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Boston
Medical Library
Association,
19 BOYLSTON PLACE.
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Therapeutische Monatshefte
Dritter Jahrgang. 1889.
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Therapeutische Monatshefte.
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UDter Redactioo von
Dr. A. limnggaard and Dr. H. Rabow.
Dritter Jahrgang.
188».
Berlin.
Verlag von Julius Springer.
1689.
QATALmUED,
Inhalts-Verzeichniss.
Originalabhandlangen.
Seite
1. BemerkangeD über die SaggestivÜierapie. Von Prof. 0. Bins wanger 1
2. Verwerthon^ der pneumatischen Therapie im Eindesalter. Von Prof. Ungar 7
3. Zar Therapie des Typhus abdominalis. Von Prof. Purjesz 12
4. Zur Therapie des Typhus abdominalis. Von Dr. £. Brand 15
5. Beitrag zur Sozojodoltherapie. Von Dr. Nits-chmann 16
6. Otiatrische Statistik in therapentisoher Beziehung. Von Dr. L. Jacobson 18
7. Ueber Extractnm Filicis. Von Dr. de Man 21
8. üeber Ooloquinthen- Vergiftung. Von Dr. Jansen 39
9. Zur Therapie der Seekrankheit. Von Dr.'M. Oohn 47
10. Zur Therapie der Hydrocele. Von Dr. von Flamerdinghe 47
11. Zur Verordnung des Kreosots. Von Dr. Seitz 48
12. Oephalothrypter oder Oraniodast. Von Prof. Dr. Zweifel 49
13. Die Opiumoehandlung bei Psychosen. Von Docent Dr. Ziehen 61
14. Behandlung^ der ConjunctiTitis granulosa mittelst partieller Ezcision der Bindebaut. Von
Dr. Th.T r eitel 63
15. Ueber Nasenschwindel spec. über Aprosexia nasalis. Von Dr. Brü gel mann 67
16. Ein neuer Spülapparat. Von Dr. Rörig jr. (Wildungen) 70
17. Neue Lanolinsalben. Von Dr. £. Stern (Mannheim) 72
18. Ueber Schwitz-Guren bei Syphilis. Von Dr. Radestock 74
19. Fall Yon Vergiftung mit Crotonsamen (Semen Tislii). Von Prof. H. Schulz 89
20. Ueber die Gmwirkung des Extractum Filicis aethereum. Von Dr. M. Freyer 90
21. Ueber Jodoform-Dermatitis. Von Dr. Israel (Gnesen) . 95
22. Ueber Behandlung der Hydrocele vaginalis mittelst Injection reiner Carbols&ure nach Levis.
Von Prof. Helferich (Greifswald) 97
28. Behandlung von Phthisikem mit Rectalinjectionen von flüssiger Kohlensäure. Von Dr. Max
Oliven • . . 100
24. Sublimat-Lanolin als Antisepticum. Von Dr. A. Gott st ein (Berlin) 102
25. Ueber Influenz-Elektridt&t und die neue Influenzmaschine. Von Dr. Bielschowsky . . . 106
26. Die hydropathische Leibbinde als Hypnoticum. Von Dr. Altdorfer 121
27. Therapeutische Mittheilungen. Von Dr. Böttrich (Hagen) 123
28. Ein Fall von Kaffeevergiftung. Von Dr. M. Cohn (Beriin) 139
29. Künstliche Em&brung bei Behandlung der Diphtherie. Von Dr. Renvers 145
80. Lithotripsie bei eingekapselten Blasensteinen. Von Dr. Rörigsen 155
31. Beitrag zur Kenntniss der Nebenwirkungen des Jod (Jodkaii). Von Dr. E. Malachowski . 162
32. Vergleichende Untersuchungen über den therapeutischen Werth der Moorbäder und deren
Surrogate. Von Dr. Loimann (Franzensbad) 165
33. Unangenehme Erscheinungen nach combinirten Gocaln-Antipyrininjectionen am Zahnfleische.
Von John Wessler (Stockholm) 1G8
34. Menthol bei Asthma. Von Dr. Theod. Jores 169
35. Zur Antipyrintherapie des Keuchhustens. Von Dr. Carl Loewe (Gronau) 169
36. Ueber einen Fall von Antipyrin-Intoxication. Von Dr. H. Berg er (Berlin) 185
37. Behandlung des Ileus. Von Prof. H. Curschmann (Leipzig) 193
38. Erfolge der neuesten Behandlungsmethoden der Kehlkopftubercuiose. Von Prof. H. Krause 203
39. Zur Kreosot-Therapie bei Lungentubcrculose. Von Dr. £. Holm 211
40. Ueber ein Taschenfläschchen für Hustende. Von Geheimrath Dr. Dettweiler 216
41. Beobachtungen über Ichthyol nach dreijähriger Anwendung. Von Dr. v. Hoff mann u. Dr. Lange 219
42. Zur Ichthyol-Behandlung des Erysipelas. Von Dr. von Brunn (Lippspringe) 222
43. Pneumatischer Magenaspirator für therap. und diagnostische Zwecke. Von J. Gyrnidnski . 224
44. Zwei Fälle von Kaflfoevergiftung. Von Dr. W. Weinberg (Stuttgart) . . 241
45. Haben die in Vaselin oder Gel gelösten Antisoptica wirklich keine therapeutische Bedeutung?
Von Prof. Rosenbaoh (Breslau) 247
lY Inh1«..V.«.lclml«. [^rjSia?*
46. Zar Prophylaxe der Tuberculose. Von Prof. F. Mo sler (Greifswald) • • . 249
47. Therapeutische Mittheilungen. Von Dr. Um pfenb ach (Andernach) 250
48. Ueber den practischen Nutzen der operativen Behandlung bei der Conjunctivitis follicularis
(granulosa). Von Prof. Vossius (Königsberg) 258
49. Menthol bei Furunculose des äussern Gehörganges. Von Dr. Gholewa 262
50. Eine neue Mastdarm-Elektrode. Von Dr. Hüner fauth (Homburg) 264
51. Ueber Creolin-Exanthem. Von Dr. J. Wackez (München) 264
52. Beitrag zur Jodoform-Dermatitis. Von Dr. Kolbe 266
53. Zur Wirkung des Antifebrin. Von Dr. Sembritzki (Königsberg i. Fr.) ....... 267
54. Ueber antiseptische Bohandlunff der Variola. Von Dr. Le wen tan er (Konstantinopel) . . 268
55. KiTstallisirtes Jodol für Insumationen in der rhinolaryngologischen Praxis. Von Dr. Max
Schäffer (Bremen) 294
56. Uebor Glycerin-Suppositorien. Von Dr. M. Schmeicher (Amberg) 291
57. Eine Quollsonde zur Behandlung von Verengerungen der Speiseröhre. Von Prof. Dr. Senator
(Berlin) 297
58. Zur Behandlung der Lnngentuberculose mit Kreosot. Von Prof. Sommerbrodt .... 298
59. Entstehung una Therapie des acuten Jodismus. Von Dr. Röhmann u. Dr. Malachowski . 301
60. Ueber die therapeutische Verwerthung der Hypnose. Von Dr. Schuster (Aachen) . . . 315
61. Zur Frage von der Resorption des Quecksilbers. Von Dr. Pinner (Zittau) 320
62. Salzbrunn in Schlesien. Von Prof. 0. Liebreich 323
63. Ueber einen Fall von Antifebrinvergiftung Von Dr. Alisch (Hameln) 340
64. Chloralformamid, ein neues Schlafmittel. Von Dr. E. Kny (Strassbur^) 345
65. Ueber die therapeutische Wirkung des Rubidinm-Ammonium-Bromid. von Prof. Laufen au er 348
66. Zur Therapie des Erysipels, speciell dessen mechanische Behandlung Von Dr. H. Kr cell . 352
67. Die externe elektrische Behandlung der Kehlkopfkrankheiten. Von Dr. Th. Glemens . . 357
68. Zahnverpflanzung von einem Individuum auf das andere. Von Zahnarzt Kirchhofer . . . 360
69. Ueber einige beruhigende Mittel für Geisteskranke. Von Dr. 0. Dornblüth 361
70. Anwendung der Sozojodolpr¶te bei Nasen- und Halsaffectionen. Von Dr. J. Herzog
(Graz) . 364
71. Ein Taschenirrigator. Von Dr. Köhler (Magdeburg) 366
72. Zur Zerlegung von Jodkalium durch Kohlensäure, von Prof. H. Schulz 367
73. Eine Antuebrinvergiftunc. Von Dr. L. ßrieger (Neisse) 384
74. Beiträge zur Kenntniss des Godelns. Von Dr. Guido Rheiner 393
75. Ueber den Gebrauch des Codeins bei Frauenkrankheiten. Von Dr. H.W. Freund . . . 399
76. Guajakol bei Phthise. Von Dr. Meissen (Falkenstein) 400
77. Noch einmal über Behandlung der Conjunctivitis granulosa mittelst Excision der Bindehaut.
Von Dr. Th. Treitel 401
78. Zur Suggestiv-Therapie. Von Dr. v. Corval 403
79. Ueber Sie Perineorrnaphie nach Tait-Sänger. Von Dr. H. Rueter 409
80. Mastdarm-Elektrode gegen Prostata-Leiden. Von Dr. Th. Clemens 410
81. Ein Fall von Creolinvergiftung. Von Dr. Cr am er (Laueuburg) 434
82. Ueber die Scblitzung der Mandeln. Von Dr. Moritz Schmidt (Frankfurt a. M.) .... 441
83. Ueber den practischen Werth der Nitze'schen Kystoskopie. Von Dr. H. Goldschmidt . . 442
84. Ueber die Behandlung der Uterusmyome nach Äpostoli. Von Dr. R. Schäffer .... 447
85. Die Lassar'sche Haarcur in der Privatpraxis. Von Dr. E. Graetzer (Sprottau) .... 452
86. Ueber Sulfonal. Von Dr. M. Steiner 459
87. Zur Behandlung der Hydropsie mit Calomel. Von Dr. Kreuzeder (Dorfen) 460
88. Vergiftung mit concentrirter Carbolsäure bei einem diphtheriekranken Kinde. Von Dr. A.
Model (Memminffen) 482
89. Graue Quecksilbersalbe als Abortivum gegen Panaritium. Von Dr. A. Model 487
90. Anwendung von Jod- und Brompräparaten per Rectum. Von Prof. H. Köbner . . . . 489
91. Ueber Sullonalwirkung. Von Dr. Knoblauch (Heidelberg) 495
92. Behandlung der Lungenschwindsucht mit Kreosot. Von Dr. S. Engel (Berlin) 501
93. Zu den äusseren Operationen bei Larynxtuberculose. Von Dr. Betz (Mainz) 505
94. Heilung der syphilitischen Sklerosis durch elektrische Ströme. Von Dr. Th. Clemens . . 507
95. Zur desodorisirenden Wirkung der Borsäure. Von Dr. \V. Faust (Dresden) 514
96. Ein Fall von Santoninvergiftung. Von Dr. vanRey 532
97. Zu den antiseptischen Mundwässern. Von Prof. Dr. Miller 536
98. Ueber Jodkaliumwirkung. Von Prof. Opponheimer 537
99. Zur medicaraentösen Therapie des Malansmebers. Von Dr. 0. Schellen g (Königsberg) . . 540
100. Ueber die Anwendung des Olivenöls bei der Behandlung der Gallenstcinkrankheit. Von
Dr. Siegfried Rosenberg (Berlin) 542
101. Ueber Nieren Operationen. Von Dr. E. Herczel (Heidelberg) 549
102. Zur Nachbehandlung bei Operationen in der Nasenhöhle, von Docent Dr. H. Suchannek
(Zürich) .552
103. Endolaryngeale Entfernung eines unter der Stimmritze sitzenden Fibromyxom. Von Dr. Goris
(Brüssel) 554
104. Beiti'äge zur Therapie der chron. Gonorrhoe. Von Docent Dr. W.Fl einer (Heidelberg) . 557
105. Ueber Creolinvergiftung. Von Dr. D int er (Hildburghausen) 578
106. Ueber die Behandlung des Frostes. Von Prof. 0. Liebreich 583
m. J«Itrg»iiff. 1
1889. J
Inhaltt* VenelcliDlM.
Neuere Arzneimittel.
Seite
107. Mjrtol, ein wirksames DesiDficionz far
die Luftwege. Von Prof. Eichhorst . 22
108. Zur Creolinfrage. Von Dr. Plenio 23
109. Ueber Acetjlphenylbydraoin oder Py-
rodin. Von 0. Liebreich .... 23
110. ft-Oxynaphtoes&ure. Von Dr. Hei big
(Dresden) 75
111. Hydroxylamin 124
112. Eschscholtzia califomica 124
113. Jurubeba 125
114. Methacetin und Exalgin 170
115. Beitrag zur Sulfonalwirkung. Von Dr.
Joachim (Berlin) 226
116. Was ist Exalgin? 230
117. Agaricins&ure 270
Seite
118. Ueber Amylenhydrat -Verordnung. Von
Prof. J. V. Mering 326
119. Das dithiosalicylsaure Natron 11. Von
Prof. 0. Liebreich 326
120. Ueber Hyosoin. Von Dr. S. Rabow . 867
121. Ueber die f&ulnisswidrige Wirkung der
Flus88&ure. Von Dr. Gottbrecht . 411
122. Ueber einige neue Schlafmittel. Ohloral-
amid. Chloralammonium. Ghloralurethan.
Somnal. Von Dr. A. Langgaard 461, 515
123. Thioresorcin . 618
124. Ueber die Wirkung des Chloralamid auf
Kreislauf und Athmung. Von J. v.
Mering und N. Zuntz 565
125. ChloraJsubstitutionsmittcL Von Prof. 0.
Liebreich 668
Therapeutische Hittheilmigen ans Tereinen.
Seite
1. Berliner med. Gesellschaft . . 24, 126, 329
2. Verein für innere Medicin 76
3. Balneologen-Con gross zu Berlin . . . 231
4. 18. Congress der deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin ... 327, 371, 417
5. Congress für innere Medicin in Wies-
baden 271, 373
6. Deutscher Gynäkologencongress zu Frei-
burg 369, 415
7. Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte zu B^idelberff 618, 568
8. Versammlune der südwestdeutschen Irren-
ärzte in Eansruhe 24
9. Gesellschaft der Aerzte in Wien . . . 419
10. Wiener Doctorcn-Collegium 76
11. CentraWerein deutscher Aerzte in Böhmen 77
12. Verein deutscher Aerzte in Prag . . . 126
13. Gesellschaft der Aerzte in Budapest . 77, 468
14. Verein der Aerzte in Krakau .... 172
15. Gesellschaft der Aerzte in Zürich . . 78, 171
Seite
16. Academie de Medecine de Belgique
(Brüssel) .126
17. Societe beige de gynecologie et d^obste-
triqne 4G8
18. Academie de medecine (Paris) 25, 79, 332, 420
19. SociMe de Chirurgie (Pnris) 419
20. Society de Biologie (Paris) . . . 172, 419
21. Sociale m^dicale des H6pitaux (Paris)
26. 172
22. Societe medico-psychologique (Paris) . . 419
23. Internationaler Congress für Dermatologie
zu Paris 465
24. Wissenschaftliche Verhandlungen der Dor-
pater med. Facult&t 128
25. Congress deutscher Aerzte in Petersburg 127
26. Gynäkologische Gesellschaft zu Kiew . 79
27. Erster Congress der italienischen Gesell-
schaft für innere Medicin zu Rom . . . 128
28. Medical Society of Virginia 79
Toxikologie.
(Die fettgedruckten Zahlen bexelchnen Original -Abhandlungen.)
1. Ueber Coloquinthen -Vergiftung . . .
2. Ueber Torübergehenden Verlust des Seh-
vermögens durch Opium tinctur . . . .
3. Bedrohliche Erscheinungen nach Antipyrin
4. Toxische Nebenwirkungen des Antipyrin
5. Vergiftung durch HimrodU Pulver . .
6. Selbstmord durch Verschlucken von Ka-
liumbichromat
7. Vergiftung mit Crotonsamen (Semen Tiglii)
8. Giftwirkung des Extr. Filicis aether. . .
9. Ueber bisher nicht beobachtete Neben-
wirkungen der Salicylate
10. Ein Fall von Kafieevergiftung ....
11. Vergiftung durch die Speiselorchel . .
Seite
89
41
41
41
42
42
89
90
92
139
140
12. Pikrotoxin, ein Antidot des Morphins .
13. Fall von Antipyrin-Intoxication ....
14. Tödtliche NacowiriLung des Chloroforms
15. Chorea nach Jodofbrm-Intoxication
16. Intoxication durch Canthariden . .
17. Zwei Fälle von Kaffee -Vergiftung .
18. Acute Cocaln-Verriftung ....
19. Amblyopie durch Nitrobenzol -Vergiftung
20. Zur toxischen Wirkung des Cocain
21. Fall von Antifebrin-Vergiftung . .
22. Eine Antifebrin-Vergiftung . . .
23. Ein Fall von Antifebrin-Vergiftunc
24. Zur Kenntniss der Strychnin -Vergiftung .
25. Eine Antifebrin-Vergiftung
Seite
141
185
186
186
186
Ul
242
242
288
288
288
840
341
884
VI
Inhalts- V^rs^iehnlM.
rThcrap«atl«eh«
L MooatiheA«.
Seite
26. Aetzwirkang des Broms nnd ihre Behand-
lunc 384
27. Toa darch Inhalation von Aethylenbromid 885
28. Schwere AntipTriD -Yergiftang bei einem
Kinde 385
29. Fall von Creolin -Vergiftung ..... 484
30. Zur Casuistik der Oxalsäure -Yergiftunffen 435
81. Acute Jod'Intoxication bei einem Nephri-
tiker 485
32. Intoxication durch Injection von Oleum
cinereum 436
Seite
83. Schneller Tod nach Einspritzungen von
Morphin 436
84. Zwei Fälle von Tod nach Moiphin-£in-
spritzuDgen 486
85. Vergiftung mit Carbolsäure bei einem
diphtheriäranken Kinde 482
36. Fall von Cocaiu -Vergiftung 485
37. Fall von Santonin-Vergiftung .... 582
38. Vergift;ung mit Thioresorcin 534
39. Fall von Cocain -Vergiftung 534
40. Ueber Creolinvergiftung 578
liitteratnr.
