suggestion  zeigen  eine  grosse 
Gesetzmässigkeit  bezüglich  der  Hervorrufung 
und  Aufeinanderfolge  der  einzelnen  Erschei- 
nungen, nicht  nur  am  einzelnen  Versuchsob- 
ject  bei  Öfterer  Wiederholung  der  Versuche, 
sondern  auch  in  grossem  Versuchsreihen  an 
den  verschiedenartigsten  Versuchspersonen. 
Und  zwar  zeigt  sich  vor  Allem,  dass  mittelst 
dieser  Vornahmen  meist  nur  ein  feststehen- 
der Bruchtheil  der  hypnotischen  Erscheinun- 
gen bei  jeder  Versuchsperson  hervorgerufen 
werden  kann,  so  lange  nicht  die  Suggestion 
zu  Hülfe  genommen  wird,  so  lange  also 
nicht  die  Tabula  rasa  der  Vorstellungstbä* 
tigkeit,    wie  Preyer   tre£Fend  den   geistigen 


18W.J 


Blntwanf«r»  B«m«rkunfen  Über  die  SugfeiÜvtherapie. 


55 


Zustand  der  Hypnotisirten  bezeichnet  hat, 
mit  den  Einflüsterungen  des  Experimentators 
bevölkert  wird.  Dann  aber  hört  alle  Ge- 
setzmässigkeit auf;  dann  können  beliebig 
Krämpfe,  Lähmungen,  Anästhesien,  Hyper- 
ästhesien, Muskelsinnstörungen,  Haliucina- 
tionen  u.  s.  w.  bei  ein  und  demselben  Indi- 
viduum wechselnd  hervorgerufen  werden, 
sobald  es  nur  in  ausgiebigem  Maasse  sug- 
gestibel  ist.  und  weiterhin  ist  es  mir 
höchst  wahrscheinlich  geworden,  dass  die 
primäre  Suggestionshjpnose  niemals  die 
Tiefe  und  Ausdehnung  erlangen  kann,  wie 
diejenige  durch  primäre  und  ausschliesslich 
wirkende  Sinnesreize  (Fixation  des  Blickes, 
leichtes  Streichen  u.  s.  w.).  Es  ist  auch  be- 
merkenswerth,  dass  die  Suggestionshyp- 
nose, welche  öfter  wiederholtem,  ur- 
sprünglichem Braidismus  nachfolgt, 
bei  alleiniger  Suggestion  des  Schlafes 
durch  sei bstthätiges  Auftauchen  der 
Erinnerungsbilder  früherer  hypno- 
tischer Erscheinungen  in  der  Ver- 
suchsperson den  ganzen  Complex  der- 
selben zeitigen  kann.  Dies  hat  mich 
in  frappirender  Weise  ein  Versuch  gelehrt. 
Ein  junges  Mädchen,  welches  circa  6  Mo- 
nate früher  durch  Fixation  des  Blickes  und 
Streichen  ohne  alle  Suggestion  in  tiefen 
lethargischen  Zustand,  mit  Aufhebung  fast 
aller  Beziehungen  des  Ichs  zur  Aussenwelt 
und  gleichzeitiger  neuromusculärer  Ueberer- 
regbarkeit  versetzt  worden  war,  wurde  neuer- 
dings durch  Suggestion  in  hypnotischen 
Schlaf  gebracht;  nach  wenigen  Augenblicken 
trat  der  frühere  lethargische  Zustand  mit 
allen  Einzelerscheinungen  auf.  Das  Mädchen 
gab  nach  dem  Aufwachen  an,  beim  Berühren 
des  Ellenbogens  sofort  die  Vorstellung  des 
Fingerkrampfes  („ griffe  cubitale^)  gehabt  zu 
haben.  In  diesem  Falle  ist  die  Erklärung 
der  Erscheinimgen  mittelst  der  „indirecten^ 
Suggestion  und  der  Autosuggestion  durchaus 
zulässig. 

Wollen  wir  also  künftighin  neuere  Er- 
fahrungen über  die  Wirkungsweise  hypno- 
tischer Maassn ahmen,  auch  in  therapeu- 
tischem Sinne,  mit  denjenigen  anderer  Un- 
tersucher vergleichen,  so  wird  nothwendig 
die  Vorfrage  gestellt  werden  müssen:  hat 
ursprüngliche  Braid'sche  Hypnose  ohne 
Suggestion,  Braidismus  mit  nachfolgender 
Suggestion  oder  primäre  Suggestivhyp- 
nose in  der  früher  erörterten  Bedeutung 
zum  Ausgangspunkte  der  geschilderten  Er- 
gebnisse gedient? 

Durch  diese  Auseinandersetzung  glaube 
ich  genügend  gezeigt  zu  haben,  dass  ich 
die  genaueste  Berücksichtigung  der  Methodik 
bei    Abwägung    der  Wirkungsweise    hypno- 


tischer Eingriffe  im  Allgemeinen  wohl  zu 
würdigen  weiss.  An  dieser  Stelle  beschäf- 
tigt uns  nur  ein  Gesichtspunkt,  nämlich  die 
Bez)<»hungen  der  Methodik  zur  Heilwir- 
kung der  Hypnose.  Ich  habe  schon  früher 
die  Ansicht  Liebeaul  t^s  und  seiner  Anhänger 
gekennzeichnet;  vergleichen  wir,  um  ihren 
Lehren  auf  den  Grund  zu  kommen,  die 
„inneren"  Vorgänge  bei  der  Entwicklung  der 
Hypnose,  soweit  sie  bei  unserer  unzuläng- 
lichen Erkenntniss  überhaupt  klargestellt 
werden  können.  Anhaltende,  gleichförmige, 
nicht  ungewöhnlich  starke  und  nicht  auf- 
regende Reizungen  von  Sinnesorganen  führen 
nacji  Braid  zum  hypnotischen  Zustand, 
unter  der  Voraussetzung,  dass  „unter  allen 
Umständen"  eine  starke  einseitige  Anspan- 
nung der  Aufmerksamkeit  („expectant  atten- 
tion") stattfindet. 

Hier  tritt  also  der  hypnotische  Zustand  unter 
dem  Einfluss  bestimmter  äusserer  Reize  ein, 
welche  die  psychische  Beschaffenheit  des 
hypnotisirten  Individuums,  soweit  es  sich 
um  die  Einführung  fremder  Vorstellungen 
handelt,  nicht  wesentlich  zu  verändern 
brauchten. 

Dieser  „physikalisch"  erzeugte  hypn. 
Schlaf  entspricht  wohl  am  meisten  den  mag- 
netischen Schlafzuständen  der  alten  Heil- 
magnetiseure  und  soll  an  sich,  ohne  weitere 
Zuthaten  des  Experimentators,  durch  sugge- 
stive Beeinflussung  eine  wohlthuende  Ruhe 
und  Erholung  des  Kranken  nach  Analogie 
des  physiologischen  Schlafes  hervorbringen. 
In  gleicher  Weise  habe  ich  auch  schon 
früherhin  (vergl.  meine  Mittheilungen  in  der 
Realencyclop.)  bei  nervöser  Schlaflosigkeit, 
hystero-kataleptischen  und  somnambulischen 
Zuständen  Beruhigung  und  Schlaf  durch 
einfaches  Zudrücken  der  Augen  und  Streichen 
des  Gesichts  (Las^gue)  erzielt,  welchem  erst 
späterhin  die  Suggestion  des  Schlafes  hinzu- 
gefügt wurde. 

In  anderen  Fällen  genügte  auch  schon 
nach  Braid  die  „erwartungsvolle  Stimmung" 
im  Vereine  mit  der  bestimmten  Vorstellung 
des  Hypnotisirtwerdens,  besonders  bei  ein- 
zelnen leicht  empfönglichen  Individuen,  um 
nach  Augenschluss  in  Hypnose  zu  verfallen. 
Hier  wirkt  also  fast  ausschliesslich  die 
spontan,  auf  Grund  imitatorischer  Vor- 
gänge auftretende  psychische  Veränderung 
der  Versuchsperson,  deren  Vorstellungsleben 
eine  einseitige  Concentration  auf  die  Vor- 
stellung der  magnetischen  oder  hypnotischen 
Beeinflussung  erfahren  hat.  Diese  „psy- 
chische Infection"  der  Versuchsperson  oder 
besser  gesagt,  des  zu  heilenden  Patienten 
wird  nun  bei  dem  Verfahren  der  Nancyer 
Schule   zum  Princip    erhoben.     Die  Vorstel- 


56 


Blniwanfer,  Bemerkungen  über  die  Suggestivtherapie. 


rlierapentlscha 
Monatshefte. 


lung  des  Schlafes  wird  nicht,  wie  falsch  lieh 
Herr  Bernheim  annimmt  in  Yollig  harm- 
loser Weise,  nach  Analogie  des  gewöhn- 
lichen Einschlafens  zur  Zeit  der  Nachtruhe, 
Tom  Kranken  selbst  auf  Grund  natürlicher 
Ermüdungsgefühle  oder  bestimmter,  uns  noch 
unerklärter  Ernährungszustände  des  Central- 
nervensystems  erregt,  sondern  ihm  in  völlig 
wachem  Zustande  künstlich  von  aussen 
zugetragen.  Es  wird  demselben  eine  ihm 
fremde,  in  bestimmten  körperlichen  oder 
geistigen  Zuständen  in  keiner  Weise  begrün- 
dete Yorstellung  auf  gezwängt,  seine  geisti- 
gen Vorgänge,  sein  Yorstelltingsinhalt  werden 
einer  gewaltsamen  Aenderung  unterworfen. 

Es  bedingt  also  schon  die  einfache  Sug- 
gestion des  Schlafes  in  der  Ton  Li^beault 
geübten  Weise  eine  Verkehrung  bestimmter 
natürlicher  Vorgänge  yermittelst  fremder  Vor- 
stellungsreize, welche  vom  Arzte  in  die 
associative  Thätigkeit  der  Patienten  hin- 
eingeschoben werden.  Oder  mit  anderen 
Worten,  wir  durchbrechen  mit  diesen  öfters 
und  eindringlich  wiederholten  Suggestionen 
die  selbstthätige  Geistesarbeit  des  Patienten. 
Man  wird  mir  einwenden,  dass  diese  üeber- 
tragung  von  Vorstellungs-  und  Willensreizen 
von  Person  zu  Person  ein  von  jeher  und 
überall  geübter  Vorgang  ist,  welcher  aller 
erzieherischen  Thätigkeit  und  der  geistigen 
Fortbildung  jedes  Einzelnen  zu  Grunde  liegt. 
Und  weiterhin  wird  man  mit  Recht  sagen, 
dass  der  Arzt  fortwährend  von  der  Macht 
psychischer  Beeinflussung  seinen  Kranken 
gegenüber  Gebrauch  macht  und  schon  lange 
vor  der  modernen  Suggestivtherapie  die 
„moralische  Behandlung"'  der  Kranken  bei 
der  Beseitigung  gewisser  Krankheitszustände, 
vor  Allem  der  Hypochondrie  und  der  Hy- 
sterie, die  reichsten  Früchte  getragen  hat. 
Aber  diese  psychischen  Hülfsmittel  lassen 
sich  nur  bei  oberflächlicher  Betrachtung  mit 
den  Vorgängen  bei  der  Suggestionshypnose 
auf  eine  Linie  stellen.  Bei  den  ersteren 
wirken  wir  durch  die  Macht  einer  richtigeren 
Erkenntniss,  durch  die  Gewalt  eines  ge- 
festigteren Willens  und  schärfern  ürtheilsver- 
mögens,  indem  wir  uns  gleichzeitig  bemühen, 
der  fremden  Person  die  Noth wendigkeit  und 
die  Zweckmässigkeit  unserer  Anschauungen 
und  unserer  Befehle  verständlich  und  ihrer 
eigenen  Denk-  und  Willensthätigkeit  zu- 
gänglich zu  machen.  Es  bedarf  hierbei  der 
eigensten  Mitarbeit  der  zu  beeinflussenden 
Person,  um  diese  inducirten  Vorstellungen 
ihrem  Ich  als  mehr  weniger  wesentlichen 
Bestandtheil  ihrer  geistigen  Individualität 
einzuverleiben.  Das  ist,  wenn  wir  den  so 
beliebten  neueren  Ausdruck  hierfür  verwer- 
then    wollen,    die    Suggestion    im    wachen 


Zustand,  freilich  in  etwas  veränderter  Be- 
deutung, als  derselbe  in  den  Werken  über 
die  Suggestion  sonst  gebraucht  wird.  Das 
Individuum  hat  die  Möglichkeit,  die  indu- 
cirte  Vorstellung  abzulehnen  oder  aufzu- 
nehmen, dem  fremden  Willensimpuls  zu 
folgen  oder  nicht.  Hier  ist  die  Induction 
von  Vorstellungen  Selbstzweck,  dort  bei  der 
Suggestion  des  Schlafes  Mittel  zum  Zweck. 
Denn  bei  der  letzteren  wird  nicht  das  Ur- 
theilsvermögen,  die  logische  Denkfähigkeit 
unserer  Kranken  verwerthet,  nicht  eine 
wohlthätige  Stärkung  derselben  erstrebt, 
sondern  diese  gerade  umgekehrt,  mit  ein- 
seitiger Inanspruchnahme  eines  höchst  un- 
kritischen Seelenvermögens,  der  Einbildungs- 
kraft gewissermaassen  durchlöchert.  Eine 
vemunftgemässe  Erziehung  des  Kindes  und 
des  Kranken  bemüht  sich,  den  Körper  in 
die  straffe  Zucht  des  Geistes  zu  bringen, 
den  Einfluss  körperlicher  Zustände,  z.  B. 
Ton  Schmerzen,  auf  die  seelischen  Vorgänge, 
auf  die  Gemüthslage,  auf  die  Richtung  des 
Denkens,  auf  die  Willenshandlungen  mög- 
lichst einzudämmen,  dieselben  also  abzuhärten 
und  geistig  freier  zu  machen.  Gerade  in 
unserem  nervösen  Zeitalter  hat  die  erziehe- 
rische Aufgabe,  die  geistige  Individualität 
genügend  zur  Bekämpfung  imd  Unterdrückung 
einseitiger  und  übermässiger  Beeinflussung 
psychischer  Vorgänge  durch  körperliche  Zu- 
stände und  umgekehrt  heranzubilden,  eine 
erhöhte  Bedeutung  gewonnen.  Statt  dessen 
macht  die  moderne  hypnotische  Suggestiv- 
therapie es  sich  zur  Aufgabe,  diese  Ver- 
werthung  von  Vorstellungsreizen  zur  Er- 
zeugung bestimmter  körperlicher  Verän- 
derungen künstlich  zu  steigern  und  zu 
züchten,  d.  h.  den  Kranken  vorüber- 
gehend hysterisch  zu  machen.  Auf 
dieser  Bahn  ist  die  vorwaltende  Benutzung 
der  Suggestion  zur  Erzielung  des  hypno- 
tischen Schlafes  der  erste  Schritt. 

Ich  gelange  also  zu  dem  Schlüsse,  dass 
die  Erzeugung  des  hypnotischen  Zustandes 
mittelst  der  Nancy  er  Methode  durch  diese 
geschilderte  psychische  Veränderung  der 
Versuchsperson  nicht  zu  unterschätzende 
Gefahren  birgt,  welche  naturgemäss  mit 
jeder  Wiederholung  der  Versuche  resp.  der 
hypnotischen  Behandlung  sich  steigern.  Es 
würde,  von  diesem  Gesichtspunkte  ausgehend, 
die  Erzeugung  des  hypnotischen  Schlafes 
mittelst  physikalischer  Maasnahmen  sogar 
den  Vorzug  verdienen.  Doch  bergen  diese  vne- 
der  anderweitige  üebelstände  und  unange- 
nehme Folgeerscheinungen,  wie  ich  schon 
oben  an  der  Hand  der  Erfahrungen  der 
alten  Heilmagnetiseure    kurz   erwähnt  habe. 

Die  Nancyer   Schule    betont    gerade   als 


m  Jahrgioif .1 
Febrnju-  1889.J 


Blntwanfer,  Bemerkuofen  Üb«r  di«  dufgeitivth«rapi«. 


57 


Hauptvorzug  ihres  Yerfahrens,  dass  dasselbe 
ohne  alle  Nebenwirkung  den  hypnotischen  Zu- 
stand in  der  Form  eines  Schlafes  heryorrufe, 
welcher  sich  Ton  dem  physiologischen  Schlafe 
in  nichts  unterscheide.  Also  abgesehen  Yon 
dem  Vorgänge  bei  der  Hervorrufung  dieses 
Schlafes  würde  nach  den  Ausfuhrungen 
Liebeault's,  Bernheim's  u.  A.  der  hypno- 
tische Schlaf  an  sich  ein  ganz  gefahrloser 
Zustand  sein,  der  ohne  schädliche  Folgen 
in  ungezählter  Aufeinanderfolge  immer  wie- 
der bewirkt  werden  darf.  Ich  will  auf  diese 
Beweisführung  hier  nicht  näher  eingehen,  es 
sei  mir  nur  gestattet,  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dass  wir  von  den  inneren  Vor- 
gängen beim  natürlichen  Schlafe  noch  so 
wenig  wissen,  dass  eine  Yergleichung  des- 
selben oder  sogar  eine  Identificirung  mit 
dem  künstlichen,  hypnotischen  Schlafe  leicht 
begonnen  und  behauptet,  aber  schwer  be- 
wiesen werden  kann.  Charcot  weist  in 
einer  seiner  letzten  klinischen  Vorlesungen 
darauf  hin,  dass  die  „Schlafattaquen"  im 
Verlaufe  schwerer  hysterischer  Krankheits- 
iSAle  durch  ganz  gesetzmässige  Kennzeichen 
Tom  -  natürlichen  Schlafe  scharf  unterschieden 
werden  können  und  stellt  gerade  wegen  die- 
ser Merkmale  jene  den  hypnotischen  Schlaf- 
zuständen zur  Seite.  Freilich  handelt  es 
sich  bei  dieser  Aufstellung  Charcot^ s  um 
hypnotische  Erscheinungen  bei  der  grande 
hysterie,  welche  sich  mit  denjenigen  bei  der 
n kleinen^  Hypnose  nicht  völlig  decken.  Aber 
auch  bei  letzterer  lehren  mich  meine  eigenen 
Erfabrungen,  dass  einzelne  der  von  Char- 
cot und  seiner  Schule  hervorgehobenen  Er- 
scheinungen dieses  künstlichen  Schlafes  bei 
genauer  Untersuchung  auch  bei  dem  Schlafe 
der  gewöhnlichen  Hypnose  der  Nancyer 
Schule  nachgewiesen  werden  können,  am 
häufigsten  die  leichten  krampfartigen  Zuckun- 
gen der  Augenlider  oder  leichte  Muskel- 
spannungen einzelner  Muskelgruppen  der 
Extremitäten. 

Aber  nicht  die  Erzeugung  des  hypnoti- 
schen Schlafes  allein  ist  die  Aufgabe  des 
Heilhypnotiseurs,  sondern  die  Verwerthung 
dieses  Schlafes  zur  Anwendung  heilkräftiger 
Suggestionen.  Zu  diesem  Zwecke  ist  es 
nothwendig,  dem  „plastisch"  gemachten  Ge- 
hirne eine  Reihe  von  Vorstellungen  einzu- 
flüstern, welche  bestimmte  körperliche  oder 
auch  geistige  Krankheitszustände  zu  besei- 
tigen im  Stande  sind.  Auf  andere  sugges- 
tive Einwirkungen,  z.  B.  die  Erregung  von 
Hallucinationen,  Krämpfen  u.  s.  w.  habe  ich 
hier  nicht  näher  einzugehen.  Forel  giebt 
in  seinem  letzten  Vortrage  eine  Zusammen- 
stellung „derjenigen  Krankheiten  und  krank- 
haften Zustände,  bei  welchen  die  Anwendung 


der  Suggestion  Erfolge  aufzuweisen  hat: 
1.  spontaner  Somnambulismus;  2.  Schlaf- 
losigkeit; 3.  Schmerzen  aller  Art;  Kopf- 
schmerzen (Migräne),  Neuralgien  (Ischias, 
Zahnschmerzen  u.  s.  w.);  4.  functionelle 
Lähmungen  und  Contracturen ;  5.  Alkoho- 
lismus und  Morphinismus;  6.  Rheumatismus; 
7.  Appetitlosigkeit;  8.  Stuhlverstopfung  und 
Diarrhoe;  9.  zur  Erzielung  chirurgischer 
Anaesthesie  bei  Zahnextraction ,  auch  schon 
zur  Anaesthesie  bei  der  Geburt  verwandt. 
Dabei  muss  man  sich  aber  hüten,  vor  dem 
Patienten  grosse  Vorbereitungen  zu  treffen 
und  ihm  dadurch  Angst  einzuflössen,  indem 
sonst  die  Suggestion  sicher  misslingt. 
10.  Menstruationsstörungen  (Metrorrhagie 
und  Amenorrhoe);  11.  Chlorose;  12.  Stot- 
tern, nervöse  Sehstörungen;  13.  neurasthe- 
nische  Beschwerden;  14.  Uebligkeit,  See- 
krankheit; 15.  Enuresis  nocturna;  16.  ner- 
vöse Hustenanfälle  (so  bei  einem  Falle  von 
Emphysem);  17.  hysterische  Störungen.  Da- 
bei ist  aber  zu  bemerken,  dass  Hysterische 
wie  auch  Geisteskranke  gewöhnlich  schwer 
zu  hypnotisiren  sind,  sodass  die  Erfolge  oft 
ausbleiben.^ 

Man  wird  dieser  Aufzählung  einen  Man- 
gel an  Reichhaltigkeit  und  Mannigfaltigkeit 
nicht  vorwerfen  können;  man  wird  aber 
schon  aus  ihr  den  Schluss  ableiten  können, 
den  ich  früher^)  aus  eigenen  Erfahrungen  ge- 
zogen hatte,  dass  es  sich  hierbei  vornehm- 
lich um  die  Beseitigung  von  Sympto- 
men und  nicht  um  Heilung  von  Krank- 
heiten gehandelt  hat. 

Forel,  welcher  als  erfahrener  Nerven- 
pathologe und  hervorragender  Anatom  die 
Tragweite  anatomischer  Läsionen  wohl  zu 
würdigen  weiss,  verwirft  die  von  Bernheim 
u.  A.  aufgestellte  Behauptung,  dass  auch 
schwere  organische  Erkrankungen  durch 
die  Suggestivtherapie  geheilt  werden  können, 
üeberhaupt  ist  dieser  letztgenannte  Autor 
ungleich  kühner  und  erfolgreicher  in  seinen 
Suggestivcuren  gewesen.  Hier,  wo  es  sich 
um  die  Feststellung  des  Maasses  von  Beein- 
flussung der  Patienten  durch  den  Hypnoti- 
seur handelt,  kann  ich  nur  die  Ergebnisse 
Bernheim^s  kurz  berühren  und  darf  wohl 
auf  die  treffende  Kritik  verweisen,  welche 
Seeligmüller  den  unsicheren  Diagnosen 
des  Nancyer  Klinikers  angedeihen  lässt. 
Bern  heim  hat  von  10  organischen  Afifec- 
tionen  des  Nervensystems  7  „geheilt",  2  „ge- 
bessert" und  1  „ohne  Erfolg"  behandelt, 
ausserdem  „heilt"  und  „bessert"  er  chroni- 
schen   Gelenkrheumatismus,    Gicht,    Ischias, 

^)  Vgl.  meinen  Vortrag  auf  dem  deutschen 
psvchiatr.  Congress  1887.  Referat  in  dieser  Zeit- 
schrift Jahrg.  1887.  November. 

8 


58 


Blnswanfer,  B«m«rkunf«n  üb«r  die  Sugfeitlvtberapie. 


[ 


MonatahefteL 


traumatische  ^Neuritis  \  also  entzündliche, 
organische  Nervenaffectionen  u.  A.  m.  Aehn- 
liche  Erfolge  hat  Dr.  Renterghem  in 
AmsterdanpL  erzielt,  u.  A.  2  Fälle  yon  spi- 
naler Kinderlähmung,  3  Fälle  von  Epilepsie, 
7  Fälle  von  Taubheit  „ gebessert **  und  1 
chronisches  Fussgeschwür,  1  Zahnfleisch- 
abscess,  6  Contusionen,  4  Darmkatarrhe 
u.  8.  w.  „geheilt". 

Es  war  noth wendig,  schon  an  dieser 
Stelle  auf  den  weittragenden  Einfluss  der 
Heilsuggestionen  aufmerksam  zu  machen, 
um  den  bedeutsamen  Eingriff  yor  Augen  zu 
fuhren,  welchen  der  Hypnotiseur  bei  dem 
^^schlafenden"  Kranken  bewirkt.  Durch  die 
Steigerung  der  Einbildungskraft,  durch  ein- 
seitige Concentration  der  Vorstellungsthätig*- 
keit  auf  bestimmte,  mit  den  zu  behandeln- 
den krankhaften  Erscheinungen  in  engstem 
Zusammenhange  stehende  Ideenkreise,  durch 
kunstlich  in  das  hypnotisirte  Individuum 
hineingetragene  Wiilensimpulse  zur  Ein- 
leitung bestimmter  Willenserregung  oder 
Hemmung  krankhafter  Empfindungen,  kurz 
durch  alle  Hülfsmittel  dieser  Psycho- 
therapie gelingt  es  thatsächlich,  eine 
ganze  Reihe  der  oben  geschilderten 
Krankheitserscheinungen  zu  beseiti- 
gen. Das  „wie  viel"  und  „wie  lange"  die- 
ser Heilerfolge  wird  uns  zum  Schlüsse  be- 
schäftigen, ich  habe  hier  nur  die  Beziehun- 
gen der  Methode  zum  Erfolge  in  Anbetracht 
der  behaupteten  „Harmlosigkeit"  des  Ein- 
griffes dem  Leser  noch  klarer  zu  stellen. 

Liebeault  und  nach  ihm  Bernheim 
unterscheiden,  wie  ich  schon  Eingangs  be- 
merkt habe,  in  ziemlicher  üebereinstimmung 
mit  den  deutschen  Heilmagnetiseuren ,  wenn 
auch  schärfer  ausgearbeitet,  eine  Reihe  von 
Intensitätsgraden  des  hypnotischen  Schlafes. 
Für  die  suggestive  Einwirkung  auf  die 
Kranken  genügen  gelegentlich  auch  die 
„leichteren"  Grade  der  Hypnose,  bei  welchen 
denselben  die  Erinnerung  an  die  Vorgänge 
während  der  Hypnose  nach  dem  Erwachen 
erhalten  bleibt.  Am  ausgiebigsten  und  wirk- 
samsten können  aber  vielseitige  Suggestio- 
nen in  den  „höheren"  Graden  des  „küost- 
lichen  Somnambulismus"  ausgeführt  werden, 
in  welchen  der  Kranke  in  innigstem  und 
ausschliesslichem  Rapport  mit  dem  Hypno- 
tiseur steht,  und  in  vielen,  aber  nicht  allen 
Fällen  ein  willenloses  Werkzeug  desselben 
geworden  ist.  In  einer  Zusanmienstellung 
Li^beault^s  befanden  sich  im  Jahre  1880 
unter  1011  Personen,  welche  von  ihm  hyp- 
notisirt  worden  waren,  162  „Somnam- 
bulen"; überhaupt  nicht  hypnotisirbare, 
„widerspenstige"  Individuen  gab  es  darunter 
nur  27.     In  einer  späteren  Statistik,  welche 


ein  Jahr  umfasst,  fand  er  unter  100  ohne 
Auswahl  „hergenommenen"  Personen  15  bis 
18  Somnambulen.  In  den  leichteren  Gra- 
den, besonders  denjenigen  des  „tiefen"  und 
„sehr  tiefen"  Schlafes  Liebeault's  (3.  und 
4.  Grad  dieses  Autors)  oder  der  4.,  5.  und 
6.  Stufe  der  hypnotischen  „Beeinflussung^ 
Bernheim^s  wurden  schon  eine  Reihe  sug- 
gestiver Einwirkungen  insbesondere  auf  mo- 
torische Vorgänge  (Katalepsie  und  Automa- 
tismus) hervorgerufen,  die  auch  trotz  der 
gelegentlichen  Behauptung  der  Kranken, 
nicht  geschlafen  zu  haben,  „von  der  Schwä- 
chung ihres  Willens  oder  ihrer  Widerstands- 
kraft" Zeugniss  geben.  Ueber  den  Ein- 
fluss  der  Suggestionen  in  den  „höheren^ 
Graden  oder  Stufen  belehren  uns  am  an- 
schaulichsten und  erschöpfendsten  die  Dar- 
stellungen von  Bernheim  im  4.  Capitel  seines 
Buches  u.  von  Gh.  Riebet.  Die  Thatsächlich- 
keit  der  dort  geschilderten  Zustände  künstlich 
erzeugter  Geisteskrankheit  ist  unbestreitbar. 
Die  Versuche  besitzen  den  höchsten  wissen- 
schaftlichen Werth  und  finden  von  Seiten  des 
Psychiaters  dankbare  Anerkennung,  da  sie  ein 
Mittel  darbieten,  uns  über  viele  dunkle  Fragen 
der  Psychopathologie  Aufklärung  zu  bringen. 
Wir  haben  durch  diese  Studien  Vorgänge 
als  wirklich  vorhanden  und  jeder  Zeit  bei 
„geeigneten"  Individuen  erzeugbar  gefunden, 
die  wir  wohl  früher  als  Ausgeburten  tollster 
Phantasie  in  Märchenbüchern  und  Räuber- 
romanen belächelt  haben,  die  wir  aber  in 
dieser  nackten  Thatsächlichkeit  jeder  Zeit 
„auf  Grund  aller  Erfahrung"  bestritten 
haben  würden. 

Dieses  ihr  bedeutsamer  theoretischer  und 
wissenschaftlicher  Werth.  Aber  die  prak- 
tischen Consequenzen  für  die  Anwendung 
des  Somnambulismus  zu  Heilzwecken!  Die 
Zertrümmerung  der  eigenen  Persönlichkeit, 
welche  schon  in  den  Vorgängen  behufs  Er- 
zielung des  Schlafzustandes  ihren  Anfang 
genommen  hat,  wird  durch  die  Ausführung 
der  Heilsuggestionen  fortgesetzt  und  vollen- 
det, jene  „hysterische"  Grundrichtung  des 
Vorstellens  und  Wollens  weiter  ausgebildet. 
Die  einzelne  hypnotische  Sitzung  wird  wohl 
bei  weiser  Beschränkung  der  Zahl  und  des 
Inhalts  der  Suggestionen  auf  das  nothwen- 
digste  Maass  zur  Erreichung  einer  bestimmten 
Heilwirkung  ohne  länger  dauernden  Schaden 
für  den  Kranken  sein.  Der  „Rapport"  mit 
dem  Hypnotiseur,  die  Willenslosigkeit,  die 
einseitige  Steigerung  der  Einbildungskraft, 
die  Unterbrechungen  der  gesetzmässigen  Be- 
ziehungen des  Ichs  zur  Aussenwelt  und  an- 
dere Zustandsformen  und  Begleiterscheinun- 
gen dieser  „höheren"  Grade  der  hypnotischen 
Beeinflussung  besitzen  anfanglich  keine  weiter- 


in.  JaluTffaiiff.l 
Febrnar  1889J 


Blnswan^er,  Bemerkunf«n  Ober  di«  8uggeitivtli«nLpl«. 


59 


gebenden  Folgen  für  die  hypnotisirten  Per- 
sonen im  wachen  Zustand,  sondern  gleichen 
sich  rasch  und  wahrscheinlich  völlig  aus. 
Wird  aber  lange  Zeit  hindurch  das  Ver- 
fahren fortgesetzt  resp.  öfters  wiederholt,  so 
werden  jene  bedauern  swerthen  seelischen 
,^ Automaten^  gezüchtet,  welche  die  Schil- 
derungen Bernheim^s  und  auch  die  obigen 
Beispiele  Liebeault's  uns  vor  Augen  fuhren. 
Der  willenlose  Zustand  solcher  Kranken, 
die  nach  Aeusserungen  Liebeault^s  mehr  als 
hundert  Mal  zu  Heilzwecken  hypnotisirt 
worden  waren,  dauert  auch  im  wachen  Zu- 
stande an  und  äussert  sich  durch  die  Mög- 
lichkeit der  Fortdauer  der  Suggestivein- 
wirkung  nach  dem  Erwachen*)  (posthyp- 
notische Wirkungen)  und  durch  die  Er- 
zeugung von  Suggestiywirkungen  ohne  alle 
Hypnose  im  wachen  Zustande.  Bis  zu 
welcher  pathologischen  Steigerung  des  Ein- 
flusses der  Einbildungskraft  müssen  jene 
Kranken  gelangt  sein,  welchen  Forel  „wegen 
Schlaflosigkeit  verschiedenartige  Amulette" 
überreicht  hat,  „deren  Betrachtung  den  ur- 
sprünglich suggerirten  Eintritt  des  Schlafes 
regelmässig  hervorruft"  I  Ich  habe  schon  in 
meinen  früheren  Arbeiten  darauf  hingewiesen, 
dass  die  psychische  Thätigkeit  Schwach- 
sinniger ganz  ähnliche  Beeinflussungen 
ihrer  Anschauungen  und  Willensrichtungen 
darbietet. 

Ich  glaube  mit  diesem  Hinweise  auf  die 
dauernde  seelische  Beeinflussung  der  Kran- 
ken durch  die  Suggestivbehandlung  dargethan 
zu  haben,  dass  diese  Methode  keineswegs 
harmlos  sei  und  ohne  Gefahr  „unzählige 
Male"  wiederholt  werden  kann. 

Es  ist  mir  wohl  bekannt,  dass  glück- 
licher Weise  nur  bei  einem  geringen  Bruch- 
theil  dieser  künstlichen  Somnambulen  alle 
selbstthätige  seelische  Arbeit  vernichtet 
werden  kann,  sondern  bei  der  Mehrzahl  der 
Fälle  die  Kranken  die  Kraft  haben,  ge- 
wissen Suggestionen  gegenüber,  welche  dem 
Kerne  der  JPersönlichkeit  zuwider  sind,  sich 
ablehnend  zu  verhalten.  Dadurch  wird  die 
Gefahr  vermindert,  dass  gewissenlose  Hyp- 
notiseure ihre  „Medien"  zu  unsittlichen  und 
strafwürdigen  Handlungen  missbrauchen. 
Diese  Seite  der  Frage,  welche  von  Li^geois, 
Ladame,  v.  Lilienthal  u.  A.  ausführlicher 
bearbeitet  worden  ist,  habe  ich  hier  nicht 
weiter  zu  erörtern,  da  sie  ja  bei  der  thera- 
peutischen     Anwendung      der     H.     durch 

*)  Ich  hatte  früher  (vergl.  meine  Mittheilangen 
auf  dem  psychiatr.  Congress  im  Jahre  1887)  diese 
posthypnotischen  Sa^gestionen  nicht  ans  eigener 
Krfahnmg  gekannt;  im  Laufe  des  letzten  Jahres 
hatte  ich  aber  Gelegenheit,  dieselben  in  ausgiebig- 
ster Weise  bei  einem  20j.  Hysteroepiicptiker  zu 
Stadiren. 


Aerzte  hoffentlich  keine  praktische  Be- 
deutung gewinnt.  Aber  diese  Widerstands- 
kraft der  Patienten  gegen  einzelne  Suggestio- 
nen hebt  die  Gefahren  der  H.  nicht  auf, 
wenn  sie  dieselben  wohl  in  der  angeregten 
Richtung  vermindert;  ebenso  wenig  ist  die 
„Desuggestionirung"  vor  dem  Aufwecken 
bezüglich  der  dauernden  Beeinflussung  der 
Kranken  und  der  Veränderung  ihrer  seelischen 
Vorgänge  von  wesentlicher  Bedeutung,  da 
ja  gerade  in  dem  Fortwirken  bestimmter 
Beeinflussungen  auch  im  wachen  Zustande 
(z.  B.  bei  der  Hervorruf ung  oder  Unter- 
brechung der  Menstruation  für  einen  be- 
stimmten Zeitpunkt)  der  Hauptnutzen  der 
Behandlung  beruht. 

Auf    dem    Umstände,    dass    nicht    alle 
Suggestionen    wirksam  werden    beruht  auch 
die  Unsicherheit  des  Erfolges,   bezüglich  der 
Einflüsterung    Li^beault's,    die    Kranken 
würden    nach   dem  Aufwachen  keinerlei  un- 
angenehme   körperliche  Nachwirktmgen    des 
Verfahrens    verspüren.       Dass    solche    trotz 
dieser  Vorsicht  vorhanden  sein  können,   be- 
weist ein  Beispiel  Bernheim^s.     In   seiner 
vierten  Beobachtung    der  „Typen  von  Som- 
nambulen"    schildert    er    die    Versuche    an 
einem     39  jährigen      früheren     Unterofficier, 
welcher    keinerlei    „nervöse    Vorgeschichte" 
hat,    gut    schläft    und    an    keinen   Anfällen 
von      spontanem     Somnambulismus      leidet. 
Bernheim    konnte    an  ihm  nichts  Abnormes 
finden,  „abgesehen  von  einer  sehr  deutlichen 
und  fast  allgemeinen  Analgesie  ohne  Empfin- 
dungsstörungen, welche  ich  auf  die  wieder- 
holten hypnotischen  Versuche  zurück- 
führen    möchte"    (pag.  62    der    Freud- 
schen  Uebersetzung).     Ich  weiss  nicht,    wie 
Bernheim  mit  diesem  Befunde  einer  dauern- 
den Gefühlsstörung    seine  Lehre    der    abso- 
luten Harmlosigkeit  und  des  rein  psychischen 
Einflusses     der    Hypnose    in    Einklang    zu 
bringen  vermag.     Mich   erinnert   diese  „all- 
gemeine Analgesie  ohne  Empfindungsstörung" 
an  ganz  gleichlautende  Erscheinungen,  welche 
ich  nicht  selten  bei  Epileptikern  mit  schweren 
psychischen  Aequivalenten    auch    ausserhalb 
jedes  Krampfanfalles  zu  beobachten  Gelegen- 
heit hatte.    Hier  wie  dort  schwere  Bewusst- 
seinsstörungen  mit  delirienhafter  Verworren- 
heit   und    hallucinatorischen    Traumbildern; 
im    erstem  Falle   willkürlich    in    den   sonst 
gesunden  Menschen  hineinexperimentirt,  beim 
Epileptiker     aber    als    spontan    entstandene 
Krankheitserscheinung.     Ich  reihe  hier  zwei 
eigene    Beobachtungen     unangenehmer     und 
selbst    gefahrvoller  Folgeerscheinungen  hyp- 
notischer Versuche  an. 

Der    erste  Fall    betrifft    eine    21jährige 
Wärterin,    welche    vor    2   Jahren    von    mir 

8* 


60 


ftintwanger,  fiemerkunaren  Über  die  duitK^*tivUieMpi«. 


piieriLpeatlMlb* 
L  Monataheftei 


etwa  12 — 15  Mal  hypnotisirt  worden  war, 
anfäDglicb  durch  Festbalten  ihres  Kopfes 
zwischen  meinen  Händen  und  Fixation  des 
Blickes  mittelst  Anstarren  meiner  Augen, 
später  (nach  der  4.  Sitzung)  einfach  durch 
die  befehlende  Suggestion  des  Schlafens  mit 
gleichzeitigem  Bedecken  ihrer  Augen  mit 
meiner  Hand.  Sie  verfiel  regelmässig  in 
tiefen  lethargischen  Zustand  mit  deutlich  aus- 
geprägter neuromuskulärer  üebererregbar- 
keit  im  Sinne  Charcot's.  Der  letzte  Versuch 
wurde  gelegentlich  eines  Vortrages  über 
diesen  Gegenstand  in  der  hiesigen  medicinisch- 
naturwissenscbaftlichen  Gesellschaft  ausge- 
führt. Das  intelligente,  ruhige,  früher  in  keiner 
Richtung  hin  nervös  beschaffene  Mädchen  — 
wohl  aber  ist  die  Mutter  Potatrix;  2  Schwe- 
stern von  ihr  sind  leicht  erregbare  Personen 
mit  entschieden  hysterischer  Gemüthsart  und 
Neigung  zu  convulsiblen  Erscheinungen, 
Weinkrämpfen,  Globus-  und  Clavuserschei- 
nungen  —  war  durch  die  Versuche  zerstreut, 
träumerisch  und  schreckhaft  geworden,  so 
dass  ich  dieselben  aufgab.  Diese  Folgezu- 
stände glichen  sich  bald  anscheinend  wieder 
völlig  aus.  6  Monate  nach  der  letzten 
Hypnotisirung  wurde  das  Mädchen  plötzlich 
von  einem  schweren  rechtsseitigen  Lähmungs- 
zustand befallen.  Eine  genaue  Schilderung 
dieses  Anfalles,  welcher  sich  in  einem 
thüringischen  Badeorte  abspielte,  vermag 
ich  nicht  zu  geben.  Es  ist  mir  nur  so  viel 
bekannt  geworden,  dass  das  Mädchen  schon 
mehrere  Tage  vor  dem  Einsetzen  der  Läh- 
mung von  einem  intensiven  rechtsseitigen 
Kopfschmerz  befallen  wurde,  dann  plötzlich 
auf  einem  Spaziergang  zusammenbrach  und 
in  bewusstlosem  Zustand  in  ihre  Wohnung 
getragen  wurde.  Die  Bewusstlosigkeit  dauerte 
3  Tage  an;  der  Anfall  begann  mit  leichten 
Zuckungen  im  rechten  Arm  und  Bein;  nach 
dem  Aufwachen  war  sie  rechtsseitig  —  an- 
geblich mit  Betheiligung  des  Mundfacialis 
und  der  Zunge  —  gelähmt,  der  „Geschmack 
war  ganz  weg,  das  rechte  Ohr  horte  schlech- 
ter". Der  behandelnde  Arzt  diagnosticirte 
eine  linksseitige  Himembolie.  Nach  drei 
Wochen  waren  alle  Erscheinungen  wieder 
geschwunden,  doch  lässt  sich  noch  gegen- 
wärtig (l^/a  Jahre  später)  eine  deutliche 
Abschwächung  der  motorischen  Kraft  der 
rechten  Hand  nachweisen,  indem  der  Hände- 
druck dynamometrisch  gemessen  links  70^ 
(28  Kilo),  rechts  40°  (15  Kilo)  beträgt. 
Irgend  welche  anderweitige  hysterische  Er- 
scheinungen bestehen  zur  Zeit  nicht,  insbe- 
sondere sind  die  Gesichtsfelder,  der  Gaumen- 
reflex, Geschmack  und  Gebor  intact.  Auch 
der  geistige  Zustand  ist  völlig  normal. 

Der    zweite  Fall    betrifift   das  12jährige 


Kind,  das  ich  schon  oben  erwähnt  habe. 
Die  Kranke  stammt  von  einem  an  Dementia 
paralytica  zu  Grunde  gegangenen  Vater  und 
einer  völlig  nerven  gesunden  Mutter.  Es  ist 
mit  ziemlicher  Sicherheit  festgestellt,  dass 
das  Kind  geboren  wurde  zu  einer  Zeit,  als 
der  Vater  schon  erkrankt  war.  Im  9.  Lebens- 
jahre bestand  bei  dem  Mädchen  längere  Zeit 
hindurch  zuerst  ein  nervöser  Husten  und 
später  eine  hysterische  Aphonie.  Im  1 1 .  Jahre 
entwickelte  sich  langsam  unter  heftigen 
reissenden  und  stechenden  Schmerzen  bei 
allen  activen  Bewegungen  der  rechten  Hand 
und  der  Finger  eine  Beugecontractur  dieser 
Hand  und  Finger,  welche  allen  Behandlungs- 
methoden (Faradisation,  Massage,  passiver 
Gymnastik)  trotzte.  Im  Frühjahr  des  ver- 
gangenen Jahres  wurde  mir  die  Kranke  zu- 
geführt, ein  verhältnissmässig  kleines,  blasses 
Kind  von  schlechtem  Ernährungszustande 
mit  scheuem,  ängstlichem  Verhalten,  aber 
guter  intellectueller  Entwickelung.  Ich  be- 
gann bei  der  früheren  Erfolglosigkeit  der 
anderweitigen,  zu  Hause  versuchten  Hilfs- 
mittel die  suggestive  Behandlung.  Die 
Hypnose  gelang  überaus  leicht;  die  Kranke 
wurde  auf  einen  Di  van  gelagert,  die  Augen 
mit  meiner  Hand  bedeckt  und  langsam 
und  sanft  der  Schlaf  in  der  von  L le- 
be au  It  angegebenen  Weise  suggerirt.  So- 
dann wurden  die  Vorstellungen  auf  das 
kranke  Glied  gelenkt,  die  Versicherung  er- 
theilt,  dass  die  Behandlung  gar  nicht  schmerz- 
haft sei  und  dann  der  Befehl  gegeben,  die 
Finger  langsam  zu  öffnen.  Nach  20  „Sitzun- 
gen" war  die  Contractur  beseitigt,  die  in 
der  Hypnose  ausgeführten  gymnastischen 
Hebungen  der  Finger  und  der  Hand  auch 
im  wachen  Zustande  ohne  Schmerz  ausführ- 
bar. Doch  klagte  die  Mutter  gegen  Ende 
der  Behandlung  —  es  fanden  wöchentlich 
2  —  3  Hypnotisirungen  statt  —  über  die 
eigenthümliche  Schlä&igkeit  des  Kindes,  das 
ganz  interesselos  geworden  sei  und  „wo  es 
geht  und  steht",  auf  der  Strasse,  beim  Lesen, 
Sprechen  u.  s.  w.  plötzlich  einschlafe.  Ich 
schickte  dann  die  Kranke  den  Sommer  über 
in  die  Thüringer  Berge  und  Hess  dieselbe 
unter  der  Aufsicht  eines  Collegen,  den  ich  mit 
der  hypnotischen  Behandlung  genau  in  der 
bisher  geübten  Form  bekannt  machte,  und 
welchen  ich  bat,  falls  die  Contractur  sich 
wieder  einstellte,  die  Suggestionen  und  Finger- 
übungen in  der  Hypnose  auszuführen.  Denn 
der  Erfolg  der  Behandlung  war  noch  unzuläng- 
lich; wurde  die  hypnotische  Behandlung  8  — 14 
Tage  ausgesetzt,  so  kehrten  die  Schmerzen 
und  auch  die  Contractur  wieder.  Die  hyp- 
notische Cur  musste  auch  dort  bald  ausge- 
setzt   werden,    da  die  „Schlafsucht^  immer 


m.  Jalirgaiiff.1 
Febmar  1889.J 


Binswanfer,  Bemerkungen  über  die  Suggeativtherapie. 


61 


mehr  zunahm  und  der  Arzt  sowie  die  Mutter 
für  den  geistigen  Zustand  der  Kleinen  Be- 
fürchtungen hegen  mussten.  Anfang  Novem- 
ber sah  ich  das  Kind  wieder,  schlaff  und 
schläfrig,  mit  der  Gontractur  wie  im  Früh- 
jahr! Ich  isolirte  dasselbe  von  der  überaus 
besorgten  und  zu  nachgiebigen  Mutter,  liess 
allgemeine  Korpermassage  mit  Ausnahme  des 
kranken  Gliedes  ausfuhren,  sorgte  für  reiche 
Nahrungsaufnahme,  eine  genaue  Regelung 
der  Lebensweise,  yerordnete  Soolbader,  leichte 
Spiele,  mechanische  Beschäftigung  und  ging 
dann  langsam  zu  einer  methodischen  Uebung 
des  rechten  Armes  und  leichten  passiven 
Bewegungen  der  zur  spontan  Faust  geballten 
rechten  Hand  und  Finger  über.  Später  wurden 
leichte  active  Bewegungen  unter  steter  Hebe- 
voller  Aufmunterung  des  Selbstvertrauens 
und  der  Tapferkeit  der  Kleinen  zugefügt, 
und  nach  7  Wochen  war  der  allgemeine  Er- 
nährungszustand gebessert,  die  Schläfrigkeit 
geschwunden  und  die  Gontractur  fast  völlig 
beseitigt.  Alles  ohne  Hypnose  I  Ich  ent- 
liess  zu  Weihnachten  das  Kind  nach  Hause 
mit  den  bestimmtesten  Anordnungen  für  die 
Fortsetzung  des  Gurverfahrens  und  hoffe 
auf  diesem  entschieden  ungefährlicheren 
Wege  die  volle  Gebrauchsföhigkeit  der  rechten 
Hand  noch  zu  erreichen,  freilich  ohne  Hoff- 
nung, damit  die  krankhafte  Beschaffenheit 
des  armen  Kindes  definitiv  bekämpft  zu  haben. 

Man  verzeihe  mir  diese  ausführlichere 
Darstellung  des  Falles,  aber  ich  glaube  da- 
mit illustriren  zu  können,  dass  auch  die 
^ leichteste^  und  zweckmässigste  Hypnose 
Schaden  bringen  kann  und  dass  auch  alle 
Präventivsuggestion  des  nachherigen  Wohl- 
befindens gerade  gegen  diese  Zustände  von 
Narkolepsie  nichts  hilft.  Weiterhin  beweist 
er,  dass  keine  dauernde  Besserung  durch 
die  hypnotische  Psychotherapie  bewirkt  wer- 
den konnte  und  schliesslich,  dass  andere 
Behandlungsmethoden  Gleiches  und  mehr  er- 
reichen Hessen. 

Ich  hege  nicht  die  Erwartung,  durch 
diese  Mittheilungen  die  fanatisirten  Anhänger 
der  modernen  Nancy  er  Schule  irgendwie  in 
ihren  Urtheilen  und  Anschauungen  beein- 
flussen zu  können.  Die  Macht  der  Auto- 
suggestion ist  zu  gross  und  der  Einwand  zu 
wohlfeil,  dass  diese  Zwischenfälle  (accidents) 
der  fehlerhaften  Methodik  meiner  üner- 
fahrenheit  und  Unzulänglichkeit  zugerechnet 
werden  müssen.  Ich  könnte  diesen  Einwand 
kaum  zurückweisen,  wenn  es  sich  bei  der 
ersten  Beobachtung  um  einen  Krankheits- 
zustand in  directem  Anschluss  an  die  Hypnose 
gehandelthätte,oder  ich  durch  lange  fortgesetzte 
gewaltthätige  physikalische  Maassnahmen  auf 
das  Mädchen  eingewirkt  hätte.    Aber  dieser 


schwere  hysterische  Zustand  nach  leichten, 
kurzdauernden  Sitzungen,  ohne  ausge- 
dehnte suggestive  Beeinflussung  im  hypno- 
tischen Zustande  und  6  Monate  nach  der 
letzten  Hypnose !  Und  im  zweiten  Falle  bin 
ich  sklavisch  den  Vorschriften  der  Nancyer 
Meister  gefolgt  und  dennoch  dieser  Miss- 
erfolg! 

Da  glaube  ich  richtiger  zu  schliessen, 
wenn  ich  annehme,  dass  der  oben  citirte 
Satz  Kluge^s  noch  heute  zu  Recht  besteht 
und  dass  es  unmögHch  ist,  die  Hypnose  zu 
dosiren  und  ihre  Fernwirkungen  genau  vor- 
her abzuschätzen. 

fSchlUMt  folgt.J 


(Aus  d«r  paychUtriachen  Klinik  za  Jen».} 

Die  OpiumbehaDdliingr  bei  Psychosen« 

Von 

Doceni  Dr.  Theodor  Ziehen, 

Hausarzt  d«r  Irren-HeilanstaU  zu  Jena. 

Die  Opiumbehandlung  bei  Psychosen  ist 
mehrere  Jahrhunderte  alt  und  trotzdem  stehen 
sich  auch  heute  noch  zwei  durchaus  ent- 
gegengesetzte Ansichten  über  den  Werth  der- 
selben gegenüber.  Eiue  lange  Reihe  z.  T. 
grosser  Namen  ist  dafür  und  dawider  ein- 
getreten. Derjenige,  der  in  Deutschland 
mit  der  grössten  Begeisterung  die  Allmacht 
des  Opiums  verfocht,  war  H.  Engelken*). 
Auf  der  Versammlung  deutscher  Naturforscher 
und  Aerzte  zu  Bremen  i.  J.  1844  empfahl 
er  das  Opium,  dessen  specicUe  Anwendungs- 
weise ein  Geheimniss  seiner  Familie  ge- 
wesen war,  bei  frischen  Manien  und  Me- 
lancholien in  Dosen  von  0,18 — 0,96  g  und 
verglich  die  Sicherheit  seiner  Heilwirkung 
bei  diesen  Psychosen  geradezu  mit  der  des 
Chinins  bei  Intermittens ;  in  vier  bis  sechs 
Wochen  sollte  Gen  esung  eintreten .  Engelken 
soll  jährlich  40^  Opium  verbraucht  haben*). 
Die  Kritik  blieb  nicht  aus.  Die  Mehrzahl 
der  Psychiater  verlangte  eine  Einschränkung 
der  Opiumtherapie  auf  bestimmte  Indica- 
tionen.  So  hob  L.  Meyer^)  die  günstige 
Wirkung  des  Opiums  in  den  Fällen  hervor, 
wo  als  ätiologisches  Moment  der  Psychose 
Vorgänge  in  den  Sexualorganen  in  Betracht 
kommen.  Aus  der  besonders  günstigen  Wir- 
kung des  Opiums  bei  Kranken  mit  starker 
Inanition  glaubte  man  besondere  trophische 


')  Vgl.  auch  Fr.  Engelken,  AUgem.  Ztschr.  1. 
Psychiatrie.    Bd.  8. 

')  Vgl.  aach  H.  Engelkeo  jun.,  AUgemeiDe 
Ztschr.  f.  Psychiatrie.   Bd.  41. 

')  Allg.  Zeitßchr.  f.  Psychiatrie,   Bd.  17. 


62 


Zieheii»  Die  OpiumbehaBdlung  bei  Piyohoien. 


rliwapamlMlM 
MnnatalMflift. 


Wirkungen  des  Opiums  deduciren  zu  können. 
Ob  bei  der  Manie  das  Opium  indicirt  sei, 
ob  mehr  bei  der  passiven  oder  activen  Me- 
lancholie, liess  sich  nicht  übereinstimmend 
feststellen.  Nur  darin  schien  grossere  üeber- 
einstimmung  zu  herrschen,  dass  die  psychische 
Hyperästhesie  sowohl  der  Melancholie  (na- 
mentlich in  deren  Beginn)  als  auch  der 
Manie  (namentlich  im  Reconvalescenzstadium) 
Opiumbehandlung  indicire.  Die  acute  hal- 
lucinatorische  Paranoia,  welche  als  dritte 
Hauptform  der  acuten  Psychosen  neben  der 
Manie  und  Melancholie  zu  erwähnen  wäre, 
ist  gerade  von  denjenigen  Autoren,  die 
grossere  Versuchsreihen  über  den  therapeu- 
tischen Werth  des  Opiums  angestellt  haben, 
meist  von  der  reinen  Manie  und  Melancholie 
nicht  scharf  getrennt  worden.  Im  Allgemeinen 
betrachtete  man  die  unter  mehr  intellec- 
tualen  Symptomen  verlaufenden  Psychosen 
als  weniger  passend  für  eine  Opiumbehand- 
lung; insbesondere  die  affective  Störung 
sollte  zur  Opiumtherapie  auffordern^). 

Einen  besonders  mächtigen  Impuls  hat 
schliesslich  die  in  Rede  stehende  Behand- 
lung noch  durch  die  lUenauer  Schule  er- 
halten. Doch  war  es  vorzugsweise  das 
Alkaloid  des  Opiums,  das  Morphium,  welches 
von  dieser  Seite  für  die  Behandlung  der 
acuten  Psychosen  empfohlen  wurde*). 

Auch  die  gebräuchlichen  Lehrbücher  der 
Psychiatrie  enthalten  durchaus  noch  nicht 
übereinstimmende  Angaben,  wann  die  Opium- 
behandlung sich  empfiehlt  und  in  welcher 
Weise  dieselbe  anzuwenden  ist. 

Auf  der  hiesigen  psychiatrischen  Klinik 
habe  ich  in  den  letzten  2  Jahren  syste- 
matisch eine  grosse  Zahl  der  zur  Aufnahme 
gelangenden  acuten  Formen  der  Manie,  Me- 
lancholie und  Paranoia  mit  Opium  behandelt 
und  zwar  nach  den  verschiedensten  Methoden. 
Im  Ganzen  wurden  über  18  000  Einzeldosen 
gegeben,  die  Hohe  der  Einzeldosis  schwankte 
zwischen  0,025  und  0,4  g,  der  Gesammt- 
verbrauch  überstieg  3  Kilo,  die  höchste  Tages- 
dosis betrug  1,5  g.  Als  Präparat  wurde 
fast  ausschliesslich  Opium  purum  verwandt, 
Extr.  Op.  aq.,  Tinct.  Op.  spl.  und  endlich 
Morphium  nur  bei  ganz  bestimmten,  sehr 
eingeschränkten  Indicationen  und  zum  Ver- 
gleich. Die  behandelten  Fälle  betreffen  43 
Melancholien  (7  Männer,  36  Frauen),  4  ty- 
pische Manien  (2  Männer,  2  Frauen)  und 
50  Paranoia-Formen  (27  Männer,  23  Frauen). 
Selbstverständlich  sind  hierbei  auch  diejenigen 

*)  Z.  B.  Hergt.  Allg.  Ztschr.  für  Psychiatrie. 
Bd.  33. 

*)  Schule,  Klinische  Psychiatrie.  1886.  S.  42, 
S.  89,  S.  146  et  passim.  Ferner  Schule,  Dysphrenia 
neuralgica.    Garlsruhc  1867. 


Fälle  eingerechnet,  welche  acut  einsetzten, 
weiterhin  aber  chronisch  verliefen.  Die  hin- 
gegen von  Anfang  an  chronischen  Charakter 
tragenden  Formen  der  primären  Paranoia 
sind  ausgeschlossen  worden,  ebenso  alle  schon 
in  ein  secundäres  Stadium  eingetretenen 
Fälle. 

i.    Melancholie. 

Unter  den  43  mir  zur  Verfügung  stehenden 
Fällen,  welche  mit  Opium  behandelt  wurden, 
befinden  sich  8,  in  welchen  trotz  einer  con- 
sequenten ,  methodischen  Opiumbehandlung 
eine  Heilung  nicht  erzielt  werden  konnte. 
2  Fälle  starben  an  intercurrenten  Krank- 
heiten, 2  wurden  von  den  Verwandten  unserer 
weiteren  Behandlung  entzogen,  der  Rest  ging 
in  Genesung  über,  d.  h.  also  von  39  in  Be* 
tracht  zu  ziehenden  Fällen  31   oder  79%. 

Dieser  therapeutische  Erfolg  ist  wesent- 
lich gunstiger  als  bei  der  nichtmedicamen- 
tosen  Behandlung  der  Melancholien.  Für 
die  letztere  beträgt  ceteris  paribus  die  Zahl 
der  Heilungen  für  die  hiesige  Anstalt  c.  60  %. 
Andere  Autoren  geben  überhaupt  die  Procent- 
ziffer  der  genesenden  Melancholischen  so 
hoch  an. 

Ist  dieser  Erfolg  nun  allein  dem  Opium 
zuzuschreiben?  Keinesfalls.  Bettruhe,  zweck- 
mässige Ernährung,  angemessene  psychische 
Behandlung,  Beschäftigung  im  richtigen  Zeit- 
punkt sind  ganz  ebenso  wesentlich,  ja  noch 
wesentlicher.  Hingegen  bemerke  ich  aus- 
drücklich, dass  in  den  obigen  Fällen  die 
Opiumbehandlung  niemals  mit  hydropathischer 
Behandlung  verbunden  worden  ist.  Auch 
von  der  oft  sehr  wesentlichen  Unterstützung 
der  Behandlung  der  Melancholie  durch  Mas- 
sage wurde,  um  eindeutigere  Ergebnisse  zu 
erhalten ;    in   den    obigen   Fällen  abstrahirt. 

Lässt  sich  nun  auch  bestimmter  angeben, 
bei  welchen  Formen  der  Melancholie  das 
Opium  besonders  günstig  wirkt  und  bei 
welchen  es  versagt?  Von  jenen  8  ungeheilt 
gebliebenen  Fällen  betreffen  6  eine  ganz  be- 
stimmte Form  der  Melancholie.  Diese  Form 
verläuft  wie  die  typische  Melancholie  unter 
depressiven  Affecten,  namentlich  Angst,  unter 
Wahnideen,  die  inhaltlich  mit  den  typischen 
Versündigungsideen  durchaus  übereinstimmen, 
und  unter  Hemmung  der  Ideenassociation. 
Aber  während  bei  der  typischen  Melancholie 
alle  Wahnideen  erst  secundär  als  Erklärungs- 
versuche der  krankhaften  Affecte  auftreten 
und  nach  Zahl  und  Intensität  den  letzteren 
annähernd  entsprechen,  ist  dieses  Verhältniss 
bei  der  in  Rede  stehenden  Form  gestört. 
Die  Verschuldungsideen  lassen  sich  zwar  in 
der  Regel  gleichfalls  mehr  oder  weniger 
direct  auf  krankhafte  Affecte  zurückführen, 
aber   schon  von   Anfang  an  sind  die  Wahn- 


IIL  Jahrgang.! 
Februar  1889.J 


Ziehen,  Die  Opiumbehandlung  bei  Psychosen. 


63 


Ideen  imyerbältnissmäBsig  intensiT,  zahlreich 
und  detailliit  bei  Geringfügigkeit  der  primären 
Affecte.  Sie  gewinnen  schon  bald  den 
letzteren  gegenüber  Selbstständigkeit  und 
entwickeln  sich  unabhängig  weiter,  ohne  in- 
haltlich sich  Yon  den  typischen  melancho- 
lischen Wahnideen  wesentlich  zu  entfernen. 
Diese  Form  der  Melancholie,  für  welche 
also  das  Missverhältniss  der  Wahnideen  und 
Afifecte  charakteristisch  ist,  ist  für  Opiumbe- 
handlung durchaus  ungeeignet.  Das  Opium 
scheint  den  Ausgang  in  secundäre  Paranoia 
geradezu  zu  begünstigen. 

Die  beiden  anderen  nicht  geheilten  Fälle 
unterscheiden  sich  weder  symptomatisch  noch 
ätiologisch  Ton  den  geheilten.  In  einem 
Fall  handelte  es  sich  um  eine  Puerperal- 
melancholie,  im  anderen  um  eine  zum  dritten 
Mal  recidivirende  Melancholie.  Bemerkens- 
werth  ist,  dass  in  beiden  Fällen,  obwohl 
eine  intensive  Opiumbehandlung  etwa  ein 
Jahr  lang  durchgeführt  wurde  und  die  Psy- 
chose jetzt  schon  2  resp.  3  Jahre  besteht, 
ein  deutlicher  Schwachsinn  nicht  einge- 
treten ist. 

Mit  Ausnahme  jener  einen  oben  skiz- 
zirten  Form  sind  alle  anderen  Formen  der 
Melancholie,  die  passiven  ebenso  wie  die 
activen,  für  Opiumbehandlung  geeignet.  Am 
schnellsten  pflegt  der  Erfolg  bei  denjenigen 
Formen  sich  einzustellen,  bei  denen  die 
typische  an  giosp  astische  Pulscurve*)  con- 
statirt  wird.  Langes  Bestehen  der  Me- 
lancholie contraindicirt  die  Opiumbehandlung 
in  keiner  Weise;  sie  ist  durchaus  nicht  auf 
die  acuten  Formen  zu  beschränken.  Selbst- 
verständlich darf  es  nicht  bereits  zu  einem 
intellectuellen  Defect  gekommen  sein. 

Besonders  ist  auch  hervorzuheben,  dass 
gerade  bei  den  prognostisch  so  bedenklichen 
senilen  Melancholien  das  Opium  ganz  vor- 
züglich wirkt. 

Unter  den  atypischen  Formen  der  Me- 
lancholie möchte  ich  besonders  zwei  hervor- 
heben, bei  welchen  sich  das  Opium  sehr  gut 
bewährt.  Während  die  typische  Melancholie 
ohne  Hallucinationen  verläuft,  kommen  na- 
mentlich bei  erblicher  Belastung  Hallucina- 
tionen intercurrent  vor;  der  übrige  Symp- 
tomencomplex  ist  ganz  der  der  Melancholie. 
Diese  Melancholia  hal lucin atoria,  die  übri- 
gens nicht  häuflg  ist,  indicirt  nach  meinen 
Erfahrungen  Opiumtherapie.  Ebenso  endlich 
die  mit  Zwangsvorstellungen  complicirte 
Melancholie.  Gerade  bei  dieser  Gomplication 
habe  ich  in  mehreren  Fällen  besonders 
günstige   Erfolge   vom  Opium  gesehen.     Die 

•)  Vgl.  Ziehen,  Sphygmographische  ünter- 
Buchuogen  an  Geisteskranken.  Jena,  G.  Fischer. 
1887.   S.  56. 


Melancholia  hypochondriaca  erwies  sich  meist 
für  Opiumbehandlung  ungeeignet.  Kata- 
tonische Symptome  (Melancholia  attonita, 
nicht  Erschöpfungstupor)  bei  wirklicher  Me- 
lancholie contraindiciren  Opium  in  keiner 
Weise. 

Was  die  Darreichungsweise  des  Opiums 
bei  Melancholie  anlangt,  so  muss  ich  zunächst 
Schule  darin  ganz  zustimmen,  dass  das 
Opium  stets  vor  Eintritt  der  eigentlichen 
Paroxysmen  zu  geben  ist.  Am  zweck- 
mässigsten  eilt  die  ganze  Opiumbehandlung 
der  erfahrungsgemäss  nicht  ausbleibenden 
Steigerung  der  krankhaften  AiPecte  mit  hohen 
Dosen  voraus^).  Ich  habe  meist  das  Opium 
purum  per  os  der  subcutanen  Anwendung 
des  Extr.  Op.  aquos.,  wie  sie  v.  Krafft- 
Ebing  empfahl,  vorgezogen,  da  die  Injection 
selbst  namentlich  Kranke  aus  niederen  Stän- 
den in  unvortheilhafter  Weise  aufregt  und 
ängstigt.  Nur  wenn  die  Kranken  der  inneren 
Anwendung  Widerstand  leisten,  geben  wir 
das  Extract.  -Der  Wirkung  auf  die  Psyche 
nach  entspricht  etwa  0,075  Extr.  Op.  aq. 
subcutan  0,1   Op.  pur.  innerlich. 

[Schlu»9  folgt.] 


Ueber  die  Behandlung  der  Coujuncttvitig 
granulosa    mitteLst    partieller    Exctsion 

der  Bindehaut. 

Von 

Dr.  Th.  Treitel, 

Docent  für  Augenheilkunde  in  Königsberg  i.  Pr. 

Durch  die  Einfuhrung  von  ausgedehnten 
Excisionen  der  Bindehaut  sind  in  der  Be- 
handlung der  Conjunctivitis  granulosa  im 
Laufe  der  letzten  Jahre  so  wesentliche  Fort- 
schritte erzielt  worden,  dass  es  nicht  unge- 
rechtfertigt erscheinen  dürfte,  auf  dieselben 
in  dieser  der  Verbreitung  neuer  therapeu- 
tischer Methoden  gewidmeten  Zeitschrift  die 
Aufmerksamkeit  der  Herren  Collegen  zu 
lenken. 

Bei  der  Abfassung  dieses  Artikels 
beabsichtigte  ich  nicht,  eine  Zusam- 
menstellung dessen,  was  bisher  über 
Bindehautexcision  bei  Conj.  granulosa 
publicirt  worden  ist,  zugeben,  sondern 
im  Wesentlichen  über  die  Erfahrungen  zu 
berichten,  die  ich  selbst  in  den  letzten  drei 
Jahren  bei  ca.  170  Operationen  gesammelt 
habe').    Das  Princip  des  Verfahrens  besteht 

^)  Ganz  dasselbe  gilt  nach  meinen  Erfahrungen 
von  der  Anwendung  des  Hyoscins  bei  Manie. 

')  Das  Krankheitsbild  der  Conjonctivitis  granu- 
losa wird  als  bekannt  vorausgesetzt.    Eine  vorzag- 


64 


Tr eitel,  Behandl.  der  Conjunctivitis  gniBuloia  mitteilt  part.  Ezeision  der  BindehauL    [  MonaShStoT* 


darin,  den  ganzen  oberen  Uebergangstheil 
der  Bindehaut  und  einen  Theil  des  an- 
grenzenden Tarsus  mit  dem  entsprechenden 
Abschnitt  der  Conjunctiva  tarsi  zu  excidiren. 

Nachdem  ich  im  Anschluss  an  die  bisher 
gemachten  Vorschläge  verschiedene  Opera- 
tionsmethoden versucht  habe,  bin  ich  schliess- 
lich bei  der  folgenden  stehen  geblieben,  die 
ich  glaube  empfehlen  zu  können.  Dieselbe 
steht  der  von  Heisrath  geübten  am  nächsten. 
Heisrath  ist  das  Verdienst  zuzuerkennen, 
zuerst  die  Bindehautexcisionen  bei  einer 
grösseren  Anzahl  von  Granulösen  systematisch 
ausgeführt  und  die  dabei  gemachten  Erfah- 
rungen publicirt  zu  haben. 

Was  die  Ausführung  der  Operation 
anbetrifft,  so  zerfällt  sie  in  drei  Acte;  während 
derselben  nimmt  der  Kranke  Rückenlage  ein, 
der  Operateur  steht  vor  dem  Patienten,  der 
Assistent  an  seinem  Kopfende.  Der  ein- 
facheren Beschreibung  wegen  nehme  ich  an, 
dass  das  rechte  Auge  operirt  wird. 

1.  Act.  Während  der  Assistent  mit  der 
linken  Hand  das  untere  Lid  mit  einem 
D es marres^ sehen  Elevateur  ein  wenig  nach 
unten,  das  ectropionirte  obere  Lid  mit  einer 
Desmar  res 'sehen  Pincette')  gegen  den 
Supraorbitalrand  anspannt  und  so  den  oberen 
Uebergangstheil  so  viel  als  möglich  hervor- 
treten lässt,  fasst  der  Operateur  den  letzteren 
mit  einer  Hakenpincette,  zieht  ihn  so  weit 
nach  unten,  dass  er  ihn  in  seiner  ganzen 
Ausdehnung  übersehen  kann  und  legt  genau 
an  der  Grenze  des  Fomix  in  dessen  mittlerer 
Partie  tief  durch  Conjunctiva  und  subcon- 
junctivales  Zellgewebe  einen  mittelstarken 
Faden.  Der  Ein-  und  Ausstichspunkt  sind 
ca.  6  mm  von  einander  entfernt.  Die  Enden 
des  Fadens  werden  an  einander  geknotet 
und  dem  Assistenten  übergeben. 

Es  ist  höchst  auffallend,  dass  in  der  über- 
wiegenden Mehrzahl  der  Fälle  die  Follikel 
des  üebergangstheils  an  der  Grenze 
der  Conjunctiva  bulbi  mit  einer  ganz 
scharfen  Linie  abschneiden,  eine  Er- 
scheinung, die  ich  erst  bei  Gelegenheit  der 
Conjunctivalexcisionen  kennen  gelernt  habe. 
An  dieser  Grenzlinie  wird  die  Sutur  ange- 
legt. Sie  hat  einen  dreifachen  Zweck.  Erstens 
kann  mit   derselben   der  obere  üebergangs- 

liche  und  eingehende  Darstellung  desselben  hat 
K&hlmann  in  dem  in  den  Volkmann'schen  Hef- 
ten veröffentlichten  Vortrage  „lieber  Trachom**  ent- 
worfen. 

')  Ich  bediene  mich  dabei  der  von  Schneller 
zur  Ausschneidang  des  Üebergangstheils  empfohle- 
nen Pincette,  die  sich  von  der  bekannten  Des- 
marre  Büschen  Pincette  dadurch  unterscheidet,  dass 
der  untere  Rand  gerade,  nicht  convez  ist,  und  dass 
nicht  die  eine  Platte  ganz  solide,  sondern  beide 
hohl  sind.  Diese  Pincette  ist  von  Hahn&Löchel 
in  Danzig  zu  beziehen. 


theil  vollkommen  herabgezogen  und  ausge- 
breitet werden,  gleichviel  welche  Stellung 
das  operirte  Auge  einnimmt.  Zweitens  wird 
durch  den  Faden  —  und  das  ist  der  Haupt- 
zweck desselben  —  die  Grenze  der  krank- 
haften Veränderungen  markirt,  die  ohne  ihn 
in  dem  mit  Blut  bedeckten  Operationsfeld 
nur  schwer  zu  erkennen  sein  würde,  und 
drittens  erleichtert  der  Faden  das  Anlegen 
der  später  zu  besprechenden  Nähte. 

2.  Act.  Der  Assistent  zieht  mit  dem 
Faden  den  oberen  uebergangstheil  senkrecht 
nach  unten,  der  Operateur,  mit  der  linken 
Hand  die  Desmarres'sche  Pincette  vom 
Assistenten  übernehmend,  das  ectropionirte 
obere  Lid  nach  oben  und  umgrenzt  mit 
2  Schnitten  den  zu  excidirenden  Abschnitt 
der  Bindehaut.  Der  erste  Schnitt  wird  dem 
Lidrande  parallel,  mindestens  4  mm  von  ihm 
entfernt,  mit  einem  Bistouri  und  zwar  durch 
die  ganze  Dicke  des  Tarsus  angelegt,  so  dass 
die  Wunde  in  der  ganzen  Ausdehnung  voll- 
kommen klafft.  Nach  Beendigung  des  ersten 
Schnittes  übernimmt  der  Assistent  die 
Desmarres'sche  Pincette.  um  den  zweiten 
Schnitt,  der  an  der  Grenze  der  Conjunctiva 
bulbi  verläuft,  auszuführen,  schiebt  man 
eine  kleine  gerade  Scheere  vom  nasalen  Wund- 
winkel dicht  oberhalb  des  Fadens  bis  zum 
temporalen  vor.  Verwendet  man  eine  Scheere 
mit  einem  geknöpften  Ende,  setzt  man  sie 
nicht  zu  steil  und  einigermaassen  leicht  auf, 
so  gleitet  sie  im  subconjunctivalen  Gewebe 
ohne  wesentlichen  Widerstand  vorwärts.  Die 
umschnittene  Partie  wird  dann  in  der  Art 
excidirt,  dass  sie  mit  einer  starken  mehr- 
zackigen Hakenpincette  neben  dem  nasalen 
Wundwinkel  mit  der  linken  Hand  gefasst, 
von  der  Unterlage  ab-  und  gleichzeitig 
temporalwärts  angezogen  wird,  und  alle 
Theile,  die  sich  anspannen,  in  der  Richtung 
von  der  Nase  nach  der  Schläfe  mit  einem 
Bistouri  durch  trennt  werden. 

Hierbei  ist  sehr  sorgfältig  darauf  Acht 
zu  geben,  dass  möglichst  wenig  subsartales 
und  subconjunctivales  Gewebe  entfernt  wird. 
Das  letztere  pflegt  übrigens  so  locker  zu 
sein,  dass  es  bei  energischem  Anspannen  der 
Conjunctiva  zum  Theil  zerreisst. 

Sobald  man  sich  davon  überzeugt  hat, 
dass  kein  Theil  der  zu  entfernenden  Con- 
junctiva stehen  geblieben  ist,  wird  das  obere 
Lid  reponirt,  und  das  Auge  mit  einem  in 
4%  Borsäure  getränkten,  auf  Eis  abgekühlten 
Bausch  Watte  comprimirt. 

Wenn  man  davon  absieht,  dass  das 
Messer  oder  die  Scheere  abgleiten  und  den 
Bulbus  verletzen  könnte,  was  bei  einiger 
Vorsicht  wohl  stets  zu  vermeiden  sein  dürfte, 
ist  nur   der  Unfall  zu  erwähnen,    dass  das 


Febraar  1889  J 


Treitel,  Behandl.  der  Coi^unctivitis  granulosa  mitteltt  part.  fizclslon  der  fiindehaut. 


65 


Messer  beim  Durch scliDeiden  des  Tarsus  zu 
-weit  nasalwärts  bis  in  den  Lidrand  gleitet. 
Diese  Verletzung  wäre  nur  dann  von  Belang, 
iifenn  dabei  das  obere  Thranencanälchen 
durcbscbnitten  >\'ürde,  Mras  ich  bisher  noch 
nicht  erlebt  habe. 

Der  Knorpel  schnitt  muss  in  seinem  ganzen 
Verlaufe  gleich  wert  vom  Lidrande  entfernt 
bleiben.  Ein  ungleichmassiger  Schnitt  hat 
eine  entsprechende  Unregelmässigkeit  der 
Stellung  des  Lides  resp.  des  Lidrandes  zur 
Folge.  Dasselbe  gilt,  wenn  auch  in  geringerem 
Grade,  von  dem  zweiten  Schnitt  an  der 
Grenze  des  Uebergangstheils. 

3.  Act.  Nachdem  die  meistens  recht 
heftige  Blutung  durch  Compression  des 
Auges  gestillt  ist,  wird  die  Wunde  der 
Bindehaut  nach  vollständiger  Ectropionirung 
des  oberen  Lides  mit  4  %  Borsäure  während 
mehrerer  Minuten  ausgewaschen  und  dann 
durch  zwei  Suturen  geschlossen.  Hierbei  be- 
zweckt man  natürlich  nicht,  die  sehr  un- 
gleichen Wundränder  des  relativ  dicken  Tarsus 
und  der  äusserst  dünnen  Augapfelbindehaut 
an  einander  zu  befestigen,  sondern  nur,  die 
stark  klaffende  Wunde  zu  schliessen  und  die 
Wundränder  einander  zu  nähern.  Um  sich 
gegen  zu  frühes  Durchschneiden  der  Fäden 
zu  schützen^  empfiehlt  es  sich,  die  Nadeln 
2  —  3  mm  von  den  Wundrändern  ein-  resp. 
auszustechen. 

Sehr  wichtig  ist  die  Lage  der  Fäden; 
ich  möchte  dringend  davor  warnen, 
die  mittleren  Partien  der  Wunde  zu 
nähen  und  empfehlen,  je  eine  Sutur  au  der 
Grenze  des  nasalen  und  temporalen  Viertels 
gegen  den  mittleren  Abschnitt  der  Wunde 
anzulegen. 

Zum  Nähen  bedient  man  sich  der  feinsten 
Conjunctivalseide;  man  schneidet  beide  Enden 
ganz   kurz  ab. 

Nachdem  die  Nähte  angelegt  sind,  wird 
wieder  einige  Minuten  mit  Watte  comprimirt, 
dann  der  Conjunctivalsack,  ohne  das  obere 
Lid  zu  ectropioniren,  mit  4%  Borsäure  aus- 
gespült und  so  von  etwa  noch  vorhandenem 
Blutgerinnsel  befreit,  hierauf  die  Wunde  mit 
sehr  fein  gepulvertem  Jodoform  bedeckt,  und 
das  operirte  Auge  mit  einem  Monoculus 
geschlossen. 

Im  Bereiche  des  unteren  Lides  kommt 
niemals  eine  Excision  des  Tarsus  in  Frage. 
Hier  genügt  stets  die  Entfernung  des  Fornix 
der  Bindehaut.  Man  kann  dieselbe  auf  drei- 
fache Art  ausführen.  Bei  jeder  steht,  falls 
das  rechte  Auge  operirt  wird,  der  Operateur 
am  Kopfende,  der  Assistent  vor  dem  Patienten. 
Der  Assistent  hebt  mit  der  rechten  Hand 
das  obere  Lid  gegen  den  Supraorbitalrand, 
eventuell  mit  Hülfe  eines  Desmarres'schen 


Elevateurs,  und  zieht  mit  der  linken  Hand 
das  ectropionirte  untere  Lid  nach  unten. 

Man  kann  erstens  in  der  Art  vorgehen, 
dass  man  den  unteren  Ucbergangstheil 
mit  der  schon  erwähnten  Sehn  eil  er 'sehen 
Pincette  fasst  und  mit  einigen  Scheeren- 
schlägen  entfernt. 

Oder  man  trägt  die  kranke  Partie  mit 
Hülfe  einer  gewöhnlichen  Hakenpincette  und 
einer  auf  die  Fläche  gebogenen  Cowper'schen 
Scheere  ab. 

Oder  man  umgrenzt  zuerst  mit  zwei  dem 
Lidrand  parallelen  Schnitten  den  oberen  und 
unteren  Rand  des  zu  excidirenden  Stückes, 
indem  man  eine  kleine  gerade  Scheere  von 
einem  neben  dem  äusseren  Augenwinkel  an- 
gelegten Einschnitt  der  Conjunctiva  nach 
dem  Canthus  internus  hin  subconjunctival 
vorschiebt.  Beim  Excidiren  hält  man  sich 
mit  der  Scheere  dicht  an  der  Conjunctiva. 

Das  dritte  Verfahren  ist  am  meisten  zu 
empfehlen,  weil  dabei  sicherer  als  bei  den 
beiden  anderen  der  Umfang  des  zu  ent- 
fernenden Stückes  bemessen  werden  kann, 
und  weil  ausserdem  am  wenigsten  subcon- 
junctivales  Gewebe  excidirt  wird.  In  ganz 
entsprechender  Weise  kann  man  selbstver- 
ständlich den  oberen  Ucbergangstheil  ohne 
Tarsus  ausschneiden. 

Oft  habe  ich  in  einer  Sitzung  oben  und 
unten  operirt  in  der  Art,  dass  ich  zuerst 
oben  den  Tarsus  und  Ucbergangstheil,  dann 
den  unteren  Ucbergangstheil  ausgeschnitten 
und  zum  Schlüsse  die  Wunde  oben  genäht 
habe.  Niemals  habe  ich  die  untere  Wunde 
durch  Suturen  vereinigt;  hier  legen  sich  die 
Wundränder  nach  Reposition  des  Lides  stets 
glatt  an  einander. 

Es  bleibt  jetzt  noch  die  Frage  der 
Anästhesirung  bei  der  Operation  zu 
besprechen.  Einen  grossen  Theil  der  Kranken 
habe  ich  ohne  Chloroform  mit  Cocain  operirt. 
Es  empfiehlt  sich  folgendes  Verfahren.  Nach- 
dem zwei  bis  drei  Tropfen  einer  10®/o  Lösung 
von  Cocaiuum  muriaticum  in  Zwischenräumen 
von  drei  bis  fünf  Minuten  in  den  Conjunc- 
tivalsack eingetropft  worden  sind,  wird  mit 
einer  Pravaz'schen  Spritze  ein  Theilstrich 
derselben  Lösung  —  also  ca.  0,01  Cocain  — 
nach  Ectropionirung  des  oberen  Lides  unter 
die  Conjunctiva  des  Uebergangstheils  injicirt, 
das  Lid  reponirt  und  ca.  eine  Minute  massirt, 
um  die  Flüssigkeit  zu  vertheilen.  Dann 
wird  dieselbe  Quantität  in  die  Pars  tarsalis 
des  Lides  zwischen  Tarsus  und  Orbicularis 
von  aussen  eingespritzt,  ebenfalls  eine  Minute 
massirt,  und  dann  die  Operation  begonnen. 
Vor  der  Excision  des  unteren  Uebergangs- 
theils kann  man  nochmals  einen  Theilstrich 
subconjunctival  injiciren.     Die    meisten    Pa- 

9 


ee 


Treitelf  Behandlider  Coi^uneUvitii  granulosa  mittelst  part.  Ezcision  der  Bindebaut.    [Monati^elt«^ 

obere  Lid  wird  gar  nicht  gehoben  oder  nur 
in  der  Art,  dass  man  die  Fingerkuppe  auf 
den  intermarginalen  Theil  legt  und  so  den 
Rand  des  Lides  gegen  den  Supraorbitalrand 
schiebt.  Es  ist  dies  nicht  immer  zu  ver« 
meiden,  wenn  man  die  Cornea  genau  be- 
trachten will,  und  das  erscheint  in  den  ersten 
drei  Tagen  nothwendig.  Die  Fäden  können 
nämlich  Erosionen  des  Hornhautepithels  ver- 
ursachen, die  keineswegs  gleichgültig  sind. 
In  der  ersten  Zeit,  in  der  ich  die  Conjunc- 
tivaiexcisionen  machte,  traten  fast  in  jedem 
zweiten  Fall  solche  Erosionen  auf,  so  dass 
ich  weitere  Versuche  mit  dieser  Operation 
fast  aufgegeben  hätte.  In  den  meisten  Fällen 
freilich  hinterliessen  die  Epitheldefecte  ent- 
weder gar  keine  oder  sehr  durchscheinende 
Narben  in  den  seitlichen  Abschnitten  der 
Cornea. 

Bei  einigen  Kranken  entwickelten  sich 
aber  aus  ihnen  tiefe  Ulcera  in  der  Nähe 
des  Homhautscheitels  mit  nachfolgenden  dich- 
teren Narben,  und  endlich  bei  einem  Patien- 
ten, einem  zwölfjährigen  Knaben,  ein  cen- 
trales Hornhautgeschwür  mit  secundärer  Fa- 
cette und  erheblicher  Sehstorung.  Dieser 
Ausgang  war  um  so  betrübender,  als  ich 
den  Kleinen  mit  ganz  gesunder  Hornhaut  in 
meiner  Klinik  aufgenommen  hatte.  Hieraus 
ergiebt  sich  die  Bedeutung,  welche  den  Su- 
turen  beizulegen  ist,  und  erklärt  sich  die 
oben  ausgesprochene  Empfehlung,  niemals 
den  mittleren  Abschnitt  der  Wunde  zu  nähen, 
und  beide  Enden  des  Fadens  kurz  abzu- 
schneiden. 

Seitdem  ich  in  der  oben  angegebenen 
Weise  nur  zwei  Suturen  in  der  Nähe  der 
Wundwinkel,  also  seitlich  vom  Hornhautareal, 
anlege,  habe  ich  Erosionen  des  Corneaepithels 
nur  sehr  selten  zu  Gesicht  bekommen.  Ge- 
schah es  aber  gelegentlich,  dann  habe  ich 
sofort  die  entsprechende  Sutur  entfernt.  Bei 
Anwendung  von  Jodoform,  Atropin  und  einem 
festen  Verbände  trat  dann  ausnahmslos  in 
ein  bis  zwei  Tagen  Heilung  ein. 

Von  den  eben  besprochenen  Hornhaut- 
veränderungen sind  genetisch  durchaus  zu 
unterscheiden  multiple,  kleine,  weissliche, 
SU b epitheliale  Inültrate  in  der  Nähe  des 
Randes  der  Hornhaut,  die  ich  einige  Male 
gleichzeitig  mit  geringer  Ciliarinjection,  Licht- 
scheu, Thränen  und  geringen  Schmerzen  we- 
nige Tage  nach  der  Excision  habe  auftreten 
sehen.  Sie  hatten  keinen  anderen  Nachtheil, 
als  dass  sie  die  Dauer  der  Heilung  etwas 
verlängerten :  sie  heilten  mit  oder  ohne  Ab- 
stossung  der  Epitheldecke  stets  ohne  wei- 
tere bemerkenswerthe  Folgen. 

Während  diese  Infiltrate  auch  in  bisher 
gesunder  Hornhaut  auftraten,  wurden  etwas 


tienten,  bei  denen  auf  die  eben  genannte 
Art  verfahren  wurde,  verhielten  sich  bei  der 
Operation  ruhig  und  gaben  auf  Befragen  an, 
keine  oder  nur  geringe  Schmerzen  empfunden 
zu  haben.  Ist  ein  Kranker  so  empfindlich, 
dass  er  schon  bei  der  Injection  des  Cocains 
lebhafte  Schmerzensäusserungen  von  sich 
giebt,  dann  kann  man  nicht  darauf  rechnen, 
dass  er  sich  während  der  Operation  ruhig 
verhält,  und  thut  besser  daran,  zu  chloro- 
formiren.  Eine  absolute  Sicherheit  für  voll- 
kommene Schmerzlosigkeit  wie  das  Chloro- 
form gewährt  das  Cocain  für  unsere  Operation 
nicht;  es  genügt  aber  für  nicht  zu  willens- 
schwache Kranke,  um  die  Bindehautexcision, 
die  bis  auf  das  Nähen  bei  einiger  Uebung 
kaum  zwei  Minuten  erfordert,  mit  geringen 
Schmerzen  ausführen  zu  können.  Den  besten 
Beweis  für  diesen  Ausspruch  liefern  Kranke, 
die  bei  der  Operation  des  zweiten  Auges 
kein  Chloroform  wünschten,  nachdem  das 
erste  mit  Cocain  operirt  worden  war. 

Bei  der  genannten  Dosis  habe  ich  bisher 
keine  Intoxicationserscheinungen  beobachtet, 
selbst  dann  nicht,  wenn  ich  in  einer  Sitzung 
beide  Augen  operirte,  wobei  in  maximo  0,04 
Cocain  gegeben  wurde. 

Es  beruht  dies  wohl  darauf,  dass  nur 
ein  Theil  der  Flüssigkeit  resorbirt  wird,  da 
ich  die  Operation  einige  Minuten  nach  der 
Injection  beginne,  so  dass  ein  Theil  aus 
der  Wunde  wieder  herausfiiesst.  Die  sub- 
conjunctivale  Injection  erleichtert  übrigens 
die  Durchtrennung  des  Uebcrgangstheils  mit 
der  Scheere,  da  die  Bindehaut  durch  die 
Flüssigkeit  von  der  Unterlage  abgehoben 
wird. 

Bei  der  Nachbehandlung  genügt  ein 
einseitiger  Verband;  das  nicht  operirte  Auge 
wird,  um  Mitbewegungen  des  operirten  zu 
verhindern,  mit  angefeuchteter  Watte  bedeckt 
und  mehrmals  am  Tage  ausgewaschen.  Ein 
doppelseitiger  Verband  erscheint  deswegen 
nicht  zweckmässig,  weil  in  dem  nicht  ope- 
rirten Auge  in  Folge  von  Secretretention 
frische  Entzündungen  mit  und  ohne  Pannus 
entstehen  können. 

Die  Patienten  liegen  nach  der  Operation 
im  Bett^)  und  erhalten  während  der  ersten 
drei  Tage  keine  festen  Speisen.  Der  Ver- 
band wird  alle  24  Stunden  gewechselt,  das 
Auge  gereinigt,  der  Conjunctivalsack  mit 
Hülfe  einer  Pipette  mit  Borsäure  ausgespült 
und  ein  Tropfen  Atropin  eingeträufelt.  Bei 
diesen  Manipulationen  müssen  die  Wunden 
möglichst  wenig  gezerrt  werden.  Ein  leichter 
Zug   am   unteren  Lide  schadet  nichts.     Das 


*)  Ich  habe  die  Patienten  fast  aasnahmslos  zur 
Operation  in  meine  Klinik  aufgenommen. 


^rur^f]       Treilel,  BehandL  der  Conjunctivitis '  gianuloia  mittelst  part.  Exeitlon  der  iBindeliaut. 


67 


häufiger  innerhalb  der  ersten  Tage  nach  der 
Operation  Pannus-Recidive  beobachtet.  Diese 
Erscheinung  ist  nicht  auffallend,  da  Aehn- 
liches  jedem  Praktiker,  der  häufiger  Opera- 
tionen der  Augenlider  bei  Granulösen  aus- 
geführt hat,  bekannt  ist.  Sie  beruht  wesentlich 
auf  der  Retention  von  Secret  unter  dem  Ver- 
bände und  erst  in  zweiter  Linie  auf  der  bei 
der  Operation  unvermeidlichen  Irritation. 
Es  ergiebt  sich  hieraus  erstens,  die  Excision 
so  schonend  als  möglich  zu  machen  und 
namentlich  auch  Verletzungen  der  Cornea 
sorgfaltig  zu  vermeiden,  die  z.  B.  beim  Ab- 
tupfen der  Wunde  mit  dem  Schwamm  leicht 
eintreten  können.  Zweitens  erscheint  es 
rathsam,  sobald  sich  frischer  Pannus  unter 
dem  Verbände  zeigt,  den  letzteren  mehrmals 
täglich  zu  wechseln  und  eine  halbe  bis  gauze 
Stunde  Eataplasmen  machen  zu  lassen. 

Abgesehen  von  dem  unmittelbar  nach 
der  Operation  eintretenden  Wundschmerz, 
der  in  einigen  Stunden  abklingt,  pflegen  die 
Patienten  nicht  über  Beschwerden  zu  klagen. 
Ist  der  Wundschmerz  sehr  heftig  oder  währt 
er  länger  als  gewöhnlich,  so  lässt  man  den 
Verband  mit  2  %  Borsäure  anfeuchten  und 
legt  ausserdem  eine  Eisblase  für  einige  Stun- 
den auf. 

Diese  Mittel  anzuwenden,  habe  ich  mich 
nur  selten  veranlasst  gesehen,  seitdem  ich 
bei  den  Bindehautexcisionen  zum  Auswaschen 
der  Wunde  4-^/o  Borsäure  verwende.  An- 
fangs gebrauchte  ich,  wie  auch  noch  jetzt 
bei  allen  anderen  Augenoperationen,  Subli- 
mat 1  :  10000.  Aber  selbst  bei  dieser  schwa- 
chen Lösung  trat  verschiedene  Male  ein  sehr 
heftiger  und  anhaltender  Wundschmerz  auf, 
den  ich  auf  das  Sublimat  glaubte  zurück- 
fuhren zu  müssen,  und  der  auch  thatsäch- 
lich  in  derselben  Art  bei  Anwendung  von 
4  %  Borsäure  nicht  mehr  zur  Beobachtung 
kam. 

Die  Augenlider,  namentlich  das  obere, 
sind  nach  der  Operation  mehr  oder  weniger 
erheblich  geschwollen  und  oft  sugillirt.  Ge- 
ringe Nachblutungen  kamen  mehrmals  vor. 
Bei  einem  Kranken  beobachtete  ich  eine  sehr 
schwer  zu  stillende  Nachblutung.'  Heftige 
Nachblutungen  können  nach  jeder  Lidopera- 
tion eintreten;  ich  habe  sie  mehrmals  nach 
der  Entropiumoperation  des  oberen  Lides 
gesehen.  Hier  genügte  stets  eine  energische 
Compression,  eventuell  des  ectropionirten 
Lides  zwischen  zwei  Fingern,  zur  vollstän- 
digen Stillung  der  Blutung.  Diese  erwies 
sich  bei  dem  in  Rede  stehenden  Fall  als 
ganz  unzureichend.  So  lange  comprimirt 
wurde,  stand  die  Blutung,  um  dann  von 
Neuem  zu  beginnen.  Unter  einem  festen 
Schnürverband  und  Eis   hörte   sie   nur  zeit- 


w^eise  auf.  Ferrum  candens  blieb  ohne  nach- 
haltigen Erfolg.  Erst  nach  zweimal  24  Stun- 
den gelang  es  mit  Hülfe  von  Unterbindung 
der  ganzen  blutenden  Stelle  die  capillare 
Blutung  vollkommen  zu  beseitigen,  nachdem 
freilich  ihre  Intensität  sich  inzwischen  wesent- 
lich vermindert  hatte. 

Am  dritten  Tage  nach  der  Operation 
können  die  Patienten  das  Bett  verlassen, 
und  das  nicht  operirte  Auge  bleibt  dann 
unbedeckt. 

Am  achten  Tage  werden  die  Suturen 
entfernt;  sie  können  bis  dahin  ohne  jede 
Gefahr  liegen  bleiben;  wenn  sie  bis  zum 
vierten  Tage  keine  Homhauterosionen  ver- 
ursachen, dann  geschieht  es,  soviel  ich  ge- 
sehen habe,  -  später  niemals.  Gelegentlich 
hat  sogar  eine  Sutur,  die  in  dem  geschwolle- 
nen Gewebe  nicht  aufgefunden  werden  konnte, 
einige  Wochen  gelegen,  ohne  sich  dem  Pa- 
tienten bemerkbar  zu  machen.  Selbst  acht 
Tage  nach  der  Operation  ist  die  Wunde 
nicht  immer  so  fest  vereinigt,  dass  sie  sich 
bei  dem  zur  Herausnahme  der  Fäden  noth- 
wendigen  Ectropioniren  des  oberen  Lides  nicht 
lösen  könnte.  Wenn  also  die  Entfernung 
der  Sutur  irgend  welche  Schwierigkeiten  be- 
reitet, was  bei  den  sehr  feinen  und  kurz  ab- 
geschnittenen Fäden  und  bei  der  Schwellung 
der  Wundränder  nicht  selten  der  Fall  ist, 
dann  ist  es  rathsam,  die  Fäden  länger  liegen 
zu  lassen. 

Relativ  häufig  entstehen  Wundgranula- 
tionen in  dem  mittlereif,  nicht  durch  Nähte 
vereinigten  Theile  der  Wunde;  sie  können 
in  Folge  von  Reiben  einen  Reizzustand  des 
Auges  resp.  Pannus  unterhalten  und  müssen 
dann  mit  einer  kleinen  Scheere  möglichst 
bald  abgetragen  werden.  Andernfalls  wartet 
man  so  lange,  bis  sie  sich  an  der  Basis  po- 
lypenartig abgeschnürt  haben.  So  vermeidet 
man  sicherer  Recidive,  die  bei  frühem  Exci- 
diren  der  Regel  nach  eintreten.  Solche 
Wundknöpfe  werden  an  der  Narbe  des  un- 
teren Uebergangstheils  nur  ausnahmsweise 
gefunden. 

[Sehlusa  folgt.] 


Ueber  Nasenschwiudel  spec.  über  Apro* 

sexla  Ilasalis. 

Von 

Dr.  BrU  gel  mann  (Inselbad). 

Die  Beobachtung,  dass  durch  Krankheiten 
der  Nase  bedeutende  Schwindelerscheinungen 
entstehen  können,  ist  nicht  mehr  ganz  neu. 
Dieselbe  ist  bereits   vor  einigen  Jahren  und 

9* 


68 


Brügelmafin,  Ueber  Naienieh wi ndel  ipec  über  Aprosexia  natalls. 


rliArapcotlseh« 
Monauhefle. 


in  neuerer  Zeit  von  Ziem'),  B.  Frank eP), 
Eisberg^),  sowie  auch  von  Minke],  Seiler 
und  Rupprecht  verschiedentlichstbesprochen 
worden.  Dr.  Joal^)  ist  der  Ansicht,  dass 
der  Nasenschwindel  eine  Reflexerscheinung 
sei,  Yon  den  Nervenendigungen  des  Trigeminus 
ausgehend,  welche  über  das  Ganglion  Meckelii 
zu  den  Nervencentren  gehen  und  dort  eine 
partielle  Anämie  und  dann  eine  localisirte 
Contraction  der  Vasomotoren  hervorrufen. 
Thatsache  ist,  dass,  wenn  man  die  Pole 
eines  galvanischen  Stromes  auf  die  Processus 
mastoid.  setzt,  man  schon  bei  einer  Stromstärke 
von  2  Mill.  Amp.  bedeutendes  Schwindel- 
gefühl künstlich  hervorrufen  kann.  Dies 
kommt  höchst  wahrscheinlich  durch  Reizung 
der  MeduUa  oblong,  zu  Stande.  Wenn  aber 
von  der  Nase  aus  durch  Schwellungen,  acuten 
oder  chron.  Schnupfen,  Nasenrachenkatarrh  etc. 
eine  Trigeminusreizung  verursacht  wird,  so 
kommt  ebenso  eine  üebertragung  des  Reizes 
auf  die  Medulla  zu  Stande.  Die  Erklärung 
des  Nasenschwindels  ist  somit  nicht  sehr 
schwierig,  und  zahlreiche  günstige  Resultate 
durch  Nasenoperationen  machen  obigen  Zu- 
sammenhang durchaus  wahrscheinlich.  Ziem ^) 
erinnert  in  seiner  verdienstvollen  Arbeit  über 
neuralgische  und  nervöse  Begleiterscheinungen 
bei  Nasen-  und  Rachenkrankheiten  an  die 
Mittheilungen  von  V.  Tröltsch,  Wendtu.  A., 
welche  sich  auch  bei  Hinterhauptschmerzen, 
bei  Erkrankungen  des  Nasenrachenraumes 
verbreiten  und  erwähnt,  dass  Luschka  die 
im  Verlauf  von  Räch «nk rankheiten  auftreten- 
den und  von  den  Kranken  gewöhnlich  in  die 
Tiefe  des  Schädels  verlegten  Neuralgien  aus 
der  Verbreitung  des  Ram.'  pharyngeus  des 
Trigeminus  am  Schlundkopfe  und  Tuber- 
ostium  zu  erklären  gesucht  habe. 

Mit  unanfechtbarer  Gewissheit  ist  der 
Zusammenhang  dieser  verschiedenen  Kopf- 
symptome  mit  Nasen-  eventuell  Rachenkrank- 
heiten natürlich  nicht  zu  erbringen  und  wird 
hierzu  wohl  zunächst  noch  viel  Material  ge- 
sammelt werden  müssen. 

Eine  ganz  neue  Beobachtung  kommt  von 
Guye- Amsterdam.  In  seinen  hochinteres- 
santen Vorträgen  in  der  mit  der  rhinolaryn- 
gologischen  verbundenen  otiatrischen  Section 
der  Naturforscher-Versammlung  1887  und  88 
spricht  er  über  einen  bis  dahin  noch  nicht 
beobachteten  Symptomencomplex :  Schwindel, 
allmählich   zunehmender  Verlust  des   Denk- 


^)  Ziem,  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde 
1886,  p.  290. 

')  V.  Ziemssen's  Handbuch  IV.  I.  S.  162. 
2.  Aufl.  1879. 

3)  Monatsschrift  für  Ohrenheilkunde  1884  S.  14. 

*)  Revue  mensuelle  de  laryngologle  1887  No.  7. 

*)  1.  c.  pag.  288. 


und  Reproductionsvermögens ,  Kopfschmerz, 
namentlich  Morgens,  gesteigert  bis  zu  heftiger 
Hemicranie,  Unlust  bis  Unvermögen  zu  jeder 
Thätigkeit,  Gehörstörungen  und  ein  absoluter 
Widerwille  gegen  Alkohol^).  Die  Pathogenese 
dieser  Erscheinungen  anlangend,  so  betont 
Guye  den  von  Axel,  Rey  und  Retzius 
nachgewiesenen  Zusammenhang  zwischen  den 
subduralen  Lymphräumen  des  Gehirns  und 
den  Lymphgefässen  der  Nasenschleimiiaut, 
sowie  auch  das  zeitweise  Ausfallen  des  Wasser- 
verlustes durch  die  Nasenschleimhaut,  wenn 
die  Nasengänge  mehr  oder  weniger  verlegt 
sind.  Guye  „fasst  die  Krankheit  als  eine 
Retentionserschöpfung  auf,  hervorgebracht 
dadurch,  dass  die  Elimination  der  Stoff- 
wechselproducte  behindert  ist.  Auch  will 
er  die  durch  Ernährungsstörungen  der  Nasen- 
schleimhaut veranlassten  vasomotorischen 
Störungen  mit  in  Rechnung  bringen,  weil 
es  Fälle  giebt,  in  welchen  es  scheint,  dass 
gerade  diese  abnorm  erhöhten  vasomotorischen 
Reflexe  den  Symptomencomplex  der  Krank- 
heit zu  Stande  bringen."  Er  schlägt  vor, 
diesen  Symptomencomplex  mit  dem  Namen 
Aprosexia  nasalis  zu  belegen  von  ngoffix^iy 
10  V  vovv. 

Schon  gleich  nach  dem  Vortrage  von 
Guye  auf  der  letzten  Natur  forscher- Versamm- 
lung in  Köln  fanden  sich  zahlreiche  Bei- 
träge zu  seinen  Beobachtungen  unter  dem 
Auditorium  selbst,  lehrreicher  aber  kann 
wohl  kein  Krankheitsfall  für  das  Wesen 
der  Aprosexia  nasalis  sein  als  der,  welchen 
ich  selbst  gleich  mitth eilen  werde. 

Herr  W.,  Major  a.  D.  aus  Soest,  53  Jahre 
alt,  kam  am  23.  Sept.  d.  J.  in  meine  Anstalt, 
nachdem  seine  Gattin,  welche  eines  Bronchial-* 
katarrhs  wegen  im  Sommer  hier  gewesen  war 
und  sich  von  den  verschiedenartigen  durch 
Nasen  Operationen  erzielten  Erfolgen  über- 
zeugt hatte,  ihn  mehrere  Monate  hindurch 
mit  Bitten  vergeblich  bestürmt  hatte,  sich 
einer  operativen  Behandlung  zu  unterziehen. 

Die  Anamnese  ergab  Folgendes:  Der 
Kranke  hatte  bereits  vor  mehr  als  10  Jahren 
an  leichten  Schwindelanfällen  zu  leiden  ge- 
habt, allmählich  hatten  sich  halbseitige 
Kopfschmerzen  eingestellt  und  vor  Allem  ein 
höchst  fatales  Druckgefühl  im  Hinterkopf, 
welches  zu  der  Einbildung  Anlass  gab,  dass 
an  den  Ansätzen  des  Cucularis  an  der  Linea 
semicircularis  des  Hinterhauptbeins  sich  eine 
Geschwulst  bilde,  welche  temporär  zu-  und 
abnehme.  Sodann  bestand  hochgradige  Schwer- 
hörigkeit, so  dass  rechts  die  auf  die  Ohr- 
muschel   aufgelegte    Uhr    nicht,     links    nur 


^)  cf.  Deutsche  Med.  Wochenschrift  1887  No.  43 
und  1888  No.  40. 


in.  Jahrgaiig.l 
Februar  1889.  J 


Brügelmano,  Ueber  Naseoschwindel  ipec.  über  Aprosexia  nasalis.' 


69 


wenig    gehört    wurde.     Dagegen    wollte    er 
deutlicli  eine  starke  Pulsation  im  linken  Ohr 
Temehmen   und   klagte   vor   Allem   über  ein 
so  gewaltiges  Rauschen   und   Sausen  in  den 
Ohren  und  im  Kopf,  dass  er  zu  jeder  Unter- 
haltung und    Thätigkeit    absolut    untauglich 
wäre.      Mit    der    Zunahme    dieser    Erschei- 
nungen vermehrten  sich  auch  die  Schwindel- 
anfalle,  welche  so  bedeutend  wurden,    dass 
er  mehrfach   umfiel  oder  sich  mit  Mühe  auf 
einen  Stuhl  oder  sein  Bett  fallen  Hess.     Er 
klagte    dabei   über  Hitzegefühl  im    Schädel, 
massige  Urinverhaltung  und  bei  einem  ganz 
befriedigenden    Appetit    über    einen  unüber- 
windlichen   Widerwillen   gegen   Alkohol,   ja 
sogar    gegen    Speisen,    welche    ganz    gering 
säuerlich  waren,  und  sobald  obige   Erschei- 
nungen zunahmen,    über   Widerwillen  gegen 
alle    Fleischspeisen.    —    Er    vergass    Alles, 
was  er  gesagt  hatte  und  war  unfähig   einen 
^amen,    selbst  ganz  geläufige,    zu  reprodu- 
ciren;  ein  und  dasselbe  sagte  und  fragte  er 
viele   Male   hintereinander   an  ein  und  dem- 
selben  Tage.     Dabei    hatte    er   ein    unüber- 
windliches  Ruhebedürfhiss  der  Art,   dass  er 
sich  in  jede  beliebige  Ecke  verkroch  und  oft 
Stunden  lang  tief  schlief.    Sein  Kräftezustand 
war  durchaus  normal,  die  körperliche  Leist- 
ungsfähigkeit sehr  reducirt;  er  konnte  weder 
lange  noch  schnell  gehen  etc.,   Appetit  und 
Verdauung  Hessen  Nichts  zu  wünschen  übrig, 
wenngleich  er  auch  seine  Nahrung  ganz  ohne 
Genuss  verzehrte,  Urin   stark  sedimentirend 
(harnsaure  Salze).    Sexuelle  Erregbarkeit  fast 
erloschen.     Dabei    rauchte    er    17    Cigarren 
pro  Tag  und  verschiedene  Pfeifen  und  meinte, 
dies  sei  der  einzige  Genuss,    der   ihm  noch 
geblieben     sei.      Keine     Sensibilitätsstörung 
am  ganzen  Kopf  war  vorhanden,  selbst  nicht 
auf  erheblichen  Druck,  in  der  Nase  beider- 
seits etwas  Congestion,  leichte  Schwellungen, 
häufiger  Yerschluss,  namentlich  der  unteren 
Hälfte  beim  Liegen,    Rachen  und   Kehlkopf 
gesund.      Flimmern    vor    den    Augen,    kein 
Strabismus. 

Unter  diesen  Umständen  konnte  die  Frage 
entstehen,  ob  die  geringen  Veränderungen  in 
der  Nase  wirklich  den  Grund  zu  so  schwerem 
und  langem  Leiden  abgeben  können,  oder  aber 
ob  nicht  eine  Neurasthenia  cerebro-spinalis 
die  Schuld  daran  trüge.  Gegen  letztere 
sprach  der  Umstand,  dass  nirgendwo  eine 
schmerzhafte  Stelle  auf  dem  Schädel  zu  ent- 
decken war,  sowie  die  Abwesenheit  der  Er- 
scheinungen, als  unnatürlich  gesteigertes 
Hungergefühl  mit  übermässiger  Nahrungs- 
aufnahme sowie  gesteigerte  sexuelle  Erreg- 
barkeit, Veränderungen  der  Sprache  etc.,  was 
Alles  ich  bei  Neurasthenia  cerebro-spinalis 
fast    ausnahmslos    beobachtet   habe.     Gegen 


die  Aprosexia  nasalis  sprach  die  ausserordent- 
liche Geringfügigkeit  der  nasalen  Erschei- 
nungen. Nur  die  sonderbare  Beobachtung 
der  Alkoholophobie,  welche,  wie  bemerkt,  von 
mehreren  Seiten  bestätigt  wurde,  gab  den 
Ausschlag,  dass  ich  die  Diagnose  auf  Apro- 
sexia nasalis  Guye  stellen  musste. 

Die   Behandlung  wurde   demgemäss   ein- 
geleitet.    Ich  kauterisirte  nach  einander  alle 
irgend  verdickten  oder  verdächtig  aussehenden 
Partien    beider    Nasen,     legte    hinter     das 
linke   Ohr    eine    immerwährende    Fontanelle 
(Ung.  stib.  Kai.  tart.)   und  Hess   ihn   kühle 
Douchen   gebrauchen   und   zeitweise   Eis  auf 
den  Kopf  auflegen.    Durch  die  Kauterisation 
entstand  natürlich  zunächst  erhebliche  Schwel- 
lung der  Nase  und  alsbald  nahm  der  Schwindel 
derart   zu,   dass  der  Kranke  das   Bett  nicht 
verlassen  konnte,  es  entstand  Erbrechen,  voll- 
kommene   Appetitlosigkeit    und    ausser    der 
bereits  erwähnten  Alkoholophobie  auch  Wider- 
willen gegen  alle  Fleischspeisen.     Der  Urin 
war  spärlich  und  sehr   stark   sedimentirend. 
Diese  Reactionserscheinungen  waren  zu  präg- 
nant unmittelbar  nach  der  Kauterisation,  als 
dass  man  sie  nicht  als  Folge  dieses  Eingriffs 
hätte    ansehen    sollen.      Diese    Beobachtung 
stärkte   natürlich  sehr   das   Vertrauen,    dass 
die   eingeschlagene    Behandlung    von    Erfolg 
sein  werde  und  auch  der  Kranke  selbst  theilte 
diese  Ansicht.    Nach  einigen  Tagen  stiessen 
sich  bedeutende   Brandschorfe    ab,    wodurch 
die    Nase    bedeutend    durchgängiger    wurde 
und   gleichzeitig  besserten  sich  die   Erschei- 
nungen, so  dass  er  das  Bett  verlassen  konnte. 
Von   da   ab    ging   es    täglich    besser.     Eine 
abermalige  Kauterisation  brachte,  sobald  die 
Nase    zugeschwollen    war,    eine    bedeutende 
Verschlimmerung,  welche  aber  ebenfalls  mit 
der  Abschorfung  nach  einigen  Tagen  wieder 
verschwand  und  nun  ging  die  Besserung  um 
so  schneller  von   Statten.      Zuerst  Hess   das 
Gefühl    einer    Pulsation   im    Ohre   nach  und 
gleichzeitig     hiermit     Schritt     haltend    ver- 
schwand   das    Rauschen    und    Sausen,    das 
Gehör  besserte  sich  zusehends,   so  dass  der 
Kranke  schon  bald  auf  10  Schritte  das  leise 
Murmeln  einer  Quelle  oder  die  Uhren  in  dem 
ca.  '/a   Stunde    weit    entfernten    Kirchthurm 
hören  und  sich  ganz  flott  unterhalten  konnte, 
ohne   dass  man  besonders   laut  zu   sprechen 
nöthig    hatte.      Der    Schwindel    verlor    sich 
vollständig,    der  Harn   hellte  sich  auf,    der 
Appetit,    auch    auf    Fleisch    war    ganz    be- 
friedigend  und  —  ganz   plötzlich   verlangte 
er   nach   einem   Glase  Bier,   welches   er  mit 
grossem  Behagen  trank,  allerdings  nachdem 
ich  ihn   Tags   zuvor    ganz   allmählich    über- 
redet hatte,    mit  mir  zum  ersten   Male   ein 
Glas  Bier  zu  trinken.     Von  da  ab  trank  er 


70 


,  Uebei  Nairaachwtndet  tpec.  Ubat  Aprotwtta  uiiüil. 


regelmäasig  und  mit  Appetit,  batte  nieder 
Freude  an  einem  gut  beieiteten  Mahle  und 
unterhielt  sich  wieder,  ohne  immer  dasselbe 
zu  sagen  und  fortwährend  von  seiner  Krank- 
heit zu  reden. 

Er  selbst  betrachtete  sich  —  wie  er 
wiederholt  TMsicherte  —  als  ganz  gesund. 
Die  Nase  verheilte  langsam,  nachdem  sich 
durch  Ahstossung  bedeutender  Schorfe  eine 
grosse  Durchgäogigkeit  gebildet  hatte  und 
die  Fontanelle  liess  ich  sich  schliessen.  Die 
ganze  Cur  hatte  5  Wochen  gedauert;  ich 
estliess  ihn  mit  der  Weisung,  sich  nach 
14  Tagen  wieder  vorzustellen. 

Das  geschah.  Der  Zustand  war  ganz 
vorzüglich.  Er  behauptet,  nachdem  die 
Fontanelle  völlig  verheilt  war,  hätte  sich 
das  Pulsgefühl  wieder  leise  mahnend  einge- 
stellt, weshalb  er  sie  aus  freien  Stücken 
wieder  ein  wenig  zum  Eitern  gebracht  habe. 
Ich  kauterisirte  noch  eine  kleine  Stelle  der 
Nase,  was  ohne  jede  Reaction  vorüberging 
und  erfahre,  dass  es  ihm  dauernd  gut  gebt. 
Er  ist  bereits  aus  seiner  völligen  Abge- 
schlossenheit heraus  getreten,  hat  jetzt  die 
uöthigen  Familienbesuche,  welche  er,  seit- 
dem er  in  Soest  wohnt,  als  unmöglich  unter- 
lassen hatte,  nachgeholt  und  geht  Abends 
zum  Staunen  der  Soester  Familieu  fleissig 
in  Gesellschaft,  wo  er  sich  munter  unterhält 
und  flott  mittrinkt. 

Das  Rauchen  hat  er  nach  der  ersten 
Kauterisation  von  selbst  völlig  unterlassen, 
mit  steigender  Gesundheit  wieder  begonnen, 
bleibt  aber  jetzt  in  den  normalen  Schranken. 

Zum  Schlufis  mochte  ich  noch  besonders 
auf  die  oben  beschriebene  Beschaffenheit  des 
Urins  bei  diesem  Kranken  hinweisen;  es  ist 
mir  nicht  bekannt ,  dass  irgendwo  nach 
Nasen  Operationen  eine  Aeuderung  in  dieser 
Hinsicht  beobachtet  worden  wäre,  wie  dies 
hier  doch  thatsäuhlich  der  Fall  war;  dieselbe 
ist  wohl  so  zu  erklären,  dass  unter  der  von 
der  Nase  aus  hervorgebrachten  AfTection  des 
Ccntralorgang  gewisse  Krampfzustände  des 
uropoetischen  Systems  entstehen,  ganz  ebenso 
wie  ich  das  Zustandekommen  des  Asthma's 
zu  erklären  gesucht  habe  ^).  Eine  Incontinentia 
urinae,  welche  ich  zur  Zeit  bei  einer  schwer 
asthmatischen  Dame  aus  Hamburg  zu  beob- 
achten Gelegenheit  habe,  liess  nach  Kaute- 
risation der  stark  entzündeten  Mandeln  nach 
und  verschwand  schliesslich  ganz  wie  dies 
bei  Enuresis  von  Erlenmeyer,  Ziem  u.  A. 
ja  bereits  mehrfach  beobachtet  worden  ist. 

Jedenfalls  aber  geht  aus  der  Guye"schen 
Lehre  und  speciell  der  vorliegenden  Beobach- 


I   Wes 


')  cf.  Deber   Asthma^ 
Behandlung.     Verlag  von  L.  IJeii^cr,  Neuwied  ond 
Beriio  iSm, 


tung  die  besondere  Mahnung  hervor,  bei 
vorkommenden  Fällen  von  Schwindel  nicht 
lediglich  elektrische  Maassnahmen  als  allein 
indicirt  anzusehen,  sondern  sich  vor  Allem 
des  Symptomencompleses  zu  erinnern,  welches 
unter  dem  Namen  Aprosexia  nasal Is  mit 
Fug  und  Recht  als  eine  besondere  Nerven- 
krankheit aufgeführt  werden  muss. 


Ein  neuer  Spftlapparat. 


Zwei  seitlich  an  einaodergeheftete Gummi- 
ballons von  je  50  g  Inhalt,  die  ähnlich  den 
käuflichen  Klystierballons  nach  beiden  Seiten 
hin  in  Schläuche  auslaufen,  sind  vorn  mit 
einem  Dittel'schen  Doppelhahn,  hinten  mit 
leicht  zu  reinigenden  Kegelventilen  verbun- 
den, die  in  umgekehrter  Richtung  zu  ein- 
ander stehen,  sodass  also  heim  gleichzeitigen 
Comprimiren    beider  Ballons    das    eine    sich 


öffnet ,  das  andere  sich  schliesst.  Beim 
Gebrauch  taucht  das  Ventilende  des  oberen 
Ballons  in  die  zum  Ausspülen  bestimmte 
Flüssigkeit,  das  andere  in  das  Abflussbecken, 
die  dritte  Spitze  des  Doppelhahnes  ist  mit 
dem  Katheter  bez.  Troicart  verbunden.  (Das 
Ventil  des  unteren  Ballons  befindet  sich 
deshalb  tu  einem  schleifen  förmig  gebogenen 
Rohr ,  damit  es  auch  beim  Herabhängen 
schliesst,  siehe  Fig.  1.) 

Werden  nun  beide  Ballons  gleichzeitig 
comprimirt,  was  bei  ihrer  geringen  Grösse 
leicht  mit  einer  Hand  zu  bewerkstelligen, 
nachdem  durch  Hahndrehung  die  Verbindung 
(Fig.  2)  mit  Ballon  B  abgeschlossen  ist,  so 
wird  sich  durch  den  Druck  der  ausweichenden 
Flüssigkeit  Ventil  a  schliessen,  Ventil  b 
öffnen  müssen,  der  Inhalt  des  Ballons  A 
also  nur  in  die  betr.  Körperhöhle,  derjenige 


III.  Jahrguig.l 
Februar  1889.J 


Röriff,  Ein  neuer  Spülapparat. 


71 


des  Ballons  B  in  das  Abflussbecken  ergies- 
sen  können. 


Fig.  2. 

Beim   Loslassen    der  Ballons    aber    und 

Abschluss     des     Hahnes  gegen     Ballon     A 

hin    (s.  Fig.  3)    bewirkt  die    Saugkraft    ein 

Oeffuen    des  Ventiles   a,  ein  Schliessen   des 

Yentiles  by    mithin  füllt  sich  Ballon  A  mit 
der     zum     Spülen     bestimmten     Flüssigkeit 


t 


Pig.  3. 

wieder,  Ballon  B  aus  der  zu  reinigenden 
Körperhohle,  entnimmt  also  aus  derselben 
so  viel,  als  Ballon  A  eben  hineiugetrieben 
—  das  gleich  grosse  Lumen  beider  Ballons 
vorausgesetzt  —  bei  gleich  grosser  Menge 
wechselt  der  Inhalt.  Durch  die  Druck-  und 
Saugwirkung  wird  dem  Aufwühlen  des  Bo- 
densatzes wie  der  Entfernung  zäher  Massen 
energisch  Rechnung  getragen.  Eindringen 
von  Luft  kann  leicht  und  vollkommen  ver- 
hütet werden,  wenn  man  vor  der  Anwendung 
die  mit  Katheter  bez.  Troicart  versehene 
Hahnspitze  sowohl  wie  die  Ventilenden  der 
Ballons  in  waspergefüllte  Gefasse  taucht  und 
so  oft  comprimirt ,  bis  die  durchgeleitete 
Flüssigkeit  alle  Luft  verdrängt  hat ,  und 
wenn  man  ferner  während  der  Einführung 
in  die  betr.  Körperhohle  Ballon  B  compri- 
mirt hält,  um  allenfalls  im  Katheter  oder 
Troicart  verbliebene  Luft  zunächst  fortzu- 
schaffen. 

Durch  wiederholtes  Manipuliren  mit  dem 
einen  oder  anderen  Ballon  allein  ist  natür- 
lich grössere  Füllung  sowohl  wie  ausgiebi- 
gere Entleerung  der  betr.  Körperhöhle  leicht 
zu  bewerkstelligen,  doch  empfiehlt  es  sich, 
soviel  Flüssigkeit  darin  zurückzulassen,  dass 
nach    erfolgtem    Zurücksaugen    noch    etwas 


verbleibt,  weil  das  Ansaugen  sonst  zu  sehr 
erschwert  wird  und  zu  Blutungen  Veranlas- 
sung geben  könnte,  auch  ein  besseres  Be- 
spülen der  Wandungen  erreicht  und  dadurch 
mehr  Sediment  fortgeschafft  wird.  Bei  praller 
Füllung  der  Höhle  muss  natürlich  mit  dem 
Ansaugen  begonnen  werden,  um  eine  gefähr- 
liche üeberfüllung  zu  verhüten. 

Ich  hatte  diesen  Apparat  ursprünglich 
nur  zur  Ausspülung  der  Blase  bestimmt 
(deutsche  Medicinalzeitung  1888,  No.  42 
und  10.  Vers.  d.  balneol.  Section  d,  Ges.  für 
Heilk.  in  Berlin,  März  88)  und  Fälle  von 
Erschlaffung  ihrer  Musculatur  sowie  das 
Vorkommen  zäher  Sedimente  für  geeignet 
zu  seiner  Anwendung  gefimden,  für  ungeeig- 
net: Tumoren,  Varicositäten  und  Geschwüre 
der  Blase,  Hämaturien  insbesondere,  ferner 
Blasen,  aus  denen  eingewachsene  Steine  ent- 
fernt wurden  und  deshalb  schwache  Stellen 
ihrer  Wandungen  angenommen  werden  kön- 
nen. Bei  diesen  bestimmt  vorgezeichneten 
Indicationen  habe  ich  auch  nie  üble  Erschei- 
nungen beobachtet;  man  hat  es  ja  ganz  in 
der  Hand,  die  Druckhöhe  beliebig  zu  ändern 
wie  die  Saugwirkung  durch  ganz  allmähliches 
Loslassen  des  Ballons  weniger  vehement  zu 
machen.  —  Die  zurückbleibende  Urinmenge 
nach  spontaner  Entleerung  wurde  kleiner 
bei  Blasenschwäche,  stark  schleimige  Ka- 
tarrhe rascher  als  mit  anderen  Spülmethoden 
beseitigt. 

Inzwischen  hatte  ich  Gelegenheit,  auch 
ein  Empyem  auf  diese  Weise  zu  behandeln. 
Ich  trug  Sorge,  die  Pleurotomie  bei  dem 
sehr  herabgekommenen  Manne  vorzunehmen, 
zudem  er,  auf  dem  Lande  wohnend,  nicht 
jederzeit  zu  erreichen  war  und  in  hygienisch 
so  schlechten  Verhältnissen  lebte,  dass  ich 
ein  Reinbleiben  des  Verbandes  und  damit 
der  Wunde  bezweifeln  musste.  Ich  machte 
darum  die  Thoracocentese  und  verband, 
nachdem  der  Eiterabfluss  (unter  Wasser) 
aufgehört,  einen  neuen  Apparat  mit  dem 
Troicart.  Nun  konnte  ich,  ohne  Fat.  irgend- 
wie zu  belästigen ,  mehrere  Liter  einer 
schwachen  Lösung  von  Kali  hypermang.  die 
Pleurahöhle  passiren  lassen  und  durch  die 
Druck-  und  Saugwirkung  des  Apparates 
reichlich  Eiter  herausbefördern,  bis  die  Lö- 
sung rosa,  also  eiterfrei,  abfloss.  Die  Ca- 
nüle  Hess  ich  stecken,  den  weiteren  Abfluss 
natürlich  unter  Wasser  erfolgen ,  um  die 
Ausspülung  im  Laufe  der  nächsten  Tage 
noch  öfter  zu  wiederholen.  Ich  konnte  da- 
bei constatiren,  dass  das  abfliessende  Spül- 
wasser viel  mehr  Eiter  enthielt,  wenn  die 
Ballons  in  Anwendung  gezogen  wurden,  als 
wenn  nach  langsamer  Anfüllung  der  Höhle 
der  Abfluss  ohne  diese  erfolgte.     Die  Canüle 


72 


Steril,  Neue  Lanoliosalben. 


[Therapeutiadie 
Monatabeflflu 


entfernte  ich,  als  das  Spülwasser  schon  im 
Beginn  der  Procedur  rosa  blieb. 

Schlüsse  auf  die  Brauchbarkeit  meines 
Spülapparates  bei  Empyembehandlung  lassen 
sich  aus  diesem  eiuen,  wenn  auch  gut  Ter- 
laufenen  Fall  kaum  ziehen.  Die  Thoraco- 
tomie  wird  durch  diese  Methode  fragelos 
nicht  ersetzt,  wo  alle  aotiseptischen  Gau- 
telen  anwendbar  sind;  sehr  herabgekommene 
Individuen  dürften  yielleicht  eine  Ausnahme 
bedingen.  Vor  der  einfachen  Irrigation  nach 
Kussmaul  u.  A.  hat  ihre  Druck-  und  Saug- 
"wirkung  den  Vorzug  voraus,  viel  rascher 
und  viel  gründlicher  die  pathologischen  Se- 
crete  zu  entfernen,  durch  die  aufw^irbelnde 
Wirkung  des  Druckes  auch  aus  tiefer  gele- 
genen Theilen  der  Hohle.  Erneute  Versuche, 
auch  bei  der  Ausspülung  anderer  Körper- 
hohlen —  mir  selbst,  dem  Specialarzt,  bietet 
sich'  dazu  kaum  Gelegenheit  —  mögen  die 
Brauchbarkeit  des  Doppelballonspülapparates 
feststellen. 

Herr  Gummi waarenfabrikant  Bertram  in 
Hannover  hat  meine  Apparate  angefertigt 
und  liefert  solche  zum  Preise  von   10  Mark. 


Neue  Lianolinsalben. 

Von 

Dr.  E.  Stern, 

SpeciaUrzt  für  Hautkrankheiten  in  Mannheim. 

Seit  drei  Jahren  habe  ich  in  Fortsetzung 
früherer  Versuche^)  das  Lanolin  bei  den 
verschiedensten  Hauterkrankungen  angewandt 
und  in  Salben  den  alten  Fetten  substituirt. 
In  Folgendem  sollen  einige  besonders  be- 
währte neue  Gompositionen  eingehender 
charakterisirt  werden. 

/.  Sapola?iolin. 

So  nenne  ich  ein  Gemenge  aus  Lanolin, 
anhydricum')  und  Sapo  kalinus  (Ph.  G.  II), 
das  zuerst  Liebreich  als  Ersatzmittel  des 
Mol  lins  vorgeschlagen  hat^).  Ich  verfolge 
jedoch  mit  dieser  Mischung  nicht  die  Zwecke 
einer  überfetteten  Seife,  sondern  will  nur 
zwei  anerkannte  Hommittel  gleichzeitig  auf 
der  Haut  wirken  lassen.  Die  Mitigirung 
der  Seife  durch  das  Lanolin  ist  dabei  eine 
angenehme    Zugabe.      Gewöhnlich    verordne 

')  Deutsche  med.  Wochenschr.  No.  15,  1886. 

^)  Lanolinam  anhydricum  ist  das  wasser- 
fi'eie  Präparat,  das  durch  Erhitzen  des  LaDoliDum 
gewonnen  wird.  Lanolinum  dagegen,  welches 
für  die  meisten  Zwecke  als  solches  verordnet  wird, 
besteht  aus  circa  77  7o  Lanolinum  anhydricum  und 
23  ^/   Wasser. 

°')  Therap.  Monatsh.,  April  X887. 


ich  im  Verhältniss  von  2  Th.  Sapo:  2^2  Th. 
Lanoliu.  Mit  Ausnahme  der  Salicylsäure 
lassen  sich  alle  üblichen  Medicamente,  wie 
Borsäure,  Theer,  weisser  Präcipitat,  Resor- 
cin  u.  s.  w.,  dieser  Mischung  incorporiren. 
Bei  inveterirten  infiltrirten  Ekzemen,  gegen 
Mykosen,  sowie  in  Fällen  von  Seborrhoe  mit 
starker  Borkenansammlung  lassen  sich  solche 
Salben  mit  grösstem  Vortheil  gebrauchen. 

Am  häufigsten  wende  ich  die  Formel 

IV    Hydrarg.  praecip.  alb.     10,0 
Sap.  kaiin.  40,0 

Lanolin,  anhydr.  50,0 

gegen  Psoriasis  capitis  an.  Bekanntlich 
ist,  trotz  der  grossen  Fortschritte  in  der 
Therapie  der  Psoriasis  corporis  seit  Ein- 
führung der  Goapräparate,  die  Behandlung 
der  psoriatisch  erkrankten  Kopfhaut  ganz 
auf  dem  alten  Standpunkt  stehen  geblieben. 
Abgesehen  von  den  üblen  Nebenwirkungen 
scheint  Chrysarobin  die  Psoriasis  capitis 
überhaupt  nicht  so  günstig  zu  beeinflussen, 
wie  den  auf  dem  Korper  etablirten  Process. 
In  zwei  hochgradigen  Fällen  gelang  es  trotz 
dreiwöchentlicher,  unter  allen  Cautelen  vor- 
genommenen Einreibung  einer  25  %  Salbe 
nicht,  des  Leidens  Herr  zu  werden,  während 
die  Localisation  auf  dem  Körper  einer  20  ^Iq 
Salbe  rasch  gewichen  war.  Viel  schwächer 
noch  ist  der  Effect  des  von  Bohrend  ein- 
geführten Anthrarobins,  das  zudem  vom 
Vorwurf  der  Haarverfarbung*)  nicht  frei  ist. 
Die  Pyrogallus säure  wirkt  auf  dem  Kopfe 
ebenso  schwach  wie  am  Körper. 

Das  Sapolanolin  mit  Präcipitat  nun  ist 
ein  Mittel,  dessen  Wirkungen  auf  dem  Kopfe 
nicht  weniger  rasch  und  glänzend  sind  wie 
jene  des  Chrysarobins  am  Körper.  Schon 
nach  3  —  8tägiger  Anwendung  sind  alle 
Schuppenauflagerungen  verschwunden,  die 
befallenen  Partien  erscheinen  glatt  und 
weiss,  und  nun  genügt  eine  indifferente 
Salbe,  am  besten  Lanolincreme,  und  täg- 
liches Waschen,  um  die  leichte  Spannung 
zu  beseitigen  und  die  Haut  in  den  Normal- 
zustand überzuführen. 

Eine  Verfärbung  der  Haare  habe  ich  bei 
dieser  Methode  niemals  beobachtet.  Was 
die  so  häufige  Rothfärbung  der  Haare  nach 
Gebrauch  von  Spirit.  saponat.  betrifft,  so 
rührt  diese  lediglich  vom  Spiritus  her,  wie 
mich  Gontrol versuche  gelehrt  haben. 

IL  Lanolin-  Wachspaste.    (Ünguent.  adhaesiv.) 

Das  Bedürfniss  einer  Fixation  der  Me- 
dicamente auf  der  Haut  ohne  Verband  hat 
sich  mir  besonders  bei  den  so  häufigen  Kopf- 
und  Gesichtsekzemen  der  Kinder  fühlbar  ge- 

*•)  Rosenthal,  Sitzg.  d.  Berl.  med.  Gesellsch. 
V.  7.  Mäi-z  1888.    Dtsch.  Med.  Ztg.  No.  22,  1888. 


rgaug.! 
Februar  1889.J 


Stern,  Neue  Laoolinsalben. 


73 


macht.  Für  einen  Anhänger  des  alten  Sal- 
benYerbandes  ist  das  Zurechtschneiden  der 
Yerbandstücke,  ihre  genaue  Adaptirung  und 
die  Anlegung  der  Binden  überaus  umständ- 
lich und  zeitraubend.  Die  im  Laufe  des 
letzten  Decenniums  eingeführten  Pasten  haben 
mir  jedoch  nicht  zugesagt.  Die  in  grosser 
Menge  darin  enthaltenen,  wenn  auch  in- 
differenten Pulver  setzen  sich  in  der  epi- 
dermisberaubten  Haut  fest,  sind  kaum  zu 
entfernen  und  erzeugen  mechanische  Reizung, 
die  den  Yortheil  der  Austrocknung  über- 
compensirt.  Nur  bei  ganz  indolenten  chro- 
nischen Hautkatarrhen  konnte  ich  eine,  aller- 
dings sehr  günstige  Wirkung  constatiren. 

Ich  habe  nun  Lassar's  schone  Idee 
einer  ohne  Yerband  haftenden  Pulverpaste 
zur  Construction  einer  ohne  Verband  haf- 
tenden Fettpaste  benutzt.  Eine  solche  Paste 
musste  einen  Schmelzpunkt  besitzen,  der 
hoher  liegt,  als  die  Temperatur  der  Haut, 
und  sich  aus  volikommen  indifferenten  Fetten 
oder  fettartigen  Körpern  zusammensetzen. 
Es  Trar  ein  Leichtes,  diesen  Forderungen 
gerecht  zu  werden  durch  ein  Gemenge  von 
Gera  flava,  Lanolin  und  etwas  Oel^).  Die 
nach  der  Formel 

IV    Ger.  flav. 

Lanolin,  anhydr.  aa       40,0 

Ol.  oliv.  20,0 

(im  Sommer  Ol.  oliv,  benzoin.) 

M.  f.  pasta  usque  ad  refrigerat.  agitand. 

erhaltene  Salbe  ist  von  hellgelber  Farbe 
und  dickschmieriger  Gonsistenz,  etwa  wie 
das  sogen.  Elebwachs  der  Friseure.  Sie 
lässt  sich  ohne  Mühe  in  ziemlich  hoher 
Schicht  auf  der  Haut  ausbreiten  und  haftet 
wie  ein  Pflaster,  weshalb  auch  der  Name 
Ung.  adhaesiv.  nicht  unpassend  ist.  Eine 
damit  eingeriebene  Hand  sieht  aus,  wie  wenn 
sie  mit  einem  Glacehandschuh  bedeckt  wäre. 
Diese  vollkommen  indifferente  Paste  dient 
als  Basispaste.  Die  meisten  Medicamente 
lassen  sich  ihr  beimischen,  ohne  die  Gon- 
sistenz merklich  zu  beeinflussen.  Bei  Theer- 
zusatz  muss  der  Wachsgehalt  etwas  erhöht 
werden.  Die  Basispaste  allein  oder  in  Ver- 
bindung mit  Borsäure  oder  Zinkoxyd  ver- 
wende ich  überall  da,  wo  ein  Salbenverband 
schwer  anzubringen  ist.  So  vornehmlich 
beim  Gesichtsekzem  der  Kinder.  Sie  leistet 
hier,  wenn  auch  langsamer,  dieselben  Dienste 
der  Deckung,  Maceration  und  üeberhäutung, 
so    dass  meist  nach  8 — 14  Tagen,    je  nach 


*)  Ein  Zasatz  von  1— 8  7o  Gummi  elast.,  in 
Benzin  gelöst,  erhöht  zwar  die  Klebfähigkeit,  erzeug 
jedoch  Spannung  durch  das  sich  bildende  Gummi- 
näntchen,  und  Reizung  in  Folge  des,  wie  mir  wahr- 
scheinlich, mit  dem  Ceresin  Yerbindongen  eingehen- 
den Benzins. 


der  Schwere  des  Falles,  die  Theerbehandlung 
eingeleitet  werden  kann.  Ueber  den  Vortheil 
der  schnellen,  für  Arzt  und  Patient  so  be- 
quemen Application  brauche  ich  mich  wohl 
nicht  zu  äussern. 

Bei  squamösen  und  vesiculösen  Formen 
ist  ein  Zusatz  von  Salicylsäure 

IV    Acid.  salicyl.  subt.  plv.  3,0 

Ol.  oliv.                 ^  17,0 

Ger.  fl.,  Lanolini  aa  40,0 

M.  f.  pasta. 

von  vorzüglicher  Wirkung.  In  dieser  Form, 
ohne  jede  mehr  oder  weniger  impermeable 
Bedeckung,  entfaltet  die  Salicylsäure  ihre 
schönen  keratolytischen  Eigeoschaften  in 
mildester  Weise. 

Ueber  eine  Reihe  anderer  Zusätze  will 
ich  mich  hier  nicht  weiter  auslassen,  da  ich 
bei  Gelegenheit  einer  Darstellung  meiner 
Principien  der  Ekzembehandlung  noch  ein- 
mal auf  diese  Materie  zurückkommen  werde. 

///.  Flüssige  Lanolin-Injection, 

Von  der  Erwägung  ausgehend,  dass  La- 
nolin an  Schleimhäuten  vorzüglich  haftet, 
beschloss  ich,  dasselbe  durch  reichlichen 
Zusatz  von  Oel^)  injectionsfähig  zu  machen. 
Bei  der  merkwürdigen  Aufnahmefähigkeit 
des  Gholesterinfettes  für  Wasser  war  es  zu- 
gleich möglich,  die  Medicamente  in  Solution 
einzufuhren.  Salicylsäure  wurde  natürlich 
in  Gel  gelöst.     So  entstanden  die  Formeln: 

1)  IV    Lanolin,  anhydr.     25,0 

Ol.  amygdal.  75,0 

M.  (Basis-Injection) 

2)  IV    Zinc.  sulf.  0,5 

Aq  .  4,5 

Lanol.  anhydr.        20,0 
Ol.  amygd.  75,0 

3)  IV    Acid.  salicyl.  0,25 

Ol.  amygd.  75,0 

Lanol.  anhydr.        24,75 

nach  deren  Analogie  sich  alle  gebräuchlichen 
Mittel  incorporiren  lassen.  Die  Injection 
geschieht  mit  einer  gewöhnlichen  Spritze. 

Die  Basis  injection,  5 — 10  Minuten  in 
der  Urethra  zurückgehalten,  wirkt  überaus 
mild  und  reizherabmindernd.  Noch  24  Stun- 
den nachher  finden  sich  Fettpartikel  im  Urin, 
und  diese  lange  Retention  erklärt  auch  die 
günstige  Beeinflussung  des  gonorrhoischen 
Processes.  Ich  gebe  die  Basisinjection  im 
Stadium  acmes,  füge  dann  8 — 10  Tage  ein 
antiseptisches  oder  adstringirendes  Mittel 
hinzu  und  beschliesse  mit  einer  iVs  %  Be* 
sorcinlösung  in  Wasser.    Auch  bei  chronischer 

*)  Im  Winter  möchte  ich  an  Stelle  von  Ol.  oliv, 
als  Geschmeidigkeits-Adjuvaus  für  Lanolin,  das  noch 
bei  —  10  ®  klar  bleibende  Ol.  amygdal.  empfehlen, 

10 


74 


Radestoek,  U«ber  Schwltx-Curen  bei  Syphilii. 


[TherapeatlMlia 
Monatahefle. 


Urethritis    anterior   sind  diese  Lanolininjec- 
tionen  stets  mit  Vortheil  zu  gebrauchen. 

Die  Methode  hat  nichts  gemein  mit  dem 
Verfahren  von  Tommasoli^),  der  eine 
feste  Salbe,  nach  Art  jener  zum  üeberziehen 
von  Sonden,  mittelst  einer  besonderen  Spritze 
einführt. 


XJcber  Schwitz-Ciiren  bei  Syphilis. 

Vou 

Dr.  Radestock  in  Geithain  (Sachsen). 

Schwitz-Curen  sind  theils  als  alleinige, 
theils  als  unterstützende  Gurmethoden  neben 
anderen  Behandlungsformen  gegen  Syphilis 
angewandt  worden.  Die  Hütten 'sehen  Gua- 
jakabkochungen,  die  in  England  gebräuch- 
lichen Abführthees,  das  Zittmann'sche  De- 
coct  sowie  die  Mercurräucherungen,  alle  diese 
Medicationen  laufen  mehr  oder  weniger  auf 
rege  Schweisserzeugung  hinaus,  und  in  neue- 
ster Zeit  erfreuen  sich  noch  die  heissen 
Bäder  Aachens  oder  "Wiesbadens  u.  s.  w. 
mit  Recht  ihres  Rufes,  die  Wirkung  der 
specifisch  -  antisyphilitischen  Cur  zu  unter- 
stutzen und  durch  Steigerung  des  Stoffwech- 
sels die  Ausscheidung  des  syphilitischen 
Giftes  zu  erleichtern.  Die  schweisstreibende 
Eigenschaft  des  Pilocarpins  endlich  be- 
nutzte Lewin  in  der  Charite  bei  milderen 
Formen  der  Syphilis,  in  Gaben  von  0,015 
bis  0,02  einen  Tag  um  den  andern  gereicht, 
wobei  er  in  2  Jahren  6%  Recidive  beobach- 
tete. Reihen  wir  hieran  noch  die  Verab- 
reichung einfacher  warmer  Wannenbäder  oder 
von  Dampfbädern  in  ihren  mannigfachen 
Formen,  so  haben  wir  einen  Abriss  der  zahl- 
reichen Modificationen,  in  denen  die  Schwitz- 
Cur  zur  Syphilisbehandlung  nutzbar  gemacht 
worden  ist. 

Keine  Schwitz -Cur  an  sich  vermag  die 
Syphilis  radical  zu  heilen,  aber  sie  ist  zur 
Unterstützung  specifischer  Curen  unentbehr- 
lich. 

Man  kann  leicht  beobachten,  dass  bei 
Personen,  die  infolge  ihres  Berufes  viel  schwit- 
zen, wie  z.  B.  Berufssoldaten,  Heizer  u.  s.  w., 
der  Ausbruch  der  Exantheme  ein  rascherer 
und  der  weitere  Verlauf  der  Syphilis  ein 
milderer  ist,  selbst  wenn  eine  zweckmässige 
specifische  Behandlung  unterblieb.    Vielleicht 


^)  L'iniettore  uretrale  d'unguenti.  Giern,  ital. 
dolle  mal.  ven.  e  della  pelle.  1887.  Ref.V.  f.  D.  &  S. 
1888,  p.  296. 


wirkt  die  Schweisssecretion  ähnlich  auf  die 
Ausscheidung  des  syphilitischen  Giftes  ein, 
wie  die  durch  das  Fieber  bedingte  Diapho- 
rese  auf  den  Ablauf  acuter  Infectionskrank- 
heiten. 

Meine  persönlichen  Erfahrungen  über  den 
Werth  der  Schwitz-Cur  bei  Syphilis  verdanke 
ich  einer  Reihe  verschiedenartiger  Fälle,  die 
theils  im  Spital,  theils  unter  den  gesell- 
schaftlichen Rück sichtsn ahmen  der  Privat- 
praxis behandelt,  mir  nicht  nur  die  Bedeu- 
tung dieser  combinirten  Cur  als  eine  ener- 
gische und  schnelle,  sondern  auch  als  eine 
nach  Umständen  mit  den  einfachsten  Mitteln 
durchführbare  Behandlung  klar  legten. 

Zunächst  lasse  ich  sofort  vom  Bestehen 
einer  Primärsclerose,  welche  lediglich  local 
behandelt  wird,  wöchentlich  mehrmals  warme 
Bäder  von  ca.  30^  R.  und  über  halbstündiger 
Dauer  gebrauchen  bis  zum  Auftreten  des 
Exanthems.  Im  Falle  einer  nun  einzuleiten- 
den Schmiercur  wird  das  heisse  Bad  nur  an 
den  Ruhetagen  nach  den  einzelnen  Touren 
verordnet;  das  nach  dem  Bade  eintretende 
Schwitzen  wird  noch  durch  Darreichung  war- 
mer Thees,  durch  subcutane  Injection  von 
0,02  Pilocarpin  oder  durch  Anwendung  des 
Schwitzofens  auf  mehrere  Stunden  hinaus 
verlängert.  (Am  zweck  massigsten  ist  der 
auf  der  Abtheilung  für  innere  Medicin  am 
Stadtkrankenhause  zu  Dresden  von  Herrn 
Geheimrath  Dr.  Fiedler  verwandte  und  an- 
gegebene Schwitzofen,  bei  welchem  die  durch 
eine  Lampe  erhitzte  Luft  mittelst  eines  Roh- 
res dem  im  Bette  in  mehrfache  wollene 
Decken  eingehüllten  Kranken  zugeführt  wird ; 
dieser  Apparat  ist  wohlfeil,  leicht  transpor- 
tabel und  billig  zu  unterhalten.) 

Von  Pilocarpininjectionen  habe  ich  ge- 
fährliche Nebenwirkungen  nicht  beobachtet; 
nur  schwächen  sie  den  Körper  mehr  als 
einfache  heisse  bezw.  Warmluftbäder  und 
empfiehlt  es  sich,  dieselben  nur  einen  Tag 
um  den  andern  anzuwenden.  Bei  der  inner- 
lichen Darreichung  des  Quecksilbers  lasse 
ich  in  der  Regel,  besonders  aber  in  ernste- 
ren Erkrankungsfällen,  täglich  schwitzen. 

Die  Schwitz-Cur  wird  auch  nach  dem 
scheinbaren  Erlöschen  der  Krankheit  wöchent- 
lich je  einmal  vorgenommen  und  späterhin 
mit  längeren  Pausen  eventuell  jahrelang  fort- 
gesetzt. 

Selbstverständlich  ist  bei  der  immerhin 
ziemlich  angreifenden  Cur  der  allgemeine 
Körper-  und  Ernährungszustand  sorgfältigst 
zu  berücksichtigen  und  eine  gute  Ernährung 
anzustreben;  dann  wird  das  Resultat  das 
denkbar  beste  sein. 


HL  Jahrgang."! 
Februar  1889J 


Helblg,  nr-Ozynaphtotefture. 


75 


Neuere  Arzneimittel. 


rf-Oxynaphtoösäure. 

Von 

Dr.  Heibig  (Dresden). 

Aus  der  neuerdings  ziemlich  angeschwol- 
lenen Litteratur  über  dieses  seit  20  Jahren 
bekannte  Naphtolderivat,  an  dem  man  aber 
erst  kürzlich  antiseptische  Eigenschaften 
entdeckte,  ist  Folgendes  hervorzuheben. 

Das  Geschichtliche  und  die  Eigen- 
schaften im  Allgemeinen  schilderte  die  No.  49 
der  „Pharmaceu  tischen  Centralhalle"  (Seite  610 
u.  611)  vom  8.  December  1887,  ferner  Heibig 
im  5.  Heft  des  267.  Bandes  von  „Dingler's'* 
polytechnischem  Journal  (Seite  238).  —  Das 
Darstellungsverfahren  und  eine  Anzahl 
Verbindungen  der  Säure  beschrieben 
R-  Schmitt  und  Burkard  im  20.  Jahrgang 
der  ^Berichte  der  Deutschen  Chemischen 
Gesellschaft"  (Seite  2699).  —  Eine  Be- 
sprechung der  chemischen  Constitution 
erscheint  bei  dem  Umstände ,  dass  nicht 
weniger  als  sieben,  (beziehentlich  neun)  Iso- 
meren der  Formel 

C|0  Hg  -<  QQQ-g^    =    Cji  Hg  O3 

beschrieben  sind,  von  besonderer  Wichtigkeit; 
sie  ist  demnächst  in  einer  Monographie  von 
Burkard  zu  erwarten. 

Yersuche  über  die  Giftigkeit  der  Säure 
stellten  an  Hausthieren  Ellenberger  und 
Hofmeister  an:  XIII.  Band  der  „deutschen 
Zeitschrift  für  Thiermedicin  und  vergleichende 
Pathologie". 

üeber  das  bacteriologische  Verhalten 
in  Bezug  auf  aseptische  Wirksamkeit  expe- 
rimentirte  ausführlich  Lübbert:  No.  2  (vom 
15.  Januar  1888)  des  VI.  Bandes  der  „Fort- 
schritte der  Medicin". 

Für  die  therapeutische  Verwendung 
würde  in  Bezug  auf  innere  Krankheiten  die 
angeführte  Arbeit  von  Ellenberger  und  Hof- 
meister in  Frage  kommen.  Hiernach  durch- 
läuft das  Mittel  den  Körper  unzersetzt;  es 
könnte  also  bei  Anwesenheit  von  Mikroor- 
ganismen im  Blute  und  bei  Rheumatismus 
(analog  der  Salicylsäure)  angezeigt  erschei- 
nen, üeber  die  Dosirung  liegen  keine  Er- 
fahrungen vor ,  nach  den  Thierversuchen 
werden  bei  Erwachsenen  wenige  Decigramme 
der  gereinigten  a-Oxynaphtoesäure  in  Pillen- 
form wohl  keine  unerwünschten  giftigen  Wir- 
kungen haben. 

Als     Gonserviiungsmittel     für     den 


Haushalt  erscheint  theoretisch  das  Mittel 
unzulässig;  wer  aber  beobachtet  hat,  in 
welchen  Mengen  bisweilen  die  doch  keines- 
wegs gleichgültige  Salicylsäure  von  den  Haus- 
frauen z.  B.  beim  Einmachen  von  Früchten 
aufgestreut  wird,  möchte  die  Verwendung 
einiger  Decigramme  a-Oxynaphtoesäure  auf 
einen  Liter  Eingemachtes  wohl  vorziehen. 
(?  Red.) 

Das  Natriumsalz  würde  gegen  Gährungs- 
processe  im  Darmcanale  und  gegen  pathogene 
Organismen   dortselbst   angezeigt   erscheinen. 

Die  angeführte  Abhandlung  von  Lübbert 
bietet  ebenfall  j  Anhaltepunkte  für  die  äussere 
Verwendung.  —  Das  dort  erwähnte  0,5% 
Collodium  hat  sich  inzwischen  bewährt.  Es 
lässt  sich  leicht  herstellen;  beim  Stehen  im 
Licht  vergilbt  es,  scheint  sich  aber  sonst 
nicht  zu  ändern.  Aufgestrichen  trocknet  es 
zu  einem  festen  Häutchen  ein,  es  reizt  die 
Wunde  nicht  und  bietet  einen  guten  Ersatz 
für  Jodoform- Collodium.  Schon  die  vielen 
Vorschriften,  welche  zur  Bereitung  des  letz- 
teren gegeben  wurden,  beweisen  die  Schwie- 
rigkeit der  Anfertigung ,  ausserdem  reizt 
Jodoform-Collodium  empfindliche  Haut,  ver- 
dirbt leicht  und  lässt  aufgestrichen  das 
Jodoform  sich  verflüchtigen.  Alle  diese Uebel- 
stände  zeigt  das  */a  pro  centige  a-Oxynaphtoe- 
säure-CoUodium  nicht. 

Recht  brauchbar  zeigte  sich  nach  unse- 
ren Beobachtungen  bei  der  Behandlung  von 
Geschwüren  und  Wunden  eine  1%  a-Oxy- 
naphtoesäure-Watte.  Sie  bewirkte  weder 
eine  Störung  des  Allgemeinbefindens  noch 
eine  örtlich^  Reizung,  die  Asepsie  war  dabei 
vollständig  und  auch  das  Aufsaugungsver- 
mögen für  Wundsecrete  den  wirksamsten  der 
bisher  angewandten  Verbandwatten  gleich. 
—  Zum  Zwecke  des  Versuchs  war  die 
Watte  ohne  eines  der  üblichen  Fixirungs- 
mittel,  insbesondere  Glycerin,  hergestellt.  In 
einer  Originalmittheilung  berichtet  A.  Lüb- 
bert: „Die  Versuchsergebnisse  waren  bei 
frischer  und  drei  Monate  alter  Watte  gleich. 
Sie  ist  aseptisch  keimfrei,  d.  h.  es  sind  in 
der  Watte  keine  Mikroorganismen  nachzu- 
weisen. In  sterilen  Nährboden  gebracht, 
entwickelte  sich  von  der  Watte  aus  kein 
Bacterienwachsthum ,  wobei  der  Einwand, 
dass  etwa  die  mit  der  Watte  eingebrachte 
Menge  Oxynaphtoesäure  den  Nährboden  un- 
tauglich gemacht  hätte,  ausgeschlossen  ist, 
da  die  Nährböden  in  grossen  Quantitäten 
Verwendung  fanden  und  die  Watte  fein  ver- 

10* 


76 


H  e  1  b  i  f ,  rr-Oxyoaphtottiäure. 


tTherap<  ^ 
Monats] 


theilt  wurde.  Die  Aufsaugungsfähigkeit  der 
Watte  beträgt  etwa  das  1  Va  fache  ihres  Ge- 
wichtes, und  diese  aufgesogene  Menge  wird 
durch  1  ^/o  ige  cr-Oxynaphtoesäure  -  Watte 
steril  erhalten,  gleichviel,  ob  als  Nährboden 
stark  eiweisshaltige  Flüssigkeiten  verwandt 
wurden,  oder  ob  Kohlehydrate  oder  Neutral- 
fette überwiegend  vorhanden  sind.'* 

Für  die  Praxis  eignet  sich  derartige 
Watte  des  Abstäubens  wegen  nicht.  Man 
wird  deshalb  ein  Fixirungsmittel  z.  B.  Gly- 
cerin  benutzen  und  zum  Ausgleich  anstatt  1  % 
etwas  mehr  Saure  nehmen.  Ein  befrie- 
digendes Erzeugniss  lieferte  ein  nach  Ana- 
logie der  Sublimat- Watte  der  Kriegs- Sanitäts- 
Ordnung  (Beilage  5  zu  §  63;  E,  1,  8; 
Seite  404,  t)  angestellter  Versuch: 

H'      Acidi  a-oxynaphtoTci  3,5 

Spiritus  250,0 

Glycerini  50,0 

Fuchsini  0,005. 

Diese  Flüssigkeit  kommt  auf  200  g  Watte; 
mit  Rücksicht  auf  das  Glycerin  ergiebt  sich 


''~Yr(\       =  ^?4%  Säuregehalt   der    trockenen 

Watte. 

Die  Bereitung  der  Watte  geschah  bei 
den  Versuchen  selbstredend  durch  Handarbeit. 
Die  alkoholische  Losung  greift  hierbei  die 
Epidermis  der  Hände  merklich  an. 

Ellenberger  und  Hofmeister  fanden 
bei  Thieren  eine  Salbe  (l  :  20)  wirksam  gegen 
Räude.  Die  Menschenhaut  wird  von  Vase- 
linsalbe 1  :  10  nicht  gereizt,  letztere  erwies 
sich  als  ein  vorzügliches  Antiscabiosum. 
Gegen  Psoriasis  zeigte  sich  die  Säure  in 
einem  Falle  zwar  anscheinend  wirksam,  doch 
trat  binnen  wenig  Wochen  ein  Rückfall  auf. 
Sollte  sich  ein  passendes  Lösungsmittel  fin- 
den, so  möchte  es  sich  empfehlen,  das  Ver- 
halten gegen  Psoriasis  nochmals  zu  prüfen. 
—  Es  lösen  sich  zwar  beträchtliche  Mengen 
der  a-Oxynaphtoesäure  in  Natronlauge,  Am- 
moniak, Pyridin  u.  s.  w.,  doch  beruht  diese 
anscheinende  Lösung  auf  Bildung  von  Salzen 
der  Säure,  wobei  letztere  gebunden  und  da- 
durch unwirksam  wird. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Verein  für  innere  Medicin  (Berlin). 
{Sitzung  vom  7.  Januar  1889,) 

Prof.  Litten:  lieber  Kohlenoxyd- 
vergiftung.  Vortr.  stellt  ein  Ehepaar  vor, 
das  in  der  Nacht  vom  16.  bis  17.  December 
von  einer  schweren  Eohlenoxydvergiftung 
betroffen  worden  ist.  Die  Frau  ist  völlig 
wiederhergestellt  worden,  dagegen  ist  bei 
dem  Manne  eine  seltene  Folgeerkrankung 
zurückgeblieben.  Sein  rechter  Arm  war 
bereits  am  folgenden  Tage  stark  geschwollen. 
Hierbei  handelte  es  sich  um  kein  eigentliches 
Oedem,  sondern  vielmehr  um  eine  teigige 
Infiltration  des  subcutanen  Bindegewebes 
und  der  Muskeln.  Die  befallene  Extremität 
war  6 — 7  cm  dicker  als  die  gesunde.  Die 
Haut  zeigte  eine  roth braune  Verfärbung, 
welche  bei  Fingerdruck  citronengelb  (wie 
bei  Icterus)  ward.  Ausserdem  war  eine  totale 
Lähmung  der  Motilität  und  Sensibilität  des 
Armes  vorhanden,  die  elektrische  Erregbar- 
keit erloschen.  Später  zeigten  sich  auf  dem 
Handrücken  Pemphigusblasen.  Die  Schwel- 
lung nahm  anfangs  noch  zu,  dann  ab  und 
verschwand  schliesslich.  Die  übrigen  Sym- 
ptome bestehen  noch  fort.  —  Nach  des 
Vortragenden  Ansicht    ist    die  Kohlenoxyd- 


Intoxication  die  unmittelbare  Ursache  der 
Lähmung.  Derartige  Fälle  sind,  wenn  auch 
in  sehr  geringer  Anzahl,  bereits  beschrieben 
worden.  Die  betroffenen  Individuen  sind 
fast  ausnahmslos  zu  Grunde  gegangen.  In 
einem  einzigen  Falle  soll  Heilung  durch 
„Galvanopunctur^*  erzielt  worden  sein.  In 
dem  vorliegenden  Fall  ist  L.  geneigt,  einen 
circumscripten  hämorrhagischen  Heerd  im 
Gehirn  anzunehmen  und  eine  ungünstige 
Prognose  zu  stellen,  weil  sich  bisher  noch 
keine  Spur  einer  Besserung  gezeigt  hat. 
Was  die  Transfusion  in  solchen  Fällen  an- 
langt, so  ist  dieselbe  bisher  in  3  Fällen 
versucht  worden,  und  diese  sind  sämmtlich 
zu  Grunde  gegangen.  b. 

Wiener  Doctoren-Collegium. 
(Sitzung  vom  7.  Januar  1889,) 

Herr  Salz  er  berichtet  über  ein  auf  der 
Billrot  haschen  Klinik  gebräuchliches  Ver- 
fahren, Fremdkörper  aus  dem  Magen 
zu  entfernen.  Dasselbe  ist  in  England 
schon  lange  bekannt  und  besteht  darin,  den 
Kranken  mehrere  Tage  hindurch  Kartoffeln 
essen  zu  lassen.    Dadurch  wird  eine  gleich- 


tu.  Jahrg*ng.'1 
Pebmar  1889J 


Therapeutische  Mlttheilungen  aui  Vereinen. 


77 


massige  Ausdehnung  des  Intestinaltractus 
hervorgerufen,  "welche  die  Fixirung  des 
Premdkorpers  in  einer  Falte  des  Darms 
verhindert.  S.  demonstrirt  bei  dieser  Ge- 
legenheit mehrere  Fremdkörper,  die  auf  diese 
Weise  nach  Verlauf  von  5  bis  9  Tagen  ent- 
fernt worden  sind.  Seit  Einführung  dieser 
Procedur  wird  auf  der  Billroth' sehen 
Klinik  fast  gar  keine  Gastrotomie  behufs 
Extraction  von  Fremdkörpern  mehr  gemacht. 
Herr  Hochenegg  demonstrirt  einen  6  cm 
langen  Nagel,  der  aus  einem  Knaben  mit- 
telst der  Kartoffelcur  herausgeholt  worden  ist. 

Ä. 

Gesellschaft  der  Aerzte  in  Budapest. 
{Sitzung  vom  3.  Novbr.  1888.) 

Herr  Arthur  Schwarz:  Die  Frank- 
linisation und  die  Glaser'sche  In- 
fluenz-Elektrisirmaschine.  Vortr.  de- 
monstrirt die  I  Gläser' sehe  Influenzmaschine 
und  erläutert  das  Princip  derselben.  (Wir 
bringen  in  nächster  Nummer  einen  Original- 
artikel über  diesen  Gegenstand.  Red.)  Man 
hat  die  verschiedenen  Methoden  der  Frank- 
linisation mit  gunstigem  Erfolge  angewendet, 
so  namentlich  die  Kopfdouche  gegen  cere- 
brale Neurasthenie,  Hemikranie  und  Kephal- 
algie;  die  Büschelentladung  bei  Hysterie, 
Neuralgien,  Tic  convulsif  und  Herzpalpi- 
tationen;  die  Funkenentladung  gegen  lanci- 
nirende  Schmerzen,  Ataxie,  hysterische  Läh- 
mungen und  Muskelatrophie. 

In  der  Discussion  heben  die  Herren 

Jendrassik  und  Laufenauer  hervor, 
dass  sie  mit  der  Frank linisation  häufig,  aber 
nicht  constant,  günstige  Erfolge  erzielt  haben. 

Herr  B6kai:  üeber  Zoster  nach 
Arsenikgebrauch.  Yortragender  stellt  ein 
Kind  vor,  das  wegen  Chorea  Arsenik  erhalten 
und  am  28.  Tage  der  Medication  an  Herpes 
zoster  pectoralis  erkrankte.  Er  hat  schon 
früher  4  ähnliche  Fälle  beobachtet.  Auf 
ein  derartiges  Yorkommcu  ist  bereits  von 
Hutchinson  und  von  Berger  aufmerksam 
gemacht  worden. 

{PtsU  fMd,  Chirurg.  Presse  1888,  No.  46.)  R, 

Dr.  Josef  Lumniczer  hält  einen  Vor- 
trag über  die  Aetiologie  des  Tetanus. 
In  der  Debatte  ergreift  Dr.  Emanuel  Wein 
das  Wort  und  erwähnt,  dass  nach  Angaben 
des  Stabsarztes  Tyroch  der  Tetanus  nach 
^Exercirschüssen^  viel  häufiger  auftrete 
als  nach  „scharfen  ^^  Schüssen,  um  die  Ent- 
stehung des  Tetanus  zu  verhüten,  müsse 
man  auf  Fremdkörper  suchen;  dies  müsse 
jedoch  mit  der  grössten  Sorgfalt  geschehen. 
Er  macht  auf  den  Fall  Babrelli's  auf- 
merksam,   wo  stündlich  0,02  g  Carbolsäure 


injicirt  wurde.  Nach  8  Tagen  genas  der 
Kranke.  Dr.  Hutyra  erwähnt,  er  habe  bei 
Pferden  mehreremals  8 — 10  g  Creolin  sub- 
cutan angewendet,  ohne  einen  Erfolg  erzielt 
zu  haben.  Docent  Dr.  Jonathan  Habe- 
rern sagt,  dass  vor  mehreren  Monaten  auf 
der  I.  Chirurg.  Universitätsklinik  ein  schwerer 
Fall  von  Tetanus  nach  Jodoformäther-Alko- 
hol-Injectionen  mit  Heilung  endete. 

Schiisehny  {Budapest). 

Centralverein  deutscher  Aerzte  in  Böhmen. 
{Sitzung  vom  10.  November  1888  in  Eger.) 

Dr.  Müller  (Franzensbad):  Variola  und 
deren  Behandlung. 

Statt  sich  der  (doch  nur  graduelle 
Unterschiede  desselben  Krankheitsprocesses 
bezeichnenden)  Ausdrücke  Variola  und  Vario- 
lois  zu  bedienen,  hält  Verf.  es  für  zweck- 
mässiger, nur  von  „schweren  und  leichteren 
Formen"  von  Blattern  zu  sprechen.  Von 
den  schweren  Formen  unterscheidet  er  Va- 
riola Simplex,  confluens  und  haemorrhagica. 

Die  Behandlung  der  leichteren  Formen 
ist  eine  mehr  symptomatische.  Jede  Me- 
thode wird  zum  Ziele  führen.  Betreffs  der 
schweren  Formen  aber  sind  in  Beziehung 
auf  das  therapeutische  Eingreifen  vorzüglich 
3  Stadien  zu  beachten:  1.  das  fieberhafte 
Invasionsstadium,  2.  das  fieberlose 
Eruptionsstadium  und  3.  das  Stadium 
der  Eiterung. 

Im  ersten  Stadium  ist  vorzugsweise 
die  ausgiebige  Anwendung  der  Kälte  an- 
gezeigt in  der  Form  von  frischer  Luft, 
leichter  Bedeckung,  kalten  Umschlägen  und 
Einwickelungen.  Dadurch  wird  mehr  erreicht, 
als  durch  interne  Antipyretica  und  am  ratio- 
nellsten der  allgemein  schädlichen  Einwir- 
kung der  Intoxication  auf  den  Organismus 
entgegengearbeitet. 

Das  zweite  Stadium  ist  das  wichtigste 
fiir  das  ärztliche  Handeln,  denn  hier  gilt 
es,  der  Ausbildung  der  Knötchen  und  Bläs- 
chen zur  Eiterpustel  kräftig  entgegenzu- 
wirken, um  so  das  dritte  Stadium  entweder 
ganz  zu  eliminiren  oder  thunlichst  unschäd- 
lich zu  machen.  —  Als  das  wirksamste 
Mittel  hat  M.  hier  den  täglichen  Gebrauch 
von  warmen  Vollbädern  erprobt.  Wo  dies 
nicht  durchführbar  war,  hat  er  täglich  häufig 
wiederholte  Waschuugen  resp.  Abtupfungeii 
mit  warmem  Wasser  machen  lassen.  Beson- 
ders im  Gesichte  und  an  den  Augenlidern 
erscheinen  letztere  sehr  wohlthätig.  Durch 
dieselben  wird  wahrscheinlich  auch  das  Auf- 
treten von  Conjunctivitiden  hintangehalten. 
Die  Kranken  fühlen  sich  schon  nach  den 
ersten    Bädern    recht  wohl,    das  brennende 


78 


Th«r«petttitche  Mittheilungen  aus  Vereinen. 


r1i«rapoatiM]M 
Monatoheftc 


und  spannende  Gefühl  in  der  Haut  ist  yer- 
sch wunden.  Auch  die  eigen thümliche  Haut- 
ausdÜDstung  macht  sich  bald  nicht  mehr 
bemerkbar.  —  Der  Arzneischatz  bietet  aber 
auch  Mittel,  die  durch  ihre  Wasser  ent- 
ziehenden uud  emulgirenden  Eigenschaften 
die  Eintrocknung  der  Pusteln  direct  begün- 
stigeu.  So  hat  sich  das  Glycerin  in  Form 
des  Unguent.  Gljcerini  gut  bewährt.  M. 
lässt  nach  den  Badern  und  Waschungen 
die  wichtigsten  Theile  des  Korpers,  nament- 
lich dort,  wo  das  Exanthem  gehäuft  erscheint, 
häufig  mit  der  Salbe  bestreichen.  Dies  gilt 
besonders  im  Gesichte.  Am  Kopfe  ist  eine 
schwache  Carbolöl-Lösung  (l  :  300)  zweck- 
mässig. 

Für  die  Behandlung  der  Schleimhaut 
der  Mundhöhle,  des  Rachens  und  Oesophagus 
sind  Milchdiät  und  Mandelmilch  als  Getränk 
recht  zweckdienlich.  Kommt  man  hiermit 
nicht  aus,  so  empfehlen  sich  Mund-  und 
Gurgel  wässer  aus  einer  schwachen  Kali- 
chloricum-Lösung  in  einem  schleimigen  Decoct. 

Handelt  es  sich  um  einen  Krauken,  der 
sich  im  dritten  Stadium,  dem  der  Eiterung, 
befindet,  oder  liegt  eine  schwerere  Form  von 
Variola  confiuens  vor,  so  tritt  neben  der 
roborirendeu  internen  medicamentosen  Be- 
handlung die  externe  locale  in  den  Vorder- 
grund. Es  verdient  hier  die  essigsaure 
Thonerde  alle  Beachtung.  Alle  Stellen,  an 
denen  die  Eruption  am  stärksten  auftritt, 
werden  mit  in  essigsaure  Thonerde-Losung 
getränkten  Leinwandlappen  bedeckt  und  da- 
rüber ein  Verband  angelegt.  —  Man  kann 
auch  grosse  Pusteln  eröffnen  und  blossliegende 
eiternde  Stellen  mit  Jodoform  behandeln. 

In  der  Abtrocknungsperiode  sind  nur  alle 
2  —  3  Tage  Bäder  und  nach  denselben  Streu- 
pulver aus  Amylum  am  Platze. 

Was  die  Variola  haemorrhagica  be- 
trifft, so  soll  der  Arzt  auch  bei  dieser  ver- 
zweifelten Form  nicht  ruhig  die  Hände  in 
den  Schooss  legen.  Unter  6  hierher  ge- 
hörigen Fällen  hat  M.  einige  bis  zu  8  Tagen 
hingebracht  und  einen,  bei  dem  Lungen- 
und  Darmblutungen  vorhanden,  gesund  wer- 
den sehen.  Neben  der  Berücksichtigung 
al  Igemeiner  hygienischer  Maassnahmen  bestand 
die  Behandlung  in  Essigwaschungen,  Ver- 
abreichung von  China- Decoct  mit  Mineral- 
säuren und  Rothwein. 

M.  hat  im  Ganzen  93  Fälle  behandelt, 
von  denen  24  zu  den  leichteren  und  69  zu 
den  schweren  Formen  gehörten.  Von  den 
schweren  kamen 

auf  Variola  simplex  54  Fälle  mit  1  Todes- 
fall; 
auf  Variola  confiuens  8  Fälle  mit  4  Todes- 
fällen ; 


auf  Variola    haemorrhagica    6    Fälle    mit 

5   Todesfällen; 
auf  Variola   sine  exanthemate   1  Fall  mit 
1   Todesfall. 

Unter  den  angegebenen  Fällen  befanden 
sich  55  Kinder  und  38  Erwachsene,  unter 
den  Todten  6  Kinder  und  5  Erwachsene. 

Die  Impfung  konnte  52  Male  nach- 
gewiesen werden;  19  waren  ungeimpft.  Ein 
wesentlicher  Unterschied  im  Verlaufe  der 
Krankheit  trat  bei  Geimpften  und  nicht 
Geimpften  nicht  hervor,  deshalb  lässt  sich 
aus  der  kleinen  Zahlenreihe  kein  Schluss 
zu  Gunsten  oder  Ungunsten  der  Impfung 
ziehen. 

Discussion. 

Dr.  Po  Hak  hat  im  letzten  Stadium 
häufig  und  von  der  Decru Station  an  täglich 
Bäder  mit  Erfolg  angewendet.  Von  Beginn 
der  Krankheit  giebt  er  innerlich  Alkohol. 

Dr.  Netolitzky  spricht  gleichfalls  für 
Anwendung  häufiger  warmer  Bäder.  Dem 
geheilten  Falle  von  Variola  haemorrhagica 
gegenüber  verhält  er  sich  skeptisch,  da  es 
sich  um  einen  Fall  von  Morbus  Werlbofi 
gehandelt  haben  kann. 

Dr.  Die  SS  1  war  Arzt  an  2  internen 
Prager  Abtheilungen.  Auf  der  einen  war 
die  Blatternbehandlung  diametral  entgegen- 
gesetzt der  auf  der  andern  gebräuchlichen. 
Während  die  eine  Abtheilung  ihre  Patienten 
exspectativ  symptomatisch  behandelte,  be- 
handelte die  andere  nach  der  hydropathischen 
Methode,  und  die  Pusteln  wurden  mit  dem 
Lapisstift  eröffnet.  Der  Erfolg  war  auf 
beiden  Abtheilungen  in  jeder  Beziehung 
derselbe. 

Dr.  Auer  beobachtete  im  Nürnburger 
Krankenhause  400  Fälle,  die  von  Beginn 
an  mit  lauen  Bädern  erfolgreich  behandelt 
worden  sind.  Auf  der  Klinik  von  Hebra 
sah  er  5  schwere  Fälle  von  Variola  con- 
fiuens im  permanenten  Wasserbade.  Die- 
selben genasen. 

Dr.  Geschier  macht  Mittheilungen  über 
die  gegenwärtig  in  Eger  herrschende  Blat- 
ternepidemie. 


{Prag,  med,  Wochtntchr,  1888,  No.  4S.) 


R. 


Gesellschaft  der  Aerzte  in  Zflrich. 
SommersitzuDfi;  im  Operationssaale  der  chirur- 

•       U  tri«     •! 

gischen  Klinik. 
{Sitzung  am  23,  Juni  1888,) 

Prof.  Krönlein:  Demonstrationen: 

1.  n^ivL  39 jähriger  Mann,  der  wegen 
Carcinoma  ventriculi  vor  16  Tagen  der 
Re Sectio  ventriculi  unterworfen  w^urde. 
Reactionslose  Heilung.  (Pat.  und  Präparat 
werden  demonstrirt.) 


m.  Jahrgang.! 
Febrnar  1889  J 


Th«rapeutigcbe  Mittheilungen  aus  Vereinen. 


79 


2.  Der  Vater  des  oben  genannten,  ein 
7 2 jähriger  Mann^  an  dem  wegen  Carci** 
noma  recti  die  Exstirpatio  recti  vor 
2\/2  Jahren  ausgeführt  worden  war.  Auch 
gegenwärtig  ist  Pat.  noch  recidivfrei  und 
überaus  rüstig  und  leistungsfähig. 

3.  Ein  Mann,  der  wegen  eines  supradu- 
ralen Haematoms  in  Folge  Ruptur  der  Art. 
mening.  med.  trepanirt  wurde.  Das  Sen- 
sorium  war  nach  12  Stunden  yollstandig 
klar,  während  Arm  und  Bein  jetzt  noch 
paretisch  sind. 

4.  Patientin,  an  welcher  vor  3  Jahren 
die  Exstirpation  der  Gallenblase  mit  Erfolg 
ausgeführt  worden  war  wegen  Cholclithiasis. 
Die  Anfälle  sind  seitdem  Tollständig  ver- 
schw^unden.     Patientin  zur  Zeit  ganz  gesund. 

5.  Patientin,  bei  welcher  wegen  Hydrops 
der  Gallenblase  in  Folge  von  Einkeilung 
eines  Gallensteins  im  Ductus  cysticus  die 
sogenannte  ideale  Cholecystotomie  ausge- 
führt wurde.     Reactionslose  Heilung.^ 

{Corrup.- Blatt  ßkr  Schweizer  Aerzte  No.  /.  89).      R, 

Academie  des  sciences  (Paris). 
(Stlsung  am  31,  December  1888.) 

Herr  Dr.  W.  Loewenthal  berichtet  über 
die  Resultate  seiner  Untersuchungen  über 
die  Cholera. 

Bekanntlich  verliert  der  Cholerabacillus 
seine  Giftigkeit,  wenn  man  ihn  auf  künst- 
lichem Nährboden  züchtet.  Um  demselben 
seine  Giftwirkung  wiederzugeben,  versuchte 
L.  ihn  in  einem  Brei  zu  cultiviren,  der  zum 
grössten  Theil  aus  kleingehacktem  Schweine- 
Pankreas  besteht.  L.  ist  nämlich  zu  der 
Ueberzeugung  gelangt,  dass  es  gerade  der 
Pankreassaft  ist,  der  —  in  Gegenwart  von 
EiweissstofFen  und  Peptonen  —  die  giftige 
Wirkung  des  Cholerabacillus  hervorruft.  Da- 
durch wird  auch  das  klinische  Bild  der  Cho- 
lera beim  Menschen  klar;  die  mit  der  Nah- 
rung eingeführten  Bacillen  erzeugen,  mit 
Hülfe  des  Pankreassaftes  dieselbe  toxische 
Substanz  (Ptomain)  wie  in  dem  künstlich 
hergestellten  Brei.  Diese  giftige  Substanz 
wird  resorbirt  nnd  ruft  die  bekannten  Sym- 
ptome hervor.  Vortragender  ist  nun  dahin 
gelangt,  die  Entwickelung  des  Cholera- 
bacillus in  seinem  Pankreas-Brei  zu  hemmen, 
indem  er  eine  kleine  Menge  Salol  hinzufügt. 
Im  Körper  wird  diese  Substanz  durch  den 
Pankreassaft  zersetzt.  Das  Salol,  welches 
den  Cholerabacillen  Verderben  bringt,  ist 
für  den  Menschen  ein  unschädliches  Mittel. 
Man  kann  bis  20  g  in  24  Stunden  neh- 
men. Aus  diesem  Grunde  schlägt  L.  die 
Anwendung  dieses  Mittels  bei  der  Cholera- 
behandiung  vor.     Er  hofft,  dass  es  dieselben 


Wirkungen  beim  Menschen  entfalten  werde, 
die  er  im  Reagensglase  beobachtet  habe.  — 
(Uebrigens  ist  Salol  bereits  früher  sowohl 
von  Sahli  als  auch  von  Hueppe  gegen 
Cholera  empholen  worden.     Red.) 

{Le  Progres  med.  1889  No.  2.)  R. 

Gynaekologengesellschaft  zu  Kiew. 

(Sitzung  vom  30,  Jan.  1888.)  ' 

Dr.  Ljachnitzky  schlägt  ein  neues  Ver- 
fahren zur  Herstellung  keim&eier  Laminaria- 
stäbe  und  deren  Aufbewahrung  vor.  Nur 
absolut  wasserfreier  Weingeist  und  absolut 
reiner  Aether  bewirken  keine  Veränderungen  in 
den  physikalischen  Eigenschaften  des  Lami- 
nariatupels.  Der  Zusatz  vou  Jodoform  oder 
Carbolsäure  vergrossert  den  Umfang  des 
Stäbchens  ein  wenig  und  macht  die  Ober- 
fläche unregelmässig  kantig  und  rauh.  Vf. 
schlägt  vor,  jedes  Stäbchen  besonders  in  ein 
dünnes  Glasrohr  zu  bringen  und  so  während 
^/a  Stunde  imKoch^schen  Apparat  einer  Er- 
wärmung auf  150®  C.  auszusetzen.  Die  Er- 
wärmung muss  eine  allmähliche  sein,  weil 
sonst  die  Stäbchen  brüchig  werden.  Darauf 
wird  die  Oe£fnung  des  Glasrohrs  verlöthet. 
Vor  dem  Gebrauch  wird  das  verlöthete  Ende 
abgebrochen,  das  Stäbchen  mit  einer  aus- 
geglühten Kornzange  herausgeholt  und  so- 
fort in  den  vorher  gründlich  desinficirten 
Cervix  uteri  eingeführt.  Untersuchungen  in 
der  Klinik  des  Prof.  Rein  haben  gezeigt, 
dass  solche  sterilisirte  Stäbchen  24  Stunden 
ohne  Nachtheil  im  Cervix  liegen  können. 
Vf.  meint,  dass  sein  Vorschlag  wenig  An- 
hänger finden  wird^  weil  die  Meisten  heut- 
zutage die  Dilatation  des  Cervicalcanales 
in  einer  Sitzung  mit  dem  Heg  arischen  Dila- 
tatorium  vorziehen. 

{Wratech  1888,  No.  7.)  fViedlaender. 

Medlcal  Society  of  Virginia. 
(Ja/iressiUung  zu  Norfolk  am  23,^25.  Oct.  1888.) 

Dr.  Lewis:  Zur  Behandlung  des  Ileo- 
typhus. 
Bei  der  Behandlung  des  Ileotyphus  ist 
im  Wesentlichen  eine  möglichst  energische 
Anregung  der  Gallensecretion  indicirt,  da 
die  Galle  vermöge  ihrer  exquisit  antisep- 
tischen Eigenschaften  im  Stande  ist,  die  im 
Darmcanal  befindlichen  pathogenen  Mikroben 
zu  tödten,  resp.  ihrer  Entwickelung  zuvor- 
zukommen. Da  nun  die  Quecksilber  Verbin- 
dungen im  Allgemeinen  die  Gallensecretion 
am  meisten  anzuregen  vermögen,  so  erscheint 
ihre  Anwendung  beim  Abdominal  typhus 
Empfehlung  zu  verdienen,  um  so  mehr,  als 
sie    selbst    ausgezeichnete  Antiseptica    sind. 


j 


80 


ThermpeutiBch«  Mittheliung«li  äut  Vereinen. 


Bfonatahefre. 


Leider  besitzen  indessen  die  Quecksilber- 
verbindungen  in  Folge  ihrer  enormen  Toxi- 
cität  unangenehme  Nebenmrkungen,  so  dass 
sie  auf  die  Dauer  nicht  zu  verwerthen  sind, 
da  es  sonst  leicht  zur  Darmdiphtheric  etc. 
kommen  kann.  Denselben  Nachtheil  be- 
sitzen, wenn  auch  nicht  in  demselben  Grade, 
die  übrigen  die  Gallensecretion  befördernden 
Abfuhrmittel,  wie  Evonymin,  Jalappe,  Rha- 
barber etc.  —  Die  Ochsengalle,  welche  inner- 
lich gegeben  bekanntlich  gleichfalls  die  Gal- 
lensecretion steigert,  hat  den  Nachtheil,  dass 
ihre  Wirkung  nicht  nachhaltig  ist.  Unter 
Berücksichtigung  aller  dieser  Thatsachen 
empfiehlt  L.  folgenden  Behandlungsplan  für 
die  Typhuspatienten:  Im  Beginn  der  Be- 
handlung in  2  stündlichen  Intervallen  3  Dosen 
von  je  0,15  g  Calomel  und  0,06  g  Rhabarber. 
Hierauf  während  des  ganzen  Verlaufes  der 
Krankheit  Tag  und  Nacht  10  Tropfen  der 
officinellen  verdünnten  Salzsäure  in  einem 
Weinglase  Wasser  alle  2  Stunden.  —  Ausser- 


dem alle  3  Stunden  ein  Viertel  Glas  frischer 
Milch,  gleichfalls  Tag  und  Nacht.  Fällt 
der  Zeitpunkt  für  die  Milchaufnahme  und 
die  Verabreichung  der  Salzsäure  zusammen, 
so  ist  die  Säure  zuerst  zu  geben,  da  sie 
schneller  aus  dem  Magen  verschwindet,  als 
die  Milch.  —  Leiden  die  Patienten  an  Schlaf- 
losigkeit, so  erhalten  sie  alle  2  Stunden 
0,12  g  Do  wer 'sehen  Pulvers,  wobei  um  2  Uhr 
Nachmittags  mit  der  Application  begonnen 
wird.  4  Dosen  zu  überschreiten,  widerräth 
Verf.,  da  er  gerade  bei  Typhus 
mehrfach  unangenehme  Nebenerscheinungen 
beobachtet  hat.  Uebersteigt  die  Körper- 
temperatur 39°  C,  so  lässt  Verf.  der  Pat. 
Brust,  Schultern,  Rücken,  sowie  die  Arme 
alle  20  Minuten  mit  kaltem  Wasser  ab- 
reiben. Im  Ganzen  hat  L.  180  Typhus- 
kranke in  dieser  Weise  behandelt  und  nur 
4  Todesfölle  hierbei  beobachtet. 

{The  Journal  of  the    American  Medical  A»aociati*ni 
17.  lt.  1888.)  Lohnstein  {Berlin). 


Referate. 


(Aus  der  Klinik  des  Hofrathes  Prof.  Dr.  Meynert.) 

lieber  die  Wirkung  des  Sulfonals.    Von  Dr.  K  r  o  n  - 
fcld  und  Dr.  Löwenthal.    (Wien.) 

Die  Verf.  verfugen  über  eine  Beobach- 
tungsreihe von  220  Verabreichungen  an  40 
näher  bezeichneten  Personen.  Das  Mittel 
wurde  regelmässig  um  7  Uhr  Abends  verab- 
reicht. Es  hat  in  79  Procent  als  Hypnoti- 
cum  gewirkt.  Bis  zum  Einschlafen  vergin- 
gen gewöhnlich  ^/q  —  2  Stunden  nach  der 
Verabreichung  (in  seltenen  Fällen  ein  noch 
längerer  Zeitraum).  Unangenehme  Nachwir- 
kungen wurden  nicht  beobachtet.  Hie  und 
da  wurde  über  Eingenommensein  des  Kopfes 
und  leichtes  Schwindelgefühl  am  nächsten 
Morgen  geklagt.  Dagegen  wird  zum  Schluss 
die  günstige  Nebenwirkung  des  Sulfonals 
noch  ganz  besonders  hervorgehoben.  Ein 
jugendlicher  Neurastheniker  mit  Angstgefüh- 
len, Weinkrämpfen  und  öfter  auftretenden 
Schlingbeschwerden  erhielt  längere  Zeit 
dieses  Mittel,  und  es  trat  nebst  ruhigem 
Schlaf  ein  Ausfall  aller  erwähnten  Beschwer- 
den ein. 

{Wien.  kUn.  Wochenschr.  1889.  No.  2.)  R. 

lieber     die     neueren     Cannabispräparate.      Von 
J.  Prior.    (Bonn.) 

Es  sind  wesentlich  drei  Präparate  als 
gute     Ersatzmittel     der      Cannabis     indica 


empfohlen  worden:  Cannabinum  tanni- 
cum,  Cannabinon  und  Balsamum  can- 
nabis indicae.  Dieselben  hat  P.  an  einem 
grossen  Krank enmateriale  (Phthisiker,  Em- 
physematiker,  Agrypnie,  ältere  Leute  mit 
nervöser  Unruhe)  erprobt.  Was  zunächst 
Cannabinum  tannicum  anlangt,  so  ist 
dasselbe  an  35  Personen  mit  100  Einzel- 
dosen versucht  worden.  Zur  Anwendung 
kamen  Dosen  von  0,5 — 1,25.  Eine  complete 
Wirkung  trat  ein  bei  42  Verabreichungen, 
unvollständig  war  der  Erfolg  bei  17  Ver- 
suchen und  in  41  Beobachtungen  trat  gar 
kein  Erfolg  hervor.  In  denjenigen  Fällen, 
in  welchen  die  Wirkung  eintrat,  machte  sich 
eine  halbe  bis  eine  Stunde  nach  Verab- 
reichung des  Mittels  ein  Gefühl  von  Schläfrig- 
keit und  Müdesein  bemerkbar,  dem  alsdann 
allmählich  ein  5  bis  6  Stunden  andauernder, 
durch  nichts  gestörter  Schlaf  folgte.  —  In 
einem  Falle  von  Delirium  tremens  acutum 
kam  trotz  2,5  kein  Nachlass  zu  Stande,  es 
trat  sogar  eine  Steigerung  der  Exaltation 
ein,  die  erst  nach  Darreichung  von  Chloral- 
hydrat  beseitigt  werden  konnte. 

Das  Cannabinon  wird  von  Bombeion 
in  Chocoladetabletten  mit  0,06  Cannabinon- 
gehalt  hergestellt.  Verf.  hat  dasselbe  bei 
18  Frauen  und  8  Männern  versucht  und  die 


III.  Jalirgang.1 
Febnur  1889.  J 


Referate. 


81 


Dosis  bei  einer  Patientin  sogar  bis  auf  0,1 
gesteigert.  In  seinen  Scblussfolgerungen 
spricht  P.  dem  Mittel  jeden  Werth  ab.  Nur 
bei  Hysterie  und  leicbter  nervöser  Erregung 
i/var  ein  günstiger  Einfluss  unverkennbar. 
In  ernsteren  Fällen  führt  es  dagegen  häufig 
zu  den  bedenklichsten  Erscheinungen,  wie 
Kopfschmerz,  Erbrechen,  Exaltationen  u.  s.  w. 
Balsamum  Cannabis  indicae  wurde 
10  Männern,  in  80  Einzeldosen,  gegeben. 
Von  der  Empfehlung  DenzeTs  ausgehend, 
dasB  es  in  Gaben  von  0,1  —  0,3  zuverlässig 
wirke,  wurde  einem  Emphysematiker  mit 
hochgradiger  Dyspnoe  zuerst  0,1  gegeben. 
Da  diese  Dosis  nicht  wirkte,  erhielt  derselbe 
am  folgenden  Abend  0,2.  Darauf  nur  vor- 
übergehende Erleichterung  und  Eingenommen- 
heit des  Kopfes,  sowie  Verdauungsstörungen. 
Bei  einem  andern  Pat.  mit  Myocarditis  trat 
nach  dem  Mittel'  eine  Verschlimmerung  der 
Athemnoth  und  Beklemmung  auf.  Auch 
Schwindelgefühl,  Formication  und  Pulsbe- 
schleunigung wurde  nach  diesem  Mittel  in 
2  weiteren  Fällen  von  Herzklappenfehlem 
beobachtet.  —  Diesen  3  Präparaten  ist  dem- 
nach nicht  viel  Empfehlenswerthes  nachzu- 
sagen. Bezüglich  der  Anwendung  des  Canna- 
binon  und  Balsamum  Cannabis  ind.  ist  be- 
sonders bei  HerzafPectionen  die  gross te  Vor- 
sicht geboten. 

(Jffiadk.  «Md.   Woehtnsehr.  1888.  No.  33.)        R. 

Anwendung  von  Strychnin  bei  Delirium  tremens. 
Von  Dr.  Manoel  Raroos  (BrasilieD). 

Die  ausführlich  geschilderte  Kranken- 
geschichte zeugt  zunächst  von  der  Unwirk- 
samkeit des  Opiums  und  Morphiums  bei  den 
wiederholten  Anfällen  von  Delirium  tremens. 
Der  42jährige  Patient  erhielt  in  einer  ein- 
zigen Nacht  15,0  Tinctur  Opii  und  0,04 
Morphin.  Hypnon,  das  in  einem  früheren  An- 
falle gute  Dienste  geleistet  hatte,  war  später 
wirkungslos.  Desgleichen  brachte  die  An- 
wendung Ton  XJrethan  und  Paraldehyd  nicht 
den  geringsten  Nutzen.  Schlaf  und  Heilung 
erzielten  erst  subcutane  lojectionen  von 
Strychoin.     Von  der  Lösung: 

Strychnini  sulf.     0,1 

Aq.  destill.  10,0 

injicirte  Verf.  dem  Pat.  um  9  Uhr  Morgens 
den  Inhalt  einer  halben  Pravaz'schen  Spritze 
(5  mg  Strychnin).  Um  97a  Uhr  lässt  bereits 
die  Aufregung  nach  und  Pat.  schläft  bis 
4  Uhr  Nachmittags.  Nachts  erneute  Auf- 
regung, die  indessen  nach  einer  Strychnin- 
injection  schwindet.  Nachdem  im  Verlaufe 
der  nächsten  Tage  im  Ganzen  0,04  Strychnin  in 
Anwendung  gekommen,  ist  Pat.  vollkommen 
genesen.  Während  bisher  4  Gentigramm 
Morphin   und    andere   Opiumpräparate  nicht 


die  geringste  Wirkung  hervorbrachten,  ge- 
nügte 0,01  Morphium  nach  einer  Strychnin- 
injection  zur  Hervorrufung  eines  festen, 
langen   Schlafes. 

(BulUt.  gen.  de    Thirap.  15.  Octbr.  1888.)         R. 

Strychnin  als  Antidot  bei  narkotischen  Vergiftun- 
gen.   Von  G.  A.  Gibson. 

Obwohl  Strychnin  schon  während  eines 
längeren  Zeltraumes  als  Antidot  bei  Chloral- 
vergiftungen  angewendet  worden  ist ,  hat 
dasselbe  in  der  Behandlung  von  Vergiftungen 
mit  anderen  narkotisch  wirkenden  Substanzen 
bis  jetzt  keine  Beachtung  gefunden.  Verf. 
welcher  in  dem  Strychnin  das  stärkste  Er- 
regungsmittel für  das  Respirationscentrum 
sieht,  welches  wir  besitzen,  empfiehlt,  da  die 
Narcotica  durch  Lähmung  dieses  Centrums 
den  Tod  herbeiführen,  die  Anwendung  dieses 
Mittels  bei  allen  Vergiftungen  mit  narkotischen 
Substanzen,  um  der  Lähmung  des  Athmungs- 
centrums  entgegenzuarbeiten.  G.  hat  wäh- 
rend der  letzten  drei  Jahre  mehrere  Male 
Gelegenheit  gehabt,  sich  von  dem  günsti- 
gen Erfolge  subcutaner  Strychnininjectionen 
(0,0006  —  0,0012  g  je  nach  dem  Alter  der 
Patienten  in  stündlichen  Intervallen  zwei 
bis  drei  Male)  zu  überzeugen.  Die  Wirkung 
gab  sich  sofort  zu  erkennen  in  der  erhöhten 
Frequenz,  der  grösseren  Regelmässigkeit  und 
der  Tiefe  der  Athemzüge.  Selbst  in  Fällen, 
in  welchen  die  Respiration  aufgehört  hatte, 
begann  dieselbe  wieder  nach  der  Anwendung 
von  Strychnin. 

Im  Anschlüsse  an  diese  Mittheilung  giebt 
Verf.  einige  allgemeine  Gesichtspunkte  für 
die  Behandlung  narkotischer  Vergiftungen,  von 
denen  folgende  als  besonders  be  achtens  werth 
hervorzuheben  sind.  Neben  der  Entfernung 
des  Giftes,  sei  es  durch  Brechmittel,  sei  es 
durch  die  Magenpurape,  liegt  uns  die  Auf- 
gabe ob,  die  vitalen  Centren  in  Thätigkeit 
zu  halten,  während  andrerseits  Alles  zu  ver- 
meiden ist,  was  Erschöpfung  herbeizuführen 
im  Stande  ist.  Aus  diesem  Grunde  perhor- 
rescirt  G.  die  noch  vielfach  empfohlene  Me- 
thode ,  den  Patienten  durch  Umherführen 
wach  zu  erhalten  und  empfiehlt  ein  milderes 
Vorgehen:  Anrufen,  Kneifen  der  Beine  und 
Arme,  leichte  Nadelstiche,  Senfpflaster  an 
den  Waden ,  Anwendung  des  Inductions- 
stromes.  Die  kalte  Douche  wäre  nur  mit 
grösster  Vorsicht  anzuwenden.  Alkoholische 
Stimulantien  wären  zu  vermeiden,  da  ihre 
Wirkung  sich  zu  der  des  Narcoticums  hin- 
zuaddirt.  Wenn  unter  der  Strychninbehand- 
lung  keine  Besserung  der  Athmung  eintritt, 
so  ist  künstliche  Respiration  einzuleiten. 
Die  Anwendung  des  Strychnins  empfiehlt 
sich    auch    bei    drohender  Herzlähmung   als 

11 


82 


Referat«. 


rTherapenCiiehie 
L  Monatsheft«. 


Reiz  für  die  motoriscben  Herzcentren ;  durcli 
Ammoniak  und  Aether  könne  die  Wirkung 
unterstützt  werden. 

Ebenso  wie  für  narkotische  Gifte  eigne 
sich  Stryclmin  auch  als  Antidot  für  allge- 
meine Anaesthetica,  wie  Chloroform. 

(Als  Antidot  bei  Chloral-  und  Chloro- 
formvergiftungen  wurde  Strychnin  von  Lieb- 
reich zu  Anfang  der  siebziger  Jahre  em- 
pfohlen, um  der  Lähmung  der  motorischen 
Herzgang] ien  entgegenzuarbeiten.         Ref.) 

(Ths  rractioner,  Deeember  1888,  8.40t),        rd. 

Ueber  die  Anwendung  der  Strophanthuspräparate 
im  Kindesalter.  Von  Prof.  Dr.  R.  De  mm  e  in 
Bern. 

Demme  berichtet  über  die  mit  Tinct. 
Strophanthi  in  dem  unter  seiner  Leitung  ste- 
henden Jenner' sehen  Einderspitales  zu  Bern 
gesammelten  Erfahrungen.  Dieselben  sind 
insofern  Yon  besonderem  Interesse,  als  die 
bis  jetzt  erschienenen  Publicationen  sich  fast 
ausschliesslich  mit  der  Anwendung  des  Mit- 
tels bei  Erwachsenen  beschäftigen.  Die- 
sem Berichte  schickt  Vf.  eine  kurze  Zusam- 
menfassung der  yon  ihm  experimentell  an 
Thieren,  spec.  am  Froschherzen  gewonnenen 
Resultate  über  die  "Wirkungsweise  voraus, 
aus  welchen,  als  für  die  therapeutische  An- 
wendung von  Bedeutung,  hervorzuheben  ist, 
dass  eine  toxische  Beeinflussung  des  Herz- 
muskels, d.  h.  das  Auftreten  peristaltischer 
Eammercontractionen  und  Lähmung  des 
Herzmuskels  mit  Stillstand  in  Systole  bei 
Strophanthus  unberechenbarer  und  plötzlicher 
eintritt,  als  nach  Digitalis. 

Angewendet    wurde    das    Mittel    bei   im 
Ganzen  21   zwischen  dem  5.  und  15.  Lebens- 
jahre stehenden  Kindern,  und  zwar  in: 
7  Fällen  von   nicht  compensirten  Erkran- 
kungen der  Mitralklappe, 
5  Fällen  von  Scharlachnephritis, 
3  Fällen  von  Pleuritis  exsudativa, 
2  Fällen  von  Asthma  bronchiale, 
2  Fällen  von  tuberkulöser  Lungenphthise, 
2  Fällen  von  Tussis  convulsiva. 
Bei    Kindern    zwischen    dem  5.  uud   10. 
Lebensjahre    wurde    mit    3    Mal    täglich    1 
Tropfen,    bei   älteren    mit   4  Mal    täglich  1 
Tropfen  in  2  —  3  Esslöffel  Zuckerwasser,  eine 
Stunde    nach   der  Mahlzeit  dargereicht,    be- 
gonnen und  allmählich  die  Dosis  auf  4  und 
5    Mal    täglich   3  Tropfen    gesteigert.      Bei 
den     ersten    Andeutungen     von     Uebelkeit, 
Brechneigung,  Kühl  werden  der  Extremitäten 
etc.,  wurde  das  Medicament  ausgesetzt. 

Vf.  fasst  seine  Erfahrungen  dabin  zusam- 
men, dass  Strophanthus,  bezw.  die  Tinctur, 
auch  im  Kindesalter  in  Gebrauch  gezogen 
werden    kann,    eine    Steigerung    der    Dosis 


über  4  —  5  Mal  täglich  3  Tropfen  wegen 
der  Möglichkeit  einer  plötzlich  und  uner- 
wartet auftretenden  Herzlähmung  jedoch 
nicht  rathsam  erscheint.  Dyspeptische  Er- 
scheinungen treten  nur  ausnahmsweise  auf. 

Bei  Kindern  unter  5  Jahren  widerräth  Vf. 
die  Anwendung  gänzlich. 

Als  prädominirende  Wirkung  des  Stro- 
phanthus bezeichnet  D.  die  Zunahme  der 
durch  gesteigerten  Blutdruck  bedingten  Urin- 
absonderung unter  gleichzeitiger  Abnahme 
und  Beseitigung  by dropischer  Beschwerden. 
Bei  normalem  oder  bereits  erhöhtem  Blut- 
druck bleibt  die  diuretische  Wirkung  aus. 

Eine  zweite,  zuweilen  augenfällige,  wahr- 
scheinlich centrale  Wirkung  ist  die  Beseiti- 
gung dyspnoischer  Beschwerden,  welche  sich 
in  Fällen  mehr  chronisch  verlaufender  Ne- 
phritis, bei  Asthma  bronchiale,  Tussis  con- 
vulsiva geltend  macht. 

Wenn  zwischen  der  Wirkung  des  Stro- 
phanthus und  derjenigen  der  Digitalis  in 
vielen  Beziehungen  eine  Uebereinstimmung 
besteht,  so  kommt  beiden  Medicamenten 
doch  eine  selbständige  therapeutische  Be- 
deutung zu.  So  vermag  Strophanthus  nicht 
in  ähnlich  zuverlässiger  Weise  die  Compen- 
sation  eines  Klappenfehlers  zu  schaffen  wie 
Digitalis. 

Wo  es  sich  daher  um  rasche  Compen- 
sirung  von  Klappenfehlem  und  um  Erzielung 
einer  prompten  Steigerung  des  Blutdrucks 
mit  ausgiebiger  Pulsverlangsamung  handelt, 
giebt  Vf.  der  Digitalis  den  Vorzug,  und 
empfiehlt  die  Anwendung  des  Strophanthus 
in  Fällen,  in  denen  nach  vorheriger  Com- 
pensation  durch  Digitalisgebrauch  bei  ein- 
tretender Erschöpfung  der  Digitalis  Wirkung 
eine  erneute  Blutdruck  Steigerung  behufs  Ver- 
mehrung der  Diurese  nothwendig  wird. 
Ebenso  wird  Strophanthus  in  Fällen,  in  denen 
dyspnoische  Beschwerden  in  den  Vorder- 
grund treten,  häuüg  mit  Vortheil  angewendet 
werden  können.  —  Zweckmässig  erweist  sich 
häufig  eine  combioirte  Anwendung  von  Stro- 
phanthus und  Digitalis. 

Bei  längerem  Gebrauch  des  Strophanthus 
hat  Vf.  weder  eine  Cumulirung,  noch  eine 
Abschwächung  der  Wirkung  beobachtet. 

Das  verwendete  Präparat  war  die 
Kade'sche  Tinctur  (1  :  20). 

{23.  med.  Bericht  über  die  Thäügheit  des  Jennerechen 
Kinderspitales  in  Bern  im  Laufe  des  Jahres  1887.)       rd. 

Zur  Behandlung  der  Basedow^schen  Krankheit 
mittelst  der  Tinctura  Strophanthi.  Von  Daniel 
R.  Brower.  M.  D.  (Nach  einem  vor  der 
Mississippi  Walley  medical  Society  St.  Louis, 
am  25.  Sept.  1888  gehaltoDon  Vortrage.) 

In  der  Behandlung  des  Morbus  Base- 
dowii  hat    sich   dem   Verf.    in   einigen   von 


in.  Jalirgaof  .1 
Februar  1889.J 


Referate. 


83 


ihm  jüngst  beobachteteD  Fällen  die  Tinctura 
Strophanthi  Yon  ausserordentlicher  Wirksam- 
keit erwiesen.  —  In  dem  ersten  der  beob- 
achteten Fälle  handelte  es  sich  um  einen 
21  jährigen  Mann,  der  seit  mehreren  Jahren 
an  ausgeprägten  Symptomen  der  Krankheit 
litt,  ohne  dass  durch  Anwendung  yon  Elek- 
tricität,  Tonicis  u.  a.  m.  die  geringste  Linde- 
rung erzielt  worden  wäre.  Zur  Zeit  des 
Beginnes  der  Behandlung  war  die  Herzaction 
80  schnell,  dass  es  unmöglich  war,  die  Zahl 
der  Pulsschläge  festzustellen.  —  Die  Behand- 
lung wurde  in  der  Weise  geleitet,  dass  zuerst 
alle  6  Stunden  2  Tropfen  der  Tinctura 
Strophanthi  gegeben  wurden.  Alsdann  wurde 
die  Dosis  allmählich  bis  auf  10  Tropfen 
erhöht.  Nach  wenigen  Tagen  schon  war 
unter  der  Einwirkung  dieser  Medication  die 
Pulszahl  auf  87  gefallen.  —  Nach  4  Wochen 
konnte  man  einen  Rückgang  sämmtlicher 
Symptome  constatiren.  —  Während  der 
Reconyalescenz  traten  an  die  Stelle  der  all- 
mählich in  immer  kleinerer  Dosis  gegebenen 
Strophanthustinctur  Tonica.  —  Ein  Recidiy 
'wurde  nicht  beobachtet.  —  Dieselben  Heil- 
erfolge wurden  auch  bei  2  anderen  Patienten, 
beide  ältere  Frauen,  beobachtet.  Auch  hier 
varen  alle  anderen  Behandlungsweisen  toU- 
kommen  erfolglos  gewesen.  —  Eine  gleiche 
Wirkung  haben  übrigens  auch  andere  Au- 
toren, u.  A.  Norman  Bridge  und  Fletscher 
Ingals,  sowie  Bucquoy  von  dem  Medica- 
mente gesehen,  welches  nach  der  Ansicht 
Verf.'s  auch  bei  denjenigen  Nervenleiden 
indicirt  ist,  deren  Ursprung  auf  Circulations- 
storungen  im  Rückenmark  etc.  zurückzu- 
führen ist. 

(!%€  Journal  of  the  American  Medical  Asiociation 
3.  XL  1888.)  H.  Lohnstein  {BerUn). 

Zm  Therapie  des  Morbus  Basedowii.    Von  Prof. 
Dr.  Berthold  Stiller  in  Badapest. 

Yerf.  schildert  die  ausserordentlich  gün- 
stigen Resultate,  die  er  in  2  Fällen  yon 
Morbus  Basedowii  yon  dem  Aufenthalte  in 
hoch  gelegenen  Orten  (lOOO  Meter  und  dar- 
über) erlebt  hat.  In  beiden  Fällen  handelte 
es  sich  um  ausserordentliche  Herzschwäche 
mit  beträchtlichen  Stauungssymptomen,  welche 
beiden  Erscheinungen  durch  einen  mehr- 
monatlichen Einfluss  des  Höhenklimas  be- 
seitigt wurden,  auch  auf  Struma  und  Ex- 
ophthalmus "war  der  Einfluss  ein  sehr  gün- 
stiger. Eine  seiner  Patientinnen  —  es  handelte 
sich  in  beiden  Fällen  um  Damen  —  musste 
sogar  in  Schmecks  überwintern. 

Auf  eine  theoretische  Begründung  dieser 
Thatsache  lässt  sich  S.  nicht  ein,  er  neigt 
aber  sehr  sichtbar  zu  der  Auffassung  Waiden- 
burg^s  hin,  der  die  Wirkung  der  yerdünnten 


Luft  auf  Grund  seiner  Versuche  für  herzstär- 
kend hält  und  sie  daher  theoretisch  Herz- 
kranken empfiehlt. 

( Wiener  medic.  Wochen$chr,  2888,  No.  27.) 

Schmetf  {Beuthen). 

Ueber  die  elastische  Compression  in  Verbindung 
mit  Rippenresection  von  geringer  Ausdehnung 
in  der  Behandlung  des  Empyems.  Von  Prof. 
Dubruil  (Montpellier). 

Auf  die  Anwendung  der  yon  ihm  yor- 
geschlagenen  Methode  kam  Verfasser  im  Ver- 
laufe der  Behandlung  eines  Falles  yon  Em- 
pyem, welcher  „weder  durch  Thoracocentese 
mit  Aspiration  noch  durch  Thoracotomie  mit 
Drainage  und  antiseptischer  Ausspülung  hatte 
geheilt  werden  können^. 

Es  handelte  sich  um  einen  30jährigen 
Kranken  yon  kräftiger  Constitution,  der  seit 
Januar  1888  an  linksseitiger  Pleuritis  litt, 
und  dem  nach  Anwendung  aller  üblichen 
Mittel  schliesslich  zweimal  —  3  resp.  5  Mo- 
nate nach  dem  Beginne  der  Krankheit  — 
mittelst  desPotain  ^schen  Apparates  beträcht- 
liche Quantitäten  Eiters  entleert  worden 
waren.  Wiederum  einen  Monat  später  wurde 
eine  Incision  im  sechsten  Intercostalraum, 
an  der  Rückseite  gemacht,  und  ein  Drainrohr 
ein gelegt ;  fast  gleichzeitig  wurde  ein  mit  der 
Pleurahöhle  communicirender  Abscess  in  der 
Hohe  desselben  Intercostalraumes,  jedoch  an 
der  yorderen  Thoraxwand  befindlich,  eröffnet. 
Diese  letztere  Oeffnung  schloss  sich  bald 
wieder;  auch  die  an  der  hinteren  Wand  zog 
sich  beträchtlich  zusammen,  so  dass  schliess- 
lich der  kleine  Drain,  obwohl  er  immer  noch 
eingeführt  wurde,  nicht  bis  in  den  Pleura- 
raum mehr  reichte.  Es  hatte  dies  zur  Folge, 
dass  alle  10 — 12  Tage  der  Kranke  eine  be- 
trächtliche Temperatursteigerung  erlitt  und 
sein  Zustand  sich  erheblich  yerschlechterte, 
bis  dann  jedesmal  die  hintere  Operations- 
wunde sich  spontan  öffnete,  eine  gewisse 
Quantität  fötiden  Eiters  austreten  Hess  und 
sich  dann  alsbald  wieder  schloss.  In  diesem 
gefahrdrohenden  Zustande  sahD.  den  Kranken 
zum  ersten  Male  im  Verein  mit  mehreren 
Consulenten. 

Man  entschloss  sich  dazu,  eine  perma- 
nente Oeffnung  durch  Operation  zu  schaffen 
—  wie  es  schon  lange  yorher  hätte  geschehen 
müssen.  Es  wurde,  entsprechend  der  wieder 
geschlossenen  Operationswunde  an  der  Rück- 
seite ein  Stück  der  siebenten  Rippe  yon  nur 
einem  Centimeter  Länge  resecirt  und  in  der 
Folge  tägliche  Ausspülungen  mit  Borsäure, 
Jodoformglycerin,  yerdünnter  Jodtinctur  yor- 
genommen.  Die  Operation  wurde  sehr  gut 
überstanden  und  der  Zustand  besserte  sich 
seither  yon  Tag  zu  Tag. 


84 


Refermto. 


rlierapaatSaolia 
Monatohefte. 


Die  Lunge  dehnte  sich  jedoch  so  bald 
nicht  wieder  aus,  und  um  nun  eine  bald- 
moglichste  Vereinigung  der  Pleurablätter 
herbei  zufuhren ,  wandte  D.  die  elastische 
Compression  an,  jedoch  derart,  dass  er  nur 
allein  auf  die  7.  Rippe  wirkte,  deren  Conti- 
nuität  durch  die  Operation  gestört  worden 
war  und  die  sich  ja  zusammendrücken  lassen 
musste,  bis  die  beiden  Resection senden  sich 
berührten.  Es  wurde  zu  diesem  Zwecke 
die  ganze  Brust  des  Kranken  mit  einem 
starken  und  gut  wattirten  Sayre 'sehen  Ap- 
parat umgeben,  der  dieselbe  völlig  umschloss 
und  nur  allein  das  Niveau  der  7.  Rippe  frei 
Hess.  Nachdem  alsdann  ein  Drain  in  die 
Wunde  eingeführt  war,  welcher  seiner  Lage 
nach  der  resecirten  Partie  der  7.  Rippe  ent- 
sprach, wurde  der  ganzen  Länge  dieser  Rippe 
nach  der  von  dem  Apparat  leer  gelassene 
Raum  mit  einer  sehr  dicken  Lage  Watte 
ausgefüllt  und  überdeckt  und  nun  über 
dieser  eine  Kautschukbinde  viermal  sehr 
fest  herumgeschnürt.  Durch  den  Widerstand, 
welchen  der  umgelegte  Apparat  allen  Punkten 
des  Thorax  darbot,  wirkte  der  Druck  der 
Binde  allein  auf  die  7.  Rippe  und  wurde 
auch  sehr  gut  ertragen;  die  elastische  Com- 
pression wurde  täglich  erneuert  und  blieb 
alsdann  permanent  liegen.  Beim  Verband- 
wechsel wurde  jedesmal  ein  Schröpf  köpf 
auf  die  Operationsöffnung   gesetzt. 

Anfangs  floss  bei  diesem  Verfahren  noch 
stets  eine  gewisse  Quantität  Eiter  ab,  doch 
verschwand  dieselbe  alsbald  mehr  und  mehr 
und  hat  schliesslich  ganz  aufgehört. 

Die  elastische  Compression  wurde  unge- 
fähr 3  Wochen  fortgesetzt  und  hatte  zur 
Folge,  dass  die  betreffende  Rippe  in  der 
That  eingedrückt  wurde  und  auch  blieb. 
Nach  der  Ansicht  von  D.  ist  der  Kranke 
seither  geheilt. 

D.  hält  diese  Methode:  Resection  nur 
eines  sehr  geringen  Stückes  der  Rippe,  elasti- 
sche Compression  und  Application  eines 
Schröpfkopfes  für  eine  sehr  vortheilhafte 
Nachbehandlung  der  Empyem  Operation  gegen- 
über der  einfachen  Drainage,  welche  in  der 
That  nicht  immer  ausreichend  erscheint. 
Durch  die  Application  der  Schröpfköpfe 
einerseits  und  die  Compression  der  Rippen 
andererseits  —  von  denen  man  auch  meh- 
rere an  correspondirenden  Stellen  reseciren 
kann  —  wird  die  Wiederausdehnung  der 
Lunge  und  das  Wiederaneinanderlagern  der 
beiden  Pleurablätter  erheblich  gefördert  und 
ausserdem  durch  den  Umstand,  dass  nur 
ein  geringfügiges  Stück  einer  oder  mehrerer 
Rippen  resecirt  wird,  die  Operation  verein- 
facht und  weniger  gefahrlich  gemacht. 
{Gazette  de  med.  de  Paris  1888,  No.  52.)     MendeUohn. 


lieber   den  Rossbach'schen  Stuhl   fttr  Emphyse- 
matiker.    Von  Dr.  D.  S.  Iwanow. 

Die    Idee,    auf  mechanischem  Wege   die 
ungenügende  Exspiration   der  Emphysemati- 
ker  zu  unterstützen,  gehört  schon  den  alten 
Aerzten,    welche    während    der    Exspiration 
den    Thorax    mit    den    Händen     zusammen- 
drückten.     Prof.    Gerhardt    (Berlin,    klin. 
Wochenschr.  1873)   rühmt  die  guten  Resul- 
tate dieser  alten  Methode  und  bedauert  nur 
deren    Unbequemlichkeit.     Indem    G.  2   bis 
3  Mal  des  Tages  mit  den  Händen  die  Brust 
der  Emphysematiker    während    20 — 30   Ex- 
spirationen comprimirte,  constatirte  er  schon 
nach    einigen    Versuchen    Vergrösserung   der 
vitalen    Lungen capacität,    Verringerung    der 
Respirationsfrequenz,höheren  Zwerchfellsstand 
und  Vergrösserung  der  Herzdämpfungsregion. 
—   Das  von  Dr.  Feris  empfohlene  Band  für 
Emphysematiker  entsprach  auch  bis  zu  einem 
gewissen  Grad  seiner  Bestimmung,  wie  Con* 
trolversuche  von  Sigrist  und  Bertensohn 
(Wratsch  1884,  No.  40  u.  44)  gezeigt  haben. 
Am    glücklichsten    und    am   meisten  zweck- 
entsprechend  der  Idee    der   alten  Aerzte  ist 
der  Stuhl  von  Prof.  Rossbach,  den  Patient 
selbst  handhaben  kann  und  der  wegen  seiner 
Billigkeit    leicht    zu    beschaffen    ist.     (Eine 
genauere    Beschreibung    seiner    Construction 
findet    man    in    der   Illustr.  Monatsschr.  für 
ärztl.  Polytechnik   Juni    1887.     Ref.)     Von 
den  beschriebenen  3  Fällen   genügt   als   Be- 
weis    der    folgende:      56 jähriger    Fabrikar- 
beiter,    seit     8    Jahren     an     Husten     und 
Athemnoth    leidend.       Constitution    normal, 
Schleimhäute  und  Hände  cyanotisch,  Arteriae 
brachiales    gleichmässig   verdickt  und  starr; 
Thorax  fassförmig,  Fossa  subclavicularis  nicht 
bemerkbar;    trockenes    Rasseln    und  verlän- 
gertes Exspirationsstadium.     Herztöne   rein, 
Puls  60 — 65,  Lungengrenze  bedeutend  tiefer 
als  normal,    dementsprechend    die   Herzdäm- 
pfungsregion   verkleinert.       Milz    nicht  ver- 
grössert,  beginnt   in  der  Höhe   des  9.  Inter- 
costalraumes,  Leber  vergrössert  und  empfind- 
lich   auf  Druck.   —    Nach    5tägiger  indiffe- 
renter Therapie,    wahrend  welcher  Zeit   alle 
interessirenden  Daten  bestimmt  wurden,  be- 
gann   die    Cur    mit    dem    Rossbach' sehen 
Stuhl.     Derselbe  wurde   erst   2-  und  darauf 
3  mal  täglich  angewandt,  wobei  Patient  jedes 
Mal     100 — 200    Athemzüge     in     demselben 
machen   musste.     Nach    15  Tagen   verlangte 
der    Kranke    wegen    bedeutender    Besserung 
entlassen     zu     werden.       Bei     seiner     Ent- 
lassung   wurde    constatirt:     Vitale    Lungen- 
capacität    hatte    sich    von   2800 — 2900  auf 
3400  ccm  gehoben.     (Die  Norm   beträgt  für 
das  Alter   des  Pat.  nach   den    Tabellen   von 
Fabins  3445);    der  Exspirationsdruck,   mit 


in.  Jalirgmii^.1 
Febnur  1889J 


Referate. 


85 


dem  Pneumatometer  gemeseen,  war  von  60 
bis  64  auf  80  mm  Hg  gestiegen;  Brustum- 
fang, in  der  Höhe  der  Brustwarzen  gemessen, 
blieb  bei  maximaler  Inspiration  90  cm  wie 
vor  der  Cur,  sank  aber  bei  maximaler  Ex- 
spiration Yon  86  auf  85  cm;  somit  hat  sich 
die  exspiratorische  Excursion  um  1  cm  ver- 
mehrt; Respirationsfrequenz  sank  von  24 
auf  20 — 18;  Leber  verkleinert  und  un- 
empfindlich ,  Herzdämpfungsregion  deutlich 
vergrossert;  Hammenge  in  24  St.  stieg  von 
1200—1300  auf  1500—1600;  das  Gefühl 
von  Luftmangel  geschwunden,  Treppensteigen 
ohne  .  grosse  Beschwerden.  Vf.  kommt  zum 
Resultat,  dass  seine  8  Fälle  wegen  der  er- 
zielten bedeutenden  Besserung  hoffen  lassen, 
dass  der  R.^sche  Stuhl  einst  das  beste  Mittel 
zur  Heilung  des  Emphysems  sein  wird,  zu- 
mal seine  Anwendung  dem  Gebrauch  anderer 
bewährter  Heilmittel  nicht  im  Wege  steht, 
wie  Aufenthalt  im  Freien,  Ausathmung  in 
verdünnter  Luft,  Diät,  Expectorantia,  Nar- 
cotica,  Cardiaca. 

( WraUch  1888,  No.  3.)  Friedlaender. 


Die  intratracheale  Zerstäubuncr,  eine  neue  Methode 
zum  Einführen  von  Medicamenten  in  den 
Organismus.  Von  A.  F.  M  o  d  e  s  t  o  w.  Disser- 
tation St  Petersb.  1888. 

Vrf.  hat  unter  Prof.  Sutschinsky  ge- 
arbeitet. Sein  Zerstäuber  besteht  aus  einem, 
mit  einer  Scala  versehenen  Reagensglas  von 
25  com  Inhalt,  aus  einer  Pravaz^schen 
Nadel  mit  Seitenoffnung,  welche  auf  das 
Zerstäubungsrohr  aufgesetzt  wird,  und  aus 
einem  gewohnlichen  Doppelballon  zum  Durch- 
treiben der  Luft.  Seine  Resultate  sind  fol- 
gende: l)  Wiederholte  Functionen  des  Ath- 
mungsrohrs  an  Thieren  hinterlassen  keine 
sichtbar  unangenehmen^  von  dem  Trauma 
abhängigen  Folgen.  2)  Die  Zerstäubung 
indifferenter  Flüssigkeiten  intra  tracheam 
wirkt  auf  die  Thätigkeit  des  Herzens  weder 
erregend  noch  deprimirend.  3)  Das  zer- 
stäubte Medicament  dringt  in  die  entfernte- 
sten Stellen  des  Respiration stractus,  in  die 
Lungenalveolen  und  zwar  schon  während 
des  Zerstäubens.  4)  Symptome  der  Allge- 
meinwirkuDg  des  betreffenden  Medicaments 
treten  frühestens  nach  10 — 17  Secunden  ein. 
5)  Die  Dosirung  muss  die  Mitte  halten 
zwischen  der  Dosis  bei  intravenöser  und 
der  bei  subcutaner  Injectiou,  so  dass  die 
kleinste  todtliche  intratracheale  Gabe  für 
die  subcutane  Injection  nur  toxisch,  nicht 
aber  auch  todlich  erscheint.  Bezugnehmend 
auf  seine  Resultate  schlägt  Vf.  vor,  die  in- 
tratracheale Applicationsmethode  zu  ver- 
suchen bei  Lungenblutung,  bei  Vergiftungen, 


schweren    Malariaformen    (?),    Cholera    (zur 
Einführung  der  ChlornatriumlösuDg). 

Friedlaender. 

lieber  die  Wirkung  der  Fluorwasserstoffsäure  in 
der  Behandlung  der  Lungentuberculose.  Von 
Dr.  E.  Götz,  Assistenzarzt  am  Cantonal-Iios- 
pital  zu  Genf. 

Die  Idee,  die  Lungentuberculose  mittelst 
Fluorwasserstoffsäure    zu   behandeln,   ist  be- 
kanntlich   aus   der  Beobachtung   heraus  ent- 
standen,   dass    die    in    Glasfabriken   längere 
Zeit  hindurch  thätigen  Arbeiter  die  ätzenden 
Dämpfe,    denen    sie  ausgesetzt  waren,    nicht 
nur    ohne    Schaden    für    ihren    Respirations- 
apparat vertragen,  sondern  im  Gegentheil  selbst 
fast  immun  gegen  Lungentuberculose  werden. 
Man  constatirte,  dass  in  Gegenden,  in  welchen 
die  Lungentuberculose  eine  sehr  häufige  Er- 
krankung war,  die  Arbeiter  der  Glasfabriken 
mit  einer  gewissen  Regelmässigkeit  von  der- 
selben verschont  blieben.  —  Auf  Grund  dieser 
Beobachtungen    ist    die    qu.  Methode    zuerst 
von  Bastien,  und  nach  diesem  von  Charcot, 
Bergeron,      Dujardin-Beaumetz       und 
Chery  empfohlen  worden.     In  jüngster  Zeit 
sind    Ton   Garcin    und   Seiler    umfassende 
Versuche  mit  Fluorwasserstoffsäure  angestellt 
worden,  die  im  Wesentlichen  folgendes  Resul- 
tat   hatten:    bei    100   Patienten:    14   unver- 
ändert,   41    Verbesserungen,    35   Heilungen, 
10    Todesfölle.    —    Im  Allgemeinen    hat   G. 
die  von  den  franzosischen  Autoren  angegebene 
Methode,    wenn    auch   mit   einigen  Modifica- 
tionen  beibehalten.     Der  Inhalationsraum  ist 
eine  luftdicht  schliessende,  etwa  6  cbm  fas- 
sende Cabine,  in  welcher  sich  ein  Tisch  und 
2  Sessel   befinden.     Die  Säure  befindet  sich 
in  einem  Guttaperchaballon  und  wird,  ausser- 
halb des  Inhalatoriums,  durch  eine  passende 
Vorrichtung    mit    atmosphärischer    Luft    in 
angemessener  Weise   verdünnt.     Die  so  ver- 
dünnte   Säure  wird    durch,  eine  Druck-   und 
Saugpumpe     in     die     Cabine     hineingeleitet, 
resp.  die  verbrauchte  Luft  in  einen  Abzugs- 
schlauch aspirirt.     Im  Allgemeinen  gelangte 
ein    Gemisch    von    25  %    Säure    und    atmo- 
sphärischer Luft,    zu   gleichen   Theilen,    zur 
Anwendung.   —   Jede   Sitzung   dauerte    etwa 
eine  Stunde. 

Im  Ganzen  hat  Verf.  30  Patienten  in 
dieser  Weise  behandelt.  —  Was  die  Aus- 
wahl derselben  anlangt,  so  hatte  man  im 
Allgemeinen,  auf  Grund  der  Ga  rein- Seil  er'- 
schen  Erfahrungen  nur  diejenigen  Patienten 
für  die  Behandlung  ausgewählt,  bei  denen 
die  Krankheit  sich  noch  im  Aufangsstadium 
befand,  wo  man  also  mit  einiger  Wahrschein- 
lichkeit auf  eine  Besserung  hoffen  konnte. 
—    Von    Medicamenten,    die    ausserdem    zur 


86 


Refermte. 


rfberftpentiieho 
L  MonaUhefk«. 


Anwendung  gelangten,  standen  in  erster  Linie 
Lebertbran  und  Cbinawein.  —  Folgendes  Re- 
sultat wurde  erzielt:  19  erbebliche  Besserun- 
gen, 3  mal  Status  idem,  3  Yerscblimmerungen, 
5  Todesfölle. 

Wie  von  vornherein  zu  erwarten  war, 
wurden  die  eclatantesten  Heilerfolge  in  den- 
jenigen Fällen  beobachtet,  in  welchen  es 
sich  um  Krankheitsprocesse  im  Initialstadium 
handelte.  Indessen  konnte  man  auch  in  den- 
jenigen Fällen  einen  sichtbaren  Erfolg  beo- 
bachten, in  welchen  bereits  Erscheinungen  von 
mehr  oder  weniger  vorgeschrittener  Erwei- 
chung in  den  Oberlappen  vorhanden  waren. 
Absolut  negativ  war  der  Heilerfolg  bei  den 
Patienten,  bei  denen  man  bereits  Cavernen- 
bildung  nachweisen  konnte.  —  Meist  konnte 
man  bei  Männern  eine  weit  grossere  Toleranz 
der  Methode  gegenüber  beobachten,  als  bei 
Frauen,  die  ohne  Ruhepause  fast  niemals 
eine  volle  Stunde  hindurch  in  dem  Inhala- 
torium zubringen  konnten.  —  Eine  Ausnahme 
hiervon  bot  merkwürdigerweise  eine  schwan- 
gere Patientin  dar,  welche  nicht  weniger  als 
50  Sitzungen  durchmachte,  ohne  dass  die 
Gravidität  auch  nur  die  geringsten  Störungen 
erlitten  hätte.  —  unter  den  Symptonen,  die 
auf  eine  Besserung  während  der  Behandlung 
schliessen  lassen,  steht  in  erster  Linie  die 
Wiederkehr  des  Appetits  und  in  Folge  dessen 
auch  das  Steigen  des  Körpergewichts,  so  dass 
6.  die  Möglichkeit,  dass  die  Fluorwasserstoff- 
säure eventuell  im  Magen  eine  der  Salzsäure 
ähnliche  Rolle  spiele,  was  bereits  Lupine  be- 
hauptet hat,  für  keineswegs  ausgeschlossen 
hält.  —  Weiterhin  tritt  unter  der  Behand- 
lung sichtlich  eine  Verminderung  der  profusen 
Nachtschweisse  ein.  —  Weniger  beeinflusst 
wird  der  Verlauf  des  Fiebers.  —  Dagegen 
macht  sich  von  den  eigentlichen  respirato- 
rischen Beschwerden  zunächst  ein  deutlicher 
Nachlass  der  Dyspnoe  bemerkbar,  während 
gleichzeitig  die  Expectoration  gänzlich  ver- 
schwindet. —  Wenig  wird  durch  die  Inhala- 
tion der  Husten,  die  Diarrhoe  gar  nicht  be- 
einflusst. —  Auch  durch  die  physikalische 
Untersuchung  des  Thorax  lässt  sich  eine 
wesentliche  Aenderung  nicht  nachweisen; 
ebenso  wenig  konnte  man  eine  Verminderung, 
geschweige  ein  Verschwinden  der  Tuberkel- 
bacillen  im  Sputum  ermitteln.  —  Bei  alledem 
ist  es  ein  Vorzug  der  Methode,  dass  man 
erhebliche  Störungen  bei  ihr  fast  niemals 
beobachtet;  nur  3  Patienten  wurden  im  Laufe 
der  Behandlung  von  Hämoptysis  befallen. 

(Revue  de  la  Suitse  Romawde  1888^  No.  8-) 

B.  Lohnttein  (BerKn), 

Ueber  die  Scharlachdiphtherie  und  deren  Behand- 
lung.   Von  Prof.  Otto  Heubner. 

H.   deflnirt    die   Schar lachdiphtherie    als 


entzündlichen  Brand  der  Nasenrachenhöhle 
im  Gefolge  nicht  nur  des  Scharlachs,  son- 
dern auch  als  directe  Folge  der  Infection 
mit  dem  Scharlachcontagium.  Diese  Schar- 
lachdiphtherie ist  als  solche  niemals  tödtlich, 
abgesehen  allein  von  den  sehr  seltenen  Fällen, 
wo  die  brandige  Abstossung  so  tief  greift, 
dass  eine  grössere  Arterie  arrodirt  wird. 
Eine  schwere  Form,  einen  septischen  Cha- 
rakter nimmt  die  Scharlachdiphtherie  erst 
an,  wenn  der  von  Löffler  in  den  diphthe- 
rischen Membranen  entdeckte,  wahrscheinlich, 
mit  dem  Rosenbach'schen  Streptococcus 
pyogenes  identische  und  sich  auch  häufig  in 
der  Mundhöhle  Gesunder  aufhaltende  Strep- 
tococcus in  den  durch  die  Lostrennung 
der  diphtherischen  Membranen  ulcerirten 
Schleimhäuten  sich  ansiedelt  und  in  die 
Lymphbahnen  und  in  das  Blut  hineinge- 
langt. Thatsächlich  hat  auch  Heubner  bei 
solchen  Fällen  schwerer  Scharlachdiphtherie, 
die  sich  demgemäss  als  eine  Mischinfection 
charakterisiren ,  diesen  Streptococcus  im 
Blute,  in  der  pericardialen  Flüssigkeit  und 
im  Gelenk  ei  t  er  aufgefunden  und  rein  ge- 
züchtet. Diese  schwere  Form  der  Scharlach- 
diphtherie markirt  sich  klinisch  dadurch, 
dass  das  Fieber  nicht  in  der  zweiten  Hälfte 
der  ersten  Woche,  ja  auch  nicht  in  der 
ersten  Hälfte  der  zweiten  Woche  absinkt, 
sondern  anhält  und  sogar  ansteigt  und  dass 
die  Lymphdrüsen  stark  anschwellen.  Diese 
Form  der  Scharlachdiphtherie  führt  sehr 
häufig  zum  Tode  und  zwar  durch  Drüsen- 
nekrose,  Zellgewebsbrand,  Blutungen,  sep- 
tische Pleuritiden  und  Nephritiden,  septische 
Thrombosen  und  pyaemische  Metastasen,  Ge- 
lenkeiterungen. 

Vf.  beschreibt  nun  eine  Behandlungs- 
methode dieser  Diphtherie,  die  1877  von 
Taube  angegeben  und  seit  1880  von  H.  mit 
ausserordentlichem  Erfolge  angewandt  worden 
ist.  Diese  Methode  besteht  darin,  dass  regel- 
mässig vom  Beginn  der  oben  genannten 
Symptome  an  2  mal  täglich  in  das  Gewebe 
der  Tonsillen  und  des  weichen  Gaumens  je 
eine  halbe  Spritze  einer  3 — 5  %  Carbolsäure- 
lÖsung  eingespritzt  wird.  Die  Spritze  ist 
eine  gewöhnliche  Pravaz-Spritze,  nur  hat  die 
Canüle  eine  besondere  Form,  welche  ein  zu 
tiefes  Einstechen  derselben  verhindert.  (Solche 
Canülen  sind  erhältlich  bei  Möcke,  Leipzig, 
Universitätsstrasse.)  Die  Einspritzungen 
müssen  so  lange  fortgesetzt  werden,  bis  die 
Drüsen  wieder  abgeschwollen  sind  und  das 
Fieber  wenigstens  am  Morgen  nahezu  bis 
zur  Norm  abgesunken  ist. 

(v.  Volkmann'*  Sammlung  hliniaeher  Vorträge  No.  322.) 

Schmey  {Beuthen). 


ni.  Jahrgang.^ 
Febmar  188Ü  J 


Rafermte. 


87 


Ueber  den  Einfluss  der  Massage  auf  die  Harn- 
secretlon.     Von  Dr.  Anton  Bum  (Wien). 

Bum  bat  im  Laboratorium  des  Prof. 
V.  Bascb  Versuche  über  die  Einwirkung  der 
Massage  auf  die  Hamsecretion  an  Hunden 
ausgeführt,  welche  zu  dem  Resultate  führten, 
dass  die  Massage  (in  den  Besehen  Ver- 
suchen die  der  Hinterbeine)  die  Hamsecre- 
tion steigert. 

Diese  Einwirkung  der  Massage  auf  die 
Hamsecretion,  welche  im  Allgemeinen  keine 
dauernde,  sondern  gewöhnlich  rasch  vorüber- 
gehende war,  erwies  sich  als  unabhängig 
von  dem  Blutdruck,  sodass  dieselbe  nicht 
als  Folge  einer  durch  die  Massage  gesetzten 
BlutdrucksteigeruDg  aufgefasst  werden  kann. 

Die  Versuche  lehrten  ferner,  dass  weder 
die  Abschneidung  der  Blutzufuhr  zu  den 
massirten  Theilen,  noch  der  Verschluss  der 
Lymphbahnen  die  Wirkung  der  Massage 
beeinträchtigt,  dass  dagegen  das  Offenbleiben 
der  Venen  eine  unerlässliche  Bedingung  für 
den  Effect  der  Massage  darstellt. 

Vf.  kommt  hiernach  zu  dem  Schluss, 
dass  j  das  aus  den  Venen  in  den  Kreislauf 
gelangende  Blut  auf  die  Diurese  anregend 
wirke,  dass  es  jedoch  nicht  die  Quantität, 
sondern  die  Qualität  des  durch  die  centripetale 
Massage  auf  dem  Wege  der  Venen  in  den 
Kreislauf  geförderten  Blutes  sei,  welche  die 
harntreibende  Wirkung  der  Massage  bedinge, 
dass  also  die  Ursache  für  die  harntreibende 
Wirkung  der  Massage  in  Stoffen  zu  suchen  sei, 
welche  während  der  Massage  aus  der  Musku- 
latur durch  die  Venen  in  den  Kreislauf  ge- 
langen. 

Welcher  Natur  diese  Stoffe  sind  und 
welche  Veränderung  die  chemische  Zusam- 
mensetzung des  Harnes  durch  die  Massage 
erfahrt,  das  sind  Fragen,  die  Vf.  einstweilen 
unbeantwortet  lässt. 

(Beparat' Abdruck  aus  der  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  XV, 
H.  3.)  rd. 

Ueber  die  Jodoform-Behandlung  der  tuberculösen 
Abscesse,  insbesondere  der  spondylitischen 
Senkungsabscesse.     Von  Prof.  Dr.  P.  Bruns. 

Verf.  sieht  sich  auf  Grund  weiterer  Beob- 
achtungen von  Neuem*)  veranlasst,  die  Jodo- 
formbehandlung tuberculöser  Abscesse  gegen- 
über der  Behandlung  der  letzteren  mit  ein- 
facher Function  oder  mit  Injection  anderer 
Substanzen  zu  empfehlen.  Um  dem  Einwände 
zu  begegnen,  dass  etwa  die  Alkohol-Glycerin- 
Miscbung,  in  welcher  das  Jodoform  sich  be- 
fand, jene  antibacillare  Wirkung  hervorbringe, 
Tcrwandte  Verf.  neuerdings  nur  Mischungen 
Yon   Jodoform  mit   Glycerin   oder   mit   Gly- 

•)  S.  Therap.  Mon.-H.  Jahrg.  I,  No.  5,   S.  161 
und  Jahrg.  II,  No.  6,  S.  289. 


cerin  und  Wasser  zu  gleichen  Theilen,  in 
letzter  Zeit  sogar  nur  mit  Olivenöl  (l  :  10), 
und  erhielt  stets  eine  gleich  constante,  gün- 
stige Wirkung.  Die  ätherische  Jodoform- 
lösung sei  wegen  störender  Nebenwirkungen 
jedenfalls  zu  verwerfen.  Die  Wirkung  des 
Jodoforms  auf  den  Abscess  ist  eine  langame, 
die  Injection  ist  in  3 — 4  Wochen  zu  wieder- 
holen, der  Erfolg  aber  in  Wochen  bis  Mo- 
naten ein  ganz  zuverlässiger.  An  12  neuen 
Beispielen  wird  der  letztere  erläutert. 

{Beiträge  tur  kUn.  Chirurgie  Bd.  JV.  8,  206.) 

Freyer  {SUUin), 

Eine  Methode  der  Osteotomie  bei  Genu  valgum. 
Von  Dr.  EugenHahn,  Director  des  Kranken- 
hauses Friedrichshain. 

Nachdem  Verf.  bisher  die  Osteotomie 
nach  Mac  Eweu^s  Angaben  ausgeführt  und 
die  lange  Dauer  der  Operation  sowie  einige 
andere  Unzuträglichkeiten  derselben  stets 
unangenehm  empfunden  hatte,  begann  er, 
auf  Vorversucho  an  der  Leiche  gestützt,  die 
Durchmeisselung  des  unteren  Theiles  des 
Oberschenkels  von  beiden  Seiten  in  Angriff 
zu  nehmen.  Die  Zeitdauer  der  ganzen  Ope- 
ration vermindert  sich  dadurch  um  das 
5  —  6  fache,  und  man  ist  im  Stande,  die 
ganze  Operation  mit  einem  einzigen  Osteo- 
tom mit  etwa  1  cm  breiter  Schneide  zu  Ende 
zii  führen,  während  man  nach  Mac  Ewen 
das  Instrument  meistens  öfter  zu  wech- 
seln genÖthigt  war.  Der  Meissel  wird 
dicht  oberhalb  der  Tuberositas  condyli  in- 
terni  femoris  rechtwinklig  zur  Längsaxe  des 
Knochens  aufgesetzt  und  dringt  etwa  2 — 3  cm 
in  den  Knochen  ein.  Ein  1  cm  langer  Haut- 
schnitt für  jede  Seite  ist  ausreichend.  Die 
Vortheile  dieser  Art  des  Operiren s  sind  so 
grosse,  dass  Verf.  das  Verfahren  zur  Nach- 
ahmung warm  empfiehlt. 

[Ctntralblf.  Chirurg.,  1888,  No.  48.) 

Preyer  (Stettin). 

Ueber  die  Aethernarkose.  Von  Dr.  Fritz  Dum  ont, 
Arzt  am  Diakonissenspital  Salem  in  Bern. 

Verf.  sucht  auf  Grund  eigener  und  der 
in  Genf  gemachten  Erfahrungen  der  Aether- 
narkose das  Wort  zu  reden  und  hebt  die 
Vorzüge,  die  dieselbe  vor  der  Chloroform- 
narkose hat,  im  Einzelnen  hervor.  Sie  ist 
weder  unangenehmer,  als  die  Chloroformnar* 
kose,  noch  complicirter,  sofern  man  sich  der 
modificirten  Julliard 'sehen  Maske  bedient; 
auch  tritt  das  Erbrechen  seltener  auf  und 
die  Narkose  ist  eine  eben  so  anhaltende, 
wie  beim  Chloroform.  Der  Aether  reizt 
allerdings  mehr  die  Bronchien  und  ist  daher 
bei  acuter  Erkrankung  der  letzteren  nicht 
zu  gebrauchen;    er    ist    wohl    auch    bis    zu 


88 


Referate. 


rrherapcntia^e 
L  Monatshefte. 


einem  gewissen  Grade  feuergefährlich.  Allein 
die  durch  ihn  erzeugte  Narkose  ist  vor  Allem 
weniger  gefährlich,  was  durch  Zahlen 
belegt  wird,  und  zwar  liegt  dies  daran,  dass 
der  Aether  auf  das  Respirationscentrum, 
das  Chloroform  auf  das  Herz  wirkt.  Bei 
richtiger  Anwendung  und  unter  genauer 
Controlirung  der  Respirationsbewe- 
gungen lasse  sich  stets  eine  sichere  und 
zufriedenstellende  Narkose  erzielen.  —  Die 
Mischnarkosen,  Chloroform  mit  Aether, 
Alkohol  mit  Aether,  oder  zuerst  Chloroform, 
dann  Aether  und  umgekehrt,  stehen  gegen 
die  Aethernarkose  durchaus  zurück. 

{Corrtspottdem-Bl./.  Schweizer  Aerzte,  J88S  No.  23.) 

Freyer  {SteUin). 

Zur    Stickozydul- Sauerstoff- Anästhesie     In    der 
Geburtshilfe.    Von  Dr.  v.  Swi^cicki- Posen. 

Nachdem  die  Stickoxydulsauerstoff  Nar- 
kose Yon  Winkel  und  Zweifel  in  ihren 
Lehrbüchern  empfohlen,  von  Anderen  gleich- 
falls als  ungefährlich  und  vorzüglich  erkannt 
worden  ist,  glaubt  Verf.  die  Ursache  für  die 
noch  fehlende  Einfuhrung  dieser  Anästhesie 
bei  Geburten  zur  Beseitigung  der  „obligaten 
traditionellen  Schmerzen"  in  das  Fehlen 
eines  leicht  transportablen  Apparats  und  der 
Condensirung  des  Gasgemisches  (^/sNaO+Vs  0) 
in  einer  Flasche  verlegen  zu  müssen.  Er 
hat  daher  eine  solche  Condensirung  hergestellt 
und  wendet  einen  von  Ash  &  Sons,  Berlin 
gelieferten  Apparat  an.  (Diese  Firma  liefert 
eine  eiserne  Flasche  mit  220  1  des  Gas- 
gemisches für  15  M.  ab  Berlin.)  Nunmehr 
glaubt  V.  S.,  steht  der  allgemeinen  Einführung 
dieser  vorzüglichen  Methode  zur  Anästhesi- 
rung  nichts  mehr  entgegen. 

{Centralbl. /.  Gynaekol.  No.  43.)     Landsberg  {Stettin). 

Kali    hypermanganicum    gegen  Amenorrhoe  und 
Dysmenorrhoe.    Von  Priv.-Doo.  J.  M.  Lwow. 

Seine  187  Fälle  theilt  Verf.  in  5  Gruppen: 
1.  Junge,  im  Allgemeinen  gesunde,  etwas 
chlorotische  Mädchen  mit  Klagen  über  Ver- 
ringerung und  heftige  Schmerzhaftigkeit  der 
Menstruation  (32  Fälle).  Alle  wurden  schnell 
geheilt  durch  0,24 — 0,36  Kali  hjpermanganic. 
pro  die  (mit  Extr.  Pulsatill.),  das  kurz  vor 
der  Menstruation  genommen  wurde.  2.  Frauen 
mit  zu  starker  Involution  des  Uterus  nach 
der  Geburt  oder  mit  Atrophia  uteri  et  ovari- 
orum  (17  Fälle).  Bei  den  meisten  waren 
seit  der  letzten  Geburt  ca.  2  Jahre  verflossen. 
Kali  hypermanganicum  in  derselben  Dosis 
aber  ohne  Unterbrechung  3  —  6  Monate  hin- 
durch, rief  schon  nach  4  —  6  Wochen  Men- 
strualblutung  hervor,  Welche  durch  weiteres 
Fortgebrauclien  den  regelmässigen  Typus  an- 
nahm.    3.  Verlangsamte  Involution  des  puer- 


peralen Uterus  in  Zusammenhang  mit  ab- 
gelaufenen Entzündungsprocessen  des  Uterus 
und  dessen  Umgebung;  die  Menstruation  nur 
minimal,  dafür abersehrschmerzhaft(62 Fälle). 
Die  Resultate  sind  auch  hier  befriedigend, 
obgleich  in  einigen  Fällen  kein  Erfolg  ein- 
trat, und  zwar  in  solchen,  in  w^elchen  die 
puerperale  Erkrankung  irreparable  Verände- 
rungen hinterlassen  hatte.  4.  Blennorrhoea 
vagiuae  et  uteri  (65  Fälle).  Hier  hatte  trotz 
länger  fortgesetzten  Gebrauches  Kali  hyper- 
maug.  gar  keinen  Erfolg.  5.  Frauen,  bei  denen 
das  Klimacterium  zu  früh  begonnen  hat,  die 
Menstruation  zu  35 — 40  Jahren  cessirte 
(11  Fälle).  Auch  hier  war  Kali  hypermang. 
absolut  ohne  jeden  Erfolg. 

(Medicynskoje  oboseenje  1888  No.  19.  WraUch  1888  No.6.) 

Friedlatnder, 


Zur  Verwendung  des  Creolln,  Jodoform  und  Anti- 
pyrin  bei  Augenkranken.  (Bericht  aas  der 
Abtheilung  für  Augenkranke  des  Pressbarger 
Landes-Spitales.)     Von  Dr.  £  dm.  M  er  gl. 

Eine  1  %  ige  Losung  des  Creolin  wurde 
bei  Conjunctivitis  catarrhalis,  Tra- 
chom und  Hornhautentzündung  ange- 
wendet. Bei  ersterem  Leiden  wurde  mit 
erwähnter  Lösung  touchirt.  Die  Hyperämie 
der  Bindehaut  war  in  1 — 2  Tagen  ge- 
schwunden, die  Schwellung  derselben  und 
das  eitrige  Secret  nahmen  ab,  horten  jedoch 
nicht  auf,  ja  es  trat  sogar  eine  leichtere 
Verschlimmerung  ein,  wenn  das  Creolin  fort- 
gesetzt wurde.  Als  Verf.  zum  Lapis  zurück- 
griff,  ging  die  Besserung  wieder  rasch  von 
Statten.  Es  wurde  daher  die  Behandlung 
mit  Creolin  begonnen  und  nach  2  —  3  Tagen 
touchirte  man  mit  einer  1  ®/o  igen  Lapis- 
lösung. —  Bei  chronischem  Bindehaut- 
katarrh nützt  das  Creolin  gar  nichts,  es 
wurde  nur  dann  in  Anwendung  gezogen, 
wenn  die  Conjunctiva  stark  hyperämisch 
war.  —  Die  Behandlung  des  Trachom 
konnte  nur  in  einigen  Fällen  mit  Creolin  zu 
Ende  geführt  werden,  in  den  meisten  Fällen 
musste  man  zum  Lapis  oder  Cuprum  sulfu- 
ricum  greifen.  Am  besten  empfiehlt  es  sich, 
in  den  ersten  Tagen  die  Behandlung  mit 
Creolin  zu  beginnen,  und,  wenn  es  mit  der 
Besserung  nicht  vorwärts  will,  zu  den  bis- 
her üblichen  Mitteln  zu  greifen.  Durch 
diese  Behandlung  wird  die  Dauer  des  Lei- 
dens wesentlich  abgekürzt.  Ausgezeichnet 
wirkt  das  Creolin  beim  Pannus  trachomatosus. 
Die  Conjunctiva  wird  täglich  2  Mal  touchirt 
und  Atropin  in  den  Bindehautsack  einge- 
träufelt. 

Gegen  Hornhautgeschwüre  wurde  10%iges 
Jodoform-Vaselin  angewendet,  wodurch  die 
Heilung   des   ulcerösen  Processes   wesentlich 


m;  Jahrgang.! 
Febnur  1889.J 


Referate. 


89 


befordert  wurde.  Hypopyon  yerscbwand 
Dach  dieser  Behandlung  binnen  2 — 3  Tagen. 
Bei  dieser  Behandlung  musste  während 
2  Jahren  in  50  Fällen  von  Hypopyon  die 
Paracentese  nur  zweimal  Torgenommen  wer- 
den. Die  Application  des  Jodoform-Vaselins 
geschieht  in  folgender  Weise:  £s  wird  das- 
selbe auf  ein  Stückchen  Gaze  gestrichen, 
das  Auge  damit  bedeckt,  worauf  ein  Druck- 
Verband  angelegt  wird. 

Ueber  die  bei  torpiden  Hornhaut- 
geschwüren mit  Antipyrin  gemachten  Er- 
fahrungen will  Verf.  später  berichten.  Bei 
grösseren  Narben  in  der  Hornhaut  wurde 
zuerst  Cocain  eingeträufelt  und  dann  Anti- 
pyrin inspergirt.  Nachdem  die  darauf  fol- 
gende stärkere  Thränensecretion  aufhört, 
wird  das  Auge  massirt.  In  3  schweren 
Fällen  wurde  durch  diese  Behandlung  die 
Iridektomie  unnöthig. 

iOrvo»  HeH  SzemU  1888  No.  34.) 

Schtuehny  (Bttdapett). 

Zur  Therapie  des  Xanthoma.     Von  Dr.  E.  Stern 
(Mannheim). 

Ein  46 jähriger  gesunder  Mann,  der  auch 
früher  nie  krank  gewesen,  hatte  an  beiden 
Canthis  internis  leicht  prominirende,  glatte 
strohgelbe  Xanthelasmen  von  sammtartiger 
Beschaffenheit,  die  oberhalb  des  Canthus 
rundlich,  unterhalb  desselben  länglich  zuge- 
spitzt und  mit  zwei  kleineren  umgeben  waren; 
im  Ganzen  bestanden  vier  grosse  und  vier 
kleine  Plaques.  Der  Patient  wünschte  aus 
kosmetischen  Gründen  die  Entfernung  der 
Erkrankung,  verweigerte  aber  dieselbe  auf 
blutigem  Wege  (Excision  oder  Auskratzung). 
Verf.  yersuchte  daher  ein  lOprocentiges 
Sublimatcollodium,  welches  er  zufallig 
bei  der  Hand  hatte.  Nach  einigen  Tagen 
entstand  an  den  betreffenden  Stellen  ein 
Schorf  und  nach  dessen  Abstossung  eine 
Geschwürsfläche,  die  sich  schnell  überhäutete, 
sodass  von  den  grösseren  Geschwülstchen 
noch  Umrisse,  von  den  kleineren  nichts  zu 
sehen  übrig  blieb.  Besonders  hervorzuheben 
ist,    dass    keine    Spur    von    Retraction,    die 


nach  Excision  au  den  Lidern  zu  befürchten 
gewesen  wäre,  sich  gebildet  hatte;  ferner  ist 
die  absolute  Ungefährlichkeit  des  Verfahrens 
gegenüber  der  Excision  (Wunderysipel)  be- 
merkenswerth. 

{Berl  KUn.   WocJuchr,  1888,  No.  SO.) 

{George  Mvyer  (Berlin). 

Einspritzungen  von  Salicyl-  und  Th3rmol-Queck- 
sllber  zur  Sjrphilisbehandlung.  Von  Dr. 
Jadassohn  und  Zeising  (Breslau). 

Die  Verff.  haben  in  einer  grossen  An- 
zahl von  Fällen  von  Syphilis  die  Behand- 
lung mit  Salicyl-  und  Thymolquecksilber 
ausgeführt  und  kommen  zu  folgenden  Er- 
gebnissen über  ihre  damit  erzielten  Erfolge: 

1.  Intramuskuläre  Einspritzungen  10  pro- 
centiger  Suspensionen  von  Salicyl-  und  (essig- 
saurem und  schwefelsaurem)  Thymolqueck- 
silber in  Paraffinum  liquidum  bewirken  so 
selten  Schmerzen  und  so  selten  —  immer 
sehr  unbedeutende  —  Infiltrate,  dass  sie  in 
diesen  Beziehungen  von  keinem  anderen  un- 
löslichen Quecksilberpräparat  erreicht  werden. 

Bezüglich  der  Schmerzen  ist  hierbei  das 
—  im  Ganzen  eine  etwas  gesonderte  Stel- 
lung erfordernde  —  graue  Oel  auszunehmen. 

2.  Diese  Einspritzungen  bringen  die  ver- 
schiedenen Erscheinungen  der  Syphilis  in 
schneller  und  energischer  Weise  zum  Schwin- 
den; sie  erreichen  nicht  ganz  die  rapide 
Wirkung  des  lOprocentigen  Calomelöls,  über- 
treffen aber  in  dieser  Beziehung  das  graue 
Oel  bei  Weitem. 

3.  Zu  einer  Cur  genügen  sechs  bis  acht 
Einspritzungen  dieser  Flüssigkeit  gemäss 
ihrem  Hg-Gehalt  vollkommen;  man  kann 
dieselben  mit  geringeren  Pausen,  häufig  auch 
zwei  auf  einmal,  yornehmen,  ohne  bei  ge- 
nügender Vorsicht  unangenehme  Nebenwir- 
kungen zu  erfahren.  Dabei  findet  —  wie 
auch  die  mikroskopischen  Untersuchungen 
erweisen  —  die  Ausscheidung  des  Queck- 
silbers auch  noch  eine  Zeitlang  nach  Be- 
endigung der  Cur  statt. 

{Vierteljahrschr./.  Dermatol.  u.  Syph.  1888,  Heft 5.  8.  781.) 

George  Meyer  {Berlin), 


Toxikologie. 


Ein  Fall  von  Vergiftung  mit  Crotonsamen  (Semen 
TlglU).  Von  Prof.  Hugo  Schulz  in  Greifs- 
wald. 

Vor  einigen  Tagen  erfuhr  ich  durch  Zu- 
fall   von     einem    meiner    Zuhörer,    dass    er 


während  einer  im  Juli  dieses  Jahres  von 
mir  gehaltenen  Vorlesung  von  den  zur  De- 
monstration herumgegebenen  Crotonsamen 
genossen  und  danach  sehr  intensive  Wir- 
kungen   au    sich   wahrgenommen   habe.     Ich 

12 


L 


90 


ToklkologU. 


L  Monauhefte. 


bat  Herrn  S.,  mir,  soweit  es  ihm  möglich, 
nähere  Daten  zur  Verfügung  zu  stellen  und 
ich  lasse  den  Bericht  des  Herrn  S.  hier 
folgen,  weil  er  zeigt,  wie  energisch  selbst 
eine  kleine  Menge  Crotonsamen  unter  ge- 
wissen Yerhältnissen  wirken  kann: 

„Um  8^4  Uhr  Vormittags  nahm  ich  von 
den  herumgereichten  Semina  Tiglii  einen 
Samen,  biss  etwa  den  vierten  Theil  davon 
ab  und  zerkaute  ihn.  Der  Geschmack  war 
anfangs  nicht  grade  unangenehm,  nach  eini- 
gen Secunden  indess  schon  gleich  dem  einer 
ranzig  gewordenen  Wallnuss,  worauf  ich  die 
zerkaute  Masse  ausspie.  Nach  etwa  5  bis 
10  Minuten,  in  welcher  Zeit  ich,  um  den 
Geschmack  los  zu  werden,  häufige  Schluck- 
bewegungen machte,  bemerkte  ich  ein  stark 
brennendes,  kratzendes  Gefühl  auf  dem  hin- 
teren Theile  der  Zunge  und  im  ganzen 
Pharynx,  verbunden  mit  einem  Hitzegefühl 
daselbst. 

In  den  folgenden  15  —  20  Minuten  merkte 
ich,  wie  die  erwähnten  Erscheinungen,  gleich- 
massig  fortschreitend,  den  Oesophagus  hinab 
bis  in  den  Magen  gingen.  Mit  dem  Eintritt 
in  den  letzteren  stellten  sich  heftige,  zie- 
hende Magenschmerzen  ein,  die  sich  bis  fast 
zur  Unerträglichkeit  steigerten.  Ich  muss 
bemerken,  dass  ich  an  jenem  Morgen  noch 
nichts  genossen  hatte.  Dabei  empfand  ich 
das  Gefühl  der  üebelkeit,  kalter  Schweiss 
trat  mir  auf  die  Stirn,  zum  Erbrechen  kam 
es  indess  nicht. 

Im  Anschluss  an  die  Magenschmerzen 
entwickelte  sich  stark  vermehrte  Darmpe- 
ristaltik. Ich  fühlte  und  hörte  deutliches 
Kollern  im  Leibe.  Bald  stellte  sich  —  es 
war  gegen  9  Uhr  —  heftige  Kolik  und 
starker  Stuhldrang  ein. 

Aus  der  Vorlesung  eilte  ich  direct  nach 
Hause,  musste  aber  bereits  bei  einem  nahe 
gelegenen  Wirthshause  einkehren,  da  ich 
den  Stuhldrang  nicht  länger  aufhalten 
konnte.  Die  Defäcation  erfolgte  äusserst 
rasch,  sie  war  völlig  wässerig.  Um  das 
brennende  Gefühl  im  Halse  zu  beseitigen, 
genoss  ich  ein  Glas  Bier  und  ein  Buttor- 
brod,  konnte  dieses  jedoch  nicht  verzehren, 
da  sich  wieder  heftiger  Stuhldrang  einstellte. 
Auf  dem  weiteren  "Wege  nach  Hause  musste 
ich  abermals  einkehren.  Im  Ganzen  hielt 
die  Wirkung  bis  Mittag  an,  so  dass  9  oder 
10  Darmentleerungen  bis  dahin  erfolgten. 
Weitere  Beschwerden  empfand  ich  nicht." 

Herr  S.  ist  von  grosser,  kräftig  gebauter 
Figur.  Der  Umstand,  dass  er  am  Morgen 
des  Tages  noch  nichts  zu  sich  genommen 
hatte,  hat  jedenfalls  mit  dazu  beigetragen, 
die  Crotonwirkung  in  so  rascher  und  hef- 
tiger Weise  sich  entwickeln   zu  lassen.     Da 


es  mich  iuteressirte,  zu  erfahren,  wieviel 
etwa  der  vierte  Theil  eines  Tigliumsamens 
wiegt,  so  bestimmte  ich  an  hundert  ausge- 
suchten Samen  das  Gewicht.  Sie  wogen 
zusammen  24,2  g,  mithin  ein  einzelner  im 
Durchschnitt  0,25  g.  Der  vierte  Theil  eines 
Samens  würde  mithin  0,06  g  wiegen.  Die 
Samen  enthalten  rund  50  %  fettes  Oei,  docb 
ist  in  dem  vorliegenden  Fall  jedenfalls  nur 
ein  minimaler  Bruchtheil  des  in  dem  zer- 
kauten Samenstück  enthaltenen  Crotonöles 
in  Wirkung  getreten. 

lieber  die  Giftwirkuncr  des  Extractum  Filicis 
maris  aethereum.  Im  Anschluss  an  einen 
Fall  von  Vergiftung  mit  diesem  Präparate. 
Von  Dr.  M.  F  r  e  y  e  r ,  Kreisphysikus  zu 
Stettin. 

Erst  wenn  man  in  die  Lage  kommt,  sich 
mit  einem  Gegenstande  etwas  eingehender 
zu  beschäftigen,  findet  man  oft,  dass  die 
einschlägige  Litteratur  des  Gegenstandes 
nur  wenig  Ausbeute  für  das  Studium  des- 
selben darbietet.  So  ging  es  mir,  als  ich 
vor  einiger  Zeit  in  gerichtsärztlicher  Be- 
ziehung vor  die  Frage  gestellt  wurde,  ob 
in  einem  gegebenen  Falle  eine  Vergiftung 
mit  Extr.  Filic.  vorliege. 

Ueber  eine  Giftwirkung  des  Extr. 
Filic.  ist  in  den  gangbaren  Lehrbüchern 
nicht  viel  zu  finden.  Die  meisten  derselben 
sprechen  vorwiegend  von  der  Wurzel  des 
Farnkrautes,  und  wo  von  dem  Mittel,  gleich 
ob  Wurzel  oder  Extract,  die  Rede  ist,  wer- 
den nur  allenfalls  „üble  Nebenwirkungen 
nach  grossen  Gaben"  und  zwar  als  solche 
Uebelkeiten,  Erbrechen  und  Diarrhoe  ange- 
führt. Nur  Schmiedeber g^),  indem  er  von 
den  Anthelminthicis  im  Allgemeinen  spricht, 
sagt:  ,,Alle  hierhergehörigen  Präparate  oder 
ihre  wirksamen  Bestandtheile  verursachen 
nach  grossen  Gaben  Vergiftungserschei- 
nungen, die  vorzugsweise  das  Centrai- 
ne rvensystem  betreffen".  Irgend  einen 
Todesfall  jedoch  nach  dem  Genuss  von 
Extr.'  Filic.  weiss  keines  der  Bücher  anzu- 
geben. Erst  die  neuere  und  neueste  Lit- 
teratur bietet  einen  Fall  von  tödtlicher  Ver- 
giftung und  mehrere  mit  mehr  oder  weniger 
schweren  Vergiftungserscheinungen  dar,  wäh- 
rend ich  in  der  Lage  bin,  nunmehr  noch 
einen  Fall  von  Vergiftung  mit  tödtlichem 
Ausgang  hinzuzufügen. 

Die  Vergiftungserscheinungen  in  den 
einzelnen  Fällen  waren  folgende: 

In  dem  aus  Amerika  bekannt  gewordenen, 
tödtlich  verlaufenen  Falle^),    welcher    einen 


^)  Grundriss  der  Arzneimittellehre,  S.  141. 
»)  The  Lancet,  1882,  Vol.  II,  S.  630. 


Febnur  1889 


:] 


ToJdkoloKitt* 


91 


30  jährigen  Mann  betraf,  traten  wiederholtes 
Abführen  nnd  Erbrechen  ein,  allge- 
meines elendes  Befinden,  Magen- 
schmerz, Krämpfe  in  Händen  und' 
Füssen  und  schliesslich  unter  Coma  der 
Tod,  ca.  20  Standen  nach  dem  Einnehmen 
der  ersten  und  14  Stunden  nach  der  an- 
deren Hälfte  des  Mittels^). 

Spencer  Cobbold^)  weiss  im  Anschluss 
an  diesen  noch  mehrere  Fälle  anzuführen, 
in  deren  einem  bei  einem  Erwachsenen  nach 
ca.  7  g  eine  schwache  Attacke  von  Gelb- 
sucht erfolgte,  während  in  einem  anderen 
Falle,  bei  einem  7 jährigen  Knaben,  nach 
3,6  g  Geistesverwirrung  auftrat.  Ausser- 
dem will  er  von  einem  Falle  gehört  haben, 
in  welchem  nach  10  g  „schwere  Sym- 
ptome^ auftraten,  ohne  anzugeben,  welcher 
Art  diese  letzteren  gewesen. 

Durch  die  Güte  des  Herrn  Prof.  Lieb- 
reich in  Berlin  ist  mir  eine  Beobachtung 
zugänglich  gemacht  worden, ''die  ein  Arzt 
in  Livland  (Dr.  Apping  in  Wolmar)  neuer- 
dings an  sich  selber  angestellt  hat.  Eine 
Stunde  nach  dem  Einnehmen  von  4  g  des 
dortigen,  allerdings  erheblich  wirksameren 
Präparates  stellten  sich  Aufstossen,  kal- 
ter Schweiss  auf  der  Stirn,  Schwindel 
und  Zittern  am  ganzen  Korper  ein, 
dann  Erbrechen  und  Durchfall  und 
schliesslich  eine  Ohnmacht,  die  etwa  eine 
Stunde  andauerte.  Erbrechen  und  Durchfall 
wiederholten  sich  auch  später  noch,  wenn 
auch  nur  in  grösseren  Pausen,  worauf  am 
nächsten  Morgen  wieder  Wohlbefinden  vor- 
handen war. 

H.  Mencke^)  sah  in  einem  Falle  nach 
20  g  Extr.  Filic.  Eiweiss  und  Cylinder 
im  Harn,  und  in  einem  neuerdings  von 
Dr.  Bayer*)  berichteten  Falle  stellten  sich 
bei  einer  26jährigen  Frau  nach  17  g  des 
Extractes  (zusammen  mit  der  gleichen  Menge 
Extr.  p.  granati)  wiederholtes  heftiges  Er- 
brechen und  Diarrhoe,  dann  ein  unge- 
heures Schwächegefühl,  Ohnmächten 
und  schliesslich  ein  soporöser  Zustand 
ein,  der  30  Stunden  andauerte,  und  aus 
welchem  sie  nur  durch  oft  erneuerte  Wieder- 
belebungsversuche   erweckt    werden    konnte. 


*)  Die  VerordDong  lautete: 

IV.  Extr.  aeth.  filic.  mar.  IVs  oz  (=  43,2  g) 

(irrthümlich  statt  IV3  Drachms  =  5,4  g) 
Polv.  Kamalae        3  Drachms  (=  10,8^g) 

granati  rad.  3       - 
Macilag.  acac. 
Syr.  simpl.  q.  s. 
Aq.  cinnam.  ad  4  oz  (=  115,2  g). 

*)  ibid.  S.  683. 

*)  Ztschr.  f.  klin.  Med.  1883,  Bd.  6. 

^  Prag.  med.  Wochenschr.  No.  41,  1888. 


Nach  dem  Erwachen  bestand  linkerseits 
Amaurose  und  Pupillenstarre,  welcher 
Zustand  sich  erst  nach  48  Stunden  zu  bes- 
sern begann  und  bis  auf  einen  leichten  Licht- 
nebel in   14  Tagen    allmählich    verschwand. 

In  meinem  Falle  endlich  hatte  ein  2^/4 
Jahre  altes  Kind  8  Kapseln  zu  je  1  g  Extr. 
Filic.  und  1  g  Ol.  Ricini  und  2  Kapseln  mit 
reinem  Ol.  Ricini  in  ca.  5  Stunden  erhalten. 
Es  wurde  alsbald  somnolent  und  verfiel 
auch  in  einen  kürzeren  Schlaf,  aus  dem  er- 
wacht es  der  Mutter  geistig  benommen, 
verwirrt  und  überhaupt  „wie  gelähmt" 
erschien.  Es  konnte  sich  nicht  mehr  vom 
Bette  erheben,  griff  unruhig  mit  den  Hän- 
den hin  und  her,  zog  die  Füsse  an  den 
Leib  heran,  verdrehte  die  Augen,  auch  stellte 
sich  ein  fast  ununterbrochenes  Auf- 
stossen  resp.  Schluchzen  ein,  das  sich 
immer  mehr  verstärkte.  Abends  erhielt  das 
Kind  ein  homöopathisches  Medicament,  von 
dessen  Lösung  ihm  im  Laufe  der  Nacht 
mehrere  Theelöffel  voll  eingegeben  wurden; 
doch  verschlimmerte  sich  der  Zustand  zu- 
sehends, die  Schwäche  nahm  mehr  und  mehr 
zu,  das  Gesicht  war  hochroth,  es  traten, 
wie  es  scheint,  auch  noch  krampfartige 
Erscheinungen  zum  Schluss  hinzu,  und 
als  am  nächsten  Morgen  der  Arzt  hinzukam, 
verschied  das  Kind  in  seinem  Beisein. 

Zum  Schluss  mögen  hier  noch  diejenigen 
Erscheinungen  hinzugefügt  werden,  welche 
sich  nach  Vergiftung  mit  Extr.  Filic.  bei 
Thieren  zeigten.  QuirlF)  experimentirte 
in  dem  pharmakologischen  Laboratorium  zu 
Berlin  an  Kaninchen,  denen  er  2,5 — 5,0  des 
Extractes,  theils  rein,  theils  vorher  mit 
Provenceröl  verrieben,  eingab.  Er  fand  eine 
doppelte  Wirkung,  eine  directe  Einwirkung 
auf  die  Schleimhaut  des  Magens  und  Dar- 
mes und  eine  toxische  Wirkung  auf  das 
Centralnervensystem.  Die  letztere  documen- 
tirte  sich  in  allgemeiner  Schlaffheit, 
der  dann  Lähmungserscheinungen  folg- 
ten, welche,  auf  Herz-  und  Athemmus- 
keln  übergehend,  den  Exitus  durch  Col- 
laps  herbeiführten.  Der  Tod  erfolgte  nach 
4 — 45  Stunden.  Unter  den  Einzelsympto- 
men sind  kurze  Zuckungen  resp.  krampf- 
hafte Bewegungen  der  Beine  hervorzu- 
heben. Ein  schwacher  Eiweissgehalt 
wurde  nur  in  einem  Falle  beobachtet. 

Dies  dürfte  Alles  sein,  was  über  Ver- 
giftungserscheinungen nach  Extr.  Filic.  bis- 
her bekannt  geworden  ist. 

Versuchen  wir,  die  Einzelerscheinungen 
unter    gemeinsame  Gesichtspunkte    zu  brin- 

^)  Experimentelle  üntersachungen  über  die 
Wirkung  des  Extr.  FiUc.  mar.  Ciaug.  -  Dissert. 
Berlin  1888. 

12* 


92 


Toxikologie. 


rlierftpeatiadia 
Mon&tehefte. 


gen,  SO  haben  wir  es,  abgesehen  yon  den 
Reizerscheinungen  seitens  des  Magens  und 
Darmes,  dem  Erbrechen  und  der  Diarrhoe,  so- 
wie von  den  vereinzelten  Symptomen  der  Gelb- 
sucht und  der  Albuminurie,  fast  ausschliess- 
lich mit  Erscheinungen  seitens  des  Central- 
nervensystems  zu  thun.  Dieselben  docu- 
mentiren  sich  zunächst  in  der  fast  allen 
Fällen  gemeinsamen  allgemeinen  Schwäche 
und  dem  elenden,  bis  zum  Collaps  gestei- 
gerten Befinden,  in  zwei  Fällen  sogar  zu 
vollständigen  Ohnmächten  ausartend.  Als- 
dann machen  sich  die  das  Gehirn  direct 
betreffenden  Symptome  geltend,  wie  Benom- 
menheit, Schwindel,  Yerwirrung,  Schlaf, 
Sopor  und  Coma,  welches  letztere  selbst  in 
den  Tod  übergeht,  und  endlich  die  an  der 
Peripherie  des  Körpers  in  die  Erscheinung 
tretenden  motorischen  Störungen,  wie  all- 
gemeine Unruhe,  Zittern  am  ganzen  Körper, 
Aufstossen  und  Schluchzen,  Krampf  in  Hän- 
gen und  Füssen  und  allgemeine  krampf- 
artige Erscheinungen.  Für  die  toxische 
Wirkung  des  Präparates  spricht  schliesslich 
noch  in  ganz  exquisiter  Weise  die  in  dem 
einen  Falle  aufgetretene  Amaurose  nebst 
Pupillenstarre.  In  üebereinstimmung  mit 
den  Erscheinungen  am  Menschen  stehen  die 
an  den  Thieren  beobachteten,  die  ebenso- 
wohl allgemeine  Lähmungs-,  wie  Krampf- 
erscheinungen darbieten.  Ein  tödtlicher 
Ausgang  erfolgte  bei  zwei  Menschen  und 
bei  allen  Thieren  (8  an  der  Zahl),  an  denen 
experimentirt  worden  ist.  Somit  bestätigt 
sich  auch  speciell  für  das  Extr.  Filic,  was 
Schmiedeberg  ^)  für  die  Band  Wurmmittel 
im  Allgemeinen  angenommen,  dass  es  näm- 
lich Yergiftungserscheinungen  verursacht,  die 
vorzugsweise  das  Centralnervensystem  be- 
treffen^). 

Der  pathologisch-anatomische  Be- 
fund in  dem  amerikanischen  Falle  bestand 
in  einer  allgemeinen  venösen  Congestion  in 
allen  Organen ,  einschliesslich  des  Gehirns, 
des  Herzens  und  der  Lungen.  Die  rechte 
Herzhälfke    war  mit   zum  Theil  geronnenem 


8)  1.  c. 

^  Ich  will  hier  gleich  bemerken,  dass  in  zweien 
der  obigen  Fälle  neben  dem  Extr.  Filic.  noch 
einige  andere  Bandwurmpräparate,  in  dem  einen 
P.  £&malae  und  P.  rad.  granati  zu  je  10,2  g,  in  dem 
anderen  17  g  Extr.  p.  granati  genossen  worden  sind. 
Erwägt  man  jedoch,  dass  von  dem  letzteren  Prä- 
parate sonst  bis  zu  36  g  and  von  den  beiden  er- 
steren  zu  12  resp.  30  g  als  Einzeldosis  gegeben 
worden  sind,  ohne  dass  man  ihrerseits  Yergiftungs- 
erscheinungen zu  registriren  in  der  Lage  war,  so 
wird  man  diesen  Präparaten  eine  besondere  Be- 
ziehung zu  den  oben  angeführten  Vergiftungs- 
erscheinimgen  nicht  vindiciren  dürfen  und  somit 
berechtigt  sein,  die  beobachteten  Giftwirkungen 
dem  Extr.  Filic.  allein  zuzuschreiben. 


Blut  gefüllt,  die  linke  war  leer.  Der  Mageu 
war  leer;  an  der  Cardia  war  ein  congestio- 
nirter  Fleck  von  3"  Durchmesser,  bedeckt 
mit  schmalen  Streifen  extravasirten  Blutes. 
Die  Aussenseite  des  Dünndarms  hatte  rosa- 
rothe  Farbe,  die  Mucosa  enthielt,  vornehm- 
lich im  oberen  Theile  des  Dünndarms,  con- 
gestionirte  Flecke  mit  schwacher  Blutextra- 
vasation.  Andere  Flecke  von  ganz  geringer 
Extravasation  waren  über  den  ganzen  Darm 
zerstreut.  Auf  der  Magen-  und  Darm- 
schleimhaut befand  sich  ein  dunkelbraunes, 
nach  Aether  riechendes  Fluidum. 

fSehlus»  folgt.] 

Ueber  eine  bisher  nicht  beobachtete  Nebenwirkung 
der  Salicylate 

berichten  G.  A.  Gibsou  und  R.  W.  Felkin 
im  Januarhefte  des  Practitioiier.  Bei  einer 
Dame  mittleren  Alters  stellte  sich,  nachdem 
während  des  Tages  Natrium  salicylicum  in 
zweistündlichen  Dosen  von  1,2  g  gegeben 
war,  am  Nachmittag  hochgradige  Pupillen- 
verengerung mit  Verlust. der  Reaction  gegen 
Licht  und  Schwächung  der  Sehkraft  ein. 
Daneben  bestand  Taubheit  und  heftiger 
Kopfschmerz.  Die  Myosis  und  der  Verlust 
der  Reaction  gegen  Licht  trat  inn3rhalb 
8  Stunden  nach  Beginn  der  Anwendung  aut 
und  war  erst  30  Stunden  nach  der  letzten 
Darreichung  gänzlich  geschwinden.  Die 
Kenntniss  dieser  offenbar  seltenen  Neben- 
wirkung ist  wichtig,  um  sich  vor  diagnostischen 
Irrthümem  zu  schützen.  rd. 


liitteratur. 


Ueber  üngflficke  in  der  Chirargfie.    Von  J.  N. 

V.  Nussbaum.     Dritter    Abdruck.     Leipzig. 
Verl.  V.  Wilh.  Engelmann.     1888. 

Verf.  hatte  diese  kleine  Schrift  als  Bei- 
trag zu  einer  „Festschrift"  Alb.  v.  Kolli- 
ker  gewidmet.  In  derselben  will  er,  wie 
es  in  der  Einleitung  heisst,  versuchen,  Un- 
glücke, wie  sie  in  der  Chirurgie  vorkommen, 
aufzuzählen  und  „Andeutungen  zu  geben, 
wie  man  sich  bei  solchen  Unglücken  am 
besten  benimmt". 

Folgen  wir  diesen  therapeutischen  Win- 
ken und  sehen  wir  zu,  was  dieser  alte  er- 
fahrene Lehrer  der  Chirurgie  aus  seiner 
reichen  Erfahrung  im  gegebenen  Falle  zu 
thun  bez.  zu  verordnen    für  das  Beste  hält! 

Bei  der  Chloroform-Narkose  empfiehlt 
er,    gegen    das    Würgen    und    Erbrechen    in 


III.  Jahrganf.! 
Febrnar  1889.J 


LItteratur. 


93 


Folge  Ekels  Tor  dem  Chloroform  das  letztere 
mit  einigen  Tropfen  Ol.  caryophyllorum 
zu  parfumiren;  es  riecht  dann  chocoladen artig 
und  benimmt  den  Ekel.  Der  durch  die 
Chloroformdämpfe  oft  erzeugte  Hustenreiz 
schwindet,  wenn  man  rasch  eine  grosse 
Dosis  des  Chloroforms  zum  Einathmen  gibt. 
Bei  eintretender  Asphyxie  ist  energisches 
Hervorziehen  der  Zunge,  beim  Ner- 
venchoc  das  Nelatonisiren  das  Beste, 
d.  i.  das  Aufhängen  des  Fat.  an  den  Füssen, 
daneben  die  künstliche  Respiration,  um  den 
Narkotisirten  rasch  erwachen  zu  lassen,  ist 
Amylnitrit  brauchbar,  gegen  Nausea  und 
Erbrechen  nach  der  Narkose  eine  Spritze 
4  %  Cocamlosung,  Champagner,  Ruhigstel- 
lung der  Bauchmuskeln  durch  Aufträufeln 
von   40  Gramm  Collodium  auf  den  Bauch. 

Gegen  Trismus  und  Tetanus  habe 
sich  bis  jetzt  das  Romberg^sche  Verfahren, 
das  Abhalten  jeden  Reizes  der  Sinnesor- 
gane, am  besten  bewährt,  dazu  Chloralhy- 
drat  und  Morphium  zur  Herabsetzung  der 
Reflexerregbarkeit.  Auch  ist  während  des 
Tetanus  jeder  reizende  Eingriff  zu  vermei- 
den, die  Entfernung  eines  Fremdkörpers 
daher  nur  dann  gestattet,  wenn  es  ohne 
derberen  Eingriff  geschehen  kann. 

Gegen  Delir.  träum,  und  potator. 
haben  Bier,  Cognac,  Opium  und  Digitalis 
neben  möglichst  frischer  Luft  die  besten 
Dienste  geleistet. 

Bei  Fettembolie  und  Fibrinferment- 
Intoxication  sind  Excitantien  zu  ge- 
brauchen. 

Bei  Blutungen  aus  einer  grossen  Yene 
wirkte  schliesslich  erst  die  Unterbindung  der 
gleichverlaufenden  Arterien  blutstillend.  Bei 
Blutern  sind  neben  dem  Glüheisen  weiche, 
elastische,  impermeable  Tampons  anzu- 
wenden, die  Verf.  aus  Watte  oder  Schwamm, 
mit  Guttaperchapapier  umhüllt  und  vermit- 
tels Chloroform  zugeklebt,  zu  verfertigen 
pflegte.  Nach  der  Tonsillotomie  bei  einem 
Bluter  rieth  ihm  einmal  Prof.  Baum,  noch 
besser  die  Gaumenbögen  zusammenzunähen. 
Von  den  blutstillenden  Substanzen  hält  Verf. 
Liq.  ferr.  sesq.  und  Ergo t in,  letzteres  in 
Injectionsform,  noch  für  die  besten. 

An  Stelle  der  Trans-  und  Infusion 
hält  er  die  Autotransfusion  für  weit 
I  eistungsfähiger . 

Bei  Knochenbrüchen  sei  zu  beher- 
zigen, dass  man  in  der  halben  Heilnngs- 
zeit  den  Verband  erneuere,  um  ev. 
Lageveränderungen  der  Knochenenden  noch 
rechtzeitig  zu  adaptiren.  Auch  übereile 
man  nicht  den  ersten  Verband  und 
warte  erst  die  Abschwel lung  der  gebrochenen 
Extremität  ab.     Jedenfalls    sei    jeder  Ver- 


band zu  entfernen,  sobald  Klagen  über  Druck 
laut  werden. 

Gelegentlich  der  Verschluckung  eines  ab- 
gebrochenen Stückes  der  Schneide  eines  In- 
strumentes (Tonsillotoms)  Hess  Verf.  Zucker- 
wasser mit  verdünnter  Salzsäure  trinken,  um 
das  Messerstück  schnell  rostig  und  stumpf 
zu  machen,  was  in  diesem  Falle  auch  gelang. 

Bei  der  Tracheotomie  steckt  er  in  die 
geöffnete  Trachea  zunächst  den  linken  Zeige- 
finger und  führt,  indem  er  diesen  entfernt, 
die  Canüle  ein,  um  nicht  den  richtigen  Weg 
zu  verfehlen. 

Bei  Abscessen  am  Halse  operirt  er 
nach  gemachtem  Hautschnitt  mit  stum- 
pfen Instrumenten,  Komzange  oder  dgl. 
weiter. 

Gelang  es  bei  manchen  Blasen affectionen 
nicht,  den  elastischen  Katheter  einzu- 
führen, so  verfuhr  er  in  der  Weise,  dass 
er  zunächst  einen  vorn  durchlöcherten  sil- 
bernen Katheter  einführte,  durch  diesen  eine 
ganz  feine  Fischbeinsonde  hindurchschob, 
dann  den  silbernen  Katheter  entfernte  und 
nun  über  das  zurückgelassene  Fischbein  den 
ebenfalls  vorn  durchlöcherten  elastischen 
Katheter  mühelos  in  die  Blase  schob. 

Im  üebrigen  ertheilt  Verf.  für  die  Aus- 
führung der  verschiedensten  Operationen  noch 
manchen  Wink  mehr  technischer  Natur  und 
zeigt,  wie  man  selbst  bei  den  anscheinend 
schlimmsten  Zuföllen,  die  einem  während 
der  Operation  passiren,  sich  zu  rathen  wis- 
sen müsse  und  nicht  den  Muth  zu  verlieren 
brauche.  Freyer  {SUtün). 

Prof.  Dr.  Herrn,  v.  ZeissPs  Lehrbach  der  Sy- 
philis und  der  örtlichen  venerischen  Krauk- 
neiten.  —  Neu  bearbeitet  von  Dr.  Maximilian 
V.  Zeissl,  Docent  an  der  Universität  in  Wien. 
—  Enke,  Stuttgart  1888,  792  S. 

In  der  letzten  Zeit  sind  eine  ganze  Reihe 
von  Lehrbüchern  der  Syphilis  entstanden, 
von  denen  man  hätte  glauben  dürfen,  dass 
sie  dem  ZeissTschen  Werke  vorgezogen  wer- 
den würden,  weil  sie  ein  für  den  Praktiker 
erwünschtes  Postulat  besitzen,  nämlich  kürzer 
zu  sein.  Allein  das  umfangreichste  Lehr- 
buch dieser  Disciplin  in  deutscher  Sprache 
hat  seinen  ersten  Platz  behauptet  und  wieder- 
um eine  neue  Auflage  (die  fünfte)  erlebt. 
Während  aber  die  früheren  alle  noch  vom 
Vater  Hermann  v.  Z.  herausgegeben  wurden, 
hat  diese  Ausgabe  sein  Sohn  Maximilian 
V.  Z.  neu  bearbeitet. 

Denen,  die  das  alte  Buch  kennen,  \f^t 
bekannt,  mit  welcher  Gründlichkeit  und  Un- 
parteilichkeit Z.  geschrieben  hat.  Beides 
sind  Eigenschaften,  die  wohl  überall,  aber 
gerade    auf    diesem  Gebiete    eine  besondere 


94 


Llttttimtur. 


rriienipeatisehe 
1.  Mon&tsh^k«. 


Bedeutung  babeu.  Die  Sypbilis  und  vene- 
riscben  Krankbeiten  sind  derartig,  dass  sie 
aus  einem  Bucb  scbwer  oder  gar  nicht  zu 
erlernen  sind.  Der  Student  oder  Arzt  muss 
selbst  seben,  füblen  und  prüfen.  Je  mehr 
er  Gelegenheit  dazu  hat,  umso  mehr  wird 
er  sich  fordern.  Die  Gründlichkeit  des  vor- 
liegenden Buches,  die  allerdings  seine  Aus- 
führlichkeit bedingt,  ist  es,  die  dem  weniger 
Erfahrenen  bei  der  Orientirung  hilft  und 
andrerseits  dem  Kundigen  erst  recht  will- 
kommen ist.  —  "Was  dann  die  Unparteilich- 
keit betrifiPt,  so  ist  es  allbekannt,  wie  hoch 
die  Fluthen  bei  sjpihlitischen  Streitfragen 
gingen  und  gehen,  wie  einzelne  Autoren  in 
ihren  Anschauungen  verrannt  und  alle  anders 
Denkenden  negiren.  Z.  stellt  eine  Anschau- 
ung neben  die  andere  und  erörtert  mit 
mustergiltiger  Ruhe  und  Sachlichkeit,  was 
ihm  das  Rechte  scheint. 

Diese  Vorzüge  des  alten  Buches  sind  — 
wie  es  auch  nicht  anders  zu  erwarten  war 
—  dem  neuen  treu  geblieben.  Natürlich 
haben  die  Zeit  und  Fortschritte  der  Disci- 
plin  gewiss  Aenderungen  erheischt.  Manches 
ist  geblieben  und  Yieles  hinzugekommen. 
Das  Capitel  über  Stricturen  der  Harnrohre, 
das  gar  nicht  in  ein  Lehrbuch  der  veneri- 
schen Krankheiten  hineingebort,  ist  wesent- 
lich gekürzt  worden.  Auch  haben  einzelne 
Capitel,  die  nicht  in  gleichem  Maasse  wie 
früher  im  Vordergrund  des  Interesses  stehen 
(endemische  Syphilis  u.  s.  w.),  eine  Kürzung 
erfahren.  Wir  können  das  nur  loben,  denn 
der  Umfang  des  Buches  wäre  sonst  zu  gross 
geworden. 

Von  den  Neuerungen  steht  obenan  die 
Besprechung  des  Trippers;  die  Gonococcen- 
Frage  und  Behandlung  des  Trippers  ist  des 
Ausführlichen  besprochen  worden;  alle  nen- 
nenswerthen  neueren  Arbeiten  sind  berück- 
sichtigt. 

Die  Syphilisbacillen  und  das  Gontagium 
des  weichen  Schankers  werden  ausfuhrlicher 
behandelt,  als  im  alten  Werk.  Die  syphili- 
tischen Erkrankungen  des  Nebenhodens  und 
der  Brustdrüse  sind  einer  neuen  Bearbeitung 
unterzogen  worden.  Der  fleissige  Verfasser 
darf  glauben,  das  erreicht  zu  haben,  was  er 
bei  der  Bearbeitung  des  Buches  im  Sinne 
hatte,  nämlich  das  Andenken  seines  Vaters 
auch  bei  der  heranwachenden  ärztlichen  Ge- 
neration lebendig  erhalten  zu  haben. 

Eine  Unterlassungssünde   ist  es,    ein  so 

umfangreiches  Buch  wie  das  vorliegende  ohne 

Sachregister  in  die  Welt  zu  senden.     Dieses 

fehlt  sehr.    Einen  kleinen  Ersatz  bietet  das 

recht     ausführlich     hergestellte     Inhaltsver- 

zeichniss. 

Ij$o  Catper. 


Wie  ist  unser  Hebammenwesen  rationell  za 
bessern?  Von  Dr.  M.  Frey  er,  Kreisphysikas 
in  Stettin.  Berlin,  Verlag  von  Jalius  Springer. 
1888.   8°.   20  S. 

In  der  vorliegenden  kleinen,  durchaus 
beachtenswerthen  Brochüre  hält  Verf.  die 
bisher  gemachten  Vorschläge  zur  Aufbesse- 
rung des  Hebammenwesens  nicht  für  aus- 
reichend, weil  sie  der  Sache  nicht  auf  den 
Grund  kommen.  Die  Hauptfrage,  um  die 
sich  Alles  dreht,  bildet  für  ihn  die  Durch- 
führung der  Asepsis  bei  den  Entbin- 
dungen, und  dazu  bedarf  es  nach  seiner 
Meinung  in  erster  Linie  einer  gründlichen 
Ausbildung  der  Hebammen  in  der  an- 
tiseptischen Technik,  etwa  wie  sie  die 
barmherzigen  Schwestern  in  den  Kliniken 
sich  anzueignen  pflegen.  Dazu  biete  aber 
die  gegenwärtige  Einrichtung  der  Hebammen- 
Lehrinstitute  keine  Gelegenheit,  woher  Verf. 
eine  Vorbildung  der  Hebammen- Aspirantin- 
nen durch  einen  mehrmonatlichen  prakti- 
schen Cursus  in  dem  Operationssaale 
eines  grossen  Krankenhauses  vorschlägt. 
Er  verlangt  erst  Ausbildung,  dann  Fort- 
bildung der  Hebammen,  und  fürchtet,  dass 
ein  blosses  „Desinfections-Regulativ",  wie 
es  vorgeschlagen  worden  und  auch  seitens 
der  Behörden  beabsichtigt  werden  solle,  nur 
zur  Scheinantiseptik  und  nicht  zur 
Anwendung  wirklicher  Antiseptik  führen 
werde. 

Dass  mit  der  Durchführung  der  vom 
Verf.  gemachten  Vorschläge  das  Uebel  bei 
der  Wurzel  gefasst  werden  würde,  darüber 
dürfte  kaum  zu  streiten  sein;  die  Frage 
wäre  vielleicht  nur,  ob  das  vorgezeichnete 
Ziel,  die  verlangte  praktische  Vorbildung 
der  Hebammen  in  der  Antiseptik  nicht  auch 
schon  bei  veränderter  Organisation  der  Heb- 
ammen -  Lehrinstitute  zu  erreichen  wäre. 
Sollte  demnächst  ein  Desinfections-Regulativ 
für  die  Hebammen  in  Kraft  treten,  ohne 
dass  sonst  in  der  Ausbildung  derselben  eine 
Aenderung  einträte,  so  würde  schon  die 
nächste  Zukunft  selber  entscheiden,  ob  man 
auch  ohne  Berücksichtigung  der  Vorschläge 
des  Verf.^s  auskommen  kann,  oder  ob  maa 
doch  genöthigt  sein  werde,  auf  dieselben 
zurückzukommen.  Jedenfalls  verdient  diese 
kleine  aber  wichtige  Schrift  unseres  rührigen 
Herrn  Mitarbeiters  Beachtung  auch  über  die 

Aerztekreise  hinaus. 

Rabow. 


Lehrbach  der  patholosrisctaen  Anatomie.    Von 

Birch-Hirschfeld.    IL  Bd.  2.  Theil.     (Ver- 
lag von  F.  C.  W.  Vogel  in  Leipzig.) 

Der  vorliegende  Band  enthält  den  grossten 
Theil     der     pathologischen     Anatomie     der 


ni.  JfthrfftDg.l 
Febmar  1889.J 


Praetlseh«  Notizen  und  empfehlentwerth«  Arsn«lform«ln. 


95 


AthmuDgsorgane,  ferner  die  pathol.  Anatomie 
der  Verdauungeorgane,  der  •  Harn-  und  Ge- 
schlechtsorgane und  schliesslich  die  Befunde 
bei  einigen  Infectionskrankheiten ,  Vergif- 
tungen und  gewaltsamen  Todesarten.  Das 
Buch  ist  mit  zahlreichen  Zeichnungen  und 
reichen  Li tteraturan gaben  yersehen  und  wird 
in  jeder  Beziehung,  wie  auch  die  vorange- 
gangenen Theile  desselben  Werkes,  nicht 
nur  dem  pathologischen  Anatomen,  sondern 
auch  dem  Praktiker  eine  höchst  nützliche 
und  sehr  willkommene  Unterstützung  bei 
seinen  Studien  sein.  Mit  diesem  Band  ist 
die  3.  Auflage  des  Werkes  abgeschlossen. 

ffanttmann  (Berlin). 


Praetisehe  Xotizen 

und 

emtpfehlenswerthe  Arzneiformelii. 


Ueber   Jodoform -Dermatitis.     Von   Dr.   Israel, 
pract.  Arzt  (Gnesen). 

Im  diesjährigen  Januarhefte  der  Therap. 
Monatshefte  wurde  in  einem  Referate  über 
„Jodoform-Dermatitis  und  über  die  Anwen- 
dung des  Cocain  bei  einigen  Dermatitiden^ 
Ton  Dr.  J.  Meyer-Budapest  berichtet,  dass 
dieser  Autor  eine  solche  Hautentzündung 
sogleich  nach  der  Application  des  Mittels 
habe  entstehen  sehen,  dass  er  aber  diese 
Dermatitis  als  Folge  des  Eratzens  betrachte. 
Dass  diese  Ursache  sicher  nicht  für  alle 
Fälle  aufrechtzuhalten  ist,  beweist  fol- 
gender Fall  aus  meiner  Praxis:  Es  handelt 
sich  um  eine  Frau  mit  Ulcera  cruris,  die 
Jahre,  lang  bestehen  und  gegen  welche 
schon  alle  erdenklichen  Mittel  angewandt 
wurden.  Ich  machte  der  Pat.  den  Vorschlag 
eins  derselben,  welches  ihr  gerade  am  un- 
bequemsten war,  mit  Jodoform  zu  behandeln ; 
sie  Tersicherte  mir,  dass  dies  schon  zwei 
Mal  Ton  anderen  Col legen  Tersucht  worden 
sei,  dass  aber  beide  Mal  Blasen  und  Haut- 
roth e  aufgetreten  seien.  Gleichwohl  ver- 
suchte ich  es  und  brachte  einige  Erystalle 
auf  das  Geschwür,  und  zwar  so  wenige,  dass 
ich  mir  einen  Heilerfolg  hiervon  nicht  ver- 
sprechen konnte.  Am  nächsten  Morgen  erst 
verspürte  Pat.  ein  deutliches  Jucken,  und 
als  sie  den  Verband  entfernte,  waren  bereits 
rings  um  das  Ulcus  erbsen-  bis  wallnuss- 
grosse  Blasen  zu  sehen,  welche  bald  barsten, 
80  dass  ich  leider  den  Inhalt  nicht  unter- 
suchen konnte.  An  einen  Kratzeffect  kann 
in  diesem  Falle  nicht  gedacht  werden,  da 
Pat.  einen    Verband    trug   und    die    Blasen 


bereits  vorhanden  waren,  als  dieser  entfernt 
wurde.  Das  Auftreten  der  Dermatitis  ist 
also  in  diesem  Falle  nicht  Folge  des  Kratzens, 
sondern  man  muss  meines  Erachtens  nach 
eine  Idiosynkrasie  einzelner  Menschen  an- 
nehmen, bei  denen  das  Mittel  auch  in  ge- 
ringster Menge  Hyperämie  der  Hautgefässe 
bis  zur  Ezsudation  und  Blasenbildung  her- 
vorruft. Sonstige  Nebenerscheinungen  sind 
übrigens  bei  meiner  Pat.  ebenfalls  nicht  zu 
constatiren  gewesen.  Da  das  Jucken  nicht 
zu  stark  gewesen  war,  konnte  von  dem 
Gebrauche  des  Cocains  Abstand  genommen 
werden.  Endlich  wäre  noch  zu  bemerken, 
dass  ich  des  Versuches  halber  bei  derselben 
Patientin  und  denselben  Wunden  Jodol  in 
Anwendung  gebracht  habe.  Letzteres  brachte 
keinerlei  Reizerscheinungen,  also  keine  Rothe 
oder  Blasen  und  wurde  überhaupt  gut  ver- 
tragen. Somit  glaube  ich  auch  hierdurch 
meine  oben  ausgesprochene  Ansicht  bestätigt 
zu  finden. 

Wie  conservirt  der  Arzt  seine  Hände? 

Dr.  Georg  Meyer  (Berlin)  berichtet 
über  die  praktischen  Erfolge  eines  ihm  von 
0.  Liebreich  vor  längerer  Zeit  empfohlenen 
Verfahrens  zur  Beseitigung  der  Hautreizung  an 
den  Händen^).  Die  durch  vielfaches  Waschen 
hervorgerufene  Röthung,  Ekzeme  und  Ein- 
risse der  Haut  bedingen  ein  längeres  Fern- 
halten von  desinflcirenden  Flüssigkeiten, 
durch  welche  die  genannten  Leiden  zum 
Theil  hervorgerufen  und  sicher  verschlimmert 
werden.  Die  Anwendung  des  Verfahrens 
war  folgende:  die  Hände  werden  mit  neu- 
traler Seife  gründlich  gewaschen,  gut  ab- 
gespült und  möglichst  sorgfältig  getrocknet, 
dann  werden  dieselben  mit  einer  kleinen 
Menge  Lanolin  eingerieben  und  der  Ueber- 
schuss  desselben  mit  einem  trockenen 
Handtuch  entfernt.  Am  wirksamsten  ist 
die  Anwendung  reinen  Lanolin^s: 

•V  Lanolini  50,0 

Vanillini  0,1 

Ol.  Ros.  gutt.  I. 

Jedoch  kann  diese  Vorschrift  auch  durch 
folgende  geschmeidigere  Salbe  ersetzt  werden: 

^  Lanolini  100,0 

Paraffin,  liquid.   25,0 

Vanillini  0,1 

Ol.  Ros.  gutt.      1  —  2. 

M.  f.  terendo  unguentum. 

Für  Waschungen  ausser  dem  Hause  ist 
es  vortheilhaft,  die  Salbe  in  kleinen  Metall- 
flaschen, nach  Art  derer,  die  zur  Aufnahme 
von  Malerfarben  dienen,  bei  sich  zu  führen. 


')  Berliner  klin.  Wochenschrift  1889,  No.  3. 


96 


Praetltehe  NoÜseD  und  empfehleniwarthe  An&elfofmela. 


[Therftpeatiach« 
'  MönäUhefML 


Die  Einsalbung  soll  nach  jeder 
Waschung  ausgeführt  werden.  Dazu  ist 
zu  bemerken,  dass  das  Einreiben  ohne 
Waschung  besonders  bei  Epidermisrissen 
nutzlos  ist.  Man  bemerkt  nämlich,  dass  bei 
sogenannten  „aufgesprungenen  Händen"  sich 
Schmutz  mit  grosser  Festigkeit  in  den  Rissen 
der  Haut  festsetzt.  Dieser  ist  schwierig  zu  ent- 
fernen, muss  aber  durch  Waschen  mit  lauem 
Wasser  möglichst  gelöst  werden,  weil  er  sonst 
dauernd  eine  Reizung  ausübt;  erst  dann  ist 
die  Einreibung  mit   obigen  Salben  wirksam. 

Liebreich. 
Bei  Behandlung  der  Diphterie 

hat  Lorey  in  Frankfurt  a.  M.  mittelst 
Einblasen  von  Zuckerstaub  (Deutsch, 
med.  Wochenschr.  1888  No.  46)  sehr  gute  Re- 
sultate erzielt.  Die  erkrankte  Schleimhaut 
wird  durch  den  feinvertheilten  Zucker,  dem 
sog.  Zuckerstaub  der  Pharmakopoe,  in  der 
günstigsten  Weise  beeinflusst.  Die  günstige 
Wirkung  des  Zuckers  auf  schlechte  Granu- 
lationen ist  schon  sehr  lange  kekannt.  In 
den  letzten  Jahren  ist  derselbe  wieder  auf 
Yerschiedenen  Kliniken  beim  Verband  Ter- 
wendet  worden.  Speciell  im  Pharynx  wirkt 
Zuckerstaub  auf  die  entzündete  Schleimhaut 
wohlthätig  und  schmerzstillend.  In  80  von 
ihm  beobachteten  Diphtheriefallen  constatirte 
L.  eine  wesentliche  Abkürzung  der  Dauer 
und  Ausdehnung  des  Belages;  der  faulige 
Geruch  schwand  und  die  Membranen  wurden 
lockerer.  Das  Einblasen  erfolgt  am  besten 
mittelst  eines  kleinen  Apparates,  der  aus 
einer  das  Pulver  enthaltenden  gefensterten 
Glasröhre  und  Gummiballon  mit  Schlauch 
zusammengesetzt  wird.  Der  Zackerstaub 
w^ird  möglichst  reichlich  und  oft,  je  nach 
der  Stärke  der  Erkrankung  über  die  Man- 
deln, die  Racbenwand  und  in  die  hintere 
Nasenhöhle  geblasen.  —  Von  Medicamenten 
hat  sich,  besonders  wenn  die  ersten  Zeichen 
vom  Ergriffensein  des  Kehlkopfes  bemerkbar 
wurden,  Apomorphin  0,05  —  0,1  auf  120,0 
Mixtur  bewährt. 

Als  ein  schnell  helfendes  Mittel  gegen  Schnupfen 

empfiehlt  Köhler  (Schweiz.  Wochenschr.  für 
Pharm.  1888  No.  49)  Campferinhalationen, 
die  in  folgender  Weise  vorzunehmen  sind: 

Man  schüttet  1  Theelöffel  voll  gepul- 
verten Campfers  in  ein  mehr  tiefes  als  weites 
Gefäss,  füllt  dieses  zur  Hälfte  mit  sieden- 
dem Wasser  und  stülpt  eine  dreieckige 
Papierdüte  darüber.  Die  Spitze  dieser  Düte 
reisst  man  so  weit  ab,  dass  man  die  ganze 
Nase  bequem  hineinstecken  kann.  Nun 
uthmet  man  die  warmen  campferhaltigen 
Wasserdämpfe    etwa  10 — 15  Minuten  durch 


die  Nase  (nicht  durch  den  Mund)  ein  und 
wiederholt  diese  Procedur  nach  4 — 5  Stun- 
den. —  Nach  dreimaliger  Wiederholung  die- 
ser Inhalationen  soll  auch  der  hartnäckigste 
Nasenkatarrh  verschwunden  sein.  Ein  etwa 
gleichzeitig  vorhandener  Rachenkatarrh  wird 
durch  die  warmen  Dämpfe  in  günstigster 
Weise  beeinflusst. 

Citronensaft  gegen  Nasenbluten 

wird  von  Dr.  Fauchon  (Bull.  gen.  de  The- 
rap.  15  D^cbr.  1888)  empfohlen.  In  einem 
verzweifelten  Falle,  wo  bereits  alle  bekann- 
ten und  bewährten  Mittel  Anwendung  ge- 
funden und  im  Stiche  gelassen  hatten,  zog 
F.  den  Saft  einer  eben  ausgepressten  Citrone 
in  eine  gläserne  Ohrenspritze  ein  und  inji- 
cirte  denselben  in  das  Nasenloch,  welches 
der  Sitz  der  Blutung  war.  Letztere  stand 
sofort  und  wiederholte  sich  nicht  mehr. 
(Vergl.  Therap.  Monatsh.  1888  S.  48.) 

Glycerinklystiere   bei    Diarrhöen   und  Prolapsus 
ani  der  Kinder 

empfiehlt  G.  Rice  (The  Practitioner  1888. 
December).  Der  Erfolg  war  in  einzelnen 
Fällen  geradezu  zauberhaft.  Gewöhnlich 
sind  nur  wenige  Injectionen  (l  —  3)  von  un- 
gefähr 7,5  g  Glycerin  nothwendig. 

Als  Vehikel  für  Antipyrin 

empfiehlt  Batterbury  im  Brit.  Med.  Journ. 
Kaffee,  wodurch  der  unangenehme  Ge- 
schmack des  Antipyrin  fast  gänzlich  verdeckt 
werden  soll. 

Prostbeulen  an  den  Händen 

verschwinden  (nach  Schweiz.  Wochenschr.  f. 
Pharm,  u.  Pharm.  Centralhalle  1 889  No.  2)  sehr 
schnell,  wenn  man  sie  möglichst  oft  mit  ab- 
solutem Alkohol  wäscht  oder  befeuchtet. 

Frostbeulen  an  den  Füssen 

behandele  man  Morgens  und  Abends  mit 
einigen  Tropfen  Ammon.  sulfo-ichthyolic.  oder 
bepinsele  sie  mit  einer  Mischung  aus  1  Th. 
Jodtinctur  und  7  Th.  Collodium  elasticum. 
Die  Strümpfe  sind  während  der  Nacht  nicht 
abzuziehen. 

Gegen  Taenien: 

iV  Ol.  Crotonis  gtt.  I. 
Chloroform.  4,0 
Glycerin.  30,0. 

D.  S.  Morgens  nüchtern  zu  nehmen. 
Abends  vorher  salinisches  Laxans.     Sonst 
keine   Vorbereitungscur.      (Union    med.  120 
und    Corresp.-Bl.    f.    Schweiz.    Aerzte    1889 
No.  2.) 


YerUir  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  von  Gustav  Schade  (Otto  Francke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 


1889.    März. 


Originalabhandlnngeii. 


Ueber   die   Behaiidlimgr   der   Hydrocele 

vagrlnalis  mittelst  Injection  reiuer  Car- 

bolsäure  nach  lievls. 

Von 

Prof.  Helferich  in  Greifswald. 

Zur  Heilung  der  Hydrocele  yaginalis 
wird  bekanntlich  jetzt  in  Deutschland  in 
den  weitaus  häufigsten  Fällen  die  Radical- 
operation  mit  dem  Schnitt  vorgenommen. 
Diese  Operation,  unter  antiseptischen  Cau- 
telen  ausgeführt,  wurde  zuerst  von  T  hier  seh 
in  seiner  bekannten  Arbeit  über  die  L ister '- 
sehe  Wundbehandlung  und  die  Anwendung 
der  Salicylsäure  beschrieben  (1875,  4  Fälle), 
dann  namentlich  aus  der  Hallenser  Klinik 
von  Volkmann  (1876) und  Genzmer(l878) 
in  etwas  anderem  Verfahren  in  die  Praxis 
eingebürgert.  Seitdem  sind  weitere  Modifi- 
cationen  der  Operation  beschrieben,  z.  B.  ver- 
schiedenartige Ausführung  des  Verschlusses, 
der  Drainage  der  Wunde,  Exstirpation  des 
ganzen  parietalen  Theiles  der  Scheidenhaut  etc., 
welche  alle  auf  möglichst  rasche  und  solide 
Heilung,  besonders  auf  sicheres  Vermeiden 
von  Recidiven  gerichtet  sind.  Und  es  ist 
zweifellos,  dass  diese  Operation  jetzt  für 
alle  möglichen  Formen  von  Hydrocele  vagi- 
nalis einen  raschen  und  sicheren  Verlauf, 
sowie  grösste  Sicherheit  gegen  Recidive 
bietet. 

Dem  gegenüber  besteht  die  Thatsache, 
dass  manche  deutsche  Chirurgen  die  Radical- 
operation  für  die  gewöhnlichen  und  häufig- 
sten Fälle  von  Hydrocele  nicht  anwenden 
und  gegen  dieselbe  sogar  Bedenken  erheben. 
Hatte  unser  verstorbener  Nestor,  Professor 
Baum  in  Göttingen,  solche  Bedenken,  denen 
er  in  seiner  lebhaften  Weise  Ausdruck  gab, 
so  war  das  am  Ende  nicht  unerklärlich; 
doch  auch  einige  jüngere  Chirurgen,  treff- 
liche Antiseptiker,  geben  für  gewöhnlich  der 
Function  und  Injection  von  Jodtinctur  den 
Vorzug. 

Wir  geben  zu,  dass  der  blutigen  Radical- 
operation,  was  Sicherheit  des  Erfolges  an- 
geht, der  Vorzug  vor  der  Injectionsmethode 


zukommt,  eine  Thatsache,  welche  neuerdings 
noch  in  einer  fleissigen  Arbeit  aus  der  Tü- 
binger Klinik  constatirt  wird.  Hierfür  ist 
jedoch  nothwendig,  dass  der  Kranke  wenig- 
stens 8  Tage  lang  klinisch  oder  zu  Hause 
behandelt  wird;  eine  ambulatorische  Behand- 
lung ist  dabei  ausgeschlossen.  Ist  die  letz- 
tere allein  möglich  für  einen  mit  Hydrocele 
Behafteten,  so  ist  nach  unseren  Kenntnissen 
nur  die  Function  und  nachfolgende  Injection 
einer  reizenden  Flüssigkeit  möglich  und  an- 
gezeigt. 

Die  alte  Methode  der  Injection  mit  Jod- 
tinctur ist  ja  bekannt  genug,  auch  in  ihren 
Nachtheilen.  Wer  es  erlebt  hat,  dass  ein 
junger  kräftiger  Soldat,  auf  dem  Operations- 
tische liegend,  bei  der  Injection  von  Jod- 
tinctur vor  Schmerzen  ohnmächtig  wurde, 
und  wer  andere,  bekannte  Uebelstände  des 
Verfahrens  berücksichtigt,  wird  geneigt  sein, 
andere  Mittel  zu  versuchen. 

So  begann  ich  noch  in  der  Münchener 
chirurgischen  Poliklinik  auf  die  Empfehlung 
eines  amerikanischen  Collögen,  des  Dr.  Wool- 
verton,  Versuche  mit  den  von  Levis  in 
Philadelphia  eingeführten  Injectionen  kleiner 
Mengen  reiner,  eben  nur  flüssig  gemachter 
Carbolsäure.  Dieses  Verfahren  ist  im  Cen- 
tralblatt  für  Chirurgie  1883  No.  17  von 
Dr.  Part  seh  schon  kurz  referirt.  Ich  selbst 
habe  auf  der  Strassburger  Naturforscherver- 
sammlung zwei  so  behandelte  und  geheilte 
Fälle  mitgetheilt  und  das  Verfahren  „für 
solche  Fälle,  in  denen  aus  äusseren  Grün- 
den die  Radicaloperation  nicht  gemacht  wer- 
den kann",  empfohlen.  Ich  fügte  hinzu: 
„Die  Methode  ist  sicher  und  schmerzlos". 
Das  letztere  kann  ich  auf  Grund  von  wei- 
teren Beobachtungen  vollauf  bestätigen;  das 
erstere  hat  sich  in  der  Folge  nicht  bewahr- 
heitet. Es  mag  deshalb  von  einigem  Werthe 
sein,  wenn  ich  über  weitere  Erfahrungen 
mit  diesem  amerikanischen  Verfahren  der 
Carbolsäureinjection  kurz  berichte. 

Die  Ausführung  ist  immer  genau  nach 
den  Vorschriften  von  Levis  geschehen. 
Derselbe  nimmt  krystallisirte  Carbolsäure, 
welche  nur  durch  Zusatz  von  5  —  lO^/o  Wasser 

13 


d§        Helferich,  fiehandlung  der  Hydrocele  VaglnaUt  mitteltt t^Jection  reiner  Carbolsäure.       [^"^^at^ft^^ 


oder  Glycerin  verflüssigt  ist.  Die  Carbol- 
säure soll  eben  nur  flüssig  sein;  die  Menge 
des  Losungsmittels  soll  deshalb  bei  kühler 
oder  warmer  Temperatur  verschieden  gross 
sein.  Nach  der  gewöhnlichen  Function  der 
Hydrocele  injicirt  man  durch  die  noch  lie- 
gende Canüle  mittelst  einer  kleinen  Spritze 
die  Carbolsäure.  Das  Ansatzstück  der  Spritze 
muss  länger  als  die  Canüle  und  so  dünn 
sein,  dass  es  durch  dieselbe  bequem  einge- 
führt werden  kann.  Mit  dieser  Spritze  ge- 
lingt es,  die  Carbolsäure  sicher  in  den  Hy- 
drocelensack  zu  bringen,  ohne  dass  etwas 
davon  herausfliesst  und  ohne  die  Gefahr, 
dass  die  Injection  zwischen  Sack  und  Scro- 
talhaut  in  das  Zellgewebe   gemacht  wird. 

Gerade  die  Verwendung  einer  Spritze 
mit  langem,  durch  die  Canüle  bequem  hin- 
durchreichendem Ansatzstück  erscheint  mir 
von  Vortheil  bei  allen  derartigen  Injectionen, 
unerlässlich,  wenn  ein  so  differentes  Mittel 
injicirt  wird.  Es  ist  mir  selbst  vor  Jahren 
bei  einer  Ausspülung  des  Hydrocelensackes 
mit  5  °/o  CarboUosung  (nach  Hüter)  passirt, 
dass  die  Lösung  nicht  mehr  ausfloss,  offen- 
bar da  in  Folge  einer  Verschiebung  der 
Canüle  die  Injection  nicht  in  den  Sack, 
sondern  in  das  umgebende  lockere  Zellge- 
webe stattgefunden  hatte,  glücklicherweise 
ohne  Schaden  und  mit  dem  Erfolge,  dass 
die  Hydrocele  zur  Heilung  kam.  Ein  sol- 
ches Missgeschick  ist  bei  Einhaltung  der 
Vorschriften  von  Levis,  speciell  bei  Be- 
nutzung einer  Spritze  der  erwähnten  Con- 
struction  nicht  möglich.  Man  verschiebt  das 
durch  die  Canüle  eingeführte  Ansatzstück 
in  dem  Sack  und  kann  auf  diese  Weise 
seine  correcte  Lage  sicher  nachweisen.  Ich 
habe  die  Injection  nie  gegen  den  Testikel  zu, 
sondern  immer  gegen  die  parietale  Wand 
hin  gemacht. 

Die  Injectionsmenge  schwankt  zwischen 
2  und  4  und  6  g  reiner,  flüssiger  Carbol- 
säure. Sofort  nach  der  Injection  wird  der 
Spritzenansatz  nebst  der  Canüle  herausge- 
zogen, und,  um  die  Sero  talhaut  vor  eventueller 
Aetzung  an  der  Punctionsstelle  zu  schützen, 
halte  ich  Alkohol  bereit  und  wasche  die 
Region  damit  etwas  ab.  Nun  wird  das 
Scrotum  ein  wenig  mit  den  Fingern  geknetet, 
damit  die  Carbolsäure  in  dem  Sacke  möglichst 
gleichmässig  vertheilt  werde;  ist  etwas  Luft 
nach  der  Entleerung,  vor  der  Carbolsäure- 
injection  eingedrungen,  so  entsteht  natürlich 
ein  glucksendes  Geräusch  dabei.  Der  Patient 
empfindet  dabei  ein  Gefühl  von  Wärme  und 
dann  ein  gewisses  taubes  Gefühl  daselbst; 
Schmerz  ist  durchaus  nicht  vorhanden,  und 
der  Patient  ist  sofort  im  Stande,  umherzu- 
gehen.    Ruhe  hat  Levis  erst  nach  24  Stun- 


den verordnet,  wenn  die  auftretende  ent- 
zündliche Reaction  dieselbe  wünschenswerth 
machte;  ich  habe  es  nur  in  sehr  wenigen 
Fällen  nÖthig  gefunden,  die  Patienten  liegen 
zu  lassen.  Im  Gegentheil ,  die  Operirten 
sind  meistens  sofort  wieder  ihrer  Arbeit  nach- 
gegangen. 

Die  Reaction,  welche  auf  diesen  Eingriff 
folgt ,  ist  eine  sehr  verschiedene.  Levis 
berichtet  hierüber  eigentlich  nichts  in  seinem 
kurzen  Aufsatze.  In  den  ersten  beiden  Mün- 
chener Fällen  war  mir  die  nach  der  Opera- 
tion auftretende  starke  Schwellung  und  deren 
lange  Dauer  bis  zur  allmählichen  Heilung 
eine  recht  unangenehme  Ueberraschung.  Die 
Schwellung  beruhte  z.  Th.  auf  erneuter  Bil- 
dung einer  Hydrocele,  und  die  Befürchtung, 
es  würde  ein  Recidiv  entstehen,  schwand 
erst  allmählich.  Dem  gegenüber  muss  ich 
betonen,  dass  in  anderen  Fällen  nach  der 
Carbolinjection  jede  Reaction  auszubleiben 
scheint:  keine  Schwellung,  kein  neuer  Erguss, 
nicht  die  geringsten  Beschwerden,  sondern 
reactionslos  entstehende  dauernde  Heilung. 
In  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  tritt,  ent- 
gegen diesen  beiden  selteneren  Vorkomm- 
nissen, eine  massige  Schwellung  durch  fibri- 
nöses Exsudat  ein,  welche  im  Laufe  einiger 
Wochen  ohne  jede  Arbeitsbehinderung  des 
Patienten  verschwindet  und  zur  endgültigen 
Heilung  führt. 

Bemerkens  wer  th  ist,  dass  in  keinem  Falle 
auch  nur  die  geringsten  Symptome  von  Car- 
bolintoxication  eintraten.  Dasselbe  hebt 
Levis  hervor.  Die  Erklärung  mag  in  der 
sofortigen  Gerinnung  der  Albuminate  durch 
die  Carbolsäure  und  in  deren  Gebundenwer- 
den hierdurch  gesucht  werden.  Es  ist  ja 
bekannt,  dass  schwache  Carbollösungen  leich- 
ter Intoxication  bedingen,  als  starke.  Im- 
merhin war  mir  die  erste  Carbolinjection, 
welche  ich  vornahm ,  etwas  unheimlich. 
Heute  kann  ich  die  Angabe  von  Levis  in 
dieser  Beziehung  bestätigen.  Einen  beson- 
deren Fall  werde  ich  weiter  unten  be- 
sprechen. 

Die  Carbolinjection  hat  natürlich  eine 
Aetzwirkung  auf  die  Tunica  vaginalis  zur 
Folge.  In  einem  Falle  war  Gelegenheit, 
das  direct  nachzuweisen;  der  Aetzschorf  hatte 
hier  eine  Dicke  von  1  —  2  mm,  ging  jedoch 
nicht  auf  das  Hodengewebe  über  (cf.  unten). 
In  zwei  Fällen  bildete  sich  bald  nach  der 
Injection  eine  stärkere  Hydrocele  wieder, 
deren  Inhalt  punctirt  und  untersucht  werden 
konnte:  es  fand  sich  nicht  die  geringste 
Menge  Carbolsäure  in  der  punctirten  Flüssig- 
keit. Bei  einem  Kranken  war  ich  in  der 
Lage,  ein  nach  der  Carbolinjection  entstan- 
denes Recidiv  fast  5  Monate  später  mit  dem 


Min  1889.  J 


H  e  1  f  •  r  i  e  h ,  Behandlung  der  Hydroeele  vaginalis  mittelst  I^Jeetion  reiner  Cart>olsJture .        9d 


Schnitt  radical  zu  operiren;  Hoden  und  Ne- 
benboden zeigten  sieb  normal,  die  Tunica 
parietal  is  matt  weiss  und  stark  verdickt,  die 
Hydrocelenfliissigkeit  etwas  trübe.  Die  ge- 
spräcbsweise  geäusserte  Befürchtung,  der  Ho- 
den mochte  durch  die  Carbolinjection  gan- 
gränös werden,  ist  demnach  unbegründet 

Ob  aber  die  Carbolinjection  immer  und 
unter  allen  Umständen  unbedenklich  ist, 
diese  Frage  kann  ich  nicht  einfach  bejahen, 
nachdem  ich  eine  eigenthümliche  Beobach- 
tung gemacht  habe,  die  ich  in  Folgendem 
kurz  mittheile. 

Der  34  j.  Arbeiter  P.  wurde  am  30.  Januar 
1888  mit  Hjdrocele  Taginalis  dextr.  io  die  Klinik 
anfgeDommen.  Da  eine  möglichst  kurz  dauernde 
Behandlung  erwünscht  war,  yoUfuhrte  ich  am 
31.  Janaar  selbst  die  Carbolinjection  (etwa  3,6  g 
95  ^/q  Carbolsäure)  in  der  gewöhnlichen  Weise  und 
ohne  jeden  Zwischenfall.  Nachmittags  legt  sich 
Fat.  zu  Bett.  Das  Scrotum  schwillt  enorm  an 
und  erweist  sich  Abends  halb  8  Uhr  als  manns- 
kopfgross,  prall  gespannt,  äusserst  schmerzhaft ;  der 
Fat.  ohnmächtig  und  fast  pulslos;  eine  Function 
des  Scrotum  hat  keine  Entleerung  zur  Folge. 
Der  Anfall  geht  unter  geeigneten  Mitteln  vorüber. 
Sofort  wird  auf  dem  Operationstisch  nach  gehöriger 
Reinigung  ein  grosser  Schnitt  über  den  ganzen 
Hodensack  gemacht.  Das  Zellgewebe  zeigt  sich 
blutig  sugillirt;  grosse  Blutcoagula  werden  aus  den 
erweiterten  Gewcbsmaschen  entfernt.  Die  Tunica 
vag.  enthält  ca.  10  ccm  einer  bräunlichen  Flüssig- 
keit; ihre  Innenfläche  ist  weisslich,  wie  angeätzt. 
Die  Entspannung  der  mächtigen  Geschwulst,  welche 
offenbar  einen  starken  Druck  auf  den  Testikel  aus- 
übte, hatte  eine  sofortige  Besserung  der  Allgemein- 
erscheinungen zur  Folge,  und  es  konnte  nunmehr 
in  Chloroformnarkose  die  Exstirpation  des  schwer 
gefährdeten  Hodens  nebst  dem  umgebenden,  stark 
sugillirten  Gewebe  Tollzogen  werden.  Einige  Liga- 
turen; lockere  Jodoformtamponade. 

Auf  meine  Bitte  hatte  Herr  College  Grawitz 
die  Freundlichkeit,  die  Untersuchung  des  Prä- 
parates selbst  zu  übernehmen,  und  ich  theile  seine 
Aufzeichnungen  im  Folgenden  mit:  der  Hoden  ist 
Ton  einer  dicken  Schicht  blutig  infiltrirten  Binde- 
gewebes umgeben.  Der  Hjdrocelensack,  faustgross, 
enthält  einzelne  erbsengrosse  Bröckel  bräunlichen 
trockenen,  wie  in  Alkohol  abs.  coagulirten  Blutes. 
Die  Farbe  der  im  Ganzen  glatten  Innenfläche  ist 
gleichmässig  grauweiss,  opak,  offenbar  durch  Aetzung. 
Beim  Einschneiden  zeigt  sich  der  Ueberzug  des 
Hodens  von  pergamentöser  Derbheit,  er  ist  1 — 2  mm 
dick.  „Diese  Haut  ist  jedoch  nicht  ganz  yerschorft, 
da  man  an  feinen  Schnitten  noch  eine  minimale 
weiche  Zone  zwischen  Schorf  und  Hodenparenchjm 
nachweisen  kann.**  Die  äussere  Wand  des  Hjdro- 
celensackes  3 — 4  mm  dick,  faserig;  an  der  Innen- 
seite ca.  1  mm  tief  geätzt.  „Nach  aussen  schliesst 
sich  an  die  Tunica  vaginalis  eine  dicke  Schicht 
losen  Ödematösen  Bindegewebes  an,  welche  nur 
in  nächster  Umgebung  des  Hydrocelensackes  gelb- 
lich und  YÖllig  zart  durchscheinend  ist,  in  weiterer 
Entfernung  aber  durch  hämorrhagische  Infiltration 
in  einen  weichen  feuchten  rothen  Gewebsklumpen 


Terwandelt  ist.  Auf  Lackmuspapier  reagirt  die 
Oedemflüssigkeit  alkalisch;  auch  das  Hodenparen- 
chjm ist  etwas  ödematös,  reagirt  alkalisch.**  „Mi- 
kroscopisch  erkennt  man  in  der  geätzten  Innen- 
fläche des  Hydrocelensackes  Bindegewebe  von 
eigenthümlich  trübem  dunklon  Aussehen  (schwache 
Vergr.),  welches  durch  eine  Verfilzung  feinster 
fibrinähnlicher  Fasern  zu  Stande  kommt.  Darin 
sind  Blutgefässe  nicht  zu  sehen.  Unter  dieser 
dunklen  innersten  Schicht  liegt  eine  helle  Lamelle 
homogener  oder  faseriger  Structur,  welche  Blut- 
gefässe in  ziemlich  reichlicher  Menge  einschliesst. 
Das  Blut  in  diesen  ist  z.  Th.  coagulirt,  unter  Er- 
haltung bräunlicher  rother  Blutscheiben,  z.  Th.  ist 
es  diffus  braun  gefärbt  und  hat  die  Wand  der 
kleinen  Gefässe  diffus  gelbbraun  imbibirt.  Unter 
dieser  geätzten  Zone  beginnt  mit  schwer  erkenn- 
barer Grenze  das  dicke  Bindegewebslager,  welches 
von  natürlichem,  frischem  Aussehen  ist,  und  in- 
tacte  Gefässe  mit  normalen  rothen  Blutkörperchen 
führt.  In  dieser  Schicht  stösst  man  vielfach  auf 
Gefässlumina,  welche  ganz  von  Leucocythen  erfüllt 
sind.  Auch  frei  im  Gewebe  finden  sich  proliferirte 
grosse  Gewebszellen  und  farblose  Wanderzellen." 
Seine  Diagnose  fasst  College  Grawitz  zusammen: 
„Aetzung  im  Inneren  des  Hydrocelensackes. 
Oedem  im  interstitiellen  Gewebe  des  Hodens  und 
dem  losen  Bindegewebe  um  den  Sack.  Blutung 
in  weiterer  Entfernung,  also  nicht  durch  directe 
Aetzwirkung  entstanden.''  Der  Verlauf  der  Wund- 
heilung war  in  der  Folge  nicht  gestört.  Die  Hei- 
lung erfolgte  ohne  weiteren  Zwischenfall. 

Was  war  nun  die  Ursache  dieses  Zufalles  ? 
War  es  die  Carbolinjection,  welche  ich  vor- 
her in  81  Fällen  als  einen  harmlosen  Ein- 
griff kennen  gelernt,  und  welche  Levis  viel 
häufiger  verwendet  hat,  ohne  jemals  auch 
nur  übermässige  Entzündung  und  Eiterung 
zu  beobachten?  Eine  genaue  Anamnese  er- 
gab nachträglich,  dass  bei  dem  Patienten 
von  jeher  kleine  Wunden  sehr  lange  und 
hartnäckig  bluteten  und  dass  Contusionen 
immer  zu  ausgedehnten  Extravasaten  Veran- 
lassung gaben.  Es  mag  also  richtig  erschei- 
nen, Haemophilie  anzunehmen.  Aber  hat 
die  Function  einer  Hydroeele  bei  einem 
Haemophilen  jemals  einen  solchen  Effect  ge- 
habt? Mir  ist  kein  Fall  derart  bekannt, 
und  ich  bin  geneigt  anzunehmen,  dass  in 
diesem  Falle  die  Injection  reizender  Flüssig- 
keit bei  bestehender  Haemophilie  zu  dem 
beschriebenen  schweren  Verlaufe  die  Veran- 
lassung gab.  Die  Injection  von  Jodtinctur 
hätte  wohl  dieselben  Folgen  gehabt  unter 
solchen  Umständen. 

Nach  dieser  Erfahrung  ist  meine  Zu- 
stimmung, dass  unter  gewissen  Verhältnissen 
die  Injectionsbehandlung  indicirt  sei,  etwas 
abgekühlt  worden.  Wie  steht  es  nun  endlich 
mit  den  Resultaten  der  amerikanischen  Me- 
thode? 

Ausser  den  beiden  ersten  Münchener 
Fällen  verfüge  ich  über  29  weitere  an  27  Pa- 

18  • 


100     Oliven,  Behandlung  von  Phthlsikern  mit  Rectalii^ectlonen  von  fldstiger  KohlentAura.        iMn'^!!^^!^* 


tienteD.  üeber  25  derselben  ist  neuerdings 
in  einer  Dissertation  von  A.  Seidel  ausfuhr- 
licher, im  Ganzen  correct,  berichtet.  Von 
diesen  29  nach  Levis  operirten  Fällen  ist 
das  Endresultat  bei  zweien  unbekannt  ge- 
blieben. Bleiben  also  27,  von  welchen  21 
geheilt  sind.  Von  6  Recidiven  sind  4  zum 
zweiten  Mal  ebenso  operirt  und  3  davon  ge- 
heilt; in  einem  Falle  blieb  auch  die  zweit- 
malige  Injection  erfolglos.  An  einem  der 
Recidive  wurde  die  Radicaloperation  mit 
Erfolg  gemacht,  und  beim  letzten  wurde  ein 
weiterer  Eingriff  bisher  nicht  vorgenommen. 
Die  Resultate  sind  demnach  unsicher  und 
können  mit  denen  der  Jodin jection  gar  nicht 
wetteifern;  noch  viel  weniger  mit  denen  der 
Radicaloperation.  Levis  behauptet  die  vol- 
lige Sicherheit  des  Erfolges,  wenn  er  auch 
zugiebt,  dass  ihm  Misserfolge  der  Carbolin- 
jection  von  anderer  Seite  zu  Ohren  gekommen 
sind.  Wenn  das  Verfahren  aber  in  anderen 
Händen  nicht  mehr  leistet,  als  oben  ange- 
geben, so  ist  damit  sein  XJrtheil  gesprochen. 
Als  ein  durch  annähernd  sicheren  Erfolg 
empfehlenswerthes  Verfahren  wird  die  Car- 
boliujection  nicht  gelten  können,  und  es 
wird  richtig  sein,  in  jedem  Fall  von  Hydro- 
cele  zur  Vornahme  der  Radicaloperation  zu 
rathen.  Nur  in  AusnahmeföUen  ist  das  In- 
jections verfahren  berechtigt. 


(Aus    der    medidnischen    Abthellang    des    Herrn    Professor 
Rosenbach  Im  Hospital  zu  Allerheiligen  In  Breslau.) 

Ueber  die  Behandlungr  von  Phthlsikern 

mit  Rectaliiijectiouen  von  flüssisrer 

Kohlensäure* 

Von 

Dr.  Max  Oliven,  Coassistent. 

Die  grosse  Widerstandsfähigkeit  der 
phthisischen  Lnngenprocesse  gegen  jedes  bis 
jetzt  gebräuchliche  Heilmittel  zwingt  zu 
immer  neuen  Versuchen,  um  eventuell  auf 
anderen  Wegen  als  den  bisherigen  eine 
Krankheit,  die  statistisch  die  grösste  abso- 
lute Sterblichkeitsziffer  aufweist,  anzugreifen. 
Die  Therapie  der  Phthise  hat  sämmtliche 
Anwendungsarten  durchgemacht,  die  bei  dem 
heutigen  Stande  der  Wissenschaft  dem  Arzte 
zu  Gebote  stehen.  Die  Anwendung  aller 
möglichen  internen  Mittel,  Inhalationen  der 
verschiedensten  Art,  subcutane  Injectionen 
und  Injectionen  in  die  erkrankten  Gewebe, 
wie  sie  auch  auf  hiesiger  Abtheilung  ange- 
wandt wurden,  sind  bis  jetzt  ohne  nennens- 


werthen  Erfolg  versucht  worden.  Denn  man 
darf  sich  nicht  darüber  täuschen,  dass  auch 
in  denjenigen  Fällen,  in  denen  ein  Mittel 
nicht  reclamemässig,  sondern  angeblich  auf 
Grund  wissenschaftlicher  Beobachtung  ange- 
priesen wird,  die  Erfolge  meist  nicht  mit 
dem  kritischen  Auge  gesichtet  worden  sind, 
mit  dem  man  heute,  wo  man  den  Verlauf 
pathologischer  Processe  in  allen  seinen 
Schwankungen  genauer  als  je  zu  verfolgen 
versteht,  jedes  therapeutische  Ergebniss  auf 
seinen  wahren  Werth  zu  prijfen  hat.  So 
lange  diese  Gesichtspunkte  nicht  überall  zur 
Geltung  gebracht  werden,  so  lange  werden 
wir  über  den  wahren  therapeutischen  Werth 
eines  Medicamentes  nicht  mit  Sicherheit 
Aufschluss  erhalten  und  können  selbst  an- 
scheinend prägnante  Erfolge  nicht  als  ein- 
wandsfrei  gelten  lassen.  In  den  letzten 
Jahren  hat  man,  seitdem  man  über  die 
grosse  Resorptionsfahigkeit  des  Darmes  ge- 
nauer orientirt  ist,  Versuche  gemacht,  irre- 
spirable  Gase  und  unter  diesen  an  erster 
Stelle  Kohlensäure  per  rectum  einzuführen, 
um  vermittelst  ihrer  Ausscheidung  durch 
die  Lungen  auf  diese  selbst  möglichst  gleich- 
massig  und  energisch  einzuwirken. 

Dieses  Verfahren,  schon  in  verschiedenen 
Hospitälern  angewandt  und  als  Exhalations- 
methode  bezeichnet,  hat  bis  jetzt  wegen 
seiner  Umständlichkeit  wenig  Anklang  in 
weiteren  Kreisen  gefunden.  Die  Kohlensäure 
musste  nämlich  erst  kurz  vor  ihrer  Anwen- 
dung am  Kranken  erzeugt  werden.  Dieser 
Uebelstand  ist  nun  dadurch  gehoben,  dass 
man  in  den  Stand  gesetzt  ist,  flüssige 
Kohlensäure,  die  in  gusseisernen,  auf  ihre 
Dichtigkeit  geprüften  Ballons  verkäuflich  ist, 
in  Anwendung  zu  bringen  und  damit  ohne 
jede  Schwierigkeit  sofort  und  in  einer  genau 
zu  dosirenden  Menge  das  Medicament  ein- 
wirken zu  lassen^). 

Da  nach  den  oben  dargelegten  Gesichts- 
punkten eine  einwandsfreie  Prüfung  der 
Methode  einen  sehr  langen  Zeitraum  erfor- 
dert, und  da  gerade  die  Verhältnisse  der 
Hospitalpraxis  nicht  recht  geeignet  sind,  den 
Werth  oder  ünwerth  einer  Methode  der 
Phthisenbehandlung  recht  klar  ins  Licht  zu 
setzen,  so  hat  Herr  Professor  Rosenbach 
die  Versuche  hauptsächlich  zu  dem  Zwecke 
unternehmen  lassen,  um  zu  prüfen,  in  welcher 
Weise   die  Eingiessungen   subjectiv  von  den 

*)  Derartige  Apparate,  welche  1000  Liter  Kohlen- 
säure enthalten  und  selbst  bei  mehrmaliger  täg- 
licher Anwendung  unter  fast  constant  bleibendem 
Druck  für  zwei  Monate  ausreichen,  sind  uns  von 
Herrn  Apotheker  G.  Nithak  in  Obemigk  (Schle- 
sien), der  dieselben  nebst  Gebrauchsanweisung  liefert 
und  die  WiederfüUung  der  entleerten  Ballons  über 
nimmt,  zur  Verfügung  gestellt  worden. 


^MiS^l^fO       OHven,  Behandlung  von  PhtbUikern  mit  RectaliAJectionen  von  nUuiger  Kohlensäure.         101 


Patienten  vertragen  werden,  ob  man  es  bei 
dem  grossen  Druck  der  flüssigen  Kohlen- 
säure ohne  Nachtheile  für  den  Kranken 
wagen  kann,  derartige  Eingiessungen  zu 
machen,  ob  die  Methode  für  die  Privatpraxis 
hinreichend  bequem  ist,  wie  sich  femer  die 
Resorptionsverhältnisse  gestalten  und  ob  auf 
irgend  welche  der  häufigeren  Symptome 
(Fieber,  Schweiss,  Appetit  etc.)  durch  die 
Behandlung  ein  besonderer  Einfluss  ausgeübt 
wird.  Zugleich  schien  es  uns  ein  nicht  un- 
wesentlicher Factor  bei  der  grossen  Zahl  der 
Phthisiker,  die  im  hiesigen  Hospital  Auf- 
nahme finden,  zu  sein,  ein  neues  Verfahren 
einzuführen,  welches,  wenn  bei  der  langen 
Krankheitsdauer  alle  übrigen  Mittel  erschöpft 
sind,  geeignet  ist,  eine  Abwechslung  in  der 
Therapie  herbeizuführen  und,  wenn  auch  nur 
für  kurze  Zeit,  die  Hoffnung  der  der  inter- 
nen Behandlung  bald  nicht  mehr  vertrauen- 
den Kranken  zu  heben. 

Die  schwersten  Fälle  haben  wir  nach 
wenigen  Versuchen  bald  ausgeschlossen^  da 
sich  bei  ihnen  weder  ein  sicherer  subjectiver 
noch  objectiver  Befund  erheben  liess.  Auch 
die  leichteren  sind  nur  mit  grosser  Vorsicht 
zu  beurtheilen,  da,  wie  dies  bei  ähnlichen 
Versuchen  bereits  von  anderen  Autoren  er- 
wähnt worden  ist  und  in  der  Natur  der 
Sache  liegt,  mit  der  Aufnahme  in  das  Hos- 
pital sich  die  äusseren  Verhältnisse  bessern 
und  die  grossere  Ruhe  und  bessere  Ver- 
pflegung auch  ohne  jede  Therapie  von  gün- 
stigem Einfluss  auf  den  erkrankten  Orga- 
nismus ist. 

Die  Procedur  wurde  derartig  vorgenom- 
men,  dass  in  Rückenlage  ein  Nelaton- 
scher  Katheter  massig  hoch  per  rectum, 
welches  vorher  entleert  werden  muss,  da 
der  den  Katheter  verstopfende  Koth  im  un- 
teren Rectal  abschnitt  ein  häufiges  Hinderniss 
für  das  Einströmen  ist,  eingeführt  und  durch 
Regulirung  der  am  Apparat  angebrachten 
Schrauben  und  Manometer vomch tu ng,  durch 
welche  die  ausströmende  Menge  des  Gases 
bestimmt  wird,  so  viel  Kohlensäure  einge- 
lassen wurde,  als  der  Patient  vertrug.  So- 
bald derselbe  über  starke  Spannung  klagte, 
wurde  der  Apparat  abgestellt,  und  die 
Sitzung  war  in  durchschnittlich  3 — 4  Mi- 
nuten vorüber.  Soweit  sich  die  Menge  der 
Kohlensäure  abschätzen  liess,  wurden  in 
jeder  Sitzung  2 — 4  Liter  verbraucht.  Das 
Abdomen  schwoll  während  des  Einströmens 
sichtbar  an,  und  es  traten  die  Erscheinungen 
eines  massigen  Meteorismus  deutlich  zu  Tage. 
Weder  während  noch  nach  der  Sitzung  ent- 
wich, bei  zweckmässigem  Verhalten  des 
Patienten,  die  Kohlensäure,  indem  die  Rec- 
talmusculatur    vollkommen  im  Stande  war, 


sowohl  das  einströmende  wie  das  einge- 
strömte Gas  bis  zu  einer  bestimmten  Menge 
zurückzuhalten.  Die  Kranken  wurden  nun 
aufgefordert,  die  eingelassene  Kohlensäure 
nicht  per  flatus  entweichen  zu  lassen,  und 
es  enthielt  alsdann  die  Spannung  des  Leibes 
Va  bis  1^9  Stunden  an  und  war  nach  dieser 
Zeit  vollkommen  geschwunden.  Wenn  bei 
Patienten  das  Gas  während  der  Injection 
aus  dem  Anus  entwich,  so  wurde  durch 
blosses  Andrücken  eines  Wattebausches  gegen 
die  Anusöffnung  ein  genügender  Verschluss 
erzielt. 

Die  Procedur  an  und  für  sich  wurde  von 
allen  Patienten  ohne  besondere  Beschwerden 
ertragen,  mit  Ausnahme  einer  einzigen  Pa- 
tientin, die,  durch  den  langen  Krankheits- 
verlauf unleidlich  geworden  und  durch  die 
entstehende  Schwellung  des  Leibes  erschreckt, 
sich  der  weiteren  Behandlung  widersetzte. 
Bald  nach  dem  Einströmen  der  Kohlensäure 
stellte  sich  ein  leichter  Defäcations-  und 
Urindrang  oder  ein  leichtes  Brennen  im 
Rectum  ein,  das  aber  ohne  besondere  Ueber- 
windung  unterdrückt  werden  konnte. 

Was  nun  den  therapeutischen  Erfolg  in 
Bezug  auf  die  Symptomerscheinungen  der 
Phthise:  das  Fieber,  den  Appetit  und  das 
Allgemeinbefinden  und  den  Schweiss  anlangt, 
so  wurden  folgende  Beobachtungen  gemacht. 

Die  scheinbar  günstigsten  Resultate  er- 
zielten wir  bei  Patienten,  deren  Fiebercurven 
sich  in  mittleren  Grenzen,  37,7  —  38,5,  hiel- 
ten. Hier  sahen  wir  häufig  nach  wenigen 
Sitzungen  eine  deutliche  Abnahme  des  Fiebers, 
und  es  kehrte  die  Temperatur  im  weiteren 
Verlaufe  zur  vollkommenen  Norm  zurück. 

Bei  Patienten,  welche  sehr  steile  Curven 
aufwiesen,  Abendtemperaturen  von  39,5 — 40,5, 
Morgen temperaturen  von  37,  war  der  Einfluss 
ein  viel  geringerer.  Die  Höhe  der  Curven 
sank  wohl  um  einige  Zehntel  herab,  doch 
konnte  die  Temperatur  nicht  auf  diesem 
Standpunkt  erhalten  werden  und  kehrte  trotz 
anhaltender  Kohlensäureanwendung  stets  zu 
ihrer  alten  Höhe  zurück.  Das  gleiche  Re- 
sultat ergab  sich  bei  Phthisikern  mit  conti- 
nuirlichem  hohen  Fieber.  Auch  hier  machte 
sich  wohl  ein  geringer  Rückgang  bemerkbar, 
ohne  aber  von  längerer  Dauer  zu  sein. 

In  wie  weit  bei  dieser  Verminderung  der 
Temperatur  die  Kohlensäure-Injection  als 
Ursache  in  Betracht  kommt,  ist  schwer  zu 
sagen.  Es  ist  jedenfalls  nicht  angängig,  die 
beobachteten  Differenzen  in  der  Temperatur 
allein  auf  die  Kohlensäure  zu  beziehen,  da 
ja  bei  einer  grossen  Reihe  von  Phthisikern 
die  Temperatur  überhaupt  inconstant  ist, 
und  da  die  von  uns  zur  Controle  indifferent 
behandelten  Phthisiker  ähnliche  Remissionen 


102     Oliven,  Behandlung  von  Phthitikern  mit  RectaliiOectionen  von  flüssiger  Kohlensäure.       P^^^nü^^* 


aufwiesen,  um  diese  Fehlerquelle  einiger- 
massen  auszuschalten,  haben  wir  den  Ver- 
such nur  an  Kranken  angestellt,  bei  denen 
der  günstige  Einfluss  der  Hospitalpflege 
durch  einen  längeren  Aufenthalt  auf  der  Ab- 
theilung bereits  zvi  Tage  getreten  und  bei 
denen  somit  auf  eine  gewisse  Constanz  der 
Erscheinungen  zu  rechnen  war.  Doch  liegt 
es  auf  der  Hand,  dass  auch  bei  solchen 
Kranken  stets  auf  Schwankungen  in  den 
Symptomen,  die  von  Veränderungen  des 
Grundleidens  abhängen,  gerechnet  werden 
muss. 

Das  positiv  günstigste  Resultat  erzielten 
wir  anscheinend  in  Bezug  auf  das  Allge- 
meinbefinden und  den  Appetit  der  Patienten, 
indem  selbst  bei  solchen,  welche  längere 
Zeit  an  Appetitlosigkeit  gelitten  hatten,  sich 
in  kurzer  Zeit  der  Appetit  hob,  während 
die  Kranken  gleichzeitig  sich  leichter  und 
w^ohler  fühlten.  Auch  hier  bleibt  natürlich 
die  Frage  eine  offene,  in  wie  weit  der 
psychische  Factor®)  bei  den  Angaben  der 
Patienten,  die  das  Verfahren  meist  mit 
grossem  Interesse  verfolgten,  eine  Rolle 
spielt;  denn  es  lässt  sich  nicht  leugoeo, 
dass  diejenigen  Patienten,  die  einer  activen 
Behandlung  mehr  zuzuneigen  schienen,  als 
andere,  auch  einen  bei  weitem  günstigeren 
Einfluss  der  Methode  auf  ihr  Allgemeinbe- 
finden zu  berichten  hatten,  als  diejenigen, 
die  jeder  Neuerung  widerstrebten. 

Was  den  dritten  Punkt,  die  Schweisse 
der  Phthisiker,  anlangt,  so  haben  wir  bei 
einer  grosseren  Anzahl,  wenn  auch  kein  voll- 
kommenes Schwinden,  so  doch  eine  zeit- 
weise beträchtliche  Abnahme  dieses  Sym- 
ptoms bemerkt,  und  die  Patienten  verfehlten 
nicht,  nach  der  Kohlensäureinjection,  mit 
der  sie  das  Ausbleiben  der  ihnen  so  lästigen 
Erscheinung  in  Zusammenhang  brachten, 
dringend  zu  verlangen.  Es  wird  Sache  der 
weiteren  Untersuchung  sein,  festzustellen, 
ob  ein  Zusammenhang  der  anscheinenden 
Erfolge  mit  der  oben  geschilderten  Therapie 
wirklich  vorhanden  ist,  wie  überhaupt  erst 
eine  vielmonatliche  Anwendung  der  Kohlen- 
säurebehandlung, die  nur  Sache  der  besseren 
Privatpraxis  sein  kann,  ein  endgültiges  ür- 
theil  über  den  Werth  resp.  die  Unbrauch- 
barkeit  der  Methode  zeitigen  kann;  uns  kam 
es  bei  der  vorliegenden  Veröffentlichung  nur 
darauf  an,  im  Allgemeinen  zu  constatiren, 
ob  die  Anwendung  der  flüssigen  Kohlensäure 
ein  den  Patienten  nicht  belästigendes  und 
für  den  Arzt  (resp.  Patienten)  leicht  aus- 
führbares Verfahren  repräsentire,    und  diese 

')  Vgl.  0.  Rosenbach,  Bemerkungen  zur  Me- 
thodik der  Prüfung  von  Schlafmitteln.  Berl,  Klin. 
Wüchenschr.  1888  No.  24. 


beiden  Punkte    können    wir   mit  voller  Ge- 
wissheit bejahen^). 

Meinem  hochverehrten  Lehrer  und  Chef, 
Herrn  Professor  Rosenbach,  sage  ich  für 
die  Anregung  und  freundliche  Unterstützung 
bei  den  vorliegenden  Versuchen  meinen 
besten  Dank. 


(Aoj  dem  phftrmftkologischen  Inititate  zu  Berlin.) 

Sublimat-Ijanolin  als  Antisepticuni« 

Ein  Beitrag  zur  Frage  der  desinficirenden  Wirkung 

von  Salben. 

Von 

Dr.  A.  Qottsfein,  pr.  Arzt  in  Berlin. 

Bekanntlich  hat  Koch  in  seiner  Unter- 
suchung über  Desinfection  (Mittheilungen 
aus  dem  Kaiserlichen  Gesundheitsamt.  Erster 
Band  1881)  den  Nachweis  geliefert,  dass 
Carbolsäure  in  Oel  oder  Alkohol  ge- 
lost auch  nicht  die  geringste  desin- 
ficirende  Wirkung  ausübt.  Diese  merk- 
würdige Erscheinung,  über  deren  chemische  Ur- 
sachen eine  w^eitere  Untersuchung  von  Wolff- 
hü gel  in  demselben  Bande  vorliegt,  beschränkt 
sich  nach  Koch  übrigens  nicht  allein  auf  die 
Carbolsäure,  sondern  wiederholt  sich  auch  bei 
anderen  Stoffen,  wie  Salicylsäure,  Thymol, 
vermuthlich  auch  noch  bei  vielen  anderen 
in  gleicher  Weise.  Koch  betont,  dass  diese 
Frage  durchaus  nicht  allein,  ein  theoretisches 
Interesse  beansprucht.  ^Auch  die  Desin- 
fectionspraxis  kennt  eine  andere  als  die 
wässrige  Lösung  der  Carbolsäure,  nämlich 
die  in  Oel  und  empfiehlt  sie  für  Verhältnisse, 
unter  denen  eine  Unzuverlässigkeit  dieses 
Mittels  von  der  schwerwiegendsten  Bedeutung 
sein  muss;  ich  meine,  die  Desinfection  von 
Händen  und  Instrumenten  der  Hebeamme. 
Und  welch  festes  Vertrauen  die  Chirurgie 
auf  die  sicher  desinficirende  Wirkung  des 
CarbolÖls  setzt,  weiss  Jeder." 

Seit  der  Feststellung  dieser  wichtigen 
Thatsacheu  ist  die  Anwendung  der  Anti- 
septica  in  anderen  Formen,  als  der  wässrigen 
Lösung,  für  die  Praxis  abgethan  gewesen 
und  für  die  Verwendung  derselben  in  Salben- 
form fehlte  jede  Berechtigung;  so  sehr  zu  die- 
sem Verzicht  die  K  0  c  hasche  Entdeckung  zwang, 
so  musste  derselbe  doch  vielfach  für  die  Praxis 
eine  bedauerliche  Lücke  verursachen,  denn  es 
giebt  genug  Fälle,  in  denen  der  innige  Contact 
zwischen  Antisepticum  und  dem   zu  desinfi- 


^)  Eine  ausführliche  Mittheilnng  über  die  An- 
wendung der  flüssigen  Kohlensäure  zu  diagnostischen 
Zwecken  (bei  Darm-  und  Magenleiden)  wird  Herr 
Professor  Rosenbach  demnächst  an  anderer  Stelle 
veröffentlichen. 


lOL  Jahrgang.*! 
Min  1889.  J 


Gottstein,  Sublimat-Lanolin  als  Antlsepticum. 


103 


cirenden   Objecte    sicherer    und    anhaltender 
durch  eine  fettige  Mischung,   als  durch  eine 
wässrige  Lösung  zu  erreichen  ist.     Um  hiefür 
nur  ein  Beispiel  anzuführen,  so  hat  z.  B.  erst 
neuerdings   Fürbringer    in    seinen    „Unter- 
suchungen und  Vorschriften  über  die  Desin- 
fection   der  Hände  des  Arztes"  (Wiesbaden, 
Bergmann   1888)   betont,   dass  die  bisherigen 
Methoden  zur  Sterilisirung  der  Hände  strengen 
Anforderungen    nicht    ganz    zu    entsprechen 
vermögen,    weil    das   fettige   Hautsecret  die 
zur  Tödtung  der  Keime  erforderliche   Adhä- 
sion   der   antiseptischen  Lösungen   nicht   zu- 
lässt.     Und  gerade  zur  Hebung  dieses  Uebel- 
standes  hat  Fürbringer  sein  neues  Yerfahren 
angegeben,    bei    welchem    „neben   der   Seife 
dem  Alkohol  der  Löwenantheil  an  dem  Des- 
infectionserfolge  gebührt,  nicht  sowohl  wegen 
seiner  antiseptischen,    als  wegen  der  bereits 
erörterten   vorbereitenden   Wirkung".     Diese 
vorbereitende  Wirkung  wäre  anscheinend  noch 
viel    einfacher   zu   erzielen,    wenn   das   Anti- 
septicum   in    einer   fettigen   Mischung   verab- 
reicht würde;  es  würde  sich  für  den  vorliegen- 
den Fall  noch  der  weitere  ganz  unschätzbare 
Vorzug  der  Schonung  der  Epidermis  ergeben, 
denn  die  übrigen  Verfahren   greifen   dieselbe 
mehr  oder  weniger  an,  im  günstigsten  Falle 
schaden    sie    derselben    nicht,    berauben    sie 
aber  ihres  schützenden  Ueberzuges ;  und  doch 
hat  keiner  der  zahlreichen  Forscher  auf  diesem 
Gebiete  auch  nur  die  Möglichkeit  einer  Ver- 
wendung  der  Antiseptica   in  fettiger  Grund- 
lage   in   Betracht    gezogen    und    mit   Recht, 
denn   die  Koch'sche  Entdeckung  liess  diese 
Möglichkeit  nicht  zu.   Das  gleiche  gilt  für  die 
Wundbehandlung.    Im  Besitz  einer  sicher 
antiseptisch    wirkenden    Salbe    könnten    wir 
eine  Wunde  mit  einer  ganz  geringen  Menge 
derselben  bedecken  und  zugleich  der  Vorzüge 
einer   sicheren    Adhäsion    des    Antisepticums 
und  einer  Dauerwirkung  desselben  unter  Ab- 
schluss     der    äusseren     Luft     uns     erfreuen, 
während  im  Vergleich  zur  wässrigen  Irrigation 
nur   minimale  Mengen    des  giftigen  Antisep- 
ticums mit  der  resorbirenden  Flache  in  Be- 
rührung  kommen.     Aber   auf  eine  derartige 
Verwendung  musste  verzichtet  werden,  denn 
die    in    Fett    löslichen    Antiseptica    wirkten 
eben  nicht  desinficirend,  und  die  in  demselben 
unlöslichen,  also  vor  Allem  Sublimat,  kamen 
nicht   in  Frage,    denn   es  gab  keine  Salben- 
grundlage,   welche    wirklich   eine   homogene 
Mischung  mit  wässrigen  Lösungen  des  Anti- 
septicums  gestattete.      Hiezu   kam    als   wei- 
terer Umstand,    dass   die  wenigsten  Salben- 
grundlagen an  sich  unzersetzlich  und  reizlos 
waren. 

Nachdem   das  Lanolin    in   die  ärztliche 
Praxis  durch  Liebreich  eingeführt  war,  lag 


es  nahe  zu  prüfen,  ob  durch  dieses  Mittel 
die  obengenannte  Lücke  ausgefüllt  werden 
konnte.  Es  forderten  zu  dieser  Untersuchung 
vorzugsweise  zwei  Eigenschaften  des  Lanolins 
heraus,  nämlich  erstens  seine  Fähigkeit  grosse 
Mengen  Wassers  aufzunehmen,  durch  welche 
es  gelingt,  auch  mit  solchen  Stofifen  gleich- 
massige  Mischungen  zu  erzielen,  welche  an 
sich  in  Fetten  unlöslich  sind,  und  zweitens 
die  von  mir  erwiesene  Eigenschaft  des  La- 
nolins durch  Mikroorganismen  unzersetzbar 
und  für  dieselben  undurchgängig  zu  sein 
(Berl.  klin.  Wochschr.  1887  S.  907).  Es  sind 
dies  zwei  Eigenschaften,  welche  sich  ver- 
eint wohl  bei  keinem  der  Körper  finden,  die 
wegen  ihrer  physikalischen  oder  chemischen 
Eigenschaften  als  Salbengrundlagen  Verwen- 
dung gefunden  haben.  Es  galt  daher  zu 
prüfen,  wie  sich  die  Antiseptica  in  einer 
Lanolinmischung  verhalten,  und  es  war  hierbei 
streng  zu  unterscheiden  zwischen  den  in 
Fetten  löslichen  und  den  in  solchen  unlös- 
lichen Körpern,  als  deren  Repräsentant  haupt- 
sächlich unser  stärkstes  Desinficiens,  Sublimat, 
in  Frage  kam. 

Die  in  Fetten  löslichen  Antiseptica 
verhalten    sich   mit   Lanolin    gemischt   genau 
wie    nach    der   Koch'schen   Entdeckung   die 
öligen    Lösungen,      d.    h.     sie     sind    anti- 
septisch   absolut    unwirksam.      Ich   be- 
nutzte zu  meinen  Versuchen  Salbenmischun- 
gen,   welche  Carbol,    Thymol,   Menthol   mit 
wasserhaltigem   Lanolin    im   Verhältniss   bis 
z^    ö°/o    gemischt    enthielten.      Von    diesen 
Salben   wurden   geringe  Mengen  mit   einigen 
Tropfen  verflüssigter  Cultur  von  M.  prodigiosus 
oder   B.  fluorescens    liquefaciens    innig    ver- 
rührt  und   Spuren    der   Mischung    mit    dem 
Platindraht  nach    5  Minuten,    einer    Stunde, 
24  Stunden    auf  Nährgelatine   gebracht,    auf 
welcher  dann  stets  ungestörte  Entwickelung 
stattfand.     Es   gilt   für  dies  Verhalten  wohl 
dieselbe  Ursache,  wie  sie  Wolffhügel  1.  c. 
für  das  Carbolöl  angegeben  hat.     Die  Carbol- 
säure  etc.  wird  von  dem  Fett  viel  begieriger 
aufgenommen  und  festgehalten,  so  dass  Carbol- 
wasser  an  Oel  mehr  von  Carbol  abgiebt,  als 
umgekehrt.      Es   lässt   sich   dies   auch   sinn- 
fällig durch  einen  einfachen  Versuch  zeigen, 
den  ich  in  dem  Brit.  med.  Journ.  1888  vom 
28.  April  für  Carbolöl  angegeben  fand:  Füllt 
man  ein  Reagensglas  zur  Hälfte  mit  Wasser, 
dem  einige  Tropfen  Liquor  ferri  sesquichlorati 
zugesetzt  sind,  bringt  dann  in  dasselbe  Carbol- 
lanolin   und   erhitzt  nun  bis  zum  Schmelzen 
des  Lanolins,  so  tritt  in  der  Kälte  gar  keine, 
in  der  Wärme  nur  die  Andeutung  einer  Car- 
bolreaction  ein.  —  Bei  längerem  Aufenthalt 
der  Culturen  in  Carbollanolin  zeigt  sich  natür- 
lich dasselbe  Verhalten,  wie  ich  es  für  reines 


104 


Gottitein,  Sublimat-Lanolin  als  Antisepticum. 


rTherapeotla^e 
L  Monatshefte. 


Lanolin  gefunden,  die  Bacterien  sterben  nach 
kürzerer  oder  längerer  Zeit  aus  Mangel  an 
Nährstoff  ab. 

In  directem  Gegensatz  zu  diesen  Stoffen 
steht  das  Verhalten  des  Sublim atl an olins. 
Ich  konnte  für  diese  Mischung  den  Nachweis 
bringen,  dass  dieselbe  gerade  so  desin- 
ficirend  wirkt,  wie  die  wässrige  Lö- 
sung von  Sublimat.  Eine  Sublimatlanolin- 
mischung ist,  da  Sublimat  in  Lanolin  unlöslich, 
offenbar  zu  denken  als  eine  wässrige  Lösung 
des  Stoffes,  deren  Theile  von  unzähligen  ausser- 
ordentlich kleinen  Fettkügelchen  so  durch- 
setzt sind,  dass  nur  eine  physikalische,  nicht 
eine  chemische  Aenderung  der  Substanz  er- 
zeugt wird.  In  dieser  Voraussetzung  bereitete 
ich  meine  zu  den  Versuchen  dienenden  Salben, 
indem  ich  zu  einer  bestimmten  Menge  La- 
nolinum  anhydricum  statt  eines  abgewogenen 
Quantums  Ton  Wasser  ein  solches  von  einer 
Sublimatlösung  1  :  1000  oder  1  :  5000  hin- 
zusetzte. Die  Versuche  wurden  in  drei 
Reihen  angestellt,  nämlich  mit  vegetativen 
Formen,  mit  sporenhaltigem  Material  und 
schliesslich  wurden  zur  Bekräftigung  Thier- 
versuche  gemacht. 

A.  Vegetative  Formen.  Einige  Tropfen 
verflüssigter  Cultur  von  M.  prodigiosus,  Ba- 
cillus fluorescens  oder  verschiedenen  Staphy- 
lococcen  wurden  in  derselben  Weise,  wie  bei 
dem  Carbollanolin  angegeben,  mit  Sublimat- 
lanolin 1  :  5000  oder  Mischungen  von  Subli- 
mat mit  Lanolin  und  Vaselin*)  verrührt  und 
sofort  Proben  hiervon  auf  Reagensgläser  über- 
tragen.    Diese  Gläser  blieben  steril. 

B.  Sporenhaltiges  Material.  Trockene 
Gartenerde,  die  sich  im  Controllglas  als  sehr 
keimreich  erwies,  wurde  mit  gleichen  Mengen 
Sublimatlanolin  1  :  5000  und  1  :  1000  innig 
gemischt  und  Proben  hiervon  wieder  in  Ge- 
latine vertheilt.  Die  Gläser  blieben  bei 
wiederholt  angestellten  Versuchen  fast  stets 
steril,  in  wenigen  entwickelten  sich  ziemlich 
spät  Schimmelpilze.     (Verunreinigung?) 

C.  T hierversuche,  a.  Drei  Serien  von 
Versuchen  mit  Milzbrandsporen  an  weissen 
Mäusen  müssen  als  gescheitert  betrachtet 
werden,  weil  mit  einer  Ausnahme  sämmtliche 
Thiere,  nicht  blos  die  mit  reinem  Milzbrand- 
sporenfaden oder  mit  Sublimati anolinfäden 
geimpften  Mäuse,  sondern  auch  diejenigen 
nach  2  —  3  Tagen  starben,  welche  in  ge- 
sonderten Gefässen  aufbewahrt  überhaupt 
nicht  berührt  worden  waren.  Immerhin 
sprachen  diese  Versuche  nicht  gegen  die 
Voraussetzung;  denn  soweit  Sectionen  ge- 
macht wurden,  fanden  sich  bei  den  mit  reinem 
Milzbrand   geimpften  Thieren  reichliche  Ba- 

*)  Auf  1  Th.  Land,  anhydric.  werden  circa  20  % 
Vaselin.  americ.  genommen. 


cillen  im  mikroskopischen  Präparat,  bei  einer 
am  dritten  Tage  gestorbenen  Maus,  in  deren 
Schwanzwunde  ein  durch  Sublimatlanolin  ge- 
zogener Seidenfaden  für  kurze  Zeit  gelegen 
hatte,  wurde  in  Schnitten  von  Leber  und 
Milz  kein  einziges  Milzbrandstäbchen  ge- 
funden, und  eine  ebenso  behandelte  Maus 
blieb  sogar  einmal  bis  zum  7.  Tage  am 
Leben. 

b.  Versuche  an  Meerschweinchen  mit 
malignem  Oedem. 

Versuch  1.  Zu  demselben  werden  vier 
gleichaltrige  junge  Meerschweinchen  von 
14  Tagen  benutzt.  Zur  Impfung  dient 
trockene  Gartenerde,  welche  in  Hauttaschen 
gebracht  wird,  die  durch  2  Nähte  geschlossen 
werden. 

Erstes  Meerschweinchen.  Erde  allein. 
48  Stunden  später  todt  gefunden.  Die  mi- 
kroskopische Untersuchung  des  Secretes  im 
Bereich  der  Wunde  ergiebt  reichliche  Bacillen 
des  malignen  Oedems. 

Zweites  Meerschweinchen.  Erde  mit 
wasserhaltigem  Lanolin  innig  vermischt  und 
die  ganze  Hauttasche  mit  der  Mischung  aus- 
gefüllt. Das  Thier  gleichzeitig  mit  dem 
ersten  todt  vorgefunden.  Mikroskopischer 
Befund  der  gleiche^). 

Drittes  Meerschweinchen.  Erde  mit 
käuflichem  Schweineschmalz  gemischt.  Das 
Thier  stirbt  einige  Stunden  später  als  die 
beiden  ersten  unter  denselben  Verhältnissen. 

Viertes  Meerschweinchen.  Erde  mit 
Sublimatlanolin  in  gleicher  Weise  gemischt 
und   eine  Hauttasche   ganz  hiermit  angefüllt 


*)  Das  Lanolin  erweicht  bei  der  Körpertempe- 
ratur der  Thiere  und  ist  als  Fremdkörper  mr  weisse 
Blutkörperchen  zugänglich.  Daher  widerspricht  dieser 
und  spätere  Versuche  mit  Lanolin  allein  nicht  dem 
Satze  von  der  Undurchlässigkeit  des  Lanolins  für 
Mikroorganismen,  und  das  erhaltene  Resultat  kam 
völlig  eiwartet.  Dass  aber  das  Lanolin  allein  ohne 
antiseptischen  Zusatz  schon  im  Stande  ist  bei  Auf- 
streichen auf  eine  Fläche  durch  die  blosse  Umhüllung 
einen  beträchtlichen  Bruchtheil  der  auf  derselben 
befindlichen  Mikroorganismen  auszuschalten,  haben 
mich  Versuche  gelehrt,  bei  denen  ich  an  mehreren 
Fingern  leicht  kenntliche  Bakterienculturen,  wie  M. 
prodigiosus,  antrocknen  Hess.  Wurde  dann  der  eine 
mit  Lanolin  bestrichen  und  der  lanolinisirte  wie  der 
unbehandelte  in  Nährgelatine  umgerührt,  so  ent- 
wickelten sich  im  ersten  Fall  eine  ungleich  geringere 
Zahl  von  Keimen,  offenbar  vorzugsweise  diejenigen, 
welche  an  der  Oberfläche  hafteten.  Also  das  Lanolin 
allein,  obwohl  ihm  nur  aseptische  Bedeutung  zu- 
kommt, kann  eine  an ti  septische  Behandlung  unter- 
stützen. Diese  Beobachtung  hat  auch  Landsberg 
bei  seiner  Untersuchung  über  Desinfection  der  Hände 
(Vierteljahrschr.  f.  Dermat.  Oct.  1888)  gemacht.  Von 
drei  Versuchsreihen,  in  denen  er  vor  Anwendung  des 
Antisepticums  die  Hände  mit  Lanolin  einfettete,  er- 
hielt er  in  2  Reihen  vollständige  Keimfreiheit,  ein 
Resultat,  das  weit  vollkommener  war,  als  entspre- 
chende Parallelversuche  mit  Glycerin,  Oel  oder  ohne 
jede  Einfettung. 


HL  Jfthrgaag.l 
MKk  1889.  J 


Gottstein,  Sublimat-Lanolin  als  Antisepticum. 


105 


und  durcli  z'wei  Nähte  geschlossen.  Das 
Thier  überlebt  die  anderen  und  bleibt  munter. 
£s  wird  am  8.  Tage  todt  gefanden,  mög- 
licherweise erfroren.  Section  aus  äusseren 
Gründen  nicht  gemacht. 

Versuch  2,  Zwei  grosse  ausgewachsene 
Meerschweinchen  dienen  zu  diesem  Versuche. 
Dem  ersten  wird  eine  grosse  Hauttasche  mit 
Erde  +  Sublimatlanolin  1  :  5000  ausgefüllt 
und  mit  2  Nähten  geschlossen.  Dem  zweiten 
wird  eine  Mischung  von  Erde  mit  5  %  Peru- 
balsamlanolin in  gleicher  Weise  beigebracht. 
Beide  Thiere  waren  noch  3  Wochen 
nach  Anstellung  des  Versuches  am 
Leben.  Das  Sublimatthier  war  gesund,  die 
Wunde  glatt  ohne  Defect  geheilt.  Bei  dem 
Perubai samthier  dagegen  hatte  sich  schliesslich 
die  Haut  an  der  Operationsstelle  in  der  Aus- 
dehnung eines  3  Markstückes  nekrotisch  ab- 
gestossen  und  es  lag  das  granulirende  ünter- 
hautzellgewebe  blos.  Auch  war  dies  Thier 
magerer  geworden,  doch  sonst  wieder  munter. 
Der  Versuch  mit  Perubalsam  wurde  auf  Grund 
der  Angabe  von  Riedlin  über  die  antiseptische 
Wirkung  des  Perubalsam  (Arch.  f.  Hygiene 
Bd.  7)  angestellt.  Er  bestätigt  dessen  An- 
gaben insofern,  als  der  Perubalsam  einen  ge- 
wissen Schutz  gegen  die  tödtende  Wirkung 
des  malignen  Oedems  abgab,  während  er 
locale  Entzündung  und  Nekrose  nicht  ver- 
hinderte und  so  dem  Sublimat  nachstand. 
Dem  entsprach  auch  der  mit  dem  benutzten 
Material  angestellte  Reagensglasversuch:  das 
Gläschen,  welches  mit  der  Sublimatlanolin- 
erde geimpft  war,  blieb  steril;  in  demjenigen 
mit  Perubalsamlanolinerde  entwickelte  sich 
eine  Anzahl  von  Keimen. 

c.  Versuche  an  Meerschweinchen 
mit  Milzbrandsporen.  Die  Sporen  stamm- 
ten aus  dem  hygienischen  Institute  und  waren 
an  Seidenfäden  angetrocknet. 

Versuch  1,  Zu  denselben  dienten  drei 
ausgewachsene  Meerschweinchen,  erstes  und 
drittes  männlich,  sehr  kräftig,  zweites  Weib- 
chen, klein. 

Erstes  Meerschweinchen.  Ein  Seiden- 
faden wird  durch  wasserhaltiges  Lanolin  ge- 
zogen und  mit  einer  Lanolinhülle  umgeben 
sofort  unter  die  Haut  gebracht.    Eine  Naht. 

Das  Thier  lebt  noch  nach  72  Stunden, 
wird  vier  Tage  nach  der  Operation  todt  ge- 
funden. Das  Mikroskop  ergiebt  ausgespro- 
chensten Milzbrand. 

Zweit  es  Meerschweinchen  (Weibchen). 
Der  Seidenfaden  wird  durch  5  °/o  Perubalsam- 
lanolin gezogen.  Das  Thier  wird  24  Stun- 
den vor  dem  ersten  todt  gefunden,  ist  also 
zwischen  48  und  72  Stunden  gestorben.  Todes- 
ursache: Milzbrand. 

Die  LanolinumhülluDg  hat  also  demnach 


den  Tod  um  24,  bei  dem  stärkeren  Thier  so- 
gar um  48  Stunden  verzögert. 

Drittes  Meerschweinchen.  Der  Sei- 
denfaden wird  durch  Sublimatlanolin  1  :  1000 
gezogen  und  unter  die  Haut  gebracht.  Naht. 
Dieses  Thier  blieb  vollständig  gesund, 
frass  stets  und  zeigte  nichts  Abnormes.  Bei 
einer  genauen  Untersuchung  am  12.  Tage 
nach  der  Operation  zeigt  sich  an  der  Ope- 
rationsstelle nichts  Besonderes;  die  Wunde 
war  glatt,  nur  mit  einer  leichten  Verdickung 
geschlossen  und  linear  fest  vernarbt.  Nichts 
von  Geschwürsbildung  oder  Infiltration,  nichts 
von  Röthung  im  Bereich  der  Narbe.  Da 
nunmehr  eine  Erkrankung  des  Thieres  nicht 
mehr  zu  erwarten  war,  wurde  es,  zugleich 
um  auszuschliessen,  das  dasselbe  gegen  alle 
Regel  immun  sei,  zum  nächsten  Versuch 
benutzt. 

Versuch  2,  Demselben  Meerschweinchen 
wird  ein  Seidenfaden  unter  die  Haut  ge- 
bracht, der  einige  Minuten  in  reinem  Peru- 
balsam gelegen  hatte.  Das  Thier  blieb  in 
den  ersten  Tagen  gesund,  wurde  dann  still 
und  starb  kurz  vor  Ablauf  des  fünften  Tages. 
Die  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  dass 
der  Tod  an  Milzbrand  erfolgt  war.  Der 
Tod  erfolgte  also  sehr  verspätet.  Koch  hat 
dieselbe  Beobachtung  des  verspäteten  Todes 
gemacht,  als  er  einer  Maus  einen  Seidenfaden, 
der  mit  Sublimat  1  :  10  000  behandelt  war, 
beibrachte  (l.  c.  S.  277).  Er  bemerkt  hierzu, 
es  liesse  sich  kaum  anders  annehmen,  als 
dass  durch  die  Sublimatlosung  nicht  allein 
eine  theilweise  Vernichtung  der  Sporen, 
sondern  auch  eine  derartige  Einwirkung  auf 
die  noch  nicht  vollständig  getodteten  Sporen 
eintritt,  dass  dieselben  verspätet  zur  Keimung 
gelangen.  Wenn  also  zwar  selbst  dem  reinen 
Perubalsam  nicht  die  Kraft  innewohnt,  Milz- 
brandsporen bei  kürzerer  Berührung  zu  ver- 
nichten, so  dass  eine  weitere  Prüfung  für 
die  vorliegende  Untersuchung  überflüssig  ist, 
so  haben  doch  die  zwei  Versuche  mit  Peru- 
balsam gleich  denen  von  Riedlin  ergeben, 
dass  demselben  antiseptische  Eigenschaften 
zukommen,  ein  Umstand,  der  bei  der  neuer- 
lichen Verwendung  des  Perubalsams,  z.  B.  bei 
dem  Land  er  er 'sehen  Verfahren  der  Tuber- 
kulosebehandlung, eine  weitere  Verfolgung 
zweckmässig  erscheinen  lässt. 

Für  den  vorliegenden  Fall  ist  aber  die 
Uebereinstimmung  der  drei  verschiedenen 
Versuchsanordnungen  beweisend  und  würde 
es  schon  der  eine  einzige  Thierversuch  sein, 
bei  welchem  ein  ganzer  Milzbrandsporen/aden, 
der  nur  durch  Sublimatlonolin  hindurchgezogen 
war,  unter  die  Haut  eines  Meerschiceinchens  ge- 
bracht wurde,  ohne  dass  das  Thier  auch  nur  er- 
krankte.   Es  folgt  daraus  unanfechtbar     dass, 

14 


106 


Gottiteln,  Sublimat-Lanolin  als  Antisepticum. 


[TherapeaUadie 
Monatafaefte. 


das  Sublimat  mit  Lanolin  gemischt  als  Salbe 
ebenso  antisepiiscbe  Eigenschaften  besitzt,  loie 
in  wässriger  Losung,  Das  Sublimatlanolin  ist 
somit  der  erste  Körper,  von  dem  es  exact 
erwiesen  ist,  dass  das  Desinficiens  auch  in 
anderer  Form  wirksam  ist,  als  in  wässe- 
riger Lösung. 

Welche  praktischen  Folgen  sich  aus  dieser 
neuen  Thatsache  ergeben,  ist  schon  in  der 
Einleitung  angedeutet  worden.  Für  die 
augenblicklich  viel  besprochene  Frage  der 
Desinfection  der  Hände  wird  wohl  freilich 
das  Sublimatlanolin  in  dieser  Form  zunächst 
nicht  in  Frage  kommen.  Denn  bei  der  Noth- 
wendigkeit,  täglich  wiederholt  wenn  auch  noch 
so  kleine  Mengen  des  resorbirbaren  Giftes 
auf  die  Haut  zu  bringen,  kann  man  Niemand 
die  Gefahr  einer  chronischen  Quecksilber- 
vergiftung zumuthen.  Immerhin  ist  es  mög- 
lich, dass  ein  anderes  in  Fett  unlösliches 
weniger  giftiges  Antisepticum  sich  findet, 
welches  für  diesen  Zweck  verwendbar  wird. 
Für  die  Wundbehandlung  aber  ermuntern 
die  mitgetheilten  Versuche  zur  praktischen 
Prüfung.  Denn  die  antiseptische  Wundsalbe 
ergiebt  mehrere  Vortheile.  Erstens  sind  mi- 
nimale Mengen  des  Antisepticums  erforder- 
lich; denn  z.  B.  zur  Bedeckung  einer  selbst 
inficirten  Flächen  wunde  von  nicht  zu  grosser 
Ausdehnung  braucht  man  etwa  0,5  g  der 
Salbe,  d.  h.  etwa  0,5  mg  Sublimat.  Zur 
Bespülung  derselben  Wunde  aber,  wenn  man 
etwa  7a  ^'  l^/oo  Sublimatlösung  verbraucht, 
hat  man  0,5  g  des  Antisepticums  über  die 
resorbirende  Fläche  rieseln  lassen,  d.h.  die 
tausendfache  Menge!  Zweitens  erzielt 
man  mit  der  Salbe  einen  innigeren  Contact 
als  mit  der  weniger  adhärirenden  wässrigen 
Lösung  und  drittens  kommt  die  antiseptische 
Wirkung  nicht  für  wenige  Augenblicke  zur 
Geltung,  sondern  sie  ist  eine  langdauernde. 
Schliesslich  aber  kann  man  durch  die  An- 
wendung der  Salbe  zugleich  ihre  Eigenschaft 
als  luftabschliessende  Schutzdecke  ausnutzen. 
Inwiefern  noch  weitere  Anwendungen  mög- 
lich sind,  z.  B.  zur  Behandlung  inficirter  oder 
gegen  Infection  zu  schützender  Schleim- 
häute etc.  oder  zu  Desinfectionszwecken, 
das  muss  ebenfalls  die  praktische  Prüfung 
herausstellen. 

Es  ergiebt  sich  aus  diesen  Versuchen, 
dass  ein  Körper  wie  das  Sublimat,  welcher 
zum  Wasser  eine  grössere  Löslichkeitsaffinitat 
zeigt,  seine  desinficirende  Wirkung  in  fettigen 
Salbenemulsionen  bewahrt,  während  nach 
Koch  diejenigen  Substanzen,  welche  eine 
grössere  Löslichkeit  in  Fetten  besitzen  als 
wässrige  Lösungen,  unwirksam  sind,  soweit 
es  die  Desinfection  betrifft. 

Ferner  ist  nach  diesen  Versuchen  wohl  an- 


zunehmen, dass  sich  in  allgemeiner  Weise  der 
Satz  aussprechen  lässt:  Salben,  mit  wässrigen 
Lösungen  einer  Arzneisubstanz  bereitet,  bewahren 
dann  ihre  volle  Wirksamkeit,  wenn  die  Arznei- 
Substanz  eine  grössere  Löslichkeit  in  Wasser  zeigt, 
als  in  Fett, 

Weitere  Untersuchungen  dürften  die  Rich- 
tigkeit des  allgemein  gefassten  Satzes,  der 
speciell  in  dieser  Abhandlung  für  Sublimat 
als  Desinficiens  bewiesen  ist,  bestätigen. 


Ueber  lufluenz-Elektricität  uud  die  ueue 

Influeuzmaschine  von  Gläser  iii  Wien. 

Vorti'ag  gebalten  im  physiologischen  Verein 

in  Breslau 

Von 

Dr.  E.  Bielschowsky  (Breslau). 

Etwa  seit  einem  Jahrzehnt  sind  die 
Elektrotherapeuten  auf  die  Influenz-Elektri- 
cität,  die  früher  bereits  unter  den  elektri- 
schen Heilmethoden  eine  Stelle  einnahm, 
dann  aber  lange  Zeit  vergessen  worden  ist, 
wieder  in  erhöhtem  Maasse  aufmerksam  ge- 
worden. In  der  Mitte  des  18.  Jahrhunderts 
war  es  der  französische  Arzt  Jal labert,  der 
die  Influenz -Elektricität  zu  therapeutischen 
Zwecken  in  Anwendung  zog,  und  nach  den 
genauen  Beschreibungen  ,  die  er  geliefert, 
recht  gute  Erfolge  erzielte.  Viele  Aerzte 
seiner  Zeit  konnten  seine  Erfahrungen  be- 
stätigen und  fand  die  Influenz-Elektricitat 
einen  ausgedehnten  Gebrauch.  Als  aber  von 
Charlatanen  die  Wirkungen  dieser  Elektrici- 
tätsart  in  schwindelhafter  Weise  angepriesen 
und  fabelhafte  Erfolge  berichtet  wurden, 
kam  dieselbe  bei  den  Aerzten  in  Misscredit. 
Erst  Charcot  gelang  es,  das  Interesse  der 
Elektrotherapeuten  von  neuem  der  Influenz- 
Ei  ektrici  tat  zuzuwenden.  In  Deutschland 
waren  es  Stein  und  Eulenburg,  die  sich 
auf  seine  Anregung  hin  mit  ihr  beschäftig- 
ten, und  ihnen  folgten  Benedikt,  Lewan- 
dowsky  u.  A. 

Die  Influenz-Elektricitat,  auch 
Frank linisation,  Spannungs  -  Ströme 
oder  statische  Elektricität  genannt,  ist 
der  Reibungselektricität  zu  subsumiren;  sie 
wird  dadurch  erzeugt,  dass  ein  durch  Reiben 
elektrisch  gemachter  Nichtleiter  einem  andern 
unelektrischen  Körper  genähert,  und  dass  von 
dem  ersten  auf  den  zweiten  die  Elektricität 
durch  Influenz  übertragen  wird.  Nachdem  ein- 
mal durch  diesenVorgang  die  Influenz-Maschine 
geladen  ist,  hält  sie  in  Folge  der  ihr  eigenen 


Blalichowiky,  Uabar  lunuani-EIaklileltil  udi)  die  neue  lufluenzmaichine  von  Gliiei.      107 


hohl 


Construction  die  Elektricität  nicht 
sondern  bringt  sie  zu  c 
nang,     daes     die    Uebertntgung 
derselben  auf   den  menschlichen 
Körper  möglich  wird. 

Man  bediente  sich  bis  vor 
Kurzem  der  Holtz'schen  Influ- 
eni-Maschine  mit  ihren  yeracbie- 
denen  Uodi£cationen.  Dieselbe 
hat  jedoch  ffir  den  ärztlichen  Ge- 
brauch ausserordentlich  grosse 
ünzuträglichkeiten.  Die  Maschine 
ist  Ton  der  Witterung  so  abhän- 
gig, dass  es  bei  feuchtem  Wetter 
oft  nicht  möglich  ist,  dieselbe  zu 
laden.  Um  sich  Ton  diesem 
Hindemias  zu  emancipiren,  ist 
auf  Stein  s  Anrathen  die  Ma- 
Echine  unter  einen  Glaskasten 
gestellt  norden,  der  durch  einen 
Ventilator  und  durch  Chlor  cal- 
cium trocken  gehalten  'nerden 
sollte.  Ceberdiea  muss  die  Ma- 
schine Öfters  auseinandergenom- 
men werden,  um  die  mit  Schel 
lackfimias  überzogenen  Glasschei- 
ben aufs  Torsichtigste  zu  reinigen 
um  diese  der  Einführung  der 
Influeuz-Maschmen  in  die  ärzt- 
liche Praxis  sehr  hindernden 
Uebelstände  zu  beseitigen,  hat 
Stein')  statt  der  Glasscheiben 
Cylinder  aus  Hartkautschuk  con- 
struirt.  Mechaniker  Gläser  in 
Wien  bat  diese  Idee  aufgenom- 
men und  eine  Maschine  herge- 
stellt, bei  der  die  oben  berührten 
Nachtheile  beseitigt  smd,  so  dass 
dieselbe  für  ärztliche  Zwecke 
leicht  und  zu  jeder  Zeit  zu  ge- 
brauchen ist  Lewandowsk} 
hat  die  zur  therapeutischen  An- 
nendung nSthigen  Nebenapparate 
angegeben  und  den  ganzen  Ap- 
parat genau  beschrieben,  jedoch 
an  den  deutschen  Aerzten  aicht 
so  zu^nglichen  Stellen*),  wie  es 
diese  Blätter  sind.  Das  Priocip 
dieser  Influenz-Maschine  besteht 
darin,  dass  als  Nichtleiter,  die 
influirt  werden  sollen,  zwei  Hohl- 
trommeln aus  Hartgummi  ver- 
wendet  werden,    von   denen    die 


■)  Stein,  Lehrbuch  der  allg. 
Elektrisation  Änfl.  III,  p.  160.  —  Ueber 
einen  neuen  Apparat  zur  FraBklinisa- 
tioD.    Ther.  Monatshefte  1887,  No.  6. 

*)  Lcwandowskv,  Qber  eine  neuartige  Influenz- 
maschine,  ZeiUchrift  fär  Elektrotechnik  1888,  Heft 
&  n.  6,  u.  Wiener  med.  Prcsee  1888  No.  23. 


richtung  sind  drei  Trommel 
in  Einflüssen  derAtmosphär 


108      Bi«lschowsky,  Ueber  Innu^nc-Elektricitat  und  die  neue  Influenzmaschine  von  GiMser.        [7Hm!at£^ft?* 


entzogen,  so  dasB  überhaupt  nur  die 
eine  äussere  Trommelfläcbe  feucht 
werden  kann;  dieselbe  ist  aber  jederzeit 
aufs  schnellste  trocken  zu  reiben.  Beide 
Trommeln  rotiren  um  eine  gemeinschaft- 
liche Axe,  aber  nach  entgegengesetzter 
Richtung,  -wie  Durchschnittsfigur  3  ersicht- 
lich macht.  Diese  Axe  e  f  (Fig.  l)  ist 
in  den  beiden  verticalen  Eisenständern  a  a^ 
und  b  6},  welche  auf  dem  rechteckigen,  70  cm 
langen  und  50  cm  breiten  Holzrahmen  be- 
festigt sind ,  eingelagert.  Dreht  man  die 
KurbeP)  k  nach  rechts,  so  wird  durch  die 
Riemenscheibe  R  mit  Hilfe  der  Transmission 


hält  nun,  während  beide  Conductorenkugeln 
in  Contakt  stehen,  den  Anreger  mit  seiner 
flachen  Seite  an  der  Stelle,  wo  sich  innerhalb 
der  Trommeln  die  Saugkämme  befinden,  dicht 
über  oder  unter  die  rotirenden  Cy linder,  je- 
doch ohne  sie  zu  berühren;  es  influirt  dann 
die  Elektricität  von  dem  Anreger  auf  die 
Trommeln,  wodurch  die  Ladung  der  Maschine 
erfolgt.  Es  ist  dies  sofort  an  einem  ziemlich 
intensiven  zischenden  Geräusch,  welches  die 
Maschine  erzeugt,  und  an  einem  deutlichen 
Geruch  nach  Ozon  erkenntlich.  Durch  die 
stete  Rotation  der  Trommeln  wird  die  Span- 
nung der  Elektricität  gemehrt  und   erreicht 


Fig.S. 


auf  r  die  äussere  Trommel  ebenfalls  nach  j 
rechts  gedreht;  auf  die  Riemenscheibe  r^  i 
wird  diese  Bewegung  durch  das  Zahnrad  in 
entgegengesetztem  Sinn  übertragen  und  Ton 
diesem  durch  die  Transmission  auf  r^  imd 
somit  auch  auf  die  innere  Trommel  fortge- 
pflanzt. Auf  jeder  Seite  der  äusseren  Trom- 
mel befindet  sich  ein  Saugkamm  aus  Metall 
Sk  und  Sk^,  Senkrecht  zu  der  Fläche 
dieser  beiden  äusseren  Kämme  sind  im  In- 
neren der  kleinen  Trommel  zwei  fernere 
Saugkämme  unbeweglich  auf  der  gemein- 
schaftlichen Axe  befestigt  (Fig.  3  sk  und  ak^. 
Diese  letzteren  sind  in  sich  metallisch  ge- 
schlossen, die  ersten  dagegen  sind  mit  den 
Gonductoren  A^  m  und  A^n  durch  die  Me- 
tallstäbe d  und  c  verbunden.  Der  Hart- 
gummistab a  b  und  die  ihn  schneidende  Hart- 
gummischeibe dienen  nur  zur  besseren  Be- 
festigung des  Ganzen. 

Das  Laden  der  Maschine  geschieht  in 
folgender  Weise.  Man  reibt  ein  Lineal  aus 
Hartgummi,  Anreger  genannt,  mit  einem 
trocknen  Tuch-  oder  Lederlappen  einige  Se- 
cunden;  es  entsteht  dabei  ein  leises  Knistern, 
der  Anreger  ist   elektrisch   geworden.      Man 

')  Will  man  die  Maschine  nicht  selbst  drehen, 
so  kann  man  sich  verschiedener  Motoren  bedienen 
(Magnetmotoren ,  Wassermotoren ,  Dampfmotoren). 
Abgesehen  davon,  dass  man  dann  beide  Hände 
frei  hat,  wird  der  Gang  der  Maschine  vollkommen 
gleichmässig. 


alsbald  eine  solche  Höhe,  dass  Funken  an 
den  von  einander  entfernten  Gonductoren 
überspringen.  Lassen  wir  die  Maschine  im 
Dunkeln  gehen  und  drehen  die  Kurbel  im 
Sinne  des  Uhrzeigers  von  links  nach  rechts, 
so  sehen  wir  von  dem  rechten  Saugkamm 
auf  den  obem  rechten  Trommelquadranten 
schöne  hellblaue  Lichtbüschel  überströmen, 
die  zusammenfliessend  die  Trommel  in  ihrer 
ganzen  Breite  und  in  Fingerhöhe  wie  mit 
einem  Lichtmantel  umgeben.  Auf  dem  ent- 
gegengesetzten Saugkamm  sehen  wir  nur 
an  jedem  Zahn  einen  hellen,  blauleuchten- 
den Punkt  erscheinen,  d.  h.  rechts  strömt 
positive  Elektricität  auf  die  Trommel  über, 
links  negative;  es  werden  in  Folge  dessen 
auf  den  Kämmen  die  entgegengesetzten  Elek- 
tricitäten  frei  und  strömen  von  dort  zu  den 
Gonductoren,  die  wir  hier  Pole  nennen,  ab. 
Je  nachdem  man  den  Anreger  an  die  obere 
oder  untere  Peripherie  der  Trommel  hält 
und  dabei  die  Kurbel  nach  rechts  oder 
links  dreht,  ändern  sich  die  Pole,  und  ea 
kommen  folgende  4  Variationen  vor: 


Rotation  der 

äusseren 
Trommel  nach 


rechts 

rechts 

links 

links 


Anregung 
von 


Auf  dem 
rechtasoitlgen 


Auf  dem 
llnketeitigen 


Saugk&mme  aoflretende 
ElektridUlt. 


oben 
unten 
oben 
unten 


negativ 
positiv 
positiv 
negativ 


positiv 
negativ 
negativ 
positiv 


m.  JahrgftDgJl 
März  1889.  J 


Bielsfcliowsky,  Ueber  Influens-filektrieität  und  die  fteue  laflueazmaschine  von  Gläser.       109 


um  auch  am  Tag,  wo  uns  die  Licbt- 
erscheinungen  an  den  Trommeln  nicht  zu- 
rechtweisen, bestimmen  zu  können,  welcher 
Pol  positiv  rsp.  negativ  ist,  bringt  man  eine 
brennende  Kerze  mit  der  Flamme  zwischen 
die  Conduktoren  der  in  Gang  gesetzten  In- 
fluenzmaschine. Die  Flamme  neigt  sich  dann 
stets  nach  dem  positiven  Pol  hin.  Es  kommt 
dies  daher,  dass  die  Spannungsstrome  in  der 
Richtung  von  —   zu  -4-  gehen. 

Entfernt  man  die  Conductoren  über  die 
Schlagweite  der  Maschine  von  einander,  so 
ändert  sich  die  Yertheilung  der  Elektricitat 
vollkommen.  Es  befinden  sich  dann  auf 
jedem  Saugkamm  positive  und  negative 
Elektricitat  nebeneinander;  so  dass  die  eine 
Hälfte  seiner  Zahne  mit  Punkten,  die  andere 
mitBüscheln  besetzt  ist.  Es  kann  bei  dieser  An- 
ordnung Elektricitat  nicht  abgeleitet  werden, 
die  Maschine  muss  entladen  und  von  Neuem 
angeregt  werden.  Die  Entladung  geschieht 
durch  einige,  ganz  kurze  Drehungen  der 
Kurbel  nach  wechselnder  Richtung.  "Wird 
die  Maschine  nicht  mit  diesem  Kunstgriff 
absichtlich  entladen,  so  hält  sie  die  Elektri- 
citat längere  Zeit  fest. 

Berühren  sich  die  Conductoren,  so  geht 
der  Aasgleich  beider  Elektricitäten  un- 
merklich vor  sich.  Entfernt  man  die  Pole 
von  einander,  so  finden  elektrische  Entla- 
dungen statt.  Wir  unterscheiden  drei  Arten 
der  Entladung:  1.  Funken-,  2.  Büschel-, 
3.  Glimm-Entladung.  Der  elektrische 
Funke  entsteht,  wenn  die  beiden  Conduc- 
toren bis  zu  einer  gewissen  Grenze  von  ein- 
ander entfernt  sind.  Die  Schlagweite  und 
Stärke  des  Funkens  ist  um  so  beträchtlicher, 
je  grosser  die  Menge  und  Spannung  der  Elek- 
tricitat ist.  Die  Funken  werden  also,  wenn 
die  gleich  zu  erwähnenden  Leydener  Flaschen 
eingeschaltet  sind,  kräftiger  und  länger  sein  als 
ohne  dieselben.  Jede  Funken-Entladung  er- 
folgt mit  einem  mehr  oder  minder  lauten  Knall. 
Sind  die  Conductoren  über  die  Schlagweite  der 
Maschine  entfernt,  so  strömt  die  Elektricitat 
in  einem  Büschel  bläulicher  diyergirender 
Strahlen  unter  eigenthümlich  zischendem 
Geräusch  aus.  Die  Glimm-Entladung  be- 
steht in  einem  stetigen  geräuschlosen  Aus- 
strömen der  Elektricitat  und  findet  dann 
statt,  wenn  ein  Conductor  in  eine  Spitze 
ausläuft.  Diese  drei  Arten  der  Entladung, 
wie  wir  sie  oben  an  den  Conductoren  be- 
schrieben, können  dann  auch  an  den  Elek- 
troden hervorgerufen  werden. 

Die  LeitungSBchnüre  werden  an  den 
Stielen,  auf  denen  die  Saugkämme  befestigt 
sind,  fijxirt.  Da  die  Influenz-Elektricität 
eine  bedeutende  Spannung  besitzt,  so  ist  es 
nicht    möglich,     die    Leitungsschnüre    voll- 


kommen zu  isoliren.  Sobald  man  eine  selbst 
mit  einem  doppelten  Gummiüberzug  ver- 
sehene Leitungsschnur  einem  leitenden  Gegen- 
stand nähert,  strömt  die  Elektricitat  unter 
Funkenbildung  aus  der  Schnur  nach  dem- 
selben über.  Den  Gläser^schen  Maschinen 
sind  dicke  Kupferdrähte,  mit  gefirnisstem 
Hanfschnurgeflecht  übersponnen,  beigegeben. 
Da  dieselben  trotzdem  nicht  vollkommen 
isolirt  und  überdies  unhandlich  sind,  können 
sie  durch  die  gewöhnlichen  mit  Gummi  über- 
zogenen Leitungsschnüre  ganz  gut  ersetzt 
werden.  Sobald  die  Schnüre  nur  durch  die 
Luft  gefuhrt  werden,  ohne  einen  Körper  zu 
berühren,  werden  sie  durch  die  schlecht 
leitende  Atmosphäre  genügend  isolirt. 

Um  die  Spannung  der  Elektricitat  zu  er- 
höhen, kann  die  Maschine  durch  2  Leydener 
Flaschen  verstärkt  werden,  indem  man  von 
jedem  Saugkamm  aus  eine  mit  Glas  um- 
gebene Metallleitung  nach  einer  Leydener 
Flasche  herstellt  [Fig.  2  Lj  und  Lj.  I II  (Ver- 
bindungen)], und  auch  beide  Flaschen  unter- 
einander verbindet  (III).  Sind  die  Flaschen 
eingeschaltet,  so  erzielt  man  bedeutend 
grössere  Funken  als  ohne  dieselben,  weil 
sich  in  denselben  Elektricitat  von  grösserer 
Spannung  und  Dichte  als  auf  den  Conduc- 
toren allein  ansammeln  kann. 

Wir  unterscheiden  zwischen  localer  und 
allgemeiner  Anwendung  der  Spannungs- 
ströme  auf  den  menschlichen  Körper  und 
brauchen  für  beide  Applicationsweisen  ver- 
schiedene Elektroden. 

Um  den  ganzen  Körper  der  elek- 
trischen Influenz  auszusetzen,  bringen 
wir  den  Patienten  auf  den  Isolirschemel 
(Fig.  2  J)  und  leiten  einen  Pol  (I9)  nach  der 
Metallplatte  des  Schemels  hin,  während  wir  den 
andern  Pol  auf  die  Erde  führen.  Es  strömt  nun 
die  Elektricitat  von  der  Metallplatte  auf  den 
Körper  über;  wir  erkennen  dies  daran,  dass 
wir  Funken  aus  dem  Patienten  ziehen  können 
und  sich  seine  Haare  spontan  sträuben.  Der 
Patient  ist  mit  Elektricitat  geladen. 

Eine  zweite  Art  der  allgemeinen  Fran- 
klinisation besteht  in  der  Anwendung  der 
sog.  Luftdouche. 

(Anordnung  wie  in  Fig.  2).  Als  Elektrode 
wird  eine  flache  Schale  aus  vernickeltem 
Eisenblech  benutzt,  die  auf  ihrer  concaven 
Fläche  mit  zahlreichen  Spitzen  versehen  ist. 
Diese  Glocke  wird  mit  Hülfe  des  leicht  für 
verschiedene  Grössen  stellbaren  Statines  über 
dem  Kopf  des  Patienten  befestigt.  Es  strömt 
dann  die  Elektricitat  yon  den  Spitzen  als 
Glimmentladung  aus,  unsichtbar  und  ohne 
Geräusch,  aber  für  den  unter  der  Glocke 
Sitzenden  als  ein  leiser,  Kopf  und  Gesicht 
bestreichender  Wind  fühlbar.    Die  Haare  des 


110     Bielschowiky,  U«ber  lafluenz-Elektrleltät  und  die  neue  Influenzmaiehine  von  Gläter.       [^^i^^SlSf^ 


Patienten  richten  sich  auf.  Es  ist  diese  Appli- 
cationsweise  der  Spannungsstrome  für  den  Pa- 
tienten durchaus  angenehm,  nur  muss  man  die 
Vorsicht  beobachten,  die  Glocke  in  einer  ge- 
nügenden Entfernung  vom  Kopf  zu  befestigen, 
-weil  sonst  Funken  auf  den  Eopf  überschlagen 
können,  ein  Umstand,  der  den  Patienten  für 
immer  yon  dieser  Behandlung  abschrecken 
würde.  Femer  muss  der  Patient  darauf  auf- 
merksam gemacht  werden,  dass  er  sich  nicht 
während  der  Application  der  Douche  erhebt 
und  sich  so  der  Glocke  nähert.  Die  Luft- 
douche  hat  eine  stärkere  Wirkung  als  die 
Ladung.   — 

Zur  localen  Application  der  Span- 
nungsströme bedient  man  sich  Elektroden, 
die  mit  einer  Kugel  oder  Spitze  endigen,  je 
nachdem  man  die  Funken-  oder  die  Büschel- 
und  Glimmentladung  verwenden  will.  An 
einem  Hartgummigriff  befindet  sich  eineMetall- 
hülse,  auf  die  die  Kugel  oder  die  Spitze  je  nach 
Bedarf  aufgesteckt  wird.  Die  Leitungsschnur 
wird  mit  Hülfe  einer  Schraube  an  der  Elek- 
trode befestigt  (Fig.  2  E  und  E,).  Stg  stellt 
eine  Spitzen-Elektrode  an  einem  Stativ  dar, 
sog.  Ozonisirungsapparat.  Bei  der  localen  Fran- 
klinisation wird  der  Isolirschemel  nicht  be- 
nutzt. Nähert  man,  während  die  Maschine  bei 
einer  Schlag  weite  von  2  cm  arbeitet  und  der  eine 
Pol  auf  die  Erde  abgeleitet  ist,  den  zweiten, 
mit  einer  Kugel  armirt,  dem  Arm  des  Patien- 
ten auf  2  cm,  so  schlagen  Funken  über. 
Das  Glied  braucht  nicht  entblösst  zu  sein, 
da  in  Folge  der  hohen  Spannung  die  Klei- 
dung den  Funken  ebensowenig  wie  den  an- 
dern Entladungen  Widerstand  bietet.  Die 
Application  des  Funkens  ist  schmerzhaft, 
kann  jedoch  wenigstens  ebenso  gut  w^ie  ein 
starker  faradischer  Strom  ertragen  werden. 
Natürlich  muss  man  die  Stärke  des  Funkens 
nach  Bedürfniss  steigern  oder  verringern. 
Seine  Application  ruft  auf  der  Haut  eine  anä- 
mische Stelle  hervor,  die  sich  bald  in  eine 
Quaddel  ver-wandelt;  später  tritt  eine  lang 
anhaltende  Röthung  ein.  In  der  Umgebung 
der  anämischen  Stelle  contrahiren  sich  die 
Erectores  pil.,  der  getroffene  Muskel  zieht 
sich  kräftig  zusammen.  Hält  man  die  Kugel- 
elektrode unmittelbar  auf  die  Haut,  so  werden 
dieHautnerven  nur  wenig  gereizt;  man  fühlt  nur 
die  Gontraction  der  Muskeln,  die  bei  jedem 
Funkenschlag  stattfindet.  Bei  schnellem 
Gang  der  Maschine  tritt  Tetanus  ein.  Be- 
findet sich  zwischen  Elektrode  und  Haut 
eine  Lage  Wolle  durch  die  Kleidung  oder 
ist  die  Elektrode  selbst  mit  einem  dicken 
Tuch-  oder  Lederüberzug  versehen,  —  die 
Elektrode  muss  dabei  fest  aufgesetzt 
sein,  —  so  theilt  sich  der  Funken  in  un- 
endlich feine  Ströme  und  verursacht  ein  sehr 


heftiges  Brennen,  die  Haut  wird  erst  blass, 
dann  aber  intensiv  geröthet;  diese  Hyperämie 
hält  mehrere  Stunden  an. 

Bedient  man  sich  statt  der  Kugel  der 
Spitze  als  Elektrode,  so  strömt  die  Elektri- 
cität  aus  derselben  als  Wind  aus,  oder  falls 
man  die  Spitze  der  Haut  stark  nähert,  als 
Büschel.  Die  Büschel  bestehen  aus  einer 
Anzahl  feiner  Funken  und  sind  wenig  schmerz- 
haft. 

Die  physiologische  Wirkung  ist  bei  dieser 
localen  Application  ähnlich  der  des  Induc- 
tionsstromes.  Der  grosse  Vortheil  der  Span- 
nungsströme besteht  darin,  dass  man  mit 
denselben  ausserordentlich  gut  und  leicht 
localisiren  und  das  kleinste  Muskelbündelchen 
isolirt  treffen  kann,  ohne  benachbarte  Mus- 
keln mit  zu  erregen,  was  bei  kräftigem  fara- 
dischen Strom  nicht  möglich  ist.  Wir 
werden  therapeutisch  den  localen  lofluenz- 
strom  in  vielen  Fällen  verwenden  können, 
in  denen  auch  der  faradische  Strom  indicirt 
wäre,  bei  Paralysen,  trophischen 
Störungen  der  Haut  und  Muskeln, 
Anästhesien,  Migräne,  rheumatischen 
Schmerzen,  Neuralgien;  bei  leichteren 
Formen  der  Nervenschmerzen,  wie  sie  bei 
der  Neurasthenie  und  Hysterie  vorkommen, 
erweist  sich  der  elektrische  Wind  als  ein 
sehr  beruhigendes  und  wegen  seiner  voll- 
kommenen Schmerzlosigkeit  dem  Patienten 
höchst  angenehmes  Mittel.  Sehr  vortheühaft 
lässt  sich  die  Funkenentladung  oder 
die  Kugelelektrode  mit  Ueberzug  zur 
Application  von  leichten  Moxen  an  Stelle 
des  Blasenpflasters,  faradischen  Pinsels,  oder 
der  Stichdouche,  bei  Rachialgie,  hinter  das 
Ohr,  etc.  benutzen. 

Wir  haben  bei  allen  diesen  Applicationen 
den  grossen  Vortheil,  dass  sich  der  Patient 
nicht  auszuziehen  braucht,  da,  wie  oben  ge- 
sagt, der  Widerstand,  den  die  Kleider  bieten, 
gegenüber  der  grossen  Spannung  der  Ströme 
vollkommen  verschwindet. 

Eine  eigenthümliche  locale  Verwendung 
findet  die  Influenz-Elektricität  bei  dem  ner- 
vösen Ohrensausen  und  dem  damit  ver- 
bundenen Eingenommensein  des  Kop- 
fes, dieser  bekannten  crux  medicorum.  Es  ist 
besonders  Benediktes*)  Verdienst,  diese  The- 
rapie eingeführt  zu  haben  und  spricht  er  sich 
über  die  Erfolge  sehr  günstig  aus.  Man  ge- 
braucht entweder  eine  Ohrglocke,  die  der  Kopf- 
glocke gleich,  nur  bedeutend  kleiner  ist  und 
vertical  vor  dem  Ohr  befestigt  wird,  oder 
besser  einen  elektrostatischen  Ohrtrichter  nach 
Lewandowski.  In  einem  gewöhnlichen  Ohr- 
trichter aus  Hartgummi  ist  isolirt  ein  Metall- 

*)  Benedikt,  Wienermed.  Blätter  1885 No.  35 
u.  Intemat.  Klin.  Rundschau  1888  No.  51. 


iDWikfi  U«ber  InflueBi-EtoktrleltSlunddlaDaualaAueiizmaicblne  voDGUUar.      111 


Stift,  der  in  einen  Knopf  auBgeht,  angebracht, 
der  Stift  ist  TerBchieblich,  so  dass  er  bis  zu 
der  inneren  Oeffnnng  des  Tricbtera  vorge- 
schoben oder  Ton  ihr  entfernt  werden  kann, 
um  stärkere  oder  schwächere  "Wirkang  zu 
ersielen.  An  dem  andern  Ende  des  Stiftes 
befindet  sich  eine  Oese  zur  Befestigung  der 
LeituDgaschnur;  dieselbe  muss  mSgiichst  dünn 
gewählt  werden,  damit  sie  durch  ihre  Schwere 
nicht  den  Trichter  aus  dem  Ohr  herauszieht. 
Der  Trichter  wird  mit  Hülfe  einer  Kopf- 
binde und  eines  Kugelgelenkes  ähnlich  wie 
der  Reflector  des  Kehlkopfspiegels  in  dem 
Ohr  Sxirt.  Die  Spannung  der  Ströme  darf 
nur  eine  minimale  sein,    die    Leydener  Fla- 


scheu  müesen  ausgeschaltet,  die  Conduc- 
toren  nur  eben  Ton  einander  entfernt  sein. 
Von  dem  Metallknopf  im  Ohrtrichter  geht 
dann  der  elektrische  Wind  direct  auf  das 
Trommelfell  über,  was  von  dem  Patienten 
als  leises  Knistern  gehört  wird,  Wird  diese 
Therapie  richtig  angewendet,  so  muss  sie 
durchaus  schmerzlos  sein ;  die  Dauer  der 
Sitzung  soll  3 — 5  Min.  nicht  übersteigen. 
Schon  Dach  den  ersten  Applicationen  hat 
Benedikt  deutliche  Besserung  constatiren 
können. 

Die  Indicationen  für  die  therapeutische 
Verwendung  der  allgemeinen  Frank linisation 
konnten  bis  jetzt  nur  auf  empirischer  Grund- 
lage aufgestellt  worden,  da  unsere  Kennt- 
nisse über  ihre  Physiologie  leider  noch  sehr 
gering    sind.       Schwanda')    in    Wien,    ein 


')£ 


Bd.  24.    S.  195. 


Wiener     med.     Jahrbücher. 


russischer  Aizt  Stepanow*),  Stein')  und 
Eulenburg^)  haben  sich  mitdieser  Frage  be- 
schäftigt. Es  ist  hauptsächlich  festgestellt, 
dass  durch  eine  Sitzung  von  20  Min.  auf 
dem  Isolirschemel  die  Zahl  der  Pulsschläge 
etwa  um  'ij  vermehrt  wird;  gleichzeitig  wird 
die  Secretion  der  Drüsen  gefordert,  wodurch 
sich  die  Speichel-,  Urin-  und  Schweissab- 
sonderung  steigert. 

Die  meisten  Erfahrungen  über  die  thera- 
peutische Wirkung  der  allgemeinen  Frankli- 
nisation haben  die  Franzosen,  die  ja  seit 
längerer  Zeit  als  wir  die  lafluenz-Elektri- 
cttät  bei  der  Krankenbehandlung  in  Gebrauch 
haben,  gesammelt.  In  Deutschland  haben 
sich  die  Autoren  bis  auf  wenige  Ausnahmen 
ablehnend  gegen  die  Verwendung  der  Span- 
nungsströme in  der  Therapie  verhalten; 
wohl  besonders  deshalb,  weil  bis  jetzt  noch 
jede  theoretische  Erklärung  für  ihre  Wir- 
kungsweise fehlt  und  die  Heilerfolge  mehr 
auf  Rechnung  der  psjchischen  Einwirkung 
als  auf  die  der  Elektricität  zu  setzen 
seien.  Man  müsste  dann  aber  auch  ebenso 
gut  alle  Heilungen,  die  mit  dem  faradiscben 
und  galvanischen  Strom  erzielt  sind,  und  die 
doch  nicht  abzuleugnen  sind,  als  auf  Sug- 
gestion beruhend  bezeichnen ;  denn  noch  iu 
der  5.  Auflage  seiner  „Elektricität  in  der 
Medicin"  sagt  Ziemssen:  „Was  die  An- 
wendung der  Elektricität  von  heute 
vor  der  Elektrotherapie  der  1.  Hälfte 
unseres  Jahrhunderts  voraus  hat,  das 
ist  nicht  ein  besserer  Einblick  in  die 
Wirkungsweise  des  elektrischen  Stro- 
mes, nicht  eine  wissenschaftliche  The- 
rapie im  eigentlichen  Sinn;  die  beutige 
Elektrotherapie  ruht  nach  wie  vor 
durchaus  auf  empirischer  Grundlage." 
Die  bisher  veröffentlichen  therapeutischen 
Erfolge  beziehen  sich  grade  auf  solche  Krank- 
heitsformen und  Symptome,  denen  mit  jeder 
andern  Therapie  nur  schwer  bei  zu  kommen 
ist,  und  für  den  Praktiker  wird  es  stets  die 
Hauptsache  bleiben,  seine  Kranken  mit  einem 
unschädlichen  Mittel  zu  erleichtem  oder  zu 
heilen ;  die  Frage ,  wie  das  Mittel  wirkt, 
wird  für  ihn  immer  erst  in  zweiter  Linie  in 
Betracht  kommen. 

Die  allgemeine  Franklinisation  haben 
ausser  den  Franzosen,  Stein,  Eulen  bürg, 
Benedikt  und  Lewandowski  mit  Nutzen 
angewendet  bei  der  Hysterie,  unter  deren 
Symptomen  ich  besonders  die  hysterischen 
Krämpfe  hervorhebe,    und  bei  den  erethi- 

")  Stepanow.  Centralbl.  fQr  Norvenheilkdo. 
1884.    No.  22. 

')  Stein,    Lehrbuch  d.  Bllg.Elekt. 

»)  Enlenburg.  Berl. Win.  Wocbonschrift  1887. 
No.  13  und  14. 


112 


Binswanger,  Bemerkungen  über  die  Suggestivtherapie. 


rTherapeatiflehe 
L  MonaUhefte. 


sehen  Zuständen  der  Neurasthenie.  Bei 
den  Depressionsformen  der  Nervenschwäche 
dagegen  hat  sie  sich  nicht  günstig  erwiesen, 
nur  bei  dem  Kopf  druck  ist  ihre  Anwen- 
dung nach  Stein  und  Eulenburg^)  vor- 
theiihaft. 

Die  verschiedenen  Kephalalgien,  die  Emo- 
tionsneurosen wie  Chorea,  Paraljsis  agitans, 
Tremor  idiopathic.  werden  von  ihr  günstig 
beeinflusst. 

Von  besonders  gutem  Erfolg  ist  die  Luft- 
douche  bei  der  nervösen  Schlaflosigkeit, 
die  sich  erfahrungsgemäss  gegen  alle  thera- 
peutischen Vornahmen  sehr  resistent  erweist. 
Stein  berichtet  unter  15  Fällen  von  10 
voUkommne  Heilungen  und  8  Besserungen. 

Auch  gegen  Amenorrhoe  ist  die  allg. 
Franklinisation  mit  Nutzen  applicirt  worden. 

Bei  Geistesstörungen  würde  sich  ein 
Versuch  mit  den  Spannungsstromen  lohnen,  da 
Eulenburg  und  Benedikt  Melancholien 
sich  bessern  und  selbst  heilen  sahen.  Die 
Länge  einer  Sitzung  wird  von  Stein  auf 
20  Min.  angegeben.  Benedikt  kommt  mit 
kürzerer  Zeit  aus  und  auch  uns  scheint  eine 
Dauer  von  5 — 10  Min.  zu  genügen. 

Es  erübrigt,  zu  bemerken,  dass  wir 
noch  im  Unklaren  darüber  sind,  ob  eine 
therapeutische  Differenz  zwischen  beiden 
Polen  vorhanden  ist.  Stein  behauptet, 
dass  der  positive  Pol  gunstiger  einwirke  als 
der  negative,  er  beruft  sich  dabei  auf  ein 
Experiment,  das  in  seinem  Buch  über  all- 
gemeine Elektrisation  genau  beschrieben  ist, 
welches  nachweist,  dass  sich  auf  der  Ober- 
fläche des  Körpers  stets  positive  Elektricität 
befindet.  Es  erscheint  diese  Annahme,  dass 
die  positive  Spannung  dem  Körper  mehr 
zusagt  als  die  negative,  nicht  unwahrscheinlich, 
wenn  wir  berücksichtigen,  dass  nach  den 
Untersuchungen  von  Wislicenus*®)  die  at- 
mosphärische Elektricität  bei  weitem  häufiger 
positiv  als  negativ  ist  —  bei  2124  Beobach- 
tungen war  dieselbe  2046  mal  positiv  und 
nur  7 8  mal  negativ  —  und  dass  sich  er- 
fahrungsgemäss zu  Zeiten,  in  denen  neg. 
Elektricität  herrscht,  nach  obigen  Beobach- 
tungen bei  Gewitter,  Sturm  und  plötzlichen 
Abkühlungen,  nervöse  Personen  besonders 
schlecht   befinden   und  Exacerbationen   ihrer 

Leiden  verspüren. 
» 

')  Eulenburg.  Neurolog.  Centralbl.  Jahrg.  17. 
Hft.  19. 

'°)  A.  Wislicenus.  Electricity  von  Ferguson. 
p.  100. 


Bemerkungren  über  die  Sugrsrestiv- 

tlierapie. 

Von 

Prof.  Dr.  Otto  Bintwanger  in  Jena. 

[Fortstttung.] 

Auf  diese  bedenklichen  Begleit-  undFolge- 
erscheinungen  der  hypnotischen  Zustände 
haben  alle  einsichtsvollen  Arbeiter  auf  die- 
sem Gebiete  aufmerksam  gemacht  und  ins- 
besondere darauf  hingewiesen,  dass  bei  ein- 
zelnen Personen  ganz  unvermittelt  durch  die 
Hypnose  die  schwersten  Erampfanfälle  hyste- 
roepilep tischer  Art,  isolirte  Lähmungen,  pro- 
trahirte  Delirien  u.  A.  m.  hervorgerufen  wer- 
den. Und  zwar  geschieht  dies,  um  es  noch- 
mals hervorzuheben,  auch  bei  leichtester 
Suggestionshypnose,  wenn  auch  häufiger 
bei  unzweckmässiger  Anwendung  der- 
selben. In  einem  Falle  von  Hystero-Epi- 
lepsie  mit  schweren  spontan  auftretenden 
hallucinatorischen  Delirien  versuchte  ich  ein- 
mal einen  hallucinatorischen  Erregungs- 
zustand durch  die  Suggestion  des  Schlafes 
und  leichtes  Zudrücken  der  Augen  in  einen 
ruhigen  Schlafzustand  überzuführen;  statt 
dessen  zeitigte  ich  einen  schweren  Krampf- 
anfall, der  in  einen  stundenlang  andauern- 
den katalep tischen  Zustand  überging.  Ich 
u uteri iess  hier  natürlich  alle  weiteren  Ver- 
suche einer  Suggestivtherapie. 

Man  wird  also  bei  der  Anwendung  des 
Hypnotisirens  die  grösste  Vorsicht  walten 
lassen  müssen.  Jeder  Arzt,  der  sich  mit  der 
einschlägigen  Litteratur  vertraut  gemacht  und 
vorurtheilslos  eigene  Erfahrungen  gesammelt 
hat,  wird  mit  Kopfschütteln  das  Hypnoti- 
siren  en  masse  betrachten,  das  jetzt  in  Nancy, 
Zürich  und  anderen  Orten  geübt  wird.  Es 
wird  freilich  immer  wieder  behauptet,  dass 
in  der  Hand  geübter  Aerzte  sich  all  diese 
Gefahren  vermeiden  lassen.  Zweifellos  macht 
auch  hier  Uebung  den  Meister,  und  die  vielen 
Misserfolge  hypnotischer  Versuche  durch 
manche  Kritiker  beweisen  sehr  häufig  nur  die 
Un Vollkommenheit  und  Ungeduld  bei  der 
Ausführung  der  hypnogenen  Maassnahmen. 
Aber  die  weitere  Behauptung  der  Verfechter 
der  Suggestivtherapie,  dass  alle  ungünstigen 
Erfolge  auf  fehlerhafte  Proceduren  zurück- 
zuführen seien,  muss  ebenso  energisch  zu- 
rückgewiesen werden.  „Es  wird  sich  darum 
handeln,  auf  eine  schonende  Weise,  mit  ge- 
nügender Sicherheit  und  bei  richtiger  Aus- 
wahl der  Fälle  zu  hypnotisiren ,  wenn  man 
eine  schädliche  Wirkung  des  H.  vermeiden 
will"  (Freud).  Leicht  gesagt  und  schwer 
gethan.  Denn  wir  haben  gesehen,  dass  bei 
der  Entstehung   und  Verwerthung    der  Sug- 


m»  Jfthrganf .1 
Min  1889.  J 


Biaswangar,  Bemerkungen  über  die  Suggestivtherapie. 


113 


gestiThypnose  der  psychische  Factor  von 
maassgebender  Bedeutung  ist.  Wer  vermag 
im  Voraus  zu  bestimmen,  bis  zu  welchem 
Maasse  der  künstlich  erzeugte  ,,  Verlust  des 
psychischen  Gleichgewichts"  (Charcot)  an- 
wächst und  andauert? 

Da  wir  es  hier  mit  einem  Vorgang  zu 
thnn  haben,  der  unabhängig  von  den  Vor- 
aussetzungen und  dem  Willen  des  Experi- 
mentators trotz  aller  Desuggestionirung  selbst- 
thätig  weiter  wirken,  tief  ergreif  endo  und 
dauernde  Aenderungen  der  centralen  Erreg- 
barkeitszustände  —  besonders  bei  häufiger 
Wiederholung  der  Hypnose  —  hervorrufen 
kann,  so  ist  diese  Frage  sicher  berechtigt. 
Gewiss  ist  in  dieser  Beziehung  die  Sug- 
gestivhypnose weniger  verhängnissvoll,  aber 
einen  wesentlichen,  die  cerebralen  Func- 
tionen abändernden  Eingriff  stellt  dieselbe 
trotz  aller  Vorsicht  dar.  Die  geistvolle 
psychophysische  Zergliederung  der  hypnoti- 
schen Erscheinungen,  welche  Meynert  in 
Anlehnung  an  die  Fe  ebner' sehe  Theorie  des 
wachen  und  des  Schlafzustandes  giebt,  gipfelt 
in  der  Beweisführung,  dass  die  gesteigerte  Sug- 
gestionswirkung im  hypnotisirten  Zustande 
eine  Folge  der  Einschränkung  der  associativen 
Erregungen,  der  erhöhten  Intensität  des  »P^' 
tiellen  Wachens"  der  Hirnrinde  im  Bereiche 
der  suggerirten  Zwangsvorstellungen  durch 
eine  ausgezeichnete  Goncentration  sei.  Zu 
gleicher  Zeit  mit  diesem  „corticalen  Schwäche- 
zustand", diesem  „experimentell  erzeugten 
Blödsinn"  besteht  eine  Hyperästhesie  der 
subcorticalen  Gentren,  aus  welchen  dann 
pathologisch  gesteigerte  Reizungen  der  Rinde 
zufiiessen.  Diese  Gegensätzlichkeit  der  „Erre- 
gungsgrössen  des  corticalen  Organes  gegenüber 
den  subcorticalen  Himtheilen",  reiht  entspre- 
chend den  Meynert'schen  Grundanschauun- 
gen die  Hypnose  bekannten  psychiatrisch 
nenrasthenischen  Erankheitszuständen  an. 

Diese  Darlegungen  Meynert's  knüpfen 
vornehmlich  an  Krankenbeobachtungen,  an 
die  Schilderung  spontaner,  lethargischer, 
nSomnianter"  und  somnambuler  Zustände  an 
und  können  dem  Einwand  nicht  entgehen, 
dasB  diese  schweren  Erankheitsvorgänge  bei 
hysterischen  Kranken  sich  mit  den  Erschei- 
nungen bei  „leichter"  zweckmässiger  Sug- 
gestivhypnose nicht  völlig  identificiren  lassen. 
Der  psycho-physische  Mechanismus  wird 
aber,  meiner  Ueberzeugung  nach,  in  beiden 
Fällen  der  gleiche  sein  und  nur  ein  gradueller 
Unterschied,  in  der  Ausdehnung  und  Inten- 
sität des  „partiellen  Wachens"  (Fechner) 
vorhanden  sein.  So  anziehend  es  auch  wäre, 
auf  diese  Beziehungen  des  hypnotischen 
Schlaf-  und  Traumlebens  zu  gewissen  Geistes- 
störungen  näher    einzugehen,     so    muss    ich 


doch  im  Hinblick  auf  den  Zweck  dieses 
Aufsatzes  darauf  verzichten;  es  geht  aber 
schon  aus  diesen  Andeutungen,  im  Vereine 
mit  den  früheren  Ausführungen  über  den 
Einfluss  der  suggestiven  Einwirkungen  bei 
der  Erzeugung  des  Schlafes  und  den  beab- 
sichtigten Heilwirkungen  deutlich  hervor, 
dass  solche  Warnungen  nicht  überflüssig  sind. 

Für  jeden  Fall  aber  ist  mir  unbegreif- 
lich, wie  ein  Psychiater,  welcher  täglich  und 
stündlich  an  seinen  Kranken  den  tiefgreifen- 
den Einfluss  psychischer  Einwirkungen  auf 
die  Entwickelung  und  den  Weiterverlauf 
geistiger  Krankheiten  beobachtet,  von  der 
absoluten  Harmlosigkeit  und  Ungefährlich- 
keit  der  suggestiven  Procedur  reden  kann. 
Ich  darf  wohl  an  dieser  Stelle  an  die  oben 
geschilderten  trüben  Erfahrungen  Lie- 
bault's  aus  der  Zeit  seiner  Lehrjahre  er- 
innern und  ich  bitte  diesen  Meister  der 
Suggestivbehandlung  um  Entschuldigung, 
wenn  ich  sage,  dass  ihm  auch  nach  Absol- 
virung  der  Lehrzeit  ganz  gleiche  Ereignisse 
bei  seinen  „Somnambulen"  begegnen  können. 
Nirgends  in  seinen  und  seiner  Schüler  Ar- 
beiten ist  bewiesen  worden,  dass  eine  Vor- 
ausbestimmung möglich  sei,  welche  hypnoti- 
sablen  Individuen  diesen  Grad  der  Empfäng- 
lichkeit erlangen  werden  und  wann  derselbe 
erreicht  sein  wird.  Es  ist  dies  der  beste 
Beweis  gegen  die  behauptete  Dosirung  der 
Hypnose  und  ich  glaube,  dass  wir  von  dem 
Ziele  noch  weit  entfernt  sind,  für  jede  Krank- 
heit im  Voraus  das  nothwendige  Maass  von 
Hypnose  nach  unserm  Belieben  zur  Anwen- 
dung zu  bringen.  In  phantasievoller  Weise 
ist  dies  allen  Ernstes  von  Font  an  und 
Segard  (Elements  de  medecine  suggestive, 
Paris  1887)  versucht  worden.  Ihre  „reichen" 
Erfahrungen  erstreckten  sich,  wenn  ich  recht 
berichtet  bin,  bei  Abfassung  ihres  Buches 
auf  ein  Jahr.  Wenn  wir  ihren  Erfolgen 
Glauben  schenken  wollen,  so  wird  man 
künftighin  mit  einem  „mittleren"  Maasse  von 
Hypnose  durch  Suggestion  eine  Meningitis 
tuberculosa  und  auch  Diabetes  mellitus  zur 
Heilung  bringen! 

Bei  all  diesen  Bestrebungen  vergessen 
die  Anhänger  dieser  Zukunftswissenschaft, 
die  Individualität  des  Patienten  in  Rech- 
nung zu  ziehen  und  bei  der  Grundfrage  zu 
verweilen,  bei  welchen  Krankheiten  der 
Hypnotismus  überhaupt  angewandt  werden 
darf  und  ohne  weitergehende  Schädigung  der 
zu  behandelnden  Kranken  uns  einen  erheb- 
lichen Nutzen  zur  Beseitigung  gewisser  Krank- 
heitszustände  gewähren  kann? 

In  diesem  Sinne  möchte  ich  die  Ein- 
gangs gestellte  3.  Frage  umändern  und  er- 
weitern,   nachdem  wir  gesehen  haben,    dass 

15 


114 


Binswanger,  Bemerkungen  Über  die  Suggettlvtheraple. 


tTherikpeatiMli« 
Monatahefto. 


die  Yerwerthiing  der  Suggestibilit&t  zu  Heil- 
zwecken sowohl  beim  Braid*&chen  als  auch 
dem  Nancyer  (reinen  und  gemischten)  Ver- 
fahren möglich  ist,  das  letztere  aber  leichter 
und  yielleicht  auch  weniger  gefahrvoll  (be- 
züglich der  somatischen  Begleiterscheinungen) 
zum  Ziele  fuhrt. 

Ich  theile  nicht  die  Ansicht  derjenigen, 
welche  glauben,  dass  der  Hypnotismus  nur 
bei  ausgesprochen  nervös  veranlagten,  neur- 
asthenischen  oder  hysterischen  Personen  zu 
erzeugen  sei.  Mit  einiger  Geduld  und  Mühe, 
Geschicklichkeit  und  geeignetem  Genius  loci 
für  die  Hypnose,  also  in  den  modernen 
Hypnotismuscentren  Nancy,  Toulon,  Amster- 
dam u.  s.  w.,  in  der  geeigneten  Atmosphäre 
Ton  Suggerirbarkeit ,  wie  Bernheim  selbst 
den  Zustand  auf  seiner  Klinik  nennt,  können 
sicherlich  die  90  Procent  hypnotisirbarer 
Individuen  aufgefunden  werden,  von  welchen 
die  Statistik  Liebeaul t^s  spricht.  Ich  bin 
aber  aus  den  entwickelten  Gründen  gegen 
eine  solche  unmässige  Ausdehnung  des  hyp- 
notischen Verfahrens  zu  Heilzwecken.  Ich 
glaube  dem  auch  anderwärts  gefällten  Ur- 
theile  beistimmen  zu  müssen,  dass  eine  der- 
artige Verwendung  der  Suggestivtherapie  zur 
Beseitigung  aller  möglichen  Krankheitser- 
scheinungen bei  sonst  gesunden  Menschen 
dem  Bemühen  gleichkommt,  „mit  Kanonen 
nach  Spatzen  zu  schiessen^.  Man  wird  dieses 
ürtheil  im  Hinblick  auf  die  früher  mitgetheil- 
ten  mannigfaltigen  Anwendungen  des  Hypno- 
tismus  nicht  zu  unbillig  finden  können.  Aber 
auch  andere  neuere  Mittheilungen  über  die  An- 
wendung des  Hypnotismus  zu  Heilzwecken 
drängen  zu  dieser  Anschauung.  So  behandelt 
Bai  er  lach  er')  Menstruationsanomalien,  rheu- 
matische und  anderweitige  neuralgische  Zu- 
stände, unter  anderem  auch  Zahn-  und  Kopf- 
schmerzen mit  günstigem  Erfolge  mittelst 
der  hypnotischen  Suggestion,  betont  aber 
auch  die  Erfolglosigkeit  derselben  in  einer 
Reihe  von  Krankheitsfällen  und  hebt  in  einem 
günstig  beeinflussten  Falle  rheumatischer 
Occipitalneuralgie  selbst  hervor,  dass  er  ähn- 
liche Zustände  auch  mit  dem  constanten 
Strome  schon  öfter  in  gleich  rascher  Weise 
beseitigt  habe. 

Die  meisten  Mittheilungen  in  unserer 
deutschen  Litteratur  über  hypnotische  Be- 
handlung und  Heilung  durch  die  Suggestiv- 
therapie beziehen  sich  auf  neurasthenische 
und  hysterische  Krankheitszustände ,  seien 
dieselben  Constitutionen  bedingt  oder  durch 
Trauma,  Intoxicationen,  schwächende  Krank- 
heiten hervorgerufen.  (Vergl.  die  Mitthei- 
lungen   von     Schulz,     Sperling,     Nonne 

*)  München,  raedic.  Wochenschrift  1888  No.  30 
und  39. 


u.  A.)  Sie  stehen  in  Einklang  mit  den  zahl- 
reichen Veröffentlichungen  über  die  Erfolge 
der  Suggestivtherapie  seitens  ausländischer, 
vornehmlich  der  französischen  Aerzte.  Eine 
sehr  ausführliche  und  klare  Darstellung  der- 
selben findet  sich  in  der  Arbeit  des  Dr. 
A.  Frb.  V.  Schrenk-Notzing').  Diese  the- 
rapeutischen Erfolge  betreffen  hysterische 
Lähmungen  und  Contracturen,  verschiedene 
Krampfformen  (Chorea,  hystero-epilep tische 
Convulsionen ,  Schüttelkrämpfe ,  Spasmen 
u.  s.  w.),  hysterische  Aphonie  und  Amauro- 
sis, Migraine,  hysterische  Sensibilitätsstörun- 
gen, Cardialgien,  hysterisches  Erbrechen 
und  nervöse  Anorexie,  Constipation  und 
Sphincteren-Krampf,  Schlaflosigkeit  u.  a.  m. 
Ueberall  finden  wir  in  Bezug  auf  diese 
Krankheitszustände  die  Bedeutsamkeit  und 
practische  Tragweite  dieser  therapeutischen 
Methode  von  klinisch  geschulten  und  nüch- 
ternen ärztlichen  Beobachtern  anerkannt. 
Also  das  grosse  Gebiet  der  schweren 
functionellen  Nervenkrankheiten,  vor  Allem 
die  ausgeprägten  hysterischen  Krankheits- 
zustände bieten  das  geeignete  Material  zur 
hypnotischen  Behandlung  dar.  Vornehm- 
lich die  Char  cot 'sehe  Schule  hat  diese 
Beschränkung  der  Suggestivtherapie  zum 
Gesetz  erhoben.  „Die  Hysterie  des  Indi- 
viduums muss  ausserdem  wirklich  ausge- 
bildet sein;  denn  ebenso  wie  der  Hypno- 
tismus eines  der  vorzüglichsten  therapeu- 
tischen Mittel  bei  Hysterie  ist,  ebenso  kann 
er  dieselbe  ganz  besonders  schnell  hervor- 
bringen; und  es  ist  besser,  in  Frieden  zu 
leben  mit  vorübergehenden  Neuralgien,  als 
es  zu  wagen,  vielleicht  das  Auftreten  von 
Krämpfen  zu  veranlassen,  ungerechnet  alle 
die  Folgen,  die  daneben  auftreten,  und  dass 
schliesslich  weitere  Hypnotisationen  nicht 
immer  geeignet  sind,  sie  verschwinden  zu 
lassen.^  Mit  diesen  beherzigenswerthen 
Worten  zieht  Gilles  de  la  Tourette^) 
das  Facit  seiner  Erwägungen  über  die  An- 
wendung des  Hypnotismus  zu  Heilzwecken. 
Uebrigens  hat  schon  Braid  vorzugsweise  bei 
schweren  Neurosen  die  Hypnose  therapeutisch 
verwerthet  und  vor  der  unkritischen  An- 
wendung „dieser  temporären  Störung  der  ner- 
vösen Centren ^  durch  ungewöhnliche  Erregung 
gewarnt. 

Auch  bei  der  Verwerthung  des  Heil- 
hypnotismus  in  den  genannten  Krankheits- 
zuständen  wird  man  immer  zuerst  erwägen 
müssen:   1.  ob  die  Schwere  der  Krankheits- 

')  Ein  Beitrag  zur  therapeutischen  Verwerthang 
des  Hypnotismus.     Leipzig  1888. 

*)  Der  Hypnotismus  und  die  verwandten  Zu- 
stände vom  Standpunkte  der  gerichtlichen  Medicin. 
Deutsche  Ausgabe.    Hamburg  1889.   pag.  S04. 


m;  Jahrgmiif .1 
Min  1889.  J 


Binswanger,  Bemerkungen  über  die  Suggettivtherapie. 


115 


erscheiDungen    und    die   Erfolglosigkeit    an- 
derer   Heilversuche    die    Anwendung    dieses 
Verfahrens,  das  nach  all  dem  Gesagten  auch 
in   der  Hand    des    geübten  Arztes   Gefahren 
birgt,    rechtfertigt    oder    sogar    gebieterisch 
verlangt,  oder  2.  ob  eine  schwere  hysterische 
Geistesbeschaffenheit    vorliegt,     welche    den 
Hjpnotismus    weniger    gefahrlich    erscheinen 
lässt,    sodass    derselbe    dann    auch  zur  Be- 
seitigung geringfügiger  und   vorübergehender 
Krankheitserscheinungen    herangezogen    wer- 
den darf.      In   einer  Reihe  von  Fällen  wer- 
den   gleichzeitig   beide  Erwägungen    maass- 
gebend  sein,    in  anderen  Fällen  werden  wir 
uns    nur    die    erste    oder    die   zweite  Frage 
allein  vorlegen  müssen.      Beginnen   wir  mit 
dieser    letzteren.     Die  Erfahrungen    an    der 
Pariser  Salpetriere  haben    gezeigt,    dass    in 
der  Mehrzahl   der  Fälle    von    schwerer  Hy- 
sterie   (grande  hysterie)    die    experimentelle 
und  therapeutische  Anwendung    des  Hypno- 
tismus      den     hysterischen     Grundcharacter, 
wenn  ich  so  sagen  darf,  und  die  hysterischen 
Erankheitszustände    niemals   dauernd  heben, 
wohl    aber    einzelne    schwere  Erscheinungen 
(vergl.  die  obige  Zusammenstellung)  beseiti- 
gen kann.     Bezüglich  der   schweren  hysteri- 
schen „Krisen^    soll    nach    den  Erfahrungen 
P.  Richer's   der  Hypnotismus    direct    einen 
günstigen  Einfluss   besitzen:      „Ich  habe  be- 
merkt, dass  seit  mehreren  Jahren,    seit  wir 
Versuche    mit    dem   Hypnotismus    anstellen, 
die  Anfalle  von  grosser  Hysterie  bei  unseren 
Kranken  in  der  Salpetriere  seltener  geworden 
sind.     Bei   einigen  Kranken    treten    die  An- 
falle in   grosseren  Pausen   auf,    bei   anderen 
sind  sie,  wenn  nicht  ganz,  doch  beinahe  ver- 
schwunden.    Es    hat   also   der  Hypnotismus 
einen  günstigen  Einfluss  auf  die  hysterischen 
Krampfanfälie  und  der  Einfluss  auf  die  Com- 
plicationen    dieses    Nervenleidens    ist    nicht 
weniger    günstig"*).     Die    Kranken    werden 
durch  Suggestion  oder  durch  eine  der  sonst 
in  der  Salpetriere  gebräuchlichen  hypnogenen 
Maassnahmen  in  den    hypnotischen  Ruhezu- 
stand,   am   besten   in  Lethargie  oder,   wenn 
dies  nicht  möglich,  in  Somnambulismus  ver- 
setzt,   also   in   analoger  Weise  dem  drohen- 
den und  beginnenden  Anfalle  entzogen,    wie 
dies    Schwarzschild    u.  A.  schon    früher- 
hin  gethan  haben.      Auf  der  Höhe  des  An- 
falls gelingt   die  Hypnotisation    nur    selten; 
ungeeignet    für    diese  Behandlung   sind   die- 
jenigen Kranken,  welche  durch  die  Hypnose 
in  kataleptische  Zustände  verfallen,  da  sich 
aus  denselben    die   schweren  Krampferschei- 
nungen zu  entwickeln  pflegen    (vergl.  hierzu 
meine    oben    erwähnte  Beobachtung).     Auch 


*)  Vergl.  Gilles  de  la  Tourette  1.  c.  pag.  292. 


macht  Char cot  darauf  aufmerksam,  dass  bei 
den  „Somnambules  agites",  also  denjenigen 
Kranken,  welche  in  der  Hypnose  lebhafte 
Erregungen  und  Sinnestäuschungen  zeigen, 
dies  Verfahren  nicht  indicirt  erscheint.  Nicht 
alle  Fälle  schwerer  Hysterie  sind  für  die 
Hypnose  empfänglich;  in  jenen  Fällen  aber, 
in  welchen  dieselbe  leicht  gelingt  und  nur 
ruhige  Schlaf  zustände  (lethargische  und  som- 
nambule) durch  sie  bewirkt  werden,  ist  es 
mittelst  der  Suggestion  möglich,  auch  ausser 
den  hysterischen  Anfällen  mannigfache  Krank- 
heitserscheinungen zu  bekämpfen.  Für  die- 
jenigen der  Leser,  welchen  die  Anwendung 
der  Suggestivtherapie  unbekannt  ist,  wird 
vielleicht  die  ausführlichere  Mittheilung  einer 
schulmässigen  Krankenbeobachtung  nicht 
ohne  Interesse  sein. 

[Sehltus  folgt,] 


(Au8  der  psychlatrlBchen  Klinik  xu  Jena.) 

I>ie  OpiumbehaDdliinsr  bei  Psychosen. 

Von 

Docent  Dr.  Theodor  Ziehen, 

Hamarzt  der  Irren-Hellanstalt  su  Jena. 

fSchluu.J 

Weiterhin  hat  sich  ergeben,  dass  es  vor- 
theilhafber  ist  die  Tagesdosis  nicht  auf  zu 
viele  kleine  Einzeldosen  zu  verzetteln.  Wir 
beschränken  uns  in  der  Regel  auf  3,  höchstens 
4  Dosen  am  Tage;  die  erste  ist  um  7  Uhr, 
die  zweite  um  3  Uhr,  die  dritte  um  9  Uhr 
zu  geben.  Bei  schlechtem  Schlaf  wird  die 
2.  Dosis  statt  um  3  Uhr  erst  um  6  Uhr 
gegeben,  so  dass  die  Hauptwirkung  des 
Opiums  auf  Abend  und  Nacht  fällt.  In 
dieser  Weise  erhalten  nun  die  Kranken  je 
nach  ihrem  Elräftezustand  schon  am  ersten 
Tage  dreimal  0,05  bis  dreimal  0,1  Opium. 
Alsdann  wird  Tag  für  Tag  die  Dosis  pro  die 
um  0,05  gesteigert;  bei  raschem  Ansteigen 
des  Krankheitsprocesses,  namentlich  also  bei 
den  agitirten  Formen,  muss  täglich  um  0,1 
gestiegen  werden.  Bei  den  agitirten  Formen 
ist  dies  Steigen  fortzusetzen,  bis  die  Angst- 
affecte  nachlassen  oder  eine  Dosis  von  1,0 
erreicht  ist.  In  gewissen  Fällen  scheute  ich 
mich  übrigens  nicht,  wochenlang  noch  höhere 
Tagesdosen  (bis  zu  1,5)  zu  geben.  Bei  den 
passiven  Formen  ist  es  am  zweckmässigsten 
auf  0,5 — 0,6  pro  die  stehen  zu  bleiben.  Ein 
gutes  Zeichen,  dass  mit  dem  Steigen  aufzu- 
hören ist,  gab  mir  meist  die  auch  sphyg- 
mographisch  oft  von  mir  verfolgte  Lösung 
des  anfänglich  vorhandenen  Gefässkrampfes^). 

8)  Vgl.  0.  J.  B.  Wolff.  Arch.  f.  Psychiatrie  IL 
S.  60L 

16  • 


116 


Ziehen,  Die  OpiumbehandXung  bei  Ptychosen. 


rlxerapAOtltelie 
Mnnatiihefle. 


An  der  erreichten  Tagesdosis  ist  nun  nicht 
starr  festzuhalten.  Namentlich  bei  den  agi- 
tirten  Formen  als  den  veränderlicheren  gilt  es, 
jede  Schwankung  des  psychischen  Befindens 
mit  einer  kleinen  Schwankung  der  Dosis  zu 
beantworten.  Kur  die  genaueste  Krankheits- 
beobachtung und  grosse  Erfahrung  yerhilft 
zu  dem  hier  erforderlichen  täglichen  Indivi- 
dualisiren.  Ein  definitives,  stetiges  Herunter- 
gehen mit  der  Dosis  hat  erst  dann  einzutreten, 
wenn  ein  anhaltendes  Krankheitsbewusstsein 
sich  einzustellen  beginnt.  Man  wird  zweck- 
mässig die  Tagesdosis  täglich  um  höchstens 
0,05  vermindern.  Die  Ab stinenzersch einungen 
bei  dem  Sinken  der  Dosen  sind  übrigens 
ebenso  wie  die  Intoxicationserscheinungen 
bei  dem  Steigen  auffallend  klein. 

Unter  den  letzteren  ist  die  in  etwa  50 "/o 
der  Fälle  sich  in  lästiger  Weise  bemerklich 
machende  Obstipation  mit  gutem  Erfolg  von 
Anfang  an  durch  das  Fluid  Extract  der 
Cascara  sagrada  (bis  zu  3  Theelöffeln  täg- 
lich)^) zu  bekämpfen.  Nöthigenfalls  sind 
Ricinusolklystiere  zu  geben.  Auch  Massage 
des  Unterleibs  ist  ein  vorzügliches  Prophy- 
lacticum.  Gegen  die  Durchfälle  auf  der 
Hohe  der  Behandlung  und  beim  Aussetzen 
des  Opiums  empfiehlt  sich  Tct.  Goto  (10  bis 
20  Tropfen,  ev.  mehrmals  täglich).  —  Er- 
brechen im  Verlauf  der  Behandlung  ist  fast 
ausnahmslos  eine  vorübergehende  Erscheinung 
und  indicirt  zunächst  nur,  mit  der  Dosis  weder 
weiter  zu  steigen  noch  weiter  zu  fallen. 
Wird  das  Opium  selbst  erbrochen,  so  giebt 
man  Extr.  Op.  subcutan.  —  Der  Appetit 
leidet  unter  der  Opiumbehandlung  bei  Melan- 
cholie selten,  die  Ernährung  hebt  sich  trotz 
raschen  Steigens  der  Dosen  in  der  Regel 
ganz  auffallend.  So  ward  bei  einer  jungen 
Melancholica  binnen  8  Tagen  auf  0,5  Op. 
pur.  gestiegen:  das  Körpergewicht  stieg  in 
derselben  Zeit  um  7  ^. 

Irgend  welchen  ernstlichen  Collaps  habe 
ich  bei  der  von  mir  geübten  Darreichung 
niemals  gesehen. 

Oefter  gaben  mir  die  Kranken  das  Auf- 
treten zahlreicher  kleiner  schwarzer  Punkte 
im  Gesichtsfeld  an;  in  einem  Falle  „ballten 
sich  auch  die  Punkte  zu  schwarzen  Schatten 
zusammen^.  Wirkliche  Hallucinationen  sah 
ich  nicht  eintreten.  Auch  jene  Mouches 
volantes  sind  vorübergehend. 

Als  wichtiges  medicamentöses  Unter- 
stützungsmittel des  Opiums  nenne  ich  den 
Gampher  bei  der  Melancholia  passiva  und 
stupida.  Derselbe  ist  in  Dosen  von  0,05  bis 
0,1   mehrmals  täglich  zu  geben  ^^).     Ich  füge 

^)  AuchViDumCascarae  hat  sich  mir  ^t bewährt. 

^^)  V.  Krafft-Ebing's  angüDstigo  Erfahrunffen 

(Lehrbuch,   Bd.  III.    S.  52)    über  Opium    bei  fie- 


hier  beiläufig  hinzu,  dass  auch  in  einem 
schweren  Fall  sog.  acuter  tödtlicher  Hysterie 
(L.  Meyer)  diese  Verbindung  von  Opium 
und  Gampher  (0,01  p.  dost)  sich  als  von 
unverkennbarem  Nutzen   erwiesen  hat. 

Es  ist  noch  die  Frage  zu  erledigen,  wie 
lange  die  geschilderte  Opiumbehandlung 
dann,  wenn  ein  wesentlicher  Erfolg  aus- 
bleibt, fortgesetzt  werden  soll.  Seitdem 
ich  in  2  Fällen  verschleppter  Melancholie 
nach  7  resp.  9  monatlichem  Opiumgebrauch 
Genesung  habe  eintreten  sehen,  möchte  ich 
rathen,  eventuell  vor  einem  bis  zu  Jahres- 
dauer fortgesetzten  Opiumgebrauch  nicht 
zurückzuschrecken,  selbstverständlich  nur 
dann,  wenn  der  Intellect  noch  keinerlei 
Defect  aufweist. 

2.  Manie''). 

Der  längere  Gebrauch  von  Opium  in  der 
typischen  Manie  erwies  sich  mir  in  4  Fällen 
durchaus  unvortheilhaft.  Genesung  trat  erst 
ein,  nachdem  das  Opium  ausgesetzt  worden 
war;  selbstverständlich  soll  hiermit  nicht 
gesagt  sein,  dass  nicht  schliesslich  eventuell 
trotz  weiteren  Gebrauchs  des  Opiums  auch 
Heilung  eingetreten  wäre.  Jedenfalls  habe 
ich  seitdem  die  Manie  hier  ohne  Opium 
rascher  verlaufen  sehen.  Will  man  über- 
haupt Medicamente  anwenden,  so  ist  ausser 
den  Bromsalzen  namentlich  das  Hyoscin  zu 
empfehlen,  welches  der  Manie  gegenüber  nach 
meinen  Erfahrungen  in  analoger  Weise  günstig 
wirkt,  wie  das  Opium  der  Melancholie  gegen- 
über. 

Nur  im  Reconvalescenzstadium  der  Manie 
erwiesen  sich  Opiate  oft  nützlich  gegen  die 
hier  nicht  seltene,  protrahirte  Reizbarkeit 
und  Weinerlicheit.  Auch  die  ähnliche  Phase 
des  Pubertätsirreseins  wird  vom  Opium 
(kleine  Dosen!)  günstig  beeinflusst  und  ab- 
gekürzt. 

3,  Paranoia, 

a.  Die  nicht-hallucinatorische  Form 
(Paranoia  simplex)  ist  für  eine  methodische 
Opiumbehandlung  nach  meinen  Erfahrungen 
ungeeignet;  oft  wirkt  Opium  hier  sogar 
schädlich.  Gegen  intercurrente  AflFectano- 
malien  sowie  gegen  die  nicht  so  seltenen 
neuralgischen  Sensationen  und  Parasthesien 
(speciell  in  den  Genitalgebieten)  kann  es 
vorübergehend  mit  gutem  Erfolg  symptoma- 
tisch gegeben  werden ;  der  letzteren  Indication 
genügen  Morphiuminjectionen  besser. 

b.  Die  hallucinatorische  Form  (Pa- 
ranoia hallucinatoria)  entsteht  bekanntlich 
meist  auf  asthenischer  Grundlage.    Es  handelt 

Inncholia  passiva  beziehen  sich   wohl  auf  den  Ge- 
brauch von  Opium  ohne  Gampher. 

^')  Die  Mania  hallucinatona  (Mendel)  rechnen 
wir  hier  mit  den  meisten  Autoren  zur  Paranoia. 


III.  Jahrgmng.l 
MSn  1889.  J 


Zi«h«iiy  Di«  Opiumb«handlung  bei  Psychosen. 


117 


sich  um  Gehirne,  die  durch  Alkoholmiss- 
brauch,  sexuelle  Excesse,  fieberhafte  Krank- 
heiten, Blutverlust,  Entbehrungen  oder  Kum- 
mer erschöpft  sind.  Wo  solche  cerebrale 
Erschöpfung  als  wesentliches  ätiolo- 
gisches Moment  für  eine  hallucinato- 
rische  acute  oder  subacute  Paranoia 
nachgewiesen  werden  kann,  ist  Opium 
und  zwar  in  kleineren  und  mittleren 
Dosen  zu  geben,  so  lange  und  in  dem 
Maasse,  als  die  cerebrale  Erschöpfung 
mit  Reizsjmptomen^')  (Hallucinatio- 
nen)  einhergeht.  Man  halte  sich  in  der 
Begel  auf  einer  Tagesdosis  yon  0,2 — 0,6  Opium 
pur.  Nur  bei  heftigen  durch  die  Halluci- 
nationen  veranlassten  Angstafifecten  geht  man 
mit  y ortheil  höher.  Im  Uebrigen  ist  die 
Darreichung  dieselbe  wie  bei  der  Melancholie. 
Die  Verbindung  mit  Campher  bei  den  pas- 
siven Formen  ist  auch  hier  zu  empfehlen. 
Bei  spinalen  Erregungszuständen  ist  es  zweck- 
mässig, mit  dem  Opium  Bromkalium  zu  ver- 
binden (4,0 — 6,0—10,0  pro  die);  aber  auch, 
wo  spinale  Erregungszustände  fehlten,  sah 
ich  zuweilen  von  der  Hinzufügung  des  Brom- 
kaliums y ortheile.  Auch  Chinin  und  Arsen 
sind  oft  wichtige  Unterstützungsmittel. 

Unter  den  50  von  mir  behandelten  Para- 
noia-Formen sind  28  Fälle  von  Paranoia  acuta 
s.  subacuta  hallucinatoria,  in  welchen  cere- 
brale Erschöpfung  als  wesentlichste  Krank- 
heitsursache angeschuldigt  werden  musste. 
In  24  Fällen  (ca.  86%)  trat  Genesung  ein. 
Auch  dieser  Procentsatz  dürfte  über  dem 
sonst  ohne  Opiumbehandlung  bei  dieser  Psy- 
chose erzielten  Procentsatz  von  Genesungen 
stehen;  jedenfalls  sind  die  hiesigen  Resultate 
bei  der  Behandlung  ohne  Opium  um  ca.  15% 
schlechter.  Dass  Bettruhe,  psychische  Diät 
etc.  auch  hier  yorbedingung  für  günstigen 
Erfolg  sind,  sei  nochmals  hervorgehoben. 

Das  Delirium  tremens,  welches  ja  als 
eine  peracute  hallucinatorische  Paranoia  bei 
dem  durch  chronischen  Alkoholabusus  er- 
schöpften Gehirn  angesehen  werden  kann, 
ist  iinter  jenen  50  Fällen  nicht  miteinbe- 
griffen. Der  yerlauf  der  Psychose  als  solcher 
ist  hier  zwar  fast  ausnahmslos  so  günstig, 
dass  es  keiner  Medication  zu  bedürfen  scheint. 
Indessen  setzt  die  hochgradige  Agitation  den 
Deliranten  so  manchen  Gefahren  aus  (CoUaps, 
Pneumonie),  dass  ein  Sedativum  oft  sich  em- 
pfiehlt. Als  bestes  ist  auch  hier  das  Opium 
(mittlere  Dosen  I)  zu  erachten. 

Die  Frage,  worauf  die  günstige  Wir- 
kung des  Opiums  auf  die  rein  affective  Me- 
lancholie imd  die  durch  cerebrale  Erschöpfung 

'*)  Wo  die  ErschöpfuDg  ohne  Reizsymptome 
verläuft,  also  das  klinische  Bild  des  reinen  Er- 
Bchöpfungsstupors  besteht,  ist  Opium  nicht  räthUch. 


bedingte  hallucinatorische  Paranoia  beruht, 
so  dass  erstens  mehr  Fälle  geheilt  werden 
und  zweitens  sehr  oft  auch  —  namentlich 
bei  frühem  Einsetzen  der  Opiumbehandlung  — 
der  Krankheits verlauf  abgekürzt  wird,  ist 
sehr  verschieden  beantwortet  worden.  Von 
einer  specifischen  Wirkung  kann  nicht  die 
Rede  sein.  Die  vasomotorische  Wirkung  des 
Opiums,  in  höheren  Dosen  den  peripherischen 
Gefässkrampf  zu  lösen,  kommt  nebenher  in 
manchen  Fällen  gewiss  in  Betracht.  Das 
Wesentlichste  ist  jedoch  jedenfalls  die  directe 
sedative  Wirkung  des  Opiums  auf  die  cere- 
bralen und  speciell  die  corticalen  Vorgänge. 
Indem  es  die  anstürmenden  Affecte,  Sinnes- 
täuschungen und  Wahnideen  mässigt,  vermag 
der  Intellect  des  Kranked  diesem  Ansturm 
länger  zu  widerstehen.  So  wird  eine  un- 
schätzbare Zeit  gewonnen  für  die  Einwir- 
kung unserer  anderweitigen  Behandlung 
(kräftige  Ernährung  etc.)  oder  die  spontane 
Erholung  des  Kranken. 

Für  die  Praxis  ausserhalb  der  Anstalt 
ergiebt  sich  das  Folgende.  Bis  zur  Ueber- 
führung  eines  acut  Psychisch-Erkrankten  in 
eine  Anstalt  ist  bei  trauriger  Verstimmung 
mit  Angstaffecten  ohne  Hai  lucin  ationen  (Me- 
lancholie) und  ebenso  jeder  hallucinatorischen 
Erregung  auf  Grund  erschöpfender  Einflüsse 
(Paranoia  halluc.)  Opium  zu  geben.  Bei 
heiterer  Verstimmung  ohne  Hallucinationen 
(Manie)  dürften  bei  der  sorgfältigen  Ueber- 
wachung,  welche  die  Hyoscin- Anwendung 
erfordert,  hohe  Bromsalzdosen  sich  einst- 
weilen empfehlen.  So  wird  für  acute  heil- 
bare Psychosen  die  Anstaltsbehandlung  am 
zweckmässigsten  vorbereitet  und  eingeleitet. 
Eigentliche  Schlafmittel  werden  nebenher  oft 
nicht  zu  vermeiden  sein.  Bei  dem  Gros 
der  übrigen  Psychosen,  für  welche  der  Ver- 
lauf ein  mehr  chronischer  ist,  ist  die  Aus- 
wahl des  speciellen  Sedativums  weniger 
wichtig. 

Es  erübrigt  zu  fragen,  ob  vielleicht  in 
gewissen  Fällen  die  obige  Opiumbehandlung 
die  Ueberführung  in  eine  Anstalt  überflüssig 
machen  kann.  Die  Familienbehandlung  ist 
nie  räthlich  bei  der  acuten  hallucinatorischen 
Paranoia.  Bei  der  Melancholie  ist  sie  dann 
angängig,  wenn  l)  keine  An gstaffecte  bestehen, 
sondern  nur  eine  leichte  gemüthliche  Depres- 
sion, 2)  die  Verhältnisse  genaue  Ueber- 
wachung  und  Pflege  erlauben. 

Die  erste  Hallucination,  der  erste  Angst- 
affect  sollen  unbedingt  zur  Ueberführung  in 
eine  Irrenanstalt  veranlassen.  Denn  damit 
sind  die  Handlungen  des  Kranken  unbe- 
rechenbar geworden.  Der  günstige  anfäng- 
liche Erfolg  der  Opiumbehandlung  darf  nicht 
zum  Zögern   verführen.     Der  Arzt  hat  dann 


118 


Tr eitel,  BehandX.  der  Coi^uiicttvitls  granulOM  mittelst  part.  EzciiioA  der  Bindehaut,    n^^^f,!?^!^^ 


L  Monatshefte. 


genug  gethan,  y/enn  er  durch  frühzeitiges 
Einleiten  der  zweckentsprechenden  Behand- 
lung einen  rascheren  und  sicheren  Erfolg 
der  Anstaltsbehandlung  ermöglicht  hat. 


lieber  die  Behandlung  der  CoiUnnctivitis 
granulosa    mittelst    partieller    Excision 

der  Bindehaut. 

Von 

Dr.  Th.  Treitei, 

Docent  für  Augenheilkunde  In  Königsberg  i.  Pr. 

fSehlutt.J 

Einige  Wochen  nach  der  Operation  er- 
scheinen die  Lider  bei  der  grosseren  Hälfte 
der  Operirten  vollkommen  normal,  bei  den 
Uebrigeu  in  folgender  Weise  verändert. 

Bei  unveränderter  Stellung  kann  der 
Rand  des  oberen  Lides  eine  nach  oben  mehr 
als  normal  convexe  Linie  darstellen  oder  in 
dem  mittleren  Abschnitt  wie  eingekerbt  aus- 
sehen. Diese  Anomalie  ist  meistens  sehr 
gering  und  kann  bei  oberflächlicher  Betrach- 
tung leicht  übersehen  werden.  Sie  beruht 
darauf,  dass  der  Knorpelschnitt  in  der  Mitte 
dem  Lidrand  naher  liegt  als  an  den  Seiten 
und  kann  demnach  durch  correcte  Anlegung 
des  Schnittes  vermieden  werden. 

Dagegen  ist  es  nicht  immer  zu  verhüten, 
dass  das  ganze  obere  Lid  hoher  als  normal 
steht,  dass  die  Lidspalte  in  verticaler  Rich- 
tung weiter  als  bei  einem  gesunden  Auge 
klafft.  Diese  Stellungsveränderung  wirkt  be- 
sonders störend  erstens  in  den  seltenen 
Fällen  von  einseitiger  Operation  wegen  ein- 
seitiger Erkrankung,  und  zweitens  dann,  wenn 
sie  sich  auf  beiden  Augen  verschieden  stark 
gestaltet.  Sie  ist  weniger  zu  fürchten,  wenn 
nicht  zu  ausgiebig  operirt  wird,  wenn  also 
die  Excision  sich  einerseits  nicht  bis  in  die 
Gonjunctiva  bulbi,  andrerseits  nicht  zu  nahe 
an  den  Lidrand  erstreckt. 

In  letzterem  Falle  könnte  ausserdem 
ein  partielles  oder  totales  Entropium  des 
oberen  Lides  entstehen.  Ein  Entropium  habe 
ich  einmal  im  nasalen  Abschnitte  des  oberen 
Lides  erlebt  und  nach  der  Burchard tischen 
Methode  durch  Einpflanzung  eines  brücken- 
formigen  Lappens  aus  der  dem  Lidrand  be- 
nachbarten Haut  in  den  intermarginalen  Theil 
dauernd  beseitigt. 

Eine  weitere  wichtige  Stellungsanomalie 
des  oberen  Lides  nach  der  Bindehautexcision 
ist  Ptosis.  Vorübergehende  Ptosis  beobachtet 
man    gar   nicht   selten,    so    lange   das   obere 


Lid  ödematös  geschwollen  ist.  Man  muss 
diesen  Zustand  kennen,  um  sich  nicht  un- 
nöthigen  Besorgnissen  hinzugeben,  wenn  der 
Kranke  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Abnahme 
des  Verbandes  das  obere  Lid  kaum  zu  heben 
vermag.  Dauernde  hochgradige  Ptosis  habe 
ich  in  der  ersten  Zeit  dreimal  beobachtet, 
als  ich  nach  dem  Vorschlage  von  Schneller 
in  Dan  zig  nur  den  oberen  Uebergangs  theil 
ohne  Tarsus  excidirte.  Bei  der  oben  be- 
schriebenen Operationsmethode  habe  ich  sehr 
geringe  Ptosis  zweimal  zu  Gesicht  bekommen. 
Dabei  möchte  ich  aber  nicht  zu  bemerken 
unterlassen,  dass  Schneller  selbst  bei  einer 
grösseren  Zahl  von  Excisionen  niemals  Ptosis 
erlebt  zu  haben  angiebt.  Trotzdem  möchte 
ich  meinen,  dass  bei  dem  Sehn  eil  er' sehen 
Verfahren,  bei  dem  der  Uebergangstheil  in  eine 
Pincette  eingeklemmt  und  dann  mit  einer 
Scheere  abgetragen  wird,  leichter  subconjunc- 
tivales  Gewebe  excidirt  und  somit  die  Sehne 
des  Levator  palpebrae  superioris  verletzt  wer- 
den kann.  Freilich  sollte  man  auf  Grund 
der  bisher  gültigen  Anschauungen  der  Ana- 
tomie, nach  denen  sich  die  Levatorsehne  am 
oberen  convexen  Rande  des  Tarsus  inserirt, 
erwarten,  dass  sich  in  Folge  jeder  Operation, 
bei  welcher  der  letztere  entfernt  wird,  hoch- 
gradige Ptosis  einstellt.  Warum  dies  nicht 
geschieht,  wird  durch  die  Schwalb  ersehe 
Beschreibung  und  Abbildung*)  der  Insertion 
des  Levator  durchaus  erklärt.  Danach  setzt 
sich  nämlich  die  Hauptsehne  des  Levator 
in  einem  vor  dem  Tarsus  gelegenen,  von 
Schwalbe  als  centrale  Bindegewebsschicht 
bezeichneten  Gewebe  an,  also  zwischen  dem 
Muse,  orbicularis  und  dem  Tarsus. 

Da  die  Stellung  des  oberen  Lides  durch 
die  Excision  meistens  nicht  verändert  wird, 
so  bleibt  auch  nach  derselben  oft  die  schon 
vorher  vorhandene  Ptosis  bestehen,  die  ihre 
Ursache  in  dem  Grundleiden  findet.  Diese 
Ptosis  habe  ich  verschiedene  Male  auf 
Wunsch  der  Patienten  zu  operiren  Gelegen- 
heit gehabt  und  von  der  v.  Graefe 'sehen 
Operation  —  Excision  eines. Streifens  Cutis 
und  Orbicularis  —  bessere  Erfolge  gesehen, 
als  sie  im  Allgemeinen  diesem  Verfahren 
nachgerühmt  werden.  Man  muss  nur  den 
unteren  Wundrand  nicht  zu  weit  vom  freien 
Lidrand  anlegen. 

Die  Form  und  Stellung  des  unteren 
Lides  verhält  sich  nach  der  Excision  des 
unteren  Uebergangstheils  der  Regel  nach 
ganz  normal.  Einige  Male  ist  es  mir  auf- 
gefallen, dass  das  untere  Lid,  das  bei  ge- 
radeaus gerichtetem  Blick  keine  Abweichung 
von   der   Norm   erkennen  Hess,   bei  Hebung 

*)  Lehrbuch  der  Anatomie  der  Sinnesorgane, 
Erlangen  1887,  p.  221  und  241. 


Mira  ils?  J       Tr eitel,  Bebandl.  der  Coi^unctivitis  s^rmnuloia  mittelst  part  Ezeision  der  Bindehaut. 


119 


» 


der  Blicklinie  vom  Bulbus  abstand.  Um  dies 
zu  yermeiden,  muss  man  auch  unten  nicht 
zu  ausgiebig  excidiren  und  möglichst  wenig 
subconjunctivales  Gewebe  entfernen. 

Die  eben  besprochenen,  den  Excisionen 
folgenden  Anomalien  sind  nur  kosmetischer 
Natur;  sie  sind  an  sich  unerheblich  und 
Tersch winden  vollkommen  gegenüber  der  gün- 
stigen Einwirkung  der  Operation  auf  die  für 
das  Sehvermögen  so  unheilvolle  Conjuncti- 
vitis granulosa.  Dazu  kommt  noch,  dass 
Form-  und  Stellungsanomalien  der  Lider  bei 
vorsichtigem  und  sorgfältigem  Operiren  fast 
ganz  vermieden  werden  können,  und  dass 
die  Krankheit  an  sich  nicht  unerhebliche 
Entstellungen  im  Aussehen  des  Auges  her- 
beiführt. 

Viel  wichtiger  erscheint  folgender  Einwand. 
A  priori  könnte  man  zu  der  Ansicht  gelangen, 
dass  die  Excisionen  auf  den  Verlauf  der 
Conjunctivitis  granulosa  ungünstig  einwirken 
müssen  und  deshalb  zu  verwerfen  seien.  Die 
Schrumpfung  und  die  damit  einhergehende 
Verkürzung  des  Bin dehauttr actus  sind  ja  die 
gefurchteten  Ausgänge  der  sog.  aegyptischen 
Augenentzündung.  Es  kann  deswegen  irra- 
tionell erscheinen,  bei  einem  derartigen  Lei- 
den grosse  Stücke  der  Bindehaut  zu  ent- 
fernen, zumal  ausserdem  zu  befürchten  steht, 
dass  die  durch  die  Excision  gesetzte  Narbe 
die  Cornea  irritiren  wird,  und  dass  in  Folge 
des  Verlustes  der  Uebergangstheile  die  Lider 
bei  den  Bewegungen  des  Bulbus  an  der  Aug- 
apfelbindehaut zerren  und  dadurch  nicht 
allein  den  Patienten  unangenehme  Empfin- 
dungen verursachen,  sondern  auch  einen  Reiz- 
zustand der  Cornea  unterhalten  werden. 

Durch  derartige  Bedenken  habe  ich  mich 
selbst  lange  Zeit  abhalten  lassen,  die  Exci- 
sionen auszuführen,  und  erst  die  Schnel- 
ler'sche  Arbeit  im  80.  Bande  des  Graefe'- 
schen  Archivs  wurde  für  mich  die  Veran- 
lassung, die  Operation  systematisch  anzu- 
wenden. 

Die  theoretischen  Speculationen  haben 
sich  in  dieser  Frage  der  praktischen  Medicin 
als  ganz  trügerisch  erwiesen.  Die  von  der 
Excision  a  priori  zu  fürchtenden  Fol- 
gen treten  bis  auf  verschwindend  sel- 
tene Ausnahmefälle  thatsächlichnicht 
ein.  Diese  These  kann  ich  in  Ueberein- 
stimmung  mit  den  bisher  vorliegenden  Publi- 
cationen  als  Ergebniss  meiner  Beobachtungen 
aufstellen. 

Durch  die  Excision  gelingt  es  schneller 
als  durch  irgend  ein  bisher  bekanntes  Ver- 
fahren die  Heilung  der  Conjunctivitis  granu- 
losa herbeizuführen. 

Durch  diese  Operation  wird  eben  der 
wesentlichste  Angriffspunkt  ded  Leidens  d.  i. 


die  Fornix  conjunctivae  und  die  Conjunctiva 
tarsi  zum  grossen  Theil  entfernt.  Die  zu- 
rückbleibende Conjunctiva  bulbi  besitzt  — 
wahrscheinlich  in  Folge  des  Fehlens  von 
adenoidem  Gewebe  —  eine  wenn  auch  nicht 
absolute,  so  doch  sehr  erhebliche  Immunität 
gegen  die  Bildung  von  LymphfoUikeln.  Man 
darf  aber  nicht  annehmen,  dass  ähnlich  wie 
nach  einer  Geschwulstexstirpation  nach  der 
Excision  die  Conjunctivitis  granulosa  voll- 
kommen beseitigt  ist.  Es  ist  auch  nicht 
die  Aufgabe  bei  der  Excision,  alles  Krank- 
hafte zu  entfernen.  Der  operative  Eingriff 
befördert  nur  die  Heilung  in  sehr  erheblichem 
Maasse.  Es  ist  danach  eine  fortgesetzte  Be- 
handlung nothwendig,  die  nach  den  bekann- 
ten Regeln  zu  leiten  ist,  über  welche  jedes 
Lehrbuch  Auskunft  ertheilt. 

Dass  sich  die  Granulationen  nach  allei- 
niger Excision  des  oberen  Uebergangstheils 
mit  oder  ohne  gleichzeitige  Excision  des 
Tarsus  in  den  zurückbleibenden  Partien  der 
Bindehaut  in  auffallend  kurzer  Zeit  zurück- 
bilden, habe  ich  nicht  beobachten  können, 
und  es  mir  aus  diesem  Grunde  zur  Regel 
gemacht,  stets  gleichzeitig  den  unteren  Ueber- 
gangstheil  fortzunehmen,  wenn  er  sich  mit 
einigermaassen  zahlreichen  Follikeln  besetzt 
zeigt.  Aus  demselben  Grunde  erscheint  es 
mir  rathsam,  stets  mit  dem  oberen  üeber- 
gangstheil  einen  Theil  der  benach- 
barten Conjunctiva  palpebralis  und 
den  entsprechenden  Abschnitt  des 
Tarsus  auszuschneiden.  Es  sind  mir 
nicht  allein  Fälle  zu  Gesicht  gekommen,  in 
denen  sich  nach  alleiniger  Excision  des  oberen 
Uebergangstheils  die  Follikel  der  oberen 
Conjunctiva  tarsi  ebenso  langsam  wie  ohne 
Excision  zurückbildeten,  sondern,  was  noch 
mehr  zu  Gunsten  der  Tarsusausschneidung 
ins  Gewicht  fällt,  auch  solche  Fälle,  in  denen 
Granulationen  in  der  Conjunctiva  tarsi  auf- 
traten resp.  sich  vermehrten,  während  letz- 
tere vor  der  Operation  ganz  normal  oder 
wenig  verändert  erschien.  Dieser  Zufall 
wurde  sogar  im  unmittelbaren  Anschluss  an 
die  Excision  des  oberen  Uebergangstheils 
beobachtet,  wohl  als  Folge  zum  Theil  des 
operativen  Traumas,  zum  Theil  des  Ver- 
bandes. 

Relativ  schneller  als  die  Resorption  der 
restirenden  Follikel  erfolgt,  soviel  ich  ge- 
sehen habe,  nach  unserer  Operation  die  Rück- 
bildung des  Pannus,  gelegentlich  in  erstaun- 
lich kurzer  Zeit. 

War  die  Cornea  schon  in  Mitleidenschaft 
gezogen,  so  sind  die  sonst  so  häufigen  Reci- 
dive  nach  der  Excision  seltener,  wenn  auch 
nicht  ganz  ausgeschlossen.  Sie  sind  beson- 
ders  dann  zu  fürchten,    wenn  die  Hornhaut 


120  Tr eitel,  BebandL  der  Coi^unetlviti«  granulosa  mittelst  part. Excision  der  Bindebaut.     [^Monat«häte7^ 


schon  längere  Zeit  afficirt  gewesen,  wenn 
also,  wie  man  wohl  annehmen  darf,  die  Er- 
krankung in  dieser  Membran  schon  eine  mehr 
selbständige  Gestaltung  angenommen  hat. 

"Wenn  ich  nach  dem  Vorstehenden  als 
Regel  beobachtet  habe,  dass  die  Conjunc- 
tivitis granulosa  einige  Wochen  nach  der  Exci- 
sion  erheblich  gebessert,  dass  Fälle  ohne 
Pannus  nach  relativ  kurzer  Zeit  —  durch- 
schnittlich etwa  6  Monaten  —  vollkommen 
geheilt  sind,  dass  der  Pannus  sich  schnell 
zurückbildet,  dass  Recidive  seltener  als  ohne 
Operation  auftreten ,  so  muss  ich  doch  hin- 
zufugen, dass  sich  in  drei  Fällen  mit  altem 
Pannus  ein  sehr  ungünstiger  Verlauf  einge- 
stellt hat.  Es  traten  wiederholentlich  sehr 
hartnäckige  Entzündungen  der  Cornea  auf, 
und  es  währte  in  einem  yon  diesen  Fällen 
fast  ein  ganzes  Jahr,  bis  das  Auge  zur  Ruhe 
kam.  Einen  derartigen  Verlauf  habe  ich 
bei  der  früher  üblichen,  friedlichen  Therapie 
—  Atropin,  Kataplasmen  und  Verband,  da- 
nach kühle  Umschläge  und  Touchiren  mit 
Cuprum  sulfuricum  —  niemals  gesehen.  Die 
Excisionen  waren  nicht  umfangreicher  ge- 
wesen als  sonst.  Jedenfalls  möchte  ich  auch 
auf  Grund  dieser  Beobachtungen,  abgesehen 
von  den  schon  oben  genannten  Gründen, 
vor  z\i  ausgiebigem  Operiren  warnen. 

Es  ist  nun  die  Frage  zu  besprechen,  ob 
man  jeden  Fall  von  Conjunctivitis  granulosa 
sofort  der  Operation  unterwerfen  soll. 

Diese  Frage  muss  mit  Nein  beantwortet 
werden. 

Erstens  empfiehlt  es  sich  in  Fällen  von 
acuter  Conjunctivitis  granulosa  abzuwarten. 
Diese  können  auch  bei  der  bisher  üblichen 
Therapie  heilen:  Anfangs  Umschläge  mit 
2  —  4®/o  Borsäure  oder  Eis,  Blutentziehungen, 
Scarificationen,  später  Touchirung  mit  2  °/o 
Arg.  iiitr.  oder  5  %  Plumb.  acet.  perfecte  neu- 
tral, oder  Cuprumstift. 

Geht  die  acute  Form  in  die  chronische 
über,  oder  tritt  das  Leiden  von  vornherein 
chronisch  auf,  so  erscheint  die  Operation  in 
allen  Fällen  indicirt,  in  denen  die  Cornea 
in  irgend  einer  Form  in  Mitleidenschaft  ge- 
zogen ist.  Denn  sobald  erst  einmal  die 
Cornea  afficirt  ist,  und  sei  es  in  der  leichte- 
sten Gestalt  von  kleinen,  vereinzelten,  peri- 
pherischen, subepithelialen  Infiltraten,  dann 
besteht  die  Gefahr,  erstens,  dass  solche  Ent- 
zündungen von  Zeit  zu  Zeit  wiederkehren 
und  die  —  meist  auf  grobe  Arbeit  angewie- 
senen —  Patienten  wiederholentlich  arbeits- 
unfähig machen,  und  zweitens,  dass  die 
Hornhautentzündung  später  einen  ernsteren 
Charakter  annimmt.  Diesen  Zufallen  kann 
man  aber  der  Regel  nach  durch  die  Exci- 
sion  vorbeugen. 


Handelt  es  sich  um  eine  chronische  Con- 
junctivitis granulosa  mit  ganz  intacter  Cornea, 
so  erzielt  man  mit  Hülfe  der  Excision  die 
Heilung  erheblich  schneller  als  auf  eine  an- 
dere Art.  Sie  ist  in  jedem  derartigen,  einiger- 
maassen  ausgebildeten  Fall  berechtigt,  da  sie 
bei  regelrechter  Ausführung  und  sorgsamer 
Nachbehandlung  für  das  Auge  gefahrlos  ist. 
Die  Operation  erscheint  aber  bei  Fällen  der 
in  Rede  stehenden  Art  nicht  so  dringend 
wie  bei  schon  afficirter  Hornhaut,  und  so 
kann  man  die  Entscheidung  mehr  dem  Pa- 
tienten anheimgeben,  indem  man  ihm  die 
verschiedenen  Chancen  darlegt. 

Dabei  ist  auch  die  Gefahr  der  Ansteckung 
für  die  Umgebung  in  Betracht  zu  ziehen, 
die  möglichst  bald  zu  beseitigen  bei  Patien- 
ten der  niederen  Stände  eine  erhebliche  prak- 
tische Bedeutung  hat. 

Ausser  bei  der  acuten  granulösen  Con- 
junctivitis erscheint  es  zweitens  nicht  em- 
pfehlenswerth  sofort  zu  operiren,  falls  sich 
ein  Kranker  mit  erheblichem  Reizzustand 
des  Auges  in  Folge  von  frischem  Pannus 
oder  progressivem  Ulcus  corneae  vorstellt. 
In  solchen  Fällen  halte  ich  es  für  vorsich- 
tiger, mit  der  Operation  so  lange  zu  warten, 
bis  die  Hornhautveränderungen  und  dem 
entsprechend  die  Ciliarinjection ,  Thränen, 
Lichtscheu  und  Lidkrampf  bei  der  bekann- 
ten Bchandlungsweise  —  Kataplasmen,  Atro- 
pin, Verband,  eventuell  Blutentziehungen, 
Peritomie  und  Scarificationen  der  entsBünde- 
ten  Bindehaut  —  rückgängig  geworden  sind. 
In  dieser  Anschauung  wurde  ich  durch  die 
schon  erwähnte  Beobachtung  bestärkt,  dass 
gelegentlich  nach  der  Excision  oberfläcbliche 
Randinfiltrate  und  recenter  Pannus  auftraten. 
Denn  hieraus  folgt,  dass  mitunter  durch  die 
Excision  und  die  Nachbehandlung  ein  Reiz 
auf  die  Hornhaut  ausgeübt  wird.  Wenn 
Schneller  nach  der  Operation  Hornhaut- 
geschwüre überraschend  schnell  heilen  sah, 
so  ist  zu  erwägen,  dass  das  von  ihm  geübte 
Verfahren  der  Excision  des  oberen  Ueber- 
gangstheils  weniger  eingreifend  ist  als  das 
von  mir  angewandte,  aber,  soviel  ich  gesehen 
habe,  in  dem  Erfolg  auch  weniger  sicher. 

Schliesslich  bleibt  noch  die  Frage  zu 
erörtern,  yne  man  sich  bezüglich  der  Exci- 
sion bei  gleichzeitigen  Veränderungen  der 
Lider,  also  namentlich  Blepharophimose,  En- 
tropium und  Trichiasis,  zu  yerhalten  hat. 
Man  kann  die  sog.  Canthoplastik  zur  Be- 
seitigung der  Blepharophimose  gleichzeitig 
mit  der  Excision  ausfuhren.  Im  Allgemeinen 
erscheint  es  mir  aber  richtiger,  die  Cantho- 
plastik nicht  gleichzeitig  vorzunehmen,  und 
zwar  deswegen,  weil  man  dann  die  Wundrän- 
der   der  Conjunctiva  genauer    an    den    ent« 


]ij^!^^^M       Tr eitel,  Bebandl.  der  Coi^unctivitis  granuloia  mittelst  part.  Exetsioa  der  Bindehaut.  121 


sprechenden  Hautwun  dran  dem  befestigen 
kann.  Ich  mochte  empfehlen,  die  Cantho- 
plastik  vor  der  Excision  zu  machen;  die 
letztere  ist  dann  insofern  erleichtert,  als  das 
obere  Lid  bequemer  ectropionirt  werden  kann, 
und,  was  wichtiger  erscheint,  Retention  von 
Secret  unter  dem  Verbände  weniger  zu 
befarchten  ist.  Dagegen  verschiebt  man  die 
Beseitigung  des  Entropium  und  der  Trichiasis 
zweckmässiger  Weise  bis  nach  der  Heilung 
der  Excision,  weil  durch  diese  selbst  in  der 
oben  beschriebenen  Weise  die  Stellung  des 
Lides  verändert  werden  kann.  Dass  ein  vor 
der  Operation  vorhandenes  Entropium  des 
oberen  Lides  schon  allein  durch  die  Exci- 
sion des  Tarsus  geheilt  wird,  wie  behauptet 
worden,  habe  ich  niemals  beobachtet,  viel- 
mehr mich  stets  veranlasst  gesehen,  dasselbe 
nachträglich  zu  operiren.  — 

Sollte  es  mir  gelungen  sein,  durch  Vor- 
stehendes die  Herren  GoUegen  zu  eigenen 
Versuchen  mit  der  partiellen  Excision  der 
Bindehaut  bei  der  Conjunctivitis  granulosa 
angeregt  zu  haben,  &o  würde  der  Zweck,  den 
ich  dabei  im  Sinne  gehabt  habe,  erreicht 
sein.  Ich  habe  mich  bemüht,  einerseits 
alles  auf  die  Technik  Bezügliche  möglichst 
eingehend  zu  beschreiben,  andrerseits  die 
Vorzüge  des  Verfahrens  nicht  in  ein  helleres 
Licht  zu  setzen,  als  sie  sich  mir  dargestellt 
haben,  und  namentlich  keinen  Nachtheil  des- 
selben zu  verschweigen,  den  ich  beobachtet 
habe. 

Für  diejenigen  Leser,  welche  eingehender 
mit  unserem  Thema  bekannt  zu  werden 
wünschen,  füge  ich  ein  Verzeichnis«  der 
wichtigeren  über  dasselbe  publicirten  Arbei- 
ten in  chronologischer  Reihenfolge  bei: 

Heisrath:  üeber  die  Behandlang  der  granulösen 
Bindehaotentz&ndung  mit  tiefen  und  ansgedehn- 
ten  Excisionen.  Berliner  Klin.  Wochenschrift 
1882,  No.  28,  29  u.  30. 

Schneller:  Die  Behandlang  des  Trachoms  durch 
Excision  der  Uebergangsfalten.  v.  Graefe^s 
Archiv  XXX,  4,  p.  131.  1884. 

Vossias:  Zur  operativen  Behandlang  der  Conjunc- 
tivitis granalosa.  Bericht  über  die  17.  Ver- 
sanmilung  der  ophthalmol.  Gesellschaft.  Heidel- 
berg 188Ö,  p.  186. 

Richter:  Zur  Behandlang  der  Conjunctivitis  gntr 
nolosa  durch  Excision.  v.  Graefe's  Archiv 
XXXI,  4,  p.  73.   1886. 

Schneller:  Ueber  operative  Behandlang  des  Tra- 
choms. V.  Graefe's  Archiv  XXXm,  3  p.  113, 
1887. 

Jacobson:  Beitrag  zur  Lehre  von  der  follicul&ren 
Conjunctivitis  (granulöse  Augenentzundung). 
Beitr&ge  zur  Pathologie  des  Auges,  Leipzig 
1888,  p.  40. 


Die  liydropathische  fieibbinde  als 
Hypnoticnln. 

Von 

Dr.  med.  M.  Altdorfer, 

dirlg.  Arzt  der  WaaserheilaiutaU  St.  Anne's  Hill  bei  Cork. 

Obgleich  unser  Arzneisohatz  eine  statt- 
liche Reihe  von  Schlafmitteln  enthält,  und 
obgleich  uns  die  chemische  Industrie  auch 
auf  diesem  Gebiete  neuerdings  reichlich  ver- 
sorgt hat,  so  ist  doch  die  Anwendung  aller 
dieser  Medicamente  gelegentlich  mit  unan- 
genehmen Nebenwirkungen  verbunden.  Ganz 
frei  von  diesem  Uebelstande  ist  keines  der 
bekannten  Mittel,  vom  Chloralhjdrat  bis 
Sulfonal.  Wenn  es  nun  auch  in  jedem  Falle 
richtig  wäre,  dass  derartige  unerwünschte 
Vorkommnisse  durch  Minderwerthigkeit  oder 
Unreinheit  des  angewandten  Präparates  be- 
dingt sind,  wie  gewöhnlich  behauptet  wird, 
so  wäre  dies  schon  ein  Grund  zu  bedauern, 
dass  diejenigen  Schlafmittel,  deren  Anwen- 
dung uns  vom  Chemiker  und  Apotheker  ganz 
unabhängig  macht  und.  dabei  keine  unlieb- 
samen Nebenwirkungen  befürchten  läset,  nicht 
viel  allgemeiner  in  Gebrauch  gezogen  werden, 
als  dies  thatsächlich  geschieht  —  ich  meine 
die  physikalischen  Hypnotica. 

Von  Zeit  zu  Zeit  findet  man  in  der 
medicinischen  Litteratur  das  eine  oder  das 
andere  dieser  Mittel  günstig  besprochen. 
Ewer  empfiehlt  zur  Bekämpfung  der  Schlaf- 
losigkeit methodisch  angewendete  Muskelbe- 
wegung; Zabludowsky  und  Andere  rühmen 
die  hypnotische Wiricung  der  Massage;  die  ver- 
schiedentlichsten  hydropathischen Proceduren, 
wie  warme  Bäder,  Douchen,  Abreibungen,  die 
feuchte  Einwickelung  (Sehn  11  er)  haben  in 
diesem  Sinne  warme  Fürsprecher  gefanden. 
Alle  diese  Mittel  sind  in  den  geeigneten 
Fällen  unzweifelhaft  wirksam,  doch  ist  die 
Anwendung  derselben  mehr  oder  weniger 
umständlich,  und  erfordert  entweder  beson- 
dere Vorrichtungen  oder  die  Anwesenheit 
einer  besonders  geschulten  Person,  sodass 
deren  Verwendung  in  der  Privatpraxis  immer 
mit  Schwierigkeiten  verbunden  sein  wird. 
Ein  physikalisches  Heilmittel,  das  frei  von 
diesem  Uebelstande  ist,  und  das  nichtsdesto- 
weniger glänzende  Dienste  in  Fällen  von 
Schlaflosigkeit  leistet,  besitzen  wir  in  der 
hydropathischen  Leibbinde. 

In  welcher  Weise  ist  nun  die  hypnotische 
Wirkung  dieser  Anwendungsweise  des  Wassers 
zu  erklären?  Wenn  wir  auch  über  das  Wesen 
des  Schlafes  noch  nicht  vollständig  im  Klaren 
sind,  so  darf  man  doch  annehmen,  dass  das 
ruhende  Gehirn,  wie  alle  ruhenden  Organe, 
weniger    Blut    zugeführt    erhalte,    als    das 

16 


122 


Altdorfer,  Dio  hydropathUcho  Leibbinde  all  Hjrpnoticum. 


[Therapeatlache 
Monatshefte. 


thätige  —  eine  Annahme,  die  bestätigt  wor- 
den ist  durch  Untersuchungen  Ton  Hughlings 
Jackson.  Letzterer  fand,  dass  die  Retina 
während  des  Schlafes  anämischer  ist,  als 
während  des  Wachens.  Wir  werden  beson- 
ders in  den  Fällen  von  üeherreizung  des 
Gehirns  mit  vermehrter  Thätigkeit  des  Organs 
durch  Beschränkung  der  Blutzufuhr  eine  zur 
Erzeugung  von  Schlaf  günstige  Bedingung 
schaffen,  zumal  wenn  wir  noch  daneben  eine 
beruhigende  Wirkung  auf  die  Gehirnzellen 
ausüben  können.  Diese  Aufgabe  erfüllen 
nun  die  physikalischen  Hypnotica.  Einer- 
seits wird  durch  Massage,  warme  Bäder, 
feuchte  Einpackungen  etc.  eine  Erweiterung 
der  Hautgefösse  und  damit  eine  col laterale 
Verengerung  der  Blutgefässe  in  den  inneren 
Organen,  besonders  auch  im  Gehirn  hervor- 
gerufen (W intern itz),  andererseits  bewirken 
die  verschiedenen  mechanischen  und  thermi- 
schen Reize  eine  Beruhigung  der  peripheri- 
schen Nervenendigungen,  die  sich  dann  von 
der  Peripherie  zum  Centrum  verbreitet. 
Dieselbe  Wirkung  auf  Blutgefässe  und 
Ganglienzellen  des  Gehirns  erzielen  wir  aber 
auch  durch  Anwendung  der  Leibbinde.  Wenn 
wir  nämlich  eine  massig  feuchte '  leinene 
Binde  um  den  Unterleib  wickeln,  und  dar- 
über einen  wasserdichten  Stoff  vermittelst 
einer  breiten  Flanellbinde  befestigen,  so 
wird  sich  die  Temperatur  des  in  der  Lein- 
wand vertheilten  Wassers  rasch  ausgleichen; 
die  Binde  wird  zuerst  hautwarm,  dann  blut- 
warm, und  bleibt  zugleich  wegen  der  im- 
permeablen Hüllen  beständig  feucht.  Nun 
hat  Schüller*)  zuerst  durch  directe  Beob- 
achtung am  trepanirten  Kaninchen  gefunden, 
dass  eine  nasse  kalte  Compresse,  auf  den 
Bauch  oder  Rücken  des  Thieres  gelegt,  Er- 
weiterung der  Piagefösse,  eine  nasse  warme 
Compresse  in  derselben  Weise  applicirt,  eine 
mehr  oder  minder  lange  dauernde  Ver- 
engerung der  Piagefässe  bewirkt.  Letzteres 
muss  also  auch  bei  Application  der  oben 
beschriebenen  Binde  stattfinden.  Da  aber 
durch  das  Experiment  bewiesen  ist,  dass 
derartige  topische  Reize  nicht  in  einfach 
mechanischer  Weise,  sondern  auf  dem  Wege 
des  Nervensystems  die  Circulation  in  anderen 
Körpertheilen  beeinflussen  (Naumann)^), 
und  da  Stricker  entdeckt  hat,  dass  an 
vielen  Punkten  Vasodilatatoren  mit  sensiblen 
Nerven  verlaufen^),  so  ist  auch  anzunehmen, 
dass  die  durch  andauernde  Berührung  mit 
dem  blutwarmen  Wasserdampf  —   einem  der 


*)  Winternitz:  Hydrotherapie  in  Ziemssen^e 
Handbuch  der  allgemeinen  Therapie.  Leipzig  1881. 
p.  111. 

*)  Winternitz,  1.  c.  p.  214. 

3)  Idem,  1.  c.  p.  229. 


Innentemperatur  nahestehenden,  gleichmässi- 
gen,  nicht  wechselnden  Medium  —  bewirkte 
Beruhigung  der  peripherischen  Hautnerven 
sich  direct  auf  die  Centraltheile  des  Nerven- 
systems fortpflanzt.  Wir  sind  also  ver- 
mittelst der  feuchtwarmen  Leibbinde  im 
Stande,  die  beiden  hauptsächlichsten  Vorbe- 
dingungen zur  Erzeugung  von  Schlaf  zu 
schaffen,  nämlich  eine  cerebrale  Anämie  durch 
Einwirkung  auf  das  Gefässsystem,  und  eine 
verminderte  Thätigkeit  der  Gehirnzellen  durch 
directe  Beeinflussung  derselben. 

Wie  man  aber  auch  über  die  theoretische 
Erklärung  denken  mag,  jedenfalls  werden 
Versuche  am  Krankenbett  sehr  bald  auf 
empirischem  Wege  die  Thatsache  feststellen 
können,  dass  dieses  einfache  hydropathische 
Mittel  in  Bezug  auf  Sicherheit  der  Wirkung 
keinem  der  bekannten  Hypnotica  nachsteht. 
Ganz  genaue  Indicationen  lassen  sich  für 
Anwendung  dieses  Mittels  ebensowenig  wie 
für  die  der  übrigen  Hypnotica  aufstellen;  es 
kommt  dabei  mehr  auf  die  Individualität 
des  Patienten  als  auf  den  Namen  der  Krank- 
heit an.  Besonders  wirksam  hat  sich  mir 
die  Anwendung  erwiesen  in  leicht  fieber- 
haften Zuständen,  bei  allen  Dyspepsien,  zu- 
mal bei  der  Dyspepsia  nervosa^  bei  den 
meisten  neurasthenischen  und  hysterischen 
Processen,  und  ganz  besonders  in  der  Kinder- 
praxis, wo  sich  das  Mittel  auch  schon  wegen 
seiner  „Geruch-  und  Geschmacklosigkeit" 
empfiehlt.  Ungemein  zu  Gunsten  der  Binde 
fällt  der  Umstand  in  die  Wage,  dass  die- 
selbe nicht  allein  keine  der  unerwünschten 
Nebenwirkungen  der  internen  Hypnotic% 
keinen  ungünstigen  Einfluss  auf  die  Ver- 
dauungsorgane hat,  sondern  im  Gegentheil 
die  angenehme  Nebenwirkung  zeigt,  dass  die 
Functionen  der  Unterleibsorgane,  besonders 
die  Darm  thätigkeit,  in  denkbar  günstigster 
Weise  beeinflusst  werden. 