Seite
1. Mittheilungen aus der med. Klinik zu Köuigsberff i. Pr. Von Prof. Naunjn ...... 42
2. Beiträge zur klinischen Chirurgie. Von Dr. Paul Bruns 46
3. Die neueren Arzneimittel. 3. Auflage. Von Dr. B. Fischer 47
4. Ueber Unglücke in der Chirurgie. Von J. N. von Nussbaum 92
5. Lehrbuch der Syphilis uud der örtlichen venerischen Krankheiten. Von v. Zeissl 93
6. Wie ist unser Hebammen wesen rationell zu bessern? Von Dr. M. Frey er 94
7. Lehrbuch der pathologischen Anatomie. Von Birsh-Hirschfeld 94
8. Handbuch der Balneomerapie für practische Aerzte. Von Dr. R. Flechsig 141
9. Arbeiten des pharmakologischen Instituts zu Dorpat. Von Prof. R. Kobert 142
10. Formulae magistrales Berolinenses 143
11. Die Schutzpockenimpfung und ihre Ausführung. Von Dr. E. Peiper 143
12. Lehrbuch der venerischen Krankheiten und der Syphilis. Von Prof. J. Neumann . . . . 187
18. Chirurgische Operationslehre. Von Karl Löbker 190
14. Klinisches Jahrbuch. Von Prof. A. Guttstadt 243
15. Die Bedeutung und Therapie des Residualhams. Von Dr. L. Casper 245
16. Handbuch der kleinen Chirurgie für practische Aerzte. Von Dr. G. Wolzendorff . . . . 246
17. Klinische Diagnostik innerer Krankheiten. Von Prof. R. v. Jak seh 293
18. Diagnostische Semiotik des Harns. Von Dr. Rosenfeld 293
19. Bäder- AI manach. Vierte Auflage 293
20. Auszug aus den Krankengeschichten der in der med. Klinik des Geh. Medicinalrath Prof.
Mosler vorgestellten Patienten 341
21. Hüter-Lossen^s Grundriss der Chirurgie 341
22. Die chemisohe und mikroskopisch -bacteriologische Untersuchung des Wassers. Von F. Tie-
mann nnd G. Gaertner 842
23. Handbuch der Geburtshülfe. Von Prof. Dr. P. Müller 886
24. Die Mikroorganismen der Mundhohle. Von Prof. W. D. Miller 389
25. Die moderne Behandlung der Nervenschwäche. Von Dr. Löwenfeld 436
26. Mittheilungen aus der cnirurg. Klinik zu Kiel. Von Dr. F. v. Esmarch 487
27. Lehrbuch der Ohrenheilkunde. Von Prof. Joseph Grub er 437
28. Die Methoden der Bacterienforschuns. Von Ferd. Hueppe . 438
29. Die Verbreitung des Heilpersonals der pharmaceutischen Anstalten und des pharmaceutischen
Personals im deutschen Reiche 439
30. Handbuch der Krankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane. Von Dr. Karl Schröder, nm-
gearbeitet von Prof. M. Hofmeier 485
[andbuch der speciellen Diagnose der inneren Krankheiten. Von Prof. Leube 485
32. Mittheilungen aus Dr. Brehmer^s Heilanstalt für Lungenkranke. Von Dr. Brehmer . . . 486
38. Jahrbuch der practischen Medicin. Begründet von Born er, herausgegeben von S. Guttmann 487
34. Die neueren Arzneimittel. 4. Auflage. Von Dr. B. Fischer 487
35. Annalen des städtischen Krankenhauses zu München. Von Prof. v. Ziemssen 534
36. Führer durch die Privatheilanstalten. Von P.Berg er 535
37. Die chirurgischen Krankheiten der Harn- und männlichen Geschlechtsorgane. Von Dr. Paul
Güterbock 580
38. Die Urämie. Von Prof. L. Landois 582
39. Klinische Beiträge zur manuellen Behandlung der Frauenkrankheiten. Von Braun-Fernwald
und Kreissl 582
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/3^4^
Therapeutische Monatshefte.
1889. Januar.
Oriffi
A
[lungen.
o
Beinerknngen über die sfiigge^pDi^ o g
theraple.
/
Von
Prof. Dr. Otto Binswanger in J^Äs^..^^^^^
Die wissenschaftliche Erforschung des
hypnotischen Zustandes durch Braid, Hei-
denhain, Grützner, Berger, Charcot
u. A. ist von unschätzbarem Werthe ge-
wesen für die Erschliessung eines grossen
Gebietes neuropathologischer Erfahrungs-
thatsachen, für die Bekämpfung abenteuer-
licher und mystischer Ausbeutung räthsel-
voller Zustände des Seelenlebens und für
die endgültige Widerlegung berufsmässiger
Zweifler, welche die hypnotischen Erschei-
nungen ins Bereich des Betruges und der
Selbsttäuschung verweisen wollten. Man
darf, Dank dieser Forschungen, heut zu
Tage den Hypnotismus zum Gegenstand
einer wissenschaftlichen Untersuchung und
Besprechung machen, ohne fürchten zu müs-
sen, phantastischer Neigungen geziehen zu
werden. Fast unabhängig von diesen Fort-
schritten der Erkenntniss hypnotischer Er-
scheinungen ist jetzt das Bestreben in den
Vordergrund getreten, den Hypnotismus als
Heilmittel nutzbringend zu machen. Denn
die mächtige Bewegung, welche die Aerzte
in allen Ländern, wo eine wissenschaftliche
Medicin betrieben wird, ergriffen hat, hypno-
tische Curen auszuführen, nimmt ihren Ur-
sprung aus einer Zeit, in welcher der erste
inductiv forschende Bearbeiter des Hypnotis-
mus, Braid, der Vergessenheit, um nicht
zu sagen der stillschweigenden Verachtung
anheimgefallen war. Ein praktischer Arzt
in Nancy, Dr. Liebeault, hatte in gleicher
Weise, wie J. P. Philips (Durand de
Gros), Charpignon u. A. in den fünfziger
Jahren die Aufgabe begonnen, den „künst-
lichen" Schlaf zu therapeutischen Zwecken
zu erzeugen. Er knüpfte an einen Aus-
läufer der Mesmerischen Schule der Heil-
magnetiseure, an Dupotet an und erzielte
zuerst den hypnotischen Zustand, indem er
den Blick der Versuchsperson auf seine
eigenen Augen fixiren Hess. Es war dies
j^[j^2rerfanren, das schon im Anfange dieses
^hrhundj/rts von Marquis de Puysegur,
deiB* X?hi^alier de Barbarin, insbesondere
^^afejx^m Abbe Faria eingeführt und viel-
fach geübt worden war. Diese „spiritua-
listische" Schule des Mesmerismus lehrte
schon, dass der „magnetische Schlaf" mit-
telst des Glaubens und des festen Willens
des Einzuschläfernden hervorgerufen werden
könne, dass die „Baquets" und Salles de
crises von Mesmer und D'Eslon zu den
verwerflichsten Ausschreitungen führen und
dass der Hauptzweck des Magnetiseurs darin
bestehen müsse, einen ruhigen, wohlthuen-
den Schlaf hervorzubringen.
Da aber dieses Verfahren sehr häufig
nur langsam zum Ziele führte und der
künstliche Schlaf hiebei von einem Erre-
gungszustand (Athmungs- und Pulsbeschleu-
nigung) eingeleitet wurde, so wandte sich
Liebeault dem ursprünglichen Brai du-
schen Verfahren zu, das im Jahre 1860
unter dem autoritären Einfluss von Broca
und Azam in Frankreich wissenschaftliche
Geltung erlangt hatte. Aber auch diese
Methode des Hypnotisirens erzeugte unan-
genehme Zwischenfälle (Convulsionen); gün-
stiger gestalteten sich die Versuche mit dem
von Dr. Durand modificirten Braid 'sehen
Verfahren, bei welchem der zu fixirende
Gegenstand weniger glänzend war und von
der einzuschläfernden Person selbst in der
Höhe der Augen gehalten wurde.
Vollständig befriedigend aber behufs Er-
zielung eines ruhigen, dem natürlichen
Schlaf gleichkommenden hypnotischen Zu-
standes war ein „gemischtes" Verfahren,
welches die Fixation Dupotet' s mit den
Suggestionen des Schlaf zustandes seitens des
Abbe Faria verband. Zugleich erweiterte
Liebeault die Einflüsterungen des Schlafes,
indem er die hauptsächlichsten Symptome
beim Eintreten des Schlafes den Kranken
vorredete: das Bedürfniss zum Schlafen,
die Schwere der Augenlider, das Gefiihl der
Schläfrigkeit, die Verminderung der Schärfe
der Sinne u. s. w. Er wiederholte diese
Suggestionen mehrere Male mit ,, sanfter
X
Binswanger, Bemerkungen Über die Suggestivtheraple.
rTberapeutische
L Monatshefte.
Stimme". „Auf diese Weise, durch mehr-
fache Suggestionen, aber alle zum gleichen
Zwecke verwandt, wurde allmählich die Idee
des Schlafens in ihrem Geiste eingeschaltet
und setzte sich endlich darin fest." Nur in
„rebellischen" Fällen griff er auf die Me-
thode Ton Durand zurück.
Im Jahre 1866 yeröffentlichte Liebe au It
seine reichen Erfahrungen „über den Schlaf
und analoge Zustände" und stellte verschie-
dene Grade des hypnotischen Schlafes fest.
Er verwerthete die Macht der Suggestion
zur Beseitigung der verschiedenartigsten Uebel
und vergass auch nicht, was übrigens schon
die älteren Magnetiseure (freilich auf Grund
höchst verworrener Ansichten über fluidi-
stische Kräfte) in praxi geübt hatten, zu
„entmagnetisiren", d. h. um in seinem Sinne
zusprechen, zu„desuggestioniren". Zu diesem
Zwecke ist es nothwendig, vor Beendigung
der hypnotischen Sitzung der Versuchsperson
zu suggeriren, dass sie sich nach dem Auf-
wachen völlig wohl fühlen und ohne schäd-
liche Folgen durch die stattgehabte Behand-
lung bleiben werde, sowie den Suggestiv-
befehl zu ertheilen, alles in der Hypnose
Gedachte und Erlebte zu vergessen, falls
des Versuches halber tief eingreifende Ver-
änderungen des normalen Zustandes erzielt
worden waren. Sehr lehrreich ist das fol-
gende Beispiel, das Liebe ault in anerken-
nenswerther Freimüthigkeit aus seinen Erleb-
nissen mittheilt, da es sowohl die Gefahren
der mangelhaften Desuggestionirung, als auch
die durch öfters fortgesetzte hypnotische
Heilversuche gezüchtete Suggestibilität im
wachen Zustande zu beleuchten im Stande
ist. „Ich wollte eines Tages einer Mutter
demonstriren , dass ihr Sohn, welchen ich
behandelte, und welcher schon von mir
hypnotisirt worden war, sogar im wachen
Zustande geeignet wäre, den Gontre-coup
einer Suggestion auf den Organismus zu er-
proben. Ich machte ihn sofort, durch ein-
fache Versicherung, für einige Zeit stumm.
Nachdem ich die Sache demonstrirt hatte,
desuggestionirte ich ihn. Sie entfernten sich,
zusammen plaudernd und über das Wunder
überrascht. Aber am andern Morgen kam
zu meiner grossen Ueberraschung der junge
Mann ganz früh in höchstem Grade bestürzt
zu mir; er hatte sich in der Hast nur nach-
lässig bekleidet: ich erinnere mich sogar,
dass er an einem Fuss einen blauen und an
dem andern Fuss einen rothen Strumpf an-
gezogen hatte. Beim Erwachen hatte er
sprechen wollen; aber die Stimme blieb ihm
in der Tiefe der Kehle stecken! Man ermesse
sein Erschrecken! Ich beeilte mich, ihm
mittelst Suggestion ixa Verlaufe eines neuen
künstlich erzeugten Schlafes das Wort wieder-
zugeben und versprach mir, in einem gleichen
Falle von nun an das Vergessen der sugge-
rirtcn Erscheinung besser zu bekräftigen.
Ich kann mir diese eigenartige Stummheit
nur dadurch erklären, dass dieser Kranke
ohne Zweifel im Schlafe geträumt hatte, er
wäre wieder stumm geworden." (Confession
d*un medecin hypnotiseur. Revue de THypn.
I. No. 5.)
An gleicher Stelle erwähnt er eines Bei-
spieles, bei welchem eine seiner Somnambulen
von ihren Mitarbeiterinnen missbräuchlich
durch Suggestionen im wachen Zustande zu
verkehrten Handlungen veranlasst und in
hallucinatorische Zustände versetzt wurde.
Liebeault suggerirte ihr deshalb im Schlaf-
zustande, dass 'Niemand ausser den Herren
Bernheim, Liegeois und ihm sie einschlä-
fern und Suggestioniren könne. Das half.
„Auf gleiche Weise verfahren alle Hypno-
tiseure von Nancy, um ihre Versuchspersonea
gegen Eingriffe Profaner zu schützen." Er
bemerkt ausserdem, dass bei solchen Indi-
viduen alle unnöthigen Suggestionen vermie-
den werden sollen, um nicht den Rest ihrer
Widerstandskraft zu zerstören.
In einem andern Falle erzeugte er bei
einem Kranken, den er von einer Ischias
(durch Suggestion im hypnotischen Zustande)
geheilt hatte, durch einen plötzlichen Schreck
(im wachen Zustande) heftige nervöse Zuckun-
gen des ganzen Körpers, 'welche mehrere
Tage andauerten und erst durch Professor
Bernheim mittelst „ingeniöser Suggestionen"
wieder beseitigt werden konnten.
Aber die weise Vorsicht, die Macht der
Suggestibilität auf die Person des Hypnoti-
seurs zu monopolisiren, hat nach Liebeault
auch ihre Schattenseiten; bei einem hyste-
rischen Mädchen waren durch die hypnoti-
sche Behandlung die Krankheitserscheinungen
beseitigt worden, kehrten aber wieder, als
ein anderer Arzt, welcher von der genannten
Präventivsuggestion nichts wusste, einen
neuen Versuch des Hypnotisirens ausführte.
Durch diesen Widerstreit der suggerirten
Vorstellungen kam der neue Anfall zu Stande.
In solchen Fällen ist also nach Liebeau It
nothwendig, den Kranken von dieser Vor-
sichtsmaassregel Mittheilung zu machen.
Bevor ich die Nutzanwendung aus diesen
üblen Erfahrungen Li^beault's zur Zeit
seiner Lehrjahre als „Hypnotiseur" ziehe,
möchte ich einen kurzen Blick auf die ärzt-
lichen Bestrebungen in Deutschland zur
wissenschaftlichen Beseitigung und Anwen-
dung des thierischen Magnetismus als Heil-
mittel aus der Zeit vor Braid und Lie-
beault werfen. Ich lehne mich hierbei an
ITI. Jahrgang.!
; Jannar 1888. J
Binswanger, Bemerkungen über die Suggestivtherapie.
die Schilderuogen eines Frankfurter Arztes,
Dr. Schwarz Schild an, welcher im Jahre
1843 (veröffentlicht 1853) Vorlesungen über
diesen Gegenstand in seiner Vaterstadt ge-
halten hat. Wenn wir von seiner Deutung des
thierischen Magnetismus als das Product des
üeberfliessens eines im Nervensystem des Mag-
netiseurs erzeugten „Imponderabile^ auf die
Versuchsperson und die durch die „Manipula-
tionen" erzeugte TJebertragung desselben ab-
sehen, so muss 9ian sagen, dass der Autor
gesunde Ansichten über den mit dieser „Natur-
kraft" getriebenen Missbrauch, sowie über die
abergläubischen und betrügerischen Ausbeu-
tungen des Publikums seitens vieler Magneti-
seure gehabt hat. Man lernt aber auch durch
diese Vorlesungen die Tbatsache kennen, dass
schon damals so ziemlich alle Erscheinungen
des hypnotischen Zu Standes bekannt gewesen
sind, selbst die Erscheinungen der Auto-
suggestion, des „Selbstmagnetismus". Er ci-
tirt den gewiss auch heute noch zu beherzi-
genden Ausspruch eines der gelehrtosten ärzt-
lichen Magnetiseure, des Dr. Kluge*): „Von
den unmerklichsten psychischen Affecten an
bis zur höchsten geistigen Befangung, die das
ganze gewöhnliche sensitive und intellectuelle
Leben aufhebt, durchläuft der magnetisch be-
handelte Kranke das dunkle Gebiet der Mög-
lichkeiten auf seiner eigenen, ungemessenen
und nicht im Voraus zu berechnenden Bahn".
Ich möchte an dieser Stelle den Nachweis
liefern, dass die damaligen Aerzte, welche sich
mit dem thierischen Msgnetismus beschäftig-
ten, bei der Schilderung der „magnetischen
Grade" den neuen Entdeckungen der Herren
Liebeault, Bernheim und Forel über
die Abstufungen des hypnotischen Zustandes
kaum nachgestanden sind. Ich folge wie-
derum der Darstellung von Kluge und
Schwarzschild.
1. Grad. Grad des Wachens mit ver-
änderter vasomotorischer Hautreaction und
abnormen subjectiven Empfindungen, gestei-
gertem W^ärmegefuhl. Allmählich tritt ein
Gefühl von Leichtigkeit und Wohlbehagen
im ganzen Körper ein, ohne dass gerade
noch Schläfrigkeit und Schlaf erfolgt. Wenn
aber letzterer eintritt, so ist es noch kein
magnetischer Schlaf, sondern ein natürlicher,
der durch Geräusch, Anreden etc. leicht ge-
stört und unterbrochen wird . . . Das gewöhn-
liche sinnliche Leben ist noch völlig unge-
stört, unverändert, die Sinnesorgane dienen
') Versach einer Darstellung des animalischen
Magnetismus etc. 1819.111 Auflage. Niedergeschrieben
im ersten Viertel unseres Jahrhunderts, zu einer Zeit,
als der thierische Magnetismus unter dem Einüuss
der naturphilosophischen Schule von Hegel die un-
geheuerlichsten Blüthen in Deutschland trieb! Ein
erfreulicher Kuhepunkt in dem Wirrsal der Geister! |
noch dazu, den Menschen mit der Aussen-
welt in Verbindung zu erhalten.