Dass  aber  auch  Fälle  vorkommen,  in 
denen  wir  mit  dem  hier  empfohlenen  Ver- 
fahren nicht  auskommen,  und  in  denen  wir 
unsere  Zuflucht  zu  einem  der  chemischen 
Hypnotica  nehmen  müssen,  ist  selbstverständ- 
lich. „Alle  Schlafmittel  sind  eben  unsicher^, 
sagt  Hoff  mann  in  seinen  Vorlesungen  über 
Allgemeine  Therapie,  „und  wir  müssen  uns 
durch  Versuche  überzeugen,  welches  beson- 
ders in  jedem  Falle  anzuwenden  sein  dürfte." 
Nur  dürfte  es  sich  bei  diesen  Versuchen 
empfehlen,  mit  der  Anwendung  eines  durch- 
aus imschädlichen  Mittels  den  Anfang  zu 
machen,  und  für  diesen  Zweck  dürfte  sich 
nichts  besser  eignen  als  die  hydropathische 
Leibbinde,  mit  der  man  in  zahlreichen  Fällen 
zum  Ziele  gelangen  wird. 


m.  J»hrgang.l 
Mira  1889.   J 


Bfittrich,  Therapeutische  Mittheilungen. 


123 


Therapeutische  Mittheilungen. 

Von 

Dr.  Böttrich  in  Hagen  i.  W. 

1.  Der  Artikel  des  Herrn  Dr.  Koeniger 
in  No.  11  des  2.  Jahrganges  Therapeuti- 
scber  Monatshefte  veranlasst  mich,  einige 
Zeilen  an  Sie  zu  richten,  denen  ich,  wenn 
Sie  sie  der  Mühe  werth  halten,  etwas  Raum 
in  Ihrer  Zeitschrift  zu  gönnen  bitte. 

Lungenblutungen  sind  in  der  Praxis  des 
Arztes  etwas  Alltägliches  und  gerade  des- 
halb sehr  wichtig.  Selbstredend  verdient 
das  Gewohnlichste  und  Wichtigste  auch  am 
meisten  Beachtung  und  kann  daher  nicht 
genug  berührt  werden. 

Mir  scheint  bei  Lungenblutungen  nicht 
damit  genug  gethan  zu  sein,  dass  Ergotin- 
injectionen  gemacht  werden  oder  dieses  oder 
jenes  Arzneimittel  gegeben  wird,  sondern 
meiner  Meinung  nach  lassen  sich  wissen- 
schaftlich Grenzen  feststellen,  die  eine  be- 
stimmte Behandlung  erheischen.  Ich  unter- 
scheide Lungenblutungen  bei  Lungenver- 
dichtungen und  Lungenblutungen  aus  Ca- 
vemen.  Erstere  sind  selten  copiös,  dauern 
aber  häufig  längere  Zeit  (Haemoptjsis,  Blut- 
speien), letztere  sind  meist  sehr  profus 
(Haemoptoe  Blutsturz).  Es  ist  das  wohl 
nichts  Neues,  aber  nothwendig  zu  betonen, 
bei  der  Festsetzung  therapeutischer  Eingriffe. 

Die  Behandlung  derjenigen  Erkrankung, 
die  im  Augenblick  die  grösste  Gefahr  in 
sich  birgt,  ist  selbstverständlich  am  wich- 
tigsten; es  ist  das  die  profuse  Lungenblu- 
tung, die  Haemoptoe:  hier  ist,  wie  bekannt, 
absolute  Ruhe,  Herabsetzung  des  Husten- 
reizes durch  Narcotica,  Schlucken  von  Eis- 
stückchen am  besten.  Innerlich  haben  sich 
mir,  ausser  dem  Morphium,  Opium  mit 
Plumb.  acet.  im  Anfang  am  besten  bewährt, 
letzteres  ziehe  ich  dem  Hydrastis  vor,  weil 
durch  Opium  gleichzeitig  der  Hustenreiz  her- 
abgesetzt wird,  in  den  weiteren  Tagen  gebe 
ich  auch  gern  Hydrastis.  Geradezu  gefährlich 
sind  hier  die  Inhalationen  von  Liquor  ferri 
sesquichlorati,  weniger  durch  das  Mittel,  wie 
die  mitdemlnhaliren  verbundenen  Anstrengun- 
gen; ich  erwähne  das,  weil  die  Inhalationen  von 
Liquor  ferri  in  vielen  Lehrbüchern  an  der 
Spitze  der  Behandlung  der  Haemoptoe 
prangen.  Wie  kommt  es  aber,  dass  stets 
wieder  bei  Lungenblutungen  Inhalationen 
von  Liquor  fern  empfohlen  werden !  Meines 
Erachtens  deshalb,  weil  die  Behandlung  der 
Haemoptoe  und  die  der  Haemoptysis  durch- 
einander geworfen  und  nicht  in  der  nothigen 
Weise  getrennt  werden ;  was  bei  dieser  ange- 
zeigt, ist  bei  jener  geföhrlich.   Bei  der  Hae*- 


moptysis,  dem  Blutspeien,  sind  die  Inhala- 
tionen am  Platze,  hier  kann  man  sehr  wohl 
nützen.  Von  inneren  Mitteln  verordne  ich 
am  liebsten  Hydrastis,  ausser  seiner  vorzüg- 
lichen Wirkung  ist  die  Billigkeit  des  Prä- 
parates nicht  zu  unterschätzen. 

Auch  über  die  neuerdings  fast  allgemein 
geübte  Kreosotbehandlung  der  Lungenphthise 
mit  Beziehung  zur  Lungenblutung  mochte 
ich  einige  Worte  sagen. 

Es  war  nur  zu  erklärlich,  dass  ein  Arznei- 
mittel, von  berufener  Seite  gegen  die  verbrei- 
tetste  und  wichtigste  Krankheit  wieder  empfoh- 
len, ungemein  schnell  Verbreitung  finden 
würde:  stand  man  doch  diesem  grimmigen 
Feinde  der  Menschheit  fast  hilflos  gegenüber. 
Freudig  griff  daher  jeder  zu  einem  Mittel, 
von  dem  so  viele  Erfolge  gerühmt  wurden; 
ob  mit  Recht,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden, 
obgleich  auch  mir  der  Einfiuss  des  Kreosot 
auf  die  Lungentuberkulose  von  günstiger 
Wirkung  zu  sein  scheint.  Doch  warnen 
mochte  ich,  und  darauf  kommt  es  hier  an, 
vor  zu  früher  Anwendung  nach  voraufge- 
gangener Lungenblutung.  Ich  habe  wieder- 
holt gesehen,  dass  nach  Verordnung  von 
Kreosot  eine  zum  Stillstand  gebrachte  Lungen- 
blutung von  neuem  ausgelost  wurde,  dabei 
zeigte  das  Blut  intensiven  Kreosotgeruch. 

Vor  ^/4  Jahr  hatte  ich  Gelegenheit,  eine 
sog.  hysterische  Haemoptoe  zu  behandeln. 
Patientin  war  nicht  hereditär  belastet:  El- 
tern und  Geschwister  gesund,  gesund  er- 
wiesen sich  auch  die  Lungen  der  Patientin. 
Die  Blutung  stand  nach  achttägiger  Anwen- 
dung von  Hydrastis. 

Auch  gegen  Nasen  blu tun  gen  zeigt  sich 
Hydrastis  von  günstiger  Wirkung.  Gegen 
eine  bestehende  Nasenblutung  wird  man 
allerdings  nicht  viel  mit  Hydrastis  ausrich- 
ten, da  ist  natürlich  die  Localtherapie  am 
Platze;  aber  gegen  das  häufige  Auftreten 
von  Nasenblutung  ist  Hydrastis  ein  vorzüg- 
liches Mittel,  ich  bediene  mich  desselben 
seit  ca.  2  Jahren  und  bin  gerade  hier  mit 
den  Erfolgen  ausgezeichnet  zufrieden.  Es 
versteht  sich  natürlich  von  selbst,  dass  da- 
bei ein  ev.  vorhandenes  Grundleiden  nicht 
vernachlässigt  werden  darf. 

2.    Sulfonal  gegen  Nachtschweisse. 

Wenn  auch  die  Zahl  der  gegen  Nacht- 
schweisse empfohlenen  Mittel  eine  grosse  ist, 
so  ist  es  doch  wohl  erlaubt,  über  ein  neues 
schweisswidriges  Mittel,  das  neuerdings  als 
Schlafmittel  vielgerühmte  Sulfonal,  einige 
Worte  mitzutheilen.  Aufmerksam  wurde  ich 
durch  eine  80jährige  Dame,  der  ich  nur 
^4  Gramm  als  Schlafmittel  verabreicht  hatte. 
Die  Dame  litt  an  ungemein  profusen  Nacht- 

16* 


124 


HydroxylamlD. 


tTberapealiach« 
Monatsheft«. 


schweisseD,  zweimal  musste  sie  Nachts  um- 
gekleidet werden.  Nach  der  Anwendung  des 
ersten  Pulvers  fragte  sie  mich,  ob  ich  in 
die  Schlafpulver  etwas  gegen  das  Schwitzen 
gethan  habe. 

Weitere  Versuche   ergaben,    dass  in  den 
meisten    Fällen   Nachtschweisse    durch  ^/a  g 


Sulfonal  beseitigt  werden.  Die  Wirkung 
des  Sulfonal  schätze  ich  dem  Atropin  gleich, 
dabei  ist  es  absolut  frei  von  ungünstigen 
Nebenwirkungen.  Auch  ist  seine  Wirkung 
sehr  nachhaltig,  die  Seh  weisse  der  zweiten 
Nacht  werden  ohne  Sulfonal  als  bedeutend 
geringer  bezeichnet. 


Nenere  Arzneimittel 


Hydroxylamin. 

Der  Vorschlag  von  Prof.  Binz,  das  Hy- 
droxylamin wegen  seiner  stark  reducirenden 
und  antimykotischen  Eigenschaften  an  Stelle 
der  Pyrogallussäure  und  des  Chrysarobins 
in  der  Dermatotherapie  zu  benutzen  (s. 
Therap.  Monatsh.  1888  S.  446),  ist  sehr 
schnell  durch  P.  J.  Eich  ho  ff  zur  Ausfüh- 
rung gelangt.  Zweifellos  werden  die  enthu- 
siastischen Empfehlungen  des  Letzteren  in 
allernächster  Zeit  zu  einer  ausgedehnten 
Anwendung  des  Mittels  führen  und  in  Kur- 
zem eine  umfangreiche  Litteratur  veranlassen. 
Wir  geben  daher  zur  Orientirung  für  unsere 
Leser  folgende  die  chemischen  Verhältnisse 
des  neuen  Mittels  betreffende  Daten. 

Das  Hydroxylamin  wurde  zuerst  von 
Lossen  im  Jahre  1865  durch  Reduction 
von  Salpetersäure- Aethyläther  mittelst  gra- 
nulirten  Zinns  erhalten.  Es  ist  eine  dem 
Ammoniak  ähnliche,  in  freiem  Zustande  nur 
in  wässeriger  Lösung  bekannte  Base,  welche 
mit  Säuren  durch  directe  Anlagerung  gut 
krystallisirende  Salze  bildet. 

Seiner  chemischen  Zusammensetzung  nach 
ist  es  als  Ammoniak  aufzufassen,  in  wel- 
chem ein  Wasserstoffatom  durch  die  ein- 
werthige  Hydroxylgruppe  (OH)  vertreten  ist. 


i^i^. 


H 
H 

Ammoniak. 


.OH 
H 

UydroxyUmin. 


Seine  bemerkenswertheste  Eigenschaft, 
welche  neuerdings  zur  Verwendung  in  der 
Photographie  geföhrt  und  auch  Veranlassung 
für  therapeutische  Versuche  gegeben  hat,  ist 
das  starke  Reductionsvermögen.  So  wird 
aus  Fehling'scher  Lösung  Kupferoxydul 
abgeschieden,  Eisenoxydsalze  werden  zu 
Eisenoxydulsalzen,  Silber-  und  Goldsalze 
zu  metallischem  Silber    und   Gold    reducirt. 

Für  die  medicinische  Anwendungkommt  das 
chlorwasserstoffsaure  Salz,    das  Hydroxyl- 


aminum  hydrochloricum  NHj  (OH)  .  HCl 
in  Betracht.  Dasselbe  stellt  farblose,  hygro- 
skopische Kry stalle  dar,  welche  in  Wasser, 
Alkohol  und  Glycerin  löslich  sind.  Die 
Lösungen  röthen  blaues  Lackmuspapier,  ver- 
ändern Congopapier  jedoch  nicht. 

Von  einem  für  die  medicinische  Anwen- 
dung bestimmten  Präparate  verlangt  Eich- 
hoff  folgende  Eigenschaften:  Beim  Erhitzen 
auf  Platinblecb  muss  sich  das  Präparat,  ohne 
Rückstand  zu  hinterlassen,  vollkommen  ver- 
flüchtigen. Dasselbe  darf  keine  freie  Salz- 
säure enthalten  und  dementsprechend 
Congopapier  nicht  blau  färben.  Die  wässe- 
rige Lösung  der  Salze  darf  weder  durch 
Rhodankalium  resp.  Ferricyankalium  verän- 
dert werden  (Prüfung  auf  Verunreinigung 
durch  Eisen),  noch  auf  Zusatz  von  verdünnter 
Schwefelsäure  einen  weissen  Niederschlag 
geben  (Prüfung  auf  etwaigen  Gehalt  an 
Chlorbaryum).  Die  alkoholische  Lösung 
darf  durch  alkoholische  Platinchloridlösung 
nicht  gefallt  werden.  Ein  entstehender 
Niederschlag  würde  die  Gegenwart  von  Chlor- 
ammonium  anzeigen. 

Hinsichtlich  seiner  Wirkung  und  thera- 
peutischen Verwerthung  verweisen  wir  auf  die 
Referate  (Therap.  Monatshefte  1888  S,  446 
und  dieses  Heft  Referate). 

Litteratur:  P.  J.  Eichhoff,  Ueber  das 
Hydroxylamin  als  neues,  wichtiges  der- 
matotherapeutisches  Heilmittel.  Monatsh. 
f.  pract.  Dermatologie  1889  No.  1. 


£schscholtzia  callfonilca. 

Stanislaus  Martin  versuchte  im  Jahre 
1887  im  Bull,  gener.  de  Thirap.  vergeblich 
die  Aufmerksamkeit  der  Aerzte  auf  diese 
Pflanze  zu  lenken,  welche  in  einigen  Gegen- 
den als  beruhigendes  Mittel  angewendet 
wird.     Neuerdings  hat  Ter-Zakariant  auf 


HI.  Jahrgang.! 
Hin  1889.    J 


Eschicholtzia  californica.  —  Jurubeba. 


125 


Veranlassung  yon  Dujardin  -  Beaumetz 
diese  Droge  einer  Untersuchung  unterzogen. 
Wir  entnehmen  dem  Berichte  über  dieselbe 
Folgendes : 

Eschscholtzia  californica,  zur  Familie 
der  PapaTeraceen  gehörend,  ist  eine  strauch- 
artige in  Nord-Amerika  einheimische,  be- 
sonders in  Califomien  sehr  verbreitet  vor- 
kommende Pflanze,  von  welcher  nach 
Green e  nicht  weniger  als  10  durch  geringe 
Abweichungen  sich  unterscheidende  Varie- 
täten existiren. 

100  Theile  der  Pflanze  liefern  im  Mittel 
20  g  eines  alkoholischen,  harzartigen,  dun- 
kelgrünen, eigenthümlich  angenehm  riechen- 
den und  bitter  schmeckenden  Extractes, 
welches  in  Alkohol  vollkommen,  in  Wasser 
zum  grossten  Theil,  in  Glycerin  nur  sehr 
wenig  löslich  und  in  Chloroform  und  Aether 
unlöslich  ist.  An  Wasser  geben  100  Theile 
der  Pflanze  ca.  15  g  Extract  ab.  Das  wäs- 
serige Extract  ist  von  röthlichbrauner 
Farbe,  besitzt  denselben  Geruch  und  Ge- 
schmack wie  das  alkoholische,  ist  in  Was- 
ser, Alkohol  und  Glycerin  löslich,  unlös- 
lich dagegen  in  Aether  und  Chloroform. 

Barde t  und  Adrian  isolirten  aus  der 
Pflanze  eine  in  geringer  Menge  in  der  Droge 
enthaltene  Base,  welche  dieselben  für  Mor- 
phin halten,  femer  ein  daneben  in  grösserer 
Quantität  vorkommendes  Alkaloid  und  ein 
Glykosid. 

Die  Versuche  an  Thieren  wurden  mit 
den  erwähnten  alkoholischen  und  wässerigen 
Extracten  angestellt  und  zeigten,  dass  diese 
erst  in  einer  relativ  hohen  Dose  wirksam 
sind. 

Toxische  Gaben  sind  bei  subcutaner  An- 
wendung 2,5  g,  bei  innerlicher  Darreichung 
6>ö  g  pro  Kilo  Thier.  Kleine  Dosen  wirken 
nur  auf  das  Gehirn.  Unbeweglich,  des 
freien  Willens  beraubt  und  unbeeinflusst 
durch  ihre  Umgebung  sitzen  die  Thiere  da. 
Grossere  Dosen  wirken  auf  die  Medulla 
oblongata,  auf  Rückenmark  und  periphe- 
rische Nerven. 

Constante  Symptome  sind  allgemeine 
Schwäche,  Torpor,  Beschleunigung  der  Re- 
spiration, später  Verlangsamung  derselben, 
vollkommene  Lähmung  der  Extremitäten, 
Verlangsamung  der  Circulation. 

Die  sensiblen  Nerven  werden  später  ge- 
lähmt als  die  motorischen  und  erhalten 
auch  ihre  Erregbarkeit  früher  zurück. 

Die  Körpertemperatur  wird  je  nachdem, 
ob  man  das  alkoholische  harzhaltige  oder 
das  von  den  harzigen  Beimengungen  befreite 
Extract  anwendet,  im  ersten  Falle  erhöht, 
im    zweiten    Falle    erniedrigt    um    ungefähr 

i°a  • 


Nach  den  therapeutischen  Versuchen, 
welche  mit  dem  alkoholischen  Extract  an 
13  Patienten  (chron.  Bronchitis,  Phthisis, 
Morbus  Brightii,  Ischias,  Paralysis  agitans, 
Rheumatismus)  angestellt  wurden,  bezeichnet 
Ter  -  Zakariant  die  Eschscholtzia  als  ein 
werthvolles  und  ungefährliches  schlaferzeugen- 
des Mittel  und  als  ein  in  gewissen  Fällen  sehr 
nützliches  Analgeticum,  dessen  Wirkung  die 
Zeit  der  Anwendung  überdauert  und  frei  ist 
von  den  Unannehmlichkeiten  des  Morphiums. 

Jedenfalls  scheinen  erhebliche  Dosen  zur 
Erzielung  einer  Wirkung  nothwendig.  Die 
Dosen  schwankten  von  2,5 — 10  g  täglich, 
doch  kamen  selbst  Tagesgaben  von  12  g 
zur  Anwendung. 

Die  Verordnung  geschieht  nach  folgenden 
Formeln : 

^  Extr.  Eschscholtziae  spir.  2,5  — 10,0 
Rum 
Syrup.  simpl.  jia  30,0. 

Grössere  Darreichung: 

*V  Extr.  Eschscholtziae  spir. 

sive  aquos.  20,0 

Pulv.  Rad.  Liquirit.  q.  s. 

F.  pil.  No.  40.  D.  S.  5—10  Pillen  täg- 
lich zu  nehmen. 

Weitere  Erfahrungen  werden  nothwendig 
sein,  um  sich  ein  Urtheil  über  den  Werth 
des  neuen  Mittels  bilden  zu  können. 

LUteratar:  Ter-Zakariant,  Etüde  physio- 
logique  et  therapeotique  de  rEschscholtzia  califor- 
nica.   Bullet,  gen.  de  Thcrap.  1889.   CXVI.  S.  21. 


«Tiirubeba« 


Unter  dem  Namen  Jurubeba,  Juri- 
beb a  oder  Jurumbeba  werden  von  den 
Eingeborenen  Brasiliens  mehrere  Species  der 
Gattung  Solanum,  Solanum  insidiosum 
Mart.,  Solanum  acutilabum  Dun.,  Sola- 
num mammosum  L.  und  Solanum  pa- 
niculatum  L.  seit  Alters  her  als  Heilmit- 
tel benutzt.  Besonders  sollen  dieselben  als 
vorzüglich  wirkende  Abführmittel  bei  Le- 
ber- und  Milzerkrankungen  Anwendung 
finden. 

In  neuester  Zeit  ist  der  Versuch  ge- 
macht worden,  die  zuletzt  genannte  Species, 
Solanum  paniculatum,  auch  in  unseren 
Arzneischatz  einzuführen.  Amerikanische 
Aerzte  benutzen  das  Mittel  ganz  allgemein 
als  Tonicum,  Alterans,  Antiblenorrhoicum, 
Antisyphiliticum ,  Diureticum,  Antiperiodi- 
cum,  besonders  aber  bei  Blasenkatarrh  und 
als  Drasticum. 


126 


Thonpoutiiche  MitthoUungen  aus  Veroinen. 


tTherapeutlache 
Monatshefte. 


Peckolt  stellte  aus  den  Früchten  als 
wirksames  Princip  einen  Stoff  dar,  den  er 
Jurubebin  benannte,  der  von  Parke,  Davis 
&  Co.  auch  in  der  Wurzel  nachgewiesen 
wurde  und  von  letzteren  als  ein  amorphes, 
bitteres,  aromatisch  riechendes,  in  Wasser 
wenig  losliches  Alkalo'id  charakterisirt 
wurde. 

Prof.  Robert  hat  nun  ein  Fluid extract 
der  Jurubeba,  welches  bereits  in  Dosen  von 
5  Tropfen  wirksam  sein  soll,  einer  chemischen 
und  physiologischen  Untersuchung  unter- 
worfen. 


Dem  Berichte  zu  Folge,  dem  wir  auch 
die  aufgeführten  Daten  entnommen  haben, 
erwies  sich  das  Mittel  selbst  in  grossen 
Dosen  für  Thiere  und  Menschen  als  gänzlich 
unwirksam. 

Bei  einer  an  Verstopfung  leidenden  Pa- 
tientin, welche  aus  Versehen  10  ccm  des 
Präparates  genommen  hatte,  blieb  jede  Wir- 
kung aus.  In  Uebereinstimmung  hiermit 
gelang  es  Kobert  auch  nicht,  ein  wirksames 
Alkalo'id  in  dem  Fluidextract  nachzuweisen. 

Litteratur:  R.  Kobert,  lieber  Jarubeba.  St. 
Pctersb.  Med.  Wochenschr.  1889,  No.  1. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Berliner  medicinische  Gresellschaft. 

(SiUung  vom  30.  Januar  1889.) 

Herr  Litten  stellt  einen  Fall  von 
Arzneiexanthem  vor.  Das  Exanthem  ist 
bei  dem  Patienten  stets  (bereits  zum  fünften 
Male)  nach  Genuss  von  Rhabarber  auf- 
getreten. Letzthin  nahm  derselbe  von  einem 
Infus,  rad.  Rhei  8,0:200,0  mit  Natrium  bi- 
carbon.  nur  einen  Theeloffel  und  schon  eine 
halbe  Stunde  später  stellte  sich  das  Exan- 
them ein.  Dasselbe  setzt  sich  zusammen 
aus  einem  grossfleckigen,  hämorrhagisch- 
maculösen  Exanthem  und  einer  schweren 
Pemphiguseruption.  Diese  Erscheinungen 
traten  unter  Schüttelfrost  auf  und  nahmen 
vorzugsweise  Ellbogen,  Hände,  Füsse  und 
Sero  tum  ein.  r, 

Verein  deutscher  Aerzte  in  Prag. 

(Sitzung  vom  30.  November  1888.) 

Dr.  Hammer  berichtet  über  einen  selten 
rasch  letal  verlaufenden  Fall  von  Phos- 
phorvergiftung. Es  handelte  sich  um 
eine  40jährige  Frau,  welche  die  Kopfchen 
von  38  Päckchen  Streichzündholzchen,  nach 
ungefährer  Schätzung  etwa  30  g  Phosphor 
entsprechend,  verschluckt  hatte.  Trotz  der 
auf  der  Prof.  Kahler'schen  Klinik  kurze 
Zeit  nach  der  That  ausgeführten  energischen 
Magenausspülungen  wurde  die  Pat.  bald  so- 
porös  und  starb  9  Stunden  nach  Einnahme 
des  Giftes  unter  Convulsionen. 

Bei  der  Section  fand  sich  im  Magen  eine 
blutig  tingirte,  nach  Phosphor  riechende 
Flüssigkeit.  Die  Magenschleimhaut  zeigte 
zahlreiche  traumatische  Fissuren.  Bemerkens- 
werth  ist  eine  ausgebreitete  fettige  Degene- 


ration der  Ganglienzellen,  während  alle  an- 
deren Organe  intact  angetroffen  wurden, 
trotzdem  dass  im  Blut,  im  Herzen,  Gehirn, 
in  der  Leber,  den  Lungen  und  Nieren  Phos- 
phor im  Mit  seh  er  lichtscheu  Apparat  nach- 
gewiesen wurde.  Der  Harn  enthielt  keinen 
Phosphor. 

Prof.  Kahler  bemerkt,  dass  die  Fissuren 
auf  Dehnung  der  durch  das  Gift  veränderten 
Magenschleimhaut  zu  beziehen  wären.  Die 
Convulsionen  wären  als  directe  Wirkung  des 
Giftes  aufzufassen. 

Prof.  Ott  fand  in  einem  Falle  von  Phos- 
phorvergiftung Degeneration  der  Herzganglien. 


{Witntr  tnfd.  Presse  1889  No.  5.) 


rd. 


Academie  de  Medecine  de  Belgique  (Brüssel). 

(Sitzung  vom  29.  Decetnber  1888.) 

Herr  Dr.  Delbastaille  berichtet  über 
Experimente  bezüglich  der  Blutergüsse 
in  die  Gelenkhohlen.  Dieselben  sind  an 
Thieren  angestellt  worden  und  wurde  hier- 
bei das  demselben  Thiere  entnommene  Blut 
verwendet,  D.  constatirte  stets  eine  schnelle 
Resorption  des  Blutes,  wenn  das  Gelenk  ge- 
sund war.  Bei  einer  etwaigen  Verletzung 
desselben  vollzog  die  Resorption  sich  viel 
langsamer.  Ebenso  wird  das  Blut  in  einem 
beweglichen  Gelenke  schneller  aufgesogen  als 
in  einem  unbeweglichen.  Neuerdings  herrschte 
die  Ansicht,  dass  die  Gegenwart  der  Syno- 
via die  Resorption  begünstige.  Nach  D/s 
Untersuchungen  übt  jedoch  die  Synovia  gar 
keinen  Einfluss  auf  diese  Aufsaugung  aus. 
Es  ergiebt  sich  deshalb  hieraus  folgender 
Fingerzeig  für  die  Behandlung:  Bei  einem 
Blutergusse  in  die  Gelenkhöhle  sind  (wenn 
das  betreffende  Gelenk  intact  ist)  Massage 


^ 


m.  J«]irgftiig.l 
März  1889.  J 


Thorap«utlteho  Mitthoilungen  aut  Vereinen. 


127 


und  passive  Bewegungen  anzuTv enden.  Be- 
steht eine  Verletzung,  so  muss  das  ergossene 
Blut  mittelst  der  bekannten  Apparate  aspi- 
rirt  werden.  Handelt  es  sich  um  ein  recht 
erhebliches  Trauma,  so  ist  das  Gelenk  zu 
eröffnen  und  der  Erguss  yoUständig  zu  ent- 
leeren. 

{La  Semaine  midieaU  1889  No.  1.)  H, 

Dritter  Congress  russischer  Aerzte  zu 
St.  Petersburg. 

{Sitzungen  vom  3.— 10.  Januar  1889) 

Frau  Charbanoff  (Petersburg):  Ueber 
Behandlung  der  Rachitis  mit  Phos- 
phor. Auf  Grund  von  105  selbst  beob- 
achteten Fällen  kommt  0.  zu  dem  Ergeb- 
niss,  dass  die  Behandlung  der  Rachitis  mit 
Phosphor  zu  den  befriedigendsten  Resultaten 
führte.  Der  Phosphor  hebt  nicht  nur  das 
Allgemeinbefinden,  er  wirkt  auch  auf  ge- 
wisse Symptome.  Zuerst  wird  das  Nerven- 
system günstig  beeinflusst,  alsdann  bessern 
sich  die  Functionen  der  Extremitäten  und 
der  Zustand  des  ganzen  Knochengerüstes. 

Herr  Podrese  (Charkow):  Ueber 
schnelles  Eingreifen  bei  tuberculösen 
Gelenkaffectionen.  Zahlreiche  klinische 
Erfahrungen  scheinen  dafür  zu  sprechen,  dass 
der  operative  Eingriff  bei  Behandlung  des 
Tumor  albus  jeder  anderen  Behandlungs- 
methode vorzuziehen  sei.  Nach  den  statisti- 
schen Erhebungen  ergiebt  die  exspectative 
Methode  eine  sehr  grosse  Mortalitätsziffer. 
In  den  günstigsten  Fällen  gelangt  man  da- 
hin, eine  unbrauchbare  Extremität  zu  er- 
halten. Ausserdem  ist  ein  Recidiv  seltener 
und  gutartiger  nach  der  Resection  als  bei 
der  exspectativen  Methode.  Dabei  bleibt 
noch  zu  beachten,  dass  eine  allgemeine  Aus- 
breitung des  tuberculösen  Processes  im  Falle 
einer  chirurgischen  Intervention  weit  weniger 
zu  befurchten  ist,  als  bei  jeder  anderen  Art 
der  Behandlung.  —  Die  erforderlichen  Be- 
dingungen zur  Erlangung  einer  Nearthrose 
sind  folgende:  Man  operire  frühzeitig  und 
radical,  indem  alles  verdächtig  Aussehende 
weggenonmien  wird.  Zur  Nachbehandlung 
sind  die  Extension  und  alsdann  so  früh  wie 
möglich  passive  und  active  Bewegungen  zu 
verordnen. 

Herr  Lindenbaum  (Jaroslawb):  Ueber 
operative  Intervention  bei  eitriger 
Pleuritis.  Man  soll  sich  beim  Empyem 
nicht  blos  mit  der  einfachen  Operation  be- 
gnügen, sondern  ausserdem  noch  eine  Rippe 
reseciren.  Diese  Ansicht  stützt  sich  auf 
zahlreiche  eigene  Erfahrungen  über  Em- 
pyem. 

Herr  Soubbotine    (Charkow)    bemerkt, 


dass  L.  nicht  angegeben,  in  welcher  Periode 
er  operirt  und  nichts  über  den  Zustand  der 
Lunge  nach  der  Operation  gesagt  habe.  Der 
Zeitpunkt  des  operativen  Eingriffs  sei  jedoch 
von  grosser  Wichtigkeit,  denn  die  Resection 
einer  einzigen  Rippe  geniige  nicht  in  solchen 
Fällen,  in  denen  die  Lunge  sich  nicht  mehr 
ausdehne. 

Herr  Komarewsky  (Orel)  glaubt,  dass 
die  Resection  einer  Rippe  nur  beim  Er- 
wachsenen indicirt  sei;  bei  den  Kindern 
müsse  man  sich  mit  der  Operation  des  Em- 
pyems und  der  Drainage  begnügen. 

{La  Semaine  mdd.  1889  No.  4  u.  5,) 

Herr  Privatdocent  Dr.  Dochmann  (Ka- 
san): Ueber  die  Steigerung  der  Körper- 
temperatur als  eine  Theilerscheinung 
der  Vis  medicatrix  naturae.  Die  Stei- 
gerung der  Körpertemperatur  in  fieberhaften, 
infectiösen  Krankheiten  dürfe  nicht  von  vorn- 
herein als  etwas  Schädliches  betrachtet  wer- 
den, sondern  könne  vielleicht  gerade  zur 
Unschädlichmachung  des  infectiösen  Krank- 
heitsvirus beitragen.  D.  führt  eigene  Ex- 
perimente und  Beobachtungen  an,  die  diese 
bis  jetzt  durchaus  hypothetische  Anschauung 
zu  stützen  scheinen.  Wenn  er  Katzen,  die 
vorher  mit  Curare  vergiftet  worden  waren, 
in  den  Wärmekasten  brachte  und  einer  künst- 
lichen Temperatursteigerung  unterwarf,  so 
erholten  sie  sich  sehr  rasch  von  der  Ver- 
giftung, was  bei  den  in  gewöhnlicher  Tem- 
peratur befindlichen  Controlthieren  niemals 
der  Fall  war.  Aehnliche  Resultate  gewann 
D.  bei  Thieren,  denen  er  faulende  Substan- 
zen injicirt  hatte. 

Herr  Tepeljaschin:  Ueber  Kataract 
in  Folge  chronischer  Vergiftung  mit 
Mutterkorn.  Im  Winter  1879  —  1880 
herrschte  im  Glaso waschen  Kreise  eine  aus- 
gedehnte Ergotismus-Epidemie.  Während  der 
folgenden  Jahre  beobachtete  T.  27  Staar- 
kranke,  bei  denen  der  überstandene  Ergotis- 
mus als  Ursache  für  die  Staarbildung  anzu- 
sehen war.  In  13  Fällen  wurde  an  beiden, 
in  9  Fällen  an  einem  Auge  die  Extraction 
des  Kataracts  vorgenommen. 

Herr  Gordou:  Behandlung  der  Horn- 
hautgeschwüre mit  dem  Glüheisen.  G. 
berichtet  über  54  Fälle  von  Hornhaut- 
geschwüren mit  und  ohne  Hypopyon.  Kau- 
terisation mit  dem  Paquelin  und  dem  Gal- 
vanokauter.     Dabei  sehr  gute  Erfolge. 

Herr  Felser:  Ueber  „Trichlorjod" 
(JCI3).  Das  Mittel  wurde  in  der  Univer- 
sitätsklinik zu  Kasan  (in  einer  Lösung  von 
Va)%)  an  vielen  Augenkranken,  sowohl  zum 
Zwecke  der  Asepsis  vor  Operationen,  wie 
der  Antiseptik  bei  infectiösen  Processen  an- 
gewandt.   Die  bacteriologischen  Untersuchun- 


128 


Thorapoutitche  Mitthollungen  aui  Verelnoa. 


rrherapeuUsoh« 
L  Monatshefte. 


gen  des  Yortragenden  ergeben  die  stark  bac- 
tericiden  Eigenschaften  des  JCI3. 

(8t.  Pttertburg.  med.  Woehentchr.  1889  No.  2  u.  3.) 

Wissenschaftliche    Verhandlungen   der  Dorpater 
medicinischen  Facultät. 

{Sitzung  vom  20.  October  1888.) 

Prof.  R.  Kobert  spricht:  ^Ueber  das 
resp.  die  wirksamen  Principien  der  Condu- 
rangorinde". 

Die  Rinde  enthält  mindestens  drei  active 
Substanzen,  nämlich  2  oder  3  Glykoside 
und  ein  Harz,  welche  qualitativ  gleich  wir- 
ken. Auch  das  Condurangin  von  Vulpius, 
welches  Vortragender  zu  untersuchen  Ge- 
legenheit hatte,  ist  keine  einheitliche  Sub- 
stanz, sondern  ein  Gemisch  zweier  der  oben 
aufgeführten  Glykoside. 

Bemerken swerth  ist  die  Eigenschaft  des 
Condurangins,  beim  Erwärmen  der  wässerigen 
Lösung  wie  Eiweiss  zu  gerinnen,  so  dass 
in  einem  heiss  filtrirten  Decoct  fast  gar  kein 
Condurangin  enthalten  ist.  Auch  beim  Sät- 
tigen einer  wässerigen  Losung  mit  Kochsalz 
föUt  das  Condurangin  wie  Eiweiss  aus. 

Die  Wirkung  des  Condurangin  ist  in 
erster  Linie  auf  das  Centralnerven  System 
gerichtet.  Nach  kleineren  Dosen  stellen 
sich  ataktische  Veränderungen  des  Ganges 
ein;  nach  etwas  grösseren  Dosen  werden  die 
Thiere  unbeholfen,  wackeln  beim  Gehen 
namentlich  auf  den  hinteren  Extremitäten 
und  fallen  auf  die  Seite;  Haut-  und  Sehnen- 
reflexe scheinen  dabei  erhöht.  Bei  noch 
grösseren  Dosen  machen  sich  neben  den 
oben  angegebenen  Erscheinungen  grosse  Un- 
ruhe und  heftige  klonische  vom  Gehirn  resp. 
der  Medulla  oblongata  ausgehende  Krämpfe 
geltend.  Auf  dieses  Stadium  der  Erregung 
folgt  ein  solches  der  Lähmung,  in  welchem 
die  Reflexe  noch  deutlich  erhöht  sind.  — 
Die  elektrische  Erregbarkeit  der  peripheri- 
schen Nerven  und  der  Muskeln  ist  anföng- 
lich  gesteigert,  später  herabgesetzt. 

Als  weitere  Symptome  nach  grossen 
Dosen  sind  zu  erwähnen:  Abnahme  resp. 
gänzlicher  Verlust  der  Fresslust,  Speichel- 
fluss  und  Erbrechen.  Auf  Herz,  Blutgefässe, 
Blutdruck,  Blut  besitzt  das  Glykosid  keine 
nennenswerthe  Wirkung.  Der  Sections- 
befund  ist  negativ.  Die  tödtliche  Dosis 
beträgt  bei  Fleischfressern  ca.  0,02  g  pro 
Kilo  Thier,  bei  Pflanzenfressern  ist  dieselbe 
etwa  drei  Mal  so  gross. 

Ob  eine  specifische  Wirkung  des  Con- 
durangins auf  Carcinomzellen  existirt,  ist 
nicht  entschieden. 

{Bt.  Peterab.  med.  Woehenschr.  1889  No.  1.)        rd. 


Erster  Congress  der  italienischen  Gesellschaft  für 
innere  Medicin  zu  Rom. 

{Sitsungen  vom  20.— 25.  October  1888.) 

Tomaselli  (Catania):  Ueber  icterisch- 
haematurisches  Fieber  in  Folge 
von  Chiningebrauch. 

Schweres,  in  Paroxysmen  auftretendes, 
mit  grosser  Abgeschlagenheit  verbundenes 
Fieber,  zu  dem  sich  Diarrhoe,  Haematurie, 
Icterus  und  Dyspnoe  gesellen,  sind  die  Er- 
scheinungen, die  T.  wiederholt  nach  Verab- 
reichung von  Chinin  bei  gewissen  Individuen 
beobachtet  und  auf  die  er  bereits  vor  meh- 
reren Jahren  aufmerksam  gemacht  hat.  Die 
ersten  Symptome  pflegen  3  —  6  Stunden  nach 
Aufnahme  des  Chinins  einzutreten  und  an 
die  1  —  3  Stunden  währende  erste  Periode 
der  Intoxioation  (mit  Temperatursteigerungen 
von  39,5® — 42®)  schliessen  sich  alsdann 
Dyspnoe,  Icterus  und  bedeutende  Haematurie 
an.  Nach  etwa  24  —  48  Stunden  hört  der 
Anfall  auf  und  der  Pat.  befindet  sich  in 
einem  Zustande  der  Prostration.  Zuweilen 
tritt  unter  Herzparalyse  und  CoUaps  Exitus 
letalis  ein.  Im  Blute  ist  eine  Entfärbung 
und  Verringerung  der  Zahl  der  rothen  Blut- 
körperchen nachweisbar  und  der  Harn  enthält 
Fibrincylinder,  Epithelien,  Gallenpigment  und 
verkleinerte  Blutkörperchen,  Bemerkenswerth 
bleibt,  dass  die  eben  genannten  Erscheinungen 
bei  Individuen,  die  bereits  Malaria  überstan- 
den haben,  leichter  auftreten,  als  bei  anderen. 

Candarelli  (Neapel)  hat  auch  ohne 
Chinin einwirkung  den  eben  erwähnten  Sym- 
ptomencomplex  beobachtet.  Deshalb  neigt  er 
zu  der  Annahme,  dass  es  sich  hierbei  um 
eine  Krankheit  sui  generis  handelt. 

Baccelli  (Rom)  fasst  das  Resultat  der 
über  diesen  Gegenstand  gepflogenen  Dis- 
cussion  dahin  zusammen,  dass  die  Existenz 
von  Malariaformen  mit  Icterus  und  Haema- 
turie, welche  nach  Chiningebrauch  ver- 
schwinden, ausser  Zweifel  steht;  ebenso 
sicher  ist  es  aber  auch,  dass  ausnahmsweise 
Fälle  vorkommen,  wie  die  von  Tomaselli 
beobachteten,  bei  denen  diese  Erscheinungen 
erst  beim  Chinin  gebrauch  auftreten  und  bei 
weiterer  Anwendung  desselben  eine  Ver- 
schlimmerung erfahren. 

Prof.    de   Renzi  (Neapel):    Zur  Behand- 
lung der  Lungentuberculose. 

Von  allen  von  ihm  versuchten  Mitteln 
(Jod,  Jodoform,  Naphtalin,  Naphtol,  Rectal- 
injectionen  mit  Kohlensäure  u.  s.  w.)  zeigte 
Jod  sich  am  wirksamsten.  Mit  tuberculösem 
Virus  inflcirte  Meerschweinchen^  lebten  länger, 
wenn  sie  hierauf  mit  Jod  behandelt  wurden 
als  die  zur  Controlle  geimpften,  aber  nicht 
behandelten  Thiere.  —  R.  hat  auch  — 
ausgehend    von   der  Beobachtung,    dass  das 


ni.  J«lirfuig.l 
M&n  1889.  J 


Thorapoutlieho  Mitthottungen  aus  Verolnen. 


129 


Blut  Tuberkulöser  eine  geringere  Alkalescenz 
besitzt  —  einigen  Kranken  kohlensaure  Al- 
kalien yerabreicht,  aber  nicht  den  geringsten 
Erfolg  erzielt. 

Pelloruti  (Neapel)  hat  im  Initialstadium 
der  Tuberculose  Besserungen  von  den  Rectal- 
injectionen  mit  Schwefelwasserstoflf  gesehen. 
Rira  (Parma)  schildert  die  drei  chirurgi- 
schen Behandlungsmethoden  der  Lungen  tuber- 
culose: die  Pneumectomie,  Pneumotomie  und 
die  parenchymatösen  intrapulmonären  Injec- 
tionen,  die  den  Zweck  haben,  die  Cayernen 
zu  heilen  und  die  tuberculösen  Keime  zu 
zerstören.  Am  unschädlichsten  ist  die 
zuletzt  genannte  Methode.  Mit  einer 
Lösung  Yon  Sublimat  und  Campherchloral 
wird  die  Lunge  durch  eine  mit  seitlichen 
Oeffnungen  yersehene,  durch  den  Thorax 
gesteckte  Canule  ausgewaschen.  Besserung 
hat  R.  erzielt,  aber  niemals  Heilung. 

Anpugnani  und  Scolla  sahen  günstige 
Erfolge  nach  Inhalationen  von  Fluorwasser- 
stoffsäure. 

Prof.  Maragliano  (Genua):  Zur  Behand- 
lung der  Pneumonie. 
Von  der  infectiosen  Natur  der  Pneumonie 
ausgehend,  bekämpft  M.  zunächst  die  Infec- 
tion  selbst,  alsdann  die  durch  toxische,  (von 
den  Bacterien  gebildeten)  Producte  erzeugte 
Herzschwäche.  Er  wendet  sich  gegen  den 
Nihilismus  in  der  Therapie,  ebenso  wie 
gegen  die  inneren  antiparasitären  Mittel 
(Jodkalium,  Calomel)  und  die  parenchyma- 
tösen Injectionen.  Dagegen  glaubt  er  den 
Aderlaas  empfehlen  zu  können.  Femer  ist 
er  (behufs  Bekämpfung  des  Fiebers)  für  die 
Anwendung  von  Bädern,  die  von  30®  all- 
mählich auf  20®  abgekühlt  werden.  Des- 
gleichen kann  Alkohol  in  massigen  Dosen 
gereicht  werden  und  Strophanthus.  Um  Herz- 
schwäche zu  vermeiden,  giebt  er  niemals  Ipe- 
cacuanha  im  Fieberstadium  der  Krankheit. 

Cantani  (Neapel)  glaubt,  dass  der  Ader- 
lass  nur  bei  sehr  erhöhtem  Blutdrucke  etwas 
nützen  könne.  Für  die  reguläre  Pneumonie 
eigne  sich  am  besten  die  exspectative  und 
symptomatische  Behandlungsmethode. 


Baccelli  (Rom)  hält    den   Aderlass  für 
gewisse    Fälle    noch    immer    für    ein    gutes 
I  Mittel.  —   In  der  asphyctischen  Periode  der 
Pneumonie  hat  er  wiederholt  recht  gute  Er- 
folge von  Inhalationen  von  Sauerstoff  gesehen. 
Prof.  Cantani    (Neapel):    Ueber   Aetio- 
logie    und    Behandlung    des    Dia- 
betes. 

Der  Diabetes  ist  als  eine  All  gemein er- 
krankung  zu  bezeichnen,  die  sich  im  chylo- 
poetischen  System  localisirt.  Die  Verrin- 
gerung der  Kohlensäure  im  Organismus  der 
Diabetiker  ist  Folge  (und  nicht  Ursache) 
der  Krankheit,  bedingt  durch  eine  Vermin- 
derung der  Verbrennung  der  Kohlenhydrate. 
—  Die  Ursache  des  Diabetes  ist  hauptsäch- 
lich in  der  erhöhten  Zufuhr  von  stärkehal- 
tigen Substanzen  und  Zucker  zu  suchen; 
dagegen  ist  der  Diabetes  nervösen  Ur- 
sprunges nur  selten  und  vorübergehend.  Zu 
diesem  Schlüsse  gelangt  C.  auf  Grund  seiner 
auf  mehr  als  1000  Fällen  beruhenden  Er- 
fahrung. Er  empfiehlt  Eiweiss-  und  Fett- 
nahrung und  die  alkalischen  Wässer. 

Cardarelli  stellt  den  nervösen  Ursprung 
des  Diabetes  mehr  in  den  Vordergrund. 

de  Renzi  und  Maragliano   halten  die 
gemischte  Kost  für  die  beste. 
Sonsino  (Padua):    Behandlung    des  An- 
kylostoma  mit  Thymol. 

Einem  18jährigen,  anämischen  Mädchen 
gingen  auf  mehrmals  täglich  gereichte  Dosen 
von  4,0  Thymol  130  Ankylostomen  ab. 
Nach  einigen  Tagen  gingen  nach  weiterem 
Gebrauch  des  Mittels  noch  70  dieser  Nema- 
toden ab.  Im  Ganzen  nahm  Pat.  23,0  Thymol, 
worauf  sie  völlig  geheilt  wurde. 
Baccelli:  Behandlung  der  Neuralgien 
mit  subcutanen  Carbol-Injec- 
tionen. 

Bei  Ischias  und  verschiedenen  Neuralgien, 
sowie  gegen  Gelenkschmerzen  bei  chronischem 
Gelenkrheumatismus  leisten  Injectionen  von 
1  -^/o  Garbo  llösung  an  den  schmerzhaften 
Punkten  vorzügliche  Dienste. 

( Wien,  med,  Wochensehr.  No.  51  und  33  und  Wien,  med, 
Prttte  1888  No.  A6.)  R, 


Referate. 


Der  T3rphu8  im  Münchener  Garnisonlazareth 
unter  dem  Einfluss  der  methodischen  Bäder- 
behandlung (Brand).  Von  Oberstabsarzt  Dr. 
A.  Vogl  (München). 

Da    die    Frage    der  Typhustherapie    mit 

dem    Auftauchen     zahlreicher    antipyretisch 


wirkender  Stoffe  in  eine  Wandlung  und  da- 
mit auch  wieder  in  den  Vordergrund  ge- 
treten ist,  fühlt  sich  Verf.  veranlasst,  die 
Principien  und  Resultate  seiner  Behandlungs- 
weise  von  neuem  darzulegen.   Sein^  Statistik 

17 


130 


Referat«. 


rlierapeutlMh« 
Monatshefte. 


bezieht  sich  auf  die  Jahre  von  1841  — 1882, 
welcher  Zeitraum  therapeutisch  in  3  Perio- 
den zerfallt,  indem  von  1841  — 1859  die 
Behandlung  noch  eine  medicameutos  ein- 
greifende, von  1860 — 67  eine  mehr  exspec- 
tative,  mit  einzelnen  Badern  verbundene 
war,  während  die  dritte  Periode  von  1868 
bis  1882  der  methodischen  Bäderbehandlung 
angehört.  Wenn  wir  in  Berücksichtigung 
eines  wesentlichen  Einwandes  gegen  die 
VogTsche  Statistik  die  Jahre  von  1841 
bis  1848  ausschalten,  da  erst  mit  dem  Jahre 
1848  eine  verlässigere  Auffassung  des 
Typhusbegriffes  beginnt,  so  erhalten  wir 
für  die  beiden  ersten  Zeiträume  eine  Mor- 
talität von  19,6%,  dagegen  von  12,6% 
für  die  Zeit  seit  Einführung  der  Bäderbe- 
handlung seit  1868. 

Allerdings  hat  während  dieser  Zeit  auch 
die  Morbidität  abgenommen  von  50,4  %o  i^i 
ersten  Zeiträume  bis  auf  29,7  ^|^^  im  dritten 
Zeiträume,  aber  diese  Abnahme  der  Morbi- 
dität läuft  durchaus  nicht  parallel  der  Ab- 
nahme der  Mortalität,  vielmehr  ist  die  Mor- 
bidität zweimal  ganz  rapide  abgefallen  und 
zwar  1859/60  und  im  Jahre    1880. 

Theilt  man  den  Zeitraum  von  1868  bis 
1882  noch  in  weitere  2  Perioden,  nämlich 
von  1868—1876,  in  welcher  Zeit  die  Bäder- 
behandlung noch  unvollkommen  war,  und 
in  die  Zeit  von  1876  —  1882,  während  wel- 
cher Zeit  auf  der  zweiten  internen  Station 
die  streng  methodische  Bäderbehandlung 
nach  Brand,  auf  der  ersten  dagegen  eine 
combinirte  Bäderbehandlung  mit  Darreichung 
von  Antipyreticis,  namentlich  aber  auch 
ohne  nächtliche  Bäder  geübt  wurde,  so  er- 
hält man  folgende  Resultate:  für  die  erste 
Periode  eine  Mortalität  von  15,2%,  für  die 
zweite  Periode  eine  solche  von  6,5  %,  an 
der  jedoch  die  erste  Station  mit  7,6  %, 
die  zweite  dagegen  nur  mit  2,7  %  betheiligt 
ist:  das  heisst  also,  auf  der  zweiten  inter- 
nen Station  des  Münchener  Garnison lazareths 
ist  seit  dem  Jahre  1876,  von  welcher  Zeit 
die  Brand' sehe  Methode  in  voller  Strenge 
daselbst  durchgeführt  wurde,  die  Mortalität 
von  19,6%  auf  2,7%,  also  um  16,9%  ge- 
sunken. 

Dem  Einwand,  dass  dieses  bedeutende 
Absinken  der  Mortalität  allein  von  dem 
Schwächerw^erden  der  Virulenz  des  Typhus- 
contagiums  abhänge,  lässt  sich  mit  Sicher- 
heit durch  einen  Vergleich  der  Resultate 
auf  der  ersten  und  zweiten  Station  begeg- 
nen. Auf  der  ersten  Station  wurde  näm- 
lich, wie  schon  auseinandergesetzt,  in  den 
Jahren  von  1877  — 1882  eine  combinirte  Bä- 
derbehandlung mit  gleichzeitiger  Anwendung 
von   Antipyreticis,    auf  der  zweiten   Station 


nur  streng  methodische  Bäderbehandlung 
geübt;  es  verhalten  sich  dabei  die  Mortali- 
tätsziffern  wie  10,4  :  3,1.  Es  ist  natürlich 
nicht  einzusehen,  und  Verf.  weist  diesen 
Einwurf,  den  namentlich  Port  erhebt,  mit 
schlagenden  Gründen  zurück,  warum  die 
Fälle  auf  der  ersten  Station  schwerer  sein 
sollten  als  auf  der  zweiten  Station,  und  es 
ist  fernerhin  zu  beachten,  dass  sich  die 
Mortalität  auf  der  ersten  Station  derjenigen 
vor  Einführung  der  Bäderbehandlung  sehr 
nähert,  in  einem  Jahrgange  1880/81  (18,8%) 
dieselbe  sogar  fast  erreicht  hat. 

Zur  weiteren  Erhärtung  dieser  Ange- 
legenheit stellt  V.  noch  die  Mortalitäts-  und 
Morbiditätsziffern  aus  drei  Jahrgängen  einan- 
der gegenüber: 

Im  Jahre  1874/75  war  bei  einer  Morbidität 
von  17,3  °/oo  die  Mortalität  22,0  %. 
Im  Jahre  1875/76  war  bei  einer  Morbidität 
von  18,6  "/oo  die  Mortalität  10,5  %. 
Im  Jahre  1876/77  war  bei  einer  Morbidität 
von  39,1  %   die  Mortalität   5,3  %. 
Fernerhin  weist  V.  auch  darauf  hin,  dass 
die  Mortalität  in  den  grossen  Epidemien  oft 
weit    unter    derjenigen    stand,    wie   sie  sich 
in  endemischen  Verhältnissen  gestaltet;  alles 
zusammen  Beweise  dafür,   dass  das  Absinken 
der    Mortalität     durchaus     nicht     auf     eine 
schwächere  Virulenz  des  Typhusgiftes  zurück- 
zuführen ist. 

Dennoch  bemüht  sich  V.  noch  auf  andere 
Weise  die  Behauptung  der  Gegner  zu  ent- 
kräften, dass  die  Existenzbedingungen  des 
Typhus  immer  schlechter  und  schlechter  ge- 
worden seien,  dass  namentlich  auf  den  Sections* 
tischen  vollkommen  jene  früher  so  häufigen 
wohlgenährten  Typhusleichen  mit  der  kräf- 
tigen, dunkelrothen  Muskulatur  fehlen,  bei 
denen  der  Tod  schon  vor  dem  12.  Tage  der 
Krankheit  eingetreten  war.  Von  388  in  den 
Jahren  1876 — 82  im  Münchener  Garnison- 
lazareth  behandelten  Typhen  sind  65  ge- 
storben, und  zwar,  wenn  man  mit  Berück- 
sichtigung der  militärischen  Verhältnisse  und 
als  Ergebniss  vieler  Hunderte  von  Kranken- 
geschichten und  Temperaturcurven  den  ersten 
Tag  des  Spital  auf enthalts  als  den  dritten 
oder  vierten  Krankheitstag  betrachtet,  15 — 18, 
also  ca.  25  %,  vor  dem  12.  Krankheitstage, 
fast  alle  diese  Fälle  endeten  unter  den 
Symptomen  der  Herzschwäche  oder  derGehim- 
paralyse,  also  in  directer  Folge  der  Infection. 
Einen  weiteren  Anhaltspunkt  zur  Beur- 
theilung  der  Intensität  der  Fälle  bietet  noch 
die  Zugangstemperatur,  aus  deren  Betrach- 
tung sich  ergiebt,  dass  die  Münchener  Fälle 
als  mehr  als  mittlere  zu  betrachten  sind, 
da  über  die  Hälfte  aller  eingelieferten  Fälle 
40,0®  und  mehr  Grad  hatte. 


IIL  Jahrflraag.l 
März  1889.  J 


Roferate. 


131 


Vergleicht  man  ferner  die  Krankheits- 
dauer, auf  welche  die  Therapie  keinen  wesent- 
lichen Einfluss  hat,  so  ergiebt  sich  fiir  die 
Münchener  Fälle  eine  Krankheitsdauer  von 
3*/«  Wochen,  was  der  gewöhnlichen  Typhus- 
dauer entspricht. 

Als  ein  weiteres  Moment  zur  Beurthei- 
lung  der  Schwere  der  Infection  ist  von 
Liebermeister  die  Hartnäckigkeit  und  Dauer 
der  Febris  continua  und  subcontinua  hervor- 
gehoben worden.  Auch  hier  wiederum  ver- 
fügt y.  über  eine  grosse  Anzahl  von  Fällen, 
die  in  ihrer  ausserordentlichen  Schwere  es 
nöthig  machten^  alle  2  Stunden  zu  baden. 
Es  ergiebt  sich  mit  Sicherheit  aus  alledem, 
dass  wir  heut  noch  mit  ebenso  excessiv 
schweren  Fällen  zu  thun  haben,  und  dass 
auch  die  Durchschnittsintensität  der  Fälle 
jetzt  noch  dieselbe  ist,  wie  damals.  Es 
muss  also  daran  festgehalten  werden,  dass 
der  Abfall  der  Sterblichkeit  vom  Jahre  1868, 
beziehungsweise  vom  Jahre  1876  an  mit 
keinem  andern  ursächlichen  Factor  zusam- 
menhängt, als  mit  dem  Beginn,  beziehungs- 
weise der  systematischen  Einführung  der 
Kaltwasserbehandlung,  und  dass  die  Ver- 
schiedenheit der  Sterblichkeit  auf  2  Stationen 
nach  Einführung  der  Kaltwasserbehandlung 
ganz  allein  durch  die  verschiedene  Strenge 
der  Anwendung  dieser  Therapie  erzeugt  ist. 

In  dem  zweiten  Theile  seines  Aufsatzes 
sucht  V.  einen  Einblick  zu  geben  in  den 
klinischen  Verlauf  uncomplicirter  Typhen, 
wie  dieser  sich  unter  dem  Einflüsse  der 
streng  methodischen  Bäderbehandlung  im 
Gegensätze  zu  andern  Behandlungsarten  ge- 
staltet hat.  Was  zunächst  den  Einfluss  der 
Bäder  auf  die  Korpertemperatur  betrifft,  so 
lässt  er  sich  dahin  zusammenfassen,  dass  er 
bei  Aufrechterhaltung  der  Tags-  und  Nacht- 
periode mit  ihrer  normalen  Gipfelbildung 
die  Exacerbationen  durch  zahlreiche  kleine 
Remissionen  niederdrückt  und  in  seiner  un- 
unterbrochenen Einwirkung  auf  diese  Weise 
allmählich  und  sicher  die  Durchschnitts- 
maasse  zum  Sinken  bringt.  Während  bei 
spontanem  Verlaufe  das  absolute  Temperatur- 
maximum ge  wohn  lieh  erst  mit  dem  Schlüsse 
der  ersten  Woche  erreicht  wird,  bildet  bei 
Bäderbehandlung  die  Temperatur  des  Abends 
am  Aufnahme-  resp.  am  ersten  Aufenthalts- 
tage das  Maximum;  schon  in  den  nächsten 
Tagen  kommen  die  Durchschnittstemperatur 
und  die  Exacerbationen  tiefer  zu  stehen. 
Entgegen  dieser  Wirkung  der  Bäder  wird 
durch  Antipyrin,  welches  allein  in  Frage 
kommt,  da  Chinin,  Kairin,  Natrium  salicylicum 
direct  schädlich  wirken,  eine  vollkommene 
Irregularität  der  Gesammtcurve  erzeugt ;  diese 
geht    in    ihren  Exacerbationen    und    in   den 


Durchschnittswerthen  aus  der  24  stündigen 
Periode  auf  und  nieder  im  Gegensatze  zu 
dem  fast  sicheren  Abfalle  von  Tag  zu  Tag 
I  bei  der  Bäderbehandlung. 

Das  zweite  Moment,  auf  dessen  Beach- 
tung es  bei  jeder  Typhustherapie  ankommt, 
ist  das  Verhalten  des  grossen  und  kleinen 
Kreislaufs.  Das  kalte  Bad  ist  ein  wahres 
Tonicum  für  das  Herz;  es  beruhigt  dessen 
Action,  hebt  den  Puls,  verringert  die  Zeichen 
der  Herzschwäche  und  macht  sie  selbst  ver- 
schwinden; die  Zahl  der  Pulse  bleibt  im 
Allgemeinen  eine  massige  und  überschreitet 
selbst  in  schweren  Fällen  110 — 120  Puls- 
schläge nicht.  Dicrotismus  entsteht  in  den 
von  Anfang  an  behandelten  Fällen  nicht; 
bei  später  in  Behandlung  gekommenen  Fällen 
verschwindet  er  unter  der  Wasserbehandlung 
wieder.  Die  Furcht  vor  dem  Eintreten  eines 
Collapses  im  kalten  Bade  ist  so  wenig  be- 
gründet, dass  vielmehr  in  den  ersten  Tagen 
die  Adynamie  des  Herzens  die  dringendste 
Indication  für  das  kalte  Bad  und  dieses 
das  sicherste  Prophylacticum  gegen  den 
Collaps  ist.  Ausserordentlich  günstig  ist 
auch  der  Einfluss  des  Bades  auf  den  kleinen 
Kreislauf,  indem  es  die  bei  anderer  Be- 
handlung so  häufigen  atelectatischen,  hypo- 
statischen und  pneumonischen  Complicationen 
zu  grossen  Seltenheiten  macht. 

Im  Gegensatze  zum  kalten  Bade  ergiebt 
die  Antipyrinbehandlung  zwar  eine  günstige 
Beeinflussung  der  Pulsfrequenz,  nicht  aber 
der  Qualität  des  Pulses,  es  wird  hier  nicht 
blos  die  Hebung  des  Pulses,  diese  eminente 
Wirkung  des  kalten  Bades  vermisst,  sondern 
es  zeigt  sich  auch  in  vielen  Fällen  kürzere 
oder  längere  Zeit  Dicrotie,  und  es  ist  zu 
bemerken,  dass  gerade  bei  ergiebiger  Anti- 
pyrinwirkung  auf  die  Temperatur  der  Puls 
unterdrückbarer  wird. 

Die  Wirkung  der  kalten  Bäder  auf  die 
Erscheinungen  von  Seiten  des  Nervensystems, 
auf  den  sogenannten  Status  typhosus  ist 
eine  ganz  ausserordentliche.  Bei  strenger 
Durchführung  der  Brand'schen  Methode, 
aber  nur  bei  dieser,  gelingt  es  durch  eine 
1 — 4-  und  selbst  mehrwöchentliche  Akme 
die  Function  der  nervösen  Centren  aufrecht 
zu  erhalten;  leichte  Delirien  bleiben  Aus- 
nahmefälle, es  kommt  weder  zur  versatilen, 
noch  zur  stupiden  Form  des  Typhus;  es 
tritt  nie  die  Indication  heran,  Erregungs- 
zustände durch  Narcotica  zu  bekämpfen. 
Im  Gegensatze  dazu  erzeugt  das  Antipyrin  eben 
nur  eine  Euphorie,  wie  sie  durch  eine  mehr 
oder  weniger  anhaltende  Abkühlung  aus  der 
Fieberhitze  zu  Stande  kommt.  Der  Kranke 
liegt  zwar  ruhig  und  ohne  Klage  da,  aber 
die  Frische  in  Aussehen  und  Bewegung,  wie 

17* 


132 


Rofermte. 


rlierapflutladi* 
Monatsheft«. 


sie  die  anregende  Wirkung  der  Bäder  erzeugt, 
fehlt  gänzlich. 

Was  die  Darmerscheinungen  betrifft,  so 
ist  die  Minderung  derselben  eine  ganz  evi- 
dente Wirkung  des  kalten  Bades;  die  Durch- 
fälle sistiren  nach  2  —  3  Tagen  einer  metho- 
dischen Bäderbehandlung  meistens  f&r  immer 
oder  dauern  höchstens  in  der  Zahl  von  1 
bis  2  Entleerungen  täglich  noch  einige  Zeit 
fort.  Ueber  die  Akme  hinaus  fortdauernde 
flüssige  oder  breiige  Entleerungen  kommen 
nicht  zur  Beobachtung.  Umgekehrt  zeigt 
sich  die  bei  anderer  Behandlung  in  der  De- 
fervescenz  und  Reconyalescenz  nicht  selten 
aufgetretene  hartnäckige  Obstipation  in  den 
mit  Bädern  behandelten  Fällen  nicht,  ein 
Beweis  einer  intact  erhaltenen  Function  der 
Darmmusculatur. 

Es  ist  ferner  zu  bemerken,  dass  unter 
den  221  streng  methodisch  behandelten 
Typhen  nur  2  Mal  blutige  Stühle,  nie  Peri- 
tonitis, weder  einfache  noch  perforative,  auf- 
getreten sind,  was  für  die  Behauptung 
Brandts  spricht,  bei  frühzeitiger  Einleitung 
seiner  Behandlung  werde  die  Bildung  von 
Darmgeschwüren  aufgehalten,  d.  h.  der  krank- 
hafte Localvorgang  auf  die  Infiltration  des 
Drüsenapparates  beschränkt.  Dass  diese 
Umgestaltung  des  örtlichen  Verlaufes  um- 
gekehrt auch  auf  den  Allgemeinzustand,  auf 
die  Umwandlung  schwerer  Fälle  in  mittel- 
schwere und  leichte  einwirken  muss,  ist 
selbstverständlich.  Nach  dieser  Vorstellung 
dürfte  man  von  einer  antityphösen  Wirkung 
der  Bäder  reden. 

Im  Anschluss  daran  bespricht  V.  die 
Ernährung  seiner  Typhuskranken:  Alle  2 
Stunden,  nachdem  das  Bad  gereicht  ist,  giebt 
er  ihnen  sofort  eine  kleine  Menge  heissen 
Thees  mit  Cognac  und  ca.  7* — Vs  Stunde 
darauf  1  Tasse  Bouillon  mit  Ei,  oder  Flaum- 
suppe (Mehl,  Ei,  Milch)  und  setzt  dies  auch 
bei  Nacht  fort.  Sind  die  Pausen  zwischen 
2  Bädern  länger  geworden,  so  kann  zwischen- 
durch eine  weitere  Portion  flüssiger  Nahrung 
(Kaffee  mit  Milch,  Milch,  weiches  Ei  u.  s.w.) 
gegeben  werden.  Die  ganze  reichliche  Nah- 
rungszufuhr  findet  ausschliesslich  in  den 
Anfangs  zahlreichen  iind  später  grossen 
fieberfreien  Intervallen  statt. 

V.  bespricht  sodann  die  Betheiligung  der 
Nieren  beim  Typhus  und  ihre  Beeinflussung 
durch  die  kalten  Bäder.  Die  Urinmenge 
ist  vom  2.  Tage  der  Behandlung  ab  ver- 
mehrt, man  erhält  im  Durchschnitt  täglich 
2900  ccm  hellen  und  klaren  Urins.  Albumin- 
urie trat  bei  221  streng  methodisch  be- 
handelten Fällen  nur  14  Mal  in  Form  einer 
Trübung  aus  kleinen  Flocken  ohne  nach- 
weisbare   Formbestandtheile    und    «war    am 


ersten  oder  einem  der  nächstfolgenden  Tage 
auf  und  verschwand  mit  Eintritt  der  Polyurie; 
sie  bestand  also  nur  sehr  kurz  und  sehr 
früh,  noch  bevor  der  Einfluss  der  Bäder  zur 
Geltung  gekommen.  Ebenso  fehlen  nephri- 
tische Erscheinungen  in  einer  vorgerückteren 
Zeitperiode  gänzlich.  Bei  anderer  Behand- 
lung findet  man  Albuminurie  in  22 — 32  "/o*, 
bei  stärkerer  Albuminurie  findet  man  im 
Urin  auch  Formbestandtheile.  V.  erwähnt 
dann  endlich  noch,  dass  die  kalten  Bader 
die  acute  Schwellung  der  Milz  beschränken, 
den  Turgor  der  Haut  erhöhen,  Mortifications- 
vorgänge  derselben  verhüten  und  das  De- 
fluvium  capillorum  post  typhum   verhindern. 

Absolute  Contraindicationen  der  kalten 
Bäder  bestehen  in  Venen thrombose,  Perito- 
nitis, späten  Darmblutungen;  eine  Indication 
für  Milderung  des  Verfahrens  bilden  Larynx- 
und  Pleuraaffectionen,  wirkliche  Schwäche- 
zustände; in  diesen  Fällen  ist  das 
Ziemssen'sche  allmählich  abgekühlte  Bad 
zu  verwenden. 

Da  nun  kaum  mehr  eine  Meinungs- 
verschiedenheit darüber  besteht,  dass  den 
Bedingungen  grösster  Einfachheit  und  Energie 
mit  völliger  Gefahrlosigkeit  durch  die 
Brand'sche  Methode  in  hervorragendem 
Maasse  genügt  wird,  so  dürfte  sich  ihre 
Formel  für  die  Behandlung  des  Abdominal- 
typhus normal  angelegter  Menschen  mittleren 
Lebensalters  zur  Aufnahme  in  die  allgemeine 
Praxis  empfehlen ;  für  den  Typhus  im  Kriege 
wünscht  V.  ihr  eine  bindende  Bedeutung 
zu  geben.  Herabsetzung  der  Temperatur 
des  Bades,  sowie  Verabreichung  der  Bäder 
schon  bei  etwas  tieferer  Körperwärme  kön- 
nen als  Verschärfung  der  Methode  in  An- 
wendung kommen  und  in  allen  Fällen, 
wo  primäre  und  secundäre  Complicatio- 
nen  eine  Milderung  erwünscht  machen,  steht 
die  Abkürzung  des  kalten  Bades  und  dann 
das  allmählich  abgekühlte  Bad  von  von 
Ziemssen  zur  Verfügung. 

Bei  absoluter  Gontraindication  jeder 
Badeprocedur  —  zeitlich  oder  für  den  gan- 
zen Verlauf  —  ist  die  medicamentöse  Anti- 
pyrese  unentbehrlich,  also  nicht  als  Ergän- 
zung, sondern  als  Ersatz  der  Hydrotherapie. 
Ein  exspectatives  Verhalten  ist  Angesichts 
der  Leistungsfähigkeit  der  heutigen  Therapie 
nicht  mehr  statthaft. 

{Separatabdruck  au$  dem  deutsehen  Archiv  für  kHnitche 
Medicin  XLllL  und  XLIV.) 

Schmey  {Beuihen  0.-8.), 

Ueber  den  Nutzen  der  Antipyrese.  Vortrag  auf  der 
Natarforscher- Versammlung  zu  Köln,  gehalten 
von  Prof.  Thomas  (Freiburg). 

Vf.  wendet  sich  gegen  die  Vorwürfe, 
welche  zur  Zeit  der  antipyretischen  Behand-» 


Mira  1889.  J 


Rsfonte. 


133 


luDgAeberhafterlnfectionskrankheitei)  mittelst 
innerer  Mittel  vielfach  gemacht  werden. 
Unangenehme  Zufälle  seien  meistens  Folge 
einer  unTorsichtigen  Anwendung  übergrosser 
Dosen. 

Wenn  die  Gegner  der  internen  Antipyrese 
hervorheben,  dass  die  Erankheitsdauer  durch 
diese Behandlungsweise  nicht  abgekürzt  werde, 
dass  die  internen  Antipyretica  nur  Antither- 
mica  seien,  dass  nur  die  erhöhte  Eigenwärme, 
nicht  aber  die  sonstigen  Symptome  des 
Fiebers  beseitigt  werden,  so  betont  Th.  diesen 
gegenüber  den  wohlthätigen  Einfluss,  welchen 
die  Herabsetzung  der  fieberhaft  gesteigerten 
Korpertemperatur  auf  das  subjective  Wohl- 
befinden und  auf  die  Hirnsymptome  ausübe. 
Seiner  Ueberzeugung  nach  werde  die  Recon- 
valescenz  abgekürzt  und  der  Kranke  früh- 
zeitiger dem  Zustande  völliger  Gesundheit 
zurückgegeben,  wenn  die  Fieberhitze  häufiger 
erniedrigt,  als  wenn  das  Fieber  exspectativ 
behandelt  werde. 

Auch  die  Hydrotherapie  wirke  nur  sym- 
ptomatisch und  beseitige  schwereHimsymptome 
nur  mittelbar  durch  Erniedrigung  der  Eigen- 
warme. Daneben  werde  durch  die  Hydro- 
therapie allerdings  noch  eine  Anregung  auf 
das  Nervensystem  ausgeübt,  welche  durch 
gleichzeitige  Darreichung  nützlicher  interner 
Antipyretica  nicht  abgeschwächt  werde.  Aus 
diesem  Grunde  bevorzugt  Th.  die  combinirte 
Behandlung  fieberhafter  Zustände  mittelst 
hydropathischer  Maassnahmen  und  interner 
Antipyretica. 

Im  Allgemeinen  verfährt  Yf.  so,  dass 
Morgens  und  Abends  gebadet  wird  und  vor 
und  während  des  Badens  Frottirungen  und 
kalte  üebergiessungen  gemacht  werden.  Zu- 
weilen wird  im  Beginne  der  Nacht  noch  ein 
drittes  Bad  angeordnet.  Bei  Kindern  soll  das 
Bad  nur  lau,  nicht  kalt  sein  und  durch  üeber- 
giessungen des  Rückens  auf  21 — 23^  Reaumur 
herabgesetzt  werden.  Um  Mittag  herum, 
wenn  die  Temperatur  schon  wieder  bedeu- 
tend gestiegen  sein  sollte,  und  dann  vielleicht 
noch  einmal,  wenn  nöthig,  am  späten  Abend 
wird  die  nothwendige  Dosis  des  innerlichen 
Fiebermittels  gegeben.  Von  diesen  gebraucht 
Yf.  fast  nur  Antifebrin  und  Antipyrin  und 
wendet  neben  denselben  Excitantien,  Wein, 
Kaffee,  Thee  etc.  an. 

{Jahrbuek  f.  Ktttderkmlkunde.   XXIX.   Htft  2  8.  161.) 

rd. 


Experimentelle  Prüfung  des  Preyer'schen  Abküh- 
Inngsverfahrens  und  seine  Anwendung  bei 
Fiebernden.    Yen  S.  Placzek. 

Frey  er  hat  im  Jahre  1884  eine  Methode 
veröffentlicht,  durch  Zerstäubung  von  Wasser 
mittelst    eines  Sprays    auf  die    Körperober- 


fiäche  die  Temperatur  herabzusetzen.  Dieses 
Yerfahren  war  von  Flashar  schon  etwas 
früher  auch  beim  Menschen  angewandt  wor- 
den. Später,  1886,  hat  dann  Hill  er  die  Ab- 
kühlung durch  Wasser  Verdunstung  auf  der 
Haut,  durch  Frey  er 's  Yorschlag  angeregt, 
zur  Behandlung  an  Hitzschlag  erkrankter 
Soldaten  mit  Erfolg  verwendet. 

Y.  benutzte  als  Yersuchsthiere  Meer- 
schweinchen und  Kaninchen.  Es  gelang 
durch  Zerstäubung  von  250  —  500  g  Wasser 
von  einer  Temperatur  von  7 — 16*^  die  Tem- 
peratur um  2  —  3°  zu  erniedrigen.  Bei 
niedrigerer  Temperatur  des  Wassers  war  auch 
der  Temperaturabfall  ein  rascherer  und 
stärkerer.  Die  Dauer  des  subnormalen  Zu- 
standes  betrug  3 — 5  Stunden;  das  Allge- 
meinbefinden der  Thiere  litt  durchaus  nicht, 
der  Appetit  blieb  rege,  die  Athmung  war 
etwas  beschleunigt;  nur  der  Puls  wurde  zu- 
weilen klein  und  weniger  frequent.  Das 
subjective  Wohlbefinden  zeigte  sich  auch  bei 
den  Abkühlungsversuchen  am  normalen  Men- 
schen und  zwar  währte  das  erfrischende  Ge- 
fühl längere  Zeit,  als  dies  gewöhnlich  nach 
einem  Flussbade  der  Fall  zu  sein  pflegt. 

Bei  einem  fiebernden  Thiere  gelang  durch 
Besprühung  mit  600  g  von  12 — 15°  und 
gleich  darauf  folgende  Besprühung  mit  100  g 
von  35°  die  Herabsetzung  der  Temperatur 
um  2°,  die  dann  allmählich  in  3 — 5  Stunden 
zur  ursprünglichen  Höhe  anstieg.  Durch 
das  nachträgliche  Besprühen  mit  Wasser  von 
höherer  Temperatur  wird  eine  raschere  Er- 
weiterung der  Hautcapillaren  und  demgemäss 
eine  bedeutende  Wärmeabgabe  erzielt. 

In  ähnlicher  Weise  gelang  es  bei  einem 
Tuberculosen,  der  abendliche  Exacerbationen 
bis  40°  hatte,  durch  Besprühung  mit  500  g 
Wasser  von  15 — 19°  unter  subjectivem  Wohl- 
behagen des  Patienten  die  Temperatur  zur 
Norm  zurück  zufuhren  und  entweder  sie 
4  Stunden  auf  diesem  Standpunkte  zu  er- 
halten, oder  nur  ein  allmähliches  Ansteigen, 
doch  nicht  bis  zur  früheren  Höhe  zu  ge- 
statten. 

Gegenüber  der  Bäderbehandlung  hat  diese 
Methode  offenbar  den  Yorzug  grösserer  Ein- 
fachheit und  Bequemlichkeit,  ein  Umstand, 
der  namentlich  für  die  Privatpraxis  von 
grÖsster  Bedeutung  ist.  Der  Patient  bleibt 
einfach  auf  seinem  Lager  liegen,  wird  von 
seinem  Hemde  entblösst  und  ihm  zur  Yer- 
hütung  der  Bettdurchnässung  ein  Wachstuch 
oder  Gummituch  unterbreitet;  es  genügt,  den 
Patienten  mittelst  eines  gewöhnlichen  Sprays 
mit  '/i  1  von  15  — 18°  und  dann  mit  ^4  ^ 
von  40°  zu  besprühen.  Die  Procedur  dauert 
etwa  25  Minuten,  kann  daher  leicht  öfters 
am  Tage  wiederholt  werden.    Nach  kürzerer 


134 


Referate. 


rlierapeutisehe 
Honatabefte. 


oder   längerer  Zeit   wird  Patient   wieder  ab- 
getrocknet  und   mit   dem   Hemde  bekleidet. 

( Virchow't  Ai'chiv  Bd.  115.)    Schmty  {Beuthen  O.'Sch.). 

Zur  Therapie  der  Variola.    Von  Dr.  Alex.  Hartge 
(Dorpat). 

Nach  seinen,  während  der  in  den  Jahren 
1887  — 1888  zu  Dorpat  herrschenden  Pockeu- 
epidemie  gemachten  Erfahrungen  schlägt  Verf. 
folgende  Therapie  der  Variola  vor:  Bei  Ver- 
dacht auf  Pocken,  auch  wenn  noch  keine  Spur 
von  Exanthem,  dagegen  hohes  prodromales  Fie- 
ber Torhanden,  zuerst  ein  Abfuhrmittel,  dann 
täglich  ein  oder  höchstens  zwei  lauwarme 
Bäder  von  26—26°  R.  zu  verabfolgen.  Wird 
dann  die  Form  der  Erkrankung  manifest, 
so  genügen  bei  Variolois  äussere  Mittel  zur 
möglichsten  Verhütung  von  Narben.  Es  sind 
so  früh  wie  möglich  kühle  Umschläge  zu 
machen  und  ausserdem  die  W  ei  denbaum^Bche 
Salbe  anzuwenden  (IJngt.  einer.  1,0,  Sapon. 
kaiin.  2,0.  Glycerini  4,0).  Hierbei  tritt 
bei  den  sichtbaren  Papeln  und  Knötchen  oft 
ein  Stillstand  ihrer  Entwickelungen  ein. 
Vor  zu  energischer  und  zu  häufiger  Appli- 
cation der  Salbe  ist  zu  warnen,  namentlich 
sind  allgemeine  oder  Totaleinpinselungen 
des  Körpers  zu  vermeiden,  da  mercurielle 
Stomatitis  sich  mit  den  Eruptionen  im 
Munde  unliebsam  compliciren  kann.  Die 
Salbe  gilt  eigentlich  nur  für  das  Gesicht; 
für  Hände  und  Füsse  bewähren  sich  die 
Umschläge. 

In  Fällen  schwerer  Erkrankung 
machte  H.  sehr  gute  Erfahrungen  mit  lau- 
warmen Vollbädern  von  25 — 26®  R.,  die 
1  —  2  Male  am  Tage  in  Anwendung  kamen. 
Dieselben  beeinfiussten  den  Ausschlag  in  der 
günstigsten  Weise  und  wirkten  wohlthuend  auf 
das  Befinden  der  Krauken.  Die  Temperatur 
sinkt  im  */* stündigen  Bade  bisweilen  von  40,5 
und  41,0  auf  38,0  —  38,5.  Der  Gebrauch  der 
Bäder  wird  fortgesetzt,  bis  die  Temperaturen 
spontan  sinken.  Nach  dem  Bade  wird  die 
Weiden  bäum 'sehe  Salbe  vorsichtig  auf- 
gerieben und  daneben  eventuell  noch  die 
Application  von  Compressen  verordnet. 
Innerlich  sind  Alkoholica,  in  Form  von 
Eierpunsch  oder  Milch  mit  Cognac  zu 
reichen.  Im  Uebrigen  ist  die  Behandlung 
eine  symptomatische.  —  Natürlich  soll  nicht 
jeder  Pockenkranke  ohne  Ausnahme  gebadet 
werden.  Wie  bei  jeder  anderen  Krankheit 
giebt  es  auch  hier  gewisse  Contra-Indicationen. 
{St,  Petersburg,  med,  Wochenschr.  1889.  No.  3.)        B. 

Die  Digitalis  in  der  Behandlung  der  Pneumonie. 
Von  Petresco. 

Verf.  hat  durch  Anwendung  der  Digitalis 
in  hohen  Dosen  in  einer  grossen  Reihe  von 


Fällen  von  Pneumonie  ausgezeichnete  Erfolge 
erzielt.  Im  Allgemeinen  wurde  ein  Infus 
aus  4  g  fol.  Digital.,  das  auf  200  g  Flüssig- 
keit gebracht  worden  und  dem  etwa  40  g 
Syrup  hinzugefügt  war,  verwandt.  Halb- 
stündlich wurde  hiervon  ein  TheelÖffel  ge- 
geben. Im  Allgemeinen  erreichte  man  mittelst 
dieser  Therapie,  dass  bereits  am  3.  Tage 
die  Krankheit  in  das  Stadium  decrementi 
eintrat.  Gewöhnlich  erfolgte  auch  sehr  bald 
ein  Abfall  des  Fiebers,  sowie  Verschwinden 
der  physikalischen  Symptome.  —  Trotz  der 
auffallend  hohen  Dosis  wurde  eine  Intoxi- 
cation  in  keinem  Falle  beobachtet,  obwohl 
Verf.  577  Patienten  in  dieser  Weise  be- 
handelt hat.  —  Die  Mortalitätsziffer  betrug 
bei  dieser  Behandlung  nur  l,2°/o. 

(Lyon  Jfdd,  in  The  Journal  of  (he   American  Auo- 
eiaiion  IS.  Xll  1888.)  H.  LohmaUin  ißerUn). 

(Ana  der   Uniyenitäts-PoUklinik   des  Herrn  Prof.  Dehio  io 

Dorpat.) 

Zur  subcutanen  Blutinjectton  nach  der  von 
Ziemssen'schen  Methode.  Von  Dr.  H.  West- 
phalen  (Dorpat). 

Verf.  berichtet  über  einen  in  der  Poli- 
klinik des  Prof.  Dehio  beobachteten  Fall 
von  schwerer  essentieller  Anämie,  der 
namentlich  in  therapeutischer  Hinsicht  Be- 
achtung verdient.  Es  handelt  sich  um  einen 
bereits  sehr  heruntergekommenen  36-jährigeu 
Mann,  Maurer,  bei  dem  das  Vorhandensein 
eines  Botriocephalus  latus  allenfalls  die  An- 
nahme einer  secundären  Anämie  hätte 
zulassen  können.  Da  aber  nach  Abtreibung 
des  Bandwurmes  keine  Wendung  zum  Besseren 
eintrat,  schien  die  Diagnose  einer  primären 
progressiven  Anämie  nur  noch  an  Boden  zu 
gewinnen.  Nachdem  die  Medication  mit 
Liquor  ferri  dialysati  nicht  die  geringste 
Besserung  gebracht  hatte,  beschloss  man  eine 
subcutane  Bluttransfusion  nach  v.  Ziemssen 
(v.  Ziemssen:  Klinische  Vorträge,  II.  Abth., 
2.  1887)  oder  wie  sie  Ewald  der  Einfach- 
heit wegen  nennt,  die  subcutane  Blutinjec- 
tion  auszuführen.  —  Die  Operation  wurde 
in  der  Weise  ausgeführt,  dass  zunächst  einem 
Studenten  durch  Aderlass  ca.  150  ccm  Blut 
aus  der  Vena  mediana  entnommen  und  in 
einem  Glasgefässe  aufgefangen  wurden.  Das 
Blut  wurde  durch  Quirlen  mit  einem  Glas- 
stabe defibrinirt,  zur  Entfernung  grösserer 
Fibrinflocken  durch  ein  Stück  Marly  durch- 
gelassen und  mittelst  einer  5  ccm  fassenden 
Spritze  unter  die  Haut  beider  Oberschenkel 
injicirt,  derart,  dass  je  an  einer  Stelle 
20 — 30  ccm  eingespritzt  wurden.  Hierauf 
energische  Massage  bis  zum  völligen  Ver- 
schwinden der  Blutbeulen.  Das  Blut  wurde 
gut  resorbirt  und  unangenehme  Nebener- 
scheinungen (wie  Albuminurie,  H&moglobin- 


ni.  Jahrgang.l 
Hins  188!).  J 


Referat«. 


135 


urie,  Temperatursteigerung)  blieben  aus. 
In  dem  Befinden  des  Fat.  machte  sich  eine 
deutliche,  allmählich  fortschreitende  Besse- 
rung bemerkbar,  die  sich  auch  in  einer  er- 
heblichen Zunahme  der  rothen  Blutkörperchen 
documentirte.  Vor  der  Operation  waren 
840,000,  eine  Woche  nach  derselben  1,240,000 
rothe  Blutkörperchen  in  1  Cubikmillemeter 
Blut  gezählt  worden.  Durch  die  Injection  ge- 
sunden Blutes  durfte  in  diesem  Falle  ge- 
wissermassen  der  Anstoss  zu  einer  Besse- 
rung des  Pat.  gegeben  worden  sein,  welche 
sich  schon  nach  einer  Woche  geltend  machte 
und  nach  einem  Monat  einer  Heilung 
gleichkam. 
{8l  PeUnburg.  tned,  Woehensekr,  1889,  No.  2.)       R. 

Ueber  die  Aufhängungsmethode  (Suspension)  bei 
der  Behandlung  der  Tabes  dorsualls  und 
einiger  anderer  Krankheiten  des  Nerven- 
systems.   YoQ  J.  M.  Charcot  (Paris). 

Die  Methode  der  Aufhängung,  deren  sich 
Sajre  zur  Anlegung  eines  Gypscorsets  be- 
dient, wurde  schon  im  Jahre  1883  von 
Motchoukowsky  in  Odessa  mit  günstigem 
Erfolge  bei  Tabes  angewandt  und  die  er- 
zielten Resultate  in  einer  Broschüre  ver- 
öffentlicht. Letztere  ist  zu  Charcot^s  Er- 
staunen ziemlich  unbemerkt  geblieben;  er 
selbst  erhielt  im  vorigen  Jahre  von  ihr 
Eenntniss  und  beschloss  nun  eine  Nach- 
prüfung  der   dort    gemachten    Angaben. 

Er  bediente  sich  folgender  Methode: 
Es  wurde  mit  einer  Aufhängung  von  der 
Dauer  einer  halben  Minute  begonnen.  Die 
Sitzung  wurde  alle  2  Tage  vorgenommen  und 
die  Dauer  derselben  um  je  eine  halbe  Minute 
bis  zu  vier  Minuten  gesteigert.  Alle  15 — 20 
Secunden  wird  der  Zug  auf  die  Wirbelsäule 
durch  Erheben  der  Arme  gesteigert.  Zu 
einer  Cur  gehören    20 — 30  Sitzungen. 

Bei  14  Tabetikern  wurde  das  Verfahren 
angewendet  und  bei  8  eine  ganz  erhebliche 
Besserung,  bei  dem  Rest  jedenfalls  eine  Ver- 
minderung der  Beschwerden,  erzielt.  Gleich 
nach  der  ersten  Sitzung  wurde  den  Patienten 
das  Gehen  leichter,  die  Bewegungen  coor- 
dinirter,  eine  Besserung,  die  zunächst  eine 
Stunde,  später  dauernd  anhielt.  Nach  20 — 30 
Sitzungen  verschwand  das  Romb  er  g^sche  Phä- 
nomen. Dann  wurden  nach  einander  dieBlasen- 
storungen  und  die  lancinirenden  Schmerzen 
vermindert,  das  Allgemeinbefinden  besserte 
sich,  und  schliesslich  kehrte  die  verloren 
gewesene  Potenz  wieder.  Patellarrefiexe 
und  Pupillarreaction  stellten  sich  niemals 
wieder  ein! 

Schliesslich  hat  Gh.  dieselbe  Methode 
noch  bei  einem  13jährigen  Mädchen  mit 
Friedreich ^scher    Krankheit    und   2   impo- 


tenten Neurasthenikem  ebenfalls  mit   gutem 
Erfolge  versucht. 

Gh.  giebt  zu,  dass  diese  Methode  noch 
längerer  Nachprüfung  bedarf  und  fordert 
dazu  auf  unter  dem  Hinweise,  dass  die  Be- 
handlung niemals  den  Patienten  irgendwie 
unangenehm  gewesen  ist. 

(Le  Progrh  Medical  1889.    No,  3.) 

M,  Cohn  {Btrlxn). 

Vergleichende  Betrachtungen  Aber  den  therapeu- 
tischen Werth  der  Tracheotomie  und  der  In- 
tubation beim  Croup  (nach  einem  auf  der 
JahressitzuDg  der  American  Sargical  Associ- 
ation zu  Washington  20.  Sept.  1888  gehaltenen 
Vortrage)  von  Dr.  W.  G.  Gay. 

Bei  der  täglich  wachsenden  Bewegung 
zu  Gunsten  der  Intubation  beim  Group  im 
Gegensatz  zu  der  früher  in  analogen  Fällen 
gemachten  Tracheotomie,  hat  Verf.  es  sich 
zur  Aufgat)e  gemacht,  die  Indicationen  und 
Gontraindicationen  der  beiden  Operationen 
mit  einander  zu  vergleichen.  Bis  jetzt  ist 
der  Procentsatz  der  nach  Intubation  beob- 
achteten Heilungen  noch  immer  etwas  geringer 
als  nach  Tracheotomie  (26  resp.  29  °/o). 
Indessen  ist  bei  der  geringen  Anzahl  bereits 
ausgeführter  Intubationen  ein  abschliessen- 
des Ürtheil  hierüber  noch  nicht  zu  fällen, 
da  die  Vervollkommnung  in  der  Technik 
noch  täglich  Fortschritte  macht.  —  Im  All- 
gemeinen sind  gegenwärtig  die  Schwierig- 
keiten beider  Operationen  ziemlich  gleich, 
besonders  wenn  es  sich  um  Kinder  unter 
3  —  4  Jahren  handelt.  Die  Gefahren  sind 
bei  der  Tracheotomie  wohl  grösser  als  bei 
Intubation.  Im  Wesentlichen  bestehen  sie 
in  Blutung  und  Gollaps,  bei  der  Intubation 
darin,  dass  die  Membranen  weiter  in  den 
Kehlkopf  hinausgestossen  werden  und  so  die 
Trachea  gänzlich  obstruiren  können.*  Ausser- 
dem kann  bei  schwachen  Kindern  in  Folge 
vergeblicher  Versuche,  die  Tube  in  die  Trachea 
hineinzuschieben,  sehr  leicht  während  der 
Intubation  Gollaps  eintreten.  Um  einen 
einigcrmassen  günstigen  Ausgang  garantiren 
zu  können,  braucht  man  zwei  geschulte 
Assistenten,  während  die  Tracheotomie  mit 
Hilfe  eines  Assistenten  mit  einiger  Sicher- 
heit ausgeführt  werden  kann.  Die  Nach- 
behandlung dagegen  erfordert  bei  der  Trache- 
otomie ungleich  grössere  Sorgfalt,  als  bei 
der  Intubation,  da  bei  der  ersteren  stets 
die  Gefahr  des  Oollapses,  selbst  nach  Siche- 
rung der  Luftwege  weit  grösser  ist  als  nach 
der  Intubation.  Von  secundären  Erkran- 
kungen der  Luftwege  ist  die  hauptsächlichste 
die  Lungenentzündung  nach  beiden  Opera- 
tionen gleich  häufig  zu  beobachten.  — 
Verf.  gelangt  schliesslich  zu  folgenden 
Schlüssen:    1.  In    allen   Fällen   von   Group 


136 


Roformte. 


tTherapeatiwhft, 
ICoDaUheflei 


soll  man  die  Intubation  versuchen.  2.  Vor- 
zuziehen ist  sie  stets  dort,  wo  die  Nachbe- 
handlung nicht  vom  Arzte  persönlich  geleitet 
werden  kann.  3.  Die  Tracheotomie  ist  in 
denjenigen  Fällen  augezeigt,  in  welchen  aus 
irgend  einem  Grunde  die  Intubation  nicht 
durchführbar  ist.  Im  Wesentlichen  also 
dort,  wo  die  Röhre  häufig  hinausgeschleudert 
wird;  oder  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen, 
während  dieselbe  im  Kehlkopf  liegt,  eine 
Ernährung  des  Patienten  nicht  ausgeführt 
werden  kann.  4.  In  allen  Fällen  muss  man 
neben  den  zur  Intubation  nöthigen  Instru- 
menten auch  das  Tracheotomiebesteck  zur 
Hand  haben. 

{Med,  and  Surgical  Reporter,  20,  Oetob.  1888.) 

H.  LohnsUin.   {Berlin.) 

(Ana  der  chlr.  Klinik  ku  Freibarg  1.  Br.) 

lieber  kflnstliche  Ueberhflutung  offener  inope- 
rabler Krebse.    Von  Prof.  Dr.  P.  Kraske. 

Ausgehend  von  der  Erwägung,  dass  bei 
offenen,  inoperablen  Carcinomen  die  Jauchung 
am  meisten  belästigt  und  das  Leiden  so  un- 
erträglich macht,  hält  Verf.  für  ein  palliativ 
sehr  wirksames  Mittel  die  künstliche 
Ueberhäutung  der  Geschwürsfläche. 
Dieselbe  kann  sowohl  durch  gestielte 
Lappen  der  Nachbarhaut,  als  auch  durch 
Reverdin^sche  oder  Thiersch'sche  Trans- 
plantationen bewerkstelligt  werden,  was 
Verf.  an  3  beschriebenen  Fällen  erläutert. 
Die  Lappen  oder  Läppchen  heilen  auf  der 
frischen  Schnittfläche  des  Carcinoms  unter 
aseptischen  Cautelen  meistens  per  primam  an. 
Verf.  nimmt  an,  dass  bei  dieser  Wundheilung 
sowohl  das  Gewebe  der  aufgepflanzten  Haut, 
als  auch  die  krebsige  Wundfläche  activ  be- 
theiligt sind. 

(MSnch.  med.  Wochensekr.  1889.  No.  1.) 

Freyer  {SUUin). 

Zur  Frage  der  Ueberhäutung  inoperabler  Krebs- 
geschwOre.  Vou  Dr.  Carl  Lauen  stein  zu 
Hamburg. 

Im  Anschluss  an  Kraske^ s  Aufsatz  über 
denselben  Gegenstand  berichtet  Verf.,  dass 
bereits  von  Eugen  Hahn  (üeber  Trans- 
plantation von  carcinomatöser  Haut.  Berl. 
klin.  Wochschr.  1888.  No.  2)  die  Betheiligung 
des  Carcinom- Gewebes  an  dem  Anheilungs- 
vorgang  der  aufgepflanzten  Hautstückchen 
nachgewiesen  sei.  Verf.  hat  nun,  angeregt 
durch  eine  Notiz,  nach  welcher  Prof.  Lucae 
ein  Epitheliom  des  äusseren  Gehörganges 
durch  fortgesetztes  Aufstreuen  eines  Pulvers 
von  Sabina  u.  Alum.  ust.  zu  gleichen 
Theilen  zur  vollständigen  Heilung  gebracht 
hätte,  die  letztere  Behandlung  bei  einem 
ulcerirten  Brustkrebs  ebenfalls   zur  Anwen- 


dung gebracht  und  deo selben  sich  zum 
grössten  Theile  narbig  schliessen  gesehen. 
Auch  daraus  geht  die  active  Betheiligung 
des  Ejrebsgewebes  an  dem  Heilungsprocess 
unzweideutig  hervor. 

{Atünch.  med.   Wochenechr.  1889.  No.  3.) 

Freyw  {SieUin). 


Der  gegenwärtige  Stand  der  Antisepsis.  VI.  Die 
Fraffe  der  Antiseptica  vom  Standpunkte  der 
ärztlichen  Landpraxis.  Von  Dr.  Anton  Ritter 
von  Trentinaglia-Telvenburg  in  Pfunds 
(Tirol). 

Verf.  betont,  dass  auch  in  der  Landpraxis 
selbst  bei  subtilen  Verletzungen  und  Wunden 
mit  einfachstem  Verband  antiseptischer  Natur 
die  glänzendsten  Resultate  zu  erzielen  seien, 
es  komme  nur  darauf  an,  wie  „gewissenhaft^ 
der  Operateur  zu  Werke  gehe.  Zu  jenem 
einfachsten  Verbände  gehören  destillirtes 
Wasser,  Gaze-Streifen  und  Binden,  Seide  oder 
feiner  Silberdraht  und  endlich  Jodoform  und 
Sublimat.  Doch  müssen  sowohl  Ver- 
bandstoffe, als  auch  Instrumente  jedes- 
mal vor  dem  Gebrauch  durch  Kochen 
von  Neuem  sterilisirt  werden.  Ihr 
blosses  Waschen  mit  Carbol-  oder  Sublimat- 
lösung genügt  nicht!  Verf.  verwirft  daher 
ebenfalls  Catgut  und  imprägnirte  Verband- 
stoffe und  verlangt  eben  an  deren  Stelle 
Momentansterilisirung. 

{Wtemer  med.  Presse  1888.  No.  S3.) 

Preyer  {atelün). 

Die  Herstellung  künstlicher  Muttermilch  aus  Kuh- 
milch.   Von  Dr.  Schmidt- Mühlheim. 

Während  mao  früher  annahm,  dass  die 
Frauenmilch  in  ihrer  Zusammensetzung  nur 
geringe  Unterschiede  von  der  weit  besser 
erforschten  Kuhmilch  zeige,  dass  sie  wie 
diese  beiläufig  3  «/o  Eiweiss,  3—4%  Fett 
und  4 — 5  °/o  Milchzucker  enthalte,  ist  neuer- 
dings festgestellt  worden,  dass  die  colostrum- 
freie  Frauenmilch  einen  Eiweissgehalt  von 
durchschnittlich  nur  1  %  besitze,  dass  der 
Gehalt  an  Milchzucker  dagegen  etwa  6  bis 
8%,  der  an  Asche  aber  nur  0,25%  be- 
trage, während  der  Fettgehalt  grössere, 
zwischen  1,2  und  10%  liegende  Schwan- 
kungen erkennen  lässt.  Frauenmilch  ist  also 
eiweissarm  und  milchzuckerreich,  Kuhmilch 
milchzuckerarm  und  eiweissreich ;  das  Ver- 
hältniss  des  Eiweisses  zum  Milchzucker  be- 
trägt in  der  Frauenmilch  1  :  6,  in  der  Kuh- 
milch aber  nur  1  :  1%.  Bis  jetzt  glaubte 
man  die  Kuhmilch  zur  Säuglingsernährung 
durch  Herabsetzung  des  Eiweissgehaltes  ver- 
bessern zu  müssen  und  hat  die  Kuhmilch 
deshalb  verdünnt  und  derselben  zur  Er- 
höhung    des     Gehaltes     an     stlckstof^eien 


i 


Man  1889.  J 


Referate. 


137 


Nährstoffen  Milchzucker  und  AehnUches  zu- 
gesetzt. Dadurch  wurde  aber  der  beabsich- 
tigte Zweck  niemals  erreicht,  der  Nährstoff- 
gehalt dieser  Kuhmilch  blieb  ein  geringer, 
die  Säuglingskost  wurde  zu  Yoluminös  und 
zu  viel  Wasser  in  den  kindlichen  Organis- 
mus eingeführt. 

Nach  den  Versuchen  des  Verf.  erhält 
mau  eine  Ueberein Stimmung  der  Kuhmilch 
mit  der  Frauenmilch  sehr  einfach  dadurch, 
dass  man  die  erstere  statt  mit  Wasser  mit 
einer  11  — 12%  Milchzuckerlösung  versetzt; 
giebt  man  zu  1  Volumen  Kuhmilch  2  Vo- 
lumina einer  11  ^/o  Milchzuckerlosung,  so 
erhält  man  eine  Flüssigkeit,  welche  enthält 
1  %  Eiweiss,  1,2  %  Fett,  8,9  %  Milchzucker 
und  0,2  ^/o  Asche,  d.  h.  also  ein  Product, 
das  der  Frauenmilch  sehr  ähnlich  ist  und 
auch  wie  diese  in  feinkornigen  Massen  ge- 
rinnt. Verf.  empfiehlt  die  Herstellung  sol- 
cher Milchzuckerlösungen  der  grösseren 
Sicherheit  halber  fabrikmässig  betreiben  zu 
lassen. 

{Archiv  /.  atumaUtche  NakrungsmUtelkunde  1889  Januar.) 

Goldtckmidt  (Nürnberg). 

Ein  Fall  kfiostlicher  Frühgeburt  wegen  Oedema 
pulmonum;  Erweiterung  des  Gebärmutter- 
halses vermittelst  des  Braun'schen  Kolpeu- 
rjmters.    Von  Dr.  B  r  a  a  n  -  Krakau. 

B.  sah  sich  bei  einer  Kreissenden  mit  chro- 
nischer Nephritis  und  beginnendem  Lungen- 
ödem zur  Hervorrufung  künstlicher  Frühgeburt 
genöthigt,  jedoch  die  verschiedensten  Mittel 
hierzu  brachten  es  nur  dahin,  dass  die  Cervix 
für  einen  Finger  durchgängig  wurde.  Die 
Kräfte  der  Kranken  sanken  während  dessen 
so  sehr,  dass  das  Absterben  der  Mutter  zu 
befurchten  war  und  alles  zur  Sectio  caesarea 
post  mortem  vorbereitet  wurde.  Im  Bewusst- 
sein,  dass  nichts  mehr  zu  verlieren  war,  ent- 
schloss  sich  B.  zu  einem  äussersten  Versuch 
der  Erweiterung  des  Gebärmutterhalses:  er 
führte  einen  um  seine  Achse  gewickelten, 
gut  gereinigten  Kolpeurynter  durch  die  Cer- 
vix  in  den  Uterus,  füllte  denselben  mit 
Wasser,  bis  er  kleinfaustgross  war,  und  zog 
ihn  während  einer  Wehe,  indem  der  Hahn 
geöffnet  war,  langsam  und  vorsichtig  heraus. 
Nach  4  —  5  maliger  Wiederholung  dieser 
Manipulation  im  Laufe  von  2  Stunden  fand 
er  den  Muttermund  so  erweitert,  dass  die 
Hand  eingeführt,  die  Wendung  und  Extrac- 
tion  ausgeführt  werden  konnte.  Der  Fall 
verlief  günstig,   das  asphyktische  Kind  kam 


bald  zu  sich,  die  Mutter  kam  am  4.  Tage 
des  Wochenbetts  nach  Darreichung  von  Ana- 
leptica,  Schröpfköpfen  etc.  zu  sich  und  ver- 
liess  am  14.  Tage,  nachdem  die  Oedeme 
zurückgegangen  waren,  die  Klinik. 
{Centralblf.  GifnaekoL  No.  4L) 

Landsberg  {Stettin). 

Ueber  das  Hydroxylamin,   als  neues,   wichtiges 
dermatotherapeutisches  Heilmittel.     Von  Dr. 

Eich  hoff  (Elberfold). 

Bei  Einverleibung  des  Hydroxylamins 
in  das  Blut  entsteht  Methämoglobin  ohne 
Gefährdung  für  das  Versuchsthier;  bei 
grösseren  Gaben  als  0,01  auf  1  Kilo  Körper- 
gewicht tritt  Blutharnen  ein.  Femer  wirkt 
es  als  Narcoticum  auf  die  Nervencentren 
wahrscheinlich  durch  das  im  Blut  sich 
bildende  Stickoxydul.  Durch  das  starke 
Reductionsvermögen  ist  es  ein  heftiges  Gift 
für  niedere  Organismen  und  daher  für  die 
Hauttherapie  sehr  zu  empfehlen  und  zwar 
gegen  Mykosen  und  bacilläre  Erkrankungen 
der  Haut.  Verf.  hat  bisher  folgende  Form 
versucht: 

^      Hydroxylam.  hydrochlor.     0,1 
Spirit.  vin. 
Glycerin.  ok  50,0 

S.  Aeusserlich. 

Mit  dieser  Lösung  werden  die  jedes  Mal 
vorher  mit  Kaliseife  gewaschenen  kranken 
Hautstellen  täglich  drei  bis  fünf  Mal  be- 
pinselt. Die  alkoholische  Lösung  dringt 
schneller  und  tiefer  in  die  Haut  ein  als  etwa 
die  Salbenform.  Man  sei  vorsichtig  mit 
Anwendung  stärkerer  alkoholischer  Lösungen 
als  l^/oo>  Verf.  hat  bisher  Patienten  mit 
;  dem  Hydroxylamin  behandelt,  die  an  Lupus 
I  vulgaris,  Herpes  tonsurans  capilliti,  Sykosis 
[  parasitaria  faciei  litten;  besonders  beim 
Lupus  waren  die  Erfolge  ausgezeichnet. 
Die  Anwendung  des  Mittels  würde  sich 
ferner  empfehlen  bei  Psoriasis  und  parasitären 
seborrhoischen  Ekzemen.  Vielleicht  hätte 
es  auch  bei  der  Lepra  (mit  und  ohne  gleich- 
zeitigen Gebrauch  der  Chlor-,  Jod-  oder 
Brompräparate)  und  bei  Lues  günstigen 
Erfolg.  Verf.  räth  zu  weiteren  Versuchen 
mit  dem  Hydroxylamin  in  diesen  Richtungen 
auch  besonders  der  Billigkeit  des  Präparates 
wegen.  (Ueber  das  chemische  Verhalten 
s.  d.  Heft,  S.  124  Red.) 

{Monateh- f.  pract.  Dermat.  1889  No.  l.) 

George  Meyer  (BerUn). 


18 


138 


Toxikologie. 


rTherapeatlBche 
L  MonaUhefte. 


Toxikologie. 


Ueber  die  Giftwirkung  des  Extractum  Filicis 
maris  aethereum*  Im  Anschlass  an  einen 
Fall  von  Vergiftung  mit  diesem  Präparate. 
Von  Dr.  M.  F  r  e  y  e  r ,  Kreisphysikus  zu 
Stettin. 

[Schlust.J 

In  meinem  Falle  bot  der  Sectionsbefund 
ebenfalls  eine  BlutüberfuUung  fast  sämmt- 
lieber  Organe  dar.  Das  Herz  enthielt  in 
allen  vier  Höhlen  tbeils  flüssiges,  tbeils  ge- 
ronnenes dunkles  Blut  in  grosser  Menge, 
im  linken  Yentrikel  ein  Speckgerinnsel,  die 
Lungen  waren  in  ihren  oberen  Partien  noch 
blutreicher,  als  in  den  unteren,  und  im  Ge- 
hirn'waren'sämmtliche  venösen  Gefässe  stark 
blutgefullt.  Der  Magen  enthielt  einen  dünn- 
flüssigen goldgelben  Inhalt  mit  stark  wür- 
zigem (Moschus-)  Geruch'^),  auf  seiner 
Schleimhaut  kreuzten  sich  vielfach  rothe, 
bis  einen  halben  Centimeter  breite  Streifen, 
die  eingeschnitten  die  ganze  Schleimhaut- 
schicht gleichmässig  roth  durchtränkt  er- 
kennen Hessen,  während  in  der  Submucosa 
stark  erweiterte  und  gefüllte  Blutgefässe  zu 
bemerken  waren,  desgleichen  ebenso  be- 
schaffene Gefässe  in  zahlreicher  Menge  au 
der  Aussenfläche  des  Magens  Ton  der  gros- 
sen Curvatur  nach  den  beiden  Seitenflächen 
desselben  hinzogen.  Die  Schleimhaut  des  ! 
Darmes  endlich  war  stellenweise  heller,  | 
stellenweise  dunkler  roth  gefärbt  und  be- 
sonders intensiv  roth  über  den  geschwellten 
SolitärfoUikeln  und  Pey  er 'sehen  Drüsen- 
haufen. 

Bei  den  Kaninchen,  an  denen  Quirll  ex- 
perimentirt  bat,  ergab  die  Section  ebenfalls 
durchweg  venöse  Stauung  fast  in  allen  Or- 
ganen, insbesondere  in  den  Mesenterial- 
gefässen,  während  die  Schleimhaut  des 
Magens  und  Darmes  eine  bald  leichtere, 
bald  stärkere  Röthung  und  hie  und  da 
kleine  Petechien  zeigte.  Ein  entzündlicher 
Process  konnte  in  den  Nieren  nicht  nach- 
gewiesen werden. 

Somit  sehen  wir  die  directe  Wirkung 
des  Mittels  auf  die  Magen-  und  Darm- 
schleimhaut über  eine  katarrhalische  Reizung 
derselben  nicht  hinausgehen;  nur  hin  und 
wieder  kommt  es  zu  petechialen  Extra- 
vasationen,  dagegen  tritt  deutlich  eine  venöse 
Stauung  in  fast  allen  Organen  zu  Tage. 
Dieser  Befund  hat  selbstverständlich  nichts 
Pathognomones  an  sich;  derselbe  entspricht 
vielmehr    nur     derjenigen    Einwirkung     des 

^^)  Das  Kind  hatte  kurz  vor  dem  Tode  Mo- 
schttstropfen  erhalten.    D.  Verf. 


Mittels,  die  von  demselben  zu  erwarten  war, 
nämlich  der  local  irritirenden  und  der  unter 
Collaps  allmählich  lähmenden.  Je  nach  der 
Stärke  der  Irritation  ist  es  bald  nur  zu 
hyperämischer  Röthung  der  Magen-  und 
Darmschleimhaut,  bald  zu  Petechienbildung 
gekommen,  während  die  lähmende  Wirkung 
zu  jener,  in  einzelnen  Organen  mehr,  in  an- 
deren weniger  stark  ausgesprochenen  venösen 
Stauung  geführt  hat. 

Der  charakteristische  Geruch  nach  Extr. 
Filic.  war  in  meinem  Falle  durch  den 
Moschusgeruch  verdeckt;  in  den  anderen 
Fällen  ist  von  einem  charakteristischen  Ge- 
rüche nichts  berichtet. 

Die  Farbe  des  Mageninhalts  war  in 
meinem  Falle  goldgelb,  in  dem  amerikani- 
schen dunkelbraun. 

Eine  chemische  Untersuchung  ist 
nur  in  meinem  Falle  und  zwar  durch  den 
gerichtlichen  Chemiker  Dr.  Bischoff  zu 
Berlin  angestellt  worden.  Dieselbe  ergab 
für  die  Excremente,  die  unmittelbar  Tor 
dem  Tode  von  dem  Kinde  entleert  worden 
waren,  noch  die  Anzeichen  für  die  Gegen- 
wart von  Extr.  Filic.  durch  charakteristi- 
schen Geruch  und  Chlorophyllfärbung  der 
Aetherauszüge,  sowie  von  Ol.  Ricini,  indem 
nach  dem  Verdunsten  der  Aetherauszüge  ein 
in  Alkohol  relativ  leicht  lösliches  Fett 
zurückblieb.  Aus  den  Leichenth  eilen 
dagegen,  die  erst  17  Tage  nach  der  Section 
zur  Untersuchung  gelangten,  konnte  theils 
in  Folge  von  Zersetzung  durch  Fäulniss, 
theils  Mangels  genügender  C harakt er isir bar- 
keit irgend  ein  specifischer  Stoff  überhaupt 
nicht  mehr  dargestellt  werden.  Sie  ent- 
hielten nur  Basen,  die  den  Fäulnissbasen 
glichen,  ohne  dass  charakteristische  Pflanzen- 
basen   in   ihnen  aufzufinden  gewesen  wären. 

Die  giftig  wirkende  bez.  letale  Dosis 
des  Extr.  Filic.  schwankt  in  den  beobach- 
teten Fällen  ganz  bedeutend.  Schwerere 
Vergiftungserscheinungen  sind  nach  Obigem 
bei  Erwachsenen  nach  4,  7,  10  resp.  17  g, 
bei  einem  7  jährigen  Knaben  nach  3,6  g 
aufgetreten,  während  der  Tod  bei  dem  30- 
jährigen  Manne  in  Amerika  nach  43,2  g, 
bei  dem  2 ^/^  jährigen  Kinde  nach  8  g  er- 
folgte. Die  dem  Experiment  unterworfenen 
Kaninchen  starben  nach  2,5  bis  5  g. 

Zunächst  ist  es  eine  bekannte  Erfahrung, 
dass  das  Extr.  Filic.  in  seiner  Wirksamkeit 
schwankt,  je  nachdem  es  frisch  oder  alt 
oder  aus  frischen  bezw.   alten  Wui^eln  be- 


Min  1889.  J 


Toxlkologii 


139 


reitet  ist.     Auch  auf  die  Gegend,    aus  der 
die  Wurzel  herstammt,    kommt    es    an,    da 
der  Liyländer  College,    der   schon  nach  4  g 
jene    schilferen   Vergiftungserscheinungen    an 
sich  selber  beobachtete,    fand,    dass  die   zu 
Wolmar    in    Livland     sehr    häufig    vorkom- 
mende Wurzel  ein  ganz  unvergleichlich  wirk- 
sameres   Präparat    liefert.      Nach    den    Ex- 
perimenten QuirlTs  scheint  auch  die  Con- 
sistenz  des  Extractes  eine  Rolle  zu  spielen, 
da    das  mit  Provenceröl   verdünnte    Extract 
schneller    wirkte,    als    das    reine    Präparat. 
In    den    oben    angeführten    Fällen    kam    es 
theils  rein,  theils  vermischt  zur  Anwendung, 
und    zwar    in    dem   Bayerischen  Falle    in 
Verbindung  mit  einem  anderen  Extracte,  in 
dem     todtlich     verlaufenen     amerikanischen 
'  Falle     in    Form     einer     dünnen     Emulsion 
(43,2:115,2)    und  bei  dem  Kinde  zu  glei- 
chen Theilen  mit  Ol.  Ricini.     Auf  die  letz- 
tere Art  der  Präparation  will  der  betreffende 
Verkäufer  des  Mittels  durch  eine  Notiz  auf- 
merksam geworden   sein,    die    auf    der  vor- 
jährigen Naturforscherversammlung  zu  Wies- 
baden   bekannt    gegeben    worden    sein   soll, 
wonach   das  Extr.  Filic,  mit  Ol.  Ricini   zu- 
sammengemischt,   erheblich    wirksamer   sein 
sollte").     Das    scheint    sich    denn    auch   in 
unserem  Falle  —  leider  zum  Unheil  —   be- 
währt   zu    haben,     indem    das    Kind    etwa 
3  Wochen  vorher,   wie  es  scheint,  die  dop- 
pelte Quantität  des  reinen  Extractes   ohne 
erheblichere  Nebenwirkungen   vertragen  hat, 
während    es    nach    den  zu  gleichen  Theilen 
mit  Ol.  Ricini  vorher  verriebenen  8  g  sofort 
die  oben  geschilderten  Vergiftungserscheinun- 
gen  darbot    und    innerhalb   24  Stunden    zu 
Grunde  ging.      Quirll   hat  ferner  bemerkt, 
dass    in    zwei    Fällen    seiner    Versuche,    in 
denen    nach    der   ersten  Dosis   keine  beson- 
dere   Wirkung    eingetreten    war,    nach     der 
zweiten    Dosis    die  Wirkung    desto    rascher 
eintrat,  woraus  er  folgern  möchte,  dass  die 
toxische    Substanz     nur    langsam    aus     dem 
Organismus  ausgeschieden    werde,    in    dem- 
selben also   lange   verweile    und    daher    die 
Wirkung     der     zweiten    Portion     cumulire. 
Aehnliche   Folgerungen   konnten    wohl   auch 
aus  dem  Bayerischen  und  den  beiden  todt- 
lich   verlaufenen    Fällen     gezogen    werden. 
Der    Umstand    ferner,     dass    bei    dem    hier 
beobachteten   Kinde   weder   Erbrechen    noch 
Diarrhoe   eintraten,  kann  jedenfalls  der  Re- 
sorption des  Stoffes    und    der    dadurch    be- 
dingten stärkeren  Giftwirkung  nur  Vorschub 
geleistet   haben.     Schliesslich   bilden  Alter, 
Constitution  u.  dergl.  selbstverständlich  mit- 

*')  Ich  konnte  diese  Notiz  in  dem  Tafi^ebuch- 
blatt  der  betr.  Natorforschervers.  nicht  auffinden. 
D.  Verf. 


wirkende  Factoren,  wobei  man  sich  daran 
zu  erinnern  hat,  dass  Kinder  in  den  ersten 
Lebensjahren,  wie  gegen  Narcotica,  so  auch 
gegen  andere  Pflanzengifte,  ganz  besonders 
leicht  reagiren. 

Ueber  das  wirksame  Agens  in  dem 
Präparat  vermögen  weder  die  angeführten 
Fälle,  noch  die  angestellten  Experimente 
Aufschluss  zu  geben.  Wird  man  dasselbe 
erst  kennen,  dann  wird  man  auch  in  der 
Lage  sein,  die  Dosis  stricter  abzumessen 
und  Unglücksfälle  eventuell  zu  verhüten. 


Ein  Fall  von  Kaffeevergiftung  von  Dr.  Max  Co hn 
in  Berlin. 

Im  Aprilheft  des  vorigen  Jahrganges 
dieser  Zeitschrift  wurde  von  Glogauer  ein 
Fall  von  Kaffeevergiftung  mitgetheilt.  Ich 
möchte  heute  über  einen  jenem  ähnlichen 
berichten. 

Am  3.  Februar,  Abends  10  Uhr  kam  ein 
Mann  zu  mir,  der  folgende  Angaben  machte: 
Er  habe  sich  Nachmittags  4  Uhr,  da  seine 
Frau  krank  sei,  selbst  Kaffee  gekocht  und 
zwar  habe  er  eine  Handvoll  Kaffee  genommen 
und  davon  einen  Aufguss  von  einer  Tasse 
bereitet.  Da  ihm  dieses  Getränk  sehr  be- 
hagte,  hat  er  sich  gleich  darauf  in  derselben 
Weise  noch  eine  Tasse  gekocht.  Zwei 
Stunden  später  bekam  Pat.  Schwindel  und 
Kopfschmerz;  es  trat  Zittern  auf,  beginnend 
an  den  Füssen  und  sich  dann  über  den 
ganzen  Körper  verbreitend.  Dazu  gesellte 
sich  in  den  nächsten  Stunden  Röthe  im  Ge- 
sicht, Herzklopfen,  Angstgefühl,  Brechreiz. 
Pat.  hat  dann  auch  um  ^j^lO  Uhr  erbrochen, 
fühlte  sich  aber  darauf  so  matt,  dass  er  be- 
schloss,  ärztliche  Hülfe  aufzusuchen. 

Pat.,  ein  39  jähriger  ausserordentlich 
kräftig  gebauter  Mann,  zeigt  als  auffallendstes 
Symptom  ein  heftiges  Zittern  des  ganzen 
Körpers.  Ganz  besonders  war  dies  an  den 
Händen  ausgeprägt,  aber  auch  der  Kiefer 
zitterte  so  stark,  dass  die  Sprache  des  Pat. 
undeutlich  wurde.  Das  Gesicht  war  stark 
geröthet,  die  Stirn  von  Schweiss  bedeckt. 
Ausgesprochene  Präcord  ialangst.  Herztöne 
laut  und  klappend,  aber  rein.  Puls  100, 
Pulswelle  hoch,  Radialis  ausserordentlich 
9tark  gespannt.  Pat.  giebt  noch  an,  er  habe 
sehr  häufig  Urin  lassen  müssen;  derselbe  sei 
klar,  von  hellbrauner  Farbe  gewesen. 

Ich  gab  dem  Pat.  zwei  Dosen  Bromkali 
ä  2  gr  und  traf  einige  diätetische  Maass- 
nahmen.  Er  verbrachte  dann  eine  unruhige 
Nacht,  träumte  sehr  lebhaft  und  fühlte  sich 
beim  Erwachen  noch  etwas  matt,  auch  be- 
stand noch  leichtes  Zittern  der  Hände,  wäh- 
rend alle    übrigen  Symptome    verschwunden 

18* 


I 

L 


140 


Toadkolofl«. 


rrhttrspetttlMha 
L  Monaliheft«. 


-waren.  Erst  allmählich  wichen  in  den  näch- 
sten Tagen  die  letzten  Spuren  der  Intoxi- 
catiou.  —  Eine  nachträgliche  Berechnung 
ergab,  dass  Fat.  im  Ganzen  5  Loth  Kaffee 
verbraucht  hatte. 


Vergiftung  durch  die  Speiselorchel  (Helvella 
culenta)  in  Folge  von  Ptomal'nbildung.  Von 
Jonquiere,  Studer,  Demme,  Berliner- 
blau. 

Nach  dem  dreimaligen  Genuss  in  einer 
Fleischsauce  gekochter  und  vorher  mit  sehr 
heissem  Wasser  drei-  bis  sechsmal  ausge- 
waschener Schwämme,  die  in  getrocknetem 
Zustande  unter  dem  Namen  „Morcheln^  ge- 
kauft waren,  traten  bei  Dr.  Jonqui^re 
jedesmal  Krankheitserscheinungen  auf,  die 
erst  bei  dem  letzten  Male  den  Verdacht 
einer  Pilzintoxication  erweckten.  Die  Sym- 
ptome zeigten  sich  5 — 8  Stunden  nach  der 
Einführung  der  „Morcheln"  und  bestanden 
in  Bauchschmerzen,  welche  ungefähr  dem 
Querdarm  entsprachen,  mit  Angstgefühl  so- 
wie Beklemmung  verbunden  waren,  und  in 
bald  eintretendem  vollständigen  Tenesmus; 
nach  etwa  einer  halben  Stunde  wurde  Uebel- 
keit  verspürt,  der  bei  dem  ersten  und  dritten 
Male  heftiges  Erbrechen  folgte.  Puls. (80 
bis  96  Schläge  in  der  Min.)  war  etwas  be- 
schleunigt. An  den  Pupillen  wurde  in  Bezug 
auf  Grösse  und  Reaction  nichts  Auffallendes 
bemerkt;  der  Urin  zeigte  kein  abnormes 
Verhalten.  Spastische  Erscheinungen  und 
vermehrte  Thränenabsonderung  wurden  nicht 
beobachtet.  In  den  ersten  zwei  Tagen  war 
der  geformte  imd  etwas  träge  Stuhl  fast 
weiss  und  bekam  erst  nach  8  Tagen  seine 
normale  Farbe  wieder.  Die  Erholung  ging 
ziemlich  rasch  von  Statten,  nur  blieb  der 
Appetit  während  mehrerer  Tage  geschwächt 
und  es  schien,  als  ob  Magen  und  Darm 
seitdem  für  Manches  empfindlicher  und 
weniger  verdauungsfähig  waren. 

Nach  den  Angaben  von  Lenz  und 
Krombholz  musste  das  Vergiftungsmaterial 
als  Helvella  suspecta  Ejombh.  angesehen 
werden;  indess  konnte  die  Vergiftung  nicht 
auf  die  von  Böhm  und  Külz  aus  Helvella 
esculenta  isolirte  Helvellasäure  zurückgeführt 
werden,  weil  die  Pilze  bereits  zu  alt  waren 
und  nach  Ponfick  getrocknete  Lorcheln  ihre 
deletären  Eigenschaften  nach  vier  Monaten 
verlieren.  Während  nun  das  corpus  delicti 
bei  physiologischen  Versuchen  entschieden 
giftige  Wirkung  entfaltete,  zeigten  Proben 
von  Helvella  esculenta,  die  sich  durchaus 
nicht  von  jenen  Pilzen  unterschieden,  keine 
giftigen  Erscheinungen.  Dieser  Gonflict  liess 
sich  nach  genaueren  Erhebungen  durch  das 
Ergebniss    beseitigen,    dass   Helvella    escul* 


und  suspecta  ein  und  dasselbe  Product 
seien,  dass  die  eigen thümliche  Feuchtigkeit 
in  allen  Theilen  der  letzteren  das  für  sie 
Gharakteristische  bilde  und  die  leichtere 
Schimmel bildung  ermögliche,  dass  Helvella 
Susp,  nicht  mehr  als  Species  zu  betrachten 
sei  und  der  hier  in  Frage  kommende  Pilz 
H.  esculenta  ist.  Nur  blieb  noch  übrig,  die 
temporäre  Giftigkeit  zu  ergründen. 

Ein  Decoct  (von  dem  Reste  der  von  Dr. 
Jonquiere  bezogenen  Sendung)  in  einer 
Goncentration  von  50:250  g  Wasser  wurde 
in  dem  pharmakologischen  Institute  in  Bern 
zu  pharmakologisch- toxikologischen  Unter- 
suchungen verwendet.  Bei  langsamer  Ver- 
giftung (5  reiterirte  subcutane  Einspritzungen 
von  0,1  g  des  Decoctes)  und  bei  schneller 
(einmalige  subcutane  Dose  von  0,5)  zeigten 
sich  dieselben,  nur  zeitlich  differenten  Er- 
scheinungen bei  Fröschen,  zunächst  ein  der 
Gu an idin Wirkung  ähnliches,  über  sämmtliche 
Skelettmuskeln  verbreitetes  Muskelflimmern 
mit  vorübergehend  stärkeren  fibrilläreu 
Muskelzuckungen,  dann  der  Gurarewirkung 
analoge  Lähmungserscheinungen  im  Gebiete 
der  motorischen  peripherischen  Nervenendi- 
gungen, endlich  Stillstand  des  Herzens  in 
Diastole,  der  durch  Atropin  aufgehoben 
werden  konnte.  Auf  grössere  einmalige 
Gaben  von  1,0  und  darüber  traten  kurz 
dauernde  allgemeine  tetanische  Krämpfe  und 
in  4  bis  5  Minuten  Stillstand  des  Herzens 
in  Diastole  ein. 

Die  Versuche  bei  den  Warmblütern  er- 
gaben eine  heftige  Wirkung  bei  Katzen  und 
Kaninchen  (0,5  g  Decoct  auf  1  kg  Thier), 
weniger  ausgesprochen  bei  Hunden,  keine 
nennenswerthe  bei  Meerschweinchen.  Die 
Zunahme  der  Speichelsecretion,  die  Pupillen- 
verengerung und  Dyspnoe,  die  zum  Erbrechen 
und  stürmischen  Darmausleerungen  führen- 
den tetanischen  Gontractionen  des  Magens 
und  Darmrohres  (besonders  bei  Hunden  und 
Katzen),  die  allgemeinen  tetanischen  Muskel- 
krämpfe, sowie  der  durch  Reizung  der  Herz- 
hemmungs-Vorrichtungen  hervorgerufene  Herz- 
stillstand in  Diastole  sprachen  dafür,  dass 
es  sich  hier  um  die  Wirkung  eines  in  den 
betreffenden  Exemplaren  von  Helvella  es- 
culenta unter  günstigen  Verhältnissen  zur 
Entwicklung  gekommenen  Fäulnissalkaloides 
(Ptomaines)  und  zwar  wahrscheinlich  des 
Neurins  (Brieger)  gehandelt  habe.  Eine 
Analogie  der  Wirkung  mit  dem  von  Böhm 
in  Boletus  lucidus  und  Amanita  pantbeiina 
enthaltenen  Gholin  liess  sich  nicht  völlig 
durchführen.  Versuche  mit  dem  getrockneten 
und  fein  pulverisirten  Decoctruckstande 
führten  zu  keinem  irgendwie  verwerthbaren 
Resultate. 


IIL  JalirgaBf.1 
Min  1889.  J 


Toxikologie.  —  Litteratur. 


141 


Berlin  erb  lau  isolirte  aus  den  wässerigen 
und  alkoholischen  Auszügen  des  Yergiftungs- 
materials  Trimethylamin  und  Neurin  oder  die 
Vinyltarimethylammoniumverbindung ,  welche 
letztere  aus  dem  Cholin  durch  Wasser- 
abspaltung entstehen  kann,  und  zwar  nach 
B/s  Meinung  in  Folge  physiologischer  Pro- 
cesse  etwa  wie  das  Brieger'sche  Tetanin, 
das  auf  Rindfleisch  durch  Culturen  der  Te- 
tanus erzeugenden  Bacterien  gebildet  wird. 
Hiernach  ergiebt  sich  die  practisch  so 
grosse  Wichtigkeit  beanspruchende  Thatsache, 
das8  die  Gefahr  bei  Genuas  namentlich  von  ge- 
trockneten  Schwämmen  eine  doppelte  sein  kann: 
die  eine  rührt  von  der  Verwechslung  der  essbaren 
mit  den  giftigen  her,  die  andere  aber  von  den 
Zersetzungsproducten  der  an  und  für  sich  ess- 
baren Schwammarten;  es  ist  ferner  zu  bemerken, 
dass  die  entstandenen  und  Giftwirkung  enlfalten- 
den  Fäulnissalkaloide  durch  das  der  Zubereitung 
der  PUze  vorhergehende,  vorschriftsmässige,  mehr- 
fache Abbrühen  mit  kochendem  Wasser  (und  Ab- 
giessen  des  letzteren)  weder  zerstört  noch  entfernt 
werden, 

{Separat'Äbdruck  aus  den  Mitiheilungen  der  Natvr- 
fortchenden  Gesellschaft  in  Bern  1888.) 

J.  ^ulitmann  {Berlin). 

Das   Picrotoxin,     ein    Antidot    des    Morphins. 
Von  Prof.  Arpad  Bokai  in  Klausenburg. 

Verf.  betrachtet  das  Picrotoxin  als  das 
rationellste  Antidot  des  Morphins.  Beide 
Mittel  wirken  entgegengesetzt  auf  das  Ath- 
mungscentrum  der  Medulla  oblongata,  indem 
das  Morphium  auf  dieses  Centrum  lähmend 
einwirkt,  das  Picrotoxin  jedoch  die  Thätig- 
keit  desselben  erhöht.  Bei  Morphinver- 
giftungen  kommt  dem  Picrotoxin,  da  dasselbe 
eine  Lähmung  des  Athmungscentrums  hintan- 
hält,  eine  lebensrettende  Bedeutung  zu, 
ausserdem  wird  das  starke  Sinken  des  Blut- 
druckes —  bei  jenen  Intoxicationen  —  durch 
den  auf  das  gefössYerengernde  Centrum  des 
Tcrlängerten  Markes  geübten  starken  Reiz 
des  Picrotoxins  Terhindert.  Die  auch  auf 
das  Grosshim  geübte  entgegengesetzte  Wir- 
kung beider  Mittel  kommt  bei  Intoxica- 
tionen nicht  in  Betracht.  Zu  bemerken 
sei,  dass  das  bisher  einzige  Antidot  des 
Morphins,  das  A tropin,  in  grosseren  Dosen 
nicht  gereicht  werden  könne.  Bokai  glaubt, 
dass  man  das  Picrotoxin  auch  als  Prophy- 
lacticum  bei  der  Chloroform-Narkose  anwenden 
kannte,  um  die  gefürchtete  Asphyxie  zu 
▼erhindem.  Verf.  wird  über  seine  weiteren 
Versuche  später  Mittheilung  machen.  (Ueber 
die  Anwendung  des  Strychnin^s  als  Antidot  bei 
narkotischen  Vergiftungen  s.  Therap.  Mouatsh. 
d.  Jahrgang  S.  81 .  Red.) 

(Orvos  Beälap  1889.  No.  4.) 

H.  ächuschny  {Budapest). 


liitteratur. 


Handbuch  der  Balneotherapie  für  practische 
Aerzte  von  Dr.  R.  Flechsig,  Kgl.  sÄchs.  Geh. 
Hofrath  und  Kgl.  Brunnenarzt  zu  Bad  Elster. 
Berlin  1888.     A.  Hirschwald. 

Der  schon  durch  sein  Bäderlexikon  be- 
kannte Verfasser  des  vorliegenden  Handbuchs 
der  Balneotherapie  giebt  den  practischen 
Aerzten  ein  Werk ,  welches  sicherlich  viele 
Freunde  sich  erwerben  wird.  Es  dient  in 
gleicher  Weise  Demjenigen,  welcher  sich  über 
das  ganze  balneotherapeutische  Wissen  einen 
sichern  Ueberblick  verschaffen  will,  wie  Dem, 
der  im  Einzelfalle  zuverlässige  und  für  seinen 
Patienten  brauchbare  Angaben  über  alle 
möglichen  Details  eines  in  Betracht  kommen- 
den  Curorts  schnell  zur  Hand  haben  muss. 

Der  Stoff  ist  vortrefflich  geordnet.  Die 
allgemeine  Balneotherapie  macht  den  An- 
fang. In  diesem  Abschnitt  werden  die  ver- 
schiedenen Curarten:  Mineral  wassercuren, 
Inhalationscuren,  Gasbäder,  Seebäder,  Milch- 
und  Molkencuren,  Trauben-  und  Kräuter- 
curen,  Moor-  und  Schlammbäder,  Fichten- 
nadel- und  Kräuterbäder,  hydroelektrische 
Curen  und  Sandbadecuren  abgehandelt. 
Dann  finden  Hydrotherapie  und  Klimato- 
therapie  ihre  Würdigung. 

Im  zweiten  Theil,  der  speciellen  Balneo- 
therapie, werden  die  einzelnen  chronischen 
Krankheiten  vorgeführt,  welche  Gegenstand 
der  balneotherapeu tischen  Behandlung  werden 
können:  die  Constitution  eilen  Krankheiten 
und  die  Leiden  der  einzelnen  Systeme. 

Den  Schluss  bildet  die  Balneographie, 
die  alphabetisch  geordnete  Besprechung  der 
einzelnen  Curorte  mit  Angabe  ihrer  Lage, 
Reiseverbindung,  ihrer  Curmittel  und  localen 
Verhältnisse  (Aerzte,  Badeanstalten,  Woh- 
nungen, Curzeit,  Curfrequenz),  ihres  Klimas 
und  einem  Verzeichniss  der  neuesten  Litteratur, 

In  gedrängter  Darstellung  wird  Alles  ge- 
boten, was  wissenswerth  erscheint  und  zu- 
gleich Alles  vermieden,  was  manche  balneo- 
therapeutische Lehrbücher  voluminöser  als 
erwünscht,  unbequemer  zum  Nachschlagen 
und  zugleich  theurer  macht.  Von  diesem 
Gesichtspunkt  ausgehend  giebt  der  Verfasser 
nicht  die  vollständigen  Analysen  der  Mineral- 
wässer, da  die  Anführung  minimaler  Neben- 
bestandtheile  die  Uebersicht  nur  erschwert, 
sondern  beschränkt  sich  darauf,  die  Haupt- 
bestandtheile  anzuführen,  welche  den  Arzt  bei 
der  Auswahl  einer  Quelle  zu  leiten  haben.  Die 
einzelnen  Quellen  sind  nach  der  Reihenfolge 
ihres  Gehaltes  an  wichtigen  Bestandtheilen 
in  Gruppen  gebracht,  welche  einen  leichten 
Ueberblick  und  Vergleich  ihres  chemischen 
und  pharmakodynamischen  Werthes  gestatten« 


142 


Littttratur. 


rrherapeutbehe 
L  Monatshiifte. 


Bei  dem  massigen  Preise  des  in  der  be- 
kannten gediegenen,  der  Verlagsbuchhandlung 
eigenen  Art  ausgestatteten  Buches  ist  es  zu 
^vünschen,  dass  es  fleissig  benutzt  und  der 
Verfasser  dadurch  in  die  Lage  gebracht 
werde,  in  nicht  zu  langen  Zeiträumen  dasselbe 
in  neuen  Auflagen  mit  den  vielfach  fort- 
schreitenden Verbesserungen  der,  einzelnen 
Curorte  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten, 
wie  es  der  stets  liquide  Stand  unserer  Kennt- 
nisse und  unser  Bediirfniss,  stets  das  Neueste 
aus  den  Curorten  zu  wissen,  erfordert.  Da- 
durch würde  es  dem  practischen  Arzte  ebenso 
unentbehrlich  werden,  wie  die  neueste  Bäde- 
kerauflage  dem  Keisenden,  und  sicher  den  ver- 
schiedenen Interessen  des  ärztlichen  Standes, 
des  Badepublikums,  wie  dem  des  Herrn 
Verfassers  und  Verlegers  am  Besten  ent- 
sprochen  werden.  Dr.  Schliep  {Baden- Baden). 

Arbeiten  des  pharmaJsologfisehen  Instituts  zu 
Dorpat.  Herausgegeben  von  Prof.  R.  Robert, 
kaiserlich  rassischem  Staatsrath.  Bd.  U.  Ver- 
lag von  Ferdinand  Enke.  Stuttgart.  1888. 
VI.  u.  140. 

Der  vorliegende  Band,  welcher  Herrn 
Prof.  Schmiedeberg  gewidmet  ist,  liefert 
wie  sein  Vorgänger  ein  glänzendes  Zeugniss 
für  die  fruchtbringende  Thätigkeit  des  Herrn 
Herausgebers  als  Lehrer  und  wissenschaft- 
licher Forscher.  Wie  der  erste  Band  (s. 
Therap.Monatsh.  1888  S.3Ö0),  so  enthält  auch 
dieser  drei  grössere  experimentelle  Arbeiten. 

Die  erste  derselben:  lieber  die  Wir- 
kungen des  Chroms,  von  Heinrich  Pander 
aus  Riga,  in  umgearbeiteter  Form  vom 
Herausgeber  veröffentlicht,  hat  vorwiegend 
toxikologisches  Interesse.  Auf  die  Einzel- 
heiten dieser  Arbeit  einzugehen  verbietet  der 
Raum.  Erwähnt  sei  nur,  dass  Ghromoxyd- 
salze  und  chromsaure  Salze  ähnliche  Sym- 
ptome erzeugen,  sich  aber  durch  die  Inten- 
sität ihrer  Wirkung  wesentlich  unterscheiden. 
Vf.  kann  die  ältere  Angabe  von  Rousseau 
bestätigen,  dass  chromsaure  Salze  hundert- 
mal giftiger  auf  Warmbliiter  wirken  als 
Chromoxyd  verbin  dun  gen.  Während  letztere 
hinsichtlich  ihrer  toxischen  Eigenschaften 
den  Silbersalzen  an  die  Seite  gestellt  wer- 
den können,  gehören  die  Chromate  zu  den 
giftigsten  Metallverbindungen.  Der  Vorschlag 
Robertos,  chromsaure  Salze  aus  dem  De- 
tailhandel gänzlich  auszuschliessen,  resp. 
deren  Verkauf  nur  gegen  Giftschein  zu  ge- 
statten, verdient  daher  volle  Beachtung.  — 
Irgendwelche  Indicationen  für  den  inner- 
lichen Gebrauch  chromsaurer  Salze  beim 
Menschen  lassen  sich  aus  den  Versuchs- 
resultaten nicht  ableiten,  vielmehr  hält  R.  die 
therapeutische  Anwendung  für  direct  gefährlich. 


Dies  gilt  besonders  auch  für  die 
G  ü  n  t  z  ^  sehe  Chromwasserbehandlung  der 
Syphilis,  bei  welcher  Ral.  bichromicum  in 
kohlensäurehaltigem  Wasser  gelöst  in  Tages- 
dosen bis  zu  0,03  zur  Anwendung  gelangt, 
was  bei  wochenlanger  Fortsetzung  der  Cur 
als  eine  unbedingt  giftige  Dosis  angesehen 
werden  muss.  Die  Prognose,  welche  Ro- 
bert den  nach  der  Güntz'schen  Methode 
Behandelten  stellt,  ist  daher  auch  eine  recht 
ungünstige.  Viele  derselben  würden  nach  Jahr 
und  Tag  an  Nephritis  zu  Grunde  gehen. 

Die  zweite  Arbeit  von  Raphael  Radzi- 
willowicz  handelt:  Ueber  Cytisin,  das 
von  Hu se mann  und  Marm^  in  den  Samen 
von  Cytisus  Labumum  (Goldregen)  im  Jahre 
1865  entdeckten  Alkaloid.  Dasselbe  ist 
neuerdings  mehrfach  Gegenstand  der  Unter- 
suchung gewesen  (s.  Therap.Monatsh.  1887; 
S.  156;  1888  S.  133  u.  465). 

Seine  Wirkung  ist  nach  R.  in  erster  Linie 
auf  das  Nervensystem  und  zwar  auf  das  cen- 
trale wie  auch  auf  das  peripherische  gerichtet. 
Die  Wirkung  besteht  im  Allgemeinen  in 
einer  anfanglichen  Erregung,  der  später  eine 
Lähmung  folgt.  Dies  gilt  sowohl  vom  Ge- 
hirn (Excitation,  Hallucinationen,  später 
Somnolenz,  Torpor  und  Coma),  als  auch 
vom  Rückenmark  (Zuckungen  und  Rrampf- 
anfälle,  später  Lähmung)  und  den  in  der 
Medulla  oblongata  gelegenen  Centren,  dem 
Athmungscentrum  und  dem  vasomotorischen 
Centrum.  Die  anfängliche  Reizung  der  letz- 
teren führt  zu  einer  enormen  Blutdruck- 
steigerung, an  welcher  das  Herz  und  der 
peripherische  vasomotorische  Apparat  voll- 
kommen un betheiligt  sind.  Die  nach  vor- 
hergehender Erregung  eintretende  Lähmung 
des  Athmungscentrums  ist  bei  Warmblütern 
die  Todesursache. 

Auf  die  peripherischen  motorischen  Ner- 
ven wirkt  Cytisin  lähmend  nach  Art  des 
Curare.  Dieser  Wirkung  geht  aber  stets 
eine  Rückenmarkslähmung  voraus.  Die 
Cytisinlähmung  mit  der  Curarelähmung  zu 
identificiren,  wie  dies  Prevost  und  Bin  et 
thun,  hält  Vf.  daher  nicht  für  gerechtfertigt, 
da  die  scheinbare  Curarewirkung  nur  bei 
übermaximalen  Dosen  in  den  Vordergrund 
tritt.  —  Neben  der  Motilität  scheint  auch 
die  Sensibilität  gelähmt  zu  werden.  Das 
stets  auftretende  Erbrechen  bei  Cytisin- 
vergiftung  scheint  centrale  Ursache  zu  haben. 
—  Eine  Beeinflussung  der  Uterusbewegungen 
ist  bis  jetzt  nicht  sicher  erwiesen,  erscheint 
aber  wahrscheinlich. 

Hiernach  steht  das  Cytisin  in  seiner 
Wirkung  zwischen  Strychnin  und  Curare, 
näher  jedoch    dem    ersten    als  dem  zweiten. 

Bei    Cytisinvergiftungen    empfiehlt    sich, 


Min  1889.  J 


Litteratur. 


143 


falls  nocli  kein  Erbrechen  stattgefunden  hat, 
die  Entfernung  des  Giftes  mittelst  der 
Magenpumpe  und  bei  Respirationslähmung 
Unterhaltung  der  künstlichen  Athmung, 
welche  wegen  der  schnellen  Ausscheidung 
des  Giftes  aus  dem  Organismus  nicht  von 
allzulanger  Dauer  zu  sein  braucht. 

Die  von  Kobert  befürwortete  therapeu- 
tische Verwendung  des  Cytisin  in  allen 
Fällen  von  niedrigem  Blutdruck  und  er- 
schlafftem Gefässsystem  z.  B.  bei  paralyti- 
scher Migraine,  ist  basirt  auf  die  gefäss- 
contrahirende  Wirkung.  Auch  bei  denjenigen 
Formen  von  Melancholie  und  Abulie,  wo 
eine  zu  geringe  Versorgung  des  Gehirns  mit 
Blut  vermuthet  werden  kann,  wäre  ein  Ver- 
such mit  dem  Mittel  zu  machen.  —  Eine 
Verwendung  des  Cytisins  als  centralwirken- 
des  Brechmittel  nach  den  Empfehlungen  von 
Prevost  und  Bin  et  widerräth  der  Verf.  — 
Ob  das  Mittel  als  wehen  erregendes  Agens 
anwendbar  ist,  müssen  weitere  Versuche 
ergeben. 

Die  Maximaldosis  ist  von  Prof.  Krae- 
pelin  für  Cytisin.  nitre,  subcutan  auf  0,01 
festgesetzt.  Vf.  räth  mit  einer  10  Mal  klei- 
neren Dosis  zu  beginnen.  Meistens  genügen 
0,003 — 0,005,  um  die  gewünschte  Wirkung 
zu  erzielen. 

Den  Schluss  des  Heftes  bildet  eine  Ab- 
handlung von  David  Rywosch:  Verglei- 
chende Versuche  über  die  giftige  Wir- 
kung der  Gallensäuren,  auf  welche  näher 
einzugehen  Referent  sich  leider  versagen 
muss.  Erwähnt  sei  nur,  dass  Robert  es 
für  wünschenswerth  hält,  ehe  man  die  gallen- 
sauren Salze  für  immer  aus  der  Therapie 
verbannt,  nochmals  sorgfältige  Untersuchun- 
gen mit  diesem  alten  Arzneimittel  in  gros- 
seren Krankenhäusern  anzustellen. 

Langgaard. 


Formnlae  mag^istrales  Berolinenses.  Mit  einem 
Anbange  enthaltend:  1.  die  Handverkaufs-Preise. 
2.  Anleitung  zor  Kosten-Erspamiss  beim  Ver- 
ordnen von  Arzneien.  Ausgabe  für  1889. 
Berlin  1889.  R.  Gärtner 's  Verlagsbuchhand- 
long.     Hermann  Hey  fei  der. 

Die  Ausgabe  für  1889  liegt  uns  vor. 
Wir  ersehen,  dass  die  Form.  mag.  verbessert 
und  vermehrt  sind  (Liq.  pector.,  Mixtura 
acid.  hydrochl.,  Mixt,  peruviana,  Past.  sali- 
cylica  u.  s.  w.)  und  dass  auch  die  Anleitung 
zur  Kosten ersparniss,  in  den  Grundsätzen 
sich  gleichbleibend,  wesentliche  Verbesserung 
und  Erweiterungen  erfahren  hat,  so  die  Para- 
graphen über  das  Vorräthighalten  von  Ver- 
bandmaterial, über  Verordnung  von  inneren 
und  äusseren  Mitteln  zugleich  u.  s.  w.  Auf- 
falleuderweise  fehlen  in  der  zweiten  Abthei- 


lung der  Zusammenstellung  von  Heilmitteln 
zu  Handverkaufspreisen  (S.  9)  viele  recht 
gebräuchliche  Mittel  wie  Rhabarber wurzel, 
Borsäure,  Vaselin  und  andere,  während  ganz 
neue,  noch  nicht  genug  erprobte  z.  B.  Lipanin, 
Thal  1  in  als  Antrophore,  Cocawein  etc.  auf- 
genommen sind.  Es  bedarf  wohl  nur  dieses 
Hinweises,  um  in  Zukunft  nach  dieser  Rich- 
tung hin  Wandel  eintreten  zu  lassen.  —  Im 
Uebrigen  können  wir  auch  die  diesjährigen 
Form,  magistr.  Berol.  als  eine  dankenswerthe 
Erscheinung  begrüssen  und  jedem  Arzte  als 
einen  in  jeder  Beziehung  zuverlässigen  Rath- 

geber  empfehlen. 

Habow. 


Pelper,  Dr.  E.  Die  Schntzpockenimpfansr  und 
ihre  Ausführung.  Ein  Leitfaden  für  Aerzte 
und  Studirende.  Wien  und  Leipzig,  ürban 
&  Schwarzenberg.    1888. 

Seitdem  der  Impfunterricht  neuerdings 
ein  officieller  Lehrgegenstand  an  den  Uni- 
versitäten geworden,  sind  auch  mehrere  neue 
Lehrbücher  über  diesen  Gegenstand  ent- 
standen. Das  vorliegende  ist  speciell  für 
den  Lehrzweck  geschrieben  und  behandelt, 
mit  der  Geschichte  der  Pocken epidemien 
beginnend,  die  Aetiologie  und  verschiedenen 
Arten  der  Pocken,  die  Vaccination  und  deren 
Technik,  die  Gewinnung  der  Lymphen,  die 
Pathologie  der  Impfung  und  was  sonst  mit 
letzterer  im  Zusammenhang  steht.  Dem  sonst 
klar  und  doch  concis  behandelten  Gegen- 
stand sind  die  gesetzlichen  Bestimmungen 
über  Impfung,  sowie  Proben  von  Impflisten 
und  Impfscheinen  im  Anhange  beigefügt. 
Jedenfalls  diirfte  das  Büchelchen  seinen 
Zweck,  Studirenden  und  Aerzten  ein  Leit- 
faden bei  dem  Studium  des  Gegenstandes 
zu  sein,  durchaus  erfüllen. 

Freyer  {SteUin). 


Praetisehe  Notlsen 

und 

empfehlenswerthe  Arsneiforinelii. 


Behufs  Behandlung  übelriechender  Fussschweisse 

geht  uns  von  Herrn  Dr.  Sprinz  (Burghas- 
lach)  folgende  Mittheilung  zu:  „Schon  seit 
mehreren  Jahren  wende  ich  gegen  den  stinken- 
den Fussschweiss  ein  ebenso  einfaches  wie 
sicher  wirkendes  Mittel  an.  Ich  lasse  mit 
einer  3®/o  Borsäure  lösung  Abends  die 
Sohle  des  Strumpfes  ziemlich  anfeuchten 
und  während  der  Nacht  trocknen.  Bei  ent- 
sprechender Reinlichkeit  und  3  Mal  wochent- 


144 


Prmetiiehe  Notisen  und  •mpfehlttoiw^rthe  Annaiformeln. 


rlierftpeatJieha 
Monatiheft«. 


lichem  Wechsel  derartig  durchtrankter 
Strümpfe  ist  selbst  in  den  hartnäckigsten 
Fällen  der  günstigste  Erfolg  zu  verzeichnen." 

Gegen  das  quälende  Hautjucken  der  Gelbsüchtigen 

empfiehlt  Goodhardt  (Brit.  med.  Journ.) 
eine  einmalige  subcutane  Injection  von 
0,02  Pilocarpin,  muriat.  Dasselbe  hat  auch 
zuweilen  gegen  die  blitzartig  auftreten- 
den Schmerzen  in  den  Beinen  bei  Tabes 
dorsalis  gute  Dienste  geleistet.  Die  ange- 
wandte Formel  lautet: 

1^  Pilocarpin,  mur.  0,2 
Aquae  destill.   10,0. 
D.S.     Zur    subcut.    Injection.     (Hiervon 
den     Inhalt    1  Pravaz' sehen  Spritze    zu    in- 
jicireu. 

Bei  der  Ozaenabehandlung 

hat  sich  Herrn  Prof.  Rosenbach  (Ebstein, 
Dtsch.  med.  Wochenschr.  1889  No.  6)  der 
Peru  hals  am  vorzüglich  bewährt.  Durch 
denselben  wurde  vollkommene  Desodorisation 
erzielt.  Man  streicht  ihn  in  der  Gegend 
des  Naseneinganges  vermittelst  eines  Pinsels 
auf  die  Schleimhaut  auf.  In  die  tieferen 
Theile  der  Nasenhohle  wird  ein  mit  Balsam. 
Peruvian.  getränkter  "Wattctampon  einge- 
führt. Die  Manipulation  ist  täglich  einmal 
vorzunehmen. 

Für  die  Therapie  des  Erysipels 

giebt  Dr.  Ebstein  (Dtsch.  med.  Wochenschr. 
1889  No.  6)  folgendes  auf  der  Abtheilung 
des  Herrn  Prof.  Rosenbach  geübte  uud  be- 
währte Verfahren  an: 

Die  gesunde  Haut  der  Umgebung  des 
Erysipels  wird  zunächst  in  weitem  Umfange 
mit  warmem  "Wasser  und  Seife  gründlich 
gereinigt.  Darauf  wird  an  der  ganzen  Grenze 
der  erkrankten  Partie  in  einem  15  —  20  cm 
breiten  Streifen  der  gesunden,  sorgfältig  ge- 
reinigten und  abgetrockneten  Haut  funf- 
procentiges  Carbolvaselin  energisch  einge- 
rieben. Zuletzt  wird  auch  die  erkrankte 
Hautpartie  selbst  mit  Carbolvaselin  be- 
strichen, doch  ist  behufs  Vermeidung  einer 
Verschleppung  der  Infectionskeime  durchaus 
darauf  zu  achten,  dass  das  Auf  streichen 
stets  von  der  gesunden  nach  der  kran- 
ken Haut  hin,  niemals  umgekehrt 
stattfinde. 

Die  Erfolge  dieser  an  27  Fällen 
versuchten  Behandlungsweise  waren  sehr 
günstige.      (Carbolvaselin    verhält    sich    wie 


Carbolöl.  Eine  Wirkung  der  Carbolsäure 
kann  dabei  nicht  zu  Stande  kommen.  Vergl. 
Gottstein  d.  Heft  S.  102.    D.  Herausgeber.) 

Für  die  Behandlung  des  Decubitus 

empfiehlt  Ebstein  in  der  Deutsch.  Med. 
Wochenschrift  prophy laotische  Einreibungen 
mit  Lanolin.  Dieselben  werden  von  Prof. 
Rosenbach  auf  der  med.  Abtheiluog  des 
Allerheiligenhospitals  zu  Breslau  auf  Grund 
der  von  Gottstein  (s.  Therap.  Monatsh. 
1888  S.  36)  erwiesenen  Thatsache,  dass 
Lanolin  die  Gewebe  gegen  das  Eindringen 
von  Mikroorganismen  schützt,  seit  9  Monaten 
ausgeführt  und  haben  sich  vortrefiFlich  be- 
währt. Alle  dem  Drucke  vorzugsweise  aus- 
gesetzten Hautstellen  werden  nach  vorheriger 
gründlicher  Reinigung  tüchtig  mit  Lanolin 
eingerieben  und  durch  reichliche  Unterlagen 
von  Watte  etc.  vor  weiterem  Drucke  mög- 
lichst geschützt.  Wo  bereits  Excoriationen 
oder  eine  verdächtige  Röthung  der  Haut  vor^ 
banden  sind,  heilen  dieselben  unter  der 
Lanolindecke  schnell  und  die  Haut  erhält 
ihr  normales,  elastisch  straffes  Aussehen 
wieder. 

Auch  dem  Auftreten  von  Erythemen  und 
Erysipelas  nach  Function  eines  Ascites  oder 
Scarificationen  ödematöser  Hautstellen  wird 
durch  energisches  Einreiben  von  Lanolin 
wirksam  vorgebeugt. 

Bei  unstillbarem  Erbrechen  der  Schwangeren 

giebt  Hubert  (Lyon  med.  1889  No.  4)  fol- 
gende Lösung: 

i^  Kalii  jodati         6,0. 
Tinctura  Jodi  gtt.  VI. 
Aq.  destill.      120,0. 
M.  D.  S.  3  Mal  täglich  1  Esslöffel. 

Ananas,  ein  Expectorans. 

Nach  Dr.  Flashar  (Pharm.  Ztg.  1889 
N0..IO)  soll  der  Saft  der  reifen  Ananas 
(Bromelia  Ananas  L.)  ein  vorzügliches  Ex- 
pectorans sein.  Man  gewinnt  ihn,  indem 
man  die  reifen  Früchte  in  Scheiben  schneidet, 
diese  schichtenweise  mit  Zucker  überschüttet, 
hierauf  das  Gefäss  schliesst  und  mit  Stroh 
umwickelt  in  Wasser  allmählich  bis  zu 
minutenlangem  Kochen  erhitzt.  Bei  chro- 
nischen Bronchialkatarrhen  mit 
stockender  Schleimabsonderung  genüg* 
ten  wenige  Theelöffel,  um  ausgiebige  Expec- 
toration  hervorzurufen.  Etwa  8  — 10  Thee- 
löffel sind  täglich  zu  verabreichen. 


Diiroh  die  Uebersledelnng  des  Dr.  8.  Babow  nach  Liatisanne  findet  eine  Aenderung  tn 
der  lieitnng  der  Therapeutischen  Monatshefte  nicht  statt.  —  Der  Sitz  der  Bedactlon  wird  für 
die  Zukunft  in  Berlin  und  Lausanne  sein. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  ^  Druck  von  Ougtav  Schade  (Otto  Francke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 


1889.    AprU. 


Originalabhandliuigen. 


[Ans  der  I.  medicinischen  KUnfk  des  Hrn.  Geb.-Rath  Leyden.] 

I>ie  künstliche  Emähriing 
bei  der  Behandlung  der  Diphtherie. 

Von 

Stabsarzt  Dr.  Renvert, 

Assistent  der  Klinik. 

Die  Einsicht,  welche  wir  in  der  neuesten 
Zeit  in  das  Wesen  der  Infectionskrankheiten 
namentlich  durch  Klarlegung  ihrer  Aetiologie 
gewonnen  haben,  Hess  erhoffen,  dass  daraus 
auch  für  unser  therapeutisches  Handeln 
Fruchte  erwachsen  wurden.  Die  alte  Auf- 
fassung, dass  die  Krankheit  ein  von  aussen 
eindringender  Feind  sei,  führte  ja  in  der 
Chirurgie  auch  bald  zu  der  localen  Be- 
kämpfung der  Infectionskeime  und  gipfelt 
in  der  modernen  Chirurgie  in  der  Kunst, 
die  Wunden  keimfrei  zu  halten.  Die  gross- 
artigen Triumphe,  welche  die  Chirurgie  durch 
Anwendung  der  Antiseptica  feierte,  waren  na- 
türlich die  Veranlassung,  dieselben  auch  bei 
Behandlung  der  inneren  Infectionskrankheiten 
anzuwenden  und  so  entstand  eine  Behand- 
lungsmethode, welche  sich  die  Aufgabe 
stellte,  durch  keimtödtende  Mittel  dem  in 
den  Korper  eindringenden  Feinde,  womöglich 
an  der  Schwelle  des  Eintritts,  entgegen  zu 
treten. 

Gar  bald  zeigte  sich  aber,  dass  mit  der 
localen  Vernichtung  der  Infectionskeime  in 
der  inneren  Medicin  noch  nicht  viel  gewon- 
nen war.  Gegen  die  Schädigungen,  welche 
dem  Gesammt Organismus  durch  rasches  Ein- 
dringen der  Keime  in  die  Blut-  und  Lymph- 
bahnen, oder  durch  Aufnahme  von  giftigen 
Substanzen  von  der  Infectionsstelle  aus  er- 
wuchsen, erwiesen  sich  die  antiseptiscben 
Mittel  ohnmächtig,  denn  in  der  wirksamen 
Concentration  waren  sie  auch  den  lebenden 
Zellen  des  Organismus  feindlich. 

So  ist  es  begreiflich,  dass  mau  bei  dem 
vergeblichen  Suchen  nach  directen  specifischen 
Heilmethoden  immer  Wieder  auf  jene  in- 
directen  Methoden  der  Behandlung  hinge- 
wiesen wurde,  die  ihre  Aufgabe  darin  sucht 
nnd  findet,  den  Organismus  in  den  Abwehr- 


bestrebungen gegen  die  Infection  serreger  zu 
unterstützen,  ihm  durch  Fernhaltung  von 
Schädlichkeiten,  durch  Schonung  und  Er- 
haltung der  Kräfte,  durch  Hebung  der  Er- 
nährung in  dem  Kampf  mit  dem  Feinde  bei- 
zustehen. 

Auch  in  Bezug  auf  die  Behandlung  der 
wohl  mit  Recht  am  meisten  gefürchteten 
Infectionskrankheit,  der  Diphtherie,  welche 
durch  ihre  Localisation  an  den  dem  Auge 
und  der  Hand  zugänglichen  Schleimhäuten 
der  localen  antiseptischen  Therapie  einen  gün- 
stigen Angriffspunkt  zu  bieten  schien,  hat 
sich  allmählich  der  Sturm  der  Entdeckung 
specifisch  wirkender  Mittel  gelegt.  Die  Zeit, 
wo  in  medicinischen  und  politischen  Tages- 
blättern gewiss  mit  gleichem  Erfolg  und 
Recht  gegen  die  Diphtherie  Mittel  em- 
pfohlen und  nach  kurzer  Blüthe  wieder  ver* 
werfen  wurden,  liegt  noch  nicht  lange  hinter 
uns.  Es  würde  zu  weit  führen,  auch  nur 
an  die  vielen  localen  und  sogenannten  spe- 
cifischen Behandlungsmethoden  zu  erinnern. 
Alle,  ohne  Ausnahme,  haben,  wenn  man 
nicht  mit  einem  kritiklosen  Idealismus  an 
dieselben  herantritt,  so  wenig  Vertrauen  ge- 
funden, dass  eine  auf  dem  Gebiet  der  Diph- 
therie so  erfahrene  Autorität  wie  Henoch 
in  seinem  Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten 
sich  dabin  äussert:  y,Nach  meinen  Erfahrun- 
gen leisten  alle  bisher  empfohlenen  Mittel 
absolut  nichts  in  den  schweren  Fällen  der 
Krankheit^. 

Bei  dem  gegenwärtigen  Standpunkt  un- 
seres therapeutischen  Könnens  sind  wir  in 
der  Behandlung  der  Diphtherie,  wie  bei  den 
meisten  anderen  Infectionskrankheiten,  auf 
die  bereits  erwähnten  indirecten  Heilmetho- 
den angewiesen.  Unsere  Aufgabe  bei  der 
Diphtherie  muss  darin  bestehen:  1.  den  lo- 
calen Process  zu  mildern,  2.  aber  die  Kräfte 
des  Kranken  zu  schonen  und  zu  stützen. 
Dass  aber  gerade  bei  der  Erfüllung  der  zwei- 
ten Aufgabe  die  Ernährung  des  Kranken  eine 
wesentliche  Rolle  spielt,  dürfte  wohl  im 
Allgemeinen  anerkannt  sein,  obgleich  es  den 
Anschein  hat,  als  ob  gerade  bei  dem  Suchen 
nach  specifischen  Heilmitteln  dieser  wichtige 

19 


146 


Ranveri,  Die  kttnitliehe  Ernährung  bai  der  Behaivdlung  der  Diphtherie. 


rlierapeatische 
AfonaUhefte. 


Theil  der  internen  Therapie  nicht  allseitig 
die  Würdigung  erfahren  hat,  welche  er  in  der 
That  -verdient.  Die  tägliche  Erfahrung  am 
Krankenbett  lehrt  es  immer  wieder,  dass 
kaum  eine  andere  Infectionskrankheit  so 
rasch  die  Kräfte  des  Kranken  verzehrt,  wie 
die  Diphtherie,  trotz  ihrer  meist  ja  nur  kur- 
zen Dauer.  So  betonen  denn  auch  alle  er- 
fahrenen Kliniker  die  roborirende  Behandlung 
der  Diphtherie  und  legen  der  sorgfältigen 
Ernährung  einen  grossen  Werth  bei.  In 
dieser  Beziehung  ist  es  sehr  bedeutungsvoll, 
was  Trousseau  in  seiner  Clinique  mMicale  I. 
S.  463  sagt:  L'alimentation  y  occupe  le 
premier  rang  et  plus  la  mal  adle  est  grave, 
plus  je  Yois  la  necessite  de  nourrir  les  ma- 
lades. Un  des  signes  les  plus  alarmants 
pour  le  prognostic,  c^est  le  defaut  d'app^tit, 
c'est  le  degoüt  pour  toute  esp^ce  de  nourri- 
ture.  II  faut  chercher  a  le  vaincre  par  tous 
les  moyens  possibles  et  pour  y  parvenir, 
je  ne  crains  pas  draller  quelquefois  chez  les 
enfants  jusqu'aux  menaces.  Auch  Henoch 
weist  auf  die  Wichtigkeit  der  Ernährung 
hin  und  räth  bei  unbesiegbarem  Widerwillen 
zum  Gebrauch  von  ernährenden  Kly stieren. 
In  der  Praxis  bleibt  es  aber  meist  bei  die- 
sen Empfehlungen,  und  aus  Mangel  an  Ueber- 
zeugung  werden  sehr  oft  die  allerdings  manch- 
jnal  grossen  Hindernisse  nicht  energisch  ge- 
■nug  überwunden,  Macht  man  sich  am 
Krankenbett  erst  einmal  klar,  wie  gering 
die  spontane  Nahrungsaufnahme  bei  den  an 
Diphtherie  erkrankten  Kindern  sowohl  wie  bei 
Erwachsenen  ist,  so  wird  man  nicht  erstaunt 
sein  über  den  raschen  Kräfteverfall  und  den 
so  oft  eintretenden  Collaps  gerade  bei  dieser 
Erkrankung.  Zu  dem  Widerwillen  gegen 
die  Nahrung  kommt  aber  noch  das  Unver- 
mögen zu  schlucken  hinzu,  oder  der  noch 
viel  ungünstigere  Umstand,  dass  namentlich 
bei  tracheotomirten  und  gelähmten  Fat.  bei 
jedemSchluckactNahruugsbestandtheiie  durch 
Verschlucken  in  die  Luftrohre  gerathen  und 
heftigen,  quälenden  Hustenreiz  veranlassen. 
Die  oft  wiederholte  Beobachtung,  welche  wir 
auf  der  Abtheilung  für  Infectionskrankheiten 
der  I.  med.  Klinik  machten,  dass  in  schwe- 
ren Fällen  von  Diphtherie  eine  spontane 
hinreichende  Nahrungsaufnahme,  trotzdem  es 
sich  um  erwachsene  Patienten  handelte,  nicht 
zu  erreichen  war,  führte  uns  zur  Anwendung 
der  künstlichen  Ernährung  mittelst  der  Sonde 
und  des  Gavage -Apparats.  Die  Erfahrung 
hat  nun  ergeben,  dass  diese  Art  der  Er- 
nährung nicht  nur  leicht  und  gut  ausführbar 
und  ohne  irgendwelche  schädlichen  Folgen 
ist,  sondern  auch  im  Stande  ist,  die  thera- 
peutische Aufgabe  zu  erfüllen,  die  wir  zur 
Bekämpfung    der  Infectionskrankheiten,    bei 


der  Ohnmacht  anderer  Mittel,  für  die  wich- 
tigste halten,  nämlich  die  Kräfte  des  Pat. 
zu  erhalten  und  zu  stärken.  Es  ist  selbst- 
verständlich, dass  man  bei  der  Bekämpfung 
der  Diphtherie  darauf  bedacht  sein  muss, 
gleich  bei  Beginn  der  Erkrankung  die  künst- 
liche Ernährung  einzuleiten  und  nicht  damit 
erst  zu  beginnen,  wenn  die  Zeichen  des  Col- 
lapses  und  damit  Störungen  der  Resorption 
eintreten.  Die  künstliche  Ernährung  bei  der 
Diphtherie  ist  bereits  früher  vereinzelt  an- 
gewendet worden,  aber  soweit  in  der  Litte- 
ratur  mir  bekannt  geworden,  doch  nie  con- 
sequent  durchgeführt  worden.  So  haben 
Mos  1er*)  und  Archambault^)  bei  der 
acuten  Diphtherie  die  Ernährung  durch  die 
Sonde  vorübergehend  bewerkstelligt.  Plan- 
massig  ist  dieselbe  von  anderen  Autoren  bei 
den  Lähmungszuständen  nach  Diphtherie  in 
Anwendung  gezogen  und  namentlich  in  jüngster 
Zeit  von  Ziemssen')  wieder  betont  worden. 
Was  die  Ausführung  selbst  betrifft,  so 
bedient  man  sich  nach  unseren  Erfahrungen 
am  besten  einer  gewöhnlichen,  möglichst 
biegsamen  Schlundsonde  von  6  mm  Breite, 
die  im  Nothfalle  mit  einem  einfachen  Trich- 
ter, zweckmässiger  aber  mit  dem  Gavage- 
Apparat  verbunden  wird,  durch  welchen 
mittelst  Luftdrucks  möglichst  rasch  die  Nah- 
rung zugeführt  werden  kann. 

Der  Einfluss  der  consequent  durchgeführ- 
ten künstlichen  Ernährung  auf  den  Verlauf 
einiger  schweren  Fälle  von  Diphtherie  war 
,  ein  so  günstiger,  dass  wir  die  Mittheihing 
'  derselben  in  dieser  geschätzten  Zeitschrift 
für  geeignet  erachten,  um  von  Neuem  wieder 
einmal  die  Aufmerksamkeit  auf  diese  Seite 
der  Therapie  zu  richten. 

Begreiflicherweise  hat  sich  die  Therapie 
nicht  allein  auf  die  Ernährung  beschränkt 
und  es  soll  in  den  nachstehenden  Kranken- 
geschichten die  ganze  Methode  der  Behand- 
lung ersichtlich  gemacht  werden. 

Im  Allgemeinen  sei  noch  über  die  Priu- 
cipien  der  Behandlung  kurz  vorausgeschickt, 
dass  angewendet  wurden: 

1.  Local:'  Antiseptische  Lösungen  zur 
Reinigung  des  Rachens  und  der  Mundhöhle, 
aber  nur  alle  2 — 3  Stunden,  Eispillen,  Eis- 
cravatte.     Eventuell  Inhalationen. 

2.  Specifica  wurden  nicht  versucht  und 
auch  bei  hoher  Temperatur  kein  Antipyreti- 
cum  gereicht. 

3.  Möglichste  Ruhe  wurde  dem  Pat.  ver- 
schafft. Das  häufige  Mundspülen  und  na- 
mentlich das  minutenlange  Gurgeln  wurde 
ebenso    wie    die    häufige    Untersuchung    der 

»)  Archiv  für  Heilkunde  1878  S.  67. 

■-')  Gazette  des  hopitaox  1877. 

»)  Klinische  Vorträge  No.  VI  1887. 


in.  Jahrgang  .1 
April  1889.  J 


Renverf ,  Die  kUnatliche  Ernährung  bei  der  Behandlung  der  Dlphthteie. 


147 


RachenoTgane  absichtlich  Termieden,  dabei 
gleichzeitig  für  psychische  Beruhigung  und 
Aufmunterung  Sorge  getragen.  Gerade  in 
dieser  Beziehung  wurde 

4.  Morphium  angewendet.  Der  vorsichj- 
tigen  Anwendung  desselben  im  Verlauf  der 
Diphtherie  legen  wir  eine  besondere  Bedeu- 
tung bei.  Kein  anderes  Mittel  kann  die 
meist  grosse  Unruhe  der  Kranken  beseitigen, 
ihre  Schmerzen  und  Unbequemlichkeiten  lin- 
dem, sowie  ihnen  Schlaf  und  damit  Stär- 
kung bringen.  In  keinem  Fall  sahen  wir 
unangenehme  schwächende  Wirkungen  ein- 
treten, aber  oft  horten  wir  Worte  des  Dan- 
kes für  die  geschaffene  Erquickung  und 
Ruhe.  Selbstverständlich  haben  wir  uns  auf 
die  Anwendung  nur  kleiner  Dosen  von  0,003 
bis  höchstens  0,01  Morphium^)  beschränkt 
und  auch  diese  immer  zuerst  am  Tage  ver- 
sucht, um  selbst  die  Wirkung  auf  den  Fat. 
beobachten  zu  können. 

5.  Die  Ernährung  des  Kranken  wurde 
Tom  ersten  Tage  der  Behandlung  an  beson- 
ders beobachtet,  dabei  gleichzeitig  die  Zu- 
fuhr von  starkem  Wein  angeordnet.  In  je- 
dem Falle,  wo  die  spontane  Nahrungsauf- 
nahme, sei  es  in  Folge  von  Schmerzen  beim 
Schlucken,  Lähmung  der  Schlingorgane  oder 
in  Folge  grosser  Abneigung  ungenügend  war, 
wurde  die  kunstliche  Ernährung   eingeleitet. 

Der  I.  Fall  schliesst  sich  an  die  von 
Ziemssen  mit  der  künstlichen  Ernährung 
behandelten  Fälle  an. 

Fall  L  Franz  K.,  Arbeitersohn,  12  Jahre 
alt,  Lähmung  nach  Diphtherie,  aufgen.  18.7.  1888, 
geheilt  entlassen  20.  10.  1888. 

Fat.  erkrankt  an  Diphtherie  und  in  der  Recon- 
valescem  an  Nephritis  und  diphtherischer  iMhmung, 
welche  Pat.  bis  zur  Unmöglichkeit  des  Schluckens 
fültrt.  Pat.  wird  der  Klinik  wegen  Lähmung  der 
Schlingorgane  sowie  sämmtlicher  Extremitäten  in  einem 
»fark  abgemagerten^  entkräfteten  Zustand  mit  drohen- 
dem Collaps  zugeführt.  Künstliche  Ernährung,  Rasche 
Hebung  der  Kräfte  und  Heilung  der  Lähmungen, 

Pat.,  aus  gesunder  Familie  stammend,  erkrankte 
vor  6  Wochen  an  einer  mit  heftigem  Fieber  ein- 
setzenden, sehr  schmerzhaften  Rachen-Diphtherie. 
Unter  Behandlung  mit  Bettrahe  und  Gurgelwässem 
besserte  sich  das  Leiden,  nach  14  Tagen  stand 
Pat.  auf  und  machte  trotz  grosser  Mattigkeit  täg- 
lich einige  Stunden  Gchubungen  im  Freien.  Nach 
()  Tagen  nahm  die  Mattigkeit  zu,  Anschwellungen 
der  Haut  im  Gesicht  und  an  den  Füssen  traten 
auf,  Pat.  musste  das  Bett  wieder  aufsuchen  und 
wurde  nun  mit  heissen  Bädern  behandelt.  Nach 
etwa  10  Tagen  waren  die  Anschwellungen  ver- 
schwunden, Pat.  stand  wieder  auf,  konnte  aber 
nun  vor  Schwäche  kaum  noch  gehen.  Anfang 
Juli  bemerkte  Pat.  zuerst  eine  Schwierigkeit  beim 
Sprechen    und    Schlacken.     Seine    Stimme   wurde 

*)  Bei  Kindern  selbstverständlich  entsprechend 
weniger. 


näselnd  und  heiser,  beim  Trinken  trat  oft  Husten- 
reiz ein  und  zuweilen  auch,  wenn  er  hastig  ge- 
trunken, Erbrechen.  Dazu  gesellte  sich  nun  zu- 
nehmende Schwäche  in  den  oberen  und  unteren 
Extremitäten  sowie  Doppeltsehen.  Von  Tag  zu 
Tag  wurde  sein  Zustand  hilfloser.  Da  er  seit 
dem  14,  7.  sich  bei  jeder  Nahrungseinnahme  ver- 
schluckte und  schliesslich  ausser  Stande  war, 
Nahrung  aufzunehmen,  seine  Kräfte  zusehends  ab- 
nahmen, wurde  er  am  18.  7.  der  I.  med.  Klinik 
behufs  künstlicher  Ernährung  zugeführt,  nachdem 
derselbe  in  der  That  seit  5  Tagen  keine 
Nahrung  mehr  zu  sich  genommen. 

Status  praes.    18.  7.  Ab.  6  Uhr.     Gutgebauter 
12  jähriger  Knabe  mit  welker,  schlaffer  Muskulatur, 
stark    abgemagert,    Körpergewicht    57  Pfd.,    liegt 
in    zusammengesunkener    passiver   Rückenlage    im 
Bett,    nicht  im  Stande,    activ  seine  Lage  zu  ver- 
ändern.    Sein  Gesicht  ist   abgemagert,    Ausdruck 
matt  müde,  die  sichtbaren  Schleimhäute  sind  blass. 
Die  Haut  am  Körper  welk,  von  blassgrauer  Farbe, 
kühl,  Temp.  36,0,  frei  von  Oedem  und  Exanthem. 
Puls    an    der    dünnwandigen    Hadialarterie    regel- 
mässig,  von  geringer  Spannung  und  Füllung,  bei 
der    geringsten    Erregung    auf    120    Schläge    ge- 
steigert, in  der  Ruhe  96  mal  in  der  Minute.    Mit 
schwacher,  stark  näselnder,  tonloser  Stimme  vermag 
Pat.  nur  mit  grosser  Anstrengung  einzelne  Worte 
hervorzubringen.     Häufiger  schwacher   Hustenreiz. 
Nach  jedem  Hustenparoxysmus  ist  Pat.  ganz  erschöpft 
und    flehentlich    verlangt    er    nach  Hilfe.     Weder 
feste  noch  flüssige  Nahrung  kann  Pat.  schlucken, 
weist  auch  den  wiederholten  Versuch  energisch  ab. 
Sensorium  vollkommen    frei.     Schlaf  während 
der  letzten  Nächte  durch  fortdauernden  Hustenreiz 
gestört.    Gehör-,  Geschmack-,  Geruchsinn  erhalten. 
Augen  gut  beweglich ,   ophthalmoskopisch  nicht  ver- 
ändert, beiderseitige  Accommodationslähmung.    Am 
Gesicht  keine  Lähmungen.     Zunge  gut  beweglich. 
Weicher  Gaumen    auffallend    blass,    hängt    schlaff 
herab,    ist    bei    Sprech-    und   Schluckbewegungen 
unbeweglich.      Berührungen    desselben    sowie    der 
Rachenwand  werden  nicht  empfunden.    Die  laryn- 
goskopische  Untersuchung    ergiebt  eine  Schwäche 
der   gesammten    Kehlkopfmuskulatur.     Bei  Intona- 
tion bleibt  zwischen   den  schlaffen  wahren  Stimm- 
bändern ein  ovaler  Raum'.    Sensibilität  und  Reflex- 
erregbarkeit   der  Larynxschleimhaut    herabgesetzt. 
Die  Stimme  ist  tonlos.   HustenstÖsse  sehr  schwach. 
Pat.  ist  nicht  im  Stande,  den  Kopf  von  der  Unter- 
lage zu  erheben.     Die  motorische  Muskelkraft  der 
Extremitäten    ist    sehr    herabgesetzt.       Pat.   führt 
jede  gewollte   Bewegung    mit    allen   Muskeln   aus, 
aber  äusserst  langsam,  schwerfällig  und  unbeholfen. 
An  den  oberen  Extremitäten  besteht  eine  deutliche 
Ataxie.       Die    Füsse    stehen     in     Plantarflexions-, 
Stellung.      Die    elektrische    Untersuchung    ergiebt 
für    den    faradischen     Strom    bei    indirecter  und 
directer    Reizung    eine    Herabsetzung    der   Erreg- 
barkeit,   die   an   den    unteren    stärker  ist  wie  an 
den  oberen  Extremitäten.    Keine  Entartungsreaction. 
Die    Sensibilität    soll   angeblich    an  beiden  Unter- 
schenkeln   gestört    sein.     Daselbst    Taubsein    und 
prickelndes   Gefühl    in  den   Fusssohlen.     Objectiv 
besteht    nur    an    beiden   Fussrücken    und   Unter- 
schenkeln   eine   leichte   Herabsetzung   des  Gefühls 
für  Pinselberührungen,    während  Berührungen  mit 

19* 


148 


Renvttrf »  Die  kttnftUehe  Ernährung  bei  dar  Behandlung  der  Diphtherie. 


rlittrapeatlMhe 
Monatubeft«. 


der  Nadelspitze  am  ganzen  Körper  deutlich  gefühlt 
und  richtig  localisirt  werden.  Auch  Temperatur- 
sinn erhalten.  Fusssohlenreflex  nur  schwach. 
Cremasteren-  und  Bauchreflex  rasch  auszulösen. 
Patellarsehnenreflex  fehlt  beiderseits.  Organreflexe 
erhalten.     Respiration  in  der  Ruhe'  22. 

Die  Untersuchung  der  Lungen  ergiebt  über 
beiden  Lungen  namentlich  h.  u.  schwaches  Tesic. 
Athmen  und  reichliche  feinblasige  Rasselgeräusche. 
Das    mühsam    entleerte  Sputum    ist   zfihschleimig. 

Herzdämpfung  normal.  Spitzenstoss  nach  Innen 
Yon  der  Mammillarlinio  in  3  cm  Ausdehnung 
kaum  fühlbar.  Herztöne  rein.  Herzaction  be- 
schleunigt, zeitweise  unregelmässig,  110 — 120  in 
d.  M.  Zunge  stark  grauweiss  belegt.  Starkes 
Durstgefühl,  kein  Appetit.  Leib  eingesunken, 
nirgendwo  schmerzhaft.  Leber  und  Milz  nicht 
vergrössert.  Stuhlgang  retardirt,  Urin  spontan 
entleert,  sehr  concentrirt,   frei  von  Albnmen. 

Behandlung:  Ruhe.  Verbot  selbstständig  weder 
flüssige  noch  feste  Nahrung  zu  sich  zu  nehmen. 
Fütterung  mittelst  des  Gavage-Apparates  dreimal 
täglich. 

Die  sofort  vorgenommene  Fütterung,  vor  der 
sich  Pat.  sehr  ängstigt,  gelingt  ohne  jede  Störung. 
Es  werden  7,  1  Milch,  ^^  1  Sherry,  2  Eigelb, 
10  g  Zucker  eingepumpt.  Abends  10  Uhr  klagt 
Pat.  über  grosse  Müdigkeit,  will  aber  nicht  ein- 
schlafen können.  Subcutan  0,00ö  Morphium,  da- 
nach zweistündiger  von  Hustenreiz  mehrfach  unter- 
brochener Schlaf.  Den  Rest  der  Nacht  verbringt 
Pat.  im  Halbschlaf. 

19.7.  8  Uhr  M.  T.  36,2.  P,94.  R.  22.  Urin 
400/1031.  Der  Schlaf  hat  Pat.  angeblich  wohl- 
gethan  und  fühlt  er  sich  etwas  gekräftigt.  Der 
Hustenreiz  noch  quälend,  die  Expectoration 
mühsam. 

8Va  Uhr.  Gavage  »/j  1  warme  Milch,  2  Ei- 
gelb, 30  Zucker,  1  Theelöffel  Cognac. 

12  Uhr.  Gavage  Va  1  warme  Milch,  2  Ei- 
gelb, Yy  1  Sherry. 

6  Uhr.  Gavage.  V^  1  Milch,  3  Eigelb,  %5  1 
Sherry,  30  Zucker. 

6.  Temp.  36,6.     P.  96.     R.  22. 

Im  Verlauf  des  Tages  hat  Pat.  von  Vj2 — 4  Uhr 
ruhig  geschlafen  und  giebt  an,  sich  heute  Abend 
wohler  zu  fühlen.  Die  künstliche  Ernährung  geht 
sehr  leicht  von  Statten. 

Im  Ganzen  an  Nahrung  erhalten:  1^^  1  Milch, 
7  Eigelb,  60  g  Zucker,  Vj  1  Sherry. 

20.  7.  8  Uhr  M.  T.  36,0.  P.  92.  R.  22.  Urin 
400/1023.  Nach  fünfstündigem,  erquickendem  Schlaf 
sieht  Pat.  heute  entschieden  wohler  aus.  Sein 
Gesicht  ist  voller,  seine  Schleimhäute  lebhafter 
geröthet.  Die  Läbmungserscheinungen  sind  die- 
selben. Die  Schleimsecretion  im  Pharynx,  Larynx 
und  in  den  Lungen  hat  abgenommen,  auch  der 
Hustenreiz  geringer.  Jeder  Schlingversuch  noch 
von  Hustenparoxysmus  gefolgt.  Pat.  verlangt 
selbst  nach  der  künstlichen  Ernährung. 

V,  9  Uhr 


12  Uhr 

6UhrJ 


Gavage  von  je  «/g  1  Milch,    2  Ei- 
gelb, Yis  1  Sherry. 

Im  Ganzen  erhalten  2  1  Milch,  6  Eigelb,  Yj  1 
Sherry. 

Stuhlgang  durch  Clysma. 

21,7,    8ührM.  T.  36,0,  P,  96.  R.22.   Urin 


600/1025.  Die  Kräfte  des  Pat.  haben  sich  be- 
reits gehoben.  Heute  kann  Pat.  den  Kopf  selbst- 
ständig bewegen,  auch  die  Bewegungen  in  den 
oberen  Extremitäten  sind  kraftvoller,  wenn  auch 
noch  ataktisch.  An  den  unteren  Extremitäten 
keine  Besserung.  Die  Stimme  noch  tonlos,  aber 
kraftvoller.  Die  Reflexerregbarkeit  des  Velum 
nimmt  zu,  die  Einführung  der  Sonde  bei  der 
Gavage  ist  heute  wegen  der  wiederhergestellten 
Sensibilität  von  Brecherregung  gefolgt.  Das  Ein- 
pumpen der  Nahrung  erfolgt  erst,  nachdem  Pat. 
sich  vollständig  beruhigt  und  keine  Würg- 
bewegungen mehr  ausführt.  Die  Nahrung  wird 
nicht  erbrochen. 

Die  Herzaction  ist  heute  regelmässig,  der  Puls 
von  besserer  Spannung  und  Füllung. 

12  Uhr  ^*^*^**  Morgens  ^4  1  Mehlmilchsuppe, 
6  Uhr  I  ^  ^}^^>  Vi  1  Sherry, 

Mittags  1  Y«  1  Milch,  2  Eier  und 
Abends]     30  g  Zucker. 
Im  Ganzen  2</«  1  Milch,  6  Eigelb,  60  g  Zucker 
und  Y?  1  Sherry. 

Stuhlgang  durch  Clysma. 
22.7.  8  Uhr.  T.  36,6.  P.  108.  R.22.  Urin 
600/1023  ohne  Albumen.  Guter  Schlaf.  Pat. 
äussert  lebhaftes  Hungergefühl.  Pat.  kann  heute 
allein  im  Bette  aufrecht  sitzen,  seine  Rückenlage 
aber  activ  noch  nicht  verändern.  Sprache  nicht 
mehr  so  näselnd  wie  bei  der  Aufnahme.  Auch 
Stimme  bereits  klarer,  weniger  heiser.  Der  Ver- 
such selbstständig  zu  schlucken  misslingt. 

9  Uhrl 
12  Uhr  \  ^^*8®  ^^^  %  ^  Milch,  2  Eigelb  und 
6  Uhrl       20  g  Zucker. 

Im  Ganzen:  2Y4  1  Milch,  6  Eigelb  und  60  g 
Zucker. 

23.7.  8  Uhr.  T.  36,4.  P.  106.  R.22.  Urin 
500/1026.  Schlaf  und  Appetit  gut.  Pat.  glaubt 
besser  schlucken  zu  können.  Velum  noch  gelähmt. 
Larynxschleimhaut  von  normaler  Farbe.  Bewegungen 
der  Epiglottis  und  der  Aryknorpel  wieder  normal. 
Ränder  der  wahren  Stimmbänder  noch  schlaff, 
berühren  sich  bei  Intonation  noch  nicht.  Grobe 
motorische  Kraft  der  Muskulatur  der  oberen  Ex- 
tremitäten hat  zugenommen,  ebenso  die  faradische 
Erregbarkeit  der  Nerven  und  Muskeln  wesentlich 
kräftiger.  Ataxie  besteht  noch.  An  den  unteren 
Extremitäten  noch  dieselben  Sensibilitäts-  und 
Motilitätsstörungen  wie  bei  der  Aufnahme.  Fara- 
dische  Erregbarkeit  hat  bei  directer  und  indirecter 
Reizung  deutlich  abgenommen.  Im  Gebiet  des 
rechten  Nervus  peroneus  besteht  Entartungsreaction. 
Accommodationslähmung  bessert  sich. 

9  Uhr  ] 

Gavage  von  je  ^3  1  Milch,    2  Eigelb, 

20  g  Zucker,  Yis  1  Sherry. 

Im  Ganzen  21/^1  Milch,  6  Eigelb,  60  g  Zucker, 
Ys  1  Sherry. 

Stuhlgang  spontan. 

24.  7.  8  Uhr  M.  T.  36,7.  P.  108.  R.  22.  Urin 
600/1029.  Nacht  gut  geschlafen.  Beständiges 
Hungergefühl.  Reizhusten  ganz  aufgehört.  Die 
UnterBuchung  der  Lungen  ergiebt  hinten  beider- 
seits überall  lautes  reines  vesiculäres  Athem- 
geränsch  ohne  Katarrh.  Stimme  tonvoller.  Sen- 
sibilität der  Rachenorgane  stellt  sich  wieder  her. 


12  Uhr 
6  Uhr 


HL  JakrfAat.l 
April  18».  J 


Rttnvttrsy  Die  kÜnttUehe  Ernährung  bei  der  Behandlung  der  Diphtherie. 


149 


Gaumensegel     zeigt     beginneDde     Bewegung     bei 

Phonation.      Puls  voU,  krfiftig,   regelmässig,    nocL 

leicht  beschleunigt.     Herztone  rein. 

9  Uhr  1 
12  Uhr     ^^^^  Vs  ^  Milchmehlsappe,  2  £igelb, 

6  Uhr  1       ^^  ^  Zucker. 

Im  Ganzen  ^^/^  1  Milchmehlsuppe,  6  Eigelb, 
60  g  Zucker. 

Pat.  hat  heute  nach  der  um  6  Uhr  stattgehab- 
ten GraTage  einen  Theil  der  Nahrung  wieder  er- 
brochen. Danach  grosse  Müdigkeit  und  Gefühl 
grossen  Unbehagens. 

7  Uhr.     T.  36,8.    P.  114.    R.  22. 

26.  7.  8  Uhr  M.  T.  36,4.  P.  96.  R.  22.  Urin 
800/1020  klar.  Schlaf  wieder  gut.  Heute  Morgen 
fühlt  Pat.  sich  wieder  ganz  wohl  und  ist  glücklich 
darüber,  dass  er  sich  nicht  mehr  beim  Versuch 
zu  trinken  und  zu  essen  Terschluckt.  Er  richtet 
sich  allein  im  Bett  auf  und  kann  ohne  Hülfe  und 
ohne  zu  ermüden  im  Bette  sitzen.  Die  Schwäche 
in  den  oberen  Extremitäten  nimmt  immer  mehr 
ab.  An  den  unteren  Extremitäten  noch  keine 
Besserung  der  Lähmungserscheinungen.  Weicher 
Gaumen  bewegt  sich,  wenn  auch  nur  noch  schwach. 
Kehlkopfmnskulatur  gut  beweglich.  Stimme  hat 
wieder  Klang. 

Da  Pat.  selbstst&ndig  heute  seine  Nahrung  zu 
sich  nehmen  kann,  wird  die  Gavage  ausgesetzt. 
Pat.  hat  seit  seiner  Aufnahme,  also  in  8  Tagen, 
4  Pfd.  zugenommen. 

In  der  Folgezeit  haben  bei  reichlicher  spon- 
taner Nahrungsaufnahme  die  Lähmungserschei- 
nungen an  den  unteren  Extremitäten  sich  langsam 
gebessert  und  war  Pat.  bei  seiner  am  20. 10.  er- 
folgten Entlassung  im  Stande,  wieder  ohne  fremde 
Hülfe  zu  gehen. 

Es  folgen  drei  Eiranken geschieh ten  mit 
Anwendung  der  künstlichen  Ernährung  bei 
schwerer  Diphtherie  des  Rachens  und  Kehl- 
kopfes. 

Fall  n.  Louise  B.,  38  J.  alt,  Dienstmädchen. 
Diphtherie.  Aufgen.  25.  12.  88,  geheilt  entlassen 
am  3.  2.  89. 

Pat.  kam  mit  einer  ausgedehnten  Diphtherie  de» 
Rachens  und  Kehlkopfs  in  entkräfteten  Zustande  mit 
starker  Albuminurie  zur  Aufnahme^  nachdem  dieselbe 
3  Tagt  wegen  heftiger  Schluckhescltwerden  keine  Nah- 
rung aufgenommen.  Ktinstlivhe  Ernä/trung,  Besse- 
rung des  Krä/tezustandes,    Heilung, 

Seit  ihrem  12.  Lebensjahr  regelmässig  men- 
struirt,  hat  Pat.  im  Jahre  1871  Typhus  über- 
standen, will  aber  sonst  niemals  krank  gewesen  sein. 
Am  16.  December  1888  zog  sie  rüstig  und  voll- 
kommen gesund  zu  einer  ihr  bekannten  Familie, 
um,  weil  ohne  Beschäftigung,  der  Frau  gegen 
Gew&hmng  freier  Wohnung  in  der  Wirthschaft 
Hülfe  zu  leisten.  Es  wurde  ihr  eine  Lagerstelle 
angewiesen,  in  der  bis  zum  10.  December  drei  an 
Diphtherie  erkrankte  Kinder  gepflegt  worden 
waren.  Die  Kinder  wurden  am  10.  December  in 
die  Charit^  gebracht  und  sind  in  wenigen  Tagen 
sämmtlich  der  Krankheit  erlegen.  Pat.  schlief  in 
diesem  Bett  Yom  16.  bis  zum  22. 12.,  an  welchem 
Tage  sie  zuerst  unter  andauerndem  Frösteln  an 
einem  sich  rasch  steigernden  Schmerz  im  Halse 
erkrankte,  der  namentlich  beim  Schlucken  auftrat. 


Pat.  legte  sich  frühzeitig  ins  Bett,  trank  einen 
erwärmenden  Thee,  konnte  aber,  die  Nacht  vor 
Unruhe  und  Schmerzen  im  Halse  nicht  schlafen. 
Gegen  Morgen  des  23.  bemerkte  Pat.  zuerst  einen 
heftigen  Hustenreiz  und  geringe  Heiserkeit,  wäh- 
rend gleichzeitig  eine  Steigerung  der  Halsbeschwcr- 
den  sowie  des  allgemeinen  Unwohlseins  eintrat. 
Den  24.  verbrachte  Pat.  im  Bette  und  suchte  am 
25.  Nachmittags,  da  ein  Nachlass  der  Hals- 
beschwerden sich  nicht  einstellte,  die  KÖnigl. 
Charit^  auf.  Pat.  giebt  bei  der  Aufnahme  an, 
seit  dem  Tage  ihrer  Erkrankung  ausser  einigen 
Tassen  Thee  und  Bouillon  nichts  genossen  zu 
haben. 

Status  bei  der  Aufnahme:  Grosses,  kräftig, 
normal  gebautes  38 j.  Jifädchen  von  guter  Musku- 
latur, dürftigem  Ernährungszustand,  in  activer, 
horizontaler  Rückenlage,  deren  Haut  an  den 
Wangen  fieberhaft  geröthet,  zeigt  einen  ängst- 
lichen, hülfesuchenden  Gesichtsausdruck,  die  Augen 
sind  eingesunken,  die  Lippen  tiefroth,  trocken, 
borkig  belegt.  Die  Haut  am  übrigen  Körper  ist 
trocken  welk,  frei  von  Oedem  und  Exanthem, 
dabei  heiss.  Temp.  40,4.  Der  Puls  an  der  ziem- 
lich weiten  Radialis  deutlich  dicrot,  von  geringer 
Spannung  und  Füllung,  regelmässig,  auf  L20  in 
d.  M.  beschleunigt.  Die  Respiration  ist  ober- 
flächlich costoäbdominell,  36  mal  in  der  Minute, 
von  hörbarem  in-  und  exspiratorischem  Stridor 
begleitet.  Es  besteht  in  der  Ruhe  keine  Dyspnoe, 
keine  Cyanose.  Pat.  vermeidet  aber  jede  unnöthige 
Bewegung,  da  jede  Lageveränderung  Athemnoth, 
Herzklopfen  und  meist  auch  krampfhafte  Husten- 
anfälie  hervorruft.  Mit  vollkommen  tonloser 
heiserer  Stimme  klagt  Pat.  über  Halsbeschwerden 
und  grosse  Mattigkeit.  Beim  Versuch  einen  Löffel 
Wein  zu  schlucken  tritt  heftiger  Hustenreiz  ein, 
ohne  dass  Pat.  etwas  expectorirt.  Die  Unter- 
suchung der  Rachenorgane  ergiebt  eine  Schwellung 
und  Röthung  des  ganzen  weichen  Gaumens  und 
des  Z&pfchens,  welches  deutlich  ödematös  und  an 
der  unteren  Hälfte  mit  einem  grauweissen  Belage 
bedeckt  ist.  Beide  Mandeln  sind  angeschwollen, 
treten  aus  den  Gaumenbögen  hervor  und  sind  mit 
demselben  der  Unterfläche  festanhaftenden,  schmie- 
rigen, grauweissen  Belage  versehen,  der  sich  auch 
an  der  linken  Seite  noch  auf  die  Rachenschleim- 
haut hin  unterzieht.  Die  Unterkieferdrüsen  sind 
beiderseits  kastaniengross  geschwollen,  bei  Druck 
schmerzhaft.  Auch  die  Betastung  des  Kehlkopfs 
ist  empfindlich,  verursacht  Hustenreiz.  Die  laryn- 
goskopische Untersuchung  ergiebt:  Starke  Röthung 
und  Schwellung  der  breiten  Epiglottis,  deren  Rand 
stark  ödematös  ist.  Die  Innenfläche  derselben  ist 
mit  einem  grauweissen  Belag  bedeckt,  desgleichen 
die  Gegend  der  Aryknorpel  und  beide  Taschen- 
bänder. Die  wahren  Stimmbänder  sind  intensiv 
geröthet,  ohne  Belag  und  gut  beweglich.  Die 
Tracheaischleimhaut  ist  ohne  Belag,  ebenfalls  stark 
geröthet  Der  Brustkorb  ist  gut  gewölbt,  bewegt 
sich  gleichmässig,  beide  Lungen  sind  überall  gut 
lufthaltig  und  zeigen  nur  über  den  hinteren  unteren 
Partien  die  Zeichen  eines  Katarrhs  bei  vesiculärem 
Athmungsgeräusch. 

Das  Herz  nicht  vergrössert.  Spitzenstoss  im 
5.  LCR.  in  der  Mammillarlinie.  Die  Herztöne 
sind  dumpf,  aber  rein. 


150 


R6  nV6r»,  DU  kUnittlche  fixnfthiung  b^i  d^r  Behandlung  der  Diphtherie.         P^on^i^h^^ 


An  den  Bauchorganen  keine  Veränderung 
nachweisbar.  Der  Leib  überall  weich,  eingesunken. 
Milz  nicht  vergrössert. 

Stuhlgang  retardirt.  Urin  100/1040  von  trüber, 
lehmiger  Beschaffenheit,  enthält  Yg  des  Volumens 
Eiweiss,    microscopisch   keine  Nierenfonnelemente. 

Diagnose:  Diphthene  des  Rachens  und  Kehl- 
kopfs. 

Nachdem  durch  Ausspülen  und  Gurgeln  mit 
einer  y^  %  Creolinlösung  eine  vorläufige  Reinigung 
der  Mundhöhle  vorgenommen  und  eine  Eiscravatto 
umgelegt  worden,  wird  der  Pat.,  die  seit  3  Tagen 
keine  Nahrung  mehr  zu  sich  genommen,  sofort 
Y2I2  Uhr  durch  Gavage  '/j  1  warme  Milch,  2  Eier, 
Yjq  1  Sherry  beigebracht.  Die  Einführung  der 
6  mm  starken  Sonde  in  den  Oesophagus  gelingt 
ohne  Beschwerden  und  ohne  Schmerzensäusserung 
von  Seiten  der  Pat. 

Gleich  nach  der  Gavage  giebt  Pat.  an,  ein 
angenehmes  Gefühl  in  der  Magengegend  sowie 
eine  allgemeine  Wärme  zu  verspüren.  Der  Pat. 
wird  Ruhe  anempfohlen  und  2  stündliches  Aus- 
spülen des  Mundes  mit  der  antiseptischen  Lösung. 
12  Uhr  Puls  120.     Resp.  36. 

5  Uhr  Nachmittags:  Die  Klagen  beziehen  sich 
nur  auf  Halzschmerzen  und  grosse  Mattigkeit.  Puls 
noch  beschleunigt  120,  etwas  bessere  Spannung. 
Temp.  39,9.  Pat.  hat  nichts  geschluckt  und  in 
Folge  dessen  weniger  gehustet.  Das  geringe  ent- 
leerte Sputum  ist   eitrig,  schleimig,  confluirend. 

1/26  Uhr.  Gavage  %  1  Milch,  2  Eier,  Vio  1 
Sherry.  —  Trotz  der  grossen  Mattigkeit  und  des 
vorhandenen  Schlafbedürfnisses  kann  Pat.  keine 
Ruhe  finden.  Pat.  erhält  um  9  Uhr  Morphium 
0,01.  Danach  tritt  Ruhe  ein  und  schläft  Pat. 
etwa  ly^  Stunde. 

26.  12.  Pat.  hat  den  Rest  der  Nacht  trotz 
Morphium  schlaflos  zugebracht,  aber  doch  das 
Gefühl  erquickender  Ruhe  gehabt.  Der  Befund 
im  Halse  nicht  verändert.  Jeder  Schlingversuch 
von  heftigem  Husten  gefolgt.  Drüsenschwellung 
hat  nicht  zugenommen.  Kräftezustand  ist  etwas 
besser  wie  gestern.  Puls  regelmässig,  von  besserer 
Spannung  und  Füllung.  Resp.  noch  von  Stridor 
begleitet. 

8  Uhr.  Temp.  38,6.  P.  108.  R.  32.  Urin 
500/1038,  Ya  Vol.  Albumen,  ohne  Formbestand- 
theile. 

9  Uhr.  Gavage  %  1  Milch,  4  Eier,  V,o  1 
Sherry.  Pat.  äussert  ihre  Freude  über  die  be- 
queme schmerzlose  Nahrungsaufnahme. 

12  Uhr.  Allgemeinbefinden  der  Pat.  wesent- 
lich besser  wie  gestern,  wenn  auch  die  Hals- 
beschwerden noch  dieselben  geblieben.  Die  laryn- 
goskopische Untersuchung  ergiebt  eine  geringe 
Abnahme  der  Schwellung  der  Epiglottis.  Das 
Kehlkopfinncre  noch  mit  dem  festanhaftenden 
Belag  bedeckt.  Während  der  Untersuchung  sieht 
man,  wie  ein  dünnflüssiges  eitriges  Secret  zwischen 
den  Aryknorpeln  in  den  Kehlkopf  läuft  und  nun 
Hustenreiz  hervorruft.  Der  Kehldeckel  ist  auf- 
fällig unempfindlich,  auch  die  laryngoskopische 
Untersuchung  trotz  der  Tonsillenschwellung  wenig 
schmerzhaft.  —  Gurgelung  und  Ausspülen  des 
Mundes,  Eiscravatte.  —  Pat.  darf  nicht  selbst- 
«tändig  schlucken.     Eisstückchen  in  den  Mund. 

ö  Uhr.     Halsbeschwerden    gegen    Abend    ge- 


ringer.    Temp.  40,1.  P.  114.  R.  32.     Gavage  V,  1 
Milch,  4  Eier,  y,o  1  Sherry. 

Abends  10  Uhr.  0,01  Morphium.  Pat.  schläft 
etwa  1  Stunde  lang,  wacht  dann  durch  Husten- 
reiz auf.  —  Da  um  12  Uhr  Nachts  noch  kein 
Schlaf  wieder  eingetreten,  erhält  Pat.  nochmals 
0,01  subcutan  und  tritt  nun  ein  mehrstündiger 
Halbschlummer  ein. 

27.  12.  Während  der  Nacht  hat  Pat.  trotz 
des  Morphiums  angeblich  nur  wenig  Ruhe  ge- 
funden und  äussert  heute  Morgen  das  Verlangen 
zu  ruhen.  8  Uhr  Temp.  38,6.  Puls  120  regel- 
massig.  Resp.  30.  Urin  525/1040  enthält  noch 
reichlich  Album en  Yg  V.,  stark  scdimentirend.  Der 
Belag  an  den  Tonsillen  nicht  verändert,  dagegen 
der  rechte  Arcus  palatoglossus  heute  ebenfalls  mit 
Belag  bedeckt.  Uvula  weniger  ödematös.  Unter- 
kieferdrüsen sehr  schmerzhaft.  Starke  Schling- 
beschwerden. Pat.  will  nicht  den  Versuch  machen 
zu  schlucken  wegen  des  quälenden  Hustens.  Pat. 
sitzt  im  Bett  aufrecht,  da  sie  besser  in  aufrechter 
Stellung  athmen  kann.  Keine  Cyanose.  Stridor 
noch  erheblich.  Stimme  tonlos.  Rand  der  Epi- 
glottis blutig,  Innenfläche  zeigt  an  einzelnen  Stellen 
eine  Losstossung  des  Belags.  Aryknorpel  und 
falsche  Stimmbänder  noch  mit  Belag  versehen. 
Wahre  Stimmbänder  am  Rande  blutig  suffundirt, 
frei  von  Belag,  gut  beweglich,  können  sich  aber 
bei  versuchter  Intonation  wegen  der  Schwellung 
der  Schleimhaut  zwischen  den  Aryknorpeln  nicht 
berühren. 

Um  8  Uhr  Morgens  erhält  Pat.  durch  Gavage 
V^  1  Milch,  2  Gelbei,  7,4  1  Sherry. 

9  Uhr  0,01  Morphium  subcutan.  Danach 
3  Yj  stündiger  erquickender  Schlaf. 

4  Uhr.  T.  39,5.  P.  102  regelmässig,  gut  ge- 
spannt.    R.  24,  ruhig. 

5  Uhr.  Gavage  '/j  1  Milch,  4  Gelbei,  Vi^  1 
Sherry. 

10  Uhr.  0,01  Moi'phium.  Danach  cinstündi- 
ger,  von  Husten  mehrfach  unterbrochener  Schlaf. 
Gegen  7212  Uhr  nimmt  der  Hustenreiz  zu,  ohne 
dass  Pat.  etwas  expectoriren  kann.  Pat.  verbringt 
im  Halbschlummer  die  Nacht  bis  gegen  4  Uhr. 
Morphium  0,01. 

28,  12.  T.  38,5.  P.  108,  von  guter  Spannung 
und  besserer  Füllung.  Resp.  24.  Kein  Stridor. 
Urin  575/1036.  %  Vol.  Albumen. 

8  Uhr  Morgens  liegt  Pat.  noch  in  leichtem 
Halbschlummer,  aus  dem  sie  erst  gegen  y^ll  Uhr 
erwacht.  Nach  Ausspülung  und  Reinigung  des 
Rachens« 

11  Uhr.  Gavage  7^  1  Milch,  2  Gelbei,  «/^  1 
Sherry. 

4  Uhr.  T.  38,3.  P.  96.  Resp.  20,  leichter 
wie  gestern. 

5  Uhr.  Gavage  %  1  MUch,  2  Gelbei,  '/^  1 
Sherry. 

Pat.  giebt  an,  es  sei  ihr  heute  viel  leichter 
"^  und  wohler  zu  Muthe.  Im  Rachen  hat  die 
Röthung  etwas  abgenommen,  auch  die  Uvula  ist 
nicht  mehr  so  stark  geschwollen,  aber  noch  mit 
Belag  versehen.  Beide  Mandeln  noch  geschwollen 
und  mit  fest  haftendem  Belag  bedeckt.  Stimme 
noch  vollkommen  tonlos  und  heiser.  Pat.  kann 
nicht  selbstständig  schlucken;  bei  jedem  Versuch 
heftiger  Schmerz  und  Hustenreiz.    Im  Verlauf  des 


April  1889.  J 


Renv^rf  y  Die  künitiiehe  Ernährung  bei  der  Behandlung  der  Diphtherie. 


151 


Tages  hat  Pat.  3  stündlich  eine  Ausspülung  des 
Mundes  und  Rachens  mit  antiseptischer  Lösung 
vorgenommen. 

Abends  10  Uhr.     0,01  Morphium. 

29.  12.  T.  38,3.  P.  120.  R.  24.  Urin 
800/1030.  %  Vol.  Albumen. 

Pat.  hat  während  der  Nacht  etwa  6  Stunden 
gut  geschlafen  und  danach  heute  Morgen  das 
Gefühl  der  Besserung. 

9  Uhr.  Gavage  V^  1  Milch,  2  Gelbei,  «/^  1 
Sherry,  20  g  Zucker. 

12—2  Uhr  schl&ft  Pat. 

4  Uhr.  T.  37,7.  P.  102.  R.  24.  Kein 
Stridor. 

5  Uhr.  Gavage  %  1  Milch,  2  Gelbei,  «/^  1 
Sherry,  20  g  Zucker. 

8—11  Uhr.     Ruhiger  Schlaf. 

12  Uhr  Nachts.     0,01  Morphium. 

An  den  Mandeln  beginnt  eine  Lösung  des 
Belags.  Schlucken  noch  schmerzhaft  und  ohne 
Hustenreiz  nicht  möglich.  Auch  im  Kehlkopf 
nimmt  der  Belag  ab.  Pnt.  hat  3  stündlich  ge- 
gurgelt. Unterkieferdrfisen  noch  geschwollen  und 
schmerzhaft. 

30.  12.  T.  37,8.  P.  102.  R.  28,  nicht  an- 
gestrengt. Urin  700/1030.  »/g  V.  Albumen. 

Schhif  von  12 — 3  Uhr  Nachts  gut.  Dann 
Hustenreiz  und  Auswurf  eines  zälischleimigen, 
eitrigen  Sputums.  Morgens  macht  Pat.  den  Ver- 
such Milch  zu  trinken,  wodurch  aber  so  heftiger 
Reizhusten  auftritt,  dass  Pat.  selbst  wieder  wünscht, 
gefuttert  zu  werden. 

9  Uhr.  Gavage  %  1  Milch,  2  Eigelb,  »/?  1 
Sherry,  20  g  Zucker. 

4  Uhr.     T.  37,6.     P.  108.     R.  24. 

5  Uhr.  Gavage  %  1  Milch,  2  Eigelb,  V^  1 
Sherry,  20  g  Zucker.  Dann  schläft  Pat.  bis  gegen 
11  Uhr  Abends. 

Pat.  hat  sich  im  Laufe  des  Tages  recht  wohl 
gefühlt.  Uvula  und  Tonsillen  abgeschwollen,  nur 
an  einzelnen  Stellen  noch  grau  weisser  Belag. 
Stimme  heute  nicht  mehr  tonlos. 

Belag  auf  Epiglottis  und  Aryknorpel  ver- 
schwunden, das  Oedem  auf  der  Vorderflächo  der 
Epiglottis  nicht  mehr  vorhanden.  Die  ganze 
Kehlkopfschleimhaut  intensiv  geröthet  und  mit 
zahlreichen  stecknadelkopfgrossen  Blutungen  be- 
säet. Stimmbänder,  an  den  Rändern  geröthet, 
sind  gut  beweglich. 

Pat.  hat  noch  dreimal  am  Tage  Ausspülungen 
des  Rachens  vorgenommen.  Hustenreiz  war  gering. 
Lungen  frei. 

31.  12.  T.  36,6.  P.  96.  R.  24.  700/1032 
Vio  ^^^-  Albumen.  Während  der  Nacht  hat  Pat. 
gegen  12  Uhr  0,01  Morphium  subcutan  erhalten, 
danach  5  Stunden  ruhiger  Schlaf. 

Heute  Morgen  ist  Pat.  recht  frisch.  Pat.  kann 
ohne  Schmerz  und  ohne  sich  zu  verschlucken 
flüssige  und  feste  Nahrung  zu  sich  nehmen.  Im 
Pharynx  kein  Belag  mehr,  nur  noch  starke 
Rötbung  der  Schleimhäute.  Stimme  klarer,  Husten- 
reiz gering.  Unterkieferdrüsen  abgesehwollen, 
nicht  melir  schmerzhaft. 

4  Uhr.     T.  36,5.     P.  78.     R.  20. 

Im  Laufe  des  Tages  3  stündiger  ruhiger  Schlaf. 
Appetit  angeregt. 

1. 1.  89.  Ohne  Morphium  gute  Nacht  verbracht. 


8  Uhr.  T.  36,7.  P.  78.  R.  18.  900/1030 
Spuren  von  Albumen. 

4  Uhr.     T.  36,8.     P.  76.     R.  18. 

Pat.  nimmt  mit  grossem  Behagen  ilire  Nahrung 
zu  sich  und  kräftigt  sich  zusehends.  Im  Pharynx 
und  Larynx  noch  Röthung  und  leichte  Schwellung 
der  Schleimhäute  vorhanden.     Stimme  noch  rauh. 

2.  1.  Schlaf  gut.  T.  36,4.  P.  72.  R.  18. 
1100/1030.     Kein  Albumen. 

An  den  folgenden  Tagen  schreitet  bei  norma- 
ler Temperatur  und  zunehmender,  bis  zu  (5.  1.) 
2400/1015  steigender  Diurese  die  Reconvaleacenz 
fort.  Pat.  hat  noch  andauernd  ein  grosses  Schlaf- 
und  Ruhebedürfniss,  dabei  das  Gefühl  allgemeiner 
Mattigkeit.  Die  Ernährung  macht  keine  Schwie- 
rigkeit. Pharynx  und  Larynx  sind  am  10.  1. 
vollkommen  normal.  Lähmungserscheinungen  sind 
nicht  eingetreten.  Pat.  will  die  Anstalt  ver- 
lassen. 

Fall  m.  Auguste  B.,  Arbeiterin,  22  J.  alt, 
Diphtherie  des  Rachens  und  Kehlkopfes;  aufgen. 
8.  12.  88,  geheilt  entlassen  12.  2.  89.  Aus  gesunder 
Familie,  seit  dem  15.  Lebensjahre  regelmässig 
menstruirt,  bisher  noch  niemals  schwer  erkrankt, 
giebt  Pat.  an,  am  Sonntag  den  2.  December  zuerst 
Fieber,  Schmerzen  im  Halse  beim  Schlucken  und 
Kopfschmerzen  verspürt  zu  haben.  Am  folgenden 
Tage  nahmen  die  Beschwerden  bei  der  Arbeit  zu, 
die  Drüsen  am  Halse  begannen  zu  schwellen, 
Appetitlosigkeit  stellte  sich  ein  und  mehrmaliges 
Erbrechen.  Pat.  blieb  noch  am  3.  und  4.  ausser 
Bett,  musstc  sich  dann  aber  niederlegen,  weil  sie 
vor  Schmerzen  und  Mattigkeit  nicht  mehr  stehen 
konnte.  Am  5.  trat  zuerst  Hustenreiz  und  Heiser- 
keit ein.  Pat.  gebrauchte  ohne  Erfolg  eine  Me- 
dicin  und  wurde  am  8.  12.  mit  der  Diagnose 
Diphtherie  in  die  Königliche  Charite  eingeliefert. 
Ihre  Klagen  bei  der  Aufnahme  beziehen  sich  auf 
Schmeraen  im  Halse  und  grosse  Mattigkeit. 

Status  bei  der  Aufnahme:  Kleines  gracil  ge- 
bautes Mädchen  in  gutem  Ernährungszustand, 
nimmt  eine  leicht  erhöhte  active  Rückenlage  ein. 
Haut  im  Gesicht  lebhaft  geröthet,  Schleimhäute 
leicht  cyanotisch,  trocken.  Blick  müde,  matt,  Aus- 
druck einer  Schwerkranken.  Haut  am  Körper 
trocken,  lieiss,  T.  39,4.  Kein  Exanthem.  Athmung 
ist  oberflächlich,  nicht  dyspnoisch,  von  lautem 
inspiratorischem  Stridor  begleitet.  Mund  geöffnet,- 
Zunge  stark  belegt.  Foetor  ex  ore.  Unterkiefer- 
drüsen beiderseits  geschwollen,  rechts  mehr  wie 
links,  bei  Druck  schmerzhaft.  Beim  Schlucken 
von  Flüssigkeit  angeblich  grosse  Schmerzen. 

Weicher  Gaumen  stark  geröthet.  Uvula  ge- 
schwollen, mit  einem  grauweissen  Belag  bedeckt, 
der  sich  auf  beide  Tonsillen  und  auf  den  rechten 
Arcus  palatoglossus  hinüberaieht. .  Tonsillen  nicht 
stark  angeschwollen. 

Stimme  vollkommen  heiser.  Epiglottis  breit, 
gross,  stirk  geröthet,  die  Innenfläche  ganz  mit 
einem  fest  haftenden  Belag  bedeckt,  der  in 
gleicher  Weise  das  ganze  Kelilkopfinnere  aus- 
tapeziert. Die  Gegend  der  santorin'schen  Knorpel 
intensiv  geröthet  und  geschwollen,  ebenso  die 
Aussenfläche  der  Giessbeckenknorpel.  Beim  Ver- 
such zu  intoniren  heben  sich  aus  der  grauweissen 
Masse  die  nur  leicht  gerötheten  Stimmbänder  her- 
vor.    Auch  die  Vorderfläche   der  Trachea  ist  mit 


152 


Ranvari,  Die  künitUeh«  ErnähruoK  bei  der  Behmndlung  der  Diphtherie. 


rTherapentliicha 
L  ManaiMh^ftai 


einem  Belag  Tersehen,    und    an    einzelnen  Stellen 
sieht  man   die   ticfrothe  Trachealschleimhaut. 

Es  besteht  lebhafter  Hustenreiz.  Das  entleerte 
spärliche  Sputum  ist  zähe,  eitrig,  von  Blutstreifen 
durchsetzt.  Die  Athmung  ist  costal,  30  in  d.  M., 
regelmässig.  Am  Thorax  ergiebt  die  physikalische 
Untersuchung  der  Lungen  einen  ausgebreiteten 
Katarrh  über  beiden  unteren  Lungenhälften. 
Spitzenstoss  im  5.  I.  C.  R.  schwach  in  der  Mam- 
millarlinie  fühlbar.  Herz  nicht  vergrössert,  nach 
rechts  bis  zum  linken  Stemalrand.  Unter  der 
Herzspitze  ein  schwaches  systolisches  Geräusch 
und  reiner  diastolischer  Ton.  Ueber  den  grossen 
Geissen  zwei  reine  Töne.  H.  Pulmonalton  nicht 
verstärkt.  Puls  an  der  dünnwandigen  wenig  ge- 
füllten Radialarterie  regelmässig,  114  in  d.  Minute, 
Ton  geringer  Spannung. 

Leber  und  Milz  nicht  vergrössert.  Stuhlgang 
retardirt.  Urin  trübe,  stark  sedimentirend,  enthält 
Y^  Vol.  Albumen,  ohne  Nierenformbestandtheile. 

Diagnose:  Diphtherie  des  Pharynx  undLarynz 
mit  Betheiligung  der  Trachea. 

Behandlung:  8  stündliche  Ausspülung  des 
Mundes  und  der  Rachenorgane  mit  einer  y,  ^o 
Creolinlösung.  —  Eiscravatte  um  den  Hals.  — 
2  stündliche  Nahrungsaufnahme,  bestehend  aus 
einer  Mischung  von  ^j^  1  Milch,  1  Eigelb  und  Yj^  1 
Sherry. 

6  Uhr.  T.  40,5.  P.  130  von  geringer  Spannung 
und  Füllung.  R.  32.  Athmung  von  lautem  Stridor 
begleitet,  aber  noch  nicht  dyspnoisch.  Die  Vor- 
bereitungen zur  Tracheotomie  werden  getroffen  und 
die  Wärterin  diesbezüglich  instruirt.  Es  besteht 
grosses  Schlafbedürfniss. 

12  Uhr.  Pat.  schläft  seit  einer  halben  Stunde. 
Nahrung  gut  genommen.  —  Im  Ganzen  einge- 
nommen: Yft  ^  Milch,  2  Eigelb,  Y?  ^  Sherry. 

9.  12.  Schlaf  nur  sehr  unruhig,  von  Husten- 
reiz unterbrochen.  Pat.  klagt  über  lebhafte  Hals- 
beschwerden und  beständiges  Gefühl  von  Frost 
und  Hitze.  Während  der  Nacht  1  1  Milch  und 
Yrj  1  Sherry  aufgenommen. 

8  Uhr.  T.  39,3.  P.  114.  R.  32.  Puls  von  ge- 
ringer Spannung,  aber  regelmässig.  Bei  Respira- 
tion lebhafter  Stridor.  Keine  Athemnoth.  Urin 
500/1030.  Yö  Vol-  Albumen. 

8Y2  Uhr.  Ausspülen  der  Rachenorgane  und 
Inhalation  mit  einer  Y4"/o  Creolinlösung. 

Dann  Nahrungsaufnahme :  Y5  ^  Milch,  2  Eigelb, 
20  g  Zucker,  Y16  ^  Sherry. 

lO'/j  Uhr.     Yi5  1  Sherry  mit  1  Eigelb. 
Dann  Ausspülung  des  Rachens. 
12  Uhr.     Y4  ^  ^ilcli    °^i<^   1  Esslöffel  Cognac. 
Pat.  verlangt  einige  Eisstückchen,  die  ihr  gegeben 
werden 

4  Uhr.     T.  40,5.  P.  138.  R.  30. 
Ausspülung  des  Halses  und  Inhalation  heisser 
Creolinlösung  2  Minuten  lang. 

4Yj  Uhr.  Aufnahme  von  Y4  ^  Milch,  1  Ei- 
gelb, 20  g  Zucker,  Y15  ^  Sherry.  Eisstückchen  in 
den  Mund. 

7  Uhr.     Ys  1  Eismüch. 

Dann  Ausspülung  des  Halses. 

Der  Befund  im  Rachen  derselbe  wie  bei  der 

Aufnahme.    Die  Athmung  ist  erschwert,  aber  nicht 

dyspnolsch.     Die    Unterkieferdrüsen    sind    stärker 

geschwollen    als     gestern.      Der    Hustenreiz     ist 


massig.  Pat.  hat  nur  wenig  zähschleimig  eitriges 
Sputum  entleert.  Die  Nahrungsaufnahme  war 
heute  schwieriger,  weil  Pat.  über  Appetitlosigkeit 
klagt  und  Alles  nur  mit  Widerwillen  geniesst. 

Während  der  Nacht  wird  3  stündliches  Aus- 
spülen des  Halses  mit  nachfolgender  Nahrungs- 
aufnahme angeordnet.  Schlaf  soll  dadurch  nicht 
gestört    werden.     Glycerin-Clystier;   ohne  Erfolg. 

10.  12.  8  Uhr.  T.  39,4.  P.  132,  regelmässig 
von  geringer  Spannung.  R.  36.  Stridor  geringer. 
Urin  1100/1027.  Ye  Vol.  Albumen. 

Während  der  Nacht  hat  Pat.  4  Stunden  im 
Ganzen,  wenn  auch  mit  Unterbrechungen,  ge- 
schlafen. Nahrungsaufnahme  in  den  letzten 
24  Stunden  im  Ganzen  ly^  1  Milch,  4  Eigelb, 
Y7  1  Sherry,  40  g  Zucker. 

Pat.  macht  heute  einen  auffallend  müden  Ein- 
druck. Sie  klagt  über  ein  Angstgefühl  in  der 
Brust  und  über  zunehmende  Schmerzen  im  Halse. 
Sie  hat  das  Gefühl,  als  müsse  sie  ersticken. 
Athmung  ist  von  lautem  Stridor  begleitet,  aber 
doch  frei.  Belag  auf  Tonsillen  und  im  LarynK 
nicht  verändert.  Rand  der  Epiglottis  heute  stärker 
geschwollen,  an  einzelnen  Stellen  blutig.  An  den 
Lungen  keine  weitere  Veränderung. 

4  Uhr.     T.  40,6.  P.  144.  R.  36. 

Nachmittags  lebhafter  Hustenreiz  und  zuneh- 
mende Unruhe.  Schlucken  zwar  schmerzhaft,  aber 
doch  möglich.  Die  Unterkieferdrüsen  schmerzen 
bei  jeder  Halsbewegung. 

8  Uhr.  Grosse  Müdigkeit.  Pat.  versucht  zu 
schlafen.  Nahrungsaufnahme  am  Tage  nur  gering: 
Y,  i  MUch,  1  Eigelb,  %  1  Sherry. 

11  Uhr.  0,01  Morphium.  Danach  3  stündiger 
ruhiger,  erquickender  Schlaf.  Den  Rest  der  Nacht 
wird  Pat.  von  heftigen  Halsschmerzen  und  Husten- 
reiz gequält.  —  Pat.  hat  3  stündliche  Ausspülungen 
des  Halses  und  Morgens  8  und  Abends  7  Uhr 
je  2  Minuten  inhalirt.  Ein  dünner  Stuhlgang 
spontan. 

11.  12.  8  Uhr.  T.  37,9.  P.  96.  R.  30.  Urin 
350/1032.  Ys  Vol.  Albumen.  --  Seit  gestern  hat 
der  Hustenreiz  zugenommen,  ebenso  die  katarrha- 
lischen Erscheinungen  über  beiden  hinteren  Langen- 
hälften.  Pat.  klagt  heute  über  Schmerzen  in  der 
rechten  unteren  Lungenhälfte.  Beim  Versuch  zu 
schlucken  heute  Hustenreiz,  weil  Pat.  sich  ver- 
schluckt. Feste  Nahrung  kann  Pat.  gar  nicht  zu 
sich  nehmen.  Mic  Mühe  gelingt  es,  der  Pat.  fest 
weiche  Nahrung  in  Gestalt  von  Milch  und  Semmel 
beizubringen. 

4  Uhr.  T.  40,0.  P.  120,  von  rasch  wechseln- 
der Spannung.  R.  32.  Stridor  geringer.  Im 
Pharynx  hat  die  Röthung  abgenommen.  Belag 
noch  vorhanden.  Tonsillen  treten  mehr  hervor 
wie  bei  der  Aufnahme.  Larynxschleimhaut  noch 
fleckweise  mit  Belag  bedeckt.  Die  Gegend 
zwischen  den  Aryknorpeln  stark  geröthet,  erodirt, 
die  Taschenbänder  noch  mit  fest  anhaftendem 
Belag  bedeckt.  Die  Ränder  der  wahren  Stimm- 
bänder stark  geröthet.  Während  der  Untersuchung 
sieht  man  eitriges  Secret  von  den  Rachenorganen 
in  der  Furche  zwischen  den  Aryknorpeln  herunter- 
fliessen,  wodurch  Hustenreiz  erregt  wird.  Stimme 
noch  vollkommen  tonlos. 

6  Uhr.  Pat.  will  keine  Nahrung  mehr  auf- 
nehmen,   da  jeder  Schlingversnch    von  quälenden 


m.  Jmhrganff.l 
Aprfl  1889.  J 


ft«nvarf,  DU  kftaittieha  Ernährung  b«i  dar  Bahmndlung  dar  Diphtharia. 


153 


Schmerzen  begleitet.  Fat.  fühlt  sich  sehr  matt 
und  verlangt  nach  Ruhe.  3  stundliche  Ausspülungen 
des  Halses.     Keine  lohalationen  mehr. 

10  Uhr.  0,01  Morphium.  Danach  4  stündiger 
Schlaf. 

12.  12.  8  Uhr.  T.  37,5.  P.  144.  R.  32.  Urin 
300/1046.  Albumen. 

Fat.  macht  heute  einen  sehr  matten  Eindruck. 
Der  Puls  ist  von  sehr  geringer  Spannung  und 
Füllung,  die  Herzth&tigkeit  unregelmässig,  das 
systolische  Gerfiusch  an  der  Herzspitze  stärker 
wie  bei  der  Aufnahme.  Athmung  beschleunigt, 
nicht  erschwert.  Halsorgane  noch  lebhaft  ge- 
rothet  und  geschwollen,  stellenweise  noch  mit 
Belag  bedeckt.  Seit  gestern  Abend  hat  Pat.  keine 
Nahmng  mehr  zu  sich  genommen.  Die  Hals- 
drüsen  beiderseits  sehr  schmerzhaft  und  ange- 
schwollen. 

9  Uhr.  Gavage  7,  1  Müch,  y^  1  Sherry,  20  g 
Zacker.  Danach  Ausspülung  der  Halsorgane  mit 
antiseptischer  Lösung. 

11  Uhr  schläft  Pat.  Vs  Stunde.  Hustenreiz 
geringer. 

4  Uhr.     T.  37,5.  P.  144.  R.  30. 

4V,  Uhr.  Gavage  »/^  1  MUch,  2  Eigelb,"  «/^  1 
Sherry. 

5  Uhr.     Ausspülung  des  Mundes. 

8  Uhr.  Gavage  %  1  Milch,  1  Gelbei,  Vj^  1 
Sherry. 

11  Uhr.  0,01  Morphium.  Danach  3  stündiger 
angenehmer  Schlaf.  Von  2  Uhr  ab  liegt  Pat.  im 
Halbschlaf,  fühlt  sich  aber  doch  wesentlich  kräf- 
tiger. —   Eiscravatte  bleibt  fort. 

13.  12.  8  Uhr.  T.  36,5.  P.  104.  R.  26. 
Urin  400/1038.     Spuren  von  Albumen. 

Seit  gestern  ist  eine  wesentliche  Besserung 
eingetreten.  Puls  heute  von  guter  Spannung, 
regelmässig.  Athmung  ruhig,  kein  Stridor.  Husten- 
reiz bedeutend  nachgelassen.  Keine  Brustschmerzen. 
Im  Rachen  und  Kehlkopf  keine  Beläge  mehr, 
letzterer  aber  bis  in  die  Trachea  hinunter  zeigt 
eine  noch  geschwollene  und  gelockerte,  stark  ge- 
röthete  Schleimhaut.  Ausser  der  Gegend  zwischen 
den  Aryknorpeln  sind  auch  die  freien  Ränder  der 
wahren  Stimmbänder  heute  deutlich  hämorrhagisch 
infiltrirt.  Sputum  zeigt  streifige  Beimengimgen 
von  Blut.  Nachlass  der  katarrhalischen  Geräusche 
über  den  Lungen.  Beim  Versuch  zu  schlucken 
starker  Hustenreiz. 

9  Uhr.  Gavage:  Y^  1  Milch,  2  Eier,  »/^  1 
Sherry. 

12  Uhr.  Ausspülung  des  Halses.  Hydropa- 
thische Einwickelung  des  Halses  wegen  der  noch 
andauernden  Drüsenschwellung. 

1—3  Uhr  Schlaf. 

4  Uhr.    T.  36,6.    F.  102.    R.  26. 

5  Uhr.  Gavage:  »/,  1  Milch,  2  Eier,  %  1 
Sherry. 

8  Uhr.  Versuch,  festweiche  Nahrung  zu 
nehmen,  gelingt  der  Fat.,  worüber  grosse  Freude. 
Pat.  schläft  um  10  Uhr  und  verbringt  ohne  Mor- 
phium eine  gute  Nacht. 

14.  12.  8  Uhr.  T.  37,2.  F.  108.  R.  22.  Urin 
350/1045.  Sparen  Albumen. 

Pat.  hat  6  Stunden  geschlafen.  Heute  Morgen 
geniesst  Pat.  festweiche  Nahrung  ohne  Schmerzen 
mit  gutem  Appetit.     Puls  von  guter  Füllung  und 


Spannung.  Schwellung  und  Röthung  der  Bachen- 
organe nimmt  ab.  Stimme  noch  tonlos.  Pat. 
hustet  ein  eitrigschleimiges,  zähes  Sputum  aus, 
in  welchem  sich  reichliche  Mengen  Fibringerinnsel 
befinden.     Katarrh  über  den  Lungen  nimmt  ab. 

4  Uhr.     T.  36,4.  P.  108.  R.  22. 

Die  selbstständige  Nahrungsaufnahme  ist  gut 
vor  sich  gegangen.  Pat.  hat  mit  Appetit  2^3  1 
Milch,  6  Eidotter,  100  g  Schabefleisch,  2/^  1  Sherry, 
1  Gognac  und  60  g  Brod  genossen. 

15.  12.  8  Uhr  M.  T.  37,0.  F.  102.  R.  20. 
Urin  400/1043,  frei  von  Albumen. 

Während  der  Nacht  von  11  Uhr  Abends  bis 
6  Uhr  Morgens  guter  Schlaf.  Ki-äftezustand  der 
Fat.  bessert  sich.  Die  Klagen  beziehen  sich  nur 
noch  auf  leichten  Kehlkopfreiz  und  Stimmlosigkeit. 
Im  Larynx  noch  beträchtliche  Röthung  und 
Schwellung  der  gesammten  Schleimhaut.  Die 
wahren  Stimmbänder  sind  nur  noch  an  ihren 
freien  Rändern  geröthet,  berühren  sich  aber  beim 
Litoniren .  nicht. 

4  Uhr.  T.  36,7.  F.  96.  R.  20.  —  Nahrungs- 
aufnahme reichlich  wie  gestern,  ohne  Beschwerden. 

Li  der  Folgezeit  schreitet  die  Genesung  ohne 
üblen  Zwischenfall  fort.  Fast  Ende  December 
ist  die  Kehlkopfschleimhaut  vollständig  normal, 
indess  besteht  die  Stimmlosigkeit  in  Folge  von 
Lähmung  der  Mm.  thyreoarytaenoidei  noch  bis  zum 
15.  Januar  fort.     Geheilt  am  2.  2.  89  entlassen. 

Fall  IV.     Bertha  G.,  Händlersfrau,   28  J.  alt. 

Diphtherie  des  Rachetis,  Albuminurie.  Unver- 
mögen zu  schlucken.  Grosse  Entkräftang.  Künst- 
liche Ernährung.  Heilung.  —  Aufnahme  24.  i.  89^ 
geheilt  entlassen  18.  2.  89. 

Pat.  stammt  aus  gesunder  Familie.  Der  Vater 
ist  an  einer  ihr  unbekannten  Krankheit,  die  Mutter 
im  Wochenbette  gestorben.  Zwei  Geschwister 
leben  und  sind  gesund.  Sie  selbst  überstand  als 
Kind  Masern  und  Pocken  und  hat  öfters  an  Hals- 
entzündungen gelitten.  Sie  hat  drei  Schwanger- 
schaften durchgemacht.  Die  beiden  ersten  Kinder 
starben  kurz  nach  der  Geburt,  das  letzte  Kind 
lebt  und  ist  gesund. 

Die  jetzige  Krankheit  begann  am  21.  Jan. 
mit  Schüttelfrost,  darauf  Hitze,  Kopfschmerz  und 
Uebelkeit.  Sehr  bald  stellte  sich  Halsschmerz  ein, 
welcher  das  Schlucken  beschwerlich  und  schmerz- 
haft machte.  Pat.  legte  sich  zu  Bett  und  machte 
warme  Umschläge.  Die  Schlingbeschwerden 
steigerten  sich  derartig,  dass  Pat.  so  gut  wie 
gamichts  zu  schlucken  vermochte.  Sie  will  in 
diesen  3  Tagen  gamichts  zu  sich  genommen 
haben,  auch  hatte  sie  kein  Verlangen,  etwas  zu 
gemessen,  der  Appetit  maugelte  gänzlich.  Die 
Kräfte  nahmen  zusehends  ab,  zumal  sie  auch  der 
Schmerzen  und  des  Fiebers  wegen  während  der 
ganzen  Krankheitsdauer  fast  gar  nicht  geschlafen 
hatte. 

Fat.  blieb  vom  21.  bb  24.  1.  ohne  ärztliche 
Hülfe,  dann  suchte  sie,  da  ihr  Zustand  immer 
schlimmer  wurde,  die  Charit^  auf  und  wurde  auf 
die  Isolirstation  für  ansteckende  Krankheiten 
verlegt.  Schliesslich  giebt  Fat.  noch  an,  dass  sie 
ihr  3  Monate  altes  Kind  bis  zu  dem  Moment, 
da  sie  zur  Charite  gebracht  wurde,  selbst  ge- 
stillt hat. 

Stat.  praesens:    Mittags    24.  1.  89.     T.  89,6. 

20 


154 


Ranvari,  Dia  küntüleh«  Ernährung  bei  dar  Bahandlunc  dar  Diphtherie.         r^»«'^^!^!!^^ 


P.  126.  R.  24.  —  Pat,  macht  bei  der  Aufnahme 
einen  sehr  deplorabeln,  schwerkranken  Eindruck. 
Sie  ist  matt  und  elend.  Das  Gesicht  aufgedunsen 
und  yerschwollen ,  besonders  aber  zeigt  der  Hals 
in  der  Gegend  der  Kieferwinkel  deutliche  An- 
schwellung. Die  Lippen  sind  trocken,  die  Sprache 
stark  näselnd,  nicht  heiser.  Sensorium  ist  frei, 
doch  ist  Pat.  über  die  ihr  bekannte  Krankheit 
sehr  aufgeregt.  Sie  klagt  über  anhaltende  Hals- 
schmerzen und  die  Unmöglichkeit  zu  schlucken. 
Die  Untersuchung  des  Ilachens  ergiebt  eine  inten- 
sive Röthung  und  Schwellung,  so  stark,  dass  sich 
die  Innenflächen  beider  Tonsillen  fast  berühren. 
Hier  an  der  Innenfläche  sind  beide  Tonsillen  mit 
einer  dicken,  derben,  gelbgrauen  diphtheritischen 
Einlagerung  versehen.  Die  Drüsen  am  Halse  hart 
und  stark  geschwollen.  Foetor  ex  ore.  Respiration 
regelmässig,  laut,  schnarchend,  doch  ohne  Stridor. 
Kaum  merkliche  Dyspnoe.  Puls  regelmässig,  klein, 
leicht  unterdrückbar.  Am  Herzen  nichts  Abnormes 
zu  constatireu,  Herztöne  rein. 

Ord. :  Eiscravatte.  Gurgelung  mit  Creolin.  Da 
Pat.  nicht  schlucken  kann,  wird  ihr  gegen  5  Uhr 
Vi  1  Milch,  2  Gelbei  und  3  Esslöffel  Sherry  mittelst 
des  Gavage 'Apparates  in  den  Magen  gespritzt. 
Pat.  war  zuerst  über  die  ihr  unangenehme  und 
etwas  schmerzhafte  Procedur  aufgeregt,  beruhigte 
sich  aber  alsbald. 

Abends  9  Uhr  subcutane  Morphiuminjection 
von  0,01  M. 

25.  1.  Morg.  8  Uhr.  T.  39,3.  P.  132.  R.  24. 
Urin  500/1030,  sehr  starker  Eiweissgehalt. 

Pat.  hat  Nachts  einen  zwar  unterbrochenen,  aber 
doch  mehrstündigen  Schlaf  gehabt,  durch  den  sie 
sich  erquickt  und  gekräftigt  fühlt.  Sie  wachte  des 
Oefteren  auf,  musste  husten,  schlief  aber  wieder 
ein.  Ihr  subjectives  Befinden  ist  besser  als  gestern. 
Der  Schlaf  hat  ihr  wohlgethan.  Sie  ist  dankbar 
dafür  und  fragt  schon  ängstlich  am  Morgen,  ob 
sie  auch  Abends  wieder  „zum  Schlafen''  bekommen 
werde.  —  Die  Halsschmerzen  haben  sich  noch 
nicht  ermässigt.  Die  Sprache  ist  näselnd,  matt, 
jedoch  nicht  heiser,  die  Athmung  etwas  rauh,  hör- 
bar, aber  kein  Stridor,  keine  Dispnoe.  Die  rechte 
Halsseite  ist  deutlich  geschwollen,  die  rechte  Backe 
stark  geröthet,  die  linke  blass. 

Die  Untersuchung  des  Pharynx  ergiebt  noch 
sehr  starke  Röthung  und  Schwellung,  der  Belag 
der  Tonsillen  hat  seit  gestern  noch  zugenommen, 
ist  grauroth,  missfarbig,  blutet  bei  der  leichtesten 
Berührung.     Foetor  ex  ore  etwas  geringer. 

Puls  132,  regelmässig,  von  massiger,  nicht  ge- 
rade schlechter  Spannung.  Das  Schlucken  ist  immer 
noch  sehr  schmerzhaft,  doch  vermochte  Pat.  einige 
grosse  Schlucke  Milch  zu  nehmen,  ohne  sich  zu 
verschlucken.  Appetit  liegt  gänzlich  darnieder.  — 
Um  10  Uhr  Morgens  soll  Pat.  durch  die  Gavage 
ernährt  werden;  während  der  Vorbereitungen  er- 
greift sie  das  Gefäss  mit  der  zubereiteten  Nähr- 
flüssigkeit (V4 1  Milch,  2  Gelbei,  3  Esslöffel  Sherry) 
und  trinkt  sie  aus,  ohne  sich  zu  verschlucken. 

Um  12  Uhr.  P.  130,  von  ziemlich  guter  Be- 
schaffenheit. —  Pat.  hat  seit  10  Uhr  nochmals  '/a  ^ 
Milch,  2  Gelbei  u.  Sherry  zu  sich  genommen,  ohne 
sich  zu  verschlucken. 

Um  4  Uhr.    T.  40,1.    P.  100.    R.  24. 

Pat.   klagte    im    Laufe    des    Tages    sehr    über 


Halsschmerzen,  ab  und  zu  stellten  sich  Kopf- 
schmerzen ein,  die  aber  bald  wieder  vergingen. 
Ab  und  zu  Husten.  Die  Inspection  des  Pharynx 
ergiebt  keine  merkliche  Veränderung.  Foetor  ex 
ore  stärker  als  zuvor.  Sprache  näselnd.  Sensori- 
um frei.  —  Pat.  nimmt  noch  '/4  ^  Milch.  Die  Ge- 
sammt-Nahrungsauf nähme  an  diesem  Tage  betrug: 
27,  l  Milch,  4  Gelbei,  3  kl.  Port.  Sherry.  —  Pat. 
hatte  sich  im  Laufe  des  Nachmittags  auch  subjec- 
tiv  leidlich  befunden. 

Abends  8  Uhr.  T.  40,1.  P.  126.  Injection 
von  0,01  M.,  wonach  ein  fast  6  stündiger  ruhiger 
Schlaf  eintritt.  Um  2  Uhr  erwachte  Pat.  und  konnte 
nicht  mehr  einschlafen.  Sie  warf  sich  in  einem 
unruhigen  Halbschlummer  hin  und  her. 

Um  5  Uhr  Morgens  verlangte  Pat.  nach  ärzt- 
licher Hülfe,  weil  sie  einen  im  Halse  steckenden 
Pfropf  nicht  herausbringen  konnte;  es  dauerte  über 
10  Minuten,  bis  sie  unter  kurzem,  ziemlich  kraft- 
losem Husten  ein  Stück  eitrigen  Schleims  heraus- 
beförderte. 

26.  1.  Morgens  8  Uhr.  T.  38,6.  P.  116.  R.  24. 
Urin  500/1070,  enthält  V4  freies  Vol.  Albumen,  stark 
sauer,  sedimentös. 

Pkt.  liegt  heute  Morgen  in  halberhöhter  Rücken- 
lage, Gesicht  fieberhaft  geröthet.  Blick  unruhig, 
Gesichtsausdruck  leidend,  Sensorium  frei.  Puls 
von  leidlicher  Beschaffenheit,  doch  auch  leicht  zu 
unterdrücken.  Athmung  ziemlich  frei,  kein  Dyspnoe. 
Sprache  matt,  näselnd,  nicht  heiser. 

Die  Inspection  der  Rachenorgane  ergiebt  noch 
keine  deutliche  Veränderung  der  Röthung,  Schwel- 
lung und  des  Belages.  Die  Untersuchung  des 
Larynx  ergiebt  denselben  frei  von  diphtheritischen 
Einlagerungen. 

Da  Pat.  vor  Schmerzen  absolut  nicht  im  Stande 
ist  zu  schlucken,  so  wird  sie  um  10  Uhr  per  Gavage 
ernährt.  Sie  benimmt  sich  dabei  heute  so  unruhig 
und  ungeschickt,  dass  ein  Theil  der  Flüssigkeit 
wieder  herausgewürgt  wird,  doch  hat  sie  etwa  Va  ^ 
Milch  mit  Gelbei  und  Sherry  bei  sich  behalten. 

12  Uhr  M.  T.  38,1.  P.  118.  R.  24.  Das  Be- 
finden der  Pat.  im  Laufe  des  Tages  war  ein  ziem- 
lich gutes,  die  Schmerzen  waren  erträglich,  Husten 
massig,  das  Schlucken  ist  jedoch  heute  dauernd  un- 
möglich, so  dass  um  4  Uhr  Nachm.  wiederum  zur 
Gavage  geschritten  wird.  Um  die  heute  so  leb- 
hafte Reizbarkeit  der  Pat.  abzustumpfen,  werden 
zuvor  0,005  Morphium  subcutan  eingespritzt,  trotz- 
dem besteht  während  der  Gavage  lebhafte  Beunruhi- 
gung, welche  Pat.  nicht  unterdrücken  kann.  Ein 
Theil  (ca.  V2)  ^^  injicirten  Nährflüssigkeit  wird 
sofort  herausgebrochen. 

Um  6  Uhr  wird,  nachdem  sich  Fat.  beruhigt 
und  nachdem  sie  nochmals  über  ihr  Verhalten  bei 
der  Gavage  instruirt  war,  wiederum  gavagirt,  es  ge- 
lingt ihr  Vs  1  Milch  mit  2  Gelbei  und  Sherry  bei- 
zubringen, ohne  dass  Erbrechen  eintritt.  Pat.  ist 
hierüber  sehr  glücklich. 

4  Uhr.     T.  39,3. 

Abends  8  Uhr.    T.  39,7.     P.  108.    R.  24. 

Um  9  Uhr  Injection  von  0,01  Morphium. 

Gesammtnahrung  am  26.  1.:  IV4 1  Milch, 
5  Gelbei,  %  1  Sheriy. 

27.  1.  Morg.  8  Uhr.  T.  38,0.  P.  110.  R.  24. 
Urin  500/1030,  starker  Eiweissgehalt. 

Schlaf  durch  Husten  öfters  unterbrochen,  doch 


April  188».  J 


ftanvaf  ft,  üie  kOnsiUcha  fimährung  bei  der  Behandlung  der  Diphtherie. 


155 


hat  Pat.  im  Ganzen  wohl  6  Stunden  geschlafen. 
Pat.  sieht  heute  leidlich  gut  aus,  befindet  sich 
ziemlich  gut  und  ist  guter  Stimmung.  Die  Rachen- 
organe sind  immer  noch  stark  geröthet,  mit  grauem 
Belage  bedeckt.  Sprache  näselnd,  kein  Stridor. 
Das  Schlucken  ist  auch  heute  ganz  unmög- 
lich. Pat.  wird  daher  3  mal  (um  10  Uhi*  Vorm. 
und  um  6  und  6  Uhr  Nachm.  gavagirt,  ohne  zu 
erbrechen.  Die  zugefuhrte  Nahrung  beträgt  heute: 
VU  1  Milch,  5  Gelbei,  »/t  l  Sherry,  25  g  Zucker. 

Der  Puls  schwankt  heute  zwischen  108  und  118 
Schlägen,  ist  eher  kleiner  wie  gestern.  Doch  be- 
steht keine  Dyspnoe,  überhaupt  keine  Collaps-Er- 
scheinungen.    Kräftezustand  im  Ganzen  befriedigend. 

Im  Laufe  des  Tages  constatirt  man  bei  der 
Inspection  des  Rachens,  dass  die  Röthung  und 
Schwellung  nachgelassen  und  die  Beläge  sich  ab- 
znstossen  beginnen.     Kehlkopf  frei. 

8  Uhr  Abends  Morph! um-Injection  yon  0,01. 

28.  1.    8  Uhr  Morg.    T.  38,2.    P.  92. 

Nach  der  Morphium -Injection  trat  ein  ruhiger, 
erquickender  Schlaf  ein,  welcher  fast  bis  zum  Morgen 
dauerte  und  nur  ab  und  zu  durch  leichten  Husten 
gestört  wurde.  Pat.  befindet  sich  heute  Morgen 
yerhältnissmässig  recht  gut,  sieht  gut  aus;  sie  ist 
znyersichtlich  und  fröhlich  gestimmt  und  giebt  an, 
fast  gar  keine  Schmerzen  mehr  zu  haben.  Das 
Gesicht  ist  weniger  geröthet,  die  Schwellung  am 
Ualso  hat  nachgelassen,  die  Sprache  ist  etwas 
freier.  Im  Pharynx  ist  die  Röthung  und  Schwellung 
entschieden  yermindert,  und  die  Innenfläche  der 
Tonsillen  mit  gut  granulirenden  oberflächlichen 
Ulcerationen  besetzt. 

Das  Schlucken  ist  erheblich  leichter.  Pat.  kann 
grosse  und  kleine  Schlucke  zu  sich  nehmen,  ohne 
zu  würgen  und  ohne  sich  zu  yerschlucken.  Sie  trinkt 
zwar  ohne  Appetit,    aber  auch  ohne  Widerwillen. 

Im  Verlaufe  des  Tages  bleibt  das  Krankheits- 
bild ein  gleich  günstiges.  Die  Rückbildung  der 
Halsaffection  macht  weitere  Fortschritte.  Von  der 
Gayage  wird  Abstand  genommen,  da  Pat.  sich 
genügend  ernährt.  Sie  nimmt  im  Laufe  des  Tages 
zu  sich:  2  1  Milch,  2  Eigelb,  %  1  Sherry,  20  g 
Zacker. 

Mittags  12  Uhr.     T.  37,4.    P.  96. 

Nachm.   4    Uhr.     T.  37,5.    P.  90. 

Abends  8  Uhr.  T.  36,0.  P.  90.  Abends  0,01 
Morphium. 

29.  1.  Morg.  8  Uhr.  T.  37,4.  P.  90.  Urin 
600/1025.    Eiweissgehalt  noch  sehr  reichlich. 

Pat.  hat  ziemlich  schlecht  geschlafen,  da  sie  oft 
durch  Husten  gestört  wurde.  Dennoch  befindet  sie 
sich  heute  Morgen  gut  und  kräftig  und  ist  yon 
heiterer  znyersichtlich  er  Stimmung.  Gesichtsaus- 
druck natürlich,  heiter.  Normaler  Turgor  der  Ge- 
sichtszüge. Puls  yon  guter  Spannung.  Die  Röthung 
im  Pharynx  ist  fast  yerschwunden,  die  Tonsillen 
sind  abgeschwollen,  yom  Belage  sind  nur  noch 
kleine  Reste  übrig.  Sprache  noch  näselnd,  aber 
nicht  heiser,  ziemlich  kräftig.  Schlucken  fast  ganz 
unbehindert.  Athmung  frei.  Kein  Foetor  ex  ore. 
Zunge  dick,  weiss  belegt.    Appetit  gering. 

Im  weiteren  Verlauf  bessert  sich  der  Zustand 
rasch,  die  Albuminurie  yerschwindet,  Appetit  wird 
rege,  die  Kräfte  heben  sich  und  konnte  Pat.  am 
18.  2.  geheilt  entlassen  werden. 


lieber  Lithotripsie  bei  eingekapselten 
Blasen8teifien  und  deren  Resultate. 

Von 

Dr.  Rörtg  ten.  in  Wildungen. 

Bis  zum  Jahre  1873,  in  welchem  ich 
den  ersten  eingekapselten  Blasenstein  fand 
und  zertrümmerte,  habe  ich  in  der  mir  zu 
Gebote  stehenden  Litteratur  keine  Notiz  ge- 
funden über  die  Anwendung  der  Lithotripsie 
bei  solchen,  sondern  nur  Weniges  über  Litho- 
tomie.  Doch  war  mir  ebensowenig  damals, 
wie  bei  öfterer  Wiederholung  dieser  Opera- 
tion, zweifelhaft,  dass  die  Lithotripsie  un- 
gleich bessere  Resultate  liefern  werde.  Und 
ich  hatte  Glück. 

Eingekapselte  Blasensteine  sind  gar  nicht 
so  selten.  In  Bockes  Lehrbuch  der  patholo- 
gischen Anatomie  yon  1843  auf  Seite  137 
heisst  es:  „Blasensteine  befinden  sich  ent- 
weder lose  in  der  Blase,  oder  werden  von 
der  Wand  .derselben  mehr  oder  weniger  um- 
kapselt (eingesackt),  sie  liegen  in  Aus- 
buchtungen derselben  oder  sind  durch  Faser- 
stoffgerinnsel an  dieselbe  befestigt  (ange- 
wachsen)". 

Professor  Niemeyer  sagt  auf  S.  37 
seiner  Pathologie  und  Therapie,  1863:  „Steine 
liegen  oft  frei  in  der  Harnblase,  oft  sind  sie 
in  Ausbuchtungen  und  Divertikeln  einge- 
bettet und  fixirt". 

InMalgaigne^s  Lehrbuch  der  operativen 
Medicin  von  1843  lesen  wir  auf  S.  582 
wortlich:  „Der  Umstand,  der  am  meisten  in 
Verlegenheit  setzt,  ist  der,  -wenn  der  Stein 
in  einem  Sacke  eingeschlossen  ist.  Littre 
räth,  die  Umhüllung  zu  zerquetschen,  resp. 
zu  zerreissen.  Boy  er  räth  dasselbe,  oder 
sie  auszuschälen."     So  auch  Rognetta. 

Sir  Henry  Thompson  sagt  in  seinem 
Werke:  Lithotomie  und  Lithotripsie,  von 
1882,  auf  S.  215  so:  „Eine  Ursache  für 
das  Andauern  phosphatischer  Bildungen, 
wenn  auch  eine  seltene,  ist  ohne  Zweifel 
ein  eingekapselter  Stein".  „Ich  darf  wie- 
derholen, dass  ich  dies  Yerhältniss  mehrere 
Male  beobachtet  habe,  in  der  Leiche  nicht 
selten,  an  Lebenden  drei  oder  vier  Mal." 
Nähere  Auskunft  giebt  er  in  der  Tabelle 
der  437  von  ihm  Operirten,  indem  er  in 
den  Nummern  261,  271  u.  343  (einmal  nach 
einem  Schnitt,  zweimal  nach  Zertrümmerun- 
gen mit  tödtlichem  Ausgang)  bei  den  Sec- 
tionen  Divertikel  fand,  aber  ohne  Steine;  in 
zwei  anderen  Fällen  mit  letalem  Ausgang, 
in  No.  193,  einen  Monat  nach  einem  Seiten- 
steinschnitt,  einen  grosseren  Stein  einge- 
yfrachsen   fand,   den   er  nicht  hatte  entfernen 

20  • 


• 

156  Rörig,  Ü«b«r  Lithotripil«  bei  aioKekapielten  BUtanftteioM  und  daran  Raiultata.        [^on^uhdlt^^ 


können",  und  in  No.  386  nach  der  6.  Session 
„zwei  kleine  Steine  in  einem  Divertikel". 
In  drei  durch  Lithotripsie  glücklich  be- 
handelten, nicht  letal  verlaufenen  Fällen, 
hat  er  (No.  373)  „aus  dem  Sacke,  in  dem 
er  gelagert  vrar,  den  Stein  in  6  Sitzungen 
Stück  für  Stück  entfernt",  in  No.  325  „etwas 
von  der  mörtelähnlichen  Masse  am  Blasen- 
hals durch  Auswaschen  entfernt"  und  in 
No.  411  „in  8  Sessionen  gröbere  Brocken 
entfernt  und  dann  gefunden,  dass  ein  Theil 
des  Steines  an  der  Seite  der  Blasen  wand 
eingekapselt  war".  Er  konnte  ihn  fassen, 
aber  nicht  bewegen  und  erklärte  ihn  „für 
ungeeignet  für  weitere  Operationen". 

In  dem  1888  erschienenen  Werke  über 
specielle  Pathologie  und  Therapie  der  Harn- 
röhre und  Harnblase  handelt  Professor  von 
Antal  über  eingekapselte  oder  fixirte  Blasen- 
steine auf  S.  251,  254  u.  256. 

Ich  bin  gewiss,  dass  überhaupt  weit 
mehr  eingekapselte  Blasensteine  werden  ge- 
funden werden,  wenn  bei  Verdacht  auf  Stein 
die  Untersuchung  des  Blasengrundes  resultat- 
los geblieben  und  nun  die  Blase  in  allen 
Richtungen,  oben,  vorn,  seitlich  und  hinten 
genau  und  langsam  betastet  wird.  Denn 
unter  69  Fällen  von  Lithotripsie  bei  57  Per- 
sonen fand  ich  35  und  mehr  eingekapselte 
Blasensteine  allein  oder  neben  freiliegenden 
in  28  Einzelfällen  bei  24  Personen  (da  2  in 
einem  Sommer  nicht  fertig  wurden  und  ein 
Herr  2  Mal  Neubildungen  darbot).  Allein  im 
Sommer  1888  fand  ich  sieben  Einkapselungen, 
1887  vier.  Diese  38  eingewachsenen  Blasen- 
steine fanden  sich 

in  6  Fällen  (8   Steine)  unten  im  Blasen- 
grund,  mehr   oder   weniger   weit  hinter 
der  Prostata; 
in  3    Fällen   (5    Steine)    an    der    vordem 
Blasenwand,   über  dem   Blaseneingang; 
in  3  Fällen  (5  Steine  und  mehr)  oben  im 

Blasenscheitel; 
in  12    Fällen  (13  Steine)  rechts   seitlich, 
theils  mehr  nach  oben,  theils  mehr  nach 
vorn,  in  der  Höhe  des  Darmbeinkammes, 
und 
in  2  Fällen  (4)  Prostatasteinchen. 
Wodurch      werden      eingekapselte 
Blasensteine  von  freiliegenden  unter- 
schieden?    Loseliegende    können    mit    der 
Sonde  verschoben,  mit  dem  Lithotriptor  ge- 
fasst  und  bei  Rotirung  des  Griffs  im  Kreise 
herumgedreht    werden.     Eingekapselte    sind 
nicht  oder  nur  wenig  verschieblich,  höchstens 
soviel,    als    die  Blase   ohne  Gewalt   gedehnt 
werden  darf.     Sie  hängen  fest. 

Ihre  Grösse  varriirte  von  der  einer  Hasel- 
nuss  bis  zu  der  eines  grossen  Hühnereies, 
also    bis   über   4   cm   Durchmesser   oder  so- 


weit  die   Schrauben  meiner   grössten  Litho- 
triptoren  fassten. 

Ihre  physikalischen  Eigenschaften 
sind  dieselben,  wie  der  freiliegenden.  Ich 
fand  kreideweiche  (aus  Phosphaten),  darunter 
einige  Male  wachsartigklebrige,  die  die  Aus- 
leerung der  in  den  Schnäbeln  befindlichen 
Trümmer  innerhalb  der  Blase  sehr  erschwer- 
ten (aus  kohlensaurem  Kalk  und  organischer 
Materie,  Ebstein);  ferner  solche  von  der 
Härte  sehr  festen  Mörtels  (ürate)  und  ganz 
feste,  welche  die  Kraft  der  vollen  Faust 
zum^erbrechen  erforderten  (Harnsäure  und 
Oxalsäure). 

Auch  der  Klang  eingekapselter  Blasen- 
steine ist  derselbe,  wie  Äreiliegender  —  am 
besten  wahrnehmbar  durch  die  Stahlsonde. 
Harnsäure  und  oxal saure  klingen  beim  An- 
klopfen am  hellsten,  die  aus  üraten  weniger, 
die  aus  Phosphaten  am  wenigsten.  Die 
partielle  Einhüllung  scheint  den  Klang  nicht 
zu  schwächen. 

Die  ümwallung,  den  Ring,  das  den 
Stein  einkapselnde  Schleimhautstück, 
fühlt  man  erst  nach  Ausschäl ung  des  Steines 
als  einen  mehrere  Millimeter  hohen  und 
breiten  Wulst,  die  innere  Fläche  als  eine 
rauhe  teller-  bis  trichterförmige  Grube  von 
der  Grösse  eines  1-  oder  10-Pfennig-  oder 
eines  Markstücks.  Auch  nach  einem  und 
zwei  Jahren  habe  ich  die  Nester,  wenn  seit- 
lich oder  im  Blasenscheitel  oder  vom  ge- 
legen, mit  der  Sonde  genau  fühlen  können, 
aber  ohne  Recidiv. 

Im  gleichen  Maasse,  wie  die  Grube,  fühlt 
sich  auch  das  in  ihr  gesessene  Stein  stück 
rauh  an,  wie  mit  Moos  oder  Staub  über- 
zogen, zum  Unterschiede  von  den  rauhen 
oder  bröcklichen  Bruchstellen  bei  Phosphaten 
oder  Uraten  und  dem  bisweilen  muschligen 
Bruch  porzellanartig  fester  harnsaurer  oder 
oxalsaurer  Steine. 

Die  oben  im  Blasenscheitel  (mit  einer 
Ausnahme),  hinten  überm  Rectum,  an  der 
vordem  Blasenwand  und  seitlich  gefundenen 
eingekapselten  Blasensteine  waren  grössten- 
theils  feste  harn  saure  oder  Urate,  einige 
nur  hatten  Phosphatringe.  Ihre  Kerne  waren 
zweifellos  harnsaure;  die  aber  im  Blasen- 
grunde incarcerirten  oder  in  Divertikeln 
festgehaltenen  ausschliesslich  phospha- 
tische. 

Im  Allgemeinen  lithotripsire  ich 
ohne  Chloroform,  aber  bei  localer  Co- 
cain an  wen  düng  und  habe  allen  Grund, 
mit  dieser  Operationsmethode  zufrieden  zu 
sein,  da  ich  unter  69  so  Operirten  nur  2, 
resp.  3  TodesföUe,  also  nur  3 — 4,3  %  Mor- 
talität, zu  verzeichnen  hatte,  ein  so  günsti- 
ges Yerhältniss,    wie  sich  eines  bessern  die 


IIL  Jalirgmiig.1 
April  1889.  J 


ROrlg,  Üeber  Uthotriptie  bei  ainK«kapt«lten  BUientteinen  und  der«o  Resultate. 


157 


berühmtesten  Operateure  nicht  rühmen 
können.  Meine  Patienten  lyolltell  auch  aus- 
nahmslos lieber  6  Wochen  und  mehr  auf 
Operation  und  Nachbehandlung  Terwenden, 
als  einmal  sich  in  Gefahr  begeben.  Es  kann 
doch  nicht  geleugnet  werden,  dass  auch  bei 
Borgföltigstem  Yerfiüiren  in  der  Chloroform- 
narkose  Blasentheile  gequetscht  werden. 
E^nesfalls  würde  ich  zur  Entfernung  des 
Steinrestes  aus  der  Insertion  Chloroform 
anwenden  aus  Besorgniss,  die  Blase  zu 
quetschen,  Ojstitis,  Brand  und  Tod  zu  rer- 
an lassen.  Mit  Chloroform  geht  es  allerdings 
rascher. 

Ich  lasse,  wie  überhaupt  zur  Lithotripsie, 
das  Rectum  entleeren  durch  Clysmata  oder 
durch  ein  Abends  vorher  genommenes  Laxans, 
bei  ruhigem  Verweilen  des  Patienten  den  Urin 
Vs — ^4  Stunde  verhalten,  ammoniakali sehen 
aber  oder  blutig- eitrigen  zuvor  entleeren, 
die  Blase  mit  74P^oc6°^^S6i^  Carbolwasser 
ausspülen  und  60 — 100  g  dieser  Losung  ein- 
flössen und  den  Patienten  möglichst  hori- 
zontal sich  auf  festes  Beckenpolster  legen. 
Mit  der  aseptisch  gemachten  Stahlsonde 
überzeuge  ich  mich  nochmals  von  der  Lage 
und  Grosse  des  oder  der  Steine  und  be- 
zeichne an  diesen  im  Vergleich  zur  Penis- 
ofFnung  das  Maass,  bei  welchem  ich  jenen 
fühlen  muss  und  führe  den  gleichfalls  asep- 
tisch gemachten  Lithotriptor  bis  auf  gleiche 
Länge  ein. 

Die  Lithotripsie  Reibst. 

Ich  habe  eingekapselte  Blasensteine, 
gleichviel,  ob  schmal  oder  dick,  sofern  sie 
nur  ein  wenig  hervorragten  und  zu  fassen 
waren,  mit  dem  seitlich  oder  senkrecht  an- 
gelegten hochgezahnten  Lithotriptor  gleich 
so  oft,  als  nur  möglich,  gefasst  und  zer- 
trümmert, nachdem  ich  .mich  bei  vorsichti- 
gem Anschieben  der  Löffel  durch  Befragen 
des  Patienten,  wie  durch  Betrachtung  seiner 
Mienen,  überzeugt,  dass  Blasenschleimhaut 
nicht  gefasst  sei. 

Sobald  das  überhängende  Stück  abge- 
}^ochen,  habe  ich  ein  plattschnabeliges  In- 
strument (ohne  hohe  Zähne)  benutzt  und 
dessen  Schnäbel  nur  soweit  geöfiFhet,  als 
nöthig  war,  um  sie,  senkrecht  aufgesetzt, 
zvnschen  Stein  und  Umhüllung  einzudrängen, 
dann  angedrückt  und  zugeschraubt  und  bei 
Wiederholung  dieses  Actes  den  Steinrest 
Tollends  zertrümmert  und  aus  dem  Neste 
herausgezogen. 

Es  würde  zu  nichts  führen,  dickschnäblige 
oder  hochgezahnte  Instrumente  zum  Fassen 
der  im  Loche  steckenden,  vielleicht  glatt 
abgekniffenen  Brocken  zu  verwenden.  Diese 
sind  dazu  ganz  unbrauchbar  und  können 
nur  Blutung  und  Gangrän  verursachen. 


Waren  durch  das  Zuschrauben  des  über- 
hängenden Stücks  Sprünge  entstanden,  die 
sich  bis  in  die  Einschnürung  erstreckten, 
oder  schon  Brocken  herausgefallen,  so  war 
die  AusBchälung  des  Nestes  leichter. 

Die  oben  im  Blasenscheitel,  an  der  vor- 
dem Blasenwand  und  über  dem  Blasen- 
eingang eingewachsenen  können  wohl  nur 
durch  senkrechtes  Aufsetzen  der  Schnabel- 
spitzen gefasst  und  zertrümmert  werden; 
die  seitlich  incarcerirten  zuerst  mit  seitlich, 
dann  mit  senkrecht  aufgesetzten  Schnäbeln. 
Bei  hoch  über  dem  Rectum  eingewachsenen 
muss  der  Versuch  entscheiden ;  die  im  Blasen- 
grunde sind  mit  abwärts  gerichteten  Branchen 
zu  fassen. 

Schwierig  ist  das  Fassen  eingekapselter 
grosser,  harter,  rundlicher,  glatter,  nur  wenig 
aus  der  Umhüllung  hervorragender  Blasen- 
steine, besonders  derer,  welche  schräg  stehen 
zu  den  Griffen  des  Lithotriptors. 

Bisweilen  ist  es  ungemein  schwer,  mit- 
telst dieses  Instruments  den  Steinrest  aus 
dem  Neste  hervorzuziehen;  es  gelingt  dann 
leichter,  ihn  vermittelst  einer  rechtwinklig 
gebogenen^  an  der  Spitze  schippenfömig  ab- 
geplatteten Metallsonde  herauszuheben.     . 

Nach  Reinigung  der  Insertionsstelle  von 
allen  Concrementen,  jedenfalls  nach  mög- 
lichster Zerkleinerung  der  in  den  Blasen- 
grund gefallenen  Steinbrocken,  wird,  wie  nach 
jeder  Session,  die  Blase  mittelst  des  Clower^- 
schen  oder  Ultzmann'schen  Evacuators  und 
warmer  Carbol-  oder  Bor^äurelösung  ge- 
reinigt und  vom  Detritus  befreit.  Patient 
wird  zu  Bett  gebracht,  zur  Verhütung  von 
Fieberfrost  überall,  besonders  am  Unterleib, 
recht  warm  zugedeckt,  reichlich  mit  dünnem, 
warmem  (Thee)  Geträtik  versehen  bei  Fieber- 
diät, muss  am  Operirtage  ruhig  liegen,  leicht 
schwitzen,  auch  liegend  uriniren. 

Bis  jetzt  ist  es  mir  nicht  gelungen,  ein- 
gekapselte Blasensteine  unzertrümmert  aus 
ihrer  Adhärenz  herauszuschälen,  bevor  sie 
abgekniffen  und  zersprungen  waren.  Zum 
Glück.  Es  hätten  sonst  Rupturen  und  schwer 
oder  nicht  stillbare  Blasenblutungen  ent- 
stehen können. 

Ich  habe,  zwei  ausgenommen,  die  ich 
nicht  operiren  konnte  und  anders  wohin 
sandte,  die  in  den  verschiedensten  Stellen 
eingekapselten  Blasensteine  durch  Litho- 
tripsie entfernt,  theilweise  unter  sehr  er- 
schwerenden Verhältnissen:  bei  faustgrosser 
Prostata-Hypertrophie,  bei  verbogenem  Ein- 
gang, bei  enormer  localer  und  allgemeiner 
Hjperaesthesie,  bei  einem  Asthmatiker,  der 
30  Jahre  an  Asthma,  seit  einem  Jahre  an 
Beschwerden  der  Harnentleerung  gelitten, 
bei    ruhigem    Sitzen    88 — 42   Respirationen 


158 


Binfwangttr,  B«inerkuiiK«o  über  di«  SuKK«ftivtheraple. 


rTherap«otbcli« 
L  Monatshefte. 


und  90  Pulse,  beim  Umlegen  zur  Operation 
56 — 60  und  mehr  Respirationen  und  über 
110 — 120  Pulse  zählen  Hess,  wegen  Er- 
stickungszufällen sich  nur  wenig  umlegen 
konnte  und  nicht  chloroformirt  werden  durfte. 
Im  Sommer  1886  extrahirte  ich  yon 
zwei  rechts  seitlich  eingekapselten,  mehrfach 
zertrümmerten  und  in  sich  zersprungenen 
sehr  festen  harnsauren  Blasensteinen  ein 
Bruchstück  von  16  mm  Länge  und  der 
Stärke  einer  Bleifeder.  Im  Sommer  1888 
lithotripsirte  ich  einen  mehr  seitlich  einge- 
wachsenen, sehr  harten  harnsauren  Blasen- 
stein von  der  Grosse  einer  grossen  Birne, 
der  wie  eine  Glocke  herunterhing  und  dessen 
Rest  ich  als  ein  konisch  geformtes,  über 
1  cm  langes  und  eben  so  breites,  scharf- 
kantiges Stück  glücklich  nicht  nur  aus  dem 
Loche,  sondern  auch  aus  Blase  und  Harn- 
röhre mittelst  eines  hohlen  Lithotriptoi*s 
extrahirte.  Dies  Stück  Hess  deutlich  den 
moosartigen  üeberzug  der  Insertionsstelle 
erkennen. 

Mehle  Resultate 
der  LithotnpHie  eingekapselter  Blasensteine, 

Unter  den  28  Fällen  von  Lithotripsie  ein- 
gekapselter Blasensteine  incl.  der  4  Prostata- 
steinchen  bei  2  Männern,  überhaupt  bei 
24  Personen,  habe  ich  nur  einen  Todesfall 
zu  verzeichen  gehabt  bei  einem  Herrn,  den 
ich  in  seiner  Heimath  operirte  und  am 
5.  Tage  wohl  verliess,  um  nach  8  Tagen 
wieder  zu  kommen.  Zwei  Tage  nachher 
war  er  an  Anurie  und  Fieber  gestorben, 
ob  aus  Nephritis  oder  mechanischem  Ver- 
schluss des  Kanals,  weiss  ich  nicht.  3  oder 
4  Mal  sah  ich  heftiges,  durch  Salicylsäure 
oder  Chinin  beseitigtes  Fieber,  1  Mal  Cystitis 
mit  Heilung,  bei  einem  Herrn  2  Mal  Orchitis 
als  Folge  des  Drucks  der  Griffe  auf  Blasen- 
hals und  Samen  Strang  —  sonst  aber  keine 
.Blutung,  keine  Eiterung,  keine  Cystitis, 
keinen  Todesfall. 


BeiuerkuDipeu  über  die  Sug^gestiv- 

tlierapie« 

Von 

Prof.  Dr.  Otto  Binswanger  in  Jena. 

[Si-hlHMS.J 

Frl.  B.,  geb.  1859,  erblich  sehr  schwer 
belastet,  an  grande  hysterie  leidend;  neben 
seltenen  epileptischen  Anfällen  häufige  to- 
nische Krampfzustände  ohne  Bewusstseins- 
verlust  von    mehrstündiger  Dauer,    zuweilen 


von  Aphasie,  Taubheit  etc.  begleitet.  Seit 
1882  Mor|lliinismus.  Aufnahme  in  die  hie- 
sige Klinik  am  29.  XII.  1887.  Langsanoie 
Entziehung  des  Morphiums,  beendet  Sept. 
1888.  Im  Laufe  der  hypnotischen  Therapie 
bleiben  schliesslich  die  Anfälle  im  Sommer 
fast  2  Monate  ganz  aus.  Im  Gefolge  einer 
Nephritis  und  psychischer  Schädlichkeiten 
kehrten  sie  alsdann  wieder  und  bestehen 
heute  noch  fort.  Die  Hypnose  ist  bei  Frl.B.  zu 
therapeutischen  Zwecken  angewandt  worden: 

I.   Während  der  Morphiumentziehung. 

Nur  zur  Bekämpfung  der  Anfälle  ver- 
wandt. Methode:  stets  Streichen  (l — 10 
Min.)  -h  Suggestion.  Müdigkeitsgefühl  pflegt 
sich  bei  blossem  Streichen  des  Kopfes  nach 
2 — 3  Min.,  bei  gleichzeitiger  Suggestion 
schon  nach  ca.  1  Min.  einzustellen.  Ort  des 
Streichens:  Stirn  und  Scheitel.  Folgende 
Symptome  des  Anfalls  Hessen  sich  be- 
seitigen: 

1.  hyster.  Schüttelkrampf  (18.  Jan.  88). 

2.  Hai  lucin ationen  des  Gesichts  und  Ge- 
hörs (Jan.  u.  Febr.  88). 

3.  Contracturen  (sehr  oft  während  der 
ganzen  Entziehung):  es  wurde  stets  nur  die 
Hypotaxis  erzielt  und  in  dieser  Lösung  eines 
bestimmten  Gliedes,  meistens  desjenigen,  in 
welchem  der  tonische  Anfall  begonnen,  sug- 
gerirt.  Die  Lösung  trat  alsdann  stets  ein 
binnen  3 — 6  Min.  und  zwar  in  3  verschie- 
denen Weisen.  Etwa  in  der  Hälfte  der  Fälle 
folgte  sie  Gelenk  für  Gelenk  der  Suggestion 
und  zwar  mit  deutlich  wachsender  Ge- 
schwindigkeit; oder  (in  fast  der  anderen 
Hälfte  der  Fälle)  folgte  sie  anfänglich  der 
Suggestion,  und  wenn  1  oder  2  Gelenke  ge- 
löst waren,  fuhr  die  Kranke  plötzlich  mit 
einem  heftigen  Ruck  zusammen,  und  dann 
war  regelmässig  eine  ganze  Extremität  mit 
einem  Male  völlig  schlaff  geworden ;  endlich 
in  wenigen  Fällen  entsprach  der  Verlauf 
nicht  dem  suggerirten  (s.  u.).  Die  ruckweise 
Lösung  war  stets  mit  erheblichem  Schmerz 
verknüpft.  Verzögerte  sich  manchmal  die 
Lösung,  so  war  meist  nachzuweisen,  dass 
P.  einen  bestimmten  anderen  Gedanken  ge- 
habt und  nicht  mehr  an  den  Fuss  etc.  ge- 
dacht. Beschleunigt  konnte  die  Lösung  oft 
dadurch  werden,  dass  P.  aufgefordert  wurde, 
active  Bewegungen  in  dem  betr.  Glied  zu 
versuchen.  Nie  Amnesie.  —  Auch  begin- 
nende Contracturanfälle  resp.im  Zunehmen  und 
Weiterverbreitung  begriffene  wurden  mehr- 
mals coupirt.  Nach  Lösung  eines  Gelenks 
lösen  sich  die  anderen  auch  ohne  S.  binnen 
\/g  Std.  Bei  sehr  gehäuften  Steifigkeits- 
anfällen  (23.  I.  etc.)  wirkte  Streichen  nur 
momentan  lösend. 


m.  Jahr  gaiiff.1 
April  1888.  J 


Biiifwanf«r,  Bemerkungen  &ber  die  Suneitlvthenpie. 


159 


4.  Taubheit  (mit  und  häufiger  ohne  gleich- 
zeitige Contractur):  5  und  mehr  minüt.  Strei- 
chen mit  Suggestion  bewirkte  stets  sehr  all- 
mähliche Wiederkehr  des  Hörens.  Einmal 
wird  auch  ein  Anfall  yon  Seelentaubheit 
durch  S.  beseitigt. 

5.  Erbrechen.  Nackenstreichen  6  — 10 
Min.     Mit  Suggestion  stets  erfolgreich. 

6.  Aphasie  (mot.),  meist  mit  Taubheit 
zusammen,  zuweilen  auch  (nicht  stets,  17. 
IL  88)  Stummheit  bedingt  durch  Zungen-, 
Masseter-  und  Facialiskrampf  (stets  mit 
Schluckbeschwerden  verbunden).  Streichen 
mit  Suggestion  bewirkte  Rückkehr  der  Spra- 
che bei  Aphasie  binnen  6  Min.,  bei  durch 
Krampf  bedingter  Sprachstörung  binnen 
20  Min.;  auch  dann  war  die  Sprache  noch 
schwerföllig.  Der  letzte  Rest  von  »Sprach- 
störung schwand  meist  erst  binnen  mehrerer 
Stunden. 

7.  Agrypnie:  Suggestion  und  Streichen 
erzielen  wohl  bei  längerer  Fortsetzung  tiefe 
Hypnose  mit  part.  Amnesie;  hingegen  bleibt 
die  Suggestion  sowohl  längeren  Schlafes  im 
Anschluss  an  die  Hypnose  als  auch  späteren 
Einschlafens  durchweg  erfolglos. 

8.  Kopfschmerzen:   kein  Erfolg. 

II.    Nach  der  MorphiumentziehuDg. 

1.  Gegen  Erbrechen  (im  Decbr.  88): 
es  wurde  5  Minuten  nach  vollendeter  Mit- 
tagsmahlzeit  Senken  des  Kopfes  und  Ent- 
blössung  des  Nackens  befohlen.  P.  wusste 
den  Zweck  der  Procedur.  Alsdann  wurde 
2 — 3  Min.  leise  über  den  Nacken  gestrichen, 
bald  mit,  bald  ohne  Suggestion  des  Müde- 
werdens. Letzteres  trat  stets  zuerst  (vor 
Abnahme  der  üebelkeit)  ein,  einerlei  ob  es 
ausdrücklich  suggerirt  worden  war  oder  nicht. 
Zugleich  Schwere  der  Augenlider.  Dann 
Suggestion:  „Der  Magen  beruhigt  sich.  Sie 
sollen  nicht  erbrechen.  Sie  werden  nicht 
erbrechen.  Die  üebelkeit  schwindet  etc." 
Regelmässig  schwand  die  vorher  ausnahms- 
los dagewesene  üebelkeit  binnen  3  —  5  Min. 
Das  Erbrechen,  das  sonst  Tag  für  Tag  nach 
dem  Mittagessen  eintrat,  blieb  aus.  Ja  P. 
genoss  einmal  direct  nach  der  Hypnose  noch 
etwas  und  behielt  dies  auch  bei  sich.  Grosse 
Müdigkeit  blieb  zurück  („Lust  zu  einem 
Nachmittagsschläfchen").  Kaffee,  den  P. 
einmal  Vj^ — 2  Std.  nach  der  bez.  Hypnose 
nahm,  wurde  erbrochen.  Während  der  gan- 
zen Procedur  Bewusstsein  intact,  Erinnerung 
durchaus  erhalten. 

2.  Gegen  Retentio  urinae  5  Mi- 
nuten Streichen  der  Stirn,  Sugg.  tiefen 
Schlafes.  Schon  nach  ca.  3  Min.  Resolution 
der  Glieder,  tiefes  langsames  Athmen;  nach 
ca.  4  Min.  antwortet  P.  nicht  mehr.     4  ma- 


lige* laute  Wiederholung  der  Suggestion: 
„Nach  Va  Stunde  tiefen  Schlafes  werden  Sie 
aufwachen,  Urin  lassen  und  keine  Rücken- 
schmerzen mehr  haben".  P.  schlief  danach 
'/a  Std.  sehr  tief.  Die  leise  eintretende 
Wärterin  konnte  wenigstens  keine  Regung 
entdecken.  Nach  etwas  über  30  Min.  Er- 
wachen liess  P.  eine  grössere  Menge  Urin. 
Die  Rückenschmerzen  waren  momentan  bes- 
ser, kehrten  aber  schon  nach  kaum  einer 
Minute  in  unveränderter  Stärke  zurück.  An- 
geblich absolute  Amnesie.  P.  gab  einmal 
ausdrücklich  an,  das  Ürinlassen  falle  ihr 
auch  nach  der  Suggestion  schwer,  aber  sie 
könne  ihren  Willen  besser  anstrengen. 

3.  Gegen  Steifigkeitsanfälle:  Ver- 
fahren und  Erfolg  im  Wesentlichen  wie 
während  der  Entziehung.  Oefter  entsprach 
der'  Verlauf  der  Lösung  der  Contracturen 
nicht  dem  suggerirten.  So  begann  die  Lö- 
sung einmal  in  der  1.  Hüfte,  statt,  wie  sug- 
gerirt, im  1.  Fuss,  seltener  im  r.  Fuss  statt 
im  1.  Fuss,  nie  im  Arm  statt  im  Bein. 
Wenn  Lösung  des  1.  Fusses  suggerirt  war, 
kam  es  öfters  vor,  dass  zugleich  mit  dem 
1.  Fuss  das  1.  Knie  sich  löste,  üeberhaupt 
pflegt  bei  Lösung  eines  Gelenkes  durch  Sug- 
gestion bereits  eine  Lockerung  in  allen  an- 
deren einzutreten.  Wenn  durch  Suggestion 
ein  Gelenk  freigeworden  ist,  schreitet  auch 
ohne  weitere  Suggestion  die  Lösung  fort 
und  ist  in  spätestens  ^Jq  Std.  beendet. 
Gleichgiltig  für  den  Ablauf  der  Lösung 
I  durch  Suggestion  scheint  der  Verlauf,  den 
die  Contractur  bei  ihrem  Entstehen  genom- 
men. 

Es  gelingt  also,  wie  die  vorstehende 
Beobachtung  lehrt,  mittelst  der  hypnotischen 
Suggestion  und  physikalischer  Hülfsmittel 
sehr  quälende  Krankheitserscheinungen, 
welche  mit  dem  Grundleiden  in  ursächlicher 
Beziehung  stehen,  fast  augenblicklich  zu  be- 
seitigen, und  damit  der  Patientin  ein  rela- 
tives Wohlbefinden  zu  verschaffen.  Freilich 
ist  damit  ein  tief  er  greif  ender  Einfluss  auf 
die  Krankheit  nicht  gewonnen  worden  und 
versagt  die  suggestive  Einwirkung  gerade 
bei  der  schwersten  Erscheinung,  der  abso- 
luten Schlaflosigkeit,  fast  vollständig.  Die 
Beobachtung  lehrt  aber  auch,  mit  welch  ge- 
ringer Mühe,  mittelst  einfacher  Suggestionen 
im  leichtesten  hypnotischen  Schlafzustande 
bei  derartigen  Kranken  auf  motorische, 
sensible  und  sensorielle  Vorgänge,  wenn 
auch  nur  vorübergehend,  eingewirkt  wer- 
den und  die  Wiederkehr  der  Anfölle  that- 
sächlich  für  längere  Zeit,  in  der  obigen 
Beobachtung  3  Monate  lang,  verhindert 
werden  kann.  Die  Hypnose  ist  hier, 
auch    ohne  Desuggestionirung,    niemals   von 


160 


Bliifwang«r,  B«m«rkuBgMi  üb«r  die  8uf f et Üvtherapla. 


r1i6rap«iitlMli« 
Monauhefttt. 


unangenehmen  Nebenwirkungen  begleitet  ge- 
wesen und  hat  bei  der  intelligenten,  gebil- 
deten Kranken  keine  Störungen  der  geistigen 
Schärfe,  des  Auffassungs-  und  Urtheilsver- 
mogens  zur  Folge  gehabt.  Es  hängt  dies 
sicherlich  eng  mit  dem  hysterischen  Erank- 
Mtszustande  arasammen  ;  die  Vorbedingungen 
zum  Eintreten  der  Hypnose,  zur  Beeinflus- 
sung körperlicher  Zustände  durch  psychische 
Vorgänge  sind  gegeben  und  ist  deshalb  eine 
gewaltsame  Umänderung  des  geistigen  Ver- 
haltens in  dem  früher  entwickelten  Sinne 
nicht  mehr  von  Nöthen.  Wir  nützen  diese 
krankhafte  Beschaffenheit  der  nervösen  Re- 
action  zu  Gunsten  der  Patientin  aus;  wir 
bekämpfen  die  Krankheit  resp.  deren  Aeus- 
serungen  mit  ihren  eigenen  Waffen,  ohne, 
man  muss  sagen  leider,  noch  etwas  schaden 
zu  können.  Diese  gesteigerte  Empfänglich- 
keit für  die  Wirkung  von  Vorstellungsreizen 
auf  krankhafte,  hysterische  körperliche  Zu- 
stände lässt  die  Suggestion  auch  wirksam 
erweisen  ohne  Hypnose.  Noch  deutlicher 
als  in  vorstehendem  Falle  zeigt  dies  die 
folgende  Beobachtung. 

Fr.  P.,  geb.  1847,  aufgenommen  am  22. 
XII.  1888,  erblich  etwas  belastet,  an  hyste- 
rischem Irresein  leidend,  ohne  ausgeprägte 
Symptome  der  Grande  hysterie,  ab  und  zu 
tonische  Krämpfe  ohne  Bewusstseinsverlust 
auf  Arm  und  Gesicht  beschränkt.  Suggestiv- 
therapie nur  gegen  den  einzelnen  Anfall 
wirksam. 

Vorher  bereits  mehrmals  hypnotisirt. 

6.  II.  Anfall  %b  Uhr:  erst  Schwindel 
und  Benommenheit,  dann  schlaffe  Lähmung 
der  beiden  Schultern,  dann  in  beiden  Ell- 
bogengelenken, dann  Zufallen  der  Augen- 
lider. Beim  Kommen  des  Arztes  besteht 
beiderseits  Ptosis  und  Lähmung  beider  Arme 
bei  erhaltener  Beweglichkeit  der  Finger. 

Sugg.  (ohne  jedes  Streichen):  „Denken 
Sie  an  den  1.  Arm,  Sie  werden  ihn  wieder 
bewegen  können*^.  Binnen  1  Min.  ward  nun 
erst  der  r.  Arm,  dann  der  1.  Arm  wieder 
beweglich.  Dann  rieb  sich  die  Kr.  die 
Augen  und  konnte  sie  darauf  wieder  öff- 
nen. Nachträglich  giebt  die  Kr.  an,  die 
Lähmung  links  sei  der  rechts  vorausge- 
gangen. 

Am  5.  II.  wurde  ein  ähnlicher  Anfall 
beobachtet:  Trismus  und  Beugecontractur 
beider  Arme  (incl.  Hände)  ohne  Sensibilitäts- 
störung. Bei  Sugg.  ohne  Streichen  und 
passiver  Bewegung  der  Arme  in  kaum  1  Min. 
Lösung. 

Hier  sind  also  ohne  länger  dauernde 
hypnotische  Beeinflussung  die  Suggestionen 
im  wachen  Zustande  sehr  nutzbringend  ge- 
wesen. 


Ich  sehe  also  in  der  Hysterie  die- 
jenige Krankheitsform,  bei  welcher 
die  Hypnose,  falls  sie  überhaupt  im 
Einzelfalle  erzeugbar  ist,  am  wirk- 
samsten und  gefahrlosesten  verwandt 
werden  kann. 

Die  Nancyer  Schule  ist  gemäss  ihren  An- 
schauungen   über    das  Wesen    und    die  Be- 
deutung   der    hypnotischen    Vorgänge    ent- 
gegengesetzter Meinung.    Sie  hält  die  Hyste- 
rischen im  Allgemeinen  für    wenig    geeignet 
zur  hypnotischen  Behandlung  und  bestreitet 
die  Analogien  zwischen  der  hysterischen  nnd 
der  hypnotischen  Geistesbeschaffenheit.    „Ich 
kann",    sagt  Forel,    „aus    vollster    Ueber- 
zeügung  und   aus  Erfahrung   die  Nancy^sche 
Schule    bereits   bestätigen:     die    geistig  Ge- 
sunden -mit  gesundem  Schlaf,    die  einfachen 
Leute    aus    dem  Volke    sind    unbedingt   am 
leichtesten  zu   hypnotisiren   und   durch  Sug- 
gestion   zu    beeinflussen,    und    zwar  Männer 
so  gut  als  Frauen."      und  an  einer  anderen 
Stelle    sagt    er,    dass    am    besten  die  Sym- 
ptome von  Leiden  zu  behandeln  seien,  welche 
noch    nicht    eingewurzelt,    weniger    alt    nnd 
überhaupt    flüchtiger    Natur    sind.      Es     ist 
wohl  unnöthig,  nach  all  dem  Gesagten  diese 
Sätze  im  Einzelnen   auf  ihre  Richtigkeit  zu 
prüfen  und  zu  widerlegen.     Ich  möchte  nur 
nochmals  wiederholen,  dass  ich  an  derHyp- 
notisirbarkeit  dieser  einfachen  gesunden  Leute 
aus    dem   Volke    nicht    zweifle,    aber    wohl 
zweifelhaft  bin,    ob    mit   der  Hypnose  den- 
selben eine  Wohlthat  erwiesen  wird,  ob  jene 
Leiden   die  Anwendung    der  Hypnose  recht- 
fertigen.    Ich  gelange  damit  zu  der  Erledi- 
gung der  ersten  der  beiden  oben  angeführten 
Erwägungen.      Bei  der  ausgeprägten  grossen 
Hysterie,     bei     schweren    Krampfzuständen, 
Lähmungen  u.  s.  w.,    welche    mit  derselben 
verknüpft  sind,    kann    nach    den  gegebenen 
Darlegungen    wohl    kein    Zweifel    mehr    be- 
stehen,   dass  wir  zur  Anwendung  des  Hyp- 
notismus  nicht  nur  berechtigt,  sondern  aucb 
verpflichtet  sein  können.     Für  die  leichteren 
Grade,  die  „kleine  Hysterie",  wird  die  Frage 
schon  schwieriger  zu  beantworten  sein.    Die 
geschilderten  Fährlichkeiten  der  hypnotischen 
Behandlung  lehren  uns,    dass   wir  auch  bei 
zweckmässiger  Anwendung   derselben    unan- 
genehme und  selbst  gefahrvolle  Folgeerschei- 
nungen   mit    Sicherheit    nicht    ausschliessen 
können.     Vor  Allem  liegt  daa  Bedenken  vor, 
ob    wir    nicht    im  Einzelfalle    durch    öftere 
Hypnotisirung   die  kleine  in  die  grosse  Hy- 
sterie überfuhren  oder  wenigstens  protrahirte 
hysterische  Zustände  hervorbringen.     Ich  er- 
innere  an   die  mitgetheilte  Beobachtung  be- 
züglich des  12jährigen  Kindes.     In   solchen 
Fällen  wird  uns  nur  die  sorgfiUtigste  Beob- 


III.  JaltfgaBg.l 
April  1889.  J 


Blntwaofer,  Bem«rkuiiKaii  üb«r  dl«  Sufgettlvthenple. 


161 


achtung    des    Krankheltsverlaufes    und    des 
Einflusses    des    hypnotischen  Verfahrens  auf 
die  psychischen    und-   somatischen  Vorgänge 
belehren    können,    ob    die  Chancen   für  Be- 
seitigung von  Krankheitserscheinungen   grös- 
ser   sind  als  die  Gefahren    einer  Steigerung 
der    neuropathischen    Beschaffenheit.      Noch 
schwieriger  gestaltet  sich  diese  Fragestellung 
in  denjenigen  Fällen,  in  welchen  functionelle 
Neurosen,  wie  Migraine,  der  Tic  douloureux 
und  andere  Neuralgien  peripherischer  Nerven, 
oder    gewisse  Krampf  formen,    z.  B.  Tetanie, 
der  Accessoriuskrampf,  der  Tic  conyulsif  u.  A. 
ohne  nachweisbare  hereditäre  neuropathische 
Disposition  als  erworbene,  durch  Infectionen, 
Intoxicationen,  allgemeine  Ernährungsstörun- 
gen,   traumatische    Schädigungen  u.  A.    be- 
dingte   Krankheitszustände     uns     entgegen- 
treten.    Hier    werden    wir,    den    oben    ent- 
wickelten  Anschauungen    entsprechend,    nur 
dann  an  eine  hypnotische  Behandlung    den- 
ken   dürfen,     wenn    die     zu    bekämpfenden 
Krankheitssymptome    allen     anderen    thera- 
peutischen   Eingriffen    getrotzt    haben    und 
durch  ihre  Intensität  und  Dauer  die  Arbeits- 
fähigkeit   der    Patienten    TÖllig    zu    Nichte 
machen.     Es    ist    mir    freilich    nicht    wahr- 
scheinlich,    dass    in    solchen    yerzweifelten 
Fällen   die  Suggestivtherapie    einen    wesent- 
lichen Nutzen  bringen  wird;    es  ist  mir  ein 
an   qualvollster  Trigeminusneuralgie    leiden- 
der   Ejranker    persönlich    bekannt,    welcher 
sich  schliesslich,  nachdem  auch  die  Resection 
des  betheiligten  Quintusastes  keine  Linderung 
gebracht  hatte,  in  die  Behandlung  berufener 
Vertreter    der   Suggestivtherapie,    unter    an- 
deren  auch   diejenige   Bernheim's   begeben 
hatte,    ohne  dass  irgend  eine  Besserung  er- 
zielt worden  wäre.      Aber    selbst    vorausge- 
setzt,   dass   andere  derartige  Fälle  ein  gün- 
stigeres Ergebniss  darbieten  können,  so  wird 
man    doch   nicht  ausser  Acht  lassen  dürfen, 
dass  bei  lange  fortgesetzter  Suggestivbehand- 
lung  die  Gefahr    der   ,,  Magnetomanie ^,    der 
dauernden   Gewöhnung    an    die    hypnotische 
Cur  sehr  nahe    liegt   und  dadurch  eine  psy- 
chische Depravation  gezeitigt    wird,    welche 
trotz   temporärer  Schmerzlosigkeit   keine   er- 
neute   Berufsthätigkeit    mehr    zulässt.     Der 
Vergleich    mit    dem  Morphinismus    und  Co- 
cainismus  liegt  hier  sehr  nahe. 

Gerade  zur  Bekämpfung  dieser  Krank- 
heitszustände sowie  des  Alkoholismus  ist 
die  Suggestivtherapie  vielfach  empfohlen 
worden.  Thatsächlich  lassen  sich  willens- 
schwache, verkommene  Säufer  relativ  leicht 
bypnotisiren  und  ist  wohl  denkbar,  dass 
durch  eindringliche  Suggestionen  eine  ein- 
seitige Steigerung  der  Willensenergie  zum 
Zwecke    der  Enthaltung    von    alkoholischen 


Getränken  vorübergehend  erreicht  werden 
kann.  Dies  habe  ich  auch  früherhin  nicht 
bestritten,  ich  habe  nur  bezweifelt,  dass  das 
Unterschreiben  einer  Abstinenzkarte  als  be- 
weiskräftig für  den  Heilerfolg  betrachtet 
werden  kann  und  habe  ausserdem  darauf 
hingewiesen,  dass  auch  ohne  alle  hypnotische 
Suggestion  die  pädagogisch  wirkende  Thätig- 
keit  der  Irrenanstalt  und  der  Trinkerasyle 
bei  Durchführung  völliger  Entziehung  des 
Alkohols  ganz  gleiche  Erfolge  wie  die  von 
Forel  mitgetheilten  erzielen  kann. 

Der  Hypnotismus  als  Erziehungsmittel 
für  böse  Buben,  wie  dies  Berillon,  He- 
ment,  Voisin  u.  A.  neuerdings  empfohlen 
haben,  wird  wohl  kaum  eine  grössere  Be- 
achtung erlangen.  Dass  ich  es  für  ein  natio- 
nales Unglück  betrachten  müsste,  wenn  sich, 
der  Hypnotismus  der  Schule  bemächtigte, 
brauche  ich  nach  ausführlicherer  Darlegung 
seiner  Gefahren  kaum  besonders  zu  betonen. 
Ueber  den  Hypnotismus  bei  Geisteskranken 
werde  ich  an  anderer  Stelle  berichten. 

Zum  Schlüsse  sei  mir  noch  eine  Bemer- 
kung gestattet.  Forel  hat  auf  der  letzten 
Jahresversammlung  der  schweizerischen  Aerzte 
meinen  landsmännischen  Collegen  den  Rath 
gegeben,  in  ausgiebigem  Maasse  in  der  Praxis 
von  dem  neuen  Heilverfahren  Gebrauch  zu 
machen.  Ich  möchte  dagegen  an  die  Herren 
Collegen  die  Bitte  richten,  diesen  Rath  nicht 
zu  befolgen,  oder  wenn  sie,  um  eigene  Er- 
fahrungen zu  sammeln,  ihre  Patienten  nach 
strenger  Auswahl  geeigneter  Fälle,  der  hyp- 
notischen Behandlung  unterwerfen  wollen, 
dies  nur  im  stillen  Kämmerlein  zu  thun. 
Die  ungeheuere  Macht  der  psychischen  In- 
fection  könnte  sonst  leicht  den  Arzt  zum 
Stifter  und  Träger  einer  Volkskrankheit 
machen,  welche  in  ihren  unheilvollen  Folgen 
für  das  geistige  und  sittliche  Wohl  nicht 
nur  „der  einfachen  Leute  aus  dem  Volke", 
sondern  auch  unserer  nervösen  gebildeten 
Gesellschaft  den  psychischen  Volkskrank- 
heiten des  Mittelalters  kaum  nachstehen 
dürfte.  Die  jetzige  Hochfluth  der  hypnoti- 
schen Behandlung  ist  sicher  noch  im  Steigen; 
sorgen  wir  bei  Zeiten  dafür,  dass  nach 
Ablauf  derselben  nicht  werthvolle  Errun- 
genschaften des  ärztlichen  Wissens  und 
der  ärztlichen  Kunst  versandet  zu  Grunde 
gehen. 


21 


162 


Mmlachowtki,  Beitrag  zur  KenntoiH  der  Nebenwirkungen  det  Jod  (Jodkali).        [^^„'^^hd^* 


Beitrag  zur  Kenntniss 
der  NebeiiwirkuDgeu  des  Jod  (Jodkali). 

Von 

Dr.  E.  Malachowtki  (Breslau). 

Aus  den  gesammten  casuistischen  und 
experimentellen  Beiträgen  über  die  Wirkun- 
gen und  Nebenwirkungen  der  Jodpräparate 
ergiebt  sich  der  jetzt  allgemein  angenommene 
Satz,  dass,  welches  Präparat  auch  immer 
in  Anwendung  gezogen  wird,  die  Folgeer- 
scheinungen stets  auf  Rechnung  des  Jod  zu 
setzen  sind.  Damit  stimmt  auch  die  Er- 
fahrung überein,  dass  dieselben  mit  um  so 
grösserer  Leichtigkeit  auftreten,  je  leichter 
zersetzlich  das  angewendete  Präparat  ist. 
.  So  lehrt  zum  Beispiel  die  klinische  Beob- 
achtung, dass  nach  Gebrauch  des  am  leich- 
testen zerfallenden  Jodammonium  die  Affec- 
tionen  der  Haut  viel  früher  und  häufiger 
eintreten  als  nach  Anwendung  jedes  anderen 
Jodpräparates.  Auf  eine  Erörterung  der 
Frage  einzugehen,  welche  Verhältnisse  im 
menschlichen  Körper  das  Jod  aus  seinen 
Verbindungen  austreiben  und  das  Zustande- 
kommen der  bekannten  Jodwirkungen  be- 
günstigen, behalten  wir  uns  für  eine  dem- 
nächst in  dieser  Zeitschrift  erscheinende  Ar- 
beit Tor. 

Was  soeben  von  den  Jodpräparaten  im 
Allgemeinen  gesagt  worden  ist,  gilt  selbst- 
verständlich auch  von  dem  jetzt  w^ohl  am 
häufigsten  angewendeten  Jodkali.  Rose^) 
hatte  in  seiner  bekannten  Arbeit  geglaubt, 
feststellen  zu  können,  dass  Jod  in  grossen 
Dosen  dem  Körper  einverleibt  einen  Einfluss 
auf  das  Gefässsystem  ausübe,  indem  es 
einen  Arterienkrampf  hervorrufe.  Er  hatte 
beschleunigte  Herzaction,  kleinen  harten 
Puls,  Kälte  und  Blässe  der  Haut  mit  cya- 
notischer  Färbung  der  Extremitäten  ge- 
sehen. Da  jedoch  in  seinem  Falle  neben 
Jodtinctur  auch  Jodkalium  in  Anwendung 
gekommen  war,  hatte  Berg^)  eingewendet, 
dass  dieser  Symptomencomplex  wahrschein- 
lich als  Kaliwirkung  aufzufassen  sei,  eine 
Ansicht,  welche  von  Köhler  verallgemeinert 
dahin  ausgesprochen  worden  ist,  dass  die 
meisten  Erscheinungen  des  „Jodismus"  nach 
Gebrauch  von  Jodkalium  auf  Rechnung  des 
Kalium  zu  setzen  seien.  Köhler  hat 
jedoch  mit  dieser  Theorie  keinen  Anklang 
gefunden,  und  so  stehen  auch  wir  nicht  an, 
nachstehende  Beobachtungen  als  Jodwirkun- 


gen aufzufassen.  Wir  erlauben  uns  dieselben 
mitzutheilen,  weil  wir  in  der  sehr  reichen 
Litteratur  gleiche  oder  auch  nur  ähnliche 
Fälle  nicht  aufgefunden  haben.  Es  handelt 
sich  um  Paraesthesien  in  einem  Falle,  um 
Auftreten  von  Fieber  in  zwei  Fällen. 

1,   Paraesthesien  nach  Jodkali. 

Alle  Erscheinungen  des  Jodismus  sind 
in  ihrer  Intensität  so  sehr  wechselnd,  bo 
unabhängig  von  der  Grösse  der  dem  Körper 
einverleibten  Jodmenge,  so  ganz  allein  ab- 
hängig von  einer  Disposition  des  betreffen- 
den Kranken,  welche  auch  wiederum  zeitlich 
begrenzt  zu  sein  scheint,  dass  es  nicht 
Wunder  nimmt,  wenn  einzelne  Autoren  nach 
ihren  Erfahrungen  das  Vorkommen  nervöser 
Störungen  nach  Jodgebrauch  vollkommen  in 
Abrede  stellen,  während  andere  wiederum 
über  häufige  und  schwere  Affectionen  des 
Nervensystems  berichten  können.  Am  ein- 
gehendsten sind  dieselben  wohl  zuerst  von 
Rilliet?)  geschildert  worden,  welcher  sie 
unter  der  Bezeichnung  „Ivresse  jodique''  zu- 
sammenfasste;  und  wenn  auch  seine  Angab*en 
vielfach  angezweifelt  werden,  so  verfügen 
wir  doch  über  eine  reiche  Anzahl  anderer 
sicherer  Beobachtungen,  so  dass  wir  über 
das  Vorkommen  der  vielfältigsten  nervösen 
Störungen  nicht  in  Zweifel  sein  können. 
Wohl  am  häufigsten  ist  der  die  Kranken 
oft  furchtbar  peinigende  Stirnkopfschmerz, 
ferner  schmerzhafte  Empfindungen  in  der 
Supraorbitalgegend  an  der  Austrittsstelle 
des  gleichnamigen  Nerven,  seltener  der  an- 
deren Zweige  des  Trigeminus;  lancinirende 
Schmerzen  in  den  Extremitäten,  nervöses 
Herzklopfen.  Aber  auch  Erscheinungen  von 
Seiten  des  Gehirns  sind  beobachtet,  wie 
Unruhe,  Angstgefühl,  Benommenheit,  Ge- 
hörsstörungen. Aus  der  Litteratur  der  letz- 
ten Jahre  sind  nach  dieser  Richtung  erwäh- 
nenswerth  ein  Fall  von  Negre*),  welcher 
bei  einem  52jährigen  Manne  nach  6,5  g 
Jodkali  neben  Schnupfen  und  Brennen  im 
Halse  Tenesmus  vesicae  und  heftige  lanci- 
nirende Schmerzen  in  Schultern,  Armen  und 
Beinen  beobachtete,  ferner  ein  Fall  von 
Rice^),  welcher  dadurch  besonders  interes- 
sant ist,  dass  die  bekannten  Erscheinungen 
des  Jodismus  sich  vorwiegend  auf  der 
rechten  Seite  localisirten  —  ein  für  die 
Theorie  des  Jodismus  .sehr  wichtiger  Um- 
stand  —    und    der    ausserdem    sehr    heftige 


^)  Rose,  Das  Jod  in  grossen  Dosen.  Virchow's 
Arohiv  Band  35. 

'^)  Berg,  Beiträge  zur  Pharmakologie  und 
Toxikologie  der  Jodpräparate.  Inaug.-Dissertation. 
Dorpat  1875. 


^)  Rilliet,  Bullet,  de  rAcademie  de  Medecine 
1860  p.  382. 

^)  Negre,  Sur  un  cas  d'iodisme  aigu.  Bull. 
gen.  de  Therap.  1887.  Juill.  30  p.  87. 

^)  Rice,  Unilateraler  Jodismus,  cit.  nach 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1888  No.  28. 


TIT.  Jahrgang.! 
April  1889.  J 


Malaehowtki,  Beitrag  zur  Kenntnits  der  Nebenwirkungen  det  Jod  (Jodkali). 


163 


Gehirnsymptome  bot  als:  vollständig  ge- 
störte Nachtruhe,  grosse  Unruhe  und  Todes- 
furcht, endlich  der  von  Kopp®)  beschriebene 
Fall,  ^^elcher  mit  dem  unserigen  ^'ohl  die 
meiste  Aehnlichkeit  hat,  wenn  er  auch 
sicherlich  anders  gedeutet  werden  muss. 
Kopp  beobachtete  bei  einem  Luetiker,  wel- 
cher nach  Jodkalium  in  den  ersten  Tagen 
die  gewöhnlichen  Erscheinungen  des  Jodis- 
mus bot,  bei  Fortgebrauch  des  Mittels  nach 
vier  Tagen  eine  allmählich  sich  steigernde 
Empfindlichkeit  beider  Fusssohlen,  besonders 
beim  Auftreten  und  bei  Druck,  welche  sich 
später  in  Form  von  bohrenden  und  klopfen- 
den Schmerzen  auch  spontan  und  insbeson- 
dere bei  Nacht  geltend  machte,  so  dass 
absolute  Schlaflosigkeit  eintrat.  Dabei  be- 
stand eine  leichte  Schwellung  der  Weich- 
theilc  und  der  stärkste  Druckschmerz  an 
den  Metatarsalknochen,  so  dass  Kopp  an 
„periostalentzündliche  Reizerscheinungen" 
dachte,  wogegen  allerdings  der  Umstand  zu 
sprechen  scheint,  dass  diese  heftigen  Sym- 
ptome bereits  sieben  Stunden  nach  Aus- 
setzen der  Arznei  verschwunden  waren. 

In  allen  diesen  Fällen  traten  jedoch  die 
nervösen  Störungen  auf  neben  den  gewöhn- 
lichen Erscheinungen  des  sogenannten  Jodis- 
mus, während  in  unserem  Falle  die  Paraesthe- 
sien  das  einzige  Symptom  blieben. 

Ein  älterer  Mediciner,  E.,  der  durch  vieles 
Arbeiten  und  erhebliche  psychische  Aufregungen 
ziemlich  nervös  geworden  war,  pflegte  einen  ihm 
nahestehenden  Kracken,  der  in  Folge  eines  schwe- 
ren Herz-  und  Lungccleidens  an  so  hochgradigen 
Angstzu standen  litt,  dass  er  in  diesen  über  eine 
Stunde  dauernden  Anfällen  stets  einen  Arzt  neben 
sich  zu  sehen  das  dringendste  Bedürfniss  hatte. 
Die  Anfälle  kamen  ebenso  häufig  des  Nachts  und 
duldeten  den  Kranken  nicht  im  Bette.  Er  sass 
dann  am  Tisch  und  sein  ärztlicher  Wärter  musste, 
um  ihn  zu  beruhigen,  die  ganze  Zeit  neben  ihm 
sitzen.  In  dieser  Zeit  trat  bei  E.  als  Recidiv  einer 
froher  erworbenen  Lues  ein  Gumma  am  Kopfe  auf, 
gegen  welches  er  Jodkali  in  Dosen  von  2  g  pro 
die  nahm.  Nachdem  er  die  Arznei  eine  Woche 
lang  genommen  hatte,  ohne  dass  die  geringsten 
Zeichen  von  Jodismns  aufgetreten  waren,  machten 
sich  erst  leichte,  im  Laufe  der  nächsten  Tage  sicli 
immer  mehr  verstärkende  Sensationen  an  beiden 
Beinen,  vom  Knie  abwärts  bis  in  die  Fusssohlen, 
und  hier  am  stärksten  belästigend,  geltend,  welche 
ganz  den  Charakter  der  bekannten  Paracsthcsien 
hatten,  die  in  den  Fingern  nach  einem  Druck  auf 
den  Nerv,  ulnaris  zwischen  Condylus  humeri  intern. 
und  Olecranon  auftreten.  Es  war  ein  ununter- 
brochenes Kribbeln  und  ^Ameisenlaufen^,  in  den 
Fasssohlen  anfangend  und  sich  in  kurzer  Zeit  bis 
fast   an   das   Knie    hinauf  erstreckend.     Die  Par- 


*)  Kopp,  Ueber  eine  seltene  Erscheinung  bei 
acutem  Jodismus.  Münchener  med.  Wochcnschr. 
1866  No.  27  u.  28. 


acsthesien  verschwanden  bei  horizontaler  Lage- 
rung in  kürzerer  oder  längerer  Zeit,  kehrten  aber 
in  wenigen  Minuten  wieder,  sobald  die  Beine  her- 
abhingen. Durch  Bewegung  der  Beine  milderten 
sich  die  unangenehmen  Empfindungen  in  etwas, 
wurden  aber  furchtbar  quälend,  sobald  E.  in  der 
Nacht  eine  Stunde  lang  neben  seinem  Kranken 
sitzen  musste.  Es  trat  dann  eine  solche  nervöse 
Unruhe  des  ganzen  Körpers  ein,  welche  sich  in 
häufigen  Zuckungen  namentlich  der  Schulter-,  Arm- 
und  Brustmuskeln  äusserte,  dass  es  selbst  dem 
unter  Morphium  stehenden  Kranken  auffiel  und  ihn 
ängstigte.  Anfangs  glaubten  wir  die  Ursache  darin 
zu  finden,  dass  E.  während  dieser  Zeit  auch  am 
Tage  aus  Rücksicht  für  seinen  Pflegebefohlenen 
weiche  Schuhe  trug,  was  sich  ihm  schon  seit  einiger 
Zeit  unangenehm  bemerkbar  gemacht  hatte,  indem 
leichte  Schmerzen  in  den  Metatarsalgelenken  auf- 
getreten waren.  Als  aber  auch  beim  Tragen  festen 
Schuhwerkes  keiue  Linderung  auftrat,  die  Par- 
aesthesien  im  Gegentheil  immer  .quälender  wurden, 
dachten  wir  an  eine  Jodwirkung.  Es  wurde  das 
Jodkali  ausgesetzt,  und  nachdem  sich  schon  inner- 
halb 12  Stunden  eine  Milderung  bemerkbar  gemacht 
hatte,  waren  die  Paraesthesien  nach  im  Ganzen 
36  Stunden  vollkommen  verschwunden. 

Damit  war  also  sicher  bewiesen,  dass 
wir  es  mit  einer  Arzneiwirkung  zu  thun 
hatten.  Es  fragt  sich  nur,  wie  diese  aufzu- 
fassen ist.  Es  liegt  von  vornherein  nahe 
mindestens  an  eine  Mitbetheiligung  des  Ge- 
fässsystems  zu  denken.  Dafür  spricht  vor 
Allem  der  Umstand,  dass  bei  horizontaler 
Lagerung  die  abnormen  Sensationen  ganz 
verschwanden,  dass  sie  am  stärksten  auf- 
traten bei  herabhängenden  Füssen,  und  dass 
sie  wiederum  durch  Bewegung  sich  mil- 
derten. In  der  That  hatte  auch  der  Kranke 
während  der  Paraesthesien  das  Gefühl,  als 
ob  das  Blut  stockte  und  die  Beine  leicht 
angeschwollen  wären.  Eine  mehrmalige  Be- 
sichtigung jedoch  ergab  nicht  den  geringsten 
Anhaltspunkt  für  eine  Mitbetheiligung  des 
Gefässsystems.  Es  war  keine  Anschwellung 
der  Beine  vorhanden,  nirgends  zeigte  sich 
eine  Blässe  oder  Cyanose  der  Haut.  Die 
Arterien  und  die  ziemlich  reichlich  ent- 
wickelten Venen  der  Haut  hatten  normale 
Füllung  und  Spannung.  So  bleibt  nichts 
übrig,  als  vorwiegend  auf  das  Nervensystem 
zurückzugreifen,  und  die  Erscheinungen  in 
Analogie  zu  stellen  mit  den  bisher  bekann- 
ten mehr  neuralgischen  Afifectionen  einzelner 
anderer  peripherischer  Nerven,  wenn  auch  die 
Inconstanz  der  Erscheinungen  unter  ver- 
schiedenen bestimmten  mechanischen  Ver- 
hältnissen mit  dieser  Erklärung  allein  nicht 
ganz  im  Einklang  zu  stehen  scheint. 

2,   Fieber  nach  Jodkali. 

Noch  weniger  Anhaltspunkte  als  für  die 
eben    geschilderten    nervösen    Erscheinungen 

21* 


164 


Malachowtki,  BeitTag  zur  K«nntnlflt  der  Nebenwirkuogan  des  Jod  Oodkali).        [^on^^tahä^^ 


finden  wir  in  der  Litteratur  für  das  Auf- 
treten von  Fieber  nach  Jodgebrauch,  wie 
solches  in  den  beiden  folgenden  Fällen 
wiederum  als  einziges  Symptom  der  Jod- 
wirkung sich  zeigte.  Zwar  treten  häufig 
die  nach  Jod  vorkommenden  Hautausschläge 
mit  Fieber  auf;  es  ist  dies  jedoch  mit 
Sicherheit  auf  entzündliche  Vorgänge  in  der 
Haut  resp.  den  Drüsen  zurückzuführen,  und 
ebenso  ist  wohl  die  Beobachtung  von  Fous- 
sagrives')  zu  deuten,  welcher  nach  Ein- 
spritzimg einer  auf  die  Hälfte  verdünnten 
Jodtinctur  in  die  traumatisch  entzün- 
dete Tunica  vaginalis  Anschwellung  des 
Hodensackes  und  bedeutendes  Fieber  inner- 
halb zwei  Stunden  auftreten  sah,  welches 
fünf  Tage  anhielt.  Zwar  giebt  Lew  in®)  an, 
dass  nach  todtlichen  Gaben  von  Jodkali 
neben  andern  schwersten  Vergiftungssym- 
ptomen „mitunter  hohes  Fieber  und  Albu- 
minurie" zu  beobachten  ist  und  Hirt®) 
macht  in  seinem  Handbuch  der  Gewerbe- 
krankheiten die  Bemerkung:  „Ein  eigent- 
liches Jodfieber,  Temperaturerhöhung,  mit 
Pulsbeschleuniguug  verbunden,  kommt  unter 
den  Arbeitern  ebenfalls  nur  sehr  selten 
vor".  Aber  diesen  Angaben  widersprechen 
die  von  Böhm*^),  welcher  Folgendes  aus- 
führt: „Auch  die  Annahme  eines  „Jod- 
fiebers" hat  die  unklaren  Vorstellungen  von 
dem  Einfluss  des  Jod  auf  den  Stoffwech- 
sel ...  .  vielfach  bestärkt.  Nun  ist  es  aber 
nicht  möglich,  in  der  Litteratur  sichere 
Belege  für  die  Existenz  eines  solchen  spe- 
cifischen  Fiebers  aufzufinden,  wenn  man 
nicht  allgemeine  Angaben  von  fieberhaftem 
Zustand  u.  dgl.  dafür  ansehen  will.  Rose 
konnte  bei  den  intensivsten  Jodsymptomen 
und  allen  äusseren  Anzeichen  des  Fiebers, 
Köthung  des  Gesichtes,  beschleunigten  Puls 
u.  s.  f.  doch  das  einzige  wahre  Kriterium 
des  Fiebers,  die  Temperatursteigerung  nicht 
constatiren  .  .  .  ".  In  gleichem  Sinne  äussern 
sich  Nothnagel  und  Rossbach*^):  „Wo 
die  Körperwärme  nach  Jodkaliumgebrauch 
genau  gemessen  wurde,  zeigte  sich  die  Tem- 
peratur stets  normal.  In  den  wenigen  An- 
gaben sogenannter  Jodfieber  ist  merkwür- 
digerweise üie  ein  Thermometer  angelegt 
worden;    dieselben    sind  demnach  sehr  frag- 


')  Foussagrives,  L'Union  medicale  1860 
No.  71,  cit.  nach  Lewin:  Nebenwirkungen  der 
Arzneimittel  1881. 

®)  Lewin,  Lehrbuch  der  Toxikologe  1885. 

^)  Hirt,  Handbuch  der  GewerbeSrankheiten 
1882.     3.  Aufl. 

*°)  Zierassen,  Specielie  Pathol.  und  Therap. 
Band  XV,  Handbuch  der  Intoxicationen.  IL  Aufl., 
p.  13, 

*')  Nothnagel  und  Rossbach,  Handbuch 
der  Arzneimittellehre,   ö.  Aufl.    1884  p.  283. 


lieber  Natur",  und  ebenso  fast  alle  andern 
Lehrbücher  der  Toxikologie  resp.  Arznei- 
mittellehre. Nirgends  also  sind  genau  beob- 
achtete Fälle  verzeichnet,  in  denen  der  Ge- 
brauch von  Jodpräparaten  Fieber  zur  Folge 
hatte,  und  wenn  wir  dennoch  in  unseren 
Fällen  das  Fieber  als  eine  reine  Jodwirkung 
ansehen,  so  geschieht  es  deswegen,  weil 
1.  das  Fieber  kurze  Zeit  nach  Beginn  der 
Jodtherapie  bei  vorher  fieberlos  erkrankten 
Individuen  auftrat,  weil  2.  das  Fieber  in 
kurzer  Zeit  nach  Aussetzen  des  Jodkali 
verschwand  und  weil  3.  trotz  sorgfaltiger 
Untersuchung  nirgends  am  ganzen  Korper 
sich  ein  Anhalt  für  das  Fieber  bot,  und 
auch  keinerlei  subjective  Beschwerden  auf 
eine  Fieberquelle  hinwiesen.  Beide  Patienten 
wurden  während  unserer  Thätigkeit  im  hie- 
sigen Allerheiligen-Hospital  beobachtet;  die 
Temperatur  nach  Auftreten  des  Fiebers  zwei- 
stündlich gemessen. 

Die  Fälle  sind  folgende: 

Wilhelmine  Sp.,  40  J.  alt,  Tischlergesellenfrau, 
wurde  wegen  massigen  Emphysems  und  leichter 
trockener  Bronchitis  in  das  Hospital  aufgenommen. 
Sie  war  bei  der  Aufnahme  fieberlos,  und  will  auch 
vor  ihrem  Eintritt  in  das  Hospital  während  ihrer 
jetzigen  Erkrankung  nicht  gefiebert  haben.  Es 
wurde  ihr  von  einer  Jodkaliumlösung  3  x  täglich 
1  Esslüffel  =1,0  pro  die  verordnet.  Nachdem  sie 
die  Arznei  ca.  48  Stunden,  wenn  auch  widerwillig, 
genommen  hatte,  da  sie  ihr  zu  schlecht  schmeckte, 
trat  am  Nachmittag  des  dritten  Tages  leichtes  Un- 
behagen mit  Frösteln  ein,  und  die  Abends  ge- 
messene Temperatur  ergab  39,3°.  Bei  der  sofort 
vorgenommenen  körperlichen  Untersuchung  konnte 
keine  Ursache  für  das  Fieber  gefunden  werden. 
Der  trockene  Katarrh  hatte  sich  nicht  gesteigert, 
war  im  Gegentheil  schon  geringer  geworden,  der 
Hustenreiz  hatte  nachgelassen,  das  Auswerfen  ging 
leichter  von  Statten.  Es  war  weder  Schnupfen 
noch  Augenkatarrh,  oder  irgend  eine  der  nach  Jod 
häufig  auftretenden  Hautveränderungen  vorhanden. 
Kurz,  es  liess  sich  weder  an  diesem  Abend  noch 
an  den  folgenden  Tagen  weder  eine  Ursache  für 
das  Fieber  noch  irgend  eine  sonstige  Erscheinung 
des  Jodismus  aufdnden.  Fat.  behauptete,  die  Me- 
dicin  sei  Schuld  an  ihrem  Unbehagen  und  licss 
sich  nur  mit  Mühe  bewegen,  noch  am  nächsten 
Tage  die  Arznei  zu  nehmen.  An  diesem  Tage 
hielt  sich  das  Fieber  unter  denselben  leichten  sub- 
jectiven  Symptomen,  ohne  dass  erneutes  Frösteln 
eingetreten  wäre,  zw^ischen  39  und  40®,  um  vom 
folgenden  Tage  ab,  an  dem  die  Kranke  sich 
weigerte,  die  Arznei  femer  zu  nehmen,  allmfihlich 
geringer  zu  werden.  Innerhalb  S'/j  Tagen  vom 
Beginn  des  Fiebers  an  war  die  normale  Tempera- 
tur wieder  erreicht,  um  auch  weiterhin  normal  zu 
bleiben.  Das  einzige  subjective  Symptom,  das 
Unbehagen,  hatte  schon  mit  dem  Aussetzen  des 
Jodkali  nachgelassen.  Der  Puls  hatte  dem  Fieber 
entsprechend  eine  Frequenz  von  110 — 80  gehabt. 
Der  Appetit  und  die  Verdauung  waren  während 
dieser  Tage   nicht   merklich   alterirt,    ebensowenig 


IIL  J«hrgang.l 
April  1889.  J 


Malachowfki,  Beitrag  zur  Keaotaits  der  Nebenwirkungen  det  Jod  (Jodkali). 


165 


war  die  Menge  und  Concentration  des  Urins  wesent- 
lich anders  geworden. 

Aehnlich  nur  etwas  kürzer  gestaltete 
sich  der  Fieberverlauf  in  dem  folgenden 
Falle,  der  ungefähr  ein  Jahr  später  zur 
Beobachtung  kam. 

Emil  L.,  20  Jahre  alt,  Arbeiter,  Hess  sich 
wegen  leichter  rheumatischer  Beschwerden  in  das 
Erankenhans  aufnehmen.  Dieselben  bestanden  seit 
wenigen  Tagen.  Bis  zu  dieser  Zeit  will  L.  stets 
gesund  gewesen  sein,  namentlich  nie  an  Gelenk- 
rheumatismus gelitten  haben.  Die  körperliche 
Untersuchung  des  fieberlosen  Patienten  ergab  auch 
keine  Anhaltspunkte  für  ein  solches  Leiden.  Ebenso 
waren  alle  inneren  Organe  gesund,  die  Herztöne 
rein  und  laut,  nirgends  Geräusche,  die  Pulsfrequenz 
eine  normale.  Die  Yerordnung  bestand  in  einer 
w&ssrigen  Lösung  von  Jodkali,  3  X  tfiglich  einen 
Esslöffel,  so  dass  die  Tagesdosis  1,5  g  betrug. 
Nachdem  das  Medicament  ungefähr  vier  Tage  ge- 
nommen war,  ohne  dass  irgend  welche  Neben- 
wirkungen sich  geltend  gemacht  hatten,  trat  wieder- 
um unter  leichtem  Frösteln  und  Unwohlsein  eine 
Erhöhung  der  Temperatur  ein,  welche  am  Abend 
gemessen  89,7°  betrug  und  im  Laufe  der  Nacht 
bis  auf  40,2°  stieg.  Die  bei  der  Abendvisite  vor- 
genommene körperliche  Untersuchung,  sowie  auch 
der  Zustand  des  Kranken  während  des  Fiebers  und 
nach  Ablauf  desselben  ergab  nichts,  was  als  Ur- 
sache der  Temperaturerhöhung  nachgewiesen  werden 
konnte.  Subjective  Beschwerden  waren  nicht  vor- 
handen, die  Pulsfrequenz  dem  Fieber  entsprechend 
erhöht.  Wir  wollen  noch  besonders  betonen,  dass 
auch  jetzt  weder  eine  Schmerzhaftigkeit,  noch  eine 
Schwellung  irgend  eines  Gelenkes  vorhanden  war, 
und  auch  jetzt  weder  am  Herzen  noch  an  den 
Pleuren  Geräusche  wahrgenommen  wurden  oder  in 
der  Folgezeit  auftraten.  Auch  der  Urin  zeigte 
nichts,  was  etwa  auf  eine  Nierenreizung  bezogen 
werden  konnte.  In  der  Erinnerung  an  den  vorher 
beschriebenen  Fall  wurde  das  Jodkali  sofort  weg- 
gelassen. Der  Verlauf  war  der,  dass  schon  am 
folgenden  Tage  das  Fieber  geringer  war,  die  Curve 
sich  kaum  über  39°  erhob,  und  die  normale  Tem- 
peratur innerhalb  2^^  Tagen  erreicht  war,  um  fortan 
normal  zu  bleiben.  Acht  Tage  später  wurde,  trotz- 
dem die  rheamatischen  Schmerzen  geschwunden 
waren,  ein  erneuter  Versuch  mit  Jodkali  unter- 
nommen. Dieses  Mal  jedoch  trat  selbst  nach 
weiteren  acht  Tagen  Fieber  nicht  wieder  auf,  und 
der  Kranke  wurde  entlassen. 

Es  wäre  ja  allerdings  ein  sicherer  Be- 
weis für  die  Abhängigkeit  des  Fiebers  von 
dem  Jodkali  gewesen,  wenn  auch  nach  der 
zweiten  Darreichung  des  Mittels  eine  Tem- 
peraturerhöhung eingetreten  wäre,  aber 
keineswegs  spricht  dieser  negative  Erfolg 
gegen  die  oben  betonte  Abhängigkeit.  Es 
ist  ja  zur  Genüge  bekannt,  dass  auch  andere 
Nebenwirkungen  der  Jodpräparate  nach  Aus- 
setzen des  Mittels  und  nochmaliger,  selbst 
schon  nach  wenigen  Tagen  erfolgter  Anwen- 
dung nicht  wieder  auftreten. 


Eine  Erklärung  für  das  Zustandekommen 
des  Fiebers  zu  geben  vermögen  wir  nicht. 
Wir  können  nur  als  im  Bereich  der  Mög- 
lichkeit liegend  hinweisen  auf  eine  eventuelle 
Beeinflussung  thermischer  Centren  im  Ge- 
hirn, deren  Existenz  durch  die  neueren  Un- 
tersuchungen von  Aronsohn  und  Sachs 
wiederum  wahrscheinlicher  gemacht  ist. 


Vergleichende  Untersucliungen  über  den 

therapeutischen  Werth    der  MoorbiUler 

und  deren  Surrogate. 

Von 

Dr.  Qustav  Loimann  in  Franzensbad. 

Wie  auf  vielen  anderen  Gebieten  macht 
sich  gegenwärtig  auch  in  der  Therapie  viel- 
fach das  Bestreben  geltend,  für  theuere  oder 
schwieriger  zu  beschaffende  Heilmittel  billige 
und  bequeme  Surrogate  einzuführen.  Es 
liegt  schon  in  der  Natur  der  Sache,  dass 
es  nicht  die  schlechteren  Mittel  unseres 
Arzneischatzes  sein  werden,  die  man  zu  sub- 
stituiren  sucht,  dagegen  dürfte  der  Werth 
der  Ersatzmittel  selbst,  die  meist  in  markt- 
schreierischer Weise  angepriesen  werden, 
weniger  über  allen  Zweifel  erhaben  sein.  In 
jüngster  Zeit  hat  man  nun  auch  den  Ver- 
such unternommen,  die  Auslaugungsproducte 
des  Moores  als  vollkommen  gleichwerthige 
Surrogate  für  Moorbäder  auszugeben,  und 
nachdem  diese  Angelegenheit  auch  in  ärzt- 
lichen Kreisen*)  ihre  Verfechter  gefunden 
hat,  sei  es  gestattet,  dieselbe  vom  thera- 
peutischen Standpunkte  etwas  näher  zu  be- 
trachten. 

Moorbäder  unterscheiden  sich  von  in- 
differenten Wasserbäderu  in  physikalischer 
und  chemischer  Hinsicht.  Die  physikalischen 
Eigenschaften  sind  von  Cartellieri')  einer 
genauen  Prüfung  unterzogen  worden,  und 
hierdurch  vmrde  festgestellt: 

1.  das  höhere  specifische  Gewicht  des 
Moorbreies,  es  beträgt  im  Mittel   1,005; 

2.  Moor  ist  ein  sehr  schlechter  Wärme- 
leiter, seine  Wärmecapacität  und  seine  spe- 
cifische Wärme  sind  ziemlich  gering,  erstere 


')  Heitzmann,  Der  Gebranch  der  Moor- 
extracte  in  der  gynäkologischen  Praxis.  Allgem. 
Wien,  medic.  Zeitg.  1888  No.27  u.  28.  Fiscber, 
Die  therapeutische  Bedeutung  des  Moores  und  der 
Mattoni  sehen  Moorextracte.  Wiener  Med.-Chir. 
Centralbl.  1888  No.29  u.  31.  Weiss,  Mattoni's 
Moorextracte.    Zeitschrift  für  Therapie  1888  Nr.  16. 

')  Cartellieri,  Monographie  der  Mineralmoor- 
bäder zu  Franzensbad.    Prag  1852, 


166 


LoimaoDi   Vergleicheode  Untersuchungen  über  den  thermp.  Warth  der  Moorbäder. 


tTherapeuUscfae 
Monatshefte. 


ist  gleich  0,93,  letztere  gleich  0,76,  die  des 
Wassers  gleich   1   gesetzt. 

In  chemischer  Hinsicht  war  das  Moor 
wiederholt  Gegenstand  eingehendster  wissen- 
schaftlicher Untersuchungen^)  und  seien  hier 
nur  die  Resultate  der  Arbeiten  Cartellieri's*) 
den  Franzensbader  Moor  betreffend  ange- 
führt. 

•  Nach  diesen  enthalten  1000  Theile  Moores 
146,177  Theile  löslicher  schwefelsaurer  Mine- 
ralsalze, darunter  allein  97,7803  schwefel- 
saures Eisenoxydul,  47,969  Theile  halb- 
gehundene  und  freie  Schwefelsäure  und 
57,627  in  Wasser  losliche  organische  Ver- 
bindungen; fernerin  Wasser  unlöslich:  33,8418 
Eisenverbindungen,  15,2807  anderweitige 
mineralische  Substanzen  und  698,4385  Hu- 
musverbindungen  und  Pflanzenreste. 

Eine  für  die  Praxis  ebenfalls  überaus 
wichtige  Eigenschaft,  weil  yon  dieser  die 
Concentration  des  Bades  abhängt,  ist  ferner 
die  Absorptionsfähigkeit  des  Moores  für 
Wasser,  welche,  wie  Reinl*)  nachgewiesen 
hat,  bei  den  verschiedenen  Moorarten  sehr 
bedeutenden'  Schwankungen  unterliegt. 

In  therapeutischer  Beziehung  werden  bei 
einem  Moorbade  demnach  hauptsächlich  fol- 
gende Factoren  in  Betracht  kommen: 

1.  Die  dicke,  breiige  Consistenz  und  das 
hohe  specifische  Gewicht  des  Moorbreies, 
bedingt  durch  die  im  Wasser  unlöslichen 
Mineralsalze,  Schwefeleisen,  Humusstoffe 
und  Pflanzenreste.  Der  auf  dem  Körper 
lastende  Druck  ist  daher  in  einem  Moorbade 
ungleich  grösser  als  in  eijiem  Wasserbade 
und  wahrscheinlich  meist  höher  als  der  intra- 
abdominelle Druck.  Bei  Frauen  mit  weiteren 
Genitalien  dringt  auch  beinahe  immer  Moor 
in  die  Vagina  ein  und  entfaltet  dann  dort 
die  noch  zu  besprechenden  adstringirenden 
und  antiparasitären   Wirkungen®). 

2.  Die  geringe  Wärmecapacität  und  das 
geringe  Wärmeleitungsvermögen.  Lässt  man 
ein  frisch  bereitetes  Moorbad  von  35°  R. 
durch  24  Stunden  bei  einer  Lufttemperatur 

^)  Trommsdorf,  Rogsky,  Cartellieri 
(Franzensbad),  Lehmann  (Marienbad)  etc. 

*)  1.  0. 

*)  Vergleichende  Untersuchungen  über  den 
therapeutischen  Werth  der  bekanntesten  Moorbäder 
Oesterreichs  und  Deutschlands.  Prager  mcdicin. 
Wochenschrift  1886  No.  13,  14  u.  15. 

®)  An  Pessarien  aus  weichem  Gummi  oder  aus 
mit  Gummi  überzogenem  Kupferdraht  bleibt  Moor 
sehr  leicht  festhaften  und  reizt  dann  die  Vaginal- 
schlcimhaut.  Solche  Instrumente  müssen  daher 
häufig  für  die  Zeit  der  Curdauor  entfernt  werden, 
oder  sind  durch  glatte  zu  ersetzen.  Dass  ein  Bade- 
spcculum,  welches  empfohlen  wird,  um  das  Ein- 
dringen der  Badeflussigkeit  in  die  Scheide  zu  er- 
leichtern, seinen  Zweck  nicht  erfüllt,  sondern  nach 
Art  einer  Taucherglocke  dnrch  Lnfteinschlass  das 
gerade  Gegentheil  bewirkt,  ist  einleuchtend. 


von  12®  R.  stehen,  so  findet  man  nach  Ab- 
lauf dieser  Zeit  an  der  Oberfläche  des  Bades 
(die  dann  blos  aus  Wasser  besteht,  weil 
sich  der  schwere  Moorbrei  zu  Boden  senkt) 
13°  R.,  in  den  tieferen  Schichten  (also  im 
Moorbrei  selbst)  25°  R.  Rührt  man  nun 
die  ganze  Masse  rasch  durch  einander,  so 
zeigt  dieselbe  in  allen  Schichten  eine  gleich- 
massige  Temperatur  von  22°  R.  Unter 
gleichen  Umständen  zeigt  ein  Mineralwasser- 
bad  nach  24  Stunden  durchweg  nur  16°  R.^). 
Hieraus  erklärt  sich  die  in  practischer  Hin- 
sicht höchst  wichtige  Thatsache,  dass  Moor- 
bäder von  bedeutend  höherer  Temperatur 
genommen  werden  können  als  gewöhnliclie 
Wasserbäder,  ohne  ein  lästiges  Gefühl  der 
Wärme  zu  erzeugen,  und  dass  dieses  Yer- 
hältniss  proportional  ist  der  Consistenz  des 
Bades. 

3.  Der  bedeutende  Gehalt  an  löslichen 
Mineralsalzen ,  besonders  an  Eisensulfat, 
welcher  natürlich  zu  der  zu  einem  Bade 
verwendeten  Menge  Moores  in  geradem  Ver- 
hältnisse steht.  Um  zur  Bestimmung  des 
Procentverhältnisses  positive  Werthe  zu  ge- 
winnen, wozu  ja  die  Abstufungen  „dünn", 
„mitteldicht"  und  „dicht",  welche  auf  rein 
subjectivem  Ermessen  beruhen,  keinen  di- 
recten  Anhaltspunkt  geben,  habe  ich  die 
Badewannen  nach  ihrem  Cubikinhalt  aus- 
gemessen und  die  zu  einem  Bade  verschie- 
dener Dichte  nöthige  Menge  Moor  und 
Wasser  dem  Gewichte  nach  bestimmt.  Hier- 
bei fand  ich  nun,  dass  zu  einem  Bade  100 
bis  150  kg  Moor  und  50 — 75,  für  sehr 
dünne  Bäder  100  kg  Wasser  nöthig  sind"). 
Für  die  äussersten  Grenzen  entsprechen  also 
mit  Zugrundelegung  obiger  Analyse  einem 
dünnen  Bade  14,6  kg,  einem  dichten  21,9  kg 
löslicher  Sulfate,  wobei  das  Eisensulfat  mit 
9,7  resp.  14,6  kg  betheiligt  ist.  Dies  ergiebt 
in  Procenten  ausgedrückt  für  ein  dünnes 
Bad  7,3  °/o  löslicher  Salze,  wobei  auf  Eisen- 
vitriol 4,8  °/o  entfallen,  während  ein  dickes 
10,9°  0  Salze  mit  7,3 °/o  schwefelsaurem  Eisen- 
oxydul enthält.  Aus  dieser  Berechnung  er- 
giebt sich  auch,  dass  sich  die  Consistenz 
des  Bades  zur  Concentration  der  Lauge 
etwa  verhält  wie  1:4. 


^)  Cartellieri  1.  c. 

*)  Alle  Angaben  dieser  Arbeit  beziehen  sich 
auf  Franzensbader  Moor,  über  welchen  allein  mir 
ausreichende  Erfahrungen  zu  Gebote  stehen.  Die 
Abstufung  dünn,  roitteldicht  und  dicht  hat  sich 
in  der  Praxis  bewährt  und  ist  für  diese  auch  voll- 
kommen ausreichend.  Eine  ^Graduirung*'  des  Bade.s 
durch  Vorschrift  bestimmter  Gewichtsmengen  Moores 
würde  ihren  Zweck  ganzlich  verfehlen,  weil  der 
Moor  je  nach  dem  Grade  der  Feuchtigkeit  der 
Luft  verschiedene  Menden  Wasser  absorbirt.  Ausser- 
dem w&re  hiebei  die  Grösse  der  Wanne  zu  berück- 
sichtigen. 


DL  Jahrgang.! 
April  1889^  J 


Loimann,  Vergleichende  Unterauehungen  über  den  therap.  Werth  der  Moorbäder. 


167 


4.  Der  erhebliche  Säuregrad,  der  zum 
grössten  Theile  von  halbgebundeuer  Schwefel- 
säure ,  aber  auch  von  freien  organischen 
Säuren,  deren  Vorhandensein  im  Moore  eben- 
falls nachgewiesen  wurde,  abhängt.  Nach 
der  Analyse  Cartellieri's  würde  sich 
der  Säuregehalt  eines  Moorbades  auf  2  bis 
3  ^/o  berechnen ;  zu  demselben  Resultate 
kommt  man  nach  Reinl,  wenn  der  Gesammt- 
gehalt  der  neutralisirbaren  Säure,  also  der 
„Säuregrad"  auf  Oxalsäure  bezogen  berechnet 
wird*). 

5.  Die  beträchtliche  Menge  löslicher  und 
flüchtiger  organischer  Verbindungen,  die  bis 
zu  einer  Menge  von  3  %  vorhanden  sind. 

Sonach  werden  sich  die  therapeutischen 
Wirkungen  eines  Moorbades  äussern  können 
als  kataplasmatische ,  hautreizende,  adstrin- 
girende  und  antimykotische.  In  der  Regu- 
lirung  der  Temperatur  \md  der  Consistenz 
haben  wir  ein  Mittel,  diese  Wirkungen  be- 
liebig abzustufen,  und  daher  werden  wir 
mit  einem  scheinbar  so  einfachen  Heilmittel 
die  verschiedenartigsten  therapeutischen  Ziele 
anstreben  und  erreichen  können.  Je  nach 
dem  einzelnen  Krankheitsfalle  wird  bald  die 
eine  bald  die  andere  Wirkung  mehr  in  den 
Vordergrund  treten,  sehr  häufig  werden  sie 
aber  auch  in  ihrer  Gesammtheit  zur  Aeusse- 
rang  kommen.  So  werden  wir  beispielsweise 
in  einem  Falle  von  Anaemie  und  Neurasthenie 
mehr  mit  der  Haut  reizenden,  bei  einem 
Rheumatismus  mit  dieser  und  der  kataplas- 
matischen,  bei  einem  Katarrhe  des  weib- 
lichen Genitalschlauches  mit  der  adstrin- 
girenden  und  antimykotischen,  bei  einem 
parame  tri  tischen  Exsudate  mit  starker  Secre- 
tion  der  Genitalschleimhaut  sowohl  mit  der 
kataplasmatischen  als  adstringirenden  und 
antimykotischen   Wirkung     rechnen    müssen. 

Nun  verhalten  sich  die  verschiedenen 
Moorarten  in  Bezug  auf  ihre  physikalischen 
und  chemischen  Eigenschaften  durchaus  nicht 
gleich,  vielmehr  walten  grosse  Verschieden- 
heiten ob,  wie  zahlreiche  Versuche  dargethan 
haben.  So,  um  nur  ein  Beispiel  anzuführen, 
ist  nur  bei  den  Mooren  von  Franzensbad 
und  Marienbad  der  Säuregrad  ein  so  be- 
trächtlicher, dass  dadurch  die  antiparasitäre 
Wirkung  zur  vollen  Geltung  kommt.  Daher 
haben  auch  die  physiologischen  Versuche  ^^), 
welche  an  verschiedenen  Orten  mit  Moor- 
bädern angestellt  wurden,  zu  ganz  verschie- 
denen Resultaten  geführt  und  daher  difiPeriren 
auch  häufig  die  therapeutischen  Erfolge  bei 
ein  und  derselben  Erkrankung  je  nach  der 
angewendeten  Moorart  sehr  bedeutend.  Die 
oben   angeführten   Eigenschaften    geben    uns 

•)  Reinl  1.  c. 
»)  KiBch,  Fellner. 


zugleich  einen  Maassstab  für  die  Beurthei- 
lung  des  therapeutischen  Werth  es  eines 
Moores;  als  der  beste  wird  allenfalls  jener 
zu  betrachten  sein,  welcher  alle  für  die 
Therapie  in  Betracht  kommenden  Factoren 
in  sich  vereinigt.  Wenden  wir  uns  nun  zu 
den  mit  Moorextracten  bereiteten  Bädern, 
wobei  wir  zunächst  auf  die  chemische  Zu- 
sammensetzung des  Moorsalzes  und  der  Moor- 
lauge Rücksicht  zu  nehmen  haben. 

Ein  Kilo  Moorsalz  enthält  545,0  g  Eisen- 
vitriol, 29,7  g  schwefelsaure  Alkalien  und 
Erden,  6,0  g  organische  Substanz  und  400,0  g 
Krystall  Wasser  "). 

Ein  Kilo  Moorlauge  enthält  106,0  g  schwe- 
felsaures Eisenoxydul,  61,8  g  andere  Sul- 
fate, 37,7  g  saures  schwefelsaures  Natrium 
und  17,8  g  nicht  flüchtige,  organische  Sub- 
stanz. Ein  Vollbad,  zu  welchem  je  nach  der 
Grösse  der  Badewanne  240 — 300  1  Wasser 
nöthig  sind,  wird  sonach  bei  Zusatz  von 
einem  Kilo  Moorsalz  (die  Durchschnitts- 
menge) eine  etwa  0,4%,  bei  Zusatz  von 
2  kg  Moorlauge  eine  kaum  0,2  %  Salzlösung 
ergeben.  Etwas  günstiger  gestaltet  sich 
dieses  Verhältniss  für  Sitzbäder,  für  welche 
etwa  30 — 351  Wasser  genügen,  die  bei  Zu- 
satz von  ^/a  kg  Moorsalz  oder  1  kg  Moor- 
lauge eine  1,5%  oder  0,7%  Salzlösung  re- 
präsentiren. 

Bei  der  Beurtheilung  der  möglichen  phy- 
siologischen oder  therapeutischen  Wirkung 
eines  mit  Moorsalz  bereiteten  Bades  kann 
nur  ganz  ausschliesslich  dessen  Gehalt  an 
Eisenvitriol  in  Betracht  kommen,  dem  gegen- 
über die  Menge  der  übrigen  noch  vorhan- 
denen Salze  verschwindend  klein  ist,  da  sie 
bei  einem  Kilo  nur  36,0  g,  in  einem  Bade 
also  1  ^/ooo  beträgt.  Ein  mit  Moorlauge  her- 
gestelltes Bad  unterscheidet  sich  von  dem 
vorigen  nur  durch  die  schwach  saure  Reac- 
tion,  welche  durch  100 — 150,0  g  saurer 
schwefelsaurer  Alkalien,  entsprechend  einem 
Säuregrad  von  0,014  —  0,021  %,  bedingt  ist. 
Ausserdem  enthält  das  Moorlaugenbad  etwa 
36,0  nicht  flüchtige  organische  Substanz, 
der  wohl  kaum  jemand  eine  Bedeutung  bei- 
messen dürfte.  Wir  haben  es  hier  also  nur 
mit  schwachen  Salz-  vornehmlich  Eisen- 
vitriol lÖsungen  zu  thun,  welche  einem  Sool- 
bade  weit  näher  stehen  als  einem  Moorbade, 
mit  welchem  sie  mit  Ausnahme  des  Gehaltes 
an  FcgSO«  gar  nichts  gemein  haben,  da  alle 
charakteristischen  Eigenschaften  eines  Moor- 
bades   gänzlich    in    Wegfall    kommen.      Bei 


^^)  Dieser  BerecbnuDC  liegt  die  chemische 
Analyse  der  Mattoni'scnen  Moorextracte  von 
Herrn  Prof.  Ludwig  in  Wien  zu  Grunde.  Von 
anderen  derartigen  Präparaten  liegen  unseres 
Wissens  keine  Ajualysen  vor. 


168        Westler,  Erschein,  nach  eombinirten  Cocara-ADÜpyrin-Ii^eetioneii  am  Zahnfleische.       PH^ja^äto^^ 


Moorsalzbädern  kann  daher  für  die  Therapie 
auch  nur  die  adstringirende  Wirkung  und 
die  eines  schwachen  Hautreizes  in  Anspruch 
genommen  werden. 

Wo  das  ^mechanische  Moment  originärer 
Moorbäder,  die  nach  einer  Art  Massage 
wirkende  Friction"  allzusehr  yermisst  wird, 
hat  man  vorgeschlagen,  dem  Bade  eine 
Quantität  Walderde  beizumischen  und  glaubt 
nun  einen  yoUständigen  und  billigen  Ersatz 
für  wirkliche  Moorbäder  gefunden  zu  haben. 
Für  den  Bewohner  einer  Grossstadt  wird  es 
wohl  mit  diesem  wohlgemeinten,  aber  keines- 
wegs glücklichen  Vorschlag  für  immer  sein 
Bewenden  haben,  aber  auch  am  iTande,  wo 
die  Herstellung  eines  solchen  „künstlichen^* 
Moorbades  mit  verhältnissmässig  weniger 
Schwierigkeiten  verbunden  ist ,  wird  dieses 
wohl  nie  einen  Ersatz  für  ein  originäres 
Moorbad  bieten  können.  Ohne  uns  auf  Ein- 
zelheiten nochmals  einzulassen,  wollen  wir 
nur  Folgendes  besonders  hervorheben.  Die 
antimykotische,  desinficirende  Eigenschaft  des 
Moores  ist  nicht  nur  experimentell  nachge- 
wiesen, sondern  auch  durch  langjährige, 
klinische  Erfahrung  über  allen  Zweifel  er- 
haben festgestellt.  Hierfür  können  die  zahl- 
reichen Berichte  früherer  Jahre  über  Heilun- 
gen chronischer  Geschwürsprocesse,  Knochen- 
caries  etc.  durch  den  Gebrauch  der  Franzens- 
bader Moorbäder  als  genügende  Beweise 
angeführt  werden.  Von  der  Walderde  aber 
wissen  wir,  dass  dieselbe  nicht  nur  kein 
Desinfectionsmittel,  sondern  sogar  die  Brut- 
stätte zahlreicher  Mikroorganismen  ist,  ein 
Verhalten,  das  auch  ein  so  geringer  Zusatz 
von  Schwefelsäure,  wie  er  beispielsweise  in 
der  käuflichen  Moorlauge  enthalten,  kaum 
zu  ändern  im  Stande  sein  dürfte.  Der  Ge- 
halt an  Eisensulfat  kommt  hierbei  über- 
haupt nicht  in  Betracht,  weil  neutralisirte 
Lauge  das  Wachsthum  niederer  Organismen 
nicht  verhindert. 

lieber  den  therapeutischen  Erfolg  künst- 
licher, d.  i.  durch  Zusatz  von  Walderde 
hergestellter  Moorbäder  haben  wir  selbst 
keine  Erfahrungen,  dagegen  hatten  wir  häufig 
Gelegenheit,  entfernt  vom  Curorte  Moor- 
salzbäder, besonders  Sitzbäder,  bei  leicht 
recidivirenden  Vaginalkatarrhen  mit  mehr 
oder  weniger  lange  andauerndem  Erfolg  zu 
verordnen,  bei  anderweitigen  Erkrankungen 
des  w^eiblichen  Genital  apparates  dagegen 
haben  wir  solche  Bäder  meist  erfolglos  an- 
wenden gesehen. 

Der  richtige  Platz,  welcher  den  Surro- 
gaten der  Moorbäder  im  Heilmittelschatze 
anzuweisen  wäre,  dürfte  nach  diesen  Aus- 
einandersetzungen kaum  schwer  herauszu- 
finden sein. 


Unangenehme  Brscheinungren 

nach  eombinirten  Cocalin-Antipyriii- 

Injectionen  am  Za.hnileische. 

Von 

John  Westler  in  Stockholm. 

Nachdem  ich  eine  Zeitlang  mit  einfachen 
Cocain  -  Inj ectionen  am  Zahnfleische,  um 
Zähne  schmerzlos  extrahiren  zu  können,  ex- 
perimentirt  und  trotz  verhältnissmässig  klei- 
ner Dosen  (4 — 7  cg)  unangenehme  Intoxi- 
kation serscheinungen  beobachtet  hatte,  ver- 
suchte ich  die  von  Martin  (s.  Therap.  Mo- 
natsh.  1888.  S.  185)  empfohlene  Combination 
von  Cocain  mit  Antipyrin,  durch  welche 
Vergiftungserscheinungen  vermieden  werden 
sollten.  Die  von  mir  hierbei  gemachten 
Erfahrungen  waren  jedoch  keineswegs  günstig. 
Da  ich  in  der  Litteratur  nur  eine  oder  zwei 
Notizen  über  Nachtheile  bei  An tipyrininj ec- 
tionen gefunden  habe,  so  glaube  ich,  dass 
es  von  allgemeinerem  Interesse  ist,  wenn 
ich  kurz  über  die  von  mir  beobachteten 
Fälle  berichte. 

Herr  Martin,  der  die  obengenannte 
Combination  empfiehlt,  gibt  folgende  For- 
mel an: 

Cocaini  hydrochlor.  0,04 
Antipyrini  0,4 

Aq.  dest.  1,0. 

Die  von  mir  verwandte  lautet: 

Cocaini  hydrochlor.  0,03  —  4 
Antipyrini  0,5 

Aq.  dest.  0,5.' 

Die  Inj  ectionen  wurden  immer  an  beiden 
Seiten  der  Gingiva  gemacht  und  nach  10  Mi- 
nuten wurde  extrahirt. 

I.  E.  P.,  Soldat,  20  Jahre. 

12.  Vn.  88.  0,04  Cocam,  0,5  Antipyrin. 
Extrahirte  zweite  rechte  obere  Bicuspis  völlig 
schmerzlos. 

23.  Vni.  88.  Pat.  hatte  am  Platze  der  In- 
jectionsstelle  an  der  Gaumenseite  eine  ungefähr 
11x5  mm  grosse  und  1  bis  2  mm  tiefe  Narbe. 
Der  Pat.  erzählte,  dass  ein  ca.  9x5  mm  grosser 
Sequester  herausgekommen  sei. 

II.  G.  B.,  Knabe,  10  Jahre. 

12.  vn.  88.  0,03  Cocain,  0,5  Antipyrin. 
Extr.  des  ersten  rechten  oberen  Molaris  ohne  be- 
trächtlichen Schmerz. 

Am  folgenden  Tag  war  die  rechte  Seite  etwas 
geschwollen  und  am  Gaumen  eine  6x6  mm 
grosse  weisse  necrotische  Partie. 

31.  VII.  88.  Am  Gaumen  eine  sehr  tiefe 
(ca.  2  mm)  Narbe. 

III.  E.  J.,  Mädchen,  10  Jahre,  schwächliches 
Individuum. 

13.  VII.  88.  0,03  Cocain,  0,5  Antipyrin. 
Extr.  des  ersten  rechten  unteren  Molaris.    Schmerz- 


m.  Jahrgang.*! 
April  1889.  J 


Joret,  Menthol  bei  Asthma. 


169 


linderang  unsicher.  Ca.  10  Minuten  nach  Extraction 
Ohnmacht  mit  Amaurose  und  Delirien. 

24.  Vn.  88.  Noch  etwas  Schwellung;  an 
der  Aussenseite  des  Proc.  alv.  eine  Fistelöffnung, 
die  eine  beträchtliche  Menge  Eiter  absonderte. 
Wurde  täglich  mit  Carbolspühlungen  behandelt, 
bis  sie  am 

15.  YIII.  88  geheilt  entlassen  werden  konnte. 

rV.  A.  A.,  Mädchen,  19  Jahre,  kräftiges 
Individuum. 

18.  VII.  88.  0,04  Cocain,  0,5  Antipyrin. 
Extr.  des  ersten  rechten  unteren  Molaris  ohne 
erhebliche  Schmerzen.  'Nachher  schwache  Intoxi- 
kationserscheinungen. 

30.  vn.  88.  Pat.  erzählte,  sie  sei  4—5  Tage 
nachher  geschwollen  gewesen. 

V.    E.  E.,  Knabe,  10  Jahre. 

20.  vn.  88.  0,04  Cocain,  0,6  Antipyrin. 
Extr.  des  ersten  linken  unteren  Molaris,  wenig 
schmerzhaft. 

23.  vn.  88.  Am  Zahnfleisch  war  noch  eine 
Schwellung  sichtbar,  an  der  Aussenseite  etwas 
necrotisch.  Wurde  ebenfalls  mit  Carbolausspüh- 
langen  behandelt  und  war  am 

3.  Vni.  88  geheut. 

£s  muss  bemerkt  werden,  dass  die  In- 
jectionsspritze  und  Canüle  jedesmal  mit  einer 
50  %  Carbollösung  gut  gereinigt  wurde, 
auch  habe  ich  dieselbe  Spritze  sowohl  vor- 
wie  nachher,  ohne  derartige  necrotische 
Frocesse  an  Inj ectionss teilen  beobachten  zu 
können,  verwendet. 

Diese  Resultate  waren  natürlich  nicht 
geeignet,  zu  weiteren  Versuchen  mit  der  vor- 
geschlagenen Mischung  von  Cocain  mit  An- 
tipjrin  zu  ermuthigen. 

Sämmtliche  Patienten  stammten  aus  der 
hiesigen  zahnärztlichen  Poliklinik,  wo  die 
Experimente  auch  vorgenommen  wurden. 


Menthol  bei  Asthma. 

Von 

Dr.  Theod.  Joret  in  Kastellaun. 

Seit  October  1888  behandele  ich  eine 
Dame  Anfang  der  50.;  derselben  waren  im 
Sommer  1888  von  einem  Specialisten  mehrere 
grossere  polypöse  Wucherungen  aus  der  Nase 
entfernt  worden. 

Als  ich  die  Pat.  in  Behandlung  bekam, 
bestanden  ihre  Hauptbeschwerden  in  zeitweise 
(aHe  paar  Tage)  auftretenden  Congestionen 
nach  dem  Kopfe,  verbunden  mit  Athembe- 
schwerden.  Hand-  und  Fussbäder,  Ableitung 
auf  den  Darm,  einmal  mehrere  Blutegel  an 
den  Proc.  mastoid.  beiderseits  brachten 
Linderungen. 


Allmählich  Hessen  die  Congestionen  nach, 
während  die  Anfölle  von  Athemnoth  immer 
mehr  in  den  Vordergrund  traten.  Gegen 
diese  Anfälle,  welche  rein  asthmatische  sind, 
führte  ich  im  Laufe  der  Behandlung  eine 
ganze  Reihe  von  Mitteln  ins  Feld,  welche 
jedoch  alle  nur  einige  Tage  von  Wirkung 
waren.  Eine  Mittheilung  in  der  „allgemeinen 
medic.  Central-Zeitung^ ,  die  mir  Ende  De- 
cember  zu  Gesicht  kam,  über  die  günstige 
Wirkung  des  Menthol  bei  Lungenkrankheiten, 
welche  Wirkung  besonders  auf  die  Schleim- 
absonderung sich  geltend  machen  sollte,  Hess 
mich  das  Menthol  in  einem  typischen  An- 
falle benutzen. 

Während  vor  Gebrauch  des  Mittels  — 
eine  20%ige  Losung  des  Menthols  in  Ol.  oliv. 
—  die  Auskultation  der  Lunge  allerwärts 
Knister-  und  Rasselgeräusche  hören  liess, 
verschwand  nach  einigen  Einathmungen  der 
Losung  wie  auf  einen  Schlag  der  ganze  An- 
fall, die  Auskultation  ergab  vollständig 
normales  Athmen,  Herzschlag  unverändert. 
Puls  voll  und  kräftig.  Nur  bemerkte  Pat. 
auf  meine  diesbezüglichen  Fragen,  dass  sie 
manchmal  benommen  im  Kopfe  sei,  „es  sei 
ihr,  als  habe  sie  Chloroform  gerochen,  aber 
nicht  genug  bekommen  *'\  Seit  der  erst- 
maligen Anwendung  (2.  Jan.  89)  hat  sich 
das  Mittel  in  allen  Anfällen  bewährt,  stets 
mit  promptem  Erfolg. 

Sollte  diese  Mittheilung  die  Herren  Col- 
legen  zur  Erprobung  des  Mittels  in  geeigneten 
Fällen  veranlassen,  so  wäre  der  Zweck  dieser 
Zeilen  erreicht. 


Ziir 
Antipyrintherapie  des  Keiichhii8teiis. 

Von 

Dr.  Carl  Loewe  in  Gronau  i.  W. 

Da  fortwährend  noch  fast  nur  günstige 
Erfolge  der  Anwendung  des  Antipyrin  bei 
Keuchhusten  bekannt  gegeben  werden,  sei  es 
mir  gestattet,  drei  Fälle  zu  erwähnen  aus 
einer  Epidemie  im  Sommer  vorigen  Jahres, 
bei  denen  der  Gebrauch  des  Antipyrin  aus- 
gesetzt werden  musste  wegen  nachtheiliger 
Wirkung  desselben  (nur  ein  Fall  konnte 
als  Idiosynkrasie  direct  angesehen  werden). 
In  den  übrigen  sehr  zahlreichen  Fällen  hatte 
sich  Antipyrin    als  günstig  erwiesen. 

Der  erste  Fall,  bei  welchem  die 
Wirkung  unerwünscht  war,  betraf  ein  ca. 
14  Monate  altes  Kind,  das  gleich  nach  der 

22 


170 


Loewe,  Zur  Antipsrrintherapie  dei  Keuchhusteüft. 


t  Therapeutische 
Monatshefte. 


ersten  Gabe  in  den  Zustand  höchster  Er- 
regung versetzt  wurde;  durch  fortwährendes 
Schreien  wurden  immer  neue  Anfälle  ausge- 
löst, verbunden  mit  Erbrechen  ^  so  dass  die 
erschreckten  Eltern  den  baldigen  Tod  an- 
nahmen. Ein  Decoct.  Althaeae  und  hydropa- 
thische Umschläge  Hessen  das  Kind  aber 
bald  wieder  normal  werden.  Im  zweiten 
Fall  trat  bei  einem  ca.  ^/^jährigen  Kinde 
nach  der  zweiten  oder  dritten  Do&e  Cyanose 
und  GoUaps  ein,  die  durch  hydropathische 
Behandlung  beseitigt  wurden.  Als  ich  trotz- 
dem am  andern  Tag  in  meiner  Gegenwart 
das  Medicament  verabreichen  Hess,  trat  nach 
nicht  langer  Zeit  derselbe  ungünstige  Effect 
ein  und  ich  war  froh,  als  ich  das  Kind  sich 
unter  Kaltwasserbehandlung  wieder  erholen 
sah.  Ich  leistete  Verzicht  auf  jedes  Medica- 
ment und  sah  unter  alleiniger  hydropathischer 
Behandlung   Heilung    eintreten.     Bei    einem 


zweijährigen  Kind,  das  ich  zu  beobachten 
Gelegenheit  hatte,  schienen  sich  die  Anfälle, 
nachdem  scheinbarer  Rückgang  erfolgt  war, 
durch  Antipyrin  verstärkt  zu  haben,  so  dass 
neben  Stimmritzenkrampf  und  Erbrechen  auch 
allgemeine  Krämpfe  sich  einstellten  von  be- 
deutender Heftigkeit.  Nach  Aussetzen  des 
Medicaments  traten  noch  zweimal  ein  heftiger 
und  ein  weniger  heftiger  Krampf  in  Pausen 
von  zwei  Tagen  auf,  während  vorher  an  einem 
Tage  zwei  Anfälle  und  am  folgenden  unter 
Verminderung  des  Antipyrin  noch  ein  Anfall 
erfolgte.  Unter  hydropathischen  Umschlägen, 
Garbolsäurelappen  um  das  Bett  und  innerlich 
Ghloralhydrat  trat  allmähliche  Heilung  ein. 
Ich  glaube  aus  dem  ersten  und  dritten 
Fall  auf  eine  den  Anfall  verstärkende  Wirkung 
des  Antipyrin  in  manchen  Fällen  schliessen 
zu  dürfen. 


Neuere  Arzneimittel. 


Methacetin  und  Sxalgiu. 

Ein  glücklicher  Zufall  war  es,  welcher 
Gähn  und  Hepp  die  antipyretische  Wir- 
kung des  Acetanilids  entdecken  Hess.  Glück- 
lich besonders  deshalb,  weil  der  einfache 
Bau  dieser  Verbindung  uns  die  Aussicht  er- 
öffnete, durch  willkürliche  Substitutionen 
unsere  Einsicht  in  den  Zusammenhang 
zwischen  Constitution  und  Wirkung  der 
Körper  zu  fördern  und  uns  die  Möglichkeit 
erschloss,  auf  diesem  Wege  andere  Körper 
zu  finden,  bei  welchen  die  gewünschte,  für 
therapeutische  Zwecke  verwerthbare  Wirkung 
reiner  und  uncomplicirt  zu  Tage  tritt.  Ein 
unmittelbarer  und  glänzender  Erfolg,  das 
Resultat  einer  bewusstcn,  an  die  Entdeckung 
des  Antifebrins  anknüpfenden  Ueberlegung, 
war  das  Phenacetin. 

Auch  die  beiden  neuesten,  der  gleichen 
pharmakologischen  Gruppe  angehörenden 
Mittel,  das  von  Mahnert  auf  der  v.  Jaksch- 
schen  Klinik  in  Graz  untersuchte  Methacetin 
und  das  von  Dujardin-Beaumetz  und 
Bardet  empfohlene  Exalgin  stehen  wie  das 
Phenacetin  in  naher  Beziehung  zum  Anti- 
febrin.  Ob  dieselben  eine  grössere  prakti- 
sche Bedeutung  erlangen  werden,  d.  h.  ob 
sie  irgend  welche  Vorzüge  vor  den  anderen 
bisher  gebräuchlichen  modernen  Antipyreticis 
undAntineuralgicis  besitzen,  oder  ob  ihnen  nur 
ein  theoretisches  Interesse  zukommen  wird,  dar- 
über lässt  sich  heute  keine  Vorhersage  machen. 


Methacetin. 

Die  Bezeichnung  Methacetin  für  den  in 
Rede  stehenden  Körper  wurde  von  Mahnert 
der  Kürze  wegen  gewählt.  Seiner  chemi- 
schen Zusammensetzung  nach  ist  dasselbe 
als  Acet-para-anisidin  zu  bezeichnen. 
Dasselbe  leitet  sich  in  gleicher  Weise  vom 
Amidophenol  ab,  wie  das  Phenacetin  oder 
Acet-para-phene  tidin. 

Unter  Phenetidin  versteht  man  den 
Aethyläther  des  Amidophenols,  unter  Anisi- 
din  den  Methyläther  des  Amidophenols. 


Amidophenol. 


C  H  <°^"» 

Anifiidin. 


Phenetidin. 


Ebenso  wie  vom  Phenetidin  drei  isomere 
Modificationen  existiren,  giebt  es  auch  drei 
Anisidine,  je  nachdem  die  substituirten  H- 
Atome  sich  in  der  Ortho-  (1:2),  Meta-  (1 : 3) 
und  ParaStellung  (1:4)  befinden.  Ersetzen 
wir  ein  H-Atom  der  Amidogruppe  —  NH2 
durch  den  Rest  der  Essigsäure  CHs  .  CO  — 
in  dem  Paraphenetidin,  so  erhalten  wir  das 
Acet-para-phenetidin  oder  Phenacetin ;  nehmen 
wir  die  gleichen  Substitutionen  in  dem  Para- 
anisidin  vor,  so  erhalten  wir  das  Acet-para- 
anisidin  oder  Methacetin. 


n  H  ^OC,B,  (1) 

Para-Phen0tidin. 


Aoet-pATft- Phenetidin 

(PhenacatiD). 


m.  Jahrgaog.l 
April  1889.  J 


Methaeetiii  und  Czalgin. 


171 


C„       0CH,(1) 
^«H4<NH,    (4) 

Pan-Anbidin. 


OCH 


(1) 


r»  TT  <^^^"'  vi/» 

^6Ö4<NH(CH3.C0)(4) 

Acet-para-Aniaidia 
(MethaceUn). 


Das  Phenacetin  ist  also  der  acetylirte 
Aethyläther  das  Methacetm  der  acetylirte 
Methyläther  des  Paramidophenols. 

Das  Yerhältniss  dieser  Yerbiodungen  zum 
Antifebrin  oder  Acetanilid  zeigen  folgende 
Formeln : 

Acetanilid  Phenacetin. 

(Antifebrin). 

P  TT    -^  OCHj 

Methaoetin. 

Das  Phenacetin  ist  ein  Para-oxäthyl- 
acetanilid,  das  Methacetin  ein  Para-oxy- 
m  e  t  h  7 1  acetanilid. 

Das  Ton  Mahnert  zu  seinen  Versuchen 
Terwendete  Methacetin  stellte  ein  schwach 
rothliches,  geruchloses,  leicht  salzig-bitter 
schmeckendes,  aus  tafelförmigen,  bei  127^  C. 
schmelzenden  Blättchen  bestehendes  Pulver 
dar,  war  in  kaltem  Wasser,  besser  jedoch 
in  warmem  Wasser,  sehr  leicht  in  Alkohol 
loslich. 

Thieryersuche  Hessen  eine  bedeutende 
Temperaturemiedrigung  Yon  39^  bis  auf  36 
und  35^  C.  —  es  ist  leider  nicht  angegeben 
durch  welche  Dosen  —  und  eine  ausge- 
sprochene, in  Krämpfen  sich  äussernde 
Wirkung  auf  das  Centralnervensystem  er- 
kennen. Bei  Kaninchen  betrug  die  letale 
Dosis  3  Gramm.  Der  Harn  der  Yersuchs- 
thiere  zeigte  reducirende  Eigenschaften  und 
war  frei  Ton  Haemoglobin. 

Therapeutisch  versucht  wurde  das  Mittel 
bis  jetzt  nur  bei  fiebernden  Kindern.  Die 
Temperaturemiedrigung  erfolgte  allmählich, 
und  dauerte  verschieden  lange,  bis  zu  naehre- 
ren  Stunden.  Schweisse  waren  häufig.  In 
einem  Falle  kam  es  zu  Collaps.  Sonst  fehl- 
ten unangenehme   Nebenerscheinungen.     Die 


bei  Kindern  zur  Verwendung  gelangten  Dosen 
waren  0,2  —  0,3  (!). 

Ob  das  neue  Mittel  vor  den  anderen 
gebräuchlichen  Antipyreticis  besondere  Vor- 
zuge hat,  vermochte  Mahnert  bei  dem  ge- 
ringen ,  ihm  zu  Gebote  stehenden  Material 
nicht  zu  entscheiden. 

Exalgin. 

Welche  Verbindung  unter  dem  von  Du- 
jardin-Beaumetz  und  G.  Bardet  mit  dem 
Namen  „Exalgin^  (von  i^  und  äXyog)  be- 
legten Körper  zu  verstehen  ist,  lässt  sich 
aus  der  in:  Les  nouveaux  remedes  1889 
No.  6  enthaltenen  Abhandlung  nicht  mit 
Sicherheit  ersehen.  Die  Vf.  bezeichnen  die- 
selbe als  Orthomethyl acetanilid.  Hiermit 
stimmt  jedoch  die  angegebene  Formel 

CeH5.CsH3O.NCHs 

nicht  überein.  Sie  beschreiben  das  Präparat 
als  einen  in  feinen  Nadeln  oder  in  grossen, 
weissen  Tafeln  krystallisirenden,  bei  101°  C 
schmelzenden  Körper,  welcher  in  kaltem 
Wasser  schwer,  leichter  in  heissem  Wasser 
und  sehr  leicht  in  ganz  verdünntem  Alkohol 
löslich  ist. 

Das  Mittel  besitzt  antiseptische  und  tem- 
peraturerniedrigende Eigenschaften  und  wirkt 
in  hervorragender  Weise  auf  die  Sensibilität. 
Kaninchen  gehen  nach  0,46  g  pro  Kilo  Thier 
unter  Zittern  durch  Respirationslähmung  nach 
wenigen  Minuten  zu  Grunde.  Als  Analgeti- 
cum  soll  es  bei  allen  Formen  von  Neuralgien 
dem  Antipyrin  überlegen  sein. 

Die  Dosis  beträgt  0,25  ein  bis  drei  Male 
täglich  in  alkoholisch-wässeriger  Lösung 
(Cognac,  Rum). 

Litteratur,  Fr.  Mahnert:  Ueber  die  anti- 
pyretische Wirkung  des  Methacetins.  Wien, 
klin.  Wochenschr.  1889  No.  13. 

Diijardin-Beaumetz  et  G.  Bardet:  Note 
8ur  Taction  physiologique  et  therapeutique  de  TEx- 
algine  ou  Orthomethyiacctamiide  et  sur  raction 
compare  de  la  serie  aromatiqiic.  Les  noaveaux 
remedes  1889  No.  6. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Gesellachaft  der  Aerste  in  Zürich. 
(Sitzung  den  S,  November  1888,) 

Herr    Prof.    Krönlein:    Das    Mastdarm- 
carcinom,  seine  operative  Behand- 
lung und  Prognose. 
Vortragender  berichtet  auf  Grund  eigener 

und  auch  anderweitig  gemachter  Erfahrungen, 


dass  die  Prognose  der  operativen  Behandlung 
des  Mastdarmcarcinoms  eine  ausserordentlich 
günstige  geworden,  itidem  die  Mortalität  auf 
10^/0  imd  noch  weniger  gesunken  sei. 
Unter  den  ätiologischen  Momenten  werden 
Päderastie,  Syphilis  und  Hämorrhoi- 
den   erwähnt,    als    Operatioatverfahren 

22* 


172 


Therapeutltehe  MittheiluBgen  ftui  VerelneiL 


rlierapeatbche , 
Monatshefte. 


Wird  das  von  Kraske  und  Bardenheuer 
besonders  hervorgehoben.  Zur  Yermeldung 
der  Sepsis  hält  Verf.  u.  A.  die  ausgiebigste, 
etwa  8 — 14  Tage  lang  vorher  durchgeführte 
regelmässige  Entleerung  des  Darmes  für 
nothwendig,  und  bei  inoperablen  Carcinomen 
mit  ausgesprochenen  Occlusionserscheinungen 
zeigte  sich  die  Colotomia  iliaca  als  Palliativ- 
verfahren ausserordentlich  werthvoU.  Der 
Radicaloperation  mit  dem  Thermokauter  ist 
die  mit  dem  Messer  als  sicherer  durchaus 
vorzuziehen. 

{Corresp.'BLf,  SchweU.  Aente,  1889  No.  2.) 

Preyer  {SUttin). 

Verein  der  Aerzte  in  Krakau. 

(October-Sitzung  1888.) 

Prof.  Obalinski:  Ueber  zweimalige 
Laparotomie  an  einem  jungen 
Manne. 

Acht  Tage  vor  der  Aufnahme  in  die 
Klinik  hatte  Pat.  sich  selbst  einen  Leisten- 
bruch reducirt.  Bald  darauf  stellten  sich 
Ileussymptome  ein.  Bei  der  am  Aufnahme- 
tage diagnosticirten  incarcerirten  Hernie  und 
der  sofort  ausgeführten  Laparotomie  wurde 
ein  Bindegewebsstreifen  gefunden,  der  die 
Ursache  der  Ileussymptome  war.  Der  Bauch- 
sack wurde  resecirt  und  ein  Hoden  exstir- 
pirt.  Einige  Tage  nach  der  Operation  hatte 
Pat.  mehrere  Stühle.  Sein  Zustand  besserte 
sich  zusehends.  (Die  Schnittwunde  war 
bei  der  Laparotomie  in  der  Linea  alba  ge- 
führt worden.)  —  Eine  Woche  später  musste 
wegen  exquisiter  Ileussymptome  (nach  Aus- 
schluss einer  allgemeinen  Peritonitis)  die 
zweite  Laparotomie  ausgeführt  werden,  zu- 
mal der  neue  Erankheitsprocess  ganz  acut 
entstanden,  der  Schmerz  genau  in  der  rechten 
Bauchgegend  localisirt  wurde  und  anti- 
peristaltische  Bewegungen  deutlich  waren. 
Bei  der  Operation  fand  sich  die  Diagnose 
eines  frischen  mechanischen  Hindernisses 
bestätigt  (Torsio  oberhalb  des  Coecums). 
Nach  6  Wochen  war  Pat.  völlig  hergestellt. 
—  Bei  der  zweiten  Laparotomie  wurde  die 
Schnittwunde  etwas  seitwärts  gemacht.  (Es 
dürften  wenige  Fälle  bekannt  sein,  an  denen 
in  einer  Woche  eine  Laparotomie,  verbun- 
den mit  einer  Radicaloperation  der  Hernie 
mit  Castration,  die  zweite  verbunden  mit 
querer  Enterestotomie  vorgenommen  worden 
wäre.) 

Prof.  Obalinski  zeigt  ferner  das  Prä- 
parat von  einem  vor  14  Tagen  resecirten 
Pylorus.  Die  Operation  war  wegen  car- 
cinomatöser  Stenose  gemacht  worden.  Die 
60jährige  Frau  hat  die  279  Stunden  dauernde 
Operation  gut  vertragen,  war  aber  in  Folge 
grossen     Chloroformgebrauchs     (53,0)    bald 


nachher  in  Collaps  verfallen.  Nach  einer 
subcutanen  Injection  von 0,03  Cocain. hydrochl. 
erholte  sie  sich.  Seither  besserte  sich  der 
Zustand  fortschreitend  und  Pat.  ist  gegen- 
wärtig Reconvalescentin.  Die  früheren  Sym- 
ptome (Erbrechen,  Magendrücken,  Schmer- 
zen, Appetitlosigkeit)  sind  gewichen.  Hervor- 
gehoben zu  werden  verdient  noch,  dass  auch 
ein  Segment  des  Pankreaskopfcs,  mit  welchem 
das  Neugebilde  verwachsen  war,  entfernt 
werden  musste.  Ein  derartiger  Eingriff  war 
bisher  stets  als  malum  omen  augesehen  worden. 

( Wien,  med.  Presse  1888,  No.  öl.)  R. 

Societe  de  Biologie  (Paris). 
{Sitzung  am  5.  Januar  1889.) 

Die  Herren  Pouchet  und  Chabry  haben 
Untersuchungen  über  die  Bedeutung 
des  Kalkes  bei  der  Entwickelung  der 
lebenden  Wesen  angestellt.  Sie  legten 
in  künstlich  präparirtes  Seewasser,  dem  kein 
Kalk  beigemengt  war,  zahlreiche  Eier  von 
Seeigeln.  Dieselben  gingen  alsbald  zu  Grunde. 
Darauf  wurden  Eier  von  Seeigeln  in  natür- 
liches Seewasser  gebracht,  dem  sein  Kalk 
zum  grossten  Theile  entzogen  war.  Diese 
Eier  entwickelten  sich  zwar,  aber  die  Larven 
kamen  nur  ganz  langsam  aus,  fast  aus  allen 
entstanden  Missbildungen,  die  niemals  ihre 
volle  Entwickelung  erlangten. 

Diejenigen  Eier  dagegen,  die  zum  Ver- 
gleiche des  Versuches  in  natürliches  See- 
wasser placirt  waren,  haben  sich  vollkommen 
entwickelt. 

Herr  Girard  bemerkt,  dass  man  See- 
thiere  wohl  in  künstlichem  Seewasser  leben 
lassen  könne,  dabei  entstehen  aber  oft  Miss- 
bildungen, die  eher  durch  das  Zusammen- 
drängen, wie  in  dem  eben  berichteten  Falle, 
als  durch  den  Mangel  an  Kalk  bedingt 
seien. 

Pouchet  fragt  hierauf,  wie  der  Vor- 
redner alsdann  die  Thatsache  erklären  könnte, 
dass  die  Vergleichseier,  welche,  abgesehen 
von  der  Kalkentziehung,  sich  unter  ganz 
analogen  Verhältnissen  befanden,  niemals 
Monstruositäten  hervorgebracht  haben. 

{U  Progres  med.  1889  Nr.  2.)  R. 

Academie  de  Medecine  (Paris). 

(Sitzung  am  19.  Februar  1889.) 

Herr  Pean  berichtet  über  einen  Fall 
von  partieller  Epilepsie,  der  durch 
Trepanation  geheilt  worden.  Die  Epi- 
lepsie war  bei  dem  28  jährigen  Manne  durch 
einen  Hirntumor  hervorgerufen  worden.  Die 
Anfölle  markirten  sich  in  folgender  Weise: 
Schmerzhafter  Krampf  in  der  rechten  grossen 
Zehe,  dann  Steifigkeit  der  rechten  unteren 
Extremität     und     tonische     und     klonische 


III.  JahrgaBff.l 
April  1889.  J 


Therapeutltehe  Mltfheilangen  ftut  Vereinen. 


173 


Zuckungen,  die  sich  alsbald  auf  den  Arm 
und  das  Gesicht  derselben  Seite  fortpflanzten. 
Bewusstseinsverlust  trat  nicht  bei  jedenoi 
Anfall  und  niemals  bei  Beginn  desselben 
ein.  In  der  anfallsfreien  Zeit  war  ein  deut- 
lich ausgeprägter  paretischer  Zustand  der 
rechten  unteren  Extremität  zu  constatiren. 
Ausgehend  von  der  Annahme,  dass  die  An- 
fzUe  durch  einen  Tumor  veranlasst  seien, 
'VN'elcher  im  Niveau  oder  in  der  Nachbarschaft 
des  motorischen  Centrums  der  rechten  un- 
teren Extremität  gelegen,  entschloss  man 
sich  zur  Vornahme  der  Trepanation.  Nach 
Fortnahme  der  Geschwulst  (eines  von  der 
Pia  mater  ausgehenden  fibrösen  Lipoms) 
wurde  in  die  von  der  Geschwulst  gebildete 
Excavation    ein    Drain    eingeführt,    alsdann 


wurden  die  vier  Zipfel  der  Dura  mater  mit- 
tels Catgut  und  die  der  Kopfhaut  mit  See- 
gras (crin  de  Florence)  genäht.  Antisepti- 
scher Verband. 

Acht  Tage  nach  der  Operation  konnten 
Fäden  und  Röhrchen  entfernt  werden,  und 
am  zehnten  Tage  war  die  Vemarbung  voll- 
ständig eingetreten.  —  Einige  krampfartige 
Erscheinungen  (wahrscheinlich  durch  Reizung 
der  Gehirnsubstanz  hervorgerufen)  hatten 
sich  noch  in  den  ersten  Tagen  nach  der 
Operation  gezeigt.  Seit  2  Monaten,  (die 
Operation  wurde  vor  2  7a  Monaten  vorge- 
nommen) hat  sich  kein  epileptischer  Anfall 
gezeigt,  so  dass  die  Heilung  als  eine  voll- 
ständige angesehen  werden  kann. 

{La  Semaine  med,  1889  No.  8).  R. 


Referate. 


Zur  therapeutischen  Anwendung  des  Acetanilid. 
Von  Dr.  Ernst  Jeudrässik,  Univ.-Docent  in 
Budapest. 

Das  Antifebrin  wird  als  Antipyreticum 
von  anderen  Mitteln  übertrofFen,  während 
dessen  Wirkung  auf  das  Nervensystem  eine 
hervorragende  ist.  Als  schmerzstillendes 
Mittel  übertrifft  es  die  Narcotica. 

Eine  ausgezeichnete  Wirkung  übt  das 
Antifebrin  in  Dosen  von  0,5  g  auf  die  Reiz- 
zustände in  Fällen  von  Tabes  und  Dementia 
paraljtica  und  die  Larynx-Krisen  der  Tabi- 
ker  aus.  Ohne  die  Wirkungsweise  analy- 
siren  zu  wollen,  constatirt  J.,  dass  das 
A.  auf  das  Grosshirn  eine  grössere  Wirkung 
habe,  entgegen  der  Behauptung  des  Prof.  A. 
Bokai  in  Elausenburg,  der  dem  Antifebrin 
auf  Grund  seiner  an  Thieren  gemachten 
Versuche  eine  Wirkung  auf  das  grosse  Gehirn 
abspricht,  höchstens  die  Wahrscheinlichkeit 
einer  lähmenden  Wirkung  auf  die  sensitiven 
Theile  des  Ruckenmarks  zugesteht.  Verf. 
beobachtete  bei  grösseren  Dosen  Cyanose 
und  räth  von  grösseren  Dosen  (mehr  als  1  g) 
ab,   da  kleinere  Dosen  sich  besser  bewähren. 

{Orvoti  Heülap  1889  No.  9.) 

Schuschny  {Budape$t). 

Zur  Resorcinbehandlung  des  Keuchhustens. 

Bereits  1885  war  von  Prof.  Moncorvo 
in  Rio  de  Janeiro  in  seiner  Arbeit:  „Der 
Keuchhusten  und  seine  Behandlung  mit  Re- 
sorcin*^  auf  Grund  längerer  Untersuchungen 
auf  die  günstigen  Heilerfolge  hingewiesen 
worden,  die  man  nach  localer  Anwendung 
des  Resorcin  bei  dieser  —   von  ihm  als  In- 


fectionskrankheit  betrachteten  —  Affection 
zu  erzielen  vermag.  Bestätigt  wurden  die 
Angaben  Moncorvo's  durch  Bouchut, 
Callias  und  besonders  von  Mauriac  in 
Bordeaux,  sowie  von  Guaita  in  Mailand 
und  von  An  de  er.  —  Auch  Barlow  beob- 
achtete in  50  Fällen  (19  Knaben  und  31 
Mädchen)  ohne  Ausnahme  schnelle  Heilung, 
zuweilen  schon  nach  2 — 3  Tagen.  Genau 
zu  demselben  Resultate  gelangte  Rodrigues 
Guiäs  in  Rio  de  Janeiro,  der  bei  localer 
Application  des  Resorcins  40  Fälle  aus- 
nahmslos in  weniger  als  10  Tagen  heilen 
sah.  —  Nur  Constantin  Paul  in  Paris 
will  wenig  befriedigende  Resultate  beob- 
achtet haben. 

Jayme  Silvado,  ein  Schüler  Mon- 
corvo's,  dessen  Auffassung  über  die  Natur 
und  Behandlung  des  Keuchhustens  sich  mit 
der  seines  Lehrers  deckt,  ist  in  seiner  Ar- 
beit: de  Coquelucha,  1887,  in  welcher  be- 
sonders der  gegenwärtige  Stand  unserer 
Kenntniss  über  die  Pathologie  und  Therapie 
des  Keuchhustens  einer  eingehenden  Be- 
sprechung unterzogen  wird,  zu  folgenden 
Resultaten  gelangt:  1.  Der  Keuchhusten  ist 
eine  parasitäre  Krankheit,  welche  ihren  Sitz 
im  Kehlkopf  hat.  2.  Den  pathogen en  Mi- 
kroben der  Krankheit  hat  man  in  den 
Letz  er  ich^  sehen  Micrococcen  zu  suchen. 
3.  Die  Krankheit  ist  also  mit-  örtlichen, 
parasiticiden  Medicamenten  zu  behandeln, 
von  denen  sich  das  Resorcin  als  das  ge- 
eignetste erwiesen  hat. 

{Virchow's  Archiv,  Bd.  115,  Utfi  3.) 

H.  Loh^Uin  {ßertin). 


174 


Referate. 


rlierapeattsche 
Monatshefte. 


Zur  physiologischen  Wirkung  des  Cytisinum  ni- 
tricum.    Von  Prevost  und  Bin  et  (Genf). 

Im  Aaschluss  an  die  von  den  Yerff.  Yor 
einigen  Monaten  über  die  physiologischen 
Wirkungen  des  Cytisus  labumum  angestellten 
Untersuchungen,  hatten  Husemann,  Marme 
und  Radziwillo wicz  über  das  wirksame 
Princip  der  Pflanze  ähnliche  Untersuchungen 
publicirt.  Das  Resultat  derselben  war  bei 
Husemann  und  Marme  im  Allgemeinen 
identisch  mit  dem  Untersuchuugsergebniss 
der  Verff.,  wälirend  Radziwillowicz' 
Untersuchungen  ergaben^  dass  das  Alkaloid 
z.  Th.  andere  Erscheinungen  setze,  als  die 
Summe  der  extrahirten  wirksamen  Bestand- 
theile  der  Pflanze.  Insbesondere  soll  nach 
ihm  die  muskellähmende  Wirkung,  die  be- 
reits kleinere  Dosen"  des  Extractes  hervor- 
rufen, erst  nach  Application  sehr  grosser 
Dosen  des  Alkaloids  beobachtet  werden, 
welches  in  kleineren  Gaben  im  Gegentheil 
excitirend  wirke.  Ausserdem  hat  er  statt 
der  nach  Verabreichung  des  Extractes  beo- 
bachteten Druck erniedrigung  im  arteriellen 
System  im  Gegentheil  eine  Druckerhöhung 
gesehen.  —  Demgegenüber  sind  VerfF.  auf 
Grund  zahlreicher  Thierversuche  zu  folgendem 
Ergebnisse  gelangt:  Die  Wirkung  des  Alka- 
loids deckt  sich  im  Allgemeinen  mit  der  des 
Extractes.  Dagegen  findet  die  Vaguslähmung 
durch  das  Cytisin  bereits  im  Xnitialstadium 
der  Wirkung  statt,  während  durch  das 
Extract  dieselbe  erst  viel  später  eintritt, 
als  diejenige  der  motorischen  Nerven  der 
Extremitäten.  —  Im  Allgemeinen  erwies  sich 
das  Extract  etwa  15  Mal  schwächer  als  das 
Alkaloid.  —  In  subcutaner  Injection  ange- 
wendet, bewirkte  das  Alkaloid  bei  den 
Thieren,  welche  erbrechen  können,  Erbrechen; 
in  grösseren  Gaben  verabreicht,  führte  es 
zu  peripherischer  Lähmung  der  motorischen 
Nervenendigungen,  analog  der  Curare-Läh- 
mung.  —  Der  Tod  erfolgt  bei  den  Mammi- 
feren  an  Asphyxie,  mit  vorausgehenden 
fibrillären  Muskelcontractionen  und  bisweilen 
unter  klonischen  Krämpfen.  —  Bemerkens- 
werth  ist  endlich  das  Verhalten  des  Blut- 
druckes zu  dem  Alkaloide.  Während  nach 
intravenösen  Injectionen  eine  wenn  auch 
kurzdauernde,  so  doch  erhebliche  Steigerung 
des  Blutdruckes  eintritt,  fehlt  dieselbe  nach 
subcutaner  Injection  des  Cytisin,  selbst 
in  toxischer  Gabe.  Aus  diesem  Grunde  fehlt 
auch  die  Steigerung  des  Blutdruckes  bei 
den  mit  dem  Extracte  angestellten  Ver- 
suchen, da  man  das  letztere  nicht  direct  in 
die  Venen  injiciren  konnte. 

{Rev.  med.  de  la  Suiste  Romande.  No,  11.  1888.  20.  Nov.) 

H.  Lohnstein  {Btrlin). 


Ueber  Sozojodolpräparate.    Von  Dr.  0.  Sei  fort, 
Privatdocont  in  Würzburg. 

Vf.  hat  die  Sozojodolpräparate  in  mehr 
als  50  Fällen  der  verschiedenartigsten  Er- 
krankungen der  Nase,  des  Rachens  und  des 
Larynx  angewandt. 

Das  Sozojodol-Kalium  gelangte  in 
einer  Verdünnung  von  1  :  2  oder  1 : 1  Tal  cum 
zur  Anwendung. 

Bei  chronischer  Rhinitis  mit  abnorm 
reichlicher,  sei  es  wässerig-schleimiger,  sei 
es  eiterig -schleimiger  Secretion,  äusserte 
dasselbe  eine  secretionsvermindernde  und  aus- 
trocknende Wirkung. 

Das  So zojodol -Natrium  wurde  gleich- 
falls in  einer  Verdünnung  von  1  :  1  Talcum 
mit  zufriedenstellendem  Erfolge  zu  Einbla- 
sungen in  den  Larynx  bei  tuberculösen  Ul- 
cerationen  verwerthet» 

Durch  Sozojodol-Zink  wurde  bei  jenen 
Formen  chronischer  Rhinitis,  die  durch  ab- 
norm geringe  Secretion  sich  auszeichnen,  die 
Secretion  reichlicher. 

Bei  Rhinitis  hyperplastica  konnte  nach 
1  —  2  wöchentlicher  Behandlungsdauer  eine 
Abnahme  des  Volumens  der  Muschelschleim- 
haut constatirt  werden,  bei  Rhinitis  atrophica 
eine  Beseitigung  des  Foetor.  —  Die  Ver- 
dünnung muss  bei  dem  Zinksalze  jedoch 
eine  viel  grössere  sein,  als  bei  der  Kalium- 
und  Natriumverbindung. 

Meistens  benutzte  S.  eine  Verdünnung 
von  1  :  10  und  selbst  dann  stellten  sich  bei 
einzelnen  Individuen  unangenehme  Reactions- 
erscheinungen :  Brennen  in  der  Nase,  Kopf- 
schmerzen, Schwindel,  ja  in  einem  Falle 
Ohnmachtsanwandlung  ein,  so  dass  eine 
noch  stärkere  Verdünnung  1  :  12  gewählt 
werden  musste. 

Das  Sozojodol-Quecksilber  endlich, 
welches  selbst  noch  in  einer  Verdünnung 
von  1  :  10  stark  ätzende  Eigenschaft  auf 
Schleimhäute  besitzt,  wurde  nur  bei  tuber- 
culösen und  syphilitischen  Ulcerationen  am 
Septum  narium  in  Anwendung  gezogen.  Der 
Erfolg  war  jedenfalls  besser,  als  nach  Chrom- 
säureätzungen. 

In  Uebereinstimmung  mit  Langgaard 
konnte  Vf.  nach  innerlicher  Darreichung  des 
Sozojodol  Kaliums  und  -Natriums  iln  Urin  kein 
Jodalkali  nachweisen. 

{Münchener  Med.  Wochen  sehr.  1888  No.  47.)        rd. 

Ueber  CocaXn-Epilepsle.     Von   Dr.   C.  Hei  mann 

(Cliarlottenburg). 

Verfasser  bringt  die  Krankengeschichte 
eines  Patienten,  bei  welchem  nach  längerem 
subcutanen  Gebrauch  sehr  grosser  Dosen 
Cocain  (bis  8,0  pro  die)  neben  der  in  den 
letzten    Jahren    von    demselben    Autor   wie 


I 


ni.  JalirgaDg.! 
April  1889.  J 


Referate. 


175 


L 


Ton  yerschiedenen  andern  yielfach  beobach- 
teten sogenannten  Cocain-Paranoia  auch  epi- 
Jeptiforme  Krämpfe  auftraten.  Dieselben 
glichen,  nach  der  Beschreibung  genau  den 
classischen  Insulten  der  Epilepsie  und  waren 
auch  mit  Zuckungen,  Sensibilitätsstörungen, 
vollständiger  Benommenheit ,  nachherigem 
ErinneruDgsmangel  an  den  Anfall  etc.  ver- 
bunden. Nach  Aussetzen  des  Giftes  schwan- 
den die  Krankheitserscheinungen,  wie  Hallu- 
cinationen,  perverse  Sensationen,  Wahnideen, 
und  auch  die  Krämpfe  traten  nicht  wieder 
auf,  wiederholten  sich  jedoch  stets  nach 
neuen  grosseren  Dosen  jenes  Mittels.  Da 
nun  ausserdem  bei  dem  Patienten  kein  ver- 
anlassendes Moment  für  die  Epilepsie  sonst 
vorhanden  war,  derselbe  erblich  nicht  be- 
lastet ist,  vorher  nie  an  krampf ahn  liehen 
Zuständen  gelitten  hatte,  so  zieht  der  Ver- 
fasser den  wohl  richtigen  Schluss,  dass  in 
diesem  Falle  die  Epilepsie  durch  jenes  Al- 
kaloid  veranlasst  ist.  Durch  Versuche  an 
Thieren,  bei  welchen  ebenfalls  nach  Cocain 
epileptiforme  Krämpfe  auftraten,  wird  jene 
Annahme  noch  unterstützt. 

^Deutsch,  mtd.   Wochenachr.  1989,  12.)  R. 

Weitere  Mittheilungen  über  die  Behandlung  der 
Tuberculose.  Von  Dr.  A.  Landerer  in  Leipzig. 
Nach  einem  ia  der  med.  Ges.  zu  Leipzig  am 
18.  Dec.  1888  gehaltenen  Vortrage. 

Im  Anschluss  an  seine  in  einem  früheren 
Vortrage  gemachten  Mittheilungen  (s.  Therap. 
Monatsh.  No.  12,  1888,  S,  564)  über  die 
Behandlung  der  Tuberculose  vermittelst 
subcutaner  und  intravenöser  Injec- 
tionen  von  emulgirtem  Perubalsam  be- 
richtet Verf.  über  weitere,  durch  diese  Be- 
handlungsmethode erzielte  Erfolge.  Wegen 
einiger  Unzuträglichkeiten,  die  die  intrave- 
nöse Injection  in  einem  Falle  darbot,  wandte 
Verf.  neuerdings  meistens  Injection  der 
Emulsion  direct  in  die  fungösen  Ge- 
lenke oder,  ähnlich  den  Calomel-Injectionen, 
in  den  Muse,  glutaeus  an,  in  neuester 
Zeit  auch  schon  in  ein  tuberculöses  In- 
filtrat der  Lunge.  Die  Gesammtsumme 
der  behandelten  Fälle  beträgt  z.  Z.  ca.  70, 
und  Verf.  ist  zu  dem  Resultat  gelangt,  dass 
operative  Eingriffe  eingeschränkt  werden 
können  und  dass  mit  Hilfe  der  Perubalsam- 
Injectionen  auch  innere  Tuberculosen  beein- 
flusst  zu  werden  vermögen.  Die  intravenösen 
Injectionen  seien  aber  wirksamer,  als  die 
Injection  in  die  Gewebe  (Muskulatur). 

i^Münch,  med.   Wochtntchr.  1889.  No.  4.) 

Dreytr  {SUttin). 

Zur  Kenntnlss  der  Wirkungen  des  Chloroforms. 
Von  Prof.  E.  Salkowski. 

Bei    Gelegenheit    eines    Versuches,     den 
Verf.  anstellte,    um  zu  prüfen,    ob  die  von 


ihm  entdeckte  hervorragende  antiseptische 
Wirkung  des  Chloroforms  sich  auch  zur 
Desinfection  des  Darmcanals  verwerthen 
liesse  —  eine  Vermuthung,  die  sieht  nicht 
bestätigte  — ,  machte  Verf.  die  ausserordent- 
lich interessante  Beobachtung,  dass  dem 
Chloroform  eine  specifische  Wirkung  auf  den 
Ei  Weisszerfall  zukomme.  Er  reichte  einem 
im  N- Gleichgewicht  befindlichen  Hunde 
4  Tage  hintereinander  je  1,5  g  Chloroform 
in  0,25  1  Wasser  suspendirt  und  fand,  dass 
an  diesen  4  Tagen  und  auch  noch  an  dem 
folgenden  eine  beträchtliche  Erhöhung  der 
N- Ausscheidung  im  Harn  auftrat.  Am 
stärksten  war  diese  N -Ausscheidung  am 
4.  Versuchstage,  wo  sie,  wenn  man  die 
normale  Ausscheidung  =100  setzt,  153 
betrug. 

Diese  Beobachtung  bietet  also  ein  merk- 
würdiges Seitenstück  zu  den  Ergebnissen 
Strassmann's,dereineErhöhungdesEiweiss- 
zerfalles  bei  langdauernder  Chloroformnar- 
kose fand. 

iVirohow'a  Archiv  Bd.  llö  S.  339.) 

Schmey  {Beuiken  O.-S.). 

Ueber  Chloroform-Inhalation  als  sedatives  Mittel 
bei  Lungen-  und  Herzkrankheiten.  Von  Prof. 
0.  Rosonbach  (Breslau). 

Auf  Grund  eines  reichen  Beobachtungs- 
materials glaubt  Verf.  die  Inhalation  kleiner 
Chloroformmengen  in  gewissen  Zuständen 
empfehlen  zu  können.  Der  diesem  Mittel 
zugeschriebene  günstige  Einfluss  ist  jedoch 
nur  bei  strengem  Innehalten  genau  bestimm- 
ter Indicationen  zu  erwarten.  —  Der  Vor- 
theil  der  Chloroform-Inhalationen  wird  haupt- 
sächlich darin  zu  suchen  sein,  dass  man  sie 
versuchen  kann,  wo  es  darauf  ankommt, 
relativ  kurz  dauernde  und  sich  oft  wieder- 
holende Anfalle  zu  coupiren  oder  wo  man 
die  Anwendung  eines  schnell  wirkenden  und 
leicht  für  den  Bedürfnissfall  zu  dosirenden 
Mittels  für  nöthig  hält.  Ferner  ist  es  ein 
Vortheil,  dass  der  Kranke  sich  eben  das 
Medicament  gewissermassen  selbst  dosirt 
und  die  Inhalation  abbrechen  kann,  sobald 
er  Erleichterung  merkt. 

Der  Wirkungskreis  der  Chloroform-Ein- 
athmung  erstreckt  sich  auf  asthmatische 
Anfälle  aller  Art  bei  Herz-  und  Lungen- 
kranken, besonders  wirksam  sind  sie  bei 
den  dyspnoischen  Attacken  der  Emphysema- 
tiker  und  der  Herzleidenden  beim  Asthma 
cardiac.  verum;  günstig  werden  auch  die 
frequenten  Hustenanfälle  der Phthisiker 
beeinflusst.  Auch  beim  Singultus  und  bei 
gewissen  cardialgischen  Anfällen  von 
massiger  Intensität  lassen  sich  zuweilen 
recht  erfreuliche  Erfolge  erzielen,  doch  sind 
hier  Morphiumgaben  entschieden  vorzuziehen. 


176 


Referat«. 


rlierapwiliach« 
MonaUbeft«. 


Was  den  Modus  der  Inhalation  be- 
trifft, so  sind  5,0 — 15,0  Chloroform  auf 
etwas  Watte,  die  in  einen  Trichter  gestopft, 
zu  giessen  und  mit  langsamen  Zügen,  indem 
man  den  Trichter  nicht  zu  nahe  hält,  zu 
inhaliren.  Der  Verlauf  dieser  Anwendungs- 
weise des  Chloroforms  ist  gewohnlich  der, 
dass  die  Patienten,  nach  üeberwindung  des 
ersten  unangenehmen  Gefühls  tod  Kratzen 
oder  Stecheu,  recht  bald  in  eine  relative 
Euphorie  gerathen  und  bisweilen  einschlum- 
mern. Selbst  Anfälle  von  Lungenödem 
wurden  unter  dem  Einflüsse  der  Inhalationen 
coupirt.  Das  wird  jedoch  denjenigen  nicht 
überraschen,  der  die  oft  zauberhafte,  seda- 
tive Wirkung  einer  Morphiuminjection  bei 
dem  paroxysmalen  (acuten)  Oedem  der 
Nierenschrumpfung  und  gewisser  Herzkrank- 
heiten, sowie  bei  schweren  anämischen  Con- 
vulsionen  gesehen  hat.  Der  nach  einer  In- 
jection  erfolgende  Tod  ist  in  solchen  Fällen 
nicht  jedesmal  der  Einspritzung  zur  Last 
zu  legen,  sondern  dem  Grundleiden.  R. 
citirt  einen  hierher  gehörigen  sehr  lehrreichen 
Fall,  in  dem  der  Zufall  es  fügte,  dass  der 
eine  Anfall  trotz  der  Einspritzung  mit  Ge- 
nesung endigte,  während  ein  ganz  gleicher 
zweiter  Anfall,  bei  dem  keine  Injection  ge- 
macht wurde,   zum  Tode  führte. 

{Stp.-Abdr.  aus  der  „Internat,  klinisch.  Rundsch."  J889.) 

Ueber   innerliche   Anwendung   des   Chloroforms. 

Von  Dr.  Stepp  in  Nürnberg.    Vortrag  gehalten 
im  ärztlichen  Local verein. 

Verf.  hat,  seitdem  Salkowski  die 
Aufmerksamkeit  auf  die  desinficirende  Kraft 
des  in  Wasser  gelösten  Chloroforms  ge- 
lenkt und  darauf  hingewiesen  hat,  dass 
dasselbe  auch  bei  inneren  Erkrankungen 
z.  B.  bei  der  Cholera  vielleicht  mit  Nutzen 
versucht  werden  könnte  (s.  Therap.  Monatsh. 
1888  S.  299),  das  Chloroform  bei  den  ver- 
schiedensten Erkrankungen  innerlich  darge- 
reicht. Bei  den  hierzu  angestellten  Vor- 
untersuchungen zeigte  es  sich  und  hierauf 
legt  St.  einen  besonderen  Werth,  dass  das 
Chloroform,  welches  bekanntlich  in  Wasser 
nur  schwer  und  unter  starkem  Schütteln 
(0,7  :  100,0)  löslich  ist,  nur  bei  gehöriger 
Durchdringung  mit  den  in  Betracht  kommen- 
den Medien  die  wirksame  Desinflcirung 
sichert. 

Während  nun  die  ersten  therapeutischen 
Versuche  (gewöhnlich  0,5  — 1,0  in  150,0 
Wasser  gelöst  und  bei  Kindern  ein  Tropfen 
Chloroform  auf  10,0—20,0  Flüssigkeit), 
welche  bei  tuberkulösen  Kranken  stattfan- 
den, einen  durchaus  negativen  Erfolg  auf- 
wiesen   und    auch    beim   Brechdurchfall   der 


Erwachsenen,  wie  der  Kinder  Chloroform, 
allein  gebraucht,  nicht  den  gehegten  Erwar- 
tungen entsprach,  stellte  sich  bei  letzterer 
Erkrankung  bald  heraus,  dass  ein  Zusatz 
von  Opiumtinctur  zu  der  Chloroformflüssig- 
keit in  viel  geringerer  Gabe,  wie  sonst  üblich 
genügt,  um  einen  therapeutischen  Erfolg  zu 
erzielen.  Es  scheint  hier  das  Chloroform 
den  gährungsHihigen  Mageninhalt  günstig  zu 
beeinflussen,  so  dass  die  in  den  Darm  über- 
tretende Magenflüssigkeit  weit  weniger  rei- 
zend auf  den  Darm  einwirken  kann  und 
andererseits  das  Opium  dann  die  Peristaltik 
zu  hemmen  weit  leichter  im  Stande  sein 
wird.  Die  Darreichung  bei  Kindern  in  den 
ersten  Lebensmonaten  war  auf  30,0  bis  50,0 
Flüssigkeit  8  bis  4  Tr.  Chloroform  mit 
^/j  bis  1  Tr.  Opiumtinctur  in  den  üblichen 
Verordnungen  mit  Bism.  subnitr.  oder  Tannin. 

Noch  günstiger  wirkte  das  Chloroform, 
von  dem  übrigens  erwähnt  werden  muss, 
dass  es  niemals  eine  narkotische  Wirkung 
oder  schmerzlindernde  Eigenschaften  beob- 
achten Hess,  bei  Magengeschwüren  u.  z.  in 
einer  Schüttelmixtur  von  Bism.  subnitr.  (l50,0) 
und  1,0  Chloroform,  anfangs  stündlich,  später 
3  X  täglich  2  Löffel  gegeben.  Die  cardial- 
gischen  Schmerzen  wichen  rasch,  das  Brechen 
sistirte  und  in  kurzer  Zeit  stellte  sich  Hun- 
gergefühl ein.  St.  glaubt,  „dass  die  desinfi- 
cirende, adstringirende  und  zu  gleicher  Zeit 
blutstillende,  endlich  mild  reizende  Eigen- 
schaft des  Chloroformwassers  dasselbe  bei 
der  Behandlung  des  Ulcus  rotund.  unent- 
behrlich machen  wird,  da  wir  kein  anderes 
Medicament  besitzen ,  welches  eine  solche 
Fülle  so  hervorragend  günstiger  Eigenschaf- 
ten besitzt". 

Auch  als  Mund-  und  Gurgel wasser  (bei 
Kindern  1 :  200,0,  bei  Erwachsenen  2  :  300,0) 
bot  Chloroform  sowohl  bei  Zahnfleischerkran- 
kungen, wie  bei  Diphtherie  und  folliculärer 
Angina,  Rachenkatarrh,  Psoriasis  der  Mund- 
schleimhaut (Leukoplakia)  u.  s.  w.  so  augen- 
scheinliche Erfolge,  dass  es,  besonders  wenn 
man  noch  an  seine  gänzliche  Unschädlich- 
keit und  seinen  angenehmen  Gebrauch  denkt, 
mit  jedem  andern  Mittel  wetteifern  kann. 

Diesen  deutlichen  Erfolgen  gegenüber 
Hess  die  innerliche  Anwendung  des  Chloro- 
form bei  Diphtherie  und  Keuchhusten  durch- 
aus im  Stiche,  während  hinwiederum  2  Pneu- 
moniefälle  bei  seinem  Gebrauch  (u.  z.  im 
ersten  1  *  150,0  Chloroformlösnng  stündlich 
2  Löffel,  im  andern,  wie  es  noch  zweckmäs- 
siger ist,  1  :  150,0  täglich  in  3  Abtheilungen) 
einen  vortheilhaften  Einfluss  erkennen  Hessen 
und -zu  weiterer  Prüfung  anzuregen  schienen, 
und  endlich  6  Typhusfillle,  welche  gleich- 
falls mit   1  :  150,0  pro  die  in  3  Dosen  be- 


m.  Jfthrfttig.l 
April  1889.  J 


RalbnUtt. 


177 


handelt  wurden,  sogar  in  hobem  Maasse  be* 
friedigen  mussten.  Das  Zurückgehen  der 
Temperatur,  die  grossen  Remissionen,  das 
schnelle  Schwinden  der  Benommenheit  und 
Schwerhörigkeit,  das  ausgezeichnete  Verhal- 
ten des  Sensoriums  und  rasche  ßeconvales- 
cen%  treten  bei  dieser  Behandlung  oft  in 
geradezu  auffallender  Weise  zu  Tage.  „Das 
Chloroform  ist  eben  in  diesen  Gaben*  kein 
Betäubungsmittel,  sondern  im  Gegentheil  ein 
Reizmittel.^ 

Zur  Erklärung  der  günstigen  Wirkungen 
des  Chloroforms  ist  St.  geneigt,  die  Zerle* 
gung  desselben  innerhalb  des  Organismus 
heranzuziehen.  Bekannt  ist,  wie  Chloroform 
sich  bei  Lampenlicht  zersetzt  und  Chlor- 
kohlenoxyd abgespalten  wird.  Nun  finden 
sich  im  lebenden  Organismus  und  besonders 
im  fiebernden  Korper  Verhältnisse,  in  wel- 
chen gleichfalls  Oxydationsproducte  u.  z. 
Kohlensäure  reichlich  Torhanden  sind  und 
sind  dieselben  Tielleicht  die  Ursache  ähn- 
licher Vorgänge,  die  dann  durch  entstehende 
Spaltungsproducte  des  Chloroforms  die 
Krankheitserreger  in  der  Blutbahn  entweder 
selbst  beeinflussen  oder  aber  mit  den  £nd- 
producten  derselben  (den  Ptomamen)  dort- 
selbst  eine  Verbindung  eingehen  und  sie 
unschädlich  machen. 

(i/ttncAener  vudiciniMke  Woekenechrift  1889  No.  8.) 

G.  PeUri  {BerUn). 

Zwcinndvierzig  schwere  und  schwerste  Lungen- 
entzündungen auaschliesslich  mit  Chloroform- 
inhalationen behandelt  Von  Dr.  Theodor 
Clemens  (Frankfurt  a.  M.).    (Autoreferat.) 

Angeregt  durch  die  Arbeit  Ton  Stepp 
in  Nürnberg  (Münch.  med.  Wochenschrift 
1889,  No.  8):  „Ueber  innerliche  Anwendung 
des  Chloroforms  namentlich  bei  Pneumonien^ 
fühlte  sich  der  Verfasser  veranlasst,  auf  die 
Resultate  der  Chloroformbehandlung  bei 
Lungenentzündung  hinzuweisen,  welche  der- 
selbe als  Arzt  im  Hospital  zum  heiligen 
Geist  bereits  Tor  40  Jahren^)  yeroffentlicht 
hat.  Die  Resultate  dieser  Behandlungsme- 
thode waren  so  günstige,  dass  von  42 
schweren  und  schwersten  Pneumonien  nur 
zwei  Todesfälle  zu  beklagen  waren,  welche 
überdies    einen    starken    Gewohnheitstrinker 


')  „Deutsche  Klinik*  Verlag  von  Georg  Rei- 
mer in  Berlin,  No.  51,  21.  December  1850:  „Ein 
Beitrag  zor  näheren  Erkenntniss  des  Cbloroforrns 
in  cbemiscber  und  physiologischer  Beziehung^  von 
Dr.  Theodor  Clemens  in  Frankfurt  am  Main; 
Fortsetzungen  in  No.  52,  28.  December  1850.  No.  3, 
18.  Januar  1851.  No.  4,  25.  Januar  1851.  No  7, 
15.  Februar  1851.  No.  8,  22.  Februar  1851  und 
Schlnss  No.  12,  22.  März  1851,  in  welcher  Arbeit 
bereits  von  dem  Verfasser  die  ersten  XIV.  mit 
Chloroform-Inhalationen  behandelten  und  geheilten 
Pneumonien  mitgetheilt  worden  sind. 


und  ein  ganz   kachektisches  Individuum  be- 
trafen.    Ebenso  hat  der  Verfasser    in    einer 
seitdem     ausgeübten    zweiundvierzigjährigen 
Privatpraxis    alle    vorgekommenen    Lungen- 
entzündungen   ganz    auf  dieselbe  Weise  be- 
handelt   und    in    dieser  langen  Zeit  keinen 
einzigen  Todesfall  an  Lungenentzündung  zu 
verzeichnen    gehabt,    was    der  Verfasser  üb- 
rigens  dem    Umstand    zuschreibt,     dass    er, 
immer  rechtzeitig  gerufen,  die  Entwickelung 
der  Krankheit  durch  sofortige  energisch  fort^ 
gesetzte    Chloroform-Inhalationen    aufhalten 
konnte.      In    allen    Fällen    war    bei    dieser 
Behandlungsmethode    dem   Chloroform    stets 
Spiritus   rectificat.     zugesetzt    worden,    weil 
durch  diesen  Zusatz   erstens  eine  schädliche 
Einwirkung  und  Zersetzung  des  Chloroforms 
verhütet    und   zweitens  bei  länger  anhalten- 
den Inhalationen  die  NarcotisiruDg  umgangen 
wird.     Selbst  in  sehr  schlimmen  Fällen  von 
Pneumonia  duplex,  wo  bereits  die  Chloride') 
im    Harn    zu    schwinden    begannen,    konnte 
durch    beharrliche,    selbst   Nachts    durchge- 
führte   Inhalationen    von    Chloroformspiritus 
noch  ein  durchaus  günstiges  Resultat  erlangt 
werden.    Da  bekanntlich  sowohl  Chloroform 
wie   auch  der  Alkohol  von  dem  Blut  aufge- 
nommen wird,    so  kann  bei  ausgiebigen  und 
fortgesetzten  Inhalationen  eine  vollkommene 
ümstimmung     des    Lungenblutes    veranlasst 
und      durch      Defibrinirung      dem      localen 
Entzündungsprocess    der    Boden    genommen 
werden.     Deshalb    bei    dieser   Behandlungs* 
methode     die    Seltenheit     des    gefurchteten 
Ausgangs   in  Hepatisation,    deshalb    der    so 
sehr   abgekürzte  Ejrankheitsverlauf   und    die 
oft    unglaublich    schnelle    Rückbildung    des 
ganzen  Erankheitsprocesses    in   den  Lungen. 
Die  Indication  der  Zahl  und  Dauer  der  In- 
halationen richtet  sich  nach  Ausbreitung  und 
Intensität  der  Lungenentzündung.  Je  schwerer 
der  Fall,  desto  längere  und  häufigere  Inha- 
lationen und  folgerichtig   desto  mehr  Zusatz 
von  rectificirtem  Spiritus  zu  dem  Chloroform. 
Da  in  dem  Hospital  zum   heiligen  Geist    in 
Frankfurt  am  Main  die  ersten  Versuche  mit 
dem  damals  käuflichen  Chloroform  durchaus 
fehlschlagen,     so     sah    sich    der    Verfasser, 
selbst  Chemiker,    veranlasst,    aus  Chlorkalk 
und  Weingeist  ein    vorzüglich  reines,    nicht 
zu  schweres  Chloroform    selbst    herzustellen 


•)  TJroskopische  Beiträge  von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  am  Main.  Deutsche  Klinik 
31.  Mai  1851,  No.  22  und  Fortsetzungen  in  No.  31, 
2.  August  1851.  No.  33,  16.  August  1851.  No.  34, 
23.  August  1851.  No.  36,  6.  September  1851, 
No.  39,  27.  September  1851.  No.  43,  25.  October 
1851.  Siehe  daselbst  p.  459  die  Chloride  und  die 
prognostische  Wichtigkeit  des  Verschwind ens  der 
Chloride  im  Urin  bei  den  Entzündungskrankheiten 
und  insbesondere  bei  Pneumonien. 

23 


178 


RaflMAItt. 


rlierapeatbeho 
Monatiheftt. 


und  wurden  mit  diesem  stets  gleichartigen 
Präparat  alle  Fälle  behandelt.  Die  mit 
Chloroform  und  Spiritus  getränkte,  fest  ge- 
drehte Baumwolle  wurde  stets  in  ein  Stuck 
lockere  und  trockene  Baumwolle  eingehüllt 
und  so  Yor  Mund  und  Nase  des  Patienten 
gehalten,  dass  man  mit  der  senkrechten 
flachen  Hand  zwischen  Watte  und  Gesicht  hin- 
durchfahren konnte,  damit  Patient  neben  dem 
Chloroformspiritus -Dampf  immer  noch  einen 
Theil  Luft  mit  einathmen  konnte,  auf  welche 
Weise  selbst  bei  langen  Inhalationen  die 
Narcotisirung  immer  umgangen  wurde. 

{AUgem.  med,  Centrah.  1889,  No.  UlSS.)  • 

Die  Wirkung  des  Tabaks.  Von  Ritter  Dr .  G  i  a  c  c  h  i , 
Spital sdirector  in  Fiume. 

Yerf.  hat  Experimente  an  Menschen  und 
Thieren  angestellt.  —  Die  Wirkungen  bei  den 
Thieren  sind  folgende:  Schon  eine  sehr 
geringe  Quantität  Nicotins  (den  Thieren  ein- 
gegeben) genügt,  dieselben  zu  Grunde  zu 
richten.  Um  den  pathologischen  Befund 
kennen  zu  lernen,  machte  G.  Nicotin -Ein- 
spritzungen und  fand  eine  auffällige  Pro- 
stration, kalte  Zunge,  feuchter  als  gewohn- 
lich, Dilatation  der  Pupillen  und  einen 
ruhigen  Tod.  Die  Section  ergab:  Anaemie 
der  Meningen,  des  Gehirns  und  schlaffes  Herz. 

Die  Wirkungen  bei  gesunden  Menschen 
sind  die  folgenden:  Das  Tabakrauchen  er- 
regt anfangs  Ekel,  Brechreiz,  Uebelkeit  — 
Symptome,  welche  später,  nachdem  man  sich 
an  das  Rauchen  gewöhnt,  selten  vorkonmien. 
—  Unter  vielen  Thatsachen  sei  jene  ange- 
führt, welche  Ho dnig  erzählt,  dass  2  Brüder, 
nachdem  der  eine  17,  der  andere  18  Tabaks- 
pfeifen ausgeraucht  hatten,  starben.  Es  sind 
auch  Fälle  bekannt,  wo  der  Tod  eintrat, 
nachdem  der  Kopf  wegen  Krätze  mit  einem 
Tabakaufgusse  gewaschen  wurde.  —  Der  Ta- 
bak erweitert  die  Pupillen  und  befordert  die 
Harnsecretion.  Die  Blutcirculation  wird  ver- 
langsamt. Hiernach  ist  es  erklärlich,  wie 
Ohnmacht  und  sogar  Tod  eintreten  ^  kann, 
ohne  dass  die  Herzfunctionen  alterirt  er- 
scheinen. —  Wie  Nothnagel  fand  auch  G. 
bei  Nicotinvergiftung  allgemeine  Schwäche. 
Das  Nervensystem  befindet  sich  jedoch  nach 
Verf.  unter  der  Nicotin  Wirkung  in  keinem 
Reizungszustande,  sondern  im  Gegentheil 
deprimirt.  Keibel  berichtet  über  einen 
eclatanten  Fall,  wo  ein  Mann,  der  in  Folge 
starken  Rauchens  seine  unteren  Extremitäten 
nicht  gebrauchen  konnte,  sogleich,  nachdem 
er  das  Rauchen  aufgab,  die  Motilität  wieder 
gewann.  —  Bezüglich  der  Einwirkung  auf 
den  Appetit  muss  man  zwischen  der  localen 
reizenden  und  der  dynamischen  Wirkung 
unterscheiden.     Der  Tabak   reizt  nur  wenig 


die  ganz  oberflächlichen  Schichten  der  Magen- 
schleimhaut. Durch  stundenlanges  Rauchen 
vor  dem  Essen  wird  der  Saft  der  Speichel- 
drüsen ausgepresst.  Raucher,  die  stark 
speien,  haben  gute  Verdauung;  das  Ver- 
schlucken des  Speichels  erregt  chronisch  ent- 
zündliche Processe.  —  Wenn  nach  dem 
Essen  sogleich  geraucht  wird,  wird  die  Menge 
des  Nicotins  von  den  Speisen,  besonders 
aber  vom  Weine  neutralisirt. 

Die  Zunge  der  Raucher  bekonmit  ein 
rauhes  (zottiges)  Aussehen  und  verliert  an 
Geschmack.  Das  Halten  des  Rauches  im 
Munde  scheint  (wenn  nicht  Erkrankungen 
vorhanden)  nicht  schädlich  zu  wirken.  —  Die 
tiefen  Inspirationen  und  kurzen  Exspirationen 
sind  (besonders  bei  Brustschwachen)  schädlich. 

Wirkungen  bei  Kranken:  Mit  Rück- 
sicht auf  seine  hyposthenisirende  Wirkung 
wurde  der  Tabak  bisher  gegen  viele  Krank- 
heiten gebraucht:  Ischurie,  Drüsenentzündung, 
Hernien  und  Epilepsie.  Unter  den  vielen 
von  G.  beobachteten  Fällen  verdient  beson- 
ders ein  Ascitiker  Erwähnung.  Derselbe 
hatte  früher  nie  Tabak  geraucht.  Er  genas 
in  Folge  der  starken  Diurese,  die  ihm  das 
Kauen  des  Tabaks  verursachte.  —  Bei  Irr- 
sinnigen ist  das  Schnupfen  des  Tabaks  oft 
indicirt,  viele  (namentlich  Frauen)  greifen  mit 
einer  gewissen  Gier  dazu.  —  Das  Rauchen 
soll  besonders  den  Herzkranken  (!)  und  den 
an  Hirncongestionen  Leidenden  empfohlen 
werden.  —  Aeusserlich  ist  der  Tabak  gegen 
Scabies  und  in  Klystierform  gegen  Würmer 
wirksam. 

Nach  den  physiologischen  Grundsätzen 
dürfte  gerathen  sein,  falls  keine  Gegenanzeigen 
vorliegen,  erst  mit  40  Jahren  mit  dem  Rauchen 
zu  beginnen.  Dasselbe  dient  nicht  nur  als 
Zeitvertreib,  sondern  es  erfrischt  den  Men- 
schen und  regt  ihn  zur  Thätigkeit  an. 

{Pt»t.  med.  clururg,  Presse  1888  No.  46.)         R. 

Ueber  die  Technik  bei  Behandlung  der  Tabes  und 
einiger  anderer  Nervenkrankheiten  mit  der 
Aufhängungsmethode  (Suspension)  von  Gilles 
^  de  la  Tourette  (Paris). 

Charcot^s  Veröffentlichung  der  mit  der 
Aufhängungsmethode  bei  der  Behandlung 
der  Tabes  erzielten  Resultate,  über  welche 
wir  in  der  vorigen  Nummer  dieser  Zeitschrift 
referirt  haben,  hat  in  den  weitesten  ärzt- 
lichen Kreisen  Aufsehen  erregt.  Kein  Wunder 
daher,  dass  an  den  Autor  vielfache  Anfragen 
in  Bezug  auf  die  Details  der  zu  befolgenden 
Technik  ergingen,  welche  Charcot  veran- 
lassten, durch  seinen  Schüler  Gilles  de  la 
Tourette  eine  genauere  Beschreibung  des 
Apparats  und  der  Methode  veröffentlichen 
zu  lassen. 


««.1 

M.  J 


179 


Der  Apparat  ist  der  von  Sayre  zur  An- 
leguDg  seines  GypBCorseU  angegebene.  Er 
besteht  ane  einem  45  cm  langen  eisernen 
Balken,  der  in  seiner  Mitte  einen  Ring  tr&gt, 
welcher  an  dem.  zur  Traction  verwendeten 
Flasclienznge  befestigt  wird.  Der  Balken 
läuft  beiderseits  in  Haken  aus,  dazu  be- 
stimmt, an  einem  Ringe  die  Achselstfitzen 
EU  trageo.  Auf  dem  oberen  Rande  des 
Balkens  befinden  sich  auf  jeder  Seite  je 
drei  Einkerbungen,  deren  Bedeutung  bald 
klar  werden  wird. 


Dann  geboren  zum  Apparat  zwei  Achsel- 
stQtzen  und  eine  in  zwei  Tbeile  zerlegbare 
Stütze  für  den  Kopf.  Der  vordere  Tbeil 
der  letzteren  wird  unter  dem  Eiun,  der 
biutere  im  Nacken  befestigt;  der  erstere 
trägt  einen  kleinen  Ring,  welcher  dazu 
dient,  beide  Theite  nach  Anlegung  des  Appa- 
rate  durch  einen  Riemen  zu  verbinden. 
Dieser  kleine  Riemen  spielt  eine  nicht  un- 
bedeiiteode  Rolle,  indem  er  einmal  so  stark 
angezogeo  werden  muss,  dasa  eia  Abgleiten 
des  Apparats  verhindert  wird,  dann  aber 
wieder  keinesfalls  durch  zu  starken  Druck 
eine  Compression  der  grossen  Halsgefässe 
berbeiHibren  darf;  um  letzteres  zu  verhüten, 
kann  man  auch  zwischen  Riemen  und  Haut 
noch  etwas  Watte  einfügen.  Je  nacb  der 
Dicke  des  Kopfes  wird  man  die  Ringe, 
welche  diesen  Theil  am  Balken  befestigen, 
in  die  erste,  zweite  oder  dritte  Einkerbung 
des  letzteren  hineinlegen  und  zwar  so,  dass 
je  dicker  der  Kopf,  desto  weiter  nach  aussen 
der  Ring  befestigt  wird. 

Auch  die  Anlegung  der  Achselstücke  er- 
fordert einige  Aufmerk aamkeit.  Da  Kopf 
und  Hals  allein  den  Zug  nicht  aushalten 
könnten,  muss  einerseits  der  Körper  einen 
Stützpunkt  haben,  andererseits    darf  dieser 


Stützpunkt  nicht  so  wirken,  dass  er  die 
Streckung  der  Wirbelsäule  verhindert.  Des- 
wegen tragen  auch  diese  Stützen  je  einen 
Riemen  an  ihrem  oberen  Ende,  der  je  nach 
der  KÖTperform  des  Patienten  gestellt  wird. 


Et  darf  aber  nicht  zu  kurz  werden,  um 
Druck  auf  den  Plexus  brachialis  zu  ver- 
hüten, nicht  zu  lang,  da  sonst  der  Zug  auf 
die  Halsmuskeln  zu  stark  wirkte.  Es  ge- 
lingt Dach  einigen  Versuchen  leicht,  sich 
über  diese  Verhältnisse  klar  zu  werden. 


180 


Referat«. 


tTherApentiache 
Monatshefte. 


Ist  der  Apparat  angelegt,  so  beginnt  man 
ganz  allmählich  den  Körper  langsam  empor- 
zuziehen; der  Patient  darf  dabei  keinerlei 
Bewegung  machen,  um  ein  Verschieben  des 
Apparats  zu  vermeiden.  Der  Kranke  wird 
so  weit  emporgezogen,  dass  die  nach  unten 
gerichteten  Fussspitzen  den  Boden  nicht 
mehr  erreichen.  Während  der  Aufhängung 
wird  der  Patient  dann  vom  Arzt  leicht 
unterstützt,  während  der  letztere  zu  gleicher 
Zeit  genau  die  Dauer  der  Application  beob- 
achtet. Der  Patient  soll  dann,  um  die 
Wirkung  der  Operation  noch  zu  erhöhen, 
mehrmals  langsam  die  Arme  in  verticaler 
Richtung  emporstrecken. 

Die  Dauer  der  Sitzung  soll  3 — 4  Minuten 
nie  übersteigen.  Man  beginnt  mit  einer 
halben  Minute  und  erreicht  die  längste  Dauer 
in  6 — 8  Sitzungen.  Hierbei  muss  das  Ge- 
wicht der  Patienten  derart  in  Berechnung 
gezogen  werden,  dass  bei  grösserem  Gewichte 
die  Dauer  des  Zuges  nur  eine  geringere  sein 
darf.  Für  die  Wirksamkeit  der  Operation 
ist  es  durchaus  noth wendig,  dass  durch  die- 
selbe weder  Ermüdung  noch  Schmerzen  ver- 
ursacht werden. 

Die  Sitzungen  dürfen  nur  alle  zwei  Tage 
vorgenommen  werden,  da  die  tägliche  Appli- 
cation sich  eher  schädlich  als  nützlich  er- 
wiesen hat.  Ebenso  langsam  und  vorsichtig 
wie  das  Hinaufziehen  muss  das  Hinunter- 
lassen bewirkt  werden,  damit  jede  Erschütte- 
rung bei  Berührung  des  Bodens  vermieden 
wdrd.  Während  der  Ablösung  des  Apparates 
wird  der  Patient  unterstützt  und  dann  sofort 
für  einige  Minuten  in  einen  bereit  gehaltenen 
Lehnstuhl  gesetzt. 

Schliesslich  ist  noch  zu  beachten,  dass 
der  Hals  freigehalten  werden  muss,  um 
etwaigen  Druck  durch  Kragen  zu  besei- 
tigen, sowie  dass  das  Oberkleid  behufs  freier 
Bewegung  der  Arme  abgelegt  wird. 

Auf  die  erreichten  Resultate  geht  Verf. 
nicht  nochmals  ein.  Er  betont  nur  noch, 
dass  man  bei  Auswahl  der  Fälle  vorsichtig 
sein  muss,  dass  die  W^irkung  bei  jüngeren 
Patienten  nicht  so  gut  ist  wie  bei  älteren 
und  dass  niemals  mit  der  Methode  irgend 
welcher  Schaden  angerichtet  worden  ist.  — 
üeber  die  nothwendige  Dauer  der  Behand- 
lung kann  Verf.  noch  nichts  Sicheres  sagen. 

(JLe  Progrh  medical  23,fevr.  1889.) 

M.  Cohn  {Berlin). 

Der  Kehlkopfkrebs,  seine  Diagnose  und  Behand- 
lung.   Von  Professor  Dr.  B.  Fraenkel. 

Fr.  hat  sich  mit  dieser  Arbeit,  die  man 
ohne  Weiteres  zu  seinen  besten  rechnen  muss, 
ein  grosses  Verdienst  um  die  Laryngologie 
sowohl  wie  um  die  Medicin  im  Allgemeinen 


erw^orben.  Er  räumt  mit  dem  Wnst  ver- 
alteter Anschauungen  auf,  beseitigt  alle  im 
grossen  ärztlichen  Publicum  noch  stark  ver- 
breiteten falschen  Vorstellungen  gründlich, 
lässt  alles  ünnöthige,  das  Krankheitsbild 
Verwirrende  bei  Seite  und  giebt  ein  so  klares, 
aus  der  unmittelbaren  gewissenhaften  und 
sorgfaltigen  Beobachtung  entspringendes  Bild 
von  der  doch  so  vielgestaltigen  und  zu 
diagnostischen  Irrthümern  veranlassenden 
Krankheit,  wie  wir  es  vergeblich  in  irgend 
welchem  ausführlichen  Lehrbuche  suchen. 
Es  kann  sein  Verdienst  um  die  Sicherung 
der  Diagnose  in  dem  engen  Rahmen  dieser 
Monatsschrift  nicht  eingehend  gewürdigt 
werden;  es  muss  vielmehr  auf  das  Original 
verwiesen  werden,  das  jedem  Arzte,  der  sich 
dafür  interessirt  —  und  wer  sollte  das  nicht 
thun?  —  zum  gründlichen  Studium  ange- 
legentlichst empfohlen  werden  muss. 

Ebenso  präcise  und  genau  bestimmt  wie 
Fr.'s  Angaben  bezüglich  der  Diagnose  sind 
die  der  Behandlung.  Von  dem  Gedanken 
ausgehend,  dass  der  Kehlkopfkrebs,  wie  eben 
jeder  Krebs,  zunächst  ein  locales  Leiden 
ist,  stellt  er  den  Satz  auf,  dass  man 
möglichst  früh  und  radical  ihn  zu  operiren 
habe  —  und  die  Möglichkeit  dazu  ist  durch 
die  zur  Sicherung  der  Diagnose  beigebrachten 
Thatsachen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ge- 
geben — ,  um  auf  diese  Weise  die  Anzahl 
der  Recidive  zu  vermeiden,  geschweige  denn 
den  Kranken  den  grausigen  Qualen  des 
Ejrebstodes  erliegen  zu  lassen.  Für  die 
endolaryngeale  Operation  sind  nur  die 
Frühformen  des  Krebses  geeignet.  —  Fr. 
hat  selbst  3  Patienten  auf  diesem  Wege  von 
ihrem  Leiden  mit  dauerndem  Erfolge  befreit; 
sie  hat  vor  der  radicalen  chirurgischen  Ope- 
ration den  Vorzug,  dass  sie  bessere  Chancen 
für  die  Erhaltung  der  Function  des  Organs 
bietet;  der  Patient  ist  keinen  Tag  bettlägerig 
und  giebt  eher  seine  Zustimmung  zu  derselben. 
Und  wenn  auch  der  von  Gottstein  und 
Krön  lein  hervorgehobene  Nachtheil  dieses 
Verfahrens,  man  sei  nicht  sicher,  alles  Krank- 
hafte entfernt  zu  haben,  zutreffend  sein  sollte, 
so  ist  mit  dem  Versuche  nichts  geschadet, 
weil  event.  immer  sofort  die  partielle  Ex- 
stirpation  folgen  kann.  Aber  wenn  man  eben 
nur  die  Frühformen  des  Carcinoms  endolaryn- 
geal  operirt,  so  kann  man  auch  alles  Krank- 
hafte entfernen  und  mit  dem  Instrument  bis 
ins  Gesunde  hineingehen. 

Verf.  berührt  bei  dieser  Gelegenheit  die 
Frage  der  Umwandlung  gutartiger  Geschwülste 
in  bösartige;  er  giebt  die  Möglichkeit  einer 
solchen  Transformation  ohne  Weiteres  zu, 
weist  aber  die  Anschauung  entschieden 
zurück,    als  würde  sie   in  ihrer    Häufigkeit 


m.  Jahrguig.l 
April  1889.  J 


Rftferftta. 


181 


durch  kunstgerecht  ausgeübte  operative  Ein- 
griffe vermehrt. 

Die  zur  endolaryngealen  Operation  ge- 
eigneten Instrumente  sind  die  schneidende 
Zange  und  zuweilen  die  Schlinge,  und  zwar 
die  letztere,  um  zu  greifen  und  abzureissen; 
die   Galvanokaustik   kommt  kaum  in   Frage. 

Die  Recidive  nach  dieser  Operation  sind 
local  oder  regionär  und  verändern  gewöhnlich 
die  Möglichkeit  des  operativen  Eingriffes  in 
keiner  Weise,  während  dieselben  nach  der 
chirurgischen  Operation,  die  etwa  weiter  ins 
Gesunde  hineingeht,  eine  Wiederholung  der- 
selben erschweren  oder  unmöglich  machen. 
Man  muss  sich  nur  hüten,  die  endolaryn- 
gealen Operationsversuche  so  lange  auszu- 
dehnen, bis  der  Krebs  sich  weiter  verbreitet, 
und  so  den  Yorwurf  des  Chirurgen  vermeiden, 
man  habe  ihm  den  Fall  zu  spät  überwiesen. 

Wo  der  Laryngologe  nichts  mehr  er- 
reichen kann,  muss  möglichst  bald  die 
partielle  Exstirpation  des  Kehlkopfs 
gemacht  werden,  eine  Operation,  die  nach 
gewissenhaft  angefertigter  Statistik  keines- 
wegs schlechte  Resultate  giebt;  im  Gegen- 
theil  ist  jetzt  die  Laryngofissur  an  sich 
eine  ungefährliche  Operation,  und  die 
Exstirpation  insonderheit  der  Stimmband- 
krebse wird  geradezu  glänzende  Resultate 
ergeben,  sobald  sie  durchgehends 
gegen  Frühformen  des  Kehlkopf- 
krebses instituirt  werden  wird,  und 
wenn  bisher  in  gar  vielen  Fällen  nicht  früh 
genug  operirt  worden  ist,  so  findet  das  seine 
Erklärung  in  einer  gewissen  Unsicherheit  der 
Diagnostik;  aber  wenn  selbst  einmal  statt 
eines  Krebses  ein  Gummi  oder  ein  Sarkom 
durch  die  Laryngofissur  statt  auf  endolaryn- 
gealem  Wege  entfernt  wird,  so  ist  das  noch 
kein  Fehler.  Ein  dem  Kranken  nach- 
theiliger Eingriff  geschieht  nur  dann, 
wenn  die  rechtzeitige  Exstirpation 
eines  Carcinoms  unterlassen  wird. 
Operirt  man  endolaryngeal,  wo  dies  angängig, 
und  giebt  man  noch  probatorisch  Jodkalium, 
so  schliesst  man  die  Möglichkeit  aus,  durch 
die  Laryngofissur  und  die  Exstirpation  der 
Geschwulst  Schaden  anzurichten.  Im  Grossen 
und  Ganzen  soll  nun  der  Chirurg  1  cm  weit 
von  der  Geschwulst  seinen  Schnitt  führen, 
aber,  wenn  möglich  den  Schild-  und  Ring- 
knorpel erhalten,  weil  so  die  Narbenretrac- 
tion  ein  Rohr  für  die  Respiration  übrig 
lassen  muss;  auch  auf  die  Schleimhaut  des 
adituB  ad  laryngem  ist  Werth  zu  legen,  weil 
die  in  ihr  vorhandenen  Zweige  des  n.  laryn- 
gens  Buperior  gegen  die  Verschluckpneumonie 
schützen.  So  macht  die  Operation  den 
Kranken  nur  dann  zum  Invaliden, 
wenn    sein   Beruf  das    Vorhandensein 


einer    lauten,     klaren    Stimme    erfor- 
dert. 

Die  Totalexstirpation*  ist  gefährlich,  und 
die  Statistik  giebt  von  68  Operirten  9  dauernd 
Geheilte. 

Die  inneren  und  topischen  Mittel  sind 
ohne  Werth. 

Die  Tracheotomie  und  zwar  die  tiefe  ist 
zu  machen,  sobald  Stridor  sich  regelmässig 
nach  Bewegungen  etc.  bemerklich  macht  und 
uns  den  Eintritt  der  Larynxstenose  anzeigt, 
die  sonst  Behinderung  der  Oxydation  des 
Blutes  und  so  Herzschwäche  hervorrufen 
würde. 

Bezüglich  der  Ernährung  muss  sich  der 
Patient  allmählich  an  flüssige  und  breiige 
Nahrung  gewöhnen,  auf  die  er  später  ange- 
wiesen. Schliesslich  tritt  die  Schlundsonde 
in  Action.  —  Gegen  das  Schluckweh  ver- 
wendet man  Menthol  und  Cocain;  gegen 
den  Foetor  desinficirende  und  desodoriitende 
Inhalationen  und  Insufflationen.  Morphium 
ist  nicht  zu  entbehren. 

{DBUtsehe  med.  Wbchemchr.  1889  No.  l—S.) 

A.  Rosenbirg  {Berlin). 

Die  Anwendung  des  Antipyrin  bei  Erkrankungen 
der  Nasenschleimhaut.  Von  Dr.  Whitehill 
Hinkel  (Buffalo). 

Die  klinischen  Erfahrungen,  die  Verf. 
über  den  therapeutischen  Werth  des  Anti- 
pyrin bei  Nasenleiden  gemacht  hat,  haben 
ihn  zu  folgenden  Schlussfolgerungen  geführt: 

1.  Eine  Antipyrinlösung  besitzt  blut- 
stillende Eigenschaften,  wenn  sie  local  auf 
die  Nasenschleimhaut  applicirt  wird ;  indessen 
ist  das  Medicament  in  dieser  Beziehung  dem 
Cocain  nicht,  wie  mehrfach  behauptet  worden 
ist,  überlegen.  2.  In  4%iger  Lösung  be- 
wirkte das  Medicament  häufig  vorübergehende 
Besserung  bei  Verstopfung  der  Nasenhöhle 
in  Folge  von  Anschwellung  der  Schleimhaut. 
3.  Vor  dem  Cocain  hat  das  Antipyrin  den 
Vorzug,  dass  es  niemals  eine  Trockenheit 
der  Schleimhaut  hervorruft;  auch  hat  es  nicht, 
wie  jenes,  Schlaflosigkeit  und  Kopfschmerzen 
im  Gefolge.  —  4.  Beim  Heufieber  bietet  es 
vor  dem  Cocain  den  Vortheil,  dass  sich  die 
Patienten  nicht  so  schnell  an  dasselbe  ge- 
wöhnen, wodurch  die  Wirksamkeit  des  Cocains 
sehr  schnell  vermindert  wird,  wenn  man  es 
nicht  in  immer  stärkerer  Dosis  anwendet. 
5.  Nachtheile  des  Antipyrins  sind  u.  a. 
seine  bei  verschiedenen  Affectionen  so  un- 
gleiche Wirkung.  6.  In  Folge  der  desin- 
ficirenden  und  gleichzeitig  stimulirenden 
Eigenschaften  ist  die  Anwendung  des  Anti- 
pyrins vorzugsweise  dort  indicirt,  wo  es  sich 
entweder  um  frische  Wunden  oder  um  gra- 
nulirende  Ulcerationen  der  Nasenschleimhaut 


182 


Referat«. 


rTherApeatbohe 
L  MonaUbafke. 


handelt.  7.  In  Verbindung  mit  Cocain  ver- 
mehrt es  wesentlich  die  anästhesirenden 
Eigenschaften  desselben  und  erlaubt  somit 
eine  Anwendung  dünnerer  Lösungen  bei 
unverminderter  Wirksamkeit. 

(N.  T.  Med.  Joum.  und  The  Joum,  of  the  Am,  Med, 
A880C,  3.  XI,  2888.)  H,  Lohmtem  {BerUn). 

Therapeutische    Resultate.       Von     Dr.    Ludwig 
Polydk  in  Görbersdorf. 

Die  Diarrhoe  der  Phthisiker  trotzt  in 
den  meisten  Fällen  jeder  ärztlichen  Behand- 
lung. In  neuerer  Zeit  wurden  zwei  Mittel 
empfohlen,  denen  eine  ausgezeichnete  Wir- 
kung nachgerühmt  wird.  Debove  empfahl 
das  Magnesium  ^ilicicum  (Talcum  ve- 
netum),  welches  mit  einem  aromatischen 
Getränke  oder  Milch  vermischt  die  stärkste 
Diarrhoe  stillen  könne.  Die  Tagesdosis  be- 
trägt 200  g  Talcum  in  ^'^  Liter  Milch  gut 
aufgeschüttelt.  Man  kann  sogar  4 — 600  g 
Talcum  geben.  Die  gute  Wirkung  tritt 
schon  nach  2tägigem  Gebrauche  ein,  hört 
jedoch  beim  Aussetzen  dieser  Behandlung 
auf.  Die  Milch  wird  nach  Polydk's  Be- 
obachtung von  den  Kranken  in  dieser  Form 
besser  und  lieber  genommen,  als  die  ge- 
wöhnliche Milch.  Das  Talcum  ermögliche 
daher  das  Trinken  dieses  wichtigen  Nah- 
rungsmittels. P.  bedauert,  dass  am  5.  bis 
7.  Tage  dieser  Behandlung  die  Kranken  von 
einem  quälenden  Druckgefühl  im  Magen  und 
Darme  geplagt  werden,  was  sich  durch  die 
Anhäufung  grösserer  Mengen  dieses  Pulvers 
erklären  lässt.  —  Es  wäre  ein  Fehler,  glau- 
ben zu  wollen,  dass  nach  längerem  Ein- 
nehmen dieses  Pulvers  die  Darmgeschwüre 
heilen  würden.  —  Ein  viel  wirksameres 
Mittel  ist  die  Milchsäure.  Die  Wirkung 
tritt  nach  Angaben  der  DDr.  Sezary  und 
Anne  nach  3 — 4  Tagen  auf,  sie  hält  aber 
auch  nach  Aussetzung  des  Mittels  an.  Die 
Milchsäure  wurde  schon  vor  längerer  Zeit 
bei  Darmkatarrhen  (grüner  Stuhl)  der  Kinder 
in  Anwendung  gezogen,  in  letzterer  Zeit  mit 
gutem  Erfolge  auch  bei  tuberkulösen  Kehl- 
kopfgeschwüren. Schon  dies  wäre  ein  Hin- 
weis dafür,  das  Mittel  bei  tuberkulösen 
Darmgeschwüren  zu  verwenden.  P.  gab  im 
Anfange  pro  die  2  g  Milchsäure  auf  100  g 
Wasser,  nach  je  2  Tagen  wurde  die  Ta- 
gesdosis langsam  erhöht,  bis  er  auf  4  bis 
5  g  kam.  Mehr  gab  P.  nicht.  Die  Wirkung 
war  stets  befriedigend.  Schon  am  3.  Tage 
hörten  Diarrhoe  und  Schmerzen  auf,  am 
4.  oder  5.  Tage  begann  der  Stuhl  normale 
Form  anzunehmen.  Verf.  musste  die  Milch- 
säurebehandlung längere  Zeit  fortsetzen,  da 
sonst  die  Diarrhoe  wieder  auftrat.  Nach 
Aufhören  der  Diarrhoe  setzte  P.  die  Tages- 


dosis auf  1 — 2  g  herab  und  Hess  den  Pat. 
das  Mittel  noch  2 — 3  Tage  weitemehmen. 
Der  Erfolg  war  dann  ein  vollständiger.  — 
Die  Kranken  vertrugen  die  Milchsäure  sehr 
gut,  da  dieselbe  auf  den  Appetit  überhaupt 
im  Anfange  garnicht  einwirkt.  Unangenehme 
Wirkung  trat  nur  nach  längerem  Einnehmen 
auf.  Verf.  glaubt,  dass  die  tuberkulösen 
Darmgeschwüre  nach  dieser  Behandlung 
heilen  könnten.  Das  könnte  jedoch  nur 
Nekropsie  bestätigen  bei  einem  Patienten, 
der  mit  Milchsäure  längere  Zeit  hindurch 
behandelt  wurde. 

(Orrofi  HeHlap.  1888,  No.  öl,) 

■  Schuscirny  {Budaptii), 

Die  Behandlung  bei  Incarceration  des  retroflec- 
tirten  graviden  Uterus.    Von  Dr.  Cohnstein. 

Die  Vorschriften  für  die  Behandlung  des 
retroflectirten  incarcerirten  Uterus  gravidus 
sind  nicht  bestimmt  genug;  sie  schwanken 
in  den  Lehrbüchern  zwischen  Entleerung 
der  Harnblase  und  Reposition  der  Gebär- 
mutter hin  und  her:  gelingt  die  erste  nicht, 
heisst  es,  so  versuche  man  die  zweite  Me- 
thode und  missglückt  diese,  so  nehme  man 
jene  wieder  vor.  Diesen  unbestimmten  Rath- 
schlägen  nun  tritt  Cohnstein  entgegen,  in- 
dem er  als  erste  Maassnahme  die  vollständige 
Entleerung  der  Harnblase  aufstellt,  ohne 
welche  selbst  eine  gelungene  Reposition  des 
Uterus  grossen  Schaden  für  die  Blase  schafft, 
während  sie  in  schwierigen  Fällen  allein 
schon  die  Reposition  einleitet.  In  diesen 
Fällen  nun,  d.  h.  wenn  der  für  die  vollstän- 
dige Entleerung  am  besten  mit  mehreren 
Oeffnungen  versehene,  wohl  beölte,  männliche 
silberne  Katheter,  der  mit  der  grössten  Vor- 
sicht in  der  plattgedrückten  Harnröhre  vor- 
zuschieben ist,  nicht  in  die  Blase  gelangt, 
so  ist  die  Portio  von  der  Symphyse  und 
damit  von  der  Harnröhre  zu  entfernen,  in- 
dem sie  mittelst  einer  selbst  nur  in  eineji 
Theil  der  hinteren  Lippe  eingesetzten  Kugel- 
zange nach  hinten  und  unten  gezogen  wird; 
auf  diese  Weise  gelang  die  Einführung  des 
Katheters  dann  dem  Verf.  in  4  Fällen.  Ist 
aber  überhaupt  nichts  von  der  hinteren  Lippe 
zu  erreichen,  so  wird  in  die  der  Symphyse 
nächst  gelegene  Partie  der  hinteren  Vaginal- 
wand ein  Häkchen  eingesetzt,  an  ihm  nach 
hinten  und  unten  gezogen,  dann  über  diesem 
wieder  in  den  der  Symphyse  nunmehr  am 
nächsten  gelegenen  Abschnitt  ein  Häkchen 
eingesetzt  und  so  fort,  bis  die  Muttermunds- 
lippe erreicht  ist.  Ein  Misserfolg  ist  auf 
diese  Weise  noch  nicht  vorgekommen;  aber 
auch  für  den  Fall,  dass  ein  solcher  eintreten 
solle,  ist  nach  seiner  Meinung  nur  hiermit 
eine  Reposition  des  Fundus  von  der  Scheide 


m.  Jahrgang.! 
April  1889.  J 


R«fonte. 


183 


aus  zu  yerbinden.  Nach  der  Entleerung  der 
Blase  ohne  diese  instrumentelle  Hilfe  wird 
die  Reposition  durch  Druck  auf  die  Gerrix 
Ton  aussen  nach  abwärts  und  gegen  den 
Fundus  Ton  innen  nach  oben  bewerkstelligt; 
bei  Anwendung  der  Eugelzange  wird  diese 
zu  massigem  ferneren  Zuge  an  der  Portio 
nach  hinten  und  unten  verwandt,  während 
Ton  aussen  das  Corpus  aufgerichtet   wird. 

(Archiv  f,  GynaA,  No,  33,)     Landsb^  (Stettin). 

Ueber  combinirte   Wendung  in  der  Behandlung 
der  Placenta  praevia.    Von  Dr.  Lomer. 

In  der  Meinung,  die  in  jüngster  Zeit  in 
Fachzeitschriften  erschienenen  Abhandlungen 
über  das  Verfahren  bei  vorliegender  Placenta 
hätten  zu  wenig  Beachtung  bei  den  prakti- 
sehen  Aerzten  gefunden,  erörtert  Lomer 
noch  einmal  diesen  Gegenstand  mit  beson- 
derer Empfehlung  der  von  der  Berliner 
Schule  eingeführten  combinirten  Wendung. 
Dieselbe  wird  in  Narkose  derart  ausgeführt, 
dass  von  der  ganzen  in  der  Vagina  liegen- 
den Hand  erst  ein,  dann  zwei  Finger  durch 
den  stets  dilatirbaren  Cervicalcanal  hindurch- 
geführt, die  Blase  gesprengt  und  der  durch 
äussere  Handgriffe  der  inneren  Hand  ent- 
gegengebrachte Fuss  bis  vor  die  Vulva  ge- 
zogen wird.  Jetzt  darf  aber  bei  dem  wenig 
erweiterten  Muttermund  nicht  extrahirt  wer- 
den, sondern  es  ist  das  Eintreten  von  Wehen 
und  die  spontane  Geburt  abzuwarten. 

Mit  dieser  Methode,  die  also  ein  sehr 
frühes  Eingreifen  möglich  macht,  eine  sichere 
Blutstillung  bewirkt  und  die  mit  der  Ein- 
führung von  Tampons  immer  verbundene 
Infectionsgefahr  vermeidet,  ist  es  gelungen, 
die  Mortalität  der  Mütter  von  85  —  22%, 
vfde  sie  nach  den  grösseren  Zusammenstel- 
lungen bisher  betrug,  auf  4,5%  herabzu- 
setzen, während  das  Leben  des  Kindes,  das 
aber  im  Vergleich  zu  dem  der  Mutter  immer 
nachstehen  muss,  hier  wie  dort  in  ca.  50% 
der  Fälle  verloren  ging.  Es  ist  also  auch 
der  Vorwurf  der  grösseren  Kindersterblich- 
keit, der  diesem  Verfahren  gemacht  worden 
ist,  nicht  begründet,  und  die  theoretischen 
Bedenken,  es  könnte  der  lange  Zeitraum 
zvnschen  Wendung  und  Geburt  grade  bei 
Placenta  praevia  das  Leben  der  Kinder  in 
grössere  Gefahr  bringen,  werden  von  Lomer 
durch  die  Beschreibung  von  5  Fällen  zurück- 
gewiesen, in  denen  lebende  Kinder  spontan 
nach  Verlauf  von  % — 3  Stunden  nach  der 
Wendung  geboren  wurden;  auch  bei  fast 
vollständig  erweitertem  Muttermunde  hat  L. 
die  spontane  Greburt  abgewartet  (Fall  l), 
ohne  dem  Kinde  damit  zu  schaden. 

Natürlich  sollen  mit  der  combinirten 
Wendung  nun  nicht  all  die  anderen  Methoden 


verdrängt  werden;  vielmehr  lässt  L.  nach 
wie  vor  bei  absolut  fest  geschlossenem  Mut- 
termunde und  Blutung  in  der  Schwanger^ 
Schaft  die  Tamponade,  in  anderen  Fällen 
auch  die  Blasensprengung  allein  zu;  nur 
möchte  er  die  combinirte  Wendung  von  den 
practischen  Aerzten  in  all  den  Fällen,  wo 
sie  irgend  anwendbar  ist,  auch  gebraucht 
wissen,  damit  das  doch  bedeutend  wichti- 
gere Leben  der  Mutter  öfters  gerettet  wird, 
als  dies  bisher  geschehen  ist. 

(Btrl  klin,  Woehenschr.  1888.  No.  49.) 

Landsberg  (Stettin), 

Zur  operativen  Behandlung  verjauchender  Uterus- 
myome. Von  Dr.  Lindfort-Lund  (Schwe- 
den). 

Eine  Mittheilung,  die  auch  für  die  prac- 
tischen Aerzte  von  Werth  ist,  weil  sie  zeigt, 
mit  welchem  Erfolg  in  verzweifelter  Lage 
energisches  Vorgehen  gekrönt  wird,  macKt 
Lindfort.  Derselbe  wurde  aufs  Land 
2  Meilen  von  Lund  entfernt  wegen  eines 
Gebärmutter  Vorfalls  gerufen  und  fand  in 
einem  Zimmer  mit  verpesteter  Luft  ein  Weib, 
zwischen  dessen  Schenkeln  ein  kindskopf- 
grosser,  birnfÖrmiger  Körper  aus  der  Vulva 
hervorragend  in  ekelerregender  Sauce  und 
blutiger  Jauche  lag.  Nach  nothdürftigster 
Reinigung  erwies  sich  derselbe  als  ein  sub- 
mucöses,  verjauchendes  Myom  mit  armdickem 
Stiel,  das  den  Uterus  zum  Theil  invertirt 
hatte.  Ein  Transport  war  nicht  möglich, 
die  Lebensgefahr  bei  der  schon  febrilen  Pa- 
tientin drohend;  so  entschloss  sich  L.,  ohne 
Assistenz,  ohne  Antiseptik  mit  dem  Taschen^ 
besteck  die  Exstirpation  zu  machen:  ein 
doppelter  Seidenfaden  wurde  möglichst  hoch 
um  den  Stiel  gelegt  und  stark  zusammen- 
geschnürt und  darauf  der  Stiel  mit  der 
Scheere  langsam  durchtrennt,  ohne  dass  es 
nennenswerth  blutete.  Die  Nachbehandlung 
bestand  in  Garbolausspülungen  und  der  Er- 
folg war  ein  glänzender:  ohne  dass  wieder 
Fieber  eintrat,  konnte  Pat.  nach  noch  nicht 
6  Wochen  aufstehen  und  war,  als  L.  sie  ein 
Vierteljahr  später  wiedersah,  vollständig  ge- 
sund. 

(Ceniralblf,  Gynaek.  No.  6.  1889.) 

Landsberg  (Stettin), 

Das  Wesentliche  in  der  Thure-Brandt 'sehen 
Behandlungsmethode  des  Uterusprolapses. 
Modificatlon  der  Methode.  Von  Dr.  SielskL 
(Lemberg.) 

Nachdem  Autoritäten  wie  Schnitze, 
Preuscher,  Schauta,  Fränkel  Erfolge 
mit  der  T  hure -Brand  tischen  Massage  bei 
Uterusprolaps  veröffentlicht  haben ,  kann 
kein    Zweifel    mehr    obwalten,    dass    damit 


184 


RflfefftlA» 


rriMmpoDtiadM 
L  MonatRheft«. 


Fälle    zur    Hellung    gebracht    worden    sind. 
Die   deutsche  Wissenschaft  hat  aber  gleich- 
zeitig Erklärungsversuche  für  den  Werth  der 
Methode  gemacht,  wie  dies  in  den  Veröffent- 
lichungen jener  Autoren  (cf.  Therap.  Monatsh. 
1888  S.  346  ff.,  602  ff.),  sowie  in  den  Arbeiten 
Profanter^s,  Theilhaber's  etc.  geschehen 
ist;    nun  giebt  Sielski  eine   einfache,  sehr 
plausibel   klingende  Erklärung  für  die  Wir- 
kung der  Üterushebung  und  modificirt  danach 
dieselbe   derart,   dass   sie   auch  für  den  an- 
wendbar sein  dürfte,    der  nicht  bei  Brandt 
gewesen  ist.     Unter  Zurückweisung  der  An- 
sicht ,    dass    der    zur    Gontraction    gereizte 
Muskel  dadurch  Tage  lang  in  normaler  Höhe 
gehalten    werden    könne,    weil   die   Muskel- 
wirkung    ermüdet    und    Erholung    braucht, 
permanente  Gontraction   aber   nur  pathologi- 
scher Natur    sein   kann,    sieht  Verf.  in   der 
über    die   Gesundheitsebene    hinausgehenden 
Uterushebung    eine  Extension    und    in   dem 
dann  erfolgenden  behutsamen  Loslassen  eine 
Reposition,   analog   dem  Vorgehen  der  Ghi- 
rurgen    bei  der  Einrichtung  einer  Luxation. 
Diese  Ansicht  begründet  er  wie  folgt:  Beim 
Uterusprolaps    folgt  nicht   die   vordere  Rec- 
tumwand ,    sondern     die    Vaginalwand    löst 
sich  von   ihr   los,   der  Douglas 'sehe  Raum 
rückt  tief  herunter,  eine  Enterocele  vaginalis 
posterior  bildet  sich,  in  der  manchmal  Dünn- 
darmschlingen   liegen.      Diese    verhinderten 
bei    einer    einfachen  Reposition    des   Uterus 
den    Bestand    der    normalen   Lage;     „durch 
Interposition   der  benachbarten  Theile^,  wie 
der    Ghirurg    sagt,    kommt    die    Reposition 
nicht  zu  Stande.      Wird  aber  nach  Thure- 
Brandt  der  Uterus  sehr  hoch  erhoben,  dann 
wird  das  Peritoneum  aus  der  Spalte  heraus- 
gezogen  und   eine  Reposition   en   masse   der 
Enterocele   ausgeführt.     An  ihre  Stelle  tritt 
sofort  eine  Goaptation  der  hinteren  Vaginal- 
mit   der  vorderen  Rectalwand,   wie  sie  nor- 
maliter  besteht,  eine  Verwachsung  derselben 
vollendet    die  Heilung.     Somit  ist  also  von 
dem    Thure-Brandt' sehen    Verfahren    die 
Uterushebung  das  allein  wichtige,   den  übri- 
gen   Handgriffen     ist     kein    therapeutischer 
Werth   beizulegen;   und   diese  Hebung  führt 
Sielski    auf    eine    das    Schamgefühl    mehr 
schonende  und  weniger  rohe  und  dabei  leich- 
tere   und    sicherere    Weise    wie    folgt    aus: 
Eine  Uterussonde,  welche  in  einer  der  Länge 
der  zu  behandelnden  Gebärmutterhöhle  ent- 
sprechenden Entfernung  von  der  Spitze  eine 
scheibenförmige,  kreuzergrosse  Anschwellung 
trägt   (Elevator),    wird   eingeführt,    so   dass 
die  Portio   auf  der  Scheibe  eine  Stütze   be- 
kommt, und  so  der  Uterus  aus  dem  Becken 
in   die  Bauchhöhle  so  hoch,    als  dies,   ohne 
Schmerzen  zu  erregen,  möglich  ist,  gehoben. 


Auf  diese  einfache  Weise  hat  Verf.  bei  täg- 
licher Anwendung  innerhalb  2  —  4  Wochen 
fünfmal  definitive  Heilung  erreicht  und  spricht 
die  Hoffnung  aus,  dass  die  noch  zu  findende, 
auf  die  Fixation  der  reponirten  Theile  zu 
richtende  Nachbehandlung  die  Behandlungs- 
dauer noch  verkürzen  wird. 
{CmUralbLf.  G^naOc.  No,  4. 1838.) 

Landthwg  {auUm). 

Ueber  die  Wirkung  des  Pilocarpins  in  der  Geburts- 
hilfe.   Von  Dr.  John  Philipps. 

Aus  den  klinischen  Erfahrungen,  die 
Verf.  mit  dem  Pilocarpin  in  der  geburts- 
hilflichen Praxis  gemacht  hat,  ergiebt  sich, 
dass  das  Alkaloid  als  Abortivum  nur  in  den- 
jenigen Fällen  mit  einiger  Sicherheit  Ver- 
wendung finden  kann,  in  welchen  bereits 
zuvor  irgend  welche  Symptome,  die  auf  die 
Tendenz  des  Abortus  hinzudeuten  schienen, 
vorbanden  waren.  Bei  der  Verwendung  des 
Medicamentes  als  eines  die  Geburt  beschleuni- 
genden Mittels  hat  man  zu  entscheiden,  ob 
dieselbe  sich  im  Eröffnungs-  oder  im  Sta- 
dium der  Austreibung  befindet.  In  beiden 
Fällen,  vorzüglich  aber  in  der  Austreibungs- 
periode, beschleunigte  das  Medicament  in  Folge 
seiner  die  Intensität  der  Wehen  beschleuni- 
genden Wirkung  die  Austreibung  der  Frucht. 
Im  Vergleich  mit  Ergotin  wirkte  es  inten- 
siver und  verursachte  dabei  weit  weniger 
Schmerzen  als  dieses.  Ausserordentlich  be- 
währte sich  das  Medicament  in  verschiedenen 
Fällen  von  Wehenschwäche,  während  bei 
Atonia  uteri  und  bei  Blutungen  unmittelbar 
nach  der  Geburt  keinerlei  günstige  Erfolge 
nach  seiner  Anwendung  beobachtet  wurden. 
Umfassende  Anwendung  erfuhr  das  Medi- 
cament u.  a.  auch  bei  Eclampsia  gravidarum 
resp.  parturientium.  Im  Ganzen  wurde  es 
hier  in  89  Fällen  angewandt,  darunter  31  mal 
mit  Erfolg;  8  mal  erfolgte  Exitus  letalis. 
Nichtsdestoweniger  räth  Verf.  das  Medica- 
ment bei  Eclampsie  nur  mit  grösster  Vor* 
sieht  anzuwenden,  da  sehr  leicht  schwere 
Intoxicationserscheinungen  eintreten.  Gänz- 
lich contraindicirt  ist  das  Pilocarpin  bei  sich 
einstellendem  Goma. 

(TA«  TheraptutM  GatetU,  November  1888.) 

H.  LohmUAm  {Berkm). 

Die   Anwendung   des   Creolin    bei   der   eitrigen 
Mittelohrentzündung.  Von  Dr.  IgnazPurjesz 

(Budapest). 

Es  wurde  eine  stark  verdünnte  Greolin- 
Lösung  (5 — 6  Tropfen  Greolin  auf  einen 
halben  Liter  lauwarmen  Wassers)  zu  Aus- 
spritzungen und  zur  Durchspülung  der 
Paukenhöhle  per  tubam  Eustachii  in  Fällen 
von  acuter  und  chronischer  Mittelohrentsün- 


April  1889.  J 


Totikologfo. 


185 


düng  angewendet.  Die  Bildung  von  eitrigem 
Secret  inirde  in  relativ  kurzer  Zeit  (12  bis 
16  Tagen)  gehoben.  In  der  Yon  Purjesz 
benützten  Concentration  reizt  das  Creolin 
nicht  und  verursacht  überhaupt  keine  unan- 
genehmen Erscheinungen.    Concentrirtere  Lo- 


sungen rufen  ein  brennendes  Gefühl  hervor. 
—  Es  folgen  6  Krankengeschichten,  welche 
die  vorzügliche  Wirkung  des  Creolin  dar- 
thun. 

{GffögyäMMat  1888,  No.  öl.) 

Schu$chny  {Budapest), 


Toxikologie. 


Ueber  einen  Fall  von  Anttpyrinintozlkatlon*   Von 

Dr.  Hermann  Berg  er  in  Berlin. 

Am  6.  August  vorigen  Jahres  wurde  ich 
des  Abends  zu  einer  Fat.  gerufen,  die  wegen 
Kopfschmerzen  ein  Gramm  Antipyrin  in 
Pulverform  genommen  hatte.  Bald  nach  der 
Einnahme  verspürte  sie  Brei^ien  in  der 
Speiseröhre  und  im  Munde,  sowie  ein  Gefühl 
der  Spannung  im  Gesicht.  Dann  trat  Athem- 
noth  und  starkes  Herzklopfen  ein,  dem  bald 
Salivation  und  Thranen  folgte. 

Ais  ich  10  Minuten  später  die  Fat.  sah, 
eine  22jährige,  bisher  stets  gesund  gewesene 
Person  von  zarter  Constitution,  konnte  ich 
folgendes  constatiren:  Fat.  sass,  den  Obeiv 
körper  vom  übergebeugt,  auf  dem  Bettrande 
und  war  vor  Mattigkeit  kaum  im  Stande 
sieh  zu  erheben.  Aus  dem  Munde  quoll 
unaufhörlich  dünnflüssiger  Speichel,  die 
Thranen-  und  Schweisssecretion  war  sehr 
profus.  Das  ganze  Gesicht  war  geröthet 
—  jedoch  nicht  cyanotisch  —  und  ödematös, 
am  meisten  die  oberen  Augenlider  und  die 
Oberlippe.  Die  Athmung  war  beschleunigt 
und  mühsam,  die  Pulsfrequenz  erhöht.  Die 
Oonjunct.  bulb.  sowie  die  Wangenschleimhaut 
waren  intensiv  geröthet.  Auf  letzterer  war, 
obwohl  Fat.  das  Gefühl  hatte ,  „als  ob 
beiderseits  etwas  herabträufle^,  speciell  am 
Ausfuhrungsgang  der  Ductus  Stenon.  nichts 
von  einer  wahrnehmbaren  Speichelsecretion 
zu  entdecken,  ebensowenig  an  der  Caruncula 
snbling.,  welche  nur  stark  geröthet  und  ge- 
schwollen erschien.  Die  Glandul.  parot.  und 
submaxill.  waren  auf  Druck  empfindlich. 

Die  subjectiven  Beschwerden  der  Fat. 
bestanden  ausser  der  starken  Salivation  in 
allgemeiner  Mattigkeit,  Athemnoth,  starkem 
Herzklopfen,  heftigem  Brennen  im  Munde 
und  in  den  Augen,  sowie  einem  spannenden 
Gefühl  im  Gesicht.  Am  übrigen  Körper 
wurden  weder  objectiv  noch  subjectiv  irgend 
^welche  abnorme  Erscheinungen  wahrge- 
nommen. 

Alle  diese  Symptome  bestanden,  trotz 
einer  sofort  vorgenommenen  Magenausspülung 


und  Darreichung  von  Analepticis  noch  eine 
volle  Stunde  hindurch  in  vermehrter  Inten- 
sität, um  dann  erst  allmählich  abztmehmen. 
I  Fat.  fühlte  sich  hierauf  etwas  wohler,  schlief 
jedoch  nur  wenig  des  Nachts. 

Am  nächsten  Morgen  (7.  Aug.)  hat  das 
Gesichtsödem  sich  wieder  etwas  vermindert, 
ebenso  die  Thranen-  und  Speichelsecretion. 
Athmung  und  Pulsfrequenz  sind  normal.  Das 
spannende  Gefühl  im  Gesicht  besteht  noch, 
ebenso  grosse  Mattigkeit.  Das  linke  Bein 
kann  Fat.  schwerer  bewegen.  Druck  auf 
die  Speicheldrüsen  noch  schmerzhaft. 

Die  Ausspülflüssigkeit  zeigt  keine  Reac- 
tion  mit  Eisenchlorid,  ebenso  der  Urin. 
Derselbe   ist  frei  von   Eiweiss   und   Zucker. 

8.  August.  Die  Mattigkeit  hat  nach- 
gelassen, ebenso  die  lähmungsartige  Schwäche 
im  linken-  Bein.  Das  Oedem  besteht  nur 
noch  in  den  oberen  Augenlidern.  Die 
Speichel-  und  Thränensecretion  hat  voll- 
ständig aufgehört.  Conj.  bulb.  und  Mund- 
schleimhaut zeigen  normale  Färbung. 

9.  August.  Fat.  fühlt  sich  ganz  wohl. 
Es  besteht  nur  noch  geringes  Oedem  der 
oberen  Augenlider  und  Druckempfindlichkeit 
der  linken  Gland.  parot. 

Um  den  Rest  eines  zweiten  übrig  ge- 
bliebenen Pulvers,  das  aus  einer  Droguen- 
handlung  entnommen  war,  auf  seine  Wirkungs- 
weise zu  prüfen,  vnirden  Kaninchen  mit  einer 
wässrigen  Lösung  injicirt,  ohne  dass  irgend 
welche  ähnliche  Erscheinungen  beobachtet 
worden  wären.  Auch  andere  Personen,  die 
dasselbe  Präparat  ebenfalls  in  Pulverform 
genommen  hatten,  blieben  von  jeder  Neben- 
wirkung verschont,  so  dass  wir  in  unserem 
Falle  lediglich  eine  Idiosynkrasie  gegen  das 
Medicament  annehmen  müssen. 

Die  tOdtliche  Nachwirkung  des  Chloroforms.   Von 
Dr.  Fritz  Strassmann. 

Nachdem  Ungar  im  Jahre  1887  einen 
Fall  von  tödtlicher  Nachwirkung  der  Chloro- 
forminhalationen veröffentlicht  hatte,  war 
eine  experimentelle  Untersuchung  dieser  An- 

24 


186 


Toslkolocltt. 


fThwapeatbchw 
L  Honauheft«, 


gelegenheit  Ton  besonderem  Interesse,  nament- 
lich auch  um  festzustellen,  ob  die  Fettdege- 
neration des  Herzens,  die  man  ziemlich  häufig 
in  Fällen  Yon  Chloroformtod  findet,  nicht 
als  präexistirend ,  sondern  als  Folge  der 
Ghloroformeinathmungen  anzunehmen  sei. 
Ungar  hatte  nun  thatsächlich  bei  Hunden, 
die  er  an  yerschiedenen  Tagen  mehrere  Stun- 
denlang chloroformirte  und  bei  denen  mehr- 
fach erst  mehrere  Stunden,  in  einem  Falle  erst 
27  Stunden  nach  Ablauf  der  Narkose  der  Tod 
eintrat,  hochgradige  fettige  Degenerationen  des 
Herzens  und  der  Leber,  in  zweiter  Reihe  des 
Hefzens  und  der  quergestreiften  Muskulatur, 
in  dritter  endlich  des  Magens  und  andrer 
Schleimhäute  gefunden;  er  suchte  die  Ursache 
dieser  Veränderungen  in  einer  directen 
Giftwirkung  des  Chloroforms  auf  das  Gewebe, 
möglicherweise  in  einer  Wirkung  des  sich 
abspaltenden  Chlors.  St.  konnte  nun  bei 
seinen  Versuchen  an  Hunden  die  Resultate 
Ungarns  durchaus  bestätigen,  auch  er  fand 
eine  Fettmetamorphose  der  inneren  Organe, 
vorzugsweise  der  Leber,  in  zweiter  Reihe 
des  Herzens,  selten  anderer  Organe.  Mit- 
unter führte  die  längere  Chloroform  irung 
beim  Hunde  mehrere  Stunden,  im  höchsten 
Falle  30  Stunden  nach  Ablauf  der  Narkose 
und  nach  scheinbar  TÖlliger  Genesung  noch 
zum  Tode  des  Thieres.  In  diesen  zum 
Tode  führenden  Fällen  wurde  die  Herz- 
affection  immer  besonders  intensiv  gefunden, 
was  besonders  beim  Fehlen  jeder  anderen 
Todesursache  darauf  schliessen  lässt,  dass 
in  dieser  Herzverfettung  wirklich  die  Ursache 
des  letalen  Endes  zu  suchen  ist. 

£s  war  nun  von  Interesse  zu  entscheiden, 
ob  es  sich  bei  dieser  durch  das  Chloroform 
herbeigeführten  Verfettung  der  Organe  um 
eine  fettige  Degeneration  oder  um  Fettinfil- 
tration derselben  handle.  Das  mikrosko- 
pische Bild  sprach  zwar  schon  zu  Gunsten 
der  ersten  Ansicht,  doch  konnte  ein  genauer 
Aufschluss  nur  durch  Stoffwechselunter- 
suchungen erbracht  werden.  Es  zeigte  sich 
nun,  dass  unter  dem  Einflüsse  des  Chloro- 
forms eine  Erhöhung  der  N-Ausscheidung 
eintrat,  es  sich  also  um  einen  erhöhten  Zer- 
fall von  stickstoffhaltiger  Substanz,  mithin 
um  eine  Fettdegeneration  und  nicht  um  eine 
Fettinfiltration  handelt. 

In  nicht  tödtlichen  Fällen  bildet  sich 
die  Degeneration  der  Organe  im  Verlaufe 
weniger  "Wochen  wieder  zurück ;  schwächende 
Einfitsse,  wie  Hunger,  Blutverlust  u.  s.  w. 
begünstigen  den  Eintritt  der  Veränderungen, 
bei  kräftigen  und  bei  jungen  Thieren  kommen 
sie  weniger  leicht  zu  Stande. 

Andere  Thierarten,  wie  Kaninchen  und 
Katzen,    zeigen     in     ihrem    Verhalten    Ab- 


weichungen von  den  Hunden,  die  bei  Ueber- 
tragung  der  bei  letztern  gemachten  Beob- 
achtungen auf  den  Menschen  zur  Vorsicht 
mahnen. 

( Virehow't  Archiv,  Bd.  tl6.  S.  1.)  Schmty  {Beuikm  0.1  S.). 

Auftreten  von  Chorea  als  Theilerscheinung  einer 
Jodoform-Intozication  von  Prof.  Dr.  Demme 
(Bern). 

Bei  einem  6jährigen  Knaben  operirte 
D.  einen  Retropharyngealabscess,  der  seinen 
Weg  bis  dicht  über  die  Mitte  der  rechten 
Clavicula  genommen  hatte,  kratzte  einen 
cariösen  Knochenheerd  am  4.  Halswirbel  aus 
un4  legte  Jodoform-Gelatinestäbchen  in  den 
Fistelcanal,  während  er  die  äussere  Wunde 
mit  Jodoformpulver  bestreute  und  mit  Jodo- 
formgaze bedeckte.  Schon  am  Abend  des 
3.  Tages  nach  dem  Eingriff  klagte  Fat.  über 
Uebelkeit  und  heftigen  Stimkopfschmerz 
verbunden  mit  Mattigkeit  und  Appetitlosig- 
keit. Diese  Beschwerden  verminderten  sich 
in  den  nächsten  Tagen,  und  es  wurde  beim 
Verbandwechsel  ein  neues  Jodoformstäbchen 
eingeführt.  Am  folgenden  Morgen  wieder 
ähnliche  Beschwerden  wie  früher,  zugleich 
fallen  zuckende  Bewegungen  an  den  Armen 
und  Beinen  auf.  Diese  steigerten  sich  im 
Laufe  der  zwei  nächsten  Tage,  und  es  ent- 
wickelte sich  das  charakteristische  Sym- 
ptomenbild der  Chorea  minor.  Nachweis 
von  Jod- Verbindungen  im  Harn  gelang  leicht. 
Der  Jodoform -Verb and  wurde  nun  entfernt, 
die  Wunde  gereinigt,  ein  augenblicklicher 
Erfolg  jedoch  nicht  erzielt.  Uebelkeit  und 
Kopfschmerzen  dauerten  an,  es  bestand  sehr 
hartnäckige  Schlaflosigkeit.  Erst  sehr  lang- 
sam unter  Darreichung  von  Arsen  verschwand 
die  Chorea,  allmählich  dann  auch  die  übrigen 
Beschwerden  und  etwa  einen  Monat  nach 
Beginn  der  Erkrankung  konnte  der  Knabe 
auf's  Land  geschickt  werden.  —  Zur  Aus- 
heilung einer  noch  bestehenden  Fistel  wurden 
dann  einige  Wochen  später  Ausspritzungen 
mit  Jodol  gemacht  und  mit  Jodolgaze  ver- 
bunden. Nach  14  Tagen  trat  wieder  Chorea 
ein,  begleitet  von  denselben  Symptomen 
wie  früher. 

D.  steht  nicht  an,  anzunehmen ,  dass  es 
sich  hier  um  eine  echte  Jodoform-  und 
Jodolintoxication  handelt,  und  macht  darauf 
aufmerksam,  dass  das  Auftreten  von  Chorea 
bei  einer  solchen  bisher  nicht  beschrieben  ist. 

{Bericht  aus  dem  Jenn&r* ecken  Kinäerepital  1883.) 

M.  Oohn  {Berlin). 

Intoxication  durch  Cantharlden«    Von  Dr.  G a  r cia 

Camba. 

Eine  Frau  klagte  über  heftige  Schmerzen 
in    der  Blase  und  Urethra,    sowie  über  Be^ 


HL  JahrgABf .1 
April  1889.  J 


Tozikologift.  —  Litteratur. 


187 


gehwerden  beim  Wasserlassen.  Der  Urin 
kam  nur  tropfenweise.  Während  des  ärzt- 
lichen Besuches  begannen  auch  ihr  Mann 
und  die  achtjährige  Tochter  über  dieselben 
Symptome  zu  klagen.  —  Auf  die  Frage, 
wodurch  diese  Erscheinungen  hervorgerufen 
sein  könnten,  erfuhr  C,  dass  kurz  vorher 
ein  halbes  Dutzend  gebratener  kleiner  Vogel 
(aus  demselben  Neste  stammend)  von  der 
Familie  verzehrt  worden  war.  Magen  und 
Eingeweide  der  Yogelchen  waren  zufölliger 
Weise  noch  nicht  fortgeworfen.  C.  öffiiete 
einen  Magen  und  fand  denselben  mit  kleinen, 
glänzenden  goldgrünen  Korperchen  gefüllt,  die 
alsbald  als  Theile  der  Lytta  vesicatoria  (spa- 
nische Fliege)  erkannt  wurden.  —  Zweifellos 
wären  die  Betroffenen  zu  Grunde  gegangen, 
wenn  sie  eine  grossere  Anzahl  von  den 
Yogelchen  verzehrt  haben  würden.  Auf  einem 
beaachbarten  Felsen  befanden  sich  noch  viele 
derartige  Nester.  —  Eine  Gämpher-Emulsion 
und  Einreibungen  mit  Belladonna- Salbe 
brachten  den   3  Patienten  Heilung. 

{El  Siglo  medico  und  Lyon  mid.  1888.  No.  53.)  R. 


liltteratnr. 


Lehrbaeh  der  venerischen  Krankheiten  und 
der  Syphilis.  Von  Dr.  Isidor  Neumann, 
Professor  der  Dermatologie  und  Syphilis  an 
der  k.  k.  Universität  und  Vorstand  der  Klinik 
und  Abtheilung  för  Syphilis  in  Wien.  I.  Theil : 
Die  blennorrhagischen  Affectionen. 
Wien  1888.  Wilhelm  Braumuller.  614  Seiten 
gr.  8«. 

Der  Einfluss,  den  die  Vervollkommnung 
unserer  TJntersuchungsmethoden  auf  die  Er- 
kenntniss  und  Behandlung  der  krankhaften 
Veränderungen  des  Organismus  ausgeübt  hat, 
ist  nicht  zum  wenigsten  den  infectiosen  Krank- 
heiten des  Sexualsystems  zu  Gute  gekommen. 
Insbesondere  haben  sich  unsere  Anschauun- 
gen über  das  Wesen  und  die  Behandlung 
der  blennorrhagischen  Affectionen  im  Laufe 
des  letzten  Jahrzehntes  vielfach  geändert. 
Freilich  konnte  hierbei  nicht  verhindert 
werden,  dass  man  oft  für  arge  Irrthümer 
erklären  musste,  was  kurz  zuvor  als  epochale 
Entdeckung  gepriesen  worden  war;  und  über 
nicht  wenige  Thatsachen,  die  für  die  Erkennung 
des  Wesens  der  Krankheit  von  principieller 
Bedeutung  sind,  hat  man  sich  trotz  aller 
Forschungen  noch  gegenwärtig  nicht  einigen 
können.  —  Ueber  einen  Gegenstand,  bei 
dem  so  viele  wesentliche  Einzelheiten  also 
noch  durchaus  zweifelhaft  sind,  ein  Lehr- 
buch zu  schreiben,  ist  eine  schwierige,  aber 
um    so  dankenswerthere  Aufgabe,    wenn  sie 


in  so  vollkommener  Weise  wie  hier  gelost 
wird.  —  In  allen  den  Abschnitten,  deren 
Inhalt  noch  Gegenstand  vielfacher  Oontro- 
versen  ist,  kommt  zwar  die  subjective  An- 
sicht Verf. 's  zur  Geltung,  stets  aber  wer- 
den auch  die  abweichenden  Theorien  anderer 
Autoren,  sowie  ihre  Begründung  in  einge- 
hendster, objectiver  Weise  gewürdigt. 

Das  vorliegende,  umfangreiche  Lehrbuch 
Neumann' s,  welches  den  ersten  Theil  des  Lehr- 
buches der  venerischen  Krankheiten  und  der 
Syphilis  bildet,behandelt  die  blennorrhagischen 
Affectionen  der  Sexualorgane,  sowie  ihre  Folge- 
zustände, welche  sich  an  diese  in  ihren  An- 
fangen so  oft  vernachlässigte  Affection  an- 
schliessen.  —  Jeder  einzelnen  Krankheits- 
beschreibung ist  ein  bezüglicher  historischer 
Theil  voriEuigestellt;  in  die  Beschreibung  sind 
ausserdem  vielfach  casuistische  Mittheilungen 
aus  der  reichen  Erfahrung  Verf. 's  beigefügt. 

Unter  den  einzelnen  Abschnitten  des 
Lehrbuches  beanspruchen  naturgemäss  die- 
jenigen ein  erhöhtes,  actuelles  Interesse, 
welche  im  Laufe  des  letzten  Jahrzehntes 
die  durchgreifendsten  Aenderungen  erfahren 
haben.  Hierhin  gehört  vor  allem  die  Frage 
nach  dem  ätiologischen  Moment  des  Trippers. 
—  Der  Standpunkt,  den  Verf.  in  dieser 
Frage  vertritt,  ist,  im  Gegensatz  zu  den 
meisten  anderen  Autoren,  derjenige,  den  die 
Avirulisten  neuesten  Stils  einnehmen.  Durch 
mannigfaltige  klinische  Erfahrungen  geleitet, 
glaubt  N.,  dass  durch  Einfuhrung  reizender 
Momente,  Masturbation  etc.  etc.,  ja  selbst 
durch  geschlechtliche,  protrahirte  Aufregung 
als  solche,  eiterige  Urethritiden  erzeugt 
werden  können,  die  nicht  nur  denselben 
Symptomencomplex  und  Verlauf  darbieten, 
wie  der  echte  Tripper,  sondern  mit  letzterem 
auch  die  Contagiosität  theilen.  —  Dass  die 
Frage  der  Specificität  des  acuten  Trippers 
durch  die  Entdeckung  des  Gonococcus  Neisser, 
resp.  durch  die  Arbeiten,  die  im  Anschluss 
an  dieselbe  publicirt  wurden,  zu  Gunsten 
der  virulistischen  Anschauung  entschieden 
ist,  kann  Verf.  nicht  zugeben.  Die  Her- 
stellung von  Reinculturen,  resp.  ihre  Ueber- 
impfung  auf  andere  Thiere,  ist  in  einwands- 
freier  Weise  bisher  noch  nicht  gelungen. 
Weiterhin  ergiebt  sich  aus  den  Untersuchun- 
gen von  Bockhart,  Lustgartenund  Manna- 
berg u.  A.,  dass  sich  bei  eiterigen  Katarrhen 
der  Harnröhre  sowohl,  vn»  in  dem  normalen 
Secrete  der  Schleimhaut  noch  11  andere 
verschiedene  Species  von  Coccen  finden, 
die  sowohl  untereinander,  wie  mit  den  Gono- 
coccen  in  ihrem  Verhalten  den  Farbstoffen, 
Epithelialzellen  etc.  gegenüber  bemerkens- 
werthe  Analogien  zeigen;  nur  scheinen  in 
echtem,  gonorrhoischem  Secret  die  Gonococceu 

24* 


188 


Llttatmtur. 


rHierftpeiittsche 
L  MonAtaheft«. 


im  Vergleich  zu  anderen  Mikroorganismen  in 
weitaus  grösster  Anzahl  und  in  grosseren 
Haufen  vorzukommen,  während  die  anderen 
Mikroben  in  einem  derartigen  Secret  an 
Zahl  bedeutend  zurücktreten.  —  Dass  in 
der  That  auch  durch  andere  Mikroben  gleich- 
falls pseudogonorrhoische  Katarrhe  der  Harn- 
röhre erzeugt  werden  können,  hat  Bock  hart 
bewiesen,  indem  er  durch  Ueberimpfung  Ton 
Staphylococcen  und  Streptococcen  Blennorr- 
hagien  hervorrief.  —  Noch  schwieriger  als 
beim  acuten,  ist  die  Beurtheilung  der 
Specificität  und  Contagiosität  des  chroni- 
schen Trippers,  bei  welchem  man  in  etwa 
50  ^/o  der  untersuchten  Fälle  nach  Neisser 
und  E.  Schwarz  Gonococcen  nicht  nach- 
weisen kann,  während  doch  der  klinische 
Befund  zu  einem  ganz  abweichenden  Ergeb- 
nisse in  nicht  eben  seltenen  Fällen  führt. 
Aus  diesem  Grunde  misst  Verf.  dem  Gono- 
coccenbefunde  beim  chronischen  Tripper  des 
Mannes  keine  wesentliche  Bedeutung  bei 
und  gestattet  daher  auch  in  denjenigen  Fällen 
die  Ehe,  in  welchen  das  Secret  auf  einen 
schleimigen  Tropfen,  den  die  Patienten  sich 
Morgens  entleeren  oder  auf  wenige  im  Harn 
erscheinende  ürethralfäden  beschränkt  ist, 
unter  der  Voraussetzung,  dass  die  qu.  Indi- 
viduen nicht  nach  fast  jeder  Cohabitation  an 
Kecrudescenzen  dieser  Symptome  erkranken. 
Hieraus  ergiebt  sich  auch  die  Auffassung 
Verf.'s,  derzufolge  den  Gonococcen  gegen- 
wärtig die  von  fast  allen  anderen  Autoren 
vindicirte  Bedeutung  bezügl.  der  Natur  des 
Secretes,  in  welchem  sie  vorkommen,  nicht 
beizulegen  sei,  sondern  dass  man  viel  sicherer 
geht,  wenn  man  die  Diagnose  auf  Grund 
der  klinischen  Symptome  und  nicht  des 
bacteriologischen  Befundes  stellt.  An  dieser 
seiner  Auffassung  hält  denn  auch  Verf.  ge- 
legentlich der  Beurtheilung  der  chronischen 
Gonorrhoe  des  Weibes  fest,  bei  der  die 
klinische  Diagnose  sich  aus  folgenden  Mo- 
menten zusammensetzt:  1.  Erkrankung  einer 
bis  dahin  gesunden  Frau  kurz  nach  der  Ver- 
heirathung  oder  nach  Unterbrechung  der 
ersten  Schwangerschaft  an  einer  Geschlechts- 
affection  mit  hysterischen  Erscheinungen. 
2.  Anwesenheit  einer  Urethritis.  3.  Katarrh 
der  Bartholin'schen  Drüsen.  4.  Spitze  Con- 
dylome an  der  Vulva  oder  in  der  Umge- 
bung derselben,  am  Anus  etc.  5.  Colpitis 
granularis.  6.  Eiterige  Absonderung  aus  der 
Vulva,  Vagina,  aus  dem  Uterus  etc.  7.  Ovari- 
itis  glandularis  und  Salpingo-Perimetritis.  Da- 
gegen lassen  isolirte  eiterige  Erkrankungen 
der  Tuben  einen  sicherenRückschluss  auf  die 
Natur  des  Leidens,  resp.  auf  seine  Entste- 
hungsweise nicht  zu. 

Auf    die    neuerdings    vielfach     erörterte 


Frage  nach  der  Pathogenese  der  Compli- 
cationen  der  Urethroblennorrhoe,  insbeson- 
dere der  Cowperitis,  Bartholinitis,  Epidi- 
dymitis,  die  von  einigen  als  einfach  fortge- 
leitete gonorrhoische  Processe,  von  anderen 
aber  als  Ergebniss  einer  Mischinfection  an- 
gesehen werden,  ist  Verf.  nirgends  einge- 
gangen. 