2. Grad. Grad des Halbschlafens
oder der unvollkommenen Krisis, mit Zu-
nahme der abnormen Wärmeempfindung, ver-
tiefter, beschleunigter Respiration, gesteiger-
ter Pulsfrequenz. Dabei Auftreten einer eigen-
thümlichen Schwere der Augenlider, Schliessen
der Augen, Unmöglichkeit dieselben zu öffnen.
„Noch hört der Kranke Alles, ja bei Man-
chem sogar ist mit dem Schliessen der Augen
die Thätigkeit der übrigen Sinnesorgane er-
höht. Noch weiss er Alles, was um ihn
herum vorgeht und er erinnert sich des Ge-
schehenen sogar beim Erwachen." Den ärzt-
lichen Beobachtern entgingen aber die fol-
genden unangenehmen Nebenerscheinungen
nicht: Ohnmächten, üebelkeit, krampfhafte
Bewegungen und Zuckungen der Glieder und
des Rumpfes, Fieberbewegungen, Schmerzen
und „eine ganze Reihe nervöser Erscheinun-
gen". Der Kranke vermag an ihn gerichtete
Fragen bei vollem Bewusstsein zu beantwor-
ten. — Daraus entwickelt sich oft unmerk-
lich, oft unter Erscheinungen gewaltiger
Reaction (Convulsionen) der 3. Grad, der
eigentliche magnetische Schlaf, in
welchem der Kranke völlig von der Aussen-
welt abgetrennt ist, „wo auch die übrigen
Sinne sich ver schliessen, wo er gegen alles
Anreden, gegen das lauteste Schreien taub
und unempfindlich wird und wo beim Er-
wachen jede Rückerinnerung an diesen eigen-
thümlichen Zustand durchaus verschwunden
ist. Es ist dies ein merkwürdiger Zustand,
ein Zustand, von dem die „Magnetiseurs"
mit Recht sagen, dass der Mensch, aus der
Verbindung tretend mit der Aussenwelt, zur
inneren Dunkelheit übergehe". Dieser 3. Grad
entspricht in seiner weiteren Schilderung
unserer Gewährsmänner fast völlig dem le-
thargischen Zustande Charcot's (freilich
mangelte die Kenntniss der neuromuskulären
Uebererregbarkeit). Aus diesem magnetischen
Schlafzustand aber giebt es „ein doppeltes
Erwachen", entweder zum wirklichen, völligen
Erwachen, oder aber zum 4. Grade: dem
Schlafwachen, dem einfachen Somnam-
bulismus oder der vollkommenen Krisis.
In diesem Zustand besteht eine „äusserst
feine und unerklärliche Empfindlichkeit des
Nervensystems", eine verfeinerte und erhöhte
Auffassungskraft des Kranken gegen Sinnes-
eindrücke, ein gesteigertes Innenleben, ein
inniger „Rapport" „zur höchsten Sympathie
mit dem Magnetiseur gesteigert", eine un-
widerstehliche Gewalt des Magnetiseurs auf
seine Somnambulen. Auch in die weiteste
Entfernung, ja auf viele 100 Meilen kann
der feste, fixirt^ Willen des Magnetiseurs
Binswanger, Bemerkungen über die Suggestivtberapie.
rherapeutUche
Monatahoft^.
influiren". "Wer gedenkt hier nicht der neueren
interessanten Versuche Ladame's und Lie-
jeois' über die Vermittlung der hypnotischen
Suggestion auf telephouischem Wege! —
Die „höheren" Grade des magnetischen
Schlafes, den Grad des „eigentlichen Hell-
sehens", der Glairvoyance, sowie den sechsten
Grad, der „Exstasis", der Desorganisation,
der magnetischen Divination können hier
füglich übergangen werden, da sie ausschliess-
lich historisches Interesse besitzen. Die
einsichtigen Aerzte, welche sich mit diesen
Fragen beschäftigten, wiesen übrigens schon
zur Zeit der Blüthe dieser Verirrungen des
thierischen Magnetismus diese höheren Grade
als die Frucht Yon Selbsttäuschungen und
Betrügereien zurück, als ,,die unverschul-
deten Auswüchse dieser allerdings merkwür-
digen Lebenserscheinung". Sie betonten
schon damals die vielen Beziehungen der
thierisch-magnetischen Erscheinungen mit dem
gewöhnlichen Schlafe, mit dem Traumleben
im Schlafe und mit dem natürlichen Som-
nambulismus oder Nachtwandeln und legten
jene Wundererzählungen der gesteigerten
„Phantasiethätigkeit" der Somnambulen und
der „Selbstmagnetisining" der Magnetiseure
zur Last.
In den Händen dieser nüchternen Heilmag-
netiseure blieb der thierische Magnetismus vor
gröberen Ausschreitungen bewahrt; so sehr
diese Aerzte von der beruhigenden und heilen-
den Macht dieses Agens überzeugt waren, so
sehr waren sie aber auch durchdrungen von
dessen unheilvollem Einfluss bei unzweck-
mässiger Anwendung zu Schaustellungen oder
in den Händen gewissenloser Laien. „Der
thierische Magnetismus macht aus dem ver-
nünftigen Menschen einen Automaten" . . .
„Die höheren Kräfte, die Willenskraft, die
Freiheit, das Bewusstsein fehlen", sagt
Schwarzschild.
lieber die Heilwirkung des Mittels äussert
sich unser Gewährsmann noch folgender-
maassen: „Man betrachte den Magnetismus
nur als ein einfaches Beruhigungsmittel.
Man gehe womöglich nie weiter, als
bis zum 2. Grade, zum Grade des tiefen
Schlafes. Das Erwachen aus diesem Schlafe
ist ein süsses, ein heilbringendes, und man
kann diesen Heilversuch oft und ungestraft
wiederholen. Sollten indessen schon bei
den ersten Strichen die Symptome einer
allzu lebendigen Phantasie sich äussern und
der üebergang in den Traumgrad (die Lethar-
gie) und in den Grad des Somnambulismus
schneller als man erwartet eintreten, wie
ich es schon mehrfach gesehen, so höre man
mit dem Bestreichen auf, so entferne man
9ich uad reize die Kranke nicht durch
unnöthige Fragen" u. s. w. Auf diese
Weise werden Schlaflosigkeit, gemüthliche
Ueberreiztheit, Schmerzen und Krampfzu-
stände bekämpft und nach Angabe dieser
deutschen Autoren auch beseitigt. Sie be-
merken aber ausdrücklich, dass gerade solche
Individuen am geeignetsten für den Magne-
tismus sind, „deren Nerventhätigkeit
körperlich und geistig ohnehin krank-
haft aufgereizt und verstimmt ist". Sie
machen auf die Gefahren der vom Magnetis-
mus 80 leicht übrigbleibenden Krankheit,
der „Magnetomanie" aufmerksam, „nämlich
jener Sehnsucht zur Wiederholung des Mag-
netismus".
Diese deutsche Schule folgte behufs Er-
zeugung des hypnotischen Zustandes vielfach
sklavisch den Modificationen des ursprung-
lich Mesmerischen Verfahrens, dermethodischen
Ausführung „des magnetischen Streichens".
Doch wussten sie aus eigener Erfahrung,
dass das Magnetisiren „ohne Manipulationen"
leicht ausgeführt werden kann. Ein Wink,
ein Blick, ja oft blos der Gedanke wirkt
nach den Erfahrungen von Huf el and. Kluge,
Schwarzschild u.A. einschläfernd auf leicht
empfängliche Kranke.
Ich habe absichtlich diese historische
Skizze an den Eingang meiner Betrachtungen
über die Suggestivtherapie gestellt, um eine
möglichst breite Grundlage für eine objec-
tive Würdigung der neueren Bestrebungen
auf diesem Gebiete zu gewinnen. Von
einem holländischen Hypnotiseur^) ist den
deutschen Aerzten der Vorwurf entgegenge-
schleudert worden, dass sie fortfahren, der
Einführung der „suggestiven Psychotherapie"
eine „höhnische Opposition" zumachen,
„während die Aerzte Italiens, der Schweiz,
Russlands, Oesterreichs, Norwegens, Eng-
lands, Belgiens und Hollands eine Pilger-
fahrt nach Nancy unternommen und in ihr
Vaterland die Fortschritte der Wissenschaft
zurückgebracht hätten, welche in den Kli-
niken der Herren Bernheim und Liebeaul t
verwirklicht sind".
Ich will mit dem Herrn Dr. van Eeden
nicht über seine persönlichen Ansichten
rechten, ich will nur bemerken, dass die
vorstehende Behauptung eine grobe Ueber-
treibung darstellt! Die ganze Frage der
Suggestiv therapie ist wissenschaftlich noch
so wenig abgeklärt, die Geschichte des Heil-
magnetismus giebt uns ebenso viele enthu-
siastische Lobeserhebungen als vorsichtige
Warnungen an die Hand, dass es wohl an-
gezeigt erscheint, erst zu wägen und dann
*) De psychische Geneeswyce door Dr. F. van
Eeden. Amsterdam 1888. Analysirt in der Revue
de rhypnotisme No. 9. (Mars 1888.)
lÜ. Jahrgang.l
Janoar 1889. J
fiinswanger, Bemerkungen über die Suggestivtherapie.
zu wagen. Ich habe zuerst den Begründer
der neuen Lehre sprechen lassen und bitte,
wohl auf dessen Weisungen zu achten, da
sie ' am besten illustriren können, welche
Gefahren die Methode birgt, und welche
üblen Erfahrungen dieser geübte, und sicher
gewissenhafte, Hypnotiseur sammeln konnte.
„Aber diese Zeiten des Tastens und Suchens
sind jetzt vorüber. Dank der Studien Lie-
beault^s sind wir zu einer sicheren, gefahr-
losen und heilbringenden Methodik fortge-
schritten!" Oder wie Dr, E. B^rillon, der
Redacteur der Revue de Thypnotisme sich
ausdrückt: „^i^^ haben uns davon überzeugen
können, dass die Mehrzahl derjenigen, welche
nur unangenehme Zwischenfälle (accidents)
oder Misserfolge zu verzeichnen haben, dies
ausschliesslich ihrer fehlerhaften Methodik,
ihrer TJnerfahrenheit und ihrer Unzulänglich-
keit zuzuschreiben haben. Es ist naturge-
mäss, dass in den Händen eines Ungeschick-
ten, eines brutalen oder unwissenden Men-
schen der Hypnotismus ebenso gefährlich
wird, wie die Digitalis und das Opium in
den Händen eines Empirikers."
In gleicher oder verwandter Weise lehren
alle Adepten Liebe au It^s, dass in der von
ihnen geübten Methodik der Schlüssel zum
Verständniss ihrer Erfolge zu suchen sei.
Betrachten wir also zuerst die Methodik.
Ich habe den Entwicklungsgang der Sug-
gestivtherapie in den Händen Liebe au It's
schon geschildert; sein wesentliches Verdienst
besteht darin, die physikalischen Methoden
zur Erzeugung der Hypnose in den Hinter-
grund gedrängt zu haben unter stetem Hin-
weise auf die Thatsache, dass diejenigen
Zustandsformen der Hypnose, welche
zur therapeutischen Verwerthuug der-
selben nothwendig seien, am leich-
testen auf dem Wege der Suggestion
erlangt werden können. Alle äusseren
Hülfsmittel, Fixation des Blickes, Streichen,
einförmige Geräusche u. s. w. besitzen hierbei
nur die Bedeutung, den Kranken rascher
suggestibel zu machen d. h. in seinem Geiste
den Gedanken zu wecken, dass der Hypno-
tiseur die physische und moralische Macht
in Händen halte, ihn seinem Willen unter-
than zu machen und ihn einzuschläfern.
Andere Proceduren, wie das Zudrücken der
Augen, dienen nur zur Unterstützung der
Vorstellung des Schlafes. Ist nun diese
theoretische Forderung der Nancyer Schule
in praxi von ihr erfüllt worden? Sind die
physikalisch-technischen Hülfsmittel zur Er-
zeugung der Hypnose überflüssig? Sind
etwaige schädliche Folgen der Hypnose aus-
schliesslich der letztgenannten Methodik zur
Last zu schreiben und bei der ..reinen"
Suggestionshypnose mit Leichtigkeit zu ver-
meiden? Ist die „Verwerthung* der Sug-
gestibilität zu Heilzwecken nur bei letzterer
Methode zulässig? Eine Reihe von Fragen,
deren Beantwortung an der Hand eigener
Untersuchungen und Beobachtungen und auf
Grund der in der Litteratur niedergelegten
Nachweise kurz versucht werden soll. Ich
darf dabei vorausschicken, dass durch die
erneuten Studien meine vor bald 2 Jahren
niedergelegten Anschauungen^) über diesen
Gegenstand eine wesentliche Aenderung nicht
erfahren haben, sondern eher gekräftigt worden
sind.
Der beredteste Herold der Nancyer
Schule ist Herr Bern heim, dessen Werk „die
Suggestion und ihre Heilwirkung" neuerdings
ins Deutsche übersetzt wurde. Wenn man
seiner Darstellung ausschliesslich folgen würde,
so müsste man zu der Auffassung gelangen,
dass vor den Nancyer Arbeiten die Bedeut-
samkeit der Suggestion für die Hervorrufung
des hypnotischen Zustandes überhaupt nicht
genau erkannt worden wäre. Ich verweise
zuerst auf den oben gegebenen kurzen Ab-
riss der deutschen Bestrebungen aus der
1. Hälfte unseres Jahrhunderts, sodann auf
die bekannten Arbeiten Braid's, welche
wir, dank den Bemühungen Preyer's, als eine
unerschöpfliche Fundgrube für hypnotische
Studien kennen gelernt haben, auf die Ar-
beiten des Abbe Faria in alter und die-
jenigen von 0. Berger in neuester Zeit.
Gerade letzterer hat völlig unabhängig von
den Arbeiten Li^beault's die Macht der
Suggestion für die Erzeugung aller hypno-
tischen Erscheinungen mit aller nothwendigen
Klarheit und Schärfe hervorgehoben. Es haben
eben allerorts die Untersucher die gleiche Er-
fahrung gesammelt, dass bei häufigerer Wieder-
holung der Versuche an demselben Individuum
die Empfänglichkeit zur Entwicklung der Hyp-
nose von Versuch zu Versuch sich steigert,
dass also der Automatismus, die Erregung
und Hemmung bestimmter motorischer, sen-
sibler und sensorieller Vorgänge mittelst in-
ducirter, d. i. suggerirter Vorstellungen, dann
immer vollständiger und exacter in Erschei-
nung tritt. „Dabei ist nicht ausgeschlossen,
dass diese Erscheinungen bei Einzelnen schon
mit dem ersten Versuche mit vollständigster
Genauigkeit producirt werden können, wie
wir gerade in letzter Zeit an einem Epilep-
tiker erfahren haben." Man erlaube mir
noch einige Ausführungen aus meiner oben
genannten Arbeit — „fast alle sorgfaltigen
und gewissenhaften Beobachter sind im
weiteren Verlaufe ihrer Studien über den
*) Vergleiche Artikel Hypnotismus iu der Real-
encyclopädie II. Aufl. X. Bd.
Bintwanger, Bamerkungen über die SuggeBtlvtherapie.
r'herapeatlaehe
MonaUhefte.
Hypnotismus allmählich von der Production
der hypnotischen Zustände durch physikar
lisch- technische Hülfsmittel zu derjenigen
durch psychische Einwirkung, durch Sug-
gestion fortgeschritten. Mit der Ausbreitung
ihrer Erfahrungen über die hypnotischen
Erscheinungen, mit der wachsenden Sicher-
heit in der Beurtheilung der hypnotisirbaren
Individuen, mit der volligen Beherrschung
willfähriger und durch öftere Ver-
suche oder nervöse Constitution an
sich geeigneter Personen schwand die
Nothwendigkeit der Anwendung complicirterer
Hülfsmittel, stieg der Reichthum suggestions-
fähiger Einfälle seitens des Experimentators
und die Empfänglichkeit zu ihrer Aufnahme
seitens des Mediums; die Schlussbilder, die
Suggestionen im wachen Zustande, krönen
das künstlerisch aufgerichtete Bauwerk ex-
perimenteller Psychopathologie. "
Ich will mit dieser erneuten Beweis-
fuhrung, dass die suggestive Erzeugung der
Hypnose fast so alt ist, wie die Erkenntniss
der Hypnose selbst, das Verdienst der
Nancyer Schule für den psychologischen
Ausbau der Suggestionslehre in keiner Weise
schmälern, obgleich ich schon an diesem
Orte sagen muss, dass in der psychologischen
Beweisführung des Herrn Bernheim viel-
fach blumenreiche Redewendungen die Stelle
einer festen BegrifPsbildung und der SchafiPung
neuer Erkenntniss auf diesem Gebiete ver-
treten. Es kam mir vor Allem darauf an,
für die Beantwortung der ersten Frage Er-
fahrungs- Material herbeizutragen. Denn in
ihrer Lösung liegt der Schwerpunkt der
ganzen Betrachtung. Wir haben wohl ge-
funden, dass die „physikalischen^ hypnogenen
Maassnahmen überflüssig werden, sobald die
Versuchsperson, oder hier besser gesagt, der
zu behandelnde Kranke durch den hypno-
tischen „ Training " früherer Sitzungen ge-
nügend vorbereitet wurde. Aber keineswegs
ist dies bewiesen für die erstmalige Er-
zeugung der Hypnose. Weder meine eigenen
Versuche sprechen zu Gunsten der Annahme,
dass die Suggestion des Schlafes hierzu aus-
reichend ist, noch ist ein solcher Schluss
aus den Schilderungen der Nancyer Schule
zu ziehen.
Zur Bestätigung dieses Satzes möchte
ich zuerst wieder eine bekannte Beobachtung
Braid^s heranziehen: Er hatte einen Freund
beauftragt, einen Kranken einzuschläfern.
Kurze Zeit nachher traf Braid den experi-
mentirenden Freund im hypnotischen Zu-
stand, gerade auf dem Stuhle sitzend, den
Arm und Finger, welchen er als Fixations-
punkt für den Kranken emporgehoben hatte,
in kataleptischer Starre festgehalten, den
Blick starr auf den Kranken geheftet! der
Kranke selbst war völlig wach geblieben.
Sodann eine eigene Erfahrung: Ein 12 jähr,
„nervöses" Kind, von dem ich noch weiter
unten berichten werde, wird behufs einer
Gesichtsfeldaufnahme zur starren Festhaltung
des Blickes auf einen Punkt genöthigt.