In  sehr  ausführlicher  Darstellung  ist  der 
pathologisch-anatomische  Theil  bei  den 
verschiedenen  Affectionen  abg^andelt.  Sind 
doch  gerade  in  den  letzten  Jahren  die  ana- 
tomischen Veränderungen,  die  sich  im  An- 
schluss  an  die  Urethritis  infectiosa  in  dem 
Gewebe  der  Urethra  ausbilden,  Gegenstand 
einer  nicht  geringen  Anzahl  von  zum  Theil 
grundlegender  Arbeiten  geworden.  Leider 
sind  die  aus  denselben  ermittelten  Resultate 
immer  noch  nicht  in  ein  bestimmtes,  sie  mehr 
oder  weniger  umfassendes  System  gebracht 
worden.  Fast  jeder  Forscher  hat  sich  über 
die  Natur  imd  Ursache  der  einzelnen  beob- 
achteten Veränderungen  auf  der  Schleimhaut 
eine  von  den  übrigen  abweichende  An- 
schauung, Nomenclatur  etc.  gebildet.  — 
So  unterscheidet  Desormeaux  eine  ein- 
fache und  eine  blennorrhagische  Urethri- 
tis. Die  erstere  theil t  er  nach  den  ätiolo- 
gischen Momenten  in  eine  traumatische, 
herpetische  und  katarrh^ische  Schleim- 
hautentzündung. Die  blennorrhagische 
Urethritis  ist  stets  eine  Folge  von  Tripper- 
infection.  "Wird  sie  chronisch,  so  beob- 
achtet man  im  Gewebe  der  Schleimhaut 
Granulationen  (Urethritis  granulosa),  aus 
denen  sich  durch  Schwund  die  Stricturen 
bilden.  —  Der  Intensität  der  acuten  Ent- 
zündung entsprechend,  unterscheidet  Gryn- 
feld  Urethritis  simplex,  blennorrhoica 
und  membranacea.  —  Aus  der  Fülle  der 
von  Tarnowsky  gemachten  Beobachtungen 
haben  sich  bei  chronischem  Tripper  für 
diesen  Forscher  5  Haupttypen  ergeben: 
a)  eine  in  den  tiefen  Theilen  der  Schleim- 
haut localisirte  Entzündung;  b)  mehr  oder 
weniger  ausgedehnte  Hyperplasien  des  ge- 
sammten  submucösen  Drüsenapparates,  sowie 
der  angrenzenden  Bindegewebsschichten  und 
Epithelien;  c)  Hyperplasie  einzelner  Theile 
der  Schleimhaut  selbst  (Vegetationen  im 
Papillarkörper,  sowie  fungöse  Excrescenzen) ; 

Für  die  Vervollkommnung  unserer  Kennt- 
niss  dieser  Veränderungen  sind  insbesondere 
die  durch  den  Wiener  Mechaniker  Leiter 
in  so  ingeniöser  Weise  verbesserten  Elektro- 
endoskopischen  Apparate  bedeutungsvoll  ge- 
worden. Unentbehrlich  für  den  Specialisten, 
ist  auch  in  dem  vorliegenden  Buche  die 
Endoskopie  und  die  ihre  grosse  Uebung  er- 
fordernde  Technik  ihrer,   nicht   nur  für   die 


m.  Jahrgang*! 
April  1889.  J 


Littoratur. 


189 


Diagnostik,  sondern  auch  für  die  Behand- 
lung der  ürethralleiden  entsprechenden  Be- 
deutung gewürdigt  worden.  Für  die  Deu- 
tung des  Befundes  ist  vor  allem  das  Ver- 
halten der  Trichterfigur,  d.  h.  des  in  der 
unteren  Oeffhung  des  Bndoskops  erscheinen- 
den Theiles  der  Harnröhre  von  Wichtigkeit, 
wobei  ihre  Tiefe,  Farbe,  mehr  oder  weniger 
gleichmässige  Consistenz,  die  man  mit  ziem- 
licher Genauigkeit  aus  der  Form  des  Trichters 
bestimmen  kann,  in  Betracht  zu  ziehen  ist. 
Selbstverständlich  ändert  sich  auch  das 
endoskopische  Bild,  je  nach  dem  Abschnitte 
der  Urethra,  der  untersucht  wird.  Oberhalb 
der  Colliculus  seminalis,  der  als  prominiren- 
der  hellrother  Wulst  in  das  Endoskop  hin- 
einragt, erscheint  die  Centralfigur  als  rundes 
Grübchen,  während  die  Schleimhaut  selbst 
ein  tief  dunkelrothes  Aussehen  annimmt. 
Weiter  pheripherisch  erscheint  in  der  Regio 
prostatica  das  Bild  eines  gleichmässigen  nach 
rückwärts  strebenden  Trichters,  während  in 
den  noch  weiter  distal  gelegenen  Partien 
der  Schleimhaut  die  Centralfigur  in  Gestalt 
eines  in  der  Pars  bulbosa  horizontal,  in  der 
Pars  cavemosa  vertical  gestellten  Spaltes 
erscheint.  Die  Wand  des  Trichters  selbst 
erscheint  hier  in  Form  zweier  Wülste  mit 
stark  reflectirender  Oberfläche.  Am  meisten 
Verbreitung  hat  wohl  die  von  Grynfeld 
aufgestellte  Fintheilung  gefunden.  Er  theilt 
die  bei  chronischem  Tripper  beobachteten 
Veränderungen  ein:  1.  Granulationen  mit 
weniger  oder  mehr  ausgedehnter  Flächen- 
bUdung;  2.  Urethritis  mit  Geschwürsbildung. 
Zu  ihr  gehören:  a)  chankröse  Geschwüre, 
meist  vorn;  b)  herpetische  Ulcerationen  ge- 
wohnlich vor  der  Fossa  navicularis;  c)  Ge- 
schwürsbildungen in  Folge  zu  scharfer, 
ätzender  Injectionen;  d)  Verstopfung  der 
Drüsenausführungsgänge  mit  consecutiver 
Cjstenbildung;  e)  granulirende  Entzündungen 
mit  Ausgang  in  Atrophie  (Trachom);  3.  Epi- 
thelauflagerungen mit  Narbenbildungen,  die 
entweder  in  Form  von  Streifen  oder  in  Form 
mehr  oder  weniger  circumscripter  Plaques 
sich  im  endoskopischen  Bilde  darstellen. 
Bei  Einführung  des  Endoskops  machen  sie 
sich  schon  dadurch  kenntlich,  dass  das  En- 
doskop besonders  schwer  über  sie  hinweg- 
gleitet. 4.  Katarrhalische  Erkrankungen  der 
Ausführungsgänge  der  in  das  Lumen  der 
Urethra  mündenden  Drüsen  mit  Ausgang  in 
Polypen-  und  Cystenbildung. 

In  sehr  ausführlicher  und  der  reichen 
Erfahrung  Verf.^s  entsprechender  Darstellung 
ist  in  der  Vorlage  die  Symptomatologie  der 
einzelnen  Tripperaffectionen  beschrieben.  Be- 
sonderes Interesse  unter  ihnen  beanspruchen 
vor  allem  die  Stricturen  nach  Urethroblen- 


norrhoe,  bei  deren  Darstellung  Verf.  sich 
im  Wesentlichen  der  DitteT  sehen  Einthei- 
lung  und  Auffassung  angeschlossen  hat. 

Aufs  erschöpfendste  sind  alle  jene  ver- 
hängnissvollen Folgezustände,  die  sich  leider 
so  häufig  aus  diesen  Veränderungen  zu  ent- 
wickeln pflegen,  und  welche  nicht  nur  die 
Function  des  uropoetischen  Systems,  sondern 
auch  —  in  Folge  Behinderung  der  Samenent- 
leerung —  des  Sexualsystems  oft  in  so  be- 
denklicher Weise  schädigen  können,  erörtert. 
Freilich  haben  die  Stricturen  den  zahlen- 
mässig  geringsten  Antheil  an  der  Entwick- 
lung jener  Folge  zustände,  die  unter  dem 
Gesammtbegriff  der  Neurasthenie  sexualis 
zusammengefasst,  erst  vor  relativ  kurzer 
Zeit  der  vollen  ihnen  zukommenden  Beach- 
tung gewürdigt  worden  sind.  Der  Bedeu- 
tung, die  dieser  wahrhaft  schreckliche 
Symptomencomplex  nicht  allein  für  den  Arzt, 
sondern  auch  für  den  Juristen  besitzt,  ent- 
spricht die  ausserordentliche  Genauigkeit,  mit 
der  diese  Zustände  vom  Verf.  erörtert  wer- 
den. Leider  ergiebt  sich  auch  hieraus,  dass 
unsere  Kenntnisse  bezüglich  der  Sympto- 
matologie dieser  Zustände  immer  noch 
weit  besser  sind,  als  das  Vermögen,  sie  zu 
heilen,  besonders  wenn  es  sich  um  mehr 
functionelle  Neurosen,  bei  denen  eine  topische 
Behandlung  nicht  eingeleitet  werden  kann, 
handelt.  Alle  diese  Affectionen  finden  sich 
ebensowohl  beim  Manne,  wie  bei  der  Frau, 
und  ätiologisch  die  wichtigste  Affection  für 
ihre  Pathogenese  ist  der  chronische  Tripper, 
zumal  wenn  er  in  jener  muskel-,  gefäss-  und 
nervenreichen  Partie  localisirt  ist,  an  der  beim 
Manne  sich  Harn-  und  Sexualapparat  kreuzen: 
Regio  prostatica,  resp.  beim  Weibe  in  den 
Tuben  und  nahe  den  Ovarien.  Im  Allge- 
meinen lässt  sich  das  proteushafte  Bild  der 
Symptomatologie  nach  Verf.  in  3  grosse 
Reihen  von  Affectionen  theilen:  sensible, 
motorische  und  functionelle  Neurosen.  Zu 
den  ersteren  gehören  Neuralgien  der  Harn- 
röhre, des  Penis  etc.,  meist  verbunden  mit 
einem  höchst  quälenden  Priapismus,  die 
Sero  talneural  gien,  ferner  die  eigentlichen 
sexuellen  Neurosen,  die  sich  aus  dem  Vor- 
handensein der  vielen  sympathischen  Nerven- 
geflechte, die  mit  dem  Tastapparate  der  Haut 
des  männlichen  Gliedes  (resp.  der  Vulva 
und  Glitoris)  einerseits  und  dem  Gehirn  und 
Rückenmark  andererseits  in  Verbindung 
stehen,  erklären  lassen  und  zum  Priapismus 
(sowohl  centralen,  wie  peripherischen  Ur- 
sprungs), sowie  zur  psychischen  und  para- 
lytischen Impotenz  und  endlich  zur  Pro- 
spermie führen  können.  Unter  den  Motilitäts- 
neurosen  sind  u.  a.  die  Krampf-  und  Läh- 
mungszustände  der  Blase  zu  nennen.    In  der 


j 


190 


LIttoratur. 


Bfonatsheft«. 


sexuellen  Sphäre  trifft  man  Abnormitäten  in 
der  Function  der  Ejaculation  und  zwar  ent- 
weder abnorm  leichte  £jaculation  (mit  oder 
ohne  gleichzeitige  Erection).  Zu  den  secre- 
torischen  Neurosen  endlich  gehören  u.  a. 
Vermehrung  der  Hamsecretion ,  sowie  die 
Polyspermie,  Azoospermie,  Prostatorrhoe, 
Urethrorrhoea  ex  libidine  etc.,  in  anderen 
Fällen  hat  man  wiederum  Gelegenheit,  gerade 
entgegengesetzte  Verhältnisse  zu  beobachten. 

Von  klinischem  Standpunkte  interessant, 
wenn  auch  nicht  streng  genommen  zu  dem 
vom  Verf.  behandelten  Thema  gehörend,  ist 
das  kleine  Capitel  über  die  Hamröhren- 
steine,  deren  Existenz  ja  —  abgesehen  Yon 
wenigen  Prostataconcrementen ,  wohl  nur 
relativ  selten  auf  Tripperaffectionen  zurück- 
zuführen ist.  Meist  handelt  es  sich  um 
steckengebliebene  Nierensteine,  oder  um 
Trümmer  von  zersprengten Blasenconcretionen, 
seltener  um  Ablagerungen  von  Hamsalzen 
auf  Gerinnsel,  die  hinter  Stricturen  sich 
absetzen  resp.  in  Fisteln,  durch  welche  lang- 
sam der  Harn  hindurchsickert.  Begreiflicher- 
weise verursachen  sie  meist  relativ  grosse 
Beschwerden,  die  indessen  sofort  nach  ihrer 
(durch  Lithotrysie  oder  Sectio  perinealis 
vorzunehmenden)  Entfernung  radical  ver- 
schwinden. 

Bei  der  Besprechung  der  Blennorrhoe 
des  Weibes,  deren  Beobachtung  bekanntlich 
leichter  und  ausgiebiger  den  Gynäkologen 
als  den  Urologen  und  Syphilidologen  zu 
Theil  vrird,  beschränkt  sich  Verf.  abgesehen 
von  der  bereits  oben  erwähnten  Kritisirung 
der  Aetiologie  auf  die  nothwendigsten  That- 
sachen. 

Mit  besonderer  Ausführlichkeit  ist  da- 
gegen die  Therapie  des  Trippers  und  seiner 
Complicationen  geschildert,  deren  Schwäche 
das  Heer  von  Injectionen,  die  Fülle  von  Sal- 
ben, das  Arsenal  von  Instrumenten  nur  noth- 
dürftig  zu  verhüllen  im  Stande  ist,  und  die 
erst  nach  Einführung  der  localen  Behand- 
lungsweise  unter  der  Führung  der  Elektro- 
Endoskopie  ein  einfacheres  und  rationelleres 
Aussehen  anzunehmen  beginnt.  Injectionen 
(meist  dünne  Lösungen  aus  der  alten,  be- 
währten Arzneigruppe  der  Adstringentien) 
empfiehlt  Verf.  erst  nach  dem  Nachlasse 
der  Entzündungs-  und  Reizerscheinungen, 
während  welcher  die  essigsauren  Salze  oder 
leichte  Lösungen  von  Kaliumpermanganat 
zur  Anwendung  kommen.  Gleichzeitig  wird 
innerlich  in  massiger  Dosis  Copaivabalsam 
mit  Cubebenpfeffer  gegeben.  Hat  die  Ent- 
zündung den  M.  compressor  überschritten  (bei 
Urethritis  acuta  posterior),  so  werden  mittelst 
geeigneter  Spülapparate  die  hinteren  Partien 
der  Urethra  mit    den    qu.  Lösungen  irrigirt. 


Handelt  es  sich  um  chronischen  Tripper,  so 
hat  man  sich  durch  Combination  der  Digital-, 
Sonden-  und  Ocularuntersuchung  über  den 
Sitz  und  die  Natur  des  Krankheitsprocesses 
Aufschluss  zu  verschaffen.  Bei  Urethritis 
chronica  anterior  muss  die  medicamentöse 
Behandlung  mit  der  Sondencur  combinirt 
oder  durch  diese  ersetzt  werden,  besonders 
wenn  es  sich  um  Verlust  der  Elasticität  der 
Harnröhre  resp.  Beengung  ihres  Lumens  in 
Folge  hyperplastischer  Vorgänge  und  narbiger 
Schrumpfung  handelt.  Die  Medicamente  sind 
in  Form  löslicher  Gelatinebougies  auf  die 
afficirten  Stellen  zu  bringen.  Circumscripte 
Affectionen  ätzt  man  unter  dem  Schutze  des 
Endoskopes  mit  concentrirten  Lösungen  von 
Höllenstein  (l — 2%)  od.  Cuprum  sulfuricum. 
Bei  Urethritis  chronica  posterior  empfiehlt 
Verf.  Spülungen  der  tiefen  Partien  der 
Harnröhre,  sowie  gleichfalls  Aetzungen  und 
Pinselungen  concentrirter  Lösungen  mittelst 
der  Pinselapparate.  Vor  allem  aber  ver- 
säume man  niemals,  bei  den  mehr  chronischen 
Entzündungen  dem  Allgemeinbefinden  des 
Patienten  von  vorneherein  die  grösste  Sorge 
angedeihen  zu  lassen. 

Die  Complicationen  sind,  soweit  es  geht, 
nach  chirurgischen  Principien  zu  behandeln. 
Im  Beginn  energische  Antiphlogose;  jeder 
Abscess  ist  sofort  zu  eröffnen,  um  eventuellen 
Durchbruch  nach  innen  mit  consecutiTer 
Urininfiltration  und  Fistelbildung  zu  verhin- 
dern. Bei  der  Behandlung  der  Orchitis  resp. 
Epididymitis  widerräth  Verf.  die  Anwendung 
der  Fricke 'sehen  Einwickelung,  wodurch 
häufig  Hodenatrophie  entsteht.  Statt  dessen 
empfiehlt  es  sich,  die  Patienten  ein  fest  an* 
schliessendes  Suspensorium  tragen  zu  lassen. 

Die  prächtige  Ausstattung  des  Buches 
entspricht  seinem  meisterhaft  geschriebenen 
Inhalte,  in  welchem  es  dem  Verf.  in  überaus 
glücklicher  Weise  gelungen  ist,  die  Erfahrung 
Anderer  und  eigenes  Studium  in  objectivster 
Weise  harmonisch    den   Lesern  vorzufuhren. 

H.  LohnU^  (BerUn), 

Karl  Löbker:  Chirnr^che  Operationslehre. 

Ein  Leitfaden  für  die  OperatioDSübungeii  an 
der  Leiche,    mit  Berücksichtigung  der  chimr- 

fischen  Anatomie  für  Studirende  und  Aerzt« 
earbeitet.  Zweite  verbesserte  and  theilweise 
neubearbeitete  Auflage.  Urban  &  Schwär- 
zenberg  1889.  S«.  520  S. 

Es  ist  nicht  zu  verwundern,  dass  Löb- 
ker's  Operationslehre,  welche  dem  Studenten 
ein  Vademecum  im  Operationscursus ,  dem 
Arzte  ein  übersichtlicher  Rathgeber  sein  soll, 
die  zweite  Auflage  nach  so  kurzer  Zeit  er- 
fahren, und  in  drei  Sprachen  eine  ausgedehnte 
Verbreitung  gefunden  hat.  Haben  Urban 
&    Schwär  zenberg    in    gewohnter    Weise 


April  HB».  J  "™ 

dem  Werke  einen  Tonfigltchen  Druck,  treff- 
liche Ausstattung  in  Form  und  besonders 
in  den  Zeichnungen  gegeben,  so  hat  der 
Greirswalder  Chirurg  es  wohl  t erstanden, 
mit  Klarheit  der  Diction  Prägnanz  und 
Kfirze  des  Ausdrucks  zu  verbinden,  den 
Jünger  durch  eine  leicht  -verständliche,  von 
zwar  einfachen,  aber  wohl  gelungenen  Fenster- 
bildem  unterstützte  Lehrmethode  in  die 
chirargische  Anatomie  einzuführen,  dem  Vor- 
geschritteneren durch  einen  kurzen  Einblick 
in  Wort  und  Bild  seines  Werkes  Entschwun- 
denes wieder  ins  Gedächtniss  schneit  zurück- 
zurufen und  neue  Methoden  Tor  Augen  zu 
fuhren.  Es  ist  erfreulich,  zu  sehen,  wie  der 
Verfasser  Neuerungen  auf  allen  Gebieten  der 
Chirurgie  Rechnung  getri^n  hat.  Die 
neueren  RoBectionsmethoden  fehlen  nicht, 
Mikulicz's  Trepanation  des  Antrum  High- 
mori  ist  beschrieben;  Tor  Allen  ist  den 
Magen  Operationen  in  allen  ihren  Details 
Rechoung  getragen  worden,  nicht  minder  der 
knöchernen  Nasenbildung  nach  E  ö  nig- 
Israel.  So  kann  denn  dieses  schöne  Werk 
als  eine  Bereicherung  der  chirurgischen  Lit- 
teratur  aufgefasst,  uud  sein  Studium  ange- 
legentlichst empfohlen  werden.  BoU. 


.^ 191 

tem  Autor  Tnjr  zugegangen,  durch  welche  der 
Nachweis  erbracht  wird,  dass  der  lebende 
Oi^anismuB  Carbols&ure  aus  fettiger  Lösung 
resorhirt  und  somit  die  Wirkung  der  Anti- 
leptica  zur  Geltung  zu  bringen  vermag.  Leider 
konnte  diese  Notiz  in  diesem  Hefte  nicht 
mehr  aufgenommen  werden  und  wird  dieselbe 
daher  in  dem  nächsten  erscheinen. 

LutreicJI. 

Ein  neues  Zimmerboot 

Dass  das  stylgerechte  Rudern  diejenige 
Bewegung  ist,  die  fast  sämmtliche  hfuskel- 
gruppen  des  Körpers  beansprucht,  wusste 
man  längst  und  hatte  sich  auch  bemüht, 
Ruderapparate  zu  construiren.  Allein  sie 
entsprachen  den  Anforderungen,  die  man  an 
solche  zu  stellen  berechtigt  ist,  nicht.  Bei 
dem  von  Dr.  L,  Ewer  in  Berlin  construirten 
„Zimmerboot"  scheint  es  in  vollem  Maasse 
gelungen  zu  sein,  den  beim  wirklichen  Ru- 
dern gegebenen  Verhältnissen  möglichst  nahe 
zu  kommen. 

In  der  Figur  bedeutet  a  ein  Boot  oder 
den  mittleren  Theil  eines  solchen,  in  welchem 
der  Sitz  l  in  Schienen  sich  bewegt,  k  ist 
ein  verstellbares  Pussbrett.  Das  Ruder  k 
kann  durch  die  drei  Kugelgelenke  c,  d  und 
t  nach  allen  Richtungen  hin  geführt  werden, 
genügende  Festigkeit    erhält    es    durch    das 


PrmctiBeh«  Notla«« 
eBipfelil«n*werthe  Arsneifonaeln. 


In  Bezug  auf  meiae  Bemerkung  zu  den 
practischen  Notizen  S.  114,  die  Behandlung 
des  Decubitus  betreffend,  von  Prof.  Rosen- 
bach, „Carbolvaselin  verhält  sich  wie  Car- 
bolöl",  ist  eine  interessante  und  aufklärende 
Beleuchtung  dieser  Bemerkung  von  genann- 


Gestell  b.  In  dem  Messlngrohre  /  befindet 
sich  ein  Kolben,  der  durch  das  Ruder  auf- 
und  abgeführt  werden  kann.  Dm  eineo 
leichten  Rfickgaog  des  letzteren  zu  bewirken, 
dient  eine  im  Rohre  g  sich  befindende  lange 
Spiralfeder. 

Um  den  Apparat  für  Gross  und  Klein 
zu  benutzen,  dient  das  Fuasbrett  k,  das 
nach  der  Körpergrösse  gestellt  wird.  Um 
die  Arbeit  dem  Kräftemaass  des  Arbeitenden 
anzupassen,  sind  folgende  Vorrichtungen  ge- 
troffen:   Der   Drehpunkt    des    Ruders    kann 


192 


Praedsche  Notlsaa  und  «apfiihleiiiwerthe  AnnaiformttlB. 


[ThtfApeattoche 
IConaiabaflai 


Yerändert  werden.  Je  näber  derselbe  nach 
c  hin  rückt,  um  so  leichter  lässt  sich  die 
Bewegung  ausführen.  Ausserdem  befindet 
sich  in  dem  Bohre  /  bei  i  ein  Schlitz,  der 
durch  einen  King  nach  Belieben  ganz  ge- 
schlossen bleiben  oder  mehr  oder  weniger 
offen  erhalten  werden  kann.  Je  grösser  die 
Oeffnung,  desto  leichter  kann  die  Luft  unter 
den  Kolben  dringen,  und  um  so  leichter  ist 
die  Arbeit. 

Will  man  die  geleistete  Arbeit  berech- 
nen, so  lässt  sich  auch  das  ausführen.  Man 
hat  nur  nöthig,  ein  Manometer  auf  eine  in 
/'  befindliche  Oeffnung  zu  schrauben  und 
den  Ausschlag  zu  notiren;  da  die  Kraft  der 
Spiralfeder  bekannt  ist,  sind  alle  für  die 
Rechnung  erforderlichen  Daten  Yorhanden. 

Kältetampons 

werden  (nach  Dtsch.  Med.  Ztg.  1888  und 
Pharm.  Centralh.)  in  folgender  Weise  her- 
gestellt: 

„Der  Mitteltheil  des  Tampons  wird  aus 
nicht  entfetteter  Watte,  der  Band  aus  Hoch- 
seide gebildet,  der  Tampon  in  Methylchlorür 
getaucht  und  mittelst  einer  Hartkautschuk- 
pincette  gegen  die  Haut  gedrückt.  Der 
Tampon  behält  15  —  45  Minuten  lang  eine 
Temperatur  von  — 23  bis  — 45^  C.  und 
braucht  278  Stunden,  bis  er  sich  auf  0®  er- 
wärmt. Die  weisse  Färbung  der  Haut  ist 
das  Zeichen  der  beginnenden  Anästhesie. 

Dieses  von  Bailly  eingeführte  Verfahren 
wird  Stypage  genannt." 

Ozyuris  vermicularis 

wird  nach  Gubb  (The  London  med.  Record 
u.  Allg.  med.  Centralz.  1889,  16)  sicher  zer- 
stört durch  Rectal  inj  ectionen  mit  reinem 
Leberthran  oder  einer  Emulsion  desselben 
mit  Eiern.  Dieses  Mittel  ist  zuverlässig 
und  reizt  nicht. 

Bei  Behandlung  des  Oxyuris  vermicularis 

macht  Grimaud  darauf  au^erksam,  dass 
Lallemand  (Montpellier)  mit  keinem  Mittel 
so  zuverlässige  Resultate  erzielt  habe,  als 
mit  den  natürlichen  Schwefel  wässern.  G. 
hat  sich  gleichfalls  davon  überzeugen  kön- 
nen, dass  schwefelhaltiges  Wasser  Gift  für 
die  Spulwürmer  sei.  Man  kann  es  inner- 
lich oder  per  Clysma  anwenden,  die  Würmer 
verschwinden  alsbald,   ohne  wiederzukehren. 

Vom  Generalsecretair  des  Organisations-Comites 
des  Congresses  für  Therapie  und  Materia 
medica 

geht  uns  folgender  Prospect  mit  dem  Er- 
suchen um  Aufnahme  zu: 


CONGRES   INTERNATIONAL 

DE  THl&RAPEUTIQUB  ET   DE   MATlfcRE  MKDICALE. 

La  coDgres  aura  lieu  ä  Paris,  da  l***  au  5  acut 
1889,  ä  rhotel  des  Societes  savantes,  28,  rae  Ser- 
pente.  Pourront  en  faire  partie  tous  les  medecins, 
pharmaciens  et  vetMnaires  qui  aaront  envoye  leur 
adbesioD  et  paye  la  cotisation  de  10  fraocs. 

Le  bareau  du  Comite  d'organisation  est  ainsi 
compose:  MM.  Moutard-Martin,  president;  Dc- 
jARDiif-BEAUMBTZ,  vice- president;  Constantin 
Paul,  secretaire  general;  P.-G.  Bardet,  secretaire 
general  adjoint;  Labbe,  secretaire  de  la  section  de 
therapeutique^  et  R.  Blondel,  secretaire  de  Iq  section 
de  maiiere  medicale, 

Le  coogres  sera  divise  en  deux  sections :  Fune 
de  therapeutigue,  Tautre  de  mattere  medicale.  Cha- 
cane  des  deux  sections  poarra  deliberer  ä  part 
dans  des  salles  separees,  aox  s^ances  de  la  matinee 
consacrees  aux  questions  particalieres  laissees  au 
choix  des  membres  du  coogres;  les  seances  du 
jour  seront  communes  et  reservees  ä  la  discussion 
des  questions  posees  par  le  Comite  d^organisation 
du  congres. 

Premiere  question.  —  Des  antithermiques  anal- 
g^siques:  Chimie  et  pharmacologie  de  ces  corps, 

—  action  phjsiologique  et  usages  therapeutiques, 

—  lois  qui  peuvent  permettre  d'Stablir  une  relation 
entre  la  fonction  chimique  et  la  fonction  physio- 
logique.     (Rapportenr,  M.  Dujardin-Beaumetz.) 

Deuxieme  questifjn.  —  Des  antisepiiques  pro- 
pres k  chaque  espece  de  microbes  pathoginas: 
Valeur  proportionnelle  des  antiseptiques,  leur  action 
speciale,  —  etude  de  leur  mode  d^absorption  et 
des  meilleurs  procedes  d^administration.  (Rappor- 
teur,  M.  Constantin  Paul.) 

Troisieme  quention,  —  Des  toniques  du  cosur: 
Leur  natnre,  —  leurs  actions  speciales,  —  valeur 
relative  des  plantes  et  de  leurs  principes  actifs, 
alcaloldes  et  glucosides.  (Rapporteur,  M.  BucQUOf.) 

Quatrihne  question.  —  Des  nouvelles  drogues 
d'origine  v^g^tale  r^cemment  introdiiites  dans  la 
th^rapeutique.    (Rapporteur,  M.  Planghon.) 

Ctnquieme  question.  —  Unification  des  poids  et 
masures  employ^s  dans  les  formules;  da  rutillt^ 
d'une  pharmaoopie  internationale.  (Rapporteur, 
M.  Shaer,  de  Zürich.) 

Les  membres  du  congres  qui  comptent  faire 
une  communication  sont  pri6s  d^en  annoncer  le 
titre  au  secretaire  du  comite  avant  le  15  mai 
prochain. 

Les  Communications  et  discussion  seront  reunies 
dans  un  volume  qui  sera  imprime  par  les  soins  du 
comite  d^organisation  et  sera  adresse  a  chaque 
adherent. 

Une  ezposition  de  drogues  simples  se  rappor- 
tant  aux  questions  posees  par  le  Comite  aura  lieu 
au  siege  du  congres  pendant  la  duree  de  la  session; 
eile  sera  organisee  par  les  soins  de  MM.  Adrian 
et  Blondel. 

On  est  prie  d'adresser  toutes  les  adhesions  ou 
Communications  au  Dr.  Barrfet,  secretaire  general 
adjoint  du  comite  d^organisation ,  119 bis.,  rue 
Notre-Dame-des-Champs,  ä  Paris. 


Verlaf  von  Jalins  Springer  in  Berlin  N,  —  Drack  ron  Outov  Sch«4«  (Otto  Franeke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 


1889.    Mai. 


Originalabhandlnngen. 


Der  heutige  Standpunkt  und  die 
nächsten  Ziele  der  Behandlung  des  Heus. 

(Referat,  erstattet  auf  dem  8.  Congress  für 
innere  Medicin  zu  Wiesbaden.') 

Von 

Professor  Dr.  H.  Curschmann, 

Director  der  medicin.  Klinik  zu  Leipzig. 

Wenn  ich  nach  dem  soeben  gehörten, 
klaren  und  fesselnden  Vortrag  meines  Herrn 
Mitreferenten  (Leichtenstern)  zum  zweiten 
Theil  unseres  Themas,  der  Behandlung 
des  Ileus,  übergehe,  so  sehe  ich  meine 
Hauptaufgabe  darin,  in  grossen  Zügen  das 
allgemeine  Bild  des  heutigen  Standpunktes 
dieser  Lehre  zu  entwerfen,  und  dasselbe  nur 
nach  einzelnen  Richtungen  hin,  welche  ihrer 
practischen  und  theoretischen  Wichtigkeit 
wegen  besondere  Beachtung  verdienen,  weiter 
auszuarbeiten. 

Unseren  heutigen  klinischen  und  beson- 
ders diagnostischen  Kenntnissen  entsprechend, 
über  welche  ich  mich  nachher  mehrfach 
werde  auszusprechen  haben,  ist  es  ge- 
wiss richtiger,  dass  wir  bei^  unseren  Er- 
örterungen mehr  an  das  allgemeine  Bild 
des  Ileus  anknüpfen,  als  an  diejenigen 
einzelnen  Zustände,  durch  welche  derselbe 
hervorgerufen  wird. 

Es  wird  dazu  noch  die  weitere  Beschrän- 
kung nützlich  sein,  nur  von  den  Ileusfällen 
zu  reden,  welche  acut  entstandenen 
Yerschliessungen  des  Darmes  oder 
wenigstens  einem  acuten  Hinzutraten 
der  Ileus  erregenden  Momente  zu 
chronischer  Erkrankung  zuzuschreiben 
sind. 

Hierzu  würden,  nach  ihren  anatomischen 
Substraten  gesichtet,  gehören: 

')  Das  Referat  wurde .  erstattet  im  Anschluss  an 
dasjenige  des  Herrn  Leichtenstern  (Cöln),  welcher 
aber  den  Begriff^  das  Entstehen  and  die  Diagnose 
des  Bens  sich  verbreitet  hatte. 

Dieses  sowie  das  Curschmann^sche  Referat, 
nebst  Discossion  und  Schiasswort  werden  ausführ- 
lich erscheinen  in  den  Verhandlangen  des  Con- 
gresses.     Wiesbaden.  J.  F.  Bergmann. 

(Ein  Bericht  über  den  Congress  wird  in  dem 
D&chsteD  Hefte  erscheinen.  Red.) 


1.  Volvulus  und  Intussusception ; 

2.  innere  Einklemmungen  des  Darmes 
durch  abnorme  Bänder  und  Stränge 
oder  Durchtreten  desselben  durch  ab- 
norme oder  physiologisch  präformirte 
Oeffnungen; 

3.  Verlegungen  des  Darmes  durch  Fremd- 
körper und  Tumoren; 

4.  Compressionen ,  Verwachsungen  und 
Stricturen  mit  plötzlich  hinzutretenden 
Knickungen,  Verlagerungen  oder  par- 
tiellen Lähmungen  des  Darmrohrs. 

Es  wurde  schon  vorher  von  mir  ange- 
deutet und  geht  noch  mehr  aus  den  Eröte- 
rungen  meines  Herrn  Mitreferenten  hervor, 
dass  wir  häufig  nicht  im  Stande  sind, 
im  einzelnen  Falle  den  vorhandenen 
Ileus  aufeinen  der  gen  an  ntenspeciellen 
Zustände  mit  Sicherheit  zurückzufüh- 
ren. In  der  Mehrzahl  der  Fälle  müssen  wir  unß 
mit  der  Erkenntniss  begnügen:  Es  besteht  eine 
Darmverlegung,  sie  besteht  wahrscheinlich 
im  Verlaufe  des  Dickdarmes  oder  des  Dünn- 
darmes, und  wenn  es  hoch  kommt,  sie  liegt 
in  den  oberen,  mittleren  oder  unteren  Par- 
tien dieses  Darmabschnittes.  Nur  zuweilen 
lässt  sich  Specielleres  hinzufügen,  z.  B.  die 
Annahme  einer  Intussusception,  des  Sitzes 
eines  Volvulus  am  S.  romanum,  die  Ver- 
muthung,  dass  ein  grosser  Gallenstein  sich 
eingekeilt  habe  oder  nach  vorausgegangenen 
früheren  Bauchoperationen,  ünterleibstraumen 
oder  anderweitig  begründeten  peritonitischen 
Processen,  es  möge  ein  Strang,  eine  Ad- 
härenz  oder   eine  Knickung  im  Spiele   sein. 

Sind  nun  diese  leider  bisher  vorhandenen 
diagnostischen  Schwierigkeiten  unserem  thera- 
peutischen Handeln  wesentlich  im  Wege? 
Ohne  Zweifel  in  sehr  vielen  Beziehungen. 
Sie  bedingen  eine  Hemmung  der  chirurgischen 
wie  der  internen  Behandlung. 

Zum  Glück  stehen  uns  aber  einstweilen 
andere  Wege  offen,  zu  prognostisch  und 
therapeutisch  ergiebigen  Gesichtspunkten  zu 
gelangen. 

Wir  studiren  zu  diesem  Zwecke  die 
allgemeinen  Veränderungen  und  Fol- 
gen,   welche    aus    einer   acuten  Darm- 

25 


194     Curschmann,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nächsten  Ziele  der  Behandl.  des  Ileus.        [  Monauh^n^eT* 


Verlegung  für  die  einzelnen  Theile  des 
Barmrohrs,  für  die  übrigen  Unterleibs- 
organe und  für  entferntere  Tbeile  des 
Körpers  erwachsen. 

Solche  allgemeine  Betrachtungen  knüpfen 
sich  an  die  allgemein  bekannten  Erscheinun- 
gen von  Stenose  und  compensatorischer 
Muskelaction,  wie  sie  an  jedem  contractilen 
schlauchförmigen  Organ  zu  constatiren  sind, 
sowie  an  die  speciellen  motorischen  Eigen- 
schaften des  Darmes,  welche  durch  die 
Leichtenstern' sehen  ^)  und  die  Noth- 
nageTschen^)  Arbeiten  in  jüngster  Zeit  so 
wesentlich  gefördert  wurden. 

Bei  jedem  Ileusfall  hat  man  demnach 
mit  zwei  Hauptmomenten  zu  rechnen: 

1.  mit  der  Stärke  des  Hindernisses  für 
die  Fortbewegung  des  Darminhaltes; 

2.  mit  dem  Maasse  der  Kräfte,  welche 
dem  vor  dem  Hindemiss  liegenden 
Darmabschnitte  zur  Ueberwindung  des- 
selben zur  Verfügung  stehen. 

Die  so  in  Betracht  kommenden  extremsten 
Situationen,  zwischen  denen  alle  möglichen 
Combinationen  denkbar  sind,  würden  sein: 

1.  geringfügiges,  ja  in  der  Leiche  gar 
nicht  mehr  nachweisbares  Hindemiss 
bei  völligem  Fehlen  der  Durchtreibungs- 
kraft; 

2.  intacter  oder  selbst  beträchtlich  er- 
höhter Modus  peristalticus  bei  unüber- 
windlich festem  Hindemiss; 

oder  endlich  mechanische  Verhält- 
nisse, welche  bei  an  sich  unschwer 
zu  überwindendem  Verschlusse  die 
Darmtriebkraft  zwar  ungeschwächt, 
aber  in  einer  denselben  direct  oder 
indirect  fördernden  Richtung  wirken 
lassen.  In  diese  überaus  wichtige  Categorie 
gehören  die  Verlagerungen,  Auftreibungen 
und  divertikel artigen  Umformungen  des  Dar- 
mes oberhalb  eines  Hindernisses,  mit  Ent- 
stehung der  so  viel  besprochenen  Klappen- 
mechanismen, femer  die  Steigerungen  be- 
ginnender Intussusceptionen,  die  Vermehrun- 
gen der  Darmeinschiebungen  bei  bruchartigen 
inneren  Einklemmungen  und  auch  die  Er- 
fahrung, dass  Fremdkörper,  wenn  sie  im 
Anfang  noch  eine  gewisse  Durchgängigkeit 
zuliessen,  immer  stärker  eingekeilt  werden 
können. 

Hat  nun  ein  ausgesprochener  Darmver- 
schluss  sich  entwickelt,  so  kommen  in  den 
meisten  Fällen,  mit  Ausnahme  der  Duodenal- 
und  obersten  Dünndarmverschlüsse,  sehr  bald 
gewisse      allgemeine    Verhältnisse    zur 

^)  Leichtenstern,  Ziemssens  Handb.  d.  spec. 
Pathol.  XL  Therap. 

3)  Nothnagel,  Beitr.  zur  Pathol.  u.  Physiol. 
des  Darmes  1884. 


Ausbildung,  welche  für  die  weitere 
Befestigung  und  Erhaltung  der  vor- 
handenen Hindernisse  sorgen.  Zu- 
nächst eine  Stauung  des  flüssigen  und 
gasförmigen  Darminhaltes  oberhalb  der 
Occlusionsstelle.  Ferner  durch  die  hierdurch 
bedingte  Ausdehnung  und  Spannung  der 
Darmwand  eine  heftige  Erregung  der  Peri- 
staltik durch  die  nun  —  ein  unglückseliges 
Wechselverhältniss  —  neue  Mengen  von  Gas 
und  Flüssigkeit  bis  zur  Stelle  des  Hinder- 
nisses hingebracht  werden.  Damit  weitere 
Auftreibungen  und  Spannung  des  Darmes, 
weitere  Steigerung  der  Peristaltik,  bis  endlich 
früher  oder  später  die  Darmkräfte  und  der 
Darmtonus  sich  erschöpfen  und  Parese  oder 
völlige  Lähmung  eintritt. 

In  allen  solchen  Fällen  entwickelt  sich 
schliesslich  als  typisches  Verhalten  über- 
mässige Auftreibung  des  Darmes  "ober- 
halb des  Hindernisses,  Collaps  und 
Leere  desselben  in  den  jenseitigen 
Partien. 

Besonders  klar  muss  man  sich  über  die 
nun  wieder  hieraus  resultirenden  allgemeinen 
Verhältnisse  der  Unterleibshöhle  werden. 

Durch  die  enorme  Auftreibung  der 
Gedärme  und  entsprechende  reactive 
Spannung  des  Zwerchfelles  und  der 
Bauchwand  wird  natürlich  der  intra- 
abdominelle Druck  gewaltig  erhöht, 
die  meteoristischen  Gedärme  gegen 
die  leeren  collabirten  Partien  und  na- 
mentlich gegen  die  Stelle  des  Verschlusses 
mächtig  augedrückt  werden,  so  dass  dadurch 
fast  jede  Möglichkeit  genommen  scheint,  die 
incarcerirte  Schlinge  aus  ihrer  Lage  zu  be- 
freien. Es  ist  der  von  allen  Seiten 
heftig  wirkende  elastische  Druck,  wel- 
cher nun  die  unglückselige  Situation  erhält 
und  befestigt. 

Wenn  man  zuerst  in  der  eben  vorge- 
tragenen Weise  sich  die  Verhältnisse  klar 
legt,  so  möchte  man  fast  verzweifeln,  dass 
dieselben  ohne  intensiven  mechanischen  Ein- 
griff wieder  lösbar  wären.  Es  drängt  sich 
immer  wieder  die  Frage  auf,  wo  sitzt  das 
Hindemiss?  Muss  dasselbe  nicht  manuell 
beseitigt  werden? 

In  der  That  haben  auch  manche  sehr 
aggressive  Aerzte  solche  Zustände  für  spon- 
tan, resp.  durch  interne  Behandlung  unlös- 
lich gehalten  und  darin  den  Grund  zum 
frühesten  operativen  Eingreifen  gesucht. 

Ist  nun  beim  Ileus  unter  solchen  Ver- 
hältnissen in  der  That  die  Prognose  eine  so 
verzweifelte?  Kennt  die  Natur  keine  anderen 
als  operative  Wege  den  unheilvollen  Knoten 
zu  lösen? 

Die    Antwort    lautet    günstiger    als   man 


]tfidi^°   J       Curschmann,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nächsten  Ziele  der  Behandl.  des  Ileus.         195 


TOD  Yornherein  glauben  sollte.  Es  zeigt 
sich,  dass  namentlich  in  früheren  Sta- 
dien, aber  auch  während  der  ferneren 
Perioden  der  Erkrankung,  nicht  we- 
nige Heilungen  vorkommen,  dass  na- 
mentlich auch  bei  fast  keinem  zu  Grunde 
liegenden  anatomischen  Momente,  (bei  dem 
Einen  natürlich  leichter,  als  bei  dem  An- 
deren) ein  Erfolg  der  inneren  Behandlung 
auszuschliessen  ist. 

Dass  es  gelingt,  Intussusceptionen  im 
Anfang  zu  sistiren  und  zu  heben,  dass 
Knickungen  des  Darmrohres  zu  beseitigen 
sind,  dass  Fremdkörper,  welche  die  Durch- 
gängigkeit aufheben,  über  die  Enge  weg  in 
weitere  Darmparthien  fortgeschoben  und  so 
auf  natürlichem  Wege  entleert  werden 
können,  ist  theoretisch  zweifellos  und  durch 
die  Erfahrung  vielfach  bestätigt. 

Aber  auch  die  sicher  ungünstigsten  Ver- 
schlussmechanismen, die  bruchartigen  inne- 
ren Einklemmungen  durch  Bänder,  Ringe 
und  dergleichen  sind  hiervon  trotz  gegen- 
theiliger  Behauptung  (Treves*)),  durch- 
aus nicht  auszuschliessen.  Abnorme  Bände 
und  peritonitische  Verklebungen  können 
je  nach  Alter  und  histologischer  Beschaf- 
fenheit unter  dem  Einflüsse  der  mächtig 
vermehrten  Darmspannung  sich  dehnen 
oder  lösen,  einschnürende  Ringe  sich  er- 
weitem und  damit  insufficient  werden.  Auch 
beim  Volvulus  ist  eine  Achsendrehung  im 
lösenden  Sinn  durchaus  möglich,  nament- 
lich wenn  durch  Verminderungen  des  all- 
gemeinen intraabdominalen  Druckes  der  ab- 
geschnürten Schlinge  wieder  eine  grössere 
Excursionsfähigkeit  verschafft  wird^).  Von 
den  Heilungen,  wie  sie  selbst  in  spätesten 
Stadien  bei  Intussusceptionen  und  scharfen 
Einklemmungen  durch  Gangrän  und  Ab- 
stossung  der  meistbetheiligten  Darmtheile, 
Verwachsungen  und  dadurch  wieder  wegsam 
werden  der  Nachbarpartien  zu  Stande  kom- 
men, will  ich  hier  als  allbekannt  nicht  be- 
sonders reden.  Auch  darum  nicht,  weil 
man  hierauf  wohl  nur  selten  seine  Rechnung 
stellen  dürfte.  Die  Einwände  verbissener 
Gegner,  geheilte  Fälle  seien  anatomisch  un- 
controlirbar  und  meist  falsch  gedeutet,  in- 
dem man  namentlich  Koprostasen  und  an- 
dere ins  Gebiet  des  Ileus  paralyticus  fal- 
lende Zustände  damit  verwechselt  habe, 
sind  nicht  stichhaltig.  Es  sind  in  der  Lit- 
teratur  nicht  wenige  gegentheilige  Beob-* 
achtungen   niedergelegt   und   ich    selbst   ver- 


*)  Treves,  Darmobstruction,  deutsch  von  Pol- 
lack.    Leipzig  1888. 

*)  Vergl.  die  späteren  Ausführungen  über  Wir- 
kung der  Magen ansspülung  und  der  Gaspuiiction 
des  Darmes. 


füge    über    eine    Anzahl     sehr     instructiver 
Fälle. 

Zunächst  möchte  ich  einige  anführen, 
welche  darum  besonders  beweisend  sind, 
weil  die  betreffenden  Individuen, 
nachdem  sie  einer  oder  mehrmaligen 
Attacken  des  Ileus  getrotzt  und 
schliesslich  einem  den  vorausgegan- 
genen völlig  gleichen  Anfall  erlagen, 
zur  anatomischen  Untersuchung  kamen. 

Es  gehört  hierher  ein  Fall  von  wand- 
ständiger, durch  ein  kurzes  Band  bedingter 
Anheftung  einer  Ileumschlinge  in  der  Nähe 
des  rechten  inneren  Leistenrings,  wo  nach 
zweimaligem,  offenbar  durch  Knickung  des 
Darmrohrs  zur  Ausbildung  gekommenem  und 
wieder  gelöstem  Ileus  bei  der  dritten 
Attacke®)  der  Tod  eintrat. 

Ferner  ein  klinisch  unklarer  Ileusfall, 
welcher  durch  Magenausspülung  zur  Heilung 
kam,  nach  fast  14tägigem  völligen  Wohl- 
beflnden  aber  recidivirte  und  nach  dem  nun 
eingetretenen  Tod  sich  zurückführen  Hess 
auf  eine  Verklebung  und  Knickung  der 
beiden  Schenkel  einer  Jejunum-Schlinge. 

Sehr  instructiv  war  endlich  ein  Fall  von 
Volvulus  des  S  romanum,  bei  dem  zweimal 
mehrtägiger  Ileus  bestanden  und  sich  wieder 
gelöst  hatte,  und  bei  dem  die  bei  der  dritten 
Attacke  gemachte  Operation  keine  Heilung 
brachte,  vielleicht  sogar  den  tödtlichen  Aus- 
gang förderte. 

Auch  einige  klinische  Beobachtun- 
gen, welche  glücklicherweise  nicht' 
zur  an  atomischen  Untersuchung  kamen, 
sind  für  mich  absolut  beweiskräftig.  So  der 
Fall  eines  Mannes,  welcher  als  Soldat  im 
dänischen  Feldzuge  einen  Bajonetstich  in 
den  Unterleib  erhalten  hatte  und  den  ich 
dreimal  im  Verlaufe  zweier  Jahre  an  Ileus, 
stets  beginnend  mit  Schmerz  und  Druck  in 
der  Gegend  der  früheren  Narbe,  erkranken 
und  bei  passender  innerer  Behandlung  ge- 
nesen sah. 

Femer  die  Krankengeschichte  einer  Dame, 
welche,  nachdem  sie  9  Jahre  vorher  wegen 
Ovarien  tu  mors  laparotomirt  worden  war, 
zweimal  im  Verlaufe  eines  Jahres  die  Er- 
scheinungen des  schwersten  Ileus  (das  eine 
Mal  4,  das  andere  Mal  6  Tage  lang)  bot, 
jedesmal  bei  entsprechendem  Verhalten  mit 
Ausgang  in  Heilung.  Ich  glaube  beide  Fälle 
zur  Strang-  oder  doch  bruch artigen  inneren 
Einklemmung  rechnen  zu  dürfen. 

Als  Beispiel  für  Heilung  eines  durch 
Fremdkörper  bedingten  Ileus  führe  ich  einen 


^  Ich  hatte  hier,  da  die  Lokaldiagnose  sicher 
war,  schon  beim  ersten  Anfall  (leider  vergeblich), 
zur  Operation  gerathen, 


25* 


196     Cursehmann,  Der  hautlg^a  Standpunkt  und  die  nächsten  Ziele  der  Behandl.  des  Heut.       [  Hon^hSptaT 


zunächst  diagnostisch  ganz  dunkeln,  über- 
aus schweren  Ileusfall  bei  einer  älteren  Frau 
an,  der  am  dritten  Tage,  unter  Entleerung 
eines  fast  Hühnerei  grossen  Gallenstein  per 
vias  naturales,  sich  definitiv  löste. 

Hartnäckige  Zweifler  konnten  nun  diese 
Fälle  als  interessante,  seltene  Vorkommnisse 
bezeichnen  und  meine  allgemeinen  Ausein- 
andersetzungen über  die  Möglichkeit  der 
Heilung  des  Ileus  als  rein  theoretische, 
speculative,  am  Krankenbett  sich  selten  be- 
währende herabzusetzen  suchen.  Ihnen  ge- 
genüber ist  gewiss  eine  Anfrage  bei  der 
Statistik  gerechtfertigt. 

Bisher  waren  die  bezüglichen  Daten  frei- 
lich sehr  spärliche.  Ich  glaube  sie  durch 
grössere  eigene  und  fremde  Zahlen  ausfüllen 
zu  können. 

68  eigenen  Fällen,  über  welche  mir  ge- 
naue Aufzeichnungen  zu  Gebot  stehen,  füge 
ich  20  ohne  Operation  behandelte  aus  der 
Leipziger  Klinik  (Jahr  1858 — 89)  zu.  So- 
dann 50  Fälle  von  Goltdammer^)  und  17 
von  Bülau^)  beobachtete,  also  im  Ganzen 
die  stattliche  und  fQr  die  Beantwortung 
einer  grob -statistischen  Frage  genügende 
Zahl  von  105.  Von  diesen  Fällen  ge- 
langten 37,  also  3574  ^/o  zur  Heilung^). 

Ziehen  wir  aus  dem  oben  erörterten  das 
Facit,  so  folgt  der  Satz: 

Es  ist  eine  schwere  Uebertreibung 
zu  behaupten,  der  Ileus  könne  be 
innerer  Behandlung  nicht  heilen.  Man 
kann  im  Gegentheil  sagen: 

Theoretisch  ist  bei  kaum  einer  Form  von 
innerer  Einklemmung  spontane  oder  durch 
innere  Medication  geförderte  Heilung  unmög- 
lich. Die  prac tischen  Resultate  zeigen  sich 
sogar  in  einer  recht  ansehnlichen  Procentzahl. 

Haben  wir  aber,  das  ist  nun  die  weitere 
Frage,  Grund  mit  dem  bis  hierher  ent- 
wickelten Stand  der  Angelegenheit  zufrie- 
den zu  sein? 


^)  Berl.  Klin.  Wochenachr.  1889. 
*)  Discass.  über  den  Vortrag   von   Kümmell 
im  Hamb.  ärztl.  Verein.  1.  Dec.  85.  Abgedr.  Deutsch, 
med.  Wochenschr.  1886. 

^)  Im  Einzelnen  stellen  sich  diese  Zahlen  folgen- 
deroiässen  * 
Leipziger  Klinik:  20  Falle,  geh.    9  ==  45%, 
Goltammer:       .     .  50      -  -     15  =  30%, 

Bülau: 17      -         -       6  =  3573%, 

Curschmann:  .  .  68  -  -  22  =  3273%. 
In  Bezug  auf  meine  Fälle  darf  ich  anführen,  dass 
ich  bei  nur  35  früher  zusammengestellten  Fällen 
(vergl.  Verhdl.  d.  Uamb.  ärztl.  Vereins  1.  c.)  weit 
schlechtere  Resultate  hatte,  d.  h.  nur  14  Vs%  Hei- 
lungen. 

Als  sehr  interessant  darf  ich  eine  Mittheilung 
von  Mikulicz  (Deutsch.  Gesellsch.  f.  Chirurgie  1887) 
anführen,  nach  welcher  3  ihm  eigentlich  zur  Opera- 
tion überwiesene  Ileusfälle  ohne  diese  bei  einer  durch 
Mikulicz  eingeleiteten  internen  Behandlung  heilten. 


Ganz  gewiss  nicht.  Darin  werden  alle 
Aerzte  mit  wenigen  Ausnahmen,  chirurgische 
wie  innere,  Tollkommen  übereinstimmen. 

Die  angeführten  Heilungsprocente  sind 
entschieden  zu  niedrige,  sie  dürfen  uns  in 
keiner  Weise  genügen. 

Man  wird  dazu  gedrängt,  nach  weiteren, 
aggressiTeren  Methoden  umzuschauen  und  man 
kann  es  jüngeren,  besonders  feurigeren  Chi- 
rurgen nachfühlen,  wenn  sie  rathen: 

Lieber  auf  die  massige  Chance  der  in- 
neren Behandlung  verzichten  und  so- 
fort, wenn  die  Erscheinungen  -des  Ileus 
sicher  stehen,  durch  Laparotomie  der 
Grundursache  im  wahren  Sinne  zu  Leibe 
zu  gehen. 

Gewiss  wäre  dies  das  rationellste  und 
eines  jeden  Arztes,  ideales  Ziel.  Ob  es  aber 
gelingen  wird,  mit  der  Zeit  in  jedem  Falle 
von  Ileus  die  Operation  so  gefahrlos  zu  ge- 
stalten,' wie  bei  der  Oviartomie  oder  beim 
Bruchschnitte,  das  muss  die  Zukunft  lehren. 

Bei  dem  heutigen  Stand  der  Kennt- 
nisse und  Fertigkeiten  ist  für  viele 
Fälle  nicht  einmal  bewiesen,  dass 
die  Laparotomie  gefahrloser  sei  als 
das  Uebel.  Fast  alle  inneren  Aerzte  sind, 
soweit  ich  die  Sache  übersehe,  dieser  Mei- 
nung und  auch  unter  den  Chirurgen  scheinen 
die  Stimmen  sehr  getheilt,  mit  Neigung  der 
grosseren  Zahl  zu  der  gleichen  Ansicht. 
Nur  wenige  (Bardeleben,  Kümmell  u.  A.) 
stehen  schon  heute  auf  dem  extremen  Stand- 
punkt der  Frühlaparotomie  in  allen  Fällen 
von  constatirtem  Ileus.  Die  Mehrzahl  spricht 
sich  präcis  dahin  aus*®),  dass  heute  noch 
grosse,  für  die  nächste  Zeit  wohl  schwer 
überwindliche  Einschränkungen  beständen. 

Worin  bestehen  diese  Einschränkungen 
nun? 

Welche  sind  die  heutigen  Grenzen 
der  inneren  und  der  chirurgischen 
Behandlung? 

Vor  allem  wird  man  sich  sagen  müssen, 
dass  die  vorhandenen  Schwierigkeiten  noch 
auf  beiden  Seiten,  auf  dem  inneren, 
wie  dem  speciell  chirurgischen  Ge- 
biete liegen. 

Die  interne  Medicin  ist  der  Ausbildung 
der  Diagnose  leider  noch  das  Meiste  schuldig. 
Wir  müssen  uns  darüber  klar  sein,  dass 
wir  nur  in  der  Minderzahl  der  Fälle  im 
Stande  sind,  mit  wünschenswerther  Genauig- 
keit den  Sitz  und  die  anatomische  Beschaff 


^°)  Debatte  über  den  Vortrag  des  Herrn  Barde- 
leb en:  Heber  Ileus.  Berl.  med.  Gesellsch.  1885 
No.  27. 

Discussion  in  Anschluss  an  das  schöne  Heferat 
des  Herrn  Madelung,  Deutsche  Gesellsch.  f.  Cbir. 
1887. 


luTiSsr  j       Curichmann,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nächsten  Ziele  der  Behandl.  dei  Ileus.        197 


fenheit  der  den  Daxm verschluss  herbeiführen- 
Afifectionen   zu  bestimmen. 

Vielleicht  ist  dies  schon  heute  für  die 
Nichtkrankenhausärzte,  welche  ihre  Patien- 
ten in  früheren  Stadien  zur  Beobachtung 
bekommen,  häufiger  möglich,  als  für  die  an 
Hospitälern  wirkenden. 

Hier  kommen  uns  die  Patienten  meist 
in  einem  Zustande  zur  Beobachtung,  in 
welchem  die  objective  Untersuchung  nur 
wenig  specielle  Resultate  haben  kann. 

Es  besteht  neben  den  ausgebildeten  Er- 
scheinungen des  Ileus  meist  schon  mehr 
oder  minder  starker,  gleichmässiger 
Meteorismus,  der  Puls  beginnt  schon 
klein  und  weich,  hier  und  da  in- 
aequal  oder  irregulär  zu  werden,  die 
Extremitäten  sind  kühl,  das  Gesicht 
verfallen. 

Man  kommt,  wenn  nicht  die  Anamnese 
oder  ganz  specielle  Zustände  einen  Finger- 
zeig geben,  meist  über  die  allgemeine 
Diagnose  nicht  hinaus.  Man  ist  zufrieden, 
wenn  man  sagen  kann :  Es  ist  eine  scharfe 
oder  minder  scharfe  Einklemmung  vorhan- 
den, es  besteht  ein  mehr  oder  minderer 
Grad  von  Darmlähmung,  im  Dünn-  oder 
Dickdarm  ist  der  Sitz  des  üebels. 

Geht  der  Chirurg  an  solche  diagnos- 
tisch dunkle  Fälle  heran,  so  sind  die  Aus- 
sichten meist  schlechte,  vielleicht  noch  ge- 
ringere als  bei  innerer  Behandlung.  Eine  grosse 
Zahl  unserer  berühmtesten  Operateure,  ich  brau- 
che nur  V.Bergmann,")  Schede,  Czerny,**) 
Schonborn,  Mikulicz,  v.Wahl*')  und 
Madelung^^)  zu  nennen,  halten  sich  da- 
rum auch  entsprechend  reservirt,  und  rathen 
vielfach  geradezu  von  der  Laparotomie  ab.  Es 
sind  noch  mehr  als  theoretische  Bedenken 
die  practischen  Übeln  Erfahrungen,  welche 
sie  gemacht  haben. 

Forscht  man  der  Ursache  dieser 
schlechten  Chancen  nach,  so  spielt  unter 
diesen  nicht,  wie  man  glauben  mochte,  die  Ge- 
fahr der  septischen  Infection  eine  Rolle ;  unsere 
guten  Chirurgen  haben  diese  auch  für  die 
Bauchoperation  mit  fast  unfehlbarer  Sicher- 
heit überwunden. 

Die  Hauptgefahr  bei  den  frag- 
lichen Fällen  liegt  in  der  Rückwir- 
kung der  Operation  auf  das  Nerven- 
system, namentlich  auf  die  Inervation 
des  Herzens. 


")  Discussion.    Berl.  med.  Ges.    1.  c. 

«)  Virch.  Archiv,  Bd.  101,  S.  425. 

**)  Dissert.  V.  Oettingen,  Dorpat  1889.  Cen- 
tralblatt  für  Chirurg.  1889. 

")  DLscassion.  Chir.  Congr.  1887.  1.  c.  Die 
hierbei  gemachten  Mittheilongen  Schedes  sind 
besonders  abgedruckt.  Langenb.  Archiv,  Bd.  86. 
Ebendas.  Rydigier's  Vortrag. 


Solche  Patienten  halten  nichts  aus;  sie 
collabiren  alsbald  und  man  ist  vielfach  froh, 
sie  nur  lebend  vom  Operationsbett  bringen 
zu  sehen.  Die  weite  Eröffnung  der 
Bauchhöhle,  die  Dauer  der  Operation, 
das  längere  Manipuliren  an  den  oft 
auszupackenden  Gedärmen  steigert 
rapid  den  schon  vorhandenen  Chok. 

Hierin  liegt  es  auch,  dass  sogar  nicht 
selten,  nachdem  der  Operateur  mühsam  das 
Hinderniss  erreicht  und  beseitigt  hat,  bei 
wieder  durchgängigem  Darm  und  ohne  an 
der  Leiche  nachweisbare  schwerere  Verände- 
rungen desselben,  ohne  Peritonitis  oder  dergl. 
der  tödtliche  Ausgang  eintritt.  Fälle,  die 
übrigens  denen  an  die  Seite  zu  stellen  sind, 
auf  die  meines  Wissens  zuerst  Frerichs 
hingewiesen  und  die  wir  Alle  beobachtet 
haben,  wo  trotz  selbst  auf  internem  Wege 
erzielter  Wiederdurch gängigkeit  des  Darmes, 
die  Kranken  im  Collaps  ohne  nachweisbare 
anatomische  Ursache   zu  Grunde  gehen. 

Wenn  einzelne  Aerzte  solchen  Fällen 
gegenüber  uns  sagen,  es  müsse  hier  weit 
früher  operirt  werden,  so  mag  dies  theore- 
tisch nicht  ohne  Begründung  sein,  practisch 
durchführbar  sind  heute  diese  Vorschläge 
nicht.  Bei  der  Aufnahme  in  die  Hospitäler 
sind  die  Kranken  meist  schon  in  dem  ge- 
schilderten labilen  Zustande  und  hier  so- 
wohl, wie  in  der  Privatpraxis  wird,  wie  die 
Sachen  heute  liegen,  bei  erst  kurz  beste- 
hendem Ileus  nicht  leicht  ein  Arzt,^^)  noch 
viel  weniger  der  Kranke  oder  seine  Ange- 
hörigen sich  zu  einer  so  grossen,  gefahrvollen 
Operation  bei  einem  Uebel  entschliessen, 
dessen  Prognose  im  Allgemeinen  absolut 
keine  letale  ist. 

Die  Schwierigkeiten,  welche  wir  dem 
Chirurgen  durch  unsere  so  vielfach  mangel- 
hafte Diagnose  machen,  verdoppeln  sich  für 
diesen  dadurch,  dass  er  technisch  solche 
dunkle  Fälle  heute  noch  nicht  ge- 
nügend  zu    bewältigen    im   Stande    ist. 

Es  kommt  hier,  wie  wir  sahen,  vielleicht 
das  meiste  auf  möglichste  Schnelligkeit 
der  Ausführung,  auf  grösste  Schonung 
des  Darmrohres  bei  der  Operation  an.  Dem 
ist  aber  für  die  fraglichen  Fälle  heute  im 
Voraus  berechenbar  keineswegs,  höchstens 
zufällig  in  Einzelfällen  zu  entsprechen. 


")  Ich  darf  hierbei  auf  den  Ausspruch  Sc  hon - 

borns  (1.   c),  verweisen: ;   „so  lange   die 

Sache  so  liegt,  glaube  ich,  dass  selbst  diejenigen 
von  uns,  die  am  meisten  für  operative  Eingi'iffo 
plaidiren  möchten,  doch  Anstand  nehmen  würden, 
bei  ihrem  eigenen  Kinde  oder  sonst  einem  ihnen 
sehr  nahe  stehenden  Menschen  innerhalb  der  ersten 
24  Stunden,  in  der  Zeit,  in  welcher  die  Operation 
gewiss  am  gefahrlosesten  ist,  ziu*  Laparotomie  zu 
schreiten." 


198     Curichmann,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nftchiten  Ziele  der  BehandL  dei  lieui.         H^!??,!^!!!!^* 


L  MonAtshefte. 


Man  mu88  einer  grosseren  Zahl  solcher 
Laparotomien  beigewohnt  haben,  um  sich 
der  Schwierigkeit  zu  erinnern,  durch  eine 
kleinere  Incission  in  die  extrem  gespannten 
Bauchdecken  hindurch,  zwischen  den  strotzend 
ausgedehnten  Därmen  sich  zu  orientiren.  Und 
befolgt  man  auch  den  Vorschlag  Küm- 
melTs,  die  Bauchhöhle  durch  einen  vom 
Schwertfortsatz  bis  zur  Symphyse  reichen- 
den Schnitte  zu  eröffnen  und  die  Därme 
weit  auszupacken,  so  werden  selbst  Ope- 
rateure von  gleich  hervorragender  Gewandt- 
heit und  Sicherheit  vielfach  die  Erfahrung 
machen,  dass  auch  so  die  beabsichtigte 
Erleichterung  der  Orientirung  sich  nicht  ent- 
sprechend realisirt. 

Ganz  abgesehen  davon,  dass  ich  der 
festen  Ueberzeugung  bin,  dass  so  ausge- 
dehnte Eventrationen  bei  Ileuskranken  an 
sich  die  Gefahr  einer  acuten  Steigerung  des 
Chok  bedingen,  bestätigen  die  Erfahrungen, 
die  man  am  Leichentisch  macht,  wie  schwie- 
rig und  zeitraubend  unter  denkbar  bequem- 
sten Verhältnissen,  wie  sie  am  Lebenden 
nicht  annähernd  zu  erreichen  sind,  die  Auf- 
findung der  Stelle  des  Hindernisses  und  die 
Entwirrung  des  vorhandenen  Knotens  ist. 
Haben  wir  doch  Alle  Fälle  gesehen,  wo  die 
geübtesten  pathologischen  Anatomen  Stunden 
brauchten  bis  zu  erzielter  Klarheit. 

Aber  selbst  da,  wo  die  Einklemmungs- 
stelle  relativ  rasch  gefunden  und  entspre- 
chend behandelt  ist,  sind  meist  die  Schwie- 
rigkeiten noch  lange  nicht  überwunden. 

Oft  macht  dann  die  gewaltige  Aus- 
dehnung und  üeberfüllung  der  extrem 
gespannten  Därme  noch  mehr  zu  schaffen, 
als  das  Aufsuchen  der  Einklemmungsstelle. 
„Die  ich  rief,  die  Geister  werd'  ich  nicht  mehr 
los",  der  Darm  ist  bei  weitem  nicht  mehr 
in  den  engen  Raum  der  Bauchhöhle  zurück- 
zubringen. Nun  beginnen  die  Manipulationen, 
den  Darminhalt  von  den  überausgedehnten 
Abschnitten  über  die  frühere  Einklemmungs- 
stelle hinweg  in  die  collabirten  Theile  zu 
bringen,  Verminderung  und  grössere  Gleich- 
mässigkeit  des  Volums  zu  erzielen. 

Meist .  gelingt  dies  nicht  und  der  Opera- 
teur muss  nun  seine  Zuflucht  zur  Darm- 
punction  nehmen  oder,  was  neuerdings 
häufiger  geschah,  zu  ausgedehnter  Incision 
und  dem  Versuch  durch  die  grössere  Wunde 
den  Darminhalt   zu  entleeren. 

Die  Chirurgen  (Madelung)  selbst  er- 
kennen, dass  hier  wiederum  eine  grosse 
Schwierigkeit,  eine  höchst  schädigende  Ver- 
zögerung der  Operation  liegt,  und  der  innere 
Mediciner,  der  derartigen  Eingriffen  beiwohnte, 
wird  aufathmend  dem  voll  zustimmen. 

Mikulicz  hat  daher  vollkommen  Recht, 


wenn  er  sagt,  dass  die  Laparotomie  unter 
den  angeführten  Umständen  die  Operation 
in  den  Augen  der  Aerzte  nur  zu  discredi- 
tiren  im  Stande  ist. 

Hoffen  wir,  dass  die  angeführten  Schwie- 
rigkeiten zu  überwinden  sind  und  dass, 
selbst  bevor  wir  zu  einer  in  allen 
Fällen  sicheren  Localdiagnose  kom- 
men werden,  die  Chirurgie  Mittel  und 
Wege  finden  wird,  auch  ohne  dies,  sicherer, 
rascher  und  weniger  eingreifend  an  das 
Hinderniss   heranzukommen. 

Ich  werde  der  erste  sein,  der  dann  auch 
solche  Ejranke  frühzeitig  dem  Chirurgen 
übergiebt. 

Bis  dahin  wird  man,  wenn  bei  Kleiner- 
werden des  Pulses,  Verfall  der  Züge  und 
wachsendem  Meteorismus  Grund  besteht,  von 
einer  Fortsetzung  interner  Medication  abzu- 
sehen (einige  hyperacute  Fälle  ausgenom- 
men), meines  Erachtens  am  besten  thun, 
dem  Programm  zu  entsprechen,  welches 
mein  Freund  Schede  und  ich  für  solche 
Fälle  entworfen  hatten,  die  uns  während 
unseres  gemeinsamen  Wirkens  in  Hamburg 
so  oft  zusammenführten: 

„Kleinere  oder  mittelgrosse  Incision  der 
Bauchdecken  in  der  Linea  alba  oder  einer 
dem  vermutheten  Sitz  des  Hindernisses  mög- 
lichst nahen  Stelle,  kurzes,  schonendes 
Suchen  ohne  Da'rmauspacken  nach  der 
afficirten  Stelle  und,  wenn  dies  keinen 
Erfolg  hat,  sofortiges  Anlegen  eines  künst- 
lichen Afters  durch  Annähung  der  zunächst 
erreichbaren  Schlinge  in  die  Bauch  wand." 

Die  Erfahrung  sehr  vieler  Aerzte  hat 
gelehrt,  dass  nach  dieser  relativ  imgeßlhr- 
lichen  (durch  den  verdienstvollen  Thüngel 
mit  besonderem  Nachdruck  empfohlenen) 
Operation  nicht  selten  schon  wenige  Tage 
später  sich  die  natürliche  Wegsamkeit  des 
Darmes  von  selbst  wiederherstellt.  Aber 
auch  wo  dies  nicht  erzielt  wird,  ist  wenig- 
stens die  Katastrophe  aufgeschoben  und  der 
Chirurg  kann  nun,  frei  von  der  dringenden 
Gefahr  des  Augenblicks,  die  laparotomistische 
Aufsuchung  des  Hindernisses  bis  zu  einer 
Zeit  verschieben,  wo  der  Kranke  sich  soweit 
erholt  und  gekräftigt  hat,  dass  die  Verhält- 
nisse denjenigen  bei  gleich  grossen  anderen 
Unterleibsoperationen    ähnlich  sind. 

Ganz  anders  liegen  die  Verhältnisse  da, 
wo  wir  das  Glück  haben,  von  vorne- 
herein oder  noch  relativ  früh  eine 
klare  Diagnose  stellen  zu  können,  wo 
der  Darm  noch  nicht  allzu  stark  oder  noch 
so  ungleichmässig  (v.  Wahl)  aufgetrieben 
ist,  so  dass  wir  den,  dem  Hinderniss  zunächst 
gelegenen  Darmabschnitt,  den  zufuhrenden 
Schenkel  der  Schiinge  zu  erkennen  vermögen, 


i 


mIi  i£°^'l       CurichmAiin,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nSchsteo  2iele  der  Behandl.  dei  tleui.        IdO 


Maj  188».    J  

oder  wo  wir  einen  Tumor  oder  wenigstens 
eine  cbaracteristische  Resistenz  zu  finden 
in   der  Lage    sind. 

Da  bin  auch  ich  unbedingt  für  mög- 
lichst frühzeitige  Operation.  Hier 
sind  die  Aussichten  des  Chirurgen  un- 
Tergleichlich  günstiger,  wie  die  des 
inneren  Arztes,  hier  wäre  es  sünd- 
haft,  Zeit  zu  yersäumen. 

Leider  ist  die  Zahl  solcher  Fälle  bisher 
noch  eine  geringe.  Hoffen  wir  auf  baldige, 
rasch  zunehmende  Yergrosserung    derselben  I 

Am  häufigsten  wird  man  unter  heutigen 
Verhältnissen  noch  zur  Frühoperation  ge- 
langen, bei  Intussusception,  deren  Diagnose 
nicht  allein  in  Anbetracht  des  Status  prä- 
sens,  sondern  auch  der  vielfach  sehr  cha- 
racteristischen  Anamnese  wegen  häufig  früh 
gesichert  ist,  bei  Strangincarcerationen  oder 
Verwachsungsknickungen,  wo  man  durch 
früher  überstandene  Traumen-  oder  Bauch- 
operationen, oder  complicirte  äussere  Hernien 
einen  Fingerzeig  auf  ihre  Stelle  und  Anord- 
nung hat.  Endlich  bei  gewissen  Formen 
des  YoIyuIus,  namentlich  denjenigen  am 
S  romanum**),  welch'  letztere  unter  Zuhülfe- 
nahme  der  Stäbchenpercussion  eine  ziemlich 
sichere  Frühdiagnose  gestatten. 

Von  Goltdammer  ist  eine  Indication 
zur  Laparotomie  besonders  noch  da  er- 
kannt worden,  „wo  bei  sehr  acutem  Be- 
ginn    unter     energischer     Opiumdarreichung 


'*)  Hier  möchte  ich  den  Chirargen  einen  Vor- 
schlag unterbreiten,  welcher  auf  den  ersten  Blick, 
besonders  radical,  aber  darch  die  sehr  eigenthüm- 
lichen  bei  dieser  Affection  bestehenden  Verhältnisse 
geradezu  geboten  scheint.  Ausgedehnte  Beobach- 
tungen am  Lebenden  und  an  der  Leiche  haben  mir 
nämlich  gezeigt,  dass  der  Volvulus  des  S.  romanum, 
welcher  stets  ceknupft  ist  an  die  Yergrosserung  der 
fraglichen  Schlinge,  entsprochende  Verlängerungen 
des  zugehörigen  Mesocolonabscbnittes  und  starke 
Annäherung  der  beiden  Schenkel  der  Schlinge  an 
deren  Basis,  ausschliesslich  sich  findet  bei  ungewöhn- 
licher Gesammtlänge  des  Dickdarms.  Die  Träger 
solcher  Schlingen  sind  damit  also  von  Ge- 
burt her  zum  Volvulus  veranlagt  und,  wenn  ein 
solcher  einmal  operativ  gelöst  wurde,  so  ist  dem  Arzt 
alle  Freude  für  die  Zukunft  dadurch  verdorben,  dass 
er  weiss,  dass  die  nun  in  die  Bauchhöhle  wieder 
versenkte,  entwirrte  Schlinge  für  den  Träger  jeden 
Augenblick  die  Gefahr  der  Wiederholung  des 
schlimmen  Zustandes  involvirt.  Sollte  hier  der 
Vorschlag  nicht  rationell  sein,  die  betreffende 
Schlinge,  was  ja  bei  der  Frühoperation 
nicht  allzu  gefährlich  wäre,  geradezu  zu 
re^eciren,  und  so  zugleich  die  momentane 
Gefahr  und  diejenige  für  die  Zukunft  zu 
beseitigen?  Die  anatomische  Untersuchung  zeigt 
sofort,  dass  eine  solche  Schlinge  purch  einen  mehrere 
Finger  breiten  über  und  parallel  dem  Pourpartschen 
Bande  gerichteten  Schnitt  sich  leicht  aus  der  Unter- 
leibshöhle heraus  heben  lässt,  so  dass  Rescc- 
tion  und  Vernähung  bei  geschlossen  ge- 
haltener Bauchhöhle  und  ohne  Berührung 
anderer  Darmtheile  geschehen  könnten. 


die  schweren  Verschluss-  und  namentlich 
die  Colljipserscheinungen  unvermindert  fort- 
dauern und  in  denen  demnach  eine  acute 
innere  Incarceration  durch  Bänder  oder  Oeff- 
nung  mit  schwerer  Darmquetschung  vermu- 
thet  werden  muss." 

Ich  möchte  hier  gerade  des  Collapses 
wegen  die  Laparotomie  widerrathen  und  die 
Anlegung  des  künstlichen  Afters  empfehlen, 
der,  wie  die  Verhältnisse  heute  liegen,  vor- 
läufig noch  eine  grössere  Rolle  spielen  wird. 

Dieselbe  Operation  würde  wohl  auch  in 
den  Fällen  der  Laparotomie  vorzuziehen 
sein,  wo  nach  anfänglicher  Besserung  der 
Erscheinungen  durch  interne  Behandlung 
plötzlich  bedrohliche  Verschlimmerungen 
mit  Collaps  eintreten. 

M.  H. !  Wenn  ich  Ihre  ersten  Schritte 
bei  Betrachtung  der  Therapie  des  Ileus  in 
den  Operationssaal  lenkte,  so  haben  wir 
dies,  ausdrücklich  bemerkt,  mit  voller  Legi- 
timation gethan. 

In  der  Operation  wird,  davon  sind 
auch  wir  fest  überzeugt,  in  Zukunft 
steigend  der  Schwerpunkt  der  Be- 
handlung liegen,  und,  wenn  wir  innere 
Aerzte  auch  bis  jetzt  keinen  Grund  haben, 
dem  Vorschlage  Madelung's  entsprechend, 
unsere  Ileuskranken  von  vornherein  den 
chirurgischen  Abtheilungen  zu  übergeben,  so 
haben  wir  um  so  mehr  die  Pflicht,  uns 
präcise  Anschauungen  zu  bilden  über  die- 
jenigen allgemeinen  und  speciellen  Verhält- 
nisse, welche  für  Indication,  Art  und  Chance 
der  verschiedenen  Operationsweisen  in  Be- 
tracht kommen. 

In  das  speciell  Technische  werden 
wrir  zunächst  dem  Chirurgen  so  wenig  hinein- 
reden, wie  dieser  in  die  weitere  Ausbildung 
der  feineren  physikalischen  und  chemischen 
Methoden  zur  Sifherung  der  Diagnose. 

Wir  sehen  also,  m.  H.,  dass  bei 
vollster  Anerkennung  der  chirurgi- 
schen Tbätigkeit  beim  Ileus  für  die 
grosse  Mehrzahl  der  Fälle  der  inne- 
ren Behandlung  eine  wichtige  Tbätig- 
keit vorbehalten  ist. 

Nichts  ist  unrichtiger,  als  die  wohl  hier 
und  da  gemachte  Behauptung,  wir  wirkten 
beim  Ileus  nur  palliativ.  Es  ist  ja  sehr 
erfreulich,  dass  wir  solchen  Kranken  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  in  ihrem  fürchter- 
lichen Zustande  Erleichterung  bringen  können. 
Aber  wir  sind  auch  bei  fast  allen 
Formen  direct  im  Stande,  durch  plan- 
mässiges   Vorgehen  curativ  zu  wirken. 

Wir  können  bei  nicht  operirbaren  Fällen 
noch  die  Heilung  fördern  und  bei  solchen, 
welche  zum  operativen  Eingreifen  Anlass 
geben,  vorher  allgemein    und  local   den  Pa- 


200     Curichmann,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nftchiten  Ziele  der  Behandl.  dei  Ileus.        [MooMsh^lte  * 


tienten  so  günstig  beeinflussen,  dass  die 
Aufgabe  des  Chirurgen  dadurch  wesentlich 
erleichtert  wird. 

Eine  besonders  wichtige  Aufgabe,  welche 
der  Natur  der  Verhältnisse  nach  häufiger 
noch  dem  practischen  Arzte  als  dem  Hospital- 
arzte zufallt,  ist  die  sorgfältigste  Beobach- 
tung und  Behandlung  der  Patienten  wäh- 
rend der  Anfangsstadien  des  Leidens. 

Eine  möglichst  frühzeitige  Diagnose  auf 
bestehenden  Yerschluss,^^)  ein  entsprechend 
frühzeitiges  Eingreifen  kann  vielfach  lebens- 
rettend wirken. 

Daher  kommt  es  wiederum,  dass  sorg- 
fältige Aerzte  in  der  Privatpraxis  bessere 
Erfolge  haben,  als  die  Hosspitalärzte,  und 
umgekehrt,  dass  durch  schlechte  Beobach- 
tungen, falsche  Auffassungen  der  initialen 
Zustände  und  dadurch  bedingte  forcirte  un- 
richtige Therapie  selbst  gutartigere  Fälle 
dauernd  verpfuscht  werden. 

Sind  die  Zeichen  des  Ileus  fest- 
gestellt, so  sind  die  Kranken  vom 
ersten  Augenblicke  an  auf  absolute 
Diät  zu  setzen,  in  Einzelfällen  kann, 
während  der  ersten  Tage  höchstens  etwas 
geeiste  Milch  esslöfelweise,  bei  einzelnen 
Patienten  etwas  Champagner  gereicht  werden. 
Es  folgt  eben  aus  der  Betrachtung  der 
durch  die  Occlusion  bedingten  mechanischen 
Verhältnisse,  dass  den  oberhalb  des  Hinder- 
nisses gelegenen  Theilen  des  Darmtractus, 
welche  ihren  Inhalt  ohnedies  nicht  fort- 
zuschaffen vermögen,  durch  Nahrungs- 
zufuhr nicht  neue  Belastung  zu  Theil 
werden  darf.  Eine  reine  Belastung, 
denn  wir  wissen,  dass  die  Verdauungs-  und 
Resorptions  Vorgänge  im  fraglichen  Darm  theil 
von  Anfang  beschränkt  und  bald  fast  gänz- 
lich aufgehoben  werden. 

Gegen  den  Durst,  an  welchem  die  Pa- 
tienten leiden,  kann  man  kleine  Eisstück- 
chen (mit  Cognac  befeuchtet)  nehmen  lassen. 
Manche  fühlen  sich  durch  Zufuhr  kleiner 
Wassermengen  erleichtert;  in  einzelnen  Fälleo, 
namentlich  denjenigen,  wo  Herzschwäche 
und  enormer  Wasserverlust  der  Gewebe  zu 
einem  choleraähnlichen  Allgemein  zu  stände 
geführt  hatten,  habe  ich  von  subcutanen 
Kochsalzinfusionen  Erfolge  gesehen ,  nicht 
allein  in  Bezug  auf  die  subjectiven  Erschei- 
nungen, sondern  auch  in  einer  Vermehrung 
der  Pulsspannung  und  des  allgemeinen  Tur- 
gors.  Ich  möchte  die  Methode  für  geeignete 
Fälle  einer  weiteren  Erprobung  werth  halten. 

Nächst  den  Maassnahmen ,    welche    eine 


*^)  Vergleiche  in  dieser  Beziehung  die  interes- 
santen AusfuhruDgen  von  0.  Rosenbach,  Zar 
Symptomatologie  nnd  Therapie  der  Darminsufficienz. 
Borl.  klin.  Wochenschr.  1889,  No.  13  und  14. 


weitere  Füllung  des  Darmes  verhüten  sollen, 
sind  besonders  wichtig: 

1.  Therapeutische  Bestrebungen  zur  Ver- 
minderung der,  wenigstens  in 
den  ersten  Stadien,  oberhalb  des 
Hindernisses  mächtig  gesteiger- 
ten, zuweilen  krampfhaft  unge- 
ordneten  Peristaltik. 

2.  Maassregeln  zur  Minderung  der 
Ueberfüllung  und  Spannung  des 
Darmrohrs. 

3.  Für  bestimmte  Fälle  gewisse  mecha- 
nische Maassregeln,  welche  eine 
directe  Hebung  des  Verschlusses 
oder  doch  eine  Besserung  der 
bereits  näher  dargelegten  Miss- 
verhältnisse  bezwecken. 

Endlich  können  wir  vorsichtige  Versuche 
machen,  auf  die  unterhalb  des  Hinder- 
nisses gelegenen  Darmabschnitte  Peri- 
staltik erregend  zu  wirken,  um  so 
vielleicht  von  hier  aus  eine  Lösung  des 
Verschlusses  zu  bewirken. 

Wenn  wir  nun  dazu  übergehen,  diesen 
internen  Indicationen  im  Einzelnen  zu  ent- 
sprechen, so  erledigen  wir  am  besten  zuerst 
die  Frage  nach  der  Behandlung  mit  Ab- 
führmitteln. 

Die  Frage  scheint  mir  heute  fast  völlig 
geklärt.  Historisch  kann  man  sagen,  dass 
das  abführende  Verfahren  um  so  ausge- 
dehnter und  energischer  Anwendung  fand, 
je  weniger  die  Natur  und  Entstehungs- 
verhältnisse des  Ileus  durchdacht  waren. 

Ich  glaube,  die  heutigen  Aerzte  werden 
mit  wenigen  Ausnahmen  den  Satz  unter- 
schreiben : 

Sobald  nur  bedründeter  Verdacht 
der  Darmincarceration  besteht  oder 
gar  die  Diagnose  derselben  gemacht 
ist,  absolut  weg  mit  allen  Abführ- 
mitteln! 

Wir  können  mit  denselben  niemals  nützen, 
nur  schaden! 

Wir  wissen,  und  NothnageP®)  hat  dies 
kürzlich  noch  überzeugend  dargethan,  dass 
in  den  ersten  Stadien  der  Darmocclusionen 
eher  verstärkter,  ja  krampfhafter  Modus  pe- 
ristalticus  besteht.  Ihn  durch  Abführmittel 
zu  steigern,  liegt  gewiss  kein  Grund  vor. 
Wir  würden  sogar  den  Eintritt  der  Darm- 
lähmung nur  beschleunigen  und  ferner  fast 
ausnahmslos  noch  dem  den  Darm  abschlies- 
senden *  Mechanismen  zu  Gunsten  arbeiten. 

So  ist  es  ohne  Weiteres  klar,  dass  eine 
Intussusception  bei  Verstärkung  der  Peri- 
staltik sich  vergrössern  muss.    Nicht  weniger 

•*>)  Vortrag  in  der  Wiener  Med.  Gesellschaft. 
Intern.  Klin.  Rundschau,  1889,  No.  11.  Discassion 
ebenda  No.  12. 


^AMm^l       Curschmann,  Der  heutige  Standpunkt  und  die  nftchiten  Ziele  der  Behandl.  dei Ileus.        20 1 


einleuchtend,  dass  durch  sie  bei  bestehenden 
Bing-  oder  Bandincarcerationen  nur  neue 
Darmein schnitte  in  den  einklemmenden  Ring 
faioeingeschoben  werden. 

Auch  bei  vorhandener  Darmknickung  muss 
die  stärker  erregte  Peristaltik  immer  mehr 
flussigen  Darminhalt  und  Gase  in  den  zu- 
fuhrenden Schenkel  bringen.  Die  nothwen- 
dige  Folge  ist  stärkere  Fixining  des  durch 
die  Fullungsdifferenz  beider  Schlingen  be- 
dingten Klappenmechanismus. 

Selbst  bei  bestehendem  YoItuIus  ist  es 
Tiel  wahrscheinlicher,  dass  der  durch  Laxan- 
tia verstärkte  Motus  peristalticus  im  Sinne 
der  verhängnissvollen  Drehung,  als  in  der 
entgegengesetzten  Richtung  wirken  wird. 

Gerade  das  Gegentheil,  eine  fast 
ausnahmslos  günstige  Wirkung  lässt 
sich  vom  Opium  und  seinen  Präpa- 
raten   constatiren. 

Ich  wusste  keinen  Ileusfall,  wo 
ich  es  wagen  möchte,  die  Behandlung 
nicht  mit  der  Darreichung  dieses 
Mittels    zu    beginnen. 

Dies  ist  wohl  auch  der  unter  den  deut- 
schen Aerzten  allgemein  geltende  Grundsatz  ^^). 
Sie  wissen,  die  für  uns  in  Betracht  kom- 
mende Wirkung  des  Opiums  beruht  darin, 
dass  es  wahrscheinlich  durch  Erregung  des 
Hemmungsnerveus  des  Darms  (Nothnagel) 
die  Peristaltik  desselben  beruhigt,  hiermit 
die  Yertheilung  des  Darminhaltes  in  den 
oberhalb  gelegenen  Abschnitten  ausgleicht, 
so  die  ungleich-  und  übermässige  Spannung 
Termindert,  und  hiermit  örtlich  die  den 
Verschluss  begünstigenden  und  befestigenden 
mechanischen  Verhältnisse  herabsetzt.  End- 
lich wird  der  Eintritt  der  hauptsächlich  aus 
übermässiger  Peristaltik  und  Darmwaud- 
spaunung  resultirenden  Darmlähmung,  sowie 
die  reflectorisch  daraus  resultirenden  Herz- 
schwäche verhütet  oder  doch  hinausgescho- 
ben. Vielleicht  sind  die  durch  das  Opium 
ruhig  und  gleichmässig  gewordenen  Darm- 
bewegungen auch  noch  geeigneter,  den  Darm 
aus  seiner  Einklemmung  zu  befreien,  als 
die  stürmischen  ungeordneten. 

Sie  sehen  also  gerade  die  den  Abführ- 
mitteln entgegengesetzte  Wirkung.  In  der- 
selben Richtung  wie  diese  deletär, 
wirkt   das   Opium   günstig. 


*')  Besonders  interessant,  aber  hier  zu  weit 
führend,  ist  die  Betrachtung  der  Geschichte  der 
Opium-Behandlung  des  Ileus,  die,  wie  es  scheint, 
von  England  zu  uns  herübergekommen,  noch  bis  in 
die  neuere  Zeit  heftige  Gegner  fand,  keinen  geringe- 
ren z.  B.  als  Bamberger. 

Besondere  Verdienste  um  die  Einführung  er- 
warben sich  Pfenffer,  und  nach  ihm  Wachs muth 
(Virch.  Arch.,  Bd.  XXIII,  S.  118),  dessen  Arbeit 
zum  Theil  gegen  Bamberger  gerichtet  ist. 


Die  Wirkung  ist  oft  eine  fast  zauber- 
hafte: der  vordem  schmerzgepeinigte  colla- 
birte  Kranke  sieht  wohler  aus,  der  Puls 
hebt  sich,  Erbrechen  uud  Uebelkeit,  Koliken 
lassen  nach,  es  folgt  erquickender  Schlaf. 

Was  die  Darreichung  anlangt,  so  em- 
pfehle ich  mit  den  meisten  Autoren  im  An- 
fang (Stadium  der  erregten  Peristaltik)  das 
Mittel  in  dreisteren  Dosen,  1-  bis  2 stund- 
lich im  Ganzen  0,5  bis  1,0  Opium  purum 
in  24  Stunden.  Abwechselnd  damit  oder 
nebenher  kann  Morphium  angewandt  wer- 
den, am  besten  subcutan.  Wo  das  Opium 
per  OS  nicht  vertragen  wird,  in  Form  von 
entsprechend  starken  Suppositorien. 

In  späteren  Stadien,  bei  drohender  oder 
beginnender  Darmlähmung  empfehle  ich  vor- 
sichtigere Darreichung  oder  selbst  Unter- 
brechung der  Opium-Medication.  Hier  ist 
jeder  Fall  verschieden  und  dem  individuellen 
Ermessen  des  Arztes  die  oft  recht  schwie- 
rige Beurtheilung  überlassen. 

Dem  Opium  zunächst  in  curativer  wie 
palliativer  Beziehung  steht  die  von  Kuss- 
maul**) in  die  Therapie  eingeführte  Sonden- 
entleerung  und  Spülung  des  Magens. 
Sie  ist  ungetheiltem  ürtheil  selbst  aller 
chirurgischen  Beobachter  nach  ein  mächtig 
beruhigendes,  erleichterndes  Mittel.  Sie  ist 
aber  weit  mehr  als  dies,  das  muss  den  Zweif- 
lern an  der  Wirkung  interner  Medication 
gegenüber  aufs  schärfste  betont  werden:  eine 
die  Heilung  fördernde,  die  übrigeBe- 
hahdlung  stark  begünstigende  Me- 
thode. 

Die  palliative  und  die  curative  Wirkung 
der  Methode  liegen  in  einer  Richtung. 

Sie  werden,  m.  H.,  in  Erinnerung  an 
die  Ihnen  unterbreiteten  Mittheilupgen  über 
die  gewaltigen  Druckdifferenzen  in  dem 
oberhalb  und  dem  unterhalb  des  Hinder- 
nisses gelegenen  Darmabschnitt,  in  weiterer 
Erinnerung  daran,  dass  zum  Zustandekommen 
des  Kothbrechens  offenbar  eine  Insufficienz 
des  Pylorus  gehört,  die  Wirkung  der  Aus- 
heberung des  Magens  nicht  allein  in  einer 
Entleerung  dieses  Organs,  sondern  auch  in 
einer  Entleerung  und  Entlastung  der  sich 
anschliessenden  Darmtheile  suchen. 

Man  pumpt  den  Magen  aus  und  in  dem 
Maasse,  wie  man  diesen  entleert,  strömen 
wahrscheinlich  durch  den  geöffneten  Pylorus 
neue  Massen  zu,  die  nun  gleichfalls  abge- 
führt werden. 

Meines  Erachtens  hs^t  Oser^^)  sehr  Recht, 
wenn  er  ein  mechanisch  sehr  günstiges 
Moment  darin  sucht,  dass   beim  Auspumpen 

■•*)  Kussmaul-Cahn.  ßerl.  klin.  Wochenschr. 
1884.  No.  42  und  43. 

»»)  Wiener  med.  Blfttter.     1884.    No.  48. 

26 


20^     Curichm&nB,  Üer  heuHge  Standpunkt  und  die  nächsten  2iele  der  Bebandl.  des  Ileus.        [^onYuheft^^ 

Der  Mechauismus  der  Wirkung  dieser 
Methode  ist  der  der  Magenauspumpiing  au 
die  Seite  zu  stellen. 

Auch  hier  handelt  es  sich  um  einen 
Ausgleich  der  enormen  SpannungsdifFerenz 
der  ober-  und  unterhalb  des  Hindernisses 
gelegenen  Darmpartien,  speciell  um  Min- 
derung des  Meteorismus  des  zufuhrenden 
Darmschlingen-Schenkels  und  der  ihm  näch- 
sten Darmtheile^  Herabsetzung  der  abnormen 
Bauchwand-  und  Zwerchfellspannung  und 
Erniedrigung  des  allgemeinen  intraabdomi- 
nellen Druckes. 

Ganz  wie  nach  der  Magenausspülung 
gewinnen  hierdurch  der  eingeklemmte  Darm- 
theil  und  seine  Nachbarschaft  wieder  grossere 
Excursionsmoglichkeit  und  damit  Gelegen- 
heit zur  Befreiung. 

Die  Methode  ist  natürlich  mit  grosser 
Vorsicht  und  Auswahl  anzuwenden. 

Im  Stadium  der  Darmlähmung,  oder 
wenn  gar  schon  peritonitische  Reizung  oder 
zu  Gangrän  tendirende  Veränderungen  der 
Darmwand  zu  vermuthen  sind,  sollte  man 
von  dem  Verfahren  abstehen. 

In  früheren  Stadien  geeigneter  Fälle  habe 
ich  häufig  schon  durch  eine  Function,  hier 
und  da  auch  durch  mehrfache  Einstiche 
an  verschiedenen  Schlingen  beträcht- 
liche Mengen  von  Gas  stets  unter  sicht- 
licher Erleichterung  der  Patienten  entleeren 
können.  In  3  Fällen  habe  ich  directe 
Heilung  erzielt^). 

Nachtheile    beobachtete     ich    von     dem 


eine  Spannungsverminderung  im  Magen  und 
dadurch  eine  Begünstigung  des  Zuströmens 
des  unter  höherem  Druck  stehenden  Darm- 
inhalts bedingt  wird. 

.  Dass  unter  solchen  Verhältnissen  die 
Uebelkeit,  das  Würgen  und  das  Kothbrechen 
bei  dem  Patienten  sistiren,  stets  also  ein  vor- 
züglicher palliativer  Erfolg  erzielt  werden 
muss,  liegt  auf  der  Hand.  Die  die  Lösung 
des  Hindernisses  begünstigende  Wirkung 
liegt  darin,  dass  Spannung  und  Ueberaus- 
dehnung  des  Darms,  sowie  der  reactive 
Druck  des  Zwerchfells  und  der  Bauch  wand 
durch  die  Entleerung  herabgesetzt  und  so 
dem  incarcerirten  Darmtheil  Gelegenheit  ge- 
boten wird,  sich  aus  einer  Fixirung  zu  be- 
freien, die  vorher  kein  Ausweichen  und  keine 
Bewegung  gestattete. 

Dass  diese  Wirkung  sich,  wenn  vielleicht 
auch  ungleich,  auf  den  ganzen  oberhalb  des 
Hindernisses  gelegenen  Darmabschnitt  er- 
streckt, ist  klar.  Wir  weisen  von  diesem 
Standpunkte  die  Anschauung  von  Hahn  und 
Sonnenburg,^)  die  Magenspülung  sei  haupt- 
sächlich bei  Verschlüssen  im  Colon,  mit  Koth- 
aufhäufung  daselbst  anwendbar,  zurück. 

Ich  möchte  im  Gegcntheil  sagen,  und 
dies  stimmt  gleichfalls  mit  den  von  mir 
entwickelten  Anschauungen,  dass  ich  die 
promptesten  Erfolge  von  der  Sonden- 
entleerung sah  bei  höher  oben,  im 
Dünndarm   gelegenen   Hindernissen. 

Die  ausnahmslos  grosse  Erleichterung, 
welche  die  Magenauspumpung  auch  da,  wo 
sie  die  Lösung  des  Hilidernisses  nicht  zu 
fördern  vermag,  den  Patienten  bringt,  hat 
ihr  von  einigen  Seiten  den  Einwand  ein- 
getragen, sie  maskire  den  wirklichen  Zustand, 
lasse  ihn  besser  erscheinen,  als  er  eigentlich 
sei  und  trage  dadurch  oft  zu  einer  Ver- 
schleppung des  Falles  bei,  bis  über  den  der 
Operation  günstigen  Zeitpunkt  hinaus.  Es  ist 
gewiss  berechtigt,  hierauf  aufmerksam  zu  ma- 
chen und  den.  einzelnen  Fall  in  dieser  Richtung 
kritisch  zu  beobachten.  Der  Methode  an 
sich  kann  daraus  gewiss  kein  Vorwurf  er- 
wachsen. 

Der  Mageuausspülung  reihe  ich  unmittel- 
bar eine  zeitweilig  verlassene,  aber  neuer- 
dings wieder  mit  gutem  Erfolg  von  mir  an- 
gewandte Methode  an:  die  directe  Func- 
tion des  Darms. 

Es  handelt  sich  dabei,  wie  Sie  wissen, 
um  eine  Entleerung  der  Darmgase  aus  den 
überausgedehnten  Darmschlingen  vermittelst 
einer  feinen  Hohlnadel  vom  Caliber  der- 
jenigen einer  Fravaz' sehen  Spritze'^). 

*^)  DiscussioQ  in  der  ßerl.  med.  Ges.  1.  c. 
'*)  Vergl.  Deutsche   Med.    Wochenschr.    1887 
No.  21. 


Nr.  21,  wo  ich  folgende  Schilderung  der  von  mir 
geübten  Methode  gab :  „Was  die  Technik  der  Gas- 
puDction  des  Darmes  betrifft,  so  bin  ich  ein  Gegner 
der  widerwärtigen,  zudem  jede  genaue  Controle 
ausschliessenden  Manier,  die  Gase  durch  die  Hohl- 
nadel einfach  frei  austreten  zu  lassen  und  dui*ch 
die  Bewegung  einer  brennenden  Flamme  oder 
gar  durch  den  Geruchsinn  sich  von  der  Energie 
und  der  Dauer  des  Ausströmens  zu  überzeugen.  Ich 
benutzte  eine  lange  mit  Hahn  versehene  Hohlnadel 
vom  Caliber  derjenigen  der  Pravaz'ßchen  Spritze. 
Die  selbstverständlich  wohl  desinficirte  Nadel  wirtl 
bei  geschlossenem  Hahn  durch  die  Bauchdecken  in 
eine  der  am  stärksten  ausgedehnten,  bei  jedem  ein- 
zelnen Fall  sorgfältigst  auszuwählenden  Dami- 
scblingen  eingestosscn,  dann  mit  einem  Gummi- 
schlauch  in  Verbindung  gesetzt,  und  dieser  in  eine 
mit  Salicylwasser  gefüllte  Flasche  geleitet,  welche 
in  ein  die  gleiche  Flüssigkeit  enthaltendes -Becken 
umgestülpt  ist.  Oeffnet  man  nun  den  Hahn  der 
Canüle,  so  treten  anfangs  in  continuirlichem  Strom, 
später  langsamer  in  grossen  Perlen,  zuletzt  inter- 
roittirend  (während  der  Exspiration  aussetzend)  die 
Darmgase  in  die  Flasche  ein.  Man  kann  so  in  der 
einfachsten  Weise  die  Menge  des  abgelassenen 
Gases  bestimmen,  und  wenn  man  den  Schlauch 
vorher  mit  einem'  Quecksilber -Manometer  in  Ver- 
bindung gebracht  hatte,  auch  den  Spannungsgrad, 
welcher  durch  dasselbe  bedingt  war." 

«*)  Conf.  Deutsch.  Med.  Wochenschr.  87  Nr.  21. 
Nähere  Mittheilung  dieser  Fälle. 


Mftf  l£?^]       Curachmftnn,  Der  beutige  Standpunkt  und  die  nächsten  Ziele  der  Behandl.  des  Ileus.        203 


unter  den  angegebenen  Bedingungen 
angewandten  Verfahren  niemals,  vor  Allem 
nicht  Peritonitis  oder  Perforation. 

Ein  Ansaugen  flüssigen  Darmin- 
haltes durch  dann  noth  wendig  stärkere 
Oanülen  möchte  ich  nicht  für  ungefährlich 
und  durch  die  Magenausspülung  mehr  als 
ersetzt  halten. 

Was  die  lange  so  gd][)räuch liehe  und 
vielfach  variirte  Art  der  Behandlung  des 
Ileus  mit  Klystieren  und  Darmausspülungen 
betrifft,  so  kann  ich  nur  sagen,  dass  ich 
7on  denselben  mehr  und  mehr  zurückge- 
kommen bin. 

Die  ihnen  zugeschriebene  Wirkung  direct 
durch  hydrostatischen  Druck  das 
Hinderniss  zu  lösen,  kann  für  die  meisten 
Fälle,  sicher  für  alle  diejenigen,  wo  das 
Hinderniss  höher  als  die  Bau  hin'  sehe  Klappe 
liegt,  als  illusorisch  bezeichnet  werden.  Selbst 
unter  günstigeren  Verhältnissen,  ganz  gewiss 
aber  nicht  bei  meteoristisch  gespanntem 
Bauch,  gelangen  Darmeinläufe,  und  wären  sie, 
wie  Lebert  wollte,  mit  der  Handfeuerspritze 
applicirt,  über  die  genannte  Stelle  hinaus. 
Statt  dessen  erlebte  man  nicht  selten,  dass 
die  eingefüllte  Flüssigkeitsmenge,  ohne  ihre 
Schuldigkeit  zu  thun,  sich  nicht  wieder  aus 
dem  After  entleerte,-  so  dass  dann  der  be- 
klagenswerthe  Patient  ausser  der  Ueber- 
füllung  der  oberhalb  des  Hindernisses  ge- 
legenen Darmpartien  auch  noch  eine  solche 
der  unterhalb  befindlichen  hatte  und  damit 
ein  neues  Moment  für  die  so  überaus  schäd- 
liche Erhöhung  des  intraabdominellen  Drucks. 

Einige  Male  sah  ich  schon  vorher  ge- 
schwächte Patienten  direct  nach  etwas  um- 
ständlichen länger  dauernden  Einlaufen  ge- 
fahrlich collabiren. 

Aber  auch  da,  wo  es  sich  um  Verlegungen 
im  Dickdarm  handelt,  mache^ich  kaum  mehr 
von  den  Eingiessungen  Gebrauch.  Ich  gebe 
dann  einer  anderen  Methode  den  Vorzug, 
welche  entschieden  wirksamer  und  sicher 
weniger  gefahrlich  für  den  Patienten   ist. 

Es  ist  die  in  früherer  Zeit  schon  öfter 
empfohlene  und  neuerdings  wieder,  besonders 
auch  zu  diagnostischen  Zwecken,  von 
Ziemssen*),  Runeberg**)  u.  A.  geübte 
Lufteinblasung  in  das  Rectum. 

Sie  lässt  sich  ohne  die  geringste  Be- 
helligung des  Patienten,  fast  ohne  ihn  zu 
berühren,  ausführen,  indem  man  mit  einem 
eingelegten  Darmrohr  ein  Spraygebläse  in 
Verbindung    bringt.      Man    kann    den   Luft- 


»)  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Mod.  Bd.  83  S.  235 
(Kohlensäure-Entwickelnng  und  Einblaäuns). 

^  Rnneberg.  Deutsch.  Arch.  für  klin.  Med. 
Bd.  34  S.  460  (Lufteintrichteruog  durch  ein  Spray- 
geblise). 


druck  jederzeit  beliebig  abmessen  und  ver- 
mittelst einer  einfachen  Vorrichtung  die  ein- 
geblasene Luft  leicht  wieder  herauslassen, 
wenn  die  Spannung  derselben  dem  Patienten 
beschwerlich  oder  dem  Arzte  bedenklich  er- 
scheint^'). 

Mechanisch  leistet  das  Verfahren  reich- 
lich dasselbe,  wie  die  forcirtesten  Wasser- 
einläufe. 

Ich  habe  in  einigen  Fällen,  wo  der  Sitz 
der  Occlusion  im  Dickdarm  lag,  durch 
dasselbe  rasch  und  dauernd  die  Lösung 
erreicht.  Bei  einer  Patientin,  wo  eine  durch 
einen  malignen  Tumor  des  Quercolon  be- 
dingte Stenose  sich  zeitw^eilig  zu  einem 
völligen  Verschluss  gestaltete  (Knickung?), 
wurde  jedesmal,  wenigstens  für  eine  gewisse 
Zeit,  Durchgängigkeit  durch  die  Luftein- 
biasung  erzielt'^).  Ich  kann  das  Verfahren 
somit,  bei  passenden  Fällen  angewandt,  als 
rationell  und  wirksam  empfehlen.  Dazu  darf 
ich  sagen,  dass  dasselbe,  vorsichtig  und  bei 
passenden  Fällen  ausgeführt,  mir  völlig  un- 
gefährlich erscheint. 

Dass  man  bei  bestehender  Peritonitis, 
bei  Zuständen,  welche  abnorme  Brüchigkeit 
der  Darmwand  oder  Ulceration  derselben 
vermuthen  lassen,  von  dem  Verfahren  abstehen 
wird,  ist  selbstverständlich. 

Ich  weiss  wohl,  meine  Herren,  dass  noch 
eine  ganze  Reihe  anderer  mehr  oder  weniger 
wichtiger  Maassnahmeu  für  die  Behandlung 
des  Ileus  empfohlen  sind,  aber  ich  habe  Ihre 
Geduld  schon  so  lange  in  Anspruch  ge- 
nommen, dass  ich  nicht  weiter  an  dieselbe 
appelliren  darf.  Vielleicht  wird  mir  Ge- 
legenheit gegeben,  über  das  eine  oder  andere 
von  mir  nicht  Erwähnte  bei  der  Discussion 
mich  auszusprechen.  — 


Ueber  die  Erfolge  der  neuesten  Behand- 
lungsmethoden der  Kehlkopftuberciilose. 

(Vortrag,    gehalten  auf  dem   Congresse  für  innere 

Medicin,  April  1889.) 

Von 

Prof.  Dr.  H.  Krause  in  Berlin. 

M.  H.!  In  dem  Vortrage,  welchen  Dett- 
weiler  über  die  Therapie  der  Phthisis  auf 
einem  der  letzten  dieser  Congresse  für  innere 


'')  Vergl.  die  Beschreibung  des  von  mir  geüb- 
ten Verfahrens  Deutsche  Med.  Wochenschr.  1887 
No.  21. 

»8)  VergL  dieses  und  einiges  anderer  Fälle 
deutsche  medic.  Wochenschr.  1.  c. 

26* 


204 


Krause,  firfolf«  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Rehlkopftubereulose.        LHomu^eft«  * 


Medicin  gehalten  hat,  entwickelte  der  auf 
diesem  Gebiete  wie  wenige  erfahrene  und 
selbstthätige  Verfasser  seine  Meinung  über 
locale  Behandlung  der  Phthise  ungefähr  in 
folgenden  Sätzen:  Den  Behandlungsmethoden 
aller  Zeiten,  der  ältesten  und  der  jüngsten, 
ist  das  Bestreben  .  gemeinsam,  das  locale 
Leiden  dadurch  zu  heilen,  dass  man  den 
Kranken  unter  gunstigere  klimatische  Ver- 
hältnisse zu  setzen  und  seine  Constitution 
durch  eingreifende  hygienisch  -  diätetische 
Massnahmen  zu  heben  versucht.  Alle  Ver- 
suche, zu  einer  specifischen,  radicalen  Thera- 
pie zu  gelangen,  sind  bis  jetzt  gescheitert, 
die  immer  von  Neuem  vorgeschlagenen,  oft 
mit  Enthusiasmus  aufgenommenen  medicamen- 
tösen,  local  therapeutischen,  selbst  chirur- 
gischen Eingriffe  erwiesen  sich  als  machtlos, 
sie   hatten   und   haben   nur  symptomatischen 

Werth Wir  können  es  nicht  leugnen, 

unsere  Behandlung  ist  im  Wesentlichen  noch 
eine  expectativ  -  symptomatische  Gesammt- 
therapie. 

Bei  der  Vielseitigkeit  und  Kühnheit  der 
Mittel,  mit  welchen  augenblicklich  auf  fast 
allen  Gebieten  der  Kampf  gegen  die  Tuber- 
culose  aufgenommen  wird,  werden  diese 
Worte  Manchem  den  Eindruck  machen,  als 
verhielten  sie  sich  zu  ablehnend  gegen 
manches  gute  und  erprobte  Neue.  Doch 
wird  man  Dettweiler  einräumen  müssen, 
dass  er  den  augenblicklichen  Standpunkt 
der  Therapie  der  Lungenphthisis,  welche 
nicht  zum  wenigsten  durch  seine  Bestrebun- 
gen eine  klare,  zielbewusste  Kichtung  ge- 
nommen hat,  im  Wesentlichen  zutreffend 
schildert,  wenn  auch  unsere  Kenntniss  von 
den  hygienischen  Lebensbedingungen,  sowie 
der  gerade  für  den  Phthisiker  unschätzbaren 
rationellen  Ernährungstherapie  durch  neuere 
Untersuchungen  eine  vollkommenere  geworden 
ist.  In  medicamentöser  Beziehung  wird  man 
zugestehen  müssen,  dass  in  dem  bislang  nur 
auf  empirischer  Basis  angewandten  Kreosot 
ein  oft  vorzüglich  wirkendes  Mittel  ge- 
wonnen ist,  ohne  dass  ich  des  Weiteren 
mehr  als  nur  beiläufig  der  Einathmungen 
von  heisser  Luft  und  der  von  Landerer 
neuestens  angewandten  und  empfohlenen 
parenchymatösen  Injectionen  und  venösen 
Infusionen  von  Perubalsam  erwähnen  will, 
diö  einen  verwerthbaren  und  nachahmen s- 
werthen  Fingerzeig  für  weitere  Versuche  in 
dieser  Kichtung  bieten. 

Wesentlich  anders  gestaltet  sich  die  mo- 
derne Phthisiotherapie  des  Kehlkopfes.  Bei 
dem  nahen  Zusammenhange  und  der  Häufig- 
keit des  gleichzeitigen  Vorkommens  der 
Lungen-  und  Kehlkopftuberculose,  bei  der 
oft    erkannten  Wichtigkeit    der    laryngosko- 


pischen    Untersuchung    für     die     frühzeitige 

Erkennung  der   bestehenden  Tuberculose 

in  Fällen,  wo  die  physikalische  und  die 
Sputumuntersuchung  im  Stiche  lassen  — 
habe  ich  es  im  Einverständnisse  mit  Ihrem 
Vorstande  nicht  für  überflüssig  gehalten,  Ihr 
Augenmerk  auf  die  neuerdings  gewonnenen 
Fortschritte  in  der  Behandlung  der  Kehl- 
kopftuberculose '  zu  lenken.  Indem  ich  hier- 
bei beabsichtige,  im  Wesentlichen  auf  die 
chirurgische  Therapie  dieser  Krankheit  ein- 
zugehen, möchte  ich  von  vornherein  dem 
Glauben  an  die  Fremdartigkeit  eines  solchen 
Vorgehens  dadurch  den  Boden  entziehen, 
dass  ich  darauf  hinweise,  wie  der  Kehlkopf 
in  Folge  der  mittelbaren  Beobachtung  durch 
unser  Auge  in  die  Reihe  der  dem  Chirurgen 
direct  zugänglichen  Organe  gerückt  ist.  Er 
unterliegt  somit,  abgesehen  von  seiner  Lage, 
seinen  constituirenden  Gewebselementen  und 
gewissen  Schwierigkeiten  bei  den  endolaryn- 
gealen  Operationen,  denselben  Bedingungen 
für  therapeutische  Eingriffe  wie  die  äussere 
Haut.  Sowie  für  die  letztere  ist  auch  für 
den  Kehlkopf  die  Absicht  zulässig,  dem 
tuberculösen  Processe  durch  blutige  Ein- 
griffe Einhalt  zu  thun.  Der  Einwand,  der 
heutzutage  erhoben  werden  könnte,  dass  der 
Kehlkopf  antiseptischer  Wundbehandlung 
nicht  unterzogen  werden  kann,  erledigt  sich 
durch  die  Thatsache,  dass  Schleimhaut- 
wunden auch  ohnedies  auffallend  gut  ver- 
heilen. 

Die  Bestrebungen  eines  energischeren 
Vorgehens  gegen  die  Kehlkopftuberculose 
gehören  dem  letzten  Jahrzehnt  an.  Ob- 
gleich schon  in  die  ersten  Jahre  nach  Ein- 
führung des  Laryngoskops  die  erfolgreichen 
Bemühungen  von  Bruns,  Türck,  Stoerk 
u.  A.,  den  Kehlkopf  nicht  blos  dem  Pulver- 
bläser und  dem  Pinsel,  sondern  auch  dem 
Messer  zugänglich  zu  machen,  fallen,  sind 
die  Versuche,  den  tuberculösen  Krankheits- 
erscheinungen in  diesem  Organe  mit  etwas 
energischeren  Mitteln  beizukommen,  äusserst 
schüchterne  geblieben.  Man  überliess  die 
Kranken  ihrem  trostlosen  Schicksal  und  das 
Morphium  war  und  blieb  das  ultimum  re- 
fugium  gegen  die  Schmerzen,  Schlingbe- 
schwerden und  Inanitionserscheinungen,  die 
den  Verlauf  des  Leidens  begleiten.  Der 
erste  Schritt,  dasselbe  durch  Scarification 
und  Entspannungsschnitte  in  die  prallen  In- 
filtrate und  Oedeme  erträglicher  zu  machen, 
ging  von  Moritz  Schmidt  i.  J.  1880  aus. 
Seine  Vorschläge  blieben  indessen  zunächst 
fast  völlig  unbeachtet;  im  Jahre  1885  habe 
ich  mich  der  von  Schmidt  vorgeschlageneu 
Eingriffe  mit  Vortheil  bedient.  Es  folgte 
die    therapeutische    Verwendung    des    Jodo- 


in.  Jahrg«ng.l 
Kai  1889.    J 


Krause,  Erfolge  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopflubereulose. 


205 


forms,  welches  B.  Fraenkel  zuerst  io  aus- 
gedehntem Maasstabe  versuchte.  Dem 
Mittel  wurden  analgesirende  Wirkung,  Rei- 
nigung des  Geschwürgrundes,  Verlangsamung 
des  Fortschreitens  des  Processes  nachge- 
rühmt, Vernarbungen  waren  selten.  Nicht 
besser  waren  die  Resultate  der  Borsäure  und 
ähnlicher  Mittel. 

Befriedigender  waren-  die  Ergebnisse  der 
Milchsäurebehandlung,  welche  ich  auf  Grund 
einer  grosseren  Reihe  Ton  Beobachtungen 
i.  J.  1885  und  später  veröffentlicht  habe. 
Ohne  nach  den  zahlreichen  Publicationen 
über  die  günstigen  Resultate  dieser  Behand- 
lungsmethode und  besonders  nach  den  im 
Seperatabdrucke  erschienenen  Verhandlungen 
der  lary ngologischen  Section  der  59.  Natur- 
forscher-Versammlung hier  weiter  auf  diesen 
Gegenstand  eingehen  zu  wollen,  möchte  ich, 
gewissermassen  als  Erklärung  der  guten 
Resultate,  nur  darauf  hinweisen,  dass  ich 
glaube  dieselben  hauptsächlich,  vielleicht 
ausschliesslich  dadurch  erreicht  zu  haben, 
dass  ich  eine  intensivere  Contactwirkung  des 
Mittels  auf  die  Geschwüre  von  vornherein 
erstrebt  und  durchgeführt  habe.  Nachdem 
von  Mo  setig,  auf  dessen  Empfehlung  der 
Milchsäure  gegen  Lupus  ich  die  Hoffnung 
auf  die  Wirksamkeit  des  Mittels  gegen  den 
verwandten  tuberculösen  Process  der  Schleim- 
haut stützte,  mitgetheilt  hatte,  dass  nur 
eine  längere  Zeit  im  Contacte  mit  den  Lu- 
pusgeschwüren bleibende  Milchsäurepaste  eine 
genügende  Wirkung  in  die  Tiefe  zeigt,  war 
es  einleuchtend,  dass  die  gleiche  Wirkung 
im  Kehlkopf,  wenn  überhaupt,  nur  durch 
eine  energische  Einreibung  des  Mittels  in 
die  kranke  Schleimhaut  erreicht  werden 
könne.  Diese  Voraussetzung  erwies  sich  als 
zutreffend.  Leider  bietet  sich  oft  genug 
Gelegenheit  wahrzunehmen,  dass  diese  Grund- 
bedingung für  die  erfolgreiche  Anwendung 
der  Säure  vernachlässigt  wird.  Es  ist  vor- 
gekommen, dass  die  Säure  in  50procentiger 
Lösung  in  Kehlkopf  und  Trachea  einge- 
spritzt wurde  und  der  Patient  mehrere  Tage 
lang  unter  heftigen  Schmerzen  croupartige 
Membranen  aushustete. 

Was  die  auch  jetzt  noch  hier  und 
da  von  den  Gegnern  der  Milchsäure  gegen 
die  letztere  angeführten  Klagen  über  die 
Schmerzhaftigkeit  derselben  betrifft,  so  kann 
ich  dieselben  nicht  mit  Stillschweigen 
übergehen,  weil  sie  geeignet  sind,  das  all- 
gemeine ürtheil  über  das  Mittel  ungünstig 
zu  beeinflussen.  Ich  habe  die  Schmerz- 
haftigkeit der  Milchsäure,  wenn  dieselbe  in 
frische  ülcerationsflächen  ohne  Cocain  ein- 
gerieben wird,  nie  geleugnet,  sondern  sie 
schon    in    meiner    ersten    Publication    aus- 


drucklich erwähnt  und  besprochen.  Es  ist 
dieselbe  Schmerzempfindung,  die  immer  ein- 
tritt, wenn  ein  Aetzmittel  auf  eine  Geschwürs- 
fläche aufgetragen  wird.  Aber  es  ist  auch 
eine  weitere  altbekannte  Thatsache,  dass, 
wenn  sich  ein  Geschwür  mit  Schorf  bedeckt, 
die  Schmerzen  in  der  Wundfläche  und  in 
der  Umgebung  derselben  nachlassen.  So  ist 
es  auch  bei  der  Milchsäure.  Den  ersten 
Schmerzen  nach  der  Verreibung  der  Säure 
folgt  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  sehr  bald, 
meist  schon  am  nächsten  Tage,  ein  fühl- 
bares und  von  den  Kranken  rühmend  mit- 
getheiltes  Nachlassen  der  Schluckbeschwer- 
den. Indessen  werden  dem  Kranken  nicht 
selten  auch  unnöthige,  bei  einiger  Vor- 
sicht leicht  zu  vermeidende  Schmerzen  be- 
reitet, und  zwar  ist  dies  der  Fall,  wenn 
der  Arzt  von  vornherein  zu  starke  Lösungen 
verwendet  oder  unvermittelt  zu  den  stärksten 
aufsteigt  oder  dieselben  zu  stark  verreibt. 
In  dieser  Beziehung  kann  ich  immer  nur 
wiederholt  empfehlen,  entsprechend  dem 
Kräftezustand  und  der  Toleranz  des  ein- 
zelnen Patienten  die  Stärke  der  Lösungen 
und  die  Kraft  der  Verreibung  aufmerksam 
zu  dosiren,  wie  ich  oft  genug  selbst  bei 
empfindlichen  Kranken  mit  10 — löprocent. 
Lösungen  unter  Anwendung  von  Cocain  be- 
gonnen habe.  Die  stärksten  Lösungen  habe 
ich  seit  längerer  Zeit  kaum  je  höh  er  als 
auf  50®/o  gesteigert. 

Meine  Erfahrungen  über  die  Milchsäure 
sind  bei  nunmehr  4jährigem  Gebrauche  der- 
selben die  gleichen  geblieben,  wie  ich  sie 
in  meinen  ersten  Arbeiten  mitgetheilt  habe. 
Wie  es  einerseits  Fälle  gibt,  in  denen  kein 
Mittel  mehr,  oder  die  Milchsäure  allein 
nicht  genügend  wirkt,  so  ist  es  andererseits 
doch  die  Mehrzahl  der  schweren  Larynx- 
phthisen,  in  denen  die  Säure  recht  befrie- 
digende Resultate  erzielen  lässt.  In  ein- 
zelnen Fällen  ist  die  Wirkung  zuweilen  eine 
überraschende.  So  wurde  in  meiner  Poli- 
klinik ein  junger  Mann  beobachtet,  welcher 
viele  Wochen  hindurch  wegen  einer  hart- 
näckigen diffusen  Laryngitis,  bei  welcher 
allein  eine  leistenartige  Verdickung  der  hin- 
teren Wand  verdächtig  erschien,  mit  den 
üblichen  Mitteln,  arg.  nitr.,  Jod.  etc.  ver- 
geblich behandelt  wurde.  Die  Untersuchung 
der  Lungen  und  Sputa  war  negativ.  Das 
Leiden  besserte  sich  in  keiner  Weise.  Im 
Gegentheil,  die  Schwellung  der  Schleimhaut, 
die  Verdickung  der  hinteren  Wand  nahmen 
zu,  die  Heiserkeit  ging  in  Aphonie  über. 
Als  nun  die  Leiste  in  der  Pars  interarytae- 
noidea  oberflächliche  Erosionen  zu  zeigen 
begann,  da  mussten  die  bisherigen  Zweifel 
an  der  tuberculösen  Natur  des  Leidens  trotz 


206 


Krause,  Erfolge  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Keblkopftuberculose.        PMn'^t^häi^^ 


L  Monatsheft«. 


des  andauernd  negativen  Befundes  in  Lungen 
und  Sputi%  schwinden  und  es  wurde  Milch- 
säure angewandt.     Schon  in  den. ersten  Ta- 
gen   darauf    benarbten    sich    die   Erosionen, 
die    geschwollene   Schleimhaut    begann    sich 
zur  Norm  zuruckzubilden,    die   Stimme  bes- 
serte sich,    und    nach   drei  Wochen  war  die 
verdickte    Leiste    beseitigt,    die    Laryngitis 
geheilt.     In  solchen  Fällen,  deren   Zahl  bei 
der   gewöhnlich   aus   den    manifesten    Symp- 
tomen  leicht    zu   stellenden   Diagnose    keine 
erhebliche   ist,    kann    die    Milchsäure   durch 
ihre  Wirkung  die  Bedeutung  eines  die  zwei- 
felhafte  Diagnose    unterstützenden   Moments 
gewinnen.      Unter   der   Zahl    der  mit  Milch- 
säure   behandelten    und   geheilten   Patienten 
befinden  sich  solche,  bei  denen  die  Heilung 
länger  als  zwei  Jahre   angedauert  hat.     Bei 
zwei  Patienten,  welche  schwere,  tiefgreifende 
Geschwüre   im   Kehlkopf  zeigten,    sind   erst 
nach   mehr   als    zwei    Jahren    Recidive    auf- 
getreten,   welche    operative    Eingriffe    noth- 
wendig    machten.      Selbst    gegen    die    Pha- 
rynxtuberculose,    eine    Localisation,    welche 
wie    Isambert    schreibt,    den    Tod    wenige 
Wochen     nach     ihrem    Auftreten     erwarten 
lässt,    hat   sich   die   Milchsäure   mächtig  er- 
wiesen,   so   dass   es   möglich  war,   in  einem 
Falle  diese  AflFection   ohne   Recidiv  bis  zum 
Tode,    der   sechs   Monate   später   durch   das 
Lun^ren leiden  herbeigeführt  wurde,  zu  heilen. 
Nur  gegen  diejenigen  Infiltrate,  welche  ent- 
weder   nicht    mit   Geschwüren   in    unmittel- 
barem Zusammenhange   stehen   oder  eine  zu 
grosse   Ausdehnung    haben,    ist    mit    Milch- 
säure allein   nichts   auszurichten.     Der  Ver- 
such,   der   Säure   durch   die    von    Schmidt 
zuerst  empfohlenen  Scarificationen  einen  Weg 
in  die  Tiefe  zu  bahnen,  erwies  sich  als  un- 
zulänglich, weil  die  Schnitte  sehr  bald  wie- 
der verkleben  und  keine  genügende  Flächen- 
ausdehnung   haben.      Von    anderen   Mitteln, 
welche    in    neuerer   Zeit  empfohlen    werden 
und    mehr    oder   weniger    ausgebreitete   An- 
wendung finden,  sind  hier  noch  zu  erwähnen: 
das  Menthol  (Rosenberg),    das   Jodol  (Lub- 
linski)  und  die  Tracheotomie  (M.  Schmidt). 
Die    beiden   ersteren    haben    eine   Reihe  von 
Anhängern  gefunden,  namentlich  unter  Den- 
jenigen, welche  aus  irgend  welchen  Gründen 
ein    eingreifenderes   Verfahren  zurückweisen. 
Mir   selbst    sind    die    günstigen    Wirkungen 
beider  Mittel,  besonders   in  leichten  Fällen, 
bekannt,     sowohl     nach    den     Mittheilungen 
Anderer    als     auch    aus    eigenen   Versuchen. 
Sie   haben   indessen   nur  eine  auf  der  Ober- 
fläche bleibende  Wirkung,  die  bei  dem  Men- 
thol vielleicht  zu  einer  intensiveren  gemacht 
werden  könnte,  wenn  man  auch  dieses  Mit- 
tel in  die  Geschwüre  verriebe.    Die  Tracheo- 


tomie, deren  Ausführung  nicht  bloss  bei 
Dyspnoe,  sondern  auch  bei  schweren  und 
rasch  voranschreitenden  Processen  und  bei 
gleichzeitig  vorhandenem  Schluckweh  von 
M.  Schmidt  empfohlen  wurde,  ist  bisher, 
wenn  man  aus  den  wenig  zahlreichen  Ver- 
öffentlichungen darüber  einen  Schluss  ziehen 
darf,  in  Fällen  ohne  Dyspnoe  von  Anderen 
als  dem  Autor  noch  wenig  geübt  worden. 
Ich  selbst  habe  sie  fünf  Mal  ausgeführt,  in 
zwei  Fällen  ohne  Vorhandensein  von  Dys- 
pnoe. Mein  Urtheil  über  dieselbe  ist  nach 
den  hierbei  gewonnenen  Erfahrungen  kein 
ungünstiges.  Die  Tracheotomie  ist  in  der 
That  durch  Ruhigstellung  des  Organs  und 
Ableitung  des  Lufbstroms  in  eine  andere 
Bahn  im  Stande,  den  Process  zum  Still- 
stand, ja  zur  Heilung  zu  bringen.  Es  ist 
hierbei  zuweilen  in  hohem  Grade  auffallend, 
wie  selbst  ausgebreitete  Infiltrate  schnell 
zur  Abschwellung  und  Resorption  gelangen 
und  die  Geschwüre  vernarben.  Eine  der 
ersten  Bedingungen  zur  Erreichung  dieses 
Zieles  ist  jedoch,  was  auch  Schmidt  schon 
erwähnt,  das  Fehlen  weit  vorgeschrittener 
Lungenprocesse ,  bei  deren  Vorhandensein 
wir  durch  die  Tracheotomie  —  mir  ist  ein 
solcher  Fall  in  Erinnerung  —  in  Folge  der 
heftig  gesteigerten  Secretion  die  Qualen  des 
Patienten  ins  üngemessene  steigern.  Leider 
eröffnen  wir  durch  die  Anlegung  der  Tracheai- 
fistel  der  Ausbreitung  des  Lungenprocesses 
andererseits  Thür  und  Thor,  und  sind  ge- 
wiss nur  in  seltenen  Fällen  im  Stande  bei 
günstigstem  Verlaufe  die  Canüle  wieder  zu 
entfernen,  ein  Umstand,  welcher  doch  zu 
Bedenken  Anlass  giebt.  Neuerdings  hat 
M.  Schmidt,  wie  er  mir  schreibt,  bei 
Phthisikern  keine  Tracheotomien  mehr  ge- 
macht, weil  er  sie  in  allen  Fällen  mit  Cu- 
rette  und  Milchsäure  umgehen  konnte,  bei 
mehreren  nicht  Dyspnoeischen  wurde  die 
vorgeschlagene  Operation  abgelehnt.  Von 
seinen  5  durch  die  Tracheotomie  Geheilten 
leben  noch  4,  3  von  diesen,  vor  4  resp. 
47i  Jahren  operirt,  relativ  wohl.  Bei  dem 
vierten  blieb  der  Kehlkopf  geheilt,  während 
der  Lungenprocess  fortschritt.  Der  fünfte 
starb  an  Inanition. 

Ich  komme  nunmehr  zum  Curettement 
des  Larynx.  Wie  ich  schon  angedeutet 
habe,  stellte  sich  bald  nach  Auffindung 
eines  ii^irksamen  Mittels  gegen  die  Ge- 
schwüre das  naheliegende  Bedürfniss  ein, 
nicht  blos  den  schon  vollendeten  Defect  zur 
Vemarbung  zu  bringen,  sondern  auch  die  in 
die  Tiefe  greifenden  Gewebseinlagerungen, 
aus  denen  allmählich  die  Zerstörung  des 
Gewebes,  das  Geschwür,  entsteht,  und  weiter 
das  wuchernde  Geschwür  anzugreifen.    Hier- 


in.  Jahrirang'l 
Mal  1889.    J 


Krause,  Erfolge  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopftuberculose. 


207 


zu  genügten  nicht  immer  die  Mittel,  welche 
uns  ia  dem  Aetzmittel  und  den  Seh mid ti- 
schen   Scarificationen     zu    Gebote     standen. 
Erst  durch  das  von  Heryng    erprobte   und 
erapfohleue  Verfahren,    die    geschwürig    zer- 
fallene  und   wuchernde  Kehlkopfschleimhaut 
auszuschaben,    die  Infiltrate  mit  der  Curette 
zu    zerschneiden    und    zu   entfernen    und  so 
einen  gesunden  Geschwürsgrund,  zu  schaffen, 
der    durch   Milchsäure    zur   Vernarbung    ge- 
bracht werden  kann,    ist  m.  E.    auf  diesem 
Gebiete     der     grosste    und     ^eitesttragende 
Fortschritt    gemacht    worden.      Die    Ueber- 
tragung   dieses  chirurgischen  Eingreifens  auf 
den  Kehlkopf  ist  einer  der  kühnsten  und  er- 
folgreichsten    Schritte    gewesen,     welche    in 
der  endolaryngealen  Therapie  überhaupt  ge- 
macht   worden    sind.     Dabei    kam   Heryng 
allerdings  der  umstand  zu  Statten,    dass  er 
seine     Beobachtungen    und    Untersuchungen 
in  einem  seiner  Leitung  unterstellten  Hospi- 
tal   machen    konnte,    ein   Vortheil,    welcher 
bei    uns    bislang    noch    immer   ein   frommer 
Wunsch  war,  und  dessen  Mangel  neuerdings 
auch  Ton  Gouguenheim  und  Beschorner 
betont,    wohl   die  Hauptschuld    daran  trägt, 
dass   das  Heryng 'sehe  Verfahren  sich  noch 
so    wenig    eingebürgert    hat.     Es    sind    nur 
einige  eine  massige  Zahl  von  Fällen  umfas- 
sende   Berichte   von    Sokolowski,    Oltus- 
zewski,     Beschorner,    Gleitsmann   und 
Keimer  erschienen,    von    welchen    letzterer 
besonders    sich    sehr  rühmend  über  die  Er- 
folge dieser  Methode  ausspricht.     Ich  selbst 
übe  dieselbe  seit  nunmehr  3  Jahren,    nach- 
dem mir  Heryng  bereits  vor  der  Veröffent- 
lichung    derselben     mündlich     ausreichende 
Informationen  darüber  gegeben  hatte.    Wenn 
ich  erst  jetzt,  nachdem  ich  schon  früher  das 
Vorgehen  Heryng' s  in  Versammlungen  und 
Discussionen  habe  empfehlen  können,  meine 
Resultate  mittheile,  so  geschieht  dies  einer- 
seits, weil  ich  es  für  wichtig  hielt,  erst  die 
Summe  der  Erfahrungen  eines  grösseren  Zeit- 
abschnittes   zu    sammeln     und    andererseits, 
weil    dieselben    sich    in    dem   letzten  Halb- 
jahre, seitdem  ich  meine  schweren  Patienten 
unter    klinischer  Beobachtung    halten    kann, 
noch  wesentlich    günstiger  als  zuvor  gestal- 
tet haben.     Bevor  ich    auf  das  Curettement 
selbst    eingehe,     ist    es    vielleicht    von    In- 
teresse   zu    erfahren,    wie    sich   unter    einer 
grösseren  Zahl  von  Hals-  und  Nasenkranken 
meiner  Poliklinik,    welche    dieselbe    in   den 
Jahren  1886  — 1888  incl.  frequentirten,    das 
Verhältniss   der  Larynxphthisiker  überhaupt 
erweist.      Ich  werde  hierbei  leichte  Formen, 
,  d.  h.    Paresen    und    katarrhalische    Erschei- 
nungen auf  anämischer  Schleimhaut  bei  aus- 
gesprochener Lungentuberculose,  und  schwere 


Formen,  d.  h.  Erosionen,  Geschwüre  und 
Infiltrate  unterscheiden.  Hiernach  fanden 
sich  im  Jahre  1885  unter  607  Patienten 
40  leichte  und  25  schwere,  im  Ganzen 
65  Fälle,  in  1886  unter  986  Patienten  46 
leichte  und  67  schwere,  im  Ganzen  113,  in 

1887  unter  1363  Patienten  65  leichte  und 
84  schwere,  im  Ganzen  149,  in  1888  unter 
2285  Patienten  127  leichte  und  113  schwere, 
im  Ganzen  240  Fälle.  Das  Verhältniss, 
wie  Sie  sehen,  ein  annähernd  constantes 
stellt  sich  auf  ungefähr  1 1  ®/o  aller  Kranken, 
und  würde  noch  grösser,  wenn  nur  die 
Kehlkopfkranken  in  Anschlag  gebracht 
würden.  Die  schweren  Fälle  umfassen  ins- 
gesammt  die  Zahl  von  289;  hiervon  sind 
dem  Curettement    bis    zu   Ende   des   Jahres 

1888  unterworfen  worden  58  Kranke,  wozu 
aus  der  Privatpraxis  noch  13  Fälle  hinzu- 
kommen, was  zusammen  71  Fälle  beträgt. 
Diese  Zahl  deckt  indessen  nicht  ganz  die- 
jenige der  wirklich  curettirten  Fälle,  weil 
ich  hier  10—12  Fälle  nicht  mitrechne,  über 
die  ich  keine  ausreichende  Gewissheit  hin- 
sichtlich des  Verlaufes  während  der  Zeit 
der  Behandlung  erlangen  konnte.  Eine 
demnächst  erscheinende  ausführliche  Arbeit 
meines  Assistenten,  Dr.  Friedländer,  wird 
genauere  Zahlenangaben  und  Krankenge- 
schichten enthalten.  Von  den  71  Kranken 
sind  geheilt  resp.  wesentlich  gebessert  und 
frei  von  Beschwerden  entlassen  43,  wobei 
sich  die  Zahlen  der  poliklinischen  Patienten 
wesentlich  von  denen  der  Privatkranken  un- 
terscheiden. Bei  den  ersteren  kommen  auf 
58  Fälle  32  geheilt  resp.  wesentlich  gebes- 
sert Entlassene,  bei  den  letzteren  auf 
13  Fälle  11  geheilt  resp.  gebessert  Entlas- 
sene. (Ich  will  gleich  hier  bemerken,  dass 
diese  Heilungen  nicht  immer  durchaus  in 
anatomischem  Sinne  aufzufassen  sind.  Wie- 
derholte Sectionsbefunde  haben  mich  gelehrt, 
dass.  selbst  in  solchen  Fällen,  wo  die  laryn- 
goscopische  Untersuchung  alles  Sichtbare 
vernarbt  zeigt,  sich  an  schwer  erreichbaren 
Stellen,  wie  dem  Sinus  Morgagni  oder  dem 
unteren  Kehlkopfraum  noch  unbenarbte  Ge- 
schwüre finden  können.  Es  ist  einleuchtend, 
dass  an  solchen  unvollkommenen  Heilungen 
nicht  die  Behandlungsmethode,  sondern  die 
natürliche  Unvollkommenheit  der  endolaryn- 
gealen Operationen  überhaupt  die  Schuld 
trägt.)  Von  den  43  geheilt  oder  gebessert 
Entlassenen  sind  augenblicklich  am  Leben 
und  bis  jetzt  in  dem  Zustande  wie  bei  der 
Entlassung  geblieben  28,  gestorben  sind  7, 
aber  keiner  an  den  Folgen  der  Larynx- 
tuberculose,  das  Schicksal  von  8  ist  un- 
gewiss, eingeheilt  gestorben  sind  8,  un- 
geheilt  fortgeblieben   sind  8,   ungeheiit  und 


208 


Krause,  Erfolge  der  neueiten  Behandlungamethoden  der  KehlkopHuberculoae.       LMoniSe^* 


noch  in  Behandlung  sind  12.  Yon  den 
71  Kranken  sind  unter  Beobachtung  seit 
2\'3  resp.  3  Jahren  6,  seit  2^4  Jahren  2, 
seit  2  Jahren  4,  seit  l^a — 1^/*  Jahren  8, 
seit  1  Jahr  5,  die  anderen  weniger  als 
1  Jahr,  aber  nicht  weniger  als  4  Monate. 
Ohne  Recidive  —  soweit  dies  bis  jetzt  fest- 
gestellt werden  konnte  —  sind  16  geblie- 
ben, von  Recidiven  befallen  16, 

Das  Heryng'sche  Verfahren  ist  Yor- 
nehmlich  angezeigt  bei  dem  Bestehen  stark 
wuchernder  Geschwüre  und  ausgedehnter 
Infiltrate.  Was  die  gebotene  Ausdehnung 
des  Verfahrens  betrifft,  so  muss  hervor- 
gehoben werden,  dass  nicht  ein  oberflächliches 
Abschaben,  sondern  nur  eine  möglichst  aus- 
giebige Excision  der  inflltrirten  oder 
wuchernden  Partien  Aussicht  auf  Erfolg 
gewähren  kann.  Besonders  häufig  sind  die 
Tuberkelablagerungen  der  hinteren  Wand, 
der  Pars  interarytaenoidea  des  Kehlkopfes; 
sie  kommen  oft  ganz  isolirt,  auch  in  Form 
ziemlich  scharf  aus  der  Fläche  sich  erhebender 
runder  oder  zerklüfteter  Tumoren  vor.  Aber 
auch  jede  andere  Partie  der  Schleimhaut 
kann  von  diffusen  oder  ci reu m Scripten  Tuber- 
keleinlagerungen befallen  werden.  Der  Be- 
handlung am  schwersten  zugänglich  und  für 
die  Prognose  am  bedenklichsten  sind  die 
Infiltrate  der  Epiglottis.  Der  Kehldeckel 
bietet  einmal  schon  dem  Instrumente  gewisse 
Schwierigkeiten  u.  z.  dadurch,  dass  er  in 
seinem  oberen  Theile  demselben  ausweichen 
kann,  sodann  verbirgt  derselbe  in  den  meisten 
Fällen,  wenn  er  infiltrirt  ist,  durch  sein 
Hintenüberbiegen  die  Vorgänge  an  der 
laryngealen  Fläche.  Man  ist  oft  bei  Sectionen 
erstaunt  auf  der  inneren  Fläche  des  Kehl- 
deckels, an  den  Taschenbändern,  den  unteren 
Flächen  der  Stimmbänder  und  im  unteren 
Kehlkopfraume  sehr  stark  ausgebreitete 
krankhafte  Processe  zu  finden,  die  der  laryn- 
goskopischen Untersuchung  durch  die  nach 
hinten  gebeugte  Epiglottis  oder  durch  In- 
filtrate und  Oedeme  der  ary-epigl ottischen 
Falten  fast  ganz  oder  theil weise  entzogen 
wurden. 

Die  mächtige  Ausdehnung  deslnfiltrations- 
processes  zeigt  sich  oft  auch  bei  der  Operation 
selbst.  Es  wirkt  nicht  selten  überraschend 
wahrzunehmen,  wie  die  Entfernung  von  In- 
filtraten in  der  Grösse  einer  Bohne  und 
darüber  eine  wenig  bemerkbare  Lücke  in 
dem  geschwollenen  Gewebe  hervorruft,  welches 
bald  wieder  zusammenrückt  und  oft  jetzt 
erst  die  Ausdehnung  der  Infiltration  in  die 
Tiefe  erkennen  lässt.  In  solchen  —  nicht 
seltenen  —  Fällen  kann  nur  eine  wiederholte 
Ausräumung  zum  Ziele  führen. 

Hat  man   es  nun   mit  starren    auch    die 


Zungen  fläche  ergreifenden  Infiltraten  der 
Epiglottis  zu  thun,  so  ist  nach  meinen  Er- 
fahrungen bei  Sectionen  und  bei  Operationen 
an  diesem  Theile  vorauszusetzen,  dass  die 
Schwellung  an  der  Zungenfläche  bedingt  ist 
durch  Geschwüre  und  Ablagerungen  an  der 
laryngealen  Fläche  der  Epiglottis  und  dem- 
entsprechend nicht  etwa  auf  die  Zungenfläche 
einzuschneiden,  sondern  die  Abschwellung 
dieser  Fläche  durch  Auslöffelung  und  Aetzung 
der  gegenüberliegenden  anzustreben.  Man 
wird  dann  häi^g  beobachten,  wie  allmählich 
der  Kehldeckel  seine  normale  Form  wieder 
anzunehmen  beginnt,  beweglich  und  damit 
eines  der  schwersten  Schluckhindernisse  be- 
seitigt wird. 

Der  Heilungsvorgang  zieht  sich  oft  durch 
Auftreten  neuer  Geschwüre  und  Wucherungen 
in  die  Länge,  in  günstigen  Fällen  geht  der- 
selbe zuweilen  überraschend  schnell  vor  sich. 
Die  Schnittflächen  der  abschwellenden  Schleim- 
haut legen  sich  dann  bald  dicht  aneinander 
und  verkleben  unter  Einwirkung  der  Milch- 
säure ohne  auffallende  Retraction.  Ich 
bediene  mich  seit  längerer  Zeit  zur  Aus- 
führung des  Ourettements  einer  von  mir 
construirten  Doppelcurette.  (Demonstration.) 
Ursprünglich  in  der  Absicht  gefertigt,  zur 
Ausschneidung  von  Stücken  aus  den  ary- 
epigl  ottischen  Falten  zu  dienen,  welche 
einseitig  wirkenden  Instrumenten  leicht 
ausweichen,  benutze  ich  die  Doppelcurette 
jetzt  fast  ausschliesslich  zur  Vollendung  dieser 
Operation  an  allen  Kehlkopftheilen.  Dieses 
Instrument  wirkt  mit  grösserer  Sicherheit 
und  Genauigkeit  als  die  einfache  Curette, 
welche  oft  mehr  wegreisst  als  beabsichtigt 
ist,  nicht  durchschneidet  und  überhaupt  ein 
sicheres  Operiren  in  denjenigen  Fällen  er- 
schwert, wo  es  sich  um  mehr  als  Abschaben 
von  der  Oberfläche  handelt.  Freilich  er- 
fordert auch  die  Doppelcurette  ein  völliges 
Vertrautsein  mit  der  Technik  der  Kehlkopf- 
operationen. 

Es  sei  mir  gestattet,  einige  bemerkens- 
werthe  Fälle  von  Heilung  hier  zu  be- 
sprechen : 

I. 

M.  M.,  Apotheker,  27  J.,  tritt  am  5.  Mai  1887 
in  Behandlung.  Befund:  linkes  Stimmband  und 
Taschenband  stark  infiltrirt  und  exulcerirt,  Infiltrat 
des  linken  Lig.  ary-epigl.,  Perichondritis  am  linken 
Aryknorpel.  An  der  hinteren  Larynxwand  ein  an 
der  Basis  1  cm  im  Darchmesser  fassender,  halb- 
kugeliger, mit  intacter  Schleimhaut  bedeckter  Tumor. 
Verdichtung  der  rechten  Lungenspitze.  Es  besteht 
hochgradige  Heiserkeit  und  Dysphagie,  massiges 
Fieber,  der  Ernährungszustand  ist  noch  relativ  be- 
friedigend. 

Am  15.  Mai  wird  zunächst  der  oben  beschrie- 
bene  Tumor   der   hinteren  Wand   mit   der   Glüh- 


m.  Jft]irguig.1 
Mai  1889.    J 


Krause,  Erfolge  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopftuberculose. 


209 


schlinge  entfernt,  die  Ulcera  nnd  Infiltrate  werden 
mit  SO^oig®^  Milchsäuremischung  gepinselt:    Bald 

—  schon  in  den  nächsten  zwei  Tagen  —  sind 
Schlingbeschwerden  und  Heiserkeit  wesentlich  ge- 
ringer, die  ersteren  verschwinden  bald  ganz,  die 
Ulcera  sind  am  10.  Juni  völlig  vernarbt;  es  besteht 
noch  ein  geringes  Infiltrat  des  Taschenbandes.  Da 
tritt  am  13.  Juni  ein  beträchtliches,  Ödematöses, 
kugeliges  Infiltrat  am  linken  Aryknorpel  auf,  wel- 
ches vom  das  Lumen  des  Larynx  stark  verengt, 
und  hinten  und  seitlich  den  Sinus  pyriformis  fast 
völlig  verlegt.  Wieder  besteht  Dysphagie.  Nach- 
dem sich  bis  zum  20.  Jiini  das  Oedem  zurückge- 
bildet hat,  wird  an  diesem  Tage  das  ganze  vorn 
und  hinten  überhängende,  kugelige  Filtrat  in  zwei 
Halbkugeln  mit  der  Glühschlinge  abgetragen.  Die 
yerschorften  Partien  benarben  sich  bald,  so  dass 
Patient  am  6.  Juli  nach  Görbersdorf  entlassen  wer- 
den kann.  Die  ganze  linke  Kehlkopfhälfte  ist  ab- 
geschwollen, die  hier  bestandenen  Ulcera  sind  ver- 
narbt, die  Infiltrate  resorbirt.  Es  bleibt  nur  ein 
geringes  Infiltrat  des  rechten  Lig.  ary-epigl.,  welches, 
in  den  letzten  8  Tagen  aufgetreten  ist.  Am  29.  Oc- 
tober  kehrt  Herr  M.  aus  Görbersdorf,  wo  er  6Va 
Kilo  an  Körpergewicht  zugenommen  hat,  zur  Unter- 
suchung hierher  zurück;  es  zeigt  sich  eine  kleine, 
flache  Erosion  auf  dem  linken  Aryknorpel  und  Un- 
beweglichkeit  des  linken  Stimmbandes,  sonst  ist 
Alles  vernarbt  geblieben,  grösstentheils  geschrumpft. 
Die  Stimme  ist  zwar  belegt,   aber  ziemlich  kräftig. 

—  Der  Patient  begiebt  sich  hierauf  nach  Daves, 
von  wo  er  am  30.  Januar  1888  berichtet,  dass  er 
dort  2  Kilo  zugenommen  und  damit  sein  früheres 
normales  Gewicht  aus  gesunder  Zeit  —  60  Kilo  — 
wiedergewonnen  habe.  Zwar  bestehe  noch  ein  wenig 
Husten  früh  und  Abends,  aber  er  fühle  sich  körper- 
lich ganz  wohl  und  im  Kehlkopfe  zeige  sich  nichts 
Krankhaftes,  die  Stimme  sei,  wenn  auch  nicht  klar, 
so  doch  immer  von  gleicher  Stärke  und  gleichem 
Klange.  Patient  gedenkt,  im  April  seine  Thätigkeit 
als  Apotheker  wieder  aufzunehmen.  —  Seit  diesem 
Briefe  ist  eine  weitere  Nachricht  nicht  erfolgt. 

n. 

Minna  F.,  28  J.,  aus  Neuwarp,  consultirte  mich 
am  23.  November  1888.  Sie  kam  aus  Görbersdorf, 
wo  sie  5  Monate  zugebracht  hatte.  Ihr  Lungen- 
leiden hatte  sich  dort  wesentlich  gebessert,  auch 
ihr  Kehlkopfleiden,  welches  dort  sachgemäss,  zu- 
letzt mit  Anwendung  der  Curette  behandelt  worden 
war,  machte  ihr  nicht  mehr  so  grosse  Beschwerden 
wie  vor  dem  Aufenthalte  in  Görbersdorf.  Doch 
bestanden  zur  Zeit  Heiserkeit  und  beträchtliche 
Schlingbeschwerden.  In  den  Lungen  fanden  sich 
beiderseits  grössere  verdichtete  Heerde,  die  stärkere 
Erkrankung  war  auf  der  rechten  Seite.  Der  Kehl- 
kopf zeigte  ein  ErgrifTensein  des  ganzen  oberen 
Raumes  von  dem  tuberculösen  Processe.  Geschwüre 
bestanden  nur  auf  beiden  Taschenbändem.  Da- 
gegen waren  der  Kehldeckel,  die  ary-epiglottischen 
Fsiten,  die  Aryknorpel  von  einem  starren  Infiltrate, 
die  hintere  Wand  von  einer  mächtigen,  in  das 
Lumen  stark  vorspringenden  und  die  Stimmbänder 
bei  der  Phonation  weit  auseinanderhaltenden 
Wucherung  eingenommen.  Die  Secretion  im  Kehl- 
kopf war  gering,  es  bestand  im  Gcgentheil  eine 
gewisse  Trockenheit  und  Sprödigkeit   des   ganzen 


geschwollenen  Gewebes,  welche  ihrerseits  die  Be- 
schwerden steigern  mochte.  Ich  ging  zunächst 
daran,  die  grosse  Wucherung  der  Pars  interary- 
taenoidea  mit  der  Doppelcurette  zu  entfernen,  wa« 
in  2  Sitzungen  mit  dem  Erfolge  gelang,  dass  die 
Stimme  nunmehr  nach  Beseitigung  des  eigentlichen 
Hindernisses  durch  die  nicht  defecten  Stimmbänder, 
wenn  auch  immer  noch  mit  einigen  raahen  Neben- 
geräuschen, doch  ziemlich  klangvoll  hervorgebracht 
werden  konnte.  Alsdann  wurden  beide  ary-epi- 
glottischen Falten  und  zuletzt  auch  die  Epiglottis 
curettirt.  Der  Erfolg  war,  dass  die  zuvor  stark 
gespannte  Schleimhaut  in  ihrem  ganzen  Umfange 
abschwoll  und  einen  normalen  Socretionszustand 
annahm.  Die  Schlingbeschwerden  verschwanden  in 
den  ersten  14  Tagen  und  nun  machte  auch  die  Er- 
nährung der  Patientin  gute  Fortschritte.  9  Wochen 
nach  der  Auhiahme  konnte  der  Process  als  ab- 
gelaufen angesehen  und  die  Patientin  mit  einer 
Gewichtszunahme  voh  5  Kilo  aus  der  Anstalt  ent- 
lassen werden.  Es  verblieb  ein  leistenartiger  Vor- 
sprung an  der  Pars  interarytaenoidea  und  eine 
massige  Verdickung  der  Epiglottis.  Auch  der  Pro- 
cess in  den  Lungen  hat  sich  wesentlich  gebessert, 
die  Rasselgeräusche  sind  gering,  der  Auswurf  ganz 
unbedeutend.  Die  Patientin  ist  noch  jetzt  unter 
meiner  Beobachtung.  Ihre  Wiedergenesung  macht 
ununterbrochene  Fortschritte. 

m. 

Der  beachtenswertheste  Fall  von,  wenn  auch 
unvollkommener,  Heilung  einer  Larynx-  und  Pha- 
rynxtuberculose  mittels  Curette  und  Milchsäure  ist 
folgender: 

J.  F.  aus  Moskau,  39  Jahre  alt,  consultirte  mich 
am  21.  September  1888.  Der  äusserst  abgemagerte 
Patient  athmet  stridulös  und  kann  seit  4  Monaten 
festere  Speisen  fast  garnicht,  flüssige  nur  mit  gros- 
ser Mühe  zu  sich  nehmen.  Es  besteht  ein  diffuses, 
unregelmassiges  Infiltrat  der  ganzen  Larynxschleim- 
haut  mit  Oedemen  über  den  Aryknorpeln;  die  Epi- 
glottis in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  infiltrirt,  ist 
starr  hintenübergelagert,  so  dass  ein  Einblick  in 
die  Tiefe  äusserst  erschwert  ist.  Man  kann  eben 
noch  erkennen,  dass  die  laryngeale  Fläche  des 
Kehldeckels,  Taschen  und  Stimmbänder  mit  Ge- 
schwüren und  wulstigen  höckerigen  Wucherungen 
besetzt  sind  und  die  Stimmbänder  bei  der  Ath- 
mung  fast  garnicht  aus  einander  weichen.  Der 
linke  Arcus  palato-glossus  ist  von  einem  seichten 
Längsulcus  am  Rande,  4  mm  breit,  von  der  Basis 
der  Zunge  bis  auf  1  '/j  cm  Entfernung  von  der 
Uvula  eingenommen.  Hier  ist  die  Schleimhaut  nicht 
infiltrirt,  sehr  anaemisch.  Der  Befund  in  den  Lun- 
gen ergiebt  Dämpfungen  über  der  rechten  bis  zur 
2.  Rippe,  links  supra-clavicular,  dagegen  äusserst 
spärliches  Rasseln;  kein  Fieber.  Es  wurde  zu* 
nächst  eine  Ausräumung  der  an  der  hinteren  Wand 
der  Epiglottis  befindlichen,  beträchtlichen  Wuche- 
rungen vorgenommen  und  darauf  50%^Kö  Milch- 
säuremischung verrieben,  weil  es  wichtig  erscheinen 
musste,  das  grösste  Schluckhindemiss,  die  Starr- 
heit der  Epiglottis,  zu  beseitigen.  Dies  gelang  in 
überraschend  schneller  Weise:  das  den  Kehldeckel 
einschliessende  Infiltrat  schwand  unter  der  angege- 
benen Behandlung  fast  zusehends.  Hierauf  wurden 
mit  der  Doppelcurette    sechs  erbsengrosse  Stücke 

27 


210 


Krause,  Erfolce  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopfluberculose.       PMonatebäto^^ 


aus  beiden  Ligg.  ary-epiglott.  und  den  Aryknorpeln 
herausgeschnitten  und  wieder  längere  Zeit  Milch- 
säure verrieben.  Nach  der  Vemarbung  dieser  ex- 
cidirten  Partien,  welche  nach  dem  Curettement 
tuberculösen  Schleimhautgewebes  in  der  Regel  gut 
von  Statten  geht,  war  der  Einblick  in  den  Larynx 
ungehindert.  Es  eiübrigte  noch,  die  Wucherungen 
von  den  Taschenbändem,  die  theilweise  als  rund- 
liche Tumoren  auftraten,  zu  entfernen,  was  mühe- 
los gelang.  Gleichzeitig  war  das  Phaiynxgeschwür 
mit  Milchsäure  behandelt  worden.  Dasselbe  erwies 
sich  aber  in  seiner  Heilung  weit  hartnäckiger  als 
die  Geschwüre  im  Kehlkopfe.  Erst  nach  4  Wochen 
war  und  blieb  es  von  nun  an  bis  zur  Entlassung 
und  später  dauernd  vernarbt.  Am  28.  November, 
also  nahezu  10  Wochen  nach  seiner  Aufnahme, 
konnte  der  Kranke  mit  einer  Gewichtszunahme  von 
6  Kilo  und  völliger  Wiederherstellung  der  respira- 
torischen und  Schlingfunctionen  aus  der  Anstalt 
entlassen  werden.  Die  Stimme  war  nur  wenig  ge- 
bessert worden,  da  die  Stimmbänder  sich  als  sehr 
defect  erwiesen  und  unter  den  Taschenbändem  fast 
verschwanden.  Die  Ligg.  ary-epigl.  und  Aryknorpel 
waren  ziemlich  schlank  und  die  Sinus  pyriformes 
weit,  nirgends  mehr  ein  Geschwür  oder  ein  bemer- 
kenswerthes  Infiltrat  erkennbar.  Der  Patient  hatte 
die  Absicht,  nach  Arco  überzusiedeln,  wohin  er 
mit  seinen  Geschwüren,  seiner  Athemnot  und  seinen 
Schlingbeschwerden,  bevor  er  mich  consnltirte,  ge- 
wiesen worden  war.  Indessen  machte  eine  drin- 
gende geschäftliche  Angelegenheit  seine  augenblick- 
liche Anwesenheit  in  Moskau  —  mitten  im  Winter 
—  erforderlich.  Gegen  meinen  abmahnenden  Rath 
reiste  er  dorthin  und  blieb  dort  bis  zum  20.  Januar 
1889.  3  Tage  darauf  stellte  er  sich  mir  hier  wie- 
der vor,  und  trotzdem  er  bei  starker  Kälte  sich 
im  Freien  bewegt  hatte,  zeigte  sich  nicht  nur  keine 
Veränderung  zum  Schlimmeren,  sondern  der  Kehl- 
kopfeingang war  durch  völliges  Abschwellen  der 
infiltrirten  Partien  noch  weiter,  das  Larjnxinnere 
dem  Auge  noch  zugänglicher  geworden.  So  konnte 
man  nun  auch  deutlich  erkennen,  dass  an  der 
unteren  Partie  des  linken  Taschenbandes  noch  eine 
etwa  erbsengrosse,  narbig  geschrumpfte  Intumescenz 
sass,  die  ich  nunmehr,  da  der  Patient  jetzt  direct 
nach  Arco  ging,  ihrem  Schicksale  überlies.  Der 
erste  Brief  von  dort  vom  2.  Februar  giebt  einen 
sehr  günstigen  Bericht:  „Auswurf  geringer,  Appetit 
besser.  Schlaf  vorzüglich."  Aber  schon  gegen  Ende 
Februar  erhielt  ich  die  Mittheilung,  dass  der  Pa- 
tient, welcher  nach  eben  frisch  gefallenem  Schnee 
eines  Tages,  an  welchem  die  Sonne  ins  Freie 
lockte,  auf  einem  weiteren  Spaziergange  von  einem 
scharfen,  kalten  Winde  überrascht,  und  nachdem 
er  den  ganzen  Rückweg  gegen  den  Wind  an- 
kämpfend zurückgelegt  hatte,  in  der  Nacht  darauf 
von  einem  Schüttelfroste,  Stechen  in  der  linken 
Seite  und  heftigem  Hustenreiz  befallen  worden  war. 
Es  entwickelte  sich  eine  linksseitige  Pleuropneu- 
monie mit  schneller  Einschmelzung  des  Gewebes, 
welcher  der  Patient,  nachdem  er  noch  am  19.  März 
nach  Berlin  zurückgekehrt  war,  am  26.  März,  ohne 
jedoch  über  die  geringste  Beschwerde  von  Seiten 
des  Kehlkopfes  zu  klagen,  erlag. 

Ich  erlaube   mir,    Ihnen   hier   den  Kehl- 
kopf des  Patienten  zu  demonstriren,   dessen 


Herausnahme  allein  von  den  Verwandten  ge- 
stattet wurde.  Bei  der  Beurtheilung  des 
Präparats  bitte  ich  festzuhalten,  dass  die 
locale  Therapie  4  Monate  vor  dem  Tode 
abgeschlossen  und  nicht  wieder  aufgenommen 
worden  ist.  Sie  erkennen  deutlich  das 
schlaffe  Infiltrat  des  linken  Lig.  ary-epigl., 
welches  in  den  letzten  Tagen  vor  dem  Tode 
als  einzig  sichtbares  Zeichen  der  Wieder- 
erkrankung des  Kehlkopfes  aufgetreten  wrar. 
Das  flache  Geschwür  im  rechten  Sinus  Mor- 
gagni und  an  einem  Theile  der  inneren 
Epiglottisfläche  sowie  die  kleineren  unter 
den  Stimmbändern  konnten  bei  Lebzeiten, 
nicht  festgestellt  werden.  Dagegen  bemer- 
ken Sie  die  ausgedehnte  Narbenbildung  an 
den  Stimmbändern,  den  Taschenbändem,  den 
ary-epiglottischen  Falten  —  hier  besonders 
deutlich  die  eingezogenen  Narben  des  Curette- 
ments  —  und  die  Vernarbung  an  der  laryn- 
gealen  Epiglottisfläche.  Dieser  Befund  ist 
von  Herrn  Geheimrath  Virchow  bestätigt 
worden. 

Wie  schon  aus  den  von  mir  angeführten. 
Zahlen  ersichtlich  geworden  ist,  steht  einer 
grosseren  Anzahl  ähnlicher  günstig  verlau- 
fener Fälle  eine  Reihe  von  solchen,  bei 
denen  nur  ein  vorübergehender  und  theil- 
weiser  Erfolg  und  eine  geringere  Zahl  von 
solchen  gegenüber,  bei  denen  keine  oder  nur 
kurz  dauernde  Erleichterung  der  Beschwer- 
den erzielt  werden  konnte.  Abgesehen  von 
den  wenigen  Fällen  der  letzten  Categorie 
konnte  immer  doch  die  Dysphagie  erleich- 
tert, der  Process  in  seinem  Fortschreiten, 
aufgehalten  werden.  In  den  ungünstig  ver- 
laufenden Fällen  haben  wir  in  der  Regel 
gegen  einen  Zustand  anzukämpfen,  in  wel- 
chem bei  stark  entwickelter  Cachexie,  hec- 
tischem  Fieber,  weit  vorgeschrittenen  Zer- 
störungen in  den  Lungen  die  Schleimhaut 
des  Bronchialtractus  und  des  Kehlkopfes 
sich  im  Zustande  aufl'allender  Anaemie  oder 
starker  entzündlicher  Schwellung,  hochgra- 
diger Neigung  zur  Infiltration  und  schnell 
um  sich  greifendem  Zerfall  befindet.  Hier 
ist  dann  gewöhnlich  auch  die  Tendenz  zu 
üppiger,  schwammiger  Wucherung  der  Ge- 
schwüre vorhanden,  und  was  man  mit  der 
Curette  entfernt  hat,  wächst  schnell  wieder 
nach.  Dabei  ist  die  Secretion  erheblich  ge- 
steigert. Das  Verhalten  der  letzteren  ist 
überhaupt,  wie  ich  schon  bei  früheren  Ge- 
legenheiten ausgeführt  habe,  ein  gewisser 
Prüfstein  für  die  Erwartungen,  die  man  an 
die  Behandlung  zu  knüpfen  hat. 

Indessen  soll  man  auch  in  solchen  Fäl- 
len nicht  von  vornherein  an  dem  Erfolge 
verzweifeln.  Ich  habe  Fälle  beobachtet,  in 
denen  alle  jene  erwähnten  ungünstigen  Symp- 


ITT.  Jabriranf  .1 
Mai  1889.    J 


Krause,  Errol^e  der  neuesten  Behandlungsmethoden  der  Kehlkopftuberculose. 


211 


tome  allgemeinen  und  localen  Cbaracters 
vorhanden  waren  und  in  denen  es  dennoch 
einer  sorgföltig  und  Torsichtig  geleiteten 
Therapie  gelang,  den  localen  Process  zur 
Heilung  zu  bringen,  andere,  in  denen  wenig- 
stens ein  Stillstand  und  ein  im  Vergleich 
zu  den  bestandenen  Hunger-  und  Inanitions- 
qua}en  erträgliches  Befinden  erzielt  wurde. 
Freilich  ist  zur  Erreichung  solcher  Erfolge 
nicht  die  locale  Therapie  allein  ausreichend, 
sondern  es  bedarf  auch  der  umsichtigen  Re- 
gelung und  üeberwachung  der  äusseren  Ver- 
hältnisse, unter  denen  der  Kranke  zu  leben 
hat,  sowie  ganz  besonders  der  Ernährung. 
Hier,  wo  wir  die  Vorgänge  auf  der  kranken 
Schleimhaut  Schritt  vor  Schritt  verfolgen 
können,  ist  es  oft  eine  betrübende  Wahrneh- 
mung, dass  wir  trotz  aller  Mühe  nur  darum 
keinen  Erfolg  haben,  weil  wir  auf  die  Um- 
gebung und  die  Lebensweise  des  Kranken 
keinen  Einiiuss  haben.  Ich  brauche  in  diesem 
Kreise  nicht  weiter  auszuführen,  dass  ein 
Phthisiker  in  Bezug  auf  Hygiene  und  Diät 
unter  der  sorgfältigsten  Beobachtung  eines 
Arztes,  zumal  in  derjenigen  Zeit  stehen 
muss,  wo  wir  in  Lungen  oder  Kehlkopf 
frische  Infiltrate  zur  Resorption,  ülcerationen 
zur  Vemarbung  bringen  wollen.  Air  unser 
Können  und  Mühen  wird  nur  zu  oft  ver- 
geblich sein,  wenn  wir  den  unbemittelten 
Kranken  seinen  ungenügenden  häuslichen 
Verhältnissen  überlassen  und  ihn  ambulant 
behandeln  müssen,  und  auch  bei  dem  in 
besserer  Lebenslage  Befindlichen  hat  der 
Arzt  auf  den  Gang  der  Dinge  in  der  Be- 
hausung des  Kranken  aus  den  verschieden- 
sten Gründen  nicht  den  Einfluss,  der  im 
Hospital  selbstverständlich  ist. 

Bei  diesem  Stande  unserer  heutigen  La- 
ryngotherapie  und  auf  Grund  eigener  Er- 
fahrungen muss  ich  mich  auch  gegen  das 
unterschiedslose  Verschicken  der  KehJkopf- 
phthisiker  nach  dem  Süden  erklären.  Ja, 
gäbe  es  dort  gut  geleitete  Hospitäler,  in 
denen  eine  rationelle  Therapie  der  Lungen- 
und  Kehlkopfphthise  geübt  würde,  so  wur- 
den mir  die  günstigeren  klimatischen  Ver- 
hältnisse als  ein  beachtenswerther  Vortheil 
erscheinen.  Ich  erkenne  gern  an,  dass 
Kranke  mit  initialen  Symptomen  und  Recon- 
valescenten  dort  eine  viel  erträglichere 
Existenz,  auch  Heilung  finden.  Aber  nament- 
lich ein  Kehlkopfphthisiker  mit  Geschwüren, 
Infiltraten,  Perichondritis,  mit  Dyspnoe  oder 
Dysphagie,  selbst  nur  mit  Erosionen  scheint 
mir  kein  geeigneter  Kranker  zu  sein,  um 
denselben  auf  Reisen  zu  schicken,  auf  denen 
er  sich  meistens  selbst  überlassen  im  Eisen- 
bahncoupe und  in  Hotels  ein  fragwürdiges 
Dasein  führt. 


Neuerdings  hat  auch  Beschorner  in 
seinem  sehr  gründlichen  und  beachtens- 
werthen  Vortrag  über  „die  locale  Behand- 
lung der  Laryngo-Phthisis  tuberculosa"  die 
Errichtung  von  Specialhospitälern  für  derar- 
tige Leidende  empfohlen.  Beschorner 
fühlt  sich  sogar,  wie  er  sagt,  darum  noch 
nicht  berufen  von  einem  bahnbrechenden 
Fortschritte  in  der  Phthisis-Therapie  und 
der  mit  ihr  in  untrennbarem  Zusammen- 
hange stehenden  localen  Behandlung  der 
Larynx-Phthise  zu  sprechen,  weil  wir  noch 
keine  mit  allem  Heilapparate  voll  ausge- 
rüsteten Volks-Sanatorien  auf  dem  Lande 
oder  an  der  See,  in  waldreichen  oder  hoch- 
gelegenen Gegenden  nach  Art  und  Einrich- 
tung der  bereits  existirenden,  zur  Zeit  aber 
zumeist  nur  dem  Wohlhabenden  zur  Verfü- 
gung stehenden,  geschlossenen  Heilanstalten 
für  Lungenkranke  haben,  deren  Erfolge  in 
Stadt-Hospitälern  der  Natur  der  Sache  nach 
niemals  erreicht  werden  können. 

Für  die  Erfüllung  dieser  weitgehenden 
Ansprüche  Beschorners  und  meiner  be- 
scheideneren, dass  es  uns  gelingen  möge, 
nahe  den  Städten  in  baumreicher  Gegend 
Specialhospitäler  für  Lungen-  und  Larynx- 
phthisiker  zu  erlangen,  scheint  mir  eine 
unerlässliche  Vorbedingung  zu  sein,  dass 
wir  dahin  streben,  in  immer  weitere  Kreise 
die  Ueberzeugung  zu  tragen,  dass  wir  in 
der  Kehlkopftuberculose  keinem  unüberwind- 
baren  Gegner  gegenüber  stehen  und  dass 
es  bei  richtiger  Auswahl  und  zielbewusstem 
Handeln  keine  unerfüllbare  Aufgabe  ist, 
einem  Theil  dieser  unglücklichen  Kranken 
das  Leben  zu  erhalten  oder  zu  verlängern, 
den  anderen  wenigstens  Linderung  und  Er- 
leichterung zu  schaffen. 


(Aiu  der  medicinltchen  Klinik  des  Herrn  Oehcimrath 
Dr.  M Osler  In  Greif» wald.) 

Zur  Kreosot-Therapie  bei  LiUiigen- 

tubereulose. 

Von 
Dr.  E.  Holm  in  Greifswald. 

Seitdem  man  durch  die  Entdeckung  der 
Tuberkelbacillen  und  die  daraufhin  ange- 
stellten Impfversuche  festgestellt  hat,  dass 
die  Lungentuberculose  zu  den  Infections- 
krankheiten  zu  rechnen  ist,  hat  die  Therapie 
sich  unablässig  damit  beschäftigt,  durch 
directes  Vorgehen  gegen  die  Tuberkelbacillen 
mit  bacterientödtenden  Mitteln  ein  Heil- 
verfahren zu  finden,    durch  welches  bessere 

27* 


212 


Holm,  Zur  Kr«otot-Th«rapl«  b«l  Luac«ntub«reulof«. 


rT1ft«r»peiitlMihe 
L  Monatftbeft^. 


Resultate  hervorgebracht  würden,  als  man 
bisher  durch  das  Bestreben  allein,  den  Ge- 
sammtorganismus  in  seiner  Widerstands- 
föhigkeit  zu  kräftigen,  hatte  erreichen  können. 
Kaum  ein  Arzneimittel  ist  zu  finden,  wel- 
ches man  in  der  Hoffnung  auf  Erfolg  in 
der  Therapie  der  Phthise  nicht  schon  em- 
pfohlen und  angewandt  —  aber  auch  als 
nutzlos  bald  wieder  verlassen  hätte.  Trotzdem 
dass  so  die  Resultate  negativ  waren,  blieb 
man  bei  der  Anschauung,  dass  nur  auf  anti- 
bacteriellem  Wege  die  Phthise  erfolgreich 
zu  bekämpfen  möglich  sei.  Als  daher  die 
eminent  antiseptische  Kraft  eines  Medica- 
mentes  bekannt  wurde,  welches  zeitweise 
schon  vor  der  Entdeckung  der  Tuberk^l- 
bacillen  gegen  Lungenschwindsucht  ange- 
wendet, aber  nicht  recht  zur  Anerkennung 
gelangt  war,  richtete  sich  die  allgemeine 
Aufmerksamkeit  auf  dieses  Mittel.  Und  in 
der  That  scheint  dasselbe,  das  Kreosot,  die 
ihm  jetzt  gewordene  Anerkennung  zu  ver- 
dienen, da  die  neueren  Untersuchungen  seine 
Brauchbarkeit  für  viele  Fälle  festgestellt 
haben  und  durch  die  Anwendung  des  Kreosots 
im  Ganzen  bessere  Resultate  als  durch  irgend 
ein  Mittel  vorher  erzielt  sind. 

Nachdem  das  Kreosot  schon  im  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  gegen  Lungenphthise 
empfohlen,  aber  wieder  in  Vergessenheit 
'gerathen  war,  wurde  es  1877  von  Gimbert 
und  Bouchard  von  Neuem  in  Anwendung 
gebracht.  Dieselben  gaben  es  rein  in  Alkohol 
oder  Malaga- Wein  (13,5  Kreosot  auf  1  Liter 
Flüssigkeit)  oder  in  Leberthran,  und  zwar 
so,  dass  0,2  —  0,4  g  auf  einen  Tag  zu 
nehmen  waren.  Der  Gebrauch  des  Medica- 
ments  wurde  ^4  bis  1  Jahr  lang  fortgesetzt  und 
wollen  die  Autoren  recht  günstige  Resultate 
erlangt  haben.  In  demselben  Sinne  äussern 
sich  Hugues  und  Bravet  (Paris  1878), 
Reu  68  (Paris)  und  Pick  (Coblenz  1883). 
Reu  SS  wandte  das  Präparat  zuerst  in 
Kapselform  an,  weil  er  diese  Form  für  die 
geeignetste  hielt.  Alle  Autoren  geben  an, 
dass  der  Auswurf  sich  nach  dem  Gebrauch 
des  Kreosots  vermindere,  dass  das  Allge- 
meinbefinden sich  hebe ,  theil  weise  der 
Appetit  sich  bessere  und  die  Nebenerschei- 
nungen der  Phthise  nachlassen. 

Es  ist  zu  verwundern,  dass  trotz  dieser 
günstigen  Berichte  die  Kreosot- Therapie 
nicht  allgemeine  Aufnahme  fand.  Wahr- 
scheinlich ist  man  auch  sonst  mit  Versuchen 
vorgegangen,  hat  sich  aber  durch  die  vom 
Kreosot  hervorgebrachten,  in  der  Regel 
jedoch  nur  von  der  Qualität  des  Präparates 
bedingten  unangenehmen  Erscheinungen  von 
Seiten  des  Digestions -Apparates  von  der 
weiteren  Verwendung  des  Medicamentes  ab- 


schrecken lassen  —  oder  man  erreichte 
keinen  Erfolg,  weil  man  zu  kleine  Dosen 
verabreichte. 

Es  sei  hier  eingeschaltet,  dass  das  Kreo- 
sot vollkommen  rein  sein  und  vom  Buchen- 
holztheer  stammen  muss,  nie  das  vom  Stein- 
kohlen-  oder  Fichtentheer  herrührende  Prä- 
parat angewendet  werden  darf,  da  letzteres 
regelmässig  Störungen  von  Seiten  des  Magens 
bewirkt. 

Erst  die  Veröffentlichungen  von  Sommer- 
brodt,  Fräntzel  u.  A.,  sowie  die  Unter- 
suchungen von  Guttmann  haben  dazu  ge- 
fuhrt, dem  Kreosot  eine  allgemeinere  An- 
erkennung zu  verschaffen. 

Die  Erfahrungen  Sommerbrodt^s  be- 
ziehen sich  auf  ca.  4000  Fälle.  Schon  seit 
dem  Jahre  1878  behandelte  er  die  Lungen- 
tuberculose  mit  Kreosot,  und  zwar  wandte 
er  bis  1880  die  Bouchard^ sehe  Lösung, 
von  da  ab  der  grösseren  Billigkeit  wegen 
die  Kreosotkapseln  nach  Reuss  an  (ä  0,05 
Kreosot\  Er  liess  das  Medicament  dreimal 
täglich  und  zwar  unmittelbar  nach  den 
3  Hauptmahlzeiten  nehmen  und  steigerte 
dabei  die  Dosis  so,  dass  er  in  der  ersten 
Woche  täglich  3,  in  der  zweiten  täglich  4 
u.  s.  f.  Kapseln  nehmen  liess.  Auf  diese 
Weise  ging  er  schliesslich  bis  zu  15  Kapseln 
täglich.  Zu  betonen  ist,  dass  Sommerbrodt 
nur  in  sehr  seltenen  Fällen  Nebenerschei- 
nungen bemerken  konnte.  Traten  einmal 
solche  auf,  so  wurde  eine  Pause  im  Ge- 
brauch des  Medicaments  gemacht.  Die 
meisten  seiner  Patienten  gewöhnten  sich  an 
den  Geschmack  des  Präparates  sehr  rasch; 
einzelnen  wurde  das  Kreosot  sogar  zum 
Bedürfniss.  Sommerbrodt  fand,  dass  die- 
jenigen Fälle,  wo  die  Erkrankung  erst  im 
Beginn  war  und  nur  geringe  Symptome  ver- 
ursachte, die  besten  Erfolge  lieferten,  wäh- 
rend .  bei  sehr  weit  vorgeschrittenen 
Processen  die  Wirkung  eine  minimale  oder 
fehlende  war. 

In  den  meisten  Fällen  constatirte  er 
Beschränkung  der  Bronchial -Secretion  und 
Abnahme  des  Hustens,  so  dass  er  von  dem 
oft  nachtheiligen  Gebrauch  der  Narcotica 
Abstand  nehmen  konnte.  Eine  Verbesserung 
des  Appetites  trat  fast  regelmässig  ein,  so 
dass  er  im  Gegensatz  zu  Reuss  zu  dem 
Schluss  kam,  sich  nie  von  vornherein  durch 
den  Zustand  des  Magens  von  der  EJreosot- 
Therapie  abhalten  zu  lassen.  Die  physika- 
lischen Phänomene  der  Krankheit,  wo  diese 
in  ihren  ersten  Anfängen  bestand,  ver- 
schwanden oft  gänzlich.  Freilich  gehörte 
dazu  eine  langdauernde  Behandlung;  eine 
gründliche  Besserung  war  während  weniger 
Wochen  nicht  möglich.     Empirisch  fand  er, 


HL  Jalurfang.! 
Mmi  1889.    J 


Holm,  Zjxt  KrttOtot-Th«rapi«  b«l  LungeDtuberculote. 


213 


was  Gatt  mann  durch  seine  Untersuchungen 
später  begründete,  dass  die  Wirkung  des 
Kreosots  um  so  besser  sei,  je  mehr  von 
dem  Medicament  pro  die  vertragen  wurde; 
dass  dagegen  kleinere  Dosen,  wie  0,01  g 
mehrmals  täglich,  sich  als  YÖliig  nutzlos 
erwiesen.  Daher  empfiehlt  er  überall  da, 
wo  Kreosot  gut  vertragen  wird,  ein  Hinaus- 
gehen über  die  bisherige  Maximaldosis  von 
0,5  pf*o  die. 

Während  Sommerbrodt  die  Verabrei- 
chuog  des  Kreosots  in  Kapseln  vorzieht, 
hält  Fräntzel  an  der  alten  Bouchard^  sehen 
Form  fest,  nur  dass  er  statt  Malaga  Sherry 
reicht: 

JV  Kreosoti  13,5, 

Tinct.  gent.  30,0, 

Spirit.  vini  rect.  250,0, 
Vini  xerens.  q.  s. 
ad  col.  1000,0. 

M.  D.  S.  2  — 3  mal  tägl.   1  Essloffel   in 
einem   Weinglas   Wasser. 

Auch  er  giebt  an,  dass  sich  verhältniss- 
mässig  sehr  selten  Nebenwirkungen  zeigen,  und 
dass  die  Patienten  wenig  oder  gar  nicht  durch 
den  Geschmack  gestört  werden.  Gute  Hei- 
lungsresultate, d.  h.  Besserung  des  Allgemein- 
befindens, Verschwinden  resp.  Verminderung 
der  physikalischen  Erscheinungen,  Husten- 
und  A US wurf-Herabsetzun  g  erzielte  Fräntzel, 
ausser  in  den  ganz  frisch  beginnenden  Fällen, 
bei  Patienten,  bei  denen  wenig  oder  gar 
kein  Fieber  bestand  und  Complicationen 
von  Seiten  anderer  Organe  fehlten,  wo  also 
der  Verlauf  der  Phthise  ein  ganz  chronischer 
war.  Zwar  ist  die  Anzahl  der  völlig  Ge- 
besserten nicht  gross  (15  von  400,  also  fast 
4^/o),  aber  dennoch  steht  der  Procentsatz 
dieser  Heilungen  durch  Kreosot  auf  einer 
Höhe,  die  niemals  durch  ein  anderes  Medi- 
cament erreicht  ist. 

Von  grosser  Wichtigkeit  für  die  Kreosot- 
Therapie  sind  ferner  die  Guttmann^ sehen 
Untersuchungen  über  den  antiseptischen 
Werth  des  Kreosots.  Durch  die  günstigen 
Mittheilungen  über  die  Wirkungen  des  Prä- 
parates angeregt,  stellte  Guttmann  Unter- 
suchungen an  über  die  antiseptische  Wirkung 
dieser  Substanz,  um  zu  erfahren,  in  welcher 
Verdünnung  einem  Nährboden  zugesetzt,  sie 
noch  im  Stande  sei,  das  Wachsthum  von 
Bacterien  aufzuheben.  Zunächst  stellte  er 
fest,  wie  rasch  in  einer  Mischung  von  be- 
stimmtem Kreosot- Gehalt  Mikroorganismen 
abgetödtet  würden.  Diese  Versuche,  die 
sich  auf  4  Mikroorganismenarten  erstreckten, 
ergaben,  dass  das  Kreosot  diese  Mikroben 
rasch  vernichtet  und  zwar  schon  in  ganz 
schwacher  Lösung  ('/e — Vs  °/o  Kreosot-Gehalt). 


In  einer  zweiten  Versuchsreihe  wurden 
18  verschiedene  Mikroorganismenarten,  unter 
ihnen  der  Tuberkelbacillus,  dem  Einfluss 
des  in  verschiedenem  Procentgehalt  in  der 
Nährgelatine  vorhandenen  Kreosots  ausge- 
setzt. Das  Kreosot  zeigte  sich  hier  als  ein 
starkes  antibacterielles  Mittel,  denn  von 
den  18  Arten  wuchsen  12  nicht  mehr  bei 
Vaooo  Kreosot  -  Gehalt  in  der  Nährgelatine 
(4  darunter  nicht  mehr  bei  V4000))  ^  nicht 
mehr,  wenn  der  Kreosot- Gehalt  7iooo  betrug. 

Eine  dritte  Versuchsreihe  bewies  im 
Vergleich  zur  zweiten,  dass  die  antiseptische 
Kraft  des  Kreosots  stärker  sei  als  die  der 
Carbolsäure. 

Aus  diesen  Untersuchungen  folgt  nun: 
Wenn  man  dem  Organismus  so  viel  Kreosot 
zuführen  könnte,  dass  im  Blute  längere  Zeit 
hindurch  ^4000  ^is  Vaooo  seiner  Menge  Kreosot 
enthalten  ist,  so  wäre  eine  Verminderung 
der  Schnelligkeit  resp.  ein  Aufhören  im 
Wachsthum  der  Tuberkelbacillen  erreichbar. 
Es  ist  aber  unmöglich,  eine  so  grosse 
Kreosotmenge  dem  Körper  einzuverleiben. 
Wenn  nun  trotzdem  die  Kreosot- Therapie 
so  günstige  Resultate  liefert,  so  muss  man 
annehmen,  dass  die  in  der  Praxis  ange- 
wandten Dosen,  wenn  sie  jene  Menge  auch 
bei  Weitem  nicht  erreichen,  trotzdem  schon 
auf  das  Wachsthum  der  Tuberkelbacillen 
einen  Einfluss  haben,  nämlich  den,  dass  sie 
die  Vermehrung  derselben  etwas  verlang- 
samen durch  ihre  Einwirkung  auf  den 
Nährboden.  Als  selbstverständlich  betont 
Guttmann  ebenfalls  die  lange  fortge- 
setzte Anwendung  des  Kreosots,  um  einen 
dauernden  Erfolg  zu  erreichen.  Durch  seine 
Versuche  wurde  die  Erfahrung  Sommer- 
brodt^s:  „Je  mehr  Kreosot  pro  die^  desto 
besser  die  Wirkung^  bestätigt  und  begründet 
und  so  empfiehlt  denn  auch  Guttmann,  mög- 
lichst bald  zu  grossen  Dosen  aufzusteigen. 
Er  wählte  eine  schmackhaftere  Form  des 
Präparates,    als    sie    Fräntzel  verabreicht: 

IV     Kreosoti  1,0, 

Aeth.  acet.  2,0, 

Tct.  aromat.  2,0, 

Syr.  simpl.  25,0, 

Aquae  dest.  q.  s.  ad  100,0. 

M.  D.  S.  3  mal  tägl.  1  Theelöffel  in  Va  Glas 
Wasser  mit  1  Theelöffel  Syr,  Rubi  Jdaei. 
—   hatte  aber  trotzdem  weit  mehr  über  Ne- 
benwirkungen zu  klagen,  als  genannte  Autoren. 

Diese  Verschiedenheit  im  Verhalten  des 
Kreosots  dem  Digestion stractus  gegenüber 
ist  auffällig.  Der  Beobachtung  Guttmann 's 
analog  lauten  die  Berichte,  welche  aus  dem 
Berliner  städtischen  Krankenhaus  veröffent- 
licht  sind.     Dem  gegenüber  stehen  die  An* 


214 


Holm»  Zur  Kreotot-Therapie  bei  LuDgentuberculose. 


rTherapeutlache 
L  Monatühefte. 


gaben  der  vorhin  angeführten  Autoren  und 
die  Berichte  von  Thorner,  Lublinski, 
Driver,  Hopmann  u.  A.  Zwar  herrscht 
unter  denselben  keine  Uebereinstimmung  in 
der  Dosirung  des  Präparates,  aber  keiner 
von  ihnen  hat  besonders  über  Nebenwirkun- 
gen zu  klagen.  Dieser  Unterschied  in  der 
Wirkung  der  Kreosot-Medicamente  hat  mit 
grosser  Wahrscheinlichkeit  seinen  Haupt- 
grund in  der  verschiedenen  Qualität  des 
Präparates;  allerdings  kann  in  einzelnen  >ve- 
nigen  Fällen  eine  gewisse  Idiosynkrasie  gegen 
das  Kreosot  nicht  abgeleugnet  werden. 

Nachdem  auf  Grund  der  gemachten  Er- 
fahrungen die  Kreosot-Therapie  bei  der  Be- 
handlung der  Lungentuberculose  in  den  Vor- 
dergrund getreten  war,  wurde  auch  in  der 
medicinischen  Abtheilung  des  Königlichen 
Üniversitäts-Krankenhauses  zu  Greifs- 
wald im  Jahre  1887  dieses  Heilverfahren 
bei  einer  Reihe  von  Patienten  eingeleitet. 
Die  Auseinandersetzung  der  Erfahrungen, 
welche  in  diesen  Fällen  hier  gewonnen 
wurden,  ist  der  Gegenstand  dieser  Arbeit. 
Durch  die  Güte  des  Herrn  Geheimen 
Medicinalraths  Prof.  Dr.  Mos  1er  stehen  mir 
die  Krankengeschichten  von  54  mit  Kreosot 
behandelten  Lungenschwindsüchtigen  zur  Ver- 
fügung. Bei  einer  Reihe  dieser  Patienten 
hatte  ich  selbst  während  einiger  Monate, 
wo  ich  als  Volontair  auf  der  medicinischen 
Abtheilung  thätig  sein  durfte,  Gelegenheit, 
die  Wirkungen  des  Kreosots  zu  beobachten. 

Ich  schicke  voraus,  dass  im  Folgenden 
von  einer  definitiven  Heilung  nicht  gespro- 
chen werden  kann,  da  seit  der  Anwendung 
des  Präparats  nicht  Zeit  genug  verflossen 
ist,  um  die  Beobachtungen  an  den  betreffen- 
den Patienten  genügend  sicher  zu  stellen, 
andrerseits  aber  die  Patienten  gewöhnlich, 
sobald  eine  Besserung  ihres  Zustandes  be- 
merkbar geworden  war,  sich  meist  bald  der 
Behandlung  entzogen.  Der  Bericht  über  die 
gewonnenen  Erfahrungen  mag  als  ein  Bei- 
trag zur  Statistik  der  Kreosot  -  Wirkung 
dienen. 

Die  Anwendung  des  Medicaments  geschah 
fast  ausschliesslich  in  zwei  Formen.  Ent- 
weder wurden  Kapseln  nach  Sommerbrodt 
verabreicht,  oder  das  Kreosot  wurde  mit 
Tinct.  Gent,  gegeben,  und  zwar 

IV     Kreosoti        5,0, 
Tct.  Gent.  10,0, 
M.  D.  S.  3  mal  tägl.  5  Tropfen 
in  aufsteigender  Dosis  in  einem  Glase  Milch. 
Nur  bei   einem  Patienten   wurde  die  Pillen- 
form versucht,  jedoch  bald  als  unzweckmässig 
aufgegeben,   und  nun  das  Präparat  mit  Tct. 
Gent,  angewandt.    Die  Verabreichung  geschah 
nach  den  Mahlzeiten. 


Es  erscheint  zweckmässig,  diejenigen 
Fälle  aus  der  Zahl  der  Behandelten  heraus- 
zunehmen und  zunächst  zu  besprechen,  bei 
denen  es  sich  um  die  ersten  Anfönge  der 
Tuberculose  handelt.  Darunter  ist  zu  ver- 
stehen das  Vorhandensein  von  diffusem 
Katarrh,  besonders  Spitzen katarrh,  von  In- 
filtrationen in  den  Spitzen;  das  Fehlen  von 
Störungen  seitens  der  Verdauungsorgane  und 
von  amyloider  Erkrankung;  ein  noch  guter 
Kräftezustand. 

I.  Es  handelt  sich  hier  um  10  Patienten, 
bei  denen  die  Diagnose  durch  den  Nachweis 
von  Tuberkel  bacillen  im  Sputum  gesichert 
war.  Die  Kranken  befanden  sich  im  Alter 
von  16  bis  33  Jahren;  3  waren  weiblichen, 
7  männlichen  Geschlechts. 

Bei  7  dieser  10  Patienten  wurde  das 
Kreosot  ohne  jede  Störung  von  Seiten  des 
Digestions-Apparates  vertragen.  Bei  den 
3  übrigen  Kranken  erregte  das  Medicament 
gastrische  Störungen,  und  zwar  bei  einem 
dieser  Patienten  schon  nach  sechstägigeni 
Gebrauch  kleiner  Dosen  so  stark,  dass  von 
der  weiteren  Anwendung  des  Mittels  Ab- 
stand genommen  werden  musste.  In  dem 
Folgenden  wird  dieser  Patient  daher  nicht 
mitgezählt  werden.  In  den  beiden  anderen 
Fällen  traten  die  Beschwerden  nach  ca. 
14  Tagen  auf,  als  schon  eine  grössere  Dosis 
des  Kreosots  (3  Mal  tägl.  3  Kapseln)  ver- 
abreicht worden  war.  Es  wurde  das  Medi- 
cament während  einiger  Tage  ausgesetzt, 
dann  wieder  angewandt  und  nun  auch  wie- 
der vertragen. 

Ein  wesentlicher  Einfluss  des  Kreosots 
auf  die  tuberculösen  Processe  lässt  sich  in 
zwei  Fällen  constatiren;  es  sind  das  dieje- 
nigen Kranken,  bei  denen  der  Process  die 
geringste  Ausdehnung  genommen  hatte,  und 
welche  mehrere  Monate  in  Behandlung  blie- 
ben. Bei  diesen  beiden  Patienten  war  bei 
der  Entlassung  auf  den  Lungen  absolut  nichts 
Abnormes  mehr  nachzuweisen.  Die  übrigen 
7  Patienten  blieben  nur  3  Wochen  bis  l^a 
Monate  in  Behandlung.  Auch  hier  wurden 
die  physikalischen  Phänomene  schw^ächer 
(bei  5  dieser  Pat,  verschwanden  die  Rassel- 
geräusche vollständig),  die  Secretion  und  der 
Husten  Hessen  nach,  das  Allgemeinbefinden, 
hob  sich.  Für  eine  definitive  Beurtheilung 
jedoch  verliessen  diese  Patienten  die  Anstalt 
zu  früh. 

II.  Die  weitaus  grösste  Zahl  der  in  Be- 
handlung genommenen  Phthisiker  befand 
sich  schon  in  einem  vorgeschritteneren  Sta- 
dium der  Krankheit.  Die  besten  Erfolge 
wurden  in  diesen  Fällen  bei  denjenigen  Pa- 
tienten erzielt,  bei  denen  die  Krankheit 
einen  durchaus  langsam  verlaufenden  Charakter 


tu.  JalirgaBg.! 
Mai  1889.    J 


Holm,  Zur  Kreotot-Therapie  bei  LungentubareuloM. 


215 


darbot,  wo  yerhältnissmäBBig  wenig  Husten 
und  Auswurf  und  keine  auf  derselben  Basis 
beruhenden  Erkrankungen  anderer  Organe 
Torhanden  waren. 

In  21  Fällen  gelang  es,  den  Zustand 
der  Patienten  während  ihres  Verweilens  in 
der  Klinik  so  weit  zu  bessern,  dass  das 
Allgemeinbefinden  bedeutend  gehoben  wurde, 
und  dass  sie  nach  dem  Verlassen  des  Kranken- 
hauses leichtere  Arbeit  wieder  aufnehmen 
konnten.  £ine  Abnahme  der  Krankheitser- 
scheinungen konnte  constatirt  werden.  Diese 
Patienten  standen  im  Alter  von  25  bis 
68  Jahren;  unter  ihnen  waren  2  Frauen 
und  19  Männer.  Fünf  Ton  ihnen  suchten 
wiederholentlich  die  Klinik  auf  (3  bis  4  Mal) 
und  verliessen  jedes  Mal,  nachdem  sie  mit 
Kreosot  behandelt  waren,  in  gebessertem 
Zustand  die  Anstalt.  Auch  hier  wurde  das 
Präparat  sowohl  in  Sommerbrodt^schen 
Kapseln,  als  in  der  Zusammensetzung  mit 
Tinct.  Gent,  recht  gut  yertragen.  In  zwei 
Fällen  nur  zeigten  sich  Nebenerscheinungen 
von  Seiten  des  Yerdauungssystems ;  eine 
Pause  von  wenigen  Tagen  genügte,  um  das 
Medicament  weiter  gebrauchen  zu  können. 

Die  Resultate  waren  ähnlich,  wie  die 
sub  I  angeführten:  Zuweilen  Steigerung  des 
Appetits,  stets  Verminderung  des  Hustens 
und  Auswurfes  (letzterer  blieb  immer  tuber- 
kelbacillenhaltig),  Hebung  des  Allgemeinbe- 
findens. Eine  Temperaturherabsetzung  bei 
bestehendem  Fieber  kann  nicht  sicher  auf 
die  Wirkung  des  Kreosots  zurückgeführt 
werden,  da  ein  Sinken  derselben  nur  ein 
Mal  bei  ausschliesslichem  Kreosotgebrauch 
beobachtet  wurde;  in  den  anderen  Fällen 
musste  immer  zu  Antipyreticis  gegriffen 
werden.  Ob  das  Kreosot  die  bestehenden 
Schweisse  herabsetzte,  kann  ebenfalls  nicht 
constatirt  werden;  es  wurden  in  diesen 
Fällen  ausser  dem  Kreosot  noch  zweckent- 
sprechende Mittel,  wie  Atropinpillen  oder 
Strychnintinctur  etc.,  angewendet. 

III.  Ohne  Resultat  blieb  die  Anwendung 
des  Kreosots  in  23  Fällen.  Bei  diesen 
Patienten  hatte  der  Krankheitsprocess  schon 
ausgedehnte  Lungenbezirke  ergriffen  und  zu 
weitgehenden  Zerstörungen  geführt.  12  von 
den  Kranken  yerliessen  die  Anstalt  ohne 
jede  Spur  Ton  Besserung;  bei  11  erfolgte 
der  Exitus  letalis. 

Fassen  wir  nun  die  angeführten  Fälle 
zusammen  und  bezeichnen  wir  diejenigen, 
wo  bei  der  Entlassung  der  Patienten  nichts 
Abnormes  mehr  auf  den  Lungen  nachzuweisen 
war,  als  ,, anscheinend  geheilt^,  diejenigen 
dagegen,  wo  eine  Wiederherstellung  des 
körperlichen  Wohlbefindens  erzielt  war,  so 
dass  die  Patienten  wenigstens   leichtere  Ar- 


beit wieder  verrichten  konnten,  als  „ge- 
bessert", so  resultirt  daraus  folgende  Sta- 
tistik : 


Jahrgang 

Anzahl  der 
Patienten 

anscheinend 
geheilt 

gebessert 

nicht    1 
geheilt  1 

sterben  | 

M&rz  1887 

bis  Nov. 

1888 

53 
(nrsprttng- 
lich  54, 1  Pat. 
kann  Jedoch 
nicht  mitge- 
rechnet 
werden  cf. 
oben) 

2  — 

Q  7  0/ 

28  — 
62,8  »/, 

12 

11 

Diese  erzielten  3,7  %  „anscheinend  ge- 
heilte" erreichen  fast  den  von  Fräntzel  an- 
gegebenen Procentsatz.  Dagegen  ist  der 
Procentsatz  der  „gebesserten"  bedeutend 
höher,  als  von  anderen  Autoren  angegeben 
wird.  Dieser  Umstand  findet  seine  Erklä- 
rung darin,  dass  in  der  Greifswalder  Klinik 
bald  diejenigen  Kranken,  bei  denen  die 
Lungentuberculose  schon  zu  weit  vorge- 
schritten war,  von  der  Kreosotbehandlung 
ausgeschlossen  wurden,  dass  also  nur  ver- 
bal tnissmässig  günstige  Fälle  für  die  Kreo- 
sot-Therapie herangezogen  wurden. 

Von  der  Charakteristik  jedes  einzelnen 
Falles  muss  hier  natürlich  Abstand  genom- 
men werden.  Die  einzelnen  Momente  in 
der  Wirkungsweise  des  Kreosots  zusammen- 
fassend betrachtet,  ergeben  folgendes  Re- 
sultat : 

1.  Das  Kreosot  wird  sowohl  in  Kapsel- 
form, als  auch  in  der  Zusammensetzung  mit 
Tct.  Gentiana  in  den  meisten  Fällen  gut 
vertragen,  sobald  man  mit  kleineren  Dosi- 
rungen  beginnt  und  das  Medicament  nach 
den  Mahlzeiten  nehmen  lässt.  Zuweilen 
steigert  sich  der  Appetit.  Der  Geschmack 
rief  in  keinem  Falle  dauernde  Abneigung 
hervor,  vielmehr  war  die  Gewöhnung  an 
denselben  eine  sehr  rasche.  Dass  jedoch, 
wie  es  manche  Autoren  hervorheben,  ein 
besonderes  Bedürfniss  nach  dem  Mittel  ent- 
stand, konnte  nicht  bemerkt  werden. 

2.  Bei  bestehenden  Diarrhöen  auf  tuber- 
culöser  Basis  hatte  das  Kreosot  keinen  Ein- 
fluss;  bestehende  Obstipation  wurde  ebenfalls 
nicht  aufgehoben. 

3.  Eine  Herabsetzung  des  Fiebers  durch 
Kreosot  ist  fraglich. 

4.  Unzweifelhaft  ist  in  12  Fällen  die 
erzielte  Besserung  der  Krankheit  durch 
Kreosot  allein  bedingt.  In  den  übrigen 
18  Fällen  (cf.  die  30  Fälle  der  anscheinend 
geheilten  und  gebesserten)  ist  der  Erfolg 
theilweise  vielleicht  zugleich  durch  die  be- 
deutend bessere  Ernährung,  als  sie  den 
Patienten  im  Privatleben  zu  Gebote  stand, 
bedingt.  Die  ersten  12  Patienten  lebten 
jedoch    in    so  günstigen  Privatverhältnissen, 


216 


D«ttwell«ry  Uebttr  ein  Taieheoflfttchcb«ii  flir  Hustend«. 


tTherapeatlsche 
llonatiihaft«. 


dass   bei  ihnen  eine  mangelhafte  Ernährung 
ausser  Betracht  kommt. 

5.  Bei  geringeren  Blutbeimengungen  im 
Sputum  zeigte  das  Kreosot  eine  gute  Wir- 
kung, da  mit  dem  spärlicher  werdenden 
Auswurf  auch  diese  Blutbeimischungen  ver- 
schwanden. In  den  Fällen,  wo  Hämoptoe 
in  stärkerem  Maasse  bestand,  wurden  gleich- 
zeitig andere  Medicamente  angewandt. 

6.  Bronchial-Secretion  und  Husten  nahm 
stetig  ab;  das  Sputum  blieb  tuberkelbacillen- 
haltig. 

7.  Die  Wirkungen  des  Präparates  zeigten 
sich  um  so  besser,  je  reichlicher  Kreosot 
eingeführt  wurde. 

8.  Bei  weit  vorgeschrittenen  Veränderun- 
gen der  Lungen  ist  bei  der  Lungentubercu- 
lose  vom  Kreosot  kein  Erfolg  zu  erhoffen. 
Dagegen  ist 

9.  seine  Anwendung  bei  frisch  beginnen- 
der und  chronischer,  nicht  zu  weit  gedie- 
hener Schwindsucht  «zu  empfehlen. 


Ueber 
eiu  Tasclienfläschclieu  filr  Hustende')* 

Von 

Qeh.  Sanitätsrath  Dr.  Dettweiler 

in  Falkenslein. 

Meine  Herren! 

Das  verehrliche  Präsidium  hat  mir  die 
Erlaubniss  gegeben,  Ihre  freundliche  Auf- 
merksamkeit einige  Minuten  in  Anspruch  zu 
nehmen  für  einen  dem  Anschein  nach  recht 
geringfügigen  Gegenstand:  „ein  Taschen- 
fläschchen  für  Hustende^\  das  aber  als 
naturgemässe  Consequenz  unsrer  heutigen 
Kenntnisse  in  seiner  Bedeutung,  trotz  Klein- 
heit und  vulgären  Zweckes,  wohl  kaum  be- 
anstandet werden  dürfte. 

Es  war  bis  jetzt,  wie  Sie  alle  wissen, 
nicht  gelungen,  das  Vorkommen  des  Bacillus 
der  Tuberculose  ausserhalb  des  thierischen 
und  menschlichen  Organismus  in  der  freien 
Luft  oder  deren  Niederschlag,  dem  Staube, 
überzeugend  nachzuweisen,  so  sehr  ein  sol- 
ches als  thatsächlich  bestehend  angenommen 
werden  musste.  Es  ist  unnöthig,  sich  hier- 
über vor  einer  solchen  Versammlung  des 
Weiteren  auszulassen.  Die  ausserordentlich 
gewissenhaften,  vielhundertfältigen  und  meines 
Erachtens  schon  durch  ihre  Provenienz  ein- 
wandfreien Untersuchungen  Dr.  Cornet's, 
veröffentlicht     im     5.    Heft    der    Zeitschrift 


')  Demonstrirt  auf  dem  8.  Congress  für  innere 
Medicin  zu  Wiesbaden  1889. 


für  Hygiene  1888,  deren  Kenntniss  ich 
gleichfalls  hier  voraussetzen  darf,  haben 
nun  kürzlich  (auch  der  grosste  Zweifler  muss 
dies  anerkennen)  unumstösslich  dargethan, 
dass  die  Infectiosität  der  Luft  in  der  Um- 
gebung eines  Phthisikers,  der  seinen  Aus- 
wurf auf  den  Fussboden  oder  in  das  Taschen- 
tuch entleert,  der  also,  um  es  mit  Cornet 
kurz  zu  sagen,  unreinlich  spuckt,  eine  That- 
Sache  ist,  und  dass  jene  Ansteckungsfähigkeit 
in  dem  Staube  aus  der  nächsten  Umgebang 
eines  solchen  Kranken  ihre  Ursache  hat,  be- 
ziehungsweise dass  der  Staub,  das  eingetrock- 
nete und  zerriebene  Sputum  der  weitaus 
häufigste  Träger  und  Ueberträger  des  Bacillus 
ist.  Die  in  Rede  stehenden  Untersuchungen 
haben,  abgesehen  von  einer  erheblichen  und 
erfreulichen  Einschränkung  der  seither  an- 
genommenen Ubiquität  des  Bacillus,  auch 
denjenigen,  welche  bis  jetzt  im  Zweifei  über 
die  nicht  sicher  erwiesene  Infectionsfahigkeit 
der  Luft  einen  praktisch  wenigstens  indiffe- 
renten Standpunkt  einnahmen,  das  schein- 
bare Recht  hierzu  genommen.  Eines  der 
erfreulichsten  Ergebnisse  der  Untersuchungen 
Cornet^s  ist  aber  der  Beweis  für  das,  was 
meine  und  vieler  Meinung  längst  war,  dass 
der  Tuberculose  an  und  für  sich  nicht  die 
geringste  Gefahr  bringt,  dass  er  absolut  un- 
schädlich ist,  wenn  für  zweckmässige  Be- 
seitigung des  Auswurfs  und  eventuelle  Des- 
infectiou  seiner  Effecten  und  des  Kranken- 
zimmers Sorge  getragen  wird.  Cornet  hat  mit 
dem  Staube  aus  sechs  Krankensälen,  '/s  ^^^ 
untersuchten,  die  dicht  mit  Phthisikern  be- 
legt waren,  in  denen  aber  nur  in  vorge- 
schriebener, richtiger  Weise  expectorirt  wurde, 
keine  Infection  erzielen  können,  während  eine 
solche  fast  ausnahmslos  (74  Procent)  gelang, 
wo  Taschentuch  oder  Fussboden  hierzu  be- 
nutzt wurden.  Der  Kranke  kann  demnach 
nur  sich  und  Anderen  Schaden  bringen  durch 
üble  Gewohnheit,  das  heisst,  durch  Unrein- 
lichkeit  in  dem  oben  deflnirten  Sinne.  Und 
unreinlich  in  diesem  Sinne  sind  noch  die 
meisten  Phthisiker  und  Hustenden  überhaupt, 
sie  sind  meines  Erachtens  gezwungen  hierzu 
durch  unsere  gesellschaftlichen  Gewohnheiten 
und  häuslichen  Einrichtungen.  Die  Alles  be- 
friedigende Technik  und  Industrie  unserer  Tage 
sind  in  mancher  Beziehung  merkwürdig  weit 
zurückgeblieben,  der  praktische,  die  Sinne  nicht 
beleidigende  Spucknapf  ist  noch  zu  erfinden. 
Man  hat,  indem  man  denselben  zum  Stief- 
kind, zum  versteckten,  schämenswerthen  Find- 
ling der  häuslichen  Einrichtung  machte,  ihn 
sowohl  wie  das  Bedürfniss  seiner  Existenz 
ignoriren  zu  dürfen  geglaubt  und  damit  Ge- 
wohnheiten erzwungen,  die  ebenso  unserer 
verfeinerten  Lebenssitte  wie,    nach    unserem 


Datlwallct,  Oabar  alii  TBiehanDlsohohaa  f&r  HiuMod«, 


217 


heutigen  Wiaseo,  dem  Allgemeinwohl  Hohn 
sprechen.  Nur  bei  den  aberrein  liehen  Hol- 
ländern h&tte  der  Spucknapf  in  dem  bekann- 
ten Kwispeldoorchen,  das  in  coDHervativen 
Bürgerfamilien  noch  heute  hier  und  da  in- 
mitten der  Tafel  zum  allgemeinen  Gebrauche 
Bteht,  eine  nicht  ganz  appetitliche,  aber  ziem- 
lich Btilgemäsae  Verkörperung  gefunden.  Der 
UuBtende,  der  Auswerfende,  vor  Allem  a)BO 
der  Phthisiker,  war  und  ist  bis  jetzt  ge- 
zwungen, in  den  meisten  Fällen  seinen  Aus- 
wurf in  sein  Taschentuch  oder  auf  den  Fuss- 
boden  zu  deponiren  und  in  uuBerem  Sinne 
damit  unreinlich,  das  beisat  sich  und  Andern 
geßhrlich  zu  sein.  Denn  wo  ist  ihm  im 
Gesch&rt,  im  Bureau,  Salon,  in  der  Kirche, 
im  Theater,  im  Concert,  Hör-  und  Gerichts- 
saal,  besonders  aber  im  Wartesaal  und  auf 
langer  Eisen  bah  nfabrt  die  Möglichkeit  ge- 
boten, seine  Bronchial-  und  Lungensecrete 
anders  als  in  der  gerügten  Weise  wegzu* 
schaffen  ?  Als  das  Zulässigste,  weil  für 
den  Augenblick  die  Sinne  am  wenigsten  be- 
leidigend, galt  eben  noch,  ins  Taschentuch 
lu  spucken.  Nun  kommt  die  Entdeckung 
des  Bacillus  und  als  Folge  der  Nachweis 
einer  geradezu  eminenten  Schädigung  des 
allgemeinen  Wohles  durch  die  seitherige  Ge- 
pftogenheit.  Hier  muss  Abhijire,  im  gewissen 
Sinne  eine  kleine  sociale  Revolution  geschaffen 
werden,  und  die  strenge  Nothwendigkeit  recht- 
fertigt es,  wenn  ich,  etwaige  billige  Witze 
und  Spöttereien  nicht  scheuend,  gerade  vor 
den  ersten  Areopag  Deutschlands  in  Dingen 
des  gesundheitlichen  Wohles  hin  trete  mit 
dem  ersten  Versuche  einer  wirksamen  Ab- 
hülfe, einer  Verminderung  der  ungeheuren 
Gefahr,  die  in  immer  weiterer  Verbreitung 
der  Schwindsucht  liegt.  Indem  ich,  unter 
Au  frech  terha!  tun  g  -meiner  anderen,  vielfach 
abweichenden  Ansichten,  wie  über  Disposition 
n.  A.,  jene  von  Cornet  erwiesenen  Thatsachen 
und  diese  Anschauungen  so  nachdrücklich  be- 
tone, trete  ich  keineswegs  in  Widerspruch  mit 
früheren  Aeusserungen;  ich  habe  den  ersteren, 
sobald  für  mich  die  Beweise  zwingend  gewor- 
den waren,  sofort  in  ausgedehnter  Weise  prak- 
tisch Rechnung  getragen,  wie  jeder  Besucher 
Falkensteins  sich  überzeugen  konnte.  Schon 
vor  fünf  Jahren  hatte  ich  in  meiner  Schrift: 
„Ueber  Behandlung  der  Lungenschwindsucht" 
ausgesprochen:  „Wäre  es  möglich,  ein  hand- 
liches, kleines,  durch  Federdruck  verschliess- 
bares  Geftss  zu  constroiren  und  gelänge  es 
durch  eine  weitgehende  Agitation  aller  Aerzte 
und  der  gesammten  Presse  das  kranke  Pub- 
likum zu  veranlassen,  nur  in  einem  solchen 
Gefaese  seine  Sputa  abzusetzen,  so  wäre  eine 
endliche  Ausrottung  oder  doch  erhebliche 
Verminderung    des  Bacillus   denkbar".     Ich 


suchte  damals  diesen  Gedanken  praktisch 
zu  verwerthen,  hatte  aber  das  Unglück,  an 
einen  unpraktischen  Techniker  zu  geratben 
und  durch  andere  zwingende  umstände  von 
der  Ausführung  meines  Planes  abgezogen  zu 
werden.  College  Cornet  bat  mich  diesem 
wieder  zugeführt  und  so  bin  ich  nun  heute, 
nach  mancherlei  Berathungen  mit  sachver- 
ständigen Freunden  und  Technikern  in  der 
Lage,  Ihnen  ein,  durch  die  bekannte  Firma 
Gebrüder  Noelle  in  Lüdenscheid  hergestell- 
tes Gebrauchsgefäss  vorzulegen,  das  allen 
Anforderungen  so  lange  aufs  Beste  entspricht, 
bis  ein  besseres  erfunden  wird,  was  natür- 
lich keineswegs  ausgeschlosseu  ist.  Die  vor- 
gelegten Exemplare  sind  als  aus  der  Hand 
gefertigte  Muster  zu  betrachten,  die  noch 
einiger  kleiner  Verbesserungen  fähig  sind. 
Nach  Ihrer  Zustimmung  kann  die  fabrik- 
mässige  Herstellung  beliebiger  Quantitäten 
in  wenigen  Wochen  ermöglicht  werden. 


ErkUrung. 
Dos  kleine  GerSth  ist  ein  etwa  85  ccn  hilten- 
dea  flaches  bUugof&rbtes  Gloetl Asche bsn,  welches 
zwei  OeffnuDgeD  besitzt,  eine  obere  grössere  zum 
Einführen  des  Sputums  mit  einem  metslleaen 
Schrauben  verschluss,  der  ausser  einem  gut  sc  blies  sen- 
den federnden  Deckel  noch  einen  glntt  polirten, 
bis  in  die  Hfilftc  des  Fläaclichens  reichenden  koni- 
schen Trichter  enthült.  Die  Constniction  entspricht 
demnach  den  bekannten  Tintenfftascrn  und  verbin- 
dert das  AusQiessen  des  die  H&lfte  des  Raumes 
nicht  überschreitenden  Inhalts  beim  Umdrehen  — 
selbst  wenn  der  Deckel  nicht  geschlossen  ist.  Die 
untere  kloinere  OoCfnung  dient  als  Reinigangsloch 
und  hat  gleichfalls  einen  SchraubenverscLIuss.  Das 
kleine  Instrument  ist  handlich,  billig  (1,50),  sicher 
schliessend  und  läset  sich  leicht  Tollstfodig  reini- 
gen.    Es  entspricht  also  seinem  Zwecke. 

Mau  halte  mir  nicht  entgegen,  dass  die 
gesellschaftliche  Sitte  dem  allgemeinen  Ge- 
brauche desselben  als  unappetitlich  durch 
die  Betheiligten  widerstreben  werde.  Es 
kommt  nur  auf  uns  an,  jene  zu  ändern,  die 
hygienische  Bildungs-  und  BelehrungsfShig- 
keit  des  Publikums  hat  sich  bisher  als  eine 


218 


üeUweller,  Üeber  ein  Taaehenfiflichchen  fOr  ttuatehde. 


rlierapeaÜseitA 
Monatshefte. 


für  ernste  Bestrebungen  durchaus  nicht  un- 
empfängliche erwiesen,  was  auch  in  dem 
nun  zu  entfachenden  Kampfe  gegen  miss- 
bräuchliche  Verwendung  des  Taschentuches 
nnd  Fussbodens  hoffentlich  sich  zeigen  wird. 
"Wie  Cultur  und  Seifen  verbrauch  in  einem  un- 
leugbaren Yerhältniss  stehen,  so  hat  auch  das 
Taschentuch  seine  culturelle  Mission  gehabt  — 
es  muss  aber  wieder  zu  dem,  was  es  ursprüng- 
lich war,  zum  Nasen tuch  gemacht  werden.  Es 
bedarf  unsererseits  nur  der  Brandmarkung 
einer  seither  gesellschaftlich  zulässigen  Ge- 
pflogenheit, um  diese  allmählich  als  schäd- 
lich, unreinlich  aus  der  Welt  zu  schaffen. 
Ist  doch  ohne  anderen  Hebel  als  den 
wachsenden  Sinn  für  Wohlanständigkeit  das 
Taschentuch  zu  einer  welterobemden  cul- 
turellen  Macht  geworden.  Es  sind  kaum 
ein  Paar  hundert  Jahre  her,  dass  durch 
fürstliche  Tafelverordnungen  verboten  werden 
musste,  „denen  Junkers  und  Edelleuten  vom 
Hofe  in  das  Tischtuch  zu  schnauzen  oder 
zu  spucken^.  Der  „Handgebrauch^  muss 
also  damals  wohl  noch  allgemein  üblich  ge- 
wesen sein.  Die  nächste  Folge  des  sich 
verfeinernden  Sinnes  war  das  Nasen-,  das 
Taschentuch,  vcelches  jetzt  bereits  zum 
stolzesten  Besitztitel  des  schmutzigsten  Neger- 
häuptlings gehört.  Dieses  wird  und  ist 
aber,  wie  wir  heute  wissen,  ein  gefahrbrin- 
gendes Instrument  in  der  Hand  des  Hustenden; 
wir  müssen  also  seinen  Gebrau chsumfang 
wieder  einschränken,  was  nicht  allzuschwer 
sein  kann,  da  hygienische  wie  ästhetische 
Gründe  zwingend  sind.  Denn  ist  es 
vielleicht  unappetitlicher,  seinen  Auswurf  in 
ein  solches  Gefäss  zu  entleeren,  das  jeden 
Abend  in  einer  halben  Minute  bequem  zu 
reinigen  ist,  als  ihn  Tage  lang  wie  ein  kost- 
bares Gut  im  Taschentuch  aufzubewahren 
und  ihn  im  ekelerregenden  und  gefahrbrin- 
genden Zustande  dem  Hausmädchen  oder 
der  Wäscherin  zu  übergeben?  Gewiss  nicht! 
Ich  stelle  daher  unentwegt  und  mit  dem 
allergrössten  sittlichen  und  wissenschaftlichen 
Ernste  die  Forderung  auf,  dass  es  unsere 
heilige  Pflicht  ist,  jedem  Hustenden  (denn 
man  kann  nie  voraus  wissen,  wann  der 
Auswurf  beginnt  gefahrdrohend  zu  werden) 
den  Gebrauch  dieses  einfachen,  billigen  Ge- 
räthes,  das  nicht  mehr  Raum  beansprucht,  als 
ein  Geldstückchen  oder  eine  Schnupftabaksdose 
des  vorigen  Jahrhunderts,  statt  des  Taschen- 
tuches oder  gax  des  Fussbodens  zur  unabweis- 
baren, leicht  zu  erfüllenden  Bedingung  zu 
machen.  Wenn  Jeder  von  uns  in  seinem  Kreise 
mit  demselben  Nachdruck,  wie  er  einschneiden- 
dere hygienische  Maassregeln  beiPocken,  Diph- 
therie, Scharlach  und  Cholera  trifft,  die  Eltern, 
Angehörigen  und  den  Kranken  selbst  belehrt 


und  für  die  richtige  Beseitigung  des  Aus- 
wurfs sorgen  lässt,  die  Nichtachtung  mit 
aller  Strenge,  ja  rücksichtsloser  Härte  ahn- 
det, wenn  Sie  von  Ihren  Lehrstühlen  herab 
für  die  Sache  eintreten  und  namentlich  wenn 
die  Presse  ihre  ungeheure  Macht  in  den 
Dienst  derselben  stellt,  so  kann  in  wenigen 
Jahren  ein  Verschwinden  der  schädlichen 
Gewohnheit  bewirkt  sein.  Ich  bitte  daher 
den  hohen  Congress,  für  diesen  unschein- 
baren kleinen  Gegenstand,  „das  Taschen- 
fläschchen  für  Hustende^,  sein  maassgebendes 
ürtheil  abzugeben,  ich  werde  Ihr  Still- 
schweigen als  Zustimmung  deuten,  denn  ich 
bin,  ohne  Furcht  vor  Missdeutung  und  event. 
trotz  dieser  gesonnen,  die  lebhafteste  er- 
laubte Agitation  zu  betreiben,  wobei  ich, 
wie  schon  erwähnt,  auch  auf  die  Unterstützung 
der  Presse  rechne;  mich  leiten  nur  wissen- 
schaftliche und  humanitäre  Beweggründe. 

Die  von  mir  befürwortete  Maassregel  ist 
natürlich  nur  ein  Glied  in  der  Kette,  die 
wir  die  Hygiene  des  Phthisikers  nennen 
müssen,  was  ja  auch  Dr.  Cornet  in  seiner 
Schrift  schon  ausführlich  dargethan  hat. 
Vor  Allem  ist,  um  das  Wichtigste  hier  noch 
kurz  aufzuführen,  die  Vermehrung  praktischer 
Spucknäpfe  allerorts  zu  fordern  (ich  ver- 
weise auf  Grund  6 jähriger  Erfahrung  auf 
die  hier  befindlichen  Modelle,  die  sich  als 
sehr  brauchbar  erwiesen  haben).  Der  Besen 
muss,  besonders  in  der  Anstalt,  im  Kranken- 
hause, im  Hotel  und  in  der  Pension  für 
Lungenkranke  verpönt  sein,  alle  Wohnräume 
und  Gänge  müssen  feucht  aufgenommen 
werden.  Man  sollte  die  Teppiche,  mit  Aus- 
nahme einer  kleinen  Bettvorlage,  zu  be- 
seitigen streben,  die  Zimmer  nach  und  nach 
mit  Linoleum  oder  ähnlichen  Stoffen  belegen, 
die  Wände  nach  der  Abreise  oder  nach  dem 
Tode  eines  Lungenkranken  mit  frischem 
Schwarzbrod  abreiben,  die  Effecten  durch 
überhitzten  Wasserdampf  desinflciren  lassen. 
Auf  diese  Weise  würde  neben  dem  obli- 
gatorischen Gebrauche  des  Taschen- 
fl  äschchens  eine  Sicherheit  geschaffen 
werden,  die  kaum  übertroffen  werden  kann 
und  von  deren  wohlthätigen  Folgen  für  die 
Menschheit  wir  bis  jetzt  kaum  eine  Ahnung 
haben.  Ich  bin  mehr  als  je  der  Meinung, 
dass  ein  in  diesem  Sinne  geleitetes  Kranken- 
haus, eine  Heilanstalt  oder  Pension  für 
Lungenkranke  weniger  Gefahr  für  Gesunde 
und  Kranke  bringen,  als  irgend  ein  anderer 
öffentlicher  Ort  in  der  Welt  oder  eine  nach  dem 
seitherigen  Gebrauche  gehaltene  Privatwoh- 
nung, in  welcher  Lungenkranke  sich  befinden. 
Und  von  diesen  Gesichtspunkten  aus  lege 
ich  gerade  für  dieses  kleine  unentbehrliche 
Gefäss,  das  den  hygienischen  Ring  erstsohliesst 


nL  Jahrgang.*! 
Mai  18S9.    J 


Hoffmaon  u.  Lange ,  Beobachtungen  über  da«  Ichthyol  nach  dreiJähr.  Anwendung.         219 


und  das  die  volle  Lösung  der  von  Ewald 
präcisirten  Formel:  „ ausschliesslich  ins 
Speiglas^  bringt,  zum  Schlüsse  nochmals 
bei  Ihnen  ein  recht  nachdrückliches,  gutes 
Wort  ein. 


Beobacbtiuigreu  über  das  Ichthyol  nach 
dreijähriHT^r  Anwen<luugr* 

Von 

Dr.  von  HofTmann,      nnd 

Dirigent  der  Augeaheilanatalt 

in  Baden-Baden. 


Dr.  Lange, 

pract.  Arzt 


Das  Ichthyol  ist  unter  den  neueren  Heil- 
mitteln für  den  practischen  A.rzt,  dem  das 
Heilen  und  Hilfebringen  am  Herzen  liegt, 
80  hervorragend,  es  führt  zu  glänzenden  Er- 
folgen auf  so  breitem  Gebiet,  dass,  wie  schon 
von  Nussbaum  sagte,  seine  Universalitat  in 
den  Augen  des  Publikums  leicht  auch  für 
Aerzte  etwas  Verdächtigendes  an  sich  tragen 
kann.  Aber  keines  der  neueren  Mittel  lohnt 
so  sehr  die  intime  Beschäftigung  mit  ihm, 
kann  in  so  vielfachen  Formen  in  der  Sprech- 
stunde vom  Arzte  applicirt,  so  ohne  Schaden 
Kranken  anvertraut  werden.  Es  passt  gut 
in  das  Besteck  des  Arztes.  Wir  wollen  die 
Litteratur  über  dasselbe  voraussetzen,  um  so 
mehr,  als  die  Ichthyol -Compagnie  dieselbe 
in  liberalster  Weise  den  Interessenten  zur 
Verfügung  stellt. 

Im  Allgemeinen  können  wir  sagen,  dass 
wir  die  wichtigsten  Publicationen  von  Unna, 
Zuelzer  und  von  v.  Nussbaum  in  allen 
ihren  Punkten  während  einer  dreijährigen 
Beobachtungsdauer  bestätigt  gefunden  haben. 

Im  Folgenden  sollen  aus  einer  drei- 
jährigen Stadt-  und  Land-Poliklinik  und  aus 
der  Privatpraxis  Beweise  für  das  oben  aus- 
gesprochene Lob  beigebracht  werden.  Was 
die  innerliche  Darreichung  des  Ichthyol  an- 
langt, so  ist  in  Pillen  und  Capsules  für  die 
Forma  elegans  gesorgt,  die  anderweitige  Ver- 
ordnung macht  dem  Arzte,  Kenntniss  von 
der  Chemie  und  Physiologie  des  Ichthyols 
vorausgesetzt,  keine  Schwierigkeiten. 

Unter  den  Patienten  giebt  es  indessen, 
wenn  auch  sehr  selten,  einige,  welche  das 
Mittel  sofort  energisch  abweisen,  trotz  besten 
Willens  und  vielfachen  Versuches;  es  sind 
das  dieselben  Naturen,  denen  mit  Leberthran 
nicht  beizukommen  ist.  Und  gerade  wie  bei 
letzterem  vollzieht  sich  die  Angewohnung 
langsam,  mit  allgemach  verschwindendem 
Aufstossen,  und  wie  der  Leberthran  wird 
das  Ichthyol  zum  Bedürfniss,  und  wollen  wir 
gleich  erwähnen,    dass   es   sich    in   der  Be- 


völkerung hier  als  Leberthranextract  einge- 
führt hat,  eine  vorzügliche  Bezeichnung,  welche 
instinctiv  die  physiologische  und  therapeu- 
tische Bedeutung  des  Ichthyol  illustrirt. 

Im  Allgemeinen  wird  das  Ichthyol  überall 
da  hervorragend  wirken,  wo  es  sich  um 
Ructus,  Flatus,  stinkende  und  geruchlose, 
um  Tympanitis,  um  alle  jene  Formen  von 
Bedrückungen  durch  „Winde**  handelt,  welche 
die  Menschen  so  hochgradig  beunruhigen,  sie 
zu  Hypochondern  und  Leidenden  machen, 
die  unser  Mitleid  und  mehr  noch  unsere 
Findigkeit  anstacheln.  Das  Symptom  „Blä- 
hungen*'^ im  weitesten  Sinne  können  wir  so- 
fort mit  Ichthyol  behandeln,  es  ist  ein 
zuverlässiges  Mittel  bei  Magen-  und  Darm- 
katarrhen, welches  man  ambulanten  Kranken, 
die  aus  socialen  Gründen  eine  Cur  auf  be- 
stimmte Zeit  vertagen  müssen,  mit  Vortheil 
bis  zur  möglichen  eingehenden  Behandlung 
anvertrauen  kann.  Dose  und  Form  ist  dabei 
individuell  abzumessen. 

Selbst  jahrelang  bestandenes,  mit  Migräne 
wieder  plötzlich  auftretendes  Aufstossen  und 
ganz  acut  aus  gährenden  Speisen  entstan- 
denes kann  sofort  durch  eine  Dose  Ichthyol 
in  reichlichem  Wasser  beseitigt  werden. 

Es  giebt  hier  eine  Form  von  Scrophu- 
lose,  welche  auf  dem  Lande  und  in  den 
Gebirgsorten  reichlich  sich  findet  und  zurück- 
zuführen ist  nicht  auf  Armuth,  schlechte  Woh- 
nung, Nahrungsmangel,  sondern  auf  wenig 
strenge  Erziehung,  mangelnde  Reinlichkeit 
und  verkehrte  Pflege  der  Elinder,  und  geradezu 
auf  Ueberfütterung.  Die  Kinder  essen  immer 
ein  salzloses,  fades,  oft  schlecht  durchge- 
backenes  Brod,  so  lauge  sie  etwas  bekommen, 
dazu  an  den  gestatteten  Esszeiten  weissen 
Käse,  der  sehr  unsauber  und  oft  zersetzt, 
dazu  Most  oder  Haustrunk,  auch  nur  das 
Unreine,  Trübe,  denn  das  Gute  wird  ver- 
kauft, viel  Obst,  upreif  und  reif.  Bei  den 
Hauptmahlzeiten  fehlt  es  nicht  an  guten 
Fleisch-,  Milch-  oder  Mehlsuppen,  zu  denen 
dann  aber  der  Appetit  mangelt  und  sich  sehr 
oft  schlierigen  Kartoffeln  zuwendet  mit  un- 
gesalzener, schlecht  ausgewaschener  und  ran- 
ziger Butter.  Des  Nuss-  oder  Bucheckern- 
öles bedient  man  sich  zum  Schmelzen  und 
Backen.  Die  Kinder  sind  rothbäckig,  leidlich 
fest  und  kräftig ;  aber  die  Lymphdrüsen  sind 
geschwollen,  es  finden  sich  diverse  Haut- 
ausschläge, meist  Ekzeme,  schlechte  Zähne, 
belegte  Zunge,  oft  nach  saurem  Most  riechen- 
der Mund,  grosse  Flatulenz  und  enorme, 
charakteristisch  stinkende  Sedes.  Kopfhaut, 
Ohrengegend,  Mundwinkel  zieren  Eczeme,  in 
deren  Gefolge  durch  Uebertragung  entstan- 
dene Augenkrankheiten  selten  ausbleiben, 
darunter  Blepharitiden  mit  Pilzbildungen  an 

28* 


220 


fTherapentliehe 


Hoffmann  u«  Lange,  Boobaehtungen  über  du  Ichthyol  nach  dreyShr.  Anwendung.       1    Monatahe^ 


den  Cilienwurzeln,  Phlyctaenen  am  Rande  der 
Cornea  und  auf  dieser  selbst,  wo  es  dann 
zur  Geschwürsbildung  kommt.  Die  anderen 
Ortes  häufige  Keratitis-Büschelform  ist  hier 
selten,  der  Gang  der  Infection  Tom  Ekzem 
zum  Auge  ist  allen  Practikern  bekannt,  wird 
auch  oft  genug  durch  Eiterung  an  den  Finger- 
nageln angezeigt. 

Diese  Kinder  wurden  früher  nach  er- 
probter Praxis  zunächst  nach  sorgfältigem 
Bade  in  Carbol-Sublimatseife  —  neuerdings 
in  CreolinlösuDg  —  mit  Calomel  innerlich  ge- 
reinigt und  es  dauerte  immerhin  7  Tage, 
eventuell  länger,  so  dass  eine  zweite  Dosis 
Calomel  nöthig  wurde,  bis  der  Gestank  der 
Sedes  nachliess.  Jetzt,  seit  Sjähriger  Er- 
fahrung, werden  die  Kinder  nach  demselben 
Bade  sofort  mit  Ichthyol  behandelt.  Ichthyol, 
Akoh.,  Spir.  aether  aa,  anfangs  so  viel  Tropfen 
als  das  Kind  Jahre  zählt,  dann  in  steigender 
Dose,  zweimal  des  Tages  mit  vielem  Wasser 
zum  Nachtrinken  ad  libitum. 

Schon  am  2.  Tage  ist  der  Einfluss  zu 
merken,  auffallend  ist  die  Minderung  der 
Flatulenz,  Desodorirung  der  Sedes,  Reinigung 
des  Mundes  und  der  Zunge.  Dazu  werden 
etwaige  Drüsen  mit  Ichthyol,  pur.  behandelt. 
Jede  gewünschte  Wirkung  kann  die  Dosirung 
verschaffen  und  verschwinden  harte  Drüsen- 
knollen unter  „starker  (Unna  pag.  15)  Wir- 
kung^* mit  Hornhautabstossung  hierbei  an- 
genehmer und  schneller,  als  unter  irgend 
einem  anderen  Heilmittel.  Ohne  besondere 
Diät,  als  die  einer  vernünftigen  Anstaltskost, 
werden  die  Kinder  gesunder  und  gebrauchen 
das  Leberthranextract,  wie  es  die  Leute 
nennen,  gerne  weiter. 

Aber  auch  bei  Erwachsenen  wirkt  das 
längere  Zeit  gereichte  Mittel  umstimmend  auf 
den  ganzen  Körper.  Ein  Gichtiker,  der  seine 
ersten  drei  Attacken  ausgehalten,  ohne  irgend 
eine  Erleichterung  durch  die  gebräuchlichen 
Hilfen,  der  in  stetem  Wechsel  von  Durchfall 
und  Verstopfung,  quälender  Flatulenz,  sich 
stärker  füllenden  Hämorrhoiden  viel  zu 
leiden  hatte,  ist  nach  vierteljährlichem  Ge- 
brauch von  Ichthyol  geheilt  und  die  vierte 
Attacke  war  in  74  Stunde  schmerzlos. 

Ein  20 jähriges  Mädchen,  welches  an 
Chlorose  und  Tuberc.  incip.  litt  und  Vj^  Jahr 
lang  Eisenpillen  gebraucht  hatte  und  Mor- 
phiumpulver, a  discretion  gegeben,  war  geistig 
und  körperlich  so  heruntergekommen,  dass, 
nachdem  alle  Hilfe  umsonst  gewesen,  man 
es  aufgegeben  hatte;  es  wog  48  Kilo.  Hier 
wirkten  Ichthyolpillen  vom  ersten  Tage  an 
beruhigend,  die  Tympanitis  der  Därme  ver- 
schwand und  trotz  sehr  geringer  Ernährung 
80  g  Eiweiss,  40  g  Fett  und  200  g  Kohle- 
hydrate trat  sehr  bald  kein  Gewichtsverlust, 


sondern  Zunahme  ein,  und  da  ich  einen 
Einfluss  auf  den  Spitzenkatarrh  und  den 
durch  4 monatliche  Bettlage  in  den  hinteren 
und  unteren  Theilen  der  Lunge  mit  klein- 
blasigem Rasseln  einhergehenden  Katarrh  zu 
sehen  glaubte,  stieg  ich  bis  auf  3,5  g  Ichthyol- 
Natrium  pro  Tag.  Dabei  war  auffallend, 
dass  die  Sedes  fast  geruchlos  wurden,  dass 
die  HarnausscheiduQg  anfangs  an  Menge  ver- 
doppelt und  dass  hier  erst  nach  Wochen  der 
Harn,  normal  an  Menge,  sich  dunkel  förbte 
und  auch  dann  erst  den  Veilchen geruch  an- 
nahm. Der  Auswurf,  der  wenig  aber  regel- 
mässig Bacillen  enthielt,  wurde  massig, 
dünnflüssig,  roch  wie  frische,  nasse  Wäsche 
und  hatte  in  der  12.  Woche  keine  Bacillen 
mehr.  Ich  hatte  den  Eindruck,  als  schwitze 
die  Lungenschleimhaut,  so  laut  war  überall 
das  nasse  Rasseln  und  die  Masse  reizte  zum 
Auswurf  ohne  Kitzel,  Qual,  Anstrengung. 
Erst  als  ich  das  Getränk  möglichst  ein- 
schränkte, als  die  Wärme  Aufenthalt  im 
Freien  gestattete,  schwand  dieser  Auswurf 
und  nun  nahm  Kraft  (62  Kilo)  und  Gesund- 
heit so  zu,  dass  Patientin  die  See-  und 
Landreise  nach  Peru  antreten  konnte,  von 
wo  noch  keine  Nachricht. 

Anschliessend  hieran  heilten  Knochen- 
fisteln, eine  am  Auge  nach  tuberculöser  Zer- 
störung desselben,  eine  auf  dem  Fussrücken 
in  kurzer  Zeit  unter  Ichthyol  ganz  ausge- 
zeichnet. Wir  führten  Ichthyol.  Amm.  pur.  in 
die  Fistelgänge  ein,  iudem  wir  zuerst  die 
in  Ichthyol  getränkte  Watte  wie  einen  Aetz- 
stift  gebrauchten,  später  tropfenweise  Ichthyol 
hineinbrachten. 

Nach  unverständigen  Marien-  und  Carls- 
bader Laien-Curen,  bei  diätetischen  Experi- 
mentatoren, bei  einem  verstopften  Vegeta- 
rianer,  überall  regelt  das  Ichthyol  die  Magen- 
Darmthätigkeit,  hilft  Diarrhöen  und  Ver- 
stopf ud  gen  steuern. 

Es  ist  eben  ein  Mittel,  welches  seine 
(eigene  grössere)  Wirksamkeit  herbeifuhrt,  in- 
dem es  Katarrhe  der  Schleimhaut  beseitigt, 
chemisch  bestimmend  auf  die  Ingesta  wirkt 
und  als  Eiweiss  ersparendes  vorsichtig  in  der 
Ernährung  zu  sein  erlaubt  und  ein  Ausruhen 
der  Digestion  ohne  Kräfteverlust  gestattet. 
Bei  raschem  Wachsthum  der  Kinder,  in  den 
Fällen,  wo  die  Scrophulose  nur  in  der  Nase 
localisirt  ist,  Borkenschnupfen  und  reichlich 
glasiges,  riechendes  Excret,  wo  das  Mehr- 
essen nicht  zu  erreichen,  oder  bei  ner- 
vösen Kindern  sofort  Verstimmung  hervor- 
ruft, wirkt  Ichthyol  local  und  innerlich  viel 
schneller  und  sicherer  wie  Leberthran. 

Die  äussere  Anwendung  des  Ichthyol  ist 
aber  noch  dankbarer  und  mannigfacher,  es 
kann  mit  viel  besserem  Erfolge  in  der  Hand 


IZI.  Jafarir»Dg.'1 
Mai  1889.     J 


H o f f m ann  u.  Lange,  Beobaefatungen  über  das  Ichthyol  nach  dre^jähr.  Anwandung.        22 1 


des  Arztes  in  der  Sprechstunde  wirken,  als 
Jodtinctur  oder  Salben.  Zudem  kommt,  dass 
es  sich  in  alle  erdenklichen  Verbindungen 
und  Formen  bringen  lässt,  mit  Sublimat  und 
Jod,  mit  Alkohol  und  Aether,  mit  Wasser  und 
Salben,  mit  Oelen  und  Seifen. 

Es  ist  ein  ausgezeichnetes  Blutsti]lunfi;s- 
mittel  und  giebt  in  der  Plastik  im  Gesicht, 
bei  sorgfältigen  Nähten  der  Hand-  und  Finger- 
yerletzungen  wundervolle  Narben.  Mit  ihm 
kann  die  Renommimarbe  nicht  gedeihen  und 
ist  Ichthyol  ein  wahres  Cosmeticum  in  ge- 
schickter Hand.  Es  ist  ein  souveraines 
Mittel  bei  Verbrennungen,  selbst  2.  Grades 
noch  nach  ^j^  Stunden  angewendet.  Dabei 
bemerke  ich,  dass  ich  an  Stelle  des  Pinsels 
eine  Glaspipette  wie  einen  Pinsel  gebrauche, 
indem  ich  die  Tropfen  auffallen  lasse,  event. 
damit  verstreiche,  man  muss  nur  nicht  mehr 
als   10  Tropfen  auf  einmal  nehmen. 

Bei  Entzündungen  der  Gelenke,  ob  als 
traumatisch  oder  rheumatisch  oder  aus  sonst 
irgend  einem  Grunde,  habe  ich  herrliche 
Erfolge  auf  folgende  Art:  Mit  Seife,  in 
letzter  Zeit  Ichthyol  seife,  reibe  ich  meine 
Hand  ein  und  salbe  das  Gelenk  wiederholt 
vorsichtig  mit  dem  Schaum,  spüle  ihn  funf- 
bis  sechsmal  ab  mit  recht  warmem  Wasser, 
eventuell  mit  dem  Schwamm;  auf  diese  nasse 
Haut  bringe  ich  sofort  mit  einem  Spatel 
Ichthyol  A.  pur.,  so  dass  das  ganze  Gelenk 
von  einer  dunkelbraunen  glatten  Ichthyol- 
Schicht  bedeckt  ist,  darüber  kommt  eine 
dicke  Wattelage  ohne  wesentlichen  Druck.  In 
allen  Fällen  war  der  Schmerz  in  '/^  Stunde  ge- 
ringer. 6  bis  12  Stunden  bleibt  dieser  Verband, 
dann  entscheide  ich,  wie  weiter  zu  verfahren. 
Distorsionen  im  Fussgelenk,  Verstauchun- 
gen der  Hand,  Schwellungen  im  Kniegelenk 
verlaufen  unter  keiner  Behandlung  in  so 
kurzer  Zeit. 

Eine  Luzatio  pollicis  auf  den  Handrücken 
heilte  unter  Ichthyol,  pur.  in  6  Tagen,  und 
bildete  die  dicke,  hornige,  abgestossene  Epi- 
dermis der  Maus  ringsum  bis  zum  1.  Gliede 
eine  vorzügliche  Schiene  für  die  erste  Zeit. 
Der  acute  Gelenkrheumatismus  mit  vielen 
Recidiven  und  geschwächter  Constitution  ist 
für  innerliche  und  äusserliche  Behandlung, 
Lanolin-Ichthyol  bei  geringster  Empfindung 
im  Gelenk,  sehr  geeignet,  es  schafft  eine 
bisher  „nie  dagewesene  Gesundheit ^\ 

Von  den  Hautkrankheiten  möchte  ich  die 
practischen  Aerzte  vor  allem  auf  die  Hitze- 
Erytheme  fleissiger  Hausfrauen  und  Feuer- 
arbeiter, auf  die  Rosace-Patienten  und  jene 
rothen  Nasen  mit  Schmetterlingsflügeln  links 
und  rechts  auf  den  Wangen,  aufmerksam 
machen,  weil  diese  Heilungen  ein  überaus 
dankbares  Publikum  finden. 


In  den  „Dermatologischen  Studien"  und 
den  „neueren  Fortschritten  in  der  Therapie 
der  Hautkrankheiten"  von  Unna  findet  der 
Leser  das  Beste  und  Brauchbarste,  eine  wahre 
Fundgrube  für  den  practischen  Arzt.  Wer 
selbst  Hand  anlegt,  auch  wohl  den  Kamm 
selbst  in  die  Hand  nimmt,  wird  sehen,  dass 
Krankheiten  der  Kopfhaut  und  Haare  und 
sogenanntes  nervöses  Kopfweh  auch  mit 
Ichthyol  prächtig  zu  heilen  sind. 

Venen  Stauungen  und  entzündete  Venen 
mit  und  ohne  etwaige  Ulcera  cruris,  entzünd- 
liches Oedem  der  Augenlider  (hier  mit  nach- 
folgendem Paraffin-Ichthyol- Verband  nach  der 
Ichthyol- Auf  Streichung),  selbst  eine  Infections- 
wunde  am  Finger  mit  Oedem  bis  zur  Schulter 
und  Lymphangitis  und  Phlebitis  ging  unter 
12  stündigem  Ichthyol,  pur.- Verband  zurück 
und  zeigte  sich  die  Schwellung  hinterher  an 
allen  Stellen,  wo  kein  Ichthyol  hingestrichen 
war.  Auch  hier  beseitigte  ein  sofortiger  An- 
strich sofort  die  Schwellung. 

Dabei  ist  zu  beachten,  dass  etwaige  starke 
Ichthyol-Wirkung  durch  schwache,  geeignete 
Ichthyol-Präparate  beseitigt  werden  kann,  so 
dass  man  den  Effect  ganz  in  der  Hand  hat. 
Hartnäckige  Schnupfen,  granulirende  Ge- 
schwüre der  Nasenschlcimhaut,  die  Borken 
setzende  Scrophulose  eignen  sich  sehr  für 
locale  Ichthyol-Behandlung  und  lassen  wir 
hinterher  Ol.  Eucalypti  oder  Menthol  an  die 
Nasen  Öffnung  streichen,  es  mindert  das  sehr 
den  heftigen  Reiz  zum  Niesen.  Ebenso  ist 
das  Anstreichen  auf  die  aufgerissenen  Taschen 
in  den  Mandeln  gleich  nach  dem  Aufreissen 
sehr  zu  empfehlen.  lieber  das  letztere  cfr. 
von  Hoffmann  („Pract.  Arzt".  Mai  1887), 
Beobachtungen,  die  wir  jedem  Practiker  drin- 
gend au  das  Herz  legen  wollen. 

So  hätten  wir  denn  aus  den  Hunderten 
von  Beobachtungen  das  Sichere  erwähnt  und 
gestehen,  dass  kaum  ein  Mittel  uns  so  be- 
schäftigt, uns  zu  so  individualisirender  Be- 
handlung genöthigt  hat,  trotz  der  durch- 
sichtigen physiologischen  Wirkung,  soweit 
sie  bisher  bekannt  ist. 

Nach  weiteren  halbjährigen  Versuchen 
möchte  ich  darauf  hinweisen,  dass  Ichthyol 
schneller  wirkt,  wenn  es,  mit  Alcoh.  Aeth. 
tropfbar  flüssig,  tropfenweise  in  Wasser  ge- 
geben wird,  die  Tropfenzahl  in  einem  Schluck 
und  einer  Tasse  Wasser  zum  Nachtrinken 
respective  die  Mittagssuppe  oder  der  Abend- 
thee  und  Morgen trunk. 

Auch  haben  wiederholte  Stickstoffbestim- 
mungen die  Zuelz  er' sehen  Erfahrungen  be- 
stätigt, zumal  gegenüber  dem  Thiol  Riedel, 
dem  die  specifische  Ichthyolwirkung  fehlt, 
obgleich  es  äusserlich  ihm  ähnlich  aussieht, 


222 


V.  Brunn,  Zur  Ichthyol-Behandlung  des  Erysipelas. 


TTherapeiitUiGbe 
L  Monatohefte. 


Zur 
Ichthyol-BehaiiflluDg-  des  £rysipe1a8« 

Von 

Dr.  von  Brunn  (Lippspringe). 

Nachdem  der  günstige  Einfliiss  des  Ich- 
thyol auch  beim  Erysipelas  von  maass- 
gebender  Seite,  in  Sonderheit  von  Unna 
und  Nussbaum,  gerühmt  und  empfohlen 
worden,  hatte  ich,  von  jeher  Verehrer  des 
Mittels,  mir  vorgenommen,  auch  meinerseits 
dasselbe  bei  der  ersten  Veranlassung  beim 
Roth  lauf  zu  versuchen.  Eine  *  Gelegenheit 
hierzu  bot  sich  mir  vor  Kurzem  in  meiner 
nächsten  Umgebung  dar,  indem  die  inmitten 
der  eigenen  Familie  wohnende  Lehrerin 
meiner  Kinder  an  der  Gesichtsrose  er- 
krankte. 

Dio  junge  Dame  von  25  Jahren,  deren  Vater 
häufig  von  der  Eoßo  befallen  worden  war,  besitzt 
selbst  seit  einer  Reihe  von  Jahren  eine  hoch- 
gradige Disposition  zum  Gesiehtserysipel  und  war 
daran  zuletzt  erst  während  der  diesjährigen  Weih- 
nachtsferien am  27.  12.  88  in  der  Ileimath  er- 
krankt gewesen  und,  da  ein  Recidiv  eintrat,  im 
ganzen  Monat  Januar  an  der  Wiederaufnahme  der 
Lehrthätigkeit  verbindert  worden.  Patientin  kennt 
daher  den  individuellen  Charakter  und  typischen 
Verlauf  ihrer  Rose  ganz  genau  und  giebt  mit 
grösster  Bestimmtheit  an,  dass  ein  Anfall  von  der 
Intensität  des  gleich  zu  beschreibenden  bei  ihr 
nie  vorübergegangen  sei,  ohne  dass  der  Process 
auf  Hals,  Nacken  und  behaarte  Theile  des  Kopfes 
übergegangen,  und  7  bis  9  Tage  lang  heftiges 
Fieber  mit  intensivem  Kopfschmerz  vorhanden  ge- 
wesen, sowie  grosse  Prostration  gefolgt  wäre. 

Die  also  disponirte  Patientin  bemerkte  nun 
am  10.  3.  89  Abends  an  der  Nasenspitze  den 
ersten  leichten  Anflug  einer  verdächtigen  Haut- 
röthe,  und  di<^*?e  hatte  trotz  sofortiger  Einreibung 
mit  dem  früher  benutzten  Salicylvaselin  nach  un- 
ruhiger Nacht  am  11.  3.  früh  8  Uhr,  als  ich  die 
Kranke  zuerst  sah,  auch  den  Nasenrücken  und 
die  angrenzenden  Partien  der  Wangen  ergriffen 
und  eine  T.  von  38,5  ^  C.  erzeugt.  Dem  Ver- 
trauen der  Patientin  zu  ihrer  Salbe  Rechnung 
tragend,  auch  selbst  auf  die  antibacterielle  Wir- 
kung der  Salicylsäure  bauend,  Hess  ich  die  Ein- 
reibung fortgebrauchen  und  den  cessirendcn  Stuhl 
durch  ein  Laxans  befördern.  Allein  wie  gereute 
mich  die  gemachte  Concession,  als  ich  um  12  Uhr 
Mittags,  also  4  Stunden  später,  nach  vorher- 
gegangenem Schüttelfrost  eine  T.  von  40,6®  C.  und 
den  localen  Entzündungsprocess  ganz  beträchtlich  ver- 
breitert fand:  Die  Haut  des  gesammten  Gesichtes 
vom  Mund,  dem  unteren  Rande  des  Unterkiefers, 
seitlich  bis  zum  äusseren  Gehorgang  und  oben 
bis  zur  Stirn  hinauf  war  diffus  dunkel  gerÖthet, 
besonders  um  Nase  und  Augen  herum  stark  ge- 
schwollen und  gespannt,  in  Folge  de^jsen  glatt 
und  glänzend,  gleichzeitig  waren  die  submaxillaren 
Lymphdrüsen  sympathisch  vergrössert,  und  an  diesen 
sowie    in  der  ganzen  Gesichtshaut  brennende  und 


spannende  Schmerzen  vorhanden,  dabei  un lösch- 
barer Durst  und  gar  kein  Appetit  —  also  da« 
Bild  eines  foudroyanten  Anfalls  von  Gesiehts- 
erysipel. 

Das  Salicylvaselin  hatte  also  das  Fortschreiten 
des  Processes  nicht  verhindert,  im  Gegentheil  der 
Rose  zur  üppigsten  Blüthe  verhelfen  und  wurde 
daher  durch  Ichthyol  ersetzt;  ich  wählte  aus  später 
zu  besprechenden  Gründen  die  Form  des  Ichthyol- 
collodinm  —  Ammon.  sulfoichthyolici,  Aether.  aa  5, 
Coli  od.  10  —  und  pinselte  damit  nach  vorher- 
gegangener sorgsamer  Seifenwaschung  der  angren- 
zenden, anscheinend  noch  intacten  Umgebung 
zuerst  diese  und  sodann  die  erysipelatös  entzündete 
Hautpartie  selbst  energisch  ein  und  Hess  die  vor- 
her benutzte  Watteumhüllung  weg,  in  der  Col- 
lodiumdecke  einen  genügenden  Schutz  erblickend. 
Der  Erfolg  war  über  alle  Erwartung  günstig:  die 
erste  Wirkung  bestand  in  einem  wohlthuenden 
subjectiven  Eindruck,  indem  die  Application  an- 
genehm kühlend  wirkte,  auch  die  spannenden 
Schmerzen  erheblich  verminderte;  und  als  ich 
Abends  6  Uhr  wiederkam,  fand  ich  zu  meinem 
Erstaunen  den  Process,  dessen  Grenzen  genau 
angemerkt  waren,  nicht  weiter  geschritten  und 
die  erysipelatöse  Hautfläche  selbst  in  hohem  Grade 
zxim  Vortheil  verändert,  „die  vorher  rothe,  ge- 
schwollene, glänzende  und  saftreiche  Haut  war 
eingesunken,  faltig  gelbbräunlich  geschrumpft",  die 
Schmerzen  waren  ganz  verschwunden,  und  ohne 
Anwendung  antifebriler  Mittel  war  unter 
Schweissausbruch  die  Temperatur  um  6  Uhr  auf 
38,50  C.  und  Abends  9  Uhr  auf  37,3 o  C.  ge- 
sunken. Dem  entsprechend  war  das  Allgemein- 
befinden ein  besseres,  der  Durst  hatte  nachgelassen, 
flüssige  Nahrung  konnte  genossen  werden,  es  folgte 
eine  relativ  ruhige  Nacht. 

Am  12.  3.  betrug  die  Temperatur  Morgens 
37,2  0  C,  erhob  sich  jedoch  während  des  Tage« 
noch  einmal  auf  39,6  ^  C.,  da  die  erysipelatöse 
Entzündung  auf  die  Tags  zuvor  wahrscheinlich 
schon  inficirt  gewesenen,  vielleicht  nicht  mitge- 
waschenen, jedenfalls  nicht  gepinselten  Ohrmuscheln 
übersprang;  schleunigst  wurden  nun  auch  diese 
eingepinselt  und  einige  Gaben  Antifebrin  —  in 
Summa  1  Gramm  —  gereicht,  und  die  Folge  war, 
dass  schon  am  gleichen,  also  am  zweiten  Abend 
nach  der  Erkrankung,  die  Temperatur  auf  38,0**  C. 
gesunken,  der  Process  definitiv  zum  Stillstand  ge- 
kommen und  Euphorie  eingetreten  war.  Es  folgte 
darauf  wiederum  unter  Schweissausbruch  eine 
ruhige  Nacht,  völlige  Entfieberung  trat  ein  und 
ist  seitdem  dauernd  geblieben;  die  Krankheit  war 
also  gebrochen  und  die  Reconvalescenz  begann: 
Appetit  stellte  sich  ein,  die  Kräfte  hoben  sich, 
und  am  dritten  Krankheitstage  begann  unter  leb- 
haftem Jucken  an  den  zueret  befallenen  Stellen 
die  Abschuppung,  obwohl  die  an  Ohren  und  Augen- 
lidern entstandenen  Blasen  Zeugniss  gaben  von  der 
grossen  Intensität  des  localen  Entzündungsprocesses. 
Am  fünften  Tage  konnte  bei  günstigem  Allgemein- 
und  Kräftezustande  das  Bett  verlassen  werden, 
was  sonst  erst  am  12.  bis  13.  Tage  in  gänzlich 
kraftlosem  Zustande  möglich  war,  und  am  achten 
Tage  wurde  der  Unterricht  wieder  aufgenommen, 
was  bei  Gelegenheit  des  Weihnachtsanfalles  erst 
nach  fünf  Wochen  geschehen  konnte. 


in.  Jabrgang.l 
Mal  1889.    J 


V.  Brunn,  Zur  Ichthyol-Behandlung  des  Eryslpelat. 


223 


Wir  sehen  also  einen  intensiv  wie  exten- 
siv recht  hochgradigen  Erysipelasprocess, 
welcher  nach  allgemeiner  und  persönlicher 
Erfahrung  der  Patientin  selbst  mindestens 
8  bis  10  Tage  zur  Abheilung  zu  bedürfen 
versprach,  in  überraschend  schneller,  rein 
abortiver  Weise  zum  Ablauf  gekommen  nach 
einer  das  Utile  und  Jucundum  bestens  ver- 
bindenden Behandlung;  denn  von  keinem 
Unbefangenen  kann  der  prompte  Heilerfolg 
wohl  anders  als  die  unmittelbare  Folge  der 
rechtzeitigen  und  energischen  Application 
des  Ichthyol  aufgefasst  werden.  Dürfen  wir 
daher  mit  Recht  dasselbe  als  ein  Nil  simile 
aut  secundum  bei  der  Behandlung  des  Ery- 
sipelas  preisen,  so  ist  von  höchstem  Inter- 
esse die  Frage,  in  welcher  Weise  diese 
Heilwirkung  zu  Stande  kommt.  Behufs 
Beantwortung  derselben  müssen  wir  uns  zu- 
nächst vergegenwärtigen,  dass  es  nach  den 
neueren  Forschungsresultaten  feststeht,  dass 
der  Rothlauf  eine  infectiöse  Dermatitis  ist 
und  erzeugt  wird  durch  einen  ketten  bilden- 
den Streptococcus,  welcher  durch  eine 
zufällige  kleine  Verletzung  der  Haut  oder 
angrenzenden  Schleimhaut  in  die  Lymphge- 
fasse  der  Cutis  eindringt  und  eine  Entzündung 
ihrer  Wandungen  erzeugt;  diese  hat  sodann 
eine  mehr  oder  weniger  starke  Hyperämie 
der  Cutis  und  consecutive  massenhafte  se- 
röse Transsudation  in  das  subcutane  Binde- 
gewebe sowie  zwischen  Cutis  und  Epidermis 
zur  Folge,  wodurch  ein  besonders  geeigneter 
Nährboden  für  die  fernere  Proliferation  des 
Pilzes  geschaffen  wird.  Die  erysipelatös 
entzündete  Hautfläche  ist  demnach  gleichsam 
ein  von  obigem  Streptococcus  besamtes  und 
bestandenes  Saatfeld,  dessen  Yergrösserung 
durch  das  Vordringen  des  Pilzes  innerhalb 
der  Lymphgefässe  und  sympathische  Mitbe- 
theiligung  der  benachbarten  Lymphdrüsen 
vor  sich  geht. 

Hiemach  ist  uns  dann  auch  die  For- 
derung der  Indicatio  causalis  klar  vorge- 
zeichnet und  gipfelt  in  dem  Bestreben,  das 
infectiöse  Agens  zu  vernichten,  resp.  die 
Bacterien  in  ihrer  Entwicklung  und  Proli- 
feration zu  hemmen.  In  der  Voraussetzung, 
dadurch  eine  directe  Abtödtung  der  Mikroben 
zu  erzielen,  hat  man  zuvörderst  die  eigent- 
lichen Antiseptica  angewandt  und  kann  durch 
energische  Imprägnirung  der  Gewebe  mit 
dem  Desinflciens  auch  thatsächlich  seinen 
Zweck  erreichen.  •  Wenn  man  nach  Hüter 
mittelst  Injection  oder  nach  Kraske  mit- 
telst Incision  der  Grenzzone  eine  Carbol- 
säurelösung  direct  zuführt  und  von  da  aus 
den  gesammten  Nährboden  damit  durch- 
feuchtet, so  wird  der  erysipelatöse  Process 
mit    Bestinamtheit    am  Weiterschreiten    ver- 


hindert und  die  schon  entzündete  Hautfläche 
zum  schnellen  Abheilen  gebracht.  Allein 
wie  schmerzhaft,  ja  wie  grausam  ist  dies 
Verfahren  und  wie  wenig  Patienten  werden 
sich  damit  befreunden  und  die  Einleitung 
desselben  willkommen  heissen!  Da  nun  eine 
minder  energische  Applicationsweise,  z.  B. 
das  einfache  Aufstreichen  antiseptischer  Sal- 
ben, wie  der  obige  Versuch  mit  dem  Sali- 
cylvaselin  lehrt,  nichts  nützt,  so  wird  jeder 
Practiker  eine  Behandlungsweise  freudig  be- 
grüssen,  welche  auf  eine  ganz  schmerzlose 
und  leichte  Art  den  Stillstand  und  die 
rasche  Abheilung  des  Erysipelas  bewirkt, 
und  eine  solche  ist  unzweifelhaft  die  Be- 
handlung mit  Ichthyol.  Die  Wirkung  des- 
selben iat  mindestens  ebenso  sicher  und 
prompt  wie  jene,  obwohl  es  nicht  nach  Art 
der  Antiseptica  direct  bacterientödtend  wirkt, 
sondern  durch  Veränderung  der  nothwen- 
digen  Lebensbedingungen  die  Vegetation  der 
Pilze  aufzuheben  scheint. 

Allein  auch  beim  Ichthyol  kommt  es 
meines  Erachtens  recht  wesentlich  auf  die 
Auswahl  der  geeigneten  Form  an,  und  ich 
wählte  diejenige  des  Ichthyolcollodium  in 
der,  wie  ich  glaube,  richtigen  Annahme,  dass 
das  Collodium  die  Wirkung  des  Medica- 
mentes  selbst  sehr  wohl  zu  unterstützen  im 
Stande  sei.  Denn  der  Micrococcus  des  Ery- 
sipelas ist  nach  Pasteur^s  Nomenklatur  ein 
aerobiontischer  Parasit,  zu  dessen  Entwicke- 
lung  und  üppiger  Proliferation  neben  dem 
geeigneten  Nährboden  eine  möglichst  ergie- 
bige Zufuhr  sauerstoifhaltiger  Luft  nothwen- 
dige  Bedingung  ist.  Ein  Absterben  des 
Pilzes  wird  daher  am  sichersten  und  schnell- 
sten dann  erfolgen,  wenn  es  gleichzeitig  ge- 
lingt, den  Zutritt  von  Sauerstoff  zu  ver- 
hindern und  die  physicalisch- chemische  Be- 
schaffenheit des  Nährbodens  derart  zu 
verändern,  dass  derselbe  für  die  Vegetation 
des  Pilzes  ungeeignet,  dass  er  steril  wird. 
Und  gerade  diese  Aufgaben  scheint  mir  das 
Ichthyol  am  zuverlässigsten  in  der  Combi- 
nation  mit  Collodium  zu  erfüllen  und  zwar 
aus  folgenden  Gründen: 

Zunächst  bildet  das  auf  die  Haut  gepin- 
selte Collodium  eine  gleichmässige  homogene 
und  impermeable  Decke,  welche  mechanisch 
den  Zutritt  der  atmosphärischen  Luft  zum 
bacteriellen  Nährboden  verhindert  und  zu- 
gleich vermöge  seiner  comprimirenden  Ein- 
wirkung auf  die  von  ihm  bedeckte  Fläche 
die  Succulenz  und  den  Saftreichthum  des 
Nährbodens  zu  vermindern  geeignet  ist.  In 
ähnlichem  Sinne  wirkt  das  Ichthyol,  indem 
es  zunächst  nach  Unna  vermöge  seiner  re- 
ducirenden  Eigenschaft  den  mit  ihm  in  Con- 
tact    kommenden    Geweben    den    Sauerstoff 


224 


CaBymianikl,  PneumaHtoher  Magenaiplrator  für  therap.  und  diago.  Zwecke.       [^S^'S^SSt?* 


entzieht  und  somit  auf  chemiscbem  Wege 
den  Bacterien  das  für  sie  nothwendige  Le- 
benselement nimmt;  gleichzeitig  übt  das- 
selbe aber  einen  Einfluss  auf  die  vitalen 
FormelemeQte  des  Nährbodens  aus,  indem 
es  das  gesammte  Blutgefässsystem,  Arterien, 
Capillarcn  und  Venen,  in  nachhaltiger  Weise 
verkleinert,  verengt  und  verkürzt,  also  eine 
Art  Einschrumpfung  desselben  bewirkt.  Dass 
damit  eine  Abnahme  der  Hyperämie  und 
Verminderung  der  serösen  JDurchtränkung 
der  Gewebe  Hand  in  Hand  geht  und  durch 
diese  Aenderung  des  materiellen  Substrates 
die  Pilz  Vegetation  aufs  Tiefste  geschädigt 
werden  muss,  ist  einleuchtend,  und  somit 
stehe  ich  auf  Grund  obiger  klinischer  Beob- 
achtung und  vorstehender  theoretischer  Er- 
wägungen nicht  an,  bei  jedem  circumscripten 
Hauterysipel,  mit  Ausnahme  desjenigen  der 
behaarten  Kopfhaut,  das  Ichthyolcollodium 
als  eine  sehr  geeignete  Application  sform 
bestens  zu  empfehlen. 


Pneumatischer  Magrenaspirator  für 
therapeutiselie  und  diag^nostlsche  Zwecke. 

Von 

Julian  Czyrnianski, 

Qew.  Secundararzt  im  k.  k.  allg.  Krankenbauie  In  Wien. 

Nicht  immer  führt  der  Trichterheber  bei 
der  Behandlung  Magenkranker  prompt  und 
rasch  genug  zum  erwünschten  Ende  einer 
Sitzung,  die  besonders  im  Anfang  der  metho- 
dischen Behandlung  für  den  Patienten  sehr 
unbehaglich  zu  sein  pflegt. 

So  einfach  und  nützlich  die  Expressious- 
methode  für  die  Differentialdiagnostik  der 
Magen  erkrank  un  gen  auch  ist,  konmit  man 
doch  hie  und  da  in  die  Lage,  sich  einen 
mechanischen  Behelf  zur  Hand  zu  wünschen, 
wenn  sie  uns  im  Stiche  lässt  —  einen  Be- 
helf, welcher  uns  die  etwa  mangelnden 
physiologischen  Kräfte  der  Bauchpresse  er- 
setzen, die  Antiperistaltik  des  Magens  mög- 
lichst verschonen  helfen  und  bei  vorkom- 
menden Verstopfungen  des  Schlauches  uns 
aus  der  momentanen  Yerlegenheit  bringen 
könnte. 

Das  Einfachste  wäre  freilich  im  letzter- 
wähnten Falle  eine  gewöhnliche  Stempel- 
spritze zur  Hand  zu  nehmen,  da  man  aber  heut- 
zutage die  Magenpumpen  mit  Stempel  aus 
guten  Gründen  überhaupt  bei  Seite  geschafft 
hat,  so  betrachte  ich  immerhin  einen  pneu- 
matischen Aspirator    für    den  Praktiker    so- 


wohl als  für  den  Kliniker  als  ein  nützliches 
Instrument. 

Ich  habe  nun  für  meinen  Gebrauch  einen 
einfachen  Magen  aspirator  construiren  lassen 
und  ist  im  Julihefte  1887  der  „Therap. 
Monatshefte"  dessen  Beschreibung  und  Ab- 
bildung erschienen. 

Seine  Wirkung  ist  eine  befriedigende, 
insofern  der  Magen  schlauch  selbst  mangel- 
frei ist. 

Am  liebsten  benutze  ich  als  Magen- 
schlauch ein  gewöhnliches  mitteldickes  (etwa 
13  cm  Durchmesser,  9  cm  Lumen)  Drainage- 
rohr  mit  tiefeingeschnittenem  Fenster  und 
abgestumpften  Rändern. 

Was  die  Handlichkeit  des  erwähnten 
Apparates  betrifft,  so  hat  er  in  seiner  ur- 
sprünglichen Form  nur  das  Unangenehme, 
dass  man  bei  seiner  Anwendung  als  Wasch- 
pumpe die  Einschaltungen  der  Schläuche 
häufig  wechseln  und  den  Inhalt  der  Flasche 
von  Zeit  zu  Zeit  weggiessen  muss. 

Dieser  Umstand,  dass  man  keiner  Assistenz 
bedarf,  ist  aber  andererseits  sehr  günstig 
und  den  genannten  Unbequemlichkeiten  war 
durch  entsprechende  Modiflcation  der  Zu- 
sammenstellung des  Apparates  leicht  abzu- 
helfen. 

So  will  ich  denn  diese  Modification, 
welche,  nebenbei  gesagt,  es  ermöglicht,  die 
ganze  Manipulation  selbst  mit  einer  freien 
Hand  in  wenigen  Minuten  zu  vollstrecken, 
kurz  beschreiben. 

Es  besteht  der  Apparat  aus  einer  festen 
Glasflasche,  welche  mit  einem  Dreiweghahn 
auf  solche  Weise  montirt  ist,  dass  der  Hart- 
kautschukstöpsel mit  dem  Hahngehäuse  Eins 
ist.  Der  Hahn  vermittelt  die  wechselweise 
Communication :  der  Flasche  einerseits  mit 
dem  Magen,  dem  Krug  und  dem  Abfluss- 
becken anderseits.  Der  Wechsel  der  Com- 
munication wird  einfach  durch  Umdrehen 
des  Hahngriffes  bewirkt. 

Der  umstellbare  Saug-  und  Druck- 
ballon mit  Ventilen  B  wird  oben  auf  den 
Hahn  angesetzt  und  abwechselnd  mit  dem 
negativen  (Saug-)  und  positiven  (Druck-) 
Ende  applicirt,  wobei  er  die  Luft  in  der 
Flasche  bald  verdünnt,  bald  comprimirt. 

Die  Einrichtung  des  Hahnes  ist  aus 
Fig.  2  ersichtlich. 

Die  Manipulation  zerfällt  in  4  Tempos: 

I.  Griff  G  wird  entsprechend  der  Com- 
munication mit  dem  Krug  gestellt;  Ballon 
mit  dem  Minusende  applicirt.  Beides  kann 
mit  der  linken  Hand  geschehen,  während 
die  rechte  mit  dem  Patienten  und  dem 
Magenschlauch  beschäftigt  ist.  Die  Flasche 
wird  durch  mehrere  Ballonbewegungen  ge- 
füllt. 


»89.    J 


CayiBlaniki,  PDatunatUcliai  MaKanaipintoi  tDr  lli*i*p.  uod  diafn.  Zwaek*. 


II.  Griff  G  gegen  den  Magena  eh  tauch 
gedieht;  Ballon  mit  dem  (■+■)  Eade  appli* 
eilt.  WaBser  wird  In  den  Magen  gelinde 
getrieben. 

III,  Griff  G  bleibt  In  der  Torigen  Stel- 
lung; Ballon  pumpt  mit  dem  ( — )  Ende. 
Mageninhalt  kommt  in  die  Aspiration sfiasche. 


Die  Handhabung  des  Apparates  bietet 
Iceine  besonderen  Schwierigkeiten.  Als  seine 
Vortheile  will  ich  jiennen:  Handlichkeit, 
kurze  Dauer  und  Sauberkeit  der  Procedur, 
gelinde  Aepiratioo,  leichte  Zeriegbarkelt, 
was  die  Reinhaltung  erieichtert,  und  schliess- 
lich    den     Umstand,     dass     man    for    der 


IT.  Griff  G  dem  Abfiusse  zu;  Ballon 
abercnals  als  Druckpumpe.  Entleerung  der 
Flasche  in  da«  Abflussbecken.  Der  ganze 
Hergang  wird  einige  Male  wiederholt,  bis 
der  Zweck  erreicht  ist. 


Der  Stöpsel,  welcher  mit  dem  Hahnge- 
b&nse  Eins  ist,  ist  luftdicht  in  den  Flaschen- 
hals eingefügt,  jedoch  nicht  so  fest,  dass  er 
bei  grösserem  Lüftdrucke  nicht  nachgeben 
sollte.  Damit  aber  der  Hahnzapfen  bei 
Lnftcompression  aus  dem  Hahngehäuse  nicht 
herausBchnelle,  ist  die  Schraube  S  ange- 
bracht. 


Magen  aus  Waschung  unverdOnnten  Magen- 
inhalt zur  Untersuchung  gewinnen  kann, 
auch  wenn  die  ExpreBsionsmethode  versagen 
sollte.  Bei  etwas  mehr  dicklichem  Magen- 
inhalte kommt  dies  nicht  selten  vor  und  zwar 
in  Fällen  damied erliegen  der  peptischer  Kraft 
des  Magens,  z.  B.  beim  atrophischen  Katarrh 
der  Magenschleimhaut  ~  auch  bei  Magen- 
ektasie,  wo  unter  den  stagnirenden  zum 
guten  Theil  unverdauten  Massen  gröbere 
Brocken  sich  befinden  und  so  leicht  den 
Schlauch  versperren  —  auch  sonst  bei  zahn- 
losen Patienten  oder  bei  überhaupt  schwer 
verdaulichen  Mablzeitbestandth eilen. 

Selbst  ein  aufgequollenes  Stück  Semmel 
kann  das  Schlauchlumen  verlegen  zum  Ver- 
druEse  des  TT-ntersuchenden  und  zum  Schaden 
der  Untersuchung, 

Da  aber  das  Interesse  für  die  Magen- 
pathologie stets  zunimmt  und  ein  jeder 
zweckmässiger  Behelf  der  Methodik  mithilft 
die  Keihen  der  Observationen  zu  vermehren, 
so  betrachte  ich  den  pneumatischen  Aspirator 
in  der  oben  angegebenen  Form  als  einen 
nicht  ganz  und  gar  entbehrlichen  Apparat'). 


')  Der  Apparat  ist  klatlich  bei  H.  Keiner,  Wie. 
IX,  Tan  Swietengasse  10. 


226 


J  o  &  c  h  i  m  I  Beitrag  sur  Sulfonalwirkung. 


[Therapeatiiebe 
Monatoheftft. 


Neuere  Arzneimittel 


Beitrag:  zur  Sulfoiialwirkung. 


VUD 


Dr.  Joachim  in  Berlin. 

Bei  dem  grossen  Interesse,  welches  das 
Sulfonal  augenblicklich  in  therapeutischer 
Hinsicht  beansprucht,  dürfte  die  Veröffent- 
lichung nachfolgender  Beobachtung  ganz  zeit- 
gemäss  sein. 

Frau  Oberamtmann  M.,  66  J.  alt,  hat  in  ihrer 
Jugend  oft  an  Gelenkrheumatismus  gelitten.  Im 
18.  Lebensjahre  gesellte  sich  zu  einem  derartigen 
Anfall  eine  Herzaffection,  über  deren  Natur  mir  die 
Patientin  etwas  Genaueres  nicht  angeben  konnte. 
Nach  ihrer  Aussage  hat  sie  seitdem  oft  an  Luft- 
raangel  und  Herzklopfen  gelitten,  besonders  wenn 
sie  Treppen  hastig  stieg,  sich  aufregte,  Aerger 
hatte  etc.  Fast  jeden  Winter  hatte  sich  dazu 
ein  heftiger,  quälender  Husten  gesellt,  der  gewöhn- 
lich melirere  Wochen  anhielt  und  ihr  oft  die 
Nachtruhe  gestört  hatte.  Anfangs  Januar  dieses 
Jahres  consultirte  sie  mich  wegen  Luftmangels  in 
Folge  eines  starken,  hartnäckigen  Hustens,  den  sie 
sich  von  einer  Erkältung  vor  einer  Woche  zuge- 
zogen haben  will.  Sie  ist  eine  grosse,  blasse, 
massig  kräftige  Frau,  ein  wenig  hysterisch  und 
hypochondrisch;  sonst  aber  der  „reine  Feldwebel", 
wie  ihre  Bekannten  sagen.  Die  Lippen  und  Finger- 
nägel ein  wenig  bläulich  geftrbt;  geringe  Dyspnoe. 

Bei  einer  genaueren  Untersuchung  fand  ich 
eine  Temperatur  von  36,1°  —  Vormittags  — ;  Puls 
88,  etwas  unregelmässig,  klein.  Die  Lungen  er- 
geben bei  der  Percussion  keine  Dämpfung;  dagegen 
Pfeifen  und  Schnurren  links  hinten,  besonders 
deutlich  im  unteren  Theii;  ebenso  rechterseits. 
Sputum  mit  geringen  Blutspuren. 

Herzstoss  im  linken  6.  Intercostalraum ,  ragt 
links  bis  an  die  Mamillarlinie,  besonders  nach 
rechts  und  unten  hin  verbreitert;  systolisches  fre- 
missement  an  der  Herzspitze;  Hypertrophie  und 
Dilatation  des  rechten  Ventrikels;  sehr  lautes, 
systolisches  Geräusch,  am  deutlichsten  an  der  Herz- 
spitze, deutlich  hörbar  auch  im  2.  linken  Inter- 
costalraum in  der  Nähe  des  Sternum;  der  zweite 
Pulmonalarterienton  bedeutend  verstärkt.  Oedeme 
sind  nirgends  vorhanden.  Urin  —  früh  und  im 
Laufe  des  Tages  untersucht  —  frei  von  Eiweiss 
und  Zucker. 

Die  übrigen  Organe  bieten  keinerlei  nachweis- 
bare Abnormitäten.  Seit  mehreren  Tagen  besteht 
Luftmangcl  und  Schlaflosigkeit. 

Aus  gewissen  Gründen  glaubte  ich  auf  das 
Morphium  als  Schlafmittel  verzichten  zu  müssen 
und  gab  Abends  8  Uhr  2  g  Sulfonal.  Trotz  der 
bestehenden  Mitralinsufficienz,  der  Dyspnoe  und 
des  Hustens  glaubte  ich  dieses  Mittel  anwenden 
zu  dürfen,  da  ja  die  meisten  Beobachter  auch  bei 
herzkranken  Individuen  die  günstige  Wirkung  des 
Sulfonals  constatiren  konnten  und  hervorheben, 
dasö    sie   selbst   nach   grossen  Dosen  keinerlei  un- 


angenehme Einwirkung  auf  das  Herz  gesehen  hätten. 
Käst"),  Langgaard  und  Rabow'),  Rabbas') 
und  Andere  nach  ihnen  machten  auf  dieses  Ver- 
halten ganz  besonders  aufmerksam  und  rühmten 
es  als  einen  der  Vorzüge,  die  das  Sulfonal  vor 
anderen  Schlafmitteln  besitze.  Auf  die  Beobach- 
tungen dieser  Forscher  gestützt  w^andte  ich  also 
das  Mittel  in  der  oben  beschriebenen  Dose  an. 
Ais  ich  die  Patientin  am  anderen  Morgen  besuchte, 
erklärte  mir  die  Wärterin,  dass  sich  auch  nicht  die 
geringste  Wirkung  gezeigt  hätte.  Die  Kranke  hätte 
nicht  besser  und  nicht  schlechter  als  die  vorigen 
Nächte  auch  geschlafen  d.  h.  „keine  halbe  Stunde 
Ruhe  gehabt  und  mehr,  sicherlich  aber  nicht 
weniger  gehustet".  Unangenehme  Nebenwirkungen, 
besonders  am  Herzen,  waren  nicht  vorhanden; 
Patientin  klagte  über  grosse  Müdigkeit  und  den 
quälenden  Husten.  Nachmittags  Hess  ich  in  dem 
Glauben,  dass  bei  dem  grossen  Schlaf bedürfniss 
der  Patientin  schon  eine  geringere  Dosis  genügen 
würde,  1  g  Sulfonal  nehmen.  Auch  hier  blieb  jede 
Wirkung  aus:  der  störende  Husten  und  die  Athem- 
noth  blieben  bestehen,  Schlaf  trat  nicht  ein.  Abends 
8  Uhr  bekam  die  Kranke  3  g,  und  da  bis  10  Uhr 
jede  Einwirkung  vermisst  wurde,  um  10  Uhr  noch 
1  g.  Die  Nacht  war  nach  Aussage  der  Wärterin 
und  einer  Hausfreundin,  deren  Angaben  zu  be- 
zweifeln kein  Grund  vorliegt,  sehr  schlecht,  bei 
weitem  schlechter  als  die  vorangehenden  Nächte. 
Der  Husten  sehr  heftig  und  quälend:  Sclilaf  war 
nicht  erfolgt,  auch  nicht  für  eine  kürzere  Zeit. 
Dagegen  stellten  sich  zwischen  11  und  12  Uhr 
grosse  Unruhe  und  grosser  Luftmangel  ein.  Das 
Herzklopfen,  das  die  letzten  Tage  ganz  geschwunden 
war,  trat  ausserordentlich  stark  auf;  ^jeden  Augen- 
blick glaubten  wir,  dass  es  alle  sei.  Auch  nicht 
eine  Minute  blieb  die  Kranke  ruhig  liegen  und 
nur  mit  grosser  Mühe  war  es  möglich,  sie  im  Bette 
zu  behalten:  bald  warf  sie  sich  hierhin,  bald  dort- 
hin: bald  setzte  sie  sich  auf,  bald  legte  sie  sich; 
^Luft,  Luft"  schrie  sie  fast  ununterbrochen".  Nach 
Mittemacht  —  gegen  2  Uhr  —  wurde  die  Patientin 
etwas  ruhiger,  ohne  indess  einschlafen  zu  können. 
Sie  schlummerte  ein  Viertelstündchen,  fuhr  Öfter 
durch  den  Husten  gestört  erschreckt  auf  und 
schlummerte  weiter;  fester,  ruhiger  Schlaf  trat 
nicht  ein.  Am  Morgen  war  die  Patientin  sehr 
matt,  klagte  heftig  über  Luftmangel  und  war  noch 
sehr  unruhig:  bald  erhob  sie  sich,  bald  legte  sie 
sich  hin,  angeblich,  weil  sie  so  besser  „Luft"  be- 
komme. Temperatur  nicht  erhöht.  Puls  %,  bis- 
weilen aussetzend,  schwach:  lebhafte  Klagen  über 
Herzklopfen  und  quälenden  Husten.  Es  sei  hier 
noch  bemerkt,  dass  eine  unangenehme  Einwirkung 
auf  den  Digestionstractus  weder  am  vorangehenden 


*)  Käst,  Sulfonal,  ein  neues  Schlafmittel.  Berl. 
Klin.  Wochenschrift  1888.  No.  16  S.  309. 

^)  Langgaard  u.  Rabow,  Ueber  Sulfonal 
(Bayer).     Therap.  Monatshefte  1888  No.  V  S,  238. 

^)  Rabbas,  Ueber  die  Wirkung  des  Sulfonals. 
Bcri.  Khn.  Wochenschrift  1888.  No.  17.  S.  332. 


III.  JahrgABg.l 
Kai  1889.    J 


Joachim,  Beitrag  zur  SulfonalwirkuDg. 


227 


Tage  noch  nach  der  letzten  grossen  Dosis  des 
Snlfonals  (also  im  Ganzen  4  g)  constatirt  werden 
konnte:  der  Appetit  der  Patientin  blieb  gleich;  es 
trat  kein  üebelsein,  kein  Erbrechen  auf;  der  Stuhl- 
gang wie  vorher  einmal  täglich. 

Am  Abend  machte  ich  eine  Einspritzung  yon 
0,015  Morphium.  Pat.  hatte  früher  schon  viel 
Morphium  genommen,  das  war  der  Grund,  warum 
ich  zunächst  Sulfonal  versuchte;  die  ganze  Nacht 
anhaltender,  ruhiger  Schlaf  bis  zum  Morgen,  ins- 
besondere nicht  durch  Husten  gestört.  Am  fol- 
genden Tage  fühlte  sich  Patientin  ganz  erquickt: 
Herzklopfen  nicht  vorhanden,  Dyspnoe  geringer; 
der  Husten  viel  weniger  als  vordem,  wenn  auch 
nicht  ganz  geschwunden. 

Fassen  wir  die  mitgeth eilten  Daten  noch 
einmal  kurz  zusammen,  so  hatten  wir  es 
mit  einer  Patientin  zu  thun,  die  |in  Folge 
einer  mit  heftigem  Bronchialkatarrh  com- 
plicirten  Mitralinsufficienz  an  Agrypnie  litt. 
Bei  dieser  Kranken  blieb  nicht  nur  das 
Sulfonal  in  der  gebräuchlichen  Dosis  ab- 
solut unwirksam;  es  traten  vielmehr  bei 
einer  grosseren  Gabe  (4  g)  —  und  das  im 
G-egensatz  zu  den  Angaben  anderer  Autoren  — 
sehr  unangenehme  Nebenerscheinüligen  auf, 
wie  grosse  Unruhe,  starkes  Herzklopfen, 
heftige  Dyspnoe  und  starker  Luftmangel, 
ohne  dass  selbst  diese  verhältnissmässig 
grosse  Gabe  den  Husten  auch  nur  im  min- 
desten gelindert  hätte.  Ich  komme  darauf 
weiter  unten  noch  zurück.  Dagegen  trat 
nach  0,015  Morphium  subcutan  injicirt  ein 
die  ganze  Nacht  anhaltender  Schlaf  ein; 
Hasten  und  Dyspnoe  waren  auch  am  darauf- 
folgenden Tage  geringer. 

Die  Tollige  Wirkungslosigkeit  des  Mittels 
bei  einer  herzkranken  Patientin  sowie  die 
Folgezustände,  die  durchaus  nicht  für  die 
„Unschädlichkeit  des  Sufonals  selbst  bei 
herzkranken  Individuen"  sprechen,  veran- 
lassten mich,  diesen  einzelnen  Fall  auch 
weiteren  Kreisen  bekannt  zu  geben.  £s  wird 
eben  dem  Sulfonal  wie  vielen  anderen  neu 
empfohlenen  Mitteln  gehn.  Anfangs  in  seiner 
Anwendung  unbeschränkt,  ergeben  weitere 
Prüfungen  und  Erfahrungen  bei  Weitem  engere 
Grenzen  für  seinen  Gebrauch.  Solange  solche 
bestimmte,  durch  die  Praxis  hinreichend  be- 
stätigte Indicationen  noch  nicht  aufgestellt 
sind,  werden  selbst  einzelne  Beobachtungen 
unsere  Kenntniss  über  den  Werth  des  Mittels 
zu  vertiefen  und  erweitern  im  Stande  sein; 
diese  Ueberlegung  war  für  mich  der  Grund, 
weshalb  ich  mich  zu  der  Veröffentlichung 
dieser  Einzelbeobachtung  entschloss. 

Ohne  mich  eingehender  mit  den  bereits 
vorhandenen  Beobachtungen  und  gemachten 
Erfahrungen  zu  beschäftigen,  mochte  ich 
doch  auf  zwei  Punkte  ganz  besonders  auf- 
merksam   machen    und    sie    hier    möglichst 


kurz  besprechen.  Der  eine  betrifft  die  Frage 
der  Wirksamkeit  resp.  Unschädlichkeit  des 
Sulfonals  bei  Herzkranken;  der  zweit«  die 
Wirkung  bei  anhaltendem  Husten  und  Bron- 
chialkatarrhen, insbesondere  die  Angabe  Ro- 
sin's^),  dass  das  Mittel  in  der  Dosis  von 
2  g  die  Sensibilität  der  Bronchial  Schleim- 
haut entschieden  beeinflusse. 

Was  nun  zunächst  die  Wirkung  des 
Mittels  auf  das  Herz  betrifft,  so  liegen  hier 
theilweise  sich  widersprechende  Beobachtun- 
gen vor.  Kast^),  von  dem  bekanntlich  die 
erste  Mittheilung  über  das  Sulfonal  her- 
rührt, zieht  aus  seinen  an  Thieren  und  dann 
an  Menschen  angestellten  Versuchen  den 
Schluss,  dass  ein  ungünstiger  Einfluss  des 
Präparates  auf  das  Herz  und  das  Gefäss- 
system  selbst  durch  volle  Dosen  nicht  her- 
vorgebracht wird.  Im  Einklang  damit  hat 
er  auch  bei  herzkranken  Individuen,  denen 
er  das  Sulfonal  reichte,  unangenehme  Neben- 
erscheinungen nicht  beobachtet;  es  trat  viel- 
mehr bei  allen  von  ihm  mitgetheilten  hier- 
hergehörigen Fällen  prompter  Erfolg  auf. 
Es  sei  hier  besonders  auf  seinen  Fall  2, 
Fall  7  und  den  Fall  Marie  H.,  30  J.  alt,  hin- 
gewiesen. Im  letzten  Falle  handelte  es  sich 
um  eine  Herzkranke  —  Stenose  des  Mitral- 
ost.,  Aorteninsufflc.  —  mit  gestörter  Com- 
pensation  und  sehr  herabgesetztem  Aorten- 
druck, bei  der  schon  nach  1  g  gute  Schlaf- 
wirkung ohne  Nebenwirkung  auf  das  Herz 
eintrat.  Käst  sah  also,  um  kurz  zu  re- 
sumiren,  nach  1  —  2  g  selbst  bei  Herzkranken 
.gute  Wirkung,  insbesondere  keine  unange- 
nehmen Folgeerscheinungen  von  Seiten  des 
Circulation  sapparates.  Auch  Langgaard 
und  Rabow')  sehen  auf  Grund  der  ange- 
stellten Experimente  in  Herzkrankheiten 
keine  Gegenanzeige  für  die  Anwendung  des 
Sulfonals;  fügen  aber  vorsichtig  hinzu:  „Nach- 
theiliges über  dasselbe  ist  noch  nicht  zu 
unserer  Cognition  gelangt,  ob  aber  der  hin- 
kende Bote  doch  nicht  früher  oder  später 
nachkommt,  müssen  wir  einstweilen  ab- 
warten." Desgleichen  rühmt  Rabbas^)  die 
unschädliche  Einwirkung  des  Sulfonals  auf 
die  Herzthätigkeit  selbst  bei  längerem  Ge- 
brauch und  giebt  ihm  deshalb  den  Vorzug 
vor  dem  Chloral,  „dessen  schwächende  Wir- 
kung auf  das  Herz  ja  allgemein  bekannt 
und  gefürchtet  ist". 

Indessen  steht  unsere  oben  mitgetheilte, 
gegen  th  eilige  Beobachtung  durchaus  nicht 
vereinzelt  da;  eine  ähnliche  hat  nämlich 
schon  vordem  Schmey*)  veröffentlicht.     Sie 

*)  Rosin,  Ueber  die  Wirkung  des  Sulfonals. 
Berl.  Klin.  Wochenschrift  1888  No.  25  S.  500. 

*)  Schmey,  Zur  Wirkung  des  Sulfonals  Therap. 
Monatshefte.    Jahrgang  1888.    No.  VH.  S.  319. 

29* 


228 


Joachim»  Boitng  cur  Sulfonalwtrkung. 


pTberftpeatiMli« 


widerspricht    TÖUig     den    Ton     den     ersten 
Autoren    bei    Herzkranken    gemachten    Er- 
fahrungen  und    sei  bei  der  Wichtigkeit  des 
Gegenstandes   hier  kurz  wiedergegeben.     £s 
handelte  sich  um  einen  61jährigen  Patienten, 
der  in  Folge  von  Arteriosclerose   an  Angina 
pectoris   und  Schlaflosigkeit    litt.      Gestützt 
auf  die  Angaben   von  East,    dass   das  Sul- 
fonal  das  Herz   nicht   ungünstig  beeinflusse, 
entschloss    sich    Schmey    zur    Anwendung 
dieses   Mittels  ^    nachdem    der  Patient    nach 
Dosen   yon    3  g  Amylenhydrat    zwar  ^-  bis 
6-stündigen   Schlaf    ohne     alle     schädlichen 
Nebenwirkungen   gehabt,    indess    das  Mittel 
des  unangenehmen  Geschmackes  wegen  nicht 
gern  weiter  nehmen  wollte.     Es  wurde  ihm 
eine  Dose  von  2  g  verabreicht.     „Die  "Wir- 
kung war  eine  ganz  schreckliche.     Bald  nach 
dem  Einnehmen  traten  die  Anfälle  von  An- 
gina   pectoris    mit    grosser    Heftigkeit    auf; 
und  sobald  es  gelungen  war,  durch  kräftiges 
Einathmen  von  Amylnitrit  einen  solchen  An- 
fall   zu    beseitigen,    dauerte   es   nur  wenige 
Minuten,  bis  ein  neuer  Anfall  sich  einstellte. 
So  ging  das  die  ganze  Nacht  hindurch.     Ein 
eigentlicher  Schlaf  trat  nicht    ein,    sondern 
2   Stunden  nach   der   Einnahme   des  Mittels 
zeigte  sich  für  ungefähr  2  Stunden  eine  Art 
von  Halbschlummer,    der  durch  häufige  An- 
fälle unterbrochen  war.     Noch   die  nächsten 
2  Tage  traten  die  Anfälle  in  ungewöhnlicher 
Stärke    und    Heftigkeit    auf."      Auf    Grund 
dieser  Erfahrung    räth    Schmey,    „bei    der 
Angina  pectoris   und  bei  der  Arteriosclerose 
überhaupt  von  der  Darreichung  des  Sulfonals 
Abstand    zu    nehmen".      Ich    habe    die  Be- 
merkungen   des    genannten  Autors    mit  Ab- 
sicht ausführlicher  hier  angeführt   und   zwar 
aus  dem  Grunde,   weil  sie  uns  zeigen,  dass 
die    von    vielen    Forschem    angegebene    Un- 
schädlichkeit des  Sulfonals  selbst  bei  Herz- 
kranken gelinde  gesagt   nicht  für  alle  Falle 
zutreffend   ist;    und    dass  man   deshalb,   bei 
Individuen   mit   Krankheiten   dieses   Organes 
in  der  Anwendung    des  Mittels    etwas    vor- 
sichtiger   zu  sein,    allen   Grund    hat.      Und 
wenn     sich     in    Hunderten     von    Versuchen 
prompter    Erfolg    und    keine    unangenehmen 
Folgeerscheinungen    für    das    Herz    ergeben 
hätten,   —   was,  wie  wir  weiter  unten  sehen 
werden,  durchaus  nicht  der  Fall  ist,   wenig- 
stens soweit  hier   die  absolute  Wirksamkeit 
des  Mittels   in  Frage  kommt  — ,    so   reicht 
die   Veröffentlichung    dieses    einzigen   Falles 
dem   gegenüber    hin,    uns    zu  gewisser  Auf- 
merksamkeit zu  mahnen.     Was  Schmey  an 
seinem  Kranken  heut  beobachtet  hat,    kann 
morgen  jeder  Einzelne    von    uns    bei   einem 
anderen  Patienten  —  nicht  gerade  zu  dessen 
Gunsten  —  erfahren.     Wenn  dem  gegenüber 


Müller*)  bei  einem  72jährigen  Patienten 
ebenfalls  mit  Arteriosclerose,  der  schon 
10  Tage  unter  den  furchtbarsten  Beschwer- 
den das  Bett  hütete,  nach  1  g  Sulfonal  einen 
fast  die  ganze  Nacht  währenden  erquicken- 
den Schlaf  mit  ruhiger  Athmung  sah,  die- 
selbe Beobachtung  auch  in  den  folgenden 
Nächten  machte,  und  nun  auf  die  auch  sonst 
von  ihm  bei  Arteriosclerose  mit  dem  Sulfo- 
nal gemachten  Erfahrungen  gestützt,  die 
Warnung  Schmey's  für  durchaus  nicht  ge- 
rechtfertigt erklärt,  so  verdient  hervorgehoben 
zu  werden,  dass  bereits  Käst  in  seiner  er- 
sten Mittheilung  einen  ähnlichen  Fall  mit- 
theilt. —  2.  Elise  S.,  50  Jahre,  Arterio- 
sclerose. Anhaltende  Schlaflosigkeit;  promp- 
ter Erfdlg  nach  2,  später  1  g  Sulfonal, 
„niemals  eine  Spur  unangenehmer  Neben- 
wirkungen, im  Gegen  theil  fortdauernd  gün- 
stige Beeinflussung  der  vorhandenen  Kopf- 
beschwerden". —  Indessen  bei  einem  neuen 
Mittel,  wie  bei  dem  Sulfonal,  für  dessen 
Anwendung  die  nöthigen  Indicationen  erst 
durch  die  Erfahrung  geliefert  werden  müssen, 
ist  eine  Beobachtung  mit  negativem  Erfolg, 
wie  die  von  Schmey,  mindestens  ebenso 
werthvoU,  vielleicht  sogar  noch  viel  werth- 
voller,  als  ein^  Reihe  die  Erfahrungen  der 
Vorgänger  lediglich  bestätigender  Mit- 
theilungen. 

Eine  wesentliche  Bereicherung  unserer 
Kenntnisse  in  der  Anwendung  des  Sulfonals 
bei  Herzkranken  verdanken  wir  Schwalbe^), 
der  uns  in  seinen  Arbeiten  nicht  nur  die 
Resultate  seiner  Beobachtungen  mittheilt, 
sondern  auch  kurze  Krankengeschichten  liefert 
und  es  so  ermöglicht,  sich  ein  eigenes  ür- 
theil  zu  bilden.  Er  wandte  das  Sulfonal 
im  Ganzen  bei  50  Patienten  an,  darunter 
achtmal  bei  Herzleidenden.  Sehen  wir  zu, 
mit  welchem  Erfolge.  Unter  den  sub  III. 
d.  h.  „Fälle  ohne  Schlaf wirkuog"  mitgetheil- 
ten  13  Fällen  finden  wir  nicht  weniger  als 
6  resp.  7  mit  Herz  äff ec  ti  on  en ;  unter  der 
Rubrik  IV.  d.  h.  „Fälle  mit  mehr  oder 
weniger  vollkommener  Schlafwirkung  aber 
mit  Nebenerscheinungen"  ebenfalls  einen 
Herzkranken;  dagegen  auf  der  anderen  Seite 
kein  herzkrankes  Individuum,  bei  dem  das 
Sulfonal  prompt  gewirkt  hätte.  Diese 
Krankengeschichten  seien  hier  kurz  mit- 
getheilt. 

Fall  1.  Grohts,  54  Jahr.  Myocarditis.  Pleurit. 
fibr.  dextr.  Starke  card.  Orthopnoe.  Delirien.  — 
Abends  1,5  g  Sulfonal;  keine  Wirkung,  auch  keine 
Beruhigung.     5  Uhr  früh  Exitus  let. 

^)  Muller,  Zur  Anwendung  des  Sulfonals. 
Therap.  Monatshefte  1888.  No.  VUI.  S.378. 

^)  Schwalbe,  Zur  kl.  Würdigung  der  Sulfonal- 
Wirkung.  Deutsche  med.  Wochenschrift  1888.  No.25. 
S.  499. 


in.  Jmhrgang.'l 
Mal  188d.    J 


Joachim,  Beitrag  zur  Sulfonalwirkung. 


229 


Dieser  Fall  ist  aus  nabeliegendeo  Gründen 
für  unsere  Betrachtung   kaum    zu    berücksichtigen. 

Fall  2.  Neumeyer,  33  J.  Uneompensirte 
InsufiF.  valy.  aort.  Starker  Hydrops,  card.  Dyspnoe. 
Nach  1  g  keine  Wirkung;  nach  2  g  sehr  unruhiger 
Schlaf,  Pat  wirft  sich  viel  umher,  spricht  aus  dem 
Schlaf;  nach  27»  g  nur  Vi  stündiger  Schlaf. 

Fall  3.  Hönisch,  62  J.  Myocard.  Emphysem; 
betr&chtliche  Dyspnoe.  Nach  1  g  keine  Einwir- 
kung. 

Fall  4.  B  au  mann,  59  J.  Insuff.  valv.  mitr. 
im  Stadium  der  Incompensation ;  card.  Dyspnoe. 
1  und  2  g  ohne  jeden  Effect. 

Fall  5.  Frau  Wies n er,  66  J.  Schrumpfniere, 
Myocard.  Starke  card.  Orthopnoe.  Nach  1  g  keine 
Wirkung;  nach  2  g  '/ißtündiger  Schlaf. 

Fall  6.  Frau  Do  lata,  65  J.  Nephr.  Myocard.; 
Asthma  card.  Nach  3  g  kein  Schlaf;  stärkere 
Unruhe. 

Fall  7.  Schröder,  39  J.  Carcin.  ventr.  — 
Stenos.  et  insuff.  Talv.  mitr.;  keine  Oedeme.  Nach 
1  H-  1  g  kein  Schlaf;  0,02  Morph,  subcutan  fester 
Schlaf  bis  zum  Morgen. 

Ejrankengeschichte  mit  theilweiser  Wirkung  — 
Rubrik  IV.  — 

Fall  8.  ünger,  28  J.  Arthrit.  subac.  Insuff. 
valy.  aortae;  Stenos.  et  Ins.  valv.  mitr.  im  Beginn. 
Keine  Herzbeschwerden.  Nervöse  Schlaflosigkeit 
bedingt  durch  die  Neuheit  des  Krankenhausaufent- 
baltes.  Nach  1  g  keine  Einwirkung;  nach  IVs  g 
Schlaf  bis  zum  Morgen.  Am  Morgen  leichter 
Schwindel.  » 

In  einem  zweiten  Artikel^)  —  es  handelte 
sich  hier  um  die  Wirkung  grösserer  Dosen  — 
erzählt  Schwalbe  Ton  einem  Patienten 
—  Insuff.  valv.  aortae  und  Dyspnoe  — ,  der 
vorher  kleinere  Dosen  Sulfonal  ohne  Erfolg 
bekommen  hatte,  dass  derselbe  auch  nach 
3  g  keine  Einwirkung  verspürt  hätte. 

Nach  4  g  sah  er  bei  dem  Kranken  Müller  — 
54  J.,  Myocarditis,  Arteriosclerose,  stenocar- 
dische  Anfälle  — ,  der  nach  1  und  2  g  ab- 
solut keinen  Erfolg  zeigte^  wenig  Schlaf,  da- 
gegen grosse  Unruhe,  Stöhnen.  Der  Kranke 
wirft  sich  viel  umher,  taumelt  im  Bette 
sitzend  von  einer  Seite  zur  andern,  phanta- 
sirt,  schimpft.  „Puls  und  Respiration  war 
weder  in  diesem,  noch  in  einem  der  vorher- 
gehenden Fälle  alterirt." 

Auf  Grund  dieser  Yersuche  spricht  sich 
der  Autor  im  Allgemeinen  sehr  günstig  über 
die  Wirkung  des  Sulfonals  aus  —  in  66% 
der  Gesammtbeobachtungen  sah  er  eine 
prompte  Schlafwirkung  — ;  er  kann  aber 
nicht  umhin,  die  Erfolglosigkeit  des  Mittels 
bei  Herzkranken  mit  starker  Dyspnoe  ein- 
zugestehen. „Viel  wesentlicher  aber  ist  der 
Ausfall  der  Sulfonalwirkung,  den  ich  im 
Gegensatz  zu  Käst  so  gut  wie  bei  allen 
Fällen  von  Agrypnie  gesehen  habe,  die   sich 

•)  Schwalbe,  Nachträgliche  Bemerkungen 
über  die  Sulfonalwirkung.  Deutsche  med.  Wochen- 
schrift 1888.  No.  35  S.  725. 


auf  der  Basis  des  cardialen  Asthmas  grün- 
dete, welche  resultirte  aus  der  Compen- 
sationsstörung  eines  Herzleidens;  ...  in 
5  Fällen  habe  ich  selbst  bei  sehr  hohen 
Dosen  von  unserem  Mittel  nicht  die  Spur 
eines  Erfolges  gesehen.^  In  seinen  nachträg- 
lichen Bemerkungen  hält  er  im  Allgemeinen 
die  eben  angeführten  Ausführungen  aufrecht; 
bei  einigen  Patienten  mit  massiger  cardialer 
Dyspnoe  hat  er  zwar  nach  mittleren  Dosen 
befriedigenden  Schlaf  gesehen,  „bei  stärkerer 
Athemnoth  freilich  hat  das  Medicament  auch 
diesmal  wiederholt  im  Stich  gelassen  ^^ 

„Nur  mangelhaften  oder  gar  keinen  Er- 
folg" hat  Ewald*)  von  dem  Sulfonal  bei 
Agrypnie  in  Folge  organischer  Leiden,  be- 
sonders bei  Klappenfehlern,  Fettherz,  Ar- 
teriosclerose, Emphysem  etc.  gesehen. 

Dem  widerspricht  zum  Theil  die  Er- 
fahrung von  Matthes*®),  dessen  Beobach- 
tungen sich  freilich  nur  auf  4  „Kreislauf- 
störungen" unter  25  Fällen  beziehen.  Nach 
seinen  Versuchen  „war  die  Wirkung  vorzüg- 
lich bei  Herz  erkrank  ungen  mit  und  ohne 
Compensationsstörung" ;  die  gewöhnliche  Do- 
sis war  1 — 2  g.  „Auch  bei  Herzkranken", 
hebt  er  ausdrücklich  hervor,  „wurden  Un- 
regelmässigkeiten nach  Sulfonalgebrauch  nie 
wahrgenommen. " 

Aehnlich  äussert  sich  Zerner")  über 
das  Mittel.  „Auch  wir  können  nach  unseren 
Erfahrungen  der  Warnung  Sc hmey^s  keines- 
wegs beipflichten,  da  wir  bei  4  Herzkranken, 
darunter  einem  im  äussersten  Stadium  der 
Compensationsstörung,  auch  nicht  die  ge- 
ringste schädliche  Beeinflussung  wahrnehmen 
konnten"^ 

Ich  möchte  diese  Betrachtung  nicht 
schliessen,  ohne  einer  hierhergehörigen  Be- 
obachtung zu  gedenken,  die  noch  aus  der 
jüngsten  Zeit  von  Garnier*')  mitgetheilt 
wurde.  Mit  Bezug  auf  die  Einwirkung  des 
Sulfonals  auf  den  Circulationsapparat  äussert 
er  sich  wie  folgt:  „Chez  moi-meme,  Taccel^- 
ration  du  pouls,  notee  deja  une  heure  apres 
Tingeation  d^une  dose  de  3  g  de  sulfonal, 
pour  atteindre  son  summum  trois  heure s 
apres,  cessa  totalement  au  bout  de  cinq 
heures,  et  les  pulsations  revinrent  a  peu 
pres  a  la  normale;  ....  aussi  en  Allemagne, 
le  sulfonal  a-t-il  ete   introduit,    meme    dans 


9)  Ewald,  Berl.  Klin.  Wochenschrift  1888. 
No.  25  S.  516. 

*°)  Matthes,  Beitr.  zur  hypnot.  Wirkung  des 
Sulfonals.  Centralbl.  f.  klin.  Medicin  1888.  No.  40. 
S.  723. 

")  Zerner,  Erfahrungen  über  Sulfonal.  Wien, 
medicin.  Wochenschr.  1888.  No.  45.  S.  1515. 

")  Garnier,  Du  sulfonal  et  de  la  valeur  de 
son  emploi  comme  hypnotique  chez  les  alienes. 
Annales  m^dico-psycholog.  1889.  Jan.  S.  47, 


230 


Was  Ut  EzalKin? 


[TherapMtische 
Monatabeft«). 


les  maladies  de  cet  organe  (lesions  des  Tal- 
vules,  art^rio-scleroße  etc.)  ponr  lutter,  avec 
moins  de  succes  toutefois  qu^ailleurs,  contre 
rinsomiiie  qui  lee  accompagne  souvent^. 
Sonst,  meint  er,  sei  die  Wirkung  des  Mittels 
auf  das  Herz   „ä  peu  pres  nulle ''\ 

Sehr  Tiel  kürzer  kann  ich  mich  über 
den  zweiten  Punkt  fassen.  Kosin^)  sah  in 
der  Dosis  Ton  2  g  Sulfonal  „auch  einen  ent- 
schiedenen £influss  auf  die  Sensibilität  der 
Bronchialschleimhaut.  Auch  in  einer  grösse- 
ren Anzahl  von  Fällen  bei  Phthisikern  an- 
gewendet, die  über  Schlaflosigkeit  in  Folge 
zu  heftigen  Hustenreizes  klagten,  Hess  sich 
eine  günstige  Wirkung  erkennen.^  Indess 
Schwalbe ^^)  hebt  bereits  in  seiner  ersten 
Arbeit  gerade  mit  Bezug  auf  eine  eventuelle 
Einwirkung  des  Sulfonals  auf  die  Bronchien 
hervor,  dass  in  keinem  Falle,  trotz  des  an 
sich  guten  Schlafes,  der  Hustenreiz  an  In- 
und  Extensität  abgeschwächt  war.  „In  den 
Fällen,  wo  der  starke  Hustenreiz  zu  häufigen 
Expectorationen  Veranlassung  gab,  war  die 
Wirkung  des  Sulfonals  eine  minimale,  und 
die  Patienten  schliefen  erst,  wenn  man  ihnen 
mit  einer  relativ  geringen  Dosis  Morphium 
zu  Hülfe  kam.^  Gerade  diese  letzte  Aeusse- 
rung  scheint  für  die  Entscheidung  der  vor- 
liegenden Frage  sehr  beachtenswerth.  Selbst 
Matthes*^),  der  sonst  im  Grossen  und  Gan- 
zen zu  ähnlichen  Resultaten  wie  Rosin  ge- 
langte, konnte  die  Angaben  des  eben  ge- 
nannten Autors,  „dass  das  Sulfonal  die  Sen- 
sibilität der  Bronchialschleimhaut  herabsetze", 
nicht  bestätigen;  mit  nur  einer  Ausnahme 
wurde  die  Wirkung  des  Mittels  regelmässig 
durch  den  Hustenreiz  beeinträchtigt.  „Doch 
ist  es  möglich,"  fügt  er  hinzu,  „dass  für 
diese  Herabsetzung  der  Sensibilität  die  an- 
gewandten Dosen  —  gewöhnlich  wurde 
1  —  2  g  gegeben  —  zu  klein  waren.  ^  In- 
dessen in  meinem  Falle  war  auch  nach  3 
resp.  4  g  Sulfonal  der  Husten  durchaus 
nicht  gemindert;  nach  Aussage  der  Wärterin 
sogar  eher  stärker  und  häufiger.  Dagegen 
schlief  Patientin  —  die  früher  viel  Morphium 
genommen  hatte  — ,  nach  0,015  Morph, 
subcutan  die  ganze  Nacht  hindurch,  ohne 
durch  Husten  gestört  zu  werden. 

Es  liegt  mir  fern,  aus  dieser  Einzel- 
beobachtung irgend  welche  Schlüsse  zu 
ziehen.  Indessen  das  zeigt  die  von  mir 
mitgetheilte  Krankengeschichte  sowohl  wie 
die  Erfahrungen  anderer  Autoren,  dass  man 
in  der  Anwendung   des  Sulfonals   bei  Herz- 


kranken mit  starker  Dyspnoe  ausserordent- 
lich vorsichtig  sein  muss;  ja  dass  mian  es 
unter  solchen  Verhältnissen  am  Besten  ganz 
meidet.  Und  das  um  so  mehr,  als  nach  den 
vorliegenden  Berichten  in-  derartigen  Fällen 
die  Wirkung  des  Präparates  ausserordentlich 
häufig  ausbleibt.  Ebenso  unwirksam  ist  das 
Mittel  in  den  meisten  Fällen  von  Agrypnie, 
die  durch  heftigen  Hustenreiz  veranlasst 
wird.  Hier  bringt  man  den  Patienten  viel 
schneller  und  sicherer  mit  Morphium  als 
mit  dem  Sulfonal  die  ersehnte  Ruhe. 

Nachschrift. 

■ 

Als  die  vorliegende  Arbeit  bereits  fertig- 
gestellt war,  Mitte  Februar  dieses  Jahres, 
kam  mir  die  neueste  Nummer  der  Berliner 
Klinischen  Wochenschrift  zu  Gesicht,  in 
welcher  sich  sehr  beachtenswerthe  und  uns 
besonders  interessirende  Mittheilungen  über 
den  Werth  des  Sulfonals  finden,  die  hier 
noch  kurz  erwähnt  seien. 

(„Zur  Casuistik  der  Sulfonal  Wirkung" 
von  Prof.  Kisch,  Berlin.  Klin.  Wochenschrift 
1889  No.  7  S.   128.) 

„Keine  Wirkung",  sagt  Kisch,  „hatte 
das  Sulfonal  (bis  zu  2  g  '  verabreicht)  bei 
Schlaflosigkeit  in  Folge  von  Asthma  car- 
diale."  Nach  3  g  Sulfonal  sah  K.  bei  einem 
45  Jahre  alten  Neurastheniker  folgende  Er- 
scheinungen. „Des  anderen  Morgens  fühlte 
sich  der  Patient  sehr  elend,  ausserordentlich 
matt,  klagte  über  Gefühl  von  Abgeschlagen- 
sein und  Vergehen  der  Sinne.  Ich  fand  eine 
bedeutende  Verlangsamung  des  Pulses 
bis  auf  38  Schläge  in  der  Minute,  so 
dass  ich  Reizmittel  verordnete,  nach  deren 
Anwendung  sich  erst  nach  mehreren  Stunden 
die  beängstigenden  Symptome  legten." 


*')  Schwalbe,  Zur  kl.  Würdigung  der  Sulfonal- 
wirkung.  Deutsche  med.  Wochenschr.  1888.  No.  25. 
S.  503. 

'*}  Matthes,    loco  cit.  S.  724. 


Was  ist  Exalsrin? 

In  unserem  ersten  Berichte  (s.  April- 
heft S.  171)  über  den  von  Dujardin- 
Beaumetz  und  Bardet  unter  dem  Namen 
„Exalgin"  in  die  Medicin  eingeführten 
Körper  wiesen  wir  darauf  hin,  dass  es  un- 
möglich wäre,  aus  den  Angaben  der  ge- 
nannten Autoren  sich  ein  ürtheil  über  die 
Zusammensetzung  der  Verbindung  zu  bilden. 
Jetzt  giebt  Bardet  in:  Les  nouveaux 
remedes  1889  No.  8  die  Erklärung  ab,  dass 
die  „Exalgin"  benannte  Substanz  das,  neben- 
bei bemerkt  gleichzeitig  von  Hepp  und 
Hofmann  im  Jahre  1877  dargestellte, 
Methylacetanilid    ist,    d.  h.    Acetanilid,    in 


in.  Jahrgang  .1 
Hai  1889.    J 


Therapeutische  Mittheiluhgeii  aus  Vetelfieti. 


231 


welchem  das  zweite  WasserstofiFatom  der 
NHj- Gruppe  durch  die  .Methylgruppe  CH3 
ersetzt  ist. 


CgHsNH.CjHaO. 

Acctanilid 
f  Antifebrin). 


C6H5N.CH3.C3H5O. 

Metbylacetanflid 

(Exalgin). 


Für  die  Anwendung    empfiehlt    Barde t 
folgende  Formel: 


IV    Exalgin  2,6 

solve  in 
Alcoholat.  Menthae    15,0 

adde 
Syrupi  30,3 

Aquae  105,0. 

D.S.  Täglich  1  —  3  Esslöffel  zu  nehmen. 
Jeder  Esslöffel    enthält  0,25    des   Medi- 
cam entes. 


Therapeutische  Mittheüimgen  ans  Vereinen. 


Elfter  Balneologen-Congress  zu  Berlin. 
(Origin  alhericht.) 

Nachdem  die  Mitglieder  der  balneologi- 
schen  Gesellschaft,  welche  nicht  nur  aus 
allen  Theilen  Deutschlands,  sondern  auch 
aus  Holland,  Belgien,  England,  Schweden, 
Oesterreich,  Ungarn  zahlreich  erschienen 
waren,  am  1.  März  Abends  das  Römerbad 
und  am  2.  März  Vormittags  das  Admirals- 
gartenbad  besichtigt  hatten,  begannen  die 
eigentlichen  Verhandlungen  des  Congresses 
am  2.  März  Abends  7  Uhr  Lm  Hörsaale  des 
pharmakologischen  Instituts  unter  Vorsitz 
des  Professor  Liebreich.  Der  Vorsitzende 
betonte  in  seiner  einleitenden  Kede  das 
stetige  Wachsen  der  balneologischen  Gesell- 
schaft, den  grossen  Einfluss  derselben  auf 
die  Hygiene  in  den  Curorten  und  die  immer 
steigende  Anerkennung,  welche  der  Congress 
in  den  11  Jahren  seines  Bestehens  gefunden. 
Zu  Vorsitzenden  wurden  die  Herren  Lieb- 
reich und  Fromm  und  zum  Generalsecretair 
Herr  Brock  gewählt. 

Zunächst  spricht  Herr  t.  L  i  e  b  i  g 
(Reichenhall)  über  die  Bergkrankheit. 
Der  Vortragende  schildert  die  Erscheinungen 
des  Uebels,  Yon  dem  ungeübte  Bergsteiger 
zuweilen  bei  ihren  ersten  Versuchen  befallen 
werden,  wenn  sie  in  Höhen  von  über  1000 
Meter  gelangen.  Athembeschleunigung  mit 
dem  Gefühle  der  Beengung  auf  der  Brust 
macht  den  Anfang,  es  gesellen  sich  Puls- 
beschleunigung, Blutandrang  nach  dem  Kopfe, 
Schwarzsehen,  Schwindel  hinzu,  Blut  tritt 
aus  Mund  und  Nase,  die  Beine  versagen 
den  Dienst  und  es  folgt  vollständige  Er- 
schöpfung. Man  hat  sich  bislang  damit  be- 
gnügt, die  verdünnte  Luft  der  höheren  Berg- 
gebiete als  alleinige  Ursache  der  Bergkrank- 
heit anzunehmen;  Redner  ist  jedoch,  nament- 
lich mit  Rücksicht  auf  die  Thatsache,  dass 
der    blosse    Aufenthalt   in    grösseren   Höhen 


erfahrungsmässig  keine  Bergkrankheit  er- 
zeugt, der  Ansicht,  es  liege  die  Ursache 
derselben  vielmehr  in  der  mechanischen  Un- 
fähigkeit mancher  Menschen,  beim  Steigen 
in  der  verdünnten  Luft  die  Athembewegungen 
den  veränderten  Luftverhältnissen  anzupassen. 

Herr  A.  Loewy  (Berlin):  Ueber  den 
Einfluss  der  salinischen  Abführmittel 
auf  den  Gaswechsel  des  Menschen.  Bei 
Versuchen,  welche  der  Vortragende  im 
Zuntz' sehen  .Laboratorium  vermittelst  des 
Zu  ntz-Gep  per  tischen  Athemapparats  an 
10  Individuen  vornahm,  fand  er,  dass  nach 
Einführung  von  Glaubersalzlösung  stets  eine 
Steigerung  des  Gaswechsels  eintrat,  welche 
in  gleicher  Weise  die  Sauerstoffaufnahme 
und  die  Kohlensäureausscheidung  betraf. 
Diese  Steigerung  wird  durch  die  von  dem 
Glaubersalz  angeregte  Darmperistaltik  her- 
vorgerufen und  verschwindet  daher  sofort, 
sobald  nach  erfolgtem  Stuhlgang  Darmruhe 
eintritt.  Die  Vermehrung  des  Stoffumsatzes 
geschieht  allein  auf  Kosten  des  Körperfettes. 
—  An  der  Discussion  über  diesen  Vortrag 
betheiligen  sich  die  Herren  Liebreich, 
Schliep,  Wagner,  Zuntz  und  Winter- 
n;tz. 

Dr.  Schott,  (Bad  -  Nauheim)  besprach 
wegen  Kürze  der  Zeit  statt  seines  ursprüng- 
lich angekündigten  Vortrags  „über  Herz- 
krankheiten" das  Thema:  „Zur  Behand- 
lung des  Morbus  Basedowii"  und  schil- 
derte zuerst  die  Cardinalsymptome ,  die 
Tachycardie,  Struma  und  ijxophthal- 
mus.  Bei  der  Beschreibung  der  ersteren 
machte  er  darauf  aufmerksam,  dass  bei  der 
Basedow' sehen  Krankheit  ebenso  oft  das 
rechte  wie  das  linke  Herz  ergriffen  sei  und 
zwar  auch  da,  wo  keine  Klappenerkrankung 
den  M.  B.  complicire;  es  käme  wesentlich 
darauf  an,  zu  welcher  Zeit  man  die  Kranken 
sehe  und  mit  welcher  Intensität  das  Leiden 


232 


Thermpotttitehe  Mittbttlliuigen  am  Verolnwi. 


rrherapentlMh« 
L  Monattheft«. 


auftrete.  Es  erfolgten  dann  die  Beschrei- 
bungen der  Gräfe'scben,  Stellwag'schen 
und  Mobius 'sehen  Symptome,  der  verän- 
derte L  ei  tun  gs  widerstand,  wie  er  durch 
Charcot,  Vigouroux,  Eulenburg  und 
Kahler  beschrieben  wurde,  ferner  die  den 
M.  B.  so  häufig  begleitende  Anämie  und 
Chlorose,  die  Menstruationsstorungen  und 
nervösen  Symptome,  wie  Hysterie,  Hypo- 
chondrie und  Melancholie,  um  dann  darauf 
aufmerksam  zu  machen,  dass,  wie  dies 
Charcot  zuerst  beschrieben.  Zittern  so 
oft  zu  constatiren  sei,  dass  man  es  fast  als 
ein  Cardinalsymptom  des  M.  B.  ansehen 
könne;  auch  Temperatursteigerungen 
von  0,5  — 1,0  Grad  Celsius  kämen  häufig 
vor,  wie  auch  profuses  ganz-  oder  halb- 
seitiges Schwitzen. 

Die  bei  Frauen  viel  häufiger  als  bei 
Männern  vorkommende  Basedo  wasche  Krank- 
heit (im  Verhältnisse  etwa  wie  4  resp.  7 
zu  l)  entstehe  häufig  durch  Gemüthsbe- 
wegungen ,  sexuelle  Excesse ,  ungenügende 
Ernährung  etc.,  in  vielen  Fällen  bleibe 
jedoch  die  Aetiologie  vollständig   dunkel. 

Man  müsse  wesentlich  zwischen  einer 
acuten  resp.  subacuten  Form  des  M.  B. 
und  einer  chronischen  unterscheiden.  Die 
letztere  sei  die  bei  weitem  am  häufigsten 
auftretende. 

Das  Wesen  der  Erkrankung  wurde 
weder  durch  die  frühere  Ansicht,  dass  die 
Chlorose  und  Anämie  die  Ursache  sei,  noch 
durch  eine  Erkrankung  des  Sympathicus 
genügend  erklärt,  vielmehr  müsse  man  die 
erkrankten  Stellen  viel  höher  und  zwar  im 
Gehirn  selbst  suchen;  freilich  Hessen  sich  bis 
jetzt  diese  Stellen  noch  nicht  genau  angeben. 

Was  die  Therapie  anlangt,  so  hat  Seh. 
unter  den  Medicamenten  die  besten  Erfolge 
vom  Chinin  in  Dosen  von  1  Gramm  pro  die 
gesehen.  Der  vorsichtige,  innere  Gebrauch 
der  Eisenwässer  gebe  ebenfalls  befriedi- 
gende Resultate.  In  den  letzten  Decennien 
spiele  bei  M.  B.  die  Elektricität  und 
zwar  der  galvanische  Strom  (in  neuerer  Zeit 
auch  durch  Vigouroux  der  faradische)  eine 
weitverbreitete  und  sehr  befriedigende  An- 
wendung. Seit  Trousseau's  Empfehlung 
habe  in  der  neuesten  Zeit  die  Hydro-  und 
Balneotherapie  von  Jahr  zu  Jahr  an 
Anhängern  gewonnen ,  die  erste  in  Form 
von  leichten  Douchen  auf  den  Rücken, 
kühlen  Vollbädern  oder  auch  Einpackungen. 
Unter  den  Bädern  haben  die  Stahlbäder 
und  die  kohlensäurereichen  Thermal- 
soolbäder  die  schönsten  Erfolge  ergeben, 
desgleichen  verdiente  die  Gymnastik  nach 
Redners  Erfahrung  wegen  der  schönen  Re- 
sultate die  volle  Beachtung  der  Aerzte. 


Nach  Stilleres  Angabe  seien  klimati- 
sche Curorte,  insbes.  solche  von  1000  bis 
1500  Meter  Höhe  ein  wesentlicher  Factor 
bei  der  Behandlung  des  M.  B.;  Redner  sah 
aber  hier  neben  günstigem  Resultate  auch 
Misserfolge  und  warnt  vor  dem  Ge- 
brauch so  bedeutender  Höhen  bei  anderen 
Herzkrankheiten.  Das  Resume  Schottes 
bezüglich  der  Behandlung  der  Basedo wa- 
schen Krankheit  lautet: 

Mit  Hilfe  der  Hydro-,  Balneo-  und 
Klimatotherapie  vermögen  wir: 

1.  den  Allgemeinzustand  zu  heben 
insbes.  die  Chlorose  und  Anämie  zu 
beseitigen; 

2.  das  Nervensystem  zu  kräftigen 
und  dadurch  manches  lästige  Nebea- 
symptom  zum  Verschwinden  zu  brin- 
gen, und 

3.  auf  die  Cardinalsymptome  gün* 
stig  einzuwirken,  insbesondere  das 
Herz  zu  kräftigen,  seinen  Rhythmus 
zu  verlangsamen,  eventuell  dieArhyth- 
mie  zu  beseitigen,  sowie  auch  Struma 
und  Exophthalmus  zur  Verkleinerung 
resp.   zum   Verschwinden    zu    bringen. 

Herr  v.  Corval  (Baden-Baden):  Zur 
Suggestionstherapie.  Der  Vortragende 
hat  bei  Dr.  Wetterstrand  in  Stockholm 
800  hypnotischen  Sitzungen  beigewohnt  und 
bekennt  sich  auf  Grund  der  dort  gemachten 
Beobachtungen  und  seiner  eigenen  Erfah- 
rungen als  Freund  der  jetzt  von  den  meisten 
Aerzten  noch  misstrauisch  angesehenen  hyp- 
notischen Curen.  Im  Einzelnen  erwähnt  er 
Folgendes :  Zu  hypnotisiren  ist  Jeder,  nur  ist 
der  Schlaf  nicht  bei  jedem  Individuum  gleich 
tief;  es  braucht  aber  auch  kein  tiefer  Schlaf 
vorhanden  zu  sein  zur  Erzielung  von  Erfolgen, 
welche  nicht  nur  palliative,  sondern  in  ge- 
eigneten Fällen  auch  radicale  sind.  Für 
den  Hypnotiseur  ist  unbedingt  erforderlich, 
dass  er  seine  Gedanken  fest  auf  den  ge- 
wollten Zweck  zu  richten  vermag;  mancher 
kann  deshalb  nicht  hypnotisiren.  Besonders 
angezeigt  ist  die  hypnotische  Behandlung  bei 
nervösen  Krankheiten,  ausgenommen  sind  die 
schweren  Formen  der  Hysterie  und  der 
Neurasthenie  mit  vorwiegend  melancholischer 
Verstimmung.  Zur  Schmerzlinderung  er- 
weist sich  die  Behandlung  bei  Tabes  vor- 
trefflich; ausgezeichnete  Resultate  erzielte 
man  femer  bei  Alkoholikern,  die  sofort  dem 
ersten  Befehle  gehorchten,  keinen  Alkohol 
mehr  nahmen  und  durchaus  nichts  von  den 
gefürchteten  Erscheinungen  der  plötzlichen 
Enthaltsamkeit  zeigten,  vielmehr  nach  weni- 
gen Tagen  wie  verjüngt  aussahen.  Bei 
Bronchialasthma  wurden  Theilerfolge  erzielt, 
bei   Stottern    rasche   Dauerheilung.     Redner 


m.  Jahrgang.! 
M&i  1889.    J 


Thormpoutiiehe  MittheUungen  aus  Voreinwi. 


233 


bat  die  Methode  Dachzuprüfen;  bei  vorsich- 
tiger Anwendung  sei  noch  kein  Schaden  an- 
gerichtet worden. 

Herr  Groedel  (Nauheim):  üeber  den 
Einfluss  von  Bädern  auf  die  elek- 
trische Erregbarkeit  der  Muskeln  und 
Nerven.  Redner  hat  durch  sorgföltig  an- 
gestellte üntersuchuDgen  gefunden ,  dass 
warme  Süsswasserbäder  die  elektrische  Er- 
regbarkeit der  Nerven  und  Muskeln  ver- 
mindern, kalte  dieselbe  steigern.  Thera- 
peutische Consequenzen  will  er  jedoch  aus 
diesen  Ergebnissen  noch  nicht  ziehen,  bis 
weitere  Untersuchungen  das  mitgethellte  Re- 
sultat bestätigen.  An  der  Biscussion  be- 
theiligen sich  die  Herren  Rosenbaum, 
Marcus,  Ewald  und  Schott. 

Herr  Ewald  (Berlin):  Ueber  den  chro- 
nischen Magenkatarrh  und  seine  Be- 
handlung an  den  Heilquellen.  Ueber 
die  Bezeichnung  des  chronischen  Magen- 
katarrhs sei  ein  ganzes  Potpourri  von  dys- 
peptischen  Zuständen  verstanden  worden; 
genau  genommen,  könne  von  einem  Katarrh 
der  Magenschleimhaut  überhaupt  nicht  ge- 
sprochen werden,  weil  die  sogenannte  Magen- 
schleimhaut eigentlich  gar.  keine  Schleim- 
haut, sondern  eine  Drüsenhaut  sei.  Denn 
sie  weise  lediglich  eine  grosse  Zahl  neben- 
einander gelagerter  Drüsen  auf,  zwischen 
deren  Ausgängen  nur  eine  verschwindend  ge- 
ringe Menge  eigentliches  Schleimhautepithel 
sich  vorfinde.  Ein  Schleimhautkatarrh  sei 
einfach  ein  Zustand  vermehrter  Transsuda- 
tion;  bei  dem  „Magenkatarrh^  aber  handele 
es  sich  um  eine  acute  oder  chronische  Ent- 
zündung der  Drüsenhaut,  welche  bis  zur 
Atrophie  sich  steigern  könne.  Der  Vor- 
tragende legt  eine  Anzahl  von  Zeichnungen 
vor  über  die  pathologisch-anatomischen  Ver- 
änderungen des  Magens,  namentlich  be- 
treffend die  interstitiellen  Wucherungen  zwi- 
schen den  Drüsen  bei  den  schwereren  Er- 
krankungen (Krebs)  und  gruppirte  dann  die 
Arten  des  „chronischen  Magenkatarrhs"  als 
chronische  Gastritis  (Verschleimung  der  Drü- 
senzellen) und  Atrophie  der  Magenschleim- 
haut mit  Schrumpfung  oder  Lähmung  der 
Magen  -  Muskulatur.  An  diese  Zustände 
schliessen  sich  dann  die  Neurosen  des  Ma- 
gens. Bezüglich  der  Behandlung  der  chro- 
nischen Gastritis  an  den  Heilquellen  unter- 
scheidet Redner  4  Gruppen:  die  reinen  Koch- 
salzquellen,  die  alkalischen  Wässer,  die 
alkalisch-salinischen  Quellen  und  die  Bitter- 
wässer. Die  Koch  Salzwässer  finden  ihre  An- 
wendung, wo  man  stimulirend  auf  den  Magen 
wirken  will,  die  alkalischen  resp.  alkalisch- 
salinischen  Wässer,  wo  man  eine  Hyper- 
acidität  oder  Hypersecretion    zu    bekämpfen 


hat  und  die  Bitterwässer,  wo  ausser  der 
Magenaffection  Störungen  der  Darmthätigkeit 
vorliegen. 

Herr  G.  Rosenbaum  (Berlin):  Ueber 
hydroelektrische  Bäder.  Während  man 
allgemein  annahm,  dass  der  Korper  des 
Badenden  schlechter  leite  als  das  Wasser 
und  daher  seine  Durchstromung  eine  sehr 
geringe  sei,  fand  der  Vortragende  durch  sehr 
sorgfältig  angestellte  Versuche,  welche  ein- 
gehend beschrieben  werden,  dass  die  im 
Korper  zur  Verwendung  kommende  Normal- 
intensität zwischen  ^/s — V*  ^^^  gesammten 
Stromstärke  schwanke.  Hierauf  bespricht 
Redner  die  Technik  und  die  therapeutischen 
Resultate  bei  den  verschiedenen  Nerven- 
krankheiten. 

Herr  Gans  (Carlsbad)  (Autoreferat):  Un- 
tersuchungen über  denEinfluss  des  Sac- 
charins auf  die  Magen-  und  Darmver- 
dauung. Nach  einer  historischen  Einleitung 
über  die  Entwickelung  der  Saccharinfrage,  be- 
züglich welcher  die  neuesten  franzosischen  For- 
schungsresultate mit  denen  Salkowski^s  im 
diametralen  Gegensatz  stehen,  berichtet  Gans 
über  eine  Reihe  experimenteller  Versuche, 
die  er  über  den  Einfluss  des  Saccharins  auf 
nativen,  menschlichen  Magen-  und  Darmsaft 
angestellt  hat.  Der  Vortragende  weist  an  der 
Hand  dieser  Versuche  nach,  dass  Saccharin 
in  Pulverform  sowohl  Pepsin  und  Labferment, 
als  auch  pankreatisches  Ferment  aus  dem 
Magen-  resp.  Darmsaft  mechanisch  mitreisst 
und  dadurch  mechanisch  die  Eiweissver- 
dauung  verlangsamt,  dass  jedoch  jede  Ver- 
langsamung der  Verdauung  aufhört,  sobald 
man  Saccharinlosung  statt  Saccharin  pul  ver 
verwendet.  Ausserdem  demonstrirt  er  Darm- 
säfte, bei  denen  er  durch  Saccharin  die 
faulige  Zersetzung  zur  Zeit  des  Congresses 
bereits  S^/g  Wochen  hintanhalten  konnte. 

Auf  Grund  dieser  Versuche  schlägt  Gans 
vor,  das  Saccharin,  namentlich  wo  es  in 
Pulverform  nicht  vertragen  werde,  nur  in 
Lösung  zu  verwenden ,  wozu  sich  das 
saccharinsaure  Natron  deshalb  ganz  beson- 
ders eignet,  weil  es  nicht  nur  in  heissem 
Wasser,  wie  das  Saccharin  selbst,  sondern 
auch  in  kaltem  loslich  ist.  Dabei  bemerkt 
aber  der  Vortragende  ausdrücklich,  dass  auch 
das  Saccharin  saure  Natron  nicht  in  Pulver- 
form gegeben  werden  darf,  da  auch  dieses 
im  sauren  Magensaft  nicht  löslich  ist. 

Endlich  empfiehlt  Gans  das  Saccharin 
gegen  Zersetzungsprocesse  im  Darm  (Fla- 
lenz,  Diarrhoeen  etc.). 

Herr  Stifler  (Stehen):  Ueber  kohlen- 
saure Stahlbäder.  Die  Wirkungsgrösse 
kohlensaurer  Stahlbäder  hängt  von  ihrer 
chemischen  und  technischen  Vollkommenheit 

30 


234 


R«f«i«to. 


tTher*p«irtisch<l 
Monatthefte. 


ab.  KüDstliche  kohlensaure  Bäder  wirken 
nicht  chemisch,  sondern  mechanisch.  Redner 
demonstrirt  einen  einfachen  Apparat  Ton 
Professor  Reichert,  durch  welchen  man 
schnell  und  zuverlässig  den  Kohlensäure- 
gehalt eines  Bades  bestimmen  kann. 

Herr  Lindemann  (Helgoland):  Die  sa- 
nitäre Bedeutung  des  Nordseebades. 
Redner  bespricht  die  Eigenthümlichkeiten 
der  Seeluft,  den  Ozongehalt  und  Salzgehalt, 
das  Freisein  von  schädlichen  Beimengungen, 
das  Seeklima,  die  Wirkung  der  Seebäder, 
den   Einfluss    der   Winde   etc.    und    erweist 


durch  statistische  Angaben  die  günstige  sa- 
nitäre Beschaffenheit  Helgolands. 

Herr  Dr.  Hermann  Weber  in  London 
wurde  wegen  seiner  grossen  Verdienste  um 
die  Balneologie  und  Elimatologie  zum  Ehren- 
mitgliede  der  Bai  neologischen  Gesellschaft 
ernannt. 

Für  den  im  October  d.  J.  in  Paris  statt- 
findenden internationalen  Congress  für  Hydro- 
logie und  Klimatologie  wird  Herr  Professor 
Winternitz  aus  Wien  zum  Delegirten  ge- 
wählt. 

Brock  {Berlin). 


Referate. 


Die  antiparasitäre  Behandlung  der  Lungenschwind- 
sucht. Zusammenfassender  Bericht  über  die 
seit  der  Entdeckung  des  Tuberkelbacillus 
bis  Ende  1887  erschienenen  einschlägigen 
Arbeiten.  Von  Dr.  F.  Wesener,  DoceDten 
der  klinischen  Medicin  und  erstem  Assistenz- 
arzte der  Poliklinik  zu  Freiburg  i.  B. 

Unter  dem  Einflüsse  der  Entdeckung  des 
Tuberkelbacillus  und  der  durch  denselben 
sicher  gestellten  Aetiologie  der  Lungentu- 
berculose  richtete  sich  das  Bestreben  der 
Therapeuten  darauf,  durch  directe  anti- 
bacterielle  Behandlung,  d.  h.  durch 
Methoden,  welche  den  Bacillus  innerhalb 
des  Körpers  zu  vernichten  geeignet  erschie- 
nen, der  Krankheit  Abbruch  zu  thun.  Es 
ist  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  bekannt, 
wie  ausserordentlich  zahlreich  die  auf  die- 
sem Gebiete  hervorgetretenen  Bemühungen 
und  wie  mannigfach  die  verschiedenen  Me- 
thoden waren;  ist  doch  thatsächlich  keine 
der  überhaupt  möglichen  Einverleibungsarten 
in  den  Körper  übergangen  worden.  Der 
Verfasser  hat  sich  der  mühevollen  Arbeit 
imterzogen,  sämmtliche  in  dieser  Frage  in 
dem  in  der  Ueberschrift  angegebenen  Zeit- 
raum erschienenen  Mittheilungen  geordnet 
zusammenzustellen;  er  hat  sich  darauf  be- 
schränkt, unter  Uebergehung  der  allgemeinen 
und  der  symptomatischen  Behandlungsme- 
thoden nur  die  Leistungen  der  directen  anti- 
parasitären Therapie  der  Lungenschwindsucht 
und  der  indirect  parasitären  Behandlung 
durch  Medicamente  zu  besprechen  und  ist 
hierbei  zu  der  Zahl  von  fast  300  Arbeiten 
gelangt.  Die  Art  der  Darstellung  ist  fast 
durchweg  eine  objectiv  berichtende,  der  Ver- 
fasser begnügt  sich  in  denjenigen  Fällen,  in 
denen  ein  allgemeines  entscheidendes  ürtheil 


noch  nicht  erreicht  zu  sein  schien,  die  ver- 
schiedenen, z.  Th.  einander  streng  wider- 
sprechenden Angaben  der  Autoren  einander 
gegenüberzustellen;  und  nur  in  denjenigen, 
allerdings  nicht .  wenigen  Fällen,  in  denen 
eine  neue  Methode  mit  viel  Aufsehen  auf- 
tauchte, um  nur  zu  bald  als  wirkungslos 
sich  herauszustellen,  fasst  W.  in  wenigen 
Worten  das  Endergebniss  zusammen  oder  fügt 
einige  kritische  Bemerkungen  bei.  Durch 
diese  Form  der  Darstellung  wird,  wenn  auch 
natürlich  nicht  stets  im  Einzelfalle,  so  doch 
über  den  Werth  dieser  Richtung  therapeu- 
tischen Bestrebens  im  Ganzen  ein  Ürtheil 
ermöglicht.  W.  stellt  zuerst  die  Mittel  zu- 
sammen, welche  für  die  interne  Therapie 
empfohlen  sind,  wobei  das  von  H.  Buchner 
zuerst  angerathene  Arsen  und  das  Kreosot 
besonders  ausführlich  behandelt  sind,  darauf 
folgt  die  Zusammenstellung  der  Resultate 
der  hauptsächlich  von  Frankreich  her  em- 
pfohlenen Therapie  mittelst  cutaner  Injectio- 
nen,  der  Empfehlungen  von  Inhalation  der 
verschiedensten  Stoffe  (inclus.  Cantani's 
Bacteriotherapie),  hierauf  das  Referat  über 
die  Arbeiten  über  Bergeon's  Methode  der 
Gaskly stiere  (80  Nummern !)  mit  der  Schluss- 
folgerung, dass,  da  die  Methode  keine  Hei- 
lung, sondern  höchstens  Besserung  her- 
beiführe, ihre  Berechtigung  hinfallig  sei, 
denn  zu  diesem  Zwecke  ständen  andere 
Mittel  und  Methoden  zu  Gebote,  die  weniger 
unangenehm,  zeitraubend,  unsicher  und  weni- 
ger gefährlich  seien.  Es  folgt  noch  ein  Capitel 
über  intraparenchymatöse  Injectionen,  über 
Lungen  Chirurgie  und  über  Monographien  etc. 
allgemeinen  Inhalts.  Aus  denselben  mag 
der  Ausspruch  von  JaccQud  citirt  werden, 


Mai  1889.    J 


Refiumte. 


235 


dass  der  Einfluss  der  Entdeckung  des  Bacil- 
lus auf  die  Behandlung  der  Schwindsucht 
bisher  gleich  Null  ist. 

Die  Torliegende  Arbeit  ist  um  so  zeit- 
gemässer,  als  gegenwärtig,  trotzdem  auch 
das  noch  nicht  mit  besprochene  Jahr  1888 
wieder  eine  Beihe  neuer  Methoden  und  Mit- 
tel gebracht  hat,  dennoch  die  Bestrebungen 
der  direct  antibacillären  Behandlung  der 
Lungenschwindsucht  zu  einem  gewissen  Ruhe- 
punkt gekommen  zu  sein  scheinen,  und  die 
Frage  nach  der  Möglichkeit  eines  solchen 
Weges  auf  Grund  der  in  den  letzten  Jahren 
gesammelten  und  in  obiger  Abhandlung  dar- 
gestellten Erfahrungen  unter  der  Vorausset- 
zung, dass  nicht  ganz  neue  Gesichtspunkte 
auftauchen,  Torläufig  im  Allgemeinen  im 
negativen  Sinne  beantwortet  zu  sein  scheint. 

{Separat- Abdruck  aus  d.  Ctrbl.  f.  Bacteriologie  u. 
Pararittnkunde.    1888.    Bd.  IV.    No.  26—26.) 

A.  Gottstein  (Berlin). 

Ueber  die  Heilbarkeit  und  Ortliche  Behandlung 
der  sogenannten  Kehlkopfschwindsucht.  Von 
Ä.  Sokolowski. 

Die  Frage  der  Heilbarkeit  der  -Phthisis 
laryngis  ist  zu  allen  Zeiten  oftmals  ventilirt 
und  in  der  yerschiedensten  Weise  beantwortet 
worden.  Während  die  Einen  jeden  thera- 
peutischen Erfolg  in  Abrede  stellen,  weisen 
die  Anderen  eine  Reihe  spontan,  ohne  jeden 
Eingriff  geheilter  diesbezüglicher  Fälle  auf. 
Und  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass  die  Kehl- 
kopf seh  windsucht,  sei  sie  nun  mit  Phthisis 
pulmonum  oder  anderen  phthisischen  Pro- 
cessen complicirt  oder  nicht,  unter  günstigen 
äusseren  Bedingungen  Yollkommen  heilen 
kann.  Zu  letzteren  gehören  vor  allem  eine 
in  jeder  Hinsicht  ausgezeichnete  Ernährung, 
Bowie  der  ständige  Aufenthalt  in  guter,  staub- 
und  bacterienfreier  Luft.  Nicht  selten  nehmen 
unter  solchen  Umständen  auch  die  Lungen- 
erscheinungen an  Intensität  ab  oder  schwin- 
den Tollkommen.  Bessere  Erfolge  erzielt 
man  jedoch  durch  eine  methodische  örtliche 
Behandlung.  Bewiesen  wird  dies  durch  die 
Thatsache,  dass  unter  50  nicht  local  behan- 
delten Fällen  nur  16  %  eine  Besserung  auf- 
wiesen, 84  %  dagegen  ungebessert  blieben, 
während  in  50  Fallen  von  Kehlkopfschwind- 
sucht mit  örtlicher  Therapie  80  ^/o  gebessert 
und  nur  20  %  nicht  günstig  beeinflusst  wur- 
den. Am  günstigsten  für  die  Localtherapie 
gestalten  sich  jene  Fälle  von  Kehlkopf- 
phthisis,  die  nur  mit  geringen  Verdichtungen 
der  Lunge  unter  günstigem  Allgemeinbefinden 
und   bei  Abwesenheit  von  Fieber   verlaufen. 

Unter  den  medicamentösen  Mitteln  zur 
Localbehandlung  der  Kehlkopf  Schwindsucht 
nimmt    die    Milchsäure    eine    hervorragende 


Stelle  ein.  Man  pinselt  mit  25,  50  und 
75  %  Lösungen  oder  auch  mit  reiner  Milch- 
säure. Unter  34  in  solcher  Weise  behan- 
delten Fällen  wurden  25  gebessert.  Unter 
diesen  wiederum  war  die  Besserung  subjectiv 
und  objectiv  in  18  Fällen,  in  den  übrigen 
sieben  war  wenigstens  die  Besserung  im 
Schlucken -und  dadurch  auch  eine  Besserung 
im  Allgemeinbefinden  der  Patienten  eine  ganz 
erhebliche. 

Das  unangenehme  Gefühl  des  Brennens 
bei  Anwendung  der  Milchsäure  kann  in  vielen 
Fällen  durch  vorherige  Pinselung  mit  Cocain 
vermieden  werden. 

Neben  der  medicamentösen  kommt  vor 
allem  die  chirurgische  Behandlung  in  Be- 
tracht. Diese  besteht  entweder  in  tiefen 
Einschnitten  in  die  infiltrirten  Kehlkopf- 
partien, nach  dem  Vorgänge  Schmidt's, 
oder  in  dem  Auskratzen  des  Kehlkopfs  nach 
Heryng.  Verf.  selbst  empfiehlt  schliesslich 
neben  diesen  Maassnahmen  noch  das  Aus- 
rissen der  um  die  Geschwüre  wuchernden 
Granulationen  mittelst  der  Pincette.  Ausser 
diesen  chirurgischen  Eingriffen  empfiehlt  sich 
dann  die  Weiterbehandlung  mit  Milchsäure, 
Jodol  oder  anderen  Mitteln.  Auch  die  Gal- 
vanokaustik ist  bei  Geschwüren  der  hin- 
teren Kehlkopfswand,  oder  der  Epiglottis 
empfehlenswerth. 

Diese  combinirte  Heilmethode  der  Kehl- 
kopfschwindsucht hat  bisher  die  besten  Er- 
folge gezeitigt.  Sie  wurde  in  16  Fällen 
angewandt,  von  denen  15  wesentlich  gebessert 
wurden,  und  zwar  war  13  Mal  die  Besserung 
eine  objective.  Der  einzige  Fall,  der  nicht 
günstig  beeinfiusst  wurde,  war  eine  Compli- 
cation  schwerer  Larynx-  und  Lungen  phthisis, 
in  dessen  Verlaufe  wegen  eines  durch  co- 
lossale  Infiltration  des  Kehldeckels  bedingten 
Erstickungsanfalles  die  Tracheotomie  vor- 
genommen werden  musste.  Es  trat  bald 
darauf  der  Tod  ein.  Es  versteht  sich  wohl 
von  selbst,  dass  neben  der  local en  Behand- 
lung die  allgemeine  durchaus  nicht  vernach- 
lässigt werden  darf. 

( Wiener  kUn,  Wochenschr.  1889  No.  4  u.  S.) 

Carl  Rosenthal  {Berlin). 

Ueber  einen  Fall  traumatischer  Epilepsie.    Von 
F.  Sulzer. 

Einem  23 jährigen  Mann  fiel  im  Januar 
1884  ein  mannsfaustgrosser  Stein  auf  den 
Kopf,  welcher  eine  stark  blutende  Wunde 
verursachte.  Am  Tage  darauf  traten  geringe 
Lähmungserscheinungen  am  rechten  Arme  ein, 
die  bald  von  Sprachstörungen  und  Krämpfen 
der  ganzen  rechten  Körperhälfte  gefolgt  wur- 
den. Dann  blieb  Patient,  nachdem  sich  am 
7.  Tage  nach  der  Verletzung  plötzlich  eine 

30* 


236 


Refeimt«. 


pTberapeaflieh« 
L  Monataheft«. 


grosse  Meoge  Eiters  aus  der  Wunde  entleert 
hatte,  3  Jahre  und  9  Monate  frei  von 
Krämpfen.  Nach  dieser  Zeit  traten  die 
Krämpfe  wiederum  und  zwar  sehr  häufig 
auf  und  betrafen  zumeist  die  rechte  KÖrper- 
hälfte.  Sie  waren  anfangs  nicht  von  Bewusst* 
losigkeit  begleitet,  doch  stellte  sich  dieselbe 
in  der  Folge  regelmässig  ein.  Eine  im  Früh* 
jähr  1888  an  der  Stelle  der  Narbe  am 
Schädel  vorgenommene  ausgedehnte  Trepa- 
nation mit  Zertrennung  einzelner  Verwachsun- 
gen der  Dura  mit  dem  Knochen  hatte  keinen 
dauernden  Erfolg.  Es  wurde  deshalb  am 
Ende  desselben  Jahres  eine  nochmalige  Ope- 
ration vorgenommen.  Da  man  aus  der  Art 
des  Auftretens  der  Krämpfe  auf  eine  Laesion 
in  der  Nähe  des  Facialiscentrums  schloss,  so 
wurde  an  der  Stelle  des  letzteren  trepanirt  und 
von  da  aus  ein  sechseckiges  Knochenstück 
von  5  cm  Länge  und  4  cm  Breite  an  der 
Stelle  der  alten  Kopfverletzung  ausgesägt. 
Ein  etwa  guldengrosses  schwielig  verändertes 
Stück  der  Dura  wurde  umschnitten  und  ent- 
fernt. Darauf  erblickte  man  eine  etwa 
bohn engrosse  Cyste,  die,  nachdem  sie  eröffnet 
worden  und  das  Serum  ausgeflossen  war, 
excidirt  wurde.  Es  folgte  ein  Jodoform- 
Sublimatgazeverband.  Die  Operation  selbst 
verlief  ziemlich  günstig.  In  den  folgenden 
Tagen  wurden  mehrfache  epileptische  Anfölle 
beobachtet,  denen  Aphasie,  Parese  des  rechten 
Mund-  und  Wangen  facialis,  Parese  des  rechten 
Ober-  und  Vorderarms,  wie  der  rechten  Hand 
folgten.  Alle  diese  Störungen  verschwanden 
bis  Ende  Januar  1889,  von  welcher  Zeit  an 
auch  kein  Krampfanfall  mehr  erfolgte.  Ob 
der  Erfolg  der  beschriebenen  Therapie  ein 
dauernder  sein  wird,  muss  die  Folgezeit 
lehren,  so  viel  beweist  er  jedoch,  dass 
chirurgische  Eingriffe  an  der  Gehirn  ober- 
flache,  wenn  sie  nur  mit  der  nothwendigen 
Sorgfalt  und  Präcision  ausgeführt  werden, 
gut  ertragen  werden  können. 

{Wiener  klin.  Wochenschr.  1889  No.  S.) 

Carl  Rostntkai  (Berlin), 

lieber  die  Anwendung  der  Sallcylsäure  bei  ma- 
ligner Scarlatina.    Von  Dr.  Shakowski. 

Nach  den  Erfahrungen  Verf's.,  welche 
ein  Material  von  125  also  behandelten 
Patienten  betreffen,  hat  sich  die  Salicylsäure 
bei  den  schweren  Formen  des  Scharlach- 
fiebers ausgezeichnet  bewährt.  Die  Mortali- 
tät wurde  auf  nur  3,6  °/o  herabgedrückt.  Ge- 
wöhnlich verschreibt  Verf.  Acid.  salicyl. 
1,0  g,  Aqu.  dest.  7,5  g,  Syr.  cortic.  aurant.  30. 
Von  dieser  Lösung  wird  einstündlich  1  Thee- 
löffel  bis  Esslöffel  genommen,  in  der  Nacht 
die  gleiche  Dosis  alle  2  Stunden.  —  Die 
Lösung    bewirkt  vor    allem    einen    ziemlich 


jähen  Temperaturabfall :  in  einigen  Fällen 
konnte  man  im  Verlauf  von  zweimal  24  Stun- 
den ein  Sinken  der  Temperatur  von  41**  C. 
auf  38°  C,  ja  selbst  auf  subfebrile  Tem- 
peraturen beobachten.  Regelmässig  ver- 
schwand das  Fieber  dauernd  am  10.  Krank- 
heitstage, Gleichwohl  räth  Verf.,  um  etwaige 
Recidive  zu  verhüten,  dass  auch  nach  diesem 
Zeitpunkt  die  Salicylsäure,  wenn  auch  in 
schwächeren  Dosen,  weitergegeben  werde.  — 
Bei  dieser  Behandlung  gelang  es,  nicht  nur 
die  so  gefährlichen  Complicationen  (Urämie, 
Hydrops,  Diphtherie)  in  fast  allen  Fällen  zu 
vermeiden,  sondern  auch,  wenn  sie  ausnahms- 
weise zum  Ausbruch  gekommen  waren,  schnell 
und  leicht  zu  beseitigen.  —  Ohne  Erfolg 
war  das  Medicament  l)  in  denjenigen  Fällen, 
in  welchen  das  Medicament  zu  spät  zur 
Anwendung  gelangte,  d.  h.  spater  als  am 
4.  Krankheitstage.  2)  Wenn  gleichzeitig 
schwere  chronische  Leiden  bestanden. 

(Novotü  Terapii  1888  No.  6  u.  The  Journal  of  The 
American  Medieal  Aßsociation  17.  Nov.  1888), 

B.  Lohnstein  (Berlin). 

Weitere  Untersuchungen  über  den  todten  Raum 
bei  chemischen  Reactlonen.  Von  Professor 
Oscar  Liebreich. 

Obgleich  die  vorliegende  Untersuchung 
einen  mehr  chemich-physikalischen  Charakter 
trägt,  so  sind  die  Resultate  derselben  ge- 
eignet zwar  nicht  direct  einen  speciell  thera- 
peutischen Nutzen  zu  gewähren,  sie  sind 
jedoch  in  der  Lage  unsere  Anschauungen 
über  die  Wirkung  von  Arzneimitteln  zu  er- 
klären und  eine  schon  vielfach  durch  die 
Beobachtung  erhärtete  Thatsache  wissen- 
schaftlich zu  bestätigen,  dass  die  Wirkungen 
von  Arzneisnbstanzen  im  Körper  anderen 
Ursachen,  anderen  Umwandlungsgesetzen  ge- 
horchen, als  es  ausserhalb  des  Organismus 
in  grossen  Gefässen  zu  geschehen  pflegt. 
Die  Untersuchungen  sind  ausgegangen  von 
der  theoretischen  Betrachtung,  welche  sich 
an  die  Zersetzung  des  Choralhydrats  durch 
Alkalien  knüpfte,  eine  Betrachtung,  die  be- 
kanntlich zur  Einführung  des  Chloralhydrates 
führte.  Diese  Einwirkung  des  Alkalis  auf 
Chloralhydrat  ist  keine  augenblickliche,  es 
bildet  sich  das  Chloroform,  wenigstens  wenn 
man  Natriumcarbonat  anwendet,  erst  nach 
einiger  Zeit,  es  tritt  also  die  Form  der  Re- 
action  ein,  welche  man  mit  dem  Namen  der 
Zeitreaction  bezeichnet.  Das  ausgeschiedene 
Chloroform  zeigt  sich  in  der  Flüssigkeit 
nicht  als  ein  schwer  zu  Boden  sinkendes 
Oel,  sondern  als  ein  gleichmässig  fein  ver- 
theilter  Nebel,  welcher  der  Flüssigkeit  einen 
milchähnlichen  Charakter  giebt.  Der  allge- 
meinen chemischen  Auffassung    nach  müsste 


dieee  Reaction  gleichm&BBig  in  dem  ganzen 
Gefässe  tot  sich  gehen,  es  ist  dies  indeea 
Dicht  der  Fall,  und  es  konnte  hier  zum 
ersten  Male  nachgewiesen  werden,  das3  die 
Reaction  von  der  Form  des  GeHisBes  ab- 
hängig ist  und  zwar  besonders  von  der 
OberflächenipaDSUDg  der  FJüssigkeit.  Die 
Figur  1  zeigt  ein  solches  Geßes,  in  dessen 
^  oberen  Theil  keine  Re- 

R'^  action  eintritt,  während 
der  übrige  Inhalt  von 
*^  Chloroformnebel  ange- 
füllt ist.  Diese  obere,  TOn 
Chloroformnebel  nicht 
erfüllte  Zone  aa'acc'  ist 
vom  Verfasser  mit  dem 
Namen  des  t  o  d  t  e  n 
Raumes  bezeichnet 
worden.  Ohne  auf  die 
, I      weiteren  Einzelheiten  in 

FiK.  1.  Betreff    der    Abhängig- 

keit der  Form  dieses 
todten  Raumes  von  der  Form  des  Gefässes, 
der  Oberfläche nbeschaffenheit  u.  s.  w.  einzu- 
gehen, mögen  die  Figuren  2  und  3  die  elgen- 
ihümliche  Abgrenzung  desselben  gegen  die 
Oberfläche  zeigen,  wobei  der  erste  Fall  die 
Bildung  des  todten  Raumes  am  Rande  eines 
cylindrischen  GefaBsee,  der  zweite  die  Bil- 
dung desselben  unter  einer  Libellenblasen- 
oberfläche  darstellt.  In  der  Abhandlung  sind 
die  Gründe  widerlegt,  welche  man  fQr  die 
Entstehung  dieser  Erscheinung  durch  Ver- 
dampfung oder  Senk ungserscheinun gen  an- 
führen könnte. 


bildet  nun  im  rSbrenffirmigeD  Cyllnder  einen 
centralen  Faden,  während  die  Wandschicbt 
farblos  bleibt,  ausBerdem  zeigt  sich,  dass 
die  Reaction  in  grossen  Geissen  bedeutend 
schneller  auftritt,  als  in  kleinen.  Nimmt 
man  statt  einer  cylindrischen  Röhre  ein  Eu- 
gelrohr,     so    tritt    die    Reaction     zuerst    im 


rig.  j. 


Centrum  der  Engeln  ein  und  zwar  in  den  grös- 
Beren  früher  als  in  den  kleineren  (s.  Fig.  4 
S.  238).  Schafft  man  kleine  CapillarTäume 
dadurch,  dass  man  Perlen  ohne  Bohrung  von 
einem  Durchmesser  von  0,52 — 1,12  mm  in 
die  Flüsaigkeit  aufschüttet,  so  tritt  eine 
wesentliche  Verzögerung  und  bei  sehr  grosser 
Verdünnung  der  JodsSuremischnng  eine  völ- 


Für  die  biologische  Betrachtung  war 
aber  wesentlich  die  Frage  zu  erörtern,  vrie 
sich  nun  die  Reaction  verhalte,  wenn  die 
Räume  bedeutend  kleiner  werden.  Hier 
wurde  der  Beweis  von  der  Abhängigkeit  der 
Umsetzungen  von  der  Gestalt  des  Gefässes 
■durct  eine  Reaction  bewiesen,  welche  durch 
wechselseitige  Einwirkung  von  Jodsäure  und 
schwefliger  Säure  entsteht;  bei  Zusammen- 
bringung dieser  Eörper  scheidet  sich  Jod 
aus,  welches  hinzugefügte  StSrkelösung  blau 
färbt,  es  tritt  also  in  einer  farblosen  Flüssig- 
keit   Blaufärbung    ein.     Diese    Blaußrbung 


lige  Aufhebung  der  Reaction  ein.  Diese  Ver- 
suche können  als  genügender  Beweis  be- 
trachtet werden,  dass  in  engen  Räumen 
die  chemische  Reaction  verlangsamt 
wird.  Von  sehr  beweisender  Eraft  für 
diese  ReactionsbehinderuDg  im  kleinen  Raum, 
bedingt  durch  eine  feste  Wand  und  durch 
die  Oberflächenspannung,  welche  physikalisch 
auch  als  feste  Wand  anzusehen  ist,  sind  die 
Versuche  an  einem  Tropfen  der  Reactions- 
Flüasigkeit,  welcher  zwischen  zwei  mit  den 
conveien  Seiten  auf  einander  gelegten  Uhr- 
gläsern  zu  einer  biconcaven  Flüssigkeit» linse 


238 


gedrückt  wird.  lo  dem  Reactionsgemiscb 
im  Becherglas  tritt  die  Bläuuog  früher  ein, 
als  im  Tropfen.  In  dem  Ton  oben  betrach- 
teten Tropfen  zeigt  sich  ein  blaner  Ring, 
der  Rand  des  Tropfens  bleibt  farblos,  klar 
und  durchsichtig.  Der  blaue  Ring  schattirt 
sich  nach  innen  zu  ab  und  die  Mitte  des 
Tropfens  erscheipt  ebenfalls  farblos,  in  dem 
Centrum  des  Tropfens 
also  Sndet  gar  keine 
Reaction  statt,  d.  h. 
an  derjenigen  Stelle, 
an  welcher  die  Flüs- 
sigkeit am  engsten 
begrenzt  ist,  ist  ein 
todter  Raum  vorhan- 
den. Der  Verfasser 
kommt  auf  Grund  der 
vorliegenden  Versu- 
che KU  der  folgenden 
Schi  u  3  sfo  1  gerung : 

„Ueberträgt  man 
die  gewonnenen  Re- 
sultate auf  biologische 
Vorgänge ,  so  wird 
man  zu  dem  Schlüsse 
gefuhrt,  dasB  Zellen- 
räume, in  denen  eine 
Reaotion  vor  sich  ge- 
hen soll, '  an  eine  be- 
stimmte Grösse  ge- 
bunden sind,  damit 
nicht  ein  andersarti- 
ger —  dem  normalen 
gegenübf 


Flg.«. 


de  generati- 
ver —  chemischerVoT- 
gang  stattfinde.  In  der  That  legt  uns  die 
Verschiedenartigkeit  der  Zellen  mit  ihrem 
für  eine  jede  gleichartigen  Chemismus  den 
Gedanken  nahe,  dass  die  chemischen  Vorgänge 
in  ihnen  gerade  an  Räumen  von  bestimmter 
Grösse  gehundensind,  wobei  kleine  Grössen- 
differenzen  allerdings  keine  Rolle  spielen." 
"Wenn  also  die  Schlussfolgerung  (jezogen 
werden  muss,  dass  für  die  bestimmte  Thätig- 
keit  einer  Zelle  ein  bestimmter  Reactions- 
raum  nothwendig  ist,  so  lässt  sich  daran 
weiter  die  Vermuthung  knüpfen,  dass  in 
einer  Zelle  selbst  ohne  differencirte  Ab- 
grenzung, gewissermaassen  einer  protoplas- 
matischen Flüssigkeit,  vorausgesetzt,  dass  wir 
es  mit  einer  Kugel  zu  thun  haben,  jener 
Form,  die  von  R.  Virchow  gewissermaassen 
ala  ideale  Zelle  bezeichnet  wird,  die  Reac- 
tionsbewegung  im  Centrunt  der  Zelle  am 
stärksten  sein  muss,  bei  veränderter  Gestalt 
dagegen  irgend  ein  anderer  Punkt  für  die  stärk- 
ste Reaction 9 entwickelung  sich  finden  müsse. 

iSitimgil/tr.dtr  Kgl.  Priuii   Aiadtmie  dtr  IVukkkA. 
zt,  BerKB.     1889.     XIV.)  A.   GatMtin  {Berlin). 


Zur  Statiatik  der  Totalexatlrpatlon  des  Kehl- 
kopfes im  functlonellen  Sinne:  laute,  rer- 
standllche  Spracbe.  Von  Dr.  Harn«  Schmid, 
dirig.  Arzt  v.  Bethanien  in  Stettin.  (Vortrag 
gehslton  in  der  med,  Ges.  zu  Greifswald  am 
4,  August  1888.) 

Verf.  hatte  Gelegenheit,  einen  SOjäbrigen 
Mann,  dem  am  8.  Oct.  1886  von  seinem  interi- 
mistischen Vorgänger  in  Bethanien  (Stettin)  der 
ganze  Kehlkopf  wegen  eines  krebs  verdächtigen 
Tumors  entfernt  worden  war,  im  Frühjahr  1888 
als  geheilt  wiederzusehen  und  zu  beobachten, 
dass  der  Patient,  der  permanent  eine  Cauüle 
trägt  und  bei  dem  sich  zwischen  Mund-, 
Rachenhöhle  und  oberer  Luftröhre  ein  voll- 
ständig luftdichter  Abschluss  gebildet  hat, 
mit  verbal  tniasmässig  lauter,  verständlicher 
Stimme  zu  sprechen  vermag.  Wie  hier  die 
Stimme  zu  Stande  kommt,  nämlich  durch 
Bewegungen  des  Zungengrundes  gegen  die 
gegenüberliegende  Pharynxwand  unter  Be- 
nutzung der  im  Rachen  vorhandenen  Luft, 
bleibt  physiologisch  immerhin  interessant; 
indessen  glaubt  Verf.,  dieses  Factum  auch 
therapeutisch  verwerthen  zu  sollen,  indem 
er  vorschlägt,  künftigbin  bei  E ehi köpfe xstir- 
pationen  von  vornherein  auf  eine  Communica- 
tion  zwischen  Trachea  und  Mundhöhle  zu 
verzichten,  vielmehr  die  Trachea  aus  ihrer 
Umgebung  etwas  ausgiebiger  herauszupräpa- 
rireo  und  sie  dann  weiter  herauszunähen, 
so  dasB  von  oben  her  gar  nichts  mehr  in 
sie  hineinkommen  kann.  Dass  hierdurch 
auch  die  Gefahr  der  Schluck  Pneumonie  ver- 
ringert werden  könnte,  leuchtet  wohl  ein. 
(c.  LoNiiMteci'*  Arehiv.  Bd.  38,  Etft  I.) 

fYej/er  (Sltlli»). 


Verf.,  gegenwärtig  wohl  der  erfahrenste 
Autor  auf  dem  Gebiete  der  Ktopfoperation, 
giebt  uns  an  der  Hand  weiterer,  seit  1684 
ausgeführter  Operationen,  welche  bereits  die 
stattliche  Zahl  250  erreicht  haben,  eine 
Reibe  praktischer  Winke  für  Indications Stel- 
lung und  Ausführung  dieser  Operation.  Die 
ungewöhnlichen  Kröpfe,  zu  welchen  er 
die  malignen  Strumen  und  den  Kropf  bei 
der  Basedow'schen  Krankheit  zählt, 
abgerechnet,  gelangt  er  zu  der  Ueberzeugung, 
dass  die  Operation  „selbst  unter  sehr 
schwierigen  Verhältnissen,  bei  jeder 
Grösse  und  jedem  Alter,  zu  einer 
völlig  gefahrlosen  geworden  ist."  — 
Die  Technik  anlangend,  empfiehlt  er  för 
schwierigere  Fälle  und  grosse  Kröpfe  als  besten 
den  Winkelschnitt  oder  vielmehr  den 
Schnitt  im  scharfen  Bogen,  für  ein- 
fachere Kröpfe  dagegen  den  Querschnitt, 
der  die  feinste  Narbe    giebt.     Bei  Unter- 


III.  J«]irgwig.1 
Mal  1889.    J 


Ref«rato. 


239 


bindung  der  Art.  tbyreoid.  inf.  am  Stamm 
soll  der  Grenzstrang  des  Sjmpathicus 
nebst  seinen  Aesten  nicht  mit  der  Ligatur 
gefasst  werden,  desgleichen  ist  im  weiteren 
Verlauf  der  Operation  der  N.  recurr.  zu 
schonen  und  daher  genau  zu  beachten.  In 
kosmetischer  Beziehung  empfiehlt  Verf., 
die  Muskeln  in  der  Medianlinie  zu  trennen 
und  dieselben  lateralwärts  abzuziehen,  um 
sich  den  nothigen  Zugang  zur  Struma  zu 
schaffen. 

Von  grosser  Wichtigkeit  ist  dem  Verf. 
die  Methodik  der  Wundbehandlung. 
Zur  Hautdesinfection  benutzt  er  neuerdings 
die  saure  Sublimatlosung  nach  Krön- 
lein^s  Empfehlung  und  verwirft,  wie  be- 
kannt, den  Catgut  ToUständig.  Die  Drains 
werden  nach  24  Stunden,  die  Suturen  nach 
2  mal  24  Stunden  entfernt.  —  Die  Cachexia 
strumipriva  oder  thyreopriva,  wie  er 
sie  nennen  möchte,  lässt  sich  stets  durch 
Zurücklassen  eines  functionsfähigen 
Stückes  Schilddrüse  Termeiden.  Vor 
der  Blutstillung  Wolff's  durch  metho- 
dische Compression  warnt  er,  da  bei 
derselben  recht  viel  Blut  verloren  gehe. 

Von  den  neuerdings  empfohlenen  Ope- 
rationsmethoden hält  er  die  der  Unter- 
bindung der  Schilddrüsenarterien, 
durch  Wolf  1er  wieder  eingeführt  und  von 
Billroth  empfohlen,  nur  bei  der  Struma 
vasculosa  resp.  bei  Morb.  Basedowii 
von  anzuerkennendem  Vortheil,  die  Enuclea- 
tion  dagegen,  d.  h.  die  Entfernung  der 
kranken  Partien,  während  das  normale 
Gewebe  zurückbleibt,  von  So  ein  besonders 
cultivirt,  zur  Entfernung  anscheinbarer 
Enotenbildungen,  so  auch  bei  Gysten- 
kropfen,  sofern  dieselben  als  eine  Cyste  den 
Haupttheil  der  Tumors  ausmachen,  für  an- 
gezeigt. Modificationen  dieses  Verfahrens 
bilden  die  Resection  nach  Mikulicz  und 
die  Amputation  nach  von  Nussbaum. 
Von  anderen  Operationsweisen  soll  die  Ex- 
stirpation  bei  diffusen  Erkrankungen, 
also  bei  malignen,  entzündeten  und  diffus 
hypertrophirten  Strumen,  und  die  Evacua- 
tion  (E  vi  dement)  bei  isolirten  kleineren 
und  grosseren  Knoten  von  weicher  Consistenz 
in  verhältnissmässig  gut  erhaltenem  Schild- 
drüsengewebe zur  Anwendung  kommen. 

Den  Practikern  aber  wird  ganz  beson- 
ders die  Mahnung  nahegelegt,  jeden  rascher 
wachsenden  oder  Beschwerden  machen- 
den Kropf  bei  Erwachsenen  für  ver- 
dächtig zu  halten  und  ungesäumt  die 
Indication  zu  rechtzeitiger  Radical- 
heilung  zu  stellen. 

(Corrttpondtmbl.  f,  Schweiz,  Äertie,  1889.  Nr.  1—2.) 

Frtytr  {Stettin). 


Beitrag   zum  Studium   und   zur  Behandlung   des 
Empyems  der  Highmorshöhle«    Von  Bayer. 

B.  räth  für  die  Diagnose  der  Empyeme 
die  Anwendung  des  von  ihm  auf  der  59. 
Naturforscher-Versammlung  1886  zuerst  em- 
pfohlenen Verfahrens:  event.  nach  Erweiterung 
der  natürlichen  Oeffnung  des  Antr.  Highmor., 
wofür  er  die  Galvanokaustik  sehr  empfiehlt, 
zur  Entleerung  des  Eiters  den  Patienten  die 
Bauchlage  mit  herabhängendem  Kopf  oder, 
wenn  danach  Himcongestionen  auftreten,  die 
horizontale  Seitenlage  nach  der  dem  er- 
krankten Sinus  entgegengesetzten  Seite  mit 
etwas  nach  unten  geneigtem  Kopf  einnehmen 
zu  lassen.  Bei  der  Behandlung  der  Em- 
pyeme bedient  man  sich  der  Lagen  nur  zur 
Unterstützung  der  viel  wirksameren  Ent- 
leerung durch  Ausspülungen  des  Sin.  max. 
mittelst  eines  kurzschn abiigen  Katheters.  B. 
empfiehlt  das  Verfahren  mit  einer  gewissen 
Reserve  nur  für  diejenigen  Fälle,  in  denen 
das  Empyem  durch  eine  Affection  der  Nase 
(die  er  in  7  von  25  Fällen  beobachtet  hat) 
oder  bei  intacten  Zähnen  durch  Neubildun- 
gen bedingt  ist  oder  die  Vornahme  einer 
anderen  Operation  nicht  gestattet  wird.  Sonst 
erzielte  B.  durch  Perforation  der  Alveole 
mittelst  Troicats  oder  der  von  den  Zahn- 
ärzten benutzten  Bohrmaschine  schnelle  Hei- 
lung der  Empyeme. 

{Deutsch,  med.  Wockenschr.  1889  No.  10.) 

0.  Britger. 

Ueber  Empyeme  der  Oberkieferhohle.    Von  Hart- 
mann. 

H.  sah  in  fast  der  Hälfte  der  von  ihm 
beobachteten  Fälle  (32)  bei  Empyem  des 
Sinus  maxill.  eine  Vorwölbung  der  nasalen 
Wand  desselben  im  Bereich  des  mittleren 
Nasengangs  nach  der  Mittellinie  zu.  Durch 
die  den  Hiatus  semilun.  betreffende  Vor- 
wölbung entstehen,  -begünstigt  durch  die 
meist  gleichzeitig  bestehende  Schleimhaut- 
schwellung in  Folge  der  Hemmung  des  Secretab- 
flusses,  die  nicht  selten  mit  dem  Empyem 
des  Sin.  max.  in  Verbindung  stehenden  Er- 
krankungen des  Sin.  frontal.  Diese  werden 
mit  der  Heilung  der  Affection  des  Sin.  max. 
beseitigt.  Als  Ursachen  des  Empyems  des 
Sin.  max.  spricht  H.  in  ^s  ^^^  Fälle  Hyper- 
trophien oder  Polypen  der  Nase,  sonst  Er- 
krankungen der  Zähne  an.  Heilung  des 
Empyems  wurde  in  23  Fällen  durch  regel- 
mässige, meist  längere  Zeit  fortgesetzte  Aus- 
spülungen mit  der  vom  mittleren  Nasengang 
nach  Durchbrechung  der  äusseren  Wand,  ein- 
geführten Nasenröhre  erzielt.  Zur  Anlegung 
einer  Oeffnung  kann  event.  die  Galvano- 
kaustik verwendet  werden;  bisweilen  gelingt 
auch    die  Einführung    durch    die  natürliche 


240 


Rofermte. 


rlierapeatSiehe 
Monaub«fteL 


Oeffnung.  Für  die  Behandlung  der  durch 
Ausspülungen  nicht  geheilten  Fälle  empfiehlt 
H.  die  Eröffnung  des  Sin.  max.  yom  Alveo- 
larfortsatz  aus  mit  Ausspülungen  mittelst 
einer  Tom  Patienten  selbst  einzuführenden 
Metallrohre,  welche  er  der  Erö&ung  durch 
Aufmeisselung  der  Torderen  Wand  oder  vom 
unteren  Nasengang  vorzieht,  weil  —  bei 
mindestens  gleicher  Heilwirkung  —  die  Aus- 
führung der  Operation  weit  einfacher  ist  und 
die  Ausspülungen  durch  die  Patienten  selbst 
bequem  besorgt  werden  können. 

{Deutsch,  med.  Wochtnschr.  1889  No.  10.)     0,  Brieger. 

Behandlung  und  Heilung  des  eingewachsenen 
Nagels  mit  Stanniol.  Von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  am  Main.  (Auto- 
referat.) 

Das  Plombiren  des  kranken  Nagels  mit 
Stanniol  hat  dem  Verfasser  selbst  in  den 
Fällen,  wo  schlechtes  und  unzweckmässiges 
Schuhwerk  (Hospital-Patienten)  nicht  zu 
umgehen  war,  sehr  gunstige  Resultate 
geliefert.  Das  Stanniol,  die  einfache  bekannte 
Zinnfolie  („tinfoil,  feuilles  d'^tain^),  enthält 
bekanntlich  Eisen,  Kupfer,  Arsenik,  Molyb- 
dän, Wolfram  und  Wismuth  und  wirkt  bei 
dem  mit  Zinnfolie  unterlegten  Nagel  nicht 
nur  mechanisch,  sondern  auch  ganz  ent- 
schieden chemisch.  Verfolgen  wir  die  Ent- 
wickelung  der  ebenso  lästigen  als  peinlichen 
Krankheit  bei  jungen  Individuen,  so  sehen 
wir  oft  durch  eine  anfänglich  gering  er- 
scheinende Affection  geschwürige  Degene- 
rationen entstehen,  welche  scheinbar  mit  dem 
eingewachsenen  Nagel  nicht  mehr  •  in  Ver- 
bindung stehen.  Wird  bei  solchen  jungen 
Individuen  der  eingewachsene  Nagel  dagegen 
rechtzeitig  mit  Stanniol  unterlegt,  so  wird 
dem  ganzen  Krankheitsprocess  vorgebeugt. 
Dass  für  Familien  Disposition  und  Syphilis 
(hereditaria)  eine  Rolle  spielen,  ist  gewiss 
und  hat  z.  B.  M.  D.  Cotting  in  einer 
einzigen  Familie  die  Operation  des  ein- 
gewachsenen Nagels  sieben  Male  gemacht. 
Gerade  bei  solcher  Krankheitsanlage  ist  uns 
die  Gelegenheit  geboten,  bei  jungen  Individuen 
durch  zeitige  Unterlegung  des  afficirten 
Nagels  mit  Stanniol  der  weiteren  Entwickelung 
des  Uebels  vorzubeugen  und  muss  dieses 
Untersuchen  des  Nagels  selbstverständlich 
nicht  nur  ausgiebig  geschehen,  sondern  auch 
Öfter  wiederholt  werden.  —  Nachdem  der 
kranke  Nagel  durch  ein  Seifenbad  gereinigt 
und  gut  getrocknet  worden  ist,  wird  der 
ganze  Nagel  mit  einer  Stanniol-Folie  glatt 
umschlagen.  Ebenso  wird  ein  dünn  er  Stanniol- 
Streifen  in  die  seitliche  Furche  gedrückt,  wo 
der  Nagel  bereits  eingewachsen  war  oder  ge- 
wöhnlich einwachsen   will.     Diese   Stanniol- 


Streifen  werden  mit  einer  ganz  dünnen 
Schicht  von  gelbem  Wachs  in  ihrer  Lage 
erhalten  und  immer  so  eingerichtet,  dass 
auch  an  allen  Stellen,  wo  der  Nagel  lose 
das  Fleisch  berührt,  stets  eine  Stanniol-Folie 
dazwischen  liegt.  Die  frische  Plombirung 
und  Verpackung  des  kranken  Nagels  mit 
neuem  Stanniol  war  in  den  ersten  Wochen 
dieser  meiner  Behandlung  in  8  — 12  Tagen 
höchstens  2 — 3  Mal  nothwendig  gewesen. 
Ich  sowohl  wie  alle  meine  Patienten,  denen 
ich  die  ganze  Manipulation  gelehrt  habe, 
nahmen  jedes  gewöhnliche  dünne  Stanniol- 
Blatt,  in  welches  Chocolade,  Seife,  Vanille  etc. 
etc.  verpackt  waren.  Da  das  ganze  Verfahren 
so  leicht  ausführbar  und  ganz  schmerzlos 
ist,  so  lernen  die  Patienten  schnell  das 
Unterschieben  der  Stanniol-Blättchen  mit 
einer  kleinen  Pincette,  indem  sie  den  Nagel 
leicht  heben.  Wo  es  nothwendig  ist,  kann 
man  die  Stanniol-Blättchen  doppelt  auf- 
einander legen  und  unter  den  freigemachten 
scharfen  Nagelrand  schieben. 

(Allgemeine  medidnitche  Central  -  Zeitung.  Berlin. 
30.  Januar  1889  9  Stück  und  23.  Februar  16  Stück). 

Zur    Therapie    des    Lupus.      Von    Dr.    Schütz 

(Frankfurt  a.  M.) 

Nachdem  Verf.  beobachtet,  dass  Con- 
pressivverband  bei  Ulcera  cruris  mit  Gunmii- 
binden  oder  doppelköpfigen  Leimbinden 
(Unna)  im  Stande  ist,  die  Granulations- 
wucherungen zu  hemmen,  versuchte  er  auch 
grössere  Wundflächen,  die  nach  Auskratzen  etc. 
von  Gesichtslupus  und  nachfolgender  chemi- 
scher Behandlung  entstanden  waren,  in  ana- 
loger Weise  zu  verbinden.  Die  Wunde 
wurde  mit  „Carbolquecksilberguttapercha- 
pflastermuU^  (!)  bedeckt,  letzteres  mehrmals 
mit  Gollodium  bestrichen  und  der  Verband 
6  bis  24  Stunden  liegen  gelassen.  Ver- 
bandwechsel (eventuell  Ablösung  mit  Essig- 
äther) hat  schnell  zu  geschehen.  Die  Wunde 
bekommt  bald  ein  frisches  Aussehen,  die 
Granulationen  flachen  ab,  schliesslich  ent- 
steht eine  zarte,  weiche  Narbe.  Der  Ver- 
band wirkt  durch  fortwährende  Sublimat- 
entwicklung antiseptisch,  granulationserregend 
durch  die  feuchte  Wärme;  ausserdem  erzeugt 
er  starke  Zugkraft  und  Gompression.  Bis- 
weilen, aber  nicht  allzu  häufig,  entstehen 
durch  das  Gollodium  Randekzeme.  Nach 
Schliessung  der  Wunde  wird  die  junge 
Narbe  noch  einige  Tage  lang  indifferent 
bedeckt,  später  folgt  Massage  und  Abschlei- 
fung  der  Narbe  mit  Marmorpulver,  Schmier- 
seife etc. 

Das  Allgemeinbefinden  der  Patienten  ist 
zu  überwachen.  £j*äftige  Diät  (forcirte  Er- 
nährung,   Malzextract,   Leberthran),  Aufent- 


in.  Jabrgang.'l 
Mal  1889.    J 


Toxikologie. 


241 


halt  in  frischer  Luft,    helle    gute  Wohnun- 
gen   etc.,    wodurch    Zunahme    des    Körper- 
gewichts bewirkt  wird,  ist  anzurathen. 
{Mßneh.  med.  Wochensehr,  1888,  No.  4ö  ff.) 

Gearge  Meyer  {Berlin). 

Innerliche  Behandlung  der  Syphilis  mit  Queck- 
sllbermltteln,  vergleichende  Studie  über  Subli- 
mat und  Protojodur.  Hydrarg.  Von  Prof. 
FourDier  (Paris). 

In  ihrer  Wirkung  gegen  die  Erscheinun- 
gen der  Lues  haben  Sublimat  und  Proto- 
jodur. Hydrarg.  vor  einander  keine  ausschliess- 
lichen Vorzüge.  Man  verordne  sie  also  beide 
je  nach   den  verschiedenen  Indicationen  des 


einzelnen  Falles:  Sublimat  macht  keine  Er- 
scheinungen von  Seiten  des  Mundes,  aber 
vom  Digestionstractus;  Protojodur.  Hydrarg. 
verhält  sich  gerade  umgekehrt.  Letzteres 
möge  man,  abgesehen  von  der  bestehenden 
Indication,  lieber  verordnen,  weil  es  von 
den  Yerdauungsorganen  besser  vertragen 
wird  und  letztere  von  den  Quecksilber-Mitteln 
leichter  und  häufiger  angegriffen  werden  als 
der  Mund.  Ein  erwachsener  Mann  verträgt 
3  g  Sublimat  pro  die^  ein  Weib  2  g(?);  für 
das  Protojodur.  Hydrarg.  betragen  diese  Zah- 
len 0,1—0,12  und  0,07—0,08. 

{Gm.  des  hdp.  1888,  No.  128.) 

George  Meyer  {Berlin). 


Toxikologie. 


Zwei     Fälle     von    Kaffeevergiftung.      Von    Dr. 
W.  Weinberg  (Stuttgart). 

Angeregt  durch  die  von  61  o gauer  und 
Cobn  in  den  Therapeutischen  Monatsheften 
vom  April  1888  und  März  1889  veröffent- 
lichten Fälle  von  Eaffeevergiftung  übergebe 
ich  zwei  Beobachtungen  aus  meiner  Praxis 
hiermit  der  Oeffentlichkeit.  Sie  erwecken 
vielleicht  deshalb  einiges  Interesse,  weil 
die  Yergiftungserscheinungen  nach  Genuss 
verhältnissmässig  geringer  Mengen  von  Kaffee 
eintraten. 

Fall  L  Ein  25 jähriger,  an  massigen 
Genuss  von  Alkohol  gewöhnter  Mediciner, 
welcher  das  Kaffeetrinken  seit  längerer  Zeit 
bis  auf  eine  kleine  Tasse  direct  nach  dem 
Mittagessen  aufgegeben  hatte,  nahm  aus- 
nahmsweise an  einem  Nachmittag  zwischen 
3  und  6  Uhr  vier  Tassen  starken  schwarzen 
Kaffees  zu  sich.  Unmittelbar  darauf  beob- 
achtete  er  bei  sich  nichts  besonderes  ausser 
einer  gewissen  Aufgeregtheit  und  beschleu- 
nigten Puls,  was  stets  nach  Kaffeegenuss  bei 
ihm  einzutreten  pflegte.  Er  ass  mit  Appetit 
zu  Nacht  und  trank  darauf  2  Liter  Bier, 
worauf  er  gegen  11  Uhr  rasch  einschlief. 
Gegen  1  Uhr  Morgens  erwachte  er  plötzlich 
und  verspürte  ein  höchst  beängstigendes, 
laut  hörbares  Herzklopfen;  die  Herzaction 
war  im  höchsten  Grade  arhythmisch,  sehr  be- 
schleunigt, betrug  etwa  120  Schläge  in  der 
Minute,  der  Spitzenstoss  breit  und  stark 
hebend.  Der  Puls  war  voll,  hart  und  stark 
schnellend.  Dabei  hatte  er  ein  Gefühl  der 
Schwäche  und  der  Beklemmung  auf  der  Brust, 
so  dass  er  öfter  aufsitzen  musste  und  im 
nächsten    Augenblick     sterben     zu     müssen 


glaubte.  Beim  Aufstehen  hatte  er  Schwindel- 
gefühl, ausserdem  bestand  deutliches  Zittern 
der  Finger. 

Dieser  Zustand  dauerte  ziemlich  gleich- 
massig  bis  zum  Nachmittag  an  und  verlor 
sich  dann  allmählich,  doch  konnte  Patient 
auch  die  folgende  Nacht  nur  wenig  schlafen. 
Schweissausbruch,  wesentlich  vermehrte  Urin- 
secretion,  häufigeres  Urinlassen,  Erbrechen, 
Störung  des  Appetits  wurde  nicht  bemerkt. 
Eigenthümlich  ist  das  späte  Auftreten  der 
Vergiftungssymptome. 

Fall  IL  Ein  40jähriger  Mann,  starker 
Raucher,  der  sonst  nie  Kaffee  zu  trinken 
pflegt,  hatte  im  Katzenjammer  Morgeos  9  Uhr 
drei  grosse  Tassen  selbstbereiteten  starken 
schwarzen  Kaffees  zu  sich  genommen.  Gegen 
halb  11  Uhr  Morgens  überfiel  ihn  plötzlich 
heftiger  Schweiss,  starkes  Herzklopfen,  Be- 
klemmung auf  der  Brust,  er  konnte  nicht 
mehr  arbeiten,  lief  fortwährend  umher  und 
glaubte  sofort  sterben  zu  müssen.  Als  ich 
ihn  um  12  Uhr  sah,  fiel  mir  sofort  die  Un- 
ruhe seiner  Gesichtsmuskulatur  auf,  er  zitterte 
am  ganzen  Körper,  besonders  stark  war  der 
Tremor  der  Arme  und  der  Fiuger  ausge- 
sprochen. Die  Extremitäten  waren  kühl  und 
mit  kaltem  Schweiss  bedeckt.  Der  Puls  war 
beschleunigt,  120  in  der  Minute,  gespannt, 
aber  regelmässig,  die  Erschütterung  der 
vorderen  Brustwand  durch  den  sehr  ver- 
breiterten und  daher  nicht  genau  localisir- 
baren  Spitzenstoss  weithin  sichtbar  und  fühl- 
bar. Ich  verordnete  Bettruhe,  warme  Ein- 
wickelung  und  injicirte  Morphium  0,01.  Um 
2  Uhr  war  Patient  etwas  ruhiger  und  die 
Pulsfrequenz  auf  80  Schläge  in  der  Minute 

31 


2d 


Tozikologl«. 


rTherapeutiscbe 
L  Mon&tahefte. 


gesunken;  der  Tremor  bestand  in  gleicher 
Weise  fort.  Erst  um  Mitternacht  schlief 
Patient,  der  sich  sonst  eines  guten  Schlafes 
erfreut,  ein.  Am  andern  Morgen  bestand 
noch  schwacher  Tremor  der  Finger;  das  Herz 
zeigte  normale  Verhältnisse.  Erbrechen  und 
Termehrtes  Urinlassen  fehlten. 

Acute  CocaVn Vergiftung.    Von  Dr.  Josef  Bettel- 
heim (Mödling). 

Bald  nach  der  subcutanen  Einverleibung 
von  einem  Centigramm  Cocain  bei  einem 
kräftigen  38jährigen  Manne  fühlte  dieser  eine 
gute  Viertelstunde  lang  dumpfe  Schwere  in 
den  Gliedern  und  brach  dann  plötzlich  be- 
wusstlos  zusammen.  Das  Gesicht  war  leb- 
haft gerothet,  die  Venen  an  den  Schläfen 
zeigten  sich  strotzend  gefüllt,  der  Puls  gleich- 
massig,  voll  (80),  Temperatur  37,2;  die 
Athmung  auffallend  irregulär.  Nach  4  bis 
5  tiefen  Athemzugen  trat  eine  etwa  20  Se- 
cunden  dauernde  Pause  ein,  während  welcher 
der  Thorax  in  Exspirationsstellung  verharrte. 
Die  Pupillen  waren  maximal  weit,  starr,  auf 
Licht  nicht  reagirend,  während  die  Cornea 
gegen  Berührung  überaus  empfindlich  war, 
der  Körper  bei  mechanischen  und  thermischen 
Insulten  mit  Convulsionen  reagirte.  Die 
Zähne  waren  krampfhaft  aufeinandergepresst. 
Nach  einer  Stunde,  während  welcher  künst- 
liche Athmung  gemacht  und  Hautreizungen 
vorgenommen  wurden,  begann  Patient  in 
Intervallen  von  etwa  10  Minuten  zu  gähnen, 
wobei  er  mit  beiden  Vorderarmen  uncoordi- 
nirte,  choreaähnliche  Bewegungen  ausführte. 
Patellarreflexe  waren  sehr  lebhaft.  Drei 
Stunden  später  wurden  die  choreatischen 
Bewegungen  der  Hände  und  dann  auch  der 
Füsse  häufiger  und  heftiger,  bei  lautem 
Anrufen  zeigte  sich  vorübergehend  blödes 
Lächeln;  der  soporöse  Zustand  blieb  bestehen. 
Am  nächsten  Tage  kehrte  das  Bewusstsein 
zurück;  seit  16  Stunden  wurde  zum  ersten 
Male  Urin  gelassen,  aber  der  Gang  war 
taumelnd,  die  Sprache  lallend,  unverständ- 
lich; Coordinationsbewegungen  äusserst  man- 
gelhaft. Langsame  Besserung  in  dem  Laufe 
des  Tages. 

Auffallend  waren  bei  dieser  Beobachtung, 
abgesehen  von  der  enormen  Wirkung  einer 
so  kleinen,  für  einen  leichten  chirurgischen 
Eingriff  verwendeten,  sufticienten  Dose,  die 
Hyperämie  des  Kopfes  und  des  Gehirns, 
die  Unregelmässigkeit  der  Respiration,  die 
prompte  Auslösung  der  Corneal-  und  Pa- 
tellarreflexe, die  Nichtbeeinflussung  des  Herz- 
schlages und  die  gehemmte  Diurese. 

{Wiener  Mtdic,  Presse,  1889,  No.  12,) 

J.  Ruhemann  (Berlin). 


Ueber   Amblyopie  durch  Nitrobenzol-  (Roburit-) 
Vergiftung.    Von  Dr.  A.  Nie  den  (Bochum). 

Die  geschilderte  Vergiftung  wurde  durch 
das  „jüngste  Kind  der  Sprengmittelgruppe ^, 
das  Roburit,  herbeigeführt,  eine  Composition 
von  Dinitrochlorbenzol,  Nitrochlornaphthalin 
und  Ammonium-Salpeter,  ein  Sprengstoff,  der 
vor  dem  Dynamit  den  Vorzug  nicht  nur  der 
grösseren  Explosionskraft,  sondern  auch  den 
der  grösseren  Ungefährlichkeit  voraus  hat. 

Bei  einem  seit  wenigen  Monaten  in  der 
Roburitfabrik  zu  Witten  beschäftigten  2  6j  äh- 
rigen Arbeiter  zeigten  sich  in  schneller  Ent- 
wicklung Kurzathmigkeit,  namentlich  nach 
geringen  Anstrengungen,  sodann  Herzklopfen, 
Brechneigung,  Appetitlosigkeit,  Benommen- 
heit des  Kopfes  und  heftige  Schwindel- 
erscheinungen. Er  bemerkte  einen  eigen- 
thümlich  schlechten  Geschmack.  Bei  Fort- 
dauer dieser  Erscheinungen  stellte  sich 
schnellzunehmende  Verschleierung  des  Sehens 
ein.  Er  zeigte  tiefe  Cyanose  der  Gesichts- 
haut, der  Lippen  und  sämmtlicher  Schleim- 
häute, Ektasie  und  Schlängelung  der  ober- 
flächlichen Venen  der  Conj.  bulbi,  mühsam 
arbeitende  Respiration,  einen  schnellen  (148 
Schläge  in  der  Minute),  unregelmässigen, 
niedrigen,  wenig  gespannten  Puls,  ohne  dass 
sich  ein  ausgeprägtes  Herzleiden  oder  schwe- 
rere Lungenaffection  nachweisen  liess.  Die  Ex- 
spirationsluft  verbreitete  einen  bittermandel- 
ähnlichen  Geruch.  Die  Leber  war  bedeutend 
vergrössert,  ihi^  Rand  auf  Druck  schmerz- 
haft; die  Milz  zeigte  nur  wenig  über  die 
Norm  vergrösserte  Maasse.  Der  Urin  war 
frei  von  Eiweiss  und  Zucker. 

Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  er- 
gab starke  venöse  Hyperämie  und  arterielle 
Anämie  der  retinalen  Geisse,  ein  circa  pa- 
pillengrosses, an  den  Eintritt  des  Sehnerven 
angrenzendes  Exsudat  in  der  rechten  Retina 
mit  entsprechendem  Defect  des  Gesichtsfeldes. 
Dasselbe  zeigte  besonders  concentrische  Ein- 
engung einschliesslich  der  Farben.  Die  cen- 
trale Sehschärfe  war  stark  herabgesetzt. 
Während  sich  unter  Gebrauch  von  Digitalis 
und  Spartein  die  Cyanose  und  Herzschwäche 
bald  besserten,  kehrten  der  Augenhintergrund 
und  die  Sehstörung  nur  langsam  zur  Norm 
zurück. 

Die  Vergiftung  rührt  von  dem  Nitro- 
benzol her;  die  Symptome  erinnern  an  die 
Blausäure-  resp.  Anilinvergiftung.  Ob  aber 
das  Nitrobenzol  im  Körper  in  Anilin  um- 
gewandelt wird,  ist  noch  nicht  entschieden. 

{Centralbl.  f.  pract.  Augenheilkunde.    JuU  1888.) 

J.  Ruhemann  {BerKn). 


m  JabrgMig.'l 
Mal  1889.    J 


Llttoratur. 


243 


liltteratnr. 


Klinisches  Jahrbuch.  Im  Auftrage  Seiner  Excel- 
lenz des  Ministers  der  geistlichen,  Unterrichts- 
und Medicinal- Angelegenheiten  Dr.  v.  Gossler 
unter  Mitwirkung  der  vortragenden  Räthe  Prof. 
Dr.  C.  Skrzeczka  und  Dr.  G.  Schönfeld 
Geh.  Medicioalrath;  herausgegeben  von  Prof. 
Dr.  A.  Guttstadt.  Erster  Band.  Berlin. 
Verlag  von  Julius  Springer.  1889.  8^ 
566  S. 

Zum  ernten  Male  werden  in  dem  Kli- 
nischen  Jahrbuche  die  Jahresberichte,  welche 
die  Directoren  der  stationären  Kliniken  und 
Polikliniken  der  Universitäten  über  die  Lei- 
stungen der  ihnen  anvertrauten  Anstalten 
seit  dem  1.  April  1887  zu  erstatten  haben, 
der  Oefifentlichkeit  übergeben.  Diese  An- 
ordnung beweist,  welche  hohe  Bedeutung 
diesem  Zweige  des  Universitätswesens  an 
maassgebender  Stelle  beigelegt  wird  und 
legt  Zeugniss  ab  von  der  steten  Fürsorge, 
welche  die  Leistungen  der  Kliniken  und 
Polikliniken  begleitet.  Nach  dem  ministe- 
riellen Erlass  vom  21.  Mai  1887  soll  die 
einheitliche  Berichterstattung  zunächst  über 
die  Wirksamkeit  der  preussischen  Kliniken 
nach  ihrer  dreifachen  Aufgabe  als  Heilan- 
stalt, als  Unterrichtsanstalt  zur  Ausbildung 
der  Aerzte  und  als  Anstalten  zur  Förderung 
der  Wissenschaft  Auskunft  und  Einblick  ge- 
währen. Ausserdem  aber  sollen  auch  noch 
Aufsätze  von  allgemeinem  Interesse  Auf- 
nahme finden,  welche  die  Aufgaben  der  Hu- 
manität gegen  die  Kranken,  die  Wartung 
und  Verpflegung  der  Kranken,  die  Anfor- 
derungen an  die  bauliche  Einrichtung,  sowie 
au  die  innere  Ausstattung  von  Kliniken  und 
Krankenhäusern  überhaupt  eingehend  erör- 
tern. Nach  diesen  Andeutungen  soll  also 
das  Klinische  Jahrbuch  als  ein  Archiv  anzu- 
sehen sein,  in  dem  die  bedeutendsten  Lei- 
stungen und  die  zuverlässigsten  Erfahrungen 
auf  dem  Gebiete  des  Krankenhauswesens 
überhaupt,  wie  auf  dem  Felde  der  prac- 
tischen  Ausbildung  des  Arztes  jährlich  zur 
Veröffentlichung  gelangen. 

Es  war  vorauszusehen,  dass  man  bei 
einem  solchen  Programm  und  bei  solcher 
Mitarbeiterschaft  mit  besonderen  Erwartungen 
dem  Erscheinen  des  Buches  entgegenblicken 
würde.  Der  reiche  und  werthvolle  Inhalt 
des  Yorliegenden  ersten  Bandes  hat  diese 
Erwartungen  gerechtfertigt.  Es  ist  nach 
seiner  äusseren  Anordnung  eingetheilt  in  fol- 
gende Abschnitte:  A.  Abhandlungen;  B.  Bau- 
beschreibungen; C.  Statistik  der  stationären 
Kliniken  und  Polikliniken  der  preussischen 
Universitäten    für    das    Jahr    1887/88    und 


zwar:  1.  Verwaltungsnachrichten;^  2.  Morbi- 
ditätsstatistik; 3.  Unterrichtsstatistik;  4.  Bi- 
bliographie. D.  Verschiedene  Mittheilungen. 
E.  Amtliche  Bekanntmachungen  und  Perso- 
nalnachrichten. 

Ein  besonders  grosser  Abschnitt  ist  der 
Statistik  gewidmet.  Wenn  wir  auch  an 
dieser  Stelle,  entsprechend  dem  Zwecke  un- 
serer Blätter,  weniger  auf  dieselbe  eingehen 
können,  so  ist  ihre  Wichtigkeit  und  Bedeu- 
tung ja  längst  auch  für  unsere  Wissenschaft 
eine  so  allseitig  anerkannte  geworden,  und 
ihr  weitreichender  Nutzen  für  die  Zukunft 
so  klar  vor  Augen,  dass  eine  allgemeinere 
und  sorgföl tigere  Beschäftigung  mit  ihr  nicht 
dringend  genug  angerathen  werden  kann. 
Es  ist  bezüglich  der  Statistik  der  Versuch 
gemacht  worden,  für  die  verschiedenen  Arten 
von  Kliniken  und  Polikliniken  die  zur  Be- 
handlung gelangten  Krankheiten  in  einheit- 
lichen Uebersichten  zur  Darstellung  zu  brin- 
gen. Maassgebend  war  dafür  der  Grundsatz, 
möglichst  nach  der  Topographie  des  Kör- 
pers die  Krankheiten  und  gleichzeitig  Er- 
läuterungen, Complicationen  u.  dergl.  in 
Anmerkungen  zu  den  einzelnen  Krankheiten 
vorzuführen.  Allerdings  setzt  die  Durch- 
führung dieses  Grundgedankens  voraus,  dass 
die  Krankheitsbezeichnungen,  so  oft  es  an- 
gezeigt erscheint,  auf  anatomischer  Diagnose 
beruhen.  Dieser  Voraussetzung  ist  nun  zum 
ersten  Male  noch  nicht  ausreichend  genug 
entsprochen  worden,  so  dass  die  tabellarische 
Aufstellung  der  Morbidität  die  Ansprüche 
der  Wissenschaft  noch  nicht  befriedigen  wird. 
Doch  lässt  das  bereitwillige  Entgegenkom- 
men aller  Betheiligten  auch  hier  eine  bal- 
dige Vervollkommnung  sicher  erwarten. 

Wenden  wir  uns  zu  den  Abhandlungen 
und  den  anderen  Abschnitten  des  Buches, 
so  bieten:  Die  Geschichte  des  klinischen 
Unterrichts,  von  Prof.  Dr.  Th.  Pusch- 
mann;  Ueber  die  Entwickelung  des  klini- 
schen Unterrichts  an  der  Göttinger  Hoch- 
schule und  über  die  heutigen  Aufgaben  der 
medicinischen  Klinik  von  Prof.  Dr.  Wil- 
helm Ebstein,  Geh.  Medicinalrath ;  Zweck 
und  Ziel  der  psychiatrischen  Kliniken,  von 
Prof.  Dr.  E.  Wernicke,  Medicinalrath 
u.  V.  A.  des  Lesens-  und  Wissenswerthen 
eine  wirklich  überreiche  Fülle.  Leider  ver- 
bietet uns  der  Mangel  an  Kaum  auf  die- 
selben alle  näher  einzugehen.  Wir  wollen 
uns  deshalb  hier,  in  den  therapeutischen 
Monatsheften,  nur  mit  fünf  der  Abhandlun- 
gen im  Nachfolgenden  genauer  beschäftigen, 
die  therapeutisch  ein  besonderes  und  ein- 
gehendes Interesse  in  Anspruch  nehmen,  so 
dass  ihre  ausführliche  Besprechung  berech- 
tigt und  nothwendig  erscheint. 

3l' 


244 


Ltttontur. 


r'herApefatiwilM 
Monatsheft«. 


1.  Die  antiseptische  Wundbehand- 
lung in  der  Kgl.  chirurgischen  Uni- 
versitÄts-Klinik  zu  Berlin.  Von  Prof. 
Dr.  Ernst  yon  Bergmann,  Geheimer 
Medicinalrath  und  Generalarzt. 
•  Seitdem  wir  uns  zur  Lehre  yon  der 
Specifität  der  pflanzlichen  Krankheitserreger 
bekannt  haben,  können  wir  an  die  Wund- 
behandlung und  den  Wundverband  ganz  be- 
stimmte Forderungen  stellen,  nämlich  eine 
specifische  Prophylaxe  für  die  specifischen 
Noxen.  Es  ist  wahr,  wir  kennen  noch  die 
wenigsten  derselben,  aber  dass  wir  einzelne 
schon  kennen,  fast  so  genau,  wie  den 
Fe  hl  eise  naschen  Mikrococcus  der  Wund- 
rose, das  setzt  uns  in  den  Stand,  die  Rein- 
heit' und  Strenge  dieses  Princips  zu  betonen. 
Und  wenn  wir  deshalb  auch,  so  lange  wir 
nicht  alle  pathogenen  Bacterien  kennen  und 
pathogene,  halbpathogene  und  unschuldige 
mit  Yoller  Schärfe  zu  unterscheiden  nicht 
im  Stande  sind,  noch  weit  davon  entfernt 
sind,  einfach  und  strenge  das  Ziel  für  unsere 
Bestrebungen  stellen  zu  können,  so  wissen 
wir  doch  jetzt  ganz  bestimmt  und  klar,  was 
wir  wollen  und  was  unsere  Prophylaxe  soll 
und  muss  und  formuliren  dieses  Endziel 
dahin,  kein  Bacterium  in  die  Wunde  kom- 
men zu  lassen,  jedes  in  sie  gerathene  aus 
ihr  zu  entfernen  und  während  der  ganzen 
Heilung  die  Vegetationen  ip  und  auf  ihr  zu 
verhindern. 

Diesen  Grundsätzen  entsprechend  hat 
sich  folgende  Praxis  entwickelt.  Beginnen 
wir  mit  der  Vorbereitung  des  Kranken  für 
die  Operation.  Jeder  Kranke  erhält,  abge- 
sehen von  einem  Bade  bei  seiner  Aufnahme, 
kurz  vor  der  Operation  ein  Vollbad,  in 
welchem  er  vom  Kopf  bis  zum  Fuss^  gründ- 
lich mit  Seife  und  Bürste  gereinigt  wird  und 
kommt  dann  direct  in  den  Operationssaal. 
Hier  beginnt  nach  Einleitung  der  Narkose 
die  Desinfection  der  Körpergegend,  in  wel- 
cher das  Operationsfeld  liegt.  Dieselbe  wird 
rasirt,  mit  warmem  Wasser  und  Seife  bear- 
beitet, dann  mit  sterilisirten  Handtüchern 
getrocknet,  darauf  mit  Alkohol  gewaschen 
und  zum  Schluss  mit  einer  Va°/oo  Sublimat- 
lösung bespült  und  gewaschen.  Ist  die  Haut 
sehr  fettig,  so  wird  zur  Alkoholwaschung 
noch  eine  Abreibung  mit  Aether  gefügt. 

Sehr  ähnlich  wird,  genau  nach  den  Vor- 
schriften Fürbringer's,  mit  den  Händen 
und  Vorderarmen  der  Aerzte  verfahren  und 
hebt  V.  B.  immer  wieder  hervor,  dass  die 
Gontactinfection  durch  die  Hände  des  Arztes 
in  der  Aetiologie  der  Wundkrankheiten  die 
Hauptrolle  zu  spielen  berufen  ist.  Mit  ihr 
parallel  geht  die  aus  der  Umgebung  der 
Wunde,    also   von    der  Körperoberfläche  des 


Kranken  selbst,  auf  welche  also  gleichfalls 
grosser  Werth  zu  legen  ist.  Bedeckt  werden 
alle  Seiten  in  der  Umgebung  des  Operations- 
feldes mit  in  Va^/oo  Sublimatlösung  getauch- 
ten und  vorher  sterilisirten  Handtüchern 
und  auch  die  Vorderarme  des  zu  Operiren- 
den  gereinigt,  damit  beim  Fühlen  nach  dem 
Pulse  u.  s.  w.  nicht  ein  unreines  Stück  der 
Körperoberfläche  berührt  wird. 

Bekannt  ist,  dass  das  ärztliche  Personal 
seinen  Rock  ablegt,  die  Hemdsärmel  bis 
über  das  Ellbogengelenk  hinaufstreift  und 
so  gereinigt  und  vorbereitet  einen  bis  an 
die  Knöchel  hinabreichenden  Talar  aus 
weisser  Leinwand,  der  vom  geschlossen  ist 
und  hinten  zugeknöpft  wird,  anzieht.  Diese 
Talare,  sowie  alle  Handtücher,  die  im  Ope- 
rationssaale  in  Gebrauch  gezogen  werden, 
ebenso  die  Betttücher,  Unterlagsstoffe,  Rol- 
len, Polster,  Bürsten,  die  Verbandgaze,  die 
entfettete  Watte  und  die  Hagedorn^ sehen 
Mooskissen  werden  jeden  Vormittag  im  Des- 
infectionsapparate  sterilisirt.  Benutzt  wird 
hierzu  der  Desinfector  von  Henneberg 
und  Rietschel,  den  E.  Esmarch  (Koch 
und  Flügge:  Zeitschrift  für  Hygiene,  Bd.  2, 
S.  342)  beschrieben  hat  und  der,  ^/^  Stunde 
lang  angewendet,  durch  seine  strömenden, 
auf  100°  erhitzten  Wasserdämpfe  sieber 
wirkt.  Die  Bürsten  werden  danach  in  einem 
geschlossenen,  mit  der  Va^/oo  Sublimatlösnng 
gefüllten  Glasgefässe  aufbewahrt.  Schwämme, 
die  nur  ausnahmsweise  bei  grösseren  Ope- 
rationen im  Gesicht  und  bei  Laparotomien 
gebraucht  werden  und  den  überhitzten  stro- 
menden Wasserdampf  nicht  vertragen,  wer- 
den nach  den  schon  oft  gegebenen  Vorschrif- 
ten ausgeklopft,  mit  gekochtem  Wasser  und 
Seife  gewaschen  und  in  1  ^/qq  Sublimatlösung 
eingelegt,  die  so  oft  erneuert  wird,  bis  sie 
vollkommen  klar  geworden  ist. 

Für  die  Desinfection  der  Instrumente, 
die  wo  angänglich  aus  einem  Stücke  oder 
so  hergestellt  sind,  dass  sie  behufs  Reini- 
gung leicht  auseinander  genommen  werden 
können,  und  die  auf  täglich  zu  reinigenden 
Glasplatten  in  geschlossenen  Schränkchen 
aufbewahrt  werden,  wird  3°/o  Carbollösung 
benutzt,  in  der  sie  ^/^  Stunde  vor  dem  Ge- 
brauche zu  liegen  haben.  Nach  dem  Ge- 
brauche wird  jedes  Instrument  mit  Seife 
und  gekochtem  Wasser  gereinigt,  ehe  es 
wieder  in  die  Carbollösung  kommt.  Cat- 
gut,  das  zur  Gefässunterbindung  und  zum 
Anlegen  von  tiefen  Etagennähten  dient,  wird 
einfach  in  5  °/o  alkoholische  Sublimatlösung 
gelegt,  nachdem  es  vorher  flach  über  eine 
schmale  Glasplatte  gewickelt  worden  ist, 
und  die  Lösung  mehrmals  erneuert,  bis  sie 
klar  bleibt.     Seide,  die  zur  Vereinigung  der 


IIL  Jahrgang:.'! 
Kai  1889.    J 


Llttontiir. 


245 


Hautränder  dient,  wird  in  einem  eigenen 
kleinen  Dampf apparat,  wie  er  im  üniversi- 
tats-Institut  für  Hygiene  zum  Sterilisiren 
der  Spritzen  u.  s.  w.  in  Anwendung  ist, 
sterilisirt,  dann  aufgehaspelt,  nochmals  der 
Einwirkung  des  Dampfes  ausgesetzt  und  mit 
den  Haspeln  schnell  unter  einer  Glasglocke 
über  Schwefelsäure  getrocknet.  Die  Haspeln 
mit  der  Seide  kommen  dann  in  einen  yer- 
schiossenen  Kasten,  in  dem  durch  Einlegen 
von  Gampherstücken  die  Luft  mit  Gampher- 
dämpfen  geschwängert  ist.  Von  jeder  Has- 
pel, deren  4  im  Kasten  sind,  geht  der  Faden 
durch  ein  kurzes,  winkelig  geknicktes  Röhr- 
chen nach  aussen.  Gegen  die  Luftinfection, 
die  bei  der  heutigen  Bauart  der  Operations- 
säle, der  Ventilation  und  Luftheizung,  und 
der  grossen  Menge  der  Anwesenden  ziemlich 
gross  angeschlagen  werden  muss,  wird  die 
Wunde  so  kurze  Zeit  als  möglich  offen  ge- 
lassen und  sofort  nach  Beendigung  der  Ope- 
ration mit  einer  in  Sublimatlosung  getauch- 
ten Gompresse  aus  vorher  sterilisirter  Gaze 
bedeckt. 

Ein  weiteres  Hauptgewicht  wird  auf  die 
Blutstillung    und    die    primäre   Desinfection 
der    Wunde    gelegt.     Es    wird    jedes,    auch 
das    kleinste    blutende    Gefäss,    jede    Vene, 
jedes  Arterien lumen  mit  Oatgut  unterbunden 
und    nicht   eher   zum  Wund  verschluss   über- 
gegangen, bis  wiederholentlich  das  Gelingen 
dieses  Actes  der  Operation  durch  Abwaschen 
und  Abtupfen  der  ganzen  Wunde   constatirt 
ist.    Dann  wird  aus  einer  niedrig  gehaltenen 
Kanne,    damit    ein    starker  Druck   aus   dem 
Irrigator  oder  der  Spritze  die  giftige  Lösung 
nicht    in    die  Bindegewebsräume   treibt,    ein 
breiter    Strom    von    erwärmter    V«°/oo  Subli- 
matlösung    über     die    vorher    mit    sterilen 
Gazelappen     getrocknete     Wunde     gegossen 
und  diese  Procedur  einige  Male  wiederholt. 
Gegen  die  oft  lebhafte  Transsudation  der 
Wandflächen,    besonders    nach    längerer  Be- 
rieselung, genügt  es  manchmal  zwischen  den 
einzelnen  Nähten  Spalten  zu  lassen,    damit 
das    sich    in    der  Wundhöhle   Ansammelnde 
heraus     und     hinein    in    die    Verbandstoffe 
fliessen  kann,  sicherer  aber  bleibt  das  Drain- 
rohr, das  gewiss  nicht  viel  schadet  oder  den 
Heilungsprocess  verzögert  und  deshalb  nach 
den    Ausräumungen     der    Achselhöhle     von 
carcinomatösen  Lymphdrüsen,  nach  der  Ex- 
stirpation    tief  gelegener  Geschwülste,   nach 
der    Amputation     und     Exarticulation     des 
Femur    und    den   meisten  Gelenkresectionen 
stets  noch  beibehalten  ist. 

Zu  den  Waschungen  wird  das  aus  dem 
Kessel  der  Dampfmaschine  geleitete,  also 
vorher  gekochte  Wasser  benutzt,  dem  aller- 
dings noch  das  gewöhnliche  Leitungswasser 


behufs  Abkühlung  zugesetzt  werden  muss, 
während  alle  Lösungen  der  antiseptischen 
Mittel  mit  destillirtem  Wasser  bereitet  werden. 
Dieselben  Frincipien,  wie  bei  den  bisher 
besprochenen  frischen  Wunden  bleiben  auch 
bei  der  Behandlung  schon  inflcirter  Wunden 
geltend,  wenn  auch  die  einzelnen  Maassn ah- 
men andere  oder  wenigstens  anders  compo- 
nirte  sind.  Maassgeben d  wird  sein :  die  Ver- 
hinderung weiterer  Resorptionen  und  Inva- 
sionen vom  Infectionsherde  aus,  also  Oeffiien 
der  ursprünglich  geschlossenen  Wunden,  Er- 
weiterung zu  enger  Abfluss-  und  Anlegung 
passend  gelegener  Gegenöffnungen,  Entspan- 
nung, Sorge  für  den  allergünstigsten  Abfluss, 
Drainage  und  Verband  mit  auf-  und  aus- 
saugenden, hygroskopischen  Verbandstoffen. 
Bei  complicirten  Fracturen,  sowohl  bei 
frischen,  wie  bei  den  erst  nach  einigen  Tagen 
zugewiesenen,  werden  zuerst  ausgiebige  Ein- 
schnitte gemacht,  alle  Nischen  und  Taschen 
gespalten,  Gegenöffnungen  angelegt,  alle 
Splitter,  Fremdkörper  und  Coagula  entfernt 
und  dann  ohne  vorheriges  Irrigiren  alle 
Wunden  ganz  locker,  aber  bis  in  alle  ihre 
Ausbuchtungen  hinein,  mit  Jodoformgaze  ge- 
füllt, nachdem  selbstverständlich  alle  zuvor 
lebhaft  blutenden  Gefasse  unterbunden  oder 
umstochen  sind.  Darüber  kommen  dann 
einige  Bäusche  sterilisirter  Gaze  und  das 
Mooskissen.  Infolge  der  lebhaften  Transsu- 
dation und  Exsudation  von  den  entzündeten 
Wundflächen  müssen  oft  schon  nach  vier- 
undzwanzig Stunden  oder  noch  früher  die 
oberflächlichen  Lagen  des  Verbandes  ge- 
wechselt werden.  Hat  sich  die  Jodoform- 
gaze in  der  Wunde  gelockert  und  trieft  sie 
von  der  Fülle  der  aufgenommenen  Flüssig- 
keit, so  ist  sie  auch  in  der  Tiefe  der  Wunde 
zu  wechseln  und  durch  ein  Drainrohr  zu  er- 
setzen. 

In  ähnlicher  Weise  wird  die  Jodoform- 
tamponade benutzt,  wo  wegen  fortschreiten- 
der Gangrän  amputirt  werden  musste,  oder 
bei  Exstirpation  eines  jauchenden  Carcinoms 
mit  lymphangoTtischen  Streifen  in  der  Um- 
gebung, ferner  bei  Maschinenverletzung  und 
complicirten  Fracturen  mit  grossen  Haut- 
und  Weichtheilverletzungen,  bei  Mastdarm- 
exstirpation  und  Resection  und  Arthrectomie 
bei  tuberculösen  Gelenkentzündungen. 

[ForUtttung  fotgt.] 

Die  symptomatische  Bedentnngf  und  Therapie 
des  Besidnalharns.  Von  Dr.  Leopold  Cas- 
par, Berlin.    Berliner  Klinik,  Heft  7. 

Um  den  Werth  der  vorliegenden  Arbeit 
gehörig  würdigen  zu  können,  muss  man  sich 
vergegenwärtigen,  dass  die  Abhandlungen  der 
Berl.  Klinik  und  ähnlicher  kleiner  Sammel- 


246 


LIttontiir. 


rlierftpentiidie 
Monatshefte. 


werke  yorwiegend  den  Zweck  yerfolgen,  in 
kurzen ,  anregenden  Excerpten  das  Resultat 
langer  mühseliger  Einzel  forscbungen  der 
Special  Wissenschaften  denjenigen  näher  zu 
rücken,  denen  die  Müsse  zur  Leetüre  der 
Original litteratur  auf  allen  möglichen  Ge- 
bieten ermangelt. 

Diesem  durchaus  loben swerthen  und  prac- 
tischen  Zweck  entsprechend,  hat  der  Ver- 
fasser eine  Erscheinung  aus  seinem  Fach- 
gebiete herausgegriffen,  welche  wohl  bis  jetzt 
in  ihrer  diagnostischen  Bedeutung  unter- 
schätzt worden  ist.  Durch  eine  grosse  An- 
zahl von  Untersuchungen  an  Gesunden  und 
Kranken  hat  Casper  festgestellt,  dass  das 
Yorhandensein  von  Residualharn,  d.  h.  „das 
Zurückbleiben  yon  Harn  nach  dem  üriniren" 
stets  auf  einen  krankhaften  Zustand  hin- 
weist und  zwar  giebt  die  Menge  des  Resi- 
dualhams  selbst  —  es  werden  die  genauen 
Anweisungen  gegeben,  wie  derselbe  unter 
Vermeidung  der  yersctiiedensten  Fehlerquellen 
zu  gewinnen  ist  —  nach  den  Untersuchun- 
gen des  Yerf.  einen  präcisen  Maassstab  für 
die  Beurtheilung  der  Functionstüchtigkeit 
der  Blase  selbst. 

Es  werden  drei  Momente  angegeben, 
welche  zum  Residualham  Veranlassung  geben 
können:  es  kann  sich  handeln  um  eine 
Störung  der  Innervation  der  Blasenmusku- 
latur; um  eine  mehr  oder  minder  yollstän- 
dige  Verlegung  der  Passage  durch  die  Harn- 
röhre oder  endlich  um  eine  Schwäche  in 
der  Blasenmuskulatur  selbst. 

Hieran  schliesst  Verf.  die  Aufzählung 
der  Symptome,  deren  Auftreten  uns  das 
Vorhandensein  yon  Residualham  yermuthen 
lässt  i.  e.  in  Sonderheit  lange  Zeit  constant 
bleibender  häufiger  Drang  zum  Hamen  und 
unwillkürlicher  Abfluss  yon  Urin. 

Hieran  reiht  sich  der  sehr  practische 
Vorschlag,  die  unglückseligen  Bezeichnungen: 
Incontinentia  urinae  und  Ischuria  paradoxa, 
die  schon  so  yiele  Verwirrungen  angestiftet 
haben,  ganz  aufzugeben  und  durch  die  zweck- 
mässige Benennung  „unfreiwilliges  Har- 
nen" zu  ersetzen,  der  allerdings  jedesmal 
dann  eine  nähere  Bestimmung  nach  der  je- 
weiligen Ursache  des  Leidens  hinzugefügt 
werden  müsste. 

Durch  yier  typische  Fälle,  bei  denen 
jedesmal  das  Symptom  des  Residualharns 
dasselbe,  die  das  Symptom  bedingende  Er- 
krankung eine  andere  ist,  wird  die  yor- 
her  gegebene  Symptomatologie  aufs  beste  illu- 
strirt. 

Bei  der  Therapie  muss  natürlich  das 
jedesmalige  Gmndleiden  zuerst  ins  Auge  ge- 
fasst  werden;  denn  hiernach  yor  allem  würden 
sich  die  Grundlagen  der  Behandlung  zu  richten 


haben.  Des  Ausfuhrlicheren  bespricht  Verf. 
dann  noch  die  Frage  des  Eatheterismus,  die 
natürlich  bei  allen  Fällen  yon  Residualharn  eine 
Hauptrolle  spielt.  Er  zeigt,  wie  man  das 
Schreckgespenst  der  Cystitis  durch  präcise  Sorg- 
falt auch  bei  jahrelangem  Gebrauch  des  Kathe- 
ters bannen  kann;  und  es  wäre  dankenswerth, 
wenn  gerade  dieses  Kapitel  eine  möglichst 
rege  Beachtung  fönde,  damit  die  so  segens- 
reiche Wirkung,  welche  in  ungezählten  Fällen 
der  Katheter  zu  entfalten  yermag,  nicht 
durch  allzu  grosse  Vorsicht  noch  durch  all- 
zu grosse  Keckheit  des  Operateurs  in  Frage 
gestellt  werde. 

Die  Leetüre   des  Aufsatzes  dürfte  jedem 
Practiker  zu  empfehlen  sein.  Kuttner. 

Handbuch  der  kleinen  Chirurgrie  für  practische 
Aerzte.  Von  Dr.  Gustav  Wolzendorff, 
Stabsarzt  a.  D.  Mit  525  Holzschnitten.  Zweite 
vermehrte  und  verbesserte  Auflage.  Wien  und 
Leipzig.  Urban  &  Schwarzenberg.  1889. 
80.   565  S. 

Das  unter  obigem  Titel  bereits  in  zweiter 
Auflage  erschienene  Buch  wird  dem  ange- 
henden wie  dem  ausführenden  Arzte  eine 
werthvolle  und  willkommene  Gabe  sein.  Es 
umfasst  in  sehr  zweckmässiger  und  geschickter 
Darstellung  alle  jene  wundärztlichen  Leistun- 
gen, die  das  tägliche  Leben  an  den  practischen 
Arzt  stellt  und  welche  zusanunengefasst 
werden  unter  den  Begriff  „der  kleinen 
Chirurgie".  Während  letztere  in  früheren 
Zeiten  nicht  viel  mehr  als  Schröpfen,  Blut- 
egelsetzen und  zur  Aderlassen  umfasste,  be- 
herrscht sie  heute  ein  weit  ausgedehntes 
Terrain,  mit  dem  der  Arzt  völlig  yertraut 
sein  muss.  Eine  Vorstellung  hiervon  giebt 
das  vorliegende  Werk,  das  alles  auf  diesem 
Gebiete  Feststehende  in  objectiyer  Darstel- 
lung vor  Augen  führt.  Nicht  weniger  als 
525  ausgezeichnete  Holzschnitte  dienen  zur 
Erläuterung  des  Textes,  der  alles  Wissens- 
werthe  über  die  einfachen  Verbände«  und 
ihre  Anwendung,  über  Zugverbände,  Druck- 
verbände,  Bruchbänder,  über  die  antisep- 
tische Behandlung  der  Wunden,  Blutstillung, 
Vereinigung  der  Wunden  durch  die  Naht, 
Einspritzungen,  Katheterismus,  Hautreize, 
über  künstliche  Zerstörung  von  Geweben, 
Trennung  der  Gewebe  durch  scharfe  und 
stumpfe  Instrumente,  über  Massage,  künst- 
liche Athmung,  Anaesthetica  und  vieles  An- 
dere bringt.  —  Ein  Bedürfniss  zur  Ab- 
fassung eines  derartigen  Buches  lag  auf  jeden 
Fall  vor,  und  yrir  können  nicht  umhin,  das- 
selbe jedem  Arzte  als  einen  recht  nützlichen 
und  zuverlässigen  Rathgeber  warm  zu  em- 
pfehlen. Rahotc. 


in.  Jahrgang.! 
Mal  1889.     J. 


Pnetiteh«  Notisen  und  •mpfohlaatwarth«  AnnalfoniMlB. 


247 


Praettselie  Hotlsen 

and 
empfehlenswerthe  Arsnetfonnelii. 


Haben  die  in  Vaselin  oder  Oel  gelösten  Antisep- 
tica  wirklich  keine  therapeutische  Bedeu- 
tung? Von  Professor  Dr.  Rosenbach  in 
Breslau. 

Das  auf  S.  144  d.  Z.  enthaltene  Referat 
über  die  von  mir  vorgeschlagene  Behand- 
lung des  Erysipels  (Einreibung  der  angren- 
zenden gesunden  Partien  in  beträchtlicher 
Ausdehnung  mit  Carbolvaselin)  giebt  dem 
Herrn  Herausgeber  Anlass  zu  einer  Bemer- 
kung, die  ebensowohl  deshalb,  weil  sie  die 
von  uns  erhaltenen  günstigen  Resultate  in 
Frage  stellt,  als  auch  wegen  der  principiellen 
Wichtigkeit  des  dort  erhobenen  Einwandes 
zu  einer  nochmaligen  Erörterung  des  Gegen- 
standes willkommene  Veranlassung  bietet. 
Der  Satz,  den  Herr  Liebreich  auf  der  Basis 
der  Untersuchungen  Gottsteins  aufstellt: 
Carbolvaselin  verhält  sich  wie  Carbolöl,  eine 
Wirkung  der  Carbolsäure  kann  dabei  nicht 
zu  Stande  kommen,  kann  in  dieser  allge- 
meinen Fassung  nicht  richtig  sein,  da  ja 
bereits  in  unserer  Mittheilung  berichtet  wird, 
dass  der  Urin  der  Patienten  in  einigen  Fäl- 
len alle  Eigenschaften  des  Carbolharns  bot. 
Hier  ist  also  die  Carbolsäure  doch  recht 
deutlich  zur  Wirkung  gekommen,  und  eben- 
so haben  weitere  Untersuchungen,  die  von 
uns  seit  längerer  Zeit  angestellt  werden, 
und  deren  Resultate  demnächst  an  dieser 
Stelle  zur  Veröffentlichung  gelangen  sollen, 
den  Beweis  erbracht,  dass  auch  bei  Anwendung 
von  Salicjlpräparaten  in  Salbenform,  deren 
Nachweis  im  Urin  ja  ein  sehr  bequemer  ist, 
grosse  Mengen  des  Antisepticums  zur  Re- 
sorption gelangen.  Der  Satz  von  der  Un- 
wirksamkeit der  Salben,  um  dies  Wort  der 
Kürze  wegen  zu  gebrauchen,  darf  also  nicht 
80  lauten,  wie  ihn  Herr  Liebreich  formulirt; 
er  konnte  nur  lauten:  Eine  desinficirende 
oder  sterilisirende  Wirkung  der  Antiseptica, 
die  in  fettigem  Medium  zur  Verwendung 
kommen,  ist  ausgeschlossen.  Diese  Seite  der 
Frage  kommt  ja  aber  bei  unserm  therapeu- 
tischen Vorschlage  gar  nicht  in  Betracht; 
hier  handelt  es  sich  nicht  um  die  absolute 
Sterilisirung  bezüglich  der  Mikroorganismen, 
die  von  aussen  eindringen  konnten,  son- 
dern nur  um  eine  Schutzmaassregel  für  die 
noch  nicht  befallenen  Theile.  Diesen  ist 
zwar  dann,  wenn  der  Feind  bereits  das 
Bollwerk  der  Epidermis  durchbrochen  hat, 
eine  wesentliche  Schutzvorrichtung  entzo- 
gen, doch  besitzt  der  Organismus  in  der 
Energie  der  Gewebsthätigkeit  immerhin  noch 


ein  Vertheidigungsmittel,   welches   dem  wei- 
teren Vordringen  der  Mikroorganismen  Ein- 
halt gebieten  kann,  *  wie   die  Spontanheilun- 
gen des  Erysipels    beweisen.     Diese  Mittel 
der    Abwehr,    welche    in    einem  Verschluss 
der  Verbreitungswege   für   die  Bacterien,    in 
einer     Aufnahme     und    Vernichtung     durch 
amöboide  und  fixe  Zellen  oder  in  einer  der 
Entwickelüng    der  Keime    ungünstigen  Um- 
änderung des  Nährbodens  bestehen,   können 
nun  zum  Theil  durch  therapeutische  Maass- 
nahmen  verstärkt  werden,  namentlich  kann, 
wie  dies  auf  der  Hand  liegt,  die  Beschaffen- 
heit   des    Nährbodens  '  durch    Einverleibung 
antiseptischer  Agentien  wesentlich  beeinflusst 
werden.     Man    darf    deshalb    die   Resultate 
der    Culturversuche    auf   künstlichen    Nähr- 
böden   nicht    verallgemeinem  und  dieselben 
zu  Rückschlüssen    auf  die  Verhältnisse  des 
lebenden    Organismus    verwerthen,    da    das 
lebende    Gewebe    selbständige,    im   Kampfe 
ums     Dasein     ausgebildete     und     erprobte 
Kampfmittel    ins  Treffen  zu  führen  vermag, 
indem   es    entweder  chemische  Processe  ein- 
leitet und  durchfuhrt,    die   den  Eindringlin- 
gen   die  Existenzbedingungen  rauben,    oder 
indem    es   mit  Unterstützung   gewisser  anti- 
bacterieller  Mittel,   deren   Concentration  na- 
türlich   nicht  selbst  als  Noxe   wirken  darf, 
eine    Sterilisirung    des    Nährbodens    herbei- 
führt.    Der  Organismus  vermag  ja  sogar  aus 
Substanzen,  die,  dem  künstlichen  Nährboden 
beigemischt    oder    der    entwickelten    Gultur 
zugefügt,    wegen   zu   geringer  Concentration 
oder  weil  sie  in  Form  eines  Salzes  zur  Ver- 
wendung kommen,  wirkungslos  bleiben,  ener- 
gische   Schutzmittel     zu     bilden.       Wissen 
wir     doch     jetzt,     dass     das     so     trefflich 
wirkende    Jodoform    seinen     antiseptischen, 
entwickelungshemmenden     Einfluss     ausübt, 
obwohl    sich    Mikroorganismen    in    ihm    be- 
finden   und   aus  ihm  entnommen   auf  künst- 
lichen Nährböden  sich  fortentwickeln  können, 
wissen  wir  doch  sogar,   dass   nach  Injection 
der    Milzbrandvaccine    Injection    von    Milz- 
brandbacterien  fruchtlos   bleibt,    obwohl  die 
Mikroorganismen   im   Körper    des    immunen 
Thieres    fortvegetiren    und    lange  Zeit    ihre 
Virulenz  behalten,   wie  Impfungen    beweisen 
(Bitter).      Somit   kommen    wii    auch    vom 
Standpunkte  der  Theorie  aus  zu  dem  Resul- 
tate,   welches   wir   bereits  durch   den  Nach- 
weis  von  Carbol-    und    Salicylderivaten    im 
Harn   nach  Anwendung   der  Medicamente  in 
Salbenform    und    durch    die   sehr    günstigen 
Ergebnisse    dieser    Behandlungsmethode   er- 
härtet zu  haben  glauben,  nämlich   dass  An- 
tiseptica,   in    fettigen   Medien  applicirt,    zur 
vollen     Wirkung     im    Organismus   gelangen. 
Unserer  Ansicht  nach  kommt  es,    um    eine 


248 


Praetiieh«  MoHsmi  und  •mpfbhtoiiiwarth«  Anneifonii«la. 


rlierapeatlachfl 
Monatshefte. 


ausgiebige  Wirkung  eines  Antisepticums  im 
Korper  zu  erzielen,  allein  darauf  an,  die 
Concentration  so  zu  wäftlen,  dass  die  auf- 
nehmenden Gewebe  eine  erhöhte  Immunität 
erlangen,  ohne  durch  das  in  keinem  Falle 
indifferente  Schutzmittel  ebenfalls  geschädigt 
zu  werden;  deshalb  sind  für  gewisse  Zwecke 
möglichst  geringe  Goncentrationen  des  Mit- 
tels, die  die  Energie  der  Gewebe»  nicht  zu 
schädigen  Termögen,  obwohl  sie  den  Nähr- 
boden beeinflussen,  indicirt,  deshalb  haben 
wir  für  unsere  Zwecke  der  schwächer  wir- 
kenden Form  der  Salbe  den  Vorzug  vor  an- 
dern Formen  der  Application  gegeben  und 
halten  sie  für  zweckmässiger  als  wässrige 
Lösungen,  die  die  Haut  aufquellen  lassen, 
ohne  ihr  fest  anzuhaften  und  sie  so  toU- 
kommen  mit  dem  Antisepticum  zu  impräg- 
niren  wie  Fette,  unter  welchen  Bedingun- 
gen auch  bei  wässrigen  Lösungen  eine  ge- 
nügende Resorption  erzielt  werden  kann, 
und  wie  die  Wirkung  der  Salben  gesteigert 
werden  kann,  werden  wir  demnächst  aus- 
einanderzusetzen versuchen. 

Electuarium  e  Senna  inspissatum. 

Der  Gebrauch  der  Senna  Latwerge  wird 
durch  die  Eigenschaft,  dass  dieselbe  leicht 
in  Gährung  übergeht,  besonders  in  kleinen 
Quantitäten  oft  misslich. 

Es  empfiehlt  sich,  um  diesen  üebelstand 
zu  beseitigen,  das  Electuar.  e  Senna  bis  zu 
^ji  eindicken  zu  lassen  und  dann  in  Oblate 
zu  verordnen.  Liebreich. 

Anwendung  des  Perubalsams  als  Antituberculosum 

giebt  Prof.  Binz  Veranlassung  unter  Hin- 
weis auf  die  vielfachen  Verfälschungen,  welchen 
diese  Drogue  ausgesetzt  ist,  als  Ersatz  des 
Balsams  ein  in  der  Zusanmiensetzung  con- 
stantes  Gemisch  der  wirksamen  Bestand- 
theile  des  Perubalsams  zu  empfehlen.  Die 
Drogue  besteht  der  Hauptmenge  nach  (ge- 
gen 60  °/o),  aus  Cinnamein,  d.  i.  Zimmtsäure- 
Benzylaether  mit  Benzoesäure  -  Benzyl- 
aether,  enthält  ferner  gegen  10*^/o  freie 
Zimmtsäure  und  geringe  Mengen  freier  Ben- 
zoesäure. Der  Rest  besteht  aus  Harz  und 
geringen  Antheilen  nicht  näher  bestimmter 
aromatischer  Verbindungen. 

Die  vier  zuerst  genannten  Substanzen, 
welche  sich  leicht  aus  anderweitigem  Material 
darstellen  lassen,  wären  nach  dem  Vorschlage 
von  Binz  in  dem  Verhältni&s,  in  welchem 
dieselben  im  Balsam  vorkommen,  zu  mischen 
und  mit  einem  indifferenten  Lösungsmittel, 
etwa  Paraffinum  liquidum  oder  einer  anderen 
Substanz  auf  100  zu  verdünnen. 


Pflr  die  Behandlung  des  Carbunkels 

empfiehlt  Whitehead  (Brit.  Med.  Joum. 
89,  2.  März)  die  Injection  einer  concentrirten 
ätherischen  Jodoformlösung  in  die  Basis  der 
Geschwulst.  In  drei  Fällen,  in  denen  der- 
selbe die  Operation  ausführte,  stellte  sich 
unmittelbar  nach  der  Injection  ein  brennen- 
der Schmerz  ein,  welcher  bald  aufhörte  und 
einem  dauernden  Nachlass  der  Krankheits- 
erscheinungen Platz  machte.  Am  zweiten 
Tage  hatten  Induration  und  Röthung  nach- 
gelassen und  die  Geschwulst  war  trocken 
und  geschrumpft.  Innerhalb  einer  Woche 
waren  alle  Spuren  bis  auf  einen  oberfläch- 
lichen dunklen  Schorf  geschwunden,  welcher 
sich  gelegentlich  abstiess,  ohne  ein  sicht- 
bares Zeichen  zu  hinterlassen,  wo  der  Car- 
bunkel  gewesen  war. 

Leinenzwim  als  Unterbindungs-  und  Nahtmaterial 

wird  von  Dr.  Hey  der  in  Bonn  (Centralbl. 
für  Chirurg.  No.   51/88)  vorgeschlagen. 

Von  Trendelenburg  ist  neuerdings,  aus 
rein  wirthschaftlichen  Gründen,  wieder  auf 
den  Zwirn  als  Nahtmaterial  zurückgegriffen 
worden,  wobei  sich  herausstellte,  dass  der 
einzelne,  im  Durchschnitt  40  cm  lange  Faden 
gegen  einen  gleich  langen  Seidenfaden  im 
Preise  wie  0,05 :  3  Pf.  zu  stehen  kommt, 
während  das  Verhalten  des  in  Sublimat  des- 
inficirten  Zwirnfadens  (12  St.  in  1  °/oo  Sub- 
limatlösung) von  dem  Seidenfaden  sich  in 
keiner  Weise  unterscheidet,  wie  es  sich  be- 
sonders bei  einer  Darmnaht  gezeigt  hat. 

Carbolpastillen. 

Die  Anwendung  der  Carbolsäure  ist  des- 
halb oft  lästig,  weil  die  Dosirung  der  con- 
centrirten Säure  oder  des  Acid.  carbolicum 
liquefactum  umständlich  und  unbequem  ist. 
Besonders  für  den  Arzt,  welcher  schnell  eine 
Garbollösung  braucht,  wäre  eine  schnelle 
Herstellung  einer  genau  dosirten  Lösung 
erwünscht.  Von  dem  Apotheker  Rade- 
mann in  Bockenheim-Frankfurt  a.  M.  werden 
etwa  2  Gramm  wasserfreie  Carbolsäure  ent- 
haltende Pastillen  mit  Borsäure  und  zwar 
in  der  Weise  hergestellt,  dass  an  Stelle  des 
in  der  Carbolsäure  enthaltenen  Wassers 
Borsäure  eingerührt  wird.  —  Die  Pastil- 
len lösen  sich  ausserordentlich  leicht  und 
so  kann  man  in  einem  Glasrohr  die  Car- 
bolsäure in  trockner  Form  bei  sich  führen 
und  eine  dosirte  Lösung  sofort  bereiten. 
Die  Grösse  der  Pastillen  und  der  scharfe 
Geschmack  lassen  eine  Verwechslung  mit 
Pastillen  zum  innem  Gebrauch  ausschliessen. 

LieiretcA. 


VerUf  Ton  Jullui  Springer  in  Berlin  N.  —  Druok  von  QuataT  Sohade  (Otto  Franoke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1889.    Juni. 


Originalabhandlnngeii. 


Zur  Prophylaxe  der  Tabercalose« 

Von 

Prof.  F.  Mosler  in  Greifswald. 

(Vorgetragen    in    der  Frühjahrssitzung  der  Aerzte 
des  Regierungsbezirks  Stralsund  am  12.  Mai  1889.) 

■ 

Die  Prophylaxe  der  Tuberculose  erfor- 
dert vielseitige  Maassregeln.  Vor  An- 
steckung durch  Tuberculose  sind  letztere 
nicht  nur  selbst,  sondern  vorzugsweise  Ge- 
sunde, Angehörige,  Pfleger,  ja  ganz  Fem- 
stehende zu  schützen.  Bisher  hat  Niemand 
deutlich  gewusst,  welche  Gefahren  durch  in- 
timen Umgang  mit  Tuberculosen,  durch  Be- 
wohnen derselben  Räume,  Benutzung  der 
gleichen  Gebrauchsgegenstände,  Essgeschirre, 
Kleider,    Betten    veranlasst   werden  können. 

Nur  bei  sorgfältiger  Beobachtung 
gewisserprophyl  aktisch  er  Maassrege  In 
sind  Heilanstalten,  Badeorte,  Gast- 
'  hofe,  Schulen,  überhaupt  öffentliche 
Locale  ohne  Gefahr  der  Ansteckung 
durch  Tuberculose  zu  besuchen. 

Wer  von  Ihnen  wollte  leugnen,  dass  die 
Weiter  Verbreitung  des  Typhus  abdomi- 
nalis erheblich  beschränkt  worden  ist,  seit- 
dem der  Aufbewahrung  und  Desinfection  der 
Typhusstühle  überall  die  grösste  Aufmerk- 
samikeit  geschenkt  wird? 

Da  wir  gegen  die  Tuberculose,  welche 
von  allen  Krankheiten  das  Menschengeschlecht 
am  meisten  dahinrafft,  leider  noch  kein 
sicheres  Heilmittel  kennen,  ist  es  um  so 
mehr  unsere  Pflicht,  ihre  Weiterverbreituog 
zu  verhüten.  Robert  Koches  grossartige 
Entdeckung  des  Tuberkelbacillus  müssen  wir 
in  dieser  Richtung  verwerthen.  Durch  Georg 
Cornet^s  Untersuchungen  erhalten  wir  die 
Bestätigung,  dass  als  hauptsächlicher  Träger 
der  Infection  der  Auswurf  Tuberculöser  an- 
zusehen ist.  Hauptsächlich  wird  der  ge- 
trocknete Auswurf  den  Gesunden  verderb- 
lich, sobald  derselbe,  fein  verstäubt,  der 
Atbmungsluft  beigemischt,  dem  menschlichen 
Körper  zugeführt  wird.  Um  die  auf  solche 
Weise  vermittelte  Uebertragung   von  Tuber- 


kelbacillen  thunlichst  zu  verhüten,  sind 
Tuberculose  anzuhalten,  niemals  in  ein 
Taschentuch,  auf  den  Fussboden  oder  an  die 
Wände,  sondern  lediglich  in  ein  für  diesen 
Zweck  bestiiQmtes  Gefäss,  Spucknapf  oder 
Spuckglas  auszuspucken. 

Handspuckgläser  sind  unentbehrlich. 

Dr.  Dettw eiler  hat  ein  solches  con- 
struiren  lassen,  das  aus  blauem  dickem  Glase 
besteht,  oben  einen  federnden,  neusilbemen 
Deckel,  unten  einen  abschraubbaren  Reini- 
gungsverschluss  hat.  Es  hat  die  Grösse 
einer  Faust,  ist  flach,  '  lässt  sich  in  der 
Tasche  tragen^).  Es  verdient  darum  besondere 
Berücksichtigung,  weil  Aussicht  vorhanden 
ist,  dass  mit  Einfuhrung  solcher  Taschen- 
fläschchen  die  Benutzung  der  Taschentücher 
zur  Aufnahme  des  Auswurfes  Hustender 
mehr  und  mehr  verbannt  werden  wird. 
Gegen  Benutzung  der  Taschentücher  zu  ge- 
nanntem Zwecke  bin  ich  noch  mehr  einge- 
nommen, seitdem  ich  (Deutsche  Med.  Wochen- 
schrift 1889,  No.  13  und  14)  erfahren  habe, 
dass  Weiterverbreitung  von  Lungen- 
entzündung durch  Gebrauch  der  glei- 
chen Schnupftücher  von  Seiten  mehre- 
rer Mitglieder  einer  und  derselben 
Familie  erfolgt  ist.  Seitdem  habe  ich 
mich  noch  eingehender  mit  der  Frage  be- 
schäftigt, wie  ich  es  möglich  machen  kann, 
den  Auswurf  hustender  Kranker  in  meiner 
Klinik  unschädlich  zu  machen.  Dieselbe 
Aufmerksamkeit,  die  für  Aufbewahrung  und 
Entfernung  von  Typhusstühlen  längst  von 
uns  beobachtet  wird,  widmen  wir  fortan 
nach  Cornet's  Anregung  der  Aufbewahrung 
und  Entfernung  der  Sputa.  Auf  den  Fuss- 
boden, besonders  in  abgelegene  Ecken  des- 
selben, in  Taschentücher  dürfen  sie  nicht 
mehr  entleert  werden.  Auf  den  Corridoren, 
im  Auditorium,  im  poliklinischen  Warte- 
zimmer, in  Krankenzimmern  sind  emaillirte 
Spucknäpfe  aufgestellt  nach  dem  Muster  der 
in  Falkenstein  gebrauchten.  Kranke,  die  im 
Bett  liegen,  benutzen  Spuckgläser,  die  ich  mit 
federnden  Deckeln  versehen  habe,  von  denei^ 


>)  S.  diese  Hefte  No.  ö.  S.  216, 

82 


250 


M Osler,   Zur  Prophylaxe  der  Tuberculose. 


rrherapentiflehe 
1_  Monatshefte, 


ich  Ihnen  ein  Exemplar  Torlege.  Sämmtliche 
Spuckgeschirre  sind  beim  Gebranch  in  ihrem 
unteren  Dritttheile  mit  gewohnlichem  Wasser 
gefüllt.  Indem  die  Sputa  darin  schwimmen, 
wird  das  Ausgiessen,  das  in  24  Stunden  1 
bis  2 mal  geschieht,  wesentlich  erleichtert. 
Täglich  werden  die  Gefässe  mit  heissem 
Wasser  gereinigt,  der  Auswurf  mit  dem 
Wasch wasser  in  unsere  mit  Spülung  verse- 
hene Abtritte  befordert.  In  der  Privat- 
praxis behandle  ich  keinen  Kranken  mit 
Husten,  dem  ich  nach  dieser  Richtung  nicht 
besondere  Vorschriften  gebe.  Ich  mochte, 
dass  dieser  Vorgang  recht  viele  Nachahmung 
finde;  vor  Allem  wäre  es  wünschenswerth, 
dass  von  den  Herren  Collegen,  welchen  die 
Leitung  eines  Krankenhauses  obliegt,  ähn- 
liche Einrichtungen  getroffen  werden. 

Gerade  weil  wir  einer  Zeit  angehören, 
welche  in  Folge  so  glänzender  wissenschaft- 
licher Fortschritte  auf  therapeutischem  und 
hygienischem  Gebiete  Grosses  zu  leisten  be- 
rufen ist,  müssen  wir  Fragen  von  allgemein- 
ster Bedeutung,  die  Entstehung,  Verhü- 
tung und  Unterdrückung  von  Volks- 
krankheiten, wie  Tuberculose,  Cholera, 
Typhus,  Pocken,  immer  und  immer  wieder 
zum  Gegenstande  unserer  Betrachtungen  in 
Vereinen  machen.  —  Gewiss  ist  das  End- 
ziel alles  medicinischen  Studiums  in  letzter 
Instanz  das  Heilen  der  Krankheiten,  die 
Medicin  ist  Heilkunde  und  Heilkunst. 
Wird  aber  dieses  Ziel  allein  nur  erreicht 
durch  rastloses  Mühen,  jede  frisch  ange- 
priesene Heilformel,  jedes  neue  Mittel 
zu  versuchen?  Ist  nicht  von  den  besten 
Aerzten  aller  Zeiten  die  prophylaktische 
Medicin  für  ein  Ziel  erklärt  worden,  dem 
alle  Aerzte  nachzustreben  haben? 

Prophylaktische  Medicin,  prac  tische 
Gesundheitspflege,  wie  sie  in  unseren 
Tagen  von  v.  Pettenkofer  und  Rob. 
Koch  in  so  hervorragender  Weise  gelehrt 
wird,  ist  nicht  allein  Sache  der  beamteten 
Aerzte  in  grossen  Städten,  jeder  Practiker 
im  kleinen  Orte,  auf  dem  flachen  Lande  hat 
hier  ein  Feld  der  Thätigkeit  vor  sich,  sehr 
schwierig  anzubauen,  aber  auch  von  seltener 
Ergiebigkeit,  das  den  Arzt  in  stete  Berüh- 
rung mit  den  grossen  Strömen  des  öffent- 
lichen Lebens  bringt,  der  sauren  täglichen 
Arbeit  einen  gewissen  idealen  Glanz  ver- 
leiht. 


(AoB  der  Irrenanitalt  zu  Andernach  in  der  Rhefnprorlnz, 

DIrector  Dr.  Nötel.) 

Therapeutische  Mittheiliuigren. 

(Ernähr an g  der  Irren, 
Berahigungs-  und  Schlafmittel  bei  Geisteskranken.) 

Vott 
Dr.  Umpfenbach,  Assistenzarzt. 

Für  den  practischen  Arzt  ist  es  auch 
von  Interesse,  die  Mittel  und  Wege  zu 
kennen,  welche  der  Irrenarzt  seinen  Kranken 
gegenüber  benutzt.  Wenn  schon  daran  fest- 
zuhalten ist,  dass  die  grössere  Mehrzahl 
der  Geisteskranken  nur  in  einer  Anstalt 
zweckmässig  behandelt  und  geheilt  werden 
können,  so  sieht  sich  der  practische  Arzt 
doch  noch  oft  in  die  Lage  versetzt,  Geistes- 
kranken gegenüber  therapeutisch  einschreiten 
zu  müssen;  er  allein  beobachtet  meistens 
den  Beginn  der  Krankheit  und  behandelt 
die  Kranken  bis  zur  Ueberführung  in  eine 
zweckentsprechende  Anstalt. 

Der  im  Jahre  1888  erschienene  Bericht 
über  das  erste  Decennium  unserer  Anstalt 
bespricht  in  seinem  therapeutischen  Theile 
zunächst  die  zwangsweise  Ernährung  absti- 
nirender  Geisteskranker. 

Bei  der  Behandlung  der  Irren  spielt  die 
einfache  aber  kräftige  Ernährung  eine  Haupt- 
rolle.    Darauf  ist  also  besonders  zu   achten. 
Kommt  man  bei  den  Nahrungs verweigernden 
nicht    anders    zum  Ziele,    so    soll   man  mit 
der    sog.  Zwangsfütterung  nicht  allzu  lange 
warten.     Dass    manche  Menschen    es    lange 
Zeit    ohne    alle  Nahrung  aushalten  können, 
ist    bekannt;    diesen  Beobachtungen    gegen- 
über aber  stehen  Fälle,  wo  Hungernde  sehr 
rasch  zu  Grunde  gingen,    unter  Anderm  ein 
Fall    von    Oebecke,    wo    das  Fasten    acut 
einsetzte  und  der  Tod  schon  nach  8*/j  Tagen 
eintrat.     Und    in    vielen  Fällen   befällt   die 
Psychose    die  schon  längere  Zeit  blutarmen 
und  erschöpften  Gehirne.     Hat  ein  Kranker 
mehrere  Tage  nichts  zu  sich  genommen,    so 
soll    man    ihm    künstlich    etwas  beibringen. 
Bei  kräftigen,  gut  genährten  und  vollblütigen 
Individuen    kann    man    einige    Tage    länger 
zusehen. 

Von  den  verschiedenen  Arten  der  Zwangs- 
fütterung geben  wir  der  alten,  schon  von 
Fabricius  ab  Aquapendente  benutzten 
Methode  den  Vorzug.  Die  von  Ritti 
empfohlene  Anwendung  der  Elektricität 
scheint  keine  Anhänger  mehr  zu  haben. 
Man  wollte  damit  die  angeblich  verminderte 
Sensibilität  erregen  und  erwartete  noch  von 
dem  künstlich  erzeugten  Schmerze  eine  6e- 
müthsumstimmung(MartialPellevoi8in,De 
TAlim).     Filippi  machte  noch  auf  das  da- 


HL  Jalirgang.1 
Jnnl  1881).    J 


Umpfanbaehy  Tbanpautitche  Mittheilungen. 


251 


durch  erzielte  mechanisebe  Oeffnen  des 
Mundes  aufmerksam  und  scheint  gehofft  zu 
haben,  dadurch  den  Itranken  gegen  seinen 
Willen  auch  zum  Kauen  und  Schlingen  der 
Speisen  zu  bewegen.  Die  früher  geübte 
Aetherisation  der  Kranken  ist  auf  die  Dauer 
schädlich.  Die  Patienten  wurden  bis  zum 
Halbschlaf  betäubt  und  sollten  in  diesem 
Zustande  willig  die  Mahlzeiten  geniessen 
(Pellevoisin). 

Die  subcutanen  Injectionen  flüssiger  Nähr- 
stoffe sind .  mühsam  und  unsicher  in  Bezug 
auf  Menge  und  Schnelligkeit  der  Resorption. 
Die  Ernährung  mittelst  Sonde  durch  den 
Mund  ist  in  den  meisten  Fällen  schwierig 
und  sieht  roh  aus.  Das  zwangsweise  Oeffnen 
der  fest  geschlossenen  Zähne,  womöglich  mit 
einer  Mundschraube,  das  gewaltsame  Offen- 
halten des  geöffneten  Mundes,  das  Einführen 
der  harten  Sonde,  Alles  erfordert  unter  Um- 
ständen sehr  grosse  Anstrengung  und  mehr 
Zwang,  als  es  unsere  sonstige  humane  Be- 
handlung erlaubt. 

Dieser  Procedur  ist  entschieden  die  Er- 
nährung per  anum  vorzuziehen.  Dieselbe 
peinigt  den  Ejranken  wenigstens  nicht.  Doch 
hat  sie  den  üebelstand,  dass  widerstrebende 
Kranke  es  sehr  bald  verstehen,  die  injicirte 
Flüssigkeit  schnell  wieder  hinauszupressen. 
Die  meisten  Vorzüge  hat  die  Ernährung  durch 
die  Nase  (Fabricius  ab  Aquapendente). 
Sie  ist  bequem.  Die  Einführung  eines  elasti- 
schen Katheters  bis  zu  No.  12  (Nelaton, 
engl.  Fabrikat)  macht  keine  Schwierigkeit. 
Sehr  selten  geräth  man  beim  Einfuhren  der 
Sonde  in  den  Kehlkopf,  was  durch  das 
deutlich  erschwerte  und  laute  Athmen, 
Hustenreiz  und  das  heisere  Sprechen  sofort 
auffällt.  Die  meisten  Kranken  befördern 
den  Katheter,  sobald  er  die  Nase  passirt 
hat,  durch  unwillkürliche  Schluckbewegungen 
sehr  rasch  in  den  Magen.  Das  Eegurgitiren 
und  Zurückwerfen  der  Flüssigkeit  in  den 
Trichter,  was  das  Füttern  durch  die  Schlund- 
sonde so  unangenehm  macht,  wird  vermieden. 
Erbrechen  kommt  sehr  selten  vor.  Unter 
Umständen  genügt  die  Hilfe  eines  Wärters, 
welcher  dem  betreffenden  Kranken  die  Hände 
hält,  nur  in  seltenen  Fällen  sind  zwei  Leute 
nöthig. 

Wir  benutzen  als  Futtersuppe  seit  Jahren 
ein  Gemisch  von  ^j^  bis.  7>  Liter  Milch  mit 
2  rohen  Eiern  und  ca.  100  Gramm  Zucker, 
dem  schliesslich,  wenn  der  Kranke  Analep- 
tica  braucht,  ein  Glas  irgend  eines  alkoho- 
lischen Getränkes  daraufgesetzt  wird.  Diese 
Masse  wird  dreimal  täglich  gegeben.  Um 
zu  controliren,  ob  diese  Nahrung  genügt, 
wird  der  Kranke  öfters  gewogen.  Bisher 
genügte  das  eben  Genannte  in  allen  Fällen, 


Dauerte  die  Zwangsfütterung  wochen-  und 
monatelang,  so  wird  zwischendurch,  sobald 
der  Ernährungszustand  des  Kranken  es  er- 
laubt, immer  einige  Tage  mit  der  Fütterung 
pausirt,  um  den  Kranken  durch  ev.  Hunger- 
gefühl zum  Selbstessen  zu  bewegen;  doch 
meistens  ohne  Erfolg.  Ueberhaupt  wird 
ihnen  bei  jeder  Mahlzeit  etwas  hingesetzt, 
resp.  stehen  gelassen.  Die  Kranken  essen 
schliesslich  plötzlich  von  selbst  wieder,  so- 
bald die  Ursache  ihrer  Nahrungsenthaltung 
fortgefallen  ist. 

Einen  üblen  Einfluss  der  Zwangsfütterung 
haben  wir  bisher  nicht  bemerkt,  Schluck- 
pneumonien  kamen  nicht  vor.  Die  Kranken 
gewöhnen  sich  sehr  rasch  daran  und  lassen 
sich  bald  ohne  alles  Widerstreben  füttern. 

Unter  den  abstinirenden  Kranken  sind 
alle  Arten  von  Geisteskrankheit  vertreten. 
Dem  Alter  und  Geschlecht  nach  vertheilen 
sich  41   Gefütterte  wie  folgt: 


Gefuttert 

Männliche 

Weibliche 

Snroma 

Unter  20  Jahren 

1 

__ 

1 

20—30  Jahre 

3 

5 

8 

30—40      - 

8 

7 

15 

40—50 

2 

7 

9 

50    60      . 

2 

4 

6 

60-70      - 

1 

1 

70-80      - 

— 

1 

1 

Was  die  Dauer  anbetrifft,  so  wurde  die 
Fütterung  fortgesetzt: 


Unter 
4  Wocb. 

1-2 
Monate 

8-4 
Monate 

6-8    1 
Monate  1 

8-12    1 
Monate  1 

Ueber  1 
1  Jahr  1 

Paranoia 
Melancholie 
Manie 

Blödsinn  etc. 
Paralyse 
Epilept.  Irresein 
Circul.  Irresein 

2 

8 

1 

3 

1 
1 

3 
5 
1 
2 
1 

2 
2 

1 

1 

2 

3 

1 

1 

Von  den  Melancholischen  wurde  der  eine 
1  Jahr  und  8  Monate  gefuttert.  Schliess- 
lich ass  er  allein  und  konnte  gebessert  ent- 
lassen werden. 

Zur  Demonstrirung  der  Körpergewichts- 
verhältnisse vor  und  nach  der  Zwangs- 
fütterung mögen  einige  Zahlen  hier  Platz 
finden ;  die  erste  Colonne  giebt  das  Körper- 
gewicht bei  der  Aufnahme  in  die  Anstalt, 
resp.  während  der  Nahrungsenthaltung;  die 
folgenden  geben  die  einzelnen  Monate  während 
der  Zwangsfütterung;  in  den  mit  Sternchen 
bezeichneten  Monaten  wurde  zuletzt  ge- 
füttert.    (S.  Tabelle  S.  252.) 

Gehen  wir  nun  zu  der  wichtigen  Gruppe 
der  Beruhigungs-  und  Schlafmittel 
über,  so  können  wir  die  sog.  allgemeinen 
feuchten  Einpackungen  an  die  Spitze  setzen. 
Sie    wurden    schon    von  Jacobi    in    seinen 

32* 


ümpfoDbach,  ThMspeutliche  HlltheIluD(eD. 


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In,:  K..  M.JimoIi. 

ir.°w.,    : 

Mnrg.  Kl.,    Mel. 
Sluppr     .    .    . 

A..n.  e..  PuriHi. 

JnllÄiia  Ä.,  Pa- 
r.l3-«      .    .    , 

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60.0, 6C.S 

-  - 

*SJ)  1*4.0 

SH.i 

letsten  Lebens  jähren  viel  benutzt,  haupt- 
sächlich   bei    den    aufgeregten    Formen    der 

Melancholie;  Lahr  empfahl  sie  dann  später 
für  die  maniacftÜBchen  Zustände,  Eöch- 
lißg  für  die  mit  Stupor  behafteten  Me- 
lancholiechen. Nach  weiteren  Empfehlungen 
durch  Mendel  und  STetUn  sind  dieselben 
dann  im  letzten  Decennium  immer  mehr 
zur  Anwendung  gekommen  und  von  allen 
Seiten  als  brauchbar  anerkannt  worden. 

Der  Nutzen  der  Einwickeluag  ist  im 
Allgemeinen  ein  doppelter.  Einmal  wirkt 
sie  allgemein  beruhigend  und  schlafbringend. 
Sie  arbeitet  durch  Erweiterung  aller  Haut- 
gefässe  ganz  energisch  hin  auf  die  Regelung 
der  Blutcirculatiou,  sie  hebt  etwaige  Stauun- 
gen und  befördert  die  Resorption.  Sie 
„schafft  eine  ableitende  Strombafan,  wodurch 
die  für  die  Innenorgane,  speciell  fQr  das 
Gehirn  verfügbare  Blutwalle  gemässigt  wird" 
(Schule).  Sie  setzt  Puls  und  Eigenwärme 
herab  und  wirkt  reflectorisch  durch  die 
gl  eich  massige  Erregung  aller  Hautnerveit. 
All  dies  wirkt  beruhigend.  Ee  ist  aulTal- 
leud ,  wie  rasch  auch  die  bis  dahin  im 
höchsten  Grade  erregten  Kranken  mitunter 
schon  kurze  Zeit  nach  der  Einwickelung  in 
festen  Schlaf  versinken.  .  —  Abgesehen  von 
dieser  beruhigenden  Wirkung  nützen  die 
Einwickelungen  fast  immer  bei  gewissen 
drohenden  körperlichen  Erscheiauogen. 
Kranke,  welche  sich  nicht  bewegen,  womög- 
lich stundenlang  auf  einem  Flecken  stehen 
oder  sitzen,  leiden  meist  an  Blutstauung 
in  der  äusseren  Bedeckung.  Die  Kranken 
fühlen  sich  eiskalt  an,  sehen  blau  aus,  die 
Extremitäten  schwellen  in  einer  Weise  an, 
dasB  man  glaubt,  sie  müssten  platzen.  Die 
Einwickelung  versetzt  die  Krauken  sehr 
bald  in  ordentlichen  Schweiss,  sie  fühlen 
sich  wieder  warm  an,  durch  Regelung  der 
Circulation  verschwinden  die  ödematösen 
Anschwellungen. 

Die  Technik  der  allg.  feuchten 
Einwickelung  ist  folgende:  Auf  1  —  2 
wollene  Bettdecken,  die  ausgebreitet  sind, 
kommt    ein     init     gewöhnlich     temperirtcm 


rTberapmtlKha 


Wasser  durchtränktes  und  dann  ausgedrück- 
tes Bettlaken.  Auf  dieses  Lager  wird  der 
unbekleidete  Kranke  gelegt,  die  Arme  und 
Hände  in  der  Axillarlinie,  resp.  an  den 
Oberschenkeln.  Die  Decken  werden  dann 
bis  an  den  Hals  um  ihn  geschlagen,  resp. 
gewickelt,  ähnlich  wie  beim  Wickelkinde; 
die  Arme  bleiben  am  Körper,  müssen  vor 
Allem  von  den  Genitalien  femgehalten 
werden,  um  für  Onanie  keine  Gelegenheit 
zu  bieten,  um  die  Decken  mit  ihrem  le- 
benden Inhalt  wird  dann,  senkrecht  zu  ihrer 
Längsaze,  eine  grosse  Binde  gewickelt,  am 
Besten  von  gestreiftem  Drillzeug,  35 — 30  cm 
breit  und  ca.  15  m  lang.  -Es  ist  darauf  zu 
achten,  dass  die  Bindentouren  in  der  Magen-, 
und  bei  schwangeren  Frauen  ebenso  in  der 
Unterbauch  gegen  d  nicht  zu  fest  angezogen 
werden.  Das  ganze  Packet  wird  dann,  der 
Länge  nach,  auf  ein  Matratzenbett  gebracht, 
mit  noch  einigen  trockenen  wollenen  Decken 
oben  und  namentlich  an  den  Selten  ausge- 
polstert und  dann  mit  der  letzten  Umhül- 
lung wiederum  in  ganzer  Ausdehnung  mittelst 
ein  oder  zwei  grossen  Binden  an  das  Bett 
befestigt.  Die  letzten  Bindentouren  um- 
Bchliessen  dann  mit  Ausnahme  des  Kopf- 
polsters  das  ganze  Bett  von  oben  bis  unten, 
soweit  der  betr.  Kranke  reicht.  Der  Kopf 
bleibt  drauseen  und  wird  im  Falle  stärkerer 
Congestionen  mit  einem  feuchten  Handtuch 
oder  dergl.  bedeckt.  Ist  die  ganze  Procedur 
ordentlich  gemacht,  so  muss  der  "Kranke 
bequem  liegen ;  auch  ein  stark  erregter  und 
kräftiger  Mensch  kann  sich  nur  sehr  schwer 
aus  den  Decken  herausarbeiten ;  er  sieht 
und  fohlt  dies  bald  und  bleibt  ruhig  liegen. 

Die  Kranken  bleiben  bei  uns  gewöhnlich 
zwei  Stunden  in  der  sog.  Wickel,  werden 
dann  vom  Bett  losgebunden.  Die  letzte 
Binde  wird  im  Badezimmer  entfernt,  und  er- 
halten dann  die  Kranken,  je  nachdem  es 
sich  um  eine  kräftige,  ordentlich  genährte 
Person,  oder  eiu  schwaches,  decrepides, 
blutarmes  Individuum  handelt,  eine  kühle 
oder  lauwarme  Uebergiessuug.  Dann  werden 
sie  ordentlich  trocken  abgerieben  und  rasch 
und  warm  angezogen,  ev.  Abends  sogleich 
ins  Bett  gebracht.  Es  sei  noch  bemerkt, 
dass  die  Kranken  sich  sehr  rasch  an  das 
Wickeln  gewöhnen  und  sich  meistens  bald 
ohne  alles  Widerstreben  wickeln  lassen.  In 
der  Wickel  lassen  sich  auch  Viele,  die  sonst 
nichts  genommen,  die  nöthige  flüssige  Nah- 
rung beibringen;  deshalb  darf  auch  die  Ma- 
gengegend nicht  fest  gewickelt  werden. 

Die  feuchten  Einwickelungen  passen  für 
jedes  Alter,  das  höhere  Greisenalter  viel- 
leicht ausgenommen.  Bei  Frauen  wird  wäh- 
rend der  Katamenien   die  Wickelung  ausgc- 


DmpfeDbaeb,  TheMp«nt)«cb*  UinheiliuiKeii. 


253 


setzt;  ebenso  pausirteu  wir  bei  Leuten,  die 
an  Magendannkatrarrh'  erkrankten.  Eine 
Steigerung  der  MenstrualblutuDg  trat  nicht 
ein.  Gravidität  ist  kein  Grund  gegen  die 
Einwickelung.  Fieberhafte  Krankheiten  im 
Allgemeinen  sind  keine  Contraindication. 
Bei  Herzkranken  und  Paralytikern  aber  ist 
wegen  ihrer  grossen  Neigung  zu  Eopfcon- 
gestioneo  und  bei  ihren  häufigen  Arterien- 
Erkrankungen  eine  grosse  Yoraicht  noth- 
ivendig. 

Der  Zweck  der  Einwickelungen  wurde 
bei  uns  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle 
erreicht.  Von  70  derartigen  Einwickelungen 
fallen  auf  die  einzelnen  Hauptgruppeu  der 
Psychosen : 


M.,.. 

'^l.oii": 

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Gei>lck«]l 

M. 

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H.  1  r. 

M. 

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M.     F. 

70 

Hit  Erfolp 
VoriibBrgeli.  Erf. 
Ohne  Erfolp 

7 
'i 

10 

1    :-< 

- 

4 

1 

H      3 
li      2 

89 
10 

Nach    dem  'Leheasalter    vertheileo    sich 
die  betr.  Patienten: 


Alter 

Uänner 

Frauen 

Sa. 

Unter  20  Jahren 

., 

2 

f, 

30-30  Jahre 

13 

29 

41 

30-«t      - 

4 

10 

14 

40-50      - 

1 

4 

5 

50-GO      - 

1 

8 

4 

Ueber  60  Jahre 

^ 

1 

1 

Wie  aus  der  ersten  Tabelle  ersichtlich, 
war  der  Erfolg  ein  sehr  guter.  Die  Ein- 
wickelung kann  beliebig  lange  fortgesetzt 
werden ;  wir  tbaten  es  in  mehreren  Fällen 
bis  zu  einem  halben  Jahre.  Eine  Gewöh- 
nung daran,  d.  h.,  dass  die  Einwickelung, 
wo  sie  anfangs  geholfen,  bei  Öfterer  Wieder- 
holung später  ohne  Erfolg  geblieben,  wurde 
kaum  beobachtet. 

Einen  schädlichen  Einflusa  auf  das  All- 
gemeinbefinden der  Kranken,  etwa  collaps- 
artige  Erscheinungen,  erlebten  wir  nicht. 
In  drei  Fällen  trat  ein  allgemeiner  ekzema- 
töser Ausschlag  geringen  Grades  ein,  der 
nach  dem  Aussetzen  der  Hydrotherapie 
rasch  wieder  verschwand;  in  dem  einen  Fall 
wurde  die  Wickelung  später  von  Neuem 
wieder  begonnen,  ohne  dass  von  Neuem 
Ausschlag  auftrat.  Auch  YerdauungsstS- 
mngen  traten  kaum  auf.  Freilich  muss  bei 
der  ganzen  Procedur,  namentlich  im  Winter, 
die  nöthige  Torsicht  gebraucht  werden.  Er- 
wähnt mag  noch  sein,  dass  unter  den  70 
Fällen  zwei  Schwangere  'waren,  welche  diese 
Alt  von  Hydrotherapie  ohne  üblen  Einfluss 
ertrugen. 

Bei  der  Abnahme    der    allgemeinen  Un- 


ruhe und  bei  der  Wiederkehr  des  Schlafes 
bat  sich  iu  vielen  Fällen  das  Allgemeinbe- 
finden entschieden  gehoben;  in  einigen  Fällen 
besserte  sich  der  bis  dahin  sehr  schlechte 
Appetit.  Das  Körpergewicht  nahm  in  der 
Regel  nicht  ab,  hob  sich  im  Gegentheil  in 
mehreren  Fällen  sichtlich,  wie  die  folgenden 
Beispiele  beweisen  i 


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_ 

_ 

_ 

_ 

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C            Man!.. 

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4;i 

41 

l(i,5 

48 

- 

- 

In  den  mit  *  bezeichneten  Monaten 
wurde  das  Wickeln  ausgesetzt.  Der  Fall  5, 
eine  schwangere  Frau,  litt  aa  Manie,  die 
in  Remissionen  verlief  und  deshalb  dreimal 
in  Pausen  von  I — 2  Monaten  längere  Zeit 
gewickelt  wurde. 

Was  nun  die  gebräuchlichsten  Schlaf- 
mittel anbetrifft,  so  haben  wir  über  Chlo- 
ralbydrat,  Opium,  Morphium,  Par- 
aldehyd  undBro'mkali  nichts  Neues  bei- 
zubringen. Letzteres  hat  auch  hier  bei  den 
Epileptikern  schon  in  kleiner  Dosis  von 
2 — 3  g  in  den  meisten  Fällen,  in  grossen 
Dosen  von  & — 8  g  pro  die  fast  ohne  Aus- 
nahme die  Zahl  der  Anfälle  sehr  herabge- 
setzt. Ein  gänzliches  Ausbleiben  der  An- 
fälle haben  wir  iu  keinem  Falle  beobachtet. 
Das  Bromkali  wurde  fast  immer  gut  ver- 
tragen, auch  in  grossen  Dosen.  Dass  man 
trotzdem  die  nöthige  Vorsicht  nicht  ausser 
Acht  lassen  darf,  zeigt  folgender  Fall,  den 
vrir  kürzlich  hier  erlebten: 

Die  Ackerersfran  Mar^.  P.,  34  Jahre  alt,  litt 
seit  ihrem  lÖ.  LebeaBJahrQ  ohne  nachweisbare 
Ursache  an  Epilepsie.  Zuerst  sehr  seltene  AoffiJIe. 
Später,  nach  dem  Eintreten  der  ersten  Menstruation, 
traten  in  der  Regel  monatlich  1 — 2  Anftillo  zur 
Zeit  der  Periode  ein.  Während  der  Ehe  kamen 
die  AnfJLlle  dann  meist  wÖcbentlich  und  waren 
gefolgt  von  einem  mit  der  Zeit  immer  länger  ao- 
danemden  Stadium  der  Verwirrtheit,  welches 
Ecblicaalich  die  Änstaltspflego  nöthig  machte.  Kleine 
Dosen  Bromkali  halfen  nicht;  dem  Drfingcn  der 
Patientin  wurde  nachgegeben  und  erhielt  sie 
während  Uürz,  April  und  den  ersten  beiden 
Dritteln  des  Mai  6  g  pro  die,  dann  8  g.  Die 
Dosis  wurde  anscheinend  ganz  gut  vertragen,  nur 


254 


Umpfenbaehy  Therapeutische  Mittheilungen. 


rlierapflutk^e 
MonatMhf'fta. 


zeigte  sich  vorübergehend  ein  rother,  kleiner  pustu- 
lösor  Ausschlag  in  den  von  jeher  stark  schweiss- 
secernirenden  Handtellern,  die  arg  juckten.  Am 
letzten  Maitage  kam  noch  ein  Anfall,  und  erhielt 
Frau  P.  seit  dem  1.  Juni  10  g  täglich.  Die 
Juni-Menstruation  verlief  ohne  Anfall.  Doch  blieb 
Patientin  auch  ohne  solchen  erregt,  verwirrt  und 
aggressiv;  sie  hallucinirte  und  fürchtete,  getödtet 
zu  werden.  Schlaf  war  sehr  wenig  vorhanden, 
der  Appetit  etwas  unregelmässig,  wie  auch  früher 
öfter  vor  dem  Einnehmen.  Am  25,  Juni  fiel  eine 
grosse  Hinfälligkeit  auf,  Patientin  erschien  wie 
betrunken,  sie  schwankte,  fiel  überall  hin,  musste 
schliesslich  das  Bett  hüten.  Die  emporgehobenen 
Arme  und  Hände  sanken  schlafiT,  wie  gelähmt,  auf 
die  Kissen  zurück.  Die  Pupillen  waren  eng,  völlig 
ohne  Heaction;  Nase  und  Extremitäten  kühl,  die 
Temperatur  etwas  gesteigert.  Patientin  nahm  gar- 
nichts  mehr  zu  sich;  die  in  den  Mund  gelöffelte 
Flüssigkeit  wurde  nicht  weiter  befördert,  löste 
keine  Schluckbewegungen  aus.  Der  Urin  wurde 
spontan  nicht  entleert,  die  Sensibilität  war  herab- 
gesetzt, der  Patellarreflez  beiderseits  kaum  nach- 
weisbar. Hautausschlag  und  Foetor  ex  ore  fehlten. 
Die  Brustorgano  ohne  besonderen  Befund.  Puls 
langsam,  aber  kräftig.  Patientin  reagirte  auf  Be- 
fragen nicht,  war  heiser,  sie  schwatzte,  aber  nur 
verwirrt.  Dieser  Zustand  hielt  an  bis  Anfang 
Juli.  Erst  am  3.  Juli  wurden  die  Arme  wieder 
gehoben,  am  6.  Juli  sass  Patientin  wieder  aufrecht 
im  Bett  und  wurde  an  diesem  Tage  jder  Urin 
zuerst  wieder  spontan  entleert.  Einige  Tage  darauf 
begann  Frau  P.  das  Bett  zu  verlassen  und  erst 
unsicher,  dann  immer  sicherer  umherzulaufen.  Das 
Bromkali  war  sofort  am  25.  Juni  ausgesetzt  worden. 
Die  Anfangs  Juli  eintretenden  Menses  verliefen 
profus,  aber  ohne  epileptischen  Anfall.  Die  Tempe- 
ratursteigerung war  wahrscheinlich  Folge  einer 
Contusion  des  rechten  Ellenbogen  mit  folgender 
Infiltration.  Die  Anfangs  sehr  engen  Pupillen 
waren  Ende  Juni  plötzlich  sehr  weit  und  starr, 
später  bestand  eine  grosse  Ungleichheit:  erst  nach 
14  Tagen  waren  die  Pupillen  wieder  gleich  weit 
und  von  normaler  Ecaction. 

Wir  haben  es  in  diesem  Fall  offenbar 
mit  einer  Bromkali  -  Vergiftung  zu  thun. 
Während  monatelang  sechs,  später  acht  Gramm 
ohne  üble  Erscheinungen  genommen  waren, 
genügten  zehn  Gramm,  um  das  obige  Krank- 
heitsbild hervorzurufen.  Dies  kann  eine 
Warnung  sein  für  Arzte  und  namentlich  für 
gewisse  Anstalten,  die  Hilfesuchenden,  welche 
sie  öfters  garnich't  gesehen  haben,  grossere 
MeDgen  Bromkali  in  die  Hände  geben,  ohne 
eine  Controle  ausüben  zu  können.  Die 
Kranken  vrerden  in  dem  dringenden  Wunsche, 
von  Anfällen  verschont  zu  bleiben,  immer 
eher  zu  viel  als  zu  wenig  hinunterschlucken. 

Wenn  es  sich  um  einfache  Schlaflosig- 
keit handelt,  ist  das  Bromkali  entschieden 
von  grossem  Werthe.  Sind  die  Kranken 
aber  einigermassen  physisch  oder  psychisch 
erregt,  einerlei,  ob  maniacalisch,  melancho- 
lisch oder  sonst  wie,  —  so  ist  die  Wirkung 


eine  sehr  unsichere.  Eine  vielleicht  speci- 
fischeWirkung  hat  das  Mittel  nur  bei  dem  men- 
struellen Irresein,  bei  den  Psychosen,  meistens 
Manien,  die  periodisch  auftreten  und  mehr 
oder  weniger  in  die  Zeit  der  Menses  fallen; 
in  der  Zwischenzeit  erscheinen  die  betr. 
Kranken  geistig  gesund.  Folgenden  Fall 
haben  wir  kürzlich  beobachtet: 

Die  20jährige  Louise  W.  aus  dem  Kreise 
Wetzlar  war  erblich  angeblich  nicht  belastet,  zeigte 
auch  körperlich  keinerlei  Spuren  der  Degeneration. 
Sie  war  gut  beanlagt  und  in  den  ersten  6 — 7  Jahren 
immer  regelmässig  and  ohne  auffallende  Begleit- 
erscheinungen menstruirt.  Im  Beginn  des  Jahres 
1887,  während  Patientin  nebenbei  an  Liebes- 
kummer litt,  erschrak  sie  zur  Zeit  der  Menses 
heftig  über  den  plötzlichen  Tod  einer  nahen  Ver- 
wandten. Seitdem  war  sie  immer  zur  Zeit  der 
Reinigung  erregt,  unruhig,  —  was  immer  mehr 
zunahm,  so  dass  Patientin  schliesslich  zur  genannten 
Zeit  schrie,  um  sich  schlug,  ordentlich  tobsüchtig 
aussah.  Einige  Male  schien  sie  auch  dabei  zu 
halluciniren.  Dieser  Zustand  dauerte  nur  so  lange, 
als  das  Blut  floss;  vorher  schien  sie  gesund  und 
erholte  sie  sich  auch  immer  sehr  rasch  nach  dem 
Aufhören  der  Blutung.  Im  Juni  1887*  wurde  sie 
der  hiesigen  Anstalt  zugeführt.  Körperlich  zeigte 
sie  mit  Ausnahme  von  Chlorose  leichten  Grades 
keine  Abnormität  Die  Periode  kehrte  hier  regel- 
mässig wieder,  dauerte  immer  3 — 4  Tage.  Die 
ersten  Male  war  Patientin  sehr  erregt;  sie  klagte 
schon  kurze  Zeit  vorher  über  Kopfschmerzen,  sah 
stark  congestionirt  aus  und  fühlte  sich  im  Allgemei- 
nen nicht  recht  wohl.  Nach  dem  Eintritt  der  Blutung, 
die  übrigens  ganz  schmerzlos  verlief,  wurde  sie 
dann  unruhig,  zankte  sich  mit  Allen,  lief  umher, 
zerriss  Sachen,  schlug  auch  andere  Kranke.  Ein 
oder  zweimal  schien  sie  zu  halluciniren;  sie  klagte 
und  reagirte  auf  Schimpfworte,  die  thatsächlich 
nicht  gefallen  waren.  In  der  Zeit  zwischen  den 
Perioden  war  Patientin  freundlich,  verträglich,  mit 
Allem  sehr  zufrieden,  heiter  und  zum  Scherzen 
aufgelegt.  Sie  arbeitete  dann  auch  sehr  fleissig. 
Mit  dem  Versiegen  der  Blutung  schien  sie  immer 
gesund.  —  Sie  erhielt  nun  einige  Tage  vor  dem 
erwarteten  Eintritt  der  vierten  in  der  Anstalt  be- 
obachteten Menstruation  und  während  derselben 
zweimal  3  g  Bromkali,  wonach  sie  schon  ruhiger 
war,  das  nächste  Mal  zweimal  4  g.  Sie  vertrug 
das  Mittel  sehr  gut.  Sie  nahm  es  jedesmal  un- 
gefähr eine  Woche.  Die  Erregungen  wurden  in 
den  folgenden  Monaten  immer  schwächer,  schliess- 
lich blieben  sie  ganz  aus.  Im  Frühjahr  1888 
wurde  daher  das  Mittel  ausgesetzt,  und  da  die 
folgenden  Katamenien  in  jeder  Beziehung  auch 
ohne  Bromkali  normal  verliefen,  konnte  die  W. 
im  Sommer  entlassen  werden.  Bisher  ist  sie 
gesund  geblieben. 

Die  Heilung  konnte  in  diesem  Falle  nur 
auf  das  Bromkali  geschoben  werden.  Die 
psychische  Diät,  soweit  das  Anstaltsleben 
sie  bietet,  halfen  bei  der  Fat.  nichts.  Erst 
nach  dem  Gebrauch  des  gen.  Mittels,  und 
zwar  nach  8  g  pro  die^  trat  eclatante  Besse- 
rung und  schliesslich  die  Heilung  ein.     Der 


m  JahrfUn^.l 
Juni  1889.   J 


ümpfenbach,  Therapeutische  Mittheilungen. 


255 


Fall  war  insofern  günstig,  dass  die  W.  nicht 
erblich  belastet  und  früher  ganz  gesund  ge- 
wesen war;  die  Behandlung  setzte  auch  noch 
in  einer  relativ  frühen  Phase  des  Leidens 
ein. 

Das  zuerst  1885  von  Schmiedeberg, 
Jelly  und  v.  Jak  seh  empfohlene  ürethan 
haben  wir  im  letzten  Jahre  nur  noch  in 
wenigen  Fällen  angewendet,  eigentlich  nur, 
um  unsem  Vorrath  zu  yerbrauchen.  Die 
Resultate  waren  nicht  besser  als  früher, 
unter  30  Fällen,  die  zusammen  ca.  1800  g 
consumirten,  hatte  es  nur  bei  5  dauernden 
und  bei  10  vorübergehenden  Erfolg,  bei  15 
half  es  gar  nichts.  Hatte  es  Wirkung,  so 
musste  rasch  mit  der  Dosis  gestiegen  wer- 
den. Am  Besten  half  es  noch  bei  den 
Paranoikem,  die  an  einfacher  Asomnie  litten, 
im  Uebrigen  sich  aber  ruhig  verhielten;  bei 
Melancholie  hat  es  selten,  bei  Manie  gar- 
nichts  genützt.  Eine  Hysterische  nahm  es 
ebenfalls  ohne  allen  Erfolg. 

Das  Mittel  wurde  übrigens  von  den 
Geisteskranken  ohne  jedes  Sträuben  ge- 
nommen, machte  auch  keine  lästigen  Neben- 
erscheinungen. In  einem  Falle,  bei  einem 
Paranoiker,  trat  nach  dem  Genuss  von  üre- 
than vorübergehend  Albuminurie  geringen 
Grades  auf.  Das  spec.  Gewicht  des  Urins 
sank  in  allen  Fällen,  bei  der  eben  erwähnten 
Hysterischen  stieg  es  um  ein  Geringes.  Die 
Harnvermehrung  war  bei  uns  nicht  so  gross 
wie  bei  Stick  er;  sie  betrug  in  der  Regel 
nur  100  g  in  24  Stunden.  Die  Hysterische 
machte  auch  hier  eine  Ausnahme;  sie  litt 
neben  vielen  anderen  Beschwerden  auch  an 
Polyurie  (ohne  Zucker)  und  schied  gewohn- 
lich 6500—7000  g  in  24  Stunden  aus. 
Nach  Urethan  brachte  sie  es  bis  auf  7  bis 
8000  g. 

Der  bisher  sehr  hohe  Preis  des  Sulfo- 
nal -Bayer  Hess  seine  Anwendung  in  un- 
serer Anstalt  nur  in  beschränktem  Maasse 
zu;  es  wurden  bis  Ende  des  Jahres  1888 
etwas  über  900  g  verbraucht,  die  sich  auf 
25  Patienten  vertheilen,  9  Männer  und 
16  Frauen.  Das  Mittel  wurde  als  Pulver, 
meist  von  2 — 5  g,  mit  etwas  Wasser  Abends 
gegeben.  Da  die  Kranken  ausgewählt  waren, 
nahmen  sie  es  anstandslos;  sie  klagten 
übrigens  auch  nicht  über  schlechten  Ge- 
schmack, Brechneigung  und  dergl.  Der 
Schlaf,  wenn  er  erfolgte,  trat  nach  2  —  3 
Stunden  ein  und  währte  dann  bis  zum 
Morgen.     Er  verlief  ohne  Besonderheiten. 

Der  Erfolg  des  Sulfonals  präsentirt  sich 
am  Besten  aus  nebenstehender  tabellarischer 
Uebersicht. 

Von  den  nur  in  geringem  Grade  mänia- 
calisch    Erregten    hatten  4    den    erwarteten 


** 
S 

Melan-  1 
cholio  1 

Wahn-  1 
sinn     1 

Para-   1 
nola    1 

Dement, 
paral. 

Hyster.  1 
HypoRb.fl 

Sa. 

Mit  Erfolg 
Vorübergeh.  Erf. 
Ohne  Erfolg 

4 
1 
2 

4 

1 

4 

8 
2 

1 

1 
1 

1 

16 
4 
5 

Schlaf;  es  waren  Leute,  die  auch  vorher  bei 
Nacht  sich  ruhig  verhielten,  aber  ohne  Ein- 
zunehmen nicht  zum  Einschlafen  kamen; 
auch  die  Paranoiker  waren  im  Allgemeinen 
ruhig.  Die  beiden  Hypochonder,  welche 
dauernd,  resp.  vorübergehend  Schlaf  er- 
hielten, wollten  übrigens  am  Morgen,  wie 
gewöhnlich,  nichts  davon  wissen,  dass  sie 
ordentlich  geschlafen  hatten;  sie  schienen 
sich  demnach  subjectiv  nicht  besser  zu  fühlen 
als  vorher. 

Das  Sulfonal  wurde  ohne  Beschwerden 
seitens  des  Magendarmcanals  vertragen. 
Dagegen  klagten  zwei  junge  Frauen,  die 
melancholisch  verstimmt  und  längere  Zeit 
schlaflos  waren,  nach  dem  Einnehmen  des 
Mittels  über  eine  lästige  Eingenommenheit 
des  Kopfes,  über  ein  Gefühl  von  leichtem 
Schwindel,  Trägheit  des  Gedankenablaufs. 
Dies  hielt  den  ganzen  Tag  über  an.  Aehn- 
liche  Symptome  beschreibt  Kisch  (Prag) 
in  einem  Falle. 

Andererseits  fiel  auch  bei  zwei  Paraly- 
tikern, einem  Mann  und  einer  Frau,  nach 
Sulfonal  eine  plötzliche  über  Nacht  eintre- 
tende Zunahme  der  Unsicherheit  in  den 
Beinen  und  der  allgemeinen  Benommenheit 
auf.  Beide  hatten  vorher  niemals  darüber 
geklagt,  hatten  auch  vorher  noch  keinen 
paralytischen  Anfall  gehabt,  waren  auch 
tagsüber  immer  ausser  Bett  gewesen.  Die 
Frau  war  so  taumelig,  dass  sie  2 — 3  Tage 
das  Bett  hüten  musste.  Nach  dem  Aus- 
setzen des  Sulfonals  erholten  sich  die  beiden 
Kranken  wieder  von  der  Unsicherheit  und 
Benommenheit.  Ob  diese  Symptome  zufällig 
auftraten  oder  Sulfonalwirkung  waren,  Hess 
sich  nicht  eruiren;  das  Sulfonal  wurde  in 
diesen  beiden  Fällen  ausgesetzt.  Stärkere 
Congestionen  nach  dem  Kopf  haben  wir 
übrigens  in  keinem  weiteren   Fall  bemerkt. 

Das  Mittel  wurde  auch  auf  die  Dauer 
gut  vertragen,  ohne  Appetit  oder  Verdauung 
zu  beeinflussen;  eine  Gewöhnung  daran  trat 
in  den  meisten  Fällen  nicht  ein.  Die  zum 
Theil  sehr  anämischen  Frauen  nahmen  auch 
während  der  Katamenien  das  Mittel  ohne 
üble  Folgen;  die  Ton  Löble  (Wiener  Presse 
1889  No.  3)  beobachtete  acute  Intoxications- 
erscheinungen  bei  derartigen  Frauen  traten 
hier  niemals  ein.  Auch  die  von  Kisch 
(Prag)  erwähnte  Beeinflussung  des  Pollu- 
tions- Gentrums     durch    Sulfonal    blieb    aus. 