Nach kaum einer Minute versinkt das Kind
in hypnotischen Schlaf, so dass die Prüfung
abgebrochen werden muss. Eine mehrtägige
Uebelkeit und Schläfrigkeit war die Folge.
Jeder Gedanke einer Suggestion auf den
Schlaf war ausgeschlossen, ebenso eine ent-
sprechende Autosuggestion, indem einestheils
die Aufmerksamkeit, der Wille des Kindes
in anderer Richtung, auf die Sehprüfung ge-
richtet war und andererseits auch niemals
bei früheren Hypnosezuständen der Schlaf
durch Fixation erregt worden war. Derar-
tige Beispiele . könnten aus der Litteratur
noch zahlreich herbeigetragen werden; für
jeden Fall bestätigen sie den Satz, dass die
Hypnose auch ohne Suggestion durch
physische Beeinflussung allein erzeugt wer-
den kann, in gleicher Weise wie auch wäh-
rend des hypnotischen Zustandes „physische"
und „psychische" Erscheinungen in buntem
Wechsel zusammen auftreten. Freud, der
Uebersetzer Bernheim^s, bemerkt in seiner
gehaltvollen Vorrede zu dem genannten Werke
mit Recht, dass jeder geübte Experimenta-
tor gelegentlich auf Individuen stösst, „die
auf Einreden nur schwer in Schlaf zu ver-
senken sind, dagegen leicht, wenn man sie
einige Zeit flxiren lässt". Also für jeden
Fall sind die „physikalischen" Mittel nicht
überflüssig zur Erzeugung der Hypnose und
wirken auch nicht ausschliesslich durch ihre
„indirecte" suggestive Kraft. Ich kann
mich deshalb auch nicht dem Vermittlungs-
antrage Freud' s anschliessen , diese „phy-
siologische" und „psychische" Wirkungs-
weise des Hypnotismus dadurch zu vereini-
gen, dass bei beiden Erscheinungsformen
eine psychische Beeinflussung der Ver-
suchsperson, freilich im ersteren Falle durch
die Entstehung einer Autosuggestion
stattfinde. Es ist dies ein Ausweg, den
Armand Hü ekel (Die Rolle der Suggestion
bei gewissen Erscheinungen der Hysterie
und des Hypnotismus) mit unzweifelhaftem
Geschick zur Erklärung mancher räthsel-
voller Erscheinungen (Transfert u. A.) be-
treten hat, der aber, meiner Ueberzeugung
nach, zu eben so viel unbewiesenen Annah-
men führt, wie die bisherigen Deutungsver-
suche. Um unsere Unkenntniss zu maski-
ren, werden nun alle unerklärten psycho-
physiologischen Vorgänge ins rein psychologi-
sche Gebiet hinübergespielt. Weil thatsächlich
Janaar 1889. J
filtttWanger, Bemerkungen Über die Suggeitivtherapie.
im hypnotischen Zustand mittelst fremder
und Autosuggestionen, also psychischer Vor-
gänge eine ganze Reihe von complicirtesten
Störungen körperlicher Functionen erzeugt
werden kann, muss nach Ansicht dieser
Autoren die Entstehung dieser gleichen
Störungen auf einem anderen Wege, z. B.
durch Vermittelung reflec torisch er Erregun-
gen, welche nicht bis zum Bewusstseinsor-
gan gelangen, sondern in tieferen cerebralen
oder auch spinalen Centren sich abspielen,
in Abrede gestellt werden. Dieser Schluss
ist ebenso unberechtigt, wie ein anderer
ähnlich lautender der modernen Hirnpatho-
logie. Weil die Mehrzahl der motorischen
Vorgänge durch Bewusstseinsacte (Willens-
erregungen) und durch primäre Reizungen
des Bewusstseinsorganes, der Hirnrinde ex-
perimentell hervorgerufen werden können,
weil also in der Hirnrinde der Ausgangs-
punkt der verschiedenartigsten Bewegungs-
acte sich vorfindet, hat sich eine durchaus
irrige Auffassung herausgebildet, dass ge-
wisse pathologische motorische Reizzustände
(epileptische Gonvulsionen) ihren Ursprung
ausschliesslich in der Hirnrinde be-
sitzen müssen und wurde damit die grosse
Reihe associirter, subcorticaler, reflectorisch
erregter Bewegungsacte aus dem Bilde des
epileptischen Krampfes ausgeschaltet.
Betrachten wir die Liebeäult- Beru-
he ira-ForeTschen Grundregeln zur Erzeu-
gung des hypnotischen Zustandes genauer,
so finden wir in ihren eigenen Schilderungen
eine weitere Bestätigung für die Nützlich-
keit, ja Nothwendigkeit physischer Mittel.
In „rebellischen^ Fällen, d. h. bei solchen
Kranken, welche der Suggestion des Ein-
schlafens nicht ohne weiteres unterliegen,
werden die verschiedenartigsten Hülfen her-
beigezogen, um dieselben suggestibel zu
machen. Das häufigste Mittel ist, bei den
erstmaligen Sitzungen die Versuchsperson
die Finger des Experimentators oder dessen
Augen fi xiren zu lassen. Was ist das an-
deres als mittelst eines gleichmässigen Sinnes-
reizes, also einer äusseren Einwirkung nach
Art unserer physikalisch-technischen Metho-
den die Hypnose hervorzurufen? Oder es
werden der Versuchsperson die Augen lang-
sam zugedrückt und die Lider mit den Fin-
gern geschlossen gehalten. Dies Verfahren
ist schon früher im Jahre 1865, unabhängig
von den Nancyer Arbeiten, von Lasegue an-
gewendet worden und zwar ohne alle
Verbalsuggestion, um hysterische Kranke
in den kataleptischen Zustand zu versetzen.
Viel energischer geht Prof. Forel*) vor; er
*) Vgl. Corresp.-Bl. für Schweiz. Aerzte. Dec.
18SS.
ist nicht nur ein streitbarer Kämpe des Heil-
Hypnotismus auf litterarischem Gebiete, son-
dern er wirft auch mit gewaltigem Sinne
alle Bedenken der zu hypnotisirenden ein-
fältigen Menschenseele zu Boden, die oft
thöricht genug ist, die Segnungen des Heil-
mittels nicht annehmen zu wollen. „Behufs
Erzielung der Hypnose und daran anschliessend
suggestiver Wirkungen muss die Seele des
Menschen gleichsam überrumpelt werden". . . .
„Verschiedene Kniffe sind endlich nothwendig,
um den hypnotischen Zustand zu erzielen,
Das Individuum wird durch gewisse Behaup-
tungen geradezu überrumpelt. Man lässt
den Arm über den Kopf halten und macht
dem Patienten weiss, derselbe könne gar
nicht mehr herabsinken, sondern müsse viel-
mehr sich immer höher heben, wobei durch
unbemerkte, durch künstliche Stellung der
Arme, das Individuum irregeführt wurde.
Dabei muss auch auf die Phantasie des zu
Hypnotisirenden mächtig eingewirkt werden,
damit dieser zur Ueberzeugung komme, dass
er ganz in der Gewalt des Hypnotiseurs
ist". . . . Das ist seine Suggestivhypnose, die
aber von der milden Erzeugung des Schlafes
der alten Heilmagnetiseure und auch der
Herren Li^beault und Bern heim wesent-
lich abweicht. Wir gelangen damit zur Be-
sprechung der schon oben angeregten Frage,
ob die Suggestivhypnose im Sinne der Nan-
cyer Schule an sich ein harmloser, sogar
wohlthuender Eingriff sei und alle Gefahren
der Hypnose nur den früheren Methoden an-
^*^^®°- [Sehlust folgt.]
Die Yerwerthiing' der pneniuatiseheii
Therapie im Kiudesalter.
Vortraff, gebalten in der pädiatrischen Sectioa der
61. Versammiang deatschor Naturforscher und
Aerzte za Cöln.
Von
Prof. Dr. Emil Ungar in Bonn.
Die pneumatische Therapie ist bisher in
der Kinderpraxis nur wenig verwerthet
worden; man beschränkte sich und musste
sich beschränken auf die Anwendung der
allseitig wirkenden Luftdruckänderungen in
den pneumatischen Kammern und auf die
Benutzung der von Hauke angegebenen
Apparate, des pneumatischen Panzers und
der pneumatischen Wanne. Die Einleitung
einer pneumatischen Behandlung mittelst der
sonst gebräuchlichen und bei Erwachsenen
vorzugsweise benutzten Apparate, sei es nun
der sogenannten Kessel apparate, sei es der
8
Ungar, Die Verwertfaung^ der pneumatischen Therapie im Kindesalter.
t Therapeutische
Monatsheft«.
nach dem Princip des Gasometers oder des
Blasebalges und der Ziehharmonika oder des
Schöpfradgebläses construirten Apparate, war
bisher, bei jüngeren Kindern wenigstens, un-
möglich. Die Verwendung dieser Apparate
scheiterte an dem Unvermögen der kleinen
Patienten, die erforderliche ümschaltung der
Ventile, oder die sonstigen zur Regelung
des Ein- oder Ausströmens der Luft nöthigen
Manipulationen, den verschiedenen Respira-
tionsphasen genau entsprechend, selbst vor-
zunehmen und in methodischer Weise durch-
zuführen. An die etwaige üebernahme
dieser Manipulationen seitens eines Erwach-
senen war schon der Unregelmässigkeit der
kindlichen Respirationsbewegungen halber
nicht zu denken.
In den pneumatischen Kammern und
vermittelst der Hau keuschen Apparate konnte
nun freilich eine pneumatische Behandlung
ohne jede selbstthätige Mitwirkung des
Kranken und unabhängig von dessen Willen
durchgeführt werden; sie konnten also auch
bei Jüngern Kindern Verwendung finden.
Nicht aber konnten diese Apparate allen
Ansprüchen genügen, welche man behufs
Durchführung einer erfolgreichen pneuma-
tischen Behandlung verschiedener Krankheiten
an solche Apparate stellen muss. Ihre
Wirkungsweise war eine zu beschränkte und
zu einseitige. Zunächst ist, weder bei Ver-
wendung der pneumatischen Kammern, noch
bei Benutzung des Panzers resp. der Wanne
ein für die verschiedenen Respirationsphasen,
für Inspiration und Exspiration, wechseln-
der Atmosphärendruck zu erzielen. In den
pneumatischen Kammern bleibt ja der Druck,
abgesehen von langsamem Ansteigen und
allmählicher Abnahme, der gleiche; das Indi-
viduum befindet sich ununterbrochen ent-
weder in verdichteter oder in verdünnter
Luft, und der gesteigerte oder verminderte
Atmosphärendruck wirkt ein während In-
spiration und während Exspiration. Auch
bei Verwendung des Panzers resp. der Wanne,
bei welchen ja die Angriffspunkte der anzu-
wendenden Kraft nach aussen verlegt sind,
bei welchen also behufs Begünstigung des
inspiratorischen Einströmens der Luft in die
Lungen der auf der Thorax -Oberfläche
lastende Atmosphärendruck verdünnt wird,
kann die Luftverdünnung im Panzer resp.
in der Wanne, bei Kindern wenigstens,
nicht dem Rhythmus des spontanen Athmens
angepasst werden. Die Frequenz der kind-
lichen Athmungsbewegungen ist eine zu grosse
und noch dazu zu unregelmässige und nicht
durch Willenseinfluss genügend zu beherr-
schende, als dass isochron den Athmungs-
phasen ein regelmässiges Wechseln der auf
der Körperoberfläche lastenden Luftdichte
zu erzielen wäre. Die in gewissen Zwischen-
räumen im Panzer bewirkte Luftverdünnung
umfasst daher wechselnd eine grössere oder
geringere Anzahl von Respirationen, also
Inspirationen und Exspirationen zusammen;
dadurch muss aber auch die Exspiration in
demselben Grade erschwert werden, in dem
die Inspiration erleicljtert wird. Ja es
kann, wenn, wie Oertel hervorhebt, die
Luftverdünnung eine gewisse Grenze über-
schreitet, namentlich bei ganz jungen und
durch Krankheit erschöpften Kindern, leicht
ein Zustand von völliger Apnoe eintreten.
Als eine Schattenseite des pneumatischen
Panzers und der Wanne ist sodann noch
der Umstand zu bezeichnen, dass die in-
spiratorische Erweiterung des Thorax durch
Einwirkung eines negativen Druckes auf
seine Aussenfläche, nicht während eines ein-
zigen Inspirationsactes, sondern erst allmählich
nach 3 — 5 Inspirationen zu Stande kommt,
so dass die Beeinflussung des auf die
Innenfläche der Lungen einwirkenden Luft-
drucks eine für verschiedene Inspirationen
verschiedene ist.
Eine Begünstigung der Exspiration durch
Erzeugung eines positiven Druckes auf die
Aussenfläche des Thorax ist vermittelst der
Hauke 'sehen Apparate nicht zu erzielen, da
es nicht gelingt, die Apparate so dicht dem
Körper anzuschliessen, dass ein Entweichen
der Luft verhütet werden könnte. In Bezug
auf die pneumatischen Kammern wäre noch
hervorzuheben, dass mit ihnen, da der in
denselben herrschende Luftdruck auf die
ganze Körperoberfläche einwirkt, eine oft
erwünschte einseitige Einwirkung auf die
Lungenoberfläche nicht zu erreichen ist.
Berücksichtigen wir noch, dass die pneuma-
tischen Kammern doch nur den wenigsten
Aerzten zur Verfügung stehen, und dass die
von Hauke angegebenen Appai*ate für ver-
schiedene Individuen verschiedene Grösse
besitzen müssen und jedem Einzelnen mehr
oder weniger besonders anzupassen sind, so
wird es verständlich werden, dass die pneu-
matische Therapie bisher für jüngere Kinder
eine nur geringe Verwendung gefunden hat.
Und doch war es in hohem Grade
wünschenswerth, die pneumatische Therapie
auch bei jüngeren Kindern in ausgedehnterem
Maasse anzuwenden. Den Wunsch, von der
mechanischen Wirkung der pneumatischen
Apparate einen ausgedehnteren und mehr
zweckentsprechenden Gebrauch machen zu
können, empfand ich besonders, wenn ich
die oft so hochgradige AthmungsinsuMcienz
rachitischer Kinder beobachtete, ohne directe
Hülfe leisten zu können, wenn ich den
tu Jalurgang.l
Jannar 1889. J
üng^ar, Öie Verwerthung der pneumatischen Therapie im iCindesalter.
ö
Wunsch hegte, bestehenden oder sich aus-
bildenden Atelectasen durch Unterstützung
des intrapulmonalen Luftdrucks entgegenzu-
arbeiten, wenn ich nach Pleuritis sich aus-
bildender Einziehung des Thorax und ähn-
lichen Zuständen mehr oder \veniger machtlos
gegenü berstand .
Es könnte nun im ersten Augenblick nicht
zu schwierig erscheinen, durch selbstthätige
Ventil Vorrichtungen, die einfach durch die
Saugwirkung der Inspiration und durch die
Druckwirkung der Exspiration in Bewegung
gesetzt würden, die gewünschte alternirende
Verbindung der kindlichen RespirationsöfP-
nungen mit dem die comprimirte resp. ver-
dünn te Luft enthaltenden Raum isochron
mit den verschiedenen Athmungsphasen zu
erreichen. Bei näherem Eingehen auf die
Sache stellt sich jedoch heraus, dass dies
nicht angeht. Die Anwendung von Ventilen,
welche direct durch die Athmung geofPnet
und geschlossen werden, ist nicht möglich,
weil vordem Ventile ein anderer Druck herrscht,
wie hinter demselben. Diese Druckdifferenz
müsste erst durch Federn, Gewichte oder
dergleichen ausgeglichen werden, und müssten
dann die Ventile für jeden Druck anders
regulirt werden. Dann aber würde es kaum
zu erreichen sein, dass die so in dynamisches
Gleichgewicht gebrachten Ventile sich genügend
leicht bewegten, um durch den leichten Athem-
hauch eines Kindes prompt geÖfEnet und ge-
schlossen zu werden.
Der frühere Assistenzarzt der Kinderpoli-
klinik in Bonn Dr. J. Füth hat nun in Ge-
meinschaft mit seinem Bruder, dem cand. med.
R. Füth, eine Vorrichtung ersonnen und con-
struirt, bei welcher durch elektro-magnetische
Einwirkung, unabhängig von der Willensein-
wirkung und selbstthätigen Mithülfe des respi-
rirenden Individuums, abwechselnd und ge-
nau den Respirationsphasen sich anschliessend,
die Oeffnung und Schliessung der zu den
Respirationsapparaten führenden Ventile statt-
findet. Diesen Apparat, welcher sich bisher
durchaus bewährt hat, möchte ich mir er-
lauben, Ihnen heute in Thätigkeit vorzuzeigen.
Vorher gestatten Sie mir jedoch, Ihnen die
Art und Weise seiner Wirkung kurz zu de-
monstriren.
Bei diesem Apparat werden die Ventile
nicht direct durch die Athembewegungen re-
gulirt, sondern indirect durch Elektromag-
nete. Die Ströme aber, welche zu den Elek-
tromagneten führen, werden durch die Ath-
mungsbewegungen geöffnet und geschlossen,
so dass also indirect durch den Act der
Athmung selbst die Ventile gehandhabt wer-
den. Dies kommt so zu Stande, dass die Athem-
bewegungen auf eine Gummimembran über-
tragen werden. An dieser Membran ist der
senkrechte Arm eines Wagebalken durch
Gelenk befestigt. An den beiden Enden des
horizontalen Armes ist je ein Kupferdraht
angebracht, welcher so gebogen ist, dass seine
beiden Enden nach unten iu Quecksilber-
töpfchen eintauchen, resp. eben über dem
Quecksilberspiegel stehen. Diese Quecksilber-
töpfchen sind die Pole der Leitungsdrähte
zweier galvanischer Ströme, in welche je ein
Elektromagnet eingeschaltet ist. Wird nun
die Gummimembran durch den Inspirations-
hauch angezogen, so neigt sich die Wippe
nach der einen Seite; der Kupferdraht an
dieser Seite taucht mit seinen Enden in die
Töpfchen ein und schliesst so den Strom.
Hierdurch magnetisch geworden, zieht der
Elektromagnet seinen Anker an. Mit diesem
Anker ist nun aber das Ventil verbunden,
welches den Weg für die comprimirte Luft
öffnet, so dass diese jetzt in die Lungen ein-
strömen kann. Wird darauf ausgeathmet,
so stellt sich die Gummimembran in die ent-
gegengesetzte Stellung; die Wippe neigt sich
nach der anderen Seite, der an dieser Seite
befestigte Kupferdraht taucht mit seinen bei-
den Enden in das Quecksilber ein, schliesst
den Strom, der Magnet zieht seinen Anker
an, dieser Anker öffnet das Ventil für Exspi-
ration und die Ausathmuug in verdünnte Luft
oder in die Atmosphäre kann vor sich gehen.
Dies ist im Grossen und Ganzen die Art
und Weise, wie der Apparat wirkt. Die
nähere Beschreibung seiner einzelnen Theile
und namentlich die Art und Weise, wie die
Gummimembran angebracht ist und functionirt,
bitte ich in der demnächst in der Zeitschrift
für klinische Medicin erscheinenden, ausführ-
licheren Beschreibung des Herrn Collegen
Füth nachlesen zu wollen.
Mit dieser Vorrichtung braucht man also
nur den mit verdünnter oder verdichteter
Luft gefüllten Raum in Verbindung zu bringen,
um je nach Wunsch comprimirte Luft inspi-
riren oder in verdünnte Luft exspiriren, und
umgekehrt verdünnte Luft inspiriren oder
in verdichtete Luft exspiriren zu können.
Man kann hierzu schliesslich jeden der ge-
bräuchlichen, tragbaren pneumatischen Appa-
rate benutzen. Wir bedienten uns bisher
des Waldenburg'schen Apparats. Um je-
doch ein häufigeres Umschalten oder eine
Neufüllung des Apparates zu vermeiden, würde
sich die Benutzung eines grösseren Gaso-
meters oder eines constant wirkenden Appa-
rates, wie er kürzlich von Fleischer con-
struirt ist, empfehlen.
Man könnte nun leicht geneigt sein, an-
zunehmen, dass die Verwendung des Apparats
bei kleineren Kindern leicht am Widerstand«
2
10
Ungar, Üie Verwerthung der pn6umatisch)Bn Therapie im kindesaitef^
r"Hier&peulUclk<ft
L Monatahefte. .
und der Unruhe derselben scheitere. Unsere
Erfahrung lehrt, dass dies zwar hier und da
der Fall ist, aber nicht so häufig als man
erwarten sollte. Mit einiger Geschicklichkeit
und Geduld gelingt es, die Kinder an das
Tragen der Maske zu gewöhnen; ist dies ein-
mal erreicht, so macht es in Zukunft keine
Schwierigkeit mehr. Ja wir haben es wieder-
holt beobachtet, dass es schliesslich den
Kindern geradezu Freude bereitet, an dem
Apparate zu athmen. Selbst kleinere Kinder
machen bald die Beobachtung, dass das eigen-
thümliche, sie erfreuende, abwechselnde Auf-
schlagen der Hämmer yon ihren Athembewe-
gungen abhängig ist, und freuen sich sicht-
lich, wenn der Apparat in Thätigkeit tritt
und regelmässig arbeitet.
Die Zahl der Fälle, bei welchen der
Apparat bisher in Anwendung kam, ist nun
noch keine grosse, doch ist in diesen Fällen
das Resultat der Behandlung ein so günstiges,
dass es uns nur ermuntern kann, den ein-
geschlagenen Weg weiter zu verfolgen.
Herr cand. Füth wird seiner Zeit in einer
Dissertation über die betreffenden Fälle des
Genaueren berichten.
Ich hege die feste Hoffnung, dass es
mittelst dieser Vorrichtung gelingen wird,
verschiedene Erkrankungen jüngerer Kinder
aufs Günstigste zu beeinflussen. Denn ge-
rade das kindliche Alter eignet sich ja, wie
Hauke zuerst hervorgehoben hat, ganz be-
sonders für eine wirksame pneumatische
Therapie. Die Weichheit und Nachgiebigkeit
der kindlichen Brustwandungen, die Bildungs-
fähigkeit der kindlichen Gewebe sind günstige
anatomische Vorbedingungen für eine wirk-
same pneumatische Behandlung. Sodann
tritt ja gerade in der Kinderpraxis relativ
häufig die Indication ein, den Inspirations-
act auf mechanische Weise zu fördern und
den intrathoracischen Druck zu erhöhen,
seltener die Indication, die Exspiration zu
begünstigen. Vor Allem verspreche ich mir
besonderen Erfolg für die Behandlung der
'bei Thoraxrachitis sich einstellenden
Athmungs-Insufficienz; hier, wo die er-
weichten Seitentheile des Thorax dem
äusseren Atmosphärendruck und dem Re-
tractionsbestreben der Lungen nicht ge-
nügenden Widerstand leisten können, und
namentlich während der inspiratorischen Er-
weiterung des Thorax und der damit ver-
bundenen Luftverdünnung nach einwärts ge-
drängt werden, kann durch eine Vermehrung
des intrapulmonalen Luftdrucks, wodurch
derselbe das Uebergewicht über den äusseren
Atmosphären druck erhält und dem Re-
tractionsbestreben des Lungengewebes ent-
gegenarbeitet, viel erreicht werden. Was
die pneumatische Therapie hier zu leisten
vermag, kann keine andere Encheirese er-
setzen. Mit Recht hat Hauke hervorge-
hoben, dass, wenn sonst, wo es sich um
Hervorrufung tiefer Inspirationen handelt,
vielleicht auch Hautreize, namentlich durch
kaltes Wasser erzeugte, genügten, hier der
Effect spontaner tieferer Inspiration durch
das um so stärkere Einsinken der Thorax-
wand paralysirt werde. Erßlhrt jedoch in
solchen Fällen die Inspiration dadurch, dass
verdichtete Luft in die Lungen eingeführt
und so durch einen positiven einseitigen
Druck von innen heraus einem allzu starken
Einsinken der erweichten Rippen entgegen-
gearbeitet wird, auch nur zeitweise eine
Unterstützung, so ist schon viel gewonnen.
In Folge der Verringerung des Innenraumes
des Thorax und der durch allzu grosse
Nachgiebigkeit der Seiten Wandungen be-
dingten Beeinträchtigung seiner inspira-
torischen Erweiterung ist ja die Ventilation
der Lungen häufig eine so mangelhafte, dass
dem Sauerstoff-Bedürfniss des Organismus
nicht hinlänglich Genüge geleistet und für
ausgiebige Entfernung der angehäuften
Kohlensäure nicht genügend gesorgt ist.
Wird hier der Luftwechsel in den Lungen
auch nur für die Zeitdauer der Einathmung
comprimirter Luft ein günstigerer, so muss
dies dem Gesammtorganismus zu Statten
kommen und kann zuweilen geradezu eine
Indicatio vitalis erfüllen. Der Einfluss der
Einathmung verdichteter Luft auf die
Respirationsinsufficienz kann in solchen Fällen
ein ganz eclatanter sein. Schon nach
einigen Minuten wird die bis dahin frequente
und oberflächliche Athmung eine ruhigere,
die Athemzüge werden tiefer, ausgiebiger
und seltener. Man kann dabei deutlich be-
obachten, dass das inspiratorische Einwärts-
sinken der seitlichen Thoraxpartieen mehr
und mehr nachlässt und sich die Thorax-
bewegungen mehr und mehr den normalen
Excursionen nähern. In der Einathmung
comprimirter Luft besitzen wir sodann ein
gewichtiges Heilmittel zur Bekämpfung der
die Rachitis so häufig begleitenden und die
Lungenventilation noch mehr beeinträchtigen-
den Bronchialkatarrhe. Vor allem aber dürfte
die Einathmung comprimirter Luft und die
dadurch bewirkte bessere Ventilation der
Lungen sich vortheilhaft erweisen zur Ver-
hütung der Atelectasen, welche sich so
leicht bei Rachitis auszubilden pflegen.
Dort aber, wo bereits solche Atelectasen zu
Stande gekommen sind, dürfte kein anderes
Mittel so geeignet sein, die luftleeren
Lungenpartien wieder der Luft zugängig
zu machen, als eine pneumatische Behand-
ni. Jahrgan^.i
Juioar 1889. J
Ungar, Die Verwertbung der pneumatischen Therapie im Kindesalter.
11
lung, bei welcher die Inspirationsluft unter
höherem Druck in die Lungen einströmt
und dieselben aufzublähen strebt. Durch
regelmässige Anwendung der Einathmung
comprimirter Luft wird aber auch der Aus-
bildung jener ThoraxdifFormitäten , welche
sich schliesslich im Gefolge der Thorax -
rachitia zu etabliren pflegen und eine
Noxe für das ganze spätere Leben bilden,
entgegengearbeitet. Wird der Thorax täg-
lich auch nur für einige Zeit seiner nor-
malen Form genähert, so wird er nicht so
leicht seinenormale, elastische Gleichgewichts-
lage aufgeben und an deren Stelle jene
pathologischen Yerkrümmungen annehmen.
Selbst da, wo im Yerlauf der Rachitis
bereits höhere Grade der Thoraxyerbildung
eingetreten, oder solche nach abgelaufener
Rachitis zurückgeblieben sind, kann durch
die systematische Einathmung comprimirter
Luft noch eine Besserung der Form und
der Gapacität des Thorax erzielt werden. Die
unter höherem als Atmosphärendruck ein-
strömende Luft hat ja das Bestreben die
Lungen aufzublähen und die Thoraxwände
auszudehnen und damit den Thorax nach
aussen hin über die gewohnte maximal-in-
spiratorische Ausdehnung zu erweitem. Für
dieses Bestreben werden auch die Thorax-
partien einen Angriffspunkt darbieten, welche
an Stelle der normalen Wölbung nach
aussen, eine Einbiegung nach innen erfahren
haben. Diese Partien werden, namentlich
so lange das durch den rachitischen Process
erweichte Knochengerüst noch nicht seine
normale Festigkeit erlangt hat, dem während
der Einwirkung der verdichteten Luft, er-
höhten intrathoracischen Druck nachgebend,
sich wieder mehr ihrer normalen Form zu
nähern suchen. Werden die Einathmungen
genügend lange Zeit wiederholt, so werden
diese Partien von Tag zu Tag mehr nach
aussen gedrängt werden, und wird so dem
Thorax allmählich eine mehr der Norm ent-
sprechende Gestaltung zurückgegeben werden.
Den wohlthätigen Einfluss, den die Ein-
athmung comprimirter Luft bei schon be-
stehender Thoraxdifformität auszuüben ver-
mag, konnten wir so recht bei dem Kleinen
constatiren, welcher sogleich vermittelst der
neuen Vorrichtung die in einem Waiden-
burg'sehen Apparate comprimirte Luft ein-
athmen soll. Bei ihm bestanden zur Zeit,
als die pneumatische Behandlung begann,
solche Einsenkungen der seitlichen Thorax-
partien, dass dieselben tiefe Mulden dar-
stellten; heute, nach etwa 3 Monaten, sind
die Seitentheile des Brustkorbes wieder so
nach aussen getreten, dass dieselben, wenn
sie auch noch nicht ihre normale convexe
Biegung nach aussen erreicht haben, doch auch
keine Concavität nach innen mehr aufweisen.
Eine Indication zur Anwendung der
pneumatischen Therapie im frühen Kindes-
alter scheint mir sodann, namentlich auch
bei angeborenem, paralytischem Thoraxbau,
bei dem sogenannten phthisischen Habitus,
gegeben zu sein. Der geringen Excursions-
fähigkeit, welche diese Thoraxform besitzt,
und in der wir eine Prädisposition zur
Lungenphthise erblicken müssen, kann nicht
frühzeitig genug entgegengearbeitet werden.
Je eher wir gegen dieses pathologische Yer-
halten des Thorax einschreiten, je jugend-
licher das Individuum, je bildungsföhiger
also sein Thorax noch ist, um so eher
dürfen wir erwarten, dass unsere Bemühun-
gen von Erfolg sind, und dass es gelingt
eine bessere Formation des Thorax zu er-
zielen. Kein Mittel dürfte aber zur Er-
reichung dieses Zieles so geeignet sein, als
die consequent durchgeführten Einathmungen
comprimirter Luft, von welchen wir ja
wissen, dass sie die Excuxsionen des Thorax
ergiebiger machen, die vitale Lungencapaci-
tät vermehren und schliesslich eine Ver-
grösserung des Brustumfanges herbeiführen,
vor Allem aber auch die Individuen zu
ausgiebigerem Athmen anregen. Indem wir
hier durch die Inhalation verdichteter Luft
der Raumbeschränkung des Thorax entgegen-
arbeiten und eine bessere Ventilation der
Lungen begünstigen, vermindern wir die
Disposition zur Lungenschwindsucht.
Ein günstiges Object der pneumatischen
Behandlung werden sodann auch die Bron-
chialkatarrhe, sowohl acute als chronische,
bilden, welche unabhängig von Rachitis
aufgetreten sind. Zu dem günstigen Ein-
fluss, welchen die pneumatische Therapie
bei den gleichen Leiden Erwachsener aus-
übt, gesellt sich der schwerwiegende Factor,
dass durch die Einathmung comprimirter
Luft, welche den Luftzutritt durch die ver-
engten Bronchiallumina zu den Alveolen för-
dert, dem Gollabiren dieser Alveolen, also
der Entstehung von Atelectase, und so
wiederum der Entstehung lobulär-pneumoni-
scher Herde entgegengearbeitet wird. Ver-
mittelts der neuen Vorrichtung können nun-
mehr auch jüngere Kinder, welche an pleu-
ritischen Ergüssen oder deren Folgezuständen
leiden, des Vortheils einer pneumatischen
Behandlung theilhaftig werden. Wie bisher bei
älteren Individuen, so werden wir jetzt auch
bei kleineren Kindern durch Einathmung
verdichteter Luft die Aufsaugung des Exsu-
dates und die Wiederausdehnung der com-
primirten Lunge zu xmterstützen suchen;
wir werden auf diese Weise der Ausbildung
2*
12
Ungar, Die Verwerihung der pheumaiisclien fberapie im kindesalter.
fTherapeotiseiie
L Monatshefte.
consecutiver Thoraxdifformitäten entgegen-
arbeiten; wir werden uns namentlich auch
in den Fällen, in welchen nach Empyem
eine Thoraxfistel besteht, der von Walden-
burg so warm empfohlenen mechanischen
Behandlung durch Einathmung comprimirter
Luft bedienen können.
So sehen wir also, dass für die Anwen-
dung der pneumatischen Therapie im frühen
Kindesalter mannigfache Indicationen bestehen,
wir sehen, dass sich der Verwerthung der
neuen Vorrichtung ein weites Feld eröffnet.
Will man sich aber der Einathmungen ver-
dichteter Luft mit Nutzen bedienen, so darf
man, worauf in neuerer Zeit Schreiber be-
sonders aufmerksam gemacht hat, nicht ver-
gessen, dass bei verschiedenen pathologischen
Veränderungen die verdichtete Luft, wenn
keine besonderen Maassnahmen getroffen wer-
den, vorzugsweise in die gesunden und gut
ventilirten Lungenpartien aspirirt wird und
hier auch, und nicht, wie beabsichtigt war,
in den kranken Partien zur Geltung gelangt.
Erst dadurch, dass man die gesunden Partien
des Thorax möglichst in ihren Excursionen
einschränkt, und die Ventilation der gesunden
Lungenpartien künstlich behindert, gelingt
es die gewünschte Einwirkung der verdich-
teten Luft auf die kranken Stellen zu er-
zielen. Will man z. B., dass die verdichtete
Luft einer atelectatischen Lungenpartie oder
einer nach pleuritischem Exsudate, resp.
dessen Folgen, retrahirten Lunge zu Gute
komme, so wird man durch passende Lage-
rung des Kindes oder durch directe Com-
pression der gesunden Seite die Athmungs-
thätigkeit der letzteren möglichst einzu-
schränken haben. Wird bei paralytischem
Thorax eine Einwirkung auf die oberen Brust-
partien beabsichtigt, so ist es nöthig die un-
teren Brusttheile durch eine ümschnürung
an ausgedehnteren Excursionen zu hindern.
Eine Einwickelung der oberen Partien des
Abdomens oder ein daselbst mit der Hand
ausgeübter Druck kann gleichzeitig einem
stärkeren Herabsteigen des Zwerchfells ent-
gegenarbeiten. Soll bei Thoraxrachitis der
Zweck , dass die unter höherem Druck ein-
strömende Inspirationsluft der Einbiegung der
seitlichen Thoraxpartien entgegenarbeite, er-
füllt werden, so ist es nothwendig, gegen die
allzustarken Excursionen des Zwerchfells durch
mechanische Behinderung derselben einzu-
schreiten.
Zur Therapie des Typhus abdominalis.
Erwiderung an Herrn Dr. E. Brand in Stettin.
Von
Prof. Dr. Sigm. Purjesz in Klausenburg.
Im Aprilheft der Therap. Monatsh. 1888
wurde über meinen in einer ungarischen
Zeitschrift erschienenen Aufsatze „Bemer-
kungen zur Therapie des Fiebers mit Rück-
sicht auf die Therapie des Typhus abdo-
minalis^ referirt. Auf dieses Referat hin,
welches nicht von mir herrührt und für
dessen richtige Wiedergabe ich demnach
auch nicht verantwortlich sein kann, wurde
ich von Herrn Dr. E. Brand in dem October-
hefte angegriffen. Erlauben Sie, Herr Re-
dacteur, dass ich auf die, schon dem Tone
nach ganz eigenthümlichen und auch sach-
lich durchaus nicht begründeten Angriffe im
Interesse der Sache Manches erwidere.
Herr E. Brand bemängelt es, dass das
Referat seine und VogTs Daten als aus
der „allerletzten Zeit" herrührend hin-
stellt und meint, dass die Zeit, der seine
Daten entlehnt sind, sich auf über 36 Jahre
erstreckt.
Nun 35 Jahre sind ja eine geraume
Zeit, aber dennoch eine kurze Spanne im
Verhältnisse zur Existenz des Typhus und
im Vergleich zu den vielen Jahren, wäh-
rend welchen die Therapie des Typhus
discutirt wird. Hätte Herr Brand das
ganze Referat mit Aufmerksamkeit gelesen,
so würde er auch schon daraus die Ueber-
zeugung gewonnen haben, dass ich nicht
meinen konnte, dass „die hydriatische Be-
handlung des Typhus heute noch nicht über
eine Statistik verfügt, die man verlässlich
nennen könnte" (wie es im Referate heisst),
sondern dass wir überhaupt zur Beurth ei-
lung des Werthes der verschiedenen
Behandlungsmethoden des Typhus im
Vergleiche zu einander keine verläss-
liche Statistik besitzen.