256 


Umpfenbaehy  Therapoutitche  Mitthellungen. 


tTherapentisehe 
Monatshefte. 


—  Eine  Verengerung  der  Pupillen,  wie  sie 
Henocque  bei  Thieren  fand,  oder  eine 
Steigerung  der  Diurese,  die  Huchard  beim 
Menseben  sab,  baben  wir  nicbt  beobacbtet. 
Aucb  gelang  es  uns  nicht  wie  Engel  mann 
ein  Sulfonal-Erytbem,  oder  wie  Schotten 
(in  Gassei)  einen  masemähnlichen  Ausschlag 
zu  erzeugen.  Die  im  Bornemann'scben 
Fall  beschriebene  Ataxie  der  Arme  und 
Beine  sahen  wir  nicht,  griffen  aber  auch 
nicht  zu  seinen  hohen  Dosen;  doch  erinnert 
die  oben  erwähnte  Unsicherheit  in  den 
Beinen  der  beiden  Paralytiker  daran.  Wenn 
Kisch  nach  1  g  Sulfonal  eine  mehrstündige 
Aphasie  beobachtete,  so  war  dies  wohl  ein 
zufalliges  Zusammentreffen;  der  betr.  Patient 
hatte  schon  früher,  bevor  er  Sulfonal  ge- 
nommen, einen  apoplek tischen  Anfall  er- 
litten. —  Zum  Versuche  des  Sulfonals 
bei  Angina  pectoris  (Schmey)  oder  gegen 
Nachtsch weisse  (Martin)  fehlten  uns  zur 
Zeit  die  nöthigen  Objecte. 

Nach  unseren  Beobachtungen  ist  das 
Sulfonal,  zumal  auch  wegen  seiner  Yolligen 
Geschmacks-  und  Gerüchlosigkeit  namentlich 
für  die  Psychiater  ein  brauchbares  Hypno- 
ticum,  doch  ist  es  noch  immer  nicht  das 
Ideal-Schlafmittel.  Die  so  überaus  günstigen 
Resultate  von  Gramer,  Otto  und  Gon- 
st antin  Paul  (Paris)  haben  wir  nicht  er- 
zielt; wie  Huchard  (Paris)  können  wir  das 
Sulfonal,  was  Sicherheit  der  Wirkung  an- 
betrifft, den  übrigen  Schlafmitteln,  nament- 
lich dem  Ghloralhydrat  nicht  voranstellen. 

Im  letzten  halben  Jahre  wurde  das 
Hyoscin.  hydro chlor,  mehrfach  bei  uns  in 
Anwendung  gebracht,  hauptsächlich  in  Folge 
der  so  sehr  empfehlenden  Berichte  aus  der 
Merziger  Anstalt  (Irrenfreund  1887  No.  7). 
Unser  Präparat  stammt  von  Merck  in 
Darmstadt  und  soll  nach  der  Vorschrift  von 
Merck -Laden  bürg  hergestellt  sein.  Die 
Anwendung  geschah  meistens  per  os,  in 
seltenen  Fällen  subcutan.  Die  Dosis  schwankte 
zwischen  0,0005  und  0,003  g  innerlich,  bis 
zu  0,002  subcut.  1  —  2  mal  tägl .  Beim 
innerlichen  *  Gebrauche  wurde  das  Mittel, 
sobald  die  Ejranken  es  nicht  nehmen  wollten 
oder  merken  sollten,  in  Kaffee,  Bier 
oder  Wein  verabreicht.  Da  es  vollständig 
geschmacklos  ist,  wurde  die  heimliche  Ein- 
führung nur  in  seltenen  Fällen  durch  die 
Wirkung  entdeckt.  Die  Injectionen  wurden 
meistens  als  sehr  schmerzhaft  empfunden, 
doch  dauerte  der  Schmerz  nicht  lange. 
Abscesse  bildeten  sich  niemals;  bei  einer 
Kranken  entstand  in  der  Regel  eine  in 
einigen  Tagen  vorübergehende  Infiltration 
in  der  Umgebung   der  Injectionsstelle. 

Es  erhielten  bisher  55  Personen  Hyoscin, 


26  Männer  und  29  Frauen,  darunter  47 
Patienten  als  Schlaf-  resp.  Beruhigungs- 
mittel. 

Sechs  erhielten  Hyoscin  wegen  starken 
Ptyalismus,  davon  4  mit  dauerndem  Erfolge, 
so  lange  sie  das  Mittel  nahmen,  1  mit  nur 
vorübergehendem,  1  ohne  jeden  Erfolg.  In 
allen  Fällen  wurde  bis  zu  2  mm  gestiegen, 
da  das  Mittel  in  kleiner  Dosis  nur  vor- 
übergehend half,  d.  h.  die  Kranken  sich 
daran  gewohnten;  2  mm  waren  in  den  Fällen, 
wo  das  Mittel  half,   von  dauerndem  Erfolg. 

Bei  einer  Patientin  mit  choreatischer 
Bewegung  der  Arme  und  Beine  brachte 
0,0005  Hyosc.  subcutan  beigebracht,  ent- 
schiedene Besserung  für  die  nächsten  Stun- 
den; ebenso  bei  einem  alten  Epileptiker 
mit  starkem  Tremor  beider  Arme  und  Hände. 
In  beiden  Fällen  musste  der  Versuch  bald 
abgebrochen  werden,  da  jedesmal  nach  der 
Application  des  Mittels  für  den  ganzen  Tag 
Appetitlosigkeit  und  Brechneigung  bis  zum 
Erbrechen  auftraten.  Bei  dem  Epileptiker 
trat  jedesmal  ein  so  starker  Schwindel  ein, 
dass  der  Patient  kaum  gehen  konnte.  Die 
Injection  von  weniger  als  0,0005  Hyoscin, 
wie  Erb  anräth,  hatte  gar  keinen  Einfluss 
auf  die  Muskelunruhe. 

Von  den  47  Geisteskranken,  welche 
Hyoscin  erhielten,  können  wir  noch  einen 
aussch Hessen,  der  das  Mittel  nur  als  Schlaf- 
mittel nahm.  Derselbe  ist  ein  Hypochonder, 
der  alle  möglichen  Klagen  hat,  unter  anderem 
auch  lange  Zeit  bei  Nacht  nicht  schlief, 
aber  sonst  Ruhe  hielt.  Nach  Hyoscin  schlief 
er  die  ganze  Nacht,  wollte  freilich  am 
nächsten  Morgen  nichts  davon  wissen;  das 
wohlthuende  Gefühl  nach  einer  gut  durch- 
schlafenen Nacht  konnte  ihm  also  das  Hyoscin 
auch  nicht  verschaffen.  Auf  seine  hypochon- 
drischen Beschwerden  im  Allgemeinen  war 
übrigens  das  Mittel  ohne  jeden  Einfluss. 

Die  Resultate,  welche  wir  bei  den  46 
unruhigen  Geisteskranken  erzielten,  werden 
am  leichtesten  durch  folgende  tabellarische 
Zusammenstellung  ersichtlich. 


Epi-    II 
lepsie  || 

1^ 

§•3 

Para-   J 
noia    1 

Melan- 11 

Blöd-   ] 
sinn     IJ 

Dem.  II 
paral.  H 

Sa. 

Mit  Erfolg 
Vorübergehend.  Erf. 
Ohne  Erfolg 

4 

5 
2 
5 

2 

15 
2 
3 

2 

2 
1 

1 

2 

28 

9 
9 

Die  vorstehenden  Ejranken  erhielten  zu- 
sammen über  1000  Einzeldosen,  die  grössere 
Mehrzahl  per  os.  Mit  Kny  (Berl.  klin. 
Wochschr.  1888  No.  50)  gaben  wir  der  Applica- 
tion per  OS  den  Vorzug.  Die  Wirkung  ist 
zwar  eine  langsamere,  und  man  braucht 
meistens    die    doppelte   Menge    des  Mittels. 


in.  Jabrf ang.l 
Juni  1889.   J 


Umpfenbach,  Therapeutische •Mittheilungen. 


257 


Doch  treten  die  Folgen  weniger  stürmisch 
auf,  man  spart  auch  den  Kranken  die 
Schmerzen,  yermeidet  auch  bei  den  energisch 
Widerstrebenden  das  gewaltsame  Halten. 
Sobald  das  Hyoscin  Tom  Magen  aus  nicht 
half,  waren  auch  meistens  die  Injectionen 
ohne  Erfolg.  Bei  der .  subcutanen  Verab- 
reichung trat,  sobald  das  Mittel  überhaupt 
wirkte,  in  15  — 30  Minuten  ein  fester  Schlaf 
auf;  vom  Magen  aus  erst  nach  1  —  2  Stunden. 
Der  Hyoscin -Schlaf  war  fest,  doch  Hessen 
sich  die  Kranken  daraus  erwecken.  Nach 
dem  spontanen  Erwachen  waren  die  Kranken 
noch  einige  Zeit  ruhig.  Sie  lobten  den 
Schlaf,  wollten  von  etwaigen  Träumen  nichts 
wissen.    . 

Am  sichersten  ist  die  Hyoscin -Wirkung 
bei  den  transitorischen  Erregungszuständen 
der  Epileptiker;  sie  verfallen  sehr  rasch  in 
tiefen  Schlaf  und  erwachen  daraus  beruhigt. 
Bei  Manie,  resp.  Tobsucht  und  acutem  Wahn- 
sinn war  die  Wirkung  eine  unsichere,  ebenso 
bei  den  Paralytikern.  Recht  erfreulich  waren 
die  Erfolge  bei  den  Verrückten;  die  Nachts 
durch  ihre  Hallucinationen  früher  Gestörten 
schliefen  mit  wenigen  Ausnahmen  schon  nach 
1  mm,  und  die  bei  Tage  durch  ihr  queru- 
lirendes  und  raisonnirendes  Benehmen  lästi- 
gen und  unruhigen  Patienten  waren  nach 
dem  Genuss  ihres  morgendlichen  Hyoscin- 
Kaffees  tagsüber  ruhig  und  zufrieden.  Diese 
Ruhe  hielt  in  einigen  Fällen  2  Tage  an; 
nach  dem  Aussetzen  des  Mittels  kehrte  nach 
1  —  2  Tagen  die  frühere  Unruhe  zurück. 
Eine  Gewöhnung  an  das  Mittel  war  insofern 
zu  constatiren,  als  allmählich  auf  2 — 3  mm 
gestiegen  werden  musste;  dann  blieb  die 
Wirkung  aber  dauernd. 

Bald  nach  dem  Einnehmen  trat  bei  zwei 
alten  Männern,  wo  das  Mittel  überhaupt 
nichts  half,  eine  Steigerung  der  Unruhe  in- 
sofern ein,  dass  sie  wie  ruhelos  umherliefen, 
Alles  anfassten,  in  die  Hände  nahmen,  wieder 
fortsetzten  u.  s.  w.  Dies  dauerte  1 — 2 
Stunden.  Ich  möchte  diesen  Zustand,  der 
übrigens  nur  bei  zwei  Patienten  beobachtet 
wurde,  weniger  mit  einem  Alkoholrausch 
vergleichen,  wie  es  Kühlwetter  thut,  als 
mit  dem  Gebahren  von  kleinen  Kindern  oder 
Thieren,  die  sich  nicht  wohl  fühlen  und 
durch  planlose  Bewegungen  ihr  Uebelbefin- 
den  verrathen.  Bei  den  übrigen  Kranken 
trat  kein  besonderer  Initial-Erregungszustand 
auf.  Nur  sei  erwähnt,  dass  ein  maniacali- 
sches  Mädchen  mehrfach  sogleich  nach  der 
Injection  bis  zum  Einschlafen  geschwätziger, 
'ideenflüchtiger  wurde,  und  ganz  entgegen 
ihrer  sonstigen  Gewohnheit  mit  Vorliebe  ihre 
sexuellen  Jugendsünden  erzählte. 

Die  von  Kühlwetter  geschilderte  plötz- 


liche totale  Lähmung  der  Kranken  nach 
Hyoscin -Injection  haben  wir  nicht  bemerkt. 
Eine  Kranke  zeigte  nach  der  Injection  in 
den  rechten  Arm  eine  gewisse  Lähmung  der 
linken  Hand;  sie  wollte  beispielsweise  die 
Bettdecke  ergreifen,  konnte  es  aber  nicht, 
weil  die  Hand  ihr  umschlug.  Dieses  wurde 
bei  der  Kranken  nur  zweimal  bemerkt, 
später  nicht  mehr.  Eine  andere  sehr  auf- 
geregte  Kranke,    eine  Epileptische,    welche 

1  mm  subcutan  erhalten  hatte,  Hess  sich 
plötzlich  platt  auf  den  Boden  fallen,  that 
wie  gelähmt,  Hess  auch  die  emporgehobenen 
Arme  sofort  wieder  sinken,  ging  aber  sehr 
bald  auf  Zureden  ohne  Schwanken  noch 
über  mehrere  Treppen  auf  ihre  Abtheilung 
zurück. 

Ueber  einen  gewissen  Schwindel  klagten 
3 — 4  Kranke,  auch  wenn  ihnen  das  Hyoscin 
heimlich  beigebracht  war;  einer  behauptete, 
man  mache  ihn  betrunken.  Ein  Paralytiker 
klagte  über  die  Augen,  wollte  auch  nicht 
lesen  können,  weil  er  Nebel  vor  den  Augen 
hätte.  Eine  ausgesprochene  Accommodations- 
störung  wie  Dornblüth  haben  wir  nicht 
beobachtet;  die  Kranken  lasen,  schrieben 
und  nähten  wie  früher.  —  Ungefähr  die 
Hälfte  der  Kranken  klagten  über  Kratzen 
und  Trockenheit  im  Halse,  tranken  aber 
nicht  auffallend  mehr  als  sonst.  Zwei 
klagten  über  einen  widerlich -süssen  Ge- 
schmack, die  eine  auch  nach  subcutaner 
Application.  Bei  zwei  Kranken  trat  eine 
vermehrte  Hamsecretion  ein,  die  Hammenge 
war  gegen  früher  bis  zu  800  g  in  24  Stun- 
den vermehrt. 

Das  Hyoscin  wurde  auch  auf  die  Dauer 
meistens  gut  vertragen ,  auch  von  älteren 
Personen.  Unter  den  oben  zusammenge- 
stellten Fällen  waren  8  Patienten,  die  über 
60  Jahre  zählten,  2  sogar  über  70.  Die 
Ernährung  litt  nicht  darunter;  Kranke, 
welche  das  Hyoscin  andauernd  bis  zu  5  Mo- 
naten nahmen,  behielten  dasselbe  Körper- 
gewicht oder  wurden  sogar  schwerer.  Nur 
bei  einer  sehr  unruhigen  Kranken,  die  auf- 
fallend viel  speichelte,  war  das  Körper- 
gewicht nach  4  Monaten  um  5  Pfund  ge- 
sunken. Erbrechen  und  Appetitlosigkeit 
folgten  in  2  Fällen,  wie  schon  oben  erwähnt. 
Die  von  Haynes  und  Root  geschilderten 
üblen    Folgen    traten    nicht    auf.      Nur    in 

2  Fällen  waren  deutliche  Congestionen  nach 
dem  Kopf  vorhanden.  Bei  einem  Maniacus 
mit  übrigens  compensirtem  Herzfehler  trat 
nach  dem  Einnehmen  sehr  bald  heftiges 
Herzklopfen  mit  lästigem  Gefühl  in  der 
linken  Seite  auf.  Das  Mittel  musste  deshalb 
ausgesetzt  werden. 

Der  Einfluss  des  Hyoscin  auf  die  Weite 

83 


258         Vottiut,  Practitcher  Nutzen  der  operativen  Behandl.  der  Coojunctivttlt  foUicularit.       pMo^auh^ft^* 


der  Pupillen  war  sehr  schwankend.  Be- 
obachtungen in  Bezug  auf  die  Reinlichkeit 
wurden  nur  insofern  gemacht,  dass  zwei 
kranke  Frauen,  die  vorher  reinlich  waren, 
während  des  Hyoscin- Gebrauches  unreinlich 
wurden,  auch  im  wachen  Zustande.  Bei 
einem  Paranoiker  traten  die  Hallucinationen 
mehr  in  den  Vordergrund,  wenigstens  sprach 
derselbe  mehr  davon.  Ebenderselbe,  ein 
Mann  von  52  Jahren,  begann  während  des 
Hyoscin -Gebrauches,  was  früher  bei  ihm 
nicht  beobachtet  wurde,  excessiv  zu  ona- 
niren;  er  setzte  dies  auch  nach  dem  Aus- 
setzen des  Mittels  fort.  Ein  Junge  von 
16  Jahren,  der  schon  früher  onanirte,  that 
dies,  während  er  unter  Hyoscin  gehalten 
wurde,  ebenfalls  vielmehr  als  früher;  er 
behielt  dies  später  ebenfalls  bei. 

Betrachten  wir  unsere  hiesigen  Resultate, 
so  müssen  wir  uns  weniger  zuversichtlich 
als  Kobert,  Salgo,  Kühlwetter,  Kny, 
Kraus  und  Dornblüth  aussprechen,  wenn 
wir  auch  anerkennen  müssen,  dass  wir  in 
dem  Hyoscinum  hydrochloricum  ein  gutes, 
billiges  und  namentlich  für  die  Irrenanstalten 
sehr  bequemes  Hypnoticum  besitzen.  Wie 
Kobert  können  auch  wir  nicht,  entgegen 
Haynes,  Root  und  Erb,  das  Hyoscin  als 
besonders  gefährlich  bezeichnen.  Doch  scheint 
bei  bestehendem  Herzfehler  das  Mittel  aus- 
zuschliessen  zu  sein. 


Ueber  den  practischen  Nutzen  der  ope- 
rativen  Behandlung:   bei   der   Conjunc- 
tivitis follicularis  (granulosa). 

Von 

Dr.  med.  A.  Vostiut. 

A.  o.  Professor  der  Augenheilkunde  in  Königsberg  i.  Pr. 

Der  Artikel  des  Herrn  Treitel  in  No.  2 
und  3  dieses  Jahrgangs  der  Therapeutischen 
Monatshefte  veranlasst  mich  den  Lesern 
dieser  Zeitschrift  gegenüber  zu  folgenden 
MittheiluDgen. 

Ich  kann  zunächst  nicht  umhin  hervor- 
zuheben, dass  die  operative  Behandlung  der 
folliculären  (granulösen)  Bindehautentzündung 
in  Königsberg  zuerst  von  Herrn  Geheim- 
rath  Jacobson  in  der  Königl.  Universitäts- 
Augenklinik  und  Poliklinik  eingeführt,  stets 
geübt  und  immer  mit  dem  besten  Erfolg 
verwendet  ist.  Die  chronologische  Ueber- 
sicht  des  Herrn  Treitel  ist  nur  dazu  an- 
gethan  in  dieser  Hinsicht  zu  einer  irrthüm- 
lichen  Auffassung  zu  führen.    Ich  kenne  diese 


Therapie,  so  lange  ich  mit  der  Klinik 
in  Verbindung  stehe,  d.  h.  seit  dem  Jahre 
1882,  aus  eigener  Anschauung  und  weiss 
aus  mündlichen  Mittheilungen  des  Herrn 
Geheimrath  Jacobson,  dass  sie  auch  schon 
früher  hier  in  seiner  Klinik  gebräuchlich 
war.  Theils  wurden  tiefe  Scarificationen 
und  Incisionen  in  die  erkrankte,  hyperämische 
und  geschwollene  Bindehaut  gemacht,  .  die 
durch  die  Blutentziehung  günstig  wirkten, 
theils  Streifen  des  erkrankten  Gewebes 
excidirt.  Herr  Geheimrath  Jacobson  hat 
seine  diesbezüglichen  Ansichten  von  jeher 
in  seinen  klinischen  Vorlesungen,  wiederholt 
bei  Gelegenheit  der  ostpreussischen  Aerzte- 
tage  und  in  mehreren  Abhandlungen^)  öffent- 
lich bekannt  gegeben.  Heisrath  hat  noch 
als  Assistent  der  Klinik  und  darauf  in  seiner 
eigenen  Privatklinik  die  operative  Behand- 
lung der  ,,  granulösen ^^  Bindehautentzündung 
weiter  fortgesetzt  und  die  Exstirpation  auf 
einen  grössern  Abschnitt  der  Conjunctiva 
ausgedehnt.  In  der  Königl.  üniversitäts- 
Augenklinik  wird  die  Excision  der  Binde- 
haut und  des  Tarsus  seit  6  —  7  Jahren 
dauernd  und  ganz  methodisch  in  allen  Fällen 
ausgeführt,  in  welchen  die  entzündlich  affi- 
cirte  Bindehaut  von  reichlichen  geschwollenen 
Follikeln  durchsetzt  ist  oder  schon  in  dem 
Uebergaug  zum  Schrumpfungsstadium  sich 
befindet,  gleichviel  ob  die  Cornea  bereits 
erkrankt  oder  frei  von  Complicationen  (Pan- 
nus) ist.  Wir  haben  in  dieser  Weise  nicht 
nur  alle  aus  der  Stadt  und  Provinz  zur 
Aufnahme  gelangenden  sporadischen  Fälle 
behandelt,  sondern  auch  ganze  Epidemien 
bekämpft  und  sind  mit  dem  Erfolg  sehr 
zufrieden  gewesen.  Recidive  sind  nicht 
beobachtet,  die  vorhandenen  Hornhautcom- 
plicationen  sind  nicht  nur  gebessert,  sondern 
in  der  Regel  geheilt;  die  Patienten  sind 
früher  als  nach  jeder  anderen  Behandlungs- 
methode arbeitsfähig  geworden.  Private 
und  Gommunen  haben  einen  wesentlichen 
pecuniären  Nutzen  aus  dieser  Therapie 
gezogen.  Dem  Auge  erwächst  kein  Nach- 
theil, wenn  die  Operation  schonend  und 
nach  chirurgischen  Prinzipien  ausgeführt 
wird.  Lidschlag  und  Lidschluss,  Stellung 
und  Beweglichkeit  des  Bulbus  werden  nicht 
benachtheiligt;  die  Ernährung  der  Cornea 
und  ihre  Transparenz  läuft  keine  Gefahr, 
wenigstens  kann  dieselbe  vollständig  ver- 
mieden werden. 

Der    oberste    chirurgische  Grundsatz    ist 


*)  a)  Jacobson,  Beiträge  zur  Lehre  von  der 
Conjunctivitis  granulosa  in  Deutsche  Medicinalzei- 
tung  von  Grosser.  Jahrgang  1884.  No.  41  und  42. 
b)  Jacobson,  Beiträge  zur  Pathologie  des  Auges, 
Engelmann,  Leipzig  1888. 


tu.  Jahrgang.'l 
Juni  1889.    J 


V Ott! US,  Practitcher  Kutzen  der  operativen  fiehandl.  der  Coi^unctivitit  follicularis.         259 


der,  dass  man  nicht  mehr  entfernt,  als  drin- 
gend geboten  ist,    dass   man   gerade,   regel- 
mässige und  nicht  eckige  Schnitte  ausführt. 
Selbstverständlich  darf  von  der  Uebergangs- 
falte    nur  die  Schleimhaut    selbst  exstirpirt 
.  werden ;  die  tieferen  Theile  des  Lides  müssen 
unversehrt  bleiben.     Da  die  Conjunctiva  tarsi 
mit  dem  Knorpel  innig  verwachsen  ist,  muss 
bei  Affection    der   Lidbindehaut   der  Tarsus 
gleichzeitig  excidirt  werden;    das  subtarsale 
Gewebe    muss    man  schonen.     £s    ist  nicht 
nöthig,  dass  Tarsus  und  Conjunctiva  bis  an 
den  Lidrand  beseitigt  werden;  es  ist  vielmehr 
erforderlich,  dass  ein  Streifen  von  2 — 3  mm 
Breite  an  der  inneren  Lidkante  stehen  bleibt. 
Dieser  schmale  Streifen  gibt  dem  Lide  einen 
gewissen  Halt;  die  darin  etwa  noch  vorhan- 
denen   Follikel    verschwinden    im    weiteren 
Verlauf.     Wo   man   mehr  von  dem  Knorpel 
stehen   lassen  kann,  wird  man  dies  natürlich 
thun.     Die  Conjunctiva  bulbi    bleibt    meist 
von  der  Krankheit   verschont  und   darf  nur 
in    den    seltenen  Fällen   angegriffen  werden, 
wo  sie  erkrankt.   —   Stellungsveränderungen 
der  Lider  beobachtet  man  nach  der  Excision 
der  Uebergangsfalte   gar  nicht  und   bei   der 
Operation   der   Conj.    tarsi    und   des    Tarsus 
nur  dann,    wenn  man  den  Schnitt  ungleich- 
massig  macht,  wenn  man  den  oben  erwähnten 
Streifen   nicht   schont   und   wenn    die   Sutur 
nicht  richtig  angelegt  wird,  d.  h.  wenn  die 
Nadeln  in  dem  intermarginälen  Theil  ausge- 
stochen  werden,    statt  in   dem  Streifen  des 
Tarsus.    Die  Einkerbung  resp.  stärkere  Con- 
vexität  des  freien  Lidrandes,  welche  Tr eitel 
erwähnt,  entsteht  nur  dann,  wenn  der  Schnitt 
im  Tarsus  nicht  durchweg  parallel  zur  freien 
Lidkante,   d.  h.  in  gleichmassigem  Abstand 
von   derselben   gemacht  wird.     Dies   ist   ein 
Kunstfehler,    der  jedem  Operateur  klar  sein 
muss,    ehe   er   an    die   Operation   herangeht. 
Ptosis   habe   ich  nie  gesehen,   vielmehr  eine 
Erweiterung    der    Lidspalte    durch    Hebung 
des    vorher    wie    sonst  bei   granulöser  Con- 
junctivitis herabgesunkenen  oberen  Lides. 

Das  zweite,  wichtigste  Prinzip  ist  wie 
bei  allen  Wunden  die  Anbahnung  der  prima 
reunio;  denn  Wundgranulationen  stören  die 
Heilung  und  rufen  unangenehme  Reizerschei- 
nungen (Zunahme  eines  Pannus)  und  starke 
eitrige  Secretion  hervor.  Damit  prima  reunio 
eintritt,  muss  für  eine  gleichmässige  Appo- 
sition der  Wundränder  gesorgt  werden;  die- 
selbe erreichen  wir  nur,  wenn  wir  die  Wunde 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  nähen,  sowohl 
in  den  Ecken  als  in  der  Mitte.  Diesen 
chirurgischen  Grundsatz  dürfen  wir  nicht 
vernachlässigen.  Nach  der  Entfernung  der 
uebergangsfalte  bedingt  die  mittlere  Sutur 
überhaupt  keine  Gefahr  für  die  Hornhaut^ 


bei  der  Operation  des  Tarsus  und  der  Conj. 
tarsi  nur  dann,  wenn  man  die  Fäden  nicht 
ganz  dicht  am  Knoten  abschneidet.  Man 
kann  hier  sogar  noch  im  Knoten  selbst  inci- 
diren;  wenn  er  fest  geschürzt  wird,  hält 
auch  ein  angeschnittener  Knoten,  voraus- 
gesetzt, dass  man  für  vollständige  Immobili- 
sation  der  Lider  sorgt.  Lange  Fadenenden 
reiben  natürlich  auf  der  Hornhaut,  zumal 
wenn  die  Lider  und  das  Auge  nicht  so  un- 
beweglich wie  möglich  gemacht  werden,  und 
erzeugen  Defekte,  welche  leicht  inficirt  wer- 
den und  sich  in  grössere  Geschwüre  um- 
wandeln^ können.  Hart  am  Knoten  abge- 
schnittene Fäden  werden  von  der  geschwollenen 
Conjunctiva  vollständig  verhüllt  und  können 
auf  der  Hornhautoberfläche  keinen  Schaden 
anrichten,  wenn  man  nur  die  feinste  Con- 
junctiva! seide  verwendet;  Catgut  empfiehlt 
sich  zur  Sutur  deshalb  weniger,  weil  es 
dicker  ist,  sich  nicht  zu  einem  so  feinen 
Knoten  schürzen  lässt  und  in  dem  Secret 
zunächst  noch  quillt. 

Die  Immobilisation  der  Lider  und  des 
Auges  kann  nur  durch  einen  beidersei- 
tigen Druckverband  ermöglicht  werden. 
Um  Sekretstauungen  zu  verhüten,  kann  man 
den  Verband  beliebig  erneuern  und  dabei 
das  Auge  auswaschen,  ohne  an  den  Lidern 
viel  zu  zerren.  Zum  Auswaschen  nimmt 
man  4  ®/o  Borwasser  oder  0,02  ^Iq  Sublimat- 
lösung. Zur  Verringerung  der  Secretion 
empfiehlt  es  sich,  auf  das  operirte  Auge 
über  den  durchnässten  Verband  eine  Eis- 
blase zu  legen  und  auf  dem  nicht  operirten 
Auge  nach  Anfeuchtung  des  Verbandes  kalte 
Umschläge  machen  zu  lassen. 

Zur  Vermeidung  von  Lid-  und  Horn- 
hautläsionen während  der  Ausführung  setzt 
die  Operation  natürlich  beim  Operateur 
eine  ruhige,  sichere  Hand  voraus;  ausserdem 
hat  man  sich  davor  zu  hüten,  das  Auge 
durch  Wattebäusche  oder  Schwämme  abzu- 
wischen, einfache  Ueberrieselungen  der  Cornea 
während  der  Operation  mit  4  ®/o  Bor-  oder 
Sublimatwasser  genügen,  um  dieselbe  von 
Coagulis  zu  reinigen.  Von  der  Bindehaut 
kann  man  durch  Wischen  oder  mit  einer 
Pincette  die  Gerinsel  entfernen.  Diese  Vor- 
sichtsmassregeln muss  man  selbstredend 
immer  voraussetzen. 

Ferner  darf  sich  der  Kranke  während 
der  Operation  nicht  bewegen.  Die  einzige 
Sicherheit  hierfür  gewährt  uns  nur  die  Chloro- 
formnarkose, zumal  bei  Menschen  mit  ge- 
ringer Willenskraft.  Bei  willensstarken  Per- 
sonen kann  man  das  Cocain  ebenso  wie  das 
Chloroform  entbehren;  ich  habe  auch  einige 
Kranke,  selbst  Kinder,  ohne  jede  Anästhesie 
operirt.     Es  ist  indessen  viel  rathsamer  zu 

83* 


260        Voiiiui,  Practischer  Mutzen  der  operativen  Bebandl.  der  Conjunctivitis  foUieularia.        f^'^o^tah^^ 


chloroformiren ,  wenn  nicht  Bedenken  gegen 
die  Narkose  vorliegen.  Vor  dem  Cocain 
mochte  ich  warnen,  namentlich  vor  der  Appli- 
cation auf  die  Cornea  und  Conjunctiva.  Wir 
sehen  darnach,  ohne  jede  Lasion,  Hornhaut- 
afFectionen  eintreten;  wie  viel  leichter  ist 
ihr  Zustandekommen  aber  ermöglicht,  wenn 
die  Cornea  anästhetisch  und  dabei  gestreift 
wird. 

Sehen  wir  uns  auf  die  eben  entwickelten, 
allgemein  geltenden  Prinzipien  hin  die  Me- 
thode von  Treitel  an,  so  müssen  wir  ganz 
objectiv  und  vorurtheilsfrei  bekennen,  dass 
bei  derselben  in  mehrfacher  Beziehung  gegen 
allgemeine  chirurgische  Grundsätze  Verstössen 
wird.  Die  Sehn  eil  er 'sehe  Pincette  ist  un- 
nöthig,  zum  Abklemmen  des  Operations- 
terrains nach  TreiteTs  eigenem  Ausspruch 
nicht  zu  empfehlen,  da  man  unmöglich  damit 
die  Bindehaut  so  oberflächlich  fassen  kann, 
wie  es  erforderlich  ist;  trotzdem  empflehlt 
er  sie  für  die  untere  Uebergangsfalte.  — 
Die  unvollständige  Sutur  ist  jedenfalls  ein 
Hauptfehler;  sie  verhindert  die  prima  reunio. 
—  Weiterhin  habe  ich  den  einpeitigen  Ver- 
band zu  moniren;  er  immobilisirt  die  Lider 
und  das  Auge  nur  unvollkommen  und  ver- 
hindert die  Heilung  per  primam  durch  die 
permanenten  Zerrungen  an  der  Wunde.  Es 
ist  deshalb  gar  nicht  wunderbar,  dass 
Treitel  so  häufig  Wundgranulationen  ge- 
sehen hat.   — 

Die  Methode  ist  ausserdem  umständlicher 
als  das  Verfahren,  welches  mit  ganz  geringen 
und  unwesentlichen  Modificationen  von  jeher 
bis  auf  den  heutigen  Tag  in  unserer  Klinik 
üblich  und  von  mir  bereits  in  einem  Vortrag 
auf  dem  Heidelberger  Ophthalmologencongress 
im  Jahre  1885  mitgetheilt  ist.  Dasselbe  setzt 
keinen  anderen  Instrumentenschatz  voraus, 
als  ihn  jeder  Arzt  besitzt,  3  Hakenpincetten, 
1  gerade  oder  gebogene  Scheere,  1  Skalpell, 
1  Nadelhalter  und  ein  paar  gebogene  Nadeln 
mit  feinster  Conjunctivalseide,  eventuell  noch 
eine  Jag  er 'sehe  Hornhautplatte,  femer  nur 
einen  Gehilfen.  Da  ich  nicht  annehmen  kann, 
dass  dem  Leser  dieser  Zeitschrift  mein  Vortrag 
zugänglich  oder  mein  Grundriss  der  Augen- 
heilkunde zur  Hand  ist,  erlaube  ich  mir 
eine  kurze  Beschreibung  unseres  Verfahrens, 
zunächst  für  das  obere  Lid,  hier  anzufügen. 

In  tiefer  Narkose  wird  das  obere  Lid 
ektropionnirt ,  der  Assistent  fasst  dann  mit 
je  einer  Pincette  im  inneren  und  äusseren 
Augenwinkel  die  Conjunctiva  am  convexen 
Rand  des  Tarsus,  zieht  die  Uebergangsfalte 
hervor  und  breitet  sie  durch  Zug  vollständig 
aus,  so  dass  man  das  ganze  kranke  Terrain 
zu  Gesichte  bekommt.  Der  Operateur  er- 
hebt nunmehr  im  äusseren  Winkel  eine  kleine 


Schleimhautfalte  mit  einer  Haken  pincette, 
incidirt  dieselbe  und  umschneidet  von  hier 
aus  das  kranke  Gebiet  nach  dem  Bulbus  zu 
durch  einen  Schnitt  mit  der  Scheere,  deren 
eine  Branche  subconjunctival  vorgeschoben 
wird.  Der  Schnitt  muss  parallel  zum  «con- 
vexen Rande  des  Tarsus  geführt  werden. 
Dann  wird  ein  mit  einer  Nadel  bewaffneter 
Seidenfaden  durch  den  bul baren  Wundrand 
der  Bindehaut  gelegt  und  die  umschnittene 
Conjunctiva  der  Uebergangsfalte  von  den 
darauf  befindlichen  Weichtheilen  mit  ein  paar 
Seh  eeren  schlagen  bis  an  den  convexen  Rand 
des  Tarsus  abpräparirt.  Wenn  nur  die 
Uebergangsfalte  erkrankt  ist,  schneidet  man 
darauf  die  Schleimhaut  am  convexen  Rande 
des  Tarsus  mit  der  Scheere  ab,  stillt  die 
Blutung  nach  Reposition  des  Lides  mit  Eis- 
compressen und  näht  nach  Beseitigung  der 
Coagula  die  Wunde  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung mit  4  —  B  Suturen;  im  äusseren 
Winkel  muss  man  für  eine  vollständige  Be- 
deckung der  unteren  Thränendrüse  sorgen.  — 
Wenn  die  Erkrankung  noch  die  Conjunctiva 
tarsi  betrifft,  so  erfasst  der  Assistent  die 
abpräparirte  Conjunctiva  fornicis  mit  je  einer 
Pincette  im  äusseren  und  inneren  Augen- 
winkel und  zieht  dieselbe  nach  unten  und 
vorn;  der  Operateur  umschneidet  nun  vom 
äusseren  Augenwinkel  aus  mit  einem  Skal- 
pell oder  mit  einer  Scheere,  deren  eine 
Branche  subtarsal  vorgeschoben  wird,  Tarsus 
und  Conjunctiva  durch  einen  Schnitt,  welcher 
parallel  zur  freien  Lidkante  verläuft  und  von 
letzterer  je  nach  der  Ausdehnung  der  folli- 
culären  Erkrankung,  mindestens  2 — 3  mm 
entfernt  sein  muss.  Hierauf  wird  der  Tarsus 
von  den  ihn  bedeckenden  Weichtheilen  des 
Lides  dicht  an  seiner  Vorderfiäche  bis  zum 
convexen  Rande  mit  einem  Skalpell  abprä- 
parirt, die  Blutung  gestillt  und  nach  Reini- 
gung der  Wunde  die  Vereinigung  der  Wund- 
ränder durch  4 — 5  feine  Seidensuturen  vor- 
genommen, wobei  der  erste  Seidenfaden  eine 
bequeme  und  einfache  Handhabe  zum  Vor- 
ziehen der  Bindehaut  bildet.  Unstillbare 
Blutungen  habe  ich  bei  der  oberflächlichen 
Operation  nie  gesehen.  Nach  Ueberriese- 
lung  des  Conjunctivalsacks  und  Auges  mit 
4  %  Borlösung  zur  Beseitigung  etwaiger 
Coagula  wird  ein  beiderseitiger  Druckverband 
angelegt  und  auf  dem  operirten  Auge  über 
den  durchnässten  Verband  eine  Eisblase  appli- 
cirt.  Der  Verband  bleibt  3 — 4  Tage  beider- 
seitig, der  Patient  in  Rückenlage  im  Bett. 
Je  nach  Bedarf  wird  der  Verband  täglich 
1 — 2  mal  gewechselt  und  das  Auge  ausge- 
waschen. Bei  starker  Secretion  erneuert  man 
den  Verband  häufiger,  ohne  an  den  Lidern 
zu    zerren,    und    legt    eiskalte    Compressen 


m.  Jahrgang.! 
Juni  1889.    J 


Votiiut,  Praetiacher  Nutaeo  der  operativen  Behandl.  der  Conjunctivitis  follicularia. 


261 


mehrmals  über  die  durchfeuclitete  Binde. 
Nach  4  —  5  Tagen  verbindet  man  nun  das 
operirte  Auge  und  lässt  den  Ejranken  ab- 
inrechselnd  kalte  Bor-  oder  Sublimatumschläge 
machen.  Am  7.  resp.  8.  Tage  steht  der 
Kranke  auf;  dann  werden  die  Suturen  ent- 
fernt, wenn  sie  sich  inzwischen  nicht  schon 
spontan  abgestossen  haben.  Patient  bleibt 
noch  im  Halbdunkeln,  trägt  eine  Schutzbrille 
und  macht  nur  Umschläge  mit  Bor-  oder 
Sublimatwasser.  Ist  die  Hyperämie  und  Se- 
cretion  der  Conjunctiva  stärker,  so  touchirt 
man  dieselbe  mit  einer  1  ^/o  Argen  tum-  oder 

3  ^/o  neutralen  Losung  von  Plumbum  aceticum. 

Am  unteren  Lide  ist  die  Operation  er- 
heblich einfacher;  der  niedrige,  weiche  Tarsus 
wird  dabei  immer  geschont.  Der  Assistent 
ektropionnirt  mit  der  einen  Hand  das  untere 
Lid,  mit  der  anderen  zieht  er  das  obere  Lid 
ab.  Der  Operateur  umschneidet  mit  Pincette 
imd  Scheere  das  mit  Follikeln  besetzte  Ge- 
biet der  Bindehaut  nach  dem  Bulbus  und 
der  freien  Lidkante  zu  und  präparirt  das 
unterschnitten e  Stück  derselben  Ton  der 
Unterlage  mit  der  Scheere  ab.  Nach  Stillung 
der  Blutung  legt  er  2  —  3  Suturen  an;  nur 
bei  dünnen,  schmalen  Falten  ist  die  Naht 
entbehrlich,  weil  sich  die  Wundränder  von 
selbst  anlegen,  nach  Excision  breiter  Falten 
muss  man  zur  Erzielung  einer  prima  reunio 
nähen. 

Ich  habe  mich  nicht  gescheut,  in  einer 
Sitzung  beide  Augen  und,  wenn  nothig,  alle 

4  Lider  zu  operiren;  der  doppelseitige  Ver- 
band bleibt  dann  7 — 8  Tage  liegen  und  wird 
Yom  4.  Tage  an  mit  kühlen  Sublimat-  oder 
Borumschlägen  versehen. 

Die  von  Tr eitel  aufgestellten  Indica- 
tionen  hat  Herr  Geheimrath  Jacobson  von 
jeher  betont;  ich  möchte  nur  noch  hervor- 
heben, dass  wir  auch  bei  acuten  Granula- 
tionen, wenn  die  Schwellung  unter  der  üb- 
lichen Behandlung  nicht  sehr  schnell  zurück- 
geht, die  Excision  der  kranken  Gonjunctiva 
ausführen. 

Die  7  jährige  Erfahrung,  welche  ich  bei 
eigenen  Operationen  und  den  Erfolgen  an- 
derer OpAateure  in  der  Klinik  gesammelt 
habe  und  die  sich  auf  mehr  als  1000  Ope- 
rationen bezieht,  berechtigt  mich  zu  dem 
Ausspruch,  dass  diese  Methode  der  Behand- 
lung diejenigen  Erwartungen,  welche  man 
an  sie  nur  stellen  kann,  vollkommen  er- 
füllt. Die  Behandlung  wird  wesentlich  ab- 
gekürzt; das  Auge  selbst  wird  vor  Gefahren 
geschützt,  denen  es  ohne  diese  Therapie 
stets  ausgesetzt  bleibt.  Vor  der  Verkürzung 
der  Bindehaut  hat  man  sich  nicht  zu 
scheuen;  operirt  man  früh,  solange  nur  die 
Uebergangsfalte  krank  ist,    so  ist  der  Aus- 


fall an  Bindehaut  gering,  denn  sie  ist  durch 
Schwellung  vermehrt.  Auch  in  vorgeschrit- 
tenen Fällen  ist  der  Defect  nicht  so  stark, 
als  wir  ihn  schliesslich  finden,  wenn  die 
Kranken  sich  selbst  überlassen  gewesen 
sind.  Inzwischen  hat  dann  bereits  die 
Cornea  gelitten,  während  nach  der  Operation 
die  Hornhaut  intact  bleibt.  Ein  etwa  be- 
stehender Pannus  heilt  in  der  Regel  oder 
bessert  sich  wenigstens  so  bedeutend,  dass 
die  Patienten  arbeitsfähig  werden  und  anderen 
Menschen  nicht  zur  Last  fallen.  Staat  und 
Communen  haben  einen  grossen  Vortheil. 
Die  Dauer  der  Cur  erstreckt  sich  bei  den 
leichten  Fällen  nur  über  wenige  Wochen, 
bei  den  schwereren  über  3  —  5  Monate,  bei 
den  schwersten  über  noch  längere  Zeit;  aber 
der  Gewinn  an  Zeit,  Geld  und  Sehkraft  ist 
unter  allen  Umständen  verhältnissmässig 
grosser  als  bei  allen  anderen  Behandlungs- 
methoden. Die  lineare  Narbe  der  Bindehaut 
hat  keine  dauernden  Nachtheile. 

Die  Operation  hat  nicht  nur  bei  den 
Aerzten  unserer  Provinz  Anklang  und  Ein- 
gang gefunden;  auch  an  anderen  Orten  ist 
sie  mit  gutem  Erfolg  geübt,  so  von  Schnel- 
ler in  Danzig,  von  Galezowski  in  Paris. 
Diese  beiden  Operateure  empfehlen  sie  ziem- 
lich gleichzeitig  mit  H eisrat h.  Rothmund 
in  München,  Oberstabsarzt  Seggel  ebenda 
und  Eversbusch  in  Erlangen,  Rähl- 
manii  in  Dorpat,  Konigstein  in  Wien, 
Sattler  in  Prag,  Schnabel  in  Graz 
haben  dem  operativen  Verfahren  auch  bereits 
ihre  Aufmerksamkeit  zugewendet.  Natürlich 
haben  sich  auch  Stimmen  dagegen  erhoben, 
aber  aus  dem  Munde  von  Männern,  welche  ge- 
wohnlich keine  eigenen  Erfahrungen  gesam- 
melt, sondern  nur  reinem  Skepticismus  ge- 
huldigt und  kosmetische,  sowie  physiologische 
Nachtheile  gesucht  haben,  die  andere  aus 
Erfahrung  nicht  bestätigen   können. 

Uns  hat  sich  wiederholt  Gelegenheit  ge- 
boten auch  bei  Epidemien  den  guten  Erfolg 
der  operativen  Behandlung  kennen  zu  lernen; 
Herr  Geheimrath  Jacobson  hat  mehrmals 
die  Güte  gehabt,  mich  mit  der  Bekämpfung 
derselben  zu  betrauen  und  mir  auf  diese 
Weise  die  Möglichkeit  geboten,  umfangreiche 
Erfahrungen  zu  sammeln.  Ich  erlaube  mir 
schliesslich  hierüber  die  nachfolgenden  Mit- 
theilungen, die  vielleicht  ein  allgemeines 
Interesse  beanspruchen,  umsomehr,  als  die 
Conjunctivitis  follicularis  in  letzter  Zeit  so 
sehr  um  sich  gegriffen  und  so  oft  in  Städten 
und  Dörfern  unter  Erwachsenen  und  Schülern 
Epidemien  verursacht  hat.  Ich  hoffe,  den 
Herren  Collegen  für  ähnliche  Gelegenheiten 
einen  Anhaltspunkt  zu  ihrem  Handeln  zu 
bieten .  [Schiuu.  folgt] 


262 


Cbolewa,   Menthol  bei  Purunculoae  des  äusieren  GehÖrganges. 


rTherap«atisehe 
t  Monauheft«. 


Menthol  bei  Furiiuculose   des  äusseren 

Gehörgrangres. 

Von 

Dr.  R.  Cholewa  in  Berlin. 

Seit  den  Arbeiten  Loewenberg's  über 
Ohrfurunculose,  die  immorhin  das  Verdienst 
hatten,  das  Interesse  für  dieses  schmerzhafte 
und  oft  recht  langwierige  Leiden  wach  zu 
erhalten,  sind  Arbeiten  von  Garre,  Bock- 
hardt  und  Schimmelbusch  (Arch.  f.  Ohren- 
heilkunde Bd.  XXVII.  Heft  4.  1888/89)  er- 
schienen, die  jeden  Zweifel  über  die  Aetiologie 
der  Furunculose  beseitigen.  Nach  Loewen- 
berg  war  ein  Micrococcus  der  Träger  derlnfec- 
tion,  nach  den  Versuchen  letztgenannter  Autoren 
ist  nur  der  Staphylococcus  pyogen,  aureus  als 
solcher  zu  betrachten.  £s  ist  dies  inso- 
fern von  hohem  Interesse,  als  uns  hierdurch 
Fingerzeige  für  die  Therapie  und  Prophylaxe 
dieses  Leidens  gegeben  werden  können.  Im 
Allgemeinen  gehen  die  Ansichten  über  letz- 
tere sehr  auseinander.  Während  die  einen 
die  Incision  oben  anstellen,  um  die  Schmerz- 
haftigkeit  des  Leidens  zu  coupiren,  verwerfen 
andere  dieselbe  zum  Theil  und  v^andten 
Ohrtropfen  an,  bei  deren  Anwendung  nicht 
allein  die  Entzündung  nachlassen,  sondern 
auch  die  Träger  derselben  vernichtet  werden 
sollten.  Die  grosse  Anzahl  solcherart'  und 
von  hervorragender  Seite  empfohlener  Mittel, 
ich  führe  hier  nur  das  Carbolglycerin  1  :  30 
Politzer's,  den  Spiritus  Web  er- LieTs,  die 
Kali  sulfurat.-Lösung  Schwartze's,  den 
Borsäure  Spiritus  Loewenberg's  und  endlich 
die  essigsaure  Thonerde  Groschens  an, 
scheint  mir  schon  darauf  hinzuweisen,  dass 
die  mit  ihnen  erreichten  Erfolge  nicht  immer 
den  gehegten  Erwartungen  entsprochen  haben 
mögen. 

Nach  den  Arbeiten  Geh.  Rath  Dr.  Koch's 
(Mittheilungen  aus  d.  Kais.  Gesundh.  1881) 
rangiren  die  obenerwähnten  Mittel  in  ihrer 
desinficirenden  Wirkung  ziemlich  alle  auf 
gleicher  Stufe.  In  Wasser  oder  Spiritus 
gelost,  zeigen  sie  erst  bei  einer  Concentration 
von  1  :  1250—1  :  2000  eine  bacterienent- 
wickelungshemmende  Wirkung.  Für  viele 
Fälle  dürfte  diese  oder  eine  stärkere  Con- 
centration ausreichen  und  dass  sie  eine  aus- 
reichende sein  kann,  sehen  wir  an  den 
Fällen,  die  unter  ihrer  Anwrendung  heilen. 
Der  Grund,  warum  die  Wirkung  der  ein- 
zelnen Mittel  eine  verschiedene  und  oft 
nicht  zufriedenstellende  ist,  scheint  mir  also 
weniger  in  ihrem  chemischen  Charakter,  als. 
in  mehr  äusseren  Umständen  und  zwar  vor 
allen  Dingen    in    der  jeweiligen  Beschaffen- 


heit des  äusseren  Gehörganges  zu  liegen. 
Es  ist  eine  bekannte  Thatsache,  dass  der 
Gehörgang  bei  Furunculose  des  Ohres  sich 
häufig  ausserordentlich  verengt  zeigt.  Eine 
Reihe  von  Neu -Eruptionen  furunculöser 
Knötchen,  welche  der  Ausdruck  der  von 
Loewenberg  beobachteten  und  seiner  Zeit 
veröffentlichten  „Autoinfection^  sind,  schaffen 
dieses  Resultat.  Je  enger  der  Gehörgang 
nun  geworden  ist,  desto  geringere  Mengen 
der  instillirten  Flüssigkeiten  wrerden  in  ihn 
eindringen  können  und  je  nachdem  nur  eine 
geringe  oder  gar  keine  Wirkung  zu  entfalten 
im  Stande  sein.  Betrachten  wir  diese  Ver- 
minderung ihrer  Masse  gleichwirkend  wie 
ein  geringerer  Concentrationsgrad  ihrer  Lö- 
sungen, so  werden  wir  nicht  umhin  können, 
auch  darin  den  Grund  für  die  ungestörte 
Autoinfection  dieser  Fälle  zu  suchen  und 
weiter  hierdurch  eine  Erklärung  für  den 
langwierigen  Verlauf  dieser  Fälle  finden. 
Bei  meinen  therapeutischen  Versuchen,  die 
Güte  der  einzelnen  empfohlenen  Mittel  zu 
prüfen,  war  es  mir  vor  allen  Dingen  darum 
zu  thun,  denselben  im  Gehörgang  Platz  zur 
Entfaltung  zu  verschaffen,  und  da  griff  ich 
naturgemäss  zu  dem  Mittel,  welches  er- 
fahrungsgemäss  Schwellungen  in  der  Nase 
und  dem  Anfangstheil  der  Tuben  (s.  meine 
Arbeit  über  „Sclerose".  Zeitschr.  f.  Ohrenhk. 
XIX.  Band)  recht  energisch  beseitigt  und 
nebenbei  auch  antiphlogistisch  und  analge- 
sirend  zu  wirken  im  Stande  ist.  Ich  nahm 
Menthol.  Wattewicken,  mit  starken  Menthol- 
(öl)lösungen  getränkt,  erweiterten  den,  ob 
durch  eigene  oder  benachbarte  Entzündung 
stark  verschwollenen  Gehörgang  rasch  und 
haben  mich  nie  bei  durch  furunculose  Ent- 
zündung verengtem  im  Stich  gelassen.  Aber 
es  war  nicht  allein  die  antiphlogistische 
und  analgesirende  Wirkung  dieses  Mittels, 
welche  mich  dasselbe  bei  der  Behandlung 
der  Furunculose  beibehalten  liess,  sondern 
vor  allem  auch  die  antibacterielle.  Nach 
den  lichtvollen  Arbeiten  Geh.  Rath  Dr. 
Koches  (ebenda)  tödtet  eine  Menthollösung 
von  1  :  2000  Cholerabacillen;  die  Arbeiten 
von  Rosen  berg  über  TubercÄose  bei 
Mentholbehandlung  sind  bekannt,  meine 
eigene  Erfahrung  (Therap.  Monatsh.  1888, 
Juni)  zeigt,  dass  das  Mittel  auch  bei  der 
Dyphtherie  in  Betracht  gezogen  zu  werden 
verdient.  Während  Carbolsäure  erst  bei 
einer  Concentration  von  1  :  1250  die  Bac- 
terien-Entwicklung  zu  hemmen  im  Stande 
ist,  sagt  uns  eben  jene  Koch^sche  Tabelle, 
dass  Pfefferminzöl  dies  schon  bei  einer 
Lösung  von  1  :  33000  zu  Wege  bringt. 

Die  Koch^  sehen  Arbeiten   bezogen   sich 
nur  auf  den  Milzbrandbacillus,   und  obwohl 


HL  Jahrgang.! 
Jnnl  1889.    J 


Cbolewa,  Menthol  bei  Furunculose  des  äusseren  Gehörganges. 


263 


Geh.  Rath  Dr.  Koch  sieb  dahin  ausspricht, 
dass  die  für  diesen  gefundenen  aseptischen 
Werthe  der  einzelnen  Mittel  auch  für  andere 
Bacterien  maassgebend  sind,  so  lag  doch  die 
Versuchung  nahe,  den  Einiluss  -von  Men- 
thol auf  die  Entwickelung  des  Staphylo- 
coccus  aureus  zu  prüfen.  Mit  gütiger  Er- 
laubniss  von  Herrn  Prof.  Dr.  A.  Fraenkel, 
dem  ich  hierfür  nochmals  meinen  yerbind- 
lichsten  Dank  ausspreche,  hatte  Herr  College 
Dr.  Rönick  die  Freundlichkeit,  eine  Reihe 
von  Versuchen  anzustellen,  deren  leitender 
Gedankengang  folgender  war: 

Um  zu  erfahren,  ob  das  Menthol  irgend 
welchen  Einfluss  auf  die  Entwickelung  des 
Staphylococcus  aureus  besitzt,  wurden  einmal 
die  auf  ihre  Verwendbarkeit  vorher  geprüften 
Nährboden  (Gelatine  und  Agar)  mit  einer 
10  und  20  %  Menthollösung  (Glycerin  und 
Alkohol  aa)  versetzt;  das  andere  Mal  wurden 
die  Culturen  nur  der  Einwirkung  von 
Mentholdämpfen  ausgesetzt. 

Um  dem  Einwände  zu  begegnen,  dass 
die  Wirkung  der  Losung  auf  den  Gehalt 
von  Alkohol  und  Glycerin  aa  zurückzuführen 
sei,  wurden  Control versuche  auch  mit  diesen 
wie  mit  den  unvermischten  Nährböden  ge- 
macht. Das  Resultat  war,  dass  Glycerin 
und  Alkohol  aa  einen  wesentlichen  Antheil 
an  dem  Effect  der  Menthollösung  nicht 
haben,  da  die  gleiche  Tropfenzahl  wie  die 
von  der  Menthollösung  zugesetzt,  die  Ent- 
wickelung der  Culturen  nicht  hemmten. 
Was  das  Resultat  der  mit  Menthol  ange- 
stellten Versuche  betrifft,  so  ergab  sich, 
dass  der  Staphylococcus  aureus  selbst  bei 
einem  Zusätze  von  nur  0,08  g  (und  noch 
weniger)  der  10%  Lösung  zu  7 — 8,0  g  der 
Agar  und  Gelatine  in  den  Culturen  (Platten- 
misch- und  Strichculturen)  selbst  bei  starker 
Impfung  nicht  mehr  gedieh.  Dass  es  aber 
nicht  einmal  einer  Vermischung  des  Nähr- 
bodens mit  der  Menthollösung  bedarf,  um 
das  Wachs thum  des  Staphylococcus  aureus 
zu  verhindern,  zeigt  die  zweite  Versuchs- 
ordnung, nach  welcher  die  unter  Menthol- 
dämpfen gehaltenen  Platten  sämmtlich  steril 
blieben,  während  die  Controlplatten  ein 
positives  Resultat  ergaben. 

Um  zu  sehen,  welchen  Einfluss  Menthol 
auf  gut  entwickelte  Culturen  hat,  wurden 
diese  mit  ein  Paar  Tropfen  der  10  %  Lösung 
befeuchtet;  die  Culturen  schwanden  in  1 — 2 
Tagen  sichtlich.  Femer  wurden  kräftige 
Culturen  .6  Tage  lang  der  Einwirkung  von 
Mentholdämpfen  ausgesetzt;  da  sich  in  die- 
ser Zeit  keine  augenscheinliche  Veränderung 
zeigte,  wurde  abgeimpft;  die  Entwickelung 
aber   auf  dem    neuen  Nährboden  blieb  aus. 

Nach  den  vorliegenden  Versuchen  dürfte 


der  Schluss  gerechtfertigt  sein,  dass  der 
Staphylococcus  pyogenes  aureus  auf  einem 
mit  Menthollösung  nur  schwach  getränkten 
Nährboden  (0,008  Menthol  in  Substanz 
:  8,0  g  Agar)  sich  nicht  mehr  entwickelt, 
dass,  sobald  er  mit  Menthollösung  in  directe 
Berührung  kommt,  er  in  sehr  kurzer  Zeit 
abstirbt,  und  dass  zur  Erzeugung  dieses 
Effects  schon  die  Verdunstungssphäre  des 
Menthols  ausreicht. 

Im  Grossen  und  Ganzen  dürfte  es  er- 
laubt sein,  die  pathogenen  Verhältnisse  der 
primären  Ohrfurunculose  mit  einer  Platten- 
mischcultur  zu  vergleichen.  Wenden  wir 
nun  bei  ersterer  Menthol  an,  so  würden  wir 
ein  Analogen  zu  der  Versuchsreihe  bekom- 
men, wo  Menthol  dem  Nährboden  beigemischt 
ist,  oder  wo  gut  entwickelte  Misch-  und 
Strichculturen  mit  Menthollösung  befeuchtet 
wurden.  Aus  unseren  Versuchen  würde  sich 
nun  die  Annahme  rechtfertigen,  dass  wie  in 
und  auf  dem  künstlichen  Nährboden  die 
Staphylococcus-Colonien  abstarben  resp.  sich 
nicht  entwickelten,  so  auch  unter  natür- 
lichen Verhältnissen  im  Ohre  die  Tödtung 
des  Coccus  sowohl  in  der  Tiefe,  wie  auf  der 
Oberfläche  vor  sich  gehen  wird.  Selbst  die 
Coccen,  welche  der  directen  Berührung  mit 
der  Flüssigkeit  entgehen,  werden  alsbald 
unter  dem  Einflüsse  der  überall  hindringenden 
Mentholdämpfe  ihre  Lebensfähigkeit  einbüssen 
und  hierdurch  selbstverständlich  auch  die 
Autoinfection  verhindert  werden.  Was  die 
Art  der  Behandlung  der  Furunculose  im 
Gehörgang  betrifft,  so  habe  ich  mich  ziem- 
lich starker  20  ^/o  Menthol -Oellösungen  be- 
dient, welche,  wie  schon  gesagt,  vermittelst 
fest  gedrehter  Wattewicken  in  den  Meatus 
aud.  extern,  eingeschoben  wurden.  Dieselben 
müssen  durch  ihre  Grösse  einen  leichten 
Druck  auf  die  entzündlich  inflltrirte  Um- 
gebung ausüben.  Das  leichte  Brennen  ver- 
liert sich  bald  und  an  Stelle  der  früheren, 
weithin  ausstrahlenden  Schmerzen  tritt  Wohl- 
befinden und  Nachts  der  lang  vermisste 
Schlaf  ein.  Die  Wattewicken  werden  nach 
24  Stunden  durch  neue  ersetzt  und  kann 
diese  Procedur,  die  bis  zur  definitiven  Hei- 
lung fortgesetzt  werden  muss,  füglich  dem 
Patienten  überlassen  werden,  sofern  er  nur 
lernt,  die  Wattewicken  tief  genug  sich  selber 
einzuführen.  War  der  Furunkel  zum 
Abscess  vorgeschritten,  so  wurde  mit  dem 
Messer  gespalten,  der  Eiter  entfernt  und 
die  Nachbehandlung  mit  Mentholwicken,  wie 
oben  angedeutet,  eingeleitet.  Nur  wenige 
Tage  genügen  auch  hier,  zufriedenstellende 
Resultate  zu  erzielen. 


264 


Httnerfauthy  Eine  neue  Mastdarm-Elektrode. 


rTherapeatbeh« 
L  Monatsheft«. 


Eine  neue  Mastdarm-Elektrode« 

Von 

Dr.  Qeorg  HUnei*fauth,  Bad  Homburg. 

Eine  zweckmässige,  leicht  handliche,  für 
alle  Fälle  ,und  für  beide  Strom  es  arten 
Terwendbare  Mastdarmelektrode  war  lange  ein 

Desiderium  der  Elektrothera- 
peuten;  die  seither  fast  allge- 
mein benutzte  Elektrode  mit 
olivenförmigem  Enöpfchen  an 
einem  biegsamen,  mit  Gummi- 
hülse armirten  Stiele  war 
schwierig  in  der  Handhabung 
und  Localisation  und  gestat- 
tete für  höhere  Stromstärken 
nur  die  Application  des  fara- 
dischen Stromes;  zudem  wurde 
ein  Torauf  gehen  der  Wasserein- 
lauf  in  das  Rectum  verlangt. 
Um  jedoch  den  für  manche 
Fälle  wichtigeren  constanten 
oder  auch  einen  combinirten 
Strom  ohne  besondere  Um- 
ständlichkeiten anwenden  zu 
können,  musste  die  Elektrode 
vor  allem  eine  weit  grössere 
Fläche  besitzen  und  so  habe 
ich  denn  die  in  Zeichnung 
angegebene  construirt.  Ob 
ihrer  Form  ist  sie  sehr  leicht 
einzuführen,  die  Patienten  thun 
dies  fast  immer  selbst,  sogar 
Kinder  habe  ich  sie  oft  — 
No.  3  —  auf  das  erste  Geheiss 
geschickt  und  vollständig  ein- 
führen sehen;  wenn  die  Elek- 
trode die  Mastdarmwandungen 
berührt,  wird  sie  auf  diesen 
einfachen  mechanischen  Reiz 
schon  massig  festgehalten  — 
bei  einfacher  Atonie  z.  B.  — . 
Ich  habe  sie  nicht  nur  bei 
Atonie,  Parese,  Paralyse  oder 
Prolapsus  recti  angewandt, 
auch  bei  neuralgischen  und 
spastischen  Zuständen,  sowie  bei  Coccygo- 
dynie  etc.  hat  sie  mich  sehr  befriedigt.  Bei 
Blasenlähmungen  der  Frauen  lässt  sie  sich 
sehr  geschickt  (statt  einer  Flächenelektrode 
an  dem  kurzen  weiblichen  Perineum)  an 
der  vorderen  Vaginal  wand  appliciren  mit 
Schluss  der  Kette  über  der  Symphyse. 

Die  Elektrode  ist  aus  Messingblech 
von  0,8-— 1,0  mm  Dicke  hergestellt  und 
fein  vernickelt,  sehr  leicht  und  vollständig 
zu  reinigen;  an  ihrem  unteren  Ende  ist  sie 
durch    ein    rundes    den    Umfang    um    etwa 


l^s  mm  überragendes  Plättchen  abgeschlos- 
sen, an  welches  sich  ein  cylinderformiges 
kurzes  Ende  mit  Schraube  zur  Aufnahme 
der  Leitungsscbnur  ansetzt;  der  obere  Theil 
läuft  conisch  aus  und  deshalb  ist  auch 
die  Elektrode  bequem  in  Rectum  und  Vagina 
einzufuhren. 

Ich  habe  einen  kleinen  Satz  von  drei 
Stück  in  folgenden  Grössen  herstellen  las- 
sen *) : 

Länge  Umfang  Gewicht 

No.  1  12  cm  oben  4,8  cm  ca.  50  g 

Mitte  4,3   - 

unten  4,0   - 

No.  2  12  cm  oben  3,6   -  ca.  40  - 

Mitte  3,0   - 

unten  2,8  - 
No.  fJ              7  cm         wie  No.  2  ca.  30  - 


Ueber  Creoliu-Ekzeni. 

Von 

Dr.  J.  VVackez  (München). 

AssUtent  der  p&d.  Polikltnlk.    . 

Veranlasst  durch  den  dem  Creolin  nach- 
gerühmten entschiedenen  Vorzug  der  Ungif- 
tigkeit  wandte  Verfasser  dasselbe  bei  Kin- 
dern an. 

Von  den  damit  behandelten  17  Fällen 
—  durchweg  leichtere  Schnitt-  und  Riss- 
wunden —  heilten  10  per  primam,  während 
bei  7  sehr  bald  sich  ein  Ekzem  zeigte.  Die 
Haut  in  der  Umgebung  der  Wunde  zeigte 
sich  vom  zweiten  Tage  der  Creolinbehand- 
lung  an  lebhaft  geröthet  —  Scharlachexan- 
them  ähnlich  — ,  dabei  bestand  starker 
Juckreiz;  am  3.  Tage  erhoben  sich  an  diesen 
Stellen  zahlreiche,  mit  einer  klaren  Flüssig- 
keit gefüllte  Bläschen,  mitunter  bis  zur 
Grösse  eines  Thalers  sich  ausbreitend.  Die 
Hauttemperatur  war  erhöht,  die  benachbar- 
ten Lymphdrüsen  geschwollen ;  das  Allgemein- 
befinden der  Patienten  war  insofern  alterirt, 
als  dieselben  über  Appetitlosigkeit,  Kopf- 
schmerzen und  manchmal  auch  Erbrechen 
zu  klagen  hatten.  Dabei  war  die  seröse 
Durch  tränk  ung  der  Haut  eine  derartige,  dass 
^/a — ^j^  Stunden  nach  Eröffnung  der  Blasen, 
sei  dieselbe  spontan  oder  künstlich  erfolgt, 
die  Flüssigkeit  von  der  Haut  noch  reichlich 
abtropfte.    Am  3.  Tage  nach  Entleerung  der 


1)  Herr  Simon,  R.  Blfinsdorf  Nachf.,  Fabrik 
elektro-med.  Apparate,  Frankfurt  a./Main  fertigt 
diese  Mastdarmelektroden  in  sauberer  und  elegan- 
ter Ausstattung  zum  Preise  von  4.75,  4.50  u.  4.25 
pro  Stück. 


Juni  1889.   J 


Wackezi  Ueber  Creolin-Ekzem. 


265 


Blasen  stiess  sich  die  Epidermis  in  grossen 
Lamellen  ab,  so  dass  z.  B.  in  einem  Falle 
die  ganze  Palma  manus  bis  zum  Handgelenk, 
sowie  die  volare  Fläche  der  4  Finger  von 
Epidermis  entblösst  vraren  und  das  Bild  einer 
Verbrennung  zweiten  Grades  nach  Abstossung 
der  epidermoidalen  Decke  sich  darbot.  In 
diesem  Falle  erhielt  Patient,  da  er  mit  der 
andern  Hand  die  Wundfläche  und  ihre  Um- 
gebung wegen  des  bestehenden  starken  Juck- 
reizes häufig  rieb,  auch  an  dieser  Hand, 
sowie  im  Gesichte  einige  Bläschen  derselben 
Beschaffenheit.  Da  in  sämmtlichen  Fällen 
kein  anderes  Antisepticum  als  Creolin 
(Pearsonii)  in  der  Verdünnung  von  1  :  1000 
angewandt  wurde,  Hegt  der  Gedanke  nahe, 
dasselbe  als  Ursache  des  Ekzemes  anzu- 
schuldigen. Und  in  der  That  glaube  ich, 
dass  nur  die  Anwendung  des  Creolins  an 
diesen  accidentellen  Wundkrankheiten  Schuld 
war.  Das  geschilderte  Ekzem  trat  primär 
nur  an  denjenigen  Hautpartien  auf,  welche 
mit  Creolinlösung  durchtränkter  —  gewöhn- 
licher —  Gaze  bedeckt  waren;  secundär 
später  auch  an  andern  Stellen,  indess  hier 
nur  durch  Kratzeffecte  übertragen.  Zum 
Vergleiche  wandte  Verfasser  folgendes  Ver- 
fahren an: 

Ein  Knabe,  6  Jahre  alt,  erlitt  durch 
Fall  auf  der  Strasse  an  beiden  Händen 
leichtere  Risswunden.  Die  Wunden  der  rech- 
ten Hand  wurden  mit  Creolinlösung,  die  der 
linken  mit  Sublimatlösung,  beide  iu  der 
Concentration  von  1  :  1000,  bebandelt.  Am 
3.  Tage  zeigte  sich  an  der  rechten  Hand 
das  geschilderte  Ekzem,  während  die  Wunde 
der  linken  Hand  und  deren  Umgebung  keine 
Spur  von  Röthung  etc.  zeigte.  Jetzt  wurde 
die  Wunde  der  linken  Hand  mit  3  %  Car- 
bollösung  behandelt,  während  an  der  andern 
Hand  die  Creolinlösung  beibehalten  wurde. 
Auch  bei  dem  am  nächsten  Tage  vorge- 
nommenen Verbandwechsel  zeigte  die  Wunde 
der  linken  Hand  nichts  besonderes,  während 
die  ganze  Epidermis  der  Vola  manus  dextrae 
in  Blasen  abgehoben  war.  Während  nun 
hier  nach  Eröffnung  der  Blasen  ein  Bor- 
salbenverband angelegt  wurde,  wurde  nun 
auch  die  Wunde  der  linken  Hand  mit  Creo- 
lin behandelt,  worauf  sich  am  3.  Tage  ca. 
10  kleine,  mit  einer  klaren  serösen  Flüssig- 
keit gefüllte  Bläschen  in  der  Umgebung  der 
Wunde  zeigten,  welche  zwei  Tage  später 
platzten,  worauf  sich  die  Epidermis  abstiess. 
Da  die  Wunde  der  linken  Hand  bereits  ge- 
heilt war,  wurde  jedes  weitere  Antisepticum 
bei  Seite  gelassen. 

Dieser  Fall,  glaube  ich,  hat  für  die  Be- 
zeichnung des  Ekzems  als  Creolinekzem  be- 
weisende Kraft.     Wenn   auch  das  Ekzem  an 


der  linken  Hand  nicht  so  ausgebreitet  und 
heftig  auftrat  wie  an  der  rechten,  so  trug 
es  doch  denselben  Charakter  und  es  ist 
wohl  möglich,  dass  an  der  geringeren  Ent- 
wickelung  desselben  an  der  linken  Hand 
die  hier  vorher  stattgehabte  Anwendung 
von  Sublimat  und  Carbol  Schuld  war. 

Da  bei  allen  mit  Creolin ekzemeu  behaf- 
teten Patienten  eine  Alteration  des  Allge- 
meinbefindens bestand,  so  wurde  auch  der 
Harn  derselben  chemisch  untersucht.  Die 
auf  Phenol  und  quantitative  Bestimmung 
der  vorhandenen,  thcils  an  Alkali  gebun- 
denen, theils  aromatischen  Aetherschwefel- 
säuren  gerichtete  Untersuchung  des  etwas 
dunkel  gefärbten  Morgenharnes  ergab  eine 
Vermehrung  der  Aetherschwefelsäure  gegen- 
über der  an  Alkalimetalle  gebundenen 
Schwefelsäure,  so  dass  sich  das  Verhältniss 
wie  1  :  0,385  stellte  (normal  1  :  0,1045  von 
den  Velden). 

Zum  Nachweis  von  Phenol  wurden 
150  ccm  Harn  mit  verdünnter  Schwefelsäure 
destillirt;  das  Destillat  ergab  mit  Brom- 
wasser einen  reichlichen  Niederschlag  von 
Tribromphenol,  welcher  sehr  bald  krystalli- 
nisch  wurde. 

Wenn  nun  das  Creolin  als  Ursache  des 
Ekzems  anzusehen  ist,  welcher  der  darin 
enthaltenen  Stoffe  ist   das  schuldige  Agens? 

Anfangs  war  ich  versucht,  an  eine  Bei- 
mischung von  Carbolsäure  im  Creolin  zu 
glauben.  Doch  widerspricht  dem  einerseits 
der  oben  geschilderte  Fall  mit  der  wechsel- 
weisen Anwendung  der  verschiedenen  Anti- 
septica,  andrerseits  haben  die  verschiedenen 
Analysen  des  Pearson' sehen  Creolins  er- 
geben, dass  thatsächlich  dasselbe  keine  Spur 
von  Carbolsäure  enthält.  Ich  möchte  daher 
an  eine  Beimischung  unreiner,  die  Haut 
reizender  Phenole  glauben,  zumal  die  Er- 
gebnisse der  chemischen  Harnuntersuchung 
darauf  hinweisen.  Vielleicht  ergeben  weitere 
Analysen  Aufscbluss  über  eine  noch  vorhan- 
dene Beimischung  anderer  Substanzen.  Das 
eine  glaube  ich  annehmen  zu  dürfen,  dass 
auch  Creolin  seine  Schattenseiten  hat  und 
seine  rückhaltlose  Anwendung  —  nament- 
lich im  kindlichen  Alter  —  nicht  zu  befür- 
worten ist,  ohne  damit  seine  Verbannung 
aus  der  pädiatr.  Therapeutik  zu  wünschen, 
denn  seine  antiseptische  Wirkung  hat  sich 
auch  in  den  Fällen,  wo  Ekzem  auftrat,  aufs 
beste  in  einer  schönen  und  raschen  Heilung 
der   Wundfläche  selbst  bewährt. 


34 


266 


Kolbe,  Beitrag  sur  Jodofoim-Dermatitii. 


rrherapflaiiscbe 
l.  Monatshefte. 


Beitrag^  zur  Jodoform-Dermatitis. 

Von 

Dr.  Kolbe, 

pract.  Arxt  in  Rossleben  a.  d.  ITnstmt. 

Im  An  Schill  886  an  die  Auslassungen  über 
die  Jodoform-Dermatitis  in  den  diesjährigen 
Januar-    und    Februar -Heften    der    Therap. 
Monatshefte  gehen  meine  Beobachtungen  da- 
hin, dass  thatsächlich  auch  ohne  irgend  einen 
mechanischen  Insult,  etwa  durch  Reiben  oder 
Eratzen,  lediglich  in  Folge  der  äusserlichen 
Jodoform-Anwendung  Dermatitiden  entstehen 
können.     Hierher    gehören    zwei  Fälle,    die 
ich   vor  Kurzem    zu    behandeln    Gelegenheit 
hatte  und  die  hier  angeführt  werden'  mögen : 
Der  erste  betrifft  eine  Jodoform-Derma- 
titis, die  sich  im  Anschluss  an  eine  Daumen- 
amputation    bei    Jodoformbehandlung     ent- 
wickelte.    Der    Wundverlauf    war    während 
der  ersten  8  Tage  unter  Sublimatbehandlung 
ein    vollkommen  befriedigender;    die    Nähte 
heilten    ausnahmslos    cum  prima  intentione, 
so  dass  nunmehr  der  Entfernung  des  einge- 
legten Drainagerohres  nichts  mehr  im  Wege 
stand.     Um    den    durch   letzteres  bedingten 
Wundkanal  auch  bei  Anwendung  eines  länger 
liegenden  Verbandes   antiseptisch  behandeln 
zu  können,  wurde  das  gerade  bei  Dauerver- 
bänden   sich    so    ausgezeichnet    bewährende 
Jodoform    auf   die  Wunde  applicirt  und  die 
ganze    Hand     in     aseptische    Verbandstoffe 
(Sublimatgaze    und   Sublimatwatte)    gehüllt. 
Aber  bereits  am  nächsten  Tage  hatte  dieser 
sogenannte  Dauerverband  sein  Ende  erreicht 
und  musste  entfernt  werden,  weil  der  Kranke 
in  der  Umgebung  der  Wunde  ein   auffallen- 
des Jucken  empfand,  dessen  Grund  zu  eruiren 
war.     Bei    Entfernung    des    Verbandes    war 
das  Aussehen  der  frischen  Narbe,  sowie  des 
Wundkanales  durchaus  unverdächtig;  dagegen 
zeigten    sich    in    der  Nähe  derselben,  sowie 
ferner  am  Handrücken,  an  den  Fingern  und 
in    der  Hohlhand  zahlreiche  kaum  erhabene 
wassergelbe    Bläschen    von    durchschnittlich 
nur    wenig    mehr   als    Stecknadelkopfgrösse. 
Der  Handrücken  war  massig  ödematös,  ent- 
zündliche   Röthung    noch    nicht    vorhanden, 
wenigstens    nicht    in   dem  Maasse,    dass  sie 
beim  Verbandwechsel    auffiel.     Auf  Anstich 
entleerte  sich  aus  den  Bläschen  ein  Tropfen 
klarer  seröser  Flüssigkeit.  —  Eine  Erklärung 
für  diese  Störung  des  Heilungsprocesses  war 
mir    momentan    unmöglich    und    sprach  ich 
meine  Ansicht  dahin  aus,  dass  möglichenfalls 
Diätfehler,      so      besonders       der      Genuss 
schlechten    fuselhaltigen  Alkohols  diese  Er- 
scheinung hervorgerufen  haben  könnte,  wenn 
schon    mir    selbst    diese  Deutung    nicht  ge- 


nügen wollte.    Ich  ertheilte  dementsprechend 
strenge  diätetische  Vorschriften.    Nach  gründ- 
licher Desinfection  und  abermaligem  frischen 
Bepudern    des   Wundkanales    mit    Jodoform 
erfolgte   die  Application   eines  anderen  Ver- 
bandes.    Jedoch    zwei   Tage    darauf   verfiel 
dieser    demselben  Schicksale    wie  ,  der  erste 
und  musste  abgenommen  werden,  da  Patient 
angab,    das  Jucken    sei   nicht  geschwunden, 
sondern    hätte    sich    im  Gegentheil    bis   zur 
Unerträglichkeit    gesteigert.     Das    Aussehen 
der  Haut  war  allerdings  jetzt  ein  ganz  auf- 
fallendes.    Unzählige  Blasen    und   Bläschen 
auf    stark    ödematösem,    lebhaft  gerÖthetem 
Grunde  bedeckten  dieselbe.     Ein  Theil  der- 
selben glich  den   oben  beschriebenen  bezüg- 
lich ihrer  Grösse  und  ihres  Inhaltes,  andere 
waren    bereits    geplatzt,    andere  wieder  mit 
eitrigem  Inhalte  gefüllt;  ihre  Grösse  differirte 
zwischen     der    eines    Stecknadelkopfes    und 
der    einer  Haselnuss.     Eine   derselben,    von 
der  Grösse  einer  Erbse,    war  ausgesprochen 
hämorrhagischer    Natur    und    entleerte    auf 
Anstich  einen  blutig-schmierigen  Inhalt  und 
zeichnete    sich    ausserdem    vor  den   anderen 
durch    erhöhte  Schmerzhaftigkeit    aus.     Der 
Bläschenausschlag    setzte    sich    bis    auf  die 
Fingerspitzen   fort   und   bedeckte  nach  oben 
hin  auch  den  unteren  Theil  des  Unterarmes, 
über  die  Grenzen  des  angelegten  Verbandes 
hinausgehend.      Nachdem,    soweit   sich   dies 
überhaupt    durchführen   liess,   die   Bläschen, 
und  zwar  besonders  diejenigen  mit  eitrigem 
Inhalt,  angestochen  und  ausgedrückt  waren, 
wurden    zur  Bekämpfung   des  starken  Haut- 
juckens, sowie  zur  Beseitigung  des  entzünd- 
lichen  Erythems    feuchte    Oarbolwassercom- 
pressen    einer  einprocentigen  Lösung   aufge- 
legt   und    täglich    einmal    gewechselt.      Bei 
dieser    Behandlung     fand     binnen    wenigen 
Tagen  unter  schnellem  Nachlassen  der  sub- 
jectiven    und    objectiven   Erscheinungen    die 
Abheilung  der  Dermatitis  statt,  gefolgt  von 
einer  lebhaften  Abschuppung  der  Epidermis. 
Die   Jodoform-Behandlung    wurde    nunmehr 
nur  noch  in  quantitativ  sehr  geringem  Um- 
fange,   aber    mit    gutem  Erfolge    und    ohne 
weitere  Reizerscheinungen  fortgeführt. 

Der  zweite  Fall  betrifft  eine  Patientin 
mit  Ulcus  cruris,  welches  letztere  bereits 
seit  ungefähr  2  Jahren  bestand.  Vor  unge- 
fähr einem  Jahre  wandte  der  s.  Z.  behan- 
delnde College  Jodoformvaselin  an,  nacli 
welcher  Therapie  sich  im  Beginne  sofort 
ein  heftiger  entzündlicher  Blasen ausschlag 
einstellte,  der  wieder  abheilte,  um  neuerdings 
abermals  aufzutreten,  als  von  mir  gelegent- 
lich der  Eröffnung  eines  in  der  Nähe  des 
Ulcus  entstandenen  phlegmonösen  Abscesses 
Jodoformpul  7er    verwandt    wurde,    während 


IIL  jAtargaai:.') 
Juni  1889.   J 


Sembritski,   Zur  Wirkung  dM  Antifebrin. 


267 


das  Ulcus  selbst  mit  üng.  cereum  (Ger. 
aib.  15,0,  OL  olivar.  40,0)  behandelt  wurde. 
Die  Dermatitis  stellte  sich  auch  in  diesem 
Falle  2 — 3  Tage  nach  dem  Einsetzen  der 
JodoformbehandluDg  ein,  und  zwar  unter 
den  heftigsten  Reizerscheinungen:  Schwellung, 
RÖthung  und  Blasenbildung,  sowie  fast  un- 
erträglichem Brennen  und  Jucken.  Dabei 
entwickelten  sich  die  zum  Theil  enorm  grossen 
Blasen  hauptsächlich  an  den  der  Wunde  etwas 
entfernteren  Stellen,  während  die  Wunde  selbst 
ein  ausserordentlich  stark  nässendes  Ekzem 
umgab,  durch  welches  starke  Verbände  binnen 
2 — 3  Stunden  durchnässt  waren.  Der  In- 
halt der  Blasen  war  von  ganz  derselben  Art, 
wie  der  bei  oben  angeführtem  Falle.  Die 
starke  Transsudation  Hess  mich  ölige  Mittel 
anwenden  und  zwar  in  folgender  Weise: 

Acid.  carbol.  0,5 

Ol.  Olivar. 

Ol.  Terebinth.  ik    12,50 

M.  S. :  Zum  Bepinseln  der  gerotheten  Stellen. 

Auch  hierdurch  erzielte  ich  bedeutende 
Linderung  und  ein  gutes  Abheilen  des  Pro- 
cesses.  Nach  Beendigung  der  Dermatitis 
musste  ich  jedoch  von  der  Jodoformbehand- 
lung, abweichend  vom  ersten  Falle,  gänzlich 
abstehen,  da  sich  um  die  Wunde  herum 
wiederum  ein  leicht  entzündliches  Erythem 
einstellte,  ohne  jedoch  von  wirklicher  Blasen- 
bildung begleitet  zu  sein.  Um  überhaupt 
an  dieser  Stelle  noch  von  der  Behandlung 
der  Ulc.  cruris  zu  sprechen,  so  hat  sich  mir 
stets  am  besten  eine  möglichst  reizlose  Be- 
handlung bewährt;  ich  wende  daher  mit  Vor- 
liebe neben  Reinigung  mit  schwachen  Lö- 
sungen von  Acid.  carbol.  oder  Kai.  hyper- 
maug.  oder  auch  Sublimat  gerade  Unguentum 
cereum  an;  sorge  natürlich  für  möglichst 
absolute  Ruhigstellung  und  möglichste  Hoch- 
lagerung der  Extremität.  Zur  Nachbehand- 
lung, d.  h.  nach  Schluss  des  Ulcus,  empfiehlt 
sich  dann  besonders  zur  Anregung  der  Epi- 
dermisthätigkeit  Höllenstein-  oder  Ichthyol- 
Salbe. 

Um  nun  auf  die  Jodoform -Dermatitis 
zurückzukommen,  so  liefern  obige  Beobach- 
tungen wiederum  einen  Beweis  dafür,  dass 
dieselbe  auch  bei  völliger  Ausschaltung  eines 
mechanischen  Insultes  lediglich  in  Folge  der 
äusseren  Anwendung  des  Jodoform  eintritt. 
Ferner  aber  ist  der  erstere  der  beiden  an- 
geführten Fälle  auch  deshalb  noch  von  be- 
sonderem Interesse,  als  er,  nachdem  er  so 
zu  sagen  den  ersten  Coup  überwunden,  trotz 
deutlicher  Jodoform-Idiosyncrasie,  doch  eine 
quantitativ  beschränkte  Behandlung  mit 
diesem  Mittel  zuliess,  ohne  dass  durch  das- 
selbe  die   einmal  abgeheilte  Dermatitis  von 


Neuem  hervorgerufen  wurde.  Allerdings 
scheint  mir  diese  Beobachtung  immerhin  zu 
den  seltenen  Ausnahmen  zu  gehören. 


Zur  Wirkuugr  des  Antifebrin. 

Von 

Dr.  Sembritzki, 

Arxt  in  KSolgsberg  i.  Pr. 

Gegen  das  Antifebrin,  welches  mit  Recht 
als  Antifebrile  jetzt  eine  dominirende  Stel- 
lung einnimmt,  werden  in  neuerer  Zeit  mehr 
und  mehr  Stimmen  laut,  die  gegen  die  bis 
jetzt  herrschende  Sorglosigkeit  bei  Yerab- 
reichung  des  Mittels  gerichtet  sind  und  zur 
Vorsicht  mahnen;  ich  möchte  die  Zahl  die- 
ser Beiträge  um  einen  vermehren. 

Seit  Entdeckung  dieses  Medicaments 
habe  ich  es  mit  Vorliebe  bei  febrilen  Zu- 
ständen angewandt  und  es  dem  bis  dahin 
so  beliebten  Antipyrin  vorgezogen,  da  es 
den  Vorzug  des  bessern  Geschmacks  und  der 
Billigkeit  in  der  That  besitzt,  den  des  Frei- 
seins von  allen  Nebenwirkungen  aber  be- 
sitzen sollte. 

Ich  muss  wohl  sagen,  dass  ich  bei  einer 
Menge  von  Patienten  einen  glücklicheren, 
abgekürzten  und  für  den  Patienten  ange- 
nehmeren Krankheitsverlauf  nur  der  Dar- 
reichung des  Antifebrin  verdanke.  Doch 
habe  ich  hierbei  die  Erfahrung  gemacht, 
dass  man  bei  der  Dosirung  des  Mittels  nicht 
schematisch  verfahren  darf,  da  die  Empfäng- 
lichkeit für  dasselbe  eine  individuelle  ist. 

Während  man  erwachsenen,  kräftigen 
Männern  eine  Dosis  von  0,5  geben  kann ; 
während  ich  selbst  gegen  Kopfschmerz  1  g 
ohne  die  geringste  Nebenerscheinung  nehme, 
habe  ich  stets  gefunden,  dass  Frauen,  be- 
sonders aber  gravide  oder  nährende  Frauen, 
nur  ganz  kleine  Dosen  vertragen. 

Bei  einer  Frau  D.,  28  Jahre  alt,  gravida  im 
sechsten  Monat  mit  Typhus  abdom.  und  Tempe- 
ratoren von  40,5  bis  41,  habe  ich  nach  einer  Dosis 
von  0,3  Antifebrin  einen  heftigen  Collaps  eintreten 
sehen,  der  nur  energischer  Stimulation  mit  heissem 
Wein,  warmen  Einwickelungen  u.  s.  w.  wich.  Durch 
0,2  trat,  als  ich  es  am  nächsten  Tage  verabreichen 
Hess,  wieder  ein  coUapsähnlicher  Zustand  ein, 
und  erst  0,1  wurde  vertragen;  die  Temperatur  fiel 
prompt  ab  und  ich  konnte  diese  Dosis  während 
des  ganzen  Krankheitsverlaufes  geben.  Die  Frau 
ist  jetzt  übrigens  gesimd  und  von  einem  gesunden 
Kinde  entbunden. 

Bei  einer  Frau  Pr.,  27  Jahre  alt,  die  bis  zum 
Eintritt  der  Febris  gastrica  ihr  5  Monate  altes 
Kind  genährt  hatte,   trat   sogar  nach   einer  Dosis 

84* 


268 


Lewentanetf  Ueber  antiseptische  Behandlung  der  Variola. 


rrherapeutlBche 
L  Monatoheflft. 


von  0,1  jedesmal  unter  profuser  Schwcisssecretion 
ein  collapsartiger  Zustand  ein,  bo  dass  ich  nur 
0,05  weitergeben  konnte,  aber  auch  hiermit  den 
gewünschten  Temperatur-Abfall  erzielte. 

Frau  P.,  30  J.,  Typh.  abdom.  erhielt,  nachdem 
sie  0,2  nicht  vertragen,  0,1  Antifebrin  bis  zu  ihrer 
Genesung. 

Frau  K.,  50  J.  alt,  Typh.  abdominal,  vertrug 
0,25  nicht,  musste  daher  fernerhin  die  Hälfte  er- 
halten. 

Einen  Gegensatz  hierzu  bildet  folgender 
Fall  : 

Johanna  B.,  16  J.  alt,  ein  sehr  anämisches 
Mädchen  mit  schwerem  Abdominaltyphus,  reagirte 
auf  0,1  gar  nicht,  ich  gab  0,2  und  erhielt  auch 
keine  Temperatur-Erniedrigung ;  nun  stieg  ich  immer 
um  0,1  bis  0,4  und  jetzt  hatte  ich  erst  einen  Tem- 
peratur-Abfall von  41  auf  38,2.  Ich  musste  diese 
Dosis  von  0,4  während  der  ganzen  Krankheit  bei- 
behalten, gab  sie  aber  nur  2  mal  pro  die  und 
zwar  nur  dann,  wenn  die  Temperatur  über  39® 
stieg. 

Dieses  ist  natürlich  nur  ein  Ausnahme- 
fall und  ein  Beweis  für  die  individuell 
verschiedene  Disposition  für  dieses  Medi- 
cament. 

Im  Allgemeinen  dürfte  es  sich  nach 
meinen  Beobachtungen  empfehlen,  bei  Frauen 
mit  kleinen  Dosen  (0,1)  zu  beginnen  und 
erst,  wenn  diese  keine  Wirkung  zeigen,  all- 
mählich zu  grösseren  überzugehen. 


lieber 
autiseptische  Behandlung:  der  Variola. 

Von 

Dr.  M.  Lewentaner  in  Konstantinopel. 

In  keinem  anderen  Lande  waren  die 
Pockenepidemien  so  verheerend  gewesen,  wie 
hier  zu  Lande.  Die  Pocken  sind  hier 
endemisch  und  so  eingebürgert,  wie  jede 
andere  Krankheit,  nur  mit  dem  Unter- 
schied, dass  erstere  öfter  in  Epidemien  re- 
crudesciren,  um  dann  sporadisch  in  verschie- 
denen Ortschaften  weiter  fortzuexistiren. 
Während  mancher  Arzt  anderswo  vielleicht 
nie  in  die  Lage  kommt,  einen  Pockenfall 
zu  behandeln,  kennt  hier  zu  Lande  jeder 
Laie  aus  eigener  Erfahrung  die  Pockenkrank- 
heit. So  passirte  es  hier  einem  frisch  zu- 
gereisten älteren  Arzte,  einen  Fall  von 
schwerer  confluirender  Variola  als  Lepra  zu 
diagnosticiren  und  mit  Ghaulmoogra  zu  be- 
handeln. Die  Pocken  dieses  7jährigen 
Knaben  wurden  bald  hämorrhagisch  und 
endeten  tödtlich.  Impfzwang  existirt  hier 
nicht  und  die  Vernachlässigung  ander- 
weitiger sonstiger  hygienischer  Maassnahmen 


trägt    nicht  weniger  Schuld    an    der  Propa- 
gation  dieser  Krankheit. 

Besonders  gefährdet  scheinen  ganz  kleine 
Kinder  zu  sein  und  von  den  Fällen,  die  ich 
Gelegenheit  hatte,  früher  zu  behandeln, 
gingen  alle  zu  Grunde.  Dasselbe  geschah 
auch  mehr  oder  weniger,  so  viel  mir  bekannt 
ist,  in  der  Praxis  anderer  hiesiger  Collegen. 

Es  scheint  mir  deshalb  gerechtfertigt, 
über  eine  Behandlungsmethode  zu  berichten, 
vermittelst  welcher  es  mir  in  6  Fällen 
schwerer  confluirender  Variola  gelungen  war, 
alle  Kinder  mit  ausgezeichnetem  Erfolge  zu 
behandeln. 

Die  Kinder  standen  im  Alter  von  10,  11, 
15  und  18  Monaten.  Das  jüngste  10 monat- 
liche —  Kind  des  Schreibers  dieser  Zeilen  — 
erkrankte  im  März  1884,  ohne  dass  ein 
Prodromalstadium  bemerkt  wurde,  an  den 
confluirenden  Pocken.  Der  Ausbruch  der- 
selben begann  mit  je  einem  auf  beiden 
lateralen  Partien  der  Scheitelknochen  symme- 
trisch gelegenen  kreisrunden  rothen,  1  mm 
über  dem  Niveau  der  Haut  erhabenen  Flecken. 
Dieselben  waren  einer  ürticariapapel  ähnlich 
und  von  der  Grösse  eines  20-Kreuzer8tücke8. 
Ich  merkte  zwar  eine  Veränderung  in  der 
Stimmung  des  Kindes,  konnte  mir  aber 
diese  Papeln  nicht  erklären,  als  bald  darauf, 
am  zweiten  Abend,  unter  massig  starkem 
Fieber,  das  ganze  Gesicht  mit  dem  charak- 
teristischen rothen  Exanthem  bedeckt  wurde, 
um  sich  bald  auf  dem  behaarten  Kopf, 
Rumpf  und  Extremitäten  auszubreiten. 

Da  die  Patienten,  die  einmal  die  con- 
fluirenden Pocken  überstanden  haben,  furcht- 
bar entstellt  aussehen,  öfters  auf  beiden, 
oder  im  günstigsten  Falle  auf  einem  Auge 
erblinden,  verunstaltete  dicke  Nasen  etc. 
zurückbehalten,  so  war  es  mir  natürlicher 
Weise  sehr  daran  gelegen,  auf  Mittel  zu 
sinnen,  die  mein  Kind  —  sollte  es  die 
Krankheit  glücklich  überstanden  haben  — 
auch  vor  der  eventuellen  Entstellung  schützen 
sollten. 

Um  gleichzeitig  antiseptisch  und  anti- 
febril einzuwirken,  applicirte  ich  eine  3% 
Carbolsäurepaste  aus  Amylum  und  Ol. 
amygdal.  dulc.  auf  einer  Leinwandmaske  so 
zugerichtet,  dnss  nur  schmale  Oeffnungen  für 
Augen,  Nase  und  Mund  zurückblieben.  Auf 
diese  Weise  wurde  der  ganze  behaarte  Kopf, 
Gesicht  und  Hals  mit  der  Maske  eingehüllt. 
Der  Rumpf  und  Extremitäten  wurden  öfters 
mit  Folgendem  gepinselt: 

IV     Glycer.  neutr.  70,0 

Amyl.  pur.  30,0 

Acid.  salicyl.  3,0 

M.  f.  Pasta. 


Jnni  1889.   J 


Lewentanftr,  üeber  antisepHtche  Behandlung  der  Variolft. 


269 


Nach  einigen  Tagen  wurden  die  bis  nun, 
besonders  im  Gesicht  und  Händen,  noch 
isolirt  stehenden  mit  deutlicher  centraler 
Delle  und  rothem  Hof  umgebenden  Bläschen 
und  Pusteln  confluirend  und  zu  grossen  mit 
grauem  Eiter  gefüllten  Blasen  umgewandelt. 
Man  hätte  glauben  sollen,  dass  nach  dem 
Abfallen  derartiger  grosser  Schorfe  buchtige 
entstellende  Narben  zurückbleiben  würden. 
Dies  war  nicht  der  Fall.  Keine  Blase 
platzte,  sondern  alle  trockneten,  trotz  des 
immerwährenden  Benässens  mit  den  Pasten, 
zu  honiggelbem  Schorfe  ein,  und  nach  dem 
Abfallen  derselben  hinterblieb  gar  keine 
Spur  von  Narben.  Nur  an  den  Stellen,  wo 
die  Maske  nicht  hermetisch  anliegen  konnte, 
wie  oberhalb  der  Nasenflügel,  an  der  Naso- 
labialfalte  blieben  kaum  merkbare  Narben 
zurück. 

Die  anderen  5  Kinder  wurden  nach  dem- 
selben Princip  behandelt,  nur  mit  dem  Unter- 
schied, dass  anstatt  der  Carbolsäure-  eine 
Salicylsäurepaste  angewendet  wurde.  Ob- 
schon  das  erste  Kind  gar  keinen  Nachtheil 
von  der  Garbo Ip aste  erfuhr,  so  war  es  mir 
doch  daran  gelegen,  ein  minder  giftig  wir- 
kendes Präparat  zu  erproben.  Alle  diese 
Kinder  litten,  wie  gesagt,  an  der  confluiren- 
den  Variola,  befanden  sich  unter  dieser  Be- 
handlung stets  fieberfrei,  munter  und  hatten 
guten  Appetit.  Alle  genasen  vollständig, 
ohne  Narben  oder  sonstige  Gomplicationen 
zurückzulassen. 

Schliesslich  möchte  ich  noch  hinzufügen, 
dass  auch  der  Modus  der  sogleich  anzu- 
gebenden internen  Behandlung  möglicher 
Weise  etwas  zum  günstigen  Ausgang  beige- 
tragen haben  kann.  Gewöhnlich  werden  die 
Schleimhäute  der  Nase,  des  weichen  Gaumens, 
Pharynx  etc.  von  den  Pusteln  nicht  ver- 
schont; dadurch  können  gefahrliche  Gompli- 
cationen seitens  dieser  Gebilde  entstehen.  Be- 
sonders die  totale  Ausfüllung  der  Nasen- 
gänge mit  Pusteln  und  Krusten  zwingt  die 
Kinder,  beständig  mit  offenem  Munde  zu 
athmen,  welcher  Umstand  zu  Pharyngitis, 
Bronchitis  etc.  Veranlassung  giebt.  Um 
also  den  Pharynx  vor  Trockenheit  zu  schützen 
und  schlüpfrig  zu  erhalten  —  die  Nasen- 
gänge werden  bereits  am  2.  —  3.  Tage  der 
Krankheit  vollkommen  undurchgängig  — 
verordnete  ich  Folgendes: 

IV     Ol.  amygdal.  dulc.  15,0 

Syrup.  aurant.  flor.  30,0 

Aq.  laurocer.  10,0 

Ghinin.  hydrochl.  0,3 

Solv.  in  Acid.  hydrochlor.  q,  s.  f.  Emulsio. 

S.:  Davon  alle  ^j^ — 7a  Stunde  in  liegen- 
der   Stellung    mitteilst    Tropfenzähler     dem 


Kinde  einzuflösseji.  Die  Kinder  können  sich 
gegen  diese  Manipulation  nicht  wehren,  weil 
sie  in  Folge  der  geschwollenen  und  mit  einan- 
der verklebten  Lider  den  Tropfenzähler  nicht 
wahrnehmen  können  und  gewöhnen  sich  bald 
resignirt  die  bittere  Medicin  zu  schlucken. 

Die  Vortheile  dieser  Behandlungsmethode 
vor  anderen  sind: 

a)  Alle  Kinder  genasen,  während  im 
Deutschen  Reiche  40  ^/o  Todesfalle  an 
Pocken  auf  Kinder  fällt,  die  das  erste 
Lebensjahr  noch  nicht  erreicht  hatten*). 
Vor  der  antiseptischen  Behandlung 
starben  bei  uns  selbst,  wie  oben  be- 
merkt, alle  Pockenkinder. 

b)  War  die  Dauer  der  Krankheit  ent- 
schieden abgekürzt:  vom  Ausbruche 
des  Exanthems  bis  zum  Abfallen  der 
Schorfe  12—13  Tage. 

c)  Fast  vollkommen  fieberfreier  Verlauf, 
auch  kein  Resorptionsfieber  beim  Ueber- 
gang  der  Bläschen  in  Pusteln. 

d)  Die  Ansteckungsgefahr  für  Umgebung 
und  andere  Kinder  scheint  gänzlich 
aufgehoben  zu  sein ;  unter  den  Pocken- 
kranken fanden  sich  gesunde  Kinder, 
die  nicht  geimpft  und  nicht  zu  iso- 
liren  waren. 

e)  Die  Einfachheit  der  Methode,  gegen- 
über der  Umständlichkeit  der  Bäder 
und  Ueberschläge.  Letztere  haben 
noch  den  Uebelstand,  dass  bei  der 
niederen  Klasse  der  Bevölkerung  oder 
unwissenden  Leuten  die  Schuld  an 
dem  Tode  des  Sandes  der  Erkältung 
zugeschrieben  wird. 

f)  In  ästhetischer  Beziehung  —  was  sehr 
wichtig  sei  besonders  für  Mädchen  — 
gar  keine  Entstellung.  Vollkommen 
glattes  Gesicht,  Hände  etc. 

Die  Maske  anzulegen  bereitet  gar  keine 
Schwierigkeit,  man  schneidet  ein  Stück  Zeug 
so  zu,  dass  es  Kopf,  Gesicht  und  Hals  be- 
deckt; bilden  sich  hie  und  da  Falten,  so 
hat  man  nur  an  dieser  Stelle  einen  Scheeren- 
schlag  zu  geben  und  die  Zipfel  legen 
sich  alsdann  übereinander  und  haften  an. 
Gorneaanätzung  bei  event.  Ueberfliessen  der 
Paste  hat  man  nicht  zu  fürchten,  da  die 
Lider  bald  geschwollen  und  verklebt  werden 
und  die  Augen  gänzlich  abschliessen.  Haben 
die  Kinder  einmal  die  Augen  aufgeschlagen, 
so  ist  alsdann  schon  die  Maske  überflüssig 
geworden,  indem  die  Eintrocknung  derPusteln 
bereits  im  Gange  ist. 


*)  Ergebnisse  einer  Statistik  der  Pockentodes- 
fälle  im  Deutschen  Reiche  für  das  Jahr  1886  von 
Dr.  Rahts.  (Arbeiten  aus  dem  K.  Gesundheits- 
amte Bd.  2.) 


270 


Agarieintiure. 


TTheraifeatiiGhe 
L  Monatshefte. 


Neuere  Arzneimittel. 


Ag^aricl  nsfture. 

(Agaricussäore.     Agaricin.) 

Seit  der  Empfehlung  des  Agarlcins  als 
schweissverminderndeB  Mittel  durch  J.  M. 
Young  im  Jahre  1882  ist  der  Lärchen- 
schwamm  mehrfach  Gegenstand  chemischer 
Untersuchung  gewesen. 

E.  Jahns  isolirte  1883  ausser  mehreren 
anderen  Stoffen  aus  dem  Lärchen  schwamm 
eine  Substanz,  welche  er  als  identisch  mit 
der  zuerst  von  Fleury  (1870)  in  krystalli- 
nischem  Zustande  erhaltenen  Agaricinsäure, 
sowie  mit  dem  Agaricin  von  Schoonbrodt 
bezeichnete  und  als  eine  zweibasische,  drei- 
atomige, der  Aepfel säure  homologe  Säure 
erkannte  Yon  der  Formel 

Schmied  er  konnte  diese  Angaben  be- 
stätigen und  Fr.  Hofmeister  wies  nach, 
dass  von  den  zahlreichen  im  Lärchen  schwamm 
enthaltenen  Körpern  nur  dieser  Agaricin- 
säure die  schweissvermindemde  Wirkung  zu- 
komme. 

Trotz  dieser  Erkenntniss  waren  die  bis- 
her im  Handel,  sei  es  unter  dem  Namen 
„Agaricin",  sei  es  als  „Agaricussäure"  vor- 
kommenden, zu  therapeutischen  Zwecken  be- 
nutzten Präparate  keine  reinen  Producte. 
So  fand  Hofmeister,  dass  das  Handels- 
Agaricin  einen  von  Schmieder  als  Aga- 
ricol  bezeichneten,  physiologisch  gänzlich 
unwirksamen  Körper  als  Verunreinigung  ent- 
hält, während  die  käufliche  Agaricussäure 
eine  Beimengung  des  sogenannten  „rothen 
Harzes",  wahrscheinlich  Träger  der  abfüh- 
renden Wirkung  des  Lärchenschwammes  auf- 
weist. 

Die  reine  Agaricinsäure  stellt  ein  weisses, 
seidenglänzendes,  leichtes  Krystallmehl  dar, 
welches,  unter  dem  Mikroskope  betrachtet, 
aus  vierseitigen,  tafelförmigen  Krystallen  be- 
steht und  aus  absolutem  Alkohol  umkrystal- 
lisirt,  sich  in  büschelförmig  gruppirteu  Nadeln 
oder  in  Rosetten  abscheidet.  Der  Schmelz- 
punkt liegt  nach  Hofmeister  bei  138®. 
Die  freie  Säure  ist  in  kaltem  Wasser  nur 
wenig,  in  kochendem  ziemlich  gut  löslich. 
Aus  der  stark  schäumenden  Lösung  scheidet 
sich  beim  Erkalten  die  Säure  wieder  in 
fein  krystallinischem  Zustande  ab. 

Von  den  Salzen  sind  die  Alkaliverbin- 
dungen leicht  löslich,  die  schweren  Metall- 
salze dagegen  unlöslich. 


Hofmeister  hat  nun  neuerdings  die 
reine  Agaricinsäure  einer  genaueren  physiolo- 
gischen Untersuchung  unterzogen. 

Da  Agaricinsäure  und  Atropin  zu  glei- 
chem Zwecke,  nämlich  zur  Unterdrückung 
pathologischer  Schweisse ,  therapeutische 
Verwendung  finden,  so  war  es  von  Interesse, 
festzustellen,  ob  die  Gleichartigkeit  der 
Wirkung  nur  auf  die  Beeinflussung  der 
Schweisssecretion  beschränkt  sei,  oder  ob 
auch  nach  anderer  Richtung  ein  Parallelis- 
mus  der  Wirkung  bestehe. 

Von  den  Resultaten  seien  folgende,  als 
von   allgemeinerem  Interesse  hervorgehoben. 

Wenn  man  die  Agaricinsäure  auch  nicht 
zu  den  sehr  giftigen  Substanzen  rechnen 
kann,  so  ist  dieselbe  doch  auch  nicht  als 
indifferent  zu  bezeichnen.  Oertlich  zeigt 
dieselbe  stark  reizende  Eigenschaften,  welche 
sich  bei  subcutaner  Injection  in  ausstrahlender 
Entzündung  mit  Ausgang  in  Eiterung,  und 
bei  innerlicher  Darreichung  grösserer  Dosen 
(0,5  — 1,0  g)  in  Erbrechen  und  Durchfall  zu 
erkennen  giebt. 

Die  entfernte  Wirkung  besteht  bei  Kalt- 
blütern in  einer  allmählich  zunehmenden 
Lähmung,  Schwächung  der  Herzthätigkeit 
und  Herabsetzung  resp.  gänzlicher  Unter- 
drückung der  Hautsecretion.  Auf  die  Herz- 
wirkung ist  die  gleichzeitige  Anwendung 
von  Atropin  ohne  Einfluss. 

Agaricinsäure  vermag  nicht  wie  Atropin 
ein  durch  Muscarin  in  Stillstand  versetztes 
Froschherz  wiederum  zum  Schlagen  zu 
bringen. 

Bei  Warmblütern  kommt  es  nach  inner- 
licher Darreichung  der  reinen  Säure  wegen 
der  langsamen  Resorption  derselben  zu  keinen 
schweren  Erscheinungen.  £ei  subcutaner 
oder  intravenöser  Injection  der  löslichen 
Natron  Verbindung  ist  die  Wirkung  vorwie- 
gend auf  die  lebenswichtigen  Centren  in  der 
Medulla  oblongata,  namentlich  auf  das  Vagus- 
centrum und  auf  das  Gefasscentrum  gerich- 
tet. Beide  werden  zuerst  erregt,  dann  ge- 
lähmt. Daher  stellt  sich  zunächst  Puls- 
verlaogsamung  mit  Blutdrucksteigerung,  später 
Sinken  des  arteriellen  Druckes  ein.  Der  Tod 
erfolgt  nach  voraufgehenden  Oonvulsionen 
durch  Athmungsstillstand,  bei  künstlich 
respirirten  Thieren  dagegen  in  Folge  der 
bedeutenden   Blutdrucksemiedrigung. 

Mydriatische  Wirkung  besitzt  Agaricin- 
säure nicht,  vielmehr  erzeugen  Instillationen 
von  agaricinsaurem  Nation  eine  wahrschein* 


IfJ.  jAhrgmag.! 
Joni  1889.   J 


Agaricinaftium. 


271 


licli  durcli  die  reizen  den  Eigenschaften  des 
Salzes  bedingte,  nicht  sehr  bedeutende, 
durch  Atropin  zu  beseitigende  Pupillenver- 
engerung. 

Die  Beeinflussung  der  Schweisssecretion 
ist  keine  centrale,  sondern  Folge  einer 
Wirkung  auf  den  secemirenden  Apparat. 
Reizung  des  Ischiadicus  ruft  bei  Agaricin- 
thieren  keine  Schweisssecretion  herror,  wohl 
aber  erweist  sich  Pilocarpin  auch  nach  Ein- 
yerleibung  Ton  Agaricin säure  wirksam. 

Eine  Aehnlichkeit  in  der  Wirkung 
zwischen  Agaricinsäure  und  Atropin  besteht 
also  nur  in  Bezug  auf  Schweisssecretion. 
Quantitativ  yerhalten  sich  auch  hierbei  beide 
Substanzen,  sehr  ungleich.  Probsting 
schätzte  die  Wirkung  des  Agaricins  unge- 
fähr 20  mal  geringer,  als  die  des  Atropin. 
Nach  Hofmeister  ist  diese  Schätzung  noch 
zu  günstig  für  die  Agaricinsäure. 

Für  die  Praxis  ergiebt  sich  aus  den 
Untersuchungen  Hofmeister^s  Folgendes: 

1.  Für  therapeutische  Zwecke  ist  reine 
Agaricinsäure  zu  Ter  wenden. 

2.  Die  Furcht  vor  brechen-  oder  durch- 
fallerregender Wirkung  ist  bei  interner  An- 
wendung reiner  Agaricinsäure  übertrieben. 


Auf  der  Prof.  Kahler^schen  Klinik 
wurden  wiederholt  Dosen  von  0,05,  in  einem 
Falle  sogar  0, 1  g  gegeben,  ohne  dass,  abge- 
sehen Yon  leichter  schnell  vorübergehender 
Nausea,  Intoxicationserscheinungen  auftraten. 
Graben  von  0,02 — 0,03  wurden  ausnahmslos 
gut  vertragen,  und  da  die  antihydro tische 
Wirkung  erst  nach  Stunden  deutlich  aufzu- 
treten, dann  aber  über  24  Stunden  anzu- 
halten pflegt,  so  ist  in  der  wiederholten 
Darreichung  kleiner  Dosen  die  Möglichkeit 
gegeben,  die  Unannehmlichkeiten,  die  nach 
einmaliger  Einnahme  einer  grossen  Dose  er- 
wachsen könnten,  zu  umgehen. 

3.  Subcutane  Injectionen  des  löslichen 
Natronsalzes  sind  wegen  der  örtlich  reizen- 
den Eigenschaften  zu  vermeiden. 

Litteraiur:  1.  E.  Jahns:  ZurEenntniss  der 
Agaricinsäure.  Arcb.  für  Pharmacie  1883  S.  260 
—271. 

2.  J.  Schmieder:  Ueber  die  chemischen 
Bestandtheile  des  Foljporus  officinal. 
(Agaricus  alb.  der  Offi einen).  Arch.  f.  Phar- 
macie 1886  S.  641—668. 

3.  Fr.  Hofmeister:  Ueber  den  schweiss 
vermindernden  Bestandtheil  des  Lärchen- 
schwamm  es.    Arch.  f.  ezp.  Patholog.  u.  Pharmak. 
XXV  S.  189—202. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Bericht  Aber  den  achten  Congress  flir  innere 
Medicin  (therapeut.  Theil).  Von  Dr.  Benno 
L  a  q  u  e  r  -  Wies  baden. 

Wie  in  früheren  Jahren  (Syphilisdebatte, 
Oertelcur,  Keuchhusten therapie)  so  hat  auch 
in  diesem  Jahre  der  Congress  für  innere 
Medicin,  welcher  die  durch  die  interne  Klinik 
vertretene  Einheitsidee  des  menschlichen 
Organismus  festzuhalten  und  auszubauen  be- 
rufen ist,  zwei  wichtige  therapeutische  Fra- 
gen durchberathen,  von  denen  die  eine  uralt 
—  die  der  Gicht  —  die  andere  dagegen 
in  der  jüngsten  Zeit  nicht  von  der  Tages- 
ordnung der  medicinischen  Oongresse  ver^ 
seh  wunden  ist.  Es  lag  sehr  nahe,  nachdem 
der  vorjährige  Chirurgencongress  eine  aus- 
fuhrliche Debatte  über  die  operative  Be- 
handlung des  Ileus  geführt,  nunmehr  auch 
vom  Standpunkte  des  inneren  Klinikers  diese 
hochinteressante  Frage  einer  grösseren  durch 
die  Discussion  sich  klärenden  Beleuchtung 
zu  unterwerfen. 

Der  erste  Referent,  Herr  Prof.  Leichten- 
stern  (Köln),  erörterte  in  ausführlichen  und 


glänzenden  Zügen  die  Pathologie,  Sympto- 
matologie und  Diagnostik  des  Ileus,  und  aus 
seinen  Ausführungen  ging  zweierlei  hervor, 
erstens  dass  manche,  oder  besser  gesagt  noch 
recht  viele  Punkte  in  der  Pathologie  der 
Darmocclusion,  z.  B.  die  Art  und  Weise  des 
Zustandekommens  der  Achsendrehung  etc. 
oder  die  Wirkung  des  Opiums  hypothetisch 
oder  ganz  dunkel  sind,  und  dass  es  ferner 
in  nicht  wenigen  Fällen  sehr  schwierig  oder 
gar  unmöglich  sei,  die  von  den  Chirurgen 
behufs  operativen  Einschreitens  mit  Recht 
vom  inneren  Kliniker  zu  fordernde  diagno- 
stische Auskunft  über  die  Ursache  oder 
wenigstens  über  den  Sitz  der  Darmocclusion 
genau  und  sicher  zu  ertheilen. 

Die  etwas  dankbarere,  weil  in  gewissem 
Sinne  einfachere  Aufgabe  der  Besprechung 
der  Ileustherapie  löste  Herr  Prof.  Cursch- 
mann  mit  gewohnter  Meisterschaft  (s.  Mai- 
heft S.  198). 

Die  zweite  grössere  therapeutische 
Frage,  die  Behandlung  der  Gicht,  ent- 
behrte   leider    bei    der    grossen    Länge    der 


272 


Therapeutiich«  Minh«Uungeii  aus  Verein««. 


tTb«r&p6utiBcbe 
Monntiih^^ftA. 


Referate  der  Discussion.  Seit  der  klassischen 
Monographie  von  Sydenham  im  vorigen 
und  seit  Garrod's  Untersuchungen  in  diesem 
Jahrhundert  hat  ja  die  Frage  der  Pathologie 
und  Therapie  der  Gicht  etwas  stagnirt; 
immerhin  haben  gerade  Ebstein  und  £. 
Pfeiffer  das  Verdienst,  neue  Gesichtspunkte 
zur  Klinik  dieser  uralten  Krankheit  hinzu- 
gebracht zu  haben.  Der  erste  Referent, 
Prof.  W.  Ebstein,  besprach  die  Pathologie 
der  Gicht  und  verwies  bezüglich  der  Therapie 
auf  die  bekannten  Grundsätze  für  die  Er- 
nährung der  Fettleibigen  resp.  auf  die  in 
seinem  Werke:  Das  Regimen  bei  der  Gicht 
(Bergmannes  Verlag)  niedergelegten  Prin- 
cipien. 

Der  zweite  Referent,  E.  Pfeiffer  (Wies- 
baden), legte  folgende  Sätze  über  die  Natur 
der  Gicht  seiner  Behandlung  zu  Grunde: 

1,  Die  Gichtanlage  oder  die  hamsaure  Dia- 
these besteht  darin ,  dass  die  Harnsäure,  welche 
abgesondert  toird,  sofort  schon  in  den  Körper- 
saften  nicht  in  einer  leicht  löslichen,  sondern  in 
einer  schwer  löslichen  und  zur  Ablagerung  neigen- 
den Form  ausgeschieden  wird. 

2.  Die  Folge  dieser  Schwerlöslichkeit  der 
Harnsäure  ist  die,  dass  dieselbe  nicht  sofort  nach 
ihrer  Bildung  fortgeschafft,  sondern  in  den  Ge- 
weben abgelagert  wird  und  zwar  entweder  in 
Form  allgemeiner  Infiltration  der  noch  gesunden 
Gewebe  oder  als  umschriebene  Knoten, 

3.  Die  erste  Folge  der  Retention  der  Harn- 
säure ist  eine  verminderte  Ausscheidung  derselben ; 
bei  weiterem  Fortschreiten  des  Gichtprocesses 
macht  sich  aber  ein  Damiederlegen  des  ganzen 
Stoffwechsels  mit  beträchtlicher  Verminderung  der 
Harnstoff-  und  Harnsäureausscheidung  geltend^ 
welche  in  den  schwereren  Fällen  zur  Kachexie^ 
zu  bedrohlichen  locaJen  Störungen  an  lebenswich- 
tigen Organen  und  zum  Tode  führt, 

4,  Der  Gichtanfall,  sowohl  der  acute  als  der 
chronische,  entfiteht  dadurch,  dass  durch  beson- 
dei'e  Umstände  eine  stärkere  und  der  normalen 
sich  nähernde  Alkalescenz  der  Verdauungssäfte 
bewirkt  icird,  welche  zur  Lösung  der  deponirten 
Harnsäure  fuhrt.  Die  in  grossen  Massen  in 
lösliche  Form  ül)er geführte  Harnsäure  bewirkt 
die  Schmerzanfälle  und  die  Entzündungserschei- 
nungen. 

Vor  allem  handelt  es  sich  darum,  die 
Harnsäureausscheidung  wieder  auf  den  nor- 
malen Stand  zu  bringen,  d.  h.  die  Ansamm- 
lung derselben  in  den  Geweben  und  hiermit 
die  Ausbildung  der  Vorbedingung  des  Gicht- 
anfalls zu  verhindern.  Im  Gichtanfall  selbst 
sind  die  Schmerzen  zu  lindern  und  die  über- 
schüssige Harnsäure  schmerzlos  aus  den  Ge- 
weben zu  entfernen. 

Diätetische  Guren  versprechen  den 
dauerndsten  Erfolg.    Referent  empfiehlt  fol- 


gendes Regimen :  Viel  Eiweissstbffe,  Fette 
und  grüne  Vegetabilien,  welche  letztere  den 
Urin  alkalisch  machen,  Vermeidung  der 
Kohlehydrate,  des  Zuckers. 

Reichlicher  Fleischgenuss  ist  indicirt,  um 
der  mit  starkem  Sinken  der  Hamstoff- 
und  Harnsäure-Absonderung  einhergeli enden 
Kachexie  vorzubeugen.  Ausserdem  sind  die 
Salze  des  Fleisches  im  Stande,  die  gebildete 
Harnsäure  in  einem  für  die  Ausscheidung 
günstigen  Lösungsverhältnisse  zu  erhalten. 
Saure  Milch  und  saurer  Käse  sind  verboten; 
ebenso  Alcoholica. 

Ref.  empfiehlt  ferner  kohlensaure,  phos- 
phorsaure und  borsaure  Alkalien  in  steigender 
Dosis,  insbesondere  Fachingen  und  die  Kaiser- 
Friedrichquelle  in  Offenbach. 

In  Wiesbadener  Mineralbädem  7«  stünd- 
lich pro  Tag  hat  Vortr.  ein  hervorragendes 
und  durch  lange  Nachwirkung  sich  auszeich- 
nendes Heilmittel  gegen  die  Harnsäuredia- 
these kennen  gelernt,  welches  auf  die  Harn- 
säure-Ausscheidung der  Gichtkranken  einen 
experimentell  nachweisbaren  Einfluss  ausübt. 

Auch  werden  die  Reste  acuter  und  sub- 
acuter Gichtanfälle  (Schwellung,  schmerzhafte 
Steifigkeit  etc.)  durch  die  Badecur  rasch 
fortgeschafft. 

Beim  acuten  Anfall  ist  der  Hauptwerth 
auf  die  Mineralcuren,  besonders  Acid.  muriat. 
sowie  auf  das  Natr.  salicyl.,  auf  frühzeitiges 
Aufstehen  u.  dergl.  zu  legen« 

In  den  Nachmittagssitzungen  und  dies- 
mal auch  in  einer'  Vormittagssitzung  kamen 
die  Einzel  vortrage  zur  Verlesung.  Nachdem 
Prof.  Immermann  (Basel)  über  Magen- 
untersuchungen bei  Phthisikem  berichtet, 
welche  darin  gipfelten,  dass  eine  eigentliche 
Dyspepsie  bei  Phthise  nur  selten  vorkomme, 
da  die  Phthisiker  alle  Ingesta  ausgezeichnet 
verdauten,  dass  dieselbe  event.  eine  Gom- 
plication  der  Phthise  vorstelle  und  für  sich 
behandelt  werden  müsse,  sprach  Prof.  Pe- 
tersen (Kopenhagen),  der  durch  sein  berühm- 
tes Werk  über  die  Geschichte  der  Therapie 
in  weiteren  ärztlichen  Kreisen  bekannt  ge- 
worden ist,  über  die  hippokratische  Heil- 
methode. Vort.  erörterte  die  Anschauungen 
und  Methode  des  unsterblichen  Altmeisters 
der  Heilkunde,  indem  er  dieselben  dem  um 
sich  greifenden  Specialismus  gegenüberstellte, 
der  das  Gebiet  der  Klinik  immer  mehr  und 
mehr  einenge  und  den  Kliniker  zwinge  aus 
Gründen  der  Selbstvertheidigung  dem  Hippo- 
kratismus,  den  Principien  des  grossen  Goers 
mehr  als  seither  sich  anzuschliessen. 

Prof.  Für  bringer  (Berlin)  folgte  sodann 
mit-  einem  Vortrage  über  Impotentia  virilis 
resp.  Impot.  coeundi  und  dessen  Behandlung. 
Vort.  beleuchtete    die  Symptomatologie  der 


Jnvl  1889.   J 


Thetcpeutiiche  MlttheUunseii  Hut  Verelnefi. 


273 


einzelnen  Formen  der  Impotenz,  ihre  Dia- 
gnostik, differencirte  sie  scharf  von  der  Impot. 
generandi,  bei  der  das  Mikroskop  eine 
Aspermie  nachweise  ohne  Störung  der  sexu- 
ellen Triebe  sowie  der  Erection,  von  der 
Impotenz  im  Gefolge  von  Krankheiten 
(Tabes,  Diabetes,  Hirnlues,  Morb.  Brightii), 
besprach  die  Prognose  (Vs  Heilungen,  Vs 
Besserungen,  ^/s  incurabel)  und  zuletzt  die 
Therapie  dieser  Krankheit;  letztere  müsse 
im  Sinne  des  vom  Vortr.  urgirten  Staud- 
punktes, dass  die  Impot.  coeundi  ein  Sym- 
ptom der  Neurasthenie  resp.  eine  Initial er- 
Bcheinung  derselben  darstelle,  am  besten  in 
einer  Nervenheil-Anstalt  behandelt  w^erden; 
neben  sexueller  Abstinenz  sei  körperliche 
und  geistige  Ruhe  nothwendig.  Mastcur 
nach  Weir-Mitcheir sehen  Principien  wirke 
oft  heilend,  ebenso  die  sich  anschliessende 
hydriatische  und  elektrische  Behandlung. 
Vortr.  warnt  vor  Anwendung  der  Aetzmittel 
ausser  bei  entzündlichen  Zuständen  der 
Harnröhre;  bei  reiner  Neurose  ist  die  local- 
instrumentelle  Reizung  streng  zu  vermeiden. 
Ein  principiell-negirender  Standpunkt  in  der 
Frage  der  Eheschliessung  empfiehlt  sich 
nicht. 

Es  folgt  dann  der  Vortrag  von  Dr.  Dett- 
weiler  über  ein  Hustenfläschchen  (s.  unter 
Originalien  S.  216),  eine  Demonstration  des 
Herrn  Prof.  Ebstein  über  die  durch  Injection 
chemischer  Substanzen  erzeugten  Harn-  und 
Nierensteine,  ein  Experiment,  welches  jeden- 
falls auch  der  Ausgangspunkt  einer  frucht- 
bringenden Entwickelung  der  Therapie  wer- 
den kann;  alsdann  sprach  Dr.  Klemperer 
(Berlin)  über  Magenerweiterung  und  ihre  Be- 
handlung. 

K.  hat  17  Fälle  von  Dilatation  auf  der 
Ley deutschen  Klinik  beobachtet,  bei  denen 
keine  Strictur  des  Pylorus  bestand.  Hiervon 
hatten  8  herabgesetzten,  2  normalen,  7  gestei- 
gerten Salzsäuregehalt.  K.  bespricht  ausfuhr- 
lich die  Beziehungen  zwischen  Hyperacidität 
und  Dilatation.  Er  hat  21  Fälle  von  Salzsäure- 
Hyperacidität  beobachtet,  die  er  in  2  grosse 
Gruppen  theilt.  l)  Hyperacidität  mit  guter 
motorischer  Kraft  (12  Fälle).  Die  Patienten 
bieten  das  Bild  der  nervösen  Dyspepsie. 
Heilung  tritt  schwierig  ein.  Es  kommt  nicht 
zu  Dilatation  trotz  der  fortbestehenden  Hyper- 
acidität. K.  hält  diese  Fälle  für  eine 
Secretionsneurose.  2)  Hyperacidität  mit  mo- 
torischer Schwäche.  a.  Fälle,  bei  denen 
motorische  Schwäche  und  Hyperacidität  durch 
den  Reiz  überreichlicher  und  schlecht  zer- 
kleinerter Nahrung  verursacht  wird  (3  Fälle). 
Hierher  rechnet  Verfasser  die  Hypersecretion, 
wovon  er  4  Fälle  gesehen  hat.  Bei  dieser 
Gruppe  theilt  K.  einen  Fall  über  Hyperacidität 


mit,  bei  dem  die  Saccharificationsfähigkeit 
des  Speichels  nach  Ausweis  exact  chemischer 
Feststellung  deutlich  vermindert  war.  — 
b.  Hyperacidi täten  mit  motorischer  Schwäche, 
ohne  nachweisbares  ätiologisches  Moment 
(6  Fälle).  Es  Hess  sich  in  mehreren  Fällen 
nachweisen,  dass  die  motorische  Schwäche 
das  Primäre  w^ar  und  durch  den  verlängerten 
Aufenthalt  der  Speisen  im  Magen  die  Hyper- 
acidität verursacht  wurde.  Hierher  gehören 
die  phthisischen  Dyspepsien;  als  Ursache  der 
motorischen  Schwäche  ist  Torpor  des  Vagus 
anzunehmen ,  der  auch  durch  die  vielfach 
vom  Verfasser  hierbei  beobachteten  Herzpal- 
pitationen  wahrscheinlich  gemacht  wird.  Die 
Hyperacidität  bei  motorischer  Schwäche  kann 
in  Anacidität  übergehen.  —  Die  Methode, 
deren  sich  K.  für  Feststellung  der  motorischen 
Kraft  bediente,  ist  das  im  Verein  für  innere 
Medicin  im  vorigen  Jahre  geschilderte  01- 
verfahren.  Verfasser  fasst  das  Ergebniss 
seiner  Untersuchungen  über  die  Pathogenese 
der  Dilatation  in  folgendem  Satz  zusammen : 
Die  Dilatation  des  Magens  geht  hervor  aus 
motorischer  Schwäche,  welche  entweder  pri- 
mär ist  oder  bedingt  wird  durch  den  Reiz  ab- 
normer lugesta;  die  Hyperacidität  des  Magen- 
saftes ist  nicht  als  Ursache  der  Ectasie  zu 
betrachten.  Verfasser  bespricht  hierauf  kri- 
tisch die  jetzt  geläufige  Anschauung  über  die 
Erfolge  der  Behandlung  der  Magendilatation. 
Die  Lehrbücher  gehen  von  der  Ansicht  aus, 
dass  eine  einmal  ausgebildete  Dilatation  nicht 
rückbildungsfähig  sei.  Dem  gegenüber  be- 
richtet Verfasser  über  einen  Fall  von  ausser- 
ordentlicher Magendilatation,  welcher  nach 
Säurevergiftung  innerhalb  4  Wochen  ent- 
standen war;  nach  glücklicher  Pyloroplastik 
bildete  sich  der  Magen  bald  auf  seine  na- 
türliche Grösse  zurück,  wie  bei  der  wegen 
Phthisis  erfolgten  Section  constatirt  wurde. 
Bei  Dilatationen,  die  sich  mehr  chronisch 
ausbildeten,  ist  eine  weitgehende  anatomische 
Rückbildung  nicht  zu  erwarten,  doch  stellte 
sich  die  motorische  Kraft  bei  zweckmässiger 
Behandlung  fast  im  normalen  Maasse  wieder 
her.  Die  Behandlung  hat  folgende  Fac- 
toren  zu  berücksichtigen:  Die  Ausspülung 
ist  Abends  vorzunehmen,  dabei  ist  wenig 
Wasser  anzuwenden,  am  besten  ein  Aspira- 
tionsapparat zu  benutzen.  Hauptwerth  ist 
auf  die  Diät  zu  legen.  Von  Vielen  wird 
blosse  Fleisch  diät  verordnet,  in  der  Meinung, 
dass  diese  im  Magen  leicht  zur  Resorption 
gelangt.  Verfasser  hat  festgestellt,  dass  aus 
dem  dilatirten  Magen  nur  minimale  Resorp- 
tion stattfindet.  Es  ist  wichtig,  dass  soviel 
Nährmaterial  in  den  Darm  gelangt,  dass  eine 
Restitution  der  Muscularis  des  Magens  statt- 
findet,  d.  h.  es   muss  durch  die  Ernährung 

85 


274 


Th«tmpetttiteh«  Mltth«Üiiii(«n  aus  V«»ein«ii. 


rTherapeotbdie 
L  Monatshefte. 


ein  Eiweissansatz  erzielt  werden.  Zu  diesem 
Zweck  sind  ausser  80  g  Eiweiss  mindestens 
120  g  Fett  und  250  g  Kohlehydrat  noth- 
wendig.  Fett  wird  am  besten  als  Sahne, 
das  Kohlehydrat  als  Traubenzucker,  daneben 
Brod  und  Butter  gegeben.  Elektrlcität, 
Massage,  Alkohol  und  Bittermittel  sind  die 
andern  Factoren  der  Behandlung,  durch  die 
Verfasser  weit  günstigere  Resultate  erhalten 
hat,  als  in  der  Litteratur  berichtet  werden. 
In  dem  kurzen  Referat  lassen  sich  die 
ziemlich  complicirten  Verhältnisse  schwer 
wiedergeben,  der  sich  näher  Interessirende 
muss  auf  das  ausfuhrliche  Referat  in  dem 
officiellen  Verhandlungsbericht  verwiesen 
werden. 

Dr.  Hanau  demonstrirte  durch  üeber- 
impfung  vom  Scrotum  einer  Ratte  künstlich 
erzeugte  Krebse  des  Peritoneums,  der  Pleura 
u.  s.  w.,  sowie  die  entsprechenden  mikrosk. 
Präparate. 

Dr.  Lauenstein  (Hamburg)  bespricht 
unter  Demonstration  eines  geheilten  Falles 
von  Pylorusresection  und  eines  ebensolchen 
mit  angelegter  Magendünndarmfistel,  beide 
wegen  stenosirenden  Ulcus  ausgeführt,  die 
Stellung  der  Chirurgie  zu  der  Frage  der 
Pylorusoperationen  überhaupt. 

Da  vor  der  Operation  wohl  eine  Diagnose 
auf  Pylorusstenose  resp.  Tumor  gestellt 
werden  kann,  aber  nicht  auf  Gut-  oder  Bös- 
artigkeit der  Torliegenden  Erkrankung  oder 
auf  die  Möglichkeit,  ob  und  wie  die  Affec- 
tion  chirurgisch  anzugreifen  ist,  so  ist  hier 
die  Probelaparotomie  am  Platze,  die  bei 
fehlender  Peritonitis  als  ungefährlich  zu  be- 
trachten ist.  Erst  dann  lässt  sich  fest- 
stellen, ob  eine  Operation  überhaupt  aus- 
führbar. Es  kommen  dann  3  Opera- 
tionen in  Frage:  l)  die  Plastik  nach  Hei- 
necke-Mikulicz,  2)  die  Gastroenterostomie 
nach  Wolf  1er  und  3)  die  eigentliche  Pylo- 
rusresection. Erstere  ist  angezeigt  nur  beim 
stenosirenden  Ulcus  ohne  Verdickung  der 
Magenwandungen,  die  zweite  ist  eine  Pallia- 
tivoperation, die,  wie  der  eine  vorgestellte 
Patient  zeigt,  bei  inoperabelem  Ulcus  in  Be- 
tracht kommt  und  beim  Carcinom,  dessen 
Entfernung  unmöglich.  Bei  Ulcus  kommt 
sie  einer  Radicaloperation  sehr  nahe,  bei 
Carcinom  beseitigt  sie  Erbrechen  und  Auf- 
stossen. 

Die  Pylorusresection  eignet  sich  nur 
für  nicht  verwachsene  Stenosen  durch  Ulcus 
und  Carcinom. 

Die  Anlegung  der  Magendünndarmfistel 
ist  als  wesentlich  ungefährlicher  zu  be- 
trachten, als  die  Resection.  L.  schliesst 
eine  Anzahl  diagnostischer  Bemerkungen  an 
bezüglich   der   Lage   des   Tumors,     der  Ver- 


schiebbarkeit, der  möglicherweise  vorliegen- 
den Verwachsungen,  das  Verhältniss  des 
Carcinoms  und  des  Ulcus  zur  Ektasie  und 
betont,  dass  diejenigen  Patienten,  bei  denen 
der  innere  Arzt  die  Medication  zur  Opera- 
tion stelle,  noch  einen  befriedigenden  Kräfte- 
zustand  haben  müssen,  um  die  Operation 
überstehen  zu  können.  Zu  der  Frage  äus- 
sern sich  die  Herren  Curschmann, 
Leyden,  Lenbe,  die  vom  Standpunkte  des 
Klinikers  aus  den  operativen  Eingriff  be- 
sonders bei  stenosirendem  Ulcus  als  ultima 
ratio  betrachten,  während  bei  sicherem 
Carcinom  allerdings  so  frühzeitig  als  mög- 
lich der  Chirurg  zuzuziehen  ist. 

Herr  Roser  (Hanau)  demonstrirt  einen 
Patienten  mit  total,  wegen  Krebs  ausgeführter, 
Larynxexstirpation. 

Herr  Rosenfeld  (Breslau)  einen  beim 
jauchigen  Empyem  gefundenen  Commabacil- 
lus,  Herr  Finkeinburg  (Bonn)  spricht  über 
bodenständige  Verbreitungsverhältnisse  der 
Tuberculose  in  Deutschland. 

Herr  von  Ziemssen  und  Herr  Krehl 
(Leipzig)  über  Bewegungs Vorgänge  am  Her- 
zen, resp.  über  den  Druckablauf  in  den 
Herzhöhlen  und  Arterien. 

In  der  Nachmittagssitzung  sprechen  dann 
Herr  Leo  (Berlin)  über  den  Gas  Wechsel  bei 
Diabetes,  Herr  Benno  Laquer  (Wiesbaden) 
über  Rhinosclerom  mit  Krankenvorstellung, 
Dehio  (Dorpat)  über  die  experimentelle 
Entstehung  des  vesiculären  Athemgeräusches, 
V.  Basch  über  cardiale  Dyspnoe,  F.Müller 
(Bonn)  über  Stoffwechseluntersuchungen  bei 
Krebskranken,  Herr  Fink  1er  (Bonn)  über 
Streptococcenpneumonie,  ferner  Herr  Krause 
(Berlin)  über  die  Erfolge  der  neuesten  Be- 
handlungsmethode der  Kehlkopfphthise  (s. 
unter  Originalien  S.  203). 

In  der  letzten  (7.)  Sitzung  des  Congresses 
sprachen : 

Herr  Seifert  (Berlin)  über  Rhinitis 
fibrinosa;  Herr  Kraus  (Prag)  über  die  Al- 
kalescenz  des  Blutes  in  Krankheiten. 

Storch  demonstrirt  einen  nach  Art  des 
Bunsen^  sehen  Flaschenaspirators  gearbeite- 
ten Apparat  zur  Entleerung  pleuritischer 
Exsudate  und  von  Ascites. 

Eisenlohr  (Hamburg)  bemerkt  in  der 
Discussion,  dass  die  Bülau'sche  Methode 
der  Empyemoperation  und  Behandlung  die 
zweckmässigste  bei  einfacheitrigen,  nicht  pu- 
triden Exsudaten  sei.  Jaff^  und  Simmonds 
haben  die  Details  beschrieben  und  Immer- 
mann neuerdings  ebenfalls  über  günstige 
Resultate  berichtet.  Das  Princip  ist  das- 
selbe wie  beim  Apparate  Storch' s,  nur  ein- 
facher; was  besonders  die  luftdichte  Ap- 
plication   des    absaugenden    Apparates    be* 


IIL  Jalirgftii|r*l 
Jiml  1889.   J 


Therapeutlioh«  Mltlh«llangieii  aus  V«r«Ui«fi. 


275 


trifft,  so  wird  diese  durch  die  Einführung 
des  elastischen  Katheters,  um  den  sich  die 
Troicart'Stichwunde  hermetisch  legt,  sicher 
und  einfach  erreicht. 

Am  wesentlichsten  bei  der  Bül aussehen 
Methode  ist  die  permanente  Saugwirkung 
des  mit  dem  Katheter  verbundenen  Heber- 
apparates und  der  Luftabschluss  während 
der  ganzen  Dauer  der  Eiterung  der  Pleura- 
höhle. Die  vom  Vortragenden  erwähnten 
Nachtheile  der  Luftschicht  zwischen  Lunge 
und  Thoraxwand,  des  offenen  Pneumothorax 
werden  yermieden,  die  Wiederausdehnung 
der  Lungen  wird  erleichtert,  die  Retraction 
der  Lunge  und  der  Thorax  wand  verhütet  etc. 
Vortragender  empfiehlt  aber  die  Anwendung 
der  Bü  lau 'sehen  Methode  besonders  bei 
einfachen  eitrigen,  nicht  putriden  Ergüssen. 
Die  Resultate  sind  sehr  günstig.  Dagegen 
ist  bei  putriden  Ergüssen  nur  eine  beschränkte 
Indication  vorhanden  wegen  der  leichten 
Infection  der  Weichtheile  von  dem  Erguss 
aus.  In  solchen  Fällen  zieht  Bülau  die 
Thoracotomie  mit  Rippenresection    vor. 

Posner  (Berlin):  lieber  Therapie  der  chro- 
nischen Prostatitis.  Die  locale  Untersuchung 
wird  bei  chronischer  Prostatitis  oft  vernach- 
lässigt oder  vergessen;  die  früher  schwere 
und  undankbare  Diagnose  ist  dank  den  Un- 
tersuchungen von Fürbringer  über  die  norma- 
len Secrete  leichter  geworden.  Wichtige  dia- 
gnostische Momente  sind:  keine  Rundzellen, 
wohl  aber  sehr  feine,  kleine  fettartige,  von 
P.  als  Lecithin  angesprochene  Körper, 
ausserdem  noch  Eiterkörperchen ;  ob  letz- 
tere aus  der  Prostata  kommen,  muss  der 
Arzt  entscheiden.  P.  lässt  zuerst  uriniren, 
comprimirt  dann  per  anum  die  Prostata  und 
untersucht  dann  das  Secret.  Findet  er  darin 
Lecithinkrjstalle,  so  ist  es  Prostata-Secret. 
Differentiell-diagnostisch  ist  die  senile  Prosta- 
ta-Hypertrophie auszuschliessen  (normale 
Secrete  mit  Rundzellen).  Therapie:  zuerst 
Behandlung  per  urethram,  Jodkali -Supposi- 
torien.  In  einzelnen  Fällen  Sondenbehand- 
lung (Metallsonde).  Eventuell  Combination 
mit  Win ternitz' scher  Kühlsonde,  die  Pro- 
gnose ist  nicht  absolut  günstig.  In  der  Dis- 
cussion  fragt  Pauly  (Nervi),  ob  Posner 
Erfahrungen  über  den  Arzb  erger' sehen 
Apparat  hat  (von  E.  Finger  empfohlen) 
bei  chronischer  Prostatitis  mit  lauem  und 
bei  acuter  Prostatitis  mit  kaltem  Wasser, 
was  Pos n er  verneint. 

Herr  Dr.  Openchowsky  (Dorpat)  theilt 
die  Ergebnisse  einer  Reihe  von  pharmakologi- 
schen Untersuchungen  mit,  welche  er  zuerst  ü  ber 
die  Wirkung  der  Digitalisgruppe  auf  das 
rechte  Herz  und  den  kleinen  Kreislauf  an- 
gestellt hat. 


Nach  der  Ansicht  des  Vortr.  bildet  der 
kleine  Kreislauf  ein  abgeschlossenes  System 
und  die  Agentien,  welche  den  grossen  Kreis- 
lauf beeinflussen,  tangiren  den  kleinen  gar 
nicht  oder  nur  in  soweit,  als  der  Zufluss 
zum  rechten  Herzen  vermehrt  oder  vermin- 
dert wird.  Die  Herabsetzung  des  Druckes 
im  grossen  Kreislauf  durch  Curare,  Amyl- 
nitrit,  Chloral  macht  sich  auf  den  kleinen 
Kreislauf  nur  minimal  in  Folge  Verminderung 
des  Blutzuflusses  geltend.  Helleborein  er- 
höht den  Blutdruck  im  kleinen  Kreislauf, 
wenn  der  Zufluss  in  das  rechte  Herz  ver- 
mehrt wird,  beeinflusst  aber  direct  weder 
die  Lungengefässe  noch  das  rechte  H^rz. 
Vortr.  nimmt  auf  Grund  seiner  Untersuchun- 
gen an,  dass  die  Digitalisgruppe  nur  auf 
das  linke  Herz  und  dessen  Gefösssystem 
wirke. 

Da  eine  Immunität  des  rechten  Herzens 
gegen  Gift  nicht  annehmbar  ist,  so  wirken 
diese  Gifte  wahrscheinlich  nur  auf  die  Co- 
ronararterien,  das  r.  Herz  wird  durch  die 
Contraction  der  rechten  Coronaria  gewisser- 
maassen  gehemmt. 

Die  Beobachtungen  bestätigen  diese  Vor- 
aussetzung. Gleich  nach  der  Vergiftung  ist 
die  linke  Coronaria  stärker  gefüllt,  die 
rechte  weist  nichts  derartiges  auf. 

Das  r.  Herz  schlägt  zweimal  schneller 
als  das  linke,  was  der  Zahl  der  Pulse  an 
den  typischen  Blutdruckscurven  entspricht. 

Der  linke  Ventrikel  eines  durch  Digitalis 
vergifteten  Thieres  schlägt  2  — 3 mal  länger 
als  das  normale  linke  Herz,  während  der 
rechte  Ventrikel  kürzere  Zeit  schlägt  als 
normal,  wo  er  nur  2  —  8  mal  länger  schlägt 
als  der  linke. 

Diese  Beobachtungen  stimmen  mit  den 
von  Cohnheim,  Samelson  etc.  gefundenen 
überein;  doch  können  auch  noch  nervöse 
Vorrichtungen  bei  der  Beurtheilung  in  Be- 
tracht kommen. 

Die  Thatsache,  dass  die  Wirkuug  der 
Digitalisgruppe  sich  nur  auf  den  grossen 
Kreislauf  erstreckt,  liefert  vorläufig  die  ein- 
zig mögliche  Erklärung  ihrer  therapeutischen 
Leistung.  Die  Aufhebung  der  venösen 
Stauungen  vor  der  Ueberfüllung  des  kleinen 
Kreislaufs  ist  nur  dann  erklärlich,  wenn  das 
linke  Herz  allein  den  Ueberschuss  an  Blut 
aus  dem  kleinen  Kreislauf  wegschafft. 

Würden  die  Mittel  der  Digitalisgruppe 
auf  beide  Herzhälften  proportional  wirken, 
so  blieben  die  Verhältnisse  dieselben  wie 
vorher.  Trotz  absoluter  Steigerung  der  Ar- 
beit wäre  es  unmöglich,  mehr  Blut  aus  dem 
kleinen  Kreislauf  in  den  grossen  überzuführen. 
Die  schnelle  aber  nicht  vermehrte  Arbeit  des 
r.  Ventrikels    ist    offenbar    nur    als    regula- 

36* 


276 


TherapeuUiche  Mittheilungen  ftui  Vereinen. 


prlierapeiituche 
L  Monatshefte. 


torisches  Moment  anzusehen.  Wenn  die 
Digitalis  die  Symptome  z.  B.  bei  Mitral- 
stenose verschlimmert,  ist  die  Ursache  hier- 
von eher  in  der  Erkrankung  der  Regulator- 
vorrichtungen, als  des  Herzmuskels  selbst 
zu  suchen. 

Herr  Mordhorst  ( Wiesbaden)  trägt  so- 
dann über  seine  therapeutischen  Erfolge  der 
elektrischenMassagebeichron.Sehnen-,Gelenk- 
und  Muskel afifectionen  rheumatischen  und  trau- 
matischen Ursprungs  vor.  Die  Massirelek- 
trode hat  die  Form  einer  kleinen  Walze; 
die  Durch  Schnittsdauer  der  meist  erfolg* 
reichen  Behandlung  beträgt  4  —  5  Wochen. 
In 'einer  kleinen  unter  die  Theilnehmer  des 
Congresses  vertheilten  Brochüre  hat  Redner 
Näheres  über  die  zahlreichen  mit  günstigem 
Erfolge  behandelten  Fälle  mitgetheilt.  Ob  und 
wie  hoch  der  constante  Strom  dosirt  wird, 
und  ob  und  um  wieviel  die  betr.  Strom- 
dosis nicht  durch  die  bei  dem  Rollen  der 
Walze  entstehenden  Stromschleifen  vermin- 
dert wird,  wurde  nicht  erwähnt. 

Pauly  (Wiesbaden  -  Nervi):  Ueber  ein 
neues  Aetherpräparat.  Aether  nitrosus  wurde 
von  Bertoni  (Padua)  dargestellt,  um  der 
chemischen  Unzuverlässigkeit  des  Amylnitrits 
zu  begegnen. 

Derselbe  von  der  Formel  C5  Hi,  0(N0) 
leitet  sich  von  dem  tertiären  Amylalkohol 
ab,  geht  nicht  wie  Amylnitrit  bei  Oxy- 
dation   der    salpetrigen   Säure    in   Yalerian- 


aldehyd  und  Baldriansäure  über  und  hält 
sich  klar  und  rein.  Der  Siedepunkt  ist 
92  —  93",  30"  weniger  als  der  des  Amyl- 
nitrits. Innerlich  zu  5  —  20  Tropfen  auf 
Zucker  oder  in  Oblaten  event.  in  Gelatine- 
kapseln genommen,  wird  der  Aether  ni- 
trosus, der  süss  schmeckt  wie  Glycerin,  gern 
genommen. 

Nur  Dujardin-Beaumetz  hat  bisher 
Versuche  angestellt.  Vortr.  fordert  zu  wei- 
teren Versuchen  auf.  Die  Wirkung  auf  das 
Herz  ist  anhaltender  wie  die  des  Amylnitrit, 
keine  Pulsation  der  Temporaiis,  kein  Schwin- 
del etc.,  keine  Beängstigungen. 

Mit  diesen  Vorträgen  war  die  Tagesord- 
nung erledigt. 

Mit  Recht  konnte  es  Prof.  Lieber- 
meister in  seinem  Rückblick  auf  den  dies- 
jährigen Congress  aussprechen  ,  dass  der 
8.  Congress  einer  der  glänzendsten  mit  Rück- 
sicht auf  die  Zahl  der  Theilnehmer  (284)  und 
die  Zahl  der  Vorträge  gewesen  ist.  Die  Theil- 
nehmer des  Congresses  schauen  aber  mit 
nicht  geringer  Befriedigung  auf  die  in  ge- 
meinsamer Arbeit  verlebten  Tage  zurück,  in 
denen  ein  frisches,  zukunftsvolles,  wissen- 
schaftliches Leben  pulsirte,  in  denen  Allen 
reiche  Anregung  in  hohem  Maasse  zu  Theil 
wurde.  Die  für  das  nächste  Jahr  in  Vor- 
schlag gebrachten  Themata  werden  noch  be- 
kannt gegeben   werden. 


Referate. 


Die  Behandlung  der  Lungenschwindsucht  im  Hoch- 
gebirge und  über  das  Zustandekommen  von 
Ernährungsstörungen  in  den  Lungenspitzen, 
welche  die  Disposition  zur  primären  tuber- 
kulösen Erkrankung  derselben  darstellen. 
Vuii  Dr.  med.  A.  VoUand,  prakt  Arzt  in 
Davos-Dörfli.    Leipzig  1889.    F.  C.  W.  Vogel. 

Die  Therapie  der  Lungenphthise  fusst  trotz 
der  Koch 'sehen  Entdeckung  im  Wesent- 
lichen auf  Anschauungen,  welche  der  vor- 
bacillären  Zeit  angehören.  Das  einzige  und 
beste  therapeutische  Verfahren  ist  und  bleibt 
wahrscheinlich  auch  noch  für  lange  Zeit, 
die  Ernährung  des  Kranken  zu  heben,  da- 
durch die  Qualität  des  Blutes  zu  verbessern 
und  die  Quantität  desselben  zu  vermehren. 
Verf.  giebt  in  seinem  68  Seiten  umfassenden 
Aufsatze  zahlreiche  praktische  Winke,  die  sich 
auf  die  Cur  im  Hochgebirge  beziehen.  Die- 
selben verrathen  den  praktischen,  vorurtheils- 


freien  und  nicht  nach  der  Schablone  wir- 
kenden Arzt.  Ich  erwähne  nur  einige  Rath- 
schläge.  Das  Jaeger'sche  Wollhemd  sollte 
die  Form  der  Officiersinterimsröcke  haben. 
Speciell  im  Davoser  Klima  genügt  ein  Hemd 
dem  blutarmen  Phthisiker  nicht,  er  nimmt 
noch  eines  und  da  er  auch  so  friert,  greift 
er  zu  schweren  Ueberziehern.  Die  Empfind- 
lichkeit für  jedes  Lüftchen,  die  sich  auch 
so  geltend  macht,  wird  durch  ein  Hemd  von 
Shirting  oder  Leinwand  über  dem  wollenen 
abgestumpft.     Pelze  sind  unnothig. 

Nach  einer  kurzen  Schilderung  der  pas- 
senden Fussbekleidung  folgt  eine  Kritik 
der  modernen  Kopfbedeckungen.  Volland 
empfiehlt  weiche,  breitrandige  Hüte  aus  hell 
gefärbtem  Filz.  Der  Sonnensch irm  ist  nicht 
'  nur  gegen  den  intensiven  Sonnenschein  (Schnee- 
j  flächen),  sondern  auch  als  Windschutz  zu  ge- 


m.  Jahrgang.l 


Juni  1889. 


Referate. 


277 


Lraucben.    Gegen  den  Sonnenschein  benutze 
man    auch    graue  Augengläser    oder    dunkle 
Schleier.  Es  folgt  eine  Schilderung  der  Betten, 
der  Reise,  der  Wohnungen,  bei  welch  letzteren 
man  denRath  des  Arztes  sehr  nothwendig  habe, 
und  der  Ernährung.  Der  gesteigerte  Appetit, 
die  Nothwendigkeit  einer  Vorsicht  beim  Essen 
werden    hervorgehoben.     Die   Nahrung   sei 
durchaus    eine    gemischte.       Die    Ernährung 
mit    besonders    fettreichen    Nahrungsmitteln 
ist    nicht    unbedenklich,    da    man    mit   der- 
selben   nicht    nützt,  sondern    sogar  schadet. 
Die  gewöhnlich   als  Hauptnahrungsmittel  der 
Phthisiker   empfohlene   Milch   sei  mit  Vor- 
sicht  anzuwenden.     Reichlicher  Milchgenuss 
schadet    und    sei    das  Milch  trinken    zu  yer- 
bieten  und  abzuwarten,  bis  sich  zu  den  ge- 
wöhnlichen Mahlzeiten  ein  energischer  Appetit 
eingestellt  hat.    Ich  glaube,  viele  Phthisiker 
werden    dem    Verf.    für    diesen    Satz    Dank 
wissen.     Zur  Unterstützung    der    Ernährung 
und  weiterer   Kräftigung   der  Kranken   kann 
Verf.  massigen  Genuss  leichterer  Alcoholica 
empfehlen.    Die  sogenannten  Früh  stück  sweine 
(Madeira,     Sherry,     Marsala,     Oporto     etc.) 
alteriren    erheblich    den  Mittagsappetit,    sie 
sollten  höchstens  löffelweise  genommen  wer- 
den.      Sehr    nützlich    findet    Voll  and     das 
Bier.     Es    ist    manchmal    ein  gutes  Schlaf- 
mittel  und   ist  zugleich  nährend.     Es  muss 
aber    gut   sein  und  wären  lichtbraunes  Bay- 
risches,   oder    helles  Wiener,  Pilsener   oder 
Culmbacher,  auch  das  englische  Pale  ale  zu 
empfehlen.  Die  dunkelbraunen  Biere  erweisen 
sich  zu  häufig  als  gefärbt,  ihr  Nährwerth  ist 
daher    kein    grösserer   geworden,   dabei  ver- 
deckt die  dunkle  Farbe  leichtere  Trübungen. 
Bier    im   XJebermaass   wirkt   herzschwächend 
und  verfettend,  wegen  eines  etwaigen  Zuviel 
dürfe    dasselbe   aber  nicht  aus  der  Phthisis- 
therapie  verbannt  werden.     Der  vielfach  ge- 
rühmte Cognac    findet    nicht    das  Lob  des 
Verf.    Kleine  Dosen  desselben  öfter  am  Tag 
genommen,     mögen     anfangs    gewiss     einen 
angenehm    stimulirenden     Einfluss     auf    die 
Magen  Verdauung  ausüben ,   auch  der  Kranke 
werde  sich  stärker  fühlen.  Allmählich  schwin- 
det jedoch  der  Appetit,  die  Ernährung  leidet 
und    die  Phthise    macht    Fortschritte.     Von 
dem  ärztlichen  Verordnen  von  unverdünntem 
Branntwein  sei  wieder  abzustehen. 

Grössere  Aufmerksamkeit  wendet  Verf. 
dem  allgemeinen  Verhalten  zu  und  er- 
klärt, dass  im  Hochgebirge  Ruhe  die  erste 
Patientenpflicht  sei.  Das  Athmen  ist  da- 
selbst beschwerlicher,  schwerere  Kranke  sollen 
nie  höher  als  eine  Treppe  wohnen  oder 
in  solchen  Häusern  Wohnung  nehmen,  wo 
ein  Personen  auf  zu  g  ist.  Wenn  es  das  Wetter 
erlaubt,  muss  der  Patient  im  Freien  sitzen. 


Das  ist  in  Davos  zu  allen  Jahreszeiten, 
wenn  Sonne  scheint,  möglich,  die  Zahl  der 
Sonnentage  ist  eine  verhältnissmässig  grosse. 
Geht  es  nicht  mit  dem  Sitzen,  so  gehe  man 
auf  den  geschützten  und  ebenen  Wandel- 
bahnen spaziren.  Im  Zimmer  oder  im  Bett 
sei  für  frische  Luft  stets  gesorgt,  wenn  es 
nicht  strenge  nächtliche  Kälte  verbietet.  Die 
Stundeneintheilung,  welche  Verf.  seinen 
Kranken  vorschreibt,  sollte  wirklich  befolgt 
werden,  ebenso  seine  Winke  bezüglich  der 
Haltung  beim  Schreiben  und  Lesen.  Von  den 
Spielen  eignen  sich  Billard,  für  schwächere 
Personen  Domino,  Karten  und  Brett.  Schach 
wird  für  zu  aufregend  gehalten.  Das  Schlit- 
tern sei  zu  verbieten,  das  Schlittschuh- 
laufen nur  mit  Vorsicht  zu  gestatten. 

So  lange  der  Phthisiker  noch  reizbare 
Luftwege  besitzt,  also  noch  von  häufigem 
Husten  geplagt  wird,  ist  ihm  das  Rauchen 
und  auch  der  Aufenthalt  im  Rauchzimmer 
nicht  erlaubt.  Wenn  er  ausser  der  morgend- 
lichen Auswurfszeit  keinen  Husten  mehr  hat, 
so  kann  man  ihm  getrost  1  —  2  Cigarren  pro 
Tag  gestatten. 

Athem-  und  Lungen-Gymnastik  sind 
trotz  Empfehlung  vieler  Autoritäten  über- 
haupt im  Anfange  des  Davoser  Aufenthaltes 
dringend  zu  widerratheu.  Später  genügen 
zur  Kräftigung  der  Muskulatur  und  zur  Be- 
förderung des  Blutumlaufs  ruhiges  Spaziren- 
gehen  auf  ebenen  Wegen  vollständig  und 
ist  nach  Voll  and 's  15  jährigen  Erfahrungen 
die  vollständige  Heilung  der  Lungenschwind- 
sucht auf  diese  Art  am  sichersten  zu  er- 
reichen. 

Nach  einer  kleinen  Aetiologie  der 
Phthise,  für  welche  die  lufection  durch  Ein- 
athmung  des  Bacillus  noch  nicht  erwiesen 
angenommen  wird ,  folgt  eine  Gasuistik, 
welche  die  Ansichten  desVerf.  bekräftigen  soll. 

Die  Prophylaxis  besprechend,  hebt 
Verf.  die  rationelle,  reichliche  Ernährung 
hervor,  indem  er  den  Mas  teuren  jeden 
Nutzen  abspricht.  Die  gute  Ernährung  bil- 
det die  Grundlage  der  Phthisistherapie.  Zur 
Hebung  der  Ernährung  ist  das  Hochgebirgs- 
klima das  beste  Mittel. 

Die  horizontale  Lage  ist  ein  palliatives 
Mittel,  das  Spitzenparenchym  wird  durch 
die  gleichmässige  Vertheilung  des  Blutes  in 
den  Lungen  besser  ernährt.  Die  Lungen- 
gymnastik vermindert  die  Blutzufuhr  zu  den 
Spitzen,  sie  ist  daher  zu  vermeiden.  Die 
Oertelcur  erstrebt  das  Gegen  theil  der 
Schwindsuch  tscur. 

Der  Zweck  der  Hydrotherapie  sollte 
die  Hautpflege  sein;  stärkere  Abhärtungs- 
curen  sollen  bei  Seite  gelassen  werden.  Bei 
sehr    empfindlichen    Patienten    lässt  V.    die 


278 


Rttfiwato. 


rTherepentlache 
L  MonaUhefle. 


Hautpflege  mit  trockenen  FrottiruDgen  Mor- 
gens im  Bett  beginnen.  Dann  werden 
Waschungen  zunächst  mit  warmem  Wasser 
gemacht,  welches  mit  zunehmender  Erstar- 
kung des  Patienten  nach  und  nach  kühler 
genommen  wird.  Die  Douche  hat  keinen 
nachweisbaren  Nützen,  bringt  aber  manch- 
mal Schaden.  Vor  letzterem  müsse  man 
sich  bei  Schwind  such  tscuren  hüten. 

üeber  die  in  den  letzten  Jahren  mit 
grosser  Reclame  gepriesenen  neuen 
Schwindsuchtsmittel  wird  unbarmherzig 
der  Stab  gebrochen,  da  sich  dieselben  gegen 
den  Bacillus  machtlos  erwiesen.  Man  kann 
dieselben  von  Fall  zu  Fall  anwenden,  wenn 
sie  mit  der  Freiluft  cur  nicht  im  Widerspruch 
stehen.  Man  ist  nicht  berechtigt,  die  frische, 
freie,  reine,  dünne,  trockene  und  sonnige 
Hochgebirgsluft  dem  Patienten  zu  entziehen, 
um  ein  zweifelhaftes  Mittel  an  Stelle  des 
erprobten  zu  setzen. 

Die  Davoser  Cur  ist  zu  allen  Jahres- 
zeiten gleich werthig,  aus  diesem  Grunde 
darf  sich  die  Dauer  der  Hochgebirgscur  nicht 
nach  den  Jahreszeiten  richten,  sondern  sie 
ist  nach  dem  Gesundheitszustande  des  Pa- 
tienten zu  bestimmen.  Bei  einer  Wintercur 
halte  der  Phthisiker  noch  die  Frühjahrs- 
monate aus;  ist  der  Patient  empfindlich  und 
schwach,  müsse  er  zeitig  im  Herbst  in  Da- 
Yos  eintreffen  (Acclimatisation). 

So  yiel  über  die  allgemeine  Therapie 
der  Phthise.  Von  den  zu  behandelnden 
Symptomen  und  häufigeren  Complicationen 
erwähnt  Verf.  vor  Allem  das  Fieber.  Der 
dritte  Theil  aller  Patienten  kommt  niit 
Fieber  nach  Davos,  welches  bei  geeigneter 
Behandlung  zumeist  nach  einigen  Tagen 
schwindet.  Dießelbe  besteht  darin,  dass 
Patient  zu  Bett  liegen  muss,  selbstverständ- 
lich bei  geöffnetem  Fenster.  Tritt  das  Fie- 
ber am  Nachmittag  auf,  so  muss  zeitig  zu 
Bette  gegangen  werden,  bis  dahin  sitzt  Pa- 
tient im  Freien.  Freilich  hört  nicht  in  allen 
Fällen  das  Fieber  auf.  Die  radicale  Be- 
handlung besteht  in  der  Hebung  der  Er- 
nährung; alle  Fiebermittel  sind  nur  gegen 
excessive  Steigerung  der  Temperatur  zu  ver- 
wenden. Bei  einer  Nachmittagstemperatur 
von  39,0  —  39,3°  bestehe  noch  nicht  die 
Nothwendigkeit  eines  medicamentösen  Anti- 
pyreticum;  kalte  Umschläge  oder  Eisbeutel 
auf  Kopf  und  Brust  abwechselnd  genügen. 
Nur  wenn  wegen  Fieber  Schlaflosigkeit  be- 
steht, wird  1,0  gAntipyrin  gereicht.  Die  Mahl- 
zeiten mögen  auf  die  fieberfreie  Zeit  verlegt 
werden,  bei  contiuua  könne  die  Remission 
durch  eine  Gabe  Antipyrin  künstlich  her- 
vorgerufen werden.  Wenn  der  Patient  selbst 
sein  Fieber  misst,   so  nimmt  Y.  ihm,  wenn 


er  eine  psychische  Depression  verhüten  will, 
das  Thermometer  weg.  Die  N ach  tsch weisse 
verschwinden  in  Davos  bald.  Waschungen 
mit  warmem  Essigwasser  genügen  in  hartnäcki- 
geren Fällen,  nur  sehr  selten  muss  die  prompte 
Wirkung  des  Atropin  in  Anwendung  gezo- 
gen werden.  Der  Husten  schwindet  auf 
eine  kleine  Dosis  Pulv.  Doweri,  Abends  im 
Bett  genommen.  Bei  Schwerkranken  kann 
man  ohne  Morphium  nicht  auskommen. 
Seitdem  das  Bergesteigen  verboten  wird,  sind 
die  Lungenblutungen  seltener  geworden. 
Ueberhaupt  müssen  die  ursächlichen  Mo- 
mente vermieden  werden.  Meistens  genügt 
Bettruhe,  selten  greift  V.  zum  Extr.  Secal. 
comuti.  Auf  Diät  muss  geachtet  werden, 
für  regelmässige  Stuhl ausleerung  muss  man 
sorgen.  Bei  grösseren  Blutungen  giebt  Y. 
eine  Dosis  Morphium  subcutan.  Dasselbe 
setzt  den  Blutdruck  herab,  die  Spannung 
der  Arterien  lässt  nach.  Es  kommen  Wärm- 
flaschen an  die  Füsse,  wenn  möglich  auch 
an  die  Hände.  Eisstückchen,  Eissbeutel, 
Ruhe,  Ergotin,  Diät,  Clystier  etc.  wendet 
Yerf.  so  an,  wie  es  die  prakt.  Aerzte  thun. 
Den  Magenkatarrhen  muss  besondere  Auf- 
merksamkeit gewidmet  werden.  Sie  weichen 
zumeist  dem  Davoser  Klima.  Die  Behand- 
lung erfordert  die  Energie  und  Geduld  des 
Patienten  und  Arztes.  Ausser  den  üblichen 
Mitteln  versuchte  Y.  in  einem  mit  Chlorose 
combinirten  Falle  die  Darreichung  von 
Schwefel,  wie  es  Schulz  und  Strübing 
empfohlen  haben.  Der  Yersuch  endete  mit 
einem  eclatanten  Erfolge.  Das  so  behan- 
delte Mädchen  bekam  rasch  Appetit,  Mattig- 
keit und  Herzklopfen  und  nach  zwei  Mona- 
ten war  das  Aussehen  ein  blühendes.  Auch 
die  Darmkatarrhe  erfordern  eine  sorg- 
fältige Behandlung.  Ausgezeichnet  wirkte 
das  Bismuthum  salicylicum  (Gehe). 
Die  Darreich ungs weise  war  die  Solger' sehe: 

R'    Bismuth.  salicylici  (Gehe,  Dresden) 
Sacchar.  1  actis  m  ^^^O, 

Mf.  pulv.  No  40  DS,  8  stdl.   1  Pulver. 

Das  geschmacklose  trockene  Pulver  wird  auf 
die  Zunge  genommen  und  mit  warmem 
Wasser  hinuntergespült.  Empfindlichen  Leu- 
ten wurde  das  Mittel  in  Emulsion  gereicht; 
in  Oblaten  eingenommen  versagte  es  die 
Wirkung.  Diese  Behandlung  nebst  Befol- 
gung passender  Diät  stillte  alle  Diarrhöen 
nach  1  —  2  Wochen. 

Pleuritiden  lassen  sich  durch  sorg- 
fältige Yermeidung  jeder  erheblichen  An- 
strengung vermeiden.  Bettruhe,  Kataplas- 
men.  eventuell  Morphium  oder  Pulv.  Doweri 
reichen  meistens  aus.  Seitdem  Yerf.  einen 
guten    Esslöffel    voll    Salz    in    einem   Was- 


III.  JahrgftDQT.'l 
Jimi  1889.   J 


Rttfbrate. 


279 


serglas  toU  Wasser  lösen  (lö,0  :  200,0) 
und  davon  alle  2  Stunden  einen  Esslöffel 
Toll  nehmen  lasst,  hat  er  nie  ein  Exsudat 
höher  steigen  gesehen  als  bis  zur  Mitte  der 
Scapula.  Die  Resorption  erfolgte  verhält- 
nissmässig  rasch  und  war  nach  8  Wochen 
bis  2  Monaten  erreicht.  Als  kraftiges  und 
dazu  nahrhaftes  Diaphoreticum  erwies  sich 
ein  Teller  voll  saurer  Milch  Abends  ge- 
nommen. 

Bei  Larynxphthise  ist  Y.  mit  Cocain 
gut  ausgekommen.  Mit  der  Kräftigung  des 
Patienten  gehen  die  Halsbeschwerden  zurück. 
Der  Mittelohrentzündung  und  mehrerer  gy- 
naekologischer  Leiden  wird  in  der  Abhand- 
lung auch  gedacht. 

In  einem  Nachtrage  freut  sich  der  Ver- 
fasser in  der  Yerurtheilung  der  Lungengjm- 
nastik  der  Phthisiker,  in  Liebermeister 
einen  mächtigen  Verbündeten  gefunden  zu 
haben. 

Sehuachny  (Budapest). 

Intensive  Behandlung  der  Lungentuberculose  mit 
Guajakol  und  Kreosot  Von  Privatdocent 
Dr.  Bourget  (Genf). 

Nach  P.  Guttmanu's  Untersuchungen 
kann  die  Entwickelung  des  Tuberkel bacillus 
gehemmt  werden,  wenn  das  Blut  im  Ver- 
hältniss  von  1  :  4000  mit  Kreosot  gesättigt 
wird.  Zu  diesem  Zwecke  müsste  ein  Tuber- 
culöser  mindestens  1,0  Kreosot  pro  die 
einnehmen.  Dies  sei  aber  nicht  durchfuhr- 
bar. 0,6  war  die  höchste  Tagesdosis,  bis 
zu  der  Guttmann  sich  versteigen  konnte. 
Dagegen  ist  Sommerbrodt  schon  bis  zu 
0,75  gelangt,  indem  er  das  Kreosot  in 
Kapseln  verabfolgte.  —  Nach  Verf.  ist  die 
Verabreichung  des  Kreosots  in  Kapsel-  oder 
Pillenform  durchaus  unzweckmässig,  weil 
1.  sehr  häufig  eine  starke  circumscripte  Ent- 
zündung an  der  Stelle  entsteht,  wo  die 
Kapsel  sich  entleert  und  weil  2.  die  Kreosot- 
pillen, denen  häufig  ein  Harz  beigegeben 
(Tolubalsam  etc.),  sich  fast  niemals  im 
Digestionstractus  auflösen.  Dieselben  er- 
scheinen bei  gelegentlicher  Autopsie  vom 
Oesophagus  bis  zum  Bectum  wieder.  —  Bei 
den  meisten  Pat.  konnten  die  Pillen  einen 
Tag  nach  dem  Einnehmen  im  Stuhlgang  auf- 
gefunden werden. 

Seit  3  Jahren  bedient  B.  sich  einer 
inneren  und  äusseren  Behandlungsmethode, 
.die  er  die  intensive  Behandlung,  „m^thode 
intensive^  nennt,  und  die  ihm  in  vielen 
Fällen  ausserordentliche  Dienste  geleistet 
hat.  Er  hat  auf  diese  Weise  sehr  grosse 
Dosen  verabfolgen  und  den  Organismus  ohne 
Schaden  mit  Kreosot  sättigen  können.  Fol- 
gendes ist  sein  Verfahren: 


Innere  Behandlung.  Innerlich  wird 
gewöhnlich  Guajakol  verabreicht;  dasselbe 
reizt  weniger  und  wird  auch  besser  vertragen 
als  Kreosot.  Im  Sommer  giebt  B.  es  in 
Wein  gelöst  und  im  Winter  in  Verbindung 
mit  Leberthran. 

IV     Guajacoli  7,5 

Tinct.  Chinae  20,0 

Vin.  malacens.     1000,0. 

Man  beginnt  mit  einem  EsslöfPel  (d.  h. 
0,5  Guajakol)  bei  jeder  Mahlzeit  und  steigt 
allmählich  auf  2,  selbst  3  Esslöffel.  Manche 
Pat.  haben  so  1,0  pro  die  ohne  Wider- 
willen genommen.  Zuweilen  wurde  es  aber 
nach  einiger  Zeit  nicht  mehr  vertragen. 
Alsdann  wurde  das  Mittel  in  Lavementform 
gegeben : 

IV     Guajacoli  2,0 

Ol.  amygdal.  20,0 

Gumm.  arab.  pulv.        10,0 
F.  emuls.  cui  adde 
Aq.  950,0 

D.  S.  Für  4  Lavements. 

(In  der  Armenpraxis  stellt  man  sich  natür- 
lich das  Lavement  mit  Hilfe  eines  Eigelbs 
und  eines  Esslöffels  Olivenöls   billiger  her.) 

Zweckmässig  ist  es,  mit  der  Darreichung 
abzuwechseln,  14  Tage  hindurch  das  Mittel 
per  OS  und  14  Tage  per  rectum  nehmen  zu 
lassen.  Im  Winter  dient  statt  des  Weines 
der  Leberthran  als  Vehikel: 

IV     Guajacoli  3,0 

Ol.  jecor.  asell.    200,0 
M.  D.  S.   1  Esslöffel  bei  den  Hauptmahlzeiten. 

Manche  Kranke  vertragen  1,5  bis  2,0 
den  Tag. 

Gleichzeitig  kommt  eine  äussere  Be- 
handlung in  Anwendung.  Dieselbe  besteht 
darin,  dass  Pat.  beim  Schlafengehen  Brust, 
Rücken  und  Arme  mit  der  folgenden  10  % 
Kreosotmischung  einreibt: 

IV     Kreosot,  fag.  20,0 

Ol.  jecor.  asell.       200,0 
M.  D.  S.    Zum  Einreiben. 

Darauf  bedeckt  sich  Pat.  bis  zum  Halse 
mit  der  Bettdecke,  so  dass  sein  Körper  sich 
förmlich  badet  in  den  Kreosotdämpfen,  die 
sich  sofort  unter  dem  Einflüsse  der  Bett- 
wärme entwickeln. 

Am  Tage,  wenn  es  zu  ermöglichen,  und 
während  der  ganzen  Nacht  muss  der  Kranke 
sich  des  Nasen-Respirators  von  Feldbausch 
(Wiesbaden,  Lehrstrasse  23),  welcher  2  bis 
3  Tropfen  Kreosot  enthält,  bedienen.  B. 
wendet  im  Krankenhause  2  bis  3  cm  lange 
Kautschukröhrchen  an,  deren  Durchmesser 
der  Weite  des  Nasenloches  entspricht.  In 
das  Innere  derselben  steckt  er  nut  Kreosot 


280 


Referat*. 


rlierapeatlaclie 
Mon&tdiefte. 


durchtränkt  es  Filtrirpapier.  Alsdann  bringt 
er  das  Röfarchen  in  ein  oder  in  beide 
Nasenlöcher,  ^o  es  vermöge  seiner  Elasticität 
befestigt  bleibt.  Von  hier  geht  das  Kreosot 
direct  in  die  Lungenalveolen  über.  —  All- 
mählich -wird  Fat.  mit  dem  Mittel  gesättigt 
und  man  gelangt  dahin,  dem  Organismus  so 
viel  zu  incorporiren,  wie  nach  Guttmann 
erforderlich  ist,  die  Entwickelung  des  Bacillus 
zu  hemmen,  um  mit  dieser  Methode  wirk- 
lichen Erfolg  zu  erzielen,  muss  die  Behand- 
lung mindestens  drei  bis  vier  Monate  fort- 
gesetzt werden.  Dabei  kräftige  Ernährung. 
Manche  Fat.  haben  5  bis  6  Monate  hin- 
durch sich  dieser  Behandlung  unterworfen, 
ohne  dabei  die  geringsten  Störungen  zu 
empfinden.  Der  Erfolg  war  zuweilen  sehr 
ermuthigend. 

{Corresp.'Bl.  für  Schweiter   Aerzte   15.  Mai  1889.) 

R. 

Ucber   die   Dyspepsie   der   Phthisiker.     Von  Dr. 
S.  Klemperer. 

V.  hat  bei  14  Phthisikern  die  secretori- 
schen  und  motorischen  Verhältnisse  des 
Magens  geprüft.  Zwei  von  diesen  Fatienten 
waren  mit  der  Diagnose  Magenkatarrh  in 
das  Krankenhaus  gekommen,  sie  zeigten 
nur  erst  sehr  geringe  Symptome  von  Fhthisis, 
namentlich  im  sparsamen  Morgensputum 
Bacillen.  Bei  diesen  beiden  Fatienten  war 
die  Secretionsthätigkeit  eine  normale,  da- 
gegen war  mit  Hilfe  der  vom  Vf.  ausgebil- 
deten Oelmethode  eine  motorische  Schwäche 
niederen  Grades  nachzuweisen.  8  Fatienten, 
die  an  ausgesprochener  Fhthisis,  jedoch 
noch  ohne  Höhlensymptome  litten,  ergaben 
das  merkwürdige  Resultat,  dass  in  der 
grossen  Mehrzahl  der  Fälle  der  Salzsäure- 
gehalt den  normalen  überstieg;  in  3  Fällen 
zeigte  er  sich  normal  und  zweimal  vermin- 
dert. Die  motorische  Kraft  war  mehr  oder 
minder  herabgesetzt,  doch  konnte  bei  keinem 
Fatienten  eine  wirkliche  Dilatation  des  Ma- 
gens nachgewiesen  werden. 

3  Fatienten  mit  sehr  vorgeschrittenem 
Lungenleiden  zeigten  hochgradige  Vermin- 
derung, ja  völliges  Versiegen  der  Salzsäure- 
secretion,  ausserordentliche  motorische 
Schwäche  bei  bestehender  Ektasie  und  star- 
ken Gährungs Vorgängen.  Alle  3  Fatienten 
gingen  sehr  bald  zu  Grunde. 

Zwischen  dieser  terminalen  Dyspepsie 
und  den  oben  geschilderten  Fällen  der 
initialen  Dyspepsie  stand  ein  Fall  in  der 
Mitte,  der  nur  die  Frühsymptome  der 
Fhthisis  darbot,  aber  die  Erscheinungen  der 
terminalen  Dyspepsie  zeigte;  eine  ent- 
sprechende Behandlung  besserte  seinen  Zu- 
stand sehr  bald  in  erheblichem  Maasse. 


Zusammengenommen  also  ergiebt  sich  in 
allen  Fällen  phthisischer  Dyspepsie  eine 
Herabsetzung  der  motorischen  Kraft,  gering 
im  initialen,  sehr  stark  ausgesprochen  im 
terminalen  Stadium.  Die  Secretionsthätig* 
keit  ist  im  Beginn  mehr  gesteigert,  oft  nor- 
mal, selten  herabgesetzt;  im  Endstadium  ist 
sie  ausserordentlich  vermindert. 

Es  handelt  sich  also,  was  auch  durch 
sorgfaltige  histologische  Untersuchungen  eines 
französischen  Autors,  Marfan,  erwiesen 
wird,  für  die  Fhthisis  um  eine  durchaus  nicht 
charakteristische  fortschreitende  subacute 
resp.  chronische  Gastritis. 

Therapeutisch  hat  man  also  bei  der 
initialen  Dyspepsie  von  der  Darreichung  der 
Salzsäure  in  den  meisten  Fällen  abzusehen; 
auch  erscheint  die  sonst  wohl  indicirte  Dar- 
reichung von  Alkalien  aus  dem  Grunde  nicht 
für  zweckmässig,  weil  sie  die  Gährungsvor- 
gänge  begünstigt.  Am  meisten  zu  empfehlen 
ist  die  Verordnung  von  Medicamenten, 
welche  die  motorische  Schwäche  zu  heben 
geeignet  sind,  also  von  Alkohol  und  von 
Bittermitteln,  namentlich  von  Kreosot.  Der 
grosse,  thatsächliche  Nutzen  des  Kreosots 
bei  der  Fhthisis  rührt  nach  dem  Verf.  nicht 
von  seiner  problematischen  bacülentödtenden 
Kraft,  sondern  von  seiner  Anregung  der 
motorischen  Magenfunctionen  her. 

{Berl  klin.   Wockensch.  1889  No.  II.) 

Schtney  {BeiUheu  O.-S.). 

Wann  und  wie  soll  man  Digitalis  verschreiben? 
Von  Dr.  Henri  Huchard,  Arzt  am  Hospital 
Biebat  in  Paris.  Librairie  medicalo  Leclerc 
1888.    80.    133  S. 

„Die  Digitalis  ist  das  grosse  Heilmittel 
des  Herzens  und  wird  es  bleiben,  und  ohne 
Digitalis  dürfte  die  Herztherapie  unmöglich 
sein."  Mit  wenigen  Worten  ist  dies  das 
Resume  der  interessanten  und  wichtigen  Ar- 
beit Huchard 's.  Wir  können  nicht  umhin, 
seiner  Ansicht  beizupflichten,  dass  gegenwär- 
tig die  verderbliche  Tendenz  herrscht,  neue 
Mittel  zu  verordnen,  während  man  längst 
erprobte  und  bewährte  so  wenig  kennt. 
Murri  (Bologna)  pflegte  mit  Recht  zu 
sagen :  „Die  Digitalis  ist  so  wirksam,  dass 
der  Arzt,  welcher  sich  ihrer  richtig  zu 
bedienen  versteht,  seinem,  an  einem  organi- 
schen Herzübel  leidenden  Fatienten  mehrere 
Jahre  des  Lebens  einbringen  und  viele  Lei- 
den ersparen  wird." 

Verf.  hat  das  Studium  dieses  Mittels 
von  Neuem  aufgenommen  und  sich  dieser 
dankenswerthen  Aufgabe  in  der  zweck- 
mässigsten  und  vollständigsten  Weise  erle- 
digt. Zuerst  führt  er  uns  die  physiolo- 
gische und  therapeutische  Wirkung  der 


IIL  JahrgAnff.*! 
Juni  1889.   J 


Refetmto. 


281 


Digitalis  Tor  Augen,  desgleicben  die  ver- 
schiedenen Theorien,  welche  früher  modern 
waren  und  gegenwärtig  Geltung  haben.  Der 
zweite  Abschnitt,  der  bei  weitem  wichtigste, 
hat  die  Aufschrift:  „Wann  soll  Digitalis 
verordnet  werden?"  unter  Anderm  heben 
wir  hier  folgende  wichtige  Schlusssätze  her- 
vor: „Die  Kenntniss  des  erkrankten 
Orificium  hat  nur  eine  nebensächliche 
Bedeutung  für  die  Indicationss  tel- 
lung  des  Medicaments.  Man  darf  aus 
der  Stärke  eines  Geräusches  nicht  Kück- 
Schlüsse  auf  die  Intensität  der  Läsion  oder 
der  Krankheit  ziehen.  Da^  Stadium, 
in  dem  die  Krankheit  sich  befindet, 
verdient  vor  Allem  Beachtung.  In  der 
That  ist  die  Anwendung  der  Digitalis  in 
dem  Stadium  der  Compensation  (Eusystolie) 
überflüssig,  in  dem  Stadium  der  Hypercom- 
pensation  (Hypersystolie)  schädlich.  In  der 
Periode  der  noch  nicht  eingetretenen  Com- 
pensation (Hyposystolie)  oder  vorübergehen- 
den Asystolie  ist  sie  sehr  wirksam.  Hier 
feiert  die  Digitalis  ihre  Triumphe.  —  In 
dem  Stadium  der  definitiven  Asystolie  oder 
Amyocardie  endlich  kann  sie  noch  nützen, 
aber  Gaffern  in  grossen  Dosen  verdient  hier 
den  Vorzug. 

Des  Weiteren  hat  H.  den  Einfluss  der 
Digitalis  auf  andere  Herzaffectionen  unter- 
sucht. Unter  diesen  seien  erwähnt:  die 
Palpitationen  und  die  Tachycardien,  die 
Arythmien,  Angina  pectoris,  Herzhypertro- 
phie der  Pubertät  und  der  Menopause,  Ne- 
phritis und  die  Asystolie  renalen  Ursprun- 
ges, Aortenaneurysma,  Struma  exophthalmic. 
u.  s.  w. 

Bei  verschiedenen  fieberhaften  Affectionen 
wirkt  die  Digitalis  nur,  indem  sie  die  häufig 
geschwächte  Herzfunction  wieder  kräftigt. 
Wirkungslos  ist  sie  bei  Epilepsie,  Geistes- 
krankheiten, Spermatorrhoe,  Incontinentia 
urinae  und  Delirium  tremens. 

In  dem  dritten  Capitel:  „Wie  soll  Digi- 
talis verordnet  werden?"  finden  wir  die  be- 
herzigenswerthe  und  practische  Vorschrift, 
Mittel  mit  cumulativer  Wirkung  im  All- 
gen>einen  nur  in  flüssiger  Form  und  abstei- 
genden Dosen  zu  verordnen.  Huchard 
empfiehlt  hauptsächlich  die  Form  der  Mace- 
ration  und  Infusion. 

Wir  können  nicht  umhin,  dass  bedeu- 
tungsvolle Buch,  dessen  Verfasser  bekannt- 
lich zu  den  tüchtigsten  Beobachtern  und 
bekanntesten  Klinikern  Frankreichs  gehört, 
allen  Fachmännern  zu  eingehendem  Studium 
warm  zu  empfehlen. 

Packottd  {Lautanne). 


Behandlung   des   Diabetes   mit   Antipyrin.     Von 

Albert  Robin. 

Seit  October  1887  hat  R.  die  Diabetiker 
seiner  Krankenabtheilung  mit  Antipyrin  be- 
handelt und  sich  überzeugen  können,  dass 
Harn  menge  und  Zuckerausscheidung  ent- 
schieden vermindert  werden.  Antipyrin  ist 
jedoch  kein  indifferentes  Mittel.  Seine 
Wirkung  erscheint  beim  Beginn  der  Cur 
eine  zauberhafte  zu  sein,  und  man  könnte 
es  beinahe  für  ein  Specificum  halten.  Bald 
überzeugt  man  sich  jedoch,  dass  ihm  eine 
bescheidenere  Rolle  zukömmt,  und  dass  man 
mit  den  Indicationen  und  Contraindicationen 
seiner  Anwendung  wohl  vertraut  sein  muss, 
wenn  man  die  betreffenden  Patienten  vor 
Schaden  bewahren  will.  —  4  Krankenge- 
schichten werden  in  extenso  berichtet.  Die- 
selben veranlassen   zu  folgenden  Schlüssen: 

1.  Antipyrin  wirkt  energisch  auf  die 
Glykosurie,  aber  es  beseitigt  sie  nicht  gänz- 
lich. Wenn  es  auch  keine  Heilung  herbei- 
führt, so  übt  es  doch  zweifellos  einen  auf- 
fallenden hemmenden  Einfluss  (action  sus- 
pensive) auf  die  Glykosurie,  Polyphagie, 
Polydipsie  und  Polyurie  aus,  und  diese 
Wirkung  verdient  Beachtung. 

2.  Was  die  Dosirung  anlangt,  so  hat 
R.  2,  3,  4  und  5  g  in  24  Stunden  in  Gaben 
von  1,0  alle  3  —  4  Stunden  verabreicht.  Die 
Dosis  von  5,0  ist  zu  hoch,  da  sie  sehr 
schnell  den  Appetit  vermindert  und  Albu- 
minurie veranlasst.  Mit  4,0  erhält  man 
schon  günstige  Resultate,  aber  auch  diese 
Gabe  ist  noch  zu  hoch  und  man  thut  gut, 
nur  2,0 — 3,0  täglich  zu  verabfolgen. 

3.  Bezüglich  der  Verabreichungs- 
weise erscheint  es  zweckmässig,  dem  Anti- 
pyrin noch  Natrium  bicarbonicum  (2:1) 
hinzuzusetzen  (weil  nach  Antipyrin  der  Säure- 
gehalt des  Harns  sehr  vermehrt  erscheint). 
Da  Antipyrin  die  Wirkung  des  Pepsins  herab- 
zusetzen vermag,  lässt  R.  das  Mittel  nicht 
beim  Beginne  der  Mahlzeiten,  sondern  in 
Zwischenräumen  von  4  Stunden  zu  1,0 
nehmen. 

4.  Das  Mittel  darf  nicht  ohne  Unter- 
brechung genommen  werden.  Nach  8  bis 
12tägigem  Gebrauch  ist  es  auszusetzen. 
Sobald  die  geringste  Spur  von  Eiweiss  im 
Urin  auftritt,  darf  nicht  mehr  Antipyrin  ge- 
geben werden.  Die  Zeit  des  Eintritts  der 
Albuminurie  ist  sehr  variabel.  In  einem 
Falle  machte  sie  sich  schon  am  7.,  in  einem 
anderen  erst  am  24.  Tage  bemerkbar. 

Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  man  bei 
einem  Diabeteskranken  mit  der  bekannten 
Diabetes-Diät  dahin  gelangt,  die  Harn-  und 
Zuckermenge  zu  verringern.  Hierzu  ist 
jedoch    viel    Zeit    und  Geduld    erforderlich. 

36 


282 


Referat«. 


rrh«rftpM.tiMh« 
L  Monatihefte. 


Deshalb  erscheint  es  zweckmässig,  init  Anti- 
pyrin  die  Behandlung  zu  beginnen;  dem 
Kranken  acht  Tage  hindurch  Antipyrin  zu 
geben,  ohne  ihn  einer  besonderen  Diät  zu 
unterwerfen.  Sobald  alsdann  eine  erhebliche 
Reduction  des  Zuckergehalts  eingetreten,  fort 
mit  dem  Antipyrin  und  strenge  Befolgung 
des  classischen  Regimes.  Wenn  Fat.  nun 
nach  einiger  Zeit  der  strengen  Diabeteskost 
überdrüssig,  nach  Abwechselung  verlangt, 
kann  er  wiederum  8  Tage  lang  Antipyrin 
nehmen  und  während  dieses  Zeitraumes  ohne 
Schaden  zur  gewöhnlichen  Kost  zurückgreifen. 
In  dieser  Weise  hat  R.  einen  Diabetiker 
lange  mit  überraschendem  Erfolge  behandelt. 

Wenn  bei  der  Anwendung  des  Anti- 
pyrins  der  Zuckergehalt  nicht  schnell  (nach 
6 — 8  Tagen)  fällt  und  die  Verminderung 
nicht  mindestens  25  %  beträgt,  ist  es  zweck- 
mässig, das  Mittel  bei  Seite  zu  lassen. 
Desgleichen  bieten  Appetitabnahme,  Ab- 
magerung, Schwächegefühl,  Gesichtsblässe 
und  Oppression  wohl  zu  beachtende  Contra- 
Indicationen. 

{Gaz,  mdd.  de  Paris  1889  No.  15  und  16.)  R. 

Antipyrin  gegen  Ischias.  Von  Dr.  G.Covarrablas 
(Liina). 

Nachdem  in  einem  hartnäckigen  Falle 
Yon  Ischias  alle  bisher  bekannten  und 
empfohlenen  Mittel  (Salicylsäure,  Jodkalium, 
Chinin,  Tinctura  Gelsemii,  Bromkalium, 
Morphin  etc.)  wenig  oder  gar  nichts  genützt 
hatten,  entschloss  C.  sich,  mit  Antipyrin 
einen  Versuch  zu  machen.  Er  verordnete 
dasselbe  in  Verbindung  mit  Chinin  dreimal 
täglich  0,5.  Einen  Tag  darauf  Hessen  die 
Schmerzen  bereits  nach  und  10  Tage  später 
konnte  Fat.  geheilt  das  Krankenhaus  ver- 
lassen. 

{RtviBt.  Med.  de  Chile  et  Revue  gin.  de  therap.  1889.) 

R. 

Hyoscin  bei  Geisteskranken.  Von  Dr.  Otto  K  lin  ck  e 
(Leubus). 

Verf.  ist  zu  folgenden  Resultaten  ge- 
langt: 

1.  Das  Hyoscin.  hydrojodicum  ist,  wie 
die  beiden  anderen  Salze  (H.  hydrobrom. 
und  H.  hydrochlor.)  wegen  seiner  Billigkeit, 
Geschmacklosigkeit  und  bequemen  Anwen- 
dungsweise den  theuern,  schlecht  schmecken- 
den anderen  jetzt  gebräuchlichen  Schlaf- 
mitteln, die  schon  von  ruhigen  Kranken 
ungern  genommen  werden,  bei  verwirrten 
und  erregten  Kranken  oft  vorzuziehen. 

2.  Es  ist  stets  sowohl  bei  subcutaner, 
wie  interner  Verabreichung  mit  den  kleinsten 
Gaben  zu  beginnen,  da  die  Toleranz  gegen 
das  Mittel   individuell    sehr  verschieden  ist. 


Fer  OS  verabreichte  Gaben,  die  im  Allge- 
meinen etwa  doppelt  so  gross  sein  mögen, 
wie  subcutan  applicirte,  entfalten  ihre  Wir- 
kung im  Allgemeinen  später  als  die  letzte- 
ren, verursachen  aber  nicht  in  so  heftiger 
Weise  unangenehme  und  erschreckende 
Nebenerscheinungen.  Interne  Gaben  wirken, 
soweit  Verf.  das  nach  der  im  Verhältniss 
zu  den  subcutanen  Injectionen  geringen  An- 
zahl bis  jetzt  beurtheilen  kann,  in  weit 
mehr  Frocent  der  Fälle  schlaf  erzeugend  und 
sind  daher  den  Injectionen  vorzuziehen, 
während  bei  Tage  subcutan  gereichte  Dosen 
wegen  ihrer  schnelleren  Wirkung  bei  hefti- 
gen Erregungszuständen  oft  vortheilhaft  sein 
können.  Die  Dosis  von  3  mg  bei  der 
einen  oder  anderen  Anwendungsweise  zu 
überschreiten,  hat  Verf.  nicht  für  nothig 
gefunden. 

3.  Das  Hyoscin  wirkt  lähmend  auf  die 
motorischen  und  secretorischen  Centren,  ver- 
langsamt Fuls,  Respiration,  erzeugt  Trocken- 
heit im  Munde  und  Schlünde,  Mydriasis, 
Accommodationslähmung,  gelegentlich  Appe- 
titlosigkeit und  Erbrechen. 

4.  Es  ist  oft  mit  Vortheil  in  Anwen- 
dung zu  ziehen  bei  allen  mit  grosser,  mo- 
torischer Unruhe,  Geschwätzigkeit,  blindem 
Lärmen  und  Umherwirthschaften  einher- 
geheuden  Fsychosen,  namentlich  bei  mania- 
kalischen  Zuständen,  aufgeregten Faralytikern. 

I  Bei  melancholischen  Zuständen  ist  Hyoscin 
■  von  geringer  oder  gar  keiner  Wirkung  und 
I  Morphium  in  diesen  Fällen  daher  vorzu- 
•   ziehen. 

I  5.   Durch  das  Mittel  werden  ohne  Zweifel 

Sinnestäuschungen  theils  schmerzhafter,  theils 
heiterer  Art  hervorgerufen,  resp.  vorhandene 
gesteigert  und  vermehrt.  Man  wird  daher 
mit  Recht  die  Anwendung  des  Mittels  bei 
frischen  Fsychosen  einzuschränken  haben, 
während  es  sehr  wohl  bei  heruntergekomme- 
nen Kranken  selbst  in  grösseren  Dosen  an- 
gewendet werden  kann,  das  Fehlen  jeglicher 
Complication  von  Seiten  des  Herzens  vor- 
ausgesetzt. 

{Centralbl.  f.  Nervenheilk,  von  Erlenmeyer  1889  No.7.) 

Krön. 


Ausscheidung  der  Salicylsäure.  Von  Dr.  Chopin. 

Verf.  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt, 
mittelst  verschiedenartiger,  dem  Körper  zu- 
geführter Arzneistoffe,  deren  Nachweis  im 
Urin  leicht  möglich  ist,  eine  Theorie  über 
die  Gesetzmässigkeit  der  Nierensecretion, 
und  zwar  der  gesunden  und  kranken  Niere, 
herzustellen,  dabei  den  etwaigen  Einfluss 
dieser  Stoffe  auf  die  Secretion  zu  berück- 
sichtigen, schliesslich  quantitative  Bestim- 
mungen der  durch  die  Nieren  ausgeschiedenen 


in.  Jabrirang.l 
Jan!  1889.    J 


Referate. 


283 


1 


und  im  Körper  zurückgehaltenen  Substanz 
vorzunehmen.  Zunächst  Avird  die  Salicyl- 
säure  daraufhin  untersucht,  deren  Nachweis 
bereits  im  Verhältniss  von  1  :  1  Million  mit 
Liq.  ferr.  sesquichl.  gelingt.  Verf.  findet  bei 
Gesunden  insgesammt  80  ®/o  der  eingeführten 
Salicylsäure  wieder.  Dieselbe  wird  übrigens 
theilweise  vor  der  Ausscheidung  gespalten, 
so  dass  sich  im  Harn  neben  der  Salicylsäure 
die  stickstoffreichere  und  weniger  flüchtige 
Salicylursäure,  wenn  auch  in  geringerer 
Menge  findet,  daneben  auch  noch  häufig 
Salicin  und  Spuren  von  Oxalsäure.  Falls 
1  g  Salicylsäure  (gleichviel  ob  per  os,  per 
anum  oder  subcutan)  gegegen  wird,  so  er- 
scheint sie  nach  15  Minuten  schon  im  Harn 
und  verschwindet  nach  38  Stunden.  Bei 
Kindern  tritt  der  Beginn  und  das  Ende  der 
Ausscheidung  schneller  ein  und  es  ist  die 
ausgeschiedene  Menge  procen  tisch  noch 
grosser.  Bei  Greisen  ist  das  Verhalten  um- 
gekehrt, ausserdem  tritt  leicht  Albuminurie 
ein.  Bei  gesunden  und  chronisch  erkrankten 
Nieren  wirkt  die  Salicylsäure  diuretisch,  in 
letzterem  Falle  vermehrt  sich  jedoch  auch 
der  Eiweissgehalt.  Bei  acuten  Nierenent- 
zündungen vermindert  sie  dagegen  die  Se- 
cretion.  Sie  wird  bei  allen  Nierenerkran- 
kungen später,  länger  und  weniger  vollstän- 
dig als  normalerweise  ausgeschieden,  dabei 
findet  eine  relative  Vermehrung  der  Salicyl- 
säure statt,  was  Verf.  durch  vermehrte  Stick- 
stoffaufnahme in  Folge  des  längeren  Ver- 
weilens  in  den  Geweben  erklärt. 

Die  Arbeit  ist  unter  Leitung  von  Du- 
jardin  -  Beaumetz  und  Gautier  verfasst 
worden.  Sie  ist  theilweise  eine  Bestätigung 
bekannter  Thatsachen.  Für  den  Praktiker 
enthält  sie  jedenfalls  eine  Ermahnung  zur 
Vorsicht  in  der  Verabfolgung  des  Natr.salicyl. 
bei  Nierenerkrankungen  oder  bei  alten  Leuten, 
etwa  zur  Anregung  der  Diurese.  Es  liegt 
die  Verwechslung  einer  Salicylintoxication 
mit  Urämie  nahe.  Die  gestellte  Aufgabe, 
die  functionellen  Leistungen  der  Niere,  die 
wie  diejenigen  aller  Organe  im  innigsten 
Zusammenhang  mit  dem  augenblicklichen 
Zustand  des  Gesammtorganismus  stehen,  als 
zeitlich,  ursächlich  und  quantitativ  genau 
abmessbare  hinzustellen,  dürfte  jedoch  durch 
die  Untersuchungen  nicht  gelöst  sein. 

{Bullet,  gen,  de  Tkerap.  1889,  Fevr.) 

Rosin  {Breslau). 


Ueber  6  Gehirnverletzungen  und  deren  Behand- 
lung. Von  Dr.  Flothmann,  Ems.  Vortrag 
r^ebalt.  auf  der  61.  Vers,  deutsch.  Naturf.  u. 
Aerzte  zu  Cöln. 

Verf.  plaidirt  dafür,  bei  Gehirnverletzun- 
gen, sofern  es  gelingt,  alle  Fremdkörper  zu 


entfernen,  die  Blutung  sorgfältig  zu  stillen, 
die  Wunde  streng  zu  desinficircn  und  durch 
Jodoform,  Wismuth  oder  Paquelin  zur  Aus- 
trocknung zu  bringen,  die  Gesammtwunde 
frühzeitig  plastisch  zu  decken  und 
zwar  zunächst  mit  Periost,  dann  mit  der 
äusseren  Haut. 

{MSneh.  med.  Woehenschr.,  1888.    Nr.  32.) 

Freyer  {SUtiin). 

Zur  Nachbehandlung  der  Tracheotomie.  Mitge- 
theilt  von  Dr.  Herold,    pr.  Arzt  in  Kronach. 

Verf.  hat  in  2  Fällen  nach  der  wegen 
Diphtherie  vorgenommenen  Tracheotomie  un- 
unterbrochene Creolininhalationen 
(1  :  1000  während  8  —  10  Tagen)  angewandt 
und  glaubt  sowohl  dem  Mittel,  als  auch 
der  ununterbrochenen  Anwendung  des- 
selben den  eingetretenen  Erfolg  zuschreiben 
zu  dürfen.  Während  der  Inhalationen  bil- 
deten sich  weniger  leicht  Krusten  in  der 
Canüle,  wie  bei  der  Nachbehandlung  mit 
andern  Mitteln.  Ausserdem  Hessen  die  Kin- 
der sich  den  andauernden  Spray   recht  gern 

gefallen. 

{Manch,  med.  Woehenschr.,  1889.    Nr.  1.) 

Freyer  {Stettin). 

Ein  Fall  von  giacklicher  Milzexstirpation.  Von 
Prof.  Dr.  Theodor  Kocher  in  Bern. 

Verf.  war  in  der  Lage,  eine  5 1jährige 
Patientin  von  einem  3530  Gramm  schweren, 
wie  sich  später  herausstellte,  durch  Hyper- 
plasie vergrösserten  Milztumor  auf  opera- 
tivem Wege  zu  befreien.  Bei  der  Operation 
bereitete  die  Kürze  des  Milzligaments  grosse 
Schwierigkeiten;  die  Bauchhöhle  war  durch 
einen  Median  schnitt  am  lateralen  Rande 
des  Rect.  abdom.  eröffnet  und  die  Oeffnung 
durch  einen  Querschnitt  in  Nabelhöhe 
erweitert  worden.  Nach  Eröffnung  der 
Bauchhöhle  wurde  geflissentlich  jedes  diffe- 
rente  Antisepticum  vermieden.  —  In  Ueber- 
einstimraung  mit  anderen  Beobachtungen  trat 
auch  hier  eine  allmähliche  Abnahme  der  rothen 
und  Zunahme  der  weissen,  speciell  kleinen 
weissen  Blutkörperchen  ein.  Schwellung  der 
Schilddrüse  wurde  nachträglich  nicht  beob- 
achtet; doch  befand  sich  die  Patientin  nach 
3  Monaten  noch  in  hydropischem  und  hoch- 
gradig abgemagertem  Zustande. 

{Correspondenzbl.  f.  Schweiz.  AerzU,  1888.  Nr  21.) 

Frey  er  {Stettin). 

Ueber  die  Behandlung  von  Lageveränderungen 
des  Uterus  nach  der  Methode  von  Brandt. 
Von  Dr.  Alfred  Goenner.  Vortrag  gehalten 
in  der  med.  Gesellschaft  zu  Basel  am  6.  Dec. 
1888. 

Nach  einer  kurzen  Besprechung  des  heuti- 
gen Standpunktes  der  Massage  in  der  Gynä- 

86* 


284 


Rafent«. 


TTherapeatlMilra 
L.  MoDAUhefte. 


kologie  berichtet  G.  über  12  von  ihm  be- 
handelte Fälle  TOQ  Lageveränderuageii  des 
Uterus  ohne  Fixation,  von  denen  allerdings 
4  als  mit  der  Behandlung  nicht  abgeschlossen, 
im  Weiteren  noch  ausgeschieden  werden.  In 
allen  anderen  8  Fällen  ist  ein  Resultat  zu 
yerzeichnen  gewesen,  wenn  letzteres  auch 
natürlich  nach  der  Art  der  Fälle  verschieden 
sein  mnsste.  Die  einfachen  Retroflexioneu 
sind  alle  geheilt ;  die  mit  Senkung  resp. 
kleinem  Vorfall  sind  insofern  besser  gewor- 
den, als  der  Uterus  jetzt  wieder  im  Becken 
ist  und  anteiiectirt,  aber  doch  noch  tiefer 
als  normal  steht;  ein  Fall  von  totalem  Pro- 
laps ist  nicht  geheilt,  sondern  nur  gebessert 
worden. 

G.  resumirt  nach  diesen  seinen  Fällen 
in  folgender  Weise.  Wenn  die  Brand  ti- 
sche Methode  auch  nicht  alle  Yorfälle  und 
Knickungen  der  Gebärmutter  aus  der  Welt 
schaffen  wird,  wenn  man  auch  nicht  alle 
mit  solchen  Leiden  behaftete  Frauen  auf 
diese  Weise  wird  behandeln  können  und 
viele  noch  bleiben  werden,  die  Ringe  tragen 
müssen,  so  leistet  dieselbe  bei  richtiger  An- 
wendung doch  so  entschieden  wirklich  Gutes, 
dass  sie  wohl  eine  Zukunft  haben  dürfte 
und  allgemeinstes  Interesse  beanspruchen 
darf.  Natürlich  ist,  um  die  Methode  nicht 
zu  discreditiren,  wie  überall  auch  hier  eine 
Auswahl  nothig.  Patientinnen  mit  bedeu- 
tendem Dammdefect,  schlaffe,  muskelschlaffe 
Individuen  und  solche  mit  wenig  Energie, 
welche  die  Anstrengung  der  Cur  scheuen, 
sind  entschieden  auszuschliessen,  weil  hier 
die    guten  Erfolge   stets   ausbleiben  werden. 

Was  die  Art  der  Ausführung  betrifft, 
die  am  besten  Vormittags  vorgenommen  wird 
und  bekanntlich  in  3  Abschnitte  zerföllt, 
nämlich  in  Kreuzbeinklopfungen,  zweitens  in 
Hebebewegungen  des  Uterus  und  drittens  in 
Knieschliessungen  mit  Hebungen  des  Kreuzes, 
so  sucht  G.  in  manchen  Fällen  ohne  Assi- 
stenz auszukommen  und  hält  dieselbe  nur 
da,  und  auch  hier  nicht  für  absolut  noth- 
wcndig,  wo  Lüftungen  des  Uterus  gemacht 
werden  müssen. 

Die  Knieschliessungen  sind  Anfangs  für 
die  Patientin  etwas  ermüdend,  bald  aber 
werden  die  Adductoren  der  Oberschenkel 
stärker  und  man  muss  seine  ganze  Kraft  an- 
wenden, um  Widerstand  leisten  zu  können. 
Das  Gleiche  findet  mit  dem  Levator  ani  statt, 
man  kann  seine  Contractionen  gut  fühlen, 
wenn  man  untersucht,  während  die  Patientin 
die  Beine  einander  nähert,  und  kann  auch 
constatiren,  wie  im  Laufe  der  Behandlung 
die  Contracturen  des  Muskels  stärker  werden 
und  wie  er  stärker  gegen  die  Scheide  vor- 
springt.    Damit   sich   der  Levator  energisch 


contrahire,  ist  es  nothig,  dass  die  Kranke 
das  Kreuz  tüchtig  hebe,  während  sie  die 
Knie  schliesst.  Blosses  Schliessen  wirkt 
nicht  so  gut. 

{CorrespandnnzblaU  /.  Schweiger  AenU  1889  No,  3.) 

G.  PeUrs  {BerK»). 

Neuere  Erfahrungen  ttber  die  Anwendung  der 
Galvanokaustik  in  der  Augenheilkunde.  Von 
Prim.  Dr.  Wilhelm  Goldzieher,  Docent  in 
Budapest. 

Verf.  hat  mit  dem  Galvanokauter  eine 
Reihe  glänzender  therapeutischer  Erfolge  er- 
zielt. Dieses  Instrument  ist  dem  Thermo- 
kauter  vorzuziehen,  da  ersteres  viel  hand- 
licher ist;  ausserdem  ist  der  feine  Platin- 
draht desselben  unersetzlich. 

Eine  Indication  der  Galvanokaustik  liegt 
bei  Geschwüren    und    Substanzverlusten   der 
Cornea   vor,    überhaupt    aber   dort,    wo   ein 
septisches    Geschwür     angenommen     werden 
kann.     Nach  der  ersten  Aetzung  nimmt  schon 
die  Iritis    ab    und    das    subjective   Befinden 
des  Kranken    bessert   sich   rasch.     Die  Gal- 
vanokaustik   ist    von    grossem    Werthe    bei 
solchen  Fällen    der   scrophulosen   (phlyktae- 
nulären)   Augenentzündung   der  Kinder,    wo 
einzelne  noch  frische  oder   bereits    geschwü- 
rige Phlyktaenen  der  Cornea  vorliegen.     Ein 
grosser   Theil    jener  Erscheinungen,    welche 
bisher    mit    Atropin,    Quecksilberpräparaten 
etc.   behandelt   wurden,    bleibt   uns   erspart, 
wenn,   wo  es  geht,    d.  h.  ein   circumscripter 
Herd   auf  der  Cornea   sitzt,    derselbe   durch 
punktförmige    Aetzung    mit    dem    Galvano- 
kauter  zerstört   wird.      Der  Lidkrampf  ver- 
schwindet   bald   und   die   Krankheit    ist  der 
raschen  Heilung  wcifc  zugänglicher.    —    Bei 
der  Keratitis  fasciculosa  Graefe,    dem  soge- 
nannten   Gefässbändchen ,    ist    die    galvano- 
kaustische Behandlung  direct  indicirt.  Gold- 
zieher pflegt   zuerst    den  Kopf  des  Gefass- 
bändchens  anzuätzen    und    dann    sofort    das 
Gefässbündel   am   Hornhautrand   quer,    d.  h. 
in    der    Richtung    des    Hornhautlimbus    mit 
dem  Glühdrahte  durchzuschneiden.    Um  jeden 
Aetzschorf    trübt    sich    bald    die  Hornhaut, 
ihre  Trübung  nimmt   also    zu;    werden    mit 
dem  Glüh  drahte  Blutgefässe   durchschnitten, 
so   treten    zu    diesen   Trübungen  noch   Aus- 
tritte  von  Blutbestandtheileu    aus    den   ver- 
letzten Gefässen  hinzu    und   vergrössem  die 
Trübung.      Die    Trübungen    resorbiren    sich 
früher    oder    später    und    die   Heilung    geht 
rasch  vor  sich.     Das  nach  der  Aetzung  auf- 
tretende   Hypopyom    braucht   nicht  für  eine 
Verschlimmerung  gehalten  zu  werden.     Das- 
selbe ist  bei  Kindern,   wenn  es  nicht  septi- 
scher Natur   ist,    nicht   geföhrlich.     Es  ver- 
schwindet   bald    und   trotz    des  Hypopyoins 


in.  Jahrirang.! 
JanI  1889.   J 


R«f«rate. 


285 


ist  die  Dauer  der  Heilung  abgekürzt.  Verf. 
bezeichnet  als  einen  nicht  genug  zu  schätzenden 
y  ort  heil  der  galvanok  austischen  Behandlung 
der  phlyktaenulären  Homhautinfiltrationen, 
dass  die  zurückbleibende  Trübung  viel  gün- 
stiger sei,  als  die  nach  den  üblichen  Metho- 
den. Selbst  tiefere  Brandschorfe  der  Cornea 
hinterlassen  sehr  schone  durchscheinende 
Narben;  in  den  Torliegenden  Fällen  G.^s  sind 
die  Trübungen,  wenn  sie  wahrnehmbar  sind, 
scharf  begrenzt,  stören  das  Sehen  daher  nicht 
so  sehr,  wie  die  Narben  scrophulöser  Ilorn- 
hautprocesse. 

Bei  chronischem  oder  -vernachlässigtem 
Bindehautkatarrh  treten  manchmal  am  Lim- 
bus  der  Cornea  punktförmige  Infiltrate  oder 
Geschwürchen  auf;  für  diese  eignet  sich  eine 
galvanokaustische  Behandlung  sehr  gut.  Die 
Heilung  ist  in  diesen  Fällen  eine  rasche  und 
gründliche,  die  Geschwürchen  erneuern  sich 
nicht  an  einem  andern  Orte,  wie  wir  es  bei 
der  Anwendung  von  warmen  Umschlägen, 
Atropin  etc.  beobachten  können.  In  einem 
Falle  von  Ulcus  rodens  corneae  gelang  es 
Verf.  den  Process  plötzlich  zum  Stehen  zu 
bringen  und  vollständige  Heilung  zu  er- 
zielen. Der  Rand  des  Geschwüres  wurde 
tief  geätzt,  auch  wurden  die  Nachbarpartien 
nicht  geschont. 

Nach  einer  ausgebreiteten  Aetzung  wurde 
stets  fein  zertheiltes  Jodoform-Pulver  auf  die 
Cornea  gestreut  und  ein  Verband  angelegt. 

Von  grossem  Nutzen  ist  die  galvano- 
kaustische Behandlung  beim  Trachom.  Durch 
diese  Manipulation  entsteht  ein  Vernarbungs- 
process,  der  sich  später  auf  die  ganze 
Schleimbaut  verbreitet.  G.  zerstört  mit  dem 
Galvanokauter  von  Zeit  zu  Zeit  stets  eine 
andere  Körnerpartie;  die  Schleimhaut,  welche 
auf  diesen  Eingriff  gar  nicht  reagirt,  wird 
schon  am  nächsten  Tage  mit  Cuprum  sul- 
furicum  oder  einer  Lapislösung  touchirt. 
Die  Patienten  vertragen  dies  sehr  gut,  ihre 
Arbeitsfähigkeit  leidet  gar  nicht.  Beim  Pan- 
nus trachomatosus  erweist  sich  der  Glüh- 
draht als  das  souveräne  Mittel.  Der  Grad 
des  Pannus  beeinträchtigt  nicht  den  Effect. 
Als  Regeln  stellt  G.  folgende  Sätze  auf. 
Sind  wenig  Gefasse  vorhanden,  so  ätzt  man 
sowohl  die  Basis  der  Gefässe,  längs  des 
Limbus,  als  auch  ihr  Ende  auf  der  Horn- 
haut, wo  sich  gewöhnlich  einige  Infiltrationen 
befinden.  Bei  ausgebreitetem  Pannus  wird 
eine  tiefe,  linien förmige  Aetzung  parallel  dem 
Limbus,  innerhalb  des  Hornhautgebietes  ge- 
macht; einzelne  dicke  Gefäss wurzeln  sollen 
jenseits  der  Hornhaut  auf  dem  Scleralgebiet 
energisch  mit  dem  Glühdraht  durchschnitten 
werden.  Ausser  der  Galvanokaustik  ist  bei 
Pannus    trachomatosus    mit     glatter,     nicht 


secernirender  Bindehaut  jede  locale  Behand- 
lung zu  vermeiden.  Die  Galvanokaustik  ist 
stets  unter  Cocainwirkung  vorzunehmen.  Lid- 
halter oder  Fixirpincette  sind  bei  einiger 
Uebung  unnöthig.  Nach  Aetzung  der  Cornea 
wird  das  Auge  verbunden,  nach  der  der  Con- 
junctiva  braucht  dieses  nicht  zu  geschehen. 
{Orvosi  HeU  Szemk  1888  No.  32.) 

Schutchny  (Eudapett). 

Die    Behandlung    der    Cornealgeschwflre.      Von 
Dr.  P.  A.  Callan  (New- York). 

Comealgeschwüre  beobachtet  man  meist 
bei  jungen  Individuen,  wo  sie  sich  häufig 
genug  im  Anschluss  an  Phlyktänen  in  Folge 
des  Reizes,  den  die  Frictiou  des  Lidrandes 
auf  sie  ausübt,  entwickelt.  —  In  derartigen 
Fällen  ist  gelbe  Praecipitatsalbe ,  einmal 
täglich  zwischen  die  Lider  gestrichen,  oft 
von  ausgezeichneter  Wirkung.  Wenn  nöthig, 
hat  man  noch  etwas  Atropin  und  Cocain, 
besonders  bei  starker  Lichtscheu,  hinzuzu- 
setzen. —  Gleichzeitig  verabreiche  man 
Tonica,  ordne  möglichst  viel  Bewegung  in 
frischer  Luft  an,  während  die  Patienten 
gleichzeitig  nur  leicht  verdauliche  Kost 
geniessen,  in  einem  grossen  luftigen  Raum 
schlafen  und  gegen  grelles  Licht  durch 
rauchgraue  Gläser  geschützt  werden  sollen. 
Geradezu  schädlich  sind  Binden,  sowie 
längerer  Aufenthalt  in  einem  dunklen 
Räume.  —  Handelt  es  sich  um  Comeal- 
geschwüre in  Folge  von  Conjunctivitis,  so 
ist  letztere  zu  behandeln,  zumal  wenn  die 
schweren  Formen  wie  gonorrhoische  Con- 
junctivitis, Trachom  etc.  vorliegen.  Bei 
Geschwüren  ohne  ersichtliche  locale  Ursache, 
die  auf  constitutionelle  Diathesen  zurück- 
zuführen sind  (Malaria,  Syphilis),  ist  das 
Grundleiden  zu  behandeln,  die  Geschwüre 
selbst  unter  Cocain  mit  aseptischen  Watte- 
Tampons  mehrmals  täglich  sorgfaltig  zu 
reinigen  und  hierauf  mit  einer  1% 
Silbernitratlösung  sorgföltig  zu  touchiren 
(2 — 3  Mal  täglich).  Weiterhin  ist  das 
Auge  2 — 3  Mal  des  Tages  mit  40°  C.  heissem 
Wasser,  jedesmal  etwa  eine  halbe  Stunde  lang, 
zu  waschen.  —  BestehtheftigerReiz  der  Cornea, 
so  ist  dieselbe  mit  Borsäure  zu  baden;  dann 
träufele  man  Atropin  und  Cocain  ein  und 
lege  über  das  Auge  eine  leichte  Bandage. 
Nach  Beseitigung  der  heftigsten  Entzündung 
ist  auch  in  diesen  Fällen  Silbernitratlösung 
anzuwenden,  die  von  allen  Medicamenten 
nach  Verf.  am  geeignetsten  ist,  um  die 
Geschwüre  zu  reinigen  und  darauf,  durch 
Ausübung  eines  steten  Reizes,  die  Heilung 
derselben  zu  beschleunigen. 

{The  Mtdical  <f  9urg.  HeporUr  3.  XL  1888.) 

Hugo  Lohniiein  {Berlin). 


286 


Referat«. 


r'herapeatiaeha 
Monauhefte, 


Die  Behandlung  der  Psoriasis  vulgaris  mit  Jod- 
kalium.   Von  Dr.  Gutteling  (Rotterdam}. 

Verf.  schildert  die  Erfolge,  welche  auf 
der  Klinik  für  Syphilis  von  Prof.  van  Haren 
Noman  in  Amsterdam  bei  22  an  Psoriasis 
vulgaris  leidenden  Patienten  mit  grossen  Do- 
sen Jodkalium  erzielt  wurden,  welche  in 
einigen  Punkten  von  den  Erfahrungen  Has- 
lund^s  mit  dem  Mittel  (siehe  diese  Monatsh. 
1887  S.  410)  abweichen.  10  Patienten 
wurden  in  die  Klinik  aufgenommen,  12  poli- 
klinisch behandelt.  Das  Mittel  wurde  in 
laugsam  steigenden,  kleinen,  aber  häufigen 
Dosen  gereicht.  Auch  die  Beobachtung  der 
ambulant  behandelten  Kranken  ist  für  die 
Beurtheilung  des  Werthes  des  Medicamentes 
für  die  Therapie  der  Psoriasis  wichtig,  da 
bei  ihnen  die  Vortheile  der  Hospitalbehand- 
lung, gleichmässige  Ernährung,  Aufenthalt 
in  guter  Luft,  Einstellung  der  Beschäftigung 
etc.  wegfallen.  Die  höchste  Dosis  pro  die 
betrug  57  Gramm,  die  grosste  Gesammt- 
menge  des  verbrauchten  Jodkaliums  3684 
Gramm  (bei  demselben  Kranken).  In  5 
Fällen  trat  vollkommene  Genesung  ein  (bei 
einem  Patienten  auch  noch  bei  einem  Re- 
cidiv).  Bei  5  poliklinischen  Patienten  wurde 
wegen  hartnäckiger  Kopfschmerzen,  Schnupfen 
etc.  der  Gebrauch  des  Jodkalium  ausgesetzt, 
und  eine  andere  Behandlung  der  Psoriasis 
begonnen.  In  allen  anderen  Fällen  trat  be- 
deutende Besserung  des  Zustandes  ein;  bei 
6  Kranken  wurde  nach  mehreren  Monaten 
mit  der  Darreichung  des  Jodkalium  aufge- 
hört, da  ein  Stillstand  in  der  Besserung 
eingetreten  schien,  und  nur  noch  geringe 
Eruptionen  am  Körper  der  Patienten  vor- 
handen waren.  Die  beim  Jodkaliumgebrauch 
zu  befürchtenden  Erscheinungen  des  Jodis- 
mus scheinen  gerade  bei  Darreichung  kleiner 
Gaben  aufzutreten,  da  selbst  bei  Monate 
lang  anhaltender  Anwendung  des  Mittels  in 
grossen  Dosen,  ausser  bei  jenen  5  genannten 
Kranken,  keine  so  heftigen  Nebenerschei- 
nungen auftraten,  dass  das  Mittel  hätte  aus- 
gesetzt werden  müssen.  Bei  6  von  7  Pa- 
tienten, deren  Körpergewicht  bestimmt  wurde, 
nahm  dasselbe  von  ^/s  bis  ö^s  Kilogramm 
zu,  in  einem  Falle  um  2^3  Kilogramm  ab. 
Die  Diurese  war  gesteigert,  das  specifische 
Gewicht  des  Harns  blieb  ungefähr  das 
gleiche.  In  einem  Falle  wurde  der  sauer 
gelassene  Harn  sehr  schnell  alkalisch  und 
trübe.  Albuminurie  wurde  bei  keinem 
Kranken  constatirt;  einige  Male  traten 
Affectionen  der  Respirationsschleimhaut, 
Kopfschmerzen  und  Conjunctivitis  auf,  wel- 
che eine  Herabsetzung  der  Jodkaliumdosis 
veranlassten.  Kleine  Gaben  von  Atropin 
brachten      diese     Symptome      schnell      zum 


Schwinden.  In  einigen  Fällen  trat  Acne, 
einmal  Purpura,  einmal  Oedem  eines  Unter- 
schenkels und  einmal  rheumatische  Schmer- 
zen in  den  Gelenken  auf.  Die  Pulsfrequenz 
nahm  zu,  nachtheilige  Wirkungen  des  Mitteis 
auf  das  Herz  zeigten  sich  nicht,  jedoch  ist 
bei  Herzaffectionen  Vorsicht  in  der  Anwen- 
dung des  Jodkalium  nöthig.  Salivation  ent- 
stand beim  Gebrauch  desselben  nicht.  Jeden- 
falls hat  das  Medicament  einen  unbestreit- 
bar günstigen  Einfluss  auf  die  Psoriasis,  be- 
sonders in  frischen  Fallen,  welcher  sich  meist 
bei  Dosen  von  10  bis  20  Gramm  pro  die 
äussert.  Tritt  die  gute  Wirkung  bei  diesen 
Gaben  nicht  ein,  und  müssen  diese  gesteigert 
werden,  so  bleibt  meist  das  Ergebniss  trotz 
energischer  Behandlung  unvollkommen.  Die 
beim  Gebrauch  grosser  Dosen  des  Jodkalium 
auftretenden  Nebenerscheinungen  waren  nie 
ernster  Natur  und  zeigen  sich  auch  bei  Ein- 
nahme kleiner  Gaben.  Die  kürzeste  Be- 
handlungsdauer in  den  5  geheilten  Fällen 
betrug  etwas  mehr  als  14  Tage,  die  längste 
4^3  Monat. 

( Wttkbl.  van  hrt  Xedei'l.  Tijdschr.  voor  Gtneetk.  1889. 
1.  No.  /7.)  Ctoryt  Mtytr  {Btrlin). 

Ueber  dl«  Behandlung  der  infectiösen  Urethritis 
mittelst   der   Thallin-Antrophore.     Von   Dr. 

Istamanoff  (Tiflis.) 

Nachdem  Verf.  bereits  mit  dem  Thalliu. 
sulfur.  in  2procentiger  Lösung  sehr  gute 
Erfolge  bei  der  Gonorrhoe  erzielt,  wendete 
er  nach  Bekanntwerden  der  Stephan^ sehen 
Thallin-Antrophore  dieselben  in  29  Fällen 
von  acutem  und  bei  24  Patienten  mit  chro- 
nischem Tripper  an.  Bei  den  ersten  war 
vollständige  Genesung  in  10  bis  20  Tagen 
bei  28  Kranken  zu  constatiren,  von  den 
letzteren  24  Patienten  wurden  21  in  3  bis 
5  Wochen  geheilt.  4  Fälle  blieben  un- 
geheilt,  einer  derselben  bekam  nach  der  ersten 
Einführung  des  Antrophores  Schmerzen  in  der 
Blasen gegend  und  beim  Üriniren.  I.  ge- 
brauchte stets  5procentige  Thallin-Antro- 
phore, täglich  einmal  bis  zur  vollständigen 
Genesung,  von  einer  Länge  von  14  bis  25  cm. 
Schädliche  Nebenwirkungen  traten  nur  ein- 
mal (v.  s.)  ein;  das  bei  den  ersten  Ein- 
führungen in  der  Urethra  vorhandene  leichte 
Brennen  wird  stets  gut  ertragen.  Das 
Schmelzen  der  Antrophore  dauert  15  bis  20 
Minuten  und  länger.  Anfangs  muss  der 
Arzt  das  Instrument  persönlich  dem  Patien- 
ten einlegen;  später  kann  der  Kranke  ohne 
Nachtheil  die  Einführung  selbst  übernehmen. 

{AfonaUh.f.pracL  Dtrmaiol  1888,  No.  24.) 

Geory€  Meyer  (Ber2tn). 


Jani  1889.  J 


Raformtft. 


287 


Ueber  die  therapeutische  Verwendung  des  Queck- 
silbersallcylats.    Von  Dr.  P 1  u  m  e  r t  (Pola). 

Bei  den  blennorrhagi sehen  Processen  der 
männlichen  Harnröhre  wurde  eine  Losung 
von  Quecksilbersalicylat  1 — 3  :  1000  verwen- 
det. Es  zeigte  sich,  dass  mit  dem  Mittel 
der  Arzneischatz  gegen  die  Urethritis  be- 
reichert ist,  aber  keine  Abkürzung  des  Pro- 
cesses  bewirkt  werde.  Weiter  wurde  das 
Präparat  in  der  Form  von  Yerbandwasscr, 
Streupulver  etc.  bei  venerischen  und  syphi- 
litischen Geschwuren  mit  günstigem  Erfolge 
benutzt.  Die  Behandlung  der  Syphilis  mit 
dem  salicylsauren  Quecksilber  geschah  mit- 
telst subcutaner  Injectionen  und  innerlicher 
Anwendung.  Zur  Injection  wurde  die  Losung 
kurz  vor  dem  Gebrauch  bereitet  (1  :  100); 
jede  Spritze  enthielt  also  0,01  Hydrarg. 
salicyl.  Die  Injection  geschah  täglich. 
Bleibende  Infiltrate,  Entzündungen,  Abscesse 
wurden  nie  beobachtet.  Das  Mittel  wirkte 
bei  allen  Formen  der  Syphilis  gleich  günstig. 
Durchschnittlich  wurden  30  Injectionen  aus- 
geführt. Stomatitis  kam  nur  einmal  vor. 
Beim  Gebrauche  von  mit  dem  Medicament 
hergestellten  Pillen  (pro  dost  0,025)  stellten 
sich  nie  Erscheinungen  von  Seiten  des  Ma- 
gens oder  Darms,  nur  einmal  leichte  Stoma- 
titis ein.  2 — 4  Pillen  wurden  pro  die  ver- 
abreicht. Auch  hier  war  der  Erfolg  ein 
sehr  zufriedenstellender,  üeber  das  Eintreten 
von  Recidiven  beim  Gebrauch  des  Mittels 
soll  später  berichtet  werden. 

{VierUljakrickr.f.Dwmatolu.  8ypK  1888,  6.  Heß,  8.  663.) 

Otorge  Meyer  {Berlin). 

Zur  Behandlung  der  Syphilis  mit  Injectionen  von 
Calomel  und  Oleum  cinereum.  Von  Prof. 
Doutrelepont  (Bonn). 

Yerf.  hält  auf  Grund  seiner  langjährigen 
Erfahrung  folgende  Behandlungsmethode  der 
Syphilis  für  die  beste:  Der  Primäraffect  ist, 
so  lange  dies  gründlich  geschehen  kann,  zu 
exstirpiren.  Ist  dies  nicht  mehr  möglich,  so 
werden  die  Sklerosen  und  indolenten  Bu- 
bonen  mit  ortlicher  Anwendung  von  Em- 
plastr.  Hydrarg.  behandelt,  innerlich  Jod- 
kali. Zeigen  sich  die  ersten  secundären  Er- 
scheinungen, so  verwirft  D.  jede  weitere 
exspectative  Behandlung  und  verwendet  das 
Quecksilber  so  lange,  „bis  alle  Symptome 
völlig  geschwunden,  die  erkrankten  Stellen 
ganz  zur  Norm  zurückgekehrt  sind^.  Bei 
der  Entlassung  nehmen  die  Patienten  noch 
einen  Monat  Jodkali,  welches  die  Entfernung 
des  Hg  durch  den  Harn  beschleunigt.  Ferner 
verwendet  D.  das  Jodkali  im  tertiären  Stadium, 
in  welchem  das  Hg  bisweilen  nicht  vertra- 
gen wird.  Die  Weiterbehandlung,  um  Re- 
cidiven  vorzubeugen,   ist  die  chronisch-inter- 


mittirende  Fournier^s.  Von  den  Queck- 
silberanwendungsweisen hält  D.  die  Schmier- 
cur  für  die  wirksamste,  die  Injectionen 
kommen  ihr  nahe;  letztere  haben  jedoch 
sehr  viele  Vorzüge:  Bequemlichkeit,  Sauber- 
keit etc.  Für  die  Einspritzungen  wurde  in 
der  Bonner  Klinik   die   Galomclolsuspension 

(Calomel.  vap.  parat.  1,0 
Ol.  olivar.  10,0) 

benutzt.  Alle  8  Tage  wurde  eine  Spritze 
applicirt;  4  —  6  Spritzen  genügten  zur  Be- 
seitigung der  Symptome.  Die  Injectionen 
sind  intramuskuläre  und  geschehen  unter 
Beobachtung  peinlicher  Antisepsis.  Abscesse 
bleiben  dann  ganz  aus.  Ferner  wurden  In- 
jectionen mit  dem  grauen  Oel  gemacht  je 
0,15  an  zwei  Stellen  alle  5  bis  8  Tage 

iV     Hydrarg. 

Lanolin,  aa  3,0 

Ol.  olivar.  4,0 

und  auch  hiermit  sehr  zufriedenstellende  Er- 
folge erzielt.  Verf.  hält  die  Calomelölinjec- 
tionen  neben  der  Inunctionscur  für  die  wirk- 
samste und  energischste  Methode  der  Sy- 
philisbehandlung; die  Wirkung  des  Oleum 
cinereum  hält  er  für  fast  gleich  dem  Calomel. 

{DUche.  med.   Wochechr.  1888,  No.  38.) 

George  Mejftr  {Berlin). 

Zur   Balneotherapie    der    Neurosen.     Von    Prof. 
Dr.  £.  Heinrich  Kisch. 

Ref.  hat  bereits  einmal  an  dieser  Stelle 
(vgl.  diese  Zeitschrift  1888  S.  90)  Gelegen- 
heit gehabt,  die  Beobachtungen  des  Verf. 
über  Koprostase  -  Reflexneurosen  zu  be- 
sprechen. Ohne  wesentlich  Neues  zu  brin- 
gen, hebt  Verf.  hervor,  dass  namentlich  das 
nervöse  Herzklopfen,  die  Hemicranie,  die 
Ischias,  die  Intercostalneuralgie,  die  Lumbo- 
Abdominalneuralgie,  die  Ovarialneuralgie 
und,  wie  schon  Güssen  bau  er  nachgewiesen 
hat,  die  Trigeminusneuralgie  in  sehr  vielen 
Fällen  auf  hartnäckiger  Stuhl  Verstopfung  be- 
ruhen. Verf.  hat  bei  diesen  Patienten  durch 
eine  methodische  Anregung  der  Darmthätig- 
keit,  namentlich  mit  Hilfe  des  Marienbader 
Kreuz-  und  Ferdinandbrunnens  und  durch 
geeignete  diätetische  Vorschriften  es  zu 
Wege  gebracht,  dass  die  bezeichneten  Re- 
flexneurosen binnen  einigen  Wochen  auf- 
horten und  die  Anfälle  gar  nicht  oder  sehr 
selten  und  abgeschwächt  wiederkehrten. 

Unterstützt  wurde  die  4 — 6wöchentliche 
Trinkcur  mit  den  Glaubersalzwässern,  oft 
auch  durch  Säuerlingsbäder  mit  kalten  Re- 
gcndoucheo,  femer  durch  Dampfbäder  und 
Moorkataplasmen  auf  den  Unterleib. 

{PeeUr  nudic.-chirurg.  Prette  1889  No.  11.) 

Schmey  (Beuthen  O.-S.). 


288 


TosUcolofl«. 


tTbera.peiitl«die 
Monatshefte. 


Toxikologie. 


Zur   toxischen  Wirkung  des  Cocain.     Von  Prof. 
Dr.  Wölfler  (Graz). 

Nach  Yerfs.  zahlreichen  Untersuchungen 
giebt  die  Injection  est  eile  eine  gewisse 
Disposition  für  die  Entstehung  von  Vergif- 
tungsföllen  ab.  Er  hat  beobachtet,  dass  in 
allen  jenen  Fällen,  in  denen  Vergiftuogs- 
erscheinungen  eintraten,  die  Cocainiojection 
am  Kopfe,  sei  es  am  Gesicht,  in  der  Mund- 
hohle oder  in  der  Gegend  der  behaarten 
Kopfhaut  ausgeführt  worden  war.  W,  nimmt 
an,  dass  das  C,  welches  im  Gesicht  injicirt 
wird,  auf  das  Gehirn  viel  unmittelbarer  und 
unvermittelter  wirkt,  als  wenn  dasselbe  in 
Gegenden  einverleibt  wird,  welche  vom  Ge- 
hirn weiter  entfernt  liegen.  Aehnliche  Er- 
fahrungen sind  schon  längst  mit  dem  Eisen- 
chlorid gemacht,  welches,  an  den  Extremi- 
täten eingespritzt,  fast  niemals  schadet,  am 
Gesicht  dagegen  häufig  zur  Entstehung  von 
gefährlichen  Hirnembolien  Veranlassung  giebt. 
Demnach  kann  man  bei  kleinen  Operationen 
an  den  Extremitäten  oder  am  Rumpfe  ganz 
ruhig  1  g  einer  5  **/o  Cocainlosung  injiciren, 
während  man  im  Gesicht  und  in  der  be- 
haarten Kopfhaut  nie  mehr  als  0,02  Cocain 
verwenden  soll. 

{Wien.  med.  Wochentchr    1889  No.  18.)  R, 

Ein   Fall    von   Antifebrin -Vergiftung.     Von    Dr. 
Pauschinger. 

Ein  3 4j ähriger  kräftiger  Herr  besorgte 
sich,  weil  er  zu  fiebern  glaubte,  6  Pulver. 
Antifebrin  zu  je  1,0  und  nahm  von  ^j^S  Uhr 
Abends  an  in  einstündigen  Pausen  5  Pulver. 
Um  4  Uhr  Morgens  traten  heftige  Diarr- 
höen auf,  die  den  ganzen  Tag  andauerten. 
Gegen  Mittag  bot  Patient  folgendes  Bild: 
Hautdecken,  Conjunctiva,  Lippen  und  Mund- 
schleimhaut blau  verfärbt;  Puls  klein,  von 
normaler  Frequenz.  Hertöne  rein;  Anilin- 
reaction  des  Urins.  Hochgradige  Mattigkeit, 
Schwindel  und  Frostgefühl;  Temp.  37,3, 
Abends  38,4.  Am  folgenden  Tage  früh  35,0, 
Abends  37,5.  Die  Darmentleerungen,  ganz 
flüssig  und  schwarzgrau  gefärbt,  Hessen  am 
2.  Tag  an  Heftigkeit  nach,  steigerten  sich 
aber  bald  wieder.  Bei  mangelndem  Appetit 
erhol tete  Patient  sich  ganz  langsam,  bis  er 
endlich  am  10.  Tage  seine  alte  Leistungs- 
fähigkeit wieder  gewonnen  hatte. 

{Mönch,  med-   Woehensehr.  1889  No.l9.)  R. 

Eine  Antifebrinvergiftung.  Von  Dr.E.Fürth(Wien). 

Ein  an  Hemicrnnie  leidendes  Mädchen 
hatte  4  g  Antifebrin  genommen.  Unmittel- 
bar nach  der  Einnahme    stellte   sich  Uebel- 


keit,  Aufstossen,  später  Schmerz  in  der 
Magengegend  und  häufiges  Erbrechen  einer 
grünlich-wässerigen  Flüssigkeit  ein,  Gyanose, 
anfänglich  nur  der  Lippen,  später  des  ganzen 
Gesichtes,  der  Hände  und  Füsse,  während 
die  Haut  an  den  übrigen  Körpertheilen,  bei 
subjectivem  Kältegefühl,  blass  und  eiskalt 
anzufühlen  war.  Puls  schwach,  kaum  fühl- 
bar, frequent,  140  Schläge,  Respiration  ober- 
flächlich, etwas  beschleunigt.  Pat.  war  fast 
bewusstlos.  Später  gesellten  sich  Erschei- 
nungen von  Himreizung:  Pupillenerweiterung, 
Zuckungen  im  Gesicht,  Zähneknirschen, 
Starrheit  der  Extremitäten  und  lebhafte 
Delirien  hinzu.  Dann  verfiel  Pat.  in  tiefes 
Coma,  aus  welchem  sie  nach  etwa  3  Stun- 
den erwachte. 

Acht  Stunden  nach  der  Vergiftung  war 
das  Bewusstsein  vollkommen  zurückgekehrt, 
Puls  84,  mittelkräftig,  Athmung  ruhig,  Tem- 
peratur etwas  unter  der  Norm.  Pat.  klagte  nur 
über  Schmerzen  im  Magen  und  über  Schwin- 
delgefühl. Die  Gyanose  verlor  sich  erst  nach 
24  Stunden.  Nach  zwei  Tagen  konnte  Pat. 
das  Bett  verlassen. 

( Wiener  med.  Presse  1889  No.  16.)  rd. 


littteratnr. 


Klinisches  Jahrbnch.  Im  Auftrage  Seiner  Excel- 
lenz des  Ministers  der  geistlichen,  Unterrichts- 
und Medicinal-Angelegenheiten  Dr.  v.  Gossler 
unter  Mitwirkung  der  vortragenden  Räthe  Prof. 
Dr.  C.  Skrzeczka  und  ES".  G.  Schönfeld 
Geh.  Medicinalrath;  herausgegeben  von  Prof. 
Dr.  A.  Guttstadt.  Erster  Band.  Berlin. 
Verlag    von    Julius    Springer.     1889.     8". 

566   S.  [Sehlust.] 

2.  Erfahrungen  über  den  Dauer- 
verband und  die  Wundheilung  ohne 
Drainage.  Von  Professor  Dr.  J.  Miku- 
licz, Medicinalrath. 

Nach  M.  sind  alle  die  W^unden  zu  dieser 
Behandlungsweise  geeignet,  welche  vor  der 
Anlegung  des  Verbandes  sicher  aseptisch 
sind  und  voraussichtlich  auch  im  weiteren 
Verlaufe,  sei  es  von  aussen,  sei  es  von  innen, 
nicht  inficirt  werden  können. 

Als  antiseptische  Lösungen  werden  be- 
nutzt Sublimatlösung  1  :  2000  und  5  %  Car- 
bollösung,  in  welcher  letzteren  die  Instru- 
mente liegen.  Als  Unterbindungsmittel  dient 
Catgut.  Die  unpräparirten  Darmseiten  wer- 
den nach  Kümmel  1  auf  24  Stunden  in  eine 
wässerige    1  "/o  Sublimatlösung  gelegt,  dann 


m.  Jahvgang.l 
Juni  1889.   J 


Littciatur. 


289 


auf  Rollen  gewickelt  und  in  einer  Mischung 
von  0,5  Sublimat,   10,0  Gljcerin  und  100,0 
Alkohol    aufbewahrt.     Zur   Naht    wird   ver- 
wendet a)  Seide,  nach  Czerny  eine  Stunde 
in    5  %  CarboUosung    gekocht   und  dann  in 
einer    ebensolchen-   Losung    aufbewahrt,    b) 
feiner   Silberdraht   und    c)  Sublimat-Catgut. 
An  Stelle  der  Wundschwämme  dienen  Bausch- 
chen    von    Holzfaser,    von    einer    doppelten 
Schicht  Mull    locker  umhüllt,    die   in  Va^oo 
Sublimatlösung    aufbewahrt    und    nach  dem 
Gebrauch    vernichtet    werden.     Zum  Wund- 
verband wird  gebraucht  a)  Protectiv-silk  oder 
Guttaperchapapier,    das   5  Minuten  vor    der 
Benutzung  in  5  %  CarboUosung  gelegt  wird, 
b)  Jodoformgaze,  wovon  der  Theil,  der  zur 
directen    Bedeckung     der    Wunde     kommt, 
dauernd    in  5  %  CarboUosung    liegt  und  c) 
Mooskissen,  die  nicht  besonders  präparirtsind. 
Vor    der    Operation  werden    die    Hände 
aller  dabei  Betheiligten  gründlich  mit  Eali- 
seife    und  Bürste    bearbeitet,    dann    in    5  ^/o 
CarboUosung    gewaschen    und   während    der 
Operation    von    Zeit    zu   Zeit    in  Sublimat- 
lösung gereinigt.     Die  Nagelfurchen   werden 
besonders  mit  einem  aus  CarboUosung  genom- 
menen Stückchen  Jodoformgaze  ausgerieben. 
Bas    Operationsfeld    wird    mit   Ealiseife 
gewaschen  und  rasirt,  Hände  und  Füsse  mit 
Aether    und  dann  mit  Bürste  und  Seife  ge- 
reinigt,   das    gereinigte    Operationsfeld    mit 
Sublimatlösung  abgewaschen,    an   schwer  zu 
reinigenden    Stellen    auch    5  ^/q  CarboUosung 
zu  Hülfe  genommen,  die  mit  Sublimatlösung 
sorgfältig  fortgespült  wird,  und  während  der 
Operation  die  Wunde  etwa  alle   10  Minuten 
mit    Sublimatlösung    berieselt.       Nach     der 
Operation  erfolgt  noch  eine  gründliche  Aus- 
waschung der  Wunde  mit  5  ^/q  CarboUosung, 
die    sofort    mit    Sublimatlösung    fortgespült 
wird.     Nun  wird  die  Wunde  in  der  Art  ver- 
einigt,    dass    an    einer    und    bei    grösseren 
Wunden  an  zwei  Stellen  l*/g  bis  3  cm  lange 
und  2  bis  5  mm   klaffende  Spalträume  zum 
Abfiuss     offen     bleiben.       Die     Wundränder 
werden    durch    2   bis  4    Entspannungsnähte 
aus    Silberdraht    oder    Seide   vereinigt    und 
zur  feineren  Vereiliigung  der  Hautränder  eine 
fortlaufende  Catgutnaht  benutzt.  Beim  Wund- 
verband wird    zunächst  der    offen    gelassene 
Theil  der  Wunde  mit  einem   kleineu,  2  bis 
4  cm  langen  Streifen  Protectiv-silk  bedeckt, 
dann  die  ganze  Wunde  mit  einer  vierfachen 
Lage  aus  der  CarboUosung  genommener  Jodo- 
formgaze bedeckt,  die  die  Wunde  2  bis  8  cm 
überall    hin  überragt,  darüber  ein  grösseres 
Stück  Jodoformgaze  gelegt  und  endlich  ent- 
sprechend grosse  Mooskissen   aufgelegt,    die 
mittelst  leicht  comprimirender  ßindentouren 
befestigt  werden.     Der  Verband  bleibt,  mit 


seltenen  Ausnahmen,  bis  zur  vollendeten 
Wundheilung,  bei  Resections wunden  event. 
bis  zum  Eintritt  der  knöchernen  Verwachsung 
der  Enochenenden  liegen. 

Schliesslich  bemerkt  M.  noch,  dass  er 
die  Wundbehandlung  „unter  dem  feuchten 
Schorf**  nach  Operationen  wegen  tuberculöser 
Processe  in  der  letzten  Zeit  sehr  beschränkt 
hat,  weil  es  ihm  auffiel,  dass  gerade  nach 
glatten  primären  Heilungen  relativ  oft  und 
frühzeitig  locale  Recidive  auftraten.  Er 
wendet  hier  jetzt  die  Jodoformgazetampouade 
an,  um  die  Wunde  jetzt  ganz  durch  Granu- 
lationen heilen  zu  lassen  oder  ev.  durch  die 
Secundärnaht  zu  schliessen. 

B.  Die  Maassregeln  zur  Verhütung 
des  Kindbettfiebers  auf  den  geburts- 
hilflichen Kliniken  der  preussischeu 
Universitäten.  Von  Dr.  6.  Schönfeld, 
Geheimer  Medicinalrath  und  vortra- 
gender Rath  im  Ministerium  der  geist- 
lichen, Unterrichts-  und  Medicinal- 
Angelegenheiten. 

Der    wesentliche    Umschwung,     den    die 
neue    Zeit    auch    der  Geburtshilfe    gebracht 
hat,    erfolgte    bekanntlich   hinwiederum   wie 
auf  allen  Gebieten  unserer  Wissenschaft  mit 
der  Einführung    des    anti-    und    aseptischen 
Verfahrens  in  der  Wundbehandlung  und  mit 
der  Erkenntniss  der  Existenz  der  vielartigen 
Infectionsquellen,    sowie    mit   der  Ueberzeu- 
guug,    dass    es    sich   in  jedem  Wochenbette 
um  nichts  anderes  als  eine  grosse,    der  In- 
fection  mit  mannigfaltigen  Krankheitskeimen 
besonders  gunstige  Wunde  handelt,  welcher 
gegenüber  der  Geburtshelfer  sich  in  gleicher 
Weise,  wie  wenn  dieselbe  durch  eine  Operation 
oder    eine     sonstige     Verletzung    entstanden 
wäre,  zu  verhalten  hat.    Mit  der  zunehmen- 
den Herrschaft    dieses  Grundgedankens   und 
der     feineren     Ausbildung     des     Verfahrens 
zur  Vernichtung    der  Krankheitskeime    ohne 
Benachtheiligung    des   mütterlichen  Organis- 
mus  hat  sich  die  Prophylaxe  allmählich  zu 
einer  Vollendung  entwickelt,  deren  thatsäch- 
liche  Erfolge    denen    auf  dem    chirurgischen 
Gebiete  um  nichts  mehr  nachstehen  und  die 
grössten  Hoffnungen    der    früheren  Geburts- 
helfer weit  übersteigen. 

Die  1887  eingereichten,  amtlichen  Dar- 
legungen lassen  ersehen,  dass  an  allen  10 
geburtshilflichen  Kliniken  der  preussischeu 
Universitäten  mit  kleinen  Abweichungen  im 
grossen  Ganzen  die  gleichen  Grundsätze 
herrschen.  Die  Maassnahmen  erstrecken  sich 
allgemein  auf  die  Kreissende  und  alles,  was 
mit  derselben  in  Berührung  kommen  kann, 
insbesondere  auf  das  Geburtslager  und  die 
sonstige  Ausstattung  des  Gebärzimmers,  auf 
die    untersuchenden    und    abwartenden   Per- 

37 


290 


Utterahif. 


rHierapendidbe 
L  Monatshefte. 


sonen,  namentlich  die  Klinicisten  und  auf 
die  in  Anwendung  kommenden  Geräthschaften, 
und  sind  in  ihren  Hauptzügen  folgende. 

Die  Entbindung  findet  überall  auf  einem 
besonderen,  nur  zu  diesem  Zwecke  bestimm- 
ten, häufig  desinficirten  Zimmer  statt,  welches 
einen  leicht  abspülbaren  Fussboden  und  eben- 
solche Wände  besitzt.  Das  Geburtslager 
dient  zugleich  als  Wochenbettslager,  die 
BettgestcUe  bestehen  aus  Eisen  und  sind 
leicht  zu  reinigen,  die  Lagerung  geschieht 
auf  einem  frisch  gewaschenen  und  neu  ge- 
stopften Strohsack,  über  dem  eine  Gummi- 
decke angebracht  ist.  Bevor  die  Kreissende 
auf  das  Gebärbett  kommt,  erhält  sie,  wenn 
noch  Zeit  ist,  ein  warmes  Bad  und  reine 
Leibwäsche.  Nach  demselben  werden  die 
äusseren  Ge  seh  lechtsth  eile  gründlich  mit 
lauem  Wasser  und  Seife  gewaschen  und  des- 
inficirt,  worauf  eine  Ausrieselung  der  Scheide 
erfolgt,  die  bei  protrahirtem  Geburts verlauf, 
mit  häufigen  Untersuchungen,  von  Zeit  zu 
Zeit  wiederholt  wird.  Als  Besinficientiea 
w^erden  Sublimat  0,2 — 1,0  ^oo  und  Carbol- 
säure  3 — 5  ®/o  benutzt.  Nach  Beendigung 
der  Geburt  und  vor  Ueberb ringung  in  das 
Wocheozimmer  wird  die  Scheide  nochmals 
gründlich  ausgespült  und  der  Körper  der 
Wöchnerin,  soweit  erforderlich,  gereinigt. 
Während  des  Wochenbetts  werden  die 
äusseren  Genitalien  ,  unter  Vermeidung 
jeglicher  Berühi-ung,  grösstentheils  zweimal 
täglich  gereinigt,  durch  Berieselung  mittelst 
der  auch  zur  Scheidenausspülung  während 
der  Geburt  üblichen  Lösung,  mit  darauf 
folgender  Abtrocknung  durch  reine  Tücher 
und  unter  häufigem  Wechsel  der  Unterlagen. 
Von  Instrumenten  kommt  mit  den  Geschlechts- 
theilen  in  unmittelbare  Berührung  regel- 
mässig nur  das  Ausflussrohr  des  Irrigators, 
das  zweckmässig  nur  aus  Glas  besteht  und 
jeder  Kreissenden  neu  zugetheilt  wird. 

Eine  ganz  besondere  Aufmerksamkeit 
wird  der  Unterweisung  der  Klinicisten  ge- 
widmet, die  auf  das  Allergenaueste  und  Ein- 
gehendste instruirt,  auf  das  Strengste  beauf- 
sichtigt und,  wenn  irgendwie  septisch,  auf 
mehr  oder  weniger  lange  Zeit  zurückgewiesen 
werden.  Um  die  der  Kleidung  der  Studiren- 
den  etwa  anheftenden  Schädlichkeiten  un- 
wirksam zu  machen,  besteht  an  mehreren 
Kliniken  die  Einrichtung,  dass  der  Practi- 
kant  vor  dem  Eintritt  in  das  Gebärzimmer 
seinen  Rock  mit  einem  von  der  Klinik  be- 
reit gestellten  frisch  gewaschenen  Leinenrock, 
der  den  ganzen  Körper  einhüllt,  vertauscht. 
Die  Behandlung  der  Nägel,  Hände  und  Arme 
der  Untersuchenden  geschieht  nach  den 
üblichen  Vorschriften  der  Chirurgie  und  hat 
fast    überall  dem  Sublimat   die  erste  Stelle 


eingeräumt.  Dass  vor  jeder  neuen  Explo- 
ration die  Desinfection  wiederholt  werden 
muss,  ist  selbstverständlich. 

Die  sorgfältige  Ausführung  des  geschil- 
derten Verfahrens  —  für  dessen  sehr  lehr- 
reiche, ausführliche  Zusammenstellung  wir 
auf  das  Original  verweisen  müssen  —  hat 
es  denn  vermocht,  dass,  wie  bekannt,  die 
Sterblichkeits Ziffer  in  unseren  Kliniken  so 
herabgesunken  ist,  dass  eine  Mortalität  von  ' 
1  %  schon  als  recht  ungünstig  angesehen 
wird.  Seh.  schliesst  mit  den  Worten:  Zu 
wünschen  bleibt,  dass  der  in  den  Kliniken 
ausgestreute  Same  auf  dem  Felde  der  selbst- 
ständigen Berufsthätigkeit  überall  kräftiges 
Gedeihen  finde  und  nirgends  verkümmere. 

4.  Ueber  Verletzungen  des  Auges. 
Beobachtungen  aus  der  Augenklinik 
in  Bonn.  Von  Professor  Dr.  Th.  Sae- 
misch.     Geheimer     Medicinalrath. 

5.  theilt  sein  reiches  Beobachtungsmaterial 
ein  in  A.  Verletzungen,  bei  welchen  eine  Per- 
foration der  Bulbuskapsel  nicht  stattgefunden 
hat.  1)  Gontinuitätstrcnnungeu  der  Conjunc- 
tiva,  Verbrennungen  der  Conjunctiva  und 
der  Cornea,  oberflächliche  Verletzungen  der 
Cornea;  2)  Verletzungen  der  Cornea,  welche 
zur  Entwickelung  eines  Ulcus  serpens  ge- 
führt haben;  3)  Quetschungen  des  Bulbus. 
B.  Verletzungen,  bei  welchen  eine  Conti- 
nuitätstrennuug  der  Bulbuskapsel  stattge- 
funden hat  u.  z.  l)  Continuitätstrennung  der 
Cornea,  2)  der  Sclera,  3)  der  Cornea  und 
der  Sclera. 

Von  der  ersten  Gruppe  der  Verletzungen 
interessirt  am  meisten  das  typische  Ulcus 
corneae  serpens.  Von  ihm  darf  jetzt  wohl 
mit  aller  Sicherheit  behauptet  werden,  dass 
es  in  der  Regel  ein  durch  Infection  einer 
meist  oberflächlichen  Hornhautwunde  zu 
Stande  gekommener  Process  ist,  bei  welchem 
in  einer  ziemlichen  Zahl  Ton  Fällen  das 
Secret  der  längst  erkrankten  Schleimhaut 
des  Thränensackes,  in  andern  Fällen  der 
Körper,  welcher  die  Hornhaut  verletzte,  als 
Träger  der  inficirend  wirkenden  Massen  an- 
zusehen sind.  Im  erstem  Falle  wird  für 
beständige  Entfernung  des  Thränensack- 
inhalts  zusammen  mit  Einträufelungen  von 
3%  Borsäurelösting  Sorge  getragen  werden 
müssen,  während  im  zweiten  Falle  die  An- 
tiseptica  und  der  Galvanokauter  den  anfangs 
auf  sie  gesetzten  Hoffnungen  nicht  ent- 
sprochen und  kaum  die  früheren  Resultate 
mit  der  Keratotomie  geändert  haben,  so  dass 
im  grossen  Ganzen  die  frühere  Behandlungs- 
weise  unverändert  geblieben  ist.  Dass  die 
Keratotomie  den  Fachgenossen  nicht  immer 
gleich  befriedigende  Resultate  geliefert  hat, 
wie  ihm   selbst,    erklärt  S.  daraus,    l)  dass 


Jaul  1889.   J 


Irlttentur. 


291 


sie  angewendet  ist,  wo  ein  typisches  Ulcus 
serpens  überhaupt  nicht  vorlag,  2)  dass  die 
Operation  nicht  in  der  Weise  ausgeführt  ist, 
wie  [sie  von  ihm  angegeben  ist,  3)  dass 
das  operirte  Auge  nicht  in  genügender  Weise 
unter  Atropinwirkung  gesetzt  worden  ist  und 
4)  endlich,  dass  nicht  rechtzeitig  genug 
operirt  ist.  Deshalb  darf,  wenn  feuchte 
Wärme  und  Atropin  neben  sorgfältiger  Be- 
rücksichtigung des  complicirenden  Thräneu- 
sackleidens  nicht  sehr  bald,  in  3  —  4  Tagen, 
sich  wirksam  erweist,  mit  der  Ausführung 
der  Operation  nicht  gezögert  werden,  wenn 
auch  die  Ausdehnung  des  Geschwürs  noch 
keine  erhebliche  ist.  Zurückzuweisen  ist, 
dass  die  Eeratotomie  zur  Bildung  vorderer 
Synechien  oder  zur  Cataractbildung,  die  sich 
an  sie  anschliesst,  Veranlassung  giebt.  Die 
erstere  wird  manchmal  unvermeidlich  sein, 
denn  als  unvermeidlich  stellt  sich  in  manchen 
Fällen  die  Bildung  vorderer  Synechien  bei 
Kettung  des  Auges  heraus  und  letztere  kann 
gleichfalls  da,  wo  auch  das  Ulcus  nicht 
operativ  behandelt  ist,  auftreten,  dadurch, 
dass  die  festen  Exsudatmassen,  die  sich  oft 
zwischen  Cornea  und  Pupillargebiet  ein- 
schieben, längere  Zeit  mit  der  Linsenkapsel 
in  Berührung  bleiben. 

Ausser  dem  Ulcus  serpens  bieten  be- 
sonders die  Continuitätstrennungen  der  Cor- 
nea und  der  Sclera  therapeutisch  Wichtiges. 
S.  verfährt  hier  nach  folgenden  Grundsätzen, 
l)  Bei  allen  perforirenden  Wunden  der  Cor- 
nea und  Sclera  ist  zunächst  für  eine  mög- 
lichst schnelle  Vereinigung  der  Wundränder 
u.  z.  durch  Application  eines  Druck  verbau  des 
auf  beide  Augen  zu  sorgen.  Der  Verletzte 
hütet  das  Bett,  bis  die  Wunde  sicher  ge- 
schlossen ist.  Verträgt  eine  heftige  ent- 
zündliche Reaction  nicht  mehr  den  Druck- 
verband, so  ist  unter  Umständen  die  feuchte 
Wärme  am  Platze.  2)  Vor  Anlegung  des 
Druck  Verbandes  wird  eine  sorgfältige  anti- 
septische Reinigung  der  Wundpartie,  des 
Conjunctivalsackes  und  der  Lider  vorge- 
nommen. 3)  Vor  Anlegung  des  Druckver- 
bandes ^ird,  wenn  irgend  möglich,  die 
Frage  zur  Entscheidung  gebracht,  ob  sich 
der  Körper,  welcher  die  Verwundung  gemacht 
hat,  etwa  noch  im  Auge  befindet  oder  nicht. 
Es  sind  hier  das  Verhältniss  der  Grösse  der 
Wunden  zu  einander,  die  sich  am  Bulbus, 
im  Bulbus  und  an  seinen  Adnexen  vorfinden, 
ferner  das  Vorhandensein  tieferer  Verletzungen 
des  Auges,  welche  es  unwahrscheinlich 
machen,  dass  der  verletzende  Körper  sie 
hervorrufen  und  nachher  das  Auge  wieder 
verlassen  konnte,  ferner  das  Miss  verhältniss, 
welches  sich  zwischen  den  sichtbaren  Ver- 
änderungen, wie  sie   an   der  Eingangspforte 


und  der  dieser  benachbarten  Gebilde  (z.  B. 
an  der  Cornea,  Iris  und  Linse)  nachgewiesen 
werden,  und  der  Functionsstörung  heraus- 
stellt und  endlich  etwaige  Spuren  eines 
Fremdkörpers  im  Innern  des  Auges  von  Be- 
deutung. 4)  Befindet  sich  der  Fremdkörper 
noch  im  Auge,  so  ist  zu  entscheiden,  ob 
seine  Entfernung  sofort  anzustreben  ist  oder 
nicht.  Letzteres  dürfte  der  Fall  sein,  wenn 
der  verletzende  Körper  bis  in  die  Linse  ge- 
rathen  und  dort  liegen  geblieben  ist.  Hier 
wird  seine  Entfernung  mit  der  getrübten 
Linse  zu  vereinigen  sein. 

5)  üeber  die  verschiedenen  mer- 
curiellen  Methoden  der  Syphilis-The- 
rapie. Erfahrungen  aus  der  Klinik 
für  Hautkrankheiten  und  Syphilis  in 
Breslau.  Von  Professor  Dr.  Albert 
Neisser. 

N.  bekennt  sich  zu  der  chronischen,  an 
Fournier^s  Namen  geknüpften  Behandlungs- 
methode und  behandelt  demgemäss  l)  jeden 
Kranken  u.  z.  ohne  Rücksicht  darauf,  ob 
seine  Krankheit  sich  in  Symptomen  äussert 
oder  latent  ist;  2)  mehrere  Jahre  hindurch, 
durchschnittlich  4  Jahre;  3)  in  vielen  ein- 
zelnen, durch  längere  Pausen  getrennte 
Curen;  4)  die  Curcn  sind  abwechselnd  ener- 
gische und  milde,  namentlich  die  allererste 
Cur  soll  sehr  energisch  sein,  ebenso  in  den 
spätem  Jahren  mindestens  eine;  5)  die  All- 
gemeinbehandlung beginnt  erst,  sobald  die 
Diagnose  über  jeden  Zweifel  erhaben  ist. 

Die  Schmiercur  erklärt  N.  zwar  als 
eine  ausgezeichnete  Methode  der  Hg-Ein- 
verlcibung  bei  Hospitalkranken,  aber  er  ver- 
wendet sie  nur  in  den  Fällen,  in  denen  die 
Injectionsmethoden  nicht  gebraucht  werden 
können,  weil  einmal  die  Aus-  und  Durch- 
führung  einer  wirklich  guten  Einreibung  sehr 
schwer  ist,  weil  manchmal  Ekzeme  und  Ery- 
theme der  Haut  störend  dazwischen  treten 
und  weil  die  Dosis  des  thatsächlich  ver- 
riebenen Hg  so  gut  wie  unbekannt  ist. 
Wendet  er  eine  Einreibungscur  an,  so  ver- 
ordnet er  als  mittlere  Cur  30  Einreibungen 
zu  3,0  pro  die,  lässt  20  Minuten  einreiben 
und  die  Salbe  folgendermassen  herstellen. 
1000,0  Hg  werden  mit  Benzoe-Aether 


^     Benzoes 
Aeth.  sulf. 
Amygd.  dulc. 


20,0 

40,0 

5,0 


in  einem  Glase  bis  zur  Entstehung  eines 
dicken  Breies  tüchtig  geschüttelt.  Dann  giebt 
man  den  Quecksilberbrei  zusammen  mit  der 
darüberstehenden  Flüssigkeit  in  einen  Mörser 
und  verreibt  ihn  zunächst  mit  der  Hälfte 
einer  aus  900,0  Adeps  und  100,0  Cera  flava 
bestehenden    (erkalteten!)    Salbenmasse    bis 

87* 


292 


Littormtur. 


rrherapeaÜMh* 
L  Monatahefte. 


zur  vollständigen  Extinction  des  Hg.  End- 
lich wird  die  andere  Hälfte  der  Salbe  noch 
hinzugegeben  und  sorgfältig  vermischt.  Die 
Salbe  enthält  dann  50  ^/o  metallisches  Hg 
u.  z.  in  einem  äusserst  feinküglichen  Zu- 
stande. 

Nur  vor  jedem  Einreibungsturnus  wird 
ein  Bad  genommen.  Nach  der  Einreibung 
wird  der  betreffende  Theil  in  einen  nicht 
allzudicken  Watteverband  gelegt,  der  24 
Stunden  bis  zur  nächsten  Einreibung  liegen 
bleibt.  Der  Patient  legt  sich  zu  Bett,  um 
leicht  zu  transpiriren,  starkes  Schwitzen 
wird  vermieden.  Trotz,  oder  richtiger,  wegen 
der  Verdunstung  des  Hg  wird  der  Patient 
möglichst  in  freier  Luft  gelassen.  Bei  kleinen 
Kindern  oder  als  milde  Nebencur  werden 
Pflastereinwickelungen  angewendet  u.  z.  wird 
wöchentlich  je  eine  oder  zwei  Extremitäten 
mit  dem  Pflaster,  das  8  Tage  liegen  bleibt, 
eingehüllt.  Das  Pflaster  besteht  aus  gleichen 
Theilen  des  officin.  deutschen  grauen  Pflasters, 
und  10%  Salicylseifenpflaster,  welcher  Masse 
noch    15%  Yaselin    zugefugt   werden    kann. 

Der  Schmiercur  gegenüber  haben  die  In- 
jectionsmethoden  den  Vortheil:  l)  einer 
sicheren  Hg-Ein Verleihung,  2)  der  verbal t- 
nissmässig  grossen  Bequemlicbkeit,  3)  der 
fast  absolut  genauen  Dosirung  des  Medi- 
camentes,  4)  der  grossen  Seltenheit  störender 
Hg-Nebenwirkungen,  5)  erlauben  sie  sonst 
nach  jeder  Richtung  hin  roborircnd  mit 
Bäder-  und  Schwitzcuren  vorzugehen. 

Während  früher  bekanntlich  Sublimat- 
lösung (mit  dem  Zusatz  der  10  fachen  Gl  Na- 
Menge  u.  z.  30  Injectionen  zu  0,01  Subli- 
mat pro  die)  das  gebräuchlichste  war,  haben 
sich  seit  Scarenziodie  Injectionen  ungelöster 
Hg-Salze  in  grössern,  ab.er  seltenern  Einzel- 
dosen jetzt  all  gemeine  Anerkennung  verschafft, 
welch  letztere  durch  die  grosse  Bequemlich- 
keit in  der  äussern  Durchführbarkeit  der 
Cur  und  einer  ausgezeichneten,  von  keiner 
andern  Methode  übertroffenen  Wirksamkeit 
begründet  ist.  N.  rühmt  besonders  das 
Thymolquecksilber  aus  der  Fabrik  von  E. 
Merck  in  Darmstadt  und  das  Salicyl-Hg  aus 
der  von  Hey  den 'sehen  Fabrik  in  Rade- 
beul bei  Dresden,  stets  natürlich  beide  in 
öliger  oder  flüssiger  Yaselin-Suspension  an- 
gewandt. Was  die  Technik  der  Injectionen 
anlangt,  so  werden  dieselben  zumeist  intra- 
musculär  in  die  Glutäalgegend  u.  z.  soweit 
oben  gemacht,  dass  das  ev.  nachfolgende  In- 
filtrat beim  Sitzen  und  Liegen  nicht  hinder- 
lich werden  kann.  Sorgsam  zu  achten  ist, 
dass  der  Einstichcanal  frei  von  Hg-Salz 
bleibt.  Man  füllt  deshalb  vor  dem  Einstich 
die  Canüle  mit  reinem  Oel  oder  ParaMn. 
Nach  der  Injection  genügt  meist,    dass  man 


vor  dem  Herausziehen  der  Canüle  mit  zwei 
Fingern  einen  tiefen  Druck  neben  der  Einstich- 
stelle ausübt  und  so  ein  Zurückfliessen  in 
den  Stichcanal  hindert.  Unter  dieser  Vor- 
sicht kommen  Infiltrate  so  gut  wie  gar  nicht, 
Abscesse  nie  vor.  Man  rechnet  8  Injectionen 
zu  0,1  für  eine  recht  kräftige  und  energische 
Cur,  u.  z.  werden  alle  4 — 5  Tage  je  1,  oder 
in  8  tägigen  Intervallen  je  2  Injectionen 
gemacht. 

Als  milde  Zwischencuren  empfiehlt  N. 
als  am  meisten  geeignet  Langes  Ol.  einer.  (Hy- 
drarg, depur.,  Lanolin,  aa  3,0  Ol.  Olivar.  pur. 
4,0  etc.)  oder  sein  Ol.  einer. benzoat. und  macht 
hiervon  einmal  wöchentlich  eine  Injection 
von  26  =  74  Pravaz^sche  Spritze  u.  z.  als 
Cur  durchschnittlich  4,  auch  6  Injectionen 
in  8  — 14  tägigen  Intervallen. 

Die  Resultate,  zu  denen  N.  kommt,  sind 
folgende: 

1)  Die  verschiedenen  Stadien  erfordern 
verschiedene  Methoden.  Besonders  energisch 
soll  die  erste  Cur  sein,  ferner  machen  wir 
während  des  durch  seine  Infectiosität  aus- 
gezeichneten Frühstadijims  häufiger  (je  zwei- 
mal in  den  ersten  2  Kalenderjahren)  ener- 
gische Curen,  als  später.  In  der  Spätperiode 
machen  wir  nur  bei  einem  nach  längerer 
Pause  auftretenden  Recidiv  —  neben  der 
Jod-Behandlung  —  eine  energische  Hg-Cur. 

2)  Die  verschiedenen  Syphilisformen  er- 
fordern verschiedene  Methoden:  a.  Recidiv- 
formeu,  deren  gefahrbringende  Localisation 
(Iris,  Nerven,  Nervencentra  u.  s.  w.)  schnelle 
Beseitigung  erfordert,  oder  solche,  die  sich 
durch  grössere  Hartnäckigkeit  auszeichnen 
(derb-papulös.  Exantheme);  b.  häufige  leichte 
Recidive  (Plaques  u.  s.  w.)  werden  am  besten 
mit  löslichen  Hg-Injectionen  behandelt. 

3)  Chronische  milde  Mercurialisirung 
während  symptomfreier  Perioden  erzielen  wir 
am  besten  durch  Injectionen  von  grauem 
Oel. 

4)  Mit  Rücksicht  auf  die  in  verschiedenen 
Drüsen  stattfindende  Yirus-Localisation  wird 
in  jedem  einzelnen  Krankheitsfälle  eine  re- 
gionäre Behandlung  dieser  einzelnen  Drüsen- 
gruppen stattfinden  müssen,  daher  neben  den 
Injectionen  auch  cutane  (bes.  den  Drüsen- 
packeteu  entsprechend)  und  interne  Appli- 
cation. 

5)  Mit  Bezug  auf  die  Vererbungsfahig- 
keit  werden  wir  vor  der  Zeugung  Vater  und 
Mutter  energisch  zu  behandeln  haben,  so 
lange  die  Gefahr  einer  hereditären  üeber- 
tragung  besteht.  —  Während  der  Gravidität 
wird  eine  langdauernde  milde  Mercurialisirung 
am  besten  mit  Ol.  ciner.-Injectionen  am  Platze 
sein. 

Lassen  wir  es  nach  diesen  Ausführungen 


in.  Jahf  gmng.l 
Jonl  1889.   J 


Littoratur. 


293 


mit  der  Besprechung  der  Yorstehenden  Ab- 
handlungen bewenden  und  blicken  wir  zum 
Schluss  noch  einmal  zurück  auf  das  Buch, 
das  wir  aus  der  Hand  legen,  so  bietet  der 
Reichthum  und  die  Bedeutung  seines  In- 
halts die  sichere  Aussicht,  dass  die  ange- 
strebte, einheitliche  Verwerthung  des  ge- 
sammten  klinischen  Materials  unserer  üni- 
Yersitäten  noch  reiche  Früchte  zeitigen  wird 
und  muss,  und  erweckt  für  die  nachfol- 
genden Bände  grosse  und  berechtigte  Hoff- 
nungen. Mag  es  uns  deshalb  gestattet  sein, 
das  klinische  Jahrbuch  bei  seinem  ersten 
Erscheinen  freudig  begrüsst  und  eingehendstem 
Studium  hiermit  allseitig  empfohlen  zu  haben. 
Dass  Ausstattung  und  Druck  des  Buches, 
sowie  die  zahlreich  beigegebenen,  theilweise 
künstlerisch  ausgeführten  Pläne  nichts  zu 
wünschen  übrig  lassen,  war  bei  dem  be- 
kannten Verlane,  in  dem  es  erschienen  ist, 
nicht  anders  zu  erwarten. 

G.  Ptttri  {Berlin). 

Klinisehe    Diagnostik    innerer    Krankheiten 

mittelst  bacteriologischer,  chemischer  und  mi- 
kroskopischer Untersuchungen.  Von  Prof.  Dr. 
Rudolf  V.  Jaksch.  Zweite  vermehrte  Auf- 
lage. Mit  125  zum  Theil  farbigen  Holzschnit- 
ten. Wien  und  Leipzig.  Urban  &  Schwar- 
zenberg.    1889.    8».    438  S, 

In  einem  früheren  Jahrgange  unserer 
Zeitschrift  (1887  S.  207)  wurde  bereits  auf 
den  practischen  Werth  und  die  wissenschaft- 
liche Bedeutung  des  überschriftlich  genann- 
ten Werkes  aufmerksam  gemacht.  Zu  un- 
serer grossen  Genugthuung  hat  dasselbe  in 
allen  Kreisen  ungetheilten  Beifall  und  dank- 
bare Aufnahme  gefunden.  Hiervon  legt  das 
beredtste  Zeugniss  ab  das  rasche  Erscheinen 
einer  neuen  Auflage.  Dieselbe  ist  fast  um 
ein  Fünftel  ihres  früheren  Volumens  ver- 
mehrt und  enthält  recht  nützliche  Neuerun- 
gen und  dankenswerthe  Verbesserungen.  Mit 
bewundemswerthem  Geschick  und  wahrem 
Bienenfleiss  hat  der  Verf.  seinem  Buche 
Alles  einverleibt,  was  den  Werth  und  die 
Brauchbarkeit  desselben  zu  erhöhen  ver- 
mochte, üeberall  tritt  das  eifrige  Bestreben 
hervor,  allen  Fortschritten  unserer  Wissen- 
schaft so  viel  wie  möglich  gerecht  zu  wer- 
den. Insbesondere  sind  auch  viele  neue, 
vom  Verf.  selbst  erprobte,  einfache  klinische 
Methoden  aufgenommen  worden.  In  manchen 
noch  nicht  spruchreifen  Fragen  begegnen  wir 
dem  besonnenen,  vorsichtigen  Urtheil  des 
erfahrenen  Klinikers.  Man  wird  ihm  gerne 
beipflichten,  wenn  er  sich  z.  B.  mit  grosser 
Reserve  bezüglich  des  wirklichen  Zusam- 
menhanges des  sogen.  Tetanusbacillus  mit 
dem  Tetanus  ausspricht. 

Dankenswerthe  Erweiterungen    und  Ver- 


besserungen hat  auch  der  Abschnitt:  „Der 
Magensaft  und  erbrochene  Massen^  erhalten 
und  verdient  hier  vornehmlich  der  toxikolo- 
gische Theil:  „ Verhalten  des  Erbrochenen 
bei  Vergiftungen^  rühmend  hervorgehoben  zu 
werden.  —  Der  Besprechung  der  PtomaTn- 
vergiftungen  ist  in  der  neuen  Auflage  eben- 
falls ein  grosserer  Raum  gewidmet  worden. 
Desgleichen  ist  die  Zahl  der  lehrreichen  Ab- 
bildungen ganz  erheblich  vermehrt  worden. 
Auf  weitere  Einzelheiten  kann  leider  nicht 
eingegangen  werden,  und  wollen  wir  nur 
nachdrücklich  betonen,  dass  auch  die  zweite 
Auflage  dieses  ausgezeichneten  Buches  die 
wärmste  Empfehlung  verdient.  Dasselbe 
wird  allen  Aerzten,  denen  der  Sinn  für  die 
Fortschritte  der  Wissenschaft  noch  nicht  er- 
loschen ist,  und  die  im  Drange  ihrer  Be- 
rufspflicht nicht  genügend  Zeit  finden,  sich 
in  Spccialwerken  zu  informiren,  ein  wahrer 
Freund  und  zuverlässiger  Rathgeber  sein. 

Babow. 

Diagnostische  Semiotik  des  Harns.  Herausge- 
geben von  Dr.  med.  Rosen feld,  Assistenten 
am  ehem.  Laboratorium  der  med.  Klinik  Bres- 
lau.   Breslau,  Preuss  &  Jünger,  1889. 

Verf.  giebt  in  kurzer  Anordnung  eine 
Beschreibung  aller  derjenigen  Veränderungen 
des  Harns,  welche  für  die  Diagnose  von 
Wichtigkeit  sind.  Die  Beschreibungen,  be- 
stimmt für  den  Studirenden  als  Wegweiser 
am  Krankenbett  zu  dienen,  dürften  auch  für 
den  practischen  Arzt  von  Nutzen  sein. 

Liebreich. 

Bäder-Almanach.  Mittheiluugen  der  B&der,  Luft- 
curorte  und  Heilanstalten  in  Deutschland, 
Oesterreich,  der  Schweiz  und  den  angrenzen- 
den Gebieten  für  Aerzte  und  Heilbedürftige. 
Vierte  Auflage.  Mit  Karte  der  B&der,  Oar- 
orte  und  Heilanstalten  Deutschlands,  Oester- 
reich-Ungarns  und  der  Schweiz.  Berlin  und 
Frankfurt  a.  M.  Rudolf  Messe,  VIII. 
376. 

Der  von  dem  leider  zu  früh  verstorbenen 
Thilenius  begründete  Bäder-Almanach  ist 
in  seiner  4.  Auflage  erschienen.  Der  nach 
Bädergruppen  geordnete  AI  man  ach  mit  einem 
sehr  guten  alphabetisch  geordneten  Register 
gestattet  dem  Arzte  mit  Leichtigkeit,  sich 
über  die  verschiedenen  Bäder  zu  orientiren. 
—  Der  Vorzug  dieses  Almanachs  vor  Lehr- 
büchern der  Balneotherapie  besteht  darin, 
dass  in  demselben  eine  Reihe  von  Detail- 
fragen beantwortet  wird  und  der  Arzt  in  die 
Lage  gesetzt  ist,  seinen  Patienten  in  aus- 
führlicher Weise  die  nSthigen  Anordnungen 
zu  geben.  Dem  Werke  ist  zur  Orientirung 
eine  vortreffliche  Bäderkarte  beigegeben. 

Liebreich, 


294 


Llttaratur. 


rlierapenttsehe 
MonatHhAfle. 


.    Elngresaudte  Bücher. 

Jahrbuch  der  practlschen  Medldn.  Heraus- 
gegeben von  ür.  S.  Guttmann,  Sanitätsrath 
in  Berlin.  1889.  —  Ferdinand  Enke.  Stult- 
giirt  1889. 

Handbuch  der  Geburtshülfe.  Herausgegeben  von 
Dr.  P.  Müller,  Prof.  d.  Geburtsh.  u.  Gynäko- 
logie an  der  Universitfit  Bern.  lU.  Band.  — 
Ferdinand  Enke.     Stuttgart  1889. 

Aachen  als  Kurort.  Bearbeitet  von  Dr.  Dr.  Alex- 
ander,  Beissel,  Brandis,  Goldstein, 
Mayer,  Rademaker,  Schumacher,  This- 
sen  unter  Redaction  von  Dr.  J.  B eissei.  — 
C.  Mayer's  Verlag.     Aachen  1889. 

Das  Stotterübel.  Von  Dr.  Rafael  Coen,  pract. 
Arzt  und  Spracharzt  in  Wien.  —  Ferdinand 
Enke.     Stuttgart  1889. 

Die  Behandlung  der  häufigsten  und  wichtigsten 
Augenkrankheiten.  Von  Dr.  L.  Köuigstein, 
Docent  a.  d.  k.  k.  Universität  in  Wien.  I.  Heft. 
Krankheiten  der  Lider  und  der  Bindehaut.  — 
Wilhelm  Braumüller.    Wien  1889. 

Die  nervösen  Krampfformen  (Epilepsie,  Hy- 
stero- Epilepsie)     und     deren     Behandlung. 

Von  Dr.Wilhelm.  —  Wilhelm Brauraüller. 
Wien  1889. 

Klinische  Zeit-  und  Streitfragen.  Herausgegeben 
von  Regierungerath  Prof. Dr.  Joh.Schnitzlcr. 
111.  Band  3.  Heft:  Die  Lehre  vom  Hirn- 
druck. Eine  kritische  Studie  von  Dr.  Ed. 
Albert.  HL  Band  4.  Heft:  Die  Thure- 
Brandt^sche  Behandlung  der  weib- 
lichen Sexual-Organe.  Von  Dr.  L.  Fell- 
uer.  —  Wilhelm  Braumüller.    Wien  1889. 

Die  Heiserkeit,  ihre  Ursachen,  Bedeutung  und 
Heilung.  Von  Dr.  Maximilian  Bresgen. 
—  Heus  er 's  Verlag  (Louis  Heuser).  Ber- 
lin-Neuwied 1889. 

Die  chemische  Diagnose  der  Magenkrankheiten 
und  die  daraus  resultirenden  therapeuti- 
schen Grundsätze.  Für  pract.  Aerzte  von 
Dr.  Valentin  Wille,  pract.  Arzt  in  Mem- 
mingen. —  Jos.  Ant.  Finsterlin.  München 
1889. 


Praetisehe  NottEen 

and 

empfeUenswerthe  Arsneiformelii. 


Fein   krystallisirtes   Jodol   für  Insufflationen   in 

der  rhinolaryngologischen  Praxis.     Von  Dr. 

Max   Schäffer  (Bremen).  (Original  -  Mitthei- 
lung.) 

Die  Wirksamkeit  des  Jodols  in  Pulver- 
form wurde  nach  meinen  bisherigen  Beob- 
achtungen wesentlich  dadurch  beeinträchtigt, 
dass  es  sich  bereits  im  Insufflationsrohre  zu 
kleinen  Klümpcben  zusammenballte  und  so 
eine  gleicbmässige  Vertheilung  des  Pulvers 
auf  den  betreffenden  Schleimhäuten  unmög- 
lich wurde.  Auf  den  Schleimhäuten  selbst 
zeigte    das   Pulver    noch    mehr   die  Neigung 


sich  zusammenzuballen,  so  dass  die  Wirkung 
des  Präparats  grösstentheils  illusorisch  war, 
denn  es  wurden  diese  Klümpchen  von  den 
durch  die  mechanische  Reizung  vermehrten 
Secreten  einfach  fortgeschwemmt,  wie  z.  B. 
in  der  Nase,  dem  Nasenrachenraum,  oder 
ausgehustet  bei  der  Application  in  den  Kehl- 
kopf und  die  Luftrohre. 

Diesem  üebelstande  suchte  ich  seit 
Kurzem  durch  Beimischung  von  fein  kry- 
stallisirter  Borsäure  zu  begegnen.  Da  mich 
auch  dieses  Gemenge  nicht  zu  befriedigen 
vermochte,  so  unternahm  es  E.  Merck  in 
Darmstadt  auf  meine  indirecte  Anregung  hin 
die  Firma  Galle  <&  Go.  in  Biebreich  a.  Rh. 
zu  veranlassen,  ein  Jodolpräparat  darzustel- 
len, welches  allen  practischen  Anforderungen 
entsprechen  sollte.  Ein  solches  Präparat 
ist  mir  kürzlich  durch  E.  Merck  zugesandt 
worden  und  fasse  ich  im  Nachstehenden 
meine  Erfahrungen  über  dasselbe  kurz  zu- 
sammen. 

Das  Präparat  von  fein  kristallinischem 
Gefuge  vertheilt  sich  bei  der  Insufflation 
gleichmässig  über  die  Schleimhäute,  besitzt 
durch  seine  krystallinische  Form  die  Fähig- 
keit, sich  in  die  obere  Schleimhautschicht 
förmlich  einzubohren  und  giebt  so  den  Se- 
creten Zeit,  durch  Aufsaugung  die  Wirkung 
des  JodoJs  thatsächlich  zur  Geltung  kommen 
zu  lassen. 

An  einer  grösseren  Versuchsreihe  von 
Erkrankungen  der  Nase,  wie  Ozaena  atro- 
phicans, Ozaena  syphilitica  —  Kuocheneite- 
rungen  —  von  Erkrankungen  der  Tonsilla 
pharyngea  —  des  Larynx  —  tuberculösen 
Geschwüren  —  von  schweren  Trachealer- 
krankungen  habe  ich  zur  Genüge  feststellen 
können,  dass  das  Jodolum  crystallisatum  in 
Wahrheit  die  vom  Jodol  erwartete  Wirkung 
entfaltete,  welche  ich  an  den  seither  ge- 
brauchten Jodolpräparaten  vermisste,  weil 
diese  eben  einfach  nicht  oder  nur  theilweise 
zur  Resorption  kamen. 

Ueber  Glycerin-Suppositorien.  Von  Dr.  M.  S  c  h  m  e  1  - 
eher,  k.  Bezirksarzt  in  Amberg.  (Original- 
Mittheilung.) 

Bei  den  günstigen  Erfolgen,  welche  mit 
Glycerin  in  Form  von  Clysma  erzielt  wur- 
den (Therap.  Monatshefte  1888  Heft  8  u.  9), 
interessirte  es  mich,  die  Glycerinsuppositorien, 
die  sich  seit  Kurzem  unter  der  Bezeichnung 
„Marke  Helfenberg"  im  Handel  befinden, 
welche  durch  einen  kleinen  Zusatz  von 
Stearin  zum  Glycerin  hergestellt  sind,  die 
mir  ganz  zufällig  bekannt  w^urden,  auf  ihre 
Wirkung  in  grösserem  Maassstabe  zu  prüfen. 
Ich  fand  hierzu  erwünschte  Gelegenheit  in 
der  mir  unterstellten  Gefangenanstalt,  sam- 


HL  Jahrgang  1 
Juni  1889.    J 


Practitebe  Notizen  und  empfehlanswerth«  Ann«iform«ln. 


295 


melte  aber  auch  soweit  als  möglich  in  meiner 
Privatpraxis  Erfahrungen  Überdieselbe.  Nach- 
folgend gestatte  ich  mir  das  Ergebniss  meiner 
Beobachtungen  in  kurzen  Worten  vorzulegen. 

Ich  habe  die  Glycerinsuppositorien  aus 
der  Helfenberger  Fabrik  in  238  Fällen  von 
Stuhlvei*8topfung  aus  verschiedenen  Ursachen 
angewendet  und  hierbei  1 36  mal  den  ge- 
wünschten Erfolg  erzielt;  72  mal  war  die 
Anwendung  ohne  Erfolg,  in  30  Fällen  blieb 
mir  das  Resultat  unbekannt. 

In  117  genauer  beobachteten  Fällen  trat 
dieWirkung  ein:  innerhalb  einer  halben  Stunde 
24  mal,  in  einer  weiteren  halben  Stunde  18mal, 
innerhalb  2  Stunden  18  mal,  innerhalb  vier 
Stunden  20  mal  und  vor  Ablauf  von  6  Stun- 
den 3  mal ;  34  mal  versagte  das  Mittel.  Bei 
diesen  Fällen  fand  man  das  Suppositorium 
grosstentheils :  aufgelost  42  mal,  halb  auf- 
gelöst 16  mal,  nahezu  unverändert  10  mal. 
Oefters  wurden  in  Fällen,  wo  die  Suppo- 
sitorien  wirkungslos  waren,  noch  Klystiere 
von  5 — 10  g  Glycerin  versucht,  aber  auch 
durch  sie  kein  Erfolg  erzielt.  Unangenehme, 
stark  reizende  oder  besonders  lästige  Neben- 
wirkungen, wie  sie  Dr.  Kroll  (Therap. 
Monatshefte  1888  Heft  ll)  bei  Anwendung 
der  Glycerinsuppositorien  mit  Seifenzusatz 
befürchtet,  habe  ich  nie  beobachtet,  kann  mir 
auch  von  dem  4%  Seifenzusatz  um  so  weniger 
eine  nachtheilige  Wirkung  denken,  als  ja 
früher  bekanntlich  vielfach  kleinsten  Kindern 
Stuhlzäpfchen  lediglich  aus  Seife  bestehend, 
ohne  Nachtheil  gegeben  wurden.  Ich  spreche 
hier  lediglich  von  der  Wirkung  der  Helfen- 
berger Suppositorien,  ohne  irgend  ein  Urtheil 
mir  über  die  verschiedenen  andern  von 
Boas,  Kummer  etc.  hergestellten,  die  ich 
nie  versucht  habe,  anzumaassen. 

In  verschiedenen  Punkten  aber  mochte 
ich  der  Ansicht  des  Herrn  Collegen  Kroll, 
wie  sie  in  oben  citirtem  Aufsatze  ausge- 
sprochen ist,  beistimmen.  Auch  ich  glaube, 
dass  es  zweckmässig  ist,  dass  möglichst 
rasch  viel  Glycerin  mit  der  Darm  Schleimhaut 
in  Berührung  kommt,  lege  deshalb  einen 
besondem  Werth  darauf,  dass  die  Com- 
position  der  Suppositorien  derart  ist,  dass 
sie  in  der  Wärme  des  Darmcanals  sich  rasch 
lösen;  vielleicht  gelingt  es  der  Helfen- 
berger Fabrik,  eine  Mischung  herzustellen, 
die  in  dieser  Beziehung  die  Seifenglycerin- 
suppositorien  übertrifft;  auch  ich  bin  der 
Ansicht,  dass  die  Wirkung  des  Glycerins 
sich  lediglich  auf  den  Dickdarm  beschränkt, 
und  dass  die  Suppositorien  daher  vorzugs- 
weise bei  geminderter  peristaltischer  Be- 
wegung des  Dickdarms,  also  bei  der  so- 
genannten Stuhlträgheit  in  Anwendung  zu 
ziehen  sein  werden,  und  hier  um  so  sicherer 


wirken,  je  weiter  die  Kothmassen  schon  herab- 
gerückt sind. 

Da  mein  obiges  Material  ohne  alle  Aus- 
wahl der  Fälle  von  Stuhlverstopfung  benutzt 
wurde,  daher  sicher  in  vielen  Fällen  das 
Glycerin  nicht  indicirt  war,  so  ist  ein  Er- 
folg von  über  öO^/o  —  bei  den  117  Fällen 
sogar  72®/o  —  immerhin  sehr  gross  und  ich 
glaube,  dass  bei  der  Bequemlichkeit  ihrer 
Handhabung  die  Suppositorien  das  Glycerin- 
clysma  bald  verdrängen,  und  bei  vielen 
Kranken  obiger  Art  sich  rasch  einbürgern 
werden,  und  halte  dafür,  dass  durch  ihre 
Einführung  für  viele  Fälle  von  habitueller 
Stuhlverstopfung  der  Arzneischatz  mit  einem 
werthvollen  Mittel  bereichert  wurde. 

Nachschrift.  Kurz  nach  Einsendung 
obigen  Artikels,  in  dem  ich  den  Wunsch 
nach  leichter  und  rascher  im  Darm  lös- 
licher Suppositorien  aussprach,  erhielt  ich 
durch  Herrn  E.  Die te rieh  in  Helfenberg 
ein  Quantum  Suppositorien  zugeschickt, 
welche  statt  mit  Seife  mit  Cacaoöl  zu 
gleichen  Theilen  bereitet  sind.  Die  guten 
Wirkungen,  die  ich  mit  demselben  erzielt, 
veranlassen  mich,  kurz  noch  einmal  meine 
Erfolge  mit  diesem  Mittel  zu  veröffentlichen. 

Es  wurden  mit  diesen  Suppositorien 
230  Fälle  von  Stuhlverstopfung  verschiedener 
Art  behandelt.  Der  Erfolg  trat  ein:  inner- 
halb V*  Stunde  32 mal,  ^/j  St.  40mal,  1  St. 
36  mal,  2  St.  46  mal,  3  St.  18  mal,  am 
nächsten  Tage  5 mal;  somit  177  oder  77°/o 
Erfolge  gegen  53  oder  23%  Nichterfolge. 
Von  den  Suppositorien  konnte  in  den  Stühlen 
nie  mehr  etwas  gefunden  werden,  sie  werden 
also  sofort  im  Darm  vollständig  gelöst,  und 
eine  nachtheilige  oder  unangenehme  Neben- 
wirkung wurde  bei  ihrem  Gebrauche  nie 
wahrgenommen . 

Eine  neue  Spritze  zur  subcutanen  Injection  nach 
Dr.  Overlach. 

Von  allen  Verbesserungen,  welche  bisher 
für  Spritzen  zur  subcutanen  Injection  vorge- 
schlagen sind,  ist  jedenfalls  die  nachstehend 
beschriebene  die  originellste  und  wie  mir 
scheint  äusserst  practisch. 

Die  Neuerung  betrifft  die  Dichtung  des 
Spritzenstempels,  die  bekanntlich  bei  der 
Handhabung  der  Spritzen  von  der  grössten 
Wichtigkeit  ist. 

Die  Anforderungen,  welche  man  an  einen 
brauchbaren  Spritzenstempel  machen  muss, 
sind  folgende:  1.  soll  derselbe  bei  einer 
Erneuerung  der  Umkleidung  den  Volumen- 
inhalt der  Spritze  nicht  verändern;  2.  soll 
der  eingetrocknete  Stempel  zum  Gebrauch 
schnell  den  richtigen  Grad  der  Quell ung  er- 
reichen. 


296 


Practisohe  Notlsan  und  «tnpf«hleiisw«rth«  Arsnelformeln. 


[Therapeatticb« 
Monataheft«. 


Bei  der  Ot er  1  ach ^  sehen  Spritze  wird 
der  Stempel  aus  einer  kleinen  Asbestplatte 
gebildet,  welche  gegen  eine  Elfenbeioplatte 
anliegt.  Die  Dichtung  des  Stempels  ge- 
schieht dadurch,  dass  der  Stempel,  so  weit 
es  geht,  aufgezogen  wird;  er  wird  dann  durch 
Drehung  der  Stempelstange  mit  Hilfe  der 
Platte  d  und  durch  weiteres  Ausziehen  der 
Flanschen  b   in    die    Oeffnungen    bei   c  ein- 


nutze ich  ein  anderthalbfach  concentrirtes 
Tamarindenmus,  wie  es  die  hiesige  Fabrik 
herstellt,  und  statt  des  Syr.  simpl.,  den  die 
Pharmakopoe  vorschreibt,  verwende  ich 
Zuckerpulver.  Auf  diese  Weise  erhalte  ich 
eine  Masse,  aus  der  sich  durch  Ausrollen 
und  Ausstechen  Pastillen  herstellen  lassen. 
Eine  solche  von  2  g  Gewicht  entspricht 
1  Kaffeelöffel  Latwerge. 


treten.  Durch  weiteres  Drehen  der  Scheibe 
wird  dann  eine  Compression  der  Asbest- 
platte bewirkt. 

Der  Modus  der  Anbringung  eines  neuen 
Stempels  ergiebt  sich  von  selbst,  sobald  man 
durch  Auseinanderschrauben  der  Spritze  die 
einzelnen  Theile  betrachtet  hat. 

Es  dürfte  zweckmässig  sein,  den  Stem- 
pel nicht  aus  Asbest,  sondern  aus  anderm 
Material  anzufertigen,  weil  beim  Eintrock- 
nen eines  Asbeststempels  sich  leicht  kleine 
Fasern  loslosen,  welche  vor  der  subcutanen 
Injection  sorgfältig  ausgespült  werden 
müssen. 

Die  Ausführung  der  Spritze  zeigt  noch 
den  Vortheil,  dass  das  Medicament  nirgend 
Metall  berührt. 

Die  ingeniöse  Construction  für  die  Stem- 
peldichtung wird  sicher  für  andere  Spritzen 
ebenfalls    sehr    zweckmässig    zu  verwerthen 

861D»  Liebreich. 

Electuarium  e  Senna  inspissatum. 

In  Folge  der  im  vorigen  Hefte  S.  248 
gegebenen  Vorschrift  zur  Bereitung  eines 
Electuarium  e  Senna  inspissatum  ist  fol- 
gende Zuschrift  eingegangen,  welche,  da  sie 
an  die  vorige  Notiz  anknüpft  und  von  all- 
gemeinem Interesse  ist,  hiermit  unsern  Lesern 
übergeben  wird: 

Sehr  geehrter  Herr  Professor! 

Erlauben  Sie  mir,  Sie  im  Auschluss  an 
die  Vorschrift  zu  einer  concentrirten  Lat- 
werge auf  eine  Latwergen-Conserve,  zu  der 
ich  Pharm.  Centralbl.  1885,  S.  185  und  in 
meinem  Manual  I.  Aufl.  S.  26  und  IL  Aufl. 
S.  39  das  Verfahren  angab,  aufmerksam  zu 
machen. 

Da  das  Präparat  äusserlich  den  „Tama- 
rinden-Conserven"  ähnlich  ist,  nannte  ich 
es    „Couserva   Electuarii".      Als    Basis    be- 


Bei  dieser  Gelegenheit  gestatte  ich  mir 
Ihr  Augenmerk  auf  das  italienische  Ver- 
fahren, einen  Theil  der  Säure  im  Tamarin- 
denmus durch  Magnesiumcarbonat  abzustum- 
pfen und  damit  die  Wirkung  zu  erhöhen, 
hinzulenken. 

Um  70— 80"/o  der  freien  Säure  abzu- 
stumpfen, braucht  man 

1   Theil  Magnesiumcarbonat 
auf 

10  Theile  Extract.  Tamarindor., 
oder 

20  Theile  Pulp.  Tamarind.  depurat.  sexquipl. 

conc, 
oder 

30  Theile  Pulp.  Tamarin.  depurat.  Ph.  G.  IL 

Das  Erb a' sehe  Tamarindenextract  ver- 
dankt diesem  Abstumpfen  seinen  wenig 
sauren,  milderen  Geschmack  und  dabei  die 
höhere  Wirkung. 

etc.  etc. 

E.  DitUrieh. 

X.  internationaler  medicinischer  Congress. 

Bekanntlich  hat  der  Congress  zu  Wash- 
ington einstimniig  Berlin  zum  nächsten  Ver- 
sammlungsort erwählt  und  die  Herren  Vir- 
chow,  von  Bergmann  und  Waldeyer 
mit  der  Vorbereitung  betraut.  Diese  Herren 
haben  das  Ehren-Amt  übernommen  und  am 
27.  Mai  in  einer  vertraulichen  Sitzung,  zu 
welcher  einige  wenige  in  solchen  Angelegen- 
heiten erfahrene  Kräfte  eingeladen  waren, 
vereinbart,  dass  nunmehr  ungesäumt  und 
thatkräftig  vorgegangen  werden  soll.  Lei- 
tender Gesichtspunkt  für  die  Gestaltung  der 
bevorstehenden  Weltversammlung  wird  sein, 
dass  nicht  Berlin,  sondern  ganz  Deutsch- 
land zusammentritt,  um  mit  allseitig 
vereinten  Kräften  eine  dem  grossen  Ziel 
würdige  Unternehmung  zu  schaffen. 


Verlag  von  Julius  Sprint  er  in  Berlin  N.  —  Druck  yon  OusUt  Sdiade  (Otto  Franoke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte^ 


1889.    Jult. 


Originalabhandlnngen. 


Eine  Quellsonde  zur  Behandlung  von 
Verengerungen  der  Speiseröhre.^) 

Von 

Professor  Dr.  Senator  in  Berlin. 

M.  H.!  Mit  kurzen  Worten  moclite  icli 
Ihnen  eine  Sonde,  welche  zur  Erweiterung 
von  Speiserohrenverengerungen  bestimmt  ist, 
demonstriren.  Die  Therapie  dieser  Yer- 
engerungen  hat  ja  durch  die  in  Deutschland 
von  Leyden  und  Renvers  wieder  auf- 
genommene und  vervollkommnete  Anwendung 
der  Dauer-Canülen  einen  grossen  Fortschritt 
gemacht,  aber  diese  wirken  doch  haupt- 
sächlich nur  palliativ,  und  es  bleibt  da- 
neben doch  die  curative  Aufgabe,  die  Ver- 
engerung zu  beseitigen.  Da  von  Arzneien 
in  dieser  Beziehung  nur  in  ganz  seltenen 
Ausnahmen  ein  Mal  ein  Erfolg  zu  erwarten 
ist  und  auch  die  operative  Beseitigung  bis 
jetzt  noch  als  sehr  geföhrlich,  wenn  über- 
haupt ausfuhrbar  gilt,  so  hat  man  die  Er- 
weiterung bis  jetzt  herbeizuführen  versucht 
durch  Einführung  immer  dickerer  Sonden  oder 
Elfenbeinoliven.  Diese  müssen  aber  immer 
mit  einiger  Gewalt  in  die  Strictur  einge- 
presst  werden,  denn  gehen  sie  bequem 
durch,  so  haben  sie  ja  keinen  Zweck.  Durch 
gewaltsames  Hineinschieben  kann  man  aber 
leicht  schaden.  Es  liegt  ja  nun  sehr  nahe, 
ähnlich  wie  bei  anderweitigen  Stricturen 
quellbare  Stoffe  anzuwenden,  indessen  sind 
solche  für  die  Speiseröhre  bis  jetzt  wenig 
in  Gebrauch  gekommen,  wenn  auch  vielleicht 
ab  und  zu  Versuche  damit  gemacht  sein 
mögen.  Allenfalls  sind  noch  Darmsaiten 
versucht  worden,  aber  auch  sehr  selten, 
weil  sie  in  der  That  für  diesen  Zweck 
wenig  geeignet  sind,  denn  erstens  quellen 
sie  ungemein  langsam,  so  dass  man  sie  viele 
Stunden  liegen  lassen  müsste,  was  für  den 
Kranken  eine  grosse,  selbst  unerträgliche 
Belästigung  bildet,  sodann  werden  sie  bei 
stärkerer    Quellung    rauh    durch  Aufrollung 


*)  Denionstrirt  im  Verein   für   innere  Medicin 
3.  Juni  1889. 


der  Därme  und  dadurch  gefährlich.  Auch 
bekommt  man  sie  (wenigstens  hier  in  Berlin) 
nicht  in  jeder  gewünschten  Stärke.  Vom 
Pressschwamm  muss  man  ganz  absehen,  er 
quillt  zwar  sehr  schnell,  wird  aber  so  rauh, 
dass  man  ebenfalls  in  Gefahr  kommt,  Ver- 
letzungen beim  Herausziehen  zu  machen. 
Dagegen  haben  wir  in  der  Laminaria*und 
Tupelo  ein  passendes  Material.  Letztere 
quillt  nur  gar  zu  langsam  und  ist  theurer 
als  die  erstere,  die  ich  deshalb  fast  allein 
benutzt  habe.  Man  muss  aber  nicht  etwa 
eine  ganze  Sonde  aus  Laminaria  einführen, 
was  durchaus  verfehlt  wäre,  sondern  nxir 
gerade  ein  Stück  von  der  Länge  der  Strictur 
oder  wenig  mehr.  Selbstverständlich  muss 
man  Stücke  von  verschiedenem  Kaliber,  wie 
Sie  sie  hier  sehen,  für  verschiedene  Grade 
der  Verengerung  haben.  Diese  Stücke  wer- 
den durch  eine  Schraube  fest  an  eine  dünne, 
weiche  (schwarze,  franzosische)  Sonde  be- 
festigt und  ausserdem  habe  ich  zur  Sicher- 
heit noch  durch  die  Laminaria-Stücke  selbst 
an  ihrem  oberen  (nach  der  Sonde  zu  ge- 
legenen) Ende  ein  feines  Loch  bohren  lassen, 
durch  welches  ein  langer  Seidenfaden  ge- 
zogen ist,  welcher  mit  der  Sonde  eingeführt 
wird  und  mit  dieser  zum  Munde  heraus- 
hängend liegen  bleibt.  Sollte  einmal,  was 
mir  nie  vorgekommen  und  auch  kaum  zu 
fürchten  ist,  dennoch  das  Stück  sich  von 
der  Sonde  lösen,  so  würde  man  es  an  dem 
Faden  herausziehen  können.  Zum  leichteren 
Einführen  der  Sonde  versieht  man  sie  mit 
einem  dünnen  Mandrin.  Nach  dem  Heraus- 
ziehen spült  man  das  Laminaria-Stück,  wel- 
ches an  Glätte  kaum  etwas  eingebüsst  hat, 
in  Wasser  ab,  desinficirt  in  5%iger  Garbol- 
lösung  oder  l°/ooiger  Sublimatlösung  und 
lässt  es  trocknen,  worauf  es  wieder  ge- 
brauchsfähig ist.    V 

Das  Wichtigste  bei  dieser  Sonde 
und  ihr  Vorzug  vor  den  bisher  ge- 
bräuchlichen Bougies  ist,  dass  man 
ein  Caliber  wählen  kann  und  soll, 
welches  ohne  Anwendung  von  Gewalt  in 
die  Verengerung  sich  einbringen  lässt 
und    erst    hier    allmählich    aufquillt, 

38 


298 


Senator,   Eine  Quellsonde  zur  Behandlung  von  Verengerungen  der  Speiseröhre.        [MoiuSxheft«. 

nicht  selir  hochgradig  war,  so  dass  er  auch 
ohne  diese  Sonde  und  vielleicht  ohne  jede 
Behandlung  gebessert  worden  wäre.  Die 
Seltenheit  dieser  Fälle  gerade  in  inneren 
Kliniken  ist  auch  mit  ein  Grund,  weshalb 
ich  die  Sache  schon  jetzt  der  Oeffentlichkeit 
übergebe,  damit  auch  Andere  Gelegenheit 
nehmen  mögen,  die  Sonde  zu  erproben*). 


also  äusserst  schonend  die  Erweite- 
rung bewirkt.  Vor  der  Einführung  wird 
das  Laminaria  -  Stück  in  Wasser  getaucht 
(nicht  mit  Fett  oder  Oel  bestrichen).  Schon 
nach  Y4  Stunde,  sicher  aber  nach  Va  Stunde 
ist  es  erheblich  gequollen.  Länger  die  Sonde 
liegen  zu  lassen,  halte  ich  im  Allgemeinen 
nicht  für  rathsam,  weil  alsdann  das  Heraus- 
ziehen schwieriger  und  die  Wandung  der 
verengten  Stelle  zu  stark  gereizt  wird.  Ich 
habe  selbst  im  Anfang  meiner  Versuche  im 
Uebereifer  die  Sonde  länger  liegen  lassen, 
aber  gefunden,  dass  dadurch  leicht  ein 
schmerzhaftes  Druck gefühl  entsteht.  Auch 
rathe  ich  die  Erweiterungsversuche  von  Zeit 
zu  Zeit,  je  nach  der  Empfindlichkeit  und 
den  erzielten  Erfolgen,  einen  Tag  oder  länger 
auszusetzen.  Ich  will  nicht  behaupten,  dass 
mit  dieser  Sonde  das  Ideal  schon  erreicht 
ist.  *  Ich  habe  selbst  vielfach  Versuche  ge- 
macht und  machen  lassen,  noch  ein  anderes 
gut  quellbares,  dabei  haltbares  und  unschäd- 
liches Material  zu  finden,  bis  jetzt  aber 
ohne  Erfolg.  Vielleicht  gelingt  es  Anderen 
besser. 

Ich  benutze  die  Laminaria-Sonden  seit 
etwa  einem  Jahr,  leider,  mit  einer  einzigen 
Ausnahme,  bisher  nur  bei  Stenosen,  die 
durch  Carcinom  verursacht  sind,  so  dass 
Sie  sich  nicht  wundern  werden,  wenn  ich 
nicht  von  glänzenden  Erfolgen  zu  berichten 
habe.  Es  wäre  ja  denkbar  und  es  liegen 
Erfahrungen  in  dem  Sinne  vor,  dass  ein 
hinreichend  lange  und  stark  ausgeübter 
Druck  zu  Atrophie  und  narbiger  Schrum- 
pfung des  Krebses  führen  könnte,  indess  für 
gewöhnlich  werden  wir  mit  unseren  Er- 
wartungen bescheidener  und  zufrieden  sein 
müssen,  den  Kranken  auf  längere  Zeit  Er- 
leichterung beim  Schlucken  verschaffen  und 
dadurch  das  Leben  verlängern  zu  können. 
Diese  bescheidenen  Erfolge  glaube  ich  mit 
der  Laminaria-Sonde  besser  als  mit  den 
bisher  üblichen  Bougies  und  Elfenbein oliven 
erreicht  zu  haben.  In  Zahlen  kann  ich  das 
Ergebniss  nicht  ausdrücken,  schon  deswegen 
nicht,  weil  ein  Theil  der  Patienten  (im  Ganzen 
17),  die  fast  alle  ambulatorisch  behandelt  wur- 
den, aus  der  Beobachtung  wegblieben,  wenn 
der  erwartete  Erfolg  nicht  gleich  eintrat, 
oder  aus  irgend  welchen  anderen  Gründen. 
Dafür  habe  ich  einige  andere  Patienten  seit 
längerer  Zeit  in  beständiger  Beobachtung, 
die  sich  erheblich  gebessert  haben. 

Die  günstigsten  Fälle  für  diese  Behand- 
lung sind  ja  diejenigen  Verengerungen, 
welche  nicht  auf  maligner  Basis  beruhen, 
also  narbige  Stricturen.  Leider  habe 
ich  im  Laufe  des  Jahres  nur  einen  einzigen 
Fall  der  Art  zu  sehen  bekommen,   der  auch 


Zur  Behandlong 
der  Lungentuberculose  mit  Kreosot« 

Von 

Prof.  Dr.  Sommerbrodt  in  Breslau. 

Nachdem  seit  meinen  Mittheilungen  in 
der  Berliner  Klinischen  Wochenschrift  1887 
No.  15  und  48  „über  die  Behandlung  der 
Lungen  tubercu  lose  mit  Kreosot",  welche 
sich  auf  ein  ambulantes  Beobachtungsmate- 
rial  von  etwa  5000  Fällen  stützten,  die  Ver- 
wendung des  Kreosots  thatsächlich  eine  all- 
gemeine geworden  ist,  denn  es  wird  jetzt  in 
allen  Erdth eilen  in  grossen  Mengen  zu  die- 
sem Zweck  gebraucht,  glaube  ich  annehmen 
zu  dürfen,  dass  dies  wesentlich  darauf  be- 
ruht, dass  ich  sehr  gemässigt  im  Versprechen 
dessen,  was  diese  Behandlung  leistet,  ge- 
wesen bin  und  dass  sie  das  gehalten  bat, 
was  ich  versprach.  „Allerdings  bin  ich  sehr 
bestimmt  geneigt  zu  glauben,  dass  man  an 
Lungentuberculose  Erkrankte  im  Anfangs- 
stadium mit  Kreosot  heilen  kann,  darin  soll 
aber  nicht  der  Schwerpunkt  meiner  Mitthei- 
lungen liegen,  sondern  darin:  dass  man 
sehr,  sehr  vielen  Tuberculosen  durch 
Kreosotgebrauch  ausserordentlich 
nützen  kann,  denn  das  weiss  ich,  das 
kann  ich  verbürgen." 

So  schrieb  ich  damals  und  ich  denke, 
dass  dies  ebenso  bestimmt  als  vorsichtig 
gesagt  war;  auch  jetzt  noch  habe  ich  gar  keine 
Veranlassung  etwas  daran  zu  ändern.  Die 
Mittheilungen,  welche  seitdem  über  die  Kreo- 
sotbehandlung veröffentlicht  wurden,  haben 
in  keinem  Falle  einen  direct  gegnerischen 
Standpunkt  eingenommen ;  alle  bestätigen, 
dass  das  Kreosot  ein  brauchbares,  ja  werth- 
volles  Medicament  bei  Behandlung  der  Lun- 
gentuberculose oder  Phthisis  sei,  zum  Theil 
rühmen  sie  seinen  Nutzen  auf  das  Lebhaf- 
teste, fast  alle  sehen  aber  dasselbe  lediglich 
als  ein  symptomatisches  Mittel  an,  geeignet 

^)  Hr.  iDstrumentenmacber  Windler,  Hof- 
lieferant (hier,  Dorotheenstr.  3),  fertigt  solche  Son- 
den zum  Preise  von  wenigen  Mark. 


Jall  1B89.    J 


Sommerbrodt,  Zur  Behandlung  der  Lungen tuberculote  mit  Kreotot. 


299 


den  Appetit  zu  verbessern,  die  Secretion  zu 
beschränken,  den  Hustenreiz  zu  mildem  etc., 
während  ich  in  meinen  Mittheilungen  dem 
Gedanken  Raum  gab,  dass  das  Kreosot  die 
Grundkrankheit  selbst  beeinflusse,  dass  es 
den  Nährboden  für  die  Entwicklung  der 
Tuberkelbacillen  minder  geeignet  oder  un- 
geeignet mache,  mit  einem  Wort,  dass  es 
Bich  bei  dieser  Therapie  um  ein  antibacilläres 
Imprägnirungs  -Verfahren  handele.  Nichts 
war  natürlicher,  als  dass  ich  den  Wunsch 
aussprach,  es  mochte  durch  exacte  wissen- 
schaftliche Untersuchungen  diese  Frage  ge- 
klärt werden. 

Eine  meine  Anschauungen  scheinbar  be- 
stätigende Mittheilung  über  solche  Unter- 
suchungen machte  bald  danach  Paul  Gutt- 
mann^),  welcher  das  Verhalten  der  Tuberkel- 
bacillen auf  Nährgelatine  untersuchte,  welche 
mit  Kreosot  vermischt  war.  Er  fand,  dass 
hei  ^/^ooo  Kreosotgehalt  im  sterilisirten  Blut- 
serum das  Wachsthum  der  Tuberkelbacillen 
ein  äusserst  geringes  war,  sodass  schon  bei 
einer  wenig  stärkeren  Concentration  es  voll- 
ständig aufhorte.  „Wenn  es  also  eine  Mög- 
lichkeit gäbe  —  so  schreibt  er  —  dem  Or- 
ganismus so  viel  Kreosot  zuzuführen,  dass 
im  Blute  längere  Zeit  hindurch  ^4000  ^^^ 
seiner  Menge  Kreosot  enthalten  sein  könnte, 
dann  wäre  das  Aufhören  im  Wachsthum  der 
Tuberkelbacillen  denkbar.  Eine  so  grosse 
Ereosotmenge  dem  Körper  zuzuführen  ist 
aber  unmöglich.  Denn  wenn  die  Blutmenge 
mit  '/i3  des  Körpergewichts  angenommen 
wird,  so  würde  sie  beispielsweise  bei  60  kg 
Korpergewicht  4615  g  betragen,  es  müsste 
also  mehr  als  1  g  Kreosot  im  Blute 
circuliren,  um  den  Kreosotgehalt  des 
Blutes  auf  ^j^oo^  zu  bringen.  Wie  viel 
Kreosot  aber  in  den  Magen  eingeführt  werden 
müsste,  um  ^iooo  Kreosotgehalt  im  Blute  zu 
erreichen,  entzieht  sich  natürlich  jeder  Be- 
rechnung. " 

Nun,  ich  glaube,  dass  das  Postulat  von 
Guttmann  in  Beziehung  auf  die  eingeführte 
Kreosotmenge  doch  vielleicht  erreichbar  ist! 

Seit  meiner  letzten  Publication  im  Herbst 
1887  habe  ich  bei  vielen  Hunderten 
Yon  Tuberculosen  meine  Kreosotkapseln 
(a  0,06)  derartig  verordnet,  dass  ich  den 
ersten  Tag  3,  jeden  folgenden  Tag  eine  mehr 
nehmen  Hess,  so  dass  vom  18.  Tage  ab 
3x7  Kapseln    (in    3  Fällen')    3x9) 


*)  P.  Guttmann,  Die  antiseptische  Wirkung 
des  Kreosots  und  seine  Empfehlung  go^en  Lungen- 
schwindsucht.   Zeitschr.  f.  klin.  Medic.    B.  XII.  H.  5. 

*)  Einen  dieser  Fälle  habe  ich  mit  Herrn  Dr. 
Th.  Körner-Breslau  behandelt;  der  Kranke  hat 
Tom  Juni  1888  ab  viele  Monate  1,35  g  Kreosot 
p.  Tag  verbraucht   und   sich    dabei  sehr  wohl  be- 


viele  Monate  lang  gebraucht  wurden, 
d.  h.  also  1  g  (in  3  Fällen  1,35  g)  pro 
Tag!  Da  nun  entschieden  nicht  anzu- 
nehmen ist,  dass  das  eine  Gramm  bereits 
vollkommen  aus  dem  Körper  ausgeschieden 
ist,  ehe  das  zweite,  dritte  u.  s.  w.  hinzu- 
kommt, so  ist  sehr  wohl  denkbar,  dass  eine 
derartige  Cumulation  von  Kreosot  in  den 
Gewebsflüssigkeiten  beim  Menschen  statt- 
findet, welche  den  von  Guttmann  gefor- 
derten Mengen  entspricht. 

Es  ist  gewiss  nicht  überflüssig,  wenn  ich 
zur  Beleuchtung  des  eben  Gesagten  wenig- 
stens ein  Beispiel  hier  einschalte. 

Am  30.  August  1888  übersendete  mir 
Herr  Stabsarzt  Dr.  Bohr  aus  dem  Manöver- 
Terrain  einen  Premier-Lieutenant  der  Infan- 
terie mit  ausgeprägter  Tuberculose  der 
rechten  Lungenspitze.  Dämpfung  über  der 
Fossa  supraspinata  dextra,  trockenklingende 
Rhonchi  daselbst,  starke  Abmagerung,  quä- 
lender Husten,  massiger  Auswurf,  geringer 
Appetit,  schlechtes  Aussehen.  Reichliche 
Bacillen  im  Auswurf,  auch  elastische  Fasern, 
geringe  Dyspnoe.  Ein  Jahr  vorher  hatte 
Patient  Pleuritis  sicca  dextra. 

Vom  1.  Septbr.  ab  brauchte  Patient  in 
Breslau  Kreosot,  vom  18.  Sept.  ab  20  Kap- 
seln pro  Tag.  —  Am  29.  Sept.  im  Mor- 
gensputum  Tuberkel -Bacillen,  die  nur  in 
kleinen  Häufchen  zusammenliegen,  ebenso 
noch  elastische  Fasern.  Im  Uebrigen  fort- 
schreitende Besserung  in  jeder  Beziehung, 
enormer  Appetit.  Am  1.  Nov.  Wieder-Ein- 
tritt  in  den  activen  Dienst,  da  die  Dämpfung 
geschwunden,  Auswurf  gänzlich  fehlt,  Kör- 
pergewicht zugenommen  hat.  Husten  nur 
noch  Morgens.  Während  des  ganzen  Winters 
kein  Tag  Dienstversäumniss,  Felddienst- 
übungen unter  Umständen  bis  an  die  Kniee 
im  Schnee  mitgemacht,  ständige  Zunahme 
der  Körperfülle  in  Summa  20  Pfund,  blü- 
hendes Aussehen,  keinerlei  Beschwerden.  Im 
April  dieses  Jahres  fehlte  jede  physikaHsch 
nachweisbare  Veränderung  am  Thorax,  ebenso 
jeder  Auswurf,  kurz,  die  Möglichkeit,  hier 
an  Tuberculose  zu  denken,  fehlte  für  jeden 
Nichteingeweihten  vollkommen.  Patient 
hat  vom  1.  Sept.  1888  bis  Anfang  Juni 
1889  5400  Stück  Kapseln  gebraucht, 
mit  270  g  Kreosot  und  1080  g  Tolubal- 
sam!  und  hat  sich  seit  Jahren  nicht  so 
wohl  und  frisch  gefühlt  wde  jetzt.  Er 
braucht  die  Kapseln  der  Sicherheit  halber 
vorläufig  weiter,  indess  nur  9  pro  Tag. 

Auf  diese  Art  habe  ich  viele  Hunderte 
von    Patienten    behandelt    und    immer    und 


fanden.     Die  letzten  Nachrichten   (aus  Lemberg  in 
Galizien)  lauten  ebenfalls  sehr  günstig. 

38* 


300 


Sommerbrodty  Zur  Behandlung  dar  Lungentubarculosa  mit  Kreosot 


rlierapeatiache 
Monatshefte. 


immer  wieder,  besonders  bei  frischen  Fällen 
oft  meine  Freude  an  der  Wirkung  des  Me- 
dicaments  gehabt  und  Günstiges  erlebt, 
natürlich  auch  stets  Kranke  gesehen,  'wo  die 
Wirkung  durchaus  keine  so  grosse  gewesen 
ist.  Auch  jetzt  noch  muss  ich  aussprechen, 
dass  die  Zahl  der  Patienten,  welche  das 
Medicament  in  der  von  mir  gewählten  Form 
mit  Tolubalsam  in  Kapseln  nicht  vertragen, 
eine  recht  kleine  ist,  und  oft  konnte  ich  er- 
mitteln, dass  an  dem  angeblichen  Nicht- Ver- 
tragen die  Art  des  Einnehmens,  z.  B.  in 
den  leeren,  anstatt  den  gefüllten  Magen,  die 
Schuld  trug. 

Vor  allen  Dingen    hat    mich   aber   diese 
Art  der  Behandlung  in  dem  früher  von  mir 
ausgesprochenen  Satze  bestärkt:    „Je  mehr 
Kreosot     pro      Tag     vertragen     wird, 
desto    besser    die    Wirkung".      Ebenso 
hat    sie    mir    gezeigt,     dass    der    Vorwurf, 
welcher  der  Tolubalsam-Beimengung,  wegen 
ihrer    angeblichen    Störung    der    Verdauung 
gemacht  wird,  hauptsächlich  am  Schreibtisch 
construirt   ist.     Reuss   hat   nach   vielfachen 
Versuchen   gefunden,    dass  das  Kreosot,    ge- 
mischt mit  Tolubalsam,    sehr  gut  vertragen 
wird')  und  ich  habe  das  lediglich  bestätigen 
können.     Uebrigens  bezweifele  ich  gar  nicht, 
dass    mit    der    Hop  mann 'sehen    Mischung 
(Kreosot   1,    Tinctura    gentianae   2  zu  3  X 
3  bis  3  X  30  und  mehr  Tropfen),  sowie  mit 
dem  Bouchar duschen  Kreosotwein  und  an- 
deren Mischungen  in  genügend  grosser  Dosis 
ganz  dasselbe  zu  erreichen  ist,  nur  habe  ich 
gar    keine  Veranlassung    gehabt,    meine    so 
viele  Jahre  benutzte  Verbindung  von  Kreosot 
mit  Tolubalsam   in   Kapselform   aufzugeben, 
da    sie   billig,    bequem   und   gut  verträglich 
ist.     Auch    gegen    das    Kreosotwasser    lässt 
sich    gar   nichts    sagen,    nur    müssten    sehr 
grosse  Quantitäten  getrunken  werden,    wenn 
die      allein      einen     Erfolg     versprechenden 
grossen  Dosen  Kreosot  auf  diese  Weise  ein- 
verleibt werden  sollen. 

Während  ich  mun  in  dieser  Art  die 
Lungen-  (auch  Kehlkopf-  und  Drüsen-)  Tu- 
berculose  behandelte  und  immer  noch  hoffte, 
es  würden  die  mir  von  Koch  in  Berlin  in 
Aussicht  gestellten  wissenschaftlichen  Unter- 
suchungen von  Cornet  durch  Thier-Experi- 
mente  der  Anschauung  Stütze  geben,  dass 
das  in  den  Organismus  eingebrachte  Kreosot 
den  Nährboden  verändere  und  dadurch  anti- 
bacillär  wirke,  erschienen  zwar  die  ausge- 
zeichneten, epochemachenden  Arbeiten  und 
Versuche  Cornet 's,  indess  grade  in  der 
Richtung,    auf    die  ich    am  meisten  Erwar- 


tungen  setzte,    mit   gänzlich   negativem  Re- 
sultat. 

Cornet*)  inficirte  7  Meerschweinchen  mit 
Tuberkelbacillen,  theils  durch  Impfung,  theils 
durch  Inhalation  und  brachte  denselben  da- 
nach täglich  durch  Magenkatheter  0,02  Kreo- 
sot bei,  einigen  hatte  6r  auch  schon  eine 
Zeitlang  vor  der  Infection  das  Kreosot  ge- 
geben. Alle  diese  Thiere  gingen  aber  an 
Tuberculose  zu  Grunde,  wie  die  Control- 
thiere.  „Der  destruirende  Process  der  Tu- 
berculosis —  schreibt  Cornet  —  die  Ent- 
wickelung  und  Vermehrung  der  Bacillen  war 
also  auch  durch  reichliche  Verabreichung 
von  Kreosot  (auf  das  Korpergewicht  des 
Menschen  berechnet  täglich  2  g  und  darüber) 
in  keiner  Beziehung  (bei  den  Thieren)  ge- 
hemmt worden.  Sehen  wir  nun  gleichwohl 
beim  Menschen  durch  Anwendung  von  Kreosot 
den  Verlauf  der  Tuberculose  in  manchen 
Fällen  günstig  beeinflusst,  so  kann  diese 
Einwirkung  offenbar  nicht  in  einer  anti- 
bacillären ,  entwickelungshemmenden  Kraft 
dieses  Mittels  ihren  Grund  haben,  sondern 
ist  von  anderen  bisher  unbekannten  Verhält- 
nissen abhängig." 

Den  Schwerpunkt  der  eventuell  günstigen 
Wirkung  glaubt  Cornet  in  die  Secretions- 
Verminderung  durch  das  Kreosot  legen  zu 
müssen. 

Ich  kann  mich  noch  nicht  entschliessen, 
diese  Frage  für  eine  erledigte  anzusehen. 
Dass  das  Kreosot  bei  der  Behandlung  der 
Lungentuberculose  ein  sehr  werthvolles  Me- 
dicament ist  und  grosse  Wirkungen  hat, 
dafür  bürgt  mir  neben  den  sehr  zahlreichen 
spontanen  Kundgebungen  von  Collegen  aus 
ganz  Deutschland  und  darüber  hinaus,  welche 
sich  bei  mir  in  Rücksicht  auf  erzielte  Er- 
folge für  die  Empfehlung  des  Kreosot 
bedankten,  die  ganz  enorme  und  seit  zwei 
bis  drei  Jahren  immer  sich  steigernde  Ver- 
breitung der  Kreosottherapie,  ein  Moment, 
welches  um  so  schwerer  in's  Gewicht  fällt, 
als  die  Kurzlebigkeit  von  Medicamenten, 
welche  nicht  halten,  was  von  ihnen  ver- 
sprochen wurde,  bekanntlich  eine  sehr  grosse 
ist,  wobei  ich  hier  nur  an  das  Natrium  ben- 
zoicum  und  an  das  Arsen  erinnern  will. 
Wie  das  Kreosot  aber  wirkt,  das  halte  ich 
noch  keineswegs  für  genügend  aufgeklärt. 
Die  „Appetit  verbessernde"  Wirkung  (Klem- 
perer)  und  die  „secretions  vermindernde" 
Wirkung  (Cornet)  sind  sicher  vorhanden, 
aber  dass  dies  die  Haupt  Wirkungen  seien, 
fällt  mir  äusserst  schwer   anzunehmen.     Ich 


^)  Reu  SS  gab  die  Mischung  in  der  Form  von 
Dragees. 


*)  Corüet,  üeber  d.  Verhalten  der  Tuberkel- 
bacillen im  thierischen  Organismus  unter  dem  Ein- 
Ünss  entwickelungshemmender  Stoffe.  Zeitschrift 
f.  Hygicae.    B.  Y.  1888. 


m.  Jahrgftiif  .1 
Jali  1889.    J 


Sommarbrodt,  Zur  Behandlang  der  Lungentubereulote  mit  Kreosot. 


301 


kann  mich  noch  nicht  entschliessen ,  trotz 
der  absolut  Degativen  Resultate  beim  Thier- 
Experiment,  den  Gedanken  aufzugeben,  dass 
beim  Menscheo  durch  genügende  Kreosotzu- 
fuhr der  Nährboden  für  die  Tuberkelbacillen- 
Entwickelung  im  ungünstigen  Sinne  be- 
einfiusst  wird  und  ich  möchte  mir  den  Vor- 
schlag erlauben:  doch  auch  einmal  das  Blut- 
serum Yon  solchen  Menschen,  welche  längere 
Zeit  täglich  1  g  und  mehr  Kreosot  gebraucht 
haben,  darauf  hin  zu  untersuchen,  ob  die 
Bacillen  hierauf  in  gleicher  Weise  gedeihen, 
wie  auf  gewöhnlichem  menschlichen  Blutserum. 

Wenn  man  notorisch  Tuberculöse  ledig- 
lich unter  Kreosotbehandlung  hat  heilen 
sehen  —  und  ich  kenne  nun  schon  eine 
ganze  Reihe  jahrelang  controlirter  Fälle  — 
wenn  man  bei  einer  sehr  grossen  Menge  die 
einzelnen  Krankheitserscheinungen,  inclusive 
der  physikalisch  nachweisbaren  Veränderun- 
gen am  Thorax  zurückgehen  sah,  ohne  dass 
die  Lebensverhältnisse  der  Kranken  geändert 
wurden,  wenn  man  lange  vorhandene,  eiternde 
tuberculöse  Halsdrusen  in  verhältnissmässig 
kurzer  Zeit  heilen,  die  geschwollenen  ver- 
schwinden und  die  begleitende  Lungen- 
tuberculose  sich  wesentlich  bessern,  wenn 
man  tiefe  zerklüftete  Geschwüre  im  Larynx 
absolut  vernarben  sah,  ohne  jede  andere 
Behandlung  als  unter  innerlich  gebrauchtem 
Kreosot,  wenn  man  die  Körperfülle  herunter- 
gekommener Tuberculöser  durch  20 — 30  Pfd. 
Gewichtszunahme  gesteigert  sah  und  zwar 
bei  Leuten,  die  auch  vorher  nicht  grade 
schlechten  Appetit  hatten,  dann  fällt  es 
Jemandem,  der  1 1  Jahre  lang  so  sehr  viel  Vor- 
theilhaftes  vom  Kreosotgebrauch  wahrge- 
nommen hat,  doch  recht  schwer,  dies  Alles 
nicht  auf  die  antibacilläre  Wirkung  des 
Kreosot  zu  beziehen  und  nur  der  „secretions- 
vermindernden**  und  „appetiterregenden  Wir- 
kung^ eventuell  einer  ganz  unbekannten 
zuzuschreiben,  besonders  wenn  man  die  bes- 
ten Wirkungen  bei  Kranken  im  Initial- 
stadium sah,  wo  von  reichlicher  Secretion 
überhaupt  noch  nicht  die  Rede  war,  oder  wo 
sie  überhaupt  ganz  fehlte  und  der  Appetit 
auch  nicht  grade  besonders  darniederlag. 

Indessen  dem  Ausspruch  der  exacten 
Forschung:  eine  antibacilläre  Wirkung  des 
Kreosot  im  Organismus  ist  beim  Meer- 
schweinchen nicht  nachzuweisen,  muss  man 
sich  beugen.  Aber  für  die  Behandlung  der 
Tuberculöse  mit  Kreosot  hat  dies  Resultat 
keine  Bedeutung.  Immer  wieder  von  Neuem 
halte  ich  mich  auf  Grund  meiner  BeobacV 
tungen  an  Tausenden  von  Elranken  verpflich- 
tet, der  Kreosotbehandlung  das  Wort  zu 
reden,  aber  mit  grossen  Dosen  muss  sie 
vorgehen,  die  kleinen  sind  werthlos! 


Viele  Monate  lang  1  g  Kreosot  pro 
Tag  (eventuell  auch  bis  zu  1,35  g  und 
noch  darüber  hinaus),  gleichviel  in 
welcher  Form  der  Darreichung,  das  muss 
angestrebt  werden  und  ist  in  den  meisten 
Fällen  zu  erreichen,  falls  das  Präparat 
gut  ist  und  die  Kapseln  oder  Tropfen  oder 
der  Wein  mit  Kreosot  nicht  in  den  leeren 
Magen,  sondern  unmittelbar  nach  der  Mahl- 
zeit genommen  werden.  Je  besser  es  einem 
Kranken  danach  geht,  desto  ausdauernder 
muss  er  diese  Behandlung  fortsetzen! 

Möchten  nur  recht  viele  Initialerkrankun- 
gen (Spitzenkatarrhe  und  geringe  Inflltratlonen) 
möglichst  bald  mit  grossen  Dosen  Kreosot 
behandelt  werden,  dann  würden  die  guten 
Resultate  dieser  Behandlung  noch  augen- 
fälliger werden,  als  sie  es  jetzt  schon  sind. 
Bei  den  vorgeschrittenen  Krankheitsfällen  ist 
wenig  zu  erwarten  1 


Ueber  Entstehung:  und  Therapie 
des  acuten  Jodismus. 

Von 

Dr.  Röhmann  und  Dr.  Matachowski 

Frivatdocent  pract.  Arzt 

in  Breslau. 

Jeder,  der  Gelegenheit  hat,  mit  Jod  oder 
Jodsalzen  behandelte  Patienten  unter  genauer 
Controle  zu  halten,  wird  erstaunt  sein  über 
die  ungeahnte  Häufigkeit,  in  der  ihm  das 
typische  Bild  des  auf  die  Schleimhäute  des 
Respiration s tractus ,  des  Mundes  und  der 
Augen  localisirten  acuten  Jodismus  in  seiner 
sehr  wechselnden  Intensität  entgegentritt. 
Um  dieser  Erfahrung  einen  zahlenmässigen 
Ausdruck  geben  zu  können,  hat  der  eine 
von  uns  jüngst  Gelegenheit  genommen,  86 
Personen  Jodkali  in  Dosen  von  1,0 — 3,0  g 
pro  die  zu  verabreichen,  und  konnte  bei 
45  von  diesen,  also  bei  über  50®/o,  mehr  oder 
weniger  heftige  Reizerscheinungen  feststellen. 

Die  Mengen  des  Jodkaliums,  welche 
zum  Auftreten  des  Jodismus  führen,  sind 
ausserordentlich  verschieden.  Buchheim^) 
giebt  an,  dass  Gaben  von  0,02  Jodkalium 
auf  1000  g  Korpergewicht  —  also  1,2  bis 
1,5  g  pro  die  —  im  allgemeinen  keine  Be- 
schwerden, grössere  Dosen  dagegen  Katarrh 
der  Nase  und  des  Rachens  hervorrufen. 
Wenn  auch  diese  kleinen  Mengen  nicht  ver- 
tragen werden,  so  läge  das  an  einer  ge- 
wissen Prädisposition  des  Körpers.  In  der 
That   sind  Fälle   bekannt,    in    denen    schoix 


302 


R 0 h m a fi n  und  Malachowski,  fintatehung  und  Therftpie  des  acuten  jodUmus.        [^o^i^h^t^* 


nach  0,2  g  die  heftigsten  Erscheinungen  auf- 
getreten sind. 

Demgegenüber  huldigen  widerum  Andere 
der  Ansicht,  dass  grössere  Dosen  seltener 
Nebenwirkungen  hervorrufen  als  kleine.  So 
berichtet  z.  B.  Haslund  (Ueber  die  Behand- 
lung der  Psoriasis  mit  grossen  Dosen  von 
Jodkalium.  Viertel jahrsschr.  f.  Dermat.  u. 
Syphil.  1887  XIV.  Jahrg.  p,  677),  ohne  je- 
doch obige  Ansicht  direct  auszusprechen, 
dass  er  bei  Anfangsdosen  you  3,33  g  Jod- 
kali pro  die  (nach  zwei  Tagen  schon  auf 
5,0  g  steigend)  in  60  Fällen  nur  6  Mal  in 
den  ersten  Behandlungstagen  leichten  Jodis- 
mus der  Respirationsschleimhäute  gesehen 
habe,  während  Greves,  der  die  Behand- 
lung der  Psoriasis  mit  täglichen  Gaben  von 
1,66 — 2,0  g  einleitete,  angiebt,  dass  er  ge- 
wöhnlich am  zweiten  oder  dritten  Tage 
wegen  Kopfweh  oder  Unwohlsein  die  Ver- 
abreichung von  Jodkali  habe  unterbrechen 
müssen. 

Bei  den  oben  berichteten  Versuchen 
konnte  ein  Unterschied  nicht  festgestellt 
werden.  Es  entstand  Jodismus  sowohl  nach 
Verabreichung  von  nur  0,33  g,  als  auch  bei 
18  unter  29  Personen,  welche  3,0  g  auf  ein- 
mal oder  auf  drei  Dosen  vertheilt  in  "Wasser 
erhalten  hatten*). 

Da  der  Jodismus  für  die  Patienten  zwar 
sehr  unangenehm  ist,  noch  nie  aber  trotz 
der  beunruhigendsten  Symptome  ein  Men- 
schenleben vernichtet  hat**),  ja  sogar  ohne 
jedes  Eingreifen  von  Seiten  des  Arztes  wie- 
der verschwindet,  so  verhalten  sich  Viele  in 
Bezug  auf  die  Therapie  vollkommen  in- 
different, zum  grossen  Theil  jedenfalls  des- 
wegen, weil  bisher  noch  kein  sicheres  und 
dabei  einfaches  Mittel  zur  Coupirung  oder 
Linderung  der  Reizerscheinungen  bekannt  ist. 

Gesucht  und  empfohlen  wurde  schon 
Vieles.  Zum  grössten  Theil  beruhen  diese 
Empfehlungen    auf  reiner  Empirie.      So   be- 


*)  Unter  10  Personen,  die  3,0  g  Jodkali  auf 
einmal  erhielten,  sahen  wir  bei  6  Jodismus  auf- 
ti'eten. 

•*)  Während  der  Drucklegung  dieser  Arbeit 
erschien  das  Juniheft  der  Archives  generales  de 
medecine.  Es  enthält  einen  Aufsatz:  Action  de 
riodure  de  potassiuni  ä  tres  hautes  doses  sur  Tor- 
ganisme  von  Paul  de  Helenes,  in  der  der 
Autor  eine  Angabe  von  Fournier  erwähnt,  der  in 
zwei  Fällen  Tod  durch  Glottisoedem  in  Folge  von 
Jodismus  gesehen  hat.  Leider  war  die  Arbeit 
Fourniers  (Gazette  des  hopit.  1889  No.  21)  nicht 
zugänglich,  so  dass  die  näheren  Angaben  über 
diese  Fälle  nicht  ermittelt  werden  konnten.  In  Be- 
zug auf  die  Häufigkeit  des  Jodismus  nach  kleineren 
oder  grösseren  Gaben  berichtet  auch  Molenes: 
Et  d'ailleurs,  je  repeterai  encore  une  fois,  que  los 
accidents  se  produisent  aussi  bien  et  meme  plus 
souvent  avec  les  petites  doses  qu'avec  les 
fortes. 


hauptete  Aubert,  bei  gleichzeitiger  Dar- 
reichung von  Extr,  Belladonnae  0,1  pro  die 
Jodismus  verhindern  zu  können.  Uns  selbst 
ist  dies  nicht  gelungen,  trotzdem  wir  längere 
Zeit  stets  diese  Combination  anwendeten, 
und  wir  sind  davon  wieder  abgegangen. 
Auch  Haslund  erklärt  in  der  oben  citirten 
Arbeit,  dass  er  die  Vorschrift  Aubert s  viel- 
fach angewendet,  aber  nicht  für  wirksam  be- 
funden hätte.  Ebensowenig  theoretisch  be- 
gründet, wie  diese  Empfehlung,  ist  die  des 
Atropins  von  Leloir,  und  der  Sol.  Fowleri 
2—3  X  tgl.  3—5  Tropfen  von  Stick  er.  Ob 
Seiden  Norris  für  die  Empfehlung  des  Brom- 
kali —  in  doppelt  so  grosser  Menge  gleichzeitig 
mit  dem  Jod  salz  zu  nehmen  —  theoretische 
Gründe  beibrachte,  ist  uns  unbekannt  ge- 
blieben, da  die  Originalarbeit  uns  nicht  zu- 
gänglich war***).  Auf  rein  empirische  Grund- 
lage stützt  sich  ferner  die  Empfehlung  von 
Keyes,  Cazenave  und  anderen,  zur  Ver- 
meidung des  Jodismus  das  Jodkali  in  grossen 
Mengen  Milch  zu  nehmen.  Es  ist  diese 
Methode,  wie  wir  einer  mündlichen  Mit- 
theilung des  Herrn  Prof.  A.  Neisser  ent- 
nehmen, sehr  zweckmässig.  Seit  dem  Jahre 
1882  wird  sie  auf  der  hiesigen  Hautklinik 
angewendet  und  nur  ganz  vereinzelt  sind 
bemerkenswerthere  Fälle  von  Jodismus  da- 
selbst beobachtet  worden.  Dass  sie  aber 
auch  nicht  vollständig  schützt,  davon  konnten 
wir  uns  selbst  auf  oben  genannter  Klinik 
überzeugen.  Bei  8  Personen,  die  genau  auf 
etw^aige  Beschwerden  befragt  wurden,  konnten 
wir  drei  Mal  allerdings  nur  leichte  Erschei- 
nungen des  Jodismus  feststellen.  Somit 
erscheint  durch  die  Darreichung  in  Milch 
wesentlich  eine  bedeutende  Milderung  der 
Erscheinungen  erzielt  zu  werden.  Es  ist 
dies  vielleicht  vor  Allem  darauf  zurückzu- 
führen, dass  nach  den  Untersuchungen  von 
RosenthaP)  das  Jod  um  so  schneller  aus 
dem  Körper  entfernt  wird,  je  mehr  Flüssig- 
keit mit  demselben  eingeführt  wird. 

Eine  rationelle  Bekämpfung  des  Jodismus 
setzt  voraus,  dass  wir  uns  über  die  Ursachen 
seiner  Entstehung  im  Klaren  sind.  Noth- 
nagel und  Rossbach^)  nehmen  an,  dass 
der  Jodismus  nach  Jodkali  nur  bedingt  sei 
durch  die  Verunreinigung  des  Präparates 
durch  freies  Jod  oder  Jodsäure,  „welches 
schon  während  des  Einnehmens  verdampfend, 
durch     unmittelbar    örtlichen     Contact    und 


***)  Neuerdings  wurde  Bromkali  vom  San.-Rath 
Joseph  Sarater,  rosen,  mit  günstigem  Erfolge  bei 
Jüdoformintoxication  angewendet.  Durch  Versuche 
im  Reagensglas  glaubt  er  gefunden  zu  haben,  dass 
diesem  Salze  eine  sehr  grosse  Jodbindende"  (!)  Kraft 
innewohnt.  Die  Empfehlung  des  Bromkali  durch 
Seiden  Norris  war  ihm  jedenfalls  unbekannt  ge- 
blieben.    (Berl.  kl.  Woch.  1889  No.  15.) 


HZ.  Jahr^of  .n 
Joli  1889.    J 


Röhmann  und  Malachowaki,  Entstehung  und  Therapie  des  a6uten  Jodismus. 


303 


nicht  erst  von  der  Blutbahn  aus  diese 
Symptome  erzeugte".  Demgegenüber  hat 
Bresgen*)  zwei  Fälle  Ton  schwerem  acuten 
Jodismus  yeroffentlicht ,  bei  denen  das  in 
Anwendung  gezogene  Jodkalium  nach  der 
Prüfung  durch  einen  so  competenten  Beur- 
theiler  wie  Binz*)  durchaus  chemisch  rein 
war.  Die  Ansicht  von  Nothnagel  und 
Rossbach  erscheint  also  unhaltbar. 

Im  Allgemeinen  wird  angenommen,  dass 
sich  im  Organismus  nach  der  Einführung 
Ton  Jodsalzen  freies  Jod  bildet.  „Ein  posi- 
tiver Beweis  dafür  fehlt  bisher"  (Schmiede- 
berg). Ebenso  sind  es  nur  Hypothesen, 
welche  das  Wie  dieser  Entstehung  erklären 
sollen. 

Kaemmerer®)  und  Buchheim^)  machen 
hierfür  den  Sauerstoff  des  Blutes  verant- 
wortlich. Ersterer  nimmt  an,  dass  durch 
die  Kohlensäure  des  Blutes  Jodkalium  unter 
Bildung  von  Jodwasserstoff  zerlegt,  und  aus 
letzterem  durch  den  Blutsauerstoff  freies  Jod 
abgespalten  werde;  Buchheim  dagegen 
glaubt,  dass  der  im  Blut  locker  gebundene 
Sauerstoff  bei  seiner  Abspaltung  durch  an- 
dere Substanzen  activirt  würde  und  Jod- 
kalium direct  zersetze.  Einige,  wie  Gaglio^) 
sprechen  noch  immer  von  dem  Vorhanden- 
sein von  Ozon  im  Blute. 

Diesen  Ansichten  -  gegenüber  verlegt 
Binz*)  den  Ort  der  Spaltung  des  Jod- 
kalium aus  dem  Blut  in  die  Gewebe.  Hier 
werde  das  Jod  aus  dem  Jodkalium  bei 
Gegenwart  von  Kohlensäure  in  Freiheit  ge- 
setzt durch  die  oxydirende  Wirkung  des 
„an  das  Protoplasma  der  thätigen  Zelle 
gebundenen  Sauerstoffs"  (üs  sing  er). 

Kur  Binz  sucht  seine  Ansicht  zu  begrün- 
den und  zwar  durch  folgenden  an  die  Beobach- 
tungen von  Schoenbein  anknüpfenden  Ver- 
such. „Ein  frisches  Blatt  der  stark  protoplas- 
mahaltigen  Lactuca  sativa  wird  mit  einigen 
Cubikcentimetern  Wasser  im  Mörser  zer- 
rieben, ferner  wird  eine  etwa  l°/o-Lösung 
von  reinem  Jodkalium  mit  reiner  Kohlen- 
säure bei  gewöhnlicher  Zimmerwärme  ge- 
sättigt, mit  ein  wenig  Kleister  gemischt  und 
in  zwei  Hälften  getheilt.  Zu  der  einen 
Hälfte  setzt  man  das  neutral  reagirende 
protoplasmahaltige  Wasser,  zu  der  andern 
die  gleiche  Menge  gewöhnlichen  Wassers. 
Diese  letztere  bleibt  selbst  bei  längerem 
Stehen  unzersetzt,  in  jener  beginnt  binnen 
wenigen  Minuten  die  blaue  Färbung.  Beim 
Erhitzen  des  Pflanzenwassers  bleibt  die  Re- 
acüon  aus." 

Gegen  die  Beweiskraft  dieser  Beobach- 
tung macht  nun  Gaglio  geltend,  dass  nur 
chlorophyllhaltige  Pflanzenzellen  die  von 
Binz     beschriebenen     Eigenschaften    haben. 


Dagegen  sind  farblose  Pflanzentheile  nicht 
im  Stande,  Jodkalium  zu  zerlegen ;  ebenso- 
wenig vermögen  dies  daraufhin  untersuchte 
animalische  Gewebe  (Leber,  Milz,  Pancreas, 
Gehirn,  sowie  Muskeln  und  Eingeweide  von 
Fröschen)  bei  Gegenwart  von  Blut  und 
Kohlensäure.  Diesen  letzteren  Versuchen 
von  Gaglio  würde  jedoch  keine  Bedeutung 
beizumessen  sein,  denn  selbst  wenn  sich 
Jod  aus  dem  Jodkalium  bildete,  so  würde 
es  von  dem  reichlich  vorhandenen  Eiweiss 
sofort  gebunden  werden. 

Wir  selbst  könnten  erwähnen,  dass  eine 
Anzahl  darauf  hin  untersuchter  Bacterien 
in  1  °/oo  Jodkalium  enthaltenden  nicht  alkali- 
sirtem  Fleischextract  gezüchtet,  kein  freies 
Jod  abspaltet  (Röhmann). 

Wichtiger  jedoch  erscheinen  uns  die  Be- 
obachtungen von  Pfeffer®),  welche  zeigen, 
dass  man  in  lebenden  Pflanzenzellen  mit 
den  empfindlichsten  Reagentien  keine  Wir- 
kungen erkennen  kann,  die  auf  die  Anwesen- 
heit von  activem,  also  Jodkalium  zerlegendem 
Sauerstoff  hindeuten.  Die  energischen  Oxy- 
dationen, die  man  durch  manche  Pflanzen- 
theile —  auch  in  dem  soeben  angeführten 
Versuche  von  Binz  —  erhält,  sind  bedingt 
durch  gewisse  beim  Absterben  sich  bildende 
Stoffe,  welche,  indem  sie  sich  selbst  bei 
Gegenwart  des  Sauerstoffs  der  Luft  oxy- 
diren  —  in  diesem  Sinne  also  reducirend 
zu  nennen  sind  — ,  secundär  diesen  relativ' 
wenig  wirksamen  Luftsauerstoff  zu  den  oben 
erwähnten  energischen  Oxydationen  (des  Jod- 
kaliums) befähigen. 

Durch  die  angeblich  oxydirenden  Eigen- 
schaften des  Protoplasma,  z.  B.  der  im  Nasen- 
secret  enthaltenen  Lymphzellen,  und  durch 
die  hierdurch  bewirkte  Abspaltung  von 
Jod  aus  Jodkalium  erklärt  Binz  auch  das 
Entstehen  des  Jodismus. 

Eine  andere  Hypothese  besagt,  dass  Jod 
im  Organismus  gerade  so  wie  im  Reagens- 
glase durch  die  Einwirkung  von  Nitriten 
bei  Gegenwart  von  Kohlensäure  in  Freiheit 
gesetzt  werden  könne.  Sie  wird  von  Sar- 
tisson^)  und  Buchheim*)  sowie  in  neuerer 
Zeit  besonders  von  Ehrlich*^)  zur  Erklärung 
des  Jodismus  herangezogen. 

Wir  wollen  zunächst  auf  diese  Theorie 
etwas  näher  eingehen. 

Die  Möglichkeit,  dass  Nitrite  zeitweise 
im  Blute  kreisen,  und  als  solche  durch 
Harn,  Speichel,  Schweiss,  oder  durch  die 
Drüsen  der  Schleimhäute  ausgeschieden  wer- 
den können,    kann  nicht  bezweifelt  werden. 

Durch  die  Versuche  von  Röhmann") 
ist  nachgewiesen  und  von  Th.  Weyl")  be- 
stätigt worden,  dass  von  den  in  den  Or- 
ganismus eingeführten  salpetersauren  Salzen 


304 


Röhmann  und  Malachowtki,  Cntttehuog  und  Therapie  dei  acuten  JodUmui. 


[Thcnipeatiaehe 
Uonaiihefte. 


nur  ein  Theil  wieder  durch  den  Haxn  aus- 
geschieden wird.  Ein  anderer  Theil  ver- 
schwindet im  Organismus  durch  Reduction. 
Hierbei  müssen  sich  Nitrite  bilden.  Dass 
dies  wirklich  der  Fall  ist,  lehrt  die  Unter- 
suchung des  Speichels  und  Schweisses.  Es 
zeigt  sich  nämlich,  dass  die  meist  schwache 
und  langsam  eintretende  Blaufärbung  des 
angesäuerten  Jodkaliumstärkekleisters,  welche 
nach  den  Untersuchungen  Ton  Buch  heim, 
Schoenbein,  Meissner  u.  A.  schon  nor- 
maler menschlicher  Speichel  zeigt,  nach  Ein- 
gabe von  salpetersauren  Salzen  ausserordent- 
lich an  Intensität  zunimmt.  Dieselbe  Re- 
action  giebt  der  nach  Pilocarpininjection 
erhaltene  Schweiös. 

Ausser  durch  diese  Blaufärbung  des  Jod- 
kaliumstärkekleisters ist  das  Vorhandensein 
von  Nitriten  durch  Peter  Gries")  mittelst 
Sulfanilsäure  und  Naphthylamin  nachgewiesen 
worden.  Auch  diese  Reaction  fällt  ungleich 
stärker  aus,  wenn  man  vorher  per  os  ein 
Nitrat  einführt. 

Wodurch  diese  Reduction  der  Nitrate  zu 
Nitriten  bewirkt  wird,  ist  bisher  noch  unklar. 
Die  Mitwirkung  des  Drüsenparenchyms,  z.  B. 
der  Speicheldrüsen,  ist  hierzu  nicht  erfor- 
derlich. Dies  wird  durch  folgenden  einfachen 
Versuch  bewiesen.  Spült  man  den  Mund, 
sei  er  vorher  auch  noch  so  sorgföltig  gereinigt, 
mit  einer  Losung  von  Salpeter  aus,  so  erhält 
tnan  in  der  nach  einigen  Secunden  aus- 
gespieenen  Lösung  Nitritreaction.  Es  zeigt 
dies  zugleich,  wie  leicht  und  schnell  die 
Nitritbildung  erfolgt. 

Trotz  dieser  Anwesenheit  von  Nitriten- 
wird  unter  normalen  Verhältnissen  das  nach 
Eingabe  per  os  im  Speichel  secernirte  Jod- 
kalium nicht  zersetzt.  Geben  wir  einem 
Menschen  0,5  g  Jodkalium  und  1,0  g  Sal- 
peter in  je  einer  Gelatinekapsel,  so  finden 
sich  nach  etwa  20  Minuten  im  Speichel 
nebeneinander  Jodkalium  und  Kaliumnitrit, 
aber  kein  freies  Jod.  Stärkekleister  wird 
durch  diesen  Speichel  nicht  gebläut,  und 
zwar  geschieht  dies  nach  unserer  Ansicht 
deswegen  nicht,  weil  der  Speichel  in  Folge 
der  Anwesenheit  von  kohlensaurem  Natrium 
alkalisch  reagirt.  Sobald  er  dagegen  mit 
verdünnter  Schwefelsäure  angesäuert  wird, 
wird  Jod  frei  und  dementsprechend  Stärke- 
kleister blau  gefärbt. 

Es  erscheint  nicht  überflüssig  bei  dieser 
Gelegenheit  zu  betonen,  dass  es  nicht  gleich- 
giltig  ist,  mit  welcher  Säure  wir  bei  der 
Prüfung  auf  Jodkalium  das  Gemenge  von 
Kaliumuitrit  und  Stärk  ckleister  ansäuern. 
Von  einer  Losung,  welche  in  220  cc  0,01  g 
Jodkalium,  0,01  g  Kaliumnitrit  und  0,2  g 
Stärke     enthält,     werden     5  cc   durch     1   cc 


Vio  Normalschwefelsäure  innerhalb  weniger 
Secunden  gebläut,  ähnlich  verhält  sich  eine 
äquivalente  Menge  Oxalsäure,  dagegen  tritt 
nach  Zusatz  der  entsprechenden  Menge 
Weinsäure,  Milchsäure  oder  Essigsäure  an- 
fangs keine  Färbung,  dann  erst  rothviolette, 
und  erst  sehr  allmählich  Blauförbung  ein. 
(Röhmann.) 

Man  könnte  nun  leicht  denken,  dass 
sich  auch  aus  dem  Nitrit  und  Jodkalium 
enthaltenden  Speichel  Jod  abscheiden  müsste, 
wenn  man  längere  Zeit  Kohlensäure  ein- 
leitete, und  könnte  zu  dieser  Ansicht  um 
so  leichter  kommen,  wenn  man  die  Angaben 
der  Autoren  kennt,  denen  zufolge  im  Orga- 
nismus nicht  nur  die  Nitrite,  sondern  auch 
das  Jodkalium  durch  Kohlensäure  zerlegt 
werde. 

Dies  ist  jedoch  nicht  der  Fall.  Es  ver- 
hält sich  in  dieser  Beziehung  der  Speichel 
genau  so,  wie  eine  Lösung  von  Jodkalium, 
Kaliumnitrit  und  Natriumbicarbonat.  In 
ihr  bildet  sich  beim  Durchleiten  von  Kohlen- 
säure kein  Jod;  diese  Abspaltung  erfolgt 
dagegen  beim  Einleiten  von  Kohlensäure 
sehr  bald,  wenn  die  Lösung  nur  Jodkalium 
und  Kaliumnitrit,  aber  kein  doppelt  kohlen- 
saures Natrium  enthält. 

Die  Bildung  von  Jod  könnte  sich  in 
letzterem  Falle  auf  zweierlei  Weise  erklären 
lassen:  entweder  wirkt  die  Kohlensäure  zer- 
legend auf  das  Jodkalium  unter  Bildung 
von  Jodwasserstoffsäure,  oder  sie  zerlegt 
das  Kaliumnitrit. 

Die  Zerlegung  von  Jodkalium  durch 
Kohlensäure  ist  zuerst  in  einer  wiederholt 
citirten,  ganz  kurzen  Mittheilung  von  H. 
Struve^*)  behauptet  worden.  Seine  Ansicht 
stützt  sich,  soweit  wir  sehen,  nur  darauf, 
dass  neutrales  Wasserstoffsuperoxyd  Jod- 
kalium allein  nicht  zersetzt,  wohl  aber  bei 
Anwesenheit  von  Kohlensäure.  H.  Struve 
stellt  sich  vor,  dass  die  Kohlensäure  den 
Zusammenhang  von  Jod  und  Kalium  lockere, 
so  dass  in  der  wässrigen  Lösung  neben 
saurem  kohlensaurem  Kalium  Jodwasserstoff 
vorhanden  sei,  welchen  Wasserstoffsuperoxyd 
leichter  als  das  Jodkalium  zu  oxydiren  ver- 
möge. 

In  anderer  Weise  hat  Schulz'*)  im 
Laboratorium  von  Binz  die  Zerlegung  der 
Jodide  durch  Kohlensäure  nachzuweisen  ge- 
sucht. Er  leitete  in  eine  Jodkalium  ent- 
haltende Lösung  von  Methylviolett  einen 
Strom  von  Kohlensäure  und  schloss  aus  der 
mit  der  Zeit  eintretenden  Entfärbung  oder 
Grünfärbung  auf  die  Bildung  von  Jodwasser- 
stoffsäure. 

Wir  verfuhren  in  der  von  Schulz  an- 
gegebenen Weise,  indem  wir  durch  eine  Jod- 


m.  Jfthrguig.'l 
Juli  1889.    J 


RÖhmann  und  Malachowski,  Eatatehung  und  Therapie  des  acuten  Joditmui. 


305 


kaliumhaltigeMethylviolettl58ung(l:100000) 
Kohlensäure  durchleiteten.  Eine  0,5  %  Jod- 
kalium haltende  Lösung  verändert  sich  auch 
bei  stundenlangem  Durch  leiten  von  Kohlen- 
säure nicht;  und  selbst  wenn  man  genau 
nach  Schulz  in  ein  Reagensglas  20  cc  der 
Methylviolettlösung  und  1  g  Jodkalium  bringt, 
und  durch  eine  Capillare  Kohlensäure  ein- 
leitet, wird  die  Methylviolettlösung  wohl 
etwas  blasser,  bleibt  aber  stets  violett. 

Der  Control versuch  wurde  mit  Jodwasser- 
stoff angestellt.  Derselbe  war  durch  Einleiten 
von  HjS  in  eine  Suspension  von  feingepulver- 
tem Jod  hergestellt  worden.  Der  ausgeschie- 
dene Schwefel  war  durch  Schütteln  mit  Asbest 
und  Filtriren,  der  H^S  zum  grössten  Theil, 
aber  nicht  vollständig,  durch  Einleiten  von 
Wasserstoff  entfernt  worden.  Die  Lösung 
enthielt  etwa  2,6  **/o  Jodwasserstoff.  Von 
diesem  genügten  3  —  4  Tropfen,  um  20  cc 
der  Methyl  Violettlösung  deutlich  blau  zu 
färben.  Die  Anwesenheit  des  Schwefel- 
wasserstoffs war  ohne  Einfluss. 

Wir  müssen  demnach  annehmen,  dass 
die  Angaben  von  Schulz  auf  einem  Be- 
obachtungsfehler beruhen,  vielleicht  bedingt 
durch  die  Beschaffenheit  des  verwendeten 
Methylvioletts. 

Dagegen  kann  man  sich  leicht  von  der 
Zerlegung  des  Kaliumnitrits  durch  Kohlen- 
säure überzeugen  I 

Dieselbe  Methylviolettlösung,  welche  sich 
bei  Anwesenheit  von  Jodkalium  durch-  CO3 
nicht  verändert,  wird  durch  Kaliumnitrit 
und  CO2  bald  gebläut.  Ebenso  beweisend 
ist  folgender  Versuch.  Man  fällt  durch 
Thierkohle  entfärbtes  salzsaures  Naphthyl- 
amin  durch  Natronlauge,  wäscht  den  Nieder- 
schlag mit  Wasser  gut  aus  und  suspendirt 
ihn  in  Wasser.  Eine  Lösung  von  Sulfanil- 
säure  wird  mit  Natronlauge  genau  neutrali- 
sirt.  Bringt  man  nun  Kaliumnitrit,  sulfanil- 
saures  Natrium  und  Naphthylamin  zusammen, 
so  tritt  die  Griess^sche  Reaction  (Roth- 
färbung) nicht  ein.  Leitet  man  jedoch  durch 
die  Kaliumnitritlösung  vorher  Kohlensäure, 
setzt  SU  Ifanil  saures  Natrium  und  dann  Naph- 
thylamin hinzu,  so  färbt  sich  die  Flüssig- 
keit roth. 

Auch  diese  Zerlegung  des  Kaliumnitrits 
durch  Kohlensäure  findet  bei  Gegenwart 
von  Natriumbicarbonat  weder  in  dem 
einen  noch  in  dem  anderen  Falle  statt. 
Hieraus  ergiebt  sich,  dass  im  mensch- 
lichen Organismus  eine  Abspaltung 
von  Jod  aus  dem  Jodkalium  durch 
die  Nitrite  unter  Vermittelung  der 
Kohlensäure  nur  dann  eintreten  kann, 
wenn  an  dem  Ort  der  Zersetzung  kein 
Alkali  vorhanden  ist.   Wenn  also  Nitrite 


im  Organismus  circuliren  und  gleichzeitig 
in  dem  betreffenden  Gewebe,  z.  B.  in  einer 
Schleimhaut  oder  auch  auf  einer  solchen, 
aus  irgend  einem  Grunde  nicht  alkalische 
Reaction  herrscht,  so  ist  es  wahrscheinlich, 
dass  durch  die  in  den  Geweben  producirte 
Kohlensäure  Nitrite  zerlegt  imd  Jod  frei 
werden  würde. 

Da  nun  die  Kohlensäure  bei  jedem  In- 
dividuum und  in  allen  Geweben  vorhanden 
ist,  so  müssen  zwei  Bedingungen  zusammen- 
wirken, damit  Jod  frei  werden  und  dem- 
gemäss  Jodismus  entstehen  kann;  es  müssen: 

1.  Nitrite  im  Organismus  circuliren, 

2.  darf  die  Reaction  in  den  betreffen- 
den Schleimhäuten  nicht  alkalisch 
sein. 

Stellen  wir  uns  auf  den  Boden  dieser 
Hypothese  und  überlegen  wir  die  Mittel  zur 
Bekämpfung  des  Jodismus,  so  ergeben  sich 
drei  Wege;  erstens:  wir  suchen  das  bereits 
abgespaltene  Jod  wieder  zu  binden;  zweitens: 
wir  beseitigen  die  salpetrige  Säure  in  dem 
Augenblick,  wo  sie  durch  die  Kohlensäure 
aus  ihren  Salzen  in  Freiheit  gesetzt  wird, 
so  dass  sie  also  Jodkalium  nicht  mehr  zer- 
legen kann;  oder  endlich  drittens:  wir  ver- 
hindern die  Entstehung  von  freier,  salpetriger 
Säure,  indem  wir  die  nicht  alkalische  Reac- 
tion auf  den  betreffenden  Schleimhäuten  in 
eine  iilkalische  umzuwandeln  suchen. 

Eine  Bindung  des  Jods  wurde  zu  er- 
reichen versucht  durch  Zufuhr  von  pflanzen- 
sauren Alkalien,  indem  man  von  der  Vor- 
aussetzung ausging,  dass  diese  im  Organis- 
mus zu  kohlensauren  Alkalien  verbrennen 
und  das  Jod  unter  Entweichen  der  Kohlen- 
säure fixiren.  Zu  einer  derartigen  Auffassung 
kann  die.  leichte  Bindung  des  Jods  durch 
fixe  und  einfach  kohlensaure  Alkalien 
verleiten.  Doppelt  kohlensaure  Alkalien 
verhalten  sich  aber  ganz  anders.  Diese  ganz 
bekannten  Verhältnisse  lassen  sich  leicht  in 
folgender  einfachen  Weise  demonstriren. 

Man  füllt  in  einen  Cylinder,  wie  er  zur 
Wasseranalyse  gebraucht  wird,  100  cc  einer 
1  %  Losung  von  doppelt  kohlensaurem  Na- 
trium, in  welche  zuvor  Kohlensäure  einge- 
leitet worden  istf),  und  setzt  dazu  20  cc  */a% 
Stärkekleister;  in  einen  zweiten  Cylinder 
in  entsprechender  Weise  kohlensaures  Natrium 
und  Stärkekleister,  in  einen  dritten  destil- 
lirtes  Wasser  und  Stärke.  Nun  lässt  man 
aus    eiüer   Bürette    zunächst    in     den   Natr. 


f)  Das  käufliche  Natr.  bicarb.  ist  gewöhnlich 
durch  kleinere  oder  grössere  Mengen  einfach 
kohlensauren  Natriums  verunreinigt.  Darch  die 
Einleitung  von  Kohlensäure  in  die  Lösung  werden 
diese  Mengen  einfach  kohlensauren  Natriums  eben- 
falls in  Natr.  bicarb.  umgewandelt. 

39 


306 


RShmann  und  Mulaohowaki,  fintftehuttg  und  Therapie  des  acuten  Jodiimu«.        [TM^'lfS^llft^ 


bic.  enthaltenden  Cylinder  tropfenweise  so 
viel  einer  sehr  verdünnten  Jodjodkalium- 
lösung einfliessen,  bis  die  Flüssigkeit  nach 
dem  ümschütteln  eben  blau  erscheint,  und 
fügt  genau  die  gleiche  Menge  zu  den  beiden 
andern  Lösungen.  Diejenige,  welche  kohlen- 
saures Natrium  enthält,  bleibt  völlig  unge- 
färbt, die  beiden  andern  zeigen  eine  in  Be- 
zug auf  ihre  Intensität  gleiche  Färbung. 

Die  Fähigkeit  der  obigen,  doppelt  koh- 
lensaures Natrium  enthaltenden  Lösung,  Jod 
zu  binden,  ist  also  nicht  grösser,  als  die 
einer  rein  wässrigen,  Stärke  enthaltenden 
Flüssigkeit. 

Doppeltkohlensaure  Alkalien,  wie  wir 
sie  im  Blute  und  den  Gewebssäften  kreisend 
annehmen  müssen,  sind  demnach  nicht  im 
Stande,  etwa  in  Freiheit  gesetztes  Jod  auf- 
zunehmen und  so  für  den  Organismus  un- 
schädlich zu  machen. 

Den  zweiten  Weg,  durch  Fortschaffung 
der  freien  salpetrigen  Säure  den  Jodismus 
zu  bekämpfen,  hat  in  sehr  geistreicher  Weise 
Ehrlich***)  eingeschlagen. 

Von  der  Thatsache  ausgehend,  dass  sal- 
petrige Säure  durch  Sulfanilsäure  unter  Bil- 
dung von  Diazobenzolsulfosäure  zerstört 
wird,  empfiehlt  er  Sulfanilsäure  als  Mittel 
gegen  den  Jodismus,  und  zwar  sollen  4,0 
bis  6,0  g  Sulfanilsäure,  die  durch  Zusatz 
von  3,0 — 4,0  g  kohlensaurem  Natron  in 
150  g  Wasser  gelöst  werden,  möglichst  bald 
nach  Eintritt  des  Jodismus  genommen  wer- 
den; eventuell  ist  diese  Gabe  nach  12  Stun- 
den zu  wiederholen.  Bei  dieser  Behandlung 
will  Ehrlich  etwa  in  der  Hälfte  der  Fälle 
schon  nach  1  —  2  Stunden  eine  Coupirung 
des  Anfalls  gesehen  haben,  der  jedoch  in 
vielen  Fällen  sich  nach  12  Stunden  wieder- 
holte, weswegen  eben  die  Medication  er- 
neut werden  musste.  In  andern  Fällen 
werden  die  unangenehmen  Erscheinungen 
nur  gemildert,  selten  bleibt  jede  Wirkung 
aus.  Der  eine  von  uns  hat  in  einer  grösseren 
Zahl  von  Fällen  dieses  Verfahren  angewendet, 
und  wenn  auch,  was  nur  auf  zufälligen  Um- 
ständen beruhen  mag,  nie  ein  Anfall  coupirt 
wurde,  so  trat  doch  stets  eine  schnelle 
und  bedeutende  Erleichterung,  nach  der 
zweiten  Gabe  ein  Verschwinden  des  An- 
falls ein.  Da  nur  wenige  Beispiele  der 
Sulfanilsäurewirkung  von  Krönig^^),  und 
noch  dazu  an  wenig  zugänglicher  Stelle  — 
in  den  Charite-Annalen  —  beschrieben  sind, 
so  sei  es  gestattet,  einige  beweisende  Kranken- 
geschichten hier  einzufügen,  welche  dem  im 
Allerheiligen-Hospital  beobachteten  Material 
entstammen. 

Marie  D.,  25  Jahre  alt,  warde  am  26.  October 
1886  wegen  einer  in  Folge  eines  Abortus  entstan- 


denen Perimetritis  in  das  Hospital  aufgenommen. 
Nach  dem  Ablauf  der  acuten  Entzündung  erhielt 
sie  zur  besseren  Resorption  des  Exsndatrestes  vom 
15.  November  Abends  an  Jodkali  in  Dosen  von 
1»0  g  pro  die  (0,33  pro  dosi).  Nachdem  sie  Abends 
7  Uhr  0,33  Jodkali  genommen  hatte,  trat  schon 
in  der  Nacht  zum  16.  starker  Schnupfen,  Secretion 
der  Thränendrüsen  und  Kopfschmerzen  ein.  Das 
Jodkali  wurde  nicht  ausgesetzt;  sie  erhielt  also 
Morgens  wiederum  0,33,  um  10  Uhr  Vormittags 
die  Ehrlich^ sehe  Mischung,  und  Mittags  und 
Abends,  wie  auch  späterhin  dieselbe  Dosis  Jod- 
kali. Der  Schlaf  iu  der  Nacht  vom  16.  zum  17.  war 
im  Gegensatz  zu  der  vorherigen  Nacht  ungestört,  am 
Morgen  beim  Erwachen  hatten  alle  Beschwerden 
nachgelassen,  und  schwanden  im  Laufe  des  Vor- 
mittags vollständig,  nachdem  Patientin  früh  67s 
Uhr  noch  einmal  Sulfanilsäure  in  derselben  Menge 
erhalten  hatte.  Es  hatten  somit  die  Erscheinungen 
des  Jodismus  ca.  30  Stunden  angehalten,  noch  24 
Stunden  nach  Anwendung  der  Gegenmedication ; 
sie  traten  bei  fortgesetzter  Jodkaliverabreichung 
nicht  wieder  auf. 

Anna  PI.,  27  Jahre  alt,  wurde  am  1.  Novem- 
ber 1886  aufgenommen.  Sie  litt  an  Emphysem 
und  trockener  Bronchitis.  Die  dauernd  gereichte 
Arznei  bestand  in  Jodkali  0,33  3  X  täglich.  Nach- 
dem sie  am  1.  November  0,66  g  genommen  hatte, 
erwachte  sie  am  2.  mit  Kopfschmerzen,  starker 
Secretion  der  Thränendrüsen  und  starkem  Schnupfen. 
Die  Beschwerden  steigerten  sich  im  Laufe  des 
Tages;  sie  erhielt  deswegen  6  Uhr  Nachmittags 
eine  Sulfanilgabe.  Am  Morgen  des  3.  hatten  alle 
Beschwerden  bedeutend  nachgelassen;  da  dieselben 
jedoch  nicht  gänzlich  schwanden,  erhielt  die  Kranke 
Nachmittags  4  Uhr  wiederum  SulfaniLBäare  mit 
dem  Erfolge,  dass  sie  schon  um  6  Uhr  sich  voll- 
ständig wohl  fühlte.  Dauer  des  Jodismus  also 
36  Stunden,  nach  der  Verabreichung  der  Sulfanil- 
säure noch  24  Stunden.  Diese  Zeit  wäre  sicher 
abgekürzt  worden,  wenn  die  zweite  Gabe  Sulfanil- 
säore  früher  gereicht  worden  wäre. 

Pauline  R.,  24  Jahre  alt,  kam  wegen  eines 
chronischen  Gelenkrheumatismus  am  13.  December 
1886  auf  die  Abtheilung.  Sie  wurde  zunächst  mit 
Salicyl  ff)  behandelt  und  erhielt  Jodkali  in  derselben 


ff)  Es  sei  gestattet,  einige  Bemerkungen  über 
die  Therapie  des  Gelenkrheumatismus  anzufügen. 
Gestützt  auf  die  an  einem  sehr  reichen  Material 
gewonnenen  Erfahrungen  meines  zu  früh  verstor- 
benen Chefs,  weiland  Sanitäts-Rath  Dr.  Victor 
Friedlaender,  sowie  auf  eigene  Behandlung  von 
mehreren  Hundert  Fällen  von  acutem  und  chro- 
nischem Gelenkrheumatismus  muss  ich  entgegen 
der  jetzt  namentlich  in  der  Privatpraxis  an  Boden 
gewinnenden  Anwendung  von  Äntipyrin  und  Salol 
das  altbewährte  salicylsaure  Natron  als  daa  beste 
Mittel  empfehlen.  Allerdin^  nur  dann,  wenn  man 
sich  entschliesst,  dasselbe  in  grösseren  Mengen  zn 
geben,  als  sie  allgemein  angewendet  werden.  So 
empfehlen  z.  B.  Nothnagel  u.  Rossbach  (Hand- 
buch) dasselbe  in  stündlichen  Dosen  von  1,0. 
^Grosse  Gaben,  etwa  von  5,0  zweimal  täglich  ge- 
geben, wirken  viel  weniger  erfolgreich."  Lieber- 
meister (Vorlesungen)  begnüst  sich  sogar  mit 
4,0 — 6,0  pro  die.  Strümpell  (Lehrbuch)  befürwortet 
pro  die  10,0  innerlich  nicht  zu  überschreiten,  und 
giebt  ebensoviel  als  Klysma.     Auch  Riess  (Real- 


m.  Jahrganf  .1 
Juli  1889.    J 


RÖhmatin  und  MalaehowSki,  Entstehung  und  Therapie  des  acuten  Jödlamui. 


307 


Form    und  Menge,   ^ie   vorher  berichtet,    als  am 

15.  December  die  Beschwerden  von  Seiten  der 
Gelenke  nachgelassen  hatten.  Am  15.  Abends 
nahm  sie  das  Medicament  zum  1.  Male,  klagte  am 

16.  Abends  nach  im  Ganzen  1,0  g  über  Kopf- 
schmerzen und  wies  am  17.  Morgens  das  Bild 
eines  schweren  Jodismus  auf.  Zu  den  heftigen 
Kopfschmerzen  waren  hinzugekommen  starker 
Schnupfen,  starke  Secretion  der  Thränendrüsen  mit 
Oedem  der  oberen  und  unteren  Augenlider,  Schmer- 
zen im  Munde  und  im  Halse.  Sie  erhielt  um 
10  Uhr  5,0  g  Sulfanilsäure,  fühlte  sich  bereits 
Abends  viel  leichter  und  bot  am  Morgen  des  18. 
als  Krankheitserscheinungen  nur  noch  sehr  geringe 
Oedeme  der  Augenlider  sowie  massige  Kopfschmer- 
zen. Sie  erhielt  nochmals  5,0  g  Sulfanilsäure,  mit 
dem  Erfolge,  dass  am  Abend  auch  diese  beiden 
Sjrmptome  vollständig  geschwunden  waren,  Fat. 
sich  vollkommen  wohl  befand.  Es  hatte  somit  der 
Jodismus  ca.  44  Stunden  gedauert,  etwa  30  Stun- 
den nach  Einleitung  der  Sulfanilsäuretherapie. 

Dieser  Fall  ist  es,  welcher  dadurch  be- 
sonderes Interesse  bietet,  dass  die  Kranke 
unter  Weitergebrauch  des  Jodsalzes  schon 
nach  wenigen  Tagen  einen  neuen  Anfall 
von  Jodismus  zu  überstehen  hatte.  Es 
"waren  wiederum  dieselben  Symptome  aufge- 
treten, auch  die  Oedeme  der  Augenlider 
fehlten  nicht,  aber  im  Ganzen  waren  die 
Erscheinungen  milder.  Trotzdem  blieben 
sie  vom  20.  früh  bis  23.  Abends,  also 
84  Stunden  bestehen,  als  des  Vergleiches 
wegen  keine  gegen  den  Jodismus  gerichtete 
Medication  eingeleitet  wurde.  Es  widerlegt 
daher  dieser  Fall   auf  das  Bestimmteste  die 


encyclopaedie  U.  Aufl.  1886)  giebt  nur  6  X  tägl. 
1,5  g  innerlich.  Er  berechnet  aus  148  so  behan- 
delten Fällen  die  durchschnittliche  Behandlungs- 
dauer bis  zum  Aufhören  der  Schmerzen  auf 
8,7  Tage.  Eichhorst  (Lehrbuch)  empfiehlt 
ebenfalls  stündlich  1,0  g;  bevorzugt  aber  die  Säure 
vor  dem  Natriumsalz  und  erzielt  bei  dieser  Be- 
handlung häufig  schon  nach  12  Stunden  Aufhören 
der  Schmerzen.  Jürgensen  (Lehrbuch)  ist  der 
einzige,  welcher  grössere  Dosen,  bis  18  g  des  sa- 
licjlsauren  Natr.  pro  die,  anwendet. 

Wir  selbst  haben  stets  das  Natriumsalz  in  der 
Menge  von  3  X  täglich  6,0  per  Klysma  gegeben, 
ohne  im  Ganzen  häufigere  oder  ernstere  Neben- 
wirkungen gesehen  zu  haben,  als  andere  Autoren 
berichten.  Dagegen  brachten  diese  grossen  Men- 
gen, namentlich  im  Gegensatz  zum  Salol,  den 
Schmerz  viel  schneller  zum  Verschwinden  und  be- 
schleunigten dementsprechend  die  Heilung.  Wir 
hatten  auch  nur  sehr  selten  Veranlassung,  wegen 
noch  bestehender  leichter  Schmerzen  die  von  vielen 
Autoren  empfohlene  Nachcur  mit  kleinen  Dosen 
Salicylsäure  einzuleiten.  Selbstverständlich  wider- 
stand auch  eine  Anzahl  von  Fällen  diesen  grossen 
Dosen,  aber  die  durchschnittliche  Behandlungs- 
daner  bis  zum  Aufhören  der  Schmerzen 
war  entschieden  kleiner,  als  die  von  Riess  ange- 
gebene Zahl,  und  aus  einer  Versuchsreihe  mit  5,0 
bis  8,0  Salol  pro  die  konnten  wir  in  Bezug  auf 
diesen  Punkt  mit  Sicherheit  eine  Differenz  von 
einem  Tage  zu  Gunsten  der  Salicylsäure  berechnen. 

Malacfunoski, 


gegen  den  beweisenden  Wertb  einer  jeden 
Therapie  des  Jodismus  von  mancher  Seite 
erhobenen  Einwände. 

Nicht  weniger  rationell  nun  erschien  uns 
nach  der  Nitrithypothese  der  dritte  Weg: 
anstatt  schon  gebildete  salpetrige  Säure 
zu  zerstören,  das  Freiwerden  derselben  zu 
verhindern. 

Da  salpetrige  Säure,  wie  wir  oben  er- 
örtert haben,  nur  dort  entsteht  und  auf  das 
Jod  zersetzend  wirken  kaun,  wo  die  Reac- 
tion,  sei  es  durch  Kohlensäure  oder  eine 
andere  Säure  sauer  ist,  so  durfte  man  es 
für  möglich  halten  durch  Einführung  von 
Alkali  —  am  zweckmässigsten  von  Natrium 
bicarbonicum  — ,  die  saure  Reaction  zu  be- 
seitigen. Wo  das  Kaliumnitrit  hingelangte, 
konnte  auch  das  doppeltkohlensaure  l^atrium 
hinkommen,  und  wenn  eine  Schleimhaut  aus 
irgend  einem  Grunde  vorher  neutral  oder 
sauer  reagirte,  so  konnte  man  vermuthen, 
dass  sie  nach  Eingabe  von  kohlensauren  Al- 
kalien zu  einer  ausreichenden  Alkalisecretion 
angeregt  werden  v^ürde. 

Die  Erfolge,  welche  wir  thatsächlich 
durch  Verabreichung  von  Natrium  bicarboni- 
cum beim  Jodismus  erzielten,  sprechen  für 
die  Richtigkeit  dieser  Annahme. 

Nach  Eintritt  des  Schnupfens  und  Stirn- 
kopfschmerzes wurden  ca.  10 — 12  g  Natr. 
bicarbonicum  auf  zwei  Dosen  vert heilt  in- 
nerhalb 24  Stunden  gereicht.  Wir  haben 
diese  Therapie  seit  Anfang  1887  geübt  und 
sind  mit  der  Wirkung  derselben  durchaus 
zufrieden.  Es  gelingt  mit  Sicherheit  innerhalb 
weniger  Stunden  stärkere  Beschwerden  ganz 
bedeutend  zu  mildern,  leichtere  vollständig 
zum  Verschwinden  zu  bringen.  Ein  Fall, 
bei  dem  das  Natr.  bicarbon.  gar  keinen 
Einfluss  gehabt  hätte,  ist  uns  in  dieser  Zeit 
nicht  vorgekommen.  Selbstverständlich  wurde 
stets  trotz  des  Jodismus  das  Jodkali  weiter 
gereicht^  ohne  das  Resultat  der  Therapie  zu 
beeinflussen. 

Es  hätte  somit  die  klinische  Beobachtung 
die  theoretischen  Erwägungen  bestätigt,  und 
wir  stehen  nicht  an,  dieser  Medication  den 
Vorzug  zu  geben  vor  der  Sulfanilsäure, 
wenn  auch  vielleicht  in  einzelnen  Fällen 
durch  die  Sulfanilsäure  eine  noch  schnellere 
Beseitigung  des  Anfalls,  eine  Coupirung  ein- 
tritt. Die  Sulfanilsäure  ist  in  den  Apo- 
theken nicht  vorräthig,  und  wenn  dieser 
Umstand  auch  wegfiele,  so  würde  doch  wohl 
der  theure  Preis  ein  Hinderniss  für  eine  all- 
gemeine Annahme  dieser  Therapie  sein.  Ein 
nach  der  Ehrlich' sehen  Vorschrift  herge- 
stelltes Recept  kostet  1,00  Mark,  die  Be- 
seitigung des  Jodismus  also  im  Einzelfalle 
durchschnittlich  2,00  M.     Natr.  bicarb.  da- 

89* 


308 


fTher&pfliitiacbe 


RS  hm  a  BD  und  Malachowiki,  Cntitehung  und  Therapie  dea  acuten  Jodismus.       1   Mona^eft? 


gegen  ist  ebenso  billig,  als  unscbädlich  und 
in  jedem  Augenblick  obne  genauere  Dosi- 
rung  anzuwenden,  so  dass  in  jedem  einzel- 
nen Falle  sofort  nach  Eintritt  der  ersten 
Symptome  die  Therapie  eingreifen  kann. 

Die  folgenden  Krankengeschichten  mögen 
die    geschilderte  Wirkung    veranschaulichen. 

Mathilde  G.,  35  Jahre  alt,  kam  im  April  1887 
wegen  eines  rechtsseitigen  Pleuraezsudates  auf 
die  Abtheilung.  Zur  Aufsaugung  eines  Restes 
desselben  erhielt  sie  vom  25.  ab  2,0  g  Jod- 
kali pro  die  auf  drei  Dosen  vertheilt.  Nach- 
dem schon  im  Laufe  dieses  Nachmittags  sich 
leichtere  Beschwerden  eingestellt  hatten,  steigerten 
sich  dieselben  im  Laufe  der  Nacht.  Heftiger  Stim- 
kopfschmerz  raubte  der  Kranken  den  Schlaf  fast 
vollständig,  es  trat  eine  starke  Secretion  der  Nase 
und  der  Thr&aendrusen  ein,  am  Morgen  des  26. 
war  starkes  Oedem  beider  Augenlider,  sowie  Oedem 
der  ganzen  Mundschleimhaut  und  wahrscheinlich 
nuch  des  Larynx  vorhanden.  Patientin  sprach 
heiser,  das  Schlingen  war  erschwert.  Gegen  10  ühr 
Vormittags  erhielt  sie  5,0  g  Natr.  bicarbonicnm. 
Die  Beschwerden  Hessen  sehr  bald  nach  und  waren, 
nachdem  sie  Abends  eine  zweite  Gabe  Natron  be- 
kommen hatte,  am  Morgen  dos  27.  bis  auf  ein 
leichtes  Oedem  der  Augenlider  geschwunden.  Die 
Stimme  war  klar,  jedoch  verspurte  die  Kranke  noch 
einen  unbedeutenden  Schmerz  beim  Schlingen.  Eine 
Wiederholung  des  Anfalles  trat  trotz  fortgesetzter 
Gaben  von  Jodkali  nicht  ein. 

Johann  G.,  43  Jahre  alt,  nahm  am  3.  Januar 
1889  die  Hülfe  unserer  Poliklinik  (Malachow8ki)in 
Anspruch.  Er  litt  an  Emphysem  mit  dichtem  Katarrh. 
Wegen  sehr  erschwerter  Expectoration  und  viel 
trockenen  Hustens  wurde  ihm  Jodkali,  2,0  pro  die  auf 
drei  Gaben  vertheilt,  verordnet  Am  anderen  Morgen 
erschien  er  wieder  mit  der  Klage,  dass  er  nach 
einmaligem  Einnehmen  (0,66  g)  in  der  Nacht  zum 
4.  wegen  starken  Kopfschmerzes  und  heftigen 
Schnupfens  nicht  habe  schlafen  können.  Ausserdem 
thränten  die  Augen  sehr  stark,  und  es  war  ein 
Oedem  beider  Augenlider  vorhanden.  Er  erhielt 
sofort  6,0  g  Natr.  bicarbonicum  und  für  den 
Abend  dieselbe  Gabe.  Der  Erfolg  war  der  gleiche, 
wie  im  vorigen  Falle;  am  Morgen  des  5.  fühlte  er 
sich  vollkommen  wohl,  nur  das  Oedem  der  Augen- 
lider war  noch  in  geringem  Grade  vorhanden.  In 
den  nächsten  Tagen  bekam  er  unter  Fortgebrauch 
des  Jodkali  ein  über  Rumpf  und  Arme  verbreitetes 
etwas  juckendes  Exanthem  in  Form  von  Miliaria 
ähnlichen,  mit  wässeriger  Flüssigkeit  gefüllten 
Bläschen,  welche  auf  leicht  gerötheter  Haut  auf- 
sassen.  Als  dasselbe  acht  Tage  lang  bestehen 
blieb,  wurde  das  Medicament  ausgesetzt,  ohne  dass 
inzwischen  andere  Erscheinungen  des  Jodismus 
sich  wieder  gezeigt  hatten. 

Rosalie  Seh.,  43  Jahre  alt,  wurde  am  25.  Fe- 
bruar 1889  der  Poliklinik  zugewiesen.  Wegen 
eines  Katarrhs  in  den  abhängigen  Partien  beider 
Lungen  wurde  ihr  Jodkali,  2,0  g  pro  die  auf  drei 
Gaben  vertheilt,  verordnet.  Sie  nahm  am  Abend 
und  am  nächsten  Morgen  je  0,66  g.  Schon  in  der 
Nacht  hatten  sich  Kopfschmerzen  eingestellt,  ebenso 
Schnupfen,  Secretion  der  Thränendrüsen  und  häu- 
figes Niesen.    Im  Laufe  des  Vormittags  traten  alle 


Erscheinungen  stärker  auf.  Sie  musste  so  häufig 
niesen  (ca.  10  Mal  in  der  Viertelstunde),  dass  es 
ihr  absolut  unmöglich  war,  ihre  häuslichen  Ge- 
schäfte zu  besorgen.  Dazu  trat  ein  ziehender 
Schmerz  und  eine  Art  Trismus  der  Kaumuskulatnr, 
sodass  der  Mund  nur  halbgeöfifnet  werden  konnte. 
Patientin  fühlte  eii>e  starke  Trockenheit  im  Schlünde, 
die  Sprache  war  rauh  und  heiser.  Wegen  dieser 
sehr  beunruhigenden  Beschwerden  erschien  sie  am 
Nachmittag  wieder  in  der  Sprechstunde,  wo  alle 
ihre  Angaben  bestätigt  werden  konnten.  Eine 
Inspection  des  Larynx,  der  auch  auf  Druck  etwas 
schmerzhaft  war,  konnte  wegen  des  Trismus  nicht 
ausgeführt  werden.  Sie  erhielt  sofort  einen  ge- 
häuften Theelöffel  Natr.  bicarbonicum  und  die 
gleiche  Gabe  für  den  Abend.  Am  nächsten  Morgen 
erschien  sie  wieder  in  der  Poliklinik  mit  der  Mit- 
theilung, dass  das  Niesen  schon  auf  dem  Nach- 
hausewege nachgelassen  hätte,  sowie  dass  alle  Be- 
schwerden im  Laufe  des  gestrigen  Nachmittags  sich 
gemildert  hätten.  Das  Niesen  hatte  ganz  aufgehört, 
ebenso  der  Schnupfen;  sie  konnte  den  Mund  weit 
öffnen,  hatte  keine  Schmerzen  mehr,  und  nur  noch 
beim  Husten  machte  sich  ein  leichter  stechender 
Schmerz  im  Kopfe  bemerkbar.  Ebenso  waren  noch 
leichte  Schmerzen  beim  Schlingen  vorhanden;  doch 
auch  diese  verschwanden  im  Laufe  des  Tages  voll- 
kommen. Das  Jodkali  hatte  sie  trotz  aller  Be- 
schwerden dauernd  genommen.  Eine  Wiederholung 
des  Anfalles  trat  nicht  ein. 

Nachdem  durch  diese  und  sehr  viele 
andere  Beobachtungen  festgestellt  war,  dass 
wir  im  Stande  sind,  durch  Natr.  bicarbon. 
den  Jodismus  zu  lindern  und  schneller  zum 
Yerschwinden  zu  bringen,  lag  es  nahe,  zu 
versuchen,  ob  durch  gleichzeitige  Darreichung 
von  Jodkali  -h  Natr.  bicarb.  das  Eintreten  von 
Reizerscheinungen  überhaupt  verhindert  wer- 
den könne.  Zu  diesem  Zweck  erhielten 
35  Personen  drei  Tage  hintereinander  un- 
mittelbar nach  jeder  Dosis  Jodkalium,  die 
0,33 — 1,0  g  betrug  und  dreimal  täglich 
verabreicht  wurde,  4,0  g  Natr.  bicarb.,  und 
vom  4.  Tage  ab  wiederum  durch  drei  Tage 
dieselben  Mengen  Jodkali  ohne  das  Natrium- 
salz, das  letztere  deswegen,  weil  wir  beob- 
achten wollten,  ob  Jodismus  vielleicht  erst 
eintreten  würde  nach  Sistirung  der  Zufuhr 
von  Natrium,  und  so  ein  neuer  Beweis  für 
die  Wirksamkeit  dieser  Therapie  erbracht 
würde.  In  der  That  haben  wir  uns  in  die- 
ser letzten  Voraussetzung  nicht  getäuscht. 
Während  die  Reizerscheinungen  der  Schleim- 
häute nach  Jod  kaligebrauch  in  der  B,egel 
spätestens  nach  36  Stunden  aufzutreten 
pflegen,  machten  sie  sich  bei  7  von  diesen 
Personen  erst  am  4.  oder  5.  Tage  geltend, 
zu  einer  Zeit  also,  in  der  das  Natriumsalz 
nicht  mehr  verabreicht  wurde.  Dagegen  ge- 
lang es  nicht  bei  Allen  durch  die  gleich- 
zeitige Verabreichung  von  Natr.  bicarb.  das 
Auftreten  von  Jodismus  zu  verhindern.  Bei 
17  Personen   unter  35  trat  bereits  zur  nor- 


III.  Jabrgang.1 
Juli  1889.    J 


Röhmann  und  Malaehowikl,  Entftobung  und  Tharapie  des  acuten  Joditmus. 


309 


malen  Zeit  —  allerdings  nur  in  sehr  milder 
Form  und  yon  nur  stundenlanger  Dauer  — 
Katarrh  der  Nase  oder  Stirnkopfschmerz  ein. 
Ein  Fall  ist  dadurch  besonders  bemerkens- 
werth,  dass  bei  demselben  am  zweiten  Yer- 
suchstage  massiger  Schnupfen  auftrat,  der 
bald  wieder  verschwand,  während  sich  am 
fünften  Tage  (also  nach  Weglassung  des 
Natr.  bicarb.)  der  Schnupfen  in  stärkerer 
Weise  wiederholte  und  von  Thrän enträufeln 
und  Stirnkopfschmerz  begleitet  war. 

Die  Beobachtung,  dass  an  den  erwähnten 
7  Personen  die  Reizerscheinungen  erst  nach 
dem  Aussetzen  des  Natr.  auftraten,  beweist 
also,  dass  es  in  gewissen  Fällen  möglich  ist, 
durch  Natr.  bicarb.  den  Eintritt  des  Jodismus 
zu  verhindern.  Wenn  wir  in  einer  Anzahl 
anderer  Fälle  als  Effect  dieser  combinirten 
Medication  nur  eine  Milderung  der  Erschei- 
nungen erhielten,  so  liegt  dies  wohl  daran, 
dass  wir  nicht  bei  jedem  Individuum  im 
Stande  sind,  durch  die  bisher  verabreich- 
ten verhältnissmässig  geringen  Mengen  von 
Natr.  bicarb.  eine  ausreichende  Alkalisecre- 
tion  der  Schleimhäute  zu  erzielen;  vielleicht 
gelingt  dies  durch  Einführung  grösserer 
Mengen. 

Obgleich  nun  sowohl  die  dargelegten 
theoretischen  Erwägungen  als  auch  die  the- 
rapeutischen Erfolge  mit  Sulfanilsäure  oder 
Natriumbicarbonat  zu  Gunsten  der  Nitrit- 
hypothese sprechen,  so  muss  doch  noch  auf 
eine  andere  Möglichkeit  der  Entstehung  von 
Jod  aus  Jodkalium  und  somit  des  Jodismus 
hingewiesen  werden. 

Neben  den  von  aussen  mit  der  Nahrung 
in  den  Organismus  eingeführten  Nitraten 
und  den  sich  daraus  bildenden  Nitriten  kommt 
nämlich  unserer  Ansicht  nach  noch  ein  an- 
derer Factor  sehr  wesentlich  in  Betracht. 

Wir  haben  oben  gezeigt,  wie  schnell  und 
wie  energisch  in  der  Mundhöhle  salpetersaure 
Salze  zu  salpetrigsauren  reducirt  werden. 
Unzweifelhaft  sind  also  im  Speichel  energisch 
reducirende  Substanzen  vorhanden.  Wo 
sich  diese  finden,  beobachten  wir  erfahr ungs- 
gemäss  als  eine  Folgeerscheinung  auch  starke 
Oxjdations Wirkungen,  wobei  wir  es  für 
diesmal  unerörtert  lassen  wollen,  ob  die- 
selben auf  einer  Entstehung  von  Wasser- 
stoffsuperoxyd durch  Reduction  von  Wasser 
(M.  Traube),  oder  auf  der  Bildung  von 
activem  Sauerstoff  (Hoppe-Seyler,  Bau- 
mann u.  A.)  beruhen. 

Auf  einer  derartigen  secundären  Oxy- 
dation beruhen  auch  die  „Ozonreactionen", 
welche  Sartisson^)  und  Buchheim^)  mit 
normalem  Speichel  ^  erhielten.  „Das  Vor- 
kommen von  Ozon  erscheint  sehr  natürlich, 
seitdem  Gorup-Besanez  nachgewiesen  hat, 


dass  bei  lebhafter  Wasserverdunstung  stets 
Ozon  gebildet  wird.  Das  bei  der  höchst 
intensiven  Verdunstung,  welche  von  den 
Schleimhäuten  der  Luftwege  aus  stattfindet, 
gebildete  Ozon  ist  wahrscheinlich  auch  als 
die  Quelle  des  salpetrigsauren  Ammoniaks 
im  Speichel  und  Nasenschleim  anzusehen. 
Da  nun  durch  das  Ozon  aus  alkalischen 
Jodmetallen  Jod  abgespalten  wird,  so  sind 
auf  der  Schleimhaut  der  Luftwege  Bedin* 
gungen  gegeben,  unter  denen  das  in  den 
Körper  eingeführte  Jodkalium  in  dem  an- 
gegebenen Sinne  zersetzt  werden  kann." 

Eine  Ozonbildung  durch  Wasserver- 
dunstung in  der  Mundhöhle  scheint  uns  je- 
doch kaum  in  Betracht  zu  kommen.  Die 
Bildung  von  Jod  aus  Jodkalium,  sowie  die 
Bildung  von  Nitrit  aus  Ammoniak,  welche 
Buch  heim  und  Sartisson  auf  die  An- 
wesenheit von  Ozon  beziehen,  sind  vielmehr 
unserer  Ansicht  nach  ebenfalls  secundäre 
Oxydation  s  Wirkungen.  Aehnlich  wie  in 
Hoppe-Seyler's  bekanntem  Versuche  Pal- 
ladiumwasserstoffblech die  Oxydation  von 
Jodkalium  oder  Ammoniak  bewirkt,  können 
dies  auf  der  Schleimhaut  die  erwähnten, 
sicher  vorhandenen,  uns  in  ihrem  Wesen 
allerdings  noch  unbekannten  reducirenden 
Substanzen  thun. 

Es  könnte  somit  scheinen,  dass  wir  uns 
wieder  der  oben  citirten  Ansicht  von  Binz^) 
nähern.  Wir  weisen  aber  nochmals  auf  den 
Unterschied  hin.  Binz  nimmt  an,  dass 
die  Oxydation  direct  eine  Function  des 
lebenden  Protoplasmas  sei,  wir  denken 
an  Oxydationswirkungen,  die  bei  Gegenwart 
von  molecularem  Sauerstoff  durch  Producte 
des  Protoplasmas,  durch  reducirende  Sub- 
stanzen, bewirkt  werden. 

Wir  betonen  auch  ausdrücklich,  dass 
unsere  Ausführungen  nur  für  die  Erklärung 
des  Jodismus,  nicht  für  die  Jodwirkung  im 
Organismus  überhaupt  gelten. 

Auf  der  Schleimhaut  sind  also  stets  die 
Bedingungen  für  Reductionswirkungen  und 
bei  Anwesenheit  von  Sauerstoff  auch  für 
energische  Oxydationen  gegeben.  Dieses 
Nebeneinander  von  Oxydation  und  Reduction 
erschwert  den  Einblick  in  die  interessanten 
Wurster' sehen")  Reactionen,  auf  welche 
einzugehen  uns  vielleicht  später  Gelegenheit 
gegeben  wird. 

Uns  kommt  es  im  Augenblick  nur  darauf 
an,  auf  die  durch  reducirende  Substanzen 
vermittelte  Oxydation  hinzuweisen. 

Ein  Vortheil  unserer  Hypothese  scheint 
uns  der  zu  sein,  dass  sie  das  Entstehen  von 
Jodismus  bei  Leuten,  denen  eine  nitratfreie 
Nahrang  gereicht  wird,  nicht  ausschliessen 
würde;    zweitens  aber  erklärt  sie  das  doch 


310 


Röhmann  und  Malachowtki,  EntstehuDg  und  Therapie  dea  acuten  Jodiamua. 


tTherapffutbcfa« 
MonatMhefte. 


immerhin  auffallende  Factum,  warum  nur 
auf  der  Schleimhaut  der  Luftwege  der 
Jodismus  auftritt:  Nur  hier  haben  wir  eben 
den  zur  Oxydation  erforderlichen  Sauerstoff. 

Aus  unseren  bisher  mitgetheilten  Be- 
obachtungen ergiebt  sich,  dass  wir  bei  der 
Entstehung  des  Jodismus  immer  mit  zwei 
Factoren  zu  rechnen  haben,  erstens  mit  der 
Bildung  von  salpetriger  Säure  aus  den  Ni- 
traten der  Nahrung,  zweitens  mit  Oxydations- 
processen,  welche  durch  reducirende  Substan- 
zen Termittelt  werden. 

Für  den  ersten  Fall  haben  wir  die  Be- 
deutung der  Alkalisecretion  bereits  erörtert. 
Dass  dieselbe  auch  bei  der  Entstehung  des 
Jodismus  durch  secundäre  Oxydation,  wenn 
man  sich  dieses  Ausdrucks  bedienen  darf, 
eine  sehr  wesentliche  Rolle  spielt,  lässt  sich 
leicht  demonstriren. 

Wenn  man  in  zwei  JodkaÜumlosungen, 
Yon  denen  die  eine  doppelt  kohlensaures  Na- 
trium enthält,  ein  Palladiumwasserstoff  blech 
hineinstellt,  so  lässt  sich  nach  einiger  Zeit 
in  der  einen  freies  Jod  nachweisen,  in  der- 
jenigen dagegen,  die  Natr.  bicarb.  enthält, 
nicht.  Man  kann  sich  dies  folgendermassen 
erklären:  das  Jod,  "Reiches,  wie  wir  oben 
gesehen  haben,  in  molecularem  Zustande 
Yon  saurem  kohlensauren  Natrium  nicht  ge- 
bunden wird,  zersetzt  in  statu  nascendi,  d.  h. 
in  demselben  Augenblick,  wo  es  durch  die 
vom  Palladiumblech  vermittelte  Oxydation 
aus  dem  Jodkalium  abgespalten  wird,  das 
doppelt  kohlensaure  Natrium  und  wird  wie- 
der zu  Jodkali.  Auch  etwa  gebildete  Jod- 
säure würde  durch  das  Alkali  neutralisirt 
werden. 

Hieraus  geht  also  hervor,  dass  auch  bei 
diesen  secundären  Oxydationsprocessen  das 
Freiwerden  von  Jod  durch  die  Anwesenheit 
des  Natr.  bicarbon.  verhindert  wird.  Demnach 
ist  auch  vom  Standpunkt  unserer  zweiten 
Hypothese  aus  die  Darreichung  des  doppelt 
kohlensauren  Natriums  in  möglichst  grossen 
Dosen  als  Mittel  zur  Verhütung  oder  Besei- 
tigung des  Jodismus  rationell. 

Auf  eine  sehr  bemerken swerthe  Erschei- 
nung in  dem  klinischen  Verlauf  des  Jodismus 
wollen  wir  noch  eingehen.  Wir  meinen  die 
durch  das  einmalige  Auftreten  von  Jodismus 
bedingte  Widerstandsfähigkeit  der  Schleim- 
häute gegen  das  immer  von  Neuem  frei 
werdende  Jod.  Bekanntlich  sind  es  nur 
ganz  vereinzelte  Personen,  welche  eine  solche 
Idiosynkrasie  gegen  Jodpräparate  haben, 
dass  sie  immer  und  immer  wieder  mit  Reiz- 
erscheinungen von  Seiten  der  Schleimhäute 
darauf  antworten.  Die  meisten  vertragen, 
nachdem  sie  einmal  Jodismus  überstanden 
haben,  das  Mittel  recht  gut,  auch  bei  nach 


einiger  Zeit  wiederholten  Anwendungen. 
Wenn  wir  nun  bedenken,  dass  der  Jodanfall 
zu  Stande  kommt  durch  das  Zusammentreffen 
bestimmter  chemischer  Verhältnisse,  so  ist 
zunächst  nicht  einzusehen,  warum  denn  die 
Reizerscheinungen  aufhören,  da  doch  nichts 
geschehen  ist,  um  diese  chemischen  Grund- 
bedingungen zu  ändern  und  damit  die  immer 
erneute  Abspaltung  von  freiem  Jod  zu  ver- 
hindern. Ehrlich^^)  hat  diese  Immunität 
durch  die  Ansicht  zu  erklären  versucht, 
dass  durch  den  primären  Katarrh  der 
Schleimhäute  die  Bedingungen  für  das 
Zustandekommen  des  Jodismus  abgeändert 
seien.  Uns  scheint  mit  dieser  so  allgemein 
gehaltenen  Formulirung  nichts  gewonnen. 
Dagegen  scheint  es  uns  statthaft,  zur  Er- 
klärung auf  die  Lehre  von  der  Immunität 
gegen  einmal  überstandene  Infectionskrank- 
heiten  zurückzugreifen.  Es  sind  bekanntlich 
mehrere  Theorien  in  Bezug  auf  diesen  Punkt 
aufgestellt  worden;  aber  die  ausgezeichneten 
Experimente  und  Auseinandersetzungen 
Flügge^ s  und  seiner  Schüler  lassen  doch 
nur  diejenige  Theorie  als  mit  allen  Verhält- 
nissen in  bestem  Einklang  stehend  erschei- 
nen, welche  die  Immunität  dadurch  zu 
Stande  kommen  lässt,  dass  die  durch  die 
Lebensthätigkeit  der  Mikroorganismen  im 
Körper  gebildeten  chemischen  Substanzen 
die  Körperzellen  *  in  ihrer  —  allgemein  ge- 
sagt —  vitalen  Energie  so  verändern,  dass 
sie  nun  im  Stande  sind,  eine  neue  Bacterien- 
invasion  zu  bekämpfen,  ohne  mit  Krankheits- 
erscheinungen darauf  zu  reagiren. 

Wir  glauben  nun  in  den  Verhältnissen 
beim  Jodismus  ein  Analogen  sehen  zu 
dürfen.  Auf  den  erstmaligen  Angriff  durch 
freies  Jod  antworten  die  Zellen  der  betreffen- 
den Schleimhäute  mit  krankhaft  gesteigerter 
Secretion,  werden  aber  dadurch  in  ihrer 
„Empfindlichkeit^  so  verändert,  dass  sie 
ein  erneutes  Eindringen  desselben  chemischen 
Stoffes  ohne  Reizerscheinungen  überwinden, 
obwohl  die  chemischen  Grundbedingungen, 
deren  Aenderung  Ehrlich  supponirt,  unver- 
ändert fortbestehen.  Damit  steht  auch  im 
Einklang  die  oben  angeführte  Beobachtung, 
dass  Personen,  die  auf  combinirte  Darreichung 
von  Jodkali  und  Natr.  bicarb.  nicht  Jodismus 
bekommen,  sofort  Reizerscheinungen  zeigten, 
als  das  Natriumsalz  weggelassen  wurde.  Es 
werden  eben  durch  diese  Gombination  nur  zeit- 
weise Bedingungen  geschaffen,  welche  die 
Abspaltung  von  freiem  Jod  und  damit  das 
Auftreten  von  Jodismus  verhindern,  nicht 
dauernde,  und  es  wird  durch  die  Ein- 
führung von  Natr.  bicErbon.  nichts  in  der 
Energie  der  Zellen  geändert. 


HL  Jalirgang.l 
Jnli  1889.    J 


Voiilui,  Practitcher  Nutzen  der  operativen  Behandl.  der  Conjunctivitis  folllcularlt.         311 


Benutzte  Litteratur: 

1.  Bachheim:    Ueber   die  Wirkung    des    Jod- 

kaliums. Arch.  f.  ezperim.Pathol.  u.  Pharmak. 
1874.   HLBand. 

2.  Rosenthal:    cit.    nach  Lewin:    Toxikologie 

1885, 

3.  Nothnagel    u.    Kossbach:    Handbuch    der 

Arzneimittellehre  1,884. 

4.  Bresgen:*  2  Fälle    von    schwerem,    acutem 

Jodismus.     Centralbl.   f.    klin.   Med.    1886. 
Nr.  9. 
Binz:    Bemerkungen    zu    vorstehender    Mit- 
theüung.     (Ebenda.) 

5.  Binz:    Die    Zerlegung    des    Jodkaliums     im 

Organismus.    Virch.  Archiv.    1874.    Bd.  62. 
—  Vorlesungen  über  Pharmakologie.    1886. 

6.  Kaemmerer:    Ueber    die    arzneiliebe    Wir- 

kungsweise   des  Jodkali   und  des  Sublimat. 
Virchow's  Archiv.   Bd.  59. 

7.  Gaglio:     cit.    nach   Jakowski  in  Virchow- 

Hirsch's  Jahresbericht.    1884.    (Jodismus.) 

8.  Pfeffer:  Ueber  Oxjdationsvorgänge  in  leben- 

den Zellen.  Berichte  d.  Deutsch.  bot.Gesell8ch. 
1889.    Bd.  VII.  Heft  2. 

9.  Sartisson:    Ein  Beitrag   zur  Kenntniss  der 

Jodkaliumwirkung.    Diss.  Dorpat.    1866. 

10.  Ehrlich:    Ueber  Wesen  und  Behandlung  des 

Jodismus.  Charite-Annalen.    1885.  X.  Jahrg. 

11.  Köhmann:     Ueber    die    Ausscheidung    von 

Salpetersäure  und  salpetriger  Säure.  Zeitschr. 
f.  phys.  Chemie.    Band  V. 

12.  Th.  Weyl:  Ueber  die  Nitrate  des  Tbier-  und 

Pflanzenkörpers.    Virch.  Archiv  96.  101. 

13.  Griess:     Berichte    der    deutsch  -  chemischen 

Gesellschaft.    Bd.  XH. 

14.  Struve:   Ueber   die  Gegenwart  von  Wasser- 

stoffhjperoxjd    in    der    Luft.      Zeitschr.    f. 
analyt.  Chemie.    Bd.  VHI. 

15.  Schulz:    Die    Zerlegung   der  Chloride  durch 

Kohlensäure.     Arch.  f.   d.  ges.  Physiologie. 
1882.   Bd.  27. 

16.  Erönig:    Sulfanilsäure  bei  Jodismus.  Charite- 

Annalen.    1885.    X.  Jahrg. 

17.  Wurster:    Centralbl.  f.  Physiologie.    1887. 


Ueber  den  practischen  Nutzen  der  ope- 
rativen  Behandlung^   bei   der   Conjunc- 
tivitis follicularis  (grranulosa). 

Von 

Dr.  med.  A.  Vossius. 

A.  o.  Profewor  der  Augenheilkunde  in  Königsberg  1.  Pr. 

[SchluMtJ 

Die  ersten  guten  Erfahrungen  mit  der 
operativen  Therapie  bei  Massenerkrankungen 
machte  ich  in  Thorn,  woselbst  in  dem 
Armenhause  eine  Endemie  folliculärer  Con- 
junctivitis herrschte.  Zum  näheren  Ver- 
standniss  muss  ich  bemerken,  dass  sich  in 
dieser  Stadt,    in  welcher  für  die  Armen  auf 


die  denkbar  gunstigste  und  umfassendste 
Art  gesorgt  wird,  ein  besonderes  Armen- 
und  Waisenhaus  befand.  Beide  Anstalten 
waren  räumlich  weit  von  einander  getrennt. 
Das  Armenhaus  stand  innerhalb  der  Stadt 
neben  dem  Garnisonlazareth  und  war  ein 
altes,  bereits  in  Beginn  des  Verfalles  be- 
griffenes, den  hygienischen  Anforderungen 
nicht  mehr  entsprechendes  Gebäude,  in  wel- 
chem arme  städtische  Kinder  Aufnahme  und 
Erziehung  fanden  bis  zum  10.  resp.  11.  Le- 
bensjahr, in  welchem  sie  in  das  Waisenhaus 
transferirt  wurden,  um  sich  später  von  hier 
aus  einem  Lebensberuf  zu  widmen.  Das 
Waisenhaus  war  ein  ziemlich  neues  Ge- 
bäude, ausserhalb  der  Stadt,  ganz  frei  nahe 
einem  Wäldchen  gelegen  und  in  seinem 
Inneren  sehr  gut  eingerichtet.  Beide  An- 
stalten hatten  ein  besonderes  städtisches 
Guratorium  und  wurden  zu  meiner  Zeit  der 
ärztlichen  Obhut  des  Herrn  CoUegen  Sinai 
anvertraut. 

Unter  den  Kindern  des  Armenhauses 
herrschte  seit  4 — 5  Jahren  die  granulöse 
(folliculäre)  Bindehautentzündung,  welche 
trotz  dauernder  ärztlicher  Behandlung  mit 
Arg.  nitr.,  Zinc.  sulfur.,  Cupr.  sulfur.  nicht 
getilgt  werden  konnte.  Fast  jedes  Kind, 
welches  in  die  Anstalt  aufgenommen  wurde, 
erkrankte  an  den  Augen. 

In  der  jüngsten  Zeit  nun  begann  auch 
in  dem  Waisenhaus,  zunächst  nur  unter  dem 
Zuwachs  aus  dem  Armenhause,  später  auch 
unter  den  anderen  Kindern  das  Leiden 
immer  grössere  Dimensionen  anzunehmen, 
und  als  schliesslich  alle  Maassn ahmen  des 
früheren  behandelnden  Arztes  die  Weiter- 
verbreitung nicht  verhindern  konnten,  wandte 
sich  der  Magistrat  an  Herrn  Geheimrath 
Jacobson  um  Rath,  der  mich  gütigst  mit 
der  Behandlung  und  Ordnung  betraute  und 
nach  Thom  schickte. 

Bei  meiner  ersten  Untersuchung  über 
den  Umfang  und  die  Ursache  der  Endemie, 
Ende  Juni  1885,  fand  ich  von  den  76  In- 
sassen der  beiden  Anstalten  im  Ganzen  36, 
also  über  47  ^/o  augenkrank.  Bei  8  Kindern 
war  sowohl  die  obere  wie  die  untere  Ueber- 
gangsfalte  nebst  der  Conj.  tarsi  dicht  mit 
Follikeln  besetzt,  bei  11  Kindern  fanden 
sich  grössere  Gruppen  derselben,  ähnlich 
den  Pey  er 'sehen  Plaques  im  Darm,  im  For- 
nix des  Conjunctivalsackes  und  bei  17  Kin- 
dern die  ersten  Zeichen  der  folliculären 
(granulösen)  Conjunctivitis:  Thränen,  Licht- 
scheu, RÖthung  der  Bindehaut,  Gefühl  von 
Reiben  und  Scheuem  in  den  Augen,  Schwere 
und  Verklebtsein  der  Lider  und  bei  der 
Ektropionnirung  der  Uebergangsfalten  nur 
vereinzelte   charakteristische  Granula  in  der 


312         Vottiuf,  Pnctischer  Nutsen  der  operativen  Behandl.  der  Conjunctivitis  follicularis. 


rlierapeatiidie 
MonaUhefte. 


CoüjunctiTa.  Schwere  Hombautcomplicationen 
fehlten. 

Die  Ursache  dieser  Endemie  lag  auf  der 
Hand.  Kranke  und  gesunde  Kinder  waren 
in  beständigem  Verkehr  geblieben,  hatten 
in  denselben  Räumlichkeiten  beisammen  ge- 
schlafen und  zum  Theil  dieselben  Wasch- 
utensilien benutzt.  Die  Kranken  tummelten 
sich,  mit  nur  geringen  Ausnahmen,  ohne 
Schutzmassregeln  gegen  blendendes  Sonnen- 
licht und  Staub  unter  den  Gesunden  auf 
dem  engen,  staubigen  Hof  herum,  welcher 
die  grosse  Zahl  yon  Kindern  kaum  zu  fas- 
sen yermochte.  Die  gekalkten  Wände  und 
Decken  der  Wohn-  und  Schlafräume  des 
Armenhauses,  in  dessen  unterer  Etage  noch 
der  Schwamm  bestand,  befanden  sich  in 
einem  yollständig  verfallenen  Zustand,  so 
dass  den  Kindern  während  des  Schlafes 
der  Kalk  und  Staub  direct  in  die  Augen 
fiel. 

Meine  erste  Fürsorge  war  auf  eine  abso- 
lute Trennung  der  kranken  von  den  gesun- 
den Kindern  in  verschiedenen  Häusern  ge- 
richtet. Zu  dem  Zweck  wurden  die  Ge- 
sunden aus  dem  Armen-  in  das  Waisenhaus 
übergeführt,  die  Kianken  in  dem  Armenhaus 
intern irt,  welches  zuvor  in  seinem  Inneren 
einigermassen  den  hygienischen  Anforderun- 
gen entsprechend  renovirt  und  gründlich 
desinficirt  wurde.  Leichtere  und  schwere 
Kranke  vnirden  in  besonderen  Zimmern 
untergebracht.  In  Zwischenräumen  von 
8  Tagen  wurde  eine  genaue  Untersuchung 
der  Gesunden  unternommen,  um  eventuell 
inzwischen  Erkrankte  sofort  abzusondern. 
Zur  Wartung  der  Kinder  dienten  3  barm- 
herzige Schwestern. 

Jedes  Kind  erhielt  eine  blaue  Schutz- 
brille, eigenes  Waschzeug  und  ein  besonderes 
Fläschchen  mit  Augenwasser  nebst  Pinsel. 
Die  Wärterinnen  wurden  angewiesen,  mehr- 
mals täglich  die  kranken  Augen  mit  einer 
4  %  Borlösung  auszuwaschen  und  kühlen  zu 
lassen. 

Bei  den  17  Kindern  mit  nur  verein- 
zelten Follikeln  wurden  die  letzteren  ohne 
Narkose  mit  einer  Cowp er' sehen  Scheere 
oberflächlich  abgeknipst,  darnach  wurden 
die  Augen  gekühlt.  Vom  2.  resp.  3.  Tage 
ab  wurde  die  medicamentöse  Therapie  ein- 
geleitet. Herr  College  Sinai  pinselte  täg- 
lich die  obere  und  untere  Uebergangsfalte 
mit  einer  3  °/o  neutralen  Losung  von  Plumb. 
acet.;  darnach  mussten  die  Augen  eine 
Stunde  mit  eiskalter  4  %  Borlosung  gekühlt 
werden.  Die  kalten  Umschläge  wurden 
ausserdem  noch  2 — 3  mal  täglich  gebraucht. 
Unmittelbar  nach  denselben  durften  die 
Kinder  nicht  ins   Freie,    im    Uebrigen    aber 


unter  Aufsicht  und  Schutz massregeln  gegen 
Staub,  Rauch  und  blendendes  Licht  spazieren 
gehen. 

Nach  4  Wochen  konnten  diese  17  Kin- 
der aus  der  Cur  als  gesund  entlassen  und 
ins  Waisenhaus  translocirt  werden. 

Bei  den  übrigen  19  Kindern  wurde  gegen 
die  Granulöse  in  erster  Linie  operativ  vor- 
gegangen. Bei  8  Kindern  excidirte  ich  den 
erkrankten  Abschnitt  der  oberen  Uebergangs- 
falte und  des  Tarsus  nach  der  oben  be- 
schriebenen Methode.  Nach  Ablauf  von 
2 — 3  Wochen,  nachdem  inzwischen  nur  kalte 
Umschläge  mit  Borwasser  gemacht  und  die 
Wunden  fest  vernarbt  waren,  trug  Herr 
College  Sinai  die  erkrankte  untere  Ueber- 
gangsfalte oberflächlich  mit  der  Cowper'- 
schen  Scheere  ab.  In  11  Fällen  genügte 
es  in  Narkose  die  grosseren  Complexe  der 
Follikel  in  der  oberen  und  unteren  Ueber- 
gangsfalte mit  Scheere  und  Pincette  abzu- 
schneiden. Wie  mir  Herr  College  Sinai 
später  mittheilte,  war  die  Epidemie  nach 
3  Monaten  vollständig  erloschen  und  seit 
dem  1.  November  1885,  wie  wiederholte 
Revisionen  der  Kinder  ergaben,  kein  Rück- 
fall und  keine  neue  Erkrankung  an  Con- 
junctivitis follicularis  beobachtet,  jedenfalls 
ein  erfreuliches  Resultat,  wenn  man  be- 
denkt, dass  man  zuvor  in  mehreren  Jahren 
nicht  Herr  der  Krankheit  geworden  war. 

Im  Jahre  1886  war  eine  umfangreiche 
Epidemie  unter  den  Volksschülern  in  Weh- 
lau aufgetreten.  Der  Character  der  Epi- 
demie, die  sich  im  Verlauf  eines  Jahres  zu 
ihrem  Höhepunkt  entwickelt  hatte,  und  ihre 
Ursache  aufzudecken  war  mir  nicht  schwer 
gefallen.  In  dem  neuen,  mit  allem  Comfort 
ausgestatteten,  günstig  gelegenen  Schulge- 
bäude selbst  war  die  Veranlassung  der 
MassenerkrankuDg  an  Conjunctivitis  follicu- 
laris nicht  zu  suchen;  es  musste  in  erster 
Linie  eine  Infectionsquelle  ausserhalb  be- 
standen haben.  Dieselbe  fand  sich  auch 
bei  näheren  Recherchen.  Unter  den  zuerst 
erkrankten  Schülern  befanden  sich  Kinder, 
welche  zuvor  als  mit  einfachem  Katarrh 
behaftet  von  ihrem  Arzt  in  die  Schule  ge- 
schickt waren;  dieselben  litten  aber,  wie 
ich  mich  an  Ort  und  Stelle  überzeugte,  an 
granulöser  Bindehautentzündung.  Ihre  Augen 
waren  durch  eitriges  Secret  verklebt,  die 
Conj.  tarsi  geröthet  und  leicht  geschwollen, 
die  Uebergangsfalte  mit  Follikeln  besetzt. 
Die  Kinder  waren  in  allen  Klassen  Tertheilt 
gewesen.  Ihre  Eltern  litten,  wie  die  Un- 
tersuchung ergab,  seit  langer  Zeit  an  z.  Th. 
bereits  in  das  Schrumpfungsstadium  über- 
gehenden „Granulationen^^  Die  häuslichen 
Verhältnisse  waren  die  denkbar  ärmlichsten. 


rn.  Jahrgang.! 
Juli  1889.     J 


Votslui,  Practiicher  Nutsen  der  operativen  BehandL  der  CoAjunetIvitia  follicularis. 


313 


ungünstigsten  und  unsaubersten.  Zahlreiche 
Familienmitglieder  lebten  in  einem  engen 
Räume  zusammengepfercht  beisammen  und 
benutzten,  wenn  überhaupt,  nur  ein  gemein- 
schaftliches Waschbecken  und  Handtuch. 
Natürlich  waren  diese  Kinder,  welche  mit 
den  Gesunden  in-  und  ausserhalb  der  Schule 
ofb  genug  in  nahen  Verkehr  kamen,  die 
Quelle  der  Infection  von  Mensch  zu  Mensch 
und  die  Urheber  der  ganzen  Epidemie  ge- 
wesen. Sie  waren  unter  den  ersten  der  in 
den  amtlichen  Listen  angeführten  Kranken 
und  in  allen  Schulklassen  vertreten;  es  war 
daher  auch  kein  Wunder,  dass  in  allen 
Klassen  zugleich  mehrere  Kinder  von  der 
Krankheit  befallen  wurden. 

Damals  war  die  Frage  aufgeworfen,  ob 
etwa  der  Mangel  an  Rouleaux  in  den  Schul- 
zimmem  die  Schuld  au  den  Ausbruch  der 
Epidemie  tragen  könne,  eine  Annahme, 
welche  die  Königl.  Regierung  hierselbst  ver- 
trat. Ich  musste  diese  Frage  mit  aller 
Entschiedenheit  verneinen.  Die  Schule  ist 
ganz  neu,  mit  der  Hauptfront  nach  Osten 
resp.  Westen  gerichtet,  von  einem  Corridor 
der  ganzen  Länge  nach  durchzogen;  an  den- 
selben stossen  die  Klassenzimmer.  Der 
Corridor  wird  an  seinem  Nord-  und  Südende 
durch  Fenster  beleuchtet.  Die  Klassen- 
zimmer sind  hoch,  gut  beleuchtet,  wie  man 
es  nur  verlangen  muss,  und  vorzüglich  ven- 
tilirt.  Die  nach  Osten  gelegenen  Zimmer 
wurden  nur  während  des  Vormittags  1  bis 
2  Stunden  von  der  Sonne .  beschienen,  wäh- 
rend sie  in  die  westlichen  Zimmer  erst 
Nachmittags  von  2 — 4  Uhr  schräg  einfiel. 
In  den  östlichen  Zimmern  wurde  die  nörd- 
liche Wand  schräg  beschienen,  während  ihr 
die  Sander  den  Rücken  kehrten,  in  den 
"westlichen  die  seitliche  und  vordere  Wand; 
doch  war  die  Helligkeit  nicht  so  gross,  wie 
ich  mich  persönlich  überzeugte,  dass  da- 
durch eine  üeberblendung  resp.  Ueberreizung 
der  Augen  hätte  eintreten  können.  Jeden- 
falls schien  die  Sonne  in  keinem  Raum  den 
Kindern  direct  auf  das  Schreibe-  oder  Lese- 
buch. Das  Merkwürdigste  war,  dass  sich 
gerade  in  den  Klassen  der  Ostseite,  in  denen 
die  Kinder  der  beschienenen  Wand  den 
Rücken  kehrten,  vor  deren  Fenstern  sich 
femer  noch  Bäume  befanden,  die  das  Licht 
-wesentlich  dämpften,  die  meisten  Augen- 
kranken befanden,  ein  Zeichen  also,  wie 
D^enig  das  Licht  als  Ursache  beschuldigt 
i^erden  kann. 

Diese  Annahme  widerstrebt  andererseits 
auch  vollständig  unseren  bisherigen  Erfah- 
rungen über  derartige  Epidemien.  Nie 
-waren  es  abnorme  helle  Räume^  sondern 
dunkle,    schmutzige,   staubige   und  rauchige, 


mit  Menschen  überfüllte  Gebäude,  wie  Ca- 
sernen,  feuchte  Souterrainwohnungen  etc., 
in  welchen  der  Ausbruch  von  Epidemien 
der  folliculären  Bindehautentzündung  beob- 
achtet und  durch  die  Einwirkung  von 
schlechter  verdorbener  Luft,  von  Staub  und 
Rauch  die  Entwickelung  des  Infection skeims, 
der  unbedingt  vorhandenen,  aber  leider 
immer  noch  nicht  sicher  aufgefundenen  Mi- 
kroorganismen begünstigt  ist.  Oft  genug 
befanden  sich  unter  den  Insassen  Kranke 
mit  granulöser  Bindehauterkrank ung,  welche 
mit  den  Gesunden  gemeinschaftliches  Wasch- 
zeug, womöglich  ein  gemeinschaftliches  Bett 
theilten.  Derartige  ungünstige  Wohnungs- 
verhältnisse lagen  auch  bei  dem  Wehlauer 
Proletariat  vor,  welches  vorwiegend  die 
Volksschule  versorgt. 

Hierin,  in  dem  trotz  der  Erkrankung 
fortgesetzten,  ärztlicherseits  nicht  unbedingt 
untersagten  Schulbesuch,  in  der  Uebertra- 
gung  des  Ansteckungsstoffs  von  Auge  zu 
Auge  haben  wir  die  Ursache  der  Wehlauer 
Epidemie  zu  suchen;  die  helle  Beleuchtung 
konnte  höchstens  den  Zustand  der  bereits 
kranken  Augen  verschlechtert  haben.  Diese 
Möglichkeit  war  aber  für  die  Wehlauer 
Schule  ausgeschlossen,  da  w&hrend  der  hell- 
sten Monate    die   Schule  geschlossen  wurde. 

Als  der  Magistrat  zu  Wehlau  auf  Ver- 
anlassung des  kgl.  Regierungspräsidenten 
hierselbst  strenge  Massregeln  zur  Unter- 
drückung der  Epidemie  ergriff,  waren  von 
300  Schülern  120,  d.  h.  40  Proc.  an  der  Con- 
junctivitis follicularis  erkrankt.  Auf  meinen 
Rath  wurden  folgende  Vorkehrungen  ge- 
troffen: Die  kranken  Kinder  wurden  vom 
Schulbesuch  ausgeschlossen.  Die  Stadt  Weh- 
lau richtete  ein  älteres,  der  Gemeinde  ge- 
höriges, geräumiges  Haus  zu  einem  Lazareth 
ein,  in  welchem  die  Kinder  unter  Aufsicht 
von  drei  barmherzigen  Schwestern  und  unter 
der  ärztlichen  Behandlung  der  Herren  Col- 
legen  Hirsch  und  Marchand  standen.  Zu- 
nächst wurden  die  schwereren  Fälle  zur 
Operation  internirt,  während  die  leichter 
Erkrankten  täglich  in  die  Anstalt  zur  medi- 
camen tosen  Behandlung  der  Augen  kamen. 
Ausserdem  wurde  für  sorgfältige  Lüftung 
und  Desinfection  der  Häuslichkeit  der  Kin- 
der gesorgt.  Die  medicamentöse  Behand- 
lung bestand  in  häufigen  Waschungen  der 
Augen  mit  Bor-  oder.  Sublimatwasser,  in 
Umschlägen  mit  denselben  Lösungen  und 
in  Touchirungen  der  Conjunctiva  mit  1  proc- 
Arg.  nitr.-lösung  oder  einer  neutralen  3 proc. 
Lösung  von  Plumbum  aceticum. 

Nachdem  ich  unter  Assistenz  der  Herren 
GoUegen  Hirsch  und  Marchand  mehrere 
Kinder    operirt    hatte,     führten    die    beiden 

40 


314        Voifius,  Practiioher  Nutcea  der  operativen  Behandl.der  Copjunctivitlt  foUlcularis.       n^!!!tS!h^* 


Herren  Collegen  später  selbständig  die 'ope- 
rative Beliandlung  fort.  Im  Ganzen  wurden, 
so  viel  ich  weiss,  100  Kinder  openrt.  Herr 
College  Hirsch  hatte  selbst  die  Absicht, 
die  Epidemie  genauer  zu  schildern,  ich  will 
ihm  daher  nichit  vorgreifen,  zumal  mir  ge- 
nauere Daten  nicht  bekannt  sind.  Nur  ein 
Ereigniss  will  ich  noch  erwähnen;  dasselbe 
brachte  die  Herren  Collegen  Anfangs  in 
grosse  Verlegenheit.  In  dem  einen  mit  6 
oder  7  Mädchen  belegten  Zimmer  brach  bei 
mehreren  2 — 3  Tage  nach  der  Operation 
Blennorrhoea  Conjunctivae  mit  einer  schweren 
Cornea] affection  aus;  als  Ursache  derselben, 
d.  h.  als  Infectionsquelle,  ergab  sich  bei 
2  Mädchen  eine  eitrige  Vulvovaginitis.  — 
Ende  des  Jahres  1886  war  die  Epidemie, 
so  weit  ich  weiss,  erloschen  und  keine  neue 
Erkrankung  mehr  vorgekommen. 

Im   Jahre    1887   bekam  ich    Gelegenheit 
zur  Bekämpfung   einer  Epidemie   von   folli- 
culärer.  Conjunctivitis  in   2    hiesigen   Volks- 
schulen,  wegen  deren   Bekämpfung  der  kgl. 
Regierungspräsident     hiersei bst     mit    Herrn 
Geheimrath  Jacobson  in  Verbindung  getreten 
war.      Zuerst    zeigte   sich   die  Krankheit  in 
der  3.  Knaben  Volksschule;    die  Lider  waren 
geröthet,   durch    die    Secrete   verklebt,     die 
Bindehäute    hyperämisch,   mit   Follikeln  be- 
säet.     Bald    nach    Beginn    der    Schule,    im 
Herbst  1886  traten  die  ersten  Erkrankungen 
an  der  Bindehautentzündung   auf;   die  Fälle 
vermehrten    sich   dann  stetig,  so  dass  Mitte 
November   208    Kinder,   d.   h.    33  Proc.  als 
augenkrank    in   den   Listen   der   Lehrer    ge- 
führt wurden  und  grösstentheils  vom  Schul- 
besuch  dispensirt  waren.      Die   frühere   Be- 
handlung der  Knaben  war  keine  einheitliche 
gewesen;    dieselbe   wurde   von  den  verschie- 
densten Aerzten  der  Stadt  geleitet,  die  An- 
steckungsföhigkeit     theils     als     feststehend, 
theils    als    zweifelhaft    befunden.      Schwer- 
kranke,   ansteckende   Knaben    waren   in   die 
Schule  gegangen,   andrerseits  solche  mit  ein- 
fachem   Catarrh    dispensirt.       Unter    diesen 
Umständen  veranlasste  der  Herr  Regierungs- 
präsident   im    Monat   November    1886    eine 
Revision    der    ganzen    Schule    durch    Herrn 
Geheimrath  Jacobson.    Bei  derselben  stellte 
sich    heraus,    dass    nur   83   Knaben,    d.    h. 
12,46  Proc.  augenkrank   und  einer  strengen 
Behandlung     bedürftig     waren.       Diese    83 
Kinder  wurden  sofort  vom  Schulbesuch  aus- 
geschlossen,   im    übrigen   wurde   die   Schule 
in  jeder  Woche  einmal  einer  Revision  durch 
Herrn  Geheimrath  Pincus   unterzogen.     Im 
weiteren    Verlauf    der    Beobachtung    kamen 
noch   86   neue   Erkrankungen   vor,    so    dass 
im  Ganzen  169  Kinder,  d.  h.  ca.  25,4  Proc. 
an  foUiculärer  Conjunctivitis  erkrankt  waren. 


Herr  Geheimrath  Jacobson  hatte  die 
kostenfreie  Behandlung  von  Seiten  der  Klinik 
unter  der  Bedingung  übernommen,  dass  der 
Magistrat  die  erforderlichen  Schutzbrillen 
und  Räume  für  die  etwa  einer  Operation 
zu  unterweisenden  Kinder  in  dem  städti- 
schen Krankenhaus  schaffen  sollte.  Mir 
selbst  wurde  die  Behandlung  übertragen; 
bei  derselben  unterstützten  mich  die  Herren 
Practicanten  meines  Augenoperationscursus 
und  die  Herren  Collegen  Ulrich  resp.  So- 
bolewski,  der  letztere  in  seiner  Eigen- 
schaft als  Assistent  der  chirurgischen  Ab- 
theilung des  Krankenhauses.  Das  königliche 
Polizeipräsidium  überwachte  die  regelmässige 
Gestellung  der  Knaben  in  der  Klinik  und 
im  Krankenhaus.  In  letzterem  hatte  Herr 
Director  Meschede  20  Betten  für  die  Kin- 
der eingeräumt.  Wenngleich  im  Anfang 
mit  mancher  Schwierigkeit  von  Seiten  der 
Angehörigen  der  Kinder  zu  kämpfen  war, 
so  legte  sich  der  Widerstand  derselben  gegen 
die  officielle  Behandlung  sehr  bald  Dank 
des  Einschreitens  des  Herrn  Regierungs- 
präsidenten und  des  Herrn  Polizeipräsi- 
denten, so  dass  in  der  Cur  im  Allgemeinen 
keine  Störung  eintrat. 

Anfangs  wurde,  weil  nur  sehr  wenige 
schwere  Fälle  nachweisbar  waren,  bei  sämmt- 
liehen  Kindern  in  der  Poliklinik  der  Ver- 
such gemacht,  durch  tägliche  locale  Be- 
handlung der  Conjunctiva  mit  einer  Iproc. 
Argent.  nitr.-  resp.  neutralen  3  proc.  Losung 
von  Plumb.  acet.  und  nachfolgende  Kühlung 
der  Augen  das  Leiden  zu  bekämpfen.  Als 
indessen  der  Zustand  der  Bindehaut  sich 
bei  der  Mehrzahl  der  Kinder  voraussichtlich 
in  Folge  mangelhafter  Beaufsichtigung  und 
Schonung  im  Eltern  hause  verschlechterte, 
musste  Ende  Januar  1887  mit  der  Inter- 
nirung  und  Operation  der  Patienten  im 
Krankenhaus  begonnen  werden. 

58  Kinder  wurden  operirt.  Die  Ope- 
ration wurde  an  beiden  Augen,  sowohl  an 
den  oberen  wie  an  den  unteren  Lidern  aus- 
geführt. Im  Durchschnitt  erfolgte  die  Ent- 
lassung aus  der  Krankenanstalt  nach  20, 
in  die  Schule  nach  40  Tagen,  bei  manchen 
auch  etwas  später.  Aber  auch  nach  der 
Entlassung  in  die  Schule  mussten  sich  die 
Kinder  noch  einige  Zeit  hindurch  zur  Re- 
vision in  der  Klinik  vorstellen  und  in  der 
Schule  unter  Aufsicht  der  Lehrer  Umschläge 
mit  Borwasser  machen.  Bei  8  Knaben  war 
wegen  einer  Horuhautaffection  ein  längerer 
Aufenthalt  in  dem  Krankenhaus  erforderlich; 
nur  2  Kiuder  behielten  eine  dichte,  das 
Sehvermögen  wenig  störende,  excentrische 
Comealtrübung  zurück.  2  Kinder  hatten 
schon  früher  in  Folge  Scrophulose  eine  Hom- 


HL  Jahrgtakg.l 
Jali  188d.    J 


Vottiut,  Pracüicher  Nutzen  der  operativen  Behandl.  der  CoAjunctivitis  folUeularls.         315 


Hauterkrankung.  In  den  übrigen  Fällen  war 
die  Erkrankung  der  Hornhaut  durch  Unvor- 
sichtigkeit beim  Tupfen  der  ungeübten  Prakti- 
kanten oder  durch  ein  zu  langes  Fadenende 
bewirkt. 

Diejenigen  Knaben,  welche  keiner  Ope- 
ration bedurften,  besuchten  die  Schule, 
machten  selbst  Umschläge  mit  Borwasser 
und  kamen  täglich  zur  localen  Behandlung 
der  Bindehaut  unter  Polizeiaufsicht  nach  der 
Poliklinik.  Ende  Juni  1887  war  diese  Epi- 
demie als  erloschen  zu  betrachten.  Die 
letzten  Kinder  wurden  als  gesund  im  No- 
vember aus  der  Behandlung  und  Beobachtung 
entlassen. 

Fast    zu    gleicher   Zeit  brach   eine  Epi- 
demie der  folliculären  Conjunctivitis   in  der 
IV.  Knabenvolksschule  aus,  welche  in  ihren 
Anfangen   vom   Herrn   CoUegen   Seydel  be- 
obachtet, allmählich  immer  grossere  Dimen- 
sionen annahm.    Während  im  Dezember  1886 
nur    27   Fälle  von  ausgesprochener    follicu- 
lärer   Bindehautentzündung  und    53    leichte 
Bindehautcatarrhe   constatirt  wurden,    waren 
im  April   1887   97  Kinder  mit  Gatarrh  und 
93    mit   Granulöse   behaftet.      Am   14.  Mai, 
als    die    Behandlung  von   der  Klinik    über- 
nommen wurde,   waren  bereits  107  von  1051 
Schülern,   d.  h.    10,18  Proc.  einer   strengen 
Behandlung  bedürftig.     Bei  58  Knaben  war 
eine    Operation     und     die     Intemirung    im 
Krankenhause  nothig.      Die  übrigen   Kinder 
wurden  in  derselben  Weise  wie  die  Knaben 
der  III.  Knabenvolksschule  behandelt.     Vier 
von    den    Operirten    bekamen    eine    leichte 
Hornhauterkrankung;  nur  bei  einem  Patienten 
blieb  eine  intensivere  centrale  Comealtrübung 
zurück,  welche  sich  allmählich  aufhellte  und 
die  Sehkraft  nur  wenig  beeinträchtigte.  Ende 
November  waren  sämmtliche  Kinder  geheilt. 
Eine  Ursache  für  die  Epidemie  Hess  sich 
in  den  neugebauten,  nicht  gerade  überfüllten 
Schulen     nicht    nachweisen;     dieselbe    war 
vielmehr  in  den  schlechten  häuslichen  Ver- 
hältnissen der  Kinder   zu  suchen.     Die  An- 
fönge    der    Krankheit    traten    bei    mehreren 
Knaben   im   Sommer  während   der    Badezeit 
auf,    wie    ich    mehrfach    in    der    Poliklinik 
constatiren  konnte.      Die  Knaben   besuchten 
die    städtische  Freibadeanstalt,    in    welcher 
eine   mangelhafte   Aufsicht  und   nicht   genü- 
gende Reinlichkeit  bestand;   die  Kinder  be- 
nutzten   zum    Abtrocknen    vielfach    gemein- 
schaftliche   Handtücher.      Mehrere    Knaben 
stellten  sich  mit  der  folliculären  Conjuncti- 
vitis bald  nach  der  Aufnahme  der  Bäder  in 
der  Poliklinik  vor.     Von  ihnen  war  offenbar 
die  Krankheit  auf  andere  Kinder  übertragen. 


Bemerkunsren   über  die  therapeutische 
Verwerthungr  der  Hypnose. 

Von 

Dr.  Schuster  in  Aachen. 

Angeregt      durch       die      „Bemerkungen 
Binswanger^s  über  die  Suggestionstherapie^ 
in  dem  2.,  3.  und  4.  Hefte    der    Therapeu- 
tischen   Monatshefte    1889,    die    mit    dem 
Rathe    an    die  Aerzte    schliessen,     „welche 
ihre   Patienten    nach    strenger   Auswahl    der 
Fälle    der    hypnotischen   Behandlung  unter- 
werfen wollen,  dies  nur  im  stillen  Kämmer- 
lein zu  thun,    damit    nicht    der    Arzt    zum 
Stifter  und  Träger  von    psychischen  Volks- 
krankheiten werde",    erlaube  ich  mir  meine 
über    hypnotische    Behandlung    gewonnenen 
Anschauungen  meinen  Herren  Collegen  mit- 
zutheilen.     Ich    schicke    voraus,    dass    seit 
dem  Jahre   1880 — 81 ,    wo    ich   zum  ersten 
Male    die   auf  den  Neuling  verblüffend  wir- 
kenden   Demonstrationen    hypnotischer   Zu- 
stände   an     hystero- epileptischen     Kranken 
in  der  Salpetriere    in  Paris  sah,    ich    diese 
terra    für    mich    bis    dahin    incognita    mit 
steigendem  Interesse  verfolgt  habe.     Da  die 
äusserst   lehrreichen  Vorstellungen  und  Vor- 
lesungen an  der  Charco tischen  Salpetri&re 
in  Bezug  auf  Therapie  im  Allgemeinen,  ins- 
besondere   aber  auf  die  therapeutische  Ver- 
wendung  der  Hypnose  sich  sehr  zurückhal- 
tend   verhalten,     so   hatte   ich  so  lange  die 
Ansicht,    dass  für  den  practischen  Arzt  die 
Hypnose  nur  ein  theoretisches  Interesse  be- 
anspruchen könne,  bis  mich  die  Beruh eim^- 
schen     Veröffentlichungen    aus    Nancy,     im 
Verein    mit    den  Versicherungen    eines    Do- 
centen  der  Psychiatrie,    den    ich    hierselbst 
an  Kniegelenksentzündung  behandelte,    und 
der  mir  über  seine  Erfolge  mit  der  von  ihm 
in  ausgedehnter  Weise  verwandten  Hypnose 
berichtete,  eines  andern  belehrten.     Seitdem 
habe    ich   die  Hypnose  „nach  strenger  Aus- 
wahl  der  Fälle"     therapeutisch     häufig    an- 
gewandt und   glaube  darin   bei  der  Behand- 
lung von    manchen  Krankheitszuständen  ein 
nicht    unwichtiges    Hilfsmittel    gefunden    zu 
haben,    möchte  aber  glauben,     dass,    wenn 
auch  die  Hypnose    in    früheren,  weit  hinter 
uns  liegenden  Jahren  von  Einzelnen  ärztlich 
benutzt  worden   ist,     sie  denn  doch  viel  zu 
neuen  Datums    für  die    gegenwärtigen  deut- 
schen Aerzte  sowohl,  als  wie  für  die  anderer 
Nationen    ist,     als    dass   sie  jetzt   schon  in 
ihrer  therapeutischen  Wirkung  endgiltig  ab- 
geurtheilt  werden  sollte.     Meines  Erachtens 
gilt  es  hier,     zunächst  eine   Menge    genauer 
Beobachtungen  zu  sammeln,  dann  wird  sich 

40» 


316 


Schulter,  Bemerkungen  Qber  die  therapeutiiche  Verwerthung  der  Hypnote.       [M^tlteheft«  ^ 


daraus  ergeben,  in  wie  weit  die  Überschwang- 
lieben  Hoffnungen  der  Einen  und  die  yer- 
achtenden  Abweisungen  der  Anderen  auf 
ihren  wahren  Werth  zurückzuführen  sind. 
Jedenfalls  vermögen  die  letzteren  „die  be- 
ginnende Hoch  flu  th  der  hypnotischen  Be- 
handlung" nicht  zurückzuhalten.  Man  ver- 
gesse nicht,  dass  ein  grosser  Theil  derjeni- 
gen Krankheitserscheinungen,  die  jetzt  dem 
heilenden  Einflüsse  der  Hypnose  empfohlen 
werden,  bis  jetzt  vom  pr actischen  Arzte 
entweder  gar  keiner  Behandlung  unterzogen, 
ja  oft  mit  einem  autoritativen  Schlagworte 
abgewiesen,  oder  aber  in  die  Bäder,  an  die 
Elektrotherapeuten,  die  Kaltwasseranstalten, 
die  Massirer   verwiesen  wurden. 

Man  macht  der  Hypnose  den  Vorwurf, 
dass,  wenn  sie  auch  manches  lindernd  und 
heilend  beeinflussen  könne,  dieses  denn  doch 
sehr  vorübergehend  geschehe.  Aber  wie  sieht 
es  denn  mit  dem  Werthe  der  eben  genannten 
Heilpotenzen  aus?  "Wie  viele  Kranke,  ein- 
mal in  die  Bäder  geschickt,  besuchen  die- 
selben, —  und  die  wirksamsten,  wie  Carlsbad 
u.  a.  erst  recht  nicht  ausgenommen  —  nicht 
jedes  Jahr  wieder?  Und  der  Elektrothera- 
peut,  der  z.  B.  Tabes  oder  auch  weniger 
ernst  erscheinende  nervöse  Störungen  mit 
der  Elektricität  heilen  will,  er  verlangt 
monate-,  ja  jahrelanges  Streichen  und  Pin- 
seln mittelst  der  Elektrode,  und  wie  kläglich 
ist  dennoch  so  gar  häufig  der  elektro thera- 
peutische Erfolg!  Und  wenn  er  über- 
raschend eintritt,  wer  bürgt  dafür,  dass  er 
nicht  Öfter  suggestionirter  Erfolg  ist?  Und 
wie  sieht  es  heutzutage  mit  der  Massage 
aus?  Ursprünglich  gegen  entzündliche 
Schwellungen  oft  erfolgreich  verwandt,  soll 
sie  jetzt  ein  Heer  von  nervösen  und  anderen 
Störungen  der  verschiedensten  Organe  heilen. 
Der  Massirer  sagt  es  noch  mehr  als  der 
Elektrotherapeut,  dass  der  Erfolg  von  der 
ihm  eigenen  Manipulation  abhänge.  Und 
dennoch,  wenn  man  in  den  Zeitungen  liest, 
wie  häuflg  dieselben  höchsten  Herrschaften 
in  die  berühmteste  Knet-  oder  Streich  cur  gehen, 
wo  bleibt  da  der  heilende,  dauernde  "Werth 
und  Erfolg?  Und  wenn  er  bei  den  nicht 
auf  Exsudaten  beruhenden  Störungen  ein- 
tritt, war  er  dann  am  Ende  nicht  gar  die 
Folge  einer  Suggestionstherapie? 

Im  vergangenen  Jahre  traf  ich  im  Amstel- 
hotel  in  Amsterdam  —  dem  damaligen  Cen- 
trum des  berühmten  Massirers  Herrn  Dr. 
Metzger  —  den  mir  bekannten  Grafen  X., 
der  mich  nach  dem  Zweck  meiner  Reise 
befragte.  „Und  was  thun  Sie  hier?"  fragte 
ich.  „Ich  leide  an  träger  Verdauung",  ant- 
w^ortete  er,  „und  lasse  mir  hier  den  Leib 
massiren.     Und   wie    er    geschickt    massirt! 


er  spielt  geradezu  Klavier  mit  seinen  Fingern 
auf  meinem  Magen  —  und  denken  Sie,  jeden 
Tag  anders,  jeden  Tag  eine  andere  Melodie! 
0,  er  hat  eine  wunderbare  Fertigkeit  —  er 
ist  ein  gar  bedeutender  MannI"  „Und  Sie 
fühlen  sich  sehr  wohl  dabei",  fügte  ich  be- 
stätigend hinzu,  „denn  Sie  sehen  vorzüglich 
aus."  „0  ich  bin  fast  hergestellt,  wie  neu- 
geboren!" Das  war  die  wörtliche  Unter- 
haltung! "Wie  wirkte  in  diesem  Falle  die 
sogenannte  Massage  anders,  als  durch  den 
suggestiven  Einfluss  der  massirenden,  bedeu- 
tenden Persönlichkeit,  verbunden  mit  der 
vielleicht  hypnotisirenden  Einwirkung  der 
streichenden  oder  spielenden  Finger?  Und 
dennoch  hat  die  Massage  ihr  medicinisches, 
ausgedehntes  Bürgerrecht  bis  jetzt  nicht  ein- 
gebüsst,  und  dennoch  droht  das  Massirtw er- 
den zur  Volksleidenschaft  zu  werden. 

Und  wie  sieht  es  mit  den  hochgeschätz- 
ten medicamen tosen  Heilmitteln  aus?  "Wir 
gebrauchen  Morph  iuminjectionen,  um  Schmerz- 
anfälle vorübergehend  zu  lindern,  wir  Hessen 
sie  jahrelang  nur  mit  dem  Glauben  ihrer 
vorübergehenden  Linderung  von  den  Patienten 
an  sich  selbst  ausüben  und  dachten  nicht 
daran,  welches  Unheil  wir  anrichteten,  sowohl 
an  den  morphioman  gewordenen,  als  an  deren 
Familien,  dass  wir  auf  dem  "Wege  waren, 
die  Morphiumsucht  zu  einer  Gesellschafts- 
krankheit, die  Morphiuminjectionen  zu  einer 
Pandemie  zu  machen.  "Wir  wandten  das 
Jodoform,  die  Sublim  atbespülun  gen  auf 
Wunden  an  im  guten  Glauben  und  kamen 
erst  später  zu  der  Erkenntniss,  dass  wir 
Kranke  damit  wahnsinnig  gemacht,  ja  ge- 
tödtet  hatten.  Haben  wir  diese  Unheil  in 
sich  bergenden  neu  empfohlenen  Mittel  nicht 
von  Anfang  an  als  Heilmittel  mit  offenen 
Armen  aufgenommen  und  ihren  durch  die 
traurigen  Misserfolge  geläuterten  Gebrauch 
nicht  dennoch  beibehalten?  "Wir  behandeln 
Krankheiten  mit  Quecksilbercuren,  die  unter 
Umständen  lebensgeflihrlich  werden  können, 
und  dennoch  sagen  wir  uns  nur  zu  häufig, 
dass  wir  solche  Curen  wiederholt  bei  den- 
selben Kranken  anwenden  müssen.  Der 
vorübergehende  Erfolg  beeinträchtigt  dem- 
nach den  "Werth  eines  Heilmittels  nicht! 
An  vielen  anderen  Beispielen  lässt  sich  der- 
selbe Nachweis  führen,  dass  wir  bei  den- 
selben sich  wiederholenden  Klagen  mit  un- 
serm  medicamentösen  Heilschatz  immer 
wieder  aufs  neue  kommen  müssen,  ohne 
dass  wir  denselben  darum  unterschätzen 
oder  gar  verachten.  Nun!  ich  meine,  wenn 
die  Suggestionstherapie  einigen  therapeuti- 
schen "Werth  hat,  wenn  auch,  wie  es  scheint, 
für  einzelne  functionelle  Nervenstörungen 
hereditärer  Art  nur    vorübergehenden,     wir 


ni.  Jahrgang.! 
Jall  1889.    J 


Schuster,  Bemerkungen  über  die  therapeutische  Verwertbung  der  Hsrpnose. 


317 


ihr  dann  dieselbe  Beachtung  schenken  müssen, 
wie  den  vielen  anderen  Heilmitteln  und 
Methoden.  Wie  häufig  ist  nur  eine  Summe 
verschiedener  zusammenwirkender  Heilmetho- 
den im  Stande,  Krankheiten  und  Krank- 
heitsanlagen zu  besiegen,  wie  freut  der 
practische  Arzt  sich  über  jedes  neue  Hilfs- 
mittel, das  er  mit  verwenden  kann  zu  seinem 
oft  schwierigen  Heilzwecke.  Der  Arzt  hat 
eben  die  etwa  schädlichen  Wirkungen  eines 
Heilverfahrens  zu  vermeiden;  er  wird  sich 
vor  dessen  Missbrauch  hüten,  wenn  er  nicht 
seine  ärztliche  Existenz  preisgeben  will. 
Schliesslich  wird  jede  gesittete  Existenz, 
welchem  Berufe  sie  auch  vorstehe,  vor  dessen 
missbräuchlicher  Anwendung  sich  in  Acht 
nehmen.  Und  so  wird  es  sich  auch  mit  der 
Hypnose  als  Hilfsheilmittel  verhalten,  wenn 
sie  als  solches  den  Aerzten  zugängig  ge- 
worden ist.  Ebensowenig  wie  wir  das 
Morphium,  den  Mercur  und  andere  Mittel 
missbräuchlich  anzuwenden  uns  bestreben, 
oder  trotz  ihrer  oft  missbräuchlichen  Ver- 
wendung verwerfen,  ebensowenig  werden  wir 
dieses  mit  anderen  Heilverfahren  thun  dür- 
fen. Und  wenn  die  Suggestionstherapie  im 
Stande  ist,  Kjrankheitssymptome  und  -Zu- 
stände in  einfacher  Weise  heilen  zu  helfen, 
die  bis  dahin  nicht  oder  nur  mittelst  ein- 
greifender Curverfahren  zu  heilen  versucht 
wurden  —  nun,  dann  wird  sie  bleibenden 
Werth  in  der  Medicin  behalten,  wo  sie  bis 
jetzt  bettelnd  abgewiesen  wird.  Es  handelt 
sich  nicht  so  sehr  um  die  Frage,  „vermag 
die  Hypnose  für  sich  allein  Krankheitszu- 
stände  zu  heilen  ^\  als  vielmehr  darum,  ob 
sie  als  eines  der  vielen  Hilfsmittel  zu  er- 
achten ist,  die  wir  zur  Erzielung  von  Heil- 
zuständen benutzen  können? 

Die  Berechtigung  der  Hypnose  als  eines 
therapeutischen  Agens  lässt  sich  wohl  am  be- 
sten darthun  durch  Erwähnung  von  genauen 
Beobachtungen,  die  dann  um  so  mehr  Werth 
erhalten,  wenn  ähnliche  von  anderen  Seiten 
gemacht  worden  sind.  Ich  erlaube  mir, 
hier  einige  wenige  von  vielen  anzuführen, 
i^erde  mich  auf  die  angewendete  Methode 
der  Hypnose  nicht  einlassen,  darüber  geben 
die  verschiedenen  Bücher  über  Hypnotismus 
Aufschluss;  bemerke  nur,  dass  ich  die  durch 
Siuneseindrücke  oder  die  durch  Suggestion 
hervorgerufene  Hypnose  für  einen  und  den- 
selben Zustand  ansehe.  Noch  weniger  kann 
ich  auf  die  Erklärung  der  Hypnose  ein- 
gehen. Ich  erlaube  mir  nur  daran  zu  er- 
innern, dass  auch  im  wirklichen  Schlafe 
Geistescentren  für  den  Schlafenden  thätig 
sind;  mögen  es  die  subcorticalen  sein.  Der 
Telegraphist,  der  vor  seinen  fortwährend 
Icnatternden  Apparaten  nachts  in  Schlummer 


verfällt,  wacht  sofort  auf,  sowie  das  Signal 
seines  Ortes  erknattert  und  ist  auch  sofort 
bei  der  Antwort.  Der  Müller,  den  das 
Klappern  seiner  Mühle  im  festen  Schlafe 
nicht  stört,  erwacht  sofort,  wenn  plötzlich 
das  Klappern  der  Mühle  aufhört  u.  s.  w. 
Dann  sind  auch  die  den  vegetativen  Vor- 
gängen, die  dem  organischen  Muskelfaser- 
system und  anderen  Organen  vorstehenden 
Centren  im  Schlafe  in  Thätigkeit.  Man 
nehme  nun  an,  diese  unbewusst  thätigen 
Nervencentren  seien,  ganz  abgesehen  von 
organischen  Störungen,  in  eine  von  der  Norm 
abweichende  Thätigkeit  getreten,  und  man 
könnte  im  hypnotischen  Zustande  und  wohl 
auch  im  wachen  kräftigend,  regulirend  und 
zu  grösserer  Thätigkeit  anregend  auf  sie 
einwirken,  so  wäre  damit  die  Regelung  der 
von  ihnen  abhängigen  Functionen  wohl  ver- 
ständlich. 

Im  vorigen  Frühjahre  wurde  ich  von  einer 
Dame,  die  seit  4  Jahren  verheirathet  ist,  wegen 
ihrer  Amenorrhoe  consultirt.  Vor  ihrer  Verhei- 
ralhang  sei  die  Periode  regelmässig,  wenn  auch 
nicht  stark  aufgetreten,  seit  ihrer  Yerheirathung 
aber  zeige  sie  sich  sozusagen  gar  nicht  mehr,  sie 
bleibe  4,  ja  7  nnd  mehr  Monate  aus,  und  wenn 
sie  sich  dann  zeige,  sei  sie  kaum  einen  Tag  spär- 
lich vorhanden.  Anfangs  habe  sie  geglaubt,  in 
Hoffnung  zu  sein,  um  so  mehr,  als  sich  morgend- 
liches Erbrechen  einstellte.  Aber  das  stelle  sich 
bis  heute  regelmässig  jeden  Morgen  beim  Aufstehen 
ein.  Durch  die  Untersuchung  konnte  ich  keine 
Deviatio  uteri,  dagegen  ein  sehr  enges  Orificium 
uteri  constatiren.  Ich  riet  ihr  zu  einer  Consultation 
bei  einem  Professor  der  Gynäkologie,  an  den  sie 
sich  auch  wandte.  Dieser  schlug  ihr  die  unblutige 
Erweiterung  des  Cervicalcanales  vor.  Sie  consul- 
tirto  aber  auch  noch  einen  bewährten,  sich  mit 
Gynäkologie  beschäftigenden  Chirurgen,  der  nur 
von  der  blutigen  Erweiterung  nach  ihrem  Berichte 
eine  Heilung  von  der  Amenorrhoe  erwartete.  Man 
ging  auf  keinen  dieser  Vorschläge  ein.  Im  Spät- 
herbst klagte  mir  Patientin  über  trübe  Gemüths- 
stimmung  trotz  zunehmender  Corpulenz  und  meinte, 
beides,  auch  das  noch  fortbestehende  morgendliche 
Erbrechen,  käme  von  dem  Ausbleiben  der  Periode. 
Zu  einem  operativen  Verfahren  möchte  ihr  Mann 
nur  ungern  seine  Zustimmung  geben.  In  der  Er- 
wägung, dass  die  Amenorrhoe  vielleicht  auf  einem 
krampfartigen  Zustande  der  organischen  Muskel- 
fasern des  Genital,  tractus,  sowie  seiner  Blutgefässe, 
ausgehend  von  einem  Verstimmungszustande  im 
Nervensysteme,  beruhen  könne,  schlug  ich  ihr  die 
Hypnose  als  ein  an  und  für  sich  unschädliches 
Verfahren  vor,  das,  wenn  meine  Voraussetzung  zu- 
treffe, wohl  erfolgreich  sein  könne;  wenn  nicht,  so 
bliebe  ja  eines  der  früher  vorgeschlagenen  Ver- 
fahren. Es  gelang  leicht,  die  Kranke  zu  hypnoti- 
siren;  die  Suggestion  gipfelte  darin,  dass  das 
morgendliche  Erbrechen  aufhören,  die  Periode  genau 
am  bestimmten  Tage  —  das  war  um  den  16.  bis 
18.  des  Monates  —  und  zwar  reichlich  während 
3  Tage  ohne  Beschwerden  eintreten  würde.   Gleich- 


318 


Schuster,  Bemerkungen  Qber  die  therapeutische  Verwerthung  der  Hypnose. 


rlierapcuttsche 
Monatüheft«. 


zeitig  wurde  ihr  eine  ihrer  Constitution  angepasste 
Lebensweise  anbefohlen.  Sie  wurde  Anfangs  täg- 
lich, dann  alle  2  Tage  —  im  Ganzen  12  Mal  —  bis 
zur  Gesichtsanaesthesie  hjpnotisirt.  Das  nächste 
Resultat  war  das  sofortige  Wegbleiben  der  morgend- 
lichen Brechanfälle.  Ich  war  nun  gespannt  auf  die 
Zeit,  wo  die  Periode  eintreten  müsste.  Genau  an 
dem  angegebenen  Tage  trat  eine  starke,  3  Tage 
dauernde  Periode  ein  und  hat  sich  gerade  vor 
2  Tagen  zum  vierten  Male  genau  um  die  erwartete  Zeit 
wiederholt.  Dabei  ist  das  Allgemeinbefinden  unter 
einer  fortgesetzten,  massig  entfettenden  Lebens- 
weise ein  vorzügliches,  die  Gemüthsstimmung  eine 
glückliche  geworden.  Ich  bemerke  noch,  dass 
während  meiner  mehrwöchentlichen  Abwesenheit 
von  hier  ich  die  Patientin  täglich  die  Autohypnose 
machen  liess,  ohne  dass  auch  nur  einmal  ein  Nach- 
theil geschehen  wäre,  und  dass  sie  in  den  letzten 
2  Monaten  nicht  mehr  behandelt  wird.  Ihr  Mann 
sagte  mir  neulich,  er  habe  kein  Vertrauen  zu  dem 
Verfahren  gehabt  und  finde  das  Resultat  gar  merk- 
würdig. Ich  erwiderte  ihm,  wir  müssten  auch 
medicamentöse  günstige  Einwirkungen  merkwürdig 
finden,  weil  wir  sie  oft  nicht  erklären  können;  wir 
thun  es  nur  nicht,  weil  wir  uns  an  die  günstige 
Einwirkung  gewöhnt  hätten.  Das  Wiederauftreten 
der  Periode  bei  Amenorrhoischen  durch  Einwirkung 
mittelst  Hypnose  sei  ausserdem  bereits  von  ver- 
schiedenen Seiten  beobachtet.  "^ 

Ich  kann  hinzufügen,  dass  Li^bault 
mir  gegenüber  diese  Wirkung  als  wiederholt 
von  ihm  constatirt  sehr  hervorhob,  und  wer 
Gelegenheit  hatte,  den  guten,  schlichteD, 
ergrauten  kleinen  Herrn  in  seiner  beschei- 
denen Wohnung  in  der  Rue  bleue  zu  spre- 
chen, wird  mir  beistimmen,  dass  aus  seinem 
Munde  nur  die  einfache  Wahrheit  zu  sprechen 
sich  bemüht,  die  eine  grosse  Erfahrung  zur 
Unterlage  hat. 

In  meiner  Praxis  als  Syphilidologe  muss 
ich  die  Hypnose  als  wichtiges  Hilfsmittel 
für  die  Beseitigung  mancher  mit  der  Syphilis 
zusammenhängenden  Gemüths  Veränderungen 
ansehen.  Es  stellen  sich  mir  häufig  Kranke 
vor,  die  man  Syphilophoben  nennt,  und  die 
man  gewohnt  ist,  mit  dem  Ausspruche,  „es 
fehle  ihnen  nichts",  wieder  zu  entlassen; 
oder  man  schickt  sie  in  Kaltwasser  an  stalten, 
oder  man  thut  ihnen  den  Gefallen  und 
unterwirft  sie  nochmals  einer  Quecksilbercur 
—  aber  diese  Unglücklichen  werden  damit 
das  Gespenst  der  Syphilisfurcht  nicht  los. 
Letztere  besteht  bei  solchen,  die  noch  un- 
bedeutende syphilitische  Reste  haben,  oder 
aber  syphilisfrei  sind.  Meist  sind  es  schon 
hereditär  neuropathisch  angelegte  Naturen. 
Jedes  kleinste  Fleckchen,  jede  geringste  Ab- 
weichung vom  Normalen  macht  sie  erzittern. 
Nicht  wenige  derselben  verfallen  dem  Selbst- 
morde; ich  glaube,  dass,  wenn  man  in  einer 
Statistik  der  Selbstmorde  die  Syphilophobie 
als  ihre  Ursache  genauer  verfolgen  würde, 
80  ergäbe  sich  eine  grosse,  hieraus  entsprin- 


gende Anzahl.  Für  diese  Kranken  halte 
ich  die  Suggestionstherapie  für  berechtigt 
und  zwar  als  höchst  dankbaren  mithelfenden, 
vielleicht  rettenden  Factor  in  der  Behand- 
lung. Aus  verschiedenen  Fällen  erwähne 
ich  folgenden: 

Ein  Patient,  Familienvater,  im  rüstigen  Mannes- 
alter, hält  sich  für  syphiliskrank.  Schlaflosigkeit, 
eingenommener  Kopf,  Appetitmangel,  aufgeblähter 
Leib,  zögernder  Stuhl  und  zudem  noch  Kakosmia 
subjectiva  sind  seine  Klagen.  Die  eine  Nasenhöhle 
ist  weiter  als  die  andere  in  Folge  Verschiebung 
der  Scheidewand,  im  üebrigen  aber  sind  beide  ge- 
sund. Patient  hat  einen  bekannten  Psychiater 
darüber  consultirt,  ob  er  nicht  geisteskrank  sei. 
Da  ich  eine  organische  Erkrankung  seitens  der 
Centralnervenorgane  au sschli essen,  auch  eine  etwa 
noch  bestehende  Syphilis  als  sehr  zweifelhaft  an- 
sehen musste,  habe  ich  ihn  am  zweiten  Tage  seines 
Hierseins  in  Hypnose  versetzt.  Seitdem  ist  der 
üble  subjcctive  Geruch  verschwunden,  der  Schlaf 
wieder  gekommen.  Mehrmalige  Hypnose  beseitigte 
kleine  Rückfälle  des  traurigen  Gemüthszustandes. 
Ich  versäumte  dann  die  Suggestion  im  wachen  Zu- 
stande nicht  und  liess  ihn,'  weil  im  vergangenen 
Jahre  der  Syphilis  wahrscheinlich  angehörende 
Drüsenschwcllungen  einer  Inunctionscur  gewichen 
waren,  eine  milde  Inunctionscur  machen  und  konnte 
den  Patienten  in  froher  Stimmung  seiner  Familie 
zuschicken. 

Aber  wird  dieses  Resultat  auch  von 
Dauer  bleiben?  Diese  Frage  beeinträchtigt 
die  günstige  Einwirkung  der  Hypnose  eben- 
sowenig, wie  ein  Syphilisrecidiv  die  des 
Mercurs  oder  des  Jods  beeinträchtigt. 

Ich  bemerke  noch,  dass  ich  zur  erfolg- 
reichen Behandlung  solcher  Kranken  es  für 
nöthig  erachte,  sie  einer  Anstaltsbehandlung 
zu  unterziehen,  wo  sie  überwacht  sind,  und 
die  die  Berührung  mit  den  vielen  hier  am 
Platze  ambulant  behandelten  specifischen 
Kranken  und  deren  oft  nachtheilige  Ein- 
wirkung, sowie  diejenige  des  für  die  Kranken 
in  unnützester  Weise  interessirt  sich  ge- 
berdenden Publikums  möglichst  einschränkt. 
Dieses  ist  einer  der  wesentlichen  Gründe, 
warum  ich  die  ärztliche  Leitung  des  auf 
Burtscheider  Gebiet  gelegenen  Schlossbades 
als  Heilanstalt  für  chronisch  Erkrankte  über- 
nommen habe,  wo  allein  meine  eigenen 
ärztlichen  Bestimmungen  ihren  Ausdruck 
finden  und,  wie  mir  scheint,  zum  bcsondem 
Nutzen  nervös  belasteter  Kranken. 

Schliesslich  gebe  ich  kurz  die,  wie  ich 
glaube,  grosse  Wichtigkeit  der  hypnotischen 
Einwirkung  als  Mithilfe  bei  der  Behandlung 
eines  Morphiumsüchtigen  an. 

Letzterer,  vor  mehr  als  20  Jahren  inficirt, 
wurde  in  Folge  einer  einige  Jahre  darauf  einge- 
tretenen Ischias  durch  den  behandelnden  Arzt  ver- 
anlasst, sich  selber  Morphiuminjectionen  zu  machen. 
Seitdem  ist   er   Morphiomane.     Er  hat  sechs  Ent- 


m.  Jahrgang.! 
Juli  1889.    J 


Schütter,  Bemerkungen  Ober  die  tfaerapeutliche  Verwertfaung  der  Hypnose. 


319 


ziehungscaren  in  bekannten  Heilanstalten  für  Mor- 
phiumsüchtige gemacht,  \vurde  jedesmal  als  vom 
Morphium  befreit  entlassen,  war  aber  jedesmal 
nach  4  bis  6  Wochen  —  wie  das  meistens  bei  den 
Morphiomanen  der  Fall  ist  —  wenigstens  bei 
denen,  die  ich  kennen  gelernt  habe  —  wieder  dem 
Morpbinmmissbrauch  Terfallen.  Er  ist  nur  fähig 
zu  essen,  oder  im  Hause  sich  herum  zu  bewegen, 
oder  einen  Brief  noch  eben  zu  unterzeichnen,  selt^en 
zu  schreiben,  wenn  er  morphinisirt  ist.  Ich  con- 
statirte  bei  dem  kräftig  gebauten  aber  hinfälligen 
und  abgemagerten  Patienten  den  Verlust  des  Knie- 
reflexes an  der  früher  von  Ischias  befallenen  Ex- 
tremität, an  der  Oberfläche  der  Leber  einen  resi- 
stenten, zuweilen  stark  schmerzhaften  Punkt.  Ich 
hatte  bereits  früher  die  leichte  Hypnosefähigkeit 
bei  Morphiumsüchtigen  wiederholt  constatiren  kön- 
nen. Patient,  der  den  Willen  kund  gab,  sich  jedem 
Cunrerfahren  zur  Befreiung  vom  Morphium  zu 
unterziehen,  ging  auf  die  Isoltrung  und  die  hyp- 
notische Behandlung  ein.  Unter  deren  Mithilfe 
gelang  es,  ihn  über  die  vielen  mit  der  Entziehung 
verbundenen  Zufälle  yerhältuissmässig  leicht  zu 
bringen,  namentlich  auch,  als  Sulfonal  nicht  schlaf- 
machend wirkte,  ihn  von  dem  missbräuchlichen 
Ghloralgebranch  zu  befreien,  weil  allmählich  durch 
die  spät  abends  vorgenommene  Hypnose  ein  guter, 
zuweilen  allerdiogs  durch  starke  Diurese  unter- 
brochener Schlaf  erzielt  wurde.  Innerhalb  fünf 
Wochen  war  er  morphiumfrei.  Ich  bemerkte  ihm, 
dass  er  auch,  wenn  er  in  seine  Heimath  entlassen 
würde,  sich  meines  Einflusses  nicht  entziehen 
dürfe  und  mir  wöchentlich  berichten  müsse.  Dies 
geschiebt  bis  heute.  Einmal,  als  er  unter  Gähn- 
anfällen Morphiumlust  verspürte,  liess  ich  ihn 
hierher  kommen  und  die  Autohypnose  machen,  die 
er  auch  zu  Hause  vornehmen  solle.  Die  Anfälle 
verschwanden,  und  er  blieb  morphinmfrei.  Es  sind 
nun  10  Monate  vergangen,  und  er  ist  gesund  und 
arbeitsfähig  geblieben. 

YergaDgeneD  December  besuchte  ich  ihn. 
Er  wohnt  in  einer  Universitätsstadt.  Der 
Kliniker,  der  ihn  mir  zugeschickt  und  sich 
der  Hypnose  gegenüber  ablehnend  verhalten 
hatte,  forderte  mich  auf,  mit  Rücksicht  auf 
das  auch  ihm  bedeutsame  Heilresultat  des 
frühem  elenden  Kranken  und  jetzigen  kräf- 
tigen, muntern  Mannes,  nachmittags  auf 
seine  Klinik  zu  kommen  und  ihm  mein 
Hypnose  verfahren  in  Gegenv^art  seiner  Assi- 
stenten zu  zeigen.  Ich  kam  seinem  Wunsche 
wenn  auch  mit  der  Bemerkung  nach,  dass 
ich  nicht  wisse,  ob  es  mir  gelingen  würde. 
Es  war  gerade  ein  älterer  Kranker  mit  den 
ausgesprochenen  Symptomen  der  multiplen 
Sklerose  hereingebracht  worden.  Die  Ex- 
tremitäten, der  Leib  waren  rigide,  das 
Führen  des  halbgefüllten  Glases  konnte  nur 
imter  sich  steigerndem  Schütteln  und  Ver- 
schütten des  Wassers  bis  an  den  Mund  ge- 
bracht werden.  Die  Hypnose  gelang  vollstän- 
dig. Die  Zuckungen  der  Extremitäten  wurden 
zusehends  ruhiger,  der  Herr  Professor  musste 
laut    zugestehen,     dass    die    Rigidität    des 


Abdomens  nachgelassen  habe.  Ich  forderte 
den  Hypnotisirten  auf,  das  halbgefüllte  Glas 
an  den  Mund  zu  führen  und  zu  trinken. 
Er  vermochte,  ohne  etwas  zu  verschütten, 
zu  trinken.  Der  Herr  Professor,  einer  der 
bewährtesten  Kliniker,  gab  zu,  dass,  wenn 
auch  von  einer  Heilwirkung  der  Hypnose 
bei  dem  an  einer  organischen  Erkrankung 
des  Centrain ervensystems  Erkrankten  die 
Rede  nicht  sein  könne,  sie  aber  auch  jetzt  für 
ihn  der  Beachtung  werth  geworden  sei.  Er 
forderte  mich  auf,  meine  Erfahrungen  zu 
verofiPentlichen,  weil  er  glauben  müsse,  dass 
die  Hypnose  für  die  Behandlung  Morphium- 
süchtiger, deren  Zahl  in  der  bessern  Gesell- 
schaftsklasse Legion  sei,  ein  bedeutsames 
Hilfsmittel  bei  ihrer  Behandlung  werden 
könne. 

Indem  ich  mich  der  weiteren  Aufzählung 
von  Krankengeschichten  —  und  es  stehen 
mir  deren  eine  Reihe  ermunternder  zu  Ge- 
bote, darunter  auch  die  eines  mit  Ekthyma 
specificum  behafteten  Potators  —  enthalte, 
glaube  ich  hervorheben  zu  müssen,  dass  ich 
bis  jetzt  bei  den  der  Hypnose  unterworfenen 
Kranken  keinen  Nachtheil  gesehen  habe. 
Morphiumsüchtige  bedürfen  der  genauen 
Ueberwachung,  und  sind  für  solche  in  dem 
Ton  mir  geleiteten  Schlossbade  die  hiezu 
erforderlichen  Vorkehrungen  getroffen.  Ich 
hüte  mich,  bei  solchen  Kranken,  die  ich 
nach  genauer  Prüfung  auf  den  etwaigen  Erfolg 
durch  Hypnose  der  Mithilfe  letzterer  unter- 
worfen habe,  zu  experimentiren.  Das  mag 
den  Kliniken  überlassen  bleiben.  Auch  finde 
ich  es  als  selbstverständlich,  anderen  etwaigen 
therapeutischen  Indicationen  möglichst  ge- 
recht zu  werden.  Ich  theile  nicht  die  Furcht, 
dass  die  Hypnose  seitens  der  Aerzte  zu 
einer  Ursache  psychischer  Volkskrankheiten 
gemacht  werden  könnte.  Man  wird  eben, 
ist  einmal  der  Hypnose  ein  therapeutischer 
Werth  beizulegen,  zu  bestimmen  lernen 
müssen,  in  welchen  Fällen  derselbe  erfolg- 
reich zum  Ausdruck  zu  bringen  ist,  und 
dazu  muss  meines  Erachtens,  wie  eingangs 
bereits  erwähnt,  die  Sammlung  von  genauen 
Beobachtungen  und  Erfahrungen  die  nöthige 
Grundlage  schaffen.  Werden  dieselben  ohne 
Voreingenommenheit  beurtheilt,  so  wird 
sich  herausstellen,  was  Spreu  und  was 
Weizen   ist. 


320        Pinner  y  Zur  Frage  von  der  Resorption  det  Quecksilbers  im  thieiischen  Organismus.        iMvÜ^itahAfte* 


L  Monatshefte. 


Zur  Frage  von  der  Resorption  des 
Quecksilbers  im  thierischen  Org^anisiniis. 

Von 

Dr.  Pinner,  pract.  Arzt  in  Zittau  i.  S. 

Die  wunderbare  und  bisher  so  wenig  er- 
gründete Wirkung  des  Quecksilbers  auf  die 
Rückbildung  derjenigen  entzündlichen  Pro- 
ducte,  welche  unter  dem  Einflüsse  des  syphi- 
litischen Virus  im  menschlichen  Körper  ge- 
bildet werden,  verleiht  diesem  Metalle  als 
sogen.  Specificum  einen  therapeutischen  Werth, 
der  es  wohl  begreiflich  erscheinen  lässt,  dass 
sich  ernste  und  gewissenhafte  Forscher  fort- 
während bemühten,  die  bis  auf  den  heutigen 
Tag  noch  unergründete  Frage  zu  beant- 
worten, auf  welche  Weise  das  in  der  grauen 
Salbe  enthaltene  und  durch  die  Inunction 
Ton  der  Haut  resorbirte  Quecksilber  in  den 
Kreislauf  gelange. 

Denn  erst  mit  der  Losung  dieser  Frage 
haben  wir  eine  Basis  gewonnen,  auf  welcher 
wir  die  specifische  Wirkung  dieses  Metalles 
gegen  die  Symptome  der  Syphilis  weiter  stu- 
diren  können.  Ob  dasselbe  eine  directe  Wir- 
kung gegen  die  Syphilis  selbst  zu  entfalten 
vermag,  wird  bei  dem  gegenwärtigen  Stande 
der  Frage  nach  der  Aetiologie  der  Syphilis 
kaum  beantwortet  werden  können.  Aber 
die  unter  dem  Einflüsse  des  syphilitischen 
Yirus  entstehenden  krankhaften  Processe 
sehen  wir  unter  der  Wirkung  dieses  Mittels 
zur  Heilung  gelangen,  ausgenommen  die 
glücklicherweise  seltenen  Fälle,  bei  welchen 
die  Quecksilberaräparate,  in  welcher  Form  sie 
auch  zur  Anwendung  gelangen  mögen,  ihre 
Wirkung  versagen,  oder  wo  sie  sich  nach 
klinischen  Erfahrungen  wegen  bestehender 
dyskrasischer  Erkrankung  als  contraindicirt 
erwiesen  haben. 

Da  nun  die  Inunctionsmethode  als  soge- 
nannte Schmiercur  trotz  der  in  neuerer  Zeit 
in  die  Therapie  eingeführten  Injectionsme- 
thode  immer  noch  als  die  wirksamste  und 
in  der  Praxis  am  meisten  verbreitete  anti- 
syphilitische Behandlungsweise  gelten  muss, 
so  begann  ich  auf  Rath  des  Herrn  Prof. 
Liebreich  und  mit  gütiger  Unterstützung 
des  Herrn  Dr.  A.  Langgaard  einige  Ex- 
perimente darüber  anzustellen,  ob  überhaupt 
und  auf  welchen  anatomisch  festzustellenden 
Wegen  eine  Resorption  des  Quecksilbers 
durch  die  Haut  stattfinde.  Zu  diesem 
Zwecke  wurde  ein  auf  dem  Rücken  kurz 
geschorenes  Kaninchen  innerhalb  vier  Tagen 
3  mal  mit  je  1  g  der  gewöhnlichen  grauen 
Salbe  in  vorschriftsmässiger  Weise  10 — 15 
Minuten    lang   eingerieben.     Die   betreffende 


Stelle  wurde  hierauf  mit  Gaze  bedeckt,  hier- 
über legte  ich  eine  Schicht  Guttapercha- 
papier und  befestigte  dasselbe  durch  einen 
hinlänglich  breiten  Streifen  des  vorzüglich 
klebenden  amerikanischen  Heftpflasters  so 
vollständig,  dass  mit  absoluter  Sicherheit 
ein  Verdunsten  des  Quecksilbers  von  der 
Haut  ausgeschlossen  werden  konnte. 

Da  bekanntlich  in  jedem  Raum,  in  wel- 
chem mit  diesem  Metalle  manipulirt  wird, 
dasselbe  als  Quecksilberdampf  in  der  Luft 
befindlich  ist,  so  brachte  ich  das  Thier  jedes- 
mal nach  beendeter  Inunction  in  einen  an- 
deren Raum,  um  dadurch  dem  Einwurfe  zu 
entgehen,  dass  die  während  der  Einreibung 
verdampften  Mengen  Quecksilber  später  von 
dem  Thiere  mit  der  eingeathmeten  Luft  re- 
sorbirt  worden  seien. 

Zur  Einreibung  wurden  also  3  g  Salbe 
verbraucht,  mithin  der  officinellen  Zusammen- 
setzung des  Präparates  gemäss  1  g  Quecksilber 
innerhalb  4  Tagen.  Salivation  trat  nicht 
ein,  auch  blieb  das  Zahnfleisch  völlig  intact. 
Das  Thier  starb  32  Tage  nach  der  letzten 
Inunction,  und  bis  zu  diesem  Tage  konnte 
ich  bereits  24  Stunden  nach  der  ersten 
Inunction  in  den  mit  Salzsäure  und  chlor- 
saurem Kali  behandelten  Faeces  deutlich  das 
Quecksilber  nachweisen. 

Der  Harn  zeigte  bereits  24  Stunden 
nach  der  ersten  Inunction  vermittelst  der 
von  Fürbringer  modificirten  Ludwig^ sehen 
Methode  eine  Quecksilber-Reaction.  Die- 
selbe wurde  am  25.  Tage  undeutlich,  trat 
aber  am  27.  Tage  wieder  ein  und  Hess  sich 
von  da  ab  wieder  in  jeder  Harnportion  nach- 
weisen. Es  hatte  demnach  bei  dem  Thiere 
eine  Aufnahme  von  Quecksilber  durch  die 
Haut  stattgefunden,  mithin  halte  ich  diese 
Frage  für  erledigt. 

Bei  der  Untersuchung  der  Organe  fand 
ich  das  linke  Herz  normal ,  den  rechten 
Vorhof  und  Ventrikel  prall  gefüllt  mit  dunk- 
len Blutgerinnseln  und  parietalen  Thromben. 
Der  Kehlkopf  in  den  unteren  Partien  der 
vorderen  Wand  stark  hyperämisch.  Die 
Lunge  blutreich.  Die  Leber  dunkelbraun, 
hyperämisch  und  icterisch,  das  Gewebe 
schlaff.  Die  Magenschleimhaut  geschwollen 
und  diffus  geröthet,  ^tat  mamelone,  Wandung 
stark  verdickt.  Die  Darmschleimhaut  zeigt 
fast  durchgehends,  besonders  aber  im  oberen 
Drittel  des  Proc.  vermif.  und  auf  den  Quer- 
falten des  Colon  diffuse  Röthung.  Geschwüre 
waren  auf  der  Darmschleimhaut  nicht  vor- 
handen, auch  zeigten  die  Nieren  völlig  nor- 
males Verhalten. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung 
derjenigen  Hautstellen,  an  welchen  die 
Inunctionen    stattgefunden  hatten,    fand   ich 


in.  Jahrgang.*! 
Juli  1889.    J 


Pinner,  Zur  Frage  von  der  Retorption  det  OuecksUbers  im  thierischen  Organinmus.       321 


da8  Quecksilber  genau  an  denselben  Stellen, 
wo  es  von  Fürbringer  (Virch.  Arch.  82) 
und  J.  Neu  mann  (Wien.  med.  Wschr.  71, 
50 — 52)  beobachtet  worden  ist  und  wie  es 
auch  von  Zuelzer  (Wien,  medic.  Halle  64) 
beschrieben  ist. 

Da  ich  meine  bisherigen  Versuche  nur 
an  Kaninchen  anstellte,  so  muss  ich  vor- 
läufig die  Frage  unerortert  lassen,  wie  sich 
die  Ausführungsgänge  der  Schweissdrüsen  in 
dieser  Hinsicht  verhalten. 

Entgegen  der  Ansicht  derjenigen  Autoren, 
welche  die  Aufnahme  des  Metalls  durch  die 
Epidermis  überhaupt  in  Abrede  stellen,  (s. 
Rindfleisch,  Arch.  f.  Dermatol.  u.  Syphil. 
1870  S.  309,  R.  Fleischer,  Erlangen  1877 
und  Rohrig,  Physiol.  der  Haut,  Berlin  76), 
war  ich  auf  Grund  der  Untersuchung  der 
Präparate  in  der  Lage,  Befunde  von  Für- 
bringer,  J.  Neumann  und  Zuelzer  be- 
treffs der  Art  und  Weise,  wie  das  Queck- 
silber seinen  Weg  durch  die  Haut  nimmt, 
zu  bestätigen. 

Auch  muss  ich  mich  der  von  Rind- 
fleisch gegen  Blomberg,  Voit  und  Over- 
beck  geäusserten  Ansicht,  dass  die  Metall- 
kügelchen  die  Epidermis  nicht  durchdringen, 
mit  Fürbringer  und  J.  Neumann  an- 
scbliessen. 

Letztgenannte  beide  Autoren  haben  durch 
ihre  experimentellen  Untersuchungen  bewie- 
sen, dass  bei  der  Verreibung  der  grauen  Salbe 
auf  der  Haut  das  metallische  Quecksilber  in 
der  Form  feinster  Kugel chen  in  die  nach 
aussen  mündenden  Oeffnungen  der  Epidermis, 
welche  gleichsam  die  natürlichen  Eingangs- 
pforten der  Haut  darstellen,  mechanisch 
hineingepresst  wird.  Beide  Autoren  stimmen 
darin  überein,  dass  das  Quecksilber  nach  der 
Inunction  in  den  Haarfollikeln,  den  Talg- 
drüsen und  den  wallartigen  Einsenkungen 
der  Epidermis  und,  soweit  sich  die  Unter- 
suchungen auf  menschliche  Haut  beziehen, 
in  den  konischen  Ausmündungsstellen  der 
Schweissdrüsen  befindlich  sei. 

Die  von  mir  zur  Untersuchung  bestimmten 
Hautstücke  wurden  in  absolutem,  mehrfach 
gewechseltem  Alkohol  gut  gehärtet.  Hierauf 
brachte  ich  dieselben  auf  12  Stunden  in 
eine  Mischung  von  Aether  und  absol.  Alko- 
hol zu  gleichen  Theilen  und  alsdann  in 
Celloidin.  Hier  Hess  ich  dieselben  48  Stun- 
den liegen;  dann  legte  ich  sie  auf  Kork 
befestigt  in  80%igen  Alkohol,  um  nach 
24  Stunden  die  Schnitte  davon  anzufertigen. 
Ich  war  gerade  bei  der  Untersuchung  dieser 
Objecte  von  der  soeben  beschriebenen  Me- 
thode der  Einbettung  ausserordentlich  be- 
friedigt. Denn  das  Celloidin  macht  die  Prä- 
parate   schön  durchsichtig,    ausserdem  fixirt 


es  die  im  Gewebe  liegenden  Fremdkörper 
so  genau  an  ihrer  Stelle,  dass  dieselben 
durch  das  Messer  ihren  Standort  nicht  wech- 
seln, in  welcher  Richtung  man  auch  schnei- 
den mag.  Auf  diese  Weise  war  ich  in  der 
Richtung  hin  vor  Irrthümern  sicher,  dass 
sich  das  Quecksilber  nach  der  Inunction 
auch  in  der  That  an  denjenigen  Hautstellen 
vorfindet,  an  welchen  ich  es  in  den  Schnit- 
ten vorfand. 

Ich  habe  solche  in  sehr  grosser  Anzahl, 
sowohl  mit  Kalilauge,  Glycerin  und  Essig- 
säure aufgehellte,  als  auch  mit  Haematoxylin, 
Lith.  Carm.,  Alaunchenille  und  Pikrinsäure 
gefärbte,  mit  Alkohol  und  Creosot  nachbe- 
handelte und  in  Ganadabalsam  eingebettete 
untersucht  und  bin  unter  allgemeiner  Be- 
rücksichtigung der  zweifellos  die  Anwesen- 
heit von  Quecksilber-Kü gelchen  im  Gewebe 
zeigenden  Präparate  zu  folgendem  Befunde 
gelangt: 

Die  Quecksilberkügelchen  lagern  sich 
besonders  um  die  Haarschafte,  da  wo  die- 
selben die  Epidermis  durchbohren,  und  drin- 
gen in  die  Follikel  hinein,  je  nachdem  die 
anatomische  Einrichtung  des  Follikels  ein 
Vordringen  der  Kügelchen  gestattet.  Als 
maassgebend  hierfür  kann  nur  der  mehr  oder 
weniger  feste  Zusammenhang  des  Haar- 
schaftes mit  den  Wurzel  scheiden  angesehen 
werden.  An  solchen  Haaren,  deren  Ausfall 
in  naher  Zeit  eingetreten  wäre,  besteht  be- 
kanntlich nur  noch  ein  ganz  loser  Zusam- 
menhang der  Cuticula  mit  der  inneren  Wurzel- 
scheide, und  auf  diese  Weise  können  die 
Kügelchen  mit  Leichtigkeit  bis  auf  den 
Grund  der  Papille  vordringen,  während  um- 
gekehrt der  feste  Zusammenhang  der  Cu- 
ticula mit  der  inneren  Wurzelscheide  diesen 
Fremdkörpern  einen  energischen  Widerstand 
leistet  und  so  deren  Vordringen  nur  auf 
kurze  Strecken  gestatten  kann.  Im  engsten 
Zusammenhange  mit  den  Haaren  muss  man 
die  Talgdrüsen  als  diejenigen  Gebilde  an- 
sehen, welche  das  Eindringen  des  Queck- 
silbers gestatten,  und  zwar  sowohl  die  froi- 
mündenden  als  auch  diejenigen,  welche  ihr 
Secret  in  den  Haarsack  entleeren.  In  diesen 
Gebilden  fand  ich  das  Quecksilber  in  der 
feinsten  Vertheilung,  eine  Menge  Kügelchen 
dicht  neben  einander  im  Lumen  derselben 
befindlich.  Auch  in  den  thalförmigen  Ein- 
senkungen der  Epidermis  fand  ich  die  Kügel- 
chen vor,  also  überall  da,  wo  der  über  die 
Haut  hingleitende  Finger  die  Quecksilber- 
Kügelchen  nicht  vor  sich  her  von  der  Haut 
wegschieben  kann. 

Sind  die  Quecksilber-Kügelchen  in  diese 
Einsenkungen  hinein gerathen,  so  bleiben  sie 
hier   liegen,   auch   wenn   die  Haut  nach  der 

41 


322       Pin n er,  Zur  Präge  von  der  Resorption  des  OuecksUbers  Im  thieriftchen  Ori^anismus.       [^oB?tsblft^^ 


EinreibuDg  gereinigt  wird.  Erwägt  man,  wie 
yiele  MaDipulationen  mit  jedem  Schnitte  bis 
zu  seiner  Fertigstellung  als  eingebettetes 
Präparat  vorgenommen  werden  müssen,  oder 
berücksichtigt  man  die  Wirkung  der  Schmier- 
cur  selbst  in  denjenigen  Fällen,  wo  man 
mit  derselben  den  gleichzeitigen  Gebrauch 
Ton  Bädern  verbindet,  so  kann  man  über 
dieses  Verhalten  wohl  kaum  noch  im  Zweifel 
sein.  Gewöhnlich  pflegt  man  aber  die  Pa- 
tienten nur  vor  Beginn  der  Schmiercur  und 
in  den  einzelnen  Pausen  derselben  baden 
zu  lassen.  Den  Process  der  Selbstreinigung 
der  Haut,  welcher  bei  den  meisten  Menschen 
nach  einer  abendlichen  Inunction  durch  das 
nächtliche  Schwitzen  der  vorher  durch  das 
Reiben  auf  mechanische  Weise  hyperämisch 
gemachten  Hautpartie  eintreten  würde, 
sucht  man  dadurch  zu  verhindern,  dass  man 
die  Einretbungen  des  Morgens  machen  lässt. 
Soweit  nun  eine  solche  Cur  nicht  gerade  in 
der  heissen  Jahreszeit  stattfindet,  wo  erst- 
lich durch  die  hohe  Aussentemperatur  die 
Verdampfung  des  Quecksilbers  während  des 
Einreibens  und  gleichzeitig  durch  das  Trans- 
spiriren  der  Haut  dessen  Weg  waschen  von 
der  Epidermis  begünstigt  zu  werden  pflegt, 
ist  man  durch  die  eben  angedeutete  Vor- 
schrift bestrebt,  das  Einathmen  der  mit 
Quecksilber-Dampf  erfüllten  Luft  während 
der  Nacht  zu  vermeiden. 

Trotzdem  ist  man  nicht  im  Stande,  das 
Verdampfen  des  Quecksilbers  von  der  Haut 
der  Kranken  zu  verhindern,  wenn  man  nicht 
analog  meinem  angegebenen  Versuche  die 
mit  grauer  Salbe  eingeriebenen  Stellen  luft- 
dicht bedecken  würde.  Bekanntlich  zeigt 
eine  in  der  Westentasche  getragene  goldene 
Uhr  schon  nach  wenigen  Inunctionen  der 
Brustgegend  einen  deutlichen  Amalgambe- 
schlag, welcher  den  Beweis  liefert,  dass  ein 
Verdampfen  des  Quecksilbers  von  der  Haut 
aus,  ja  sogar  wie  ich  in  zwei  kürzlich  beob- 
achteten Fällen  constatirte,  durch  eine  mehr- 
fache Schicht  die  Haut  bedeckender  Klei- 
dungsstücke hindurch  stattfindet.  Dieses 
von  der  Haut  aus  verdampfende  Quecksilber 
kann  natürlicherweise  seinen  Weg  auch  zum 
Theil  in  die  Respirationsorgane  nehmen,  und 
somit  sind  diejenigen  Autoren  scheinbar  im 
Rechte,  welche  die  Ansicht  vertreten,  dass 
das  Quecksilber  nicht  durch  die  Haut,  son- 
dern die  Luftwege  in  den  Körper  gelange. 

Scheinbar  nur  deshalb,  weil  sicli  aus 
meinem  Versuche  ergiebt,  dass  bei  luft- 
dichtem Verschluss  der  eingeriebenen  Haut- 
stelle die  so  vielfach  bezweifelte  Aufnahme  des 
Quecksilbers  durch  die  Haut  doch  stattfindet 
und  weil  bei  unbedeckter  Haut  nur  diejeni- 
gen Mengen  des  Metalls  verdampfen  können, 


welche  frei  auf  der  Haut  liegen  bleiben. 
Für  gewöhnlich  muss  man  also  eine  Doppel- 
wirkung des  Quecksilbers  theils  durch  die 
Respirationsorgane,  theils  durch  die  Haut 
annehmen. 

Selbst  bei  unbedeckter  Haut  werden  die- 
jenigen Theile  des  Metalls,  welche  in  fein- 
ster Vertheilung  durch  die  anatomische  Ein- 
richtung der  Epidermis  in  die  taschenartigen 
Ausmündungsstellen  der  Haare  und  Drüsen 
hinein  gepresst  werden,  der  Verdampfung 
nicht  anheimfallen,  sondern  was  hier  an 
Quecksilber  deponirt  ist,  das  verbleibt  hier 
und  muss  durch  die  Haut  resorbirt  werden. 
Denn  bei  meinem  Versuche  war  die  Verdam- 
pfung von  der  Haut  ausgeschlossen,  Harn 
und  Faeces  ergaben  trotzdem  32  Tage  lang 
die  Quecksilber-Reaction,  folglich  muss  eine 
Resorption  durch  die  Haut  stattgefunden  ha- 
ben und  zwar  von  denjenigen  Stellen  aus, 
wo  ich  mikroskopisch  das  Quecksilber  in 
den  Schnitten  nachgewiesen  habe.  Ob  ein 
mechanisches  Vordringen  der  Quecksilber- 
Kügelchen  in  die  Lymphgefösse  des  Coriums 
und  durch  diese  in's  Blut  erfolgt  oder  ob 
chemische  Vorgänge  das  hier  deponirte  Queck- 
silber zur  Resorption  bringen,  wage  ich 
vorläufig  nicht  zu  entscheiden. 

Die  Möglichkeit,  dass  die  Quecksilber- 
Kügelchen  in  die  Blutbahn  gelangen,  ist  zwar 
von  Fürbringer  nur  bei  verletzter  Epidermis 
zugegeben  worden,  aber  an  frischen  Schnitten 
mit  üngt.  einer,  eingeriebener  Haut  gelang 
es  mir  in  Deckglaspräparaten,  welche  ich 
unter  Anwendung  der  erforderlichen  Cautelen 
aus  einem  Tropfen  eines  querdurclischnittenen 
Blutgefässes  anfertigte,  die  Quecksilber-Kügel- 
chen  im  Blute  nachzuweisen.  Darin  aber 
stimme  ich  nach  meinen  Untersuchungen  mit 
Rindfleisch,  J  Neumann  und  Fürbrin- 
ger gegen  eine  Reihe  anderer  Autoren  voll- 
ständig überein,  dass  sich  die  Quecksilber- 
Kügelchen  nirgends  im  Rete  Malpighi  oder 
im  Gewebe  des  Coriums  vorfinden.  Wo  die- 
selben nach  beendeter  Inunction  auf  der 
Haut  liegen  bleiben,  bahnen  sie  sich  einen 
Weg  zwischen  den  obersten  theil  weise  zer- 
klüfteten und  mit  den  tieferen  Epidermislagen 
nur  noch  lose  zusammenhängenden  Epitbel- 
lamellen.  Dies  sind,  wie  oben  erwähnt, 
diejenigen  Mengen  des  Metalls,  welche  bei 
unbedeckter  Haut  zu  verdampfen  pflegen. 

Diese  Kügelchen  fand  ich  auch  in  den 
Bläschen  eines  Mercurialekzems. 

Ausserdem  sah  ich  in  mehreren  Prä- 
paraten die  tieferen  Gefasse  des  Coriums 
und  deren  Umgebung  dicht  gefüllt  mit  klei- 
nen Quecksilber-Kügelchen,  und  muss  daher, 
da  ich  die  Epidermis  dieser  Präparate  völlig 
intact  fand,    annehmen,    dass  zur  Aufnahme 


m.  Jahrgang.'l 
Juli  1889.    J 


Liebreich,  dalzbrunn  in  dchlesieft. 


323 


des  metallisclien  Quecksilbers  in  die  Blut- 
bahn nicht  erst  eine  Verletzung  der  Epi- 
dermis vorausgesetzt  werden  muss. 

Um  nun  zu  untersuchen,  ob  die  oben 
erwähnten  Stellen  der  Epidermis  auch  für 
andere  in  Salbenform  auf  der  Haut  zur  An- 
wendung gelangende  Substanzen  die  natür- 
lichen Aufnahmebehältnisse  bilden,  verrieb 
ich  ungefähr  1  Decigramm  Phenolphthalein 
mit  2  g  Fett  zu  einer  Salbe  und  rieb  mit 
ungeföhr  dem  10.  Theile  derselben  ein  vor- 
her glatt  geschorenes  Kaninchenohr  ein. 
Nach  24  Stunden  excidirte  ich  ein  Stück 
desselben,  reinigte  es  sorgfältig  mit  Alkohol 
und  Wasser  und  fertigte  alsdann  Schnitte 
davon  an.  Dieselben  zeigten  bei  mikro- 
chemischer Anwendung  von  Kalilauge  eine 
prachtvolle  Rothfärbung  genau  an  denselben 
Stellen,  an  welchen  man  nach  Einreibung 
mit  IJngt.  einer,  die  Quecksilber-Kügelchen 
bemerkt.  Das  Rete  Malpighi  sowie  das  Co- 
rium  blieben  unverändert. 

Es  geht  demnach  aus  meinen  Versuchen 
hervor : 

1.  Das  mit  der  grauen  Salbe  auf  der 
Haut  verriebene  Quecksilber  wird  durch  die 
Haut  allein  aufgenommen,  wenn  die  einge- 
riebenen Hautstellen  luftdicht  bedeckt  wer- 
den. 

2.  Das  Quecksilber  dringt  in  Form 
feinster  Kugel chen  in  die  Haarbälge  und 
Drüsen,  gelangt  von  diesen  Stellen  aus  in 
die  Blutbahn  und  kann  schon  24  Stunden 
nach  der  Inunction  im  Harn  und  in  den 
Faeces  chemisch  nachgewiesen  werden. 


Salzbrunn  in  Schlesien. 

Von 

Prof.  Oscar  Liebreich. 

Es  ist  in  der  Geschichte  der  Balneo- 
therapie wohl  zum  ersten  Mal  eingetreten, 
dass  bei  der  Anpreisung  eines  zur  Versen- 
dung bestimmten  Mineralwassers  das  Ausland 
benutzt  wird,  um  über  den  Badeort,  in  wel- 
chem die  Quelle  entspringt,  unrichtige  An- 
gaben zu  veröffentlichen,  um  so  die  Benutzung 
des  Badeortes  seitens  der  Patienten  zu  ver- 
hindern. Dieses  eigenthümliche  Ereigniss 
ist  durch  eine  Brochüre  des  Dr.  P.  James 
in  London  und  vorzüglich  durch  seinen 
Uebersetzer,  Herrn  Dr.  L.  Fürst,  hervor- 
gerufen worden.  Die  Brochüre  zeigt  kei- 
nen Verleger  auf  ihrem  Titelblatt  angegeben, 
und  es  liegt  wohl   nahe,    dass   diese  Arbeit 


von      dem    Quellenbesitzer     versandt     wor- 
den ist. 

Zur  Aufklärung  diene  Folgendes:  In 
Ober-Salzbrunn  entspringen  eine  Reihe  von 
Quellen,  von  denen  der  Oberbrunnen  als  der 
wichtigste  und  gehaltvollste  benutzt  wird. 
Ausserdem  kommen  in  Anwendung  die 
Luisenquelle,  der  Mühlbrunnen;  von  den 
dortigen  Badeärzten  sehr  wenig  benutzt  ist 
die  Kronenquelle  und  von  der  Direction  der- 
selben ist  es  besonders  bekannt  gemacht 
worden,  dass  diese  an  der  Ursprungstelle 
nicht  mehr  verabreicht  wird. 

Als  Grund  ist  von  ihr  der  mangelnde  Raum 
angegeben;  dies  ist  jedoch  nicht  allein  zu- 
treffend. Der  wahre  Grund  ist,  dass  in 
Salzbrunn  diese  minderwerthige  Quelle  nicht 
mehr  zur  Benutzung  empfohlen  wird.  Was 
den  Oberbrunnen  betrifft,  so  hat  derselbe  einen 
festen  Rückstand  von  32,14;  die  Luisen- 
quelle 31,94,  Mühlbrunnen  22,8,  die  Kro- 
nenquelle dagegen  nur  17,08.  Herr  Dr. 
James  geht  an  die  Betrachtung  der  mine- 
ralischen Bestandtheile  der  Salzbrunner 
Quellen  in  einer  Weise  heran,  welche  ein 
unkundiges  Publikum  voraussetzt,  das  aus 
den  Zahlen  nichts  herauszulesen  versteht. 
Er  erwähnt  mit  keinem  Worte,  dass  der 
Oberbrunnen  21,522  Natriumbicarbonat  ent- 
hält, während  die  Kronenquelle  nur  7,92 
aufweist.  Zu  bemerken  ist,  dass  die  Zu- 
nahme des  doppeltkohlensauren  Kalks,  jenes 
verbreiteten  Bestandtheils  unseres  gewöhn- 
lichen Trinkwassers,  in  der  Kronenquelle 
auf  6,3  steigt.  In  einfache  Worte  übersetzt, 
heisst  es,  dass  die  Kronenquelle  mit  ihren 
geringen  mineralischen  Bestandtheilen  dem 
Brunnenwasser  sich  nähert.  Aus  diesem 
Grunde  ist  es  daher  auch  natürlich,  dass  die 
Quelle  am  Orte  nur  geringe  therapeutische 
Verwendung  ünden  kann.  Für  alle  diejenigen, 
welcheinteresse  an  der  Versendung  der  Kronen- 
quelle haben,  muss  es  von  Wichtigkeit  sein, 
diesen  Sachverhalt  möglichst  zu  verschleiern. 
Aber  man  darf  doch  nicht  so  weit,  gehen, 
deshalb  einen  blühenden  Badeort  zu  ver- 
dächtigen. 

Herr  Dr.  P.  James  hat  eine  Brochüre 
geschrieben,  welche  die  grÖsste  Uukenntniss 
der  einschlagenden  Verhältnisse  zeigt,  und 
hat  sich  wohl  nie  die  Mühe  gegeben,  Salz- 
brunn persönlich  kennen  zu  lernen.  Es  ist 
nun  unbegreiflich,  wie  ein  deutscher  Arzt  es 
über  sich  gewinnen  konnte,  diesen  Unrichtig- 
keiten durch  eine  Uebersetzung  eine  weitere 
Verbreitung  zu  verschaffen,  statt  einen  mit 
den  Verhältnissen  nicht  vertrauten  englischen 
Arzt  im  Interesse  des  Badeortes  aufzuklären. 
Ich  gebe  hier  folgende  Stelle  aus  der  Bro- 
chüre: 

41* 


324 


Liebreich,  Saizbrunn  in  Schlesien. 


rlierapentiiche 
MonatxhAfte. 


„Wir  brauchen  diese  Parallele  (mit  Ems) 
Dicht  weiter  zu  verfolgen,  da  wenig  Eng- 
länder eine  Saison  in  Sdlzbrunn  verbringen, 
es  sei  denn  aus  bestimmten  Indicatiouen 
und  in  Anbetracht,  dass  sie  daselbst  weni- 
ger Comfort  finden  als  an  den  von  ihnen 
mehr  besuchten  Orten. 

Die  Mineralwässer  Salzbrunns  sind  wich- 
tiger als  dessen  Klima,  und  wir  beziehen 
uns  deshalb  im  Folgenden  nur  auf  die  erste- 
ren.  Mehr  als  eine  Quelle  ist  bekannt 
geworden  und  in  Gebrauch  gekommen,  aber 
Salzbrunn  hat  keine  alte  Geschichte,  denn 
diese  reicht  kaum  über  mehr  als  ein  halbes 
Jahrhundert  zurück.  Ja  die  Kronenquelle 
hat  erst  ein  Jahrzehnt  hinter  sich  etc.** 

Diese  Unterstützung  der  falschen  Auf- 
fassung eines  Ausländers  und  die  Verbreitung 
derselben  in  Deutschland  ist  um  so  bedauer- 
licher, als  gerade  die  schlesischen  Bäder 
durch  vereinte  Anstrengungen  sich  mit  zu- 
nehmendem Erfolge  bemüht  haben,  zweck- 
mässige, weitgehendsten  Ansprüchen  ge- 
nügende Einrichtungen  zu  schaffen  um  so 
dem  Vorwurfe  provinzialer  Verhältnisse  zu 
begegnen.  —  Die  klimatischen  Verhältnisse 
sind  anerkannt  als  durchaus  günstige  zu  be- 
zeichnen. —  Aber  auch  die  falschen  Angaben 
des  Dr.  P.  James  über  die  Geschichte  des 
Bades  werden  von  dem  Uebersetzer  ohne 
Erläuterung  wiedergegeben.  —  Die  Geschichte 
Salzbrunns  als  Curort  ist  älter  als 
fünfzig  Jahre,  wie  folgende  Litteratur  es 
zeigt: 

1601  wird  die  heilkräftige  Wirkung  Salz- 
brunns erwähnt  von  Caspar  Schwenk- 
feld (Naturforscher  und  Badearzt  in 
Warmbrunn). 

1771.  Bericht  des  Breslauer  Medicinal- 
Collegiums  über  schlesische  Mineral- 
quellen. 

1777.  Professor  Morgenbesser:  Nachricht 
an  das  schlesische  Publikum  über 
seine  Gesundbrunnen. 

1802.  Moyalla,  die  Mineralquellen  in  Schle- 
sien und  Glatz. 

1815  Assessor  Günther' s  und  Professor 
Fischer's  Analyse. 

1816  Durch  das  Wirken  Dr.  Zemplin's 
wird  Obersalzbrunn  zu  einem  Welt- 
bade. 

Es  wird  ferner  angegeben,  dass  im  Jahre 
1820  bereits  412  Curgäste  den  Oberbrunnen 
brauchten,    eine  Zahl,    die  für  die  damalige 


Zeit  als  hoch  zu  bezeichnen  ist,  und  schon 
in  diesem  Jahre  wurden  70000  Krüge  Ober- 
brunnen versandt. 

Herr  P.  James  bemüht  sich  nun,  einem 
schwachen  Mineralwasser  therapeutische  Er- 
folge zuzusprechen,  welche  in  viel  stär- 
kerem Maasse  von  dem  Oberbrunnen 
längst  bekannt  sind.  Dieser  Autor  hat 
wenigstens  den  Vorzug,  nicht  auf  vage  che- 
mische Theorien  einzugehen,  während  Herr 
Fürst  solche  in  einer  Anmerkung  vorführt.  Es 
hat  keinen  Zweck,  auf  diese  oft  wiederholten 
Dinge  von  Neuem  einzugehen,  um  so  mehr,  als 
ich  nicht  annehmen  kann,  dass  denselben  von 
irgend  einer  verständigen  Seite  Bedeutung 
beigelegt  werden  wird.  Man  muss  allge- 
mein für  richtig  halten,  dass  es  bei  der 
Behandlung  der  Gicht  sich  wesentlich  nicht 
um  die  Lösung  ausgeschiedener  Harnsäure, 
sondern  um  die  Verhinderung  der  Bildung 
derselben  handelt.  Bei  einem  so  geringen 
Alkaligehalt,  wie  dem  der  Kronenquelle, 
kann  man  sich  nicht  der  Vorstellung  hin- 
geben, dass  hier  eine  besondere  Einwirkung 
stattfinde.  Aber  am  allerwenigsten  ist  an- 
zunehmen, dass  in  dem  Organismus  abge- 
lagerte Harnsäure  durch  Zuführung  von 
weniger  Alkali  besser  gelöst  werde  als 
durch  grössere  Alkalieinverleibung.  Häufig 
wird  der  Lithiongehalt  der  Obersalzbrunner 
Quellen  angeführt;  wenn  auch  constatirt  ist, 
dass  der  Oberbrunnen  von  allen  Salzbrunner 
Quellen  den  grössten  Lithiongehalt  zeigt,  so 
sind  die  Quantitäten  viel  zu  gering,  um 
einen  therapeutischen  Einfluss  ausüben  zu 
können.  Mit  Recht  sagt  daher  G.Mayer*) 
in  seiner  Abhandlung  über  die  Gicht,  „dass 
er  diesen  Zusatz  (Lithioncarbonat)  vorziehe, 
denn  die  Kronenquelle  enthalte  gar  nur 
0,011  Lithium  bicarbonicum".  Bei  der  un- 
genügenden Kenntniss,  welche  Herr  Dr.  P. 
James  über  Ober-Salzbrunn  sich  vorläufig 
verschafft  hat,  worin  er  meines  Wissens  eine 
Ausnahme  von  seinen  englischen  Gollegeu 
bildet,  wird  er  seine  Patienten  nicht  nacli 
Salzbrunn  senden.  Jeder  Arzt  jedoch,  der 
dies  Bad  durch  eigenen  Augenschein  kennen 
gelernt  hat,  wird  die  Ueberzeugung  gewinnen, 
dass  eine  vorsorgliche  Verwaltung  und  eine 
liebenswürdige  Bevölkerung  alles  aufgeboten 
hat,  um  den  von  dem  Arzte  und  Patienten 
zu  stellenden  Anforderungen  zu  genügen. 


*)  Aachen    als    Curort.      Red.    J.    Boissei, 
Aachen  1889. 


r 


IIT.  Jahrgang.l 
Jali  1889.    J 


V.  M  e  r  i  n  g ,  Ueber  Amylenhydratverordnung. 


325 


Neuere  Arzneimittel. 


Ueber  Amylenhydratverordnung. 

Von 

Professor  J.  v.  Mering  in  Strassburg  i.  E. 

Als  ich  vor  zwei  Jahren  in  diesen 
Monatsheften  das  Amylenhydrat  als  ein  zu- 
verlässiges Schlafmittel,  welches  sich  durch 
das  Fehlen  unangenehmer  Nebenerscheinungen 
auszeichnet  und  die  Herzthätigkeit  nicht 
afficirt,  empfahl,  hatte  ich  folgende  Recept- 
formel  vorgeschlagen: 

*V  Amylenhydrat.    7,0 
Aq.  dest.  60,0 

Extr.  liqu.  10,0. 

M.  D.  S.    Abends  vor  dem  Schlafengehen 
die  Hälfte  zu  nehmen. 

In  dieser  Form  wird  das  Mittel  von 
Vielen  nicht  ungern  genommen.  Da  aber 
manche  Personen  einen  Zusatz  von  Lakritz 
nicht  lieben,  habe  ich  nach  anderen  Ge- 
schmackscorrigentien  gesucht  und  kann  fol- 
gende Verordnungs weisen  empfehlen: 

Vf  Amylenhydrat.  7,0 

Aq.  dest.  flor.  aurunt  50,0 
Syrup.  Gort,  aurant.  30,0. 

M.  D.  S.  Abends  die  Hälfte  zu  nehmen. 

Weitaus  am  besten  aber  nimmt  sich 
das  Mittel  in  Bier: 

'V    Amylenhydrat.   20,0. 

D.  S.  Abends  einen  Theelöffel  (4— -6  Gubik- 
centimeter)  in  einem  kleinen  Glase 
Bier. 

Da  das  Amylenhydrat  sich  in  Wasser 
sowie  Bier  ziemlich  langsam  löst  (1  Theil 
lost  sich  in  8  Theilen),  ist  es  rathsam,  vor 
dem  Genuss  das  Amylenhydrat  in  dem  Bier 
(einem  Weinglas  voll  Bier)  2 — 3  Minuten 
vermittelst  eines  Theeloffels  umzurühren  und 
dann  einen  Schluck  Bier  nachzutrinken^). 
Man  kann  auch  das  Mittel,  wie  Prof.  Jolly 
empfohlen  hat,  in  einem  Glase  Wein  nach 
Zusatz  von  1 — 2  Theelöffel  Zucker  nehmen. 
Ich  persönlich  würde  der  Mischung  mit  Bier 
den  Vorzug  einräumen. 

Amylenhydrat  lässt  sich  auch  zweck- 
mässig in  Kapseln,  welche  je  1  g  enthalten 
und  im  Handel  sind,  verabreichen.  Die 
schlafmachende  Dosis  beträgt  3  —  4  g,    doch 

*)  Diese  Verordnungs  weise  ist  auch  deshalb 
die  etnpfehlenswertheste,  weil  sie  bei  Weitem  die 
billigste  ist. 


habe  ich  wiederholt  bei  schweren  Aufregungs- 
zuständen  als  Einzeldosis  6 — 7  g  ohne  jeden 
Nachtheil  und   mit   gutem  Erfolge    gegeben. 

Seitdem  ich  auf  das  Amylenhydrat  die 
Aufmerksamkeit  gelenkt  habe,  ist  dasselbe 
Gegenstand  zahlreicher  anderer  Untersuchun- 
gen gewesen,  deren  Resultate  übereinstim- 
mend ergeben,  dass  das  Amylenhydrat  ein 
recht  brauchbares,  von  schädlichen  Neben- 
wirkungen freies  Hypnoticum  ist.  —  Die 
verschiedenen  hierauf  bezüglichen  Publi- 
cationen  will  ich  hier  nicht  aufzählen ,  son- 
dern nur  das  Resume  von  zwei  in  der  Berl. 
klin.  Wochenschrift  im  Jahre  1888  veröffent- 
lichten Mittheilungen  wiedergeben,  welche 
bisher  in  diesen  Heften  noch  nicht  referirt 
worden  sind. 

Laves  fasst  die  auf  der  inneren  Ab- 
theilung von  Bethanien  in  Berlin  gewonnenen 
Resultate  folgendermassen  zusammen: 

„1.  Amylenhydrat  ist  ein  sehr  brauch- 
bares Hypnoticum,  das  in  2— 3 fach  grösserer 
Dosis  wie  Ghloral  zu  geben  ist. 

2.  Es  wirkt  etwas  weniger  sicher  als 
Chloralhydrat  und  Morphium. 

3.  Unangenehme  Zufälle  (Aufregung, 
leichte  rauschartige  Benommenheit)  wurden 
sehr  selten  beobachtet.  Gefährliche  Zu- 
fälle wurden  nie  beobachtet. 

4.  Eine  Angewöhnung,  beziehentlich 
Nachlass  der  Wirkung  wurde  innerhalb  dreier 
Monate  nicht  beobachtet. 

5.  Häufiger  als  bei  einem  anderen 
Schlafmittel  wurde  die  tiefe  und  er- 
frischende Art  des  bewirkten  Schlafes 
gerühmt." 

Dr.  G.  Busch  au  gelangt  auf  Grund  der 
in  der  Heilanstalt  Leubus  gemachten  Er- 
fahrungen zu  folgenden  Schlusssätzen: 

„Das  Amylenhydrat,  wenn  auch  kein 
Schlafmittel  ersten  Ranges,  ist  doch  im 
Stande,  das  Ghloral  und  das  Paraldehyd  zu 
ersetzen;  ausserdem  besitzt  es  vor  Ghloral 
den  Vorzug,  dass  es  die  Herzthätigkeit  nicht 
in  so  grossem  Maasse  beeinflusst;  dem  Par- 
aldehyd ist  es  ebenfalls  vorzuziehen,  einmal 
wegen  der  besseren  Wirkung  bei  geringer 
Dosis  und  andererseits  wegen  des  Fehlens 
des  unangenehmen  Exhalationsgeruches, 
w^orauf  in  der  besseren  Praxis  gewiss  viel 
zu  geben  ist.  Denn  nicht  nur  in  Anstalten 
für  Geisteskranke  oder  Nervenleidende,  son- 
dern auch  in  der  ärztlichen  Praxis  dürfte 
sich  das  Amylenhydrat  als  Hypnoticum  treff- 
lich bewähren.     Freilich  sein  bis  jetzt  noch 


326 


Liebreich,  Das  dithiosalicyleaure  Natron  ü. 


rTherftpeotiache 
L  Monatshefte. 


ZU  hoher  Preis  (Kilo  60  Mark)  ist  leider 
ein  üebelstand,  mit  dem  der  Arzt  bei  der 
Verordnung  zu  rechnen  hat;  bei  gesteigerter 
Nachfrage  nach  dem  Präparat  dürfte  eich 
derselbe  aber  bedeutend  ermässigen.^ 

Bezüglich  des  letzten  Punktes  ist  bereits 
Remedur  geschafiPen,  denn  das  Amylenhydrat 
kostet  zur  Zeit  nur  35  Mark  pro  Kilo. 

Sämmtliche  Erfahrungen,  die  sich  in  der 
Litteratur  über  die  günstigen  Wirkungen 
des  Amylenhydrats  vorfinden,  beziehen  sich 
auf  Amylenhydrat,  welches  aus  der  Fabrik  von 
C.  A.  F.  Kahl  bäum  in  Berlin  stammt.  Wäh- 
rend letztere  Firma  ein  Präparat  von  tadelloser 
Beschaffenheit  darstellt,  findet  sich  zur  Zeit 
auch  Amylenhydrat  im  Handel,  welches  sich 
nicht  in  8  Theilen  Wasser  lost,  sondern 
trübe  bleibt  und  mit  Fuselöl  und  Diamylen 
stark  verunreinigt  ist.  Vor  solchen  unreinen 
Präparaten  mochte  ich  warnen,  da  ich  mehr- 
fach nach  denselben  unangenehme  Neben- 
erscheinungen, wie  Congestionen,  Kopfschmerz, 
Uebelkeit  und  Brechneigung  beobachtet  habe. 


Das  ditblosallcylsaure  Natron  II. 

Von 

Prof.  Oscar  Liebreich. 

Von  Dr.  H.  Linde nborn  ist  in  dem 
städtischen  Krankenhause  zu  Frankfurt  a.  M. 
das  dithiosalicylsaure  Natron,  bezeichnet  als 
„11^,  nach  jener  therapeutischen  Richtung 
hin  versucht  worden,  die  durch  die  Wirkung 
des  salicylsauren  Natron  angezeigt  ist^). 

Die  Vorversuche  von  Hueppe  ergaben, 
dass  eine  20  °/o  Losung  des  genannten  Salzes 
in  minimo  45  Minuten  auf  Milzbrandsporen 
tödtend  einwirkte.  Es  wird  ferner  ange- 
geben, dass  auch  in  der  Einwirkung  auf 
Cholera-  und  Typhusbacterien,  die  Bacterien 
des  grauen  Eiters  und  des  Staphylococcus 
aureus,  die  Dithiosalicylate  den  Salicylaten 
überlegen  seien.  Sehr  merkwürdig  ist  es, 
dass  im  Urin  weder  die  ursprüngliche  Ver- 
bindung noch  Salicylsäure  sich  hat  nach- 
weisen lassen.  — 

Die  Krankheiten,  bei  denen  das  Präparat 
benutzt  wurde,  waren  4  Fälle  von  polyarti- 
culärem  und  ein  Fall  von  monarticulärem 
Gelenkrheumatismus,  sowie  ein  Fall  von 
Gonitis  gonorrhoica,  complicirt  mit  Jrido- 
chorioiditis. 

Die  Dosen  betrugen  in  den  leichteren 
Fällen  Morgens  und  Abends  je  0,2,  in  den 
schwereren     Fällen     Morgens    0,2,     Abends 

')  Berlin,  klin.  Wochenschrift  1889,  S.  568. 


zwei-  bis  drei-  und  viermal  stündlich  0,2  g. 
Es  wird  angegeben,  dass  die  leichteren  Fälle 
nach  zwei,  die  schwereren  nach  längstens 
sechs  Tagen  schmerz-  und  fieberfrei  gewesen 
seien,  auch  die  Anschwellung  der  Gelenke 
verschwunden  sei. 

Ein  Fall  von  Gonitis  gonorrhoica,  wel- 
cher aus  einem  andern  Hospital  zugegangen 
war,  hatte  bereits  über  12  Tage  hindurch 
täglich  4,0 — 6,0  g  Natrium  salicylicum,  je- 
doch ohne  Erfolg  verbraucht,  denn  Schmerz 
und  Schwellung  des  Kniegelenks  waren  nicht 
gebessert  und  die  abendliche  Temperatur, 
zwischen  38°  und  38,6®  schwankend,  ge- 
blieben. 

Es  wurde  derselbe  mit  dithiosalicylsan- 
rem  Natron  II  behandelt.  Von  dem  Be- 
ginne der  Anwendung  von  0,2  g  des  Morgens 
und  Abends  an  ging  die  Abendtemperatur 
nie  über  37,8*^,  nach  10  Tagen  trat  Heilung 
mit  Ausnahme  der  Irido -Chorioiditis  ein. 

Dr.  H.  Linden born  nimmt  an,  dass  das 
dithiosalicylsaure  Natron  II  dem  salicyl- 
sauren Natron  gegenüber  die  Vorzüge  einer 
kräftigeren  Wirkung  habe,  die  schon  durch 
eine  geringe  Dosis  hervorgerufen  werde  und, 
was  von  besonderer  Bedeutung  scheint,  keine 
Nebenwirkung  auf  die  Circulation  ausübe, 
kein  Ohrensausen  und  Gollaps  herbeiführe 
und  vor  allen  Dingen  nicht  auf  den  Magen 
einXvirke. 

In  bescheidener  Anerkennung  der  noch 
nicht  weitgehenden  Beobachtungen  giebt 
Verfasser  an,  dass  diese  Versuche  noch  nicht 
maassgebend  sein  können,  aber  jedenfalls  ist 
anzuerkennen,  dass  die  bis  jetzt  vorliegen- 
den Resultate  in  Zusammenhang  mit  der 
nahen  chemischen  Beziehung  zur  Salicylsäure 
zu  weiteren  Versuchen  eine  begründete  An- 
regung geben. 

Eine  schwierige  und  noch  nicht  beant- 
wortete Frage  ist  der  chemische  Theil.  — 
Die  Substanz  ist  zuerst  von  dem  Ghemiker 
Baum  dargestellt  worden  und  das  zu  den 
therapeutischen  Versuchen  benutzte  Präparat 
mit  „II"  bezeichnet  worden.  HerrDr.  Lin- 
de nborn  führt  folgende  Formel  an: 

__0H 
S  — CeHT-COGH 


I 

S  Ge  Hj 


COOK 
OH 


I 


Die  Baum^sche  Darstellung  findet  sich 
in  den  Berichten  der  chemischen  Gesellschaft 
beschrieben  und  zwar  in  folgender  Weise: 

Es  werden  moleculare  Mengen  Salicyl- 
säure und  Chlor-,  Brom-  und  Jodschwefel 
auf  120—150®  erhitzt.  Nach  beendeter 
Entwicklung  der  sich  bildenden  Salzsäure 
wird  Lösung  in  Soda-Losung  vorgenommen; 


in.  Jahrgang.l 
Jali  1889.    J 


Liebreich,  Das  dithiosalicylsaare  Natron  n. 


327 


durch  ZufagUBg  you  Salzsäure  fällt  die  neue 
Säure  als  harzige  strohgelbe  Masse  aus^). 
Sie  ist  loslich  in  Alkohol,  Benzol  und  Eis- 
essig. Das  Natriumsalz  wird  durch  Aus- 
salzen  mit  Hülfe  von  Kochsalz  gewonnen^). 

Es  ist  aus  dieser  Darstellung  sowie  aus 
den  Angaben  Dr.  Lindenborn^s  nicht  er- 
sichtlich, um  welchen  der  vielen  isomeren 
Körper  es  sich  handelt. 

Der  Salicjlsäure  isomer  sind  zwei  Korper 
bekannt  und  es  ist  festgestellt  worden,  dass 
die  werthyolle  therapeutische  Eigenschaft  nur 
der  Salicjlsäure  zukommt.  —  Bei  der 
Dithiosalicylsäure  wird  die  Frage,  welcher 
der  isomeren  Körper  wirksam  sei,  oder  ob 
es  mehrere  sind,  schon  bedeutend  schwieri- 
ger. Die  theoretische  Betrachtung  zeigt^ 
dass  eine  ausserordentlich  grosse  Zahl  Kör- 
per gleicher  Zusammensetzung  existiren  kön- 
nen. Eine  Constitutionsformel  lässt  sich 
folgendermaassen  darstellen : 


*)  Der   Vorgang    drückt   sich    durch   folgende 
Formel  aus: 

2CeH4'^^^^^„+2SCl  =  2HCl  + 

Sallcylsänre  Cblorscbwefei 

OH 

S  -  Cg  HTCOOH 

I 

S  -  Cß  H3  COOH 

^— OH 

Dithiosalicylsüaro 

•)  Ber.  der  deutschen  ehem.  Ges.  1889.    No.  5 
S.  175.  Ref.  (D.  P.  46413.    28.  Jan.  1888.    Kl.  22.) 


OH 
C 


COOH 

I 
C 


S-C^: 


2 


V 

HC" 
HC 


yCH 


CH 
CH 


S-C^^ 


C" 
OH 


4 
3 


CH 


I 
COOH 


Zu  dieser  Formel  ergeben  sich,  mit  An- 
nahme, dass  die  voranstehende  Zahl  dem 
HO,  die  nachfolgende  dem  COOH  zukommt, 
weitere  folgende  9  Isomerien. 

2.3 : 1.2  3.4 : 2.3  4.5  :  2.3 

2.3:2.3  3.4:3.4  4.5:3.4 

3.4:1.2  4.5:1.2  4.5:4.5 

Welches  ist  nun  der  von  Baum  mit  II 
bezeichnete  Körper?  —  Auch  diese  Frage 
wird  entschieden  werden  müssen,  um  zu 
sichern  therapeutischen  Resultaten  zu  ge- 
langen, wenn  man  auch  zuvörderst,  da  die 
EntscheiduDg  dieser  Frage  eine  immerhin 
schwierige  chemische  Untersuchung  voraus- 
setzt, nur  ein  Präparat  benutzt,  das  nach 
einer  bestimmten  Methode  gleichmassig  dar- 
gestellt wird. 

Jeden  faHs  wird  gestützt  durch  die  bis 
jetzt  gewonnenen  Erfahrungen  mit  Recht 
darauf  hingewiesen,  dass  man  es  mit  einer 
wirksamen  und  vielleicht  sehr  brauchbaren 
Substanz  zu   thun   habe. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Achtzehnter  Congress  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Chirurgie  zu  Berlin,  24—28.  April  1889. 

(Originalbericht.) 

T.  Esmarch   (Kiel):     üeber    Aetiologie 
und  die   Diagnose   der  Carcinome, 
insbesondere  derjenigen  der  Zunge 
und  Lippe. 
Im  Anschluss    an   eine    bereits    auf  dem 
6.    Chirurgencongresse     gegebene    Anregung, 
die  Aetiologie    einer    Reihe    bösartiger  Ge- 
schwülste  einer   genaueren  Untersuchung  zu 
unterziehen,  kritisirt  Esmarch    die  für  das 
ganze    therapeutische   Handeln    so    wichtige 
Anschauung,    die  wir  über  das  Wesen  einer 
malignen  Neubildung  besitzen.     Eine  Reihe 
Ton    Erfahrungen    berechtigen     zu    der  An- 
nahme^    dass  eine  Reihe  von  Geschwülsten, 


die  ihrem  klinischen  Bilde  nach  für  Carci- 
nome imponiren,  auf  syphilitischer  Grund- 
lage entstanden  sind.  —  Die  Diagnose  dieser 
Geschwülste,  zumal  an  Lippe  und  Zunge, 
ist  um  so  schwieriger,  als  selbst  die  sorg- 
fältigste anatomische  Untersuchung  häufig 
zu  keinem  positiven  Ergebniss  führt.  Han- 
delt es  sich  daher  um  grössere  Operationen 
wegen  Tumoren  zweifelhaften  Charakters, 
so  darf  man  sich  nicht  scheuen,  selbst  zum 
Zweck  einer  sicheren  Diagnose  grössere  Vor- 
operationen zu  machen.  So  ist  es  in  einer 
ganzen  Reihe  von  Fällen  dem  Vortr.  ge- 
lungen, ursprünglich  als  Carcinome  resp. 
Sarcome  diagnosticirte  Geschwülste  als  auf 
syphilitischer  Basis  entstanden  nachzuw^eisen. 
Derartige   Syphilome    können    ohne    recente 


328 


TherapeutiBche  Mitthellungen  aus  Vereinen. 


rlierapeatbeh« 
Monatshefte 


Erscheinungen  erst  viele  Jahre  nach  der 
Infection  auftreten  und  ebenso  lange  bestehen 
ohne  zu  ulceriren.  Besonders  wichtig  ist 
die  Behandlung  derartiger  Tumoren.  Selbst- 
T  erstand  lieh  kann  es  sich  hier  nicht  um 
Exstirpation  der  Geschwulst  handeln,  son- 
dern um  eine  Monate,  ja  Jahre  hindurch 
fortgesetzte  antisyphilitische  Cur,  bei  der 
man  mit  Inunctions-,  Injections-,  Schwitz- 
etc.  Curen  thun liehst  abwechseln  soll.  Durch 
eine  consequente  Fortsetzung  derartiger 
Curen  ist  es  dem  Verf.  gelungen,  mehrere 
derartiger  verdächtigen  Geschwülste  zu  ent- 
fernen. Vielleicht  ist  überhaupt  für  die 
Aetiologie  maligner  Tumoren  die  Lues  nicht 
ohne  Bedeutung  in  so  fern,  als  sie  aner- 
kanntermassen  Neigung  zu  Wucherungen  und 
Granulationen  hinterlässt. 
Heidenhain  (Berlin):  Ueber  die  Ur- 
sachen der  localen  Krebsrecidive 
nach   Amputatio  mammae. 

Die  Hauptursache  der  häufigen  Recidive 
nach  Amputatio  mammae  wegen  Carcinom 
(von  den  Patientinnen  Verf.'s  blieben  nur 
n  ^lo  länger  als  3  Jahre  recidivfrei)  liegt 
darin,  dass  es  nicht  gelingt,  sämmtliche 
Geschwulstpartikel  zu  exstirpiren.  Selbst 
bei  vollkommen  auf  dem  Pectoralis  beweg- 
licher Mamma  hat  man  die  Fascia  pectoralis 
mit  der  obersten  Brustmuskel  schiebt  zu  ent- 
fernen, da  genaue  mikroskopische  Unter- 
suchungen des  Vortragenden  ergeben  haben, 
dass  selbst  unter  diesen  Umständen  bereits 
carcinomatöse  Herde  in  der  Fascie  existiren. 
Ist  das  Carcinom  bereits  dem  M.  pectoralis 
adhärent,  so  empfiehlt  sich  die  Exstirpation 
der  gesammten  Muskelschicht  sowie  des  Pe- 
riostes der  Rippen.  Wesentlich  grossere 
Functionsstorungen  erwachsen  hieraus  nicht. 
L anderer  (Leipzig):  ü eher  die  Methode 
der  trockenen  Operation. 

Im  Allgemeinen  macht  sich  in  neuester 
Zeit  das  Bestreben  geltend,  nicht  mehr  ge- 
legentlich der  Operationen  Antiseptica  zu 
verwenden,  sondern  von  vorneherein  die 
Operationen  aseptisch  auszuführen.  Letzte- 
res ist  jedoch  nur  in  den  Räumen  eines 
vorzüglich  ausgestatteten  Krankenhauses, 
nicht  aber  in  der  Land-  und  Armenpraxis 
etc.  ausführbar.  Hier  empfiehlt  L.  trockene, 
antiseptische  Verbandstoffe,  indessen  mög- 
lichst wenig  antiseptische  Flüssigkeit  bei 
der  Operation  zu  verwenden.  Die  Gefahr 
der  Intoxication  mit  dem  (meist  giftigen) 
Desinficiens  wird  so  wesentlich  verringert, 
die  Operation  geht  rascher,  die  Heilung 
noch  sicherer  und  prompter  von  Statten,  als 
bei  Anwendung  der  antiseptischen  Flüssig- 
keiten. 


(Sitzung  vom  Donnerstag^  den  25.  April^  Morgens^ 

Discussion    über    die    Verimpfbarkeit 
und  Heilbarkeit  des  Krebses. 

Aus  den  über  diesen  Gegenstand  ge- 
machten Erfahrungen  ergiebt  sich  im  Ali- 
gemeinen, dass  es  nicht  gelingt,  einen  Krebs- 
knoten durch  üeberimpfung  von  einem 
Thiere  auf  ein  anderes  zu  überpflanzen. 
Indessen  kommen  doch  Ausnahmen  vor.  So 
hat  Hahn  einen  Fall  beobachtet,  in  welchem 
eine  Uebertragung  von  Mensch  auf  Mensch 
wahrscheinlich  stattgefunden  hat,  und  auch 
Rolinski  ist  es  unter  40  Thierversuchen 
einmal  gelungen,  Carcinome  von  einer  Ratte 
auf  eine  zweite  zu  überimpfen. 

Was  die  Ergebnisse  der  endgiltigen 
Heilung  nach  Carcinom-Exstirpation  anlangt, 
so  konnte  Krause  (Halle)  3  Patienten  vor- 
stellen, denen  vor  4  resp.  5  Jahren  die 
Zunge  wegen  carcinom atoser  Degeneration 
exstirpirt  war  und  die  bis  jetzt  recidivfrei 
geblieben  sind.  Ausserdem  sind  2  Patienten 
länger  als  3,  3  Patienten  länger  als  4  Jahre 
dauernd  gesund.  Im  Ganzen  sind  innerhalb 
des  in  Frage  kommenden  Zeitraumes  95 
Exstirpationen  der  carcinomatos  degenerirten 
Zunge,  darunter  56  ohne  Kieferresection  an 
der  Halleuser  Klinik  vorgenommen.  Die 
Mortalität  betrug  2,2  ^/q.  Gegenüber  den 
Angaben  Krause^s  bezügl.  der  totalen 
Heilung  führen  Küster,  Schede  und 
V.  Esmarch  Fälle  an,  in  denen  das  erste 
Recidiv  erst  7,  9,  ja  sogar  21  Jahre  nach 
der  ersten  Operation  entstand.  Weiterhin 
konnte  Krause  3  Patienten  vorstellen,  die 
nach  Exstirpation  eines  Rectum- Carcinoms 
im  Jahre  1880,  81  und  83  recidivfrei  ge- 
blieben sind,  während  v.  Bergmann  und 
Hahn  Patienten  vorstellten,  bei  denen  nach 
der  Laryngotomie  wegen  Stimmband- Carci- 
nom die  qu.  Patienten  4  resp.  8  Jahre 
recidivfrei  geblieben  waren,  nichtsdesto- 
weniger hat  sich  auch  bei  diesen  beiden 
Patienten  in  jüngster  Zeit  ein  Recidiv  ein- 
gestellt. 

Schinzinger  (Freiburg):    Ueber  Carci- 
noma mammae. 

Erfahrungsgemäss  tritt  der  Brustkrebs 
um  so  bösartiger  auf,  je  jünger  die  Patien- 
tinnen sind.  Vielleicht  lässt  sich  nun  bei 
solchen  Krebskranken ,  die  noch  vor  den 
klimakterischen  Jahren  stehen,  dadurch  ein 
schnelleres  Altern  und  damit  ein  geringerer 
Grad  von  Bösartigkeit  ihres  Leidens  er- 
zwingen ,  dass  man  vor  der  Operation  des 
Mamma-Carcinoms  die  Patientin  ihrer  Ovarien 
beraubt. 


m.  Jahrfang.! 
Jali  1889.    J 


Therapeutische  Mittheiluof  en  aus  Vereinen. 


329 


König      (Göttingen):       Demonstration 
künstlich     hergestellter     Nieren- 
steine. 
Dadurch,  dasslnan  Hunden  zugleich  mit 
dem  Futter  grossere  oder  geringere  Mengen  von 
Oxamid  beibringt,  gelingt  es,  in  den  Harn- 
^wegen  leichte  katarrhalische  Afifectionen  her- 
vorzurufen.   Es  kommt  in  Folge  dessen  zur 
Bildung  kleiner  Schleimgerinnsel,  auf  welche 
sich  aus  dem  Nieren excrete   die  harn  sauren, 
Oxalsäuren    etc.    Salze    niederschlagen.     An 
die    Bildung    des    Kerns    schliesst    sich   in 
Bchalenartigen  Lagern  die  Bildung  der  peri- 
pherischen Schichten. 

Krause  (Halle):  üeber  die  Behandlung 
und  besonders  Nachbehandlung 
der  Hüftgelenkresectionen. 
Bezüglich  der  Behandlung  gilt  in  der 
Hallenser  Klinik  bei  den  Resectionen  als 
erstes  Princip,  die  Function  und  Beweglich- 
keit des  Gelenkes  möglichst  zu  erhalten. 
XJm  eine  Verkürzung  des  Beines  nach  Mög- 
lichkeit zu  hindern,  müssen  die  Patienten 
Doch  Jahre  lang  in  einer  Schienenvorrich- 
tung  gehen,  da  sonst  die  Function  des 
operirten  Gelenkes  resp.  der  Extremität  zu 
sehr  leidet.  Geradezu  schädlich  ist  das 
Tragen  hoher  Sohlen,  die  mit  dem  Becken 
die  kranke  Extremität  zu  sehr  heben  und 
in  Folge  dessen  auch  verkürzen. 

[Schltua  folgt.] 

Berliner  medicinische  Gesellschaft. 
{Sitzung  vom  3,  April  1H89.) 

Litten:  Zur  Aetiologie  und  Therapie 
der  Aortenaneurysmen. 

Die  Dauer  der  Aortenaneurysmen  ist  im 
Allgemeinen  sehr  wechselnd ;  im  Aligemeinen 
ertragen  die  Patienten  das  Leiden  nicht 
länger  als  2  Jahre.  Fälle,  die  sich  auf  eine 
längere,  bis  15jährige  Existenz  eines  Aneu- 
rysma beziehen,  gehören  zu  den  Ausnahmen. 
Der  Tod  erfolgt  entweder  durch  Marasmus, 
Compression  oder  Durchbruch  in  die  Nach- 
barorgane. 

Die  Behandlung  hat  die  durch  die  Com- 
plicationen  bedingten  Symptome,  sowie  die 
Behandlung  des  Aneurysma  selbst  ins  Auge 
zu  fassen.  Erstere  anlangend,  so  sind  die 
oft  quälenden  Intercostalneuralgien  durch 
subcutane  Antipyrininjection,  die  oft  beste- 
hende Schlaflosigkeit  durch  Sulfonal  in 
äusserst  wirksamer  Weise  zu  bekämpfen.  — 
Für  die  Behandlung  des  Aneurysma  selbst 
ist,  zumal  von  Franzosen  und  Engländern, 
das  Jodkali  empfohlen  worden,  welches  nach 
Jaccoud,  Durosiez,  Dieulafoy  u.  A. 
eminent  resorbirend  wirken  soll.  L.  selbst 
bat    über    das    Medicament    nicht  die  gün- 


stigen Erfahrungen  gemacht  und  hält  es  nur 
dort  für  wirksam,  wo  der  Process  auf  Sy- 
philis zurückzuführen  ist.  —  Auch  die- 
jenigen Methoden,  welche  eine  locale  Be- 
handlung des  Aneurysma  bezwecken,  sind 
nicht  allein  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  un- 
wirksam, sondern  auch  direct  lebensgefähr- 
lich. Zu  ihnen  gehört  die  Elektrolyse  und 
Elektropunctur  des  aneurysmatischen  Sackes, 
sowie  die  Methode,  durch  Fremdkörper 
(Eisendraht,  Ro&shaare  etc.)  Gerinnungen 
des  Inhaltes  des  Sackes  herbeizuführen.  Die 
Hauptgefahr  liegt  hier  in  der  Thrombose 
lebenswichtiger  Gefässe.  —  Ebensowenig 
hat  man  durch  Unterbindung  der  yon  dem 
aneurysmatischen  Sacke  abgehenden  Gefösse 
dauernde  Heilung  erzielen  können.  Ein 
zunächst  günstig  yerlaufener  Fall  Barde- 
leben's  recidivirte  schnell. 

In  der  sich  an  den  Vortrag  anschliessen- 
den Discussion  betont  Senator  den  Unter- 
schied der  Bauchaorten -Aneurysmen  und 
derjenigen  des  innerhalb,  des  Thorax  gele- 
genen Antheils  der  Aorta.  Die  ersteren  er- 
fahren durch  consequente  Jodkalium-Appli- 
cation  und  locale  Behandlung  mittelst  Pe- 
lotten  häufig  eine  wesentliche  Besserung. 
Unter  8  mittelst  dieser  Methode  vom  Verf. 
behandelten  Personen  konnte  man  bei  3  eine 
wesentliche,  andauernde  Besserung  erzielen. 
—  Die  Aortenaneurysmen  4es  Thorax  hin- 
gegen sind  einer  wirksamen  Behandlung 
weit  weniger  zugänglich.  —  Am  zweck- 
mässigsten  ist  bei  ihnen  die  Application  von 
Jodkali.  —  Aehnlich  gute  Erfolge  berichten 
auch  Ewald  und  Heidenhain.  Demge- 
genüber hält  Litten  an  seiner  skeptischen 
Anschauung  bezügl.  der  Wirkung  des  Jod- 
kali fest,  dessen  Wirksamkeit  er  nur  in 
denjenigen  Fällen,  in  welchen  das  Aneurysma 
auf  specifischer  Basis  entstanden  ist,  und 
auch    hier  nur   im   Entstehen   der  Affection, 

zugiebt. 

(ßUzang  vom  10,  April  1889.) 

Herr  Moll:  Therapeutische  Erfahrun- 
gen auf  dem  Gebiete  des  Hypno- 
tismus. 
Das  Beobachtungsmaterial,  dem  die  Er- 
fahrungen M.'s  entnommen  sind,  umfasst  im 
Ganzen  etwa  120  Fälle.  —  Im  Allgemeinen 
war  die  Tiefe  der  Hypnose  bei  den  einzel- 
nen Individuen  sehr  verschieden,  und  es 
lassen  sich  im  Allgemeinen  3  Grade  unter- 
scheiden: a)  die  leichten  Zustände  der  Hyp- 
nose bis  zum  Augenschluss;  b)  die  mittle- 
ren Grade,  wobei  bereits  Verlust  der  will- 
kürlichen Bewegungen  eintritt  und  c)  die 
tiefe  Hypnose,  bei  der  Sinnestäuschungen 
beobachtet  werden.  —  Amnesie,  nach  dem 
Erwachen    aus    der    Hypnose,    wurde    unter 

42 


330 


Th«Tap«tttlBehe  BfltthttlluiigeB  «ut  Ver^liMB. 


rrhermpeatiaelie 
L  Monatshefte. 


5 — 6  Fällen   gewöhnlich    nur    einmal    beob- 
achtet. 

Im  Allgemeinen  waren  diejenigen  Fälle, 
in  welchen  es  sich  um  schnell  wechselnde 
Klagen  der  Patienten  handelte,  sowie  die- 
jenigen, in  welchen  die  Neigung  bestand,  die 
Beschwerden  durch  Autosuggestion  zu  än- 
dern, nicht  von  Erfolg  gekrönt.  Am  meisten 
leistet  die  Hypnose  dort,  wo  sich  das  Leiden 
in  einzelnen  hystero-epileptischen  Antillen 
äussert.  9  Patienten,  die  an  derartigen  An- 
fällen litten,  wurden  binnen  kürzester  Zeit 
durch  Hypnose  von  ihnen  befreit. 

Aber  auch  andere  schmerzhafte  Affec- 
tionen  sind  für  die  Hypnose  geeignet;  so 
hat  M.  22  Fälle  von  Cephalalgie,  7  von  Car- 
dialgie,  4  von  Ovarialgie  etc.  durch  tiefe  Hyp- 
nose (Grad  III)  geheilt,  in  einzelnen  Fällen 
allerdings  nur  vorübergehend.  —  lo  einem 
Falle,  in  welchem  eine  Beseitigung  chorea- 
tischer  Bewegungen  durch  Hypnose  gelang, 
trat  leider  sehr  bald  ein  Hecidiv  ein. 

Herr  B.  Fränkel  wendet  sich  gegen 
die  Vorwurfe,  welche  von  Seiten  Herrn 
MolTs  gegen  die  Elektricität  gemacht  wer- 
den. Herr  Ewald  weisst  die  Erscheiauugen 
der  Suggestion  als  solche  nicht  ab.  Jedoch 
sei  bei  einer  Therapie,  die  von  dem  Willen 
des  Kranken  abhängig,  für  die  ärztliche 
Thätigkeit  nur  ein  geringer  Raum  geboten 
und  würde  die  Therapie  in  die  Hände  von 
Nichtärzten  übergehen.  Eine  Fortsetzung 
der  Discussion  fand  statt  in  der  Sitzung  vom 
8.  Mai. 

(Sitzung  vom  8.  Maü) 

Discussion  über  den  Vortrag  des  Herrn 
Moll:  Therapeutische  Erfahrungen  auf 
dem  Gebiete  des  Hypnotismus. 
Hr.  Mendel  hat  im  Laufe  der  letzten 
Jahre  zum  Theil  in  Gemeinschaft  mit  seinem 
Assistenten  Hm.  Sperling,  eine  ganze 
Reihe  hypnotischer  Versuche  gemacht.  Das 
Ergebniss  derselben  war,  dass  eine  erheb- 
liche Einschränkung  der  Indication  dieses 
Verfahrens  nothwendig  sei;  unzweifelhaft 
bestehen  während  des  Vorganges  der  Hyp- 
nose vorübergehende  Störungen  in  der 
grauen  Hirnrinde,  die  bei  häufiger  Anwen- 
dung des  Verfahrens  dauernd  werden  kön- 
nen. In  der  That  hat  man  bereits  Ent- 
stehen von  früher  nicht  vorhandener  Hystero- 
Epilepsie,  allgemeine  Nervosität,  in  andern 
Fällen  Hypnotisirsucht  beobachtet.  —  Die 
glänzendsten  Erfolge  hat  die  Hypnose  bei 
Hysterischen,  aber  leider  sind  dieselben  wie 
sich  herausgestellt  hat,  nur  vorübergehend. 
Meist  treten  sehr  bald  Recidive  ein,  die 
dann  der  Hypnose  weniger  zugänglich  sind. 
—  Im  Allgemeinen  komme  man  in  Paris,  wo  die 
Hypnose  in  Charcot  einen  ihrer  begeistertsten 


Anhänger  fand,  wesentlich  von  dem  Enthu- 
siasmus zurück,  den  man  derselben  früher 
entgegengebracht  habe.  —  Wendet  man  die 
Hypnose  an,  so  dürfe  dies  wohl  als  ulti- 
mum refugium  bei  geeigneten  nervösen  Lei- 
den geschehen,  aber  nicht  in  Fällen  wie 
Menstruationsschmerzen  etc. 

Hr.  Sperling  berichtet  über  die  von 
ihm  gemachten  Erfahrungen.  Im  Allgemei- 
nen hat  sich  ihm  in  verschiedenen  Fällen 
von  Hystero-Epilepsie  die  Hypnose  als  werth- 
volles  therapeutisches  Hilfsmittel  bewährt. 
Aber  auch  bei  organischen  Affectionen  des 
Nervensystems  kann  sie  unter  Umständen 
von  Nutzen  sein,  z.  B.  bei  den  Fern  Wirkun- 
gen einer  Hemiplegie,  die  sich  in  zwei 
Beobachtungen  Verf.^s  unter  der  Einwirkung 
der  Hypnose  wesentlich  besserten;  in  einem 
Falle  von  multipler  Sclerose  konnte  man 
gleichfalls  eine  wesentliche  Linderung  der 
zuvor  nicht  geringen  Schmerzen  durch  Hyp- 
notisirung  des  Kranken  erreichen.  —  Im 
Allgemeinen  wendet  Sp.  bei  seineu  Hypno- 
sen möglichst  milde  Verfahren  an,"  indem  er 
den  Patienten  die  Hypnose  zunächst  sugge- 
rirt  und  sie  dann  durch  sanften  Drack  auf 
die  Augenlider  etc.  hypnotisirt.  —  Contrain- 
dicirt  ist  die  Hypnose  bei  Katalepsie,  da- 
gegen nicht,  wenigstens  nach  den  Erfahrun- 
gen Verf. 's,  bei  hysterischen  Krämpfen,  bei 
denen  er  in  einigen  Fällen  recht  gute  Er- 
folge erzielte. 

Hr.  Moll  weist  die  Vorwürfe,  die  der 
Hypnose  als  solcher  gemacht  werden,  zu- 
rück. Eventuelle  Schäden  seien  nicht  grös- 
ser, als  die  in  Folge  mancher  neuerer  Arz- 
neimittel gelegentlich  beobachteten  üblen 
Nebenwirkungen;  dass  die  Methode  auch 
von  Nichtärzten  ausgeübt  werde,  was  ihr 
Hr.  Ewald  vorgeworfen  habe,  habe  sie  mit 
andern  Applicationen  (Massage  etc.)  gemein- 
sam; der  Vorwurf,  dass  sie  aus  dem  Gebiete 
der  exacten  Wissenschaften  sich  entferne 
und  in  das  der  Psychologie  übergreife,  sei 
keiner,  denn  die  Medicin  habe  das  Recht, 
ebenso  wie  die  andern  Wissenschaften,  so 
auch  die  Psychologie,  wenn  nöthig,  sich 
dienstbar  zu  machen.  Loknstem. 

(SUziing  vom  1,  Mai.) 

Herr  P.  Guttmann:  üeber  Hydracetin. 

Das  von  G.  untersuchte  Hydracetin 
(Acetylphenylhydracin 
CeHsNH  — N-CH,CO) 
ist  ein  weisses,  krystallinisches,  geruchloses 
und  fast  geschmackloses  Pulver,  welches 
sich  schwer  in  Wasser  (ungefähr  im  Ver- 
hältnisB  von  1  :  50),  leicht  in  Alkohol  löst. 

Eine  ähnliche  Substanz,  das  Pyrodin, 
hat    im    Vorjahre    Dreschfeld    als    Anti- 


Ilf .  JahrcMDg.! 
Jnli  1889.    J 


ThenpeuÜsehe  Mittheilungen  «us  Vereinen. 


331 


pyreticum  erkannt;  nach  einer  spatem  Mit- 
theilnng  verdankt  jenes  Mittel  seine  Wirk- 
samkeit lediglich  dem  zu  25  %  in  ihm  ent- 
haltenen Acetylphenylhydracin. 

Reines  Acetylphenylhydracin  (Hydracetin 
Riedel)  giebt  in  «Substanz  mit  einer  Mi- 
schung Yon  98  Theilen  concentrirter  Schwe- 
felsäure und  2  Theilen  Salpetersäure  ver- 
setzt, eine  tiefcarminrothe  Färbung;  es  be- 
sitzt stark  reducirende  Eigenschaften,  so 
Jässt  es  z.  B.  schon  in  der  Kälte  aus  alka- 
lischer Kupferlösung  rothes  Kupferoxydul 
ausfallen,  scheidet  aus  alkalischer  Silber- 
lösung metallisches  Silber  aus,  reducirt 
Quecksilber-  und  Eisenoxyde  zu  Oxydu- 
len  etc. 

Die  von  6.  mit  dem  Hydracetin  Riedel 
angestellten  Thierversuche  zeigten,  dass 
dieses  Mittel  schon  in  relativ  geringen 
Gaben  toxisch  wirkt.  Kaninchen  starben 
nach  1  Tage,  wenn  man  ihnen  eine  wässe- 
rige Lösung  von  0,5  g  H.  in  den  Magen 
oder  die  Bauchhöhle  brachte,  nach  3  Tagen 
bei  intraperitonealer  Application  von  0,25  g 
H.;  die  gleiche  Menge,  in  den  Magen  ge- 
bracht, wurde  von  einem  Versuchsthiere  ver- 
tragen. 

Die  inneren  Organe,  namentlich  Nieren, 
Leber,  Milz  und  Lungen  waren  bei  allen 
Tersuchsthieren  rothbraun,  leicht  grünlich, 
das  Blut  im  Herzen  und  der  Yena  cava 
deutlich  verförbt.  In  der  Harnblase  fand 
sich  stets  eine  bräunliche  trübe  Flüssigkeit, 
^reiche  Blutfarbstoffreaction  gab,  bei  mikro- 
skopischer Untersuchung  aber  erhaltene  rothe 
Blutkörperchen  nicht  erkennen  Hess.  Schnitte 
durch  Leber  und  "Nieren  zeigten  in  den  Ge- 
lassen und  Hamkanälchen  bräunlichen  De- 
tritus, hie  und  da  auch  stärkere  Trübung 
der  Epithelien.  Im  Blute  der  mit  H.  ver- 
gifteten Thiere  Hessen  sich  zahlreiche  Zer- 
fall sproducte  von  Blutkörperchen  nachweisen, 
die  Entstehung  derselben  konnte  G.  bei 
Zusatz  von  Hydracetinlösung  zu  normalem 
Blute  beobachten. 

Als  Antipyrecticum  bewährte  sich 
Hydracetin  in  Dosen  von  0,1  —  0,15  g  bei 
18  hochfiebemden  Kranken  (8  Fälle  von 
Typh.  abdom.,  3  von  Phth.  pulm.,  je  2  von 
Pneumonie  und  Scarlatina,  je  1  von  Erysi- 
pel, acuter  Miliartuberculose  und  Septi- 
caemie). 

Die  Einzelgaben  betrugen  0,05 — 0,1  g, 
die  Tagesmengen  0,05 — 0,2,  nur  in  wenigen 
Fällen  0,3  g;  meist  wurde  eine  Gabe  von 
0,1  g  und  nach  2  Stunden  eine  weitere  von 
0,05  g  verordnet.  Bei  dieser  Anordnung 
tritt  nach  ^/^  Stunde  beginnend  ein  lang- 
samer continuirlicher  Temperaturabfall  ein, 
"welcher  meist  l'/a — 2  Grad,    zuweilen  sogar 


bis  zu  3  Grad  beträgt  und  gewöhnlich  von 
mehr  oder  minder  starker  Schweisssecretion 
begleitet  ist.  Das  Minimum  wird  ungefähr 
nach  2 — 3  Stunden  erreicht,  hält  nur  kurze 
Zeit  an.  Der  Wiederanstieg  der  Temperatur 
erfolgt  langsam,  fast  stets  ohne  Frost. 

Einfluss  auf  den  Verlauf  der  Erkrankun- 
gen hatte  das  Hydracetin  nicht. 

Bei  acutem  Gelenkrheumatismus 
verwendete  G.  Hydracetin  in  8  Fällen,  und 
zwar  in  Einzel  gaben  von  0,1  g,  in  Tages- 
mengen von  0,2 — 0,3  g.  In  allen  Versuchen 
beobachtete  er  Schmerzlinderung,  in  einzel- 
nen völlige  Schmerzlosigkeit.  Die  Wirkung 
machte  sich  nach  7)  ^^^  längstens  2  Stun- 
den bemerkbar,  hielt  mehrere  Stunden  an, 
war  aber  stets  nur  eine  symptomatische. 

Von  je  0,1  g  Hydracetin  sah  G.  auch 
vorübergehenden  guten  Erfolg  in  2  Fällen 
von  Ischias. 

Aeusserlich  verwendete  G.  das  Hydra- 
cetin als  Einreibung  bei  Psoriasis,  und 
zwar  wegen  der  stark  reducirenden  Eigen- 
schaften, welche  diesem  Mittel  in  demselben 
Maasse  eigen  '  sind,  wie  dem  Chrysarobin 
und  der  Pyrogallussäure. 

Der  Erfolg  war  in  den  beiden  beobach- 
teten Fällen  ein  günstiger;  zur  Anwendung 
kam  eine  lOprocentige  Vaselinesalbe.  Un- 
angenehme Nebenwirkungen  wurden  nicht 
beobachtet. 

Auf  Grund  seiner  Versuche  empfiehlt  G. 
das  Hydracetin  zur  äusserlichen  Anwendung 
bei  Psoriasis ;  beider  innerlichen  Anwendung 
mahnt  er  wegen  der  stark  reducirenden 
Eigenschaften  des  Mittels  zur  Vorsicht. 

Als  Antipyreticum  würde  die  Dosis  für 
Erwachsene  0,1  g  pro  die  sein  (als  ein- 
malige Gabe  von  0,1  oder  2  durch  Zwischen- 
raum von  1  Stunde  getrennte  Dosen  von 
je  0,05  g),  als  Antineuralgicum  und  Anti- 
rheumaticum  Morgens  und  Nachmittags  je 
0,05. 

Zur  Vermeidung  von  Intoxicationen  soll 
die  Tagesmenge  von  0,1  g  nie  länger  als 
3  Tage  hintereinander  gegeben  werden. 

Als  Vergiftungserscheinung  wurde  in 
mehreren  Fällen,  in  denen  Hydracetin  län- 
gere Zeit  (bis  zu  7  Tagen)  in  täglich  zwei- 
maligen Dosen  von  je  0,1  g  gegeben  war, 
eine  aufiPallende  Blässe  beobachtet.  Der 
Harn  war  frei  von  Hämoglobin  und  Eiweiss, 
auch  die  Menge  der  reducirenden  Substanzen 
war  nicht  vermehrt*). 

{Berl  kUn.  Woeh^ntchr.  1889  No.  20.)  C  E. 


*)  Es  ist  aus  der  Arbeit  des  Herrn  P.  Gutt- 
mann  von  dem  Referenten  die  Formel  des  Autor's 
wiedergegeben  worden;  dieselbe  ist  jedoch  richtig 
folgende:  Cg  H^  NH  -  NH  —  CO  CH, 

lAehrtieK 

42* 


332 


Referat«. 


TTherapeatiAche 
L  Monatshefte. 


Academie  de  Medecine  (Paris). 

{Sitzumj  vom  11.  Juni  1880.) 

Herr  G.  See:  lieber  ein  neues  Diu- 
reticum. 
Bei  der  Milchcur  ist  die  zu  verabrei- 
chende Menge  Milch  auf  mindestens  4 — 5  Liter 
zu  veranschlagen.  Da  viele  Kranke  eine 
solche  Quantität  nicht  vertragen,  suchte  S. 
festzustellen,  worin  das  wirksame  Princip 
bestehe.  Er  fand,  dass  dies  die  Lactose 
sei,  die  direct  auf  die  Nieren  einwirke.  In 
Folge  dessen  verabfolgte  er  den  Milchzucker 
in  einer  Menge  von  100,0  in  2  Liter  Wasser 
gelöst.     Bei   Nierenkranken    fand    er    keine 


günstige  Wirkung,  dagegen  war  der  Erfolg 
bei  Ilydropsien  in  Folge  von  Herz- 
affectionen  ein  geradezu  überraschen- 
der. Man  muss  den  Milchzucker  6 — 8  Tage 
hintereinander  verordnen,  dann  einige  Tage 
pausiren  und  ihn  alsdann  wieder  verab- 
reichen. Alle  anderen  Getränke  sind  während 
dieser  Zeit  zu  untersagen.  Jodkalium  ist 
als  ein  nicht  zu  vernachlässigendes  Unter- 
stützungsmittel gleichfalls  mit  in  Anwendung 
zu  ziehen. 

{Revut  gen.  dt  Cliniq.  et  de  Therap.  1889  No.  2A.) 

Dt.  Ciaret  {Cery). 


Referate. 


Ueber  Sulfonal  und  sein  Werth  als  Hypnoticum 
bei  Geisteskranken.     Von  Dr.  S.  Garnier. 

Aus    17  Beobachtungen,    die  ausführlich 
berichtet  werden,  zieht  S.  folgende  Schlüsse: 
1.  Sulfonal  ist  ein  ganz  vorzügliches  Schlaf- 
mittel    für    Geisteskranke.      In    Dosen    von 
2,0  —  5,0    beseitigte   es   in  fast  allen  Fällen 
die  Schlaflosigkeit.     2.  Es  wirkte,    wo  Par- 
aldehyd,    ürethan ,     Chloral,    Hypnon    sich 
unwirksam  gezeigt  hatten.     3.  Seine  Geruch- 
und     Geschmacklosigkeit     erleichtern     seine 
Anwendung,  desgleichen  ist  es  als  ein  Vor- 
zug des  Sulfonals  zu  betrachten,  dass  es  die 
Respiration,  Circulation  und  Verdauung  nicht 
ungünstig     beeinflusst.       4.    Erbrechen    und 
leichte  Diarrhoe    wurden    in  wenigen  Fällen 
nach  dem  Gebrauch  von  Sulfonal  beobachtet. 
5.  Ebenso  traten  zuweilen  Schwindel,   Gefühl 
von  Trunkenheit  und  Gleichgewichtsstörung 
auf.       Daher     dürfte     die    Anwendung    des 
Mittels    in  Fällen    von  congestivem  Irresein 
zu  vermeiden  sein.     6.  Die  diure tische  Wir- 
kung   des  Mittels  ist  zweifellos  festgestellt, 
aber  ohne  Bedeutung.     7.  Die  beruhigende 
Wirkung   am  Tage  ist  unzuverlässig.     Tritt 
sie  ein,  so  macht  sich  Schläfrigkeit  bemerk- 
bar,   die  durch  Verringerung  der  Dosis  ver- 
mieden   werden    kann.     8.  In    dosi  refracta 
wirkte  Sulfonal  bei  einem  Individuum  am  Tage 
gar    nicht    und   in   der  Nacht  war  die  Wir- 
kung zweifelhaft.     9.  Kranke,  die  das  Mittel 
einen  Tag  um  den  andern  erhielten,  zeigten 
in    der  Hälfte    der   Fälle    ein    ruhiges  Ver- 
halten   während    der    sulfonallosen    Nächte. 
10.  Bei  Geistesgesunden  scheint  Sulfonal  in 
der     That    normalen,    festen    Schlaf,    ohne 
störende  Nebenerscheinungen,    zu   bewirken. 


Daher  ist  das  Mittel  in  Fällen  von  nervöser 
Schlaflosigkeit  zu  empfehlen. 

{Annal€8  med.  pttycholog.  1889  No.  1  und  2.)       B. 

Ueber    die    Wirkung    übermässiger    Dosen    von 
Sulfonal.     Von  Dr.  F.  Fischer  (lllenau). 

Als  Nebenwirkungen  des  Sulfonals  sind 
verschiedentlich  Eingenommenheit  des  Kopfes, 
protrahirte  Schläfrigkeit,  leichte  Benommen- 
heit, Mattigkeit,  Schwindel,  Uebelkeit,  Er- 
brechen gesehen  worden.  Bornemann  hat 
taumelnden  Gang,  Ataxie,  Illusionen,  ängst- 
liche Erregtheit  sowie  schnell  vorübergehende 
Bewusstseinsstörung  in  einem  Falle  be- 
schrieben (D.  Med.-Ztg.  1888  No.  85).  Die 
Beobachtung  F. 's  betrifft  einen  36 j.,  an 
acuter  hallucinatorischer  Morphium-Cocain- 
Paranoia  leidenden  Mann,  der  vor  seiner 
Aufnahme  in  die  Anstalt  wohl  10 — 15  g 
Sulfonal  pro  die  verbraucht  und  in  der- 
selben 1  —  2  g  einige  Tage  hindurch  erhalten 
hatte,  während  gleichzeitig  die  Morphium- 
dosis (Cocain  war  gleich  entzogen  worden) 
jeden  Tag  um  1  —  2  cg  vermindert  wurde. 
Dabei  entwickelte  sich  folgender  Zustand: 
Pat.  ging  unsicher,  taumelte  wie  ein  Be- 
trunkener oder  Atactischer  herum,  so  dass 
er  sich  an  den  Wänden  halten  musste. 
Die  Ataxie  breitete  sich  auch  über  die 
oberen  Extremitäten  aus,  die  Schriftzüge 
glichen  denen  eines  Atactischen.  Die  Sprache 
wurde  sehr  erschwert,  undeutlich,  das  Be- 
wusstsein  gestört.  Unmittelbar  nach  einer 
Morphiuminjection  oder  nach  Alkoholgenuss 
erschien  die  motorische  Störung  vermehrt, 
auch  war  das  Gehen  im  Dunkeln  unsicherer 
als    bei   Beleuchtung.     Mit    dem  Aussetzen 


in.  Jabrgftng.l 
Jall  1889.    J 


Refermte. 


333 


des  Sulfonals  verlor  sich  die  Bewegungs- 
uDd  Bewusstseinsstörung  Dach  und  nach. 
Die  Sehnenreflexe  waren  wie  im  Borne- 
mann  "sehen  Falle  erhalten.  Verf.  hat 
übrigens  selbst  bei  4  g  Sulfonal  sonst  nie 
solche  Erscheinungen  gesehen,  bestätigt 
Tielmehr  den  günstigen  hypnotischen  Erfolg 
desselben  bei  nervöser  Schlaflosigkeit.  Viel- 
leicht hat  es  sich  in  dem  obigen  Falle  um 
eine  gehäufte  Wirkung  des  Mittels  gehan- 
delt, da  wegen  "Weigerung  des  Patienten 
die  von  Käst  angegebene  Darreichungsweise 
(fein  pulverisirt  in  wenigstens  200  g  warmer 
Flüssigkeit  in  den  frühen  Abendstunden), 
wobei  Lösung  und  Resorption  am  raschesten 
erfolgt,  nicht  innegehalten  werden  konnte. 
(Neurol  Centralbl.  1889  No,  7.)  Krön. 

Ueber  die  Anwendung  von  Antifebrin  bei  Angina. 
Von  Dr.  W.  Sahli  (Langenthai). 

An  sich  selber  und  bei  vielen  anderen 
Fällen  von  Angina  und  Diphtherie  hat  S. 
Antifebrin  in  vorsichtigen  Gaben  mit  recht 
gunstigem  Erfolge  angewandt.  Er  ist  weit 
davon  entfernt,  im  Antifebrin  ein  Specificum 
gegen  Angina  oder  gar  Diphtherie  anzusehen. 
!Nur  gegen  die  subjectiven  Beschwerden  dieser 
Affection  leistet  das  Mittel  ausgezeichnete 
Dienste,  und  damit  ist  schon  recht  viel  ge- 
wonnen. Er  nahm  selber  bei  Angina  mit 
hohem  Fieber  3  Mal  täglich  0,25  und  hatte 
alsbald  weniger  von  dem  quälenden  Schlucken 
zu  leiden  und  guten  Schlaf.  Er  verabfolgt 
das  Antifebrin  als  Schüttelmixtur  mit  Spiri- 
tuszusatz und  einem  beliebigen  Syrup. 
Trotz  vielfacher  Anwendung  des  Mittels  hat 
er  —  im  Gegensatz  zum  Antipyrin  —  nie- 
mals unangenehme  Nebenerscheinungen  beob- 
achtet. 

{Corresp.-Bl.Jur  Schweizer  Aerzte  1889  No.  12.) 

R. 

(Aiu   der   medicin.  Abtheilnng   des  Prof,  Dräsche    im   k.  k. 
allgem.  KrankcnhauBe  in  Wien.) 

Ueber  die  Wirkung  des  Pyrodins.  Von  Dr.  Th. 
J.  Zerner,  Secundärarzt  der  genannten  Ab- 
theil UDg. 

Bereits  bei  der  ersten  Empfehlung  des 
Pyrodins  hatte  Dreschfeld  auf  die  toxi- 
schen Eigenschaften  des  neuen  Mittels  auf- 
merksam gemacht  und  zur  Vorsicht  bei  der 
Anwendung  desselben  gemahnt  (s.  Therap. 
Monatsh.  1888  S.  557  und  1889  S.  23). 
Die  seitdem  mit  dem  Mittel  gemachten  Er- 
fahrungen haben  die  Berechtigung  dieser 
Tarnung  dargethan  und  die  von  Zerner 
an  53  Kranken  gesammelten  Beobachtungen 
weisen  so  ungünstige  Resultate  auf,  dass 
das  Pyrodin  als  Antipyreticum  und  über- 
haupt als  innerliches  Mittel  als  abgethan 
betrachtet  werden  kann. 


Wenn  auch  die  "Wirkung  auf  die  fieber- 
haft erhöhte  Körpertemperatur  in  den  meisten 
Fällen  eine  sehr  energische  war  und  stets 
ohne  Collaps  erfolgte,  so  bot  die  Anwendung 
des  Pyrodins  gegenüber  den  anderen  Anti- 
pyreticis  doch  keine  Vortheile  dar,  welche 
die  Gefahren  einer  Intoxication  durch  das 
Mittel  aufwiegen  und  die  Verwendung  in 
der  Praxis  rechtfertigen  könnten. 

Die  Temperaturerniedrigung  trat,  meistens 
unter  profusen  Schweissen,  bereits  nach  einer 
halben  Stunde  ein  und  erreichte  in  zwei  bis 
drei  Stunden  ihr  Minimum.  Nach  weiteren 
zwei  bis  drei  Stunden  hatte  die  Temperatur 
die  ursprüngliche  Höhe  wiedererlangt. 

Die  Respirationsfrequenz  wurde  nur  in 
einigen  Fällen,  die  Zahl  der  Pulse  unter 
gleich  zeitiger  Erhöhung  der  Spannung  meistens 
herabgesetzt.  Ein  wohlthuender  Einfluss  auf 
das  subjective  Befinden  machte  sich  nur  aus- 
nahmsweise geltend,  und  ebensowenig  zeigte 
sich  eine  günstige  Einwirkung  auf  die  Dauer 
der  Krankheit,  ja  es  schien  sogar  der  Krank- 
heitsverlauf unter  Pyrodinanwendung  ein 
schwererer  zu  sein  als  bei  den  exspectativ 
behandelten  Fällen. 

Was  die  Wirkung  bei  verschiedenen 
Krankheiten  betrifft,  so  gelang  es  beim  Ery- 
sipel nur  selten,  die  Temperatur  um  mehr 
als  l^C.  herabzudrücken.  Am  intensivsten 
und  sichersten  war  die  Wirkung  bei  tuber- 
culösen  Processen.  Bei  Gelenkrheumatismus 
erfolgte  oft  ein  ganz  bedeutender  Temperatur- 
abfall, jedoch  ohne  wesentliche  Beeinflussung 
der  Schmerzen. 

Die  Wirkung  als  Antineuralgicum  war 
unsicher.  Am  meisten  leistete  das  Mittel 
in  Dosen  von  0,3  g  bei  Hemicranien  und 
nach  Excessen  in  baccho. 

Vergiftungserscheinungen,  welche  constant 
nach  grösseren  Gaben  auftraten ,  aber  auch 
durch  Dosen  hervorgerufen  werden,  welche  ge- 
ringer sind,  als  die  von  Dreschfeld  angege- 
bene Maximaldosis  0,2  g,  erfolgten  in  9  Fällen 
(6  Typhus  abdominalis,  1  Pneumonie,  2Tuber- 
culose)  und  waren  6  Mal  schwerer  Natur. 
Die  Patienten  waren  apathisch;  es  trat  be- 
deutende Prostration  auf.  Die  Scleren  waren 
tief  icterisch,  die  allgemefne  Hautdecke  sub- 
icterisch  geförbt:  Nase,  Wange  und  Finger- 
spitzen zeigten  bleigraue  Färbung.  Der  Puls 
wurde  beschleunigt,  zeitweise  unregelmässig, 
klein  und  schwach,  die  Respiration  beschleu- 
nigt, in  einigen  Fällen  auffallend  verlang- 
samt. Der  anfangs  rothgelbe,  später  dunkel- 
rothe  Urin  wurde  bei  den  schweren  Intoxi- 
cationen  braun  und  massig  getrübt,  enthielt 
gelösten  Blutfarbstoff,  Urobilin,  Albumin, 
hyaline,  granulirte  und  Epithelialcylinder, 
Lymphzellen    und    vereinzelte    rothe    Blut- 


334 


Refermte« 


rlxerApcnfiadift 
Monatabefte. 


korpercheo.  Gallensäuren  waren  nicht  vor- 
handen. £iBe  der  Fingerkuppe  entnommene 
Blutprobe  zeigte  unter  dem  Mikroskop  mangel- 
hafte Geldrollenbildung  und  eine  grosse  An- 
zahl theilweise  oder  ganz  entfärbter  Blut- 
körperchen (Schatten).  In  den  schweren 
Fällen  bestand  deutlich  ausgesprochene 
Poikilocytose.  Der  Hämoglobingehalt  (ge- 
messen mittelst  des  FleiscbTschen  Hämo- 
meters)  war  verringert.  Was  den  weiteren 
Verlauf  betrifft,  so  verschwand  zunächst  der 
Blutfarbstoff  aus  dem  Urin,  dann  das  Albu- 
min, am  längsten  dauerte  der  Icterus.  Die 
Dauer  der  Intoxicationserscheinungen  betrug 
8  — 12  Tage;  in  einem  Falle  (Typhus)  konn- 
ten noch  3  Wochen  lang  Albumin  und 
Nierency linder  im  Harn  nachgewiesen  werden. 

Es  geht  hieraus  hervor,  dass  das  Pyro- 
din  zu  den  Blutgiften  zu  rechnen  ist.  Wenn 
die  geschilderten  schweren  Vergiftungserschei- 
nungen auch  nur  an  schwer  fieberhaft  er- 
krankten Individuen  beobachtet  wurden,  so 
lässt  der  Umstand,  dass  Vf.  bei  sich  selber 
nach  zwei  innerhalb  18  Stunden  genommenen 
Dosen  von  0,4  g  Eingenommensein  des  Kopfes, 
allgemeine  Mattigkeit  und  Brustbeklemmung 
constatirte,  sowie  der  Nachweis  von  Met- 
hämoglobinämie bei  gesunden  Kaninchen  zur 
Vorsicht  auch  bei  Nichtfiebemden  und  Ge- 
sunden mahnen. 

Bei  Typhus  hält  Z.  die  Anwendung  für 
verwerflich,  bei  Pneumonie,  Scharlach,  Masern 
für  überflüssig.  Bei  Tuberculose  und  an- 
deren chronisch  verlaufenden  fieberhaften 
Krankheiten  wird  der  Gebrauch  dadurch  ein- 
geschränkt, dass  es  nur  wenige  Tage  hinter- 
einander angewendet  werden  kann.  Bei  Ge- 
lenkrheumatismus steht  Pyrodin  dem  salicyl- 
sauren  Natron  nach. 

Als  Einzel-  und  Tagesgabe  bezeichnet 
Vf.  0,2  g,  höchstens  0,3  g. 

{CtrlbL  f.  d.  ges.  Therapie  2889.  Heß  3,)  rd, 

Behandlung   der   Hydropsie   mit   Calomel.     Von 
Dr.  Colombo  (Aubervilliers). 

C.  berichtet  über  einen  Fall,  in  dem 
eine  Frau  von  einem  organischen  Herzleiden 
befallen  und  bereits  in  das  letzte  Stadium 
mit  Anasarka  und  Asystolie  gelangt  war. 
Mit  Digitalis  und  Strophanthus  war  kein 
diuretischer  Effect  mehr  zu  erzielen.  Es 
wurde  Calomel    in  Pulvern   von  0,2  täglich 

3  Mal  zu  nehmen  verordnet  und  diese  Me- 
dication  3  Tage  lang  fortgesetzt.  Um 
Salivation  zu  verhüten,  Spülung  des  Mundes 
mit  Kali  chloricum.  Darauf  wurde  das  Mittel 

4  Tage  ausgesetzt  und  dann  wieder  von 
Neuem  wie  vorher  gebraucht.  Am  9.  Tage 
trat  starke  Diurese  ein.  Nach  3  Wochen 
dieser     Behandlung     war     die     hydropische 


Anschwellung  verschwunden  und  das  Allge- 
meinbefinden ein  gutes.  Verf.  glaubt  daher, 
dass  Calomel  anzuwenden  sei,  wo  Digitalis 
und  Strophanthus  ihre  Wirkung  versagen. 

{Remie  g4n.  de  CUniq.  et  de  Thirap.  1889  Ho.  24,) 

Dr.  Ciaret  (Csry). 

Ueber  die  diuretische  Wirkung  der  Virga  aurea. 
Von  Dr.  L.  Roche  (Torsey). 

Verf.  macht  darauf  aufinerksam,  dass 
die  Virga  aurea  durchaus  kein  neues  Mittel 
ist.  Dr.  Du  che  senior  betrachtete  dieselbe 
schon  1886  als  ein  ausgezeichnetes  Diureti- 
cum.  Er  Hess  seine  Patienten  täglich  ein 
Infus  von  16,0  —  30,0  der  Blätter  auf  ein 
Liter  Wasser  glasweise  zweistündlich  nehmen. 
Nach  Verlauf  von  48  Stunden  trat  die 
diuretische  Wirkung  ein.  (Nach  mir  per- 
sönlich von  Herrn  Dr.  Rabow  gemachten 
Mittheilungen  hat  derselbe  die  oben  ge- 
nannte Pflanze  schon  seit  länger  als  12  Jahren 
mit  gutem  Erfolge  vielfach,  besonders  bei 
Hydropsien,  als  diuretisches  Mittel  verordnet. 
Er  hat  die  Solidago  Virg.  aurea  auch  oft  in 
Combination  mit  Digitalis  —  im  Infus  — 
gegeben.  Uebrigens  hat  schon  Rademacher 
die  diuretische  Wirkung  dieser  Pflanze  ge- 
kannt; auch  ist  dieselbe  in  manchen  Ge- 
genden Ostpreussens  seit  sehr  lange  als 
Volksmittel  gegen  Wassersucht  in  Gebrauch.) 

(Revue  gSn.  de  Therap.  1889  No.  24.) 

Dr.  Ciaret  {Cgry). 

Ueber  Jodbehandlung  bei  Cardiopatliien.  Ein 
neues  Diureticum:  Virga  latifolia.  Von  Dr. 
Mascarel. 

Verf.  beschäftigt  sich  mit  der  Behand- 
lung der  Cardiopathien  mittelst  Jod,  und 
erinnert  an  ein  Arzneimittel ,  welches  neuer- 
dings zu  sehr  ausser  Acht  gelassen  wird. 
Dies  ist  die  Virga  latifolia,  ein  diureü- 
sches  Agens. 

M.  verordnet  Jodkali  in  den  Dosen  von 
1  g  täglich  in  der  ersten,  2  g  in  der  zwei- 
ten, 3  g  in  der  dritten  Woche.  Dann  unter- 
bricht er  diese  Medication  während  einer 
Woche,  um  dieselbe  in  der  fünften  in  der- 
selben Weise  wieder  zu  beginnen.  Diese 
Behandlung,  während  mehrerer  Jahre  fort- 
gesetzt, vermindert  in  erheblicher  Weise  die 
Anfalle  von  Dyspnoe,  welche  ihren  Ursprung 
in  einer  Herzaffection  haben.  Der  Einfluss 
dieser  Medication  auf  die  Endocarditis  scheint 
zweifellos.  —  Was  die  Solidago  virga 
aurea  betrifft,  so  zerstosst  er  die  Pflanzen 
sammt  Blätter,  Blumen  und  Stengel  su 
Pulver  und  verordnet  davon  einen  Theeloffel 
voll,  vermischt  mit  einem  leicht  gezuckerten 
frischen,  rohen  Ei  am  ersten  Tage.  Am 
zweiten  Tage   2    gleiche  Dosen,    am  dritten 


HL  J«hrgaaff.l 
Jnli  1889.    J 


Reformttt« 


Sä5 


3  Dosen  u.  8.  w.  bis  zum  siebenten  Tage, 
jeden  Tag  um  eine  Dosis  steigend.  Dabei 
muss  die  Verstopfung  bekämpft  werden. 

{Revue  gen.  de  CUmque  et  de  TlUrap,  1889.  No.  22.) 

Ciaret  {Cery). 

Ueber    die   Punction   des   Darms  bei  Darmver- 
schluss.    Von  Prof.  0.  Rosenbach. 

Gegen  die  Methode  der  Darmpunction 
bei  Ileus  wird  wesentlich  geltend  gemacht, 
dass  sie  erstens  gefahrlich  sei  und  zweitens 
nicht  Genügendes  leiste,  da  sie  nur  sympto- 
matisch wirke. 

Thatsächlich  ist  aber  noch  niemals  durch 
die  Darmpunction  eine  Infection  des  Perito- 
neums erfolgt,  und  es  ist  auch  theoretisch 
nicht  einzusehen,  weshalb  die  Punction  des 
Darmes  und  selbst  eines  sehr  gespannten 
Darmes  mit  der  Canüle  einer  Pravaz' sehen 
Spritze  unter  den  nothigen  Cautelen  eine 
Infection  herbeifuhren  sollte.  Man  verwen- 
det eine  möglichst  spitze,  dünne,  4 — 5  cm 
lange  Canüle.  Man  sticht  die  Canüle  mit 
aufgesetzter  Spritze  und  hineingestossenem 
Stempel  nach  der  üblichen  Reinigung  der 
Bauchdecken  langsam  in  den  Darm  und  ent- 
fernt nachher  die  Spritze.  Als  Einstich- 
stelle wählt  man  am  besten  die  obere  Hälfte 
des  Abdomens  oberhalb  der  Nabelliuie;  auch 
suche  man  sorgföltig  die  prominenteste  Stelle 
aus.  Falls  überhaupt  kein  Gas  ausströmt, 
oder  das  Ausströmen  nach  einiger  Zeit 
sistirt,  so  kann  man  die  Spritze  aufsetzen 
und  durch  Ansaugen  das  Ausströmen  des 
Gases  befördern.  Wird  durch  die  Punction 
nicht  eine  genügende  Menge  Gas  entleert, 
so  kann  man  das  Verfahren  an  einer  anderen  , 
oder  mehreren  anderen  Stellen  des  Darmes 
wiederholen. 

Vor  Entfernung  der  Canüle  wird  die 
Spritze  aufgesetzt  und  zur  Reinigung  etwas 
Carbol-  oder  Jodoformlösung  in  den  Darm 
eingespritzt.  Alsdann  wird  die  Canüle  bei 
geschlossener  Spritze  entfernt. 

Was  den  zweiten  Einwand  betrifft,  so 
ist  zu  bemerken,  dass  die  Punction  sicher- 
lich eine  direct  causale  Wirkung  ausübt, 
indem  sie  der  Darmlähmung  Yorbeugt  und 
für  alle  Fälle  operativ  zu  behandelnde  oder 
der  Selbstentwickelung  überlassene,  durch 
Entlastung  des  Darmes  und  Verminderung 
des  intraabdominellen  Druckes  günstigere 
Verhältnisse  schafft. 

Vf.  schildert  sodann  4  Krankheitsfälle; 
in  den  beiden  ersten  Fällen  wurde  durch 
die  Punction  vollständige  Heilung  herbei- 
geführt; in  den  beiden  andern  Fällen,  die 
unheilbar  waren,  da  es  sich  bei  dem  einen 
wahrscheinlich  um  einen  malignen  Tumor 
des  Coecum^  bei  dem  andern  um  eine  grosse 


bis  unter  die  Leber  reichende,  von  mehr- 
fachen Perforationen  des  Coecum  ausgehende 
Jauchehöhle  handelt,  wurde  eine  sehr  we- 
sentliche Verbesserung  des  subjectiven  Be- 
findens und  eine  Verlängerung  des  Lebens 
erzielt. 

{Berl  klin.  Wochentchr.  1889  8.  370.) 

Schmey  {BenUhen  0.-8.). 

Die  Wiederherstellung  der  Harnblase.  Experi- 
mentelle UntersuchnjigeD  von  Prof.  Tizzoni 
und  Alfonso  Foggi. 

In  Rücksicht  auf  die  bisherigen  mangel- 
haften Erfolge,  die  man  allein  schon  bei 
den  Versuchen,  den  Harnleiter  auf  eine  an- 
dere Stelle  der  Harnblase  oder  auf  das  Rec- 
tum zu  verpflanzen,  gehabt  hat,  haben  die 
Verfasser  die  viel  weiter  gehende  Idee,  näm- 
lich eine  ganz  neue  Blase  an  Stelle  der  ex- 
stirpirten  zu  setzen,  zur  Ausführung  zu  brin- 
gen unternommen. 

Zu  dem  Zwecke  haben  sie  bei  einer 
etwa  2  Mon.  alten  Hündin  aus  einer  Dünn- 
darmschlinge ein  ungefähr  7  cm  langes  Stück 
resecirt,  dasselbe  zunächst  noch  mit  dem 
Mesenterium  in  Verbindung  gelassen,  den  In- 
halt entleert  und  die  Schleimhaut  mit  Carbol- 
wasser  abgespült,  die  Enden  mit  je  einer 
Schlinge  befestigt  und  das  eine  Ende  vor- 
läufig vom  am  Blasenhalse  befestigt.  Die 
beiden  durchtrennten  Darmabschnitte  wurden 
hierauf  durch  eine  Kreisnaht  vereinigt  und 
die  Bauchwunden  geschlossen.  Am  nächsten 
Tage  wurde  in  der  Operation  fortgefahren, 
indem  nun  die  XJreteren  von  der  Blase  ge- 
löst, die  letztere  vom  Blasenhalse  abge- 
tragen, die  isolirte,  inzwischen  sehr  zusam- 
mengeschrumpfte Darmschlinge  an  dem  einen 
Ende  mit  dem  Blasenhalse  ringsum  vereinigt, 
die  XJreteren  seitlich  in  die  Wände  dieser 
Schlinge  eingepflanzt  und  die  Bauchwunde 
wiederum  geschlossen,  nachdem  noch  ein 
elastisches  Rohr  in  der  neuen  Blase  und  in 
der  Harnröhre  wohlbefestigt  zurückgelassen 
war.  Der  Erfolg  war  ein  durchweg  befrie- 
digender. Die  anfangliche  Harnincontinenz 
hörte  schon  nach  14  Tagen  auf  und  der 
Hund  war  später  im  Stande,  den  Urin  sogar 
im  Strahle  zu  entleeren.  Die  Verfasser 
hoffen,  künftighin  die  Operation  in  einer 
Sitzung  auszufahren  (es  könnte  ja,  während 
der  eine  Operateur  den  resecirten  Darm  ver- 
einigt, der  andere  sich  mit  der  Implantation 
der  excidirten  Schlinge  beschäftigen!  Ref.) 
und  beabsichtigen,  über  das  weitere  Studium 
des  Falles  in  einer  ausführlichen  Arbeit  zu 
berichten. 

(CentraUflfür  Chh-urgie  1888  No.  SO.) 

Freier  {SUtUn). 


ä36 


Refermte. 


tTherApenUscbo 
Monatahefttt. 


Incarceratio  interna  —  Laparotomie  —  Regulini- 
sches Quecksilber.  Von  Dr.  Gelpke,  Gelter- 
kieden. 

Auf  Grund  mehrerer  Fälle  innerer  In- 
carceration,  von  denen  2  operativ  und  2 
medicamentös  behandelt  wurden,  glaubt  Yerf. 
die  Anwendung  des  regulinischen  Queck- 
silbers wieder  empfehlen  zu  sollen,  trotzdem 
dass  in  dem  einen  Falle  in  Folge  nur  theil- 
weiser  Ausscheidung  des  Quecksilbers  ,,nicht 
unbedenkliche  Erscheinungen  chronischer 
Merkurvergiftung"  wohl  ein  halbes  Jahr 
lang  bei  dem  Patienten  bestehen  blieben.  — 
Bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  einer  Hernie 
empfiehlt  Verf.,  den  Bauchschnitt  von 
der  Bruchpforte  ausgehen  zu  lassen, 
weil  in  den  beiden  operirten  Fällen  die 
innere  Incarceration  sich  in  der  Nähe  der 
Bruchpforte  befand.  Jedenfalls  soll  der 
Laparotomie  eine  medicamentöse  Behand- 
lung, vor  allem  die  mit  regulinischem  Hg, 
vorangehen. 

{Correspondentblf.  Schweizer  Aerzte,  1889t  No.  2.) 

f\reyer  (SUtfin). 

Beitrag  zur  Behandlung  der  gangränösen.  Her- 
nien und  des  widernatOrlichen  Afters.  Von 
Dr.  Carl  Koch  in  Nürnberg. 

Auf  Grund  eigener  Erfahrungen  ist  Verf. 
zu  dem  Resultat  gelangt,  dass  in  Fällen 
gangränöser  Hernien  stets  die  Anlegung 
eines  künstlichen  Afters  zu  inten- 
diren  sei.  Ist  diese  auch  nicht  ganz  frei 
von  Gefahren,  so  sei  die  Gefahr  der  Pri- 
märresection  doch  viel  grosser  noch,  weil  es 
zu  unsicher  ist,  das  entzündlich  infiltrirte 
und  inficirte  Gewebe  vollkommen  zu  ent- 
fernen, während  bei  Anlegung  des  künst- 
lichen Afters  es  meistens  gelingt,  nach  Aus- 
räumung aller  Wundbuchten  eine  antisep- 
tische Behandlung  durclizuführen.  Den  gan- 
gränösen Darm  räth  Verf.  antiseptisch  um- 
hüllt und  einstweilen  un eröffnet  aussen 
liegen  zu  lassen.  Die  Heilung  des  wider- 
natürlichen Afters  tritt  zuweilen  spontan 
ein,  oder  sie  gelingt  meistens  nach  Besei- 
tigung des  Sporns  oder  durch  theil- 
weise  oder  vollständige  Continui- 
tätsresection.  Hauptsächlich  auch  vom 
practischen  Standpunkte  aus  und  ganz  be- 
sonders für  die  Privatpraxis  sei  die  Anlegung 
des  widernatürlichen  Afters  im  Gegensatz  zu 
der  Primärresection  als  das  Normal  verfahren 
bei  brandigen  Brüchen  anzuempfehlen. 

{München,  med.  Wochenschr.j  1888,  No.  62.) 

Frey  er  {Stettin). 

Die  Indication  der  Ovariotomie  und  der  Myomo- 
tomie.  Nach  einem  Vortrage  von  Professor 
Dr.  Hermann  Loehlein  (Gieseen). 

Während  die  Fragen  der  Technik,  ob 
intra-  oder    extraperitoneale  Stielversorgung 


im  Kreise  der  Specialisten  erörtert  werden 
müssen,  nimmt  die  Frage  von  der  Indication 
der  beiden  Operationen  in  hohem  Maasse 
das  Interesse  der  weitesten  ärztlichen  Kreise 
in  Anspruch.  „Jeder  Arzt  wird  sich  den 
Vorwurf  ersparen  wollen,  günstige  Verhält- 
nisse für  die  operative  Entfernung  einer  in 
ihrer  weiteren  Entwickelung  das  Leben  be- 
drohenden Neubildung  versäumt  zu  haben, 
ebenso  aber  auch  den  andern,  dass  er,  einer 
momentan  gesteigerten  Operationslust  folgend, 
wegen  Beschwerden,  die  sich  auch  ander- 
weitig bessern  oder  beseitigen  liessen,  einen 
gefährlichen  Eingriff  angerathen  oder  unter- 
nommen habe." 

Was  nun  zunächst  die  Ovariotomie  be- 
trifft, so  kann  man  von  ihr  mit  Schroeder 
sagen,  dass  sie  überall  indicirt  ist,  wo  ein 
Tumor  ovarii  nachgewiesen  ist,  es  sei  denn, 
dass  es  sich  um  maligne  Geschwulstbildungen 
handelt,  die  nicht  mehr  auf  das  Ovarium 
beschränkt  sind  und  eine  radicale  Entfernung 
nicht  mehr  zulassen.  Die  früher  angeführten 
Contraindicationen:  gleichzeitig  bestehende 
Schwangerschaft,  Eiterung  in  der  Cyste, 
complicirende  Peritonitis  sind  als  solche  nicht 
mehr  zu  halten,  fordern  vielmehr  theil weise 
sogar  zu  unverzüglicher  Vornahme  der 
Operation  auf.  Bei  der  Frage,  welche  Grösse 
ein  Neoplasma  erreicht  haben  müsse,  um 
die  Ovariotomie  zu  erheischen  und  ob  auch 
kleinere  Tumoren  vielleicht,  um  ihrer  selbst 
willen,  die  Operation  anzeigen,  hat  das  ent- 
scheidende ürtheil  die  Statistik  gesprochen, 
welche  nachgewiesen  hat,  das  in  6,  ja  selbst 
in  5  Fällen  einmal  die  Diagnose  Tumor  ovarii 
gleichwerthigmit  der  Diagnose  Tumor  malignus 
ist.  Und  da  wir  im  vorliegenden  Falle  oft 
nicht  exact  entscheiden  können,  ob  wir  einen 
bösartigen  Tumor  vor  uns  haben,  da  femer, 
auch  abgesehen  hiervon  jede  als  cystiscb 
überhaupt  zu  erkennende  Eierstockgeschwulst 
sicher  und  unaufhaltsam,  bald  langsam,  bald 
schneller  wächst  und  einerseits  mit  ihrem 
Wachsthum,  sei  es  durch  Peritonitis,  Stiel- 
torsion u.  8.  w.,  sei  es  durch  die  mechanischen 
Folgen  ihrer  Ausdehnung  das  Leben  der 
Patientin  in  der  Regel  direct  gefährdet,  oder 
andererseits  durch  lästige  Druck erscheinun gen 
und  nachtheiligen  Beiz  auf  die  Nachbarschaft 
eine  symptomatische  Indication  zur  Operation 
stellen  kann,  und  da  wir  schliesslich  und 
das  ist  das  Wichtigste,  mit  Einführung  der 
Antisepsis  zur  Zeit  95%  und  mehr  Heilungen 
zu  verzeichnen  haben,  so  erscheint  die  In* 
dication  der  Ovariotomie  durch  den  einfachen 
Nachweis  von  Ovarialtumoren,  auch  kleinen, 
jedem  Zweifel  entrückt.  Natürlich  ist  zu  ver- 
langen, dass  dieser  Nachweis  bei  den  kleinen 
Tumoren  besonders    grundlich    geführt  wird 


in.  Jfthrgsn^.'l 
Jnli  1889.    J 


R«fento. 


337 


und  durch  wiederholte  Untersuchung  und 
Yergleichung  nach  jeder  Richtung  hin  ge- 
sichert ist. 

In  vielen  Punkten  von  der  Ovariotomie 
abweichend,  stellt  sich  die  Betrachtung  der 
durch  üterusmyome  bedingten  Indication 
zur  Laparotomie.  Der  Grund  liegt  in  der 
pathologischen  Bedeutung  der  Myome,  welche 
eine  so  verschiedene  ist,  dass  die  Ent- 
scheidung nur  für  jeden  einzelnen  Fall,  nach 
seinen  Beschwerden  und  Erscheinungen,  ge- 
troffen werden  kann.  Bekannt  ist,  dass  nach 
Hofmeier^s  grösseren  Zusammenstellungen 
für  die  deutschen  Operateure  bei  der  Myomo- 
tomie  auch  heute  noch  bei  der  intraperito- 
nealen Methode  25%  bei  der  extraperitonealen 
14%  Todesfölle  vorkommen.  Bei  solcher 
Grösse  der  ungünstigen  Zahlen  kann  nur 
ein  Punkt  bestimmend  für  die  Häufigkeit  der 
Operation  sein,  nämlich  der,  ob  —  wie  in 
den  letzten  Jahren  mehrfach  behauptet  ist 
—  die  Myome  eine  ausgesprochene  Anlage 
zur  malignen  Entartung  selbst  haben  oder 
ob  sie  durch  ihre  Gegenwart  die  Schleimhaut 
des  Uterus  zu  maligner  Entartung  dis- 
poniren.  Beides  kann  nicht  zugegeben  werden. 
Die  Statistik  der  letzten  Jahre  gewährt 
durchaus  keinen  Anhalt  für  die  pathoge- 
netischen Beziehungen  der  beiden  Geschwulst- 
arten und  Wyder's  Untersuchungen,  die 
bis  jetzt  keine  Berichtigung  erfahren  haben, 
zeigen,  dass  die  bei  Myomen  auftretende 
Endometritis  glandularis  den  Vorwurf  der 
Malignität  nicht  verdiene.  Daraus  ergiebt 
sich,  dass  wir  zur  Zeit  nicht  berechtigt 
sind,  die  Exstirpation  eines  Myoms  aus  dem 
Grunde  vorzunehmen,  weil  es  der  Ausgangs- 
punkt maligner  Erkrankung  für  die  Frau 
werden  könnte,  dass  wir  im  Gegentheil  aus 
den  Symptomen  die  Thdication  zur  Myomo- 
tomie  entnehmen  dürfen. 

Lassen  wir  also  die  Symptome  ent- 
scheiden, so  dürfte  die  Indication  als  un- 
anfechtbar gelten  l)  bei  mächtiger  Ent- 
wrickelung  der  Myome,  namentlich  auch 
cystischer,  die  durch  ihre  Grösse  Störungen 
der  Circulation    und    Respiration    bedingen, 

2)  bei  auffallend  schnell  wachsenden  Myomen, 

3)  bei  bedenklichen  Druckerscheinungen  seitens 
der  Geschwulst  (Ureterencompresson,  Tuben- 
hämatom  u.  s.  w.),  4)  bei  fieberhaften  Er- 
scheinungen, die  auf  Vereiterung  oder  Ver- 
jauchung des  Tumors  oder  doch  einzelner 
Knollen  desselben  zurückzuführen  sind,  5)  bei 
Hydrops  ascites. 

Schwierig  ist,  dem  Vorstehenden  gegen- 
über die  Indication  nur  zu  fi xiren  bei  den 
häufigsten  und  so  unendlich  verschieden  auf- 
tretenden Symptomen:  den  Blutungen  und 
Schmerzen.      Bezüglich    der    Blutungen    ist 


hervorzuheben,  dass  sowohl  Ergotin  (subcutan 
oder  mit  gleichem  Erfolg  per  rectum,  als 
Halbklystiere  oder  als  Suppositorien),  wie 
Extr.  Hydrast.  Ganad.  (6  — 10  Tage  vor 
dem  berechneten  Termin  der  nächsten  Menses 
2 — 3  mal  tgl.  30  Tr.)  in  einer  ganzen  Reihe 
von  Fällen  einen  eclatanten  Einfluss  zu 
Tage  treten  lassen  und  mithin  nie  unversucht 
bleiben  dürfen,  bevor  man  allein  auf  das 
Symptom  der  Blutungen  hin  an  die  Myomo- 
tomie  denkt. 

Ist  die  Wirkung  dieser  Mittel  nicht  ge- 
nügend ausgesprochen,  so  kommt  die  Abrasio 
mit  sich  anschliessenden  Injectionen  von 
Tct.  Jodi  oder  noch  zweckmässiger  mit 
Liq.  ferri  in  Betracht,  die  oft  auf  Jahre 
hinaus  die  Endometritis  corporis  haemor- 
rhagica  zu  bekämpfen  im  Stande  ist. 

Kehren  auch  hier  die  Blutverluste  hart- 
näckig wieder  und  bilden  sich  die  Er- 
scheinungen der  Anämie  aus,  dann  ist  Gefahr 
im  Verzuge  und  die  Entfernung  des  Myoms 
mit  oder  ohne  Exstirpation  des  Uterus  ge- 
boten. Beeinflusst  wird  die  Entscheidung 
werden,  einmal  durch  die  voraussichtlich 
grössere  oder  geringere  Schwierigkeit  der 
Operation,  dann  durch  das  Alter  der  Kranken 
und  endlich  durch  die  sociale  Stellung,  von 
welchen  Punkten  besonders  der  letztere  oft 
von  durchschlagender  Bedeutung  ist. 

Die  Rücksicht  auf  die  sociale  Stellung 
lässt  auch  bezüglich  der  von  dem  Myom 
ausgehenden  Schmerzen  bei  Frauen  der 
arbeitenden  Klasse,  die  hierdurch  erwerbs- 
unfähig gemacht  werden,  die  Radical Operation 
zeitiger  ins  Auge  fassen,  als  bei  Gut- 
situirten,  welche  durch  ausgiebige  Ruhe,  den 
Gebrauch  von  Kreuznach  und  überhaupt  von 
Soolbädern,  durch  Anwendung  massiger  Dosen 
narkotischer  Mittel,  durch  gutgewählte 
Lagerung,  Leibbinden,  passende  Pessarien 
u.  s.  w.  oft  lange  Zeit  hindurch  genügende 
Linderung  finden  können.  Natürlich  kann 
aber  auch  den  Bestsituirten  durch  wieder- 
kehrende Schmerzempfindungen  das  Leben 
so  verbittert  werden,  dass  sie  lieber  eine 
gefährliche  Operation  wagen,  als  ewig  hilfs- 
bedürftig erscheinen  zu  wollen. 

Wo  plötzlich  heftige  Schmerzen  an 
einer  beschränkten  Stelle  eines  grössern 
Tumors  auftreten,  nachdem  überhaupt  oder 
längere  Zeit  kaum  über  Schmerzempfind ungeu 
geklagt  wurde,  wird  die  Annahme  einer 
Vereiterung  oder  einer  sarcomatösen  Ent- 
artung hervortreten  und  zu  raschem  Handeln 
drängen. 

(Berliner  Klinik  1889.  Heft  2.) 

G.  Peters  {Berlin), 


43 


338 


ROPKAttt* 


rlierap^ntladie 
Monateheft«. 


Ueber  die  galvanokaustiachQ  Heilung  der  follicu- 
lären  Bindehautentzündung.  Von  Oberstabs- 
arzt Burchardt  (Berlin}. 

Um  möglichst  schnell  eine  Heilwirkung 
bei  echter  foliiculärer  Bindehautentzündung 
herbeizuführen,  behandelt  Yerf.  m  einer 
Sitzung  möglichst  viele  Follikel  (bis  88)  gal- 
yanokaustisch.  £s  tritt  danach  nur  eine 
massige  Schwellung  der  Schleimhaut  auf. 
Bei  lebhafter  Entzündung  der  Conjunctiva 
lässt  B.  erst  die  Reizerscheinungen  abklingen, 
weil  alsdann  erst  die  tief  in  der  Bindehaut 
liegenden  Follikel  wahrgenommen  und  zer- 
stört werden  können.  Die  galvanok austische 
Operation  wird  etwa  alle  8  Tage  wiederholt, 
um  den  Rest  der  kranken  oder  wieder- 
gewucherten  Follikel  zu  yernichten.  Das 
Auge  wird  cocainisirt.  Um  die  Zerstörung 
gut  zu  begrenzen  und  die  Granulationen 
sicher  zu  treffen,  benutzt  B.  einen  möglichst 
kurzen  und  dünnen  (^s  mm)  Platindraht. 
Nach  der  galyanokaustischen  Sitzung  wird 
mit  Cuprumstift  oder  ^/s  **/o  Kupfersulfat- 
lösung leicht  nachgeätzt,  alsdann  fein  ge- 
pulvertes Jodoform  täglich  1 — 2  Mal  in  den 
Bindehautsack  eingestreut. 

Bei  etwa  60  Fallen  echter  foliiculärer 
Bindehautentzündung  wurde  bei  den  meisten 
in  6 — 8  Wochen  durch  diese  Behandlung 
Heilung  erzielt.  Diese  kommt  in  frischen 
Fällen  so  prompt  zu  Stande,  dass  Schrum- 
pfungen der  Bindehaut  und  Pannus  gänzlich 
vermieden  werden. 

{Dttoh.  Milit&rärztl  ZeiUchr.  t889.  H.  4.) 

J.  Rulumann  {Berlin), 

ZvLT  Behandlung  der  Psoriasia,  insbesondere  mit 
Hydroxylaminum  muriaticum.  VonDr.Fabry 
(Bonn). 

Nach  Beseitigung  der  Schuppen  wurde 
obengenanntes  Mittel   in   spirituöser  Lösung 

IV  Hydroxylamin.  mur.  0,2 — 0,5 
Spirit.  vin.  100,0. 

Calcar.  carbon.  q.  s.  ad  neutr. 

S.   Zum  Pinseln; 

oder  als  hydropathischer  Umschlag  in 
wässeriger  Solution: 

IV  Hydroxylamin.  mur.        1,0 
Aq.  fontan.  100,0. 

Calcar.  carbon.  q.  s.  ad  neutr. 

S.    Zu  Umschlägen 

auf  der  Bonner  Klinik  zur  Anwendung  ge- 
zogen. Zum  Vergleich  wurden  auch  mehrere 
Patienten  mit  Pyrogallus,  Anthrarobin  und 
grossen  innerlichen  Jodkaliumdosen  behan- 
delt, sodass  bei  einigen  auf  der  einen  Seite 
Pyrogallusspiritus,  auf  der  anderen  gleich- 
zeitig Hydroxylamiu  verwendet  wurde.    Be- 


handelt wurden  im  Ganzen  12  Männer  und 
12  Frauen,  und  zwar  4  bis  6  Wochen  lang 
bis  zum  völligen  Schwinden  der  Flecken. 
Betreffs  der  Versuchsergebnisse  führt  F.  eine 
bereits  von  Doutrelepont  gemachte  Notiz 
an,  dass  das  Medicament  „sich  bei  Psoriasis 
wie  die  bis  dahin  gebrauchten  reducirenden 
Substanzen  verwerthen  lässt;  es  scheint  in 
der  Intensität  der  Wirkung  dem  Chrysarobin 
und  der  Pyrogallussäure  nicht  nachzustehen 
und  hat  den  nicht  genug  zu  schätzenden 
Vorzug,  Körper  und  Wäsche  nicht  zu  fai> 
ben.  Man  muss  bei  dem  Gebrauch  dieses 
Mittels  vorsichtig  sein,  weil  es  wegen  seiner 
starken  Giftigkeit  das  Allgemeinbefinden 
ernstlich  alteriren  kann ;  bei  manchen  Patien- 
ten ist  die  Application  so  schmerzhaft,  dass 
die  Einleitung  einer  anderen  Therapie  ab- 
solut erforderlich  wird ;  das  lässt  sich  jedoch 
vermeiden,  wenn  man  in  dem  einen  Falle 
die  Au fpin seiungen ,  in  dem  anderen  die 
Application  der  Umschläge  nicht  zu  lange 
fortsetzt,  wenn  wir  beim  Auftreten  der  ge- 
ringsten Reizerscheinung  eine  andere,  reiz- 
mildernde Therapie  an  die  Stelle  treten 
lassen,  indem  wir  entweder  Aufstreuen  von 
Salicylpuder,  Anwendung  von  0,1  ®/o  Salicyl- 
säureumschlägen  oder  Einreibung  der  ge- 
reizten Stellen  mit  10%  Zinklanolinsalbe 
anordnen.^  Ist  unter  dieser  Behandlung 
Reizung  und  Schmerz  der  afficirten  Stellen 
geschwunden,  so  kann  das  Hydroxylamin 
wieder  verwendet  werden. 

{Arch,  f.  Dermatol  u.  Stfph.  1889.  2,  Hrfi.) 

George  Meyer  {Berlin), 

Eine  Form  von  wucherndem  und  atrophischem 
Femphygus  nach  Jodgebrauch.  Von  Dr. 
Hallo peau  (Paris). 

Ein  42  jähriger  Mann  litt  an  einem  eigen- 
thümlichen  Ausschlag  des  ganzen  Körpers: 
Narben,  Neubildungen  mit  Krusten  von  ver- 
schiedener Gestalt  und  Farbe ;  Missgestaltung 
der  Nase;  am  linken  Auge  Staphylom  und 
hintere  Synechie,  am  rechten  leichte  Horn- 
hauttrübung. Im  Harn  Eiweiss.  Husten 
und  Auswurf.  In  den  Lungen  LO  Dämpfung 
und  Rasseln.  Pat.,  der  angeblich  vor 
20  Jahren  eine  Sclerose  gehabt,  erhielt 
pro  die  1  g  Kai.  jodat.  Der  Gebrauch  des 
Mittels  erzeugte  bei  dem  Manne  jedesmal 
einen  eigenthümlichen  bullösen  Ausschlag 
mit  nicht  schwindenden  Narben.  Somit  war 
die  Natur  jenes  ersten  Exanthems  festgestellt. 
Verf.  stellt  folgende  Schlusssätze  über  diese 
sonderbare  Affection,  ihre  Entstehung  und 
Verbreitung  auf: 

1.  Die  nach  Jodgebrauch  entstehenden 
bullösen  Ausschläge  können  bei  dazu  ver- 
anlagten    Personen      unzerstörbare     Narben 


m.  Jalirgsng.'l 
JaU  1889.     J 


R«fermt0. 


339 


hinterlassen  nnd  sicli  mit  einer  Zellgewebs- 
nnd  Epidermiswacherung  vergesellschaften, 
die  sich  in  Neubildungen  äussert,  die  ge- 
wöhnlich kreisförmig  angeordnet  und  den 
Condylomen  ähnlich  sind. 

2.  Sie  können  Conjunctiya  und  Cornea 
befallen  und  so  Blindheit  hervorrufen. 

3.  Die  darnach  entstehenden  Narben 
sind  gewöhnlich  leicht  eingedrückt,  farblos, 
von  runder  oder  polycyklischer  Gestalt;  sie 
können  den  Eindruck  hervorspringender 
Bänder  machen  oder  sich  retrahiren  und  so 
dem  Gesicht  das  Aussehen  wie  bei  altem 
Lupus  verleihen. 

4.  Das  Auftreten  der  Blasen  ist  von 
Fieber  und  Durchfall  begleitet. 

5.  Die  Idiosynkrasie,  welohe  diese  Re- 
action  bedingt,  kann  allmählich  bei  Indivi- 
duen sich  ausbilden,  welche  während  langer 
Zeit  das  Mittel  ohne  oder  mit  nur  geringen 
Beschwerden  gebraucht  haben. 

6.  Sie  wird  vielleicht  durch  bestehende 
Albuminurie  begünstigt. 

7.  Entgegen  der  gewöhnlichen  Ansicht 
muss  man,  wenn  sich  die  Erscheinungen  bei 
einem  mit  Jodkalium  behandelten  Syphili- 
tiker zeigen,  viel  eher  als  bei  einem  mit 
Quecksilber  behandelten  Individuum  sich 
fragen,  ob  die  Symptome  von  der  Krankheit 
oder  von  dem  Mittel  herrühren. 

8.  Die  pathologische  Wirkung  des  Jods 
erstreckt  sich  nur  auf  kurze  Zeit. 

9.  Bromkalium  kann  von  einer  Person 
gut  vertragen  werden,  welche  Idiosynkrasie 
gegen  Jod  besitzt,  obwohl  ersteres  ganz 
analoge  Zufalle  bei  anderen  Kranken  her- 
vorbringen kann. 

{L'Union  med.  1888  No.  82ff) 

George  Meyer  (BerKn). 

Zur  Behandlung  der  Dysmenorrhoe  durch  Sug- 
gestion und  Hypnotismus  von  Arthur  C. 
Hugenschmidt. 

Durch  die  Erfolge  des  Hypnotismus  und 
der  Suggestion  angeregt,  hat  Verf.  sich  der- 
selben in  einigen  Fällen  von  Dysmenorrhoe 
ohne  erkennbare  anatomische  Grundlage  mit 
beslem  Erfolge  bedient.  —  In  dem  ersten 
Falle  handelte  es  sich  um  ein  2 7 jähriges 
seit  ihrem  11.  Lebensjahre  menstruirtes 
Weib,  welches  5  —  6  Tage  vor  dem  Er- 
scheinen der  Menses  von  einer  ausserordent- 
lich intensiven  Ovaria! gie  gepeinigt  wurde, 
die  oft  so  stark  war,  dass  Fat.  an  Kopf- 
schmerz ,  Benommenheit,  ja  selbst  an  hefti- 
gem Erbrechen  während  dieser  Zeit  litt. 
Diese  Beschwerden  hörten  gewöhnlich  erst 
mit  dem  Einsetzen  der  Periode  auf.  Eine 
Hypnotisirung  der  Patientin,  zu  welcher 
sich     Verf.    nach     vergeblichen     Versuchen 


einer  localen  Behandlung  der  Beschwerden 
entschloss,  gelang  zuerst  nicht.  Nach  mehr- 
fachem Experimentiren  indessen  glückte  es, 
die  Fat.  zu  hypnotisiren  und  ihr  die  Be- 
schwerden, welche  der  menstruellen  Blutung 
gewöhnlich  vorausgingen ,  abzusuggeriren. 
In  der  That  ist  die  Patientin  seitdem  gänz- 
lich frei  von  diesen  prämenstruellen  Koliken. 
—  In  dem  2.  Falle  handelte  es  sich  um 
eine  zeitweilig  auftretende  Ovarialgia  dextra. 
Gelegentlich  eines  exquisit  heftigen  Anfalles 
wurde  Verf.  consultirt.  Es  glückte  ihm, 
sehr  schnell  die  Patientin  in  Hypnose  zu 
versetzen  und  ihr  jene  Anfälle  abzusugge- 
riren, die  auch  seitdem  niemals  mehr  auf- 
getreten sind.  —  Der  3.  Fall  endlich  betrifft 
eine  28jährige  Frau,  bei  der  die  Periode  im 
12.  Lebensjahre  zum  ersten  Male  erschienen, 
dann  im  19.  Lebensjahre  ohne  auffindbare 
Ursache  ein  Jahr  lang  verschwunden  war, 
und  schliesslich  unter  heftigsten  prämenstru- 
ellen Koliken,  verbunden  mit  Schwellung  der 
Brüste,  Erbrechen  etc.  wieder  sich  gezeigt 
hatte.  Das  vom  Verf.  hier  angewandte  Ver- 
fahren glich  genau  dem  in  den  beiden  eben 
erwähnten  zur  Anwendung  gelangten.  Der 
Erfolg  war  auch  hier  radical.  Ueble  Neben- 
wirkungen sind  vom  Verf.  in  keinem  der 
erwähnten  Fälle  zur  Beobachtung  gelangt. 

(The  Medical  Surgical  and  Reporter  13. X.  1888, 

H.  Lohnstein  (Berlin). 

Der  galvanische  Strom  als  Abführmittel  von  Dr. 
A.  Chelmonski. 

Die  Untersuchungen  Verf.'s  bezweckten 
eine  Prüfung  der  Schlüsse,  zu  denen  vor 
einiger  Zeit  Schildbach  auf  Grund  einer 
grösseren  Untersuchungsreihe  gekommen  war. 
Aus  derselben  hatte  sich  ergeben,  dass  ein 
massig  starker  galvanischer  Strom  (Kathode 
im  Rectum,  Anode  am  Abdomen)  lebhafte 
peristaltische  Bewegungen  im  Gefolge  hat,  so 
dass  nach  einer  10 — 15  Minuten  währenden 
Sitzung  binnen  längstens  2  Stunden  Stuhl- 
gang erfolgt.  —  Aus  den  Untersuchungen 
Verf.'s,  die  an  2  gesunden  und  8  an  Obsti- 
patio  habitualis  leidenden  Patienten  vorge- 
nommen wurden,  ergab  sich  folgendes:  1.  In 
9  Fällen  trat  —  frühestens  50  Minuten, 
spätestens  12  Stunden  nach  der  Galvanisation 
—  ziemlich  dünnflüssiger  Stuhlgang  von 
breiiger  Consistenz  auf.  2.  Bei  4  Fällen 
entstand  exquisite  Diarrhoe.  3.  In  3  von 
den  10  Fällen  beobachtete  man  während 
der  Elektrisation  Blässe  im  Gesicht,  Klein- 
heit des  Pulses,  Ausbruch  kalten  Schweisses 
etc.  —  In  einem  Falle  trat  wahre  Syncope 
ein.  Im  Allgemeinen  hat  Gh.  nicht  so 
prompte  Wirkungen  von  der  Application 
des  galvanischen  Stromes  gesehen  wie  Schild- 

4;)* 


340 


Referate. 


TTherapeatlKhe 
L  Monatchefte. 


bacli;  gegen  die  ausgebreite  AnwenduDg  des 
Stromes  sprechen  auch  die  relativ  oft  beob- 
achteten üblen  Nebenwirkungen,  wie  Anaemia 
cerebri,  Collaps  etc.,  so  dass  man  sich  der 
Methode  nur  mit  Vorsicht  bedienen  darf. 

{Jaztia  Lekarska  1888  No,  19  und    The  Medic.  and 
Surgic.  Rejyorter  3.  XL  1889.)    B.  Lohn$tein  {Berlin). 

(Aus  der  SchocIer^Bchcn  Augenklinik.) 

Zweifach  Jodquecksilber  und  Jodkalium  als  intra- 
musculäre   Einspritzung.     Von   E.  Fischer. 

F.  cmpdehlt  die  intramusculäre  Injection 
(in  die  Rückenmuskeln  oder  Glutaeen)  der 
bekannten  Losung  des  zweifach  Jodqueck- 
silber in  Jodkali  (Hydrargyr.  bijod.  rubri 
0,25,  Kai.  jodat.  2,5,  Aq.  destill.  25,0)  bei 
den  mit  Einspritzung  Ton  Jodtinctur  in  den 
Bulbus  behandelten  Netzhautablosungen  und 
zwar  behufs  Aufhellung  der  entstandenen 
Glaskorpertrubungen,  femer  bei  frischer  Iritis 


mit  Gummi-  und  Hypopyonbildung,  bei 
Iridochorioiditis  und  Chorioretinitis  mit  er- 
heblichen Glaskorpertrubungen.  Femer  sah 
er  gute  Erfolge  von  der  oben  genannten 
Einspritzungscur  bei  rheumatischer  Irido- 
chorioiditis mit  Glaskorpertrübung,  ferner 
bei  den  centralen  Veränderungen  des  Augen- 
grundes der  Myopen  und  bei  hartnäckig  der 
spontanen  Resorption  widerstehenden  Blutun- 
gen des  Glaskörpers.  Auch  bei  Keratitis 
parenchymatosa,  bei  der  bezuglich  dieser 
Therapie  Verf.  keine  Erfahrung  hat,  sind 
jene  Injectionen  empfohlen  worden. 

Die  auch  bei  dieser  Injection  eintretende 
Schmerzhaftigkeit  kann  aus  chemischen  Grün- 
den durch  Zusatz  yon  Morphium  oder  Cocain 
zur  Einspritzungsflüssigkeit  nicht  yermieden 
werden. 

{KHn.  MonaUblf.  Augenhälk.  1889.  Märt.) 

J.  Rukemann  (Berlin), 


Toxikologie. 


Ueber  einen  Fall  von  Antifebrinvergiftung.  Von 
Dr.  A lisch,  Stabsarzt  in  Hameln  a.  W.  (Origi- 
nalmittheilung). 

Da  ich  weiss,  dass  die  Spalten  der 
Therapeutischen  Monatshefte  casuistischen 
Beiträgen  seitens  der  practischen  Aerzte,  in- 
sofern sie  ein  gewisses  therapeutisches  In- 
teresse beanspruchen  können,  jeder  Zeit  offen 
stehen,  möchte  ich  mir  erlauben,  einer  geehrten 
Redaction  einen  Fall  von  Antifebrinintoxi- 
cation  mitzutheileo ,  den  ich  erst  in  der 
allerjüngsten  Zeit  zu  beobachten  Gelegenheit 
hatte,  und  der  mir  in  der  That  geeignet  er- 
scheint, ebenfalls  als  Beitrag  zu  dienen, 
wie  vorsichtig  man  in  der  Verabreichung  des 
Antifebrins  sein  muss.  Ich  gestehe  offen, 
dass  ich  selbst  nach  dieser  personlich  ge- 
machten Erfahrung  das  Mittel,  dem  ich 
bislang  meinen  grössten  Enthusiasmus  ent- 
gegengebracht habe,  ähnlich  wie  es  dem 
Herrn  CoUegen  Sembritzki,  Königsberg, 
ergangen  ist  (vergl.  Therap.  Monatshefte 
1889  pag.  267)  in  ganz  entschiedener  Weise 
nur  mit  misstrauischen  Augen  ansehen  werde, 
ja,  dass  ich  diesen  heimtückischen  Freund 
jetzt  fast  zu  fürchten  beginne. 

Schneidermeister  Seh,  von  hier  war  Mitte 
Juni  88  an  einer  von  vornherein  mit  hohem  Fieber 
verlaufenden  acuten  Gastritis  erkrankt;  der  Verlauf 
war  der  gewöhnliche:  ausserordentlich  stark  be- 
legte Zunge,  Schmerz  in  der  Magengegend,  abnorme 
Gasbildung,    völlige    Anorexie.      Temperatur    am 


20.  Juni  früh  39,2,  Abends  40,1.  Am  21.  Juni 
früh  7  Uhr  39,0.  Ich  verordnete  Antifebrin  0,25 
dos.  VI.  mit  der  Weisung,  1  Pulver  um  9,  das 
2.  um  10,  das  3.  um  11  Uhr  zu  reichen,  eine  Do- 
sirung,  wie  ich  sie  bis  dahin  nicht  allein  bei 
afebrilen  neuralgischen,  sondern  auch  zahlreichen  mit 
Fieber  verlaufenden  Zuständen  geübt  hatte,  ohne 
dass  mir  jemals  etwas  von  irgend  wie  übler  Neben- 
wirkung mitgetheilt  worden  wäre.  Um  12  Uhr 
Mittags  wurde  ich  gerufen,  und  fand  den  Patienten 
in  der  rechten  Seitenlage  unter  3  Federbetten 
liegend,  zusammengekrümmt  und  vor  Frost  mit 
den  Zähnen  klappernd,  in  höchst  bedenklichem  Zu- 
stande vor;  hochgradigste  Cjanose  der  Haut,  klo- 
nische Zuckungen  der  Extremitäten,  Respirations- 
frequenz nicht  zu  constatiren,  Puls  nicht  fühlbar, 
Herzthätigkeit  sehr  beschleunigt.  Nur  mit  Mühe  und 
mit  durch  das  Schütteln  des  Körpers  abgebrochenen 
Worten  konnte  mir  Patient  mittheilen,  dass  ein 
tobender  Kopfschmerz  und  hochgradiges  Schwin- 
dclgefühl  ihn  schon  nach  Einnahme  des  ersten 
Pulvers  quälten,  die  nunmehr  unerträglich  seien 
und  das  nahe  Ende  einleiten  dürften. 

Ich  sorgte  sofort  für  reichliche  Zufahr  frischer 
Luft,  und  verordnete  Kaffee  und  Aether.  Bis 
2  Uhr  hatte  sich  der  Zustand  in  keiner  Weise  ge~ 
ändert,  um  6  Uhr  war  etwas  Ruhe  eingetreten; 
Puls  fühlbar,  aber  sehr  klein  —  140  in  1  M.  — 
grosse  Prostration,  livide  Färbung  des  ganzen  Ge- 
sichts, Temperatur  39,2. 

Der  Kranke  war  die  darauf  folgende  Nacht 
noch  recht  unruliig  gewesen,  hatte  aber  gegen 
Morgen  des  nächsten  Tages  etwas  geschlafen, 
und  befand  sich  am  22.  Juui  früh  7  Uhr  relativ 
wohl. 


Iir.  Jahrgaog.l 
Jali  1889.    J 


Toxikologie. 


341 


Da  im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit  die 
Temperatur  noch  hoch  blieb,  so  beispielsweise  am 
23.  Abends  38,6,  am  24.  früh  38,0  zeigte,  der  Pa- 
tient sich  übrigens  von  den  stattgehabten  Ver- 
giftungszufällen leidlich  erholt  hatte,  machte  ich  an 
diesem  Tage  experimenti  causa  noch  einen  Versuch 
mit  einer  Dosis  von  0,25  g  Antifebr.,  die  -  ich  um 
10  Uhr  reichen  Hess.  Schon  1  Stunde  später  trat 
nun  zunächst  ein  IVsStündiger  ruhiger  Schlaf,  aber 
unter  starker  Schweissabsonderung,  ein;  nach  dem 
Erwachen  wieder  intensives  Frösteln,  Cjanose  des 
Gesichts,  auffallendes  Klein  werden  des  Pulses  und 
enormes  Schwächegefühl.  Temperatur  um  4  Uhr 
89,0.  Der  Kranke  erholte  sich  von  diesem  Anfall 
relativ  schnell,  —  binnen  24  Stunden  —  und  ist 
jetzt  Reconvalescent. 

Bas  Präparat  hatte  eine  deutlich  krystal- 
linische  Structur,  keinen  abnormen  Beige- 
schmack, und  war  unbedingt,  wie  alle  üb- 
rigen aus  den  hiesigen  beiden  Apotheken 
entnommenen  Sachen,  Yon  tadellosester  Be- 
schaffenheit. Ich  bemerke  dies  besonders) 
weil  es  vorkommen  kann,  wie  mir  dies  per- 
sonlich bei  einer  Berliner  Apotheke  begegnet 
ist,  dass  man  recht  unreine,  gefärbte,  und 
ganz  unbrauchbare  derartige  Medicamente 
erhält. 

Das  Interessante  des  vorliegenden  Falles 
dürfte  auch  darin  liegen,  dass  das  Antife- 
brin  keinerlei  fieberherabsetzende  "Wirkung 
ausgeübt  hat. 

(Aus  der  med.  Klinik  des  Herrn  Prof.  Riegel  in  Giessen.) 

Beitrag  zur  Kenntniss  der  Strychninvergiftung. 
Von  Dr.  G.  Honigmann,  I.  klin.  Assistenz- 
arzt. 

Es  handelte  sich  um  einen  Postschaffner, 
dem  das  Gift,  mit  Butter  gemischt  auf  Brod 
gestrichen,  von  seiner  Frau  beigebracht  wor- 
den war.  Bemerk enswerth  an  dem  Falle 
ist,  dass  die  Yergiftungserscheinungen  erst 
mehrere  Stunden  nach  Aufnahme  des  Giftes 
eintraten,  was  Vf.  wohl  nicht  mit  Unrecht 
auf  die  Mischung  des  Giftes  mit  der  Butter 
zurückführt,  ferner  eine  mehrere  Tage  an- 
dauernde Steigerung  der  Reflex erregbarkeit. 
Hervorzuheben  ist  ferner  die  Thatsache,  dass 
gleich  nach  dem  stärksten  Krampfan  fall  die 
Patellarreflexe  trotz  grosster  Lebhaftigkeit 
der  Hautreflexe  erloschen  waren,  nach  An- 
wendung von  Chloralhydrat  aber  in  erhöhtem 
Maasse  bestanden.  Als  bisher  noch  nicht 
beschriebenes  Symptom  ist  zu  erwähnen: 
mehrere  Tage  dauernde  Albuminurie  und 
Oligurie  und  das  Auftreten  von  Formelemen- 
ten (weisse  und  rothe  Blutkorperchea,  sowie 
hyaline  Cy linder)  im  Harn.  Vf.  sieht  die- 
selbe als  Folge  der  durch  Strychnin  hervor- 
gerufenen Contraction  der  Nierengefässe  und 
dadurch  bedingten  Circulationsstorung  an. 

{Deutschs  Med.  WocheHsckr.  1889  No.22.) 

rd. 


liltteratur. 


Auszug  ans  den  Krankengeschichten  der  im 

Wintersemester  1888 — 89  in  der  medicinischen 
Klinik  von  Geh.  Medicinalrath  Prof  Dr. Mos  1er 
vorgestellten  Patienten.  2.  Folge.  Zusammen- 
gestellt von  Dr.  Niesei,  Dr.  Weber,  Dr. 
Buchholtz.  Redigirt  von  Dr.  E.  P ei  per.  1889. 

Die  Vorgänge  auf  unseren  Universitäts- 
kliniken nehmen  nicht  allein  das  Interesse 
der  alten  Schüler  jener  Institute  in  An- 
spruch, sondern  interessiren  selbstverständ- 
lich das  gesammte  medicinische  Publicum. 
Wenn  auch  die  wissenschaftlichen  und  neuen 
Erfahrungen  durch  zahlreiche  Zeitschriften 
bekannt  gegeben  werden,  so  giebt  es  doch 
eine  Reihe  von  Beobachtungen,  welche  für 
die  Praxis  von  der  grössten  Bedeutung  sind, 
für  die  Publication  aber,  wie  der  gewöhn- 
liche Ausdruck  heisst,  nicht  „lohnen^.  Es 
ist  daher  ein  ganz  besonders  dankenswerthes 
Verdienst  Mosler's,  das  Bild  der  Vorgänge 
in  der  ihm  unterstellten  Greifswalder  Klinik 
durch  Publication  des  oben  genannten  Werkes 
zu  fixiren.  Nicht  nur  die  Practicanten,  wel- 
chen die  Schrift  gewidmet  ist,  sondern  auch 
die  gesammte  ärztliche  Praxis  muss  dieses 
Unternehmen  mit  Dank  entgegennehmen. 
Es  sind  im  Ganzen  60  Fälle  aufgeführt.  Die 
Beschreibung  der  Erkrankung,  Diagnose, 
Therapie  und  bei  letalem  Ausgang  der 
Sectionsbefund  sind  in  gedrängter,  aber  voll- 
kommen ausreichender  Weise  aufgenommen 
und  liefern  zugleich  den  Beweis  einer  vor- 
trefflichen klinischen  Methode.  Am  Schluss 
des  Heftes  sind  die  Receptformeln  zusammen- 
gestellt, welche  glücklicherweise  zeigen,  dass 
die  nihilistische  Anschauung  der  Therapie 
unter  Mos  1er 's  Leitung  in  Greifswald  keinen 
Eingang  gefunden  hat.  Liebreich. 

Haeter-Losscn*s  Grundriss  der  Chirurgie. 
I.  Band:  Die  allgemeine  Chirurgie.  Vierte 
vollkommen  umgearbeitete  Auflage.  Mit  200 
Abbildungen.  Leipzig.  Verlag  von  F.  C. 
W.  Vogel.     1888. 

Es  ist  wohl  als  eine  Folge  des  schnellen 
Fortschreitens  der  Chirurgie  anzusehen,  dass 
über  diesen  Wissenschaftszweig  und  zwar 
über  den  allgemeinen  Theil  desselben,  in 
jüngster  Zeit  eine  ganze  Anzahl  neuer  Lehr- 
bücher entstanden  sind.  War  es  Koenig 
nicht  möglich  geworden,  sein  1883  be- 
gonnenes Lehrbuch  der  allgemeinen  Chirurgie 
zu  Ende  zu  führen,  so  liegen  uns  allein  aus 
den  letzten  beiden  Jahren  neue  Lehrbücher 
von  Fischer,  Landerer,  Tillmanns  und 
Lossen  vor.  Denn  als  ein  neues  Buch 
ist  auch  des  letzteren  vorliegende  Bear- 
beitung von  Hu  eter 's  Grundriss  anzusehen. 

Was  diese  Autoren  bewogen    hat,    neue 


342 


Littanhir. 


rTherapeatfaclie 
L  Monatshefte. 


Lehrbücher  ihrer  Specialwissenschaft  zu 
schaffen,  ist  keineswegs  der  Umstand,  dass 
diese  Wissenschaft  etwa  irgend  einen  Ab- 
schluss  einer  bestimmten  Phase  erreicht 
hätte,  als  vielmehr  die  Thatsache,  dass  in 
Folge  der  hauptsächlich  auf  bakteriolo- 
gischem Gebiete  gemachten  Fortschritte 
gerade  in  der  Chirurgie  ueue  Anschauungen 
und  damit  yorwiegend  wieder  neue  thera- 
peutische Maassnahmen  Platz  gegriffen  haben. 
Bei  der  Beurtheilung  eines  solchen  Lehr- 
buches wird  man  daher  Yornehmlich  an  den 
letzteren  erkennen  können,  inwieweit  jenen 
neugewonnenen  Anschauungen  Rechnung  ge- 
tragen worden  ist. 

Ob  dieser  oder  jener  Eintheilung  der 
Materie  der  Vorzug  zu  geben  sei,  werden  die 
yerschiedenen  Beurtheiler  selbstverständlich 
verschieden  auffassen.  Mir  will  es  als  ein 
Vortheil  erscheinen,  ohne  weitschweifige 
Einleitung  gleich  in  medias  res  zu  treten 
und,  wie  es  Lossen  gethan,  mit  der  Wunde 
und  Wundheilung  begonnen  zu  haben,  um 
dann  erst  auf  die  Lehre  von  der  Entzündung 
und  dem  Fieber  überzugehen.  Auch  die 
weitere  Eintheilung  in  Verletzungen  und 
Erkrankungen  der  einzelnen  Gewebe,  acute 
Wufidkrankheiten  und  Geschwülste,  ist  eine 
durchaus  zweckmässige  und  konnte  zur 
Uebersichtlichkeit  und  Klarheit  des  ge- 
sammten  Inhaltes  des  Werkes  nur  beitragen. 
Dasselbe  ist  von  der  zweiten  Hälfte  des 
Werkes,  der  allgemeinen  Operations-,  Instru- 
menten- und  Verbandlehre  zu  sagen. 

Im  Allgemeinen  haben  die  neuesten  An- 
schauungen und  Erfahrungen  bei  den  ein- 
zelnen Gegenständen  ihre  gebührende  Be- 
rücksichtigung gefunden;  indessen  wollte  es 
mir  hier  und  da  scheinen,  als  ob  Manches, 
was  über  den  Rahmen  des  Experimentes 
und  der  vorläufigen  Mittheilung  bereits  hinaus 
ist,  ebenfalls  schon  einer  Mitberücksichtigung 
würdig  gewesen  wäre.  Wird  z.  B.  schon 
der  Phagocytenlehre  Metschnikoff's  eine 
gewisse  Berechtigung  zuerkannt,  so  dürfte 
andererseits  der  Annahme  einer  speciellen 
Anlage  zur  Tuberculose  ebenfalls  schon 
etwas  mehr  Wahrscheinlichkeit  beigemessen 
werden,  zumal  da  die  Tuberkel  -  Noxe  nicht 
nur  bekannt,  sondern  bereits  im  Sperma 
Tuberculoser  (J  an  i- Weigert)  gefunden 
worden  ist. 

Beim  Jodoform  finde  ich  dessen 
schlimme  Seiten  zu  stark  hervorgehoben, 
während  seine  guten  Eigenschaften  mir  zu 
wenig  gewürdigt  erscheinen.  Demgegenüber 
ist,  was  bei  Hu  et  er 's  Vorliebe  für  die  Car- 
b Ölsäure  nicht  auffällig  erscheinen  darf, 
das  letztere  Präparat  allenthalben  in  den 
Vordergrund  gestellt,  bald  als  Hueter'^sche 


subcutane  Injection  oder  Infusion,    bald    als 
percutan  wirkender  Umschlag,  und  doch  ist, 
besonders    bei    letzterem,    neben   der   Gefahr 
der  allgemeinen  Carbolintoxication  auch  der 
zuweilen  eingetretenen  localen  Schädigungen 
zu  gedenken.     Ich  erinnere  an  das  Gangrä- 
nöswerden einzelner  Glieder,  an  den  berüch- 
tigten  „Carbolfinger".  —  Die  Drainage  ist 
nicht    nur    bei     kleinen    Wunden    zu   ent- 
behren,    sondern    sie    wird    bereits    bei  den 
grossten    Höhlen  wunden    principiell    fort- 
gelassen   und    durch     die    Anwendung    von 
Etagennähten    neben    massiger    Compression 
der  Wunde    vermittelst    d^s    Deck  Verbandes 
entbehrlich  gemacht.  —  Neben  der  seitlichen 
Ligatur    der    Venen     dürfte    auch    deren 
aseptische  Naht  zu  nennen  sein,  femer  bei 
der    allgemeinen  Blutstillung    neben    der 
extremen  Winkelstellung  der  Gelenke 
die    Verticalstellung    der    ganzen    Ex- 
tremität,   und    neben    den    verschiedenen 
Formen   der  Transfusion   auch   die  Auto- 
transfusion,   die    ein   so   erfahrener   Prac- 
tiker,  wie  von  Nussbaum  für  die  leistungs- 
fähigste   jener    Formen    hält.    —     Von    der 
Massage    endlich    wäre    zu    erwähnen   ge- 
wesen, dass  sie  neuerdings  auch  bei  frischen 
Blutergüssen,    z.  B.  bei   frischen  Gelenkcon- 
tusionen,    mit    Vortheil    Anwendung    findet, 
und  bei  der  localen  Anästhesie,  dass  von 
dem  Cocain   nicht    nur    in   Form  von  Be- 
pinselungen,   sondern    auch    von    subcu- 
tanen lujectionen  ausgedehnter  Gebrauch 
gemacht  wird. 

Mag  nun  dasjenige,  was  ich  in  Vorste- 
hendem für  erwähnenswerth  gehalten,  dem 
Autor  weniger  wichtig  erschienen  sein,  so 
erscheint  es  mir  gerade  vom  Standpunkt 
einer  „allgemeinen  Chirurgie"  erforder- 
lich, dass  jener  Dinge,  sofern  sie  eben  auf 
wissenschaftlicher  Forschung  oder  practischer 
Erfahrung  beruhen,  wenigstens  gedacht  wird. 
Ihr  Fehlen  hat  indessen  dem  Werthe  des 
ganzen  Werkes,  das  sich  durch  Klarheit 
und  Präcision  seines  Inhaltes  vortheilhaft 
auszeichnet,  und  dessen  Leetüre  eine  durch- 
aus anregende  ist,  keinerlei  Abbruch  gethan. 

Abbildungen  und  Ausstattung  des  Werkes 
sind  vortrefflich;  ausserdem  enthält  dasselbe 
ein  ausführliches  Sachregister.     /Vey«r  (Stettm). 

F.  Tiemann  und  A.Gärtner.  Die  chemische 
und  mikroskopisch-bakterioloiBrische  Unter- 
suchnngf  des  Wassers  zum  Gebraache  for 
Chemiker,  Aerzte,  Medicinalbeamte,  Pharma- 
ceuten,  FabricantcD  und  Techniker,  als  m.  Auf- 
lage von  Kubel-Tiemann^s  üntersnchung 
von  Wasser.  BrauDSchweig.  Vieweg  & 
Sohn.     1889. 

Die  üntersuchungsmethoden  des  Wassers 
gewinnen    eine    immer    grössere    Bedeutung 


m.  Jahrgang.! 
Jali  1889.    J 


Uttontiar. 


343 


durch  die  Yeryollkommnung  der  Methoden. 
Die  Aufgaben,  welche  zu  losen  sind,  gehen 
über  das  Gebiet  einer  Forschungsmethode 
T¥eit  hinaus  und  wie  es  in  dem  vorliegenden 
Werke  zur  Anerkennung  gekommen  ist, 
müssen  sich  Chemiker  und  Bakteriologe  ver- 
ein igen,  um  zu  fruchtbringenden  Resultaten 
zu  gelangen.  —  Es  ist  dies  in  yollkommen- 
8ter  Weise  geschehen  und  glaube  ich 
mit  Recht  annehmen  zu  können,  dass 
kein  Experimentator  bei  der  Untersuchung 
des  Wassers  dieses'  Hülfsbuches  wird  ent- 
behren können,  denn  abgesehen  von  der  yor- 
trefif liehen  Beschreibung  bekannter  Methoden 
finden  sich  zahlreiche,  den  Verfassern  ori- 
ginale üntersuchungs- Methoden  aufgeführt. 
Selbst  derjenige,  welcher  nicht  selbstthätig 
an  die  Untersuchungsarbeiten  herantreten 
-will,  wird  bei  der  Leetüre  des  Werkes  durch 
die  belehrende  und  angenehme  Form,  in 
welcher  die  Abhandlungen  geschrieben,  ge- 
fesselt. 

Der  Einleitung    über   die   Beschaffenheit 
der    Wässer    verschiedener    Art    folgen    die 
qualitativen    und    später    die    quantitativen 
Methoden,    wobei    eine    eingehende   Prüfung 
der  zur  Anwendung  kommenden  Reagentien 
nicht    ausser    Acht     gelassen     ist.       Dieser 
Theil,  welcher  in   vollkommener  Weise   alle 
anzuwendenden   Methoden    enthält,    ist    für 
den     untersuchenden     Chemiker      von     der 
grossten  Bedeutung.     In   den   folgenden  Ca- 
piteln    sind    die   Schädlichkeiten    und   orga- 
nischen Befunde  in  der  grossten  Ausführlich- 
keit   behandelt    und  für  den  Mikroskopiker 
findet  sich  eine  Zusammenstellung  aller  Be- 
funde, welche  die  Wissenschaft  bis  jetzt  zu 
Tage  gefördert  hat.     Wenn  auch  denjenigen, 
welche    sich  mit  Bakteriologie  beschäftigen, 
viele  Methoden  als  alte  Bekannte  entgegen- 
treten, so  wird  doch  durch  Vorführen  aller 
für   die  Wasser -Untersuchung   nothwendigen 
Methoden    ein    vortreffliches    Ganzes    ge- 
schaffen.    —     Dieser     sowie     der     folgende 
III.  Abschnitt     ri^^ie   Beurtheilung    der   che- 
mischen und  mikroscopisch-bacteriologischen 
Befunde"  sind  von  hervorragendem  Interesse 
für  den  Arzt,  welchem  nach  den  angestellten 
Untersuchungen    das    entscheidende    Urtheil 
zusteht.  —  Zehn  beigefügte  Tafeln,  grÖssten- 
theils  in  Buntdruck,    werden  jedem   an   die 
Materie    experimentell    herantretenden    For- 
scher   von    ganz   besonderem  Interesse  sein, 
da   die   beste  Beschreibung  nicht  annähernd 
die   Anschauxmg   des   subtilen   Materials   er- 
setzen kann.  Liebreteh^ 


Praetisehe  N^otisen 

and 

entpfehlenswerthe  Arzneiformeln. 


Borsäure-Lanolin. 

Bei  Kindern,  fetten  Personen  und  be- 
sonders bei  Greisen  wird  durch  Wärme  und 
Reiben  sehr  leicht  Intertrigo  erzeugt,  welche 
bei  Vernachlässigung  zu  £kzemen  mit  üblem 
Geruch  Veranlassung  giebt. 

Die  gewöhnlichen  Fettsalben  könneq  oft 
schon  Heilung  hervorrufen,  wirken  jedoch 
meistens  durch  die  bald  eintretende  Ranci- 
dität  nachtheilig.  Folgende  Vorschrift  hat 
sich  bewährt.  £s  werden  die  Theile  mit 
Wasser  und  neutraler  Seife  gereinigt,  vor- 
sichtig mit  einem  Tuche  getrocknet,  wobei 
die  krankhafte  Stelle,  trotz  Abtrocknens, 
einen  gewissen  Grad  von  Feuchtigkeit  be- 
hält. Es  wird  nun  mit  folgender  Salbe, 
wenn  nöthig,  zweimal  täglich  eingerieben: 
iV  Acid.  borac.  0,5 
Lanolini  50,0 

Vaselini  amer.   10,0. 
M.  f.  Unguentum. 

Vor  einer  neuen  Einreibung  ist  die  krank- 
hafte Stelle  wieder  zu  reinigen.       Uebreieh, 

Haarwasser  far  die  Kopfhaut. 

Es  wäre  sehr  wünschenswerth,  wenn  bei 
den  Fortschritten,  welche  die  hygieinische 
Hautpflege  in  letzter  Zeit  gemacht  hat,  statt  der 
käuflichen  Präparate,  welche  oft  unglaublich 
dürftig  und  mehr  von  Friseuren  als  von  Aerz- 
ten  erfunden  sind,  solche  zur  Anwendung 
kämen,  welche  von  dem  Arzt  verschrieben 
und  iu  den  Apotheken  angefertigt  werden. 

Sehr  häufig  liegt  das  Bedürfniss  vor, 
eine  zu  stark  absondernde  Kopfhaut  und 
Haar  von  Fett  und  Schmutz  zu  befreien, 
wobei  die  Anwendung  von  Seife  und  Wasser 
gemieden  werden  muss. 

Besonders  bei  Frauen,  die  durch  das 
langsame  Trocknen  der  Haare  beim  Waschen 
an  Erkältung  und  deren  Folgen  leiden,  ist 
es  zweckmässig,  alkoholische  Mittel  anzu- 
wenden oder  nach  dem  Waschen  dieselben 
zu  benutzen,  um  das  Haar  schnell  trocknen 
zu  lassen. 

Es  empfiehlt  sich  hierzu  folgende  sehr 
einfache  Vorschrift: 

iV    Spiritus  aethereus    60 

Tinctura  Benzoes        5 — 7,0 
Vanillini  0,05 

Heliotropini  0, 1 5 

Olei  Geranii  gtt.  I. 

S.  Aeusserlich.  Vor  der  Flamme  zu 
schützen  weil  brennbar,  gut  verschlos- 
sen zu  halten! 


344 


Practitch«  Notizen  und  empfeblaniwarth«  Arzneiformeln. 


rTherapentliche 
I.  Mon&t«hefta. 


Es  wird  nach  dem  Waschen  oder  direct 
ein  Esslöffel  auf  der  Kopfhaut  und  den 
Haaren  verrieben  und  mit  einem  feinem 
Tuch  getrocknet. 

Man  kann  mehrere  Male  in  der  Woche 
diese  Procedur  -wiederholen.  Es  zeigt  sich, 
dass  Seborrhoea  capitis  bei  stark  fettiger 
Kopfhaut  zum  Verschwinden  gebracht  wer- 
den kann. 

Werden  die  Haare  beim  Gebrauch  der 
Mischung  zu  trocken,  so  setzt  man  für 
einige  Zeit  das  Mittel  aus  oder  gebraucht 
von  ranzigen  Fetten  freie  Pomaden. 

Liebr&ich. 

Abführmittel. 

Nachfolgende  Vorschrift  ist  uns  zuge- 
gangen : 

Essentia  Frangulae. 

Gort.  Frangulae  500 

Aquae  destillatae         3000 

coque  per  horam  1,  colaturae  expressae  adde 
Natrii  sulfurici  200 

et  evapora  ad  pondus  1000,  tum  subside  et 
adde 

Syrupi  simplicis 

Spiritus  Vini  Gognac  aa   100. 

Dosis:  Ein  Liqueurglas  voll! 

Ueber  die  in  der  Königlich  Preussischen  Armee 
gesammelten  Erfahrungen  über  Anwendung 
von  Chromsäurelösungen  gegen  Fussschweisse 

entnehmen  wir  einem  in  der  Deutschen 
Militärärztlichen  Zeitschrift  1889,  Heft  6 
enthaltenen  Berichte,  dass  die  Wirkung  der 
Ghromsäure  auf  die  an  übermässiger  Schweiss- 
absonderung  leidenden  Füsse  eine  ganz  auf- 
fallend günstige  war.  Die  feuchten,  vorher 
gerotheten  Hautstellen  erhielten  meist  ein 
trockenes,  glattes  Aussehen  und  der  unan- 
genehme, durch  Zersetzung  des  Schweisses 
bedingte  Geruch  verschwand  bald  nach  der 
Anwendung.  In  vielen  Fällen  genügte  eine 
einmalige,  in  den  meisten  eine  zwei-  bis 
dreimalige,  in  Zwischenräumen  von  8  bis 
14  Tagen  vorgenommene  Bestreichung  mit 
dem  Mittel,  um  anhaltende  Besserung  oder 
auch  Heilung  des  Leidens  zu  erzielen. 

Im  Ganzen  wurde  die  Behandlung  an 
mehr  als  18000  Leuten  angewendet,  von 
welchen  42  %  als  geheilt,  50  ^/o  als  gebessert 
und  8  %  als  ungeheilt  angesehen  werden 
können. 

Gewöhnlich  wurde  nach  Gebrauch  einer 
lOprocentigen  wässerigen  Lösung  kein  grösse- 
rer Erfolg  beobachtet,  als  nach  Anwendung 
einer  öprocentigen. 


Während  die  meisten  Leute  keine  Be- 
lästigungen nach  dem  Aufstreichen  der  Säure 
empfanden,  stellte  sich  bei  anderen  Brennen, 
Prickeln,  Ziehen  oder  Jucken  oder  ein  Ge- 
fühl von  Spannung,  Trockensein  und  Taub- 
heit ein.  Bei  sehr  empfindlicher  Haut  wurde 
nach  stärkeren  Einpinselungen  das  Entstehen 
von  Schrunden,  Rissen  und  selbst  Wunden, 
Blasenbildung  und  Geschwursbildung  beob- 
achtet. In  einzelnen  Fällen  kamen  Fuss- 
ödeme,  dreimal  Ekzeme  vor.  Nach  wenigen 
Tagen  waren  jedoch  alle  Nebenerscheinungen 
verschwunden.  —  Bei  bestehenden  Wunden 
ist  die  Anwendung  schmerzhaft  und  von 
Entzündungserscheinungen  begleitet.  Sub- 
jectiv  wurde  in  vereinzelten  Fällen  über 
Mattigkeit,  Unbehagen,  Kopfschmerz  und 
Gelbsehen  geklagt.  Sonst  wurden  Intoxi- 
cationserscheinungen  nicht  beobachtet. 

Mehrfach  wurde  als  Folge  der  Unter- 
drückung der  Fussschweisse  vorübergehend 
vermehrte  Schweisssecretion  an  anderen 
Körpertheilen  angegeben.  Uebele  Folgezu- 
stände hatte  die  Aufhebung  der  Fussschweisse 
nicht. 

Am  zweck  massigsten  erscheint  es,  das 
Einpinseln  der  Lösung  (und  zwar  gewöhnlich 
einer  öprocentigen)  auf  die  sauber  gebadeten 
und  gut  getrockneten  Füsse  einige  Zeit  vor 
dem  Schlafengehen  und  die  etwa  nöthige 
Wiederholung  nach  8 — 14  Tagen  vorzu- 
nehmen. —  Bei  bestehenden  Wunden  ist 
die  Ghromsäurebehandlung  erst  nach  Heilung 
derselben  vorzunehmen. 

Gegen  Nachtschweisse  der  Phthisiker 

empfiehlt  Prof.  0.  Rosen b ach  (Breslau) 
Application  einer  Eisblase  auf  das  Abdomen 
während  einiger  Stunden  der  Nacht.  Dieses 
Verfahren  soll  alle  bekannten  Anthidrotica 
an  Wirksamkeit  übertreffen. 

Als  Belebungsmittel  in  Chloroformasphyxie 

wird  (Münch.  med.  Wochenschr.  15/89)  em- 
pfohlen, Aether  auf  den  Bauch  zu  giessen; 
die  dadurch  erzeugte  Abkühlung  soll  sofort 
zu  tiefen  Respirationen   anregen. 

Phenacetin  gegen  Keuchhusten 

ist  mit  gutem  Erfolge  von  Dr.  R.  Hei- 
mann  (Münch.  med.  Wochenschr.  12/89) 
gegeben  worden.  Bei  einem  Knaben  von 
3  Jahren  liess  er  0,4  in  4  Dosen  a  0,1  ge- 
brauchen, bei  einem  Mädchen  von  2  Jahren 
0,3  in  3  Dosen  und  bei  einem  Säuglinge 
von  7  Monaten  0,2  in  4  Dosen  a  0,005. 
Nirgends  beobachtete  er  üble  Nachwirkun- 
gen. 0,1  Phenacetin  wirkte  durchschnittlich 
3  Stunden. 


VerUg  von  Jnlius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  von  Qostav  Schade  (Otto  Francke)  Berlin  M. 


Therapeutische  Monatshefte. 


1889.    August« 


Origmalabhandlnngeii. 


Chloralformamid,  ein  neues  Schlafmittel. 

Von 

Dr.  Eugen  Kny, 

Assistent  der  Psychiatrischen  Klinik  zu  Strassbarg  1.  E. 

Seit  Anfang  dieses  Jahres  hatte  ich  Ge- 
legenheit, Versuche  mit  einem  neuen  Schlaf- 
mittel anzustellen,  welches  sich  durch  ver- 
schiedene Eigenschaften  vor  den  bisher  ge- 
bräuchlichen Hypnoticis  auszeichnet.  Dieses 
neue  Präparat,  ein  Additionsproduct  aus 
Chloralanhydrid  CCI3CHO  und  Formamid 
CHONH,  hat  die  Formel: 

C  CI3  CH<j^g  ^^^ 

Dasselbe  stellt  farblose  Krystalle  dar  und 
ist  löslich  in  9  Theilen  Wasser  und  in  l'/j 
Theilen  96procentigem  Alkohol.  Der  Ge- 
schmack des  Ghloralamids  ist  milde,  schwach 
bitter,  keineswegs  ätzend.  Die  wässerige 
Lösung,  welche  bei  einer  60®  C.  nicht  über- 
steigenden Temperatur  hergestellt  werden 
muss,  ist  haltbar.  Sowohl  die  alkoholische 
als  auch  die  wässerige  Lösung  wird  durch 
Zusatz  von  Silbemitrat  nicht  verändert; 
ebenso  wirken  schwache  Säuren  nicht  auf 
dieselbe  ein,  während  sie  durch  Aetzalkalien 
schnell,  durch  kohlensaure  Alkalien  nur 
ganz  langsam  zersetzt  wird.  Der  Schmelz- 
punkt des  Ghloralamids  beträgt  115®  G. 

Das  Ghloralamid  wird  von  der  Chemi- 
schen Fabrik  £.  Schering  in  Berlin  auf 
Veranlassung  von  Prof.  von  Hering  dar- 
gestellt und  in  den  Handel  gebracht. 

Die  Prüfung  seiner  physiologische  Wir- 
kung auf  den  thierischen  Organismus  ergab 
folgende  Resultate: 

Injicirte  ich  Fröschen  0,025—0,03  g 
Ghloralamid  in  wässriger  Lösung,  so  trat 
nach  25  —  30  Minuten  ein  träger,  schläf- 
riger Zustand  ein,  in  welchem  die  Reflexe, 
wenn  auch  nicht  erloschen,  so  doch  erheb- 
lich herabgesetzt  waren.  Im  Laufe  von 
2 — 3  Tagen  erholten  sich  die  Thiere  wieder 
vollständig. 

Kaninchen,  welche  17« — 2  gr  Ghloral- 
amid in  den  Magen  erhielten,  verfielen  nach 


20 — 25  Minuten  in  tiefen  Schlaf.  Nach 
10 — 12  Stunden  waren  die  Thiere  wieder 
ganz  munter. 

Zwei  einschlägige  Versuche  mögen  im 
Folgenden  ausführlich  geschildert  werden. 

Ein  KaoniDchen  von  2  kg  Körpergewicht  er- 
hielt IIU.  45M.  2  g  Chloralamid  in  50  Wasser 
in  den  Magen. 

11 U.  55  M.  Das  Thier  läuft  ansicher  umher. 

12  U.  5  M.  liegt  halb  auf  der  Seite. 

12  U.  10  M.  liegt  auf  der  Seite  und  schläft. 

Abends  9  Uhr  schläft  das  Thier  noch  fest. 
Nachts  12  U.  munter. 

Dasselbe  Thier  erhält  einige  Tage  darauf 
Abends  6  Uhr  10  M.  in  derselben  Weise  1,5  g 
Chloralamid. 

6Ü.  22  M.  läuft  eine  kurze  Strecke  taumelig 
umher. 

6  ü.  30  M.  schwankt  beim  Laufen,  sitzend  hält 
es  sich  aufrecht,  neigt  aber  zur  Seite. 

6  U.  35  M.  liegt  fortdauernd  auf  der  Seite,  auf 
massige  Reize  reagirt  es  nicht,  auf  starke  Reize 
Zuckungen.    Herzschlag  sehr  kräftig. 

7  U.  10  M.  Herzschlag  kräftig,  liegt  dauernd 
auf  der  Seite,  lässt  einen  Hund  auf  sich  hetzen 
und  sich  auf  den  Leib  legen  ohne  jegliche  Reaction. 
Auf  starkes  Kueifen  Zuckung,  Respiration  sehr  tief, 
regelmässig,  24  in  der  Minute. 

Abends  12  U.  lag  das  Thier  noch  auf  der 
Seite  und  schlief  fest.  Am  anderen  Morgen  ganz 
munter. 

Nachdem  die  schlafmachende  Wirkung 
des  Ghloralamids  sowie  dessen  Unschädlich- 
keit am  Thierkörper  festgestellt  war,  er- 
schien es  von  grosser  Wichtigkeit,  den  Ein- 
fluss  dieses  Mittels  auf  die  Circulation  zu 
Studiren.  Es  ist  ein  bekannter  schwer- 
wiegender Nachtheil  des  so  vielfach  ange- 
wendeten Ghloralhy drates ,  dass  es  eine  be- 
deutende Herabsetzung  des  Blutdruckes  be- 
wirkt, ein  Nachtheil,  welcher  die  Verwend- 
t)arkeit  dieses  sonst  vorzüglichen  Hypnoticums 
erheblich  einschränkt.  Dass  das  Chloral- 
hydrat  die  Herzthätigkeit  schädlich  beein- 
flusst,  ist  durch  zahlreiche  Untersuchungen 
festgestellt;  unter  Anderen  hat  Gervello 
in  seiner  Arbeit:  „Ueber  die  physiologische 
Wirkung  des  Paraldehyds  und  Beiträge  zu  den 
Studien  über  das  Chloralhydrat**  (Archiv  f. 
experim.    Pathologie      und     Pharmakologie 

44 


346 


Kay,  Chloralforxnamidy  ein  neues  ScblafmitteX. 


rlicrapeutiiche 
Monatsheft«. 


Bd.  XYI)  bei  zwei  Kaninchen  Bestimmungen 
des  Blutdrucks  nach  Chloralhydratgaben 
publicirt,  welche  ich  hier  einfugen  möchte, 
um  sie  Resultaten,  die  ich  unten  folgen 
lasse,  vergleichend  gegenüber  zu  stellen. 

^Versuch  XX.  pg.  283. 

„Ein  Kaninchen  yon  2,45  kg  erhält  um  5  Uhr 
in  wässeriger  Lösang  1,25  g  Chloralhjdrat  in  den 
Magen,     auf    5     Einzeldosen     vortheilt    innerhalb 

1  Stande  15  Min. 

Blutdruck    115 
6  U.  32  M.    66. 

Das  Kaninchen  ist  im  Zustande  der  Narkose,  die 
Reflexe  sind  lebhaft.  Die  Dosis  von  1,25  g  Chloral 
für  ein  Kaninchen  von  2,45  kg  Körpergewicht  steht 
weit  unter  der  Grenze  der  letalen  Gaben.** 

Versuch  XXI.    pg.  283. 

„Kaninchen  von  1,72  kg  Körpergewicht  erhält 
5  U.  30  M.  1,25  Chloralhjdrat  in  wässnger  Lösung 
auf  einmal  in  den  Magen. 

Blutdruck  vorher     110 
5U.   45  M.  51—75 

6Ü.  38 

6U.   40  M.  31. 

Das  Kaninchen  ist  in  tiefer  Narkose,  die  Reflexe 
bestehen  fort,  sind  aber  schwach." 

Diesen  Versuchen  Cervello's  kann  ich 
noch  eine  eigene  Blutdruckcurve  nach  intra- 
venöser Application  von  Chloralhydrat  hin- 
zufügen. 

Vor  der  Injection  betrug  bei  dem  Versuchs- 
kaninchen der  Blutdruck  im  Mittel  123  ccm. 

4  ü.  43  M.  Blutdruck  123.  I.  Injection  (lang- 
sam in  IV3--2  M.)  von  2  ccm  47o  Chi  oral  hjdrat- 
lösung  (=  0,08  Chloralhjdrat)  in  die  Vena  jugu- 
laris. 

4U.  47  M.   Blutdruck  110. 

4  ü.  48  M.     Blutdruck   112.     IL  Injection  von 

2  ccm  4%  Chloralhjdratlösung. 

4U.  49  M.   Blutdruck  102. 

4U.  50  M.  Blutdruck  100.  III.  Injection  von 
2  ccm  Chloralhjdratlösung. 

4U.  55  M.  Blutdruck  100.  IV.  Injection  von 
2  ccm  Chloralhjdratlösung. 

4U.  58  M.  Blutdruck  90.  V.  Injection  von 
2  ccm  Chloralhjdratlösung. 

5U.    Blutdruck  72—74. 

5 U.  IM.  Blutdruck  76. 

5U.  5M.  Blutdruck  70. 

5  U.  15  M.  Blutdruck  80.  Corncalrcflex  schwach 
vorhanden. 

5U.  20M.  Blutch-uck  84—86.  Cornealreflex 
massig  vorhanden,  auf  Kneifen  der  Beine  geringe 
Reaction. 

5U.  30  M.  Blutdruck  92.  VI.  Injection  von 
2  ccm. 

5Ü.  34— 40M.    Blutdruck  78-82. 

Diesen  Curven  gegenüber  mögen  nun 
einige  Blutdruckbestimmungen  nach  Chloral- 
amid  Platz  finden  und  zwar: 

1.  Bei  Darreichung  in  den  Magen. 
Um  3  U.  20  M.   erhält   ein   grosses   Kaninchen 
2,5  g  Chloralamid  auf  einmal  in  den  Magen. 


Blutdruck  132. 
130. 
122. 
122.  Thier 


VI.  Spritze. 

Blutdruck  122.  Keine  Spur  von  Reflexen. 


3U.  30  M.  Blutdruck  122—124.  Reflexe  deut- 
lich vorhanden,  keine  Wirkung. 

3U.  40  M.  Blutdruck  114—118.  Keine  Reflexe 
von  der  Cornea  mehr,  Thier  losgebunden,  schläft. 

3tr.  50  M.  Blutdruck  106. 

3  U.  55  M.  Blutdruck  110.  Keine  Reflexe. 
AthemzOge  tief  und  regelmässig. 

4U.  wird  das  Thier  abgenommen,  auf  den 
Boden  gelegt,  schläft  ununterbrochen  auf  der  Seite 
liegend  weiter.    Blutdruck  106. 

2.    Bei  Injection  in  die  Vene. 
Normaler  Druck  bei  dem  Kaninchen  im  Mittel 
139. 

4  U.  50  M.  Nach  Injection  von  1  Spritze  = 
2  ccm  57o  Chloralamidlösung  (=  0,1  g  Chloralamid) 
in  die  Vene  Blutdruck  130. 

4U.  52  M.    IL  Spritze. 

4U.  54  M.  III.  Spritze. 

4U.  55  M.  IV.  Spritze. 

4  U.  58  M.  V.  Spritze, 
schläft,  Beine  schlaff.  Sehr  schwache  Reflexe  bei 
starkem  Kneifen  der  Beine,  Cornealreflex  stark  ab- 
geschwächt. 

5U.  2M.    Blutdruck   124.    Comeakeflex   ge- 
schwunden. 
5U.  3M. 
5U.  4M. 
5U.  5M. 
5U.  7M. 

Aus  vorstehenden  Versuchen  ergiebt  sich 
die  wichtige  Thatsache,  dass  das  Chloral- 
amid den  Blutdruck  im  Vergleich  zum 
Chloralhydrat  nur  sehr  wenig  alterirt.  Bei 
Cervello  betragen  die  Differenzen  zwischen 
dem  normalen  Druck  und  dem  Druck  nach 
Einfuhrung  von  Chloralhjdrat  in  den  Magen 
50 — 80  mm,  bei  unserem  Chloral  hydrat- 
versuch nach  intravenöser  Injection  50  mm. 
Beim  Chloralamid  beträgt  die  Differenz  im 
Stadium  der  aufgehobenen  Reflexe,  sowohl 
bei  interner  wie  bei  intravenöser  Application 
nicht  mehr  wie  17,  d.  h.  sie  bewegt  sich 
innerhalb  der  Grenzen,  wie  sie  beim  natür- 
lichen Schlaf  vorkommen  können.  Hieraus 
geht  hervor,  dass  durch  Chloralamid  im 
Gegensatz  zum  Chloralhydrat  die  Herzthätig- 
keit  nur  in  sehr  geringem  Maasse  beeinflusst 
wird. 

Nach  diesen  vorbereitenden  Studien  am 
Thierkörper,  durfte  man  es  wagen,  das  Mittel 
an  schlaflosen  Menschen  zu  versuchen.  Die 
Zahl  der  Fälle,  an  denen  ich  den  therapeu- 
tischen Werth  des  Chloralamids  prüfte,  betrug 
31,  die  Zahl  der  Einzel  versuche  überstieg 
100^).  Die  Einzeldosis  schwankte  zwischen  1,5 
bis  4  g.  Da  mir  vor  Allem  daran  lag,  die  Wir- 
kung des  Chloralamids  im  Vergleich  zu  der 
des  Chloralhydrates  einer   eingehenden  Prü- 

*)  Die  Mehrzahl  der  Versuche  wurde  mit  Ge- 
nehmigung des  Herrn  Prof.  Jolly  an  Patienten 
der  Psychiatrischen  Klinik  zu  Strassbui^  i.  E.  aus- 
geführt. 


in.  Jahrgang.l 
Aairnst  1889.  J 


Kny,  Chloralformamid,  ein  neuei  Schlafmittel. 


347 


fuDg  ZU  unterziehen,  -wählte  ich  dazu  fast 
nur  solche  Formen  von  Schlaflosigkeit,  bei 
denen  das  Chloralhydrat  nach  meinen  Er- 
fahrungen die  besten  Dienste  leistet.  Es 
sind  dies,  allgemein  gesagt,  Fälle  von  ein- 
facher Schlaflosigkeit.  Bei  einer  schweren 
Tobsucht  Hess  Chloralamid  ebenso  im  Stich 
-wie  Chloralhydrat.  Bei  einer  agitirten 
Melancholie  entfalteten  beide  Mittel  gleich 
unzulängliche  Wirkung.  Dagegen  zeigte  sich 
Chloralamid  bei  einer  ganzen  Reihe  von 
Psychosen,  die  nicht  mit  lebhafter  Aufregung 
einhergingen,  dem  Chloral  entschieden  eben- 
bürtig, so  bei  6  Melancholien  ohne  starke 
^Beängstigung,  bei  2  älteren  Fällen  von  Ver- 
rücktheit, bei  2  Primär-Schwachsinnigen  und 
1  massig  erregten  Paralytiker.  —  Bei  2 
chronischen  Alkoholikern  und  einer  seit 
Monaten  an  grossere  Morphiumgaben  ge- 
"wohnten  Patientin  mit  Tabes  dorsalis  rief 
Chloralamid  regelmässig  und  sicher  Schlaf 
hervor.  Ebenso  bei  4  schlaflosen  Neurasthe- 
nikern.  In  Fällen  von  Insomnie  auf  Grupd 
körperlicher  Affectionen  leistet  es  ebenfalls 
gute  Dienste,  wie  ich  bei  einem  Phthisiker, 
einem  Pleuritiker,  drei  Fällen  von  Herz- 
fehlem und  vier  Patienten  mit  neuralgischen 
Schmerzen  mittleren  Grades  constatiren 
konnte.  Ohne  Gefahr  kann  es  auch  bei 
Schlaflosigkeit  alter  Leute  gegeben  werden. 
Bei  höheren  Graden  peripherischer  Reizzu- 
stände, bei  sehr  intensiven  Schmerzen  und 
äusserst  heftigem  Hustenreiz  ist  die  Wir- 
kung, gleich  der  des  Chlorais,  eine  mangel- 
hafte, wie  ich  in  einem  Falle  von  sehr 
heftiger  Cephalgie  und  einem  zweiten  von 
In tercos talneural gie  erfahren  musste.  Hier 
empfiehlt  sich  ein  Zusatz  einer  geringen 
Quantität  von  Morphium. 

Die  schlafmachende  Wirkung  des  Chloral- 
amids  ist  nicht  so  energisch  wie  die 
des  Chloralhydrats.  Nach  meiner  Er- 
fahrung wirken  2  g  Chloralhydrat  so  stark 
hypnotisch  wie  3  g  Chloralamid.  Die 
Wirkung  tritt  etwas  später  ein,  20  bis 
40  Minuten  nach  der  Gabe,  also  durch- 
schnittlich im  Verlauf  einer  halben  Stunde, 
während  sie  sich  nach  Chloralhydrat  bereits 
nach  15  Minuten  zeigt.  Der  Schlaf  nach 
Chloralamid  ist  ein  tiefer,  erquickender,  seine 
Dauer  schwankt  je  nach  der  Individualität 
des  Falles  zwischen  6  und  10  Stunden.  Die 
Patienten  erwachen  des  Morgens  mit  freiem 
Kopf  und  ohne  Beschwerden  von  Seiten  der 
Yerdauungsorgane.  Klagen  über  Eingenom- 
menheit des  Kopfes  und  üblen  Geschmack 
im  Munde,  die  nach  Chloralhydrat  so  häufig 
laut  werden,  habe  ich  nach  Chloralamid 
niemals  zu  hören  Gelegenheit  gehabt. 

Ich  komme  hiermit  zu  den  entschiedenen 


Vorzügen,  welche  unser  neues  Chloralpräparat 
vor  dem  Chloralhydrat  auszeichnen. 

Der  Mangel  einer  unangenehmen  Ein- 
wirkung auf  den  Digestionstractus  ist  darauf 
zu  beziehen,  dass  das  Chloralamid  die 
Schleimhäute  so  gut  wie  gar  nicht  reizt. 
Auf  die  Lidbindehaut  des  Kaninchens  ge- 
bracht, erzeugt  Chloralhydrat  in  10%iger 
Lösung  sofort  eine  starke  Hyperämie,  eioe 
Erscheinung,  welche  nach  Einbringung  einer 
gleich  starken  Chloralamidlösung  ausbleibt. 
Ein  einfacher  Versuch  demonstrirt  dasselbe 
noch  besser.  Ein  kleines  Partikelchen  reinen 
Chloralhydrats  auf  die  Zunge  gelegt  erzeugt 
einen  stark  bitteren,  beissenden  Geschmack, 
Chloralamid  in  Substanz  oder  in  concentrir- 
ter  Lösung  (l  :  10)  nur  eine  leicht  bittere, 
rasch  verschwindende  Empfindung.  Das 
Chloralamid  wird  deswegen  von  den  Patien- 
ten sowohl  in  Pulverform  (auch  ohne  Oblaten) 
oder  in  Wein  oder  dergl.  aufgelöst  gern  ge- 
nommen, ohne  dass  selbst  bei  empfindlichen 
oder  magenleidenden  Patienten  üble  Wirkun- 
gen zu  befurchten  sind.  Die  Darreichung 
in  alkoholischen  Flüssigkeiten,  die  man 
zweckmässiger  Weise  noch  etwas  erwärmt, 
empfiehlt  sich  wegen  der  günstigeren  Lösungs- 
verhältnisse. Besonders  in  Rothwein,  dem 
etwas  Zucker  zugesetzt  ist,  nimmt  sich  das 
Mittel  sehr  gut. 

Der  hervorragendste  Vortheil  des  Chloral- 
amids  besteht  darin,  dass  die  Circulation 
auch  in  tiefer  Narkose  keinerlei  wesentliche 
Beeinträchtigung  erleidet.  Das  Herz  schlägt 
kräftig  und  der  Blutdruck  hält  sich  nahezu 
auf  der  normalen  Höhe.  Selbst  bei  einem 
schwächlich  gebauten  Patienten  mit  Mitralin- 
sufficienz,  sowie  bei  einem  zweiten  an  hoch- 
gradiger Aorteninsufficienz  leidenden  war  nach 
grösseren  Gaben  (3  —  4  g)  eine  nachtheilige  Be- 
einflussung der  Herzthätigkeit  nicht  zu  con- 
statiren. Im  Uebrigen  schliefen  beide  Pa- 
tienten 6  —  8  Stunden  ohne  Unterbrechung. 
Bei  eiuem  anderen  Patienten  trat  nach  Gaben 
von  Chloralhydrat  regelmässig  starker  Rash 
ein;  als  Patient  dann  Chloralamid  bekam, 
blieb  die  Erscheinung  vollständig  aus,  was 
offenbar  auf  den  Mangel  der  gefässl ahmen- 
den Wirkung  des  Chloralamids  zurückzu- 
führen ist.  Ueberbaupt  habe  ich  bei  keinem 
meiner  Patienten  jemals  nach  Chloralamid 
eine  Spur  von  nachfolgender  Röthung  des 
Kopfes,  verbunden  mit  lästigem  Hitzegefühl, 
beobachtet. 

Die  geringe  Einwirkung  des  Chloralamids 
auf  die  Circulationsorgane  kann  man  aus 
zwei  Gesichtspunkten  erklären.  Einmal 
wird  das  Chloralamid  durch  das  freie 
Alkali  des  circulirenden  Blutes  lang- 
sam   in    Chloral(hydrat)    und    Forma- 

44* 


348 


Kny,  Chloralformamid,  ein  neues  Sehlafinittel. 


rTherapeaÜiche 
L  Monatabefta. 


mid  gespalten,  und  es  kommt  dadurch 
immer  nur  eine  kleine  Quantität  Chlo- 
ral  auf  einmal  zur  Wirkung. 

Zweitens  wirkt  das  abgespaltene 
Formamid  wie  alle  Korper  der  N  Hj- 
Gruppe  erregend  auf  das  Gefäss- 
centrum  in  der  Medulla  und  damit 
erhöhend  auf  den  Blutdruck.') 

Fassen  wir  die  Unterschiede  in  der  Wirkung 
beider  Chloralpraparate  nochmals  kurz  zusam- 
men, so  sind  dieselben  folgende:  Das  Ghloral- 
hydrat  wirkt  stärker  hypnotisch  als  Chloral- 
amid  und  wird  deswegen  in  Fällen,  welche 
die  Anwendung  eines  sehr  energischen  Schlaf- 
mittels erfordern,  nicht  umgangen  werden 
können.  Dagegen  hat  das  Ghloralamid  vor 
dem  Chloralhydrat  besonders  den  Yorzug, 
dass  es  nicht  auf  das  Herz  wirkt,  den  Ver- 
dauungskanal nicht  afficirt  und  wegen  seiner 
Geschmacklosigkeit  weit  lieber  genommen 
wird.  Endlich  hat  das  Ghloralamid  noch 
den  Vortheil,  dass  es  nicht  von  Congestions- 
erscheinungen  und  unangenehmen  Neben- 
wirkungen nach  dem  Erwachen,  wie  dies 
mitunter  bei  Chloralhydrat  der  Fall  ist,  be- 
gleitet wird. 

Vergleichende  Versuche,  welche  ich  bei 
einer  Anzahl  Patienten  zwischen  der  Wir- 
kung des  Ghloralamids  und  des  Sulfonals 
angestellt  habe,  fielen  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  zu  Gunsten  des  Ghloralamids  aus;  eine 
ganze  Reihe  intelligenter,  der  Selbstbeob- 
achtung fähiger  Patienten  haben  mir  zu 
wiederholten  Malen  versichert,  dass  sie  das 
Ghloralamid  dem  Sulfonal  vorziehen.  Das 
Ghloralamid  zeichnet  sich  vor  dem  Sulfonal 
dadurch  aus,  dass  nach  seiner  Einnahme  in 
Folge  der  Leichtlöslichkeit  der  Schlaf  viel 
rascher  eintritt  und  am  andern  Morgen  be- 
endet ist.  Nach  Sulfonal  erfolgt  die  Wir- 
kung erfahrungsgemäss  erst  nach  einigen 
Stunden  und  hält  auch  noch  häufig  tagsüber 
an.  Indessen  gebe  ich  zu,  dass  einzelne 
Fälle  vorkommen  können,  in  denen  die  Wir- 
kung des  Ghloralamids  durch  Sulfonal  über- 
troffen wird. 

Auf  Grund  dieser  Ausführungen 
kann  ich  das  Ghloralamid  bei  Schlaf- 
losigkeit in  Folge  nervöser  Erregungs- 
zustände leichteren  Grades,  bei  Neur- 
asthenie, bei  Agrypnie  in  Folge  kör- 
perlicher Leiden  (Phthise,  Herzfehler, 
Rückenmarksaffectionen  etc.),  sowie 
in    allen    Fällen     von    Insomnie,     die 


')  Dass  im  Oreanismus  Chloral(hydrat)  aus 
dem  Chloralformamid  abgespalten  wird  und  zur 
Wirkung  kommt,  konnte  icn  dadurch  bestätigen, 
dass  ich  im  Urin  eines  Hundes,  welcher  12  gr 
Chloralamid  erhalten  hatte,  ürochloralsäure  m 
grosser  Menge  nachwies, 


nicht  mit  heftigen  Schmerzen  oder 
starken  Reizerscheinungen  anderer 
Art  einhergehen,  empfehlen. 

Zum  Schluss  bemerke  ich  noch,  dass 
einige  Versuche,  die  ich  mit  Ghloralacet- 
amid  am  Thier  und  am  Menschen  ange- 
stellt habe,  ungünstige  Resultate  ergaben. 
Dass  Chloralacetamid  als  Schlafmittel  un- 
brauchbar ist,  hängt  offenbar  mit  seiner 
Schwerlöslichkeit  und  der  dadurch  bedingten 
langsamen  Resorption  sowie  mit  der  schwe- 
reren Spaltbarkeit  zusammen. 


Ueber  die  therapeutische  TVirkuugr  des 
Kubidium-  Ammonium  -  Bromid. 

Vorläufige  Mittheilung 
von 

Prof.  Dr.  Karl  Laufenauer  in  Budapest. 

Unter  den  Alkalibromiden  sind  das 
Bromkalium,  Bromnatrium,  Bromammonium 
die  bekanntesten  und  die  gebräuchlichsten. 
Wir  benutzen  dieselben  bei  zahlreichen 
Krankheiten  des  Central  nervensystems,  manch- 
mal sogar  mit  yorzüglichem  Erfolge.  Um 
nur  eine  Form  zu  erwähnen,  so  befindet  sich 
unter  den  gegen  die  genuine  oder  auch 
secundäre  Epilepsie  anempfohlenen  Mitteln 
kein  einziges,  welches  mit  der  Wirkung  der 
Alkalibromide  concurriren  könnte.  Ver- 
suchen wir  auch  andere  Arzneien,  so  sind 
wir  dennoch  in  schweren  und  pressanten 
Fällen  alsbald  auf  die  sicher  wirkenden 
Brompräparate  angewiesen.  Bei  diesem 
Sachverhalte  dachte  ich  vor  zwei  Jahren 
darüber  nach,  ob  man  nicht  aus  der  Reihe 
der  Bromalkali -Metalle  anders  zusammen- 
gefugte Verbindungen  versuchen  könnte,  um 
festzustellen,  ob  letztere  dem  Kalium-,  Na- 
trium- und  Ammoniumbromid  gleichwertbig 
wären,  oder  diese  noch  an  Wirksamkeit  über- 
träfen. 

Meinen  diesbezüglichen  Plan  theilte  ich 
Herrn  G^za  v,  Karlovszkj,  Assistenten 
am  hiesigen  chemischen  Institute,  mit,  wel- 
cher seine  chemischen  Fachkenntnisse  mir 
gerne  zur  Verfügung  stellte.  Unser  Gedan- 
kenaustausch war  ungefähr  folgender.  Be- 
kanntlich ist  die  Wirkung  des  Kaliumbromids 
viel  energischer  als  jene  des  Natriumbromids, 
und  die  Wirkung  des  letzteren  ist  abermals 
beträchtlicher  als  jene  des  Bromlithiums. 
Wenn  wir  nun  in  Betracht  ziehen,  dass  von 
den  angeführten  3  Alkalimetallen  das  Kalium 
chemisch    das    positivste,    das  Lithium  das 


m.  Jalirg&nt.l 
Angurt  1889.  J 


Lauf«tiauer,  Therapeutische  Wirkung  dei  ftubIdium-Animohiuhi-BroiAid. 


349 


minder  positivste  Element  ist,  dass  femer 
das  Kalium  abermals  das  grosste  (39,04) 
und  das  Lithium  das  geringste  (7,01)  Atom- 
gewicht besitzt,  so  scheint  die  Wirksamkeit 
der  genannten  Metallbromide  mit  der  Posi- 
tivität  und  dem  Atomgewicht  der  betreffenden 
Metalle  im  directen  Yerhältniss  zu  stehen. 
Nach  diesen  Erwägungen  müssen  wir 
a  priori  zu  dem  wahrscheinlichen  Schluss 
gelangen,  dass  die  therapeutische  Wirkung 
eines  Alkalibromides,  in  welchem  das  Alkali-* 
znetall  eine  grossere  Positivitat  und  ein 
höheres  Atomgewicht  besitzt  als  das  Kalium, 
auch  bedeutender  sein  wird,  als  die  Wirkung 
des  Kaliumbromids.  Yon  derartigen  Metallen 
verfugen  wir  nur  über  zwei:  das  Rubidium 
und  Caesium  (Atomgewicht  85,2  resp.  132,5). 

Zu  therapeutischen  Zwecken  wurde 
meines  Wissens  von  diesen  noch  keines  ver- 
-wendet,  wahrscheinlich  weil  einestheils  beide 
nur  in  letzterer  Zeit  durch  die  Spectral- 
analyse  entdeckt  wurden,  anderentheils 
vielleicht  ihres  hohen  Preises  halber.  Herr 
Karlovszkj  stellte  Yor  allem  im  Institute 
des  Herrn  Prof.  Than  das  Rubidium  broma- 
tum  dar,  und  zwar  aus  dem  im  Handel  vor- 
kommenden Rubidium- Alaun.  ImHerbste  1887 
bekam  ich  35  g  von  diesem  Präparate.  Die 
Wirkung  wollte  ich  auf  rein  empirischem  Wege, 
indem  ich  die  meines  Erachtens  überflüssigen 
Thierexperimente  überging,  bei  J.  E.,  einem 
14jährigen,  an  Epilepsie  leidenden  Knaben 
feststellen,  der  auf  meine  Abtheilung  am 
18.  Septbr.  1887  aufgenommen  wurde.  Der 
Kranke  wurde  10  Tage  hindurch  beobachtet,  und 
derselbe  hatte  jeden  Tag  durchschnittlich  2, 
sogar  3  typische  epileptische  Anfälle.  Nun  be- 
gannen wir  die  Verabreich ung  des  Rubidium- 
hromids.  Dieses  wurde  Anfangs  in  Dosen 
zu  0,5  g  pro  die  gegeben,  nach  Tagen  stieg 
ich  abermals  mit  0,5  g,  und  als  ich  zur 
taglichen  Dosis  von  2  g  gelangte  und  dies 
mehrere  Tage  hindurch  verabreichte,  ging 
mir  das  Mittel  aus ;  an  dem  Kranken  konnte 
ich  inzwischen  einen  Einfluss  des  Rubidium- 
bromids  auf  die  epileptischen  Anfälle  gar 
nicht  constatiren,  was  ich  offenbar  den 
kleinen  Dosen,  dem  kurzen  Gebrauch  des 
Mittels  und  ausserdem  jenem  umstände  zu- 
schreiben muss,  dass  der  Kranke  einen  sehr 
schweren  Fall  repräsentirte. 

Das  Rubidiumbromid  ist  sehr  theuer, 
seine  Darstellung  aus  Rubidium- Alaun  ist 
mit  bedeutendem  Material verlust  verbunden, 
da  wir  dasselbe  nicht  rein,  sondern  mit 
Ammoniumbromid  gemengt  gewinnen,'  und 
in  Anbetracht  dessen,  dass  das  Ammonium- 
bromid ein  ähnlich  wirkendes  Mittel  ist, 
proponirte  mir  Herr  v.  Karlovszky,  dass 
ich  zu  ferneren  Versuchen    nicht    das   reine 


Rubidiumbromid,  sondern  die  bei  der  Dar- 
stellung selbst  direct  gewonnene  Verbindung 
mit  Ammoniumbromid  benutzen  sollte.  Diesen 
Körper,  welcher  mehr  als  ein  Salzgemenge 
denn  als  ein  Doppelsalz  zu  betrachten  ist, 
können  wir  Rubidium-Ammoniumbromid  be- 
nennen. Es  ist  ein  weisses  oder  etwas  gelb- 
liches, krjstallinisches  Pulver.  .  Es  schmeckt 
Anfangs  etwas  kühlend,  später  salzig.  In 
Wasser  ist  es  sehr  leicht  (in  der  glei- 
chen Menge  seines  Gewichtes)  löslich.  Kry- 
stallwasser  besitzt  es  nicht.  Auf  Platin- 
draht in  die  farblose  Flamme  gehalten, 
färbt  letztere  sich  roth;  die  Flamme  er- 
scheint durch  das  Kobaltglas  dunkelroth. 
In  trockener  Eprouvette  erhitzt,  verflüchtigt  es 
sich  theilweise  und  giebt  einen  weissen  Rück- 
stand. Mit  Natronlauge  erwärmt,  entsteht 
Ammoniak.  Wird  seine  wässerige  Lösung  mit 
etwas  Chlorwasser  und  mit  Chloroform  ge- 
schüttelt, so  färbt  sich  letzteres  röthlich-gelb. 
Die  Zusammensetzung  des  Körpers  ist: 
RbBr.3(NH4Br),  das  heisst  ein  Molekül 
Rubidiumbromid  und  3  Moleküle  Ammo- 
niumbromid. In  100  Gewichts th eilen  sind 
daher  36  Th.  Rubidiumbromid  und  64  Th. 
Brom- Ammonium  enthalten. 

Herr  v.  Karlovszky  stellte  von  diesem 
Mittel  im  Laboratorium  400  g  dar,  später 
bestellte  ich  nach  seiner  Anweisung  bei 
Kahl  bäum  in  Berlin  1  kg,  so  dass  ich 
für  ausgedehntere  Versuche  genügend  Mate- 
rial hatte. 

Aus  meinem  ganzen  Verfahren  folgt  als 
selbstverständlich,  dass  ich  dieses  Mittel 
vor  Allem  bei  epileptischen  Zuständen  stu- 
dirte,  die  Hysteroepilepsie  ganz  ausge- 
schlossen, da  bei  dieser  functionellen  Krank- 
heit die  Alkalibromide  so  wie  so  als  wir- 
kungslos sich  erwiesen. 

Es  ist  nun  natürlich,  dass  ich  auf  jeden 
störenden  Nebenumstand,  welcher  zu  Trug- 
schlüssen führen  konnte,  ein  Augenmerk 
hatte,  was  heutzutage  in  der  zwar  motivir- 
ten,  doch  etwas  fieberhaften  Sucht  nach 
neuen  Mitteln  ein  sehr  häufiges  Vorkommniss 
ist.  Und  bei  diesem  Punkt  zog  ich  in  Be- 
tracht, dass  die  Epilepsie  in  Bezug  des 
Erscheinens  der  Anfälle  eine  vollständig 
unberechenbare  Krankheit  ist,  welche  nicht 
nur  bei  den  einzelnen  Individuen  in  höchst 
verschiedenen  Intervallen  auftritt,  sondern 
äusserst  häufig  auch  bei  ein  und  demselben 
Kranken  den  Typus  fortwährend  wechselt. 
Die  Anfalle  können  in  ebenso  unmotivirter 
Weise  sich  mehren,  als  abnehmen  oder  auf 
bald  längere,  bald  kürzere  Dauer,  im  Kin- 
desalter  manchmal  während  8  —  9  Jahre 
vollständig  ausbleiben.  Soeben  sprach  ich 
von  einem  Typus,    ich   bin  genöthigt,   mich 


350 


Laufenauer»  Therapeutiaehe  Wirkung  des  Rubidium- Ammonium-Bromid« 


rlierapeutiidi« 
Monatshefte. 


selbst  ZU  corrigiren,  da  die  Epilepsie  in 
Bezug  des  Erscheinens  keinen  Typus  besitzt. 
Seit  Jahren  notire  ich  und  liess  notiren  die 
Anfälle  der  Epileptischen,  doch  gelang  es 
mir  in  keinem  einzigen  Falle,  irgend  ein 
System  oder  eine  Regel  hinsichtlich  des 
zeitlichen  Erscheinens  oder  der  Zahl  der 
Anfälle  zu  entdecken;  wir  können  immer 
nur  von  Anfällen  mit  durchschnittlicher 
Zahl  sprechen.  Ich  muss  aber  hervorheben, 
dass  bei  den  epileptiformen  Anfällen  der 
Hysterischen  in  selteneren  Fällen  ein  Er- 
scheinungstypus Yorhanden  ist,  und  zwar 
so  genau,  dass  dieser  den  Monat,  den  Tag, 
sogar  die  Stunde  und  die  Minute  einhält, 
worüber  der  Krankheitsverlauf  eines  auch 
gegenwärtig  unter  Beobachtung  stehenden 
Falles  meiner  Privatkranken  deutlichen  Be- 
weis abgiebt. 

Bei  dem  Anstellen  von  Experimenten 
mit  einem  neuen  Mittel  halte  ich  jene  Epi- 
leptischen für  zweckentsprechend,  bei  wel- 
chen nach  vorläufiger  Beobachtung  sich  her- 
ausstellt, dass  sie  längere  Zeit  hindurch  fast 
jeden  Tag  Anfälle  haben,  und  der  Fall  ent- 
spricht vollständig  meinen  Intentionen,  wenn 
die  Anfälle  nach  dem  Auslassen  des  respec- 
tiven  Mittels  ihren  früheren  Charakter 
wieder  annehmen,  d.  h.  sie  erscheinen  aber- 
mals sehr  häufig.  Wenn  nun  bei  einem 
solchen  Kranken  während  der  Anwendung 
des  Mittels  in  den  Anfällen  ein  vollständiger 
Stillstand  oder  eine  bedeutende  Verminderung 
derselben  sich  einstellt,  so  kann  ich  sicher 
folgern,  dass  dies  die  Wirkung  des  Mittels 
war  und  kein  zufälliges  Ausbleiben  bedeutet. 
Wohl  sind  diese  Fälle  in  therapeutisch- 
experimenteller Hinsicht  sehr  überzeugend, 
sie  sind  aber  in  therapeutischer  Hinsicht  in- 
sofern nicht  entsprechend,  als  dieselben,  zu 
den  schwersten  gehörend,  nicht  erlauben  die 
vollste  anfallstillende  oder  richtiger  die 
Epilepsie  heilende  Wirkung  des  Mittels  zu 
Studiren;  eine  Ausnahme  würde  jedoch  jenes 
ideale,  bis  heute  aber  noch  unentdeckte 
Heilmittel  bilden,  welches  die  Epilepsie 
vollkommen  und  sicher  heilen  würde.  Be- 
reits hier  würde  ich  genöthigt  sein  —  um 
überflüssige  Hypothesen  zu  übergehen  — 
auf  den  einzigen  rationellen  therapeutischen 
Stützpunkt:  auf  das  pathologisch-anatomische 
Wesen  der  Epilepsie  zurückzukommen,  doch 
vermeide  ich  dies  absichtlich,  denn  ich  würde 
mich  allzuweit  von  meinem  vorgesteckten 
Ziele  entfernen,  und  bemerke  nur,  was  ich 
vor  Jahren  bereits  betonte,  dass,  wenn  wir 
nämlich  über  das  pathologisch-anatomische 
Wesen  der  Epilepsie  noch  sehr  wenig  wissen, 
so  trägt  hierin  nicht  die  Epilepsie  die 
Schuld,  sondern  wir,  denn  die  in  der  Litte- 


ratur  vorkommenden  diesbezüglichen  Be- 
obachtungen erstrecken  sich,  auf  die  mikro- 
skopische Durchforschung  nur  höchst  selten, 
obgleich  sich  Jeder  davon  leicht  überzeugen 
kann,  dass  das  Mikroskop  die  interessante- 
sten Befunde  zu  Tage  fördert,  wenn  auch 
makroskopisch  garnichts  eruirt  wurde. 

Ich  greife  zurück  zur  Schilderung  meiner 
Versuchsmethode ;  das  Rubidium- Ammonium- 
bromid  hatte  ich  folgenderweise  angewandt: 
Es  gab  Kranke,  bei  welchen  ich  das  Mittel, 
nach  vorangehender  längerer  oder  kürzerer 
Beobachtung,  an  und  für  sich  und  längere 
Zeit  hindurch  anwendete.  Es  gab  aber 
Kranke,  bei  welchen  ich  die  Wirkung  des 
Mittels  auf  vergleichendem  Wege  feststellen 
wollte,  und  zwar  folgendermaassen:  Der 
Patient  bekam  15  Tage  hindurch  z.  B.  90  g 
Kaliumbromid ,  hernach  während  abermals 
15  Tagen  90  g  Rubidium- Ammoniumbromid, 
ferner  während  15  Tagen  von  neuem  die 
gleiche  Menge  Kaliumbromid  und  schliess- 
lich wieder  während  15  Tagen  ein  Brom- 
gemenge, welches  in  90  g  von  Bromkalium, 
Bromnatrium  und  Bromammonium  je  30  g 
enthielt.  Vorausgesetzt,  dass  der  Zustand 
des  Kranken  dem  Experiment  entsprach, 
verglich  ich  die  in  den  vier  Serien  beobach- 
ten Anfälle  nach  ihrer  Zahl,  Form  und  Dauer. 
Diese  Reihenfolge  kehrte  ich  manchmal  um, 
in  der  Weise,  dass  das  Rubidium- Ammoni- 
umbromid zuerst,  das  Kaliumbromid  zuletzt 
verabreicht  wurde.  Es  ist  wohl  natürlich, 
dass  wir  bei  einer  derartigen  Methode  nur 
eine  relative  und  nicht  absolute  Wirkung 
erhalten,  wie  ich  mich  auch  nicht  damit 
brüsten  kann,  dass  ich  während  dieser  Zeit, 
ja  sogar  auch  nur  in  einem  einzigen,  zweifel- 
los erwiesenen  Falle  ein  absolutes  Heil- 
resultat erreicht  hätte,  obwohl  ich  auch 
scheinbar  geheilte  Patienten  hatte. 

Von  mehreren,  später  aufzuzählenden 
Gesichtspunkten  experimentirend,  wandte  ich 
das  Mittel  bei  22  Personen  an.  Unter  diesen 
befanden  sich:  12  epileptische  Psychosen, 
5  einfache  Epilepsien,  2  Fälle  von  Hysterie, 
je  ein  Fall  von  Gehirn syphilis  und  Tabes 
und  ein  Versuchsindividuum. 

Eine  vollkommen  relative  Wirkung  zeigte 
sich  bei  13  epileptischen  Individuen,  d.  h. 
die  Zahl  der  Anfälle  war  ebenso  gering  oder 
ebenso  gross,  wie  während  der  Verabreichung 
der  anderen  zwei  Brompräparate. 

Die  Wirkung  war  gering  oder  nicht 
sicher  zu  beurtheilen  bei  3  Personen;  bei 
einem  Individuum  zeigte  sich  gar  kein 
Effect. 

Ich  benutzte  bei  diesem  Ausweis  das 
vergleichende  Verfahren,  denn  dieses  schien 
mir  als  das  sicherste  und  reinste. 


m.  Jabrgauf  .l 
Augast  1889.  J 


Laufenaner,  Therapeutische  Wirkung  des  Rubidium-Ammonlum-Bromid. 


351 


Doch  sehen  wir  nun  die  Resultate  in 
etlichen  Fallen  detaillirt. 

Beobachtung!.  S.  St.,  25jähriger  unverhei- 
ratheter  Uhrmacher,  wurde  am  20.  Febr.  d.  J.  auf 
die  BeobachtuDgsabtheilung  aufgenommen.  Dia- 
gnose: Psjchosis  epileptica.  Vor  8  Jahren  bekam 
er  den  ersten  epileptischen  Anfall.  Seitdem  leidet 
er  an  täglichen  Anfüllen,  welche  häufig  nur  in 
etliche  Secunden  dauerndem  Schwindel  sich  mani- 
festiren. 

Seine  diesbezügliche  Behauptung  bekräftigt 
die  Beobachtung,  da  es  keinen  Tag  ohne  Anfall 
giebt. 

a)  Vom  1. — 15.  März,  d.  h.  während  15  Tage 
bekam  er  (vom  1. — 12.  März  2  +  2,  und  vom 
12.—  15.  März  2  -H  3  g  pro  die)  zusammen  64  g 
Bromkalium.  Die  Zahl  der  Anfälle  betrug  16, 
die  Dauer  derselben  B  Secunden  mit  Salivation 
und  Bewusstlosigkeit. 

b)  Vom  16. — 30.  März,  also  während  15  Tage 
bekam  er  (am  16.  März  2  +  2,  17.— 22.  2  +  3 
und  vom  23. — 30,  3  +  3  g  pro  die),  in  Summa 
82  g  Kubidium-Ammonium-Bromid.  Die  Zahl  aer 
Anfalle  war  8;  sie  erschienen  in  der  Form  von 
etlichen  Secunden  dauernden  Schwindel  mit  ver- 
schwundener Erinnerung;    Patient  fällt  nicht  um. 

c)  Vom  31.  März  bis  14.  April,  also  während 
15  Tage  (vom  31.  März  bis  8.  April  3  +  3, 
und  vom  9.  bis  14.  April  4  +  4  Kaliumbromid 
+  1,5  g  Chloralhydrat  pro  die)  bekam  er  zusam- 
men 102  g  Kaliumbromid  und  9,0  g  Chloralhydrat. 
Es  zeigte  sich  geriogercr  und  bedeutenderer  Schwin- 
del oft  mit  krampfigen  Zuckungen;  er  fiel  zusam- 
men und  war  bewusstlos. 

d)  Vom  16.— 30.  April,  d.  h.  während  15  Tage 
bekam  er  im  Ganzen  90  g  Bromkali-,  Bromnatri- 
und  Bromammonium  (im  Verhältnisszu  30  +  30  +  30) 
und  zwar  3  +  3  pro  die;  die  Zahl  der  Anfälle 
betrug  30.     Ihre  Qualität  wie  bei  c). 

Beobachtung  V.  J.  Gy.,  24jährige,  verhei- 
rathete  Tagelöhnerin.  Sie  wurde  am  22.  Januar 
1889  auf  die  Beobachtungsabtheilung  aufgenom- 
men. Vor  4  Jahren  bekam  sie  im  Wochenbette 
Schwindel;  nach  einem  Jahre  stellten  sich  be- 
deutende Krampfanfälle  ein.  Seither  leidet  sie 
an  beiden. 

Diagnose:  Psychosis  epileptica.  Täglich  3  bis 
4  Anfälle,  besonders  Nachts,  wo  sie  dann  laut 
aufschreit. 

a)  Vom  1. — 16.  März,  d.  h.  während  15  Tage 
(3  -f-  3  g  pro  die)  bekam  Patientin  im  Ganzen 
90  g  Bromkalium.  Zahl  der  Anfälle  30.  Sehr 
starke  und  häufige  Krampfanfälle  mit  vollkommener 
Bewusstlosigkeit. 

b)  Vom  16. — 30.  März,  also  während  15  Tage 
(vom  16.— 22.  März  3  +  3  und  vom  23.— 30. 
März  3  +  4  g  pro  die)  bekam  sie  zusammen  98  g 
Rubidiam-Anunonium-Bromid.  Zahl  der  Anfälle 
12.     Dauer  der  Krampfanfälle  20  Secunden." 

c)  Vom  31.  März  bis  14.  April,  also  während 
15  Tage  (4  +  4  pro  die)  bekam  sie  zusammen 
120  g  Bromkaliura.  Zald  der  Anfälle  46.  Es 
zeigten  sich  theils  Krampfanfälle,  theils  kleineren 
Anfallen  entsprechendes   lautes  Aufschreien. 

d)  Vom  15. — 29.  April,  also  während  15  Tage, 
bekam    sie    vom    Bromkalium,    Bromnatrium  und 


Bromammonium  120  g;  pro  die  4  +  4g.  Zahl 
der  Anfälle  33.  Qualität  der  Anfalle  wie  bei  c), 
Krampfanfälle  zeigten  sich  nicht. 

Beobachtung  XIV.  A.  N.,  14jähriges  Mäd- 
chen. —  Ambulante  Patientin.  Diagnose:  Epilep- 
toid.  Sie  leidet  nach  eigener  Angabe  seit  etlichen 
"Wochen  an  Ohnmachtsanfallen,  ihr  Gesicht  wird 
starr,  während  Speichel  aus  dem  Munde  fliesst 
und  die  Extremitäten  steif  werden.  Die  Anfälle 
pflegen  Herzklopfen  und  Hämmern  in  den  Schläfen 
einzuleiten. 

Am  24.  April  bekam  sie  2  +  3  g  Rub.-Am- 
mon.-Bromid.  Am  8.  Mai  dieselbe  Therapie. 
Während  sie  vorher  täglich  auch  5  Anfälle  hatte, 
empfand  sie  seit  der  Verabreichung  des  Rub.-Am- 
mon.-Bromids  (14  Tage)  nur  zweimal  Schwindel. 

Beobachtung  XVIT.  N.  N.,  21  jähriger, 
unverheiratheter  Musikant.  Seit  seinem  9.  Jahre 
leidet  er  an  Schwindel  und  an  ausgeprägten 
grösseren  Krampfanfällen.  Patient  meldete  sich 
in  meiner  Privatpraxis.  Diagnose:  Epilepsie.  Seit 
längerer  Zeit  nahm  er  6  g  Bromkali  und  1  cg 
Belladonna.  Später  zeigte  sich  täglich  der  Schwin- 
del oder  ein  y,  stündlicher,  mit  Bewusstlosigkeit 
ein  hergehender  Krampfanfall.  Manchmal  bestand 
eine  3 — 4tägige  Pause  ohne  besondere  Ursache. 
Ich  verabreichte  ihm  während  2  Wochen  6  g 
Rub.-Ammon.-Bromid  pro  die.  In  der  Anzahl 
und  Qualität  der  Anf&lle  zeigte  sich  kein  Unter- 
schied. 

Indem  ich  die  ausführlichere  Mittheilung 
meiner  Beobachtungen  auf  eine  andere  Ge- 
legenheit mir  vorbehalte,  beschränke  ich 
mich  diesmal  nur  auf  folgende  Bemerkungen. 

Die  antiepileptische  Wirkung  des  Rub.- 
Ammon.-Bromids  studirte  ich  bei  17  Epi- 
leptischen. In  dieser  Zahl  vraren  fast  sämmt- 
liehe  klinischen  Varietäten  der  Epilepsie 
enthalten.  Es  fanden  sich  nämlich  die  ein- 
fache, krampfhafte  Epilepsie,  die  mit  gerin- 
gerem oder  bedeutenderem  Schwindel  einher- 
gehende Epilepsie,  die  epileptische  Psychose 
und  Epilepsie  in  Form  maniakalischen  Aequi- 
valentes  vor.  Die  tägliche  Dosis  variirte 
zwischen  4 — 7  g.  Die  Wirkung  entsprach 
im  Ganzen  der  Bromkali- Wirkung,  indem 
wir  wohl  wissen,  dass  die  Brompräparate  in 
gewissen  Fällen  der  Epilepsie  wirkungslos 
sind.  Ich  kann  jedoch  die  Bemerkung  nicht 
unterdrücken,  dass  das  Bromrubidium  in 
6  Fällen  von  -Epilepsie  (siehe  Beobachtung  I. 
und  V.)  eine  zweifellos  viel  bedeutendere, 
anfallstillende  Wirkung  entfaltete,  wie  die 
verwandten  Brompräparate. 

Ausserdem  versuchte  ich  die  sedativ- 
hypnotische Wirkung  des  Rub.-Ammon.-Bro- 
mids.  Die  abendliche  Dosis  war  4 — 5  g. 
Das  Resultat  war  sehr  zufriedenstellend,  da 
meine  schlaflosen  Patienten  in  einen  4  bis 
6  Stunden  andauernden  Schlaf  versanken. 

Nach  den  allerdings  wenig  zahlreichen 
Erfahrungen  in  meiner  Privatpraxis  dürfen 
wir   erwarten,   dass   unser  Mittel   ausser  bei 


352 


rHierapentbdi« 


Laufenftuer,  TherftpeuUscb«  Wirkung  da«  Rubidium- AnUnonium-firomid.         1   SonSSefte. 


den  aufgezählten  Krankheiten  auch  bei  an- 
deren Neurosen  sich  bewähren  wird. 

Die  bisher  bekannten  Bromide  der  Al- 
kalimetalle entfalten  ihre  Wirkung  nach 
allgemein  bekannter  Ansicht  derart,  dass 
die  Bestandtheile  Kalium,  Natrium,  Ammo- 
nium etc.  auf  das  Blutgefässsystem,  der  Be- 
standtheil  Brom  aber  direct  auf  das  Gentral- 
nervensystem  wirken.  Bei  dieser  Wirkungs- 
weise können  wir  bei  der  Einführung  des 
Rub.- Ammonium -Bromids  eine  gesteigerte 
Kaliumwirkung  erwarten,  worauf  auch  meine 
Beobachtungen  zu  deuten  scheinen.  Nach  5  g 
Rub.-Ammon.-Bromid  erschien  bei  dem 
Yersuchsindividuum  nach  30  Minuten  die 
Respiration  unverändert,  die  Temperatur  um 
0,2^0.  gesunken  und  der  Puls  um  4  Schläge 
vermindert.  Bei  einer  neueren,  nach  30  Mi- 
nuten vorgenommenen  Untersuchung  kehrten 
Temperatur  und  Puls  zu  ihrem  früheren 
Zustande  zurück. 

Unangenehme  Nebenwirkungen  hatte  ich 
bei  der  Verabreichung  dieses  Mittels  nicht 
beobachtet;  die  durch  dasselbe  hervorgerufenen 
physikalischen  Aenderungen  (Reflexvermin- 
deruDg  etc.)  stimmen  mit  der  Wirkung  der 
verwandten  Brompräparate  überein.  Einen 
Ausschlag  konnte  ich  bei  seiner  Anwendung 
nicht  beobachten,  welcher  Umstand  höchst 
wahrscheinlich  durch  die  Qualität  der  Fälle 
bedingt  war.  Am  zweiten  Tage  nach  der 
Einnahme  des  Rub. -Ammon.- Bromids  ist 
letzteres  mittelst  der  Spectralanalyse  im  Urin 
nachzuweisen  (bei  2  g  pro  die)^  jedoch  in 
geringer  Menge,  es  scheint  sich  im  Organis- 
mus anzuhäufen  oder  es  wird  anderwärts 
gebunden.  DerBestandtheil  Brom  aber  wird  in 
Form  einer  organischen  Yerbindung  eliminirt. 
Diese  Daten  verdanke  ich  der  Liebenswür- 
digkeit des  Herrn  Prof.  Plosz,  der  übrigens 
die  diesbezüglichen  Untersuchungen  fortzu- 
setzen versprach. 

Die  Verordnungsweise  des  Rub.-Ammon.- 
Bromids  stimmt  mit  jener  der  übrigen  Brom- 
metalle vollkommen  überein.  Am  besten 
ist  der  Lösung  ein  säuerlicher  Syrup,  z.  B. 
Syr.  Citri  oder  Gort.  Aurant.  beizugeben. 
Folgende  Formel  kann  ich  sehr  anempfehlen, 
welche  es  ermöglicht,  das  Mittel  in  genauen 
Gramm-Dosen  zu  verordnen. 

1^     Rub  id. -Ammon.  bromati     6,0 
Aquae  destillatae  100,0 

Syr.  Citri  20,0 

M.  D.  S.  Jeder  Esslöffel  enthält  1  g 
Rub.-Ammon.-Bromid. 

Empfehlenswerth  ist  auch  jene  Ver- 
ordnungsweise, nach  welcher  abgewogene 
Gramme  des  Pulvers  in  einem  Citronat 
oder   Orangeat    eingenommen    werden.      Die 


wirksamen  Dosen  fangen  bei  2  g  an,  die 
grösste  Menge  beträgt  5  g  pro  do8i\ 
pro  die  7  —  8  g,  eventuell  auch  melir. 
Die  Verordnung  in  Pulver  oder  Pillen  kann 
ich  nicht  anempfehlen,  denn  das  Mittel 
nimmt  die  Lösungskrafb  des  Magens  sehr  in 
Anspruch.  Gleichzeitig  bemerke  ich,  dass 
das  Rub.-Ammon.-Bromid  heute  bereits  in 
allen  Budapester  Apotheken  zu  bekommen 
ist;  der  Fabrikspreis  eines  Grammes  ist 
9  Kreuzer,  sein  Apothekerpreis  wird  aller- 
dings mehr  betragen. 

Ein  verbreiteter  Gebrauch  wird  dieses 
nach  meiner  Ansicht  schätzbare  Mittel  aller- 
dings billiger  machen,  bei  welchem  ausser 
seiner  pharmako-dynami'schen  Wirkung  auch 
zweifelsohne  dessen  suggestive  Wirkxmg  in 
Betracht  zu  ziehen  ist:  jedes  neue,  dem 
Patienten  noch  unbekannte  Mittel  erweckt 
die  Hoffnung  der  Genesung,  und  wirkt  somit 
erfrischend,  anregend  auf  die  psychomoto- 
rischen Centren  der  Rinde,  von  wo  durch 
Reflexübertragung  in  vielen  Fällen  Genesung 
oder  Besserung  erzielt  wird. 

Wenn  kein  anderer,  so  ist  auch  dieser 
Gesichtspunkt  genügende  Indication  zum 
Versuch  seiner  eventuellen  Wirkung. 

Ich  erachte  mit  gegenwärtiger  Publication 
meine,  auf  die  Therapie  der  Epilepsie  ab- 
zielenden Bestrebungen  noch  nicht  für  ab- 
geschlossen; ich  beabsichtige  die  Wirkung 
dieses  und  anderer  geplanter  Heilmittel  an 
experimentell  epileptisch  gemachten  Thieren 
zu  erproben,  und  reservire  mir  bereits  bei 
dieser  Gelegenheit  das  Prioritätsrecht,  um 
die  Verbindung  des  Broms  mit  Caesium 
zum  Gegenstand  ähnlicher  Versuche  zu 
machen. 


Zur  Therapie  des  Erysipels, 
speciell  dessen  meclianisclie  Bebandluugr. 

Von 

Dr.  Hermann  Kroell  in  Strassburg. 

Zur  Zahl  der  Krankheiten,  deren  gründ- 
lichere Erforschung  in  neuerer  Zeit  eine 
sichere  Grundlage  für  ihre  Therapie  abge- 
geben hat,  gehört  auch  das  Erysipel.  Das 
emsige  theoretische  Studium  auf  allen  medi- 
cinischen  Gebieten  hatte  zwar  bis  vor  kurzem, 
je  mehr  man  sich  der  Complicirtheit  der 
Vorgänge  bewusst  wurde,  im  Allgemeinen 
statt  einer  Forderung  der  Therapie,  nach 
dem  Vorbilde  eines  Skoda,  einen  verzweif- 
lungsvollen therapeutischen  Nihilismus  her- 
vorgerufen.   Aber  diese  umständlichen  theo- 


llt  Jfthffang.'l 
Angnrt  1889.  J 


Kro«ll,  2ur  Therapie  dei  Eryiipeli,  Bpeeiell  detten  mechanische  Behandlung. 


353 


retischen  Studien  waren  andrerseits  allein 
im  Stande,  in  positivem  Sinne  nützlich  zu 
"wirken  und  der  Therapie  zum  zielbewussten 
Handeln  eine  wissenschaftliche  Stutze  zu 
geben. 

So  hat  die  Erkenn tniss  der  Aetiologie, 
die  pathologische  Anatomie  und  die  rich- 
tige Anschauung  über  die  zeitliche  Aufein- 
anderfolge der  einzelnen  Erscheinungen  am 
Kraukenbett  auch  bei  der  uns  beschäftigen- 
den Krankheit  ein  festes  Fundament  für  die 
Behandlung  geschaffen. 

Wir  brauchen  nicht  auf  Galen  zurück- 
zugehen,  welcher  beim  Erysipel  erhitztes 
Blut  mit  gelber  Galle  gemengt  in  die  Haut 
gelangen  lässt,  oder  auf  Rhazes,  der  es 
Ton  dünnem  und  heissem  Blut  ableitet  und 
daraus  die  Indicationen  für  das  therapeutische 
Yorgehen  entnahm,  wir  dürfen  nur  um 
150  Jahre  zurück  schauen,  um  Ton  Lauren- 
tius  Heister  zu  erfahren,  dass  das  Ery- 
sipel aus  unnützem  und  Terdorbenem  Geblüt 
hervorgehe,  welches  durch  die  Schweiss- 
löcher  als  den  besten  und  kürzesten  Weg 
ausgetrieben  werden  müsse. 

Und  seitdem  bis  vor  kurzer  Zeit  wur- 
den allerlei  innere  Leiden,  Erkältung,  epi- 
demische Constitution  und  Gemüthsbewegun- 
gen,  Gallenreiz  und  Anhäufung  gastrischer 
ünreinigkeiten  (noch  von  Chelius)  als  ätio- 
logische Momente  angenommen  und  demge- 
mäss  das  Handeln  des  Arztes  bestimmt. 
—  An  Stelle  dieser  verschwommenen  theils 
auf  naturphilosophischer  Speculation,  theils 
auf  fehlerhafter  Auffassung  der  Causalität 
der  Symptome  beruhenden  Anschauungen 
wird  nun  fast  widerspruchslos  das  Krank- 
heitsbild in  der  Weise  aufgefasst,  dass  durch 
eine  des  Epithels  beraubte  kleinere  Stelle 
oder  durch  grössere  äussere  Wunden  der 
Fehleisen^sche  Streptococcus  in  die  Lymph- 
räume eindringt,  durch  seinen  Lebensprocess 
die  Entzündung  der  Haut  und  durch  die 
Abgabe  von  Toxinen  ins  Blut  die  Allgemein- 
erkrankung hervorruft. 

Die  Erkrankung  breitet  sich  in  der 
eigentlichen  Cutis  weiterkriechend  aus,  aber 
nicht  nach  der  Richtung  des  allgemeinen 
Lymphstromes,  sondern  nach  den  verschie- 
densten Richtungen  imd  an  den  Extremi- 
täten sowohl  in  proximaler  als  distaler 
Richtung.  Durch  diese  Flächenausbreitung 
unterscheidet  sich  das  Erysipel  als  Entzün- 
dung der  Lymphräume  der  Cutis  patholo- 
gisch-anatomisch von  der  strangformigen 
Lymphangioitis.  Aber  trotz  dieser  auf  den 
ersten  Blick  ungebundenen  Verbreitung  des 
Coccus  in  der  Lederhaut,  liegt  doch  auch 
hier  eine  gewisse  Gesetzmässigkeit  vor, 
indem   nach  den  Untersuchungen  von  Pfle- 


ger die  Verbreitung  durch  die  von  Lan- 
ger angegebene  Spaltbarkeit  der  Haut  be- 
stimmt wird.  Ich  mochte  hier  nur  kurz 
daran  erinnern,  dass  Langer  durch  Ein- 
stechen einer  spulrunden  Ahle  an  den  mei- 
sten Stellen  der  Haut  nicht  ein  rundes 
Loch,  sondern  lineare  Spalten  auftreten  sah, 
ein  Beweis,  dass  es  sich  um  eine  vorwiegend 
in  einer  bestimmten  Richtung  verlaufende 
Faserrichtung  handelt;  an  einer  Reihe  an- 
derer Stellen  entstanden  durch  die  gleiche 
Procedur  dreieckige  und  zerrissene  Löcher, 
was  auf  eine  Kreuzung  von  in  verschie- 
dener Richtung  laufenden  Fasersystemea 
hinweist  (Unna).  An  den  dadurch  entstan- 
denen Knotenpunkten  wird  nun  dem  Vor- 
dringen des  Streptococcus  Widerstand  ge- 
boten, dasselbe  oftmals  sistirt,  und  der 
Wanderung  des  Erysipels  eine  gewisse  Ge- 
setzmässigkeit aufgedrückt.  In  diesem  ana- 
tomischen Verhalten  der  Cutis  liegt  also 
der  Grund,  warum  an  einzelnen  Stellen  die 
Wanderung  des  Erysipels  eine  gleichmässig 
fortschreitende  und  langsame  ist,  während 
an  andern  Stellen  sich  zungenartige  Fort- 
sätze rasch  vorschieben,  der  Richtungslinie 
von  ungekreuzten  Fasersystemen  folgend, 
Fortsätze,  welche  wohl  auch  als  Fackeln 
bezeichnet  worden  siad. 

Alle  übrigen  Erscheinungen,  die  das 
Krankheitsbild  bietet,  sind  entweder  Rei- 
zungen der  angrenzenden  Gebilde,  wie  des 
Rete  und  des  Unterhautbindegewebes,  oder 
und  vor  Allem  Folgen  der  Aufnahme  von 
Toxinen  und  andern,  durch  die  Entzündung 
und  den  dadurch  veränderten  Stoffwechsel 
hervorgebrachten  Stoffen  ins  Blut.  Das 
Fieber  geht  mit  dem  Steigen  und  Fallen 
der  Örtlichen  Erscheinungen  Hand  in  Hand 
und  zeigt  so  nach  oben  und  nach  unten 
deutliche  Schwankungen. 

Auf  Grund  dieser  unseren  heutigen  An- 
schauungen zu  Grunde  liegenden  Thatsachen 
muss  die  Therapie  aufgebaut  werden.  Wir 
müssen  klar  dabei  vor  Augen  behalten,  dass 
wir  es  zu  thun  haben  mit  einem  Mikroor- 
ganismus, der  1.  nur  in  der  Cutis  seinen 
Nährboden  sucht,  der  sich  2.  zwar  nach 
allen  Richtungen  weiter  verbreiten  kann, 
dessen  Umsichgreifen  aber  durch  Knoten- 
punkte sich  kreuzweise  treffender  Cutisfasern 
ein  gewisses  Hinderniss  entgegengesetzt  wird 
und  der  3.  durch  seinen  eigenen  Lebenspro- 
cess und  den  veränderten  der  betroffenen 
Haut  secundäre  Allgemeinerscheinungen  her- 
vorzurufen im  Stande  ist.  Von  der  letzten 
Indication  will  ich  weiter  nicht  sprechen; 
sie  muss  nach  allgemein  gültigen  Regeln 
erfüllt  werden;  somit  bleiben  blos  die  bei- 
den Aufgaben  hier  näher  zu  erörtern  übrig, 

45 


354 


Kr o eil.  Zur  Therapie  des  Erysipels,  speeiell  dessen  mechanische  Behandlung. 


rlierspeatiacho 
Monatehelle. 


wie  der  Mikrobe  an  Ort  und  Stelle  in  sei- 
nem Lebensprocess  abgeschwächt  oder  ge- 
todtet  und  wie  bei  mangelhaftem  Erfolg  in 
dieser  Eich  tu  Dg  die  Weiterausbreitung  auf 
noch  gesunde  Hautpartien  verhütet  werden 
kann. 

Wenn  auch  in  letzter  Zeit  wieder  der 
therapeutische  Nihilismus  beim  Erysipel  ge- 
predigt wird,  wenn  z.  B.  Weigel  in  Lem- 
berg  meint,  dass  eben  jede  Therapie  zum 
Ziele  führe,  sofern  hinreichend  Spannkraft  im 
Organismus  sei,  und  dass  jeder  Streit  um 
die  Therapie  des  Erysipels  ein  Streit  de 
lana  caprina  sei,  so  wird  ein  derartiger 
Ausspruch  doch  nicht  im  Stande  sein,  die 
Aerzte  zu  müssigen  Zuschauern  zu  machen, 
da  die  Krankheit  wohl  häufig  in  leichter 
Form,  oft  aber  auch  in  so  erschreckender 
Weise  auftritt,  dass  das  Handeln  des  Arztes 
mit  aller  Macht  herausgefordert  wird.  Und 
dies  wird  um  so  eher  der  Fall  sein,  als  die 
schweren  Allgemeinsymptome  als  Folge  der 
ortlichen  Erkrankung  erkannt  sind  und  man 
bei  letzterer  selbst  den  gifterzeugenden  Pilz 
und  die  durch  ihn  hervorgerufene  Entzün- 
dung auf  die  Cutis  beschränkt  vor  sich  hat, 
also  an  einer  zugänglichen  fassbaren  Stelle, 
wie  das  sonst  in  so  vielen  andern  Krank- 
heiten nicht  der  Fall  ist,  wo  doch  auch 
therapeutisch  eingeschritten  werden  soll. 

In  beiden  oben  gestellten  therapeutischen 
Aufgaben  sind  wir  mit  unserm  Können  noch 
nicht  zum  wünschenswerthen  Ziele  gelangt; 
aber  nachdem  die  Eichtung  des  Strebens 
vorgezeichnet  ist,  wird  muthmasslich  der 
Erfolg  auch  nicht  ausbleiben. 

Vor  Allem  handelt  es  sich  also  den 
Pilz  zu  zerstören,  eventuell  abzuschwächen. 
Es  würde  zu  weit  führen,  hier  alle  die 
Stoffe  aufzuführen,  welche  zu  diesem  Zwecke 
bis  jetzt  empfohlen  worden  sind.  Auch 
wurden  einer  Eeihe  derselben  schon  vor  der 
Auffindung  des  Pilzes  eine  wesentlich  gün- 
stige Einwirkung  zugestanden.  Ich  werde 
mich  auf  eine  kurze  üebersicht  beschränken, 
da  meine  Ausführungen  hauptsächlich  der 
zweiten  Indication,  nämlich  der  mechani- 
schen Verhütung  der  Ausbreitung  der  Pilz- 
krankheit gelten  sollen. 

Vor  Allem  sind  zur  Vernichtung  des 
Mikroorganismus  thermische  Einwirkun- 
gen in  ihren  entgegengesetzten  äussersten 
Graden  anzuführen;  also  einerseits  Eis, 
andrerseits  das  Brennen  des  Eothlaufs,  wie 
es  nach  Hilsmann  in  der  Türkei  geübt 
wird,  indem  auf  der  erkrankten  Fläche  über 
einem  Tuch  Werg  abgebrannt  oder  indem 
anderwärts  die  Stelle  mit  Filz  bedeckt  und 
rasch  einige  Male  mit  einem  Glüheisen  über- 
fahren   wird.     Hauptsächlich    sind    es    aber 


die  chemischen  Agentien,  auf  welche  das 
Augenmerk  gerichtet  wurde,  die  einerseits 
den  Pilz  direct  in  seiner  Entwicklung  hem- 
men, andrerseits  eine  solche  Eeizung  der 
Haut  herbeiführen  sollen,  dass  der  Nähr- 
boden für  denselben  ein  ungünstiger  wird. 
Unter  die  ersteren,  die  pilzfeindlichen 
Mittel,  gehören  vor  Allem 

1.  die  Quecksilberpräparate.  So 
wurde  das  Emplastr.  mercuriale  aufgelegt 
(Neumann);  ebenso  die  graue  Salbe  auf 
Lappen  aufgestrichen  und  l°/ooige  Sublimat- 
lösung mittelst  Verbandwatte  aufgebunden; 

2.  die  Carbolsäure,  welche  von  Hü- 
ter an  der  Grenze  des  Erysipels,  also  neben 
der  Grenze,  wo  die  Pilzvegetation  am  leb- 
haftesten vor  sich  geht,  mittelst  subcutaner 
Injection  verwendet  wird;  Mischungen  mit 
Jod  und  Terpentin  (Eothe);  als  3  bis 
^%ig6  Lösung  mit  Mucilago  gummi  arabic. 
auf  gestrichen  (Nolte); 

3.  die  Salicylsäure,  theils  subcutan 
(Petersen),  theils  als  Umschläge  mittelst 
einer  Lösung  von  salicyl saurem  Natron  (Hal- 
lopeau); 

4.  Ol.  terebinthinae  aethereum 
zur  Aufpinselung  auf  die  erkrankte  Stelle 
und  deren  Umgebung  (Lücke); 

5.  Spiritus  absolutus  von  90%  zum 
energischen  Abwaschen  der  kranken  Stellen 
und  deren  Umgebung  (Bohrend); 

6.  Eesorcin  5,0  :  Vaselin.  20,0  als  Ein- 
reibung ; 

7.  Ichthyol  in  verschiedenen  Formen 
(Nussbaum). 

Zu  den  hautreizenden  und  in  oben  ange- 
führtem Sinne  umstimmenden  Mitteln  möchte 
ich  rechnen 

1.  die  Jodtinctur  und  zwar  als  Tinc- 
tura  jodi  fortior,  womit  der  ganze  Theil  be- 
strichen und  dann  wegen  der  heftigen 
Schmerzen  mit  Eisumschlägen  behandelt 
wird  (Hasse); 

2.  Argentum  nitricum,  welches  in 
einer  Lösung  von  1  :  8  — 10  nach  vorheriger 
Seifenabwaschung  auf  die  ganze  entzündete 
Stelle  und  deren  Umgebung  aufgepinselt 
wird.  Ein  rasch  darauffolgender  Tempera- 
turabfall wurde  von  Volkmann  durch  ge- 
naue Curven  constatirt. 

Die  gegebene  Aufzählung  macht  keinen 
Anspruch  auf  Vollständigkeit,  sondern  soll 
nur  eine  übersichtliche  Eintheilung  der 
hauptsächlichsten  Mittel  geben.  Der  Werth 
der  einzelnen  Stoffe  ist  auch  durchaus  nicht 
unbestritten,  und  es  muss  der  Zukunft  vor- 
behalten bleiben,  darüber  zu  entscheiden. 
Die  Hoffnung  aber,  den  Streptococcus  mit 
sicher  vernichtenden  Stoffen  zu  erreichen, 
liegt  um  so  näher,  als  dieser  sich  auf  seinen 


in.  Jahrgang.! 
August  1889.  J 


Kr  cell,   Zur  Therapie  des  Eryilpeli,  ipeeiell  dessen  mechanische  Behandlung^. 


355 


zugänglicben  anatomischen  Sitz  ebenso  be- 
schränkt -wie  die  Krätze  auf  das  Rete  mu- 
cosum  oder  die  Pityriasis  yersicolor  auf  die 
obersten  Epidennisschichten. 

So  lange  aber  ein  solch  sicheres  Mittel 
nicht  gefunden  ist,  bleibt  noch  eine  zweite 
Behandlungsmethode  zu  Recht  bestehen, 
von  der  ich  in  diesen  Zeilen  hauptsächlich 
reden  mochte.  Es  ist  dies  die  mecha- 
nische Behandlung,  welche  der  oben  be- 
rührten zweiten  Indication  entspricht. 

Es  ist  sehr  begreiflich,  dass  dem  beob- 
achtenden Arzt,  der  den  Erysipel  wall  dro- 
hend sich  Torschieben  sah,  der  Gedanke  sich 
aufdrängen  musste,  durch  mechanische  Mittel 
das  Weiteryorschreiten  der  Entzündung  zu 
hindern,  die  angrenzenden  gesunden  Gewebe 
vor  dem  üeberfluthetwerden  durch  einen  Wall 
zu  schützen. 

So  soll  schon  Yelpeau  im  Allgemeinen 
die  Compression  empfohlen  haben,  EUiot- 
son  umkreiste  den  Rand  mit  Hollenstein, 
Baumgärtner  that  dasselbe  mit  dicken 
Schichten  Collodium,  Otto  überzog  ihn  mit 
Leinolfirniss  und  Binden,  Andre  mit  Was- 
serglas, Wolf  1er  anfangs  mit  Traumaticin, 
später  mit  Heftpflasterstreifen.  Endlich 
wurde  sogar  empfohlen,  durch  Aetzung  oder 
tiefen  Einschnitt  einen  Trennungsgraben  an- 
zulegen und  diesen  mit  5^/oiger  Carb Ölsäure 
zu  berieseln  (Kühner)! 

Dass  es  durch  diese  Massnahmen  oft 
auch  gelungen  ist,  einen  therapeutischen  Er- 
folg zu  erzielen,  ist  für  mich  unzweifelhaft, 
wenn  auch  die  Methode  "von  Zweiflern  ver- 
lacht und  von  Andern  die  Art  der  Wirkung 
missdeutet  wurde.  So  lässt  Neu  mann  das 
Collodium  durch  die  Kälte,  Leb  er t  durch 
die  Milderung  der  entzündlichen  Spannung 
wirken,  was  doch  kaum  glaublich  ist. 

Wenn  aber  Wolf  1er  meint,  „eine  ge- 
nügende Erklärung  des  werthvollen  Verfah- 
rens^ nicht  geben  zu  können,  so  scheint 
mir  eine  solche  doch  nicht  so  fern  zu  lie- 
gen. Ich  erinnere  nur  an  die  oben  ange- 
führten anatomischen  Thatsachen,  welche  von 
Pfleger  hervorgehoben  wurden.  Da  es 
sicher  steht,  dass  das  Erysipel  nicht  in 
gleich  leichter  Weise  nach  den  verschiede- 
nen Richtungen  sich  durch  das  Gewebe  der 
Cutis  verbreitet,  dass  dessen  Fortschreiten 
überall  da  Hindernisse  findet,  wo  sich  die 
Fasersysteme  der  Cutis,  rhombische  Formen 
bildend,  durchkreuzen,  so  ist  es  auch  wahr- 
scheinlich, dass  mechanische  Hindemisse, 
wie  sie  durch  die  Compression  der  Haut 
gegen  eine  harte  Unterlage  künstlich  her- 
gestellt werden  können,  eine  ähnliche  Wir- 
kung auszuüben  im  Stande  sind,  wie  jene 
Kreuzungspunkte. 


Durch  eine  solche  Compression  wird 
künstlich  das  nachgeahmt,  was  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  der  anatomische  Bau  erfah- 
rungsgemäss  an  und  für  sich  schon  leistet, 
es  werden  dadurch  künstliche  Knotenpunkte 
geschaffen. 

Dass  all  den  oben  genannten  Methoden 
wesentliche  ünvoUkommenheiten  anhängen, 
lässt  sich  wohl  nicht  leugnen.  Die  durch 
dieselben  hervorgerufene  Compression  ist 
eine    zu   geringe   und  zu   wenig  nachhaltige. 

Deshalb  mochte  ich  hier  auf  ein  nahe 
liegendes  Verfahren  aufmerksam  machen, 
das  mir  in  allen  den  Fällen,  die  ich  in  letzter 
Zeit  zu  behandeln  Gelegenheit  hatte,  in 
auffallender  Weise  das  Weiterschreiten  des 
Processes  verhütet  hat. 

Ich  umspanne  nämlich  neben  dem  hoch- 
geschwollenen Rande  die  gesunde  Haut  — 
an  den  Extremitäten  mit  einem  6 — 8  Milli- 
meter dicken  Kautschuk  schlauche  —  am 
Kopfe  mit  einem  3  Centimeter  breiten  und 
je  nach  dem  Kopfumfang  verschieden  lan- 
gen glatten  Kautschukring.  Zur  Erläuterung 
theile  ich  im  Auszug  zwei  meiner  Kranken- 
geschichten mit,  weil  daraus  wohl  die  Ap- 
plicationsweise  am  deutlichsten  ersicht- 
lich ist. 

In  dem  einen  Fall,  der  mich  im  December 
vorigen  Jahres  auf  dieses  Verfahren  geführt  hat, 
handelte  es  sich  um  ein  Erysipel,  welches  von 
einer  graDulireoden  Fistelöffnung  am  äusseren 
Rande  des  rechten  Quadratas  lumborum  ausge- 
gangen ist.  Der  Mann  hatte  zwei  Jahre  vorher 
ein  schweres  Kopferysipel  überstanden.  Die  er- 
wähnte Fistelöffnung  war  nach  einer  grossen  In- 
cision  zurückgeblieben,  die  ich  ein  Jahr  yorher 
auf  einen  perityphlitischen  Abscess,  bald  nach 
einer  ähnlichen  Incision  unter  dem  Poupar tischen 
Bande,  gemacht  hatte.  Die  Infection  der  ersten 
Stelle  entstand  trotz  täglicher  sorgfältiger  Creolin- 
behandlung  der  beiden  Wunden  und  des  sie  Ter- 
bindenden  Fistelganges.  Ich  erwähne  diese  That- 
Sache,  weil  sie  zeigt,  dass  nicht  alle  Antiseptica 
gleich  schützend  gegen  das  Eindringen  des  Strepto- 
coccus wirken;  —  es  müsste  denn  etwas  versehen 
worden  sein.  Sie  liefert  aber  den  Beweis,  dass 
wenigstens  in  diesem  Falle  der  einmal  eingepflanzte 
Pilz  durch  das  Creolin  nicht  gleich  wieder  zer- 
stört wurde. 

Das  Erysipel  breitete  sich,  ohne  scharfe  Rän- 
der zu  bilden,  über  den  Rucken  bis  zum  Hals  aus 
und  wurde  da  anscheinend  mit  gutem  Erfolg  mit 
Terpentinspiritus  behandelt.  Mit  einem  Male  er- 
schien das  Erysipel  am  rechten  Beine,  breitete 
sich,  scharfe  geschwollene  Ränder  bildend,  rasch 
in  distaler  Richtung  aus  und  brachte  durch  die 
mit  dieser  Ausbreitung  verbundenen  hohen  Tem- 
peraturen den  Kranken  in  grosso  Lebensgefahr. 
Einreibungen  von  Ichthyol  in  reinem  Zustande  und 
verbunden  mit  gleichen  Theilen  Vaselin  und  La- 
nolin hielten  das  Fortschreiten  nicht  auf,  und  so 
umgürtete   ich,    als  das  Erysipel   am  Knöchel   an- 

45* 


356 


Kroell,  2ur  Therapie  dei  Eryiipeli,  tpeeiell  deuen  mechft&iftehe  Behandlunit'        f^o'iuSSSto^ 


gelangt  war,  diese  Stelle  mit  einer  dicken  Collo- 
diamschicht.  Das  bisherige  rapide  Fortschreiten 
wurde  dadurch  nur  einen  Tag  aufgehalten,  worauf 
der  Ring  durchbrochen  und  rasch  der  ganze  Fuss 
bis  zu  den  Zehenspitzen  ergriffen  wurde.  Ich 
glaubte,  dass  damit  der  Process  seinen  Ablauf  ge- 
funden haben  werde,  als  Tags  darauf  unter  heftigen 
neuen  Fiebererscheinungen  die  Wanderung  nach 
dem  linken  Oberschenkel  begann  und  die  bedenk- 
lichsten Schwächezustände  hervorrief.  In  der  Mitte 
des  Oberschenkel  legte  ich  nun  unter  dem  scharf- 
randigen  Erysipel  abermals  einen  breiten  und 
dicken  CoUodiumstreifen  an,  aber  schon  am  fol- 
genden Tage  war  er  rissig  zersprengt  und  das 
Erysipel  war  weiter  gewandert.  Nun  brachte  ich 
unterhalb  der  äassersten  Grenze  des  Rothlaufs  ein 
ein  Gentimeter  breites  adhäsives  Gummipflaster  an, 
welches  ich  rings  um  die  Extremität  stark  anzog. 
Rasch  breitete  sich  das  Erysipel  an  denjenigen 
Stellen,  welche  noch  frei  geblieben  waren  (da  ja 
die  Entzündung  nicht  an  allen  Pankten  gleich  weit 
vorgedrungen  war),  bis  zum  Heflpflasterband  aus, 
lag  mehrere  Stunden  wallartig  über  demselben, 
worauf  aber  auch  dieses  durchbrochen  wurde. 

Jetzt  legte  ich  unterhalb  der  Grenze  nach 
Art  des  Esmarch^ sehen  Schlauches  einen  6  mm 
dicken  Kautschukschlauch  in  zwei  hart  sich  an 
einander  schmiegenden  Spiralen  an,  also  in  einer 
etwas  über  12  mm  betragenden  Breite  fest  um  den 
Schenkel  an,  aber  nach  12  Stunden  war  auch  diese 
Grenze  durchbrochen,  indem  an  der  lateralen 
Seite  sich  eine  anfangs  flache  Zunge  vorschob. 
Nun  wurde  endlich  der  Schlauch  unterhalb  des 
Eniees  so  angelegt,  dass  die  an  einander  liegenden 
Schlauchspiralen  die  Hautpartie  in  einer  Breite 
von  6  cm  straff  umspannten,  also  eine  ganze 
Reihe  von  Spiralen  gebildet  wurden.  Der  Puls  in 
der  Pediaea  war  das  Zeichen,  dass  durch  den 
Schlauch  die  Cutis  zwar  fest  auf  die  unterliegende 
Fascie  aufgedrückt,  die  Circulation  aber  in  den 
subfascialen  Theilen  ungestört  geblieben  war. 

Unter  Fortbestand  des  Fieber  wanderte  nun 
das  Erys.  rasch  bis  zum  Schlauch,  stieg  wallartig 
an  demselben  empor,  blieb  aber  hier  stehen,  und 
die  Temperatur  fiel  am  zweiten  Tage  unter  die 
Norm.  Nur  an  einer  kleinen  Stelle  war  ein  blass- 
rother  Fortsatz  unter  dem  Schlauch  durchgedrun- 
gen, ein  Zeichen,  dass  das  Erys.  eine  entschiedene 
Tendenz  zum  Weitervordringen  hatte,  was  auch 
aus  dem  scharfen  und  hochgeschwollenen  Rande 
hervorging.  Das  sehr  schmerzhafte  Befallenwerden 
des  Fusses  wurde  dadurch  dem  Kranken  erspart 
und  die  ganze  Erkrankung  abgekürzt,  was  in  diesem 
Falle  wegen  des  stets  drohenden  Collapses  von 
hohem  Werthe  war. 

Dies  ist  der  einzige  Fall  von  allgemei- 
nem Erysipel,  den  ich  in  Betreff  meiner 
mechanischen  Behandlung  prüfen  konnte. 

Soviel  geht  aber  aus  dieser  Krankenge- 
schichte jedenfalls  hervor,  dass 

1.  die  Compression  der  Haut,  welche 
meiner  Meinung  nach  künstlich  den  hem- 
menden Wirkungen  der  gekreuzten  Fasersy- 
steme, nur  in  erhöhtem  Maasse,  entspricht, 
eine  solche  sein  muss,  dass  die  Haut  längere 


Zeit  wirklich  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
mit  anhaltender  Stärke  comprimirt  wird; 
Collodium,  Heftpflaster  u.  dgl.  reichen  zu 
diesem  Zweck  nicht  aus;   —   dass 

2.  die  Compression  eine  gewisse  Breite 
einnehmen  muss  und  an  den  Extremitäten 
mindestens  5  Gentimeter  betragen  soll ; 
und  dass 

3.  die  Compression  die  Circulation  der 
tiefer  liegenden  Partien  freilassen  muss. 

Im  angeführten  Fall  handelte  es  sich 
um  eine  in  distaler  Richtung  fortschreitende 
Entzündung;  kriecht  diese  in  proximaler 
Richtung  fort,  so  wird  der  Arzt  auf  die 
circulatorischen  Verhältnisse  ein  noch  schär- 
feres Augenmerk  zu  richten  haben,  da  sonst 
leicht  Gangrän  der  peripherischen  Theile  die 
Folge  sein  könnte.  Eine  entsprechende  Um- 
sicht wird  aber  wohl  auch  in  letzterem  Falle 
die  Anwendung  der  beschriebenen  Ligatur 
erlauben. 

Meine  übrigen  Beobachtungen  und  Ver- 
suche betreffen  das  Gesichts-  und  Kopfery- 
sipel.  In  diesen  Fällen  war  die  Anwen- 
dung des  Schlauches  selbstverständlich  nicht 
möglich,  da  die  einzelnen  Spiralen  bei  jeder 
Bewegung  des  Kopfes  abzurutschen  drohen. 
An  die  Stelle  des  Schlauches  muss  hier  ein 
Gummiband  gesetzt  werden. 

Da  das  Erysipel  meist  als  Gesichtsery- 
sipel  von  der  Nase  oder  den  Ohren  aus- 
geht, so  handelt  es  sich  vor  Allem,  den 
Uebergang  auf  den  behaarten  Kopf  zu  ver- 
hüten, da  durch  einen  solchen  die  Dauer 
eine  längere  wird,  die  Allgemeinzufälle  sich 
steigern,  die  Meningen  ergriffen  werden 
kennen  und  ausserdem  auch  der  heftige 
Schmerz  und  der  spätere  Haarausfall  in  Be- 
tracht kommen. 

Man  möge  mir  verstatten,  mein  Verfah- 
ren in  diesen  Fällen  ebenfalls  durch  die 
kurze  Beschreibung  einer  Krankengeschichte 
zu  erläutern. 

Bei  einem  45j&hrigen  Kranken,  der  vor  3  Jah- 
ren schon  einmal  eine  schwere  Erkrankung  an 
Gesichts-  und  Kopfrose  mit  allen  unangenehmen 
Folgen  durchgemacht  hatte,  trat  in  Folge  von  ver- 
nachlässigtem Nasenkatarrh  mit  Krustenbildung 
am  14.  März  1.  J.  unter  dem  rechten  Auge  ein 
scharfrandiges  Erysipel  auf.  Die  Abendtemperatur 
war  40,0.  Am  15.  hatte  sich  dasselbe  fast  über  das 
ganze  Gesiebt  verbreitet.  Abendtemperatnr  39,2. 
Da  die  Wanderung  auf  die  Stirn  überzugehen  droht, 
so  wird  ein  Gummiring  von  36  cm  Umfang,  3  cm 
Breite  und  2  mm  Dicke,  wie  solche  in  jedem  Kaut- 
schuk waarengeschäft  erhältlich  sind,  den  untern 
Theil  der  Stime  und  des  Hinterhauptes  umspannend 
um  den  Kopf  angelegt,  welch  letzterer  selbst  einen 
Umfang  von  58  cm  hatte.  Am  19.  ist  das  Erys. 
ringsum  bis  zum  Gummiband  vorgeschritten;  die 
mächtige  Schwellung  fUlt  steil  ab  gegen  den  un- 
teren  Rand   des  Bandes;   Ohren,   Augen,  Gesicht 


m.  Jahrgang.') 
Aagnat  1889.  J 


Kr o eil,  Zur  Therapie  dei  Erytlpeli,  speeiell  deaien  mechanische  Behandlung. 


357 


sind  bis  zur  ünkennbarkeit  geschwollen.  Abend- 
temperatur 39,3.  Tags  darauf,  am  20.  ist  Patient 
absolut  fieberlos,  die  Haut  unter  dem  Band  ist 
dünn  und  weiss  und  setzt  sich  ringsum  scharf  von 
dem  Entzündungswall  ab;  der  Kopf  ist  absolut 
frei,  dagegen  sind  flache  Fortsätze  nach  abwärts 
gegen  den  Hals  vorhanden,  —  die  Krankheit  selbst 
aber  ist  abgeschlossen. 

Ob  das  häufige  Abbrechen  des  Eopf- 
erysipels  am  Halse  auf  besonderen  anato- 
mischen Einrichtungen  beruht,  mochte  ich 
dahin  gestellt  sein  lassen  und  es  blos  als 
Vermuthung  aussprechen,  obgleich  Ausnah- 
men in  dieser  Richtung  Avohl  manchen 
Aerzten  in  trauriger  Erinnernng  sein  werden. 

Die  gleichen  Resultate  erhielt  ich  in 
drei  andern  Fällen,  in  einem  yierten  war 
der  Eflfect  einige  Tage  ein  guter;  als  aber 
der  Kranke  bei  noch  fortbestehender  Schwel- 
lung am  Genick  und  bei  fortdauerndem 
Fieber  das  Band  der  Bequemlichkeit  halber 
abnahm,  wurde  der  Kopf  noch  nachträglich 
ergriffen. 

Das  Unbequeme  der  Schnürung  aber 
kommt  nicht  in  Betracht  gegenüber  der 
Schmerzhaftigkeit  eines  Kopferysipels  und 
dem  spätem  Haarausfall,  welch  letzterer 
abgesehen  von  ästhetischen  Rücksichten 
doch  auch  die  haarlose  Kopfhaut  manchen 
Schädlichkeiten  aussetzt. 

Aus  meinen  Fällen  musste  ich  den 
Schluss  ziehen,  dass 

1.  die  Schnürung  über  den  untern  Theil 
der  Stime  und  die  Basis  der  Hinterhaupts- 
schuppe in  dem  Nacken  angelegt  werden 
muss,  sobald  das  Erysipel  Neigung  zum 
Weiterkriechen  auf  den  Kopf  hat,  und  dass 

2.  das  Band  wenigstens  3  Centimeter 
breit,  2  Millimeter  dick  und  22  —  25  Centi- 
meter geringern  Umfang  als  der  Kopf 
selber  haben  muss. 

Ob  es  zweckmässig  ist,  ein  Erysipel, 
welches  Yon  dem  Kopf  auf  das  Gesicht  sich 
auszjibreiten  droht,  in  derselben  Weise  zu 
behandeln,  muss  weitere  Erfahrung  lehren, 
obgleich  ich  glaube,  dass  bei  gleichzeitiger 
Anwendung  der  oben  citirten  Antiseptica 
eine  Gefahr  für  die  Meningen  dadurch 
nicht  hervorgerufen  wird. 

Diese  mechanische  Behandlung  soll  aber, 
wie  aus  der  letzten  Bemerkung  hervorgeht, 
keineswegs  der  auf  directe  Zerstörung  des 
Krankheitsgiftes  hinzielenden  Behandlung 
Abbruch  thun.  Das  einzig  Richtige  liegt 
Yorläufig  in  der  Verbindung  beider  Methoden 
oder  richtiger  gesagt  in  der  Erfüllung  beider 
früher  besprochenen  Indicationen. 

Die  Anzahl  der  von  mir  bis  jetzt  nach 
meinem  Verfahren  behandelten  Fälle  ist 
nocli  zu  gering,  um  beweiskräftig    zu    sein; 


mögen  Andre  ohne  Vorurtheil,  unter  ent- 
sprechender Vorsicht  und  mit  Genauigkeit 
die  Methode  nachprüfen;  dann  wird  sie  sich 
entweder  einbürgern  oder  sie  wird  wieder 
einschlafen. 

Wünsch enswerth  wäre  es,  dass  sie  so 
lange  gute  Dienste  leisten  würde,  bis  es 
gelingt  durch  Asepsis  das  Erysipel  über- 
haupt zu  verhüten  oder  durch  Antisepsis 
den  Streptococcus  gleich  nach  seiner  Ein- 
nistung zu  tödten. 


Die  externe  elektrische  Beliandlung 
der  Kelilkopfluranklieiten. 

Von 

Dr.  Theodor  Clement  in  Frankfurt  a.  M. 

„Man  vemrechselte  zuerst  Neryenth&tlg- 
kelt  and  Innerr&tion.  £■  liegt  auf  der 
Hand,  daas  Innervation  nnr  diejenige 
Nerventh&tigkelt  bezeichnen  kann,  welche 
auf  andere  nicht  nervöse  Thelle  geriebtot 
ist,  z.  B.  die  Erregung  der  Muskel-  luid 
Drfisenelemente  zur  Th&tigkeit.'* 

Oülularpathologie  von  BudotJ  Virehow, 
Pag.  845. 

Es  giebt  wohl  kaum  irgend  ein  Organ 
im  menschlichen  Organismus,  dem  äusserlich 
und  von  beiden  Seiten  so  leicht  mit  elek- 
trischen Strömen  beizukommen  wäre,  als 
gerade  der  Kehlkopf.  Geringe  Haut-  und 
Muskelbedeckung,  Hervorspringen  des  Knor- 
pelgerüstes (ganz  besonders  an  dem  männ- 
lichen Hals)  bieten  uns  für  das  Anlegen 
beider  Elektroden  für  Querdurchströmungen 
reichlich  geeigneten  Platz  und  Gelegenheit. 
Wir  können  deshalb  mit  Leichtigkeit  den 
ganzen  Kehlkopf  von  aussen  unter  elektri- 
schen Einfluss  bringen  und  durch  elektrische 
Erregung  der  Arbeitsnerven  eine  total  ge- 
steigerte Innervation  der  Gewebselemente 
des  ganzen  Kehlkopfes  veranlassen.  —  Was 
eine  solche  gesteigerte  Innervation  in  den 
verschiedensten  Leiden  des  Kehlkopfes  zu 
bedeuten  hat,  wird  dem  begreiflich  sein,  der 
durch  die  beharrlich  fortgesetzte  Einwirkung 
minimalerund  einfachster  elektrischer  Ströme^) 

^)  Allgemeine  medicinische  Gentralzeitung,  Ber- 
lin. IL.  Jahrgang,  10.  Stück,  4.  Februar  1880. 
Dr.  Theodor  Ulemens  in  Frankfurt  a.  M.  Der 
unterbrochene  inducirte  Strom,  seine  Aufsaugung, 
befördernde  Kraft  und  moleculare  Action.  (Directo 
Mittheilung  an  die  Redaction  dieser  Zeitung.)  Diese 
meine  Arbeit  wurde  fortlaufend  veröffentlicht  in 
Nr.  10,  15,  18,  23,  28  u.  34.  —  Siehe  ferner  in 
meinen  Werken:  üeber  die  Heilwirkungen  der 
Elektricit&t  und  deren  erfolgreiche  methodische 
Anwendung  in  verschiedenen  Krankheiten  von 
Dr.  Theodor  Clemens  in  Frankfurt  a.  M.  Mit 
9  Lichtdruckte^eb.    Frankfurt  a.  M.    Verlag   von 


358 


ClemenB,   Die  externe  elektrische  Behandlung^  der  Kehlkopf  kränkelten. 


rlier&peiitiB^e 
Monatehefte. 


die  hartnäckigsten  Bypbilitischen  Sklerosen 
verschwinden  sah  und  wuchernde  indurirte 
Papillome  vollständig  zur  Rückbildung  ge- 
bracht hat.  —  Der  Einfluss  der  elektrisch 
gesteigerten  Innervation  auf  jede  Art  der 
Entzündung  ist  eine  ebenso  unwiderlegbare 
Thatsache,  wie  die  allmähliche  Rückbildung 
der  Entzündungsproducte  durch  elektrische 
Ströme.  Je  näher  der  Ursprung  der  Arbeits- 
nerven den  Centralorganen,  je  näher  das  in 
seiner  Innervation  zu  steigernde  Organ  dem 
Gehirn,  desto  rascher  und  allgemeiner  wer- 
den die  elektrischen  Ströme  ihren  Einfluss 
auf  die  krankhaften  Processe  der  Gewebs- 
elemente  (Zellen)  entfalten.  —  Schneller 
und  oft  ganz  plötzlich  wirkt  der  elektrische 
Strom  auf  den  Kehlkopf  in  den  Fällen,  wo 
eine  noch  rein  nervöse  Alteration  das  Krank- 
heitsbild hervorgerufen  hat.  Habe  ich  doch 
Fälle  beobachtet,  wo  ein  schier  unerträglicher 
Hustenreiz  im  Kehlkopf  binnen  fünf  Minuten 
nach  einer  elektrischen  Querdurch  Strömung 
des  Kehlkopfes  verschwand  mit  bleibender 
Abnahme  der  Intensität  des  Kehlkopfreizes. 
Die  plötzliche  Heilung  eines  tobenden  Zahn- 
schmerzes durch  einen  localen  heftigen  In- 
ductionsstosB  ist  ja  eine  längst  bekannte  er- 
fahrungsmässige  Thatsache. 

Ebenso  ist  der  heilsame  Einfluss  elektri- 
scher Ströme  auf  Speichelflüsse,  Kehlkopf- 
katarrhe etc.  etc.  von  mir  häufig  beobachtet 
und  oft  experimentell  ausgeführt  worden. 
Hier,  wo  nach  Pflüger,  wie  bei  der  Speichel- 
drüse, die  Nerven  die  Tunica  propria  durch- 
brechen und  sich  mit  den  Drüsenzellen 
selbst,  ja  sogar  mit  den  Kernen  derselben 
verbinden,  liegt  die  mögliche  Innervation  der 
Gewebselemente  durch  elektrische  Ströme 
auf  der  flachen  Hand.  Deshalb  auch  hier 
der  so  leichte  unmittelbare  Einfluss  durch 
stetig  elektrische  Himerregung,  wie  das 
Wässern  des  Mundes  bei  dem  Anblick  einer 
leckeren  Speise.  Können  wir  durch  elek- 
trischen Einfluss  Ebbe  und  Fluth  in  den  Or- 
ganen zu  Wege  bringen,  können  wir  durch 
elektrische  Bebung  (Atomen-Oscillation)  die 
todte,  starre  Zelle  dem  Stoffwechsel  wieder 
zugänglich  machen,  so  haben  wir  in  den 
elektrischen  Strömen  ein  Mittel,  welches  die 
locale  Wirkung  aller  Medicamente  in  den 
Schatten  stellt.  Dass  in  jedem  erkrankten 
Organ  die  natürliche  normale  Innervation 
Noth  gelitten  hat,  wodurch  selbstverständ- 
lich     die     Widerstandsfähigkeit     gegen     alle 


Franz  Benjamin  Aaflarth.  1879.  —  Die  Elektricitat 
als  Heilmittel.  Ein  Wort  zur  Aufklärung  und  zum 
Verständniss  elektrischer  Curen  und  elektrischer 
Heilapparate  von  Dr.  Theodor  Clemens  in  Frank- 
furt a.  M.  Verlag  von  Franz  Benjamin  Aufi'arth. 
Frankfurt  a,  M.    1882. 


schädlichen    Einflüsse    bedeutend    gesunken 
ist,  dass  die  krankhafte  organische  Verände- 
rung   oder    Stoffwechselstillstand    eigentlich 
gar  nichts  anderes  ist,  als  eine  mangelhafte 
oder    gesunkene  Innervation,    dieses  Factum 
zeigt    uns  den  Weg,    auf    welchem   wir    die 
normale    Innervation    wiederherzustellen    im 
Stande    sind.    —    So    gut    wir    das    ausge- 
schnittene, still  gewordene  Froschherz  durch 
minimale  elektrische  Ströme  wieder  anregen 
und    beleben  können,    eben    so    gut  können 
wir    den     gesunkenen    und    erstarrten  Stoff- 
wechsel wieder  erwecken  und  beleben  durch 
elektrische    Ströme,     mit    welchen    wir   un- 
geahnte   Ziele    erreichen,     nicht    durch    die 
Stromintensität,    sondern    durch  die  Häufig- 
keit und  die  Dauer    der  Einwirkung*     Nir^ 
gends  gilt  hier  das  Sprichwort  „Gutta  cavat 
lapidem  non  vi  sed  saepe  cadendo!^  mehr  als 
bei  der  elektrischen  Behandlung  und  Heilung 
chronischer     organischer    Leiden.        Werden 
auch    in    manchen    Leiden     des    Kehlkopfes 
scheinbar  rasche  Erfolge  erzielt,    so  können 
wir   dennoch    bleibende    und   dauernde  Hei- 
lungen nur  nach  längeren   und   langen  elek- 
trischen Curen  erwarten.    Eine  vollkommene 
Umstimmung  des  erkrankten  Kehlkopfes  ist 
auch  bei    elektrischen   Curen    dieses  Organs 
immer  eine  Frage  der  Zeit.    Bei  organischen 
Structurveränderungen,     die     bei    Kehlkopf- 
leiden    meistens     mit    Congestiv- Zuständen 
gepaart  sind,  können  wir  von  einer  elektro- 
lytischen Wirkung  der  Elektricitat  überhaupt 
nur  nach   längerer  Behandlung    und    täglich 
wiederholten    Sitzungen    ein    günstiges    Re- 
sultat erwarten.   —    In   den  meisten  Fällen, 
wo  ich  den  Kehlkopf  äusserlich  mit  elektri- 
schen Strömen  behandelte,  bediente  ich  mich 
kleiner    feuchter  Compressen,    die    auf  jede 
Seite    des  Kehlkopfs  aufgelegt,    den  knopf- 
förmigen  Elektroden  zum  Stützpunkt  dienten. 
Diese    Elektroden    hatten    gewöhnlich  einen 
bis  zwei  Centimeter  Durchmesser   und  wur- 
den von  zwei  Stativen    (wie  solche   in  mei- 
nem Werk    über  Heilelektricität   abgebildet 
sind)    zu    beiden   Seiten    des  Patienten    ge- 
halten.    Die    Elektroden    legen    sich    dabei 
mit    einer    runden  festen  Metallplatte  leicht 
auf    die    gewöhnlich    mit    Salzwasser    (auch 
Jodsalzwasser  oder  sonstige  gewünschte  Me- 
dicamente in  salzischer   oder  saurer  Lösung) 
befeuchteten    Compressen    zu    beiden   Seiten 
des   Kehlkopfs,    denselben    auf  diese  Weise 
in  die  Mitte    nehmend,    ohne    irgend    einen 
besonderen    Druck     auszuüben.       Der    freie 
Zwischenraum   des   Kehlkopfes   muss   vorher 
gut  getrocknet   und  mit   einem  Tropfen  Oel 
eingerieben  werden,    um  Nebenschliessungen 
auf    der    Haut    zu  vermeiden,    zu    welchem 
Zweck  ich  den  freibleibenden  Kehlkopf  auch 


m.  Jahrgang.*] 
Aurnst  1889.  J 


Clemeni,  Die  externe  elektrische  Behandlunf  der  Keblkopfkrankhelteo. 


359 


öfters  mit  einem  Stück  Heftpflaster  bedeckt 
habe.  '  Auch  etwas  Lycopodium-Pulver  auf 
den  freibleibenden  Kehlkopf  gerieben,  ver- 
hütet das  Feuchtwerden  der  zwischen  den 
feuchten  Compressen  liegenden  Hautstellen 
und  somit  die  Nebenschliessungen.  Auf 
diese  Weise  können  wir  faradlsche  Ströme, 
wie  solche  intralaryngeal  durchaus  nicht 
mehr  vertragen  werden,  10  und  20  Minuten 
lang  anwenden  und  somit  eine  leichte  elek- 
trische Bebung  (elektrisch  atomistische  Mas- 
sage) des  ganzen  Kehlkopfes  veranlassen. 
Ernste  Symptome  und  Zwischenfalle,  wie 
solche  innerlich  faradisirt  gewiss  nicht  zu 
vermeiden  sind  (Hustenreiz,  Glottiskrampf  etc.), 
habe  ich  bei  dieser  von  mir  häufig  mit  Er- 
folg ausgeführten  Methode  niemals  gesehen. 
Während  der  Rachen,  das  Gaumensegel  und 
die  Tonsillen,  wie  ich  bei  meiner  elektri- 
schen Behandlung  der  Diphtherie^)  gezeigt 
habe,  durchaus  nicht  übermässig  empfindlich 
sind  gegen  die  directe  Einwirkung  der  ver- 
schiedensten elektrischen  Ströme,  ist  die 
Glottisgegend,  Stimmritze  wie  Stimmbänder 
gegen  directe  Einwirkung  der  Elektricität, 
besonders  wenn  bereits  ein  krankhafter  Reiz 
vorhanden  ist,  überaus  empfindlich.  Dass 
aber  sowohl  von  den  Tonsillen  wie  von  dem 
Gaumensegel  aus  indirect  auf  den  Kehlkopf 
gewirkt  werden  kann,  habe  ich  in  vielen 
Fällen  gesehen. 

Durch  eine  elektrische  Schliessung  vom 
Nacken  nach  den  Tonsillen^)  werden  z.  B. 
gerade  bei  Diphtherie  Würgebewegungen 
hervorgebracht,  welche  viel  energischer  als 
bei  dem  Brechmittel  weit  eher  den  Kehl- 
kopf von  seinen  Pseudomembranen  zu  be- 
freien im  Stande  sind,  als  es  das  nerven- 
schwächende Brechmittel  überhaupt  vermag. 
Die  erschütternde,  reizende  und  umstimmende 
Wirkung  dieser  elektrischen  Schliessungen 
auf  den  ganzen  Muskelapparat  des  Kehl- 
kopfs ist  weit  energischer  und  intensiver, 
als  solche  bei  Brechbewegungen  vom  Ab- 
dominal-Vagus*)    aus  hervorgebracht  werden 

^  Und  noch  einmal  die  elektrische  Behandlung 
der  Dipbtheritis  von  Dr.  Theodor  Clemens  in 
Frankfurt  a.  M.  Allgemeine  medicinischo  Central- 
Zeitung.    Berlin.     Jahrgang  1887.     Nr.  79. 

')  Welche  mechanischen  Eingriffe  überhaupt 
Pharynx  und  Larynx  vertragen,  beweist  ja  die 
segensreiche  neue  Methode  des  Einsetzens  eines 
goldenen  Röhrchens  in  die  Stimmritze  an  Stelle 
der  Tracheotomie. 

*)  Wir  reizen  also  hier  mechanisch  und  elek- 
trisch die  Vagus -Ausläufer  des  Gaumens,  des 
Pharynx,  des  Oesophagus  und  des  Kehlkopfs  und 
vermeiden  die  Neben-  und  Nachwirkungen  des 
schwächenden  Brechmittels  auf  den  Plexus  coeliacus 
und  den  Magen -Herz -Vagus.  Wieviele  Kinder 
sterben  an  der  Magen  und  Herz  schwächenden 
Neben-  und  Nachwirkung  allzuhäufig  gereichter 
Brechmittel!    Auch  dürfen  wir  bei  localen  elektri- 


konnen.    Der  einfache  mechanische  Reiz  des 
„Finger    in    den  Halssteckens ^,    um  Brech- 
bewegungen   zu  veranlassen,    ist  ja  ein  all- 
bekanntes   Volkshülfsmittel,    welches   schon 
oft   eine   zufällige   mechanische  Erstickungs- 
gefahr beseitigt  hat.  —  Dazu    kommt   noch 
bei   elektrischen  Schliessungen    vom  Nacken 
aus  nach  der  Mundhöhle    die  Erregung   des 
Halstheils  des  Nervus  vasomotorius ,  dessen 
Zweige  direct  vom  Plexus  pharyngeus  sowohl 
den  Pharynx  als  auch  den  Larynx  versorgen. 
Die  elektrische  Einwirkung    auf  das  Vagus- 
gebiet einerseits,  andererseits  auf  die  in  der 
Mund-    und  Rachenhohle    ohne  jede   Unter- 
brechung    alles     auskleidende    Schleimhaut, 
berechtigt  uns,  Reactionen  zu  erwarten,  wel- 
che bei  jedesmaliger  elektrischer  Schliessung 
sofort  eintreten  müssen.     Ich  habe   in  einer 
sehr  grossen  Anzahl  von  Fällen  der  verschie- 
densten Art  diese  segensreiche  Wirkung  ein- 
treten sehen.     Ganz  besonders  ist  aber  hier 
der  mit  Medicamenten   beladene   elektrische 
Strom*)  zu    empfehlen,    und    habe   ich  zwei 
schlimme  Fälle    von   syphilitischer   Rancedo 
auf    diese  Weise    dauernd    durch    den   Jod- 
strom   geheilt,     ein    Heilverfahren,    welches 
ich  hiermit  näher  beschreiben  will.   Ich  lege 
auf  jede  Seite    des  Kehlkopfes    eine    kleine 
sechsfache  Leinwandcompresse,  circa  3^3  cm 
Quadrat,  welche  in  einer  Jodsalzwasserlosung 
(Kochsalz    36     Gramm,     aufgelöst    in    1000 
Gramm  Quell wasser,  in  dieser  Losung  wer- 
den    12     Gramm    Natr.    bicarbonic.    puriss. 
pulv.  gelost    und    nach  24  Stunden  werden 
dieser    Lösung    fünfzig    Tropfen    Jodtinctur 
zugesetzt.     Stündlich  geschüttelt,   ist  dieses 
Jod  Salzwasser    zu    jedem    Gebrauch    fertig, 
sobald  es  farblos  und  crystallhell  ist)  reich- 
lich getränkt    sind    und   auf  jeder  Seite  die 
Mitte    des    Kehlkopfes    decken.     Auf    diese 
durchfeuchteten  Jodsalzcompressen  wird  nun 
auf  jede  Seite  eine  vergoldete  Messingscheibe 
(rund    und    circa    2^2  cm   im  Durchmesser) 
aufgesetzt,  welche  durch  je  ein  Stativ  (siehe 
die  Kupfertafeln    meines  Werkes  über  Heil- 
elektricität)  leicht  angedrückt  werden.    Durch 


sehen  Reizungen  von  dem  Mund  und  Rachen  aus 
nicht  vergessen,  dass  die  Schleimhaut,  womit  die 
ganze  Höhle  des  Kehlkopfs  ausgekleidet  ist,  sich 
ununterbrochen  in  die  Schleimhaut  des  Mundes 
wie  des  Schlundes  fortsetzt,  überzogen  mit  dem- 
selben Epithelium  und  überaus  reicn  an  Nerven 
und  Gefussen. 

*)  Die  elektrolytische  Durchleitung  von  Jod 
durch  die  thierischen  Gewebe,  bereits  mit  den  Cur- 
erfolgen  dargestellt  in  der  deutschen  Klinik  in  den 
Jahren  1858,  59  und  60.  Nebst  einer  historisch- 
physikalischen  Darstellung  der  elektrolytischen  Ver- 
wendung der  Arzneistoffe  im  vorigen  Jahrhundert 
von  Dr.  Theodor  Clemens  in  Frankfurt  a.  M. 
Siehe  Allgemeine  medicin.  Centralzcitung  in  Berlin, 
Nr.  7,  1870. 


360 


Clemeni,  Die  externe  elektrliehe  Behandlung  der  Kehlkopfkrankheiten. 


rlier&peatlcche 
Monatsheft«. 


diese  feuchten  Leinwandcompressen  i^erden 
nun  täglich  3 — 4  mal  leichte  faradische 
Ströme  mit  Spiralen-Einlage  je  eine  Viertel- 
stunde lang  ohne  Unterbrechung  durch- 
geleitet. Nach  jeder  Sitzung  i?verden  die 
beiden  kleinen  Compressen  frisch  mit  der 
Jodsalzwasserlösung  getränkt,  mit  Gutta- 
percha bedeckt  und  bleiben  nun  liegen  bis 
zu  der  nächsten  Sitzung,  auf  ivelche  Weise 
also  die  für  den  eindringenden  elektrischen 
Strom  ausgewählte  Eehlkopfgegend  wahrend 
der  ganzen  Behandlung  immer  durch  die 
Jodsalzlösung  feucht  gehalten  wird,  wodurch 
wir  mit  Hülfe  des  elektrischen  Stromes  local 
und  äusserlich  mit  ganz  geringen  Jodsalz- 
mengen Resultate  erzielen,  welche  uns  in 
Erstaunen  setzen.  Habe  ich  doch  Fälle  be- 
handelt, wo  ich  mit  dieser  einfachen  elek- 
trischen Heilmethode  Kehlkopfleiden  geheilt 
habe,  welche  allen  Mitteln  (auch  innerlichen 
Jodcuren)  hartnäckigen  Widerstand  leisteten. 
Einen  berühmten  Tenoristen,  der  nicht  nur  die 
Singstimme  gänzlich  verloren  hatte,  sondern 
fast  aphonisch  geworden  war,  heilte  ich 
durch  eine  sechsmonatliche  externe  elek- 
trische Cur  so  vollkommen,  dass  der  Sänger 
w^ieder  zur  Bühne  ging  und  noch  zehn  Jahre 
im  Besitz  seiner  Stimmmittel  blieb.  —  Eine 
elektrische  Heilmethode,  mit  welcher  ich 
nach  einer  nun  vierzigjährigen  Erfahrung 
nicht  nur  schlimmste  Eehlkopfleiden  dauernd 
geheilt,  sondern  auch  die  schlimmsten  syphi- 
litischen Sklerosen  sowie  Zungen-Papillome 
mit  Induration  vollkommen  und  ohne  alle 
Recidive  zum  Schwund  gebracht  habe,  ver- 
dient, mea  quidem  sententia,  doch  wohl  die 
Aufmerksamkeit  der  Collegen^).  —  Ich  habe 
bis  heute  auch  nicht  einen  einzigen  Fall 
erlebt,  in  welchem  die  externen  Kehlkopf- 
ströme nicht  ertragen  worden  wären,  ja 
selbst  in  der  Kinderpraxis  werden  diese 
elektrischen  Eingriffe,  selbst  von  kleinen 
Kindern  gern  und  willig  geduldet^).  Nur 
darf  man  natürlich  in  der  Kinderpraxis  nicht 
mit  einem  grossen  Stativ-Apparat  hervor- 
rücken, weil  solche  Vorbereitungen  selbst- 
verständlich Furcht  erregen.  Ich  bediene 
mich  in  solchen  Fällen  einfach  dünner 
Platinblättchen  als  Elektroden,  die  in  Ver- 
bindung mit  einem  dünnen^  gut  isolirten 
Leitungsdraht  dann  in  die  nassen  Compressen 
eingesteckt  werden,  ohne  dass  der  kleine 
Patient  von  dem  ganzen  Apparat  sowie  von 
den  Elektroden  irgend    etwas   zu    sehen  be- 


^)  Jedem  Interessenten  stehen  die  Adressen 
meiner  CoUegen,  welche  diese  Resultate  miterlebt 
und  mitbeobachtet  habeo,  jederzeit  zu  Diensten. 

^)  Allgemeine  medicin.  Centralzeitung,  Berlin. 
Die  elektrische  Behandlung  der  Diphtheritis  von 
Dr.  Theod.  C 1  e  m  en  s  in  Frankfurt  a. M.  Nr.  1.  1885. 


kommt.  Diese  Platinelektroden  werden,  in 
den  feuchten  Compressen  lagernd,  dann  ent- 
weder rechts  und  links  vom  Kehlkopf  oder 
von  dem  Nacken  nach  dem  Kehlkopf  ganz 
einfach  durch  eine  leichte  seidene  Halsbinde 
festgehalten,  nachdem  die  feuchten  Com- 
pressen mit  Guttapercha  bedeckt  worden 
sind.  Dass  auf  diese  Weise  selbst  eine 
beginnende  Perich  ondritis  geheilt  werden 
kann,  bin  ich  überzeugt  und  habe  ich  Fälle, 
wo  das  erste  Stadium  dieser  Affection  di- 
agnosticirt  worden  war,  elektrisch  geheilt. 
Freilich  gehört  zu  solchen  Curen  Geduld 
von  beiden  Seiten.  —  üeberhaupt  ist  die 
Einwirkung  der  elektrischen  Ströme  auf  den 
Entzündungsprocess^)  noch  lange  nicht  genug 
gewürdigt,  eine  Wirkung,  die  physiologisch 
und  dynamisch  so  nahe  liegt  bei  der  be- 
kannten Capillar-Congestion.  —  Wie  wir 
durch  ein  einfaches  elektrisches  Salzwasser- 
bad in  einem  Glas  Wasser  ein  Panaxitium 
elektrisch  coupiren  können,  so  dürfen  wir 
es  wagen,  eine  Perityphlitis  durch  aufgelegte 
feuchte  Jodsalzwasser-Compressen  mit  elek- 
trischen Strömen  zu  heilen  und  die  oft  hier 
so  peinlichen  Schmerzen  zu  tilgen.  Der 
Kehlkopf  ist  jedoch  für  elektrische  Ströme 
viel  leichter  erreichbar,  als  der  gut  ver- 
steckte Blinddarm  mit  seiner  Zeilgewebs- 
einpackung und  Fettpolsterung. 


Ueber  Zahnverpflanzung  von  einem  In- 
dividuum auf  das  andere. 

Von 
Zahnarzt  Kirchhofer  in  Lausanne. 

Schon  seit  einigen  Jahren  macht  man 
Versuche  über  das  Pfropfen  der  Zähne,  selbst 
vom  Menschen  auf  Thiere.  Man  kann  sagen, 
dass  die  meisten  Fälle  einen  guten  Erfolg 
ergeben  haben,  und  dass  somit  die  Zahn- 
heilkunde einen  grossen  Schritt  vorwärts 
gemacht  hat.  Einige  Zahnärzte  haben  auch 
die  Transplantation  probirt,  jedoch  mit 
weniger  gutem  Erfolge. 


8)  Deutsche  Klinik,  Berlin.  Nr.  28.  11.  Juli 
1874.  Meine  Erfahrungen  auf  dem  Gebiete  der 
Heilelektricität  in  der  Chirurgie,  von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  a.  M.  Ferner  in  derselben 
Zeitschrift  Nr.  6,  6.  Februar  1875:  Die  Wirkungen 
elektrischer  Ströme  durch  Erschütterung  der  Mole- 
cülen.  Femer  in  der  Allgem.  medicin.  Central- 
zeitung,  Berlin,  Jahrgang  IL,  Nr.  10,  15,  18,23,28 
u.  34:  Der  unterbrochene  inducirte  Strom,  seine 
Aufsaugung  befördernde  Kraft  und  moleculare 
Action. 


AngQst  1889.  J 


Kirchhofe r,  Üeber  2ahQverpfiaBzung  Von  einem  Individuum  auf  das  and6te. 


361 


Ich  will  in  diesen  Zeilen  nicht  die  Lehre 
über  das  Pfropfen  der  Zähne  beschreiben, 
sondern  nur  einen  sehr  merkwürdigen  Fall 
aus  meiner  Praxis  citiren.  Es  handelt 
sich  um  2  mittlere  und  obere  Schneide- 
zähne, welche  56  Stunden  nach  dem 
Herausziehen  von  einer  Person  auf 
die  andere  verpflanzt  wurden. 

Eine  28jährige  Tochter  aus  gesunder 
Familie  kommt  Anfangs  November  vergan- 
genen Jahres  zu  mir,  da  der  Zustand  des 
Mundes  es  erforderte.  Sie  besass,  ausser 
den  Wurzeln  der  molaren,  praemolaren  Eck- 
zähne und  kleinen  Schneidezähne  noch  die 
beiden  grossen,  mit  Gold  ausgefüllten 
Schneidezähne.  Sie  litt  jedoch  nie  an 
Periostitis,  noch  weniger  an  Gingivitis,  das 
letztere  hätte  jedoch  der  Fall  sein  können, 
da  alle  "Wurzeln  mit  einer  starken  Schicht 
Zahnsteins  umgeben  waren.  "Wir  entfernten 
daher  vermittelst  der  Chloroformnarkose  alle 
"Wurzeln  sowie  die  beiden  Schneidezähne, 
und  ohne  den  letzteren  irgend  eine  Beach- 
tung zu  schenken,  schloss  ich  dieselben  in 
eine  Schachtel,  üngeföhr  56  Stunden  nach- 
dem wir  diese  Person  operirt  hatten,  stellte 
sich  ein  33 jähriger  Mann  bei  mir  ein.  Er 
litt  an  einer  sehr  starken  Periostitis,  nach- 
dem er  während  einer  Turnstunde  vom  Reck 
auf  den  Mund  gefallen  und  ihm  die  beiden 
mittleren,  oberen  Schneidezähne  in  der  Nähe 
des  Zahnhalses  abgebrochen  waren. 

Sowie  ich  das  sah,  dachte  ich  an  die 
beiden  vor  56  Stunden  extrahirteo  Zähne. 
Da  ich  wusste,  dass  die  Person  gesund  war 
und  sie  an  keiner  inficirenden  Krankheit 
litt,  so  nahm  ich  ihre  Zähne  und  desinficirte 
dieselben  vermittelst  einer  5  ®/o  Carbollosung. 

Ich  entfernte  alsdann  die  beiden  kranken 
Zähne  des  Herrn  X.  und  pfropfte  ihm  so- 
fort die  beiden  andern  Zähne  au  die  Stelle. 
Ich  unterband  dieselben  an  den  beiden 
kleinen  Schneidezähnen  und  bepinselte  dann 
die  ganze  kranke  Stelle  mit  Jodtioctur. 
Ich  wiederholte  das  Bepioseln  alle  Tage 
zweimal.  Schon  am  achten  Tage  hielten 
sie  ordentlich  fest,  von  selbst,  da  die  Liga- 
tur abgefallen  war.  Ich  Hess  daher  die- 
selben so  wie  sie  waren,  und  in  der  dritten 
"Woche  konnte  unser  Patient  schon  weiches 
Brod  mit  denselben  kauen.  Gegenwärtig  hal- 
ten die  beiden  Zähne  so  fest  wie  die  anderen. 
"Wer  sich  für  diesen  immerhin  seltenen  und 
merkwürdigen  Fall  interessirt,  kann  ihn  ge- 
legentlich sich  von  mir  demonstriren  lassen. 

Man  sieht  aus  diesem  Factum,  dass  das 
Leben  des  Periostes  viel  länger  andauert, 
als  man  gewohnlich  annimmt.  Es  stammt 
wahrscheinlich  von  den  Zellen,  welche  die 
Osteoblasten  bilden. 


Ueber  einigre  beruhigende  Mittel  f(lr 
Geisteskranke. 

Von 

Dr.  Otto  DornblUth, 

zweitem  Arzte  der  Prov.-Irren-Anst&lt  Kreuzbarg  O.-S. 

1.   Hyoscin. 

Ueber  das  Hyoscin  Ladenburg  sind,  so- 
viel mir  bekannt,  bezüglich  seiner  Wirksam- 
keit nur  günstige  Berichte  veröffentlicht 
worden.  Nur  Lemoine  schreibt  (Gaz.  m^d. 
de  Paris,  1889,  3,  referirt  im  Neurol.  Cen- 
tralbl.  1889,  8,  p.  244),  dass  seine  Versuche 
bei  Erregungszuständen  der  chronischen 
Manie  wenig  erfolgreich  ausgefallen  seien. 
Seine  Angabe,  dass  erst  bei  0,001  (subcu- 
tan) Ycrgiftungserscheinungen  aufgetreten 
seien,  giebt  jedoch  zu  der  Vermuthung  An- 
lass,  dass  sein  Präparat  dem  in  Deutsch- 
land vorzugsweise  benutzten  von  E.  Merck 
nicht  gleichwerthig  gewesen  sei. 

Ich  selbst  habe  im  März  v.  J.  über  die 
genau  aufgezeichnete  Wirkung  von  mehr  als 
1800  im  Verlauf  von  11  Monaten  an  weib- 
liche Irre  verabreichten  Gaben  eine  Zu- 
sammenstellung gemacht,  die  in  der  Berl. 
Klin.  Wochenschrift  1888,  No.  49  ver- 
öffentlicht ist.  Ich  habe  seitdem  das 
Merck' sehe  Präparat  in  weiteren  Hunderten 
von  Fällen  angewendet  und  glaubte  da- 
nach wohl  in  der  Lage  zu  sein,  vergleichende 
Beobachtungen  mit  dem  mir  zur  Prüfung 
übersandten  Hyoscinhjdrobromat  der  Chemi- 
schen Fabrik  auf  Actien  (vorm.  E.  Sche- 
ring) in  Berlin  anzustellen.  Dasselbe  kostet 
nur  halb  so  viel,  wie  das  gleichnamige 
Merck' sehe  Präparat,  nämlich  5  M.  für 
ein  Gramm.  In  der  Wirkung  kommt  es 
diesem,  wie  ich  in  den  letzten  3  Monaten 
mich  überzeugt  habe,  nun  durchaus  gleich; 
auch  in  der  äusserlichen  Erscheinung,  der 
Geschmacklosigkeit,  dem  dauernden  Elar- 
bleiben  der  mit  filtrirtem  und  abgekochtem 
destillirten  Wasser  angefertigten  Lösung 
war  kein  Unterschied  wahrzunehmen.  Bei 
der  Einspritzung  unter  die  Haut  veranlasste 
die  Lösung  0,02  :  10,0  keinerlei  Reizerschei- 
nungen. Wegen  der  alarmirenden  Symptome 
nach  subcutaner  Injection  wirksamer  Mengen 
habe  ich  mich  übrigens,  wenn  nicht  eine 
sehr  schnelle  Einwirkung  zur  Coupiriing 
epileptischer  Wuthausbrüche  u.  dgl.  angezeigt 
erschien,  in  neuerer  Zeit  fast  ganz  auf  die 
innerliche  Anwendung  beschränkt.  Dass  man 
das  Mittel  in  Suppe,  Kaffee,  Wein  etc.  ganz 
unbemerkt  verabreichen  kann,  ist  jedenfalls 
ein  grosser  Vorzug  vor  allen  anderen  üb- 
lichen Beruhigungsmitteln,    doch  ist  hierbei 

40 


362 


DoroblQth,  Ueber  einige  beruhigende  Mitted  fQr  Qeisteslcranke. 


[TherapeutMche 
Monatshefte. 


jedenfalls  Vorsiebt  am  Platze,  da  die  Pa- 
tieoten  zwar  die  Arznei  unvermerkt  nehmen, 
deren  Wirkung  aber  zuweilen,  namentlich 
bei  grösseren  Gaben,  bemerken,  sodass  unter 
Umständen  die  Wahnidee  der  Vergiftung 
durch  Speisen  hierdurch  eine  Stütze  erfahren 
könnte.  Bei  Patienten,  die  an  derartigen 
Verfolgungsgedanken  leiden,  darf  nur  die 
offene  Verabreichung  von  Arzneien  statt- 
finden. 

Bei  inneren  Gaben  bis  zu  2  rag  zwei-, 
sogar  dreimal  täglich  habe  ich  übrigens  nie- 
mals anderes  als  leichte  Schwindelgefühle, 
Müdigkeit  und  gelegentlich  Trockenheit  im 
Halse  angeben  hören.  Das  Auftreten  von 
Sinnestäuschungen,  von  denen  einzelne  Auto- 
ren*) sprechen,  habe  ich  niemals  bei  Geistes- 
kranken, dagegen  einmal  bei  einer  geistes- 
gesunden, etwas  nervösen  Dame  in  Gestalt 
beängstigender  nächtlicher  Illusionen  (nach 
der  Injection  von  0,001)  wahrgenommen. 
Es  ist  ja  nicht  ausgeschlossen,  dass  einzelne 
Kranke  eine  derartige  Wirkung  nicht  mit- 
theilen würden;  es  sind  aber  trotz  der  ge- 
nauen Ueberwachung  unserer  Patienten  nie- 
mals Anzeichen  davon  bemerkt  worden,  und 
die  nicht  geringe  Zahl  der  Auskunftsfähigen 
hat  solche  Vorkommnisse  stets  mit  Sicher- 
heit in  Abrede  gestellt.  Ueberhaupt  ha- 
ben meine  Patienten,  die  im  Verlauf  von 
periodisch  maniakalischen  Erregungszustän- 
den mit  Hyoscin  per  os  behandelt  waren, 
in  den  rubigen  Zeiten  niemals  irgend  eine 
Klage  über  das  Mittel  geführt,  während  das 
nach  der  subcutanen  Anwendung  fast  regel- 
mässig der  Fall  war,  zuweilen  bis  zu  dem 
Grade,  dass  die  Kranken  das  Versprechen 
erbaten,  in  der  Erregung  keine  Einspritzun- 
gen wieder  zu  erhalten,  da  der  Verlust  der 
Herrschaft  über  ihre  Glieder  und  die  Trocken- 
heit im  Halse  ihnen  ganz  unerträglich  seien. 

Was  nun  die  specielleren  Anzeigen  der 
innerlichen  Behandlung  mit  Hyoscin  angeht, 
so  habe  ich  es  zunächst  bei  der  periodischen 
Manie  als  vorzügliches  Palliativum  bewährt 
gefunden.  Es  gelingt  bei  regelmässigen  Ga- 
ben von  1 — 2  mg  Morgens  und  Abends  sehr 
vielfach,  diese  bedauernswerthen  Kranken 
ohne  Isolirung  in  den  ihrem  Benehmen  in 
der  Zwischenzeit  entsprechenden  halbruhigen 
Abtheilungen  zu  erhalten  und  der  sonst 
kaum  vermeidlichen  Verlegung  in  eine  un- 
ruhige Station  aus  dem  Wege  zu  gehen. 
Wie  wenig  dazu  die  früher  üblichen  Nar- 
kotica  im  Stande  waren,  ist  zu  bekannt, 
als  dass  darüber  viel  gesagt  zu  werden 
braucht.  Einzelne  derartige  Kranke,  die 
im  Umhergehen    trotz  Hyoscin   sehr  unruhig 

')  Konrnd.  Erlonmeycr's  Contralblatt  1888, 
18;  Klinke,  ebd.  1889,  7. 


sind,  kommen  bei  Hyoscingebrauch  wenigstens 
soweit  dass  sie  in  einem  genügend  versicher- 
ten Einzelzimmer  die  Erregungszeit  in  einem 
vollständigen  Bett  verbringen  können,  wäh- 
rend man  sonst  durch  die  einmal  gebotene 
Rücksicht  auf  Sparsamkeit  sie  in  einer 
nackten  Zelle  mit  dürftiger  Ausstattung  und 
bei  sogenannter  fester  Bekleidung  isoliren 
müsste.  Besonderen  Nutzen  verspreche  ich 
mir  von  der  Hyoscinbehandlung  in  solchen 
Fällen,  wo  die  Erregungen  der  periodischen 
Manie  geringere  Intensität  haben,  sodass  die 
Patienten  garnicht  in  eine  Irrenanstalt  kom- 
men, wohl  aber  ihrer  Umgebung  viel  Sorge 
und  Unannehmlichkeiten  bereiten  durch  ihre 
Unruhe,  Reizbarkeit  und  Neigung  zu  allerlei 
Ausschreitungen.  Der  von  mir  mehrfach  be- 
obachtete günstige  Einfluss  auf  Patienten 
mit  sogenannter  Folie  raisonnante,  welche 
bis  dahin  durch  ihre  immerwährenden  Klagen 
und  Intriguen  und  die  als  gerechtfertigt 
behaupteten  Aeusserungen  ihres  Krankheits- 
zustandes eine  wahre  Qual  für  die  Leidens- 
genossen und  noch  mehr  für  das  Pflegeper- 
sonal darstellen,  lässt  für  jene  zu  Hause 
Verpflegten  vom  Hyoscin  das  Beste  erhoffen. 
Bei  den  hier  meist  genügenden  Gaben  von 
1  mg  in  Lösung  jeden  Morgen  tritt  die  läh- 
mende Wirkung  völlig  zurück  und  es  füllt 
für  den  Kranken  lediglich  die  Neigung  fort, 
sich  erregt  zu  äussern. 

Die  Wirkung  der  subcutanen  Einspritzun- 
gen pflegt  nach  3  — 10  Minuten,  die  der 
innerlichen  Gaben  nach  ^/j  bis  1  Stunde 
merkbar  zu  werden.  Ruhiges  Verhalten  nach 
Empfang  des  Medicamentes  begünstigt  die 
Wirkung;  vieles  Umherlaufen  nach  dem 
Einnehmen  durch  den  Mund  kann  die  Wirk- 
samkeit sehr  beeinträchtigen.  Die  Patienten 
sollen  deshalb  zunächst  still  sitzen  oder  —  viel- 
leicht noch  besser  —  liegen.  Ein  initiales 
Erregungsstadium  kommt  etwa  in  5 — 10% 
der  Fälle  vor  und  kann  sich  zuweilen  auf 
zwei  bis  drei  Stunden  ausdehnen.  Andere 
Male  wurde  beobachtet,  dass  nach  abend- 
lichen Gaben  die  vorher  erregten  Kranken 
wachend,  aber  ruhig  stundenlang  im  Bett 
lagen  und  dann  erst  einschliefen. 

Ebenso  wie  die  länger  andauernden 
maniakalischen  Zustände  werden  auch 
die  vorübergehenden  Erregungen  Geistes- 
kranker durch  Hyoscin  sehr  gelindert. 
Epileptiker  und  Hallucinanten,  Para- 
lytische und  andere  Demente  werden  an- 
scheinend gleich  gut  beruhigt.  Ob  bei  den 
Manien  eine  Abkürzung,  bei  den  anderen 
Formen  eine  anhaltende  Besserung  bewirkt 
wird,  konnte  ich  bisher  nicht  zweifellos 
entscheiden.  Dem  dauernd  auffallend  viel 
besseren  Verhalten  zweier  Epileptischen,  die 


tn.  jAhrgang.*! 
AngQst  1888.  J 


Dornblüthy  Ueber  einig«  beruhigende  Mittel  für  Geistetkranke. 


363 


ich  8^.  Z.  in  Brieg  behandelte,  nach  einer 
längeren  Hyoscincur  stehen  andere  Falle 
derselben  Psychose  gegenüber,  wo  kein  der- 
artiger £rfolg  eintrat. 

2.    Codein. 

Die  chemische  Fabrik  von  Knoll  &  Co. 
in  Ludwigshafen  a.  Rh.  hatte  mir  Ende  Ja- 
nuar d.  J.  beliebige  Mengen  ihrer  Codein- 
präparate  zur  Verfügung  gestellt.  Es  sind 
seitdem  in  der  hiesigen  Anstalt  10  g  Codein. 
pur.  und  20  g  Codein.  phosphor.  verbraucht 
worden,  und  wenn  die  Zeit  von  wenigen 
Monaten  auch  selbstverständlich  nicht  aus- 
reicht, um  über  alle  in  Frage  stehenden 
Punkte  ein  ürtheil  zu  gewähren,  so  lässt 
sich  doch  in  mancher  Beziehung  Positives 
angeben. 

Wenn  ich  von  einer  Patientin  absehe, 
bei  der  Gaben  von  0,04  auch  in  Wieder- 
holung nach  zwei  Stunden  ganz  unwirksam 
blieben,  bei  der  aber  auch  Hyoscin  und  an- 
dere Sedativa  auf  eine  triebartige,  verwirrte 
Unruhe  keinen  Einfluss  ausübten,  gestaltete 
sich  bei  genau  verzeichneten  448  innerlichen 
Gaben  der  Effect  wie  folgt: 


Uröme  der  Qabcn 

0,02  0,025 1 0,03 

7              1        7                   j        7 

0,04 

0,05 

0,06 

0,08 

1 .    Beruhigung 
für  8—12  Std. 

74 

2 

4 

165 

2 

68 

22 

2.    Befähigung 
für  ca.  6  Std.  . 

9 

84 

_ 

«■^ 

3.    fieruhiguDg 
für3-4Std.  . 

3 

10 

_ 

1 

_ 

4.    Keine  Wir- 

kung   

1 

1 

— 

2 

Bei    34   subcutanen   Einspritzungen   war 
das  Resultat: 


0,025 

0,03 

0,04 

0,05 

1.    wie  oben    .     .     . 

7 

2 

15 

2 

'i       -        - 

O.        "          "          ... 
^.      —        —        ... 

1 

1 

2 

1 

2 
1 

Die  Gaben  wurden  von  vornherein  etwa 
der  Stärke  des  zu  bekämpfenden  Affectes 
gemäss  gewählt,  die  Einspritzungen  grade 
in  einigen  schwereren  Fällen  versucht,  wodurch 
sich  deren  nach  der  Tabelle  scheinbar  un- 
günstigere Wirkung  erklärt.  Sie  betreffen 
alle  in  der  Irrenanstalt  vorkommenden  Er- 
regungszustände; der  grÖsste  Theil  der  Ga- 
ben von  0,06  und  0,08  ist  2— 3  mal  täglich 
einer  ruhigen  Melancholischen  in  Fortsetzung 
einer  Opiumcur  gereicht  worden.  Die  Wir- 
kung war  noch  besser  als  die  ebenso  häu- 
figer Gaben  von  30  Tropfen  der  Tct.  Op.  spl. 
Bei  den  tobsüchtigen  Erregungszuständen 
wirkt  das  Codein  entschieden  schwächer  als 


das  Hyoscin,  so  dass  ich  das  letztere  zu 
diesem  Zwecke  vorziehen  würde.  Dagegen 
würde  ich  das  Codein  anwenden,  wenn,  wie 
so  offc,  ein  Wechsel  des  Mittels  angezeigt 
erscheint,  femer,  wenn  das  Hyoscin  wirklich 
einmal  Sinnestäuschungen  erzeugen  sollte. 
Ob  Störungen  am  Herzen  das  Codein  mehr 
indiciren  als  das  Hyoscin,  erscheint  für  viele 
Fälle  zweifelhaft,  da  letzteres  nach  Sohrt's*) 
Experimenten  den  Puls,  wenn  überhaupt,  so 
nur  durch  Schwächung  des  henmienden  Yagus 
beeinflusst,  also  nicht  ohne  Weiteres  bei 
Herzleiden  contraindicirt  ist. 

Jener  schwächeren  Wirkung  auf  die  Er- 
regungszustände entspringen  vorzugsweise 
die  ungunstigen  Zahlen  der  Tabelle;  um  so 
besser  ist  der  Einfluss  überall  da,  wo  ängst- 
liche Unruhe,  präcordiale  Sensationen,  Schlaf- 
losigkeit zu  bekämpfen  sind.  Hier  findet 
das  Codein  eine  hervorragende  Anzeige,  um 
so  mehr,  als  eine  Gewöhnung  an  dasselbe, 
analog  dem  Morphinismus,  nach  den  ausge- 
dehnten Beobachtungen  von  Fi  seh  er- Kreuz- 
ungen nicht  stattzufinden  scheint. 

Zur  Injection  eignet  sich  bei  der  Schwer- 
lÖslichkeit  des  reinen  Codein  von  den  von 
mir  benutzten  Präparaten  nur  das  phosphor- 
saure Salz.  Im  Uebrigeft  sind  die  Wirkun- 
gen beider  gleich.  Wenn  man  zur  Lösung 
des  Phosphates  filtrirtes  und  abgekochtes 
destillirtes  Wasser  benutzt  und  auch  sonst 
aseptisch  vorgeht,  bleibt  die  Solution  mo- 
natelang klar  und  verursacht  an  der  Injec- 
tionsstelle  keine  Reizerscheinungen.  Nach 
Mittheilung  der  Fabrik  wird  das  Salz  immer 
frisch  dargestellt,  um  Zersetzungen  vorzu- 
beugen, die  wegen  des  Ueberschusses  an 
Phosphorsäure  befürchtet  werden.     Ich  habe 

der  verlaufenen   kurzen  Zeit   nichts  der- 


in 


artiges  wahrgenommen.  Das  Codein.  pur. 
setzt  seiner  Lösung  einige  Scbwierigkeiten 
entgegen.  Hier  hat  es  sich  bewährt,  0,8 
mit  20,0  Alkohol  etwa  24  Stunden  stehen 
zu  lassen  und  dann  160,0  Wasser  und  20,0 
Himbeersyrup  zuzusetzen,  sodass  ein  Thee- 
löffel  (5  g)  grade  0,02  Codein  enthält.  Der 
bitterlich -brenzliche  Geschmack  ist  dabei 
recht  gut  verdeckt.  Uebrigens  steht  ja  der 
Verordnung  in  Pillen  form  nichts  im  Wege, 
wenn  man  das  Präparat  aus  der  Apotheke 
bezieht. 

Es  erscheint  mir  nicht  zweifelhaft,  dass, 
wenn  die  Kno  IT  sehen  Codeinpräparate  die 
wünschenswerthe  Constanz  bewahren,  der 
Arzneischatz  der  Psychiatrie  damit  eine 
dauernde  Bereicherung  erfahren  wird.  Für 
leichtere  Erregungen  würde  etwa  mit  0,02, 
für    schwerere    mit  0,04    zu   beginnen   sein. 

')  Sohrt,  Pharmakotherapeutische  Studien  über 
das  Hyoscin.    Dissertation,  Dorpat  1886. 

46* 


364 


Hevzogt  Anwendung  der  Sozojodolprftparate  bei  Nasen-  und  HalsafTectlonen.        [M^^lushefte. 


Die  unaDgenebmen  EmpfiDdungen,  über  wel- 
cbe  nacb  Cbloral-  oder  Morpbiumgaben  am 
näcbsten  Tage  so  oft  geklagt  wird,  blei- 
ben auch  bei  grösseren  Codeindosen  voll- 
kommen aus.  Auch  sonstige  unerwünschte 
Nebenwirkungen  sind  uns  bisher  nicht  vor- 
gekommen. 


lieber  Anweudung'  der  Sozojodolpräpa- 
rate  bei  Nasen-  liud  Halsaffectlouen. 

Von 

Dr.  Josef  Herzog, 

Specialarzt  fUr  Hals-  und  Nasenkrankheiten  in  Qraz. 

Noch  immer  gilt  die  Anwendung  der 
Nasendouche,  mag  nun  eine  Kasen-Rachen- 
affection  so  oder  so  heissen,  als  die  belieb- 
teste therapeutische  Maassnahme.  Haben  die 
Kranken  wenig  oder  gar  keine  Luft  durch 
die  Nase,  ist  die  Secretion  vermehrt  oder 
vermindert,  wenn  nicht  ganz  aufgehoben,  ist 
endlich  das  Secret  schleimig  oder  fötid,  in 
allen  diesen  Fällen  soll  das  Salzwasser  in 
Form  der  Douche  die  Heilung  herbeiführen. 
Dem  ist  aber  bei  weitem  nicht  so.  Wie 
ich  schon  an  anderer  Stelle  ganz  ausdrück- 
lich betonte^),  kann  die  Douche  nie  ein 
Heil-,  stets  nur  ein  Reinigungsmittel  sein. 
Es  ist  wahr,  dass  sich  die  Mehrzahl  der 
Kranken  nach  Anwendung  der  Salzwasser- 
douche  für  einige  Zeit  erleichtert  fühlen ; 
doch  geheilt  werden  sie  nimmer,  und  sobald 
sie  aufhören  zu  douchen,  stellt  sich  bald 
wieder  ihr  früherer  Zustand  ein.  Ausserdem, 
dass  die  Douche  für  gewisse  Nasenaffectionen 
nicht  nur  nichts  nützt,  kann  dieselbe  aber 
auch  unter  Umständen  recht  gefährlich 
werden. 

Nach  meinen  Erfahrungen  bringt  die 
Nasendouche  nur  dann  Nutzen,  wenn  sie  bei 
copiösen,  ziehenden  oder  gar  eitrigen  Sc- 
ore ten  oder  bei  der  fötiden  Form  des  chron. 
Nasenkatarrhes  (Ozaena)  in  Anwendung  ge- 
zogen wird;  ich  vermeide  sie  daher  sowohl 
bei  den  acuten  und  chron.  einfachen  Nasen- 
katarrhcu  als  auch  bei  den  Retronasalka- 
tarrhen,  worunter  ich  eine  acute  oder  chron. - 
katarrhalische  Affection  des  Nasenrachen- 
raumes verstehe,  an  welcher  sich  die  Nasen- 
höhlen nur  insofern  betheiligen,  als  die  hin- 
teren Muschel  enden  mit  afficirt  sind.  Ich 
entbehre  die  Nasen  douchen  in  diesen  Fällen 
um  so  leichter,    als    ich    durch   die  Anwen- 

*)  Herzog,  Der  acute  u.  chron.  Nasenkatarrb 
etc.  Graz  1886. 


düng  der  Borsäure  und  in  neuester  Zeit 
der  Sozojodolpräparate  so  ausgezeich- 
nete Resultate  erzielen  konnte. 

Von  der  Application  des  Jodols,  welches 
bekanntermassen  von  Seifert  als  Ersatz- 
mittel des  Jodoforms  eingeführt  wurde,  bin 
ich  bei  einfachen  Rhinitiden  resp.  Retronasal- 
katarrhen  ganz  abgekommen  und  verwende 
es  nunmehr  bei  Naseneiterungen,  wo  ich 
mit  dem  Erfolg  recht  zufrieden  war,  weniger 
beim  chron.  fötiden  Nasenkatarrhe;  freilich 
erreicht  das  Jodol,  wie  ich  offen  gesteben 
muss,  lange  nicht  vollkommen  den  Werth 
des  Jodoforms;  doch  verbietet  in  sehr  vielen 
Fällen  der  intensive  Geruch  des  letzteren, 
der  nicht  nur  die  Kranken,  sondern  auch  die 
Umgebung,  ja  die  ganzen  Wohnräume  in 
arger  Weise  belästigt,  leider  seine  Anwen- 
dung. 

Die  Borsäure,  welche  ich  schon  circa 
4  Jahre  pure  in  Form  von  Insufflationen  ver- 
wende, leistete  mir  gerade  bei  einfachen 
Rhinitiden  und  den  Retron asalkatarrhen  stets 
ganz  vortreffliche  Dienste,  und  ich  kann  nur 
PöscheTs  Mittheilungen  (Zur  Behandlxmg 
der  Erkrankungen  des  Nasenrachenraumes; 
Münch.  Med.  Wochenschrift  1888  pag.  233), 
nach  denen  er  dieselbe  seit  zwei  Jahren  in 
Fällen,  wo  Douche  etc.  vergebens  angewendet 
worden,  mit  bestem  Erfolge  in  Anwendung 
bringt,  vollinhaltlich  bestätigen. 

Vor  mehreren  Monaten  wurden  mir  aus 
der  chemischen  Fabrik  von  H.  Trommsdorff 
(Erfurt)  in  liebenswürdiger  Weise  eine  grös- 
sere Menge  von  Sozojodolpräparaten  zur  Er- 
probung bei  meinen  Nasen-  und  Halskranken 
zur  Verfügung  gestellt  und  ich  werde  mir 
nun  erlauben,  meine  diesbezüglichen  Erfah- 
rungen, die  ich  bei  über  100  Kranken  — 
bei  65  Kranken  konnte  der  Verlauf  ganz 
genau  notirt  werden  —  gemacht  habe,  mit- 
zutheilen. 

„Das  Sozojodol  (vergl.  Mittheilung,  d. 
61.  Vers.  Deutscher  Naturforscher  und  Aerzte, 
Cölu  1888)  vereinigt  in  sich  mehrere  ein- 
zelne au  und  für  sich  schon  als  werthvolle 
Antiseptica  bekannte  Stoffe,  nämlich  Jod  52,8, 
Phenolrest  20  %  und  7  %  Schwefel  in  Form 
von  Sulfosäure." 

Die  Sozojodolpräparate  sind  die  sauren 
Salze  der  Dijodparaphenolsulfosäure" 

Cg  Hjj —    -OH 
-     SO3 II 

Von  mir  kamen  in  Verwendung  das  So- 
zojodol-Natrium,  das  Sozojodol-Kalium,  das 
Sozojodol-Zink  und  das  Sozojodol-Queck- 
silber.  Im  Beginne  meiner  Versuche  ver- 
w^endete  ich  beide  ersten  Präparate  pure; 
jedoch  bald  erwies  sich  mir  eine  Verreibung 


ni.  Jahrgang.*! 
Augnst  1889.  J 


Hersofif,  Anwendungr  der  Sozojodolpräparate  bei  Nasen-  und  HalsafTectionen. 


365 


mit  Tale,  venet.  und  zwar  aa  als  erspness- 
licher.  Das  Zink-  und  Quecksilberpräparat 
wurde  von  vornherein  gleich  verdünnt  ange- 
wendet, da  dieselben  pure  absolut  zu  reizend 
wirken  würden. 

Das  Hydrargyrum  sozojodolicum 
repräsentirt  sich  als  äusserst  feines  orange- 
gelbes Pulver  und  enthält  31,2%  Queck- 
silber und  38  %  Jod.  Dasselbe  wurde  von 
mir  in  Salbenform  1  :  50  Lanolin  bei  Wund- 
sein,  Ejccoriationen,  Rhagaden-  und  Ekzem- 
bildiingen  an  den  Naseneingängen  mit  so  * 
ausgezeichneten  Erfolgen  in  Anwendung  ge- 
bracht, dass  ich  in  diesen  Fällen  statt 
der  von  mir  durchwegs  mit  recht  guten 
Erfolgen  verwendeten  gelben  Präcipitat salbe 
(vergl.  meine  Arbeit:  Das  Ekzem  am  Nasen- 
eingange, Archiv  für  Kinderheilkd.  IX.  Bd.) 
künftighin  nunmehr  das  Ung.  Hydrarg.  sozo- 
jodolic.  appliciren  lassen  werde. 

14  Kranke  wurden  von  mir  mit  dieser 
Salbe  behandelt  und  bei  10  konnte  ich 
mich  persönlich  von  dem  guten  Erfolge 
überzeugen;  derartige  Affectionen  am  Nasen- 
eingange, welche  wochenlang  vergeblich  be- 
handelt wurden,  heilten  bei  regelrechter  An- 
wendung binnen  3  bis  12  Tagen  vollkommen 
ab.  Die  Heilung  scheint  mir  unter  dieser 
Medication  entschieden  eine  raschere  zu  sein, 
als  bei  den  bisher  geübten. 

Weniger  zufrieden  war  ich  mit  dem 
Quecksilbersalz  in  der  Form  von  Insufflatio- 
nen  in  die  Nase  in  der  Verdünnung  1  :  20 
und  1  :  10.  Bei  Naseneiterungen,  wo  ich 
es  versuchte,  nahm  die  Eiterung  wohl  ab, 
doch  den  gleichen  Effect  erzielte  ich  eben- 
falls mit  Jodol  und  Borsäure  und  auf  viel 
weniger  schmerzhafte  Weise ,  indem  die 
Sozojodolquecksilber  -  Einstäubungen  selbst 
in  der  Verdünnung  1  :  20  —  eine  grössere 
Verdünnung  hätte  keinen  Erfolg  —  ent- 
schieden zu  stark  reizen.  Tuberculöse  und 
syphilitische  Ulcerationen  am  Septum  narium, 
in  welchen  Fällen  Seifert  (üeber  Sozojodol- 
präparate, Miinch.  Med.  Wochenschrift  1888 
No.  47)  recht  zufriedenstellende  Erfolge  ge- 
sehen hat,  standen  mir  derzeit  gerade  nicht 
zur  Verfügung. 

Damit  will  ich  jedoch  jetzt  noch  nicht 
über  diese  Quecksilberverbindung  ganz  den 
Stab  gebrochen  haben;  ich  werde  jedenfalls 
die  Versuche  noch  weiter  fortsetzen,  und 
vielleicht  finden  sich  Formen  von  hierherge- 
gehörigen  Krankheiten,  wo  sie  mit  Nutzen 
verwendet  werden  können. 

Das  Zincum  sozojodolicum,  in  Form 
von  farblosen  Krystal Inadeln  (6,8  %  Zink), 
wurde  von  mir  in  der  Verdünnung  von 
1 — 2  :  10  im  Beginne  meiner  Versuche  bei 
allen   Formen    von    chron.  Bhinitis    in    An- 


wendung gezogen;  doch  bald  kam  ich  zur 
Ueberzeugung,  dass  es  sich  nur  in  jenen 
Fällen,  wo  es  sich  um  sogenannte  trockene 
Katarrhe  handelte,  recht  gut  bewährte,  in- 
dem es  die  Secretion  anregte  und  zugleich 
eine  geringe  Abnahme  des  Volumens  der 
Muschelschleimhaut  bewirkte.  Handelte  es 
sich  um  fötide  Formen,  so  konnte  auch  bei 
seiner  Verwendung  eine  auffallende  Besse- 
rung des  fötiden  Geruches  constatirt  und 
konnte  die  Anwendung  der  Douche  auf  ein 
Minimum  reducirt  werden.  Wer  da  weiss, 
welche  Quantitäten  von  Flüssigkeit  mit  dem 
Zusatz  von  irgend  einer  desinficirenden  Sub- 
stanz in  früherer  Zeit  mittelst  des  Irriga- 
teurs  durch  die  Nasen  gänge  hin  durch  ge- 
trieben wurden,  um  nur  halbwegs  eine  Rei- 
nigung der  Nasenhöhlen  resp.  des  Nasen- 
rachenraumes zu  erzielen,  wird  den  Werth 
dieses  Präparates  schätzen  lernen. 

Am  besten  zufrieden  war  ich  mit  den 
Erfolgen  bei  Anwendung  vom  Natrium  so- 
zojodolicum, noch  mehr  vom  Kalium 
sozojodolicum;  ersteres  bildet  feine  weisse 
krystallinische  Nadeln,  letzteres  farblose 
dicke  nadeiförmige  Prismen  (54  %  Jod).  Da 
beide  Salze  in  ihrer  Wirkungsweise  nahezu 
übereinstimmen,  so  können  sie  in  Einem  ab- 
gehandelt werden.  Die  Gebrauchsweise  war 
1   zu   1  Thl.  Tale,  venet.  also  aa.  p.  ä. 

Von  grossem  Werth  waren  mir  diese 
Präparate  sowohl  bei  den  einfachen  chron. 
Rhiuitiden  als  auch  bei  den  sog.  Retrona- 
salkatarrhen,  indem  bei  ihrer  Application 
nicht  nur  die  wässerig-schleimige  oder  selbst 
eitrig-schleimige  Secretion  abnahm,  sondern 
auch  die  Schwellung  der  Nasenschleimbaut 
—  Schwellkörper  —  so  günstig  beeinflusst 
wurde,  dass  die  Patienten  in  kurzer  Zeit 
eine  für  die  Luft  passirbare  Nase  bekamen 
und  dass  ich  nur  bei  sehr  starken  Schwel- 
lungen ab  und  zu  mit  Milchsäure,  Chrom- 
säure ätzen  oder  zum  Galv an ok auter  greifen 
musste.  Auch  in  zwei  Fällen  von  Laryngitis 
tuberculos.  mit  Geschwürsbildung  versuchte 
ich  Insufflationen  mit  Sozojodol-Kalium  (l  :  l) 
und  konnte  ein  auffallend  schnelles  Rein- 
werden der  Geschwüre  und  Verflüssigung 
des  zähen  Secretes  bemerken,  was  ich  von 
der  Anwendung  der  Borsäure  nicht  so  ganz 
sagen  kann.  Eine  Beeinflussung  des  tuber- 
culösen  Processes  war  nicht  erkennbar,  was 
auch  bei  der  Kürze  der  Zeit  kaum  möglich 
war,  doch  die  Stimme  wurde  wie  gesagt 
reiner,  das  Sprechen  leichter  und  was  den 
Kranken  vor  allem  angenehm  war,  so  konn- 
ten sie  den  Schleim  leichter  herausbeför- 
dern. Was  die  Dosirung  betrifft,  so  habe 
ich  dieselbe  bei  Besprechung  der  einzelnen 
Präparate  schon  erwähnt.    Es  erübrigt  somit 


366 


Köhler»  Elo  Taschenlnigator. 


rTherapcutiflcb« 
L  Moiuitsh«ftew 


noch  anzugeben,   in  welchen  Intervallen  die 
Application  zu  erfolgen  hat. 

Die  Beantwortung  dieser  Frage  hat  seine 
Schwierigkeit;  denn  dieselbe  ist  einerseits 
von  der  Art  und  andererseits  vom  Grade 
der  Erkrankung  abhängig.  Es  giebt  Fälle, 
wo  diese  Insufflationen  täglich,  andere,  wo 
sie  jeden  2.  oder  3.  Tag  gemacht  werden 
müssen.  Bei  Uebemahme  eines  derartigen 
Kranken  ist  es  gut,  wenn  er  sich  im  Be- 
ginne der  Cur  täglich  oder  wenigstens  alle 
2  Tage  dem  Arzte  vorstellt,  damit  sich  letz- 
terer durch  eine  genaue  rhinoskopische  Un- 
tersuchung von  der  Wirkung  des  Medica- 
mentes,  dem  Stande  der  Schleimhautaffection 
überzeugen  kann,  um  das  Weitere  zu  ordiniren. 

Da  es  aber  Fälle  giebt,  wie  z.  B.  beim 
chron.  fötiden  Nasenkatarrhe,  wo  eine  täg- 
liche Application  des  Pulvers  wünschens- 
werth  erscheint,  man  jedoch  derartigen 
Kranken  aus  naheliegenden  Gründen  nicht 
zumuthen  kann,  täglich  sich  beim  Arzte 
durch  Wochen  oder  Monate  einzufinden  oder 
bei  auswärts  wohnenden  Kranken,  so  habe 
ich  dieselben  instruirt,  wie  sie  diese  In- 
sufflationen  zu  machen  haben  und  Hess  mir 
zu  diesem  Zwecke  von  Herrn  Eger  (Glas- 
bläser, Maiffredygasse  No.  10)  einen  kleinen 
Apparat,  bestehend  aus  zwei  Glasröhren, 
welche  durch  einen  Gummischlauch  in  Ver- 
bindung stehen,  anfertigen.  Das  grossere 
Glasrohr  endigt  schaufeiförmig  zum  Auf- 
fassen des  Pulvers,  darüber  wird  das  eine 
Ende  des  Schlauches  gezogen.  Dieses  Rohr 
wird  in  die  Kasenöfifnung  gebracht,  währenc^ 
der  Kranke  das  zweite  Glasrohr  am  anderen 
Ende  des  Schlauches  in  den  Mund  zu  neh- 
men und  durch  dasselbe  kräftig  zu  blasen  hat. 

Damit  aber  durch  diese  Manipulationen 
kein  planloses  Insuffliren  Platz  greift,  wie 
es  leider  beim  Gebrauche  der  Douche  so 
oft  geschieht,  so  wird  dem  Kranken  strenge 
aufgetragen,  sich  an  bestimmten  Tagen  dem 
Arzte  behufs  Untersuchung  und  Feststellung 
für  weitere  therapeutische  Eingriffe ,  wie 
Wechsel  des  Pulvers,  Art  und  Weise  der 
Anwendung,  Pinselungen,  Kauterisationen  etc., 
vorzustellen.  Fassen  wir  zum  Schlüsse, 
das  über  die  Sozojodolpräparate  Gesagte  zu- 
sammen, erwägen  wir,  wie  unter  deren  Ge- 
brauche die  Schleimhautschwellungen  in  ganz 
aufifallender  Weise  abnehmen,  die  Secrete 
ihre  Zähigkeit  verlieren,  je  nach  Wahl  der 
Präparate  die  Secretion  reducirt  oder  angeregt 
wird,  femer  wie  der  üble  Geruch  bedeutend 
abnimmt,  wenn  auch  oft  nicht  ganz  ver- 
schwindet, wie  endlich  Hautafifectionen  in 
den  Nasen eingän gen  unter  der  Anwendung 
von  Sozojodolquecksilbersalbe  in  kurzer  Zeit 
geheilt  werden  können,   so   müssen   wir  uns 


eingestehen,  dass  durch  Einführung  dieser 
Präparate  in  die  Therapie  der  Erkrankungen 
der  Nase  und  des  Halses,  letztere  nicht  nur 
eine  sehr  schätzenswerthe  Bereicherung,  son- 
dern auch  Vereinfachung  erfahren  hat. 


Etik  Taschenirrisrator. 


Von 


Dr.  P.  Köhler  in  Magdebarg. 

Nach  zahlreichen  mehr  oder  weniger  miss- 
glückten Versuchen  habe  ich  mir  jetzt  fol- 
genden, leicht  in  der  Tasche  zu  transporti- 
renden  Irrigator  hergestellt: 

Ein  gewöhnlicher  dünner  Gummischlauch 
(S)  mit  einer  hörnernen  spitzen  Ansatzspitze 
(Sp).  —  Das  Knie  (K)  besteht  aus  gewöhn- 
lichem dünnem  Bleche,  das  ich  mit  einer 
Scheere   nach  Fig.  2    geschnitten   habe;    die 

b 


Pig.i. 


Fig.  1. 


Vorsprünge   aa  bb  cc  werden   senkrecht  zur 
Längsachse    so    umgebogen,    dass    sich    die 
Spitzen   derselben   entgegenstehen,       ^    ^ 
sodann  wird  das  ganze  Blechstück    ^\     i^ 
der  Längsachse  nach  halbkreisförmig         K 
gebogen    und    der    Schlauch    zwischen    den 
Spitzen    hindurch    der   Länge  nach   darüber 
fortgezogen.    Ueber  das  Ende  des  Schlauches 
ist  dann  noch    ein  Stückchen    einer  starken 
Glasröhre  Gl    fortgezogen  (damit  das  Ende 
am  Boden  liegen  bleibt!). 

Ich  fülle  mir  den  Schlauch  an  meinem 
Sprechzimmerirrigator  mit  Sublimatlösung, 
stecke  die  Spitze  des  Ansatzrohres  in  das 
mit    dem    Glasstück    beschwerte  Ende    des 


III.  Jahrg&ng.l 
AngOBi  1889.  J 


Schulz,  Die  Zerlegung  von  Jodkalium  durch  Kohlensäure. 


367 


Schlauches  recht  fest  hinein  und  trage  dann 
das  Ganze  bequem  in  der  Tasche.  Will 
ich  den  Irrigator  dann  auswärts  benutzen, 
so  mache  ich  mir  in  irgend  einem  Gefass 
(Flasche,  Topf,  Napf  o.  a.)  die  desinficirende 
Losung  zurecht,  ziehe  die  Homansatzspitze 
aus  dem  Schlauchende  heraus,  tauche  letz- 
teres in  die  Desinfectionsflüssigkeit  und  der 
Irrigator  ist  zum  Gebrauch  fertig.  Das 
Blechknie  hat  vor  den  ursprünglich  be- 
nutzten Glasrohrknieen  die  zwei  Vorzüge: 
erstens  zerbricht  es  nicht  in  der  Tasche, 
zweitens  kann  man  das  in  die  Desinfections- 
flüssigkeit tauchende  Ende  des  Schlauches 
je  nach  der  Tiefe  des  benutzten  Gefässes 
beliebig  verlängern  oder  verkürzen,  so  dass 
das  Schlauchende  immer  am  Boden  ist. 


Die  Zerlegung  von  Jodkalluin  durch 

Kohlensäure. 

Von 

Dr.  Hugo  Schulz  in  Greifswald. 

Im  Julihefte  dieser  Zeitschrift  haben 
Röhmann  und  Malachowski  in  einem 
Aufsatze  über  Entstehung  und  Therapie  des 


acuten  Jodismus  auch  der  Versuche  Er- 
wähnung gethan,  die  ich  1882  im  Bonner 
pharmakologischen  Institut  über  die  Zer- 
legung von  Chloriden,  Bromiden  und  Jodiden 
angestellt  habe*).  Ich  kann  zu  den,  von  R. 
und  M.  gefundenen,  von  den  meinigen  ab- 
weichenden Resultaten  nur  bemerken,  dass 
ich  die  Versuche  mit  Jodkalium  in  den  letzten 
Tagen  aus  Anlass  der  Leetüre  des  obengenann- 
ten Aufsatzes  wiederholt  und  genau  denselben 
Befund  erhalten  habe,  wie  vor  7  Jahren.  Das 
von  mir  benutzte  Jodkalium  war  frei  von 
Jodsäure.  Die  Sache  ist  damit  für  mich  er- 
ledigt, nur  mochte  ich  mir  erlauben,  meinen 
Zweifel  auszusprechen,  ob  die  Herren  R. 
und  M.  meine  Arbeit  im  Original  gelesen 
haben.  Erstens  nämlich  habe  ich  nie  be- 
hauptet, dass  eine  Methyiviolettlosung  mit 
Jodkalium  versetzt  durch  Kohlensäureein- 
leiten sich  „grün"  färbe,  und  zweitens  ist 
das,  Seite  305  „genau  nach  Schulz"  vor- 
genommene Verfahren  auch  nicht  dem  Original 
entsprechend,  wovon  die  Herren  R.  und  M. 
sich  mit  leichter  Mühe  durch  die  Leetüre 
meiner  Arbeit  werden  überzeugen  können. 


1)  Pflüger's  Archiv  1882,  XXVII. 


Neuere  Arzneimittel. 


IJeher  Hyosciu. 

Von 

Dr.  S.  Rabow. 

Das  Hyoscin  ist  in  neuerer  Zeit  i'echt 
oft  Gegenstand  eingehender  Erörterungen 
und  Beobachtungen  gewesen  und  auch  in 
unserer  Zeitschrift  wiederholt  besprochen 
worden.  Bei  der  grossen  Bedeutung,  die  diesem 
Mittel  zukommt,  scheint  es  uns  zweckmässig, 
noch  einmal  auf  dasselbe  an  dieser  Stelle 
zurückzukommen  und  die  wesentlichsten 
hierauf  bezüglichen  Punkte  hervorzuheben. 

Bekanntlich  ist  das  Hyoscin  zuerst  von 
Ladenburg  im  Jahre  1880  aus  Hyoscyamus 
und  der  bei  der  Hyoscyaminbereitung  zurück- 
bleibenden Mutterlauge  dargestellt  worden. 
Bald  darauf  wurde  das  Alkaloid  von 
Edlefsen  und  Illing,  Gnauck,  Hirsch- 
berg, Emmert^  Fraentzel  u.  A.  in  Form 
seines    salzsauren  oder    jodwasserstofFsauren 


Salzes  therapeutisch  mit  mehr  oder  minder 
günstigem  Erfolge  verwendet,  ohne  in  wei- 
teren Kreisen  besondere  Beachtung  zu  finden. 
Seitdem  jedoch  Kobert  und  Sohrt,  gestützt 
auf  experimentelle  und  klinische  Untersu- 
chungen, auf  den  grossen  Werth  dieses 
Mittels  bei  der  Behandlung  verschiedener 
Affectionen  des  centralen  Nervensystems  auf- 
merksam gemacht  und  auch  Erb  seine  Wirk- 
samkeit in  verschiedenen  Fällen  erprobt 
hatte,  ist  das  Mittel  an  vielen  Orten  ange- 
wendet und  sein  Werth  ziemlich  überein- 
stimmend anerkannt  worden.  Das  Hyoscin 
kann  somit  als  eine  wirkliche  Bereicherung 
unseres  Arzneischatzes  angesehen  werden. 

Es  ist  gegen  die  verschiedenartigsten 
Leiden,  wie  Asthma,  Keuchhusten,  Enteral- 
gie,  als  Mydriaticum,  Antiepilepticum,  gegen 
die  Schweisse  der  Phthisiker,  ferner  gegen 
Chorea,  Paralysis  agitans,  Tremor  und  Auf- 
regungszustände  der  Geisteskranken  empfohlen 
worden. 


L 


368 


Rabow,  Ueber  Hyoscin. 


rlienpeatisdb« 
Monatabefte. 


Ohne  dass  bisher  ein  in  die  Augen 
springender  Unterschied  ihrer  Wirkung  be- 
kannt geworden,  kommen  gegenwärtig  die 
folgenden  3  Salze,  Hyoscinnm  hydrobromicum, 
Hyoscinam  hydrojodicum  und  Hyoscinum 
hydrochloricum  im  Handel  vor. 

In  physiologischer  Beziehung  nähert 
sich  das  Hyoscin  in  seiner  Wirkung  dem 
Atropin.  Wie  letzteres  wirkt  es  erweiternd 
auf  die  Pupille  und  vermindert  die  Schweiss- 
und  Speichelsecretion. 

lieber  den  Einfluss  auf  Puls  und  Respi- 
ration gehen  die  Ansichten  noch  auseinander. 
Dagegen  steht  es  fest,  dass  das  Rückenmark 
nicht  besonders  beeinflusst  wird,  ebensowenig 
die  elektrische  Erregbarkeit  der  motorischen 
Zone  des  normalen  Hundegehirns. 

Zur  therapeutischen  Verwendung 
kommen  die  3  oben  angeführten,  in  Wasser 
leicht  löslichen,  geschmack-  und  geruchlosen 
Salze.  Sie  werden  entweder  subcutan  oder 
in  wässeriger  Losung  per  os  verabreicht.  Die 
Dosis  schwankt  von  0,0002  pro  dosi  bis 
zu  0,002  pro  die. 

Bei  Nervenaffectionen,  wie  Chorea,  Para- 
lysis  agitans  etc.  sind  kleinere  Dosen 
(0,2 — 0,3  mg)  angezeigt  als  bei  ausgespro- 
chenen Geisteskrankheiten.  Bei  letzteren 
kommt  es  weit  weniger  als  Heilmittel,  denn 
als  Beruhigungs-  und  Schlafmittel  in  Be- 
tracht. —  Wenn  man  auch  mit  einer  ent- 
sprechend starken  Hyoscindosis  bei  allen 
aufgeregten  Geisteskranken  mehrstündigen 
Schlaf  erzielen  kann,  so  habe  ich  mich  mit 
dieser  An wendungs weise  niemals  recht  be- 
freunden können.  Zur  Erzeugung  von  Schlaf 
in  dergleichen  Fällen  mochte  ich,  aus  hier 
nicht  zu  erörternden  Gründen,  anderen 
Hypnoticis  entschieden  den  Vorzug  geben. 
Dagegen  räume  ich  dem  Hyoscin  unbe- 
dingt den  ersten  Platz  ein,  wo  es  sich 
um  einfache  Beruhigung  aufgeregter, 
chronischer  Geisteskranken  handelt. 

Hier  feiert  das  Mittel  geradezu  seine 
Triumphe.  Tobsüchtige  Irre,  die  beständig 
isolirt  werden  mussten  und  auf  andere  Be- 
ruhigungsmittel wenig  oder  gar  nicht  rea- 
girten,  beruhigten  sich  auf  eine  minimale 
Dosis  Hyoscin  (^3 — V«  ™6)  auffallend  schnell, 
ohne  dass  dabei  störende  Nebenwirkungen 
in  Betracht  kamen.  Dabei  habe  ich  mich 
fast  niemals  der  schmerzhaften  Injectionen 
bedient,  sondern  das  Mittel  beinahe  immer 
in  wässeriger  Losung  per  os  verabfolgt  und 
zwar  reichte  ich  es  in  folgender  Form: 

IV    Hyoscin.  hydrojod.        0,01 
Aq.  destill.  10,0. 

■ 

Davon  als  erste  Dosis  gewohnlich 
8  Tropfen  (=  ^/s  ^?)  ^^  Wasser,  Milch  oder 


Wein.  Das  geruch-  und  geschmacklose 
Mittel  wurde  ausnahmslos  gern  genommen 
und  gut  vertragen.  Eine  Gewöhnung  trat 
wohl  ein,  aber  nur  langsam;  alsdann  wurde 
die  Dosis  allmählich  auf  12  Tropfen  (^/^  mg) 
erhöht.  Nur  in  ganz  seltenen  Fällen  war 
ich  nach  4  —  6  Wochen  genöthigt,  bis  auf  16 
1^3  '^g)  ^^^  20  Tropfen  (^/ß  mg)  zu  geben. 
Ein  chronischer  Maniacus  erhielt  6  Wochen 
hindurch  jeden  Morgen  Va  ™S  und  konnte 
auf  diese  Weise  ruhig  unter  den  anderen 
Kranken  weilen.  Wurde  das  Mittel  ver- 
suchsweise einmal  ausgesetzt,  so  war  Iso- 
lirung  unerlässlich.  Denselben  Kranken  mit 
Sulfonal  luhig  zu  halten,  waren  stets 
4,0 — 6,0  Sulfonal  pro  die  noth wendig. 

Bei  Epilepsie  leistete  Hyoscin  mir  gar 
nichts,  die  Zahl  der  Anfälle  blieb  unverän- 
dert, dagegen  wurden  die  Aufregungszustände 
der  Epileptiker  mit  '/g — ^l^  mg  wirksam  be- 
kämpft. 

Auf  die  Angstzustände  der  Melan- 
choliker hatte  das  Mittel  gar  keinen  Ein- 
fluss. Mitunter  konnte  sogar  eine  Steigerung 
der  Hallucinationen  wahrgenommen  werden. 
Ebenso  war  bei  den  Angstzuständen  der 
Alkoholiker  kein  sichtbarer  Nutzen  einge- 
treten. Dagegen  war  der  Erfolg  in  einem 
Falle  von  Delirium  tremens  ein  überraschend 
günstiger.  Pat.,  der  vorher  lärmend  und 
tobend  umherrannte,  beständig  nach  Ratten 
und  Mäusen  haschte,  wurde  eine  halbe 
Stunde  nach  Einnahme  von  16  Tropfen  der 
Hyoscinlösung  (^/a  mg)  ruhig  und  blieb  auch 
fortan  ruhig. 

Ueber  die  Wirkung  bei  anderen  Affec- 
tionen  fehlt  es  mir  an  aasreichenden  eigenen 
Erfahrungen. 

Nach  recht  zahlreichen  Beobachtungen 
möchte  ich  aber,  in  Uebereinstimmung  mit 
vielen  anderen  Autoren,  das  Hyoscin  bei 
aufgeregten  lärmenden  Geisteskranken  als 
eines  der  vorzüglichsten  Beruhigungs- 
mittel empfehlen.  Als  Schlafmittel  möchte 
ich  es,  wegen  der  verhältnissmässig  grossen 
Dosis  (20 — 25  Tropfen)  die  hierzu  erforder- 
lich, nur  ausnahmsweise  angewendet  sehen. 
Die  innere  Verabreichung  scheint  mir  vor 
der  subcutanen  in  den  meisten  Fällen  den 
Vorzug  zu  verdienen.  Abgesehen  von  man- 
chen anderen  Unbequemlichkeiten,  kommen 
die  Patienten  —  bei  längere  Zeit  fortgesetz- 
tem Gebrauch  —  durch  die  interne  Appli- 
cation körperlich  nicht  so  herunter,  wie 
durch  die  subcutane. 

Von  Nebenerscheinungen  habe  ich,  gleich 
anderen  Beobachtern,  zuweilen  Trockenheit 
im  Halse,  Durstgefühl,  Leibweh,  Mydriasis  etc. 
bei  lange  fortgesetztem  Gebrauche  des  Hyos- 
cins  wahrgenommen. 


m.  Jahrgang'.'! 
Angtut  1889.  j 


Rabow,  Ueber  Hyoscin. 


369 


Beängstigende  ErsdieinuDgen,  wie  heftiger 
Schwindel ,  Blässe  etc.  traten  bei  meinen 
bescheidenen  Dosen  niemals  ein.  Ich  bin 
niemals  über  0,002  pro  die  hinausgegangen. 

LittercUur, 

Sdlefsen  und  lUing:  üeber  die  Wirkung  des 
Hyoscin.  hjdrojodicum  und  hydrochloric.  (La- 
denburg). Centi-albl.  für  die  med.  Wiss.  1881 
No.  23. 

Gnauck:  Ueber  die  Wirkung  des  Hyoscin.  Ibid. 
1881  No.  45. 

Derselbe:  Ueber  Hyoscin  bei  Geisteskranken. 
Clmrite-Ann.    Bd.  VII. 

Hirschberg:  Hyoscin  i.  d.  Augenhlk.  Centrbl. 
für  Augenheil k.    Juni  1881. 

fimmert:  Hyoscin.  hydrojod.  Arch.  f.  Augcnhcilk. 
1881  Bd.  11. 

Glaussen:  Hyoscin.  hydrojod.  und  bromic. 
Dissert.    Kiel  1883. 

l**raentzel,  0.:  Ueber  Hyoscin  gegen  Nacht- 
schweisse  der  Phthisiker.   Charitc-Annal.  1883. 

Wood  und  Hard:  Hydrobromate  of  Hyoscine  as 
a  Hypnotic  in  Insanity.  Therap.  Gaz.  Febr. 
1885. 

Petersen  andLangdon:  New- York  Med.  Rocord. 
September  1885. 

Mann:    Philad.  med.  Bulletin.    Aug.  188G. 


Sohrt:  Pharmakol.  Studien  über  Hyoscin.  Dissert. 
Dorpat  1886. 

Haynes  u.  John:    Therap.  Gaz.    Sept.  1886. 

Root:    Therap.  Gaz.  1886. 

Hamaker:    Therap.  Gaz.    Nov.  1886. 

Bruce:    Practik.    Nov.  1886. 

Kobert:  Ueber  die  Wirkungen  des  salzs.  Hyos- 
cins.  Archiv  für  cxperim.  Path.  und  Pharm. 
Bd.  XXII  1887. 

Erb:    Ueber  Hyoscin.  Therap.  Monatsh.   Juli  1887. 

Kobert:    Ueber  Hyoscin.    Ibid.    Juli  1887. 

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Schleussner:  Ueber  Hyoscin.  Dissert.  Strass- 
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Salgo:  Hyoscin  u.  Sulfonal.  Wien.  med.  Wochen- 
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Konrad:    Centrbl.  für  Nervenhk.    1888  No.  18. 

Mieth:  Hyoscin  u.  Hyoscyamin  in  der  Psychatr. 
Dissert.    Leipzig  1888. 

Dornblüth:   Berl.  klin.  Wochonschr.   1888  No.  49. 

Kny:    Berl.  klin.  Wochenschr.    1888  No.  50. 

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Klinke:  Hyoscin  bei  Geistoskrankh.  Central blatt 
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J.  Seglas:  De  Temploi  de  Thyoscine  dans  les 
maladies  mentales  et  nerveuses.  Le  Progrbs 
med.    1889  No.  24. 

Umpfenbach:  Therap.  Mittbeil.  Therap.  Monats- 
hefte.   Juni  1889. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Dritter  deutscher  Gynäkologencongress 
zu  Freiburg,  12.-14.  Juni  1889. 

Originalbericht  von  R.  Schaeffcr  (Berlin). 

Trotz  seiner  peripherischea  Lage  hatte 
Freiburg  eine  so  grosse  Anziehungskraft  aus- 
zuüben vermocht,  dass  mehr  als  70  deutscher 
Gynäkologen  zusammengeströmt  ^'aren,  und 
nur  wenige  hervorragende  Namen  vermisst 
wurden.  Die  Schweiz  war  durch  Fehl  in g 
und  Wyder  vertreten,  den  weitesten  "Weg 
hatte  Eüstner  aus  Dorpat  zurücklegen 
müssen.  Die  Leitung  des  Congresses  hatte 
Hegar  (Freiburg)  übernommen. 

In  Anbetracht  der  vorwiegend  practischen 
Zwecke  dieser  Zeitschrift  werden  wir  im 
Folgenden  die  Vortrage,  welche  ein  mehr 
theoretisches  Interesse  darbieten,  übergehen 
und  auch  aus  den  referirten  Thematis  be- 
sonders die  therapeutische  Seite  berücksich- 
tigen. 

Der  erste  Sitzungstag 

begann  mit  verschiedenen  Demonstrationen. 
Wiedow  (Freiburg)  stellte  2  geheilte  Fälle 
TOD    Kreuzheinresection  vor,  welche  behufs 


Exstirpation  eines  carcinomatösen  Uterus 
ausgeführt  worden  waren. 

Winckel  (München)  demonstrirte  seinen 
9.  Fall,  bei  dem  er  durch  Injection  von 
0,03  Morphium  in  den  tubaren  Fruchtsack 
ein  Absterben  der  Extrauterinschwan  ger- 
schaft herbeigeführt  hatte.  In  diesem  Falle 
war  eine  2  malige  Injection  nothwendig  ge- 
wesen. Bereits  nach  14  Tagen  war  eine 
so  schnelle  Resorption  erfolgt,  dass  volle 
Arbeitsfähigkeit  eintrat. 

In  der  Eröffnungsrede  schildert  He  gar 
in  grossen  Zügen  die  mannigfaltige  Aetio- 
logie  der  gynäkologischen  Leiden  und  ihren 
Zusammenhang  mit  den  Allgemeinerkran- 
kungen. Ebenso  mannigfach  und  auf  den 
Gesammtorganismus  Rücksicht  nehmend  müsse 
auch  die  Therapie  sein.  Ja  dieselbe  müsse 
bereits  im  intrauterinen  Leben  durch  Regelung 
der  Diätetik  der  Mutter  beginnen.  Um  das 
neue  Geschlecht  kräftiger  und  gesunder  zu 
machen,  habe  man  vorgeschlagen,  Personen 
mit  Bildungsfehlern,  Psychosen,  Neurosen 
oder  constitutionellen  Krankheiten  das  Hei- 

47 


370 


Thermpeutlseh«  Mltthellungen  aus  Vereinen. 


[Therapeatisefa« 
Monatshefte. 


rathen  zu  untersagen.  Wenn  auch  der  Stand 
unserer  heutigen  Wissenschaft  zu  einer 
solchen  Härte  noch  nicht  berechtigt,  so  lässt 
sich  doch  vorhersehen,  dass  wir  mit  fort- 
schreitender Erkenntniss  zu  einem  solchen 
durchaus  vernünftigen  Vorgehen  gelangen 
werden.  Biese  „Zuchtwahl"  bedeutet  keine 
Erniedrigung  des  Menschen;  sehen  wir  doch, 
dass  alle  Religionsstifter  einen  grossen  Werth 
darauf  gelegt  nahen.  Auch  die  weitere  Frage, 
ob  man  nicht  die  Quantität  des  Nachwuchses 
zu  Gunsten  seiner  Qualität  beschränken  soll, 
harrt  noch  ihrer  Entscheidung.  Zur  Lösung 
dieser  Probleme  sei  in  erster  Linie  der 
Gynäkologe  berufen. 

Auf  Einladung  G.  Veit's  wird  Bonn 
als  Ort  der  nächsten  Versammlung  im  Jahre 
1891   einstimmig  beschlossen. 

Als  erster  Referent  über  die  Selbstin- 
fection  (sc.  puerperarum)  definirt  Kalten - 
bach  (Halle)  den  Begriff  dahin,  dass  er 
dieselbe  für  vorliegend  ansieht,  sobald  der 
Elrankheitserreger  in  oder  an  der  betreffen- 
den Wöchnerin  (Schwangeren)  seinen  Sitz 
hatte.  Wie  weit  K.  den  Begriff  fasst,  geht 
daraus  hervor,  dass  er  von  Selbstinfection 
spricht,  wenn  z.  B.  mittelst  eines  sterilen 
Katheters  Schmutz  aus  den  Schamhaaren  der 
Wöchnerin  in  ihren  Uterus  hineingebracht 
wird.  K.  sieht  die  Selbstinfection  als  einen 
häufigen  Vorgang  an.  Er  empfiehlt  deshalb 
lebhaft,  beim  Beginn  des  Geburtsactes  stets 
desinficirende  Vaginalausspülungen  vorzu- 
nehmen, welche  bei  einer  sich  in  die  Länge 
ziehenden  Geburt  wiederholentlich  gemacht 
werden  müssen.  Zurückgebliebene  Piacentar- 
reste müssten  wegen  der  Gefahr  der  Blutung 
entfernt  werden.  Membran  Öse  Reste  erfor- 
derten dagegen  nie  ein  Eingehen  mit  der 
Hand  in  den  Uterus;  man  könne  getrost 
ihre  spontane  Loslösung  abwarten.  Nach 
beendeter  Geburt  sei  eine  nochmalige  Des- 
infection  der  Scheide  im  allgemeinen  nicht 
erforderlich.  Dieses  streng  durchgeführte 
antiseptische  Verfahren  habe  in  seiner  Klinik 
den  Erfolg  gehabt,  dass  er  unter  1500  Ge- 
burten nur  3  schwere  Puerperalfieber  erlebt 
habe. 

Der  Correferent  Fehl  in  g  (Basel)  be- 
dauert, dass  das  Wort  Selbstinfection  über- 
haupt Eingang  gefunden,  da  es  eine  grosse 
Verwirrung  hervorgerufen  habe.  Die  von 
Kaltenbach  gegebene  Definition  sei  zu 
verwerfen,  da  sie  ein  rein  äusserliches  Mo- 
ment zu  sehr  betont.  Von  Selbstinfection 
zu  sprechen  habe  nur  dann  einen  Werth, 
wenn  man  es  in  Gegensatz  setzt  zu  Con- 
tactinfection.  Der  von  Kaltenbach  heran- 
gezogene Fall,  dass  eine  Schwangere  durch 
Verschleppung  der  Bacterien,  welche  sich  in 


ihren  Schamhaaren  befinden,  oder  dadurch, 
dass  sie  sich  mit  unreinen  Fingern  selbst 
touchirt,  inficirt  wird,  sei  eine  solche  Con- 
tactinfection.  Von  Selbstinfection  dürfe 
man  nur  sprechen,  wenn  ein  solcher  Con- 
tact  mit  der  Aussen  weit  nachweislich 
nicht  vorhanden  war. 

Diese  Auffassung  von  der  Selbstinfection 
sei  von  schwerwiegendster  practischer  Be- 
deutung; denn  die  Kai  tenb  ach 'sehe  Defi- 
nition stelle  geradezu  einen  Ablassbrief  aus 
für  alle  seitens  der  Aerzte  und  Hebammen 
begangenen  Fehler  in  der  Antiseptik.  Dass 
es  Fälle  von  richtiger  Selbstinfection,  wie 
er  sie  definirt,  giebt,  leugne  er  nicht;  doch 
seien  sie  ausserordentlich  selten  und  ver- 
laufen stets  leicht.  Dies  werde  bewiesen 
durch  die  Leopold' sehe  Statistik  über 
427  vor  der  Geburt  nicht  untersuchter 
Frauen.  Das  Morbiditätsverhältniss  war  hier 
nur  l,6**/o. 

Als  therapeutische  Maassregeln  empfiehlt 
er  daher  peinliche  Desinfection  der  äusseren 
Genitalien  bei  jeder  Kreissenden.  Eine 
Vaginalausspülung  bei  normalen  Geburten 
verwirft  er  gänzlich.  Besonders  wichtig  sei 
es,  die  Virulenz  der  etwa  im  Genitaikanal 
enthaltenen  Keime  nicht  aufkommen  zu 
lassen.  Das  beste  Mittel  aber  dafür  sei, 
dass  man  durch  geburtshülfliche  Maassnahmen 
eine  möglichste  Erleichterung  und  Beschleu- 
nigung der  Geburt  anstrebe. 

Im  Anschluss  hieran  wurden  die  einen 
ähnlichen  Gegenstand  berührenden  Vorträge 
abgehandelt.  Bumm  (Würzburg)  führt  in 
seinem  Vortrage:  Die  Aetiologie  der  Pa- 
rametritis  aus,  dass  er  im  gesunden  Ger  vical- 
und  Vaginalsecret  weder  den  Streptococcus 
noch  den  Staphylococcus  aureus  je  gefunden 
habe.  Nur  durch  Gontact  von  aussen  könnten 
sie  in  den  puerperalen  Uterus  gelangen.  Eine 
Selbstinfection  sei  daher  so  gut  wie  ausge- 
schlossen. 

Leopold  (Dresden):  Ueber  das 
Wochenbett  bei  innerlich  nicht  unter- 
suchten und  nicht  ausgespülten  Ge- 
bärenden und  die  Selbstinfection. 

Im  Ganzen  ständen  ihm  jetzt  510  der- 
artige Fälle  zur  Verfügung;  unter  diesen  sind 
nur  9  Erkrankungen  zu  verzeichnen  gewesen; 
da  diese  fast  sämmtlich  mit  Compiicationea 
verbunden  waren  (todtfaule  Frucht  bei  Syphi- 
litischen, Dammriss  u.  s.  w.),  so  sei  selbst  diese 
geringe  Zahl  noch  nicht  einmal  ganz  auf 
Rechnung  der  Selbstinfection  zu  setzen.  Ganz 
im  Gegensatz  dazu  habe  er  die  schlechtesten 
Erfolge  im  vorigen  Jahre  gehabt,  in  welchem 
er  eine  gründliche  Desinfection  der  Vagina 
und  der  Cervix  bei  jeder  Kreissenden  vor- 
genommen   habe.      Er    mache   deshalb  jetzt 


Hr.  Jalirg«nf .1 
Aucust  1889.  J 


Therapeutiach«  Mittheilungen  aus  Vereinen. 


371 


keine  Vaginalausspülungen  mehr  und  sei 
jetzt  wieder  ausserordentlich  mit  seinen  Re- 
sultaten zufrieden. 

Auch  in  Bezug  auf  die  Frage  von  der  Con- 
tact-  und  Selbstinfection  stelle  er  sich  gauz 
auf  den  Standpunkt  Fe  hl  in  g 's.  Das  Wort 
Selbstinfection  sei  aus  der  Wissenschaft  zu 
yerbannen.  Als  Prophylacticum  schlägt  er 
vor,  sich  bei  normalen  Geburten  lediglich 
auf  die  äussere  Untersuchung  zu  beschränken, 
dann  sei  eine  Ausspülung  unnothig,  ja 
schädlich. 

Battlehner  (Karlsruhe):  Auf  welche 
Weise  soll  die  Hebamme  bei  einer  Ge- 
bärenden das  antiseptische  Verfahren 
ausüben?  Da  95  %  aller  Geburten  von  den 
Hebammen  allein  geleitet  werden,  so  müsse 
die  vorher  aufgeworfene  Frage  so  gestellt 
werden:  Soll  die  Hebamme  die  Scheide  des- 
inficiren  oder  nicht?  Solange  dieselbe  unter- 
suchen darf,  müsse  sie  auch  Yaginalaus- 
spülungen  machen. 

Hermann  (Mannheim)  und  Ziegen  speck 
(München)  bekennen  sich  zu  der  Anschauung 
Fehling's.  Dagegen  erklären  Ahlfeld 
(Marburg),  Keh  rer  (Heidelberg)  und  D  öder- 
lein  (Leipzig),  dass  sie  um  so  bessere  Erfolge 
erzielt  hätten,  je  gründlicher  sie  die  Desin- 
fection  der  Scheide  vorgenommen  hätten. 

In  seinem  Vortrage  über  Genitaltuber- 
culose  berichtet  Werth  (Kiel)  über  mehrere 
Fälle  von  Tuberculose  der  Tuben.  Eine  frühe 
Folgeerscheinung  ist  der  Ascites.  Als  The- 
rapie empfiehlt  er:  Incision  der  Bauchdecken 
und  Ablassen  des  Ascites;  die  Tuben  brauchen 
niclit  entfernt  zu  werden.  Er  habe  wieder- 
holentlich  danach  Heilung  (wenigstens  völliges 
Wohlbefinden  auf  mehrere  Jahre  hin)  beob- 
achtet. 

In  der  Discussion  führt  E  lisch  er 
(Pest)  eine  ganz  gleiche  Beobachtung  an. 

Nach  der  Sitzung  demonstrirt  Benckiser 
(Karlsruhe) sterilisirtes  Catgut  und  Schwämme. 
Die  Sterilisation,  die  eine  völlig  sichere  ist, 
geschieht  dadurch,  dass  die  in  ein  Couvert 
eingeschlossenen  Catgutfäden  sowie  die 
Schwämme  in  einem  Trocken-Sterilisations- 
apparat  1  —  2  Stunden  lang  auf  140°  C.  er- 
hitzt werden.  Die  Haltbarkeit  des  Catgut 
werde  dadurch  nicht  im  Mindesten  beein- 
trächtigt. [Fortgetzung  folgt.] 

Achtzehnter  Congress  der  deutschen  Gesellschaft 
für  Chirurgie  zu  Berlin,  24—28.  April  1889. 

(Originalbericht.) 

Nachmittagssitzung,  [Fortsetzung.] 

Thiersch  (Leipzig):  üeber  Extraction 
von  Nerven. 
Trotz  des  Erfolges,     den    man    in     der 
Behandlung  gewisser  Formen  von  Neuralgie 


durch  Resection  der  qu.  Nerven  aufweisen 
kann,  giebt  es  doch  andere  Fälle,  in  denen 
auch  nach  der  Behandlung  die  Schmerzen 
andauern.  Die  Erfolglosigkeit  unserer  The- 
rapie in  diesen  Fällen  ist  wahrscheinlich 
in  der  Schwierigkeit  begründet,  mit  der  die 
möglichst  centrale  Abreissung  der  Nerven 
verbunden  ist.  Die  gewöhnlich  hierbei  an- 
gewendete Methode,  die  Nerven  möglichst 
herauszuziehen  und  central  abzuschneiden, 
ist  insofern  unvollkommen,  als  es  nicht  ge- 
lingt, genügend  tief  in  die  Canäle  einzu- 
dringen, aus  denen  die  Nerven  herauskom- 
men. Zu  dem  Zwecke  hat  nun  Th.  jüngst 
eine  Art  Zange  construirt,  deren  einer,  er- 
habener Schenkel  in  den  andern,  hohlen 
eingreift.  Die  Innenflächen  beider  Schenkel 
sind  mit  stumpfen  Riefen  versehen,  so  dass 
es  einerseits  gelingt,  die  Nerven  möglichst 
central  zu  fassen,  andererseits  sicher  zu 
halten  und  sehr  weit  centralwärts  abzu- 
reissen.  Im  Anschluss  daran  beschreibt  Th. 
die  qu.  Operation  am  N.  inframaxillaris, 
lingualis,  auriculo-temporalis  etc. 
Angerer  (München):  Bemerkungen  über 

die    Diagnose    und  Operation    der 

Pylorusstenosen. 
Für  die  Wahl  der  Operation  bei  Patien- 
ten, die  an  Symptomen  der  Pylorusstenose 
leiden,  ist  eine  möglichst  &ühe  und  genaue 
Stellung  der  Diagnose  von  entscheidender 
Wichtigkeit.  Dieselbe  wird  gestellt  durch 
eine  Vergleichung  der  Verhältnisse,  in 
welchen  eine  eventuell  fühlbare  Geschwulst 
vor  und  nach  der  Aufblähung  des  Magens 
durch  Gase  (besonders  CO3,  die  durch  kurz 
hintereinander  erfolgende  Einführung  von 
Natriumbicarbonat  und  Weinsäure  erzeugt 
wird)  zu  demselben  steht.  Hierbei  ist  fest- 
zustellen, ob  die  qu.  Geschwulst  dem  Magen 
überhaupt  angehört  (in  diesem  Falle  liegt 
sie  nach  seiner  Aufblähung  mehr  oben  links), 
femer  ob  sie  beweglich,  oder  mit  dem  Nach- 
barorgan, vor  allem  mit  dem  Pancreas,  ver- 
wachsen ist.  In  ersterem  Falle  ist  die 
Gastrotomie,  in  letzterem  Falle  die  Gastro- 
enterostomie indicirt,  durch  welche  den  Pa- 
tienten oft  auf  Monate  hin  wesentliche  Er- 
leichterung geschafft  wird.  —  Vor  allem  ist 
es  jedoch  für  einen  günstigen  Operations- 
erfolg noth wendig,  frühzeitig  die  Diagnose 
zu  stellen  und  unmittelbar  darauf  zu  ope- 
riren,  nicht  erst,  wenn  es  sich  um  decrepide, 
kachektische  Patienten  handelt.  —  Für  die 
Narkose  empfiehlt  A.  nur  im  Beginn  der 
Operation  Chloroform,  in  späteren  Stadien 
Aether. 

In  der  an  den  Vortrag  sich  anschliessen- 
den Discussion  ist  die  Beobachtung  Lauen- 
stein's    bemerk enswerth ,    nach  welcher   im 

47* 


372 


Therapeutische  Mitthellunc^n  aus  Vereinen. 


[Therapeutiidie 
Monatahefte. 


Gegensatz  zu  anderen  Operationen  nach  dem 
Eingriffe  eine  gesteigerte  Diurese  (bis  zu 
1600  cc  p.  d,)  wohl  in  Folge  der  Magen- 
ausspülung beobachtet  worden  ist.  Viel- 
leicht hängt  damit  die  Thatsache  zusammen, 
dass  manche  Kranken  trotz  grosser  Schwäche 
dennoch  die  Operation  gut  überstehen.  — 
Ob  es  sich  hier  um  eine  Folge  von  Resorp- 
tion des  Spülwassers  vom  carcinomatösen  Ma- 
gen aus,  dessen  Resorption sföhigkeit  übrigens 
höchst  zweifelhaft  ist,  oder  um  einen  auf 
reflectorischem  Wege  ausgelösten  Nervenreiz 
handelt,  hat  Redn.  nicht  entscheiden  können. 

Sitzung  vom  Freitag^  den  26.  April^   Vormittags. 

Wehr  (Lemberg)  führt  Hunde  mit 
Carcinomen  am  Präputium  resp.  an  der 
Vagina  und  am  Uterus  vor.  Die  betreffen- 
den Geschwülste  waren  von  einem  anderen 
Hunde  diesem  Thiere  inoculirt  worden.  Die 
histologische  Untersuchung  bestätigte  die 
Richtigkeit  der  Diagnose. 

Schmid  (Stettin)  zeigte  einen  Patien- 
ten, an  dem  vor  etwa  2*/a  Jahren  die  Kehl- 
kopfexstirpation  wegen  Carcinom  vorgenom- 
men war.  Bisher  ist  ein  Recidiv  nicht  ein- 
getreten, und  Pat.  kann,  obwohl  er  keinen 
künstlichen  Kehlkopf  besitzt  und  seine  Luft- 
röhre —  wegen  der  Canüle  —  von  der 
Mundhöhle  abgesperrt  ist,  ziemlich  verständ- 
lich sprechen. 

Oppenheim  (Berlin):  Die  traumatische 
Neurose. 

Im  Allgemeinen  wird  die  „traumatische 
Neurose"  von  den  Chirurgen  in  ihrer  Be- 
deutung noch  zu  wenig  gewürdigt,  obwohl 
von  bedeutenden  chirurgischen  und  internen 
Klinikern  wie  Bruns,  Strümpell  u.  a. 
durch  casuistische  Beiträge  auf  die  Bedeu- 
tung dieser  leider  noch  so  häufig  als  Simu- 
lation angesehenen  Affection  hingewiesen  ist. 
Fast  stets  handelt  es  sich  um  Maschinen- 
arbeiter, Eisenbahnbeamte  etc.,  die  nach 
irgend  einem  Unfälle,  der  mit  einer  mäch- 
tigen Erschütterung  verbunden  war,  abge- 
sehen von  nachweisbaren  Traumen  an  Stö- 
rungen des  Nervensystems  erkrankten,  die, 
von  einer  wahrhaft  proteushaften  Verschie- 
denartigkeit, sich  in  den  verschiedenartigsten 
neurasthenischen  Beschwerden,  psychischen 
Depressionszu ständen  etc.  documentirten.  Die 
wichtige  Erkenntnis  dieser  Thatsachen,  die 
vom  Vortragenden  durch  Vorführung  dreier 
sehr  charakteristischer  Fälle  demonstrirt 
werden,  ist  von  eminent  practischer  Bedeu- 
tung, da  von  derselben  der  Wahrspruch  des 
Richters  gegenüber  Entschädigungsforderun- 
gen im  Betriebe  verunglückter  Arbeiter  ab- 
hängt. 
Petersen  (Kiel):    Ueber  Arthrodese. 


Lauenstein  (Hamburg):  Ein  Vorschlag 
zur  vollständigen  Exstirpation 
der  erkrankten  Kapsel  des  Knie- 
gelenkes, unter  Rücksichtnahme 
auf  die  Erhaltung  der  Beweglich- 
keit desselben. 

In  den  Fällen,  in  welchen  nach  Knie- 
gelenkresection  ein  Schlottergelenk  zurück- 
bleibt, schlägt  P.  vor,  die  knöcherne  Ver- 
einigung in  gestreckter  Stellung  dadurch 
zu  erzwingen,  dass  man  die  Knochenenden 
ansägt,  sie  einander  nähert  und  durch  hin- 
eingeschlagene Elfenbeinpflöcke  mit  einander 
vereinigt. 

Lauenstein  hingegen  sucht  bei  der 
Kniegelenkresection  die  möglichste  Func- 
tions Fähigkeit  dadurch  zu  erhalten,  dass  er 
sämmtliche  Theile  des  Gelenkes  exstirpirt, 
mit  Ausnahme  der  Ligamenta  cruciata,  die 
er  für  wesentlich  quoad  functionis  restitu- 
tionem  hält. 

In  der  sich  anschliessenden  Discussion 
bestreitet  König  die  Bedeutung  dieser 
Bänder.  Wie  beim  Ellbogengelenk  das  Ole- 
cranon,  so  seien  sie  nur  Hemmungsvorrich- 
tungen für  die  Rotation.  Ihre  Durchschnei- 
dung braucht  schon  deshalb  nicht  gefürchtet 
zu  werden,  weil  sie  sich  doch  wieder  ver- 
einigen. 

Krause  (Halle):  Ueber  die  Behand- 
lung der  schaligen  Sarcome. 

In  3  Fällen  gelang  es  K.,  am  Ober-, 
Unterkiefer,  resp.  am  Femur  schal  ige  Sar- 
come durch  sorgfältiges  Evidement  und  anti- 
septische Nachbehandlung  (Tamponade  der 
Höhle)  zu  beseitigen.  In  einem  Falle  wurde 
ein  Recidiv  beobachtet. 

In  einem  analogen  Falle  brachte  v.  Es- 
march  in  die  Knochenhöhle  statt  der  Tam- 
pons gepulverten,  decalcinirten  Knochen  und 
erreichte  auf  diese  Weise  schnelle,  feste 
Verheilung  ohne  Recidiv. 
Fischer  (Breslau):  Trepanation  wegen 
eines  Gehirntumors. 

Die  Trepanation  führte  hier  zur  Fest- 
stellung eines  leicht  blutenden  Gehirntumors 
in  der  psychomotorischen  Region,  der  sich 
als  Rundzellensarcom  erwies. 

In  der  sich  an  den  Vortrag  anschliessen- 
den Discussion  betonte  Horsley  (London) 
die  Wichtigkeit  der  Localdiagnose  für  eine 
erfolgreiche  Trepanation.  Zu  dem  Zwecke 
ist  die  Trepanationsöffnung  möglichst  gross 
zu  machen,  die  Dura  mater  stets  sorgfältig 
vom  Knochen  abzulösen,  Blutungen  sorg- 
fältig, eventuell  mit  heissem  Wasser  zu 
stillen.  —  Bei  Gehirntumoren  ist  die  Tre- 
panation meist  nur  deshalb  nicht  von  Er- 
folg begleitet,  weil  die  Patienten  zu  spät 
zum  Chirurgen  kommen. 


Angast  18dd.  J 


Therapeutisehe  Mittheilungen  aus  Vereinen. 


373 


Hoftemann  (Königsberg):  Ueber  sel- 
tene Fälle  von  Trepanation. 
In  3  Fällen,  in  welchen  Conynlsionen, 
wahnsinnige  Kopfschmerzen  etc.  auf  intra- 
cranielle  Druckerhohung  hinwiesen ,  hat 
Vortr.  mit  gutem  Erfolge  die  Trepanation 
ausgeführt;  da  sich  stets  die  Sinus  venosi 
als  prall  mit  Blut  gefüllt  erwiesen,  so  wur- 
den sie  punctirt  und  wechselnde  Mengen 
Blut  aus  ihnen  entfernt.  fSehius» /oigt.j 

VIII.  Congress 
fQr  innere  Medicin  zu  Wiesbaden  1889. 

Das  Referat  über  den  von  Posner  (Berlin) 
gehaltenen  Vortrag  (S.  275)  enthält  einige 
Ungenauigkeiten.  Von  unserem  Berichter- 
statter geht  uns  nachträglich  folgende  Be- 
richtigung zu: 

C.  Posner  (Berlin):  Zur  Diagnose  und 
Therapie  der  chron.  Prostatitis. 

Vortr.  bespricht  im  Wesentlichen  die- 
jenigen Fälle  von  chron.  Prostatitis,  die  im 
Anschluss    an    Gonorrhoe    oder    an  Excesse 


in  venere  fast  symptomlos  verlaufen,  resp. 
sich  unter  dem  Bilde  einer  Neurasthenie, 
beginnender  Impotenz  etc.  verbergen  und  nur 
bei  localer  Untersuchung  erkannt  werden. 
Man  findet  bei  ihnen  leichte  Schwellung  und 
circumscripte  Empfindlichkeit  der  Drüsen,  so- 
wie ein  auf  Rectaldruck  erscheinendes  Secret, 
welches  neben  den  übrigen  charakteristischen 
Elementen  des  Prostatasaftes  (Lecithinkom- 
chen,  Epithelien,  Amyloiden,  ev.  Schreiner' 
scher  Base)  Eiterzellen  enthält.  Die  Therapie 
richtet  sich  einmal  gegen  den  Allgemeinzustand 
(Bäder,  Luft,  massige  Bewegung,  sexuelles 
Regime),  dann  aber  auch  gegen  die  locale 
Erkrankung.  Redner  empfiehlt  in  dieser 
Hinsicht  Abführmittel,  Salzsitzbäder,  Jod- 
kalisuppositorien ;  eine  Behandlung  der  Ure- 
thra darf  nur  mit  der  allergrössten  Vorsicht 
geschehen;  am  besten  eignen  sich  für  dieselbe 
Beniqu^sonden,  für  manche  Fälle  auch  das 
Psychrophor.  Von  einer  adstringirenden  oder 
ätzenden  Behandlung  ist  indess  in  der  Regel 
abzurathen. 


Referate. 


Caffebi  bei  adynamischen  Zuständen.     Von  Dr. 
H.  Huchard  (Paris). 

Trotz  wiederholter  diesbezüglicher  Hin- 
weise seitens  Verfassers  hat  man  in  der 
Praxis  von  der  tonisirenden  und  exci- 
tirenden  Eigenschaft  des  CafTeins  in  sub- 
cutaner Injection  noch  nicht  genügenden 
Gebrauch  gemacht.  Man  fürchtete  wahr- 
scheinlich die  Anwendung  grosser  Dosen. 
H.  bemüht  sich  nun  den  Beweis  sowohl  für 
die  Wichtigkeit  als  auch  für  die  vollige 
Unschädlichkeit  sehr  grosser  Caffein- 
Dosen  zu  erbringen.  Er  behandelt  diesen 
Gegenstand  seit  1882  bereits  zum  dritten 
Male.  Und  dennoch  wird  sein  Name  selten 
citirt,  während  andere  Autoren  (Seifert, 
Riegel,  Langgaard  etc.)  genannt  werden. 
—  H.  führt  das  Beispiel  eines  gichtischen 
Mannes  an,  der  von  einer  rechtsseitigen 
Pneumonie  befallen  war,  zu  der  sich  nach 
12  Tagen  noch  eine  Lungenentzündung  lin- 
kerseits gesellte.  Pat.  verfiel  alsbald  in 
einen  Zustand  hochgradigster  Adynamie  und 
collabirte.  Im  Verlauf  von  30  Tagen  appli- 
cirte  H.  ihm  95  Injectionen  von  0,25  Caffein, 
51  Injectionen  Aether  und  19  Injectionen 
Trinitrin.  Pat.  besserte  sich  wider  alles 
Erwarten.      Wegen    der    gleichzeitigen   Ver- 


wendung von  anderen  Mitteln  kann  die  Be- 
weiskraft dieses  Falles  angezweifelt  werden. 
Deshalb  führt  Verfasser  noch  5  andere 
Fälle  an,  in  denen  die  alleinige  Anwendung 
des  Cafifein  ausserordentliche  Dienste  ge- 
leistet. Hier  handelt  es  sich  um  einen 
schweren  Typhus,  in  dem  50  Caffein-Injec- 
tionen  Heilung  brachten.  Dort  sind  es 
4  schwere  Fälle  von  infectiöser  Pneumonie, 
bei  denen  Caffein  sich  bewährte.  In  diesen 
Fällen  hiess  es:  ^^^i^  Krankheit  sitzt  in 
den  Lungen,  die  Gefahr  im  Herzen." 
Verf.  scheut  sich  nicht,  von  Beginn  an 
2,0 — 3,0  Caffein  in  subcut.  Form  zu  ver- 
ordnen. Die  tägliche  Anwendung  von  0,2 
bis  0,5  ist  illusorisch.  —  Die  an  Thieren 
angestellten  Versuche  ergaben,  dass  das 
Caffein  seine  "Wirkung  auf  das  centrale  Ner- 
vensystem ausübt,  ehe  es  das  Herz  beein- 
flusst.  Es  existirt  demnach  ein  wirklicher 
Unterschied  in  der  "Wirkung  der  Digitalis 
und  des  Caffeins.  Die  Digitalis  ist  in  erster 
Linie  ein  Herzmittel,  Caffein  dagegen  wirkt 
zuerst  aufs  Nervensystem,  seine  Wirkung 
auf  die  Medulla  oblongata  steht  zweifellos 
fest,  desgleichen  werden  auch  Gehirn  und 
Rückenmark  beeinflusst.  Verf.^s  Mittheilung 
bezweckt  vor  Allem  hervorzuheben: 


'■'.C  •'*  ST" 


374 


Referate. 


rlierapeatlsche 
Monatshefte. 


1.  die  grosse  Wirksamkeit  hoher  Caffein- 
Dosen  in  subcutaner  Form  in  allen 
adynamischen  Zuständen ; 

2.  die  Unschädlichkeit  grosser  CafFe'in- 
Dosen. 

{Revue  gin.  de  Cliniq.  et  de  Therdp,  1889  No.  25.) 

R. 

Ueber  den  inneren  Gebrauch  des  Kreosots  und 
parench3miatöse  Kreosotinjectionen  bei  Tuber- 
culose  der  Lungen.  Von  Dr.  A.  Andreesen 
in  Jalta. 

Es  ist  nach  A.  unmöglich,  dem  Men- 
schen soviel  Kreosot  zuzuführen,  dass  in 
demselben  V4000  Kreosot  kreist,  da  die  ein- 
zuführende Kreosotmenge  nicht  auf  die  Blut- 
menge, sondern  auf  die  gesammte  Gewebs- 
flüssigkeit zu  berechnen  ist.  Bei  einem 
Menschen  von  60  k  Körpergewicht  müsaten 
pro  die  wenigstens  9,0  Kreosot  gegeben 
werden.  (Vergl.  Bourget.  Therap.  Monatsh. 
1889  S.  279.    Red.) 

Es  ist  ja  möglich,  dass,  wenn  monate- 
lang der  Gehalt  der  Gewebeflüssigkeit  an 
Kreosot  auch  geringer  als  '/4000  ist,  doch 
schliesslich  die  Wirkung  der  Bacillen  abge- 
schwächt wird  und  dieselben  ihre  Virulenz 
verlieren.  Dem  Verf.  erscheint  es  natür- 
licher, die  gute  Wirkung  des  Kreosots  durch 
Beeinflussung  des  Magen darmcan als  zu  er- 
klären. Wenn  man  nur  mit  der  Wirkung 
des  Kreosots  auf  den  Magen  rechnet,  braucht 
man  gar  nicht  so  grosse  Dosen  zu  geben. 
Es  genügen  schon  0,3  —  0,5  pro  die, 

A.  hat  auch  Versuche  mit  parenchy- 
matösen Kreosot  -  Injectionen  ange- 
stellt und  zwar  bei  6  Tuberculoesen,  von 
denen  sich  5  im  letzten  Stadium  befanden. 
Er  hat  im  Ganzen  60  Injectionen  gemacht, 
und  bei  2  Kranken  je  ein  Mal  gleich  nach 
der  Injection  leichte  Haemoptoe  beobachtet, 
sonst  keine  bedrohlichen  Zufälle.  Das  Fieber 
wurde  dadurch  nicht  nennenswerth  beein- 
flusst.  Der  Husten  wurde  in  einem  Falle 
stärker,  in  einem  andern  massiger.  Bei 
einer  Patientin  mit  conti nuirlichem  Fieber 
und  starken  Nachtschweisseu  sistirte  eine 
halbe  Spritze  (0,015  Kreosot)  für  2  Tage 
die  Schweisse.  Einem  Kranken  mit  doppel- 
seitigen Cavernen  schafften  die  ersten  vier 
Injectionen  zweifellose  Erleichterung.  Spä- 
tere 6  lojectionen  waren  ohne  Einfluss.  — 
Die  Injectionen  sind  fast  schmerzlos,  beson- 
ders wenn  sie  vom  Rücken  gemacht  werden. 
Im  zweiten  Intercostalraum  vorn  gemachte 
Injectionen  riefen  leichte,  nach  einigen  Stun- 
den vorübergehende  Schmerzen  hervor.  Die 
Behandlung  an  und  für  sich  hält  Verf.  für 
ungefährlich.  Wenn  auch  3  seiner  Kranken 
gestorben    sind,    so    glaubt    er    doch  nicht. 


dass  die  Injectionen  den  Exitus  beschleu- 
nigt haben.  —  Auf  seine  Anfrage  an  Dr. 
Rosenbusch  in  Lemberg,  der  bekanntlich 
zuerst  die  Kreosot-Injectionen  versucht  und 
empfohlen  hatte,  erhielt  A.  folgenden  Be- 
scheid : 

„Ich  muss  zugeben,  dass  die  Injectionen 
nicht  in  dem  Grade  helfen,  wie  die  ersten 
Versuche  es  mich  hoffen  Hessen.  Eine  län- 
gere Beobachtung  der  von  mir  auf  diese 
Weise  behandelten  Kranken  lehrte  nämlich, 
dass  bei  Vielen  das  anfänglich  erreichte 
Resultat  bald  vorüberging,  und  dass  die 
nachfolgenden  Versuche  vollkommen  nutzlos 
waren.  Alles  das  bezieht  sich  auf  Kranke 
mit  ausgesprochenem  Zerfall  (Cavernen). 
Bei  diesem  Zustand  sind  die  Injectionen 
absolut  nutzlos.  Anders  verhalten  sich  die 
Kranken  mit  Infiltraten  und  beginnendem 
Zerfall.  In  diesen  Fällen  folgte  auf  einige 
Injectionen  meistens  eine  bedeutende  Besse- 
rung und  ich  beobachtete  bis  jetzt  deren 
Viele,  bei  denen  keine  Recidive  eingetreten 
sind." 


{8t,  Petersb.  med.   Wochenschr.  1889,  No.  23.) 


R. 


Die  locale  Behandlung  der  Laryngo  -  Phthisis 
tuberculosa.  Vortrag,  gehalteD  in  der  Ge- 
sellschaft für  Natur-  und  Heilkunde  zu  Dresden, 
von  Dr.  Oscar  Beschorner. 

Nach  einer  Betrachtung  der  Entwicklung 
der  Lehre  von  der  Kehlkopfschwindsucht 
und  ihrer  Behandlung  bespricht  Vf.  die  Me- 
thoden, die  sich  ihm  in  langjähriger  Praxis 
bewährt  haben. 

Zunächst  bespricht  B.  die  Prophylaxis, 
d.  h.  die  Methoden  in  den  Fällen,  wo  der 
tuberculöse  Process  noch  auf  die  Lungen 
beschränkt  ist,  einer  Infection  des  Kehl- 
kopfes durch  das  mit  diesem  in  unausge- 
setzte und  intensivste  Berührung  kommende 
bacillenhaltige  Bronchialsecret  vorzubeugen. 
Es  handelt  sich  dabei  also  natürlich  um 
eine  Erleichterung  der  Expectoration,  fem  er 
um  die  Entfernung  zähen  Schleimes  ans 
dem  Kehlkopfe  und  eine  Verminderung  seiner 
Reizbarkeit.  Dieses  Ziel  wird  vornehmlich 
erreicht  durch  Einathmungen  von  ^a — 2  % 
Lösungen  von  Natr.  bicarbon.  und  Natr.  chlor, 
mit  Zusatz  von  5  %  Aq.  amygd.  am.  und 
0,05  ®/ü  Morphium  oder  noch  besser  durch 
Einathmungen  einer  5  %  wässerigen  Lösung 
der  Essentia  Alantoli  mit  einigen  Tropfen 
Aq.  amygdal.  am.  Sollte  dies  nicht  genügen, 
so  sind  Ausspülungen  resp.  Ausspülungen 
des  Kehlkopfes,  Einathmung  concentrirter 
Carboldämpfe  mittelst  der  Curschm  an  n'schen 
Maske  vorzunehmen. 

Katarrhalische  Anschwellungen  der  Kehl- 


in.  Jakrg&ng.l 
Angiut  188».  J 


Referftto. 


375 


kopfscbleimbaut  sind  durch  locale  Anwen- 
dung der  gewöhnlichen  Adstringentien  zu 
beseitigen. 

Was  nun  die  eigentliche  Eehlkopfphthisis 
betrifft,  die  im  Durchschnitt  26  °/o  aller 
Phthisiker  befallt,  so  feiert  die  locale  The- 
rapie Triumphe  in  den  Fällen,  in  welchen 
der  Geschwürsprocess  noch  auf  kleine  Par- 
tien des  Kehlkopfes  beschränkt,  die  Lungen- 
affection  eine  wenig  vorgeschrittene  ist  und 
bat  hier  namentlich  die  chirurgische  Be- 
handlung in  Verbindung  mit  der  Milchsäure 
Erfolge  aufzuweisen. 

Nach  sorgfältiger  Reinigung  und  Ab- 
spülung  der  Geschwürsfläche  mit  dem  Watte- 
pinsel oder  Irrigation  mit  Hilfe  einer  leich- 
ten Kochsalz-  oder  Salicylsäure-Lösung  und 
nach  Bepinselung  mit  15  °/o  Cocainlosung 
stellt  Vf.  durch  vorsichtiges  Abschaben  mit 
der  von  Heryng  angegebenen  Curette  eine 
reine  Geschwürs  fläche  her,  auf  die  dann 
eine,  meist  50  %  Milchsäurelösung  einge- 
rieben wird;  die  Schmerzen  sind  hierauf 
erträglich,  Glottiskrampf  wirkt  oft  sehr 
störend,  doch  meist  nur  dann,  wenn  über- 
schüssige Flüssigkeit  in  die  Trachea  hinab- 
läuft. Es  bildet  sich  ein  Schorf,  der  nach 
einigen  Tagen  abföllt.  Die  Heilung  erfolgt 
nicht  selten  in  überraschend   kurzer  Zeit. 

Handelt  es  sich  aber  bei  vorgeschrittener 
Lungenschwindsucht  um  ausgebreitetere  Ge- 
schwüre und  Zerstörungen,  so  hört  jede 
eingreifende  Localbehandlung  auf,  weil  ein- 
mal die  im  günstigsten  Falle  entstehenden 
Narben  die  Beschwerden  viel  eher  zu  ver- 
mehren als  zu  vermindern  geeignet  sind, 
und  weil  zweitens  Recidive,  sogar  unter  der 
Narbe,  sehr  bald  folgen.  In  solchen  Fällen 
hat  man  zu  milderen,  weniger  eingreifenden 
Medicationen  zu  greifen,  zur  Einblasung  von 
antiseptischen  Pulvern  auf  die,  wenn  mög- 
lich unter  Leitung  des  Kehlkopfspiegels  ge- 
reinigte Geschwürsfläche.  Hier  empfiehlt 
Vf.  am  meisten  das  Jodol,  in  zweiter  Reihe 
das  Jodoform  und  die  Borsäure.  Auch  bei 
dieser  Medication  erlebt  man  nicht  gar 
selten  Heilungen  von  Geschwüren. 

Ist  endlich  die  Kehlkopfphthisis  so  weit 
vorgeschritten,  dass  es  zu  den  Erscheinungen 
und  Folgezuständen  der  Perichondritis  la- 
ryngea  kommt,  so  hat  sich  die  Aufgabe  des 
Arztes  auf  Linderung  der  subjectiven  Er- 
scheinungen, namentlich  der  Schmerzen, 
Schluckbeschwerden  und  der  Athemnoth  zu 
beschränken.  In  den  schwersten  Fällen  von 
Athemnoth  durch  Verengerung  des  Kehlkopf- 
lumens ist  zur  Tracheotomie  zu  schreiten. 
Die  excessiven  Schmerzen  sind  durch  Pinse- 
lungen mit  Cocain-  und  Morphiumlösungen, 
im  Nothfalle     durch    submucöse    Cocain -In- 


jectionen  zu  beseitigen.  Die  Dysphagie 
wird  häufig  durch  Schlucken  von  Eispillen 
gemindert. 

Es  ist  selbstverständlich,  dass  der  Er- 
folg einer  Behandlung  des  Kehlkopfleidens 
zumeist  abhängig  ist  von  derjenigen  der 
Lungenphthise  und  dass  bei  einem  Fort- 
schreiten der  Lungenschwindsucht  der  the- 
rapeutische Effect  auch  im  Kehlkopfe  nur 
ein  vorübergehender  sein  kann  und  ist. 

Sehmey  {Beutken  0.-8.). 

Zur    Behandlung    des    T3rphu9.     .Von    Prof.    Dr. 
Friedrich  Koränji  in  Budapest. 

Nach  einer  Beschreibung  der  eigenthüm- 
lichen  letzten  Typhusepidemie,  in  welcher 
Prof.  Koranyi  oft  eine  Mischinfection  mit 
Malaria  beobachtete,  berichtet  dieser  hervor- 
ragendste Kliniker  Ungarns  über  seine  the- 
rapeutischen Erfahrungen.  Auf  seine  üniv.- 
Klinik  wurden  während  der  letzten  Zeit 
91  Typhuskranke  jeden  Standes,  Alters  und 
Constitution  aufgenommen,  unter  welchen 
50%  an  einem  mehr  als  3 wöchentlichen, 
25%  an  einem  mehr  als  4 wöchentlichen 
Typhus  erkrankten.  Das  Mortalität s-Procent 
betrug  6,7,  drei  Patienten  starben  an  Darm- 
perforation, einer  an  einer  beiderseitigen 
gangränösen  Parotitis,  einer  an  Lungengan- 
grän, einer  an  einer  complicirenden  Nephri- 
tis. Kordnyi  verlor  daher  an  Typhus  selbst 
keinen  Patienten,  der  Tod  erfolgte  stets 
nur  in  Folge  von  Complicationen.  Auf  der 
Klinik  wurde  zu  allen  Behandlungsarten  ge- 
schritten, weil  dies  schon  die  Stellung  der 
Klinik  als  solche  so  erheischt,  andererseits 
war  in  vielen  Fällen  die  Behandlung  von 
dem  Falle  selbst  dictirt. 

Zur  antipyretischen  Behandlung  darf 
natürlich  nur  dann  geschritten  werden,  wenn 
dadurch  das  Feststellen  der  Diagnose  nicht 
beeinflusst  wird;  Temperaturgrade  unter  39® 
werden  mit  Antipyreticis  nicht  behandelt. 
Wo  eine  antipyretische  Behandlung  indicirt 
erscheint,  wählt  Verf.  lieber  interne  Mittel; 
das  umständliche  Baden  kann  er  denselben 
nicht  vorziehen.  Dass  dieser  Standpunkt 
nicht  schade,  beweist  die  günstige  Statistik. 
Zur  hydriatischen  Cur  greift  er,  wenn  neben 
schweren  Erscheinungen  in  den  ersten  Tagen 
die  Temperatur  eine  Höhe  von  40®  erreicht, 
bei  nervöser  Gereiztheit,  furibunden  Deli- 
rien, andauernder  Schaflosigkeit,  starker 
Photophobie,  mit  welchen  Erscheinungen  von 
Anfang  an  starker  Herzerethysmus  mit 
schwachem  Puls  besteht.  Die  Bäder  wur- 
den bei  Schwäche  der  Gefässnerven  (Pulsus 
dicrotus  oder  Calor  mordax)  angewendet, 
ebenso  bei  an  Kaltwassercur  gewöhnten 
Kranken,  sowie  auch  bei  solchen,  die  inner- 


376 


Referate. 


PlierApentitclie 
Monatsheft«. 


lieh  Antipyretica  nicht  vertragen.  Neben 
der  defervescirenden  Wirkung  kann  man 
mit  dieser  Behandlung  die  beruhigende  Wir- 
kung auf  die  Nervencentren  und  die  erre- 
gende auf  die  peripherischen  Nerven  erreichen. 
Auch  zeigt  sich  eine  gewisse  Wirkung  auf 
die  Blutcirculation,  welche  durch  die  Wir- 
kung auf  die  Hautgefässe  bedingt  ist.  Die 
Bäder  sind  contraindicirt  in  Fällen  grosser 
Anämie  oder  Chlorose,  bei  sehr  nervösen 
und  neurasthenischen  Kranken,  sowie  sol- 
chen, die  durch  geistige  Anstrengung  oder 
Ausschweifungen  erschöpft  oder  Blutungen 
geschwächt  sind,  ebenso  bei  Kranken,  die 
eine  Bäderscheu  haben  oder  sich  in  oder 
nach  dem  Bade  unbehaglich  fühlen.  Ebenso 
sind  die  Bäder  zu  meiden  bei  Kranken,  die, 
an  Heiserkeit  und  Kehlkopfschwellung  lei- 
dend, der  Gefahr  eines  Glottisödem  ausge- 
setzt sind,  sowie  bei  Adipösen,  wie  bei 
Leuten,  wo  Collaps  zu  befurchten,  natürlich 
aber  auch  dort,  wo  ein  Personal  fehlt,  wel- 
ches die  Application  des  Bades  nicht  ver- 
steht. 

Von  internen  Antipyreticis  wurden  Anti- 
pyrin,  Antifebrin,  Salicylpräparate  und  Chi- 
nin benutzt.  Diese  Behandlung  ist  in  An- 
wendung zu  ziehen,  wenn  die  Patienten  an 
starken  Schmerzen  im  Kopf,  Rücken  oder 
den  Extremitäten  leiden,  oder  wo  in  der 
ersten,  manchmal  in  der  zweiten  Woche  der 
Erkrankung  eine  zu  starke  Herzaction  beob- 
achtet wird,  oder  wo  die  oben  angeführten 
Gründe  den  Gebrauch  von  Bädern  von  vorn- 
herein ausschliessen.  Die  Antipyretica  wer- 
den nicht  angewendet,  wenn  schwerere  Er- 
scheinungen seitens  des  Magens  bestehen, 
die  Diarrhoe  noch  stärker  wird,  oder  wenn 
nach  diesen  Mitteln  Herzschwäche  auftritt. 
Bei  eventueller  Idiosynkrasie  sind  dieselben 
ebenso  zu  meiden. 

Bei  den  internen  Antipyreticis  muss  die 
rationelle  Grenze  eingehalten  werden,  ein 
starkes  Herabdrücken  der  Temperatur  darf 
nicht  durch  zu  profuse  Seh  weisse,  Schwäche- 
gefühl und  andere  unangenehme  Symptome 
erkauft  werden.  Riess,  der  durch  perma- 
nente Bäder  eine  niedrige  Temperatur  der 
Typhuskranken  erreicht,  hat  keine  besseren 
Resultate  als  Yerf.  erzielt,  zudem  ist  die 
Procedur  selbst  mit  viel  Schwierigkeiten 
verbunden,  und  wenn  das  protrahirte  Bad 
einigen  Patienten  wohl  thut,  kann  es  ande- 
ren ausgesprochen  scbädlich  sein. 

Koranyi  hält  es  für  wichtig,  die  Em- 
pfänglichkeit der  Pat.  für  Antipyretica  zu 
prüfen,  da  dieselbe  bei  den  Patienten  eine 
recht  ungleiche  sei.  Anfangs  dürfen  eben 
nur  kleine  Dosen  gereicht  werden.  Dieser 
Vorsieht    dankt    es    Verf.,    dass    auf    seiner 


Klinik  nie  ein  Arzneicollapsus  vorkam, 
auch  beweist  die  geringe  Mortalität,  dass 
K.  mit  dem  Resultate  seiner  Behandlung 
zufrieden  sein  könne. 

{Orvosi  IJetUap  1889  Ko.  18,  19.) 

B.  Schusehny  {Budape$t), 

• 

Beiträge  zur  Therapie  der  Tussis  convulsiva.  (Aus 
der  Poliklinik  für  Kinderkrankheiten  des  Herrn 
Dr.  Baginsky).     Von  Dr.  0.  Mugdan. 

V.  theilt  die  Resultate  mit,  die  in  der 
Baginsky 'sehen  Kinderklinik  mit  neueren 
Behandlungsmethoden  des  Keuchhustens  er- 
zielt wurden. 

Das  Resorein  wurde  in  8  Fällen  in  einer 

1  — l^/aprocentigen  Lösung,  2  stündlieh  einen 
Kinderlöffel,  ohne  jeden  Erfolg  gegeben ;  nur 
bei  einem  Kinde  war  der  Keuchhusten  schon 
nach  5  Wochen  geheilt.  Die  Erkrankungen 
waren  leicht  und  die  Kinder  gut  genährt. 

Es  sind  femer  Versuche  angestellt  worden 
mit  Cocaineinpinselungen,  und  zwar  wurde 
der  Rachen,  der  Zungengrund  und  die  Mandeln 
mit  einer  2-  oder  öprocentigen  Lösung  am 
ersten     Tage     3 mal,     am    2.    und    3.    Tage 

2  mal,  von  da  ab  einmal  täglich  eingepinselt. 
Die  Resultate  waren  sehr  zufriedenstellend, 
indem  die  Anfälle  an  Zahl  und  Intensität 
allmählich  abnahmen  und  die  Dauer  der 
Krankheit  erheblich  abgekürzt  wurde;  in 
2  Fällen  dauerte  es  bis  zur  Heilung  4  Wochen, 
in  7  Fällen  ca.  8  Wochen  und  nur  in  einem 
einzigen  Falle  war  nach  6  Wochen  noch  kein 
Erfolg  eingetreten ;  unter  den  in  ca.  3  Wochen 
geheilten  befanden  sich  2  Fälle  von  schwerer 
Pertussis.  Trotzdem  ist  diese  Behandlung 
in  der  Baginsky 'sehen  Poliklinik  aufge- 
geben worden,  da  sie  nicht  als  ungeföhrlich 
betrachtet  werden  kann. 

Es  sind  dann  drittens  Versuche  gemacht 
worden  mit  den  von  Michael  inaugurirten 
Einblasungen  von  Resina  benzoes  pulverata. 
V.  verfugt  über  25  genau  beobachtete  Fälle ; 
in  einem  Falle  trat  die  Heilung  in  3  Tagen, 
bei  einem  andern  in  6  Tagen  ein;  8  Kinder 
brauchten  1  —  2  Wochen ,  6  Kinder  2  —  3  Wochen 
und  endlich  1  Kind  26  Tage,  bei  8  Kindern 
trat  kein  Erfolg  ein.  Die  Einblasungen 
wurden  mehrmals  täglich  vorgenommen.  Die 
erste  und  zweite  Einblasung  löste  immer 
einen  Anfall  aus;  Kinder,  die  unter  dieser 
Behandlung  gebeilt  wurden,  ertrugen  schon 
die  4.  oder  5.  oder  jede  nur  mit  sehr 
geringer  Reaction;  solche  Kinder  dagegen, 
die  auch  bei  diesen  Einblasungen  mit  starken 
Anfällen  reagirten,  erwiesen  sich  gewöhnlich 
als  refractär.  Vf.  hält  die  Einblasungen  für 
die  gefahrloseste  und  für  die  Kinder  am 
wenigsten  anstrengende  Behandlung,  die  in 
der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  begründete  Aus- 


^ 


nL  jAhrgang.l 
AngoMt  1889.  J 


Referate. 


377: 


sieht  auf  eine  erfolgreiche  Therapie  gewährt 
lind  räth,  vor  allen  andern  Behandlungs- 
methoden immer  zuerst  die  Einblasungen  zu 
versuchen. 

Vf.  berichtet  endlich  über  die  Erfolge, 
die  in  der  Poliklinik  mit  Antipyrin  erzielt 
worden  sind;  in  7  Fällen  leistete  das  Anti- 
pyrin gar  nichts,  es  setzte  weder  die  Zahl 
der  Anfälle  herunter,  noch  ihre  Heftigkeit. 

(Arekio  för  Kinderheilkunde  1889.  S.  430.) 

Schmey  (Beuthen  0.-8.). 

Zur  Behandlung  des  Keuchhustens.  Aus  der  Ab- 
theiluDg  für  Kinderkrankheiten  des  Prof.  M  o  n ti 
an  der  allgemeinen  Poliklinik  in  Wien.  Von 
Dr.  M.  T.  Schnirer. 

Vf.  hat  zunächst  das  Antipyrin  in  der 
Form  beim  Keuchhusten  angewandt,  dass  er 
in  Pulverform  zunächst  0,5  pro  die  gab  und, 
falls  die  Kinder  dies  gut  vertrugen,  bis  auf 
2,0  pro  die  stieg.  Das  Mittel  wurde  in  28 
genau  ausgewählten  Fällen,  die  sich  im 
Stadium  spasmodicum  befanden,  ausgewählt; 
das  Resultat  war  aber  ein  durchaus  negatives, 
da  in  fast  allen  Fällen  die  Krankheit  mehr 
als  6  Wochen,  durchschnittlich  50Va  Tage 
dauerte.  Auch  die  Intensität  und  Zahl  der 
Anfälle  wurde  durch  die  Antipyrin darreichung 
nicht  erheblich  beeinflusst.  In  keinem  ein- 
zigen Falle  gelang  es  dem  Vf.,  durch  Dar- 
reichung von  Antipyrin  den  Keuchhusten 
zu  coupiren. 

Bessere  Resultate  erzielt  Seh.  mit  dem  von 
Netter  empfohlenen  Oxymel  Scillae.  Die 
Nett  er 'sehe  Vorschrift,  nach  der  sich  der 
Vf.  genau  richtete,  ist  folgende:  Zwischen  3 
und  4  ühr  Nachmittags  nimmt  der  Kranke 
etwas  zu  sich,  von  4 — 5  Uhr  bekommt  er 
alle  10 Minuten  einen  Kafifeelöfifel  voll  Oxymel 
Scillae,  so  dass  Elinder  unter  3  Jahren  4  —  5 
Kaffeelöffel,  Kinder  über  3  Jahre  6  — 7Kaffee- 
löffel  und  endlich  Erwachsene  7 — 8  Kaffee- 
löffel erhalten.  Um  7  Uhr  nimmt  der 
Kranke  das  Abendbrot  zu  sich.  Das 
Mittel  wird  bis  zum  Aufhören  der  Anfälle 
fortgesetzt  und  gut  vertragen.  Vf.  hat  das 
Mittel  in  12  Fällen  angewandt,  und  wenn 
auch  die  Dauer  der  Erkrankung  durchaus 
nicht  beeinflusst  wurde,  so  trat  doch  ein 
rascher  Abfall  der  Zahl  und  Intensität  der 
Anfälle  ein. 

{Archiv  für  Kinderheilkunde  1889.  8.  447.) 

Schmey  {ßeuthen  0,-8.). 

Einige  Beobachtungen  über  Verhütung  des  Ma- 
lariafiebers diirch  Chinin.  Von  Dr.  C.  Graeser 
(Bonn). 

Ein  ausserordentlich  werthvoller  Beitrag 
zur  Kenntniss  imd  Handhabung  der  Malaria- 
prophylaxe, deren  Möglichkeit  zur  Zeit  von 


der  Mehrzahl  der  Autoren  noch  bestritten 
wird! 

G.  hat  auf  5  Reisen,  die  er  als  Schiffs- 
arzt auf  Dampfern  der  holländischen  Maat- 
schappy  Islederland  nach  Ostasien  machte, 
reichlich  Gelegenheit  gehabt,  sich  von  der 
unzweifelhaften  Wirkung  prophylaktischer 
Chiningaben  gegen  den  Ausbruch  der  Malaria, 
dieses  schlimmsten  Feindes  der  in  den  Tropen 
weilenden  Europäer,  zu  überzeugen. 

Tandjong-Priok,  der  Hafen  von  Batavia 
auf  Java,  gilt  als  eine  der  schlimmsten 
Malaria-Brutstätten  des  Ostens;  kaum  ein 
Weisser  bleibt  vor  Erkrankung  verschont; 
es  kam  vor,  dass  ein  englischer  Dampfer 
nicht  ausfahren  konnte,  weil  die  ganze 
Equipage  —  mit  Ausnahme  des  Kapitäns, 
der  in  Batavia  im  Hotel  gewohnt  hatte, 
am  Malariafleber  im  Hospitale  lag. 

Bei  seiner  1.  Reise  gab  G.  am  Abend 
der  Ankunft  in  Tandjong-Priok  der  gesammten 
Mannschaft  —  69  Köpfe  —  je  1,0  Chinin, 
sulf.  in  Genever  gelost;  die  gleiche  Dosis 
am  3.  u.  5.  Tage.  Vom  10.  bis  18.  Tage 
erkrankten  17  Mann  an  Malaria,  darunter 
14  Europäer  und  3  malaische  Bediente. 
Dauer  der  Erkrankungen  5 — 7  Tage.  Bei 
dem  2.  Aufenthalt  in  Tandjong-Priok  wurde 
kein  Chinin  gegeben:  Vom  9.  bis  17.  Tage 
erkrankten  25  Mann. 

2.  Reise.  Bemannung  69  Mann.  Am 
Tage  der  Ankunft  in  Tandjong-Priok  erhält 
jeder  Mann  1,0  Chinin,  sulf.;  ebenso  am  8. 
12.  u.  16.  Tage,  am  10.  und  14.  je  0,5.  Es 
erkrankten  ein  Maschinist  und  3  malaische 
Bediente.  Keiner  von  ihnen  hatte  Chinin 
genommen.  Beim  2.  Aufenthalte  erkrankten 
17  Mann,  von  denen  nur  ein  einziger 
Chinin  genommen  hatte. 

3.  Reise.  78  Mann.  Chiningaben,  wie 
oben.  Es  erkrankten  4  malaische  Jungen, 
während  sich  in  7  anderen  Fällen  nur  einzelne 
Symptome  fanden  —  Müdigkeit,  Rücken- 
schmerzen, Milzschwellung,  die  auf  ein-  bis 
zweimalige  Darreichung  von  1,5  Chin.  sulf. 
schwanden.  Nach  dem  2.  Aufenthalt  er- 
krankten 16  Mann. 

4.  Reise.  78  Mann.  Beim  1.  Aufent- 
halte 6,  beim  2.  Aufenthalte  9  Erkrankun- 
gen. 

5.  Reise.  78  Mann.  Beim  1.  Aufent- 
halte 3  Erkrankungen  neben  4  nicht  aus- 
gebildeten, beim  2.  8  Erkrankungen. 

Noch  bessere  Erfolge  erzielte  —  cf.  Nach- 
trag —  G.'s  Nachfolger,  Dr.  Buwalda,  der 
auf  des  ersteren  Anregung  schon  3  Tage  vor 
der  Ankunft  in  Tandjong-Priok  mit  der 
dreimaligen  wöchentlichen  Darreichung  von 
1,0  Chinin,  sulf.  per  Kopf  begann  und  diese 
Ordination     während     des    ganzen,     beinahe 

48 


378 


Rafeittte. 


rlierapeatiseh« 
Monatshefte. 


b   Wochen   dauernden    Aufenthaltes   an   den 
£ü8ten  Yon  Sumatra  und  Java  fortsetzte. 

Vorstehende  höchst  bemerken swerthen  Re- 
sultate yerdienen  gewiss  —  ganz  abgesehen 
von  ihrer  Bedeutung  für  die  Erklärung  der 
Pathogenese  der  Malaria  —  in  den  weitesten 
Kreisen  bekannt  zu  werden,  zumal  in  der 
gegenwärtigen  Zeit  lebhafter  colonialer  Be- 
strebungen und  Kämpfe,  die  mehr  Europäer 
als  sonst  in  tropische  Zonen  fuhren.  So 
hat  bereits  C.  Binz  in  Bonn  die  G.'sche 
Publication  in  der  deutschen  Colonialzeitung 
(1889  Nr.  l)  einem  grosseren  Publikum 
bekannt  gemacht,  und  giebt  derselbe  den 
Rath,  man  solle  statt  des  schwefelsauren 
das  Salzsäure  Chinin  geben,  welches  leichter 
löslich  und  wirksamer  ist. 

(BerlKUn,  Wochenschr.  1888.  No.  42  tmd  {Naektrag)  33.) 

lieber   die  Behandlung   Tabischer   mittelst   Sus- 
pension.   Von  Prof.  Bernhardt  CBerlin). 

B.  hat  im  Ganzen  256  Aufhängungen 
an  21  Patienten  vorgenommen.  Die  Zeit- 
dauer betrug  '/a  bis  3,  ausnahmsweise  vier 
Minuten.  Die  Suspensionen  wurden  einen 
Tag  um  den  andern  vorgenommen.  Ueble 
Zufälle  wurden  nur  bei  2  Patienten  bemerkt. 
(Ohnmachts-  bezw.  epileptiformer  Anfall). 
Unter  den  21  Fällen  befanden  sich  nur 
2  (tabeskranke)  Frauen.  Die  eine  entzog 
sich  sehr  bald  der  Behandlung,  bei  der 
anderen  besserten  sich  qualvolle  Rücken- 
schmerzen schon  nach  dreimaliger  Suspen- 
sion soweit,  dass  die  früher  nothwendigen 
MorphiuminjectioDen  fortbleiben  konnten. 
Von  den  19  Männern  litten  16  schon  Jahre 
lang  an  Tabes.  Bei  Zweien  konnte  die 
Diagnose  vielleicht  zweifelhaft  sein.  Einer 
derselben,  der  nur  über  Impotenz  klagte  und 
sonst  nur  absolutes  Fehlen  des  Kniephäno- 
mens und  eine  geringe  Ungleichheit  der 
Pupillen  zeigte,  hatte  nach  19  Suspensionen 
wieder  Erectionen  und  Pollutionen,  allerdings 
ohne  libido  coeundi.  Im  Grossen  und 
Ganzen  hat  sich  B.  von  dem  günstigen  Ein- 
fluss  der  Suspension  auf  das  Befinden  der 
Kranken  in  einer  Reihe  von  Fällen  (nicht 
durchweg),  namentlich  in  Bezug  auf  die 
Schmerzen  und  die  Locomotiou,  überzeugt. 
In  einem  Falle  hörte  auch  das  Doppeltsehen, 
das  sich  Abends  bei  Licht  einstellte,  auf, 
ein  Pat.  wollte  sogar  auf  einem  seit  Jahren 
so  gut  wie  tauben  Ohr  wieder  hören.  Das 
entschwundene  Kniephänomen,  die  Pupillen- 
starre blieb  durchweg  unverändert. 

{Berl.  kUn.  Wochenschr.  1889  No.  24.    Sep.-Abdr.) 

Krön. 


Ergebnisse  der  Suspensionsbehandlung  bei  Tabes 
dorsalis  und  anderen  chronischen  Nerven- 
krankheiten. Aas  der  Nerveapoliklinik  von 
Prof.  Eulenburg  und  Prof.  Mendel  in 
Berlin. 

Innerhalb  einer  etwa  dreimonatlichen 
Beobachtungsperiode  sind  40  poliklinische 
Fälle  mit  Suspension  behandelt  worden, 
31  Männer,  9  Frauen.  Die  Gesammtzahl 
der  Suspensionen  betrug  975.  Dieselben 
wurden  in  der  Regel  bei  denselben  Patienten 
nur  dreimal  wöchentlich,  in  geeigneten  Fällen 
auch  häufiger,  sogar  täglich,  vorgenommen. 
Es    wurde    meist  mit  Suspensionsdauer  von 

1  Minute  begonnen  und,  um  je  ^9  Minute 
steigend,  bis  zu  3,  in  einzelnen  Fällen  bis 
zu  4  Minuten  fortgeschritten.  Unter  den 
40  Fällen  befanden  sich  34  mit  Tabes  dor- 
salis (25  Männer,  5  Frauen),  1  mit  disse 
minirter  Sklerose  (Frau),  1  mit  chronischer 
Myelitis  (Mann),  3  mit  Paralysis  agitans 
(Frauen).  In  dem  Falle  von  disseminirter 
Sklerose  war  nach  16  Suspensionen  Schlaf 
und  Allgemeinbefinden  erheblich  besser,  der 
Kopfschmerz,  die  Hyperaesthesie  der  linken 
unteren  Extremität,  die  Parästhesien  in 
den  Beinen  hatten  nachgelassen,  sogar  eine 
Abnahme  der  Augenmuskel affection  (Paresen 
beider  Oculomotorii  und  des  rechten  Ab- 
ducens)  war  unverkennbar.  Von  den  übrigen 
nicht  zur  Tabes  gehörigen  Fällen  hatte  nur 
einer  mit  Paralysis  agitans  eine  geringe 
Besserung  gezeigt:  die  Muskelspannungen 
des  Arms  wurden  etwas  nachgiebiger,  das 
lästige  Gefühl  a\if steigend  er  Hitze  verlor 
sich,  der  Gang  wurde  etwas  leichter,  das 
Zittern  blieb  unverändert.  Was  nun  die 
Tabesfälle  betrifft,  so  wurden  fast  ausschliess- 
lich alte,  zum  Theil  sehr  alte  und  schwere 
Fälle,  die  schon  längere  Zeit  vorher  mit 
den  gebräuchlichen  anderweitigen  Gurmitteln, 
namentlich  Elektricität,  behandelt  worden 
waren,  der  Suspensionsmethode  unterzogen. 
Von  den  34  Fällen  entzogen  sich  5  der 
weiteren  Behandlung,  6  wurden  ungebessert 

2  als  gebessert  entlassen,  21  wurden  weiter 
behandelt.  Von  diesen  können  4  oder  5 
erheblich,  11  oder  12  als  einigermassen  ge- 
bessert bezeichnet  werden,  während  5  als 
fast  ganz  unverändert  erschienen.  Am 
häufigsten  vrurdeu  Schlaf  und  Allgemeinbe- 
finden günstig  beeinfiusst  (ca.  16  Fälle),  dem- 
nächst das  Romberg^sche  Symptom  (19  Fälle) 
und  auch  die  Blasenstörungen  (14  Fälle). 
In  10  Fällen  wurden  die  neuralgischen 
Symptome,  besonders  die  lancinirenden 
Schmerzen,  in  9  die  Motilität,  in  5  die 
Parästhesien,  in  3  die  Hypästhesien  und 
Anästhesien,  in  3  die  Potenz  gebessert.  Die 
gastralgischen  Anfälle  verschwanden  in  einem, 
die  Kopfschmerzen  in   mehreren  Fällen.     In 


in.  Jahrgang.*] 
Anffuit  1888.  J 


Rafermta. 


379 


einem  Falle  soll  sich  sogar  die  Amblyopie 
(bei  bestehender  Atrophia  n.  optici)  ge- 
bessert haben.  Das  WestphaTsche  Zeichen, 
die  Myosis  und  reflectorische  Pupillenstarre 
■wurde  nie  beeinflusst.  —  Die  Methode  er- 
scheint danach  bis  jetzt  weder  ganz  werth- 
los,  noch  geeignet,  sehr  weitgehende  Er- 
wartungen zu  befriedigen. 

{NeuroL  Centralbl  1889  No.  IL    S^.-Abdr.) 

Kran. 

Wirbelweh,  eine  neue  Form  der  Gastralgie.  Vor- 
läufige MittheüojDg  von  Dr.  Max  Buch  (Will- 
manstrand). 

Schon  seit  lange  ist  eine  Form  von 
Leibschmerzen,  Cardialgie,  Gastralgie  bekannt 
gewesen,  die  nur  auf  neryoser  Grundlage 
beruhend,  keine  organische  Unterlage  auf- 
weist. Dieser  Schmerz  wird  gewöhnlich  in 
den  Magen  verlegt.  B.  hat  jedoch  gefunden, 
dass  der  Sitz  der  nervösen  Cardialgie  ge- 
wöhnlich nicht  der  Magen  ist,  sondern  dass 
der  Schmerz  im  Epigastrium  nur  einen  Thei] 
eines  wohlcharacterisirten,  vom  Sympathicus 
ausgehenden  Symptomencomplexes  darstellt. 
Das  hervorragendste  und  pathagnomonische 
Symptom  ist  eine  Empfindlichkeit  der  vor- 
deren Fläche  der  Wirbelsäule  auf  Druck 
durch  die  Bauchflächen  hindurch.  —  Aus 
dieser  characteris tischen  Form  des  Druck- 
schmerzes bei  40  Fällen  von  nervöser  Car- 
dialgie ,  die  B,  seit  Entdeckung  dieses 
Symptomes  beobachtet,  geht  schon  hervor, 
dass  nicht  der  Magen  selbst  druckempfind- 
lich ist;  ja  in  einigen  Fällen,  wo  der  Schmerz 
gerade  im  Epigastrium  localisirt  wurde, 
konnte  hier  durch  Druck  kein  Schmerz, 
sondern  gegentheilig  ein  Gefühl  von  Wohl- 
behagen hervorgerufen  werden.  Druck  auf 
die  Wirbelsäule  in  der  Nabelgegend  verur- 
sachte ausser  dem  localen  Schmerz  einen 
ins  Epigastrium  ausstrahlenden  Schmerz, 
der  genau  dem  spontanen  Schmerz  entsprach. 

—  Das  Wirbelweh  kann  sich  über  die  ganze 
Lenden  Wirbelsäule  erstrecken.  Dasselbe 
zeigt  die  Neigung  bei  Druck  auf  gewisse 
Punkte  in  entfernter  liegende  auszustrahlen. 
Yon  andern  begleitenden  Symptomen  führt 
Yerf.  solche  an,  die  den  Magen  betreffen: 
TJebelkeit,  Aufstossen,  Heisshunger  etc.  In 
manchen  Fällen  wurde  über  schmerzhaftes 
Pulsiren  der  Bauchaorta  geklagt.  —  Der 
Symptomencomplex  des  Wirbel  weh  s  tritt 
meist  als  Theilersch einung  der  Neurasthenie 
auf,  femer  auch  bei  Chlorose.  —  Als  ana- 
tomische Grundlage  des  Wirbelwehes  sind 
die  der  Wirbelsäule  aufliegenden  Sympathicus- 
geflechte  mit   den  Grenzsträngen   anzusehen. 

—  Das  in  Rede  stehende  Leiden  ist  als 
Neuralgie    der    Wirbel geflechte    des    Bauch- 


sympathicus  zu  bezeichnen,  und  B.  hat  dafür 
den  kurzen  und  bezeichnenden  Ausdruck 
„Wirbel weh"  gewählt.  Bezüglich  der  Be- 
handlung hat  Yerf.,  nachdem  Bromkalium 
sich  unwirksam  gezeigt,  mit  der  subcutanen 
Anwendung  des  Antipyrin  die  besten  Er- 
folge erzielt.  Er  spritzte  von  einer  50% 
wässrigen  Lösung  eine  volle  Spritze  in  die 
Bauchgegend  oder  beim  Bestehen  von  Neu- 
ral gieen  an  den  Schmerzpunkt.  Die  Injec- 
tionen  wurden  täglich  oder  alle  2 — 3  —  4  Tage 
vorgenommen.  Heilung  ist  bisweilen  schon 
nach  2 — 3  Einspritzungen  eingetreten,  bis- 
weilen erst  nach  10  oder  mehr.  Besserung 
gewöhnlich  schon  nach  der  ersten  Injection. 
Natürlich  darf  auch  das  Grundleiden  nie 
vernachlässigt  werden.  So  ist  bei  Chlorose 
Eisen  indicirt;  bei  Endometritis  eine  ent- 
sprechende Behandlung;  bei  Neurasthenie 
eine  Wasserkur  u.  s.  w. 

{St.  Peiertb,  med.  Woehenschr.  1889,  No.  22.) 

Ueber  die  Suggestionstherapie  Vo  n  Prof.  C  h  a  r  c  o  t 
(Paris), 

Auf  eine  diesbezügliche  Anfrage  äussert 
Ch.  sich  der  Redaction  der  Deutsch- med. 
Wochenschr.   gegenüber  in  folgender  Weise: 

„Ohne  absolut  leugnen  zu  wollen,  dass 
bei  organischen  Erkrankungen  des  Nerven- 
systems die  hypnotische  Suggestion  in  ein- 
zelnen Fällen  eine  gewisse  Besserung  her- 
beifuhren kann,  bin  ich  doch  überzeugt, 
dass  dies  nur  auf  Kosten  eines  reinen 
Zufalls  gesetzt  werden  darf  und  dass 
nicht  die  Rede  davon  sein  kann,  das 
Suggestionsverfahren  zu  einer  thera- 
peutischen Methode  zu  erheben.  Da- 
gegen kann  man  bei  hysterischen  Erschei- 
nungen, namentlich  bei  Frauen  und  bei 
Personen,  die  leicht  in  Hypnose  zu  versetzen 
sind,  mit  einem  somnambulen  Stadium,  das 
schon  bei  den  ersten  Yersuchen  ziemlich 
ausgesprochen  ist,  ein  gutes  Resultat  er- 
hoffen. Was  die  Hysterie  bei  Männern  an- 
langt, so  sollte  man  sich  noch  mehr  Reserve 
auferlegen  und  sich  in  Acht  nehmen,  auf 
einer  Methode  zu  bestehen,  die  weit  davon 
entfernt  ist,  in  allen  Fällen  günstig  zu  wir- 
ken, im  Gegentheil  zu  Ergebnissen  fuhren 
kann,  die  ebenso  unangenehm  für  den  Kran- 
ken wie  für  den  Arzt  sein  können." 

{Duck.  med.  Wochenschr.  1889,  No,  2ö.)  R. 

Angeborene  conträre  Sexualempfindung.  Erfolg- 
reiche hypnotische  Absuggerirung  homo- 
sexualer  Empfindungen.  Von  Prof.  Dr.  von 
Krafft-Ebing. 

Es    handelt   sich    um    einen    34jährigen 
Dr.  philos.,   der  väterlicherseits  neuropathisch 

48* 


380 


Rttfarate. 


pfherspentiteh« 
L  MoD&Uhefta. 


belastet  und  seit  Eindesbeinen  nerros  und 
leicht  erregt  ist.  Seit  seiner  Jugend  hat  er 
nur  Sympathie  für  Männer  und  will  niemals 
an  den  Reizen  des  schonen  Geschlechts  Ge- 
fallen gefunden  haben;  beim  Anblick  TOn 
ihnn  sympathischen  Männer  bekam  er  sexuelle 
Gefühle,  Erectionen  und  eine  Zeitlang  auch 
Ejaculationen.  Nach  8  hypnotischen  Sitzun- 
gen, in  denen  ihm  suggerirt  wird,  dass  er 
Ton  nun  an  dem  Manne  gegenüber  geschlecht- 
lich indifferent  sein  und  der  Mann  ihm  ge- 
schlechtlich ebenso  gleichgültig  sein  würde, 
als  das  Weib,  fühlt  sich  Patient  frisch, 
muthig  und  im  Besitze  seines  ganzen  Selbst- 
vertrauens; er  habe  das  Gefühl  und  den 
Beweis,  dass  ihm  der  Mann  ganz  gleich- 
gültig geworden  sei. 

Es  ist  zu  bemerken,  dass  Patient  von 
durchaus  männlichem  Habitus  ist,  seine  Geni- 
talien sind  gut  entwickelt  und  ganz  normal. 

{Internationale*  Centralblatt  für  die  Pkyeiologie  und 
Pathologie  der  Ham'  und  Sexualorgane  1889,  Seite  1.) 

Schmey  ißeuthen  0.-3.). 

Zur  Behandlung  der  Granulationsstenosen  der 
Trachea  nach  Tracheotomie.  Aas  der  Tü- 
binger chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Dr. 
Brans  von  Dr.  Th.  Koestlin. 

üeber  erschwertes  Decanulement  nach 
Tracheotomie  sind  in  den  letzten  Jahren 
zahlreiche  mehr  oder  weniger  umfangreiche 
Arbeiten  erschienen,  ohne  jedoch  in  der 
Therapie  dieser  Afifection  wesentlich  Neues 
zu  bieten.  Speciell  bei  den  Granulations- 
stenosen der  Trachea  wurde  stets  eine 
Entfernung  derselben  mit  dem  scharfen 
Löffel  von  der  Tracheotomiewunde  aus 
empfohlen  und  nachherige  Aetzung  der  An- 
satzstelle der  Granulation,  wobei  bald  die- 
sem, bald  jenem  Aetzmittel  der  Yorzug  ge- 
geben wurde.  Eine  endolaryngeale  Behand- 
lung wurde  nur  bei  grösseren  Kindern  in 
ganz  yereinzelten  Fällen  Torgenommen,  da 
ja  natürlich  die  Unruhe  und  Aengstlichkeit 
der  kleinen  Patienten,  um  die  es  sich  ja 
hierbei  fast  stets  handelt,  in  den  meisten 
Fällen  eine  solche  von  yomherein  unmöglich 
machte.  Eine  verhält nissmässig  einfache, 
leicht,  selbst  ohne  Spiegel  durchzuführende 
Methode  zur  endolaryngealen  Beseitigung 
dieser  Granulationen  wird  nun  aus  der 
Tübinger  Klinik  (v.  Bruns)  durch  Dr.  Th. 
Koestlin  angegeben  und  nach  einem  derart 
behandelten  Falle  warm  empfohlen:  Ent- 
fernung mittelst  des  Yoltolinischen 
Kehlkopf-Schwammes.  An  einer  starken 
Kehlkopf sonde  wird  am  vorderen  Ende  ein 
kleines  Schwämmchen  befestigt,  dann  die 
Sonde  unter  Leitung  des  linken  Zeigefingers 
bei    leichter    Narkose    des    Kindes    in    den 


Kehlkopf  eingeführt,  durch  einen  leichten 
Druck  durch  die  Glottis  hindurchgezwängt 
und  nun  tief  in  die  Trachea  geleitet,  wo 
sie  einigemale  energisch  auf-  und  abbewegt 
wird,  so  dass  durch  das  Schwämmchen  die 
Trachealwand  abgewischt  und  damit  die 
Granulationen  abgerissen  werden.  Wird 
diese  Procedur  vorgenommen  bei  noch  nicht 
entfernter  Canüle,  so  wird  diese  während 
derselben  weggenommen,  nachher  noch  1  Tag 
eingelegt.  Tritt  eine  Granulationsstenose 
kürzere  oder  längere  Zeit  nach  der  Trache- 
otomie auf,  dann  ist  eine  Retracheotomie 
überflüssig,  was  auch  sehr  zu  Gunsten  dieser 
Methode  spricht. 

Der  Fall,  bei  welchem  sie  zur  Anwen- 
dung kam,  ist  folgender:  Bei  einem  Mäd- 
chen von  5  Jahren,  wegen  Diphtherie  mit 
Larynxstenose  tracheotomirt,  macht  die  Ent- 
fernung der  Canüle  vom  8.  Tage  an  Schwie- 
rigkeiten, wird  jedoch  am  19.  Tage  möglich; 
am  21.  Tage  Athmung  frei,  Tracheotomie- 
wunde zusammengeschrumpft  auf  eine  linsen- 
grosse  Granulationsfläche;  bald  darauf  Ath- 
mung erschwert;  am  33.  Tage  wird  bei 
laryngoskopischer  Untersuchung  ein  der  vor- 
deren Trachealwand  aufsitzender,  das  Trache- 
allumen  mehr  als  die  Hälfte  ausfüllender 
Granulationsknopf  constatirt.  Tags  darauf 
Retracheotomie,  Entfernung  der  Granulation 
mit  scharfem  Löffel,  Lapis -A et zuug.  Bald 
Recidiv,  nach  wenig  Wochen  fast  das  ganze 
Tracheallumen  ausfüllende  Granulations- 
massen. Yier  Monate  nach  der  ersten 
Tracheotomie  Auswischung  der  Granulationen 
nach  obiger  Methode,  laryngoskopisch  völliges 
Freisein  der  Trachea  nachgewiesen.  Inner- 
halb der  nächsten  8  Wochen  3  mal  Recidiv, 
jedesmal  ebenso  behandelt.  14  Tage  später, 
ß^a  Monate  nach  der  ersten  Tracheotomie, 
Entfernung  der  Canüle,  rasche  Schliessung 
der  Wunde;  4  Wochen  später  wurde  die 
Athmung  wieder  erschwert,  es  wurde  nun 
ein  kleiner,  laryogoskopisch  nachgewiesener 
Granulationsknopf  ohne  Narkose  mittelst  des 
Kehlkopfschwamms  abgewischt,  worauf  dann 
kein  Recidiv  mehr  erfolgte. 

Ein  ähnliches  Yerfahren  hat  Boeker  in 
3  Fällen  angewandt,  indem  er  mit  einem 
neusilbemen  Katheder,  in  dem  auf  der  con- 
cayen  Seite  eine  bogenförmige  Oeffnung  mit 
angeschärftem  Rande  angebracht  war,  theils 
mit,  theils  ohne  Spiegel  den  Granulations- 
knopf abzuschneiden  suchte ;  in  einem  vierten 
Fall  war  das  Kind  so  furchtsam,  dass  er 
nicht  zum  Ziele  kommen  konnte. 

Betreffs  der  Frage  nach  der  Entstehungs- 
ursache der  Granulationswucherungen  in  der 
Trachea  weist  Koestlin  darauf  hin,  dass 
sie  als  Caro  luxurians  aufzufassen  sind;  wie 


in.  Jahrgang.! 
Augiut  1889.  J 


Referat«. 


381 


nun  an  jeder  anderen  Wunde  dies  besonders 
anftrete  bei  Reizung  derselben,  so  auch  hier, 
wo  die  Anwesenheit  der  Canüle,  die  ausge- 
husteten Schleimmassen,  das  Wundsecret 
selbst,  die  Keibungen  der  Canüle  an  der 
Wunde  bei  Athembewegungen  und  Husten- 
stÖssen  Momente  genug  bilden,  welche 
reizend  auf  die  Wunde  einwirken. 

{Beiträge  zur  Chirurgie ,  Hittheilungen  aus  den  Kliniken 
SU  Tübingen,  Heidelberg ,  Zürich,  Basel.  Bedigirt  van 
Dr.  P.  Bruns,  IV,  Bd.  2.  Heß,  No,  IX.)       PauU  (Lübeck), 

(AiM  der  chimrg.  Klinik  des  Herrn  Prof.  Dr.  t.  Volkmann 

in  Halla) 

Ueber  Entfettungscoren  bei  Gelenkkrankheiten 
nebst  einigen  Bemerkungen  über  Gonitis  cre- 
pitans.  Von  Dr.  Rudolf  Volkmann,  Assi- 
stenzarzt. 

Die  Absicht,  welche  man  bei  diesen 
Ouren  verfolgt,  ist  folgende: 

Man  sucht  ein  Individuum,  das  iü  Folge 
einer  früheren  Erkrankung  an  Schwäche 
oder  irgend  einer  Insufficienz  der  ünterex- 
tremitäten  leidet,  durch  eine  vorsichtige 
Entfettungscur  so  viel  leichter  zu  machen, 
dass  die  wenig  leistungsfähigen  Extremi- 
täten ein  geringeres  Korpergewicht  zu  tragen 
haben.  —  Einen  wie  grossen  Einfluss  eine 
auch  nur  geringe  Herabsetzung  oder  auch 
Vermehrung  des  Eörgergewichts  auf  die 
Leistungsfähigkeit  der  unteren  Extremitäten 
hat,  lehrt  der  Vergleich  mit  einem  Renn- 
pferde, dessen  Erfolge  bekanntlich  schon 
durch  geringe  Belastungsdifferenzen  erheb- 
lich beeinflusst  werden.  —  Seit  14  Jahren 
-werden  in  der  Klinik  zu  Halle  Entfettungs- 
curen  bei  Gelenkaffectionen  angewandt.  Die 
speciellere  Methode  richtet  sich  nach  der 
Individualität  des  Falles.  —  Veranlassung 
zu  derartigen  Curen  wegen  Erkrankungen 
der  Extremitäten  bei  absoluter  oder  rela- 
tiver Obesität  können  die  verschiedenartigsten 
Störungen  geben.  Hierher  gehören  z.  B. 
die  congenitalen  Luxationen.  Auch  bei 
rachitischen  Kranken  mit  biegsamem  Kno- 
chengerüste und  stark  entwickelter  Körper- 
fülle ist  eine  Berücksichtigung  der  Diät 
von  grosser  Wichtigkeit.  Dann  kommen 
alle  die  erworbenen  Affectionen  wie  Genua 
valga,  Plattfüsse,  resecirte  Knie-  und 
Hüftgelenke  in  Betracht.  Dasselbe  gilt 
Ton  den  Kinderlähmungen.  Auch  bei  der 
von  R.  V.  Yolkmann  als  Gonitis  crepitans 
bezeichneten  Affection  kann  man  mit  einer 
geeigneten  Entfettungscur    Erfolge    erzielen. 

(DeuUehe  Med.  Wochensehr.  1889,  No.  25.) 

B. 

JEine  Klumpfüssmaschine.  Von  Th.  Kölliker, 
Leipzig. 

Zur  Nachbehandlung  des  Klump fusses 
kleiner    Kinder     bedient    Verf.     sich    einer 


Schiene,  zu  der  er  das  Modell  aus  einem 
Guttaperchastreifen  herstellt,  der,  in  heissem 
Wasser  erweicht,  um  den  in  leicht  übercor- 
rigirter  Stellung  befindlichen  Fuss  vom  late- 
ralen Rande  desselben  beginnend  über  den 
Fussrücken,  unter  der  Sohle  durch  und  an 
der  andern  lateralen  Seite  zum  Unterschen- 
kel hinaufsteigend  geleitet  wird.  Nach  dem 
Erhärten  des  Streifens  wird  der  Form  des- 
selben entsprechend  eine  Stahlschiene  gefer- 
tigt, die  innen  mit  Filz  ausgelegt  ist.  Beim 
Anlegen  der  Schiene  wird  zuerst  der  Fuss 
in  das  leicht  federnde  Fussstück  eingescho- 
ben und  dann  das  ünterschenkelstück  der 
Schiene  an  dem  Unterschenkel  befestigt, 
wodurch  der  Fuss  dauernd  in  Supination 
und  Abduction  erhalten  wird.  Vortheilhaft 
hierbei  ist,  dass  die  noch  weiter  nöthigen 
Manipulationen  an  dem  Fusse  (Massage 
etc.)  ungehindert  zur  Ausführung  gelangen 
können. 

{Centralbl  f.  Chirurg.  1889,  No.  15.) 

Freyer  (Stettin), 

Zur  Operationstechnik  bei  der  Unterbindung  der 
Arteria  thjrreoidea  inferior.  Von  Prof.  Dr. 
Rydygier  (Krakau), 

Um  dem  Vorwurf,  den  man  dieser  be- 
hufs Heilung  der  Struma  geübten  Opera- 
tion in  kosmetischer  Hinsicht  gemacht,  zu 
begegnen,  hat  Verf.  ein  neues  Operations- 
verfahren in  Anwendung  gebracht,  das  gleich- 
zeitig die  Ausführung  der  sonst  schwierigen 
Operation  erheblich  erleichtert.  Er  schneidet 
die  Haut  2  cm  über  der  Clavicula  und  par- 
allel zu  dieser,  also  quer  ein  und  trennt 
nach  Spaltung  des  Platysma  und  der  oberen 
Fascie  mit  beiden  Zeigefingern  stumpf  das 
lockere  Gewebe,  allmählich  bis  zum  innern 
Rande  des  M.  scalenus  antic.  sich  in  die 
Tiefe  bohrend,  wo  man  bei  ausgiebigem 
Klaffenmachen  der  Wunde  den  Truncus  thy- 
reocervic.  resp.  die  Art.  thyreoid.  inf.  als- 
bald zu  Gesicht  bekommt.  Verf.  unterbin- 
det stets  doppelt  und  hat  bisher  noch  kein 
Einreissen  der  Arterie  erlebt.  Die  Narbe 
versteckt  sich  hernach  in  der  natürlichen 
Querfaltung  der  Halshaut  und  liegt  ausser- 
dem so  weit  nach  unten,  dass  sie  kaum  sicht- 
bar ist. 

{Centralbl.  f.  Chirurgie,  1889,  No.  14.) 

Freyer  (SteUin). 

Ueber  eine  neue  Behandlungsmethode  der  seit- 
lichen Rückgratsverkrümmung.  Von  Dr.  H. 
Wolfermann  in  Strassburg  i.  Eis. 

Von  der  Erwägung  ausgehend,  dass  es 
sich  bei  der  Scoliose  um  eine  Drehung  der 
Wirbelsäule  um  ihre  Längsachse,  sowie  um 
eine  Herausrückung  der  Säule  aus  der  Sym- 


382 


Referate. 


rTherApeotische 
L  MoTiKtahefte. 


metrieebeoe  handelt,  hat  Yerf.  einen  corset- 
artigen  Apparat  construirt,  der  aus  zwei  ge- 
trennten Th eilen,  einem  Beckenstück  und 
einem  Thoraxstück,  besteht  und  vermöge 
seiner  Construction  das  letztere  gegen  das 
erstere  1.  um  die  Längsachse  der  Wirbel- 
säule, 2.  um  die  sagittale  Achse  zu  drehen, 
3.  in  der  Höhenrichtung  und  4.  in  frontaler 
BichtuDg  nach  rechts  oder  links  zu  yer- 
schieben  vermag.  An  einer  Abbildung  wird 
der  Apparat,  zu  dessen  Herstellung  es  eines 
Gypsmodells  im  gegebenen  Falle  bedarf,  er- 
läutert. Der  Apparat  ist  patentirt  und  wird 
von  Prof.  Lücke  als  sehr  erfolgreich 
empfohlen. 

(Cemtralbl.  für  Chirurgie  1888  No.  42,) 

Freyer  {SUUin). 

Die   Wendung   bei   engem   Becken.    Von  Dr.  W. 

Nagel  (Berlin). 

Aus  der  Gus s er o waschen  Klinik  ver- 
öffentlicht Nagel  80  Geburten  bei  eugem 
Becken  und  bespricht  im  Anschluss  daran 
die  Therapie  derselben.  60  davon  sind 
durch  die  Wendung  behandelt  worden,  sämmt- 
liche  60  Mütter  sind  dabei  am  Leben  ge- 
blieben, eine  von  ihnen  musste  einer  Fistel 
wegen  wiederholt,  beim  dritten  Male  mit 
Erfolg  operirt  werden;  6 mal  sind  mit 
einer  Ausnahme  unerhebliche  Erkrankungen 
im  Wochenbett  notirt;  das  eine  Mal  han- 
delte es  sich  um  eine  vorübergehende  Phleg- 
masia alba  dolens.  Yon  61  Eündern  sind 
46  lebend  geboren.  Yon  den  20  Müttern, 
bei  denen  die  hohe  Zange  angelegt  wurde, 
starben  4,  im  Wochenbett  erkrankten  ausser- 
dem 8,  ebensoviel  blieben  gesund;  von  den 
Kindern  wurden  17  lebend,  3  todt  geboren. 
Schon  aus  dieser  Zusammenstellung  ergiebt 
sich  der  Vorzug,  den  die  Wendung  verdient^; 
aber  auch  die  20  Fälle  der  hohen  Zange 
sind  nur  geschehen,  wenn  in  Fällen,  die  an- 
fönglich  sich  selbst  überlassen  worden  wa- 
ren, der  Kopf  wohl  durch  die  Beckenenge 
mit  seinem  grösseren  Theile  getrieben  war, 
die  Contractionen  nunmehr  nachliessen  und 
der  Zustand  der  Mutter  gebieterisch  eine 
Beendigung  der  Geburt  verlangte,  sodass 
also  die  Zange  nicht  wegen,  sondern  trotz 
des  engen  Beckens  angelegt  wurde,  um  das 
Kind  vor  der  sonst  nothwendigen  Perfo- 
ration zu  retten.  Grade  um  dem  Bestreben 
entgegenzutreten,  die  hohe  Zange  bei  engem 
Becken  wieder  einzufuhren,  da  es  in  Anbetracht 
des  Einflusses,  den  die  englischen,  die  hohe 
Zange  noch  immer  verehrenden  Geburts- 
helfer zum  Theil  noch  haben,  und  nach 
Einführung  der  Achsenzugzangen,  nicht  gar 
wunderbar  wäre,  wenn  eine  Empfehlung  für 
diesen    Eingriff    eines'    schönen  Tages    auch 


aus  irgend  einer  deutschen  Klinik  empor- 
tauchte, femer  im  Gegensatz  zu  der  von. 
Winter  empfohlenen  Methode,  bei  Erst- 
gebärenden der  durch  den  Yei tischen  Hand- 
griff nothwendig  —  dies  bestreitet  Verf. 
entschieden  —  eintretenden  tiefen  Damm- 
risse und  des  Unterschiedes  in  der  Wehen- 
thätigkeit  bei  Primip.  und  Multip.  wegen  abzu- 
warten und  später  eine  Zange  anzulegen, 
hat  Nagel  diese  Arbeit  veröffentlicht;  und 
er  präcisirt  und  begründet  vollauf  seinen 
Standpunkt  dahin:  ist  bei  Iparae  bei  völlig 
erweitertem  Muttermunde  und  stehender 
Blase  der  Kopf  nicht  in  das  Becken  ein- 
getreten, oder  zögert  er,  nach  dem  Blasen- 
sprunge dies  zu  thun,  so  soll  man,  ganz 
gleichgültig,  ob  in  dem  letzten  Falle  der 
Muttermund  vollkommen  erweitert  ist  oder 
nicht,  zur  inneren  ev.  combinirten  Wendung 
(ev.  ohne  sofort  folgende  Extraction)  schrei- 
ten; bei  Mehrgebärenden  kann  man  etwas 
länger  warten,  wenn  der  Verlauf  früherer 
Geburten  auf  eine  natürliche  Geburt  eines 
lebenden  Kindes  hoffen  lässt;  mit  grund- 
sätzlichem Warten  überlässt  man  die  Frau 
in  vielen  Fällen  ihrem  guten  Glücke,  denn 
die  lange  Dauer  der  Geburt  ist  es  haupt- 
sächlich, welche  die  Prognose  trübt,  sowohl 
für  Mutter  wie  für  Kind.  Für  die  Wendung 
selbst  empfiehlt  Verfasser  das  Herabholen 
des  Fusses  der  vorliegenden  Fruchtseite 
resp.  bei  Querlagen  mit  dem  Bauch  nach 
vorne  des  oberen  Fusses  und  nach  der  Wen- 
dung das  Abwarten  einiger  üteruscontrac- 
tionen  für  die  Fixirung  des  Steisses,  die  bei 
engem  Becken  nie  sofort  erfolgt. 

(Arch./.  Gynaekol  No.  XXXIV.  I.) 

Landsberg  (Sletü»), 

Die  Therapie  des  engen  Beckens.  Von  Duhrssen 

(Berlin). 

Von  den  verschiedenen  Arten  des  engen 
Beckens  kommen  für  die  GeburtsstÖrungen 
hauptsächlich  in  Betracht  das  allgemein 
verengte  und  das  noch  häufigere  platte 
Becken.  Bei  jenem  beträgt  die  Verenge- 
rung im  allgemeinen  nicht  über  2  cm,  d.  h. 
der  Raum  wird  nicht  so  beschränkt,  dasa 
ein  normaler  Kindsschädel  nicht  hindurch- 
ginge. Demzufolge  halten  auch  fast  alle 
Autoreb  hier  ein  exspectatives  Verfahren 
indicirt;  nur  bei  besonderen  Gomplicationen, 
wie  Hinterscheitelbeinstellung,  Nabelschnur- 
vorfall und  Querlage,  ist  die  (von  Lietz- 
mann  ziemlich  immer  verlangte)  Wendung 
angezeigt.  Beim  exspectativen  Verfahren 
nun  kommt  es  allerdings  häufig  zu  Wehen- 
schwäche und  Stillstand  der  Geburt,  wäh- 
rend das  Befinden  der  Mutter  die  Beendi- 
gung   verlangt.     Duhrssen    erklärt    diesen 


HL  Jahrgang.! 
Anfratt  1889.  J 


Referate. 


383 


pathologischen  Zustand  in  weiterer  Yerfol- 
gung  der  Dohrn' sehen  Ansicht,  das  allge- 
mein yerengte  Becken  sei  eine  auf  einer 
kindlichen  Stufe  der  Entwickelung  stehen 
gebliebene  Form,  mit  einer  ebenfalls  mangel- 
haften Ausbildung  der  Uterusmusculatur, 
der  Vagina  und  des  Introitus  vaginae,  aus 
welcher  er  auch  die  Rigidität  dieser  Theile 
herleitet.  Damit  erklärt  er  wiederum  die 
häu£g  sehr  grosse  Schwierigkeit  der  Zangen- 
extraction  unter  oben  genannten  Umständen 
und  giebt  nunmehr  den  Rath,  in  solchen 
Fällen  die  ganz  ungefährlichen  seitlichen 
Incisionen  des  Introitus  ev.  auch  des  Mutter- 
mundsaumes vorzunehmen,  ein  Verfahren, 
durch  welches  er  „mit  überraschender  Leich- 
tigkeit^ anfangs  schwierige  Zangenextractio- 
nen  Yollendete  und  das  nach  seiner  Meinung 
somit  geeignet  ist,  die  Indicationen  für  Per- 
foration des  lebenden  Kindes  sehr  einzu- 
schränken. 

Beim  platten  Becken  kommen  bei  Conj. 
Tera  unter  5,5  der  Kaiserschnitt,  bei  solcher 
Ton  7,0 — 5,5  die  Perforation  oder  der 
Kaiserschnitt  (relative  Indication)  in  Be- 
tracht, wobei  D.  sich  mehr  für  das  erstere 
"Verfahren  ausspricht.  Verengerungen  von 
9,5  —  8,5  und  von  8,5  —  7,0  cm  Conj.  vera 
erfordern  nach  D.^s  Ansicht  bei  beweglichem 
Kopf  und  völlig  erweitertem  Muttermund 
die  Wendung  (prophylactisch)  und  Extraction. 
Das  abwartende  Verfahren,  auch  bei  Primip., 
-wie  es  Winter  vorschlägt,  verwirft  er. 
lieber  die  Methode  bei  wenig  oder  nicht 
-völlig  erweitertem  Muttermunde,  wo  ja  von 
anderer  Seite  die  combinirte  Wendung  ohne 
sofortige  Extraction  vorgeschlagen  wird, 
spricht  sich  Dührssen  nur  insoweit  aus, 
als  er  auch  da  durch  Cervixincisionen  sich 
die  günstige  Erweiterung  schaffen  würde. 
Bei  der  Entwicklung  des  nachfolgenden 
Kopfes  nun  schliesst  er  sich  nach  selbst- 
ständig von  ihm  gemachten  Erfahrungen 
dem  Bath  an,  den  Winkel  auf  der  letzten 
Gynäkologenversanmilung  gab,  nämlich  mit 
dem  Zeigefinger  einer  Hand  in  den  Mund 
des  Kindes  einzugehen  und  so  das  Kinn 
der  Brust  genähert  zu  halten,  mit  der  an- 
dern Hand  direct  auf  den  Kopf  in  der  Rich- 
tung nach  der  Stirn  zu  drücken  (A.  Mar- 
tin'scher  Handgriff).  Es  erspart  dieses 
Verfahren  gegenüber  dem  Veit-Smellie'- 
schen  Handgriff,  den  D.  nun  auch  den 
Mauriceau-Le  vre  tischen  nennt,  einen 
Assistenten  und  führt  schneller  zum  Ziel: 
innerhalb  30  Secimden  wurde  damit  der 
Kopf  eines  ausgetragenen  Kindes  entwickelt 
bei  einer  Conj.  von  6,6  cm. 

(BM-ftner  Klinik.    Btft  8.) 

Landsberg  {Stettin). 


Zur  therapeutischen  Verwendung  des  HydraceÜn 
gegen  Psoriasis.  Von  Dr.  Oe Streicher 
(Berlin). 

Verf.  hat  bei  sechs  Patienten  mit  Pso- 
riasis in  der  Lassar 'sehen  Klinik  das  von 
P.  Guttmann  als  „für  die  Behandlung  der 
Psoriasis  versuchsweise  in  Aussicht  zu 
nehmende"  Hydracetin  in  Anwendung  ge- 
zogen. Das  Medicament  wurde  erst  in  einer 
10-j  dann  wegen  zu  geringer  Wirkung  in 
einer  20-procentigen  Lanolinsalbe  täglich 
auf  die  betroffenen  Hautstellen  eingerieben 
und  nach  24  Stunden  erneuert.  Der  Gontrole 
wegen  wurde  jede  andere  unterstützende 
innerliche  und  äusserliche  Medication  (Seifen- 
bäder etc.)  unterlassen.  Bei  allen  Kranken 
zeigte  sich  örtlich  ein  sehr  guter  Erfolg  des 
Hydracetins  auf  die  Affection;  die  Schuppen- 
bildung schwand  in  etwa  14  Tagen,  Ent- 
zündung oder  Verfärbung  der  Haut,  Flecke 
in  der  Wäsche  traten  nicht  auf.  Von  der 
7.  bis  10.  Inunction  stellten  sich  aber  bei 
allen  Personen  mehr  oder  weniger  schwere 
Allgemeinerscheinungen:  Mattigkeit,  Schwere 
der  Glieder,  Blässe  der  Haut  und  sichtbaren 
Schleimhäute,  bei  einem  Patienten  sogar 
Icterus  ein.  Der  letztere  Kranke  konnte 
sich  nur  noch  mühsam  fortbewegen.  Fieber 
fehlte.  Puls  normal,  Herzthätigkeit  und  Ver- 
dauung nicht  gestört.  Urin  dunkel-mahagoni- 
braun, mit  einem  Stich  ins  Grünliche,  ent- 
hält jedoch  keine  Gallenfarbstoffe,  geringe 
Mengen  Eiweiss,  keinen  Blutfarbstoff  oder 
rothe  Blutkörperchen;  Reaction  auf  Garbol- 
oder  Salicylderivate,  sowie  der  Ausfall  der 
Trommer^schen  Probe  negativ;  Indicange- 
halt  des  Harns  (Jaffe)  vermehrt.  Im  Blut 
mikroskopisch  keine  Veränderungen. 

Wenn  also  auch  das  Hydracetin  einen 
sehr  günstigen  Einfluss  auf  die  Heilung  der 
Psoriasis  hat,  so  müssen  doch  wegen  seiner 
gefährlichen  toxischen  Eigenschaften  erst 
weitere  Versuche  in  Betreff  seiner  Anwendung 
und  Dosirung  angestellt  werden,  ehe  das 
Mittel  allgemein  für  die  Therapie  der  Psoriasis 
in  Gebrauch  gezogen  werden  kann. 

(Berl.  Klin,  Wochentehr.    1889.    No.  28.) 

George  Meyer  {ßerUn), 

Gallenstein,  geheilt  durch  Neuenahrer  Sprudel« 
Von  Dr.  Lenne. 

Eine  38jährige  Nähterin  hatte  3  Jahre 
zuvor  einen  schweren  Anfall  von  Gallenstein- 
kolik durchgemacht.  Eine  dagegen  ange- 
wandte Trinkcur  von  Garlsbader  Wasser  be- 
kam ihr  nicht  gut,  weshalb  dieselbe  einge- 
stellt werden  musste.  In  den  folgenden 
Jahren  zeitweise  leichte  Schmerzen,  die  durch 
Morphin  beseitigt  wurden.  Im  dritten  Jahre 
wurde  L.  wegen  eines  heftigen  Anfalls  con- 


384 


Referate. 


rrherapeatlfldi« 
L  Monatshefte. 


«ultirt.  Nach  der  üblichen  Behandlung  zur 
Beseitigung  der  augenblicklichen  Beschwer- 
■den  verordnete  er  eine  Trinkcur  mit  Neuen- 
ahrer  Sprudel.  Der  Erfolg  war  ein  vorzüg- 
licher. Schon  in  der  vierten  Woche  begann 
der  Abgang  von  Steinen,  so  dass  nach  und 


nach  einige  20  erbsengrosse  Steine  gesam- 
melt wurden.  Seitdem  —  seit  5  Jahren  — 
ist  Fat.,  welche  noch  vorsichtshalber  2  Jahre 
Neuenahrer  Wasser  getrunken  hatte,  von 
den  Kolikanfallen  verschont  geblieben. 

(AUgem.  med.  Cmtr.-Ztg.  1889  No,  44.)  B. 


Toxikologie. 


Eine  Antifebrin Vergiftung.    Von  Dr.  L.  Brie g er, 
pract.  Arzt  Id  Neisse.    (Original-Mittheilung.) 

Bei  der  immer  mehr  zunehmenden  An- 
wendung von  Antifebrin  und  in  Berücksich- 
tigung des  Umstandes,  dass  dasselbe  im 
Handverkaufe,  auch  in  Droguenhandlungen 
und  zu  so  billigem  Preise  zu  haben  ist 
(Taxe  10  g  20  Pf.),  dürfte  folgender  Fall 
zur  Vorsicht  beim  Gebrauche  auch  nur 
mittlerer  Dosen  mahnen  und  zeigen,  wie 
nöthig  es  endlich  ist,  dieses  Mittel  für 
die  Apotheken  und  die  Receptur  zu  reser- 
viren. 

Der  28jährigen  Schuhmachersfrau  K.,  die  an 
grosser  Blutleere  und  häufigen  Migräneanföllen 
leidet,  waren  Antifebrinpulver  (ä  0,5  g,  bei  einem 
Anfall  1  Pulver,  event.  nach  1  Std.  ein  zweites 
zu  nehmen)  verordnet  worden.  Am  23.  Juni  nun 
nahm  sie  wegen  heftiger  Kopfschmerzen  früh 
Yg8  Uhr  zwei  Pulver,  und  da  sie  wohl  Erleichte- 
rung, doch  kein  Verschwinden  der  Schmerzen 
fühlte,  gegen  YjB  Uhr  ein  drittes.  Nach  9  Uhr 
empfand  sie  dann  plötzlich  Uebelkeit,  sie  erbrach 
etwas  und  vor  den  Augen  wurde  ihr  ganz  schwarz. 
Allmählich  verschlimmerte  sich  der  Zustand.  Ge- 
gen Yi^^  ^^^  ^^^  ^^^  Kranke.  Nägel,  Gesichts- 
haut, Lippen,  sowie  alle  sichtbaren  Schleimhäute 
tief  cyanotisch.  Arme  und  Beine  blass  und  kühl. 
Am  ganzen  Körper,  mit  Ausnahme  des  Kopfes, 
Zuckungen;  Puls  sehr  schwach,  Herzaction  stark 
erregt,  grosse  Angstgefühle;  Pupillen  waren  etwas 
erweitert  und  ihre  Reaction  sehr  träge.  Zudem 
bestand  Doppelsehen.  Der  Zustand  war  ein 
äusserst  schwerer. 

Unter  der  energischen  Anwendung  von  Reiz- 
mitteln (Aether  subcutan  und  per  os,  starkem 
Kaffee),  sowie  fortwährendem  Reiben  des  Körpers 
mit  hautreizenden  Mitteln  besserte  sich  ganz  lang- 
sam das  Befinden;  der  Puls  wurde  etwas  kräfti- 
ger und  die  Cjanose  wich  allmählich  einer  grossen 
Blässe.  Nach  ca.  2  Stunden  war  jede  directe 
Gefahr  verschwunden;  grosse  Schwäche,  sowie 
Reizbarkeit  blieb  jedoch  noch  mehrere  Tage  be- 
stehen. Die  Kopfschmerzen  waren  wohl  nach  dem 
dritten  Pulver  verschwunden,  stellten  sich  aber 
dann  nach  den  Brechbewegungen  wieder  ein. 


(Ans  dem  Laboratorium  der  med.  Klinik  In  .fena.) 

Die  Aetzwirkung  des  Broms  und  ihre  Behandlung« 

Von  Docent  £.  Sehrwald  (Jena). 

Ein  Fall,  der  S.  in  jüngster  Zeit  zur 
Beobachtung  kam,  war  Veranlassung,  die 
Frage  zu  erörtern,  in  welcher  Weise  die  Ver- 
ätzungen durch  Brom  und  Bromdämpfe  am 
rationellsten  zu  behandeln  sein  werden.  — 
Einer  der  im  Laboratorium  arbeitenden 
Herren  goss  sich  bei  der  Darstellung  von 
Bromlauge  etwa  5  ccm  reines  Brom,  das  mit 
20ccm  verdünnter  Kalilauge  überschüttet  war, 
aus  Versehen  über  die  rechte  Hand.  Es 
trat  eine  ausgiebige  Verätzung  des  untern 
Viertels  der  Beugseite  des  Vorderarmes  und 
des  angrenzenden  Handtellers  auf.  Ausser- 
dem spritzten  einige  Tropfen  der  Flüssigkeit 
ins  Gesicht.  Die  Reizung  der  Respirations- 
schleimhäute war  sofort  eine  äusserst  intensive. 

Die  Folgen  an  der  Haut  waren  die  be- 
kannten. Die  Haut  zeigte  sofort  eine  starke 
Gelbfärbung,  die  Epidermis  hob  sich  strecken- 
weise in  grossen  Blasen  ab,  die  Schmerz- 
haftigkeit  war  bedeutend. 

Nachdem  2 — 3  Minuten  verstrichen  waren, 
sah  S.  den  Verletzten.  Er  Hess  die  geätz- 
ten Partien  reichlich  mit  einer  1  —  2®/o  Car- 
bollösung  bespülen,  wodurch  fast  momentan 
alles  noch  freie  Brom  gebunden  wurde. 
Zugleich  milderte  das  Carbol  auch  die  be- 
stehenden Schmerzen,  da  es  bei  längerer 
Berührung  mit  der  Haut  eine  nicht  unbe- 
deutende Anästhesie  zu  erzeugen  vermag. 

Um  einen  klaren  Einblick  bezüglich  der 
günstigen  Wirkung  des  Carbol s  zu  gewinnen, 
hat  S.  auch  an  sich  selber  einige  Versuche 
angestellt.  Er  brachte  sich  auf  die  Rücken- 
fläche eines  Fingers  einige  Tropfen  chemisch 
reinen  Broms  und  tauchte  nach  einigen  Mi- 
nuten den  Finger  in  eine  2%  CarboUösung. 
Das  Brom  fiel  sofort  als  weissliche  Wolke 
ab,  und  als  S.  nach  einer  halben  Minute 
den  Finger  herauszog,  war  an  der  Haut 
nichts  zu  sehen,  als  eine  leichte  weisse 
Färbung  und  eine  geringe  Schrumpfung  der 
Epidermisdecke.  Keine  Blasenbildung,  keine 
unangenehme  Empfindung. 


II 


in.  Jahrgang.") 
AugQiit  1889.  J 


Tozlkologltt. 


385 


Wichtiger  war  nun  die  Frage,  ob  man 
auch  die  so  viel  häufigeren  Reizungen  der 
Schleimhäute  durch  Carbol  zum  Verschwin- 
den bringen  könne.  S.  athmete  selber  Brom- 
dämpfe ein  und  sobald  eine  heftige  Reiz- 
wirkung in  Nase,  Augen  u.  s.  w.  sich  ein- 
stellte, athmetete  er  nun  Dämpfe  Yon  reinem 
Acid.  carbolic.  liquef.  nach.  Schon  nach 
wenigen  Athemzügen  war  jede  unangenehme 
Empfindung  verschwunden,  und  so  oft  S. 
den  Yersuch  wiederholte,  trat  stets  derselbe 
günstige  Effect  ein. 

Wie  weit  auch  bei  einer  innerlichen  Ver- 
giftung mit  Brom  das  Carbol  sich  empfehlen 
würde,  ist  zunächst  noch  nicht  zu  ent- 
scheiden. Jedenfalls  geht  aber  aus  Verfassers 
Beobachtungen  hervor:  „dass  bei  Verätzungen 
der  Haut  durch  Brom  die  verdünnte  Carbol- 
säure  als  Antidot  und  Anästheticum  das 
weitaus  rationellste  Mittel  ist,  unddass  ebenso 
bei  Reizungen  der  Schleimhäute  durch  Brom- 
dämpfe das  Einathmen  der  Dämpfe  des  con- 
centrirten  verflüssigten  Carbols  geradezu  als 
Specificum  wirkt  und  vor  allen  bisher  empfoh- 
lenen Mitteln  weitaus  den  Vorzug  verdient." 

{Wien.  med.  Wochensehr.  89.  No.  25-26.)         R. 

Tod  durch  Inhalation  von  Aethylenbromid. 

Mehrfach  ist  in  den  Therap.  Monatsheften 
auf  die  Gefahren  hingewiesen,  welche  die 
Benutzung  eines  unreinen  Bromäthyls  oder 
gar  des  in  seiner  Wirkung  wesentlich  ver- 
schiedenen und  toxischen  Aethylenbromid  für 
den  Patienten  bietet.  Wir  verweisen  auf 
die  diesem  Gegenstand  behandelnden  Artikel 
in  den  Jahrgängen  1887  und  1888  dieser 
Hefte  von  Asch,  Langgaard,  Szuman, 
Hirsch.  Der  vorliegende  von  einem  Dr.  A, 
berichtete,  tödtlich  endigende  Fall  einer 
Aethylenbromid-Inhalation  zeigt,  wie  berech- 
tigt diese  Warnungen  sind. 

Es  handelte  sich  um  einen  31 -jährigen, 
vollkommen  gesunden  und  arbeitsfähigen 
Tagelöhner,  bei  welchem  behufs  Operation 
eines  eingewachsenen  Nagels,  nach  Angaben 
des  Arztes  zunächst  „Aethylenbromat"  zur 
Narkotisirung  verwendet  wurde.  Der  nächste 
Erfolg  der  Inhalation  war,  dass  Fat.  un- 
bändig wurde,  injicirte  Conjunctiven,  Rei- 
zung im  Kehlkopf  bekam,  über  starke 
Schmerzen  unter  dem  Brustbein  klagte  und 
behauptete  von  dem  Mittel  verschluckt  zu 
haben.  Betäubung  trat  nicht  ein.  Im 
Ganzen  waren  etwa  40  g  des  Mittels  ver- 
braucht. Auch  der  die  Narkose  leitende 
Arzt  hatte  die  Wirkung  des  Mittels  auf 
seine  Augen  empfunden.  Es  wurde  darauf 
Chloroform  benutzt,  welches  bald  Narkose 
herbeiführte,  und  die  Operation  ohne  Zwi- 
schenfall ausgeführt. 


Nach  dem  Erwachen  klagte  Fat.  über 
Schmerzen  „unter  dem  Herzen^*  und  erbrach 
im  Laufe  des  Tages  mehrmals  heftig.  Diese 
Erscheinungen  steigerten  sich  am  nächsten 
Tage  und  in  der  darauffolgenden  Nacht  trat 
der  Tod  bei  vollständigem  Bewusstsein  unter 
den  Erscheinungen  der  Herzschwäche  ein. 
Gegen  Ende  beobachtete  der  behandelnde 
Arzt  Eurzathmigkeit   und    Bronchialrasseln. 

Bei  der  Section  ergab  sich:  die  Magen- 
schleimhaut gelblich  gefärbt,  fettig,  an 
mehreren  Stellen  hellrothe  Wulstungen  von 
Funktform  bis  Linsengrösse.  Verletzungen 
der  Schleimhaut  waren  nicht  vorhanden, 
ebenso  keine  Entfärbung  oder  Defecte  an 
den  Lippen,  der  Mundschleimhaut,  in  der 
Umgebung  des  Kehlkopfes  oder  dem  An- 
fangstheil  der  Speiseröhre.  Letztere  zeigte 
in  den  tiefer  gelegenen  Abschnitten  nament- 
lich oberhalb  der  Gardia  mehrfach  hellrothe 
Flecken  und  stellenweise  Abschürfungen  der 
Schleimhaut.  In  dem  Mageninhalt  konnte 
Brom  nicht  nachgewiesen  werden.  Die  Leber 
zeigte  beginnende  Verfettung.  Die  Lungen 
waren  dunkelroth,  stark  blut-  und 
wenig  lufthaltig;  die  rechte  Lunge  mit  der 
Brustwand  verwachsen.  Die  Schleimhaut 
der  grossen  Luftröhre,  sowie  deren 
Verzweigungen  bis  in  die  feinsten 
Bronchien,  war  hellroth  gefärbt  und 
mit  röthlichem  Schleim  bedeckt.  Herz- 
muskulatur schlaff  und  wenig  entwickelt, 
blassbraunroth. 

Die  Untersuchung  des  zur  Anwendung 
gelangten  Narcoticum,  von  welchem  noch 
7,2  g  vorhanden  waren,  ergab,  dass  dasselbe 
Aethylenbromid  C  Hj  Br —  CHaBr  und 
nicht  das  als  Anästheticum  empfohlene 
Aethylbromid  C  H3  —  CHj  Br  war. 

Offenbar  hatte  der  Arzt  beabsichtigt,  das 
vielfach  mit  gutem  Erfolge  benutzte  Brom- 
äthyl anzuwenden.  Aus  den  vor  Gericht  ge- 
machten Aussagen  geht  hervor,  dass  sowohl 
Arzt  als  auch  Apotheker  über  den  Unter- 
schied von  Aethylbromid  und  Aethylenbromid 
gänzlich  im  Unklaren  waren.  (S.  unter  Fract. 
Notizen  d.  Heft.  S.  390  Bromäthyl.    Red.) 

{Aerztl.  Miitheilg.  aus  u.  für  Baden  1889  No.  12  «.  13.) 

rd. 

Schwere    Antipyrinvergiftung    bei    einem    Kinde 
(Antipyrinepilepsie).    Von  Dr.  Franz  Tuczek. 

Vf.  hat  seine  eignen  3  Kinder  wegen 
Keuchhusten  mit  Antipyrin  behandelt.  Das 
älteste  Kind,  ein  4 jähriger  kräftiger  Knabe, 
erkrankte,  nachdem  er  3  Wochen  hindurch 
3  Male  täglich  0,4  g  Antipyrin  bekommen 
hatte,  an  tiefem  Sopor,  in  dem  sich  moto- 
rische Reizerscheinungen  stürmischer  Art, 
darunter  gehäufte  epileptische  Krampfanfälle, 

49 


386 


Tozikologltt. 


PTherapeatiache 
L  Monatshefte. 


eigenthümlicher  AthmungstypuB ,  Arhythmie 
der  Herzthätigkeit,  Pupillenerweiterung  ein- 
stellten. Dabei  trat  ein  maculoBes  Exanthem 
auf,  bei  subnormaler  Temperatur  und  ver- 
langsamstem gespanntem  Puls.  Am  3.  Krank- 
heitstage beginnt  sich  das  Bewusstsein  auf- 
zuhellen, die  Krämpfe  klingen  ab  und  kehren 
vom  4.  Tage  an  nicht  -wieder. 

Nach  Ausschluss  aller  andern  Krankheits- 
ursachen, z.  B.  Meningitis,  konnte  es  sich 
nur  um  eine  Intoxication  handeln  und  zwar, 
da  kein  anderes  Gift  gereicht  war,  nur  um 
eine  Antipyrinvergiftung. 

Die  Krämpfe  trugen  vollständig  den 
Charakter  der  Rindenepilepsie,  was  bei  der 
unzweifelhaften  Wirkung  des  Antipyrins  auf 
die  Grosshirnrinde  nicht  Wunder  nimmt. 

Bemerkenswerth  ist  ferner  noch  das  Auf- 
treten von  Acetonurie  während  des  ganzen 
Elrankheitsverlaufes,  von  der  Yf.  annimmt, 
dass  sie  durch  gesteigerten  Zerfall  eiweiss- 
haltigen  Materials  in  Folge  der  Ejrämpfe  ent- 
standen sei. 

{BerUner  klinische  Woehentchriß  1889  No.  17.) 

Sehmey  {Beuthen  0,  3.). 


Litteratur. 


Handbach  der  Geburtshülfe.  Herausgegeben  von 
Dr.  P.  Müller,  n.  Band,  1.  Hälfte.  Stuttgart, 
Enke,  1888»). 

Der  unlängst  erschienene  erste  Theil  des 
zweiten  Bandes  dieses  Handbuches  hat  die 
Erwartungen,  die  nach  dem  ersten  Bande 
von  ihm  gehegt  werden  durften,  nicht  ge- 
täuscht. J.  Yeit,  der  zunächst  die  „ver- 
schiedenen Schwangerschafts-  und  Geburts- 
storungen  bespricht,  beginnt  mit  den  Ent- 
zündungen an  und  im  Uterus:  Perimetritis 
mit  eclatant  septischen  Erscheinungen  will 
er  stets  ndt  criminellem  Abort  zusammen- 
hängend wissen;  bei  der  Endometritis  unter- 
scheidet er  auch  während  der  Schwanger- 
schaft die  gewöhnlichen  3  Formen,  weist 
die  Deciduome  als  unhaltbar  zurück,  sieht 
auch  die  Placenta  marginata  als  eine  Folge 
der  Endometritis  an,  während  er  als  ätio- 
logisches Moment  für  die  Endometritis  chro- 
nica gravidarum  selbst,  unter  Entlastung 
der  Syphilis,  eine  gleiche  Erkrankung  vor 
der  Schwangerschaft  hinstellt,  wie  er  dies 
wiederholt  nachweisen  konnte.  Als  Folge 
der  Endometritis  nun  tritt  sehr  häufig  der 
Fruchttod     ein,     der    seinerseits    wieder   zur 


»)  Vergl.  Th.  M.  1888  S.  396  ff. 


Unterbrechung  der  Schwangerschaft  in  den 
ersten  Monaten,  zum  Abort,  führt,  nicht 
weil  die  todte  Frucht  als  Fremdkörper 
wirkt,  sondern  weil  mit  ihrem  Tode  alle 
die  Ursachen  fortfallen,  welche  erfahrungs- 
gemäss  zur  Ausdehnung  des  Uterus  und  zunoi 
Ausbleiben  von  Contractionen  führen.  Der 
Fruchttod  und  damit  wieder  der  frühzeitige 
Abort  kann  ferner  herbeigeführt  werden 
durch  Myxoma  chorii,  durch  plötzliche 
Steigerung  der  Temperatur,  durch  Uebergang 
von  Infectionsstoffen;  der  Abort  in  späterer 
Zeit  meist  durch  Syphilis  und  Nephritis. 
Zum  Theil  können  diese  Momente  auch 
ohne  das  Zwischenglied  des  Fruchttodes  zum 
Abort  führen,  wie  dies  auch  bei  Traumen 
(Cohabitation),  wenn  auch  nicht  in  dem 
Maasse  möglich  ist,  wie  dies  bisher  allge- 
mein geglaubt  wurde,  bei  Retroflexio  uteri, 
tiefen  Gervixrissen  etc.  Nach  Darlegung  der 
Symptome  und  Besprechung  der  Diagnose 
mit  besonderer  Berücksichtigung  des  Cervi- 
calabortes,  d.  h.  desjenigen  Zustandes,  bei 
welchem  das  Ovulum  in  das  untere  Uterin- 
segment und  den  erweiterten  Gervicalcanal 
kommt,  ohne  durch  den  rigiden  äusseren 
Muttermund  ausgestossen  werden  zu  können, 
unterscheidet  Verfasser  für  die  Therapie  den 
drohenden  Abort,  den  vor  sich  gehenden 
Abort  und  die  Retention  von  Eitheilen.  Für 
den  ersteren  hält  er  Bettruhe  für  ca.  10  Tage, 
aber  nicht  über  Wochen  und  Monate  hinaus, 
da  eine  event.  Lockerung  zwischen  Ovulum 
und  Uterus  sich  bereits  in  jener  Zeit  wieder 
consolidirt,  und  Opiate  für  indicirt;  beim 
vor  sich  gehenden  Abort  wartet  er  zunächst 
ab,  um  eine  vollständige  Ausstossiing  des 
Eies  zu  erreichen,  lässt  sich  jedoch  durch 
stärkere  Blutungen  zum  Eingreifen  zwingen 
und  zwar  wählt  er  bei  geschlossenem  Mut- 
termund die  feste  Tamponade,  die  zugleich 
wehen  anregend  wirkt,  sonst  die  manuelle 
Entfernung  des  Eies;  letztere  muss  jedoch 
event.  nach  instrumenteller  Dehnung  des 
äusseren  Muttermundes  bei  Zersetzungsvor- 
gängen, nach  Incision  desselben  bei  Ger- 
vicalabort  angewandt  werden.  Bei  Retention 
kleinerer  Eitheile  ist  die  Ausräumung  mit 
der  Curette  oder  dem  Löffel  vorzunehmen, 
beim  Zurückbleiben  grösserer  Reste  oder  des 
ganzen  Eies  bei  geschlossenem  Muttermund 
die  Dehnung  desselben  durch  Quellmeissel 
mit  nachfolgender  manueller  Entfernung. 
Blutungen  nach  dem  Abort  sind,  wenn  sie 
nicht  auf  Retention  von  Eiresten  beruhen, 
die  Ursache  also  in  einer  Atonie  des  Uterus 
liegt,  durch  Tampon  ade  (Jodoformgaze  nach 
Dührssen)  zu  stillen.  Die  Behandlung  der 
Wiederkehr  des  Aborts  föllt  zusammen  mit 
der    der    vorliegenden    Endometritis,    Retro- 


in.  Jahrgang.") 
AngMt  1889.  J 


Littentur. 


387 


flexio  etc.  Im  nächBten  Capitel  bespricht 
Yeit  die  Placenta  praeyia,  die  er  als  Ent- 
'wicklung  der  Placenta  im  unteren  Uterin- 
segment definirt,  eine  Abnormität,  für  welche 
er  den  ütemskatarrh  in  sofern  verantwort- 
lich macht,  als  die  Flimmerbewegung  der 
Epithelien  und  der  Tonus  der  Musculatur, 
der  sonst  die  Erweiterung  der  Höhle  hin- 
dert, verloren  geht,  und  empfiehlt  bei  der 
Therapie  vor  Allem,  sobald  der  innere  Mut- 
termund für  zwei  Finger  durchgängig  ist, 
die  combinirte  Wendung  ohne  Rücksicht  auf 
das  kindliche  Leben,  event.  mit  Durchboh- 
rung der  Placenta,  und  ohne  anschliessende 
Extraction,  jedoch  mit  Gewährung  eines 
leichten  Zuges  an  dem  in  der  Hand  blei- 
benden Fuss;  nur  bei  der  relativ  seltenen 
Aussicht,  dass  der  heruntertretende  Theil 
die  blutende  Stelle  comprimirt,  kann  man 
sich  mit  der  Blasensprengung  begnügen.  Bei 
geschlossenem  Muttermund  ist  die  Colpeu- 
ryse  anzuwenden;  das  Accouchement  force 
dagegen  ist  ganz  zu  verwerfen.  Die  Anämie 
ist  selten  so  hochgradig,  dass  sie  eine  Be- 
handlung erfordert,  event.  müsste  eine 
Transfusion  versucht  werden.  Bei  normalem 
Sitz  der  Placenta  kommt  es  zur  vorzeitigen 
Losung  in  Folge  von  Traumen  und  von 
Decidua-Erkrankungen ,  oder  bei  partieller 
Entleerung  des  Inhalts  (z.  B.  nach  der  Ge- 
burt des  ersten  Zwillings,  bei  Hydramnios). 
Auch  hier  ist,  wenn  die  Blutung  eine  in- 
nere ist,  die  richtigste  Behandlung  die  ge- 
waltsame Entbindung  am  besten  mittels 
combinirter  Wendung,  hier  jedoch  mit  sich 
anschliessender  Extraction;  bei  äusseren  Blu- 
tungen ist  die  Entbindung  nothwendig,  wenn 
sie  in  der  Geburt  entstehen,  während,  wenn 
sie  in  der  Schwangerschaft  auftreten,  man 
die  Wahl  hat  zwischen  Abwarten  (bei  un- 
bedeutender Blutung),  Tamponade  oder 
Blasensprengung,  je  nachdem  bei  stärkerer 
Blutung  der  Muttermund  noch  geschlossen 
ist  oder  nicht,  und  wenn  dies  nicht  die 
Stillung  der  Blutung  herbeifuhrt,  combinirte 
Wendung  resp.  Accouchement  force.  Als 
-weitere  Störung  in  der  Geburt  bespricht 
Yeit  sodann  die  Wehenschwäche,  die  in 
der  Austreibungsperiode  auf  mangelhafte 
Bauchpresse,  beim  engen  Becken  auf  Ueber- 
anstrengung  in  der  ErÖffnungszeit  zurückzu- 
fahren ist;  Wehenschwäche  in  der  EröflF- 
nungsperiode  dagegen  ist  die  Folge  von  Ab- 
normitäten in  der  Uterusmusculatur,  sei  es 
dass  diese  bei  Chlorotischen  oder  älteren 
Erstgebärenden  fehlerhaft  „ beanlagt ^^  ist,  sei 
es  dass  Myome  die  Schuld  tragen;  oder  die 
Folge  von  üeberfüllung  des  Eies,  wo  die 
durch  die  grosse  Menge  des  Fruchtwassers 
liervorgerufene    Spannung    es    zu     richtigen 


Gontractionen  und  zur  Entwicklung  der 
Wehenthätigkeit  nicht  kommen  lässt.  Für 
die  Wehenschwäche  in  der  Austreibungszeit 
ist  therapeutisch  die  Zange  anzuwenden  in 
langsamer,  nicht  überstürzter  Weise,  wäh- 
rend die  Darreichung  von  Seeale  allein  selten 
zum  Ziele  führt,  eher  noch  bei  vorhandener 
Furcht  vor  der  Zangenentbindung  die  Ein- 
gabe von  Kaffee,  Alcoholica,  insbesondere 
Champagner.  In  der  Eröffnungsperiode  ist 
Wehenschwäche  durch  Blasensprengung  zu 
bekämpfen,  event.  durch  heisse  Wasserirri- 
gationen, durch  Golpeuryse  oder  der  Ein- 
legung eines  Katheters;  von  innerlichen 
Mitteln  ist  keins  anzuwenden,  da  auch  die 
Gefahrlosigkeit  des  Seeale  in  dieser  Zeit 
noch  nicht  erwiesen  ist.  In  reinen  Fällen 
von  Krampfwehen  ist  Morphium,  am  besten 
subcutan  verabreicht,  das  souveräne  Mittel. 
Die  schon  beim  Abort  kurz  erwähnten 
Nachblutungen  werden  noch  in  einem  be- 
sonderen Capitel  besprochen  und  auf  mangel- 
hafte Gontractionen  des  Uterus  zurückge- 
führt, denen  die  Loslösung  der  Placenta 
nicht  so  rasch  gelingen  kann,  sowie  auf 
Adhärenz  einzelner  Theile  der  Nachgeburt 
oder  nach  Entfernung  der  Placenta  auf  reine 
Atonie,  ein  Zustand,  dessen  Grund  wieder 
zu  suchen  ist  entweder  in  der  Fortdauer 
der  schon  in  der  Geburt  mangelhaften  We- 
hen, oder  in  der  plötzlichen  Entleerung  des 
üteruskörpers  oder  in  Erkrankungen  der 
Uteruswand;  endlich  kann  Uebersturzung  in 
der  Entfernung  der  Placenta  auch  Nach- 
blutungen herbeiführen.  Diese  Blutungen 
treten  stets  in  der  ersten  Stunde  nach  der 
Geburt  auf  und  können  so  stark  werden, 
dass  sie  den  Tod  verursachen;  von  Einriss- 
blutungen sind  sie  durch  das  Verhalten  des 
Uterus,  der  bei  den  letzteren  bretthart  ist, 
zu  unterscheiden.  Die  Behandlung  besteht 
bei  Placentarretention  in  der  Herausbeförde- 
rung derselben,  die  zunächst  mittels  Reiben 
und  Kneten  des  Uterus  versucht  werden 
muss;  nur  selten  bei  lebensgefährlichen 
Blutungen  ist  man  genöthigt  sofort  operativ 
vorzugehen.  Auch  nach  Ausstossung  der 
Placenta  ist  bei  reiner  Atonie  die  erste 
Maassnahme  mechanisches  Reiben  und  Kne" 
ten,  ein  Verfahren,  das  fast  sicher  zum 
Ziele  führt.  Ihm  zunächst  steht  die  Com- 
pression  des  Uterus  zwischen  der  aussen  auf 
dem  Abdomen  ruhenden  und  der  inneren  in 
die  Scheide,  event.  in  den  Uterus  einzu- 
führenden und  direct  gegen  die  Placentar- 
stelle  drückenden  Hand.  Haben  diese  Ver- 
suche nur  vorübergehend  Erfolg,  dann  muss 
man  zur  Einspritzung  von  heissem  Wasser 
in  die  Scheide  oder  den  Uterus  selbst  seine 
Zuflucht  nehmen  und  als  letztes  Mittel  end- 

49* 


388 


Littantur. 


[Therapentiiehe 
Monatsheft«. 


lieh  ist  die  Tamponade  des  Uterus  selbst 
mittels  Jodoformgaze  am  besten  anzuwen- 
den. Die  Stellung,  die  Verfasser  hiermit 
der  Jodoformgazen -Tamponade,  -wie  sie 
Dührssen  empfohlen  hat,  einräumt,  dürfte 
wohl  eine  unterschätzte  sein;  wenigstens 
wird  sie  wohl  der  Einfuhrung  der  Hand 
und  Druck  gegen  die  PlaceDtarstelle  immer 
-vorzuziehen  sein.  Nach  Stillung  der  acuten 
Blutung  empfiehlt  Verfasser  dann  Gompres- 
sion  des  Abdomens  und  die  Verabreichung 
Ton  Seeale,  um  eine  Wiederholung  zu  ver- 
hindern. Es  folgt  hierauf  die  Besprechung 
der  Inversio  uteri,  die  V.  auf  einen  ato- 
nischen Zustand  des  Uterus  bei  Ausstossung 
des  Kindes  und  noch  fest  haftender  Pla- 
centa,  weniger  auf  den  Zug  an  der  Nabel- 
schnur zurückfuhrt,  ferner  der  traumatischen 
sowie  der  in  ihrer  Aetiologie  noch  etwas 
unklaren  Verletzungen  des  Uterus  während 
der  Schwangerschaft  und  der  Ruptura  uteri 
während  der  Geburt.  Letztere  tritt  ein  bei 
einer  über  die  Dehnungsfahigkeit  gehenden, 
durch  mechanische  Geburtshindernisse  yer- 
anlassten  Dehnung  des  unteren  Uterinseg- 
ments. Diese  muss  wenn  möglich  immer 
rechtzeitig  durch  Verkleinerung  des  Kindes 
oder  Sectio  caesarea,  wenn  dazu  Zeit  ist, 
yermieden  werden;  niemals  aber  darf  bei 
drohender  Ruptur  eine  Wendung  auch  nur 
versucht  werden.  Auch  nach  eingetretener 
Ruptur  ist  die  Entfernung  des  Kindes  so- 
fort vorzunehmen,  am  besten  durch  das 
Loch  und  auf  natürlichem  Wege  natürlich 
unter  strengster  Wahrung  der  Antisepsis 
mit  nachfolgender  Abdominaldrainage  und 
Gompression  des  Bauches.  Bei  den  Durch- 
reibungen des  Cervix  werden  die  hohen 
Blasenscheidenfisteln  erwähnt,  die  häufig  an- 
fangs ohne  jedes  Symptom  bleiben,  dann 
gynaekologisch  behandelt  werden  müssen; 
während  die  Durchreibungen  an  der  Hinter- 
wand durch  adhäsive  Peritonitis  von  selbst 
heilen.  Cervixrisse  werden  bei  starker  Blu- 
tung am  besten  durch  die  Naht  geschlossen, 
von  der  die  erste  Nadel  unter  Leitung  des 
Fingers  im  Dunkeln  anzulegen  ist.  Die 
perforirenden  Verletzungen  des  Scheidenge- 
wölbes bei  der  Geburt  seh  Hessen  sich  in 
der  Entstehung  und  Behandlung  an  die 
Rupturen  des  Uterus  an ;  Längsrisse  der 
Scheide  sind  meist  geringfügig  im  oberen 
Theil;  Durchreibungen  führen  zu  Blasen- 
scheidenfisteln, die  am  besten  zunächst  durch 
permanente  Einlage  des  Katheters  event.  gy- 
naekologisch behandelt  werden  müssen; 
Längsrisse  sind  event.  durch  die  Naht  zu 
vereinigen,  nach  V.  Ansicht  am  besten  mit- 
tels Catgut.  Bei  den  verschieden  grossen 
Verletzungen    des  Dammes,    deren  Entstehen 


des  weiteren  auseinandergesetzt  wird,  ist 
natürlich  auch  die  sofortige  Naht  ohne  alles 
Glätten  der  Wunde  mit  fortlaufendem  Cat- 
gutfaden  indicirt,  bei  Gentralrupturen  nach 
Durchschneidung  der  Brücke.  Ebenso  müs- 
sen Verletzungen  in  der  Nähe  der  Urethra 
und  Glitoris,  wenn  die  Blutung  nicht  durch 
Gompression  gegen  die  Symphyse  gestillt 
werden  kann,  durch  die  Naht  geschlossen 
werden.  Beim  Thrombus  vulvae  et  vaginae 
ist  nur  die  Application  von  Eis  mit  Verbot 
der  Anwendung  der  Bauchpresse,  nur  selten 
die  Spaltung  des  Tumors  zur  directen  Blut- 
stillung geboten.  Den  Sehluss  dieses  Ab- 
schnittes bildet  die  Besprechung  der  Con- 
vulsionen  in  Schwangerschaft,  Geburt  und 
Wochenbett,  besonders  der  Eclampsie.  Trotz 
Zuziehung  und  Berücksichtigung  der  grossen 
einschlägigen  Litteratur  kann  Veit  einer 
bestimmten  Theorie  sich  nicht  anschliessen ; 
am  meisten  neigt  er  bei  Eclampsie  mit  Al- 
buminurie sich  der  Traube-Rosenstein'- 
schen  Ansicht  zu,  die  das  Gehimödem  ver- 
antwortlich macht,  und  nimmt  noch  eine 
gewisse  Prädisposition  hierzu  namentlich  bei 
Primiparen  an;  die  Eclampsie  ohne  Eiweiss 
im  Urin  bleibt  unerklärt.  Die  Prognose  ist 
immer  eine  ernste,  die  Qualität  des  Pulses 
giebt  meist  den  richtigen  Anhaltspunkt.  Die 
Behandlung  muss  prophylactisch,  namentlich 
bei  Erstgebärenden,  jede  Funetionsstörung 
in  den  Nieren  während  der  Schwangerschaft 
ernstlieh  berücksichtigen;  für  die  Convul- 
sionen  selbst  besteht  sie  am  besten  in  der 
Einleitung  einer  vollkommenen  Ghloroform- 
Narkose,  die  ohne  Gefahr  für  die  Mutter 
auch  über  24  Stunden  fortgesetzt  werden 
kann  und  häufig  muss.  In  der  somit 
noth wendig  werdenden'  fortwährenden  Aiu- 
wesenheit  des  Arztes,  die  allerdings  bei 
Eclampsie  auch  so  wie  so  anzurathen  ist, 
liegt  ein  Bedenken  gegen  das  Ghloroform, 
dem  sich  in  der  Geföhrdung  des  kindlichen 
Lebens  durch  dasselbe  ein  zweites  anschliesst, 
Naehtheile,  denen  wohl  die  jeden  Augen- 
blick nach  den  Verhältnissen  zu  ändernde 
darzureichende  Menge  des  Medicaments  vor- 
theilhaft  gegenübersteht,  die  aber  doch  nach 
einem  anderen  Mittel  verlangen  lässt  und 
dies  ist  im  Morphium,  subcutan  am  besten 
angewandt,  gegeben.  Hier  muss  man  jedoch 
von  vornherein  die  volle  Maximaldosis  ge- 
ben, nach  G.  Veit  sogar  häufig  bei  Weitem 
darüber  hinausgehen,  um  vollständige  Nar- 
kose zu  erreichen,  Mengen,  die  natürlich 
auch  wieder  ihre  Nachtheile  haben.  Von 
den  anderen  Narcoticis  ist  nur  noch  das 
Chloralhydrat  (im  Clysma)  zur  Unterstüt- 
zung bei  der  Betäubung  werthvoll.  Zu  einem 
Aderlass  räth  Verfasser  nur  bei  bedrohlichen 


HL  jAhrgang.! 
Angust  1889.  J 


Lltteratur. 


389 


ErscheinuDgen  Ton  LuDgenödem.  Die  ge- 
bartshilflicbe  Behandlung  der  Eclampsie 
darf  nie  eine  eingreifende  sein,  da  mit  der 
Menge  der  gesetzten  Verletzungen  auch  die 
Zahl  der  Conyulsionen  zunimmt:  Abwarten 
bei  regelmässigen  Wehen,  Sprengung  der 
Blase  bei  schleppender  Erofifnungsperiode, 
Zange  bei  tiefstehendem  Kopf.  Die  Behand- 
lung der  Grundkrankheit  endlich  wird  am 
besten  durch  heisse  Bäder  und  feucbtwarme 
Einwickelungen  Yorgenommen ;  Pilocarpin  ist 
seiner  Wirkungen  auf  das  Herz  wegen  nicht 
zu  empfehlen. 

In  dem  7.  Abschnitte  des  Werkes  be- 
spricht Schaut a  die  Beckenanomalien,  zu 
deren  richtigen  Yerständniss  er  in  dem  all- 
gemeinen Theil  zunächst  die  Entstehung  und 
Entwicklung  des  normalen  Beckens,  die  Er- 
kenntniss  des  Beckenraums  an  der  Lebenden 
durch  die  Anamnese,  die  allgemeine  Unter- 
suchung des  Scelettes  sowie  die  äussere  und 
innere  Beckenmessung  in  erschöpfendster 
Weise  bespricht.  Bei  Erwähnung  der  letz- 
teren theilt  er  auch  die  Resultate  yon 
100  Beckenmessungen  mittels  des  Skats ch^- 
schen  (von  ihm  ein  wenig  modificirten) 
Beckenmessers  mit,  welche  Differenzen  über 
1  cm  nicht  ergeben  haben,  so  dass  er  dieses 
Instrument  als  das  Tollkommenste  von  den 
Torhandenen  empfiehlt.  Die  anomalen  Becken 
unterscheidet  er,  je  nachdem  sie  die  Folge 
Ton  Entwicklungsfehlern,  yon  Erkrankungen 
der  Beckenknochen,  von  abnormer  Verbin- 
dung derselben,  von  Krankheiten  der  be- 
lastenden und  endlich  der  belasteten  Sce- 
letttheile  sind.  Nach  einer  ausfuhrlichen 
Besprechung  der  allgemeinen  Folgen  eines 
engen  Beckens  für  die  gravide  und  gebärende 
Frau,  sowie  für  das  Kind,  geht  Verf.  ein- 
zeln auf  jedes  abnorme  Becken  ein  und 
bringt  hierzu  ausserordentlich  characteri- 
stische  Abbildungen  einschlägiger  Abnormi- 
täten aus  der  Sammlung  der  Prager  Insti- 
tute. Einzeln  auf  die  Darstellung  der 
Anatomie  und  Aetiologie  der  verschiedenen 
Beckenformen,  den  Einfluss,  den  sie  auf 
Geburt,  auf  das  Leben  der  Mutter  und  des 
Kindes  ausüben,  und  die  dadurch  bedingte 
Therapie  einzugehen,  ist  natürlich  hier  nicht 
möglich;  hervorgehoben  sei,  dass  Schanta 
aehr  häufig  —  für  den  practischen  Arzt 
virohl  viel  zu  häufig  —  „nach  dem  heutigen 
Stande  der  Sectio  caesarea^  diese  Operation 
empfiehlt.  Es  wird  sich  die  rechtzeitige 
und  aussichtvolle  Ausfuhrung  derselben 
meist  wohl  nur  in  einer  Klinik  bewerkstel- 
ligen lassen,  womit  dem  Practiker  allerdings 
die  Pflicht  erwächst,  möglichst  frühzeitig 
bei  vorliegenden  Becken abnormitäten  eine 
derartige  Uebersiedelung  zu  veranlassen.    Er- 


wähnt sei  noch,  dass  bei  dem  häufigsten 
engen  Becken,  dem  einfach  platten,  nicht 
rhachitischen,  ebenso  wie  für  das  platte 
rhachitische  die  Wendung  als  die  domini- 
rende  Therapie  hingestellt  wird,  wenn  nicht 
starke  Dehnung  des  unteren  üterinsegmentes 
dieselbe  contraindicirt  und  eine  Perforation 
nothwendig  macht.  Die  Zange  ist  meist, 
bei  Hinterscheitelbein  Stellung  stets  zu  ver- 
werfen; die  künstliche  Frühgeburt  kommt 
natürlich    auch    in   Betracht    bei    gegebenen 

Verhältnissen. 