Um dem Leser die Orientirung in dieser
streitigen Angelegenheit zu ermöglichen, muss
ich Einiges aus meinem Aufs atze hier reca-
pituliren.
Nach einer kurzen Einleitung über die
verschiedenen Behandlungsmethoden etc. des
Fiebers und des Typhus abdominalis heisst
es daselbst:
„Auffallend ist es jedenfalls, dass die
strengen Hydropathen, ebenso wie die ge-
mässigteren, die Verehrer der Antipyretica
nicht minder als jene, die das Fieber ganz
unbeeinflusst lassen wollen, zum Beweise
der Verlässlichkeit ihres Vorgehens sich
darauf berufen, dass es mit dem jeweiligen
III. Jahrgang.!
Januar 1889. J
Purjeiz, Zur Therapie des Typhui abdominalii«
13
Verfahren gelungen ist, die früher neben
der exspectativen Therapie beobachtete Sterb-
lichkeit von 29—30% auf 6 — 9%, ja noch
tiefer zu reduciren.
Da diese Besserung der Sterblichkeits-
verhältnisse sich bei solch divergenter Thera-
pie gleichmässig einstellt, so ist es jedenfalls
berechtigt daran zu zweifeln, dass die Besse-
ruDg eine Folge der Therapie ist.
Abgesehen von der Therapie können da
verschiedene Momente ihren Einfluss geltend
machen. So ist es nicht unmöglich, dass
die Energie des Typhusgiftes in letzterer
Zeit massiger wurde, wenigstens spricht
hierfür die Verschiedenheit des Krankheits-
bildes von einst und jetzt.
Der wesentlichste Antheil an der Besse-
rung der Typhusstatistik dürfte jedoch der
heutigen besseren Diagnostik zufallen. Denn
wenn wir auch die gross te Achtung vor der
Diagnostik unserer Vorgänger haben, so ist
es doch unleugbar, dass in Folge der
Thermometrie, der Percussion und sonstigen
physikalischen üntersuchungsmethoden es
heute weniger, denn früher geschieht, dass
wir nicht jeden Fall mit sogenanntem status
typhosus wirklich für Typhus halten, sondern
als miliare Tuberculose, Pneumonie (asthe-
nische), Pyaemie, Endocarditis (ulcerosa),
Uraemie etc. erkennen.
Hierdurch entfällt eine grosse Zahl sol-
cher, nur des status typhosus halber für
Typhus gehaltener, gewöhnlich letal ver-
laufender und natürlich mit Unrecht dem
Typhus zur Last gelegten Fälle. Anderer-
seits zählen wir heute dem Typhus viele
solche Fälle zu, die früher, bloss weil der
sogenannte status typhosus ausblieb, unter
anderen Rubriken geführt wurden; es ent-
fielen somit früher namentlich die leichteren,
die Sterbestatistik bessernden Fälle, während
andere mit Unrecht diese Statistik be-
lasteten.
Obwohl diese Verhältnisse zur Genüge
erklären, weshalb die vor den 60er Jahren
bei der exspectativen Behandlung erreichte
Sterblichkeit heute wesentlich vermindert
wurde, so ist es doch von Interesse zu
erfahren, ob jene Beobachtungen wirklich
auf eine Behandlungsweise sich beziehen,
die dem entspricht, was wir heute ex-
spectativ nennen. Die meisten Autoren
führen nebst den Jahreszahlen nur die Zahl
der beobachteten Fälle und die Sterbeziffer
an und betrachten Alles, was nicht hydria-
tisch behandelt wurde, als der exspectativen
Behandlung zufallend. Nur Vogl fügt
seinen Daten auch Bemerkungen über die
Behandlungsweise zu und fasst hierbei die
Fälle von 1841 bis 1868 als der exspecta-
tiven Behandlung zufallend zusammen. Wenn
wir diese Daten etwas näher betrachten, so
kommen wir zu dem Resultate, dass da so
manches andere als exspectative Behandlung
mitgespielt hat. So betrug im Jahre 1842
die Sterblichkeit 38,8%. Die Behandlung:
„Ausleerend, nach dem Fingerzeige der
Natur, gelinde antiphlogistisch, mehrmals
zugleich ableitend durch Sinapismen und
Vesicantien, kalte Fomente. Hier und da,
wo der Process örtliche Entzündungen zu
setzen drohte, oder bei plethorischen Sub-
jecten allgemeine oder örtliche Blutent-
ziehung." Für das Jahr 1843, wo die Sterb-
lichkeit 40,3% betrug, finden wir folgende
Bemerkung: „Den herrschenden Genius epi-
demicus bildete die synochale Form, weshalb
V. S. und der antiphlogistische Apparat
besonders mit Glück applicirt wurde." So
geht es weiter, und auch noch im Jahre
1851 finden wir das Emeticum erwähnt.
Wie Vogl unter solchen Verhältnissen
dazu gelangt, sagen zu können: „Die Ge-
sammtabnahme der Mortalitätsziffer im Ver-
gleiche zu 1841 — 1875 ist zum grössten
Theile durch die geringe Sterblichkeit bei
der methodischen Kaltwasserbehandlung er-
zeugt", ist uns nicht recht einleuchtend.
Sollte die bessere Diagnostik und das Ent-
fallen der nachtheiligen Einwirkung der
V. S., der Laxantien, der localen Blutent-
ziehung, der Emetica gar keinen günstigen
Einfluss auf die Sterblichkeitsverhältnisse
geäussert haben?! Es geht aus dem Ange-
führten zur Genüge hervor, dass die in den
40 — 50 er Jahren en-eichten Resultate durch-
aus nicht der exspectativen Behandlung zu-
geschrieben werden können. Es muss dies
besonders hervorgehoben werden, da bei der
Beurtheilung des Werthes der verschiedenen
Behandlungsmethoden gewöhnlich bis auf
die 40 — 50 er Jahre zurückgegangen wird
und demnach die Kritik von falschem Stand-
punkte ausgeht, w^enn die in den 40 — 50 er
Jahren erreichten Resultate allgemein der ex-
spectativen Behandlung zugeschrieben werden.
Unter solchen Verhältnissen ist es über-
haupt fraglich, ob wir solche Data be-
sitzen, die zum Vergleiche des Werthes
der verschiedenen Behandlungsmetho-
den geeignet sind. Dies wäre nur
dann der Fall, wenn das zum Ver-
gleiche benützte Material in allen
Punkten identisch wäre und sich nur
in Betreff der Behandlung unter-
schiede. Wenn wir jedoch berücksichtigen,
wie verschieden schwer die Infection sich
— trotz der ätiologischen Einheit des
Typhus — in den verschiedenen Jahren, an
verschiedenen Orten, ja an gleichen Orten
14
Purjesc, Zur Therapie dei Typhus abdomlnaliB.
[Therapeutlache
Monatshefte.
äussern kann, wenn wir ferner bedenken, wie
verschieden das zum Vergleiche benützte
Material in Bezug auf Alter, Constitution etc.
ist, so können wir füglich behaupten, dass
uns ein passendes Material nicht zur Ver-
fügung steht.
Wie verschieden müssen z. B. die Sterbe-
verhältnisse — bei ganz identischer Behand-
lung — in einem Civil krankenhause aus-
fallen, wo alte und junge Personen, Männer
und Frauen, Schwangere, herabgekommene
Individuen, Potatoren etc. aufgenommen
werden, im Verhältnisse zu den Ergebnissen
der Militärkrankenhäuser, wo das Kranken-
material individuell am wenigsten verschieden
ist und a priori schon die günstigsten
Chancen zur Genesung bietet.
Wenn daher Brand und Vogl so sehr
auf ihr kleines Sterbeprocent pochen, so
möge nicht vergessen werden, dass sie ihre
Daten der allerletzten Zeit entlehnen und
dass sich dieselben fast ausschliesslich auf
in Militari azarethen gemachte Erfahrungen
beziehen.
Wie ungleich und unseren oben ge-
stellten Anforderungen nicht entsprechend,
demnach zum Vergleiche über den Werth
der verschiedenen Behandlungsmethoden nicht
geeignet das verfügbare Material ist, geht
auch aus Brandts Angaben selbst dann
hervor, wenn wir nur jene 5573 Fälle be-
rücksichtigen, von denen er meint, dass „das
Material nichts zu wünschen übrig lässt",
und von seiner grossen Statistik (19017 Fälle),
welche er selbst als „mixtum compositum"
bezeichnet, absehen. Von diesen 5573
kommen gegen 3000 auf Soldaten (Garnisons-
lazareth d. II. Armeecorps 2711, Vogl 221)
und können schon deshalb nicht unter einen
Gesichtspunkt mit den übrigen gestellt
w^erden. Die übrigen sind aus Fällen, die aus
den verschiedensten Jahren und verschieden-
sten Gegenden stammen, zusammengesetzt,
worunter wir Daten finden, wie Weidner
20 Fälle = 0 Sterblichkeit, Heyfelder
21 Fälle = 0 Mortalität, Roudet und
Grabinsky 11 Fälle = 0 Mortalität. Es
mag in diesen Fällen wohl das Wasser in
gleicher Weise streng nach Brand benützt
worden sein, aber über Alles andere, was
nach dem oben Gesagten bei einer Statistik,
die vergleichbar sein soll, eine wesentliche
Rolle spielt, wissen wir eigentlich nichts,
ja wir glauben nicht zu weit zu gehen,
wenn wir es trotzdem aussprechen, dass die
Verhältnisse den oben gestellten Anforde-
rungen nicht entsprechen.
unsere Behauptung, dass wir ein in
obigem Sinne zum Vergleiche verwendbares
Material nicht besitzen, bedarf iQßofern einer
Correctur, als ja VogTs Ausweis aus dem
münchener Militärlazarethe gerade dieser
Anforderung zu entsprechen berufen wäre.
Dieser Ausweis spricht so sehr für den wohl-
thätigen Einfluss der Brand 'sehen Behand-
lungsweise, dass wir nicht zögern würden
uns denselben anzuschliessen, wenn derselbe
nicht so manche Einwände zuliesse.
In erster Linie müssen wir beanstanden,
dass die nach der einen Methode (metho-
disch) behandelten Fälle vielzu gering an
Zahl (22 1) im Verhältniss zu den combinirt
behandelten (767) sind. Besonders fällt
dies auf, wenn man die einzelnen Jahrgänge
mit einander vergleicht. Daraus z. B., dass
in dem Jahrgange 1880/81 auf der combi-
nirten Abtheilung von 10 Kranken 3 ihrer
Krankheit erlagen, während in der anderen
(methodisch) Abtheilung auf 25 Kranke ein
Todesfall entfiel, wäre es jedenfalls sehr ge-
wagt folgern zu wollen, dass die auf der
ersten Abtheilung geübte Behandlung im
Allgemeinen eine Sterblichkeit von 18,8%,
die auf der anderen Abtheilung geübte aber
eine solche von 4% ergebe; dieselben Ver-
hältnisse finden wir auch in dem Jahre
1881/82. Aus so geringen Zahlen lassen
sich jedoch keine * allgemeinen Schlüsse
ziehen, selbst dann nicht, wenn das Material
so gleichmässig ist, wie dies von den Sol-
daten Vogl's vorausgesetzt werden kann.
Die Soldaten können wohl ganz gleiche
Uniformen haben, aber schliesslich sind sie
auch Menschen, mit verschiedenen indivi-
duellen Eigenschaften.
Noch bedenklicher muss uns VogTs
Vorgehen erscheinen, wenn derselbe in einer
seiner Arbeit angefügten Bemerkung zugiebt,
dass in den Jahren 1878/79 und 1881/82
wohl in beiden Abtheilungen methodisch
vorgegangen wurde und dennoch die I. Ab-
theilung zu den combinirt behandelten zählt.
Bei richtigem Vorgehen hätten diese Fälle
den methodisch behandelten zugezählt werden
müssen; freilich hätte dann Vogl nicht
sagen können: „die methodische Behandlung
überschreitet auch in typhusreichen Jahren
nicht ein einzigesmal die Mortalität von
4,7%". Wir legen auf diese Einwendung
gegenüber den VogTschen Daten ein um
so grösseres Gewicht, da sich die Hydria-
tiker zumeist auf dieselben berufen, und weil
aus diesen Einwendungen zur Genüge hervor-
geht, dass jene nicht als Resultate „thera-
peutischer Experimente im grossen Stile"
wie V. Ziemssen meint, betrachtet werden
können."
Aus dem Angeführten erhellt also, dass
wir keine derartige statistischen Data be-
sitzen, durch welche die Vortheile der einen
TIT. Jahrgang.^
Janaar 1889. J
Purjeiz, Zur Therapie des Typhus abdominalis.
15
BehandlungsAveise vor der anderen genügend
bewiesen wäre.
Es ergiebt sich aus dem Mitgetheilten,
und ich hoffe, dies wird auch Herr Dr. Brand
einsehen, dass ich mit Fug und Eecht sagen
konnte, dass die Daten, auf welche sich
Brand und Yogi beriefen, der allerletzten
Zeit entlehnt sind. Herr Dr. Brand kämpft
formlich gegen "Windmühlen, wenn er dar-
über ungehalten ist, dass ich seine 35jährige
Thätigkeit nicht gehörig beachtete. Von den
5573 Fällen entfallen auf H. Brandts
35 jährige Thätigkeit nur 479, während
gegen 3000 und noch mehr den Jahren 1880
herwärts entstammen. Ich musste natürlich
den Namen des Herrn Brand mit Fällen
in Zusammenhang bringen, die der aller-
letzten Zeit entstammen, da Herr Brand
gerade diese Fälle zur Beweisführung be-
nützt; am allerwenigsten hatte ich da bloss
die eigenen Fälle des Herrn Brand vor
Augen. Ja, da ich die gesammten Angaben
Brandts für nicht beweisend halte — wie
dies aus Obigem ersichtlich ist — so ist
meine ganze Beweisführung vielmehr gegen
YogTs Angaben gerichtet, nichts desto
weniger musste ich Brand und Yogi zu-
gleich nennen, da Brand die Angaben YogTs
als Beweise anführt.
Zweitens meint Herr Brand: er ist leider
kein Militärarzt etc. — Weder in meinem
Aufsatze, noch in dem Referate ist auch
nur eine Andeutung davon, dass ich Herrn
Brand für einen Militärarzt hielt. Herr
Brand scheint das Referat nicht richtig,
oder gar nicht gelesen zu haben. Da heisst
es bloss, dass die Daten sich fast aus-
schliesslich auf in Militärlazarethen
gemachte Erfahrungen beziehen. Herr
Brand möge einmal Einsicht in seine Zahlen-
angaben nehmen und er wird sich überzeugen
können, dass ich im Rechte bin. Herr
Brand kämpft wieder einmal gegen Wind-
mühlen, wenn er sich gegen den Yorwurf
vertheidigt, dass ich ihn für einen Militär-
arzt hielt. Es fiel mir gar nicht ein zu
behaupten, dass er die Erfahrungen in
Militärlazarethen gemacht, — er benützte nur
die Daten, die Andere in Militärlazare-
then gesammelt. — Hiermit ist auch die dritte
Einwendung des Herrn Dr. Brand erledigt.
Viertens meint Herr Brand: dass er
nicht pocht auf ein kleines Sterbeprocent.
Nun ich glaube, dass darüber, wie Herr
Dr. Brand in seinen Schriften sich benimmt,
auch einem Anderen ein Urtheil zusteht;
auf mich wenigstens macht es den Eindruck,
dass er auf seine Resultate in der That
pocht. Es ist ja das schliesslich keine
Schande.
Im 5. Punkte seiner Erwiderung lässt
Herr Brand es durchblicken, dass er den
Inhalt der von ihm bemängelten 4 Punkte
nicht für wahr hält. Er hat nicht ganz
Unrecht, denn was im Punkte 2 und 3
enthalten ist, ist wirklich nicht wahr, nur
wurde das nicht von mir, sondern von Herrn
Brand behauptet; dagegen erkläre ich das,
was Punkt 1 und 4 enthält, für vollkommen
wahr und bewiesen.
Schliesslich kann Herr Brand es nicht
unterlassen seine Zweifel darüber auszu-
drücken, ob ich je eine seiner zahlreichen
Schriften in der Hand gehabt oder gar ge-
lesen habe. Nun ich kann Herrn Brand
versichern, dass ich seine Schriften nicht
nur gelesen, sondern aus denselben auch viel
und vor allem das gelernt habe, wie wenig
es einer Sache nützt, wenn man dieselbe anstatt
mit sachlichen Gründen, mit Fanatismus
vertheidigt. Eine weitere Folge dieser Lehren
ist die Ueberzeugung, dass man gegen Fana-
tismus vergebens mit Gründen kämpft, wes-
halb ich auch gleich hier erklären muss,
dass ich jeden weiteren Angriff des Herrn
Brand in dieser Angelegenheit unberück-
sichtigt lassen werde.
Zur Therapie des Typhus abdominalis.
Antwort auf die obige Erwiderung des Herrn
Prof. Dr. Purjesz.
Von
Dr. E. Brand in Stettin.
Niemand wird es, denke ich, mir ver-
übeln, wenn ich meinem Grundsatze, auf per-
sönlichen Angriff nicht zu antworten, auch
hier getreu bleibe.
Damit aber der Leser sich ein unpar-
teiisches ürtheil bilden kann, erlaube ich
mir den Ausspruch des Herrn Prof. Purjesz
und meine Berichtigung wörtlich hier noch
einmal anzuführen.
Im Aprilheft dieser Zeitschrift steht zu
lesen: „Wenn Brand und Vogl so sehrauf
ihr kleines Sterbeprocent pochen, so möge
nicht vergessen werden, dass sie ihre Daten
der allerletzten Zeit entlehnen und dass sich
dieselben fast ausschliesslich auf in Militär-
lazarethen gemachte Erfahrungen beziehen."
„Die hydriatische Behandlung des Typhus
verfügt heute noch nicht über eine Statistik,
die man verlässlich nennen könnte."
Darauf habe ich kurz, bündig und, wie
ich glaube, mit keinem Worte zu viel er-
widert;
16
Brand, Zur Therapie des Typhui abdominalis.
[Therapeutische
Monatxheftp.
1. Die allerJetzte Zeit, der meine Daten ent-
lehnt sind, erstreckt sich über 35 Jahre.