Landsberg  {Stettin). 

Die  Mikroorganismen  der  Mandhöhle.  Die  ört- 
lichen and  allgemeinen  Erkrankungen, 
welche    durch    dieselben    hervorgerafen 

werden.  Mit  112  Abbildangen  im  Texte  und 
einer  chromolithographiscben  Tafel.  Von  W. 
D.  Miller.    Leipzig,  Thieme  1889. 

Der  durch  seine  zahlreichen  und  wichti- 
gen Untersuchungen  über  die  Mikroorganis- 
men der  Mundhohle  rühmlichst  bekannte 
Verfasser  giebt  in  dem  vorliegenden  Werke 
eine  ausfuhrliche,  durch  Klarheit  der  Dispo- 
sition und  Darstellung  ausgezeichnete  Ab- 
handlung über  die  Bakterien  der  Mundhohle 
und  deren  Bedeutung  für  Physiologie  und 
Pathologie  des  Organismus.  Der  Grundge- 
danke des  Werkes,  welcher  scharf  hervor- 
tritt, ist  der  Nachweis,  „dass  nicht  allein 
bei  weitem  die  grosste  Mehrzahl  derjenigen 
Erkrankungen  der  Zähne  und  der  angrenzen- 
den Theile,  für  welche  die  Hilfe  des  Zahn- 
arztes in  Anspruch  genommen  wird,  ihre 
Entstehung  den  im  Munde  vorkommenden 
Pilzen  zu  danken  hat,  sondern  dass  auch 
anderwärtige  örtliche  und  allgemeine  Er- 
krankungen von  verschiedenster  Natur  und 
höchster  Bedeutung  auf  dieselbe  Ursache 
zurückzuführen    sind.^      Schon    aus     diesem 

* 

Grunde  ist  ein  Studium  dieses  Werkes  auch 
für  den  praktischen  Arzt  sehr  zu  empfehlen, 
dem  der  Verfasser  auf  Grund  des  von  ihm 
beigebrachten  experimentellen  und  klinischen 
Materials  berechtigt  ist  zu  sagen,  dass  man 
die  Mundhöhle  als  Krankheitsheerd  zu  sehr 
unterschätzt  hat.  —  Der  Verfasser  giebt  im 
ersten  Theil  eine  kurze  Darstellung  des 
Wesentlichsten  aus  der  Morphologie  und  Phy- 
siologie der  Spaltpilze,  es  folgt  dann  die 
specielle  Darstellung  der  in  der  Mundhöhle 
constant  und  gelegentlich  vorkommenden 
Formen,  ihrer  gährungserregenden  und  farb- 
stoffbildenden Eigenschaft,  zum  grossen  Theil 
auf  Grund  eigener  Forschungen.  Einen  grossen 
und  wichtigen  Abschnitt  ninmit  die  Lehre  von 
der  Zahncaries  ein,  welcher  eine  interessante 
historisch-kritische  Darstellung  früherer  Hy- 
pothesen vorausgeschickt  ist.  Die  Zahncaries 
ist  nach  der  ausführlichen    durch  zahlreiche 


390 


UttMtttur. 


rThenpentbelia 
L  Monatahefl«. 


mikroskopisch-bakteriologische  Untersuchun- 
gen gestützten  Ausführung,  ein  complicirter 
Process,  dessen  erste  Ursache  die  Entkalkung 
durch  Säuren  (saure  Gährungsproducte)  ist, 
das  entkalkte  Gewebe  zerföllt  dann  weiter 
durch  die  zerstörende  Thätigkeit  secundärer 
eingedrungener  Mikroorganismen,  welche  den 
verschiedensten  Formen  angehören  können. 
Dieser  Lehre  entsprechend  gestaltet  sich  die 
Prophylaxe  der  Garies.  Den  zweiten  Ab- 
schnitt des  Werkes  bildet  eine  ausführliche 
die  bakteriologische  und  klinische  Litteratur 
auf  das  sorgfaltigste  berücksichtigende  Schil- 
derung der  in  der  Mundhöhle  yorkommenden 
pathogenen  Arten  und  ihrer  krankheitserzeu- 
genden  Rolle,  sowohl  in  der  Mundhöhle 
selbst  als  in  den  mit  derselben  verbundenen 
Organen  durch  deren  directe  oder  indirecte 
Einwirkung.  Dieser  Theil  ist  von  hervor- 
ragendem praktischem  Interesse. 

Durch  das  ganze  Werk  ist  eine  Fülle 
neuer  Beobachtungen  und  Gedanken  einge- 
streut, auf  die  im  Einzelnen  nicht  eingegangen 
werden  kann.  Eine  derselben,  weil  von 
speciell  therapeutischem  Interesse,  möge  hier 
Platz  finden.  Zum  Zweck  der  Mundreinigung 
eignen  sich  nur  sehr  wenige  Mittel  und 
unter  diesen  vorzugsweise  Sublimat,  mit 
welchem  nach  vorausgegangener  Behandlung 
mit  der  Zahnbürste,  sogar  vollkommene  Ste- 
relisirung  der  Mundhöhle  erreicht  werden 
kann.  Miller  bedient  sich  seit  Monaten  fol- 
gender Lösung,  von  deren  Gefahrlosigkeit  er 
überzeugt  ist: 

IV     Acid.  thymic.  0,15 

Acid.  benzoic.  3,00 

Tinct.  Eucalypt.  15,00 

Hydrarg.  bichlorat.  0,80 

Alkohol  100,00 

Ol.  menth.  piperit.  0,75 

Hiervon  soviel  in  ein  Glas  Wasser  zu 
giessen,  als  genügt  um  eine  deutliche  Trübung 
zu  erzeugen  und  die  Mischung  beim  Bürsten 
und  nachherigen  Spülen  der  Zähne  zu  ge- 
brauchen. A.  GoUstein  (Berün). 


JBing'esandte  Bücher. 

Ueber  Hypnotismus,  seine  Bedeutung  und  seine 
Handhabung.  In  kurzgefasster  Darstellung 
von  Dr.  August  Forel.  Prof.  der  Psychiatrie 
und  Director  der  caDtonalen  Irrenanstalt  in 
Zürich.  —  Stuttgart.   FerdinandEnke.  1889. 

Kurzer  Leitfaden  für  die  Punction  der  Pleura- 
und  Peritonealergüsse  von  Dr.  B.  Naunyn, 
Prof.  und  Director  der  med.  Klinik  der  Kaiser- 
Wilhelms-Universität  Strassburg.  —  Strassburg. 
KarlJ.  Trübner.     1889. 

Taschenbflchlein  fttr  den  bacteriologischen  Prac- 
ticanten  von  Dr.  Hugo  Bernheim  (Würzburg). 
—  Würzburg.    Adalbert  Stuber.    1889. 


Lehrbuch  der  klinischen  Arzneibehandlung.    Für 
Aerzte  und  Studirende   von  Dr.  Franz  Pen- 
zold,  ord.  Prof.  und  Oberarzt  der  med.  Po 
liklinik  in  Erlangen.  —  Jena.  Gustav  Fischer. 
1889. 

Specielle  Diagnose  der  inneren  Krankheiten.  Ein 
Handbuch  für  Aerzte  und  Studirende.  Nach 
Vorlesungen  bearbeitet  von  Dr.  Wilhelm 
Leube.  Prof.  der  med.  Klinik  und  Oberarzt 
am  Juliusspital  in  Würzburg.  —  Leipzig. 
F.  C.W.Vogel.    1889. 

Annalen  der  städtischen  allgemeinen  Kranken- 
häuser. In  Verein  mit  den  Aerzten  dieser 
Anstalten  herausgegeben  von  Professor  Dr. 
V.  Ziemssen.  Director  des  städt.  allgem. 
Krankenhauses.  Band  IV.  Mit  3  Tafeln. 
M.  Rieger ^sche  Universit&ts- Buchhandlung. 
(Gustav  Hi  mm  er).     München  1889. 

Anleitung  zu  hygienischen  Untersuchungen.  Nach 
den  im  hygienischen  Institut  der  königl.  Lud* 
wis-Mazimilians -Universität  zu  München  üb- 
lichen Methoden  zusammengestellt,  von  Ru- 
dolf Emmerich  und  Heinrich  Trillich. 
Mit  einem  Vorwort  von  Dr.  Max  v.  Petten- 
kofer.  Mit  73  Abbildungen.  —  München. 
M.  Rieger'sche  Universitfits  -  Buchhandlung. 
(G.  Himmer).    München  1889. 

Hygienische  Tagesfragen  VIL  Cholera.  —  Ge- 
schichte und  Epidemiologie  der  Cho- 
lera. Generalarzt  Dr.  J.  Fayrer,  London.  — 
Die  Cholera  in  Indien.  Dr.  Erni-Greif- 
fenberg,  Batavia.  —  Quarantänen.  Stabs- 
arzt Dr.  Schuster,  München.  —  Studien 
über  die  Aetiologie  der  Cholera.  Prof. 
Dr.  C.  Cr  am  er,  Zürich.  Mit  einem  Vor- 
worte von  Dr.  Max  von  Petten kofer.  — 
M.  R i  e g  e r  ^  sehe  Universitäts  -  Buchhandlung. 
(Gustav  Himmer).   München  1889. 


Practische  Notlsen 

und 

empfehlenswerthe  Arsneiformelii. 


BromaethyL 

Die  auf  Seite  385  berichtete,  in  Folge 
einer  Verwechselung  von  Bromaethyl  und 
Bromaethylen  erzeugte  todtlich  verlaufene 
Vergiftung  giebt  uns  Veranlassung,  noch- 
mals die  Eigenschaften  des  für  medicinische 
Zwecke  allein  brauchbaren  Bromaethyls  an- 
zuführen : 

Aethylum  bromatum.  Bromaethyl, 
Aethylbromid  CH3 — CHj  Br.  Farblose, 
leicht  bewegliche,  nicht  leicht  entzündliche 
Flüssigkeit  von  süsslichem  chloroformähn- 
lichem Geruch,  unlöslich  in  Wasser,  mit 
Alkohol,  Aetber,  Chloroform,  Fetten  und 
ätherischen  Oelen  in  allen  Verhältnissen 
mischbar  und  bei  0^  nicht  erstarrend. 
Siedepunkt  38  —  39  ®  C.  Spec.  Gew.  = 
1,38—1,39  bei   15°  C. 


m.  jAhrgmng.l 
Auinut  1889.  J 


Prmctiiche  Notizen  und  empfehlenswertbe  Arzneiformeln« 


391 


Ein  gefärbtes  oder  stechend  und 
unangenehm  riechendes  Präparat  ist 
für  die  medicinische  Anwendung  un- 
brauchbar. 

Mit  dem  gleichen  Tolumen  destillirten 
Hassers  geschüttelt,  darf  es  letzterem  keine 
saure  Reaction  ertheilen  und  mit  dem  glei- 
chen Yolumen  reiner  conc.  Schwefelsäure 
versetzt,  darf  nach  Verlauf  von  24  Stunden 
keine  Färbung  auftreten.  Lässt  man  einige 
Tropfen  Aethylbromid  in  eine  3  cm  hohe 
Schicht  Yon  Jodkaliuml5sung  langsam  ein- 
fallen, so  dürfen  die  sich  zu  Boden  setzen- 
den Tropfen  keine  violette  Färbung  zeigen. 
(B.  Fischer.) 

Da  Bromaethyl  sich  unter  dem  Einfluss 
der  Luft  und  des  Lichtes  leicht  zersetzt, 
so  ist  dasselbe  in  kleinen,  vollständig  ge- 
füllten und  gut  verschlossenen,  gefärbten 
Flaschen  aufzubewahren. 

Aethylenum  bromatum,  Aethylen- 
bromid  CH,Br—CHjBr  siedet  bei  131,6^0., 
besitzt  ein  spec.  Gew.  von  2,18  und  erstarrt 
bei  0°  zu    einer   Elrystallmasse. 

Thiocamf 

ein  neues,  nebenbei  bemerkt  zum  Patent  an- 
gemeldetes, Desinficiens,  welches  voraussicht- 
lich in  nächster  Zeit  mehrfach  genannt  wer- 
den vn.rd,  ist,  wie  wir  dem  British.  Med. 
Journ.  Juli  20,  entnehmen,  nach  Prof.  Emer- 
son Reynold  das  Product  der  Einwirkung 
"von  Schwefliger  Säure  auf  Campher.  Es 
stellt  eine  Flüssigkeit  dar,  welche  sich  in 
'▼'erschlossenen  Gefassen  unverändert  aufbe- 
iBvahren  lässt.  In  dünnen  Schichten  der 
£reien  Luft  ausgesetzt  findet  dagegen  eine 
stetige  Entwickelung  von  Schwefliger  Säure 
statt.  Sechs  Unzen  der  Flüssigkeit  sollen 
-über  20  Liter  dieses  Gases  abgeben. 

Das  Präparat  ist  gleichsam  eine  ohne 
Anwendung  von  Druck  und  Kälte  verflüssigte 
Schweflige  Säure  und  gestattet  in  einfacher 
^etse,  durch  Ausgiessen  der  Flüssigkeit  in 
flache  Schalen,  beliebige  Mengen  gasförmiger 
Schwefliger  Säure  behufs  Desinficirung  ab- 
geschlossener Räume  zu  entwickeln. 

Ueber  die  desinficirende  und^entwickelungshem- 
mende  Wirksamkeit  einiger  gebräuchlicher 
Mundwässer 

hat  'P.  E.  Archinard  mit  Unterstützung 
Ton  C.  Frank el  im  hygienischen  Institute 
zu  Berlin  Versuche  angestellt,  über  deren 
Resultate  in  derBerl.  klin.  Wochenschr.  1889 
No.  27,  berichtet  wird. 

Untersucht  wurden  folgende,  aus  einem 
Droguengeschäfte       bezogene      Mundwässer: 

1)  £au  dentifrice    von  W.  Pierre  in  Paris, 

2)  Salicyl-Mund-  und  Zahnwasser  (deutsches 


Fabrikat),  3)  Eucalyptol-Mundwasser  (anti- 
septische Eigenschaften  besonders  gerühmt 
und  hervorgehoben),  4)  Eau  de  Minthe 
(deutsches  Fabrikat).  Sämmtliche  Präparate 
erwiesen  sich  selbst  in  öOprocentiger  An- 
wendung Milzbrandsporen,  Typhus-  und 
Gholerabacillen  gegenüber  als  vollkommen 
wirkungslos. 

Leider  erstreckten  sich  die  Untersuchun- 
gen nicht  auf  die  in  unserem  Munde  und 
den  Zähnen  enthaltenen  Fäulniss-  und  Gäh- 
rungserreger,  die  als  die  Ursache  der  Zahn- 
caries  anzusehen  sind.  Wir  verweisen  in 
dieser  Beziehung  auf  die  in  den  Therap. 
Monatsheft.  1887  S.  97,  enthaltenen  Aus- 
führungen Miller^s  und  auf  die  unter  Litte- 
ratur  S.  389  dieses  Heftes  befindliche  Be- 
sprechung des  diesen  Gegenstand  ausführlich 
behandelnden  Miller^schen  Werkes. 

Haarwasser. 

Ein  empfehlenswerthes  von  mir  vielfach 
angewendetes  Haarwasser  hat  folgende  Zu- 
sammen setz  u  n  g : 

*V     Spirit.  sapon. 

Aq.  coloniens.        aa  100,0 

Tinct.  Chinae  comp.         2,0 

M.  D.  S.   Vor  dem  Gebrauch  umzuschüttein. 

Rabow. 

Ueber  die  Zeit,  wann  Arzneien  genommen  wer- 
den sollen, 

giebt  Chris tison  (nach  British  med.  Journ. 
u.  Correspbl.  für  Schweizer  Aerzte  6/89) 
folgende  Rathschläge:  Alkalien  sollen  vor 
dem  Mahl  genommen  werden.  Jod  und 
seine  Verbindungen  siod  nüchtern  zu  neh- 
men, weil  sie  dann  schneller  resorbirt  wer- 
den. Während  der  Verdauung  würden  sie 
durch  Säuren  und  stärkehaltige  Substanzen 
verändert  und  ihre  Wirkung  geschwächt 
werden.  —  Säuren  sind  während  der  Ver- 
dauung zu  nehmen.  —  Stark  wirkende  Arz- 
neien (Arsen,  Zink  u.  s.  w.)  sollen  nach, 
Silbernitrat  vor  der  Mahlzeit  genommen 
werden.  Sublimat,  Tannin,  Alkohol  sollen 
in  den  Magen  kommen,  wenn  er  in  Ruhe 
ist.  Phosphate,  Lebertbran,  Malzextract 
sind  während  der  Mahlzeit  zu  nehmen,  da- 
mit sie  mit  den  Speisen  zusammen  verdaut 
werden. 

Migränepulver 

nach  Dr.  Hammerschlag  (Allg.  med.  Centr. 
Ztg.): 

GoflFeini  citric.         1,0 
Phenacetini  2,0 

Sacch.  alb.  1,0 

Divid.  in  part.  aeq.  No.  X  ad  caps.  amyl. 
Alle  2 — 3  Stunden  1  Kapsel  zu  nehmen. 


392 


Prmetltche  Notls«ii  und  empfehleniwerthe  Arsnaiformelii. 


rlierapecttiMha 
Honatahefta. 


Zahnschmerzbalsam : 

IV    Extr.  Opü. 
Camphor.  txit. 
Bala.  Peruv.  aa    0,5 
Masticis  1,0 

Chloroform.         10,0 

Mit  dieser  Losung  befeuchtete  Watte  in 
die   Zahnhohle  zu  legen. 

Bei  Diphtherie 

hat  A.  Seibert  in  New- York  (med.  Mo- 
natsschr.  l)  das  Kochsalz  mit  Erfolg  ange- 
wandt. Zweimal  täglich  Bestreichung  der 
befallenen  Rachenpartie  mit  gepulvertem 
Kochsalz  unter  möglichst  dauerndem  An- 
drücken mittels  eines  Löffelstiels.  S.  will 
durch  dieses  „Einpökeln"  schöne  Resultate 
in  mittel  schweren  Fällen  erzielt  haben. 

Gegen  Soor 

wird  neuerdings  Saccharin  von  Fournier 
empfohlen.  Er  hat  10  Fälle  erfolgreich  be- 
handelt, indem  er  die  afficirten  Stellen  täg- 
lich 5  Male   mit  folgender  Lösung  pinselte: 

IV    Saccharini         1,0 
Spirit.  7ini    50,0. 

D.  S.      1  Kaffeelöffel    mit   einem   halben 
Glase  Wasser  zu  vermischen  und  mit  dieser  ' 
erhaltenen    Mischung    zu    pinseln.     Concen- 
trirte  Lösungen  können  schaden. 

Zur  abortiven  resp.  prophylaktischen  Behandlung 
des  Panaritiums 

empfiehlt  Dr.  Kappesser  (Berl.  Klin. 
Wochenschr.  19/89)  folgendes  Verfahren: 
„Man  lässt  von  einer  Hand  voll  frischer 
Holzasche  durch  Ueberbrühen  mit  ^4  Liter 
kochenden  Wassers  in  einem  entsprechend 
schmalen  und  hohen  Topf  eine  Lauge  frisch 
bereiten  und  dahinein  das  erkrankte  Glied, 
sobald  die  ersten  Symptome  durch  das  cha- 
rakteristische Klopfen  u.  s.  w.  sich  zeigen, 
einige  Male,  so  lange  und  so  heiss  es  er- 
tragen werden  kann,  eintauchen  und  das- 
selbe dann  mit  einer  von  der  Flüssigkeit 
warm  getränkten  Compresse  einhüllen.  Letz- 
tere wird  etwa  stündlich  erneuert;  das  Ein- 
tauchen wird,  falls  es  noch  erforderlich, 
nach  10  bis  12  Stunden  in  der  gleichen 
Weise  wiederholt". 

Behandlung  der  Warzen  mittelst  Innerer  Verab- 
reichung von  Tinctura  Jodi. 

Dr.  Imossi  (Gibraltar)  hat  in  10  Fällen 
nach  Jodtinctur  Warzen  im  Gesicht  und 
an  den  Händen  zum  Schwinden  gebracht. 
Er  verabreichte  Erwachsenen  2  Mal  täglich 
10  Tropfen  Tinctura  Jodi    in    einem  halben 


Glase  Wasser.  Dabei  ist  es  ihm  aufge- 
fallen, dass  die  betreffenden  Individuen  ab- 
magerten. Die  Abmagerung  hörte  auf,  so- 
bald die  Jod-Medication  eingestellt  wurde. 
Aus  diesem  Grunde  hat  I.  sich  des  Mittels 
auch  bei  Obesitas  bedient.  (Bull.  g^n.  de 
Therap.  15  Juin  1889).  —  Pütt  in  sah  Hei- 
lung der  Warzen  nach  innerlicher  Anwen- 
dung von  Solutio  Fowleri  eintreten. 

Gegen  Pruritus 

empfiehlt  Norman  Porrith  im  British  Med. 
Journ.  Juli  27.  89,  Einreibungen  mit  2  Proc. 
Cocain  enthaltender  Cacaobutter.  P.  hat  aus 
letzterer  kleine  Conus  formen  lassen,  wel- 
che nach  Art  der  Mentholstifte  in  einem 
verschraubbaren  Holzetui  in  den  Handel  ge- 
bracht werden. 

Bei  Pruritus  vulvae  und  ani 

sind  (Rev.  gen.  de  Clin,  et  de  Therap.)  warme 
Waschungen  mit  folgender  Mischung  zweck- 
mässig: 

'V   Natrii  subsulfurosi     30,0 
Acid.  carbolici  5,0 

Glycerini  20,0 

Aq.  destill.  500,0. 

Gegen  Fussschweisse 

wird  (Corresp.Bl.für  Schweizer  Aerzte  1889) 
in  der  eidgenössischen  Armee  ein  aus  zwei 
Theilen  Alaun  und  10  Theilen  Talk  berei- 
tetes Pulver  benutzt.  Dasselbe  hat  sich 
sehr  bewährt.  Es  ist  ungiftig  und  auch 
für  vninde  Füsse  gut  verwendbar,  was  die 
Chromsäure  nicht  ist. 

Berichtigung: 

In  dem  Referate  über  die  Fabry'sche 
Arbeit:  Zur  Behandlung  der  Psoriasis  mit 
Hydroxylamin  (S.  338)  ist  in  dem  zweiten 
Recept  irrthümlich  die  HydroxylaminlÖsung 
1  :  100  statt  1  :  1000  angegeben. 

Das  Recept  muss  also  lauten: 

^  Hydroxyl amini  mur.        1,0 
Aq.  fontan.  1000,0 

Calcar.  carbon.  q.  s.  ad  neutr. 

S.  Zu  Umschlägen. 

Feriencurse  fttr  Aerzte. 

Wir  machen  unsere  Leser  darauf  auf- 
merksam, dass  die  Herbstferien-Curse  für 
Aerzte  an  der  Münchener  Universität  vom 
26.  September  bis  zum  23.  October  dieses 
Jahres  stattfinden.  Hinsichtlich  der  Einzel- 
heiten verweisen  wir  auf  den  Inseratentheil. 

Red. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  J^rnck  von  Uiutav  bduule  ^Otto  Francke)  Berlin  M. 


') 


Therapeutische  Monatshefte, 


1880.    September. 


Origmalabhandlimgeii. 


Beitarftgre  zur  Kenntniss  des  CkKletns. 

Von 

Dr.  Quido  Rheiner  in  St.  GraUen. 

Die  Arzneimittellehre  nnserer  Zeitepoclie 
ist  eine  Wissenschaft,  die  wie  keine  andere 
so  reich  an  neuen  Errungenschaften  ist,  wmin 
auch  an  manchen  zweifelhaften  Werthes. 
Jedes  Jahr  bringt  uns  eine  Reihe  neuer 
chemischer  Substanzen,  dazu  bestimmt,  den 
Kampf  mit  den  krankhaft  reagrrenden  Func- 
tionen des  menschlichen  Körpers  aufzunehmen ; 
so  zahlreich  ist  deren  Zuwachs,  dass  wir 
kaum  Zeit  finden,  dieselben  gehörig  zu  er- 
proben und  schon  sind  andere  an  deren  Stelle 
getreten.  Aus  diesem  Grunde  veralten  unsere 
pharmakologischen  Werke  so  rasch,  denn 
kaum  hat  ein  solches  das  Licht  der  Welt 
erblickt  und  darf  auf  Yollständigkeit  An- 
spruch machen,  so  wird  es  bereits  durch 
andere  mit  neuen  therapeutischen  Substanzen 
bereicherte  in  den  Hintergrund  gedrängt. 
Wir  müssen  uns  sagen,  dass  manche  selbst 
allgemein  beliebte  und  heute  noch  von  jedem 
Arzt  verschriebene  Arzneimittel  eigentlich 
sehr  entbehrlich  sind,  weil  sie  entweder  that- 
sächlich  sich  zur  Beseitigung  bestimmter 
Affectionen  als  völlig  unzureichend  erweisen 
oder  dann  durch  rationellere  Stoffe  und  Ver- 
fahren ersetzt  werden  könnten.  Darum  ist 
es  nur  erklärlich,  dass  unter  dem  sich  immer 
mehr  anhäufenden  Arzneischatz  manche  Mittel 
vertreten  sind,  die,  obschon  bei  richtig  ge- 
stellten Indicationen  ihre  Dienste  leistend 
und  ihrem  Zweck  vollkommen  genügend, 
bei  deren  Nichtbeachtung  versagen,  so  dass 
sie  als  unnütz  bei  Seite  gelegt  und  unter 
dem  sich  thürm enden  Wust  neuer  Substanzen 
vergessen  werden,  bis  der  Eine  oder  Andere 
einzelne  derselben  wieder  herausgreift  und 
deren  Werth  zu  schätzen  weiss,  nachdem  er 
sich  genau  mit  dem  Studium  dieser  Chemi- 
kalien befasst.  Ein  solches  Stiefkind  unseres 
Arzneimittelschatzes  ist  das  Godein,  dieses 
dem  Morphium  nahestehende  Alkaloid,  das 
hie  und  da  schüchtern  ans  Tageslicht  ge- 
zogen wird,-  aber  im  Kampf  mit  seinen  mäch- 


tigen Rivalen  stets  wieder  unterlag,  wohl 
mit  Unrecht,  wie  ich  mir  angelegen  sein 
lassen  werde,  zu  beweisen. 

Wer  es  aber  unternimmt,  einem  be- 
stimmten therapeutischen  Mittel  des  Ge-^ 
naueren  seine  Aufmerksamkeit  zuzüwenden- 
und  bestehende  Widersprüche  zu  lösen 
trachtet,  hat  auch  die  Pflicht,  seine  Resultate 
den  Kollegen  zur  weiteren  Prüfung  vorzu- 
legen, auch  wenn  damit  eine  alte  Vorliebe 
des  einen  oder  andern  für  dieses  oder  jenes 
Mitte]  verletzt  werden  sollte,  das  er  bis 
dahin  gebraucht,  gewissermassen  ut  aliquid 
flat;  es  ist  wohl  erspriesslicher,  das  Gebiet 
therapeutischen  Könnens  klar  zu  erkennen, 
als  sich  io  Selbsttäuschungen  einzuwiegen 
und  bei  Anwendung  nutzloser  Dinge  die  Zeit; 
zu  verlieren. 

Ohne  des  Genauem  auf  die  Geschichte 
des  Godeins  einzugehen,  die  allerdings  nicht 
bis  auf  Hippokrates,  sondern  nur  bis  in  die 
Mitte  unseres  Jahrhunderts  zurückdatirt, 
ist  es  doch  von  Interesse,  einzelne  historische 
Momente  hervorzuheben.  Das  Codein  wurde 
1832  von  Robiquet  entdeckt,  1833  zuerst 
von  Kunkel  an  Thieren,  1884  von  Gregory 
an  sich  selbst  und  seinen  Schülern  auf  seine 
Wirksamkeit  geprüft.  Als  Versuchsobject 
diente  das  salpetersaure  Salz;  bei  0,15  g 
erzielten  obige  Forscher  keine  Wirkung,  bei 
einer  Dosis  von  0,3  g  trat  Pulsbeschleuni- 
gung auf,  Blutandrang  zum  Kopf  und  all- 
gemeine geistige  Aufregung  wie  nach  Genuss 
alkoholischer  Getränke.  Einige  Stunden  nach 
Einverleibung  des  Codeinsalzes  folgte  Ab- 
spannung, Ekel,  manchmal  Erbrechen,  hierauf 
erst  Schlaf.  Das  Interesse  einer  grossen  Zahl 
französischer  Forscher  war  auf  dieses,  einen 
Ersatz  für  Morphium  bezweckende,  Alkaloid 
in  jener  Zeit  gerichtet.  Barbier  sah  bei 
seinen  ebenfalls  1834  gemachten  Versuchen 
bei  Kranken  nach  Codein -Gebrauch  direct 
gesunden  Schlaf  folgen  ohne  nachherige  Ein- 
genommenheit des  Kopfes  oder  Blutandrang 
zu  demselben,  die  Patienten  erwachten,  ohne 
üble  Nachwirkungen  zu  verspüren;  Magendie 
(1834)  schreibt,  dass  auf  eine  Quantität  von 
0,06  C.   sanfter,     ruhiger     Schlaf    sich    an- 

50 


394 


Rhein  er,  Beiträge  sur  KeimtniM  dei  Codeina. 


rTherapeatbcbe 
L  MonaUbeft«. 


Bchliesse,  nach  Martin  Solon  genügten  schon 
0,01 — 0,02  g;  dabei  resultire  auch  Verminde- 
rung bestehenden  Hustenreizes.  0 esterlein 
bemerkt  in  seinem  a.  1847  erschienenen  Hand- 
buch der  Heilmittellehre:  „Codein  wirkt  un- 
gleich schwächer  als  Morphium,  nach  Manchen 
sogar  noch  schwächer  als  Opium,  und  während 
es  nach  Einigen  örtlich  irritirt  und  das  Herz 
stimulirt,  dagegen  nicht  oder  doch  weniger 
als  Opium  narkotisch  wirken  soll,  schreiben 
ihm  Andere  stark  betäubende  Eigenschaf- 
ten zu. 

Therapeutisch  diente  es  als  Sedativum  bei 
Gastralgie  und  spasmodischen  Affectionen, 
überhaupt  wie  Morphium,  doch  wie  es  scheint, 
ohne  besondern  Erfolg.  1866  stellte  Berthe 
mit  Codein  eine  Versuchsreihe  an  Hunden, 
Robiquet  am  Menschen  an.  In  der  Gaz. 
des  Hop.  1856  berichtet  Letzterer,  dass  auf 
0,01  —  0,03  gC.  entschieden  hypnotische  Wir- 
kung auftrete,  erquickender  Schlaf  ohne  nach- 
herige üble  Nachwirkungen;  bei  0,1 — 0,2  g 
dagegen  war  der  Schlaf  unerquicklich,  nach 
dem  Erwachen  der  Kopf  schwer,  benommen 
und  oft  Brechreiz  vorhanden.  Robiquet 
fuhrt  des  Weitern  an,  dass  Codein  oft  mit 
Candiszucker  verfälscht  werde  und  empfiehlt 
als  Erkennungsmittel  die  Anwendung  des 
Saccharimeters,  denn  wenn  man  Codein  im 
Verhältniss  von  0,5  cg  in  100  Theilen  Alkohol 
von  56^  auflose,  so  werde  bei  Codein  das 
polarisirte  Licht  16  Mal  stärker  nach  links 
rotirt  als  bei  Zucker.  Die  üntersuchungs- 
ergebnisse  von  Schroff  lauteten  weniger 
ermunternd  als  diejenigen  Robiquet^s;  erst 
bei  0,1  g  sah  er  eine  Wirkung  des  Mittels 
und  zwar  Eingenommenheit  des  Kopfes, 
Druck  in  der  Schläfen-  und  Stimgegend, 
Brechreiz,  Unfähigkeit  sich  zu  beschäftigen 
und  etwas  Schläfrigkeit.  Cl.  Bernard  da- 
gegen lobt  es  sehr,  rühmt  den  Mangel  übler 
Nachwirkungen  gegenüber  dem  Morphium; 
0,05  salzsauren  Codeins  genügten  ihm  zur 
Einschläferung  eines  mittelgrossen  Hundes, 
wenn  er  auch  den  Codein-Schlaf  als  weniger 
tief  bezeichnet  als  den  Morphium- Schlaf: 
„ranimal  a  plus  Tair  d^Stre  calme  que  d^etre 
vraiment  endormi".  Auch  er  nahm  wie  Schroff 
am  Menschen  eine  gewisse  Erhöhung  der 
Reflexerregbarkeit  beim  Versuchsthier  wahr, 
schreckhaftes  Zusammenfahren  der  Thiere  bei 
Geräuschen,  äussern  Reizen. 

1866  finden  wir  Codein  in  der  Pariser 
Pharmacopoe  erwähnt  und  heisst  es  daselbst: 
Elle  procure  aux  malades  un  sommeil  doux 
et  paisible  qui  n^est  pas  suivi  de  pesanteur 
de  tSte  comme  cela  arrive  avec  la  Morphine. 
Selon  Magendie  5  cg  de  Codeine  equivalent 
ä  3  cg  de  Morphine.  Dose  1  ä  5  cg.  Sie 
erwähnt  auch  als  Präparat  das  Sei  de  Gregory 


als  „un  chlorhydrate  double  de  Morphine  et 
de  Codeine,  fem  er  einen  Sirop  de  Codeine  ^. 

Barnay  (1877)  bezeichnet  in  Ueberein- 
stimmung  mit  seinem  Vorgänger  Gregory 
den  hypnotischen  Erfolg  des  Codeins  als 
sehr  unsicher,  dagegen  beobachtete  er  auf 
Grund  von  Thierversuchen  starke  Neigung 
der  Versuchsthiere  zu  Convulsionen.  Bardet 
(1878)  experimentirte  an  sich  selbst.  0,15  g  C. 
muriat.  waren  wirkungslos,  0,2 — 0,25  g  be- 
wirkten allgemeine  Muskelschwäche,  Schwere 
des  Kopfes,  doch  keinen  Schlaf.  Nach  0,25  bis 
0,4  g  folgte  unerquicklicher  Schlaf,  gefolgt 
von  Kopfweh  und  öfters  Nausea  beim  Er^ 
brechen.  Er  streicht  Codein  von  der  Liste 
der  Narcotica.  Schon  1876  finden  wir  es 
in  der  Pharmacopoea  helvet.  angegeben,  ebenso 
den  Syr.  Codeini  (Rp:  Cödeini  1,0  Aq.  dest. 
2,0  Syr.  spl.  500,0),  femer  1882  in  der 
Ph.  german.  und  in  der  Ph.  of  the  United 
States  of  America. 

Berühren  wir  mit  einigen  Worten  den 
Chemismus  des  in  Frage  stehenden  Alkaloids. 
Das  Codein  oder  Methylmorphin,  sich  vor 
den  übrigen  Opiumalkaloiden  durch  seine 
viel  grössere  Loslichkeit  in  Wasser  aus- 
zeichnend (l  :  80),  ist  der  Methyläther  des 
Morphins,  d.  h.  das  H-Atom  der  Hydroxyl- 
gruppe des  Morphins  [C17  H^  NOj  (OH)]  ist 
durch  das  Alkoholradikal  CH3  vertreten  = 
Ci7  H18  NOa  (OCHs).  So  vermochte  Grimaux, 
dem  wir  die  Kenntniss  der  Zusammensetzung 
dieses  Korpers  verdanken,  aus  Morphin- 
Natrium  und  Jodmethyl  synthetisch  Codein 
darzustellen,  das  mit  dem  aus  Opium  ge- 
wonnenen vollkommen  identisch  ist.  Das 
reine  Codein  bildet  kleine  farblose  Krystalle, 
die  bei  150^  schmelzen  und  beim  Erkalten 
wieder  krystallinisch  erstarren.  Es  ist  ge- 
ruchlos und  besitzt  einen  schwach  bittem 
Geschmack.  Die  Lösung  reagirt  schwach 
alkalisch.  Die  Salze  des  Codeins  sind  neutral, 
krystallisirbar  und  in  Wasser  loslich.  In 
100  Theilen  Opium  sind  nicht  ganz  0,6  Theile 
Codein  enthalten. 

Bevor  wir  zur  Schilderung  der  Resultate 
der  eigenen  Beobachtungsreihe  übergehen, 
ist  es  der  Vollständigkeit  des  Themas  halber 
angemessen,  in  gedrängter  Form  eine  kurze 
Zusammenstellung  der  bis  jetzt  gefundenen 
physiologischen  Wirkungsweisen  des  Codeins 
folgen  zu  lassen,  wie  sie  durch  die  Unter- 
suchungen Schroder^s  (Arch.  für  experim. 
Path.  u.  Pharmak.  1883)  über  die  Morphium- 
Gruppe  bekannt  geworden  sind.  Beachtens- 
werth  ist  die  Einwirkimg  des  Codeins  auf 
den  Darmkanal.  Kleine,  narkotisch  wirkende 
Gaben  setzen  nach  Schröder  die  Peristaltik 
desselben  herab,  grosse  giftig  wirkende  er- 
zeugen   blutige   Diarrhöen.     Beim  Menschen 


m.  Jabrgmnf  .  l 
Sept«m1>er  1889.J 


Rheiner,  Beiträge  sur  Kenntnin  de«  Codein«. 


395 


kommen  letztere  niclit  in  Betracht,  bei  An- 
wendung kleinerer,  therapeutisch  wirkender 
folgt  niemals  Obstipation,  wie  auch  aus 
meinen  diesbezüglichen  Beobachtungen  ohne 
Ausnahme  sich  ergab,  ein  gegenüber  Mor- 
phium nicht  zu  -verkennender  Yortheil;  ein 
weiteres  wohl  zu  schätzendes  Moment  besteht 
darin,  dass,  wie  wir  sehen  werden,  sämmt- 
liche  Kranke,  denen  Godein  gegeben  wurde, 
niemals  über  Abnahme  des  eyentuell  bei 
ihrem  Leiden  noch  bestehenden  Appetits 
klagten,  wie  dies  beim  Morphium  hie  und 
da  vorkommt,  im  Gegentheil,  in  zahlreichen 
Fällen  Hess  sich  deutlich  eine  Zunahme 
bei  denselben  constatiren. 

Was  das  Verhalten  der  Pupillen  anbe- 
trifft, so  beobachtet  man  bei  therapeutischen 
Gaben  keine  besondere  Aenderung  der  ge- 
wöhnlichen Weite  derselben,  bei  toxischen 
Dosen  tritt  erhebliche  Pupillendilatation  ein ; 
local  üben  weder  Godein  noch  Morphium 
einen  Einfluss  auf  deren  Beschaffenheit  aus, 
so  dass  die  Erweiterung  derselben  bei  Godein- 
Intoxication  eine  secundäre  Erscheinung  ist, 
bedingt  durch  eine  im  Gentralorgan  ein- 
tretende Veränderung,  entgegen  den  direct 
auf  die  Pupillen  einwirkenden  Substanzen 
wie  Physostigmin,  Atropin,  Muscarin  etc. 
Der  Blutdruck  wird  durch  Godein  nicht, 
der  Puls  unwesentlich  beeinflusst,  die  Respi- 
ration nach  Schröder  Anfangs  bei  toxischen 
Gaben  verlangsamt,  hernach  kehrt  sie  zur 
Norm  zurück  und  überschreitet  dieselbe 
sogar. 

Es  sind  in  der  Litteratur  mehrere  Fälle 
von  Godein -Vergiftung  bekannt,  so  erwähnt 
Ambrosoli  in  der  Gaz.  Lomb.  1875  einen 
solchen  bei  einem  zweijährigen  Kinde,  der 
kurz  zusammengefasst  so  lautet: 

Leichenblasses  Aussehen,  kühle  Extremi- 
täten, Puls  und  Herzschlag  unfühlbar,  Ab- 
domen meteoristisch  aufgetrieben,  Augen 
gläsern,  starr,  Pupillen  enorm  weit,  alle 
Secretionen  aufgehört.  Das  Kind  hatte  im 
Verlauf  einiger  Stunden  vom  behandelnden 
Arzt  0,1  g  Godein  auf  150,0  Mixt  gummosa 
mit  30,0  Syr.  Ipecac.  erhalten  mit  Repetition 
der  Arznei.  Auf  innerliche  und  äussere 
Reizmittel  Besserung  des  Zustandes  nach 
Vs  Tag. 

Ein  zweiter  Vergiftungsfall  wird  von 
Myrtl  beschrieben  bei  einem  Diabetiker, 
der  an  Angstzuständen  litt  wegen  zweier 
rasch  auf  einander  folgender  Todesfälle  seiner 
Mutter  und  seines  Bruders  an  Zuckerharnruhr. 
Er  erhielt  Pillen  mit  Godein  (4  Grains)  und 
Strychnin  (^/go  Grain),  empfand  bald  nach  den 
ersten  einen  heftigen  Anfall  von  Schwindel, 
Gollapszuständen  und  sehr  verengte  Pupillen. 
Letzteres  sowie  die  Beimischung  von  Strychnin 


lassen  die  Genese  der  Litoxication  etwas 
zweifelhaft  erscheinen;  nach  Angabe  MyrtPs 
genas  der  Kranke  bei  Verkleinerung  imd 
Weitergebrauch  der  Godein-Dosis  nach  zwei 
Monaten  von  seinem  Diabetes  mell. 

Als  Antidot  bei  Godein- Vergiftung  führt 
Husemann  (Arch.  f.  exper.  Pathologie  und 
Pharmak.  1877)  das  Ghloralhydrat  an,  be- 
merkt aber,  dass  man  ntur  dann  einen  Erfolg 
davon  bemerken,  könne,  wenn  die  Godein- 
Gabe  nicht  mehr  als  1  —  iVs  inal  so  gross 
wie  die  minimal  letale  Dosis  sei. 

Wenn  wir  kurz  auf  die  bisherige  therapeu- 
tische Anwendung  des  Alkaloids  übergehen, 
so  ergiebt  sich  aus  litterarischen  Berichten, 
dass  es  bis  jetzt  nur  bei  Erwachsenen  tempo- 
räre Benutzung  fand.  Kunkel,  Barbier, 
Martin  Selon,  Magendie  gebrauchten 
Godein  bei  ünterleibsneurosen  und  fanden, 
dass  es  weder  die  Girculation  noch  Respira- 
tion, noch  die  Functionen  des  Darmkanals 
merklich  verändere  und  dass  der  durch 
Godein  bewirkte  Schlaf  niemals  von  Schwere 
im  Kopf,  Betäubung,  Anschwellung  der 
Augen  etc.  begleitet  werde,  auch  keine  Gon- 
gestionen nach  dem  Kopf  veranlasse.  V  i  g  1  an , 
Ar  an,  Berthe  empfahlen  es  bereits  als 
Sedativum  bei  Entzündungen  der  Bronchien 
und  Lungen,  übermässiger  Secretion  aus  den 
Luftwegen  und  bei  Husten. 

Kr e bei  (1856)  sah  guten  Erfolg  von 
Godein  bei  Schlaflosigkeit  in  Folge  rheuma- 
tischer Ischias,  wobei  er  nach  angeblicher 
Anwendung  vieler  anderer  Mittel  nicht  nur 
Beruhigung  und  Schlaf,  sondern  auch  an- 
haltende Beseitigung  des  Grundübels  folgen 
sah;  auch  er  bemerkt,  dass  es  auch  bei 
längerer  Anwendung  nicht  die  üblen  Nach- 
wirkungen des  Opiums  und  Morphins  besitze, 
höchstens  trägen  Stuhl,  nie  aber  stärkere 
Obstipation  nach  sich  ziehe  und  empfiehlt, 
Morphium  nur  dann  anzuwenden,  wenn  die 
Schlaflosigkeit  durch  heftige  körperliche 
Schmerzen  bedingt  sei  und  Godein  bereits  ohne 
positiven  Erfolg  gereicht  wurde.  Bu  er  mann 
(Bull,  de  Th^rap.  G.  VL  p.  495)  bediente  sich 
des  Godein.  mur.  in  subc.  Form  bei  einer 
allerdings  nur  geringen  Anzahl  von  Kranken 
mit  Neuralgien,  sah  aber  wenig  Erfolg  davon 
und  bemerkt,  dass  es  wenigstens  bis  zu  der 
von  ihm  gebrauchten  Gabe  von  8  cg  ohne 
alle  Wirkung  geblieben,  während  Morph, 
mur.  in  gleicher  Weise  gegeben  in  allen 
Fällen  schon  in  einer  Quantität  von  1  —  2  cg 
Hülfe  brachte. 

Ausser  bei  Neuralgien  und  Affectionen 
der  Brustorgane  fand  Godein  auch  Verwen- 
dung bei  Tabes,  so  in  einem  Falle  durch 
Hammond,  wo  bei  Ordination  von  Godein 
und    Arg.   nitric.  nach  vierzehn    Tagen    alle 

50' 


396 


Rheiner,  Beitrflge  cur  Kenntnita  des  Codeina. 


rTh«rftpeatiKhe 
L  Monatahefle. 


Symptome  gescliwiinden  sein  sollen  und  das 
Kniepliänomen  ^edergekehrt  sei,  schliesslich 
beiDiabetes  mellitus,  bald  mit,  bald  ohne  Erfolg. 
Rabuteau    schreibt   1872    in   der   6az. 
hebd.,  Codein  ^irke  beim  Menschen  erst  in 
Gaben  von  6 — 10  cg  und  ca.  80  Mal  schwächer 
als  Morphium  und  Narcein  auf  die  Empfin- 
dungsnerven,   yerdiene   daher  keine    Beach- 
tung.    In  einer  Dosis  von   15  cg  erzeuge  es 
nach   V« — 1    Stunde    eine    Erschlaffung    der 
Muskeln  und  etwas  Kribbeln  (demangeaison), 
besonders  in  den  Extremitäten,    eine  erheb- 
liche und  vier  Stunden  dauernde  Verengerung 
der  Pupille,    aber    keine    Somnolenz.      Ref. 
wurde    nun    in    Folge    eines    1880   von  Dr. 
Budberg  in   Montreux  erschienenen  kurzen 
Referates  über  seine  Erfolge  mit  Codein  an  Er- 
wachsenen, femer  eines  1888  von  Dr.  Fischer 
in  Kreuzungen  publicirten  (beide  im  Corr.-Bl. 
f.  Schw.  Aerzte)  darauf  gefuhrt,  in  Anbetracht 
der     sich     widersprechenden     Angaben    von 
früher  und  jetzt,  auch  seinerseits  das  Mittel 
zu  studiren  imd  zwar  dasselbe  nicht  nur  beim 
Erwachsenen,  sondern  auch  bei  Kindern  auf 
seinen     therapeutischen     Werth    zu    prüfen. 
Budberg  verwandte  bei  einem  Bronchitiker, 
der   zugleich  starker  Raucher  war  und  sich 
in    seinem    Berufe    geistig    viel    anstrengen 
musste,  nachdem  er  gegen  Morphium  sowohl 
innerlich  als  subcutan  gegeben  eine  besondere 
Idiosynkrasie  bewiesen  hatte,  anfangs  abend- 
liche Dosen  von   1  cg  Codein,   wodurch  der 
Husten   um    4 — 5  Stunden   hinausgeschoben 
wurde,  während  es  in  Pulverform,  erst  bei  Be- 
ginn der  Anfälle  gereicht,  erfolglos  war  und 
in  diesem  Fall  subc.  Einspritzungen  Ton   1, 
später  2  cg  C.  gute  Dienste  thaten,  ohne  dass 
unangenehme   Nebenwirkungen   sich   zeigten. 
Codein  beseitigte  Husten  und  Schmerz,  führte 
aber  keinen  Schlaf  herbei.    Bei  weitern  Ver- 
suchen   an   Kranken   beobachtete    Budberg 
ebenfalls  weder  jemals  Aufregung  noch  Nausea. 
Beim  Asthma   der  Emphysematiker  wirkten 
6  cg  C.  weniger  als   2  cg   Morphium,    dabei 
folgten    keine    Störungen    der    Verdauungs- 
organe.   B.  wendet  Codein  an,  wo  ein  weniger 
energisches    Narcoticum    genügt,    femer    wo 
der  Verdauungsapparat   gegen  Morphium  re- 
bellirt  und  stärkere  Hirnhyperämie  die  Folge 
des    letztem    ist.      Fischer    empfiehlt    das 
sicher  wirkende  und  an   Geföhrlichkeit  weit 
hinter   dem   Morphin  zurückstehende  Codein 
bei  allen  Fällen  von  quälendem  Husten  der 
Phthisiker,  namentlich  bei  nicht  zu  massen- 
hafter Secretion,  bei  allen  Fällen  von  Agrypnie, 
wo   das  schlaf  stören  de  Moment  nicht  heftige 
Schmerzen   sind,     und    zwar   in    Dosen    von 
2Va — 3  cg,  eventuell  3 — 4  Mal  täglich,  welche 
Einzeldosis  von   0,025   Fischer    1   cg  Mor- 
phium äquivalent  erachtet. 


Ich  halte  es  nun  für  das  Zweckmässigste, 
an  Beispielen  direct  die  Wirkungen  des 
Codeins  bei  sämmtlichen  Kranken,  bei  denen 
dessen  Anwendung  indicirt  erschien,  zu  er- 
läutern und  die  betreffenden  Krankenge- 
schichten, soweit  sie  für  uns  hier  Interesse 
haben,  folgen  zu  lassen  und  zwar  in  ge- 
drängtester Kürze.  Hiebei  kommt  in  Betracht, 
dass  ein  grosser  Theil  der  Kranken  durch 
dürftige  Verhältnisse  unentgeltliche  Behand- 
lung geniessen,  weil  von  der  Hülfsgesellschaft 
unterstützt  und  daher  keinen  Grund  haben, 
die  Zahl  der  Besuche  und  Dauer  der  Be- 
handlung möglichst  zu  reduciren,  solche  Fälle 
sind  mit  H  bezeichnet.  Im  Weitem  wird, 
besondere  Erwähnung  vorausgesetzt,  ange- 
nommen, dass  die  Organe  der  Patienten  mit 
Ausnahme  der  behandelten  sich  in  intactem 
Zustande  befinden,  um  möglichst  kurz  sein 
zu  können,  d.  h.  dass  z.  B.  bei  Kindern  weder 
Atrophie  noch  wesentliche  Rhachitis  bestehen, 
noch  auch  bei  Erwachsenen  wesentliche  con- 
stitutionelle  Leiden  etc.,  dass  schliesslich  im 
Beginn  der  Behandlung  keine  Verdauungs- 
störungen vorliegen,  weder  Erbrechen  noch 
Diarrhoe  und  der  Emährungszustand  der 
Kranken  wenigstens  ein  mittelguter  sei. 

1.  J.  Rnegg,  10  Wochen.  15.  II.  Seit  An- 
fang Febr.  Bronchitis  diff.  afebriUs.  Znnehmende 
Heftigkeit.  Grosse  Apathie,  viel  Wimmern.  R.  70; 
trinkt  fast  nichts,  einmal  Erbrechen.  0.:  Codein 
1  mg:  120,0  M.  alcohol.  D.  2stündl.  1  Einder- 
löffel. 

17.  n.  Husten  um  die  Hälfte  abgenommen, 
milder,  trinkt  mehr.  18.  H.  St.  idem,  rahiger 
Schlaf  ohne  Flügelathmen.  Pols  gut.  20.  II. 
Husten  setzt  oft  mehrere  St.  aus,  trinkt  viel. 

23.  n.  Fixirt  wieder  lebhaft.  3  C.  Arznei 
fertig.  Nie  Verdauungsstörungen.  Husten  nur 
vereinzelt. 

2.  M.  Albanis,  13  Wochen.  7.  H.  Seit 
3  W.  Bronch.  diff.  afebr.;  C.  20,  keuchhustenart. 
Anfälle.  Kein  Nasen-  noch  Conjunct. -Katarrh. 
Trinkt    fest    nichts,    Apathie.       0.:    Cod. -Pulver 

10.  n.  Vom  7.  n.  Ab.  bis  10.  H.  Morg.  7  C.-P. 
genommen.  Husten  stark  nachgelassen,  Kind 
trinkt  wieder,  ist  munter.  Nie  Verdauungsstörun- 
gen.    Eltern  finden  das  Kind  gesund. 

3.  H.  Brunner,  6  Mon.  22.  H.  Seit  ca. 
1  W.  Bronch.  afebr.  Allgemeinbefinden  ordent- 
Hch.     0.:  Cod.  1  mg:  120,0  2stdl. 

25.  II.  Husten  ordentlich  abgenommen,  nie 
Verdauungsstörungen,  Munterkeit  und  Appetit. 

4.  H.  Peter,  9  Mon.  H.  2.  H.  Anämie,  seit 
6  Tagen  immer  heftigere  Bronch.  diff.  febrilis.  Oft 
Erbrechen  nach  dem  Husten.  Mass.  Fieber  (38 
bis  39*^).  Grosse  Mattigkeit,  trinkt  fast  nichts. 
C:  Cod.-P.  a  1  mg. 

2.  n.  Ab.  8  h  =  Ya  mg  C,  von  9y,  h  Ab.  an 
Abnahme  d.  H.;  Nacht  unruhig.  3.  Ö.  Mittags 
Ya  mg  C.  Husten  fast  null  bis  Ab.  7  h,  dann  Zu- 
nahme. N.  11h  ==  Vamg  C,  Schlaf  von  12  h 
bis  4.  n.  Morg.  5  h. 


ULJahrgmng,   i 
September  1»M>J 


Rbelner,  Beiträge  cur  KenntniM  de«  Codeini« 


397 


ö.  11.  Erst  heate  Ab.  5  h  wieder  y^  mg  C. 
nöthig,  Hustenanfälle  sp&rlich,  mild.  Afebril. 
Trinkt  z.  viel,  ist  munter,  nie  Verdauungsstörun- 
gen. Mutter  findet  das  Kind  wieder  gesund. 
8.  ni.  Kind  hustet  nicht  mehr.   Grösste  Tagesdosis 

1  mg  C. 

5.  Th.  Fischer,  10  Mon.  25.  IV.  Zuneh- 
mende Bronch.  diff.  afebr.  Trinkt  fast  nichts. 
0.:  Cod.  2  mg;  120,0  2stdl. 

27.  rv.   Husten  geringer,  Appetit  besser,  heute 

3  mal  Diarrhoe.     Arznei  rep. 

29.  rv.  Husten  fast  verschwunden,  Allgemein- 
befinden normal. 

6.  0.  Strausak,  11  Mon.  26.  m.  Im  Ja- 
nuar Masern  mit  schwerer  Bronchopneum.  Gene- 
sung. Seit  2  Wochen  wieder  heftige  Bronch. 
diff.  afebr.  Husten  bes.  Nachts.    Obstipirt.   25.  HI. 

4  mal  Erbrechen,  trinkt  nichts.     0.:  Cod.  0,0015 
div.  in  part.  aeq.  Nr.  X. 

28.  ni.  Bisher  6  C.-P.  genommen  =s  */iq  mg 
C.  Husten  fast  verschw.;  trinkt  wieder,  Munteiv 
keit,  kein  Erbrechen. 

6.  rv.  Seit  ca.  4  Tagen  Bronch.  recid.  mit 
bronchopneum.  Herden.  Hohe  febr.  contin.  (40 
bis    40,5°).      Ausdruck    schwerkrank.     0. :    Cod. 

2  mg:   120,0  28tdl. 

8.  rv.  Husten  unverändert,  quälend.  Cod.  rep. 
10.  IV.  St.  id.  Cod.  rep.  13.  IV.  St.  id.  Cod. 
weggelassen,  keine  Verdauungsstörungen,  noch  ver- 
mehrte Mattigkeit.     0.:  Liq.  amm.  an.  2,0  120,0 

2  stündl. 

16.  rv.  Febr.  Md.  Remissionen,  heftiger  Hu- 
sten. 20.  IV.  Afebril,  starker  Husten.  Zahlr. 
feuchte  Rhonchi.     0.:  Cod.  3  mg  120,0.    D.  für 

3  Tage  bestimmt.     Husten  nahm  erst  am  3.  Tage 
ab,  ist  nun  fast  null.  23.  IV.  Munterkeit.  Entlassung. 

7.  E.  ünold,  1  Jahr.  8.  HI.  Seit  Vg  W. 
zunehmende  Bronch.  diff.  Mass.  Fieber  (38-— 38,6»), 
Stertor  thoracis,  mäss.  Apathie.  0.:  Cod.  2  mg 
120,0  2stdl. 

10.  m.  Arznei  fertig.  Husten,  mehr  noch  d. 
Stertor  abgenommen.     Munterkeit.    Entlassung. 

8.  0.  Winkler,  ly,  J.  5.  HI.  Bronch.  diff. 
afebr.  Grosse  Mattigkeit,  trinkt  fast  nichts.  0.: 
Cod.  3  mg  120,0  2stdl. 

8.  in.  Husten  spärlicher,  milder.  Trinkt 
mehr.  Arznei  rep.  11.  HL  Husten  unbedeutend, 
Allgemeinbefinden  gut.  Keine  Verdauungsstö- 
rungen. 

9.  L.  Brunner,  l^/^  J.  22.  H.  Seit  V,  W. 
zunehmende  leicht  febr.  Bronch.  diff.  Rhachitis. 
Trinkt  fast  nichts.     0, :  Cod.  3  mg  120,0. 

25.  U.  Abnahme  des  Hustens  nach  y^  '^^y 
nur  noch  gering.  Appetit  und  Munterkeit  wieder- 
gekehrt.    Keine  Verdauungsstörungen. 

10.  E.  Studerus,  2%  J.  4.  IL  Bronch. 
diff.  afebr.  Anämie,  Rhachitis.  0.:  Cod.  5  mg 
120,0  2stdl. 

6.  in.  Husten  geringer.  Cod.  rep.  8.  HI.  Hu- 
sten unwesentlich.     Munterkeit. 

11.  A.  Emesegger,  3%  J.  H.  7.  m.  Seit 
ca.  1  W.  Katarrh  d.  grossen  Bronchien,  quälen- 
der Husten,  bes.  Nachte.  Mäss.  Diarrhoe.  0. :  Cod. 
6  mg:  120,0  2stdl. 

9.  ni.  Arznei  fertig.  Husten  und  Diarrhoe  st. 
abgenommen.  Munterkeit.  Kind  erscheint  der 
Mutter  gesund. 


12.  W.  Buob,  4  J.  H.  4.  II.  Nach  Masern 
Bronchopneumonie.  R.  80,  leichter  Livor,  P.  140, 
regulär.  Ausdruck  schwerkrank.  Quälender  Husten. 
0.:  Codein-P.  k  2  mg. 

6.  II.  Am  4.  n.  Ab.  7  h  =  2  mg  C,  Hu- 
sten bleibt  heftig,  12  h  =  2  mg  C,  sehr  un- 
ruhiger Schlaf  bis  5.  H.  Morg.  7  h,  11h  und  9  h 
Ab.  je  2  mg  C;  Husten  heftig,  fast  gleich,  zeit- 
weises ScMummem. 

9.  n.  Täglich  4 — 6  mg  C,  trotzdem  quälender 
Husten,  hohes  Fieber,  unruhiger  Schlaf. 

11.  n.  Am  9.  n.  4  dünne  Stühle,  aUmäblich 
Remission  des  Fiebers.  St.  melior,  Abnahme  des 
Hustens,  Wirkung  des  Cod.  sehr  gering.  14.  H. 
Reconvalescenz. 

13.  H.  Müller,  4  J.  H.  13.  m.  Bronch. 
diff.  afebrilis.     0. :  Cod.-P.  k  2  mg. 

16.  m.  Am  14.  m.  Morg.  11h,  3  h,  6  h  je 
2  mg  C,  Husten  unverändert,  am  15.  UI.  Morg. 
7  h,  10  h,  1  h  je  2  mg  C.  Keine  Verdauungsstö- 
rungen, Husten  ordentlich  abgenommen,  Kind 
scheint  der  Mutter  wieder  hergestellt. 

14.  R.  Schönenberger,  5  J.  10.  H.  Seit 
8.  n.  zunehmende  Bronchitis  febrilis,  Katarrh  der 
Conjunct.  und  Nase;  Obstipation.  8.  H.  Imal 
Erbrechen.  0.:  Natr.  bicarb.  T.  Ab.  39,5 o.  Schlech- 
ter Appetit. 

15.  H.  Husten  nimmt  zu,  abendl.  Fieber  (39 
bis  39,50),  schlechter  Schlaf.  0.:  Cod.-P.  k 
2%  mg. 

18.  n.  Am  15.  n.  Mittags  2%  mg  C,  Husten 
nimmt  ab.  Nachts  guter  Schlaf,  am  16.  H.  Zu- 
nahme des  Hustens,  darum  M.  10  h  2ygmg  C, 
seitdem  kein  Codein  mehr  nöthig,  Appetit  nimmt 
zu,  Munterkeit,  Entlassung. 

15.  E.  Hugentobler,  5  J.  20.  H.  Vor 
2  J.  Croup,  damals  Tracheot.  sup.;  8wöchentl. 
Spitalaufenthalt,  seitdem  immer  oder  mehr  weniger 
Husten  und  rauhe  Stimme,  nun  heftiger  bellender 
Husten,  Heiserkeit,  Munterkeit,  kein  Fieber.  0.: 
Cod.  k  2  y^  mg. 

22.  H.  Am  20.  H.  Na.  8  h,  10  h  je  2y3  mg 
C,  dann  Schlaf  bis  2  h.  21.  II.  Morg.  2  h  = 
2  Yg  mg  wegen  neuen  Hustenanfällen,  Schlaf  bis 
7  h.  Husten  des  Tages  stete  massig;  Na.  10  h 
=  2y,  mg,  Nacht  sehr  unruhig,  Husten  bis  zum 
Erbrechen.  22.  H.  Morg.  6ya  h  =  2^/^  mg  Cod. 
gauz  erfolglos,  keine  Verdauungsstörungen,  guter 
Appetit. 

25.  II.  Husten  eher  zugenommen,  bis  jetzt 
10  P.  ä  2  Yj  mg  C.  genommen.  0. :  Liq.  ammon. 
anis.  3,0,  Morph,  mur.  0,006:  120,0  2stdl.  ein 
Theelöffel.     Grösste  Cod. -Tagesdosis  7  Vj  mg. 

27.  II.  St.  idem,  Husten  gleich  stark,  dauert 
noch  2  W.  so  an. 

16.  C.  Diem,  6  J.  H.  24.  IV.  Seit  14  Ta- 
gen Bronch.  diff.  afebr.,  trotz  Liq.  amm.  anis. 
stärker  geworden.  0.:  Cod.  leg  120,0.  Kein  Appetit. 

26.  IV.  Husten  löst  sich  besser,  Appetit  steigt. 
Arznei  rep. 

29.  IV.  Allgemeinbefinden  gut.  Behandlung 
scheint  der  Mutter  nicht  mehr  nöthig. 

17.  E.Frey,  8  J.  18.  IH.  Bronch.  febr.; 
praecipue  pulm.  d.  lob.  inf.  Keine  Dämpfung. 
Kein  Appetit.     0.:  Cod.  2  cg:  120,0,  2stdl. 

20.  III.  Seit  19.  HI.  Husten  stark  abgenom- 
men, Appetit  im  Steigen,  Munterkeit. 


S98 


Rheinar)  Beitrftg«  cur  Kenntnlu  dei  Codeins. 


Bfonataheft«. 


18.  Giesser  Z.  H.  34  J.  26.  ü.  Schwere 
tuberculöee  Belastung.  Jedes  Frühjahr  qu&lende 
Bronch.  sosp.  mit  Tiel  schleimigem  Auswarf. 
Schmerz  in  beiden  Ap.  pulm.,  ausc.  und  perc. 
Befund  sehr  gering.  Phthis.  hab.  Hect.  Fieber. 
Keine  Tub.-Bac.     0. :  Cod.-P.  ä  2  i/j  cg. 

29.  n.  Täglich  3—4  C.-P.  ohne  Erleichterung, 
heftige  H.-AnßLlle.  Cod.  macht  dem  Fat.  schlecht, 
will  keines  mehr.     0.:  Pulv.  Dow.  k  0,25. 

3.  m.  Husten  unverändert,  Tag  und  Nacht. 
Viel  Sputum,  kein  Appetit.  0. :  Morph,  mur.  0,06 
180,0  M.  alcohol.  2stdl.  1  Esslöffel. 

6.  m.  Husten  ziemlich  gleich,  keine  üebel- 
keit.     Morph,  rep. 

9.  ni.    St.  idem.     0.:  Tct.  Chin.  comp. 

15.  ni.  Auch  üebelkeit  Tom  Chinin.  0.: 
Morph,  m.  P.  k  0,01. 

20.  m.  Auf  3—4  M.-P.  tägl.  etwas  Erleich- 
terung, keine  besondere  Schläfrigkeit,  Appetit  steigt. 

10.  IV.  Nimmt  Morph,  mit  mäss.  Erfolg 
weiter,  bei  feuchter  Witterung  sind  aber  3 — 4  cg 
Morph,  nutzlos. 

19.  Steinhauer  W.  H.  40  J.  5.  m.  Vorge- 
rückte Phthisis  pulm.  et  lar.  ohne  grosse  Caver- 
nen.  S.  yiel  Sputum.  Agrypnie  durch  Husten. 
0.:  Codein-P.  k  27j,cg. 

7.  in.  Abnahme  von  Husten  und  Sputum, 
Nachtruhe. 

27.  m.  Täglich  3—4  C.-P.,  P.  fühlt  grosse 
Erleichterung,  möchte  nicht  ohne  Cod.  sein.  Ap- 
petit steigt.  Seit  3  Tagen  keine  Pulver  mehr, 
seitdem  viel  mehr  Husten. 

10.  IV.  St.  idem,  fühlt  sich  glücklich  mit  den 
Pulvern.     Nie  Verdauungsstörungen. 

20.  IV.  Erhält  nun  ohne  Wissen  Pulv.  Dow. 
ä  0,25  zum  Vergleich. 

27.  IV.  Wirkten  ordentlich,  Cod.  wird  vorge- 
zogen, Pulv.  Dow.  verminderte  den  Appetit. 

20.  Tapezierer  Z.  H.  42  J.  28.  I.  Phthisis 
pulm.  et  lar.  Massiger  Sympt.- Verlauf.  Viel 
Husten  und  Bangigkeit,  wenig  Sputum.  Agrjpnie. 
0.:  Cod.-P.  k  2y5Cg. 

5.  n.    Täglich  ca.  3  Pulver,    Husten  sehr  er- 
träglich,  ordentliche  Nächte,   beim  Erwachen  vor-- 
übergehend    leichter    Schwindel     ohne     Kopfweh, 
ohne  P.  nie. 

8.  n.  Husten  sehr  gering,  Bangigkeit  noch 
vorhanden  in  geringerem  Maasse.  Ordentlicher  Ap- 
petit. Allgemeinbefinden  gut.  Keine  Verdauungs- 
störungen. 

21.  Arbeiter  K.  H.  25  J.  25.11.  Musculö- 
ser  Mann;  mäss.  Emphysem,  Bronch.  chron.  sicca 
mit  ac.  heftig.  Nachschub.  Husten  bis  zum  Er- 
brechen, Agrypnie.  Kein  Appetit.  C:  Cod.-P. 
ä  2  %  cg. 

1.  m.  Täglich  3—4  P.  Wirkung  nach  »/g 
bis  1  St.  Husten  bedeutend  geringer,  Gefühl 
grosser  Erleichterung,  sehr  gute  Nächte,  Appetit 
im  Steigen;  fühlt  sich  gesund  wie  lange  nicht 
mehr.     Keine  Verdauungsstörungen. 

20.  ni.  Keiner  P.  mehr  bedürft.,  seit  3  Tagen 
wieder  heftiger  Husten.     0.:  dito. 

25.  m.  Husten  seit  dem  22.  HI.  auf  Cod. 
wieder  verschwunden. 

22.  Sticker  E.,  ?J.  Chron.  interstit.  Phthise. 
6.  HI.  Quälender  Husten,  schlaflose  Nächte.  0. : 
Cod.-P.  k  2  cg. 


8.  rV.  Am  5.  ni.  Ö  Pulver.  Besserung  des 
Hustens,  ordentlicher  Schlaf. 

10.  in.  Im  Allgemeinen  3  P.  täglich.  Appe- 
tit bessert  sich. 

25.  m.    St.  id.  Pulv.  Dow.  k  0,25. 

2.  IV.  Wirkung  auf  den  Husten  fast  gleich, 
Appetit  aber  wieder  abgenommen,  zieht  d.  Cod.-P. 
noch  vor. 

23.  Nähterin  M.  H.  45  J.  20.  IV.  Längs, 
progred.  Phthise.  Anämie,  gracile,  kleine  P.  Viel 
Schwindel,  kein  Appetit,  quälender  Husten, 
Agrypnie.     0.:  Cod.-P.  ä  2  cg. 

23.  IV.  Am  21.  IV.  Morg.  8V^h,  1  h,  3  h  je 
2  cg,    ordentl.  Abnahme   des  Hustens  und  Schlaf. 

22.  IV.  3  C.-P.,  zuletzt  Nachts,  trotzdem  die 
ganze  Nacht  Husten.  Keine  Aenderung  des  All- 
gemeinbefindens.    0.:  Pulv.  Dow.  ä  0,20. 

24.  IV.  Am  23.  IV.  Ab.  8  h  =  0,2  P.  Dow., 
Schlaf  bis  24.  IV.  Morg.  4  h,  beim  Erwachen  hef- 
tiger Schwindel,  dauert  bis  Abend  an. 

25.  IV.  3  P.  Dow.  wegen  heftigen  Hustens, 
den  ganzen  Tag  Üebelkeit  und  Brechreiz,  Husten 
unverändert. 

26.  IV.    0.:  Cod.  k  2  cg. 

28.  IV.  Cod.  macht  weniger  Üebelkeit  und 
Schwindel.  Wirkung  auf  den  Husten  bei  Codein 
und  Morph,  sehr  gering,  bei  Cod.  noch  mehr  Appetit. 

24.  Zimmermann  B.  H.  20.  IV.  Mäss.  Em- 
physem, Bronch.  chron..  Degener.  Cord,  potat. 
Asthma  card.  et  bronch.  Gebrauchte  Digitalis 
und  andere  Herzmittel  mit  ordentl.  Erfolg.  0.: 
Cod.  ä  2  cg. 

26.  IV.  Husten  gemildert,  2 — 3  P.  genügen 
pro  die.     0. :  Pulv.  Dow.  ä  0,20. 

1.  V.  Wirkung  ziemlich  gleich,  Husten  sehr 
vermindert,  weniger  die  Bangigkeit.  Keine  Ver- 
dauungsstörungen; Pals  ordentlich,  unverändert. 

25.  Frau  H.,  46  J.  H.  Bronch.  chron.,  quä- 
lender Husten  mit  Schlaflosigkeit,  viel  zähes  Spu- 
tum, Engbrüstigkeit.     0. :  Cod.-P.  ä  2  y^  cg. 

Am  22.  in.  Ab.  8  h  und  10  h  je  2 »/,  cg  C, 
Schlaf  bis  23.  HI.  Morg.  3  h,  Erwachen  mit  etwas 
Kopfschmerz  und  Husten. 

23.  m.  Morg.  3  %  h  =  2 »/,  cg  C,  Schlaf  bis 
Morg.  7  h,  dies  für  P.  unerhört  viel,  wieder  etwas 
Kopfschmerz,  ohne  Pulver  nie. 

27.  m.  Tägl.  3—4  C.-P.,  Husten  stark  abge- 
nommen, gute  Nächte,  stets  Morg.  etwas  Kopf- 
schmerz. Auswurf  löst  sich  besser.  Keine  Ver- 
dauungsstörungen. 0.:  Pulv.  Dow.  ä  0,25  ohne 
Angabe  der  Verschiedenheit  der  Pulver. 

1.  IV.  Erbrechen  nach  jedem  Pulver,  nahm 
3 mal  täglich  1  P.  D.,  Husten  nicht  stärker  ge- 
worden. Will  wieder  die  früheren  P.  Kein  Ap- 
petit mehr. 

13.  IV.  Wieder  tägHch  3  C.-P.,  erbrach  seit- 
dem  nicht  mehr,  Husten  unbedeutend,  Bangigkeit 
weniger  beeinflusst. 

17.  IV.  Kein  Cod.  mehr  nöthig.  Appetit  zu- 
genommen. 

26.  Messmer  B.  Chron.  Bronch.;  Asthma 
bronch.;  Atherom.  Peinigende  Asthmaaniälle, 
besonders  Nachts,  hie  und  da  durch  Chloral  ver- 
meidbar.    St.  Husten.     0. :  Cod.-P.  k  2  y,  cg. 

25.  I.  Ab.  Sy,  h  =  2%  cg,  nach  20  Min. 
Schlaf  bis  26.  I.  Morg.  1  h,  dann  heftigen  1  stund. 
A.-Anfall,  darauf  Schlaf  bis  6  h. 


m.  Jahrfug.  1 
Septombcr  1889.J 


Freund,  Ueb«r  den  G«brmueh  dei  Codein«  bei  Prauenkirnnkheiten. 


399 


26.  I.  Morg.  und  Ab.  8  »/j  h  je  27,  cg  C, 
dann  Schlaf  bis  N.  12  h,   1  std.  A.-Anf. 

27.  I.  Morg.  und  Ab.  öy^h  =  2%  cg  C, 
gleichwohl  st.   Bangigkeit.     Hasten    abgenommen. 

8.  n.  Tägl.  2—4  C.-P.,  gestern  st.  Bangig- 
keit, trotz  2  Yj  cg  G.  9  h  und  10  h  Ab.  Zunahme 
der  Bangigkeit  bis  12  h,  dann  Abnahme,  schlech- 
ter Schlaf.  Husten  bedeutend,  Bangigkeit  nicht 
wesentlich  abgenommen.  Keine  Nebenwirkungen 
des  Godeins. 

27.  Frau  H.,  69  J.  H.  28.  H.  Bronchitis 
chron.  mit  ac.  Nachschub.  Z&hes  Sputum.  All- 
gemeinbefinden ordentlich.     God.-P.  k  1  cg. 

2.  m.  28.  n.  Ab.  6  h  1  cg  G.,  Husten  bleibt 
gleich,  9  V,  h  =  1  cg,  darauf  Ruhe  und  Schlaf. 

1.  m.  =  4  F.,  Yon  Mittag  an  keine  mehr 
nÖthig,  Appetit  gut,  keine  Verdauungsstörungen, 
Husten  gering. 

28.  Schuster  B.,  76  J.  H.  30.  HI.  Emphy- 
sema,  Bronch.  chron.;  bedeut.  Asthma  bronch. 
Decrepidit&t;  kein  Atherom  d.  A.  rad.  0.:  God. 
8  cg  180,0  2  SU.  1  Essl. 

2.  IV.  Husten  zur  H&lfte  abgenommen.  Asthma 
fast  gleich,  Sputum  löst  sich  besser,  besserer 
Schlaf.  God.  rep. 

6.  rV.  Husten  fast  yerschwunden,  Bangigkeit 
wenig  nachgelassen.  Besserer  Appetit  und  Schlaf 
ohne  schwere  Tr&ume  wie  bisher,  keine  Ver- 
dauungsstörungen.   0.:  Tct.  Ghin.  comp. 

16.  IV.  Husten  nicht  zugenommen,  Dyspnoe 
geringer,  Allgemeinbefinden  recht  ordentlich. 

29.  Wasserträger  L.,  75  J.  H.  Tusuffiz.  y. 
Mitr.  gravis  Gompens.  nach  früherem  Rheum.  artic. 
Bronch.  chron.  Asthma,  Atherom.  29.  L  Seit 
Mon.  keuchende  Ein-  und  Ausathmungen,  viel 
Husten,  sehr  unruhige  Nächte.  Spartein  und  P. 
Dow.  stets  nutzlos,  doch  gut  vertragen,  Schwäche- 
delirien.    0.:  God.-P.  k  1^^  cg, 

4.  n.  Bisheriger  Erfolg  gering,  etwas  weniger 
Husten,  nahm  tägl.  3  P. 

8.  in.  Immer  Asthma,  Puls  nicht  verändert, 
etwas  mehr  Ruhe. 

12.  HI.   God.  weggelassen,  Nutzen  minimal. 

[SdUuM  folgt.] 


Ueber  den  Gebrauch  des  Codeins  bei 
Frauenkrankbeiten. 

Von 

Dr.  H.  W.  Freund, 

1.  AMistent  der  Frauenklinik  In  Straitbnrg. 

Auf  die  Empfehlung  des  Privatdocenten 
Dr.  V.  Schröder  hin  habe  ich  in  einer 
grosseren  Reihe  von  Fällen  schmerzhafter 
Frauenkrankheiten  Versuche  mit  Godein 
angestellt.  Die  dabei  gewonnenen  Resultate 
rechtfertigen  eine  kurze  Veröffentlichung. 
Bekanntlich    hat    in  neuerer  Zeit   L  au  der- 


Brunton^)  von  diesem  Bestand  theil  des 
Opium  ausgedehnten  Gebrauch  gemacht  und 
dasselbe  hauptsächlich  fOr  „Schmerzen  im 
Darm  und  im  unteren  Theil  des  Abdomens^ 
empfohlen.  Meine  Untersuchungen  erstrecken 
sich  nur  auf  den  zweiten  Punkt  dieser  Em- 
pfehlung, also  auf  die  Stillung  von  Schmeiß 
zen  im  unteren  Theil  des  Abdomens  bei 
Frauen.  Es  hat  sich  herausgestellt,  dass 
der  obige  Satz  Lauder-Brunton^s  für  die 
Gynäkologie  eine  erhebliche  Einschränkung 
erfahren  muss. 

Schmerzen,  welche  von  der  Gebärmutter 
ausgehen,  seien  es  solche  bei  Dysmenorrhoe 
oder  bei  acuten  und  chronischen  Leiden, 
lassen  sich  durch  Godeingaben  wohl  vor- 
übergehend lindem,  aber  niemals  auch  nur 
annähernd  in  dem  Grade,  wie  durch  Opium 
oder  Morphium. 

Dass  man  femer  bei  grösseren  Exsuda- 
tionen im  Beckeoperitoneum  und  Binde- 
gewebe mit  dem  Godein  keine  Triumphe 
feiern  kann,  war  von  vornherein  zu  erwar- 
ten. Auch  bei  Tubenerkrankungen  ist  das 
Mittel  nicht  als  schmerzstillend  zu  em- 
pfehlen. 

Dagegen  hat  es  einen  grossen,  unver- 
kennbaren und  meist  sehr  prompten  £in- 
fluss  auf  Schmerzen,  welche  von  den  Eier- 
stöcken ausgehen;  ob  es  sich  um  Ver- 
lagerung oder  Prolaps  der  Ovarien,  um 
Oophoritis,  acute  oder  chronische  Perioopho- 
ritis oder  um  sog.  reine  Ovarialneuralgie 
handelt,  immer  lassen  die  Schmerzen  auch 
schon  nach  kleinen  Dosen  Godein  erheblich 
nach,  in  den  meisten  Fällen  aber  schwinden 
sie  gänzlich,  so  lange  die  Wirkung  des 
Mittels  anhält.  Ich  muss  allerdings  zu- 
fügen, dass  in  allen  Fällen  die  für  die  be- 
treffenden Leiden  erforderliche  locale  und 
diätetische  Therapie  sofort  eingeleitet  wurde ; 
wir  wissen  aber,  dass  diese  allein  nicht  ge- 
nügt, die  meist  sehr  heftigen  Schmerzen  in 
kurzer  Zeit  zu  beseitigen. 

Hinsichtlich  der  Dosirung  habe  ich  mich 
an  die  bisher  giltigen  Vorschriften  gehalten 
und  dreimal  täglich  eine  Pille  von  je  3,3  cg 
Codein  (mit  Extr.  Gentian.  und  Pulv.  Rad. 
Liquir.)  gegeben.  Diese  Dosis  genügt  in 
den  meisten  Fällen;  nur  sehr  selten  braucht 
man  sie  zu  steigern. 

Irgend  welche  unangenehme  oder  schäd- 
liche Nebenwirkungen  vom  Codein  habe  ich 
nie  gesehen;  hierin  muss  ich  Lauder-Brun- 
ton  völlig  zustimmen. 

Codem  betäubt  nicht,  es  beeinflusst 
weder   den  Appetit    noch    die    regelmässige 

*)  Ueber  den  Gebrauch  des  Codeliis  zur  Be- 
seitigung des  Schmerzes  bei  ünterleibskrankheiteu. 
Brit.  med.  Joura.  9.  Jan.  1888. 


400 


MeiBBan,  Guajakol  bei  PhtlüBa. 


rlientpeiitiaeli* 
Monatihefte. 


Darmentleerung,  und  vor  allen  Dingen  giebt 
es  keine  Gewöhnung  an  das  Mittel,  keinen 
Codemismus.  Ich  lasse  einige  Patientinnen 
die  Pillen  schon  monatelang  bei  jedem 
neuen  Anfall  von  Ovarial schmerzen  brauchen; 
in  den  schmerzfreien  Intervallen  Termögen 
diese  Frauen  das  Mittel  bei  Seite  zu  lassen, 
ohne  es  ungern  zu  vermissen. 

Somit  kann  ich  das  Codein  als  schmerz- 
stillendes Mittel  bei  Eierstockskrankheiten 
warm  empfehlen. 


Ouajakol  bei  Phthise. 

Von 

Dr.  Meisten  in  Falkenstein  im  Taunus. 

Seit  der  Empfehlung  des  Guajakols  an 
Stelle  des  Kreosots,  dessen  wirksamen  Be- 
standtheil  es  darzustellen  scheint,  durch 
Penzoldt,  Sahli,  Fräntzel  sind  verhält- 
nissmässig  wenig  Berichte  über  seine  prak- 
tische Anwendung  bei  Lungenkranken  be- 
kannt geworden.  Bourget  in  Genf  hat  im 
Corresp.-Bl.  f.  Schweiz.  Aerzte  1889,  10  und 
in  der  Wiener  med.  Presse  1889,  23  einiges 
verofiPentlicht  und  namentlich  Arzneiformeln 
angegeben.  Nach  ihm  wird  es  von  der 
Magenschleimhaut  besser  vertragen  als  das 
Kreosot.  Auch  kann  es  erforderlichen  Falles 
in  Emulsion  per  rectum  verabreicht  werden. 
Ferner  wird  Guajakol-Leberthran  (l  —  2°/o) 
empfohlen.  Bericht  über  die  Erfolge  soll 
erscheinen.  Schetelig  (Deutsche  Medien- 
Zeitung  1889,  16)  hat  eine  Arbeit  über  die 
hypodermatische  Anwendung  des  Kreosots 
bei  Phthisischen  veröffentlicht,  bei  welcher 
sich  ein  bemerkenswerthes  Ergebniss  heraus- 
stellte. Abgesehen  nämlich  davon,  dass  in 
dieser  Form  grosse  Dosen  des  Medicaments 
(1,0 — 1,5  täglich)  durch  Monate  hindurch 
ohne  Schaden  vertragen  wurden,  zeigte  sich 
eine  deutliche  antipyretische  Wirkung  dieser 
Kreosot-Einspritzungen.  Die  genannte  Menge 
Kreosot,  dem  fiebernden  Phthisiker  unter  die 
Haut  gebracht,  setzt  die  Temperatur  unter 
allen  Umständen  , herab.  Die  Wirkung  tritt 
etwa  nach  einer  Stunde  ein  und  dauert  bei 
mittleren  Gaben  längstens  6  Stunden.  Bei 
acuten  Yerschlimmerungen  chronischer  Fälle 
war  die  antipyretische  Wirkung  am  besten. 
Zum  Schluss  kommt  Seh.  auf  das  Guajakol, 
welches  wegen  seiner  Reinheit  unverdünnt 
eingespritzt  werden  könne,  und  von  welchem 
eine  kleinere  Dosis  CA^Va)  g^^^g^i  chemisch 
reines  Guajakol  sei  deshalb  zu  weitem  Ver- 


suchen ausschliesslich  zu  empfehlen.  Auf 
persönliche  Anregung  Sch.'s  hat  der  Unter- 
zeichnete das  Guajakol  in  zwei  Fällen  von 
stark  fieberhafter  Phthise  eine  Zeitlang  an- 
gewendet, und  kann  das  Gesagte  im  Wesent- 
lichen bestätigen.  Die  Einspritzungen  (tiefe 
Injectionen  unter  die  Bauchhaut)  wurden 
im  Ganzen  nicht  schlecht  vertragen;  doch 
bildeten  sich  mehrfach  auch  recht  schmerz- 
hafte Verhärtungen,  die  sich,  allerdings  ohne 
Eiterung,  langsam  wieder  vertheilten.  Die 
aufiPallendste  Wirkung  war  der  regelmässige 
Abfall  der  Temperatur  um  1 — 2°,  welcher 
schon  nach  0,25,  sicher  aber  nach  0,5  Gua- 
jakol schon  vor  Ablauf  einer  Stunde  er- 
folgte, und  zwar  geschah  derselbe,  was  Seh. 
nicht  hervorhebt,  stets  unter  starkem  Schweiss- 
ausbruch.  Nach  einigen  Stunden  stieg  die 
Temperatur,  einigemal  unter  Schüttelfrost, 
wieder  an.  Collaps- Temperaturen  wurden 
nicht  beobachtet;  die  Elranken  klagten  nur 
sehr  über  den  lästigen,  profusen  Schweiss, 
der  nach  ihrer  Aussage  stärker  war  als  nach 
0,25 — 0,5  Antifebrin.  Eine  Einwirkung  auf 
den  Krankheitsprocess  war  nicht  zu  consta- 
tiren.  Doch  ist  Zahl  und  Dauer  der  Ver- 
suche auch  zu  gering,  um  darüber  überhaupt 
ein  Urtheil  abzugeben.  Ich  hielt  mich  aber 
nach  dem  gewonnenen  Eindruck  nicht  für 
berechtigt,  dieselben  ohne  Weiteres  an  kranken 
Menschen  fortzusetzen.  Immerhin  scheint 
die  erwiesene  antipyretische  Wirkung  des 
Guajakols  in  subcutaner  Anwendung,  welche, 
soweit  bekannt,  bei  innerlichem  Gebrauche, 
vielleicht  in  Folge  der  langsameren  Resorption, 
nicht  vorhanden  ist,  bemerkenswerth  genug, 
um  zu  weitem  Forschungen,  namentlich 
Thierexperimenten,  aufzufordern.  Stellt  sich 
dabei  heraus,  dass  das  Guajakol,  bez.  das 
Kreosot  unter  Umständen  und  in  genügender 
Gabe  nichts  weiter  bewirkt  als  eine  Tempe- 
ratur-Erniedrigung des  fiebernden  Organismus, 
so  wäre  das  Ergebniss  ein  sehr  geringes, 
da  wir  diesen  Effect  durch  eine  ganze  An- 
zahl von  Arzneistoffen  in  viel  einfacherer 
und  bequemerer  Weise  erreichen  können. 
Was  ich  bisher  nach  ziemlich  reichlicher 
Erfahrung  über  die  Einwirkung  dieser  Mittel 
auf  den  bacillären  Process  in  den  Lungen 
beobachtete,  ist  völlig  gleich  Null,  und  was 
ich  vom  Kreosot  rühmen  kann,  beschränkt 
sich  darauf,  dass  es  in  geeigneter  Form  auch 
in  grossen  Gaben  meist  gut  vertragen  wird 
und  gelegentlich  einen  günstigen  Einfluss 
auf  den  Verdauungsapparat  ausübt.  Eine 
specifische  Wirkung  auf  tu  bereu  löse  Processe 
ist  indessen  keinesweges  undenkbar;  m.  £. 
aber  müsste  dieselbe  erst  durch  Thierexperi- 
mente  erwiesen  sein,  bevor  man  auf  die  Ge- 
fahr  hin,    unangenehme    Nebenerscheinungen 


in.  Jalirgang.  "1 
September  1889J 


Meiasen,  Guajakol  bei  Phthise. 


401 


berrorzurufen ,  die  Mittel  in  genügender 
Dosis  beim  kranken  Menschen  anwendet. 
Diese  Experimente  könnten  in  gleicher  Weise 
angestellt  werden  wie  Trudeau  in  Saranac 
Lake  (Adirondacks  im  Staate  New-York)  die 
Wirksamkeit  des  hygienisch  -  diätetischen 
Heilverfahrens  gegen  Tuberculose  demon- 
Btrirte.  Tr.  impfte  eine  Anzahl  Kaninchen 
in  gleicher  Weise  mit  dem  Koch^schen  Ba- 
cillus. Die  Hälfte  der  Thiere  wurde  in 
einen  engen,  feuchten,  dunklen  Raum  ge- 
bracht, wo  sie  schlecht  und  mangelhaft  er- 
nährt wurden,  die  andern  aber  wurden  auf 
einer  kleinen  Insel  im  See  ausgesetzt,  wo 
sie  in  Hülle  und  Fülle  alles  fanden,  was 
ein  Kaninchen  herz  erfreuen  kann.  Erstere 
starben  alle  oder  fanden  sich  schwer  tuber- 
culos,  letztere  überwanden  die  Infection  alle 
bis  auf  eins.  So  müsste  man  auch  eine 
Anzahl  geeigneter  Versuchsthiere  in  gleicher 
Weise  inficiren,  und  dann  einen  Theil  mit 
dem  Arzneimittel  behandeln,  während  die 
andern  zur  Controle  dienen.  Leider  fehlen 
dem  beschäftigten  Praktiker  zu  sehr  Zeit 
und  Gelegenheit  für  solche  Versuche;  viel- 
leicht fühlen  Andere  sich  dazu  angeregt. 

Nachtrag. 

Kurz  nach  der  Abfassung  der  vorstehen- 
den Betrachtungen  erschien  eine  neue  Arbeit 
über  Guajokol  -  Einspritzungen  bei  Phthise 
von  Schetelig  (Deutsche  Medic. -  Zeitung 
1889,  62),  in  welcher  die  mit  Wahrschein- 
lichkeit auf  den  Tuberkel -Bacillus  selbst 
gehende  Wirkung  derselben  wiederholt  be- 
tont wird.  Man  soll  nur  chemisch  reines 
Guajakol  in  einmaliger  täglicher  Dosis  von 
0,5  — 1,0  anwenden;  die  Technik  der  Injec- 
tionen  muss  eine  sehr  sorgsame  sein.  Nach 
Seh.  ist  die  Wirkung  am  aufißlUigsten  in 
allen  Fällen  von  acuten  Verschlimmerungen 
chronischer  Phthisen,  in  denen  die  Ein- 
schmelzung  keine  zu  rapide,  sondern  eher 
anzunehmen  ist,  dass  eine  lebhaftere  Ent- 
wicklung von  Bacillen  stattfindet,  d.  h.  also 
wohl  bei  drohenden  oder  vorhandenen  Aus- 
breitungen des  bacillären  Processes.  Seh. 
giebt  an,  in  zwei  Fällen  die  Zunahme  der 
Bacillen  vor  und  die  Abnahme  nach  der 
Guajakol-Behandlung  nachgewiesen  zu  haben, 
gleichzeitig  mit  der  Aufbesserung  des  Ge- 
sammtzustandes.  Die  Reihenfolge  scheint  ihm 
die  folgende  zu  sein:  Sofortige  Herabsetzung 
der  Temperatur  für  einen  längern  oder  kürzern 
Zeitraum,  mit  oder  ohne  Schweiss,  aber 
ohne  bedenkliche  Collapserscheinungen,  Besse- 
rung des  Schlafes,  Neubelebung  des  Appe- 
tits, Veränderung  und  dann  Verminderung 
bez.  Beseitigung  des  Auswurfes,  Verlang- 
samung und  Kräftigung  des  Pulses. 


Das  würde  eine  sehr  bedeutende  Wir- 
kung vorstellen.  Schreiber  dieses  kann  aber 
seine  skeptische  Reserve  gleichwohl  noch 
nicht  verlassen  und  möchte  um  so  mehr 
zur  Prüfung  durch  Thierversuche  rathen, 
ehe  man  zur  weitern  Anwendung  am  Kranken 
schreitet. 


Noch  einmal  über  die  Beliandlnngr  der 
ConjnnctiTitis    grranulosa    mittelst    par- 
tieller EiXCision  der  Bindehaut. 

Von 

Dr.  Th.  Treitel, 

Docent  für  Augenheilkunde  in  Königsberg  1.  Pr. 

Meine  Abhandlung  über  ausgedehnte 
Bindehautexcisionen  in  No.  2  und  3  dieses 
Jahrgangs  dieser  Zeitschrift,  hat  meinem 
hiesigen  Fachcollegen  Yossius  zu  einem 
höchst  polemischen  Aufsatz^)  Anlass  gege- 
ben. Ich  werde  es  durchaus  vermeiden,  auf 
den  einer  wissenschaftlichen  Arbeit  unwür- 
digen Ton  des  Vossius'schen  Artikels  ein- 
zugehen und  auf  die  Verdächtigungen,  die 
sich  Yossius  gegen  meine  Person  erlaubt, 
auch  nur  ein   Wort  zu  erwidern. 

Eine  Antwort  auf  den  Aufsatz  kann  ich 
nicht  umgehen,  weil  es  mir  im  Interesse 
der  Sache  geboten  erscheint,  die  ganz  un- 
berechtigten Angriffe  von  Voss  ins  gegen 
meine  Operationsmethode  zurückzuweisen. 

Diesen  gegenüber  möchte  ich  zunächst 
hemerken,  dass  man,  wenn  man  sich  ein 
unparteiisches  ürtheil  bilden  will,  meinen 
Artikel  neben  demjenigen  von  Vossius  lesen 
muss.  Denn  der  letztere  ist  geeignet,  be- 
züglich meiner  Beschreibung  des  Operations- 
verfahrens z.  B.  der  Lage  des  Knorpelschnittes 
im  Verhältniss  zum  Lidrande  und  der  Be- 
handlung der  Suturen,  unrichtige  Anschauun- 
gen zu  erwecken. 

Yossius  macht  meiner  Methode  den 
Vorwurf,  dass  sie  „in  mehrfacher  Beziehung 
gegen  allgemeine  chirurgische  Grundsätze^ 
Verstössen  soll  und  führt  für  diese  Behaup- 
tung drei  Gründe  an : 

l)  Ich  soll  die  Schneller'sche  Pincette 
für  die  Excision  der  unteren  Uebergangs- 
falte  empfohlen  haben^  während  ic^  sie  für 
die  obere  verwerfe.  Hätte  ich  das  gethan, 
so  könnte  man  darin  vielleicht,  wenn  man 
durchaus  Angriffspunkte   gegen  meinen  Auf- 


1889. 


*)    Therapeutische    Monatshefte   No.  5  und  6 ; 


51 


402         Treit«l,  Behandl.  d«r  Co^juncttvitiB  granulosa  mittelst  pari.  Ezciaion  der  Bindebaut        f^^^i^bel^ 


satz  ausfindig  machen  will,  einen  Yerrtoss 
gegen  logische,  aber  niemals  gegen  chirur- 
gische Grundsätze  finden.  Aber  auch  das 
wäre  nicht  gerechtfertigt.  Denn  eine  nicht 
hinreichende  oberflächliche  Excision  des  obe- 
ren üebergangstheiles  kann  eine  Ptosis  des 
oberen  Lides  zur  Folge  haben,  während  eine 
Verletzung  des  subconjunctivalen  Gewebes 
im  Bereiche  des  unteren  üebergangstheiles 
keinen  nennenswerthen  Nachtheil  nach  sich 
zieht.  Aus  diesem  Grunde  habe  ich  bei 
Besprechung  der  Excision  des  unteren  üeber- 
gangstheiles die  Schnelle  rasche  Pincette 
angeführt,  ausdrücklich  aber  nicht  diese, 
sondern  die  ümschneidung  mit  gerader 
Scheere  empfohlen.  Hiemach  erweist  sich 
der  erste  Einwand  Ton  Yossius  als  ganz 
haltlos. 

2)  Yossius  behauptet:  „Die  unvollstän- 
dige Sutur  ist  jedenfalls  ein  Hauptfehler;  sie 
verhindert  die  Prima  intentio". 

Wenn  ich  jetzt  über  ca.  180  Operationen 
mit  zwei  Suturen  verfuge,  bei  denen  bis  auf 
ca.  15  ^/o  die  Wunde  in  der  ganzen  Aus- 
dehnung per  primam  geheilt  ist,  so  steht 
Yossius  wohl  allein,  wenn  er  meine  Art 
zu  nähen,  als  unvollständige  Sutur  bezeich- 
net. Ich  halte  den  Yorwurf  von  Yossius, 
nur  zwei  Nähte  anzulegen,  im  Gegentheil 
für  einen  wesentlichen  Yorzug  meiner  Me- 
thode und'  empfehle  dieselbe  allen  Collegen, 
die  sich  davor  schützen  wollen,  unheilbare 
centrale  Hornhauttrübungen  zu  erhalten. 
Dieser  Gefahr  setzen  sie  sich  aus,  wenn 
sie  die  Mitte  der  Wunde  durch  einen  Faden 
schliessen.  Hierüber  lassen  meine  Erfah- 
rungen keinen  Zweifel  zu.  Das  Risiko  von 
Wundgranulationen  steht  zu  demjenigen  de<« 
Fadens  in  der  Mitte  der  Wunde  in  gar 
keinem  Yerhältniss.  Denn  die  Wundgranu- 
tionen  machen  entweder  gar  keine  Reizer- 
scheinungen oder  sie  verzögern  die  Heilung; 
sie  bewirken  aber  niemals  dauernden  Scha- 
den, niemals  unheilbare  Sehstörung. 

Wer  den  von  Yossius  gegen  mich  er- 
hobenen Yorwurf  von  un chirurgischem  Han- 
deln wegen  angeblich  nicht  genügender 
Nähte  gelesen  hat,  wird  mit  Erstaunen  da- 
von Kenntniss  nehmen,  dass  Yossius,  wie 
er  selbst  1885  in  Heidelberg  mitgetheilt 
hat*),  bei  seinen  ersten  50  Operationen  gar 
keine  Sutur  angelegt  und  erst  durch  das 
Yorgehen  von  Heisrath,  welcher  in  den 
ersten  Jahren  auch  nicht  genäht  hat^),  ver- 


*)  Bericht  über  die  17.  Yersammlung  der  oph- 
thalmologischen Gesellschaft,  Heidelberg  1885, 
pag.  190. 

*)  Gfr.  Richter,  Zur  Behandlung  der  Conjunc- 
tivitis granulosa  durch  Excision;  v.  Graefe's  Arch. 
XXXI,  4,  pag.  85. 


anlasst  worden    ist,    die  Wunde    durch  Su* 
turen  zu  schliessen! 

Yielleicht  aber  könnte  Jemand  meinen, 
das  Auftreten  von  Epithelerosionen  sei  ein 
so  seltenes,  dass  man  deswegen  auf  die  bei 
drei  Suturen  gewiss  sicherere  Erzielung  einer 
prima  intentio  nicht  zu  verzichten  brauche. 
Aeussert  sich  doch  Yossius  in  dem  ersten 
Theil  seines  Aufsatzes  unter  Berufung  auf 
das  grosse  Material  der  hiesigen  Universitäts- 
Augenklinik  dahin,  dass  „die  Ernährung  der 
Cornea  und  ihrer  Transparenz  keine  Gefahr 
läuft,  dass  dieselbe  wenigstens  vollständig 
vermieden  werden  kann." 

Darauf  folgt  dann  aber  in  directem 
Widerspruch  in  dem  2.  Theile  desselben 
Artikels  die  Mittheilung,  dass  er  bei  Ex- 
cisionen  der  Bindehaut  an  116  Knaben  bei 
12  Kindern  Epithelerosionen  beobachtet  hat! 
„Zwei  Kinder  behielten  eine  dichte,  das 
Sehvermögen  wenig  störende,  excentrische 
Comealtrübung  zurück."  Bei  einem  dritten 
Knaben  „blieb  eine  intensivere  centrale  Horn- 
hauttrübung zurück,  welche  sich  allmählich 
aufhellte  und  die  Sehkraft  nur  wenig  be- 
einträchtigte". 

Dass  übrigens  diese  Epithelerosionen  die 
Folge  der  Suturen  sind,  unterliegt  für  mich 
nicht  dem  geringsten  Zweifel.  Die  unregel- 
mässigen, oberflächlichen  Defecte  mit  schar- 
fem, ausgezacktem  Rand  und  gelegentlich 
daran  heftenden  Epithelfetzen  lassen  gar 
keine  andere  Deutung  zu,  zumal  sie  der 
Lage  der  Sutur  entsprechen  und  stets  in 
den  ersten  Tagen  nach  der  Operation  auf- 
treten, während  unmittelbar  nach  derselben 
die  Hornhaut  —  abgesehen  von  präexisti- 
rendem  Pannus  —  ganz  glatt  aussieht.  Dazu 
konmit,  dass  ich  nach  Fortlassung  der  mitt- 
leren Sutur  nicht  ein  einziges  Mal  eine 
centrale  Erosion  zu  Gesicht  bekommen,  und 
ferner,  dass  die  peripheren  stets  sehr  schnell 
geheilt  sind,  sobald  die  entsprechende  Sutur 
entfernt  wurde. 

3)  Ebenso  unbegründet  wie  die  ersten 
beiden  ist  der  dritte  Einwand  von  Yossius, 
der  folgendermassen  lautet:  „Weiterhin  habe 
ich  den  einseitigen  Yerband  zu  moniren;  er 
immobilisirt  die  Lider  und  das  Auge  nur 
unvollkommen  und  verhindert  die  Heilung 
per  primam  durch  die  permanenten  Zerrungen 
an  der  Wunde."  Yossius  urtheilt  hier 
wieder  a  priori  über  Dinge,  über  welche 
man  sich  allein  auf  Grund  von  Erfahrungen 
ein  ürtheil  erlauben  darf.  Dass  thatsäch- 
lich  bei  der  von  mir  in  meinem  ersten  Auf- 
satz angegebenen  Art  des  Yerbandes  in  der 
überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle  die  ganze 
Wunde  per  primam  heilt,  habe  ich  soeben 
angegeben. 


^^J^HjJj^^^^  1       Tr«lt«l,  BehandL  der  Coi\Junetlvitlt  grmnulou  mitteUt  part.  Excision  der  Bindehaut 


403 


Meine  Empfehlung  des  Cocains  halte 
ich  vollkommen  aufrecht;  ich  habe  bisher 
nicht  ein  einziges  Mal  irgend  einen  Nach- 
theil Yon  diesem  sehr  schätzenswerthen  Mittel 
gesehen,  bei  den  Bindehautexcisionen  eben- 
sowenig wie  bei  Extractionen,  Tenotomien, 
Torlagerungen  etc. 

Ebenso  wie  die  Angriffe  yon  Yossius 
gegen  die  von  mir  beschriebene  Operation s- 
methode  sind  diejenigen  gegen  die  von  mir 
angegebene  üebersicht  der  wichtigeren  Arbei- 
ten über  ausgedehnte  Bindehautexcisionen 
Tom  Zaune  gebrochen.  Yossius  stellt  die 
Sache  so  dar,  als  hätte  ich  über  die  opera- 
tive Behandlung  der  Conjunctivitis  granulosa 
überhaupt,  und  nicht,  wie  aus  den  ersten 
Worten  und  dem  ganzen  Inhalte  meines 
Aufsatzes  unzweifelhaft  hervorgeht,  aus- 
schliesslich über  ausgedehnte  Excisionen 
der  Bindehaut  geschrieben.  Nur  an  diese 
knüpft  sich  der  grosse  Fortschritt  in 
der  Therapie  der  unheilvollen  Krank- 
heit. Dass  Heisrath,  wie  ich  mich  ausge- 
drückt habe,  „das  Verdienst  zuzuerkennen  ist, 
zuerst  die  Bindehautexcisionen  (sei.  die  ausge- 
dehnten) bei  einer  grösseren  Anzahl  von  Gra- 
nulösen systematisch  ausgeführt  und  die  dabei 
gemachten  Erfahrungen  publicirt  zu  haben  ^, 
unterliegt  nicht  dem  geringstem  Zweifel. 

Diejenigen  meiner  Leser,  welchen  in 
dieser  Frage  in  Folge  der  Darstellung  von 
Yossius  Zweifel  aufgestiegen  sein  sollten, 
verweise  ich  auf  folgende  Sätze  von 
Yossius  aus  dem  Yorwort  zu  seinem  Grund- 
riss  der  Augenheilkunde:  „Bei  der  Therapie 
dieser  verbreiteten  Yolkskrankheit  habe  ich 
gewiss  die  von  Jacobson  in  der  Eönigs- 
berger  Klinik  von  jeher  besonders  betonte 
Yorschrift,  Messer  und  Scheere  nicht  zu 
scheuen  und  nach  Maassgabe  der  durch 
dieses  Yerfahren  erzielten  günstigen  Resul- 
tate der  operativen  Methode  in  den  Vorder- 
grund gestellt.  Nachdem  schon  Scarificatio- 
nen  und  partielle  Excisionen  relativ  bessere 
und  schnellere  Erfolge  als  die  einfache, 
sonst  übliche  medicamentöse  Behandlung 
gebracht  und  Heisrath  in  der  Klinik 
die  Excision  auch  auf  den  ganzen 
Tarsus  ohne  .kosmetischen  oder  anderen 
Nachtheil  für  den  Kranken  ausgedehnt 
hatte,  sind  wir  diesem  letzteren  Ver- 
fahren sowohl  bei  den  in  klinische  Behand- 
lung einleitenden  Fällen  als  auch  bei  der 
Bekämpfung  von  Epidemien  treu  geblieben, 
nicht  zum  Schaden  der  Erkrankten  und  der 
Communen." 

Schliesslich  mochte  ich  nicht  unterlassen, 
nochmals  darauf  hinzuweisen,  dass  sich  die 
von  mir  empfohlene  Art,  die  Bindehaut  zu 
excidiren,    an   die  Heisrath^ sehe    anlehnt. 


Ob  man  die  kranke  Conjunctiva  nach  einer 
von  diesen  oder  nach  der  von  Yossius  in 
seinem  Artikel  nochmals  beschriebenen 
Methode  ausschneidet,  scheint  mir  von  sehr 
nebensächlicher  Bedeutung  zu  sein. 


Zur  SuggestiT-Therapie. 

Nach  einem  aaf  dem  Neurologen- Congresse 
zu  Baden  gehaltenen  Vortrage. 

Von 

Dr.  V.  Corval. 

Während  ich  in  einem  auf  dem  Balneo- 
logen-Congresse  zu  Berlin  gehaltenen  Vor- 
trage (veröffentlicht  in  der  Deutschen  Medi- 
cinal-Zeitung  1889  No.  83)  mir  die  Aufgabe 
gestellt  hatte,  die  Collegen  durch  kurze  prac- 
tische  Mittheilungen  zur  Nachprüfung  der 
bereits  vorliegenden  zahlreichen  therapeuti- 
schen Versuche  auf  dem  Gebiete  der  Sug- 
gestion zu  veranlassen,  kam  es  mir  dieses 
Mal  mehr  darauf  an,  der  Frage  näher  zu 
treten,  ob  wir  bereits  berechtigt  seien,  von 
der  Suggestiv-Therapie  Gebrauch  zu  machen 
und  in  welchen  Fällen  etwa.  Zugleich  aber 
wollte  ich  den  Weg  andeuten,  welchen  wir 
einzuschlagen  hätten,  um  diese  wichtige 
Frage  der  Lösung  näher  zu  bringen. 

Zu  diesem  Zwecke  war  ich  selbstver- 
ständlich genöthigt,  mancherlei  frühere  An- 
gaben zu  wiederholen  und  dieselben  durch 
neuere,  indessen  gesammelte  Erfahrungen  zu 
vervollständigen,  um  auf  diese  Weise  soweit 
als  möglich  die  Berechtigung  meiner  Schluss- 
folgerungen darzuthun. 

Für  diejenigen  Leser,  welchen  der  be- 
treffende Aufsatz  der  Medicinal-Zeitung  nicht 
zu  Gesichte  gekommen,  füge  ich  noch  hinzu, 
dass  ich  meine  ersten  Beobachtungen  über 
Suggestion  in  Stockholm  bei  Dr.  Wetter- 
strand,  einem  ebenso  ernsten  wie  wissen- 
schaftlich hochgebildeten  und  nichts  weniger 
als  einseitigen  Arzte,  der  bei  seinen  Col- 
legen in  höchster  Achtung  steht,  im  Verlaufe 
von  4  Wochen  und  täglich  30 — 40  hypno- 
tischen Sitzungen  gemacht  habe.  Ich  habe 
dabei  die  Anwendung  der  Suggestiv-Methode 
bei  Patienten  jeden  Standes,  jeden  Alters 
und  beider  Geschlechte,  bei  den  verschieden- 
artigsten krankhaften  Zuständen  gesehen  und 
den  Erfolg  mit  eigenen  Augen  verfolgen 
können.  Ich  habe  weiter  beobachtet,  dass, 
entsprechend  den  Angaben  der  französischen 
Autoren,  in  Bezug  auf  Hypnotisirbarkeit  kein 
wesentlicher  Unterschied  bei  gebildeten  Er- 
wachsenen   zu   sehen    war,    während  Kinder 

öl* 


404 


V.  Corval,  Zur  Suggattiv-Therapie, 


rrhorapeatlseii« 
L  Monatahefte, 


und  Leute  Diederen  Standes,  welche  mehr 
an  Unterordnung  und  Gehorsam  gewöhnt  und 
weniger  zu  Reflexionen  geneigt  sind,  dem 
Einflüsse  leichter  erlagen,  auch  leichter  in 
tiefen  Schlaf,  in  Somnambulismus  (mit  Amnesie 
nach  dem  Erwachen)  yerflelen,  dass  bei  kei- 
nem der  Hypnotisirten  weder  vor,  noch 
während  oder  nach  der  Hypnose  irgend 
welche  abnorme  Erscheinung  zu  Tage  trat, 
und  Alle  das  Bild  des  ruhigen  behaglichen 
Schlafes  zeigten,  und  dass  endlich  die  Wir- 
kung des  Verfahrens  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  eine  gute,  oft  sogar  eine  geradezu 
überraschende  war,  und  zwar  nicht  nur  vor- 
übergehend, wie  ich  später  an  einigen  Bei- 
spielen zeigen  werde. 

Meine  eigene,  sich  erst  über  6  Monate 
erstreckende  Erfahrung  ist  selbstverständlich 
eine  relativ  geringe,  wegen  des  geringen 
Krankenstandes  im  Winter,  besonders  aber, 
weil  ich  die  später  zu  präcisirenden  Grund- 
sätze meines  Lehrers  auf  das  Strengste  be- 
folgte. Trotzdem  verfüge  ich  bereits  über 
eine  Anzahl  von  Fällen,  welche  ich  in  etwa 
600  Sitzungen  behandelt  habe,  und  kann 
ich  mit  voller  Bestimmtheit  erklären,  dass 
diese  Erfahrung  mir  vollinhaltlich  alles  be- 
stätigt hat,  was  ich  in  Stockholm  gesehen 
und  von  Wetter  Strand  gehört  habe,  so 
dass  für  mich  persönlich  die  Frage  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  durchaus  entschieden 
ist,  wenn  ich  auch  zugebe,  dass  die  theore- 
tische Erklärung  noch  sehr  viel  zu  wünschen 
übrig  lässt,  und  dass  die  Indicationen  und 
Gontraindicationen  der  genaueren  Feststellung 
dringend  bedürftig  erscheinen  —  ein  Uebel- 
stand,  den  übrigens  die  Suggestiv-Therapie. 
mit  so  manchen  anderen  beliebten  und  viel 
verwandten  Heilverfahren  theilen  dürfte. 

Wenn  ich  Ihnen  nun  zur  Begründung 
meiner  Behauptung,  dass  die  Suggestiv- 
Therapie  sich  bereits  die  Existenzberechti- 
gung erworben  habe,  einzelne  casuistische 
Mittheilungen  mache,  so  werde  ich  mich  da- 
bei nur  auf  ganz  besonders  interessante, 
practisch  wichtige  Angaben  beschränken ;  eine 
statistische  Zusammenstellung  wäre  ermüdend 
und  wegen  der  Kleinheit  der  Zahlen  nicht 
beweiskräftig  genug.  Vorausschicken  möchte 
ich  nur  noch,  dass  ich  selbstverständlich 
auch  Misserfolge  bei  Wetterstrand  gesehen 
und  selbst  erlebt,  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
aber  eine  mehr  od«r  weniger  gute,  ja  nicht 
selten  radicale  Wirkung  gesehen  habe. 

In  erster  Reihe  muss  ich  hier,  wie  ich 
es  auch  in  Berlin  gethan  habe,  die  Wirkung 
des  Suggestiv- Verfahrens  bei  Alkoholikern 
hervorheben.  Ich  wünschte  nur,  jeder  Un- 
gläubige hätte  die  Gelegenheit,  eine  Reihe 
von  solchen  Fällen    (ich   sah   2    seit  Jahren 


Geheilte  und  5  in  der  Behandlung)  zu  be- 
obachten; für  mich  war  diese  Beobachtung 
entscheidend.  Die  Alkoholiker  verfallen 
meist  sehr  leicht  in  Schlaf,  werden  meist 
bald  somnambul;  das  Gebot  der  Enthaltung 
von  alkoholischen  Getränken  jeder  Art  wirkte 
vom  ersten  Male  ab  entscheidend,  es  traten 
in  keiner  Weise  irgend  welche  Collaps-  oder 
andere  Abstinenzerscheinungen  ein.  Die  Pa- 
tienten assen  und  schliefen  vom  ersten  Tage 
ab  gut  und  erholten  sich  körperlich  zu- 
sehends von  Tag  zu  Tag.  Die  Suggestion 
nahm  freilich  auch  auf  alle  diese  Dinge 
Rücksicht.  Recidive  traten  freilich  gelegent- 
lich auch  ein,  doch  keinenfalls  häufiger  wie 
bei  anderen  Entwöhnungsmethoden,  und 
wichen  gewöhnlich  in  1  oder  2  Sitzungen. 
Bekanntlich  rühmt  auch  Forel  den  Erfolg 
der  Suggestiv-Therapie  bei  Aikoholismns, 
und  Dr.  Oedmann  (Drrector  der  Irren- An- 
stalt in  Lund)  bestätigte  diese  Erfahrung, 
freilich  mit  dem  Zusätze,  dass  er  selbst  nicht 
im  Stande  sei,  zu  hypnotisiren  und  daher 
die  betreffenden  Patienten  zu  Wetterstrand 
schicke.  Ich  selbst  habe  einen  Fall  von 
periodischem  Alkoholismus  in  Behandlung 
gehabt  und  glaube,  denselben  zunächst  über 
eine  solche  Periode  glücklich  hin  weggebracht 
zu  haben.  Es  gelang  wenigstens  sehr  rasch, 
die  bereits  als  Vorläufer  auftretende,  bald 
aufgeregte,  bald  stark  deprimrrte  Stimmung 
völlig  zu  einer  normalen  zu  gestalten,  bei 
absolutem  Verbote  des  Alkohols. 

Viel  weniger  günstig  waren  die  Erfolge 
bei  Morphinismus,  durchaus  negativ  bei 
Cocainismus,  während  Chi oral-Missbrauch 
sich  leicht  abwähren  lässt. 

Dass  Neuralgien  aller  Art,  besonders 
Ischias,  Zahnschmerzen,  Kopfschmer- 
zen, Migraine  meist  für  kürzere  Zeit,  doch 
auch  dauernd  beseitigt  werden  können,  dass 
Schlaflosigkeit  aus  verschiedenen  Ur- 
sachen meist  sehr  günstig  beeinflusst  wird, 
dürfte  allgemein  bekannt  sein.  Besonders 
interessant  war  mir  die  Beobachtung  an 
einem  seit  Jahren  an  Tabes  leidenden  Col- 
legen,  welcher  von  den  intensivsten  lancini- 
renden  Schmerzen  in  8  Sitzungen  befreit 
worden  war,  und  der  während  meiner  An- 
wesenheit wiederkehrte,  weil,  nach  einer 
Pause  von  6  Monaten,  seit  2  Tagen  die 
Schmerzen  sich  wieder  gemeldet  hatten.  In 
2  Sitzungen  war  er  schmerzfrei  und  blieb 
es  wenigstens  während  der  nächsten  3  Wochen, 
wo  ich  ihn  wiederholt  sah*). 


^)  Nach  Einsendung  des  Manuscriptes  beob- 
achtete ich  die  gleiche  günstige  Wirkung  bei  einem 
Tabischen  in  eigner  Praxis,  bei  welchem  augleich 
die  seit  2  Jahren  bestehende  Diarrhoe  beseitigt 
wurde.    Der  Erfolg  hält  bereits  fast  3  Monat  an. 


m.  Jahrgang.  1 
Bmptaaxhw  1889.J 


V.  Corval,  Zur  Suf  f  attlv-Therapie. 


405 


Von  Migraine  habe  ich  selbst  neben 
mehreren  leichten  einen  sehr  schweren  Fall 
in  Behandlung  gehabt:  Die  Patientin  wurde 
sofort  somnambul,  ohne  Torher  irgend  welche 
hysterische  Erscheinungen  gezeigt  zu  haben. 
Suggestion:  Aufwachen  um  12  Uhr,  Kopf 
durchaus  frei,  keine  üebelkeit,  keinen  Schwin- 
del, vollständig  frisch;  jeden  Morgen  8  Uhr 
Stuhlgang.  Die  Befehle  wurden  auf  das 
Pünktlichste  ausgeführt,  ohne  dass  die  Pa- 
tientin heute  noch  eine  Ahnung  davon  hat, 
was  ich  befohlen,  und  sich  nur  darüber  freut, 
dass  jetzt  der  Stuhl  stets  Morgens  uro  8  Uhr 
erfolge,  nachdem  seit  Jahren  die  stärksten 
Drastica  angewendet  werden  mussten  (Mas- 
sage undElektricität  hatten  nur  vorübergehend 
gewirkt),  und  dass  sie  seither  (6  Monate) 
keine  Migraine  gehabt,  welche  früher  läng- 
stens alle  4  Wochen  aufgetreten  war. 

Je  1  Fall  von  Neuralg.  trigem.  und 
auric.  temp.  behandele  ich  im  Augenblicke 
mit  dem  günstigsten  Erfolge. 

Von  Epilepsie  sah  ich  mehrere  Fälle, 
welche  ganz  erheblich  gebessert  waren,  einige 
aeit  mehreren  Jahren  ohne  Anfälle,  bei  An- 
deren die  wöchentlichen  AnHllle  auf  jähr- 
liche reducirt.  Bei  ganz  schweren  Fällen 
hat  auch  Wetterstrand  keinen  Erfolg  ge- 
sehen. 

Schwerhörigkeit  und  Ohrgeräusche 
wurden  sehr  oft  dauernd  günstig  beeinflusst, 
selbst  bei  Fortbestand  ganz  erheblicher  ana- 
tomischer Läsionen.  Ich  selbst  habe  in 
2  Fällen  auffallende  Besserung  erreicht,  trotz- 
dem bei  dem  einen  Patienten  Verwachsung 
des  Trommelfelles  mit  der  hinteren  Pauken- 
wand, bei  dem  anderen  Verdickung  und  starke 
Einziehung  des  Trommelfelles  bestand.  Sehr 
interessant  ist  die  Gehorverbesserung  wäh- 
rend des  hypnotischen  Schlafes  selbst;  die- 
selbe erhält  sich  jedoch  nicht  auf  dem  gleich 
hohen  Grade  beim  Erwachen. 

Wetterstrand  und  Dr.  Velander  (Jon- 
köpping)  theilten  mir  mit,  dass  sie  wieder- 
holt das  Stottern  ganz  oder  fast  ganz  be- 
seitigt hätten.  Ich  kann  gleichfalls  über 
2  ganz  exquisite  Fälle  eigener  Praxis  sehr 
Günstiges  berichten,  und  sah  in  Stockholm, 
dass  ein  4  jähriger  Knabe,  welcher  in 
Folge  grossen  Schreckens  vor  */j  Jahr  an- 
gefangen hatte,  hochgradig  zu  stottern,  durch 
Suggestion  im  Wachen  die  normale  Sprache 
plötzlich  wieder  gewann.  Ganz  besonders 
interessant  und  für  die  Macht  der  Suggestion 
beweisend  ist  die  Beobachtung,  dass  der 
hochgradigste  Stotterer  nach  wenigen  Sitzun- 
gen im  Schlafe  die  vorgesprochenen  Worte 
und  Sätze,  selbst  der  schwierigsten  Art,  fast 
fehlerlos  nachspricht.  Ich  habe  diese  Er- 
scheinung wiederholt  verschiedenen  Collegen 


vorführen    können,    desgleichen    einen    voll- 
ständig geheilten  Stotterer. 

Bronchial -Asthma  sah  ich  in  drei 
Fällen  wesentlich  gebessert,  und  es  war  mir 
besonders  interessant  zu  beobachten,  dass 
hochgradige  Dyspnoe  jedes  Mal  in  kürzester 
Zeit  gehoben,  dass  die  Respiration  sofort  mit 
Eintritt   des  Schlafes   ruhig  und  tief  wurde. 

Die  Wirkung  der  Suggestion  bei  Muskel- 
Bheumati8mus,z.B.  Lumbago  undTorti- 
collis,  ist  meist  geradezu  zauberhaft  und 
zwar  nicht  nur  für  den  Augenblick,  sondern 
dauernd,  wie  ich  es  aus  eigener  Erfahrung 
bestätigen  kann,  desgleichen  bei  Klavier- 
spielerkrampf. 

Doch  es  mag  an  diesen  Beispielen  ge- 
nügen. Ich  möchte  mir  nur  noch  einige  Be- 
merkungen über  die  Resultate  der  Suggestiv- 
Behandlung  bei  Erkrankungen  des  Cen- 
tralnervensystems,  sowie  über  die  päda- 
gogische Bedeutung  der  Suggestion 
erlauben. 

Man  sagt  den  französischen  Autoren,  ins- 
besondere auch  Bernheim  nach,  dass  sie 
behaupten,  Erkrankungen  des  Centrain erven- 
systems  geheilt  zu  haben,  und  daraufhin 
erklärt,  dass  dieselben  es  mit  der  Diagnose 
nicht  sehr  genau  genommen  hätten.  Dass 
manche  der  mitgetheilten  Fälle,  z.  B.  die 
von  Fontan  und  S^gard  mitgetheilten,  in 
Bezug  auf  Sorgfalt  in  der  Diagnose  berech- 
tigte Zweifel  erwecken  müssen,  gebe  ich 
bereitwillig  zu;  unbegreiflich  ist  es  mir  je- 
doch, dass  man  die  auf  Heilung  bezüglichen 
Aeusserungen  in  der  Weise  auffassen  kann, 
wie  es  meist  geschieht,  und  neuerdings  so- 
gar von  Binswanger  und  Seeligmüller 
geschehen  ist,  welche  Bernheim  vorwerfen, 
er  behaupte,  organische  Affectionen  des 
Centrain ervensystems  in  dem  Sinne  geheilt 
zu  haben,  dass  die  organische  Läsion  sammt 
ihren  Folgen  beseitigt  worden  sei.  Dass 
Bernheim  seine  Worte  nicht  in  diesem 
Sinne  verstanden  wissen  will,  geht  doch  un- 
zweideutig aus  folgenden  Sätzen,  welche  sich 
in  der  neuesten  Auflage  seines  Werkes  be- 
finden, hervor: 

„Die  functionelle  Störung  in  den  Krank- 
heiten des  Centralnerven  Systems  überschreitet 
oft  das  Gebiet  der  anatomischen  Läsion, 
d.  h.  strahlt  oft  durch  Choc  oder  dynami- 
schen Reiz  auf  die  benachbarten  Zonen  aus. 
Und  gegen  diesen  veränderten  Dynamismus, 
welcher  unabhängig  ist  von  einer  directen 
materiellen  Veränderung,  ist  die  Psycho- 
Therapie  vielleicht  allmächtig." 

In  welch'  anderer  Weise  können  wir  uns 
denn  unsere  durch  Hydrotherapie,  Elektrici- 
tät  u.  s.  f.  in  ähnlichen  Fällen  unzweifelhaft 
zu  erzielenden  Erfolge  erklären? 


406 


V.  Corval,  Zur  Sugf astlT-Tliermple. 


rbcrftpeatiMhe 
Monatthefl«. 


Auch  Fontan  und  S^gard  gehen  von 
ähnlichen  Anschauungen  aus,  und  es  sind 
diese  beiden  Autoren,  wie  auch  Bern  heim, 
in  der  glücklichen  Lage  gewesen,  wenigstens 
in  einem  ihrer  bezüglichen  Fälle  ihre  Dia- 
gnose durch  Autopsie  bestätigen  zu  können 
(Revue  de  THypnotisme  1889,  2). 

Was  endlich  die  pädagogische  Seite 
der  Suggestion  betrifft,  so  bin  ich  selbst- 
yerständlich  weit  entfernt  davon,  der  allge- 
meinen Verwendung  derselben  in  diesem  Sinne 
das  Wort  zu  reden,  wenn  wir  auch  zugeben 
müssen,  dass  sie  bereits,  den  Betreffenden 
unbewusst,  eine  grosse  Bolle  in  der  Erzie- 
hung spielt.  Bei  der  notorischen,  von  mir 
persönlich  auch  mehrfach  beobachteten  gün- 
stigen Wirkung  der  Suggestion  zur  Beseiti- 
gung schlechter  Gewohnheiten,  z.  B.  Onanie, 
Enuresis  noct.  (selbstverständlich  nur  in 
den  geeigneten  Fällen)  dürfte  es  sich  aber 
doch  empfehlen,  auf  diese  Methode  zurück- 
zugreifen, wenn  man  sonst  nicht  zum  Ziele 
kommt.  Ich  habe  in  eigener  Praxis  einen 
hochinteressanten  hierher  gehörigen  Fall  be- 
obachtet, welchen  mit  wenigen  Worten  zu 
skizzrren  Sie  mir  noch  gestatten  mögen. 

Ein  dVsJäbriges,  körperlich  and  geistig  durch- 
aus normal  eutmckeltes  Sand,  hereditär  nicht  be- 
belastet, seither  sehr  brav  und  folgsam,  zeigt  seit 
etwa  f/i  Jahren  eine  ganz  auffallende  Veränderung 
des  Wesens:  anhaltende  Unruhe  und  Aufregung, 
sehr  ungehorsam,  beantwortet  jeden  Befehl  mit 
Schreien  und  Strampfen,  Iftsst  sich  nicht  waschen 
und  ankleiden,  wirft  sich,  in^s  Bett  gelegt,  stunden- 
lang hin  und  her.  Da  alle  Erziehungsversuche  in 
Güte  und  Strenge  durchaus  vergeblich  blieben,  und 
ich  auf  beginnende  Chorea  schliessen  zu  müssen 
glaubte,  suggerirte  ich  dem  Kinde  Schlaf  mit  promp- 
tem Erfolge  und  befahl  dann  Ruhe,  Gehorsam,  Ein- 
schlafen zu  bestimmter  Stunde.  Nach  8  Sitzungen 
war  das  Kind  nicht  mehr  wieder  zu  erkennen: 
munter  und  doch  gehorsam  aufs  Wort,  schlief  zur 
bestimmten  Stunde  ein,  unterzog  sich  willig  den 
Proceduren  des  Wasch ens  und  Ankleidens.  Trat 
späterhin  wieder  etwas  vermehrte  Unruhe  ein,  so 
genügten  1 — 2  Sitzungen,  um  das  Kind  zu  dem 
liebenswürdigsten  und  folgsamsten  zu  machen. 

Sie  sehen  also,  meine  Herren,  dass  auch 
ich  ein  langes  Register  von  krankhaften  Zu- 
ständen aufführen  könnte,  welche  unter  mei- 
nen Augen  und  in  eigener  Praxis  mit  mehr 
oder  weniger  günstigem  Erfolge  der  Suggestiv- 
Therapie  unterworfen  wurden.  Ich  will  aber 
damit  durchaus  nicht  gesagt  haben,  dass 
nun  alle  diese  Zustände  in  gleicher  Weise 
behandelt  werden  sollten,  dass  wir  nun  ein 
unfehlbares  Mittel  gegen  derartige  Erkran- 
kungen gewonnen  hätten.  Ich  möchte  viel- 
mehr schon  an  dieser  Stelle  erklären,  dass 
sich  gewiss  nicht  alle  in  gleicher  Weise  zur 
Suggestiv-Behandlung  eignen,  dass  sich  z.  B., 
entgegen     den     allgemeinen     Anschauungen, 


höher  entwickelte  Formen  von  Hysterie  und 
Neurasthenie  mit  melancholischer  Verstim- 
mung als  nichts  weniger  wie  besonders  gün- 
stige Objecto  darstellen,  wenn  man  auch 
namentlich  bei  ersteren  gelegentlich  gera- 
dezu zauberhafte  Wirkungen  beobachtet. 
Wetterstrand  hat  wahrscheinlich  ganz 
Recht,  wenn  er  solche  Fälle  nach  Möglich- 
keit ausschliesst,  weil  bei  denselben  die 
Hypnose  erstens  sehr  oft  nicht  gelingt,  da- 
für aber  hochgradige  Erregung  gesetzt  wird, 
und  weil  diese  Patienten  in  Folge  gewollter 
oder  ungewollter  Autosuggestionen  nur  zu 
häufig  in  völlig  verkehrter  Weise  reagiren. 
Auch  Forel  verlangt  ein  gesundes  Gehirn. 
Wir  können  somit  auch  die  Charcot^schen 
an  12,  zu  Experimenten  geradezu  dressir- 
ten  Schwei^Hysterischen  gemachten  Beob- 
achtungen für  die  Suggestiv- Therapie  in 
keiner  Weise  verwerthen,  ganz  abgesehen 
davon,  dass  es  verschiedenen  anderen  Beob- 
achtern niemals  gelungen  ist,  die  nach 
Charcot  in  ganz  gesetzmässiger  Weise  auf- 
tretenden Erscheinungen  in  gleicher  Weise 
hervorzurufen. 

Wir  kommen  damit  zu  der  Frage,  ob 
wir  berechtigt  seien,  die  Suggestion  thera- 
peutisch zu  verwerthen,  ob  die  mit  dersel- 
ben möglicher  Weise  verbundenen  Gefahren 
die  Anwendung  eines  in  mancher  Beziehung 
noch  nicht  genügend  erprobten  Mittels 
nicht  verbiete.  Es  unterliegt  keinem  Zwei- 
fel, dass  mit  der  Hypnose  viel  Unfug  ge- 
trieben worden  ist,  dass  die  angestellten 
Experimente  manche  recht'  unangenehme 
Folgen  gehabt  haben.  Die  Fälle  jedoch, 
wo  das  Suggestiv- Verfahren  zu  rein  thera- 
peutischen Zwecken,  in  milder  Form  ange- 
wandt, wirklich  Schaden  gestiftet  hat,  sind 
doch  wohl  zu  zählen,  und  selbst  die  von 
glaubwürdigen  Autoren  berichteten  gestatten 
immerhin  einigen  Zweifel,  ob  die  später 
beobachteten  Erscheinungen  wirklich  der 
Suggestion  zuzuschreiben  seien. 

Wenn  B  ins  wanger  z.  B.  erzählt,  dass 
ein  Mädchen,  welches  erblich  stark  be- 
lastet, selbst  noch  keine  hysterischen  Er- 
scheinungen gezeigt  hatte,  6  Monate  nach 
einigen  hypnotischen  Sitzungen  in  Convul- 
sionen  verfallen  sei,  und  noch  längere  Zeit 
an  rechtsseitiger  Lähmung  gelitten  habe,  so 
wird  doch  die  Frage  erlaubt  sein,  wodurch 
der  Zusammenhang  letzterer  Erscheinungen 
mit  den  6  Monate  vorher  angestellten  Hyp- 
notisirungsversuchen  bewiesen  sei,  ob  die 
Hysterie  nicht  bei  diesem  Mädchen  ohne 
Hypnose,  gerade  so  gut  wie  bei  ihrer 
Schwester,  welche  niemals  hypnotisirt  worden 
war,    hätte  zum  Ausbruch  kommen   können. 

Das  zweite  von  Binswanger   angeführte 


HL  Jahrgttiff.  1 
September  1889J 


V.  C  o  r  V  a  1 ,  Zur  Su|^g«ativ-Theraplet 


407 


Beispiel:  Gontracturen  an  der  rechten  Hand 
bei  einem  Torher  schon  notorisch  hysteri- 
schen 9 jahrigen  Mädchen,  wo  die  Hypno- 
tisirung  ausgesetzt  werden  musste,  weil  sich 
Schlafsucht  einstellte,  spricht  zunächst  doch 
entschieden  für  meine  Behauptung,  dass 
sich  Hysterische  durchaus  nicht  besonders 
für  die  SuggestiT-Therapie  eignen.  Wenn 
B  ins  wanger  endlich  als  Beweis  für  die 
Gefahren  der  Suggestion  den  Fall  von 
Li^beault  anführt,  wo  ein  junger  Mensch, 
welchen  er,  um  seine  Macht  zu  zeigen, 
stumm  gemacht  hatte,  den  anderen  Morgen 
sprachlos  (wohl  in  Folge  Ton  Traum  und 
Autosuggestion)  zu  ihm  eilte,  so  entnehme 
ich  diesem  Beispiele  nur,  dass  man  als  Arzt 
niemals  die  Berechtigung  habe,  seinen  Pa- 
tienten etwas  Schädliches,  Unangeneh- 
mes oder  Widernatürliches  zu  sugge- 
riren. 

Ich  bestreite  selbstverständlich  nicht, 
dass  trotz  richtiger  Auswahl  der  Patienten, 
trotz  aller  Vorsicht  gelegentlich  auch  ein 
unangenehmes  Ereigniss  eintreten  könne, 
halte  aber  die  Behauptung  Binswanger^s, 
dass  man  die  Patienten  künstlich  hysterisch 
mache,  künstlich  einen  Blödsinn  züchte,  für 
Tiel  zu  drastisch  und  in  keiner  Weise  für 
bewiesen. 

In  mehr  wie  1300  Sitzungen  habe  ich 
noch  niemals  irgend  welche  störende  oder 
auffallende  Erscheinungen  beobachtet.  Die 
Patienten  zeigten  äusserlich  vollständig  das 
Bild  des  ruhigen,  behaglichen  Schlafes;  Puls, 
Respiration  zeigten  durchaus  keine  Verän- 
derung, wenn  man  eine  solche  nicht  eben 
s^gg®^^  hatte.  Das  Erwachen  geschah  wie 
sonst  auch  nach  tiefem  Schlafe  auf  einfachen 
Befehl;  es  zeigten  sich  niemals  Benommen- 
heit ,  Kopfschmerz,  Schwindel,  wenn  das 
durchaus  frische  Erwachen  suggerirt  war. 
Alle  erklärten,  sehr  behaglich  geschlafen  und 
keinerlei  Unbehagen  gefühlt  zu  haben,  und 
auch  in  späterer  Zeit  war  durchaus  keine 
abnorme  Erscheinung  zu  beobachten. 

Ich  muss  also  Wetterstrand  vollen 
Glauben  schenken,  wenn  er  mich  versichert, 
dass  er  in  beinahe  40  000  Sitzungen  auch 
nicht  ein  einziges  Mal  irgend  etwas  Unan- 
genehmes erlebt  oder  irgend  welchen  Nach- 
theil in  der  Folge  gesehen  habe,  glaube 
aber  freilich,  dass  er  diese  guten  Resultate 
seinem  ausserordentlich  vorsichtigen  Vor- 
gehen zu  verdanken  hat. 

Wie  steht  es  denn  aber  mit  unseren 
sonst  üblichen  Heilmethoden?  Gebrauchen 
wir  das  Chloroform  nicht  mehr,  weil  ge- 
legentlich ein  Todesfall  dabei  vorkommt? 
Scheuen  wir  uns,  Morphium-Injectionen  zu 
machen,  trotzdem  wir  wissen,  dass  wir  dabei 


nur  zu  leicht  riskiren,  unsere  Patienten  zu 
fast  unheilbaren  Morphinisten  zu  machen? 
Wenden  wir  kein  Cocain,  Antifebrin,  Anti- 
pyrin,  Salicylsäure  u.  dgl.  an,  trotzdem  von 
verschiedenen  Seiten  immer  wieder  neue  und 
sehr  erhebliche  Gesundheitsschädigungen  ge- 
meldet werden,  und  wir  über  die  Art  ihrer 
Wirkung  zum  Theil  nichts  weniger  wie  zu- 
verlässige Kenntniss  haben?  Wohin  würden 
wir  überhaupt  mit  unserer  Therapie  gelan- 
gen, wenn  wir  stets  erst  auf  unanfechtbar 
physiologisch  begründete  Erklärung  unserer 
Methode  warten  und  der  Empirie  gar  keine 
Berechtigung  zugestehen  wollten? 

Dass  wir  aber  mit  der  Suggestiv-Therapie 
therapeutische  Erfolge  erzielen,  dürfte  wohl 
heute  nicht  mehr  in  Frage  stehen;  es 
konnte  sich  nur  darum  handeln,  ob  diese 
Erfolge  nur  vorübergehende  oder  auch 
dauernde  seien.  Hier  entscheidet  nur  die 
eigene  Erfahrung  an  einer  grösseren  Zahl 
von  Fällen;  vorgefasste  Meinungen  und  ge- 
legentliche Misserfolge  können  nicht  mit- 
sprechen. Jedenfalls  sind  wir  doch  schon 
so  weit,  dass  wir  sagen  können:  „Wir  haben 
das  Recht  und  die  Verpflichtung  in  geeig- 
net scheinenden  Fällen,  dort  wo  die  übliche 
Therapie  im  Stiche  gelassen  hat,  auch  den 
Versuch  mit  der  Suggestiv-Therapie  in  vor- 
sichtiger Weise  zu  machen^.  Ich  komme 
auf  diesen  Punkt  noch  zum  Schlüsse  zurück 
und  möchte  an  dieser  Stelle  obigen  Satz 
nur  noch  dahin  erweitem,  dass  wir  heute 
schon  zuweilen  in  der  Lage  sind,  die  Sug- 
gestion als  ein  zweifellos  unschädlicheres 
Mittel  zu  versuchen.  Es  steht  fest,  dass 
wir  mit  derselben  bei  den  schwersten  Neur- 
algien zum  Mindesten  vorübergehend  glän- 
zende Resultate  erzielen,  und  erinnere  ich 
nur  an  den  oben  angeführten  Fall  des  tabi- 
schen  Collegen.  Hier,  wo  uns  nur  zu  oft 
kein  Mittel  wie  die  Morphium- Spritze  übrig 
bleibt,  trotzdem  dass  wir  fast  mit  Sicherheit 
wissen,  dass  wir  dieselbe  nicht  mehr  aus 
der  Hand  legen  können,  dürfte  doch  das 
Suggestiv -Verfahren  als  das  viel  weniger 
verderbliche  den  Vorzug  verdienen.  Des- 
gleichen sind  wir  ohne  Zweifel  berechtigt, 
in  den  seltenen  Fällen,  wo  es  gelingt,  durch 
Suggestion  Unempflndlichkeit  hervorzurufen, 
bei  kürzer  währenden  Operationen  (Zahn- 
extraction,  Augenoperation  u.  dgl.)  dieses 
Mittel  statt  des  Chloroform  anzuwenden. 

Fragen  wir  uns  nun,  welche  Fälle  für 
die  Suggestiv-Therapie  geeignet  erscheinen, 
so  müssen  selbst  die  begeisterten  Anhänger 
derselben  zugeben,  dass,  trotz  der  Fülle  der 
mitgetbeilten  Beobachtungen,  eine  bestimmte 
Antwort  zur  Zeit  noch  nicht  gegeben  werdeh 
kann.     Im  Allgemeinen  scheint   das  grosse 


408 


v.Corval,  Zur  Suggestlv-Therapie. 


[Therapeatlsdie 
Monatahefte. 


Gebiet  der  functionellen  Neurosen 
hierher  zu  geboren,  und  wird  die  fortgesetzte 
Beobachtung  wahrscheinlich  die  Grenzen 
der  Wirksamkeit  unseres  Verfahrens  genauer 
bestimmen.  Damit  ist  jedoch  das  Gebiet 
gewiss  noch  nicht  abgeschlossen,  wenn  wir 
an  die  unzweifelhaft  feststehende  Tbatsache 
denken,  dass  die  Suggestion  einen  mehr  oder 
weniger  deutlichen  Einfiuss  auf  das  Tasomo- 
torische  Centrum  hat,  wie  die  Beeinflussung 
der  Menses  u.  s.  f.  beweisen.  Dabei  gebe 
ich  bereitwillig  zu,  dass  in  manchen  Fallen 
die  Hypnose  auch  nachtheilig  wirken  könne, 
selbst  wenn  sie  mit  Vorsicht  angewandt 
wird;  ich  habe  selbst  bereits  der  Hysteri- 
schen als  durchaus  nicht  geeigneter  Objecto 
erwähnt.  Es  wird  also  der  Zukunft,  fort- 
gesetzter, gewissenhafter,  vorurtheilsloser 
Prüfung  anheimgestellt  werden  müssen,  die 
IndicatioDcn  und  Gontraindicationen  genauer 
festzustellen,  und  es  scheint  mir  ganz  be- 
sonders Pflicht  der  Kliniker  zu  sein,  die 
ihnen  zum  Zweck  genauer  Beobachtung  ge- 
währten besonders  günstigen  Verhältnisse 
auch  nach  dieser  Richtung  hin  auszubeuten, 
während  andererseits  wieder  die  Erfahrungen 
der  praktischen  Aerzte,  welche  es  mit  einem 
vielfach  anders  gearteten  Materiale  zu  thun 
haben,  zur  Vervollständigung  des  Resultates 
beitragen  müssen. 

Ich  erlaube  mir  nur  noch  zum  Schlüsse, 
mein  Glaubensbekenntniss  in  Bezug  auf  die 
Suggestiv-Therapie  in  wenige  Sätze  zusam- 
menzufassen. 

1 .  Wir  besitzen  in  der  Suggestiv-Therapie 
ein  Heil- Verfahren,  welches  sich  in  vielen 
Fällen  theils  palliativ,  theils  wirklich  curativ 
nützlich  erweist. 

2.  Bei  richtiger  Auswahl  der  Fälle  und 
vorsichtigem  Vorgehen,  mit  Vermeidung 
aller  Experimente  und  vor  allen  Dingen 
jeder  für  den  Zweck  unnothiger,  ja 
schädlicher  Suggestion,  laufen  wir  in 
keiner  Weise  Gefahr,  Schaden  zu  stiften, 
zum  Mindesten  nicht  mehr,  wie  bei  einer 
ganzen  Reihe  anderer  vielfach  verwandter 
Mittel. 

3.  Da  die  Sache  noch  zu  neu  ist,  die 
Indicationen  und  Gontraindicationen  noch 
nicht  mit  einiger  Sicherheit  festzustellen 
sind,  so  empfiehlt  es  sich  im  Allgemeinen, 
z nächst  nur  dort  von  dem  Suggestiv- 
Verfahren  Gebrauch  zu  machen,  wo  die 
sonst  üblichen  Mittel  im  Stiche  ge- 
lassen haben.  Von  dieser  Regel  sollen 
wir  nur  abweichen,  wo  wir  jetzt  schon  mit 
Bestimmtheit  sagen  können,  dass  die  Sug- 
gestion weniger  bedenklich  sei  als  an- 
dere gebräuchliche  Mittel,  z.  B.  statt  der 
Morphium-Injection   bei   hartnäckiger    Neur- 


algie,   statt    des   Ghloroform,    wo    wir  Anä- 
sthesie zu  erzeugen   im   Stande   sind  u.  s.*'f. 

4.  Es  ist  höchst  wünschenswerth,  dass 
die  Suggestiv-Therapie  in  gleich  ernster 
Weise  studirt  werde,  wie  das  bei  anderen 
Heilverfahren  der  Brauch  ist.  Dieses  Stu- 
dium sollte  sich  aber  nicht  mehr,  wie 
seither  zum  grössten  Theile,  auf  das  Her- 
vorbringen mehr  oder  weniger  interes- 
santer Erscheinungen  beschränken,  son- 
dern vorwiegend  und  in  erster  Reihe  festzu- 
stellen suchen,  in  welchen  Fällen  eine  thera- 
peutische Wirkung  mit  einiger  Zuversicht 
zu  erwarten,  in  welchen  von  dem  Verfahren 
abzustehen  sei.  um  jedoch  reine  und 
brauchbare  Beobachtungen  zu  erhalten, 
sollte  man  hier,  wo  es  sich  um  eine  Wir- 
kung vermittelst  der  Psyche  handelt, 
die  bezüglichen  Versuche  nur  in  der  Weise 
anstellen,  dass  die  Versuchsperson  weder 
eingeschüchtert  und  aufgeregt,  noch  zu 
Schaustellungen  ermuntert  werde,  d.  h. 
also  nicht  zum  Zweck  der  Demonstra- 
tion in  einem  Hör-  oder  Krankensaale,  son- 
dern in  besonderem  Zimmer  vor  1  oder 
höchstens  2  Zeugen. 

5.  Bei  solchem  Vorgehen,  bei  eifrigem 
gemeinschaftlichem  Bemühen  der  Kliniker 
und  der  praktischen  Aerzte  zu  dem  ange- 
deuteten rein  praktischen  Zwecke,  bei  Ver- 
meiden sogenannter  interessanter  Experi- 
mente, werden  wir  bald  sicheren  Boden 
haben,  und  wird  sich  die  Suggestiv-Therapie 
nicht  nur  dem  Heil  schätze  einfügen,  sondern 
zum  Gemeingute  aller  Aerzte  werden. 

6.  Damit  wird  aber  auch  der  unbe- 
fugten Anwendung  dieses  so  wichtigen 
und  wirksamen  Verfahrens  ein  Riegel  vor- 
geschoben sein,  sobald  der  absichtlich  ver- 
breitete Nimbus  des  Wunderbaren  ge- 
fallen sein  wird. 

7.  Zugleich  aber  wird  es  sich  als  un- 
abweislich  herausstellen,  dass  die  Anwen- 
dung eines  so  wirksamen  Heilverfahrens 
durch  gesetzliche  Bestimmung  nur  dem 
Arzte  gestattet  werde.  Das  Verbot  öffent- 
licher Schaustellungen  genügt  in 
keiner  Weise,  um  dem  mit  der  Hypnose 
und  der  Suggestion  getriebenen  Missbrauche 
zu  steuern. 


m.  Jahrgang.  "I 
September  188»J 


Rttter,  Ueber  die  Perlneorrbaphie  nacb  Tait-Sän|^er. 


409 


Uebep 
die  Perlneorrhapliie  nach  Tait-S&ngrer. 

Von 

Dr.  med.  H.  Rüier  in  Hamburg. 

Nachdem  ich  seit  dem  19.  März  dieses 
Jahres  10  Mal  nach  der  von  Sänger  in 
No.  103  der  Yo  1km  an  naschen  Vorträge  ge- 
schilderten Methode  stets  mit  ausgezeich- 
netem Erfolge  operirt  habe,  halte  ich  es  für 
eine  Pflicht  der  Dankbarkeit  gegen  den, 
der  diese  Lappen-Methode  in  Deutschland 
zuerst  yerständlich  beschrieben  und  ausge- 
bildet hat,  auch  meinen  Theil  dazu  beizu- 
tragen, das  ärztliche  Publikum  auf  diese 
dankbare  Operation  aufmerksam  zu  machen. 
Vor  Allem  glaube  ich  denjenigen  Collegen 
einen  Dienst  zu  erweisen,  die  nicht  oft  in 
die  Lage  kommen,  Dämme  wiederherstellen 
zu  müssen,  da  diese  Methode  am  sichersten 
Tor  schwerem  Lehrgeld  bewahrt. 

Lassen  Sie  mich  jetzt  erzählen,  wie  es 
mir  mit  der  besagten  Operation  erging. 

Seit  4  Jahren  verfolgte  mich  eine  Frau 
Hus  dem  Arbeiterstand e  mit  Klagen  über 
einen  alten,  vor  17  Jahren  acquirirten,  com- 
pleten  Dammriss.  Vor  4  und  vor  3  Jahren 
machte  ich  vergebliche  Versuche  ihre  Leiden 
zu  heilen.  Beide  Male  machte  ich  die 
Ad  frischung  genau  nach  den  Vorschriften 
He  gar  ^s,  beide  Male  wandte  ich  versenkte 
Catgutnähte  an  und  vermied  sorgfältig  alle 
Stichöffnungen  im  Mastdarm.  Trotzdem 
platzte  nach  der  ersten  Operation  der  ganze 
Riss  bei  der  ersten  Stuhlentleerung;  nach 
der  zweiten  Operation  bildete  sich  an  dem 
oberen  Wundwinkel  am  4.  Tage  die  ge- 
furchtete  kleine  Rectovaginalflstel,  die  durch 
schnelle  Vergrösserung  bald  die  ganze  Arbeit 
zerstörte. 

Auf  diesem  Wege  weiter  fortzufahren, 
schien  mir  aussichtslos.  Nach  jedem  Eingriff 
hatte  sich  der  Riss  ungünstiger  gestaltet. 
Hierzu  kam  noch,  dass  ich  durch  eine  kurze 
Notiz  von  Paul  F.  Mund^  im  September- 
heft 1886  des  Americ.  Journal  of  obstetrics 
auf  eine  neue  Methode  der  Dammbildung 
aufmerksam  geworden  war.  Auf  Seite  926 
steht  nämlich: 

„We  also  saw  Täit  do  an  Operation  for 
complete  laceration  of  the  perineum,  which 
was  certainly  ingenious  and  original^  und 
dann  folgt  die  kurze,  aber  vollständige  Be- 
schreibung der  Perineorrhaphie,  wie  sie 
Sänger  im  November  1887  uns  so  meister- 
haft geschildert  hat. 

Der  dritte  und  Hauptgrund,  der  mich 
aber  von  weiterem  Operiren  nach  der  alten 
Schablone  abhielt,    war,    dass  die  Patientin 


in  der  nächsten  Zeit  nicht  wieder  kam  und 
mir  so  Ruhe  Hess,  in  Müsse  praktisch  und 
theoretisch  alle  Wandlungen  zu  studiren, 
die  die  Dammoperationen  durchmachten. 

Es  dauerte  bis  zum  März  dieses  Jahres, 
dass  sie  wieder  so  viel  Muth  gesammelt 
hatte,  um  sich  einem  neuen  Eingriff  zu 
unterwerfen.  Mein  Plan  war  fertig.  Keine 
andere  als  die  Tait- Sänger^ sehe  Lappen- 
methode schien  mir  gute  Garantien  für  die 
Heilung  bieten  zu  können.  Ein  Punkt  schien 
mir  aber  wichtig:  Wollte  ich  dieselben 
günstigen  Resultate  wie  Sänger  haben,  so 
musste  ich  genau,  bis  in^s  Kleinste  genau, 
so  verfahren  wie  er  selber.  Ich  schrieb 
deshalb  nach  Leipzig,  ob  es  möglich  wäre, 
einer  Operation  beizuwohnen.  Einige  Tage 
darauf  hatte  ich  schon  die  Einladung  dazu 
in  Händen  und  am  7.  März  das  Glück,  von 
Sänger^ s  eigener  Hand  einen  completen 
Riss  und  von  seinem  Assistenten  Herrn 
Dr.  Hey  der  einen  incompleten  operiren  zu 
sehen.  Beiden  Herren  wiederhole  ich  an 
dieser  Stelle  meinen  ihnen  mündlich  abge- 
statteten Dank  für  alle  ihre  Liebenswürdig- 
keiten. 

Sänger  lagerte  seine  Patientin,  in  Steiss- 
Rückenlage  durch  seine  Beinhalter  flxirt, 
auf  das  Perineal-Pad  von  Howard  A.  Kelly, 
Philadelphia.  Es  ist  das  eine  Gummiunter- 
lage, welche  die  überflüssige  Verunreinigung 
und  Durchnässung  des  Kranken  mit  Sicher- 
heit verhütet  und  auf  die  ich  die  Herren 
Collegen  aufmerksam  mache.  Nach  der 
üblichen  Reinigung,  Einlegen  eines  Tampons 
ins  Rectum,  führte  der  Operateur  sofort  Zeige- 
und  Mittelfinger  der  linken  Hand,  mit  der 
Volarfläche  gegen  das  Septum  recto-vaginale 
gewendet,  in  den  Mastdarm.  Diese  beiden 
Finger  blieben  nun  während  der  Operation 
an  ihrem  Platze,  bis  zum  Verschluss  der 
Wunde,  und  sie  erschienen  mir  recht  als 
die  Directoren  des  ganzen  Unternehmens. 

Mit  Leichtigkeit  holte  er  sich  den  nar- 
bigen Saum  des  zerrissenen  Septum,  der  bei 
der  Fettentwicklung  der  Patientin  und  dem 
Substanzverluste  ziemlich  tief  lag,  hervor 
und  machte  ihn  dem  Messer  zugänglich. 
Mit  einigen  Zügen  trennte  er  die  Scheide- 
wand in  einen  rectalen  und  einen  vaginalen 
Lappen,  spaltete  die  Gewebe  rechts  und 
links  nach  den  Endpunkten  der  kleinen 
Labien  und  ebenso  nach  denjenigen  des 
zerrissenen  Sphincter  ani  zu.  Die  Wunde 
erhielt  so  die  Form  eines  dreiseitigen  Pris- 
mas, die  Basis  dem  Operateur  zugekehrt. 
Die  aus  der  Tiefe  der  beiden  rechts  und 
links  entstandenen  Dreiecke  kommende 
Blutung  wurde  schnell  mit  Hilfe  der  im 
Rectum      liegenden      Finger      durch      einige 

52 


410 


RUteri  üeber  die  Perlneorrhaphie  nach  Talt-Sflnger. 


rlierapentistdie 
Honatahefte. 


Schieberpincetten  gestillt.  Bei  dieser  Form 
der  Wunde  war  ich  gespannt,  wie  die  Naht 
mit  der  Peaslee' sehen  Stielnadel  ausfallen 
würde.  Ich  hatte  den  Eindruck,  dieselbe 
müsse  beim  Heraushebeln  der  Gewebe  un- 
weigerlich abbrechen.  Aber  die  beiden 
Rectalßnger  führten  der  Nadel  die  zu  durch- 
stechenden Gewebe  entgegen  und  sie  glitt 
mit  bewundernswürdiger  Sicherheit  schnell 
hinter  der  Wundfläche  durch.  Nur  beim 
Ausstich  war  eine  kleine  Nachhilfe  des 
Assistenten  nöthig,  desselben,  der  die  Nadel 
mit  dem  Silberdraht  armirte.  Jedenfalls 
haben  Ton  Rokitansky  und  von  Wini- 
warter  nicht  mit  dieser  rectalen  Unter- 
stützung der  linken  Hand  genäht,  sonst 
würden  Beide  sich  nicht  abfällig  über  die 
Peaslee'sche  Nadel  geäussert  haben. 

Nachdem  so  der  wichtigste  Theil  der 
Operation  beendet,  reinigte  der  Operateur 
gründlichst  seine  linke  Hand  und  machte 
sich  an  das  Zusammendrehen  der  Silber- 
suturen.  Voll  Staunen  sah  ich  Tor  meinen 
Augen  den  schönsten  Damm  entstehen.  Es 
waren  bei  der  Operation  des  completen 
Dammrisses  eben  15  Minuten  yerflossen  und 
Herr  Dr.  Sänger  hatte  in  aller  Müsse 
operirt,  um  micli  ja  auf  alle  wichtigen  Mo- 
mente gehörig  aufmerksam  zu  machen.  Nach 
gehöriger  Kürzung  der  Drähte  und  Ver- 
sicherung ihrer  Enden  mit  durchbohrten 
Schrotkörnern  wurden  durch  den  Scheiden- 
lappen, sowie  oberhalb  des  Anus  noch 
einige  Seidennähte  angelegt,  um  die  Wunde 
überall  genau  zu  schliessen.  Etwas  Jodo- 
form mit  dem  Pulverbläser  auf  die  Wunde 
geblasen,  ein  kleines  Stückchen  Jodoform- 
gaze um  die  Drähte,  als  Schutz  gegen  In- 
fection  von  Aussen,  gewickelt  und  die  Ope- 
ration war  beendet. 

Den  Eindruck  hatte  ich  gleich,  dass 
dieser  Damm  heilen  müsse  I  —  Ich  brannte 
vor  Begierde,  das  so  eben  Gelernte  selbst 
zu  versuchen.  Der  Versuch  gelang  über- 
raschend gut.  Die  mir  assistirenden  Herren 
Colle^en  waren  erstaunt  über  die  classische 
Einfachheit  des  Verfahrens.  Meine  erste  auf 
diese  Weise  Operirte  war  überglücklich 
darüber,  dass  sie  endlich  nach  17  Jahren, 
nachdem  zwei  Mal  vergebliche  Versuche  zu 
ihrer  Heilung  gemacht  waren,  wieder  Herr 
ihres  Sphincter  ani  geworden  war.  Nachher 
operirte  ich  noch  9  Mal  incomplete  Damm- 
risse nach  dieser  Methode.  Bei  allen  war 
der  Erfolg  ausnahmslos  gut,  so  dass  ich 
diese  Lappen-Methode  jedem  Arzte  nicht 
dringend  genug  empfehlen  kann,  besonders, 
sobald  er  in  die  Lage  kommt,  einen  Damm 
mit  einem  completen  Riss  restauriren  zu 
müssen.     Bei  den  incompleten  ist  der  Vor- 


theil     gegenüber     andern     Operationsweisen 
nicht  so  augenfällig. 

Einen  guten  Rath  möchte  ich  aber 
Jedem  geben,  der  sich  auf  diesem  Gebiete 
versuchen  und  sich  und  seinen  Patientinnen 
Enttäuschungen  ersparen  will,  der  ist,  nach 
gründlichem  Studium  der  Monographie  von 
Sänger  sich  nach  Leipzig  zu  begeben  und 
sich  an  der  Quelle  die  Operation  anzusehen. 


Meine  alte 

vielfach  bew&hrte  Mastdarm -Elektrode, 

insbesondere  gegen  Prostata -Ijeiden. 

Von 

Dr.  Theodor  Clement  in  Frankfurt  a.  M. 

In  dem   dritten   Jahrgang  Heft  6  dieser 
Zeitschrift    veröffentlicht    der    Elektrothera- 
peute  Hünerfauth   in   Bad  Homburg    eine 
neue   Mastdarm-Elektrode    und    nehme    ich 
bei  dieser  Gelegenheit    eines    meiner   vielen 
elektrotherapeutischen     Instrumente    in    die 
Hand,    welches  mir  nun  bereits  seit  vierzig 
Jahren    nicht    nur    wesentliche  Dienste    ge- 
leistet  hat,    sondern    geradezu    in  schweren 
und  schwersten  Prostata-Leiden  unerwar- 
tete Erfolge  gewährte.   —  Ich   habe  bereits 
in  meinem  Werke  „über   die  Heilwirkungen 
der  Elektricität"  ^)    darauf    hingewiesen,    in 
wie  vielen  und   ernsten  Fällen  die  von  mir 
zuerst    angewandten    elektrischen    Elystiere 
und  Mastdarm-Elektroden  und  Spiralsonden 
zur  Wirkung    gebracht  werden   sollen.     Ich 
citire    deshalb    einfach  folgende  Anmerkung 
meines  Werkes  über  Heilelektricität  pag.90, 
um    meinen  längst   behaupteten  Standpunkt 
in  dieser  Frage   zu  beleuchten    und    in  £i^ 
innerung    zu  rufen.    —    „Diese   elektrischen 
Elystiere    kann   ich  bei  Trägheit  des  Mast- 
darms   nicht    genug  empfehlen.     Bei  Darm- 
einklemmungen  ,    Darmverschlingungen     und 
Darmein  Schiebungen     können    sie     aber    ge- 
radezu als  Lebensretter  auftreten,  weil  kein 
Mittel     so    rasch    und    unmittelbar  eine  so 
allgemeine  Darmbewegung,    und    zwar   vom 
Mastdarm    aus,    hervo):zubringen   im   Stande 


^)  „lieber  die  Heilwirkungen  der  Elektricitat 
und  deren  erfolcreicbe  methodische  Anwendung  in 
verschiedenen  Krankheiten*^  von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  am  Main  (mit  neuen  Eupfer- 
tafeln).  Frankfurt  am  Main,  Verlag  von  Franz 
Benjamin  Auffarth,  1876  —  1879,  pag.90  etc. 
Ferner  ebendaselbst  pag.  479:  „Die  elektrische 
Behandlung  der  Kramp fcoliken,  Leibschmerzen, 
sowie  hartnäckiger  Stuhlverstopfungen  und  colli- 
quativer  Diarrhöen  durch  elektrische  Ströme.*' 


lU.  Jahrgang.  *1 
September  1889  J 


Clemens,  Vielfach  bewfihrte  Maitdarm-Elektrode  gegen  Prostata-Leiden. 


411 


a 


ist.  "Wird  das  Leiden  hoher  oben  in  dem 
Darmkanal  vermuthet,  so  macht  man  meh- 
rere Einspritzungen  yon  Salzwasser  hinter- 
einander, oder  man  bringt  lange  Sonden 
(Schlund Sonden)  mit  der  Spritze  in  leitende 

Verbindung.  Bei  der  elek- 
trischen Behandlung  der 
Krankheiten  des  Darmka- 
nals werde  ich  noch  mehr 
von  dieser  Methode  spre- 
chen."  — 

Die  nun  hier  beschrie- 
bene und  in  ^/s  natürlicher 
Grösse  gezeichnete  Mast- 
darm-Elektrode verbindet 
ganz  einfach  die  Injec*- 
tions-Spritze  mit  der  Elek- 
trode, und  können  auf 
diese  Weise  zugleich  mit 
den  verschiedenen  elektri- 
schen Strömen  beliebige 
Medicamente  zur  Anwen- 
dung kommen.  Wird  die 
Spritze,  z.  B.  mit  Jodsalz- 
wasser gefüllt  und  die  Elek- 
trode (a)  ganz  (wenn  nöthig 
bis  zur  Spritze)  in  den 
Mastdarm  eingeführt,  so  kann  man  nach 
einigen  Minuten  die  Spritze  (b)  während 
der  Stromschliessung  in  den  Mastdarm  ent- 
leeren. Die  Resorption  der  Injection  im 
Mastdarm  erfolgt  mit  Hülfe  elektrischer 
Ströme  erstaunlich  schnell.  An  der  auf- 
geschlitzten Röhre  (C)  wird  die  Elektrode 
an  das  Stativ  gesteckt,   worauf  der  nächste 


Schieber  die  gespaltene  Metallröhre  fest- 
klemmt. Den  zweiten  Pol  kann  man  im 
Nacken,  auf  dem  Kreuz  oder  auf  dem  Mittel- 
fleisch befestigen.  Im  letzteren  Fall  ist  die 
elektrische  Jodsalzwirkung  auf  die  kranke 
Prostata  durch  Querströmung  eine  ebenso 
rasche  wie  intensive.  Wird  die  Elektrode  (d) 
an  die  Stelle  von  (a)  gesetzt,  so  wird  durch 
den  Druck  der  Elektrode  (d)  auf  die  Prostata 
die  Wirkung  noch  gesteigert.  Ueberhaupt 
kann  man  auf  dieInjections-Spritze  (b)  jede  be- 
liebige Elektrode  zur  Mastdarm-Behandlung 
stecken  und  ebenso  die  von  der  Spritze  ab- 
genommenen Elektroden  auch  ohne  Spritze 
verwenden,  da  der  Hals  aller  Elektroden 
nicht  nur  auf  die  Injections-Spritze,  sondern 
auch  zugleich  auf  das  Stativ  passt. 

In  frischen  Fällen  sind  die  Heilwirkun- 
gen dieser  meiner  elektrisch-medicamentösen 
Behandlungsmethode  der  Prostata -Leiden 
manchmal  erstaunlich,  namentlich  was  das 
Schwinden  der  oft  so  peinlichen  Schmerzen 
betrifft.  So  habe  ich  z.  B.  bei  einem  älte- 
ren Manne,  wo  bei  geringer  Prostata- 
Schwellung  die  Schmerzen  einer  nächtlichen 
Pollution  so  heftig  waren,  dass  Patient  in 
einem  solchen  Falle  aus  dem  Bette  sprang 
und  sofort  kalte  Aufschläge  auf  das  Peri- 
näum  und  kalte  Wasser  -  Einspritzungen 
machen  musste,  das  ganze  Leiden  in  vier 
Wochen  vollkommen  geheilt,  bei  einer  täg- 
lichen Mastdarm -Sitzung  mit  elektrischer 
Jodsalzwasser-Injection  mittelst  der  beschrie- 
benen Elektrode. 


Neuere  Arzneimittel. 


(Aus  dem  pharmakolog^chen  Institut  in  Greiftwald.) 

Ueber  die 
fftulnisswidrigre  WIrkungr  der  Flusssfture. 

Von 

Dr.  C.  Qottbrecht,  pract.  Arzt  in  Colberg. 

Die  in  neuerer  Zeit  vielfach  besprochene 
Frage,  welchen  Werth  die  Flusssäure  für 
die  Therapie  der  Lungentuberculose  besitzt, 
hat  mehrfach  Veranlassung  gegeben,  die  ge- 
nannte Verbindung  hinsichtlich  ihrer  thera- 
peutischen Verwendbarkeit  zu  prüfen.  Nach- 
dem schon  von  Chevy  in  seiner  Abhand- 
lung: „de  Tacide  fluorhydrique  et  de  son 
emploi    en    th^rapeutique"      Bull.     g6n.     de 


Therap,  1885  Aoüt  15,  p.  108  auf  die  filul- 
nisswidrige  Eigenschaft  der  Flusssäure  hin- 
gewiesen war,  liegen  jetzt  von  mehreren 
Seiten  klinische  Beobachtungen  vor,  wonach 
die  therapeutische  Anwendung  der  Flusssäure 
in  Form  von  Inhalationen  den  Verlauf  der 
Lungenphthise  günstig  zu  beeinflussen  scheint. 
Weitere  experimentelle  Untersuchungen, 
welche  hier  im  Institut,  sowie  von  Tap- 
peiner in  München  vor  Kurzem  angestellt 
wurden*),     haben     die    Charakteristik     der 


^)  Vergl.  H.  Schalz:  Untersuchungen  über  die 
Wirkung  des  Fluornatriums  und  der  Flusssäure. 
Arch.  f.  exp.  Pathol.  und  Pharmakologie  1889, 
XXV.  Tappeiuer:  Zur  Kenntniss  der  Wirkung 
des  Fluornatriums,  ebenda. 

52* 


412 


Gottbrecht,  Ueber  die  aulnisswldrlKe  Wirkung  der  FlusMäure. 


rrherapeatlaefae 
L  Monateheft«. 


Flusssäure  -wesentlich  erweitert  und  insbe- 
sondere die  im  hiesigen  Institute  angestell- 
ten Versuche  die  Thatsache  festgestellt,  dass 
eine  mit  Flusssäuredämpfen  stark  impragnirte 
Atmosphäre  nicht  die  bisher  angenommene 
grosse  Schädlichkeit  für  den  thierischen  Or- 
ganismus besitzt.  Dagegen  ist  die  Aetzkraft 
einer  ca.  SOproc.  Flusssäurelösung  auf  le- 
bendes Gewebe  bedeutend,  wie  ich  nach 
einem  Selbstyersuch  berichten  kann.  Ein 
Tropfen  einer  solchen  Losung  auf  die  Haut 
des  Unterarms  gebracht,  verursacht  gleich 
darauf  ein  juckendes,  leicht  brennendes  Ge- 
fühl an  der  betreffenden  Stelle.  Reibt  man 
die  Flüssigkeit  in  die  Haut  ein,  so  lost  sich 
die  Epidermis  los  und  rollt  sich  unter  dem 
Finger  zusammen.  Nach  einiger  Zeit  be- 
steht noch  ein  leicht  brennendes  Gefühl 
ohne  Jucken.  Die  betreffende  Stelle  sieht 
weiss  aus  und  fühlt  sich  trocken  und  etwas 
hart  an;  in  der  Umgebung  besteht  leichte 
Injectionsrothe.  Nach  zwei  Tagen  hatte 
sich  ein  dunkler  Schorf  an  der  Aetzstelle 
gebildet,  auf  Druck  war  geringe  Schmerz- 
haftigkeit  vorhanden.  Noch  nach  4  Wochen 
war  die  Stelle  durch  starke  Rothung  der 
Haut  deutlich  erkennbar. 

Im  Anschluss  an  die  oben  angeführten 
Untersuchungen  beabsichtigte  ich,  die  Gren- 
zen der  föulniss widrigen  Kraft  der  Fluss- 
säure experimentell  festzustellen  und  dem- 
nächst die  Wirkung  derselben  auf  die  Tu- 
berkelbacillen  selbst  zu  untersuchen.  Wäh- 
rend ich  an  der  Ausführung  der  letzteren 
Arbeit  durch  äussere  Verhältnisse  zu  meinem 
Bedauern  verhindert  wurde,  lasse  ich  meine 
über  die  antiseptischen  Eigenschaften  der 
Flusssäure  gemachten  Beobachtungen  hier 
folgen. 

Versuch  I. 

Bei  den  Versuchen  ging  ich  zunächst 
von  einfachen  Verhältnissen  aus.  Da  ich 
zuerst  die  fäulnisswidrige  Kraft  der  Fluss- 
säure der  gewohnlichen  fauligen  Zersetzung 
organischer  Materie  gegenüber  prüfen  wollte, 
stellte  ich  am  21.  Nov.  1888,  von  einer 
30proc.  Flusssäurelösung  ausgehend,  Concen- 
trationen  von  5,0 — 2,5 — 1,0—0,5 — 0,25  und 
0,1  Proc.  her.  Von  den  betreffenden  Lo- 
sungen wurden  je  40  ccm  in  gut  verschliess- 
bare  Gläser  gefüllt,  und  gleich  grosse  Stücke 
frischen  rohen  Rindfleisches  hineingebracht. 
Ein  Controlansatz  enthielt  40  ccm  destillir- 
tes  Wasser.  Die  stärksten  Concentrationen, 
welche  sich  nach  dem  Einlegen  der  Fleisch- 
stücke bald  leicht  trübten,  bewirkten  sofort 
eine  Quellung  der  äusseren  Ränder  und  eine 
hellere  Färbung  der  Fleischstücke;  bei  den 
schwächeren  Concentrationen  war  der  Far- 
benton entsprechend  dunkler. 


22.  Nov.  1888.  1.  Der  5,0 proc.  Ansatz 
zeigt  etwas  feinkörnigen  Bodensatz;  die  Lösung 
ist  sonst  klar.  Das  Fleisch  erscheint  blass  und 
auf  seiner  Oberfläche  wie  mit  einer  feinen  hell- 
graaen  Haut  überzogen.  Die  Faserung  des  Flei- 
sches ist  deutlich  erkennbar:  der  Gemch  des 
Ansatzes  rein.  In  der  Lösung  findet  geringe  Gras- 
entwicklung statt. 

2.  Der  2,5  proc.  Ansatz  zeigt  dieselben 
Veränderungen,  wie  der  5,0  proc,  jedoch  ohne 
Gasentwicklung. 

3.  Beim  1,0 proc.  Ansatz  ist  die  Flüssig- 
keit schwach  trübe,  etwas  flockig  zerfallenes  Ge- 
webe befindet  sich  am  Boden,  die  Ränder  des 
Fleischstückes  sind  leicht  gequollen. 

4.  Ansatz  mit  0,5  Proc.  Die  Lösung  ist 
leicht  getrübt,  das  Fleisch  ist  besonders  an  den 
Rändern  stark  gequollen.  Zahlreiche  Krystallflitter, 
aber  keine  Detritusmassen  werden  beim  Umschüt^ 
teln  der  Lösung  siebtbar.. 

5.  Ansatz  mit  0,25  Proc.  Die  Lösung 
ist  klarer  als  bei  1  Proc.  Die  Quellung  an  den 
Rändern  ist  stärker  als  beim  vorigen  Ansatz.  In 
der  Flüssigkeit  sind  zahlreiche  glitzernde  Krystall- 
flitter suspendirt. 

6.  Ansatz  mit  0,1  Proc.  Die  Lösung  ist 
leidlich  klar,  es  befinden  sich  einige  Krystallflitter 
in  derselben.  Das  Fleisch  ist  im  Ganzen  stark 
gequollen.  —  Der  Geruch  aller  sechs  Ansätze 
ist  rein. 

7.  Controlansatz.  Die  Flüssigkeit  ist 
röthlich  gefärbt.  Am  Boden  befindet  sich  eine 
geringe  Menge  Detritusmasse.    Der  Geruch  ist  rein. 

Es  werden  am  heutigen  Tage  von  sämmt- 
lichen  Ansätzen  Abimpfongen  (I)  auf  sterilisirte 
Gelatine  gemacht.  Die  Oulturen  werden  bei  Zim- 
mertemperatur aufbewahrt.  —  Die  Impfungen 
wurden  im  Verlauf  des  Versuches  in  Zwischen- 
räumen wiederholt,  um  festzustellen,  bei  welchen 
Concentrationen  und  nach  wie  langer  Zeit  die 
FäulniBs  zuerst  auftritt. 

23.  Nov.  1888.  Die  Beschaffenheit  der  An- 
sätze ist  heute  ähnlich  wie  gestern.  Die  Fleisch- 
stücke in  dem  5,0  und  2,5 proc.  Ansatz  sind 
etwas  geschrumpft  und  hart  geworden,  sie  sehen 
aus  wie  gekocht.  Bei  dem  Controlansatz  allein 
ist  durch  die  Flüssigkeit  etwas  Blutfarbstoff  aus- 
gelangt.    Der  Ansatz  riecht  süsslich  faulig. 

Von  den  angelegten  Culturen  zeigen  5,0  und 
2,5  Proc.  im  Verlauf  des  Impfstiches  und  auf  der 
Oberfläche  der  Gelatine  eine  Gerinnung,  die  auch 
noch  bei  1,0  Proc.  angedeutet  ist.  Die  Gerinnung 
erscheint  in  einem  hellgrauen  Häutchen  in  der 
Gelatine.  Die  übrigen  Ansätze  zeigen  auf  der  Ge- 
latine keine  Veränderung. 

24.  Nov.  1888.  Die  Fleischstücke  im  5,0 
und  2,5  proc.  Ansatz  sind  hart  geworden  und 
klappern  am  Glase  beim  Umschütteln.  Die  Flüs- 
sigkeiten sämmtlicher  Ansätze  haben  sich  nicht 
merklich  verändert;  der  Geruch  ist  überall  rein. 
Der  Controlansatz  ist  vollständig  faul.  Von  den 
Culturen  ist  die  Impfung  vom  Controlansatz  deut- 
lich angegangen;  bei  den  übrigen  ist  keine  Ver- 
änderung zu  bemerken. 

25.  Nov.  1888.  Das  Aussehen  der  Flusssäure- 
ansätze hat  sich  seit  gestern  nicht  verändert  Der 
Geruch  ist  überall  rein. 


m.  Jahrgang.  "] 
Beptamber  1889.J 


Gottbrecht,  üeber  die  AulniMwldrli^e  Wirkung  der  Flutsafture. 


413 


Von  den  Cultareo  ist  heute  auch  die  von 
dem  O,lproc.  Ansatz  herrührende  deutlich  ange- 
gangen.    Die  übrigen  sind  unverändert. 

26.  Nov.  1888.     Keine  Veränderung. 

Von  «dem  0,5 — 0,25  und  O,lproc.  Ansatz 
werden  zum  zweiten  Mal  Controlimpfungen  (II) 
auf  sterillsirte  Gelatine  gemacht. 

27.  Nov.  1888.  In  den  ersten  zwei  Ans&tzen 
von  5,0  und  2,5  Proc.  sind  die  Fleischstücke, 
wie  schon  bemerkt,  geschrumpft.  Bei  den  übrigen 
nimmt  die  Quellung  mit  der  Abnahme  der  Fluss- 
säureconcentration  zu.  Die  Lösungen  sind  durch- 
weg klar;  der  Geruch  ist  überall  rein. 

Controlimpfnng  I.  Die  Impfung  vom  0,1  proc. 
Ansatz  ist  weiter  gewachsen.  An  der  Impfstelle 
vom  0,25  proc.  Ansatz  ist  seit  gestern  ein  steck- 
nadelkopfgrosses graues  Pünktchen  sichtbar.  Bei 
den  übrigen  ist  die  Impfung  bisher  ohne  Resultat 
geblieben. 

29.  Nov.  1888.  In  der  Beschaffenheit  der 
Ansätze  hat  sich  nichts  geändert. 

Gontrolimpfung  I.  Das  graue  Pünktchen  auf 
der  Gelatine  vom  0,25  proc.  Ansatz  hat  sich  nicht 
vergrössert. 

Gontrolimpfung  11.  Ist  bisher  resultatlos  ver- 
laufen. 

1.  Dec.  1888.  Gontrolimpfung  I.  Die  Impf- 
stelle vom  0,25  proc.  Ansatz  zeigt  nach  wie  vor 
das  beschriebene  graue  Pünktchen  auf  der  Gber- 
fläche  der  Gelatine.  Da  es  sich  seit  dem  27.  Nov., 
also  innerhalb  4  Tagen,  keine  Spur  vergrössert 
hat,  ist  die  Gultur  als  nicht  angegangen  zu  be- 
trachten. 

In  der  gleichen  Weise  wie  bisher  werden 
heut  zum  dritten  Mal  Abimpfungen  vom  0,5 — 0,25 
und  0,1  proc.  Ansatz  gemacht.  (Gontrolim- 
pfung ni.) 

5.  Dec.  1888.  Beschaffenheit  der  Ansätze : 
Das  Anssehen  der  Fleischstücke  hat  sich  nicht 
verändert;  von  0,1  proc.  abwärts  besteht  Quellung. 
In  den  starken  Goncentrationen  zeigt  das  Fleisch 
auf  der  Oberfläche  einen  bläulichgrauen  Farben- 
ton. Die  überall  vorhandenen  Detritusmassen  sind 
sehr  gering;  die  Lösungen  der  0,5 — 0,25  und 
0,1  proc.  Ansätze  enthalten  Krystallfütter. 

Gontrolimpfung  I.  Nur  die  Gultur  vom 
0,1  proc.  Ansatz  ist  weiter  gewachsen. 

Gontrolimpfung  11  und  III  sind  ohne  Erfolg 
geblieben. 

Die  fortgesetzte  BeobacbtuDg  ergab,  dass 
die  Fleischstücke  in  den  stärkeren  Losungen 
sich  abgesehen  von  den  beschriebenen  Ver- 
änderungen in  Bezug  auf  Farbe  und  Quel- 
lung der  Ränder  unverändert  erhielten.  Es 
ergiebt  sich  somit  aus  dem  Versuch  eine 
nicht  unbeträchtliche  antiseptische  Kraft  der 
Flusssäure.  Interessant  ist  ferner  die  aus 
den  vorgenommenen  Gontrolimpfungen  sich 
ergebende  Thatsache,  dass  die  erste  dem 
0,1  proc.  Ansatz  entnommene  Abimpfung  von 
Erfolg,  dagegen  die  von  demselben  Ansatz 
mehrere  Tage  später  bewirkte  Abimpfung 
ohne  Resultat  gewesen  ist.  Will  man  nicht 
annehmen,  dass  die  Flusssäure  in  diesem 
Falle    die    Fäulnissbacillen    direct    getödtet 


hat,  so  findet  der  Vorgang  aus  dem  ange- 
stellten Experiment  in  der  Annahme  seine 
plausible  Erklärung,  dass  die  Flusssäure 
ihren  Nährboden,  d.  h.  also  das  Muskelge- 
webe in  einer  Weise  verändert  hat,  dass 
die  Fäulnisskeime,  der  zu  ihrer  Entwicklung 
nöthigen  Bedingungen  beraubt,  allmählich 
verkümmert  und  schliesslich  zu  Grunde  ge- 
gangen sind.  Im  Einklang  mit  dieser  An- 
nahme steht  auch  die  Beobachtung,  dass  es 
bei  der  ersten  Abimpfung  vom  0,25  proc. 
Ansatz  nur  zur  Entwicklung  eines  sehr  un- 
bedeutenden Fäulnissheerdes  auf  der  Gela- 
tine kam,  der  die  einmal  erreichte  geringe 
Ausdehnung  nicht  weiter  überschritt,  dass 
aber  die  zweite  Abimpfung  von  demselben 
Ansatz  ganz  resultatlos  verlief. 

Versueh  H. 

Die  zweite  Frage,  die  zu  beantworten 
war,  war  die:  Was  leistet  Flusssäure  dann, 
wenn  absichtlich  grossere  Mengen  faulender 
Substanz  auf  einen,  mit  der  Säure  impräg- 
nirten  Nährboden  gelangen? 

Zur  Beantwortung  derselben  wurden  am 
13.  Dec.  1888  in  weite  Reagensgläser  je 
20  ccm  Flusssäurelösung  gefüllt  in  den  ver- 
schiedenen Goncentrationen  von  0,5  —  0,26 
—0,1—0,05  und  0,01  Proc.  Ein  Control- 
ansatz  .enthielt  nur  20  ccm  destillirten  Was- 
sers. Die  Rohren  wurden  wie  gewöhnlich 
mit  Watte  verschlossen  und  durch  längeres 
Verweilen  in  einer  Temperatur  von  100® 
sterilisirt.  Sodann  wurden  in  die  einzelnen 
Lösungen  kleine,  möglichst  gleich  grosse 
Stücke  von  frischem  rohen  Rindfleisch  ge- 
bracht, die  aus  der  Mitte  eines  grösseren 
Stückes  herausgeschnitten  waren.  Die  An- 
sätze wurden  in  den  Brütofen  gebracht,  des- 
sen Temperatur  ständig  auf  20®  gehalten 
wurde. 

15.  Dec.  1888.  Die  Ansätze  sehen  vollstän- 
dig klar  aus,  die  Fleischfarbe  ist  in  den  stärkeren 
Goncentrationen  etwas  abgeblasst,  die  Gontouren 
der  Fleischstücke  sind  scharf  erhalten,  nirgends 
ist  Zerfall  sichtbar.  In  dem  Gontrolansatz  ist  die 
Losung  besonders  in  der  Umgebung  des  Fleisch- 
stückchens röthlich  gefärbt. 

16.  Dec.  1888.  Der  Gontrolansatz  zeigt  eine 
leichte  Trübung,  die  Lösung  der  übrigen  Ansätze 
ist  klar. 

17.  Dec.  1888.  Es  werden  von  den  Ansät- 
zen Abimpfungen  auf  sterilisirte  Gelatine  gemacht. 
Nach  drei  Tagen,  während  welcher  Zeit  die  Röhr- 
chen sich  in  einer  ständigen  Temperatur  von  20*^ 
im  Brütofen  befunden  hatten,  war  noch  nirgends 
ein  Erfolg  der  Impfung  zu  constatiren.  Auch 
die  fortgesetzte  Beobachtung  ergab,  dass  keine 
der  angelegten  Culturen  angegangen  war. 

20.  Dec.  1888.  Das  Aussehen  der  Ansätze 
ist  unverändert.  In  jeden  derselben  kommen 
4    Tropfen     eines     faulenden,     stark     stinkenden 


J 


414 


Gottbrecht,  üeber  die  faulnlMwidiige  Wirkung  der  PluMsäure. 


[Therapentiaehe 
Monatshefte. 


Fleischansatzes.   Die  Aufbewahrung  geschieht  wie- 
derum im  Brütofen  bei  20 o. 

21.  Dec.  1888.  Die  Lösungen  sind  bis  auf 
die  des  Controlansatzes,  welche  stark  trübe  ist 
und  sparsame  Gasentwicklung  zeigt,  vollständig 
klar.  Der  0,01  proc.  Ansatz  hat  direct  über  dem 
Fleischstuckchen  eine  leichte  wolkige  Trübung, 
nach  Umschütteln  verschwindet  dieselbe  indess 
sofort  und  der  Ansatz  unterscheidet  sich  äusserlich 
nicht  nachweisbar  von  den  übrigen. 

22.  Dec.  1888.  Von  sämmtlichen  Ansätzen 
wird  eine  zweite  Abimpfung  auf  sterilisirte  Nähr- 
gclatine  gemacht.  Zugleich  wird  zur  Controle  für 
das  bei  dem  Versuche  verwandte  Fäulnissmaterial 
eine  Abimpfung  direct  von  dem  faulenden  Fleisch- 
ansatz auf  Gelatine  vorgenommen.  Die  Ansätze, 
wie  auch  die  angelegten  Culturen  werden  von 
jetzt  ab  bei  Zimmertemperatur  stehen  gelassen. 
Nach  Verlauf  längerer  Zeit  ergebt  sich  für  die 
Culturen  und  Ansätze  folgender  Befund. 

a)   Ansätze, 

Die  Lösung  des  0,5  proc.  Ansatzes  ist  voll- 
ständig wasserhell  und  durchsichtig,  ohne  eine 
Spur  von  Zerfallstheilen  des  Fleisches;  dieses 
selbst  ist  in  seiner  äusseren  Structur  gut  erhalten 
und  nur  an  den  Rändern  in  geringem  Grade  auf- 
gequollen; der  rothe  Fleischfarbenton  ist  etwas 
abgeblasst.  Der  0,25  proc.  Ansatz  hat  dasselbe* 
Aussehen  wie  der  0,5  proc.  Die  Lösung  des 
0,1  proc.  Ansatzes  hat  über  dem  Fleischstückchen 
eine  schwache  wolkige  Trübung;  das  Fleisch  ist 
an  den  Rändern  in  seiner  Faserung  etwas  aufge- 
lockert, hat  aber  keinen  Zerfall  erlitten.  Die  na- 
türliche Fleischfarbe  ist  hier  besser  erhalten  als 
bei  den  vorigen  Ansätzen.  Die  Lösung  des 
0,05  proc.  Ansatzes  ist  besonders  in  den  unteren 
Schichten  röthlich  gefärbt.  Beim  Umschütteln 
zeigen  sich  kleine  Zerfallstheilchen,  und  der  ganze 
Ansatz  wird  leicht  trübe.  Das  Aussehen  des 
Fleisches  ist  sonst  gut  erhalten.  Die  Lösung  des 
0,01  proc.  Ansatzes  ist  im  Ganzen  etwas  röthlich 
gefärbt.  Der  Zerfall  vom  Rande  des  Fleisches  ist 
bedeutender  als  bei  0,05 proc.  Auf  der  Oberfläche 
der  Lösung  befinden  sich  Glasbläschen.  Die  Lö- 
sung des  Controlansatzes  ist  trübe,  schmierig;  der 
Ansatz  stinkt  stark. 

h)   Culturen. 

Die  Cultur  von  dem  Controlansatz  und  die 
Controlcultur,  welche  von  dem  bei  dem  Versuche 
verwandten  Fäulnissmaterial  angelegt  war,  sind  an- 
gegangen. Von  den  übrigen  ist  keine  einzige 
Cultur  in  der  für  die  Entwicklung  von  Fäulniss- 
bacillen  typischen  Weise  ausgewachsen.  Während 
bei  den  meisten  der  Impfstich  kaum  mit  blossem 
Auge  wahrnehmbar  ist,  bemerkt  man  an  der  vom 
0,5  proc.  Ansatz,  also  der  stärksten  Concentration 
herrührenden  Impfstelle  auf  der  Oberfläche  der 
Gelatine  einen  kreisrunden,  etwas  erhabenen,  mit 
scharfen  Rändern  versehenen,  milchig  trüben  Fleck. 
Eine  von  diesem  Fleck  vorgenommene  Abimpfung 
war  resultatlos  und  bestätigte  somit  die  Annahme, 
dass  es  sich  nicht  um  das  Vorhandensein  einer 
Fäulnisscultur,  sondern  um  einen  durch  die  Ein- 
wirkung der  Flusssäure  auf  die  Eiweissgelatine 
liervor gerufenen  Gerin nungsprocess  handelte. 

lÖ.  Jan.  1889.  Es  wird  heute,  also  20  Tage 
nach  der  zweiten  Controlimpfung  am  21.  Dec.  1888, 


eine  dritte  Abimpfung  von  den  Ansätzen    in    der 
gleichen  Weise  auf  Nährgelatine   vorgenommen. 

11.  Jan.  1889.  Die  Cultur  vom  Controlan- 
satz ist  angegangen,  die  übrigen  zeigen  keine  Spur 
von  Reaction  auf  der  Gelatine.  • 

12.  Jan.  1889.  Die  Controlcultur  wächst 
stark  weiter,  während  die  übrigen  Culturen  nicht 
die  geringste  Veränderung  in  ihrem  Verhalten  dar- 
bieten. 

13.  Jan.  1889.  Bei  der  Cultur  vom  0,5 
und  0,25  proc.  Ansatz  bildet  sich  der  bereits  bei 
der  vorigen  Controlimpfung  beschriebene  und  von 
den  Ansätzen  mit  gleicher  Concentration  herrüh- 
rende, milchig  trübe  Fleck  in  der  Nähe  des  Impf- 
stiches aus.  Ein  Weiterwachsen  desselben  wird 
indess  nirgends  beobachtet. 

18.  Jan.  1889.  Da  sich  heute  nach  weiteren 
5  Tagen  der  gleiche  Befund  herausstellt,  somit 
keine  der  Impfungen  von  den  Flusssäureansatzen 
von  Erfolg  gewesen  ist,  wird  der  Versuch  als  ab- 
geschlossen betrachtet. 

Aus  der  Schilderung  desselben  tritt  die 
fäuloisswidrige  Kraft  der  Flusssäure  gleich- 
falls deutlich  zu  Tage.  Die  Verhältnisse 
waren  durch  die  Art  der  Darstellung  der 
Ansätze  in  diesem  Falle  so  gestellt,  dass 
jede  der  verschiedenen  Losungen  in  ihrer 
Wirksamkeit  einem  bekannten  und  jedesmal 
nahezu  gleichen  Fäulnissquantum  gegenüber 
controlirt  werden  konnte.  Die  Controle  ge- 
schah durch  Abimpfungen  auf  Gelatine, 
welche  von  Zeit  zu  Zeit  vorgenommen  wur- 
den. Es  zeigte  sich,  dass  keine  einzige  der 
von  den  Flusssäureansatzen  angelegten  Cul- 
turen anging,  während  die  dem  Controlan- 
satz entnommene  Cultur  schnell  und  üppig 
wuchs.  Die  zweite,  nach  mehreren  Wochen 
vorgenommene  Controlimpfung  ergab  das- 
selbe Resultat.  Die  Ansätze  selbst  hatten 
während  der  mehr  als  vierwöchigen  Ver- 
suchsdauer ihr  Aussehen  nicht  wesentlich 
verändert. 

Versuch  HI. 

Ein  ähnliches  Resultat,  wie  das  aus  dem 
vorigen  Versuch  abgeleitete,  hatte  ein  Ver- 
such, welcher  am  24.  Nov.  1888  in  der  Art 
gemacht  war,  dass  Fleischjauche  auf  Gela- 
tine von  bestimmtem  Flusssäuregehalt  auf- 
geimpft wurde.  Bei  diesem  Versuch  stellte 
sich  der  Uebelstand  heraus,  dass  bei  der 
nicht  zu  umgehenden  Sterilisirung  der  An- 
sätze die  Flusssäure  die  Gelatine  zum  Theil 
gerinnen  Hess  und  die  Losungen  so  trübte, 
dass  eine  Controle  der  angelegten  Culturen 
erschwert  oder  unmöglich  gemacht  wurde. 
Es  konnten  daher  nur  schwache  Concentra- 
tionen  von  Flusssäure,  welche  die  Gelatine 
leidlich  klar  Hessen,  bei  dem  Versuche  ver- 
wandt werden. 

Neben  einem  Controlansatz,  der  keine 
Flusssäure  enthielt,  wurden  zwei  Ansätze 
mit    0,1    und   0,05  proc.    Flusssäure    in    der 


IlL  Jahrgang.  1 
September  1889J 


Gottbrecht,  Ueber  die  fSLulnisswldrige  Wirkung  der  Flusssäure. 


415 


Weise  hergestellt,  dass  zu  je  15  com  Nähr- 
gelatine 5  com  entsprechend  concentrirter 
Flusssäure  in  Reagensgläser  gefüllt  wurden. 
Die  Röhrchen  wurden  mittelst  Wattestopfens 
verschlossen  und  sterilisirt.  Die  eingetretene 
Trübung  gestattete  immerhin  noch  die  ge- 
naue Beobachtung  der  Fäulnissculturen, 
welche  nach  dem  Erstarren  der  Gelatine 
angelegt  wurden.  Es  zeigte  sich,  dass  die 
auf  dem  Controlansatz  angelegte  Cultur 
schnell  und  gut  aus  wuchs  und  schon  am 
27.  Kot.,  also  nach  drei  Tagen,  das  typische 
Bild  einer  Fäulnisscultur  auf  Gelatine  bot. 
Bei  den  andern  beiden  Ansätzen  war  auch 
ein  langsames  Auswachsen  der  Gulturen  zu 
constatiren;  das  Bild  war  indess  ein  von 
der  Controlcultur  wesentlich  verschiedenes. 
In  der  Nähe  des  Impfstiches  hatte  sich  bei 
beiden  Ansätzen  ein  stecknadelkopfgrosses 
hellgraues  Pünktchen  nach  den  ersten  drei 
Tagen  herausgebildet.  Dasselbe  nahm  bei 
dem  0,05  proc.  Ansatz  in  den  nächsten  Ta- 
gen an  Ausdehnung  etwas  zu,  während  es 
sich  beim  0,1  proc.  Ansatz  nicht  augenfällig 
änderte.  Nach  Verlauf  von  weiteren  8  Tagen 
hatte  sich  der  auf  dem  0,05  proc.  Ansatz 
befindliche  etwa  lin sengrosse  Herd  durch- 
aus nicht  vergrössert.  Es  wurden  daher  am 
5.   Dec.    1888    von   den    verdächtigen  Gela- 


tinestellen beider  Ansätze  Abimpfungen  auf 
sterilisirte  Gelatine  gemacht.  Die  Beobach- 
tung ergab  indess  auch  hier,  dass  die  Gul- 
turen sich  nicht  entwickelten. 

Die  gewöhnliche  Fleischfäulniss 
kam  also  nicht  zu  Stande,  wenn  das 
die  Fleischstücke  umspülende  Wasser 
0,1  proc.  Fluorwasserstoffsäure  ent- 
hielt. Das  Weiterwachsen  von  Jauche- 
bacterien  hörte  auf,  wenn  sie  auf 
einen  Nährboden  gebracht  wurden,  der 
0,1 — 0,05  Proc.  der  Säure  enthielt. 

Bemerken  will  ich  noch,  dass  auch 
Schimmel  Vegetation  durch  Flusssäure  einge- 
schränkt wird.  Fleisch,  das  in  0,5  Proc. 
Salzsäure  gelegt  war,  war' aus  irgendwelchem 
Grunde  verschimmelt.  Von  demselben  Fleisch 
war  ein  anderes  Stück  in  0,5proc.  Fluss- 
säurelösung gebracht  worden.  Es  wurde  nun 
ein  beträchtlicher  Theil  der  Schimmelmassen 
aus  dem  Salzsäureansatz  in  das  die  Fluss- 
säure enthaltende  Gefäss  übertragen,  aber  es 
trat  kein  Weiterwachsen  derselben  ein,  die 
Schimmelfäden  bildeten  bald  ein  kleines, 
graues  Elümpchen,  das  auf  dem  Boden  des 
Ansatzes  lag,  ohne  sich  zu  verändern,  während 
in  dem  entsprechenden  Salzsäureansatz  die 
Schimmelvegetation  in  gewohnter  Weise  fort- 
wucherte. 


Therp^pentische  Mittheilungeii  ans  Vereinen. 


Dritter  deutscher  Gynäkologencongress 
zu  Freiburg,  la. — 14.  Juni  1889. 

Originalbericht  von  R.  Schaeffer  (Berlin). 

Zweiter  Siizungstag. 

Vor  der  Sitzung  finden  verschiedene  De- 
monstrationen statt;  unter  Anderem  macht 
Sänger  (Leipzig)  an  einer  ihm  von  Herrn 
He  gar  zur  Verfugung  gestellten  Kranken 
eine  Perineoplastik  nach  derLawson  Tait^- 
schen  Methode.  Im  Anschluss  daran  hält  er 
seinen  Vortrag  über  Lappenperineorrha- 
phie.  Er  betont,  dass  die  guteHeilung  wesent- 
lich auf  der  exacten  Vereinigung  der  Haut 
beruht.  Das  Gatgut  sei  bei  allen  plastischen 
Operationen  zu  verwerfen,  weil  es  zu  schnell 
resorbirt  werde. 

In  der  Discussion  macht  Eüstner 
(Dorpat)  darauf  aufmerksam,  dass  die  Damm- 
risse fast  alle  auf  einer  Seite  und  nicht  median 
sitzen.  Auf  diesen  schiefen  Sitz  des  Risses 
müssten    alle    Dammoperationen    Rücksicht 


nehmen;  die  Anfrischung  müsste  also  schief 
und  nicht  symmetrisch  gemacht  werden. 
Freund  (Strassburg)  beschreibt  eine  ganz 
neue  Methode  zur  Heilung  der  Prolapse. 
Mittelst  eines  halbmondförmigen  Schnittes 
in  das  hintere  Scheidengewölbe  eröffnet  er 
den  Douglas.  Die  Methode  beruht  auf  der 
Ausschaltung  (Verödung)  des  stark  erweiter- 
ten Douglas^schen  Raumes.  Hirschberg 
(Stuttgart),  Schatz  (Rostock)  und  Hegar 
stimmen  darin  überein,  dass  die  Lawson  Tait- 
Sänger^sche  Dammplastik  zwar  häufig  recht 
brauchbar,  aber  doch  keine  Panacee  sei. 

Behandlung  der  Ex  trauter  in  Schwan- 
gerschaft. Erster  Referent  J.  Veit  (Berlin). 
Man  muss  unterscheiden  zwischen  Extra- 
uterinschwangerschaften  der  ersten  und  der 
letzten  Monate.  Erstere  seien  ausnahmslos 
operirbar.  Am  häufigsten  und  wichtigsten  sind 
die  Tubarschwangerschaften.  Der  Nachweis 
einer  primären  abdominalen  Gravidität  ist 
nicht  erbracht,   während   Ovarialgraviditäten 


416 


Therapeutiiche  Mittheilungen  aus  Vereinen. 


rriMrapeiitiMlM 
L  MoiuUahefie. 


allerdings  Yorkommen.  Die  Diagnose  ist  oft 
mit  einer  an  Sicherheit  grenzenden  Wahrschein- 
lichkeit zu  stellen.  „Wenn  neben  dem  Uterus 
ein  tubarer  Tumor  von  reicher  Gonsistenz 
ohne  Fluctuation  und  Spannung  zu  fühlen  ist, 
dann  ist  lebende  Tubarschwangerschaft  wahr- 
scheinlich". Beim  tubaren  Abort  wird  der 
Tumor  von  Woche  zu  Woche  härter.  Hinsicht- 
lich der  Therapie  ist  genau  zu  unterscheiden 
zwischen :  a.  intactem  (weiterwachsendem)  Ei. 
Als  Heilmittel  kommen  in  Betracht:  l)  die 
Elektrolyse.  Diese  verwirft  Y.  vollständig. 
2)  die Morphiuminjection,  die  nachWinckeTs 
Yersuchen  zur  Abtödtung  des  Eies  sicher  ge- 
eignet ist.  3)  Die  Laparotomie.  Dieselbe  ist 
—  bei  intactem  Ei  * —  ungefährlich.  V.  hat 
12  Fälle  operirt  und  geheilt.  In  solchen 
Fällen  ist  sie  stets  indicirt.  Wenn  es  schon 
zur  Ruptur  der  Tube  und  zur  intraperito- 
nealen  lebensbedrohenden  Blutung  gekommen 
ist,  so  ist  die  Entscheidung,  ob  man  operiren 
solle,  schwer.  Hier  müsse  individualisirt 
werden,  je  nachdem  man  einen  die  Bildung 
der  Haematocele  vorbereitenden  Tumor  fühlt 
oder  nicht,  b.  beim  tubaren  Aborte  kann 
es  sehr  wohl  noch  zu  einem  Platzen  des 
Fruchtsackes  kommen  und  somit  zur  Yer- 
blutung.  Daraus  folge  zunächst,  dass  die 
Morphiuminjection  noch  lange  nicht  alle  Ge- 
fahr beseitigt.  Wenn  Blutung  nach  aussen 
anhält  und  peritonitische  Schmerzen  vor- 
handen sind,  so  liegt  die  Gefahr  einer  Ruptur 
vor.  Daher  operire  er  in  diesen  Fällen  stets, 
während  er  in  allen  anderen  Fällen  abzu- 
warten räth. 

Als  zweiter  Referent  spricht  Werth 
(Kiel)  über  die  Behandlung  der  Extra- 
uterin Schwangerschaften  in  der  letzten 
Hälfte.  Bei  aus  getragener  tubarer  oder 
abdomineller  Schwangerschaft  gab  die  Ope- 
ration bis  zum  Jahre  1887  eine  sehr  schlechte 
Prognose.  Seitdem  ist  sie  besser  geworden. 
Yon  9  operirten  Müttern  starben  nur  2. 
Der  Grund  der  besseren  Erfolge  liegt  in  der 
besseren  Blutstillung  der  Placen tarsteile. 
Weil  diese  sehr  schwierig,  so  empfiehlt  er, 
nicht  auf  das  eventuelle  Absterben  der  Frucht 
zu  warten,  sondern  frühzeitige  Laparotomie 
bei  lebendem  Kinde.  Wenn  man  den  Frucht- 
sack nicht  mehr  ganz  exstirpiren  kann,  so 
ist  eine  Bestreuung  der  Placentarstelle  mit 
einem  Salicylsäure-Tanningemisch  anzurathen ; 
dasselbe  verbindet  die  haemo statische  mit 
der  antiseptischen  Wirkung;  die  vaginale  Ex- 
stirpation  ist  im  Allgemeinen  zu  verwerfen. 
In  der  Discussion  behauptet  Ziegen- 
speck (München)  eine  Tubarschwangerschaft 
durch  Massage  geheilt  zu  haben,  so  dass 
eine  völlige  Restitutio  ad  integrum  einge- 
treten   wäre.     Hermann    Freund   (Strass- 


burg)  und  Schwarz  (Halle)  treten  für  Yeit's 
Indicationsstellung  lebhaft  ein.  Letzterer 
verwirft  die  Morphiuminjection  Winckel^s. 
Olshausen  (Berlin)  macht  auf  die  Schwierig- 
keiten der  Diagnose  einer  Tubarschwanger- 
schaft aufmerksam.  Namentlich  sei  auf  die 
Anamnese  und  fortbleibenden  Menses  sehr 
wenig  Gewicht  zu  legen.  Er  sei  wieder- 
holentlich  Irrthumem  ausgesetzt  gewesen. 

In  seinem  Yortrage  über  Becken- 
ab  sc  esse  schildert  Wiedow  (Freiburg)  die 
verschiedenen  Operationsmethoden  zur  Er- 
ö£fnung  derselben.  In  der  Discussion 
räth  Elischer  (Budapest)  dringend  zur 
frühzeitigen  Eröffnung,  da  sonst  sehr  leicht 
eine  amyloide  Nephritis  sich  einstellt.  — 
Wir  übergehen  die  Yortrage  von  Yeit  (zur 
Lehre  des  Kaiserschnittes),  sowie  die  von 
Bumm,  Leopold,  Schatz,  Baier, 
Fromme  1  und  Sänger,  weil  dieselben 
zum  Theil  ein  rein  theoretisches,  zum  Theil 
ein  nur   specialistisches   Interesse  darbieten. 

Dritter  Sitzungstag, 

Münchmeyer  (Dresden):  Ueber  die 
Totalexstirpationen  des  Uterus  an  der 
Dresdener  Frauenklinik.  In  den  letzten 
5^/s  Jahren  sind  an  der  Dresdener  Klinik 
110  vaginale  üterusexstirpationen  gemacht. 
Die  Ursache  war:  80 mal  Carcinom,  (von 
diesen  sind  37  länger  als  ein  Jahr  recidiv- 
frei);  17  mal  Myom;  4  mal  sehr  grosser  Prolaps; 
5 mal  schwere  nervöse  Erkrankungen;  3 mal 
Ovarialsarkome.  In  8  Fällen  sind  ausser 
dem  Uterus  noch  die  Adnexa  herausgenommen. 
Die  Mortalität  dieser  110  Fälle  betrug  6. 
In  der  Discussion  warnt  Olshausen  vor 
verfrühter  Statistik;  noch  nach  11  Jahren 
könne  ein  Recidiv  des  Carcinoms  eintreten. 
He  gar  zieht  die  Castration  bei  Uterusmyom 
als  gefahrloser  und  leichter  der  Totalexstir- 
pation  vor. 

Nach  einem  sehr  interessanten  Yor- 
trage Döderlein^s  (Leipzig):  Ueber  die 
Bedeutung  und  Herkunft  des  Frucht- 
wassers, spricht  Dührssen  (Berlin)  über: 
Blutungen  post  partum.  Laut  Statistik 
erfolgen  in  Deutschland  jährlich  etwa  360 
Todesfälle  an  Yerblutung  post  partum.  Die 
bisher  angewandten  Mittel  zur  Bekämpfung 
der  Uterusatonie,  die  bimanuelle  Gompression, 
die  Injectionen  von  heissem  Wasser  und  die 
Einspritzung  von  Liquor  ferri  sind  theils  un- 
wirksam, theils  gefährlich.  Die  Tamponade 
dagegen  wirkt  sehr  sicher  und  zwar  nicht 
nur  bei  atonischen  Blutungen,  sondern  auch 
bei  Gervixrissen.  Ausserdem  ist  sie  völlig 
ungefährlich.  Sie  wird  am  besten  mittelst 
langer  sterilisirter  Jodoformgazestreifen,  die 
in    fest    verschlossener    Kapsel    aufbewahrt 


HL  Jahrgang,  1 
Beptwnber  18S9.J 


Theimpeuttidie  Mittheilungen  aus  Vereinet. 


417 


werden,  ausgeführt.  Im  Nothfalle  kann  man 
auch  ein  Stück  Bettlaken  nehmen,  welches 
man  durch  Einlegen  in  kochendes  Wasser 
sich  schnell  sterilisirt.  Discussion:  01s- 
hausen  hält  die  Tamponade  für  irrationell 
und  für  höchst  gefahrlich  in  den  Händen 
von  Aerzten,  welche  der  Antiseptik  nicht  ab- 
solut Herr  sind.  Er  sowohl  wie  Veit, 
Fehling  und  Battlehner  empfehlen  die 
bimanuelle  Compression.  Schae  ff  er  (Berlin) 
bestreitet,  dass  man  alte  Leinwand  durch 
kurzes  Einlegen  in  kochendes  Wasser  sicher 
sterilisiren  könne.  Do  hm  (Königsberg)  hat 
die  Tamponade  5 mal  mit  gutem  Erfolg  an- 
gewendet. 

Schatz  (Rostock)  berichtet  über  seine 
Versuche  mit  dem  Seeale  cornutum.  Das- 
selbe sei  ein  ausgezeichnetes  Wehenmittel, 
nur  dürfe  es  nicht  häufiger  als  alle  Stunde 
gegeben  werden,  sonst  erzeuge  es  einen  Tetanus 
des  Uterus.  Ausserdem  dürfe  man  es  nur 
geben,  um  die  Wehen  zu  yermehren,  nicht 
um  sie  zu  verstärken.  Küstner  empfiehlt 
das  Cor  nutin  als  das  zuverlässigste  Seeale- 
präparat; dasselbe  sei  jetzt  in  kleinen 
sterilen  Glasviolen  im  Handel,  welche  je 
0,0025  g,  d.  h.  eine  einmalige  Dosis  enthalten. 

Skutsch  (Leipzig)  empfiehlt  bei  doppel- 
seitigem Hydrosalpinx  statt  der  bisher 
üblichen  Exstirpation  der  Tuben  die  Sal- 
pingo-Stomotomie,  d.  h.  die  Anlegung 
einer  Oefifnung  in  die  geschlossene  Tube, 
damit  die  Möglichkeit  einer  späteren  Con- 
ception  erhalten  bleibe. 

Battlehner  (Karlsruhe)  empfiehlt  als 
Desinficiens  (besonders  für  Hebammen)  die 
Essigsäure.  Dieselbe  soll  in  5^/o-Lösung  ebenso 
sicher  wirken  wie  die  Garbolsäure  (?).  Ausser- 
dem sei  sie  absolut  ungiftig  und  leicht  be- 
schaffbar, da  der  gewöhnliche  Essig  direct 
dazu  verwendet  werden  könne. 

Küstner:  Ueber  Ventrofixatio  uteri 
bei  Retroflexio.  Die  Trennung  der  peri- 
metrischen Stränge  geschieht  am  besten  durch 
den  Paquelin,  weil  man  dadurch  der  Blutimg 
am  besten  Herr  wird.  Die  nachherige  Ventro- 
fixatio sei  dann  erstens  meist  überflüssig; 
zweitens  aber  ist  sie  darum  zu  verwerfen, 
weil  sie  zu  dauernder  Neigung  zum  Abort 
führt,  denn  der  vom  angeheftete  Uterus  kann 
sich  bei  eintretender  Schwangerschaft  nicht 
ausdehnen.  Auch  die  übrigen  Redner 
(Frommel,  Veit,  Skutsch,  Küstner, 
Hegar)  sind  von  dieser  Operation  nicht  sehr 
begeistert.  Sänger  und  Leopold  wollen 
sie  nicht  ganz  verwerfen.  Letzterer  empfiehlt 
sie  besonders  dann,  wenn  die  Frau  aus  dem 
geschlechtsthätigen  Alter  bereits   heraus  ist. 


Achtzehnter  Congress  der  deutschen  Gesellschaft 
fQr  Chirurgie  zu  Berlin,  24—28.  April  1889. 


(Oiiginalbericht.) 


[Sehluss.J 


Sitzung  vom  26.  April,  Nachmittags, 

Mikulicz  (Königsberg):  Weitere  Er- 
fahrungen über  die  operative  Be- 
handlung der  Perforations-Peri- 
tonitis. 
Sämmtliche  Fälle  von  Perforations-Peri- 
tonitis  kann  man  eintheilen  in  acut  ver- 
laufende septische  und  in  progredient  eitrig- 
fibrinöse  Perforations-Peritonitiden.  Während 
bei  der  ersten  Form  die  Laparotomie  voll- 
kommen nutzlos  sei,  gestaltet  sich  bei  der 
zweiten  Form  die  Prognose,  wenn  auch  nicht 
gerade  günstig,  so  doch  nicht  hoffnungslos. 
Hier  ist  daher  eine  Operation  geradezu  ge- 
boten und  zwar  möglichst  bald  nach  Beginn 
der  Erkrankung.  Bei  der  Operation  selbst 
hat  man  ^ie  natürliche  Verlöthung  der 
Darmschlingen  möglichst  zu  erhalten,  da 
durch  dieselbe  der  weiter  fortschreitenden 
Eiterung  am  besten  vorgebeugt  werde.  Die 
einzelnen  bereits  bestehenden  Eiterherde 
sind  aufs  Sorgfältigste  aufzusuchen  und  zu 
entleeren.  —  Die  Wahl  des  Antisepticums 
sei  von  secundärer  Bedeutung,  da  es  haupt- 
sächlich auf  die  Entfernung  des  Eiters  an- 
kommt, welche  man  eben  so  gut  durch 
physiologische  Kochsalzlösung,  wie  durch 
sehr  dünne  Sublimatlösungen  erreichen  kann. 
Findet  man  die  Perforationsstelle  nicht  so- 
fort, so  braucht  man  durchaus  nicht  ihr 
Auffinden  zu  forciren,  da  derartige  Perfo- 
rationsstellen weit  leichter  und  schneller 
spontan  heilen,  als  man  bisher  geglaubt 
habe.  —  Im  Uebrigen  ist  auf  eine  möglichst 
geringe  Darmperistaltik  durch  grosse  Gaben 
Opium,  sowie  möglichst  sparsame  Diät  zu 
achten. 

In  der  sich  an  den  Vortrag  anschliessen- 
den Discussion  betont  König  die  Wichtig- 
keit eines  möglichst  sofortigen  Eingriffes 
nach  der  Verletzung,  Die  Prognose ,  die 
sich  mit  jeder  Stunde,  die  man  verstreichen 
lässt,  verschlechtert,  wird  erfahrungsgemäss, 
nach  den  übereinstimmenden  Angaben  meh- 
rerer amerikanischer  Chirurgen,  absolut 
schlecht,  wenn  zur  Zeit  des  Eingriffes  be- 
reits 18  Stunden  seit  der  Entstehung  der 
Perforation  verflossen  sind.  "Wahl  verwendet 
für  die  Desinfection  3^/oige  Borsäure.  Zum 
Schutze  der  Intestina  verwendet  er  ein  vier- 
eckiges, einfach  zusammengelegtes  Calicot- 
Jodoformtuch ,  welches  durch  die  Wunde 
hindurch  unter  die  Bauchdecken  geschoben 
und  hier  mittelst  4  Nähten  während  der 
Dauer  der  Operation  befestigt  wird. 

53 


418 


Therapeutische  Mltthellungeii  aus  Vereinen. 


rTherapeatitche 
L   Monatshefte. 


Sitzung  vom  27,  April^  Vormittage. 

Hoffa  (Würzburg):    Zur  Lehre  Ton  der 

Sepsis. 
Nach  der  Ansicht  des  Verf.  ist  der  Tod 
in  Folge  septischer  lutoxication  bedingt 
durch  ein  Freiwerden  von  Fermenten  im 
Blute.  —  Die  Mikroben  dringen  in  die 
weissen  Blutkörperchen  ein,  lösen  dieselben 
auf  und  machen  auf  diese  Weise  die  fibrin- 
bildenden Fermente  frei;  so  entstehen  im 
Blutstrom  Gerinnungen  und  in  Folge  dessen 
Embolien.  —  In  andern  Fällen  indessen 
handelt  es  sich  um  wirkliche  Intoxication 
durch  sogenannte  Toxine,  Stoffwechselpro- 
ducte  der  pathogenen  oder  der  Faulniss- 
bacterien.  Dem  Vortragenden  ist  es  nun 
gelungen,  aus  dem  Körper  von  Kaninchen, 
die  an  Kaninchensepticämie  zu  Grunde  ge- 
gangen waren,  mittelst  einer  von  Brieger 
angegebenen  Methode  eine  Verbindung  von  der 
Formel  Ca  H7  N3  (=  Methyl guanidin)  zu  iso- 
liren.  —  In  die  Lymphbahnen  gesunder 
Kaninchen  injicirt,  erzeugt  diese  Verbindung 
die  Symptome  der  Kaninchensepticämie,  so 
dass  nach  Verf.  diese  Krankheit  als  Folge 
der  Giftwirkung  dieses  Toxins  anzusehen  ist. 
—  In  gleicher  Weise  gelang  es,  aus  Milz- 
brandcadavem  ein  Toxin  von  der  Consti- 
tution C3  Hß  Na  zu  isoliren.  Beide  Toxine 
rufen,  Fröschen  injicirt,  Unruhe,  Convulsio- 
nen  etc.  hervor.  0,2  g  führen  bereits  nach 
20  Minuten  bei  Kaninchen  zum  Tode. 
Kitosato:  Ueber  einen  Tetanuserreger. 
Bekanntlich  hat  man  den  von  Nicolaier 
in  Göttingen  entdeckten  Mikroben  des  Te- 
tanus bisher  noch  nicht  in  Reinculturen 
darstellen  können.  Dem  Verf.  ist  dies  nun 
durch  folgendes  Verfahren  gelungen:  Die 
unreinen  Tetanusculturen  wurden  bei  36 
bis  38°  zu  lebhaftem  Wachsthum  gebracht 
und  dann  die  Cultur  plötzlich  auf  80°  C. 
erhitzt.  Hierdurch  werden  alle  Bacillen  ab- 
getödtet,  nur  die  Sporen  der  Tetanuserreger 
bleiben  keimfähig.  Aus  ihnen  konnte  man 
Reinculturen  gewinnen.  —  Weiterhin  gab 
Vortragender  eine  kurze  Uebersicht  über 
die  charakteristischen  Eigenschaften  des 
Tetanusbacillus. 
Schüller    (Berlin):     Laparotomie    und 

Excision   des   Wurmfortsatzes, 
Bramann    (Berlin):     Zur    Behandlung 

der  Schusswunden  des  Dünndarms 

und  Mesenteriums. 
In  einem  Falle  Schüller's,  in  welchem 
die  Symptome  auf  eine  Darminvagination 
hinwiesen,  ergab  sich  nach  Ausführung  der 
Laparotomie,  dass  es  sich  um  eine  Verlage- 
rung des  Wurmfortsatzes  handelte.  Nach 
Excision  desselben  erfolgte  Heilung  per 
primam  inten  tionem. 


In  der  Bramann^  sehen  Beobachtung 
handelte  es  sich  um  einen  Patienten,  dem 
eine  Revolverkugel  unterhalb  des  Rippen- 
bogens in  den  Dünndarm  und  von  hier  aus 
in  einen  Lendenwirbel  gedrungen  war.  In 
diesem  Falle  war  ein  natürlicher  Verschluss 
der  Darm  wand  dadurch  entstanden,  dass  sich 
die  Darmschleimhaut  vor  die  Perforations- 
öffnung gelegt  hatte.  —  Eine  Aufblähung 
des  Darmcanals  behufs  Auffinden  der  Perfo- 
rationsstelle, ein  Verfahren,  welches  bekannt- 
lich vorzugsweise  von  amerikanischen  Aerzten 
empfohlen  ist,  wäre  hier  vollkommen  un- 
nütz gewesen,  da  das  Gas  unter  einem  viel 
zu  hohen  Drucke  hätte  eingepumpt  werden 
müssen,  um  die  natürliche  Verschlussstelle 
zu  durchbrechen. 

In  der  darauf  folgenden  Discussion  wies 
So  ein  (Basel)  darauf  hin,  dass  Natur  und 
Heilung  der  Darmwunden  wesentlich  durch 
den  Zustand  bedingt  werden,  in  welchem 
sich  der  Darm  zur  Zeit  der  Verletzung  ge- 
rade befindet.  —  Esmarch  empfahl  die  von 
Bramann  erwähnte  Methode  der  Wasser- 
stoffeinblasung dringend.  Unter  andern  er- 
wähnt er  einen  Fall,  in  welchem  nach 
leichter  Auffindung  von  8  Schussperforations- 
stellen  des  Darmes  die  Anfüllung  mit  Gas 
und  „Ableuchtung"  noch  eine  neunte  Perfo- 
ration sstelle  zu  Tage  förderte. 

Nackmittagssitzung. 

Kümmel  (Hamburg):  Die  operative 
Behandlung  der  Urinretention  bei 
Prostatahypertrophie. 

Vortragender  befürwortet  in  üeberein- 
stimmung  mit  andern  Autoren  eine  energische 
chirurgische  Behandlung  der  Prostatahyper- 
trophie, besonders  derjenigen  Formen,  welche 
mit  Urinretention  einhergehen.  Während 
alle  andern  Behandlungsmethoden  hier  nicht 
dauernd  Besserung  schaffen,  ist  es  ihm  ge- 
lungen, in*  6  Fällen  radicale  Besserung  da- 
durch zu  erzielen,  dass  er  sämmtliche  Theile 
der  Prostata,  soweit  sie  in  das  Blaseninnere 
hineinragten,  sei  es  durch  die  Sectio  alta, 
oder  durch  Boutonniere  entfernte,  die  Blasen- 
schleimhaut durch  fleissige  Irrigationen  in 
einen  relativ  normalen  Zustand  versetzte 
und  schliesslich  den  Muskeltonus  durch 
Strychnin  -  Injectionen  wieder  herzustellen 
suchte. 

Im  Gegensatz  zu  den  Ausfuhrungen  K.^8 
glaubt  So  ein,  dass  man  in  derartigen  Fällen 
nach  Beseitigung  des  Blasenkatarrhs  sämmt- 
liche durch  die  vergrösserte  Prostata  ver- 
ursachten Beschwerden  auch  ohne  Operation 
beseitigen  könne.  —  Thiersch  mahnt  be- 
züglich der  Operation  gleichfalls  zur  Vor- 
sicht, da  nach  Exstirpation  grösserer  Partien 


in.  Jahrganir.  1 
September  1889.  J 


Therapeutltctie  Mitthelluni^en  aus  Vereinen. 


419 


der  Prostata  die  Gefahr  einer  BlaBeninconti-. 
nenz  vorliegt. 

Lohnstein  (Berlin). 

Gesellschaft  der  Aerzte  in  Wien. 
(Sitzung  votn  31,  Mai  1889.) 

Herr  Dr.  Frey:  Ueber  die  practische 
Bedeutung  des  Hypnotismus. 

Der  Hypnose  sei  eine  grosse  Heilwirkung 
auf  den  menschlichen  Organismus  zuzuschrei- 
ben. Man  dürfe  sich  derselben  nicht  zu 
skeptisch  entgegenstellen. 

Herr  Dr.  Anton.  Man  thue  besser, 
sich  skeptisch  dem  Hypnotismus  gegenüber 
zu  Terh alten.  Alle  die  angeführten  Kranken- 
geschichte a  seien  durchaus  nicht  beweisend. 
Mit  demselben  Rechte  konnte  man  Kranken- 
geschichten citiren,  welche  die  Heilbarkeit 
TonLourdes  und  an  derer  Wunder  orte  beweisen. 

(Wien,  med,  Wochenschr.  1889  No.  23.)  B. 

Societe  medico-psychologique  (Paris). 

(Sitzung  vom  28,  Januar  1889,) 

Dr.  Pachoud  und  Dr.  Ciaret  (Cery) 
senden  einen  Bericht  über-  die  Wirkung  des 
Sulfonal  bei  Geisteskranken.  Derselbe 
enthält  folgendes  Resum^:  Durch  Gebrauch 
von  Sulfonal  werden  maniakalische  Er- 
regungszustände leicht  zum  Schwinden 
gebracht.  Desgleichen  zeigt  das  Mittel  sich 
nützlich  bei  der  Schlaflosigkeit  der 
Melancholischen  und  bei  „nervöser  Agryp- 
nie".  —  Der  Schlaf  ist  ruhig  und  stärkend; 
er  gleicht  dem  tiefen  Schlaf  der  Kinder  und 
hält  durchschnittlich  4 — 5  Stunden  an.  Nach 
dem  Erwachen  keine  unangenehme  Empfin- 
dung. Seitens  der  Verdauung  und  des 
Respirations-  und  Circulationsapparates  sind 
keine  Störungen  beobachtet  worden.  Die 
Dosis  von  1,0  giebt  unzuverlässige  Resul- 
tate, während  2,0  den  Geisteskranken  nach 
einer  halben  Stunde  beruhigt  und  ihm  nach 
einer  oder  l*/j  Stunden  Schlaf  bringt.  Es 
konnten  5,0  in  2  Malen  innerhalb  24  Stun- 
den ohne  Störung  genommen  werden. 

Gegenwärtig  werden  3,0  pro  dosi  gege- 
ben und  bis  6,0  pro  die  gestiegen.  —  Die 
Verfasser  halten  das  Sulfonal  für  eine  Be- 
reicherung des  hypnotischen  Arzneischatzes. 
Seiner  ausgedehnteren  Anwendung  in  Irren- 
anstalten steht  nur  sein  noch  immer  ver- 
bal tnissmässig  hoher  Preis  entgegen. 

Herr  A.  Voisin  ist  gleichfalls  mit  der 
Anwendung  des  Sulfonals  zufrieden.  Er  hat 
häufig  schon   1,0  wirksam  gefunden. 

Herr  S^glas  hat  nur  ein  einziges  Mal 
Sulfonal  bei  Melancholie  versucht,  um  mit 
den  Schlafmitteln  abzuwechseln.  Dabei  hat 
er    keinen  Erfolg  gehabt,    während  Morphin 


schnell  Schlaf  herbeiführte.  Ausserdem  hat 
er  unangenehme  Schwindel  zustände  nach  Sul- 
fonal beobachtet. 

(Annähe  nUd.  peycholog,  1889  No,  2,)  R, 

Societe  de  Biologie  (Paris). 
(Sitzung  vom  4.  Mai  1889,) 

Herr  Dr.  Lemoine  (Lille):  Ueber 
Pyrodin. 
Vortr.  hält  das  Pyrodin  für  ein  wirk- 
sames Antipyreticum,  das  er  besonders  bei 
Tuberculosen  mit  gutem  Erfolge  angewandt 
hat.  In  Gaben  von  0,05  setzt  P.  die  Tem- 
peratur rasch  herab.  Dieselbe  fällt  nach 
kaum  einer  Stunde  um  1  bis  l^a  Grad.  Es 
'genügt,  den  fiebernden  Phthisikern  diese 
Dosis  nur  einmal  täglich  zu  reichen,  wenn 
ihre  Temperatur  in  den  Grenzen  von  37,0 
bis  37^  erhalten  bleiben  soll.  Auch  nach 
dem  Aussetzen  des  Mittels  pflegt  als- 
dann die  Körperwärme  noch  mehrere  Tage 
normal  zu  bleiben.  —  Ausserdem  besitzt 
das  Pyrodin  noch  eine  schmerzstillende 
"Wirkung.  Die  Neuralgien,  die  Schulter- 
schmerzen, die  Magenbeschwerden  (welche 
bei  Tuberculosen  so  häufig  vorkommen), 
schwinden  schnell.  Die  N ach tsch weisse  wer- 
den günstig  beeinflusst,  der  Schlaf  wird  ruhig 
und  fest.  Migräne  wird  durch  Pyrodin 
schneller  coupirt  als  durch  Antipyrin.  — 
In  stärkeren  Dosen  ist  Pyrodin  toxisch,  und 
L.  räth  nicht  höher  zu  gehen  als  bis  zu 
0,1  —  0,15  an  einem  Tage.  Mit  0,25  treten 
bedenkliche  Symptome  ein,  ähnlich  wie  bei 
Antipyrin  Vergiftung:  Cyanose  des  Gesichts 
und  der  Extremitäten-,  Kälte  des  ganzen 
Körpers ,  Temperaturherabsetzung ,  starke 
Schweisse  und  CoUaps.  Manche  Individuen 
sind  dem  Mittel  gegenüber  äusserst  empfind- 
lich, daher  Vorsicht  bei  seiner  Anwendung! 

(La  Semaine  mid.  1889  No.  19.)  R, 

Societe  de  Chirurgie  (Paris). 
{Sitzung  vom  8,  Mai  1889,) 

HerrMonod:  Ueber  Gangrän  der  Finger 
durch  Carbollösungen. 

M.  demonstrirt  den  Wachsabguss  eines 
brandigen  Fingers  von  einer  Frau,  die  ihren 
Finger  zu  lange  in  einer  sehr  concentrirten 
Garbo Isäurelösung  gelassen  hatte.  Die  gan- 
gränöse Partie  zeigt  eine  schwarze  Ver- 
färbung. 

Kirmisson,  Terrier,  Qu^nu,  Nicaise 
und  Le  Den  tu  berichten  über  ähnliche 
unangenehme  Erfahrungen. 


(Le  Progres  med,  No.  19  1889,) 


R. 


53* 


420 


Therapeutiiche  MitthaUungen  aus  Vereinen. 


L  Monatshefte. 


Academie  de  Medecine  (Paris). 
(Sitzung  am  14,  und  21.  Mai  1889.) 

Herr  Worms:  üeber  Diabetes  mit  laog- 
samem  Verlauf  imd  seine  Behand- 
lung, 
Die  oben  erwähnte  Form  des  Diabetes 
ist  die  am  häufigsten  Yorkommende.  W.  be- 
richtet über  41  derartige  Fälle,  die  er  in 
den  letzten  25  Jahren  genau  beobachtet  hat. 
12  davon  sind  20 — 12  Jahre  nach  der  ersten 
Constatirung  des  Diabetes  an  verschieden en 
Zwischenföllen  zu  Grunde  gegangen.  Von 
den  29  noch  Lebenden  leiden  19  Personen 
an  Diabetes  seit  25,  18,  16,  14,  13  und 
12  Jahren.  Von  den  Theorien,  die  bezüg- 
lich der  Pathogenese  des  Leidens  gegen- 
wärtig bekannt  sind,  findet  nach  W.  keine 
einzige  ihre  Bestätigung  in  der  klinischen 
Beobachtung.  Es  handelt  sich  um  ein  ge- 
wissermassen  personliches ,  proteusartiges 
Uebel,  das  aus  einer  Menge  der  verschie- 
densten Ursachen  hervorgehen  kann.  Man 
soll  niemals  den  diabetischen  Menschen  mit 
einem  Thiere,  das  im  Laboratorium  künstlich 
diabetisch  gemacht  worden,  in  Vergleich 
bringen.  —  Durst,  Polyurie,  Abmagerung, 
Alteration  der  Zähne  fehlen  oft  während 
der  ganzen  Dauer  der  Krankheit;  diese 
Symptome  sind  also  nicht  charakteristisch. 
—  Die  Unterscheidung  zwischen  chemischer 
Glykosurie  und  Diabetes  mellitus  ist  nicht 
gerechtfertigt.  Häufige  Urinuntersuchungen 
zeigten  eigen thümliche  Schwankungen  des 
Zuckergehaltes.  Man  findet  zuweilen  50  g 
am  Morgen,  5  g  Abends  und  am  folgenden 
Tage  15  g.  —  Die '  Behandlung  hat  in 
erster  Linie  die  Aufgabe,  für  die  Erhaltung 
der  Korperkräfte  und  für  die  Integrität  der 
Verdauungsorgane  zu  sorgen.  Eine  grosse 
Rolle  spielt  auch  die  innere  Ruhe  (le  calme 
morale).  Kächstdem  kommt  der  Diät  eine 
hervorragende  Bedeutung  zu.  Die  Mineral- 
wässer von  Vals,  Bourboule,  Royat, 
Vittel  etc.,  sowie  die  Hydrotherapie  leisten 
zuweilen  grosse  Dienste.  —  Was  die  soge- 
nannten antidiabetischen  Medicamente  betrifft, 
so  sollen  nur  diejenigen  in  Anwendung 
kommen,    die   auch  lange  vertragen  werden. 


Mit  Chininum  sulfuricum  in  Tages- 
dosen von  0,2 — 0,3  hat  W.  gute  Resultate 
erzielt.  Arsen  und  Opium  sind  gleich- 
falls gute  Mittel,  doch  müssen  sie  zu  oft 
ausgesetzt  werden  und,  was  gewonnen,  ist 
schnell  wieder  verloren.  —  Antipyrin  setzt 
schnell  die  Zuckermenge  herab,  aber,  abge- 
sehen davon,  dass  es  die  Verdauungsorgane 
beeinträchtigt,  verursacht  es  Albuminurie  und 
erzeugt  so  eine  Gefahr,  die  grosser  ist  als 
diejenige,  die  es  bekämpfen  soll.  Brom- 
kalium hat  nur  ungünstige  Wirkungen  her- 
vorgebracht. 

Herr  Duj  ardin -Beaumetz  macht  einen 
Unterschied  zwischen  Glykosurie  als  Symptom 
und  Diabetes  als  Krankheit.  Letzterer 
bietet  3  Formen  dar:  eine  gutartige  und 
leichte  Form,  ferner  eine  langsame  und 
mittlere  und  schliesslich  eine  schwere 
Form.  Die  Prognose  richtet  sich  nicht 
nach  der  täglich  ausgeschiedenen  Zucker- 
menge, sondern  nach  den  Erfolgen  der  ein- 
geführten Nahrung.  Auf  letztere  ist  die 
grosste  Rücksicht  zu  nehmen.  Vortr.  ver- 
bietet die  Milch,  erlaubt  für  jede  Mahlzeit 
100  g  mit  Wasser  zubereitete  Kartoffeln. 
Er  gestattet  ferner  Soya-Brod,  fette  Speisen 
und  gesalzenes  Fleisch.  Die  Getränke 
süsst  er  mit  Saccharin  (bis  0,10  als  höchste 
Tagesdosis).  Kaffee  und  Thee  sollen  die 
alkoholischen  Getränke  ersetzen.  Zu  dieser 
Diät  fügt  er  noch  Arzneimittel,  die  auf  die 
Medulla  wirken  (Kai.  bromat.,  Exalgin, 
Antipyrin).  Auch  die  Muskelübungen  sind 
von  grossem  Nutzen. 

Herr  G.  S6e:  Der  Urin  enthält  bereits 
im  normalen  Zustande  Zucker.  Von  der 
normalen,  permanenten  Glykosurie  zum 
Diabetes  ist  nur  ein  Schritt,  und  dieser 
Schritt  ist  gethan,  sobald  die  Lebercircula- 
tion  durch  das  vasomotorische  System  der 
Leber  oder  unter  dem  Einfluss  einer  Reizung 
des  verlängerten  Marks  oder  anderer  nervöser 
Centren  alterirt  ist.  Daher  muss  das  Nerven- 
system behandelt  werden  und  man  nützt, 
indem  man  Antipyrin  verabreicht. 

Herr  A.  Robin  tritt  der  Anschauung  des 
Vorredners  bei. 

(L«  Progr^t  mdd.  No.  20  vnd  21  1889.)  IL 


Referate. 


Zur  Behandlung  der  Lungenphthise  durch  Creosot. 
Von  Beverley  Robinson. 

Den  Mechanismus  der  Wirkung  des  Creo- 
sot sucht  R.  nicht   in    seiner   local   antisep- 


tischen Wirksamkeit,  denn  das  Medicament 
vermag  in  einer  1  :  1000  Lösung  nicht  den 
Tuberkelbacillus  zu  zerstören,  sondern  in 
seiner    die   Bildung   von  Narbengewebe    be- 


m.  Jahrgang  1 
September  1889.J 


Referat«. 


421 


fördernden  Wirkung.  Gleichzeitig  scheint 
das  Medicament  —  wie,  weiss  Verf.  aller- 
dings nicht  anzugeben  —  das  Allgemein- 
befinden zu  heben.  Allerdings  muss  man 
fiich,  um  einigermaassen  sichere  Erfolge  zu 
erzielen,  der  reinen  von  Morson,  oder  Ton 
Merk  dargestellten  Präparate  bedienen.  Im 
Allgemeinen  rath  Verf.  häufige,  aber  kleine 
Dosen  zu  appliciren.  —  Am  meisten  hat  sich 
die  Combi nirte  interne  wie  die  äussere  externe, 
mittelst  Inhalation  erfolgende  Application 
des  Medicamentes  bewährt.  —  Im  Allge- 
meinen hat  auch  Yerf.  den  Eindruck  ge- 
wonnen, dass  das  Medicament  in  der  The- 
rapie der  Phthisis  pulmonum  yon  ausseror- 
dentlicher Wirksamkeit  ist.  —  Nicht  nur 
die  örtlichen  Symptome  lassen  unter  seiner 
Anwendung  nach,  sondern  auch  das  Allge- 
meinbefinden bessert  sich,  die  Nachtschweisse 
hören  auf,  und  das  Körpergewicht  nimmt 
erheblich  zu.  Giebt  man  das  Medicament 
in  nicht  zu  hohen  Dosen,  so  macht  es  nach 
den  Tom  Verf.  beobachteten  Fällen  auch 
keinerlei  Magenbeschwerden.  Die  Beobach- 
tungen Verf. 's  bilden  somit  eine  vollkom- 
mene Bestätigung  der  yon  deutschen  Autoren 
gemachten  Angaben. 

{Americ  Jaum,  of  Mtdical  Sciences ;  Occidental  Med. 
Times,  1889  Mai,)  Lohnstein. 

(Au  der  ddrarglachen  Abtheilang  des  Primararztes 
Dr.  F.  Schopf  Im  Bezlrkskrankenhanse   za  Sechshaas.) 

Zur  Therapie  der  Localtuberculose  mit  Perubal- 
sam.  Von  Dr.  St.  v.  VÄmossy,  Secundar- 
arzt  I.  Gl.  an  der  geDannten  Abuieilimg. 

Bekanntlich  haben  tuberculöse  Heerde 
wenig  Neigung  zu  vernarben,  sondern  zeigen 
vielmehr  in  den  weitaus  meisten  Fällen 
einen  progredienten  Charakter,  werden  zu 
fistulösen  Geschwüreu,  chron.  Abscessen, 
Cavernen  u.  s.  w.  Der  Grund  dieser  Eigen- 
thümlichkeit  ist  nach  Lau  der  er  ^s  Ansicht 
in  der  überaus  geringen  entzündlichen  Reac- 
tion  in  und  um  tuberculöse  Heerde  zu  su- 
chen, welche  doch  wohl  als  ein  zur  Beseiti- 
gung der  schädlichen  Einwirkung  des  Ent- 
zündungserregers dienender,  zweckmässiger 
Vorgang,  also  gewissermassen  als  eine  Ab- 
wehr der  Natur  gegen  die  dem  Organismus 
feindlichen  Elemente  erblickt  werden  muss. 
Da  nun  genügende  Thatsachen  bekannt  sind, 
wie  die  Fälle,  in  denen  ein  Erysipel  über 
einen  Lupus  hinweggeht  oder  in  denen  ein 
torpides  Geschwür  oder  eine  schwach  gra- 
nulirende  Wunde  von  einem  Erysipel  ergrif- 
fen wird,  Fälle,  welche  beweisen,  dass 
durch  Anfachen  einer  Entzündung  torpide, 
schwer  heilende  Ulcerationen  zur  raschen 
Vemarbung  gebracht  werden  können,  so  er- 
gab   sich    aus    naheliegender  Analogie   auch 


für  die  tuberculösen  Processe  die  Aufgabe, 
diese  mit  einer  Narbe  abschliessende  Ent- 
zündung künstlich  herbeizuführen. 

Gemäss  diesen  Anschauungen  Lande- 
rer's  und  angeregt  durch  dessen  Empfeh- 
lungen des  Perubalsam  als  Heilmittel  gegen 
tuberculöse  Processe,  wendete  Dr.  Schopf 
ai^f  seiner  Abtheilung  denselben  zuerst  bei 
leichteren  tuberculösen  Haut-  und  Drüsen- 
erkrankungen, und  als  er  sich  hier  bewährte, 
bei  den  tuberculösen  Knochen-  und  Gelenk- 
erkrankungen  an. 

Das  Versuchsmaterial  beläuft  sich  vor- 
läufig nur  auf  28  Fälle.  Wenn  die  Zahl 
auch  zu  gering  ist,  um  aus  derselben  ein 
Ürtheil  über  den  Erfolg  der  Anwendung  des 
Perubalsam  bei  tuberculösen  Processen  zu 
gewinnen,  so  reicht  sie  dennoch  hin,  um  auf 
Einiges  aufmerksam  zu  machen. 

Zur  Anwendung  kam  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  die  Form  der  Perubalsamgaze. 
Letztere  wird  einfach  so  bereitet,  dass  ste- 
rilisirter  Gazestoff  in  Perubalsam  getaucht, 
ausgewunden  und  trocknen  gelassen  wird. 
Dann  wurde  verwendet  das  Perubalsam- 
pflaster und  die  Perubalsamemulsion,  letz- 
tere nur  zu  Injectionen  in  tuberculöse  Drü- 
sen. Da  aus  der  Emulsion  nach  dem  Re- 
cepte  Landerer's  der  Perubalsam  sich  nach 
kurzem  Stehen  zu  Boden  setzt,  so  wurde 
dasselbe,  um  eine  dauernde  Emulsion  zu 
gewinnen,  so  modificirt:  Bals.  peruv.  1,0 
Pulv.  gumm.  arab.,  Ol.  amygdal.  aa  3,0 
Aq.  dest.  100,0,  Natr.  chlorat.  0,7.  Selbst- 
verständlich wurde  strengste  Antisepsis  beob- 
achtet, ausgekratzte  Höhlen  wurden  zuerst 
mit  Carbol  oder  Sublimat  gründlich  desin- 
ficirt  und  dann  mit  der  Gaze  ausgestopft. 
Dauerverbände  kamen  in  einzelnen  Fällen 
auch  zur  Anwendung  und  wurde  hierbei  die 
Wunde  mit  3 — 4facher  Lage  Perubalsamgaze 
bedeckt. 

Aus  den  für  sämmtliche  Fälle  mitgetheil- 
ten  Krankengeschichten  geht  hervor,  dass 
der  Perubalsam  sich  ausnahmslos  von  gün- 
stigem Einfluss  auf  die  Wunden  und  Ge- 
schwürsflächen gezeigt  hat.  Die  tubercu- 
lösen Geschwüre,  Drüsen-  und  Knochener- 
krankungen heilen  in  verhältnissmässig  kur- 
zer Zeit.  Die  Wundheilung  geht  unter  leb- 
hafter Granulation  und  minimaler  Secretion 
vor  sich,  allerdings  nachdem  in  den  meisten 
Fällen  das  Krankhafte  erst  gründlich  ent- 
fernt war. 

Obwohl  L  anderer  dem  Perubalsam  zum 
Unterschiede  von  Jod,  Sublimat  u.  s.  w.  jede 
Fem  Wirkung  abspricht,  kam  es  doch  in 
4  Fällen,  und  zwar  waren  dies  3  Fälle,  in 
denen  der  Perubalsam  mit  grossen  Flächen 
in  Berührung  kam  und   einer,    in    dem    der 


422 


Reftmte. 


[TherapentiMlie 
Monatobefte. 


Verband  zu  oft  gewechselt  werden  musste, 
zu  einer  entzündlichen  Reizung  des  Harn- 
apparates, also  zu  augenscheinlicher  Resorp- 
tion. Es  mahnen  diese  Fälle  jedenfalls  zur 
Vorsicht.  Eine  bräunliche  Verfärbung  des 
Urins  ist  das  erste  Zeichen,  dass  Perubalsam 
in  grösserer  Menge  in  den  Blutkreislauf  ge- 
langt ist. 
(Wiener  medicin.  Presse  t889,  No,  17  u,  folg.) 

G.  Peters  {Berlin). 

Ueber   die   antibacilläre  Kraft   des  Perubalsams. 
Von  W.  Bräutigam  und  E.  Nowack. 

Landerer^s  überraschende  Erfolge  der 
Behandlung  tuberculoser  Processe  mit  Peru- 
balsam regten  die  Verf.  an,  durch  eine 
Reihe  von  Versuchen  festzustellen,  welche 
"Wirkung  verschiedene  Concentrationen  von 
Perubalsam  gegen  Reinculturen  von  Mikroor- 
ganismen ausüben. 

Nach  genauer  Prüfung  der  Echtheit  des 
Präparates  wurde  eine  SSVa^/oige  Mutter- 
emulsion bereitet,  deren  einzelne  Xügelchen 
mikroskopisch  betrachtet  die  Grosse  eines 
Blutkörperchens  nicht  übertrafen.  Nach  Neu- 
tralisation und  Sterilisirung  vertheilte  man 
sie  in  Reagenzgläser  mit  je  5  g  einer  schwach 
alkalisch  reagirenden,  sterilisirten,  noch 
heiss-flüssigen  Nährgelatine  derart,  dass  eine 
Stufenfolge  von  2,  4,  6,  8  und  10^/oiger 
Perubalsamgelatine  entstand.  Tüchtig  ge- 
schüttelt und  auf  Eis  rasch  zum  Erstarren 
gebracht,  standen  die  Gläser  zum  Impfen 
bereit.  Die  Culturen,  die  zur  Verwerthung 
gelangten,  waren:  1.  grüner  Eiter,  2.  Milz- 
brand, 3.  Cholera,  4,  rother  Kieler,  5.  Sub- 
til is. 

Hierbei  zeigte  es  sich  nun: 

1.  dass  reiner  Perubalsam  Mikroorganis- 
men binnen  24  Stunden  zu  vernichten  ver- 
mag; 

2.  dass  er  in  Emulsion  bis  zu  einer 
Concentration  von  20%  jeder  speciüschen 
"Wirkung  auf  Entwicklung  und  Wachsthum 
jener  Culturen  entbehrt  und 

3.  dass  die  therapeutische  Wirkung  der 
intravenösen  und  intrapulmonalen  Injectionen 
von  Perubalsam  nicht  auf  eine  antibacilläre 
Kraft  dieses  Mittels  zurückgeführt  werden 
darf,  vielmehr  die  erzielten  günstigen  Er- 
folge in  einer  durch  die  Emulsion  angereg- 
ten aseptischen  Entzündung  (Landerer) 
beruhen,  oder  aber  in  der  Vernichtung  ge- 
wisser Ptomainewirkungen,  so  zwar,  dass 
das  umgebende  Gewebe  trotz  der  Eindring- 
linge lebenskräftiger  bliebe,  und  während 
sonst  die  angrenzenden  Zellen,  durch  jene 
Ptomai'ne  geschwächt,  für  jede  erneute  Aus- 
saat von  Mikroorganismen  einen  gut  vorbe- 
reiteten Nährboden    abgeben,    nunmehr    der 


unverletzte  Körper  rascher  und  kräftiger 
die  Abwehr  einzuleiten  vermag.  Damit 
würde  vor  Allem  auch  die  gerühmte  und 
von  uns  selbst  beobachtete  günstige  Beein- 
flussung des  Allgemein  beündens  erklärt 
werden. 

{Centralbl  f.  klinische  Median  1889,  No.  24.) 

G.  Peters  {Berlin). 

lieber  die  Anwendung  des  Natrium  salicylicum 
bei  Rippenfellentzündung.  Von  Dr.  Leopold 
Herz. 

Das  zufällige  Nebeneinanderliegen  einer 
acuten  Rippenfellentzündung  mit  einem  Rheu- 
matismus-Kranken bewog  den  Verf.,  einen 
Heilversuch  mit  Natrium  salicylicum  zu 
machen.  Der  Erfolg  war  ein  so  überraschend 
günstiger,  dass  in  den  folgenden  Pleuritis- 
fällen dasselbe  Mittel  wiederholt  wurde. 
Das  Beobachtungsmaterial  ist  nicht  gross, 
da  Verf.  nur  über  3  Fälle  verfügt.  Die 
Wirkung  des  salicylsauren  Natriums  war 
aber  in  jeder  Richtung  befriedigend.  Die 
Patienten  erhielten  um  4  Uhr  Nachmittags 
6,0  in  Lösung,  mit  der  Weisung,  die  Me- 
dicin  in  3  Stunden  zu  verbrauchen.  Das 
Mittel  wurde  in  dieser  Weise  3  Tage  ge- 
reicht, coupirte  alsbald  die  Schmerzen  und 
brachte  Fieber  und  Reibungsgeräusch  zum 
Schwinden. 

{Wien.  med.  Wochenschr.  1889,  No.  28.)  R. 

Zur  Behandlung  gewisser  Formen  chronischer 
Urämie  durch  Morphin.  Von  Stephen 
Makenzie. 

Im  Gegensatz  zu  anderen  Autoren 
hat  Verf.  durch  Anwendung  des  Mor- 
phins wesentliche  Besserung  in  mehreren 
Fällen  von  Urämie  erzielt.  In  einem 
dieser  Fälle  handelte  es  sich  um  eine 
38jährige  Patientin,  welche  seit  mehreren 
Jahren  an  den  Symptomen  einer  schweren 
chronischen  Nephritis  litt.  Gelegentlich 
eines  schweren  urämischen  Anfalles  mit 
ausserordentlich  intensiver  psychischer  Er- 
regung, bei  der  sich  die  Anwendung  von  Amyl- 
nitrit,  Alkohol,  Aether  etc.  vollkommen 
nutzlos  erwiesen  hatte,  wich  nach  einer 
subcutanen  Injection  von  0,01  Morph, 
muriaticum  sofort  die  beängstigende  Dyspnoe, 
der  vorher  rapide  Puls  nahm  an  Schnellig- 
keit ab.  Auch  bei  späteren  Anfällen  der 
Patientin  bewährte  sich  das  Medicament 
stets  in  derselben  Weise.  —  In  einem  an- 
deren Falle,  in  welchem  eine  gleichfalls  an 
chronischem  Morbus  Brightii  leidende  Patien- 
tin durch  urämische  Symptome:  Kopf- 
schmerzen, Erbrechen,  Herzklopfen,  Athem- 
noth  etc.  gequält  wurde,  leistete  das  Morphin 
gleichfalls    gute   Dienste,    nachdem  Chloral, 


ni.  Jahrgang,  l 
September  1889  J 


IteformM. 


423 


Nitroglycerin  etc.  ohne  jeden  Erfolg  in  An- 
wendung gebracht  worden  waren.  Ebenso 
bewährte  sich  das  Morphin  in  anderen  Fällen 
von  Urämie  stets;  beängstigende  Nebener- 
scheinungen, wie  Herzschwäche,  wurden  nicht 
beobachtet.  —  Wahrscheinlich  wirkt  das 
Morphin  in  der  Weise,  dass  es  den  Spasmus 
der  Gefasse,  welcher  durch  die  urämische 
Intoxication  entsteht,  löst  und  der  Gehirn- 
anämie entgegenarbeitet. 

(Therapeutie.  Gae§tU  Juni  1889.) 

H.  LohnsUin  {Berlin). 

Ueber  Anhäufung  von  Bromkali  Im  Organismus 
nach  längerem  Gebrauche  des  Medicaments. 
Von  Maurice  Doyon. 

Aus     der    bereits    mehrfach    an  Hunden 
beobachteten  Erscheinung,  dass  nach  Appli- 
cation   Ton    Kai.  bromat.    nicht    die    ganze 
Menge    des    eingeführten  Medicamentes  aus- 
geschieden, sondern  ein  gewisser,  wenn  auch 
kleiner    Bruch th eil    im   Organismus    zurück- 
gehalten wird,  sucht  D.  auch  beim  Menschen 
gewisse     Intoxicationserscheinungen      herzu- 
leiten,  die  er  bei  Patienten,   welche  längere 
Zeit    hindurch  Bromkali    in    grossen   Dosen 
erhalten  hatten,  beobachtet  hat.  —  In  einer 
dieser  Beobachtungen    hatte    ein   12 jähriges 
Mädchen  über  ein  Jahr  lang  Tagesdosen  you 
3 — 6  g  gegen  schwere  Epilepsie  erhalten.  — 
Gelegentlich     eines     Scharlachfiebers    wurde 
die  Patientin  von  tiefer  Somnolenz  befallen, 
so  dass  man,  in  der  Annahme,  die  Bromkali- 
Application      hätte      dieselbe      verschuldet, 
letztere    aussetzte.     Sehr    bald  musste  man 
sie  jedoch  wieder  aufnehmen,    da  sich  nach 
dem   Aussetzen    unmittelbar    heftige   mania- 
kaliscbe   Anfälle    einstellten.     Wenige  Tage 
darauf  Exitus  letalis,  nachdem  die  Patientin 
in    den    letzten   Tagen    noch    heftige   Stick- 
hustenanfälle   mit    Dyspnoe,     Cyanose    etc. 
dargeboten     hatte.    —    Die    Autopsie    ergab 
nichts    besonders   Charakteristisches,    jedoch 
zeigte    sich    nach    der    chemischen   Analyse 
der  etwas  festen  Gehirnmasse,  dass  in  dem- 
selben   nicht    weniger    als  2  g,    und  in  der 
Leber    etwa    0,7  g    Kai.   bromat.    enthalten 
war.    —   Auf    diese    Anhäufung    von   Brom- 
kali besonders  im  Centralnervensystem  sucht 
D.    die    beobachtete  Somnolenz,    sowie    die 
Dyspnoeannille     zurückzuführen    und    warnt 
vor    längerer  Application   des  Medicamentes 
in  hohen  Dosen. 

{Therapeuiie,  Oatette  15.  Mai  1889.) 

H.  Lohnstein  {Berlin). 

Ueber  Phosphorbehandlung  der  Rachitis  (ans  dem 
Kinderspitale  des  Prinzen  von  Oldenburg  in 
Petersburg).    Von  Anna  Schab anowa. 

Jedes  neue  zur  Behandlung  der  Rachitis 
empfohlene  Mittel  ist  stets  theils  mit  über- 


grossem Enthusiasmus,  theils  mit  ebensolchem 
Skepticismus  angesehen  worden.  Ebenso 
erging  es  auch  dem  von  H.  Kassowitz 
empfohlenen  Phosphor.  Während  die  Einen 
denselben  als  Specificum  gegen  die  englische 
Krankheit  feierten,  hatten  Andere  nur  über 
ungünstige  Resultate  zu  berichten.  Seh. 
unternahm  es  daher,  die  Wirksamkeit  des 
Phosphors  in  der  Behandlung  der  Rachitis 
zum  Gegenstand  ausführlicher  Untersuchun- 
gen zu  machen. 

Die  Beobachtungen  wurden  an  105  Kin- 
dern angestellt,  die  zum  allergrossten  Theile 
ambulant  und  poliklinisch  behandelt  wurden. 
Das    Alter    derselben    schwankte    zwischen 

1  Monat  und  5  Jahren.  Der  Phosphor 
wurde  nach  der  Vorschrift  von  Kassowitz 
in  Dosen  von  0,01  auf  100,0  Oel  gegeben. 
Man  verwandte  theils  Oleum  provinciale, 
theils  Oleum  amygdalarum  dulcium,  theils 
Leberthran.  Doch  wurde  der  letztere  meist 
weniger  gut  ertragen.  Bei  Kindern,  welche 
an  Durchföllen  litten,  wurde  das  Mittel  auch 
in  einer  Emulsion  verabreicht.  Neben  dieser 
Phosphorbehandlung  wurden  meist  noch 
Salzbäder  angeordnet,  selbstverständlich 
auch  nahrhafte  Diät  und  sonstige  hygienische 
Maassnahm^n.  Im  Allgemeinen  waren  die 
Erfolge  dieser  Behandlung  folgende.  Vor- 
zügliche Resultate  wurden  erzielt  bei  6  Kin- 
dern im  Alter  von  1 — 2  Jahren;  gute  in 
10  Fällen  bis  zu  1   Jahr,    in  18  von   1   bis 

2  Jahren,  in  2  von  2 — 3  Jahren,  in  einem 
Falle    bei    einem    Kinde     zwischen     3    und 

4  Jahren  und  in  einem  bei  einem  anderen 
Kinde  zwischen  4  und  5  Jahren.  Ziemlich 
gut    war    der    Erfolg    in    7   Fällen    bis    zu 

1  Jahr,  in  23  von  1—2  Jahren,  in  5  von 
2 — 3  Jahren,    schliesslich    in    4  von  4  bis 

5  Jahren.  Gering  war  die  Besserung  in 
7  Fällen    bis    zu    1  Jahre,    in  9  von  1  bis 

2  Jahren,  in  6  von  2 — 3  Jahren  und  in 
einem  Falle  von  3 — 4  Jahren.  In  6  Fällen 
wurde  eine  Verschlimmerung  constatirt. 

In  den  meisten  Fällen  konnte  man 
während  der  Dauer  der  Behandlung  eine 
Zunahme  des  Körpergewichtes  und  der 
Körperlänge  constatiren,  ohne  dass  aber  stets 
hiermit  eine  Zunahme  der  allgemeinen  Er- 
nährung und  eine  Besserung  der  Krankheits- 
erscheinungen einherging,  und  umgekehrt. 
Die  Craniotabes  und  die  Erscheinungen  an 
den  Fontanellen  und  Nähten  des  Schädels 
besserten  sich  meist  erst  nach  3  — 6 monat- 
licher Behandlung.  In  derselben  Zeit  zeigten 
sich  auch  meist  eine  Zunahme  des  Thorax- 
umfanges  und  eine  Abnahme  der  Rosenkranz- 
schwellungen. Die  Epiphysen Schwellungen 
wurden  nur  in  etwas  über  die  Hälfte  der 
in  Betracht  kommenden  Fälle  günstig  beein- 


424 


R«fiirmtab 


rrberapaotfiAt 
L  MonatabaAai 


t   1 


fluBst.  Geschah  dies,  so  war  auch  der 
günstige  Einfluss  auf  die  Function  der  Ex- 
tremitäten unverkennbar.  Was  den  Durch- 
bruch der  Zähne  anlangt,  so  war  auf  ihn 
die  Phosphorbehandlung  fast  stets  yon 
günstiger  Wirkung.  Dazu  kommt  noch, 
dass  die  oft  recht  unangenehmen  Begleit- 
symptome des  Zahnens  bei  Phosphordarrei- 
chung in  vielen  Fällen  gemildert  auftraten. 
In  anderen  Fällen  dagegen  konnte  ein 
günstiger  Einfluss  nicht  constatirt  werden. 
Besonders  vorzüglich  ist  die  Wirkung  des 
Phosphors  auf  die  nervösen  Erscheinungen. 
Laryngospasmus  schwand  in  allen  Fällen, 
in  denen  die  Behandlung  constant  durch- 
geführt wurde  binnen  verhältnissmässig 
kurzer  Zeit.  Ebenso  gut  war  die  Einwir- 
kung des  Mittels  auf  allgemeine  Convulsionen, 
Hyperästhesien,  Schlaflosigkeit  und  Reiz- 
barkeit. 

In  einem  Falle,  der  mit  Enuresis  nocturna 
complicirt  war,  schwand  diese  Complication 
nach  4  monatlicher  Behandlung.  Auch  das 
Sprachvermögen  scheint  sich  durch  Phosphor- 
darreichung zu  heben.  Die  Wirkung  des 
Mittels  auf  die  Verdauung  ist  ebenfalls 
in  der  Mehrzahl  der  Fälle  eine  günstige 
zu  nennen.  So  verschwanden  oft  Dyspepsie, 
Verstopfung  und  Meteorismus  binnen  kurzer 
Zeit.  Allerdings  sind  auch  einige  Fälle  zu 
verzeichnen,  in  denen  sich  stets  nach  dem 
Einnehmen  des  Mittels  dyspeptische  Erschei- 
nungen zeigten.  Doch  zählen  diese  Vor- 
kommnisse zu  den  Seltenheiten.  Es  ist 
nach  alledem  nur  rathsam,  in  einem  jeden 
Falle  von  Rachitis  die  Phosphorbehandlung 
anzuwenden,  ganz  besonders  aber  dann, 
wenn  es  sich  um  Störungen  in  der  nervösen 
Sphäre  handelt. 

{Jahrbuch  f.  Kinderheilhunde  und  phytUehe  Ermehung 
XXIX,  H^  3  u,  4.)  Carl  Rosmthal  {BerUn), 

Ein  Handgriff  zur  Unterdrückung  des  Stick- 
krampfs beim  Keuchhusten.  Von  Dr.  0. 
Naegeli  in  Ermatingen  (Autoreferat). 

Verf.  beleuchtet  zuerst  auf  Grund  der 
Verhandlungen  des  Congresses  für  innere 
Me'^icin  zu  Wiesbaden  vom  Jahre  1887  den 
Stand  der  Frage  bez.  Aetiologie,  Pathologie 
und  Therapie  des  Keuchhustens.  Er  geht 
von  der  Ansicht  aus,  Pertussis  sei  eine, 
durch  noch  nicht  entdeckten  Goccus  oder 
Bacill  erzeugte,  allgemeine  Infectionskrank- 
heit  mit  Localisation  im  Larynx,  charak- 
terisirt  durch  Reflexneurose  des  N.  laryn- 
geus  superior.  Ein  speciflsches  Mittel  gegen 
Keuchhusten  giebt  es  zur  Zeit  nicht.  Die  ganze 
Behandlung  ist  eine  symptomatische  und 
fast  immer  nur  gegen  die  prägnanteste  Er- 
scheinung, den  Stickkrampf,  gerichtet.     Die 


Localbehandlung  bezweckt  eine  Abstumpfung 
der  gereizten  Nervenendigungen  im  Larynx, 
die  Insufflationen  in  Nase  und  Rachen 
wirken  durch  Contrastimulus,  die  Nervina, 
Anästhetica  und  Narcotica  sind  alle  nur 
wirksam  durch  ihren  Einfluss  auf  den  hyper- 
ästhetischen Vagus. 

Wenn  man  den  Stickkrampf  beseitigen 
könnte,  wäre  die  Macht  der  Krankheit  ge- 
brochen, denn  jeder  Hustenanfall  ist  ein 
Insult  für  die  Kehlkopfschleimhaut  und  der- 
selbe legt  jedesmal  wieder  den  Grund  zu 
einem  folgenden  Paroxysmus. 

Das  Charakteristische  des  Anfalles  selbst 
ist  der  völlige  Verschluss  der  Luftwege, 
der  Glottiskrampf,  deshalb  die  grosse  Aehn- 
lichkeit  eines  keuchhustenden  Kindes  mit 
einem  Asphyk tischen. 

Im  Mai  d.  J.  wurden  zwei  Kinder  des 
Verf.  im  Alter  von  4  und  7  Jahren  von 
Keuchhusten  befallen  und  boten  Gelegen- 
heit zu  täglicher  Beobachtung  und  Behand- 
lung. 

Im  Gedanken  an  die  Aehnlichkeit  mit 
Asphyxie  in  der  Narkose  und  gestützt  auf 
die  experimentellen  Studien  Kappeler^s, 
wurden  beim  Stickkrampf  Versuche  gemacht 
zuerst  mit  dem  Howard-Heiberg^schen 
Handgriff.  Derselbe  ist  dahin  modificirt 
worden,  dasö  der  Unterkiefer  nicht  nur  vor- 
geschoben, sondern  zugleich  kräftig  herab- 
gedrückt vrurde.  Der  Erfolg  war  ein  ecla- 
tanter.  Nachdem  die  Lüftung  des  Kiefers 
perfect  war,  hörte  der  Husten  sofort  auf. 
Die  Krankheit  der  Kinder  dauerte  circa 
5  Wochen,  und  während  dieser  Zeit  vnirde 
das  Experiment  Tag  und  Nacht  wenigstens 
500  Mid  ausgeführt.  Durch  die  Praxis 
modiflcirte  sich  das  Verfahren  allmählich  in 
folgender  Weise: 

1.   Handgriff  von  vorn. 

Mit  den  beiden  halbgebogenen  Zeige-  und 
Mittelfingern  wird  der  aufsteigende  Ast  des 
Unterkiefers  vor  dem  Ohr  fest  gefasst,  die 
Daumen  werden  aufs  Kinn  gesetzt  und  mit 
kräftigem  und  doch  sanftem  Zug  und  Druck 
schiebt  man  den  Unterkiefer  nach  vorn  und 
unten.  Ist  der  Mund  etwas  geöffnet,  so 
greifen  beide  Zeigefinger  in  der  Gegend  der 
Eckzähne  ein  und  fixiren  den  Kiefer. 

Ist  der  Mund  beim  Husten,  wie  es  ge- 
wöhnlich der  Fall  ist,  schon  etwas  geöffnet, 
so  fasst  man  gleich  von  Anfang  an  mit 
beiden  Daumen  oder  Zeigefingern  den  Kiefer 
an  besagter  Stelle  inwendig,  legt  die  übrigen 
Finger  am  Unterkieferkörper  auf  und 
vollführt  derart  den  Zug  nach  vorn  und 
unten. 

Die  einfachste,  im  späteren  Stadium  der 


in.  Jahrgang.  1 
September  1889.J 


Rafermta. 


425 


Krankheit  fast  einzig  noch  angewendete, 
Methode  bestand  darin,  dass  nur  der  Dau- 
men oder  Zeigefinger  einer  Hand  hinter  den 
vorderen,  unteren  Schneidezähnen  eingesetzt 
wurde,  während  die  übrigen  Finger  unter 
dem  Kinn  fassten  und,  ohne  Druck  auf  die 
Zähne  auszuüben,  den  Zug  in  oben  angege- 
bener WeSe  bewerkstelligten.  Die  andere 
Hand  Yollzieht,  auf  der  Stirn  des  Patienten 
liegend,  den  Gegendruck. 

2.  Handgriff  yon  hinten. 

Kehrt  Patient  uns  gerade  den  Rücken 
zu,  so  setzt  man  beide  Daumen  in  ihrer 
ganzen  Länge  an  den  aufsteigenden  ünter- 
kieferast,  legt  die  Zeigefinger  auf  den  Joch- 
bogen, die  übrigen  Finger  an's  Kinn  und 
schiebt  den  Unterkiefer  nach  vom  und  ab- 
wärts. Oder  die  Zeigefinger  greifen  unter 
den  Eckzähnen  in  den  Mund  und  helfen 
den  Zug  in  besagter  Weise  aufs  Schnellste 
ins  Werk  setzen.  Sobald  der  Kiefer  ge- 
lüftet ist,  fordert  man  das  Kind  auf,  tief 
zu  athmen;  thut  es  dies,  so  ist  man  ab- 
solut sicher,  dass  kein  Krampf  husten  mehr 
folgt. 

Der  Handgriff  ist  einfach,  von  jeder 
verständigen  Mutter  oder  Wärterin  leicht 
ausfuhrbar  und  völlig  schmerzlos. 

Die  Einwirkung  seines  Verfahrens  auf 
den  Stickkrampf  erklärt  sich  Verf.  einmal 
refiectorisch,  durch  Losen  des  Muskeltonus 
sowie  auch  mechanisch,  indem  durch  Heben 
des  Kehlkopfs  mit  dem  Zungenbein  der 
Kehldeckel,  vielleicht  auch  die  Rima  glot- 
tidis  geöffnet  wird. 

Bei  den  eigenen  Patienten  war  der  Er- 
folg stets  ein  absolut  sicherer,  so  dass  die 
Kinder  weder  zum  Brechen,  noch  zum  Ex- 
pectoriren  grosser  Schleimmassen  kamen  — 
ausser  wenn  Niemand  beim  Anfall  in  ihrer 
Nähe  war.  Ihre  Nachtruhe  wurde  nicht 
gestört,  denn  sie  schliefen  weiter,  während 
der  Handgriff  an  ihnen  ausgeführt  wurde. 

Die  ganze  Krankheit  konnte  durch  die 
betreffende  Behandlungsweise  allein  —  an- 
dere Medicamente  wurden  nicht  gereicht  — 
bedeutend  abgekürzt  werden.  Eine  Reihe 
von  Eltern,  die  dasselbe  Verfahren  bei  ihren 
Kindern  anwendeten,  hatten  dieselben  Er- 
folge. 

Krampfhafter  Husten  anderer  Entste- 
hungsursache konnte  durch  dieselbe  Mani- 
pulation auch  coupirt  werden.  Verf.  ge- 
langt zu  folgenden  Schlusssätzen: 

1.  Der  Keuchhusten  kann  durch  den 
Naegeli'scheu  Handgriff  sicher  und  sofort 
coupirt  werden. 

2.  Eltern,  Wärterinnen  und  ältere  Ge- 
schwister   sind    im  Stande, .  die    betreffende 


Procedur    jederzeit    mit  Leichtigkeit   auszu- 
fuhren. 

3.  Der  Handgriff  ist  für  die  Patienten 
weder  schmerzhaft  noch  lästig,  auch  kann 
er  niemals  nachtheilig  wirken,  jedoch 
räth  Verf.,  denselben  zu  unterlassen,  wenn 
der  Mund  des  Kindes  mit  Speisen  ange- 
füllt ist. 

4.  Das  regelmässige  Unterdrücken  der 
Anfälle  hat  einen  günstigen  Einfluss  auf 
den  Verlauf  und  die  Heilung  der  Krankheit 
überhaupt.  Es  wird  dadurch  den  Compli- 
cationen  vorgebeugt  und  so  die  Mortalität 
herabgedrückt  werden. 

5.  Durch  die  angegebene  Procedur  kann 
oftmals  auch  Krampf  husten ,  welcher  aus 
anderer  Ursache  entstanden  ist,  bedeutend 
erleichtert  und  abgekürzt  werden. 

{Corretpondetutbl  für  Schweiur  AerzU  1889  No.  14,) 

Ueber    Magenausspülungen     bei     sehr     jungen 
Kindern.    Von  Fan  eher. 

Bekanntlich  ist  Fauch  er  der  erste  ge- 
wesen, welcher  bei  Erwachsenen  Magenaus- 
spülungen in  grösserem  Umfange  angewandt 
hat.  Bei  Kindern  sind  diese  Ausspülungen 
zuerst  von  deutschen  Aerzten  empfohlen 
worden,  und  werden  neuerdings  auch  von 
Fauch  er  selbst  mit  bestem  Erfolge  bei 
selbst  ganz  jungen  Kindern  angewandt.  — 
Je  nach  dem  Alter  des  Kindes  hat  man 
nur  bei  den  Kleinen  die  Dimensionen  der 
Instrumente  entsprechend  zu  modificiren.  — 
Wenn  man  den  ganzen  Oberkörper  des 
Kindes  zusammen  mit  den  Armen  in  ein 
grosses  Tuch  einwickelt,  das  Kind  hierauf 
mit  etwas  vorgeneigtem  Kopf  (um  ein  et- 
waiges Eindringen  von  Fremdkörpern  in  den 
Pharynx  zu  verhindern)  aufrecht  von  einer 
Wärterin  vor  sich  hinsetzen  lässt,  kann  man 
ohne  besondere  Schwierigkeiten  den  Magen 
ausspülen.  —  Die  Rückenlage  während  der 
Auswaschung,  die  besonders  Ebstein  warm 
empfohlen  hat,  hat  sich  dem  Verf.  nicht 
besonders  bewährt.  —  In  einem  Falle,  in 
welchem  sich  am  27.  Tage  nach  der  Geburt 
bei  einem  Kinde  ein  schwerer  Gastro-In- 
testinalkatarrh  entw^ickelte,  wurde  das  Er- 
brechen bereits  am  3.  Tage  (nachdem  pro 
die  3  Auswaschungen  applicirt  worden  waren) 
gehemmt.  —  Wenige  Tage  später  verschwand 
auch  die  Diarrhoe  des  Kindes  vollkommen. 
Abgesehen  von  den  Ausspülungen  waren 
Medicamente  nicht  verabreicht  worden. 

( The  Journale/ the  American  Med.  Association  18,  V.  1889,) 

H.  Lohnstein  {Berlin), 

Die  Suspension  in  der  Behandlung  der  Rücken- 
marksleiden.   Von  Charles  Dana. 

Die  Beobachtungen  Verfs.  beziehen   sich 
auf  einige  Fälle  von  Tabes  dorsualis,  sowie 

54 


426 


Referate. 


Plierapentlsdie 
Monatshefte. 


Ton  anderen  Rückenmarksleiden,  insbeson- 
dere Friedreich' scher  Krankheit,  Paralysis 
agitans,  Myelitis  transversa,  Hemiplegie  und 
Neurasthenia  sexualis.  Im  Ganzen  wurden 
16  Fälle  behandelt.  Angewandt  wurde  für 
die  Suspension  der  Sayre'sche  Apparat. 
Gewöhnlich  wurde  3  —  4  mal  wöchentlich  die 
Suspension  ausgeführt.  Ihre  Dauer  betrug 
zunächst  ^a  Minute  und  wurde  bis  auf 
3  Minuten  Dauer  gesteigert.  —  Bei  Ataxie 
fühlten  sich  die  Patienten  gewöhnlich  nach 
der  Suspension  leichter  und  beweglicher  in 
den  Beinen  als  zuTor.  Mit  einer  Ausnahme 
Hessen  auch  die  Schmerzen  nach  Appli- 
cation der  Suspension  nach.  Die  an  Para- 
lysis  agitans  leidenden  Patienten  fühlten 
sich  nach  der  Suspension  weit  leichter  und 
freier  als  vordem.  —  Abgesehen  von  der 
bereits  von  Motchackowski  beobachteten 
Steigerung  des  arteriellen  Druckes,  beobach- 
tete Verf.  noch  erhöhte  Reflexerregbarkeit 
während  der  Suspension.  —  Aehnlich  sind 
die  Resultate,  zu  denen  Morton  gelangt. 
Er  behandelte  6  Tabiker  mit  etwa  200  Sus- 
pensionen und  constatirte  eine  sehr  erheb- 
liche Besserung  sämmtlicher  Beschwerden, 
wie  sie  in  ähnlicher  Weise  kein  Medica- 
ment  zu  erzeugen  im  Stande  ist.  —  Auch 
in  Fällen  von  Impotentia  coeundi  hat  sich 
dem  Verfasser  die  Methode  von  Nutzen  er- 
wiesen. 

{OccidMtal  Medical  Times,  Juni  1889.) 

Lohfutein  {Berlin). 

Die  Gefahren  des  Hypnotismus.    Von  Geheimrath 
Dr.  V.  Ziemssen. 

Die  Wiedergabe  weniger  Sätze  mag  hier 
genügen,  um  den  Standpunkt  zu  kennzeich- 
nen, den  der  weltbekannte  Kliniker  bezüg- 
lich der  Frage  des  Hypnotismus  einnimmt. 

„Unsere  Erfahrungen  imEIrankenhause  sind 
der  Anwendung  der  Hypnose  als  Heilmittel 
durchaus  ungünstig.  Wir  haben  eine  Reihe  von 
Personen,  die  mit  der  Hypnose  behandelt  wur- 
den, genau  verfolgt.  Die  Ergebnisse  sind 
in  allen  wesentlichen  Punkten  unbefriedigend 
und  zum  Theil  geradezu  abschreckend.  Ich 
kann  sie  in  die  zwei  Sätze  zusammenfassen: 
dass  die  Hypnose  nichts  oder  nur  vorüber- 
gehend bei  leichten  functionellen  Störungen 
nützt,  und  dass  dieselbe  bei  vielen  Kranken 
geradezu  schadet. 

Noch  hat  die  hypnotische  Strömung,  wie 
es  scheint,  ihren  Höhepunkt  bei  uns  in 
Deutschland  nicht  erreicht,  noch  steigt  der 
Enthusiasmus  für  das  wunderthätige  Heil- 
mittel; aber  ich  vertraue  der  historischen 
Erfahrung,  dass  dergleichen  Strömungen,  je 
schneller  die  Hochfluth  steigt,  um  so  rascher 
auch  wieder  in  das  natürliche  Bett   zurück- 


geleitet werden.  Ich  vertraue  besonders  auf 
den  gesunden  Sinn  der  deutschen  Aerzte, 
deren  wissenschaftliche  Objectivität  diesen 
Dingen  wie  aller  wunder  süchtigen  Speculation 
einen  festen  Damm  entgegensetzen  und  ver- 
hüten wird,  dass  mit  der  Hypnose  Unheil 
angerichtet  werde." 

{Münch.  med,  Woehenschr.  1889,  No.  3L)  R. 

Die   antiseptische  Chirurgie   in   der   LandpraxiB. 

Vortrag,  gehalten  in  der  Herbstversammlang 
des  cantonal  -  ärztlichen  Vereines  St.  Gallen. 
Von  Dr.  Carl  Schul  er  in  Rorschach. 

Davon  ausgehend,  dass  die  Antiseptik 
auch  in  der  Landpraxis  heutzutage  leicht 
durchführbar  sei,  betont  Verf.,  dass  es  in 
erster  Linie,  wie  Küster  bereits  hervorge- 
hoben, auf  die  primäre  Desinfection  und 
auf  die  dauernde  Trockenlegung  der 
Wunde  ankomme.  Der  erste  Verband 
entscheidet  über  das  Schicksal  des 
Patienten,  sagt  Volkmann.  Verf.  urgirt 
insbesondere  in  dieser  Beziehung  die  Auf- 
bewahrungsweise der  Instrumente,  des 
Nähmaterials,  der  Verbandstoffe  seitens  der 
Aerzte ,  die  diese  Gegenstände  meistens 
nicht  aufbewahren,  sondern  nur  „herum- 
liegen" lassen.  Diese  Gegenstände  sollen 
bereits  in  aseptischem  Zustande 
zum  Kranken  gebracht  werden  (nach 
einem  anderen  Autor  über  dieses  Thema  — 
von  Trentinaglia  —  sollen  sie  jedes- 
mal vor  dem  Gebrauch  durch  Kochen 
von  Neuem  sterilisirt  werden*).  Des 
Weiteren  weist  Verf.  auf  die  gründliche 
Desinfection  des  Operationsfeldes,  der  Hände 
des  Operateurs  nach  Für  bring  er  und  auf 
die  verschiedenen  Antiseptica  hin,  unter  denen 
ihm  (nach  vorläufig  dreiwöchentlicher  Be- 
obachtung) das  Creolin  alle  guten  Eigen- 
schaften der  Carbolsäure,  des  Sublimats  und 
des  Jodoforms  in  sich  zu  vereinigen  und 
somit  ganz  besonders  für  die  Landpraxis 
geeignet  zu  sein  scheint.  Das  Streben  nach 
Heilung  unter  dem  feuchten  Blutschorf  ver- 
wirft er  für  die  Landpraxis,  sicherer  sei 
hier  die  Drainage  oder  der  comprimirende 
Verband,  und  bei  accidentellen  Wunden  der 
feuchte  Verband  dem  trockenen  vorzuziehen. 

{Corretpond.'Bl.  f.  Sokweizer  AenU  1889,  No.  7.) 

Freyer  {Stettin), 

1.  Ueber  Desinfection  des  weiblichen  Genital- 
canals.  Von  Dr.  Steffeck  (Giessen).  (Zeit- 
sclirift  für  Geburtshülfe  and  Gynäkologie, 
Band  15.  2.) 

a.  Zur  Desinfection  des  Geburtscanais.  Von 
Döderlein  und  Günther  (Leipzig).  (Arch. 
für  Gynäkologie,  Band  B4.  2.) 

1)  S.  Ther.  Mon.- Hefte,   Jahrg.  UT,  Heft  3, 
S.  136. 


m.  Jahrgang.  "] 
September  1889.J 


Rsfento. 


427 


3.  Zur  Deainftction  des  Genitalcanals.     Von  Dr. 

Steffeck  (GiesseD).  (Centralbl.  f.  Gynäkolo- 
gie 1889.  Heft  14.) 

4.  Zweihundert  Geburten  ohne    prophylaktische 

Scheidenausspülungen.  Von  Dr.  M ermann 
(Mannheim).  (Centrbl.  f.  Gynäkologie  1889. 
Heft  16.) 

5.  Entgegnung   an  Mermann.     Von  Dö  der  lein 

(Leipzig).  (Centralbl.  f.  Gynäkologie  1889. 
Heft  20.) 

6.  lieber  die  Aufgaben  weiterer  Forschungen  auf 

dem  Gebiete  der  puerperalen  Wundinfectlon. 
Von  Dr.  B  u  m  m  (Würzburg).  (Arch.  f.  Gynäk. 
34.  IIL). 

7.  Die  Wochenbetterkrankungen  der  Provinzial- 

Hebammenlehranstalt  zu  Hannover.  Von 
Dr.  Polen  (Hannover).  (Arch.  f.  Gynäkol. 
34.  IIL). 

8.  Dritter  Beitrag  zur  Verhütung  des  Kindbett- 

fiebers. Von  Leopold  (Dresden).  (Arch.  f. 
GynäkoL  85.  1.). 

Die  Gleichheit  des  Gegenstandes,  mit 
dem  sich  die  acht  vorgenannten  Arbeiten 
beschäftigen,  gestattet  wohl  eine  gemein- 
same Betrachtung  derselben,  zumal  es  für 
den  Practiker  interessant  sein  muss,  die 
Vorschriften  verschiedener  Forscher  über 
die  prophylaktische  Desinfection  des  Ge- 
burtscanais und  die  Verhütung  des  Puer- 
peralfiebers zusammengestellt  zu  finden. 
Diese  Vorschriften  bewegen  sich  von  der 
weitgehendsten  Polypragmasie  bis  zur  ab- 
soluten Femhaltung  jedes  Desinficienz  vom 
Genitalcanal.  Zunächst  hat  Steffeck  (l) 
in  seinen  diesbezüglichen  Untersuchungen 
des  Genitaltractus  von  Schwangeren  und 
Gebärenden  gefunden,  dass  die  „prophylak- 
tischen Scheidenausspülungen ^  selbst  mit 
Vs^/oo  Sublimat  ganz  ohne  Eiufluss  sind  auf 
die  Entwicklung  von  Goccen;  dass  diese 
schon  merklich  beeinflusst  wird,  wenn  wäh- 
rend der  Ausspülung  die  Scheidenwände 
und  der  untere  Ger vix abschnitt  mit  einem 
Finger  abgerieben  werden;  dass  eine  Steri- 
lisation (laut  Impfcontrole)  hervorgerufen 
wird,  wenn  zu  dem  Abreiben  zwei  Finger 
verwandt  werden,  und  dass  endlich  der 
Genitaltractus  steril  erhalten  wird,  wenn 
nach  dieser  sorgfältigen  Auswaschung  zwei- 
stündliche Ausspülungen  angewandt  werden. 
Als  Desinficienz  hat  sich  dabei  bewährt 
Sublimat  1  :  3000  oder  Carbol  3  :  100,  gar 
nicht  das  Greolin.  Diese  Methode  der  Aus- 
waschung mit  2  Fingern  und  nachfolgenden 
zweistündlichen  Ausspülungen  mit  einer  der 
genannten  Flüssigkeiten,  die  aber  auch  ge- 
lehrt und  gelernt  sein  will,  empfiehlt  St. 
zur  Einführung  auch  in  die  Hebammen- 
praxis, um  Puerperalfieber  zu  verhindern. 
Natürlich  ist  dabei  die  Desinfection  der 
Hände  des  Geburtshelfers  bzw.  der  Heb- 
amme nicht  zu  vernachlässigen. 


Ebenso  wie  Steffeck  gehtD  oder  lein  (2) 
von  der  Ansicht  aus,  dass  es  nothwendig 
wäre,  bei  Geburten  zur  Herbeiführung  eines 
absolut  fieberlosen  Wochenbettes  mit  dem 
Genitalcanal  so  zu  verfahren,  wie  es  der 
Chirurg  mit  seinem  Operationsfeld  hält,  d.  h. 
die  Scheide  und  jdie  Portio  noch  vor  der 
Geburt  keimfrei  zu  machen;  denn  auch  in 
den  Fällen,  in  denen  die  Ereissende  über- 
haupt nicht  berührt  wurde,  stellte  sich 
nach  den  Berichten  verschiedener  Kliniken 
in  40  ^/o  febrile  Temperatur,  wenn  auch 
meist  nur  vorübergehend,  ein,  so  dass  der 
Vorwurf,  der  den  Geburtshelfern  in  den 
Fällen  eines  Eingriffes  wegen  der  ungenü- 
genden Desinfection  der  Hände  und  Instru- 
mente gemacht  wird,  zum  Theil  wohl  grund- 
los ist.  Demgemäss  hat  D.  die  Scheide 
und  Portio  von  Kreissenden,  von  deren 
Schleim  vorher  Deckgläschenpräparate  ge- 
machtworden waren,  mit  sterilisirtem  Wasser 
ausgespült  und  mit  dem  Finger  möglichst 
ausgewischt.  Die  nunmehrigen  Deckgläs- 
chenpräparate haben  aber  absolut  keine 
Differenz    gegenüber    den    früheren   ergeben. 

Da  eine  Ausbürstung  mit  Seife  wegen 
der  Turgescenz  und  Hyperämie  im  Genital- 
canal der  Graviden  nicht  angängig  war,  be- 
wirkte Doderlein  eine  Schaumbildung  da- 
durch, dass  er  die  Finger  mit  Mollin 
schlüpfrig  machte,  welches  sämmtlichen 
Schleim  in  sich  aufnimmt,  während  Glycerin 
und  Vaselin  Fettschichten  bilden  und  so 
das  Eindringen  des  Desinficienz  unmöglich 
machen.  Nachdem  damit  die  Vagina  aus- 
gerieben war,  Hess  D.  ein  Liter  Sublimat 
(1  :  2000)  einlaufen,  indem  er  gleichzeitig 
die  grossen  Labien  zusammenhielt,  so  dass 
die  Vagina  ballonartig  ausgedehnt  und  in 
allen  Falten  ausgeglichen  wurde.  Aber  auch 
dies  fahrte  ebensowenig  wie  der  entspr^ 
chende  Versuch  mit  3  ^/y  Carbol  zu  absoluter 
Keimfreiheit,  erst  mittelst  einer  3  ®/o  Creolin- 
losung  (auffallender  Gegensatz  zu  den 
Steffeck'schen  Versuchen!)  wurde  diese 
erreicht,  die  Deckgläschenpräparate  waren 
baöterienfrei.  Wie  weit  sich  diese  Resultate 
auch  in  der  Praxis  bewahrheiten,  hat  Günther 
festgestellt,  indem  von  ihm  im  vorigen 
Sommerhalbjahr  stets  die  Desinfection  des 
Geburtscanais  ante  partum  und  nach  der 
Geburt  mit  je  1  Liter  3  °/o  Creolinlosung 
bei  zusammengehaltenen  grossen  Labien  vor- 
genommen wurde  (über  Verwendung  des 
Mollins  ist  nichts  gesagt!).  Das  Resultat 
war,  dass  die  normalen  Wochenbetten  von 
53,8  resp.  51,1  ®/o  in  den  beiden  voran- 
gegangenen Sommersemestem  auf  70  ^/o  stieg, 
die  gestörten  Wochenbetten  von  38,4  resp. 
39,3  auf  28,1  %  fielen,    und    die    kranken 

54* 


428 


Rafarato. 


rTherspeotiieh« 
L  Monatshefte. 


von  8,2  resp.  9,2  auf  1,1  °/o.  Auch  Günther 
denkt  an  eine  Empfehlung  dieser  Methode 
für  die  Hebammenpraxis. 

Gegen      diese      Forscher     wendet      sich 
Steffeck  (3)  wieder,     indem  er  die  Unter- 
schiede   zwischen    den    beiderseitigen    Ver- 
suchen in  die    Gontrole  verlegt,  die  Doder- 
lein     geübt    hat,    nämlich  durch  Deckglas- 
präparate: solche  sind  absolut  beweisunfähig, 
nur  Impfversuche  (auf  Agar)  ermöglichten  eine 
richtige  Gontrole,  und  diese  auf  das  D  oder- 
lein-Günther 'sehe    Verfahren    übertragen, 
ergaben  ihm,    dass  von  9  Versuchen  nur  in 
2  Fällen  keine,   in  6  Fällen  bis  zu  40,    in 
einem  Falle  unzählige  Keime  sich  entwickel- 
ten.    Danach  lehnt  St.  das  Greolin  ab  und 
empfiehlt    von    neuem    sein   Verfahren    mit 
Sublimat    oder    Garbol,    wenn    auch    diese 
Desinficientien,  energisch  verrieben,  (auch  die 
Aufblähung  der  Vagina  misslang    ihm)    die 
Scheide    sehr    rauh    und    trocken    machen. 
Schon    im    Anschluss    hieran    bemerkt  St., 
dass  es  vorerst  noch  gerathen  scheint,     den 
Hebammen  ein  ganz  passives  Verhalten  vor- 
zuschreiben.    Ein    solches    auch  für  Aerzte 
empfiehlt   direct  M ermann    in    seinem  Be- 
richt (4).     Derselbe    hält    jede    Anordnung 
von   Ausspülungen,     die    durch    Hebammen 
vorgenommen  werden  sollen,    für  gefährlich, 
nicht    nur    wegen    der    damit   verbundenen 
Möglichkeit    der    Ausseninfection ,     sondern 
auch  wegen   der  Verwirrung,    die  sie  in  den 
Köpfen  der  Hebammen  erzeugt.     Es  werden 
unverständliche   Begriffe  bei  ihnen  geweckt, 
sie  halten  die  werthlosen  und  in  der  Praxis 
doch  nicht  durchführbaren  Ausspülungen  für 
gleichwerthig     mit    der    Desinfection     ihrer 
Hände    und    unterlassen    das  eine    und  das 
andere,     oder    sie    glauben     sich   durch  das 
Ein gi essen   von   etwas   carbolisirtem  Wasser 
Absolution  für  die  Sünden  ihrer  Hände  und 
ihres     sonstigen      Schmutzes    verschafft    zu 
haben.     Es  wäre   auch   eine    lohnende  Auf- 
gabe,    den  Inhalt  der  Irrigatoren     der    viel 
in  der  Armenpraxis  beschäftigten  Hebammen 
b acter ioskopisch    zu    untersuchen.     M.  geht 
weiter  von  der  Ansicht  aus,  dass  die  in  der 
Vagina  vorhandenen   Bacterien    ungefährlich 
sind,    dass    die   normale  Kreissende  mit  all 
den  Millionen  Bacterien,     die     sie    in     sich 
trägt,     auch  mit  denen,     die  man  noch  ent- 
decken wird,  aseptisch  ist;  dass  ebensowenig 
wie  die  Bacterien  der  Mundhöhle,  die  beim 
Essen  mit  den  Rachen  passiren,  den  Schleim- 
hau t-Excoriationen  schädlich  sind,     dies  bei 
den  Vaginalbacterien  für  die  bei  der  Geburt 
entstehenden  Wunden    der    Fall  ist.     Dem- 
gemäss    lässt    M.    im  Mannheimer  Wöchne- 
rinnenasyl, wo  jede  Kreissende  meist  mehr- 
fach von  mehreren  Personen  untersucht  wird. 


nur  die  subjective  Antisepsis  aufs  Penibelste 
handhaben,  sowohl  in  Bezug  auf  die  Hände 
der  Untersuchenden,  die  nach  Fürbringer 
desinficirt  werden,  als  auf  die  Kleidung  der- 
selben und  der  Kreissenden.  Letztere  er- 
halten vor  der  Geburt  ein  Vollbad,  bei 
welchem  die  äusseren  Genitalien  mit  Watte 
abgewischt  werden,  die  Hände  werden  auch 
ihnen  aufs  Gründlichste  desinficirt,  sie  er- 
halten saubere  Wäsche,  aber  ihr  Genital- 
tractus  bleibt  frei  von  jedem  Desinficienz. 
Auf  diese  Weise  hatte  M.  von  200  Fällen 
nur  2  letale  Ausgänge,  einen  in  Folge  einer 
Ausseninfection  (die  Betreffende  hatte  eine 
Puerperalkranke  gepflegt  und  sich  dann  selbst 
untersucht),  den  anderen  durch  Magencarci- 
nom;  die  Zahl  der  Fiebernden  betrug  für 
das  erste  Hundert  21  °/o,  für  das  zweite 
6  °/o,  ist  also  geringer  wie  nach  der  D5 d er- 
1  ein 'sehen  Polypragmasie.  Daher  weg  mit 
den  Vaginal  inj  ectionen  und  jeder  Art  innerer 
Antisepsis  für  die  Hebammenpraxis! 

Gegen  diese  Verbannung  jeder  objectiven 
Antiseptik  bei  Kreissenden  und  gegen  den 
Vorwurf  colossaler  Polypragmasie  wendet 
sich  Döderlein  (5),  indem  er  aus  seinen 
Versuchen  wiederholt,  dass  er  nachgewiesen 
zu  haben  glaubt,  dass  auch  die  nicht  unter 
die  bekannten  Eitermikroorganismen  gehöri- 
gen Spaltpilze  der  Scheide  Temperaturer- 
höhungen im  Wochenbett  machen  können, 
wenn  sie  in  die  Uterushöhle  gelangen,  und 
dass  ohne  Hinzuthun  von  Arzt  oder  Heb- 
amme pathogene  Bacterien  im  Genitalcanal 
Kreissender  resp.  Wöchnerinnen  vorkommen. 
Er  bestreitet  daher,  dass  die  normale  Kreis- 
sende aseptisch  ist,  und  verlangt  die  Des- 
infection derselben  durch  Ausreiben  mit 
Creolinmollin  unter  Irrigation  mit  2  %  Creo- 
linemulsion.  Den  Werth  derselben  könne 
man  nur  durch  die  Aenderung  der  Resultate 
an  derselben  Anstalt  beurtheilen,  und  diese 
sind  an  der  Leipziger  Klinik  unbestreitbar 
sehr  gute  geworden.  Die  Mannheimer  An- 
stalt könne  man  nicht  zum  Vergleich  her- 
anziehen, da  die  dortigen  Verhältnisse  andere 
wären,  als  an  einer  für  Lehrzwecke  bestimm- 
ten Klinik  (aber  doch  nicht  verschieden  von 
den  Verhältnissen  in  der  allgemeinen  ärzt- 
lichen Praxis!     D.  Ref.). 

Ganz  auf  den  Standpunkt  Mermann's 
stellt  sich  Bumm  (6)  in  seiner  ausserordent- 
lich lesenswerthen  Arbeit,  die  sich  mit  der 
Aetiologie  der  putriden  Intoxication  und 
der  septischen  Infection  im  Wochenbette 
beschäftigt.  B.  hat  im  Secret  gesunder 
Frauen  keinen  Streptococcus  (der  die  Mehr- 
zahl der  schweren  puerperalen  Infectionen 
verursacht)  gefunden,  sieht  die  Fälle,  in 
denen  Winter  einen  solchen  gefunden  haben 


in.  Jahrgan«.  1 
September  1889.J 


Rafarmto. 


429 


will,  einerseits  als  nicht  normal,  anderer- 
seits als  werthlos  an,  da  W.  selbst  die 
Cocceo  nicht  strict  als  pathogen e  bezeichnet. 
B.  leugnet  danach  die  Möglichkeit  einer 
Streptococcen-Infection  durch  SelbstinfectioD ; 
es  genügt  nach  seinen  Deductionen  zur  Fern- 
haltung einer  Infection  von  Kreissenden  und 
Wöchnerinnen  die  überall  durchführbare, 
strengste  subjective  Antisepsis  und  die  Rei- 
nigung der  äusseren  Genitalien;  jede  pro- 
phylaktische Reinigung  des  Genital  sohl  auch  es 
ist  unnöthig  und  complicirt. 

Auch  Poten  (7)  sucht  durch  seinen  Be- 
richt vor  jeder  Polypragmasie  bei  der  Lei- 
tung von  Geburt  und  Wochenbett  zu  war- 
nen: in  der  Anstalt  in  Hannover  erhalt 
auch  nur  jede  Ereissende  ein  Vollbad,  die 
äusseren  Genitalien  werden  mit  Seife  und 
Wasser  gründlich  gereinigt  und  mit  Subli- 
matlösung (1  :  2000)  nachgewaschen;  die 
Haupt  sorge  wird  auf  die  Desinfection  der 
Explorirenden  gelegt,  die  mit  warmem  Wasser, 
Seife,  Bürste  und  (1  :  1000)  Sublimat  sich 
reinigen.  In  neuerer  Zeit  wurde  dort  auch 
noch  vor  der  ersten  Untersuchung  eine  Aus- 
spülung mit  Sublimat  (l  :  5000)  vorgenom- 
men. Post  partum  werden  die  äusseren 
Genitalien  mit  Sublimat  abgespült  und  ab- 
gewischt; im  Wochenbett  wird  nichts  unter- 
nommen, ausser  auf  directe  ärztliche  Ver- 
ordnung. Die  Resultate  sind  hierbei  besser 
als  die  in  der  Leipziger  Anstalt  nach  Ein- 
führung des  Död er lei naschen  Verfahrens, 
das  P.  auch  für  undurchführbar  in  der  Pri- 
vat- und  Hebammenpraxis  hält. 

Endlich  wendet  sich  auch  der  neueste 
Bericht  aus  der  Dresdener  Klinik  (8)  gegen 
die  D  ö  derlein- Ste  ff  eck  ^  sehen  Maassnah- 
men.  Auch  hier  wird  der  Hauptwerth  auf 
die  subjective  Reinlichkeit  gelegt  (eine  Zeit 
lang  wurde  sogar  nur  sorgfältigste  Reinigung 
der  Hände  mit  Kaliseifenlösuug  ohne  jedes 
Desinficienz  versucht)  und  Leopold  stellt 
in  Aussicht,  nach  dem  M ermann^ sehen 
Vorgange  auch  jede  Scheidenausspülung  fort- 
zulassen. TodesföUe  hatte  L.  15  unter 
1369  zu  beklagen,  also  1,09%  gegen  1% 
in  den  beiden  Vorjahren;  davon  sind  4  Fälle 
durch  Infection  verursacht  =  0,27  %.  Eine 
Erklärung  für  diese  Fälle  (einer  darunter 
Sepsis  nach  einer  einmaligen  Untersuchung 
durch  eine  zuverlässige  Hebamme)  sucht  L. 
in  den  nachgewiesenen  Untersuchungen,  die 
Hausschwangere  unter  einander  vornehmen, 
und  macht  die  Leiter  aller  Anstalten  auf 
solche  Dinge  aufmerksam.  Die  Wochen- 
betten waren  in  79%  fieberlos,  in  16% 
fast  fieberfrei,  so  dass  95%  am  zwölften 
Tage  entlassen  werden  konnten;  1,8%  der 
Wöchnerinnen   bekamen   länger   andauerndes 


Fieber  in  Folge  von  Vorgängen  ausserhalb 
der  Genitalien,  und  ebensoviel  (1,8%)  in 
Folge  leichterer  oder  schwererer  puerperaler 
Erkrankungen.  Unter  den  1369  Kreissenden 
nun  sind  179  =  13%,  die  so  spät  auf 
den  Gebärsaal  kamen,  dass  sie  weder  aus- 
gespült noch  untersucht  werden  konnten; 
sie  blieben  bis  auf  2,  die  längeres  Fieber 
durch  Bronchitis  resp.  Mastitis  bekamen, 
ohne  beachtenswerthe  Temperaturerhöhung. 
L.  führt  diese  Fälle  namentlich  als  Beweis 
gegen  die  Selbstinfection  an  und  erwähnt 
dabei,  dass  nach  seinen  diesbezüglichen  Er- 
fahrungen seit  4  Jahren  in  Sachsen  in  der 
Hebammeninstruction  von  jeder  Scheiden- 
ausspülung sowohl  während  der  Entbindung 
als  im  Wochenbett  abgesehen  ist.  Da  auch 
in  der  neuesten  preussischen  Verordnung 
innere  Manipulationen  aufs  Aeusserste  be- 
schränkt sind,  so  müssen  wohl  die  Erfah- 
rungen dafür  sprechen,  dass  alle  Gebärenden, 
sobald  die  behandelnde  Hebamme  selbst 
aseptisch  ist,  einer  Reinigung  ihrer  inneren 
Geschlechtsorgane  mit  Desinfectionsmitteln 
nicht  bedürfen.  Landsberg  (5te««»). 

Ueber  die  mechanische  Behandlung  des  Erysipels. 

Von  Prof.  Wölfler  (Graz). 

Verf.,  welcher  bereits  früher  die  Behand- 
lung des  Erysipels  mittelst  Begrenzung  der 
Entzündung  durch  Siccativ-  oder  Trauma- 
ticinstreifen  empfohlen,  hat  jetzt  statt  mit 
diesen  durch  Heftpflasterstreifen  in  einer 
grösseren  Anzahl  von  Rosefällen  Heilung 
erzielt.  Die  Heftpflasterstreifen  werden 
circulär  an  der  Grenze  der  erkrankten  und 
gesunden  Hautpartie  im  Gesunden  fest  an- 
gelegt (an  den  Extremitäten  circulär,  beim 
Gesichtserysipel  Streifen  um  den  Hals,  Stirn, 
Kinn,  quer  über  den  Kopf,  je  nach  dem 
Sitz  der  Affection).  Die  Heftpflasterstreifen 
werden  immer  gekreuzt,  das  Pflaster  muss 
gut  kleben.  In  einiger  Entfernung  vom 
ersten  lege  man  noch  einen  zweiten  Sicher- 
heitsstreifen an,  da  man  die  Ausdehnung 
des  Processes  nicht  immer  genau  kennt. 
Das  Heftpflaster  muss  fest  liegen  und  seine 
Festigkeit  controlirt  werden.  Geht  das 
Erysipel  mit  gleich  starker  Röthung  über 
den  ersten  Streifen  hinaus,  so  hat  der  letz- 
tere nicht  gut  gelegen,  öfters  geht  es 
wesentlich  abgeschwächt  über  den  ersten 
Streifen  und  erlischt  dann  schnell.  Die 
erysipelatöse  Haut  schwillt  vor  dem  Streifen 
häufig  stark  an.  Die  Temperatur  geht  nicht 
immer  sofort  nach  Anlegen  der  Streifen 
zur  Norm  zurück,  sondern  erst  nach  zwei 
bis  drei  Tagen. 

(Wien.  hUn.  Wook$chr.  1889  Nr. 23). 

George  Meyer  {BerKn). 


430 


Raferat». 


rTherapentbdie 
L  Monatshefte. 


Zur    Therapie    des    Erysipels.     Von   Dr.  Koch 
(Wien). 

Auf  der  Haut-  und  Syphilisabtbeilung 
im  Rudolf sspitale  zu  Wien  wird  das  Ery- 
sipel mit  folgender  Salbe  behandelt: 

IV  Creolin.  1,0 
Jodoform.  4,0 
Lanolin.      10,0. 

Diese  wird  mit  weichem  Pinsel  gleich- 
massig  dick  auf  die  gerothete  Haut  und 
ca.  3 — 4  Querfinger  im  Gesunden  aufge- 
strichen und  Guttaperchapapier  darüber 
gebreitet.  Im  Gesicht  ist  dies  ausreichend, 
da  so  die  Haut  macerirt  und  die  Resorption 
angeregt  wird.  Ist  die  Kopfschwarte  be- 
troffen, so  werden  die  Haare  kurz  ge- 
schnitten, die  aufgetragene  Salbe  mit  Gutta- 
perchapapier bedeckt,  darauf  dieses  mit 
Watte  und  Binden  befestigt.  Die  Eingangs- 
pforten (z.  B.  Nase)  des  Virus  werden  eben- 
falls behandelt.  Die  unter  dieser  Therapie 
erzielten  Ergebnisse  werden  vom  Verf.  sehr 
gerühmt  und  die  Methode  zur  Anwendung 
empfohlen. 

Das  Creolin  wurde  in  obiger  Formel  ge- 
wählt, da  es  ausgezeichnet  desinficirend 
wirkt,  ohne  die  schädlichen  Nebenwirkungen 
des  Carbol  zu  besitzen;  das  freiwerdende 
Jod  im  Jodoform  hat  auf  die  Entzündung 
und  ihre  Producte  resolvirenden  Einfluss. 
Das  Lanolin  wird  wegen  seiner  guten 
Resorptionsfähigkeit  als  Salbenconstituens 
benutzt. 

{Witn.  KHn,  Wochenschr.  1889  JVo.  21,) 

George  Meyer  {Befrhn), 

Behandlung  der  Purpura  haemorrhagica  mit  Ar- 
gentum  nitricum.    VonV.  Poulet. 

Verf.  bespricht  zwei  Fälle  von  Purpura 
haemorrhagica,  welche  durch  Verordnung 
von  Silbemitrat  geheilt  worden  sind. 

Im  ersten  Falle  handelte  es  sich  um 
ein  12  jähriges,  von  der  Werl  hoff  sehen 
Krankheit  befallenes  Kind.  Alle  gebräuch- 
lichen Behandlungeweisen,  wie  z.  B.  Ferrum 
sesquichloratum,  Verstopfung  der  Nasen- 
locher, gesäuerte  Getränke,  u.  s.  w.  blieben 
ohne  Erfolg.  Nun  wandte  er  Silbernitrat- 
pillen an.  Dieselben  waren  zu  0,01  dosirt, 
und  2  davon  wurden  täglich  verabreicht, 
unter  dem  Einfluss  dieser  Behandlung  ward 
eine  merkliche  Besserung  am  nächsten  Tage 
wahrnehmbar.  Zugleich  horten  die  Blutun- 
gen auf. 

Zweiter  Fall.  20jährige  Frau.  Auch 
von  der  Werl  hoff  sehen  Krankheit  befallen. 
Silbernitrat  zu  0,008,  dreimal  täglich  wie- 
derholt, führte  eine  baldige  Heilung  herbei. 

Ihr.  Poulet  glaubt,  dass  das  ^ilbemitrat 


in  diesen  Fällen  auf  das  Nervensystem  ein- 
wirkt, ebenso  wie  es  auf  dasselbe  wirkt  in 
Fällen  von  Rückenmarks-  und  Nervenkrank- 
heiten, sowie  bei  Epilepsie. 

In  der  Purpurea  scheint  es  nach  Verf. 
auf  die  vasomotorischen  Nerven   einzuwirken. 

{BulUt.giti,dt  TMrap,,  30,  Mai  1889,) 

Ciaret  {Cwy), 

Ein   Beitrag    zur    Salbensondenbehandlung    der 
chronischen    Urethritis.      Von   Dr.   Szadek 

(Kiew). 

Verf.  hat  von  116  Fällen  von  Urethritis 
chronica  30  mittelst  Salbensonden  behandelt. 
Er  benutzt  hierzu  die  Benique- Sonden, 
die  mit  folgender  Masse  überzogen  werden 
(Sperling): 

.    Arg.  nitr.  0,1—0,3 
Cer.  alb.   4,0 
Lanolin.  20,0. 
M.  f.  Ugt. 

Von  jenen  30  Kranken  blieben  drei  un- 
gcheilt,  18  wurden  geheilt  (11  ohne  andere 
Behandlung,  7  mit  Nachbehandlung  mit 
Einspritzungen),  9  wurden  gebessert.  Je- 
doch giebt  S.  auch  Contra indicationen  für 
diese  Methode  an  und  kommt  zu  folgenden 
Ergebnissen : 

1.  Durch  Einführung  der  Sonden  in  die 
Behandlung  des  Nachtrippers  ist  eine  Be- 
reicherung der  Harnrohren therapie  geschaffen, 
die  jedoch  nicht  zur  Behandlung  aller  Fälle 
der  chronischen  Gonorrhoe  erhoben  werden 
kann. 

2.  Die  von  Unna  empfohlene  Behand- 
lungsmethode der  chronischen  Urethritiden 
mittelst  Anwendung  der  Salbensonden  ist 
ein  sehr  vorzügliches  und  wirksames  Ver- 
fahren in  vielen  Fällen  des  Nachtrippers  imd 
der  Neurasthenia  sexualis.  Diese  Behand- 
lung ist  aber  nur  in  entsprechenden,  streng 
bestimmten  Gonorrhoeföllen  angezeigt,  be- 
sonders in  denen,  wo  wir  eine  hyper- 
plastische Entzündung  oder  Hypertrophie 
der  Harnrohrenwande ,  sogenannte  weite 
Stricturen,  aber  keine  Erosionen,  Granu- 
lationswucherungen  imd  Geschwüre  vor  uns 
haben. 

3.  Immerhin  aber  wird  sich  für  viele  so 
behandelte  Gonorrhoefälle  nach  der  Er- 
weiterung des  Harnrohrenlumens  eine  Nach- 
behandlung mit  den  Injectionen  verschiede- 
ner Adstringentien  nothwendig  erweisen. 

4.  Obwohl  es  immer  solche  Gonorrhoe- 
fälie  giebt,  welche  allen  therapeutischen 
Eingriffen ,  auch  der  Sondenbehandlung 
widerstehen,  wird  sich  immerhin  für  jeden 
tüchtigen  und  erfahrenen  Fachmann  häufig 
Indication  für  diese  Behandlungsmethode 
zeigen,  welche  bequem,  exact  und  in  vielen 


m.  Jahrgang,  l 

September  1889.  J 


Rafermte. 


431 


Fällen    von    Urethritis    chronica    besonders 
vorzüglich  wirksam  ist. 

{Arch.  /  Dermatol.  u.  Syph.  1889,  2.  Htfi,) 

George  Meyer  (BerUn), 

Ein  Fall  von  Heilung  des  Rotzes  mittelst  mer- 
curleller  Behandlung  (Inunctionscur)  nebst 
einigen  practisehen  Bemerkungen  über  den 
Rotz  und  dessen  Prophylaxe.  Von  Dr.  Gold 
(SeveriDoyka  bei  Odessa). 

Ein  30 jähriger  Bauer  war  seit  8  Tagen 
mit  Schmerzen  und  Schwäche  in  den  Beinen, 
Schwere  im  Kopf,  Athemnoth  und  Husten 
erkrankt.  Temperatur,  als  G.  Patienten 
sah,  38,9°,  Puls  100,  voll  und  hart.  Appetit 
schlecht.  In  den  letzten  zwei  Tagen  hatten 
sich  Abscesse  bis  zu  Taube  neigrosse  an  den 
Extremitäten  entwickelt.  Keine  Lues.  An 
den  anderen  Organen  nichts  Abnormes. 
Mittelst  bakteriologischen  Gulturverfahrens 
wurde  der  Eiter  aus  einem  Abscess  unter- 
sucht, und  die  bereits  vorher  gestellte 
Diagnose  des  Rotzes  durch  mikroskopischen 
Nachweis  der  Rotzbacillen  sichergestellt. 
Wegen  der  gewissen  Analogie  zwischen  Rotz 
und  Lues,  femer  wegen  der  günstigen  anti- 
parasitären Wirkung  der  Quecksilberpräpa- 
rate verordnete  Verf.  eine  Einreibungscur 
(zweimal  täglich  Inunction  mit  je  2  g  üngt. 
einer,  fort.)  unter  sorgfältiger  Mundpflege, 
Darreichung  kräftiger  Diät,  Bädern  etc.  Die 
Abscesse  wurden  incidirt  und  antiseptisch 
behandelt.  Nach  dreimonatlicher  Behand- 
lung (68  Einreibungen)  und  folgender  zwei- 
monatlicher Beobachtung  wurde  Patient  ge- 
heilt entlassen  und  ist  gesund  geblieben. 
Es  ist  der  einzige  von  25  Rotzkranken, 
welchen  Verf.  heilen  konnte. 

Zum  Schluss  giebt  G.  einige  praktische 
Bemerkungen  über  die  Differentialdiagnose 
zwischen  Rotz  und  anderen  Erkrankungen 
(z.  B.  Polyarthritis  rheumatica,  Typhus  ex- 
anthematicus,  Purpura  haemorrhagica  etc.), 
die  besonders  dadurch  erschwert  wird,  dass 
die  meisten  an  Rotz  leidenden  Patienten 
jeden  Umgang  mit  (kranken)  Pferden  leug- 
nen. Die  Ursache  der  in  Russland  immer 
häufiger  auftretenden  Erkrankung  sieht  Verf. 
in  dem  ohne  ernste  Controle  in  Russland 
stattfindenden  Pferdehandel  und  dem  Mangel 
systematischer,  sachverständiger  Beaufsich- 
tigung desselben,  deren  Herbeiführung  einiger- 
maassen  das  Weiterumsichgreifen  der  mör- 
derischen Affection  hemmen  konnte. 

Theoretische  Erörterungen  über  den 
guten  Erfolg  der  Schmiercur  im  obigen 
Falle  will  Yerf.  nicht  anstellen. 

{Berl  klin.  Woeken»ehr.  1889,  Ab.  30,) 

George  Meyer  {Berlin). 


lieber  die  Anwendung  der  CocaYnanästhesie   bei 
der  Blasensteinzertrümmerung.     Von  Dr.  A. 

Freudenberg  (Berlin). 

Verf.  bespricht  zunächst  die  Vortheile 
der  Bigelow'schen  Litholapaxie  vor  den 
übrigen  zur  Entfernung  von  Blasensteinen 
vorgeschlagenen  Verfahren.  Die  Steinzer- 
trümmerung setzt  den  Patienten  einer  ge- 
ringeren Lebensgefahr  aus,  bedingt  bei  gün- 
stigem Verlauf  Heilung  nach  wenigen  Tagen, 
ohne  die  Schrecken  einer  grossen  Operation 
in  sich  zu  tragen  und  sollte  daher  stets  als 
Regel  betrachtet  werden.  Recidive  bleiben 
auch  beim  Steinschnitt  nicht  aus.  Kranke, 
die  die  Lithotripsie  durchgemacht  haben, 
werden  im  Fall  des  Recidivs  sich  leichter 
einer  neuen  Operation  unterwerfen,  als  die- 
jenigen, die  die  Lithotomie  überstanden. 
Bei  grossen,  harten  Steinen,  Complicationen 
durch  Blasentumoren  oder  von  Seiten  der 
Urethra  etc.  wird  natürlich  die  Operation 
durch  Schnitt  am  Platze  sein.  Es  sind  nun 
viele  Versuche  gemacht,  bei  der  Steinzer- 
trümmerung nach  Bigelow  die  Chloroform- 
narkose durch  die  Cocain anästhesie  zu  er- 
setzen. Erstere  ist  bBi  Herz-  und  Gefäss- 
krankheiten,  an  denen  Steinkranke  mit 
Prostatahypertrophie  nicht  selten  leiden,  ge- 
fährlich, femer  wird  die  Steinzertrümmerung 
durch  die  Einführung  der  Cocainanästhesie 
eine  schmerzlose  Operation.  F.  beschreibt 
zunächst  die  von  Fürstenheim  zur  Zer- 
kleinerung und  Entfernung  des  Steins  be- 
folgte Methode  (mittelstarke  Instrumente, 
23 — 27  Charri^re,  Vollendung  der  Operation 
möglichst  in  einer  Sitzung,  nach  der  Zer- 
trümmerung des  Steins  Aspiration  aller  Frag- 
mente, Unterbrechung  nur  bei  grösseren 
Blutungen,  wenn  nöthig,  Entfernung  grösse- 
rer Steinreste  in  einer  zweiten  oder  dritten 
Sitzung).  Die  Litholapaxie  wurde  bei 
13  Patienten  unter  Cocainanästhesie  (Co- 
caTnum  muriaticum  Merck)  ausgeführt. 
Es  wurden  Mengen  von  1  bis  zu  4  g  steigend, 
in  einem  Falle  5  g  verwendet,  und  mit  diesen 
meist  Verminderung  des  Schmerzes,  in  einigen 
Fällen  vollkommene  Schmerzlosigkeit  während 
der  Operation  erzielt.  Bei  1 1  Kranken  war  der 
Erfolg  mit  dem  Cocain  sehr  günstig,  nur  bei 
2  Patienten,  bei  denen  nur  geringe  Mengen 
des  Mittels  gebraucht  waren,  musste  Chloro- 
form in  Anwendung  gezogen  werden.  Nur 
in  einem  Falle  trat  eine  Intoxication  ein 
(wahrscheinlich  hatte  der  Patient  eine  Idio- 
synkrasie gegen  Cocain),  sonst  waren  dau- 
ernde Nebenerscheinungen  von  der  Cocain- 
anästhesie nicht  zu  verzeichnen,  obwohl  in 
fast  allen  Fällen  Complicationen,  besonders 
Affection  der  Blasenschleimhaut,  bestanden. 
Vorsicht    ist    jedoch    bei    der    Anwendung 


432 


Rttfarmttt. 


rlieimpeatiadie 
Monatahefte. 


des  Cocains  auch  hier  gehoten,  da  die 
Empfönglichkeit  der  PatieDten  dem  Mittel 
gegenüber  sehr  verschieden  ist.  Man  ver- 
wende im  Ganzen  3  bis  4  g,  höchstens  5  g 
in  6  bis  8  bis  lOprocentigei  Lösung  für 
Blase  und  Harnröhre  zusammen,  jedoch 
auch  nicht  weniger  als  2  g,  da  sonst  leicht 
die  anästhesirende  Wirkung  des  Cocains 
ausbleiben  kann.  Ueberwachung  des  Patien- 
ten während  der  Operation,  um  eventuell 
schnell  das  Cocain  aus  der  Blase  zu  ent- 
fernen, ist  sehr  wichtig.  Lageveränderungen 
nach  der  Injection  des  Medicamentes  in  die 
Blase  hält  F.  für  unnöthig.  Die  Methode 
der  Blasencocainisirung  nun  war  folgende: 
Entleerung  der  Blase  (mit  J  acqu  es -Paten t- 
Eatheter),  Auswaschung  mit  Borsäure-  oder 
schwacher  Carbollösung,  Injection  mit  einer 
an  den  Katheter  gesetzten  Spritze  von  40 
bis  46  ccm  einer  6  bis  8  bis  10  (!)  pro- 
ceutigen  Coca'inlösung  zur  Hälfte  direct  in 
die  leere  Blase,  zur  anderen  Hälfte  nach 
Zurückziehen  des  Katheterauges  in  die  Pars 
posterior  urethrae  durch  die  Pars  prostatica 
in  die  Blase,  hierauf  Anfüllung  der  Pars 
anterior  urethrae  mit  5  bis  10  ccm  derselben 
Lösung.  Nun  wartet  man  unter  Zudrücken 
der  äusseren  Harnröhrenmündung  6  bis 
8  Minuten,  füllt  in  die  Blase  BorsäurelÖsung 
nach,  bis  der  Inhalt  150  bis  200  ccm  be- 
trägt und  beginnt  mit  der  Operation. 

„Ihre  Hauptin dication  findet  die  Cocain- 
anästhesie  bei  der  Litholapaxie  unter  gün- 
stigen Verhältnissen  (kleinere  Steine  bei  re- 
lativ normalen  Harnorganen),  wenn  die  Ope- 
ration in  allen  ihren  Phasen  in  längstens 
15  bis  25  Minuten  zu  vollenden  ist.^  Bei 
sehr  ängstlichen,  überempfindlichen  Patienten 
wird  das  Chloroform  am  Platze  sein. 

Jene  für  die  Cocain  an  äs  thesie  genannten 
günstigen  Verhältnisse  sind  natürlich  nur 
vorhanden,  wenn  der  Stein  frühzeitig  er- 
kannt wird,  da  mit  dem  Wachsthum  des 
Steins  auch  die  Harnorgane  mehr  afficirt 
werden.  Diese  frühzeitige  Diagnose  des 
Steins  muss  daher  allen  Aerzten  ganz  be- 
sonders als  Ziel  vorschweben,  da  dann  der 
Stein  noch  klein  ist,  daher  die  Litholapaxie 
angewendet  werden  kann,  deren  Erfolg  dann 
ein  günstiger  sein  wird,  und  auch  die  Co- 
cainanästhesie  dann  am  Platze  ist. 

{Bert  KUm,  Woekmuekr.    1889.    No.  27-30.) 

Georg«  Meyer  {BerSm). 


lieber  die  therapeutische  Verwendung  der  Sozo- 
jodolpräparate  mit  besonderer  Berflckslchti- 
gaag  der  Rhino-  und  Laryngologie.  Von 
Carl  Stern. 

Die  aus  der  Sozojodolsaure,  Acid.  sozo- 
jodolic,    Dijodparaphenolsulfonsäure   darge- 


stellten verschiedenartigen  Sozojodolpräparate 
sind  wirksame  Antiseptica.  Dies  wurde  für 
die  Säure  selbst  und  für  das  Sozojodol- 
natrium  von  Langgaard  durch  Versuche  fest- 
gestellt. Aber  auch  in  antiparasitärer  Hin- 
sicht kann,  wie  G.  Müller  gezeigt  hat,  das 
Sozojodol  erfolgreich  mit  den  sonstigen  ge- 
bräuchlichen Mitteln  concurriren,  wobei  be- 
sonders seine  relative  Unschädlichkeit  in 
Betracht  kommt. 

Welcher  von  den  vielen  in  den  Sozo- 
jodolpräparaten  vorhandenen  Stoffen  —  Jod, 
Phenol,  Schwefel  —  das  bestwirkende  Agens 
darstellt,  las  st  sich  schwer  entscheiden,  da 
bei  der  Constanz  der  chemischen  Zusammen- 
setzung unseres  Präparates  die  einzelnen 
Stoffe  sich  nicht  leicht  aus  der  einmal  ein- 
gegangenen Verbindung  trennen.  Vielmehr 
scheint  die  gute  Wirkung  gerade  auf  der 
Combination  aller  aufgezählten  Antiseptica 
zu  beruhen.  Der  umstand,  dass  sich  im 
Atomencomplex  der  Dijodparaphenolsulfon- 
säure leicht  ein  Wasserstoffatom  durch 
Kalium,  Natrium,  Quecksilber,  Blei  und 
andere  Metalle  ersetzen  lässt,  macht  dieses 
Mittel  geeignet  zur  Anwendung  auf  Wund- 
flächen und  Schleimhäute,  da  man  mit  dem- 
selben je  nach  der  Wahl  des  Metalles  eine 
specifische  bis  zur  eventuellen  Aetzwirkung 
gesteigerte  Einwirkung  auf  jene  Gewebe 
ohne  Schwierigkeiten  erreichen  kann.  Be- 
sonders verdient  aber  das  Mittel  in  der 
Rhinologie  und  Laryngologie  Anwendung  zu 
finden,  nicht  allein  wegen  seiner  antisep- 
tischen Eigenschaften,  sondern  vielmehr 
wegen  seiner  modificirenden  Einwirkung  auf 
die  Secretion  der  Schleimhäute.  In  dieser 
Beziehung  ist  die  Natriumverbindung  wenig 
wirksam,  um  so  wirkungsvoller  dagegen  die 
Ealiumverbindung.  Dieselbe  vermindert 
durch  ihre  wasserentziehende  Eigenschaft  die 
Secretion  in  ganz  erheblichem  Maasse,  und 
es  ist  kaum  von  der  Hand  zu  weisen,  dass 
bei  der  Leichtigkeit,  mit  der  sich  das  Kalium 
aus  der  Verbindung  lost,  gerade  dieses  die 
genannte  Wirkung  besitzt.  Die  Zink  Ver- 
bindungen wirken  je  nach  ihrer  Zusammen- 
setzung entweder  adstringirend,  irritirend 
oder  ätzend  auf  die  Schleimhaut.  Das 
Quecksilberpräparat  besitzt  ausser  seiner 
wahrscheinlichen  specifischen  Wirksamkeit 
noch  eine  sehr  stark  ätzende  Wirkung  auf 
die  Schleimhäute. 

Was  die  Erfahrungen  anlangt,  welche 
man  mit  dem  Mittel  in  der  Therapie  ge- 
macht hat,  so  berichtet  Lassar  in  dieser 
Beziehung  sehr  günstige  Resultate.  £r  ver- 
wandte bei  allen  möglichen  Hauterkrankun- 
gen  die  Präparate  in  5 — 10%  Streupulver 
imd    Pasten.     Am    besten    bewährten    sich 


IIT.  Jahrgmay.  1 
SeptambT  1889.J 


Rafarat«. 


433 


dieselben   bei  parasitären  Erkrankungen  und 
bei  varicosen  ünterscbenkelgeschwüren. 

In  der  Rbino-  und  Laryngologie  wurden 
die  Sozojodolpräparate  zuerst  Yon  Fritscbe 
angewandt,  aber  ohne  bestimmte  Indication. 
Doch  bat  er  nur  günstige  Erfolge  bei  allen 
möglichen  Erkrankungen  gesehen,  besonders 
aber  bei  solchen,  die  mit  Eintrocknung  eines 
festen,  zähen  Secretes  einhergingen.  Ebenso 
günstige  Erfolge  wurden  bei  tuberculösen 
und  luetischen  Affectionen  der  Nase  und  des 
Kehlkopfes  erzielt. 

Beim  Tripper  wurde  das  Zinkpräparat 
in  2  ^/o  Lösung  sowohl  beim  Manne,  als 
beim  Weibe,  ohne  besonderen  Erfolg  ange- 
wandt. 

Auch  in  der  Gynäkologie  fand  das  Sozo- 
jodolnatrium  Anwendung  beim  Cervixkatarrh 
mit  Ectropium  und  Erosionen,  das  Sozo- 
jodolzink  bei  Endometritiden. 

Es  folgt  zum  Schluss  das  Resultat  von 
108  mit  Sozojodolpräparaten  in  neuester 
Zeit  behandelten  rhino-  und  laryngologischen 
Fällen.  Yon  diesen  betraf  die  allergrösste 
Zahl  Elrankheiten  der  Nase  und  deren 
Nebenhöhlen.  Dayon  wurden  86  Fälle  von 
Rhinitis  chronica,  meist  hyperplastischer 
Form,  mit  Sozojodolzink  behandelt  und  zwar 
in  Pulverform,  wobei  als  Constituens  Talcum 
gewählt  wurde.  Die  Erfolge  waren  sehr 
günstig  bei  Rhinitis  chron.  hyperpl.  mit 
abnorm  geringer  Secretion.  Es  wurde  bald 
reichlich  Schleim  secernirt  unter  allmählicher 
deutlicher  Abschwellung  der  bedeutend 
hypertrophirt  gewesenen  unteren  Nasen- 
muscheln. Bei  26  Fällen  der  Rhinitis  chron. 
atrophicans  mit  ebenfalls  spärlicher  Secretion 
war  der  Erfolg  des  Mittels  ein  ähnlich 
günstiger. 

Bas  Sozojodolkalium  fand  seine  Anwen- 
dung in  15  Fällen  von  abnorm  starker 
Secretion  der  Nasenschleimhaut  mit  secun- 
därem  ausgebreiteten  Ekzema  narium.  Der 
Erfolg  war  meist  sehr  zufriedenstellend,  in- 
dem die  Hypersecretion  in  kurzer  Zeit  ge- 
hoben wurde.  Die  Quecksilberverbindung 
und  diejenige  mit  Natrium  wurde  zu  selten 
angewandt,  um  sichere  Schlüsse  auf  deren 
Wirksamkeit  ziehen  zu  lassen. 

{hunigural-DUsert.  1889.) 

Carl  Rotenthai  {BerUn). 

Zur  Kenntniss  der  Wirkung  des  Naphthalins  auf 
das  Auge  und  die  sogen.  Naphthalincataracte. 
Von  Dr.  Kolinski. 

Nach  30  Thierexperimenten  (angestellt 
an  Kaninchen,  Meerschweinchen  und  Hun- 
den) kommt  K.  zu  Resultaten,  die  mit  denen 
von  Panas,  Dor  und  Hess  ziemlich  über- 
einstimmen.    Yerf.  nimmt  au,   dass  bei  der 


Naphthalin  Vergiftung  die  rothen  Blutkörper- 
chen   leiden    und    dass    hieraus    die    weit- 
gehendsten  Ernährungsstörungen  resultiren. 
{Nach  Petersburg,  med.  Woehentchr.  1889  No.  15.) 

R. 

Zur  elektrischen  Behandlung  der  Angiome.  Aus 
der  TübiDger  chinirgiscben  Klinik  dee  Prof. 
Dr.  BruDS  von  Dr.  Th.  Gessler. 

Seit  1874  wurde  auf  der  Tübinger  chi- 
rurgischen Klinik  in  10  Fällen  von  meist 
sehr  ausgebreiteten  subcutanen,  geschwulst- 
förmigen  Angiomen,  bei  denen  jedoch  auch 
mehr  oder  weniger  die  bedeckende  Haut  von 
Teleangiectasien  eingenommen  war,  die  Elec- 
trolyse  angewandt  und  zwar  in  der  Weise, 
dass  unter  Narkose  in  das  Angiom  zwei 
Platinnadeln  gestossen  und  mit  den  beiden 
Polen  verbunden  wurden;  ein  Strom  von 
10 — 20  Milliamperes  wurde  10 — 15  Minuten 
lang  durch  geleitet.  In  früherer  Zeit  blieben 
die  Nadeln  noch  einige  Tage  liegen,  später, 
nachdem  kurze  Zeit  vor  Beendigung  der 
Sitzung  der  Strom  gewechselt  worden,  wur- 
den sie  gleich  entfernt,  die  Stichöffnungen 
mit  Jodoformpulver  eingerieben  und  ein 
Jodoformverband  angelegt  zur  Erzielung 
einer  Heilung  unter  dem  Schorf.  Von  den 
so  behandelten  10  Fällen  (sämmtlich  Kinder 
von  21  Wochen  bis  2  Jahren  bis  auf  ein 
9jäbriges  Mädchen)  trat  in  7  Fällen  in  1  bis 
3  Sitzungen  Heilung  ein,  bei  2  blieb  das 
definitive  Resultat  unbekannt,  1  Fall  war  noch 
in  Behandlung.  Besonders  hervorgehoben  muss 
werden,  dass  der  Eingriff  selbst  ein  ganz 
geringfügiger,  die  Reaction  nach  demselben 
keine  sehr  starke  zu  sein  pflegt,  so  dass 
auch  im  jugendlichsten  Alter  diese  Methode 
ohne  Bedenken  sich  anwenden  lässt.  Ein 
Vergleich  mit  den  übrigen  auf  andere  Weise 
(Excision,  Galvanokaustik,  Ignipunctur,  Un- 
.terbindung  der  zuführenden  Arterie  und  In- 
jection  von  Eisenchlorid)  daselbst  behandel- 
ten Fällen  ergiebt  die  Superiorität  dieser 
Methode,  besonders  für  die  schwersten  Fälle 
ausgedehnter  geschwulstförmiger  Angiome. 

{Beiträge  cur  Chirurgie^  Älitiheilungen  ans  den  KUniken 
tu  Tübingent  Heidelherg^  Zürich^  Basel.  Redigirt  von 
Dr.  P.  Bruns,  IV.  Bd.  2.  Beß,  No.  XVJ.)    Pauli  (Lüheek). 

Ueber  den  Einfluss  des  Olivenöls  auf  die  Gallen- 
secretion.  Yorläufige  Mittheilung  von  Dr.  Sieg- 
fried RoBenberg  ^erlin.) 

Die  von  manchen  Autoren  nach  grossen 
Dosen  Olivenöls  bei  Gallensteinkolik  beob- 
achteten Erfolge  veranlassten  R.  die  Wirkung 
des  Olivenöls  auf  die  Gallen  secretion  zu  stu- 
diren.  Die  Versuche,  welche  Vf.  im  Zun t zi- 
schen Laboratorium  an  Hunden  mit  perma- 
nenter Gallenflstel    anstellte,  ergaben,    dass 

56 


434 


Referate. 


rlierapentiich« 
Monatihefle. 


unter  der  Einwirkung  des  Olivenöls  die 
Menge  der  secemirten  Galle  sehr  beträchtlich 
vermehrt,  die  Consistenz  dagegen  vermindert 
"wird. 

{FortsckritU  d.  Med.  1889,  No.  13.)  rd, 

Cocain-Anosmie.    Von   Dr.  H.    Zwaardemaker 
(Utrecht). 

Verf.  hat  gefunden,  dass  Cocain  bei 
localer  Anwendung  den  Geruchssinn  in  ähn- 
licher Weise  beeinflusst,  wie  die  sensiblen 
Nerven  und  die  Geschmacksnerven.  In  ge- 
nügender Menge  von  den  oberen  Theilen  der 
Nasensschleimhaut  resorbirt,  erzeugt  Cocain 
eine  vorübergehende,  sich  gleichzeitig  auf  sehr 
verschiedene  Geruchsqualitäten  beziehende 
Anosmie,  welcher  eine  Hyperaesthesia  olfac- 
toria  voraufgeht. 

{ForUchritU  d.  Med.  1889.  No.  13.)  rd. 

Zur  Behandlung  von  Anchylostomum  duodenale. 
Von  Dr.  Sonsino. 

Bei  einem  jungen  Mädchen,  bei  welchem 
anfänglich  Chlorose  diagnosticirt  worden 
war,  ergab  die  Untersuchung  der  Faeces  die 
Anwesenheit  von  Anchylostomum.  Nach  eini- 
gen Gaben  von  4,0  Thymol  wurde  Pat.  da- 
von befreit. 

{Ocuetta  d.  Ospitali  und  Wien,  med,  Wockensekr. 
1889  No.  21.)  R. 


Zur  Technik  der  Mastdarmresectlon.  Von  Dr. 
William  Levy,  Chirurg  beim  Gewerkskrankenr 
verein  zu  Berlin. 

Als  Verbesserung  des  Operationsverfah- 
rens nach  Kocher,  Eraske  und  Heineke, 
deren  Schnittführung  durch  Beckenboden 
und  Schliessmuskel  die  Funktionen  letzterer 
beeinträchtigt,  schlägt  Verf.  ein  vorläufig 
erst  an  der  Leiche  von  ihm  geübtes  Ver- 
fahren vor,  nach  welchem  der  Schnitt  wage- 
recht über  das  Kreuzbein,  fingerbreit  ober- 
halb der  Corona  coccygea  geführt  und  an 
den  Enden  durch  senkrechte  nach  unten 
verlaufende  Schnitte  vervollständigt  wird. 
In  der  Richtung  des  wagerechten  Schnittes 
wird  dann  das  Kreuzbein  vermittelst  einer 
breiten  Knochenscheere  durchtrennt,  durch 
einen  starken  scharfen  Haken  nach  unten 
gezogen,  worauf  der  Mastdarm  in  grosser 
Ausdehnung,  nach  unten  bis  2  cm  oberhalb 
des  Anus  und  nach  oben  bis  in  die  Flex. 
sigm.,  freigelegt  werden  kann.  Beckenboden 
und  Schliessmuskel  können  somit  vollstän- 
dig geschont  werden.  Nach  erfolgter  Re- 
section  des  Mastdarms  wird  der  umgeschla- 
gene Lappen  nebst  Kreuzbein  wieder  in 
seine  alte  Lage  gebracht  und  durch  Knochen- 
und  Weich th eilnähte  vereinigt. 

{CmiraJhl,  /.  Chirurgie,  1889,  No.  13.) 

Freyer  {SteUki). 


Toxikologie. 


Ein  Fall  von  Creolin  Vergütung.   Von  Dr.  Cr  am  er 
in  Lauenburg  a.  d.  Elbe.  (Original-Mittheilung). 

Es  handelte  sich  um  einen  Patienten, 
welcher  eine  heftige  Blasenblutung  wahr- 
scheinlich in  Folge  eines  Zottencarcinoms 
gehabt  hatte.  Es  zeigte  sich,  dass  der  De- 
trusor  vesic.  nicht  functionirte  und  ich  war 
gezwungen,  eine  grossere  Menge  blutigen 
Harns  durch  Catheterismus  zu  entleeren.  Da 
anscheinend  das  ergossene  Blut  schon  stag- 
nirt  hatte,  spülte  ich  die  Blase  mit  einer 
Va^/o  Creolinlösung  aus,  gebrauchte  aber  die 
Vorsicht,  die  letzten  Reste  derselben  mit 
warmem  Wasser  zu  entfernen.  Nach  24 
Stunden  sah  ich  den  auf  dem  Lande  wohnen- 
den Kranken  wieder.  Er  hatte  sich  nach 
der  Creolinspülung  gut  befunden,  doch  war 
seitdem,  wie  vorher,  keine  genügende  Harn- 
entleerung dagewesen,  was  mich  veranlasste, 
die  gleiche  Maassregel  zu  wiederholen.   Beide 


Male  klagte  Pat.  über  erhebliche  Schmerzen 
durch  das  Tragen  des  sehr  vorsichtig  ein- 
geführten Silbercatheters.  Als  sich  diese 
Klagen  während  des  Ausflusses  der  einge- 
führten Creolinlösung  steigerten,  entfernte 
ich,  nachdem  der  letzte  Tropfen  der  Losung 
dem  Augenmaass  nach  die  Blase  yerlassen 
hatte,  wegen  der  Schmerzen  den  Catheter, 
ohne  die  frühere  Wasserspülung  zu  wieder- 
holen. 

Am  nächsten  Tag  vnirde  mir  eine  Urin- 
probe gebracht,  die  deutlichste  Zeichen  des 
Carbolurins  bot.  Einige  Stunden  später 
wurde  ich  eiligst  herausgeholt  und  fand  den 
Kranken,  der  einen  heftigen  Schüttelfrost 
gehabt  hatte,  mit  einer  Temperatur  von  40,5 
sehr  collabirt  und  dyspnoisch  Tor. 

Nach  Angabe  der  Umgebung  hatte  er 
erbrochen  und  dann  heftig  rauschähnlich 
delirirt.     Der  Urin  zeigte  noch  massige  Cai- 


m.  JtJxrgtLng.  1 
Saptember  1889.J 


Toxikolocla. 


435 


bolreaction,  aber  die  Blutung  stand,  die  auf 
interne  Mittel  gar  nicht  reagirt  hatte. 

Unter  Anwendung  von  Analepticis,  sowie 
Phenacetin  0,5  erholte  sich  der  Kranke.  Am 
nächsten  Tag  war  der  spontan  gelassene  IJrin 
ganz  klar. 

Zur  Casuistik  der  Oxalsäure-Vergiftungen«    Von 
Dr.  E.  Schaff  er  (Offenbach). 

Während  die  Intoxicationen  mit  Phosphor 
in  den  letzten  Jahren  seltener  geworden  sind, 
hat  die  Zahl  der  Vergiftungen  mit  Oxalsäure 
(Zucker-  oder  Eleesäure)  resp.  mit  dem  in 
seinen  Wirkungen  identischen  sauren,  Oxal- 
säuren Kali  (Kleesalz)  erheblich  zugenommen. 
Bei  ihrer  yielseitigen  Verwendung  in  der 
Industrie  und  ihrer  starken  toxischen  Wir- 
kung verdient  die  Oxalsäure  besonders  Inter- 
esse. Es  liegen  bisher  nur  spärliche  klini- 
sche Beobachtungen  über  diese  Intoxication 
beim  Menschen  vor.  Meistens  tritt  eben  der 
Exitus  ein,  bevor  ärztliche  Hilfe  zur  Stelle 
war.  Oft  findet  der  Arzt  den  Pat.  schon 
moribund,  so  dass  eine  genaue  Untersuchung 
und  Beobachtung  nicht  mehr  möglich.  —  S. 
berichtet  nun  ausfuhrlich  über  einen  hierher 
gehörigen  Fall,  den  er  im  Stadtkrankenhaus 
zu  Offenbach  genau  zu  beobachten  Gelegen- 
heit hatte. 

Derselbe  betrifft  einen  19jährigen  Men- 
schen, der  sich  am  26.  Februar  für  25  Pf. 
Kleesäure  in  einer  Drogenhandlung  gekauft 
und  dieselbe  in  einem  Glase  Wasser  gelost 
zu  sich  genommen  hatte.  Vorher  hatte  er 
3  Glas  Bier,  Brod  mit  Käse  und  eine  Tasse 
Kaffee  genossen.  Nach  5  Minuten  trat 
Würgen  und  Erbrechen  ein,  sowie  brennende 
Schmerzen  im  Hals  und  Leib.  Nun  erfuhr 
die  Umgebiing,  dass  Pat.  sich  mit  Kleesäure 
vergiftet.  Von  ärztlicher  Seite  wurden 
Magenspülungen  mit  Wasser  vorgenommen. 
Spülwasser  sowie  Erbrochenes  waren  blutig 
gefärbt.  Bei  der  Aufnahme  (^a  Stunde  nach 
dem  Selbstmordversuch)  bereits  schwerer 
Collaps  mit  kleinem,  unregelmässigem,  lang- 
samem Pulse  (48  in  der  Minute)  und  ober- 
flächlicher Respiration  (10 — 12  in  der  Minute). 
Haut  mit  kaltem  Schweiss  bedeckt,  livide 
Gesichtsfarbe,  Pupullen  weit.  Sensorium 
benommen.  Brechreiz.  —  Ordin.:  Campher 
subcutan,  heisser  Kaffee,  Cognac.  2  Stunden 
später  hatte  sich  der  Puls  gehoben  und  Pat. 
war  weniger  somnolent.  Klonische  und  to- 
nische Krämpfe  in  den  untern  und  obem 
Extremitäten  und  gesteigerte  Reflexe.  Nach 
einiger  Zeit  lassen  die  Krämpfe  nach,  das 
Sensorium  wird  freier.  Starke  Schmerzen 
im  Halse.  Anästhesie  an  den  Finger-  und 
Zehenspitzen,  sowie  auf  der  Vorderfläche  der 
beiden  Hände  und  Plantarfläche   der  Füsse. 


Sensibilität  an  den  übrigen  Stellen  des  Kor- 
pers normal.  Temp.  38,2,  Puls  80.  Klagen 
über  Schmerzen  in  der  Lumbaigegend  und 
in  beiden  Beinen.  Füsse  und  Hände  »^^ 
eingeschlafen".  Starkes  Durstgefühl.  Brennen 
im  Munde. 

Der  am  folgenden  Tage  spontan  entleerte 
Urin  ist  blutig  gefärbt,  sauer,  stark  eiweiss- 
haltig,  enthält  reichliche  Epithelien  und 
Epithel cylinder,  desgleichen  Oxalsäurekry- 
stalle.  Pat.  klagt  über  Schmerzen  in  der 
Nieren-  und  Blasengegend,  Appetitlosigkeit 
und  Brechreiz.  Dazu  gesellt  sich  alsbald 
Hyperhidrosis  an  Händen  und  Füssen  und 
Kopfschmerz. 

An  den  nächstfolgenden  Tagen  bestehen 
die  vorgenannten  Symptome  noch  fort.  Pat. 
kommt  sich  „wie  betrunken"  vor. 

Nach  Verlauf  von  8  Tagen  Besserung 
und  am  13.  März  kann  Pat.  als  geheilt  ent- 
lassen werden. 

Es  ist  leicht  verständlich,  dass  die  In- 
toxication serscheinun  gen  in  den  verschiedenen 
Fällen  je  nach  den  begleitenden  Umständen 
verschieden  stark  auftreten.  Das  Nahrungs- 
quantum, das  in  unserem  Falle  der  Pat. 
noch  kurze  Zeit  vor  dem  Selbstmordversuch 
zu  sich  genommen,  war  sicherlich  für  den 
Verlauf  der  Intoxication  von  günstigem  Ein- 
fluss,  ebenso  wie  das  schon  5  Minuten  nach 
Einführung  des  Giftes  erfolgte  Erbrechen. 

{Münch.  med,  Wochensehr.  1889,  No.  23.)        Ji. 

Acute  Jodintoxication  bei  einem  Nephrltiker.  Von 
Dr.  Gerson  (Pforzheim). 

G.  verordnete  bei  einem  27  jährigen 
Manne,  der  an  traumatischer  Periostitis  der 
Tibia  litt,  Bleiwasserumschläge  und  innerlich 
Jodkali  5:150  g,  3  mal  täglich  1  Essloffel. 
Am  nächsten  Tage  war  eine  bedeutende  Ver- 
schlimmerung des  AUgemeinbeflndens  einge- 
treten (Pat.  hatte  60  g  d.  h.  2  g  Jodkalium 
gebraucht).  Bereits  nach  Einnahme  des  er- 
sten Löffels  Niesen,  Schnupfen,  Benommen- 
heit, Kreuzschmerzen;  nach  dem  zweiten 
Löffel  Erbrechen;  nach  dem  dritten  Appetit- 
losigkeit, starkes  Durstgefühl,  Metall- 
geschmack im  Munde,  Pupillen  weit;  auf 
Rumpf  und  Armen  ein  masern ähnlicher  hell- 
rother  Ausschlag;  Puls  voll;  starke  Druck- 
empflndlichkeit  in  der  Nierengegend.  Im  Harn 
keine  Jodreaction,  aber  reichlich  Ei  weiss, 
Fettkörnchency linder,  dunkele  Farbe,  hohes 
specifisches  Gewicht  (1026).  Nach  Aus- 
setzen des  Medicamentes  trat  Besserung  aller 
Symptome  ein,  nur  die  pathologischen  Be- 
standtheile  im  Urin  waren  noch  vorhanden, 
Jod  nicht  im  Urin  nachzuweisen.  Der  Pa- 
tient hatte  vor  anderthalb  Jahren  eine  acute 
Nieren erkrankung  überstanden,    diesen  Um- 

55  • 


436 


Tozlkologi«. 


rrhermpeatiKhe 
L  MoBJttabeflai 


stand  aber  yersch wiegen.  Wahrscheinlich 
litt  der  Mann  also  an  chronischer  parenchy- 
matöser Nephritis ;  die  erkrankte  Niere  schied 
das  Jod  nicht  aus,  sodass  es  im  Organismus 
die  geschilderten  Yergiftungserscheinungen 
hervorrief. 
{Müneh.  med.  Wockenachr.  1889  No.  25.) 

George  Meyer  {Berlin), 

Intoxication  durch  subcutane  Injection  von  Oleum 
clnereum.    Von  Dr.  Lukasiewicz  (Wien). 

Bei  einer  46jährigen,  an  Lues  leidenden, 
sonst  gesunden,  kräftigen,  gut  genährten  Per- 
son wurden  im  Ganzen  in  7  Wochen  9  mal 
Injectionen  von  Ol.  einer,  vorgenommen  und 
im  Ganzen  2,15  com  einer  30  procentigen  Ol. 
einer,  applicirt.  Jedes  Mal  vor  der  Einsprit- 
zung wurde  genau  der  Mund  nachgesehen  und 
stets  sorgföltige  Mund-  und  Zahnpflege  an- 
geordnet. Trotz  dieser  Yorsichtsmassregeln 
stellte  sich  eine  Woche  nach  der  letzten 
Injection  eine  Stomatitis  ein,  die  sich  immer 
mehr  trotz  aller  Gegenmittel  ausbreitete, 
ferner  Diarrhoe,  blutige  Stühle,  Tenesmus, 
Albuminurie,  und  unter  fortgesetzter  Ab- 
magerung, starken  Schmerzen  im  XJnterleibe 
starb  die  Patientin  ca.  vier  Wochen  nach 
der  letzten  Einspritzung  des  grauen  Oels. 
Die  Section  ergab  starke  Schwellung  der 
Schleimhaut  im  ganzen  Dickdarm,  im  Dünn- 
darm geringere  Veränderungen.  Die  Unter- 
suchung einer  aus  der  Rückenhaut  excidirten 
Injectionsstelle  ergab  0,0415  g  Hg  =  69,5% 
der  injicirten  Menge  von  0,0597.  Die  Re- 
sorption des  Hg  war  sehr  langsam  erfolgt, 
jedoch  ist  dieselbe  zuletzt  mit  der  schnellen 
Abmagerung  der  Patientin  schneller  von 
Statten  gegangen.  Die  Zufuhr  des  Quecksilbers 
aus  den  angelegten  Depots  in  den  Korper  konnte 
nicht  gehindert  werden;  es  ergiebt  sich  auch 
hieraus  wieder  die  Unmöglichkeit  genauer 
Dosirung  bei  den  Injectionen.  Der  zeitliche 
Zwischenraum  zwischen  zwei  Einspritzungen 
ist  sicher  viel  länger  zu  wählen.  An  der 
Klinik  von  Kaposi  werden  die  Injectionen 
nur  an  einer  Stelle  ausgeführt,  nicht  mehr 
als  0,15  Ol. einer.  (Hydrarg.,  Lanolin,  aa  3,0; 
Ol.  olivar.  4,0,  also  30procentige  Oelsuspen- 
sion).  Die  Frist  zwischen  zwei  Injectio- 
nen beträgt  mindestens  1  Woche,  individuell 
(schlechte  Zähne  etc.)  bis  zu  2  Wochen ; 
mehr  als  5,  höchstens  6  Injectionen  (0,75 
bis  0,9)  werden  nicht  gemacht.  Wenn  nöthig, 
wird  nach  einer  Pause  die  Schmiercur  an- 
geschlossen. 

Jedenfalls    also    ist   grosse  Vorsicht   bei 
der  Anwendung  der  Quecksilberölsuspension 
anzurathen. 
{Wien.  hUn,  Wochensehr.  1889  No.  29  u.  30.) 

George  Meyer  (Berlin). 


Schnell  eintretender  Tod  nach  subcutanen  Ein- 
spritzungen von  Morphin.  VonDr.  H.  Bai- 
land. 

B.  hat  6  Fälle  beobachtet,  in  denen 
sehr  bald  nach  einer  Injection  von  0,01 
Morphin  Exitus  letalis  eingetreten  ist.  In 
allen  Fällen  handelte  es  sich  um  Tuber- 
culose  im  letzten  Stadium  mit  intensiver 
Diarrhoe. 

Gleich  nach  der  Einspritzung  machte 
sich  eine  deutliche  Erleichterung  bemerkbar, 
aber  eine  halbe  Stunde  nachher  starben  die 
betreffenden  Patienten  ganz  plötzlich,  ohne 
vorher  die  geringsten  Beschwerden  zu  ver- 
rathen. 

{Revue  gen.  de  CUnique  et  de  Therap.  1889,  No.  27.) 

Ciaret  {Cery). 

Zwei  Fälle  von  schnell  eintretendem  Exitus  leta- 
lis nach  subcutaner  Morphin  -  Injection. 
Von  Dr.  L.  du  Bourg. 

Verf.  behandelte  einen  42jährigen  Alko- 
holiker mit  Lebercirrhose,  allgemeinem  Ic- 
terus und  Insufficienz  der  Aortenklappen. 
Um  die  quälende  Dyspnoe  zu  bekämpfen, 
wurde  ihm  eine  subcutane  Einspritzung  von 
0,005  Morphin  gemacht.  15  Minuten  nach 
der  Injection  verspürte  Pat.  grosse  Erleich- 
terung und  20  Minuten  später  starb  er  ganz 
plötzlich. 

In  dem  zweiten  Falle  handelte  es  sich 
um  eine  47  Jahre  alte  Dame,  die  seit  fünf 
Tagen  an  Ileotyphus  erkrankt  war  und  seit 
2  Tagen  an  furibunden  Delirien  litt.  Hoch- 
gradigste Aufregung,  zu  deren  Bekämpfung 
0,005  Morphin  subcutan  eingespritzt  wurden. 
10  Minuten  später  trat  Beruhigung  ein,  aber 
15  Minuten  nach  der  Einspritzung  war  Pa- 
tientin plötzlich  verschieden. 

{Revue  gen.  de  CUnique  et  de  TkSrap.  1889,  No.  29.) 

Chret  {Cery). 


Litteratvr. 


Die  moderne  Behandlaner  der  Nervenschwäebe 

(Neurasthenie),  der  ^sterie  and  verwandter 
Leiden.  Mit  besonderer  Berücksichtiganff  der 
Luftcaren,  Bäder,  Anstaltebehandlaog  und  d^ 
Mitchell-Playfair'flchenMastcur.  VonDr. Löwen- 
feld, Specialarzt  für  Nervenkrankheiten  in 
München.  Zweite  vermehrte  Auflage.  Wies- 
baden.   J.  F.  Bergmann  1889.    8<>.     131  S. 

Diese  verdienstvolle  Broschüre  ist  bereits 
bei  ihrem  ersten  Erscheinen  in  den  Thera- 
peutischen Monatsheften  besprochen  und  warm 
empfohlen   worden.      Wie   zu   erwarten   war, 


September  1889.J 


Litteratur. 


437 


hat  sie  alsbald  die  gebührende  Anerkennung 
und  weite  Verbreitung  gefunden,  so  dass 
gegenwärtig  dem  ärztlichen  Publicum  wieder* 
um  eine  neue  Auflage  vorgelegt  werden  kann. 
—  Dieselbe  ist  durch  danken swerthe  Aen- 
derungen  und  Zusätze  erheblich  vermehrt 
worden.  Die  neusten  Methoden  und  Be- 
handlungsweisen  sind  von  einem  objectiven 
Standpunkte  aus  eingehend  und  sachgemäss 
berücksichtigt  worden.  Hierbei  möchten  wir 
noch  die  klare  und  leicht  fassliche  Dar- 
stellungsweise  des  federgewandten  und  an 
eigenen  Erfahrungen  reichen  Verfassers  mit 
ganz  besonderem  Nachdrucke  hervorheben. 
Entsprechend  der  Bedeutung,  die  der  hyp- 
notischen Behandlung  gegenwärtig  von 
vielen  Seiten  zuerkannt  wird,  hat  der  Verf. 
derselben  in  einem  eigenen  Abschnitte  eine 
ausführliche  und  unparteiische  Besprechung 
gewidmet.  —  Gleich  ihrer  Vorgängerin  werden 
wir  daher  auch  der  neuen  Auflage  unsere 
rückhaltslose    Anerkennung    zollen    müssen. 

Babow. 

Mittheilnnipeii  ans  der  chirarsrisclien  Klinik  zn 

Kiel  von  Dr.  Friedrich  v.  Es  mar  eh.  Heft  IV. 
Kiel  u.  Leipzig.  Verlag  von  Lipsius  u. 
Tisch  er.     1888. 

In  dem  vorliegenden  IV.  Heft  der  Kieler 
Mittheilungen  untersucht  zunächst  Hitze- 
grad „die  Enderfolge  der  Kniegelenks- 
resectionen  seit  Einführung  der  anti- 
septischen Wundbehandlung  und  der 
künstlichen  Blutleere."  Aus  115  von 
1874 — 84  operirten  Fällen  gewinnt  er  das 
Resultat,  dass  diese  Operation  bei  der  Gelenk- 
tuberculose  ihren  alten  Platz  behaupten  darf. 
Im  Besonderen  führt  er  aus,  dass  die  Winkel- 
stellung des  Beines  sich  durch  Tragen  von 
Schutzverbänden  bis  zur  vollständigen 
knöchernen  Ankylose,  oft  also  jahrelang 
vollständig  vermeiden  lasse.  Eine  Beschleuni- 
gung der  Ankylose  sei  durch  Verbesserung 
der  Operationstechnik  und  möglichste  Ent- 
fernung alles  Kranken  —  was  bei  künst- 
licher Blutleere  desto  leichter  sei  — ,  sowie 
durch  Fixation  der  Knochenenden  mittelst 
langer  Stahlnägel  anzustreben  und  auch 
zu  erreichen. 

Bier  liefert  „Beiträge  zur  Kenntniss 
der  Syphilome  der  äusseren  Muscula- 
tur".  Indem  er  auf  den  Mangel  besonderer 
Charakteristica  in  der  Entwicklung ,  den 
Symptomen  und  dem  Verlauf  dieser  Theiler- 
scheinungen  der  allgemeinen  Syphilis  hin- 
weist, weiss  er  doch  hervorzuheben,  dass  die 
Muskelsyphilome  zuweilen  schon  sehr  früh 
erscheinen  und  in  erster  Linie  die  Kopfnicker 
befallen,  auch  mit  Vorliebe  in  der  Nähe  der 
Sehnen  und  Knochenansätze  sich   etabliren. 


Therapeutisch  sei  der  schon  von  Nelaton  ge- 
gebene Rath  zu  beherzigen,  dass  Muskelge- 
schwülste, deren  anderweitige  Natur  nicht 
unbedingt  feststeht,  zunächst  antisyphilitisch 
zu  behandeln  seien;  auch  solle  man  bei  an- 
fänglichem Misserfolg  nicht  den  Muth  ver- 
lieren, sondern  in  der  antisyphilitischen  Cur 
fortfa-hren,  da  die  Schwierigkeit  der  defini- 
tiven Heilung  des  chronischen  Muskelgummas 
eben  in  den  anatomischen  Verhältnissen,  in 
dem  derberen  Bindegewebe  und  den  unresor- 
birbaren  Käseherden,  ihren  Grund  haben. 

Derselbe  Verfasser  beschreibt  noch  einen 
Fall  von  Akromegalie,  jener  erst  neuer- 
dings mehr  bekannt  gewordenen,  merkwürdi- 
gen Vergrösserung  peripherischerKörpertheile, 
besonders  der  Hände, Füsse  und  des  Gesichtes. 

Freyer  {Stettin). 

Lehrbnch  der  Ohrenheilkunde,  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  Anatomie  und  Physiolo&rie 

von  Dr.  Joseph  Grub  er,  K.  K.  a.  o.  Pro- 
fessor der  Ohrenheilkunde  an  der  Universität, 
Vorstand  der  Universitäts-Klinik  für  Ohren- 
kranke  und  Ohrenarzt  des  allgemeinen  Kranken- 
hauses in  Wien.  Zweite,  gänzlich  umgearbeitete 
und  vermehrte  Auflage.  Mit  150  in  den  Text 
gedruckten  Abbildungen  und  2  chromo-litho- 
graphischen  Tafeln.  Wien.  Druck  und  Ver- 
lag von  Carl  Gerold's  Sohn  1888.  Gr.  8. 
S.  676. 

Zu  den  erfreulichen  Erscheinungen  auf 
dem  Gebiete  der  neueren  medicinischen  Litte- 
ratur gehört  die  Thatsache,  dass  man  nun- 
mehr auch  der  lange  unverdientermaassen  ver- 
nachlässigten Ohrenheilkunde  ein  grösseres 
wissenschaftliches  Interesse  entgegenbringt. 
Ist  doch  seit  dem  ersten,  deutschen  klassi- 
schen Lehrbuch  von  Tröltsch,  1862,  einige 
mindcrwerthige ,  meist  compilatorische  Ela-  • 
borate  abgerechnet,  eine  stattliche  Reihe  sehr 
verdienstvoller  Werke  erschienen.  Zu  diesen 
letzteren  gehörte  unzweifelhaft  bereits  die 
erste  Auflage  des  Grub  er' sehen  Lehrbuches, 
das,  abgesehen  von  einigen  Bemängelungen 
der  hier  und  da  auftretenden,  schwerfiilligcn 
Schreibweise  und  nicht  ganz  zweckmässiger 
Eintheilung  des  Stoffes  vielfache  Anerkennung 
von  Seiten  berufener  Fachmänner  gefunden 
hat.  Der  Autor  hat  sich  den  erwähnten 
Ausstellungen  gegenüber  in  der  neuen  Auf- 
lage nicht  ablehnend  verhalten,  so  dass  die 
Kritik  diesmal  sich  in  höherem  Grade  lobend 
aussprechen  kann. 

Der  erfahrene  Lehrer  und  Forscher  lässt 
sich  in  der  Einleitung  zunächst  über  die 
Wichtigkeit  des  Studiums  der  Anatomie  des 
Gehörorgans  aus  und  wendet  sich  sodann 
zur  Osteologie  des  Schläfenbeins,  wobei  er 
den  embryologischen  und  kindlichen  Verhält- 
nissen seine  besondere  Aufmerksamkeit 
schenkt.     Sodann   geht  Verf.    zu    einer   ein- 


438 


Littaratur. 


rlkerapeutiMlie 
BfonAtabefle. 


gehenden  Betrachtung  der  Weichtheile  des 
Gehörorgans  über.  Es  kann  hier  nicht  der 
Ort  sein,  auf  alle  die  interessanten  Details 
(beispielsweise  die  Histologie  des  Trommel- 
fells, worin  der  Autor  ganz  besonders  yiel 
gearbeitet  hat)  einzugehen.  Zur  eigentlichen 
Ohrenheilkunde  übergehend,  behandelt  Yerf. 
dann  den  allgemeinen  Theil  in  yier  Capiteln, 
und  zwar  im  ersten  das  Erankenexamen,  die 
verschiedenen  Hörprüfungen  und  physiologi- 
schen Hörversuche,  im  zweiten  die  objective 
Untersuchung  des  äusseren  Ohres,  des  Trom- 
melfelles, der  Paukenhöhle  und  des  Nasen- 
rachenraumes, sowie  die  verschiedenen  Arten 
des  Catheterismus  der  Ohrtrompete,  die  ver- 
schiedenen Methoden  der  Luftdouche,  sowie 
die  Bougirung  der  Tuba;  im  dritten  Capitel 
bespricht  er  kurz  die  Pathologie  der  Ohren- 
krankheiten und  wendet  sich  im  vierten  zu 
der  so  wichtigen,  allgemeinen  Therapie  der- 
selben. Wie  leicht  begreiflich,  lässt  sich  auf 
diesem  viel  bearbeiteten,  aber  mit  Contro- 
versen  reich  gesegneten  Gebiete  auch  gegen 
einzelne  Encheiresen  des  Autors  manches  ein- 
wenden. Die  Disciplin  ist  noch  zu  jung,  und 
bezüglich  der  einschlägigen  physiologischen 
und  pathologischen  Zustände  sind  wir  noch 
zu  sehr  auf  Hypothesen  angewiesen,  als  dass 
auf  therapeutischem  Gebiete  schon  Fertiges 
verlangt  werden  könnte.  Sodann  bespricht 
Yerf.  in  16  Capitel  n  die  Krankheiten  des 
äusseren,  mittleren  und  inneren  Ohres  in 
ausführlicher  und  mit  einer,  auf  reicher  Er- 
fahrung beruhenden  hervorragenden  Sach- 
kenntniss.  Den  neuen  physiologischen  und 
bakteriologischen  Forschungen  trägt  er  hier 
vollauf  Rechnung.  Der  chirurgischen  Er- 
öffnung des  Warzenfortsatzes,  die  bekannt- 
lich durch  Schwartze's  erfolgreiche  Be- 
mühungen zu  so  grossem  und  berechtigtem 
Ansehen  gekommen  ist,  widmet  er  die  ver- 
diente Aufmerksamkeit,  indem  er  Schwartze's 
Indicationen  acceptirt,  die  Operationsmethode 
genau  schildert  und  die  topographischen 
Verhältnisse  des  Warzen fortsatzes  mit  Bezug 
auf  die  Operation  klarstellt.  Die  patho- 
logischen Veränderungen  am  Trommelfell, 
sowie  die  betreffenden  Operationen  an  dem- 
selben sind  ausserordentlich  sorgfältig  bear- 
beitet und  kann  Ref.  den  für  die  Tenotomie 
des  Tensor  tympani  vorsichtig  ausge- 
sprochenen Indicationen  beipflichten.  Die 
vom  Verf.  eingeführten  Gelatine -Präparate 
(Amygdalae  aurium)  bei  Otitis  externa 
diffusa  hält  Ref.  für  sehr  zweckmässig;  be- 
sonders wirkt  das  den  Präparaten  zugesetzte 
Narcoticum  sehr  schmerzstillend;  doch  glaubt 
er  nicht,  dass  die  Amygdalae  neben  ihrer 
anästhesirenden  Wirkung  noch  eine  anti- 
phlogistische   haben.      Den    bei    Periostitis 


des  Processus  mastoideus  empfohlenen  Lei- 
ter^ sehen  Kühlapparat  hält  Ref.  für  über^ 
flüssig.  G.  meint,  dass  er  primäre,  selbst- 
ständige Entzündung  des  Warzentheils  ohne 
vorherige  Erkrankung  des  Periostes  und 
ohne  Entzündung  der  Schleimhäute  der 
Paukenhöhle  noch  niemals  gesehen  habe. 
Wenn  auch  zugestanden  werden  muss,  dass 
die  Affection  selten  ist,  so  kommt  dies  nach 
des  Ref.  Erfahrung  bei  Tuberculose  that- 
sächlich  mitunter  vor. 

Bei  der  Therapie  der  Caries  des  mitt- 
leren Ohres  ist  die  in  neuester  Zeit  ge- 
übte, besonders  von  Schwartze  so  ange- 
legentlich empfohlene  Extraction  des  Ham- 
mers unerwähnt  geblieben,  obwohl  sicherlich 
bei  chronischen  Eiterungen  diesem  operativen 
Eingriff  eine  sehr  gute  Zukunft  prognosticirt 
werden  kann. 

Dass  bei  Granulationen  am  Trommelfell, 
bei  Myringitis  (S.  345)  Bepinselungen  mit 
Tinct.  opii  oder  dünner  Sublimatlösung  (bei 
Syphilis)  von  Erfolg  sind,  möchte  Ref.  be- 
zweifeln. Am  sichersten  helfen  hier  Aetzun- 
gen  mit  Chromsäure  oder  Höllenstein,  ev. 
die  Galvanokaustik,  die  ja  Verf.  auch  be- 
sonders hervorhebt.  Auch  die  Labyrinth- 
erkrankungen mit  air  ihren  hypothetischen, 
physiologischen  und  pathologischen  Grund- 
lagen hat  Verf.  in  dankenswerther  Weise 
eingehend  behandelt. 

Es  wäre  ein  Leichtes,  die  obigen  klei- 
nen Ausstellungen  noch  zu  vermehren.  Doch 
fallen  dieselben  gegenüber  den  übrigen,  in 
die  Augen  springenden  Verdiensten  dieses 
so  sorgföltig  bearbeiteten  Werkes  gar  nicht 
ins  Gewicht.  Was  die  Ausstattung  des 
Buches  betrifft,  so  kann  dieselbe  als  eine 
musterhafte,  bis  jetzt  auf  diesem  Gebiete 
geradezu  unerreichte  bezeichnet  werden. 
Das  Werk  wird  auf  Grund  seines  die  ge- 
sammte  Disciplin  umfassenden  und  instruc- 
tiven  Inhalts  gewiss  auch  dem  Belehrung 
suchenden    practischen    Arzte    von    grossem, 

anregendem  Nutzen  sein. 

L.  Kate  {Berli»), 

Die  Methoden  der  Bakterienforschnng:.    Von 

Ferdinand  Hueppe.  Vierte  vollständig  um- 
gearbeitete und  wesentlich  verbesserte  Auflage. 
Wiesbaden,  Kr  ei  d  ei  1889. 

Das  bekannte  Werk  von  Hueppe,  welches 
die  Methoden  der  Bakterienforschung  in  vor- 
züglicher Form,  in  ausserordentlicher  Voll- 
ständigkeit und  mit  dem  kritischen  Blick 
des  bewährten  Forschers  darstellt  und  welches 
daher  schon  längst  überall  eine  dauernde 
Stätte  fand,  wo  bakteriologisch  gearbeitet 
wird,  ist  soeben  in  vierter  Auflage  erschienen. 
In  derselben  hat  das  Werk  vielfach  eine  ein- 


September  1888J 


Ltttoratur. 


439 


greifende  Umarbeitung  erfahren,  der  erste 
Abschnitt  über  die  mikroskopische  Technik 
ist  nach  den  allgemeinen  Gesichtspunkten 
und  nicht  mehr  rein  empirisch  dargestellt, 
ebenso  der  zweite  Theil,  welcher  die  expe- 
rimentelle Technik  behandelt,  nicht  durch 
blosse  Einfügung  der  seit  der  letzten  Auflage 
hinzugekommenen  neuen  Errungenschaften 
vermehrt,  sondern  der  Hauptwerth  auf  die 
Darstellung  der  Methoden  nach  biologischen 
und  historischen  Gesichtspunkten  und  auf 
die  Erzielung  objectiyer  Darstellung  gelegt. 
Durch  diese  Veränderungen  konnte  das 
Werk  von  Hueppe  in  der  Stellung  nur  be- 
festigt werden,  die  es  schon  einnahm,  näm- 
lich ein  unentbehrliches  Handbuch  für  den 
Lernenden,  ein  höchst  werthvolles  Nach- 
schlagebuch für  jeden  zu  sein,  der  selbständig 

arbeitet.  A,  GoUsUin  (Berlin). 

Die  Yerbreitang'  des  HeUpersonals  der  phar- 
macentischen  Anstalten  und  des  pharma- 
centischen  Personals  im  Dentschen  Reiche. 
Nach  den  amtlichen  Erhebungen  vom  1.  April 
1887  bearbeitet  im  Kaiserlichen  Gesundheits- 
amte. Mit  drei  Uebersichts karten.  Berlin. 
Verlag  von  Julias  Springer.     1889. 

Das  vorliegende  Werk  ist  eine  Wieder- 
holung der  bezüglichen  statistischen  Auf- 
nahmen vom  1.  April  1876.  Wie  jene 
sollten  auch  diese  den  Zweck  haben,  das 
verwendbare  Medicinal -Personal  kennen  zu 
lernen,  um  daraufhin  die  Zweckmässigkeit 
und  Durchführbarkeit  medicinalpolizeilicher 
Maassn ahmen  beurtheilen  zu  können.  Eine 
Erweiterung  haben  jedoch  diese  neueren 
Erhebungen  durch  ihre  Zusammenstellung 
nach  den  einzelnen  Kreisen  erfahren,  wäh- 
rend dagegen  die  wissenschaftlichen  Vereine 
der  Aerzte  und  Apotheker  fortgelassen  sind. 
Desgleichen  sind  die  Heilanstalten  fortge- 
blieben. 

Bei  einem  Vergleich  mit  der  früheren 
Zählung  fällt  zunächst  eine  erhebliche  Zu- 
nahme der  Aerzte  auf  (15,4  ^/o),  und 
zwar  hat  diese  in  Städten  über  5000  Ein- 
wohner stattgefunden,  während  in  den  kleinen 
Plätzen  sogar  eine  Abnahme  zu  verzeichnen 
ist.  Den  weitesten  Weg  zum  Arzt  hat  die 
Landbevölkerung  in  den  sechs  östlichen  Pro- 
vinzen Preussens  und  in  Mecklenburg,  den 
kürzesten  in  Hessen,  Waldeck,  Reuss  j.  L., 
Sachsen  und  Baden. 

Die  Wundärzte  haben  mehr  als  um 
die  Hälfte  abgenommen. 

Die  Zahl  der  approbirten  Heildiener 
ist  um  15,4  ^/o  angewachsen. 

An  berufsmässigen  Krankenpfle- 
gern wurden  gezählt: 

a.  freipractisirende :  476  männliche  und 
962  weibliche; 


b.  einer  weltlichen  Genossenschaft  an- 
gehörig: 554  männliche  und  1465  weibliche; 

c.  im  Verbände  einer  geistlichen  Ge- 
nossenschaft stehend:  584  männliche  und 
10  544  weibliche. 

Davon  sind  '/a  katholischer  und  ^j^  evan- 
gelischer Confession. 

Die  Hebammen  haben  sich  um  8,8% 
vermehrt. 

Nicht  approbirte  Personen,  die  sich 
mit  der  Behandlung  kranker  Menschen  be- 
schäftigten und  ihren  Gewerbebetrieb  ange- 
meldet oder  öffentlich  angekündigt  haben 
(darunter  auch  die  im  Auslande  Approbirten 
und  die  sogen.  Zahntechniker),  gab  es  1718. 
Dies  ist  natürlich  nur  ein  kleiner  Theil  der 
wirklichen  Zahl,  wie  das  Beispiel  von  Bayern 
lehrt,  wo  am  31.  December  1887  allein 
745  Personen  die  Heilkunde  ausübten,  ohne 
staatlich  anerkannt  zu  sein.  Gegen  1876 
haben  sich  diese  Personen  im  Deutschen 
Reiche  somit  um  117%  vermehrt,  also 
l^jijsi&l  stärker  als  die  Aerzte.  Der 
fünfte  bis  vierte  Theil  davon  kommt  auf 
das  weibliche  Personal. 

Die  Thierärzte  haben  um  4,36  %  ab- 
genommen. 

Bei  den  Apotheken  ist  eine  Zunahme 
von  ruDd  6  %  zu  constatiren  gewesen.  Die 
Zahl  der  privilegirten  betrug  1837  (gegen 
1884  bei  der  ersten  Zählung),  die  der  con- 
cessionirten  2667,  der  Filialen  19. 
Etwa  der  vierte  Theil  derselben  wird  vom 
Geschäftsinhaber  allein  versehen,  ohne  Hilfs- 
personal. Letzteres  hat  um  1240  in  den 
letzten  11  Jahren  zugenommen.  Dispen- 
siranstalten  gab  es  197  (34  mehr),  ärzt- 
liche Hausapotheken  415  (51  weniger), 
darunter  74  homöopathische. 

Näher  auf  diese  Zahlenverhältnisse  ein- 
zugehen, gestattet  uns  der  Raum  nicht;  es 
sei  nur  bemerkt,  dass  das  vorliegende  Werk 
mit  seinen  Tabellen  und  Eintheilungen  eine 
ausgiebige  Fundgrube  für  denjenigen  bietet, 
der  sich  in  dieser  Beziehung  nach  einer 
bestimmten  Richtung  hin  orientiren  will. 
Dem  Werke  sind  3  kartographische 
Darstellungen  über  die  Vertheilung  der 
Aerzte,  Hebammen  und  Apotheken  beige- 
fügt, so  dass  ein  Blick  auf  dieselben  uns 
schon  über  manchen  Punkt,  z.  B.  über  die 
höhere  Zahl  von  Aerzten  in  den  wohlhaben- 
deren Gegenden  u.  dergl.,  zu  belehren 
vermag. 

Die  Ausstattung  des  Werkes  ist  die  be- 
kannte, von  der  genannten  Verlagsbuchhand- 
lung gewohnt  vortreffliche. 

Freyer  {SUUin). 


440 


PractlBChe  Notizen  und  empfehlenfwerthe  Armeiformeln. 


rlkerapeatlMbe 
MonstsbcfteL 


Practische  Notiaeii 

and 

empfehleiiswerthe  Araiieifonneln. 


Desinfection  infectiOser  Darmentleenxngen. 

Prof.  üffelmann  hat  die  gebräucblicli- 
sten  zur  Desinfection  infectioser  Faecalien 
empfohlenen  Substanzen  einer  eingehenden 
Prüfung  auf  ihre  diesbezügliche  Wirksamkeit 
untersucht  und  ist  dabei  zu  Resultaten  ge- 
langt (Berl.  klin.  Wochenschr.  1889  No.  25), 
welche  wesentlich  von  den  allgemein  gelten- 
den Annahmen  abweichen. 

Am  wirksamsten  erwiesen  sich  die  Mi- 
neralsäuren: Schwefelsäure  und  Salzsäure^ 
mit  der  gleichen  oder  der  doppelten  Menge 
Wassers  verdünnt,  welche  nach  zweistün- 
diger, beziehungsweise  zwolfstündiger  Ein- 
wirkung alle  in  den  Faecalmassen  vorkom- 
menden Keime  vernichteten.  ^Nächst  ihnen 
erwiesen  sich  am  wirksamsten  die  saure 
Sublimatlosung  (salzsaure  2  p.  M.-L5sung) 
und  die  mit  Wasser  "  verdünnte  Kali- 
lauge. Garbo Isäure  5%  todtete  nach 
einstündiger  Einwirkung  nicht  alle  in  Faeces 
vertheilten  Eberth' sehen  Bacillen,  wohl 
aber  nach  24 stündiger  diese  und  fast  alle 
anderen  Keime.  Creolin  12,5  vernichtete 
erst  nach  24  Stunden  fast  alle  Keime. 
Aetzkalk  wirkte  bei  einem  Zusatz  von 
0,1  :  10  ccm  unsicher;  bei  0,25  :  10  ccm  und 
einer  24  stündigen  Einwirkung  erwies  sich 
derselbe  als  ein  nahezu  sicheres  Desinficiens. 
Nicht  saure  Sublimatlösung  (2  p.  M.) 
vermochte  selbst  bei  24  stündiger  Einwir- 
kung nicht  immer  alle  Keime  zu  tödten; 
bei  ^/^stündiger  Einwirkung  blieben  ziemlich 
viele  Keime,  selbst  Typhusbacillen  am  Leben. 
—  Ganz  unwirksam  war  das  blosse  üeber- 
giessen  der  Faecalien  mit  siedendem  Wasser. 

Die  Untersuchungen  lehren,  dass  die 
Dauer  der  Einwirkung  von  der  grossten  Be- 
deutung ist,  und  dass  man  nie,  selbst  nicht 
bei  Anwendung  der  wirksamsten  Mittel, 
hoffen  darf,  innerhalb  weniger  Minuten 
Faeces  desinficirt  zu  haben.  Am  leichtesten 
waren  die  Cholerabacillen  zu  vernichten. 

Auf  Grund  der  gewonnenen  Resultate 
giebt  üffelmann,  um  flüssige  oder  dünn- 
breiige Faecalien  sicher  zu  desinficiren, 
folgende  Vorschriften : 

Schwefelsäure  oder  Salzsäure  mit 
der  doppelten  Menge  Wassers  verdünnt.  Die 
Faecalien  sind  mit  dem  gleichen  Volumen 
der  verdünnten  Säure  zu  mischen  und  bei 
Anwendung  von  Schwefelsäure  2  Stunden, 
bei  Anwendung  von  Salzsäure  12  Stunden 
stehen  zu  lassen. 


C  ar  b  o  1  s  äu  r  e  5  %.  Gleiche  Mengen  Fae- 
calien und  Carbolsäure.  Dauer  der  Einwir- 
kung 24  Stunden. 

Sublimatlosung  (Sublimat  2,0,  Acid. 
muriatic.  0,5,  Aquae  1000,0).  Gleiche 
Mengen  Faecalien  und  Sublimatlösung.  Dauer 
der  Einwirkung  mindestens  ^/^  Stunde,  besser 
24  Stunden. 

Aetzkalk.  Wenn  sich  aus  practischen 
Gründen  Aetzkalk  empfiehlt,  so  sind  2,5  g 
auf  100  ccm  Faecalien  24  Stunden  lang 
einwirken  zu  lassen.  Von  Kalkmilch  sind 
2,5  Theile  auf  1  Theil  Faecalmasse  (24  Stun- 
den) anzuwenden. 

Betreffs  consistenter  Faeces  sind  weitere 
Untersuchungen  nothwendig. 

AntipyrinlOsung  zur  subcutanen  Injection. 

Für  gewöhnlich  wird  zur  subcutanen  Injec- 
tion eine  aus  gleichen  Gewichtstheilen  Antipy- 
rin  und  Wasser  hergestellte  Lösung  benutzt. 

Prof.  Edlefsen  (Mittheilg.  f.  d.  Verein 
Schi  es  w. -Hol  stein.  Aerzte  1889,  Heft  12, 
Stück  l)  hat  nun  das  Volumen  einer  Lö- 
sung von  3  g  Antipyrin  in  3  g  Wasser  be- 
stimmt und  gefunden,  dass  dasselbe  nicht 
6  ccm,  sondern  5,2  ccm  beträgt.  In  1  ccm 
einer  so  bereiteten  Lösung  —  dem  Inhalt 
einer  Pravaz 'sehen  Spritze  —  sind  dem- 
nach nicht  0,5,  sondern  0,577  g  Antipyrin 
enthalten.  Aus  diesem  Grunde  befürwortet 
Edlefsen  den  von  Quincke  gemachten 
Vorschlag,  Antipyrin  zur  subcutanen  Injec- 
tion nach  Maass  wie  folgt  zu  verschreiben: 
'V    Antipyrini  3,0 

Aq.  dest.  q.  s. 

ad  Ccm.  VI  • 
M.  D.  S. 

Jede  Spritze  dieser  Lösung  enthält  dann 
0,5  g  Antipyrin. 

Castoreum. 

Nachdem  Klunge  vor  bereits  sieben 
Jahren  (Schweizer  Wochenschr  f.  Pharm.  1882 
No.  14)das  Vorhandensein  eines  alkaloiden 
Principes  im  Castoreum  festgestellt  hat,  ist 
es  jetzt  Ludwig  Reuter  gelungen  (Pharma- 
ceut.  Centralhalle  1889  No.  20),  aus  dem 
Bibergeil  ein  in  sternförmigen  Gruppen  kry- 
stallisirendes  Glykosid  abzuscheiden.  Das- 
selbe ist  leicht  löslich  in  Wasser,  wird  durch 
kaustische  und  kohlensaure  Alkalien  aus 
seiner  Lösung  ausgefallt  und  giebt  mit  den 
meisten  Alkaloidreagentien  Niederschläge. 
Wir  dürfen  wohl  hoffen,  dass  diese  Ent- 
deckung auch  unsere  Kenntniss  über  die  phy- 
siologische Wirkung  des  Castoreums  fordern 
und  unser  Urtheil  über  den  therapeutischen 
Werth  des  viel  gebrauchten  Mittels  klären  wird. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  von  Gustav  Schade  (Otto  Franoke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1889.    October. 


Originalabhandlnngen. 


Ueber  die  Sclilitznng  der  Mandeln. 

Von 

Dr.  Moritz  Schmidt  ia  Frankfart  a.  M. 

(Vortrag  gehalten  in  der  Section  für  Laryngologio 

nnd  Rhinologie    der  62.  Natarforscheryorsammlung 

zn  Heidelberg,  September  1889.) 

Es  wird  den  Meisten  unter  Ihnen,  meine 
Herren,  hente  gehen,  wie  es  mir  Tor 
1^2  Jahren  ging,  dass  es  Ihnen  ganz  nnbe- 
kannt  sein  dürfte,  was  unter  Schlitzung  der 
Mandeln  zu  yerstehen  sei.  Ich  will  Ihnen 
daher  zunächst  das  Verfahren  schildern  und 
dann  die  Indicationen  zu  demselben.  Das 
Verfahren  besteht  darin,  dass  man  mit  einem 
Schielhäkchen  in  die  Lacunen  der  Mandeln 
eingeht  und  die  mediale  Wand  der  Lacune 
mittelst  des  Hakens  einreisst,  indem  man 
zuerst  das  stumpfe  Ende  unten  durchdrückt 
und  dann  mit  einem  raschen  Ruck  die  ge- 
bildete Brücke  durchreisst.  Es  geht  dies 
meistens  sehr  leicht;  bietet  die  Substanz 
der  Mandel  etwas  mehr  Widerstand,  so 
schlüpfe  ich  die  Oese  des  Czermak^  sehen 
Gaumenhalters,  den  ich  fast  ausschliesslich 
als  Zungenspatel  benutze,  über  den  Stiel 
des  Häkchens,  fixire  mit  der  Oese  die  Man^ 
del  nach  hinten  und  reisse  dann  die  Brücke 
durch.  Man  fängt  am  besten  unten  an, 
geht  dann  aufwärts,  yergesse  aber  nie  das 
oberste,  in  der  Nische  zwischen  den  zwei 
Gaumenbogen  versteckte  Ende  der  Mandel, 
in  welchem  sehr  häufig  die  Ursache  der  Be- 
schwerden sitzt,  wegen  deren  man  die 
Schlitzung  vornimmt.  In  diesen  obersten 
Theil  kommt  man,  indem  man  die  Spitze 
des  Hakens  nach  oben  wendet,  man  reisst 
dann  natürlich,  nach  oben  durch,  während 
man  sonst  nach  unten  durchreisst. 

In  diesen  Lacunen  der  Tonsillen,  beson- 
ders im  obersten  Ende  der  Mandel,  sitzen 
nämlich  oft  unglaublich  viele  Secretpfröpfe, 
in  welche  durch  den  Einfluss  der  Leptothriz 
mehr  oder  weniger  bedeutende  Ealkablage- 
rungen  stattgefunden  haben.  Dieselben  un-f 
terhalten  erstens  einen  chronischen  Heiz  zu- 
stand   des    Tonsillargewebes,    welcher    das- 


selbe entzündlichen  Processen  und  Infectionen 
zugänglicher  macht,  z.  B.  Diphtherie,  Angina 
phlegmonosa  u.  s.  w.  Zweitens  werden  durch 
diese  kleinen  Entzündungen  in  der  Mandel 
aber  auch  mannigfache  krankhafte  Gefühle 
und  Reflexe  ausgelost,  auf  welche  ich  nach- 
her noch  zu  sprechen  komme. 

Das  Operationsverfahren  stammt,  soviel 
mir  bekannt,  von  Dr.  von  Hoff  mann  in 
Baden-Baden,  welcher  dasselbe  zuerst  in  der 
ophthalmologischen  Gesellschaft  in  Heidel- 
berg 1884  mittheilte.  Der  College  empfahl 
dasselbe  besonders  bei  chronischen  Reizzu- 
ständen der  Conjunctiva  und  bei  Asthenopie 
der  Kinder.  Herr  College  von  Hoff  mann 
glaubt  aber  auch  in  dem  Verfahren  einen 
Schutz  gegen  die  mancherlei  Infectionsträger 
gefunden  zu  haben,  welche  in  der  Tiefe  der 
Lacunen  einen  günstigen  Brütofen  besitzen, 
indem  er  die  Masse  der  Mandel  fester,  nar- 
big macht,  die  Lacunen  in  offne  Rinnen 
verwandelt,  welche  bei  jedem  Schluckaot 
ausgewischt  werden.  Er  hat  mir  einen  Fall 
mitgetheilt,  in  welchem  er  bei  zwei  Mädchen, 
welche  bis  dahin  grosse  Disposition  zu  diph- 
therischen Erkrankungen  zeigten,  durch  die- 
ses Verfahren  diese  Disposition  beseitigte, 
so  dass  beide  nachher  Diphtheriekranke 
längere  Zeit  pflegten,  ohne  sich  anzustecken. 
Er  giebt  gern  zu,  dass  dieser  eine  Fall 
nicht  beweisend  sei. 

von  Hoff  mann  hat  auch  versucht,  die 
Operation  mittelst  eines  an  der  Concavität 
schneidenden  Häkchens  zu  machen,  ist  aber 
davon  abgekommen,  weil  die  geschnittenen 
Flächen  zu  schnell  wieder  verheilen. 

Früher  habe  ich,  und  viele  von  Ihnen 
gewiss  auch,  oft  derartige  Fälle  mit  der 
galvanokaustischen  Methode  behandelt,  indem 
ich  in  die  einzelnen  Lacunen  einging  und 
sie  zu  zerstören  suchte.  Krieshaber  hat 
dies  ja  als  eignes  Verfahren  Ingnipunctur 
beschrieben. 

Mit  dem  stumpfen  Schielhäkchen,  welches 
auch  dünner  ist,  kommt  man  indessen  besser 
bis  auf  den  Grund  der  Lacunen,  denn  die- 
selben verlaufen  oft  gebogen  und  sind  bis- 
weilen sehr  tief. 

66 


442 


Schmidt,   Ueber  die  Schlitzung  der  Mandeln. 


rrherapeatiidie 
L  Monatabefte. 


Der  Zweck  der  Operation  ist  wie  gesagt 
die  Lacunen  in  offne  Rinnen  zu  verwandeln, 
die  durch  jeden  Schluckact  gereinigt  wer- 
den. Ton  Hoff  mann  schlägt  deshalb  auch 
vor,  einige  Tage  nach  der  Schlitzung  die 
klappenformigen  Lappen  wenn  nothig  mit 
der  Cow per' sehen  Scheere  und  einer  Pin- 
cette  abzutragen,  ebenso  den  vorderen  Gau- 
menbogen theilweise  herauszuschneiden,  wenn 
er,  wie  nicht  ganz  selten,  Lacunenoffnungen 
verdeckt,  so  dass  der  Inhalt  nicht  heraus 
kann. 

Das  Verfahren  an  sich  ist  namentlich 
bei  den  weichen  Mandeln  der  Kinder  fast 
nicht  schmerzhaft.  Man  kann  ja  auch  vor- 
her Cocain  einpinseln  bei  besonders  empfind- 
lichen Leuten.  Nachher  reibe  ich  etwas 
Sozojodolzink  1  auf  5  Tale  mittelst  eines 
Wattebäuschchens  ein.  Ein  desinficirendes 
Gurgelwasser  lässt  die  Folgen  der  kleinen 
Operation,  welche  meist  nur  in  zweitägigem, 
leichtem  Schluck  weh  bestehen,  rasch  ver- 
schwinden. Nach  8  — 14  Tagen  wiederholt 
man  dann  die  Schlitzung,  wenn   nothig. 

Die  vorhin  erwähnten  Indicationen  recht- 
fertigen allein  schon  die  Vornahme  der 
nützlichen,  kleinen  Operation.  Ich  bin  aber 
bei  der  Ausführung  derselben  darauf  ge- 
kommen, dass  noch  eine  ganze  Reihe  von 
Parästhesien  oder  Hyperästhesien  von  den 
Mandeln  resp.  den  in  ihnen  befindlichen 
Secretpfropfen  ausgehen.  So  z.  B.  Gefühle 
eines  Fremdkörpers,  Druckgefuhle,  nament- 
lich aber  unbestimmte  Schmerzen  nach  dem 
Ohr  zu,  die  sich  in  zwei  Fällen  zu  Trige- 
minusneuralgien  der  betreffenden  Kopfhälfte 
steigerten;  häufig  ist  ferner  dadurch  eine 
chronische  Pharyngitis  unterhalten,  nicht 
selten  auch  eine  Parese  der  Stimmbänder 
verursacht,  die  nach  Schlitzung  der  Mandeln 
und  nach  Heilung  des  chronischen  Reizzu- 
standes in  denselben  von  selbst  oder  durch 
die  vorher  vergeblich  versuchte  elektrische 
Behandlung  schwindet. 

Auf  der  vorigen  Naturforscherversamm- 
lung in  Köln  hat  Michel  auf  den  grossen 
Einfluss  geringfügiger  pathologischer  Verän- 
derungen besonders  an  den  Mandeln  auf  die 
Stimme  hingewiesen.  Die  von  ihm  erwähnten 
Verwachsungen  lassen  sich  auch  mit  dieser 
Methode  leicht  beseitigen. 

Wenn  diese  Leiden  auch  keine  gefahr- 
drohenden sind,  so  werden  Sie  doch  gewiss 
Alle  zugeben,  dass  die  Kranken  oft  mehr 
unter  diesen  Parästhesien  körperlich  und 
geistig  leiden,  als  unter  wirklich  schweren 
Erkrankungen. 

Ich  komme  immer  mehr  zu  der  Ueber- 
zeugung,  dass  rein  nervöse  Par-  und  Hyper- 
ästhesien   im  Halse    ausserordentlich    selten 


sind;  sie  sind  meist  verursacht  von  irgend 
einem  erkrankten  Punkte  des  lymphatischen 
Ringes,  den  man  allerdings  nicht  immer 
findet;  sehr  häufig  sitzt  er  aber  in  der 
Mandel.  Die  beste  Art  ihn  zu  finden  ist 
die  Sonde,  als  welche  ich  jetzt  immer  das 
Schielhäkchen  benutze.  Die  meisten  Kran- 
ken geben  bei  Berührung  mit  demselben  ge- 
nau an,  welche  der  berührten  Stellen  die 
richtige  ist,  oder  dass  sie  das  Gefühl  mehr 
oben  oder  unten  spüren;  nach  diesen  An- 
gaben sondirt  man  eben  dann  weiter,  bis  man 
die  richtige  Stelle  gefunden. 

Stupide,  indolente  Patienten  können  frei- 
lich diese  Angaben  nicht  machen,  dann  muss 
man  eben  nach  und  nach  die  Punkte  be- 
handeln, von  welchen  die  Parästhesien  er- 
fahrungsgemäss  oft  ausgehen.  Ich  fange 
dann  jetzt  meist  mit  der  Mandel  an,  wenn 
dieselbe  Lacunen  hat  und  gereizt  aussieht, 
gehe  dann  zur  Tonsilla  lingualis  über,  dann 
zum  Rachendach,  dem  Sulcus  zwischen  Zunge 
und  Mandel  u.  s.  w. 

Zum  Schlüsse  kann  ich  Ihnen  nur  noch- 
mals empfehlen,  sich  mit  dem  Verfahren  ver- 
traut zu  machen.  Sie  werden  es  gewiss 
bald  ebenso  schätzen  lernen,  wie  ich  es 
thue. 


Ueber  den  practisclien  Werth  der 
Nitze'sclien  Kystoskopie« 

Von 

Dr.  H.  Goldschmidt  in  Berlin. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  Section  für  innere  Medicin 
der  62.  NaturforscheryersRmmlung   zu   Heidelberg. 

September  1889.) 

M.  H.  Die  Lehre  von  den  Krankheiten 
der  Harnblase  ist  noch  nicht  weit  vorge- 
schritten. Die  ärztliche  Kunst  verfugte  bis 
jetzt  nur  über  unzureichende  Hül&mittel 
der  speciellen  Diagnose.  Ich  brauche  nur 
anzuführen,  dass  die  chemische  und  mi- 
kroskopische Untersuchung  des  Harns,  die 
bei  so  vielen  Affectionen  der  Niere  die 
feinsten  Veränderungen  des  Organs  erschliesst, 
uns  wohl  einen  Anhalt  dafür  geben  kann, 
dass  die  Blase  überhaupt  erkrankt  ist,  dass 
sie  uns  aber  bei  der  Frage  nach  der  eigent- 
lichen Natur  der  Affection  meist  im  Stich 
lässt.  Wollten  wir  die  andern  Punkte  be- 
rühren, die  wir  zur  Stellung  der  Diagnose 
heranziehen,  Anamnese,  Symptomatologie, 
Palpation,  combinirte  Untersuchung,  Sondi- 
rung  u.  s.  w.,  so  bleibt  doch  nur  eine  ver- 
hältnissmässig    kleine  Reihe  von   Krankhei- 


IILJahrgADCl 
Octobor  1889.  J 


Goldscbmldt,  Ueber  den  practlschen  Wertb  der  Nit^e'scben  Kyttotkopie. 


443 


teD,  die  ^ir  mit  positiver  Sicherheit 
und  zu  einer  frühen  Zeit  erkennen  können; 
in  yielen  Fällen  "werden  wir  uns  mit  ganz 
allgemeinen  Diagnosen,  wie  „Blasenkatarrh" 
begnügen  müssen,  eine  grosse  Anzahl  bleibt 
dunkel. —  häufig  genug  lässt  sich  ja  nicht 
einmal  die  Frage  mit  Sicherheit  beantwor- 
ten, ob  der  Sitz  des  Uebels  die  Niere  oder 
die  Blase  ist. 

Die  vorgeschrittene  Technik  und  das 
Vertrauen  auf  den  guten  Wundverlauf  ha- 
ben bei  diesem  Stand  der  Dinge  den  Chi- 
rurgen ermuthigt,  in  einer  grossen  Zahl 
dunkler  Fälle  die  Aufklärung  durch  opera- 
tiven Eingriff  zu  erstreben;  in  der  That 
sind  durch  die  Erweiterung  der  Urethra 
beim  Weibe,  durch  die  Eröffnung  der  Pars 
membranacca  beim  Manne  und  durch  den 
hohen  Blasenschnitt  viele  exacte  Diagnosen 
gestellt  worden. 

Doch  liegt  es  in  der  Natur  der  Sache, 
dass  diese  Eingriffe,  wenigstens  beim  Manne, 
erst  gemacht  werden,  wenn  kaum  ein  anderer 
Ausweg  mehr  offen  ist;  für  ge wohnlich  wird 
der  Patient  die  Feststellung  seiner  Krank- 
heit verlangen  und  verlangen  dürfen,  ehe  er 
eine  Operation  zugiebt. 

Es  ist  unter  diesen  Umständen  zu  ver- 
wundern, dass  es  einer  so  langen  Zeit  be- 
durft hat,  um  der  Erfindung  Nitze's  — 
der  Sichtbarmachung  des  Blaseninnern  — 
die  allgemeine  Achtung  zu  verschaffen.  Aber 
auch  heute  noch  ist  den  Aerzten  die  grosse 
Bedeutung  der  Methode  noch  lange  nicht 
genügend  in  das  Bewusstsein  übergegangen, 
vielfach  herrschen  noch  falsche  Begriffe  über 
Complicirtheit  und  beschränkte  Anwendbar- 
keit derselben. 

Deswegen  fühle  ich  mich  verpflichtet, 
nachdem  ich  das  Verfahren  2^3  Jahre  hin- 
durch mit  stets  wachsendem  Interesse  aus- 
geübt habe,  nach  meinen  Kräften  zur  Ver- 
breitung der  Kystoskopie  beizutragen,  indem 
ich  an  dieser  Stelle  Zeugniss  für  dieselbe 
ablege. 

Sie  Alle  kennen  wohl,  wenigstens  aus 
Abbildungen,  das  kleine  Instrument  hier, 
das  Kystoskop,  das  wie  ein  Katheter  in  die 
vorher  ausgespülte  und  mit  klarem  Wasser 
gefüllte  Blase  eingeführt  wird.  Es  trägt  an 
seiner  Spitze  eine  Glühlampe,  die,  wonn  sie 
der  elektrische  Strom  durchfliesst,  einen 
grossen  Theil  des  Blaseninnern  beleuchtet. 
Das  Bild  der  so  erhellten  Wand  giebt  die 
in  einen  Spiegel  verwandelte  schräge  Fläche 
eines  Prisma  wieder,  und  dieses  Spiegelbild 
kann  das  Auge  des  Untersuchers  betrachten. 
Es  befindet  sich  aber  am  Ende  des  Eohres 
eine  Sammellinse,  dic^  einen  ihrem  Bre- 
chungsindex entsprechenden  grossen  Abschnitt 


der  dem  Prisma  gegenüberliegenden  Blasen- 
wand als  umgekehrtes  verkleinertes  Bild  in 
das  Innere  des  Rohres  projicirt;  von  dort 
wird  es  durch  eine  neue  Linse  an  das  Ende 
des  Rohres  geworfen  und  hier  durch  eine 
Lupe  vergrossert. 

Diese  kurze  Beschreibung  wird  Ihnen  in^s 
Gedächtniss  zurückrufen,  welch  wichtige 
neue  Eigenschaften  dem  Instrument  gegen- 
über anderen  Endoskopen  innewohnen;  es 
trägt  die  Lichtquelle,  die  zu  Tageshelligkeit 
gesteigert  werden  kann,  in  das  Hohlorgan 
hinein  und  lässt  vermöge  der  Linsencombi- 
nation  und  auch  dadurch,  dass  die  als  Spie- 
gel wirkende  Hypotenusen-Fläche  des  Prisma 
je  nach  seiner  Entfernung  von  der  Blasen- 
wand einen  kleineren  oder  grösseren  Ab- 
schnitt derselben  wiedergiebt,  in  jedem  Falle 
eine  bei  Weitem  ausgedehntere  Partie  des 
Organs  erschauen,  als  es  dem  engen  Lumen 
des  langen  Rohres  entsprechen  würde. 

So  lässt  sich  theoretisch  gegen  die  Me- 
thode gewiss  nichts  einwenden;  wie  nimmt 
sich  das  Instrument  nun  in  der  Praxis  aus; 
—  ist  die  Kystoskopie  bei  richtiger  Aus- 
übung gefahrlos,  —  ist  sie  allgemeiner  an- 
wendbar, —  was  leistet  sie  besonders  im 
Vergleich  zu  den  andern  diagnostischen 
Hülfsmitteln? 

Zur  Beantwortung  dieser  Fragen  will  ich 
durch  eine  Darstellung  meiner  kystoskopischen 
Erfahrungen,  die  durch  mehr  als  300  Ein- 
zeluntersuchungen an  etwa  180  Patienten 
gewonnen  sind,  beizutragen  suchen.  — 

Nachdem  ich  anfangs  stets  nur  ängstlich 
und  in  dem  Bewusstsein,  die  Kranken  einer 
grossen  Gefahr  auszusetzen,  zu  einer  kysto- 
skopischen Untersuchung  geschritten  war, 
demzufolge  die  Fälle  sehr  auswählte  und 
vorher  alle  andern  Mittel,  zu  einer  Dia- 
gnose zu  gelangen,  erschöpfte,  wurde  es 
mir  bei  zunehmender  Vertrautheit  mit  all 
den  kleinen  Einzelheiten  einer  Methode  bald 
möglich,  sehr  viel  unverzagter  vorzugehen. 
Denn  ich  überzeugte  mich,  dass  bei  gehö- 
riger Vorsicht  nichts  für  den  Kranken  zu 
fürchten  ist. 

Ein  einziges  Mal,  im  Sept.  87  hatte  eine 
lange  ausgedehnte  Untersuchung  bei  einem 
Manne,  der  an  Einführung  starker  Instru- 
mente gewöhnt  war,  einen  heftigen  acuten 
Blasenkatarrh  zur  Folge.  Zweifellos  war 
ich  nicht  vorsichtig  genug  gewesen,  und 
hatte  wohl  zu  brüske  Bewegungen  mit  dem 
Instrument  gemacht.  —  Jedenfalls  belehrte 
mich  der  Unglücksfall  (der  übrigens  schnell 
und  gut  verlief),  und  ich  habe  seitdem  kein 
einziges  Mal  Nachtheil  von  der  Untersuchung 
gesehen. 

Wie    bei   jedem    andern  instrumenteilen 

56* 


444 


Goldschmidt,  Ueb«r  den  praetUchan  Werth  der  Nitze'schen  Kystoikople. 


rliantpentiaehe 
M<ynatih«ftaL 


Eingehen  in  Urethra  und  Blase,  so  muss 
man  auch  beim  Eystoskopiren  mit  aller- 
grosster  Behutsamkeit  und  Schonung  vor- 
gehen. Schon  bei  den  vorbereitenden  Schrit- 
ten, d.  h.  bei  der  Ausspülung  und  Anfül- 
lung  der  Blase  kann  man  nicht  sanft  genug 
verfahren.  Stets  soll  man  des  wahren  Aus- 
spruchs Thompson^s  gedenken:  ,, Die  Blase 
lässt  sich  zum  Gehorsam  schmeicheln,  aber 
nicht  zwingen". 

Um  an  der  Aeusserung  der  Empfindlich- 
keit der  Patienten  einen  richtigen  Maassstab 
für  die  Führung  des  Instrumentes  zu  haben, 
bin  ich  im  letzten  Jahre  von  Nitze's 
Vorschrift,  Urethra  und  Blase  vorher  zu 
cocainisiren ,  vrenn  irgend  möglich,  abge- 
wichen; ich  kann  versichern,  dass  die  Pa- 
tienten in  der  Kegel  nur  massige  Schmerzen 
hatten,  die  dann  auch  gerne  von  ihnen  er- 
tragen wurden,  da  man  ihnen  moralischen 
Halt  durch  die  Versicherung  geben  konnte, 
dass  ihr  Leiden  wirklich  gesehen  und  er- 
kannt würde. 

Wie  beim  Sondiren  und  Katheterisiren, 
so  wird  man  auch  beim  Einfuhren  des 
Kystoskops  besonders  Verletzungen  und 
daran  sich  anschliessende  Blutungen  zu  ver- 
meiden trachten,  denn  die  Infectlon  findet 
ihren  Boden  nicht  nur  in  den  erkrankten 
oder  verletzten  Theilen  der  Schleimhaut, 
sondern  wohl  noch  mehr  in  dem  Blut- 
coagulum. 

Auf  die  Reinigung  des  Introitus  urethrae 
tmd  der  Instrumente  ist  natürlich  die  aller- 
grosste  Sorgsamkeit  zu  verwenden;  selbst- 
verständlich kann  man  das  kunstvoll  gear- 
beitete Instrument  nicht  auskochen,  man 
kann  aber  durch  pedantische  Reinigung  mit 
4  °/o  Carbollosung  für  die  Praxis  ausrei- 
chende, zuverlässige  Verhältnisse  schaffen. 
Das  zu  injicirende  Wasser  muss  stets  eine 
Zeit  lang  gekocht  haben  und  kühlt  dann  in 
geschlossenem  Gefäss  bis  zur  geeigneten  Tem- 
peratur ab. 

Die  Einführung  des  Instruments  ist  bei 
der  gewählten  Krümmung  sehr  einfach;  bei 
leichter  und  namentlich  ganz  langsamer 
Handhabung  lässt  sich  eine  Verletzung  der 
Harnrohre  und  eine  Blutung  fast  mit  Sicher- 
heit vermeiden,  man  kann,  w^ie  bei  allen 
starken  Metallsonden  der  Schwere  des  In- 
strumentes vertrauen,  es  vnrd  sich  den  Weg 
selbst  bahnen  und  braucht  von  der  Hand 
nur  leicht  geführt  und  geleitet  zu  werden; 
erst  beim  Passiren  der  hintersten  Partie, 
wobei  der  Griff  nach  unten  zeigt,  kann 
demzufolge  die  Schwere  nicht  mehr  wirken 
und  man  muss  vorsichtig  vorwärts  drücken; 
wohl  mehr  hierdurch  als  durch  die  Grade- 
streckung  der  Urethra  entsteht  ein  Schmerz, 


dem  dann  ausnahmslos,  wenn  die  Spitze  an 
das  Orificium  internum  gelangt,  Harndrang 
folgt;  unmittelbar,  nachdem  der  Schnabel 
des  Instrumentes  in  der  Blase  ist,  pflegt 
jeder  Schmerz  zu  schwinden,  und  wenn  nicht 
besondere  anatomische  oder  pathologische 
Verhältnisse  des  Falles  zu  starken  Bewe- 
gungen des  Instrumentes  zwingen,  um  das 
Prisma  der  erkrankten  Stelle  gegenüber  zu 
bringen,  so  hat  der  Untersuchte  meist  gar 
kein  Schmerzgefühl  mehr. 

Die  Blase  selbst  ist  (wie  man  sich  den- 
ken kann),  wenn  man  Infection  vermeiden 
kann,  vor  jeder  Beschwer  geschützt,  denn 
nur  selten  hat  man  nothig,  das  Instrument 
mit  irgend  einem  Punkt  der  Blasenwand  in 
Berührung  zu  bringen.  So  hat  mir  denn 
auch  kein  einziger  der  Untersuchten  von 
einer  durch  die  Untersuchung  hervorgerufe- 
nen Blutung  berichten  können;  selbst  das 
Auftreten  weniger  Blutstropfen  beim  ersten 
Uriniren,  (das  meist  mit  Schringen  verbun- 
den ist)  gehört  zu  den  Seltenheiten. 

Demnach  habe  ich  die  Eystoskopie  als 
eine  so  gut  wie  schmerzlose  und  mit  einer 
einzigen  Ausnahme  als  eine  unschädliche 
Methode  erkannt. 

Die  Orientirung  in  der  Blase  und  das 
richtige  Einstellen  der  Bilder  ist  oft  nicht 
ganz  leicht  und  erfordert  gewisse  Uebung, 
denn  die  Blase  stellt  nicht  immer  einen  so 
einfachen  mathematisch  definirbaren  £5rper 
wie  eine  Kugel  oder  ein  Ellipsoid  dar.  Nament- 
lich die  weibliche  Blase  scheint  mir  von  der  Ge- 
stalt eines  Ellipsoid s  am  öftesten  abzuwei- 
chen und  von  oben  nach  unten  abgeflacht 
zu  sein.  Es  hängt  dies  wohl  von  der 
grösseren  Beschränkung  des  Raumes  durch 
Nachbarorgane  ab  und  ferner  von  der  rela- 
tiv schwächeren  Musculatur  der  Blasenwand, 
die  bei  Füllung  dem  Druck  der  Bauchwand 
nachgiebt  und  sich  nicht  nach  allen  Seiten 
hin  gleichmässig  ausdehnt. 

Diese  Unregelmässigkeiten  erschweren 
die  Untersuchung  sehr,  denn  nur,  wenn 
die  dem  Prisma  gegenüberliegende  Partie 
einen  Kugelabschnitt  darstellt,  entsteht  in 
der  Fläche  ein  getreues,  gleichmässig  be- 
leuchtetes Bild,  während  bei  ungleich  wei- 
ten Abständen  der  beleuchteten  Schleimhaut 
vom  Spiegel,  auf  diesem  die  nahe  gelegenen 
vergrössert  und  hell,  die  femer  gelegenen 
verkleinert  und  dunkler  erscheinen.  So  kann 
ein  verzerrtes  und  zu  falschen  Deutungen 
Anlass  gebendes  Bild  erscheinen.  Doch  ist 
das  richtige  Einstellen  ebenso  wie  das  rich- 
tige Deuten  lediglich  Sache  der  Uebung. 

Wenn  ich  nun  zurückblicke  auf  das, 
was  mir  die  Kystoskopie  als  diagnostisches 
Mittel  geleistet  hat,  so  kann  ich  nicht  wann 


in.  Jahrgang.  1 
October  1889.  J 


Goldschmidt,  Ueber  den  practlschen  Werth  der  Nitze*8Chen  Kystoskopie. 


445 


genug  anerkennen,  einen  wie  sicheren  und 
getreuen  Fuhrer  ich  an  ihr  gehabt  habe, 
einen  Führer,  der  sich  um  so  mehr  bewährt, 
je  länger  ich  mich  seiner  bediene. 

Vor  Allem  in  den  Fällen,  in  denen  es  sich 
um  Blutungen  oder  um  Blutbeimischun- 
gen zum  Harn  handelt.  Die  rechte  Zeit 
zum  Kystoskopiren  kann  man  hier  bei  dem 
chronischen  Verlauf  ohne  Schaden  für  den 
Fat.  geduldig  abwarten,  manchmal  allerdings 
muss  man  sie  eilig  zu  erwischen   verstehen. 

Am  schwierigsten  ist  die  Untersuchung, 
wenn  es  sich  um  längere  Zeit  bestehende  Ge- 
schwülste handelt,  deren  Sitz,  Ausdehnung 
und  Form  man  feststellen  will.  Ich  habe 
dreimal  Tumoren  als  Ursache  der  Blutungen 
und  sonstigen  Beschwerden  gefunden;  bei 
2  Fällen  (Männer),  einem  Carcinom  und  einem 
Fibrosarcom,  gelang  es  mir,  trotz  wochen* 
langer  Aufmerksamkeit,  nur  je  einmal,  mikro- 
skopisch charakteristische  Fetzen  im  Urin 
oder  Spülwasser  zu  finden,  und  zwar  beide 
Male  erst  nach  der  endoskopischen  Sicher- 
stellung. Ich  hebe  das  hervor,  um  die 
"Wichtigkeit  der  letzteren  zu  erweisen. 

Der  dritte  Fall  (Fibro-Papillom)  ist  da- 
durch interessant,  dass  das  Kystoskop  sich  zu- 
verlässiger erwies,  als  die  Digitalexploration. 
Während  mir  das  kystoskopische  Bild  einen 
auf  vollständig  normaler  Schleimbaut  auf- 
sitzenden, himbeergrossen  Polypen  zeigte,  in 
dessen  weichen  Zotten  ich  unter  Fuhrung  des 
Kystoskops  mit  einer  Sonde  formlich  blättern 
konnte,  fühlte  der  gynäkologische  College 
nach  der  Erweiterung  der  Urethra  den  Tumor 
ebenfalls,  glaubte  aber  eine  Infiltration  der 
Umgebung  annehmen  zu  müssen  und  schloss 
daraus  auf  carcinomatosen  Charakter  des 
Tumors.  Die  darauf  folgende  Sectio  alta 
erwies  die  Richtigkeit  des  kystoskopischen 
Befundes. 

Ich  habe  ferner  mehrere  Male  bei  Blu- 
tungen Steine  entdeckt,  die  trotz  wieder- 
holter Untersuchungen  mit  der  Sonde  nicht 
gefühlt  worden  waren;  einmal  eine  Anzahl 
von  12 — 14  kleinen,  bohnenförmigen  Con- 
crementen,  die  wie  Eier  in  einem  Nest  hinter 
dem  stark  vergrosserten  mittleren  Lappen 
der  Prostata  lagen.  Was  die  Methode  leisten 
kann,  zeigte  sich  mir,  als  ich  in  einer  ganz 
gesunden  Blase  ein  Stein chen,  etwa  so  gross, 
wie  der  3.  Theil  eines  Apfelkerns  fand.  Der 
Kranke  hatte  vor  Jahren  nach  einer  typi- 
schen Nierensteinkolik  einen  Stein  entleert. 
Das  kleine  Stückchen,  das  ich  diesmal  fand, 
kam  ihm  weder  beim  Durchgang  durch  den 
Ureter,  noch  bei  dem  Passiren  der  Harn- 
rohre, das  am  folgenden  Tage  statt  hatte, 
zur  Wahrnehmung;  er  hätte  es  auch  im  Urin 
nicht    gesehen,    wenn    er  nicht  aufgefordert 


worden  wäre,  in  den  nächsten  Tagen  danach 
zu  suchen. 

Man  sieht,  wie  früh  man  Diagnosen  auf 
Stein  machen  kann;  —  zu  einer  Zeit,  wo  eine 
einfache  Ausspülung  genügt,  um  den  Kern 
herauszuschaffen. 

Noch  häufiger  findet  man  als  Ursache 
geringerer  aber  andauernder  Blutbeimischung 
zum  Harn  Ulcerationen,  und  das  sind  Fälle, 
die  ohne  Eröffnung  der  Blase  auf  keine  an- 
dere Weise,  namentlich,  wie  sich  das  von 
selbst  versteht,  nicht  mit  H&lfe  der  Sonde 
erkannt  werden  können.  Die  mikroskopischen 
Befunde  sind  nicht  beweisend,  die  subjecti- 
ven  Symptome  sind  hier  sehr  wechselnd  und 
geben  keinen  genügenden  Anhalt;  mehrfach 
sah  ich  im  Laufe  der  Behandlung  oder  bes- 
ser gesagt,  der  Beobachtung  Blutbeimischung, 
Harndrang  und  Schmerzen  schwinden,  ohne 
dass  die  Geschwüre  sich  wesentlich  ver- 
ändert hatten;  es  blieb  oft  nur  geringe 
Pyurie  als  einziges  Zeichen  der  Erkrankung 
zurück. 

Eine  ätiologische  Eintheilung  der  Ge- 
schwüre nach  dem  endoskopischen  Bilde 
allein  lässt  sich  zur  Zeit  wohl  noch  nicht 
geben,  allein  hier  unterstützt  uns,  nach  Con- 
statirung  des  Thatbestandes,  die  Anamnese 
und  die  mikroskopische  Untersuchung  des 
Urinsedimentes.  Unter  Berücksichtigung  die- 
ser Hülfe  konnte  ich  einige  Male  Ulceratio« 
nen  als  tuberculöse  ansprechen,  obwohl  sie 
noch  ziemlich  fiach  und  klein  waren;  ich 
mochte  erwähnen,  dass  ich  auch  hierbei  im 
Laufe  der  Zeit  ohne  andere  Behandlung  als 
Ausspülung  Besserungen  des  Befindens  und 
Aufhören  der  Blutbeimischung  beobachtete, 
was  wohl  zur  Würdigung  der  Erfolge,  die 
man  bei  ähnlichen  Affectionen  mit  Hülfe  der 
Sectio  alta  erreicht  hat,  betont  werden  darf. 
Bei  schwereren  Katarrhen  sah  ich  öfter 
ulcerative  Processe;  im  Verlauf  von  gonor- 
rhöischer Cystitis  habe  ich  solche  nicht  ge- 
funden. 

Eine  Veränderung,  der  man  vielfach  be- 
gegnet, und  die  ein  sehr  schönes  Bild  giebt, 
ist  die  trabeculäre  Hypertrophie  der 
Musculatur  im  Gefolge  von  chronischen 
Störungen  der  Harnentleerung,  oft  ohne 
jedes  Zeichen  einer  katarrhalischen  Compli- 
cation. 

Als  Ursache  für  überaus  schmerzhaften 
Harndrang  fand  ich  einmal  bei  einer  Frau 
einen  langen,  seichten  Einriss  in  der  Schleim- 
haut, der  sich  von  der  unteren  Peripherie 
des  Orif.  int.  etwa  1  cm  weit  in's  Innere 
der  Blase  erstreckte,  eine  Rhagade,  sehr 
ähnlich  dem  Bilde,  das  ich  von  der  Um- 
gebung des  Orificium  intemum  nach  einer 
Simon'schen  Erweiterung  der  Urethra  erhielt. 


446 


Goldschmidt,  Ueber  den  practicchen  Werth  der  Nitce'tchen  Kystoskopie.       ^M^itob«!!^ 


Am  häufigsten  begegnen  -^ir  Bildern  ka- 
tarrhalischer Zustände,  die,  me  Nitze  das 
ausführlich  geschildert  hat,  ausserordentlich 
verschiedener  Art  sein  können.  Nur  selten 
findet  man  die  Veränderungen  gleichmässig 
über  die  ganze  Blasenschleimhaut  verbreitet, 
auffallend  oft  sieht  man  die  Umgebung  der 
Ureteren-Oeffnungen  afficirt  und  besonders 
auffällig,  wenn  es  sich  noch  scheinbar  um 
Anfangsstadien,  um  mehr  hyperämische  Zu- 
stände handelt. 

Man  kann  hier  'wohl  vermuthen,  dass 
die  Entzündungserreger  aus  der  Niere  stam- 
men, und  dem  zu  Folge  zuerst  und  haupt- 
sächlich an  der  Eintrittsstelle  in  die  Blase 
ihre  Wirkung  zeigen. 

Durch  T\'elche  Umstände  umgekehrt  das 
Nierenbecken  der  Infection  aus  der  Blase 
ausgesetzt  ist,  darauf  schien  mir  öfter  ein 
gewisses  Klaffen  der  Ureterenmündung,  die 
sonst  wie  mit  festen  Lippen  geschlossen  ist, 
hinzudeuten;  man  findet  nämlich  das  Offen- 
stehen der  Uretermündung  öfters,  wenn 
Stricturen-  oder  Prostatavergrösserung  län- 
gere Zeit  die  Urinentleerung  erschwert 
haben. 

Die  directe  Beobachtung  der  Ureter- 
offnungen  und  des  Modus  der  Urinentleerung 
aus  ihnen,  sowie  der  blutigen  oder  eitri- 
gen Beschaffenheit  des  Harns  wird  uns 
die  wichtigsten  Aufschlüsse  über  den 
Zustand  der  Nieren  geben;  Nitze  hat  be- 
reits diesbezügliche  Beobachtungen  gemacht; 
ich  habe  bis  jetzt  noch  keinen  Fall  gehabt, 
der  positiven  Anhalt  bot.  —  Dagegen  will 
ich  erwähnen,  dass  es  mir  in  mehreren  Fällen 
bei  weiblichen  Individuen  gelang,  unter 
Leitung  des  Kystoskops,  also  unter  Leitung 
des  Auges  eine'  Simon^sche  Sonde  in  den 
Ureter  einzuführen.  Zweifellos  ist  das  die 
sicherste,  vielleicht  die  einzig  sichere  Me- 
thode der  Ureteren-Sondirung,  die  oft  so 
dringend  erwünscht  ist,  um  über  den  Zu- 
stand der  Niere  Aufschluss  zu  erhalten. 

Nur  ganz  kurz  und  allgemein  wollte  ich 
im  Vorstehenden  skizziren,  was  mir  das 
Kystoskop  geleistet  hat;  in  den  meisten 
Fällen  hat  es  den  Grund  des  Leidens  nicht 
nur  ahnen,  sondern  wirklich  sehen  lassen, 
in  Trielen,  hier  nicht  angeführten  durch  die 
sichere  Erkenntniss,  dass  die  Blase  nicht 
in  Mitleidenschaft  gezogen  ist,  den  Sitz 
der  Erkrankung  höher  annehmen  lassen. 
—  In  einer  ganzen  Reihe  hätte  man 
sich,  wie  früher,  ohne  Schaden  für  den 
Patienten  und  ohne  Aenderung  der  The- 
rapie mit  der  allgemeinen  Diagnose  „Ka- 
tarrh" behelfen  können,  bei  nicht  wenigen 
jedoch  würde  man,  durch  die  Symptome  und 
Beschwerden  gedrängt,  zu  einem  operativen 


Eingriff  behufs  Erlangung  der  Diagnose  ver- 
pflichtet gewesen  sein. 

Sicherlich  können  alle  bisherigen  Hülfs- 
mittel  zusammengenommen  uns  nicht  solche 
Aufschlüsse  über  die  in  Hede  stehenden 
Hamkrankheiten  geben,  wie  die  Kystoskopie. 
Wir  konnten  bisher  eigentlich  nur  die  grö- 
beren Veränderungen  erkennen,  und  auch 
diese,  wie  gesagt,  oft  erst  mit  Hülfe  chirur- 
gischer Eingriffe.  — 

Die  Digitalezploration,  die  nach 
Thompson  zur  Methode  erhoben  wurde, 
wird  niemals  allgemeine  Verbreitung  finden, 
auch  wenn  die  Kystoskopie  nicht  mit  ihr  in 
den  Wettkampf  träte. 

Zu  viele  Affectionen,  besonders  ulcera- 
tive  Processe,  geben  auch  dem  tastenden 
Finger  nichts  zu  fühlen,  und  im  besten  Fall 
ist  das  Tastgefühl  das  subjectivste  Ding, 
über  das  sich,  wie  über  den  Geschmack, 
nicht  streiten  lässt;  das  Auge  beurtheilt  den 
Krankheitssitz  und  Anlass  denn  doch  besser, 
und  der  Befund  kann  von  anderen  Augen 
controlirt  werden. 

Insofern  wäre  die  Sectio  alta  als  dia- 
gnostisches Mittel  vorzuziehen,  aber  leider 
sind  wir  noch  nicht  so  weit,  diesen  Eingriff 
als  einen  ungefährlichen  betrachten  zu  kön- 
nen. Wir  können  die  Blase  noch  nicht  mit 
derselben  Sicherheit  in  Bezug  auf  den  Wund- 
verlauf eröffnen,  wie  etwa  die  Bauchhöhle 
oder  die  Gelenke.  Das  ersieht  man  schon 
aus  den  vielen  verschiedenen  Vorschlägen 
für  die  Ausführung  und  Erleichterung  der 
an  sich  so  einfachen  Operation,  aus  den 
verschiedenen  Ansichten  über  die  Nach- 
behandlung und  besonders  über  die  Blasen- 
naht. 

Und  endlich  ist  die  Besichtigung  der 
über  der  Symphyse  eröffneten  Blase  gar  nicht 
so  einfach;  die  Seitenwände  legen  sich  un- 
mittelbar nach  der  Eröffnung  an  einander, 
Fundus  und  hintere  Wand  werden  so  fast 
unsichtbar  und  das  Hohlorgan  präsentirt  sich 
als  schlaffer,  unförmlicher  Körper. 

Es  leistet  das  Kystoskop,  im  All- 
gemeinen gesprochen,  mehr  als  selbst 
die  Eröffnung  der  Blase.  Darum  ver- 
dient die  Methode  die  ausgebreitetste 
Anwendung.  Sie  ermöglicht  die  Dia- 
gnose in  frühem  Stadium  der  Krank- 
heit, —  darin  liegt  ihr  unschätzbarer 
therapeutischer  Werth. 

Die  Methode  ist  noch  jung;  es  wird  uns 
aber  bald  gelingen,  den  Bildern,  die  wir 
sehen,  eine  bestimmte  Symptomengruppe  zu- 
zuertheilen  und  so  zu  einem,  den  Ergebnissen 
der  pathologischen  Anatomie  entsprechenden 
System  der  Harnkrankheiten  zu  gelangen. 

Dann  erst  werden    wir    auch   die    allein 


ITf.  Jahrganf;.  1 
October  1889.  J 


Schaeffer,  Ueber  die  Behandlung  der  Uterusmyome  nach  Apostoll, 


447 


richtigen  Anzeigen  f&r  unser  Eingreifen  fin- 
den, das  sich  anch  auf  die  Niere  zu  frühe- 
rer Zeit  ihrer  Erkrankung  erstrecken  wird; 
dann  Tverden  wir  entscheiden  können,  ob 
die  Erkrankung  der  Blase  mit  oder  ohne 
Eröffnung  der  Blase  zu  bekämpfen  ist;  den 
viel  umstrittenen  Weg,  auf  dem  wir  am 
besten  zu  dem  Organ  gelangen,  werden  wir 
mit  Sicherheit  nach  dem  jeweiligen  Sitz  der 
Krankheit,  dem  einzelnen  Falle  entsprechend, 
wählen. 

Dann  wird  keine  Operation  mehr  zu 
kühn  sein,  denn  sie  ist  dann  nur  noch 
wohlangezeigtes,  zweckmässig  geplantes  Heil- 
mittel. 

Von  der  Begründung  der  Kystoskopie 
datirt  eine  neue  Zeit  in  der  Erkenntniss  der 
üarnkrankheiten.  —  Durch  die  geniale  Er- 
findung Nitze^s  ist  eine  Methode  entstanden, 
die  nicht  nur  zufällige  Resultate  giebt,  son- 
dern die  in  sich  selbst  die  Bürgschaft  ihres 
Erfolges  enthält  und  der  Menschheit  zum 
gross ten  Segen  gereichen  wird.  Die  Kysto- 
skopie ist  gefahrlos  für  den  Patien- 
ten, allgemein  anwendbar  und  dia- 
gnostisch leistungsfähig  im  höchsten 
Grade.  Diese  üeberzeugung  hier  auszu- 
sprechen und  60  zu  einer  Yerall gemein erung 
der  Methode  beizutragen,  war  der  Zweck 
meines  Vortrags. 


Ueber  die  Bebandlungf  der  Uternsmyonie 

nach  Apostoli. 

Von 

Dr.  R.  Schaeifer  in  Berlin. 

Die  sich  beständig  steigernde  Menge  neuer 
Arzneimittel  und  Behandlungsmethoden  hat 
es  mit  sich  gebracht,  dass  unter  den  Aerzten 
ein  ziemlich  unterschiedsloses  Misstrauen 
gegen  jedes  neu  empfohlene  Mittel  Platz  ge- 
griffen hat.  Es  wäre  sonst  unyerstandlicb, 
dass  die  galvanische  Behandlung  der  Uterus- 
myome nach  Apostoli,  welche  seit  meh- 
reren Jahren  bereits  von  Allen,  welche  sie 
in  Anwendung  gezogen ,  so  ausserordent- 
lich lebhaft  und  einstimmig  befürwortet 
wird,  unter  den  Aerzten  Deutschlands  so 
wenig  bekannt  und,  wo  bekannt,  vielfach 
belächelt  worden  ist.  Ich  folge  deshalb 
gern  der  Aufforderung  der  Redaction  dieser 
Monatshefte,  eine  Schilderung  des  Apo- 
stoli'sehen  Verfahrens  und  der  bisher  ge- 
wonnenen Ergebnisse  zu  machen,  um  so  das 
Interesse  namentlich   des  practischen  Arztes 


auf  diese  vielversprechende  Behandlungsart 
zu  lenken.  Meine  eigenen  Erfahrungen  über 
den  Werth  oder  Unwerth  der  üteruselektro- 
lyse  sind,  da  ich  erst  seit  6  Monaten  an 
dem  poliklinischen  Material  des  Herrn  Dr. 
J.  Veit  zu  Berlin  diese  Methode  anwende, 
noch  so  gering,  dass  ich  der  Versuchung 
widerstehe,  aus  unseren  bisherigen  Erfolgen 
ein  selbständiges  Urtheil  abzuleiten,  sondern 
dass  ich  mich  darauf  beschränken  will,  die 
Apostoli^  sehe  Behandlung,  wie  sie  heut 
ausgeübt  wird,  und  die  damit  erzielten  Ke- 
sultate  wiederzugeben. 

Um  den  Fortschritt  einer  neuen  Methode 
zu  verstehen,  muss  man  zunächst  ins  Auge 
fassen,  was  die  alten  geleistet  haben.  Ausser 
den  veralteten  oder  wenigstens  von  der 
Mehrzahl  der  Aerzte  als  unwirksam  erkann- 
ten Mitteln,  als  da  sind:  Jod,  Jodkalium, 
Bromkalium,  Chlorcalcium  *)  (bei  den  Eng- 
ländern), Phosphor,  Arsenik,  jod-  und  brom- 
haltige Bäder,  kommt  unter  den  Arzneimit- 
teln nur  die  subcutane  Ergotin-Injection  in 
Betracht.  Es  gilt  wohl  als  zweifellos  fest- 
gestellt, dass  dieselbe  in  einzelnen  Fällen 
eine  wirkliche  Besserung  herbeigeführt  hat. 
Die  Injectionen  sind  aber  1.  sehr  langwierig. 
Schroeder  (1.  c.)  hat  erst  bei  50— 400(!) 
Einspritzungen  Erfolg  gesehen;  2.  nicht 
ungefährlich  sowohl  wegen  des  Ergotismus, 
der  leicht  auftreten  kann,  als  auch  wegen 
der  nicht  immer  zu  vermeidenden  Bauchabs- 
cesse;  3.  vor  Allem  aber  in  der  grössten 
Anzahl  von  Fällen  völlig  machtlos. 

Unter  den  operativen  Methoden  zur  Be- 
seitigung der  Uterusmyome  bez.  der  aus 
ihnen  entstehenden  Beschwerden  ist  zu 
nennen:  1.  die  Auskratzung  der  Uterus- 
schleimhaut; 2.  die  Oastration;  3.  die  vagi- 
nale Totalexstirpation  des  Uterus;  4.  die 
Laparomyomotomie.  Eine  Kritik  der  ein- 
zelnen Operationen  und  eine  Statistik  der- 
selben quoad  valetudinem  und  quoad  vitam 
zu  geben,  würde  den  Rahmen  dieser  Arbeit 
bei  Weitem  überschreiten. 

Die  eine  Thatsache  aber,  dass  man  in 
vielen  und  meist  gerade  in  den  Fällen,  in 
denen  die  Beseitigung  der  Geschwulst  eine 
Lebensfrage  für  die  Kranke  ist,  die  immer 
noch  höchst  gefährliche  Entfernung  des 
Myoms  mittels  des  Bauchschnittes  nicht  um- 
gehen zu  können  glaubt,  zeigt,  dass  den 
drei  ersterwähnten  Operations  weisen  nur  ein 
mehr  untergeordneter  Werth  beizumessen 
ist.  Die  Gefährlichkeit  der  Laparomyomo- 
tomie ergiebt  sich  aber  am  besten  aus  der 
Statistik  Schroeder  s,  der  noch  vor  Kurzem 
unter  164  Operationen   28*^/o    Todesfälle    zu 

')  Cfr.  Schroeder,  Handbuch  der  Frauen- 
krankheiten.   9.  Aufl.   1889  pag.  310. 


448 


Schaeffer,  Ueber  die  Behandluog;  der  Utenisnyome  nach  Apostoli. 


nrhenpeatfadM 
t  Monatah4"ft«. 


Terzeichnen  hatte.  Wenn  sich  die  Mortali- 
tät jetzt  auch  durch  Einfuhrung  der  He- 
garUchen  extraperitonealen  Stielversorgung 
etwas  gebessert  hat,  so  sind  die  Erfolge  bis- 
her doch  noch  lange  keine  erfreulichen.  Es 
kommt  hinzu,  dass  diese  Operation  doch  nur 
von  einem  Gynaekologen  oder  Chirurgen  von 
Fach  gewissenhafter  Weise  auszuführen  ist, 
und  dass  sie,  selbst  wenn  sie  günstig  ver- 
läuft, doch  immer  einen  ganz  gewaltigen 
Eingriff  auf  den  Organismus  der  Frau 
darstellt. 

Bei  diesem  Stand  der  Dinge  und  der 
relativen  Häufigkeit  der  Fibromyome  des 
Uterus  ist  eine  ernsthafte  Prüfung  einer 
neuen,  so  warm  empfohlenen  Behandlungsart 
gewisd  am  Platze. 

Die  galvanische  üterusmyombehandlung 
ist  nicht  auf  eine  Linie  zu  stellen  mit  der 
noch  immer  in  ein  gewisses  mystisches  Dun- 
kel gehüllten  Elektrotherapie  in  der  Nerven- 
heilkunde. Es  handelt  sich  hier  nicht  um 
eine  Beeinflussung  der  Nerven  oder  gar  der 
Psyche,  sondern  um  ganz  greifbare  Vorgänge, 
wie  wir  sie  auch  ausserhalb  des  Organismus 
in  sichtbarer  Weise  durch  den  elektrischen 
Strom  hervorrufen  können.  Diese  Vorgänge, 
auf  denen  sich  im  Wesentlichen  die  Wirkung 
des  galvanischen  Stromes  auf  die  Uterus- 
myome aufbaut^  sind: 

1.  Die  Verschorfung  von  Gewebstheilen 
an  der  Berührungsstelle  des  positiven  Poles. 

2.  Die  Zersetzung  des  Wassers  und  der 
Salze. 

3.  Die  Contractionen    der  Muskelfasern. 
Wenn  man  ausserdem  noch  auf  die    ka- 

talytische  oder  kataphore  tische  (=  auf- 
lösende) Wirkung  des  Stromes  Werth  gelegt 
hat,  80  hat  man  ein  etwas  geheimnissvolles 
Wort  statt  eines  Begriffes  eingeführt,  an  das 
man  ja  glauben  kann,  das  sich  jedoch  noch 
nicht  objectiv  nachweisen  lässt.  Die  drei 
genannten  Wirkungen  des  galvanischen  Stro- 
mes reichen  yielmehr  vollkommen  zur  Er- 
klärung seines  günstigen  Einflusses  auf  die 
Geschwülste  aus. 

Das  Instrumentarium,  welches  man 
zur  Anwendung  der  Apostoli' sehen  Me- 
thode gebraucht,  ist  folgendes: 

1.  Eine  stationäre  oder  transpor- 
table Batterie  von  30 — 50  oder  mehr 
Elementen,  welche  zur  Erzielung  der  ho- 
hen Stromstärken,  die  man  benutzt,  unent- 
behrlich sind. 

Es  ist  von  Wichtigkeit  eine  möglichst 
grosse  Anzahl  von  Elementen  zu  ven\'enden. 
Denn  wenn  für  den  Anfang  auch  eine  ge- 
ringere Elementenzahl  genügen  sollte,  um  die 
gewünschte  Stromintensität  zu  erzielen,  so 
ist    doch    wegen    der    hohen    Stromstärken, 


welche  man  anwendet,  die  Polarisation  in- 
nerhalb der  Batterie  eine  so  gewaltige,  dass 
binnen  weniger  Minuten  die  Stromintensität 
eine  ganz  erhebliche  Einbusse  erleidet.  Je 
geringer  nun  die  Anzahl  der  Elemente  ist, 
desto  mehr  macht  sich  diese  Abschwächung 
bemerkbar;  nur  bei  einer  sehr  starken  Bat- 
terie (50  oder  mehr  Elemente)  ist  man  in 
der  Lage,  auch  starke  Stromiutensitäten  für 
längere  Zeit  hindurch  auf  annähernd  gleich- 
bleibender Höhe  zu  erhalten. 

2.  Einen  Metallrheostat.  Der  Zweck 
desselben  ist,  dass  man  die  Möglichkeit  hat, 
den  galvanischen  Strom  ganz  allmählich 
ohne  Unterbrechung  bis  zu  den  höchsten 
Stärken  anwachsen  zu  lassen.  Aus  diesem 
Grunde  sind  die  sonst  üblichen  Flüssigkeits- 
rheostaten  oder  die  Elementenzähler  unzu- 
länglich. Die  letzteren  sind  so  construirt, 
dass  man  immer  nur  sprungweise  jedesmal 
5  Elemente  einschalten  kann.  Die  jedes- 
malige Steigerung  der  Stromstärke  ist  eine 
so  bedeutende,  dass  sie  als  heftiger  Schlag 
von  dem  in  den  Strom  eingeschalteten  Kran- 
ken empfunden  wird,  der  von  nachhaltiger 
schädlicher  Wirkung  auf  das  Nervensystem 
sein  kann.  Ein  brauchbarer  Metallrheostat 
hat  daher  mindestens  32  Contacte  und  er- 
laubt hierdurch,  dass  man  die  Stromstärke 
continuirlich  in  ganz  kleinen  Schritten  zu- 
nehmen lassen  kann. 

Der  Preis  des  von  uns  benutzten  Rheo- 
staten  beträgt  90  Mark. 

3.  Ebenso  unentbehrlich  ist  ein  Gal- 
vanometer für  absolute  Messungen. 
Die  heutzutage  allgemein  übliche  Einheit 
zur  Messung  der  Stromstärken  ist  bekannt- 
lich ein  Milli-Ampere  (l  Volt :  1  Ohm).  Wäh- 
rend man  aber  in  der  Nervenheilkunde  stets 
nur  ganz  schwache  Ströme  anwendet,  aller- 
höchstens  bis  zu  20  M.-A.,  benutzt  man  bei 
der  galvanischen  Fibromyombehandlung  Ströme 
bis  200,  ja  bis  300  M.-A.  Das  Galvano- 
meter muss  deshalb  auf  diese  Stromstärken 
eigens  eingerichtet  sein.  Eine  weitere,  in 
letzter  Zeit  aufgeworfene  Frage  ist,  ob  das 
Horizontal-  oder  das  Verticalgalvanometer 
vorzuziehen  sei. 

Noeggerath')  macht  darauf  aufmerk- 
sam, dass  bei  den  Verticalgalvanometern  der 
Zeiger  nur  kurze  Zeit  auf  dem  erreichten 
Striche  stehen  bleibt,  und  dass  er  innerhalb 
weniger  Minuten  von  z.  B.  200  M.-A.  auf 
180  M.-A.  fällt.  Eine  genaue  Nachprüfung, 
lässt  mich  zwar  die  Richtigkeit  dieser  Be- 
hauptung für  den  von  uns  benutzten  (von 
Hirschmann,  Berlin  bezogenen)  Apparat 
durchaus  zugeben.    Wenn  No eggerat h  aber 


2)  Borl.  klin.  Wochenschrift  1889  No.  2G. 


in.  Jalirgmng.  1 
Oetober  1889.  J 


Sehaeffer,  Ueber  die  BehandluDg  der  Uterusmyoma  nach  Apostoli. 


449 


hinzusetzt,  dass  dies  gerade  ein  Fehler  der 
Yerticalgalvanometer  sei,  welcher  sich  bei 
den  Horizontal galvanometern  nicht  findet, 
so  ist  diese  Verallgemeinerung  nicht  ganz 
zutreffend.  Beide  Apparate  sind  nämlich  so 
eingerichtet,  dass  um  den  Zeiger  des  Gal- 
vanometers eine  Drahtspirale  läuft,  durch 
welche  der  Strom  der  Batterie  hindurchgeht 
und  dadurch  in  der  Nadel  einen  inducirten 
Strom  hervorruft.  Es  liegt  also  auf  der 
Hand,  dass  der  Ablenkungswinkel  des  Zei- 
gers und  die  Stromstärke  der  Batterie  in 
einer  ganz  bestimmten,  unverrückbaren  Func- 
tion zu  einander  stehen.  Wie  eine  frei- 
schwebende  Nadel  (vorausgesetzt,  dass  sie 
überhaupt  magnetisch  ist)  stets  nach  dem 
magnetischen  Nordpol  zeigt  und  nie  weder 
nach  rechts  noch  nach  links  auch  nur  um 
einen  Grad  abweichen  wird  —  in  gleicher 
Weise  ist  der  Ablenkungswinkel  des  Zeigers 
eines  Galvanometers  einzig  und  allein  ab- 
hängig von  der  Stärke  des  Stromes.  Ein 
Zurückgehen  des  Zeigers  beweist  also  mit 
Nothwendigkeit,  dass  die  Stromintensität  ge- 
sunken ißt.  Dass  dies  Sinken  der  Strom- 
stärke durch  Polarisation  innerhalb  der  Bat- 
terie zu  Stande  kommt,  ist  schon  vorher 
erwähnt  worden.  Wenn  also  Noeggerath 
bei  dem  von  ihm  benutzten  Horizontalgal- 
vanometer ein  Zurückgehen  des  Zeigers  wäh- 
rend des  Gebrauches  nicht  beobachtet  hat, 
so  kann  der  Grund  hierfür  nur  darin  liegen, 
dass  die  Batterie  aus  mehr  oder  aus  besse- 
ren (schwerer  polarisirbaren)  Elementen  be- 
standen hat  als  diejenigen  waren,  mittelst 
deren  er  die  Yerticalgalvanometer  prüfte. 

Zu  besonderen  ünzuträglichkeiten  führt 
diese  üngenauigkeit  jedoch  im  Allgemeinen 
nicht.  Denn  den  schliesslichen  Maassstab 
für  die  Stromstärke,  die  man  im  einzelnen 
Falle  anwendet,  bildet  nicht  der  Zeiger  des 
Galvanometers,  sondern  die  Reaction,  die 
der  Strom  auf  die  Kranke  ausübt.  Sind 
die  Schmerzempfindung  und  die  Nachwir- 
kungen des  Stromes  sehr  lebhaft,  so  wird 
man  sich  beispielsweise  mit  60  M.-A.  be- 
gnügen, während  man  im  anderen  Falle  die 
Stromstärke  so  weit  steigert,  wie  es  die 
Kranke  gut  aushält.  Als  weitere  Ausrü- 
stungsgegenstände kommen  nur  noch  die 
beiden  Elektroden  hinzu. 

4.  Die  inactive  Elektrode  muss,  ent- 
sprechend dem  besonderen  Zweck,  von  mög- 
lichster Grösse  sein.  Da  dieselbe  auf  den 
Bauch  der  Patientin  gelegt  wird,  und  da, 
wie  schon  erwähnt,  sehr  hohe  Stromstärken 
in  Anwendung  gezogen  werden,  so  würde 
eine  kleine  Elektrode  einen  unerträglichen 
Hautreiz  hervorrufen.  Ausserdem  wird  es 
nach  dem  bekannten  Gesetz,  dass  der  Wider- 


stand in  der  Leitung  in  demselben  Yerhält- 
niss  abnimmt,  wie  ihr  Querschnitt  wächst, 
nur  durch  eine  grosse  Elektrode  ermöglicht, 
die  gewünschten  starken  Strome  zu  erzielen. 
Zu  diesem  Zwecke  benutzt  man  als  Elek- 
troden 200  bis  600  qcm  grosse  dünne  Blei- 
platten, welche  zu  noch  grosserem  Schutze 
der  Haut  unten  mit  einer  Filzschicht  be- 
kleidet sind.  Die  Bleiplatte  kann  mittelst 
einer  Messingschraube  mit  der  Leitungs- 
schnur verbunden  werden.  An  Stelle  der 
Filzbekleidung  hat  man  anfangs  einen  Teig 
aus  Topferthon  genommen.  Wir  verwenden 
ein  20x30  cm  grosses  Mooskissen,  auf  welches 
wir  die  Bleiplatte  auflegen.  Es  wird  hier- 
durch ein  möglichst  genaues  Anschmiegen 
an  die  Haut  erreicht.  Im  Grossen  und  Gan- 
zen ist  es  'jedoch  ziemlich  gleichgültig,  wel- 
cher dieser  Formen  man  den  Vorzug  geben 
will. 

5.  Die  active  Elektrode  hat  die  Bestim- 
mung in  die  Uterushöhle  eingeführt  zu  wer- 
den ;  sie  muss  deshalb  die  Form  einer  Uterus- 
sonde haben. 

Der  Griff  ist  ebenfalls  mit  einer  Schraube 
für  die  Leitungsschnur  versehen. 

Da  nur  der  vordere  Theil  der  Sonde  im 
Uterus  liegt,  der  hintere  aber  Scheide  und 
Harnröhrenwulst  berührt,  so  ist  es  wün- 
schenswerth,  diese  Theile  gegen  die  Einwir- 
kung des  Stromes  zu  schützen.  Denn  nur 
die  inneren  Abschnitte  des  Genitalrohres  be- 
sitzen jene  geringe  Elektrosensibilität,  welche 
es  gestattet,  so  starke  Ströme  hindurchzu- 
leiten; die  Berührung  der  äusseren  würde 
eine  lebhafte  Schmerzempfindung  hervorrufen. 
Aus  diesem  Grunde  führt  man  die  Sonde 
im  Milchglasspeculum  ein,  welches  man  wäh- 
rend der  Sitzung  in  der  Scheide  belässt, 
oder  schiebt  eine  Gummihülse  (Drain  oder 
englischen  Katheter)  über  den  aus  dem  Cer- 
vix  herausragenden  Theil  der  Sonde.  Das 
Metall,  aus  dem  diese  Sonden  vorräthig 
sind,  ist  entweder  Platin  oder  Aluminium. 
Ersteres  ist  recht  theuer;  da  man  2 — 3 
Stärken  braucht,  so  würden  sie  sich  auf 
etwa  50  Mark  stellen.  Allerdings  haben 
sie  den  Vorzug,  dass  sie  nicht  durch  den 
Strom  angegriffen  werden.  Eine  Alumi- 
niumsonde kostet  1,75  —  2,50  Mark,  ein 
recht  bedeutender  Unterschied.  Diese  Son- 
den sind  ferner  sehr  leicht  und  biegsam. 
Allerdings  wird  das  Aluminium,  da  es  die 
Eigenschaft  hat,  sich  sowohl  in  Alkalien  wie 
in  Säuren  zu  lösen,  bei  der  jedesmaligen 
Anwendung  (gleichgültig  ob  es  als  negativer 
oder  als  positiver  Pol  fungirt)  stark  angeätzt. 
Sehr  zweckmässig  ist  es,  wenn  die  Sonde 
eine  knopfförmige  Anschwellung  in  ihrem 
vorderen  Drittel  besitzt,  wie  es  die  gewöhn- 

57 


450 


Schaeffer,  Ueber  die  BehandluDg  der  Uterusmyome  nach  Apostoli. 


rlierapeatbd» 
MonaUhefte. 


lieben  Uterussonden  haben,  damit  man  beur- 
theilen  kann,  wie  tief  die  Sonde  in  die 
Uterusböhle  eingeführt  ist. 

Es  ist  nun  das  Einführen  der  Sonde  in 
den  myomatosen  Uterus  oft  nicht  ganz  leicht, 
da  es  ab  und  zu  vorkommt,  dass  der  Cer- 
Yicalcanal  durch  das  Myom  verlegt  ist.  In 
diesem  Falle  empfiehlt  Apostoli,  den  ac- 
tiven  Pol  in  Form  einer  dünnen  Platinnadel 
von  der  Scheide  aus  in  die  Geschwulst  hin- 
einzustossen.  Dieses  Vorgehen  setzt  natür- 
lich eine  sehr  gründliche  vor-  und  nacb- 
herige  Antiseptik  der  Scheide  voraus.  Bei 
einiger  Geduld  und  Geschicklichkeit  wird  es 
jedoch  meist  gelingen,  diesen  immerhin  doch 
mit  Vorsicht  aufzufassenden  Eingriff  zu  ver- 
meiden. Wenigstens  erwähnen  Apostoli 
und  die  englischen  Autoren  nur  ganz  ver- 
einzelte Fälle,  in  denen  die  Elektropunctur 
unumgänglich  war. 

Der  Gesammtpreis  des  geschilderten  Ap- 
parates (unter  Inbegriff  eines  Gehäuses  mit 
Glasverschluss)   kostet  etwa  350 — 450  Mk. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  ist  über  die 
Ausführung  der  elektrischen  Behandlung 
nicht  mehr  viel  hinzuzufügen.  Der  auf  einen 
gynaeko logischen  Untersuchungsstuhl  liegen- 
den Kranken  wird  zunächst  die  breite,  in- 
active,  wohl  angefeuchtete  Elektrode  auf 
den  Leib  gelegt.  Als  Anfeuchtungsmittel 
benutzt  man  entweder  "Wasser  oder  besser 
eine  massig  concentrirte  Kochsalzlosung,  da 
letztere  einen  geringeren  Leitungswiderstand 
besitzt.  Falls  dieselbe  eine  stärkere  Reizung 
der  Haut  hervorrufen  sollte,  wie  es  Noeg- 
gerrath  beschreibt,  so  mag  man  ja  zum 
Wasser  zurückkehren.  Die  Elektrode  wird 
mit  einem  trockenen  Tuche  bedeckt  und  von 
der  Kranken  mit  den  Händen  fest  auf  den 
Leib  gedrückt.  Alsdann  desinficirt  man  die 
Scheide  und  den  Cervix  im  Speculum,  führt 
die  Sonde  ein ,  schiebt  die  Gummihülse 
darüber  und  verbindet  den  Griff  mit  dem 
Leitungsdraht.  Erst  jetzt,  nachdem  man 
sich  überzeugt  hat,  dass  alle  Schrauben  fest 
angezogen  sind,  und  ein  Ausgleiten  der 
Drähte  nicht  möglich  ist,  schliesst  man  die 
Batterie  und  lässt,  indem  man  die  Kurbel 
des  Rheostaten  dreht,  den  Strom  langsam 
anwachsen.  Je  langsamer  man  den  Strom 
verstärkt,  desto  geringer  ist  die  Schmerz- 
empfindlichkeit und  desto  stärkere  Strome 
kann  man  anwenden.  Man  thut  gut  in  der 
ersten  Sitzung  sich  mit  schwachen  Strömen 
zu  begnügen,  etwa  von  60  oder  80  M.-A.  und 
erst  in  der  zweiten  oder  dritten  Sitzung, 
wenn  man  sieht,  dass  die  Kranke  die  Be- 
handlung gut  verträgt,  bis  150  M.-A.  oder 
noch  höher  den  Strom  zu  steigern.  Ueber 
200  M.-A.  gehen  die  meisten  Gynaekologen 


fast  nie  hinaus.  Die  Dauer  einer  Sitzung 
soll  5  bis  10  Minuten  betragen,  etwa  2  bis 
3  Sitzungen  finden  in  der  Woche  statt.  In 
gleicher  Weise,  wie  man  den  Strom  allmäh- 
lich anwachsen  liess,  muss  man  jedesmal 
auch  behutsam  „ausschleichen".  Eine  plötz- 
liche Oeffnung  des  Stromes  oder  gar  eine 
Stromwendung  ist  durchaus  zu  vermeiden. 
Will  man,  nachdem  man  beispielsweise  den 
negativen  Pol  angewandt  hat,  hinterher 
noch  den  positiven  einwirken  lassen,  so 
muss  man  erst  mittelst  des  Rheostaten  die 
Stromstärke  bis  0  abschwellen  lassen,  dann 
mittelst  des  Stromwenders  wenden  und  dann 
erst  von  Neuem  wieder  ansteigen. 

Die  wichtigste  Frage  ist  nun,  wann 
wendet  man  die  positive  und  wann  die  ne- 
gative Elektrode  als  activen  Pol  an.  Die 
An  wen  dungs  weise  richtet  sich  ganz  nach 
den  Symptomen,  die  man  bekämpfen  wilL 
Die  beiden  hervorstechendsten  Erscheinungen, 
welche  das  Uterusmyom  macht,  sind  1.  Blu- 
tungen (sehr  profuse  Menorrhagien  oder  an- 
dauernde Metrorrhagien)  und  2.  Schmerzen 
und  Druckerscheinungen,  welche  die  Ge- 
schwulst auf  die  Nachbarorgane  (z.  B.  Blase 
Mastdarm,  Nervenstämme  u.  s.  w.)  ausübt. 
Im  erst  er  en  Falle,  dem  bei  Weitem  häufige- 
ren, handelt  es  sich  nur  darum,  die  Blutun- 
gen zu  stillen  und  dadurch  der  zunehmen- 
den Anämie  Einhalt  zu  thun.  Um  dies  zu 
erreichen^  führt  man  die  Sonde  als  positi- 
ven Pol  in  den  Uterus.  Der  Zweck,  den 
man  damit  verfolgt,  ist,  eine  intensive  Aetz- 
wirkung  der  Uterusschleimhaut  auszuüben. 
Dass  diese  Absicht  wirklich  erreicht  wird, 
davon  kann  man  sich  sehr  leicht  überzeu- 
gen, wenn  man  den  positiven  Pol  einige 
Minuten  auf  eine  Erosion  der  Portio  einwir- 
ken lässt.  Es  tritt  dann  hier  ein  ebenso 
intensiver  Aetzschorf  auf,  wie  er  nicht  stär- 
ker nach  Anwendung  von  Liquor  ferri  entr- 
steht.  Man  erkennt  diese  Verschorfung  in 
der  Uterushöhle  ferner  auch  daraus,  dass 
die  Sonde,  wenn  der  Strom  einige  Minuten 
hindurchgegangen  ist,  sich  fest  mit  der  Ute- 
russchleimhaut verklebt  hat  und  nur  mit 
einiger  Anstrengung  herauszuziehen  ist. 

Es  mag  gleich  hier  erwähnt  werden, 
dass  der  positive  Pol  entschieden  schmerz- 
stillend wirkt  und  dass  dies  eine  weitere 
Indication  für  seine  Anwendung  ist. 

Im  zweiten,  viel  selteneren  Falle,  dass 
keine  lästigen  Uterinblutungen,  sondern  le- 
diglich die  Grösse  der  Geschwulst  ein  Ein- 
schreiten verlangen,  wendet  man  den  nega- 
tiven Pol  als  Sonde  an.  Am  negativen  Pol 
entwickelt  sich  der  Wasserstoff  und  die 
Basen  der  zersetzten  Salze.  Der  frei  ge- 
wordene Wasserstoff  führt  zu  einer  lebhaften 


Iir.  Jahrgang.  1 
October  1889  J 


Schaeffer,  Ueber  die  Behandlung  der  Uterutmyome  nach  Apostoli. 


451 


Ent'wickelung  von  Schaum,  der  aus  dem 
äusBeren  Muttermunde  uud  der  Scheide  her- 
ausquillt. Die  in  Freiheit  gesetzten  Basen 
bringen  eine  schnelle  Auflösung  und  Schmel- 
zung des  Gewebes  hervor.  Der  negative 
Pol  wirkt  daher  in  hervorragendem  Maasse 
denutritiy.  Da  er  aus  diesem  Grunde  zu 
Blutungen  Veranlassung  giebt  und  ferner  im 
Gegensatz  zum  positiven  Pol  Schmerzen 
eher  hervorruft  als  stillt,  so  sieht  man,  dass 
die  Indication  für  die  einzelnen  Strome  eine 
ganz  bestimmte  und  durchaus  nicht  willkür- 
liche ist.  Beide  Stromarten  haben  endlich 
das  gemeinsam,  dass  in  der  inte r polaren 
Strecke  starke  Muskelcontractionen  des 
Uterus  ausgelost  werden,  von  denen  man 
sich  Torstellt,  dass  sie  auf  eine  Verklei- 
nerung der  Geschwulst  hinwirken. 

Es  darf  allerdings  nicht  verschwiegen 
werden,  dass  in  einigen  ganz  wenigen  Fällen 
auch  eine  umgekehrte  Anwendungsweise  als 
die  eben  geschilderte  angeblich  von  gutem 
Erfolge  begleitet  gewesen  sein  soll.  So  sehr 
nun  auch  eine  solche  unbedingte,  aller 
Theorie  widersprechende  Lobpreisung  eines 
Verfahrens  (wenigstens  nach  meinem  Dafür- 
halten) zu  Misstrauen  reizt,  so  darf  man 
doch  nicht  vergessen,  dass  die  Elektrolyse 
erst  eine  ganz  neue  Behandlungsart  ist,  bei 
der  noch  manches  Zufällige  als  Gesetz- 
massiges  mit  unterlaufen  mag. 

Wir  sehen  also,  dafis  die  Elektrolyse 
der  Uterusmyome  1.  mit  ziemlich  einfachen 
Mitteln  arbeitet;  2.  dass  sie  von  jedem  prac- 
tischen  Arzte  ohne  specialistische  Vorkennt- 
nisse und  ohne  Aufwendung  besonderer  Ge- 
schicklichkeit auszuführen  ist,  und  3.  dass 
dieselbe  (wenigstens  wenn  man  sich  auf  die 
Sondenmethode  beschränkt  und  die  Elektro- 
punctur  von  der  Scheide  aus  als  einen  nicht 
so  gleichgültigen  Eingriff  betrachtet)  voll- 
kommen ungefährlich  ist.  Unter  den 
mehreren  hundert  Fällen,  über  die  bisher 
berichtet  ist,  hat  nur  Brose  bisher  einen 
Todesfall  veröffentlicht. 

Im  Brös ersehen  Falle  handelte  es  sich 
um  ein  submucöses  Myom,  welches  nach 
mehrmaliger  Galvanisirung  in  Verjauchung 
überging.     Die  Frau  starb  an  Sepsis. 

Ich  glaube  jedoch  nicht,  dass  man  diesen 
Fall  nothwendigerweise  der  Elektricität  zur 
Last  legen  muss.  Aehnliches  ist  auch 
sonst  bisweilen  im  Anschluss  an  eine  ein- 
fache Sondirung  beobachtet  worden;  wenn 
man  mittelst  der  Sonde  virulente  Keime  in 
das  Uterusinnere  bringt,  (und  diese  Gefahr 
wird  man  trotz  aller  Antiseptik  nie  mit 
völliger  Sicherheit  beseitigen  können)  so 
können  diese,  besonders  wenn  sie  einen 
so   geeigneten  Nährboden  wie   ein  zerfallen- 


des Myom  vorfinden,  sehr  wohl  zu  einer  All- 
gemeininfection  führen. 

Sonst  ist,  soweit  mir  bekannt,  noch  kei- 
nem Beobachter  irgend  ein  ernsteres  Miss- 
geschick bei  der  galvanischen  Sondenbe- 
handlung vorgekommen. 

Was  nun  die  Erfolge  der  galvanischen 
Myombehandlung  anlangt,  so  ist  in  Betracht 
zu  ziehen,  dass  das  Uterusmyom  von  mitt- 
lerer Grösse  an  sich  etwas  ziemlich  Gleich- 
gültiges ist,  und  dass  nur  die  Symptome, 
Schmerzen  und  Blutung,  ein  Eingreifen  er- 
heischen. Wenn  man  unter  Heilung  ein 
völliges  Schwinden  der  Neubildung  versteht, 
60  wird  diese  Forderung  wohl  schwerlich 
durch  die  Aposto  Hasche  Methode  erfüllt. 
Wenn  man  aber  darunter  Aufhören  der  Be- 
schwerden, Wiederherstellung  der  Arbeits- 
fähigkeit und  das  Gefühl  des  Gesundseins 
versteht,  so  sind  in  diesem  Sinne  so  zahl- 
reiche Heilungen  berichtet,  dass  ein  etwas 
übertriebener  Skepticismus  dazu  gehört, 
wollte  man  alle  diese  Fälle  in  das  Reich 
der  subjectiven  Täuschungen  verweisen.  Der 
objective  zahlenmässige  Nachweis,  dass  die 
Geschwulst  unter  der  galvanischen  Einwir- 
kung sich  verkleinert  hat,  ist  in  der  That 
sehr  schwer,  denn  alle  die  Maasse,  die  man 
bei  einer  Beckengeschvmlst  anlegt,  sind  nur 
approximativ,  und  eine  Geschwulst  kann 
sich  recht  erheblich  verkleinern,  ohne  dass 
man  im  Stande  ist,  dies  durch  directe  Mes- 
sungen nachzuweisen.  Auch  mittelst  der 
Uterussonde  lässt  sich  die  Verkleinerung  des 
Tumors  nicht  immer  erkennen;  denn  die 
Länge  der  Uterushöhle  braucht,  wieApostoli 
erst  jüngst  nachgewiesen  hat,  durchaus  nicht 
in  demselben  Verhältnisse  abzunehmen,  wie 
die  Geschwulst  selbst.  Eine  Anzahl  ge- 
wissenhafter Untersucher  geben  sich  daher 
auch  gar  nicht  die  Mühe,  durch  Mittheilung 
von  sich  verkleinernden  Maassen  ihren  Be- 
richten den  Schein  einer  höheren  Objectivität 
zu  verleihen.  Wie  vorher  ausgeführt,  ist 
es  auch  für  die  Kranken  im  Wesentlichen 
einerlei,  wie  gross  der  Tumor  ist;  was  sie 
verlangen,  ist,  frei  von  Beschwerden  und 
Blutungen  zu  sein.  Dass  dies  aber  mittelst 
der  Apostolischen  Behandlungsart  wirk- 
lich erreicht  wird,  geht  aus  den  Kranken- 
geschichten, welche  Apostoli^s  Assistent 
Carl  et,  wie  auch  aus  den  Mittheilungen 
hervorragender  englischer  und  vereinzelter 
deutscher  Gynaekologen  so  übereinstimmend 
hervor,  dass  es  genügt,  einige  wenige  dieser 
Krankengeschichten  wiederzugeben,  da  sie 
im  Allgemeinen  gleichlautend  und  geradezu 
typisch  sind.  Die  Dauer  der  Behandlung, 
welche  zur  Erreichung  des  gewünschten  Er- 
folges nöthig  war,  schwankt  von  einem  Tage 

67  • 


452 


Schaeffer,  Ueber  die  Behandlung  der  Uteruamyome  nach  Apostolt. 


rrherapeatiieh« 
L  MonaUheft«. 


bis  ZU  lYa  Jahren.     Die   beiden  nachfolgen- 
dem Berichte  sind  Ton  Play  fair  mitgetheilt: 

1.  Ein  32 jähriges  Mädchen  leidet  seit  Jahren 
an  sehr  profusen  Menses,  welche  10 — 12  Tage 
anhalten  und  nur  eine  Pause  von  7 — 10  Tagen 
machen.  Die  combiuirte  Untersuchung  stellt  einen 
über  apfelsinengrossen  Tumor  in  der  Torderen 
Wand  des  Uterus  fest*  Nach  14  Sitzungen,  jedes- 
mal mit  200  M.-A.,  werden  die  Menses  normal, 
dauern  4  Tage,  die  Pause  wird  20  Tage,  die 
Blutung  selbst  ist  sehr  massig.  Die  vorher  sehr 
heruntergekommene  Kranke  fühlt  sich  wieder  wohl 
und  kann  ihre  frühere  Beschäftigung  (sie  ist  Gou- 
vernante) wieder  aufnehmen. 

2.  Eine  35  Jahr  alte  Dame  leidet  an  einem 
bis  über  den  Nabel  reichenden  Uterusmyom.  Die 
Sonde  dringt  4yj  Zoll  ein.  Die  Blutung  ist  sehr 
bedeutend,  sodass  die  Kranke  hochgradig  anämisch 
geworden  ist.  Nach  6  Sitzungen  verreist  die 
Kranke.  Nach  ^^  Jahren  schreibt  sie,  dass  es  ihr 
ausgezeichnet  ginge,  sie  könne  sich  jeder  Be- 
schäftigung unterziehen,  nur  noch  nicht  tanzen 
und  Tennis  spielen. 

Aebnliche  Erfolge  findet  man  in  der 
Litteratur  (namentlich  in  der  englischen  und 
französischen)  zu  hunderten  verzeichnet;  ja 
es  finden  sich  eine  ganze  Reihe  noch  er- 
heblich günstigerer  Resultate  vor,  Fälle,  in 
denen  nach  einer  oder  zwei  Sitzungen  alle 
Beschwerden  und  Blutungen  beseitigt  viraren. 
Da  es  aber  Geschmacksache  ist,  ob  man  sich 
durch  solche,  man  könnte  fast  sagen  Wunder- 
euren  leichter  überzeugen  lässt,  als  durch 
die  Mittheilung  nüchterner,  nicht  so  über- 
schvirenglich  lobender  Berichte,  so  habe  ich 
gerade  jene  beiden  maassvoll  gehaltenen  an- 
geführt. Auf  meine  eigenen  Erfolge  gehe 
ich,  um  nicht  die  Zahl  voreiliger  Veröffent- 
lichungen zu  vermehren,  aus  dem  Eingangs 
erwähnten  Grunde  nicht  ein. 

Wenn  aber  ein  Gynaekologe  wie  Tho- 
mas Keith,  welcher  nur  4  ^/o  Todesfälle 
bei  der  Laparomyomotomie  zu  beklagen  hat, 
auf  Grund  von  100  nach  der  Apostoli'- 
schen  Methode  behandelten  Uterusmyomen 
den  Satz  ausspricht:  er  glaube  sich  eines 
Verbrechens  schuldig  zu  machen,  wenn  er 
bei  Uterusfibromen  diese  Methode  nicht  erst 
versucht  habe  —  so  kann  man  in  der  That 
den  Schluss  ziehen,  dass  diese  Behandlungs- 
art des  eigenen  Versuches  werth  ist. 

Sehr  beherzigen sw^erth  ist  auch  noch  der 
Ausspruch Playfair's,  welcher  feststellt,  dass 
sämmtliche  Untersucher,  die  sich  bisher 
ernsthaft  mit  der  Methode  Apostoli's  be- 
schäftigt haben,  des  Lobes  voll  sind.  Es 
ist  deshalb  in  hohem  Grade  zu  wünschen, 
dass  dieselbe  von  Seiten  deutscher  Aerzte 
mehr  als  es  bisher  geschehen  ist,  in  die 
Hand  genommen  und  auf  ihren  Werth  ge- 
prüft wird. 


Näheres  über  die  Apostoli'sche  Fibro- 
myombehandlung  des  Uterus  findet  sich  bei: 

1.  Carle t:  Du  traitemcnt  electrique  des  tu- 
meurs  fibreuses  de  Tuterus  d^apres  la  methode  du 
Dr.  Apostoli.    Paris  1884. 

2.  Bigelow:  Apostoli  and  his  Work.  Lan- 
cet  1888  Vol.  II  p.  1221. 

3.  Michels;  Ueber  die  Anwendung  der  £lek- 
tricität  in  der  Gynaekologie.     Würzburg  1888. 

4.  Bayer:  Ueber  die  Bedeutung  der  Elektri- 
cität  in  der  Geburtsh.  u.  Gynaek.  Zeitschrift  für 
Geb.  u.  Gyn.  Bd.  11  p.  127. 

5.  Engel  mann:  The  use  of  electricity  in 
gynaec.  practice.  Transact.  of  the  Amer.  gyn. 
soc.  1886. 

6.  Derselbe.     Zeitschrift  für  Geb.  u.  Gynaok. 

1888  Bd.  15  p.  198. 

7.  Thomas  Keith:  Results  of  supravaginal 
hysterectomy  with  rcmarks  on  the  old  ways  aod 
the  new  of  treating  uterine  fibroids.  British 
medic.  Journal  1887.  lO./XII.  p.  1257. 

8.  Benedict:  Berl.  klin.  Wochenschrift  1888. 
23.  VII. 

9.  Noeggerath:  Zur  Theorie  u.  Praxis  der 
elektrischen  Behandhmg  der  Fibroide  des  Uterus. 
Berl.  klin.  Wochenschrift  1889  No.  8,  9  u.  No.  23 
bis  25. 

10.  Bröse.  Zur  Elektrotherapie  in  der  Gy- 
naekologie. Deutsche  medicin.  Wochenschrift  1889 
No.  24. 

11.  Play  fair:  Some  remarks  on  the  use  of 
electricity  in  gynaecologie.  Lancet.  1888.  21.  YII. 

12.  Orthmann:  Beitrag  zur  Elektrotherapie 
in    der    Gynaekologie.      Berl.  klin.  Wochenschrift 

1889  No.  21  u.  22. 

13.  John  Shaw.  Transactions  of  the  ob- 
stetrit,  Society  of  London.  XXX.  p.  243. 

14.  Spencer  Wells:  Remarks  on  the  eloc- 
tric.  treatement.  Brit.  med.  Joum.  1888  p.  1428. 
Wien.  klin.  Wochenschr.  1888  No.  9  u.  10. 

15.  Apostoli:  On  some  novelties  in  my  elec- 
trica! treatement  of  uterine  fibroids.  Congress  of 
the  British  med.  assoc.  Glascow.     August  1888. 

16.  Derselbe:  Bull,  de  therapie  30.  IV.  1888. 

17.  Derselbe:  British  med.  Journ.  1888  1.63. 


Die 
Lassar'sclie  Haarcur  in  der  Privatpraxis« 

Von 

Dr.  Eugen  Qraetzer  in  Sprottau. 

Die  Alopecie  ist  ohne  Zweifel  von 
allen  Krankheiten  die  vom  Publikum  am 
wenigsten  beachtete,  ja  sie  wird  von  den 
meisten  Menschen  gar  nicht  als  Krankheit 
angesehen,  sondern  als  eine  Eigenthümlich- 
keit  betrachtet,  die  bei  manchen  Personen 
sich  „mit  der  Zeit^  einstellt,  und  die  man 
eben  gehen  lässt,  wie  es  Gott  gefallt.     Und 


October  1888.  J 


Crftetx«r,  Di«  Latoar*teh«  Haureur  ia  d«r  ^rivatpralll. 


453 


kann  uns  Aerzte  diese  Gleichgültigkeit  des 
Publikums  einem  Leiden  gegenüber,  "welches 
ein  Organ  unseres  Körpers  dahinrafft,  das 
als  dessen  Hauptschmuck  gilt,  in  Erstaunen 
setzen?  Wenn  bisher  Jemand  daran  dachte, 
in  unsere  Sprechstunde  zu  kommen,  um  uns 
wegen  seines  Haarschwundes  um  Eath  zu 
fragen,  was  haben  wir  gethan?  —  Wir 
lächelten  mitleidig,  zuckten  bedauernd  die 
Achseln  und  yerschrieben  entweder  —  ut 
aliquid  fiat  —  ein  unschuldig  Träuklein, 
das  nichts  schadete  und  nichts  nützte,  oder 
wir  sagten  mit  rücksichtsloser  Offenheit,  was 
uns  selbst  Lesser  in  seinem  Lehrbuch  der 
Hautkrankheiten  (2.  Aufl.  S.  174)  in  dem 
Capital  über  Alopecia  areata  offen  ver- 
kündet: n^i'  sind  durch  kein  Mittel 
im  Stande,  den  Haarausfall  zum  Still- 
stand zu  bringen  und  ebensowenig 
den  neuen  Kachwuchs  zu  beschleuni- 
gen. Daher  ist  eine  Behandlung  eigent- 
lich überflüssig,  besonders  da  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  in  nicht  zu  lan- 
ger Zeit  spontan  eine  yollige  Heilung 
eintritt." 

Ob  dieser  Aussicht  auf  Spontanheilung 
für  unsere  Clienten  in  der  That  eine  grosse 
Bedeutung  als  Trostspruch  beizumessen  ist, 
bezweifle  ich  sehr.  Denn  wie  es  feststeht, 
dass  bei  der  Alopecia  pityrodes  die  Pro- 
gnose auf  spontane  Heilung  recht  schlecht 
ist,  80  kann  man  nicht  die  Thatsache  hin- 
wegleugnen, dass  auch  nicht  alle  Fälle  von 
Alopecia  areata  so  unschuldiger  Natur 
sind,  dass  nach  einiger  Zeit  das  Leiden 
ohne  alle  Therapie  Yon  selbst  verschwindet. 
£s  kommt  gar  nicht  so  selten  vor,  dass  die 
Krankheit  immer  weiter  um  sich  greift  und 
zu  totaler  Eahlköpfigkeit  fuhrt.  Aber  selbst 
wenn  wir  wirklich  mit  dem  Factor  rechnen 
könnten,  dass  in  sämmt liehen  Fällen  von 
Alopecie  der  Erankheitsprocess  nach  einiger 
Zeit  sistirt,  und  die  Neigung  zur  Spontan- 
heilung dann  sich  geltend  macht,  würde 
dieser  Umstand  den  Arzt  berechtigen,  die 
Hände  in  den  Schooss  zu  legen?  Das  würde 
doch  nur  dann  der  Fall  sein,  wenn  erstens 
die  Unannehmlichkeiten  und  Nachtheile,  die 
das  Leiden  für  die  damit  behafteten  Per- 
sonen mit  sich  bringt,  so  geringfügig  wären, 
dass  man  sich  über  jene  hinwegsetzen  konnte, 
und  wenn  wir  zweitens  wirklich  kein  Mittel 
besässen,  das  mit  sicherem  Erfolge  die  Af- 
fection  bekämpfte.  Was  den  ersteren  Punkt 
anbelangt,  so  muss  hervorgehoben  werden, 
dass  selbst  leichtere  Fälle  von  Alopecia 
areata  wochen-  und  monatelang  bestehen 
können,  ehe  die  Neigung  zur  Spontanheilung 
zum  Vorschein  kommt.  Sehen  wir  von  der 
Entstellung    des    Aeusseren,    die    doch 


immerhin  auch  beim  Mann  in  Betracht  ge- 
zogen werden  muss,  hier  ganz  ab,  so  greift 
doch  der  Haarschwund  als  Krankheit 
oft  so  tief  in  unseren  socialen  Ver- 
kehr, in  unser  Familienleben  ein,  dass 
schon  aus  diesem  Grunde  dem  Leiden  eine 
grössere  Beachtung  geschenkt  werden  müsste. 
Die  Folgen  des  Haarschwundes,  also  die 
daraus  resultirende  Entstellung,  fallen  hier 
weniger  in^s  Gewicht,  als  jene  vom  Laien- 
publikum der  Affection  allgemein  angedich- 
tete Aetiologie.  Denn  die  Ansicht,  dass 
jeder  bei  jüngeren  Leuten  vorkommende 
Haarausfall  eine  Folge  von  Excessen  in 
baccho  et  in  venere  ist,  hat  so  colossale 
Verbreitung,  dass  Jedermann  überzeugt  ist: 
die  an  Alopecie  Leidenden  geben  sich  ent- 
weder einem  unsoliden  Lebenswandel  hin, 
oder  wenigstens  sie  haben  „gelebt^.  In- 
folgedessen dienen  jene  Unglücklichen  nicht 
nur  ihren  Bekannten  und  Freunden  als  Ziel- 
scheibe der  Spottlust,  was  gewiss  auch  nicht 
gerade  angenehm  ist,  sondern  es  können 
auch  für  die  Kranken  Nachtheile  ent- 
stehen, die  ihre  persönlichen  Inter- 
essen auf  das  Empfindlichste  zu 
schädigen  im  Stande  sind.  Es  kann 
z.  B.  der  Fall  eintreten,  dass  ein  junger 
Mann,  der  sich  mit  Anderen  um  ein  Amt, 
um  eine  Stellung  bewirbt,  wegen  seiner 
Glatze  in  den  Verdacht  unregelmässigen 
Lebens  kommt  und  deshalb  seinen  Mit- 
bewerbern das  Feld  räumen  muss.  Oder 
ein  Kahlkopf  ist  dem  Betreffenden  bei  einer 
eventuellen  Verheirathung  ein  Hinderniss 
und  kann  so  ein  Lebensglück  zerstören. 
Allerdings  sind  wir  zu  der  Annahme  be- 
rechtigt, dass  stärkere  Excesse  wenigstens 
befördernd  auf  den  Haarschwund  wirken 
können,  und  besonders  darf  in  dieser  Be- 
ziehung die  Syphilis  als  ätiologisches  Moment 
nicht  unterschätzt  werden;  in  den  meisten 
Fällen  jedoch  ist  auch  Lues  nie  vorhanden 
gewesen,  und  die  Kranken  sind  an  ihrem 
Leiden  gänzlich  unschuldig.  Wenn  nun  das- 
selbe anfangt,  sie  in  ihren  Interessen  zu 
schädigen,  dann  kommen  diese  Leute  zum 
Arzt,  um  von  diesem  gewöhnlich  mit  den 
Worten  abgespeist  zu  werden:  „Wir  haben 
dagegen  kein  Mittel  I^'  Das  war  auch  früher 
leider  der  Fall;  es  wurde  dies  und  das  em- 
pfohlen, aber  alle  diese  Mittel  verdatakten 
ihren  Haupterfolg  wohl  der  Neigung  der 
Krankheit  zur  Spontanheilung,  und  bei  Con- 
trolversuchen  machten  sie  meist  glänzend 
Fiasko.  Da  gab  Lassar  im  Jahre  1880 
uns  seine  antiparasitäre  Methode,  mit 
der  es  ihm  gelungen  war,  bei  Alopecia 
pityrodes,  die  er  als  eminent  an- 
steckende,   auf   parasitärer  Basis  be- 


454 


Graotzer,  Dio  LaMftT'fiQho  Haarcur  in  der  Privatpraxi*.. 


rlierap«iitiMb6 
Moiifttshafte. 


ruhende  Affection  hinstellte,  gute  thera- 
peutische Erfolge  zu  erzielen.  Allein  die 
Richtigkeit  seiner  Beobachtungen  ^urde  von 
yerschiedcDen  Seiten  angezweifelt,  seine  Er- 
folge fanden  wenig  Beachtung,  sodass  die 
Gleichgültigkeit  der  Aerzte  dem  Leiden  gegen- 
über bestehen  blieb.  In  No.  12  der  „Therap. 
Monatshefte  1888"  erschien  ein  Aufsatz  von 
Lassar:  „Ueber  Haarcuren",  ia  welchem 
der  Verfasser  nochmals  seine  Methode  em- 
pfiehlt, die  ihm  in  mehr  als  1000  Fällen 
nicht  nur  von  Alopecia  pityrodes,  son- 
dern auch  von  Area  Celsi,  die  er  als  der 
,,Contagiosität  mindestens  hochyer- 
dächtig"  bezeichnet,  die  besten  Dienste 
leistete.  Diese  Cur  muss  6  bis  8  Wochen 
lang  täglich,  später  seltener,  Yon  geübter 
Haod  ausgeführt  werden  und  zerfällt,  um  es 
hier  kurz  zu  wiederholen,  in  folgende  Actei 

1.  Zehn  Minuten  langes  Einseifen  des 
Haarbodens  mittelst  einer  starken  Theerseife. 

2.  Abspülung  der  Seife  zuerst  mit  lauem, 
dann  mit  kühlerem  Wasser  vermittelst  Irri- 
gator oder  Giesskanne,  und  Abtrocknen. 

3.  Frottirung  des  Kopfes  mit  folgender 
Losung : 

«V    Sol.  Hydrarg.  bichlorat.  0,5: 150,0 
Glycerin. 
Spir.  Colon,  aa  50,0. 

M.  D.  S.  Aeusserlich! 

4.  Trockenreibung  des  Kopfes  mit  ab- 
solutem Alkohol,  dem  7a %  Naphtol  zuge- 
setzt ist. 

5.  Reichliche  Einreibung  mit  der  Lo- 
sung: 

IV   Acid.  salicyl.  2,0 

Tct.  benz.  3,0 

Ol.  ped.  taur.  ad    100,0. 
M.  D. 

Natürlich  widerstehen  hartnäckige  Fälle, 
die  aber  selten  sind,  auch  dieser  Methode, 
die,  wenn  die  wachsthumsfahigen  Elemente 
bereits  vollständig  zerstört  sind,  auch  immer 
im  Stich  lassen  muss.  Aber  in  letzterem 
Falle  hören  wenigstens  Schuppenbildung  und 
Juckgefühl  auf,  und  der  Krankheitsprocess 
macht  keine  weiteren  Fortschritte,  sodass 
auch  hier  die  von  Lassar  vorgeschlagene 
Therapie  nicht  nutzlos  ist. 

Der  Artikel  machte  in  ärztlichen  Kreisen 
berechtigtes  Aufsehen,  auch  die  politische 
Tagespresse  brachte  Referate,  sodass  die 
Sache  dem  Laien publikum  bekannt  wurde; 
ob  aber  trotzdem  Publikum  und  practische 
Aerzte  nunmehr  sich  veranlasst  sehen,  dem 
viel  verbreiteten  Uebel  mehr  auf  den  Leib 
zu  rücken,  das  wage  ich  stark  zu  bezweifeln. 
Bei  ersterem  heisst  es,  wenn  man  darauf  zu 
sprechen  kommt,  allgemein:    ,)Die  Botschaft 


hört'  ich  wohl,  allein  es  fehlt  der  Glaube", 
und  den  practischen  Aerzten  fehlt  zwar  der 
Glaube  nicht,  wohl  aber  die  rechte  Zuver- 
sicht, mit  der  Methode,  die  dem  Kliniker 
so  gute  Resultate  lieferte,  in  ihrer 
eigenen  Frivatpraxis  irgendwie  bemerkens- 
werthe  Erfolge  erzielen  zu  können. 

Und  ist  dieser  Gedanke  so  unberechtigt? 
—  Kliniker  und  practische  Aerzte 
haben  mit  so  grundverschiedenen  Ver- 
hältnissen zu  rechnen,  dass  es  kein 
Wunder  ist,  wenn  oft  Erstere  Heilmethoden 
als  vorzüglich  bezeichnen,  die  letzteren  über- 
haupt ein  Noli  me  taDgere  sind  oder,  wenn 
sie  zur  Anwendung  gebracht  werden,  gänz- 
lich fehlschlagen.  Auch  Lassar  hebt  die 
^geübte  Hand"  hervor  und  sagt  später 
nochmals:  „Es  werden  vor  Allem  eine 
geschickte  Hand  zur  Ausführung, 
grosse  Energie  und  Gonsequenz  in  der 
Durchführung  gefordert  werden  müs- 
sen." Ja,  das  sind  recht  schöne  Dinge,  die 
dem  Kliniker  in  allen  Fällen  zur  Ver- 
fügung stehen,  die  wir  aber  in  der  Privat- 
praxis leider  sehr  oft,  namentlich  bei  dem 
niederen  Publikum  und  der  Landbevölkerung, 
entbehren  müssen,  was  zur  Folge  hat,  dass 
bei  chronischen  Leiden  oft  alle  unsere  Heil- 
bemühungen und  die  besten  Curmethoden 
in  schmählichster  Weise  scheitern.  Das  ge- 
wöhnliche Publikum  (auch  bei  dem  besseren 
soll  es  vorkommen  I)  kann  sich  nicht  mit 
dem  Gedanken  befreunden,  dass  zur  Heilung 
mancher  Krankheiten  nicht  Tage,  sondern 
Wochen,  Monate  und  Jahre  nöthig  sind,  und 
wenn  daher  das  vom  Arzt  verordnete  Mittel 
nicht  sofort  „anschlägt",  so  wird  ein  anderer 
College  in  Anspruch  genommen  —  mit  dem 
gleichen  Erfolge.  So  geräth  nicht  allein 
die  Heilmethode  in  Misscredit,  son- 
dern auch  der  behandelnde  Arzt.  Dass 
der  letztere  Factor,  besonders  bei  dem 
jüngeren  Arzt,  selbst  wenn  er  dem 
Streberthum  gänzlich  fernsteht,  im- 
merhin eine  Rolle  spielt,  ist  unschwer  zu 
begreifen.  Bei  der  Lassar'schen  Haar- 
cur ist  noch  ein  anderer  Punkt  zu  berück- 
sichtigen: Dieselbe  erfordert  nicht  nur  wäh- 
rend längerer  Zeit  täglich  ziemlich  müh- 
same Manipulationen,  sondern  auch  einen 
etwas  kostspieligen  Heilapparat.  Der 
Patient  hat  sich  jedes  Mal  ausser  der  Theer- 
seife und  dem  mit  Naphtol  versetzten  Al- 
kohol noch  die  Sublimat-  und  SalicyllÖsuog 
anzuschaffen  und  kommt  nun  schwerbeladen, 
nicht  sehr  erbaut  über  die  „theuere  Apo- 
theke", nach  Haus.  Ist  nun  trotz  alledem 
ein  Erfolg  nicht  sofort  zu  verzeichnen,  oder 
tritt  ein  solcher,  wegen  Mangels  einer  ge- 
übten Hand,  der  nöthigen  Energie  und  Con- 


in.  Jalirganir.  1 
October  1889.  J 


Qraetzer,  Di«  Lassar'schre  Haarcur  in  der  Privatpnu^ts» 


455 


Sequenz  u.  8.  w.  gar  nicht  ein,  dann  ist  na- 
türlich, um  mich  eines  drastischen  Ausdruckes 
zu  bedienen,  um  so  mehr  der  Teufel  los. 

Alles  das  ging  auch  mir  durch  den  Kopf, 
als  ich  den  Las s arischen  Aufsatz  las,  und 
es  wird  wohl  manchem  Collegen  nicht  an* 
ders  gegangen  sein.  Ich  muss  gestehen, 
dass  wohl  auch  bei  mir  Alles  beim  Alten 
geblieben  wäre,  wenn  ich  nicht  zufallig  kurze 
Zeit  später  zu  einer  Erprobung  der  Heil- 
methode gewissermassen  gezwungen  worden 
wäre. 

Am  25.  Januar  d.  J.  kam  nämlich  ein  Herr  E. 
aus  0.  bei  Sprottaa  zu  mir  mit  der  Bitte,  ihn 
Yon  seinem  Haarschwand  za  befreien,  der  seit 
mehreren  Wochen  sein  Haupthaar  zerstöre  und 
täglich  weiter  um  sich  greife.  Er  hatte  das  bis- 
her gar  nicht  beachtet,  hat  aber  die  Absicht,  sich 
jetzt  zu  verloben,  und  furchtet,  dass  die  begin- 
nende Kahlköpfigkeit  ein  Hindemlss  sein  könnte. 
Zufällig  hatte  er  Yor  einigen  Tagen  in  einer  Zei- 
tung über  die  Lassar^sche  Haarcur  eine  Notiz 
gelesen  und  ersuchte  mich  nun,  dieselbe  bei  ihm 
zu  Yersuchen.  Auch  als  ich  den  Patienten  darauf 
aufmerksam  machte,  dass  die  Cur  in  der  Privat- 
praxis doch  leicht  erfolglos  sein  könnte,  bestand 
er  darauf,    sodass  ich  seinem  Wunsche  willfahrte. 

Der  im  mittleren  Lebensalter  stehende,  normal 
gebaute  und  gesund  aussehende  Mann  hatte  ge- 
rade auf  dem  Scheitel  seines  Kopfes  einen  kahlen 
Fleck,  der  rundliche  Gestalt  zeigte  und  einen 
Durchmesser  yon  etwa  6  cm  hatte.  An  diese 
Stelle  schloss  sich  ringsum  unmittelbar  ein  unge- 
fähr 2  cm  breiter  Streifen  an,  auf  dem  das  Haar 
schon  ziemlich  licht  war,  und  wo  schon  bei  ge- 
ringem Zug  ganze  Büschel  von  Haaren  einem 
zwischen  den  Fingern  blieben.  Schuppenbildung 
war  nie  vorhanden  gewesen,  ebensowenig  Juck- 
gefühl. 

Diagnose:  Alopecia  areata. 

Erst  nach  8  Wochen  sah  ich  Herrn  K.  wieder. 
Er  stellte  sich  als  „geheilt^  vor.  Und  in  der 
That  konnte  man  kaum  unterscheiden,  wo  einst 
der  kahle  Fleck  gewesen  war.  Bereits  nach 
den  ersten  Einreibungen,  so  erzählte  der 
freudig  erregte  Patient,  hörte  der  Haarausfall 
auf,  bald  sprossten  neue  Härchen  auf,  die 
sich  allmählich  vermehrten  und  vergrös- 
serten,  sodass  bald  das  frühere  Aussehen 
wiederhergestellt  war. 

Dieser  ebenso  glänzende,  wie  mich  über- 
raschende Erfolg  bestimmte  mich,  in  einem 
zweiten  Falle  von  Alopecia  areata,  der  kurze 
Zeit  darauf  in  meine  Behandlung  kam,  wie- 
der die  Lassar'sche  Methode  in  Anwen- 
dung zu  bringen. 

Am  24.  März  d.  J.  consultirte  mich  der  15  Jahr 
alte  Emil  T.  aus  B.,  einem  Dorfe  in  der  Nähe 
von  Sprottau.  Sein  Kopf  zeigte  gewissermassen 
ein  marmorirtes  Aussehen,  indem  haarlose  Stellen 
mit  behaarten  abwechselten.  Im  Ganzen  fanden 
sich  4  kahle,  runde,  von  einander  getrennte  Schei- 
ben von  Zweimark-  bis  Fünfmarkstückgrösse.  Dass 


die  Affection,  die  erst  seit  einigen  Wochen  be- 
stand, immer  weitere  Fortschritte  machte,  bewies 
der  Umstand,  dass  auch  in  der  Umgebung  der 
Scheiben  das  Haar  sich  zu  lichten  begann,  und  es 
leicht  gelang,  Haarbüschel  herauszuziehen.  Auch 
hier  kein  Jucken,  keine  Schuppenbildung. 

Ich  schlug,  jetzt  zuversichtlicher  geworden,  den 
Eltern  des  Patienten  sofort  die  Lassar^sche  Cur 
vor.  Diese  zeigte  auch  in  diesem  Falle  einen 
überraschenden  Erfolg.  Auch  hier  sistirte 
gleich  nach  den  ersten  Curtagen  der 
Krankheitsprocess,  imd  bei  seinem  zweiten 
Besuch,  den  mir  der  junge  Mann  am  19.  April 
machte,  bot  sein  Kopf  ein  wesentlich  anderes  Bild 
dar,  als  3  Wochen  vorher.  Wenn  auch  der 
Haarwuchs  auf  den  afficirten  P»:tien  noch 
ziemlich  dünn  war,  so  war  doch  von  eigent- 
licher Kahlheit  nirgends  mehr  die  Rede.  Am 
15.  Mai,  bis  zu  welchem  Tage  die  Cur  fortgesetzt 
wurde,  sah  ich  den  Patienten  wieder.  Die  Heilung 
hatte  wieder  bedeutende  Fortschritte  gemacht,  und 
war  kaum  eine  Unterscheidung  der  kranken  Stellen 
von  den  normalen  möglich.  Nach  weiterer  drei- 
wöchentlicher Cur  konnte  ich  den  Patienten  als 
völlig  „geheilt^  aus    der  Behandlung  entlassen. 

Leider  sind  mir  seitdem  keine  Fälle  von 
Alopecie  mehr  vorgekommen,  und  Skeptiker 
werden  behaupten,  jene  2  Fälle  seien 
durchaus  nicht  beweiskräftig,  da  ja 
bei  Area  Celsi  recht  viele  Spontanheilun- 
gen zu  Stande  kämen.  Wenn  aber  in  beiden 
Fällen  gleich  in  dep  ersten  Behand- 
lungstagen ein  Umschwung  in  der 
Weise  eintrat,  dass  der  Haarausfall 
sofort  nachliess,  und  allmähliche  Re- 
stitution sich  zeigte,  so  kann  man  dreist 
sagen,  dass  dieser  Erfolg  allein  der 
Heilmethode  zu  verdanken  ist  und  nicht 
einem  glücklichen  Zufall*  Anders  wäre  es 
gewesen,  wenn  dieser  Umschwung  erst  nach 
mehreren  Wochen  sich  gezeigt  hätte.  Dann 
konnte  man  vielleicht  die  Behauptung  auf- 
stellen, dass  eine  Heilung  zu  der  Zeit  ohne 
alle  Therapie  auch  zu  Stande  gekommen 
wäre. 

Mit  diesen  2  Fällen  von  Heilung  der 
Alopecia  areata,  die  natürlich  den  1000 
Lassar' sehen  gegenüber,  ungemein  winzig 
sich  ausnehmen,  würde  ich  nicht  in  die 
Oeffentlichkeit  zu  treten  wagen,  wenn  ich 
es  nicht  für  durchaus  geboten  hielte,  dass 
sich  auch  die  .Stimmen  von  Privatärzten  zu 
Gunsten  der  Lass arischen  Methode  erheben, 
die  für  die  Frivatpraxis  erst  maassgebend 
sein  und  jeden  Zweifel  bei  den  Collegen 
zerstreuen  können.  Da  das  seit  Fublication 
des  Las 6 arischen  Aufsatzes  bisher  nicht 
geschehen  ist,  so  glaubte  ich  trotz  der  klei- 
nen Anzahl  meiner  Heilungen  dieselben  doch 
bereits  jetzt  veröffentlichen  zu  müssen,  um 
wenigstens  dadurch  Anregung  zu  weiteren 
Yerstiohen  und  zu  weiteren  Publicationen  zu 


456 


OraoKor,  Die  LastarUch«  ttaareur  In  dar  ^rivatpraxU. 


L  Monatahttft«. 


geben.  Berücksichtigen  -wir,  dass  ich  mit 
recht  schwierigen  Yerhältnissen  zu  rechnen 
hatte,  dass  meine  beiden  Patienten  Land- 
bewohner waren,  bei  denen  eine  energische 
und  consequente  Durchfuhrung  einer  Cur 
ziemlich  problematisch  ist,  dass  es  an  einer 
geübten  Hand  fehlte,  und  die  Patienten  die 
Cur  selbst  ausführten,  so  glaube  ich  doch, 
dass  meine  beiden  Heilungen  wenigstens  in 
soweit  beweiskräftig  sind,  als  sie  zeigen, 
dass  auch  in  der  Hand  der  Priyat- 
ärzte  die  Lassar^sche  Methode  des 
Versuches  werth  ist.  Und  wenn  auch  in 
der  Privatpraxis  nur  50  %  Heilungen  vor- 
kämen, 80  genügt  das  doch,  um  eine  Me- 
thode bekannt  und  beliebt  zu  machen,  die 
es  nicht  verdient,  von  privat  ärztlich  er 
Seite  so  ganz  vernachlässigt  zu  wer- 
den, wie  es  bisher  recht  oft  geschehen  sein 
mag.  Und  wenn  erst  Publikum  und  Aerzte 
sich  daran  gewöhnt  haben,  das  Leiden  nicht 
wochenlang  anstehen  zu  lassen,  sondern 
gleich  zu  Beginn,  wenn  die  ersten 
Haare  ausfallen,  die  Lassar^sche  Cur 
in  energischer  Weise  in  Anwendung 
zu  ziehen,  so  wird  diese  meiner  üeber- 
zeugung  nach  nicht  50  ^/o,  sondern  100% 
Heilungen  auch  in  der  Privatpraxis 
aufweisen,  und  die  Kahlkopfigkeit  wird  im- 
mer seltener  werden!  und  hier  können  vor- 
züglich gerade  die  practischen  Aerzte 
wirken:  Sie  haben,  wenn  sie  erst  diesem 
Gegen  stände  ihre  Aufmerksamkeit  zuwenden, 
ungemein  oft  Gelegenheit,  den  Beginn  der 
Alopecie  zu  sehen  oder  Klagen  darüber 
zu  hören,  die  allerdings  nur  nebenbei  an- 
gebracht werden,  wenn  der  Arzt  eines  an- 
deren Leidens  wegen  consultirt  wird.  Wenn 
sie  nun  unter  Hinweisung  auf  die  Er- 
folge der  Lassar^schen  Cur  darauf  drin- 
gen, dass  dem  Uebel  gleich  beim  Beginn 
energisch  auf  den  Leib  gerückt  wird,  so 
können  sie  viel  Gutes  stiften. 

Aber  auch  die  prophylaktische  Seite  will 
ich  nicht  unerwähnt  lassen,  weil  auch  in 
dieser  Beziehung  gerade  die  practi- 
schen Aerzte  eine  recht  wirksame  Thätig- 
keit  entfalten  können.  Wie  oft  wird  der 
Hausarzt  Gelegenheit  finden,  die  Familien- 
mitglieder auf  die  Ansteckungsgefahr  der 
Alopecie  aufmerksam  zu  machen  und  darauf 
zu  sehen,  dass  jedes  einzelne  ein  besonderes 
Kammzeug  besitzt,  und  dass  die  Kinder  nicht 
Kämme  und  Bürsten  ihres  mit  Alopecie  be- 
hafteten Vaters  benutzen  dürfen,  ebenso  wie 
es  nöthig  ist,  beim  Friseur  eigenes  Frisir- 
zeug  anzuschaffen  und  auch  das  in  öffent- 
lichen Gebäuden  und  Anstalten  ausliegende 
nicht  in  Gebrauch  zu  nehmen. 

Es  bietet  sich  also  dem  practischen  Arzte 


auf  einem  für  ihn  bisher  so  „kahlen"  Ge- 
biete ein  weites  Feld  wirksamer  Thätigkeit 
dar,  und  hofft  der  Verfasser  durch  diese 
Zeilen,  indem  er  das  Lassar'sche  Verfahren 
auch  von  privatärztlicher  Seite  aus  be- 
leuchtete, bei  seinen  Collegen  Anregung 
zu  geben,  dass  jene  bisher  der  Alo- 
pecie entgegengebrachte  Gleichgültig- 
keit aufgegeben,  und  einem  Leiden  er- 
höhte Aufmerksamkeit  zugewandt 
werde,  dem  wir  nicht  machtlos  gegen- 
überstehen, sondern  das  wir  prophy« 
laktisch  und  therapeutisch  jetzt  wirk- 
sam bekämpfen  können. 


Beiträge  zur  Kenntniss  des  Godeins* 

Von 

Dr.  Quido  Rheiner  in  St  Gallen. 

[SehlutaJ 

Eecapituliren  wir  das  skizzenhaft  Darge- 
stellte, so  machen  wir  daraus  folgende  Er- 
fahrungen, soweit  die  massige  Zahl  unserer 
Beobachtungen  sie  abzuleiten  gestattet: 

Codein  repräsentirt  ein  sehr  beachtens- 
werthes  therapeutisches  Mittel  unseres  Arznei- 
schatzes in  Fällen,  wo  wir  ein  etwas  milderes 
Narcoticum  als  Morphium  wünschen,  zumal 
ein  solches,  das  möglichst  nicht  die  Schatten- 
seiten des  letztem  theilt.  Es  hat  gewiss 
seine  Berechtigung,  wenn  wir  es  thunlichst 
vermeiden,  im  Kindesalter,  besonders  bei 
Säuglingen,  das  oft  bei  Erwachsenen  schon 
in  kleinsten  Dosen  prompt  wirkende  Mor- 
phium anzuwenden,  wohl  bewusst  der  Ge- 
fahren, die  eine  unüberlegte  Anwendung  des- 
selben auf  den  kindlichen  Organismus  aus- 
übt, und  doch  schliesse  ich  mich  ganz  den 
Anschauungen  May  er^  s  in  Aachen  an(Therap. 
Monatsh.  Juli  1888),  welcher  schreibt:  „Es 
herrscht  leider  unter  den  Aerzten  eine  über- 
triebene Furcht  vor  der  Anwendung  des 
Morphiums  bei  Kindern;  man  kann  schon 
Kindern  von  wenigen  Monaten  innerlich 
Morphium  in  entsprechender  Dosis  ohne  jeden 
Nachtheil  geben;  schon  vor  30  Jahren  sah 
ich  einen  äusserst  schweren  Keuchhusten- 
Fall  bei  einem  sechswöchentlichen  Kinde, 
welches  in  jedem  Anfall  zu  verbleiben  drohte, 
durch  melurmalige  tägliche  Anwendung  von 
^9  mg  Morph,  acet.  glücklich  vorübergehen, 
indem  sofort  nach  regelmässiger  Anwendung 
der  minimalen  Morphium-Gaben  die  Heftig- 
keit der  Anfälle  allmählich  nachliess.  Bei 
Kindern  von  2 — 3  Jahren  habe  ich  oft  Mor- 
phium-Lijectionen  in  schmerzhaften  Krank- 


m.  Jahrgang.  1 
Ootobtf  1889.  J 


Rheiner,  Beiträge  cur  Kenntnin  dea  Codeina. 


457 


heiten  (z.  B.  Ohrenentzündungen,  Unterleibs- 
entzündungen) gemacht,  etwa  2 — 3  mg  für 
ein  2 — 4 jähriges  Kind,  und  habe  dieselben 
selbst  bei  noch  jüngeren  Kindern  nicht  ge- 
scheut, fallt  doch  gerade  in  der  Kinderpraxis 
die  Hauptgefahr  der  Morphium- Anwendung, 
die  Angewöhnung,  fort." 

Auch  ich  hatte  schon  vor  Erscheinen 
der  Mayer' sehen  Arbeit  nicht  gezaudert, 
bei  indicirt  erscheinenden  Fallen  mich 
des  Morphiums  bei  Kindern  in  kleinsten, 
wohl  berechneten  Mengen  zu  bedienen, 
wenn  es  nothig  war,  selbst  bei  Säuglingen, 
d.  h.  unter  einem  Jahr,  wenn  die  das  Kind 
pflegenden  Eltern  nicht  unterhalb  einer  be- 
stimmten Grenze  menschlicher  Vernunft  sich 
befanden,  und  zwar  unter  Beobachtung  grosster 
Vorsicht  und  der  Angabe  an  die  Umgebung 
des  kleinen  Kranken,  dass  es  sich  um  ein 
ernstes  Mittel  handle.  Niemals  traten  toxi- 
sche Wirkungen  auf,  so  dass  weitere  Tor- 
sichtige  Untersuchungen  über  die  Verwend- 
barkeit des  Morphiums  in  den  yerschiedenen 
Perioden  des  Kindesalters  sehr  wünschens- 
werth  wären.  Wenn  man  nun  im  Allge- 
meinen, und  wohl  mit  Recht  zurückschreckt, 
ohne  dringende  Nothwendigkeit  zu  diesem 
geföhrlichen  Alkaloid  zu  greifen  bei  Erkran- 
kungen der  Un erwachsenen,  so  bietet  sich 
uns  im  Codein  ein  weniger  gefährliches  und, 
wie  ich  gezeigt  habe,  sehr  nutzbringendes 
Mittel,  das  wohl  in  manchen  Fällen  den  so 
beliebten  Liq.  ammon.  anis.  ersetzen  dürfte. 
Auch  wenn  wir  Codein  in  relatir  hohen 
Dosen  anwandten,  so  1  mg  des  Tages  bei 
einem  9  monatlichen  Säugling,  6  mg  bei  einem 
schwerkranken  vierjährigen  Kinde,  so  wurde 
die  schon  vorher  bestehende  psychische  De- 
pression nie  gesteigert,  noch  ereigneten  sich 
irgend  welche  unangenehmen  Nebenerschei- 
nungen, ebensowenig  bei  Erwachsenen  selbst 
bei  Tagesdosen  von  12  cg,  Quantitäten,  die 
bei  Morphium  wir  uns  wohl  hüten  würden, 
anzuwenden.  Einen  nicht  zu  unterschätzen- 
den Vortheil  des  Codein  gegenüber  Morph, 
erkennen  wir  darin,  dass  auch  bei  fortge- 
setzten Gaben  von  Codein  sowohl  bei  Er- 
wachsenen als  der  schnell  reagirenden  Kinder- 
welt durch  dasselbe  in  keinem  Fall  eventuell 
vorhandener  Appetit  schwand,  sondern  bei 
den  meisten  Kranken,  selbst  den  Säuglingen, 
derselbe  sich  zusehends  besserte,  zum  Theil 
allerdings  wohl  secundär,  was  wir  allerdings 
auch  dem  Codein  zu  verdanken  haben,  indem 
durch  raschen  Rückgang  der  andern  krank- 
haften Symptome  das  appetitvermindernde 
Moment,  d.  h.  das  subjective  Gefühl  des 
Krankseins  sich  mehr  verlor. 

Sie  haben  des  Weitem  vernommen,   dass 
in  keinem  Fall  durch  das  in  Frage  stehende 


Alkaloid  der  Verdauungstractus  gegen  das- 
selbe revoltirte  und  die  angenehme  Ruhe,  in 
welche  die  Darmperistaltik  durch  Opium 
und  Morphium  eingelullt  wird,  bei  Cod.  in 
bescheidenerem  Maasse  auftrat,  ferner  be- 
stehendes Erbrechen  und  Darmkatarrh  jeden- 
falls durch  letzteres  nicht  gefordert  werden, 
sie  also  keine  Contraindicationen  für  Cod.- 
Gebrauch  bilden.  Resumiren  wir  dabei  die 
im  Kreise  unserer  theils  ambulatorisch,  theils 
zu  Hause  behandelten  Kranken  beobachteten 
störenden  Nebenwirkungen,  welche  erstere 
zu  genauer  Selbstcontrolle  aufgefordert  wur- 
den, da  sie  auf  die  nicht  häufige  Anwendung 
dieser  Substanz  aufmerksam  gemacht  wurden, 
so  ist  es  erstlich  in  einem  Fall  leichter 
Schwindel  (No.  20)  Morgens  beim  Aufstehen, 
während  in  einem  andern  ein  vor  Dar- 
reichung von  Cod.  schon  bestehender  und 
durch  Anämie  und  körperliche  Schwäche 
bedingter  bei  der  betreffenden  Frau  (No.  23) 
nicht  gesteigert  wurde;  femer  massige  Kopf- 
schmerzen (No.  25);  von  Kribbeln  oder  an- 
dern durch  Nervenreizung  hervorgemfenen 
Erscheinungen  konnte  in  keinem  Fall  auch 
nur  die  leiseste  Spur  beobachtet  werden. 

Was  die  Art  der  Anwendung  des  Codeins 
anbelangt,  so  erstreckten  sich  unsere  Unter- 
suchungen nur  auf  Darreichung  in  Losung 
oder  Pulverform,  zu  subcut.  Gebrauchsweise 
bot  sich  keine  Gelegenheit,  über  dieselbe 
berichtet  Budberg.  Die  Raschheit  der  Wir- 
kung gestaltet  sich  verschieden,  bald  schon 
nach  799  hald  erst  nach  einigen  Stunden. 
Wenn  wir  an  der  Hand  der  gemachten 
Krankennotizen  einige  Indicationen  für  die 
Ordinirung  unseres  Alkaloids  aufstellen 
wollen,  so  werden  wir  in  angegebener  Form 
uns  desselben  mit  Vortheil  bedienen  bei 
fieberlosen  oder  massig  febrilen  Bronchitiden 
der  Kinder  und  Erwachsenen ;  in  denjenigen 
Fällen  indessen,  wo  hohes  Fieber,  stark 
beschleunigte  Athmung  etc.  die  Betheiii- 
gung  der  feinen  Bronchien  und  dazwischen 
liegender  Lungenpartien  ergaben,  vermochte 
Codein  in  unsern  Fällen  den  quälenden 
Hustenreiz  wenig  zu  mildern,  noch  den  da- 
durch verscheuchten  Schlaf  zu  erzwingen, 
ebensowenig  in  einem  Fall  von  Pseudocroup 
nach  früherer  Diphtherie  laryng.  trotz  man- 
gelnden Fiebers,  doch  war  in  diesem  Fall 
auch  Morphium  wirkungslos. 

Bei  Phthisis  pulm.  sehen  wir  von  Codein 
eine  sehr  zufriedenstellende  Wirkung,  die  Kran- 
ken äusserten  sich  in  anerkennender  Weise, 
der  Husten  nahm  mehr  oder  weniger  rasch 
bedeutend  ab,  dadurch  fiel  das  schlaf  störende 
Moment  weg  und  resultirte  traumloser,  er- 
quickender Schlaf,  das  Sputum  schien  sich 
besser    zu    losen,     der    Appetit    nahm    zu. 

53 


458 


Rlieiii«r,  B«ltrllge  cur  Xennteltt  doi  Codalni. 


L  MoBAtalMlU. 


Wenn  denselben  Patienten  nach  Cod.  ver- 
gleichsweise ohne  oder  mit  ihrem  Wissen 
Pulv.  Doweri  ordinirt  wurde,  so  war  aller- 
dings in  mehreren  Fällen  die  mildernde 
Wirkung  auf  den  Hustenreiz  so .  ziemlich 
identisch,  dagegen  zeigte  sich  ein  eclatanter 
Beweis  des  Vorzugs  von  Cod.  darin,  dass, 
nachdem  sich  der  Appetit  auf  Cod.-Gebrauch 
gleichzeitig  gebessert,  derselbe  durch  Dow.- 
Pulver  wieder  abnahm  (No.  19,  22,  23,  25). 
Bei  einem  anämischen  Individuum  und  einem 
chronischen  Bronchitiker  erzeugte  P.  Dow. 
fortdauernd  Uebelkeit  und  Brechreiz  bis 
Erbrechen,  Codein  nicht,  wenn  auch  in  beiden 
Fällen  sowohl  P.  Dow.  als  Godein  wenig 
leisteten.  YÖUig  nutzlos  war  es  bei  einem 
Fall  beginender  Phthise  mit  massenhafter 
Schleimsecretion  (No.  18),  doch  auch  P.  Dow. 
brachte  hier  keinen  Erfolg,  erst  Morph,  in 
ziemlich  hohen  Dosen  (P.  wurde  vor  einem 
Jahre  zum  letzten  Mal  vorübergehend  aus- 
wärts behandelt)  von  3 — ^cg  pro  die  schafften 
einige  Milderung  des  continuirlichen  quälen- 
den Hustenreizes,  ohne  dass  bei  dem  gegen 
Medicamente  offenbar  äusserst  renitenten 
Organismus  des  P.  irgend  welche  Neben- 
wirkung oder  Schläfrigkeit  eingetreten  wäre. 
Völlig  nutzlos  erwies  sich  Codein  bei  heftigem 
Asthma;  während  Chloralhydrat  (l,0),  Abends 
genommen,  mehrere  Tage  hintereinder  die 
Anfälle  durch  festen  Schlaf  des  P.  siegreich 
zu  verhindern  mochte  (No.  26),  wachte  der 
Kr.  nach  Cod. -Darreichung  gleichwohl  auf, 
als  der  Asthmaanfall  im  Anzug  war,  auch 
die  Bangigkeit  der  Phthisiker  und  Herzleiden- 
den Hess  sich  nur  insofern  durch  Codein 
gunstig  beeinflussen,  als  der  damit  verbun- 
dene Husten  abnahm,  doch  wurde  Cod.  auch 
von  Herzkranken  völlig  schadlos  und  ohne 
besondere  Einwirkung  auf  die  Circulations- 
organe  ertragen. 

Es  wurde  im  Weitem  noch  bei  5  Fällen 
der  Einfluss  des  Cod.  auf  den  Keuchhusten 
der  Kinder  geprüft  und  folgen  zum  Schluss 
noch  die  darüber  gemachten  Notizen: 

Ida  Koch,  2^/^  J.  H.  31.  I.  Seit  Ende  Dec. 
1888  Bronch.  ac,  seit  Mitte  Jan.  1889  keuch- 
hustenartige Anfälle,  alle  15  Min.,  auch  Nachts. 
Kein  Appetit. 

Status:  Zartes  Kind,  grosso  Apathie,  Katarrh 
der  Augen,  Nase,  des  Rachens,  Heizung  desselben 
löst  e.  typischen  K.-Anf.  aus  von  1  y.  Min.  Dauer 
mit  Erbrechen.  Ulc.  subling.  T.  Ab.  38,5 <>. 
Einzelne  K.-H.-FäUe  in  der  Umgebung.  0. :  Cod.-P. 
a  2  mg. 

2.  U.  Am  2.  n.  Morg.  1  h  nach  heft.  Anfall 
2  mg  C,  nach  40  Min.  Schlaf  bis  8.  U.  Morg. 
5  h  ohne  Hosten,  darauf  wieder  Y48tündl.  heft. 
AnfMle;  Morg.  5y,  h  =  1  mg.  Schlaf  bis  9  h^ 
neue  Anf.,  9  y,  h  ^  1  mg  C,  dann  vom  Ref.  selbst 
beobachteter  ruhiger  Schlaf  bis  12  h  Morg.,  Mund 


geschlossen,  kein  Flugelathmen.  Bei  der  Unter- 
suchung im  Schlaf  erwacht  P.,  heft.  Anfall.  Von  12  h 
an  stdl.  1  Anf.,  Ab.  6  h  3  Anf.  rasch  nacheinander, 
von  Ab.  9  h  bis  4.  II.  Morg.  8  h  ruhiger  Schlaf, 
darin  3  mal  massig  gehustet. 

5.  II.  Gestriger  Tag  gut,  Kind  trinkt  Milch, 
spielt,  keine  Yerdauungsstorungen,  2  Anfalle, 
5  mal  sonst  massig  gehustet. 

7.  II.  Seit  dem  5.  U.  kein  Cod.  mehr,  kamen 
noch  3  Anf.  vor. 

8.  II.    Gestern  2  AnflÜle. 

16.  II.  Täglich  je  1—2  versch.  st.  Anfälle, 
manche  heftig,  Kind  muss  herumgetragen  werden. 
Sonst  findet  die  Mutter  das  Kind  gesund,  ist  sehr 
glucklich  über  den  Verlauf. 

2.  Arnold  S.,  2%  J.  Stad.  florit.  Pert., 
ca.  40  Anfälle  im  Tag,  keine  Complicationen. 
28.  n.  0.:  Cod.-P.  k  2  mg. 

26.  n.  Täglich  ca.  1  %— 2  C.-P.,  Husten  un- 
verändert. 

29.  IL    St.  idem. 

3.  ni.    St.  idem.     Cod.  weggelassen« 

3.  Marie  Gr.,  3V4  J.  Stad.  florit  Pert.;  Anf. 
y,stdl.     Keine  Complicationen. 

19.11.    0.:  Cod.-P.  k  IVamg. 
23.  IL    Pulver   am    19.  H.    Ab.  7  h,  20.  IL 
Morg.  7  h,  2  h,  7  h,  10  L     Anf.  unverändert. 
25.  IL    St.  idem. 
28.  n.    St.  idem.    Nichts  Neues. 
1.  IIL    Cod.  gut  vertragen,  nutzlos. 

4.  Josephine  Gr.,  2 y,J.  Anämie,  St.  florit. 
Pert.  Grosse  Apathie.  19.  II.  0.:  Cod.-P. 
k  1  mg. 

1.  IIL    Täglich    3 — 4  mg    Cod.     Ist  nutzlos, 
wird  gut  vertragen. 
20.  II.    St.  idem. 

5.  Bertha  Gr.,  1%  J.  Stad.  catarrh.  Per- 
tussis seit  Mitte  Februar.  Anämie.  Heftige 
Bronchitis.     19.  H.    0.:  Cod.  2  mg  120,0  2  stdl. 

22.  n.    Husten  eher  zugenommen.     Cod.  rep. 

25.  n.  Beginn  d.  typischen  K.-Anf.  Cod. 
rep. 

1.  HI.  Typ.  Verlauf,  y^stdl.  1  Anfall.  Lan^. 
Reconvalescenz. 

Wie  Sie  ersehen,  erwies  sich  das  Codein 
in  vier  Fällen  als  völlig  nutzlos,  der  Keuch- 
husten konnte  auch  in  seinem  Beginn  nicht 
coupirt  werden  und  nahm  seinen  typischen 
Verlauf.  Was  den  Fall  l)  betrifft,  so  be- 
rechtigt derselbe  zu  eipigen  Reflexionen. 
Es  ist  eine  betrübende  Thatsache  zu  sehen, 
wie  machtlos  wir  dieser  Krankheit  im  All- 
gemeinen noch  gegenüberstehen  und  wohl 
erklärlich,  dass,  wie  bei  der  Diphtherie  und 
anderen  Affectionen,  die  oft  unbekümmert 
um  therapeutische  Eingriffe  ärztlichen  Kön- 
nens ihren  günstigen  oder  ungünstigen  Ab- 
lauf nehmen,  wir  gerne,  wenn  auch  von 
vornherein  mit  pessimistischen  Gedanken 
in  Bezug  auf  Erfolg,  nach  jedem  neuen  von 
competenter  Seite  empfohlenen  Mittel  greifen, 
um  eventuell  doch  einmal  wenigstens  unsere 
Bemühungen  von  Erfolg  gekrönt  zu  sehen. 
Es  herrscht  noch  in  den  Anschauungen  des 


tit  Jftlirgtiif .  1 
Oetober  1889.  J 


ftheiner*  Beitri^e  xur  tteontnbs  dai  CodeiAt. 


4Ö9 


Volkes  tief  eingewurzelt  ein  ausgespro- 
chener Nihilismus  betreffs  der  Keuchhnsten- 
therapie  und  bezeichnend  sagt  eine  süd- 
deutsche Bauernregel:  „T^er  Keuchhusten 
dauert  so  lange,  bis  er  aufhört^.  Dies  ist 
denn  auch  der  Grund,  dass  mau  die 
pertussiskranken  Kinder  meist  erst  dann 
dem  Arzt  zufuhrt,  wenn  die  Krankheits- 
erscheinungen zu  einer  gefahrlichen  Höhe 
zugenommen  haben,  eventuell  schlimme 
Complicationen  dazugetreten  sind.  Es  ist 
selbstyerständlich  kein  Zweifel,  und  man 
muss  sich  freuen,  dass  ein  Arzt  auf  Chinin- 
darreichung innerlich  oder  subcutan,  ein  an- 
derer mit  Antipyrin,  ein  dritter  mit  Arg. 
nitr.  —  Insufflationen  in  die  Nase  etc.  etc.  Er- 
folge zu  Terzeichnen  hat,  und  sind  solche 
wohl  zu  beachten,  ohne  dass  wir  bei  eigenen 
Misserfolgen  nach  Anwendung  der  zur  Kennt- 
niss  gebrachten  neuen  berechtigt  wären, 
die  Achseln  zu  zucken  und  über  diesen 
offenbar  „neuen  Schwindel"  zur  Tagesord- 
nung überzugehen;  es  ist  absolut  nothwendig, 
dass  man  mit  allen  Kräften  darauf  hin- 
arbeitet, der  noch  offen  stehenden  Frage  der 
Genese  des  Keuchhustens  auf  die  Spur  zu 
kommen,  um  damit  neue  therapeutische  An- 
haltspunkte zu  gewinnen.  Es  mag  dahin- 
gestellt bleiben,  ob  der  Fall  Koch  von 
Einzelnen  gar  nicht  als  Pertussis  bezeichnet 
werden  will  und  ob  man  schlussfolgern  will, 
weil  die  Elrankheit  so  abnorm  rasch  bei  An- 
wendung dieser  Substanz  zurückgegangen,  sei 
es  offenbar  gar  kein  Keuchhusten  gewesen.  Es 
würde  eine  solche  Schlussfolgerung  wohl  eine 
sehr  einseitige  Auffassung  und  eine  yorge- 
fasste  Meinung  yerrathen,  wollte  man  bei 
einem  Leiden,  das  klar  vor  uns  liegt  und 
das  jeder  Anfanger  in  der  Medicin  primo 
visu  diagnosticiren  wird,  dessen  wahren  Cha- 
rakter yerlengnen,  weil  sich  ein  Mittel  bei 
ihm  als  wirksam  erwiesen,  während  sonst  die 
Zahl  der  therapeutischen  Misserfolge  Legion 
ist.  Es  steht  zu  erwarten,  dass  yielleicht 
in  hundert  Fällen  das  Codein  bei  Keuch- 
husten seinen  Dienst  völlig  versagen  wird, 
aber  wenn  es  dem  Arzte  auch  nur  in  we- 
nigen Fällen  seine  Dienste  leiht,  so  verdient 
dies,  dass  man  sich  mit  ihm  beschäftigt  bei 
einem  so  widerwärtigen  und  hartnäckigen 
Leiden,  bei  dem  es  in  Bezug  auf  Erfolg  oft 
so  ziemlich  auf  dasselbe  herauskommt,  ob 
man  sein  Möglichstes  thut  oder  ob  man,  die 
Hände  in  den  Taschen,  es  auf  die  Gnade  des 
Himmels  ankommen  lässt. 


Ueber  Sulfonal. 

Von 

Dr.  M.  Steiner. 

Die  Vorzüge  des  Sulfonal  vor  den  ge- 
bräuchlichen, theils  alten:  Morphium,  Chlo- 
ralhjdrat,  Bromkali,  theils  in  neuerer  Zeit 
entdeckten  Schlafmitteln,  wie  Urethan,  Hy- 
oscin,  Cannabinon,  Paraldehyd,  Amylenhy- 
drat  sind  so  evident  und  von  so  zahlreichen 
Beobachtern  hervorgehoben  worden,  dass 
vnr  es  als  eine  nicht  nur  ephemere,  werth- 
voUe  Bereicherung  unseres  Arzneischatzes 
betrachten  können. 

Wenu  dieses  in  vielen  Fällen,  namentlich 
von  nervöser  Agrypnie  so  sicher  wirkende 
Remedium  auch  in  einzelnen  ohne  nennens- 
werthen  Erfolg  bleibt,  so  verliert  es 
darum  meines  Erachtens  keinesfalls  an  Be- 
deutung. 

So  schätzen swerth  es  z.  B.  bei  einer  in 
Folge  langwieriger  Krankheiten  (Cystitis 
und  Polyarthritis  acuta)  hochgradig  nervös 
gewordenen  Person  (Frau  B.,  65  Jahr)  mit 
heftigen  Herzpalpitationen  und  habitueller 
Schlaflosigkeit  befunden  wurde,  indem  1  g 
Sulfonal  zu  ihrer  ZuMedenheit,  auch  wohl 
noch,  wie  ebenfalls  von  anderen  Beobachtern 
erwähnt  wird,  in  der  darauf  folgenden  Nacht 
wirkte,  während  sie  Chloral  und  Morphium 
verabscheute,  da  sie  davon  nur  ungünstige 
Nebenwirkungen,  nie  einen  erquickenden 
Schlaf  gefunden  hatte  —  so  musste  es  in 
einem  anderen  Falle  einer  in  Reconvalescenz 
nach  erschöpfender  Krankheit  (Pleur.  exsud. 
purul.  im  Puerperium)  befindlichen  Person 
(Frau  J.,  23  Jahr  alt)  bald  aufgegeben 
werden,  da  wohl  am  ersten  Abend  1  g  Sul- 
fonal zur  Schlaferzeugung  genügte,  am 
zweiten  aber  schon  drei  nacheinander  ge- 
nommene gleiche  Gaben  Schlaf  nicht  mehr 
erzielten.  Ja,  in  einem  Falle  von  Puer- 
peralpsychose  mit  melancholischer  Depression 
und  anhaltender  Schlaflosigkeit,  die  auch 
schon  in  der  Gravidität  neben  psychischer 
Exaltation  und  Praecordial  angst  bestand 
und  in  der  letzten  Woche  derselben  durch 
Chloralhydrat  einigermassen  gehoben  werden 
konnte,  liessen  je  2  g  Sulfonal,  an  drei  auf- 
einander folgenden  Abenden  gereicht,  völlig 
im  Stich.  (Dieser  Fall  betraf  die  80jährige 
Tochter  der  Frau  B.) 

Besonders  am  Platze  erscheint  mir  das 
Sulfonal  bei  sonst  gesunden,  kräftigen,  wohl 
gepflegten,  mit  idiopathischer  Schlaflosigkeit 
behafteten  Individuen  (Frau  K.,  51  Jahr  alt), 
bei  welchen  2  g  Dosen  einen  guten  sympto- 
matischen Nutzen    haben,     „um    das    perio- 

68* 


460 


Stoiner,  U«ber  SullbiiftL 


rrh«r« 

L  Moni 


IConatahellA. 


dische  Schlafbedürfniss  zu  unterstützen  oder 
zu  befriedigen".  —  Alle  bisher  veröffent- 
lichten Beobachtungen  erstrecken  sich  indess 
nur  auf  Tage  oder  vielleicht  einige  Wochen, 
in  denen  das  Sulfonal  zur  Entfaltung  seiner 
Heilwirkung  gereicht  wurde. 

Dies  geht  u.  A.  aus  folgendem  von 
0  estreich  er  (Berlin,  klin.  Wochenschrift. 
1888  No.  25)  gefällten  Urtheile  über  das 
Sulfonal  hervor:  „Dasselbe  ist  ein  unschäd- 
liches, von  keinen  üblen  Nebenwirkungen 
gefolgtes  Schlafmittel.  Ob  bei  anhalten- 
dem Gebrauch  Störungen  auftreten,  lässt 
sich  vor  der  Hand  noch  nicht  sagen." 

Ebenso  äussern  sich  Langgaard  und 
Rabow  (Therapeut.  Monatshefte  1888,  Mai- 
heft): ,^Nachtheiliges  über  dasselbe  ist  noch 
nicht  zu  unserer  Cognition  gelangt.  Ob 
aber  der  hinkende  Bote  doch  nicht  früher 
oder  später  nachkommt,  müssen  wir  einst- 
weilen abwarten«" 

Meine  bis  heute  elf  Monate  lang  fortge- 
setzte Beobachtung  der  Wirkung  dieses 
Mittels  auf  ein  und  dasselbe  Individuum, 
welches  in  der  genannten  Zeit  rund  300  g 
Sulfonal  nicht  nur  ohne  schädliche  Nach- 
wirkung, sondern  vielmehr  auf  das  Allge- 
meinbefinden sehr  günstig  influirend  ge- 
nossen hat,  scheint  mir  wohl  geeignet,  die 
befürchtete  Eventualität  zu  entkräften. 

Es  sei  mir  daher  gestattet,  diesen  Fall, 
der  auch  sonst  pharmakologisch  Bemerkens- 
werthes  bietet,  einer  etwas  ausführlicheren 
Behandlung  zu  würdigen: 

Der  Baaquier  N.  ans  B.,  64  Jahr  alt,  von 
kräftiger  ConstitatioD,  ohne  erbliche  oder  neuro- 
pathische  Belastang,  dem  Weingenuss  sehr  ergeben, 
hat  von  Krankheiten  eine  chron.  Cystitis,  Morbas 
Brighthii,  wiederholt  Eiysipelas  faciei  in  den 
letzten  10  Jahren  überstanden. 

Infolge  jahrelangen  habituellen  Genusses  grosser 
Dosen  Chlorals  traten  nicht  nur  deutliche  Zeichen 
beginnender  Vaguslähmung  auf,  welche  mir  wieder- 
holt mit  heroischen  Mitteln  zu  bekämpfen  oblag 
und  gelang,  sondern  auch  einer  chronischen  In- 
toxication,  wie  Abmagerung,  Willens-  und  Qe- 
dfiohtnissschwäche,  Launenhaftigkeit,  verschiedene 
Sensationen  im  Körper  und  Erregungszustände. 
Die  indicirte  Entziehungscur  stiess  nach  den  Um- 
ständen des  Falles  auf  den  heftigsten  Widerstand. 
Eine  Ersetzung  durch  Morphium,  Cocain  hiesse 
den  Teufel  durch  Beelzebub,  der  Teufel  obersten 
austreiben.  Bromsalze  wurden  selbst  in  kleinsten 
Mengen  nicht  vertragen,  es  folgte  ihnen  sofort  das 
bekannte  Exanthem  an  Gesicht  und  Extremitäten 
in  grosser  Extensität.  Eotsprechende  Mittel  von 
schlechtem,  d.  h.  unangenehmem  Geschmack  wur- 
den perhorrescirt  und  solche  mit  schon  in  geringen 
Dosen  giftiger  Eigenschaft  waren  zu  bedenklich. 
Das  Drängen  nach  Hjpuoticis  war  nicht  abzuwehren, 
und  die  Noth  aufs  Höchste  gestiegen,  als  die 
ersten  Veröffentlichungen  der  guten  Wirkung  des 
Sulfonals   erschienen,   der   hohe  Preis    war  glück- 


licherweise  kein   Hinderungsgrund   f&r   seine  An- 
wendung. 

Es  wurde  ca.  ein  halbes  Jahr  lang  jede  Woche 
mindestens  5 mal  am  Abend,  oder  schon  Nach- 
mittags 2  g  genommen,  um  das  Schlafbedürfniss 
wegen  höchster  Abspannung,  Kopfschmerz,  Mattig- 
keit —  meist  wohl  eine  Folge  überreichen  Genusses 
von  Alkoholic,  aber  auch  geistiger  Ueberanstrengong 
bei  meist  sitzender  Lebensweise  zu  befriedigen.  Er- 
folgt der  Schlaf  nicht  sofoii;  nach  1  Stunde,  so 
wurde  eigenmächtig  anfangs  die  Dosis  verdoppelt, 
resp.  noch  einmal  gebraucht.  Es  stellte  sich  stets 
ein  mehr  als  siebenstündiger,  ruhiger  Schlaf  ein, 
worauf  sich  Pat.  gekräftigt  fühlte  und  zur  ge- 
wohnten Arbeit  berufsfreudig  ging.  Ueble  Neben- 
wirkungen waren  niemals  zu  verzeichnen,  nam. 
vertrug  der  stark  geschwächte  Magen,  dem  Speisen 
jeder  Art  tagelang  widerstanden,  das  Mittel  auf- 
fallend gut.  Pat.  war  darauf  nicht  zu  bew^egen, 
das  Chloralhjdrat,  welches  ich  ihm  der  Abwechs- 
lung wegen  und  aus  Furcht  vor  cumulativer  Wir- 
kung oder  sonstiger  Nachtheile  jenes  neuen,  in 
seinen  Folgen  noch  nicht  genügend  erforschten 
Mittels  zuweilen  anbot,  in  erneute  Anwendung  zu 
ziehen. 

In  der  Folge  nahm  der  Pat.  in  der  Ernährung 
zu,  wurde  ausdauernder  in  der  Arbeit  und  gleich- 
massiger  in  seinem  Wesen  und  Temperament. 

Eine  Gewöhnung  an  das  Medicament  trat 
trotz  ausdauernden  Gebrauches  nicht  ein:  die  Wir- 
kung blieb  bei  gleicher  Dosis  dieselbe,  und  das 
Bedürfniss,  sich  des  Schlafmittels  zu  bedienen,  trat 
in  immer  grösseren  Zwischenräumen  auf,  so  z.^ 
dass  zuletzt  in  jedem  Monat  nur  1 — 2 mal  drei 
Dosen  ä  2  g  zu  verordnen  nöthig  wm^de. 

Hiernach  dürfte  das  Sulfonal  auch  in 
Fällen,  in  welchen  eine  anhaltende  Dar- 
reichung eines  Schlafmittels  durchaus  nicht 
umgangen  werden  kann,  wie  kein  anderes 
Mittel  sich  unschädlich  erweisen,  voraus- 
gesetzt, dass  nicht  organische  Veränderungen 
des  Korpers  ein  Veto  einlegen. 


Zur 
Beliandliin^^  der  Hydropsie  mit  CalomeL 

Von 

Dr.  Kreuzeder  in  Dorfen. 

Anschliessend  an  den  Seite  384  der 
Therapeutischen  Monatshefte,  Juli  1889,  ver- 
öffentlichten Fall:  „Beseitigung  einer  Hy- 
dropsie  bei  einem  organischen  Herzleiden 
im  letzten  Stadium  mit  Calomel  und  Mund- 
spülung mit  einer  Losung  von  Kali  chlori- 
cum^  habe  ich  in  vielen  Fällen  mit  Calomel, 
welchem  eine  geringe  Dosis  Opium  zugesetzt 
war,  und  nachdem  Digitalis  und  andere 
Mittel  erfolglos  blieben,   die  Hydropsie  be- 


m.  Jahrgang.  1 
October  1889.  J 


Kreuzeder,  Zur  BehandluDg  dor  Hydropiie  mit  Calomel. 


461 


seitigt.  Hierbei  habe  ich  die  Beobachtung 
gemacht,  dass  Patienten  mit  cariösen  Zähnen 
bei  der  Behandlung  mit  Calomel  trotz  der 
MundauBSpülungen  mit  Eali  chloricum  in 
der  Begel  eine  Mercurial- Stomatitis  acqui- 
riren.  In  2  Fällen  kam  es  bei  Calomel- 
yerabreichung  zur  Geschwürsbildung  an  den 
Schleimhäuten  der  Wangen  und  des  Bodens 


der  Mundhöhle  mit  gangränöser  Abstossung 
grosser  Partien  der  befallenen  Theile  (Stoma- 
kace  mercurialis). 

Nach  diesen  Erfahrungen  halte  ich  es 
für  unumgänglich  noth wendig,  vor  Beginn 
der  Calomel therapie  die  Zähne  des  Patienten 
zu  besichtigen  und  eyentuell  von  der  Dar- 
reichung des  Calomels  Abstand  zu  nehmen. 


Neuere  Arzneimittel. 


Ueber  einige  neue  Schlafknittel. 

Von 

Dr.  A.  Langgaard. 

Die  grosse  Zahl  neuer  Schlafmittel,  welche 
die  letzten  Jahre  uns  gebracht  haben,  ver- 
danken wir  dem  Streben,  ein  Mittel  zu 
schaffen,  welches  mit  gleicher  Sicherheit 
Schlaf  erzeugt  wie  Chi  oral  hydrat,  ohne  des- 
sen deprimirende  Wirkung  auf  Gefasssystem 
and  Respiration  zu  theilen.  Da  die  Er- 
fahrung gelehrt  hatte,  dass  sämmtliche  chlor- 
und  bromhaltigen  Schlaf  erzeugenden  Körper 
diese  unerwünschte  Wirkung  auf  Circulation 
und  Athmung  besitzen,  ging  man  von  den 
Chlor-  und  Bromsubstitutionsproducten  auf 
die  halogenfreien  Verbindungen  der  Fettreihe 
über.  Durch  Cervello"  wurde  der  Paralde- 
hyd  in  die  Therapie  eingeführt,  Personali 
befürwortete  die  Anwendung  des  Methylal, 
Y.  Mering  empfahl  das  Amylenhydrat, 
Schmiedeberg  das  Urethan.  Wenn  nun 
auch  durch  die  genannten  Körper  das  Gefäss- 
und  Respirationscentrum  in  sehr  viel  schwä- 
cherem Maasse  beeinflusst  wird  als  durch 
Chloralhydrat,  so  stehen  sie  andererseits 
diesem  in  ihrer  hypnotischen  Wirkung  an 
Sicherheit  nach  und  eignen  sich  wegen  der 
schnell  eintretenden  Gewöhnung  nicht  zu 
längerem  Gebrauche. 

Aus  diesem  Grunde  hat  man  neuerdings 
wiederum  auf  die  chlorhaltigen  Substanzen, 
speciell  auf  das  Chloralhydrat  zurückgegriffen, 
dessen  geföss-  und  respirationslähmende  Wir- 
kung man  dadurch  zu  beseitigen  oder  ab- 
zuschwächen hoffte,  dass  man,  nach  den  von 
Schmiedeberg  bei  Gelegenheit  des  Ure- 
thans  entwickelten  Grundsätzen,  die  auf  die 
Centren  in  der  Medulla  oblongata  erregend 
wirkende  NHa-Gruppe  oder  eine  NHa  ent- 
haltende Atomgruppe  in  das  Chloralmolecül 
einfügte. 


Derartige  Verbindungen  giebt  es  mehrere 
und  sind  leicht  darzustellen.  Das  Chloral 
hat  nämlich  die  Fähigkeit,  sich  mit  Am- 
moniak, Urethan,  Säureamiden  durch  ein- 
fache Addition  zu  verbinden.  Von  den 
vielen  möglichen  Verbindungen  sind  es  vor^ 
läufig  jedoch  drei,  Welche  unser  Interesse 
in  Anspruch  nehmen  und  therapeutische  Ver- 
werthung  gefunden  haben. 

1.  Das  Chloralammonium,  eine  Ver- 
bindung von  Chloral  mit  Ammoniak. 

CCla-C--^    +1       =CCl8-C-H 

■-— H      NH,  ^~— NH^i 

Chloral  Ammoniak  =  Chloralammonlom 

2.  Das  Chloral-Urethan,  eine  Ver- 
bindung von  Chloral  mit  Aethylurethan. 

_^0  H 

CC1,-C"^       +       I  = 

-— H  NH-COOCjHj 

Chloral  Urethan 

C  Cl,  -  C  -  H 

"■^ — ^NHCOOCjHj 

Chloral-Urethan 

3.  Das  Chloralamid  oder  richtiger 
Chloralformamid,  eine  Verbindung  von 
Chloral  mit  Formamid. 

__--0    H  -OH 

CClj-C^-^  +  I  =CCJ3-C  -  H 

^^— H   NH-CHO  — --NH.CHO 

Chloral  Formamid  Chloralformamid 

Von  diesen  drei  Verbindungen  beansprucht 
weitaus  das  grösste  Interesse  das  durch 
V.  Mering  in  die  Therapie  eingeführte 

Chloralamid« 

Trotz  der  kurzen  Spanne  Zeit,  welche  seit 
der  Einführung  verflossen  ist,  liegt  bereits 
ein   stattliches  Beobachtungsmaterial  vor. 

Das  Chloralamid  stellt  farblose  in  9  Th. 
Wasser  und  in  1  ^a  Theilen  96procentigen 
Alkohol    lösliche,    bei   115"  C.  schmelzende 


462 


LaDgfgaardy  Ueber  einige  neue  Schlafmittel. 


rlierapeatliclM 
MoBAtahefte. 


Kiy stalle  dar,  yon  mildem,  schwach  bitterem, 
nicht  ätzendem  Geschmack.  Sowohl  die 
wässerige  als  auch  die  alkoholische  Lö- 
sung wird  durch  Zusatz  von  Silbemitrat 
nicht  getrübt;  ebenso  wirken  schwache  Säuren 
nicht  auf  dieselbe  ein,  während  sie  durch 
Aetzalkalien  schnell,  durch  kohlensaure  Al- 
kalien sehr  langsam  unter  Abspaltung  yon 
Chloroform  zersetzt  wird. 

Die  wässerige  Losung,  welche  bei  einer 
60^  C.  nicht  überschreitenden  Temperatur 
hergestellt  wird,  ist  haltbar;  bei  höheren 
Temperaturen  tritt  Zersetzung  ein. 

Das  Urtheil  der  verschiedenen  Beobachter 
über  dieses  neueste  der  Schlafmittel  ist  bis 
jetzt  übereinstimmend  ein  recht  günstiges. 
Es  lässt  sich  dahin  formuliren,  dass  das 
Chloralamid  ein  brauchbares,  wenn  auch 
nicht  in  allen  Fällen  wirkendes  Schlafmittel 
ist,  welches  sich  gut  nehmen  lässt,  Terhält- 
nissmässig  selten  und  nur  geringe  Neben- 
wirkung äussert,  vor  allen  Dingen  aber  auf 
Circulation  und  Athmung  keinen  nachtheiligen 
Einfluss   ausübt. 

Die  Energie  der  schlaferzeugenden 
Wirkung  des  Chloralamids  ist  nach  den 
meisten  Autoren  geringer  als  die  des  Chlo- 
ralhydrats.  Nur  Hagen  und  Hü  f  1er 
sprechen  sich  im  entgegengesetzten  Sinne 
aus.  Nach  Eny,  dessen  Angaben  ich  be- 
stätigen kann,  wirken  2  g  Ghloralhydrat  unge- 
föhr  so  stark  hypnotisch  wie  3  g  Chloralamid. 
Hagen  und  Hü f  1er  rechnen  das  Chlo- 
ralamid zu  den  Mitteln,  welche  den  Schlaf 
selbst  unmittelbar  herbeiführen,  während 
Alt  demselben  nur  eine  den  Eintritt  des 
Schlafes  begünstigende  Wirkung  zuschreibt. 
Die  schlaferzeugende  Dosis  für  den 
erwachsenen  Menschen  wird  ziemlich  über- 
einstimmend auf  2 — 3  g  angegeben;  Frauen 
und  schwächliche  Personen  reagiren  im  All- 
gemeinen leichter  auf  das  Mittel  als  Män- 
ner. Hagemann  und  Strauss  fanden  die 
Wirkung  ziemlich  ungleichmässig.  Bei  einer 
hysterischen  Frau,  welche  frei  von  schmerz- 
haften Affectionen  war,  waren  3  g  ohne  Wir- 
kung, während  in  einem  andern  Fall  von 
Trigeminusneuralgie  1  g  Schlaf  herbeiführte. 
Am  sichersten  wirkt  Chloralamid  nach 
den  von  Lettow  auf  der  Mo sler^ sehen 
Klinik  gemachten  Erfahrungen,  wenn  es  als 
Clysma  gegeben  wird. 

Der  Eintritt  des  Schlafes  schwankt 
nach  den  Angaben  der  verschiedenen  Beob- 
achter von  */j  bis  zu  3  Stunden.  Die  Wir- 
kung erfolgte  nach  Lettow  29  Male  nach 
1  Stunde,  23  Male  nach  2  Stunden  und 
3  Male  nach  3  Stunden. 

Chloralamid  wirkt  also  wesentlich  lang- 
samer als  Chloralhydrat. 


Die  Dauer  des  Schlafes  schwankt  von 
2  —  9  Stunden.  Sie  betrug  nach  Lettow  in 
17  Fällen  4  —  6  Stunden,  in  2  Fällen  2  bis 
4  Stunden  und  in  2  Fällen  nur  2  Stunden. 

Was  nun  die  Wirksamkeit  des  Mittels 
bei  den  verschiedenen  Formen  der  Schlaf- 
losigkeit anbetrifft,  so  ist  dieselbe,  nach 
dem  ürtheil  sämmtlicher  Beobachter,  am 
sichersten  bei  der  einfachen  nervösen  Schlaf- 
losigkeit. Aber  auch  bei  Insomnie  in  Folge 
von  körperlichen  Leiden  mit  nicht  zu  hef- 
tigen Schmerzen,  lancinirenden  Schmerzen 
der  Tabiker,  bei  massigem  Hustenreiz,  bei 
einer  ganzen  Reihe  von  Psychosen,  die  nicht 
mit  zu  hochgradiger  Erregung  einhergehen, 
bei  Delirium  potatorum,  erwies  sich  das 
Mittel  als  durchaus  befriedigend.  Ohne  Ge- 
fahr kann  es  nach  Eny  bei  Agrypnie  alter 
Leute  gegeben  werden.  Mehrfach  ist  das 
Mittel  mit  gutem  Erfolge  bei  Herzkranken 
gegeben  worden.  In  einem  Falle  von  car- 
dialem  Asthma  (Myocarditis  in  Folge  von 
Arteriosklerose)  schien  das  Mittel  nach  Ha- 
gen und  Hüfler  einen  geradezu  therapeu- 
tischen Erfolg  zu  haben.  Der  Puls  hob 
sich  und  die  asthmatischen  Anfälle  ver- 
schwanden vollständig. 

Bemerkens werth  ist  der  Erfolg,  welchen 
Alt  in  2  Fällen  von  Chorea  bei  einem 
Knaben  und  einem  Mädchen  sah.  Nach  5- 
resp.  Stägigem  Gebrauch  von  3  Mal  täglich 

1  g  Chloralformamid  waren  die  vorher  hoch- 
gradigen Choreabewegungen  fast  vollständig 
verschwunden. 

Bei  sehr  intensiven  Schmerzen,  starkem 
Hustenreiz,  hochgradigen  Erregungszuständen 
pflegt  die  Wirkung  zu  versagen. 

Ein  gänzliches  Ausbleiben  der  Wirkung 
sahen  Hagen  und  Hüfler  unter  28  Fallen 

2  Male,  Alt  unter  41  Fällen  12  Male, 
Peiper  unter  24  Fällen  bei  3  Patienten. 
Von  der  Anwendung  als  Beruhigungsmittel 
bei  Tobsüchtigen  sah  Rabow  keinen  Erfolg. 
Auch  bei  einem  ruhigen  schlaflosen  Manne 
versagte  einmal  3,0  Chloralformamid,  wäh- 
rend derselbe  Patient  nach  2,0  Chloralhy- 
drat vorzüglich  schlief. 

Die  Nach- und  Neben  Wirkungen  werden 
ziemlich  übereinstimmend  als  relativ  seltene 
und  wenig  beunruhigende  Erscheinungen  an- 
gegeben. Nur  Alt  giebt  an,  dass  zuweilen 
derartige  subjective  Nebenerscheinungen  auf- 
treten, dass  man  von  der  Anwendung  Ab- 
stand nehmen  muss. 

Für  gewöhnlich  beschränken  sich  die- 
selben jedoch  auf  eine  am  folgenden  Tage 
bestehende  Müdigkeit  und  Schläfrigkeit  (von 
Rabow  nicht  beobachtet),  Kopfschmerzen 
und  Schwindelgefühl  nach  dem  Erwachen, 
meist  von  geringer  Dauer. 


III.J«brgMiff.l 
Oetober  18».  J 


Langg^aard,  Ueb«r  einige, neue  Sehlarmittel. 


463 


Bei  einer  an  Ischias  leidenden  Patientin 
beobachteten  Hagemann  und  Strauss  hef- 
tiges, den  ganzen  Tag  anhaltendes  Schwin- 
delgefühl, und  eine  andere  Kranke  klagte, 
dass  sie  nach  Einnahme  des  Pulvers  wie 
„toll^  im  Kopfe  sei.  Alt  berichtet  über 
das  Auftreten  Ton  Schwindel,  Benommen- 
sein, rauschähnlichem  Zustand ,  heiterer  Auf- 
regung mit  unaufhörlicher  Schwatzhaftigkeit 
nach  4  g  des  Mittels  bei  einer  ruhigen  Frau. 
Bei  einer  anderen  Person  trat  nach  der  gleichen 
Gabe  unangenehmes  Schwindel-  und  Taumel- 
gefühl,  Kopfschmerz  im  Hinterkopf,  Uebel- 
keit  und  Brechreiz  auf,  welch*  letzterer 
auch  nach  Ausspülung  des  Magens  bestehen 
blieb. 

Erbrechen  beobachteten  Peip er  in  einem 
Falle  12  Stunden  nach  Einnahme  des  Mit- 
tels, Hagemann  und  Strauss  in  2  Fällen, 
bezweifeln  jedoch,  dass  es  in  dem  einen 
Falle  auf  das  Chloralamid  zurückzufüh- 
ren ist. 

In  einem  Falle  sahen  Hagen  und 
Hü f  1er  Collaps,  den  sie  aber  nicht  mit 
Sicherheit  dem  Mittel  zuschreiben  wollen. 

Hinsichtlich  der  Respiration  und  Cir- 
culation  geben  sämmtliche  Beobachter  an, 
dass  dieselben  in  keiner  Weise  durch  Chloral- 
amid beeinflusst  werden. 

Hiermit  stehen  nun  die  von  mir  in  einer 
grosseren  Versuchsreihe  an  Thieren  gewon- 
nenen Resultate  in  directem  Widerspruch. 

Was  zunächst  die  Respiration  betrifft, 
so  ist  das  Urtheil  darüber,  ob  eine  Beein- 
flussung durch  ein  Mittel  stattfindet,  beim 
Menschen  hauptsächlich  auf  die  Veränderun- 
gen der  Athemfrequenz  basirt.  Die  Tiefe 
der  Athmung  unterliegt  nur  einer  ungefähren 
Schätzung,  welche  auf  Genauigkeit  keinen 
Anspruch  machen  kann. 
^  Ich  habe  in  meinen  an  Kaninchen  ange- 
stellten Versuchen  die  Wirkung  auf  die  Ath- 
mung durch  Messen  des  exspirirten  Luft- 
quantums mittelst  einer  Gasuhr  festgestellt 
und  gefunden,  dass  die  Tiefe  der  Respiration 
selbst  bei  den  leichteren  Graden  der  Wir- 
kung recht  beträchtlich  abnimmt. 

Bemerken  will  ich,  dass  ich  bei  allen 
Versuchen  das  Chloralamid  in  Lösung  an- 
wandte und  dass  die  Losungen  stets  unter 
Controlle  des  Thermometers  bei  einer  Tem- 
peratur zwischen  50  und  60**  C.  hergestellt 
wurden,  eine  Zersetzung  des  Präparates  also 
ausgeschlossen  ist. 

Zum  Belege  diene  folgender  Versuch, 
bei  welchem  die  in  der  zweiten  Reihe  ent- 
haltenen *  Zahlen  das  innerhalb  5  Minuten 
exspirirte  Luftquantum  in  Cubikcentimetern 
bedeuten. 


Kaninchen  1500  g   schwer,    trachootomirt. 


Uhr 

ocm  Luft 

Bemerkangen 

12.40 

— 

Beginn  des  Versuchs. 

12.45 

2750 

12.50 

2850 

12.55 

2840 

l.~ 

2760 

1.  5 

2860 

1.10 

2950 

1.15 

2830 

1.20 

2830 

1.22 

_- 

1,5  g  Chloralamid   in  25  Wasser 
gelöst  in  den  Magen. 

1.25 

^_ 

Das  Thier  wird    wieder   mit   der 

1.30 

2710 

Gasuhr  verbunden. 

1.35 

2880 

Thior  zittert    Reflexe  erhalten. 

1.40 

2270 

Reflexe  erhalten. 

1.45 

2180 

Thier  macht  Bewegungen. 

1.50 

1970 

Reflexe  erhalten. 

1.55 

1750 

2.— 

1870 

Wiederholte  lebhafte  Bewegung. 

2.  5 

1770 

2.10 

1680 

2.15 

1740 

Reflexe  erhalten. 

2.20 

1560 

2.25 

1660 

2.30 

1400 

2.35 

1500 

Im  Durchschnitt  wurden  demnach  inner- 
halb 5  Minuten  exspirirt: 

vor  der  Eingabe  2833  ccm 

in  der  ersten  halben  Stunde 

nach  der  Eingabe  2293  ccm 

in  der  zweiten  halben  Stunde  1713  ccm. 
Das  Luftquantum  hat  also  in  der  ersten 
halben  Stunde  um  ca.  19  ^/o,  in  der  zweiten 
halben  Stunde  um  ca.  39,5  ®/o  abgenommen, 
üeber  das  Verhalten  des  Blutdrucks 
bei  Thieren  liegt  nur  eine  Mittheilung  von 
Kny  vor.  Derselbe  beobachtete  bei  einem 
grossen  Kaninchen  nach  2,5  g  Chloralform- 
amid  eine  Abnahme  von  122 — 124  auf 
106  Millimeter  Quecksilber. 

Zur  Bestimmung  des  Blutdrucks  bediente 
ich  mich  des  Hürtle'schen  Gummimano- 
meters, welches  ausser  der  bequemeren  Hand- 
habung vor  dem  Quecksilbermanometer  den  ' 
grossen  Vorzug  hat,  ein  richtigeres  Bild  von 
dem  Verhältniss  der  Pulshohe  zum  Blut- 
druck zu  liefern  und  uns  die  Beurtheilung 
der  im  Gefässsystem  herrschenden  Spannung 
gestattet. 

Folgender  Versuch    möge   das  Verhalten 
des  Blutdrucks  nach  Chloralamid  illustrircn. 
Graues  Kaninchen  2300  g  schwer. 

Bemerkangcn 

2,5  g  Chloralamid  in  35  Wasser 
gelost  in  den  Magen. 


Uhr 

Blatdrnck 

12.35 

110-148 

12.40 

— 

12.45 

80    120 

12.50 

80     130 

1.— 

70-115 

1.  5 

63-118 

1.15 

53-115 

1.20 

80-120 

1.30 

83—125 

1.45 

78     120 

2. 

65-125 

2.15 

63—120 

464 


LaDS(a«rd,  Uabai  alolg*  a 


In  der  Tabelle  entspricht  die  niedrigere 
ZabI  dem  FuBspunkte,  die  höhere  Zahl  dem 
Gipfel  der  Puls'welle.  Die  Differenz  zwischen 
beiden  ergiebt  die  H5he  der  Pulswelle. 

Bei  einem  anderen  1650  g  schweren 
Kaninchen  betrug  der  Blutdruck  105 — 120. 
Nach  Eingabe  des  Mittels  sank  derselbe 
stetig  und  betrug  nach  80  Minuten  38—73. 
Die  Herzthätigkeit  blieb  in  allen  Yersuchen 
eine  energische. 


BlatdradECDTTe  eines  Kanlncbi 


Während  Kny  aus  seinen  VerBiichen  fol- 
gert, dass  das  Chloralamid  den  Blutdruck 
im  Vergleiche  zum  Chloralbydiat  nur  sehr 
wenig  olterirt,  komme  ich  auf  Grund  der 
von  mir  erhaltenen  Resultate  zu  dem  Scbluss, 
dass  die  Beeinflussung  des  Blutdruckes  durch 
Chloralamid  eine  recht  bedeutende,  bei  den 
höheren  Graden  der  Wirkung  sehr  ener- 
gische ist. 

Eine  Abnahme  der  Gefäss Spannung  giebt 
sich  jedooh  schon  bei  den  schwächeren  Gra- 
den der  Wirkung,  wenige  Minuten  nach  Ein- 
gabe des  Mittels  in  deutlicher  Weise  zu 
erkennen,  wie  Curve  2   zeigt. 

Der  Dnterschied  in  dem  Verhalten  des 
Chloralamids  und  des  Chloralhjdrats  scheint 
mir   der    zu  sein,    dass  die  Blutdrucksemie- 


drigung  dnrch  Chloralamid  sich  allmählicher 
und  langsamer  entwickelt  und  in  ihren  hö- 
heren Graden  nach  etwas  grösseren  Dosen 
und  später  pintritt,  als  nach  Chi  oral  hydrat. 
Auf  die  Frage,  ob  dieser  Unterschied  ledig- 
lich durch  die  langsame  Zerlegung  des  Chlo- 
ralamids bedingt  wird,  oder  ob,  wie  Kny 
annimmt,  daneben  eine  erregende  Wirkung 
der  NHj-Gruppe  auf  das  Gefösscentrum  sich 
geltend  macht,  will  ich  als  auf  eine  rein 
theoretische,  hier  nicht  weiter  eingehen. 

Es  liegt  mir  vollkommen  fem,  die  Brauch- 
barkeit des  Chloralamids  irgendwie  in  Zweifel 
zu  ziehen,  aber  gegenüber  dem  einstimmigen 
ürtbeil,  dass  das  Mittel  in  gar  keiner  Weise 
die  Respiration  und  die  Circulation  beein- 
flusse und  deshalb  ohne  Gefahr  bei  Herz- 
kranken gegeben  werden  könne,  muss  ich 
nach  meinen  Resultaten  betonen,  dass  die 
Anwendung  bei  Herzkranken  Vorsicht 
erfordert,  wenn  man  sich  unliebsame 
Erfahrungen  ersparen  will. 

Die  Dosis  beträgt  2—3  g  entweder  in 
Pulverform  mit  Nachtrinken  von  Milch,  Was- 
ser oder  Kaffee,  oder  in  Lösung  mit  einem 
Syrup,  auch  in  Wein  oder  Bier.  Lcttow 
empfiehlt,  das  Mittal  1  —  1'/*  Stunden  vor 
dem  Schlafengeben  zu  geben.  Die  Anwen- 
dung per  Clysma  sei  die  sicherste. 

!*■    Chloralamid  2,0—3,0 

Elaeosacchar.  Foenicul.       1,0. 
M.  f.  pulv. 

S.  1 — l'/i  Stunden  vor  dem  Schlafengehen 
zu  nehmen.  (Peiper.) 

IV    Chloralamid  3,0 

Acid.  muriat.  dtlut.  gtt.  V. 
Aq.  dest.  60,0 

Syr.  Rub.  Idaei        10,0. 
M.  D.  S.    Auf  einmal  zu  nehmen. 

(Peiper.) 

^    Chloralamid  10,0 

Aq.  dest.  120,0 

Syr.  Rub.  Idaei        30,0. 
M.  D.  S.     Abends    1   Stunde    vor    dem 
Schlafengehen  2(— 3— 4)  Easlöffel  zu 
nehmen.  (AH.) 

^   Chloralamid  3,0 

Acid.  muriat.  dilut.  gtt.  II. 
Spir.  Vini  1,0 

Aq.  dest.  100,0. 

M.  D.  S.  Zum  Elystier. 

(Peiper.) 

LUteriUar: 
1.    Hagen    und    Uüfler;      Ueber    die     schlaft 
macboode  Wirkung  des  Cbloralamids.   MüncL 

med.  WoobenscLr.  1889  No.  30. 


HL  Jahrgang.  1 
OctotMT  1889.  J 


Therapeutifctae  Mitthelluagen  aus  Vervlnen. 


465 


2.  Ed.  RoichmaDn:  Ueber  Cfaloralamid,  ein 
neaes  Schlafmittel.  Deutsch,  med.  Wochen- 
schrift 1889  No  31. 

3.  E.  Poiper:  Chloralamid,  ein  neues  Schlaf- 
mittel. Deutsch,  med.  Wochenschrift  1889 
No.  32. 

4.  Lettow:  üeber  Chloralamid  als  Hypnoticum. 
Inaugural-Dissertat.   Greifswald  1889. 

6.   S.  Kabow:     Uebor    Chloralamid,    ein    neues 


Hjpnoticnm.  Centralblatt  für  Nervenheilkunde 
1889  No.  15. 

6.  J.  Hagemann  und  Strauss:  Ueber  Chloral- 
amid.   Berl.  klin.  Wochenschr.  1889  No.  33. 

7.  K.  Alt:    Chloralamid,  ein  neues  Schlafmittel. 
Berl.  klin.  Wochenschr.  1889  No.  36. 

8.  £.  Knj:    Chloralamid,  ein  neues  Schlafmittel. 
Thorap.  Monatshefte   August  1889. 

[SefUutt  folgt.] 


Therapentisclie  Mittheilnngen  ans  Vereinen. 


Internationaler    Congress   fQr  Dermatologie   und 
Syphiligraphie  zu  Paris. 

{Vom  5.  bis  10,  August  1889.) 

Von  den  auf  dem  Congress  besprochenen 
Thematen  über  therapeutische  Methoden  uud 
Mittel  zur  Behandlung  syphilitischer  und 
Hauterkrankungen  sind  folgende  hervorzu- 
heben. 

Schiff  (Wien):  Die  Behandlung  der  Ver- 
brennungen mittelst  Jodoform. 

Nach  Entfernung  der  Brandblasen  wird 
die  Wunde  mit  einer  ^j^^joigen  Losung  von 
Kochsalz  abgev\raschen ,  mit  mehreren  Lagen 
trockener  Jodoformgaze,  einem  Stück  Gummi- 
papier und  einem  Bausch  entfetteter  Watte 
bedeckt,  und  das  Ganze  hierauf  mit  Binden 
befestigt.  Durchdringt  das  Secret  den  Ver- 
band, so  wird  die  Watte,  nicht  das  Jodo- 
form, erneuert;  letzteres  bleibt  ein  bis  zvtrei 
Wochen  lang  liegen.  Mosetig- Moorhof 
räth,  für  den  Verband  keine  undurchgängigen 
Sto£Pe  anzuwenden;  fur^s  Gesicht  empfiehlt  er 
eine  5^/oige  Jodoformsalbe,  darüber  eine 
Maske  von  Gummipapier,  täglich  zu  erneuern. 
Das  Jodoform  lindert  die  bisweilen  bei  Ver- 
brennungen vorhandenen  starken  Schmerzen; 
die  Dauer  der  Behandlung  beträgt  8  bis 
375  Tage. 

In  der  Discussion  empfiehlt  Hebra,  nach 
Schwinden  des  Brand  schorfs  kein  Jodoform, 
sondern  1-  oder  2  %ige  Losungen  von  Resor- 
cin  zu  benutzen. 

Barthelemj:    Die  Aetiologie  und  Be- 
handlung der  Acne.  . 

Da  die  Acne  häufig  bei  Individuen  vor- 
konmit,  welche  an  Magenerweiterung  leiden, 
so  ist  zunächst  letztere  und  deren  Ursachen 
zu  behandeln.  Femer  ist  sorgfältige  Anti- 
sepsis der  Haut  mit  Waschungen  mit  Subli- 
mat-, Borax-,  Naphtolseife,  Anwendung  von 
Salben  oder  Pasten  mit  Carbol,  Schwefel, 
Salicyl  oder  mit  Salicyl-Bor-Zinkoxydpflaster 


geboten.  Günstig  wirken  auch  Einreibungen 
mit  Eampherspiritus.  Bei  Weiterumsich- 
greifen der  eiterigen  Entzündung  ist  der  er- 
hitzte Platindraht  zu  benutzen;  Abscesse 
werden  nach  chirurgischen  Grundsätzen  er- 
öffnet. 

Bei  der  Besprechung  der  Häufigkeit 
des  Vorkommens  der  „tertiären"  Er- 
scheinungen der  Syphilis,  sowie  der 
dasselbe  begünstigenden  Verhältnisse  waren 
alle  Redner  darin  einig,  dass  das  Unterlassen 
jeder  oder  die  Anwendung  einer  ungenügend 
langen  oder  zu  wenig  energisch  betriebenen 
Behandlung  das  am  häufigsten  veranlassende 
Moment  zum  Auftreten  tertiärer  Symptome 
sei;  besonders  eine  regelrechte  Quecksilber- 
therapie sei  geeignet,  letzteres  zu  verhindern. 
Es  ist  dies  sehr  wichtig,  da  die  tertiären 
Erscheinungen  am  häufigsten  das  Central- 
nervensystem  betreffen,  also  meistens  lebens- 
geföhrlicher  Natur  sind. 

Eine  ziemlich  ausgedehnte  Debatte  rief 
die  Frage  der  Syphilisbehandlung,  haupt- 
sächlich mit  Quecksilbereinspritzungen, 
hervor.  Leloir  und  Tavernier  berichten 
über  die  von  ihnen  erzielten  Ergebnisse  mit 
Injectionen  von  Calomel,  Hydrarg.  oxydat. 
flav.,  OL  einer.  Unter  anderen  nach  den- 
selben beobachteten  Complicationen  erwähnen 
sie  zwei  bisher  noch  nicht  bekannte  Erschei- 
nungen :  Plaques  im  Munde,  welche  vier  bis 
fünf  Tage  nach  der  Injection  auftreten,  und 
„Hydrargyrie"  der  Haut,  die  Ton  der  Ein- 
stichstelle ihren  Ausgang  nimmt.  Die  sub- 
cutanen Einspritzungen  sind  besonders  am 
Platze,  wenn  es  sich  darum  handelt,  erythe- 
matose  Eruptionen  und  die  Gummata  der 
äusseren  Haut  schnell  zum  Schwinden  zu 
bringen.  Sie  eignen  sich  besonders  für  die 
Hospitalbehandlung  oder  für  Personen,  die 
das  Bett  hüten  können,  femer  für  die  Be- 
handlung der  Puellae  publicae.  Die  Schleim- 
hautaffectionen    beeinflussen    sie   wenig   und 

59 


466 


Therapeutische  MltthelluDgen  auf  Vereinen. 


rTherapflntiidie 
L  MonAtibeAe. 


verhindern  das  Auftreten  von  Recidiveu  nicht. 
Sie  sind  contraindicirt  bei  der  Lues  des 
Hirns  und  Rückenmarks  und  der  Einge- 
weide, sowie  bei  Kindern  und  Schwan- 
geren. Redner  benutzen  bei  ihren  Patienten 
bis  zum  Schwinden  der  Erscheinungen  die 
Schmiercur  und  reichen  dann  Quecksilber 
innerlich;  in  angemessenen  Zeiträumen  wer- 
den die  Einreibungen  wiederholt,  ebenso  so- 
bald sich  wieder  Symptome  zeigen.  Jod- 
kalium wird  erst  vom  Ende  des  zweiten 
Jahres  ab  verordnet. 

Anderson  beginnt  die  Behandlung  der 
Syphilis  erst  am  Anfang  der  secundären 
Periode,  da  bei  alleinigem  Vorhandensein 
des  Schankers  die  Erkennung  seiner  Natur 
meist  (?)  unmöglich  sei.  In  den  ersten 
Stadien  der  Erkrankung  benutzt  er  Queck- 
silberpräparate; Jod  nur,  wenn  Kopf-  und 
Knochenschmerzen  bei  deren  Anwendung 
nicht  weichen.  Er  zieht  die  Inunctions-  oder 
Injectionscur  der  Darreichung  des  Hg  per  os 
vor.  Auch  Langlebert  föngt  erst  im  Be- 
ginn des  secundären  Stadiums  die  (Queck- 
silber-)Behandlung  der  Lues  an  und  setzt  sie 
während  der  Dauer  der  ersten  Erscheinungen 
fort;  jedoch  soll  Hg  nicht  in  den  von  Sym- 
ptomen freien  Z\Nischenräumen  gebraucht  wer- 
den. Jod  ist  das  chronisch  zu  verordnende 
Mittel  gegen  Lues.  Die  Jodbehandlung  der 
latenten  Syphilis  dauert  ca.  drei  Jahre;  Jod 
darf  nicht  früher  als  beim  Schwinden  der 
ersten  Secundärerscheinungen  zur  Anwendung 
kommen  und  bewährt  sich  vorzüglich  gegen 
Tertiärsymptome.  Kräftige  Diät  u.  s.  w. 
darf  nicht  vernachlässigt  werden.  ImGegensatz 
zur  continuirlichen  Behandlung  Fournier's 
will  Diday  nur  bei  vorhandenen  Erscheinun- 
gen einschreiten,  da  dann  die  Witkung  der 
parasiticiden  Mittel  am  stärksten  sei.  J  u  1 1  i  e  n 
weist  auf  die  oft  im  tertiären  Stadium  der 
Lucs  bestehende  Magendilatation  hin,  welche 
wohl  zum  Theil  auf  der  Therapie,  zum  Theil 
auf  Veränderungen  im  Bau  des  Lebergewebes 
beruht.  Die  Magenerweiterung  erzeugt  ner- 
vöse Erscheinungen,  welche  leicht  für  syphi- 
litischeHirnsymptome  gehalten  werden  können; 
sie  kommt  hauptsächlich  bei  forcirter  Queck- 
silberbehandlung vor.  Erst  durch  die  erfolg- 
reiche Therapie  (der  Magen ektasie)  ist  man  im 
Stande,  die  Diagnose  zu  stellen;  man  sei  daher 
in  solchen  Fällen  mit  der  Verordnung  des 
Quecksilber  vorsichtig  und  versuche  erst  eine 
Behandlung,  die  sich  gegen  die  Verdauungs- 
störung richtet.  Hat  diese  keinen  Erfolg, 
so  sind  Injectionen  von  Calomel  oder  grauem 
Oel  indicirt,  auch  Klysmata  von  zwei  bis 
vier  g  Jodkalium  in  Milch.  —  Leloir  be- 
tont, dass  auch  er  die  antisyphilitische  Be- 
handlung niemals  vor  Beginn  des  secundären 


Stadiums  ins  Werk  setze.     Diesem  Verfahren 
widerspricht  Schwimmer,  da  man  die  Natur 
des  Schankers  meist  an  seiner  Härte,  sowie 
der    Anschwellung    der    regionären    Lymph- 
drüsen erkennen  könne.     Die  Behandlung  ist 
stets  sofort  zu  beginnen,    da  die   Secundär- 
erscheinungen sonst  viel   schwerer  auftreten. 
Mit  Hydrarg.  salicyl.  hat   Seh.   bessere  Er- 
folge gesehen  als  mit  Hydrarg.  jodat.  flav.  und 
Sublimat,  jedoch  weniger   gute   als  mit  Ca- 
lomelinjectionen.     Bei  Behandlung  mit  Hy- 
drarg, thymol.    waren    die    Resultate    nicht 
günstig.     Neumann    hält   den   Beginn    der 
Allgemeinbehandlung     für     indicirt,      wenn 
der  Schanker  hart  wird;   sie   ist  auch  nach 
Schwinden  der  Secundärsymptome  noch  eine 
Zeit   lang   fortzusetzen.      Die    Inunctionscur 
verdient    vor    den    Injectionen   den  Vorzug. 
Kaposi  wendet  sich  gegen   die  Behandlung 
mit  Einspritzungen  von  löslichen  Quecksilber- 
präparaten,   nach   denen    schwere  Störungen 
im  Organismus  (selbst  Tod)  eintreten  können, 
da  es  nicht  möglich  ist,  nach   der  Injection 
der    Resorption    des  Hg   Einhalt    zu    thun. 
Die  Schmiercur  ist  ungefährlicher,   weil   mit 
Aussetzen  der  Einreibungen  die  Darreichung 
und  Aufnahme   neuer  Quecksilbermengen   in 
den  Körper  aufhört.     Castelo   spricht   sich 
für    frühzeitige    Behandlung    der  Lues  aus. 
Schuster  (Aachen)  verwirft  die  Einspritzung 
unlöslicher  Quecksilberpräparate,   deren  Re- 
sorption   uncontrolirbar    sei.       Du    Gastel 
(Paris)    sieht    den    einzigen   Nutzen   solcher 
Injectionen  in  der  Linderung  heftiger  Kopf- 
schmerzen; während  Rosolimos  (Athen)  die 
Einspritzungen  in  der  secundären  Periode  und 
dann   anwendet,    wenn    nach    längerem   Ge- 
brauch von  Hg  und  Jod  per  os  die  Schleim- 
häute   (des    Digestionsapparates  etc.)    nicht 
mehr  genügend  functioniren.     Der  beste  Platz 
für  die  Injectionen  ist  der  Rücken.     Auf  die 
Erwähnung    eines    Falles    von  Dubois   bei 
einem    60jährigen  Manne,    bei    welchem   er 
die    Allgemeinbehandlung    erst    mit    Beginn 
secundärer  Erscheinungen  anfing  und  welcher 
bis    jetzt    (l  Jahr!)    gesund    geblieben,    er- 
widert Lancereaux,  dass  die  Syphilis  cy- 
klischen  Verlauf  habe  und  bereits  nach  dem 
Ende  ihrer  ersten  Periode  bisweilen  abortiv 
verlaufe,  sodass  auch  nicht  selten  bei  nicht- 
behandelten  Kranken  keine  weiteren  Erschei- 
nungen   folgten.     Petrin i    (Bukarest)    ver- 
ordnet mit  sehr  günstigem  Erfolge  das  Hy- 
drarg, tannic.  (bei  guter  Mundpflege),    0,01 
pro  dosi  in  Pillenform,  in  den   ersten  zehn 
Tagen  je  eine,   dann  bis   zum  25.  oder  30. 
Tage  je  zwei  Pillen.     Mauriac  ist  der  An- 
sicht, dass  die  beste  Art    der    Darreichung 
des  Hg  und  Jods  per   os  geschähe,   nur  in 
Ausnahmefällen  Schmier-  oder  Spritzcur  ge- 


•llLJategang.'l 
Oetober  1889.  J 


Therapeutiiche  MItthellunfen  aui  Vereloen. 


467 


boten  sei.  Die  Behandlung  beginne  im  Augen- 
blick, ^wo  der  Schanker  als  syphilitisch  er- 
kannt ist.  Die  Excision  desselben  hindert 
nicht  die  Allgemeininfection.  Bei  den  leichten 
Formen  der  Lues  ist  die  Benutzung  des 
Quecksilbers,  in  schwereren  (Eingeweide- 
syphilis) dieses  und  des  Jods  am  Platze. 
Die  Selbstheilfähigkeit  des  Organismus,  die 
in  den  ersten  Perioden  der  Erkrankung  Tor- 
handen  ist,  nimmt  ab  und  schwindet  nach 
Eintritt  des  tertiären  Stadiums.  In  fast 
keinem  Fall  darf  die  allgemeine  Kräftigung 
und  Pflege  des  Körpers  unterbleiben,  t.  Wa- 
traszewski  hat  durch  Thierexperimente  die 
Gefährlichkeit  der  lojectionen  (wenn  dieselben 
in  eine  Yene  gelangen)  nachgewiesen.  Sie 
erzeugen  unter  genannten  Umständen  aus- 
gedehnte Hepatisation  in  den  Lungen,  be- 
sonders wenn  die  Medicamente  in  Fetten 
suspendirt  sind.  Weniger  schwere  Erschei- 
nungen entstehen,  wenn  die  Präparate  mit 
Gummi  gemischt  sind,  weil  dieser  sich  mit 
dem  Blute  yermischt,  während  das  unlös- 
liche Fett  mit  den  Quccksilbertheilen  dlrect 
in  die  Lungen  gelangt.  Balz  er  hat  niemals 
schwere  Erscheinungen  bei  Injectionscuren 
beobachtet,  jedoch  will  er  dieselben  nur  im 
Spital  ausgeführt  wissen. 
Butte:  Die  Behandlung  der  Tricho- 
phytiasis  mit  Salbe  Ton  Lanolin 
und  Jodprotochlorür. 
Nach  erfolgloser  Anwendung  von  Subli- 
mat- und  Höllensteinlanolin  sah  B.  Heilung 
Ton  Abwaschung  des  Kopfes  mit  lauwarmem 
Wasser,  Abtrocknung,  hierauf  Einsalbung 
mit  einer  lOproc.  Pomade  Ton  Jodproto- 
chlorür und  Lanolin.  Jeden  zweiten  Tag 
wird  diese  Procedur  wiederholt.  Quin- 
quaud  (Paris)  Terwendet  folgendes  Ver- 
fahren: Abschneiden  oder  Rasiren  der  Haare; 
täglich  Morgens  Abseifen  des  Kopfes  mit 
warmem  (im  Winter)  oder  kühlem  (im  Som- 
mer) Wasser.  Hierauf  Abtrocknen  und  Ein- 
reiben mit: 

IV    Hydrarg.  bijodat.   0,15—0,2 
Hydrarg.  bichlor.    1,0 

Misce.    Solve  in 
Alcohol.  (90  %)    40,0 

Adde 
Aq.  destill.  250,0. 

Die  erkrankten  Partien  werden  nach  vor- 
heriger eventueller  Epilation  mit  einem  im 
Winkel  von  45^  gegen  seinen  Stiel  ge- 
krümmten stumpfen  Werkzeug  abgekratzt, 
wodurch  Schuppen  und  Pilzwucherungen  von 
der  Epidermis  entfernt  werden.  Nach  Ver- 
lauf einer  Woche,  in  welcher  ein  bis  zwei 
Mal  die  Kopfhaut  abgeschabt  wird,  wird 
wiederum  epilirt,    was,    da  die  Haare  nach 


dem  Waschen  weniger  brüchig  sind,  leichter 
gelingt.  Alle  8  bis  14  Tage  sind  die  Ab- 
schabungen zu  wiederholen,  und  dann  der 
Kopf  mit  einem  Pflaster  von 

IV  Hydrarg.  bijodat.  0,2 
Hydrarg.  bichlor.  1^0 
Emplastr.  simpl.  250,0 

zu  bedecken.  Besnier  macht  auf  die  bei 
der  antiparasitären  Therapie  entstehenden 
Hautentzündungen,  die  die  Fortsetzung  der 
Behandlung  hindern,  aufmerksam.  Er  ver- 
meidet daher  alle  Antimycotica.  Nach  Kurz- 
schneiden der  Haare  epilirt  er  rings  um  die 
erkrankte  Stelle,  lässt  Abends  den  Kopf  mit 
etwas  Bor  Vaseline  bestreichen  und  des  Mor- 
gens mit  Seifen wasser  abwaschen.  Auch 
Yidal  lässt  die  Haare  zuerst  abschneiden, 
dann  bestreicht  er  die  erkrankten  Stellen 
mit  Jodtinctur,  reibt  reines  oder  Bor-  oder 
1  proc.  Jodvaseline  ein  und  bedeckt  den  Kopf 
mit  einer  Gummimütze.  Der  Verband  wird 
Morgens  und  Abends  erneuert,  vorher  der 
Kopf  abgeseift  und  getrocknet.  Reizt  die 
Jodtinctur  nicht,  so  wird  sie  täglich,  anderen- 
falls alle  drei  bis  vier  Tage  eingepinselt. 
Ein  anderes  Behandlungsverfahren,  bei  wel- 
chem der  Kopf  mit  Empl.  Hydrarg.  de  Vigo') 
bedeckt  wird,  ist  ebenfalls  recht  empfehlens- 
werth.  Abschneiden  der  Haare  in  achttägi- 
gen Zwischenräumen  und  tägliches  Einsalben 
des  Kopfes  mit  1  procent.  Jodvaseline  hat 
Hallopeau  mit  günstigem  Erfolge  ange- 
wendet. Drysdale  (London)  hält  in  einigen 
Fällen  jede  Therapie  des  Leidens  für  er- 
folglos. Die  Grundzüge  der  Behandlung 
bilden  Reinhaltung  des  Kopfes  und  Anwen- 
dung der  Jodtinctur.  v.  Hebra  hat  bei  dem 
nicht  häufigen  Vorkommen  der  Affection  in 
Wien  von  10  proc.  Pyrogallussalbe  Schwin- 
den derselben  beobachtet.  Besnier  unter- 
scheidet leichte  und  schwere  Fälle  der  Krank- 
heit; bei  ersteren  ist  die  Therapie  einfach 
und  erfolgreich. 

Houlky-Bey:  lieber  die  Syphilis  in 
Konstantinopel  und  über  die 
Wirkungen  der  verschiedenen 
Quecksilber-Präparate  bei  hydro- 
dermatischer  (intramusculärer) 
Anwendung. 
Seine  Erfahrungen  über  letztere  fasst  er 
in  folgenden  Schlusssätzen  zusammen : 

1.  Die  intramusculären  Injectionen  von 
Quecksilber- Präparaten  bilden  für  die  Behand- 
lung der  Lues  eine  sichere  und  wirkungsvolle 

*)  Empl.  Hydrarg.  do  Vigo,  Emplatre  mercuricl 
des  Cod.  fran^.  hat  folgende  Zusammensetzung: 
Empl.  Biropl.  2000.  Cerae  flavae  100.  Colophonii  100. 
Bdellii,  Ammoniaci  dep.,  Olibani,  Myirnae  m  80. 
Croci  20.  Hydrargyri  600.  Styracis  liq.  dep.  300. 
Tercbinth.  laricin.  100.     Ol  Lavandulae  10.     (Ref.) 

59" 


468 


Thermpeutische  Mittheilungen  aui  Vereinen. 


L  Monatshefte. 


Methode,  da  das  in  Berührung  mit  dem  Ge- 
webe befindliche  Quecksilber  direct  und 
rascher  resorbirt  wird.  Sie  sollten  allen 
anderen  Applicationsmethoden  des  Queck- 
silbers vorgezogen  werden. 

2.  Man  entgeht  dadurch  den  bei  an- 
deren Methoden  vorkommenden  Unannehm- 
lichkeiten (Gastroenteritis,  mcrcurielle  Der- 
matitis etc.). 

3.  Sie  erlauben  eine  mathematisch  ge- 
naue Dosirung  des  Mittels. 

4.  Besondere  Gontraindicationen  bestehen 
für  sie  nicht.  Kachexie  und  Diabetes  mel- 
litus sind  nicht  nur  für  sie,  sondern  für  jede 
Anwendung  des  Quecksilbers  Gegenanzeigen. 

Ein  neues  Verfahren  für  Quecksilber- 
einspritzungen hat  Gruyl  angegeben. 
1  g  Sublimat  wird  in  Aether  gelost,  100  g 
Gel  oder  mehr  hinzugefügt,  stark  geschüttelt 
und  der  Aether  durch  Erhitzen  entfernt. 
Wenn  nothig,  ist  die  klare  Flüssigkeit  zu 
filtriren. 

Jacquet    (Paris):     Polymorpher    Haut- 
ausschlag nach  Bromgebrauch. 

Nach  achttägigem  Gebrauch  von  zwei  bis 
drei  Gramm  Bromkalium  pro  die  hatten  sich 
bei  einer  Frau  die  ersten  Anfänge  eines 
Exanthems  gezeigt,  welches  drei  Wochen 
später  sehr  verschiedene  Formen  darbot,  in- 
dem im  Gesicht  Pusteln,  aus  denen  bei 
Druck  sich  Blut  und  Eiter  entleerte,  auf 
den  Händen  kleine  abgeflachte  Bläschen  be- 
standen. Im  Urin  und  Inhalt  der  Bläschen 
war  Brom  nachweisbar.  Die  Patientin  erlag 
kurze  Zeit  darauf  einem  Herzleiden;  die 
histologische  Untersuchung  der  Gesichts- 
pusteln ergab  starke  Erweiterung  der  Gapil- 
laren  und  Entzündung  des  um  die  Talg- 
und  Schweissdrüsen  befindlichen  Gewebes. 
Hardy  hat  einen  ähnlichen  Fall  gesehen 
und  hält  das  Auftreten  des  Ausschlags  für 
eine  Idiosynkrasie  der  Patienten  gegen  das 
Brom.  G  rock  er  glaubt,  dass  das  Brom  bei 
diesen  Individuen    nicht    durch    die    Nieren 


ausgeschieden  wird,  sich  in  den  Drüsen  der 
Haut  festsetzt  und  diese  reizt.  Kaposi 
beobachtete  bei  einem  Säugling,  dessen 
Mutter  mit  Bromkalium  behandelt  wurde, 
Bromakne. 

Ausserdem  gelangte  die  Behandlung 
des  Lupus  (Olavide),  sowie  von  Ma- 
nassei:  Die  Wirkungen  des  Hydroxyl- 
amin  in  der  Behandlung  der  Haut- 
krankheiten zur  Besprechung. 

George  Meyer  {Berhm). 

Königl.  Gesellschaft  der  Aerzte  in  Budapest. 

(Sitzung  am  12,  Januar  1889.) 

Docent  Goldzieher  berichtet  über  Hei- 
lung des  Pterygiums  mit  Hülfe  des  Gal- 
vanokauters.  Der  Erfolg  dieser  Behandlung 
ist  bei  weitem  günstiger  als  der  nach  anderen 
operativen  Eingri£fen.  Zwei  operirte  Fälle 
werden  vom  Vortragenden  vorgestellt. 

Bchfuckny  (Budapest), 

Sodete  beige  de  gynecologie  et  d*obstetrique. 
(Sitzung  am  21,  Juli  1889.) 

Herr  Jacobs:  Ueber  die  Behandlung  ge- 
wisser Formen  von  Endometritis. 

J.  spricht  über  eine  Behandlungsmethode, 
die  ihm  sehr  gute  Erfolge  ergeben  bei  hyper- 
trophischen Zuständen  mit  chronischer  Endo- 
metritis des  Uterus  oder  des  GoUum  und 
bei  chronischer  Metritis  mit  Phlegmasien  der 
Annexen  des  Uterus. 

Diese  Methode  ist  einfach.  Sie  besteht 
darin,  zwei  oder  drei  Male  wöchentlich  zwei 
bis  vier  ccm  einer  Jodoform-Emulsion  in  die 
Gebärmutter  zu  injiciren.  Dabei  hat  er 
niemals  unangenehme  Nebenerscheinungen 
wahrgenommen.  Die  Emulsion  hat  folgende 
Formel : 

^     Jodoform,  subtilis  pulveris.   20,0 
Glycerini  25,0 

Aquae  5,0 

Gum.  Tragacanth.  0,10. 

(Rev,  gin,  de  Cliniq,  et  de  Therap.  3.  7.  89,)     R. 


Referate. 


Sulfonal  als  Hypnoticum  und   Sedativum.     Von 
Dr.  Conolly  Norman. 

Verf.  hat  im  Irren-Hospital  zu  Rich- 
mond  das  Medicament  in  22  Fällen  ange- 
wandt. Unangenehme  Symptome  wurden 
nur  in  2  Fällen  beobachtet;  beide  Male  be- 
standen dieselben  in  exceptioneller  Muskel- 


prostation. Es  handelte  sich  hier  um 
exceptionell  ungünstige  Fälle,  bei  denen 
sich  keins  der  vorher  angewandten  Medi- 
camente bewährt  hatte.  Gastrische  oder 
Intestinalbeschwerden  wurden  in  keinem 
Falle  beobachtet.  —  In  einigen  Fällen,  in 
welchen    die    Patienten    zuvor    Speise    ver- 


m.  Jftlirgmnf.  1 
October  1889.  J 


Retenite. 


469 


weigert  hatten,  stellte  sich  nach  Application 
des  Medicamentes  das  Verlangen  nach  Speise 
wieder  ein.  Maniakalische  Anfalle  wurden 
nach  der  Anwendung  des  Medicamentes  In 
ihrer  Dauer  bedeutend  abgekürzt  und  ge- 
mildert. —  In  den  Fällen,  in  welchen  die 
Patienten  an  Schlaflosigkeit  litten,  stellte 
sich  nach  Application  des  Sulfonals  unge- 
störter ruhiger  Schlaf  ein.  —  Als  Gesammt- 
resultat  seiner  Untersuchungen  ergiebt  sich, 
dass  das  Sulfonal  allen  unter  ähnlichen  In- 
dicationen  angewandten  Medicamenten  über- 
legen ist.  Als  einzigen  Missstand  bezeichnet 
Verf.  die  Hohe  des  Preises  und  die  ünlos- 
lichkeit  des  Sulfonals. 

(Oeeidental  Medieal  Times,  Juni  1889.) 

Lohnatiin  {BerKn). 

Antipyrin    bei    Nierenkrankheit    und    Diabetes. 

Von  M.  H.  Feeny. 

In  einem  als  hoffnungslos  angesehenen 
Falle  von  Morbus  Brightii  beobachtete  F. 
nach  Antipyrin  Abnahme  und  schliesslich 
Verschwinden  aller  bedrohlichen  Symptome. 

Es  handelte  sich  um  eine  29jährige  Per- 
son mit  hochgradigem,  allgemeinem  Hydrops, 
intensiven  Kopfschmerzen,  schwacher,  un- 
regelmässiger Herzaction,  Athemnoth.  Urin 
spärlich,  Ton  hohem  sp.  Gew.,  stark  eiweiss- 
haltig.  Anämie  und  allgemeine  Prostation. 
Trotz  sorgfältigster  Pflege  und  medicamen- 
toser  Behandlung  stetige  Verschlechterung 
des  Zustandes.  Zur  Beseitigung  der  Kopf- 
schmerzen wurde  Antipyrin,  dgrains  (ca.  0,2  g) 
zwei  Mal  täglich,  verordnet.  Als  hiemach 
die  Herzirregularität  zunahm  und  sich  Gol- 
laps  einstellte,  wurde  die  Dosis  am  dritten 
Tage  auf  3  grains  (0,2  g)  pro  die  reducirt. 
Von  diesem  Tage  an  besserte  sich  der  Zu- 
stand stetig.  Nach  einigen  Tagen  neben 
Antipyrin  tonisirende  Behandlung.  Der 
Hydrops  nahm  ab,  die  Kopfschmerzen  Hessen 
nach,  der  Appetit  besserte  sich.  Nach  Ver- 
lauf von  ca.  6  Wochen  war  jede  Spur  von 
Hydrops  verschwunden,  der  Urin  war 
schwach  eiweisshaltig,  das  Allgemeinbeflnden 
gut.  Nach  weiteren  2  Wochen  konnte  Pat. 
aus  der  Behandlung  entlassen  werden. 

Bei  einem  64jährigen  an  Diabetes  lei- 
denden Geistlichen  sah  F.  nach  Antipyrin 
nach  3  Wochen  Abnahme  des  Zuckers  bis 
auf  7«  ^^^  ursprünglichen  Menge.  Auch  in 
diesem  Falle  musste  die  Dosis  wegen  un- 
günstiger Beeinflussung  der  Herzthätigkeit 
auf  0,2  g  täglich  reducirt  werden. 

iBrU.  Med.  Jaum,  2L  SepL  1889,  8,  656.)         rd. 

Antipyrin  bei  Chorea   und  Tetanus.    A.  Gary- 
land  (New-Seeland). 

Verf.  beobachtete  in  einem  Fall  von 
Chorea  bei   einem  12jährigen  Kinde,    nach- 


dem Chloral  und  Bromkalium  ohne  Erfolg 
gegeben  waren,  nach  Antipyrin,  10  grains 
(0,6  g)  alle  vier  Stunden  ein  Schwinden  der 
Symptome  nach  drei  Tagen.  —  In  einem 
Fall  von  Tetanus  wurden  die  Krämpfe  durch 
Antipyrin  günstig  beeinflusst.  Der  Fall 
endete  tSdtlich. 

{British  Med.  Joum.  t889,  6.  Juli.  8,  14,)  rd. 

Zur   Wirkung   des   Antipyrin   auf   die   Wehen- 
thäügkeit    Von  Pinzani. 

Verf.  hat  in  einer  grosseren  Versuchs- 
reihe Untersuchungen  über  die  Wirksamkeit 
des  Antipyrin  auf  die  Wehenthätigkeit  an- 
gestellt. Die  Versuche  wurden  in  der  ersten 
Serie  von  Versuchen  so  angeordnet,  dass 
man  mittelst  der  auf  das  Abdomen  aufge- 
legten Hand  den  Einfluss  annähernd  ab- 
schätzte, den  die  Application  der  Antipyrin- 
dosen  auf  die  Wehenthätigkeit  ausübte.  In 
einer  zweiten  Versuchsreihe  wurde  nach 
Application  des  Antipyrin  die  Scheide  sorg- 
fältig desinflcirt,  und  hierauf  ein  leerer, 
gleichfalls  vorher  aseptisch  gemachter  Col- 
peurynter  möglichst  tief  in  den  Uterus 
hinein  geschoben  und  dann  sorgfältig  und 
ganz  allmählich  mit  blutwarmem  Wasser 
angefüllt.  Durch  den  Schlauch,  der  sich  an 
den  Colpeurynter  anschloss,  war  derselbe 
mit  einem  Manometer  in  Verbindung,  an 
dem  man  die  Druckschwankungen  bequem 
ablesen  konnte.  Die  vom  Verf.  applicirte 
Antipyringabe  schwankte  zwischen  1  und  3  g. 
Im  Wesentlichen  ergab  sich  aus  den  Ver- 
suchen, dass  die  schmerzstillende  Wirkung, 
welche  das  Antipyrin  bei  den  Wöchnerinnen 
hervorruft,  auf  Kosten  der  Intensität  und 
Ausgiebigkeit  der  Gontractionsenergie  zu 
Stande  kommt.  —  Giebt  man  das  Medi- 
cament  per  os,  so  tritt  die  Wirkung  etwa 
4 — 5  Stunden  post  applicationem  ein;  giebt 
man  es  dagegen  als  subcutane  Injection,  so 
wirkt  es  schon  2  Stunden  spater.  —  Von 
Interesse  ist  endlich  die  Beobachtung  Verf.^s, 
dass  die  Kinder  der  Mütter,  welche  intra 
partum  Antipyrin  bekommen  hatten,  in  den 
ersten  Tagen  ihres  Lebens  an  heftiger  Diarr- 
hoe litten.  —  Im  Allgemeinen  widerräthP. 
daher  die  Application  des  Antipyrin  intra 
partum. 

{The  Journal  of  the  American  Mtdicae  Association 
4.  Mai  1889.)  B.  Lohnsttin  {Berlin). 

Antifebrin  in  der  Behandlung  der  Epilepsie.    Von 
Th.  Di  11  er  (PanviUe). 

D.  wandte  Antifebrin  bei  9  Epileptikern 
während  4^2  Monat  an.  Die  Dosis  betrug 
4  grains  (etwa  0,25  g)  drei  Mal  täglich. 

In  allen  Fällen,  in  denen  das  Mittel 
ununterbrochen    gegeben    wurde,    nahm    die 


470 


RttlWttt^ 


L  Ui 


ooatihflfta. 


Anzahl  der  Anfalle  um  25  —  75%  ab,  ver- 
glichen mit  denjenigen  Monaten,  in  welchen 
die  Patienten  abwechselnd  unter  Brom- 
therapie  und  tonisirender  Behandlung  stan- 
den. Nichtsdestoweniger  bevorzugt  D.  die 
Bromide,  wenn  die  Anfalle  häufig  sind 
und  wenn  es  darauf  ankommt,  dieselben 
möglichst  schnell  zu  reduciren. 

{The  Therap.  GazetU  1889,  8.383.)  rd, 

Bromoform,  ein  Mittel  gegen  Keuchhusten.    Von 
Dr.  Sepp  (Nürnberg). 

Nachdem  Yerf.  günstige  Erfolge  mit  der 
inneren  Anwendung  des  Chloroforms  erzielt, 
hat  er  auch  mit  dem  bisher  gänzlich  unbe- 
achteten Bromoform  Versuche  bei  einer  An- 
zahl von  infectiosen  Erkrankungen  ange- 
stellt. Die  erhaltenen  günstigen  Resultate 
bei  Keuchhusten  veranlassten  ihn,  einstweilen 
hiervon  kurze  Mittheilung  zu  machen. 

Bezüglich  der  Eigenschaften  des  Bromo- 
forms  hebt  S.  hervor,  dass  dasselbe  eine 
helle  klare  Flüssigkeit  von  eigenthümlichem, 
nicht  unangenehmem  Geruch  sei.  Dasselbe 
hat  die  chemische  Zusammensetzung  CHBrs, 
spec.  Gewicht  2,9.  Es  ist  in  Alkohol  leicht, 
in  Wasser  schwer  loslich,  von  süssem  Ge- 
schmack und  greift  die  Schleimhäute  nicht 
an.  —  Verdunstet  Bromoform  bei  Lampen- 
licht, so  entwickeln  sich  starke  Dämpfe,  wel- 
che die  Bespirationsschleimhäute  und  die 
Gonjunctiva  heftig  reizen.  Mit  einigen  Tropfen 
Bromoform  versetzter  Urin  bleibt  haltbar  und 
fault  nicht. 

Bei  der  innerlichen  Darreichung  wurden 
nachtheilige  Erscheinungen  nicht  beobachtet. 
Eine  Einwirkung  auf  Puls  und  Temperatur 
wurde  nicht  wahrgenommen.  Die  Wirkung 
des  Bromoforms  ist  von  der  des  Brom- 
kaliums gänzlich  verschieden,  wie  dies  Beob- 
achtungen bei  Epilepsie  gezeigt  haben.  Es 
ist  eher  ein  Anregungs-  als  ein  Beruhigungs- 
mittel. Die  Tagesgabe  für  Kinder  beträgt 
5  —  10  —  15  —  20  Tropfen  in  100,0—120,0 
Flüssigkeit  gelost  (stündlich  1  —  2  Löffel). 
Da  die  Loslichkeit  in  Wasser  sehr  gering 
ist,  so  ist  ein  Zusatz  von  Spiritus  Yini  er- 
forderlich, und  zwar  auf  2  —  3  Tropfen  Bro- 
moform je  1,0  Spiritus,  also  z.  B. : 
ÄV  Bromoform.  gtt.  X 

Spirit.  Vini  3,0—5,0 

Aq.  dest.  100,0. 

Eine  derartige  Lösung  wird  von  den  Kin- 
dern, gern  genommen.  Erwachsene  erhielten 
CHBrs  in  Kapseln  zu  0,5  täglich  2  bis 
3  Male. 

Verf.  hat  das  Mittel  in  60—70  Fällen 
bei  Kindern  von  6  Monaten  bis  zu  7  Jahren 
angewandt.  Bei  allen  Kindern  trat  in  2  bis 
3    bis    längstens    4  Wochen    Heilung    ein. 


Schon  5  —  6  Tage  nach  Beginn  der  Behand- 
lung nahmen  die  Anfälle  an  Zahl  und  Hef- 
tigkeit ab.  Ganz  schwere  Fälle  mit  30  bis 
40  starken  Anföllen  am  Tage  bedurften 
einer  10 — 12  tägigen  Behandlung,  bis  eine 
(alsdann  sehr  rasche)  Abnahme  der  AniUlle 
eintrat.  —  Erwähnen swerth  ist  noch,  dass 
unter  dieser  Behandlung  die  katarrhalischen 
Erscheinungen  der  Lungen  gering  oder  gar 
nicht  vorhanden  waren,  und  wo  sie  bestan- 
den, rasch  schwanden.  Aus  den  Beobach- 
tungen ergiebt  sich  für  die  Behandlung,  dass 
die  Gabengrösse  zu  der  Intensität  der  Lifec- 
tion  und  zu  dem  Alter  des  Kranken  in  ge- 
radem Verhältniss  stehen  muss.  Gewöhnung 
an  das  Mittel  scheint  nicht  stattzufinden. 
In  prophjlactischcr  Hinsicht  ist  bemerkens- 
werth,  dass  Geschwister  eines  Keuchhusten- 
kranken, bei  denen  schon  das  katarrhalische 
Stadium  bestand,  durch  Anwendung  von 
Bromoform  von  dem  Keuchhusten  verschont 
blieben. 
{DtuUeh,  med.  WocheMckr,  1889  No.  31.)  R. 

Zur  Keuchhustenbehandlung.    Von  Dr.  Schilling 
(Nürnberg). 

Gestützt  auf  die  VerÖ£fentlichung  von 
Salkowski  über  die  antiseptische  Wirkung 
des  Chloroformwassers  (5,0:1000,0)  hat 
Verf.  seit  April  v.  J.  62  Keuchhustenfalle, 
die  Kinder  im  Alter  von  10  Wochen  bis  zu 
12  Jahren  betrafen,  mit  Chloroformwasser- 
Inhalationen  behandelt.  Er  lässt  das  Chlo- 
roform in  der  Weise  inhaliren,  dass  er  in 
den  Dampfkessel  des  Inhalationsapparates 
einen  Esslöffel  voll  warmen  Wassers  bringt, 
dem  er  je  nach  dem  Alter  des  Kindes, 
Chloroform  purissimum  zufugt,  und  zwar  an- 
fänglich je  doppelt  soviel  Tropfen,  als  das 
Kind  Jahre  zählt.  Wenn  keine  Besserung 
nach  8  tägigen  Inhaliren  eintritt,  so  werden 
3  Mal  so  viel  Tropfen  inhalirt,  als  das 
Kind  Jahre  alt  ist.  In  das  am  Apparat  an- 
gebrachte Medicinglas  kommt  nur  kaltes 
Wasser  (ohne  Chloroform)  zur  Abkühlung 
des  heissen  Dampfes,  der  dem  Kessel  ent- 
strömt. Da  nur  ein  kleiner  Theil  des  Chlo- 
roforms (4,0  :  1000,0)  sich  im  Wasser  löst 
und  der  Ueberschuss  zu  Boden  fallt,  so 
bringt  Verf.  dasselbe  nicht  in  das  Medicin- 
glas, sondern  direct  in  den  Dampfkessel; 
erhitzt  entweicht  das  flüchtige  Gas  rasch. 
Deshalb  ist  es  nöthig,  den  Fat.  schon  vor 
Beginn  des  strömenden  Dampfes  inhaliren 
zu  lassen.  Die  jeweilige  Sitzung  ist  so 
lange  auszudehnen,  bis  die  Flüssigkeit  im 
Kessel  völlig  verdampft  ist.  S.  lässt  4  Mal 
täglich  inhaliren.  Nach  wenigen  Tagen 
schreitet  meist  die  Krankheit  nicht  weiter 
fort,  und  nach  circa  8  Tagen  werden  die  An- 


October  1889.  J 


ftefeMI«. 


471 


iUlle  weniger  uach  Zeit  und  Stärke.  In  der 
Hälfte  der  Fälle  hört  nach  14  Tagen  das 
convulsiTlsche  Stadium  auf,  um  in  das  ka- 
tarrhalische überzugehen.  4  Fälle  endeten 
schon  nach  Ablauf  der  ersten  Woche  gün- 
stig, während  28  Fälle  nach  der  2.,  21  Fälle 
nach  der  3.  und  8  Fälle  in  der  4.  Woche 
sich  zum  katarrhalischen  Stadium  wandten. 
Die  Erfolge  sind  demnach  als  gute  zu  be- 
zeichnen. —  Bei  den  Carbolinhalationen, 
die  S.  früher  anwandte,  war  das  Resultat 
weniger  günstig.  Antipyrin  wirkt  zuweilen 
prompt;  in  fielen  Fällen  hat  es  jedoch  im 
Stiche  gelassen.  Desgleichen  hat  Verf. 
zweifelhafte  Erfolge  mit  den  gerühmten  In- 
sufflationen  von  Natr.  benzoicum  etc. 
in  die  Nase  erzielt.  Mehrere  Male  hat  S. 
den  Sandern  das  Chloroform  aus  der  Chlo- 
roformmaske oder  auf  Fliesspapier  geträufelt 
aus  einer  Büte  einathmen  lassen.  Der  Er- 
folg war  gut. 

Von  Chloroformwasser  (0,5  :  100,0)    in- 
nerlich gereicht,  hat  er  weder  bei  Pertussis 
noch   bei  einer  andern  Krankheit  besondem 
Yortheil  gesehen. 
{Müneh.  med.  Woehensehr,  1889  No.  29.)  R. 

Zur  Behandlung  des  Asthma.    Von  N.  S.  Da  Tis. 

Das  Asthma  hat  seine  Ursache  in  einem 
Spasmus  der  kleineren  Bronchien.  Derselbe 
kann  begründet  sein  entweder  in  einer  Rei- 
zung der  peripherischen  Nervenverzweigungen 
der  Bronchialschleimhaut  in  Folge  einer  lo- 
calen  Entzündung,  oder  in  einem  central 
gelegenen  und  von  dort  aus  auf  die  peri- 
pherischen Nerven  wirkenden  Beize;  in  einer 
dritten  Gruppe  von  Fällen  endlich  handelt  es 
sich  um  Reflexwirkung,  indem  ein  peripherisch 
liegender  Reiz  Ton  geringer  Intensität  einen 
grösseren  centralen  Reiz  und  in  Folge  dessen 
auch  eine  weit  ausgedehntere  peripherische 
Wirkung  auslost.  Je  nach  der  Natur  der 
Aifection  ist  die  Behandlung  zu  modificiren. 

Die  sämmtlichen  für  die  Behandlung  in 
Betracht  kommenden  Arzneimittel  theilt  D. 
je  nach  der  Ursache  in  3  Gruppen.  Die 
erste  umfasst  alle  diejenigen  Medicamente, 
welche  die  peripherische  Reizbarkeit  der 
Schleimhaut  mildern.  Am  besten  bewähren 
sich  hier  6  — 10%  Cocain losun gen,  auch 
Cocaininsufflationen  oder  Cocamsalben  (letz- 
tere am  wenigsten  wirksam).  Zu  berück- 
-sichtigen  ist  hierbei  die  gelegentlich  auf- 
tretende Cocamintoxication,  die  zu  grosster 
Vorsicht  in  der  Application  des  Cocains  auf- 
fordert. Weiterhin  kommt  Morphin  in  Be- 
tracht, welches  Yerf.  allein  oder  combinirt 
mit  Cocain  (4%  Cocain-  +  2%  Morphin- 
losung) anzuwenden  pflegt.  —  Ist  die  Rei- 
zung   der    Schleimhaut    durch    Geschwülste 


der  Nascnschleimhaut  vera'hlasst,  so  sind 
diese  zu  entfernen.  —  Handelt  es  sich  um 
Herzfehler,  so  ist  durch  Application  der 
Digitalis  der  Druck  im  Gefässsystem  zu 
steigern  und  so  die  Beseitigung  der  venösen 
Hyperämie  der  Bronchialschleimhaut,  durch 
welche  der  spastische  Reizzustand  der  Bron- 
chien veranlasst  wird,  zu  beseitigen.  Ist 
der  Reizzustand  wesentlich  durch  Reflex- 
action  veranlasst,  so  ist  durch  Application 
von  Chloralhydrat,  Acther,  Chloroform,  so- 
wie durch  Bromsalze  die  Reflexerregbarkeit 
herabzusetzen.  Von  den  angeführten  Medi- 
camenten hat  sich  das  Chloralhydrat  am 
besten  bewährt,  welches  zweckmässiger  in 
wenigen  grossen  (z.  B.  2  Dosen  ä  1,0  bis 
1)^  g))  &ls  in  häufigen  kleinen  Gaben  appli- 
oirt  wird.  Handelt  es  sich  um  gleichzeitige 
Bronchitis,  so  empfiehlt  Verf.  folgende  Com- 
position 

iV    Chlorali  hydrat.  15,0 

Ammon.  mur.  10,0 

Morph,  mur.  0,2 

Stib.  sulph.  aurant.  0,15 

Extract.  Grindel,  robust.     45,0—60,0 
Aq.  dest.  ad.  120,0 

3— 6stdl.  1  Theeloffel  in  heissem  Wasser 
zu  nehmen. 

Aehnlich  wirken  die  Bromide,  welche 
vorzugsweise  die  peripherischen  Nervenendi- 
gungen abstumpfen.  Auch  hier  giebt  man 
zweckmässig  grosse  Dosen  von  1,5 — 2  g. 
Von  anderen  Droguen,  die  sich  erfahrungs- 
gemäss  bei  gewissen  Affectionen  als  sehr 
wirksam  erwiesen  haben,  kennen  wir  den 
Mechanismus  der  Wirkung  nicht  genau,  ob- 
wohl wahrscheinlich  bei  einigen  unter  ihnen, 
wie  bei  der  Grindelia  rebus  ta,  den  wirk- 
samen Bestandtheilen  .  des  Tabaks,  dem 
Quebracho,  der  Lobelia  inflata  etc.  es  sich 
wahrscheinlich  um  eine  dem  Chloralhydrat 
analoge  Wirkungsweise  handelt.  Von  letz- 
terer wendet  Verf.  ein  Extract  an ,  von  dem 
er  2 — 4  ccm  2  —  3  stdl.  anzuwenden  pflegt. 
Die  Application  eines  Tabakextractes  eignet 
sich  vorzugsweise  in  milden  Fällen,  dort 
zumal,  wo  es  sich  um  Personen  handelt, 
die  an  den  Genuss  desselben  nicht  gewöhnt 
sind.  Die  Quebracho  und  Grindelia  wirken 
wahrscheinlich  vorzugsweise  durch  Lähmung 
des  Athmungscentrum.  In  Gaben  von  2  bis 
4  ccm  sind  sie  milde  Expectorantia  und  To- 
nica.  Die  8.  Gruppe  '  der  anzuwendenden 
Arzneimittel  wirkt  auf  die  vasomotorischen 
Centren  und  zwar  vasodilatatorisch.  Zu 
ihnen  gehören  die  Nitrite,  sowie  das  Nitro- 
glycerin. Letzteres  besitzt  leider  die  un- 
angenehme Nebenwirkung,  Kopfschmerzen  zu 
erregen,  und  muss  deshalb  nicht  selten  aus- 


472 


Rttfente. 


tTherapeatiaehe 
Honatah«fte. 


gesetzt  werden.  Angenehmer  wirkt  das  Na- 
trium nitrosum  in  Dosen  Ton  0,03.  Die 
Wirkung  zeigt  sich  bei  dieser  Verbindung 
oft  schon  10  Minuten  nach  dem  Beginn  der 
Application.  Aehnlich  wie  die  Nitrite  be- 
wirken Atropin,  Strammonium  und  Hyoscya- 
mus  eine  deutliche  Relaxation  der  Bron- 
chiolen, sowie  Herabsetzung  der  Hyperästhesie 
der  peripherischen  Nervenendigungen  der 
Bronchialschleimhaut.  Zuweilen  haben  sie 
unter  einander  oder  auch  mit  Ghloralhydrat 
combinirt  dem  Yerf.  ausgezeichnete  Dienste 
geleistet.  Besonders  bewährte  sich  folgende 
Formel : 

IV  Chloral.  hydrat.      20,0 
Natr.  nitros.  3,0 

Tinctur.  Strammen.  10,0 
Syr.  60,0 

S.  4stdl.  1  Theeloffel  in  einem  Glase 
Wasser. 

In.  denjenigen  Fällen,  in  welchen  das 
Asthma  auf  psychische  Eindrücke  (Schreck, 
Idiosynkrasie  gegen  gewisse  Gerüche  etc.), 
sowie  auf  Urämie  zurück  zufuhren  ist,  hat 
man  das  Grundleiden  zu  behandeln. 

( The  Journal  o/ihe  Amerie.  Med.  AtsoeicUion  1889  Mai  25.) 

Lohnaiein  {Berlin). 

Versuche  Aber  Lipanin  als  Ersatzmittel  für 
Leberthran.  (Aus  der  poliklinischen  Abthei- 
lung  für  Kinderkrankheiten  des  Docenten  Dr. 
Maximilian  Herz  in  Wien.)  Von  Dr.  De- 
metrias  Galatti. 

Die  günstige  Wirkung  des  Leberthrans 
beruht  auf  dessen  bedeutendem  Säuregehalt 
(Oel-  und  Palmitinsäure),  indem  die  fetten 
Säuren  es  sind,  die  durch  Bildung  von  Seifen 
die  Emulsion  und  damit  die  leichte  Verdauung 
des  Fettes  bewirken.  Nun  enthält  aber  der 
dunkelgefärbte,  braune,  aus  gefaulten  Lebern 
hergestellte  Thran  bedeutend  grössere  Men- 
gen von  Fettsäuren  als  der  helle  Dampf- 
thran.  Der  Unterschied  beträgt  bis  zu 
10  Proc.  Es  sollten  daher  eigentlich  nur 
die  dunklen  Sorten  yerordnet  werden.  Leider 
aber  stehen  dem  gewichtige  Bedenken  ent- 
gegen. Die  Kinder  nehmen  den  Thran  un- 
gern oder  gamicht  wegen  seines  höchst  un- 
angenehmen und  widrigen  Geruchs  und  Ge- 
schmacks und  des  nicht  selten  dem  Ein- 
nehmen folgenden  Aufstossens  und  Erbrechens. 
Alle  zur  Verdeckung  dieser  Eigenschaften 
angewandten  Corrigentien  haben  ebensowenig 
guten  Erfolg  gehabt,  wie  die  Leberthran- 
schokolade  und  das  Morrhuol,  der  conden- 
sirte  Leberthran  ohne  Fettbestandtheile. 
Aus  diesem  Grunde  wurden  Versuche  mit 
dem  Lipanin  als  Ersatzmittel  des  Leber- 
thrans  angestellt.     Dieses  Mittel    wird    aus 


feinstem  Olivenöl  (sogenanntem  Jungfernöl) 
dargestellt,  welches  theilweise  yerseift  wird 
und  einen  Zusatz  von  6  proc.  Oelsäure  er- 
hält. Dasselbe  ist  geruchlos  und  schmeckt 
nach  reinem  Olivenöl,  v.  Mering  und  Haus  er 
haben  das  Mittel  an  78  meist  scrophulösen 
und  rhachitischen  Kindern  angewandt  und 
Folgendes  constatirt: 

Das  Mittel  wurde  meist  gut  genommen, 
ja  nach  längerer  Zeit  sogar  gerne.  Uebel- 
keit,  Aufstossen  und  Erbrechen,  sowie  an- 
dere pathologische  Erscheinungen  seitens  des 
Magendarmtractus  wurden  niemals  beobachtet. 
Dagegen  hob  sich  fast  in  allen  Fällen  das 
Allgemeinbefinden  und  das  Körpergewicht 
der  kleinen  Patienten  nicht  unbedeutend. 
Der  Appetit  stellte  sich  ein  und  die  vorher 
manchmal  höchst  ungenügende  Nahrungsauf- 
nahme wurde  wieder  normal.  Als  Speci- 
ficum  gegen  Tuberculose  hat  sich  jedoch  das 
Mittel  nicht  bewährt. 

{Sqtaratabdruck  aus  „Archiv  für  Kinderheilkunde''^ 
XI.  Band.)  Carl  Bosenthal  (BerUn). 

Die    Behandlung    der    Diarrhoe   der   Phthlsiker. 

Von  Dr.  Polydk. 

Verf.  hat  die  von  Debove  mit  dem 
Magnesiumsilicat  und  von  S^zary  und 
Aune  mit  der  Milchsäure  gemachten  Ver- 
suche einer  näheren  Prüfung  unterzogen. 
Es  ergab  sich  aus  denselben,  dass  in  den 
ersten  Tagen  Magnesiumsilicat  selbst  in  den 
hohen  von  Debove  empfohlenen  Gaben  von 
100 -- 200  g  Talk  in  mehreren  Litern  Milch 
ganz  gut  von  der  Mehrzahl  der  Patienten 
vertragen  wird.  Indessen  lässt  sehr  bald 
die  Toleranz  gegen  das  Medicament  nach, 
die  Patienten  bekommen  früher  oder  später 
Magenbeschwerden,  so  dass  man  mit  dem 
Magnesiumsilicat  sehr  bald  wiederum  aus- 
setzen muss.  Gewöhnlich  tritt  alsdann  sehr 
bald  die  Diarrhoe  von  Neuem  wieder  auf. 
Die  Ansicht  derjenigen  also,  welche  dem 
Medicament  gleichfalls  heilende  Eigenschaf- 
ten in  Bezug  auf  tuberculose  Ulceration  zu- 
schrieben, sind  damit  widerlegt.  Mehr  zu- 
frieden ist  Verf.  mit  der  Wirkung  der 
Milchsäure  gewesen.  Die  Anfangsdosis 
schwankte  hier  gewöhnlich  zwischen  1,5  bis 
2,0  g  auf  120  g  Wasser;  allmählich  wurde 
diese  Dosis  gesteigert,  4,5  g  pro  die  jedoch 
in  keinem  Falle  überschritten.  —  Gewöhn- 
lich lassen  Diarrhoe  und  Kolikscbmerzen  be- 
reits am  dritten  Tage  nach  Einleitong  der 
Medication  nach;  die  Stühle  werden  wieder 
geformt  und  nehmen  allmählich  ihren  nor- 
malen Charakter  wieder  an.  —  Bezüglich  der 
Dosirung  haben  sich  dem  Verf.  kleinere 
Dosen  längere  Zeit  hindurch  besser  bewährt, 
als  grössere  Dosen,  die  man  schnell  hinter- 


in.  Jtduegvkg,  1 
October  188».  J 


Referate. 


473 


einander  den  Patienten  applicirte.  Giebt  man 
das  Medicament  in  massigen  Dosen,  so  kann 
man  beobachten,  dass  die  Patienten  Monate 
lang,  ohne  Magenbeschwerden  zu  empfinden, 
die  Milchsäure  vertragen. 

(The  Journal  of  the  American  Meäical  Association 
29.  Juni  1889.)  H.  Lohnstein  {Berlin). 

Zur  Behandlung   des  Erysipels  mit  Carbolinjec- 
tionen.    Von  Dr.  Paul  Samt  er. 

Nach  den  an  dem  Kranken material  des 
städtischen  Krankenhauses  zu  Dan  zig  ge- 
machten Erfahrungen  glaubt  S.  Ton  Neuem 
die  bereits  vor  15  Jahren  von  Hüter  in  die 
Therapie  des  Erysipels  eingeführten- Carbol- 
injectionen  empfehlen  zu  können.  Er  führt 
10  Beobachtungen  an,  die  ihn  zur  Aufstellung 
des  Satzes  veranlassen:  Das  Hauterysipel 
kann  durch  Carbolinjectionen  sicher 
vermieden  werden.  Bedingung  des  Erfolges 
ist  1.  gesicherte  Diagnose,  2.  ausreichende 
Dosirung. 

Eine  erysipelähnliche  Schwellung,  auf 
welche  Carbolinjectionen  keinen  Einfluss  aus- 
üben, ist  sicherlich  kein  echtes  Erysipel. 
Ebenso  glaubt  S.,  dass  bei  frühzeitiger  An- 
wendung der  Carbolinjectionen  Abscesse  und 
sonstige  Complicationen  seltener  werden. 

Die   Carbollösung,    welche    zur  Verwen- 
dung kommt,  hat  die  Zusammensetzung: 
n^   Acid.  carbol.  puri 

Alkohol,  absol.        aa  3,0 
Aq.  destill.  94,0 

und  wird  für  jeden  einzelnen  Fall  frisch  berei- 
tet. Der  Ort  der  Injection  ist  die  gesunde 
Haut,  1 —  2  cm  vom  Rande  der  erkrankten  Par- 
tie entfernt.  Ohne  Erhebung  einer  Hautfalte 
wird  die  Nadel  der  Spritze  in  der  Richtung 
nach  dem  erkrankten  Theile  hin  flach  ein- 
gestochen, so  dass  die  Flüssigkeit  möglichst 
in  die  tieferen  Lagen  der  Cutis  gelangt.  Es 
wird  langsam  ^/g — 1  ganze  Spritze  injicirt. 
Falls  es  sich  nicht  um  das  Gesicht  handelt, 
empfinden  die  Patienten  nur  ein  leichtes 
Brennen.  Die  Entfernung  der  Einstichpunkte 
von  einander  schwankt,  je  nach  der  vom 
einzelnen  Punkte  aus  injicirten  Menge  von 
2 — 3  bis  5 — 6  cm.  Demnach  würde  man, 
um  ein  Erysipel  der  unteren  Extremität  cen- 
tralwärts  am  Oberschenkel  mit  einem  Ringe 
von  Carbolinjectionen  zu  umgrenzen,  7  —  8  g 
der  Lösung  bedürfen,  wenn  die  Grenzlinie 
genau  kreisförmig  wäre,  da  diese  aber  stets 
eine  unregelmässige  Figur  bildet,  so  kann 
man  als  durchschnittliche  Dosis  für  ein  Ery- 
sipel der  unteren  Extremität  bei  Erwachsenen 
10—15  g  der  3%  Lösung  =  0,3—0,45  reine 
Carbolsäure  betrachten.  —  Die  sonstige  Be- 
handlung ist  ziemlich  indifferenter  Natur: 
Einreibung    mit    Oel    und    Bedeckung    mit 


Watte.  Innerlich  viel  Reizmittel  etc.  Aus 
prophy laotischen  Gründen  wird  zur  Verhütung 
von  Carbol  in  toxication  von  vornherein  Na- 
trium sulfuricum  in  grösseren  Dosen  (stund- 
lich 1  Esslöffel  einer  3  %  Lösung)  verab- 
reicht. 

Die  mehrmalige  Wiederholung  der  In- 
jectionen  wird  zur  Regel  bei  Erysipel  des 
Rumpfes.  Nur  in  sehr  frühen  Stadien  wird 
man  selbst  mit  12 — 15  g  Carbollösung  die 
allseitige  Umgrenzung  eines  Rumpferysipel 
zu  Stande  bringen.  Schwieriger  sind  die 
Verhältnisse  bei  den  Erysipelen  des  Gesichts 
und  Kopfes,  indem  hier  die  Injectionen  sehr 
schmerzhaft  sind  und  ausserdem  leicht  kleine 
Abscesse  entstehen.  Verf.  fasst  seine  Grund- 
sätze für  die  Behandlung  des  Erysipels  da- 
hin zusammen:  bei  Erysipelas  capitis  et  fa- 
ciei  in  dringenden  Fällen  Carbolinjectionen, 
sonst  indifferente  Behandlung;  bei  Erysipelas 
trunci  et  extremitatum  von  vornherein  Car- 
bolinjectionen, als  -seltene  Ausnahme  am 
Rumpfe  Kraske'sche  Methode. 

{DtuUch.  med.  Wochenschr.  1889,  No.  35.  36.) 

R. 

Ueber  Creolin.  (Nach  einem  in  der  Societc  de  me- 
decine  zu  Lausanne  am  6.  April  1889  gehalte- 
nen Vortrage.)    Von  Dr.  Roux. 

Das  in  Deutschland  neuerdings  für  die 
Desinfection  im  Grossen  so  beliebt  gewordene 
Creolin  ist  in  England  unter  dem  Namen 
Cresyl-Yeyes  seit  längerer  Zeit  bereits  im 
Gebrauch.  Wie  für  alle  neu  auf  den  Markt 
gebrachten  Medicamente,  so  hat  man  sich 
auch  für  das  Creolin  übermässig  begeistert, 
und  wenn  auch  die  vorzügliche  Desinfections- 
kraft  des  Medicaments  bei  relativer  Ungiftig- 
keit  keineswegs  gering  anzuschlagen  ist,  so 
haften  doch  dem  Creolin  andererseits  gewisse 
Mängel  an,  welche  seine  Anwendung  wesent- 
lich einschränken.  Wenn  das  Creolin  auch 
keine  gefahrdrohenden  Intoxicationsersch ei- 
nungen hervorruft,  so  sind  doch  auch  nach 
seiner  Application  Diarrhöen  beobachtet  wor- 
den, und  zwar  nicht  nur  nach  fortgesetzten 
Irrigationen,  sondern  bereits  nach  Application 
von  feuchten,  in  Creolin  getauchten  Com- 
pressen  auf  grössere  Wund  flächen.  Auch 
Fälle  von  auffallend  schneller  Abmagerung 
sind  nach  der  Anwendung  des  Desinficiens 
zur  Beobachtung  gelangt.  Abgesehen  von 
diesen  Nebenwirkungen  kommen  noch  gewisse 
Unzuträglichkeiten  in  Betracht,  so  die  Un- 
durchsichtigkeit  der  Emulsion,  die  gewöhn- 
lich die  Instrumente  mit  einem  dicken  Nieder- 
schlage überzieht  und  die  Messer  und  Nadeln 
vollkommen  unbrauchbar  macht.  In  gleicher 
Weise  schlägt  sich  das  Creolin  auf  die  Wund- 
ränder   nieder    und    verhindert    die   Bildung 

60 


474 


Rererate* 


prherapeatiadie 
L  Monatdiefle. 


linearer  Narben ,  TS'ährcnd  die  Haut  des 
Operateurs  in  Folge  der  langdauernden  Be- 
netzung mit  dem  Desinficiens  eine  graue, 
hässlicbe  Farbe  annimmt.  Von  grossem 
Nutzen  erwies  sieb  das  Medicament  als 
Yerbandwasser  in  den  Fällen,  in  welcben  aus 
irgend  einem  Grunde  die  Anwendung  der 
Carbbl säure  oder  des  Sublimats  contraindi- 
cirt  war,  und  in  welcben  das  Jodoform  nicbt 
genügend  zu  desinficiren  scbien.  Vor  diesem 
letzteren  besitzt  das  Creolin  ausserdem  den 
Vorzug,  jauchende  Wunden  mit  grosser  Energie 
zu  desodoriren.  Bei  Blasenkatarrben  bat  dem 
Verf.  eine  1  ®/oige  Emulsion  gute  Dienste  ge- 
leistet, und  wurde  aucb,  abgesehen  yon  den 
soeben  angeführten  Zwischenfällen,  yon  den 
Patienten  gut  vertragen.  Als  intrauterine 
oder  Vaginalspülung  hat  sich  Verf.  des  Me- 
dicamentes  in  2  ^/oiger  Lösung  bedient.  Ab- 
gesehen Ton  einem  einzigen  Falle  spürten 
die  Patienten  niemals  irgend  welches  Brennen 
oder  Schmerz.  Ebenso  milde  wirkte  die  Appli- 
cation des  Medicamentes  auf  die  Schleimhaut 
der  Nase,  des  Mundes,  die  Umgebung  des 
Afters,  Pleurahöhle  etc. 

Ein  wichtiges  Moment  zu  Gunsten  der 
Anwendung  des  Creolins  ist  die  Thatsache, 
dass  dasselbe  nicht  wie  die  Carbolsäure 
brennt  und  bei  Weitem  nicht  so  toxisch 
wirkt,  wie  die  gewöhnlich  gebräuchlichen 
Sublimatlösungen. 

Es  ergiebt  sich  im  Allgemeinen  aus  den 
Erfahrungen  Verf.^s,  dass  man  das  Medica- 
ment in  der  Hospital  -  Praxis  überall  dort 
anwenden  kann,  wo  es  sich  darum  han- 
delt, ein  wenig  toxisches,  gut  desodo- 
rlrendes  und  sicher  desinficirendes  Medica- 
ment anzuwenden.  Nicht  anwendbar  erscheint 
es  zur  Desinfection  der  Instrumente  und 
Hände  bei  feineren  Operationen,  unzweifel- 
haft jedoch  ist  es  bei  Desinfectionen  in. 
grösserem  Maassstabe  den  bisher  gebräuch- 
lichen  Medicamenten    seiner  Billigkeit .  und 

relativen  Unschädlichkeit  wegen  vorzuziehen. 

(Revue  med.  de  la  Suisse  Romande.    No.  6,    1889.) 

Lokrutein  (Berlin). 

Creolin  in  der  Landpraxis.  Yon  Dr.  Schlesinger 
(Jaka). 

Bericht  über  günstigen  Erfolg  von  Blasen- 
auswaschung mit  Creolin  (30  Trpf.  :  500  g 
Wasser)  bei  einem  Patienten  mit  Cystitis 
purulenta,  bedingt  durch  starke  Prostatahyper- 
trophie; ferner  von  prophy laotischer  Aus- 
waschung in  einem  Falle  von  plötzlicher  com- 
pleter  Anurie  durch  Prostatahypertrophie, 
endlich  von  Heilung  von  zwei  Fällen  von 
Kopf-  und  Gesichtsausschlag  bei  jungen  Kin- 
dern  durch  Einpinselung  mit  10%  Creolin- 

Vaselinesalbe. 

( Wien,  med'  Presse.  1883.  No.  36.)     Georrje  Meyer  [Berlin). 


Die    antiseptische    Wirkung     des     Said.      Vod 

Corner. 

Für  die  Nachbehandlung  von  Wunden 
hat  sich  dem  Verf.  das  Salol  in  einer  Reihe 
von  Fällen  gut  bewährt,  nachdem  nach  der 
Operation  die  Wund  fläche  mittelst  5%iger 
Carbolsäurelösung  gehörig  desinficirt  worden 
war.  Vor  dem  Jodoform,  an  dessen  Stelle 
es  vorzugsweise  in  Anwendung  gelangte,  ist 
es  wegen  seines  angenehmeren  Geruches  zu 
bevorzugen.  Hierzu  kommt  noch,  dass  es 
fast  absolut  ungiftig  ist,  sowie  endlich  die 
Wundoberfläche  gut  austrocknet.  Eiterung 
ist  bei  seiner  Anwendung  nicht  beobachtet 
worden.  In  neuerer  Zeit  ist  das  Medicament 
seiner  sicheren  Wirkung  wegen  auch  bei 
complicirten  Fracturen  mit  bestem  Erfolge 
angewandt  worden.  In  sämmtlichen  Fällen, 
in  welchen  bereits  Fiebertemperatur  bestand, 
ging  dieselbe  sehr  bald  nach  der  Anwendung 
des  Salol  auf  die  Normaltemperatur  herunter. 

{The  Journal  of  the  American  Medical  Agsadatiim. 
8.  Juni  1889.)  H.  Lohnsiein  (Berlin). 

Neuere  Untersuchungen  Über  die  antiseptische 
Wirkung  des  Jodoforms.    Von  Dr.  C.  B.  Ti- 

lanus  (AmsterdamV 

„Das  Jodoform  ist  ein  Antimycoticum  in 
dem  Sinne,  dass  es  der  Vermehrung  einiger 
bestimmter  Sorten  von  Mikroorganismen, 
auch  bei  Anwesenheit  minimalster  Quanti- 
täten, entgegenwirkt,  wenn  es  auch  bis  jetzt ^ 
noch  nicht  nachgewiesen  ist,  dass  es  diesel- 
ben Organismen  sicher  zu  tödten  vermöge.*^ 

(Manch,  med.  Wochenachr.  1889,  No.  32  u.  33) 

Beiträge  zur  Jodoformbehandlung  der  tubercn- 
lösen  Knochenentzündung.  Von  J.  Dallioger, 
Docent  in  Budapest. 

Verf.  hat  in  mehreren  schweren  Fällen 
von  tuberculöser  Knochenentzündung  5%igeii 
Jodoformäther  in  die  Abscesshöhle  injicirt 
und  dabei  böse  Zufälle  bei  den  PatienteD, 
wie  Asphyxie,  Betäubung,  Gangrän  der  Abs- 
cesswand,  dagegen  niemals  Ausheilung  des 
Processes  beobachtet.  Etwaige  Injectionen 
in  geschlossene  Psoasabscesse  hält  er  wegen 
der  drohenden  Gangrän  geradezu  für  gefährlich. 

(Centralbl.  f.  Chirurgie  1889,  No.  20.) 

Freyer  (SUttin). 

Die  chirurgische  Behandlung  tuberculöser  Peri- 
tonitis.   Von  Cecherelli. 

Die  ersten  Laparotomien  bei  tiiberculöser 
Peritonitis  sind  auf  Grund  falscher  Diagnosen 
gemacht;  worden,  da  die  Symptome  nicht 
selten  bei  dieser  Affection  denen  der  malignen 
Abdominaltumoren  gleichen.  Die  Erfahning 
hat  nun  gelehrt,  dass  auch  bei  der  tuber- 
culösen    Peritonitis    nach    der    Laparotomie 


in.  Jfthrgang.  1 
Octobcr  1899.  J 


Rttfinto. 


475 


eine  wesentliche  Besserung  eintritt.  Verf. 
hat  in  4  Fällen  bei  tuberculöser  Peritonitis 
die  Laparotomie  ausgeführt.  Die  Resultate 
waren  folgende:  In  2  Fällen  (bei  einem  32 
jährigen  Weibe  und  einem  1 1jährigen  Knaben) 
mit  Symptomen  einer  hochgradigen  Peritonitis, 
konnte  durch  die  Operation  mit  consecutiver 
Drainage  Tollkommene  Genesung  erzielt 
werden.  Ebenso  günstig  verlief  die  Heilung 
in  den  beiden  letzten  Fällen,  welche  kleinere 
Kinder  betreffen.  Die  tuberculöse  Natur  der 
Peritonitis  konnte  in  sämmtlichen  Fällen 
durch  den  Bacillenbefund  demonstrirt  werden. 
Auf  Grund  der  gelegentlich  dieser  4  Fälle 
gemachten  Beobachtungen  gelangt  Yerf.  zu 
folgenden  Schlüssen:  Am  strictesten  indicirt 
ist  die  Laparotomie  in  denjenigen  Fällen 
Ton  Peritonitis  tuberculosa,  welche  mit  be- 
trächtlicher Entwickelung  von  Hydrops 
Ascites  einhergehen.  Wahrscheinlich  werden 
hier  durch  die  neugebildeten  Pseudomem- 
branen die  Tuberkeln  eingeschlossen  und  un- 
wirksam gemacht.  In  denjenigen  Fällen,  in 
welchen  Adhäsionen  sich  bereits  spontan  ge- 
bildet haben,  ist  die  Laparotomie,  weil  über- 
flüssig,  contraindicirt. 

{The  Journal  of  ihe  Americau   Medical  Association 
8.  Juni  1889.)  H.  Lohnstein  {Berlin). 

1^1«  gegenwärtige  Radicaloperation  der  Unter- 
leibsbrüche. Von  Gchcimrath  von  Nuss- 
baum  in  München. 

Bevor  Verf.  seine  Methode  der  Radical- 
operation der  Unterleibsbrüche  auseinander- 
setzt, erörtert  er  die  Frage,  welches  Regime 
man  bei  jungen  Leuten  versuchen  soll,  um 
das  Verschwinden  der  Hernie  zu  bewirken. 
£s  ist  bekannt,  dass  ungefähr  5  ^/o  aller 
Kinder  einen  Bruch,  dass  aber  die  Mehrzahl 
dieser  Brüche  von  selbst  verschwindet  bis 
zum  12.  Jahr,  sodass  dann  nur  noch  etwa 
1  °/o  der  Kinder  einen  Bruch  haben.  Ausser- 
dem gelingt  es  sehr  häufig,  durch  ein  passen- 
des Regime  bei  Leuten  vor  dem  20.  Lebens- 
jahre, so  lange  der  Korper  eben  noch  im 
Wachsen  ist,  dieses  Verschwinden  des 
Bruches  zu  befordern.  Zunächst  muss  eine 
Diät  gewählt  werden,  welche  wenig  Koth 
macht,  also  wesentlich  Fleischkost  mit  wenig 
Brod,  Gemüsen  und  Mehlspeisen,  bei  Nei- 
gung zu  Verstopfung  ist  jeden  Abend  ein 
Abführmittel,  bei  deutlicher  Neigung  zur 
Fettleibigkeit  Morgens  und  Abends  je  ein 
Esslöffel  einer  5°/o  wässerigen  Jodkalilosung 
zu  gebrauchen;  Pressen,  Drängen,  Schreien, 
Singen,  lautes  Sprechen  ist  zu  vermeiden. 
Jeden  Morgen  und  Abend  muss  die  Bruch- 
gegend mit  frischem  Brunnen-  oder  Blei- 
wasser gewaschen  werden;  ist  die  Haut  der 
Bauchgegend  recht  reizlos  und  schlaff,  so  ist 


es  vortheilhaft,  dieser  Waschung  noch  eine 
Einreibung  mit  einem  Löffel  einer  Am- 
moniakmischung (Liq.  Ammon.  caust.,  Ol. 
Rosmar.  Spirit.  camphorat.  ana)  folgen  zu 
lassen.  Ferner  sind  gymnastische  Uebungen 
zu  machen,  duplicirte  Bewegungen,  die  durch 
Kräftigung  der  Muskelansätze  die  dreieckigen 
Lücken  verkleinem,  wo  die  Brüche  hindurch- 
gehen. Bei  einem  linksseitigen  Leistenbruch 
z.  B.  hänge  man  an  das  linke  Tibiatarsal- 
gelenk  ein  Gewicht  von  5  — 10  Kilo  und 
lasse  den  Patienten  auf  dem  rechten  Fusse 
allein  stehen,  die  Arme  in  die  Hüften  ein- 
spreizen  und  mit  dem  belasteten  Fusse  nach 
innen  und  aussen,  nach  vom  und  hinten 
und  kreisförmige  Bewegungen  machen.  Es 
gelingt  auf  diese  Weise,  bei  jungen  Leuten 
Brüche  vollständig  zu  heilen  und  das  Bruch- 
band entbehrlich  zu  machen. 

Die  Radicaloperation  ist  dann  zu  machen, 
wenn  der  Bruchinhalt  theilweise  verwachsen 
ist,  sodass  ein  Stück  des  Darmes  oder 
Netzes  nicht  ganz  reponibel  ist  und  ein 
Bruchband  garnicht  oder  nur  mit  Schmerzen 
ertragen  werden  kann.  Ferner  soll  die 
Radicaloperation  jeder  Herniotomie  beigefügt 
werden,  da  die  Gefahren  der  Herniotomie 
dadurch  nicht  wesentlich  vermehrt,  die 
Resultate  aber  sehr  verbessert  werden. 

Die  Operation  v.  N's  charakterisirt  sich 
wesentlich  dadurch,  dass  er  den  Bmchsack- 
hals  mit  sogenannten  Hinterstichen  vernäht 
und  ihn  1  —  iVa  c^J^  unterhalb  der  Nähte 
amputirt  und  ganz  entfernt;  alsdann  wird 
der  Bruchsackstumpf  in  den  Bruchkanal 
hineingestopft,  sodass  das  parietale  Blatt 
des  Peritoneum  an  der  Stelle,  wo  es  früher 
concav  vorlag,  convex  in  die  Bauchhöhle 
hineinragt.  Jetzt  wird  eine  Drainage  ein- 
gelegt, eine  tiefgehende  Matratzennaht  und 
eine  oberflächliche  Kürschnernaht  mit  Chrom- 
säurecatgut  angelegt  und  darüber  kommt 
dann  der  antiseptische  Verband.  Bei  gün- 
stiger Gestaltung  der  Leistenpfeiler  wird 
auch  die  Anfrischung  und  Naht  derselben 
hinzugefügt,  doch  legt  v.  N.  darauf  kein 
besonderes  Gewicht. 

Ebendieselbe  Methode  wird'  auch  ange- 
wandt, wenn  die  Radicaloperation  der  Her- 
niotomie zu  folgen  hat,  abgesehen  allein 
von  dem  Falle,  wo  ein  Stück  des  Darmes 
bereits  nekrotisch  geworden  ist.  In  diesem 
Falle  resecirt  er  das  nekrotische  Darrastück, 
lässt  beide  Darmenden  mit  ihrem  Lumen 
durch  die  erweiterte  Bruchpforte  heraus- 
stehen und  heftet  ihr  Gekröse  mit  Cat- 
gut  an. 

Ist  ein  Theil  der  Hernie  verwachsen,  so 
ist  es  nöthig,  an  den  Eingeweiden  kleine 
Stückchen    jener   Gewebe   stehen   zu   lassen, 

60* 


476 


R«fente. 


rlierapeatlMihe 
Monatshefte. 


mit  denen  sie  verwachsen  sind;  lost  man 
die  Eingeweide  dagegen  Yollständig  los,  so 
kommt  meist  eine  perforative  Peritonitis  zu 
Stande. 

Trotz  dieser  rationellen  Operationsme- 
thode  recidiyiren  nach  mehreren  Jahren  doch 
ein  Fünftel  bis  ein  Viertel  der  operirten 
Hernien,  und  an  der  zugenähten  Stelle  ent- 
steht ein  neuer  Bruchsack.  Dagegen  entstehen 
nach  der  Schwalb  ersehen  Methode,  Brüche 
durch  Injection  20 — 80%  Alkohol  zu  heilen, 
weit  weniger  Kecidive.  Nun  ist  aber  diese 
Methode  nicht  sehr  leicht  auszuführen  und 
andrerseits  auch  durchaus  nicht  ungefährlich. 
Y.  N.,  der  eine  Zeit  lang  so  verfahren  ist, 
dass  er  ca.  3  Wochen,  nachdem  seine  Ra- 
dlcaloperation  geheilt  war,  mit  Schwalbe^s 
Methode  feste  Narben  erzeugte,  verfährt 
jetzt  so,  dass  er  diese  feste  Narbe  oder 
Schwiele  durch  den  Thermocauter  hervor- 
ruft. Nach  der  Heilung  der  Radicaloperation 
wird  die  Naht  des  Bruchsackhalses  noch 
einmal  biosgelegt  und  hart  um  denselben 
mit  dem  glühenden  Thermocauter  eine  feste 
Brandnarbe  erzeugt. 

(Berliner  Klinik  1889,  Heft  12.) 

Schtney  (Beuthen  O.S.) 

Ein  Beitrag  zur  Chirurgie  des  Mastdarmvorfalles. 
YoD  Regimentsarzt  Dr.  J.  Habart. 

Verf.  beschreibt  einen  Fall  von  Mast- 
darmvorfall, der  nach  Beseitigung  eines 
Mastdarmkrebses  entstanden  war  und  von 
Dr.  Hochenegg  (Albert'sche  Klinik  in 
Wien)  durch  Resection  und  Verlagerung 
der  Analöffnung  nach  oben,  also  durch 
Anlegung  eines  Anus  praternat.  sacral.  mit 
gleichzeitiger  Verschiebung  des  Darm- 
rohres behufs  Bildung  einer  grösseren  Pe- 
rinealbrücke  operirt  worden  ist.  Zu  diesem 
Zwecke  musste  das  Steissbein  mit  resecirt 
werden. 

{Wien.  kün.  Woehenschr,  1889,  No,  16.) 

Freyer  {Stettin). 


Ueber  das  Verhalten  von  Neurosen  nach  gynä- 
kologischen Operationen.  Von  Dr.  Rudolf 
G  n  a  u  c  k « (Pankow). 

Unsere  Kenntnisse  von  den  Beziehungen 
der  Nervenkrankheiten  zu  den  Geschlechts- 
krankheiten sind  noch  sehr  unsicher  und  die 
Erfahrung  muss  das  Meiste  lehren.  Gynäko- 
logisch bezeichnet  man  häufig  ein  Leiden 
als  Geschlechtserkrankung  mit  Lendenmark- 
symptomen,  das  neuropathologisch  wiederum 
als  Neurose  mit  Geschlechtskrankheit  be- 
zeichnet wird.  Bezüglich  der  Häufigkeit  der 
Erkrankungen  des  Geschlechtsapparates  bei 
Neurosen  hat  G.  beobachtet,  dass  ungefähr 
ein    Drittel    derselben    derartige    Störungen 


zeigt.  Bestimmte  Indicationen  hinsichtlich 
der  Form  der  Neurose  wären  sehr  ervninscht, 
doch  ist  es  nicht  möglich,  diese  zu  geben. 
Man  kann  nicht  bestimmte  Neurosen  be- 
zeichnen, die  sich  für  die  Behandlung  der 
vorhandenen  Erkrankung  des  Geschlechts- 
apparates besonders  eignen  oder  besonders 
nicht  eignen.  Legt  man  sich  die  Verhält- 
nisse vom  Standpunkte  des  Neuropatho- 
logen  zurecht,  so  kann  man  dreierlei  unter- 
scheiden : 

1.  Man  schreitet  zu  einer  gynäkologischen 
Behandlung  der  Operation  in  der  Aus- 
sicht, eine  Neurose  oder  eine  Gruppe 
von  nervösen  Symptomen  oder  ein  ein- 
ziges solches  zu  heilen. 

2.  Man  thut  dies  trotz  der  vorhandenen 
Neurose,  da  eine  unabweisbare  Indi- 
cation  vorliegt. 

3.  Man  thut  dies,  da  bei  einer  Neurose 
eine  Erkrankung  des  Geschlechtsappa- 
rates  vorliegt,  deren  Beseitigung  mög- 
licherweise fördernd  auf  die  Heilung 
der  Neurose  wirken,  resp.  deren  Be- 
stehenbleiben die  Heilung  erschweren 
könnte. 

Was  die  erste  Gruppe  anlangt,  so  ist  es 
häufig  gelungen,  durch  gynäkologische  Ein- 
griffe Heilung  herbeizuführen,  wenn  ein  ein- 
zelnes nervöses  Symptom  oder  eine  Gruppe 
solcher  vorhanden  war.  Die  Heilung  einer 
wirklichen  allgemeinen  Neurose  wird  dadurch 
kaum  gelingen;  gewöhnlich  handelt  es  sich 
auch  dann  nur  um  das  Verschwinden  eines 
hervorragenden  Symptoms  oder  mehrerer 
solcher.  —  Wohl  werden  Heilungen  allge- 
meiner Neurosen  nach  gynäkologischen  Ein- 
griffen angegeben,  allein  dieselben  waren 
meist  nur  scheinbare.  Es  handelte  sich  um 
hysterische  Erkrankungen,  und  bei  diesen 
erlebt  man  ja  das  Sonderbarste! 

Bei  dem  zweiten  Punkte  handelt  es  sich 
um  gynäkologische  Eingriffe  einer  unabweis- 
baren Indication  zufolge.  —  Derartige  Fälle 
werden  immer  Schwierigkeiten  bieten,  da 
eine  Verschlechterung  des  ganzen  Zustandes 
bisweilen  kaum  zu  vermeiden  ist.  Vorwie- 
gend werden  es  Blutungen,  Geschwülste, 
unerträgliche  Hysteralgien  etc.  sein, 
welche  ein  Eingreifen  nöthig  machen.  G. 
citirt  zwei  derartige  Fälle  eigener  Beobach- 
tung. In  Fällen  dieser  eben  erwähnten 
Kategorie  wird  der  gynäkologische  Eingriff 
nicht  zu  umgehen  sein.  Es  handelt  sich 
darum,  den  richtigen  Zeitpunkt  für  beide 
Erkrankungen  zu  wählen  und  eine  geeignete 
Weiterbehandlung  für  die  nervöse  Erkran- 
kung nicht  zu  unterlassen.  —  Drittens  kann 
man  sich  endlich  zu  einem  Eingriff  ent- 
schliessen,    weil    eine  Erkrankung    vorliegt, 


HL  Jahrgftng.  1 
October  1888.  J 


Refermte. 


477 


deren  Beseitigung  vielleicht  fordernd  auf  die 
Heilung  der  Neurose  wirken,  deren  Be- 
stehenbleiben die  Heilung  beeinträchtigen 
könnte. 

Nervenkranke  Frauen  gehen  häufig,  auch 
wenn  keine  grossen  Unterleibsbeschwerden 
vorliegen,  zuerst  zum  Gynäkologen.  Man 
muss  sich  hüten,  ihren  hypochondrischen 
Klagen  und  ihrem  Verlangen  nach  opera- 
tiven Eingriffen  zu  sehr  nachzugeben.  Häufig 
schiebt  man  dadurch  eine  krankhafte  Sen- 
sation in  den  Hintergrund,  um  einer  andern, 
neuen  Platz  zu  machen.  6.  kennt  eine  An- 
zahl schwerer  hypochondrischer  Kranken, 
die  theils  von  einem,  theils  von  mehreren 
Gynäkologen  behandelt  wurden  und  gerade 
auf  diese  Behandlung  eine  Verschlechterung 
ihres  Befindens  zurückführten. 

Bei  manchen  Kranken  erklärte  sich  der 
Misserfolg  der  Behandlung  auch  dadurch, 
dass  die  zu  Grunde  liegende  Affection,  die 
beginnende  Dementia  paralytica,  nicht  erkannt 
worden  war. 

Zuweilen  werden  unbedeutende  .Dinge, 
wie  geringe  Erosionen  am  Muttermund,  ge- 
ringer Cervixkatarrh  und  Aehnliches  bei 
Neurosen  lange  behandelt,  nur  ut  aliquid 
fiat  um  eine  psychische  Wirkung  hervor- 
zubringen. Dieses  Verfahren  hält  G.  nicht 
nur  für  unrichtig,  sondern  auch  für  bedenk- 
lich. Abgesehen  davon,  dass  man  auf  andere 
Weise  auf  die  Kranken  psychisch  einzu- 
wirken vermag,  kann  man  auch  directe  Ver- 
schlimmerungen hervorrufen. 

Genügt  eine  einfache,  nicht  zu  eingrei- 
fende gynäkologische  Behandlung,  so  vermag 
eine  solche  die  Behandlung  der  Neurose 
entschieden  zu  unterstützen.  Am  besten 
scheint  sie  begonnen  zu  werden,  wenn  die 
Neurose  anfängt,  sich  zu  bessern. 

Aus  Verfassers  interessanten  Beobach- 
tungen geht  zur  Evidenz  hervor,  eine  wie 
wichtige  Vorbedingung  das  Vorhandensein 
eines  gesunden,  unbeschädigten  Nervensystems 
ist,  um  ohne  Nachtheil  eine  eingreifende  und 
länger  dauernde  Behandlung  nervenreicher 
Organe  einleiten  zu  können. 

{S^.'Abdr.  aus  der  Disch.  med»  Wochentchr,  1888 ^ 
No,  36.)  R. 

Ueber  die  Unterbindung  der  Uterusgeßlsse.  Von 
Privat-Docont  Dr.  A.  von  Gubaroff  in 
Moskau. 

Verf.  beschreibt  die  von  ihm  an  der 
Leiche  und  von  Prof.  Sneguireff  mit  gutem 
Erfolg  auch  am  Lebenden  geübte  extraperi- 
toneale Unterbindung  der  den  Uterus  ernäh- 
renden Gefässe:  der  A.  uterina,  A.  utero- 
ovarica  und  A.  ligam.  rotundi.  Als  Haut- 
schnitt   wird    der  für  die  Unterbindung  der 


A.  iliac.  comm.  und  int.  von  Pirogoff  em- 
pfohlene benutzt.  Indication  für  die  Unter- 
bindung sollen  geben:  „1.  unoperirbare 
Carcinome  des  Uterus,  welche  von  grossen 
Blutungen  begleitet  sind,  2.  intraligamen- 
töse  Geschwülste  und  subseröse  Myome ;  die 
Operation  geht  der  intraperitonealen  Opera- 
tion voran,  3.  Blutungen  aus  der  Gebärmut- 
ter, welche  kein  anatomisches  Substrat 
nachweisen  lassen,  bei  denen  aber  alle  be- 
kannten Mittel  vergebens  angewendet  worden 
sind." 

{CentralbL  /.  Ckir.  1889,  No.  22.) 

Freytr  (SUtHn). 

Ueber  den  Werth  subcutaner  Kochsalzinfusionen 
zur    Behandlung    schwerer    Anflmie.      Von 

Münchmeyer  (Dresden). 

Verfasser  berichtet  über  8  Fälle  subcu- 
taner Kochsalzinfusion  nach  starken  Blut- 
verlusten, sieben  Mal  bei  der  Entbindung, 
ein  Mal  bei  einer  Myomotomie,  in  denen  die 
Anämie  stets  erfolgreich  bekämpft  wurde. 
Die  Methode  ist  einfach  und  von  jedem 
Praktiker  bei  drohender  Gefahr  auszuführen: 
Mit  einer  grossen  durchbohrten  Nadel  wer- 
den, nachdem  die  gebräuchlichen  Analeptica 
gegeben  sind,  am  besten  in  der  Rückenhaut 
zwischen  den  Schulterblättern  oder  in  der 
Nähe  der  Achselhöhle  an  einem  Punkt  oder 
in  Zwischenräumen  500 — 1000  g  einer  auf 
37^  erwärmten  0,6%igen  Kochsalzlösung 
unter  die  Haut  gebracht  und  durch  Massage 
vertheilt.  Die  Nadel  ist  vorher  durch  Er- 
hitzen über  einer  Spiritusflamme  sterilisirt 
worden.  In  sie  mündet  ein  Schlauch,  der 
von  einem  Trichter  oder  Irrigator  ausgeht, 
und  durch  den  zunächst  eine  reichliche  Menge, 
^^igei^  Garbollösung  läuft,  deren  Rest  wie- 
derum durch  den  Anfang  der  Kochsalzlösung 
weggespült  wird.  Während  letztere  durch- 
läuft, geschieht  der  Einstich  zur  Vermeidung 
von  Lufteintritt.  Diese  subcutane  Infusion 
ist  gegenüber  der  intravenösen  durchaus  ge- 
fahrlos zu  nennen,  sie  entbehrt  der  Umständ- 
lichkeit und  des  grossen  Apparates,  wie  ihn 
Ziemssen  für  subcutane  Blutinjectionen  ver- 
langt, und  ist  diesen  gegenüber  schmerzlos. 
Verfasser  hofft  auf  Nachbeobachtungen  und 
deren  Veröffentlichung  behufs  Bestätigung  der 
günstigen  Wirkung. 

{Archiv/.  Gynaee.  34.  HI.) 

Landsberg  {Steltin). 

Zur  Behandlung  der  Uterusatonie.   Von  Ammon 
(Forchheim). 

Verfasser  hatte  bei  einer  atonischen  Blu- 
tung nach  adhärenter  Placenta  selbst  mit 
Einführung  der  Faust  in  den  Uterus,  Druck 
gegen  die  Symphyse,   heissen  Ausspülungen 


478 


Refoimtc. 


rTherapeatbaka 
L  Monfttahefte. 


und  schliesslich  TampoDadc  mit  2^/oiger 
Creolinwasser- Watte  keinen  Erfolg.  Erst 
nach  einer  Einspritzung  von  Ergotin  (2:20) 
sah  er  anhaltende  Contraction  des  Uterus. 
Er  empfiehlt  dies  daher  mit  dem  Bemerken, 
stets  sofort  eine  frische  Lösung  zu  verordnen, 
während  deren  Herbeischaffung  man  die  übri- 
gen Mittel  versuche,  da  es  nachher  meist  zu 
spat  werde. 

{Internal  kltn.  Rundschau.  1889,  No.  17.) 

Landsberg  (Stettin). 

Sechs  Fälle  von  erfolgreicher  Tamponade  des 
puerperalen  Uterus  bei  atonischen  Blutungen. 
Von  Born  (Breslau). 

Nachdem  schon  früher  nach  Curette- 
ments  besonders  bei  Aborten  die  Jodoform- 
gazetamponade in  der  Breslauer  Klinik  an- 
gewandt worden  war,  wobei  zugleich  der 
Zweck  erreicht  wurde,  dass  beim  Heraus- 
ziehen des  Gazestreifens  losgelöste  Beste 
noch  mit  hinausbefördert  wurden,  wandte 
man  dieses  Yerfahren  in  neuerer  Zeit  dort 
auch  bei  atonischen  Blutungen  post  partum 
an,  und  Born  berichtet  über  6  derartige 
Fälle  mit  glücklichem  Ausgange.  5  davon 
waren  mit  mehr  oder  weniger  starken  Cer- 
vixrissen  verbunden,  deren  Blutung  vor  der 
Tamponade  mittelst  Naht  beseitigt  worden 
war,  so  dass  die  Einwirkung  nur  auf  die 
Atonie  geschah ;  zwei  Male  handelte  es  sich 
um  Placenta  praevia,  bei  denen  ebenso  wie 
in  zwei  anderen  Fällen  die  Wendung  vor- 
genommen wurde,  in  den  beiden  letzten 
Fällen  war  der  Forceps  angelegt  worden. 
Jedes  Mal  hatten  andere  Versuche  der  Blut- 
stillung durch  Compression,  Massage,  kalte 
Ausspülungen,  Ergotininjection  etc.  im  Stiche 
gelassen.  Born  folgert  daraus,  dass  nur  in 
der  üterustamponade  eine  sicher  wirksame 
Methode  zur  Bewältigung  der  Gefahr  der 
Atonie  liege.  Er  giebt  dann  noch  ein  ein- 
faches Instrument  an,  mit  dem  die  Gaze  ein- 
geführt wird  (nach  Dr.  Weinhold):  ein  2  mm 
dicker  Draht  ist  an  einem  (peripherischen) 
Ende  zur  Handhabe  umgebogen,  am  andern 
quer  eingekerbt.  Mittelst  dieser  Einkerbung 
wird  der  Gazestreifen  beim  Einschieben  fest- 
gehalten; beim  Herausziehen  folgt  der  ein- 
geschobene Theil  nicht,  wie  sonst  bei  Zangen, 
Pincetten  etc. 

{Centralhlf.  Oynaec  1889.  No.  25.) 

Landtberg  (Stettin). 

Vier  Fälle  von  erfolgreicher  Uterustamponade  bei 
Atonie.     Von  Eckeriein  (Königsberg). 

Verfasser  hofiPt  auch  durch  die  grössere 
Menge  von  casuistischen  Belegen  für  die 
Güte  der  Dührssen^schen  Tamponade  zur 
Weiterverbreitung  derselben  beizutragen.  Drei 


Male  hat  er  selbst,  ein  Mal  ein  anderer 
Königsberger  Arzt,  dieselbe  mit  Erfolg  an- 
gewandt und  zwar  handelte  es  sich  um  einen 
Forceps  wegen  Wehenschwäche,  die  in  die 
Nachgeburtsperiode  hineindauerte,  um  eine 
profuse  Blutung  am  13.  Tage  des  Wochen- 
betts aus  unbekannter  Ursache,  um  eine 
Wendung  und  eine  spontane  Beckenendlagen- 
Geburt.  Das  erste  Mal  tamponirte  er  ohne 
jedes  Instrument,  indem  er  mit  2  Fingern 
der  linken  Hand  Jodoformgaze  aus  3  *^/oigem 
Garbolwasser  in  den  Uterus  stopfte,  auch  in 
den  beiden  nächsten  Fällen  wurde  lege  artis 
mittelst  Jodoformgaze  aus  Carbol  tamponirt, 
im  letzten  bei  Fehlen  der  Gaze  und  höchster 
Gefahr  mit  einer  reinen  Windel,  die  in  5  ^jo^ge 
Carb Öllösung  getaucht  und  dann  ausgedrückt 
worden  war.  Der  Erfolg  war  jedes  Mal  ein 
prompter,  während  Versuche,  auf  andere  Weise 
der  Blutung  Herr  zu  werden  (Massage,  heisse 
Ausspülungen,  Ergotin),  misslungen  waren. 
{Cmtralblf,  Gynaec.  1889.  No.  26.) 

Landsberg  (Stettin). 

Heisse  Ausspülungen   von   40^  R.   VNTaaser   post 
partum.    Von  Deipser  (Meiningen). 

Verfasser  will  dem  Arzt  die  Möglichkeit 
geben,  stets  ein  gutes  Wochenbett  vorher- 
sagen zu  können  und  glaubt,  dass  dies  er- 
reicht werden  dürfte,  wenn  nach  jeder  Ent- 
bindung bald  nach  der  Entfernung  der  Nach- 
geburt und  sodann  6  Tage  lang  täglich  einmal 
eine  Ausspülung  von  1  Liter  40°  R.  heissen 
Wassers  bei  untergeschobenem  Stechbecken 
und  abschüssiger  Lage  des  Oberkörpers  vor- 
genommen wird.  Das  40°  heisse  Wasser  ist 
für  etwaige  Bakterien  der  Scheide  todtbrin- 
gend;  ohne  die  Gefahren  von  Desinficientien 
zu  bieten,  bringt  es  noch  den  Vortheil  der 
Anreizung  zu  Contractionen  (die  allerdings  zu 
heftig  werdend,  Schmerzen  bereiten  können  und 
dann  mit  Antipyrin  0,25  g  1  bis  2  Male  bekämpft 
werden  müssen);  endlich  können  die  Aus- 
spülungen von  den  Hebammen  ohne  Schaden 
ausgeführt  werden,  zumal  die  Flüssigkeit 
auch  Schädlichkeiten  im  Irrigator  vernichtet 
Zum  Schutz  der  äusseren  Weichtheile  gegen 
die  Hitze  empfiehlt  sich  Bestreichen  der- 
selben mit  Vaseline  und  Unterbrechen  des 
Strahls.  Deipser  hat  die  Methode  oft  an- 
gewandt, ohne  Enttäuschungen  erfahren  zu 
haben  (vielleicht  hätte  er  auch  ohne  sie  kein 
Puerperalfieber  erlebt.    D.  Ref.). 

(Centralblf.  Gynaee.  1889.  No.  22.) 

Landsberg  (Stettin). 

Die  Anwendung  des  faradischen  Stromes  in  der 
Q3mäcologie.    Von  Dr.  A.  P.  Glarke. 

Der  faradische  Strom  hat  vor  dem  con- 
stanten,    wie    ihn    vorzugsweise    AposJtoli 


lH.Jabrg&nf.'l 
October  iM)).  J 


Rttfermto. 


479 


und  seine  Anhänger  anzuwenden  pflegen, 
mancherlei  Vorzüge.  Seine  Wirkung  er- 
streckt sich  vorzugsweise  auf  die  oberfläch- 
lichen Blutgefässe,  die  in  kräftigster  Weise 
contrahirt  werden.  Hierdurch  kommt  es 
weiterhin  zu  einer  Erhöhung  des  Stoffwech- 
sels dieser  Organe  und  zu  ausgiebigerer 
Resorption  der  entzündlichen  Stoffwechsel- 
producte.  Dabei  beobachtet  man  niemals, 
wie  gelegentlich  wohl  nach  Application  des 
Constanten  Stromes,  üble  Zufälle,  Blutun- 
gen etc.  —  Im  Allgemeinen  ist  die  Wirkung 
des  faradischen  Stromes  beruhigend,  so  dass 
die  Patienten  schon  nach  wenigen  Sitzungen 
eine  wesentliche  Besserung  ihrer  Beschwer- 
den empfinden.  —  In  einem  der  so  behan- 
delten Fälle,  in  welchem  Symptome  einer 
ausgesprochenen  Oophoritis  mit  extremer 
Empfindlichkeit  etc.  bestanden ,  genügten 
mehrere  Sitzungen  von  je  5 — 10  Minuten 
Dauer,  um  nach  2 — 3  Monaten  bereits  eine 
wesentliche  Besserung  der  Beschwerden  her- 
beizuführen. —  Die  Sitzungen  erfolgten  in 
diesem  Falle  in  3 — 4tägigen  Intervallen. 
In  ähnlicher  Weise  konnte  man  in  12  an- 
dern Fällen  von  Metritis,  Salpingitis  etc. 
nach  kurzer  Zeit  eine  wesentliche  Besserung 
beobachten. 

{The   Journal  oj   the   American  Mtdical  Association 
IL  Mai  1889.)  LohnsUin, 

Ueber  operative  Versuche  zur  radicalen  Behandr 
lung  der  typischen  Prostatahypertrophie. 
Von  Prof.  H.  Helferich.  (Aus  der  chirurg. 
Klinik  zu  Greifswald.) 

Neben  parenchymatösen  Injectioncn  (Lu- 
gorsche  Lösung)  in  das  Gewebe  der  Pro- 
stata und  galvanokaustischen  Eingriffen  hat 
man  auch  gelegentlich  anderer  Operationen 
an  der  Blase  theils  unfreiwillig,  theils  ab- 
sichtlich Theile  der  hypertrophischen  Pro- 
stata," bes.  des  mittleren  Lappens  derselben 
resecirt,  um  die  Drüse  zum  Schrumpfen  zu 
bringen  und  die  Beschwerden  zu  beseitigen. 
Nur  in  seltenen  Fällen  ist  man  der  Pro- 
statahypertrophie allein  ihrer  Beschwerden 
wegen  direct  operativ  entgegengetreten. 
Einen  solchen  Fall  beschreibt  Verf.,  der  in 
der  Weise  vorging,  dass  er  nach  voran- 
gegangener Sectio  alta  den  vorspringenden 
Theil  der  Prostata  vermittelst  einer 
Cowper'schen  Scheere  excidirte  und 
mit  dem  Fistelbrenner  möglichst  tief 
in  das  Gewebe  eindrang  und  dasselbe 
zerstörte.  Auf  diese  Cauterisation  sei  be- 
sonders Werth  zu  legen,  weil  von  derselben 
eine  ausgiebige  Schrumpfung  des  hypertro- 
phischen Gewebes  zu  erwarten  sei.  Andere 
Operateure  suchen  nicht  durch  die  Sectio 
alta,    sondern   mittelst    der  medianen    Ure- 


throtomie  zur  Prostata  zu  gelangen.  Dabei 
mag  sich  die  Dehnung  der  Pars  prosta- 
tica  zur  Besserung  der  Beschwerden  vor- 
theilhaft  erweisen  und  sei  dieselbe  ev.  mit 
dem  Operations  verfahren  des  Verf.*8  zu 
combiuiren.  Jedenfalls  sei  aber  der  opera- 
tive Eingriff  erst  in  Betracht  zu  ziehen, 
wenn  die  milde  und  palliative  Behand- 
lung mit  elastischen  Mercier^schen 
Kathetern  oder  die  Massage  der  Pro- 
stata vom  Rectum  aus  nicht  mehr  aus- 
reiche. 

{Münch.  Med,  Wockenschr,  1889,  No.  7.) 

Preyer  (Steitin). 

Zur  Therapie  der  Prostatahypertrophie  und  der 
chronischen  Cystitis.  Von  Dr.  Feh  leisen 
(Berlin). 

Verf.  wendet  sich  zunächst  gegen  die 
Versuche ,  die  hypertrophische  Prostata 
durch  innere  Mittel  oder  parenchymatöse 
Injectionen  zu  verkleinern.  Auch  Operatio- 
nen am  „mittleren"  Lappen  der  Drüse  haben 
wohl  nur  durch  die  nachfolgende  Drainage 
und  damit  Ruhigstellung  der  Blase  günsti- 
gen Einfluss  auf  die  durch  die  Cystitis  und 
mangelnde  Contractionsfähigkeit  des  Organs 
bewirkten  Beschwerden.  Die  Operationen 
an  der  Prostata  werden,  da  meist  die  Blase, 
und  zwar  nicht  nur  secundär  durch  Ueber- 
anstrengung  mit  erkrankt  ist,  glänzende 
Erfolge  nicht  haben.  Die  Störung  in  der 
Urinentleerung,  die  zum  Theil  durch  primäre 
Erkrankung  der  Blasenmusculatur  bedingt 
ist,  kann  man  durch  regelmässige  Kathete- 
risirung  und  Ausspülung  der  Blase  mit  Ad- 
stringentien  (Arg.  nitr.  in  grösseren  Pausen) 
am  besten  bekämpfen;  bei  „Atonie"  der 
Blase  Einspritzung  von  50  com  einer  ca. 
Iproc.  Höllensteinlösung.  Macht  das  Ea- 
theterisiren  durch  Neigung  zu  Blutungen 
Schwierigkeiten,  oder  ist  anhaltender  Reiz- 
zustand der  Blase  (irritable  bladder)  vor- 
handen, so  ist  es  am  besten,  „die  Prostata 
gewissermassen  auszuschalten^  durch  Aus- 
führung des  hohen  Blasenstichs  und  Einfuh- 
rung einer  Verweilcanüle  resp.  durch  Anle- 
gung einer  Blasenfistel.  Die  Operation  ist 
einfach,  schmerz-  und  gefahrlos;  der  Urin- 
drang hört  auf,  die  Cystitis  bessert  sich, 
da  man  die  Schleimhaut  local  behandeln 
kann;  die  Prostata  wird  durch  Katheter 
und  durchgepressten  Urin  nicht  mehr  gereizt 
und  kann  sogar  etwajB  abschwellen.  Yerf. 
hat  drei  Male  bei  Kranken  mit  Prostatahyper- 
trophie eine  Harnfistel  angelegt.  Von  zwei 
Fällen,  in  denen  das  Ergebniss  anscheinend 
ein  gutes  war,  fehlen  weitere  Nachrichten. 
Der  dritte  Patient  befindet  sich  seit  2'/, 
Jahren  wohl.     Er    trägt  in    der  Fistel   eine 


480 


Rairnnfm. 


rrherapentiidM 


etwas  gebogene,  10  cm  lange,  silberne  Ca- 
nüle,  die  vorn  mit  einem  Plattchen,  um 
nicht  hineinzurutschen,  und  einen  Knopf 
zum  Befestigen  eines  Gummischlaucbes,  der 
den  Penis  beim  Uriniren  ersetzt,  yerseben 
ist.  Das  Herausfallen  der  Canüle  verhindert 
eine  durchbohrte,  mit  Leib-  und  Schenkel- 
riemen befestigte,  Pelotte,  an  welcher  ein 
Quetschhahn  den  Schlauch  und  so  auch  die 
Canüle  yerschliesst.  Der  Apparat  wird  per- 
manent getragen,  die  Blase  mit  Trichter 
täglich  ausgespült,  die  Canüle  einmal 
wöchentlich  gewechselt.  F.  zieht  die  Me- 
tallcanüle  dem  sonst  gebräuchlichen  Gummi- 
katheter vor.  Der  Pat.  kann  den  Urin 
sechs  Stunden  lang  halten,  und  ihn  dann 
durch  Druck  auf  den  Quetschhahn  im  Pissoir 
etc.  ohne  Weiteres  entleeren,  was  bei  E[ran- 
ken,  die  sich  katheterisiren  müssen,  nicht 
so  bequem  von  statten  geht,  weil  hierzu 
nicht  jedes  Local  passend  ist.  Bereits  zur 
Zeit  der  Operation  hatte  der  Kranke  Er- 
scheinungen von  Pyelitis;  da  trotz  dieser 
durch  die  Fistula  vesicae  suprapubica  seine 
Beschwerden  so  sehr  gemildert  sind,  ist  die 
Operation  für  analoge  sicher  empfehlens- 
werth. 

{BtrL  kUn.  Wochensekr,  1889,  No.  33.) 

George  Meyer  {BerUn). 

Eine  neue   Operation    zur    Heilung    der  Incon- 
tinentia urinae.    Von  R.  Gersunj  in  Wien. 

Verf.  war  in  der  Lage,  bei  einem  Mäd- 
chen, welches  in  Folge  bestehender  Epispadie 
von  Geburt  an  an  permanentem  Hamträufeln 
litt  und  bei  welchem  die  Pawlik' sehe  Ope- 
ration: Excision  keilförmiger  Stücke  aus 
der  nächsten  Umgebung  der  Harnrohrenmün- 
dung, keinen  genügenden  Erfolg  hatte,  auf 
ein  neues  Verfahren  zu  sinnen  und  kam  auf 
den  Gedanken,  die  Harnrohre  zum  Zwecke 
ihres  Verschlusses  um  ihre  Längsaxe  zu 
drehen.  Er  präparirte  sie  aus  ihrer  Um- 
gebung heraus,  drehte  sie  um  180°  und  be- 
festigte sie  mit  Nähten.  Da  auch  hierbei 
der  Erfolg  noch  kein  genügender  war,  drehte 
er  die  Urethra  in  zwei  folgenden  Operationen 
um  weitere  90  und  180°,  so  dass  dieselbe 
im  Ganzen  also  um  450°  gedreht  war.  Nun- 
mehr war  der  Erfolg  ein  befriedigender  und 
andauernder. 

Verf.  hofft,  dass  die  Operation  für  Fälle 
geeignet  sein  wird,  in  welchen  der  Sphincter 
vesicae  fehlt  oder  unbrauchbar  geworden  ist, 
und  glaubt,  dass  sie  auch  beim  Manne  aus- 
zuführen sein  wird,  indem  man  die  Urethra 
hinter  dem  Bulbus  durchschneidet,  das  her- 
auspräparirte  centrale  Ende  torquirt  und 
wieder  einnäht.  Die  Torsion  wird  stets  so 
weit  zu  erfolgen  haben,    dass    die  torquirte 


Stelle  von  einem  dünnen  Katheter  nur  gerade 

noch  überwunden  wird. 

iCentralblaUf.  Chir.  1889,  No.  25.) 

Freyer  (Sietti»). 

Ueber  Hydrargyrum  salicylicum.    Von  Dr.  Hahn 

(Bonn). 

Verf.  berichtet  über  die  in  der  Klinik 
von  Prof.  Doutrelepont  bei  Behandlung 
der  Syphilis  mit  Quecksilbersalicylat  erziel- 
ten Erfolge.  Benutzt  wurde  das  Präparat 
zur  Injection  nach  der  Vorschrift  (Neisser): 
*V  Hydrarg.  salicyl.  1,5 
Paraffin,  liquid.   15,0. 

Das  im  Gefass  am  Boden  sich  sammelnde 
Salz  muss  vor  dem  Gebrauch  jedesmal 
durch  Schütteln  neu  emulgirt  werden.  Die 
Spritze,  2  ccm  fassend,  hat  eine  5  cm  lange 
Spitze,  wird  in  Glasdose  unter  Paraffin, 
liquid,  aufbewahrt,  mit  welchem  vor  und 
nach  der  Benutzung  stets  die  Canüle  durch- 
spritzt wird.  Es  wurde  zuerst  achttägig 
0,1  des  Präparates  tief  in  die  Glutaen  in- 
jicirt,  später  jedoch,  da  diese  Dose  zu  gross 
erschien,  alle  vier  Tage  0,06.  Klinisch 
wurden  29,  poliklinisch  9  Patienten  behan- 
delt und  folgende  Ergebnisse  festgestellt: 

1.  Man  erzielt  mit  Hydr.  salic.  gute 
Heilresultate  bei  allen  Formen  der  Syphilis; 
Frühformen  gehen  bereits  auf  ein  bis  zwei 
Injectionen  deutlich  zurück. 

2.  Die  Zahl  der  Injectionen  scheint  im 
Allgemeinen  die  bei  einer  Behandlung  mit 
Galomelöl  um    eins  bis  zwei  zu  übersteigen. 

3.  Dafür  hat  das  Hydr.  salic.  den  grossen 
Vorzug,  dass  es  sowohl  locale  Reizerschei- 
nungen als  auch  allgemeine  Intoxications- 
erscheinungen  so  gut  wie  gar  nicht  her- 
vorruft. 

4.  Es  empfiehlt  sich,  die  Injectionen 
alle  3  Tage  in  der  Stärke  von  0,05  zu 
machen,  da  man  dann  gegen  eine  Intoxica- 
tion  am  besten  gesichert  sein  dürfte. 

(Betreffs  des  Eintritts  und  der  Häufig- 
keit des  Recidive,  welche  nach  der  Behand- 
lung der  Syphilis  auch  mit  diesem  Präparat 
eintreten,  ist  noch  kein  endgiltiges  Urtheil 
festzustellen.) 

(Arch.  f.  Dermal,  u.  Syph,  1889,  3.  Heß.) 

George  Meyer  {Berlin). 

Ueber  Einspritzungen  von  CalomelOl  und  Oleom 
cinereum.  Von  Dr.  Hugo  Löwenthal 
(Berlin). 

Verf.  beschreibt  die  in  den  letzten  zwei 
Jahren  in  der  dritten  medicinischen  Klinik 
von  Prof.  Senator  mit  Einspritzungen  von 
Galomelöl  und  Oleum  cinereum  bei  Syphilis- 
kranken erhaltenen  Ergebnisse.  Die  Injec- 
tionen geschahen  unter  strenger  Antisepsis 
stets  in  die  Glutäen  und  zwar  mit 


m.  JftlirtAnr.1 
Oetober  1889.  J 


KttnlBlB» 


481 


uod 


Vf  Calomelan. 
Ol.  olivar. 


1,0 
10,0 


*V  Hydrarg.  metall.      20,0 
Aeth.  benzoic.  5,0 

Paraffin,  liquid.        40,0 
(60  Theile  Ol.  einer,  enthalten  20  Theile 
Hydrarg.). 

Mit  53  Einspritzungen  Ton  grauem  Oel 
wurden  10  Kranke  behandelt;  jedoch  wurde 
trotz  sonstiger  günstiger  Erfolge  das  Ver- 
fahren aufgegeben,  weil  schmerzhafte  Infil- 
trate und  Abscesse  an  den  Injectionsstellen 
entstanden.  Bei  20  Patienten  wurde  112  mal 
Calomelol  eingespritzt;  nur  einmal  wurde 
ein  Abscess,  öfters  Infiltrate  beobachtet. 
Die  Patienten  konnten  aber  stets  ihrem  Be- 
rufe nachgehen,  was  bei  der  anderen  Me- 
thode nicht  immer  der  Fall  war.  Waren 
die  Infiltrate  zu  schmerzhaft  oder  trat  Fieber 
ein  (welches  sogar  bis  40^  stieg),  so  wurden 
mehr  Injectionen  von  0,05  Calomel  statt 
der  grosseren  von  0,1  gemacht;  das  Fieber 
blieb  dann  bei  diesen  Personen  aus.  Die 
meisten  Patienten  boten  Spätformen  der 
Lues  dar  und  hatten  vorher  bereits  andere 
Curen  (Inunctionen  und  Sublimatein- 
spritzungen) durchgemacht.  Gerade  bei  die- 
sen war  der  Erfolg  in  Bezug  auf  die  Hei- 
lung recht  gunstig. 

iBtrl  KUn.  WochtMchr.    1889,    No,  32.) 

Georg*  Meyer  {Berlin). 

Die  Behandlung  der  Syphilis  mittelst  Injectionen 
von  Oleum  cinereum.  Von  Dr.  Mandry  (Köln). 

Auf  der  Abtheilung  des  Prof.  Leichten- 
stern  des  Kolner  Bürgerhospitals  wurden 
von  Anfang  Oetober  1888  bis  Anfang  April 
1889  bei  81  Frauen  (meist  puellis  publicis) 
und  26  Männern,  welche  an  Syphilis  litten. 
Versuche  mit  Einspritzungen  von  grauem 
Oel  gemacht.  Im  Ganzen  erhielten  die 
Männer  154,  die  Frauen  393,  also  ungefähr 
je  5  Injectionen.  Nur  bei  drei  Frauen  ent- 
wickelten sich  an  den  Einstichstellen  im 
Ganzen  fünf  Abscesse  (bei  einer  Frau  3, 
bei  den  beiden  anderen  je  einer),  welche 
jedoch  in  kurzer  Zeit  nach  spontanem  Auf- 
bruch wieder  verheilten;  sie  waren  in  der 
ersten  Zeit  der  Behandlung  entstanden,  unter 
den  letzten  400  Einspritzungen  wurde  keine 
Abscessbildung  mehr  beobachtet.  Stomatitis 
trat  drei  Mal  bei  den  Männern,  17  Mal  bei 
den  Frauen  auf  und  zwar  in  zwei  Fällen, 
wo  nur  1,2  Oleum  cinereum  angewendet 
war.  Bei  einer  Patientin  wurden  in  8  Wo- 
chen im  Ganzen  3,3  Ol.  einer,  in  sechstägigen 
Zwischenräumen  in  Einzeldosen  von  0,3  bezw. 
0,4  injicirt.  Hier  entstand  ulcerose  Stoma- 
titis, Nekrose  des  Unter-  und  Oberkiefers  mit 
Verlust  eines  Theils  der  Zähne.     Stomatitis 


trat  nicht  mehr  auf,  seit  pro  dost  nicht 
mehr  als  0,3  und  insgesammt  1,5  bis  2  g 
injicirt  wurden.  Bei  13  Patienten  stellte 
die  Mundentzündung  sich  erst  nach  Entlas- 
sung aus  dem  Hospital  ein,  wahrscheinlich 
weil  durch  die  bei  der  Bewegung  stärkere 
Muskelthätigkeit  das  in  den  Muskeln  abge- 
lagerte Quecksilber  schneller  resorbirt  wird 
als  bei  Korperruhe.  Der  Einfluss  der  Be- 
handlung auf  das  Allgemeinbefinden  war 
sehr  günstig  (Zunahme  des  Korpergewichts). 
Von  den  107  Patienten  wurden  geheilt  77, 
gebessert  11,  ungehcilt  3,  verlegt  3,  im  Be- 
stand blieben  13.  Die  durchschnittliche 
Behandlungsdauer  betrug  45  Tage.  In  der 
Schnelligkeit  der  Wirkung  schien  zwischen 
grauem  Oel  und  grauer  Salbe  ein  Unter- 
schied nicht  zu  bestehen. 

Zur  Verwendung  gelangte  das  graue  Oel 
nach  der  Angabe  von  Lang: 
IV  Hydrargi 

Lanolini  aa  3,0 

Adde 
Ol.  Oliv.  4,0. 

Alle  8  Tage  wurde  in  der  letzten  Zeit 
der  Versuche  in  die  Nates  eine  Dosis  von 
0,3  Ol.  einer,  injicirt,  nach  5  Einspritzungen 
eine  Pause  von  6  bis  8  Wochen  gemacht, 
und  wenn  nothig  wiederum  injicirt.  Die 
Einstichstelle,  an  der  fast  stets  Infiltration 
entsteht,  die  nach  1  bis  2  Wochen  wieder 
verschwindet,  wird  mit  Jodoformcollodium 
bestrichen.  Die  Injectionen  machten  nur 
geringe  Schmerzen.  Recidive  verhindert  das 
Ol.  einer,  ebensowenig  wie  die  anderen  An- 
tisyphilitica.  Verf.  fasst  die  Erfahrungen 
über  das  Ol.  einer,  in  der  Therapie  der 
Lues  so  zusammen: 

„Das  graue  Oel  ist  ein  Antisyphiliticum, 
das  in  der  Sicherheit  der  Wirkung  von  der 
grauen  Salbe  und,  wie  es  scheint,  von  Ca- 
lomel um  etwas  übertroffen  wird. 

Die  Methode  ist  gefahrlos,  so  lange  die 
Dosirung  in  den  angegebenen  Grenzen  bleibt, 
und  sobald  nur  die  Kranken,  auf  die  Ge- 
fahren einer  Mundentzündung  aufmerksam 
gemacht ,  eine  einigermassen  ordentliche 
Mundreinigung  vornehmen. 

Die  nahezu  absolute  Schmerzlosigkeit 
der  Einspritzungen  gestattet  eine  ambulante 
Behandlung  der  Kranken;  die  Anwendungs- 
weise —  alle  8  Tage  eine  Injection  —  ist 
die  denkbar  bequemste:  alles  Punkte,  die 
dem  practischen  Arzt  das  Mittel  mit  Recht 
empfehlenswerth  erscheinen  lassen.  In  der 
Hospitalbehandlung  aber,  wo  es  an  sach- 
verständiger Controle  nicht  fehlt,  steht  die 
Schmiercur  unseres  Dafürhaltens  noch  un- 
übertroffen da." 

{Deutsche  med.  Wockenechr.  1889,  No.  35.) 

George  Me/jitr  {BerVaC)» 

61 


482 


Referate. 


pIlierapentlaG^ 
L  Monatshefte. 


Experimentelle  Untersuchungen  über  die  Resorp- 
tion des  Quecksilbers  bei  den  subcutanen 
Calomelinjectionen.  Von  Dr.  Cheminade 
(Bordeaux). 

Der  Verf.  injicirte  einem  Kaninchen  in- 
nerhalb fünf  Tagen  vier  Mal  je  eine  halbe 
Spritze  folgender  Lösung 

flp  Galomel.  vapor.  pai*at. 
Natr.  chlorat.  aa     5,0 

Mucil.  gum.  arab.  2,0 

Aq.  destill.  50,0, 

todtete  das  Thier,  welches  sich  völlig  wohl 
befunden  hatte,  einen  Tag  nach  der  letzten 
Einspritzung  und  untersuchte  die  vier  In- 
jectionsstellen.  Bereits  einen  Tag  nach 
der  letzten  Injection  konnte  an  deren  Ort 
keine  Flüssigkeit  mehr  gefunden  werden. 
In  dem  Gewebe  entstehen  zuerst  Ekchymo- 
sen  und  Vascularisation,  später  verliert  das- 
selbe seine  dunkle  Farbe  und  wird  weiss- 
gelblich.  Das  Quecksilber  selbst  wird  in  natura 
resorbirt  (das  Galomel  setzt  sich  im  Körper 
theils  in  Hg,  theüs  in  Sublimat  um)  und 
zwar  ziemlich  langsam. 

(Verf.    meint,     dass    Vergiftungen    nach 


Quecksilberinjectionen,  deren  auf  dem  letzten 
internationalen  Dermatologencongress  in 
Deutschland  Erwähnung  geschah,  nur  nach 
^ enormen^  Dosen  des  Mittels  einträten,  da 
jenes  Versuchsthier,  ohne  irgend  welche 
Störungen  zu  zeigen,  in  5  Tagen  0,2  g  er- 
hielt. Nun  ist  aber  die  Disposition  dem 
Quecksilber  gegenüber  individuell  eine  sehr 
verschiedene,  so  dass  manche  Patienten  be- 
reits nach  Anwendung  geringer  Quecksilber- 
mengen schwere  Intoxicationserscheinungen 
darbieten  können,  wie  neuere  Publicationen 
aus  Deutschland,  welche  Verf.  allerdings 
nicht  zu  kennen  scheint,  beweisen,  während 
andere  Personen  grössere  Mengen  des  Mittels 
ohne  Beschwerden  vertragen.  Femer  darf 
man  doch  nicht,  wie  der  Verf.,  die  an 
einem  Thier  gemachten  Erfahrungen  ohne 
Weiteres  auf  Menschen  übertragen.  Was 
einem  Kaninchen  nicht  schadet,  braucht 
nicht  auch  für  den  menschlichen  Organis- 
mus unschädlich  zu  sein  und  umgekehrt. 
D.  Ref.) 

{L  Union  mid.  1889,  No.  98.) 

George  Meyer  {Berlin). 


Toxikologie. 


Vergiftung  mit  concentrirter  Carbolsäure  bei 
einem  diphtheriekranken  Kinde.  (Heilung.) 
Von  Dr.  A.  Model,  K.  Bezirksarzt  a.  D.  in 
Memmingen.    (Originalmittheilung). 

L.  D.,  9 jähriges  Mädchen,  übernahm  ich 
am  25.  Juni  d.  J.  zur  Behandlung  an  einer 
länger  unerkannt  und  unbehandelt  gebliebe- 
nen Diphtherie,  welche  sich  sowohl  durch 
die  schweren  Allgemeinerscheinungen  (hohes 
Fieber  etc.),  als  durch  die  Corrosionen  im 
Isthmus  faucium,  sowie  durch  Betheiligung 
des  Larynx  auszeichnete.  Es  bestand  heisere 
Stimme,  Athmungshinderniss,  bei  tiefem 
Athmen  Stridor. 

Unter  der  persönlich  geleiteten,  vorsich- 
tigen, genau  auf  die  diphtherisch  veränder- 
ten Partien  beschränkten  Sublimatbehand- 
lung ^)  und  einer  ebenso  rigorosen  und  häu- 

^)  Ich  habe  diese  Methode,  welche  sich  von 
der  des  Herrn  Collcgen  Canstatt  in  Uragaaj 
(Bayr.  ärztl.  Int.-Blatt  1884,  No.  10)  unterscheidet, 
frfiher  wiederholt  in  meinen  amtlichen  Sanit&tsbe- 
richten  erwähnt,  und  im  Mfixz  1887  in  Briefen  an 
zwei  Freunde,  worunter  ein  hervorragender  innerer 
Kliniker.  Dieser  meinte,  die  Methode  sei  zu  ge- 
fährlich.   Ich  kann  versichern,  dass  ich  gerade  bei 


figen  Reinigung  der  Fauces  und  Nasenhöhlen 
(mit  einer  vorzüglichen  Nasen-Rachenspritze), 
wie  sie  mir  seit  längeren  Jahren  die  erfreu- 
lichsten und  raschesten  Resultate  ergeben 
haben,  war  das  Kind  am  30.  Juni  so  weit, 
dass  dasselbe,  obwohl  durch  die  schwere 
Diphtherie  stark  heruntergekommen,  in  we- 
nigen Tagen  aus  der  eigentlichen,   regulären 


diesem  Vorgehen  niemals  auch  nur  das  geringste 
toxische  Symptom  gesehen  habe.  Auch  bei  kleinen 
Kindern  nicht,  mit  oder  ohne  Anwendung  der  treff- 
lichen V.  Bruns^schen  Mundsperre.  Der  Pinsel  ist 
aber  wegen  leichten  Abfliessens  und  unsicherer 
Handhabung  nnbedinst  zu  verbannen.  Mit  dem 
an  starkem  Stiel  fest  aufgebundenen  runden 
Schw&mmchen  lässt  sich  dagegen  unter  Schonung 
der  intact  gebliebenen  Nachbartheile  sicher  ope- 
riren.  Bei  keinem  anderen  Verfahren  sah  ich  die 
Reinigung  der  diphtherischen  Geschwüre  so  auf- 
fallend rasch  erfolgen.  Auch  auf  die  Temperatur 
scheinen  die  häufigen  nachdrücklichen  TonchimneeD 
einen  sehr  wohlthätigen  Einfluss  zu  üben,  wie  Herr 
Dr.  Eman.  Weber-Kronach,  früherer  Assistent 
bei  Herrn  Geheimrath  E.  v.  Bergmann  (damals 
in  Würzburg),  mir  bestätigte.  Die  Methode  ist 
jedoch  nur  da  anwendbar,  wo  der  Arzt  Alles  ge- 
nügend oft  selbst  besorgen  oder  genau  controliren 
kann. 


ttt.  Jatirgang.  ^ 
October  1889.  J 


Tozikoiogla. 


483 


BebandluDg  hatte  entlassen  werden  können. 
Es  hatte  nur  noch  seine  roborirende  weinige 
Chinamixtur  zu  nehmen  und  zu  gurgeln. 
Abseits  stand  —  mit  warnender  Aufschrift 
und  auffallendem,  grossem  Giftzeichen  (Tod- 
tenkopf)  versehen  —  das  etwas  grossere 
Glas  mit  90  **/o  Carbolsäure,  über  dessen  ge- 
fahrlichen Inhalt  Jeder  informirt  war  und 
wusste,  dass  das  Gift  lediglich  zu  Des- 
infectionszwecken  bestimmt  war. 

Durch  einen  unglücklichen  Zufall  kam 
nun  das  isolirte  Giftglas  auf  den  Tisch,  auf 
welchem  die  Chinaarznei  stand,  und  —  »^ganz 
in  Gedanken^*  —  fand  Seitens  der  durch 
Nachtwachen  erschöpften,  höchst  aufopfern- 
den und  ausgezeichneten  Pflegerin  die  ver- 
hängnissYolle  Verwechslung  statt  —  unter 
umständen,  deren  Schilderung  hier  zu  weit 
fuhren  würde,  welche  aber  den  Missgriff  mög- 
lichst entschuldigen  lassen. 

Am  30.  Juni,  früh  nach  6  Uhr  bekam 
also  das  Kind  einen  Tollen  Esslöffel 
Acidum  carb.  liquefactum,  und  zwar  in 
den  noch  leeren  Magen  und  schien  sehr 
bald  bewusstlos  geworden  zu  sein.  Ehe 
dies  jedoch  Tollständig  eintrat,  wurde  nach 
dem  durch  das  Schreien  etc.  entdeckten 
Missgriff  die  Vergiftete  von  ihrem  Vater 
noch  angerufen  ein  paar  Schluck  Wasser  zu 
trinken,  wovon  ein  ganz  geringer  Betrag 
noch  in  den  Magen  gelangt  sein  mag.  Un- 
glücklicherweise war  ich  —  sonst  früh  im 
Hause  gewöhnlich  der  Erste  —  in  Folge 
von  Schlafunterbrechung  zu  jener  Stunde 
noch  zu  Bette,  als  keuchend  und  jammerer- 
füllt der  Vater  in  mein  Zinmier  stürzte,  wo- 
bei wir  beide  glaubten,  dass  es  wohl  bereits 
zu  spät  sei.  Es  schien  auch  entschieden  so, 
wie  der  Status  praesens  lehren  wird.  Sofort 
rief  ich  meinem  Dienstboten  zu:  »Ein  hal- 
bes Pfund  Glaubersalz  aus  der  nächsten 
Apotheke  so  schnell  als  möglich  in's  D.'sche 
Haus!"  eilte  rasch  angekleidet  in  mein  Ar- 
beitszimmer, raffte  aus  dem  Instrumenten- 
schrank  die  nöthigen  Instrumente  zusammen 
und  begab  mich  so  eilig  als  möglich  in  das 
ca.  3  Minuten  entfernte  Unglückshaus. 

Das  arme  Kind  lag  —  vollständig  re- 
gungs-,  empfind ungs-  und  be\\nisstlos,  an- 
scheinend soeben  verröchelnd  (schwaches 
Tracheairasseln  ohne  jede  sichtbare  Ath- 
inung).  Der  ganze  Körper  war  kalt  und 
feucht,  von  Puls  und  Herzschlag  nichts  mehr 
wahrnehmbar,  die  halb  geöffneten  verdrehten 
Augen  mit  sehr  weiten  Pupülen  erschienen 
völlig  gebrochen,  und  die  allgemeine  An- 
ästhesie war  so  vollständig,  dass  die  nach 
Oben  gerollten  und  flxirten  Augäpfel  her- 
umgeschoben werden  konnten,  ohne  eine 
Spur  von  Reaction  Seitens    des    Orbicularis 


auszulösen.  Von  einer  Bewegungsfähigkeit 
am  ganzen  Körper  nicht  mehr  die  geringste 
Spur  —  kurz  —  das  Leben  schien  bereits 
entflohen. 

Anfangs  blieb  naturlich  zum  genaueren 
Untersuchen  nicht  eine  Secunde  Zeit;  es 
konnte  somit  dieser  Status  praesens  theil- 
weise  erst  später  in  den  momentanen  Pausen 
ärztlicher  Arbeit  festgestellt  werden.  Dies 
war  um  so  leichter  möglich,  als  nach  fast 
2  stündiger  nahezu  unausgesetzter  Anstren- 
gung so  ziemlich  der  gleich  hoffnungslose 
Zustand  noch  bestand. 

Der  leichte  Trismus  wurde  manuell  über- 
wunden und  rasch  ein  dicker  Kork  mög- 
lichst lateral wärts  eingerollt.  Das  Hinunter- 
fuhren einer  Schlundsonde  (für  Kinder)  und 
Einspritzen  von  ca.  1  Liter  der  bereits  fer- 
tigstehenden Glaubersalzlösung  mit  meiner 
„Diphtheriespritze"*)  —  sit  venia  verbo!  — 
war  das  Werk  eines  Augenblicks.  Fast 
ebenso  rasch  wurde  ein  grosser  Theil  des 
ganz  wässerig-schleimigen  Mageninhalts  wie- 
der herausgezogen,  welcher  intensiven  Car- 
bolgeruch  verbreitete  und  sofort  neue  Salz- 
lösung nachgefüllt. 

Da  gelang  plötzlich  das  weitere  Aus- 
pumpen nicht  mehr,  die  Fenster  der  Sonde 
für  Kinder  schienen  zu  klein  und  verlegt. 
Sie  wurde  daher  sofort  ausgezogen  und 
schnell  das  starke  vom  unbiegsame  und 
verdickte  Schlundrohr  für  Erwachsene  ein- 
geführt. Es  war  mir  diese  Nothwendigkeit 
wegen  der  durch  die  diphtherischen  Ge- 
schwüre hart  mitgenommen  gewesenen  me- 
dialen Rachenpartien  und  wegen  des  ge- 
fährdet gewesenen  Kehlkopfes  nicht  ganz 
gleichgültig,  deshalb  hatte  ich  anfangs  ein 
geringeres  Sondencaliber  vorgezogen.  Von 
da  an  hatte  jedoch  das  Auspumpen  mit 
Glaubersalzlösung  keine  Schwierigkeiten 
mehr.  So  wurde  mit  jener  Lösung  wieder- 
holt (im  Ganzen  5 mal)  gründlich  ausge- 
waschen, bis  man  keine  Spur  von  Phenolge- 
ruch mehr  wahrnehmen  konnte  und  dann 
ca.  200  g  Weisswein  eingespritzt.  Inzwischen 
waren  Schwefeläther  und  meine  Pravaz- 
Spritze  eingetroffen  und  es  wurde  eine  vollö 
Spritze  Aether  subcutan  injicirt,  was  eine 
Andeutung  von  Schmerzempfindung  hervor- 
zubringen schien.  Jede  Pause  zwischen 
diesen  Manipulationen  wurde  für  Hautreize 
und  zum  Wiederhervorrufen  der  Athmung 
ausgenützt.  Letztere  hatte  nicht  gänzlich 
aufgehört,  sondern  unwahrnehmbar  leise  fort- 


')  Eine  vortreffliche  grosse  Leiter 'sehe  Hart- 
gummispritze, mit  mehreren  CaDülen  für  Injec- 
tionen.  Schon  vor  22  Jahren  Hess  ich  noch  ver- 
schiedene coniBche  Aufsätze  für  die  Nase  daran 
anbringen,  speciell  auch  für  Diphtheriebehandlang. 

61* 


484 


Toxikologie. 


rrhempendsdie 
L  MonfttBbefte. 


bestanden,  da  nach  einer  Stunde  und  yiel 
länger  noch  das  Trachealrasseln  zu  hören 
war. 

Wie  schon  einmal  bei  einer  hochgradi- 
gen Morphiumvergiftung  zu  Nordlingen^), 
so  liess  ich  auch  bei  dem  gegenwärtigen 
an  ästhetischen  Zustand  zeitweise  alle  paar 
Augenblicke  den  kalten  Wasserstrahl  aus 
meiner  Spritze  auf  der  Stime  und  dem 
Manubr.   sterni    zerstieben,    was    nach    über 

2  Stunden  ärztlichen  Manipulirens  endlich 
einmal  eine  kaum  merkliche  Abwehrbewe- 
gung mit  einem  Finger  auslöste.  Auch  wur- 
den häufig  mit  den  schnell  und  tief  ein- 
gehenden Fingern  zähe  Schleimmassen  aus 
den  Fauces  und  der  Nähe  der  Kehlkopfs- 
apertur entfernt,  nachdem  dieselben  nicht 
expectorirt  werden  konnten. 

Während  aller  dieser  Handlungen  wurde 
der  erkaltete,  gefühllose  und  zusammenge- 
brochene Eindeskörper  —  unten  mit  warmen 
wollenen  Decken  bedeckt,  von  starken  Män- 
nern auf  einem  Stuhle  sitzend  festgehalten, 
und  zwar  wurde  von  dem  einen  der  Kopf 
sanft  am  Haupthaare  emporgezogen,  um  die 
Operationen  mit  den  Schlundsonden  bei  her- 
vorgezogener Zunge  leichter  ausführen  zu 
können.  Ich  zog  jedoch  jenen  eingespritz- 
ten Wein  (leichter  Tischwein,  wie  man  ihn 
gerade  zur  Hand  hatte)  wieder  heraus, 
wusch  der  Sicherheit  halber  noch  einmal 
mit  Glaubersalz  aus  und  injicirte  dann,  als 
ich  mich  wiederholt  von  der  Abwesenheit 
allen  Phenolgeruchs  überzeugt  hatte,  allmäh- 
lich ^li  Liter  Champagner.  Sehr  langsam 
wurden  nun  beim  Anspritzen  und  den  üb- 
rigen Proceduren  die  Zeichen  rückkehrenden 
Gefühls  durch  yerschiedene  Reflexbewegun- 
gen deutlicher.  Allmählich  war  ein  schwacher 
frequ enter  Herzschlag  wieder  hörbar,  jedoch 
nach  2^2  Stunde  Arbeitens  weder  an  der 
Radialis,  noch  sonst  an  einer  Arterie  eine 
Spur  von  Puls  wahrzunehmen.  Aber  eine 
ganz  flache  Respiration  wurde  auch  wieder 
sichtbar,  wenn  auch  das  grossblasige  Ras- 
seln   immer    noch    bestand,    das    erst    nach 

3  Stunden  allmählich  verschwand,  nachdem 
mit  dem  Nachlassen  der  Anästhesie  und  dem 
Wiedererwachen  des  Bewusstseins  ein  schwa- 
cher Husten  eingetreten  war. 

Etwa  um  10  Uhr  Vormittags,  nach  fast 

4  stündiger,  wesentlich  ununterbrochener  Ar- 
beit war  Alles  gewonnen,  die  Kleine  aller- 
dings ausserordentlich  prosternirt,  und  der 
Radialpuls  endlich  wieder  als  ganz  dünnes 
Fädchen  fühlbar.  Bis  Abends  erfolgte  oft- 
mals Erbrechen.  In  kleinen  Quantitäten 
wurde  jetzt  häufig  flüssige  Nahrung,  nament- 

*)  Cf.  Bayr.  ärztl  Intelligenzblatt  1871,  No.  46, 
pag.  ö74. 


lieh  Milch,  eingeflösst  und  geschluckt,  da- 
zwischen auch  etwas  Champagner  mit  Eis- 
pilien  gegeben,  der  aber  das  Erbrechen  eher 
zu  begünstigen  schien.  Stuhlgang  erfolgte 
trotz  der  grossen,  temporär  einverleibten 
Mengen  Glaubersalzlösung  erst  Abends  nach 
wiederholten  Klystieren.  Eine  besondere 
Erregung  durch  den  per  Spritze  und  später 
per  OS  reichlich  gegebenen  Champagner  war 
durchaus  nicht  wahrnehmbar,  obwohl  er  lange 
im  Magen  verweilt  hatte,  bis  nach  dem  Er- 
wachen das  erste  Erbrechen  eingetreten  war. 
Bei  Rückkehr  des  Bewusstseins  hatte  Pat. 
keine  Idee  von  Allem,  was  mit  ihr  vorge- 
nommen war.  Den  Tag  über  wurde  noch 
über  Brennen  im  Schlund  und  Druck  im 
Magen  geklagt,  letzteres  auch  noch  am 
nächsten  Tag.  Im  Gaumen  zeigte  sich  an 
den  Tonsillenresten  (soweit  sie  die  Diph- 
therie verschont  hatte),  ferner  an  den  Arcus 
und  der  Uvula  milchweisse  Färbung  durch 
das  Yorbeipassiren  der  Phenylsäure.  Am 
rechten  Mundwinkel  war  auch  die  äussere 
Haut  verätzt  —  mit  nachfolgender  Schorf- 
bildung. Seit  der  Rückkehr  des  Bewusst- 
seins wurden  reichlich  Ernährungsklystiere 
zugleich  gegeben.  Nachts  folgte  ein  tiefer 
Schlaf;  am  1.  Juli  spielte  das  matte,  zwei 
schweren  Gefahren  entronnene  Kind  da- 
zwischen doch  wieder  ganz  munter,  obwohl 
ein  deutlich  wahrnehmbarer  Fieberzustand 
da  war.  (Abends  T.  39®,  Puls  130,  am 
1.  7.  allmählich  abnehmend,  am  2.  7.  war 
das  Fieber  verschwunden.)  Inwieweit  der- 
selbe nach  Maassgabe  der  verschiedenen  in 
Betracht  kommenden  Factoren  als  „Carbol- 
fieber"  aufzufassen  ist  und  wie  sich  letztere 
an  der  Gesammterscheinung  betheiligen, 
dürfte  schwer  festzustellen  sein.  Unzweifel- 
haft ist,  dass  das  Kind  bei  der  Vergiftung 
schon  mehrere  Tage  vorher  fieberfrei  ge- 
wesen war,  daher  von  einer  directen  Betbei- 
ligung  des  vorausgegangenen  diphtherischen 
Processes  keine  Rede  mehr  sein  konnte. 

Vom    1.  Juli    an    wurde   wieder  tüchtig 
flüssige  Nahrung    (immer  wenig,    aber    sehr 
oft)  und  Wein  genommen,  und  es  folgte  unter    « 
der  thunlichst  forcirten  Ernährung  eine    er- 
freulich rasche  Reconvalescenz. 

Zu  Untersuchungen  des  Harnes  („Car- 
bolharn^  bestand  nie)  und  der  Magenspül- 
flussigkeit  auf  Phenolgehalt  fehlte  mir  leider 
jede  Müsse.  Denn  die  persönlich  (anfangs 
fast  stündlich)  vorgenommene  Localbehand- 
lung  der  schweren  Diphtherie  und  dann  die 
bald  darauf  folgende  Vergiftung  hatten  meine 
Zeit  bedauerlich  absorbirt. 

Jenes  so  sehr  geschwächte  und  oligä- 
misch  gewordene  Kind  dürfte  unter  ungün- 
stigsten   Verhältnissen    (leerer-  Magen    etc.) 


in.  Jahrgang.  1 
October  1888.  J 


Litteratur. 


485 


wohl  die  20 — SOfache  Menge  der  für  dieses 
Alter  und  nach  solchen  Antecedentien  todt- 
lichen  Dosis  an  concentrirter  Carbolsäure 
erhalten  haben^). 

Ich  hatte  den  Eindruck,  dass  ein  paar 
Minuten  —  yielleicht  noch  weniger  —  Ver- 
spätung schnellsten  energischen  Vorgehens 
wohl  genügt  haben  würde,  um  diejenigen 
Veränderungen  im  Chemismus  herbeizufüh- 
ren, aus  welchen  eine  Rückkehr  ins  Leben 
nicht  mehr  möglich  ist,  und  ich  mochte  fast 
glauben,  dass  in  der  ganzen  Litteratur  der 
Carbolsäurevergiftungen  einer  der  bemer- 
kenswerthesten  Fälle  hier  vorliegt. 

Ein  Fall   von  CocaYnvergiftung.    Von   Reg.-Arzt 
a.  D.  Dr.  J.  Stein  (Saaz). 

Vf.  berichtet  über  das  Auftreten  von 
lotoxicationserscheinungen  bei  einem  274- 
jährigen  Mädchen  nach  Anwendung  eines 
Cocalnsuppositorium  (R.  Cocain,  muriat.  0,5. 
Butyr.  Cacao  q.  s.  ut  f.  suppositor.  No.  III). 
Eine  Stunde  nach  Application  desselben  er- 
wachte das  Kind  aus  dem  Schlafe,  begann 
lebhaft  mit  den  Händen  herumzuwerfen  und 
beständig  zu  sprechen.  S.  fand  das  Kind 
27a  Stunden  nach  der  Anwendung  sehr  er- 
regt, ängstlich,  lebhaft  gestikulirend,  mit 
den  oberen  Gliedmassen  Bewegungen  nach 
Art  von  Choreakranken  ausführend  und  ohne 
Unterbrechung  sprechend.  Die  Pupillen 
waren  etwas  erweitert,  der  Puls  gespannt, 
nicht  auffallend  frequent,  die  Athmung  etwas 
beschleunigt.  Nach  Anwendung  von  kalten 
Umschlägen  auf  den  Kopf  beruhigte  sich 
das  Kind  im  Laufe  von  weiteren  vier  Stun- 
den und  war  am  folgenden  Tage  wieder  her- 
gestellt. 


{Prager  Med.  Wockenschr,  1889,  No.  32.) 


rd. 


liitteratnr. 


Handbuch  der  Krankheiten  der  weiblichen 
Gcschlechtsorg^ane  von  Dr.  Carl  Schröder. 
9.  Auflage,  umgearbeitet  und  herausgegeben 
von  M.  Hofmeier,  o.  ö.  Prof.  der  Gcburts- 
hülfe  und  Gynäkologie  in  Würzburg. 

Die  Beliebtheit,    welcher    sich    das  vor- 
liegende Lehrbuch   bei  Aerzten  und    Studi- 


*)  Cf.  Falck,  Pract.  Toxikologie  p.  205,  wo 
daa  letale  Minimum  für  Erwachsene  (wenigstens  für 
reine  flüssige  Carbolsäure)  mit  15,0  g  jedenfalls  zu 
hoch  angegeben  sein  dürfte.  Zutreffender  scheint 
Prof.  Kobert's  Angabe  zu  sein  (cf.  dessen  neue 
Bearbeitung  von  W  erb  er' s  Lehrbuch  1887,  p.  68), 
welcher  ^bei  Einfuhr  in  eine  Körperhöhle  viel 
weniger  als  1  g"  für  tödtlich  hält. 


renden  erfreut,  findet  ihren  Ausdruck  in  der 
abermals  nothwendigen  Neuauflage  des  Wer- 
kes, welches  zum  ersten  Male  von  dem  her- 
vorragenden Schuler  und  Freunde  des  ver- 
storbenen Schröder  bearbeitet  wurde.  Wenn 
auch  Hofmeier  pietätvoll  im  Grossen  und 
Ganzen  den  Worten  und  Anschauungen 
Schröder' s  Rechnung  getragen  hat,  so  ist 
doch  sowohl  äusserlich  manches  verändert 
und  u.  A.  eine  Umstellung  und  andere  Ver- 
theilung  des  Stoffes  vorgenommen  worden. 
Auch  bezuglich  des  Inhaltes  der  einzelnen 
Capitel  und  Abschnitte  musste  theils  mit 
Rücksicht  auf  neuere  Arbeiten,  theils  auf 
eigene,  abweichende  Anschauungen  des  Yerf.'s 
selbst  eine  theilweise  Umarbeitung  vorge- 
nommen werden,  so  vor  Allem  der  die 
Tubenerkrankungen  behandelnden  Abschnitte. 
—  Das  äussere  Gewand  des  Buches  ist  das* 
selbe  geblieben. 

LohnsteiH. 

Lenbe,  Handbuch  der  speciellen  Diac^fnose  der 
inneren  Krankheiten.  Leipzig  1889,  C.  F. 
W.Vogel. 

Das  kürzlich  in  seiner  ersten  Hälfte  er- 
schienene Handbuch  Leube's  von  der  spe- 
ciellen Diagnose  der  inneren  Krankheiten 
bildet  insofern  eine  seltenere  Erscheinung 
auf  dem  Gebiete  der  Lehrbücher  der  inter- 
nen Medicin,  als  es  sich  ausschliesslich  in 
eingehender  Weise  mit  der  Diagnostik  be- 
schäftigt. Die  bedeutendsten  Errungen- 
schaften der  ärztlichen  Wissenschaft  in  den 
letzten  Jahrzehnten  sind  auf  den  glänzen- 
den Fortschritten  in  der  Diagnostik  begrün- 
det; das  Gebiet  derselben  hat  dabei  aber 
derartige  Ausdehnungen  erreicht,  dass  selbst 
die  ausführlichsten  Handbücher  der  internen 
Medicin  ihm  allein  nicht  genügend  Rech- 
nung tragen  konnten,  wie  denn  auch  das 
Werk  Leube's  beweist,  wie  gross  der  Um- 
fang dieses  einen  Capitels  aus  der  Patho- 
logie im  Laufe  der  Zeit  geworden  ist. 

Der  Inhalt  des  Lehrbuchs  trägt  allent- 
halben den  Stempel  der  Originalität,  denn 
es  ist  die  eigenste  Schöpfung  seines  Autors, 
des  berühmten  Klinikers,  welcher  seine  lang- 
jährigen Erfahrungen  darin  niedergelegt  und 
auch  weiteren  Kreisen  zugänglich  gemacht 
hat.  Unter  den  Vorzügen  des  Werkes  ver- 
dient in  erster  Reihe  seine  Vollständigkeit, 
wenigstens  soweit  es  bis  jetzt  erschienen  ist, 
hervorgehoben  zu  werden.  Es  dürfte  nicht 
leicht  ein  Punkt  auch  aus  den  entlegensten 
Gebieten  in  ihm  unberücksichtigt  geblieben 
sein,  und  der  Praktiker  wird  selbst  in  den 
schwierigsten  Fällen  stets  Rath  und  Be- 
lehrung daraus  schöpfen  können.  Und  trotz 
der  rühmenswerthen  Ausführlichkeit  des  In- 


486 


Litteratur. 


rlieirftp«atiMlM 
MonaUbefte. 


halts  wild  dem  Leser  die  Orientirung  leicht 
werden,  denn  Klarheit  des  Ausdrucks  und 
der  Gedanken  und  eine  leichtfassliche  Dar- 
stellung tritt  alierwärts  zu  Tage.  Dieser 
Vorzug  der  leichten  Verständlichkeit  ist  nicht 
zum  geringsten  Theile  dadurch  erreicht,  dass 
der  Autor  es  vermieden  hat,  durch  allzu- 
grosse  Schematisirung,  dem  Wesen  nach  zu- 
sammengehörige Krankheitsgruppen  bis  in's 
Einzelne  zu  trennen;  so  wird  z.  B.  die  acute 
Endocarditis  einheitlich  abgehandelt  und  auf 
ihre  klinisch  nicht  gerechtfertigte  Rubrici- 
rung  in  einzelne  Formen  aus  ätiologischen 
oder  anatomischen  Gründen  verzichtet,  oder 
die  entzündlichen  Erkrankungen  der  Niere 
werden  nur  in  drei  Formen  unterschieden, 
die  acute  Nephritis,  die  parenchymatöse  Ne- 
phritis (weisse  Niere  mit  secundärer  Schrumpf- 
niere) und  Schrumpfniere  sens.  strict.  Die 
Vermeidung  einer  seh ematisir enden  Behand- 
lung des  Stoffes  war  auch  von  wesentlich 
günstigem  Einflüsse  auf  die  stylistische  Seite 
des  Werkes.  Der  Autor  hat  es  verstanden, 
die  Leetüre  durch  eine  ansprechende  Form 
der  Darstellung  und  des  Ausdrucks  genuss- 
reich zu  gestalten  und  Trockenheit  und 
Längen  zu  vermeiden.  Ein  nicht  geringer 
Vorzug  dieses  Lehrbuchs  der  Diagnostik  ist 
es  endlich,  dass  auch  die  Grenzen  des  dia- 
gnostischen Vermögens  mit  rückhaltloser 
Offenheit  fast  in  jedem  Capitel  scharf  be- 
zeichnet sind.  Das  Werk  umfasst  bis  jetzt 
die  Krankheiten  der  Brust-  und  Unterleibs- 
organe. Die  äussere  Ausstattung  ist  eine 
angemessene.  Eine  glänzende  Aufnahme  und 
eine  rasche  und  weite  Verbreitung  ist  ihm 
gesichert. 

Bosin  {Breilau). 

Mltthellnngren  ans  Dr.  Brehmer's  Heilanstalt  für 
Lungenkranke  in  Görbersdorf.  Herausge- 
geben von  Dr.  Hermann  Brehmer,  dirigi- 
render  Arzt.     Wiesbaden,  Bergmann  1889. 

Der  Herausgeber,  welcher  hervorhebt, 
dass  die  Lungenschwindsucht  gegenwärtig 
im  Vordergrunde  des  ärztlichen  Interesses 
stehe,  dass  dieses  Interesse  jedoch  der 
Thätigkeit  der  Laboratorien,  nicht  aber  der 
klinischen  Institute  entstamme,  bezeichnet 
diesen  Umstand  als  eine  Lücke,  welche  er 
durch  Mittheilungen  aus  seiner  Anstalt  aus- 
zufüllen beabsichtigt.  Bei  der  Bedeutung 
des  Verfassers  und  seiner  Anstalt  für  die 
Behandlung  der  Lungenschwindsucht  ist 
diese  Absicht,  die  von  ihm  erhaltenen  Re- 
sultate wissenschaftlich  auszunutzen,  dank- 
bar zu  begrüssen.  Das  Werk  erhält  noch 
dadurch  eine  werthvolle  Vergrösserung,  dass 
Brehmer  auch  Mittheilungen  seiner  Assi- 
stenten   aus     denjenigen    wissenschaftlichen 


Hilfsinstituten  publicirt,  mit  welchen  er  in 
opulenter  Weise  seine  Anstalt  ausgerüstet 
hat,  aus  dem  chemischen,  meteorologischen 
und  bakteriologischen  Laboratorium.  Das 
Werk  enthält  zehn  Arbeiten  von  verschie- 
denem Charakter  und  Umfang,  zunächst 
einen  ausführlichen  ärztlichen  Bericht  über 
die  Heilanstalt  im  Jahre  1888  vom  Ver- 
fasser selbst.  Dieser  Bericht  ist  reich  an 
Einzelheiten,  die  von  Interesse  für  die 
Aetiologie  und  Prognose  der  Krankheit  unter 
der  von  ihm  eingeführten  Behandlung  sind. 
Zu  Grunde  gelegt  sind  dem  Bericht  506  Fälle, 
von  diesen  entsprechen  484  den  genealogi- 
schen Bedingungen,  welche  Verf.  in  seiner 
„Aetiologie^  als  maassgebend  für  die  Erlan- 
gung der  Disposition  zur  Phthise  aufstellte, 
nämlich  der  Vererbung,  der  directen  und 
der  indirecten  Anpassung,  und  nur  in 
7  Fällen  konnte  nichts  Gemeinsames  in  Be- 
zug auf  die  Abstammung  gefunden  werden. 
Diese  genealogischen  Verhältnisse  sind  nach 
Brehmer  wichtiger  als  die  Erblichkeit,  auf 
sie  kamen  59,3  ^/o,  während  auf  die  Erblich- 
keit nur  30  %  zu  rechnen  waren.  88  %  der 
beobachteten  Fälle  waren  schwache  Esser. 
Schliesslich  kommen  für  die  Entstehung  der 
Phthisis  noch  mechanische  Momente  in  Be- 
tracht, denn  unter  den  beobachteten  Fällen 
(im  Ganzen  554)  war  462 mal  die  linke 
Lunge  zuerst  erkrankt,  und  nur  in  92  Fällen 
die  rechte;  in  diesen  Fällen  aber  kamen 
oft  Abnormität,  wie  Tieferstand  der  rechten 
Clavicula  oder  Milztumor  zur  Beobachtung. 
Von  den  554  Kranken  wurden  geheilt  8,8%, 
fast  geheilt  1 3  °/o,  und  zwar  wurden  von 
denen  des  ersten  Stadiums  75  %  ganz  oder 
relativ  geheilt;  die  daraus  folgende  Mahnung 
ergiebt  sich  von  selbst. 

Hieran  schliesst  sich  von  klinischen  Mit- 
theilungen eine  Arbeit  von  Polyak  über  die 
Fluorwasserstoffbehandlung,  welche  zu  dem 
Resultat  kommt,  dass  die  Methode  nicht  nur 
wirkungslos  ist,  sondern  auch  direct  schaden 
kann,  eine  empfehlende  Mittheilung  von 
Jett  er  über  das  Preyer'sche  Abkühlungs- 
verfahren im  Fieber,  eine  längere  Arbeit 
von  Stachiewicz  über  die  Milchsäurebe- 
handlung der  Kehlkopf  seh  windsacht  und 
deren  günstige  Resultate.  Neben  den  an- 
deren Arbeiten  verschiedenen  Inhalts,  einer 
Mittheilung  von  Brehmer  meteorologischen 
Inhalts,  einer  Abhandlung  von  Wendriner 
zur  Zuckerbestimmung  im  Harn,  und  kleine- 
ren bakteriologisch -technischen  Notizen  von 
Stroschein  bedarf  noch  einer  besonderen 
Hervorhebung  eine  grössere  experimentelle 
Untersuchung  von  Wysokowicz  über  die 
Passirbarkeit  der  Lungen  für  Bakterien,  in 
welcher  der  Vf.  im  Gegensatz  zu  Büchner 


IILJ«lirgmiif.l 
OctotMT  1889.  J 


Littentur. 


487 


zu  dem  Resultat  kommt,  dass  das  normale 
Lungen gevebe  für  Mikroorganismen  unpassir- 
bar  ist. 

Dem  Werke  sind  eine  grössere  Zahl  von 
Curventafeln  zur  Erläuterung  der  meteoro- 
logischen Abhandlung  beigefügt. 

A.  GotltUin  (Berlin), 

Jahrbuch  der  practlschen  Medicin.  Begründet 
von  Dr.  Paul  Börne r.  Herausgegeben  von 
Dr.  S.  Guttmann,  Sanit&tsrath  m  Berlin. 
Jahrgang  1889,  Stuttgart,  Enko. 

Von  dem  Jahrbuch  der  practischen  Me- 
dicin, welches  unter  der  Mitwirkung  be- 
rufenster Vertreter  der  medicinischen  Wissen- 
schaft und  Praxis  durch  die  Mühewaltung 
des  verdienstToUen  Herausgebers  in  einheit- 
lichem Charakter  redigirt  wird,  liegt  der 
Bericht  für  das  Jahr  1888  diesmal  in  einem 
Theile  in  der  Stärke  Ton  fast  800  Seiten 
vor.  Die  Aufgabe,  welche  der  Verfasser 
sich  gestellt,  dass  die  wirklichen  Ergebnisse 
des  abgelaufenen  Jahres  unter  strenger  Fest- 
haltung  an  der  wissenschaftlichen  Methode 
als  der  Grundlage  ärztlichen  Könnens  dem 
Praktiker  in  abgerundeter  Form  und  in  be- 
rechtigter Vollständigkeit  als  Ausgleich 
für  die  durch  die  Zersplitterung  der  Fach- 
presse geschafiPenen  Schwierigkeiten  der 
Orientirung  dargeboten  werden,  ist  in  dem 
vorliegenden  Jahrbuch  durchweg  erfüllt. 
Die  einzelnen  Abschnitte,  von  denen  die- 
jenigen über  Respirations-,  Herz-  und  Con- 
stitutionskrankheiten  durch  Schwalbe,  über 
Haut-  und  venerische  Krankheiten  durch 
Joseph  und  derjenige  über  öffentliche  Ge- 
sundheitspflege durch  A.  Pfeiffer-Wiesbaden 
neue  Bearbeiter  erhalten  haben,  zeichnen 
sich  durch  Abrundung  und  Vollständigkeit, 
sowie  kritische  Sichtung,  einige  ganz  be- 
sonders durch  Lebhaftigkeit  der  Darstellung 
aus  und  sind  ausserordentlich  geeignet  zur 
Orientirung  über  die  Fortschritte  der  Dis- 
ciplinen  und  im  Einzelnen,  sowie  über  den 
augenblicklichen  Stand  sogenannter  brennen- 
der Fragen. 

Ein  ausführliches  Namen-  und  Sach- 
register bildet  den  Schluss  des  Werkes. 

Ä.  Gollstein  (Berlin). 

Die  neueren  Arzneimittel  für  Apotheker,  Aerzte 

and  Drogisten,  bearbeitet  von  Dr.  Bernhard 
Fischer.  Mit  in  den  Text  gedruckten  Holz- 
schnitten. Vierte  vermehrte  Auflage.  Berlin. 
Julius  Springer.    1890.   8°.  312  S. 

In  dem  kurzen  Zeiträume  von  kaum 
3  Jahren  haben  wir  bereits  zum  vierten 
Male  Gelegenheit,  das  Erscheinen  des  über- 
schriftlich erwähnten  Buches  zu  begrüssen. 
Die  rasche  Aufeinanderfolge  seiner  Auflagen 


dürfte  am  beredtsten  für  die  Anerkennung 
sprechen,  die  dasselbe  in  den  betreffenden 
Fachkreisen  gefunden  und  gleichzeitig  auch 
als  vollgültiger  Beweis  seines  wissenschaft- 
lichen Werth  es  und  seiner  practischen  Brauch- 
barkeit dienen.  Wer  sich  für  die  neuesten 
Erscheinungen  und  Errungenschaften  des 
Arzneischatzes  interessirt  und  in  zuverlässi- 
ger Weise  sich  über  dieselben  informiren 
will,  wird  in  dem  verdienstvollen  Buche 
Alles  finden,  was  er  sucht  und  braucht. 
Auf  die  ungewöhnlich  klare,  fliessende  und 
geschickte  Art  der  Darstellung  ist  bereits 
bei  Besprechung  der  früheren  Auflagen  ganz 
besonders  hingewiesen  worden.  —  In  der 
nun  vorliegenden  vierten  Auflage  haben  die 
einzelnen  bereits  vorhandenen  Monographien 
wesentliche  Aenderungen  und  dankenswerthe 
Vervollständigungen  erfahren.  Neu  aufge- 
nonmien  wurden:  Chloralammonium,  Chloral- 
amid,  Eucalyptol,  Exalgin,  Hydracetin,  Hy- 
drargyr.  benzoicum,  Hydrargyr.imidosuccinic, 
Hydrargyr.  thymicum  (und  thymico-acetic), 
Hydroxy laminum  hydrochloricum,  Methacetin^ 
Methylchlorid,  Methylenchlorid,  Myrtol,  ThioJ. 
Der  Umfang  des  Buches  hat  dadurch  wiederum 
um  50  Seiten  zugenommen.  Nach  wie  vor 
kann  dasselbe  als  ein  nützlicher  und  zuver- 
lässiger Freund  und  Rathgeber  allen  Fach- 
männern angelegentlich  empfohlen  werden. 

Babow. 


Practische  ITotiBeii 

und 

empfehlenswerthe  ArBneiformelii. 


Graue  Quecksilbersalbe  als  Abortivum  gegen 
PanarlÜum.  Von  Dr.  A.  Model  in  Mom- 
mingen.   (Originalmittheilung.) 

Bei  unzweifelhaft  begonnenen  Panaritien 
sieht  man  bekanntlich  die  Versuche,  den 
Entzündungsprocess  wieder  rückgängig  zu 
machen  und  damit  alle  unangenehmen  Fol- 
gen zu  verhüten,  fast  immer  scheitern. 

Ich  habe  es  in  solchen  Fällen  des  An- 
fangsstadiums probat  gefunden,  die  ganze 
bedrohte  Endphalange,  nach  genügender  anti- 
septischer Reinigung,  bis  zur  Längsmitte 
des  Fingers  herab  mit  einem  dicken  Hut 
von  consistentem  Ung.  einer,  dicht  zu  um- 
geben und  denselben  —  mit  Sublimatgaze 
und  sicherndem  Gummifinger  überzogen  — 
ununterbrochen  liegen  zu  lassen.  Vorderarm 
und  Hand  in  Mitella.  Wo  der  Process  nicht 
allzuweit  vorgeschritten  war,  sah  ich  öfters 
—  besonders   im  jugendlichen  Alter  —  die 


488 


Pnetiicha  NotSxen  und  •mpfehlantwartha  Arzneiformeln. 


rTharapantiiche 
L  Monatshefte. 


objectiven  und  subjectlven  Erscheinungen 
sofort  allmählich  zurückgehen.  Schwellung, 
Köthung,  Hitzegefuhl  und  das  lästige  Klopfen 
nahmen  ab,  eigentliche  Eiterung  trat  nicht 
ein  und  die  partiell  etwa  emporgehobene 
Epidermis  stiess  sich  später  (besonders  um 
die  Anwachsstelle  des  Nagels  herum)  ganz, 
oder  fast  ganz  trocken  ab.  Panaritia  pro- 
funda dürften  sich  allerdings  durch  diese 
Methode,  auch  bei  bester  Ruhe,  in  ihrer 
Weiterentwicklung  kaum  merklich  beein- 
flussen lassen. 

Terpenthinöl  gegen  Diphtherie. 

Dr.  Peabody  empfiehlt  in  „The  Omaha 
Clinic"  bei  Diphtherie  Terpenthinöl  nach 
folgender  Formel: 

IV  Ol.  Terebinthinae 
Sacchari 

Gummi  arabici  aa  7,5 
Aq.  destillat.     120,0 
M.  f.  lege    artis  emulsio.    D.  S.  3 stünd- 
lich  1   Theeloffel  zu  nehmen. 

Auch  Inhalationen  yon  Terpenthinol- 
dämpfen  (auf  heisses  Wasser)  waren  oft 
nützlich. 

Kobert  weist  in  „Fortschritte  der  Medicin 
1889  No.  15"  darauf  hin,  dass  die  Anwen- 
dung des  Terpenthinöls  durchaus  nicht  neu 
ist.  Seine  Brauchbarkeit  in  vielen  Fällen 
unterliege  keinem  Zweifel;  es  dagegen  als 
eine  Panacee  ansehen  zu  wollen,  wäre  ver- 
kehrt. 

Abführende  Chocolade« 

um  Ricinusöl  in  eine  angenehme  Form  zu 
bringen,  empfiehlt  Giraud  jun.  (Pharmaceut. 
Zeitung  1889  No.  50)  dasselbe  mit  Choco- 
lade  zusammen  zu  Pastillen  zu  formen: 
Cacaopulver  entölt   50,0 
Zuckerpulver  100,0 

Ricinusöl  50,0 

Vanille  q.  s. 

Aus  dieser  Masse  werden  Tafeln  oder 
grossere  Pastillen  verfertigt.  Etwa  10  g 
dieser  Chocolade  sollen  bei  einem  Kinde  ab- 
führend wirken. 

Gegen  Meteorismus 

empfiehlt  Osley  (Lancet.  Mai  1889)  die 
Knieellenbogenlage.  Ein  Patient  fühlte  so- 
gleich, nachdem  er  diese  Lage  eingenommen 
hatte,  vollständige  Erleichterung,  während 
alle  anderen  Mittel  gegen  den  Meteorismus 
nichts  geholfen  hatten. 

Bei  Endometritis 

hat  V.  Swiecicki  (Allg.  med.  Centr.  Ztg. 
1889,  70)  in  12  Fällen  Morphium  angewandt. 


Er  führte  dessen  Salz  in  Losung,  gewohn- 
•0,005  pro  dosi  drei  Male  wöchentlich  in 
die  Uterushöhle  ein.  Die  Behandlung 
dauerte  durchschnittlich  3 — 4  Wochen,  und 
er  konnte  in  7  Fällen  eine  Besserung  und 
in  4  Fällen  eine  vollständige  Beseitigung 
des  üteruskatarrhs  constatiren.  Nur  in 
einem  Falle  war  eine  derartige  einfache  Bc- 
handlungsweise  ohne  sichtbaren  Erfolg.  Erst 
die  Chlorzinkbehandlung  beseitigte  die  En- 
dometritis, die  hier  wahrscheinlich  gonor- 
rhoischer Natur  gewesen  war. 

Zur  Reposition  eingeklemmter  Brüche 

ist  neuerdings  der  Aetherspray  von  Tims, 
Birt  und  Lloyd  versucht  worden.  Jedes 
Mal  war  ein  günstiger  Erfolg  zu  ver- 
zeichnen. 

Gegen  chronischen  Blasenkatarrh 

'wird  von  Prof.  v.  Mosetig-Moorhof  (Wien, 
med.  Presse  1889)  empfohlen,  1  Esslöffel 
der  folgenden  Emulsion: 

Vr  Jodoformii  50,0 

Glycerini  40,0 

Aq.  dest.  10,0 

Gum.  Tragacanth.  0,25 
in  */a  Liter  warmen  Wassers  zu  vertheilen  und 
nach  vorheriger  Reinigung  der  Blase  in  die- 
selbe einzuspritzen.  Jeden  dritten  Tag  eine 
Spritze.  Nach  3 — 4  Sitzungen  soll  der 
Katarrh  geheilt  oder  gebessert  sein. 

Gegen  nächtliche  Incontinentia  urinae 

wendet  Richards  mit  Erfolg  Kalium  bro- 
matum  in  Combination  mit  Tinct.  Bella- 
donna an.  Allein  verabreicht  wirkte  weder 
das  eine  noch  das  andere  Mittel.  Vor  dem 
Schlafengehen  giebt  er  0,6  Kalii  bromati 
und  gleichzeitig  10  bis  20  Tropfen  Tincturae 
Belladonnae. 

Gegen  Fussschweisse 

wird  (Wiener  klin.  Wochenschr.  1889  No.34) 
folgendes  Streupulver  empfohlen: 

'V  Acid.  salicylic.  5,0 

Alumiuis  2,0 

Acid.  tannici  3,0 

Amyii  trit.  90,0. 

Behufs  Desinfection  der  Thyphus-  und  Cholera- 
ausleerungen 

genügt  es  nach  den  Untersuchungen  von 
E.  Pfuhl  (Zeitschr.  f.  Hygiene  VI.  Bd., 
1889),  so  lange  Kalkmilch  zuzusetzen,  bis 
nach  sorgfältigem  Mischen  jede  Probe  der 
Ausleerung  eine  starke  Bläuung  von  rothem 
Lackmuspapier  hervorruft,  also  eine  deut- 
liche alkalische  Reaction  zeigt. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  von  GruaUT  Schade  (Otto  Francke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 

1889.    November. 


Origmalabhandlimgen. 


Ueber  die  Anwendung^  von  Jod-  und 
Brompräparaten  per  Rectum  zu  localen 
(regrioii&ren)  und  allgemeinen  Heil- 
zwecken. 

Von 

Prof.  Heinrich  Köbner  in  Berlin. 

Bei  der  ucgewobnlicli  reicbbaltigen  Litte- 
ratur  der  letzten  zwei  Decennien  über  den 
tberapeutiscben  Gebrauch  bezw.  die  ver- 
schiedenen Gebrauchsweisen  der  Haloide  und 
aller  ihrer  Verbindungen  nimmt  es  Wunder, 
so  ausserordentlich  wenig  über  die  Darrei- 
chung derselben,  speciell  des  Jods,  des  Broms 
und  ihrer  Salzverbindungen,  durch  das 
Rectum  publicirt  zu  finden,  obwohl  dasselbe 
als  Applicationsorgan  auch  dieser  Präparate 
mannigfache  Nutzanwendungen  und  Vorzüge 
darbietet.  Ich  mochte  daher  die  unter  ein- 
ander sehr  yerschiedenen  Heilzwecke,  -welche 
ich  innerhalb  Yon  etwa  25  Jahren  bei  ge- 
eigneten Fällen  damit  erfüllt  habe  und  deren 
Kreis  ich  durch  die  gefällige  Mitwirkung 
zweier  befreundeter  Collegen  im  letzten 
Jahre  erweitern  konnte,  sowie  die  For- 
men und  Combinationen  ihrer  Darreichung 
weiteren  Kreisen  bekannt  geben,  da  sowohl 
ein  hierauf  gerichteter  Einblick  in  die 
besten  deutschen  Lehrbücher  der  Arznei- 
mittellehre, sowie  der  Syphilidologie,  als 
neuerliche  Erkundigungen  bei  speciellen 
Fachcollegen  mich  gelehrt  haben,  dass  reelle 
klinische  Erfahrungen  Anderer  hierüber  fast 
gänzlich  fehlen  und  es  sich  allenfalls  in 
einem  oder  dem  andern  dieser  Lehrbücher 
um  hypothetische  Möglichkeiten  jener  Anwen- 
dung handelt. 

Die  rectale  Application  der  Jod-  und 
Brompräparate  habe  ich  in  zweierlei  Rich- 
tungen sehr  brauchbar  gefunden: 

einmal  für  locale  bezw.  regio- 
näre Indicationen  und  zweitens  für 
die  constitutionellen  bezw.  für 
die  Heilwirkungen  dieser  Mittel 
auf  fern  liegende  Organe. 
Einzig  seit  langer  Zeit  bekannt  und  in 
die  Praxis,    wenigstens    seit  Schi  ei ss   von 


Löwen feld's^)  Empfehlung,  eingeführt  ist 
die  Verordnung  von  Jodkalium  in  Form  von 
Suppositorien  gegen  chronische  Pro- 
statitis. Schleiss  selbst  „brachte  in  der 
Regel  nur  jeden  2.  Tag  ein  keilförmiges, 
bohnengrosses  Stück  einer  wachsharten  Salbe 
(aus  1  Theil  Jodkalium  auf  S^/e  Theile  Cacao- 
butter  und  ^/e  Theil  Süssmandelöl)  auf  der 
Spitze  seines  Zeigefingers,  in  dessen  Nagel 
eingehackt,  in  der  Bauchlage  des  Kranken 
auf  die  vordere  Wand  der  Mastdarmhohle 
und  rieb  es  auf  der  Prostatagegend  während 
etwa  5  Minuten  ein;  nachher  Hess  er  den- 
selben noch  ^4  Stunde  in  der  Bauchlage 
verharren".  Mit  Recht  hob  Schleiss  her-' 
vor,  dass  durch  diese  locale  Einreibung, 
welche  er  schon  vor  langer  Zeit  „auf  An- 
ordnung und  Anweisung  seines  Lehrers 
Philipp  V.  Walther"  anwenden  gelernt 
und  bei  welcher  das  Jodkalium  end osmotisch 
nur  die  Mastdarm  Schleimhaut  zu  durchdrin- 
gen hat,  mit  einem  Male  mehr  hiervon  in 
die  Prostata  gebracht  werde,  als  bei  inner- 
lichem Gebrauche  in  Wochen.  Nur  wo 
wegen  räumlicher  Entfernung  der  Kranken 
es  nicht  möglich  war,  die  Einreibung  selbst 
vorzunehmen  oder  sie  durch  einen  Stell- 
vertreter vornehmen  zu  lassen,  hiess  Schi, 
die  Kranken  sich  selbst  „von  Zeit  zu 
Zeit  ein  solches  Stuhlzäpfchen  in  auf  dem 
Bauch  liegender  Stellung  einzulegen".  In- 
dess  stiessen  ihm  selbst  schon  Fälle  auf,  in 
welchen  „die  Einreibung  innerhalb  des 
Mastdarms  unmittelbar  auf  die  prosta- 
tische Hervorragung  wegen  zu  grosser 
Schmerzhaftigkeit  bei  der  Introduction  des 
Fingers  nicht  ausführbar  war",  andere,  in 
welchen  auch  die  Kranken  selbst  zur  Appli- 
cation der  Zäpfchen  sich  nicht  fähig  zeigten. 
Solche  Hess  er  als  Ersatz  entweder  jene 
Salbe  am  Perineum  einreiben,  trotzdem  er 
diese,  von  den  meisten  früheren  Autoren  bei 
Prostataleiden  für  zertheilend  oder  schmerz- 
lindernd wirkende  Salben  empfohlene  Gegend 
wegen  der  grosseren  Entfernung  von  der 
Prostata,    d.   h.    wegen    der    viel    beträch t- 

*)    Zur    Symptomatologie    und    Therapie    dei 
Prost&takrankheiten.    1858. 

62 


490 


Köbnar,  Anwendung  von  Jod-  und  Brompräparatan  per  Rectum  etc. 


rlierAptetiiche 
Monatahefte. 


lieberen  Masse  der  dazwischen  liegenden 
Gewebe  mit  Recht  für  viel  ungeeigneter 
bält,  als  den  Mastdarm.  Oder  er  Hess  zeit- 
weise statt  der  die  Schleimhaut  zu  reizenden 
Salbe  Klystiere  aus  der  Adelheidsquelle  von 
Heilbronn  geben. 

Yon  diesen  Angaben,  deren  Wiedergabe 
bei  dem  heute  zu  Tage  herrschenden  Mangel 
an  historischer  Gerechtigkeit  gegen  frühere 
verdiente  Autoren  auch  auf  dem  Gebiete 
der  uropoetischen  und  Genitalkrankheiten 
mir  begründet  erscheint,  ist  in  der  Praxis 
Tielfach  abgewichen  worden.  Zunächst  in 
Betreff  der  Suppositorienform.  Dieselben 
sind  wohl  von  Neueren  niemals  eigenhändig 
eingeführt  und  im  Rectum  eingerieben,  dafür 
aber  den  Kranken  selbst,  und  zwar  in 
schwächerer  Zusammensetzung  und  in  einer 
grösseren  Salbenmenge  eingehüllt  —  im  All- 
gemeinen 0,2  Jodkalium  auf  1,0  bis  1,5  Ca- 
caobutter  —  zur  Selbsteinführung  verordnet 
worden. 

Ich  selbst  habe  seit  langer  Zeit  Zusätze 
verordnet.  Der  nächstliegende  bestand 
überall,  wo  noch  eine  irgend  erhebliche 
Empfindlichkeit  der  allseitig  oder  nur  in 
einem  Lappen  geschwollenen  Prostata  auf 
Druck  oder  ein  reflectorischer  Tenesmus  des 
Mastdarms  nach  Einschiebung  des  Zäpfchens, 
oder  wo  noch  Tenesmus  vesicae  mit  vermehr- 
tem Harndrang  am  Tage  sowie  in  der  Nacht 
vorhanden  war,  in  einem  Zusatz  von  Extr. 
Beilad.,  wovon  bei  nur  Imal  täglicher  Ein- 
führung eines  0,25  Jodkalium  enthaltenden 
Zäpfchens  demselben  0,02  bis  0,03,  bei 
2  maliger  nur  0,01  bis  0,015  zugesetzt 
wurden.  Denn  so  schnell  und  angenehm 
sich  oft  genug  seine  beruhigende  Wirkung, 
namentlich  auf  den  Blasenhals,  kund  gab, 
so  durften  doch  niemals  dem  Kranken  zu 
viel  solcher  Zäpfchen  auf  einmal  verordnet 
werden,  d.  h.  derselbe  nicht  länger  als 
etwa  5 — 6  Tage  ohne  Besichtigung  bleiben, 
weil  selbst  bei  obiger  Tagesdosis  zu- 
weilen Zerstreuungskreise  und  Flimmern 
vor  den  Augen,  die  Unfähigkeit  in  der 
Nähe  zu  lesen  oder  kleine  Objecto  scharf 
zu  erkennen,  als  Symptome  der  den  Kran- 
ken unbewussten  und  mit  dem  Gebrauche 
der  Zäpfchen  nicht  in  Zusammenhang  ge- 
dachten Mydriasis  und  Accomodationsparese 
schon  nach  einigen  Tagen  auftraten  und 
zum  baldigen  Aussetzen  nöthigten.  Auf 
Grund  dieser  Erfahrungen  habe  ich  seit 
Jahren  bei  jeder  Verordnung  Belladonna- 
haltiger  Suppositorien    irgend    welcher  Art') 

*)  Auch  nach  Einführung  eiues  mit  Extr.  Bella- 
donn.  in  Salbenform  bestrichenen  Tampons  in  die 
Vagina  einer  an  Parametritis  et  Oophoritis  leiden- 
den Wöchnerin   habe   ich    einmal   Intoxikationser- 


^    0,25 
(1,0), 


die  Kranken  von  vornherein  angewiesen, 
beim  ersten  Auftreten  von  Flimmern  vor 
den  Augen  und  undeutlichem  Sehen  jene 
auszusetzen. 

Viel  häufiger  fügte  ich  aber  Brom- 
kalium hinzu  aus  dem  doppelten  Gesichts- 
punkte, alle  sexuellen  Erregungen  nach  dem 
Ablauf  acuter  und  während  der  Dauer  chro- 
nischer Entzündungen  der  Prostata  resp.  des 
meistens  noch  mit  erkrankten  prostatischen 
Theiles  der  Urethra  zu  beruhigen,  sowie 
die  resorbirende  Wirkung  des  Jodkaliums 
nach  Art  des  gemeinschaftlichen  Vorkom- 
mens in  natürlichen  Mineralwässern  zu  stei- 
gern.    So  verordnete  ich  früher  gewöhnlich: 

Kai.  iod. 
Kai.  brom. 
Ol.  Cacao  q.  s. 

welcher  Mischung  ich  nur  selten  die  oben 
erwähnten  Dosen  von  Extr.  Beilad.  beigab. 
Bei  empfindlichen  Kranken  wurde  häufig 
durch  diese  Composition,  sowie  schon  durch 
die  blossen  Jodkaliumzäpfchen  ein  Gefühl  des 
Brennens  iii  der  Schleimhaut  hervorgerufen, 
welches  durch  Belladonnazusatz  oft  nicht 
gemildert  wurde  und  nicht  selten  zu  der  Aus- 
stossung  des  Zäpfchens  schon  nach  wenigen 
Minuten  führte.  Dies  veranlasste  mich,  die 
Verordnung  derselben,  da  sie  immerhin  eines 
längeren  Schmelzens  im  Mastdarm  bis  zu 
ihrer  völligen  Verflüssigung  bedürfen  und, 
so  lange  diese  nicht  eingetreten,  jenen  trotz 
hohen  Emporschiebens  oberhalb  des  Anus 
auch  mechanisch,  besonders  bei  Lageverän- 
derungen der  Kranken,  reizen,  immermehr 
einzuschränken  und  zu  Lösungen  überzu- 
gehen. Es  schien  mir  aber  wenig  rationell, 
zu  solchen  Kly stieren  die  so  schwachen 
natürlichen  Jodmineralwässer,  wie  die  oben 
genannte  Adelheidsquelle,  oder  deren  Ah- 
dampfungsproducte,,wie  Elreuznacher  Mutter- 
lauge oder  Laugensalzlösungen  zu  wähleo, 
wovon  ungefähr  */a  Liter  nöthig  sind  und 
welche  unendlich  mehr  Chlomatrium,  Chlor- 
calcium  und  andere  für  die  hier  angestrebte 
Wirkung  entbehrliche  Salze  enthalten.  Viel 
rationeller,  weil  sicher  dosirbar,  den  Kran- 
ken viel  leichter  erträglich,  weil  wegen  der 
viel  geringeren  Schleimhautreizung  die  Mus- 
kelcontractionen  der  Sphincteren  kaum  er- 
regend, und  in  gleichen  Zeitfristen  wirksamer 
sind  kleine  Klysmen  von  Jodkalium- 
lösungen, welchen  je  nach  Bedarf  auch 
Bromkalium  und  bei  grösseren  oder  länger 
bestehenden  oder  sich  träge  verkleinernden 
Indurationen  der  Prostata  schon  nach  weni- 


scheinuncen  beobachtet.  Jahresber.  d.  schles.  Ge- 
sellßch.  t  Vaterland.  Cultur  für  1865.  Bresl.  1886, 
p.  139. 


Norembe/^9.  J  KSbner,  Anwendung  von  Jod-  und  Brompräparaten  per  Rectum  etc. 


491 


yertheilt  auf 
10  Elysmata, 


für  20 
Klysmen, 


gen  Tagen  reine  Jodtinctur  zugesetzt  wird. 
So  begann  ich  z.  B.  mit  Lösungen  yon: 

Kai.  iod.  3,0 

„     brom.  2,5—3,0 
(eyent.  nebst 

Extr.  Bellad.  0,3 !) 

Aq.  200,0 

so  dass  bieryon  je  20  g  in  nur  50  bis 
100  erwärmten  Wassers  anfangs  täglich  1, 
später  2  mal  injicirt  wurden. 

Dem  ersten  —  gewohnlich  dem  Morgen- 
Klysma  —  liess  ich  ein  grösseres  Reini- 
gungsklystier  aus  kühlem  Wasser  voraus- 
schicken, nach  der  YöUigen  Entleerung  des 
Rectums  behufs  YÖlligen  Aufhörens  des 
Stuhldranges  '/a  ^^8  1  Stunde  warten,  bevor 
der  in  das  Bett  zurückgekehrte  Patient  sich 
in  der  Seitenlage  jene  kleine  Arzneiein- 
giessung  machte,  mit  welcher  er  noch  min- 
destens ^/4  Stunde  liegen  zu  bleiben  ange- 
wiesen wurde.    Weiterhin  stieg  ich  z.  B.  auf 

Kai.  iod.  10,0 

„     brom.  8,0—10,0 

(event.  nebst 

Extr.  Beilad.  0,6) 

Aq.  300,0 

also  je  15,0  dieser  Lösung  nebst  80  bis 
100  g  Wasser,  2mal  täglich  zu  injiciren. 
Höchst  wirksam  und  überraschend  gut 
vom  Mastdarm  tolerirt  fand  ich  nun  Zu- 
sätze reiner  Jodtinctur,  welche  ich 
vorzog,  von  diesen  Lösungen  gesondert 
vorräthig  halten  zu  lassen,  um  die  Zahl 
ihrer  hin zuzu träufelnden  Tropfen  an  jedem 
beliebigen  Tage  variiren  zu  können.  Von 
3  Tropfen  während  etwa  3  bis  5  Tagen  liess 
ich  auf  5,  6,  nach  einigen  Wochen  auf  9  bis 
10  Tropfen  für  jedes  solches  Klysma  steigen, 
ohne  jemals  Zeichen  einer  Schleimhautentzün- 
dung zu  beobachten.  Wohl  aber  ging  die  Ab- 
schwellung  der  Prostata  und,  wo  sie  vorhanden 
war,  auch  die  katarrhalische  Hypersecretion 
derselben  rascher  als  vorher  zurück,  und  wie- 
derholt machte  der  verminderte  Tenesmus 
vesicae  den  Zusatz  des  Belladonnaextractes 
entbehrlich.  Mehrere  Kranke,  welche  den 
Beginn  ihrer  häufig  gar  nicht  diagnosticirten 
und  meistens  durch  schablonenmässig  ver- 
ordnete mehrmonatliche  Urethralinjectionen 
gesteigerten  chronischen  Entzündung  beider 
Seiten-  und  in  geringerem  Grade  auch  des 
mittleren  Lappens  der  Prostata  auf  l'/a  Jahre 
und  länger  zurück datirten,  bemerkten  nach 
dem  regelmässigen  Gebrauch  jener  Klysmen 
während  einer  Reihe  von  Wochen  das 
Schwinden  der  lästigen  subjectiven  Be- 
schwerden bezw.  Parästhesien  im  Penis  und 
besonders  in  der  Glans,  namentlich  der 
Empfindungen    von    Kälte    und    von    Kraft- 


losigkeit in  denselben  und  gaben  unbefragt 
das  Wiedererwachen  desAppetitus  coeundi  an. 

Eine  zweite,  aber  ungleich  seltenere  lo- 
cale  Indication  boten  mir  einige  Fälle  von 
syphilitischen  Mastdarmgeschwüren 
mit  begleitendem,  hartnäckigem,  reich- 
lich secernirendem  Katarrh  der  Rec- 
tumschleimbaut,  welcher  jene  lange  Zeit 
überdauerte.  Nach  fast  nutzloser  Behand- 
lung dieses  letzteren  mit  adstringirenden 
und  desinficirenden  Eingiessungen  hatten 
kleine,  nur  Jodkalium  (0,5 — 1,0)  enthaltende 
Klysmen  öfter  Erfolg. 

Der  chemische  Nachweis  des  Jodes  im 
Speichel  und  Harn  jener  Prostatakranken  — 
in  ersterem  nach  Einführung  von  Supposi- 
torien  von  nur  0,25  Jodkaliumgehalt  schon 
nach  20 — 30  Minuten,  im  Harn  nach  Klys- 
men von  0,5  schon  nach  10 — 12  Minuten, 
aufhörend  um  die  20.  bis  22.  Stunde,  nach 
Klysmen  von  1,0  Jodkalium  bis  zur  28.  bis 
30.  Stunde  —  hatte  mir  die  Schnelligkeit  und 
die  Dauer  seiner  Elimination  und  damit  die 
Resorptionsfähigkeit  der  Rectum- 
schleimhaut  für  Jodpräparate  als  un- 
gefähr gleichbedeutend  mit  jener  des 
Magens  unmittelbar  vor  die  Augen  geführt 
und  mich  zuerst  auf  die  Verwerthung  jener 
auch  für  die  constitutionellen  Heil- 
anzeigen derselben,  in  erster  Reihe  bei 
Syphilis  hingeleitet.  Insbesondere  schienen 
mir  solche  Syphiliskranke  zu  dieser  Anwen- 
dungsweise einzuladen,  welche  bei  früheren 
Versuchen  innerlichen  Jodgebrauches  sehr 
bald  die  heftigsten  Beschwerden  gehabt 
hatten  und  deshalb  sich  durchaus  keiner 
Jodcur  unterziehen  mochten,  so  noth wendig 
eine  solche  auch  für  sie  war. 

Als  erster  einschlägiger  Fall  präsentirte 
sich  mir  Ende  October  1865  ein  Hütten- 
meister aus  Oberschlesien,  welcher  nach 
einer  Infection  vor  9  Jahren  frühzeitig  Haut- 
geschwüre im  Gesicht,  später  an  den  unteren 
Extremitäten  bekommen  hatte,  die  nach  ver- 
schiedenen mercuriellen  und  Zittmann^schen 
Guren  mit  Entziehungskost  in  einem  Knapp- 
schaftslazareth  sehr  vorübergehend  vernarbt, 
während  einer  fast  2jährigen  „Erholungs- 
cur^  in  einer  Kaltwasseranstalt  durch  Ent- 
stehung und  Zerfall  immer  neuer  Hautknoten 
sich  über  das  ganze  Gesicht,  die  Kopfhaut, 
die  Ohren  und  den  Nacken  verbreitet  hatten. 
In  diesem  Zustande  war  er  zu  zwei  ver- 
schiedenen Malen  von  Hebra  im  Wiener 
allgemeinen  Krankenhause,  zum  ersten  Mal 
1860  als  mit  vermeintlichem  Lupus  exulce- 
rans  behaftet,  4  Monate  hindurch  mit  Leber- 
thran  innerlich  und  äusserlich,  nachher 
2  Monate  lang  mit  Zittmann^schem  De- 
coct,  zum  zweiten  Mal  1863   wiedefrum  mit 

62* 


492 


Köbner,  Anwendung  von  Jod-  und  Brompräparaten  per  Rectum  etc. 


rlterapentladie 
Monatahefte. 


letzterem  behandelt  -und  die  Benarbung  unter 
Hinterlassung  von  Ectropien  beider  unteren 
Augenlider  und  narbiger  Retraction  der 
Ohren  bewirkt  worden.  Gegen  immer  wieder 
auftretende  und  ulcerirende  neue  Knoten 
am  Kopf,  den  Armen  und  Unterschenkeln 
war  seitdem  in  seiner  Heimath  wiederholt 
Jodkalium  verordnet  worden,  welches  aber 
jedes  Mai  wegen  baldiger  Symptome  von 
Jodismus  nebst  vollständigem  Verluste  des 
Appetits  bei  Seite  gesetzt  werden  musste. 

Bei  seinem  Eintptte  in  meine  Behand- 
lung mit  evidenten  knotig  -  geschwürigen 
Syphiliden  des  Gesichtes,  der  Vorderarme 
und  Unterschenkel,  kleinen  Periostosen  der 
Ulnae,  Lungen-  und  Magenkatarrh  nebst 
herabgekommener  allgemeiner  Ernährung 
weigerte  sich  daher  dieser  Kranke  von  vorn- 
herein vor  dem  Einnehmen  jeder  jodhaltigen 
Arznei.  So  versuchte  ich  bei  ihm  zum 
ersten  Male  gegen  Syphilis  Jodkalium  per 
Rectum,  und  zwar  in  Suppositorien  zu  1  g, 
während  ich  zugleich  den  Magenkatarrh  und 
örtlich  auch  die  Haütgeschwüre  behandelte. 
Trotzdem  er  ungefähr  '/a  Stunde  nach  dem 
Einbringen  jedes  Suppositoriums  einen  leicht 
bitteren  Jodgeschmack  empfand,  vertrug  er 
doch  diese  Medication  so  gut  und  seine  Er- 
nährung und  Gesammtbefinden  hoben  sich 
dabei  derart,  dass  jene  14  Tage  lang  fort- 
gesetzt werden  konnten.  Dann  aber  nö- 
thigten  schmerzhafte  Hämorrhoidalknoten 
zum  Aussetzen  und  zur  Substituirung  der 
Suppositorien  durch  ein  innerliches  Jod- 
präparat, als  welches  sich  nach  Lage  dieses 
Falles  der  Syrup.  ferri  iodati  empfahl.  In- 
dess  veranlasste  dieser  dem  Kranken  so  viel 
Beschwerden,  dass  wir  nach  13  Tagen  wie- 
der die  Suppositorien  aufnahmen,  welche 
nun  bis  zu  der  —  unter  beständiger  gleich- 
zeitiger Localbehandlung  der  zahlreichen 
Geschwüre  —  bis  Mitte  Januar  1866  er- 
zielten Heilung  derselben  und  Rückbildung 
der  Periostosen  unausgesetzt  vertragen 
wurden. 

In  allen  späteren  Fällen  von  Syphilis, 
welche  wegen  Verdauungsstörungen  oder 
wegen  frühen  Eintretens  der  verschiedenen 
Symptome  des  Jodismus,  nicht  immer  blos 
der  katarrhalischen  der  Nasenschleimhaut  und 
der  angrenzenden  Stirn-  und  Highmorshöhle, 
der  Conjunctiva,  der  Thränenwege  und  der 
Respirationsschleimhaut  sowie  des  Magens, 
sondern  mitunter  auch  der  zu  wenig  bekannten 
Congestionen  nach  dem  Kopf  und  hie  und 
da  neuralgischer  Schmerzen  im  Trigeminus- 
gebiet  den  internen  Gebrauch  von  Jodprä- 
paraten ausschlössen,  verwendete  ich  das 
Jodkalium  nur  noch  in  Kly stierform ,  und 
zwar  zu  *0,5,  anfangs  nur   Imai   täglich,  je 


nach  der  Toleranz  desselben  und  nach  der 
Art  der  syphilitischen  Symptome  auf  0,75 
und  zuletzt  auf  1,0  pro  Clysma  steigend. 
Bei  Individuen  mit  heftiger  Idiosyncrasie 
empfiehlt  sich  die  Vertheilung  dieser  Dosis 
auf  2  Klysmen  (Morgens  und  Abends),  wenn 
man  die  Hauptvorzüge,  welche  sie  selbst 
von  dieser  Applicationsmethode  angeben, 
den  verhältnissmässig  ungleich  weniger  be- 
lästigenden bitteren  Geschmack  und  die 
Erhaltung  des  Appetits  —  von  den  ge- 
nannten Arzneisymptomen  ganz  abgesehen 
—  nicht  verlieren  will.  Ja,  es  gab  unter 
ihnen  solche,  welche  im  Beginn  nur  0,25 
Jodkalium  oder  Jodnatrium  auf  einmal  ver- 
trugen und  erst  nach  einiger  Zeit  eine  Stei- 
gerung auf  0,5  und  endlich  auf  0,8  zu- 
liessen. 

Die  therapeutischen  Wirkungen  dieser 
Jodklysmen  selbst  in  relativ  so  kleinen  Tages- 
mengen begannen  auffallend  schnell.  Bei 
mehreren  Patienten  mit  syphilitischen  Perio- 
stitiden  an  den  Schädelknochen,  welche 
viele  Wochen  hindurch  wegen  der  bohren- 
den osteocopen  Schmerzen  trotz  der  ver- 
schiedensten vorher  gebrauchten  Narcotica 
und  auch  mancher  moderner  antineuralgi- 
"  scher  oder  „Kopfschmerz "-Mittel,  z.  B.  des 
Antipyrin,  Phenacetin,  nicht  schlafen  gekonnt 
hatten,  trat  schon  nach  3  Klysmen  zu  je 
0,5  Jodkalium  binnen  anderthalb  Tagen  die 
erste  schmerzfreie  und  völlig  durchschlafene 
Nacht  ein.  Ebenso  markirte  sich  Mh zeitig 
ihre  Wirkung  auf  papulÖse  Syphiliden  der 
Haut  und  mehr  noch  auf  Plaques  muqueuses 
der  Rachenschleimhaut. 

Achtet  man  darauf,  die  Jodsalzlösungen 
einerseits  nicht  concentrirt,  andrerseits  nicht 
in  einer  zu  grossen  Wassermenge  —  im 
Durchschnitt  zwischen  70  bis  120  g  — , 
statt  welcher  man  bei  besonders  empfind- 
licher Rectumschleimhaut  auch  lauwarme 
Emulsionen  von  Leinsamen  oder  Milch 
wählen  kann,  zu  verordnen,  so  dass  die 
Patienten  sie  völlig  bei  sich  behalten,  so 
ist  diese  Applicationsmethode  in  den  be- 
zeichneten Fällen  sehr  empfehlenswerth. 
Insbesondere  ist  sie  weit  vorzuziehen  der 
von  mehreren  Autoren  in  neuerer  Zeit  ver- 
suchten subcutanen  Injection  von  Jodkalium- 
lösungen,  weil  sie  erstens  leichter  —  von  den 
Kranken  selbst  —  auszuführen,  zweitens  frei 
von  den  durch  die  subcutanen  Injectionen 
hervorgerufenen  Schmerzen  und  bei  irgend 
erheblicher  Concentration  auch  Entzündungen 
der  Haut  bis  zur  Verschorfung  ist  und  so- 
mit ungleich  länger  fortgesetzt  werden  kann, 
und  weil  sie  endlich  für  eine  andere  Cate- 
gorie  von  Syphilisfällen  für  schnelle  Ein- 
führung grosser  Jodmengen  benutzt  wer- 


III.  Jahrgang.  1 
November  1889.  J 


Köbner,  Anwendtkng  von  Jod-  und  Brompräparaten  par  Raetum  etc. 


493 


den  kaon.  Ick  meine  hauptsächlich  Fälle  von 
Syphilis  des  Gehirns,  namentlich  solche, 
wo  Schluckbeschwerden  oder  ünbesinnlich- 
keit  Yorhanden  sind.  Freilich  wird  man  in 
solchen  wohl  niemals  die  Combination 
mit  gleichzeitigen  mercuriellen,  seien 
es  Inunctions-  oder  Injectionscuren,  unter- 
lassen, welche  ich  auch  bei  den  meisten 
mit  früheren  oder  anderen  Gewebslocalisa- 
tionen  der  Syphilis  behafteten  Kranken 
gleichzeitig  anwandte. 

Den  beraerkenswerthesten  Fall  unter  den 
auf  diese  Art  Geheilten  stellte  ich  hier  vor 
etwa  iVa  Jahren  vor^),  nachdem  die  Heilung 
2  Jahre    vorher    erzielt    worden    war.       Es 
war  eine  56jährige  Frau,    welche  bei  ihrem 
Eintritt  in   meine  Behandlung  Mitte  Januar 
1886    mit  einer  vor  11   Jahren  begonnenen 
syphilitischen  Myositis  des  linken  Muse, 
sternocleidomastoideus  in  seiner  ganzen 
Länge    und    einem    dadurch   allmählich   be- 
wirkten   Caput    obstipum    geringen    Grades, 
derselben  Muskelinfiltration  des  rechten  Kopf- 
nickers in  seinem  unteren  Drittel,    subcuta- 
nen und  cutanen  gummösen  Knoten  am  An- 
satz beider  Muskeln  am  Brustbein  und  den 
Schlüsselbeinen,  am  Unterkiefer,  über  einem 
Schulterblatt  und  einem  Knie  behaftet  war. 
Alle  diese  Localisationen,  sowie  eine  bisher 
ganz  unbemerkte  Perforation  der  knorpligen 
Nasenscheidewand    hatten    sich  bei  der  seit 
länger  als  20  Jahre  verheiratheten  Ehefrau, 
welche   9  lebende  Kinder   geboren    und   von 
der  Aetiologie  ihrer  Krankheit  keine  Ahnung 
hatte,    so    schleichend  entwickelt,    dass    sie 
mit  Ausnahme  der  allmählich  immer  schwe- 
rer   und    schmerzlich    werdenden    seitlichen 
Kopfbewegungen    von    jener    wenig  Belästi- 
gung hatte.    Dagegen  schilderte  sie  2  malige 
frühere  Heilungsversuche    mit  Jodpilleh    als 
von     den    sofortigen    Symptomen     schweren 
Krankseins,     darunter    namentlich    höchster 
Aufregung,  Beklemmungs-  biszurErstickungs- 
angst  und  anderen  derart  gefolgt,    dass   sie 
niemals  wieder  in   den   Gebrauch  eines  Jod- 
mittels willigen  wollte.    Durch  gleichzeitige 
allgemeine,    auch    nur   mit  Unterbrechungen 
von  ihr  vertragene  und  (meinem  Grundsatze 
gemäss)  auch  regionäre^)  Einreibungen  grauer 
Salbe  neben  den  Jodkly  smen,  welche  in  der  That 
0,75  bis  höchstens  1,0  Jodkalium  in  24  Stun- 
den niemals  übersteigen  durften,  ohne  ihr  die 
widerlichste  und  nachhaltigste  Bitterkeit,  wenn 

')  cfr.  Verhandl.  der  dermatologischen  Vereini- 
gung zu  Berlin  1887/1888,  Sitzung  vom  3.  Juli  1888, 
im  Arch.  f.  Dermat.  u.  Syph.  1889,  Heft  I. 

*)  Vergl.  meinen  Vortrag  auf  der  (Magdeburger) 
Natniforscherversammlnng  1884:  Ueber  die  thera- 
peutische VerwerthuD^  der  lokalen  antisyphilit. 
,  Wirkung  des  Quecksilbers.  Deutsche  med.  Wo- 
chenschr.  1884,  No.  47. 


auch  wenig  sonstige  Beschwerden  zu  verur- 
sachen und  zum  Aussetzen  zu  nöthigen,  ge- 
lang die  völlige  Heilung  binnen  9  bis  10 
Wochen. 

Dass    in    der  That   den  Jodklysmen  ein 
wesentlicher    Antheil    an     dieser    zukommt, 
lehrt    unter    anderen   ihre    alleinige  Anwen- 
dung bei  einem  42  Jahre  alten  Gehirnkran- 
ken, welchen  ich  Anfangs  Mai  dieses  Jahres 
bei  einem  Besuche  in  dem  Irrenasyl  de  Cery 
bei  Lausanne  auf  der  Abtheilung  des  Herrn 
Prof.  Rabow  sah,  und  bei  welchem  wir  als 
höchst       wahrscheinliche      Ursache       seiner 
Aphasie  und  völligen  Anarthrie  bei  erhalte- 
nem Bewusstsein,  seiner  rechtsseitigen  Hemi- 
plegie, des  Kopfwehs  und  Erbrechens  mehr- 
fache   gummöse    Herde    im    Gehirn   dia- 
gnosticirten.     Auf  meine  Bitte   leitete   mein 
geschätzter  Freund,   Prof.  Rabow,   welchem 
ich    die    Summe    meiner    vorstehenden   gün- 
stigen  Erfahrungen   mittheilte,    die   Behand- 
lung  dieses  Kranken  mit  Jodklystieren  ein. 
Ebenso    willigte    derselbe    in    dankens- 
werther  Bereitwilligkeit    in    di^  Ausführung 
meines  Vorschlages,  auch  Bromkalium  in 
Lösungen    per    Rectum   bei   einigen   ihm 
geeignet  scheinenden  Kranken  seiner  Abthei- 
lung mit  Exaltationszuständen  der  ner- 
vösen   Centralorgane    zu   versuchen,    ein 
Gedanke,     auf    welchen    mich    die    Angabe 
mehrerer,    mit  den  oben  angegebenen  brom- 
haltigen Suppositorien  behandelter  Prostata- 
kranker   von    einer    allgemeinen  und   na- 
mentlich   diejenige    eines    sehr  fetten  unter 
ihnen    bezüglich    der   seine    Herzpalpita- 
tionen  sehr  beruhigenden  Wirkung  der- 
selben geführt  hatte. 

Herr  Prof.  Rabow  schrieb  mir  nun  am 
24.  Juni  1889  über  die  von  ihm  verord- 
neten Rectalinjectionen  wörtlich:  „Ich  habe 
diese  Methode  wiederholt  versucht  und  habe 
gefunden,  dass  sowohl  Kai.  bromat.  als 
auch  Kai.  iodat.,  vom  Rectum  aus  ap- 
plicirt,  besser  und  schneller  wirken, 
als  bei  interner  Application.  Jodkali 
Labe  ich  dem  von  Ihnen  bezeichneten,  an  den 
schwersten  Hirnsymptomen  leidenden  Kranken 
auf  diese  Art  3  Wochen  hindurch  mit  bestem 
Erfolge  gegeben.  Die  erste  Woche  erhielt 
er  0,75  in  200,0  Milch  Morgens  und  Abends, 
Da  er  das  Lavement  bei  sich  behielt  und 
schon  nach  wenigen  Tagen  auffallende  Besse- 
rung aller  Symptome  zeigte,  namentlich  an 
Körpergewicht  zunahm ,  stieg  ich  in  der 
zweiten  Woche  auf  die  doppelte  Dosis.  Er 
erhielt  Morgens  und  Abends  1,5  in  200,0 
Milch  14  Tage  hindurch  gleichfalls  mit 
durchaus  befriedigender  Wirkung.  Gar  keine 
Nebenerscheinungen.  Patient  war  erfreut 
über    die    Besserung    seines    Befindens    und 


494 


Köbner,  Anwendung  von  Jod-  und  Brompräparaffan  per  Rectum  etc. 


rrherapentiiclM 
L  MonAteheftcL 


schrieb  dieselbe  der  Rectal  beb  andlung  ,  zu. 
Leider  konnte  ich  die  Behandlung  nicht 
fortsetzen,  da  Patient  Ende  Mai  (als  nicht 
geisteskrank)  aus  der  Anstalt  abgeholt 
wurde. 

Kai.  bromat.  habe  ich  einem  50 jähri- 
gen Herrn,  Melancholiker  mit  Angst- 
zuständen, 2  g  in  200,0  Wasser  gelöst, 
mehrmals  per  Rectum  gegeben.  Die  ersten 
3  Tage  trat  sehr  bald  (viel  schneller  als 
bei  der  inneren  Verabreichung)  Beruhigung 
ein.  Später  blieb  jeder  Erfolg  aus,  weshalb 
ich  von  weiterer  Darreichung  des  Brom- 
kaliums Abstand  nahm. 

Einem  Knaben  von  5^2  Jahren,  an  epi- 
leptiformen  Krämpfen  leidend,  gebe  ich 
—  nachdem  alle  anderen  Mittel  versagt  — 
seit  einiger  Zeit  täglich  1,0  Kai.  bromat. 
in  120,0  Aq.  per  Rectum.  Ich  habe  dabei 
den  Eindruck,  dass  es  lohnt,  mit  dieser 
Behandlung  weiter  fortzufahren,  kann  aber 
ein  definitives  Urtheil  hierüber  noch  nicht 
abgeben." 

Endlich  schien  mir  die  Nutzanwendung 
dieser  Methode  auch  für  die  anderweitigen 
Indicationen  der  Jodsalze,  unter  Anderem 
bei  solchen  Formen  von  Asthma,  geeignet, 
bei  welchen  die  Stauungen  im  kleinen 
Kreislauf  u.  A.  oft  auch  yenöse  Hyperämien 
und  Katarrhe  des  Magens  verursachen,  die 
diesen  Kranken  den  oft  heilsamen  Jod- 
gebrauch verleiden  oder  unmöglich  machen. 
Meine  Bitte  um  einschlägige  Versuche  an 
seinem  reichen  Material  an  Asthmakranken 
erfüllte  in  diesem  Sommer  mit  grosser  Hin- 
gebung und  mit  dankenswerther  Ausdehnung 
auf  noch  zwei  andere  Krankheitsfälle  Herr 
Dr.  Julius  Lazarus,  Arzt  am  hiesigen 
jüdischen  Krankenhause  und  Leiter  des 
pneumatischen  Cabinets  und  der  internen 
Poliklinik  desselben. 

Sein  schriftlicher  Bericht  yom  12.  August 
1889  lautet: 

„Meine  Beobachtungen  sind  in  Kürze 
folgende : 

Frau  R.,  seit  ca.  5  Jahren  an  Asthma  bron- 
chiale leidend,  hat  seit  mehreren  Jahren  Sei.  kal. 
jod.  5  :  150  innerlich,  3  mal  täglich  1  Esslöffol 
gebraucht,  je  nachdem  sie  asthmatische  Anfälle 
hatte  oder  frei  war,  es  dann  aussetzend.  In  der 
letzten  Zeit  stellten  sich  erhebliche  gastrische 
Störungen  ein.  Vom  19.  vor.  Mon.  bis  zum 
10.  d.  Mon.  wurde  ihr  mit  2  Ausnahmen  jeden 
Abend  ein  Klysma  von  einer  Losung  von  Jodkali 
5  :  150  1  Essloffel  auf  5  Esslöffel  Salzwasser  ver- 
abreicht. An  2  Abenden,  wo  dies  nicht  geschah, 
wollte  ich  die  Dauer  des  Jodnachweises  im  Harn 
prüfen.  Es  fand  sich  aber,  dass  länger  als  17 
Stunden  Jod  nicht  nachweisbar  war.  Die  Wir- 
kung dieser  im  Vergleich  zum  innerlichen  Ge- 
brauch   geringen    Jodgabe    war    auf    das   Asthma 


eine  entschieden  gute,  indem  die  Anfalle  an  Häu- 
figkeit und  Intensität  schnell  abnahmen.  Der 
Appetit  war  bedeutend  gebessert.  Reizerscheinun- 
gen auf  das  Kectum  waren  nie  zu  constatiren. 

Herr  W.,  Asthma  bronchiale.  Patient  hatte 
wiederholt  vergeblich  versucht,  Jodkali  innerlich 
zu  gebrauchen.  Lösungen  von  5 :  150  hatten 
schon  nach  2 — 3  Tagen  unerträglichen  Stimkopf- 
schmerz,  Conjunctivitis,  Schnupfen  etc.  erzeugt. 
Allabendliche  Klystiere  von  1  Esslöffel  einer  Jod- 
kalilösung 10  :  150  mit  5  Esslöffel  Wasser  wäh- 
rend 23  Tagen  bringen  das  Asthma  gänzlich  zum 
Schwinden  und  haben  nie  eine  Spur  von  Jodismus 
hervorgerufen.  Das  Jod  konnte  noch  nach  24  St. 
im  Harn  nachgewiesen  werden. 

Frau  Lm.,  Morbus  Basedowii  mit  sehr 
harter,  fester  und  grosser  Struma  (3  lappig), 
Pulsfrequenz  ca.  160,  macht  sich  seit  dem  12.  VIT. 
bis  heut  jeden  Abend  eine  Eingiessung  von  1  Ess- 
löffel einer  Jodkalilösung  10  :  150  mit  5  Esslöffel 
Wasser.  Die  Struma  ist  verkleinert,  Puls  100  bis 
120.  Subjective  Beschwerden  sehr  gemildert. 
Nie  eine  Spur  von  Jodismus.  Jod  im  Harn  ca. 
24  St.  lang  nachzuweisen. 

Frau  Lw.,  Periostitis  rheumatica  cranii. 
Patientin  konnte  selbst  kleine  Dosen  Jodkali  (0,2) 
innerlich  wegen  starker  gastrischer  Störungen 
nicht  vertragen.  Sie  erhielt  Morgens  und  Abends 
eine  Eingiessung  einer  Jodkalilösung  5  :  150, 
1  Esslöffel  mit  5  Esslöffel  Wasser  während  6  Ta- 
gen, wonach  die  schmerzhaften  Auftreibungen  am 
Kopfe  schwanden.  Patientin  hatte  nie  gastrische 
Störungen  oder  andere  Zeichen  von  Jodismus. 
Jod  wurde  12  St.  nach  der  Eingiessung  noch 
im  Harn  constatirt." 

Zum  Schlüsse  mochte  ich  eine  sehr 
einfache  Methode  des  Jodnachweises 
im  Speichel  innerhalb  der  Mundhöhle 
der  Kranken  selbst  bei  allen  Arten  der 
Darreichung  von  Jodpräparaten  erwähnen. 
Bestreicht  man  Aväbrend  derselben  die  vordere 
Hälfte  der  Zunge  an  ihrer  oberen  oder 
unteren  Fläche  oder  die  Wangenschleim- 
haut unterhalb  der  Mündungsstelle  des 
Ductus  stenonianus  oberflächlich  mit  einem 
Stifte  von  Argentum  nitricum  (etwa  in  Form 
mehrerer  Linien),  so  werden  dieselben  alsbald 
gelb  (Jodsilber). 


Während  des  Druckes  der  vorstehenden 
Arbeit  kommt  mir  ein  Bericht  über  eine 
Krankenvorstellung  von  Dr.  Behring  in  der 
Niederrheinischen  Gesellsch.  f.  Natur-  u. 
Heilkunde^)  zu  Gesicht,  welche  einen  mit 
rapide  verlaufender  Phthise  mit  Gavernen- 
bildung  und  hektischem  Fieber  5  Monate 
vorher  zu  Dr.  B.  gekommenen  und  durch 
tägliche  Injectionen  von  10  bis  12  ccm 
einer  5procentigen  Jodoform-Fett  lös  ung 
in's   Rectum  (=  0,5  bis  1,0  Jodoform  pro 


^)  Sitzungsberichte  derselben  1888,  pag.  75. 


ni.  Jahrgang.  1 
November  1889.  J 


Knoblauch,  Ueber  Sulfonalwirkung. 


495 


die)  ausserordentlich  gebesserten  20 jährigen 
Patienten  betraf.  ^Die  Resorption  des  Jodo- 
forms, woYon  derselbe  im  Ganzen  mehr  als 
30  g  bekommen  hatte,  erfolgte  viel  prompter 
und  glatter,  als  wenn  dasselbe  in  Pillen- 
form Tom  Magen  aus  gegeben  wird,  und 
der  Patient  wurde  nicht  durch  den  Jodo- 
formgeruch und  -geschmack  belästigt.^ 

Wenn  Behring  diese  Applications  weise 
des  Jodoforms  auf  Grund  dieser  einen  Be- 
obachtung für  alle  Fälle  empfiehlt,  in  wel- 
chen sein  Gebrauch  zum  Zwecke  allgemeiner 
Therapie  indicirt  erscheint,  so  möchte  ich 
in  erster  Reihe  diejenigen  hierzu  anregen, 
welche  es  gegen  constitut.  Syphilis,  wie 
Thomann  und  Isidor  Neumann,  heute 
zu    Tage    subcutan  anwenden. 


(Aua  der  Psychiatriacben  Universitätaklinik  zu  Heidelberg.) 

Ueber  S.ulfonälwirkiingr. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  Section  für   Neurologie 

und  Psychiatrie  der  62.  Naturforscherversammlung 

zu  Heidelberg,  September  1889.) 

Von 

Dr.  Knoblauch,  Assistent  der  Klinik. 

M.  H.! 

In  einem  Zeitpunkt,  in  dem  Baumann 
und  Kast^),  die  Entdecker  des  Sulfonals, 
eine  Reihe  anderer  organischer  Verbindungen 
aus  der  Gruppe  der  Disulfone  auf  ihre 
hypnotische  Wirkung,  welche  diejenige  des 
Sulfonals  noch  übertreffen  soll,  geprüft  und 
den  Weg  gezeigt  haben,  auf  dem  vielleicht  . 
durch  theoretische  Speculation  eine  unabseh- 
bare Zahl  neuer  Schlafmittel  entdeckt  werden 
kann;  in  einem  Zeitpunkt,  in  dem  das 
Ghloralamid  allgemeine  Aufmerksamkeit 
auf  sich  zieht,  ist  es  fast  überflüssig,  von 
den  in  der  Heidelberger  psychiatrischen 
Klinik  gemachten  Beobachtungen  über  das 
Sulfonal  zu  reden,  für  und  wider  dessen 
therapeutische  Anwendung  wohl  mehr  Ver- 
öffentlichungen vorliegen,  wie  über  jedes 
andere  der  Schlafmittel,  durch  welche  unser 
Arzneischatz  in  den  letzten  Jahren  bereichert 
wurde. 

Die  Mehrzahl  dieser  Schlafmittel  ist  bei 
ihrer  Veröffentlichung  mit  grosser  Begeiste- 
rung aufgenommen  worden,    und  hat  in  den 


')  Baumann  und  Käst:  „Ueber  die  Bezie- 
hungen zwischen  chemischer  Constitution  und  phy- 
siologischer Wirkung  bei  einigen  Sulfonen^.  Zeit- 
schrift f.  physiol.  Chemie  Bd.  XIV  Heft  1,  1889 
S.62. 


weitesten  Kreisen  Anwendung  gefunden, 
bevor  ihre  physiologische  Wirkung  hin- 
reichend studirt,  ihre  Vorzüge  und  Nachtheile 
bekannt  waren.  Nachträglich  haben  sich 
mehr  oder  weniger  Unzuträglichkeiten  in  ihrer 
Anwendung  gezeigt  und  haben  es  mit  sich 
gebracht,  dass  diese  Hypnotica  sehr  bald 
tbeilweise  in  viel  engeren  Grenzen  angewandt, 
theilweise  wieder  ganz  aus  unserem  Arznei- 
schätze  entfernt  wurden.  Ich  brauche  Sie 
nicht  an  die  Geschichte  der  Gannabis  indica, 
des  Hypnons,  Urethans,  des  Paraldehyds  und 
Amylenhydrats  zu  erinnern,  von  denen  heute 
nur  noch  die  beiden  letztgenannten  ausge- 
dehntere Anwendung  finden  dürften. 

Auch  das  Sulfonal  hat,  obwohl  eins  der 
jüngst  empfohlenen  Hypnotica,  eine  Ge- 
schichte hinter  sich,  welche  in  mehr  als 
60  Veröffentlichungen  niedergelegt  ist.  Viele 
Autoren  rühmen  seine  schlafbringende  Wir- 
kung, welche  diejenige  des  Ghlorals  über- 
treffen soll,  ohne  dessen  schädliche  Ein- 
wirkung auf  das  Herz  zu  theilen;  andere 
sehen  minder  günstige  Erfolge  und  warnen 
sogar  wegen  des  Auftretens  unliebsamer 
Nebenerscheinungen  vor  dem  Gebrauche  des 
Sulfonals. 

Die  ersten  Mängel,  welche  sich  bei  An- 
wendung des  neuen  Mittels  zeigten,  bestan- 
den darin,  dass  seine  hypnotische  Wirkung 
häufig  später  eintrat,  als  beabsichtigt  und 
erwünscht  war,  und  die  Dauer  des  Sulfonal- 
schlafes  das  physiologische  Maass  überschritt, 
indem  die  Kranken  bis  tief  in  den  Vormittag 
hinein  schliefen  und  den  ganzen  Tag  über 
Abgespanntheit  und  lästige  Müdigkeit  klag- 
ten. In  einer  zweiten  Veröffentlichung  er- 
klärt Kast^),  wie  Ihnen  Allen  bekannt,  diese 
postponirende  Wirkung  des  Sulfonals 
durch  die  Schwerlöslichkeit  des  Mittels  und 
die  chemische  Kesistenzfähigkeit  seines  Mole- 
cüls,  und  giebt  präcise  Vorschläge  über  die 
Art  der  Darreichung  des  Sulfonals,  um  diesem 
Missstand  abzuhelfen.  Eingabe  des  fein 
pulverisirten  Mittels  in  mindestens  200  ccm, 
womöglich  heisser  Flüssigkeit  —  Suppe, 
Thee  u.  dergl.  —  in  den  frühen  Abend- 
stunden sollte  die  protrahirte  Sulfonalwir- 
kung vermeiden  oder  wenigstens  beschränken. 

In  der  That  berichtet  in  der  ersten  Ver- 
öffentlichung, die  nach  Käst 's  Arbeit  „über 
die  Art  der  Darreichung  und  Verordnung 
des  Sulfonals"  erschien,  Ruscheweyh') 
über  ganz  vorzügliche  Erfolge  bei  Sulfonal- 
anwendung,    im  Gegensatz   zu   einer  Anzahl 


*)  Käst:  „Ueber  die  Art  der  Darreichung  und 
Verordnung  des  Sulfonals".  Therapeut.  Monatshefte 
II,  1888  S.  816. 

'}  Ruscheweyh:  „Zur  Darreichung  des  Sul- 
fonals**.   Neurolog.  Centralblatt,  1888  S.  598. 


496 


Knoblauch,  Uaber  Sulfonalwirkung. 


rlierapealiidi» 
Monatahflfta. 


von  Misserfolgen,  welche  in  die  Zeit  vor 
der  Verabreichung  des  Mittels  nach  Kast^s 
neuer  Vorschrift  fallen.  Wenn  auch  häufig 
keine  Beschleunigung  der  Schlafwirkung  zu 
erzielen  war,  so  blieb  vor  allem  die  Nach- 
wirkung am  nächsten  Tage  aus,  und  häu£g 
trat  auf  wesentlich  kleinere  Dosen,  in  heisser 
Bouillon  oder  Milch  verrührt,  ausreichender 
Schlaf  ein,  während  vorher  grössere  Dosen, 
in  kaltem  Wasser  verabreicht,  ohne  die  ge- 
wünschte Wirkung  geblieben  waren. 

Bei  dieser  Darreichungsweise  des  Sulfo- 
nals  sah  Rusche weyh  auch  eine  Reihe 
anderer,  unliebsamer  Nebenerscheinungen  weg- 
fallen, welche  früher  beobachtet  worden  waren: 
Schwindel gefü hl  und  objectiv  wahrnehmbares 
Taumeln;  während  er  in  einzelnen  Fällen 
über  ein  Gefühl  des  allgemeinen  Unbehagens 
und  Elendseins  klagen  hörte,  welches  sich 
manchmal  bis  zum  Erbrechen  steigerte,  und 
welches  als  Aeusserung  eines  gestörten  Di- 
gestionstractuB  aufgefasst  wird. 

Andere  Beobachter,  auch  wir  selbst,  sahen, 
trotz  genauester  Befolgung  der  Vorschläge 
Kast^s,  in  einzelnen  Fällen  diese  störenden 
Nebenerscheinungen  nicht  wegfallenl  Wir 
haben  festzustellen  versucht,  ob  die  Dar- 
reichung des  Mittels  in  gröberer  oder  feinerer 
Pulverisation,  sogar  gelöst  in  grossen  Mengen 
heisser  Milch,  einen  deutlichen  Einfluss  auf 
Eintritt  und  Dauer  der  Sulfonalwirkung  aus- 
übt, konnten  aber,  wenigstens  beim  Menschen, 
zu  keinem  positiven  Resultate  kommen. 
Auch  wir  sahen,  wie  andere  Beobachter, 
taumelnden  Gang,  Schwindelgefühl  und  Er- 
brechen nach  Sulfonaldarreichung  als  unan- 
genehme Nebenerscheinungen  des  vielgeprie- 
senen Hypnoticums. 

Die  gleichen  Erscheinungen  hatte  East^) 
bei  Thieren  nach  Sulfonaleingabe  gesehen 
und  in  seiner  ersten  Veröffentlichung  be- 
schrieben. Funaioli  und  Raimondi^), 
Shick^)  und  D au thuille^)  haben  eine  Reihe 
sehr  interessanter  Thierversuche  gemacht,  um 
die  Wirkung  des  Sulfonals  auf  die  Respiration 
und  Circulation,  auf  die  Reflexerregbarkeit, 
die  Erregbarkeit  der  sensiblen  und  moto- 
rischen Nerven  und  der  Muskeln  zu  studiren; 
und  wir  selbst  haben  in  einer  grossen  An- 
zahl von  Versuchen  bei  Hunden,  Kaninchen 


*)  Käst:  „Sulfonal,  ein  neues  Schlafmittel**. 
Berl.  Klin.  Wochenschrift,  1888  S.  311. 

^)  Funaioli  eKaimondi;  ^11  solfonale,  nuovo 
ipnotico.  —  nuove  esperienze  fisioterapeutiche". 
Archiv©  italiano  per  le  malatie  nervöse  etc.,  1888 
S.  325. 

^)  Shick:  „Physiological  action  of  sulphonal". 
The  Journal  of  nervous  and  mental  disease,  1889 
S.  32. 

^)  Dauthuille:  „Etüde  sur  le sulfonal".  These 
de  Paris,  21.  fevrier  1889. 


und  Meerschweinchen  hauptsächlich  den  Ein- 
fluss des  Sulfonals  auf  die  Motilität  des 
Versuchsthiers  festzustellen  versucht. 

Lassen  Sie  mich  an  dieser  Stelle  einen 
anderen  Nachtheil  des  Mittels  hervorheben, 
welchen  viele  Beobachter  am  Krankenbett 
erfahren  haben,  und  der  auch  durch  diese 
Thierversuche  bestätigt  wurde:  nämlich  die 
Schwierigkeit,  die  Dosis  individualisirend  zu 
bemessen,  bezw.  die  Verschiedenheit  der 
Wirkung  gleich  grosser  Dosen  bei  verschie- 
denen, und  selbst  bei  den  gleichen  Indivi- 
duen zu  verschiedenen  Zeiten. 

Bei  diesen  Thierversuchen  zeigte  sich, 
wie  nach  unseren  Erfahrungen  am  Menschen 
a  priori  zu  erwarten  war,  nur  eine  relativ 
geringe  Verschiedenheit  des  Eintritts,  der 
Dauer  und  Intensität  der  Sulfonalwirkung, 
je  nachdem  das  Mittel  verschieden  fein  pul- 
verisirt  in  Fleisch  und  Brodkügelchen  ver- 
abreicht, oder  in  kaltem  Wasser  verrührt, 
bezw.  in  grossen  Mengen  heisser  2  %  iger 
Kochsalzlösung  aufgelöst  durch  die  Schlund- 
sonde eingeführt  wurde. 

Die  Motilitätsstörungen,  welche  bei 
Thieren  auftreten  —  bei  mittelgrossen  Hun- 
den nach  2 — 3  g,  bei  Kaninchen  nach 
0,5 — 1,0  g,  bei  Meerschweinchen  nach 
0,1—0,2  g  Sulfonal  —  äussern  sich  in 
einer  motorischen  Schwäche,  welche  zunächst 
die  Hinterbeine  und  den  hinteren  Abschnitt 
des  Rumpfes  befällt  und  sich  allmählich 
auch  an  den  Vorderbeinen  zeigt.  Diese  mo- 
torische Schwäche  tritt  zu  einer  Zeit  auf, 
in  der  noch  keine  hypnotische  Wirkung  zu 
beobachten  ist;  die  Thiere  sind  keineswegs 
schläfrig,  sondern  manchmal  sogar  auffallend 
lebhaft  und  munter,  so  dass  man  fast  von 
einem  Erregungsstadium  sprechen  könnte, 
welches  in  vereinzelten  Fällen  nach  Sulfonal- 
gebrauch  auch  beim  Menschen  beobachtet 
wurde®).  Ein  Hund,  der  nach  Sulfonalein- 
gabe mit  den  Kaninchen  im  Garten  zum 
Zweck  der  Beobachtung  zusammengebracht 
wurde,  machte  zu  einer  Zeit,  wo  er  schon 
deutliche  Parese  der  Extremitäten  zeigte, 
förmlich  Jagd  auf  die  Kaninchen,  ohne  eine 
Spur  von  Müdigkeit  zu  zeigen. 

Später  stellen  sich  sehr  deutliche  Zeichen 
von  Müdigkeit  ein;  die  Lider  werden  schwer 
und  senken  sich,  das  Thier  reagirt  träge 
und  schwankt  im  Stehen  hin  und  her,  wie 
ein  Schlaftrunkener.  Jetzt  tritt 'die  Schlaf- 
wirkung in  den  Vordergrund,  das  Thier  legt 
sich  zur  Ruhe  und  fällt  bald  in  Schlaf,  aus 
dem  es,  je  nach  der  Tiefe  desselben,  mehr 
oder    minder    leicht  zu   erwecken  ist.     War 


^)  Crozer  Griffith:  „Kemarks  on  the  un- 
pleasant  effects  of  sulphonal''.  The  therapeatic 
Gazette,  May  15.    1889. 


in.  Jahrgang.  1 
Norember  1888.  J 


Knoblauch,  Uaber  Sulfonalwirkung. 


497 


die  Dosis  eine  massige,  so  wacht  das  Tliier 
nach  mehrstündigem,  tiefem  und  ruhigem 
Schlafe  auf,  ohne  andere  Erscheinungen  zu 
zeigen,  als  noch  für  ^/^  —  2  Stunden  andau- 
ernde Unsicherheit  des  Ganges,  welche  theils 
durch  restirende  Schwäche,  theils  durch 
Ataxie  der  Extremitäten  bedingt  sein  dürfte ; 
besonders  bei  hochbeinigen  Hunden  zeigt 
sich  nach  dem  Sulfonalschlaf  ein  ausge- 
sprochenes Schleudern  der  Beine  beim  Laufen. 

Bei  grösseren  Dosen  steigert  sich  die  an- 
fängliche Parese  zu  vollständiger  Paralyse 
der  Extremitäten;  Anfangs  sind  die  Thiere 
aus  dem  tiefen  Schlafe  noch  zu  erwecken, 
aber  völlig  unföhig,  sich  aufzurichten  und 
zu  bewegen.  Bald  tritt  Goma  und  tiefer 
Sopor  ein,  und  in  den  schlaffen  Extremitäten 
zeigt  sich  ein  Tremor,  welcher  Anfangs  deut- 
lich synchron  mit  den  Athembewegungen  ist, 
resp.  sich  an  reflectorisch  ausgelöste  oder 
passiv  ausgeführte  Bewegungen  anschliesst. 
Gleichzeitig  werden  clonische  Convulsionen 
im  Gebiete  der  Kaumusculatur  beobachtet. 
In  diesem  Stadium  liegen  die  Thiere  stun- 
den- bis  tagelang,  ein  Hund  von  8  kg  Ge- 
wicht z.  B.  nach  4,0  g  Sulfonal  vier  volle 
Tagel  Beim  Erwachen  bilden  sich  die  oben 
geschilderten  Erscheinungen  gerade  so  rasch 
zurück,  wie  nach  kleinen  Dosen. 

Bei  tÖdtlichen  Dosen  folgt  auf  das  Sta- 
dium des  Tremors  bei  völligem  Sopor  eine 
Periode,  in  der  das  Thier  meist  ruhig  da- 
liegt, und  zu  deren  Beginn  in  den  schlaffen 
Extremitäten  sowohl  spontan,  als  auch  im 
Anschluss  an  reflectorisch  ausgelöste  und 
passiv  ausgeführte  Bewegungen  clonische  Con- 
vulsionen auftreten,  welche,  ähnlich  wie  die 
Anfalle  bei  der  Rindenepilepsie,  in  den  Hin- 
terbeinen beginnen  und  nach  messbarer  Zeit 
die  Vorderbeine  und  die  Nackenmusculatur 
befallen.  Diese  Anfälle  treten  Anfangs  sehr 
häufig,  alle  1 — 2  Minuten,  auf,  werden  dann 
immer  seltener  und  erlöschen  mehrere  Stun- 
den vor  dem  Tode! 

Die  Obduction  der  durch  Sulfonalintoxi- 
cation  gestorbenen  Thiere  ergiebt  eine  starke 
Hyperämie  aller  Organe,  auch  des  Hirns  und 
seiner  Häute,  ohne  Aufschluss  über  die  Causa 
mortis  zu  geben.  Auch  die  mikroskopische 
Untersuchung  des  Centralnervensystems  lässt 
keine  anatomische  Veränderung  desselben  er- 
kennen, welche  zur  Erklärung  der  intra  vitam 
beobachteten  Störungen  herangezogen  werden 
könnte. 

Diese  Beobachtungen  lassen  es  zum  min- 
desten fraglich   erscheinen,    ob,   wie  Kast^) 

')  Käst:  „Sulfonal,  ein  neues  Schlafmittel^. 
Berl.  Klin.  Wochenschrift,  1888  S.  309  und  Fischer 
„Ueber  die  Wirkung  übermässiger  Dosen  von  Sul- 
fonal«. Nedrol.  Centralblatt,  1889  S.  199. 


meint,  der  erste  Angriffspunkt  des  Sulfonals 
wirklich  in  der  grauen  Rinde  des  Grosshirns 
zu  suchen  sei;  wir  möchten  wenigstens  die 
Möglichkeit  in  Betracht  ziehen,  dass  die 
Sulfonalwirkung  anfänglich  vielmehr  eine 
spinale  sei;  einen  sicheren  Entscheid  ver- 
mögen wir  freilich  nach  unseren  Beobachtun- 
gen nicht  zu  föllen. 

Aehn liehe  Motilitätsstörungen  sind  auch 
beim  Menschen  vielfach  nach  Sulfonalge- 
brauch  beobachtet  worden  *°) ;  auch  wir  hatten 
Gelegenheit,  sie  zu  sehen,  und  zwar  keines- 
wegs nach  exquisit  grossen  Dosen,  sondern 
manchmal  schon  nach  täglichen  Dosen  von 
1,0 — 1,5  g,  bemerk  enswerther  Weise  manch- 
mal erst  nach  sehr  langem  Gebrauch  des 
Mittels.  Diese  Motilitätsstörungen  beim 
Menschen  sind  Schwäche  der  Beine  und 
Arme,  Taumeln,  Zähneknirschen  und  Sprach- 
behinderung; zu  ihnen  gesellen  sich  als  wei- 
tere unangenehme  Erscheinungen  Schwindel- 
gefühl, selten  Erbrechen  und  ausnahmsweise 
auch  Durchfall.  Das  Erbrechen  möchten 
wir  als  cerebrales  Symptom  auffassen,  denn 
bei  den  in  unserer  Klinik  beobachteten  Fällen, 
wo  es  zweifellos  Sulfonalwirkung  war,  konnte 
eine  Affection  desDigestionstractus  mit  Sicher- 
heit ausgeschlossen  werden. 

Wir  sahen  diese  Intoxicationserscheinun- 
gen  niemals  nach  Einzeldosen  von  0,5  bis 
4,0  g,  manchmal  aber  bei  täglicher  Dar- 
reichung von  1,0 — 2,0  g  nach  wenig  Tagen. 
Besonderes  Interesse  bieten  diejenigen  Fälle, 
in  denen  das  Sulfonal  Wochen  und  Monate 
lang  gut  vertragen  wird  und  plötzlich  In- 
toxicationserscheinungen  auftreten.  Eine  Pa- 
ranoica  erhielt  seit  Ende  Juni  täglich  1,0 
bis  2,0  g  Sulfonal,  ohne  irgend  welche  Neben- 
erscheinungen zu  zeigen;  plötzlich,  am  10.  Sep- 
tember, klagte  sie,  sie  fühle  sich  so  elend 
wie  noch  nie,  erbrach  und  zeigte  sehr  deut- 
liches Schwanken  und  Taumeln  beim  Stehen 
und  Gehen.  Eine  andere,  hypochondrische 
Kranke,  welche  vom  18.  Juni  bis  14.  Juli 
täglich  0,5 — 2,0  g  in  refracta  dosi  erhalten 
hatte,  zeigte,  mit  Ausnahme  des  Erbrechens, 
plötzlich  am  Morgen  des  18.  Juli  die  gleichen 
Erscheinungen ,  vier  Tage  nachdem  das 
Mittel  ausgesetzt  war!  Wir  haben  auch 
nach  zweimaliger  Abenddose  von  2,0  g  die 
gleichen  Intoxicationserscheinungen  gesehen. 

Wir  glauben  wohl,  es  werden  sich  bei 
sorgfältigster  individualisirender  Bemessung 
der  Dosen  diese  unliebsamen,  wenn  auch 
ungefährlichen  Nebenerscheinungen   der  Sul- 


*°)  Vergl.  a.  a.  Bornemann:  ^Ein  Fall  von 
Sulfonalintoxication*'.  Deutsch.  Med.  Ztg.,  1888 
No.  95;  Fischer  1.  c.  S.  196;  und  Rghm:  „Zur 
Casuistik  der  unangenehmen  Nebenwirkungen  des 
Sulfonals"".    Berl.  Klin.  Wochenschnft,  1889  S.  364. 

68 


498 


Knoblauch,  Ueber  Sulfonalwirkung. 


rrherapcntiidbe 
L  Honjitahafta. 


fonalwirkuDg  einschränken,  vielleicht  ganz 
Termeiden  lassen;  aber,  wie  schon  erwähnt, 
wir  halten  es  für  sehr  schwierig,  die  Dosis 
individuell  zu  bemessen,  und  in  einzelnen 
Fällen  treten  zweifellos  Intoxicationser- 
scheinungen  auf,  noch  bevor  die  Dosis  ge- 
nügt, eine  ausreichende  Schlaf  Wirkung  zu 
erzielen. 

Und  wie  gestaltet  sich  diese  Schlafwir- 
kung bei  den  einzelnen  Psychosen?  Ich 
hatte  leider  nur  Gelegenheit,  20  Beobach- 
tungen in  den  Kreis  meiner  Betrachtung  zu 
ziehen,  welche  sämmtlich  Frauen  betreffen 
und  sich  auf  10  Melancholien,  1  Hypochon- 
drie, 3  Manien,  1  Verworrenheit,  2  Paranoien 
und  3  organische  Psychosen  vertheilen. 

So  zu  sagen  keinen  Erfolg  sahen  wir  bei 
den  3  Organisch-Kranken  und  bei  zwei  Fällen 
von  Melancholie;  alle  fünf  Fälle  haben  das 
Gemeinsame,  dass  die  Kranken  lebhaft  hallu- 
ciniren.  Ich  möchte  an  dieser  Stelle  eine 
Beobachtung  aussprechen,  die  wir  gerade  bei 
Hallucinanten  gemacht  zu  haben  glauben, 
dass  nämlich  bei  fortgesetztem  Sulfonalge- 
brauch  die  Kranken  lebhafter  halluci- 
niren  wie  früher!  Diese  Vermuthung  ge- 
winnt an  Wahrscheinlichkeit  durch  die  Beob- 
achtung, dass  nach  Sulfonal gebrauch  auch 
bei  Geistesgesunden  Hallucinationen  auf- 
treten, die  nach  dem  Aussetzen  des  Mittels 
rasch  wieder  verschwinden").  Diese  Ver- 
muthung dürfte  geeignet  sein,  die  Erfahrung 
zu  erklären,  dass  das  Sulfonal  gerade  bei 
lebhaften  Hallucinanten  am  unzuverlässigsten 
wirkt,  eine  Erfahrung,  in  welcher  alle  Beob- 
achter der  Sulfonalwirkung  übereinstimmen! 

Bei  den  3  maniakalischen  Frauen  (2  perio- 
dischen Manien,  1  mehrfaches  Recidiv)  haben 
wir  nur  bedingte  Erfolge  zu  verzeichnen; 
zweifellos  hat  sich  in  mehreren  Anfällen  der 
Verlauf  der  periodischen  Manien  kürzer  und 
weniger  heftig  gezeigt,  wenn  auch  in  sehr 
geringem  Maasse.  Bei  dem  Recidiv  blieb 
das  Mittel  ohne  Erfolg;  es  trat  bei  Tage 
keine  Beruhigung  und  Nachts  nur  sehr 
kurzer,   häufig  unterbrochener  Schlaf  ein. 

Am  günstigsten  gestaltete  sich  die  Sul- 
fonalwirkung bei  unseren  Melancholischen 
uüd  einer  Hypochondrica;  relativ  günstig 
bei  einer  Verworrenen  und  bei  zwei  an  chro- 
nischer Paranoia  Erkrankten,  welche  zur  Zeit 
nur  noch  selten  halluciniren.  Bei  den  letzt- 
genannten wurde  von  72  bezw.  65  Nächten 
in  52  bezw.  33  Nächten  8  — 9  stündiger 
Schlaf  erzielt,  während  die  Kranken  in  20 
bezw.  32  Nächten  theilweise  schlaflos  und 
sehr  laut  und  störend  waren. 

»)  Ki^ffer:  „Contribution  ä  Petude  du  Sulfo- 
nal**.  These  de  Nancy,  30.  juillet  1888;  Ferner: 
Rehm  1.  c. 


Ich  gestatte  mir,  Ihnen  die  Wirkung  des 
Sulfonals  in  einem  Theil  der  angeführten 
Fälle  durch  eine  Reihe  von  Tabellen  zu  de- 
monstriren,  welche  in  der  Weise  angefertigt 
wurden,  dass  die  Stunden  der  Nacht  von 
8  Uhr  Abends  bis  6  Uhr  Morgens  durch 
Quadrate  dargestellt,  und  der  Schlaf  durch 
schwarze,  das  Wachen  durch  weisse  Farbe, 
und  Unruhe  (Lautsein  und  Verlassen  des 
Bettes)  durch  Schraffirung  markirt  sind*). 

Zum  Zweck  möglichst  genauer  Beobach- 
tungen wurden  sämmtliche  Kranke,  von 
denen  ich  Ihnen  derartige  Tabellen  vorlege, 
während  der  Sulfonalbehandlung  auf  der 
Wachabtheilung  verpflegt,  und  von  dem 
Wartepersonal  stündliche  Vermerke  über  ihr 
Verhalten  in  das  Wachbuch  eingetragen.  In 
dieser  Maassregel  liegt  der  Grund,  weshalb 
unsere  Beobachtungen  nicht  auf  eine  gros- 
sere Anzahl  von  Fällen  ausgedehnt  werden 
konnten. 

Ist  nun  die  schlaf  erzeugende  Wirkung  des 
Sulfonals,  wie  von  so  vielen  Seiten  angegeben 
wird,  wirklich  grosser,  als  die  anderer  be- 
währter Schlafmittel,  z.B.  des  Chloralhydrats, 
Morphiums  und  Opiums?  Wir  haben  diese 
bessere  Wirkung  des  Sulfonals  nicht 
feststellen  können!  Aus  den  vorgelegten 
Tabellen  und  ihren  Erläuterungen  werden 
Sie  die  Ueberzeugung  gewonnen  haben,  dass 
wirklich  gute  und  ausreichende  Schlafwir- 
kung und  relative  motorische  Ruhe  am  Tage 
nur  bei  unseren  Melancholischen  erzielt  wur- 
den, und  auch  dann  nur,  wenn  die  Kranken 
nicht  lebhaft  hallucinirten.  Gerade  für  die 
einfache  Melancholie  besitzen  wir  aber  in 
dem  Opium  ein  souveränes  Schlafmittel, 
welches  in  vielen  Fällen  auch  die  Psychose 
direct  günstig  beeinflusst,  indem  es  die  Angst 
der  Kranken  vermindert  und,  sobald  es  ge- 
lungen ist,  ausreichenden  Schlaf  zu  erzielen, 
auch  Tags  über  grössere  psychische  Beruhi- 
gung herbeiführt.  Eine  derartige  günstige 
Beeinflussung  der  Psychose  sahen  wir  bei 
Sulfonalbehandlung  niemals! 

Bei  allen  anderen  in  Betracht  gezogenen 
Formen  der  Geistesstörung,  also  bei  der 
Manie,  der  Paranoia,  der  acuten  hallucLna- 
torischen  Verworrenheit  und  bei  Organisch- 
Kranken,  haben  wir,  wie  Sie  theilweise  aus 
den  Tabellen  ersehen  können,  durch  Ghloral- 
hydrat  mit  Morphiumzusatz  und  durch  Opium, 
und  bei  der  Verworrenheit  speciell  durch 
grosse  Alkohol-Dosen,  mindestens  ebenso 
gute,  meist  sogar  wesentlich  bessere  Erfolge 
gesehen,  als  bei  Sulfonalbehandlung. 

Nach  unserer  Ansicht  dürfte  in  der  psy- 
chiatrischen Therapie  dem  Sulfonal  also  vor 

*)  Wegen  Raamman^els  kann  hier  nur  ein  Theil 
der  demonstrirten  Tabellen  abgedruckt  werden. 


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Knoblauch,  Uaber  Sulfonalwirkung. 


501 


dem  Chloralhydrat  nur  in  den  Fällen  der 
Vorzug  gegeben  werden,  -wo  bestehende  Herz- 
fehler die  Psychose  compliciren  und  die 
Verordnung  von  Chloriilhjdrat  contraindiciren. 
Aber  auch  dieser  Vorzug  dürfte  mindestens 
fraglich  erscheinen,  nach  den  Erfahrungen, 
welche  innere  Kliniker  gemacht  haben;  denn 
gerade  bei  compensirten  .und  uncompensirten 
Herzfehlern  berichten  die  einzelnen  Beob- 
achter über  widersprechende,  theils  durch- 
aus günstige,  theils  ungünstige  Erfahrungen 
über  die  hypnotische  Wirkung  des  Sulfonals. 

In  unsere  Beobachtung  fallen  nur  zwei 
Fälle,  die  durch  compensirte  Herzfehler  com- 
plicirt  waren;  eine  Hypochondrie  und  ein 
Fall  Ton  Lues  cerebri  mit  massenhaften 
Hallucinationen.  Im  ersten  Falle  zeigte  das 
Sülfonal  recht  gute  Wirkung,  im  zweiten 
blieb  es  ohne  wesentlichen  Erfolg. 

Auf  Grund  unserer  Erfahrungen  möchten 
wir  also  dem  Sülfonal  in  seiner  therapeu- 
tischen Verwerthung  bei  Geisteskranken 
keinen  wesentlichen  Vorzug  Tor  den 
anderen,  bewährten  Schlafmitteln,  dem  Chlo- 
ralhydrat, Morphium  und  Opium  geben;  da- 
gegen möchten  wir  noch  einmal  auf  die 
grossen    Mängel    hinweisen,    welche    diesem 

vielgepriesenen  Hypnoticum  anhaften: 

Abgesehen  von  den  ausführlich  geschilderten 

Intoxicationserscheinungen,  dem  bekannten  Taumeln, 
der  Parese  der  Extremitäten,  dem  Zähneknirschen 
und  der  Sprachbehinderung,  dem  Schwindel  und 
unbestimmbaren  Ekndigkeitsgefuhl,  selbst  Er- 
brechen und  Durchfall,  zeigt  sich  häufig,  auch 
nach  einmaliger,  kiemer  Dosis  eine  protrahirte, 
unangenehme   Schlafwirkung    am  nächsten  Tage! 

Der  Eintritt  der  hypnotischen  Wirkung  des 
Sulfonals  verzögert  sich  häufig  und '  lässt  sich 
nicht  mit  Sicherheit  in  einer  bestimmten  Zeit  nach 
Darreichung  des  Mittels  voraussehen! 

Die  Dosis,  welche  ausreicht,  andauernden 
Schlaf  zu  erzeugen,  schwankt  bei  verschiedenen 
Individuen  und  selbst  bei  demselben  Individuum 
zu  verschiedenen  Zeiten  ganz  beträchtlich;  und  in 
einzelnen  Fällen  treten  zweifellos  Intoxicationser- 
scheinungen  auf,  bevor  die  Dosis  gross  genug  ist, 
andauernden  Nachtschlaf  zu  erzeugen! 

Es  liegt  yiel  Wahres  in  dem  Ausspruch 
von  Marandon  de  Montyel"):  „/«  Sülfonal 
n'est  pas  un  mSdicament,  mais  un  poison!" 
Wir  glauben  nicht,  dass  das  Sülfonal  in 
der  Psychiatrie  sich  eine  bleibende  Stellung 
neben  dem  Chloralhydrat,  Morphium  und 
Opium  erringen  und  sie  bewahren  wirdi 

*')  Marandon  de  Montyel:  „Des  dangers 
da  salfoDal*'.  Seance  de  la  soci^te  medico-psycho- 
logiqoe  da  25.  mars  1889.  Annales  m^d.-psychol. 
XLVn.  ann^e  1889  S.  495. 


Zar  Behandlungr 
der  liUngrenschwindsiicht  mit  Kreosot. 

Von 

Dr.  med.  8.  Engel  (Berlin). 

Nachdem  auf  FräntzeTs  und  Sommer- 
brodt^s  Empfehlungen  Kreosot  gegen  Lun- 
genschwindsucht von  einer  ausserordentlich 
grossen  Menge  von  Aerzten  angewendet  wor- 
den war  und  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  be- 
stätigt worden,  dass  Kreosot  in  grossen 
Dosen  auf  Kranke  mit  noch  nicht  allzuweit 
fortgeschrittener  tuberculoser  Lungenphthise 
günstig  einwirkt,  war  es  die  Aufgabe  der 
exacten  Medicin,  experimentell  die  Ursache 
f&r  diese  Thatsache  zu  suchen.  Es  handelte 
sich  dabei  um  Beantwortung  der  Frage:  Ist 
das  Kreosot  nur  von  symptomatischer  Wir- 
kung oder  ist  es  im  Stande,  die  Gewebe 
und  Säfte  des  menschlichen  Korpers,  in  ge- 
nügender Menge  eingeführt,  derartig  zu  mo- 
di£ciren,  dass  die  eingedrungenen  und  sich 
beständig  vermehrenden  Tuberkelbacillen  in 
ihrer  Fortentwicklung  gehemmt  werden,  viel- 
leicht gar  ihre  Existenzfähigkeit  verlieren? 
Ja  die  Modificationsfahigkeit  des  Kreosots 
brauchte  nicht  einmal  soweit  zu  gehen,  dass 
dadurch  die  eingedrungenen  Tuberkelbacillen 
vernichtet  würden.  Es  genügte  schon,  wenn 
man  die  Korpersäfte  und  -gewebe  derartig 
mit  Kreosot  imprägnirte,  dass  die  Bacillen 
aus  ihnen  ihre  Nahrung,  die  sie  zur  Existenz 
und  Fortpflanzung  brauchen,  nicht  entnehmen 
konnten.  In  diesem  Falle  würden  dieselben 
in  ähnlicher  Weise  zu  Grunde  gehen  wie 
im  verkästen,  ausgetrockneten  Tuberkel. 

Die  Frage,  ob  das  in  den  lebenden  Or- 
ganismus hineingebrachte  Kreosot  föhig  ist,  * 
den  Nährboden  so  zu  verändern,  dass  er 
contrabacillär  wirkt,  hat  zuerst  Cornet  nach 
Experimenten  am  Thier  in  seiner  ausseror- 
dentlich lehrreichen  Arbeit^)  zu  beantworten 
versucht. 

Zu  diesem  Zwecke  hat  er  7  kräftigen 
Meerschweinchen  mit  einem  Durchschnittsge- 
vdcht  von  500—600  Gramm  0,02  g  Kreosot 
in  Lösung  durch  den  Magenkatheter  in  den 
Magen  injicirt  und  nach  Fortsetzung  dieser 
Procedur  während  eines  Zeitraums  von  3 
bis  8  Wochen  vier  von  seinen  Thieren,  so- 
wie zwei  Control thieren,  eine  hanfkomgrosse 
Masse  Reincultur  von  Tuberkelbacillen  unter 
die  Haut  der  Bauchdecke  gebracht.  Die  drei 
übrigen    nebst    zwei  Control  thieren   mussten 


*)  Dr.  Georg  Cornet.  üeber  das  Verhalten 
der  TuberkelbacUleD  im  thierischen  Organismus 
unter  dem  Einflass  entwicklangshemmender  Stoffe. 
Zeitschrift  f.  Hygiene.    Bd.  5.  1888. 


502 


fingel,  2ur  fiahandlung  «iar  Lunganseliwlndsueiit  mit  Rreoiot. 


rlienipeatladia 
Monatabelle. 


an  zwei  Tagen  feinzerstäubte  Tnberculose- 
Reincnlturen  inbaliren.  Ancb  nacb  der  In- 
fecüon  bekamen  die  7  Tbiere  0,02  Kreosot 
täglicb. 

Das  Resultat  war  ein  absolut  negatives. 
Sowobl  die  durcb  Impfung  als  aucb  die 
durcb  Inhalation  inficirten  Tbiere  gingen, 
nebst  den  Controltbieren,  innerhalb  der 
nächsten  drei  Monate  zu  Grunde.  Bemer- 
kenswerth  ist  dabei,  dass  die  durch  Inhala- 
tion inficirten  Yersuchsthiere  zum  grossten 
Theile  eher  starben  als  die  Impfthiere  und 
femer,  dass  die  anatomischen  Yeränderungen 
bei  einem  nicht  mit  Kreosot  behandelten 
Inhalations-Controlthiere  bedeutender  waren 
als  bei  zwei  fast  zu  gleicher  Zeit  verendeten 
mit  Kreosot  behandelten  Inhalation sthieren, 
worauf  jedoch  Cornet  ausdrücklich  keinen 
Werth  legen  will. 

Was  die  pathologisch-anatomischen  Ver- 
änderungen der  Brust-  und  Bauchorgane  be- 
trifft, so  ist  unverkennbar,  dass  bei  den  In-* 
halationsthieren  die  Brustorgane,  bei  den 
durch  einen  Impfstich  unter  die  Bauchdecken 
inficirten  die  Bauchorgane  besonders  stark 
afficirt  wurden.  Die  Yeränderungen  waren, 
je  nachdem  das  Thier  längere  oder  kürzere 
Zeit  nach  der  Infection  gelebt  hatte,  mehr 
oder  weniger  bedeutend;  sie  bestanden  in 
Yergrösserung  und  Yerkäsung  der  Drüsen 
sowie  in  Tuberkelbildung  in  Lunge,  Leber 
und  Milz,  welcV  letztere,  in  den  Fällen 
stärkster  Destruction  bei  den  zuletzt  ge- 
storbenen Thieren  mit  vielen  und  ausgebrei- 
teten Herden  besetzt  war. 

Wie  lehrreich  und  wichtig  diese  Yer- 
suche  auch  sind,  so  hiesse  es  doch  deren 
Bedeutung  ausserordentlich  überschätzen, 
wenn  Jemand  behaupten  wollte,  dass  durch 
dieselben  die  Wirkungslosigkeit  des  Kreo- 
sots gegenüber  den  Tuberkelbacillen  im  le- 
benden Organismus  bewiesen  sei;  wie  Som- 
merbrodt  anzunehmen  scheint,  wenn  er  in 
seiner  letzten  Arbeit  ri^vLr  Behandlung  der 
Lungentuberculose  mit  Kreosot"  schreibt'): 
„Indessen  dem  Ausspruch  der  exacten  For- 
schung: eine  antibacilläre  Wirkung  des 
Kreosot  im  Organismus  ist  beim  Meer- 
schweinchen nicht  nachzuweisen,  muss  man 
sich  beugen". 

In  dem  Zusammenhange,  in  welchem 
Sommerbrodt  diesen  Satz  aufstellt,  müsste 
man  annehmen,  dass  die  von  Cornet  an- 
gestellten Thier-Experimente,  auf  die  sich 
seine  Worte  beziehen,  den  Yerhältnissen 
entsprechen,  wie  sie  bei  einem  Menschen 
vorliegen,  den  man  gemeinhin  „schwind- 
süchtig" nennt.    Dies  ist  jedoch  keineswegs 


^  Therap.  Monatshefte.    Juli  1889  S.  301. 


der  Fall.  Es  haben  zwar  auf  die  Yersuchs- 
thiere zu  gleicher  Zeit  Tuberkelbacillen  und 
Kreosot  eingewirkt,  es  ist  jedoch  noth wen- 
dig zu  berücksichtigen,  wie  die  Yersuche 
angestellt  worden  sind,  welche  anatomischen 
Yeränderungen  durch  die  Tuberkelbacillen 
bei  den  Thieren  hervorgerufen  worden  sind; 
welchen  pathologischen  Zuständen  beim 
Menschen  die  im  Thierkorper  hervorgebrach- 
ten Yeränderungen  entsprechen,  um  das  ver- 
schiedene Resultat,  welches  durch  Sommer- 
brodt^s  und  Cornet's  Kreosotbehandlung 
erzielt  worden  ist,  erklären  zu  können. 

Wir  wollen  uns  demnach  folgende  Fragen 
zur  Beantwortung  vorlegen: 

1.  Entspricht  die  Art  und  Weise,  wie 
Com  et' s  Yersuchsthiere  mit  Tuberkelba- 
cillen inficirt  worden  sind,  der  Entstehungs- 
weise der  tuberculosen  Lungenschwindsucht 
des  Menschen? 

2.  Wie  verhalten  sich  die  bei  den  Meer- 
schweinchen erzeugten  pathologisch-anatomi- 
schen Yeränderungen  zu  den  Sectionsbefun- 
den  bei  verstorbenen  Lungenschwindsüch- 
tigen ? 

3.  Wie  weit  dürfen  wir  das  von  Cor- 
net gefundene  Resultat  mit  den  therapeu- 
tischen Erfahrungen  vergleichen,  wie  sie 
beim  Phthisiker  mit  Kreosot  gemacht  worden 
sind? 

Cornet  hat  seine  Yersuchsthiere  nicht 
in  gleicher  Weise  inficirt.  Einem  Theil  hat 
er  eine  hanfkomgrosse  Masse  Reincultur  von 
Tuberkelbacillen  unter  die  Haut  gespritzt, 
den  andern  Hess  er  feinzerstäubte  Tuber- 
culose-Reincultur  an  zwei  Tagen  inbaliren. 
Die  Dauer  jeder  Inhalation  ist  nicht  ange- 
geben, was  offenbar  für  die  Beurtheilung 
der  Schwere  der  Infection  von  grosser  Wich- 
tigkeit ist. 

Beschäftigen  wir  uns  zunächst  mit  der 
ersten  Gruppe.  Es  kann  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  die  Schwere  der  Infection 
abhängig  ist  von  der  Menge  der  eingeimpften 
Tuberkelbacillen.  Ein  Organismus,  welcher 
10  Bacillen  aufgenommen  hat,  wird  weniger 
leiden,  als  wenn  auf  ihn  zugleich  tausend 
derselben  einwirken').  Cornet  hat  zu 
gleicher  Zeit  eine  hanfkomgrosse  Masse  Ba- 
cillen eingeimpft.  Wenn  man  auch  „hanf- 
korngross"  nur  als  annähernd  genaue  Grossen- 
angabe ansehen  darf,  scheint  doch  soviel 
sicher,    dass    die    Menge     der    eingeimpften 

')  Man  vergleiche  hierzu  R.  Koch,  Die 
Aetiologie  der  Tuberculose  (Mittheilangeo 
aas  dem  kaiserlichen  Gesundheitsamt.  Band  II. 
Seite  44).  „Namentlich  ist  es  von  grösster  Bedeu- 
tung, ob  die  Infection  mit  sehr  wenig  Bacillen  oder 
mit  einer  grösseren  Mense  derselben  bewirkt 
wurde.*"  Koch  weist  dabei  auf  den  dadurch  be- 
dingten Unterschied  am  Eaninchenauge  hin. 


ItL  Jahrgang, 
November  1889 


Ü 


Engel,  2ur  ^handlung  der  Lungenichwlndsucht  mit  Kreoiot 


503 


Bacillen  mindestens  ein  Yolumen  Ton  2  cbmm 
hatte.  Um  einen  Begriff  Ton  der  Menge 
Tuberkel bacillen  zu  bekommen,  die  sich  in 
einem  solchen  Räume  zusammenfinden  kann, 
wollen  wir  daran  erinnern,  dass  1  cbmm 
Menschenblut  ausser  dem  Blutserum  5  Mil- 
lionen rother  Blutkörperchen  enthält,  dass 
ferner  die  Länge  eines  Tuberkelbacillus  nur 
die  Hälfte  oder  den  dritten  Theil  eines 
menschlichen  rothen  Blutkörperchens,  seine 
Breite  nur  etwa  den  zwanzigsten  bis  dreissig- 
sten  Theil  der  Länge  beträgt.  Nach  ober- 
flächlicher Schätzung  würden  demnach  jedem 
Thier  ca.  600  Millionen  Tuberkelbacillen 
eingeimpft  worden  sein. 

Bei  der  kritischen  Beleuchtung  des  Ver- 
suches    dürfen    wir     den     folgenden     Punkt 
nicht  ausser  Acht  lassen:  den  äusserst  gün- 
stigen Nährboden,    auf  den.  dieselben  durch 
den  Versuch  verpflanzt  worden  sind.     Wäh- 
rend sich    die  Bacillen   im  Reagensglase  auf 
der  zur  Cultur  geeigneten  Substanz   —   ver- 
muthlich  auf  geronnenem,  sterilisirtem  Blut- 
serum   —    auf    einen    Haufen     zusammenge- 
pfercht, langsam  vermehrten,  kamen  sie  nach 
dem     Impfstich     unter     Lebensverhältnisse, 
welche  für    ihre   Lebens-  und  Vermehinings- 
fahigkeit     nicht     günstiger      sein     konnten. 
Schon    auf    dem    Culturboden    im    Wachsen 
begriffen,  wurden  sie  durch  den  Säftestrom, 
in  den  sie   allmählich    eindrangen    und   von 
welchem    sie    durch    den    Körper    getragen 
wurden,     auf    viele     Nährböden    verpflanzt. 
Ist    diese  Vertheilung    der  Bacillen    an  und 
für  sich  schon    von   grosser  Wichtigkeit  für 
die  schnelle  Vermehrung  derselben,  so  wird 
ihrer  Vervielfältigung  durch  die  Möglichkeit 
der  Metastasen bildung  noch  mehr  Vorschub 
geleistet.     Es    hat    sich     nämlich    bei     der 
Cultivirung    der  Tuberkelbacillen    herausge- 
stellt, dass,   um  die  Culturen   im  Gange  zu 
erhalten,  nach  10  Tagen  eine  Weiterimpfung 
auf  einen  neuen  Nährboden  stattfinden  muss. 
Endlich  wollen    wir    in    dieser  Hinsicht 
noch  erwähnen,  dass  durch  die  in  die  Haut 
gemachte  Stichwunde    eine   Anzahl  Bacillen 
ohne    weiteres  in  Blut-   resp.  Lymphgefässe 
eindringen  und   nach   entfernteren  Gegenden 
verpflanzt  werden  konnte. 

Die  zweite  Gruppe  von  Thieren  inhalirte 
feinzerstäubte  Tuberculose  -  Rein  cultur  an 
zwei  Tagen.  Obwohl  die  Zeitdauer,  wäh- 
rend welcher  eingeathmet  worden,  nicht  an- 
gegeben ist,  so  geht  doch  daraus,  dass  an 
zwei  Tagen  inhalirt  wurde,  femer  aus  dem 
relativ  frühzeitigen  Absterben  der  Inhala- 
tionsthiere,  endlich  daraus,  dass  ein  Inhala- 
tionsthier  zehn  Tage  nach  der  Infection  einer 
Pneumonie  erlag,  ein  anderes  dreissig  Tage 
nach  der  Infection    schon  schwere    patholo- 


gische Veränderungen  in  den  Bronchi aldrüsen 
und  Lungen  zeigte  —  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit hervor,  dass  eine  bedeutende 
Menge  von  Bacillen  auch  auf  die  Inhala- 
tion sthiere  eingewirkt  haben  muss.  Nicht 
zu  vergessen,  dass,  wenn  von  „fein  zerstäubt" 
die  Rede  ist,  die  Staubmenge  sicherlich  so 
gross  war,  dass  sie  mit  blossem  Auge  er- 
kannt werden  konnte. 

Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein, 
die  ätiologischen  Momente  der  Lungen- 
schwindsucht des  Menschen  auseinanderzu- 
setzen. Soviel  ist  jedoch  sicher,  dass, 
mögen  die  Tuberkelbacillen  durch  den  Di- 
gestions- oder  Respiration stractus  in  den 
menschlichen  Körper  hineingelangt  sein, 
mögen  katarrhalische  oder  traumatische  Er- 
krankungen der  Luftwege  die  Veranlassung 
gebildet  haben,  dass  die  in  dieselben  ein- 
gedrungenen Tuberkelbacillen  nicht  wieder 
herausbefördert  werden  konnten,  —  auf 
keinen  Fall  wird  zu  gleicher  Zeit  eine  so 
grosse  Menge  von  Bacillen  den  menschlichen 
Organismus  angreifen,  wie  in  den  angegebe- 
nen Experimenten  auf  die  Meerschweinchen 
eingewirkt  hat.  Dazu  kommt,  dass  auch 
die  Lebens-  und  Vermehrungsfähigkeit  der 
aus  einer  Tuberculose-Reincultur  entnomme- 
nen Bacillen  bedeutend  stärker  sein  wird 
als  die  derjenigen,  welche  aus  eingetrock- 
netem Auswurfe  Lungenschwindsüchtiger 
stammen  und  während  ihres  Aufenthalts 
ausserhalb  des  menschlichen  Körpers  in  Folge 
der  niederen  Temperatur  an  einer  Fortent- 
wicklung verhindert,  erst  im  menschlichen 
Körper  weiter  wachsen. 

Die  erste  unserer  auf  Seite  502  aufge- 
stellten Fragen  müssen  wir  denmach  dahin 
beantworten : 

Die  künstlich  erzeugte  Infection  der 
Meerschweinchen  bildet  keine  Analogie  für 
die  Infection  beim  Menschen;  insbesondere 
steht  die  zu  gleicher  Zeit  den  Thieren  ein- 
verleibte Menge  von  Tuberkelbacillen  in 
keinem  Verhältnisse  zu  der  Menge  derjeni- 
gen, welche  aus  der  Luft  in  die  Athmungs- 
organe  des  Menschen  gelangen  kann^  zumal 
wenn  man  bedenkt,  dass  im  Vergleiche  zum 
Körpergewicht  der  Versuchsthiere  die  den 
Menschen  inficirende  Bacillenmenge  eine 
hundertfache  sein  müsste. 

Bevor  wir  an  die  Beantwortung  unserer 
zweiten  Frage  herantreten,  ist  es  nothwen- 
dig  festzustellen,  dass  das  Wort  „Lungen- 
tuberculose",  welches  sowohl  in  Sommer- 
brodt's  Arbeit  als  auch  in  der  Cornet's 
vorkommt,  von  beiden  in  verschiedener  Be- 
deutung gebraucht  wird.  Während  Som- 
merbrodt,  wie  aus  dem  Inhalt  seiner  Ar- 
beit hervorgeht,    die   chronische   tuberculose 


504 


Engel,  Zur  Behandlung  dar  Lungansehwindsucht  mit  Kreosot 


r1ierap«atlfdifl 
Monatahefte. 


Lungenschwindsucht  meint,  spricht  Cornet 
in  seiner  Arbeit  (Seite  127)  von  ,,  ausgebrei- 
teter Tuberculose  der  Lungen"  in  der  Be- 
deutung der  allgemeinen  Miliartuberculose. 
Eine  andere  ist  auch  experimentell  noch 
nicht  erzeugt  worden^).  Dem  entsprechen 
auch  die  pathologisch-anatomischen  Befunde 
bei  den  Meerschweinchen.  Je  nachdem  die 
Tuberkelbacillen  durch  Impfstich  in  den 
Bauch  oder  durch  Inhalation  in  die  Lungen 
eingedrungen  sind,  sind  die  oben  bezeich- 
neten anatomischen  Veränderungen  das  eine 
Mal  in  den  Organen  des  Unterleibs,  das  an- 
dere Mal  in  denen  der  Brust  besonders  stark. 
Demnach  müssen  wir  unsere  zweite  Frage 
dahin  beantworten,  dass  die  Sectionsbefunde 
bei  den  künstlich  inficirten  Thieren  denen 
entsprechen,  wie  sie  bei  der  acuten  Miliar- 
tuberculose  des  Menschen  vorgefunden  wer- 
den, nicht  aber  denen  der  chronischen  tuber- 
culosen  Lungenphthise  desselben. 

Aus  Cornet 's  Versuchen,  soweit  sie  das 
Kreosot  betreffen,  geht  nichts  weiter  hervor 
als,  dass  Meerschweinchen,  bei  denen  durch 
eine  grosse  Menge  in  der  Fortpflanzung  be- 
griffener Tuberkelbacillen  eine  allgemeine 
acute  Miliartuberculose  erzeugt  worden  ist, 
durch  Kreosot,  welches  in  einer  Menge  von 
1  :  12— 1300  Blut  in  den  Magen  des  Thieres 
injicirt  wurde,  vom  Untergänge  nicht  ge- 
rettet werden  konnten.     Es  wird  doch  Nie- 


*)  Zur  Unterstützung  dieser  Behauptung  wollen 
wir  wiederum  die  oben  citirte  Arbeit  R.  Koch 's 
anfuhren.  Bei  der  Besprechung  der  spontanen 
Tuberculose  der  Meerschweinchen  und  Kaninchen 
sagt  er  auf  Seite  43  : 

„Die  Veränderungen,  welche  in  diesen  an  spon- 
taner Tuberculose  gestorbenen  Thieren  gefunden 
wurden,  unterscheiden  sich  von  den  in  Folge  von 
künstlicher  Infection  entstandenen  in  sehr  charak- 
teristischer Weise,  so  dass  sich  die  verschiedene 
Art  und  Weise  der  Infection  mit  aller  Sicherheit 
erkennen  Iftsst. 

Es  wurden  nämlich  regelmässig  bei  den 
Thieren  mit  spontaner  Tuberculose  ein  oder  einige 
wenige  grosse  tuberculose  Herde,  die  sich  in  weit 
vorgeschrittener  Verkäsung  befanden,  in  der  Lunge 
una  zugleich  bedeutend  vergrösserte  und  verkäste 
Bronchialdrüsen  angetroffen. 

. . .  Bei  den  durch  Lihalation  inficirten  Thieren, 
welche  immer  grössere  Mengen  von  Bacillen 
in  die  Lungen  aufgenommen  hatten,  fanden  sich 
auch  dem  entsprechend  nicht  ein  oder  wenige 
grosse  Herde,  sondern  eine  sehr  grosse  An- 
zahl von  kleinen  Tuberkeln  in  den  Lungen. 
Zieht  man  diese  an  künstlich  inficirten  Thieren  ge- 
machten Erfahrungen  in  Betracht,  dann  wird  man 
die  spontane  Tuberculose,  wie  sie  unter  den  er- 
wähnten Verhältnissen  bei  Meerschweinchen  und 
Kaninchen  vorkam,  als  durch  Inhalation  von  einem 
oder  wenigen  Infectionskeimen ,  d.  h.  Bacillen 
entstanden,  sich  Torstellen  müssen.  Erwähnens- 
werth  ist  noch,  dass  mehrfach  in  den  grössten 
Käseherden  der  Lunge  der  centrale  Zerfall  sehr 
weit  fortgeschritten  war,  und  in  Folge  dessen  sich 
vollständige  Cavemen,  wenn  auch  von  geringem 
Umfange,  gebildet  hatten.^ 


mand  behaupten  wollen,  dass  durch  dieses 
Resultat  die  Frage  erledigt  worden  ist,  ob 
sich  die  erfahrungsgemass  günstigen  Erfolge 
bei  der  Ereosotbehandlung  der  tuberculosen 
Lungenschwindsucht  durch  das  Thierexperi- 
ment  bestätigen  lassen.  Gegen  die  acute 
Miliartuberculose  hat  sich  Kreosot,  wie  aus 
den  Versuchen  hervorgeht,  nicht  bewährt. 
Das  Gegen th eil  hat  bisher  noch  Niemand 
behauptet.  Nur  ein  den  menschlichen  Ver- 
hältnissen entsprechendes  Experiment  kann 
über  die  Art  der  Wirksamkeit  des  Kreosots 
bei  der  chronischen  tuberculosen  Lungen- 
schwindsucht ein  entscheidendes  Wort  reden. 
So  lange  es  noch  nicht  gelungen  ist,  diese 
experimentell  zu  erzeugen,  ist  die  Frage 
als  noch  unerledigt  zu  betrachten. 

Um  noch  mit  wenigen  Worten  die  Form, 
in  der  das  Kreosot  gegeben  werden  kann, 
zu  erwähnen,  so  sind  in  Berlin  ausser  den 
Sommerbrodt^schen  Kreosotkapseln,  der 
Hopmann^schen  Kreosotmischung,  dem 
Bouc  bardischen  Kreosotwein  und  dem 
Kreosotwasser  noch  die  Jasper^schen  Kreo- 
sotpillen mit  je  0,05  Kreosot  im  Gebrauch, 
die  leichter  als  Kapseln  zu  nehmen  sind 
und  den  zweifelhaften  Werth  der  Kapseln 
bezüglich  ihres  Balsams  nicht  theilen.  Bei 
deren  Verabreichung  ist  jedoch,  um  sicher 
zu  sein,  dass  sie  nicht  unwirksam  durch 
den  Stuhlgang  wieder  entfernt  werden,  noth- 
wendig  darauf  zu  achten  a)  dass  Diarrhoen 
vermieden  werden,  b)  dass  stets  eine  ge- 
ringe Menge  derselben  (2 — 3  Stück)  wäh- 
rend des  Essens  zwischen  den  einzelnen 
Bissen  oder  auch  während  des  Trinkens  ver- 
braucht werden;  c)  dass  während  der  Pillen- 
cur  stets  eine  möglichst  grosse  Menge 
Flüssigkeit  in  den  Magen  kommt.  Nach 
den  bisherigen  Erfahrungen  empfahl  es  sieb, 
zu  je  20 — 25  Stück  einen  Liter  Milch  ver- 
brauchen zu  lassen.  Mit  8 — 10  Pillen  in 
den  ersten  Tagen  beginnend,  ist  es  auf  diese 
Weise  möglich  gewesen,  von  5  zu  5  Stück 
in  jeder  halben  Woche  ansteigend,  bis 
80  Stück  pro  Tag,  d.  h.  4  g  Kreosot  nehmen 
zu  lassen,  ohne  dass  über  irgend  welche 
Beschwerden  geklagt  wurde.  Wieviel  Kreosot 
davon  vom  Körper  resorbirt  wurde,  Hess 
sich  bisher  noch  nicht  feststellen.  Endlich 
soll  nicht  unerwähnt  bleiben,  dass  Verfasser 
in  einigen  Fällen  von  einer  Mischung: 
„Kreosot  1,0,  Cognac  4,0,  in  Milch  zu 
nehmen^)  bezüglich  der  Brauchbarkeit  zu- 
firiedengestellt  wurde.  60  Tropfen  der  Mi- 
schung (0,5  Kreosot)  in  1  1  Milch  gut  ver- 
theilt,  werden,  wenn  reine  Milch  nachge- 
trunken wird,  gut  vertragen.  Mit  dem  An- 
steigen der  aufzunehmenden  Milchmenge  steigt 
auch  die  aufgenommene  Quantität  Kreosot. 


m.  Jalirgirag.  l 
Korrmber  1889.  J 


Bats,  Zu  den  ftusieren  Operationen  bei  Laryoxtubereulose. 


505 


Zu  den  äusseren  Operationen  bei  liarynx- 

tuberciilose. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  laryngologischcn  Scction 
der   62.  Naturforscherversarami ung    zu   Heidelberg. 

September  1889.) 

Von 
Dr.  Betz  in  Mainz. 

üeber  die  IndicatioDSstellung  zu  äusseren 
chirurgischen  Eingriffen  bei  Larynxtubercu- 
lose  gehen  die  Meinungen  noch  weit  ausein- 
ander. Gilt  dies  schon  für  die  einfache 
Tracheotomie,  die  Yon  der  Mehrzahl  der 
Laryngologen  nur  bei  erheblicher  Laryngo- 
Btenose  als  Yollberechtigter  Eingriff  angesehen 
wird,  während  ihr  andere,  unter  Führung 
Ton  M.  Schmidt,  einen  viel  grosseren  V\^ir- 
kungskreis  zuweisen,  aus  bekannten  Gründen, 
die  ich  hier  nicht  zu  wiederholen  brauche, 
so  wird  diese  im  ganzen  reservirte  Haltung 
noch  ablehnender,  wenn  es  sich  um  grössere 
äussere  Operationen  handelt,  bei  der  Laryngo- 
fissur  mit  der  Ausräumung  tuberculoser 
Massen,  bei  der  Resection  und  der  Total- 
exstirpation  des  tuberculosen  Kehlkopfs. 
Es  sind  diese  Verhältnisse  in  der  Ihnen  be- 
kannten Arbeit  von  Seifert  (Münchener 
med.  Wochenschr.  1889,  14  und  15)  ein- 
gehender erörtert,  auch  die  einschlägige  Litte- 
ratur  ziemlich  vollständig  berücksichtigt,  so 
dass  ich  mich  einfach  auf  diese  Publication 
beziehen  kann.  Nur  über  die  letzgenannte 
Operation,  die  Exstirpation  des  Kehlkopfs, 
die,  wie  mir  scheint,  nicht  ganz  mit  Recht 
fast  einstimmig  verurtheilt  wird,  möchte  ich 
mir  einige  kurze  Bemerkungen  erlauben. 

Der  erste,  der  die  Operation  bei  Larynx- 
tuberculose  in  Vorschlag  brachte,  ist,  soviel 
ich  sehe,  E.  Franke  1  (Deutsche  med. 
Wochensch.  1885,  28)  indem  er  bei  Gelegen- 
heit der  Demonstration  eines  Präparats  von 
ausgedehnter  tuberculöser  Destruction  des 
primär  erkrankten  Kehlkopfs,  es  fanden 
sich  nebenbei  nur  einige  frische  peribron- 
chitische  Knötchen  in  den  Lungen,  die  Frage 
aufwarf,  ob  nicht  in  ähnlichen  Fällen  die 
Exstirpatio  laryngis  gemacht  werden  sollte. 
V^enn  ich  von  einem  Falle  von  Lloyd 
(Internat.  Centralbl.  f.-  Laryngologie  IV 
p.  279),  der  im  Jahr  1884  operirt  wurde, 
deswegen  absehe,  weil  hier  die  Diagnose  auf 
Epitheliom  gestellt  war,  und  erst  bei  der 
nachträglichen  Untersuchung  die  tuberculose 
Natur  des  Tumors  als  wahrscheinlich  festge- 
stellt wurde,  so  ist  mir  nur  noch  ein  Fall 
von  Hopmann  bekannt,  den  er  auf  der 
Wiesbadener  Naturforscher  Versammlung  1887 
mitgetheilt    hat.      Es    bestand    hochgradige 


Infiltration  des  ganzen  Kehlkopfs  mit  bedeu- 
tenden Schluck-  und  Athembesch werden,  bei 
Anfangs  nicht  erheblicher  Betheiligung  der 
Lungen.  Führte  die  Operation  in  diesem 
Falle  auch  nicht  zu  einem  vollen  Erfolg, 
da  dem  Kranken  nur  eine  ausserordentliche 
Erleichterung  geworden  war  bis  zu  dem 
3  Monate  nach  der  Operation  durch  den  fort- 
schreitenden Lungenprocess  erfolgten  Tode, 
so  ist  der  Fall  doch  darum  von  grossem 
Interesse,  weil  er  beweist,  dass  die  Operation, 
wenn  nur  sonst  die  Verhältnisse  günstig  sind, 
sehr  wohl  einen  guten  Verlauf  nehmen  kann. 

Ob  noch  ein  oder  der  andre  weitere  Fall 
veröffentlicht  wurde,  habe  ich  vielleicht  über- 
sehen; empfohlen  wurde  die  Operation  noch 
von  Mas  sei  bei  primärer  Kehl  köpf  tubercu- 
lose (Internat.  Centralbl.  f.  Laryngol.  V  p.  27). 

Ich  habe  nun  einen  Fall  zu  behandeln 
gehabt,  bei  dem  ich  mich  durch  die  fast 
allgemeine  Verwerfung  der  Radicaloperation 
leider  abhalten  Hess,  die  Exstirpation  recht- 
zeitig vorzunehmen,  und  ich  möchte  mir  er- 
lauben, Ihnen  diesen  Fall  nebst  dem  zuge- 
hörigen Präparat  als  einen  Beitrag  zur  Be- 
urtheilung  dieser  Frage  vorzulegen. 

Ich  sah  die  damals  35  Jahre  alte  Frau  L. 
zuerst  im  Nov.  1884,  als  sie  mich  wegen 
Hosten  und  Heiserkeit  consultirte.  Die 
Untersuchung  ergab  über  beiden  Lungen- 
spitzen spärliche  Rhonchi,  keine  deutliche 
Dämpfung.  Im  Larynx  eine  Schwiele  an  der 
Interarytänoidealschleimhaut ,  Stimmbänder 
etwas  höckerig  verdickt,  keine  Ulceration. 
Nach  kurzer  Zeit  blieb  sie  aus  der  Behand- 
lung weg,  und  ich  sah  sie  erst  wieder  im 
Juli  1887  auf  W^unsch  ihres  Hausarztes. 
Ich  hörte,  dass  sie  in  der  letzten  Zeit  einige 
Mal  bei  Herrn  Dr.  M.  Schmidt  in  Frankfurt 
gewesen  sei,  und  dass  dieser  die  Tracheo- 
tomie  für  nöthig  erklärt  hätte.  Der  damalige 
Befund  war:  Epiglottis  stark  verdickt,  na- 
mentlich an  ihrer  Laryngeal fläche,  daselbst 
einzelne  miliare  Geschwürchen  zeigend, 
Stimmbänder  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung 
ulcerirt,  schwerer  beweglich,  Vorderfläche 
der  hinteren  Larynx  wand  ulcerirt  und  ebenso 
wie  die  aryepiglottischen  Falten  infiltrirt. 
Hochgradige  Dyspnoe  und  Dysphagie.  Bei 
Untersuchung  der  Lungen  ergab  die  Percussion 
wie  vor  3  Jahren  nichts  besonderes,  die 
Auscultation  ebenso  wenig,  da  das  Stenosen- 
geräusch und  weiterhin  das  Athmen  durch 
die  Canüle  etwaige  feinere  Veränderungen 
verdeckte;  es  konnte  nur  so  viel  mit  Be- 
stimmtheit behauptet  werden,  dass  eine 
grössere  Betheiligung  der  Lungen  nicht 
bestand.  Ein  Zweifel  an  der  Diagnose 
war  durch  den  charakteristischen  laryn- 
goskopischen Befund  und  den  Nachweis  von 

64 


506 


Bats,  Zu  den  äuitaran  Opentlottaa  bal  Laryaxtubarculoia. 


rHierapeiitiiGhe 
L  Monatsheft«. 


Tuberkelbacillen  ausgeschlossen.  Es  bestand 
Gravidität  im  8.  Monat,  und  es  ist  ein  son- 
derbares Zusammentreffen,  dass  die  drei 
Fälle  meiner  Beobachtung,  bei  denen  die 
Tracheotomie  ^egen  tuberculÖser  Laryngitis 
nöthig  ^urde,  sämmtlich  hochschwangere 
Frauen  betrafen;  es  konnte  demnach  scheinen, 
als  ob  dieser  Zustand  direct  zur  Steigerung 
der  Stenose,  vielleicht  durch  Beeinflussung 
der  Circulations Verhältnisse,  beitrüge.  In 
Parenthese  sei  bemerkt,  dass  die  eine  dieser 
Patientinnen  noch  jetzt,  8  Jahre  nach  der 
Operation,  mit  gesundem  Kehlkopf  lebt. 

Der  fernere  Verlauf  bei  unserer  Patientin 
war  nun  kurz  folgender:  Am  23.  7.  87 
Tracheotomie.  In  den  nachfolgenden  Tagen 
keine  Localbehandlung  des  Larynx.  Es 
trat,  wie  gewöhnlich  nach  der  Tracheotomie 
in  solchen  Fällen,  ein  Nachlass  derSchwellung 
am  Eehlkopfeingang  und  damit  Besserung 
der    Dysphagie    ein.      Vom    1.   August    bis 

9.  September  locale  Application  Anfangs  von 
Jodol,  späterhin  von  Cocain  und  Milchsäure, 
doch    ohne    jeden    sichtbaren    Erfolg.     Am 

10.  September  rechtzeitige  Entbindung,  dies- 
mal ohne  Forceps,  da  Patientin  Multipara 
und  das  Kind  ein  atrophisches,  bald  nach 
der  Geburt  verstorbenes  war.  (in  den  beiden 
früheren  Fällen,  die  ebenfalls  Mehrgebärende 
betrafen,  musste  die  Geburt  mit  der  Zange 
beendet  werden,  offenbar  wegen  Wegfalls 
der  Bauchpresse  durch  Ausfall  des  Glottis- 
schlusses.) In  der  nächsten  Zeit  nach  der 
Entbindung  nur  Cocain  zur  Linderung  der 
wieder  stärkeren  Dysphagie.  Es  vollzog  sich 
nun  in  den  nächsten  Monaten  statt  der  er- 
hofften Besserung  eine  stetige  Verschlim- 
merung des  örtlichen  Leidens,  immer  bei 
günstigem  Lungenbefund.  Jodol  und  Milch- 
säure nützten  gar  nichts,  Cocain  und  Menthol 
hatten  einen  nur  palliativen  Erfolg  bezüglich 
der  Dysphagie.  Es  stellte  sich  immer  deut- 
licher das  Bild  einer  Perichondritis  des  ge- 
sammten  Keblkopfgerüstes  ein.  Die  Contouren 
des  Larynx  bei  der  äusseren  Untersuchung 
wurden  breiter,  die  Palpation  schmerzhaft, 
während  das  laryngoskopische  Bild  sich 
eigenthümlich  veränderte.  Am  Zungengrund 
erschien  im  Spiegel  die  ödematöse  Epiglottis, 
die  direct  der  hintern  Rachenwand  anzu- 
liegen schien.  Erst  wenn  man  die  Epiglottis 
mit  der  Sonde  nach  vorn  zog,  erschienen 
die  ödematösen  aryepiglottischen  Falten  und 
der  Kehlkopfeingang.  Genauere  Details  von 
der  Larynxhöhle  waren  nicht  zu  erkennen, 
es  war  Alles  in  einen  grossen  geschwürigen 
Trichter  verwandelt.  Scariflcationen  der  öde- 
matösen Wülste  brachten  nur  vorübergehende 
Erleichterung.  So  warder  Befund  im  Juli  1888, 
1  Jahr  nach  der  Tracheotomie.     Offenbar  war 


zu  dieser  Zeit  schon  das  Knorpelgerüst  in 
weitem  Umfang  zerstört  und  dadurch  dieses 
eigenthümliche  Zusammensinken  des  Kehl- 
kopfs hervorgerufen.  Damals  war  wohl  bei 
noch  günstigem  Zustand  der  Brnährung  und 
der  Lungen  der  richtige  Zeitpunkt  für  die 
Exstirpation  des  ohnehin  zerstörten  Kehl- 
kopfs gegeben. 

So  zog  sich  bei  zunehmender  Schwierig- 
keit der  Ernährung  und  steigendem  Kräfte- 
verfall der  Process  hin  bis  Anfang  dieses 
Jahres,  als  das  Schlucken  ganz  unmöglich 
und  die  Ernährung  mit  der  Schlundsonde 
nöthig  wurde.  Mitte  Februar  trat  eine  genau 
zu  verfolgende  Aspirationspneumonie  im 
rechten  ünterlappen  auf;  aber  auch  diese 
führte  noch  nicht  zum  Tode,  der  Exitus  er- 
folgte vielmehr  in  der  Nacht  des  28.  Februar, 
19  Monate  nach  der  Tracheotomie,  durch 
ein  bei  Larynxtu  bereu  lose  sehr  seltenes  £r- 
eigniss,'  eine  copiöse  arterielle  Blutung  aus 
der  Laryngea  superior  der  linken  Seite,  wie 
sie  eben  nur  möglich  ist  bei  einer  so  toU- 
ständigen  Destruction  des  Kehlkopfes.  Ihrer- 
seits konnte  sich  diese  nur  in  längerer  Zeit 
nach  der  Tracheotomie  entwickeln;  und  des- 
wegen ist  sie  bei  Tuberculose  so  selten,  weil 
hier  in  der  Regel  die  Lungenaffection  viel 
früher  den  Tod  herbeiführt. 

Bei  der  Section  fand  sich  nun  neben  der 
erwähnten  grangränescirenden  rechtsseitigen 
Pneumonie  in  beiden  Lungenspitzen  geringe 
Induration,  vereinzelte  ältere  und  spärliche 
frische  Tuberkelablagerungen,  kein  grösserer 
Herd.  Im  oberen  Theil  der  Luftröhre  die 
Tracheotomieflstel  mit  glatten  Rändern,  der 
Larynx  in  eine  grosse  Höhle  mit  gangränösen 
Wandungen  verwandelt;  von  einzelnen  Theilen 
ein  Rest  der  Epiglottis  und  aryepiglottischen 
Falten,  sowie  die  theilweise  nekrotische  Ring- 
knorpelplatte und  einige  sonstige  Knorpel- 
fragmente kenntlich.  Im  Rachen  ein  grosses 
zusammenhängendes  Blutcoagulum,  welches 
sich  in  die  Larynxhöhle  fortsetzt  und  daselbst 
an  der  linken  Seitenwand  in  der  Gegend 
des  Verlaufs  der  Arterie  adhärirt. 

Ich  glaube,  Sie  werden  mir  zugeben,  m.  H., 
dass  in  diesem  Falle  die  einzige  Möglichkeit 
der  Heilung  in  der  Exstirpation  gelegen  war; 
und  die  Operation  hätte  bei  dem  Zustand 
der  Lungen  und  der  grossen  Lebenszähigkeit 
der  Patientin  gewiss  günstige  Aussichten 
dargeboten.  Ich  bin  nun  weit  entfernt  zu 
glauben,  dass  sich  solche  Fälle  häufig  dar- 
bieten werden;  da  sie  aber  vorkommen,  so 
ist  für  sie  wenigstens  die  absolute  Verwerfung 
der  Larynxexstirpation  ungerechtfertigt. 


r 


loremSTif^sid  1      Clemens,  Heilung  und  Sehwund  der  lyphilitisehen  Sklerosis  durch  elektr.  Ströme. 


507 


Yollkomineiie  Heilung  und  Schwund 

der   syphilitischen   Sklerosis   durch    die 

methodische  Anwendung^  elektrischer 

Ströme. 

Von 

Dr.  Theodor  Clement  in  Frankfurt  am  Main. 

aCrescunt  diBrlplinao  lente  tardeqae; 
per  varloB  errores  sero  porvenitnr  ad  re- 
ritatem.  Omnia  praeparata  esse  debent 
diurno  et  anldao  labore  ad  introituin 
veritatia  novae.  Jam  illa  eerto  temporU 
momento  dlTina  qaadam  necenitate  coacta 
emerf  et.**  C.  G.  J.  J  a  c  o  b  i. 

nWenn  es  sich  darum  handelt,  wissen- 
schaftliche Erfahrungen  als  Folge  einer  vor- 
urtheils freien  und  nüchternen  Beobachtung 
festzustellen,  so  müssen  alle  Nebenrück- 
sichten schwinden,  die  einem  abgegebenen 
Urtheile  hindernd  in  den  Weg  treten 
könnten. 

Ich  befand  mich  in  der  letzten  Zeit  iu 
einer  solchen  Lage,  indem  mir  die  Gelegen- 
heit ward,  eine  Erfahrung  zu  sammeln,  die 
mir  bisher  unbekannt  geblieben  war. 

Es  handelte  sich  um  die  syphilitische 
Infection  eines  blühenden,  gesunden  Mannes 
in  den  dreissiger  Jahren,  welcher  sich  nach 
einem  unreinen  Beischlafe  eine  doppelte 
ulceröse  Sklerose  am  Praeputium  und  Fre- 
nulum  zugezogen  hatte. 

Dass  die  Sklerosen  zunächst  zur  Ueber- 
häutung  zu  bringen  versucht  wurde,  dass 
nach  der  bestimmten  Zwischenzeit  denselben 
eine  ausgesprochene  Roseola  folgte,  ja  dass 
noch  während  des  Bestandes  derselben  höchst 
verdächtige  geschwürige  Halserscheinungen 
sich  zu  entwickeln  begannen,  sind  allbe- 
kannte Dinge,  die  keiner  weiteren  Erörte- 
rung bedürfen.  Das,  was  mir  in  der  Sache 
neu  war,  und  was  ich  —   ich  möchte  sagen 

—  fast  täglich  mit  meinen  eigenen  Augen 
und  meinen  Fingern  verfolgen  konnte,  war 

Der  Schwund  der  Sklerosen  durch 
die    katalytische    Wirkung    des    elek- 
trischen Stromes. 

Jeder,  der  sich  mit  der  Behandlung  der 
Syphilis  beschäftigt,  weiss,  wie  ungemein 
schwierig,  ja  oft  völlig  resultatlos  der 
Schwund  der  Sklerose,  selbst  durch  die 
best  geleitete  mercurlelle  Behandlung  zu 
erzielen  ist.  —  Ich  habe  über  diese  Frage 
eine  lange,  lange  Reihe  von  Beobachtungen 
und  Untersuchungen  angestellt  —  (siehe 
meine    wissenschaftlichen   Hospital-Berichte) 

—  und  bin  zu  der  Ansicht  gelangt,  dass 
in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle  eine 
Mercnrialcur  dieselbe  nicht  beseitigt,  also 
auch  nicht  als  Präventivcur  betrachtet  wer- 
den kann. 


Um  so  überraschter  und  erstaunter  war 
ich,  zu  sehen,  wie  durch  die  Einwirkung 
der  Elektricität  die  Härte  des  syphilitischen 
Primäraffectes  fast  von  Tag  zu  Tag  schwand, 
so  dass  nach  Ablauf  der  6.  bis  7.  Woche 
die  Sklerosen  vollkommen  getilgt  waren. 

üeber  die  Technik  der  elektrischen  Be- 
handlung habe  ich  kein  Urtheil;  wer  sich 
darüber  informiren  will,  muss  sich  an  den 
Erfinder  dieser  elektrischen  Heilmethode, 
Herrn  Dr.  Theodor  Clemens,  in  Frank- 
furt am  Main,  wenden,  welcher  mit  mir 
diesen  Patienten  behandelt  und  die  elek- 
trische Cur  persönlich  ausgeführt  hat. 

Dass  bei  dieser  Beobachtung  und  bei 
der  durch  dieselbe  gewonnenen  wichtigen 
Erfahrung  keine  Täuschung  mit  unterlief, 
werden  diejenigen  wohl  glauben ,  welche 
wissen,  dass  ich  durch  meine  33jährige 
Hospital  thätigkeit  in  diesem  speciellen 
Zweige  unserer  Wissenschaft  mir  wohl  ein 
kleines  Urtheil  in  Syphiliticis  angeeignet 
haben  dürfte. 

Die  Thatsache  steht  fest  und  giebt  einen 
neuen  Beleg  für  den  Werth  der  Elektro- 
therapie. " 

Frankfurt  am  Main,  im  September  1887. 

Sanitätsrath  Dr,  Alex.  Knoblauch. 

Ich  habe  bereits  in  meinem  Werke  über 
HeilelektricitätO  viele  Fäll^  angeführt,  wo 
die  elektrische  Behandlung  nicht  nur  die 
Sklerosen  dauernd  beseitigte,  sondern  auch 
den  Einfluss  gezeigt,  welchen  die  methodische 
Anwendung  der  statischen  Elektricität  wie 
des  Galvanismus  und  Elektromagnetismus 
bei  den  verschiedensten  Formen  tertiärer 
und  inveterirter  Syphilis  in  oft  überraschen- 
der Weise  als  Heileffect  uns  darzubieten 
im  Stande  ist.  Heute  nach  einer  vierzig- 
jährigen Erfahrung  und  im  Besitze  eines 
Materials,  welches  nach  allen  Seiten  hin  ein 
reifes  Urtheil  erlaubt,  bin  ich  nicht  nur  im 
Stande,  meine  Methode  der  elektrischen 
Heilung  der  Sklerosen  klar  darzulegen  und 
als  Gemeingut  einzuführen,  sondern  befinde 
mich  auch  in  der  Lage,  die  Einwirkung 
aller  verschiedenen  elektrischen  Ströme  bei 
Behandlung  und  Heilung  der  Syphilis  neben- 
einanderzustellen und  epikritisch  zu  charak- 
terisiren.  Seit  zwanzig  Jahren  war  es  mein 
beständiges  Streben,  namentlich  diese  meine 

0  Ueber  die  Heilwirkungen  der  Elektricität 
und  deren  erfolgreiche  methodische  Anwendung  in 
verschiedenen  Krankheiten.  Von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  am  Main.  Verlag  von 
Franz  Benjamin  Auffarth  in  Frankfurt  am 
Main  1876-1879,  Pag.  507.  Meine  elektrische 
Behandlung  bösartiger  Geschwüre,  schlimmer  For- 
men der  Syphilis  wie  deren  Nachkrankheiten  und 
Complicationen. 

G4* 


508 


Clamens,  HeUung  und  Schwund  der  syphilitlschea  Sklerosls  durch  elektr.  Ströme.       f^t^at^^ft«^ 


elektrische  Heilmethode  der  Syphilis  mög- 
lichst zu  Yereinfachen,  damit  meine  wie  ich 
glaube  segensreiche  Erfindung  nicht  nur  bald 
in  den  Händen  aller  Elektrotherapeuten  sein 
mochte,  sondern  auch  dem  Nicht-Specialisten 
zugänglich  gemacht  würde.  Ich  habe  bereits 
in  den  Jahren  1868  und  1870  einen  Pa- 
tienten'), der  von  Herrn  Hofrath  Professor 
Sigmund  in  Wien  als  incurabel  entlassen 
worden  war  und  von  Sigmund  meiner  heil- 
elektrischen Behandlung  übergeben  wurde, 
nicht  nur  vollkommen  geheilt  und  den  Pa- 
tienten zur  Prüfung  wieder  nach  Wien  ge- 
sandt, sondern  auch  diese  ganze  Cur  im 
Beisein  und  in  täglicher  Gegenwart  des 
Herrn  Medicinalraths  Physikus  Dr.  Litten 
aus  Stettin  ausgeführt,  welcher  College  sich 
nicht  genug  über  den  durch  die  elektrischen 
Strome  bewirkten  Schwund  der  Sklerosen 
wundern  konnte.  Dieser  Patient  hatte  in 
Folge  von  H  unter  ^schem  Chanker  am 
Penis  zwei  und  am  Hodensack  eine  Sklerose 
von  zwei  bis  drei  Centimeter  Länge,  die 
sich  so  hart  wie  Pappdeckel  anfühlten. 
Der  Kranke  hatte  drei  Schmiercuren^),  Jod- 
und  Badecuren  durchgemacht  und  die  Skle- 
rosen blieben  unverändert  in  ihrer  ganzen 
Grosse  und  Härte,  waren  aber  nach  einer 
siebenmonatlichen  elektrischen  Cur  weder 
für  das  Auge,  noch  für  die  Fingerspitzen 
wahrnehmbar.  XJeberblicke  ich  heute  mein 
ganzes  Krankenmaterial,  so  ergicbt  sich  mir 
als  Resultat  für  die  Zeitdauer  meiner  elek- 
trischen Heilmethode  der  Sklerosen  ein 
Zeitraum  von  sechs  Wochen  bis  zu  sieben 
Monaten.  Frische  Fälle,  die  noch  nicht 
über  zwei  und  drei  Monate  alt  waren,  wur- 
den gewohnlich  von  mir  in  sechs  bis  sieben 
Wochen  zu  ganz  vollkommenem  Schwund 
gebracht,  wie  dies  ja  auch  in  dem  von  Herrn 
Sanitätsrath  Dr.  Knoblauch  beglaubigten 
Fall  geschehen  ist.  Hier  waren  zwei  grosse, 
sehr  harte  Sklerosen  vorhanden  und  wurden 
solche  vor  Beginn  der  elektrischen  Cur  genau 
mit  dem  Cirkel  gemessen  und  gezeichnet, 
welche  Messung  und  Abzeichnung  von  8  zu 

*)  üeber  die  Heilwirkungen  der  Elektricität 
und  deren  erfolgreiche  methodischo  Anwendung  in 
verschiedenen  Krankheiten.  Von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  am  Main.  Verlag  von 
Franz  Benjamin  Auffarth  in  Frankfurt  am 
Main  1876—1879.   Siehe  Pag.  524  und  Anmerkung. 

')  Ich  habe  überhaupt  noch  keinen  Fall  ge- 
sehen, dass  Sklerosen,  welche  nach  einer  zweiten 
Schmiercur  nicht  gewichen  sind,  nach  einer  dritten 
geschwunden  wären.  Auch  intensive  Jodcuren 
bleiben  dann  meistens  resultatlos  und  behalten 
solche  Patienten  ihre  Sklerosen  meist  lebensläng- 
lich, enden  dann  oft  mit  Gehirnkrankheiten  und  an 
sogenannter  Gehirnerweichung,  welcher  partielle 
Paralysen  vorhergehen.  Die  nicht  geschwundene 
Sklerose  ist  und  bleibt  ein  schlafender  Lowe. 


8  Tagen  auf  das  genaueste  wiederholt  wur- 
den. In  diesem  mit  Herrn  Dr.  Knoblauch 
behandelten  Fall  war  die  innere  Sklerose  des 
Praeputiums  bis  zum  Frenulum  genau  zwei 
und  einen  halben  Centimeter  lang  und  in 
der  Mitte  ein  und  einen  halben  Centimeter 
breit,  während  die  äussere  Sklerose  auf  der 
Epidermisfläche  des  Praeputialendes  circa 
zwei  Centimeter  lang  und  ein  und  einen 
halben  Centimeter  breit  war.  Die  innere 
Sklerose  war  länglich  eiförmig  und  die 
äussere  auf  der  Epidermis  mehr  rundlich. 
Beide  Sklerosen  waren  pappdeckelhart  und 
bei  Spannung  weisslich  durchscheinend. 
Der  Verlauf  der  ganzen  syphilitischen  An- 
steckung ein  durchaus  schwerer.  Roseola, 
Schuppenflechte  auf  dem  Kopf  und  in  den 
Handtellern,  Condyloma  an  den  Schenkeln, 
wo  der  Hoden  sack  auflag.  Geschwüre  auf 
den  Tonsillen,  Scharlachröthe  des  Rachens 
und  Auflockerung  der  Schleimhaut,  sowie 
Plaques  opalines  (Psoriasis  mucosa,  Leuko- 
plakia  buccälis)  der  Wangenschleimhaut 
nebst  beginnender  Paronychia  syphilitica  der 
Fingernägel.  —  "Wir  hatten  es  also  hier 
mit  einer  schwersten  syphilitischen  Infectipn 
zu  thun,  wofür  die  harten  und.  grossen  Skle- 
rosen, sowie  die  Schwellungen  der  Leisten- 
drüsen beider  Inguinalgegenden  schon  deut- 
lich genug  sprachen. 

Selbst  die  Excision  der  Sklerosen  bleibt 
bekanntlich  fast  in  allen  Fällen  resultatlos, 
indem  die  Narbe  hart  bleibt  und  die  Indu- 
ration sich  mit  der  Zeit,  wenn  auch  nur 
langsam,  wieder  bildet.  Unter  allen  von 
mir  elektrisch  behandelten  und  geheilten 
Fällen  befand  sich  nur  ein  einziger  Patient 
der  Art.  Die  nach  der  Excision  wieder 
entstandene  Sklerose  mit  der  Narbensubstanz 
verbunden,  verlangsamte  den  Schwund  durch 
den  Einfluss  der  Elektricität  ungemein,  so 
dass  ich  in  diesem  Fall  bei  täglich  vier 
elektrischen  Sitzungen  volle  drei  Monate 
gebrauchte,  um  die  an  und  für  sich  kleine 
Praeputial-Sklerose  zum  Verschwinden  zu 
bringen.  Wäre  die  Sklerose  eine  epidermi- 
dale  gewesen,  so  hätte  ich  die  Recidive 
nach  der  Excision  gewiss  nicht  unter  sechs 
Monaten  entfernen  können,  während  die 
nicht  operirten  Sklerosen ,  ob  in  der  inneren 
oder  äusseren  Haut  des  Praeputiums  lagernd, 
meist  in  geringerer  Zeitdauer  entfernt  wer^ 
den  können.  Eine  Ausnahme  machen  hier 
die  Sklerosen  der  Glans  penis,  welche  in  der 
Regel  hartnäckiger,  dem  lösenden  und 
schmelzenden  Einfluss  der  elektrischen 
Ströme  länger  widerstehen.  Das  Gleiche 
gilt  von  den  Sklerosen  der  Yagina  und  der 
grossen  und  kleinen  Schamlefzen,  welchen 
Umstand  ich  jedoch   lediglich   dem  weniger 


I^vemWi%.]      Clemens,  Heilung  und  Sehwund  der  syphilitischen  Sklerosis  durch  elektr.  Strome.  509 


entwickelten  Lymphnetz  dieser  Theile  im 
Gegensatz  zu  .dem  des  Penis  zuschreibe. 
Es  sind  diese  Theile  oft  in  hohem  Grade 
schlaff,  welk  und  auch  ohne  Sklerose  schon 
im  Zustande  einer  gewissen  Induration. 
Dass  neben  der  elektrischen  Behandlung 
der  Sklerosen  oder  nach  Beseitigung  der- 
selben eine  antisyphilitische  Cur  stattfinden 
muss,  wird  jeder  Arzt,  der  die  Baeren- 
sprung^sche  Ansicht  (Sklerose  ist  schon 
der  Ausdruck  der  Allgemeininfection)  theilt, 
einsehen.  Dessenungeachtet  ist  die  endliche 
und  wirkliche  Beseitigung  der  Sklerose  für 
den  Patienten  ein  ganz  gewaltiger  Yortheil, 
wie  uns  die  Erfahrung  aus  tau  senden  von 
Fällen  hinlänglich  zeigt;  denn  bleibt  die  Skle- 
rose trotz  aller  antisyphilitischen  Behand- 
*  lungsmethoden,  so  ist  eben  der  Patient  nie- 
mals als  geheilt  zu  betrachten.  Ich  muss 
daher  hier  die  mögliche  Frage,  ob  diese 
meine  Methode  der  Heilung  der  Sklerosen 
mittelst  elektrischer  Strome  von  meiner 
Seite  zugleich  als  eine  Coupirmethode  der 
Syphilis^)  aufgefasst  werden  darf,  durchaus 
verneinen.  Selbst  wenn  in  einzelnen  Fällen 
die  kaum  entwickelte  Sklerose  durch  elek- 
trische Strome  zu  schnellem  und  schnellstem 
Schwund  gebracht  wird,  muss  man  dennoch 
den  möglicherweise  kommenden  syphilitischen 
Symptomen  mit  Aufmerksamkeit  entgegen- 
sehen. Dann  aber  ist  die  Schmiercur,  me- 
thodisch richtig  angewandt,  gewiss  die  beste 
Radicalcur,  um  sicher  vor  den  so  oft  ein- 
tretenden Recidiyen  zu  schützen.  Die  elek- 
trische Technik  zur  Heilung,  Schmelzung 
und  Auflosung  der  Sklerosen  ist  von  mir  in 
der  Art  vereinfacht  worden,  dass  die  ganze 
elektrische  Behandlung  sowohl  vor  als  wäh- 
rend und  nach  der  Schmiercur  ausgeführt 
werden  kann,  was  natürlich  von  sehr  grossem 
Yortheil  ist,  obgleich  nach  meinen  Erfah- 
rungen es  immer  am  besten  und  schnellsten 
zum  Ziele  führt,  wenn  der  durch  die  elek- 
trischen Strome  bereits  eingeleitete  Schwund 

*)  Vierteljahresschrift  för  Dermatologio  und 
Syphilis,  herausgegeben  von  Prof.  F.  J.  rick  in 
Prag.  Dreizehnter  (1886)  Jahrgang.  (Der  Reihen- 
folge XVIII.  Jahrgang.)  Wien  1886.  Wilhelm 
BraumuUer.  Pa^  638.  Prof.  Kaposi  (Wien) 
Referat  über  die  Therapie  der  Sypnilis.  —  Ich 
stehe  durchaus,  was  die  Beurtheilun^  der  Sklerose 
betrifft,  auf  der  Seite  von  Kaposi  und  Boeck, 
indem  ich  auch  nach  meinen  Erfahrungen  der  An- 
sicht huldige,  dass  nicht  jede  Sklerose  von  Syphilis 
gefolgt  zu  sein  braucht,  weshalb  ich  weit  entfernt 
bin,  meine  elektrische  Heilung  der  Skleroso  als 
eine  Coupirmethode  der  Syphilis  anzupreisen.  Was 
es  aber  heisst,  eine  Sklerose,  welche  mitten  in  dem 
Ausbruch  der  Syphilis  und  selbst  nach  drei  Schmier- 
und  Jodearen  dennoch  bestehen  bleibt,  doch  noch 
endlich  durch  elektrische  Ströme  zum  Schwund  zu 
bringen,  das  wird  jeder  Syphilidologe  wohl  zu  wür- 
digen wissen. 


schon  angebahnt  ist,  bevor  eine  weitere  anti- 
syphilitische Cur  beginnt. 

Die  ganz  eigenthümliche  Veränderung 
der  Gewebe,  welche  bei  syphilitischen  In- 
fectionen  sich  manchmal  so  rasch  bildet 
und  welche  wir  Sklerosis  nennen,  bedarf 
einer  genauen  physio- pathologischen  Cha- 
rakteristik, bevor  wir  zu  einer  näheren  Aus- 
einandersetzung meiner  elektrischen  Behand- 
lungs-  und  Heilmethode  weitergehen. 

Bekanntlich  ist  Wasser  ein  vorzüglicher 
Leiter  für  alle  elektrischen  Strome,  während 
todtes,  das  heisst  starres  Wasser  (Eis)  weder 
faradische  noch  galvanische  Strome  leitet 
und  durch  die  stärksten  galvanischen  Ströme 
nicht  zersetzt  werden  kann^).  Eis,  also 
erstarrtes  Wasser,  ist  nur  für  statische 
Elektricität,  nicht  für  galvanische  ein  Leiter. 
Die  Elektrolyse  des  Wassers  ist  also  nur 
möglich,  wenn  die  Wasseratome  beweglich 
bleiben;  auf  diese  Thatsache  weiter  schlies- 
send,  konnte  ich  durch  folgendes  Experi- 
ment die  elektrolytische  Wasserzersetzung 
beschleunigen  und  vermehren.  Hielt  ich 
nämlich  bei  elektrolytischen  Wasserzersetzun- 
gen eine  stark  tönende  grosse  Stimmgabel 
in  die  Nähe  der  beiden  polaren  angesäuerten 
Wassercy linder,  so  dass  sich  die  Schwin- 
gungen auf  das  Glas  übertragen  konnten, 
so  sah  ich  sofort  eine  kräftigere  Gasent- 
wickelung entstehen.  Es  wurden  hier  also 
durch  üebertragung  der  Schallschwingungen 
die  Wassermolecüle  in  Bebung  versetzt  und 
die  Elektrolyse  beschleunigt.  .  Dass  wir 
diese  erschütternden  Bebungen  bei  organi- 
schen Geweben  durch  faradische  Ströme 
hervorbringen  können  und  diese  moleculare 
Action®)  in  der  Elektrotherapie  gar  sehr 
würdigen  müssen,  habe  ich  in  meinen  Wer- 
ken über  Heilelektricität^)  vielfach  ausein- 
andergesetzt. —  Wenn  ich  nun  bei  der 
Sklerosonbildung    den    Vergleich    mit    dem 


*)  Siehe  mein  Werk  „Ueber  die  Heilwirkungen 
der  Elektricität  und  deren  crfolgi'eiche  methodische 
Anwendung  in  verschiedenen  Krankheiten.  Frank- 
furt ajn  Main.  Verlag  von  Franz  Benjamin 
Auffarth.  1876—1879.  Pag.  581  u.  Anmerkung. 

^)  Allgemeine  medicinische  Centralzeitung. 
Berlin,  IL.  Jahrgang,  10.  Stück,  4.  Februar  1880. 
Der  unterbrochene  inducirte  Strom,  seine  Aufsau- 
gung befördernde  Kraft  und  moleculüre  Action. 
von  Dr.  Theodor  Clemens  in  Frankfurt  am 
Main.  Diese  Arbeit  wurde  fortlaufend  veröffent- 
licht in  Nr.  10,  15,  18,  23,  28  und  34. 

^)  Siehe  meine  Broschüre:  ,,Die  Elektricität 
als  Heilmittel.  Ein  Wort  zur  Aufklärung  und 
zum  Verständniss  elektrischer  Curen  und  elektri- 
scher Heilapparate".  Von  Dr.  Theodor  Clemens 
in  Frankfurt  am  Main.  Vorlag  von  Franz  Ben- 
jamin Auffarth.  Frankfurt  am  Main  1882. 
rag.  16.  Die  elektrischen  Wechselströme  oder  der 
unterbrochene  und  sogenannte  Inductionsstrom. 


510  Clemens,  Heilung  und  Schwund  der  lyphilititchen  Sklerosis  durch  elektr.  Ströme.       [^Monat^dlt«^* 


erstarrten  Wasser®)  wage,  so  ist  dies  durch- 
aus nicht  zu  weit  gegriffen,  denn  auch  bei 
der  Sklerosenbildung  sinkt  die  Leitungs-, 
also  auch  die  Reactionsfähigkeit  gegen  elek- 
trische, galvanische  wie  faradische  Ströme 
ganz  bedeutend.  £s  yeräudert  also  auch 
hier  die  Stagnation  in  dem  organischen  Ge- 
webe das  Verhalten  der  Molecule.  Ich  habe 
in  sehr  vielen  Fällen  eine  an  ünempfind- 
lichkeit  grenzende  Torpidität  der  syphiliti- 
schen Sklerosen  gegen  elektrische  wie  elek- 
trostatische Strome  beobachtet  und  in  fast 
allen  von  mir  elektrisch  behandelten  und 
geheilten  Fällen  wahrgenommen,  dass  die 
Empfindlichkeit  mit  dem  Heilungsprocess 
wuchs,  ja  dass  sogar  am  Schlüsse  der  ge- 
lungenen Cur  die  Stellen,  wo  die  Sklerosen 
gestanden  hatten,  die  normale  Umgegend 
an  Empfindlichkeit  übertrafen.  Die  von 
mir  elektrisch  geheilten  Sklerosen  waren 
vier  Wochen  nach  geschlossener  Cur  weder 
sichtbar,  noch  fühlbar  wahrzunehmen,  und 
weder  ein  gefärbter  Fleck,  noch  eine  Narbe 
zeigte  die  Stelle  an,  wo  die  Sklerosen  ge- 
standen hatten. 

Das  organische  Eis  war  eben  einfach  ge- 
schmolzen und  der  eigenthümliche,  weiche 
Dichtigkeitszustand  aller  lebenden  Gewebe^) 
(den  wir  als  den  festflüssigen  Aggregatzu- 
stand bezeichnen  müssen),  war  zurückgekehrt. 
Von  der  Meinung  und  Ansicht,  dass  wir  in 
der  Sklerosenbildung  ein  Syphilisbacillen- 
depot  finden  müssten,  sind  wir  durch  die 
neuesten  Untersuchungen^®)  wohl  vollständig 
zurückgekommen.  Mit  dem  Mikroscop  sehr 
vertraut,  waren  bisher  alle  meine  Bemühun- 
gen, den  Lustgarten^  sehen  specifischen 
Syphilisbacillus  zu  finden,  gänzlich  resultat- 
los. Ich  glaube  daher,  dass  das  eigenthüm- 
liche, rein  menschliche  Syphilisgift  in  der 
Sklerose  selbst  liegend,  mit  feinen  und  fein- 
sten Ausläufern  mit  dem  Lymphnetz  in 
engstem  Zusammenhang  steht,  und  dass  von 
der  Sklerose  aus  die  ganze  Intoxication   des 


^)  Sprechen  wir  doch  von  jeher  gleichsam  im 
Vorgefühl  eines  Vergleichs  bei  der  Heilung  von 
Indurationen  und  Sklerosen  von  einem  Schmel- 
zungsprocess. 

^)  Siehe  „Gesammelte  populäre  Vorträge  aus 
dem  Gebiete  der  Entwickelungslehro".  Von  Ernst 
Ha  ekel.  Erstes  Heft.  Bonn.  Verlag  von  Emil 
Strauss.  1878.  Pag.  25.  Ueber  die  Wellenzeugung 
der  Lebenstheilchen  oder  die  Perigenesis  der  Pla- 
stidule.     Pag.  35  u.  Pag.  47. 

*°)  Doutrelepont  und  Schütz,  lieber  Ba- 
cillen bei  Syphilis.  (Aus  der  Klinik  für  Syphilis 
und  Hautkrankheiten  in  Bonn.  —  Deutsche  med. 
Wochönschrift  1885,  Nr.  19.) 

^M.  v.  Zeissl.  Untersuchungen  über  den  Lust- 
garten'sehen  Bacillus  in  Syphilisproducton  und 
Secreten  derselben.  (Wiener  med.  Presse  1885, 
Nr.  48.) 


Organismus")  ausgeht.  'Wurde  das  syphili- 
tische Gift  nicht  einen  lähmungsartigen  Zu- 
stand an  dem  Orte  der  fnfection  hervor- 
rufen (H unter' scher  Chanker,  Induration, 
Sklerose),  so  wäre  wohl  die  Gesammtintoxi- 
cation  des  ganzen  Organismus  eine  viel 
raschere.  Diese  lähmungsartige  Gewebe- 
erstarrung, die  wir  eben  Sklerosis  nennen, 
weicht  eben  deshalb  nur  dem  localen  elek- 
trischen Strom  zugleich  mit  einer  eingelei- 
teten Imbibition,  welche  kein  anderes  Mittel 
einzuleiten  im  Stande  ist,  als  eben  die  mo- 
leculäre  Action  fördernde  und  wieder  er- 
weckende Kraft  der  Elektricität.  Sehr 
richtig  sagt  Ernst  Haekel  an  der  citirten 
Stelle:  „Der  festflüssige  Aggregatzustand  der 
organischen  Gewebe  erscheint  als  eine  noth- 
wendige  Vorbedingung  aller  der  verwickelten  . 
Molecularbewegungen,  als  deren  Gesammt- 
resultat  das  „Leben"  sich  darstellt.  Die 
Leichtigkeit,  mit  welcher  das  Plasson  unter 
verschiedenen  äusseren  Existenzbedingungen 
Wasser  und  wässrige  Losungen  aufiiimmt 
und  abgiebt,  ist  dabei  von  besonderer  Be- 
deutung, und  nicht  minder  die  ausserordent- 
liche Neigung  der  meisten  Plassonarten,  sich 
mit  anderen  Kohlenstoffverbindungen,  sowie 
mit  Salzen  zu  vermengen." 

Aus  dem  eben  Gesagten  und  Angedeu- 
teten geht  deutlich  hervor,  dass  meine  Me- 
thode, die  Sklerose  (und  ähnliche  Entartun- 
gen der  Gewebe)  elektrisch  zu  heilen,  nicht 
auf  dem  Wege  des  Experimentes  und  der 
Versuche  entstanden  ist,  sondern  ihre  Ent- 
stehung und  ihre  Erfolge  rein  wissenschad- 
lichen  Ansichten  und  Schlussfolgerungen 
verdankte. 

War  ich  von  jeher  der  Ansicht,  dass  die 
Schankerinduration  die  Krankheit  selbst  ist'^), 
so  wage  ich  hier  den  Vergleich  des  Zellen- 
Organismus  der  Pflanze.  In  der  Sklerose 
ist  der  syphilitische  Samen  zur  Blüthe  und 
Samen  tragenden  Frucht  gelangt  und  ist  nun 
im  Stande,  von  dem  Fruchtknoten  aus  reife 
syphilitische  Samenzellen  durch  das  Lymph- 
gefäss- System  weiter  zu  verbreiten.  Ver- 
welkt der  weiche  Schanker,  ohne  diesen  be- 
fruchtenden Fruchtknoten  weiter  zu  treiben, 
so  ist  eben  der  Parasit  einfach  verwelkt 
und    abgestorben,     bevor    der    Process    der 

**)  Wie  ich  nachgewiesen  habe,  bildet  sich 
auch  bei  Diphtherie  unter  der  Pseudomembran 
eine  Tonsillarsklerose  und  geht  von  hier  ans  die 
Blutvergiftuns  in  die  Schilddruse  und-  in  das  Ge- 
hirn. Siehe  Allgcm.  med.  Centralzeitung  1885,  Nr.  1. 
Die  elektrische  Behandlung  der  Diphtheritis.  Von 
Dr.  Theodor  Clemens  in  Frankfnrt  am  Main, 
und  ebenda  1887,  Nr.  79.  Und  noch  einmal  dir 
elektrische  Behandlung  der  Diphtheritis. 

'^)  V.  Baeronsprnng,  Mittheilnngen  ans  d<*r 
Abtheilung  und  Klinik  für  syphilitische  Kranke. 
Annalen  des  Charite-Krankenhauses.     Berlin  18G0. 


I^vember^8&.]       Clemens,  HeUung  und  Schwund  der  STphUitlsehen  Skleroils  durch  elektr.  Ströme.  51 1 


FmcbtentwickeluDg  zu  Stande  kam.  Dieser 
Vergleich  ist  durchaus  nicht  so  weit  herge- 
holt, wie  dies  auf  den  ersten  Blick  erschei- 
nen mag  und  stimmt  durchaus  mit  der  An- 
sicht des  syphilitischen  Krankheits-Depot  in 
anderen  Organen.  —  Ich  gehe  in  dieser 
Hinsicht  noch  etwas  weiter  wie  Virchow^^), 
indem  ich  der  Ansicht  huldige,  dass  eine 
Sklerose  jederzeit  die  Fähigkeit  besitzt,  an- 
derweitige Sklerosen  in  anderen  Organen 
zu  reproduciren  und  so  die  allmähliche 
Durchseuchung  des  ganzen  Organismus  zu 
bewirken.  Diese  in  anderen  Organen  de- 
ponirten  Sklerosen  können  Jahre  lang  schlum- 
mern und  in  ganz  verschiedenen  Zeitperio- 
den zur  Reife  gelangen.  Deshalb'  kann 
ein  scheinbar  geheilter  Syphilitischer  ganz 
gesunde  und  dann  wieder  syphilitische 
Kinder  zeugen,  weil  eben  in  diesem  späteren 
Zeitraum  eine  in  einem  anderen  Organ  yer^ 
borgen  schlummernde  Sklerose  reif,  d.  h. 
Samen  tragend  geworden  ist.  —  Wem  wird 
hier  nicht  der  Schill er^sche  Ausspruch 
schwer  auf  die  Seele  fallen?  —  „Das  eben 
ist    der  Fluch    der    bösen    That,     dass    sie 

fortzeugend  Böses  muss  gebären!" Die 

Zeit,  in  welcher  der  syphilitische  Frucht- 
knoten, die  Sklerose,  im  Stande  ist,  in  an- 
deren Organen  weitere  Sklerosen  zu  erzeugen, 
ist  gewiss  eine  äusserst  verschiedene,  sowohl 
was  die  Intensität  der  Infection,  als  auch 
die  Individualität  des  Inficirten  betrifft. 
Eben  deshalb  gelingt  manchmal  die  Hei- 
lung durch  die  Exstirpation  der  Sklerose*^), 
obgleich  diese  abortive  Behandlung  veneri- 
scher Primär (?)-Affecte  mittelst  der  Exci- 
sion  durchaus  nicht  das  gehalten  hat,  was 
sie  zu  versprechen  schien.  Der  torpide 
Bubo,  welcher  sich  in  der  Folge  nach  der 
Schankerinduration  entwickelt,  ist  eigentlich 
gar  nichts  anderes,  wie  die  Inguinal- Skle- 
rose ;  kommt  er,  was  selten  der  Fall  ist, 
zum  Aufbruch  oder  wird  er  operativ  miss- 
handelt und  voll  geschmiert  mit  reizenden 
Salben,  so  werfen  sich  eben  die  torpiden 
Wundränder  zu  Sklerosen  um  und  zeigen 
dann  ihren  Charakter  um  so  deutlicher,  je 
irrationeller  sie  eben  behandelt  werden. 
Habe  ich  doch  als  Hospitalarzt  einen  Schiff- 

*•)  Vir  oh  GW 's  Archiv,  Bd.  XV  und  Separat- 
abdruck:  ^Ueber  die  Natur  der  constitutionell-syphi- 
iitischen  Affectionen",  Berlin  1859.  Siehe  femer 
„Die  Lehren  vom  syphilitischen  Gontagiuin  und 
ihre  thatsächliche  Begründung"  von  Dr.  Heinrich 
Auspitz.  Wien  1866.  Wilhelm  Braumüller. 
Pag.  374. 

")  Vierteljahrsschrift  für  Dermatologie  und 
Syphilis  von  Prof.  Dr.  F.  J.  Pick  und  Dr.  H. 
Auspitz.  Wien  1877.  Wilhelm  Braumüller. 
Vierter  1877  er  Jahrgang.  Pag.  107.  „Ueber  die 
Excision  der  syphilitischen  Initialsklerose"  von  Prof. 
Heinrich  Auspitz  in  Wien.     Pag.  107. 


mann  behandelt,  der  in  Folge  eines  solchen 
Vorgangs  eine  Sklerosen  -  Landschaft  von 
einem  Fuss  Durchmesser  auf  dem  linken 
Abdomen  zur  Schau  trug.  Hier  war  nun 
freilich  die  ungeheuerliche  Grosse  dieser 
Mondlandschaft  durch  den  mechanischen 
Reiz  des  Ruderdrucks  gegen  die  Inguinal- 
Gegend  entstanden  und  unterhalten  worden  '^). 
Dass  die  Sklerose  die  Lymphwege  wählt 
und  immer  dabei  einen  kalten,  eigenthüm- 
lieh  schleichenden  Process  entwickelt,  sehen 
wir  schon  an  dem  Fehlen  der  Lymphgefass- 
Entzündungen,  die  ja  so  leicht  entstehen, 
wenn  giftige  Stoffe  durch  Infection  und  Ino- 
culation  in  die  Lymphbahnen  gelangen. 
Das  syphilitische  Gift  ist  eben  ein  ganz 
eigen thümlich  kalt  und  chronisch  wirkendes 
Gift,  das  mit  der  Zeit  immer  schleichender 
und  deshalb  gefährlicher  geworden  ist. 
Diesen  Charakter  zeigt  auch  die  oft  so 
hartnäckige  Roseola  syphilitica,  welche  ein 
lecht  venöses  Exanthem,  ohne  alle  Fieber- 
erregung verläuft  und  dennoch  durch  ihre 
oft  sonderbare  Yertheilung  eine  Mit-Afifection 
des  Yasomotorius  vennuthen  lässt.  Die  so 
specifische  Wirkung  der  Quecksilber-Schmier- 
cur  zeigt  hier  recht  deutlich,  dass  ein  Gift 
das  andere  auf  dem  richtigen  Wege,  den 
Lymphbahnen,  getrotfen  hat.  —  Es  wird 
wohl  mancher  Leser  darüber  vielleicht  er- 
staunen, dass  ich  scheinbar  untreu  meiner 
üeberschrift,  so  weitschweifig  in  fast  alle 
Gebiete  der  Syphilidologie  hinübergreife. 
Diesem  scheinbar  berechtigten  Vorwurf  zur 
Antwort,  dass  das  erste  Mittel  zum  Sieg 
über  den  Feind  unleugbar  immer  die  ge- 
naueste Eenntniss  dieses  Feindes  sein  muss. 
Will  ich  ein  neues  noch  gänzlich  unbekanntes 
Mittel,  eine  neue  ungläubig  angestaunte  Me- 
thode, zur  segensreichen  Bekämpfung  eines 
der  fürchterlichsten  Feinde  der  menschlichen 
Gesundheit  und  der  menschlichen  Gesell- 
schaft einführen,    so  muss    ich  einem    sach- 


^^)  Dass  in  diesem  Fall  die  von  mir  mit  der 
Cowper^schen  Scheere  abgetragenen  Sklerosen 
keine  einfachen  Epidermidal-  oder  Bindegewebs- 
Wucherungen  waren,  sondern  sich  der  histologi- 
schen Anatomie  der  syphilitischen  Initialsklerosc 
durchaus  ähnlich  und  verwandt  zeigen,  wurde  da- 
mals von  mir  durch  häufige  mikroskopische  Unter- 
suchungen dargethan.  In  allen  von  mir  unter- 
suchten Fällen  stimme  ich  mit  den  Resultaten  der 
Untersuchungen  von  Auspitz  und  Unna  übcroin, 
nur  mit  dem  Unterschied,  dass  ich  den  in  die 
Tiefe  wuchernden  Epidermidalzapfen  hier  jede  spe- 
cifische  Bedeutung  abspreche.  Ich  habe  diese 
Wucherungen,  die  fast  cancroide  Formen  annah- 
men, am  schlimmsten  in  den  localen  Sklerosen  nach 
Leichenvergiftungen  beobachtet.  Siehe:  Die  Anatomie 
der  syphilitischen  Initialsklerose.  Von  Professor 
Heinrich  Auspitz  in  Wien  und  Dr.  Paul  Unna 
in  Hamburg.  Yierteljahrschrift  für  Dermatologie 
und  Syphilis  1877.    Pag.  161. 


512 


Cl«iB«ni,  Heilung  und  Schwund  der  sypbilitltchen  Skleroiii  durch  elektr.  Ströme.        PM^iuLaft«. 


TerstäDdigen  Publikum  Tor  allen  DiDgen 
meine  Ansichten  und  meine  Stellung  der 
Tielen  Streitfragen  auf  diesem  Gebiete  ge- 
genüber aufs  Genaueste  darlegen.  Deshalb, 
bevor  ich  zu  meiner  Elektrotherapie  der 
Syphilis  und  speciell  zu  der  elektrischen 
Behandlung  der  Sklerose  übergehe,  noch 
eine  kleine  Abschweifung  auf  das  histolo- 
gisch-au atomische  Gebiet  dieser  viel  bespro- 
chenen Affection.  —  Als  Assistenzarzt  im 
heiligen  Geist  -  Hospital  zu  Frankfurt  am 
Main  zog  ich  mir  bei  der  Section  einer 
Tuberculosen  eine  Leichenvergiftung  an  dem 
vierten  Knöchel  der  rechten  Hand  im  Jahre 
1849  zu.  Ich  hatte  einfach  bei  dem  Her- 
ausschälen der  verwachsenen  linken,  ganz 
tuberculösen  Lunge  mich  an  einem  Knochen- 
splitter einer  Rippe  kaum  sichtbar  verletzt. 
Trotz  sofortiger  intensiver  Ghlorwaschungen 
(Garbol  damals  unbekannt)  und  Aufschlägen 
von  Kupfervitriol  -  Losung  entwickelte  sich 
am  nächsten  Tage  an  dieser  Stelle  ein  kleiner 
Pustelausschlag,  der  bald  ein  kleines  kaum 
stecknadelkopfgrosses  Geschwürchen  bildete, 
welches  i.ch  sofort  mit  Höllenstein  ergiebig 
ätzte.  —  Der  Schorf  £el  ab  und  es  bildete 
sich  eine  schwielige  Induration,  welche  aber- 
mals geätzt  sich  in  eine  flache  Erosion  ver- 
wandelte. Der.  feuchten  Imbibition  schon 
damals  bei  solchen  Infectionen  sehr  huldi- 
gend, trug  ich  in  einem  Verband  Tag  und 
Nacht  einen  kleinen  Leinsamenaufschlag  auf 
der  kranken  Stelle  der  Hand  und  besorgte 
fortwährend  ununterbrochen  meine  Spital- 
Geschäfte.  Collegen,  welchen  ich  nach  Mc* 
naten  die  Hand  zeigte,  schüttelten  den  Kopf, 
ja  Altmeister  Professor  Dr.  Kloss,  ein  alter 
hocherfahrener  Hospitalarzt,  gab  mir  die 
wenig  tröstliche  Prognose  mit  auf  den  Weg: 
„Lieber  College,  das  Ding  werden  Sie  ihr 
Lebetag  nicht  mehr  los^.  —  Kam  nun  noch 
dazu  der  Umstand,  dass  mein  College  in 
dem  Hospital,  Herr  Dr.  Bender,  in  Folge 
Leichen  Vergiftung  (äusserst  geringe,  aber 
trotz  aller  Ermahnung  vernachlässigte  Ver- 
letzung am  Finger  bei  der  Section  einer  an 
acuter  Leberatrophie  Verstorbenen)  auf  gräss- 
liche  Weise  sein  junges  Leben  lassen  musste, 
so  war  meine  Aufmerksamkeit  auf  den 
Krankheitsprocess  meiner  Hand  eine  selbst- 
verständlich sehr  gewissenhafte.  Hatte  ich 
in  ähnlichen  Fällen  schon  die  histologische 
Beobachtung  gemacht,  dass  die  Heilung  sol- 
cher Affectionen  durch  epitheliale  Wuche- 
rungen in  die  Tiefe  sehr  aufgehalten,  wenn 
nicht  unmöglich  wurden,  so  konnte  ich  nun 
bei  mir  selbst  die  Bildung  dieser  in  die 
Tiefe  wuchernden Epithelzapfen*^)  deutlich  und 

i<)  Offenbar  eine  Sklerosen-Bildonff,  welche  als 
Leichentuberkel  in   die  von  A  ab  er  t  beschriebene 


auf  der  Höhe  der  Affection  sbgar  mit  blossem 
Auge  verfolgen.  —  Schon  damals  schien 
mir  die  permanente  Imbibition  der  Sklerose 
eine  durchaus  nothwendige  Heilungsbedin- 
gung, weil  ich  dadurch  den  eigenthümlichen 
Charakter  der  Epidermis  wohl  am  besten 
beeinträchtigen  konnte.  Die  stets  in  die 
Tiefe  wuchernden  harten  Epithelzapfen 
wirkten  offenbar  wie  fremde  Körper  und 
zeigten  nach  ihrer  Entfernung  deutlich  mit 
der  Loupe  wahrnehmbare  Cauäle,  aus  denen 
sich  Blut  und  Eiter  ergoss.  Trotz  aller 
Imbibition  und  trotz  30 mal iger  Kauterisation 
mit  Salpetersäure  konnte  ich  doch  erst  nach 
Jahresfrist  meine  Hand  geheilt  erklären. 
Freilich  darf  ich  dabei  nicht  verschweigen, 
dass  ich  mich  in  einem  vollkommen  durch- 
seuchten Hospital  in  rastloser,  angestreng- 
tester Thätigkeit  befand,  indem  das  Haus 
überfüllt  mit  den  Schwerverwundeten  der 
1848er  September-Revolution  ein  Nosocomial- 
Gaugrän  in  optima  forma  gezeitigt  hatte, 
so  dass  alle  Amputirten  an  Pyämie  zu  Grunde 
gingen  und  einfachste  Schröpfkopfwunden 
zu  gangränösen  Geschwüren  entarteten,  welche 
allen  Behandlungen  Monate  lang  Trotz  boten. 
—  Für  einen  auf  der  heutigen  Höhe  der 
Desinfection  sichre  Stehenden  eine  gräss- 
liche  Rückerinnerung  und  um  so  deprimi- 
render,  als  ich  schon  damals  Ventilation  und 
Desinfection ,  leider  nur  tauben  Ohren  pre- 
digte. —  Werfen  wir  nun  noch  einen  kurzen 
Rückblick  auf  den  ganz  eigenthümlichen 
Krankheitsprocess,  den  wir  Sklerosis  nennen 
und  der  so  gänzlich  falsch  mit  Ulcus  durum 
bezeichnet  worden  ist,  so  muss  ich  mich  zu 
der  Vir cho waschen  Ansicht")  bekennen, 
dass  Schankerinduration  und  Gumma  als  im 
Wesen  identische  Zelleninfiltration  des  Binde- 
gewebes zu  betrachten  sind.  Die  anato- 
mische Specificität  dieser  Infiltrationen  bei 
Syphilis  charakterisirt  diese  Sklerosen  als 
ein  der  Syphilis  ganz  eigenthümliches  Krank- 
heits-Product,  als  die  Frucht  eines  Krank- 
heits-Processes,  der  fortschreitend  in  allen 
Organen  des  menschlichen  Organismus  gleiche 


besondere  Form  von  Hautiapus,  in  den  Lupus 
papillomatosus  übergehen  würde.  Siehe  den  Be- 
richt über  die  Verhandlungen  der  Section  für  Der- 
matologie und  SjphUis  auf  dem  achten  internatio- 
nalen medicinischen  Congress  in  Gopenhagen,  10. 
bis  16.  August  1884,  pag.  441.  Dr.  Unna  (Hambnrg). 
Archiv  für  Dermatologie  und  Syphilis^  16  Original- 
Abhandlungen. 

*')  Virchow  „Ueber  die  Natur  der  constitn- 
tionell-syphilitischen  Affectionen  i.  J.  1869."  Femer 
Archiv  für  Dermatologie  und  Sjphilifl,  Band  16. 
Original-Abhandlungen  Pag.  405.  Wie  stehen  wir 
heute  gegenüber  der  Syphilis?  Vortrag,  gehalten 
von  Professor  Dr.  Heinrich  Au  spitz  in  Wien 
bei  Eröffnung  seiner  klinischen  Vorlesungen  über 
Syphilis  am  18.  October  1884. 


Nov'em1b«?^889  ]      C^l«m«n8,  Heilung  und  Schwund  der  syphilitischen  Sklerosis  durch  elektr.  Strönie.  513 


und  ähD liebe  Producte  zu  schaffen  im  Stande 
ist.  leb  halte  den  indolenten  torpiden  Bubo 
der  Inguinalgegend,  der  ja  so  oft  der  Sklerose 
folgt,  für  die  erste  Etappe  auf  dem  Wege 
zur  allgemeinen  Infection.  Dass  ein  Lymph- 
drusen-Convolut  nicht  in  derselben  Weise 
entarten  wird,  -wie  die  Zelleniofiltration  des 
Bindegewebes,  ist  selbstverständlich,  dass 
es  aber  ganz  zu  denselben  Krankheitspro- 
cessen  gehören  mochte,  beweist  die  That- 
sache,  dass  meine  elektrische  Heilmethode 
die  Sklerosen  und  die  Gummata,  wie  auch 
den  torpiden  sklerotischen  Leisten-Bubo  voll- 
kommen und  dauernd  zu  beseitigen  im 
Stande  ist. 

In  der  torpiden  Leistengeschwulst,  in  der 
gummatosen  Periostitis,  in  dem  wuchernden 
Condylom,  wie  in  den  verschiedensten  De- 
generationen aller  Organe  des  inficirten 
menschlichen  Organismus,  müssen  wir  überall 
gleichmässig  die  zu  allen  möglichen  Dege- 
nerationen geneigte  Syphilis  zelle^^),  den 
menschlichen  Syphiliskeim  suchen,  der  eben 
so  wenig  auf  einem  anderen  thierischen  Or- 
ganismus sein  furchtbar  gedeihliches  Schma- 
drotzerthum  entfalten  kann,  wie  ein  Apfel  reis 
Äuf  einem  Birnbaum  gedeiht.  —  Die  Epithel- 
"wucherung  der  syphilitischen  Initialsklerose 
iist  durchaus  nicht  als  charakteristisch  zu 
betrachten,  wohl  aber  die  eigenthümliche 
Infiltration  des  Bindegewebes.  Epithel- 
wucherung in  die  Tiefe  finden  wir  bei  dem 
Epitheliom,  wie  bei  dem  Papillom,  in  der 
Schwiele  der  localen  Leicheninfection,  wie 
im  Lupus  und  Garcinom,  in  allen  Fällen 
ein  schlimmer  Gast,  aber  nirgends  ein  spe- 
cifisch  charakteristisches  Merkmal.  —  Die 
charakteristische  eingeimpfte  Syphiliszelle, 
ein  durchaus  organischer  und  organisirter 
Krankheitskeim,  darf  durchaus  nicht  mit  der 
Einwanderung  pathogener  Mikroben  ^^)  ver- 
wechselt werden,  auch  ruft  der  organische 
Syphiliskeim  in  seiner  Umgebung  keinen 
Yemichtungskampf  hervor,  sondern  die  Skle- 
rose, sobald  sich  eine  solche  gebildet  hat, 
ist  nichts  anderes  als  ein  samentragender 
Fruchtknoten  und  kein  Ulcus  durum.  Die 
Sklerpse,  der  syphilitische  Fruchtknoten,  ist 
•das  Zeichen,    dass  die   Impfung   angegangen 


")  Tageblatt  der  60.  YersammluDg  Deutscher 
Naturforscher  und  Aerzte  in  Wiesbaden  1887. 
Pag.  118. 

Professor  Poehl,  St.  Petersburg:  Die  Eigen- 
schaften des  Harns  der  Syphilitiker  und  Beiträge 
zur  Frage  über  die  Ursache  der  Immunität  der 
Thiere  geeenüber  der  Syphilis. 

^')  Virchow's  Archiv  101  S.  1.  Der  Kampf 
der  Zellen  und  der  Bacterien. 

Der  Untergang  pathogener  Schimmelpüzo  im 
Körper  von  Dr.  Huro  Ribbert,  Bonn.  Verlag 
von  Max  Cohen  &Sohn  (Fr.  Cohen)  1887. 


und  nun  zu  ihrer  Weiterent Wickelung  fähig 
ist.  Also  ist  die  Sklerose  die  Syphilis 
selbst. 

Ich  glaube  meine  wissenschaftliche  Stel- 
lung der  Syphilis  gegenüber  nun  genau  dar- 
gelegt zu  haben,  und  gehe  ich  nun  auf 
festem  Boden  zu  der  elektrische^  Behand- 
lung und  Auflösung  der  Sklerose,  also  zu 
der  elektrischen  Behandlung  und  Heilung 
der  Syphilis  selbst  über.  —  Wenn  es  ein 
Mittel  giebt,  mit  welchem  wir,  ohne  irgend 
eine  arzneiliche  Cur  und  ohne  locale  Aetzung 
die  Sklerose  zum  allmählichen  Schwund 
bringen  können,  so  muss  dieses  Mittel  über- 
haupt bei  Behandlung  der  Syphilis  von  sehr 
grosser  Bedeutung  sein.  Meine  elektrische 
Heilmethode  macht  aber  nicht  nur  die  Skle- 
rosen verschwinden,  sondern  sie  äussert, 
überhaupt  und  in  mannigfaltiger  Weise  zur 
Anwendung  gebracht,  bei  den  verschiedensten 
Formen  der  Syphilis  ihre  heilkraftige  Ein- 
wirkung. Es  würde  mich  hier  zu  weit 
führen,  wenn  ich  alle  jene  Erfahrungen  und 
Resultate,  die  ich  in  einer  nun  vierzigjäh- 
rigen heilelektrischen  Praxis  gemacht  habe, 
auch  nur  andeutungsweise  hier  berühren 
wollte  und  muss  ich  die  Interessenten  auf 
mein  wiederholt  citirtes  Werk*^)  verweisen. 
Bevor  ich  jedoch  zur  Beschreibung  meiner 
elektrischen  Heilmethode  der  Sklerosen 
übergehe,  muss  ich  noch  eine  kleine  Erklä- 
rung voraussenden,  warum  ich,  wie  wir 
sehen  werden,  gerade  dem  faradischen  Strom 
bei  dieser  Methode  die  Hauptrolle  zuweise. 
Ich  gehe  nämlich  von  der  Ansicht  aus,  dass 
im  gesunden  animalen  Organismus  alles  in 
beständiger  atomistischer  Bewegung  ist.  Ob 
wir  mit  Planetensystemen  oder  mit  Zell- 
systemen zu  thun  haben,  so  walten  im  Gros- 
sen wie  im  Kleinen  überall  dieselben  Natur- 
gesetze, allüberall  beständige  Bewegung  des 
Entstehens  und  Vergehens.  Wir  sehen  die 
Flimmerbewegung  und  die  oscillatorische 
Bewegung  gar  mancher  Zellengebilde  und 
müssen  uns  wohl  zu  der  Annahme  hinneigen, 
dass  keine  einzige  Zelle,  keine  einzige  Mo- 
lecüle  des  menschlichen  Organismus  auch 
nur  einen  Augenblick  während  des  Lebens 
ruht»  —  Alles  ist  in  beständiger  Bewegung 
von  der  Conception  des  Ovulums  bis  zum 
Tode.  Das  Entstehen  neuer  Zellen,  wie 
das  Abstossen  und  Vergehen  der  alten  Zellen 
kann  ohne  Bewegung  nicht  gedacht  werden. 
Wenn  nun  aber  durch  Wucherung  und  Bin- 


'0)  Ueber  die  Heilwirkungen  der  Elektricität 
und  deren  erfolgreiche  methodische  Anwendung  hi 
verschiedenen  Krankheiten.  Von  Dr.  Theodor 
Clemens  in  Frankfurt  am  Main.  Verlag  von 
Franz  Benjamin  Auffarth  in  Frankfurt  am  Main. 
1876-1879. 

65 


514 


Fault 9  2ur  tetodorlsirendttn  Wirkung  dar  Borsäura. 


rTberspeutiaehe 
l.  Monatshefte. 


degewebs  -  Infiltration  die  organische  Zelle 
starr  gebettet  ^ird,  so  muss  der  natürliche 
Stoffwechsel  sofort  beeinträchtigt  werden, 
die  organische  Mauserung  hört  dann  auf 
und  wird  durch  Ablagerung  der  giftigen 
Syphiliszelle  ersetzt.  Wir  haben  es  also 
dann  mit  einem  Krankheitsprocess  nach 
zwei  Seiten  zu  thun.  Erstens  Erstarrung 
des  organischen  Gewebes,  zweitens  giftige 
Ablagerung,  und  wohl  aus  beiden  Momenten 
geschaffen,  mag  hier  ein  pathologisches  Pro- 
duct  entstehen,  welches  wir  Sklerose  zu 
nennen  gewohnt  sind.  —  Bevor  ich  also  zu 
der  elektrischen  Behandlung  und  Auflösung 
der  Sklerose  übergehe,  habe  ich  mich  zu 
der  „Cellular-Pathologie"  RudolfVirchow's 
bekannt,  auf  welchem  Standpunkt  das  ganze 
System  meiner  hierher  gehörigen  elektro- 
therapeutischen  Heilmethode  entstanden  ist. 

[Sehluu  folgt.] 


Zur  desodorisirenden  Wirkung  der 

Bors&nre. 

Von  ^ 

Dr.  W.  Faust  in  Dresden. 

Die  Desodorisationsfähigkeit  der  selbst 
geruchlosen  Borsäure  ist  schon  vielfach  her- 
vorgehoben worden,  sie  wird  aber  neuerlich 
scheinbar  nicht  mehr  genügend  gewürdigt, 
seitdem  man,  gestützt  auf  genauere  bacterio- 
logische  Untersuchungen,  von  ihrer  antisep- 
tischen Kraft  nicht  mehr  viel  hält.  Diese 
ist  aber  gamicht  so  gering,  wenn  sie  nur 
genügend  lange  entfaltet  werden  kann;  und 
eine  Dauerwirkung  an  umschriebenen  Kör- 
perstellen  zu  erzielen,  ist  bei  ihrer  geringen 
Reizwirkung  9  ihrer  Schw^erlöslichkeit  und 
ihrer  relativen  Ungiftigkeit  leicht  möglich. 
In  ingeniöser  Weise  erreichte  schon  List er^) 
ein  Yorräthighalten  der  Borsäure  durch  sei- 
nen mit  hei  SS  gesättigter  Borsäurelösung 
(l  :  4)  bereiteten  Borlint,  in  welchem  er 
ein  ganzes,  nur  allmählich  sich  entleerendes 
Borsäuremagazin  mit  den  Wundflächen  in 
Berührung  brachte.  An  geeigneten  um- 
schriebenen Orten  erreicht  man  dasselbe  di- 
rect  durch  Borsäurepulver. 

Als  die  Borsäure  im  Laufe  dieses  Jahr- 
hunderts    die    ihr    von     ihrem     Entdecker, 

Homberg^),   vindicirte  Bedeutung   als  Ner- 
_t 

^)  Lister,  über  Borsaureanwendung,  übers, 
von  Lindpaintner,  bayr.  Tntell.-Bl.  XXlII,  1876. 

')  Homberg,  Momoires  de  TAcad.  d.  sciences 
h  Paris  1702. 


vinum  verloren  hatte,  war  es  nun  gerade 
ihre  desodorisirende  Wirkung,  durch  welche 
sie  die  Aufmerksamkeit  wieder  auf  sich 
lenkte,  war  gerade  sie  es,  welche  1868  den 
schwedischen  Chemiker  Gähn  veranlasste, 
sie  als  Aseptin  oder  Amykos  zur  Conser- 
virung  des  Fleisches  zu  empfehlen.  Von 
Nyström')  in  die  Wundbehandlung  ein- 
geführt, überraschte  sie  schon  W  est  er- 
lund^)  auf  Estlander's  Klinik  durch  das 
rasche  Verschwinden  des  Fäulnissgeruchs 
bei  mit  „Aseptin^  behandelten  Geschwüren. 
Crede^)  betont  1877,  als  die  antiseptische 
Technik  schon  weiter  vorgeschritten  war, 
dass  er  unter  keinem  anderen  Verbände, 
selbst  an  den  ungünstigsten  Stellen,  so  ab- 
solute Geruchlosigkeit  wahrgenommen  habe, 
wie  unter  dem  Borverband. 

Bekanntlich  findet  die  Borsäure  seit 
Bezold's^)  Empfehlung  in  der  Ohrenheil- 
kunde ausgedehnte  Verwendung,  hier  emi- 
nent ihre  desodorisirende  Fähigkeit  entfaltend. 
Dasselbe  constatirten  Atkinson,  Harri  es, 
Goodhart,  Kurz  u.  A.  für  die  Diph- 
therie, gegen  welche  Wertheimer  1878 
sie  zuerst  empfohlen  hatte.  Nach  ihnen 
soll  zugleich  die  Lösung  der  Membranen 
befördert  und  ihre  Neubildung  verhindert 
werden.  Leukorrhoe  bei  Vaginitis  etc.  wird 
ebenso  günstig  beeinflusst^),  doch  muss  man 
sich  freilich  vor  solcher  Massenapplication, 
wie  sie  Welch®)  anwandte,  hüten,  der  6  bis 
8  Mal  je  40  bis  50  g  Borsäurepulver  in 
die  Vagina  einbrachte,  wonach,  bei  aller- 
dings dauernder  Heilung,  in  5  Fällen  ähnliche 
schwere  Vergiftungserscheinungen  eintraten, 
wie  sie  Mitscherlich^)  zuerst  am  Kaninchen, 
Molodenkow^^)  zuerst  mit  tödtlichem  Aus- 
gang am  Menschen  beobachtete.  Gegen 
übelriechenden  Fussschweiss  empfahlen  die 
Borsäure  Thin,  Willcox,  Bull  1880, 
neuerlich  Sprinz*^).  Ich  selbst  habe  bei 
Tränkung  der  Strümpfe  mit  kalt  gesättigter 
Borsäurelösung  keinen  wesentlichen  Erfolg 
gesehen,  der  ungleich  grösser  und  nach- 
haltiger bei  Anwendung  des  Liq.  Anti- 
hidrorrhoicus  von  Brand  au  ist,  werde  aber 
in  geeigneten  Fällen  einmal  einen  Versuch 
mit  einer  heiss  gesättigten  machen. 


*)  Ny ström,  Upsala  läkaroforen.  forhand!. 
Vn,  4,  p.  382;  1871. 

*)  Westerlund,  finska  läkaresällsk.  handl. 
XIV,  1,  p.  1;  1872;  cf.  Schmidt's  Jahrb.  154,  1872. 

*)  Berlin.  Kl.  Wochenschrift  1877  No.  22. 

«)  Arch.  f.  Ohrenheilkunde  XV,  1,  1880. 

^)  Kurz,  Memorabilien  1882,  XXV,  9. 

®)  Correspondenzblatt  für  Schweizer  Aerztc 
1888,  23. 

^)  Lehrbuch  d.  Arzneimittellehre  1851,  ITT, 

»0)  Petersburger  med.  W.  1881,  VT. 

»0  Therap.  Monatsh.  Mftrz  1889. 


TIT.  Jahrgang.  1 
Norember  1889.  J 


Langgaard,  Uebar  alnlge  naua  Scblafknittel. 


515 


Die  AnwenduDg  von  Borsäurepulver  ganz 
speciell  empfehlen  möchte  ich  bei  Balano- 
posthitis,  hervorgerufen  durch  massenhafte 
Bildung  und  Zersetzung  des  Smegmas.  Ich 
habe  in  letzter  Zeit  Gelegenheit  gehabt, 
eine  Anzahl  derartiger  Fälle  zu  behandeln, 
die  gegen  Waschungen,  Streupulver,  Salben 
merkwürdig  resistent  waren.  Der  Einfluss 
nach  vorhergegangener  Reinigung  auf  die 
Glans  und  das  innere  Präputialblatt  aufge- 
stäubter feinpul verisirter  Borsäure  war  nun 
ein  ganz  eclatanter;  bereits  nach  einmaliger 
Application    horte    die   Smegmabildung  fast 


auf  und  war  der  widerliche  Foetor  völlig 
verschwunden.  Hartnäckige  Balanitiden 
wichen  nach  ca.  3 maliger  Einpuderung,  die 
man  etwa  an  drei  auf  einander  folgenden 
Abenden  vornehmen  lässt.  Besonders  em- 
pfiehlt sich  aber  die  einfache  Borsäure- 
behandlung durch  ihre  nachhaltige  Wirkung. 
Leute,  die  sonst  unendlich  häufig  kleine 
Erosionen  bekamen,  blieben  bei  der  vermin- 
derten Smegmabildung  und  der  verhinderten 
Zersetzung  frei  davon,  selbst  bei  nicht  ge- 
rade besonderer  Reinlichkeit.  Welche  pro- 
phylaktische Bedeutung   dies   hat,    ist  klar. 


Nenere  Arzneimittel. 


Ueber  einigte  neue  Schlafmittel. 


Von 


Dr.  A.  Langgaard. 


Chloralammonl  um. 


fSchlussJ 


Ueber  dieses  Mittel  liegt  meines  Wissens 
bis  jetzt  nur  eine  Publication  vor  von  dem 
Amerikaner  W.  B.  Nesbitt,  welcher  das- 
selbe zu  Anfang  vorigen  Jahres  in  einigen 
vierzig  Fällen  in  Dosen  von  5  —  20  grains 
(ca.  0,3 — 1,2  g)  versuchte. 

Merkwürdiger  Weise  findet  sich  in  der 
betreffenden  Mittheilung  kein  Wort  über  die 
hypnotische  Wirkung.  Als  Wirkung  wird 
angeführt:  unmittelbar  nach  dem  Einnehmen 
ein  wenige  Minuten  anhaltendes  Gefühl  von 
Spannung  im  Kopf  und  ein  angenehmes,  vom 
Magen  über  das  Abdomen  ausstrahlendes 
Wärmegefühl,  ferner  eine  Beschleunigung  der 
Athem-  und  Pulsfrequenz  während  ^a  ^^^ 
1  Stunde.  Blutdruckbestimmungen  konnten 
wegen  Mangels  an  Apparaten  nicht  ausgeführt 
werden,  jedoch  hält  Nesbitt  eine  Erniedri- 
gung des  Blutdrucks  für  wahrscheinlich,  da 
die  erregende  Wirkung  auf  den  Puls  viel 
weniger  ausgesprochen  war,  als  auf  die 
Respiration. 

Da  die  Verbindung  im  Handel  nicht  zu 
haben  ist,  so  war  ich  genothigt,  mir  die- 
selbe darzustellen.  Die  Darstellung  geschieht 
durch  Einleiten  trockenen  Ammoniakgases 
in  eine  kalt  gehaltene  Losung  von  was- 
serfreiem Chloral  in  der  l^a fachen  Menge 
Chloroform.  Die  Reaction  verläuft  sehr 
glatt.  Das  sich  in  feinen  Krystallen  ab- 
scheidende Chloralammoniak  wird  nach  dem 


Abgiessen  des  Chloroforms  zwischen  Fliess- 
papier gepresst  und  getrocknet. 

Chloralammoniak  bildet  kleine,  bei  62 — 
64^  schmelzende  Ejrystallnadeln.  Die  Angabe 
in  Beilstein^s  Handbuch  der  organischen 
Chemie,  dass  es  in  kaltem  Wasser  fast  unlös- 
lich sei,  durch  heisses  Wasser  aber  in  Chloro- 
form und  ameisensaures  Ammoniak  gespalten 
werde,  kann  ich  nicht  bestätigen.  Es  lost 
sich  schon  in  kaltem  Wasser  unter  Zer- 
setzung auf.  Auch  ein  in  einem  trockenen, 
gut  verschlossenen  Glase  befindliches  Prä- 
parat zeigte  sich  nach  längerem  Aufbewahren 
zersetzt.  Es  roch  stark  nach  Ammoniak 
und  Chloroform. 

Wenn  einerseits  schon  diese  Eigenschaft 
das  Präparat  als  ungeeignet  für  die  prac- 
tische  Yerwerthung  erscheinen  lässt,  so  bietet 
andererseits  auch  die  Wirkung  keine  Vor- 
theile,  welche  eine  Empfehlung  rechtfertigen 
konnten. 

Bei  den  von  mir  an  Kaninchen  ange- 
stellten Versuchen  trat  die  hypnotische  Wir- 
kung deutlich  hervor,  gleichzeitig  aber  machte 
sich  eine  starke  Gefässerschlaffung  und  Er- 
niedrigung des  Blutdrucks  geltend,  selbst 
bei  Dosen,  die  einen  nicht  sehr  tiefen, 
etwa  zwei  Stunden  anhaltenden  Schlaf  er- 
zeugten. 

LiUeratur:  W.  B.  Nesbitt.  Chloral  Ammoniam 
—  Trichloramidoethylic  Alkohol.  Therap.  Ga- 
zette 1888  S.  88. 

Chloral-Ürethan. 

Auch  über  diese  Verbindung  liegt  bis 
jetzt  nur  eine  Mittheilung  von  G.  Poppi 
vor,  welcher  das  Chloral-Ürethan  unter  dem 
Namen   „Uralium"   zu  Anfang  dieses  Jahres 

65* 


516 


Langgaard,   Ueb«r  einig«  neue  Schlafmittel. 


rlierapenti«^ 
Monatshefte. 


ia  die  Therapie  einzuführen  versuchte.  Mir  ist 
die  Pop  pi' sehe  Mittheilung  nur  durch  Re- 
ferate hekannt  geworden.  Danach  soll  das 
Mittel  schneller  und  sicherer  wirken,  als 
irgend  ein  anderes  Hypnoticum,  es  soll  frei 
sein  Yon  jeglichen  Nebenwirkungen  und  den 
Blutdruck  nur  bei  todtlichen  Dosen  her- 
absetzen, bei  den  therapeutischen  zur  An- 
wendung kommenden  Gaben  aber  unbeein- 
flusst  lassen. 

Ich  muss  gestehen,  dass  mir  gleich  beim 
Lesen  der  Notiz,  ehe  ich  die  Substanz  in 
Händen  hatte  nnd  ehe  ich  Versuche  ange- 
stellt hatte,  die  Idee,  die  beiden  Schlafmit- 
tel zu  combiniren,  als  eine  wenig  glückliche 
erschien.  Es  war  mir  nicht  recht  yerständ- 
lich,  wie  die  gefässl  ahmen  de  Wirkung  einer 
Substanz  durch  Combination  mit  einer  an- 
dern, welche  keinen  nachweislich  erregen- 
den Einfluss  auf  das  Gefössnervencentrum 
ausübt,  aufgehoben  werden  soll. 

Die  Verbindung  ist  übrigens  nicht  neu 
und  auch  schon  längere  Zeit  bekannt. 

Chloral-Urethan  wird  erhalten  durch  Auf- 
lösen von  ürethan  in  wasserfreiem  Ghloral. 
Wird,  die  erhaltene  Losung  mit  concentrirter 
Salzsäure  versetzt,  so  erstarrt  sie  innerhalb 
24  StTinden  zu  einer  in  Wasser  unlöslichen 
Masse.  Dieselbe  wird  zunächst  mit  concen- 
trirter Schwefelsäure  behandelt,  dann  mit 
Wasser  gewaschen,  wobei  ein  Gel  resultirt, 
das  später  krystallisirt.  (B.Fischer,  Neuere 
Arzneimittel  III.  Aufl.) 

Das  Chloral-Urethan  ist  in  kaltem  Was- 
ser fast  unlöslich;  in  kochendem  Wasser 
wird  es  in  Ghloral  und  Ürethan  gespalten. 
Alkohol  und  Aether  lösen  es  leicht. 

Das  von  mir  benutzte  Präparat  stammte 
aus  der  Dr.  Schuchard tischen  Fabrik  in 
Görlitz. 

Bei  den  an  Kaninchen  angestellten  Ver- 
suchen wurde  das  Mittel  den  Thieren  in 
feiner  Emulsion  mittelst  Schlundsonde  in  den 
Magen  gebracht. 

Was  zunächst  die  hypnotische  Wirkung 
betrifft,  so  war  dieselbe  bei  den  verschiede- 
nen Thieren  sehr  ungleich,  was  wohl  auf 
die  geringe  Löslichkeit  und  ungleichen  Re- 
sorptionsverhältnisse zurückzuführen  ist. 

So  riefen  bei  einem  1300  g  schweren 
Kaninchen  2  g  des  Mittels  kaum  eine  Wir- 
kung hervor,  während  bei  einem  andern 
1750  g  schweren  Thiere  durch  1,5  g  gerade 
keine  sehr  tiefe,  aber  immerhin  deutlich 
ausgesprochene  Hypnose  erzeugt  wurde. 
3  g  bewirkten  bei  einem  1800  g  schweren 
Thiere  tiefe  Hypnose,  Erlöschen  sämmtlicher 
Reflexe  und  vollkommene  Muskelerschlaffung. 

Das  Verhalten  des  Blutdrucks  zeigt  fol- 
gender Versuch: 


Uhr 

lU.  0 
lU.   5 

lü.  10 

1  U.  15 
1  ü.  20 
lU.  25 
lU.  35 
lü.  45 
lü.  55 


Kaninchen  1750  g  schwer. 

Blutdruck   ' 


In  mm  Hg 

98 
105 


70 
50 
50 
50 
50 
50 


Bemerknngen 


Erhält  1,5  g  Chloral-Urethan 
in  den  Magen. 

Reflexe  erhalten. 

Reflexe  erhalten. 

Reflexe  erhalten. 

Reflexe  erhalten. 

Reflexe  erhalten. 

Reflexe  erhalten.  Thier  wird 
losgebunden,  schwache  Hyp- 
nose. 


In  diesem  Versuche  war  die  hypnotische 
Wirkung  nicht  st§rk,  die  Reflexe  waren 
während  der  ganzen  Versuchsdauer  erhalten 
und  dennoch  war  der  Blutdruck  10  Minuten 
nach  Eingabe  des  Mittels  bereits  von  105 
bis  auf  50  mm  gesunken. 

Chloral-Urethan  wirkt  nach  meinen  Thier- 
versuchen  schwächer  und  weniger  sicher 
Schlaf  erregend  als  Chloralhydrat,  theilt  mit 
diesem  aber  die  Wirkung  auf  das  Gefass- 
nervensystem. 

JSTaelitraff. 

Nachdem  die  obigen  Zeilen  bereits  im 
Satz  für  den  Druck  fertiggestellt  wai-en, 
erschien  in  No.  80  der  Ph arm aceu tischen 
Zeitung  folgende  Notiz,  welche  leider  auch 
ihren  Weg  in  die  Spalten  einiger  politischen 
Tagesjournale  gefunden  hat: 


»» 


Ueber  da«  Somnal. 


Das  von  Herrn  Apotheker  Radlauer  in 
Berlin  dargestellte  Somnal  ist  äthylirtes 
Chi  oral  ürethan  von  der  Formel 

C^  Hu  Clj  0^  N 
und  wird  aus  Chloral,  Alkohol  und  ürethan 
dargestellt.     Es  unterscheidet  sich  von  dem 
bisher  bekannten  Chloralurethan   durch    den 
Mehrgeh  alt  von  2  C  und  4  BT. 

Somnal  besitzt  einen  Schmelzpunkt  von 
42°  C.  und  siedet  im  Vacuum  etwa  bei 
145®  C.  Dasselbe  wird  durch  Zusatz  von 
Silbernitrat  nicht  verändert;  ebensowenig 
durch  Säuren.  Somnal  wird  in  Dosen  von 
2  g  am  besten  mit  Zusatz  von  Solutio 
Succi  Liquirit.  oder  Syrup.  Rubi  Idaei  nach 
folgender  Verordnung  gegeben: 

IV   Somnal  10,0 

Aq.  destillat.  45,0 

Solut,  Succi  Liquirit.  20,0 

des  Abends  1  Esslöffel. 

In  dieser  Dosis  von  2  g  bewirkt  das 
Somnal  nach  vielen  damit  angestellten 
ärztlichen  Versuchen  schon  '/a  Stunde  nach 
dem  Einnehmen  einen  6-  bis  Sstündigen 
ruhigen  Schlaf  ohne  nachherige  unangenehme 


nLJfthrgaog.   l 
November  1889.  J 


Langgaardy  Ueber  «inige  naue  ScUafinittal. 


517 


Nebenwirkung.  Es  zeichnet  sich  nach  An- 
gabe des  Fabrikanten  vor  den  anderen 
Schlafmitteln  dadurch  aus,  dass  der  Schlaf 
bereits  nach  Va  Stunde  eintritt,  dass  er  6 
bis  8  Stunden  dauert,  und  dass  das  Somnal 
keinen  Einfluss  auf  die  Verdauung,  den 
Puls,  die  Athmung  und  die  Temperatur 
ausübt,  somit  in  seiner  Wirkung  die  vor- 
trefflichen Eigenschaften  des  Chloralhy- 
drates  und  des  Urethans  vereinigt,  ohne  die 
unangenehmen  Nebenwirkungen  der  beiden 
Salze  zu  zeigen." 

Nach  einer  neueren  Angabe  des  Herrn 
Radlauer  in  No.  87  der  Pharmaceutischen 
Zeitung  wird  das  Somnal  fabrikmässig  dar- 
gestellt durch  gegenseitige  Einwirkung  von 
Ghloralalkoholat  und  Urethan  im  Vacuum, 
wobei  sich  das  Somnal  durch  einfache  Ad- 
ditioa  bilden  soll.     Nach  der  Formel 


C  CU  -  C 


0  Ca  Hi 

H 

NH  COO  Ca  Hj, 


welche    Herr    Radlauer    seinem    „Somnal" 

giebt,  wäre  dasselbe  ein  Chloralurethan 

-OH 
C  CI3  -  C  — H 

"^^^NH  COO  Ca  H5, 

in  welchem  der  Wasserstoff  der  OH-Gruppe 
durch  Aethyl  C9  H5  ersetzt  ist. 

Das  Präparat,  wie  es  von  der  Fabrik 
in  den  Handel  gebracht  wird,  stellt  eiqe 
klare,  wasserhelle,  stark  alkoholisch  rie- 
chende Flüssigkeit  dar,  von  bitterem,  inten- 
siv scharfem,  kratzendem  Geschmack,  ist  mit 
der  gleichen  Menge  Wassers  klar  mischbar, 
trübt  sich  auf  weiteren  Wasserzusatz  und 
giebt  wiederum,  nachdem  5  Theile  Wasser 
zugefügt  sind,  eine  klare  Lösung. 

Jeder  Unbefangene  wird  nach  der  oben 
wiedergegebenen  Notiz  der  Pharmaceutischen 
Zeitung,  welche  das  Somnal  als  einen  bei 
42°  schmelzenden  Korper  beschreibt,  er- 
staunt darüber  sein,  dass  das  Präparat  eine 
Flüssigkeit  ist.  Dieser  offenbare  Wider- 
spruch hat  auch  wohl  Herrn  Lutze 
(Dr.  Kade's  Oranienapotheke)  zu  der  in 
No.  86  der  Pharmaceutischen  Zeitung  mit- 
getheilten  Ansicht  geführt,  dass  das  Somnal 
nur  eine  Auflösung  von  Chloralhydrat  und 
Urethan    in  Alkohol    sei. 

Ob  das  Somnal  wirklich  der  angegebe- 
nen Zusammensetzung  entspricht,  ob  es  nur 
eine  alkoholische  Lösung  von  Chloralhydrat 
und  Urethan  dai-stellt,  oder  ob  es  end- 
lich, was  mir  wahrscheinlich  erscheint, 
eine  Auflösung  eines  bei  der  Einwirkung 
von  Urethan  auf  Ghloralalkoholat  erhaltenen 
Reactionsproductes  in  Alkohol  ist,  könnte 
nnr  durch  eine  genaue  chemische  Unter- 
suchung     festgestellt     werden.       Jedenfalls 


scheint    Herr    Rad  lau  er    selbst    sich    über 

sein    neues    Präparat    wenig    klar    zu    sein, 

wenn  er  dasselbe  als  ein  einfaches  Additions- 

product    aus    Ghloralalkoholat    und  Urethan 

bezeichnet.     Ist  es   dieses,   so  entspricht  es 

nicht  der  von  ihm  angegebenen  Formel.    Hat 

es    aber    die    angegebene    Zusammensetzung, 

so    ist    es  kein   einfaches  Additionsproduct. 

Eine  Verbindung  von  der  Formel 

OC,  Hj, 
C  CI3— H 

~     NH.COOC3H5 

könnte  sich  aus  Ghloralalkoholat  und  Ure- 
than nur  bilden  unter  Wasseraustritt. 

Die  Feststellung  der  Zusammensetzung 
des  Somnals  scheint  im  Uebrigen  von  sehr 
geringem  Werthe  zu  sein,  da  das  Präparat 
alle  diejenigen  Eigenschaften,  welche  der 
Erfinder  als  Vorzüge  vor  anderen  Schlaf- 
mitteln, speciell  vor  .  dem  Chloralhydrat, 
rühmt  und  welche  die  Einführung  in  die 
Praxis  rechtfertigen  würden,  nach  meinen 
Erfahrungen  nicht  besitzt.  Der  Geschmack 
scheint  mir  eher  unangenehmer,  jedenfalls 
aber  nicht  besser,  als  der  des  Ghloralhydrats 
zu  sein.  Die  hypnotische  Wirkung  ist  ge- 
ringer, sie  tritt  erst  nach  grösseren  Dosen 
und  später  ein,  als  nach  Chloralhydrat  und 
ist  von  kürzerer  Dauer.  Die  Athmung  und 
die  Circulation  werden  sehr  energisch  in  der 
gleichen  Weise  und  mindestens  ebenso  stark 
beeinflusst  wie  durch  Chloralhydrat.  Der 
Blutdruck  sinkt  bei  Kaninchen  auch  nach 
Dosen,  die  nur  einen  etwa  2  Stunden  dauern- 
den Schlaf  mit  Erhaltung  aller  Reflexe  er- 
zeugen, bis  40  mm  Quecksilber  und  selbst 
noch  tiefer. 

Mein  Freund  Herr  Prof.  Rabow,  welcher 
das  Somnal  versuchsweise  angewendet,  hat, 
schreibt  mir  über  die  damit  gemachten*  Er- 
fahrungen :  „Der  Geschmack  ist  sehr  schlecht, 
auch  in  der  angegebenen  Form  mit  Succus 
Liquiritiae.  —  Ich  habe  das  Somnal  in  Do- 
sen a  2  g  bis  jetzt  zwanzig  Male  verabreicht 
an  18  Personen  und  darunter  7  Male  guten 
Erfolg  gesehen;  9  Male  war  die  Wirkung 
schwach,  d.  h.  die  Patienten  schliefen  nur 
2—3  Stunden,  und  3  Male  war  die  Wirkung 
gleich  Null.  Ein  Kranker,  der  auf  2,0  Som- 
nal gamicht  schlief,  schlief  ausgezeichnet 
nach  2,0  Chloralhydrat.  Ein  anderer  Pa- 
tient, der  mit  2,0  Somnal  nur  2  Stunden 
schlief,  verbrachte  eine  sehr  gute  Nacht  nach 
0,015  Morphin." 


518 


Tharmpautitcha  Mitthailungen  au«  Vereinen« 


rberspetttiMho 
HonauheftOL 


Thioresorcin. 

Das  unter  Toxikologie  S.  534  erwähnte 
Thioresorcin  ist  ein  Ton  der  Firma  Ewer 
und  Pick  in  den  Handel  gebrachtes,  für 
die  Wundbehandlung  bestimmtes  Schwefel- 
substitutionsproduct  des  Resorcin. 

Dasselbe  stellt  ein  schwach  gelblich  ge- 
färbtes, oder  gelblich  graues,  geruchloses 
Pulver  dar  und  ist  in  Wasser  unlöslich. 
Kaustische    und  kohlensaure  Alkalien  lösen 


es  auf.    Aus  diesen  Lösungen  wird  es  durch 
Säuren  wiederum  gefallt. 

Nach  der  Patentschrift  wird  Thioresorcin 
dargestellt  durch  Eintragen  bestimmter  Ge- 
wichtsmengen Schwefel  in  eine  kochend 
heisse  Lösung  yon  Resorcin  in  Natronlauge. 
Aus  dem  erhaltenen  Reactionsproduct  wird 
das  Thioresorcin  durch  Säurezusatz  abge- 
schieden und  durch  Wiederauflösen  in  Alkali 
und  Ausfallen  mittelst  Säure  gereinigt. 


Therapeutische  Mittheilnngen  ikim  Vereinen. 


Ueber  die  6a.  Versammlung  der  deutschen  Natur- 
forscher und  Aerzte  zu  Heidelberg.    Vou  Dr. 

J.  Paul y  in  Nervi  bei  Genua,  (Originalbericht.) 

Ueber  das  reichhaltige  Gebotene  der 
diesmaligen  Versammlung  können  wir  dem 
Rahmen  dieser  Zeitschrift  gemäss  nur  kurz 
und  quasi  in  Extractform  berichten.  Wegen 
ausführlicher  Mittheilnngen  müssen  wir  aaf 
andere  Specialzeitschriften,  sowie  auf  den 
offlciellen  Bericht  der  Redactionscommission 
verweisen,  der  voraussichtlich  schon  Anfang 
November  erscheinen  dürfte. 

Ueber  die  Vorträge  der  allgemeinen 
Sitzungen,  die  Hochbedeutsames  von  For- 
schern ersten  Ranges  brachten,  welche  Alle 
von  den  Geschäftsführern  der  Versammlung, 
dem  Physiker  Quincke  und  dem  Physiologen 
Kühne  eigens  dazu  aufgefordert  waren, 
muss  Referent  zu  seinem  Bedauern  hinweg- 
gehen. Geheimrath  Viktor  Meyer,  der 
Nachfolger  auf  Bunsen's  Lehrstuhl,  hielt 
einen  glänzenden  Vortrag  über  die  chemi- 
schen Probleme  der  Gegenwart,  den 
übrigens  auch  der  Grossherzog  von  Baden 
durch  seine  Gegenwart  auszeichnete.  Wenn 
zu  grosse  Bescheidenheit  ein  Fehler  ist,  so 
hat  diesen  als  einzigen  der  berühmte  Che- 
miker begangen:  sich  selbst  hat  er  nie  ge- 
nannt. Wohl  aber  ist  er  den  Forschungen 
Anderer  in  mustergültiger  Weise  gerecht 
geworden.  Edison's  Phonograph  wurde  auch 
vorgeführt,  und  besonders  die  Wiedergabe 
von  Musikstücken  erregte  grosses  und  be- 
rechtigtes Aufsehen. 

Der  Bonner  Physiker  Hertz  brachte 
einen  Vortrag  über  die  Beziehungen 
zwischen  Licht  und  Elektricität  (nicht 
etwa  das  elektrische  Licht  darunter  zu  ver- 
stehen.    Ref.),    worin    er    uns     mit    seinen 


epochemachenden  Untersuchungen  über  das 
Wesen,  die  Art  und  die  Schnelligkeit  der 
Schwingungen  bei  der  Wellenbewegung  der 
Elektricität  bekannt  machte.  Aussergewöhn- 
lioh  warmer  Beifall  folgte  diesem  schönen 
Vortrage. 

Professor  Puschmann  aus  Wien  wusste 
in  seinen  Ausführungen  über  die  Geschichte 
der  Medicin  und  die  Noth wendigkeit  ihres 
ausgiebigeren  Studiums  die  Hörer  zu  fesseln. 
Hoffentlich  findet  sein  Appell  an  die  Hörer 
ein  thatkräftiges  Echo  und  auch  der  Wunsch 
einer  guten  und  rationellen,  mit  guter 
Uebersetzung  versehenen  Ausgabe  der  me- 
dicinischen  Classiker,  welche  von  kundigen 
Aerzten  und  nicht  von  Philologen  besorgt 
wird,  erfüllt  sich  bald. 

Professor  Brieger  aus  Berlin  sprach 
über  Bacterien  und  Krankheitsgifte 
und  führte  in  klarer  Uebersichtlichkeit  die 
Hörer  in  dieses  actuelle  Gebiet  ein. 

Wenn  ich  jetzt  auf  diejenigen  Vorträge 
eingehe,  welche  therapeutische  Fragen  streif- 
ten oder  zu  ihrem  alleinigen  Thema  hatten, 
so  beginne  ich  mit  der  Abtheilung  für  in- 
nere Medicin,  welche  eine  derartige  Menge 
von  Vorträgen  aufwies  (38  an  Zahl!),  dass 
sie  geradezu  alle  verfugbare  Zeit  der  Hörer 
in  Anspruch  nahmen.  Indessen  werdje  ich, 
wo  die  Gleichartigkeit  d^s  Stoffes  oder  an- 
dere Gründe  es  empfehlenswerth  erscheinen 
lassen,  hieran  gleich  die  bezüglichen  Verhand- 
lungen anderer  Sectionen  anschliessen  resp. 
einschieben. 

Prof.  Rumpf  (Marburg)  berichtet  über 
Versuche,  die  den  Einfluss  des  Alkohols 
(auf  10  ^/o  Jodkalilösung),  sowie  des  Glyce- 
rins  (auf  Ferrocyankali)  auf  die  Diffusion 
von  Salzen  betreffen.     Während   die  erste 


m.  Jfthrgan«.  *1 
Norember  1889.  J 


Thenpeutisohe  MitthaUungen  aus  Varttinen. 


519 


Reaction  nach  8 — 10  Minuten  nachzuweisen 
war,  trat  sie  bei  einem  Zusatz  von  10  ^/oigem 
Alkohol  schon  nach  2  Minuten  auf.  Ein 
Zusatz  von  mehr  als  10%  Alkohol  wirkte 
bei  Ferrocyankali  verzögernd,  weniger  als 
10%  dagegen  beschleunigend.  R.  räth  da- 
her, allen  Substanzen,  die  auf  Schleimhäute 
eine  mehr  als  oberflächliche  Wirkuog  ent- 
falten sollen,  Glycerin  (zu  5 — 10%)  und 
ev.  Alkohol  zuzusetzen,  ev.  weiterhin  Gly- 
cerin als  Diureticum  zu  yersuchen. 

In  seinem  Vortrage  über  mechanische 
Theral>ie  bei  inneren  Krankheiten 
empfahl  Jürgensen  (Tübingen)  sehr  wan 
die  Behandlung  des  Orthopäde«  Hessin g 
in  Göggingen  bei  Augsbwg  bei  Tabes  dor- 
sualis.  Die  MeC^hode,  die  dieser  seit  15 
Jahren  amrendet,  besteht  in  Anlegung  eines 
Stoff-Corsets,  welches  auch  eine  Deh- 
nung der  Wirbelsäule  zu  Wege  bringt,  aber 
ständig,  Jahre  laug,  ev.  Jahrzehnte  lang,  nicht 
gewaltsam,  sondern  allmählich.  Er  suspendirt 
ev.  leicht  unter  den  Armen.  Leidet  auch 
der  Halstheil  des  Rückenmarks,  so  wird 
der  Druck  des  Kopfes  auch  auf  das  Becken 
übertragen.  H.  individualisirt  seine  Fälle. 
J.  hat  die  Erfolge  H.'s  bei  6  Fällen  und 
zwar  stets  in  bestimmter  Reihenfolge  mit 
beobachten  können: 

a)  Blasen-  und  Mastdarm-Störungen  traten 
zurück. 

b)  Die  lancinirenden  Schmerzen,  die 
„Blitzer",  verloren  sich. 

c)  Nachtruhe  kam  damit  zurück. 

d)  Gehfähigkeit  kehrte  allmählich  zurück. 

e)  Die  Sehnen  -  Reflexe  waren  vielleicht 
in  einem  Falle  wieder  leicht  vorhan- 
den. 

Hessin g  rechnet  1  Jahr  für  eine  Cur 
und  verlangt  mit  Recht  Anstaltsbehand- 
lung. 

In  der  Discussion  besprechen  Eisenlohr 
(Hamburg),  Schuster  (Aachen),  Mosler 
(Greifswald)  u.  A.  ihre  Erfahrungen  mit 
Suspensionen  nach  Chapcot.  Auch  Erb 
(Heidelberg)  modiflcirt  sein  in  Baden  abge- 
gebenes ungünstiges  Urtheil  über  die  Sus- 
pensionen. Von  Hessing's  Corsetten  hat 
er  in  je  einem  Falle  von  multipler  Sklerose 
und  transversaler  Myelitis  gute  Erfolge  ge- 
sehen. 

Rumpf  (Marburg)  macht  auf  die  anti- 
luetische Therapie  für  frische  Fälle  dringend 
aufmerksam.  Man  versäumt  sonst  eine 
wichtige  Zeit. 

Von  der  maschinellen  gymnastischen 
Behandlung  in  Baden  -  Baden  haben  in  je 
einem  Falle  von  Tabes  Baeumler  (Frei- 
burg) und  Kussmaul  (Heidelberg)  Erfolge 
gesehen. 


Hühnerfauth  (Homburg)  hat  von 
„Hackungen"  bei  Tabes  in  2 — 3  Monate 
langer  Behandlung  Erfolg  gesehen.  Er  räth 
zu  Halbsuspensionen  (bis  zu  den  Fuss- 
spitzen),  die  5 — 6  Minuten,  später  sogar 
länger,  die  Hackungen  in  dieser  Stellung 
vertragen  lassen. 

Geh.-Rath  Binz  (Bonn)  berichtet  in  der 
Section  für  Pharmakologie  über  neue  Ver- 
suche betreffend  künstliche  Narkose  bei 
Thieren  unter  Anwendung  chemischer  Sub- 
stanzen einfacher  Zaannirensetzung.  Es 
handaki  srch  um  das  Natriumnitrit  und 
das  salz  saure  Hydroxylamin.  Von  bei- 
den hatte  der  Vortragende  schon  früher  den 
Nachweis  geführt,  dass  sie  bei  vorsichtiger 
Anwendung  ganz  in  der  Art  des  Chloro- 
forms wirkten.  Er  hat  diese  Wirkung  so 
gedeutet,  dass  die  Substanz  des  Gehirns  un- 
mittelbar von  den  beiden  stark  reducirenden 
(d.  h.  sauerstoffraubenden)  Stoffen  getroffen 
werde.  Gegen  diese  Deutung  hat  nun 
L.  Lewin  in  Berlin  Einsprache  erhoben, 
indem  er  auf  Grund  seiner  Versuche  des 
Weiteren  ausführt,  nur  die  von  den  beiden 
genannten  Substanzen  verursachte  Blutver- 
änderung (Methämoglobin  und  Hämatin)  sei 
die  Ursache  der  auch  von  ihm  bestätigten 
nackotischen  Wirkung.  Binz  hat  in  Folge 
dessen  die  Frage  nochmals  experimentell 
geprüft,  und  zwar  an  Fröschen,  deren  Blut 
nach  der  bekannten  Methode  durch  eine 
0,7procentige  Kochsalzlösung  ersetzt  war. 
Solche  Frösche  leben  noch  etwa  30  Stunden 
wie  unversehrt,  hüpfen  umher,  schwimmen, 
in's  Wasser  geworfen,  ganz  kräftig,  kurz, 
verhalten  sich  äusserlich  genau  wie  andere, 
vorausgesetzt,  dass  man  zu  der  Operation 
gesunde,  frisch  gefangene  Thiere  genommen 
und  die  Operation  geschickt  ausgeführt  hat. 
Die  neuen  Versuche  ergaben  das  von  Binz 
Erwartete:  Frösche,  welche  so  hergerichtet 
waren,  reagirten  auf  Natriumnitrit  und  neu- 
trales salzsaures  Hydroxylamin  in  absolut 
derselben  Weise  wie  Frösche,  welche  noch 
im  Besitz  ihres  Blutes  sind.  Damit  ist  die 
Lewin 'sehe  Opposition  widerlegt  und  in 
Verbindung  mit  früher  bereits  publicirten 
Thatsachen  der  Binz 'sehen  Erklärung  des 
künstlichen  Schlafes  als  einer  unmit- 
telbaren, von  dem  Blut  und  den  Blut- 
gefässen unabhängigen  Lähmung  der 
Ganglien  der  Gehirnrinde  eine  neue 
hinzufügt.  Die  betreffende  Arbeit  ist  in 
Virchow's  Archiv,  Octoberheft  1889  ausführ- 
lich abgedruckt. 

Sodann  legte  derselbe  die  Resultate 
neuer  Versuche  vor,  welche  Dr.  Graeser 
in  seinem  Laboratorium  mit  der  javanischen 
Droge  Syzygium  Jambolanum,    den  Be- 


I 


520 


ThcrapeutiBcb«  MltthaUungan  aus  Vereinen. 


rrherapeatbebe 
L  Mon&tahefte. 


Btandtlieileii  einer  Myrtacee,  angestellt  hat 
zur  Heilung  des  künstlichen  Diabetes 
mellitus.  Die  bereits  im  Central bl.  f. 
klin.  Medicin  1889,  No.  28  publicirten  Re- 
sultate wurden  in  letzter  Zeit  dahin  er- 
weitert, dass  nunmehr  jedesmal  eine  Ver- 
minderung des  Zuckers  um  durchschnittlich 
86  %  eintrat.  Als  Versuchsthiere  dienten 
kräftige  Hunde.  Sie  wurden  nach  v.  Me- 
ring's  Methode  durch  Phlorrhizin  diabetisch 
gemacht  und  ihnen  dann  das  Jambul  in 
Form  von  Pulver  oder  Extract  unter  das 
Futter  gemischt.  Die  Thiere  gediehen  da- 
bei ganz  vortrefflich,  nahmen  an  Korper- 
gewicht zu  und  blieben  munter.  Die  Quan- 
tität des  im  Harn  enthaltenen  Zuckers  wurde 
mittelst  eines  Wild 'sehen  Polaristrobometers 
bestimmt.  Gemäss  diesen  Versuchen  und 
Beobachtungen,  welche  im  Auslande  bereits 
an  Menschen  angestellt  worden  sind,  kann 
ein  Zweifel  über  die  Heilkraft  des  Jambul 
gegen  die  Zuckerharnruhr  nicht  mehr  ob- 
walten. Es  fragt  sich  nur,  wie  weit  die- 
selbe sich  erstreckt,  wie  lange  sie  anhält 
und  ob  sie  gegen  das  Grundleiden  angeht 
oder  nur  eine  symptomatische  ist.  Die  Un- 
tersuchungen darüber  werden  im  Laborato- 
rium des  Vortr.  fortgesetzt.  Ihr  erstes 
weiteres  Erforderniss  wird  sein,  aus  der 
Pflanze  den  oder  die  wirkenden  Bestandtheile 
zu  isoliren.  Die  Droge,  wie  sie  jetzt  in  dem 
Handel  erscheint,  wird  durch  langes  Lagern 
unwirksam,  gleich  den  meisten  andern. 
Eine  genaue  und  zuverlässige  Dosirung  ist 
nicht  möglich.  Das  wird  sich  zum  Bessern 
ändern,  wenn  man  erst  chemisch  über  ihren 
Inhalt  unterrichtet  ist  und  die  Hauptsache 
in  der  Hand  hat. 

Einen  warmen  Fürsprecher  für  rhino- 
laryngologische  Operationen  fand  das  Co- 
cain (Nase  und  Rachen  10 — löprocent. 
Losung,  Kehlkopf  20procent.)  in  B.  Frän- 
kel  (Berlin).  Die  Maximaldosis  wäre  un- 
gefähr 0,1  des  salzsauren  Salzes. 

Schmidt  (Frankfurt  a.  M.)  zieht  im  Ca- 
vum  pharyngo-nasale  1  :  5  Zucker  in  sehr 
geringen  Mengen  vor. 

Hey  mann  (Berlin)  hat  höhere,  als 
lOprocent.  Lösungen  oft  angewendet,  dabei 
aber  Intoxicationen,  wenn  auch  nicht  schwere, 
gehabt. 

Prof.  Schnitzler  (Wien)  empfiehlt  bei 
Kehlkopf  -  Tuberculose  Perubalsam  mit 
Collodium  zum  Bepinseln.    Collodium  decke 


die  Geschwürsfläche,  Bals.  peruv.  wirke  des- 
inficirend.  Er  hat  rasche  Abnahme  der  Be- 
schwerden gesehen,  was  er  von  der  Milch- 
säure-Behandlung nicht  behaupten  kann.  — 
Für  diese  letztere  treten  Krause  (Berlin), 
Schmidt  (Frankfurt  a.  M.)  und  Keimer 
(Düsseldorf)  ein. 

A.  Nykamp  (Leiden)  hat  von  der  heis&en 
Luft  nach  Weigert  bei  Lungentuberculose 
keine  Erfolge  gesehen.  Eine  gewisse  Lun- 
gengymnastik wird  dabei  erreicht.  Verschie- 
dene andere  Redner  äussern  sich  ebenso 
abfällig  über  die  Heisluft -Behandlung  nach 
Weigert. 

Haupt  (Soden)  tritt  dafür  ein,  dass 
locale  Kehlkopf-  und  Rachenbehandlung  in 
Bädern  nur  in  dringenden  Fällen  anzuwen- 
den sei.  Sonst  wäre  es  besser,  die  hygie- 
nischen Heilfactoren  des  Bades  auf  den  Pat. 
und  sein  Allgemeinbefinden  ungestört  wirken 
zu  lassen. 

M.Schmidt  (  Frank  fürt  a.  M . )  spricht 
über  die  von  Dr.  Hoffmann  in  Baden 
zuerst  empfohlene  Schlitz ung  der  Man- 
deln. (Der  Vortrag  ist  im  Octoberheft  ab- 
gedruckt.) 

Bei  Neurasthenia  cordis  (nervöse 
Herzschwäche)  empfiehlt  Lehr  (Wiesbaden) 
unter  Vorlegung  sehr  schöner  instructiver 
Pulscurven,  die  er  an  dreissig  Kranken  ge- 
wonnen, vor  Allem  die  Behandlung  des 
Allgemeinleidens,  der  Neurasthenie.  Wasser- 
behandlupg  in  zweierlei  Form.  Bei  der  reiz- 
baren Form  genügen  meist  Halbbäder  von 
30—20®  C.  und  1  —  5  Min.  Dauer.  Sie  setzen 
die  Pulsfrequenz  herab  und  mindern  den 
Blutdruck,  beruhigen  auch  die  ängstlichen 
Pat.  sehr. 

Schwerere  Fälle,  besonders  die  atonischen 
Formen,  bedürfen  energischer  Hautreize, 
Abreibungen,  Fächerdouchen  über  den  Rücken, 
Regendouchen  über  den  ganzen  Körper  von 
5 — 20  Secunden  Dauer.  '  Bei  kleinem,  fire- 
quentem  Puls  sieht  man  die  Pulscurve  steiler 
und  höher  werden*,  auch  die  Dicrotie  ver- 
schwinden. Weder  Gymnastik  noch  Elek- 
tricität  erwiesen  sich  nützlich;  letztere  nur 
in  einzelnen  Anfallen  als  Galvanisation  des 
Herzens  selbst  oder  noch  besser  der  Frank- 
linisation (Spitzenströmung  auf  die  Herzge- 
gend). Eisenpräparate  waren  wegen  der  oft 
complicirenden  Blutarmuth  vielfach  mit  Er- 
folg angewendet.. 

[Fortsetzung  /cigLj 


III.  Jahrgang.  1 
November  1889.  J 


Rafermte. 


521 


Referate. 


Die  Verbreitung  der  Tuberkelbacillen  ausserhalb 
des  Körpers.  Aus  dem  hygienischeD  Instituto 
zu  Berlin.  Separatabdrack  aus  der  Zeitschrift 
für  Hygiene,  Bd.  V,  1888.  Von  Dr.  Georg 
Cornet. 

Die  Resultate  der  Yorliegenden  umfang- 
reichen Untersuchung  haben  in  den  wenigen 
Monaten  seit  ihrem  Bekanntwerden  die  all- 
gemeine Aufmerksamkeit  auf  sich  gelenkt; 
die  Folgerungen  von  hoher  Bedeutung,  wel- 
che sich  aus  denselben  ergeben,  sind  von 
Aerzten  wie  Gesundheitsbehorden  ruckhalt- 
los anerkannt  und  auf  das  praktische  Leben 
übertragen  worden;  der  Widerspruch,  wel- 
chen einige  Ausfuhrungen  des  Verfassers 
gefunden  haben  und  welcher  an  sich  nicht 
für  bedeutungslos  erklärt  werden  soll,  rich- 
tet sich  gegen  theoretische  Anschauungen; 
unanfechtbar  aber  und  unberührt  von  die- 
sen noch  weiter  auszutragenden  Meinungs- 
Terschiedenheiten  in  Bezug  auf  theoretische 
Grundanschauungen  der  Tuberculosefrage 
steht  die  Forderung  des  Verfassers  nach 
strengster  Durchführung  gewisser  prophylak- 
tischer Maassregeln,  welche  sich  aus  seiner 
Untersuchung  ergeben. 

Da  der  Inhalt  der  Cornet^ sehen  Unter- 
suchung im  Allgemeinen  wohl  bei  jedem 
Arzt  als  bekannt  vorausgesetzt  werden  kann, 
eine  Wiedergabe  derselben  aber  in  einem 
Blatte  von  dem  Programm  des  vorliegenden 
nicht  fehlen  darf,  so  sollen  in  den  folgenden 
Zeilen  die  thatsächlichen  Grundlagen  kurz 
wiedergegeben  werden. 

Cornet  stellte  sich  die  Aufgabe,  den 
Tuberkelbacillus,  ohne  dessen  Eindringen  in 
den  Organismus  keine  Tuberculose  denkbar 
ist,  ausserhalb  desselben,  in  der  Luft,  nach- 
zuweisen, um  zunächst  zu  ergründen,  ob  die 
Annahme  von  seiner  Ubiquität  berechtigt 
oder  ob  sein  Vorkommen  ausserhalb  des 
Körpers  an  gewisse  Bedingungen  gebunden 
ist.  Die  bisherigen  nach  dieser  Richtung 
angestellten  Versuche  scheiterten  an  tech- 
nischen Hindernissen;  es  galt  also  ein  neues 
Verfahren  zu  ersinnen,  welches  er  darin 
fand,  dass  er  nicht  die  Luft  selbst,  sondern 
den  aus  ihr  abgesetzten  Staub  auf  seinen 
Gehalt  an  Tuberkelbacillen  prüfte.  Eine 
auf  Grund  der  Esmarch' sehen  Versuche 
über  den  Eeimgehalt  der  Wände  und  der 
Petri' sehen  Untersuchungen  über  den  Keim- 
gehalt der  Luft  angestellte  Berechnung  er- 
gab,   dass    durch    das    Abreiben    von    1  qm 


Wand  mindestens  der  Bakterienniederschlag 
von  51  cbm  Luft,  der  Bedarf  eines  Menschen 
von  4  Tagen,  untersucht  wird.  Diesen  Staub 
also  sammelte  Cornet  in  zweckentsprechen- 
der Weise  und  brachte  ihn  in  die  Bauch- 
hohle von  Meerschweinchen,  deren  spätere 
Erkrankung  an  Tuberculose  oder  Gesund- 
bleiben das  Resultat  des  Versuchs  entschied. 
In  dieser  Weise  wurde  der  Staub  verschie- 
dener Krankenhaussäle,  speciell  solcher,  in 
welchen  Phthisiker  lagen,  Irrenanstalten, 
Gefangnisse,  Polikliniken,  Zimmer  von  Pri- 
vatpatienten u.  s.  w.  untersucht.  Es  wur- 
den im  Ganzen  147  Staubproben  auf  392 
Thiere  verimpft ;  von  diesen  Thieren  starben 
an  andern  Krankheiten  als  an*  Tuberculose 
196,  in  40  Fällen  starb  wenigstens  ein  Thier 
der  Versuchsreihe  an  Tuberculose,  im  Gan- 
zen starben  an  Tuberculose  59  Thiere, 
während  137  gesund  blieben.  Von  21  Kran- 
kensälen in  7  £j:ankenhäusern  wurde  in  15 
tuberculoser  Staub  nachgewiesen. 

Bei  der  Prüfung  der  einzelnen  Fälle  er- 
giebt  sich  nun  als  Gesammtresultat,  dass 
eine  Ubiquität  des  Tuberkelbacillus  nicht 
besteht,  dass  es  häufig  gelingt,  tuber- 
culoses  Virus  da  nachzuweisen,  wo 
Phthisiker  sich,  sei  es  in  grösserer 
Anzahl,  sei  es  einzeln,  aufhalten, 
dass  der  Tuberkelbacillus  aber  fehlt, 
wo  nicht  ein  längerer  Aufenthalt  von 
Phthisikern  vorausgegangen  war.  Da 
nun  der  Tuberkelbacillus  ausserhalb  des 
menschlichen  oder  thierischen  Organismus 
sich  niemals  vermehren,  sondern  nur  eine 
begrenzte  Zeit  erhalten  bleiben  kann,  so  ist 
als  die  häufigste  Infectionsquelle  der  tuber- 
culose Mensch  zu  betrachten.  Es  ist  aber 
erwiesen,  dass  unter  keinen  Umständen  die 
Ausathmungsluft  den  Tuberkelbacillus  nach 
Aussen  befördert.  Auf  Grund  der  von  dem 
Verfasser  neu  gefundenen  und  dieser  älteren 
Thatsachen  haben  wir  demnach  in  dem  un- 
vorsichtig durch  Speien  auf  den  Boden  und 
auf  Taschentücher  nach  Aussen  beförderten 
und  nicht  unschädlich  gemachten,  der  Aus- 
trocknung ausgesetzten  Sputum  des  tu- 
berculösen  Menschen  selbst  die 
Hauptinfectionsquelle  der  Phthise  zu 
suchen. 

In  den  an  diesen  Schluss  angefügten 
Deductionen  stellt  sich  Verfasser  nunmehr 
auf  einen  rückhaltlos  contagionis tischen 
Standpunkt    in    Bezug    auf  die  Verbreitung 

G6 


522 


Referate. 


rrhermpeaÜMii« 
L  Monatshefte. 


der  Tuberculose,  er  hält  die  von  ihm  auf- 
gedeckten Thatsachen  fQr  ausreichend  zur 
Entstehung  der  Bedingungen  für  Infection 
in  jedem  einzelnen  Falle,  ohne  dass  es  der 
Heranziehung  anderer  Momente  bedürfe; 
eine  Disposition  erkennt  er  nur  in  dem 
Sinne  an,  dass  die  Infection  in  manchen 
Fällen  durch  irgend  einen  Umstand  begün- 
stigt werde,  nicht  in  dem  Sinne,  dass  in 
allen  oder  fast  allen  FälJen  dieser  Umstand 
zu  ihrem  Zustandekommen  nothwendig  vor- 
ausgesetzt wird.  Dieser  scharf  betonte  con- 
tagionistische  Standpunkt  ist  es,  gegen  wel- 
chen sich  mancher  Einspruch,  wie  in  der 
Einleitung  angegeben,  gewendet  hat;  und  es 
wird  zugegeben  werden  müssen,  dass  man 
schwanken  kann,  ob  man  mit  Cornet,  wel- 
cher auf  Grund  zahlreicher  Beobachtungen 
und  Yersuche  zu  seinem  Standpunkt  ge- 
langte, annehmen  will,  dass  das  genaue  Stu- 
dium jedes  Einzelfalles  die  Heranziehung 
anderer  Momente  als  der  Contagion  über- 
flüssig machen  werde,  oder  ob  man  im  vor- 
liegenden Falle  die  Basis  inductiver  For- 
schung doch  noch  nicht  für  breit  genug  hält, 
um  ohne  andere  Momente  auszukommen. 
Der  Versuch  wird  hier  noch  zu  entscheiden 
haben,  und  ein  solcher  ist  erst  neuerdings 
von  Bollinger  im  grossen  Stile  vorge- 
schlagen, welcher  beantragt  hat,  ein  Gefäng- 
niss  auf  das  Strengste  zu  desinficiren  und 
nunmehr  zu  beobachten,  wie  sich  weiter  die 
Schwindsuchtssterblichkeit  unter  den  Sträf- 
lingen verhalten  werde. 

Hierdurch  werden  aber  die  prophylak- 
tischen Maassregeln  nicht  berührt.  Denn 
ob  man  den  menschlichen  Korper  als  in 
jedem  Falle  disponirt  ansieht  oder  den  Ba- 
cillus nur  als  den  zündenden  Funken  be- 
trachtet, der  bald  auf  mehr,  bald  auf  we- 
niger empfängliches  Brennmaterial  fällt,  so 
bleibt,  nachdem  durch  Cornet' s  verdienst- 
volle Arbeit  ein  Hauptherd  und  die  Mög- 
lichkeit seiner  Beseitigung  aufgedeckt  ist, 
die  Pflicht,  in  strengster  "Weise  gegen  den- 
selben vorzugehen. 

Der  Fhthisiker  ist  an  sich  nach  Cornet 
fast  absolut  ungefährlich  und  wird  es  erst 
durch  üble  Angewohnheiten,  durch  Befordern 
des  Sputums  an  Orte,  an  denen  es  der 
Zerstäubung  ausgesetzt  ist.  Eine  sichere 
Prophylaxe  hat  nur  darauf  zu  halten,  dass 
das  Sputum  unter  keinen  Umständen  an 
einen  andern  Ort  befordert  wird,  als  in 
einen  mit  einer  ganz  dünnen  Schicht  Wasser 
bedeckten  Speinapf.  Einer  besonderen  Des- 
infection  bedarf  es  durchaus  nicht;  der  In- 
halt desselben  ist  den  Abwässern  zu  über- 
geben, in  denen  die  Tuberkelbacillen  bald 
zu  Grunde   gehen.     GlRser,   Löffel  etc.  sind 


durch  heisses  Wasser  zu  desinficiren,  Ta- 
schentücher und  Hemden  sorgfaltig  auszu- 
kochen. Nach  dem  Tode  des  Phthisikers 
hat  Desinfection  der  geeigneten  Gegenstände 
mit  strömendem  Dampf,  des  Zimmers  und 
der  Möbel,  Oefen  durch  Brotabreibung  nach 
dem  Esmarch^ sehen  Verfahren  stattzufin- 
den. Die  Reinigung  des  Zimmers  hat  stets 
auf  feuchtem  Wege  zu  geschehen.  Nament- 
lich in  Fabriken,  im  Geschäftsbetrieb,  Gast- 
häuser u.  s.  w.  ist  durch  strenge  Vorschriften 
darauf  zu  halten,  dass  nicht  nur  die  Fhthi- 
siker, sondern  Jeder,  welcher  auswirft,  die 
Gewohnheit  annimmt,  das  Sputum  nur  in 
die  dazu  bestimmten  reichlich  vorhandenen 
Speinäpfe  zu  befördern.  Dasselbe  gilt  na- 
mentlich für  Krankenhäuser,  Irrenanstalten, 
Curorte. 

Darnach  gestaltet  sich  die  Prophylaxe 
der  Tuberculose,  eine  Frage  von  höchster 
Bedeutung,  als  eine  Sache,  welche  zwar  mit 
einfachen  Mitteln  zu  erzielen  ist,  zu  der 
aber  das  Interesse  aller  Gesellschaftsklassen, 
wie  diese  gleichmässig  betroffen  werden,  auch 
in  der  Abwehr  heranzuziehen  ist.  Die  Pro- 
phylaxe gipfelt  in  dem  Satze,  dass  das  Volk 
zur  Reinlichkeit  erzogen  werden  muss. 

Die  Rolle,  die  hierbei  dem  Arzte  zu- 
kommt, ist  keine  geringe^  und  es  ist  zu  ver- 
langen, dass  ein  Jeder  in  seinem  Bereich, 
von  der  Wichtigkeit  der  Frage  durchdrun- 
gen, die  Ausführung  der  von  Cornet  auf- 
gestellten Forderungen  durchzusetzen  als 
strenge  Pflicht  auffasst. 

Ä.  GotUtein  {Berlin). 

Ueber    Sauerstoff-Inhalationen.      Von    Dr.    Izor 
Glass  in  Budapest. 

Schon  die  älteren  Forscher  beobachteten 
eine  wohlthuende  Wirkung  der  Sauerstoff- 
Einathmungen  bei  verschiedenen  Krankheits- 
formen, wie  Dyspnoe,  Asthma,  Emphysem 
und  Asphyxie.  Die  Athemnoth  verschwand, 
die  Zahl  der  Inspirationen  verminderte  sich, 
das  Allgemeinbefinden  der  Patienten  besserte 
sich.  Trotzdem  wurden  die  Sauerstoff- In- 
halationen nicht  Gemeingut  der  Aerzte,  da 
einerseits  der  Glauben  verbreitet  war,  dass 
dieselben  allgemeine  Erregung  und  Entzün- 
dung hervorrufen,  andererseits  die  Reinheit 
des  Oxygens  vieles  zu  wünschen  übrig  Hess. 
—  Zudem  war  die  Technik  eine  höchst 
primitive,  die  Erzeugung  des  Gases  eine 
kostspielige. 

Unter  den  modernen  Apparaten  ist  der 
zweckmässigste  und  einfachste  der  grosse 
Limo  US  in 'sehe,  welcher  aus  einer  durch 
Schrauben  hermetisch  verschliessbarcn  Eisen- 
retorte, 2  Waschflaschen,  einem  Gasometer, 
Kautschukballons  und  dem  unmittelbar   zur 


m.  Jahrgang.  1 
Norember  1889.  J 


Refbrftte. 


523 


Inhalation  dienenden  Narghile  besteht.  Der 
Sauerstoff  wird  in  der  Retorte  durch  Er- 
hitzen Yon  chlorsaurem  Kali  und  Mangan- 
hioxjd  erzeugt  und  gelangt  in  die  Wasch- 
flaschen, -welche  mit  schwacher  Kalilauge 
gefüllt  sind.  So  gereinigt  gelangt  das 
Ozygen  in  den  Gasometer,  yon  wo  aus  die 
Kautschukballons  gefüllt  werden.  Der  Ballon 
wird  nun  mit  einem  mit  Wasser  gefüllten 
Narghile  in  Verbindung  gebracht.  Auf 
diese  Art  gelangt  das  Gas  zur  Inhalation. 
Trotz  der  Zweckmässigkeit  des  Limousin'- 
schen  Apparates  sah  sich  Verf.  zu  manchen 
Verbesserungen  genöthigt.  Um  die  Reinheit 
des  Sauerstoffes  zu  sichern,  nahm  Glass 
eine  dritte  Reinigungsflasche,  ausserdem  lässt 
er  nach  Empfehlung  Jungfleisch^s  den 
Sauerstoff,  bevor  die  Ballons  vom  Gasometer 
aus  gefüllt  werden  (also  zwischen  Gasometer 
und  Ballon),  durch  eine  Natriumthiosulfat- 
lÖsung  leiten.  Damit  exspirirte  Luft  nicht 
in  den  Narghile  dringen  könne,  Hess  Verf. 
seine  Inhalationsapparate  mit  einem  doppel- 
ten Ventilsjsteme  versehen,  ausserdem  Hess 
er,  um  das  Einathmen  zu  erleichtern,  eine 
Maske  anfertigen.  Glass  beobachtete  fer- 
ner, dass  manche  Asthmatiker  oder  Emphy- 
sematiker  trotz  dieser  Verbesserungen  nicht 
inhaliren  können.  In  solchen  Fällen,  wo 
die  Inspirationskraft  eine  stark  gesunkene 
ist,  lässt  er  vom  Gasometer  direct  inhaliren. 
Eine  am  Gasometer  angebrachte  Scala  zeigt 
die  Menge  des  verbrauchten  Sauerstoffes. 
Die  Ballons,  welche  in  der  Wohnung  des 
Kranken  benutzt  werden,  werden  mit  einer 
Vorrichtung  versehen,  welche  gestattet  das 
Oxjgen  nach  Belieben  des  Arztes  ausströmen 
zu  lassen. 

Verf.  theilt  einige  interessante  Kranken- 
geschichten mit,  von  denen  Ref.  nur  wenige 
hervorheben  will.  In  einem  Falle  von  Hy- 
peremesis  gravidarum,  den  auch  Prof.  Tauf- 
fer  beobachtete,  trat  schon  nach  der  ersten 
Inhalation  grosse  Besserung  ein.  Entschie- 
dene Besserung  trat  bei  einem  Mädchen  ein, 
welches  an  Morbus  Brightii  und  Chorea 
minor  litt.  Bei  einem  hysterischen  Mädchen, 
welches  auch  an  Phthisis  pulmonum  labo- 
rirte,  trat  eine  solche  Besserung  ein,  dass 
Pat.  nach  kurzer  Zeit  das  Bett  verlassen 
konnte. 

Zum  Schlüsse  beschäftigt  sich  Verf.  mit 
den  Indicationen  und  Contraindicationen  der 
Sauerstoff-Inhalationen.  Indicirt  erscheinen 
dieselben  bei  Anämie,  Chlorose,  Neurasthenie, 
Hysterie,  Albuminurie,  Phthise,  Asthma, 
Emphysem,  Dyspnoe  und  Asphyxie.  Ref. 
fürchtet,  dass  Sauerstoff-Inhalationen  bei 
Asphyxia  neonatorum  kaum  benutzt  werden 
könnten,  denn  bis  der  Arzt,  zumal  auf  dem 


Lande,  das  Oxygen  erhält,  hat  die  Asphyxie 
einem  Zustande  Platz  gemacht,  wo  der 
Sauerstoff  kaum  nützen  dürfte.  Contraindi- 
cirt  ist  die  Inhalation  bei  Lungenblutungen 
und  grösseren  Aneurysmen,  wo  die  Gefahr 
einer  Berstung  besteht.  Die  passendste  Zeit 
ist  die  vor  dem  Essen. 

{Gffögydszai  1889,  No.  29,  30.) 

Bekfuchny  (Budapest). 

Zur  Diphtheriefrage  und  über  den  Heilwerth  des 
Ferrum  sesqulchloratum.  Von  Dr.  Michael 
Szeremley  in  Tarkeve. 

Seit  mehr  als  20  Jahren  benützt  Verf. 
bei  Behandlung  der  Diphtherie  nach  Ja- 
kobi^B  Empfehlung  das  Ferrum  sesqulchlo- 
ratum. Dieses  Mittel  wurde  bei  jeder  diph- 
therischen Erkrankung  von  ihm  in  Anwen- 
dung gebracht.  Eine  andere  Behandlung 
erwies  sich  dem  Verf.  stets  als  nicht  noth- 
wendig  und  so  wurde  von  antiphlogistischer, 
antiseptischer  etc.  Behandlung  abgesehen. 

Nach  Anwendung  des  Ferrum  sesqulchlo- 
ratum sah  Verf.  zumeist  binnen  24  Stunden 
das  Fieber,  den  penetranten  Foetor  ex  ore 
schwinden.  Die  Pseudomembranen  begannen 
sich  abzulösen,  die  infiltrirten  Lymphdrüsen 
verkleinerten  sich.  Nach  alledem  betrachtet 
Verf.  das  Ferrum  sesqulchloratum  als  spe- 
cifisches  Mittel  der  Rachendiphtherie,  geradeso 
wie  bei  Malaria  das  Chinin.  Von  der  Tinc- 
tura  ferr.  sesquichlor.  (in  der  1  Theil  F.  s. 
und  5  Theile  Spiritus  enthalten  sind),  wurde 
eine.  3 — 4  —  5%ige  Lösung  gebraucht  und 
halbstündlich  ein  Kinderlöffel  verabreicht. 

Zum  Schlüsse  gesteht  Szeremley  ein, 
dass  diese  Erfolge  nur  bei  Rachendiphtherie 
beobachtet  werden  können.  Bei  Nasen-  oder 
Larynxdiphtherie  kann  von  einer  solchen 
hervorragenden  Wirkung  nicht  die  Rede  sein. 

{Orvosi  Hetilap.  1889.  No.  33) 

Schuschny  (Budapest). 

Die  locale  Behandlung  der  Diphtherie.  Von  Mull- 
hall (St.  Louis). 

Die  Behandlungsmethode  des  Verf.  be- 
ruht auf  folgenden  Anschauungen:  1.  Diph- 
therie ist  eine  Infectionskrankheit.  2.  Der 
specifische  Mikroorganismus  befällt  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  zunächst  die  Mandeln. 
3.  Wird  die  Affection  sich  selbst  überlassen, 
so  entsteht  zunächst  an  den  Ansiedelungs- 
stellen Verjauchung.  In  späteren  Stadien 
kommt  es  alsdann  zum  üebertritt  der  fauli- 
gen Massen  in  die  Blutcirculation.  4.  Bei 
Betheiligung  der  Nase  oder  des  Kehlkopfs 
tritt  eine  erhebliche  Zunahme  der  Mortalität 
ein.  5.  Der  Charakter  der  Affection  ist  der 
eines  acuten,  adynamischen  Leidens. 

Was   die  Behandlungsweise    anlangt,    so 

66* 


524 


Raferate. 


r'herAp«iitiadie 
Monatshefte. 


haben  sich  dem  Yerf.  häufig  Spülungen  und 
Gurgelungen  besser  beifvährt,  als  Application 
des  Dampfsprays.    Was  die  Haltung  anlangt, 
welche   die  Patienten    -während   der  Behand- 
lung einzunehmen  haben,    so  empfiehlt  sich 
eine  sitzende  Stellung  mit  ein  wenig  zurück- 
gebeugtem Kopfe.     Alle  Stunden   wird   eine 
Besprayung  vorgenommen.     Als  Medicament 
dient  Carbolsäure  1  %,  zuweilen  in  Verbin- 
dung   mit   dünnen    Jodlosungen.     Besondere 
Aufmerksamkeit     hat     man     dem    hinteren 
Nasenrachenraum   zuzuwenden.     Auch    wenn 
die  Mitbetheiligung    desselben  yoUig  ausge- 
schlossen ist,  ist  Desinfection  mittelst  nicht 
reizender  Antiseptica  zu  empfehlen.     Ist  In- 
fection  der  Nasenschleimhaut  als  wahrschein- 
lich vorhanden  anzunehmen,  so  ist  die  letz- 
tere   mit    dünner  Carbolsäure    stündlich    zu 
reinigen.     Hierbei  kommt  es,   im  Gegensatz 
zu   früheren  Anschauungen,    weniger  auf  die 
Menge    der    angewandten    Losung    an.      Im 
Gegen theil    empfiehlt  Verf.   zu    jedesmaliger 
Reinigung  nicht  mehr  als  je  einen  Theelöffel 
Flüssigkeit  für  jedes  Nasenloch  anzuwenden. 
Am    besten    bedient    man    sich    zu    diesem 
Zwecke  einer  kleinen  Glasspritze  mit  kolbi- 
gem  Ansätze,  um  Verletzungen  der  Schleim- 
haut   nach   Möglichkeit    zu    verhüten.     Von 
eigentlichen  Medicamenten    haben   sich  dem 
Verf.  am  besten  die  Solventia,  in  erster  Linie 
das   Papoid   bewährt.   —  Handelt    es    sich 
um    Kehlkopfdiphtherie,    so    muss    man    zu 
Inhalationen    seine    Zuflucht    nehmen.      Vor 
Allem    sind    hier   Zerstäubungen   von  Kalk- 
wasser,   sowie   Inhalation  von  Dämpfen  ge- 
löschten  Kalks    zu    empfehlen.     In    einigen 
Fällen  von  Kehlkopf diphtherie   erzielte  man 
gute  Resultate  dadurch,    dass   man   die  Pa- 
tienten   in   kleinen  Räumen  Schwefeldämpfe 
oder  Dämpfe  kochenden  Wassers,   dem  Ter- 
pentinöl oder  Theer  zugesetzt   war,    inhali- 
ren  Hess. 

(//.  Congrest  d,  Americ,  Laryng.  Assoeiat.  z,  Watkington 
30,y.-l.  VL  89.) 

Lohnstein  (Berlin), 

Ueber  Versuche  einer  Ernährung  kranker  Säug- 
linge mittelst  sterilisirter  Milch  (nach  Soxh- 
let's  Methode).    Von  R.  ü  h  1  i  g. 

In  der  Leipziger  Poliklinik  für  Kinder- 
krankheiten wurden  an  einer  grossen  An- 
zahl von  an  Verdauungskrankheiten  leiden- 
den Säuglingen  Versuche  einer  Ernährung 
mittelst  keimfreier,  nach  der  bekannten  Me- 
thode von  Soxhlet  sterilisirten  Milch  an- 
gestellt. Es  wurde  zu  diesem  Zweck  nach 
jeder  Hinsicht  gute  und  gesunde  Milch  ver- 
wendet und  dieselbe  im  hygienischen  In- 
stitute lege  artis  sterilisirt.  Für  Kinder 
unter  4  Monaten    verdünnte    man    vor  dem 


Kochen  die  Milch  mit  der  Hälfte  Wasser 
und  setzte  zu  Je  einem  Liter  dieser  Flüssig- 
keit 30  g  Milchzucker.  Kinder  über  4  Mo- 
nate erhielten  die  Milch  unverdünnt.  Be- 
vor diese  Nahrung  zum  ersten  Male  gereicht 
wurde,  nahm  man  bei  jedem  Kinde  nach 
Prof.  Epstein  eine  Magenausspülung  ent- 
weder mit  lauwarmer  physiologischer  Koch- 
salzlösung oder  mit  einer  solchen  unter 
Zusatz  von  0,1  Resorcin  auf  500  Flüssig- 
keit vor,  um  den  gährenden  Inhalt  aus  dem 
Magen  zu  entfernen  und  letzteren  gleich- 
zeitig zu  desinficircn. 

Unter  39  Säuglingen,  welche  als  Ver- 
suchsobjecte  dienten,  litten  12  an  acuter 
Dyspepsie,  verbunden  mit  dyspeptischer  Di- 
arrhoe, 20  an  chronischer  Dyspepsie  mit 
schwerer  Ernährungsstörung,  schliesslich  7 
an  acuter  Gastroenteritis  (Cholera  infantum). 
Diese  sämmtlichen  Säuglinge  waren  bisher 
unter  den  denkbar  ungünstigsten  Ernährungs- 
verhältnissen gewesen.  Nur  in  3  Fällen 
waren  dieselben  erst  seit  ca.  2  Tagen,  in 
allen  anderen  dagegen  bereits  wochenlang 
krank.  Die  Gewichtsverhältnisse  der  Säuglinge 
waren  durchweg  sehr  ungünstige.  In  den 
allermeisten  Fällen  hatten  sie  kaum  die 
Hälfte  des  Normalgewichtes.  Ein  jedes 
dieser  Kinder  erhielt  durchschnittlich  täg- 
lich 2  unverdünnte  und  3  verdünnte  Fla- 
schen Milch  von  je  150  g  Inhalt,  und  zwar: 
10  Kinder  1  —  6  Tage  lang, 
9  „  1  —  lVa  Wochen  lang, 
2^2  „  „ 

2        „        4 
4        „        5 

1^6  n  « 

1  Q 

1  n        12  „  „ 

Von  den  39  Kindern  starben  11,  also 
28,2%;  davon  gehen  aber  4  Fälle  ab,  welche 
an  intercurrenten  Erkrankungen  zu  Grunde 
gegangen  waren,  nachdem  sie  sich  bereits 
unter  der  neuen,  zweckmässigen  Diät  we- 
sentlich erholt  hatten.  Es  verblieben  dem- 
nach 35  Fälle  mit  7  letalen  Ausgängen, 
d.  h.  20°/o.  Das  ist  gegenüber  den  ermit- 
telten Zahlen  von  Kindersterblichkeit,  80^;o 
(Henoch),  84,9%  (C.  Meyer,  München), 
48,7%  an  Verdauungsstörungen  (Varren- 
trapp,  Frankfurt),  ein  ausserordentlich  gün- 
stiger Erfolg  Was  die  Zunahme  des  Kor- 
pergewichtes anlangt,  so  konnte  man  bei 
16  Säuglingen  eine  fast  normale  Gewichts- 
zunahme constatiren,  durchschnittlich  nabm 
ein  jedes  Kind  in  jeder  Woche  um  144  g 
an  'Körpergewicht  zu.  Da  auch  die  Kosten 
der  Herstellung    der    betreffenden    Nahrung 


yy 


Vi 


m.  Jahrgang,  l 
November  1889.  J 


Rttfanta. 


525 


keine  bedeutenden  sind,  so  wäre  die  Be- 
schaffung Ton  keimfreier  Milch  zur  Ernäh- 
rung der  Säuglinge  vom  gesundheitlichen 
Standpunkte  dringend  zu  wünschen. 

{Jahrbuch  für  Kinderheilkunde  XXX,  1.  u.  2,  Heß.) 

Carl  Rosenthal  (Berlin), 

Einige  practische  Bemerkungen  über  die  Hysterie 
und  den  H3rpnotismus.  Von  Dr.  Ernst  Emil 
Moravcsik,  Privat-Docent  in  Budapest. 

Wenn  auch  der  Arzt  die  hystero- epilep- 
tischen Anfälle  nicht  beseitigen  kann,  so 
kann  er  doch  das  öftere  Auftreten  und  die 
Dauer  derselben  beeinflussen.  Es  ist  be- 
kannt, dass  Druck  auf  beide  Ovarien  oder 
Nn.  supraorbitales  die  Anfalle  beseitigen 
könne,  nach  öfterer  Anwendung  dieser  Be- 
handlung ist  dieselbe  nutzlos.  In  solchem 
Falle  ist  es  gut,  die  hysterogenen  Zonen  auf- 
zusuchen, und  der  Druck  auf  diese  Flächen 
coupirt  eine  Zeit  lang  die  Anfälle.  Bei  den 
Kranken  können  wir  während  der  Anfalle 
manches  beobachten,  was  wir  in  therapeuti- 
scher Hinsicht  verwerthen  können.  So  flnden 
wir  manchmal,  dass  Kranke  während  des 
Anfalles  von  Zeit  zu  Zeit  solche  Manipula- 
tionen mit  ihren  Händen  vornehmen,  welche 
die  Anfälle  beruhigen  sollen.  So  z.  B.  drücken 
manche  den  Schädel  in  verticaler  oder  hori- 
zontaler Richtung,  oder  drücken  sich  in  der 
Gegend  des  Scrobiculus  cordis.  Wir  können, 
wenn  wir  diese  Bewegungen  ablauschen,  die 
Anfälle  abkürzen  oder  gar  aufheben. 

Es  sind  Anfälle,  die  manchmal  nur  durch 
Morphiuminjectionen  oder  Chloroforminhala- 
tion beseitigt  werden  können.  Man  kann 
dem  Fat.  die  Morphiuminjection  nur  dann 
suggeriren  (durch  Einspritzen  von  Aq.  dest. 
oder  blosses  Einstecken  der  Nadel),  wenn 
derselbe  sich  schon  einmal  von  der  Wirkung 
des  Morphium  überzeugen  konnte. 

Die  Anfälle  können  in  erster  Reihe  durch 
psychische  Einwirkung  seltener  werden. 
Wechsel  der  Umgebung,  Beseitigung  der  Ur- 
sache der  Gemüthserregungen  wirken  sehr 
gut.  Ausserdem  wirkt  die  psychische  Be- 
handlung vorzüglich.  Der  Kranke  will  be- 
dauert werden,  er  will  das  Interesse  der 
Umgebung  erwecken;  wenn  dies  nicht  geht, 
werden  die  Anfälle  seltener.  Es  ist  daher 
nicht  gut,  wenn  man  einem  hysterischen 
Symptome  zu  viel  Aufmerksamkeit  schenkt. 
Durch  Trösten  und  verschiedene  Versprechun- 
gen kann  man  ein  öfteres  Auftreten  der 
Anfälle  hintanhalten. 

Es  ist  unnöthig  zu  erwähnen,  dass  die 
Brompräparate  auf  die  Anfälle  keine  Wir- 
kung haben.  Es  ist  nicht  gut,  den  Fat. 
ohne  Medicamente  zu  lassen.  Kräftigende 
Nahrung,  gute  Luft,  richtige  Beweguug,  all- 


gemeine Faradisation ,  Hydrotherapie,  Ge- 
müthsruhe,  die  angestrebt  werden  muss,  das 
Trösten,  dass  Fat.  gesunden  werde,  thun 
das  ihre.  Der  Arzt  muss  auch  die  zahllosen. 
Symptome  bekämpfen,  über  die  der  Elranke 
klagt. 