2. Bin ich nicht Militärarzt.
3. Sind meine Erfahrungen nicht in Mili-
tärlazarethen gemacht, sondern in der
Privat' und hausärztlichen Praxis. Mit
Ausnahme einer geringen Zahl während
des Krieges 1870/71 in einem Privat-
lazareth behandelter habe ich nie einen
typhuskranken Soldaten gesehen.
4. Poche ich nicht auf mein kleines Sterbe-
procent, sondern lege im Gegentheil den
Sterblichkeitsziifem als Beweismittel nur
geringen Werth bei.
5. Wenn Herr Professor P. auf diese 4 An-
gaben hin meine Statistik nicht verläss-
lich nennt, so ist dieses Urtheil w^ohl
ebenso begründet, wie die Punkte 1 — 4
wahr sind. Offenbar hat Herr Pro-
fessor P. niemals eine meiner zahlreichen
Schriften in der Hand gehabt und noch
weniger sie gelesen.
Ich bedauere, anstatt der Bezeichnung
wahr nicht lieber richtig gebraucht zu
haben. Sonst bin ich beim besten Willen
nicht im Stande, auch nur ein Wort meiner
Berichtigung zurückzunehmen.
Ueber den Werth der Statistik der Wasser-
behandlung des Typhus und der Statistik
als Beweismittel überhaupt werde ich mir
die Ehre geben, an einem anderen Orte zu
berichten.
BeitrasT zur Sozojodoltherapie.
Von
Dr. Nitschmann in Erfart.
Seit etwa 9 Monaten habe ich mit den
Terschiedenen Sozojodolpräparaten aus der
chemischen Fabrik H. Trommsdorf-Erfurt bei
einer grossen Anzahl meiner Patienten gegen
mannigfache Krankheitserscheinungen Ver-
suche angestellt, deren Resultate ich hiermit
der Oeffentlichkeit übergebe, da dieselben
überraschend gute genannt werden können
und das Sozojodol nach denselben entschieden
zu weiteren Versuchen geeignet erscheint.
Während der Zeit, in welcher ich diese an-
stellte, sind bereits mehrere Veröffentlichungen
darüber erschienen. So hat Lassar gute Er-
folge gehabt bei verschiedenen Hautkrankhei-
ten, die ich nur bestätigen kann, namentlich
so weit sich dieselben auf parasitäre Hauterkran-
kungen beziehen. Pritsche rühmt die Resul-
tate der Sozojodoltherapie bei Behandlung der
Krankheiten des Nasenrachenraumes mit In-
sufflationen von theils reinem Sozojodolnatri-
um, theils in Vermischung mit Milchzucker.
Wenn ich auch derartige Einblasungen nie
gemacht habe, sondern statt derselben Ein-
pinselungen oder Douchen mit 5 — 7**/o Lösun-
gen anwenden liess, so habe ich doch von
letzterer Behandlung dieselben günstigen Er-
folge gesehen. Als ich diese kurze Zusam-
menstellung absenden wollte, erschien im
Septemberhefte der Therapeutischen Monats-
hefte noch eine ausführliche Abhandlung
über die chemische Zusammensetzung und die
Einwirkung des Sozojodols auf Pilzbildun-
gen von Langgaard. Aus letzterer ist
namentlich wichtig die giftfreie Wirkung der
Präparate, die die Anwendung in der Wund-
behandlung auch auf grössere Hautdefecte
ohne Jodin toxication gestattet, wie ich denn
auch nie eine derartige In toxication gesehen
habe, und zweitens ist es wichtig zu erfahren,
in welchem Procentsatz die Anwendung er-
folgen muss, um jede Coccenbildung sicher
zu verhindern. Ich gebe zu, dass ich nach
der Veröffentlichung von Langgaard einige
Medicamente mit geringerem Procentgehalt
von Sozojodol hätte anwenden können, und
ich habe letzteres auch in neuester Zeit be-
reits gethan, doch kann ich mir den Fehler
mit zu starken Lösungen wohl selbst ver-
zeihen, da das Sozojodol wenig oder garnicht
irritativ wirkt und, wie bereits gesagt,
Intoxicationen nicht verursacht. Versuche
wurden von mir angestellt bei folgenden
Krankheitserscheinungen :
Auf seine antiseptischen Eigenschaften
von vornherein aufmerksam gemacht und als
solches (Ersatz für Jodoform) hauptsächlich
von der Firma H. Trommsdorf empfohlen,
wandte ich dasselbe zunächst in der Wund-
behandlung an. Zur Desinfection von Schnitt-
oder Riss- und Quetschwunden besitzen wir
in den verschiedensten Antisepticis so vor-
zügliche und dabei billige Mittel, dass wir
dazu der Sozojodolpräparate, die immerhin
theuer sind, durchaus nicht benöthigen, und
würde ich dasselbe daher hierzu nie empfehlen,
aber bei einer Menge eiternder und jauchen-
der Wunden, die in der Praxis des Arztes,
namentlich Fabrikarztes so oft vorkommen,
hat es mir vorzügliche Dienste geleistet.
Bei Schnittwunden mit schmutzigem, öligem
Messer, bei denen die prima intentio ausge-
blieben , bei Quetschwunden von Zahnrädern
herrührend, bei Brandwunden durch glühen-
des oder flüssiges Erz, bei oberflächlichen
Verbrennungen der Haut durch Explosionen,
bei chronischen ünterschenkelgeschwüren etc.
etc., in allen Fällen, in denen wir bisher,
soweit nicht Operationen nothwendig wurden,
adstringirende oder desinticirende Mittel ab-
wechselnd anwandten, kann ich nur dringend
rathen, Sozojodol zu versuchen. Ich habe
III. Jahrgang.*!
Januar 1889. J
Nitschmann, Beitrag cur Sozododoltherapie.
17
früher meistens Jodoform verwandt, und so-
bald die Granulationen -wucherten, mit Ar-
gentum nitricum touchirt, um bei zu starker
Aetzung wieder mit Jodoform vorzugehen.
Zwar habe ich damit auch stets günstige
Resultate erzielt, aber abgesehen von dem
unangenehmen Geruch des Jodoforms und
den schwarzen Wundrändern der Argentum-
salbe, müssen die Patienten bei dieser Wund-
behandlung täglich besichtigt werden, was
sich besonders bei Landpraxis absolut nicht
ausfuhren lässt. Die Sozojodolnatriumsalbe
wirkt gerade vermittelnd zwischen den beiden
oben angegebenen Behandluugsweisen. Die
Wundfläche reinigt sich sehr schuell, zeigt
eine gesunde, fnschrothe Farbe mit rosa
Wundrändem, die nicht durch üppige Gra-
nulationen überwuchert werden, und es ist
mir oft passirt, dass Wunden, die mit anderer
Behandlung während 14 Tagen keine Tendenz
zur Verkleinerung zeigten, bei Anwendung
von Sozojodol in 4 bis 5 Tagen verheilt
waren. Zufällig hatte ich Gelegenheit zwei
Fälle zu beobachten, die sich beide bei einer
Explosion ausgedehnte aber nur oberfläch-
liche Hautverbrennungen zugezogen hatten;
bei beiden war die Verbrennung fast dieselbe,
sodass ich die Fälle wohl parallelisiren
kann. Der eine wurde mit Jodoform, der
andere mit Sozojodol behandelt, und letzterer
brauchte gerade die halbe Zeit zur Heilung
wie ersterer, und wer weiss, wie lange ersterer
noch gebraucht hätte, wenn nicht zuletzt
auch noch Sozojodol angewandt wäre, worauf
die Heilung schnell fortschritt. Die Salbe,
die ich in allen diesen Fällen lediglich an-
wandte, hatte folgende sehr einfache Zu-
sammensetzung :
Lanolini 40,0.
Sozojodolnatr. 4,0.
Mf. ung.
Die weiteren Versuche erstreckten sich
zunächst auf acute und chronische Katarrhe
der Schleimhäute.
Bei acuten Katarrhen des Pharynx sowie
bei acuter Stomatitis wirkt eine wässrige
5% Sozojodolzinklosung, zweistündlich ein-
gepinselt und bei brennenden Schmerzen mit
reinem Wasser nachgespült, schnell und
sicher. Bei einer hier herrschenden Masern-
epidemie fand ich Gelegenheit, die gleiche
Lösung auch bei einer grossen Anzahl acuter
Gonjunctivitiden zu probiren und habe auch
stets guten £rfolg gehabt, wenn man frei-
lich auch, ebenso wie bei Zinc. sulf.-Losung,
gezwungen ist, nach der Einträufelung ^/4
Stunde hindurch kalte Umschläge machen
zu lassen. Bei Coniunctivitis purulenta und
Blennorrhoe neonatorum wählte ich wieder
SozojodolnatriumlÖsung und zwar:
Sozojodolnatrium 2,0
Aquae 30,0
da das Sozojodolzink heftigen, brennen-
den Schmerz verursachte, und ich mochte
es daher auch für die acuten Goniunctivi-
tiden nach letzter Erfahrung mehr empfehlen
als das Sozojodolzink.
Für die Behandlung der Urethritis gonnorr-
hoica sorgt das Sozojodolzink-Präparat in
2 °/o Lösung für Vermehrung der vielen und
mannigfachen bereits bekannten Mittel, wenn
ich auch eingestehen muss, dass sich auch
bei diesem Mittel die alte Hauptregel be-
stätigt, dass der Patient selbst durch soliden
Lebenswandel das meiste bei der Therapie
zu erreichen vermag. — Von der Behand-
lung der Urethritis kommen wir zu der der
Vaginitis seu benigna seu maligna. Zwar
halte ich die Behandlung mittelst Speculum
und directer Aetzung der ausgespannten
Schleimhaut mit Acetum pyrolignosum oder
Argen tum nitricum etc. etc. für die zweck-
mässigste, wo sich dieselbe aber nicht aus-
führen lässt, d. h. wo die betreffenden Pa-
tienten nicht täglich zum Arzt zu kommen
vermögen, da habe ich bisher Sublimatsalbe
mit Wattetampons einführen lassen, habe
jetzt aber mit Sozojodolnatr. - Salbe auf
gleiche Weise applicirt (wiederum 1 : 10)
bessere d. h. schnellere Erfolge gehabt, und
die Patienten klagen nicht so sehr über
brennende Schmerzen, wie es bei der Sub-
limatsalbe der Fall war.
In der Behandlung der gynäkologischen
Fälle fortfahrend, kann ich es nicht genug
empfehlen gegen Gervixkatarrh (Emmet^s
Ectropium). Dieses ist der einzige Fall, in
welchem ich das Sozojodolnatrium in Pul-
verform verwandte. Anfönglich versuchte ich
es auch hier mit Application der Salbe durch
Tampons, unter Führung des Speculums un-
mittelbar auf die Wunde gebracht und da-
selbst liegen gelassen, bald aber ergab directes
Aufblasen des reinen Sozojodolnatriums auf
die Wunde und Vorlegen eines trockenen
Tampons ein entschieden besseres Resultat.
Während bei dem Aetzen des im Spiegel
eingestellten Ulcus mit Acetum pyrolignosum
die Wirkung nur kurze Zeit anhält und dann
bis zum nächsten Tage eine weitere Behand-
lung meistens nicht stattfindet oder von ge-
ringem Werth ist (soweit sich Patientin
dieselbe selbst angedeihen lässt), während
ferner die eingeführten Salben sich in der
Körperwärme verflüssigen und bald abfliessen,
löst sich aufgepulvertes Sozojodolnatrium
bei der vorhandenen geringen Feuchtigkeit
sehr schwer auf, bleibt permanent mit der
ulcecrirten Fläche in Verbindung und der
davorgelagerte trokene Tampon verhindert
3
18
Nlttehtnann, Baitrag cur Sozojodolttaerapie.
rlierapeutiflche
Monatshefte.
ein Abwischen des Sozojodol durch die auf-
lagernden Vaginalwände. Wie sich hieraus
theoretisch ein guter Erfolg demonstriren
lässt, 80 habe ich denselben in praxi that-
sächlich gesehen und daher mochte ich die
Herren Collegen namentlich in diesem Falle
bitten, Versuche anzustellen. Das Aufpul-
vern geschieht am leichtesten durch eine
gerade Glasrohre, über deren eines Ende ein
^4 bis ^/j Meter langer Gummischlauch ge-
zogen ist. Man thut nun das andere Ende
der Glasröhre in das Pulver hinein, sodass
sich die Mündung möglichst hoch hinauf mit
Sozojodol verstopft, nimmt den Gummi-
schlauch in den Mund und bringt das mit
Sozojodol versehene Rohrende durch das
Speculum hindurch, ganz in die Nahe des
Ulcus, um das Pulver durch einfaches Blasen
über die Wundfläche auszustreuen.
Im weiteren Verfolge der gynäkologischen
Fälle kann ich es empfehlen gegen Endo-
metritis, und zwar das Sozojodolzink in
concentrirter Lösung, d. h, etwa 7 7o ver-
mittelst der Brau n'schen Spritze in den Uterus
injicirt, wobei ichnur bitte nachHil debrandt
die Vorsicht anzuwenden, nach einiger Zeit
durch Aufsaugung den Haupttheil des Aetz-
mittels wieder aus dem Uterus zu entfernen,
um bei eventuell eintretenden Krampfwehen
ein Eintreten des Sozojodols durch die Tuben
in den Peritonealraum unmöglich zu machen.
Um alle Fälle anzuführen, bei denen ich das
Sozojodol versucht, so sei noch erwähnt,
dass ich auch bei Vaginismus und bei Pruritus
entschiedene Besserungen mit 5 % Sozojodol-
zinklösung erzielt habe.
Mit dieser Mittheilung schliesse ich meine
Versuche mit den Sozojodolpräparaten durch-
aus nicht ab, ich bin überzeugt, dass in
verschiedenen Fällen sich noch bessere Re-
sultate erzielen lassen, sei es durch Ver-
dünnung, sei es durch Concentrirung des be-
treffenden Präparates, und gebe auch anderer-
seits zu, dass einige Versuche vielleicht
günstiger ausgefallen sind, als sie sich später
erweisen werden. Ich habe durch diese kurze
Mittheilung nur die Aufmerksamkeit der
Herren Collegen auf ein Präparat lenken
wollen, durch welches unser Arzneischatz
in letzter Zeit bereichert ist, und das mir
eine Zukunft zu haben scheint; soviel ich
vernommen habe, soll dasselbe auch zu inner-
lichem Gebrauch mit Erfolg verwandt sein,
namentlich das Sozojodollithion gegen Rheu-
matismus, doch warten wir weitere Mit-
theilungen darüber ab.
Ueber otiatrische Statistik Insbesondere
in therapeutischer Beziehung:«
Von
Dr. L. Jacobson,
Privatdocent dor Ohrenheilkundo an der rniverRitHt Berlin.
Vortrag, gehalten am 19. September 1888 in der
otiatrischen Section der 61. Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte in Köln.
Meine Herren! Die Frage, welche ich
mir erlauben wollte, in dieser Versammlung
zur Sprache zu bringen, hat für einige unter
den Fachgeiiossen in jüngster Zeit eine be-
sondere Bedeutung gewonnen. Es wird
Ihnen bekannt sein, dass Seine £xcellenz,
der Herr Cultusminister von Gossler,
sämmtlichen klinischen und poliklinischen
Universitäts- Anstalten Preussens Fragebögen
und Zählkarten hat zugehen lassen, welche
Material liefern sollen zur Herausgabe eines
„klinischen Jahrbuchs". Bei der Ausfüllung
der genannten Bögen für die otiatrische
Universitätsklinik und -poliklinik zu Berlin
drängte sich mir eine Frage auf, deren Be-
antwortung mir Schwierigkeiten verursachte,
die Frage nämlich, welche Gesichtspunkte
bei der Bezeichnung beziehentlich Gruppi-
rung der erzielten Behandlungsresultate als
maassgebend zu betrachten seien.
Ich sehe davon ab, dass statistische Zu-
sammenstellungen der in öffentlichen Kran-
kenanstalten gewonnenen therapeutischen Er-
gebnisse in einer Stadt, wie Berlin, schon
aus äusseren Gründen nur geringen wissen-
schaftlichen Werth beanspruchen dürfen. Das
Material derartiger Anstalten gehört zum
grösseren Theil den ärmsten Kreisen der
Bevölkerung an. Es ist natürlich , dass
diesen die Sorge um die Existenz weit
mehr am Herzen liegt, als eine vollkommene
Wiederherstellung ihrer Gesundheit. So er-
klärt es sich, dass eine grosse Anzahl von
Kranken, sind nur die ärgsten Schmerzen
oder ähnliche schwere Symptome beseitigt,
sich unserer Behandlung lange vor Abschluss
derselben entzieht. Tritt später wiederum
eine erhebliche Verschlimmerung des sub-
jectiven Befindens ein, so suchen dieselben
nicht selten bei anderen Ohrenärzten oder in
anderen otiatrischen Ambulatorien, die ihnen
vielleicht ihrer Lage oder Ordinationszeit
wegen besser conveniren, Hülfe nach.
Derartige Gründe äusserer Art veran-
lassten mich, in einem im 19. Bande des
Archivs für Ohrenheilkunde veröffentlichten
Bericht*) über die Thätigkeit der berliner
*) Jacobson, L., Bericht über die vom
1. November 1877 bis zum 1. April 1881 unter-
suchten und behandelten Kranken. Aus der otiatri-
Janaar 'm^J J^cobsofiy Ueber otiatrische Statistik Insbesondere in therapeutischer Beziehung.
19
otiatriscben üniversitätspoliklinik in den
Jahren 1877 — 81 von einer statistischen
Zusammenstellung unserer therapeutischen
Resultate gänzlich Abstand zu nehmen.
Zur Rechtfertigung dieser Unterlassung führte
ich aber damals bereits ferner noch an, dass
bei der üblichen Eintheilung der Fälle in
„geheilte", „ungeheilte" und „gebesserte"
unter den letzteren gänzlich verschieden-
artige Behandlungsergebnisse zusammen re-
gistrirt vsrerden müssen, so dass aus einer
derartigen Gesammtstatistik sich meines
Erachtens ein Urtheil über den Werth der ein-
zelnen therapeutischen Maassn ahmen, welche
zur Anwendung gelangten, nicht gewinnen
lässt. Wenn, wir bei einem chronischen
Idittelohrkatarrh durch längere Behandlung
mittelst Luftdouche die Hörweite für Flüster-
sprache um wenige Decimeter verbessern,
und wenn wir andrerseits in einem zweiten
gleichartigen Fall, vielleicht durch einen
geeigneten operativen Eingriff, eine Zunahme
der Hörweite um mehrere Meter erzielen, so
können beide, wie ich damals schon aus-
führte, solche sein, die zu den „gebesserten"
zu rechnen sind, und doch sind die erzielten
Resultate für die Kranken von so ausser-
ordentlich verschiedener Bedeutung, dass
der angewandten Therapie eine durchaus
differente Dignität zuerkannt werden muss.