Vor  Allem  muss  man  aber  auf  den  Zu- 
stand des  chylopoetischen  Tractus  sehen, 
da  die  kleinsten  Affecte  Störungen  der  Ver- 
dauung hervorrufen.  Das  Wechseln  der 
Form  oder  der  Farbe  des  Medicamentes  ist 
nicht  immer  von  Erfolg,  da  die  Suggestion 
uns  zu  häufig  im  Stich  lässt.  Die  Suggestion 
ist  dann  von  Erfolg,  wenn  der  Fat.  die  Wir- 
kung des  Medicamentes  kennen  gelernt  hat. 

Die  Brompräparate,  welche  nach  Verf. 
auf  die  hystero- epileptischen  Anfälle  keinen 
Einfluss  ausüben,  sind  bei  Hysterischen  gegen 
die  allgemeine  Erregtheit  von  Nutzen.  Schlaf- 
losigkeit, Kopfschmerz  und  Zittern  wßrden 
gehoben.  Gegen  die  Fräcordialangst,  me- 
lancholische Depression  etc.  wird  das  Lau- 
danum  in  vorsichtig  aufsteigender  und  ebenso 
absteigender  Dosis  (von  2  cg  bis  6 — 8  cg 
pro  die^  auf  ein-  oder  zweimal  gegeben) 
mit  Nutzen  angewendet.  Abends  ist  gut 
Bier  oder  Cognac. 

Gegen  die  Kopfschmerzen  wendet  Verf. 
ausser  den  Brompräparaten  Antipyrin,  Canna- 
binum  tannicum  (in  Dosen  von  10  bis  20 
bis  30  cg),  Nitroglycerin  (von  0,0006  Nitro- 
glycerin enthaltenden  kleinen  Trochisci 
2  stündl.  2 — 3  mal  1  Stück),  Massage  und 
elektrische  Behandlung  an.  Letztere  kann 
in  allen  Formen  angewendet  werden. 

Die  Schlaflosigkeit  lässt  sich  manchmal 
selbst  mit  grossen  Dosen  von  Brompräparaten 
nicht  bekämpfen,  man  muss  zu  Schlafmitteln 
greifen.  Manchmal  nützt  das  abendliche 
Hypnotisiren.  Man  benutzt  die  „magneti- 
schen Striche",  wobei  die  beim  Fixiren 
leicht  entstehende  Hyperämie  des  Bulbus 
vermieden  wird.  Das  hysterische  Ohren- 
sausen weicht  auf  Anwendung  der  Stimm- 
gabel. 

In  manchen  Fällen,  wo  der  Patient  der 
Suggestion  leicht  zugänglich  ist,  hat  der  Arzt 
eine  leichte  Stellung.  Mit  ganz  indifferenten 
Mitteln  hat  man  den  besten  Erfolg.  In 
einem  Falle,  dessen  interessante  Krankheits- 
geschichte Verf.  mittheilt,  konnte  Verf.  mit 
beinahe  ganz  indifferenten  Mitteln  die 
schwersten  hysterischen  Symptome  bekämpfen. 
Die  Limonade  solvens  schmeckte  dem  Fat. 
vortrefflich  und  kein  anderes  Mittel  konnte 
bei  diesem  Fat.  Stuhlgang  hervorrufen,  als 
das  obengenannte,  selbst  Ricinusöl  mit  einigen 
Tropfen  Crotonöl  rief  keine  Wirkung  hervor. 

Die  Hypnose  erhöht  die  Reflex erregbar- 
keit,    wenn    man    auch    eine   Zeit    hindurch 


526 


Rttferata. 


rlierapentijMlM 
Mon&uheftfiu 


Wohlbefinden  suggerlrt.  Es  giebt  aber  doch 
Fälle,  wo  man  zur  Hypnose  greifen  muss. 
So  z.  B.  bei  hysterischer  Aversion  gegen 
Speisen.  Einige  hysterische  Lähmungen, 
Anästhesien,  Schlaflosigkeit,  Singultus,  Er- 
brechen, Aphorie,  Amblyopie  und  Schmerzen 
kann  man  auf  „Befehlen^  während  der  Hyp- 
nose aufheben. 

Bei  hysterischen  Lähmungen  (Mono-Hemi- 
und  Paraplegien)  wurden  nach  Farado-Mas- 
sage  oder  Massage  schöne  Erfolge  beobachtet. 
Die  Schleimhäute  der  Hysterischen  sind  für 
Katarrhe  sehr  empfänglich.  Ein  solcher  Ka- 
tarrh kann  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit 
spontan  heilen. 

Was  die  Castration  anbelangt,  so  kann 
Verf.  berichten,  dass  diese  in  einem  Falle 
(wo  die  Operation  vor  2  Jahren  ausgeführt 
wurde),  den  er  beobachtete,  insofern  von  Er- 
folg war,  als  die  hystero-epilep tische  Elranke 
seit  damals  keinen  motorischen  Krampf  hatte. 
Es  waren  stets  nur  psychische  Anfälle.  Seit 
einem  Jahre  sistirten  auch  diese.  Jetzt  ist 
die  Patientin  eine  verlässliche  Spitals  Wärterin. 
Vor  Kurzem  hat  Moravcsik  diese  Fat. 
untersucht  und  Pupillendifferenz,  verengertes 
Gesichtsfeld,  acustische  Hyperästhesie,  Zun- 
gendeviation, Facialis -Parese,  erhöhte  psy- 
chische Reflex-Erregbarkeit  und  verschiedene 
besondere  Charaktereigenschaften  wahrge- 
nommen. Die  Grundlage  der  Hysterie  scheint 
sonach  nach  der  Operation  fortzubestehen, 
trotzdem  dass  die  hervorragendsten  hysteri- 
schen Symptome  gehoben  wurden.  Nach  der 
eingehenden  Krankengeschichte  hebtYerf.  her- 
vor, dass  Charcot  als  differential-diagnosti- 
sches  Symptom  der  Hysterie  ^ie  Intactheit 
der  Gehirnnerven  annimmt.  In  dem  von 
Moravcsik  erwähnten  Falle  waren  rechts- 
seitige Facialis-Parese  und  Deviation  der 
Zunge  nach  links.  Nach  der  Castration 
haben  diese  zwei  Symptome  zusehends  ab- 
genommen. 

iOrvosi  netilap.  1889,  N0.SO.) 

SchuBchny  {Budapest). 

Die  Behandlung  der  Mandelhypertrophie  mittelst 
Galvanokaustik.    Von  Chas.  E.  K night. 

Die  Behandlung  der  Mandelhypertrophie 
mittelst  Galvanok auters  giebt  nur  bei  älte- 
ren Kindern  und  bei  Erwachsenen  befriedi- 
gende Resultate.  Bei  jungen  Kindern  ver- 
dient die  Ablation  entschieden  den  Vorzug. 
—  Von  den  Instrumenten,  die  Verf.  bei 
älteren  Kindern  und  bei  Erwachsenen  an- 
wandte, hat  sich  die  galvanokaustische 
Schlinge  am  besten  bewährt.  Die  Opera- 
tion kann  in  einer  Sitzung  beendet  werden; 
gelingt  es  nicht,  in  dem  beabsichtigten  um- 
fange das  Organ  zu  zerstören,  so  lässt  man 


den  Rest  stehen  und  macht  keine  weiteren 
Eingriffe.  Gewöhnlich  tritt  alsdann  von 
selbst  in  dem  zurückgelassenen  Gewebe 
Schrumpfung  ein.  Die  Operation  selbst  ver- 
ursacht weniger  Beschwerden  als  die  schnei- 
dende Operation  mittelst  der  gewöhnlichen 
Tonsillotome;  störend  ist  nur  der  unange- 
nehme brenzliche  Geruch  und  Geschmack 
nach  verbranntem  Fleisch. 

Von  anderen  Autoren  behandelt  de  Blois 
mit  gutem  Erfolge  die  Mandel vergrössening 
durch  Elektrolyse  mittelst  langer  Platin- 
nadeln, welche  in  das  Gewebe  eingestochen 
werden.  Die  Schmerzen  sind,  zumal  wenn 
vorher  cocai'nisirt  wird,  äusserst  gering.  Ge- 
wöhnlich werden  pro  Tag  sechs  Applica- 
tionen  ausgeführt.  Nach  wenigen  Tagen 
tritt  gewöhnlich  deutliche  Verminderung  des 
Volumens  ein.  —  Die  Methode  ist  indessen 
nur  bei  Erwachsenen  anwendbar.  —  Sajous 
(Philadelphia)  ätzt  einzelne  Stellen  der 
Oberfläche  mittelst  stumpfen  Platinbrenners. 
Indessen  tritt  erst  nach  18 — 20  Aetzungen 
merkbare  Verkleinerung  ein.  Indicirt  ist  die 
Methode  besonders  bei  wenig  dichter  Infil- 
tration. Die  Contractur  des  Gewebes,  welche 
hier  in  Folge  der  Narbenbildung  auftritt, 
bewirkt  im  Wesentlichen  die  Verkleinerung 
des  Organs.  Bosworth  (New- York)  ver- 
wirft diese  letztere  Methode,  weil  sie  weit 
mehr  Zeit  erfordert,  als  die  einfache  Exci* 
sion;  Rice  (New- York)  schliesst  sich  dem 
an  und  hebt  hervor,  dass  in  Folge  der  Gal- 
vanokaustik nicht  selten  secundäre  Mandel- 
entzündungen beobachtet  werden. 

(12.  Congr,  d.  Amarik,  LatyngoL  AstodtU.  wm  Wtuk- 
ingUm  30.  V.  bU  1.  VI.  89.)  LohnsUm  {BerUn). 

Die  Behandlung  der  Mandelaffectionen,  soweit  sie 
nicht  durch  Mandelhypertrophie  complidrt 
sind.    Von  Dr.  John.  0.  Roe  (Rochester). 

Gegenüber  der  Mandelhypertrophie  ist 
die  Bedeutung  der  übrigen  Affectionen  der 
Tonsillen  nur  gering.  Indessen  giebt  es 
immerhin  eine  Reihe  von  Tonsillar-Affec- 
tionen,  die  bei  ziemlich  intensiven  Beschwer- 
den einer  erfolgreichen  Behandlung  oft  gros- 
sen Widerstand  entgegensetzen.  •  Im  Wesent- 
lichen kommen  hier  zwei  Affectionen  in  Be- 
tracht, nämlich  die  chronische  Entzündung 
der  Krypten  und  Lacunen  der  Tonsille  und 
zweitens  die  fibroide  Degeneration  desStroma. 
Die  erstere  ist  das  Endstadium  des  chroni- 
schen folliculären  Mandelkatarrhs,  und  ge- 
wöhnlich begleitet  von  diffusem  Pharynx- 
katarrhe.  Eine  erfolgreiche  Behandlung  ist 
nicht  nur  wegen  der  Affection  selbst  von 
Bedeutung,  sondern  auch  deshalb,  weil  sie 
nicht  selten  zu  lästigen  Folgekrankheiten 
(Asthma,    nervöse    Symptome    etc.)    führen 


m.  Jahrgang.   1 
November  188tf.  J 


Refefate. 


527 


konncD.  Die  locale  Behandlung  dieser  Af- 
fectionen  ist  Yollig  aussichtslos,  auch  die 
Elektrolyse  in  irgend  einer  Form  ist  nur 
selten  von  Erfolg  begleitet.  Das  einzige 
Radicalmittel  ist  die  Exstirpation  des  er- 
krankten Organs.  Allenfalls  kann  man,  be- 
vor man  sich  hierzu  entschliesst,  die  er- 
krankten Follikel  öffnen  und  dann  mit 
Ghromsäure  oder  Höllenstein  ätzen.  Die 
Operation  selbst  ist  schmerzlos,  wenn  man 
vorher  mit  Cocain  die  Oberfläche  der  Ton- 
sille auspinselt.  Auch  die  Blutung  ist  dann 
gering.  Der  Erfolg  ist  in  jedem  Falle  ein 
voller. 

{11.  CongresM  d,  Amerie.  Laryng.  Atsociat.  z.   Washington 
30,  K.-i.  VI.  89.) 

Lohnstein  (Berlin). 

lieber  die  Behandlung  gangränöser  Hernien.  Von 
Dr.  Ferdinand  Klaussner,  Doc.  f.  Chir. 
und  I.  Assist,  an  d.  Kffl.  chir.  Univ.-Poliklinik 
za  München.  (Nach  einem  im  Münchn.  ärztl. 
Ver.  am  5.  12.  88  geh.  Vortr.) 

Yerf.  beschreibt  die  verschiedenen  Me- 
thoden und  deren  Technik:  Anlegung  eines 
Anus  praeternat.,  primäre  Darmresection, 
Freilegung  der  eingeklemmten  Darmschlinge 
und  Abwarten,  Anlegung  des  Anus  praeter- 
nat. und  Resection  der  beiden  Darmenden 
erst  nach  Wochen  oder  Monaten,  endlich 
Resection  und  Darmnaht,  doch  Verzögerung 
der  Reposition  des  genähten  Darmes  auf 
Stunden  oder  selbst  Wochen  (secundäre  Re- 
position). Yon  allen  diesen  Operationen 
räth  Verf.  zur  Anlegung  eines  Anus  prae- 
ternat. bei  herabgekommenen  Personen,  die 
eine  länger  dauernde  Operation  voraussicht- 
lich nicht  vertragen  würden,  ferner,  wenn 
unter  ungünstigen  äusseren  Verhältnissen 
operirt  werden  musste;  zur  primären  Darm- 
resection  dagegen  nur  bei  kräftigen  Leuten 
und  im  Allgemeinen  nur  in  Spitälern,  wo 
allein  man  auf  die  strengste  Antisepsis  sich 
verlassen  könne. 

{Alünch.  med,  Wochenschr.  1889^  No.  5  «.  6.) 

Pieyer  (Stettin). 

lieber  die  Behandlung  des  angeborenen  Klump* 
fusses  in  der  v.  Volkmann'schen  Klinik  zu 
Halle  a.  S.  Von  Dr.  O.v.  Bungner,  Assist, 
an  der  Klinik. 

Seit  den  nicht  mehr  befriedigenden  Er- 
fahrungen mit  dersubcutanenDurchschneidung 
der  Sehne  des  Tib.  postic,  mit  der  Keil- 
excision  aus  dem  lateralen  Theile  der  Fuss- 
wurzelknochen  und  mit  der  Talus-Exstir- 
pation  wird  in  der  Hallenser  Klinik  bei  an- 
geborenem Klumpfuss  nunmehr  meist  folgen- 
dermassen  verfahren:  Steht  das  Kind  noch 
im  ersten  Lebensjahre,  so  wird  die 
Mutter  angeleitet,  an  dem  Klumpfuss  forcirte 


Bewegungen  nach  der  entgegengesetzten 
Richtung  hin  mit  gehöriger  Kraft  auszu- 
führen. Meist  ist  dann  kein  weiterer  opera- 
tiver Eingriff  erforderlich,  und  es  genügt  die 
NachbehandlungmitderScarpa'schenSchiene, 
mit  Massage  und  Einreibungen.  Im  zweiten 
Lebensjahre  wird  eine  allmähliche  Um- 
formung des  Fusses  durch  wiederholte 
Fixirung  in  verbesserter  Stellung  mit  dem 
Gyps-  oder  Gypswasserglasverband  erzielt, 
meist  nach  vorangegangenes  subcutaner 
Durchtrennung  der  Achillessehne.  In  den 
schweren  Fällen  endlich  wird  die  Phelps'- 
sche  Operation  ausgeführt  (senkrechter 
Schnitt  über  dasOs  navic.  bis  auf  den  Knochen 
mit  zum  Theil  subcutaner  Durchtrennung  der 
hier  sich  spannenden  Sehnen  und  Fascien, 
ev.  auch  mit  gleichzeitiger  Tenotomie  der 
Achillessehne),  dann  zunächst  Fixirung  der 
Extremität  auf  der  Volkmann' sehen  T- Schiene, 
später  mit  gefenstertem  und  vollständigem 
Gipsverband  je  4 — 6  Wochen  lang,  endlich 
iVs  jährige  orthopädische  Nachbehandlung  mit 
dem  Scar panschen  oder  einem  Schienen- 
Stiefel.  Die  Erfolge  quoad  functionem  sind 
stets   vorzügliche  gewesen. 

(Ceniralbl  /.  Chirurgie  1889,  No.  24.) 

Freger  (Stettin). 

lieber  Entstehung  und  Behandlung  der  seitlichen 
Rückgratsverkrümmung.  Von  Dr.  H.  Wolf  er- 
mann in  Strassburg  i.  E. 

Zur  weiteren  Erläuterung  der  Wirkung 
seines  schon  früher  (Centralbl.  f.  Chir.  1888, 
No.  42)  beschriebenen  Apparates  geht  Yerf. 
auf  die  Entstehung  der  Scoliose  näher  ein 
und  führt  aus,  dass  der  Apparat  nicht  durch 
Seitendruck,  sondern  durch  Drehung  bezw. 
Hebung  wirken  müsse.  Er  lässt  den  Ap- 
parat 23  Stunden  hintereinander,  also  auch 
Nachts,  wirken  und  den  Fat.  dann  eine 
Stunde  turnen.  Je  nach  dem  Grade  der 
Scoliose  muss  der  Apparat  3 — 4  Monate  bis 
2  —  3  Jahre  gebraucht  werden. 

(Centralbl.  f.  Chirurgie  1889,  No.  16.) 

Freyer  (Stettin). 

Ein  Beitrag  zur  Behandlung  der  Furunkel.  Von 
Dr.  Leu  (Halberstadt). 

Verf.,  Militärarzt,  hat  die  Behandlung 
der  Furunkel  mit  subcutanen  Carbolsäure- 
injectionen  in  der  von  Bidder  vorgeschla- 
genen Weise  in  19  Fällen  zur  Anwendung 
gezogen  und  fasst  die  dabei  gemachten  Er- 
fahrungen folgendermaassen   zusammen: 

1.  In  der  Garbolsäure,  subcutan  ange- 
wendet, besitzen  wir  ein  ebenso  einfaches 
als  wirksames  Mittel  für  die  Abortivbehand- 
lung  von  Furunkeln  jeder  Grösse  und  jedeu 
Stadiums. 


528 


Rfifonta. 


rTherapeottMhe 
L  Monaubefte. 


2.  In  der  Entstehung  begriffene,  noch 
nicht  in  Eiterung  übergegangene  Furunkel 
sind  für  diese  Behandlung  besonders  gut 
geeignet;  denn  je  zeitiger  die  Einleitung 
derselben,   um  so  günstiger  der  Erfolg. 

3.  Die  Heilung  erfolgt  in  diesen  Fällen 
ohne  Bindegewebsnecrose,  bei  den  T^eiter 
vorgeschrittenen,  im  Scbmelzungsstadium 
befindlichen,  bezw.  offenen  und  eiternden 
Furunkeln   ohne   störende  Narbenbildung. 

4.  Der  Gehalt  der  Losung  an  Carbol- 
säure  darf  zur  Entfaltung  einer  schnellen 
Wirkung  nicht  zu  gering  bemessen  sein. 
Mit  einer  8procentigen  Losung  werden  an- 
scheinend schnellere  Heilungsergebnisse  er- 
zielt, als  mit  schwächeren  Losungen. 

5.  Für  die  Militarmedicin  besonders  ist 
bei  der  Häufigkeit  der  Furunkel  in  der 
Armee  und  bei  der  Inanspruchnahme  einer 
grossen  Zahl  von  Diensttagen  bis  zu  ihrer 
Heilung  diese  äusserst  schätzenswerthe  Be- 
handlung Yon  ganz  besonderem  Werth. 

Verf.  setzt  die  Gründe  hierfür  weiter 
auseinander:  Die  Erankheitsdauer  ist  kürzer; 
die  Leute  können  ambulant  behandelt  wer- 
den, ohne  den  Dienst  zu  versäumen  und 
ohne  dass  die  Heilung  dadurch  verzögert 
wird.  Der  Apparat  zur  Behandlung  (Pravaz- 
Spritze  und  Carbollösung)  kann  überall 
(auf  Märschen  etc.)  mitgeführt  werden. 

(Dltch.  Militärärztl  Zäüchr,  1889,  No  7.) 

George  Meyer  {Berlin). 


Einige  Bemerkungen  zur  Behandlung  der  um- 
schriebenen Entzündung  des  äusseren  Gehör- 
ganges. (Otitis  externa  circamscripta.  Furan- 
culus.)  Aas  Prof.  ZaufaTs  Ohrenklinik.  Von 
Dr.  W.  Anton  and  Dr.  S.  Szones  (Budapest). 

Auf  die  Mittheilung  Cholewa^s  hin 
(s.  Therap.  Monatsh.  1889  No.  6)  versuchten 
die  Vf.  das  Menthol  in  öliger  Lösung  (Men- 
thol. 4,0  :  Ol.  oliv.  20,0)  bei  12  Fällen  von 
Furunculose  des  äusseren  Gehörganges. 
Mit  obiger  Lösung  getränkte  Wattetampons 
wurden  in  den  Gehörgang  so  fest  einge- 
führt, dass  sie  einen  leichten  Druck  auf  die 
Wandungen  desselben  ausübten;  der  24 
Stunden  liegende  Tampon  wurde  alsdann 
erneuert.  Da  es  sich  herausstellte,  dass 
diese  Behandlung  weder  die  Furunkelbildung 
aufhielt,  noch  Recidive  zu  verhindern  fähig 
war,  noch  den  Verlauf  abkürzen,  noch  durch- 
wegs schmerzstillend  wirkte,  sahen  sich 
Verf.  nicht  gedrungen,  von  der  früher  ge- 
übten Therapie  der  Ohrfurunculose  abzu- 
stehen, d.  h.  der  Anwendung  der  Büro  wa- 
schen Lösung  (nach  Billroth),  welche  hin- 
reichend desinficirend  und  adstringirend 
wirkt,  sowie  in  Form  feuchtwarmer  Cata- 
plasmen    als    schmerzstillendes    und    erwei- 


chendes   Mittel     den     therapeutischen     An- 
sprüchen bisher  genügt. 

{Prager  Med.  Wocktneehr,  1889,  No,  33.) 

J,  Rttliemann  {BerKn), 

Fünfundzwanzig  erhaltende  Kaiserschnitte  und 
die  Stellung  der  Sectio  caesarea  zur  Perfo- 
ration.   Von  Leopold  (Dresden). 

Der  Leiter  der  Dresdener  Klinik  fügt 
den  bisher  veröffentlichten  23  Kaiserschnitt- 
fallen 8  neue  hinzu,  von  denen  5  nach 
Sänger,  2  nach  Porro  (und  der  achte  ?) 
operirt  wurden.  Conservative  Kaiserschnitte 
hat  Leopold  im  Ganzen  25  ausgeführt  mit 
2  Todesfällen  der  Mutter.  Diese  stellt  er 
den  in  seiner  Anstalt  im  gleichen  Zeitraum 
vorgenommenen  92  Perforationen  gegenüber, 
zieht  jedoch  bei  jenen  3  Fälle  ab,  in  denen 
die  Perforation  überhaupt  nicht  in  Frage 
kam,  und  wählt  von  diesen  auch  nur  die- 
jenigen aus,  bei  denen  der  Kaiserschnitt  da- 
mit hätte  concurriren  können,  d.  h.  die  mit 
Conj.  Vera  von  etwa  7,5  cm.  So  erhält  er 
sowohl  22  Fälle  von  Sectio  caesarea,  als 
auch  von  Perforation,  jene  mit  2  Todes- 
i^Uen,  diese  mit  keinem,  und  folgert  aus 
dem  Resultat  dieser  Vergleichung  unter  Zu- 
rückweisung einer  Vergleichung  von  allen 
Kaiserschnittfällen  mit  allen  Perforationen 
aus  den  verschiedensten  Kliniken,  wie  dies 
Caruso  unlängst  that,  dass  der  erhaltende 
Kaiserschnitt  nur  in  den  seltensten  Fällen 
an  die  Stelle  der  Perforation  treten  darf. 
Diese  Mahnung,  aus  einer  Klinik  kommend, 
in  der  jedes  Vierteljahr  eine  Sectio  caesarea 
ausgeführt  wird  und  welche  die  grösste  An- 
zahl derselben  bei  der  geringsten  Mortalität 
aufzuweisen  hat,  dürfte  gerade  deshalb  um 
so  beherzigenswerther  sein. 

{Archiv  f,  Ggndk.  Band  34,  Heft  2,) 

Landtberg  {StelHn). 

Weitere  Beiträge  zur  Lehre  vom  Kaiserschnitt 
nach  conser virender  Methode.  Von  S  k  u  t  s  c  h 
(Jena). 

Verfasser  veröffentlicht  aus  der  Schultz  er- 
sehen Klinik  2  Fälle  von  Sectio  caesarea 
nach  Sänger,  ausgeführt  von  Schultze 
und  ihm  selbst,  beide  mit  günstigem  Resul- 
tate für  Mütter  und  Kinder.  Die  erste 
Frau  hatte  eine  Conj.  vera  von  8  cm; 
l*/«  Jahre  vorher  hatte  bei  ihr  nach  vei^ 
geblichen  Wendungs-  und  Zangenversuchen 
die  Perforation  des  lebenden  Kindes  gemacht 
werden  müssen,  so  dass  jetzt  im  Interesse 
des  Kindes  operirt  wurde.  Die  zweite 
Frau  hatte  eine  Conj.  vera  von  6,2  cm;  bei 
ihr  war  schon  vor  2  Jahren  in  Jena  ein 
Kaiserschnitt  erfolgreich  ausgeführt  worden; 
jetzt    rettete    dieselbe  Operation    neben  der 


TU.  JfthrgAag.  I 
November  1889.  J 


Rttfwmt». 


529 


Mutter,  in  deren  Interesse  sie  wegen  starken 
Eiweissgelialtes  im  Urin,  starker  Oedeme 
und  drohender  Eklampsie  gemacht  wurde, 
auch  Zwillingen  im  Gewicht  von  3010  und 
2540  g  das  Leben. 

{Archiv  f.  Gynäk.  Band  34,  Heß  1.) 

Landsberg  {Stettin). 

Ueber  einige  Fälle  von  Sectio  caesarea.  Von 
Stanislaus  Braun  (Krakau.) 

Zwei  Kaiserschnitte  mit  glucklichem 
Ausgange,  einen  nach  Porro  bei  einer  tuber- 
culosen  Zwergin  mit  Conj.  vera  von  6  cm, 
und  einen  nach  Sänger  bei  einer  „ziemlich 
verständigen  (!?)"  Frau  mit  einer  Conj.  vera 
von  8  cm,  veröffentlicht  Verfasser  gleich- 
zeitig mit  einem  tÖdtlich  verlaufenen  Fall 
aus  dem  Jahre  1870  und  2  Sectiones  caesar. 
post  mortem. 

(Archiv  /*.  Gffnäk,  Band  34,  Heß  2.) 

Landsberg  {Stettin). 

Ueber  einen  zweiten  Kaiserschnitt  mit  Uterus- 
naht an  derselben  Frau.  Von  Zweifel 
(Leipzig). 

Bei  einer  Frau,  die  bisher  4  Perforatio- 
nen, 1  Fehlgeburt,  eine  schwere  Zange  und 
einen  Kaiserschnitt  durchgemacht  hatte, 
wurde  die  letzte  Operation  zum  zweiten 
Male  mit  gutem  Ausgang  für  Mutter  und 
Kind  ausgeführt  trotz  vieler  Verwachsungen 
der  Darmschlinge  mit  der  Bauchwand  und 
des  Netzes  mit  Uterus  und  Bauchwand. 
Gleichzeitig  wurde  durch  Ligatur  beider 
Tuben  mit  Silkwormgut  der  Frau  die  Mög- 
lichkeit, ferner  zu  concipiren,  genommen. 

{Centralblf.  Gynäk,  1889,  No,  13,) 

Landsberg  {Stettin), 

Zur    Vereinfachung    des    Kaiserschnittes.     Von 

Fritsch  (Breslau). 

„Ich  erfahre  fast  jedes  Jahr  von  meh- 
reren Kaiserschnitten,  die  in  Schlesien  von 
practischen  Aerzten  ausgeführt  sind.^  Da- 
mit begründet  F.  sein  Bestreben,  die  Me- 
thode des  Kaiserschnitts  möglichst  zu  ver- 
einfachen, wenn  auch  die  jetzt  in  den  Kli- 
niken allgemein  geübte  Methode,  insbesondere 
der  Nath,  die  besten  Resultate  ergiebt. 
Seine  Vereinfachungs  vorschlage  beziehen 
sich  aber  gerade  auf  die  Naht.  Nachdem 
er  von  der  ursprünglichen  Sänger^ sehen 
Vorschrift,  mit  Draht  zu  nähen,  zurück- 
gekommen war  und  bei  einem  Kaiserschnitt 
nach  Sänger  schliesslich  den  Uterus  wegen 
Atonie  und  innerer  Nachblutung  hatte  ent- 
fernen müssen,  ZuHllle,  die  er  auf  die  durch 
den  Schlauch  bewirkte  Fern hal tun g  des  er- 
nährenden Blutes  von  der  Uterusmusculatur 
zurückführt,  öffnete  er  beim  nächsten  Kaiser- 


schnitt den  Schlauch  schon  nach  der  Muskel- 
naht und  bemerkte,  dass  die  Blutung  aus 
der  Wunde  schon  vor  Anlegung  der  sero- 
serösen Naht  stand,  diese  also,  wenn  man 
sie  der  Blutstillung  wegen  anlegen  wollte, 
überflüssig  sei.  Diese  Betrachtung,  sowie 
Erfahrungen  bei  Myomenucleationen,  wo 
auch  trotz  gewöhnlicher  Wundnaht  kein 
Blut  aussickerte,  Hessen  in  ihm  den  Ent- 
schluss  reifen,  beim  nächsten  Kaiserschnitt 
die  sero-seröse  Naht  principiell  wegzulassen. 
Eine  zweite  Vereinfachung  betrifft  das  Mit- 
fassen der  Decidua:  da  die  Uterushöhle,  so 
lange  keine  Entbindungsversuche  gemacht 
sind,  aseptisch  ibt,  hat  Jodoformirung  keinen 
Zweck,  und  indem  selbst  ein  späterer  Zerfall 
der  Uterusinnenfiäche ,  die  Lochien,  der 
Uteruswunde  nichts  mehr  anhaben  können, 
ist  auch  die  ängstliche  Schonung  der  De- 
cidua unnÖthig,  wie  dies  bisher  mit  der 
Vorschrift  geschah,  an  der  Decidualgrenze 
auszustechen.  Die  Durchführung  der  Naht 
durch  das  ganze  Parenchym  erspart  Zeit 
und  Mühe  und  macht  durch  das  Mitfassen 
einer  grösseren  Menge  von  Gewebe  die 
Wunde  fester.  Man  darf  natürlich  nicht  zu 
viel  fassen ;  das  richtige  Maass  dürfte  aussen 
ca.  1  cm,  innen  ca.  0,5 — 0,75  cm  vom 
Wundrande  für  Ein-  und  Ausstechen  sein. 
Nach  dieser  vereinfachten  Methode  nun  ist 
F.  in  2  Fällen  vorgegangen,  beide  sind  ohne 
Nachblutung  trotz  complicirender  Bronchitis 
bezw.  Erbrechen  glücklich  für  Mütter  und 
Kinder  verlaufen.  '  Als  Nahtmaterial  em- 
pfiehlt er  Seide,  da  von  einer  fortlaufenden 
Naht  nicht  die  Rede  sein  kann,  Catgut  (das 
er  selbst  verwandt  hat)  sich  schwer  knüpfen 
lässt  und  das  Liegenbleiben  der  Seidenfäden 
ungeföhrlich  ist. 

{Centralblf,  Gynäh.  1889,  No.  23.) 

Landsberg  {Stettin), 


Experimentelle  Untersuchungen  über  die  ge- 
bräuchlichsten Nahtmaterialien  bei  intra- 
peritonealen Operationen,  hauptsächlich  in 
Bezug  auf  die  Uterusnaht  beim  Kaiserschnitt. 

Von  Thomson  (Dorpat). 

Carbolcatgut,  Silkwormgut,  Chromsäure- 
catgut  und  Seide  hat  Th.,  veranlasst  durch 
die  widersprechenden  Angaben  über  den 
Werth  derselben  beim  Kaiserschnitt,  auf 
ihre  Resorbirbarkeit  am  puerperalen  Uterus 
in  folgender  Weise  geprüft.  Nachdem  die 
ziemlich  gleich  dicken  Fäden  den  verschie- 
denen Vorschriften  gemäss  zubereitet  und 
auf  ihre  Sterilität  in  sterilisirter  Nährgela- 
tine controlirt  worden  waren,  wobei  Carbol- 
catgut sich  nicht  vollständig  bewährte,  nähte 
Th.  mit  ihnen  Schnitte,  die  er  Kaninchen, 
Katzen    und   Hunden,    gleich    nachdem    sie 

67 


530 


Referate. 


pTherapeatiscba 


geworfen  hatten,  in  den  Utenisbörnern 
einige  Gentimeter  lang  beigebracht  hatte, 
'v^'ieder  zusammen,  rechts  und  links  mit  ver- 
schiedenem Material  und  fand,  dass  der 
puerperale  Zustand  keinen  Einfiuss  ausübt, 
dass  Ghromsäurecatgut  gai-nicht  resorbirt 
wurde,  eben  so  wenig  Silkworm,  dass  die 
Resorption  von  Carbolcatgut  nach  8 — 10 
Tagen  mehr  oder  weniger  vollständig  war, 
während  dies  bei  Seide  erst  zwischen  dem 
50.  und  64.  Tage  erfolgte.  Er  schliesst 
daraus,  dass  Seide  das  sicherste  und  beste 
Nahtmaterial  ist,  weil  sie  vollständig  steril 
gemacht  werden  kann  und  mit  der  Zeit  re- 
sorbirt wird,  Ghromsäurecatgut  und  Silkworm 
wegen  der  Nicht- Resorbirbarkeit,  Garbol- 
catgut  wegen  der  zu  schnellen  Resorbirbar- 
keit und  wegen  Infectionsgefahr  zu  ver- 
werfen sind. 

(CentralbL  f.  Gynäk,  1889,  No,  24,) 

Landiberg  {SUtHn). 

Zur  Injectionsbehandlung  der  acuten  Gonorrhoe. 
Von  Dr.  Friedheim  (Leipzig). 

Die  Injectionen  sind  nur  zur  Behandlung 
der  Gonorrhoe  der  Pars  anterior  anwendbar. 
Die  Behandlung  der  acuten  Gonorrhoe  hat 
in  diesem  ersten  Stadium,  also  mög- 
lichst zeitig  zu  beginnen  und  zwar  mit 
Mitteln,  die  die  Krankheitserreger  sicher 
vernichten.  Auf  diese  Weise  werden  die 
Gomplicationen  der  Gonorrhoe,  Gystocollitis, 
Epididjmitis,  etc.  am  sichersten  vermieden. 
Mikroskopische  Gontrole  ist  für  die  Durch- 
führung einer  rationellen  Trippertherapie 
unerlässlich.  An  einem  sehr  grossen  Mate- 
rial von  1200  Fällen  hat  Yerf.  eine  gros- 
sere Anzahl  von  Medicamenten  zur  Be- 
handlung der  Gonorrhoe  theils  selbst  geprüft, 
theils  die  Ergebnisse  mit  denselben  aus  den 
Krankenjoornalen  der  Breslauer  dermatolo- 
gischen Klinik  in  durchaus  kritischer  Weise 
genauer  zusammengestellt.  Das  geeignetste 
Mittel  zur  Therapie  des  Trippers  im  ersten 
eitrigen  Stadium  ist  dasjenige,  welches  die 
Gonokokken  todtet,  das  Schleimhautgewebe 
nicht  zerstört  und  die  entzündlichen  Er- 
scheinungen, wenn  nicht  verringert,  so  doch 
sicher  nicht  steigert.  Nach  diesen  drei  Ge- 
sichtspunkten wurde  die  Wirkung  der  ein- 
zelnen Präparate  auf  den  Verlauf  etc.  der 
Gonorrhoe  beurtheilt.  Zur  Beobachtung 
wurden  frische  oder  bisher  erfolglos  behan- 
delte, zahlreiche  Gonokokken  enthaltende 
Fälle  gewählt.  Die  Dauer  der  meist  dreimal 
täglich  wiederholten  Injectionen  betrug  ca. 
3  Minuten,  die  Menge  der  eingespritzten 
Flüssigkeit  mindestens  5  ccm.  Die  Unter- 
suchung der  mikroskopischen  Präparate  ge- 
schah mehrere  Tage  hintereinander,  das  Se- 


cret  wurde  nach  mehrstündiger  Urinretention 
mit  ausgeglühter  Platinnadel  der  Tiefe  der 
Urethra  entnommen.  Aus  denselben  Gründen, 
aus  denen  sofort  nach  Beginn  der  Affection 
die  Behandlung  mit  (antiparasitären)  Mitteln 
begonnen  wird,  wird  dieselbe  auch  nach 
Eintritt  von  Gomplicationen,  beson- 
ders Epididymitis,  unverändert  fort- 
gesetzt. An  eine  Spontanheilung  der  Go- 
norrhoe, wodurch  eine  Localbehandlung  bei- 
nahe überflüssig  und  die  Auswahl  der  Mittel 
gleichgültig  wäre  (Finger),  glaubt  Fr.  nicht. 
Die  Wirkung  der  untersuchten  Medica- 
mente ist  folgende:  Hydrarg.  formamid. 
hat  in  Lösung  von  1  :  1000  bis  10000 
eine  kräftige  antibacterielle  Wirkung,  doch 
sind  Reizerscheinungen  von  Seiten  der  Schleim- 
haut, Harndrang,  starke  Secretion  etc.  damit 
verbunden;  Calomel  in  10  ^/o  Suspension 
mit  2,5  Natr.  chlorat.  beeinfiusst  die  Schleim- 
haut weniger  stürmisch,  die  antibacterielle 
Wirkung  ist  aber  weniger  sicher;  Salicyl- 
quecksilber  1,0  :  270  mit  1,7  Natr.  chlorat. 
vernichtet  die  Kokken  dauernd  unter  ge- 
riogen  Reizerscheinungen;  Sublimat  erzeugte 
noch  in  Lösungen  von  1  :  20000  Schmerzen, 
die  antiparasitäre  Wirkung  war  mit  diesen 
Goncentrationen  nicht  sehr  gross.  Zink-, 
Tannin-,  Bleipräparate  in  bekannten 
Stärkegraden  hatten  gar  keinen  autibacte- 
riellen  Erfolg;  Bismuth.  subnitr.  und 
salicyl.  sind  für  die  Behandlung  der  acuten 
Gonorrhoe  nicht  brauchbar;  sie  bewirken 
zwar,  wie  die  vorigen,  Verminderung  und 
Verdünnung  des  Ausflusses,  vernichten  aber 
nicht  die  Bacterien.  Kai.  per  mang,  tödtet 
in  stärkeren  Lösungen  die  Kokken,  reizt 
aber  dann  die  Schleimhaut  stark;  der  Aus- 
fiuBS  wird  bei  Anwendung  schwächerer  Lösun- 
gen dünner,  der  Eitergehalt  herabgesetzt. 
Die  ausserdem  von  F.  in  sorg^ltigster  Weise 
controlirten  Injectionen  von  Acid.  nitr. 
1  :  1000,  Acid.  pyrogall.  4  :  100,  Chloro- 
formwasser, Jodoformöl,  einprocentigem 
Creosot-Camillenthee,  Borsäure, essig- 
saurer Thonerde,  Antipyrin,  Resorcia, 
Natr.  salicyl.,  Kalkwasser,  Naphthol, 
Sozojodol-Kalium,  -Natrium,  -Zink, 
Creolin  (höchstens  1  :  lOO),  Natr.  fluor- 
silicat.,  Natr.  chloroboros. ,  Borax, 
Borsäure,  Rotters^cher  Lösung,  Thal- 
lin.  sulf.  und  T hallin.  tartar.  ergaben 
zum  Theil  ungenügende,  zum  Theil  so  stark 
reizende  Wirkungen,  wenn  sie  in  Lösungen, 
die  Kokken  tödtend. wirken,  benutzt  wurden, 
dass  sie  nicht  allgemein  in  Gebrauch  gezogen 
werden  können.  Verf.  empfiehlt  folgende 
von  Ne isser  systematisch  betriebene  Appli- 
cation des  Arg.  nitr.  gegen  den  Tripper, 
welche  er  bei  818  Patienten  genau  verfolgen 


in.  Jahrgang,  l 
November  1889.  J 


Rttfecal«. 


531 


konnte.  Das  Mittel  vernichtet  sicher  die 
Gonokokken,  ^es  ruft  Verhältnisse  hervor, 
durch  welche  die  in  der  Schleimhaut  einge- 
nisteten Gonokokken  seiner  Wirkung  zugäng- 
lich gemacht  werden;  es  hilft  dieselben  durch 
ihre  Beziehungen  zu  Eiterkörpern  und  Epi- 
thelzellen eliminiren,  vermindert  zu  starke 
EiteruDg,  reducirt  den  Ausfluss  schliesslich 
auf  ein  Minimum^.  Das  Arg.  natro-sub- 
SU  1  furo s.  giebt  keine  Eiweissfällung  und 
hat  geringere  antibacterielle  Exaft. 

Die  Behandlung  mit  dem  Arg.  nitr. 
ist  folgende:  Bei  jeder  acuten  Gonorrhoe 
wurden  sofort  Injectionen  von  Arg.  nitr. 
1  :  4000  bis  höchstens  2000  4  bis  6  Mal 
pro  die  ausgeführt.  Der  Ausfluss,  erst  reich- 
licher, wird  nach  ca.  4  Tagen  dünner,  die 
Gonokokken  nehmen  beträchtlich  ab.  Die 
Einspritzungen  mit  Arg.  werden  dann  auf  2 
und  eine  pro  Tag  verringert  und  statt  ihrer 
solche  mit  adstringirenden  Mitteln,  Borsäure, 
Zinkpräparaten  etc.,  eingeführt.  Das  Secret 
hört  so  fast  völlig  auf.  Eine  Arg.-Injection 
pro  die  wird  noch  viele  Wochen  lang  ver- 
ordnet. Diät  etc.  wird  im  Anfang  streng 
anbefohlen,  dann  noch  während  der  Arg.- 
Behandlung  bei  Seite  gelassen.  Bei  empfind- 
lichen Patienten  wird  die  Zahl  und  Stärke 
der  Höllensteininjectionen  vermindert  oder 
unmittelbar  vor  und  nach  diesen  Ein- 
spritzungen von  Borsäure  oder  Antipyrin 
eingefügt.  Ferner  sind  Bäder,  Suppositorien 
zu  verordnen.  Wird  auch  dann  das  Arg.  (auch 
erwärmt)  nicht  vertragen,  so  können  Hydrarg. 
salicyl.,  Natr.  chloroboros.,  Thallin  gebraucht 
werden.  Ist  auch  diese  Anwendungsform 
(eventuell  Irrigationen  der  Pars  anterior) 
nicht  möglich,  so  sind  innere  Mittel  in  Ver- 
such zu  ziehen,  die  höchstens  sonst  die 
Injectionen  unterstützen.  Von  allen  inneren 
Mitteln  sah  F.  nur  von  grossen  Dosen 
Balsam.  Copaiv  (bis  zu  12  Kapseln  ä  0,6  g 
pro  die)  ohne  gleichzeitige  Einspritzungen 
bisweilen  Einwirkung  auf  die  Gonokokken. 
Menge  und  Eitergehalt  des  Secrets  nimmt 
ohne  Reizwirkung  ab.  Aber  das  Mittel 
wirkt  schädlich  auf  Magen  und  Darm  und 
ist  daher  nur  in  genannten  seltenen  Aus- 
nahmefällen anwendbar.  Betreffs  der  Art 
und  des  Eintritts  der  Complicationen,  die  bei- 
nahe stets  nach  Injectionen,  die  ungenügende 
antibacterielle  Wirkungen  hatten,  sich  ein- 
stellten, siehe  das  sehr  lesenswerthe  Original. 

{Ärch.  /.  Dermatol  und  8ypk.  1889,  4.  Htfl.) 

George  Mtyeir  {BerUn). 

Wann  erscheint  das  Quecksilbers  des  grauen  Oeles 
im  Urin?    Von  Dr.  Kronfeld  (Wien). 

Um  zu  untersuchen,  in  welcher  Zeit  nach 
den  Injectionen  des  grauen  Oeles  das  Queck- 


silber im  Urin  nachweisbar  ist,  benutzte 
Verf.  den  Urin  von  Kranken,  die  nie  vor- 
her irgend  einer  Quecksilberbehandlung 
unterworfen  gewesen  waren.  Bis  zum  Nach- 
weis des  Hg  wurden  nur  ein  oder  zwei  In- 
jectionen an  ein  und  demselben  Tage  ge- 
macht und  zwar  mit  50  procent.  Ol.  einer. 
Zu  bemerken  ist,  dass  ein  Theilstrich  des 
30  proc.  grauen  Oeles  5  Sublimatinjectionen 
entspricht.  Zur  Untersuchung  wurden  500  bis 
700  ccm  Flüssigkeit  benutzt.  5  Patienten 
erhielten  je  1  Theilstrich,  5  je  zwei  halbe 
Theilstriche,  und  weitere  6  je  zwei  Mal 
1  Theilstrich  50  proc.  Oeles.  Es  ergab  sich 
nun,  dass  die  Ausscheidung  des  im  Ol. 
einer,  enthaltenen  Hg  nach  analogen  Ge- 
setzen geschieht,  wie  die  anderer  Hg-Präpa- 
rate.  Nach  Injection  von  einem  Theil- 
strich erschienen  die  frühesten  Spuren  des 
Hg  4  Tage  nach  der  Einspritzung,  nach 
Einverleibung  von  zwei  Mal  1  Theilstrich 
bereits  am  ersten  Tage.  Auch  hier  also 
ist  für  die  Resorption  zum  Theil  die  Menge 
des  applicirten  Hg  wichtig.  Bei  Einspritzung 
von  0,1  an  zwei  Stellen  war  Hg  stets  nach- 
weisbar, während  es  nach  Injection  derselben 
Menge  an  eine  Stelle  zwei  Mal  sehr  lange 
nicht  im  Harn  erschien. 

Schliesslich  untersuchte  K.  noch  den 
Urin  von  5  Kranken ,  die  pro  die  2  g 
Ungt.  einer,  verrieben  hatten  und  fand  bei 
diesen  4  Mal  nach  drei  und  vier  Einreibun- 
gen das  Hg  im  Harn,  während  es  bei  einem 
Patienten  innerhalb  13  Tagen  nicht  nachge- 
wiesen werden  konnte. 

(Wien.  med.  Woeheiuchr.  188S,  No.  35  «.  36,) 

George  Meger  {Berlin). 

Ueber  die  praktische  Durchführung  der  Antisep- 
sis am  Auge  besonders  bei  Operationen  und 
Verletzungen.    Von  Dr.  H.  Adler  (Wien). 

Nach  einer  einleitenden  Betrachtung  über 
die  so  spät  erfolgte  Verwerthung  der  anti- 
septischen Behandlungsgrundsätze  in  der 
Oculistik  schildert  Verf.  den  Werth  der 
hier  in  Betracht  kommenden  Agentien  an 
der  Hand  einer  Tabelle.  Dieselbe  zeigt  die 
Concentration,  bei  welcher,  und  die  Zeit- 
dauer, in  welcher  die  Vitalität  des  Staphy- 
lococcus  pyogenes  zerstört  wird,  femer  die 
durch  die  Antiseptica  bewirkte  Reizung  des 
Auges  und  die  Haltbarkeit  der  Lösungen. 
Hierbei  kommen  die  Mittel,  welche  bereits 
praktisch  ihren  Ruf  bewährt  haben,  obenan 
zu  stehen,  das  Sublimat,  Panas^sche  Lösung 
(Hydrarg.  bijod.  in  Solution),  Argent.  nitric, 
Chlorwasser,  Calomel,  Jodoform.  Die  Bor- 
säure hat  keine  parasitentödtende  Wirkung. 
Jodol  reizt  mehr  w\e  Jodoform,  wirkt  aber 
ähnlich    wie    dieses.     Creolin  reizt  in  noch 

67» 


532 


Referate. 


rrherapeatlsche 
L  Monatshefte. 


antiseptisch  M'irksamen  Yerdünnungen  die 
Bindehaut  des  Auges.  Das  kräftigste  An- 
tisepticum  (bei  randständigen  Hornbautge- 
schwuren,  unreinen  Hornhaut  wunden,  Ulc. 
serpens  u.  s.  w.  angewendet)  liefert  die  gal- 
Yanokaustisch  erzeugte  Glühhitze.  Warm 
tritt  Verf.  für  Verwendung  des  Jodoforms 
(speciell  bei  Verletzungen  des  Auges)  in  der 
Oculistik  ein. 

Im  nächsten  Abschnitte  bespricht  Verf. 
die  antiseptischen  Vorbereitungen  bei  Ope- 
rationen an  den  Augen,  die  Concentration 
der  antiseptischen  Mittel,  den  Verband 
(„Streifenverband"),  die  Aufbewahrung  der 
Verbandstoffe,  die  Behandlung  der  Instru- 
mente (mindestens  2  Minuten  lange  Sterili- 
sirung  in  feuchter  Wärme  von  90 — 100°) 
u.  8.  w. 

Verf.  verwendet  hierfür  einen  von  ihm 
angegebenen    portativen    Eochapparat.     Bei 


Verletzungen  an  den  Augen  legt  Verf.^nach 
sorgfältiger  antiseptischer  Reinigung  mit 
Sublimat  einen  Jodoform  verband  an.  Bei 
vielen  Conjunctivalleiden  und  Eeratitiden 
wendet  er  antiseptische  Losungen,  Sublimat 
1  :  5000,  Borsäure  15,0  mit  Salicylsäure  5,0, 
destillirtes  Wasser  500,0,  Chlorwasser,  auch 
3procentige  Borsäurelosung  zu  Augenwäs- 
sern, beziehungsweise  zu  lauen  Umschlägen 
an.  Mjdriatica  und  Mjotica  können  in  an- 
tiseptischen Losungen  länger  aufbewahrt 
werden.  Bei  Injectionen  der  Vorderkammer 
bedient  sich  Verf.  des  von  v.  Wecker  em- 
pfohlenen Tropfgläschens.  Endlich  betont 
A.  die  Wichtigkeit  der  strengen  Durchfuh- 
rung hjgienisch-antiseptischer  Maassnahmen 
in  der  poliklinischen  Behandlung. 
( Wiener  medic.  Presse  1889  No.  34  «.  3Ö.) 

J,  Buhemann  (Berlin). 


Toxikologie. 


(Aus  der  inneren  Abthcilung  des  Luisen-IIospitals  zn  Aachen.) 

Ein    Fall    von    Santoninvergiftung.      Von    Dr. 
van  Hey.     (Original- Mittheilung.) 

Die  Berechtigung,  den  folgenden  Fall  von 
Santoninvergiftung  zu  veröffentlichen,  glaubte 
ich  darin  finden  zu  dürfen,  dass  er  bis  jetzt 
der  einzige  in  der  Litteratur  bekannte  Fall 
einer  chronischen  Santoninvergiftung  ist. 
Derselbe  wurde  im  Luisen  -  Hospital  zu 
Aachen  beobachtet  und.  mir  von  Herrn  Ge- 
heimen Sanitätsrath  Dr.  Mayer  in  liebens- 
würdigster Weise  zur  Beschreibung  überlassen. 

Der  elfjährige  Patient  litt  seit  Nov.  vorigen 
Jahres  beständig  an  heftigen  Lcibsehmei'zen,  gegen 
welche  neben  andern  Medicamenten  Ende  December 
Santoninpulver  verabreicht  wurden,  worauf  auch 
mehrere  Spulwürmer  abgingen.  Da  die  Leib- 
schmerzen Ende  Januar  wiederkehrten,  so  wurden 
zum  zweiten  Male  Santoninpulver  verordnet,  doch 
mit  der  ausdrücklichen  Bemerkung,  dieselben  nicht 
erneuern  zu  lassen.  Die  Mutter  Hess  trotzdem 
die  Pulver  von  neuem  anfertigen,  da  die  Leib- 
schmerzen nicht  aufhörten,  und  gab  dieselben  ruhig 
weiter,  bis  Mitte  Februar  klonische  Krämpfe  zu 
den  Leibschmerzen  traten;  dieses  forderte  die 
Mutter  erst  recht  auf,  in  ihrer  Weise  fortzufahren; 
die  Kränlpfe  wiederholten  sich  darauf  häufiger  an- 
statt nachzulassen,  daher  sagte  sich  die  Mutter,  die 
Pulver  sind  zu  schwach  und  müssen  also  häufiger 
gegeben  werden,  weshalb  sie  mehrere  Male  ohne 
Vorwissen  des  Arztes  die  Pulver  erneuern  liess  und 
noch  Santonin  im  Handverkauf  sich  verschaffte  und 


anstatt  nach  Vorschrift  alle  2  Tage  ein  Pulver  zu 
geben,  deren  alle  Tage  zwei  gab.  Die  Krämpfe 
wiederholten  sich  und  dauerten  längere  Zeit  an, 
verbunden  mit  grosser  Unruhe  und  Angst.  In- 
zwischen bemerkte  der  ziemlich  aufgeweckte  Junge, 
wie  Mitte  März  die  Beine  schwächer  wurden, 
welche  Schwache  stetig  zunahm;  eine  Woche  später 
fing  auch  die  Sprache  an,  schwer  zu  werden,  die 
Stimme  wurde  leiser  und  leiser,  bis  sie  am  7.  April 
ganz  erlosch.  Dabei  hatte  Patient  die  verschieden- 
artigsten Gesichts-Hallucinationen,  er  sah  glühende 
Kugeln,  Lichter  und  Blitze;  alle  Gegenstände  er- 
schienen ihm  gelb  gefärbt.  Der  jetzt  consultirtc 
Arzt  verbot  sofort  nach  Erhebung  der  Anamnese 
die  Pulver,  was  die  Mutter  jedoch  nicht  hinderte 
noch  zwei  derselben  zu  geben.  Die  Antwort  des 
Knaben  darauf  war  ein  heftiger  Krampfanfall  am 
8.  April,  worauf  am  9.  April  der  Patient  in  das 
Luisen-Hospital  aufgenommen  wurde.  Die  Gei^ichts- 
farbe  war  sehr  blass,  der  Ausdruck  ein  trauriger, 
in  sich  gekehrter.  Die  Pupillen  waren  weit  und 
vollständig  reactionslos.  Patient  klagte  über  starken 
Schwindel  und  Kopfschmerz,  allgemeine  Unnihe 
und  Angst,  Uebelkeit  und  Erbrechen.  Alle  weissen 
Gegenstände  erschienen  ihm  seit  langem  gelbgc- 
färbt,  blaue  als  grünlichgelb,  die  violette  Farbe  als 
schwarz  oder  grünlichgelb.  Sehr  ängstlich  war  er 
über  Druck  und  Brennen  im  Auge,  Funkensehcn, 
Blitz-  und  Lichterscheinungen.  Die  Athmung  war 
etwas  beschleunigt,  der  Puls  zwischen  79  u.  80 
Schlugen  in  der  Secunde.  Patient  wurde,  da  er 
nicht  gehen  konnte,  sofort  zn  Bett  gebracht;  beim 
Vorsuche,  sich  zu  erheben,  fiel  er  sogleich  zurück, 
aufrecht    gestellt,    sank    er    um;    die    motorische 


in.  Jahrgang,  "l 
November  1889.  J 


Toxikologie. 


533 


Kraft  der  Beine  war  sehr  herabgesetzt.  Keine  Ent- 
artungsreaction.  Die  PateUarsehnenreflexe  waren 
normal,  Fussklonus  nicht  Yorhanden;  die  Sensibilität 
gut  erhalten.  Patient  musste  katheterisirt  werden 
und  erhielt  am  folgenden  Tage  wegen  Stuhlver- 
haltuDg  einen  Einlauf.  Der  etwas  schwere  Urin  war 
geblich  gefärbt  und  ergab  schwache  Santoninreaction. 
Patient  konnte  sich  seiner  Umgebung  nur  schriftlich 
Ycrständlich  machon,  er  hörte  und  verstand  alles, 
vermochte  aber  kein  Wort  zu  sprechen.  Am  Abend 
des  Aufnahmetages  bekam  Patient  den  letzten  An- 
fall, bestehend  in  länger  andauernden  klonischen 
Zuckungen  in  den  Beinen,  weniger  in  den  Armen, 
verbunden  mit  Verdrehungen  der  Augen,  Zuckungen 
und  Verzerrungen  im  Qesicht;  das  Bewusstsein  war 
wie  stets  ungestört. 

Die  Verordnung  bestand  abwechselnd  in  Brom 
und  Jod;  zugleich  wurde  für  regelmfissige  Stuhl- 
cntleerung  gesorgt.  Nach  einigen  Tagen  war  das 
Gelbschen  nicht  mehr  so  deutlich  ausgeprägt,  doch 
hatten  alle  Farben  für  den  Patienten  noch  einen 
gelblichen  Schein,  was  auch  noch  mehrere  Wochen 
anhielt.  Die  Pupillen  wurden  nach  drei  Tagen  etwas 
enger,  blieben  aber  noch  lange  gegen  Licht  vollstän- 
dig unempfindlich.  Während  des  Hospitalaufenthaltes, 
der  bis  zum  22.  Mai  dauerte,  hatte  Patient  das 
Gehen  nicht  wieder  gelernt,  erst  Anfangs  Juni  ver- 
mochte er  sich  wieder  allein  aufzurichten  und  zu 
stehen,  lernte  dann  eine  kurze  Strecke  gehen, 
Anfangs  allerdings  steif,  erst  später  mit  elastischen 
Schritten,  fuhr  aber  schnell  in  der  Besserung  fort, 
so  dass  er  Ende  Juni  wieder  so  gut  gehen  konnte 
wie  vorher.  Ende  Mai  hatte  Patient  das  Weinen 
wieder  gelernt  und  sprach  einzelne,  ihm  vorge- 
sprochene Worte,  machte  bald  gute  Fortschritte 
und  war  nach  drei  Wochen  wieder  Herr  seiner 
Sprache.  Noch  lange  Zeit  klagte  er  über  Schwäche 
in  den  Gliedern  und  lästiges  starkes  Schwitzen. 
Gegenwärtig  befindet  sich  der  Patient  vollständig 
wohl. 

Wie  bei  jeder  SaDtoninvergiftuDg,  so 
haben  wir  auch  hier  als  eines  der  Haupt- 
symptome das  Gelbsehen,  welches  ja  auch 
schon  bei  nicht  giftiger  Dosis  auftritt.  Dem 
Gelbsehen  geht,  wie  aufmerksame  Beobachter 
versichern,  für  kurze  Zeit  ein  Violettsehen 
voraus,  das  namentlich  an  dunklen  Gegen- 
ständen wahrgenommen  wird.  Das  Gelb- 
sehen sab  Rose  noch  früher  auftreten  als 
die  Gelbfärbung  des  Urins,  so  dass  also  das 
Santonin,  noch  ehe  es  Pigment  bildet,  be- 
reits als  solches  in  der  Art  auf  die  Endaus- 
breitungen des  Opticus  wirkt,  dass  dieselben 
nicht  mehr  in  normaler  Weise  percipiren. 
Die  Untersuchungen  Rose^s  zeigen  uns,  dass 
wir  es  mit  einer  rein  nervösen  Störung  der 
Endorgane  des  Opticus  zu  thun  haben,  mit 
einer  Störung,  die  so  gross  sein  kann,  dass 
sie,  wie  Odelio  Blinn  (The  Therapeutic 
Gazette  1887  No.  7)  berichtet,  zu  einer 
mehrtägigen  Amaurose  führen  kann.  Rose 
Hess  Patienten,  welche  grössere  Gaben  San- 
tonin genommen,  das  Spectrum  beobachten, 
und  fand,  dass  sie  dasselbe  zwar  vollständig 


sahen,  aber  die  Stellen,  wo  sie,  ohne  San- 
tonin genommen  zu  haben,  die  violette  Farbe 
wahrnahmen,  zuerst  als  schwarz  und  dann 
als  farblos  bezeichneten,  dass  sie  also  das 
Spectrum  verkürzt  sahen.  Daraus  ergiebt 
sich  unter  Berücksichtigung  des  der  Xan- 
thopsie  vorausgehenden  Violettsehens,  dass 
die  violettpercipirenden  Organe  sich  zuerst 
in  einem  Stadium  erhöhter  Erregung  befin- 
den, welchen  bald  ein  Zustand  verminderter 
Erregung  und  Erregbarkeit  folgt  —  daher  die 
Violettblindheit.  Helmholtz  und  Hüfner 
fanden,  dass  diese  Violettblindheit  auf  einem 
directen  Einfluss  des  Santonin  auf  die  violett- 
empfindenden Netzhautelemente  beruht. 

Dieser  eigenthümlichen  Reizung  des  Op- 
ticus schliesst  sich  in  erster  Reihe  eine  heftige 
Erregung  der  übrigen  Gehirnnerven  an,  darauf 
folgen  allgemein  klonisch -tonische  Krämpfe 
besonders  der  Extremitäten,  wie  denn  auch 
nach  den  Untersuchungen  von  Binz  (Die 
Santoninvergiftung  und  deren  Therapie. 
Archiv  für  experimentelle  Pathologie  und 
Pharmakologie.  1877.  Band  VI)  das  San- 
tonin als  ein  Krampfgift  für  das  Gehirn 
sowohl  als  die  Medulla  in  ihrem  ganzen 
Verlauf  bezeichnet  werden  muss.  Als  Folgen 
der  cerebralen  Wirkung  sehen  wir  bei  unserem 
Patienten  die  Gesichtshallucinationen,  den 
heftigen  Schwindel  und  Kopfschmerz,  die 
Uebelkeit  und  Brechneigung.  Auch  hier 
machte  bald  der  Zustand  der  verminderten 
Erregbarkeit  dem  Stadium  der  erhöhten  Er- 
regung und  Reizung  Platz.  Der  Knabe  konnte, 
nachdem  er  häufigere  Krämpfe  -gehabt,  weder 
geben  noch  stehen,  die  motorische  Kraft  war 
herabgesetzt;  analog  der  Lähmung  der  violett- 
percipirenden Organe  hatten  wir  die  Ataxie 
der  Beine.  Der  Zustand  der  Depression 
dauerte  wohl  deshalb  so  lange,  weil  das 
Santonin  mehrere  Monate  hindurch  genom- 
men wurde. 

Ueber  eine  functionelle  Störung  oder 
einen  Verlust  der  Sprache  finden  wir  in  der 
Litteratur  wenig  Angaben;  zwar  berichten 
van  Hassel  t  und  Rinder  hoff  (Archiv  für 
holländische  Beiträge  II.  3.  1860)  über  Affec- 
tion  der  Kehlkopf-  und  Glottismuskeln  und 
Binz  in  der  genannten  Arbeit  über  das  Aus- 
bleiben der  Stimme  Avährend  15  Stunden 
bei  einem  25  Monate  alten  Kinde,  welches 
2  Trochisci  von  0,0207  Santoningehalt  ge- 
nommen hatte,  und  ein  anderer  Beobachter 
sah  bei  einer  20  jährigen  kachectischen  Person 
vollständige  Aphasie  in  Verbindung  mit  dem 
Gelbsehen  nach  0,05  Santonin  auftreten. 
Diese  Stimmlosigkeit  beruht  wohl  ebenfalls 
auf  der  Krampfwirkung  des  Santonins  auf 
die  nervösen  Centralorgane,  welcher  Erregung 
bald  das  Stadium  der  Depression  folgt,  gleich 


534 


Toxikologie. 


rTherapenliseh« 
L  Monatahefte. 


"wie  die  Violettblindheit  dem  Yiolett sehen, 
die  Amaurose  den  Gesichtshallucinatiooen 
sich  anschliesst. 

Sehr  auffallend  ist  in  unserer  Krankheits- 
geschichte das  lange  Anhalten  der  Erschei- 
nungen, der  chronische  Verlauf.  Die  meisten 
beobachteten  Fälle  dauerten  nicht  länger  als 
72  Stunden,  und  auch  bei  den  Tbierexperi- 
menten  ist  nur  von  3 — 4  Tage  andauernden 
Krämpfen  u.  s.  w.  die  Rede.  Aber  in  allen 
diesen  Fällen  handelt  es  sich  auch  nur  um 
eine  einmalige  grosse  Gabe  oder  um  nur 
wenige  Tage  hintereinander  genommene 
grössere  Dosen;  in  unserem  Falle  ist  eben 
das  Gift  Monate  lang  genommen  worden, 
indem  die  Eltern  es  gedankenlos  weiter  gaben. 
Wieviel  im  Ganzen  genommen  wurde,  Hess 
sich  nicht  eruiren,  doch  wurde  als  sicher 
festgestellt,  dass  4  Schachteln  zu  5  Pulvern 
ä  0,1  und  später  4  oder  5  Schachteln  zu 
5  Pulvern  ä  0,08  Santonin  genommen  wur- 
den ;  dazu  hatte  die  Mutter  noch  Wurmpulver 
gegeben,  welche  sie  im  Handverkauf  erwarb; 
dieselben  sollen  0,05  Santonin  enthalten. 
Jedenfalls  sind  Mengen  —  wenigstens  4  g  — 
genommen  worden,  die  sicher  zum  Tode  ge- 
führt hätten,  wäre  nicht  durch  den  langen 
Gebrauch  eine  allmähliche  Gewöhnung  einge- 
treten. 

Ein  Vergiftungsfall   mit   Thioresorcin.     Von  Dr. 

Amon  (Forchheim). 

Verf.  hat  bei  einem  46jährigen,  an  Para- 
plegie  leidenden  Patienten,  der  an  Ulcus 
varicorum  eines  Unterschenkels  litt,  und  auf 
diesem  letzteren  ohne  Wissen  von  A.  das 
Thioresorcin  reichlich  als  Streupulver  ange- 
wendet hatte,  eine  Intoxication  von  letzterem 
Präparat  beobachtet.  Die  Erscheinungen  be- 
standen in  Ödematöser  Anschwellung. eines 
oberen  Augenlids,  masernartigem,  juckendem 
Exanthem  an  Stirn,  Nasenwurzel,  Kinn, 
Wangen,  hinter  den  Ohren.  Der  Nacken 
selbst  war  von  dem  Ausschlag  frei;  an  Brust 
und  Armen  nur  vereinzelte  Flecke,  während 
an  den  erstgenannten  Stellen  dieselben  mehr 
zusammenflössen.  Im  Urin  nichts  Bemerkens- 
werthes.  Dass  thatsächlich  das  Präparat 
die  Ursache  des  Ausschlags  war,  bewies, 
dass  derselbe  drei  Tage  nach  Aussetzen  des 
Mittels  verschwunden  war  und  auf  versuchs- 
weise Anwendung  desselben  sich  sofort  wie- 
der zeigte,  um  nach  Entfernung  des  Medi- 
camentes  von  dem  Geschwür  dann  endgiltig 
aufzuhören.  Während  das  Thioresorcin  in 
Substanz  gelbbraune  Farbe  hat,  war  dieselbe 
auf  dem  Geschwür  stets  vollkommen  gelb, 
die  Form  krystallinisch.  Es  hatte  unter 
dem  Verbände  also  eine  Zersetzung  des  Prä- 
parates   stattgefunden.      Die   Vergiftung    ist 


wohl  auf  Thioresorcin  und  Resorcin  gemischt 
in  diesem  Falle  zurückzuführen. 

{Atünch.  med,  Wochenschr.  1889  No.  32.) 

George  Meyer  (BerKn). 

Ein  Fall  von  Cocainvergiftung. 

Zu  dem  im  Octoberhefte  S.  485  berich- 
teten Fall  von  Cocainvergiftung  bemerken 
wir,  einem  Wunsche  des  Herrn  Dr.  Stein 
aus  Saaz  nachkommend,  dass  die  Cocain- 
suppositorien ,  welche  die  Intoxicationser- 
scheinungen  hervorriefen,  nicht  von  Herrn 
Dr  Stein,  sondern  von  einem  andern  Arzte 
verordnet  wurden,  was  in  dem  betreffenden 
Referate   nicht  besonders   hervorgehoben  ist. 

Die  Redaction. 


liltteratur. 


Annalen  der  städtischen  allgremeiucn  Eranken- 
häuscr  zu  München.  In  Verein  mit  den 
Aerzten  dieser  Anstalten  herausgegeben  von 
Prof.  Dr.  V.  Zicmssen.  Bd.  IV.  Mit  3  Tafeln. 
München  1889,  M.  Kieger^sche  Universitilts- 
buchhandlung. 

Der  jüngst  erschienene  4.  Band  der 
Miinchener  Krankenhaus-Annalen,  welche  die 
Jahrgänge  1880 — 84  umfassen,  bildet  ein 
stattliches  und  inhaltreiches  Werk.  Der 
erste  Theil  desselben,  der  eigentliche  Krank- 
heitsbericht, nimmt  den  grössten  Theil  des 
Buches  für  sich  in  Anspruch.  Von  den 
beiden  städtischen  Krankenhäusern  links  und 
rechts  der  Isar  haben  die  einzelnen  Abthei- 
lungen gesonderte  Berichte  darin  niederge- 
legt. Nicht  nur  der  Statistiker  wird  aus 
den  genauen  Verwaltungsberichten,  sowie 
aus  den  allgemeinen  Morbiditäts-  und  Mor- 
talitätsstatistiken reiche  Belehrung  schöpfen 
können,  sondern  in  ganz  hervorragender 
Weise  wird  durch  eine  ausführliche  Casuistik, 
durch  Skizzirung  von  hunderten  von  Kranken- 
geschichten das  practische  ärztliche  Inter- 
esse gefesselt;  schwierige,  seltene  Fälle  und 
Gomplicationen,  Diagnosen,  durch  die  Section 
bestätigt  oder  corrigirt,  erfolgreiche  thera- 
peutische Maassnahmen,  sind  in  solcher  Fülle 
beschrieben,  dass  dies  Werk  fast  den  Cha- 
rakter eines  Lehrbuches  angenommen  hat. 
Bei  der  Fülle  des  Materials  kann  auf  Ein- 
zelnes hier  nicht  eingegangen  werden. 

Den  zweiten,  viel  kürzeren,  aber  nicht 
minder  interessanten  Theil  des  Buches  bilden 
einige  Originalabhandlungen.  Die  erste  der- 
selben, über  den  prognostischen  Werth  des 
Wundsecretes,  von  Geheimrath  v.  Nuss- 
b  au  m ,  enthält  die  Veröffentlichung  einer  wich- 
tigen Erfahrung.    Geheimrath  y.  Nussbaum 


m.  Jahrgang.  I 
November  1889.  J 


Llttf  tiif» 


535 


hat  auf  Grund  jahrzehntelanger  Beobachtung 
die  Ueberzeugung  gefasst,  dass  wenn  das 
Wundsecret  längere  Zeit  blutig  tingirt  ist, 
die  Heilung  der  Wunde  eine  ungünstige  Pro- 
gnose bietet.  Nicht  die  Nachblutungen  yer- 
steht  T.  N.  unter  dieser  blutigen  Verfärbung 
des  Secretes,  auch  nicht  jene  prognostisch 
so  üblen  tertiären  Blutungen,  sondern  eine 
durch  capillare  Blutung  zu  Stande  kommende, 
keine  bestimmte  Localisation  aufweisende 
Rothfarbung  des  Wundsecretes  oder  des 
Eiters.  Je  länger  diese  Verfärbung  anhält, 
umsomehr  verschlechtert  sich  die  Prognose. 
Bei  Tuberculosen  und  Säufern  wird  sie  be- 
sonders oft  und  andauernd  beobachtet,  v.  N. 
erklärt  diese  Erscheinung  durch  einen  nicht 
nur  auf  den  ungünstigen  Zustand  der  Wund- 
Terhältnisse  zurückzuführenden,  sondern  oft 
auch  mit  dem  Allgemeinbefinden  zusammen- 
hängenden mangelnden  Tonus  der  Gapillar- 
gefässe  in  der  Wunde.  Als  Folge  hiervon 
tritt  eine  schlechte  Ernährung  des  Paren- 
chyms  der  nächsten  Umgebung  der  Wunde 
ein  und  so  ein  ungünstiger  Heilverlauf. 
Der  zweite  Artikel  v.  Ziemssen's  über  die 
Häufigkeit  der  Lungenschwindsucht  in  Mün- 
chen constatirt  eine  erfreuliche,  procentische 
Abnahme  der  Sterbefälle  und  eine  viel  nie- 
drigere Ziffer  der  Mortalität,  als  in  anderen 
Städten.  Die  statistische  Skizze  Zaubzer^s 
zum  Milchconsum  der  Stadt  München  zeigt 
einen  überraschend  grossen  Verbrauch  von 
Milch  in  dieser  Stadt.  Schulthess  constatirt 
in  der  Abhandlung  über  Fieber  bei  subcu- 
tanen Fracturen  das  Vorkommen  derselben 
namentlich  bei  subcutanen  complicirten  Frac- 
turen der  grossen  Röhrenknochen  während 
der  Heilung,  besonders  nach  bedeutendem 
Bluterguss.  Die  Prognose  scheint  durch 
das  Fieber  sich  eher  gunstig  zu  gestalten. 
Ein  Fall  von  Meningit.  cerebro-spinal.  sy- 
philitica, welcher  jahrelang  von  v.  Z.  beob- 
achtet wurde  und  gunstig  verlief,  wird  aus- 
fuhrlich von  0  s  term  ai  e  r  beschrieben  und  von 
allgemeinen  Gesichtspunkten  aus  beleuchtet. 
Einige  interessante  Fälle  von  hämorrhag. 
Diathese  geben  Martin  die  Veranlassung, 
über  das  Wesen  und  Vorkommen  derselben 
auf  Grund  eingehender  litt  er  arisch  er  Studien 
sich  zu  verbreiten,  und  er  kommt  zu  dem 
Resultate,  dass  alle  die  verschiedenen  Be- 
zeichnungen für  die  hämorrhag.  Diathese 
(Purpura  simpl.,rheumat.;Peliosi8,Scorbut  etc.) 
eine  einheitliche  Krankheit  bilden,  für  welche 
er  den  Namen:  Morbus  maculos.  Werthoffii 
empfiehlt.  Den  Schluss  der  Abhandlungen 
bildet  die  Helbing'sche  über  die  Wirkung 
des  Thaliin,  welches  Verf.  als  Antipyreticum 
bezeichnet,  das  in  Dosen  von  ^/^  g  wirkt, 
reichliche   Seh  weisse,   beim   Wiederansteigen 


der  Temperatur  öfters  Fröste  erzeugt,  sonst 
aber  keine  unangenehmen  Nebenerscheinungen 
hervorrutt,  unter  den  übrigen  temperatur- 
herabsetzenden Mitteln  nur  dem  Antipyrin 
nachsteht.  Dieses  ist  allein  im  Stande, 
dauernd  subfebrile  Temperaturen  zu  erzeugen. 

JRosi»  {Breslau), 

Führer  durch  die  Prlvat-Hcilanstalten  Deutsch- 
lands, Oesterreichs  nnd  der  Schweiz.  Von 
P.  Berger.   Berlin  1889/90.  Hugo  Sieinitz. 

Das  Bedur&iss  nach  der  Behandlung  in 
Heilanstalten  ist  in  letzter  Zeit  immer 
grösser  geworden  und  wird  es  von  Tag  zu 
Tag  mehr,  weil  die  neuen  Heilmethoden  ein 
so  complicirtes  und  kostspieliges,  ärztliches 
Instrumentarium,  eine  beträchtliche,  techni- 
sche Schulung  des  abwartenden  Personals, 
eine  permanente,  sachkundige  Beaufsichti- 
gung beanspruchen,  dass  eine  Reihe  von 
Curen  zu  Hause  nicht  gut  durchführbar  ist. 
IJm  nun  für  jeden  Fall  die  geeigneten  An- 
stalten angeben  zu  können,  ist  die  Kenntniss 
von  ihrem  Wirkungskreise,  ihren  Einrich- 
tungen und  äusseren  Verhältnissen  ein  un- 
abweisbares Erforderniss  für  die  practischen 
Aerzte,  dem  vorliegendes  Buch  Rechnung 
trägt.  Es  bildet  diesbezüglich  einen  brauch- 
baren Führer,  indem  es  sich  die  Aufgabe 
stellt,  einen  möglichst  abgerundeten,  voll- 
kommenen, wahrheitsgetreuen  Prospect  der 
Privat-Heilanstalten  zu  liefern.  Neben  der 
Schilderung  der  sehr  übersichtlich  geordne- 
ten Anstalten  bespricht  Verf.  in  knapper 
Form  Wesen  und  Indication  der  diätetischen, 
physikalisch-mechanischen  Behandlungsme- 
thoden, der  Wassercuren  u.  s.  w. 

J.  Üuhemann  {BerKn). 


Practiscbe  If otisem 

und 
empfehlemswerthe  Arsmeiformelii. 


Zu  den  antiseptischen  Mundwässern. 

In  meinem  Buche  über  die  „Mikro- 
organismen der  Mundhöhle"  habe  ich 
S.  189  ein  Recept  für  ein  Mundspülwasser 
angegeben,  welches  neben  Thymol  und  Ben- 
zoesäure Quecksilberbichlorid  enthält 
und  zwar  so,  dass  letzteres  Mittel  in  einer 
Concentration  von  etwa  1  :  3000  in  der 
Mundhöhle  angewandt  wird*).  Dieses  Recept, 
welches  nur  den  Aerzten  resp.  Zahnärzten 
unter  der  Voraussetzung  der  Beaufsichtigung 
seitens  derselben  von  mir  angegeben  worden 

»)  S.  Thorap.  Monatshefte  1889.  S.  390.    Red. 


536 


Practtoche  Notlsen  und  •mpfehlenswerlhe  Arzneiformeln. 


[TherAp«atiaeli« 
Monauhefte. 


ist,  hat  den  Ruodlauf  durch  die  Tagesblätter 
genommen  und  sehe  ich  mich  deshalb  ver- 
anlasst, vfie  das  auch  in  meinem  Buche 
S.  185  aus  dem  Zusammenhange  erhellt,  da- 
rauf hinzuweisen,  dass  das  Mittel  in  der 
Hand  der  Laien  ein  differentes  Mittel 
ist,  welches,  nicht  richtig  zur  Anwendung 
gebracht,  Schaden  stiften  konnte.  In  diesem 
Zusammenhange  habe  ich  geschrieben  S.  185, 
obgleich  selber  von  der  Gefahrlosigkeit  des 
Mittels  in  angegebener  Concentration  über- 
zeugt, „doch  fehlt  die  Sicherheit,  und  man 
muss  deswegen  vorläufig  von  dem  anhalten- 
den täglichen  Gebrauche  dieses  vorzüglichen 
Mittels  Abstand  nehmen.  Abwechselnd  mit 
anderen  Mitteln  oder  aber  bei  acuten  Er- 
krankungen der  Mundschleimhaut  ist  es  ge- 
wiss für  kürzere  Zeit  angezeigt".  Ferner 
S.  189:  „möchte  ich  diese  Losung  jedem 
Arzte  und  Zahnarzte  zum  persönlichen  Ge- 
brauche empfehlen.  Nur  auf  diese  "Weise 
würde  man  feststellen  können,  ob  das  Mittel 
sich  zur  allgemeinen  Anwendung  eignet". 

Ich  habe  also  damit  nur  den  Aerzten 
resp.  Zahnärzten  ein  Mittel  in  die  Hände 
geben  wollen,  nicht  aber  den  Laien,  und 
möchte  ich  diejenigen  Zeitschriften,  welche 
das  Recept  ohne  seinen  Zusammenhang  ab- 
gedruckt haben,  ersuchen,  hiervon  Kenntniss 
zu  nehmen.  2>^.  MlUr. 

Menthol     gegen     unstillbares     Erbrechen      der 
Schwangeren. 

Gottschalk  wandte  in  einem  Falle 
(Berl.  klin.  Wochenschr.  No.  41, 1889)  von  un- 
stillbarem Erbrechen,  wo  auch  Cocain  ver- 
sagte, Menthol  mit  ausgezeichnetem  Erfolge 
an.  Er  Hess  die  Kranke  von  folgender 
Mischung: 

Menthol.        1,0 
solve  in 

Spirit.  vini  20,0 

Aq.  dest.    150,0 

stündlich  1  Esslöffel  nehmen.  Nach  dem 
3.  Esslöffel  hörte  bereits  das  Erbrechen  auf. 

Zur  Behandlung   des   Pruritus   cutaneus  univer- 
salis 

hatWertheimber  (Münch.  med.  Wochenschr. 
No.  44,  1889)  sich  in  3  Fällen,  wo  alle  ge- 
bräuchlichen Mittel  versagten,  des  sali- 
cyl sauren  Natrons  mit  überraschendem 
Erfolge  bedient.  Er  verabfolgte  dasselbe 
mit  der  Weisung,  täglich  3  Mal  2  Esslöffel 
der  3procentigen  Lösung  zu  nehmen.  Das 
Mittel  hat  sich  in  den  drei  Fällen  dem 
Leiden  gegenüber  nicht  etwa  als  ein  Lin- 
derungsmittel, sondern  als  ein  wirkliches 
Heilmittel  bewährt. 


Zum  Schutz   des   gesunden  Auges  bei  einseitiger 
Blennorrhoea  neonatorum 

träufelt  Fraen  kel(Chemnitz)(Elin.  Monatsh. 
f.  Augenheilk.)  in  das  gesunde  Auge  täglich 
einen  Tropfen  einer  2procentigen  HöUenstein- 
lÖBung  ein,  wodurch  dieses  geschützt  wird, 
falls  man  den  Fat.  alle  Tage  zur  Behand- 
lung bekommt.  Das  Verfahren  soll  auch 
bei  wochenlangerWiederholung  keine  dauernde 
Reizung  veranlassen. 

Said  als  Streupulver 

empfiehlt  E.  Graetzer  (Der  ärztliche  Prak- 
tiker) bei  Unterschenkelgeschwüren  nach  der 
Formel      l^   Saloli     2,0—   3,0 

Amyli  48,0—47,0. 
Mit  dieser  Mischung  sind  die  afficirten  Theile 
fein  zu  bestäuben,  nicht  in  dicker  Schicht 
zu  bestreuen.  Stärkere  Concentrationen  als 
die  angegebenen  sollen  weniger  zu  empfehlen 
sein.  Auch  in  einem  Falle  von  Bartflechte, 
welche  den  verschiedensten  Mitteln  Wider- 
stand geleistet  hatte,  erfolgte  innerhalb  14 
Tagen  Heilung.  Desgleichen  leistete  das 
Salolstreupulver  G.  gute  Dienste  bei  Ge- 
schwüren, eiternden  Hautdefecten,  Brand- 
wunden. 

Für  die  Behandlung  von  Brandwunden 

empfiehlt  E.  Oster may er  (Deutsch,  med. 
Wochenschr.),  nach  Eröffnung  der  Brand- 
blasen und  Entfernung  des  Inhaltes  mit 
sterilisirter  Watte  die  Stellen  mit  einer  10- 
procentigen  Mischung  von  Sozojodolkalium 
und  Stärkemehl  oder  venetianischem  Talk 
gehörig  zu  bestreuen  und  mit  Verbau dwatte 
zu  bedecken.  Die  Schmerzen  sollen  auf- 
hören und  der  Heilungsprocess  in  erstaun- 
lich kurzer  Zeit  und  ohne  Eiterung  erfolgen. 
Auch  bei  Aetzungen  mit  Laugen  und  Säuren 
soll  die  Behandlung  mit  Sozojodolkali  gute 
Dienste  leisten. 

Verordnung  von  Leberthran. 

Als  Geruchs-  und  Geschmackscorrigens 
für  Leberthran  empfiehlt  Seig  (Journ.  de 
med.  de  Paris  —  Journ.  de  Fharmacie  et 
de  Chimie)  einen  Zusatz  von  Kreosot  und 
Saccharin  nach  folgender  Formel: 
Ol.  Jecoris  Aselli  2000,0 
Kreosoti  2,5 

Saccharini  0,16. 

Bei  der  Verordnung  des  Coffeins 

in  Form  des  Goffeino-Natrium  bezoTcum  als 
Mixtur  sind  nach  A.  Raynaud  (Journ.  de 
Fharmacie  et  de  Chimie)  saure  Synipe, 
welche  eine  Abscheidung  von  Benzoesäure 
bewirken,  als  Corrigientien  zu  vermeiden. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  Ton  GusUv  Schade  (Otto  Francke)  Berlin  N. 


Therapeutische  Monatshefte. 


1889.    Deeember. 


Originalabhandlnngen. 


Ueber  JodkaliumTVirkungr» 

Von 

Prof.  Dr.  Oppenheimer  in  Heidelberg. 

(Vortrag,  gehaltec  in  der  Section  für  Pharmakologie 
der   62.  Naturforscherversammlung   zu   Heidelberg 

September  1889.) 

M.  H.  Ich  muss  um  Entschuldigung  und 
um  Ihre  Nachsicht  bitten,  ^enn  ich  vor  dieser 
Versammlung  über  Jodkaliumwirkung  sprechen 
will,  ohne  die  Resultate  einer  experimentellen 
Untersuchung  vorlegen  zu  können.  Was  ich 
Ihnen  hieten  kann,  sind  Beobachtungen  am 
Krankenbett,  die  mir  ein  gewisses  Interesse 
auch  für  den  Pharmakologen  zu  haben  schei- 
nen. Bei  dem  augenblicklichen  Stande  der 
wissenschaftlichen  Forschung,  welche  trotz  der 
vortrefiFlichen  experimentellen  Arbeiten  der 
besten  Pharmakologen  noch  nicht  volle  Klar- 
heit gebracht  bat,  halte  ich  es  für  wichtig, 
zu  den  Erfahrungen  zurückzugehen,  welche 
man  am  Menschen  machen  konnte,  um  neue 
Anhaltspunkte  für  fernere  experimentelle 
Untersuchungen  zu  gewinnen.  Ich  werde 
von  diesem  Gesichtspunkte  aus  mich  nicht 
mit  den  therapeutischen  Resultaten  beschäf- 
tigen, welche  man  mittelst  des  Jodkaliums 
erzielen  kann.  Die  Verhältnisse  hierbei  sind 
offenbar  zu  compliclrt,  als  dass  sie  vorerst 
wissenschaftlich  verwerthet  werden  können. 
Viel  einfacher  sind  die  Erscheinungen,  welche 
man  bisher  —  mit  Recht  oder  Unrecht,  lasse 
ich  zunächst  unentschieden  —  als  Jodismus 
bezeichnet  hat. 

Zuerst  will  ich  hervorheben,  dass,  wie 
allgemein  bekannt,  Jodkalium  von  vielen 
Individuen  ohne  jede  nennenswerthe  StÖurng 
vertragen  wird.  Ich  habe  zwar  nie  so  grosse 
Dosen  in  Gebrauch  gezogen  wie  Haslund, 
der  bei  Psoriasis  bis  zu  40,0  g  pro  die  stieg, 
aber  in  vielen  Fällen  habe  ich  8 — 10,0  g  täg- 
lich nehmen  lassen,  ohne  eine  andre  Störung 
als  eine  mehr  oder  weniger  leichte  Magen- 
affection  zu  sehen,  wie  sie  wohl  auch  bei 
Anwendung  anderer  Kalisalze  beobachtet 
wird.  Wie  gross  der  Procentsatz  derjenigen 
ist,    welche  Jodkalium  vertragen,   kann  ich 


nicht  in  Zahlen  angeben.  Röhmann  und 
Malachowski  fanden  unter  86  Patienten  41, 
die  frei  von  jeder  Störung  blieben  bei  einer 
Tagesdose  voi)  3,0.  Im  Ganzen  scheint  mir 
eine  procentualische  Berechnung  keinen  Yor- 
theil  zu  bringen.  Die  Thatsache,  dass  die 
Erscheinungen  des  Jodismus  bald  eintreten, 
bald  fehlen,  steht  fest,  und  wie  mir  scheint 
sind  zur  Erklärung  dieses  Verhaltens  des 
Organismus  gegenüber  dem  Jodkalium  nur 
zwei  Möglichkeiten  vorhanden.  Entweder 
der  physiologische  Organismus  reagirt  unter 
allen  Umständen  in  gleicher  Weise  auf  das 
Mittel.  In  dem  Falle  befinden  sich  die- 
jenigen Forscher  im  Recht,  welche  mittelst 
der  gewöhnlichen  physiologischen  Ejräfte  und 
Einrichtungen  des  Körpers  die  Spaltung  des 
Jodkaliums  in  seine  Componenten  vor 
sich  gehen  lassen  und  die  Wirkung  des 
Mittels  davon  ableiten.  Aber  es  fallt  ihnen 
dann  die  Aufgabe  zu,  die  Bedingungen  an- 
zugeben, unter  welchen  die  Spaltung  nicht 
zu  Stande  kommt  und  Jodismus  nicht  in 
Erscheinung  tritt.  Soweit  ich  sehe,  ist  diese 
Forderung  bis  jetzt  unerfüllt  geblieben.  Oder 
man  muss  annehmen,  dass  das  Jodkalium 
nur  dann  Jodismus  erzeugt,  wenn  in  dem 
Körper  abnorme  Bedingungen  sich  vorfinden, 
durch  deren  Anwesenheit  eine  solche  Ver- 
änderung in  dem  Jodkalium  entsteht,  dass 
die  neugebildeten  Substanzen  die  Wirkungen 
hervorbringen,  die  man  als  Jodismus  be- 
zeichnet. Fehlen  diese  Bedingungen,  so  bleibt 
der  Jodismus  aus. 

Eine  solche  ungewöhnliche  Bedingung 
wird  allgemein  angenommen  für  die  Ent- 
stehung der  Katarrhe  und  Entzündungen, 
welche  man  nach  dem  Gebrauch  von  Jod- 
kalium auf  den  Schleimhäuten  der  Respi- 
rationsorgane beobachtet.  Dass  dieselben 
durch  frei  werdendes  Jod  verursacht  werden, 
wird  nicht  bezweifelt.  Der  Streit  dreht  sich 
nur  um  die  Frage,  durch  welche  chemische 
Vorgänge  die  Spaltung  des  Jodkaliums  er- 
folgt. Die  Einen  nehmen  an,  dass  auf  den 
Schleimhäuten  aus  den  Nitraten,  die  mit  der 
Nahrung  dem  Körper  zugeführt  werden,  sich 
Nitrite    bilden^    welche    das  Jodkalium  zer- 

68 


538 


Oppenhelmer,  Ueber  Jodkalium  Wirkung. 


rTherapeatfache 
L  Monatahefte. 


legen.  Die  Annahme  lässt  unentschieden,  wie 
und  wo  die  Reduction  der  Nitrate  stattfindet 
und  woher  in  dem  gewöhnlich  alkalischen 
Nasen  Beeret  die  Säure  stammt,  welche  zur 
Spaltung  des  Jodkaliums  durch  die  salpetrig- 
sauren Salze  nothig  ist.  Sie  ist  Tollständig 
unzureichend  zur  Erklärung  der  Katarrhe, 
welche  durch  Jodkalium  bei  Milchnahrung, 
die  nitratfrei  ist,  z.  B.  bei  Säuglingen,  ent- 
stehen, und  zur  Erklärung  der  Fälle,  welche 
das  Mittel  ohne  Störung  ertragen.  Eben 
dieselben  Bedenken  sprechen  aber  auch  gegen 
die  zweite  Annahme,  wonach  Ozon,  das  sich 
bei  Wasserverdunstung  bildet  oder  salpetrig- 
saures Ammoniak,  das  durch  Wasserver- 
dunstung  bei  Gegenwart  von  Stickstoff  ent- 
steht, die  Zerlegung  des  Jödkaliums  be- 
sorgen soll. 

Die  Beobachtung  am  Krankenbette  führt, 
wie  mir  scheint,  auf  den  rechten  Weg.    Wenn 
man  weiss,  dass  bei  tuberculösen  Infiltrationen 
und     chronischen     Pneumonien     unter    dem 
Gebrauch   von  Jodkalium   die  Secretion   der 
Bronchialschleimhaut     zunimmt    und    selbst 
frische  Entzündungen  mit  rascher  Schmelzung 
der  Gewebe  und  Lungenblutungen  auftreten, 
weshalb  allgemein  vor  der  Anwendung  dieses 
Mittels    in    solchen    Fällen    gewarnt    wird, 
wenn  man   beobachtet  hat,    dass  bei  ulcera- 
tiven  Vorgängen  im  Larynx  durch  das  Jod- 
präparat leicht  Oedem   entsteht,    wenn  man 
sieht,  dass  bei  Asthma,  welches  auf  fibrinöser 
Bronchiolitis    beruht   und    bei    Gatarrh    sec, 
wo  ähnliche  Gerinnungen  mit  den   charakte- 
ristischen Charcot-Ley  deutschen  Krystallen 
ausgeworfen  werden,    das  Mittel  durch  Stei- 
gerung  der   Secretion  und    reichlichere   Ex- 
pectoration  einen  ausgezeichneten  Erfolg  her- 
beiführt,   so    liegt   der  Gedanke  nahe,    dass 
die    Jod  Wirkung    in    einem    Zusammenhange 
steht  mit  der  Beschaffenheit  der  stagnirenden 
Secrete,  welche  bei  allen  diesen  Erkrankungen 
in  Betracht  kommen.     Und  ich  glaube  mich 
nicht  von  der  Wahrheit  zu  entfernen,  wenn 
ich    auch    in    den  Gängen  und  Buchten  der 
Nasenhöhle    das    häufige    Vorkommen    stag- 
nirender   Secrete    annehme,    wenn    dieselben 
sich  auch  nicht  durch  schlechten  Geruch  und 
Nasenfiuss    zu    erkennen    geben.     In    allen 
stagnirenden   Secreten    dürfen   wir  Fäulniss- 
vorgänge voraussetzen  und  finden  uns  chemi- 
schen Processen  gegenüber,  bei  denen  Reduction 
und  Oxydation  in  ausgedehntem  Masse  auf- 
treten.    Durch   sie  kann  sowohl  das  Nitrat 
in  Nitrit    reducirt  werden,    als    auch    durch 
Bildung    von  Wasserstoff    activer  Sauerstoff 
entstehen,  der  das  Jodkalium  zersetzt.   Wel- 
cher dieser  Vorgänge,  ob  der  eine  oder  beide 
zugleich,  in  Wirklichkeit  stattfindet,  vermag 
ich  nicht  zu  sagen;  ich  wollte  nur  feststellen, 


dass  bei  Erklärung  der  Jodkalium  Wirkung 
dieselben  nicht  vernachlässigt  werden  dürfen, 
und  dass  mit  diesen  Annahmen  sowohl  das 
Ausbleiben  als  das  Auftreten  dieser  Wirkung 
ungezwungen  erklärt  werden  kann.  Selbst 
die  Angewöhnung  an  das  Mittel,  die  Er- 
fahrung, dass  bei  fortgesetzter  Darreichung 
des  Jodkaliums  die  anfänglich  aufgetretenen 
Entzündungen  von  selbst  schwinden,  würde 
darin  seine  Erklärung  finden,  dass  mit  der 
reichlichen  Secretion,  welche  die  ersten  Dosen 
erzeugen,  die  faulenden  Substanzen  und 
damit  die  Bedingungen  zur  Spaltung  des 
Jodkaliums  entfernt  würden.  Endlich  würde 
es  auch  verständlich  werden,  warum  die 
Jodwirkung  nur  in  den  Luftwegen  beobachtet 
wird.  Hier  findet  ein  reichlicher  Zutritt  von 
Luft  statt,  wodurch  einestheils  nach  allge- 
meiner Annahme  leicht  saure  Fäulnisspro- 
ducte  entstehen,  welche  zur  Zersetzung  der 
Nitrite  nöthig  sind,  anderntheils  kann  sich 
das  Wasserstoffsuperoxyd  bilden,  welches  den 
nascirenden  Sauerstoff  zur  Zerlegung  des  Jod- 
kaliums abgeben  kann. 

Ehe  ich  diesen  Gegenstand  verlasse,  darf 
ich  wohl  darauf  hinweisen,  dass  die  Röthung 
des  Gesichts,  die  Oedeme  der  Augenlider, 
der  Thränenfiuss  und  Kopfschmerz,  die  Un- 
ruhe und  Schlafiosigkeit  als  Reflexneurosen 
aufzufassen  sind,  die  von  der  Reizung  der 
nasalen  Trigeminusfasern  ausgehen.  Ganz 
denselben  Erscheinungen  begegnen  wir  bei 
acuten  Entzündungen  der  Nasenschleimhaut 
aus  andern  Ursachen.  Es  ist  für  mich  deshalb 
zweifellos,  dass  sie  nur  in  secundärer  Be- 
ziehung zu  dem  Jod  stehen  und  den  Namen 
Jodismus  nicht  verdienen.  Dies  wird  in 
deutlicher  Weise  bewiesen,  wenn  man  die 
Erscheinungen  betrachtet,  welche  durch  un- 
mittelbare Einw^irkung  der  Jodpräparate  auf 
die  Nerven  und  Muskel  Substanz  hervorge- 
rufen werden. 

Die  Erscheinungen,  welchen  wohl  mit 
Recht  die  Bezeichnung  Jodismus  zukommt, 
charakterisiren  sich  durch  Kopfschmerz, 
Schlaflosigkeit,  Kraftmangel,  kleinen,  sehr 
schnellen,  zitternden  Puls,  Herzklopfen  und 
Beängstigung,  Ohnmachtsgefühle,  Schwäche 
des  Gesichts  und  Gehörs,  wozu  sich  Stupor 
und  manchmal  Gonvulsionen  gesellen.  Häufig 
sind  diese  Symptome  nach  dem  Gebrauche 
des  Jodkaliums  nicht.  Ich  habe  sie  nur 
einmal  beobachtet  mit  günstigem  Ausgang. 
Sie  sind  aber  schon  seit  40  Jahren  bekannt, 
wo  sie  von  Röser  zuerst  beschrieben  wur- 
den. Derselbe  fasst  sie  jedoch  nicht  als 
Folge  des  Jodkaliums  auf,  sondern  als 
Krankheit  der  verschwundenen  Kröpfe,  weil 
sie  nur  auftreten,  wenn  durch  den  Gebrauch 
des    Jodkaliums    ein    grosser    Kropf    rasch 


QLJabrgAiur.  1 
Decemlwr  U8S.  J 


Oppenheimer,   Ueber  Jodkallomwirkang. 


539 


zur  Resorption  gebracht  worden  war.  Bis 
in  die  neueste  Zeit  findet  sich  diese  An- 
nahme in  den  Lehrbüchern  erwähnt  und  da- 
mit begründet,  dass  durch  die  rasche  Be- 
seitigung des  Drucks,  den  die  hypertrophi- 
sche Thyreoidea  auf  die  Halsgefasse  aus- 
übt, die  Girculationsyerhältnisse  in  der 
Schädelhohle  eine  plötzliche  Veränderung 
erfahren. 

Dass  diese  Ansicht  nicht  richtig  ist, 
geht  schon  daraus  hervor,  dass  bei  totalen 
oder  partiellen  Exstirpationen  der  Schild- 
drüse, wo  doch  die  Entfernung  des  Drucks 
noch  viel  rascher  erfolgt,  als  durch  Jod- 
kaliumbehandlung, niemals  etwas  ähnliches 
gesehen  wurde.  Was  man  als  Cachexia 
thyreoipriva  beschrieben,  unterscheidet  sich 
in  seinem  zeitlichen  Auftreten  und  sympto- 
matischen Verhalten  so  sehr  von  dem  er- 
wähnten Symptomencomplex,  dass  ich  darauf 
nicht  einzugehen  brauche.  Die  Ursache 
jener  Erscheinungen  muss  deshalb  wo  anders 
liegen,  und  wenn  man  in  Betracht  zieht, 
dass  die  Symptome  der  Jodoform  Vergiftung 
nahezu  die  gleichen  sind,  so  muss  man  an- 
nehmen, dass  das  Jod  bei  ihrem  Entstehen 
betheiligt  ist.  Dasselbe  kann  nach  den 
Untersuchungen  von  Binz  ähnlich  wie  das 
Brom  und  Chlor  toxisch,  und  zwar  läh- 
mend auf  die  nervösen  Gentralapparate  ein- 
wirken. In  dieser  Beziehung  scheint  die 
Wirkung  klar  und  deutlich,  die  Schwierig- 
keit liegt  aber  darin,  dass  man  nicht  weiss, 
in  welcher  Verbindung  das  Jodpräparat  zu 
dem  Gehirn  gelangt,  und  es  keinem  Zweifel 
unterliegt,  dass  das  Jodkalium  bei  ganz  ge- 
sunden Individuen  niemals  einen  Einfluss 
auf  das  Gehirn  ausübt.  Auch  hier  scheint 
mir  die  Beobachtung  am  Krankenbette  den 
Weg  anzugeben,  auf  welchem  vielleicht  die 
Frage  nach  der  Wirkungsweise  der  Lösung 
zugeführt  werden  kann. 

Wenn  man  sieht,  dass  durch  das  Mittel 
der  Kropf  verschwindet,  so  kann  dies  nur 
dadurch  zu  Stande  gekommen  sein,  dass 
vorher  undiffundirbare  Substanzen  resorp- 
tionsfähig  gemacht  wurden,  und  man  ist 
hier  zu  der  Annahme  gedrängt,  dass  das 
Jodkalium  einen  Einfluss  auf  die  colloiden 
Substanzen  ausgeübt  haben  muss.  Unter- 
suchungen, die  ich  hierauf  anstellte,  sind 
bis  jetzt  allerdings  resultatlos  geblieben, 
aber  bei  den  Schwierigkeiten,  welche  sich 
einer  chemischen  Untersuchung  der  colloiden 
Substanzen  entgegenstellen,  halte  ich  eine 
gänzliche  Abweisung  der  Hypothese  für 
nicht  gerechtfertigt. 

Für  den  Fall,  dass  diese  Untersuchung 
ein  positives  Resultat  ergeben  sollte,  wären 
wir  jedoch  noch  immer  nicht  zu  einer  voll- 


kommen klaren  Einsicht  in  das  Wesen  des 
Jodismus  gekommen.  Denn  es  giebt  noch 
eine  zweite  Form  desselben,  die  unter  an- 
dern Bedingungen  sich  entwickelt.  Bei 
Basedow^scher  Krankheit  erzeugt  Jodkalium 
ein  Delirium  cordis  mit  Störungen  der  Gircu- 
lation,  die  sich  in  vermehrter  Pulsfrequenz 
und  wechselndem  Füllungsgrad  der  kleinen 
Arterien  ausspricht.  Rothe  und  Blässe  des 
Gesichts,  Unruhe  und  Müdigkeit,  Unbehagen, 
Angstgefühl  und  Aufregungserscheinungen 
wechseln  mit  .einander  ab.  Man  könnte 
vermuthen,  dass  diese  Erscheinungen  durch 
Jodverbindungen  erzeugt  würden,  welche 
sich  in  der  vorhandenen  Struma  der  Kranken 
bilden.  Aber  auffallender  Weise  bemerkt 
man  dabei  keinen  Einfluss  auf  die  Grösse 
der  Thyreoidea,  was  möglicherweise  nicht 
eintritt,  weil  die  Medication  nicht  lange  ge- 
nug fortgesetzt  werden  kann.  Man  müsste 
annehmen,  dass  hier  schon  minimale  Mengen 
der  supponirten  Jodverbindung  wirksam 
wären.  Diese  Vermuthung  ist  aber  un- 
richtig, weil  dieselben  Erscheinungen  beob- 
achtet werden  bei  Individuen,  die  nicht  an 
Basedow  leiden,  welche  keine  Struma  und 
keinen  Exophthalmus  haben,  die  sich  nur 
dadurch  auszeichnen,  dass  sie  ein  irritables 
Herz  besitzen  und  ein  gewisser  Erethismus 
des  peripherischen  Gefösssystems  und  eine 
reizbare  Schwäche  der  psychischen  Stimmung 
bei  ihnen  besteht.  Unter  normalen  Lebens- 
bedingungen überschreiten  diese  Erscheinun- 
gen nicht  die  Breite  der  Gesundheit.  Ich 
kenne  ganze  Familien,  bei  denen  diese 
Disposition  hereditär  ist.  Ward  man  aus 
irgend  einem  Grunde  veranlasst,  Jodkalium 
zu  verabreichen,  so  konnte  man  schon  nach 
3  Centigramm  die  stürmischsten  Erschei- 
nungen einer  gestörten  Blutcirculation,  Herz- 
klopfen, kleinen  Puls,  Klopfen  der  Caro- 
tiden,  das  Gefühl,  als  ob  der  Schädel 
bersten  müsse,  bei  ihnen  beobachten. 

Eine  Hypothese  für  diese  Fälle  vermag 
ich  nicht  zu  geben.  Wir  können  nur  ver- 
muthen, dass  bei  einer  gewissen  Disposition 
des  . Gefässn er ven Systems  die  chemische  Zu- 
sammensetzung desselben  der  Art  ist,  dass 
Jodkalium  eine  Veränderung  desselben  her- 
vorbringen kann,  und  dass  beim  Mangel 
dieser  eigenthümlichen  Beschaffenheit  das 
Jodkalium  nur  die  Wirkung  eines  Kalium- 
salzes verursacht. 


68* 


540 


Sehellonf,  Bamerkungen  cur  fnedieamcntStaii  Therapl«  des  Malariafleben.        [  i/^^^^n^ 


Bemerkungen  zur  niedicanieutösen 
Therapie  des  Malariafiebers. 

Von 

Dr.  0.  Schellong,  Arzt  in  Königsberg. 

Die  Tbatsache,  dass  das  ChiDin  bei  dem 
Malariafieber  bisweilen  versagt,  insofern 
trotz  vorschriftsmässiger  Verabreichung  aus- 
reichender Gaben  desselben  die  Fieberparoxys- 
men  wiederkehren,  hat  es  möglich  gemacht, 
dass  in  Malaria-Gegenden  ausser  dem  Chinin 
stets  noch  eine  grosse  Anzahl  anderer  Arze- 
neien  von  Aerzten  und  Laien  anempfohlen 
und  versucht  wurden.  Zur  richtigen  Wür- 
digung der  Erfolge,  welche  eine  medica- 
mentose  Therapie  leistet,  muss  man  wissen, 
dass  die  Fieberanfälle  der  Malaria  bisweilen 
ausbleiben,  ohne  dass  irgend  welche 
Arzenei  genommen  wird,  andererseits  dass 
sie  wiederkehren,  aber  bisweilen  vom  Kran- 
ken oder  Arzt  übersehen  werden.  Wenn 
es  daher  in  einem  Berichte  der  Lancet, 
No.  19,  Februar  1887,  von  den  sehr  gün- 
stigen Erfolgen,  welche  Clark^)  mit  dem  pi- 
krinsauren  Ammoniak  in  einer  Malaria- 
Gegend  Nord -Indiens  erzielt  hat,  heisst: 
„unter  5000  Fällen  trat  auf  pikrins.  Am- 
moniak nur  9  mal  nicht  Heilung  ein,  und 
von  diesen  9  Fällen  reagirte  auch  nur  ein 
einziger  auf  Chinin",  so  begegnen  solche  und 
ähnliche  Angaben  doch  stets  von  vornherein 
einem  gewissen  Misstrauen,  so  lange  nicht 
ausgeführt  wird,  in  welcher  Weise  die  Con- 
trole  über  ein  so  grosses  Material  geübt 
wurde. 

Es  kommt  auch  ganz  besonders  darauf 
an,  was  man  unter  Heilung  der  Malaria 
verstehen  will;  das  Ausbleiben  eines  An- 
falles, welcher  am  nächsten  oder  den  nächst- 
folgenden Tagen  erwartet  wurde,  ist  jeden- 
falls kein  Beweis  für  die  Heilung;  man 
wird  eine  Heilung  vielmehr  nur  aus  dem 
Allgemeinbefinden  des  Kranken  und  aus 
dem  Verhalten  der  Milz,  annehmen 
können,  und  das  oftmals  auch  nur  unter 
Reserve,  da  Infectionen  bekanntlich  lange 
Zeit  hindurch  ganz  symptomenlos  fortbe- 
stehen können. 

Ist  es  demnach  nur  mit  Hülfe  eines 
grossen  Beobachtungsapparates  möglich  zu 
entscheiden,  in  wie  fern  ein  Medicament  die 
Heilung  der  Malaria  herbeizuführen  vermag, 
so  wird  man  sich  in  den  meisten  Fällen 
darauf  beschränken  müssen  zu  untersuchen, 
in    wie    weit  Medicamente    im  Stande  sind, 

^}  In  Folge  dieser  Mittheilung  hat  die  Neu- 
GuiDea  -  Compasnie  auf  Veranlassung  von  Herrn 
Prof.  Liebreicn  das  Mittel  anwenden  lassen.  Red. 


die  Fieberparoxysmen  zu  unterdrücken  oder 
sie  doch  wenigstens  hinauszuschieben.  Dem 
Chinin  kommt  diese  Eigenschaft  in  hervor- 
ragendem Maasse  zu.  Was  in  dieser  Hin- 
sicht das  pikrinsaure  Ammoniak  zu  ^leisten 
vennag,  möge  an  folgenden  Beispielen  ge- 
zeigt werden. 

Casaistik:') 

1.  Europäer. 

5.  IX.    Fieberparoxysm. 

G.  IX.    3  Pillen,  neuer  Paroxysm. 

2.  Europäer. 

5.  IX.   Paroxysm. 

6.-8.  IX.   9  Pillen. 

9.  IX.    Paroxysm.,  darnach  3  Pillen. 

10.  IX.   Paroxysm. 

3.  Europäer. 

7.  IX.    Paroxysm.,  darnach  3  Pillen. 
8.-9.  IX.    9  Pillen. 

17.  IX.   Paroxysm.  (in  der  Zwischenzeit  fort- 
währendes Gefühl  des  Krankseins). 

4.  Europäer. 

11.  IX.  Paroxysm. 

12.  IX.  3  Pillen,  Paroxysm. 

13.  IX.  6  Pillen,  Paroxysm. 

14.  IX.  Chinin. 

5.  Europäer. 

13.  IX.    Paroxysm.,  dann  2  Pillen. 

14.  IX.   3  Pillen. 

15.  IX.    Paroxysm.,  dann  Chinin. 

6.  Europäer. 

16.  IX.   Paroxysm. 

17.  IX.   6  Pillen. 

18.  IX    3  Pillen,  neuer  Paroxysm. 

7.  Europäer. 

17.  IX.   Paroxysm.,  5  Pillen. 

18.  IX.   3  Pillen,  neue  Paroxysm. 

8.  Europäer. 

7.  HI.    Pai'oxysm. 

8.  III.    1,5  Chin.,  neuer  Paroxvsm. 
9.— 15.  m.   38  Pillen. 

16.  III.  Paroxysm. 

17.  m,  6  Pillen,  Paroxysm. 

18.  m.  8  Pillen,  Paroxysm. 

19.  m.  2,0  Chin.,  fieberfrei. 

9.  Europäer. 

14.  III.   Paroxysm.,    Milz:     1  Fingerbreite 
unter  dem  Rippensaum  palpabel. 

15.  III.  u.  ff.    Mit  8  Pillen  p,  d,  beginnend,  täg- 
lich um  eine  verringernd. 

21.  ni.   Paroxysm.    (Befinden  in  der  Zwi- 
schenzeit durchaus  schlecht). 


')  Clark  verabreichte  das  Medicament  4  bis  5 
mal  täglich,  in  Dosen  von  0,0075—0,09;  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle,  so  heisst  es  in  dem  Be- 
richt, wirkten  schon  Gaben  von  0,03  in  der 
fieberfreien  Zeit  gereicht.  Ich  benutzte  zu 
meinen  Versuchen  PilleD  von  0,038  Gehalt  an  pi- 
krins. Ammoniak. 


)««emHe?i8f9  J       Schellong,  BemerkuDgen  cur  medicamentösen  Therapie  des  Malariaflebert. 


541 


22.  III.    7  Pillen. 

23.  IJI.    7  Pillen,  Paroxysm. 

24.  III.  7Pillen,  Paroxysm.,  Milz:  3  Finger- 
breiten anter  d.  Rippens.;  2  Fingerbreiten  von 
der  Medianlinie  und  dem  Nabel  entfernt. 

10.  Europäer. 

19.  III.  Paroxysm. 

20.  III.  Fieber  besteht  Tag  über  fort. 

21.  III.  Bei  normal.  Temp.  9  Pillen. 

22.  m.  9  Pillen. 

23.  III.  8  Pillen,  Paroxysm. 

11.  Europäer. 

G.  IX.    Im  Beginn  neues  Paroxysm.,  2  Pillen. 

7.  IX.    Temp.  38,2,    1  Pille. 

-  39,2,    1  Pille. 

-  39,2,    1  Pille. 

8.  IX.    Fieber  besteht  fort  bis  zum  12.  IX. 

12.  Malaye. 

6.  IX.    Paroxysm.,  2  Pillen. 

13.  IX.   Paroxysm. 

14.  IX.    3  Pillen,  Paroxysm. 

13.  Malaye. 

19.  IX.    Paroxysm. 

20.  IX.    6  Pillen. 

21.  IX.    3  Pillen,  Paroxysm. 

14.  Malayisches  5jähr.  Kind. 

Mit  Milztumor,  gebraucht  8  Tage  hindurch   2  Pill. 
p,  die,  ohne  geringste  Einschränkung  des  Tumors. 

15.  Melanesier. 

9.  IX.    Paroxysm. 

10.  IX.   2  Pillen. 

11.  IX.    Paroxysm. 

16.  Melanesier. 

6.  IX.    Paroxysm. 

7.  IX.    6  Pillen. 

8.  IX.   6  Pillen,  bis  9.  III.  kein   Recidiv   zur 
Kenntniss  gelangt. 

17.  Melanesier. 

8.  XII.   Paroxysm.  (39,8).    Milz:  2  Finger- 
breit, unter  d.  Rippens.  palpabel. 

9.  Xn.   38,0,   7  Pillen,  38,2. 

10.  XII.   37,6,   6Pülen. 

11.  XII.    6  Pill.,    Milztumor  unverändert, 
bis  12.  IL  kein  Recidiv  zur  Kenntniss  gelangt. 

18.  Melanesier. 

12.  XII.    Paroxysm. 

13.— 15.  XII.  18  Pillen,  bis  9.  III.  kein  Recidiv 
zur  Kenntniss  gelangt. 

19.  Melanesier. 

19.  XII.    Paroxysm.,  darauf  3  Pillen. 

20.  XII.   Paroxysm. 

39,2,   6  Pillen. 
37,6,   2  Pillen. 

21.  XII.    37,2,  6  Pillen. 

38,2. 

22.  XII.   Paroxysm.,  39,4. 

20.  Melanesier. 

19.  XII.    Paroxysm. 

20.  XII.    6  Pillen. 
29.  XII.   Paroxysm. 


21.  Melanesier. 

12.  III.  Paroxysm. 

13.  III.  8  Pillen. 

14.  III.  10  Pillen. 
21.  III.  Paroxysm. 

22.  Melanesier. 

12.  III.    Paroxysm. 

13.  III.   8  Pillen. 

14.  m.    8  Pillen. 

Aus  der  vorstebenden  Casuistik  ist  er- 
sichtlich, dass  sich  das  pikrins.  Ammoniak 
in  einigen  wenigen  Fällen  bewährt  zu  haben 
scheint,  insofern  neue  Fieberanfalle  selbst 
längere  Zeit  ausblieben^)  oder  wenigstens 
einzelne  Paroxysmen  unterdrückt  wurden. 
Eine  temperaturemiedrigende  Eigenschaft 
des  Medicaments  trat  nicht  zu  Tage,  eben- 
sowenig ein  Einfluss  auf  den  Milztumor. 
Alles  in  Allem  wurde  aber  nicht  annähernd 
die  Wirkung  des  Chinin  erzielt;  und  es^ist 
mir  ganz  unbegreiflich  geblieben,  wie  man 
in  diesem  Medicament  einen  ebenbürtigen 
Ersatz  des  Chinin  hat  finden  wollen. 

In  andern  Fiebergegenden,  so  besonders 
auf  den  Inseln  der  Südsee,  erfreut  sich  die 
Tinctura  Warburgii  einer  grossen  Be* 
liebtheit;  besonders  pflegen  Missionare  da- 
für Propaganda  zu  machen,  nachdem  ein 
angesehener  englischer  Missionar  das  kühne 
Wort  ausgesprochen  hat,  dass  die  War- 
burg^sche  Tinctur  ihm  niemals  versagt  habe. 

Die  Warburg'sche  Tinctur  setzt  sich 
nach  Liebreiches  Mittheilung  an  die  Direc- 
tion  der  Neu  Guinea-Compagnie  nach  folgen- 
dem Recept  zusammen^): 

^  Aloes 

Rad.  Angelic. 

Rhizomat.  Zedoar.  iia    4,0 

Camphorae 

Croci  aa  0,3 

digere  per  aliquot  horas  c. 

Spirit.  dilut.  100 

in  colatur.  solv. 

Chin.  sulf.  2,0 

oder  mit  andern  Worten,  es  handelt  sich 
hierbei  um  eine  2®/o  Chininlosung,  welche 
durch  die  Anwesenheit  der  Aloe  und  des 
Camphers  event.  bestimmten  Indicationen  zu 
entsprechen  in  der  Lage  wäre.  —  Es  sollen 
davon  tägl.  4 — 6  Theelöffel  genommen  wer- 
den, also  etwa  der  fünfte  Theil  der  Lösung, 
enthaltend  Chin.  0,4,  Aloes  0,8,  Camph.  0,06. 


')  Das  wurde  jedoch  nur  bei  Angehörigen  der 
Melanesischen  (Eingeborenen-)  Rasse  beobachtet; 
was  den  Werth  dieses  Resultates  wiederum  ein- 
schränkt, da  die  Eingeborenen  an  ihre  latente  In- 
fectionen  gewöhnt  sind. 

*)  Verf.  hat  seine  diesbez.  Beobachtungen  in 
Ncu-Guinea  gemacht. 


542 


Schelloog,  Bemerkungen  sur  medieamentSten  Therapie  det  Malariafiebers.       P^^^,!!^!!^* 


L  Monatshefte. 


Man  kann  demnach  annehmen,  dass,  wenn 
eine  Wirkung  mit  dieser  Tinctur  überhaupt 
erzielt  wird,  dieselbe  auf  Rechnung  des  Chi- 
nincomponenten  zu  setzen  ist.  Chinin,  in 
so  kleinen  Gaben  und  in  flüssiger  Form  ge- 
geben, macht  niemals  Verdauungsstörungen, 
welchen  etwa  durch  die  Aloe  entgegengewirkt 
werden  sollte,  ist  vielmehr  selbst  ein  sehr 
schätzenswerthes  Stomachicum;  der  Campher 
andrerseits  in  so  kleiner  Dosis  wird  in 
Fällen,  wo  die  Herzthätigkeit  sei  es  durch 
grosse  Gaben  Chinin,  sei  es  durch  die 
Krankheit  als  solche  geschwächt  ist,  nichts 
besonderes  nützen,  und  kleine  Gaben  Chinin 
(0,4 — 1,0)  regen  die  Herzthätigkeit  ihrerseits 
schon  genugsam  an.  Diese  beiden  Zusätze 
würden  also  im  wesentlichen  einem  6e- 
schmackscorrigens  (Tinct.  aurantior.,  aroma- 
tica  etc.)   geichzusetzen  sein. 

Es  wurde,  den  War  bürg 'sehen  Fieber- 
tropfen aber  besonders  nachgerühmt,  dass  sie 
das  Fieber  zu  „brechen",  sowie  das  Er- 
brechen zu  sistiren  vermochten;  letztere 
Eigenschaft  würde  sie  dann  unter  Umständen 
besonders  werthvoll  erscheinen  lassen;  ich 
prüfte  das  Medicament  an  einer  Reihe  Ton 
Fällen,  Yon  welchen  ich  die  folgenden 
Notizen  wiedergebe. 

CasnistilL: 

1.  Melanesier. 

2.  XII.  Paroxysm.  mit  gering.  Milzschwellong. 
3.-4.  XII.  Normal.  Temp.  8  Theelöfifel  T.  W. 
6.  XII.   Paroxysm.  (Quartantyp.)    3  Theelöffel 

T.  W. 

6.-8.  XII.  18  Theelöfifel  T.  W.  (30  Theel.  = 
3  g  Chin.)  Bis  23.  II.  kein  Recidiv  zar  Beobach- 
tung gelangt. 

2.  Melanesier. 

3.  XII.  Paroxysm.  Während  desselb.  2  Thee- 
löfifel T.  W. 

4.  XII.    Temp.-AbfaU.    6  Theel.  T.  W. 

5.  XII.  Paroxysm.  (Tertiantyp.);  während 
desselben  7  Theelöffel  T.  W.   Ab.  40,1. 

6.  XU.   Früh  38,4. 

3.  Melanesier. 

14.  XII.   Paroxysm.    Während  desselb.  2  Thee- 
löfifel T.  W. 

15.  XII.    Bei    norm.    Temp.    6    Theel.    T.  W. 
Abends  38,1. 

16.  XII.    Bei  norm.  Temp.  6  Theel.  T.  W. 

17.  XII.      -        -  '        -       3       - 

Bis  12.  II.  kein  Recidiv  zur  Kenntniss  gelangt. 

4.  Melanesier. 

19.1.  Paroxysm.  Während  desselb.  4  Thee- 
löffel T.W.   Ab.  39,5. 

20. 1.   Früh  38,1.    Ab.  39,1. 

5.  Melanesier. 

15.  III.    Paroxysm. ;    das    Fieber     dauert    fort 
bis  zum  18.  III.,  trotzdem  täglich  4  Theel.  T.  W. 


verabfolgt   wurden.     Am    18.  III.  Krise;    darnach 
16  Theel.  T.  W.;  trotzdem  19.  IH.  Paroxysm. 

Es  wäre  müssig,  die  Zahl  solcher  Bei- 
spiele zu  Termehren.  So  oft  ich  auch  die 
T.  W.  angewandt  habe,  ich  bin  nicht  ein 
einziges  Mal  davon  überzeugt  worden,  dass  ihr 
temperaturherabsetzende  „  fieberbrechende^ 
Eigenschaften  zukommen.  Wie  will  man 
das  eigentlich  auch  exact  feststellen,  da 
es  eine  bestimmte  Norm  für  die  Dauer  eines 
Fieberparoxysmus  gar  nicht  giebt?  Auch  was 
ihre  angebliche  Eigenschaft  anbetrifft,  Er- 
brechen zu  sistiren,  so  habe  ich  mich  von 
einer  solchen  günstigen  Wirkung  niemals 
überzeugen  können;  Opiate  leisteten  mir 
hierbei  weit  mehr. 

Ich  glaube,  dass  man  gut  thut,  heutzu- 
tage noch  an  dem  Chinin  als  an  einem 
durchaus  günstig  auf  den  Malariaprocess 
einwirkenden  Medicament  festzuhalten;  auch 
das  Chinin  kann  oft  genug  die  Wiederho- 
lung der  Fieberparoxysmen  nicht  hintenan 
halten;  noch  häufiger  lässt  es  zu,  dass  in- 
nerhalb geringerer  oder  grosserer  Zeiträume 
Recidive  auftreten;  es  verhindert  aber  bei 
richtigem,  d.  i.  besonders  energischem  Ge- 
brauch (15  g  in  14  Tagen  bis  3  Wochen) 
stets,  dass  sich  diejenigen  Zustände  Ton 
Malariaanämie  herausbilden,  welche  entwe- 
der direct  das  Leben  des  Kranken  bedrohen 
oder  doch  gelegentlich  die  Veranlassung  zu 
den  schweren,  perniciösen  Formen  der  Ma- 
laria abgeben .  Die  Eucalyptustinctur,  Arsenik- 
präparate etc.  haben  mir  in  dieser  Hinsicht 
auch  nicht  im  entferntesten  das  Gleiche  ge- 
leistet. 


Ueber  die 

Anwendiingr  des  Olivenöls  bei  der 

Behandlung  der  Gallenstelnkranklieit.*) 

Von 

Dr.  Siegfried  Rotenberg  in  Berlin. 

Es  sind  jetzt  ungefähr  fünfzehn  Jahre 
her,  seit  amerikanische  Homöopathen  zum 
ersten  Male  Olivenöl  in  grossen  Dosen  bei 
der  Behandlung  der  Cholelithiasis  zur  An- 
wendung brachten.  Sie  erzielten  Erfolge; 
und  so  kam  es,  dass  auch  Allopathen  von 
dem  Mittel  Gebrauch  zu  machen  begannen, 
welches  nunmehr  —  wie  mir  ein  mir  be- 
kannter deutsch-amerikanischer  College  mit- 
getheilt  hat    —    in   ganz   Amerika   —   rein 

*)  Nach  einem  am  6.  XI.  in  der  Berl.  med. 
Gesellschaft  gehaltenen  und  in  der  Berl.  klin. 
Wochenschr.  1889  No.  48  abgedruckten  Vortrage. 


>»Dem^/l8&.]      Roienberff,  Anwenduoff  de«  OUvenöli  bei  der  Behandlung  der  GaUeniteinkrankhelt.     543 


oder  zugleich  mit  Belladonna  —  bei  Gallen- 
steinkoliken gegeben  zu  werden  pflegt. 

Was  wohl  sicherlich  mit  dazu  beige- 
tragen hat,  das  Mittel  als  besonders  wirk- 
sam erscheinen  zu  lassen  und  es  daher  in 
der  Praxis  einzubürgern,  das  war  die  Beob- 
achtung, dass  nach  der  Einverleibung  grosser 
Oeldosen  nicht  blos  die  Beschwerden  oft 
ganz  rapide  verschwanden,  sondern  auch 
Goncremente  abgingen,  die  zwar  von  weicher 
Gonsistenz  waren,  aber  doch  wegen  ihrer 
facettirten  Gestalt  an  Gallenconcremente  er- 
innerten und  für  erweichte  Steine  angesehen 
wurden.  Das  war  freilich  ein  grosser  Irr- 
thum,  und  obwohl  bereits  Ball^)  im  Lancet 
vom  Jahre  1880  unter  Hinweis  auf  Flint's 
Fractice  of  Medicine  darauf  aufmerksam 
machte,  dass  nach  Einverleibung  grosser 
Oeldosen  Goncretionen  von  verseiftem  Fett 
abgehen,  und  ferner  Singleton  Smith^)  unter 
Heranziehung  einer  von  Professor  Ramsay 
in  Bristol  angestellten  Untersuchung  solcher 
Goncremente  das  Gleiche  betonte,  hat  dieser 
Irrthum  sich  doch  noch  bis  in  die  neueste 
Zeit  erhalten,  bis  dann  in  Folge  der  von 
Professor  Yillejean  auf  Veranlassung  von 
Ghauffard  und  Dupr6^)  und  von  Professor 
"Wiley  auf  Veranlassung  von  Prentiss*)  an- 
gestellten Untersuchungen  die  Natur  und 
Entstehungsart  jener  Goncremente  zu  allge- 
meinerer Kenntniss  gelangte. 

War  in  diesem  Punkte  nun  eine  Täuschung 
auch  mit  untergelaufen,  so  war  die  Beob- 
achtung, dass  die  durch  die  eingeklemmten 
Steine  hervorgebrachten  Erscheinungen  — 
wie  Kolikanfalle  und  Gelbsucht  —  unter 
der  Oelmedication  oft  prompt  und  rapide 
rückgängig  wurden,  doch  eine  durchaus 
richtige,  und  es  liegen  in  der  Litteratur  eine 
nicht  ganz  unbeträchtliche  Anzahl  von  Einzel- 
beobachtungen vor,  welche  für  die  Wirksam- 
keit dieser  Behandlungsmethode  Zeugniss  ab- 
legen. 

Der  erste,  welcher  unter  den  Allopathen 
die  Oelbehandlung  empfahl,  war  Kennedy^), 
der  als  Beweis  für  die  Wirksamkeit  die- 
ser Medication  vier  Krankengeschichten  bei- 
bringt, in  denen  das  Aufhören  der  Schmer- 
zen nach  Abgang  „erweichter  Steine^'  betont 
wird. 

Ihm  folgte  Thomson^),  welcher  bei  einer 
38  Jahre  alten  Frau,  die  schon  längere  Zeit 
an  Gallensteinkoliken  litt,  durch  Anwendung 


»)  Lancet  1880.  II.  p.  522. 
»)  Lancet.   August  20./1881.  p.  187. 
')  Bulletins  et  memoires  de  la  societe  medicale 
des  hopitaux  de  Paris.  1888.  No.  16. 
*)  Medical  News.  1888.  L  p.  518. 
*)  Lancet.  Sept.  18/1880. 
«)  Medical  Record.  March  15./1881. 


grosser  Dosen  Olivenöls  einen  Heilerfolg  er- 
zielte. 

Singleton  Smith')  war  der  erste,  welcher 
einen  hartnäckigen  Fall  von  Gallensteinkolik 
mittheilte,  in  welchem  auch  die  Oelmedica- 
tion im  Stiche  Hess. 

Nach  einer  längeren  Pause  in  der  Litte- 
ratur lenkte  dann  Touatre®)  von  N^uem  die 
Aufmerksamkeit  der  Aerzte  auf  die  in  Rede 
stehende  Behandlungsmethode,  nachdem  er 
zwei  Male  Gelegenheit  gehabt  hatte,  an  sich 
selber  die  Wirksamkeit  derselben  zu  er- 
proben. 

Seine  Mittheilung  veranlasste  Th.  Zerner 
jun.®)  in  zwei  Fällen  von  Gallensteinkolik 
von  dem  Mittel  Gebrauch  zu  machen,  und 
beide  Male  war  der  Erfolg  ein  positiver. 

In  Frankreich  prüften  Ghauffard  und 
Dupre*°)  die  Methode  in  sechs  Fällen,  über 
welche  sie  folgendes  berichten: 

Im  ersten  Falle  verminderte  sich  bereits 
nach  einem  Tage  das  Lebervolum  und  die 
Region  der  Gallenblase  wurde  schmerzfrei. 
Appetit  kehrte  zurück  und  der  Allgemein- 
zustand besserte  sich.  Bei  einem  zweiten 
Anfall  trat  unter  der  gleichen  Medication 
von  Neuem  Besserung  ein. 

Fall   zwei  ergab  ein   negatives  Resultat. 

Im  dritten  Falle  verschwand  der  Icterus 
und  das  Hautjucken,  der  Appetit  stellte 
sich  wieder  ein,  und  das  Allgemeinbefinden 
hob  sich. 

In  der  vierten  Beobachtung  schwand  der 
Schmerz  in  der  Lebergegend  und  die  Ko- 
liken horten  auf. 

Ebenso  wich  in  dem  fünften  Falle  in 
ganz  rapider  Weise  die  Schmerzhaftigkeit 
der  Leberregion,  so  dass  die  Kranke  nach 
acht  Tagen  vollkommen  schmerzfrei  entlassen 
werden  konnte. 

'  Der  sechste  Fall  endlich  ist  dadurch  aus- 
gezeichnet, dass  nicht  blos  Schmerz  und 
Icterus  verschwanden,  sondern  auch  neben 
vielen  Fettcon  cremen ten  ca.  15  veritable 
Gholestearinsteine  von  Erbsengrosse  und  fa- 
cettirter  Gestalt  abgingen. 

Ausserdem  führen  die  genannten  Autoren 
noch  eine  Beobachtung  von  Bucquoy  an, 
in  welcher  rapide  Besserung  eintrat  und  ein 
mehrwochentlicher  Icterus  vollständig  ver- 
schwand. 

Die  beiden  letzten  Beobachtungen  stam- 
men aus  Washington;  die  eine  vonPrentiss"), 
welcher  bei  einem  40  Jahre  alten  Mann  mit 
sehr  hartnäckiger  Gallensteinkolik  nach  einer 


8)  Lancet.  lO./XII.  1887. 

9)  Wien.  med.  Wochenschrift.  1888.  No.  23/24. 

")  Medical  News.  1888.  L  p.  518. 


544     Roeenberg,  Anwendung  des  Olivenöls  bei  der  Behandlung  der  Gallensteinkrankheit.        PMonatehlfte.* 


Pinte  Baumwollsamenol  in  zwei  Kolikan- 
fällen  ein  Schwinden  der  Beschwerden  ein- 
treten sah,  und  die  zweite  von  Hoehling*^), 
der  einen  OMcier  erfolgreich  mit  Oel  be- 
handelte und  in  schneller  Weise  von  seinem 
Leiden  befreite. 

Ich  selber   hatte   drei  Male  Gelegenheit, 
mich  voj  der  Wirksamkeit  dieser  Medication 
zu    überzeugen.      In     meinem    ersten    Falle 
handelte    es    sich    um    eine    36    Jahre    alte 
Frau,    welche   bereits    fünf    Jahre    hindurch 
an   Gallensteinkoliken   litt.      Man    hatte    sie 
nach   Karlsbad   geschickt,    auch  hier  Karls- 
bader Mühlbrunnen,  Karlsbader  Salz  und  ver- 
schiedene  andere  Mittel    gebrauchen    lassen, 
alles  jedoch  ohne  Erfolg.     Als  sie  in  meine 
Behandlung  trat,    war  die  Leber  vergrössert 
und   sehr   empfindlich,    die    Gallenblase   als 
Tumor    palpabel.      Kolikanfölle    traten   bei- 
nahe täglich    auf,   und  die  Patientin  war  in 
Folge   dessen   zu  jeder    Thätigkeit    unfähig. 
Ich    Hess    sie   im   Laufe   von    zwei    Wochen 
1000,0  g  Olivenöl  in    Einzeldosen   von  100 
bis  180  g  gebrauchen   und  unter  dieser  Me- 
dication   schwand  in  wenigen    Tagen   Leber- 
und Gallenblasentumor,  die  Koliken  kehrten 
nicht  wieder,  Appetit  und  Stuhlgang  regelten 
sich,    und    bis    jetzt   sind   anderthalb  Jahre 
seid  der  Cur  vergangen,   ohne  dass  sich  auch 
nur  das  geringste  Symptom  des  alten  Leidens 
wieder  gezeigt  hätte.    Nach  der  ersten  Oel- 
dosis  waren  drei  ca.  linsengrosse  Cholestearin- 
concremente   abgegangen;    später   wurde  die 
Aufmerksamkeit   so    sehr   auf  die    in   reich- 
licher   Menge    abgehenden    Fettconcretionen 
gerichtet,    dass  ich   nicht   anzugeben    weiss, 
ob   nicht  etwa  noch  mehr   veritable   Gallen- 
steine vorhanden  waren. 

Mein  zweiter  Fall  betraf  eine  37  Jahre 
alte  Waschfrau,  welche  ihren  ersten  typischen 
Kolikanfall  im  Juli  1888  bekam.  Eine  längere 
Zeit  hindurch  gebrauchte  Cur  mit  Karlsbader 
Salz  war  erfolglos,  und  später,  einige  Zeit 
nach  demAussetzen  jeder  Therapie,  schwanden 
die  Beschwerden  von  selber.  Um  die  Weih- 
nachtszeit erfolgte  eine  neue  Attacke,  die 
mit  einem  abführenden  Medicament  erfolglos 
behandelt  wurde,  und  von  da  an  bis  zum 
Juli  dieses  Jahres  blieb  die  Kranke  ununter- 
brochen icterisch  und  hatte  Schmerzen  in 
der  Leberregion.  Regelmässig  zur  Zeit  der 
Menstruation  stellten  sich  acute  Kolikan- 
fälle mit  Verschlimmerung  aller  vorhandenen 
Erscheinungen  ein.  —  Es  gelang  mir  durch 
zweimalige  Anwendung  von  je  200,0  mentho- 
lisirten  Olivenöles  —  eine  dritte  Dosis  reinen 
Oeles  wurde  ausgebrochen  —  in  wenigen 
Tagen    den    Lebertumor   zum   Verschwinden 


^-)  Mcdical  NcNYs.  X888.  I.  p.  591. 


zu  bringen,  nachdem  schon  24  Stunden  nach 
der  ersten  Oelein Verleihung  jeder  Schmerz 
beseitigt  war.  Auch  der  sehr  langwierige 
und  hartnäckige  Icterus  war  nach  vier  Wochen 
bis  auf  eine  geringe  Spur  an  den  ConjunctLv. 
sclerae  verschwunden.  Etwa  zwei  Monate 
nach  Beginn  der  Cur  trat  ein  leichtes  Recidiv 
auf,  das  durch  eine  einmalige  Dosis  von  200,0 
mentholisirten  Oeles  beseitigt  wurde,  und 
seither  ist  die  Patientin  gesund  geblieben 
und  hat  so  sehr  an  Körperfülle  zugenommen, 
dass  ihr  sämmtliche  Kleider  nicht  blos  in 
der  Taille,  sondern  auch  in  den  Aermeln 
zu  knapp  geworden  sind. 

In  meiner  dritten  Beobachtung  handelte 
es  sich  um  eine  38  Jahre  alte  Dame,  welche 
bereits  neun  Jahre  an  ihren  Gallenstein- 
koliken laborirte.  Pat.  war  deswegen  mit 
den  verschiedensten  Mitteln  behandelt  worden 
und  hatte  auch  die  Bäder  von  Marienbad, 
Kissingen  und  Karlsbad  besucht.  Trotzdem 
in  Kissingen  Steine  und  Gries  und  in  Karls- 
bad blos  etwas  Gries  abgegangen  war,  hatten 
die  Anfälle  doch  nicht  aufgehört,  und  zeigten 
sich  nach  wie  vor  mit  der  alten  Intensität 
und  Häufigkeit.  Ich  selber  leitete  eine  Oel- 
cur  ein  und  gab  200  g  mentholisirten  Oliven- 
öls. Danach  gingen  viele  Fettconcremente, 
daneben  aber  auch  ein  facettirter  Cholestearin- 
stein  von  Linsengrosse  ab.  Die  Koliken, 
welche  vorher  eine  Woche  hindurch  täglich 
aufgetreten  waren,  schwanden  bis  auf  ein 
gelindes  Schmerzgefühl  in  der  Lebergegend, 
und  auch  dieses  hörte  auf,  nachdem  im  Ver- 
lauf zweier  Tage  unter  der  Anwendung  von 
täglich  3  g  salicylsauren  Natrons  in  heissem 
Wasser  gelöst  und  unter  Anwendung  hoher 
Darmeingiessungen  noch  etwas  Lebergries  aus- 
gestossen  worden  war.  Eine  erneute  Oel- 
einverleibung  förderte  nur  noch  Fettconcre- 
•mente  zu  Tage,  und  die  Patientin,  welche 
früher  an  sehr  häufigen  Anfällen  zu  leiden 
hatte,  ist  bis  jetzt  von  Beschwerden  befreit 
geblieben. 

In  den  vorstehenden  21  Einzelbeobach- 
tungen ist  zweimal  ein  negativer  Erfolg  ge- 
meldet, während  neunzehn  Male  entweder 
Besserung  oder  sogar  vollständige  Heilung 
erzielt  wurde,  und  es  entsteht  nun  die  Frage, 
in  welcher  Weise  das  Oel  eine  Wirksamkeit 
zu  entfalten  im  Stande  ist.  Touatre^^) 
dachte  sich  die  Sache  so,  dass  das  Oel  in 
die  G allen wege  eindringe  und  die  hier  be- 
findlichen Concremente  so  erweiche,  dass  ihre 
Ausstossung  nunmehr  mit  Leichtigkeit  er- 
folgen könne.  —  Diese  Vorstellung  ist  durch- 
aus unwissenschaftlich;  denn  weder  sind  die 
Gallenwege  dazu  da,   um  Ingesta  aufzuneh- 


»')  1.  0. 


D^mbe^iS^  1      Rosenbergr,  Anwendung  det  Olivenöls  bei  der  Behandlung  der  Gallensteinkrankheit.     545 


men,  noch  ist  eine  Kraft  yorhanden,  welche 
solche  dem  Strome  der  Galle  entgegen  in  die 
Gallengänge  hineintreiben  könnte.  Zum  Ueber- 
fluss  haben  noch  Ghauffard  und  Dupre'^) 
die  ünhaltbarkeit  der  Touatre^schen  An- 
nahme experimentell  erwiesen.  —  Stellt  man 
sich  auf  einen  teleologischen  Standpunkt,  so 
erscheint  es  Yon  Anfang  an  als  wahrschein- 
lich, dass  bei  der  Bedeutung  der  Galle  für 
die  Fettverdauung  nach  Einfuhr  grosser  Fett- 
quoten auch  eine  starke  Anregung  der 
Gallensecretion  erfolgen  werde.  Allerdings 
lehren  die  physiologischen  Lehrbücher  gerade 
das  Gegentheil;  jedoch  sind  deren  Angaben 
zurückzuführen  auf  die  Untersuchungen  Ton 
Bidder  und  Schmidt"),  die  für  die  Frage, 
wie  sich  die  Gallenabsonderung  während 
der  Fettverdauung  gestaltet,  gar  nicht  zu 
verwerthen  sind,  in  erster  Reihe  wegen  der 
Anordnung  der  Yersuche,  dann  aber  auch, 
weil  die  Bidder-Schmidt'schen  Versuchs- 
thiere  offenbar  sich  bereits  im  Zustande  der 
Inanition  befanden,  in  welchem  die  Secre- 
tionen  regelmässig  verringert  sind.  Auch 
ein  von  Prevost  und  Binet**)  in  Bezug  auf 
die  vorliegende  Frage  angestellter  Versuch 
ist  unbrauchbar,  weil  er  nach  zu  kurzer 
Zeit  abgebrochen  wurde.  Ich  selber**)  habe 
in  einer  grosseren  Anzahl  von  Versuchen, 
bei  welchen  zwei  Hunden  mit  permanenter 
Gallenblasenfistel  grosse  Oeldosen  resp.  in 
einem  Versuche  eine  grössere  Menge  (120,0) 
reinen  Schinkenfetts  gegeben  wurde,  mit 
absoluter  Regelmässigkeit  constatirt,  dass 
während'  der  Oel-  und  Fettverdauung  die 
Gallensecretion  beträchtlich  steigt  und  die 
Gallenconsistenz  erheblich  sinkt,  dass  diese 
Beeinflussung  der  Leberthätigkeit  grösser 
ist,  als  während  der  Verdauung  von  Albu- 
minaten  und  Kohlehydraten  und  weitaus 
viel  beträchtlicher,  als  unter  der  Wirkung 
von  Galle  und  salicylsaurem  Natron,  welche 
von  anderer  Seite  für  die  wirksamsten  Cho- 
lagoge  angesprochen  werden.  Demzufolge 
halte  ich  Oel,  resp.  Fett  in  grossen  Dosen 
für  das  mächtigste  Anregungsmittel  der 
Gallenabsonderung,  welches  alle  übrigen  an 
Grösse  und  Dauer  der  Wirkung  wesentlich 
übertrifft. 

Diese  mächtige  Oelwirkung  erklärt  uns 
nun,  auf  welche  Weise  bei  der  Oelbehand- 
lung  die  Beschwerden  der  Gallensteinkran- 
ken  gehoben   werden.     Nicht   auf  eine  Auf- 


")  Die  Verdauungssäfte  und  der  Stoffwechsel. 
Mi  tau  in  Leipzig.  1852. 

'^)  Revue  medicale  de  la  Suisse  Romnnde. 
1888.  No.  5,  6,  7. 

'^)  Meine  TJut ersuch ungen  erscheinen  dem- 
nächst in  Pflüger's  Archivj  cf.  auch  Fortschritto  d. 
Med.  1889.  No.  13. 


lösung  der  Concremente  kommt  es  an,  son- 
dern auf  eine  Herausschwemmung,  und  diese 
kann  die  hereinbrechende  Gallenfluth  sehr 
wohl  bewerkstelligen.  Wo  die  Concretionen 
in  Wirklichkeit  nicht  ausgetrieben  werden, 
da  muss  man  sich  die  Sache  so  denken,  dass 
sie  unter  dem  Druck  der  grossen  Gallen- 
menge derart  in  ihrer  Lage  verändert  wer- 
den, dass  die  Einklemmungserscheinungen 
aufhören  und  für  die  Galle  oft  auch  die 
Passage  nach  dem  Darm  frei  wird. 

Unter  solchen  Umständen  könnte  man 
sehr  wohl  daran  denken,  jedem  Gallen- 
steinkranken gleich  in  erster  Linie  Oel  zu 
verordnen ,  wie  das  ja  thatsächlich  in  Ame- 
rika auch  allgemein  geschieht.  Dem  steht 
nur  bei  uds  zu  Lande  der  Umstand  ent- 
gegen, dass  im  Allgemeinen  grosse  Fett- 
mengen und  besonders  flüssiges  Fett  nicht 
gut  vertragen  zu  werden  pflegt,  und  aus 
diesem  Grunde  wird  man  gut  thun,  für  die 
ersten  therapeutischen  Versuche  solche  Mittel 
anzuwenden,  die  zwar  von  viel  geringerer 
Wirksamkeit  sind,  als  das  Oel,  aber  doch 
in  einer  grossen  Reihe  von  Fällen  sich  prac- 
tisch  bewährt  haben. 

Hier  kommen  in  erster  Reihe  die  alka- 
lischen Mittel  und  alkalischen  Mineralwässer 
in  Betracht,  die  auch  zu  den  Cholagogen 
Substanzen  gezählt  werden,  obwohl  die  Be- 
rechtigung dazu  noch  nicht  über  alle  Zwei- 
fel erhaben  ist.  Denn  die  verschiedensten 
Beobachter,  welche  sich  mit  der  Prüfung 
dieser  Mittel  befasst  haben,  sind  zu  den 
allerwidersprechendsten  Ansichten  gekommen, 
und  das  hat  schliesslich  dazu  geführt,  dass 
manche  Autoren,  wie  z.  B.  Leichten stern*^), 
der  Ansicht  sind,  dass  wo  man  in  der  Praxis 
nach  jenen  Mitteln  einen  Cholagogen  Effect 
beobachtet  hat,  dieser  dem  Wasser  zuge- 
schrieben werden  muss,  in  welchem  die 
Alkalien  gelöst  sind.  Denn  auch  Wasser 
und  besonders  warmes  Wasser  hat  ganz  un- 
zweifelhaft cholagoge  Energie.  Nun  liegt 
in  dieser  Ansicht  sicher  etwas  Wahres,  aber 
im  Allgemeinen  ist  man  damit  doch  wohl  etwas 
zu  weit  gegangen,  da  man  die  positiven  Re- 
sultate, die  z.  B.  L e  wasch ew^^)  beobachtet 
hat,  nicht  so  ganz  unberücksichtigt  lassen 
darf.  Die  Differenzen  zwischen  Lewaschew 
und  anderen  Beobachtern,  z.  B.  mir  selber, 
erkläre  ich  mir  aus  dem  Einfluss  indivi* 
dueller  Verhältnisse,  durch  welchen  bald  ein 
cholagoger  Effect  zur  Geltung  kommt,  bald 


")  Allgem.  Balneothenmie  in  Ziems sen,  Hand- 
buch der  allgem.  Therap.  IL  Bd.  1.  Th.  p.  321. 

^8)  Zeitschrift  f.  klin.  Med.  VH  u.  Vlfl.  1884; 
Deutsch.  Arch. f.  Uin.  Med.  XXXV.  1884;  Vircho w 
Arch.  101;  Arch.  f.  experim.  Patholog.  u.  Pharma- 
kolog.  XVIL  1883. 

69 


546     Rotenberff,  Anwendung  dct  OHvenölt  bei  der  Behandlung  der  GaUensteinkrankheit.        [^'^'I^äi^ 


ganz  ausbleibt.  Jedenfalls  ist  das  eine  un- 
zweifelhaft, dass  die  Alkalien  und  alkalischen 
Mineralwässer  weder  von  sicherer  noch  von 
betrachtlicher  Wirkung  sind,  und  Lewa- 
sche w^^)  selber  räumt  ihnen  in  der  Reihe 
der  von  ihm  geprüften  Substanzen  die  letzte 
Stelle  ein.  —  Diese  Sachlage  erklärt  zur 
Genüge,  warum  wir  in  der  Praxis  so  oft 
gar  keine  Erfolge  von  den  in  Rede  stehen- 
den Mitteln  sehen,  und  wir  werden  daher 
auch  gut  thun,  wenn  wir  nach  einiger  Be- 
obachtungsdauer von  der  Anwendung  der 
Alkalien  oder  alkalischen  Mineralwässer 
bei  einem  bestimmten  Kranken  keinen 
Nutzen  wahrnehmen,  uns  der  Ueberzeugung 
hinzugeben,  dass  sie  bei  diesen  betreffenden 
Patienten  einen  Cholagogen  Einfluss  nicht 
besitzen  und  uns  nach  andern  Mitteln  um- 
zusehen. 

Gewohnlich  wird  dann  in  einem  solchen 
Falle  zu  der  Durand  ersehen  Mischung 
gegriffen,  welche  ursprünglich  in  der  Idee 
empfohlen  worden  war,  die  Concremente 
im  Körper  aufzulösen.  Später  überzeugte 
man  sich  von  der  Unrichtigkeit  dieser  Vor- 
stellung und  Frerichs^^)  und  Chwostek") 
schrieben  dem  Mittel  lediglich  einen  durch 
seinen  Aethergehalt  bedingten  antispasmo- 
dischen  Effect  zu,  während  Lewaschew") 
auch  diesem  Mittel  cholagoge  Eigenschaften 
zugestanden  wissen  wollte.  Ich  selber  habe 
im  Gegensatz  zu  Lewaschew^)  danach  eine 
Steigerung  der  Gallen secretion  nicht  con- 
statiren  können,  obwohl  die  in  meinen  Yei^ 
suchen  zur  Anwendung  gekommenen  Dosen 
grösser  waren,  als  die  beim  Menschen  üb- 
lichen. Bei  diesem  Widerspruch  wird  man 
auch  dieses  Mittel  im  günstigsten  Falle  nur 
zu  den  inconstant  wirkenden  rechnen  dürfen. 
Nun  hat  das  Mittel  noch  die  unangenehme 
Eigenschaft,  den  Patienten  leicht  den  Magen 
zu  verderben  und  ihnen  sehr  schnell  wegen 
des  beständigen  Aufstossens  nach  Terpen- 
thinöl  widerwärtig  zu  werden,  und  aus  all 
diesen  Gründen  scheint  mir  der  Vorschlag 
von  Frerichs*^)  volle  Beachtung  zu  verdienen, 
die  Durand e'sche  Mischung  ganz  aus  der 
Therapie  zu  streichen. 

Weiterhin  pflegt  man  in  der  Praxis  oft 
zu  den  vegetabilischen  Abfuhrmitteln  zu  ] 
greifen,  wie  Aloe,  Rheum,  Podophyllin  etc. 
Jedoch  sollen  diese  nach  der  Angabe  von 
Rutherford^)  nur  dann  wirken,  wenn  sie 
in  nicht  abführenden  Dosen  gegeben  werden. 


Tritt  Durchfall  ein,  so  hört  ihr  Einfluss  auf 
die  Gallensecretion  auf.  Nun  ist  die  ab- 
führende Dosis  beim  Menschen  sehr  von  in- 
dividuellen Verhältnissen  abhängig,  so  dass 
es  nicht  ganz  leicht  ist,  hier  das  rechte 
Maass  zu  treffen,  und  wo  es  gelingt,  da  er- 
zeugen jene  Mittel,  wie  ich  mich  zu  über- 
zeugen Gelegenheit  hatte,  nicht  selten  Darm- 
koliken, so  dass  sie  den  an  und  für  sich 
schon  schmerzgeplagten  Patienten  höchst 
unangenehm  sind,  ein  Uebelstand,  der  nicht 
einmal  durch  eine  prompte  Wirkung  com- 
pensirt  wird. 

Nun  giebt  es  noch  ein  Mittel,  dessen 
grosser  cholagoger  Werth  schon  von  den  ver- 
schiedensten Beobachtern  betont  worden  ist, 
ohne  dass  es  jedoch  in  diesem  Sinne  bisher 
eine  weitere  Verwendung  gefunden  zu  haben, 
scheint,  es  ist  dies  das  salicylsaure  Natron. 

Unnger-Canre. 


10 

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N, 

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^^)  Klinik  der  Leberkrankheiten.  Braonschweig. 
1861. 

«0)  Allgem.  Wien.  med.  Zeitg.  1880.  No.  36  sqq. 
u.  1888.  No.  35. 

31)    1,  c. 

2»)  Brit.  med.  Joum.  1875;  1877;  1878. 


%     •%    9^    «%    1f%    «^ 


Schon  in  Dosen  von  einem  Gramm  an  ver- 
mehrt es  ganz  prompt  die  Gallenmengo  und 
lässt  die  Gallenconsistenz  geringer  werden, 
und  aus  diesem  Grunde  sollte  es  meines 
Erachtens  stets  an  Stelle  der  Durande'- 
schen  Mischung  und  der  vegetabilischen  Ab- 
führmittel versucht  werden,  die  es  an  Wirk- 
samkeit unbedingt  übertrifft.  Ich  selber 
habe  es  mit  ausgezeichnetem  Erfolg  in  einem 
hartnäckigen  Fall  von  Gallensteinkolik  mit 
Icterus  und  Lebervergrösserung  angewendet, 
nachdem  von  anderer  Seite  Karlsbader  Mühl- 
brunnen, Karlsbader  Salz,  Dur  an  de 'sehe 
Mischung  und  Rheum  erfolglos  gegeben  wor- 
den waren.  Ich  liess  dreimal  am  Tage  ein 
Gramm  salicylsaures  Natron  in  einem  halben 
Liter  heissen  Wassers  gelöst  nehmen  und 
zweimal  täglich  eine  hohe  Darmeingiessung 
mit  je  einem  Liter  kalten  Wassers  machen, 
in  welchem  5,0  Natr.  salicyl.  gelöst  waren. 
Ich  hatte  das  Medicament  in  heissem  Wasser 
gelöst  trinken  lassen,  weil  auch  das  heisse 
Wasser,  wie  bereits  oben  erwähnt,  cholagoge 


I^Mmw'lsli  1      Rosenberg,  Anwendung  des  Olivenöls  bei  der  Behandlung  der  Gallensteinkrankheit.     547 


Eigenschaften  besitzt,  und  die  hohen  Ein- 
giessangen  hatte  ich  empfohlen,  weil  wie 
Peiper^)  und  ich  fanden,  auch  durch  diese 
.  die  Gallensecretion  angeregt  wird.  Der  Er- 
folg der  Cur  war  ein  ausgezeichneter.  Nach- 
dem durch  drei  Tage  unter  fortgesetzter 
Anwendung  dieser  Medication  viel  Leber- 
gries abgegangen  war,  fühlte  sich  die  Pa- 
tientin schmerzfrei,  das  Lebervolum  war 
kleiner    geworden    und    der  Icterus    begann 


Natron  bei  der  Gallensteinkrankheit  zu  thera- 
peutischen Versuchen  empfehlen  zu  dürfen. 
Gelingt  es  nicht,  durch  die  vorgenannten 
Mittel  des  Leidens  Herr  zu  werden  —  wie 
das  ja  in  der  Praxis  gar  nicht  so  selten 
vorkommt  —  dann  sollte  man  es  nicht  unter- 
lassen, einen  Versuch  mit  dem  Oel  zu 
machen,  da  klinische  Erfahrung  ebenso  wie 
das  physiologische  Experiment  für  die  Wirk- 
samkeit  dieser  Therapie    in    gleicher  Weise 


Gurre  naoh  5  g  künstl.  Karls- 
bader Salz  in  Gelatinekapsel. 


Gurre  nach  5g  künstl.  Karls- 
bader Sals,  gelöst  in  600  g  H3O 
▼on  40  oa 


Curve  nach  1  g  Durande^scher 

Mischung  im  Verhältnlss  von  1  g 

Ol.  tereb.  +  3  g  Aether  snif. 


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Gurre  nach  10  g  Galle  mit 
1  g  fester  Substanz. 


Gnrve  nach  1  g  Natr.  salicyl. 


Gurye  nach  120  g  Ol.  olivar. 
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zu  schwinden,  so  dass  die  Kranke  aus  der 
Behandlung  fortblieb.  Nach  mehreren  Mo- 
naten erfolgte  ein  Recidiv,  das  auf  die- 
selbe Weise  mit  dem  besten  Erfolge  be- 
handelt wurde.  Nebenwirkungen  von  Seiten 
des  salicjlsauren  Natrons  waren  nicht  auf- 
getreten. —  Auch  in  dem  dritten  meiner 
mit  Oel  behandelten  Fälle  sah  ich  nach 
salicylsaurem  Natron  noch  etwas  Gries  ab- 
gehen.    Ich    glaube  daher,   das    salicylsaure 


»)  Zeitschr.  f.  kUn.  Med.  IV.  1882. 


sprechen.  Nur  mochte  ich  dazu  rathen,  das 
Mittel  nicht  in  ganz  reiner  Form  zu  geben. 
Denn  wenn  die  Patienten  h5ren^  dass  sie 
reines  Oel  trinken  sollen,  dann  empfinden 
sie  schon  von  vorn  herein  solchen  Wider- 
willen davor,  dass  es  nicht  weiter  wunderbar 
erscheinen  darf^  wenn  nach  dem  Oel  Erbrechen 
eintritt.  Ich  habe  in  meiner  zweiten  und 
dritten  Beobachtung  dem  Oel  0,25  °/o  Menthol, 
10 — 15%  Cognac  und  zwei  Eidotter  hinzu- 
gefügt, und  zwar  wählte  ich  das  Menthol 
einerseits,  um  durch  dessen  scharfen  Geschmack 

69* 


548      Rosenberg,  Anwendung  des  Olivenöls  bei  der  Behandlung  der  GaUensteinkrankheit.       I^on?ish!!ln!f* 


den  reichlichen  Oelgeschmack  etwas  zu  ver- 
decken, andrerseits  in  der  Absicht,  durch 
seine  anästhesirenden  Eigenschaften  der 
Brechneigung  entgegenzuwirken.  Den  Cognac 
setzte  ich  als  Geschmackscorrigens  hinzu, 
und  die  Eidotter  sollten  die  Farbe  des  Medi- 
caments  ändern.  Ich  will  nicht  unterlassen 
zu  betonen,  dass  letztere  sehr  fein  verrieben 
werden  müssen,  da,  wenn  sie  klumpig  sind, 
leicht  Erbrechen  durch  die  Klumpen  aus- 
gelöst wird.  Trotz  dieser  Maassnahmen  er- 
kannten die  Patientinnen  die  ölige  Natur 
des  Medicaments,  empfanden  aber  doch  nicht 
solchen  Widerwillen  davor,  wie  die  erste 
Patientin,  welche  reines  Oel  erhalten  hatte; 
auch  erbrach  die  zweite  Kranke  reines  Oel, 
während  sie  das  mentholisirte  gut  vertrug. 

Was  die  Dosis  anlangt,  so  halte  ich  eine 
solche  von  150  bis  200  g  für  ausreichend, 
und  lasse  das  Medicament  in  vier  bis  acht 
Portionen  innerhalb  einer  bis  drei  Stunden 
oder  auch  in  längerer  Zeit  gebrauchen. 
Nachher  lasse  ich  den  Mund  mit  etwas 
Essigwasser  ausspülen  und  recht  heissen  und 
starken  schwarzen  Kaffee  nachtrinken.  Tritt 
Erbrechen  ein,  so  warte  ich  einen  bis  zwei 
Tage  und  versuche  die  Medication  noch  ein- 
mal, iodem  ich  das  ganze  Quantum  in  kleineren 
Einzeldosen  und  innerhalb  eines  grösseren 
Zeitraumes  gebrauchen  lasse. 

Yon  Nebenerscheinungen  kam  nach  dem 
Einnehmen  des  Oel  es  regelmässig  Anorexie 
zur  Beobachtung,  die  jedoch  nach  längstens 
2  4Stunden  in  meinen  Fällen  vollkommen  wieder 
geschwunden  war  und  einem  regen  Appetit 
Platz  gemacht  hatte.  Femer  hörte  ich  regel- 
mässig einen  Tag  nach  dem  Einnehmen  des 
Oeles  über  ein  grosses  Schwäche-  und  Mattig- 
keitsgefühl klagen,  das  jedoch  ebenfalls  in 
kürzester  Zeit  wieder  verschwunden  war. 

Man  könnte  nun  noch  Bedenken  tragen, 
das  Mittel  bei  icterischen  Gallensteinkranken 
anzuwenden,  da  wir  ja  gewöhnt  sind,  bei 
bestehendem  Icterus  den  Kranken  den  Genuss 
fetter  Speisen  zu  untersagen.  Ich  kann  nur 
versichern,  dass  meine  zweite,  seit  Monaten 
permanent  hochgradig  icterische  Patientin 
das  ihr  verordnete  Oel  sehr  gut  vertrug,  was 
vollkommen  in  Ueberein Stimmung  steht  mit 
dem,  was  Zerner^)Chauffard  und  Dupre^*) 
und  andere  der  vorher  genannten  Autoren 
unter  den  gleichen  Umständen  beobachtet 
haben.  Es  kann  demnach  auch  der  Icterus 
nicht  als  Contraindication  gegen  die  Oelbe- 
handlung  betrachtet  werden. 

Ganz  falsch  wäre  es  nun  anzunehmen, 
dass  wir  in  der  Oelbehandlung  ein  sicher 
wirkendes  Mittel  gegen  die  Gallensteinkran k- 

'')  1.  c. 


heit  haben.  Das  ist  von  vornherein  unwahr- 
scheinlich, und  unter  den  oben  angeführten 
Fällen  befinden  sich  ja  auch  zwei  mit  negativem 
Resultat.  Vor  allen  Dingen  und  ganz  natur- 
gemäss  wird  man  allemal  da  Misserfolge 
sehen,  wo  die  Verhältnisse  derartig  sind, 
dass  die  Concremenie  niemals  mehr  auf  dem 
natürlichen  Wege  entfernt  werden  können 
und  zu  ihrer  Beseitigung  einen  chirurgischen 
Eingriif  nothwendig  machen.  Doch  sollte 
man  nie  versäumen,  bevor  man  sich  zu  einem 
chirurgischen  Eingriff  entschliesst,  wenigstens 
einen  Versuch  mit  der  Oelbehandlung  zu 
machen. 

Ist  es  gelungen,  das  Leiden  zu  beseitigen 
und  die  Ausstossung  der  Concremente  her- 
beizuführen, so  ist  noch  eine  Nachbehandlung 
erforderlich,  wenn  man  nicht  sehr  schnell 
den  Eintritt  von  Recidiven  erleben  will. 
In  dieser  Beziehung  hat  man  einer  Eindickung 
der  Galle  entgegenzuarbeiten  und  die  Ka- 
tarrhe der  Gallenwege  zu  bekämpfen,  zwei 
Momente,  welche  als  Ursachen  für  die  Gal- 
lensteinbildung angesehen  werden. 

Um  der  Eindickung  der  Galle  entgegen- 
zuwirken, kann  man  von  dem  salicylsauren 
Natron  in  kleinen  Dosen  oder  auch  von  Fett 
und  Oel  in  Form  von  Speck,  fetten  Braten- 
saucen, Oelsardinen,  öligen  Salaten  und  dgl.m. 
Gebrauch  machen,  während  Katarrhe  der 
Gallen wege  am  wirksamsten  wohl  durch  die 
Alkalien  und  alkalischen  Mineralwässer  be- 
einflusst  werden  dürften. 

Zum  Schlüsse  füge  ich  noch  einige  von 
ein  und  demselben  Versuchshunde  gewonnene 
Curven  bei,  welche  die  cholagoge  Energie  der 
von  mir  geprüften  Substanzen  am  schnellsten 
und  besten  veranschaulichen  werden.  In 
diesen  Curven  bezeichnen  die  übereinander 
stehenden  Zahlen  die  Gallenmengen  in  Gram- 
men, die  nebeneinander  stehenden  die  Zeit, 
innerhalb  welcher  aufgefangen  wurde.  In 
allen  Versuchen  wurde  erst  eine  Stunde  lang 
im  nüchternen  Zustande  des  Thieres  aufge- 
fangen, und  dann  erst  die  auf  ihre  etwaige 
cholagoge  Wirkung  zu  untersuchende  Sub- 
stanz gegeben.  Im  Uebrigen  verweise  ich 
auf  meine  demnächst  in  Pflüger^s  Archiv 
über  diesen  Gegenstand  erscheinende  Abhand- 
lung. 


tIL  Jabrg  anff.  1 
DecembAr  1889.  J 


Herczel,  Ueber  Nierenoperationcfi. 


649 


Ueber  Nlerenoperationen. 

Von 

Dr.  E.  Herczel, 

Auistcnt  an  der  chirnrgiBchen  Klinik  KU  Heidelberg. 

(Vortrag,  gebalten  in  der  chirurgischen  Soction 
der  62.  Naturforscherversammlung  zu  Heidelberg 

September  1889.) 

M.  H. !  Bei  dem  viel  versprechenden  Auf- 
scliwung,  welchen  die  Nieren  Chirurgie  in  den 
letzten  Jahren  genommen  hat,  erscheint  es 
zeitgemäss  und  wünschenswerth,  eine  grossere 
Eeihe  verschiedenartiger  Krankheitsfölle  aus 
derselben  Klinik  zu  Yer6£fentlichen ,  da  hier 
sowohl  bezüglich  der  Indicationsstellung,  als 
auch  bezüglich  des  Operations  Verfahrens  und 
der  Nachbehandlung  immer  gleiche  Gesichts- 
punkte zum  Ausdruck  gelangen. 

Seit  1878  führte  mein  Lehrer  Herr  Geh.-R. 
Czerny  33mal  die  Nephrectomie,  7  mal 
die  Nephrotomie,  3mal  die  Nephro- 
lithotomie, 2mal  die  Pjelotomie,  2mal 
die  Pyelolithotomie,  3  mal  die  Nephro- 
rrhaphie  aus.  8 mal  wurden  Hydrone- 
phrosen  punctirt;  2 mal  Myxolipome  der 
Nierenfettkapsel  mit  günstigem  Erfolge  ent- 
fernt. 

Bezüglich  der  Nephrectomien  *)  über- 
standen 47%  die  Operation  dauernd.  Doch 
weichen  die  Endresultate  der  Exstirpation 
bei  den  einzelnen  Nierenleiden  so  weit  aus- 
einander, dass  es  nicht  nur  berechtigt,  son- 
dern auch  dringend  erforderlich  ist,  die  ver- 
schiedenen Arten  der  Nierenkrankheiten, 
welche  die  Nephrectomie  erheischen,  gruppen- 
weise gesondert  zu  betrachten. 

Wegen  Hydronephrosen  wurde  4mal 
operirt,  einmal  Heilung  erzielt;  3  Fälle 
endeten  letal  (l  Urämie  beim  Defect  der 
2.  Niere;  1  sept.  Peritonitis  per  laparot.; 
1  an  septischer  Thrombose  der  Vena 
renalis). 

Bei  einer  Üreter-Scheidenfistel  wurde 
durch  die  Exstirpation  die  Incontinenz  ge- 
hoben. 

Unsere  Resultate  bei  der  Exstirpation 
bösartiger  Neubildungen  lassen  noch 
viel  zu  wünschen  übrig^).  In  12  Fällen 
(l  Adenom, 2Medullarcarcinom,  6  Spin- 
delzellensarcom,  3  Angiosarcom)  er- 
zielten wir  nur  3  mal  (25%)  Heilung.  Auch 
von  diesen  dreien  starben  zwei  6  Monate  resp. 


')  Alter  schwankt  zwischen  11  Monaten  und 
60  Jahren. 

')  Auch  nach  der  neuesten  diesbezüglichen 
Statistik  von  Siegrist  (Ueber  die  Nierenexstirpation 
bei  malignen  Tumoren.  Inaug.  -  Dissert.  Zürich) 
starben  von  61  Patienten  52,  45  7o  i^  directen  An- 
schlass  an  die  Operation. 


2  J^hre  nach  der  Operation  an  Metastasen 
und  an  localen  Recidiven,  der  letzte  Fall,  trotz- 
dem dass  die  Fettkapsel  secundär  total  resecirt 
wurde.  Meist  (5  mal)  erfolgte  der  Tod  an 
Collaps  (imal  per  laparot.),  2mal  an 
Peritonitis  (beidemal  transperitoneal  oper.), 
1  mal  an  Lungenödem,  Imal  an  Tetanus. 
Diese  grossen  Verluste  erklären  sich  z.  Th. 
aus  den  unverhältnissmässig  schwierigen  Ver- 
hältnissen der  einzelnen  Fälle,  theilweise  aus 
dem  Umstände,  dass  bis  zum  Jahre  1883 
bei  etwas  beweglicheren  Geschwülsten  öfters 
der  Versuch  gemacht  wurde,  die  Tumoren 
transperitoneal  zu  entfernen.  Auch  war  die 
Erkrankung  meist  schon  weiter  vorgeschritten 
als  ursprünglich  angenommen  wurde,  da  die 
Autopsie  in  nicht  weniger  als  vier  Fällen 
ausgedehnte  Metastasen  aufwies.  Es  giebt 
dies  einen  deutlichen  Fingerzeig,  maligne 
Nierentumoren  möglichst  frühzeitig  (sammt 
der  Kapsel)  zu  entfernen.  Ein  11  monat- 
liches Kind  ausgenommen  betrug  das  Alter 
des  Leidens  bei  unseren  Patienten  stets 
schon  1 — 4*/^  Jahre. 

Viel  günstiger  liegen  die  Verhältnisse  bei 
derNiereneiteruug,  einer  Krankheitsgruppe, 
in  die  ynr  Nierenabscesse,  Pyonephrosen  und 
Tuberculose  recht  gut  zusammenfassen  können, 
umsomehr  da  bei  genauer  mikroskopischer 
und  bacteriologischer  Untersuchung  sich 
manche  exstirpirte  Niere  als  tuberculös  er- 
weisen wird,  wo  früher  weder  im  Urin  noch 
im  Fistelsecret  Bacillen  nachgewiesen  werden 
konnten.  In  der  weit  überwiegenden  Mehr- 
zahl der  Fälle  ist  die  Nieren  äff  ection  der 
primäre,  der  perinephritische  Abscess  der 
secundäre  Process.  Deshalb  ist  es  auch 
dieses  Gebiet,  wo  wir  mit  den  Nephrecto- 
mien  die  glänzendsten  und  überraschendsten 
Erfolge  erringen  können. 

In  der  That  gelang  es  uns  unter  11  Fällen 
(5  M.,  6  W.)  9  mal  (82%  Heilung),  darunter 
7 mal  Patienten  mit  Fisteln,  die  wirklich 
schon  bis  zur  äussersten  Grenze  herunterge- 
kommen waren,  einmal  sogar  eine  Kranke, 
der  8  Jahre  vorher  das  Bein  wegen  Caries 
amputirt  wurde,  durch  die  Nierenexstirpation 
der  endgültigen  Genesung  zuzuführen.  Nur 
ein  Kranker  starb  an  Sepsis  (Stiel  und 
Wundin  fection),  ein  anderer  an  congenitalem 
Defect  der  zweiten  Niere  8  Tage  (!) 
nach  der  Operation. 

Viel  unbefriedigender  sind  die  Resultate 
der  Nephrotomie  bei  den  Pyonephrosen. 
Es  wurden  7  Fälle  operirt;  zwei  davon 
endeten  letal;  4  mussten  späterhin  nephrec- 
tomirt  werden,  und  nur  einer  wurde  dauernd 
gebessert.  Ich  glaube  daher,  dass  diese 
Operation  nur  bei  stark  geschwächtem  Kräfte- 
zustande  als   Vorakt  zur  Exstirpation   oder 


550 


H6re£«l,  Ueber  Niereooperatioo^o. 


rtherapeatifdie 
L  If onatdiefte. 


aber  überall  dort  ausgeführt  werden  sol^  wo 
begründeter  Verdacht  auf  Erkrankung  der 
zweiten  Niere  vorliegt,  da  hier  der  Verlust 
einer  minimalen  Menge  secemirenden  Paren- 
chyms  den  Tod  herbeiführen  kann,  indem  das 
zurückbleibende  Gewebe  keine  compensato- 
rische  Hypertrophie  einzugehen  im  Stande  ist. 

Die  Nephrolithotomie  wurde  3  mal 
ausgeführt  (3  W.).  Sämmtliche  Fälle  endeten 
letal;  stets  waren  beide  Nieren  krank. 

Wegen  einfacher  Pyelitis  wurde  nie  ope- 
rirt,  wohl  aber  fünfmal  wegen  Pyelitis 
calculosa  (2  W.,  3  M.)  bei  multipler  Con- 
crementbildung,  bei  starker  Erweiterung  des 
Nierenbeckens  und  bei  starlcem  Schwunde 
der  functionirenden  Substanz  die  Niere  ex- 
stirpirt,  und  zwei  Heilungen  erzielt.  3  Pa- 
tienten starben  (l  an  Verblutung  bei 
einer  Hufeisenniere  —  perlaparot.;  1  an 
Urämie;   1  an  Coma   diabeticum). 

Mit  der  Diagnose  Nierenbeckenstein 
wurde  4 mal  die  Pyelotomie  Torgenommen; 
zweimal  fanden  sich  auch  wirklich  solitäre, 
bis  taubeneigrosse  Steine  im  Nierenbecken, 
nach  deren  Entfernung  die  Incisionswundß 
des  letzteren  mit  Catgut  nach  Art  der 
Czerny^schen  Darmnaht  geschlossen  wurde. 
Einmal  wurde  dabei  wirklich  prima  intentio 
erzielt,  durch  die  Lenden  wunde  floss  kein 
Harn  und  schon  nach  14  Tagen  verliess  die 
Kranke  gesundet  unsere  Anstalt.  Das  zweite 
Mal  hielt  die  Naht  nur  theilweise  Stand, 
wohl  weil  Blutcoagula  das  Lumen  des  Ureters 
verlegten.  Am  8.  Tage  ungefähr  gingen  die 
Gerinnsel  ab  und  bald  nach  diesem  Zeit- 
punkte nahm  sämmtlicher  Urin  den  Weg 
durch  die  Blase. 

Zweimal  trafen  wir,  trotzdem  dass  typische 
Koliken,  einmal  sogar  mit  Blutabgang  vor- 
lagen, keine  Concremente.  Im  ersten  Falle 
handelte  es  sich  um  S-formige  Knickung  und 
Krümmung  des  Ureters  mit  temporärer  Hy- 
dronephrose,  im  zweiten  um  Pyelonephritis 
tuberculosa.  Beide  mussten  später  nephrec- 
tomirt  werden,  weil  die  Nierenbeckenfisteln 
absolut  keine  Heiltendenz  zeigten. 

Durch  die  Entfernung  colossaler  (bis 
11  kg  schwerer)  Myxolipome  der  Nieren- 
fettkapsel  mittelst  des  medianen  Bauch- 
schnittes gelang  es  in  zwei  Fällen  die  Nieren 
unverletzt  zu  belassen  und  die  Patienten  zu 
heilen. 

Was  die  Technik  der  Nephrectomie  an- 
langt, bedienen  wir  uns  jetzt  bei  richtig  ge- 
stellter Diagnose  ausnahmslos  des  Gz erny'- 
schen  Lei^denschnittes.  Die  lumbale 
Methode  ist  unstreitig  viel  weniger  eingreifend 
und  gefahrloser  als  die  transperitoneale,  und 
bei  Verlängerung  des  schrägen  Schnittes  nothi- 
genfalls  bis  zum  äusseren  Rande  des  geraden 


Bauchmuskels  gelingt  es  auch  ohne  seitliche 
Hilfsschnitte,  Thürflü gelschnitt  oder  Rippen- 
resection  selbst  die  grössten  Geschwülste  zu 
exstirpiren.  Ceteris  paribus  wird  eine  sub- 
capsuläre  Aushülsung  leichter  ausfuhrbar 
sein  als  eine  Exstirpation  sammt  der  Kapsel, 
welch  letztere  Methode  bei  malignen  Tumoren 
wir  doch  stets  anstreben  müssen,  da  das 
perirenale  Gewebe  meist  Stätte  der 
Recidive  ist.  ILinder  sind  weniger  wider- 
standsfähig als  Erwachsene. 

Bezüglich  der  Stielversorgung  ist  wohl 
die  wichtigste  Methode  das  Anlegen  einer 
elastischen  Ligatur,  hinter  welcher  secun- 
där  ein  starker  Seidenfaden  en  masse  fassend 
mit  Leichtigkeit  geschnürt  werden  kann.  In 
2  —  3  Wochen  gehen  dann  beide  meist  spontan 
oder  bei  geringem  Zuge  ab. 

Besonders  bei  Pyonephrosen ,  wo  ausge- 
flossener Eiter  die  frische  Wunde  oft  ver- 
unreinigt, mochte  ich  vor  Umstechungen 
resp.  Abbinden  des  Stieles  in  zwei  Portionen 
warnen.  Leicht  kann  dabei  der  Faden  durch 
die  Lumina  der  Gefässe  gehen ,  und  durch 
die  capillare  Aspiration  der  Seide  entstehen 
eitrig  zerfallende  Thromben,  die  wieder  sep- 
tische Metastasen  bedingen.  Erst  jüngst 
mussten  wir  in  Folge  eines  analogen  Vor- 
ganges den  Tod  einer  sonst  gesunden  Pa- 
tientin beklagen,  und  die  genaue  Durchsicht 
unserer  Krankengeschichten  macht  es  mir 
wahrscheinlich,  dass  wir  auf  ähnlichem  Wege 
(Pyämie  und  Sepsis)  noch  2  andere  Kranke 
verloren  haben. 

Seit  2  Jahren  üben  wir  die  Jodoform- 
dochttamponade (Gersuny)  der  Wund- 
höhlen, welche  sich  trefflich  bewährt.  Die 
Muskeln  vereinigen  wir  mit  wenigen  ver- 
senkten Catgutnähten,  die  Haut  darüber  mit 
Seide  und  lassen  die  Dochte  je  nach  Um- 
ständen 2  —  7   Tage  liegen. 

Hauptaufgabe  des  Operateurs  wird  es 
stets  bleiben,  vor  jedem  Eingriffe  über  den 
Zustand  der  zweiten  Niere  möglichst 
klaren  Aufschluss  zu  erlangen.  Und  da 
müssen  wir  gestehen,  dass  es  uns  bisher 
weder  durch  die  Compressions-  noch  durch 
die  Catheterisirungsmethoden  in  zuverlässiger 
Weise  gelingt,  zur  Untersuchung  genügende 
Urinmengen  von  den  einzelnen  Nieren  isolirt 
aufzufangen.  Heute,  wo  besonders  von  fran- 
zösischer Seite  der  kranken  Niere  mit  Recht 
die  Fähigkeit  abgesprochen  wird,  genügende 
Mengen  Harnstoff  auszuscheiden,  ist  es 
doppelt  nothwendig,  das  Secretjeder  einzelnen 
Niere  in  grösseren  Quantitäten  gesondert 
auffangen  zu  können,  um  nicht  allein  von 
der  mittleren  24  stündigen  Harnstoffmenge 
urtheilen  zu  müssen,  sondern  auch  um  prüfen 
zu  können,  ob  die  zweite  Niere  kräftig  genug 


HL  Jahrgaiiff.  I 
Deoember  1889.  J 


Heresel,  Ueber  Nierenoperationen. 


551 


ist,  und  ob  sie  die  Arbeit  der  kranken  Niere 
zum  Theiie  leistet. 

Darum  wird  in  zweifei baften  scbwierigen 
Fällen  wohl  auch  jetzt  nicht  Anderes  übrig 
bleiben,  als  auf  den  ursprünglichen  Czerny'- 
schen  Vorschlag  zu  recnrrirenundeineNieren  - 
beckenbauchfistel  anzulegen,  umsoeher 
da  diese  Operation  die  spätere  Exstirpation 
nicht  nur  nicht  erschwert,  sondern  im 
Gegensatz  erleichtert. 

In  der  That  gelang  es  uds,  vor  ca. 
3  Monaten  bei  einer  käsig  tuberculosen 
Nephritis  festzustellen,  dass  die  zweite,  auch 
nicht  völlig  gesunde  Niere  (deren  Harn  viel 
Ei  weiss  enthielt)  viermal  so  viel  Harnstoff 
secernirt  als  die  kranke.  Wir  wagten  darauf- 
hin die  Nephrectomie,  der  Heil  verlauf  war 
vollkommen  zufriedenstellend,  und  selbst  der 
Eiweissgehalt  des  Urins  schwand  bald  völlig 
(Demonstration). 

Gestatten  Sie  mir  noch  zum  Schlüsse  in 
aller  Kürze  eine  Operationsmethode  zu  er- 
örtern, die  es  erlaubt,  kranke  Theilstücke 
einer  sonst  gesunden  Niere  partiell  zu 
entfernen,  d.  h.  zu  reseciren. 

Thierexperimente  von  Fluriar,  F.  Bar- 
denheuer beweisen  ja  zur  Genüge,  dass  es 
wohl  möglich  ist,  keilförmige  Excisionen  aus 
der  Niere  zu  machen  und  unter  Umständen 
durch  sofortige  Naht  der  Wunde  sogar  prima 
intentio  zu  erzielen,  da  nach  Tuffier^s 
neuesten  Versuchen  die  Schnittflächen  der 
Niere  secretionsunföhig  werden,  gleichgültig 
ob  die  Urinableitung  durch  den  Urether  offen 
oder  durch  Unterbindung  desselben  unter* 
brochen  ist. 

Am  Menschen  machte  meines  Wissens 
mein  Lehrer  Herr  Geh.-Rath  Czerny  im 
November  1887  die  erste  gelungene  par- 
tielle Nierenexstirpation. 

Des  hohen  Interesses  halber,  den  dieser 
günstig  verlaufende  Fall  beansprucht,  will 
ich  mir  erlauben,  über  denselben  Einiges  zu 
berichten. 

Es  handelte  sich  um  einen  80jährigen 
vh.  Gärtner,  der  Anfangs  März  86  ein 
schweres  Trauma  in  der  rechten  Lendenge- 
gend erlitt.  Seit  dieser  Zeit  bestand  heftige 
Hämaturie  nebst  starken,  mit  Erbrechen  ge- 
paarten Schmerzanfällen.  Während  der  An- 
falle war  der  Urin  klar;  nach  Abgang  von 
wurmförmigen  Gerinnseln  trat  Euphorie  ein. 
Abmagerung.  Bei  der  Untersuchung  in 
Narkose  fand  sich  die  rechte  Niere  vergrössert, 
der  untere  Pol  deutlich  palpabel. 

Am  16.  Nov.  87  20  cm  langer  schräger  Lum- 
balschnitt.  Aushülsung  der  rechten  Niere.  An 
der  Gonvexität  derselben,  zwischen  oberem 
und  mittlerem  Drittel  sitzt  eine  borsdorfei^ 
apfelgrosse,   pralle  lastische,  fast  fluctuirende 


Geschwulst,bläulich  durchschimmernd,  darüber 
eine  bindegewebig  verdickte  prall  gespannte 
Eapselschichte.  6  cm  langer  Randschnitt. 
Ausräumung  des  krümmelig  bröckligen  Ge- 
schwulstbreies mit  scharfem  Löffel.  Der 
palpirende  Finger  konnte  in  das  erweiterte 
Nierenbecken  leicht  eindringen,  von  dort 
Gewebsbröckel  entfernen  und  auch  den  oberen 
und  unteren  erweiterten  Kelch  von  sonst 
normaler  Beschaffenheit  abtasten.  Nach  ellip- 
tischer Resection  der  Wundränder  wurde 
die  Wunde  mit  5  Gatgutnähten  etwas  ver- 
kleinert und  mit  Jodoformgaze  tamponirt; 
die  Niere  reponirt.  Tamponade  der  Höhle 
mit  Jodoformgaze,  daneben  2  Gummidrains. 
Sublimatholzwolleverband.  Mikroskopische 
Diagnose:  Angiosarcom. 

Der  Verlauf  war  Anfangs  vollkommen 
zufriedenstellend.  Schon  am  3.  Tage  nach 
der  Operation  betrug  die  Urintagesmenge 
1550  cbm  mit  1021  sp.  Gew.  9  Tage  lang 
ergoss  sich  Urin  aus  der  Lumbaiwunde. 
Die  Jodoformgaze  wurde  am  7.  Tage  nach  der 
Operation  entfernt.  Der  Blasenharn  wurde 
allmählich  eiweissfrei  und  sauer.  Später  folgten 
Durchfalle  und  rechtsseitige  Pleuritis.  Trotz- 
dem erholte  sich  der  Kranke  bald,  nahm  an 
Gewicht  stetig  zu  und  konnte  im  Januar  88 
mit  einer  kleinen  Fistel  entlassen  werden. 
Auch  diese  schloss  sich  nach  wenigen  Wochen. 
Seitdem  geht  es  dem  Fat.  sehr  gut.  Hämatu- 
rien und  Schmerzen  haben  vollkommen  auf- 
gehört, nur  bei  Hustenstössen  verspürt  er 
Schmerzen  in  der  Narbe.  Leider  hat  er  sich 
in  letzter  Zeit  der  Beobachtung  entzogen. 

Auf  dem  diesjährigen  Ghirurgencongresse 
besprach  Herr  Julius  Schmidt  aus  Cöln  eine 
von  Prof.  Bardenheuer  operirte  Nieren cyste 
mit  partieller  Nierenexstirpation,  die  weniger 
gunstig  verlief,  indem  später  die  Nephrectomie 
ausgeführt  werden  musste.  Er  meinte  den 
Grund  des  Misserfolges  in  der  Eröffnung 
der  Nierenkelche,  beziehungsweise  des 
Nierenbeckens  zu  finden.  Unser  Fall  be- 
weist im  Gegensatz,  dass  auch  grössere,  die 
Pyramiden  mitfassende  Defecte  der  Niere 
trotz  breiter  Eröffnung  des  Nieren- 
beckens wenigstens  durch  Granulationsbil- 
dung sicher  zur  Ausheilung  gelangen  können. 

Ob  eine  Naht  des  menschlichen  Nieren- 
parenchyms, wie  es  wahrscheinlich  ist,  Stand 
halten  wird,  muss  die  Zukunft  lehren.  Jeden- 
falls wird  sie  nur  dort  angelegt  werden 
dürfen,  wo  die  Beschaffenheit  des  Urins 
normal  ist,  also  hauptsächlich  bei  kleinen 
Tumoren,  die  in  der  Rinde  sitzen. 


552 


SuChftnnek,  Zur  Kaehbehandlung  bei  Operationen  In  der  KasenhShle. 


[TtierApAatlieb« 
L  Monatahefte. 


Zur  Naclibeliaiidlung  bei  Operationen 
in  der  Nasenliölile« 

Von 

Dr.  Hermann  Suchannek,  Docent  in  Zürich. 

Das  antiseptische  Verfahren  ist  dem 
heutigen  Mediciner  so  zu  sagen  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangen  und  es  darf  nicht 
Wunder  nehmen,  wenn  sich  in  rascher  Folge 
Gynäkologen,  Ophthalmiater,  Otologen  und 
die  Jünger  der  Zahnheilkunde  die  Segnungen 
der  modernen  Wundbehandlung  zu  Nutze 
machten.  Man  wird  es  daher  begreiflich 
finden,  wenn  Bezold  in  einem  Referat  über 
das  seit  Jahresfrist  erschienene  Werk  eines 
bekannten  amerikanischen  Otologen  die  Nicht- 
beachtung der  Fortschritte  der  Ohrenheil- 
kunde auf  dem  Gebiet  der  Antisepsis  rügt. 
—  Um  so  auffallender  muss  es  darum 
erscheinen,  dass  die  Rhinologen  bisher  im 
Hintertreffen  blieben.  Diese  Zurückhaltung 
erklärt  sich  vielleicht  aus  der  Erfahrung, 
dass  einmal  die  Nasenschleimhaut  äusserst 
leicht  resorbirt  und  andererseits  eine  hoch- 
gradige Empfindlichkeit  den  beliebtesten  con- 
centrirteren  antiseptischen  Lösungen  gegenüber 
an  den  Tag  legt.  So  wird,  um  nur  Einzelnes 
herauszugreifen,  Sublimat  in  der  grossen 
Mehrzahl  der  Fälle  nur  in  sehr  schwacher 
(0,05°/oo)  Concentration  vertragen  und  selbst 
dann  kommt  es  bei  längerer  Anwendung 
dieser  Solutionen  gelegentlich  zu  Intoxica- 
tionen.  Carbolwasser  macht  schon  in  l^/o 
Concentration  unangenehme  Reizerscheinun- 
gen,  und  das  viel  gerühmte  und  als  ungiftig 
gepriesene  Creolin  hat  sich  mir  nach  verschie- 
denen misslungenen  Versuchen  als  nicht  em- 
pfehlenswerth  erwiesen.  —  Selbst  die  mit 
Creolin  getränkten  Tampons,  die  man  ge- 
legentlich zur  Verflüssigung  der  Secrete  bei 
Ozäna  einführt,  verursachen  eine  Weile  hef- 
tiges Brennen. 

Nur  die  auch  in  der  Augenheilkunde  be- 
kannte und  angewendete  4^/o  Borsäure  resp. 
concentrirteren  Boraxlösungen  sind  ohne  Ein- 
fluss  auf  die  Nasenschleimhaut,  freilich  anch 
von  keiner  erheblichen  keimtödtenden  Wir- 
kung, daher  mehr  als  Spülwasser  verwend- 
bar. Wir  bedürfen  ja  aber  auch  zur  Nach- 
behandlung nach  chirurgischen  Eingriffen  in 
der  Nase  —  maximale  Reinigung  der  Schleim- 
haut durch  sorgfältiges  Austupfen  mittelst 
Wattebäuschchen  vorausgesetzt  —  keiner 
stärker  desinficirenden  Mittel,  haben  wir  doch 
in  dem  Jodoform  ein  Medicament,  das  so- 
wohl im  Rectum  und  Mund  —  mithin  an 
Stätten,  die  doch  gewiss  ein  wahrer  Tunmiel- 
platz  fürpathogeneBacterien  sind  (cf.Miller^s 


neuestes  Werk  über  die  Bacterien  des  Mun- 
des) —  als  in  der  Nase  einen  reizlosen  Wund- 
verlauf sichert.  Dabei  ist  es  übrigens  ziem- 
lich gleichgültig,  ob  in  einer  unsern  Blicken 
und  der  Sonde  unzugänglichen  Bucht  oder  auf 
der  Regio  olfactoria,  die  ja  ohnehin  fast  stets 
unberührt  bleiben  muss,  mehr  oder  minder 
minimale  Secretmeugen  restiren;  wissen  wir 
doch  nach  Neisser's  Untersuchungen,  dass 
direct  unter  dem  Einfluss  der  Bacterien- 
culturen  sich  aus  dem  Jodoform  Jod  ab- 
spaltet, welches  hauptsächlich  in  statu  nascendi 
und  zwar  hierbei  schon  in  minimalen  Dosen, 
dann  aber  auch  wohl  in  Verbindung  mit  Alka- 
lien antiseptisch  wirkt  resp.  die  Cadaverin- 
eiterung  hindert  (Behring).  Je  stärker  daher  die 
reducirende  Einwirkung  der  Bacterienculturen, 
bei  der  nascirender  Wasserstoff  eine  hervor- 
ragende Rolle  spielt,  sich  geltend  macht,  um 
so  grössere  Mengen  Jodoform  werden  zersetzt. 
Dass  solche  Zersetzung  auch  in  der  Nase 
erfolgt,  kann  man  an  der  allmählich  fast 
völligen  Entfärbung  der  anfangs  schwefel- 
gelben (50  %)  Jodoformgaze,  nachdem  letztere 
bis  zu  8  Tagen  in  der  Nase  verweilt  hat, 
erkennen.  Nun  —  wird  man  mir  einwenden 
—  ist  es  aber  eine  alte  Erfahrung,  dass  die 
Nase  recht  erhebliche  Traumen  und  chirur- 
gische Eingriffe  verträgt  und  die  gesunde 
Nasenschleimhaut  einen  schlechten  Nährboden 
für  pathogene  Bacterien  abgiebt.  —  Das  ist 
vollkommen  richtig,  aber  practisch  belanglos, 
denn  einmal  wird  man  nicht  leugnen  können, 
dass,  wenn  man  sich  unter  den  Schutz  ersterer 
Tradition  stellt,  man  doch  dem  Zufall,  der 
ja  auch  in  der  voran tisep tischen  Zeit  mit- 
unter wunderbar  gespielt  hat,  allzugrosse 
Concessionen  macht;  andererseits  gebort  eine 
völlig  normale  Nasenschleimhaut  zu  den 
Seltenheiten.  Meistentheils  ist  eine,  wenn 
auch  noch  so  geringe  pathologische  Secretion 
oder  sind  circumscripte  oder  diffuse  Ver- 
änderungen der  Mucosa  vorhanden.  In  diesem 
Fall  und  in  noch  höherem  Grade  bei  ausge- 
sprochenen Rhinitidcn  wird  das  eiweissreiche 
Secret  zu  einem  guten  Nährboden  und  der 
Infection  ist  bei  erfolgendem  Trauma  Thor 
und  Thür  geöffnet.  Sah  ich  doch,  um  nur 
ein  Beispiel  anzuführen,  bei  einem  mit  scro- 
phulöser  mucopurul enter  Rhinitis  behafteten 
Knaben  nach  heftigem  Fall  auf  die  Nase, 
der  zur  Fractur  des  Nasengerüstes  führte, 
keine  Consolidation,  sondern  eine  nekrotische 
Abstossung  fast  des  ganzen  Vomer  erfolgen. 
Ich  bin  der  Ueberzeugung,  dass  bei  sofortiger 
Inspection  und  Behandlung  der  Affection 
(Einlegen  von  Jodoformtampons  beiderseits) 
diese  Eventualität  hätte  vermieden  werden 
können.  Item  —  da  wir  gewöhnlich  nur  an 
nicht  gesunden  Nasenschleimhäuten  operiren, 


IILJahrgmag.  1 
Deoember  1889.  J 


Süehannek,  Zur  Nachbehandlunir  bei  Operationen  in  der  Nasenhöhle. 


553 


müssen   wir  eine  Garantie  für  guten  Wund- 
Yerlauf  übernehmen. 

Ich  yerfahre  nun,  mag  ich  Kauterisationen 
der  Nasenhohlen  zur  Festlegung  und  Ver- 
kleinerung der  Schwellkorper  an  der  untern 
Muschel  behufs  Hebung  von  Nasenstenosen 
oder  Beseitigung  bestehender  Reflexneurosen, 
Operationen  mit  kalter  oder  heisser  Schlinge, 
Abtragung  von  septalen  Deviationen  oder 
des  vorderen  Endes  der  blasig  aufgetriebenen 
und  das  Nasenlumen  grosstentheils  ver- 
schliessenden  mittleren  Muschel  vornehmen, 
jedes  -Mal  folgendermassen : 

Handelt  es  sich  tun  leicht  fortspülbare 
Secretmassen,  so  mache  ich  mit  4  %  c.  24^  R. 
warmer  Borsäurelosung,  der  ich,  wenn  ich 
mich  überzeugt  habe,  dass  Patient  alle  die- 
jenigen Regeln,  die  bei  der  Nasendousche  zu 
beachten  sind,  stricte  erfüllt,  Sublimat  im 
Verhältniss  Ton  1  :  20000  zusetze,  eine  Aus- 
spülung und  entferne  nur  noch  sichtbare 
Secretreste  mit  an  Sonden  befestigten  Watte- 
bäuBchchen.  —  Ich  benutze  dazu  aus  Eisen- 
oder Messingdraht  hergestellte  dünnste  Sonden, 
die  an  einem  Ende  auf  5 — 7  mm  Länge  mit 
einem  Gewinde  versehen  sind  und  die  übliche 
Nasenkrümmung  besitzen.  Der  längere  Schen- 
kel ist  12 — 13  cm  lang;  die  Dicke  muss  sich 
nach  der  grosseren  oder  geringeren  Geräu- 
migkeit der  Nasenhöhlen  richten  und  beträgt 
Vs — 1  mm.  Ich  benutze  die  (von  Bresgen?) 
vor  Jahren  empfohlenen  Gewindesonden  auch 
zu  Touchirung  des  Rachens  und  Kehlkopfs 
und  brauche  ein  Herab  gleiten  der  am  Ge- 
winde befestigten  Watte  absolut  nicht  zu 
fürchten. 

Nach  Entfernung  der  Sonde  wird  der 
mit  Secret  bedeckte  Pfropf  (wie  dies  ja  wohl 
allgemein  geschieht)  mittelst  eines  c.  6  cm 
im  Quadrat  haltenden  Stücks  dicken  Fliess- 
papiers (Pflanzenpapier)  erfasst  durch  Dre- 
hen nach  der  entgegengesetzten  Richtung 
entfernt  und  einem  Porzellaneimer  überant- 
wortet. —  Bei  der  Billigkeit  des  Materials 
ist  die  Bescha£fung  einer  grosseren  Anzahl 
solcher  Sonden  räthlich  und  bei  eventuell  zu 
stillender  Blutung  (Tränkung  der  Watte- 
bäuschchen mit  frisch  ausgepresstem  Citronen- 
saft)  vortheilhaft.  Erscheint  mir  das  Ope- 
rationsfeld, soweit  es  sich  übersehen  lässt, 
rein,  so  pflege  ich  auf  dasselbe  noch  einen  Spray 
mit  schwächerer  Rotter 'scher  Losung  ein- 
wirken zu  lassen,  resp.  statt  dessen  einer 
Ofib  ®/oo  Sublimatlösung  mich  zu  bedienen. 

Dann  schreite  ich  nach  Desinfection  der 
äusseren  Nase  und  deren  Umgebung  (Bart 
besonders  berücksichtigen!)  mittelst  5  "/q  und 
Abtupfen  des  Vestibulum  mit  1  "/o  Carbol- 
lösung  zur  Operation.  Dieselbe  wird  unter 
Oocainanästhesie  (meist  2  maliges  Aufstreichen 


einer  20*^/0  Lösung  und  nur  bei  länger 
dauernden  Operationen  submucöse  Cocainin- 
jection !)  ausgeführt.  —  Selbstredend  werden 
die  noth wendigen  Instrumente  für  die  Zeit 
von  5  Minuten  in  siedendes  Wasser  gelegt 
und  Hände  und  Nägel  der  üblichen  desin- 
ficirenden  Toilette  unterworfen.  —  Ist  die 
Operation  beendet,  so  pinsele  ich  die  in  An- 
griff genommenen  Stellen  mit  einer  Lösung 
von  Jodoform,  Bals.  peruv.,  Sapo  Kali  aa  2,0, 
Collodium  30,0  (guttaperchaähnlicher  üeber- 
zugl),  anderenfalls  tamponire  ich  je  nach  der 
Localität  der  Operation  die  Nase  (theil weise !) 
mit  50  ^/o  Jodoformgaze  aus.  Auch  dieser 
Act  erfordert  üebung  und  muss  selbstredend 
ebenso  wie  die  vorherige  Säuberung  der  Nasen« 
höhle  stets  unter  Leitung  eines  Nasenspecu- 
lums  (wozu  ich  Bresgen^s  modificirte  Du- 
play'sche  dringend  empfehlen  kann,  doch 
thut  ein  Voltolinischex  oder  dessen  Modi- 
ficationen  auch  gute  Dienste)  geschehen.  -^ 
Die  Tamponade  wird,  da  «ie  in  den  meisten 
Fällen  nur  partiell  erfolgt,  gut  vertragen  und 
lassen  die  anfänglichen  Unbequemlichkeiten 
am  nächsten  Tage  nach.  Sollte  der  Patient 
über  nachträglich  eintretende  Schwellung 
auch  der  freigebliebenen  Theile  der  Nasen- 
schleimhaut klagen,  so  kann  er^  durch  Ein- 
träufeln einiger  Tropfen  einer  sterilen  lau- 
warmen 10%  Cocainlösung  (Tropfröhrchen) 
oder  einer  10%  Menthollösung  oder  Ein- 
athmung  von  Mentholdämpfen  (einige  Kry stalle 
asiatischen  Menthols  auf  c.  50^  R.  warmen 
Wassers  streuen  und  den  Dampf  der  sich 
verflüchtenden  Substanz  bei  geschlossenen 
Augen  und  Munde  durch  die  Nase  einathmen !) 
sich  Erleichterung  verschaffen.  —  Wo  sich 
eine  ausgiebige  Tamponade  der  Nasenhöhle 
als  nöthig  erwies,  habe  ich  mit  Hinblick  auf 
die  unangenehmen  Erfahrungen  von  Barth 
(Berl.  klin.  Wochenshc.  1888)  die  Patienten 
angevTiesen,  bei  den  leisesten  unangenehmen 
Sensationen  im  Ohr  mich  sofort  wieder  auf- 
zusuchen. Ich  hatte  mir  vorgenommen,  bei 
den  ersten  Zeichen  von  beginnender  Mittel- 
ohrentzündung die  Tampons  zu  entfernen 
und  statt  dessen  Jodoformcollodium  aufzu- 
streichen  und  einer  Otitis  media  incipiens  mit 
den  (von  verschiedenen  Autoren,  unter  Andern 
auch  von  Herrn  Collegen  Rohr  er  empfohlenen 
und  auch  von  mir  für  das  erste  Stadium  des 
acuten  Paukenhöhlenkatarrhs  als  trefflich  er- 
probten) Eingiessungen  einer  20%  Carbol- 
glycerinmischung  in  den  äussern  Gehör- 
gang  zu  begegnen.  Indess  habe  ich  bisher 
dieser  Maassnahmen  auch  bei  event.  völliger 
länger  dauernder  Obturation  der  einen  Nasen- 
hälfte nicht  bedurft.  Immerhin  ist  diesem 
Punkte  auf  jeden  Fall  die  genügende  Beach- 
tung zu  schenken.  —  Der  Tampon  bleibt  bei 

70 


554 


Suchannek,  'Zur  Nachbehandlung  b«i  Operationan  in  der  Nasenhöhle. 


fTberapeattodM 
L  MonatriieftaL 


Operationen  mit  der  kalten  Schlinge  3 — 4, 
bei  Kauterisationen  8  Tage  lang  liegen,  ohne 
dass  der  Patient  über  febrile  oder  Resorp- 
tionserech einungen  zu  klagen  hätte.  —  Nun 
giebt  es  allerdings  nervöse  Personen,  die  auch 
von  der  Jodoformgazetamponade  nichts 
wissen  wollen.  Dann  stehe  ich  von  derselben 
ab  und  lasse  sie  nach  der  Operation  am 
ersten  Tage  1 — 2  stündlich,  später  seltener 
eine  Palvermischung  von  Acid.  boric.  10,0, 
Cocain,  muriatic.0,1  (Barth)  einblasen,  nach- 
dem ich  die  Wunden  durch  JodoformcoUodium 
oder  Jodoformpulver  geschützt  habe.  Natür- 
lich heilen  auch  bei  dieser  Behandlung  die 
Affectionen  in  vielen  Fällen;  dass  sie  es 
aber  nicht  immer  thun  und  unerwünschte 
Erscheinungen  (Infection  mit  Erysipel-,  Sta- 
phylo- oder  Streptococcen)  auftreten  können, 
habe  ich  leider  in  einem  schliesslich  günstig 
verlaufenden  Fall  erleben  müssen.  Dass 
aber  nur  die  Jodoformgazetamponade  sicher 
vor  Infection  schützt,  wenn  man  die  Patienten 
nach  Hause  reisen  lassen  muss  (wobei  die 
Gefahr  im  Winter  grosser  ist  und  zwar  durch 
die,  als  sogenannte  Erkältung  bekannte  vaso- 
motorische Störung,  welche  die  Widerstands- 
fähigkeit des  Körpers  dem  Eindringen  patho- 
gener  Mikroben  gegenüber  herabsetzt),  davon 
glaube  ich  mich  genugsam  überzeugt  zu 
haben. 

Nach  Entfernung  des  Tampons  sieht  die 
Wunde  völlig  reizlos  aus  und  ist  ein  späterer 
Wundcroup  nicht  mehr  zu  befürchten.  Trotz- 
dem veranlasst  mich  meine  Vorsicht,  nach 
Bresgen's  Vorgang  noch  einige  Tage  hinter- 
einander eine  ^a^  Jodjodkaliglycerinlösung 
einpinseln  zu  lassen.  —  üebrigens  thuteine  l^/o 
ja  auch  antiseptisch  wirkende  und  die  Epi- 
thelregeneration in  hohem  Maasse  befördernde 
Argen tumlösung  gleichfalls  gute  Dienste.  — 
Ich  bin  überzeugt,  dass  Collegen,  die  bisher 
keine  weitere  Nachbehandlung  für  nöthig 
erachtet  haben  und  denen  das  Glück  bis 
dato  hold  gewesen,  nicht  ohne  weiteres  ihren 
früheren  Standpunkt  dem  viel  unbequemeren 
oben  weiter  auseinandergesetzten  Modus 
opfern  werden.  Vor  Infection  schützt  aber 
selbst  die  Behandlung  mit  dem  Galvanokauter 
nicht,  denn  häufig  genug  entstehen  ganz  kleine 
blutende  Substanzverluste,  die  weitere  Be- 
achtung kaum  zu  verdienen  scheinen  und 
doch  zur  Eingangspforte  für  Infectionsstoffe 
werden  können. 

Beiläufig  gesagt,  bediene  ich  mich  statt 
der  entschieden  nicht  zu  empfehlenden  Tam- 
ponade der  Nase  mittelst  einfacher  B musi- 
scher oder  Eisenchloridwatte  bei  profusen 
Blutungen  seit  Existenz  der  Jodoformgaze 
stets  der  letzteren,  habe  auch  das  viel  zu 
plumpe    Belloc'sche    Röhrchen    längst    ad 


acta  gelegt  —  die  Tamponade  von  vorn 
unter  Hülfe  des  zweiblättrigen  Speculums 
reicht  bei  guter  Beleuchtung  mit  reflectirtem 
Licht  völlig  aus.  —  Bei  Operationen  im 
Nasenrachenraum  bepinsele  ich  die  kauteri- 
sirten  Stellen  mit  JodoformcoUodium,  nach 
Entfernung  der  Rachentonsille  erscheint  in- 
dess  eine  antiseptische  Behandlung  deshalb 
nicht  erforderlich,  weil  das  auf  der  Wund- 
fläche haftende  Blutcoagulum  nach  Sbtiren 
der  ja  immer  nur  sehr  massigen  Blutung 
rasch  eintrocknet  und  durch  Würg-  und 
Schneuzversuche  des  Patienten  nicht  entfernt 
werden  kann.  Es  entsteht  somit  ein  schützen- 
der Schorf,  der  erst  dann  von  selbst  sich 
löst,  wenn  unter  dem  Schutz  der  gebildeten 
Granulationen  eine  Infection  nicht  mehr  zu 
besorgen  ist.  —  Ausserdem  dürften  Infections- 
erreger  eher  in  den  ohnehin  engen  Nasen- 
höhlen der  Kinder  (und  an  diesen  ope- 
rirt  man  ja  doch  fast  ausschliesslich  die 
hypertr.  Tons,  phar.)  haften  bleiben.  — 
Anhangsweise  sei  erwähnt,  dass  schon 
am  Anfang  vorigen  Jahres  Kitchen  (New- 
York  med.  Record  7.  1.  88)  eine  Methode 
der  Nasentamponade  publicirte.  Dieselbe 
ist  von  der  meinigen  indess  doch  verschieden. 
K.  benutzt  Schienen  aus  dünnem  Tafelblech, 
die  er  mit  Watte  schichtweise  umhüllt. 
Danach  führt  er  den  mit  dem  passenden 
Medicament  getränkten  und  mit  Vaseline 
bestrichenen  Tampon  in  die  Nasenhöhle.  Er 
hat  diese  Art  der  Tamponade  gegen  recidi- 
virende  Blutimgen,  zur  Verhütung  von  Ver- 
wachsungen nach  Operationen,  zur  Unter- 
drückung von  zu  starken  Grauulationsbil- 
dungen  nach  erfolgter  Kauterisation,  sowie 
als  Schiene  bei  septalen  Brüchen  etc.  — 
angewendet.  Wahrscheinlich  werden  meines 
Erachtens  nach  auch  mit  Jodoformgaze  um- 
wickelte Schienen  in  geeigneten  Fällen  von 
Vortheil  sein. 


£ndolaryngreale  Cntfernunur  eines  unter- 
halb   der   Stimmritze    sitzenden   Fibro- 

myxom. 

Von 

Dr.  Qorit  in  Brüssel. 

(Vortrag,  gehalten  in  der  Königl.  Belg.  Akademie  far 
Medicin  am  27.  April  1889.) 

Meine  Herren!  Sämmtliche  Laryngologen 
stimmen  darin  überein,  dass  die  larjngealen 
Tumoren  sehr  selten  sind;  jedoch  alle 
hierauf  bezüglichen  Zahlen  gehen  weit  aus- 
einander.   So  z.  B.  giebt  Schwartz,  welcher 


,  Enlfemuiig  «Inaa  untaihalb  der  Sümmrlts«  iltiandeD  Plbromrzom. 


Dweabw  lg».  J 

sich  auf  die  Statistik  des  Dr.  Fanvel  st&tzt, 
für  die  Polypen  (gutartige  GeechnülBte)  das 
VerbältDisB  von  1  Proc.  an,  während  Prof 
Sclmitzler,  welcher  die  Güte  hatte,  mir 
die  ÄDzabl,  sowohl  gntaitiger  wie  bösartiger 
Tumoren,  anzugehen,  welche  er  io:  seiner 
jährlich  von  4000  bis  6000  Kranken  besuchten 
Poliklioik  beobachtet  hat,  zu  dem  Schlüsse 
kommt,  dass  auf  1000  Fälle  von  Larynx- 
kraukheiten  5 — 6  Tumoren  beider  Gattungen 
kommen. 

Wenn  man  aber  tob  den  maliguea  Tu- 
moren, z.B.  dem  Epitheliom,  das  am  häufigsten 
vorkommt,  absieht,  so  ergiebt  sich  sofort, 
dass  das  Verhältniss  der  gutartigen  Tumoren 
sich  jedenfalls  auf  eine  sehr  kleine  Zahl 
beschränkt.  Wenn  ich  mir  nun  gestatte, 
meine  eigene  Erfahrung  heranzuziehen ,  so 
stelle  ich  fest,  dass  unter  siebenhundert 
Fällen  von  Larynxkrankheiten,  welche  in 
meiner  Behandlung  waren,  zwei  Mal  das 
Epitheliom  sich  vorfand,  ein  Mal  das  Papillom 
und  endlich  eine  Geschwulst,  welche  ich  der 
Akademie  heute  ausführlicher  zu  beschreiben 
die  Ehre  habe. 

Diese  Geschwulst  bot  zwei  aussergewöhn- 
liche  Eigenschaften :  erstens  ihren  tiefen  Sitz 
im  Kehlkopfe,  und  weiterhin  ihre  histologische 
Beschaffenheit. 

Die  Kranke,  welcher  ich  die  Geschwulst 
entfernt  habe,  ist  ein  Mädchen  von  24  Jahren, 
von  guter  Gesundheit. 

Seit  vier  Jahren  zeigt  ihre  Stimme  eine 
zunehmende  Heiserkeit:  doch  ist  letztere  nicht 
beständig,  was  ich  bereits  bei  der  ersten 
Untersuchung  in  meiner  Klinik  bestätigen 
konnte. 

Die  Stimme  hat  für  Äugenblicke  den 
normalen  Ton;  hierauf  wird  sie  plötzlich 
rauh,  kurz,  sie  bietet  mit  vollster  Bestimmt- 
heit den  diphtho  nie  eben  Charakter,  der  von 
den  Autoren  als  den  Polypen  des  Kehlkopfes 
eigenthümlich  angegeben  ist. 

Bei  dem  laryngoskopischen  Examen  sind 
die  Stimmbänder  während  der  Phonation 
von  vollkommen  normaler  Beschaffenheit 
(Fig.  1);  während  der  Inspiration  (Fig.  2) 
sieht  man,  indem  man  den  Kopf  der  Kranken 
sich  ein  wenig  nach  vom  neigen  l&sst,  unter- 
halb des  rechten  Stimmbandes  eine  kleine 
Geschwulst,  rund,  glänzend,  von  gräulicher 
Farbe  und  in  der  Richtung  der  Stimmband- 
Oeffnung  etwas  hervorspringend.  Lässt  man 
den  Ton  „he"  mit  Respirations-Bewegungen 
kurz  aufeinander  folgen,  so  kann  ich  folgende 
für  die  Diagnose  sehr  wichtige  Thatsache 
feststellen:  bald  schliesst  sich  die  Glottis 
vollkommen,  bald  springt  der  kleine, Tumor 
zwischen  den  beiden  Stimmbändern  an  der 
vorderen  Commissur  des  Larynx  vor  (Fig.  3). 


655 


Diese  drei  verschiedenen  Ergebnisse  des  Kehl- 
kopfbildes sind  durch  die  H.  H.  Doctoren 
S  t  ro  ob  an  t  und  Van  Dorpe  bestätigt  worden. 

Die  Athmang  ist  frei. 

Welche  Diagnose  bezüglich  der  Natur 
des  Tumors  dürfte  ich  nun  machen?  Seine 
ausgedehnten  Auf-  und  Abbewegungen  sagten 
mir,  dass  es  sich  um  einen  gestielten  Tumor 
handelte,  welchen  man  ja  gewöhnlich  Polyp 
nennt. 


PK.S. 

Beiläufig  bemerke  ich,  dass  die  Bezeich- 
nung „Polyp"  für  alle  gutartigen  Tumoren 
des  Kehlkopfes  eine  zu  weit  gehende  ist, 
indem  damit  vom  anatomisch-pathologischen 
Standpunkte  aus  nicht  Bestimmtes  gesagt 
ist.  Unter  dem  Namen  „Polyp"  sind  die 
verschiedenartigsten  Tumoren  einbegriffen, 
wie  z.  B.  die  Papillome,  Fibrome,  Myxome, 
Adenome,  Angiome,  Lipome,  LaryDX-Oysten, 
welche  nichts  weiter  gemein  seh  aftl  Iah  haben, 
als  ihre  Gutartigkeit. 


556 


Goris,  EntferouD^  eines  unterhalb  der  Stimmritce  litsenden  Fibromyxom. 


rlierapentliclie 
Monatiih«(tA. 


I 


Bezüglich  des  Sitzes  unserer  Geschwulst 
konnte  kein  Zweifel  bestehen;  da  sie  yoll- 
ständig  während  gewisser  Stimmband-Bewe- 
gungen verschwand,  hingegen  sofort  zwischen 
den  Stimmbändern  hervorsprang,  sobald  die 
Kranke  einen  sehr  starken  Ton  ausstiess, 
so  haben  wir  es  mit  einer  Geschwulst  zu 
thun,  die  unterhalb  der  Glottisspalte,  an 
der  hinteren  Fläche  des  Stimmbandes  ge- 
legen ist. 

Dieser  Sitz  ist,  meine  Herren,  eine  ana- 
tomische Eigen thümlichkeit,  auf  welche  ich 
etwas  näher  eingehen  mochte. 

Schwartz  sagt  bezüglich  des  Sitzes  der 
Kehlkopfgeschwülste  folgendes:  Bruns  hat 
gefunden,  dass  unter  1100  Kehlkopfge- 
schwülsten 836  sich  auf  den  Stimmbändern 
finden;  die  übrigen  Male  nahmen  sie  die 
Gegend  über  der  Glottis,  viel  seltener 
unterhalb  der  letzteren  ein.  Diese 
Thatsache  ist  durch  die  Statistik  von  Fauvel 
bestätigt:  von  300  von  ihm  operirten  Fällen 
befanden  sich  250  innerhalb  der  Glottis,  10 
oberhal^  und  9  unterhalb  derselben.  Für 
31  konnte  die  Insertionsstelle  nicht  bestimmt 
werden. 

Selbstverständlich  bietet  die  Operation 
beim  Sitz  des  Tumors  unterhalb  der  Glottis 
viel  grossere  Schwierigkeiten.  Das  Alter 
der  Patientin,  ihre  vortreffliche  Gesundheit, 
besonders  aber  auch  die  äussere  Beschaffen- 
heit der  Geschwulst  bestimmten  mich,  unseren 
Tumor  als  einen  gutartigen  zu   erklären. 

Welcher  Gattung  von  Geschwülsten  ge- 
horte nun  diese  Neubildung  an? 

Das  Papillom,  die  häufigste  der  gut- 
artigen Geschwülste  des  Larynx,  nimmt  ge- 
wohnlich den  freien  Rand  der  Stimmbänder 
ein,  sitzt  mit  breiter  Fläche  auf  und  besitzt 
eine  in  Folge  der  Hypertrophie  der  Papillen 
hockerige  Oberfläche. 

Das  Fibrom,  wenn  auch  zuweilen  mit 
breitem  Ansatz,  ist  doch  am  häufigsten  ge- 
stielt, beweglich  und  von  glatter  Oberfläche. 

Da  die  Myxome,  Angiome,  Lipome  und 
die  laryngealen  Cysten  sehr  selten  vorkommen, 
so  diagnosticirte  ich  ein  Fibrom,  welches  ge- 
stielt, seinen  Sitz  unterhalb  der  Glottis  hat. 

Die  häufig  wiederholten  laryngoskopischen 
Untersuchungen  hatten  mich  über  den  ge- 
nauen Sitz  der  Geschwulst,  tvie  über  deren 
Grösse  in^s  Klare  gesetzt:  so  durfte  ich  mich 
dazu  entschliessen,  die  Entfernung  derselben 
auf  intralaryngealem  Wege  zu  versuchen. 

Natürlich  ist  bei  einer  so  schwierigen 
Operation,  die  in  dem  vorderen,  und  wegen 
der  Epiglottis  am  wenigsten  zugänglichen 
Theilö  des  Larynx  gemacht  weirden  sollte, 
absölilt  noth wendig,  dass  der  Operateur  vor 
Allem   sicher  ist,  dass  der  Kranke  während 


der  Operation  still  hält  und  die  Einführung 
der  Instrumente  gut  uod  ruhig  erträgt. 

Ich  erreichte  diesen  doppelten  Zweck 
dadurch,  dass  ich  der  Patientin  täglich,  ohne 
Anwendung  von  Cocain,  eine  Sonde  bis 
zwischen  die  Stimmbänder  einführte.  Die 
ersten  Berührungen  wurden  seitens  der  Pa- 
tientin nur  mit  grosser  Mühe  ertragen;  allein, 
und  dies  ist  sehr  beachten swerth,  nach  Ver- 
lauf von  zehn  Sitzungen  war  die  Toleranz 
der  Mucosa  eine  derartige  geworden,  dass 
ich,  wenn  auch  sehr  schnell,  meine  Sonde 
zwischen  die  Stimmbänder  einführen  konnte, 
ohne  Husten  zu  erregen.  Endlich,  am  Tage 
der  Operation  pinselte  ich,  um  des  Erfolges 
ganz  sicher  zu  sein,  zwei  verschiedene  Male 
die  Schleimhaut  des  Larynx  mit  einer 
lOprocentigen  Coca'in-Losung  ein.  Hierauf 
unter  Leitung  des  Spiegels  entfernte  ich  mit 
einem  Schlage,  vermittelst  der  Guillotine 
von  Schrott  er,  während  die  Patientin  eine 
energische  Phonations-Bewegung  machte,  den 
Tumor:  mit  Genugthuung  konnte  ich  meinem 
assistirenden  Collegen  Dr.  Yan  Dorpe  den 
kleinen  zwischen  den  beiden  Ringen  des 
Instruments  gefassten  Tumor  zeigen.  Der 
Verlauf  nach  der  Operation  war  durchaus 
befriedigend,  aber  meiner  Voraussetzung 
entgegen,  besass  der  Tumor  nicht  die  Eigen- 
schaften eines  reinen   Fibroms. 

Von  der  Grösse  eines  Gerstenkorns  zeigte 
er,  mit  Ausnahme  einer  Stelle,  die  volle 
Durchsichtigkeit  einer  weissen  Gelatine;  er 
war  von  glatter  Oberfläche,  Hess  sich  zwischen 
den  Fingern  leicht  zusammendrücken,  so 
dass  er  in  allen  Punkten  den  Myxomen  oder 
mucosen  Polypen  der  Nase  glich. 

Dr.  Denys,  Professor  derpath.  Anatomie 
an  der  Universität  Loewen,  nahm  die  mikro- 
skopische Untersuchung  vor;  er  fand,  dass  die 
Geschwulst  die  Structur  der  Myxome  der 
Nase  hatte. 

Folgendes  ist  sein  Bericht: 

„Der  Tumor  ist  bedeckt  von  einer  Epi- 
dermislage,  ähnlich  derjenigen  der  Haut; 
diese  Epidermisiage  setzt  sich  zusammen 
aus  polygonalen  und  abgeplatteten  Zellen. 
Unterhalb  dieser  findet  sich  ein  Gewebe, 
welches  von  vergrösserten.  Zellen  mit  langen 
Ausläufern  und  einer  intercellularen  Substanz 
gebildet  ist;  letztere  besteht  aus  feinen, 
fast  durchweg  von  einander  geschiedenen 
Fibrillen;  nur  an  einigen  Stellen  bilden  sie 
Bündel.  Vereinzelt  findet  sich  eine  Substanz, 
geformt  aus  dicken,  fest  ineinander  ge- 
schobenen, das  Licht  stark  brechenden  Tu- 
berkeln, von  dem  Aussehen  einer  colloiden 
Substanz." 

Das  mikroskopische  Ansehen  der  Ge- 
schwulst   ist     sehr     ähnlich    den     hyalinen 


tri.  Jfthrg&nf .  1 
D«cemb«r  1889.  J 


Plainer,  Baitrflge  zur  Therapie  der  chron.  Gonorrhoe. 


557 


Myxomen,  welche  von  Bruns  und  Gottstein 
beschrieben  sind. 

M^orell  Mackenzie  theilt  in  seinem  Werke 
eine  einzige  Beobachtung  yon  einem  zum 
T heile  myxomatosen  laryngealen  Tumor  mit. 

Eine  "weitere  Beobachtung  von  reinem 
Myxom  ist  von  unserem  Landsmann,  Dr. 
Eeman  in  Gent,  gemacht. 

Endlich  findet  sich  im  Intern.  Central- 
blatte  für  Laryngologie  ein  letzter  Fall,  den 
King  im  Canadian  Practionner  veröffent- 
licht hat. 

Andere  Mittheilungen  über  Myxome 
finden  sich  in  der  laryngologischen  Litteratur 
nicht  vor. 

Trotz  der  Aehnlichkeit,  welche  zwischen 
meinem  Falle  und  dem  von  Bruns  besteht, 
bin  ich  der  Ansicht,  dass  der  von  mir  ent- 
fernte Tumor  kein  rein  hyalines  Myxom  ist. 
Durch  sein  festes  Bindegewebe  theilt  er  auch 
offenbar  die  Eigenschaften  eines  festen 
Fibroms. 

Er  gehört  eher  zu  derjenigen  Klasse  von 
Tumoren,  welche  Ziegler  ödematöse  Fibrome 
oder  besser  Fibromyxome  nennt;  er  beschreibt 
dieselben  unter  den  Myxomen,  weil  sie  ohne 
bestimmt  ausgeprägten  Charakter  Ueber- 
gangsform  zwischen  den  reinen  Fibromen 
und  den  reinen  Myxomen  darstellen.  Aus 
diesem  Grunde  habe  ich  denn  auch  für 
meinen  Tumor  den  Namen  Fibro-Myxom  ge- 
wählt. 

Schlussfolgerung: 

1.  Die  in  Frage  stehende  kleine  Geschwulst 
nahm  eine  Stelle  des  Larynx  ein,  wo 
Geschwülste  selten  vorkommen. 

2.  Die  Entfernung  derselben  war  in  Rück- 
sicht auf  ihre  Anheftung  eine  schwierige. 

3.  Wegen  ihrer  histologischen  Beschaffen- 
heit gehört  sie  zu  einer  Gruppe  von 
Geschwülsten,  die  äusserst  selten  im 
Kehlkopf  vorkommen. 

Die  Operirte  wurde  den  Mitgliedern  der 
Akademie  vorgestellt. 


(Au«  der  med.  Klinik  de«  Herrn  Prof.  Erb  in  Heidelberg.) 

Beiträge  zur  Therapie  der  chron. 
Gonorrhoe. 

Von 

Dr.  Wilholm  Fleinor, 

Priyatdooent  und  Astlatenzarzt   am  Ambalatoriom   der  med. 

Klinik  in  Heidelberg. 

Unter  diesem  Titel  habe  ich  in  der 
Münchener  med.  Wochenschrift  (1889 
No.  40)  einen  auf  der  Versammlung  deutscher 
Naturforscher  und  Aerzte  zu  Heidelberg  in 


der  Section  für  Dermatologie  und  Syphilis  ge- 
haltenen Vortrag  publicirt  und  ich  nehme 
anlässlich  dieses  Autoreferates  die  Ge- 
legenheit wahr,  auf  einen  Fehler  hinzuweisen, 
welcher  in  allen  Publicationen ,  welche  die 
Salbensondenbehandlung  der  chronischen  Go- 
norrhoe zum  Gegenstande  haben,  begangen 
worden  ist. 

Laut  Protokoll  des  9.  Chirurgencongresses 
(Verhandlungen  der  deutschen  Gesell- 
schaft für  Chirurgie  1881  p.  58)  hat 
Herr  Prof.  Czerny  in  der  Sitzung  vom 
9.  April  1880  eineHarnrohren-Aetzsonde 
demonstrirt.  „Das  Instrument",  sägt  Czerny 
p.  68,  „ist  von  solidem  Zinn  und  hat  die 
Gestalt  und  Grösse  eines  gewohnlichen  Metall- 
katheters (etwa  No.  11  der  englischen  Scala), 
der  von  dem  Schnabel  gegen  den  Pavillon 
in  Centimeter  eingetheilt  ist.  5  cm  vor  der 
Spitze,  an  der  stärksten  Convexitat,  befindet 
sich  eine  längliche  Nische,  in  welche  man 
eine  beliebige  Aetzpaste  eintragen  kann. 
Das  Instrument  wird  gut  geölt  eingeführt, 
und  wenn  es  mit  dem  Schnabel  die  Stelle 
der  grössten  Schmerzhaftigkeit  berührt, 
brauche  ich  es  nur  noch  6  cm  weit  vorzu- 
schieben,  um  sicher  zu  sein,  dass  die  Paste 
genau  die  empfindliche  Stelle  berührt.  Man 
lässt  es  dann  so  lange  ruhig  liegen,  bis  die  Paste 
geschmolzen  ist,  und  zieht  es  wieder  langsam 
heraus.  Als  Vortheile  des  Instruments  möchte 
ich  nebst  seiner  Billigkeit  die  leichte  Hand- 
habung und  vielleicht  die  genaue  Locali- 
sirung  der  Aetzung  ansehen.  (Die  Instru- 
mente sind  von  Herrn  DröU  in  Mannheim 
angefertigt  und  durch  ihn  zu  beziehen.) 

Ich  gebrauche  in  der  Regel  als  Con- 
stituens  der  Paste  Butyrum  de  Cacao.  Das 
schmilzt  erst,  wenn  es  längere  Zeit  (5  bis 
10  Min.)  in  der  Körpertemperatur  ist,  so 
dass  beim  Einführen  dieser  Aetzpaste  die 
Harnröhre  sehr  wenig  benetzt  wird.  Anders 
ist  es  freilich  beim  Herausziehen.  Allein 
ich  glaube  nicht,  dass  man  eigentlich  ätzende 
Substanzen  anbringen  soll,  sondern  blos 
reizende,  also  Tannin  oder  Nitroargentum. 
Ich  möchte  niemals  Kali  causticum  oder 
Argent.  nitr.  in  Substanz  anwenden. 

Oefter  gebrauchte  Pasten  waren: 
IV     Butyr.  cacao.     10,0 
Tannin,  p.  2,0 

£xtr.  opii  0,50.    M.  f.  pasta. 

Ferner: 
IV     Butyr.  cacao.      10,0 
Argent.  nitr.        0,60 
Extr.  beilad.       1,0.       M.  f.  pasta. 

Diese  Paste  wird  mit  dem  Federmesser 
in  die  Nische  der  Sonde  gebracht  und  so 
glatt  gestrichen,  dass  die  Nische  ganz  aus- 
gefüllt ist. 


558 


Pleiner,  Baiträge  zur  Therapie  der  ehroD.  Qonorrhoe. 


rrherapeatlMbe 


leb  mochte  noch  einen  kleinen'  Hand- 
griff hinzufugen:  Beim  Herausziehen  der 
Sonde  führe  ich  in  der  Regel  die  Finger- 
spitze an  das  Perineum  und  streife  die  Paste 
heraus,  so  dass  die  vorderen  Partien  der 
Harnröhre  auch  nur  sehr  ^enig  damit  in 
Berührung  kommen  dürften." 

Diese  Mittheilung  Czerny^s  hat  merk- 
v^ürdiger weise  kaum  Beachtung  gefunden. 
In  den  Publicationen  von  Unna,  Casper, 
Sperling,  Teltz,  Bender,  Feibes, 
Szadek,  findet  die  Czerny'sche  Behand- 
lungsmethode nicht  nur  keine  Erwähnung, 
—  auch  mir  war  Czerny's  Vortrag  leider 
unbekannt  —  sondern  auf  Grund  einer  Mit- 
theilung in  den  Monatsheften  für  pract. 
Dermatologie  Bd.  III.  1884  p.  327,  er- 
hebt Unna  den  Prioritätsanspruch  darauf, 
„gegen  die  chronisch  entzündlichen  Verände- 
rungen der  Harnröhrenschleimhaut  eine  Combi- 
nation  der  mechanischen  und  chemischen  Be- 
handlung durch  Salbensonden  eingeführt  zu 
haben".  In  den  therapeutischen  Monats- 
heften Bd.  I  p.  177  sagt  sogar  Unna: 
„Meiner  Ausfuhrung  der  combinirten  Behand- 
lung liegt  also  die  Wahl  einer  Salbe  zu 
Grunde,  welche  die  Eigenschaft  hat,  bei 
Zimmertemperatur  fest,  bei  Körperwärme 
dünnflüssig  zu  sein.  Allen  etwa  noch  zu 
erdenkenden  und  sich  bewährenden,  combi- 
nirten Methoden  gegenüber  nehme  ich  (Unna) 
diese  Idee  speciell  als  die  meinige  in  An- 
spruch." In  Folge  dieses  Unna^schen  An- 
und  Ausspruchs  ist  bisher  die  Salbensonden- 
behandlung  der  chron.  Gonorrhoe  auf  Unna 
zurückgeführt  und  nach  ihm  benannt  worden. 
Obgleich  ich  nun  der  Ueberzeugung  bin, 
dass  Unna  seine  Behandlungsmethode  un- 
abhängig von  Gzernj  und  ohne  Vorwissen 
von  dessen  Vortrag  ersonnen  hat,  so  geht 
doch  aus  der  oben  mitgeth eilten  G z er ny^  sehen 
Behandlungsmethode  ohne  weiteres  hervor, 
dass  Gzerny  in  jeder  Beziehung  das  Priori- 
tätsrecht zukommt.  Gzerny  hat  zuerst  die 
Zinnsonde  und  eine  erst  bei  Körpertempe- 
ratur schmelzbare  Salbenmasse,  deren  Gon- 
stituens  Gacaobutter  war,  angewendet.  Vier 
Jahre  später  hat  Unna  die  Mittheilung  von 
seinen,  mit  erst  bei  Bluttemperatur  schmelz- 
barem Salbenüberzug  versehenen  Zinnsonden 
gemacht  und  noch  später  hat  Gas  per  seine 
cannellirte  Sonde  beschrieben.  Die  Nische 
in  der  Gzerny^ sehen  Sonde  hat,  wenn  auch 
nur  local,  so  doch  denselben  Zweck,  wie  die 
Rinnen  an  den  Gasper^schen  Sonden. 

Mit  dieser  Darlegung  der  Verhältnisse 
glaube  ich  dem  Prioritätsanspruche  Gzerny^ s 
gerecht  geworden  zu  sein  und  ich  bedauere 
nur,  dass  ich  erst  nach  der  Publication  meiner 
kleinen  Mittheilung  von  dem  Gzerny 'sehen 


Vortrage  auf  dem  9.  Ghirurgencongress  Kennt- 
niss  erlangt  habe. 

Was  nun  meine  Behau dlungs weise  der 
chronischen  Gonorrhoe  anbetrifft,  so  unter- 
scheidet sie  sich  im  Principe  von  der  be- 
kannten Unna' sehen  Methode  nicht,  sondern 
bietet  nur  hinsichtlich  der  Einfachheit  der 
Anwendung  und  hinsichtlich  der  Reinlichkeit 
bezw.  Antisepsis  einige  Vortheile  dar,  welche 
die  Ausführung  der  Sondenbehandlung  weniger 
umständlich  und  wenig   bedenklich  machen. 

Ich  habe  gewöhnlich  vernickelte  Stahl- 
sonden von  verschiedener  Dicke  mit  spiegel- 
glatter Oberfläche  benutzt,  welche  ich  mit 
einer  in  Tafelform  gegossenen  Salbenmasse 
von  folgender  Vorschrift  überzogen  hatte 
JV  Argent.  nitr.  1,0 
Ger.  flav.  2,0 

Butyr.  cacao.     17,0 
M.  len,  calor.  fund.  leg.  art.  in  tabulam. 

Zur  Präparation  der  Sonde  wird  diese 
vom  Schnabel  ab  bis  über  die  Hälfte  der 
Länge  über  einer  nicht  russenden  Flamme 
(Spirituslampe)  erhitzt,  noch  heiss  mit  reiner 
Verbandwatte  nochmals  blank  gerieben  und 
dann,  wie  ein  Fiedelbogen  über  Golophonium, 
unter  leichter  Drehung  über  die  Salbentafel 
hin  und  her  gezogen,  so  dass  ein  dünner, 
gleichmässiger,  beim  Erkalten  starrer  Ueber- 
zug  der  Sonde  entsteht.  Man  hat  es  dabei 
ganz  in  der  Hand,  ein  beliebig  grosses 
Stück  vom  Sondenende  mit  zu  über- 
ziehen oder  frei  zu  lassen;  auch  kann 
die  Salbe  nur  auf  bestimmte  Stellen  der 
Sonde  aufgetragen  werden,  um  nur  circum- 
script  erkrankte  Partien  der  Harnröhre 
damit  zu  behandeln.  Die  Abkühlung  der 
Sonde  geht  an  der  Luft  schon  ziemlich  schnell, 
noch  rascher  beim  Eintauchen  in  Wasser  vor 
sich,  so  dass  die  Präparation  der  Sonde  in 
3 — 5  Minuten  vollendet  ist  und  diese  dem- 
nach während  der  Sprechstunde  in  einer 
für  den  entsprechenden  Fall  geeigneten  Grösse 
jeweils  frisch  vorbereitet  werden  kann. 

Nach  der  Verwendung  der  Sonde  ist  der 
Salbenüberzug  verflüssigt  und  lässt  sich  mit 
Watte  leicht  abreiben;  ein  nachheriges  Durch- 
ziehen der  Sonde  durch  die  Flamme  steril  i- 
sirt  die  erstere  wieder  vollkommen. 

Statt  Argent.  nitric.  habe  ich  in  manchen 
Fällen  Acid.  tannic.  angewendet.  Auf  der  er- 
hitzten Sonde  scheidet  sich  aber  Tannin  sehr 
oft  in  krümeliger,  kömiger  Form  aus,  wo- 
durch die  Sondenoberfläche  rauh  und  das 
Einführen  in  die  Urethra  schmerzhaft  wird. 
Deshalb  habe  ich  es  vorgezogen,  Tannin 
statt  auf  der  Sonde  in  Stäbchenform  an- 
zuwenden. 

Diese  Stäbchen  werden  so  hergestellt, 
dass  die  geschmolzene,  wohlgemischte  Salben- 


I 

I 


)ec«mb!Mf^89  1       Clement^  Heilung  und  Schwund  der  asTphllititcben  Sklerotit  durch  elektr.  Ströme.  559 


masse  yom  Apotheker  in  ein  inwendig  mit 
Glycerin  befeuchtetes  Glasrohr  von  vorge- 
schriebenem Lumen  (3  —  4  mm  Durchmesser) 
aspirirt  wird.  Nach  dem  Abkühlen  in  Wasser 
oder  im  Eisschrank  wird  das  Glasrohr  aus- 
geblasen und  der  lange  Salbency linder  nach 
Vorschrift  so  abgetheilt,  dass  auf  ein  kleines, 
abgetheiltes  Stäbchen  0,1 — 0,2  Ac.  tannic. 
kommen.  (cfr.  Fürbringer,  ültzmann, 
Bender.) 

Die  Einfahrung  der  Stäbchen  geschieht 
meiner  Erfahrung  nach  am  besten  mit  einem 
kurzen,  dem  Grünfei  duschen  nachgebildeten 
Harnrohrenspeculum.  Das  letztere  wird 
auf  seiner  Aussenseite  geölt  und  geschlossen 
in  die  Harnröhre  bis  zur  gewünschten  Tiefe 
eingeführt.  Dann  wird  der  Obturator  ent- 
fernt, das  Stäbchen  an  seiner  Stelle  in  die 
Hülse  geschoben  und  mit  dem  als  Stempel 
dienenden  Obturator  in  der  Harnröhre  ver- 
senkt. Ein  Wattetapmon,  durch  die  Vor- 
haut oder  einen  kl.  Verband  vor  der  ürethral- 
mündung  fixirt,  nimmt  die  nach  dem  Schmelzen 
ausfliessende  Fettmasse  auf  und  verschont 
die  Leibwäsche. 


Yollkommene  Heilangr  und  Schwund 

der    syphilitischen  Sklerosls    durch  die 

methodische  Anwendung^  elektrischer 

Ströme. 

Von 

Dr.  Theodor  Clemens  in  Frankfurt  am  Main. 

fSehlu»t,J 

Imbibition   und  Oscillation. 

Durchtränkung  und  Bewegung  und 
zwar  chemisch  alterirende  Burchtränkung 
und  atomistische  Oscillation  ist  das  Grund- 
princip  meiner  elektrischen  Sklerosenlosung, 
um  die  erstarrte  Zelleninflltration  wieder 
zur  Schmelzung  und  in  Fluss  zu  bringen, 
bedürfen  wir  Durchtränkung  und  Bewegung, 
denn  wir  dürfen  ja  nicht  vergessen,  dass 
die  mikroskopische  Zelle  ein  selbständiges 
Lebewesen  ist,  aus  denen  sich  unser  Orga- 
nismus lebend  und  strebend,  in  unaufhör- 
licher wechselnder  Bewegung  zusammensetzt 
und  lebendig  erhält^^).     Die  Durchtränkung 

'I)  Ich  kann  nicht  umhin  eine  Stelle  hier  zu 
citiren  aus  Ernst  HaekeTs  „Gesammte  popu- 
läre Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Entwickelungs- 
lehre."  Erstes  Heft.  Bonn,  Verlag  von  Emil 
Strauss.  1878.  Pag.  35.  Zweites  Heft.  „Seitdem 
die  Zellentheorie  im  Jahr  1838  hier  in  Jena  durch 
den  genialen  Botaniker  Schieiden  für  das  Pflan- 
zenreich begründet  und  im  folgenden  Jahre  von' 
Lob  mann    auf  das  Thi  erreich    ausgedehnt  wurde, 


der  Zelle  durch  Endosmose  muss  die  Zellen- 
substanz, den  festflüssigen  Zelleninhalt  des 
Protoplasma,  „das  zuerst  Gebildete^  verän- 
dern, während  die  Oscillation  die  Weiter- 
bewegung des  veränderten  Zelleninhalts  be- 
fördert. Es  wird  also  allmählich  das  krank- 
haft veränderte  Protoplasma  durch  Imbibi- 
tion umgewandelt  und  die  interstitielle 
Anschoppung  des  Bindegewebes  dadurch 
aufgehoben.  Zellkerne  und  Protoplasn^^a 
werden  dadurch  allmählich  von  den  krank- 
haft veränderten  „Plasma  -  Producten"  er- 
lost. 

Es  war  eine  sehr  lange  Reilie  von  Ver- 
suchen und  physiologisch  chemischen  Schluss- 
folgerungen, welche  mich  endlich  die  pas- 
sendste Flüssigkeit  flnden  Hessen,  die  zur 
Imbibition  und  Durchtränkung  der  Sklerose 
auf  elektrischem  Wege  den  Lösungs-Process 
aiii  besten  und  sichersten  flnden  Hessen.  — 
Obgleich  ich  mit  reinem  Wasser  unter  An- 
wendung elektrischer  Strome  viele  Sklerosen 
zum  Schwund  gebracht  hatte,  so  schien  es 
mir  dennoch  angezeigt,  dem  Wasser  Arznei- 
stoffe zuzusetzen,  da  ich,  was  den  Trans- 
port von  Medicamenten  durch  elektrische 
Strome  betrifft,  bereits  vielfach  höchst  gün- 
stige Erfahrungen  gemacht  und  auch  schon 
veröffentlicht  hatte.  (Siehe  deutsche  Klinik 
14.  Januar  1860 :  Die  angewandte  Heil- 
elektricität  etc.  Pag.  17.  Ferner  Allgemeine 
medicinische  Centralzeitung.  Berlin  1870 
No.  7  :  „Die  elektrolytische  Durchleitung 
von  Jod  durch  die  thierischen  Gewebe",  be- 
reits mit  den  Curerfolgen  dargestellt  in  der 
Deutschen  Klinik  1858.  59  und  60  etc. 
Nebst  einer  historisch  -  physikalischen  Dar- 
stellung der  elektrolytischen  Verwendung  der 
Arzneistoffe  im  vorigen  Jahrhundert.)  Zwei 
Momente  mussten  mir  ja  bei  der  elektrischen 
Heilung    der    Sklerosen    immer    vor    Augen 

gilt  dieselbe  in  der  Botanik  wie  in  der  Zoologe, 
in  der  Morphologie  wie  in  der  Phy^siologie  der 
Organismen  mit  vollem  Rechte  als  die  feste  Basis 
UDO  als  der  unerschütterliche  Ausgan^punkt  für 
jede  elementare  Untersuchung.  Wie  sehr  auch  der 
Begriff  der  „Zelle"  in  den  seither  verflossenen  38 
Jahren  sich  veränderte,  wie  grossartig  auch  die 
Zellentheorie  im  Inneren  überall  ausgebaut  und  im 
Aeusseren  erweitert  wurde,  ihr  Grundgedanke  ist 
unverändert  derselbe  geblieben  und  hat  sich  zu 
immer  höherer  Geltung  erhoben.  Dieser  Grundge- 
danke liegt  darin,  dass  wir  die  mikroskopischen 
Zellen  als  selbständige  Lebewesen,  als 
physiologisch  und  morphologisch  auto- 
nome Organismen  anzusehen  haben;  Brücke 
hat  sie  deshalb  passend  als  Elementar-Organismen 
bezeichnet,  Yirchow  als  Lebensheerde,  Darwin 
als  Lebenseinheiten.  —  Vor  allen  anderen  Natur- 
forschern bat  Rudolf  Yirchow  das  bleibende 
Verdienst,  in  diesem  Sinne  die  Zellenlehre  nach 
allen  Richtungen  hin  durchgeführt  und  durch  seine 
„Cellular-Patholo^e'^  der  neueren  Medicin  die  feste 
histologische  Basis  gegeben  zu  haben. 


560 


Clamana,  Hailung  und  Sehwund  der  syphilitischen  Sklerotit  durch  «lektr.  Ströme. 


r'herAp««tItd« 
HonatabefU. 


stehen,  erstens  möglichst  rasche  Heilwirkang 
und  zweitens  möglichst  yereinfachte  elek- 
trische Heilmethode.  Da  ich  nun  die  Beob- 
achtung gemacht  hatte,  dass  jodhaltiges 
Wasser  bei  der  Imbibition  der  Sklerose 
rascher  wirkte  wie  gewöhnliches  Wasser, 
so  wurden  alsbald  von  mir  verschiedene 
Formen  von  Jodlösungen  zur  Anwendung 
gebracht.  Von  Anfang  an  vermied  ich  selbst- 
verständlich alle  Salben  und  alle  Fette,  und 
kann  ich  überhaupt  bei  der  Behandlung 
von  Geschwüren  und  Geschwülsten  aller 
Art  nicht  genug  vor  den  Fetten  warnen,  sie 
mögen  nun  Namen  haben  wie  sie  wollen. 
Ich  habe  in  meinem  Werk  über  Heilelek- 
tricität  bei  Besprechung  der  elektrischen 
Behandlung  der  Syphilis  die  Yermeidung 
aller  Fettsalben  auf  das  Dringendste  empfoh- 
len und  vor  allen  Yerbandsalben  gewarnt. 
Haben  wir  in  der  Sklerose  eine  Verände- 
rung des  organischen  festflüssigen  Aggregat* 
zustandes  der  Gewebe  vor  Augen,  so  müssen 
wir  doch  zuerst  suchen,  durch  wässrige  Im- 
bibition den  natürlichen  weichen  Dichtig- 
keitszustand der  gesunden  lebenden  Gewebe 
wieder  zu  gewinnen,  was  durch  Fette  nie- 
mals erlangt  werden  kann.  —  Um  ebenso 
energisch,  chemisch  verwandt  als  elektrisch 
leitend  zu  wirken,  habe  ich  der  von  mir 
angewandten  Imbibitions  -  Flüssigkeit,  dem 
Wasser,  vor  allem  das  Kochsalz  zugesetzt, 
jene  mächtige  Chlorverbindung  (Natrium 
chloratum),  ohne  die  bekanntlich  unser  Or- 
ganismus nicht  bestehen  kann,  äusserlich 
ein  durchdringendes  Reizmittel,  welches  die 
peripherischen  Hautgefässe  kräftig  erregt, 
die  Aufsaugung  steigert  und  Stockungen  be- 
seitigt, dabei  in  seiner  Lösung  ein  vorzüg- 
licher Leiter  der  elektrischen  Ströme.  Die- 
sem Kochsalz  setzte  ich  noch  ein  anderes 
Natronsalz  zu,  nämlich  das  Natrium  bicar- 
bonicum  puriss.  pulverat.,  um  noch  mehr 
auf  Fpithelium,  Lymphgefässsystem  und  die 
drüsigen  Gebilde  zu  wirken*").  Der  ganz 
vollendeten  Lösung  setzte  ich  alsdann  die 
offlcinelle  Jodtinctur  tropfenweise  zu  und 
hatte  ich  auf  diese  Weise  ein  kräftiges  Jod- 
salzwasser mir  bereitet. 

Meine  durch  lange  Erfahrung  und  vielseitige 
Anwendung  hinlänglich  erprobte  Imbibitions- 
Flüssigkeit  wird  folgendermaassen  bereitet: 


")  Die  bekannte  FntdeckuDg  Virchow^s,  dass 
eine  in  gewöhnlichen  Verhältnissen  zur  Ruhe  ge- 
kommene Wimperbewegung  durch  den  Zusatz  ver- 
dünnter Kali-  und  Natronlösungen  wieder  zur  Ao- 
tivitat  gelangt,  war  hier  mein  leitender  Gedanke. 
—  Virchow's  Archiv  Bd.  6  S.  133.  Wie  Koel- 
liker  zeigte,  kommt  den  Samenf&den  dieselbe 
Eigenschaft  zu.  —  Wollen  wir  wieder  Leben  in 
die  Sklerose  bringen,  so  muss  chemische  and  dy- 
namische Einwirkung  hier  Hand  in  Hand  gehen. 


Auf  tausend  Gramm  weiches  Wasser 
nehme  ich  36  g  gewöhnliches  Kochsalz. 
Nachdem  diese  36  g  Kochsalz  vollständig 
in  dem  Wasser  gelöst  sind ,  wird  nach 
24  Stunden  dieser  Lösung  noch  12  g  Natrium 
bicarbonic.  puriss.  pulverat.  zugesetzt  und 
öfter  umgeschüttelt.  Wenn  diese  Lösung, 
die  jede  Stunde  wenigstens  einmal  umge- 
schüttelt worden  ist,  nach  24  Stunden  hell 
bleibt,  so  setze  ich  alsdann  fünfzig  Tropfen 
der  offlcinellen  Jodtinctur  zu,  und  wird  diese 
nun  fertige  Jodlösung  nach  14  Tagen,  nach- 
dem solche  ganz  farblos  geworden  ist,  in 
Gebrauch  genommen.  Es  ist  nothwendig, 
dass  die  mit  der  Jodtinctur  versetzte  Natron- 
lösung täglich  mehrmals  umgeschüttelt  wird 
und  an  einem  nicht  zu  hellen  Ort  aufbe- 
wahrt bleibt. 

Bei  den  elektrischen  Sitzungen,  welche 
ich  in  Folgendem  genau  beschreiben  werde, 
nehme  ich  lediglich  diese  Flüssigkeit  in 
Gebrauch,  indem  die  Leinwandeompressen, 
'auf  welche  die  Elektroden  gesetzt  werden, 
immer  mit  dieser  Jodsalzwasser-Lösung  ge- 
tränkt sind.  Während  der  ganzen  Cur  darf 
die  Sklerose  niemals  trocken  werden,  was 
ich  dadurch  erlange,  dass  die  Sklerose  mit 
einigen  in  dieser  Lösung  getränkten  Lein- 
wandläppchen bedeckt  wird.  Um  die  Stelle 
des  Penis  werden  dann  in  dieselbe  Lösung 
getauchte  Leinwandstreifen  gewickelt,  die 
dann  mit  dünner  Gutta-Percha  und  Gummi- 
ringen (die  nie  einschneiden  dübrfen)  geschützt 
werden.  Auf  diese  Weise  werden  die  Skle- 
rosen vom  Beginn  der  Cur  bis  zum  Schluss 
niemals  mehr  trocken  und  dauert  die  Imbi- 
bition zwischen  den  einzelnen  Sitzungen, 
Tag  und  Nacht  ganz  ununterbrochen  fort. 
—  Die  Elektroden,  welche  bei  den  verschie- 
denen Sitzungen  von  mir  benutzt  werden, 
sind  natürlich  je  nach  dem  Sitz  der  Skle- 
rosen verschieden,  unterscheiden  sich  jedoch 
von  den  gebräuchlichsten,  die  ich  hier  und 
in  meinem  Werk  über  Heüelektricität  be- 
reits genau  beschrieben  habe,  nicht  wesent- 
lich. Diese  Elektroden  theilen  sich  in  all- 
gemeine und  speciell  locale.  Die  allgemei- 
nen wirken  theils  auf  die  ganzen  Genitalien 
oder  den  ganzen  Penis  oder  den  ganzen 
Hodensack,  während  die  localen  vorzugs- 
weise nur  die  Sklerose  allein  treffen.  Um 
zu  gleicher  Zeit  auf  den  ganzen  Penis  zu 
wirken,  bediene  ich  mich  hohler  Metallcy- 
linder,  15  cm  lang  und  4  cm  weit.  Diese 
Cylinder,  welche  zur  Aufnahme  des  ganzen 
Penis  bestimmt  sind,  werden  von  starkem 
Weissblech  angefertigt,  haben  auf  der  einen 
Seite  einen  festen  Metallboden,  in  welchen 
der  Leitungsdraht  in  der  Mitte,  12  cm  lang 
mit    Klemmschraube    fest    eingenietet    und 


t 
■  ■ 


De^^r^is^.]      Clemans,  H«Uung  und  Sehwund  dar  syphUltitchan  Sklerosto  durch  «laktr.  Ström«. 

eingelöthet  ist.  An  diesem  geschlossenen 
Kopfende  ist  ein  3  cm  langes  eingelöthetes 
Röhrchen  Qj^  cm  -weit),  um  einen  kleinen 
Glastrichter  aufzunehmen,  damit  man  den 
um  den  Penis  angelegten  Metallcylinder  als 
£lektrode  mit  beliebigen  Flüssigkeiten  an- 
füllen kann,  um  z.  B.  ein  locales  elektrisches 
Jodbad  für  den  Penis  herzustellen.  Diesen 
Metallcylinder,  welchen  ich  No.  1  nennen 
-will,  lasse  ich  gewöhnlich  mit  gefimisstem 
Papier  und  dann  mit  Leder  überziehen,  um 
die  Isolirung  zu  bewerkstelligen.  Das  Kopf- 
ende, an  welchem  der  Patient  während  der 
Sitzung  die  Elektrode  hält,  wird  dreifach 
mit  Leder  überzogen.  Der  stärker  wirkende 
Metallcylinder  No.  2  ist  ganz  auf  dieselbe 
Weise  isolirt  und  construirt  wie  No.  1,  nur 
mit  dem  unterschied,  dass  nach  der  ersten 
Isolirung  mit  gefimisstem  Papier  der  ganze 
Gylinder  dicht  mit  einer  inducirenden  Draht- 
spirale umwunden  ist.  Die  Drahtspirale 
muss  immer  mit  dem  Drahtleiter  und  der 
Klemmschraube  am  Anfang  und  am  Ende 
so  verbunden  werden,  dass  Anfang  und  Ende 
der  Drahtspirale  yollkommen  isolirt  auf  dem 
Kopf  des  Metallcylinders  stehen.  Deshalb 
hat  der  Metallcylinder  No.  2  einen  von 
dem  Dreher  angefertigten  9  cm  dicken  höl- 
zernen Kopf ,  welcher  2  cm  tief  in  den 
Metallcylinder  eingelassen  ist.  Dieser  höl- 
zerne Kopf  wird  dann  Ton  drei  starken 
Metalldrähten  mit  drei  Klemmschrauben 
durchbohrt.  Kecbts  und  links  die  von  dem 
Metallcylinder  aufs  beste  isolirten  Strom- 
leiter der  Spirale,  welche  mit.  Anfang  und 
Ende  der  Spirale  leitend  verbunden  werden 
und  in  der  Mitte,  den  Holzkopf  ganz  durch- 
bohrend. Der  Draht,  welcher  mit  dem  Me- 
tallcylinder leitend  verbunden,  ist  wie  bei 
No.  1.  Wird  diese  streng  isolirte  Spirale 
mit  einem  Pol  einer  Inductionsspirale  (Schlit- 
tenapparat) verbunden,  während  der  andere 
Pol  des  Schlittenapparates,  z.  £.  als  feuchte 
Metallplatte  im  Nacken  angebracht  ist,  so ' 
werden  trotz  aller  Isolirung  an  der  inneren 
Fläche  des  Metallcylinders  die  leisesten  fa- 
radischen  Ströme  an  jedem  Berührungspunkt 
sehr  deutlich  gefühlt  werden.  Auf  diese 
Weise  liegt  der  Penis  in  einer  inducirten 
Spirale  wie  der  Magnetstab  in  der  Inductor- 
spirale  des  Schlittenapparats.  An  diesen 
Metallcylinder  reiht  sich  nun  No.  3  meines 
Metallcylinder-Systems  an,  welcher  aus  einem 
einfachen  Elektromagnet  besteht,  welcher 
zugleich  als  Elektrode  für  beliebige  Ströme 
verwendet  werden  kann.  Dieser  Hohlmagnet 
von  einem  bis  zwei  Gentimeter  Stärke  bildet 
einfach  den  Metallcylinder  zur  Aufnahme  des 
Penis  und  besteht  aus  einem  Weissblechring, 
der    fest    mit    guten    lackirten  Holzkohlen- 


561 


Drahtstäbchen  (von  der  Dicke  eines  starken 
Schellendrahts)  gefüllt  ist.  Um  diesen  Hohl- 
magnet wird  eine  Spirale  von  starkem,  gut 
isolirtem  Kupferdraht  gewunden,  in  vier 
Lagen,  welche,  Anfang  wie  Ende,  in  die  auf 
dem  Holzkopf  des  Metallcylinders  stehenden 
Klemmschrauben  übergehen,  um  so  den  Strom 
der  galvanischen  Batterie  zum  Magnetisiren 
des  Hohlmagnets  aufzunehmen.  Durch  den 
in  der  Mitte  des  Holzkopfes  direct  mit  dem 
Metallcylinder  in  Verbindung  stehenden, 
gleichfalls  eine  Klemmschraube  tragenden 
Leitungsdraht  kann  nun  jeder  beliebige 
elektrische  Strom  zugleich  in  den  Elektro- 
magnet eingeleitet  werden,  so  dass  auf  diese 
Art  der  Elektromagnet  zugleich  als  Elek- 
trode benutzt  werden  kann.  Vor  dem  An- 
legen dieser  Metallcylinder  ^ird  der  ganze 
Penis  ^)  mit  Leinwandstreifen  umwickelt,, 
welche  in  die  angegebene  Jodsalzlösung  ge- 
taucht worden  sind.  Auf  diese  Weise  liegt 
nun  der  Penis  nicht  nur  in  einer  metalli- 
schen elektrischen  Hülle  (elektrische  Vagina), 
sondern  auch  zugleich  in  einem  Jodbad. 
Bei  der  Anlage  des  Metallcylinders  No.  1 
kann  durch  die  kleine  Ansatzröhre  am  Kopf 
des  Gylinders  jede  beliebige  Flüssigkeit 
nachgegossen  werden,  welche  alsdann  bei 
längeren  elektrischen  Sitzungen  die  um  den 
Penis  gewundenen  Leinwandstreifen  durch- 
tränkt und  dauernd  feucht  hält.  Auf  diese 
Weise  kann  dann  der  elektrische  Strom  in 
die  Gewebe  der  aufgelockerten  Sklerose 
dringen,  während  die  Aufsaugung  auf  der 
ganzen  Haut  des  Penis  leicht  von  Statten 
geht,  befördert  durch  die  faradische  Er- 
schütterung der  Gewebe.  —  Dass  die  Oscil- 
lation  im  Verein  mit  der  Imbibition  (eine 
atomis tische  elektrische  Massage!)  in  der 
That  allein  die  Schmelzung  der  härtesten 
Sklerosen  bewirkt,  habe  ich  in  einer  langen 
Reihe  vergleichender  Behandlungsmethoden 
mit  anderen  Strömen  aufs  Deutlichste  be- 
wiesen. Ich  habe  eine  grosse  Zahl  von 
Fällen  mit  statischer  Elektricität,  mit  con- 
stanten  Strömen  und  mit  elektromagnetischen 
Ladungen^)  behandelt  und  habe  bei  meinen 


'^)  Bei  allen  unseren  bekannten  gewöhnlichen 
Bebandlangsarten  der  Penis-Sklerosen  vergessen  wir, 
dass  der  ganze  Penis  ja  erkrankt  ist,  wofür  die  er- 
krankten und  histologisch  veränderten  Gefässe  and 
Lymphstränge  sprechen,  welche  ja  oft  sieht-  und 
tastbar  mit  den  Sklerosen  in  Yerbindunff  stehend, 
den  ganzen  Penis  durchziehen.  Es  wird  also  bei 
meiner  elektrischen  Behandlunprsmethode  der  Skle- 
rosen immer  auch  zu  gleicher  Zeit  der  ^nze  Penis 
behandelt.  —  In  meinem  Werke  über  Heil  elektri- 
cität habe  ich  diese  Hohlspiralen,  Pag.  41  genau 
beschrieben  und  zu  gleicher  Zeit  deren  grosses 
Wirkunfi|8gebiet  eingehend  besprochen. 

^)  Siehe  mein  Werk  über  Heilelektricität, 
Pag.  607. 

71 


562 


rrherftpentiMlie 


CUrnana,  HeUung  und  Schwund  der  lyphrntlsehM  Skleroaii  durch  elektr.  Ström«.       [  MonlS^eft? 


BeobachtuDgen  und  Erfahrungen  stets  die 
möglichste  Vereinfachung  meiner  elektrischen 
Heilmethode  vor  Augen  gehabt,  damit  nicht 
nur  der  Specialist,  sondern  jeder  Arzt  im 
Stande  sein  könnte,  sich  von  der  ganz 
ausserordentlichen  Wirkung  meiner  elektri- 
schen Heilmethode  der  Sklerosen  zu  über- 
zeugen. —  Da  es  zu  weitläufig  wäre,  hier 
Krankengeschichten  zu  erzählen,  Yon  denen 
mir  eine  grosse  Zahl  der  interessantesten 
zu  Gebote  stehen,  so  will  ich,  um  meine 
Methode  kurz  und  klar  zu  versinnlichen, 
ein  Schema  aufstellen,  welches  zugleich  als 
Norm  dienen  kann. 

Die  überhäutete  Sklerose  wird  in  der 
Kegel  täglich  dreimal,  in  besonders  schlim- 
men Fällen  auch  viermal  elektrisch  behan- 
delt. Ich  sage  die  überhäutete  Sklerose, 
weil  eine  locale  elektrische  Behandlung  der 
noch  nicht  überhäuteten  Sklerose  wegen  all- 
zugrosser  Reizbarkeit  vermieden  werden 
muss.  Sollen  dennoch  noch  nicht  überhäutete 
Sklerosen  elektrisch  behandelt  werden,  so 
dürfen  nur  die  Metallcjlinder  angewandt 
werden,  um  auf  den  ganzen  Penis  zugleich 
zu  wirken,  in  welchem  Falle  dann  die  Skle- 
rosen indirect  elektrisch  behandelt  werden. 
Dies  ist  z.  B.  der  Fall,  wenn  mehrere  Skle- 
rosen zugleich  am  Penis  sich  befinden  und 
die  Induration  bis  zur  Ueberhäutung  noch 
zunehmen  würde.  In  einem  solchen  Falle 
werden  die  Metallcylinder  mit  den  feuchten 
Compressen  so  lange  angewandt,  bis  die 
Sklerosen  überhäutet  sind,  worauf  dann  die 
Sklerosen  täglich  einmal  direct  elektrisch  be- 
handelt werden  können.  —  Die  Cur  beginnt 
dann  folgendermaassen,  indem  mit  einem 
weichen  Pinsel,  getaucht  in  mein  Jodsalz- 
wasser, Eichel  und  Vorhaut  rein  abgewa- 
schen wird.  Alsdann  wird  auf  jede  Sklerose 
ein  kleines  Leinwandläppchen  gelegt,  das 
in  Jodsalzwasser  getaucht  worden  ist.  Ueber 
diese  Läppchen  werden  in  vier  auch  fünf 
Lagen  spannenlange  zarte  Leinwandstreifen 
gewunden,  die  ebenfalls  in  Jodsalzlösung 
getaucht  wurden.  lieber  diesen  Verband 
wird  nun  der  Metallcylinder  No.  1  gescho- 
ben bis  an  die  Wurzel  des  Penis  und  das 
Stromende  des  Metallcylinders  nun  mit  dem 
einen  Pol  eines  du  Bois-Reymond'schen 
Schlittenapparats  verbunden,  während  der 
andere  Pol  (einerlei  welcher)  an  der  Nacken- 
platte befestigt  wird.  Diese  Nackenplatte 
von  Kupfer  ist  gewöhnlich  16  — 17  cm  lang, 
oben  5  und  unten  4  cm  breit,  vierfach  mit 
Leinwand  überzogen  und  mit  meiner  Jod- 
salzwasserlösung getränkt.  Der  faradische 
Strom  wird  nun  so  gerichtet,  dass  der  Pa- 
tient die  leichte  Oscillation  im  Nacken  und 
Penis  eben    gerade  noch   fühlt,    wobei    man 


bedacht  sein  muss,  dass  die  Feder  des 
Hammers  am  Inductionsapparat  möglichst 
rasche  und  viele  Schwingungen  macht,  wie 
die  Flügel  einer  summenden  Biene.  Diese 
erste  Sitzung  dauert  20 — 25  Minuten,  wor- 
auf nach  Abnahme  des  Metallcylinders  die 
liegen  bleibenden  Leinwandstreifen  mit  einem 
Pinsel,  in  die  Jodsalzwasserlösung  getaucht, 
ergiebig  getränkt  werden.  Ein  Streifen 
dünner  Gutta-Percha,  mit  zwei  Gummiringen 
leicht  gehalten,  verhindert  dann  die  schnelle 
Verdunstung.  Dieser  ersten  Sitzung  folgt 
die  zweite,  indem  man  (z.  B.  bei  drei 
Sitzungen  täglich)  den  Tag  in  drei  möglichst 
gleiche  Theile  theilt.  —  Die  zweite  Sitzung 
ist  eine  directe.  Die  Sklerose  wird  mit 
einer  in  Jodsalzlösung  getränkten  kleinen 
vierfachen  Compresse  bedeckt  und  nun  eine 
flache  Knopfelektrode  direct  auf  diese  Com- 
presse leicht  aufgedrückt.  Diese  Elektrode 
besteht  aus  einem  kräftigen  Messingdraht 
von  gut  zwei  Millimeter  Durchmesser,  der 
in  dem  einen  Ende  in  einen  platten,  nur 
einen  Gentimeter  breiten  Knopf  von  Messing 
übergeht,  während  das  andere  Ende,  um 
den  Strom  aufzunehmen,  mit  einer  Klemm- 
schraube versehen  ist.  Der  faradische 
Strom  von  dem  einen  Pol  auf  den  kleinen 
Raum  von  einem  Gentimeter  direct  auf  die 
Sklerose  beschränkt,  muss  hier  noch  leichter 
gestellt  werden,  so  dass  er  eben  noch  auf 
der  Sklerose  gefühlt  wird,  wobei  darauf  zu 
achten  ist,  dass,  wie  ich  bereits  bemerkt 
habe,  die  Sklerosen  gewöhnlich  gegen  alle 
elektrischen  Ströme  sehr  unempfindlich  sind. 
Es  ist  bei  diesen  directen  Sitzungen  des- 
halb häufig  der  Fall,  dass  der  Patient  den 
Strom  an  der  Nackenplatte  (und  diese  bildet 
bei  jeder  Sitzung  immer  den  einen  Pol) 
ganz  deutlich  fühlt,  während  trotz  der  sehr 
gut  leitenden  Jodsalzcompresse  der  fara- 
dische Strom  auf  der  Sklerose  garniclit  ge- 
fühlt wird.  In  einem  solchen  Fall  darf  der 
Strom  niemals  so  weit  verstärkt  werden, 
dass  der  Patient  auch  an  der  Sklerose  die 
Oscillation  gleich  stark  fühlt.  Es  genügt 
vollkommen,  wenn  im  Anfang  der  Strom  an  der 
Nackenplatte  deutlich,  aber  auf  der  Sklerose 
garnicht  gefühlt  wird,  da  dessenungeachtet 
dieselbe  Stromintensität  bei  allmählicher 
Belebung  der  Sklerose  nach  und  nach  zur 
Sensation  gelangt.  Würde  man  die  Irrita- 
tion durch  Steigerung  der  Stromintensität 
überstürzen,  so  würden  wir  statt  der  Hei- 
lung und  Auflösung  der  Sklerose  höchstens 
eine  Inflammation  der  Induration  und  ins- 
besondere ihrer  nächsten  Umgebung  zu 
Wege  bringen.  —  Gutta  cavat  lapidem  non 
vi  sed  saepe  cadendol  —  Ein  gerade  hier 
bei    der    elektrischen  Behandlung  und  Auf- 


I 


^0mW^^9  1      Clemem,  HeUang  und  Sehwimd  der  syphilltitcheo  Sklerotli  dureh  elektr.  Ström«. 


563 


lösuDg  der  Sklerose  sehr  zu  beherzigender 
Wahlspruch,  den  man  sich  wahrend  der 
ganzen  Cur  t&glioh  wiederholen  muss.  — 
Diese  directe  Knopfelektrode  isolirt  man  am 
besten,  indem  man  den  Messingdraht  durch 
eine  starke  Glasröhre  mit  zwei  Korkstopfen 
fuhrt,  damit  der  Patient  diese  directe  Elek- 
trode gleich  allen  übrigen  selbst  fuhren  und 
halten  kann,  während  die  andere  Hand,  ein- 
fach mit  einem  Handschuh  bekleidet,  die 
Genitalien  in  der  nothigen  Richtung  unter- 
stützt. Diese  directen  Sitzungen  gebe  ich 
gewohnlich  10 — 20  Minuten  tind  lasse  bei 
Inguinalindurationen  dann  noch  eine  Sitzung 
(als  zweite  Abtheilung  dieser  zweiten  Sitzung) 
sogleich  folgen.  Die  fühlbare  Drüsen-Skle- 
rose der  Inguinalgegend  wird  gleichfalls 
mit  einer  in  Jodsalzlosung  getränkten  Gom- 
presse  bedeckt  und  die  Knopfelektrode 
(55  cm  lang)  mittelst  eines  Stativs  fest  auf 
die  Bubonen  gedrückt.  Bei  diesen  Inguinal- 
Elektroden  muss  der  flache  Messingknopf 
wenigstens  2  cm  breit  sein,  während  die 
ganze  Inguinal-Elektrode  genau  so  wie  die 
kleine  Sklerosen -Elektrode  construirt  ist, 
nur  mit  dem  Unterschied,  dass  diese  In- 
guinal-Elektrode, um  Yon  dem  Stativ  fest- 
gehalten zu  werden,  eine  Länge  Ton  wenig- 
stens 55  cm  haben  muss.  Während  der 
ganzen  zweiten  Abtheilung  dieser  zweiten 
Sitzung,  die  zwanzig  Minuten  dauert^  muss 
das  Stativ,  welches  diese  Inguinal-Elektrode 
hält,  den  Messingknopf  fest  gegen  die  Com- 
presse  des  Bubo  drücken.  Nach  Yollendeter 
zweiter  Abtheilung  dieser  Sitzung  wird  die 
feuchte  Compresse  von  dem  Bubo  entfernt, 
während  der  Penis  wieder  mit  den  feuchten 
Jodsalzcompressen  umwickelt  und  wie  nach 
der  ersten  Sitzung  verbunden  wird.  Die 
dritte  Sitzung  ist  gleich  wie  die  erste,  nur 
mit  dem  Unterschied,  dass  statt  des  ein- 
fachen Metallcylinders  jener  mit  der  Spirale 
genommen  wird.  Die  Drahtspirale,  welche 
auf  das  Strengste  von  dem  Metallcylinder 
isolirt,  den  ganzen  Metallcylinder  umgiebt, 
wirkt,  in  den  faradischen  Strom  geschlossen 
(gleich  wie  bei  der  ersten  Sitzung)  auf  jeden 
Punkt  des  ganzen  Penis  und  bleibt  15  —  20 
Minuten  in  Wirkung.  Da  aber  hier  dem 
faradischen  Strom  ein  sehr  bedeutender 
Widerstand  entgegengesetzt  wird,  kann  die 
Stromintensität  des  Schlittenapparats  so  viel 
gesteigert  werden,  dass  Patient  ein  leichtes 
Stromgefühl  im  Penis  verspürt.  In  Fällen, 
wo  wir  es  mit  bedeutenden  Indurationen 
der  Lympbstränge  des  Penis  zu  thun  haben, 
nehme  ich  gewohnlich  stärkere  Penisspiralen, 
welche  einfach  dadurch  hergestellt  werden, 
dass  statt  einer  Drahtlage  zwei,  drei  und 
sechs  Lagen  Draht    auf    den   Metallcylinder 


gewickelt  werden.  Diese  verstärkten  Hohl- 
spiralen nähern  sich  alsdann  in  gewissen 
Beziehungen  dem  beschriebenen  Hohlmagne- 
ten für  den  Penis,  welchen  ich  namentlich 
in  schlimmsten  und  veralteten  Fällen  gegen 
die  Sklerose  anwende.  In  einem  solchen 
Fall  wird  der  Penis  in  den  Hohlmagneten 
gesteckt  und,  je  nach  der  gewünschten  Wir- 
kung, der  Strom  durch  eine  galvanische 
Batterie  von  2 — 6  Elementen  geschlossen, 
so  dass  nun  der  Penis  in  einem  starken 
Elektromagneten  steckt,  worauf  der  mittlere 
Pol  des  Elektromagneten  nebst  der  Nacken- 
platte mit  dem  faradisohen  Strom  verbunden 
wird.  Während  einer  solchen  Sitzung  wird 
der  galvanische  Strom,  der  den  Elektro- 
magnetismus erzeugt,  5 — 6  mal  unterbrochen, 
indem  der  elektromagnetische  Strom  und 
Stoss^)  in  statu  nascente  am  stärksten 
wirkt.  Diese  elektromagnetischen  Ladungen 
und  Stosse  des  ganzen  Penis  haben  eine 
ganz  speciflsche  moleculare  Wirkung  und 
bringen,  auch  nur  von  Zeit  zu  Zeit  ange- 
wandt, die  Heilung  und  Lösung  hartnäckig- 
ster Sklerosen  schneller  in  Gung.  —  Bei 
dieser  Gelegenheit  ist  es  nothwendig,  dass 
ich  auf  die  allgemeine  Wirkung  der  La- 
dungen des  ganzen  Körpers  aufmerksam 
mache,  indem  ein  bereits  unter  dem  Ein- 
fluss  einer  allgemeinen  Elektrisation  oder 
Faradisation  stehender  ganzer  Organismus, 
gleichzeitig  local  behandelt,  selbstverständ- 
lich ganz  andere  Reactionserscheinungen 
darbietet,  als  wenn  wir  einzig  und  allein 
eine  rein  locale  elektrische  Behandlung  aus- 
führen, bei  welch  letzterer  Methode  eine  all- 
gemeine Wirkung  auf  das  Hautsystem  (elek- 
trische kritische  Exantheme)  niemals  beob- 
achtet werden.  —  Diese  in  meiner  yierzig- 
jährigen  heilelektrischen  Praxis  häufig  von 
mir  beobachteten  kritischen  Ausschläge  und 
sogar  geschwürigen  Processe  (Furunculosis 
und  Carbunkel),  welqhe  sich  im  Yerlaufe 
häufiger  Ladungen  des  ganzen  Körpers  für 
Heilungen  der  verschiedensten  Krankheiten 
höchst    erfolgreich    ausbildeten,     habe     ich 

'*)  Siehe  mein  Werk  „üeber  die  Heilwirkungen 
der  Elektricität  und  deren  erfolgreiche  methodische 
Anwendung  in  verschiedenen  Krankheiten  von  Dr. 
Theodor  Clemens  in  Frankfurt  am  Main.  Ver- 
lag von  Franz  Benjamin  Auffarth,  Frankfurt 
am  Main.  1876—1879.  Pag.  693".  Der  elektro- 
magnetische Stoss  nnd  Strom  mit  zwei  Elektro- 
magneten.  Der  constante  magnetische  Strom  und 
der  elektromagnetische  Stoss. 

Desgleichen  mein  Schriftchen :  „Die  Elektricität 
als  Heilmittel**.  Ein  Wort  zur  Aufklärung  und 
zum  Yerständniss  elektrischer  Curen  und  elektri- 
scher Heilapparate  von  Dr.  Theodor  Clemens 
in  Frankfurt  am  Main.  Verlag  von  Franz  Ben- 
jamin Auffarth  in  Frankfurt  am  Main.  1882. 
Pag.  61.  Die  magnetischen  und  elektromagnetischen 
Ströme  als  Heilmittel. 

IV 


5G4  Cl«m«n8,  HeUung  und  Schwund  der  ayphilltitchea  Sklerosis  durch  elektr.  StrSme.        [^^luS^rt^ 


1 


ebenso  in  vielen  Fällen  von  inveterirter  und 
Constitution  eil  er  Sypbilis  in  den  verschie- 
densten  und  cbarakteristischsten  Formen 
entstellen  sehen,  so  dass  ich  auf  diese 
ebenso  interessante,  als  bisher  noch  gänzlich 
unbekannte  Wirkung  fortgesetzter  elektri- 
scher Ladungen  des  ganzen  Körpers  auf- 
merksam machen  muss.  Diese  mit  meinen 
Spiralenbatterien ^^)  polar  ausgeführten  und 
beschriebenen  Ladungen  des  ganzen  Körpers 
äussern  zwar  eine  höchst  energische  Wir- 
kung auf  das  Hautneryensystem,  sind  aber 
bei  Behandlung  der  Sklerosis  nach  meiner 
Methode,  wie  mich  zahlreiche  Erfahrungen 
und  Vergleiche  gelehrt  haben,  durchaus 
nicht  unbedingt  nothwendig,  obgleich  bei 
deren  Anwendung  die  Wirkung  beschleunigt 
und  die  Curdauer  abgekürzt  werden  kann. 
Die  Oefifnungs-  und  Schliessungs-Erschütte- 
rung ist  bei  dieser  meiner  Spiralenbatterie 
wohl  das  mächtigste  Erregungsmittel  ^), 
welches  die  ganze  Elektrotherapie  aufzu- 
weisen hat  und  wurde  von  mir  zur  Zerthei- 
lung  kalter  Geschwülste,  arthritischer  Au- 
ky losen  etc.  intercurrirend  mit  Erfolg  ange- 
wandt. —  Sollte  bei  veralteten  und  miss- 
handelten Indurationen  eine  yierte  elektrische 
Sitzung  an  einem  Tage  nothwendig  werden, 
so  wird  der  mit  der  Spirale  umwundene 
Hohlcylinder  für  den  Penis  zweimal  ange- 
wandt imd  diese  Sitzung  yon  20  Minuten 
bis  zu  einer  halben  Stunde  yerlängert,  wo- 
bei darauf  zu  achten  ist,  dass  bei  solchen 
verlängerten  Spiralensitzungen  die  den  Penis 
umhüllenden  Leinwandstreifen  sehr  reichlich 
mit  meiner  Jodsalzlösung  vor  der  Sitzung 
durchtränkt  worden  sind,  damit  der  Penis 
bei  länger  dauernden  Sitzungen  nicht  trocken 
wird.  Nach  beendigter  Sitzimg  muss  der 
liegen  bleibende  Verband  mit  einem  Haar- 
pinsel, bevor  mit  Gutta-Percha  verbunden 
wird,  abermals  mit  meiner  Jodsalzlösung 
reichlich    durchfeuchtet    werden.     In    dieser 


^)  Siehe  mein  citirtes  Werk  „Ueber  die  Heil- 
wirkungen der  Elektricität".  Physikalische  Ab- 
theilung, Pag.  720.  Meine  Spiralen-Batterio  (Tafel 
Vb  und  Taßl  Villa).  Ebenso  in  meinem  Schrift- 
chen „Die  Elektricität  als  Heilmittel.  Ein  Wort 
zur  Aufklärung  und  zum  Verständniss  elektrischer 
Curen  und  elektrischer  Heilapparate.  Frankfurt 
am  Main.  Verlag  von  Franz  Benjamin  Anf- 
farth  1882.    Pag.  28".    Meine  Spiralen  -  Batterie. 

^  Der  neae  Indactionsapparat  von  Dr.  E. 
Tiegel  in  New- York  (New-Iorker  medicinische 
Presse,  März  1886;  mit  eingehender  Sachkenntniss 
construirt  und  die  Mängel  der  gewöhnlichen  Schlit- 
tenapparate erkennend,  bietet,  wie  kein  anderer 
eine  gleichmässige  Wirkung  der  Stromschwan- 
kungen, erreicht  aber  bei  Weitem  nicht  die  Wir- 
kung meiner  Spiralen-Batterien.  Das  Hin-  nnd 
Herzerren  ungleicher  Inductionsströme  vermeide 
ich  bei  dem  Schlittenapparat  durch  geringe  Ströme, 
die  dann  am  gleichartigsten  fliessen. 


Weise  werden  nun  in  derselben  Reihenfolge 
täglich  3  (oder  4)  Sitzungen  gegeben  und, 
ohne  je  auszusetzen,  damit  fortgefahren,  bis 
alle  Sklerosen  gänzlich  verschw^unden  sind, 
was  selbst  in  schweren  Fällen  gewöhnlich 
nach  6  —  7  Wochen  der  Fall  ist.  In  jenem 
mit  Herrn  Sanitätsrath  Dr.  Knoblauch  ge- 
meinschaftlich behandelten  schweren  Fall 
waren  224  Sitzungen  zur  Vollendung  der 
Cur  nothwendig  gewesen.  —  Die  Zahl  der 
nothwendigen  Sitzungen  wird  manchem  Le- 
ser als  eine  Schwierigkeit  solcher  Curen  er- 
scheinen, doch  gebe  ich  zu  bedenken,  dass 
eine  wirkliche  Heilung  eines  so  schwer  zu 
beseitigenden  Uebels  oft  genug  mit  Jahre 
langen  (dem  Organismus  gefährlichen)  Curen 
ganz  vergebens  angestrebt  wird.  —  Nicht 
selten  geschieht  es  bei  meiner  elektrischen 
Heilmethode,  dass  die  Sklerosen  in  den 
ersten  vierzehn  Tagen  scheinbar  sich  gar- 
nicht  yerändem  und  würde  in  einem  solchen 
Fall  sowohl  Arzt  als  auch  der  Patient  die 
Cur  als  hoffnungslos  aufgeben  oder,  um 
einen  Effect  zu  erzwingen,  zu  stärkeren 
Strömen  übergehen.  Man  soll  sich  aber  in 
solchen  Fällen  durchaus  nicht  irre  machen 
lassen,  auf  keinen  Fall  die  Intensität  der 
Ströme  erhöhen  oder  gar  verdoppeln,  hier 
wohl  das  Schlimmste,  das  gethan  werden 
könnte,  indem  alsdann  die  ganze  Cur  aus- 
sichtslos verdorben  ist.  üeberhaupt  ist 
während  der  ganzen  Cur  jede  üeberreizung 
der  Sklerosen  zu  yermeiden,  wobei  nicht  in 
vergessen  ist,  dass  faradische  Ströme,  welche 
auf  der  Haut  kaum  gefühlt  und  sehr  oft 
anfangs  auf  den  Sklerosen  gar  nicht  em- 
pfunden werden,  zur  gänzlichen  Schmelzung 
der  Indurationen  vollkommen  genügen.  Ein 
Umstand,  auf  den  nicht  genug  aufmerksam 
zu  machen  ist,  weil  ja  hierdurch  die  Art 
und  Weise,  die  Wirkung  (welche  nur  allein 
in  der  leisen  Bebung  zu  suchen  ist)  sich 
deutlich  charakt^risirt.  Imbibition  und  mo- 
leculare  Oscillation  bilden  bei  meiner  elek- 
trischen Heilmethode  der  Sklerosen  die  bei- 
den wichtigsten  Heilmomente.  —  Ich  glaube 
keine  unhaltbare  Hypothese  aufzustellen, 
wenn  ich  behaupte,  dass  im  lebenden  Or- 
ganismus alles  in  beständig  lebender  Bewe- 
gung ist.  Was  wir  in  der  Flimmerbewe- 
gung, in  dem  Oscilliren^)  der  Pigmentköm- 


^)  Dr.  Scheurlen  (Assistenzarzt  der  I.  med 
Klinik  des  Geh.-Rath  Prof.  Dr.  Leyden  in  Berlin): 
Die  Aetiologie  des  Oarcinoms.  Vortrag,  gehalten 
im  Verein  für  innere  Medicin.  Sitzung  vom  28.  No- 
vember 1887.  Officielles  Protocoll.  (Publicirt  in 
der  Deutschen  medicin.  Wochenschrift.)  bemerkt 
an  den  von  ihm  zuerst  entdeckten  Erebskörperdien 
(Sporen)  bei  starker  Verfrösserung  und  aufmerk- 
samer Betrachtung  deutUche  Bewegung  —  ob 
Eigenbewegung  oder  Molecalarbewegung,  will  d«r 


^emä?i8&  ]      Clemens,  Heilung  und  Schwund  der  Byphiimaehen  Sklerotii  durch  elektr.  Ströme. 


565 


eben,  in  der  so  lebhaften  Bewegung  der 
Samenfäden  etc.  beobacbten,  ist  gewiss 
eine  Lebenstbätigkeit,  die  sieb  im  lebenden 
Organismus  Ton  keiner  Zelle  und  Ton  keiner 
Molecüle  trennen  lässt.  Oder  können  wir 
uns  etwa  die  beständige  Mauserung  des  le- 
benden Organismus,  das  Geben  und  Ver- 
scbwinden  der  alten  und  das  Kommen  und 
Ergänzen  der  neuen  Zellen,  obne  Leben  und 
Bewegung  vorstellen?  —  Gewiss  nicht.  Und 
wenn  pathologisch ,    d.  h.    durch    einen    ge- 

Entdecker  dieser  Ejrebskörperchen  (Krebssporen) 
dahingestellt  sein  lassen.  —  Die  Zukunft  wird  die- 
sen Bewegungen,  Oscillationen,  überhaupt  aber  der 
Beweglichkeit  dieser  elementaren  Formen  gewiss 
noch  eine  grössere  Aufmerksamkeit  zollen  nnd  die 
Frage  beleuchten,  was  geschieht,  wenn  diese  ele- 
mentare Beweglichkeit  der  normalen  Molecaie  pa- 
thologisch gestört  wird  oder  ganz  aufhört? 


störten  Lebensprocess  die  alte  abgelebte 
Zelle  nicht  gehen  kann  und  die  neuen  Zellen 
yerbildet  sich  zwischen  die  nicht  weichen- 
den alten  Zellen  drängen,  was  entsteht 
dann?  Ist  dies  cellularpathologisch  viel- 
leicht dann  jener  Vorgang,  den  wir  Wuche- 
rung nennen?  —  "Wie  es  heute  keine  Pa- 
thologie mehr  giebt  ohne  Mikroskop  und  ohne 
Naturgeschichte  der  Zelle,  so  giebt  es  auch 
heute  keine  Lebenskraft  mehr  obne  Physik 
und  Elektricität.  Heute  ist  die  Medicin 
eine  Wissenschaft,  welche  durch  die  reelle 
Naturforschung  eine  neue  Welt  entdeckt 
bat,  eine  Welt,  die  das  lautere  Gold  mensch- 
licher Weisheit  und  wissenschaftlicher  Wahr- 
heit dem  emsigen  Forscher  zu  bieten  ver- 
spricht. —  Glück  auf! 


Nenere  Arzneimittel. 


Ueber  die  Wirkungr  des  Chloralamid  aiif 
Kreislauf  und  Athmungr* 

Von 

J.  V.  Mering  und  N.  Zuntz. 

Die  bisherigen  experimentellen  und  klini- 
schen Erfahrungen  lassen  das  Chloralamid 
als  ein  Hypnoticum  erscheinen,  welches  einer- 
seits mit  ähnlich  grosser  Sicherheit  wie 
Chloralhydrat  Schlaf  erzeugt,  andererseits 
die  gefürchteten  Nebenwirkungen  dieses  sonst 
so  Yorzüglichen  Schlafmittels  auf  die  Cen- 
tren der  Blutbewegung  und  Athmung  nicht 
besitzt. 

£ny  hat  gefunden,  dass  Chloralamid  in 
einer  Gabe,  welche  Schlaf  hervorruft,  ja 
selbst  die  Reflex erregbarkeit  fast  aufhebt, 
den  Blutdruck  nur  sehr  wenig  herabsetzt, 
anscheinend  nicht  viel  mehr,  als  dies  auch 
der  physiologische  Schlaf  thut*).  Eine  Ver- 
gleichung  mit  der  entsprechenden  Menge 
Chloralhydrat  ergab,  dass  diese  eine  ungleich 
stärkere  Schädigung  des  Kreislaufs  bewirkt. 
—  Dementsprechend  lauten  die  Unter- 
suchungen des  Blutdrucks  und  des  Puls- 
charakters,   welche  Dr.  E.  Reich  mann    in 


*)  lieber  die  Veränderung,  welche  Puls-  und 
Blutdruck  beim  gesunden  Menschen  im  Schlaf  er- 
leiden, vergleiche  Mos  so,  Diagnostik  des  Pulses, 
Leipzig  1879  pag.  12,  und  Mos  so,  Ueber  den 
Kreislauf  des  Blutes  im  menschlichen  Gehirn  1881. 


der  Riege  loschen  Klinik  ausführte.  —  Der 
beim  Menschen  mit  Hilfe  des  v.  Basch'- 
schen  Sphygmomanometer  gemessene  Blut- 
druck ergab  keine  wesentliche  Aenderuog 
nach  Chloralamid,  auch  der  Charakter  der 
Pulswelle  blieb  unverändert,  während  die- 
selbe nach  Chloralhydrat  deutlich  die  Zeichen 
verminderter  Gefässspannung  zeigte.  (Vergl. 
die  schonen  Curven  von  Reich  mann,  Deutsch, 
med.  Wochenschrift  1889  No.  31.) 

Blutdruck  versuche,  welche  von  Halasz 
(Wiener  med.  Wochenschrift  1889  No.  38 
u.  39)  im  Institute  Prof.  Strick  er 's  aus- 
geführt wurden,  ergaben  „mit  voller  Be- 
stimmtheit, dass  die  Circulation  durch  Chlo- 
ralamid nicht  schädlich  beeinflusst  wird.^ 

Die  practischen  Consequenzen  aus  diesem 
Verhalten  des  Blutdrucks  und  der  Herz- 
thätigkeit  sind  denn  auch  schon  von  meh- 
reren Klinikern  gezogen  worden,  sie  haben 
das  Chloralamid  schlaflosen  Herzkranken, 
zum  Theil  solchen  mit  ausgesprochener  Com- 
pensationsstörung  verabreicht  und  wie  die 
Mittheilungen  von  Reichmann,  von  Lettow, 
sowie  von  Haldsz,  Hagen  und  Hüfler 
lehren,  mit  sehr  gutem  Erfolg.  —  Halasz 
sagt  am  Schlüsse  seiner  oben  angeführten 
Mittheilung:  „das  Chloralamid  übt  keinen 
schädlichen  Einfluss  auf  das  Herz  und 
die  Circulation  aus  und  kann  deshalb  un- 
besorgt bei  Herzfehlern,  Schwäche  zuständen 
und  Arhythmie  des  Herzens  gegeben  werden." 
Demgemäss     muss     es     überraschen,      dass 


566 


V.  Mcringu.  Zuntz,  Wirkung  des  Chloralamid  auf  Kreislauf  und  Athmung.       [^"J^^SSia * 


A.  Langgaard  (Therap.  Monatsh.  1889 
S.  46l)auf  Grund  seiner  erneuten  Experimente 
vor  der  Anwendung  des  Chloralamid,  dessen 
Brauchbarkeit  er  im  Uebrigen  vollauf  aner- 
kennt, bei  Herzkrankheiten  warnen  zu  müssen 
glaubt,  weil  es  eine  starke  Herabsetzung 
der  Gefassspannung  bewirke,  während  die 
Herzthätigkeit  auch  in  seinen  Versuchen 
eine  energische  blieb.  —  Als  Stütze  seiner 
Behauptung  theilt  Langgaard  die  Ergebnisse 
zweier  mit  Hilfe  des  neuen  Hü rtl ersehen 
Gummimanometers  angestellter  Versuche  mit. 

—  Wir  können  die  Beweiskraft  dieser 
Versuche  nicht  anerkennen  und  zwar  in 
erster  Linie  deshalb  nicht,  weil  Control- 
versuche  mit  anderen  Narcoticis  in  ent- 
sprechender Dosis  fehlen.  Schon  der  phy- 
siologische Schlaf  setzt  den  Blutdruck  herab. 
Eine  massige  Herabminderung  des  Blutdrucks 
durch  ein  Schlafmittel  ist  also  ohne  Be- 
deutung und  die  Ermittlung  des  für  Herz- 
kranke am  meisten  geeigneten  Mittels  ist 
nur  möglich,  wenn  man  unter  Einhaltung 
möglichst  identischer  Bedingungen 
die   in  Frage  kommenden  Mittel   vergleicht. 

—  Während  nun  aber  alle  bisherigen  Er^ 
fahrungen  über  die  Beziehungen  der  Schlaf- 
mittel zum  Blutdruck  am  Quecksilber- 
manometer,  welches  bekanntlich  die  Grosse 
der  pulsatorischen  Schwankungen  viel  zu 
klein,  den  Mitteldruck  aber  richtig  angiebt, 
gesammelt  wurden,  benutzt  Langgaard  für 
seine  Untersuchung  den  Hürtl ersehen  Appa- 
rat, bei  dem  in  Folge  der  grossen  Fulswelien, 
welche  er  zeichnet,  der  Mitteldruck  nur 
durch  sorgfaltige  Integrirung  der  Curve  er- 
mittelt werden  kann.  Er  hätte,  um  seine 
Resultate  beweiskräftig  zu  machen,  Parallel- 
versuche mit  anderen  Schlafmitteln,  etwa 
mit  Chloralhydrat  ausführen  müssen. 

Wir  haben  nun,  um  zu  prüfen,  ob  die 
Angaben  Langgaard^s  oder  die  der  anderen 
oben  citirten  Autoren  zu  Recht  bestehen, 
eine  Anzahl  Bestimmungen  des  Blutdrucks 
nach  Chloralamid  ausgeführt.  Wir  bedienten 
uns  dabei  absichtlich  des  alten  Quecksilber- 
manometers, weil  die  mit  seiner  Hilfe  ge- 
wonnenen Angaben  des  Mitteldrucks  ohne 
Weiteres  mit  denen  aller  früheren  Autoren 
verglichen  werden  können.  Wir  geben  die 
Versuche  der  üebersichtlichkeit  halber  in 
der  Weise,  dass  wir  den  Blutdruck  in  der 
Narkose  nicht  in  absoluten  Werthen,  son- 
dern in  Procenten  des  vor  der  Einverleibung 
des  Medicaments  beobachteten  Normalwerthes 
angeben.  —  Da  der  absolute  Blutdruck  bei 
normalen  Kaninchen  nicht  allzuweit  von 
dem  Werth  von  100  mm  Quecksilber  ab- 
zuweichen pflegt,  ändert  diese  Umrechnung 
die  Zahlen  nicht  erheblich,  sie  hat  aber  den 


Vortheil,  die  Berechnung  von  Mittel  werthen 
zu  ermöglichen.  —  Die  erste  Columne  der 
folgenden  Tabelle  giebt  die  Nummer  des 
Versuchs,  die  folgenden  Columnen  den  Pro- 
centwerth  des  Blutdrucks  zu  der  in  der 
Ueberschrift  genannten  Minute  nach  Ein- 
verleibung des  Medicaments. 

At   Ohloralamid  per  os. 


5' 

10' 

15' 

20' 

30' 

40' 

50' 

60' 

70*80' 

90' 

100' 

120' 

I 

98 

93 

84 

77 

78 

74 

77 

77 

78 

77 

78 

n 

97 

— 

82 

— 

65 

64 

— 

58 

— 

55 

— 

54 

55 

III 

— 

— 

— 

96 

108108 

96 

— 

126 

.— 

120 

mb 

100 1041106 

94 

85 

82 

78 

— 

— 

— 

— 

IV 

100 

92 

~— 

90 

88 

86 

— 

88 

>— 

91 

85 

— 

V 

83 

80 

87 

87 

90 

92 

96 

87 

83 

83 

83 

— 

M 

96 

92 

9^90 

86 

86 

86 

74  83 

72 

94  72 

87 

B«   Chloralamid  IntravenOs. 


VI 


95 
II 


94 

lU 


91 


95 

IV 


8^ 

V 


90 


0.  Chloralhydrat  per  os. 


VU 

VIII 

TX 

95 
94 
95 

80 
82 

72 
62 
75 

68 
68 

68 
54 
59 

64 
43 

63 

55 
52 

^"^^ 

61 

48 

M 

95 

81 

7(^68 

60 

64 

— 

53 

— 

— 

— 

— 

— 

In  Bezug  auf  die  verabreichten  Dosen  und  die 

Intensität  der  Narkose  ist  folgendes  zu  bemerken: 

I     0,952  g  pr.k;  nach  9  Min.  Schlaf,  nach  12  Min. 

kein  Comea- 

reflez  mehr. 

II     0,818-    -    -     -      6    -         -        nach  16  Min. 

Keflexe    mi- 
nimal, 
in     0,905-   -    -     -    12    -         -       träge  Reflexe 

bleiben, 
nib  Das  vorige  Kaninchen  erhält  nach  27)  Stun- 
den nochmals  0,38  g  pr.  k,  nach  5  Min.  wie- 
der Schlaf  und  träge  Reaction,  die  Reflexe 
schwinden  auch  jetzt  nicht  völlig. 
IV     0,960g  pr.k;  nach  25 Min.  kein  Reflex  mehr 

durch  Drücken  der  Zehen,  nach 
42'  auch  nicht  von  Cornea  resp. 
Conjnnctiva. 
V     1,052  -    -    -  nach   10  Min.   keine    Reaction 

von  den  Zehen,  nach   15  Min. 
auch  nicht  mehr  von  der  Cornea. 
VI     Die   kleinen    römischen    Zahlen    nnter    den 
Blutdruckwerthen   besagen,    wie    viel  Injec- 
tionen  von  je  0,05  g  Chloralamid  in  5  proc 
Lösung  in  die    Jugularvene   gemacht   sind. 
Im  Ganzen  wurden   also   0,25  g  pr.  k  inji- 
cirt;  nach   15  Min.,  das  heisst  nach  der  3. 
Injection,  war  volle  Reactionslosigkeit  einge- 
treten. 
VII     0,694g  Chloralhydrat  pr.k;  nach   12  Minu- 
ten kein  Reflex  von  der  Cornea,  nach 
20  Min.  auch  keiner  mehr  von  der 
Conjuncüva. 
VIII     0,612  -  pr.  k;  nach  7  Min.  Schlaf;  erst  nach 

50  Min.  reactionslos. 
IX     0,640-  pr.k;  nach  15 Min.  Comeareflex  ge- 
schwunden, nach  30  Min.  wieder  vor- 
handen. 


in  Jftbrgaiiff.  1 
Deoember  1889  J 


V.  Mering  u.Zuntz,  Wirkung  de«  Chloralamid  auf  Krelslaur  und  Athmung. 


567 


Im  Durchschnitt  wurden  pro  Kilo  Thier 
vom  Chloralhydrat  0,649  g,  vom  Chloralamid 
0,937  g  verabreicht.  Der  Chloralgehalt  der 
beiden  Verbindungen  ist  89  resp.  77  °/o.  — 
Hätten  ^ir  in  beiden  Reihen  gleiche  Mengen 
Chloral  zuführen  wollen,  so  hätten  wir  also 
äquivalent  mit  0,649  g  Chloralhydrat  im 
Mittel,  0,745  g  Chloralamid  geben  müssen. 
Wir  wählten  absichtlich  eine  höhere  Dosis; 
so  ist  denn  die  günstigere  Wirkung  des 
Chloralamid  auf  den  Blutdruck  a  fortiori 
bewiesen.  Auffallend  ist,  wie  ungleich  die 
verschiedenen  Thiere  auf  gleiche  Dosen  der 
Narcotica  reagiren.  Während  bei  No.  III 
ein  Sinken  des  Blutdruckes  nach  Chloralamid 
überhaupt  nicht  zu  Stande  kommt,  ist  bei 
No.  II  dies  Sinken  bedeutend,  entsprechend 
etwa  dem  von  Langgaard  beobachteten .  Wir 
sind  deshalb  geneigt  anzunehmen,  dass  dieser 
Forscher  durch  eine  zuweilen  vorkommende 
grossere  Empfindlichkeit  der  Kaninchen  gegen 
das  Mittel  getäuscht  wurde.  Noch  ein  anderer 
Umstand  hat  aber  wahrscheinlich  den  Abfall 
in  seinem  Versuche  zu  hoch  erscheinen  lassen. 
Es  scheint  nämlich,  als  sei  der  Normaldruck 
von  ihm  zufällig  zu  hoch  gefunden  worden. 
Wir  fanden  fast  nie  einen  nennenswerthen 
Abfall  des  Druckes  in  den  ersten  5  Minuten 
nach  Einführung  des  Mittels;  Langgaard 
findet  dagegen  nach  5  Minuten  einen  Abfall  des 
Minimaldruckes  von  llOnmi  auf  80  mm;  im 
ganzen  weiteren  Versuche  Hlllt  er  dann  nur 
noch  von  80  mm  bis  auf  63  mm,  also  um  einen 
geringen,  mit  unseren  Erfahrungen  harmoniren- 
den  Werth.  —  Der  zweite  Versuch  von 
Langgaard  entzieht  sich  der  Erörterung,  da 
keine  Dosirung  angegeben  ist.  Selbstver- 
ständlich wird  es  eine  Grösse  der  Dosis 
geben,  bei  welcher  der  Blutdruck  in  be- 
denklicher Weise  abfallt,  wir  haben  aber 
nicht  nur  Schlaf,  sondern  vollständige 
Anästhesie  erreicht,  ohne  dass  ein 
solcher  Abfall  zu  Stande  kam. 

Der  Unterschied  in  der  Wirkung  auf 
den  Blutdruck  zwischen  Chloralamid  und 
Chloralhydrat  tritt  namentlich  bei  Betrach- 
tung der  Mittelwerthe  klar  zu  Tage.  Die 
narkotische  Wirkung  trat  zwar  nach  Chloral- 
hydrat schneller  ein,  war  aber,  entsprechend 
der  relativ  kleineren  Dosis,  auch  schneller 
vorüber. 

Nachdem  wir  gefunden  haben,  dass  bei 
Kaninchen  individuelle  Schwankungen  in  der 
Wirkung  der  Narcotica  auf  den  Blutdruck 
vorkommen,  könnte  es  Bedenken  erregen, 
dass  wir  nur  3  Versuche  mit  Chloralhydrat 
angestellt  haben.  Wir  durften  uns  aber  mit 
dieser  geringen  Zahl  begnügen,  weil  in  der 
Litteratur  eine  ganze  Reihe  von  Versuchen 
vorliegen,   in   denen  gleiche   und  zum  Theil 


sogar  kleinere  Dosen  den  Blutdruck  um 
50  ®/o  und  mehr  erniedrigten  (vgl.  die  Unter- 
suchung des  einen  von  uns  über  Chloral- 
hydrat und  Crotonchloralhydrat,  Arch.  f.  exp. 
PathoL  und  Pharmakol.  III.  S.  191  ff.),  ferner 
die  Versuche  von  Cervello,  ibid.  16.  S. 
283  : 0,51  g  pro  Kilo  senkten  den  Blut- 
druck von  115  mm  auf  66  mm,  ferner  0,73  g 
pro  Kilo  von  110  mm  bis  auf  31  mm.  — 
Schmiedeberg  fasst  ibid.  Bd.  20  S.  210 
seine  Erfahrungen  dahin  zusammen,  dass 
schon  nach  0,5  g  Chloralhydrat  bei  Kanin- 
chen der  Blutdruck  in  der  Regel  auf  mehr 
als  die  Hälfte  des  normalen  herabgeht. 

Wir  dürfen  nunmehr  kühn  behaupten, 
dass  die  experimentelle  Untersuchung  in 
vollem  Einklänge  mit  den  Eingangs  citirten 
klinischen  Erfahrungen  dazu  ermuntert,  das 
Chloralamid  auch  in  solchen  Krankheitsfällen 
noch  anzuwenden,  in  welchen  das  Chloral- 
hydrat wegen  seiner  Wirkung  auf  die 
Herzthätigkeit  und  den  Blutdruck  ausge- 
schlossen ist. 

Nun  soll  aber  das  Chloralamid  nach 
Langgaard  auch  das  Athemcentrum  schädi- 
gen ;  er  zieht  diesen  Schluss  aus  der  erheblichen 
Abnahme  der  Athemgrösse  eines  Kaninchens, 
welches  pro  Kilo  1  g  Chloralamid  erhalten 
hatte.  Das  ausgeathmete  Luftquantum  sank 
bei  einem  Kaninchen  nach  1  g  Chloralamid 
pro  Kilo  Thier  in  der  ersten  halben  Stunde 
um  19%,  in  der  zweiten  um  39,5%.  Be- 
weist aber  ein  solches  Sinken  eine  Schädi- 
gung oder  auch  nur  eine  Abschwächung  des 
Athemcentrums?  Die  Athemthätigkeit  hängt 
ausser  von  der  Erregbarkeit  des  Centrums 
von  der  Grösse  der  Reize  ab,  welche  auf 
dasselbe  einwirken.  Die  Reize  aber  sind, 
wie  bekannt,  solange  Sauerstoffmangel  nicht 
in  Frage  kommt,  Kohlensäure  und  andere 
Stoffwechselproducte.  Nun  sinkt  die  Kohlen- 
säurebildung beispielsweise  im  natürlichen 
Schlaf  des  Menschen  gegen  den  Ruhezustand 
um  22%  (Voit  in  Hermann^s  Handbuch 
der  Physich  VI  1.  p.  205);  dazu  kommt, 
dass  im  wachen  Zustande  die  Athmung  durch 
die  mannigfachsten  sensorischen  und  psychi- 
schen Einwirkungen  fortwährend  angeregt 
und  über  die  durch  den  Blutreiz  bedingte 
Grösse  erheblich  gesteigert  wird.  (Mosso^s 
Luxusathmung,  vgl.  du  Bois-Reymond^s 
Archiv  1886  Suppl.  S.  42.)  Der  Wegfall 
der  Reize  allein  erklärt  also  zur  Ge- 
nüge den  Abfall  der  Athmung,  welchen 
Langgaard  beobachtet  hat.  —  Wir 
können  die  Richtigkeit  dieser  Schlussfolge- 
rung aber  auch  experimentell  beweisen.  —  Wir 
beobachteten  mehrfach  zu  anderen  Zwecken 
stundenlang  die  Athemgrösse  eines  sehr  in- 
telligenten   Pudels,    welcher   gelernt    hatte, 


5ß8 


Liebreich,  Ueber  ChloralsubBtitutiontmittel. 


rlier&pmtbdie 
Monatiihftft«. 


beim  Athmen  durch  eine  Scbnauzenkappe 
Tollkommen  rubig  zu  liegen;  dabei  kam  es 
zuweilen  vor,  dass  das  Tbier  einscblief. 
Dann  sank  regelmässig  die  Atbemgrosse  unter 
den  Ruhewertb,  wie  folgende  Zahlen,  welche 
die  Atbemgrosse  per  Minute  in  100  ccm  an- 
geben, beweisen: 

1)  absolute  Ruhe  wach:        33,  33,  30,  30, 

30,  30. 

2)  -  -     schläft:     22,  22,  23,  22, 

25,  22. 

3)  -  -     erwacht:  29,  38    (Heben 

des  Kopfes),  36, 
32,  30. 

Hier  hat  also  der  physiologische  Schlaf 
einen  Abfall  der  Atbemgrosse  um  mehr  als 
30**/o  bewirkt,  d.  h.  um  etwa  ebenso  viel, 
wie  der  durch  Chloralamid  herbeigeführte 
Schlaf  bei  Langgaard's  Kaninchen.  Von 
einer  Schädigung  des  Athemcentrums 
durch  Chloralamid  kann  demgemäss 
in  letzterem  Falle  keine  Rede  sein. 


Ueber  Chloralsubstltutiousmittel. 

Von 

Prof.  Oscar  Liebreich. 

Es  sind  in  neuerer  Zeit  eine  Reihe  von 
Substitiitionsmitteln  für  das  ChJoralhy- 
drat  empfohlen  worden.  Einige  von  diesen 
sind  unbrauchbar,  zum  wenigsten  liegt  kein 
Grund  vor,  dieselben  in  die  Therapie  ein- 
zuführen^   wie    das  Ural   und  Chloralam- 


monium.  Es  ist  auch  eine  Substanz  em- 
pfohlen worden,  welche  mit  dem  Namen 
Somnal  bezeichnet  worden  ist.  Während  die 
ersteren  Korper  chemische  Verbindungen  sind, 
ist  das  letztere  ein  unklares,  in  seiner 
Zusammensetzung  unerkanntes  Ge- 
menge. 

Es  ist  wunderbar,  wie  manche  Aerzte 
sich  durch  einen  verführerischen  Namen  be- 
stimmen lassen,  Gemenge  von  Chloralhy- 
drat  mit  beliebigen  Substanzen  zu  verschrei- 
ben und  auf  diese  Weise  dem  Geheimmittel- 
betriebe unbewusst  Vorschub   zu  leisten. 

Ueber  das  Chi  oral formamid  sind  da- 
gegen die  practischen  Resultate  derart  zufrie- 
denstellend, dass  man  diese  Substanz  in  die 
Kategorie  der  brauchbaren  Schlafmittel  ein- 
reihen muss.  Man  wird  sich,  wie  die  wei- 
tere Entwickelung  der  wissenschaftlichen 
Untersuchung  ergeben  wird,  aber  dahin 
einigen  müssen,  dass  bei  Verbindungen  von 
Chloralhydrat  mit  indifferenten  Compo- 
nenten  die  Wirkung  immer  bei  der  Spaltung 
im  Organismus  auf  das  Chi  oral  zurückzu- 
führen sein  wird,  wenn  auch  Unterschiede 
in  der  practischen  Anwendung  sich  ergeben.  — 

Anders  verhält  sich  die  Sache,  wenn 
sehr  differente  Korper,  wie  die  Blau- 
säure sich  mit  dem  Chloralhydrat  verbin- 
den. Wie  aus  einer  Untersuchung  des 
hiesigen  pharmakologischen  Instituts  hervor- 
geht^), kommt  hier  die  Blausäurewirkung  zur 
Geltung,  so  dass  eine  Chi  oral  Wirkung  nicht 
zur  Beobachtung  gelangen  kann. 


')  Otto  Hermes,  das  Chloralcyanhydrat  als 
Ersatz  für  Aqua  AmjgdaW.  amar.  Diss.  inang. 
Berlin  1887. 


Therapentische  Mittheilungen  ans  Vereinen. 


Ueber  die  6a.  Versammlung  der  deutschen  Natur- 
forscher und  Aerzte  zu  Heidelberg.    Von  Dr. 

J.  Pauly  in  Nervi  bei  Genua.  (Originalbericht.) 

[Fortteizung.] 

Auf  die  Genese  der  Degeneration  der 
Ilinterstränge  des  Rückenmarks  werfen 
die  bedeutsamen  Untersuchungen  Prof.  Licht- 
heim's  (Königsberg)  Licht.  Hatte  L.  bei 
perniciösen  Anämien  diese  Degeneration  be- 
reits gefunden,  so  hat  jetzt  sein  Schüler, 
Cand.  med.  Minnich,  auf  seine  Veranlassung 
erweiterte  Untersuchungen  angestellt,  aus 
denen  hier  nur  betont  werden  soll,  dass  M. 


in  drei  Fällen  von  schwerem  Icterus 
ähnliche  Veränderungen  gefunden  hat  und 
dass  L.  sich  besonders  bei  Diabetes  mel- 
litus positive  Befunde  verspricht.  Er  fasst 
diese  Veränderungen  als  toxische  auf  d.  h. 
Folge  von  Autointoxication.  Die  Therapie 
wird  aus  diesen  Forschungen  besondere  An- 
regung ziehen. 

Prof.  Strümpell  (Erlangen)  sprach  in 
der  Abtheilung  im  Psychiatrie  und  Neuro- 
logie über  die  Beziehungen  zwischen 
der  Syphilis  und  Tabes  dorsalis.  Er 
vergleicht  letztere  mit  der  „grossen  Gruppe 


Decemher  1889.  J 


Thevttpeuüiehe  MlttheUung^en  aut  Vereinen. 


569 


der  nervösen  Nachkrankheiten  nach  Infec- 
tionen  der  verschiedensten  Art",  den  secun- 
daren  Degenerationen  bestimmter  Gebiete 
des  Nervensystems  nach  Diphtherie,  Typhus, 
Dysenterie  u.  a.  Auch  in  den  degenerirten 
Nerven  nach  postdiphtherischen  oder  post- 
typhösen Lähmungen  sei  nichts  von  crou- 
pöser  Entzündung  oder  typhöser  Neubildung 
zu  finden.  Bei  chronischen  Infectionskrank- 
heiten,  so  besonders  bei  der  Tuberculose, 
seien  ausgedehnte  Degenerationen  in  den 
peripherischen  Nerven  schon  oft  nach  ge- 
priesen. Tabes  sei  eine  nervöse  Nachkrank- 
heit der  Lues,  wie  Ataxie  eine  häufige  der 
Diphtherie,  v^ahrscheinlich  in  Folge  stetig 
sich  bildender  kleiner  Mengen  chemischer 
Gifte.  Die  Vermittlung  durch  Gefässverän- 
derungen  brauchten  wir  nicht.  —  Die  Tabes 
und  Paralyse  sind  mit  einander  verwandt, 
gewissermaassen  nur  yerschiedene  Localisa- 
tionen  desselben  Krankheitsprocesses. 

Aus  der  sehr  interessanten  Discussion 
heben  wir  hier  hervor,  dass  Prof.  Schnitze 
(Bonn)  betont,  die  diphtherische  Lähmung 
wie  die  Ergotintabes  sind  regressiv,  die 
wahre  Tabes  progressiv.  Gegen  eine  „ein- 
fache Analogie  zwischen  Tabes  und  Paralyse" 
sprechen  sich  Schule,  Mendel,  Tuczeck 
und  Fürstner  aus.  Von  MendeTs  Ausfüh- 
rungen sei  noch  besonders  erwähnt,  dass  er 
„syphilitische  Hirnerkrankungen  von  pro- 
gressiver Paralyse,  nicht  aber  syphilitische 
und  nicht  syphilitische  progressive  Paralyse 
unterscheide". 

Aus  dem  Vortrage  Hofrath  Fürstner's 
(Heidelberg)  über  das  Verhalten  des  Kör- 
pergewichts bei  Psychosen,  der  eine 
Fülle  sorgfaltig  gesammelten  Materiales  bot, 
sei  hier  nur  erwähnt,  dass  er  bei  organischen 
Psychosen  (zu  diesen  rechnet  er  auch  die 
periodischen ,  circulären ,  epileptischen) 
Schwankungen  von  aussergewöhnlicher  Stärke 
beobachtet  hat,  so  Abnahme  von  5  bis 
8  Pfund  innerhalb  24  Stunden,  10  bis 
13  Pfund  innerhalb  weniger  Tage.  Dabei 
zeigen  Nahrungsaufnahme  und  -abgäbe  keine 
wesentlichen  Veränderungen.  Der  Abstieg 
ist  oft  unmittelbar  vor  dem  Einzelanfall  zu 
constatiren,  besonders  bei  täglichen  Wägun- 
gen. F.  macht  dafür  wie  für  die  dabei  oft 
gesteigerte  Albuminurie  und  Temperatur- 
steigerung direct  cerebrale  Vorgänge  yerant- 
w  ortlich. 

Schmidt  (Wiesbaden)  tritt  für  das  Co- 
dein beiMorphiomanie  ein.  Es  ermöglicht 
eine  Herabminderung  der  Morphium -Absti- 
nenzerscheinungen bis  zur  Erträglichkeit. 
S.  wendet  eine  10°/o  Lösung  von  Cod.  phos- 
phoric.  an;  die  höchste  Dose  pro  die  war 
3,0  g.    Der  Vortrag  Knoblauches  (Heidel- 


berg) über  Sulfonal Wirkung  erschien  in  ex- 
tenso in  dieser  Zeitschrift  (Novemberheft 
S.  495). 

In  der  pharmakologischen  Abtheilung 
brachte  werthvolle  Mittheilungen  über  Col- 
c  hie  in  Dr.  Jacobj  (Strassburg). 

J.  hat  sich  nach  der  von  Houd6  ange- 
gebenen Methode  krystallisirtes  Colchicin 
hergestellt.  Die  chemische  Analyse  der  von 
ihm  gewonnenen,  völlig  farblosen  Krystalle, 
welche  bis  1  cm  lang  und  bis  3  mm  dick 
waren,  ergab,  wie  dies  auch  schon  Z  ei  sei 
für  sein  krystallisirtes  Colchicin  nachge- 
wiesen hat,  dass  dieselben,  dem  Krystall- 
wasser  analog,  Chloroform  gebunden 
enthalten.  Da  J.  für  sein  von  Chloroform 
befreites  Alkaloid  den  gleichen  C-  und 
H-Gehalt  fand,  wie  Zeisel  für  das  seinige, 
und  auch  hinsichtlich  der  Reactionen  zwi- 
schen beiden  keine  Abweichung  zu  finden 
war,  so  nimmt  J.  an,  dass  sowohl  das 
von  Houdd  dargestellte  als  sein  eigenes 
Colchicin  mit  dem  von  Zeisel  eingehend 
untersuchten  identisch  seien. 

Bei  der  Untersuchung  der  Wirkungen 
dieses  auskrystallisirten,  absolut  reinen,  chlo- 
roformfreien Colchicins  war  J.  in  der  Lage, 
die  Annahme  Rossbach 's,  dass  der  Tod 
bei  Colchicin  Vergiftung  in  Folge  von  Läh- 
mung des  Athmungscentrums  eintrete,  sowohl 
indirect  als  direct  zu  bestätigen.  Das  Ver- 
giftungsbild bei  Warmblütern  war  im  All- 
gemeinen das  Yon  Rossbach  und  Andern 
bereits  beschriebene.  Nach  einer  von  der 
Grösse  der  Dose  und  Art  der  Application 
unabhängigen  Latenzzeit  von  1 — 2  Stunden 
trat  Abgeschlagenheit,  Nauseose,  sowie  mehr 
oder  weniger  heftiges  Brechen  und  Durch- 
falle auf.  Dann  bildete  sich  sensible  und 
allmählich  aufsteige.nde  motorische 
Lähmung  aus,  und  die  Thiere  gingen  end- 
lich meist  ohne  Krämpfe  unter  schnell  ab- 
nehmender Athemfrequenz  zu  Grunde.  Da 
bei  sofort  angeschlossener  Section  die  Herz- 
thätigkeit  noch  bis  20  Minuten  die  Ath- 
mung  überdauerte  und  Versuche  an  isolirten 
Froschherzen  zeigten,  dass  weder  die  Puls- 
zahl noch  das  Pulsvolumen  und  die  abso- 
lute Herzkraft  eine  wesentliche  Veränderung 
erfahren,  der  Blutdruck  vergifteter  Warm- 
blüter sich  aber  bis  kurz  vor  dem  Tode  auf 
normaler  Höhe  erhält,  so  kann  Yon  einer 
Schädigung  des  Circulationsapparates, 
welche  den  Tod  zu  bedingen  im  Stande 
wäre,  nach  Ansicht  von  J.  nicht  die  Rede 
sein. 

Zur  Untersuchung  der  Wirkung  des  Col- 
chicins auf  den  Darm  hat  J.  das  alte  Braam- 
Houckge est ^ sehe  Verfahren  dahin  abgeän- 
dert, dass  die  Beobachtung  der  freigelegten 

72 


570 


Tlierftpeutliehe  Mlttheilunf«ii  aui  VeMlnan. 


rrhenLpeatlsdbe 
L  MonauhflftflL 


Därme  in  einem  aufrecbtsteb enden  mit  Glas- 
"vvänden  yersehenen  Blecbkasten,  der  mit 
^ji^lo  Kochsalzlösung  gefüllt  war,  Torgenom* 
men  wurde.  Auf  diese  Weise  kamen  die 
Därme  des  in  senkrechter  Stellung  befind- 
lichen Thieres  nie  mit  der  Luft  in  Berüh- 
rung und  flottirten  frei  in  der  Flüssigkeit. 
Dabei  aber  gestattete  diese  Yersuchsanord- 
nung  gegenüber  dem  alten  Verfahren  einen 
YÖlligen  üeberblick  über  den  gesammten 
Darmtractus,  von  dem  sogar  bei  elek- 
trischem Licht  Momentphotographien 
aufgenommen  werden  konnten.  J.  war  mit 
dieser  Beobachtungsweise  im  Stande,  zu 
constatiren,  dass,  was  bisher  bestritten 
wurde,  antiperistaltische  Wellen  am 
Dickdarm,  sowie  am  untern  Theil  des  Ileum 
an  sonst  gesunden  Thieren  normaler- 
weise auftreten,  und  dass  nach  Durchfall 
erregenden  Mitteln  dieselben  in  erhöhtem 
Maasse  beobachtet  werden  können.  Die 
durch  Colohicin  bedingten  Darmbewegungen, 
welche  genauer  beschrieben  werden,  führt 
J.,  da  durch  die  Ro s sb ach ^ sehen  Unter- 
suchungen eine  Wirkung  auf  die  Darmge- 
fässe,  sowie  den  Vagus  und  Sympathicus 
bereits  ausgeschlossen  wurde,  zurück  auf 
eine  erhöhte  sensible  Reflexerregbarkeit  der 
in  der  Darmwand  gelegenen  nervösen  Appa- 
rate. Denn  einmal  lässt  sich  die  Peristaltik 
durch  Atropin  unterdrücken  und  kann  also 
nicht  von  einer  directen  Erregung  der  Mus- 
culatur  ausgehen,  andererseits  aber  tritt  die 
Peristaltik  auch  bei  directer  Injection  des 
Giftes  in^s  Blut,  nicht  wie  nach  Muscarin^ 
gleichzeitig  über  den  ganzen  Darm  auf,  so 
dass  eine  directe  Reizung  der  in  der  Wand 
gelegenen  nervösen  Apparate  angenommen 
werden  müsste;  sondern  sie  ergreift,  yom 
Duodenum  beginnend  und  nach  abwärts 
attaquenweise  fortschreitend,  vornehmlich 
diejenigen  Theile  des  Darms,  deren  Schleim- 
haut, sei  es  durch  Speisereste,  sei  es  durch 
Luft  und  abgesonderten  Schleim,  eine  Rei- 
zung erßlhrt.  Dass  die  durch  Colchicin  am 
Darm  hervorgerufenen,  unter  Umständen 
sehr  heftigen  Bewegungen  mit  ihren  Folgen 
den  Exitus  letalis  begünstigen  können, 
leugnet  J.  nicht,  dahingegen  hält  er  es  für 
unzulässig,  den  eintretenden  Tod  direct  auf 
dieselben  zurückzuführen,  da  auch  in  zahl- 
reichen Fällen,  wo  die  gastroenteritischen 
Erscheinungen  völlig  in  den  Hintergrund 
treten  können,  wie  z.  B.  bei  Kaninchen,  der 
Tod  und  zwar  nach  annähernd  der  gleichen 
Zeit  eintritt.  Versuche  an  Muskeln  ergaben, 
dass  dieselben  bei  der  Colchicinvergiftung 
eine  Veränderung  ihrer  Function  erfahren, 
welche  derjenigen  durch  Veratrin  sehr  ähn- 
lich  ißt.     Die  Myogramme    zeigten    die    für 


Veratrin  charakteristische  Nase,  sowie  ein 
oft  sehr  ausgedehntes  Plateau.  Auch  wurde 
beobachtet,  dass  die  Ermüdung  des  Muskels 
bisweilen  auffallend  schnell  eintritt,  dass 
aber  derselbe  durch  eine  kurze  Ruhe  dann 
seine  alte  Kraft  wiedergewinnen  kann.  Auf 
den  tödtlichen  Ausgang  dürften,  wie  aus 
dem  Folgenden  ersichtlich,  diese  functionel- 
len  Veränderungen  vielleicht  nicht  ganz  ohne 
Einfluss  sein.  Die  Athmung  wurde  mit 
einem  neuen  von  Dr.  Dreser  construirten, 
von  J.  zu  seinem  Zweck  modificirten  Appa- 
rat untersucht.  Derselbe  besteht  im  We- 
sentlichen aus  einem  graduirten,  oben  durch 
einen  Hahn  verschliessbaren  Cylinder,  über 
dessen  unterer  Oeffnung  in  der  Wand  ein 
nach  oben  gebogenes  Rohr  angesetzt  ist. 
Dieser  Gjlinder  wird  in  ein  mit  Wasser 
stets  überlaufend  gefülltes  Becherglas  so- 
weit eingetaucht,  dass  gerade  die  innere 
Oeffnung  des  seitlich  abgehenden  Rohres 
durch  den  Wasserspiegel  abgeschlossen  ist. 
Darauf  wird  er  durch  Aufsaugen  des  Was- 
sers mittelst  der  oberen  Oeffnung  gefüllt. 
Die  in  dem  Gylinder  befindliche  Wassersäule 
ist  durch  den  Luftdruck  äquilibrirt  und  ein 
an  das  Seitenrohr  mittelst  Schnauzenkappe 
und  Ventil  angesetztes  Thier  kann  unter 
einem  Widerstand  von  2  mm  Wasser  in  das 
Rohr  ausathmen.  Es  zeigte  sich  bei  den 
mit  dieser  Vorrichtung  angestellten  Ver- 
suchen, dass  erst  etwa  eine  Stunde  vor  dem 
Tode  die  Athmung  eine  erheblichere  Verän- 
derung erleidet,  indem  die  Zahl  der  Athem- 
züge  vermindert,  das  Volumen  des  einzelnen 
Athemzugs  aber  vergrössert  wird,  und  zwar 
letzteres  so  bedeutend,  dass  zunächst  das 
pro  Minute  ausgeathmete  Luftquantum  sich 
gleich  bleibt.  Dann  sinkt  die  Zahl  der 
Athemzüge  immer  schneller  ab  und  selbst 
die  zunehmende  Vergrösserung  des  einzelnen 
Athemzuges  ist  nicht  mehr  im  Stande,  eine 
Gompensation  zu  erzielen.  Dieses  Verhalten 
weist  darauf  hin,  dass  die  Ursache  des 
schliesslichen  Athemstillstandes  vornehmlich 
auf  die  mehr  und  mehr  sinkende  und  end- 
lich erlöschende  Erregbarkeit  des  Athmungs- 
centrums  zu  beziehen  ist.  Ob  dabei  die  leichtere 
Ermüdbarkeit  der  Atbemmusculatur  schädi- 
gend mitwirken  kann,  lässt  J.  unentschieden. 
J.  schildert  dann  die  Wirkungen  des 
Colchicins  auf  das  Nervensystem,  welche  be- 
ginnend mit  einer  peripherischen  Lähmung  der 
Sensibilität,  dann  übergehend  in  eine  Ton 
unten  nach  oben  aufsteigende  Lähmung  der 
motorischen  und  reflectorischen  Centren  des 
Rückenmarks  und  der  Medulla,  endlich  auch 
das  Athmungscentrum  ergreift,  so  dass  die 
Athmung  in  der  beschriebenen  Weise  erlischt 
und  dadurch  den  Tod  bedingt. 


m.  Jahrgang.  1 
I>«cemb«r  1889.  J 


Thttrmpautliehe  MlttheUung«!  aut  Verelnan« 


571 


Diesen  ErscheinuDgen  an  Warmblütern 
gegenüber,  welche  bereits  nacb  Gaben  von 
1  —  3  mg  pr.  Kilo  auftraten  nnd  zum  Tode 
führten,  fiel  es  auf,  dass,  wenn  das  gleiche, 
ganz  reine  Colchicin  Fröschen  unter  die 
Haut  oder  in  die  Vene  beigebracht  wurde, 
dieselben  die  relativ  sehr  grosse  Dosis  von 
60 — 80  mg  vertrugen,  ohne  erheblichere 
YergiftuDgserscheinuDgen  zu  zeigen.  War 
das  Colchicin  dahingegen,  sei  es  in  Folge 
ungenügender  Reinigung  oder  durch  langes 
Stehen  an  der  Luft  und  im  Licht  nicht  völ- 
lig farblos,  sondern  stärker  gelbbraun  ge- 
färbt, so  erzeugten  auch  an  Fröschen  schon 
kleinere  Dosen  von  20  —  30  mg  ausgespro- 
chene Yergiftungserscheinungen,  unter  denen 
krampfhafte  Symptome  am  meisten  hervor- 
stachen. Aus  diesen  unreinen  Präparaten 
gelang  es  J.,  einen  rothbraunen,  harzartigen 
amorphen  Körper  zu  isoliren,  dessen  Koh- 
lenstoff- und  Wasserstoffgehalt  von  dem  des 
Colchicins  abweicht  und  auf  eine  Formel 
hinweist,  in  welcher  2  Colchicinmolecüle 
durch  ein  Sauerstoffatom  verbunden  sein 
würden.  Diese  Verbindung,  welche  auch 
aus  dem  Samen  gewonnen  werden  konnte, 
verhält  sich  chemischen  Reagentien  gegen- 
über fast  genau  wie  das  krystalüsirte  Col- 
chicin. In  Chloroform  ist  sie  weniger  lös- 
lich als  dieses,  so  dass  diese  Eigenschaft 
zur  Isolirung  benutzt  werden  konnte.  An 
Fröschen  ruft  sie  in  Gaben  von  10  mg  Er- 
scheinungen hervor,  welche  mit  denen  des 
Fikrotoxins  und  Veratrins  manche  Aehnlich- 
keit  haben  und  schliesslich  unter  strjchnin- 
artigen  Krämpfen  den  Tod  herbeiführen. 

Da  neben  dem  C-  und  H-Gehait  noch 
einige  andere  Umstände  darauf  hindeuteten, 
dass  es  sich  um  ein  Oxydationsproduct  des 
Colchicins  handle,  weshalb  J.  es  auch  bis- 
weilen als  Oxy colchicin  bezeichnet,  so  wurde, 
aber  ohne  Erfolg,  versucht,  das  Colchicin 
mit  Hülfe  verschiedener  üblicher  Oxydations- 
mittel in  Oxycolchicin  überzuführen.  Als 
J.  dann  durch  Elektrolyse  die  Oxydation 
zu  erzielen  versuchte,    indem   er  durch  eine 


neutrale  ColchicinlÖsung  einen  elektrischen 
Strom  leitete,  dessen  beide  Pole  durch  ein 
Diaphragma  getrennt  waren,  zeigte  sich, 
dass  an  dem  positiven  Pole  die  Flüssigkeit 
sich  derart  veränderte,  dass  sie  an  Fröschen 
im  oben  erwähnten  Sinne  immer  wirksamer 
wurde  und  schliesslich  gleichfalls  eine  10  mg 
enthaltende  Menge  der  Lösung  genügte,  um 
die  Thiere  unter  den  charakteristischen  Er- 
scheinungen zu  tödten.  Da  an  Warmblütern 
die  Wirkung  des  Colchicins  und  Oxycolchi- 
cms  ziemlich  gleich  war  und  auch  die  mi- 
nimale letale  Dosis  bei  beiden  annähernd 
die  gleiche  Grösse  besass,  so  kam  man  auf 
die  Yermuthung,  dass  sich  das  krystallisirte 
an  Fröschen  unwirksame  Colchicin  im  Or- 
ganismus des  Warmblüters  in  das  amorphe, 
auch  an  Fröschen  wirksame  umwandle.  Es 
wurde  deshalb  mit  einem  von  J.  neu  con- 
struirten  Durchblutungsapparat,  welcher  ge- 
stattet, in  geschlossenem  System  eine  kleine 
Menge  Blutes  unter  intermittirendem  Druck 
und  völliger  Arterialisirung  längere  Zeit 
durch  ein  Organ  circuliren  zu  lassen,  eine 
Niere  künstlich  durchblutet  und  dem  Blute 
kry stall isirtes  Colchicin  zugesetzt.  Es  gelang 
darauf,  aus  diesem  Blute  eine  Substanz  wie- 
derzugewinnen, welche  sich  hinsichtlich 
ihrer  Reactionen  wie  Oxycolchicin  verhielt 
und  auch  an  Fröschen  die  für  dasselbe 
charakteristischen  Yergiftungserscheinungen 
erzeugte.  Daraufhin  glaubt  J.  annehmen 
zu  dürfen,  dass  auch  im  lebenden  Organis- 
mus des  Warmblüters  Colchicin  in  Oxy- 
colchicin oxydirt  werde.  Nimmt  man  dies 
aber  an,-  so  ist  es  leicht  begreiflich,  warum 
dasselbe  Colchicin,  welches  bei  Frö- 
schen in  grossen  Dosen  so  wenig  wirk- 
sam ist,  den  Warmblüter  in  kleinen 
Mengen  zu  tödten  vermag.  Dasselbe 
verwandelt  sich  eben  in  seinem  Orga- 
nismus in  das  auch  am  Frosch  so  wirk- 
same Oxycolchicin  und  führt  als  solches  zu 
der  letal  verlaufenden  Intoxication.  — 

[ForU4itung  folgt.] 


Referate. 


Die  Wirkimg  des  Sulfonal  bei  Geisteskranken* 
Von  Dr.  Wm.  Mabon. 

Verf.  hat  das  Sulfonal  in  18  verschiedenen 
Fällen  von  Psychosen  als  Hypnoticum  an- 
gewendet. Im  Ganzen  wurden  in  115  Nächten 
119  Applicationen  ausgeführt.    26  Mal  wurde 


es  in  einer  Gabe  von  lg,   81  Mal   von  je 

2  g,    9    Mal    in    Dosen    von    3  g    gegeben. 

3  Mal  gelangten  Dosen  von  4  g  zur  Anwen- 
dung. 83  Mal  erzielte  man  festen,  über 
6  Stunden  lang  anhaltenden  Schlaf,  20  Mal 
währte    die    nach  Application   des    Sulfonal 


572 


R^Cifmto. 


rHierapeatiMlie 
L  HonAtshcfte. 


erzielte  Ruhe  zwischen  3  und  6  Stunden, 
in  11  Fällen  dauerte  der  Schlaf  kürzer  als 
3  Stunden.  79  Mal  wurde  ruhiger,  normaler 
Schlaf  erzielt;  in  17  Fällen  wurde  die  nächt- 
liche Ruhe  mehr  oder  weniger  durch  wache 
Perioden  unterbrochen.  Im  Durchschnitt  trat 
etwa  Vj^  Stunde  nach  Verabreichung  des 
Sulfonal  der  erwünschte  Schlaf  ein.  —  Von 
unangenehmen  Nebeneffecten  beobachtete  man 
in  3  Fällen  leichte  Somnolenz,  welc|ie  in- 
dessen durch  eine  Keduction  der  Dosis  sehr 
bald  wieder  verschwand.  Im  Allgemeinen 
ergiebt  sich  hieraus  die  Forderung,  die 
mittlere  Dosis  nicht  höher  zu  wählen,  als 
1  g,  wenn  auch  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
1,5 — 2  g  nöthig  waren,  um  wirklich  rahigen 
Schlaf  zu  erzielen.  —  Das  Sulfonal  wurde 
zuerst  in  Mucilago  gummi  arab.,  später  in 
heisser  Milch  oder  heissem  Schleim  gegeben. 
Hierbei  beobachtete  man,  dass  nach  Anwen- 
dung der  letztgenannten  Menstrua  weit 
früher  Schlaf  eintrat.  (In  einem  Falle  be- 
trug der  Unterschied  nicht  weniger  als  eine 
Stunde.)  Der  erzielte  Schlaf  war  länger  und 
ruhiger,  als  sonst  gewohnlich  nach  Application 
anderer  Hjpnotica  beobachtet  wird.  —  Ver- 
dauungsstörungen kamen  nicht  zur  Cognition, 
ebensowenig  andere  unangenehme  Nebenwir- 
kungen. 

(Therapeutic  gatttU  15.  Jurd  1889.) 

LoAiM^em  {BtrUn), 

Amylenhydrat   gegen  Epilepsie.     Von  Dr.  H.  A. 

Wildermuth  (Stuttgart). 

Die  hypnotische  Wirkung  des  Amylen- 
hydrates  hatte  Verf.  bewogen,  dasselbe  bei 
Epileptikern  mit  nächtlichen  Anfällen  zu 
versuchen.  Der  Erfolg  war  gleich  beim 
ersten  Falle  überraschend.  In  der  Folge 
wandte  Verf.  das  Mittel  auch  bei  Epilepsie 
mit  Anfällen  während  des  Tages  an  und  zwar 
auch  hier  mit  günstigem  Resultat  in  der 
überwiegenden  Mehrzahl  der  Fälle.  Theil- 
weise  schien  die  Krankheit  gradezu  coupirt. 
Im  Ganzen  wurde  das  Mittel  bei  30  männ- 
lichen und  36  weiblichen  Kranken  versucht. 
Die  Dosis  betrug  2—4,  pro  die  5 — 8  g. 
Die  Form  bestand  in  wässriger  Lösung  1  :  10, 
welche  in^  Quantitäten  von  20  bis  40  g  pro  die 
in  verdünntem  Weine  oder  Obstmost  gegeben 
wurde.  Besonders  machte  sich  der  günstige 
Einfluss  des  Amylenhydrats  bei  gehäuften 
Anfällen  geltend,  in  denen  Verf.  dasselbe 
subcutan  applicirte  (2  Spritzen,  rasch  hinter- 
einander; eine  Grammspritze  enthält  0,8 
Amylenhydrat).  Ueble  Nebenwirkungen  wur- 
den hierbei  wenig  beobachtet,  wohl  aber  bei 
längerem  Gebrauche  des  Mittels  per  os, 
nämlich  anhaltende  Schlafsucht,  welche  sich 
in   ganz  unberechenbarer  Weise   schon  nach 


kleinen  Gaben  in  einzelnen  Fällen  einstellt«. 
Oft  hörte  dieselbe  spontan  auf,  nachdem  der 
Kranke  sich  an  das  Mittel  gewöhnt  hatte, 
ohne  dass  eine  Verminderung  der  Tagesgabe 
erforderlich  war.  Darreichung  des  Medi- 
cam ents  in  möglichst  gebrochener  Gabe,  An- 
ordnung regelmässiger  Mittagsruhe  unter- 
stützen die  Angewöhnung.  Tritt  solche  nicht 
ein  und  lässt  die  günstige  Einwirkung  auf 
das  Grundleiden  den  Weitergebrauch  des 
Mittels  trotzdem  wünschenswerth  erscheinen, 
so  empfehlen  sich  kleine  und  mittlere  Gaben 
von  Cocain  innerlich  (0,02 — 0,05  pro  dosi, 
0,08 — 0,2  pro  die).  Seltener  als  Schlafsucht 
sind  Verdauungsstörungen,  Obstipation  und 
Appetitmangel.  In  vielen  Fällen  lässt  die 
antiepileptische  Wirkung  schon  nach  6  —  8 
Wochen  nach,  so  dass  ein  dauernder  Ge- 
brauch nicht  angeht.  Nach  seinen  bisheri- 
gen Erfahrungen  hält  Verf.  das  Amylenhy- 
drat für  indicirt: 

1.  bei  gehäuften  Anfällen, 

2.  bei  starkem  Bromismus,  welcher  ein  zeit- 
weiliges Aussetzen  des  Mittels  angezeigt 
erscheinen  lässt, 

3.  bei  E.  nocturna,  etwa  abwechselnd  mit 
Brom,  in  frischen  Fällen  mit  Atropin 
zusammen. 

{N0urol-Cibl  1889  No.  IS.)  Krön. 

Zur  Behandlung  des  Morphinismus  und  Chlora- 
lismus.   Von  Prof.  Dr.  M.  Rosenthal  (Wien). 

Die  Untersuchung  frischen,  bei  Morgen- 
pollutionen oder  beim  Coitusversuche  aufge- 
fangenen Spermas  am  Morphinisten  hatte  dem 
Verf.  folgendes  ergeben:  In  dem  einen  Falle 
(mehrmalige  Injectionen  von  0,3 — 0,5  pro  die) 
hatten  sich  in  dünnflüssigem  Sperma  ganz 
dünne,  kurze,  unbewegliche  Samenfaden,  die 
auch  auf  Zusatz  von  diluirter  Kalilösung 
regungslos  blieben,  in  dem  zweiten,  älteren 
Falle  (0,6  —  0,8  tägliche  Inj ectionsdosis)  neben 
Parese  des  Detrusors  in  der  mit  dem  letzten 
Hamtropfen  ausgepressten,  weisslichen  Flüs- 
sigkeit grosse,  glashelle,  rhombische  Samen- 
krystalle  ohne  eine  Spur  von  Spermatozoen 
erwiesen.  Dieser  Fall  von  toxischer  Azoo- 
spermie hatte  während  der  Entziehungscur 
Besserung  der  Detrusorenparese  und  Auf- 
treten von  einzelnen  unbeweglichen  Samen- 
fäden in  den  beim  Hamen  abgehenden  Tropfen 
constatiren  lassen.  Nach  etwa  einem  Monate, 
als  das  Morphium  in  dem  Harn  bis  auf  ge- 
ringe Spuren  geschwunden  war,  hatten  sich 
wieder  Pollutionen,  sodann  auch  bessere 
Erectionen  eingestellt.  Ausserdem  waren  in 
den  beim  Coitus  aufgefangenen  Samentropfen 
in  deutlicher  Bewegung  begriffene  Sperma- 
tozoen nachweisbar  gewesen. 

Mit    dem    Verhalten    dieser    Thatsachen 


in.  JahrgAiig.  1 
Deeember  1889.  J 


Rttfiifmto. 


573 


yersucbt  nun  R.  psychiscb  auf  die  MorpLi- 
niBten  einzuwirken,  die  die  beschwerdende 
Abstinenz  leicbter  ertragen,  wenn  ibnen  die 
Wiedergewinnung  des  Gescblecbtsgenusses 
in  Aussiebt  gestellt  wird.  Als  medicamen- 
tose  Substitution  des  Morpbiums  benutzt  R. 
das  Oodein  (C.  muriaticum)  und  zwar  im 
Beginn  der  Cur  0,02—0,03  per  os  bei  Eli- 
mination einer  Abendinjection,  bei  sebr  er- 
regbaren Kranken  mit  2  —  3  g  Bromnatrium 
in  Losung.  In  weiterer  Folge  müssen,  bei 
stetiger  Reduction  der  Morpbiuminjectionen, 
die  genannten  Bösen  3 — 4 mal  in  24  Stunden 
gereicbt  werden.  Einer  Morpbiumdosis  Ton 
0,01  entspricbt  eine  Codeindosis  von  0,025' 
bis  0,03.  Meist  genügt  0,1  oder  etwas 
darüber  pro  die,  Ueber  0,2  pro  die  ist  R. 
nocb  nie  gestiegen.  Das  Codein  bewirkt 
Scblaf,  obne  unangenebme  Betäubung  zu  er- 
zeugen und  stört  die  Verdauung  nicbt. 
Nacb  Entwöhnung  vom  Morphium  sind  die 
Codeingaben  unter  angeblicher  Beibehaltung 
des  Inhalts  der  Lösung  oder  der  Pillen  all- 
mählig  zu  reduciren.  In  der  Zwischenzeit 
sind  abgeschreckte  Halbbäder  von  26 — 24*^, 
weiterhin  feuchte  Abreibungen  von  20®,  bei 
diffusen  Schmerzen  oder  Gastralgien  leichte 
faradische  Pinselüngen  der  betreffenden  Theile 
von  Nutzen.  —  Bei  der  allmählichen  Ent- 
ziehung von  Opium  oder  Chloral  bedient 
sich  R.  der  Cannabis  indica:  Extr.  Cannab. 
ind.  1,0  mit  Extr.-Rhei  und  Aloe  zu  50 
Pillen,  nach  Bedarf  3  — 10  Pillen  am  Tag. 
( Wkner  medic,  Presse  1889  No.  37.)  Krön, 

Weitere  Mitthellungen  über  Behandlung  des 
Keuchhustens  mit  Antipyrin.  Von  Dr.  Win- 
delschmidt (Cöln). 

W.  theilt  seine  im  letzten  Jahre  gewon- 
nenen Resultate  bei  Behandlung  des  Keuch- 
hustens mit  Antipyrin  mit.  Die  in  der 
Armenpraxis  aufgezeichneten  Fälle  betragen 
rund  300,  wozu  40—50  Fälle  aus  der  Pri- 
vatpraxis hinzukommen.  In  der  Hälfte  der 
Fälle  (50  °/o)  ist  das  Resultat  ein  sehr  gün- 
stiges, insofern  als  die  Dauer  des  Keuch- 
hustens auf  14  Tage  bis  3  Wochen  reducirt 
wurde.  20  ®/o  weisen  eine  sedative  Wirkung 
auf.  In  den  übrigen  Fällen  keine  Wirkung 
und  keine  Controle.  Von  den  300  Fällen 
aus  der  Armenpraxis  waren  6  Todesfälle, 
davon  4  bei  ganz  kleinen  Kindern.  Die 
Ursache  war  in  den  ersten  2  Fällen  Pneu- 
monie und  in  den  4  letzten  Pneumonie  und 
Krämpfe. 

Demnach  glaubt  W.  das  Antipyrin  als 
sicherstes,  energischstes  und  angenehmstes 
Keuchhustenmittel  ansehen  zu  können.  Es 
muss  möglichst  frühzeitig  und  in  nicht  zu 
kleinen  Dosen  gegeben  werden  (3  bis  4  mal 


täglich   so   viel  Decigramme  und  mehr,    als 
das  Kind  Jahre  zählt).  W.  verordnet  meist: 
^    Antipyrini  1,0—5,0 

Vini  Tokayens. 
Syrup.  Senegae  aa  50,0 

Aq.  dest.  100,0 

M.  D.  S.  3  X  täglich  1  Esslöffel. 
Bei  Fiebertemperatur  wird  die  Lunge 
genau  untersucht  und  event.  Priessnitz'scher 
Umschlag  um  den  Thorax  gemacht.  Der 
Pat.  muss  alsdann  selbstverständlich  das 
Bett  hüten. 

{AUgem,  medic.  Cenir,-Zig.  1889  No.  16.)  R. 

Bromoform,  ein  Mittel  gegen  Keuchhusten.    Von 
Dr.  Stepp  (Nürnberg). 

Im  Anschluss  an  seine  frühere  diesbezüg- 
liche Publication  (siehe  Ref.  S.  470)  theilt 
Verf.  mit,  dass  die  Behandlung  durch  Dar- 
reichung des  Bromoforms  in  Tropfenform 
bequem  gemacht  und  vereinfacht  wird.  Die 
erforderliche  Tropfenzahl  lässt  man  in  einen 
Kaffeelöffel  mit  Wasser  fallen.  Das  Bromo- 
form sinkt  auf  den  Boden  des  Löffels  und 
bildet  dort  eine  Perle.  Bei  der  Darreichung 
ist  nun  darauf  zu  achten,  dass  die  Bromo- 
formperle  auch  in  das  Mündchen  geräth. 
Sie  wird  rasch  verschluckt,  und  das  nach- 
folgende Wasser  lässt  kaum  eine  Geschmacks- 
empündung  aufkommen.  Die  AnwenduDgs- 
weise  wäre  folgende:  Bei  einem  3 — 4  wöchent- 
lichen Kinde  3 — 4  Male  täglich  1  Tropfen; 
bei  älteren  Säuglingen  3  Male  täglich  2 — 3 
Tropfen,  je  nach  der  Intensität  der  Infection; 
bei  Kindern  im  2.  bis  4.  Lebensjahre  3 — 4 
Male  täglich  4 — 5  Tropfen  und  bis  zum 
7.  Lebensjahre  3  —  4  Male  täglich  6  —  7 
Tropfen. 

Die  Zahl  der  mit  diesem  Mittel  behan- 
delten Kinder  beläuft  sich  bereits  auf  100. 
In  keinem  einzelnen  Falle  sind  unangenehme 
Erscheinungen  beobachtet  worden.  Die  Ge- 
nesung war  in  2 — 4  Wochen  erfolgt.  — 
Auf  die  Flüchtigkeit  und  leichte  Zersetzlich- 
keit  des  Bromoforms  ist  zu  achten  (Schützen 
vor  Sonne).  Wenn  es  rothes  Aussehen  zeigt, 
ist  es  nicht  mehr  zu  brauchen. 

{DeuUehe  med.  Woehenschrifi  1889  No.  44.)     R. 
(AuB  dem  1.  öffentlichen  Kinderkrankeninstitute  in  Wien.) 

Zur  Theorie  und  Behandlung  der  Rachitis.    Von 
Dr.  Max  Kassowitz. 

Verf.  tritt  vor  Allem  gegen  die  Ansicht 
auf,  dass  mangelnder  Kalkgehalt  der  Nahrung 
oder  ungenügende  Resorption  der  Kalksalze 
bei  gestörter  Magendarmfunction  die  Ursache 
der  Rachitis  sei.  Die  entzündliche  Hyper- 
ämie der  knochenbildenden  Gewebe  sei  das 
wesentliche  Moment  bei  der  Rachitis,  nicht 
der  Kalkmangel.    Die  Darreichung  von  Kalk- 


674 


Itoforattb 


rher*|»«utlieh« 
MnnatphflftiL 


Präparaten  ist  demnacli  nutzlos,  die  ge- 
wöhnliche Kost  enthält  genügend  Kalksalze. 
Desgleichen  sei  das  Verbieten  der  Amylaceen 
nicht  zweckmässig,  da  dieselben  am  Ende 
des  Säuglingsalters  eine  vorzügliche  Ergänzung 
der  Milchnahrung  bilden,  während  Fleischkost 
DigestionsstoruDgen  verursache.  Die  curative 
"Wirkung  der  künstlichen  Soolbäder  auf 
den  rachitischen  Krankheitsprocess  kann  K. 
nur  als  eine  sehr  unbedeutende  bezeichnen. 
Dagegen  rühmt  er  die  Erfolge  der  Salzbäder 
am  Meeresstrande  oder  im  Gebirge. 

Durch    die  Entdeckung    Wegner^s   von 
der    specifischen    sklerosirenden   Einwirkung 
des  Phosphors   auf  die  Knochen  wachsender 
Thiere    wurde  K.    darauf  geführt,    sich   des 
Phosphors    gegen    den    rachitischen    Process 
zu  bedienen.     Die   günstigen  Resultate,   die 
von    ihm    1884  veröffentlicht  wurden,   sind 
inzwischen  auch  von  vielen  andern  Beobachtern 
bestätigt  worden.      Gegenwärtig   kann  Yerf. 
die  Gesammtzabl  seiner  diesbezüglichen  Beob- 
achtungen bei  massiger  Schätzung  auf  minde- 
stens  25  000  beziffern.     Die  weitaus  über- 
wiegende Mehrzahl  dieser  Kinder  erhält  den 
Phosphor  in  Leberthran  (0,01  :  100,0),   und 
zwar    bekommen    sie    einmal    täglich    einen 
•Kaffeelöffel  voll  mit  dem  Gehalte  von  einem 
halben  Milligramm  Phosphor.    Der  Phosphor- 
leberthran  wird  vorzüglich  vertragen  und  von 
den  meisten  Kindern  ohne  Widerstreben  ge- 
nommen.    (Der  Sommer  ist  keineswegs  eine 
Gegenanzeige   für  den  Gebrauch  des  Leber- 
thrans).     In   der  besseren  Praxis  verwendet 
K.    als    Ersatzmittel    des    Leberthran s    das 
Lipanin.    Er  verschreibt  dann  eine  Phosphor- 
Lipaninemulsion  nach  folgender  Formel: 


Phosphori 

0,01 

Lipanini 

30,0 

Sacch.  alb.  pulv. 

Pulv.  gumm.   arab. 

a    15,0 

Aq.  destill. 

40,0 

M.  f.  emulsio.  D.  S.  Täglich  1  Kaffeelöffel. 

Die  Herstellung  einer  genau  dosirten 
Lösung  von  0,01  Phosphor  in  Oel,  besonders 
aber  das  genaue  Abwägen  dieser  kleinen 
Gewichtsmenge  einer  an  der  Luft  sich  ent- 
zündenden Substanz  ist  keineswegs  leicht, 
und  K.  kann  sich  des  Verdachtes  nicht  er- 
wehren, dass  die  von  vereinzelten  Beobachtern 
gemeldeten  Misserfolge  dadurch  zu  Stande 
gekommen  sind,  dass  die  betreffenden  Kinder 
in  ihrem  Medicamente  entweder  gar  keinen, 
oder  nur  ganz  ungenügende  Mengen  von 
Phosphor  erhalten  haben. 

(Im  Anschluss  an  die  obigen  Ausführungen 
möchte  Ref.  darauf  aufmerksam  machen,  dass 
ein  in  Frankreich  schon  lange  bekanntes 
und    beliebtes    Mittel    gegen    Rachitis,    die 


^Trousseau'sche  Butter",  folgende  Zusam- 
mensetzung hat: 

IV   Frische  Butter        200,0 
Kalii  jodat.  0,15 

Kala  bromat.  0,50 

Natrii  chlorat.  5,0 

Phosphori  0,01 

Diese  Menge  Butter  ist,  auf  Brod  ge- 
strichen, innerhalb  3  Tagen  zu  verzehren 
[Trousseau]). 

{Wien.  med.   Wochensch.  1889  No.  28-38.)     R. 

Ueber  den  Werth  der  Kreosot-  und  Gaajakol-In- 
Jectionen  bei  Phthisikern.  Von  Dr.  Ludwig 
Poly4k  in  Görbersdorf. 

Nachdem  Schetelig  mit  der  internen 
Verabreichung  des  Kreosots  keinen  Erfolg 
aufweisen  konnte,  versuchte  er  subcutane  In- 
jectionen  mit  20  und  30  procentigen  Mi- 
schungen von  Kreosot  mit  Mandelöl.  Es 
wurden  unter  die  Bauchhaut  oder  die  Haut 
der  Extremitäten  4 — 12  g  dieser  Mischung 
injicirt.  Auf  diese  Art  konnten  manchmal 
sogar  3,6  g  Kreosot  injicirt  werden.  Gewöhn- 
lich wurde  dies  mit  1  —  1,5  g,  öfters  mit 
2 — 3  g  gethan.  Trotzdem  dass  die  Injectionen 
Monate  hindurch  fortgesetzt  wurden,  zeigte 
sich  eine  schädliche,  cumulative  Wirkung  in 
keinem  einzigen  Falle.  Eine  antipyretische 
Wirkung  zeigte  sich  1  Stunde  nach  der  In- 
jection,  manchmal  schon  nach  einer  Dosis 
von  1  g.  Ausserdem  wurden  Injectionen 
mit  reinem  Guajakol  von  Seh.  empfohlen. 
Von  demselben  wurde  täglich  einmal  0,5 
bis  1  g  injicirt. 

Zu  Beginn  seiner  Experimente  hegte 
Polydk  keine  grossen  Erwartungen.  Er 
wollte  nur  erfahren,  ob  die  erwähnten  In- 
jectionen die  gebräuchlichen  Antipyretica 
substituiren  können.  Bei  8  Patienten  wurden 
176  Einspritzungen  gemacht.  Die  Pravaz'- 
sche  Spritze  muss  bei  Kreosot-Injectionen 
4  ccm  fassen  können,  die  Nadel  muss  ein 
grösseres  Lumen  haben,  als  gewöhnlich. 
Abscesse  traten  nach  den  Einspritzungen 
nicht  auf,  wohl  aber  schmerzhafte  Verhär- 
tungen, die  erst  nach  Wochen  verschwanden. 
Als  Normaldosis  behufs  Erreichung  einer 
antipyretischen  Wirkung  wurde  vom  Verf. 
0,5  g  Kreosot  verwendet.  Die  Tagesdosen 
schwankten  zwischen  2,5  und  4,0  g  Kreosot, 
um  von  Guajakol  injectionen  das  Sinken  der 
Temperatur  um  1*^  zu  erreichen,  wurde  ge- 
wöhnlich 0,25 — 0,5  g  injicirt.  Die  Maxi- 
maldosis {pro  dost)  betrug  2  g,  die  grösste 
Tagesdosis  3  g. 

Nach'  der  Injection  trat  bei  jedem  Pa- 
tienten profuser  Schweiss  auf,  nach  einer 
halben  Stunde  trat  ein  merkliches  Sinken 
der  Temperatur  ein,  dann  sank  dieselbe  noch. 


in,  Jahrgang.  '^ 
Becember  1889.  J 


Rttfersle« 


575 


beträchtlicli.     4  Stunden  nach  Yerabreicbung 
trat   starker  Schüttelfrost   ein,    welchem   die 
fieberhafte  Temperatur  auf  dem  Fusse  folgte. 
Dieselbe  war  jedoch  immer  hoher  als  yor  der 
Einspritzung.    Weder  Schweiss  noch  Schüttel- 
frost    konnten     unterdrückt    werden.      Das 
Sinken  der  Temperatur  ist  nicht  immer  gleich; 
ist  die  Temperatur  im  Steigen  begriffen,  so  ist 
der  Effect  kein  grosser;   Vormittags  trat  die 
antipyretische  Wirkung  prompter  ein.     Einen 
ünterscbied  zwischen  dem  Kreosot  und  dem 
Guajakol    konnte    Verf.    nicht    wahrnehmen, 
zweckmässiger  sei  jedoch  die  Anwendung  des 
Guajakol,   Ton    dem    man   geringere  Mengen 
brauche.  Oollaps-Erscheinungen  traten  nie  auf. 
Auf  den   Verlauf  der  Krankheit  konnte 
P.    keine   Wirkung    beobachten;    in    einigen 
Fällen   verringerte    sich   anfangs    die   Menge 
des  Sputums,  in  zwei  Fällen  besserten  sich 
Appetit  und  Verdauung.     Die  antipyretische 
Wirkung  der  lojection  trat  sogar  in  solchen 
Fällen,    in    welchen    0,5  g  Antifebrin    oder 
1  g  Phenacetin    den  Dienst  Tersagten,   ein. 
Zudem    belästigen   die  Einspritzungen   nicht 
den  Magen.    Interessant  wäre  es  zu  erforschen, 
ob   dieselben   auch   bei   anderen   fieberhaften 
Krankheiten   eine  solche  intensive   antipyre- 
tische Wirkung  besitzen. 

{Orvoti  EttUap,  1889  No,  40.) 

Schtuehny  {Budapest), 

Beiträge  zur  Lehre  vom  Fieber  beim  Scharlach. 
(Vortrag,  gehalten  aaf  dem  Gongress  russischer 
Aerzte  zu  St.  Petersburg  am  7.  Januar  1889). 
Von  Dr.  Reimer. 

Verf.  theilt  auf  Grund  zahlreicher  Fieber- 
curven  die  yerschiedenen  Formen  des  Schar- 
lachs folgendermassen  ein: 

1.  Einfacher  oder  uncomplicirter  Scharlach, 
welcher  zerföllt  in: 

a)  leichten  und  ==     0,0    % 

b)  schweren  =  83,76  % 

2.  Complicirter    Scharlach,  welcher    zer- 
fällt in: 

a)  kurzer  mittel  leichter       =     2,08  ®/o 

b)  -      mittelschwerer     =     6,94  °/o 

c)  mittellanger  leichter        =     5,66  % 

d)  -  schwerer      =  39,34  °/o 

e)  protrahirter  leichter        =  26,47  % 

f)  -  schwerer      =  79,99% 

3.  Scharlach    im   Gefolge 
anderer  Krankheiten  =  81,96  **/o 

4.  Scharlach     gefolgt    von 
anderen   Krankheiten  =  44,32  % 

(Die  neben  jeder  Form  angeführten  Zahlen 
bedeuten  die  Mortalität  derselben). 

Was  die  Therapie  anlangt,  so  wurden 
Ton  3460  Scharlachfällen  978  hydrothera- 
peutisch behandelt,  und  zwar  mit  der  aus- 
gesprochenen Absicht,  durch  die  angegebene 


Behandlung  die  Entfieberung  herbeizufuhren. 
Die  Hydrotherapie  wurde  in  folgenden  Formen 
angewandt: 

1.  Kalte  Umschläge; 

2.  -      Einwickelungen  oder  Einpackungen 

3.  -  -  mit     Abklatschungen 

4.  -  -  mit    Uebergiessungen 

in  der  trocknen  Wanne 

5.  -  -  mit    Uebergiessungen 
im   allmählich   abgekühlten  Halbbade 

6.  Lauwarme  Vollbäder  (kurze  oder  protra- 

hirte); 

7.  Allmählich  abgekühlte  Vollbäder; 

8.  Kalte  Halb-  und  Vollbäder  mit  Frottiren. 
Kalte  Umschläge  auf  den  Kopf  oder  auch 

auf  Brust  und  Bauch  wurden  häufig  ange- 
wandt, sobald  deren  Anwendung  nicht  durch 
allzugrosse  Unruhe  und  Beweglichkeit  der 
kleinen  Patienten  vereitelt  wurde.  Die  Herz- 
action  wurde  hierdurch  recht  gut  beeinflusst, 
doch  war  ein  bedeutender  Einfluss  auf  den 
Gang  der  Temperatur  nicht  ersichtlich. 

Kalte  Einwickelungen,  in  der  Weise  vor- 
genommen, dass  besonders  anämische,  rhachi- 
tische  und  reizbare  Kinder  in  ein  in  8 — 10° 
kaltes  Wasser  getauchtes  Laken  gewickelt 
und  darin  10  Minuten  lang  liegen  gelassen 
wurden,  um  dann  sogleich  in  ein  zweites,  gleich- 
behandeltes Laken  gelegt  zu  werden,  hatten 
weder  auf  die  Herzaction,  noch  auf  die  Tem- 
peraturcurve  irgend  welchen  günstigen  Ein- 
fluss. 

KalteEinwickelungen mit  Abklatschungen, 
angewandt  in  solchen  Fällen,  wo  es  auf  einen 
Hautreiz  und  eine  Erregung  des  Nerven- 
systems ankam,  erzielten  zwar  ergiebigere 
Inspirationen,  hatten  aber  auf  den  Gang  der 
Temperatur  keinerlei  Einfluss. 

Kalte  Einwickelungen  mit  Uebergiessungen 
in  der  trocknen  Wanne  mittelst  2  —  3  Eimern 
kalten  Wassers  von  etwa  12 — 14*^,  in  Fällen 
von  Cyanose,  Sopor  und  beginnendem  Collaps 
angewandt,  hatten  bei  öfterer  Wiederholung 
und  nachheriger,  sorgfältiger  Abtrocknung 
und  Einhüllung  in  wollene  Decken  meist 
sehr  guten  Erfolg.  Doch  war  auch  hier  eine 
Beeinflussung  des  Fieberganges  nicht  zu  con- 
statiren. 

Aehnliche,  zum  Theil  noch  bessere  Er- 
folge wurden  mit  kalten  Einwickelungen  und 
daraufl^olgenden  Uebergiessungen  im  allmählich 
abgekühlten  Bade  erzielt.  Doch  steigerte 
sich  in  einzelnen  Fällen  noch  der  eingetretene 
Collaps,  so  dass  bei  der  Anwendung  dieser 
Methode  grosse  Vorsicht  geboten  war. 

Lauwarme  Vollbäder,  mehr  oder  weniger 
protrahirt,  hatten  nur  ungünstigen  Erfolg. 
Die  Temperatur  wurde  kaum  beeinflusst, 
während  eine  allgemeine  Erschlaffung  fast 
die  unausbleibliche  Folge  war.    Ebenso  wenig 


tm 


Referat*. 


rilMrftpeotiMlM 
L  Monataheftp. 


gut  waren  die  Resultate  bei  der  Behandlung 
mit  allmählicli  abgekühlten  Vollbädern,  die 
doch  beim  Typhus  besonders  beliebt  und 
mit  YoUem  Recht  in  Anwendung  sind. 

Um  vieles  gunstiger  wirkten  kalte  Voll- 
bäder, welche  in  der  Weise  ausgeführt  wurden, 
dass  der  kleine  Patient,  während  er  in  der 
nur  halb  mit  Wasser  Ton  12 — 18°R.  gefüllten 
Badewanne  sass,  kräftig  frottirt  wurde,  um 
nach  dem  Bade  in  wollene  Decken  eingehüllt 
zu  werden.  Nicht  selten  sank  infolge  dieser 
*Bäder  die  Temperatur  bis  um  2^  C.  Die 
Patienten  fühlten  sich  erleichtert  und  ver- 
langten zum  Theil  sogar  die  Wiederholung 
dieser  Procedur.  In  sehr  schweren,  verhäng- 
nissYollen  Fällen  reichten  natürlich  auch  die 
kalten  Vollbäder  nicht  aus. 

Besondere  Vorschriften  für  die  Anwendung 
der  verschiedenen  hydrotherapeutischen  Maass- 
nahmen  zu  geben,  ist  bei  dem  ausserordent- 
lich variablen  Verlaufe  des  Scharlach  einfach 
unmöglich.  Der  Arzt  muss  hier  mehr  als 
irgendwo  anders  zu  individualisiren  verstehen. 

Was  die  antipyretische  Behandlung  des 
Scharlachs  mittelst  innerlich  gegebener  anti- 
pyretischer Mittel  anlangt,  so  sind  Chinin, 
Natrium  salicylicum,  Kairin,  Thallinum  sul- 
phuricum  und  tartaricum  theils  ganz  wir- 
kungslos, theils  von  mehr  oder  weniger 
schädlicher  Nebenwirkung.  Dagegen  wirkt 
Antipyrin  rasch  temperaturherabsetzend  im 
Scharlach;  man  muss  es  jedoch  mit  aller 
Vorsicht  anwenden,  will  man  anders  rasch 
eintretende  Collapse  vermeiden.  Aehnlich 
verhält  es  sich  mit  dem  Antifebrin. 

{Jahrhueh  der  Kinderheilkunde  XXX,  Htft  t  und  2,) 

Carl  Bosenthal  {Berlin), 

1.  UeberNaacn-S3rphili8.  VonDr.PaulMichelson. 

(Volkmann 's  klinische  Vorträge  No.  326.) 

2.  Beiträge  zur  Kenntniss  der  pharyngo- nasalen 

Syphilis -Affectionen.  (Aus  dem  Ambulatorium 
des  Docenten  Dr.  P.  Mich  eis  od.)  Von  P. 
Gerber.  —  Arch.  f.  Dermatol.  u.  Syphilis. 
Bd.  XXI,  1889.   Heft  4. 

l)  P.  Michelson  giebt  ein  übersicht- 
liches Bild  über  den  heutigen  Standpunkt 
der  Pathologie  und  Therapie  syphilitischer 
Nasenaffectionen ;  der  Schwerpunkt  der  Arbeit 
liegt  in  der  durchaus  auf  eigener  Erfahrung 
fussenden  Schilderung  der  früheren  Stadien 
derselben. 

M.  betont  bei  der  Besprechung  der  Aetio- 
logie,  nachdem  er  die  Unsicherheit  der  anam- 
nestischen Angaben  erwähnt,  wie  irrthümlich 
die  noch  jetzt  vielfach  verbreitete  Ansicht 
sei,  dass  Tertiärformen  der  Syphilis  erst  nach 
langjährigem  Bestände  der  Krankheit  aufzu- 
treten pflegen;  das  vorhandene  statistische 
Material  ergebe  sogar,  dass  gerade  die  ersten 


drei  Jahre  nach  stattgehabter  Infection  am 
meisten  dem  Auftreten  schwerer  Formen  der 
Syphilis  ausgesetzt  seien.  Ebenso  wird  ent- 
schieden die  Unhaltbarkeit  der  antimercuriali- 
stischen  Hypothese,  dass  Quecksilbergebrauch 
zu  schweren  Formen  der  Syphilis  disponire, 
nachgewiesen,  im  Gegentheil  beweist  die 
casuistische  Zusammenstellung  des  Verf., 
dass  weitaus  die  Mehrzahl  der  von  Nasen- 
syphilis befallenen  Patienten  keine  genügende 
Quecksilbercur  durchgemacht  hatte. 

Aus   der  Symptomatologie   verdient   das 
häufige   Auftreten    von    Ulcerationsprocessen 
an  der  Nasenscheidewand   hervorgehoben  zu 
werden;    dieselben    verliefen    vielfach 
in    sagittaler   Richtung    und^  waren    ge- 
wissermassen    als    Decubitusgeschwüre,    ent- 
standen durch  den  Druck  der  intumescirten 
Muscheln,  zu  betrachten.    Diese  Form  der 
ülcerationen     des    Septums     fasst    M. 
geradezu  als  pathognomonisch  für  die 
Syphilis     auf,     während    der    früher    als 
sicheres  Kennzeichen  der  Specifität  geltende 
Foetor  vielfach   vermisst   wurde,    und  wenn 
vorhanden,  durchaus  nichts  Charakteristisches 
bot.    Verf.  macht  ferner  aufmerksam  auf  die 
gefährlichen,    theil  weise    das    Leben   gefähr- 
denden   Erscheinungen,    welche    bei    Nasen- 
syphilis  auftretend,    durch  Uebergreifen   auf 
die    Meningen    den    Patienten    drohen.      Er 
erwähnt    das    Entstehen    der   Sattelnase   als 
bedingt  durch  narbige  Schrumpfung  des  Binde- 
gewebes, welches  die  häutige  und  knorplige 
Nase   an   die   Nasenbeine  fixirt,   unabhängig 
von  Defecten  des  knöchernen  Nasen gerüstes. 
Die    Therapie,    welche    gleichzeitig    die 
AUgemeininfection    und    das    locale    Leiden 
in^s  Auge    zu   fassen   hat,    vermochte  wohl, 
wenn   rechtzeitig  eingeleitet,   bleibende  De- 
structionen   des  Nasengerüstes  zu  verhüten, 
ohne  jedoch   einen  Einfluss   auf  die  im  Ge- 
folge   der    Syphilis    sich   mit   Vorliebe    ein- 
stellende Atrophie   der   Gewebe   ausüben   zu 
können.   Gegen  die  AUgemeininfection  wurden 
Inunctionscuren  (bis  50  Einreibungen  ä  3  g) 
und  innerliche  Darreichung  von  Jodkali  {Vj^ 
bis    3   g    tägl.),   in   schweren  Fällen   beides 
gemeinsam    ordinirt.     0 ertlich   wurden   des- 
inficirende    Sprays    oder    Tampons    —    Bor- 
säure,    Kali    permangan.,    Thymol    —    zur 
Beseitigung   der  Borken   und  Reinigung   der 
Geschwürsflächen    angewandt;    Insufflationen 
von   Jodoform,    Pinselungen    mit    Sublimat- 
lösungen   oder   Application    von    Mercurial- 
salben  brachten  diese  dann  stets  zur  Heilung. 
Vorhandene  Sequester,  mittelst  Sondenunter- 
suchung leicht  nachweisbar,  müssen  entfernt 
werden,   wozu    in   den   meisten   Fällen   eine 
mit    Nasenkrümmung    versehene    Komzange 
genügt,    sodass    zu    grösseren    chirurgischen 


BB 


m.  jahrfMkg.  1 
Deeamber  1889.  J 


Rttfbtmto. 


577 


Eingriffen,  wie  sie  von  Yolkmann  früher 
vorgeschlagen  wurden,  meist  keine  Indication 
hestehen  dürfte. 

2)  P.  Gerber  unterbreitet  dem  Leser 
in  extenso  das  aus  27  Krankheitsfallen  be- 
stehende Beobachtungs-Material,  auf  welchem 
die  im  Vorstehenden  referirten  Darlegungen 
Michelson^s  beruhen  und  geht  zugleich 
auch  auf  die,  mit  Nasen- Syphilis  ausser- 
ordentlich häufig  (in  etwa  50  °/o  der  Fälle) 
complicirte  Syphilis  der  Mundrachenhohle 
näher  ein.  —  Besonderes  Interesse  beansprucht 
die  als  Fall  15  mitgetheilte  Beobachtung, 
da  aus  derselben  hervorgeht,  dass  Syphilis 
des  Nasenrachenraums  ohne  irgend  eine  er- 
kennbare Veränderung  in  der  Mundrachen- 
hohle  bestehen  kann.    • 

Joil  {Balk), 

Beitrag  zur  Kenntniss  des  Hydrargyrum  salicy- 
Ucum.    Von  Dr.  G.  Müller  (Dresden). 

Verf.  hat  mit  dem  Quecksilbersalicylat 
Versuche  an  Thieren  angestellt,  aus  welchen 
er  schliesst: 

1.  dass  das  Hydrarg.  salicyl.  innerlich, 
subcutan  und  auf  Wunden  angewendet,  den 
übrigen  Quecksilberverbindungen  an  Giftig- 
keit bedeutend  nachsteht,  eine  Thatsache, 
die  auch  dadurch  in's  rechte  Licht  gestellt 
wird,  dass  Verf.  einem  alten,  wenig  wider- 
standsfähigen Anatomiepferd  innerhalb  4  Ta- 
gen etwa  30,0  Quecksilbersalicylat  in  Pillen- 
form  eingeben  konnte,  ohne  dem  Thier  irgend- 
wie zu  schaden; 

2.  dass  das  Mittel  bei  Hunden  sowohl 
vom  Verdauungstractus  als  von  der  Sub- 
cutis  aus  in  die  Blutbahn  aufgenommen 
wird  und  im  ersteren  Falle  nach  10 — 15  Stun- 
den, im  letzteren  nach  35 — 42  Stunden 
wieder  im  Harn  erscheint,  sowie  dass  seine 
Aufnahme  von  der  Subcutis  schneller  vor 
sich  geht,  wenn  es  im  gelösten  Zustande, 
als  wenn  es  im  ungelösten  Zustande  applicirt 
worden  war; 

3.  dass  die  Aufnahme  des  Quecksilber- 
salicylates  von  der  Haut  aus  nicht  erfolgt; 

4.  dass  das  Hydrarg.  salicyl.  von  granu- 
lirenden  Wunden  aus  dann  sehr  prompt 
resorbirt  wird,  wenn  es  in  grossen  Mengen 
zu  Dauerverbänden  benutzt  wird,  während 
bei  der  offenen  Wundbehandlung  nur  sehr 
kleine  Mengen  dieses  Körpers  zur  Aufnahme 
in  die  Blutbahn  zu  gelangen  scheinen; 

5.  dass  das  genannte  Mittel  weder  im 
gelösten  Zustande  noch  in  Salbenform  eine 
nennenswerthe  Wirkung  auf  Demodex  foUi- 
culorum  auszuüben  vermag. 

{Monatth.  f.  pract.  Dtrmai.  1889  No*  7.) 

George  Metfer  (Berlin). 


Erfahrungen  über  dielocal  anästhesirende  Wirkung 
des  Cocains  bei  grösseren  Operationen.  Von 
Oberstabsarzt  Dr.  Albers  in  Saarlouis. 

'  Verf.  bedient  sich  zur  Erzeugung  localer 
Anästhesie  bei  grösseren  Operationen  subcu- 
taner Injectionen  einer  5  %igen  Cocainlösung. 
Nachdem  durch  einen  Strich  mit  Jodtinctur 
Lage  und  Grösse  des  auszuführenden  Haut- 
schnittes markirt  ist,  wird  die  Canüle  der 
Fr ava zischen  Spritze  bis  unter  die  Haut 
geführt  und  beim  Herausziehen  der  Canüle 
noch  ein  kleiner  Einstich  in  das  Rete  Mal- 
pighi  gemacht,  wobei  im  Ganzen  etwa  ^j^  der 
Spritze  injicirt  wird.  Nach  der  Injection 
bläht  sich  die  Oberhaut  etwa  1  cm  breit  zu 
beiden  Seiten  des  Einstichs  weisslich  auf. 
Darauf  wird  l^/a  cm  von  der  Grenze  der 
Aufblähung  eine  weitere  Injection  in  der- 
selben Weise  gemacht,  um  eine  Incision 
von  8  — 10  cm  Länge  schmerzlos  auszuführen, 
sind  4  —  5  Injectionen,  also  im  Ganzen  höch- 
stens der  Inhalt  einer  Spritze  nothwendig. 
Drei  bis  vier  Minuten  nach  der  Einspritzung 
muss  die  Incision  gemacht  werden;  verzögert 
sich  dieselbe  um  einige  Minuten,  so  genügt 
es,  am  Anfang  und  Ende  derselben  noch- 
mals etwa  Vs  ccm  zu  injiciren.  Kommt  man 
auf  tiefere  Gebilde,  Aponeurosen,  Muskeln 
u.  s.  w.,  so  muss  unter  dieselben  ebenfalls 
eine  Einspritzung  gemacht  und  das  Cocain 
durch  den  Druck  des  Fingers  auf  die  Ein- 
stichsstelle zurückgehalten  werden.  Die 
Wirkung  des  Cocains,  angewandt  auf  grössere 
Wundflächen,  wozu  höchstens  17)  bis  2^1 
Spritzen  nöthig  sind,  hält  meisten  10  bis 
20  Minuten  an. 

Verf.  hat  dieses  Verfahren  bei  Hernioto- 
mien,  Radical  -  Operationen  der  Hydrocele, 
Entfernung  grösserer  Geschwülste  u.  s.  w. 
mit  Vortheil  angewendet. 

{DeuUche  MiHtärärzU.  ZdUchr.  1889.  S^  11.) 

rd. 

Eine  neue  dermoplastische  Amputation,  ausgeführt 
wegen  eines  ausgedehnten  Geschwürs  des  Un- 
terschenkels. Von  Dr.  Roman  von  Baracz, 
Operateur  in  Lemberg. 

Wegen  eines  unheilbaren  ünterschenkel- 
geschwürs  führte  Verf.  die  Operation  ähnlich 
aus,  wie  sie  von  Rydygier  (Krakau)*)  ange- 
geben worden  ist,  nur  dass  er  auch  den  Talus 
und  die  unteren  Enden  der  Unterschenkelkno- 
chen entfernte,  das  Bein  also  erheblich  kürzte, 
um  aus  der  Sohle  einen  zur  Deckung  des 
Defects  genügend  grossen  Lappen  zu  er- 
halten. 

( Wien.  med.  Presse  1889.  No.  38.) 

Freyer  {8teUin\ 

')  Therap.  Mon.-Hefte,  1888,  pag.  294. 


73 


578 


Toxlkologl«* 


rher&peotlidie 
MonmiihH^A. 


Toxikologie. 


Ueber  Creolinvergiftung.  Von  Dr.med.  Job.Dinter, 
Assistenzarzt  an  der  Herzogl.  Irrenanstalt  Hild- 
burghaasen.     (Originabnittoeilang.) 

Das  soyiel  geprieeene  neue  Antisepticum 
Oreolin  ist  allem  Anscheine  nach  doch  nicht 
das  ungefährliche  Heilmittel,  als  Streiches  es 
anfangs  von  den  verschiedensten  Seiten  ge- 
rühmt Tvurde.  In  der  letzten  Zeit  sind 
mehrere  Fälle  von  unzweifelhafter  Creolin- 
intoxication  beobachtet  und  veröffentlicht 
worden,  denen  ich  noch  3  wettere  hinzu- 
fügen kann.  Das  betr.  Material  entstammt 
der  hiesigen  Irrenanstalt  und  ist  mir  von 
Herrn  Director  Dr.  Mayser  gütigst  zur 
Veröffentlichung  überlassen  worden. 

Am  6.  September  a.  c.  Abends  gegen 
5^/4  Uhr  kam  auf  der  Abtheilung  für  unruhige 
Frauen  eine  paralytische  Kranke  Bü.  in  Folge 
einer  groben  Nachlässigkeit  der  betr.  Wärterin 
über  ein  e  Fl  asche  mit  reinem  Creolin  (Pearson)^), 
trank  selbst  daraus  und  gab  noch  2  anderen 
Kranken,  welche  in  einem  Zimmer  zu  Bett 
lagen,  davon  zu  trinken.  Nach  ungeföhrer 
Schätzung  mochten  alle  drei  zusammen  etwa 
70  g  genossen  haben.  Ich  verzichte  darauf, 
die  näheren  Umstände  des  ganzen  Vorganges 
zu  schildern,  erwähnt  sei  nur,  dass  die  Sache 
anfangs  unbemerkt  blieb.  Um  6  Uhr  ver- 
zehrten alle  drei  ihr  Abendbrod,  bestehend 
aus  Schwarzbrod  und  Leberwurst,  mit  gutem 
Appetit. 

Kurz  nach  67«  Uhr  wurde  die  zuerst 
genannte  Kranke  Bü.  plötzlich  ohnmächtig. 
Wenige  Minuten  später  fand  ich  dieselbe 
vollständig  coUabirt  und  bewusstlos ,  die 
Haut  fühlte  sich  am  ganzen  Körper  sehr 
kühl  an,  der  Puls  war  kaum  zu  fühlen,  aus 
dem  Munde  kam  ein  starker  Creolin geruch. 
Ich  machte  sofort  einige  Aetherinjectionen, 
worauf  der  Puls  etwas  kräftiger  wurde.  Da 
unterdessen  die  leere  Creolinflasche  gefunden 
worden  war  und  einige  andere  Kranke  aus- 
sagten, dass  die  Bü.  daraus  getrunken  habe, 
ging  ich  sofort  daran,  der  Kranken  den  Magen 
auszuspülen,  gegen  welche  Procedur  dieselbe 
gar  nicht  reagirte.  Die  Spülflüssigkeit  hatte 
im  Anfang  ganz  das  Aussehen  und  den  Geruch 
einer  Creolinlösung,  nach  und  nach  wurde 
sie  klarer,  den  specifischen  Geruch  behielt 
sie  noch  lange.  Die  Ausspülung  wurde  etwa 
eine    Stunde    lang    fortgesetzt;    gegen  Ende 


')  Das  Präparat  war  von  der  Firma  E.  Merck 
in  Darmstadt  in  Originalflasche  bezogen  worden. 


derselben  flng  Patientin  an  sich  zu  bewegen 
und  zu  sprechen.  Schon  während  des  Aus- 
spülens  hatte  sie  mehrere  dünne,  grünlich 
gefärbte,  stark  nach  Creolin  riechende  Stühle 
entleert.  Eine  zum  Schluss  vorgenommene 
Wassereingicssung  in  das  Rectum  bewirkte 
eine  reichliche,  ebenso  beschaffene  Ausleerung. 
Hierauf  verfiel  die  Kranke  in  einen  tiefen 
Schlaf  mit  schwerer  schnarchender  Ath- 
mung. 

Jetzt  erst,  also  gegen  8  Uhr,  kam  die 
Wärterin  dazu,  nach  den  beiden  andern  oben 
erwähnten  Kranken,  einer  periodisch  maniaka- 
lischen  Br.  und  einer  paranoischen  Epileptica 
Fr.  zu  sehen  und  fand  dieselben  in  einem 
trostlosen  Zustande.  Beide  hatten  heftig 
erbrochen  und  mehrere  ebenfalls  grünlich 
gefärbte,  dünne  Stühle  entleert.  Das  ganze 
Zimmer  war  von  einem  starken  Creolingeruch 
erfüllt.  Auch  diesen  beiden  Kranken  wurde 
sofort  der  Magen  ausgespült,  die  Spülflüssig- 
keit war  vollkommen  klar,  roch  jedoch  stark 
nach  Creolin.  Weitere  therapeutische  Maass- 
nahmen  wurden  zunächst  nicht  getroffen; 
selbstverständlich  wurden  die  Kranken  sobald 
als  möglich  zu  Bett  gebracht. 

Im  Folgenden  will  ich  die  3  Kranken- 
geschichten kurz  wiedergeben;  die  Reihen- 
folge soll  durch  die  Schwere  der  Erscheinungen 
bestimmt  werden. 

Fall  1.  Br.  Wilhelmine,  53  Jahre  alt,  war 
entschieden  am  schwersten  erkrankt;  ob  man  daraus 
zu  scbliessen  berechtigt  ist,  dass  sie  auch  die  grösste 
Menge  CreoliD  getrunken  hat,  wage  ich  nicht  zu 
entscheiden,  da  die  Br.  bedeutend  schwächer  ist, 
als  die  beiden  andern  in  Betracht  kommenden 
Kranken;  gegen  die  Bü.  war  sie  jedenfalls  dadurch, 
dass  die  Mageäausspüiung  bei  ihr  ziemlich  spät 
erfolgte,  im  Nachtheil.  Sie  klagte  über  heftiges 
Brennen  im  Leibe;  derselbe  war  etwas  aufgetrieben 
und  im  hoben  Grade  druckempfindlich.  Auf  der 
Zungenoberfläche  fehlte  bis  auf  einen  schmalen 
Saum  an  der  Spitze  das  Epithel  der  Schleimhaut 
vollständig;  sonst  waren  in  der  Mundhöhle  keine 
Veränderungen  nachzuweisen.  Das  Erbrechen  und 
der  Durchfall  dauerten  bis  zum  nächsten  Morgen 
fort.  Der  Urin  konnte  anfangs,  weil  er  stets  zu- 
gleich mit  den  Faeces  entleert  wurde,  leider  nicht 
untersucht  werden. 

Am  auffälligsten  am  ganzen  Krankheitsbilde 
war  entschieden  eine  starke  Herabsetzung  der 
Körpertemperatur:  dieselbe  betrug  gegen  9  Uhr 
Abend  im  After  gemessen  34,1®  0.  und  ging  trotz 
Darreichung  von  Glühwein,  warmen  Einwickelnngen 
u.  dgl.  nur  sehr  langsam  in  die  Höhe.  Am  andern 
Morgen  betmg  sie  35,6®;  ein  warmes  Bad  bewirkte 


m.  Jalirgang.  1 


Toxikologie. 


579 


eine  Zanahme  nm  1®;  Mittags  war  die  Temperatur 
jedoch  wieder  auf  36,0^  gesunken;  am  Abend  des- 
selben Tages  betrag  sie  37,3^  und  blieb  seit  dieser 
Zeit  auf  der  Norm.  Gleichen  Schritt  mit  der  Tem- 
peratur hielten  Puls  und  Respiration. 

Der  am  7.  Sept.  in  sehr  geringer  Menge  ge- 
lassene Urin  hatte  die  dunkle,  olivengrüne  Farbe 
des  Carbolharns,  roch  intensiv  nach  Creolin,  rea- 
girte  stark  sauer  und  enthielt  eine  geringe  Menge 
Ei  weiss.  Auch  an  den  folgenden  Tagen  wurde  Urin 
Yon  derselben  Farbe  und  ebenfalls  von  geringer 
Menge  gelassen,  £i weiss  konnte  jedoch  in  dem- 
selben nicht  mehr  nachgewiesen  werden.  Bemerkens- 
werlh  ist,  dass  der  am  7.  September  gelassene  Urin 
trotz  beständigen  Stehens  im  warmen  Zimmer  noch 
am  23.  September  sauer  reagirte ;  am  24.  zeigte  er 
neutrale  und  erst  am  27.  September  alkalische  Ro- 
action. 

Der  Stuhl  war,  nachdem  der  Durchfall  ge- 
wichen, einige  Tage  etwas  angehalten,  so  dass  bis- 
weilen mit  Eingiessungen  nachgeholfen  werden 
musste,  seine  grüne  Färbung  behielt  er  bis  zum 
10.  September  bei. 

Die  im  Anfang  zu  beobachtende  Appetitlosig- 
keit schwand  rasch.  Ob  eine  am  8.  September  auf- 
tretende Röthung  des  weichen  Gaumens  und  beider 
Tonsillen  noch  auf  Rechnung  des  Creolins  zu  setzen 
ist,  erscheint  mir  zweifelhaft. 

Nicht  unerwähnt  will  ich  endlich  lassen,  dass 
die  Br.,  welche  bis  dahin  beständig  heftig  erregt 
gewesen  war,  seit  dem  Genuss  des  Creolins  sich 
vollständig  ruhig  verhalten  hat,  so  dass  es  jetzt 
möglich  ist,  sie  in  der  Nähstube  zu  beschäfti- 
gen. 

Fall  n.  Bu.  Thekla,  53  Jahre  alt,  zeigte 
ebenfalls  eine  starke  Herabsetzung  der  Eigenwärme; 
dieselbe  betrug  am  Abend  des  6.  Sept.  34,5°  G. 
im  After,  ging  jedoch  rasch  in  die  Höhe,  Nachts 
2  Uhr  war  sie  schon  37,0,  am  Abend  des  7.  Sept. 
war  sie  sogar  auf  37,9  gestiegen,  um  am  nächsten 
Morgen  auf  37,3  zu  sinken  und  von  da  an  normal 
zu  bleiben.  Auch  hier  hielten  Puls  und  Respiration 
mit  der  Temperatur  gleichen  Schritt. 

Wie  schon  erwähnt,  war  Patientin  nach  been- 
deter Magenausspülung  in  tiefen  Schlaf  verfallen, 
der  die  ganze  Nacht  hindurch  anhielt  und  weder 
durch  die  Temperaturmessung  noch  durch  Umlagern 
beeinträchtigt  wurde. 

Während  der  Nacht  erbrach  die  Kranke  nicht, 
am  nächsten  Morgen  stellte  sich  nach  dem  Früh- 
stück einmaliges  Erbrechen  ein.  Auch  die  Diarrhoe 
hatte  während  des  Schlafs  sistirt,  trat  jedoch  am 
Morgen  mit  erneuter  Heftigkeit  auf  und  hielt  noch 
mehrere  Tage  an,  so  dass  schliesslich  am  11.  Sept. 
Opium  gegeben  werden  musste.  So  lange  die 
Diarrhoe  dauerte,  waren  die  Ausleerungen  grünlich 
gefärbt. 

Der  Urin,  der  auch  hier  in  sehr  geringer  Menge 
entleert  wurde,  war  von  normaler  Farbe,  reagirte 
sauer  und  enthielt  kein  Ei  weiss. 

Der  Appetit  war  nicht  gestört.  Das  subjective 
Befinden  der  Kranken  war  andauernd  ein  gutes. 
Schon  am  ersten  Morgen  nach  der  Katastrophe 
versicherte  sie,  sie  befinde  sich  ausgezeichnet  und 
habe  noch  nie  so  gut  geschlafen,  wie  in  der  ver- 
gangenen Nacht.  Sie  erinnerte  sich  genau  daran, 
wie   sie   das  Creolin  getrunken    und   wie   sie   den 


beiden  andern  Kranken  davon  gegeben  hatte;  über 
die  Vorgänge  nach  dem  Abendessen  wusste  sie 
Nichts  anzugeben.  Der  psychische  Zustand  blieb 
hier  gänzlich  unverändert 

Fall  III.  Fr.  Amalie,  48  Jahre  alt,  hatte  ihrer 
Aussage  nach  nur  sehr  wenig  Creolin  getrunken, 
was  auch  nach  dem  Verlauf  der  Krankheit  nicht 
unwahrscheinlich  ist. 

Das  Erbrechen  und  der  Durchfall  hörten  mit 
der  Magenausspülung  auf;  die  Leibschmerzen 
schwanden  noch  am  Abend. 

Die  Temperatur  war  hier  nicht  gesunken,  sie 
betrug  am  Abend  des  6.  Sept.  37,2**  C;  im.  Ver- 
lauf des  nfichsten  Tages  stieg  sie  indess  bis  auf 
88,7^  am  Abend,  fiel  ji^doch  während  der  folgenden 
Nacht  auf  37,6  und  hielt  sich  seitdem  in  normaler 
Breite.  Am  Morgen  des  7.  Sept.  war  eine  beträcht- 
liche Steigerung  der  Pulsfrequenz,  nämlich  120  in 
der  Minute,  zu  beobachten;  der  Puls  war  dabei 
sehr  klein,  die  Kranke  etwas  benommen.  Diese 
Erscheinung  ging  jedoch  unter  Anwendung  von 
Reizmitteln  rasch  vorüber.  Gegen  Mittag  desselben 
Tages  zeigte  die  Zunge  einen  schwachen,  grau  ge- 
färbten Belag,  der  sich  bis  zum  Abend  in  rascher 
Weise  vermehrte,  jedoch  am  nächsten  Tage  wieder 
abnahm. 

Auch  die  Kranke  Fr.  entleerte  noch  einige 
Tage  hindurch  grünlich  gefärbte  Stühle').  Der 
Urin,  der  auch  hier  in  sehr  geringer  Menge  ent- 
leert wurde,  hatte  normale  Farbe  und  war  frei  von 
Eiweiss. 

Zur  Zeit  ist  es  noch  nicht  möglich,  ein 
einheitliches  Bild  der  Creolin  Vergiftung  zu 
geben,  da  die  bisher  veröffentlichten  Beob- 
achtungen nicht  in  vollem  Einklang  mit  ein- 
ander stehen.  Auch  die  oben  geschilderten 
drei  Fälle  zeigten  allerlei  Verschiedenheiten 
nicht  nur  in  der  Intensität,  sondern  auch  in 
der  Art  der  Symptome.  Von  Seiten  des 
Verdauungscanais  waren  bei  allen  dreien 
heftige  Erscheinungen  zu  constatiren,  nämlich 
Erbrechen  und  Diarrhoe  mit  grünlicher  Ver- 
färbung der  Fäces.  Nur  in  Fall  I  waren 
Aetzwirkungen  in  der  Mundhöhle  zu  beob- 
achten. Eine  Einwirkung  des  Giftes  auf 
das  Nervensystem  war  ebenfalls  nur  in  einem 
Falle  und  zwar  durch  eine  schwere  Bewusst- 
losigkeit  gekennzeichnet.  Ebenfalls  wieder 
nur  in  einem  Falle  konnte  eine  Veränderung 
des  Urins  nachgewiesen  werden.  Schliesslich 
ist  bei  allen  drei  Kranken  eine  mehr  oder 
minder  starke  Beeinträchtigung  der  Eigen- 
wärme zu  erwähnen:  in  zwei  Fällen  war 
dieselbe  stark  herabgesetzt,  im  dritten  am 
Tage  nach  der  Vergiftung  bis  38,7  gestei- 
gert. 

Alle  die  hier  angegebenen  Erscheinungen 
sind  schon  von  anderen  Autoren,  wenn  auch 


■)  Die  am  15.  October  a.  c.  vorgenommene  Ob- 
duction  der  inzwischen  im  epileptischen  Anfall  ver- 
storbenen Fr.  ergab  vollständige  Intactheit  der 
Schleimhaut  des  Verdanungstractus. 

78^ 


580 


Littttratur. 


rlierapentlfleh« 
MoDatühefte. 


nicht  in  demselben  Zusammenhang,  beob- 
achtet worden.  Ich  verzichte  darauf,  die 
betr.  Arbeiten  hier  einzeln  aufzuführen  und 
verweise  deshalb  auf  die  Veröffentlichung 
von  Dr.  van  Ackeren,  Berliner  Klinische 
Wochenschrift  1889  pag.  709  ff.,  in  welcher 
die  Litteratur  der  Creolinvergiftung  eingehend 
besprochen  wird.  Ich  möchte  hier  nur  noch 
auf  2  Aufsätze  aufmerksam  machen,  welche 
in  jener  Arbeit  nicht  erwähnt  worden  sind 
bezw.  nicht  erwähnt  werden  konnten,  nämlich 
auf  denjenigen  von  Gramer,  Therapeutische 
Monatshefte  1889  pag.  434,  welcher  bei  einem 
wegen  Blasenblutung  mit  Creolinausspülungen 
behandelten  Kranken  Temperatursteigerung 
bis  40,5  mit  Schüttelfrost  beginnend,  Collaps, 
Erbrechen  und  Garbo Ireaction  des  Urins  beob- 
achtete, und  auf  denjenigen  von  Tzonciu 
und  Georgescu'),  welche  bei  einem  Hunde 
von  5400  g  Gewicht  nach  interner  Verab- 
reichung von  10  g  Greolin  Erbrechen  und 
Entleerung  von  breiigem,  schwärzlich  ge- 
färbtem Stuhl  constatiren  konnten. 


Lltterainr. 


Die  chiruri^ischen  Krankheiten  der  Harn-  und 
männlichen  Oeächlechtsorgane.  Band  I. 
Theil  1.  Die  Krankheiten  der  Harnröhre 
und  der  Prostata.  Von  Dr.  Paul  Güter- 
bock. Mit  101  HolzBchn.  Leipzig  uDd  Wien 
1890.    Franz  Deuticke.    260  Seiten. 

Bas  Erscheinen  des  Werkes  des  Verf. 's, 
„des  ersten  Versuches  einer  vollständigen  Dar- 
stellung der  chirurgischen  Krankheiten  der 
Harn-  und  männlichen  Geschlechtsorgane  in 
deutscher  Sprache,"  ist  mit  grosser  Freude 
zu  begrüssen,  da  ein  solches  Buch  bisher 
nicht  vorhanden  war,  sondern  nur  Sonderbe- 
schreibungen einzelner  hierhergehöriger  Ca- 
pitel  oder  üebersetzungen  ausländischer  Ar- 
beiten existiren.  Es  füllt  daher  das  Buch 
eine  Lücke  in  der  Fachlitt  erat  ur  aus,  die 
sich  um  so  fühlbarer  machte,  als  leider  auf 
den  meisten  deutschen  Hochschulen  die  in 
Rede  stehende  Specialwissenschaft  sich  keiner 
sehr  grossen  Beachtung  zu  erfreuen  hat,  und 
daher  ein  nicht  kleiner  Theil  von  Aerzten 
vor  dem  Eintritt  in  die  Praxis  auf  diesem 
so  überaus  wichtigen  Gebiete  nicht  die  Kennt- 
nisse zu  sammeln  Gelegenheit  hat,    als    bei 


')  Dieser  Aufsatz  findet  sich  in  der  von  der 
Firma  Pearson  und  Co.  versandten  Litteratar- 
sammlung  über  Creolin  auf  pag.  179  ff. 


der  Häufigkeit  gerade  dieser  Erkrankungen 
wunschenswerth  erscheinen  dürfte.  Fast  jede 
Affection  der  Harn-  und  Geschlechtsorgane 
ist  im  Stande,  unter  geeigneten  Umständen 
schwere,  den  Gesammtorganismus  betreffende 
Erscheinungen  hervorzurufen.  Wie  man  sich 
beim  Durchlesen  jedes  Gapitels  der  vorlie- 
genden Schrift  überzeugen  kann,  beleuchtet 
G.  gerade  den  Zusammenhang  der  Erkran- 
kungen eines  oder  mehrerer  Gebiete  des 
Urogenital apparat es  mit  die  Gesammtconsti- 
tution  betreffenden  Affectionen  auf  das  Ein- 
gehendste, sodass  nicht  nur  der  Studirende 
aus  dem  Buche  Anregung  zur  Weiterarbeit, 
sondern  auch  der  Arzt  Aufklärung  über  die 
meisten  ihn  in  dieser  Hinsicht  interessiren- 
den  Fragen  finden  kann.  Die  sorgfaltigen 
Angaben  aus  der  bis  in  die  neueste  Zeit 
benutzten,  besonders  französischen  und  eng- 
lischen Litteratur,  sowie  die  grosse  Zahl 
von  Abbildungen  von  zum  Theil  selbst  beob- 
achteten einschlägigen  Fällen,  die  klare  und 
geschickte  Gruppirung  des  Stoffes  und  leicht 
verständliche  Darstellung  desselben,  alle 
diese  Vorzüge  werden  dem  Buch  einen  Platz 
unter  den  hervorragendsten  seiner  Fachwis- 
senschaft sichern.  Eine  kurze  Angabe  des 
reichen  Inhaltes  des  bis  jetzt  erschienenen 
ersten  Theiles  des  ersten  Bandes  des  Ge- 
sammtwerkes,  welcher  die  Erkrankungen 
der  Harnröhre  und  Prostata  umfasst,  dürfte 
nicht  unerwünscht  sein. 

Der  Verf.  beginnt  den  ersten,  den  Krank- 
heiten der  Harnröhre  gewidmeten  Abschnitt 
mit  einer  Beschreibung  der  Anatomie  und 
Physiologie  der  Urethra  sowie  der 
Theile  des  kleinen  Beckens,  welche  zu  die- 
ser in  Beziehung  stehen,  wobei  er  die  chi- 
rurgische Eintheilung  der  Harnröhre  in  eine 
vordere  bewegliche  und  hintere  feste  Ab- 
theilung gegenüber  der  anatomischen  in  drei 
Theile  bevorzugt  und  auch  weiterhin  vcr- 
werthet.  Die  Untersuchung  der  Harn- 
röhre geschieht  durch  Fragen  an  den  Kran- 
ken, durch  die  physikalische  Untersuchung  des 
Patienten  und  die  mikroskopische,  chemische 
etc.  Prüfung  der  Secrete.  Bei  der  instni- 
mentellen  Untersuchung  der  Harnröhre  giebt 
der  Verf.  die  Formen  der  hierzu  nöthigen 
Katheter  und  Bougies  an  und  bespricht 
hierauf  die  Technik  des  Katheterismus. 
Wenn  der  Verf.  bei  der  Desinfection  der  zu 
diesem  erforderlichen  Werkzeuge  anführt, 
dass,  „wenn  auch  durch  den  Katheterismus 
die  Gefahr  sowohl  der  indirecten  wie  der 
Contactinfection  gegeben  ist,  doch  diesen 
Möglichkeiten  und  der  ungeheuren  Häufig- 
keit der  Katheterpraxis  gegenüber  die  An- 
siedelung von  Mikroorganismen  verbunden 
mit  krankhaften  Veränderungen  in  Harnröhre 


tit.  Jaiurgang. 
Deoember  1889 


.] 


titterahit. 


581 


und  Blase  etwas  relativ  seltenes  ist 
(Thompson),"  so  ist  der  in  dem  Nachsatz 
aufgestellten  Meinung  wohl  nicht  unbedingt 
zuzustimmen,  da  die  Beobachtung  von  Bla- 
senkatarrhen etc.,  deren  Erscheinungen  sich 
fast  unmittelbar  an  die  Einführung  des 
(nicht  genügend  desinficirten)  Katheters  an- 
schliessen,  (auch  bei  jungen  Individuen  mit 
bisher  intacter  Blasenschleimhaut)  gerade 
nicht  so  seltenes  Vorkommniss  ist.  Selbst- 
verständlich empfiehlt  G.  unter  allen  Ver- 
hältnissen beim  Eatheterismus  sorgfältige 
Befolgung  antiseptischer  Maassregeln,  jedoch 
erwähnt  er  die  Sterilisirung  der  Instrumente 
mittelst  Auskochen,  die  bequemste  Art  der 
Reinigung  medicinischer  Werkzeuge,  gar 
nicht.  Es  verdient  hervorgehoben  zu  wer- 
den, dass  dieselbe  sich  auch  für  elastische 
und  weiche  Katheter  ohne  Schaden  für  die 
betreffenden  Instrumente  anwenden  lässt,  — 
Fehler  in  der  Ausführung  des  Katheterismus 
bedingen  Blutungen  und  falsche  Wege.  Als 
AUgemeinreaction  des  Organismus  tritt  bis- 
weilen das  Katheter-  oder  Harnfieber,  wel- 
ches sich  in  einer  acuten  und  chronischen 
Form  darstellt,  auf.  Eine  andere  Art  der 
Untersuchung  der  Harnrohre  und  -blase  ge- 
schieht durch  die  Endoskopie,  besonders  mit 
dem  von  Nitze  angegebenen  Cystoskop  mit 
elektrischer  Beleuchtung. 

Von  den  Erkrankungen  der  Harnrohre 
wird  zuerst  die  wichtigste,  die  Entzündung  der- 
selben, einer  Besprechung  unterzogen.  Der 
Hauptrepräsentant  derselben  ist  der  Tripper, 
welcher  mit  allen  seinen  im  acuten  Stadium 
vorkommenden  Complicationen  beschrieben 
wird.  Etwas  zu  kurz  erscheint  die  Diffe- 
rentialdiagnose zwischen  Tripper  und  Harn- 
röhrenschanker auseinandergesetzt,  deren 
Yerwechselung  schwerwiegende  Folgen  nach 
sich  ziehen  kann.  Die  Schilderung  der  Be- 
handlung der  acuten  Gonorrhoe,  der  chro- 
nischen Urethritis  und  ihrer  Therapie  ent- 
hält alle  bis  in  die  neueste  Zeit  für  diese 
angegebenen  Mittel  und  Verfahren.  Der 
besonders  von  Oberländer  warm  empfoh- 
lenen endoskopischen  Methode  der  Nach- 
tripperbehandlung gegenüber  scheint  G.  sich 
ziemlich  skeptisch  zu  verhalten.  —  Das 
nächste  Capitel  enthält  die  Besprechung  der 
Verletzungen  der  Harnrohre,  von  denen  die 
Harnrohrenzerreissung  und  ihre  Behandlung 
einer  ausführlicheren  Schilderung  unterzogen 
werden.  Die  Beschreibung  der  pathologi- 
schen Anatomie,  Symptome,  Diagnose  und 
Behandlung  der  Verengerungen  der  Urethra 
nimmt  den  umfangreichsten  Theil  des  vor- 
liegenden Bandes  ein.  Von  den  therapeu- 
tischen Methoden  ist  besonders  die  blutige 
Durchtrennung    der  Strictur  durch  Harnroh- 


renschnitt in  breiterer  Ausdehnung  ausein- 
andergesetzt, und  giebt  Verf.  ein  vollkom- 
menes Bild  von  den  Indicationen,  Technik 
und  Nachbehandlung  der  Operation.  —  Ge- 
schwülste der  Harnröhre  sind  beim  männ- 
lichen Geschlechte  selten,  bei  Weibern  im 
Verhältniss  zu  den  bei  Frauen  im  Allge- 
meinen vorkommenden  Tumorenbildungen 
auch  nicht  sehr  häufig,  jedoch  viel  häufiger 
als  bei  Männern.  Die  Therapie  besteht  bei 
beiden  Geschlechtern  in  Entfernung  der  Tu- 
moren. Als  letzte  erworbene  Erkrankung 
der  Harnröhre  werden  dann  die  nervösen 
Affectionen  derselben,  spastische  Contrac- 
turen,  Hyperästhesie  etc.  erwähnt.  Von  den 
angeborenen  Anomalien  der  Urethra  sind 
ausser  den  Obliterationen,  Verengerungen 
und  Erweiterungen  hauptsächlich  die  Hy- 
pospadie  und  Epispadie  wichtig,  deren  Aus- 
bildung zu  höheren  Geraden  operatives  Ein- 
greifen zur  Herstellung  einer  normalen  Harn- 
röhre erfordert.  Die  hierzu  gebräuchlichen 
Verfahren  werden  durch  zahlreiche  Abbil- 
dungen veranschaulicht.  Den  Beschluss  die- 
ses Abschnittes  bildet  die  Beschreibung  der 
Erkrankungen  der  Cowper' sehen  Drüsen. 

Der  zweite  Abschnitt  dieses  Theiles, 
welcher  sich  mit  der  Schilderung  der  Krank- 
heiten der  Prostata  beschäftigt,  bietet 
eine  Fülle  bemerk enswerther  Anhaltspunkte, 
aus  denen  überall  ersichtlich  ist,  wie  Vieles 
noch  auf  dem  besonderen  Gebiete  sowohl 
der  Anatomie  und  Physiologie,  als  der  Er- 
krankungen der  Vorsteherdrüse  und  ihrer 
Therapie  zu  erforschen  ist.  Da  gerade  die 
Affectionen  der  Prostata,  deren  häufigste  die 
Hypertrophie  des  Organs  ist,  bei  älteren 
männlichen  Individuen  weit  verbreitete  Er- 
krankungen sind,  die  mit  quälenden  Er- 
scheinungen einhergehen,  welche  nicht  nur 
jeden  Lebensgenuss  verbittern,  sondern  auch 
durch  weitere  Complicationen  nicht  allzusel- 
ten den  Exitus  herbeiführen,  so  ist  gerade 
dieses  Capitel,  welches  übrigens  zusammen 
mit  dem  Abschnitt  über  die  Stricturen  den 
Glanzpunkt  dieses  Theiles  des  Werkes  bil- 
det, dem  besonderen  Studium  der  Leser  zu 
empfehlen. 

Sollte  diese  kurze  Aufzählung  des  Stof- 
fes, dessen  Hauptpunkte  hier  nur  angedeu- 
tet werden  konnten,  vielleicht  ein  Bild  von 
dessen  Reichhaltigkeit  und  sachgemässer  Be- 
handlung desselben  zu  liefern  im  Stande 
sein,  so  hält  Ref.  ihren  Zweck,  sorgfaltiges 
Studium  des  in  jeder  Beziehung  anziehenden 
Werkes,  für  erfüllt. 

Die    Abbildungen    sind    klar  gezeichnet, 

die    gesammte    Ausstattung    des  Buches    ist 

glanzvoll. 

George  Meyer  {Berlm), 


582 


Litteratur. 


rlierapeatisdlie 
Monauh^fte. 


Die  Urämie.    Von  L.  Landois.    Wien  und  Leip- 
zig, Urban  und  Schwarzenberg  1890. 

Die  bereits  an  anderen  Stellen  (Wiener 
med.  Presse  1887,  No.  7 — 9  und  Deutsche 
med.  Wochenschr.  1887  No.  31)  mitgetheil- 
ten  Versuclie  über  die  Erregung  typischer 
Erampfanfalle  nach  Behandlung  des  cen- 
tralen Nervensystems  mit  chemischen  Sub- 
stanzen werden  in  dem  vorliegenden  Werke 
über  Urämie  in  extenso  angeführt  und  be- 
stimmen den  Verf.  zu  folgender  Erklärung 
des  Wesens  der  urämischen  Erscheinungen. 
Danach  besteht  dieses  in  einer  toxischen 
Einwirkung  von  solchen  Substanzen  auf  das 
Gehirn,  welche  normaler  Weise  durch  den 
Urin  entleert  werden  sollten  und  zwar  der 
sogenannten  Extractivstoffe  und  der  Salze. 
Der  Angriff  und  Ursprungsherd  der  hier- 
durch erzeugten,  spontan  recidivirenden 
Erampferscheinungen  liegt  sicherlich  in  den 
psychomotorischen  Centren.  An  die  Erre- 
gung dieser  können  nach  dem  Ausbruch  der 
corticalen,  also  nach  dem  Typus  der  Rin- 
denepilepsie verlaufenden  Erschütterungen 
noch  ausgebreitete  Krämpfe,  welche  in  den 
tieferen  Regionen  des  Gehirns,  nämlich  im 
Pons  und  in  der  Medulla  oblong.,  und  zwar 
vorzugsweise  tonisch  ausgelost  werden,  sich 
hinzugesellen.  Mit  den  bezeichneten  Vor- 
gängen in  den  motorischen  Rindengebieten 
verbinden  sich  oft  in  anderen  corticalen  Re- 
gionen Reizungs-  und  Depressionserscheinun- 
gen, von  denen  das  Coma  das  wichtigste 
ist.  Daneben  reihen  sich  sonstige  corticale 
Erscheinungen,  welche  die  Bewegungssphäre 
betreffen,  aber  im  klinischen  Bilde  nur  wenig 
Analogien  finden,  wie  motorischer  Drang, 
Zwangsbewegungen,  Chorea,  Paralysen  und 
Paresen,  und  solche,  welche  Reizungen  und 
Lähmungen  den  psychosensoriellen  Centren 
entspringen  u.  s.  w. 

Was  nun  die  krampfauslösende  Wirkung 
der  auf  die  Hirnrinde  aufgetragenen  Stoffe 
betrifft,  so  zeigten  sich  Harnstoff  und  koh- 
lensaures Ammoniak  diesbezüglich  inactiv. 
Dagegen  wirkten  Kreatin,  Kreatinin,  durch 
Waschen  gereinigtes  Uratsediment,  harn- 
saures Ammoniak,  Leucin,  ferner  Kochsalz, 
Chlorkalium,  einfach  kohlensaures  Natron, 
saures  phosphorsaures  Kali  convulsionser- 
regend. 

Es  möge  hierbei  hervorgehoben  werden, 
was  klinisch  von  Bedeutung  ist,  dass  die 
Narkose  (bei  Hunden  Chloroformnarkose, 
bei  Kaninchen  Aetherrausch)  die  Krämpfe 
fernhält,  wenn  selbige  noch  nicht  zum  Aus- 
bruch gekommen  waren;  sie  beseitigt  die- 
selben, w^enn  die  Muskeln  bereits  angegriffen 
waren. 

Indem  der  Verf.  im  vorletzten  Abschnitte 


die  Theorien  über  das  Wesen  der  urämischen 
Intoxication  und  die  diesbezüglichen  experi- 
mentellen Forschungen  zusammenstellt  und 
kritisch  beleuchtet,  präcisirt  er  noch  einmal 
in  einem  Schlussworte  die  von  ihm  gewon- 
nenen Resultate,  auf  Grund  deren  sich  eine 
Reihe    schwierig    zu   beantwortender   Fragen 

ergiebt.  J,  Rukemann  {ßerlin). 

Klinische  Beiträsre  zur  manuellen  Behandlungr 
der  Frauenkrankheiten.  Von  Braun-Fern- 
wald  und  Kreis sl,  Wien  1889  pag.  40. 

Die  sehr  verdienstliche  Abhandlung  fuhrt 
die  in  jüngster  Zeit  grenzenlos  übertriebene 
Bedeutung  der  Massage  bei  den  Erkrankun- 
gen der  weiblichen  Geschlechtsorgane  auf 
ihren  wahren  Werth  zurück.  In  dem  ersten 
Theile,  welcher  von  der  Massage  bei  Vor- 
fall der  Scheide  und  des  Uterus  han- 
delt, berichten  die  Verff.,  dass  sie  unter 
14  nach  der  Thure-Brandt 'sehen  Methode 
behandelten  Fällen  nur  4  geheilt  hätten. 
Der  Grund  für  die  Misserfolge  liege  eben 
darin,  dass  lange  nicht  alle  Fälle  von  Pro- 
laps für  die  Massagebehandlung  geeignet 
seien.  Dieselbe  setzt  sich  bekanntlich  im 
Wesentlichen  aus  folgenden  4  Acten  zusam- 
men: 1.  Tapotement  (Klopfen  mit  der  Faust 
auf  die  Sacralgegend) ;  hierdurch  werden 
Contractionen  der  Giuteal-  und  Analgegend 
reflectorisch  angeregt;  2.  die  Lüftung  des 
Uterus:  während  der  Assistent  den  in  Ante- 
flexionsstellung  gebrachten  Uterus  von  der 
Scheide  aus  nach  oben  drängt,  fasst  der 
Masseur  die  Gebärmutter  von  den  Bauch- 
decken aus  und  hebt  sie  in  die  Höhe; 
3.  die  Knieschliessung  und  -Öffnung  bei  ge- 
hobenem Gesäss  unter  Widerstandsleistung 
seitens  des  Arztes;  4.  von  Seiten  der  Kran- 
ken häufiges  freiwilliges  Ausführen  jener  Be- 
wegungen, wie  sie  beim  Zurückhalten  des 
Stuhlganges  gemacht  werden. 

Alle  jene  4  Maassnahmen  haben  nun  in 
erster  Linie  den  Erfolg,  die  den  Beckenboden 
bildenden  Muskeln  zur  Contraction  zu  ver- 
anlassen. Die  Verff.  führen  nun  mit  vollem 
Recht  aus,  dass  die  Grundursache  der  weit- 
aus meisten  Prolapse  nicht  —  wie  Thure- 
Brandt  annimmt  —  in  einer  Erschlaffung 
der  an  den  Uterus  herangehenden  Bänder 
besteht,  sondern  in  einer  Erschlaffung  des 
„Diaphragma  des  Beckenausgangs ^;  die  Deh- 
nung des  Bandapparates  sei  meist  secundär. 
Die  beiden  vornehmlich  hier  in  Betracht  kom- 
menden Muskeln  sind  der  Levator  ani  und 
M.  transversus  perinaei  profundus.  Daher 
ist  die  Massage  nur  dann  von  voraussicht- 
lichem Erfolg  begleitet,  wo  der  Prolaps  auf 
einer  pathologischen  Nachgiebigkeit  dieser 
Gebilde   beruht.     Hieraus   ergeben  sich  sehr 


tn.  Jahf  gan^.  1 
D«oeinb«r  1889.  J 


Litteratut. 


583 


gewichtige  Gegenan zeigen  der  Massage;  in 
erster  Linie  sind  Yorfälle,  welche  mit 
Scheidendammrissen  vergesellschaftet  sind, 
durchaus  ungeeignet  für  diese  Behandlung. 
Ebenso  einleuchtend  ist,  dass  erhebliche 
Cervixhypertrophie  die  manuelle  ürolapsbe- 
handlung  aussichtslos  machen  wird.  Als 
weitere  Gegenindication  führen  sie  an:  sehr 
dicke  Bauchdecken,  Schwangerschaft,  Ge- 
schwülste, EntzündungSYorgänge  der  Becken- 
organge,  sehr  langes  Bestehen  der  Vorfalle, 
starkes  Heruntergekommensein  der  Kranken 
u.  s.  w.  Am  besten  eignen  sich  solche  Falle 
—  und  diese  allerdings  oft  mit  ganz  aus- 
gezeichnetem Erfolge,  —  welche  frischen 
Alters  und  uncomplicirt  sind.  Im  zweiten 
Theile  sprechen  die  Yerff.  ihre  Erfahrung  aus 
über  die  Massage  bei  entzündlichen  Er- 
krankungen der  Geschlechtsorgane.  Dieselbe 
erstreckt  sich  auf  24  Falle.  Vorwiegend 
waren  es  fixirte  Retroflexionen  und  para- 
metranc  Exsudate,  welche  die  dankbarsten 
Angriffsobjecte  für  die  Massage  abgaben. 

Die  Arbeit  sei  hiermit  wegen  ihrer 
klaren,  von  Voreingenommenheit  freien  Dar- 
stellung allen  denen,  die  sich  mit  üterus- 
massage  beschäftigen,  warm  empfohlen. 

Schatfsr  (Berlin). 

Eingesandte  Bücher. 

Lehrbuch  der  physiologischen  und  pathologi- 
schen Chemie  in  21  Vorlesungen  für  Aerzte 
and  Stadirende  von  G.  Bunge,  Prof.  der 
physiologischen  Chemie  in  Basel.  II.  Auflage. 
Leipzig.    F.  C.W.Vogel.    1889. 

Diagnostik  der  inneren  Krankheiten  auf  Grand 
der  heutigen  Untersuchungsmethoden.  Ein 
Lclirbuch  für  Aerzte  und  Studirende.  Von 
Dr.  Oswald  Vierordt,  a.  o.  Prof.  der  M«»d. 
und  Director  der  med.  Poliklinik  an  der  Uni- 
versität Jena.  II.  Auflage.  Leipzig.  F.  C.  W. 
Vogel.    1889. 

Pathologie  und  Therapie  der  Nervenkrank- 
heiten für  Aerzte  und  Studirende  von  Dr. 
Ludwig  Hirt,  Prof.  an  der  Universität  Bres- 
lau, n.  Hälfte.  Wien  und  Leipzig.  Urban 
und  Schwarz enb erg.    1890. 

Handbuch  der  Kinderkrankheiten.  Herausgege- 
ben von  Dr.  C.  Gerhardt,  Prof.  der  Me- 
dicin  und  Geh.  Med.-Rath  in  Berlin.  V.  Band. 
2.  Abtbeilung.  Tübingen.  H.  Laupp^sche  Buch- 
handlung.   1889. 

Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten  in  kurzgefass- 
ter  systematischer  Darstellung.  Zum  Gebrauche 
für  Studirende  und  Aerzte  von  Dr.  Ludwig 
Unger,  Docent  für  Kinderheilkunde  an  der 
k.  k.  Universität  zu  Wien.  I.  Hälfte.  Leipzig 
und  Wien.    Franz  Deuticke.    1890. 

AerztUche  Erfahrungen  über  die  Malaria  der 
Tropen -Länder.  Gesammelt  von  Dr.  Lud- 
wig Martin,  k.  bajer.  Hofrath  und  approb. 
Arzt  für  Deutschland  und  Niederländisch -In- 
dien.   Berlin.    Julius  Springer.    1889. 


Prmctisehe  Ufotisen 

nnd 

empfehlenswerthe  Amielfonneln. 


Ueber  die  Behandlung  des  Frostes. 

Die  Behandlung  des  Frostes  hat  zu 
den  verschiedenartigsten  Vorschlägen  geführt, 
von  denen  einige  auch  als  hygienische  Mittel 
von  Werth  sind. 

So  empfiehlt  es  sich,  Waschungen  vorzu- 
nehmen aus  Alaun,  Borax,  Tinct.  Benz,  nach 
folgender  Formel: 

^  Aluminis 

Boracis  aa  5,0 

solve  in 
Aq.  Rosarum       300,0 

oder 
Tinct.  Benzoes      15,0 

D.  S.  zur  Waschung. 

Allgemein  empfohlen  vrird  der  Gebrauch 
des  Camphers,  des  Jodes,  des  Bals.  Peruvian. 
oder  Petroleums  und  selbst  der  Tinct.  Can- 
tharidum  als  Beimischung  zu  Salben.  Fette 
Einreibungen  haben  sich  stets  als  nützlich 
bewährt. 

Allgemein  gebräuchlich  ist  die  Behand- 
lung mit  Collodium  allein  oder  mit  Jod- 
zusatz. 

Für  Salbenanwendung  empfiehlt  sich  die 
Hufel  and 'sehe  Salbe 

Boracis  5,0 

ünguent.      25,0 

M.  f.  unguentum. 

Sehr  zweckmässig  und  angenehm  zum 
Verreiben  ist  folgende  Camphersalbe: 

^  Olei  camphorat.    2,0 
Lanolini  20,0 

M.  f.  ung.    Aeusserlich. 

Man  kann  den  Camphergehait  durch  Zu- 
satz von  Campherpulver  verstärken  oder  nach 
Hu  et  er 's  Vorschlag  bei  Verbrennungen  die 
Pemionen  mit  Zusatz  von  Carbolsäure  be- 
handeln*). 

Die  obige  Salbe  ist  auch  bei  kalten, 
feuchten  Füssen,  welche  besonders  zu  Fer- 
nionen führen,  als  Prophylacticum  und  in 
Verbindung  mit  der  Collodiumbehandlung 
bei  dünner  Verreibung    zu  verwerthen. 

Liebreieh. 


118. 


•)  Hueter-Lossen,  Chirurgie  1889.  Bd.  1  p.  117, 


584 


PraetWehe  ÜotLseo  unci  empiehlanswertlke  ArzneÜbnnela. 


Monatahefte. 


Ein  neuer  antiseptischer  Verband  von  Lister. 

In  einem  vor  der  Medical  Society  of 
London  am  4.  November  gehaltenen  Vortrage 
(British  Med.  Journ.)  empfahl  Li  st  er  als 
zuverlässliches,  nicht  reizendes  Antisepticum 
eine  Doppelverbindung  von  Cyanquecksilber 
mit  Cyanzink,  welche  durch  Mischen  einer 
Losung  von  Quecksilbercyanid-Cjankaliummit 
einem  löslichen  Zinksalz  erhalten  wird.  Die 
Zusammensetzung  des  „Boppelcyanids", 
wie  diese  Verbindung  von  Lister  kurz  ge- 
nannt wird,  ist  noch  nicht  sicher  festgestellt. 
Basselbe  ist  in  Wasser  so  gut  wie  unlöslich, 
löst  sich  aber  in  3000  Theilen  Blutserum. 
Auf  Gaze  wird  es  unter  Anwendung  von 
Stärke  fixirt. 

Zur  localen  Behandlung  der  Diphtherie 

empfiehlt  d'Espi^e  in  Genf  (Rev.  mM.  de 
la  Suisse  rom.  89  No.  l)  die  Salicylsäure 
als  das  beste  Mittel.  Je  nach  der  Schwere 
des  Falles  kommen  stündlich  oder  zwei- 
stündlich Lrrigationen  mit  einer  Lösung  von 
1 7»  bis  2  pro  Mille  zur  Verwendung.  Bei 
älteren  Kindern  oder  Erwachsenen  ersetzen 
Gurgelungen  die  Irrigationen.  Zur  Beseiti- 
gung der  Membranen  empfehlen  sich  auch 
gleichzeitige  Pinselungen  mit  Citronensaft. 

Gegen  die  Grippe 

wird  von  A 1  i  s  o  n  (Arch.  g^n.  de  med. 
August  1889)  mit  bestem  Erfolge  Tannin 
angewandt.  Dasselbe  wirkt  secretionsver- 
mindernd  und  setzt  die  Schmerzhaftigkeit 
herab.  Erwachsene  erhalten  1,0  bis  2,0 
pro  die  in  3  Dosen  (nach  dem  Essen), 
Kinder  Klystiere  mit  0,4  bis  0,6  (im  ersten 
Lebensjahre  0,2). 

Bei  Angina 

fand  Joris senne  (Nouveaux  remedes  Oc- 
tobre  89)  Antipyrin  sehr  wirksam.  Kleinen 
Kindern  verabreicht  er  zwei  Mal  täglich 
0,50.  Vom  6.  Jahre  an  giebt  er  mindestens 
0,60 — 0,70.  Niemals  traten  unangenehme 
Nebenerscheinungen  auf.  Die  Verabreichung 
erfolgte  in  wässeriger  Lösung  unter  Zusatz 
von  Succus  Liquiritiae. 

Gegen  Keuchhusten 

verschreibt  der  bekannte  Kinderarzt  Monti: 

Chinin,  muriat.       0,40—0,70 

Natrii  bicarb. 

Sacch.  alb.  aa  1,50. 

M.  f.  pulv.  et  divid.  in  part.  No.  X. 
D.S.  2 stündlich  1  Pulver. 


Cohen  empfiehlt  Einathmungen 
von  Bromkali- Nebel  mittelst  eines  sogen. 
Refraichisseurs,  der,  mit  einer  4 — 6®/oigen 
wässerigen  Bromkalilösung  gefüllt,  durch 
Compression  des  Gummiballons  sofort  den 
Nebel  erzeugt.  Durch  Einbringung  in  den 
Mund  gelangt  der  Nebel  zum  Kehlkopf 
und  wirkt  dadurch  beruhigend  auf  die 
Husten  anfalle. 

Als  ein  zuverlässiges  Mittel  gegen  Diabetes  inä- 
pidus 

wird  von  Hershey  (Philadelphia)  das  Ex- 
tractum  secal.  cornuti  gerühmt.  Das- 
selbe hat  sich  in  der  Klinik  von  Costa 
bewährt,  woselbst  es  in  Dosen  von  1,0  drei 
Mal  täglich  mit  bestem  Erfolge  verabreicht 
wurde. 

Zur  Behandlung  von  Reiszuatänden 

seitens  der  Ovarien,  der  Blase,  der  Va- 
gina, besonders  aber  bei  Beschwerden  der 
Menopause  und  bei  schmerzhafter  Periode 
empfiehlt  Farlow  Zäpfchen  von  folgender 
Form: 

IV  Extract.  Cannab.  indic. 

Extract.  Belladon.   aa     0,015 
Butyr.  Cacao  q.  s. 

M.  f.  Supposit.   D.  S.  dos.  VI. 

Zur  Verordnung  des  Antipyrins. 

Einer  Notiz  im  British  Medical  Journal 
zu  Folge  erzeugt  Gerbsäure  in  Antipyrin- 
lösungen  einen  aus  Gerbsäure  und  Antipyrin 
bestehenden  Niederschlag,  welcher  auf  Zu- 
satz verdünnter  Schwefelsäure  löslich  ist 
Gerbsäurehaltige  Decocte,  lufuse,  Tinctoren 
lassen  sich  daher  nicht  mit  Antipyrin  zu- 
sammen verordnen. 

Starke  Lösungen  von  Antipyrin  und 
Chloralhydrat  geben  beim  Vermischen  eine 
weisse  Trübung.  Nach  einiger  Zeit  sammelt 
sich  am  Boden  des  Gewisses  eine  ölige 
Flüssigkeitsschicht,  welche  nach  Verlauf  von 
einigen  Stunden  zu  einer  kry  stall  in  ischen 
Masse  erstarrt.  Die  Krystalle  geben  mit 
Eisenchlorid  die  charakteristische  Antipyrin- 
reaction  und  entwickeln  beim  Erwärmen  mit 
Kalilauge  Chloroform.  —  In  verdünnten 
Lösungen  tritt  dieser  Niederschlag  nicht  ein. 
Bei  einem  Verhältniss  von  1  Antipyrin  bez. 
Chloralhydrat  auf  8  Wasser  ist  die  Mischung 
anfänglich  klar,  nach  einigen  Stunden  treten 
jedoch  auch  in  dieser  Lösung  noch  Krystalle 
auf.  Bei  einer  Verdünnung  von  1  :  32  Was- 
ser bleibt  die  Mischung  dauernd  klar. 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin  N.  —  Druck  von  Gustav  Schade  (Otto  Franoke^  Berlin  N. 


Namen-Regrister. 

(Die  fettgedruckten  Zftfalen  bezeichnen  Öriginal-Abhandlnngen.) 


Adler,  ÄDtisepsis  am  Auge  531. 

Ahlfeld,  Desinfection  der  Scheide  871. 

Albers,  Cocain  bei  grösseren  Opera- 
tionen 577. 

Alexander,  Behandlung  derLeukorrhoe 
mit  Borsäure  35. 

Aliscb,  Antifebrinvergiftang  340. 

Alison,  Tannin  bei  Grippe  584. 

Altdorfer,  Schlaflosigkeit  121. 

Ammon,  Uterusatonie  477.    ' 

AmoD,  Vergiftung  mit  Thiore8orcin534. 

Anderson,  Syphilis  466. 

Andreesen,  Kreosot-Injectipnen  874. 

Angerer,  Pylorusstenose  371, 

Anpugnani,  Fluorwasserstoffsäure  129. 

Anton,  Hjpnotismus  419. 

Anton  W.,  Entzündung  des  äusseren 
Gehörgan  ees  528. 

Auer,  Variola  78. 

Archinard,  Mundwässer  391. 

Baccelli,  Chinin.  Pneumonie.  Neuralgie 
128,  129. 

Baeumler,  Tabes  519. 

Bailly,  Stypage  192. 

Balland,  Tod  nach  Morphin  486. 

Balzer,  Injectionscuren  467. 

Y.  Baracz,    Dermoplastische  Amputa- 
tion 577. 

Bardet,  Exalgin  170,  230. 

Barthelemy,  Acne  465. 

y.  Basch,  Dyspnoe  274. 

Batterbury,  Antipyrin  96. 

Battlehner,  Hebamme  und  Antisepsis 
371. 

Bay6r,Empyem  der  Highmorshöhle  239. 

Berger,  Antipyrin-Intoxication  185  — 
Priyatheilanstalten  535. 

y.  Bergmann,  antisept.  Wundbehand- 
lung 244. 

Berlinerblau,  Vergiftung  durch  Speise- 
lorchel 140. 

Bernhardt,  Tabes  und  Suspension  378. 

Beschorner,  Laryngo-Phtbisis  374. 

Besnier,  Trichophytiasis  467. 

Bettelheim,  Cocain-Vergiftung  242. 

Betz,  Operation  bei  LarynztuDerculose 
505. 

Bielscho  wsky,  Influenz-Elektricität  106. 

Bier,  Syphilome  der  Musculatur  437. 

Binet,  Uytisinum  nitrioum  174. 

Binswanger,  Suggestionstherapie  1,  54, 
112,  158. 

Binz,  Pembalsam  248  —  Kunstiiche 
Narkose  519. 

Birch-Hirschfeld,  Pathol.  Anatomie  94. 

Bokai,    Zoster    nach   Arsenik  77  — 
Picrotoxin,  Antidot  des  Morphins  141. 


Born,  üterusblutuncen  478. 

du  Bourg,  Tod  na(m  Moiphin  436. 

Bourset,  Guajakol  und  Kreosot  bei 
Tuberculose  279. 

Böttrich,  Therap.  Mitth.  Hydrastis. 
Sulfonal  123. 

Bramann,  Schusswunden  des  Dünn- 
darms 418. 

Brand,  Typhus  abdom.  15. 

Braun,  Eünstl.  Frühgebart  wegen  Oed. 
pulm.  137  —  Fälle  yon  Sectio  cae- 
sarea 529. 

Braun-Fernwald,  Manuelle  Behandlung 
der  Frauenkrankheiten  582. 

Bräutigam,  Peru  baisam  422. 

Brehmer,  Mittheilungen  für  Lungen- 
kranke 486. 

Brieger  Prof.,  Bacterien  und  Krank- 
heitsgifte 518. 

Brieger  Li,  A^tifebrin- Vergiftung  384. 

Bromwell,  Papaln  bei  Diphtherie  33. 

Bröse,  Intrauterine  Chlorzinkätzung  35. 

Brower,  Basedow'sche  Krankheit  82. 

Brü^elmann,  Asthma  28  —  Nasen- 
schwindel 67. 

y.  Brunn,  Ichthyol  bei  Erysipel  222. 

Bruns,  Beiträge  zur  kl.  Chirurgie  46 
—  Jodoform  bei  tubercul.  Abscessen 
87  —  Elektrische  Behandlung  der 
Angiome  433. 

Buch   Wirbelweh  879. 

Buchholz,  Auszug  aus  Krankenge- 
schichten 341. 

Bujwid,  ToUwuth  25. 

Bum,  Massage  und  Hamsecretion  87. 

Bumm,  Parametritis  370  —  Wund- 
infection  427. 

y.  Büngner,  Behandlung  des  Klump- 
fusses  527. 

Burchardt,  FoUiculäre  Bindehautent- 
zündung 338. 

Burquoy,  Strophanthns  25. 

Butte,  Trichopnytiasis  467. 

Callan,  Comcalgeschwüre  285. 

Camba,  Intoxication  durch  Canthariden 
186. 

Candarelli,  Chinin  128. 

Cantani,  Pneumonie,  Diabetes  129. 

Casper,  Residualharn  245. 

Cecnerelli,  Tuberculose  Peritonitis  474. 

Chabry,  Bedeutung  des  Kalkes   172. 

Charbanoff,  Rachitis  127. 

Cbarcot,  Suspension  bei  Tabes  135  — 
Suggestionstherapie  379. 

Chazan,  Post-partum-Blutung  35. 

Chelmonski,  galyanisch.  Strom  als  Ab- 
führmittel 339. 


Cheminade,    Resorption    des    Queck 
Silbers  482. 

Cholewa,  Menthol  bei  Furunculose  des 
äussern  Gehörganges  262. 

Chopin,  Ausscheidung  der  Salicylsäure 
282. 

Christ^ison,  Wann  sollen  Arzneien  ge- 
nommen werden?  391. 

Ciaret,  Sulfonal  419. 

Clarke,  Faradischer  Strom  in  der  Gynä- 
kologie 478. 

Clemens,  Behandlung  der  Lungenent- 
zündung mit  Chloroform  177  — 
Eingewachsener  Nagel  mit  Stanniol 
behandelt  240  —  Elektrische  Be- 
handlung der  Kehlkopfskrankheiten 
357  —  Mastdarm-Elektrode  bei  Pro- 
stata-Leiden 410  —  Heilung  der 
syphilit.  Sklerosis  mit  elektrischen 
Strömen  507,  559. 

Cohen,  Bromkali  bei  Keuchhusten  584. 

Cohn,  M.  Seekrankheit  47  -^  Kaffee- 
yergiftung  189. 

Cohnstein ,  Inoarceration  des  retro- 
flectiften  grayiden  Uterus  182. 

Colombe,  Hydropsie  mit  Calomel -be- 
handelt 334. 

Corner,  Salol  474. 

Cornet,  Verbreitung  der  Tuberkelbar 
cillen  521. 

y.  Coryal,  Suggestionstherapie  232, 
403. 

Coyarrublas,  Antipyrin  gegen  Ischias 
282. 

Cramer,  Creolinyergiftung  434. 

Crocker,  Brom- Ausschlag  468. 

Curschmann,  Behandlung  des  Ileus 
1  tlt>. 

Czymianski,  Ma^enaspirator  224. 

llallineer,  Jodoform  bei  tuberculöser 
Knocnenentzündung  474. 

Dana,  Suspension  bei  Rückenmarks- 
leiden 425. 

Dayidsohn,  Desinfection  der  Instru- 
mente 48. 

Dayis,  Asthma  471. 

Deipser,  Heisse  Ausspülungen  post 
partum  478. 

Delbastille,  Blutergüsse  in  die  Gelenke 
126. 

Demme,  Strophanthns  bei  Kindern  82 
—  Vergiftung  durch  Speiselorchel 
140  —  Chorea  bei  Jodolorm-Intoxi- 
cation  186. 

Dettweiler,  Taschenfläschechen  für  Hu- 
stende 216. 

Diday,  Syphilis  466. 

74 


586 


Nam«n*Rogister. 


HJ 


Diessl,  "Variola  78. 

Dietrich,  Eleqtuarium  e  Senna  inspis- 
satam  296. 

Dill  er,  Antifebrin  ge^en  Epilepsie  469. 

Dinter,  Creolinvergiftang  578. 

Dochmann,  Temperatnrsteigerang  127. 

Döderiein,  Antiseptisches  Verfahren 
der  Hebamme  371  —  Desinfection 
des  Geburtskanals  426. 

Dornblüth,  Beruhigungsmittel  für  Gei- 
steskranke,   Hyoscin,  Codein  361. 

Doutrelepont,  Syphilis  mitOalomelund 
Oleum  einer,  behandelt  287. 

Dojon,  Bromkali  im  Orpanismus  428. 

Drysdale,  Trichophytiasis  467. 

Dabois,  Syphilis  466. 

Dubruil,  Empyem  83. 

du  Gastel,  Syphilis  466. 

Dührssen,  Enges  Becken  382  —  Blu- 
tungen post  partum  416. 

Dujarain-Beaumetz,  Strophanthus  26 
—  Exalgin  170  —  Diabetes  420. 

Dumont,  Aethemarkose  87. 

Ebstein,  Ozaena,  Erysipel,  Decubitus 
144. 

Ebstein  (Göttingen),  Harn-  und  Nieren- 
steine erzengt  durch  Injection  che- 
mischer Substanzen  273  —  Behand- 
lung der  Gicht  272. 

Eckerlein,  Utorustamponade  478. 

Edlefsen,  Antipyrinlösung  zur  Injection 
440. 

Eichhoff,  Hydroxylamin  124,  137. 

Eichhorst,  Myrtol  22. 

Eisenlohr,  Empyemoperation  274  — 
Suspension  bei  Tabes  519. 

Emminghaus,  Narcotica  25. 

Engel,  Behandlung  der  Lungenschwind- 
sucht mit  Kreosot  501. 

V.  Esmarch,  Carcinome  327  —  Wasser- 
stoffeinblasung 418  —  Mittheilungen 
aus  der  chirurg.  Klinik  437. 

d'Espine,  Salicy&äure  bei  Diphtherie 
584. 

Eulenburg,  Suspensionsbeh.  bei  Tabes 
378. 

Ewald,  Suggestion  330. 

Ewer,  Zimmerboot  191. 

Fabry,  Behandlung  der  Psoriasis  mit 
Hydroxylamin  338,  392. 

Falkenheim,  Lehre  vom  Empyem  46. 

Farlow,  Reizzustände  der  Ovarien  584. 

Faucher,  Magenausspülung  bei  Kindern 
425. 

Fauchen,  Citronensaft  bei  Epistaxis  96. 

Faust,  Desodorisirende  Wirkung  der 
Bors&ure  514. 

Feeny,  Antipyrin  bei  Nierenkrankbeiten 
und  Diabetes  469. 

Fehleisen,  Prostatahypertrophie  479. 

Fehling,  Selbstinfection  370. 

Felkin,  Nebenwirkung  der  Saücylate 

Felser,  Trichlorjod  127. 
F^r^ol,  Enteroptose  26. 
Finkelnburg,   Verbreitung  der  Tuber- 

culose  274. 
Fischer  B.,  Die  neueren  Arzneimittel 

47,  487. 
Fischer  (Breslau),  Trepanation  372. 
Fischer  E.,  Zweifach  Jodquecksilber 

und -Jodkalium   als   intramusculäre 

Einspritzung  340. 
Fischer  F.,  Sulfonal  332. 
V.  Flammerdinghe,  Hydrocele  47. 


Flashar,  Ananas  144. 

Flechsig,  Handbuch  der  Balneotherapie 
141. 

Fleiner,  Chron.  Gonorrhoe  557. 

Flothmann,  Gehimverletzung  288. 

Foggi,  Wiederherstellung  der  Harn- 
blase 335. 

Fournier,  Syphilis  241. 

Fränkel  B.,  Kehlkopfki-ebs  180  — 
Elektricität  330  —  Cocain  620. 

Fränkel  E.,  Chlorzinkätzung  34. 

Fränkel  (Chemnitz),  ßlennorrhoea  neo- 
nater. 536. 

Frendenberg,  Cocain  bei  Blasenzer- 
trümmerung 431. 

Freund,  Codein  bei  Frauenkrankheiten 
399. 

Frey,  Hypnotismus  419. 

Freyer,  Gift  Wirkung  des  Extr.  Filicis 
maris  äth.  90.  138  —  Wie  ist  daa 
Hebammenwesen  zu  bessern?  94. 

Friedheira,  Gonorrhoe  530. 

Fritsch,  Verhütung  des  Kaiserschnittes 
529. 

Fürbringer,  Impotentia  virilis  272. 

Fürstner,  Opium  24  —  Körpergewicht 
bei  Psychosen  569. 

Fürth,  Antifebrinvergiftung  288. 

dalatti,  Lipanin  472. 

Gans,  Saccharin  233. 

Garnier,  Sulfonal  332. 

Gärtner,  Untersuchung  des  Wassers 
342. 

Garyland,  Antipyrin  bei  Chorea  469. 

Gay,  Tracheotomie  und  Intubation  135. 

Gelpke,  Incarceratio  interna  336. 

Gerber,  Pharyngo- nasale  Syhphilis- 
Affectionen  576. 

Gerson,  Acute  Jodintoxication  bei 
Nephritis  435. 

Gersuny,  Incontinentia  urlnae  480. 

Geschier,  Blattemepidemie  79. 

Gessler,  Elektrische  Behandlung  der 
Angiome  433. 

Geyer,  Jodoform- Dermatitis  36. 

Giacchi,  Wirkung  des  Tabaks  178. 

Gibson,  Strychnin  als  Antidot  bei 
narkotischen  Vergiftungen  81  — 
Nebenwirkungen  der  Salicylate  92. 

Gilles  de  la  Tourette,  Suspension  bei 
Tabes  178. 

Girard,  Seethiere  172. 

Giraud,  Abführende  Chocolade  488. 

Glass,  Sauerstoff-Inhalationen  522. 

Gley,  Strophanthin  25. 

Gnanck,  Neurosen  und  gynäkologische 
Operationen  476. 

Gold,  Rotz-  und  Inunctionscur  431. 

Goldschmidt,  Kystoskopie  442. 

Goldzieher,  Galvanokaustik  in  der 
Augenheilkunde  284  —  Pterygium 
468. 

Gönner,  Lageveränderung  des  Uterus 
283. 

(Soodhardt,  Pilocarpin  gegen  Haut- 
jucken 144. 

Gordon,  Homhautgeschwüre  127. 

Goris,  Fibromyxom  554. 

Gottbrecht,  Flusssfture  411. 

Gottschalk,  Menthol  bei  Erbrechen 
der  Schwanfferen  536. 

Gottstein,  Sublimat-Lanolin  102. 

Götz,  Fluorwasserstoffsäure  85. 

Gräser.  Malariafieber  377  —  Syzygium 
Jamoolanum  519. 


Grätzer,  Lassar^sche  Haarcar  452  — 

Salol  als  Streupulver  536. 
Griffith,  Antipyrin  bei  Kenchhosten  27. 
Grimaud,  Oxvuris  192. 
Grödel,   Einnuss    der  Bäder  aof  dk 

elektrische  Erregbarkeit  derMaskeli 

und  Nerven  23ö. 
Grub  er,  Lehrbuch  der  OhreDheilkuode 

437. 
V.  Gubaroff,  Unterbindung  der  TJteros- 

gefässe  477. 
Gubb,  Oxvuris  vermicularis  192. 
Günther,  Hyperemesis  gravid.  33. 
Günther  (Leipzig),   Desinfection    des 

Gebui^tscanals  426. 
Güterbock,  Krankheiten  der  Hamor- 

gane  580. 
Gutteling,   Psoriasis   und   Jodkaliom 

286. 
Guttmann  P.,  Hydracetin  330. 
Guttmann  S.,  Jahrbuch  der  practischeo 

Medicin  487. 
Guttstadt,  Klinisches  Jahrbuch  243. 
Guyot,  Enteroptose  26. 
Habart,  Mastdarmvorfall  476. 
Hahn  E.,  Osteotomie  des  Genu  TaJgom 

87. 
Hahn  (Bonn),  Hydrargyrum  salicylicam 

480. 
Hallopean.  Pemphigus  nach  Jod  33S 

—  Trichophytiasis  467. 
Hammer,  Phosphorvergiftung  126. 
Hammerle,  Verlust  des  Sehvermögens 

nach  Opiumtinctur  41. 

Hammerschlag,  Misränepniver  391. 

Hardy,  Bromaussem  ag  468. 

Hartge,  Variola  134. 

Hartmann,  Empyem  der  Oberkiefer- 
höhle  239. 

Haupt,  locale  Kehlkopfbehandlung  520. 

V.  Hebra,  Trichophvtiasis  467. 

Hegar,  Aetiologie  der  gyn&koL  Leides 
369. 

Heidenhain,  Krebsrecidive  328. 

Heimann  C,  Cocain-Epilepsie  174. 

Heimann  R.,  Phenacetin  gegen  Keacb- 
husten  344. 

Helbi^,  «-Oxynaphtoesäure  75. 

Helfench,  Hydrocele  97  —  Prostata- 
hypertrophie 479. 

Herczel,  Niorenopcrationen  549. 

Herold,  Nachbehandlung  der  Trache- 
otomie 283. 

Herschey,  Seeale  comutum  bei  Diabetes 
insipid.  584. 

Hertzberg,  Hydrocele  46. 

Herz,  Natrium  salicyl.  bei  Pleuritis 
422. 

Herzog,   Ekzem  am  Naseneingang  33 

—  Sozojodol  bei  Nasen-  und  Hais- 
affectionen  364. 

Heubner,  Scharlachdiphtherie  48,  86. 
Heyder,  Leinenzwim  als  Nahtmaterial 

248. 
Heymann  P.,  Cocain  520. 
Hinkel,  Antipyrin  181. 
Hirschberg,  öphthalm.Unter8uchnDgen 

32. 
Hitzegrad,   Kniegelenksresection  437. 
Hochenegg,  Fremdkörper  77. 
Hoffa,  Sepsis  418. 
V.  Hoffmann,  Ichthyol  219. 
Hofmeier,  Handbuch  485. 
Hofmeister,  Agaricinsfture  270. 
Höftemann,  Trepanation  378. 


ni.  JahrgKag,  1 
Deoember  1889.  J 


Hamen*Regitt«r. 


587 


Holm,  Kreosot  bei  LuDgentuberculose 

211. 

HoDigmaDD,  SirjchniDvergift.  341. 
Houlky-Bey,  Syphilis  467. 
Habert,  Erbrecnen  derSchwaDgereDl44. 
Huchard.  Dicitalis  280  —  Ga£PeIn  373. 
Hugenscomiot,     Dysmenorrhoe    und 

Suggestion  339. 
Hönerfauth,  Mastdarm-Elektrodo  264 

—  Zuckungen  bei  Tabes  519. 
Hüppe,    Lehrbuch    der   Bakterien- 
forschung 438. 
Hüter-Lossen,  Grundriss  der  Chirurgie 

341. 
Immermann,  .Magenuntersuchung  bei 

Phthisikem  272. 
ImoBsi,  Warzen  und  Tinctura  Jodi  392. 
Israel,  Jodofoim-Dermatitis  95. 
Istamanoff,    Urethritis    und    Tbaliin- 

Antrophore  286. 
Iwanow,  Stuhl  färEmphy8ematiker84. 
•f  acobj,  Golchicin  569. 
Jacobs,  Endometritis  468. 
Jacobson^  Otiatrische  Statistik  18. 
Jacquet,  Hautausschlag  nach  Brom  468. 
Jadassohn,  Salicyl-  und  Thymolqueck- 

silber  bei  Syphilis  89. 
V.  Jaksch,  Klinische  Diagnostik  293. 
Jansen,  Goloquinthen-Vergiftung  39 
Jendrassik,    Franklinisation    77    — 

Acetanilid  173. 
Joachim,  Sulfonalwirkung  226. 
Jolly,  Opium  bei  Manie  24,  25. 
Jonquiere,   Vergiftung  durch  Speise- 

lorcbel  140. 
Jores,  Menthol  bei  Asthma  169. 
Jorisenne,  Antipyrin  bei  Angina  584. 
JuUien,  Syphilis  468. 
Jürgensen,  Mechanische  Therapie  bei 

Tabes  519. 
Kahler,  Phosphor-Vergiftung  126. 
Kahn,  Benzanilid  27. 
Kaposi,  Syphilis  466. 
Kappesser,  Panaritium  392. 
Kaltenbach,  Selbstinfection  370. 
Kassowitz,  Rachitis  573. 
Kehrer,  Desinfection  der  Scheide  371. 
Kikuzi,  Tuberculose  der  Nasenschleim- 
haut 46. 
Kirchhofer,  Zahnverpflanzung  360. 
Kisch,  Balneotherapie  bei  Neurosen  287. 
Kitosato,  Tetanuserreger  418. 
Klaussner,    Behandlung    gangränöser 

Heniien  527. 
Klemperer,  Magenerweiterung  273  — 

Dyspepsie  der  Phthisiker  280. 
Klincke,  Hyoscin  bei  Geisteskranken 

282. 
Kloos,  Beckenfraction  46. 
Knie,  Echinococcus  der  Niere.   Ocso- 

phagostomie  33. 
Knigh^  Mandelhypertrophie  526. 
Knoblauch,  Sulfonalwirkung  495. 
Kny,  Hyoscin  25  —  Chloralformamid 

345. 
Kobert,  Jurubeba  126  —  Condurango- 

rinde    128   —   Arbeiten    aus    dem 

pbarmakolog.  Institut  142. 
Koch,  Erysipei  430. 
Koch  Carl,  Therapie  der  gangränösen 

Hernien  336. 
Kocher,    Kropf ezstirpationen    238  — 

Milzexstirpation  283. 
Köbner,    Anwendung   Ton   Jod    und 

Bromprfip.  per  Rectum  489. 


Köhler,  Schnupfen  96. 

Köhler  P.,  Taschenirrigator  366. 

Kolbe,  Jodoform-D crmatitis  266. 

Kolinski,  Naphthalin  433. 

Köllicker,  Klumpfussmaschine  381. 

Komarewski,  Eitrise  Pleuritis  127. 

Köni^,  Künstlich  hergestellte  Nieren- 
steine 329. 

Kodlny,  Behandlung  des  Typhus  375. 

Köstlin,  Granulationsstenosen  380. 

y.  Krafft-Ebing,  Conträre  Sexual- 
empfindung §79. 

Kraske,  Ueberhäutong  offener  Krebse 
136. 

Krause  (Halle),  Sarkom  872  —  Carci- 
nom  328  —  Hüftgelenkresection  329. 

Krause  H.,  Behandlung  der  Kehlkopf- 
tuberculose  203  —  Milchsfiure  520. 

Kreissl,  Manuelle  Behandlung  der 
Frauenkrankheiten  582. 

Kreuzeder,  Behandlung  der  Hydropsie 
mit  Calomel  460. 

Kröll,  Therapie  des  Erysipels  352. 

Kronfeld,  Sulfonal  80  —  Wann  er- 
scheint das  Quecksilber  des  grauen 
Oels  im  Urin?  531. 

Krönlein,  Carcinoma  ventriouli,  Exstir- 
patio  recti,  Gallensteinblasen-Ex- 
stirpation  78  —  Mastdarmcarcinom 
171. 

Kümmel,  Urinretention  bei  Prostata- 
hypertrophie 418. 

Küstner,  Dammrisse  415  —  Ventro- 
fixatio  uteri  bei  Retroflexio  417. 

I^ancereaux,  Syphilis  466. 

Landerer,  Behandlung  der  Tuberculose 
175  —  Methode  der  trockenen  Ope- 
ration 328. 

Landois,  Ur&mie  582. 

Lange,  Ichthyol  219. 

Langgaard,  üeber  neue  Schlafmittel 
461,  515. 

Langlebert,  Syphilis  466. 

Lauenstein,  Krebsgeschwüre  136  — 
Pylorusresection  274  —  Pylorus- 
stenose 371,  372. 

Laufenauer,  Franklinisation  77  — 
Rubid.-Ammonium-Bromid  348. 

Laquer,  Congress  für  innere  Medicin 
271  —  Rhinosclerom  274. 

Lehr,  Neurasthenia  cordis  520. 

Leichtenstem,  Ileus  271. 

Leloir,  Syphilis  465. 

Lemoine,  ryrodin  419. 

Lenn6,  GaUensteine  und  Neuenahrer 
Sprudel  383. 

Leo,  Magen ausspülung  24  —  Gas- 
wechsel bei  Diabetes  274. 

Leopold,  Wochenbett  370  —  Ver- 
hütung des  Kindbettfiebers  427  — 
Sectio  caesarea  528. 

Lesser,  Arzneiexanthem  37. 

Leu,  Behandlung  der  Furunkel  527. 

Leube,  Handbucn  der  speciellen  Dia* 
gnose  der  inneren  Krankheiten  485. 

Levy,  Mastdarmresection  434. 

Lewentaner,  Behandlung  der  Variola 
268. 

Lewis,  Ueotyphus  79. 

Lichtheim,  Degeneration  der  Hinter- 
stränge  568. 

y.  Liebi^,  Ber<;krankheit  231. 

Liebreicn,  Ueber  Acetphenylhydracin 
oder  Pyrodin  23  —  Carbolyaselin 
191  —  Todte  Raum  236  —  Eleo- 


tuarium  e  Senna  inspissatum  248  — 
Spritze  zur  subcut.  Injection  295  — 
Salzbrunn  323  —  Das  dithiosalicyl- 
saure  Natron  II  326  —  Haarwasser 
343  —  Chloralsubstitutionsmittel 
568  —  Pernionen  583. 

Lindemann,  Bedeutung  des  Nordsee- 
bades 234. 

Lindenbaum,  Empyem  127. 

Lindfort,  üterusmyome  183. 

Lister,  Antiseptischer  Verband  584. 

Litten,  Kohlenoxyd -Vergiftung  76  — 
Rhabarberexanthem  126  —  Aorten- 
aneurysma 329. 

Ljachnitzky,  Keimfreie  Laminaria  79. 

Löbker,  Chirurgische  Operationslehre 
190. 

Löhlein,Oyariotomie  und  Myotomie 336. 

Löwe  C,  Antipyrin  bei  Keuchhusten 
169. 

Löwenfeld,  Behandlung  der  Neryen- 
schwäche  436. 

Löwenthal  H.,  Calomelöl  und  Oleum 
einer.  480. 

Löwentbal,  Sulfonal  80. 

Löwentbal  W.,  Cholera  79. 

Löwy,  Salinische  Abführmittel  231. 

Loimann,  Moorbäder  und  deren  Surro- 
gate 165. 

Lomer,  Placenta  praeyia  183. 

Lorey,  Zuckerstaub  gegen  Diphtherie 
96. 

Lumniczer,  Tetanus  77. 

Lwow,  Kali-  hypermangan.  gegen 
Amenorrhoe  und  Dysmenorrhoe  88. 

Mabon,  Sulfonal  bei  Geisteskranken 
571. 

Madelung,  Wundtampons  33. 

Mahnert,  Methacetin  170. 

Makenzie,  Chronische  Ur&mie  und 
Morphin  422. 

Malachowski,  Nebenwirkungen  des  Jod 
(Jodkali)  162  —  Entstehung  und 
Therapie  des  acuten  Jodismus  301. 

de  Man,  Ueber  Extract.  Filicis  21. 

Mandry,  Syphilis  und  Ol.  einer.  481. 

Maragiiano,  Pneumonie  129. 

Mascarel,  Jod  bei  Cardiapathie,  Virga 
latifolia  334. 

Mauriac,  Syphilis  466. 

Meissen,  Guajakol  bei  Phtbise  400. 

Mendel,  Hypnotismus  330  —  Sus- 
pension bei  Tabes  378. 

Mergl,  Creolin,  Jodoform  und  Anti- 
pyrin 88. 

Mermann,  Hebamme  und  Antisepsis 
371,  427. 

V.  Mering,  Amylenhydrat  325  -r- 
Chloraiamid  565. 

Meyer  G.,  Conseryirung  der  Hände  95. 

Michelson,  Nasen-Syphilis  576. 

Mikulicz,  Dauerverband  und  Wund- 
heilung 288  —  Perforations- Peri- 
tonitis 417. 

Miller,  Mikroorganismen  der  Mund- 
höhle 389  —  Antiseptische  Mund- 
wässer 535. 

Minkowski,  Magengährung  44. 

Model,  Vergiftung  durch  Carbolsäure 
482  —  Panaritium  487. 

Modestow,  Intratracheale  Zerstäubung 
85. 

Moll,  Hypnotismus  329. 

Monod,  Gangrän  der  Finger  nach 
Carbollösung  419. 

74* 


588 


Namen-Regitter. 


pTherapeatSa^« 


MoDtgömmery,  Uterinblutung  48. 
Monti,  Keachhasten  584. 
Moravosik,  Hysterie  und  Hypnotismus 

625. 
Mordliorst,  Elektrische  Massage  276. 
V.  Mosetig-Moorhof,  Chronische  Cys- 

titis  488. 
Mosler,   Prophylaxe  der  Tuberculose 
249  —  Krankengeschichten  341  — 
Suspension  bei  Tabes  519. 
Mugdan,  Tussis  conyalsiva  376. 
MöUer  (Franzensbad),  Variola  77.  • 
Müller  E.,  Aktinomykose  46. 
Müller  F.,    Stoffwechsel    bei   Krebs- 
kranken 274. 
Müller  G.,  Hydrargyr.  salicylic.  577. 
Müller  H.,  Nebenwirkungen  des  Anti- 

pyrin  41. 
Müller  P.,  Handbuch  der  Gebartshülfe 

386. 
Mullhall,  Behandlung  der  Diphtherie 

623. 
Münchmeyer,  Exstirpation  des  Uterus 
416  —  Kochsalzinfusion  bei  Anämie 
477. 
Nagel,  Wendung  bei  engenpt ^Becken 

382. 
Naegeli,   Handgriff   bei  Keuchhusten 

424. 
Naunyn,  Mittheilungen  aus  der  med. 

Klinik  zu  Königsberg  42 — 44. 
Neisser,  Methoden  der  Syphilis-The- 
rapie 291. 
Netolitzky,  Variola  78. 
Neumann,  Lehrbuch  der  venerischen 

Krankheiten  187  —  Syphilis  466. 
Nieden,  Amblyopie  durch  Nitrobenzol 

242. 
Niesei,  Krankengeschichten  341. 
Nitschmann,  Sozojodol  16. 
Nolte,  Erysipel  48. 
Nonne,  Hypnose  30. 
V.  Noorden,  Verkalkte  Epitheliome  47. 
Normann,  Sulfonal  468. 
Nowack,  Perubalsam  422. 
V.  Nussbaum,   Unglücke  in  der  Chi- 
rurgie 92  —  Unterleibsbrüche  475. 
Nykamp,    Heisse   Luft    bei   Lungen- 

tuberculose  519. 
Obalinski,  Laparotomie  172. 
Oliven,   Behandlung  der  Phthise  mit 

Kohlensäure  100. 
Openchowsky,  Digitalisgruppe  275. 
Oppenheim,  Traumatische  Neurose 372. 
Oppenbeimer,  Jodkaliumwirkung  537. 
Osley,  Meteorismus  488. 
Ostermayer,  Brandwunden  536. 
Oestreichcr,  Hydracetin  bei  Psoriasis 

383. 
0  verlach,  Spritze  zur  subcut.  Injection 

295. 
Ott,  Phosphor-Vergiftung  126. 
Fachoud,  Sulfonal  419. 
Parisi,     Cocosnüsse    als    Bandwurm- 
mittel 30. 
Pauli,  Aether  nitrosus  276  —  Natur- 
forscherversammlung in  Heidelberc: 
518,  568. 
Pauschinger,    Antifebrin -Vergiftung 

288. 
Peabody,  Terpentinöl  gegen  Diphtherie 

488. 
Pean,  Trepanation  bei  Epilepsie  172. 
Peiper,    Krankengeschichten    341    — 
Schutzpockenimpfung  143. 


Pelloruti,  Tuberculose  129. 

Petersen,  Arthrodese  872. 

Petresco,  Digitalis  bei  Pneumonie  134. 

Petrini,  Sypnilis  466. 

Perceval,  Layngbmus  stridulus  48. 

Pfeiffer,  Gicht  272. 
Pfuhl,  Kalkmilch  zur  Desinfection  der 
Typhus-    und   Choleraausleerungen 
488. 

Philipps,  Pilocarpin  in  der  Geburts- 
hülfe  184. 

Piffard,  Salz  bei  Hautkrankheiten  36. 

Pinner,   Resorption  des  Quecksilbers 
320. 

Pinzani,  Antipyrin  und  Wehenthätig- 
keit  469. 

Placzek,  Abkühlung  bei  Fieber  133. 

Plenio,  Zur  Creolinfrage  23. 

Plumert,  Quecksllbersalicylat  287. 

Podrere,     Tuberculose     Gelenkaffeo- 
tion  127. 

PoUak,  Variola  78. 

Polydk,  Diarrhoe  der  Phthisiker  182, 
472  —  Kreosot  bei  Phthisikern  574. 

Porrith,  Pruritus  392. 

Pouchet,    Kalk  bei  der  Entwicklung 
der  lebenden  Wesen  172. 

Posner,  Prostatitis  275,  373. 

Poten,  Wochenbetterkrankung  427. 

Poulet,   Purpura  haemorrhagica,  be- 
handelt mit  Argen t.  nitr.  430. 

Prevost,  Cytisinum  nitricum  174. 

Prior,  Cannabispi*äparate  80. 

Puijesz,  Typhus  abd.  12  —   Creolin 
bei  eitriger  Mittelohrentzündung  184. 

Puschmann,    Geschichte  der  Mcdicin 
518. 

Rabow,  Ueber  Hyoscin  367  —  Haar- 
wasser 391  —  Somnal  517. 

Radestock,  Schwitzcuren  bei  Syphilis 
74. 

Ramos,  Strychnin  beiDelirium  trem.81. 

Rapin,  Antipyrin  41. 

Raynaud,  Verordnung  des  Coffeins  536. 

Reimer,  Scharlach  575. 

Renvers,    Ernährung   bei    der   Diph- 
therie 145. 

de  Renzi,  Lungentuberculose  128. 

Reuter,  Castoreum  440. 

V.  Rey,  Fall  von  San  tonin -Vergiftung 
532. 

Reynold,  Thiocamf.  391. 

Rheiner,  Zur  Kenntniss  des  Codeins 
393,  456. 

Rheinstädter,  Chlorzinkätzung  34. 

Rice,  Glycerinklystier  96. 

Richards,  Incontinentia  urinae  488. 

Riva,  Lungentuberculose  129. 

Robin,  Behandlung  des  Diabetes  mit 
Antipyrin  281. 

Robinson,  Lungenphthise  und  Kreo- 
sot 420. 

Roche,  Wirkung  der  Virga  aurea  334. 

Roe,  Mandelaffectionen  526. 

Röhmann,  Jodismus  301. 

Rörig,  Neuer  Spülapparat  70. 

Rörig,  sen.,  Lithotripsie  155. 

Rosenbach,  Chloroform  -  Inhalationen 
bei  Lungen-  und  Herzkrankheiten 
175  —  Carbolvaselin  191  —.Haben 
die  in  Vaselin  oder  Oel  gelösten 
Antiseptica  wirklich  keine  therap. 
Bedeutung  247  —  Punction  des 
Darms  bei  Darmverschluss  335  — 
Nachtschwcisse  der  Phthisiker  344. 


Rosenbaum,  Hydroelektrische  Bäder 
233. 

Rosenberg  S.,  Olivenöl  bei  Gallen- 
steinen 433,  542. 

Rosenfeld,  Semiotik  des  Harns  293 
—  Jauchiges  Empyem  274. 

Rosenthal,  Morphinismus  u.  Chloralis- 
mus 572. 

Roser,  Larynzexatirpation  274. 

Rosolimos,  Syphilis  466. 

Roux,  Creolin  473. 

Rumpf,  Einfluss  des  Alkohols  nnd 
Glycerine  auf  die  Diffusion  der 
Salze  518. 

Runge,  Puerperale  Sepsis  34. 

Rüter,  Perineorrhaphie  409. 

Rydygier,  Unterbindung  der  Arteri* 
thyreoidea  381. 

Slahli,  Antifebrin  bei  Angina  333. 

Salemi,  Antipyrin  bei  Hallucination  28. 

Salkowski,  Wirkung  des  Chloroforms 
175. 

Salzer,  Fremdkörper  76. 

Sämiscb,  Verletzungen  des  Auges  290. 

Samter,  Behandlung  des  Erysipels  mit 
Carbolinjectionen  473. 

Sänger,  Perineoplastik  415. 

Schabanowa,  Rachitis  423. 

Schäffer  E.,  Oxalsäure -Vercifbung  435. 

SchäfferM.,  krystallisirtes  Jodol  294. 

Schäffer  R.,  Behandlung  der  Uterus- 
myome  nach  Apostoli  447. 

Schatz,  Seeale  comutum  417. 

Schellong,  Malariafieber  540. 

Schinzinger,  Carcinoma  mammae  328. 

Schiff,   Behandlung   der  Verbrennun- 

fen  465. 
illing,  Keuchhusten  470. 

Schlesinger,  Creolin  474. 

Schmeicher,  Glycerin  -  Suppositorien 
294. 

Schmid  H.,  Kehlkopfexstirpation  238, 
372. 

Schmidt,  Codein  bei  Morphinismus  509. 

Schmidt  (Mülheim),  Künstliche  Matter- 
milch 136. 

Schmidt  M.,  Schlitznng  der  Mandeln 
441  —  Zucker  bei  Operationen  520. 

Schnitzler,  Perubalsam  bei  Eehlkopf- 
Tuberculose  520. 

Schönfeld,  Klinisches  Jahrbuch  243. 
289. 

Schott,  Morbus  Basedowii  231. 

Schuler,  Antiseptische  Chirurgie  426. 

Schüller,  Laparotomie  418. 

Schultze,  Tabes  569. 

Schulz  H.,  Vergiftung  mit  Croton- 
samen  89  —  Zerlegung  voa  Jod- 
kalium durch  Kohlensäure  367. 

Schuster,  Hypnose  315  —  Syplülis 
466. 

Schütz,  Therapie  des  Lupus  240. 

Schwarz,  Franklinisation  77. 

Schwimmer,  Syphilis  466. 

ScoUa,  Fluorwasserstoffsäure  129. 

Secretan,  Seröse  Ergüsse  29. 

See,  Strophanthus  25  —  Diabetes 
420  —  Lactose  als  Diureticum  332. 

Seglas,  Sulfonal  419. 

Sehrwald,  Aetzwirkung  des  Broms 
384. 

Seibert,  Diphtherie  392. 

Seifert,  Rhinitis  fibrinosa  274. 

Seig,  Zusatz  von  Kreosot  nnd  Sac- 
charin zu  Loberthran  536. 


m.  JahrgAng.  1 
Deeomber  1889.  J 


Namen-Regitter. 


589 


Seitz,  VerordnoBg  des  Kreosot  48. 

Sembritzki,  Wirkung  des  Antifebrins 
267. 

Senator,  Qaellsonde  297. 

Shakowski,  Salicjlsäure  bei  Scarla- 
tina  236. 

Sielski,  Utemsprolaps  183. 

Siredey,  Enteroptose  26. 

Skrzeczka,  Klinisches  Jahrbuch  243. 

Skutsch,  Salpingo-Stomatomie  417  — 
Zur  Lehre  Tom  Kaiserschnitt  528. 

Socin,  Darmwunden  418. 

Sokolowski ,  ,  Kehlkopfsschwindsucht 
235. 

Soinmerbrodt,  Lungentuberculose  be- 
handelt mit  Kreosot  298. 

Sonsino,  Ankjlostoma  behandelt  mit 
Thvmol  129,  434. 

Soubbotine,  Empyem  127. 

Sperling,  Hypnose  29,  330. 

Sprinz,  Fusssch weisse  143. 

Steffeck,  Desinfection  der  weibl.  Geni- 
talien 426. 

Stein,  Cocaln-Verffiftung  485,  584. 

Steiner,  Sulfonal  459. 

Stepp,  Innere  Anwendung  des  Chloro^ 
forms  176  —  Bromoform  gegen 
Keuchhusten  470,  573. 

Stern,  Neues  Suspensorium  38  — 
Neue  Lanolinsalben  72  —  Xan- 
thom  89. 

Stern  C,  Sozojodol  432. 

Stewart,  Selbstmord  durch  Kalium- 
bichrom at  42. 

Stifler,  Kohlensaure  Stahlbäder  233. 

Stiller,  Morbus  Basedowü  83. 

Strassmann,  Chloroform  185. 

Strümpell,  Syphilis  und  Tabes  568. 

Studer,  Helvella  esculenta  140. 

Suchannek,    Nachbehandlung    der 
Nasenoperationen  552. 

Sulzer,  Traumatische  Epilepsie  235. 

y.  Swiecicki,  Stickoxydul  -  Sauerstoff- 
An&sthesie  88  —  Endometritis  488. 

Szadek,  Chronische  Urethritis  430. 

Szenes,  Entzündung  des  äusseren  Ge- 
hörganges 528. 


Szeremley,  Diphtherie  und  Ferrum 
sesquichlor.  523. 

Tavernier,  Syphilis  465. 

Terpeljaschin,  Kataract  nach  Mutter- 
korn 127. 

Ter-Zakariant,  Eschscholtzia  24. 

Thomas,  Antipyrese  132. 

Tiemann,  Untersuchung  des  Wassers 
342. 

Tilanus,  Jodoform  474. 

Tizzoni,  Wiederherstellung  der  Harn- 
blase 335. 

Tomaselli,  Chinin  128. 

Thiersch,  Extraction  der  Nerven  371. 

Thomson,  Nähmaterialien  beim  Kaiser- 
schnitt 529. 

Thorpe,  Vergiftung  durch  Himrod's 
Pulver  42. 

Treitel,  Conjunctivitis  gran.  63.  128. 
401. 

V.  Trenitinaylia,  Antisepsis  136. 

Tuczek,  Antipyrin -Vergiftung  386. 

Uffelmann  ^  Desinfection  infectiöser 
Darmentleerungen  440. 

Uhlig,  Ernährung  der  Säuglinge  mit 
sterilisirter  Milch  524. 

Urapfenbach,  Therapeutische  Mitthei- 
lungen 250. 

Ungar,  Pneumatische  Therapie  im 
Kindesalter  7. 

V.  Vamossy,  Perubalsam  bei  Lungen- 
tuberculose 421. 

Veit,  Extrauterinschwangerschaft  415. 

Vidal,  Trichophytiasis  467. 

Vieil,  Ekzem  37. 

Vogl,  Typhus  129. 

Voisin,  Sulfonal  419. 

Volkmann,  Entfettungscuren  381. 

Volland,  Behandlung  der  Lungen- 
schwindsucht 276. 

Vossius,  Conjunctivitis  granul.  258. 
311. 

Wackcz,  Creolin-Ekzem  264. 

V.  Watraszewski,  Syphilis  467. 

Weber,  Krankengeschichten  341. 

Weinberg,  2  Fälle  von  Kaffeever- 
giftung 241. 


Weiss  M.,  Kochsalzinjection  bei  Anä- 
mie 30. 

Werth,  Genitaltuberculose  371. 

Wertheimber,  Pruritus  cutaneus  uni- 
versalis 536. 

Wesener,  Behandlung  der  Lungen- 
schwindsucht 234. 

Wessler ,  Cocain  -  Antipyrininjection 
168. 

Westphalen,  Subcutane  Blutinjection 
134. 

Wbitehead,  Behandlung  des  Carbun- 
kels  248. 

Wiedow,  Kreuzbeinresection  369  — 
Beckenabscess  416. 

Wildermuth,  Amylenhydrat  gegen  Epi- 
lepsie 572. 

Winckol ,  Extrauterinschwangerschaft 
369. 

Windclschmidt,  Antipyrin  bei  Keuch- 
husten 573. 

Wittich,  Opium  24. 

Wolfler,  Cocain  288  —  Erysipel  429. 

Wolfermann,  Rückgratsverkrümmung 
38h  527. 

Wolzeudorf,  Handbuch  der  kleinen 
Chirurgie  246. 

Worms,  Diabetes  420. 

Zeising,  Syphilisbeh.  mit  Salicyl-  und 
Thymolquecksilber  89. 

Zeissl,  Lehrbuch  der  Syphilis  93. 

Ziegenspeck,  Desinfection.  der  Heb- 
amme 371  —  Tubarschwangerschaft 
416. 

Ziehen,  Opium  bei  Psychosen  61. 
115. 

Zemer,  Pyrodin333. 

V.  Ziemssen,  Hypnotismus  426  —  An- 
nalen  des  I&ankcnhanses  zu  Mün- 
chen 534. 

Zuntz,  Chloralamid  565. 

Zwaardemaker,  Cocain  434. 

Zweifel,  Cephalotrypter  oder  Cranio- 
clast  49  —  Ein  zweiter  Kaiser- 
schnitt mit  Uterusnaht  an  derselben 
Frau  529. 


Sach-Register. 


Abführmittel,   salinische 

231. 
Abkühlungsverfahren  133. 
Acetanilid  173. 
Acetylphenylhydracin  23, 

330. 
Acne  465 
Aderiass  129. 
Aethernarkose  87. 
Aether  nitrosus  276. 
Aethylbromid  385,  390. 
Aethylenbromid  385,  391. 
After,  widernatürlicher  336. 
Agaricinsäure  270. 
Aktinomykose  46. 
Amenorrhoe  88. 
Ammon.  picronitr.  540. 


Amputatio  n ,    dermoplasti- 

sche  577. 
Amylenhydrat  325,  572. 
Anästhesie  88. 
Ananas  144. 

Anchylostomum  129,  434. 
Angina  333,  584. 
Angiome  433. 
Ankylostoma  129,  434. 
Antbelminticum  30. 
Antifebrin  267,   288,    333, 

340,  469. 
Antifebrin -Vergiftung    288, 

340,  384. 
Antipyrese  132. 
Antipyrin  27,  28,   41,  47, 

48,    88,    96,    169,    181, 


185,  281,  282,  440,  469, 
573,  584. 

Antipyrin-Epilepsie  385. 

Antipyrin -Vergiftung  185, 
384. 

Antisepsis  136;  bei  Augen- 
operationen 531. 

Antiseptica  247. 

Antiseptischer  Verband  584. 

Aortenaneurysma  329. 

Aprosexia  nasalis  67. 

Argentum  nitric.  430. 

Arsenik  77. 

Arthrodese  372. 

Arznei-Exantheme  37. 

Arzneimittel,  neuere  47, 487. 

Asthma  28,  169,  471. 


Athmungsstuhl  84. 
Bäder-Almanach  293. 
Bäder,  hydroelektrische  233. 
Balneotherapie  141. 
Basedow^scheKrankh.  82,83. 
Beckenabscess  416. 
Becken,  enges  382. 
Beckenfractur  46. 
Benzanilid  27. 
Bergkrankheit  231. 
Bindehautentzündung  338. 
Blasenkatarrh  488. 
Blasensteinzertrümmerung 

431. 
Blasensteine  155. 
Blennorrhoea  neonatorum 

536. 


590 


Saeh-R^clttor. 


L  Mona 


HonatahcAe. 


BlutiDJection  134. 
BlatuDgen  123. 
Blutungen  po8t  partum  416. 
Bors&nre  514. 
Borsäure-Lanolin  343. 
Brandwunden  536. 
Bromäthyl  385,  390. 
Bromätzun^  384. 
Bromexantaem  468. 
Bromkali- Anhäufung  423. 
Bromoform  470,  573. 
Brompräparate  per  Rectum 

angewandt  489. 
CafifeTn  373. 
Calomel  334,  460. 
Calomelinjection  287,  482. 
Calomelöl  480. 
Cannabispräparate  80. 
Canthariaen  186. 
Carbolpaetillen  248. 
Carbolyaselin  191. 
Carbolyergiftung  482. 
Carbunkel  248. 
Carcinome  327,  328. 
Carcinoma  ventriculi  78. 
Cardiopathien  334. 
Castoreum  440. 
Cephalotrypter  49. 
Chinin  128,  377,  584. 
Chirurgie,  kleine  246. 
Chloralamid  345,  461,  565. 
Chi  Oralammonium  461, 515. 
Chloralformamid  345,  461. 
Chloralsubstitutionsmittel 

568. 
Chloral-Urethan  461,  515. 
Chloroform  175,   176,   177, 

185. 
Chloroform-Asphyzie  344. 
Chlorzink-Aetzung  34,  35. 
Chocolade,  abführende  488. 
Cholera  79. 

Cholera-Entleerungen  488. 
Chorea  186,  469. 
Chromsäure  344. 
Cocain  36,  392,  431,   434, 

520,  534,  577. 
Cocain- Antipyrininj  ection 

168. 
Coca5n-Epilepsie  174. 
Cocain-Vergiftung  242,  288, 

485,  534. 
Cocosnüsse  30. 
Codetn  363,  393, 399, 456, 

669. 
Coffein  536. 
Colchicin  569. 
Coloquinthen- Vergiftung  39. 
Condurango  128. 
Congres  intern,  de  Therap. 

192. 
Conjunctivitis   foUic.   63, 

118,  258,  311,  401. 
Cornealgeschwüre  285. 
Cornutin  417. 
Cranioclast  49. 
Crcolin  23,  88,    184,   473, 

474. 
Creolin-Ekzem  264. 
Creolin-Vergiftung^34, 578. 
Creosot  420  vide  Kreosot. 
Crotonsamen  89. 
Croup  135. 
Cytisin  174. 
Ilarmpunction  335. 


Dauerverband  288. 

Decubitus  144. 

Degeneration    der    Hinter- 
stränge 568. 

Delirium  tremens  81. 

Desinfection    der  Darment- 
leerungen 440. 

Desinfection     der     Instru- 
mente 48. 

Diabetes  129,  281,  420, 469, 
519. 
—  insipidus  584. 

Diarrhoe  96,  472. 

Digitalis  134,  276,  280. 

Diphtherie  33,  96, 145, 488, 
523,  584. 

Doppelcyanid    C4. 

Dysmenorrhoe  88,  339. 

Dyspepsie  der   Phthisifter 
272,  280. 

Ekzem  37,  38. 

Elektricität  bei  Syphilis  507. 

Electuarum  e  Senna  248, 
296. 

l^physem  84. 

^Empyem    der    Oborkiefcr- 
höhle  239. 

Empyem  46,  83,  127,  274. 

Endometritis  468,  488. 

Enteroptose  26. 

Entfettungscur  bei  Gelenk- 
affection  381. 

EpUepsie  172, 235, 469,  572. 

Erbrechen  144,  536. 

Ergüsse,  seröse  29. 

Ernährung,  künstliche  145. 

Erysipel  46,  48,  144,  222, 
352,  429,  430,  473. 

Eschscholtzia  californ.  124. 

Essentia  Frangulae  344. 

Exalgin  170,  230. 

Extractum  Filicis  21. 

Extractum  Seealis  584. 

E  xtrauterinsch  wan  gerschaft 
3G9,  415. 

Fibromyxom  554. 

Filix  mas.  90,  138. 

Fluorwasserstoffsäure  85, 
129,  411. 

Flusssäure  411. 

Formnlae  mag.  Berol.  143. 

Franklinisation  77. 

Fremdkörper  76. 

Frostbeulen  96,  583. 

Frühgeburt  137. 

Furunkel  627. 

Fussschweisse  143,  344, 
392,  488. 

Gallensteinblase  -Exstir- 
pation  79. 

Gallensteine  383,  542. 

Galvanokaustik  284. 

Geburtshülfe  386. 

Gehirntumoren  372. 

Gelenkergüsse  126,  127. 

Gelenkkrankheit  381. 

Genitaltuberculose  371. 

Genu  valgum  87. 

Gicht  271. 

Glycerinklystiere  96. 

Glycerin-Suppositorien  294. 

Gonorrhoe  530,  557. 

Granulations-Stenosen   380. 

Grippe  584. 

Guajakol  279,  400,  574. 


aarcur  452. 
Haarwasser  343,  391. 
Hämoptoe  123. 
Hallucination  28. 
Harnbinse,  künstliche  335. 
Hamsecretion  87. 
Hautjucken  144. 
Hebammenwesen  94. 
Helvella  esoul.  140. 
Hernie,  eingeklemmte  488. 
Hernie,  gangränöse  336,527. 
Himrod's  Pulver  42. 
Hornhautgeschwür  127. 
HüflgelenKr«0ection  329. 
Hydraoetm  330,  388. 
Hjdrtrgyr.  salicyl.  480, 577. 
,  Hydrargyr.  thymolicum  89. 
Hydrocele  46,  47,  97. 
Hydropsie  460. 
Hydroxylamin  124, 137,  338, 

519. 
Hyoscin  25,  256,  282.  -361, 

367.  ^ 

Hyperemesis  gravid.  33, 536. 
Hypnose  29,  30,  315,  329, 

330,  419,  426,  525, 
Hysterie  525. 
Ichthyol  219,  222. 
Ileus  193,  271. 
Impfung  143. 
Impotentia  virilis  272. 
Incarceration  des  Uterus  182. 
Incarceratio  interna  336. 
Incontinentia  urinae  488. 
lufect.  42. 

Influenz-Elektricität  106. 
Intratracheale    Zerstäubung 

85. 
Intubation  135. 
Ischias  129,  282. 
Jahrbuch  klinisches  243. 
Jod  128,  489. 
Jodintoxication  435. 
Jodismus  301. 
Jodkaliam  286,  489,  537. 
Jodkalium,  Zerlegung  367. 
Jod,  Nebenwirkung  l62. 
Jodoform  87,  88,  465,  474. 
Jodoform-Dermatitis  36, 95, 

266. 
Jodoform-Vergiftung  186. 
Jodol  294. 
Jodquecksilber  340. 
Jodtinctur  392. 
Jurubeba  125. 
Kaffeevergiflung  139,  241. 
Kaiserschnitt  528,  529. 
Kalk  172. 

Kali  hypermang.  88. 
Kalium  bichromat.  42. 
Kataract  127. 
Kältetampons  192. 
Kehlkopfs-Exstirpation  238, 

372. 
Kehlkopfs krankheiten   357. 
Kehlkopfkrebs  180. 
Kehlkopfschwindsucht  203, 

235,  505. 
Keuchhusten  27,  169,  173, 

344,  376,  377,  424,  470, 

573,  584. 
Kindbettfieber  427. 
Klumpfussbehandlung   527. 
KlumpfusBmaschine  381. 
Kniegclenkresection  437. 


Kochsalzinfusion  477. 
Kochsalzinjection  30. 
Kohlenoxydvergiftung  76. 
Kohlensäure -Inj  ection  100. 
Krebsgesohwflre  136. 
Kreosot  48,  211,  279,  298, 

374,  501,  574. 
Kreuzbeinresection  369. 
Kropfexstirpation  288. 
Kystoskopie  442. 
liactose  332. 
Laminaria  79. 
Lanolinsalben  72. 
Laparotomie  172,  336,  418. 
Laryngismus  strid.  48. 
Laryngo-PhthisiB  374,  505, 

520. 
LeberthranverordnoDg  536. 
Leinenzwirn  248. 
Leukorrhoe  35. 
Lipanin  472. 
Lithotripsie  155. 
Lungenentzündopg  177. 
Lungenphthise    420,     501, 

520. 
Lungenschwindtucht      211, 

234,  501,  520. 
Lungentuberculose  128, 129, 

249,  274,  276,  279,  374, 

501. 
Lupus  240. 
11  agenaspirator  224. 
Magenausspülungen  425. 
Magenerweitening  273. 
Magengä,hruDg  44. 
Magenkatarrh  233. 
Magenspülung  24. 
Magnesium  silicicum  182. 
Malaria  377.  540. 
Mandelhypertrophie  526. 
Mandelschlitzang  441. 
Manie  24. 
Massage,  87. 
Massage  elektrische  276. 
Mastdarmkrebs  171. 
Mastdarm-Elektrode    264, 

410. 
Mastdarmvorfall  466. 
Mfßtdarmresection  434. 
Mechanische   Therapie   der 

Tabes  519. 
Menthol  169,262,  528,  536. 
Meteorismus  488. 
Methacetin  170. 
Migränepulver  391. 
MikroorganismeiL  der  Mund- 
höhle 389. 
Morphinismus  569,  572. 
Morphin  Vergütung  436. 
Mundwasser  391. 
Müch  136. 
Milchsäure  182. 
Milzexstirpation  283. 
Mittelohrentzündung  184. 
Moorbäder  165. 
Morbus  Basedowii  231. 
Mundwässer  535. 
Myomotomie  336. 
Myrtol  22. 

Xachtschweisse  123,  344. 
Nagel,  eingewachsener  240. 
Naphthalin  433. 
Nasenbluten  96. 
NasenoperationeD  552. 
Nasenschwindel  67. 


HL  JalirgMüff.  1 
December  1889.  J 


Saeh-fteglstof. 


691 


Nasen-Sjphilis  576. 
Natriomnitrit  519. 
Natrium  salicylicum  422. 
Natron ,    dithiosalicylsaures 

326. 
Nephrectomie  33. 
Neryenextraction  371. 
Nervenschwäche  436. 
Nervensyphilis  43. 
Neuenahrer  Sprudel  383. 
Neurasthenia  cordis  520. 
Nieren-Echinococcus  33. 
Nierenkrankheiten  469. 
Nierenoperationen  549. 
Nierensteine  329. 
Nitrobenzol  242. 
Oleum  cinereum  287,  436, 

480,  481. 
Olivenöl   bei    Gallenstein ea^i 

542. 
Operationslehre  190. 
Ophthalmoskopie  32. 
Opium  24,  61,  115. 
Opium-Tinctur  41. 
Oesophagotomie  33. 
Osteome  der  Ferse  47. 
Osteotomie  87.  >•  « 

Otiatrie  18. 
Otitis  528. 
Ovariotomie  336. 
Oxalsäure- Vergiftung  435. 
Oxycolchicin  571. 
/J-Oxynaphtoesäure  75. 
Oxjuris  verm.  192. 
Ozaena  144. 
Panaritium  392,  487. 
Papain  33. 
Pemphigus  338. 
Perforations-Peritonitis  417. 
Perineoplastik  415. 
Perineorrhaphie  409. 
Peritonitis  tubercul.  474. 
Pemionen  583. 
Perubalsam  144,  175,  248, 

421,  422,  520. 
Phenacetin  344. 
Phosphor  127,  574. 
Phosphor-Vergiftung  126. 
Phthisis  100,  574. 
Picrotoxin  141. 
Pikrins.  Ammon.  540. 
Pilocarpin  144,  184. 
Placenta  praevia  183. 


.1  — 


Poeums 
Pneumo 
Post-pai 
Prolapsi 
Prostata 

479. 
Prostatii 
Prostatit 
Pruritus 
Pruritus 
Psoriasis 

Psychose  i 

Pterygiui 
Purpura 
Pylorusre 

Pvlnrnant 

F 

1  Que 
QuecKi,.." 
Queoksiib    ■      . . 
Quöll^omd     :... 
Hachitis  127,  423,  573. 
Raum,  todter  236. 
Rectal-Iniectiön  100. 
Residualbarn  245. 
Resorcin  173. 
Rhabarber  126. 
Rippenfellentzündung  422. 
Rippenresection  83. 
Rotz  431. 
Rubidium- Ammon-Bromid 

348. 
Rückgratsverkrummung38 1 . 
Haccharin  233,  392. 
Salbensonden-Behandlung 

430. 
Salicylate  92. 
Salicylsäme  236,  584. 
Salicylsäure-Ausscheidung 

282. 
Salicylquecksilber  89. 
Salol  79,  474. 
Salolstreupulver  536. 
Salz  36. 
Salzbrunn  323. 
San  tonin -Vergiftung  532. 
Sarkom  372. 

Sauerstoff-Inhalationen  522. 
Säuclingsemährung  524. 
Scariatina  48,  575. 
Scharlachdiphtherie  48,  86. 


•hlfiflosigkeit  121. 

hnupfen  96. 

hwitzcuren  74. 

husswunden    des    Darms 

118. 

3ale  com.  127. 

itio  caesarea  528,  529. 
.    skrankheit  47. 

bstinfection  370. 
lon  Tiglii  89. 
sis  puerp.  34. 
ualempfindung,  conträre 
79. 

3ro6is   syphilitica    507, 
59, 

a^  516. 
.     /392. 
.       ^Ab\    16,    174,    364, 

.  't,>^36. 
:  ^yoiseröhren -Verengerung 

297. 
Spülapparat  70. 
Stahlbäder  233. 
Stropbanthin  25.  ^    , 

Strophanthus  82.  '^  J 

Strychnin  81. 
Strychnin-Injection  43. 
Strychnin-Vai giftung  341. 
Stypage  192. 
Sublimat  241. 
Sublim atcollodium  89. 
Sublimat-Lanolin  102. 
Suggestions-Therapie  1,  54, 

112,  158,  232,  379,  403. 
Sulfonal  80, 123,  226,  255, 

332,  419,  459,  468,  495, 

571. 
Suspension   135,  178,  378, 

425. 
Suspensorium  38. 
Syphilis   74,    89,   93,    187, 

241,  287,  291,  465,  481, 

507,  568. 
Syzygium  Jambolanum  519. 
Tabak  178. 
Tabes  dors.  135,  178,  378, 

519,  568. 
Tänien  96. 
Tannin  584. 

Taschenfläschchen    für  Hu- 
stende 216. 
Taschenirrigator  366. 


Temperatursteigerung  127. 

Terpenthinöl  488. 

Tetanus  77,  469. 

Tetanusbacillns  418. 

Thallin-Antrophore  286. 

Thiocamf  391. 

Thioresorcin  518,  534. 

Thure-Brandf  sehe  Methode 
183. 

Thymöl  129. 

Thymolquecksilber  89. 

Tollwuth  25. 

Tracbeotomie  135,  283. 

Trepanation  172,  372,  373. 

Trichloriod  127. 

Trichopnytiasis  467. 

Tuberculose  175,  298,  574. 

Tuberkelbacillen,    Verbrei- 
tung der  521. 

Tussis  convulsiva  376,  377. 

Typbus  abdom.  12,  15,  79, 
129,  375. 

Urämie  422,  582. 

^?mterleibsbrüche  475. 
^V^^^than  255. 
-Urethritis  430. 

Urinretention  418. 

Uterusatonie  477,  478. 

Uterusblutungen  48. 

Uterusexstirpation  416. 

Uterus  -  Lageveränderung 
283.      . 

Uterusmyome  183,  447. 

Uterusprolaps  183. 

Uterustamponade  478. 

Tariola  77,  134,  268. 

Ventrofixatio  uteri  417. 

Verband,  antiseptischer  584. 

Verbrennungen  465. 

Virga  aurea  334. 

Warburg'sche  Tinctur  541. 

Warzen  392. 

Wirbelweh  379. 

Wundinfection ,    puerperale 
427. 

Wundtamponbefestigung 
33. 

Xanthom  89. 

Zahnschmerzbalsam  392. 

Zahnverpflanzung  360. 

Zimmerboot  191. 

Zoster  77. 


<1 


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