Einige Jahre später hat Herr College
Schubert') in einem Bericht über fünf Jahre
obren ärztlicher Thätigkeit in Nürnberg sein
vollkommenes Einverständniss mit diesen
von mir entwickelten Ansichten ausgespro-
chen. In weiterer Ausführung derselben
bemerkte Schubert, dass selbst dann,
wenn unsere diagnostischen Sammelnamen
der Art gewählt würden, dass alle sub-
summirten Fälle wirklich commensiirabel sind,
— eine Voraussetzung, welche bis jetzt
nicht erfüllt sei, — wenn ferner die Aus-
drücke „geheilt" und „gebessert" scharf
genug definirt, und ausserdem in den Ta-
bellen der Grad der Besserung wenigstens
annähernd genau vermerkt werden würde,
einer statistischen Zusammenstellung sämmt-
licber behandelter Ohrenkranken als „Ge-
heilte", „Gebesserte" und „Ungeheilte" nach
seiner Ansicht wissenschaftliche Bedeutung
dennoch nicht zuerkannt werden dürfte.
Denn bei einer Statistik des Heilerfolges
müsse die Frage nach dem angewandten
Heilmittel obenan stehen. Jede Krankheits-
gruppe, welche durchaus gleichartige und ins-
Bchcn UnivefBitätspolikliDik des Prof. A. Lucae.
Archiv für Ohrenheilkunde Bd. XIX S. 28.
*) Schubert, P., Bericht über das erste Lu-
stnim ohronärztlicher Thätigkeit. Archiv für Ohren-
heilk. Bd. XXII S. 51.
besondere prognostisch gleichwerthige Fälle
enthalten müsse, sei also, wenn die Schluss-
zahlen überhaupt einen Werth haben sollten,
nach den angewandten Behandlungsmethoden
zu rubriciren. Eine Statistik des Erfolges
der Bor-, der Alumen-, der Argentum-Be-
handlung bei einer Gruppe sorgsam gewählter,
möglichst gleichartiger Fälle von Otitis media
purulenta sei gewiss sehr dank ens werth; einer
Berechnung des Procentsatzes geheilter Mittel-
ohreiterungen ganz im Allgemeinen könne er
ein Interesse nicht abgewinnen. Schubert
meint, dass eine derartige, einer präcisen
Fragestellung entbehrende Statistik eine
nicht ganz berechtigte Eigen thümlichkeit der
Otiatrie sei.
In neuester Zeit hat auch Bezold') in
seinem Bericht über die in den Jahren 1884
bis 86 von ihm behandelten Ohrenkranken
auf eine das gesammte Material umfassende
therapeutische Statistik verzichtet und sich
auf Zusammenstellung der bei den .eitrigen
Mittelohrentzündungen seiner Privatpraxis
erzielten Resultate beschränkt, indem er
ausdrücklich hervorhebt, dass diese noch am
ehesten unter einheitlichem Gesichtspunkte
betrachtet werden könnten, da sie zum
grössten Theil derselben antiseptischen Be-
handlungsmethode unterzogen wurden, und
im Gegensatz zu den Patienten der Poli-
klinik hier meist eine längere Zeit fort-
laufende Beobachtung möglich war. Hieraus
geht wohl hervor, dass auch Bezold eine
therapeutische Statistik nur dann für be-
rechtigt oder wenigstens für lohnend hält,
wenn sämmtlichc zusammengehörige Fälle
in gleicher Weise behandelt wurden. Sodann
aber ergiebt sich aus seiner Tabelle, dass er
es ferner für noth wendig erachtet, ausschliess-
lich Gleichartiges zusammenzufassen; denn
er unterscheidet bei der Mittelohreiterung
als ünterabtheilungen eine grosse Anzahl
verschiedener Erkrankungsformen. Auch in
Bezug auf die erzielten Behandlungsresultate
begnügt sich Bezold nicht damit, seine
Kranken kurz in „Geheilte", „Ungeheilte"
und „Gebesserte" einzutlieilen, vielmehr
unterscheidet er bei den länger Behandelten
l) Beseitigung der Otorrhoe mit Verschluss
der Perforation, 2) Beseitigung der Otorrhoe
bei persistirender Perforation, 3) persisti-
rende Otorrhoe trotz längerer Behandlung.
Ich bin der Ansicht, meine Herren, dass
wir, wenn eine therapeutische Statistik über-
haupt beibehalten werden soll, auf dem von
Bezold eingeschlagenen Wege fortschreiten
^) Bezold, F., Statistischer Bericht über die
in den Jahren 1884 bis 1886 incl. behandelten
Ohrenkranken. Archiv für Ohrenheilk. Bd. XXV
S. 202.
3*
20
Jacobson, Ueber otiatritche Statistik insbesondere in therapeutischer Beziehung. [Mon^Seft?'^
müsseo. Wir müssen meines Erachten s zu-
nächst uns bemühen, nur gleichartige Fälle
in einer Rubrik zusammenzufassen ; -wir
müssen ferner streng darauf achten, dass
sämmtliche derselben Gruppe angehörige
Kranke in gleicher Weise behandelt werden
— denn nur dann können wir aus den er-
zielten Resultaten ein Urtheil über den Werth
des eingeschlagenen Heilverfahrens gewinnen
— wir müssen drittens Bezeichnungen ein-
führen, welche die Art der gewonnenen the-
rapeutischen Ergebnisse genau und allgemein
verständlich präcisiren, oder deren Bedeu-
tung wenigstens durch Vereinbarung festge-
stellt worden ist; endlich müssen wir nur
solche Fälle in die Statistik aufnehmen,
welche genügend lange unter sorgfältiger
ärztlicher Beobachtung sich befanden.
In vielen öffentlichen Krankenanstalten,
namentlich in den Ambulatorien der grossen
Universitätsstädte, wird es aus den vorher
erwähnten Gründen nicht möglich sein, den
genannten Anforderungen zu genügen. Aber
auch dort, wo Hin demisse äusserer Art sich
nicht in den Weg stellen, bleibt eine Reihe
von Schwierigkeiten zu überwinden. Zu-
nächst besitzt unsere Diagnostik noch nicht
einen solchen Grad von Vollkommenheit,
dass wir stets sicher feststellen können, wo
gleichartige beziehentlich gleich schwere Er-
krankungen vorliegen. Am leichtesten ist
dieses wohl bei den Affectionen des äusseren
und bei den eitrigen Entzündungen des mitt-
leren Ohres möglich, wenn auch bei den
letzteren die Frage, ob gleichzeitig eine com-
plicirende Labyrintherkrankung vorliegt, nach
meinem Dafürhalten häufig unbeantwortet
bleiben muss. Bei den nicht eitrigen Affec-
tionen des mittleren oder gar bei denjenigen
des inneren Ohres, sowie endlich bei solchen
Patienten, wo beide Abschnitte gemeinsam
erkrankt sind, sind wir bei dem heutigen
Stande unserer Wissenschaft leider noch
weit davon cDtfernt, uns über Sitz, Art und
Ausdehnung der pathologisch-anatomischen
Veränderungen intra vitam Gewissheit schaffen
zu können. In diesen so ausserordentlich
zahlreichen Fällen sind unsere Diagnosen
mehr oder weniger „Wahrscheinlichkeits-" be-
ziehentlich, wie von Tröltsch sagt, „Vermu-
thungsdiagnosen^, und es ist daher kaum
möglich, die gleichartigen und prognostisch
gleichwerthigen Fälle von den ungleicharti-
gen mit Sicherheit zu trennen. Hier bleibt
uns meines Erachtens nichts Anderes übrig,
als die diagnostischen Grundsätze, von denen
wir ausgehen, genau anzugeben. In dieser
Weise ist auch Bezold verfahren. Denn
in 'dem vorher erwähnten Bericht bemerkt
er, dass er sich in den letzten vier Jahren
bei der differentiellen Diagnose zwischen
Erkrankungen des mittleren und inneren
Ohres in erster Linie durch den Ausfall des
Rinne'schen Versuchs leiten Hess, kleinen
Veränderungen am Trommelfell dagegen
eine erhebliche diagnostische Bedeutung
nicht mehr beilegte. In Folge dessen fand
er das Häufigkeitsverhältniss der sogenann-
ten chronischen Mittelohrkatarrhe und der
Erkrankungen des inneren Ohres bei den in
den Jahren 1884 bis 86 behandelten Kran-
ken wesentlich verschieden von dem in
seinen früheren Berichten constatirten , bei
welchen er sich zur Annahme nervöser
Schwerhörigkeit nicht sowohl durch den
positiven Ausfall des Rinne^schen Versuchs,
als vielmehr insbesondere durch das Vor-
handensein constanter und verschiedenartiger
subjectiver Geräusche, sowie charakteristi-
scher Meniere^scher Anfälle hatte bestimmen
lassen.
Eine Verständigung über die Grundsätze,
welche für die otiatrische Diagnostik, speciell
zur Unterscheidung der Affectionen des mitt-
leren und inneren Ohres, maassgebend sein
sollen, unter sämmtlichen Fachgenossen her-
beizuführen, dürfte bei den in dieser Bezie-
hung zur Zeit bestehenden Meinungsverschie-
denheiten kaum möglich sein. Wohl aber
halte ich es für angängig, eine Vereinbarung
darüber zu treffen, in welcher Weise bei
zukünftigen statistischen Zusammenstellungen
unsere therapeutischen Ergebnisse bezeich-
net werden sollen. Auch hierüber besteht
Uneinigkeit unter den Autoren. So hat
Schwartze^) in seinem ersten Bericht aus
der Hallenser Poliklinik in die Rubrik der
„Geheilten" nur diejenigen Personen aufge-
nommen, die durch die Behandlung eine für
Sprache und Uhr normale Hörweite wieder-
erlangt hatten. Bezold dagegen scheint
in neuerer Zeit auch solche Fälle als geheilt
zu bezeichnen, bei denen vollkommen nor-
male Hörschärfe nicht wiederkehrte. In
ähnlicher Weise verfährt Lucae*) in seinem
vor circa 10 Jahren veröffentlichten polikli-
nischen Bericht, in welchem er bei den
chronischen Mittel ohreiterungen zum Beispiel
auch solche Elranke als „geheilt" aufführt,
bei denen die Function nicht wieder zur
*) Schwartzo, Statistischer Bericht über die
in der medicinischen Poliklinik zu HaUe a./S. im
Wintersemester 1863/64 und Sommersemester 1864
untersuchten und behandelten Ohrenkranken. Archiv
f. Ohrenheilk. Bd. I S. 221.
^) Lncae, A., Statistische Uebersicht über die
vom 1. November 1874 bis 1. November 1877 in
der berliner üniversitätspoliklinik für Ohren kranke
untersuchten und behandelten Kranken, nebst Be-
merkungen zur practischen Ohrenheilkunde. Archiv
f. Ohrenheilk. Bd. XIV S. 120.
m. Jahrganf.!
JanoAT 1889. J
de Man, Ueber Extf actum Filicis.
21
Norm zurückgekehrt war, hierbei indessen
ausdrücklich betonend, dass bei späteren
statistischen Uebersichten der Begiiff ,, ge-
heilt" genau präcisirt werden müsse.
Unter diesen Umstanden, meine Herren,
schien es mir zweckmässig, in dieser Ver-
sammlung eine Discussion herbeizufuhren
über die Frage, wie unsere therapeutischen
Resultate bezeichnet werden sollen. Wenn
ich mir selber diesbezüglich einige Vor-
schläge noch erlauben darf, so mochte ich
Sie zunächst bitten, den bisher gebräuch-
lichen Ausdruck „ungeheilt" ganz zu streichen.
Denn un geheilt sind auch die „gebesserten^
Fälle. Es scheint mir daher correcter, neben
den „Geheilten" und „Gebesserten" nicht
„Ungeheilte", sondern „Ungebesserte" aufzu-
fuhren. „Geheilt" möchte ich im Anschluss
an Schwartze nur diejenigen Kranken
nennen, bei welchen sich eine völlig normale
Horschärfe bei Abschluss der Behandlung
wieder eingestellt hatte; passend aber und
im Interesse einer deutlicheren Begriffsbe-
stimmung zweckmässig scheint es mir, die-
selben nicht kurz als „Geheilte", sondern
lieber als „functionell Geheilte" zu bezeich-
nen. Da nun mitunter trotz völliger Wie-
derherstellung der Hörschärfe noch subjective
Gehörsempfindungen persistiren, so müssten
wir diese „functionell geheilten" Fälle trennen
l) in solche, wo subjective Gehörsempfin-
dungen zurückgeblieben sind, 2) in solche,
wo dieses nicht der Fall ist, — und in
Bezug auf den objectiven Befund l) in
solche mit völliger Wiederherstellung der
normalen anatomischen Verhältnisse, 2) in
solche mit zurückgebliebenen Abnormitäten
des objectiven Befundes, welche letztere even-
tuell als Verdickungen, Verkalkungen, Ver-
knöcherungen, Perforationen, Narben, Ein-
wärtsziehungen des Trommelfells etc. gesondert
rubricirt werden können.
Den „functionell geheilten" wären dann
als zweite grosse Hauptgruppe die „functio-
nell gebesserten" und endlich als dritte die
„bezüglich der Function ungebesserten" Fälle
gegenüberzustellen und jede dieser beiden
letzteren Gruppen ebenso wie die erste nach
dem Einfiuss der Behandlung theils auf die
bestehenden subjectiven Gehörsempfindungen,
theils auf die pathologisch-anatomischen Ver-
änderungen in eine Reihe von Unterabthei-
lungen zu trennen.
Ich verkenne nicht, meine Herren, dass
eine derartige Sichtung der therapeutischen
Resultate uns eine erheblich grössere Mühe
bereiten wird, als dieses bei den bisherigen
statistischen Zusammenstellungen der Fall
war, und dass viele von uns schon aus
Mangel an Zeit nicht in der Lage sein wer-
den, sich einer solchen Arbeit zu unter-
ziehen. Dann aber scheint es mir besser,
auf eine therapeutische Statistik ganz zu
verzichten, und möchte ich Sie in Bezug
hierauf an eine Arbeit erinnern, in welcher
Bürkner*) den Versuch machte, an der
Hand verschiedener „poliklinischer Berichte"
eine Reihe wichtiger statistischer Fragen zu
beantworten. Es ergab sich ihm hierbei,
dass ein Autor nur 1,9, ein anderer 14,0,
ein dritter 23,7% der behandelten Kranken
als „Un geheilte" auffuhrt. Und ähnliche
Differenzen zeigten sich auch bezüglich der
Heilerfolge bei den einzelnen Krankheits-
formen. So bezeichnet ein Autor nur 4,4,
ein anderer dagegen 28,5% der wegen chro-
nischen Mittelohrkatarrhs von ihm behandel-
ten Patienten als „Geheilte". Es verdient
bemerkt zu werden, dass die soeben mit-
getheilten Angaben sämmtlich von noch
lebenden Autoren herrühren, von denen wir
nicht annehmen können, dass sie sich bezüg-
lich ihrer therapeutischen Leistungen erheb-
lich von einander unterscheiden. Die er-
wähnten colossalen Differenzen lassen sich
nicht anders erklären, als dass die Aus-
drücke „geheilt", „gebessert" und „ungeheilt"
in ungleichem Sinne gebraucht und vielleicht
auch in derselben Krankheitsgruppe ver-
schieden artige Fälle zusammengestellt wurden.
Dass solchen Missständen sobald als
möglich ein Ende zu bereiten sei, darin,
meine Herren, werden wir, wie ich glaube.
Alle übereinstimmen. Ich hofife, dass meine
heutigen Ausführungen dazu beitragen wer-
den, das Interesse der Fachgenossen für die
von mir angeregte Frage zu gewinnen.
Ueber Extractum Filicis.
Von
Dr. J. 0. de Man in Middelburg (Niederlande).
Im Junihefte der Therap. Monatshefte
1888 fand ich, S. 311, eine Vorschrift von
Herrn Geheimrath Prof. Gerhardt bezuglich
Extr. Filicis maris aeth. Dieselbe veranlasst
mich auf eine kleine vor einiger Zeit von
mir veröffentlichte Arbeit hinzuweisen, in
welcher ich mittheilte, dass auch ich in
früheren Zeiten fast immer einen Misser-
folg bei der Bandwurmcur beobachtete,
das heisst, dass Recidive sich einstellten,
und dass ich gar keine Recidive mehr be-
obachtete, wenn ich grössere, viel grössere
®) Bürkner, K., Beiträge zur Statistik der
Ohren kraakheiten. Archiv f. Ohrenheilk. Bd. XX
S. 81.
22
Eichhortt, Myrtol, ein wirksames Desinficianc fOr die Luftwege.
rberapeutische
Monatshefte.
Dosen gab. In meiner Gegend kam früher
der Bandwurm fast niemals vor, und auch
jetzt ist er beim Landvolke noch sehr selten.
In den letzten Jahren ist er etwas häufiger.
Seit 1860 wo ich anfing die grossen Dosen
zu geben, war der Erfolg in 28 Fällen ein
vollständiger, und nur in 3 Fällen musste
die Cur nach einigen Tagen wiederholt wer-
den, weil die zarten Patientinnen das Mittel
wieder erbrachen. In den anderen Fällen
ging der Wurm nach zwei oder drei Stun-
den ab, und niemals folgte ein Recidiv,
obgleich es mir nicht immer gelang den
Kopf zu finden. Es war gar nicht mein
Zweck, das Extr. Filicis maris anderen neuen
Mitteln, z. B. dem Pelletierin. tannic. vorzu-
ziehen, ich wählte nur Filix mas, weil mir
das Mittel gefiel.
Vielleicht interessirt es die Leser dieser
Zeitschrift zu vernehmen, dass man das
Mittel in grossen Gaben geben kann, und
dann , wie viel und welchen Patienten ich
das immer gut bereitete Extract, meistens
in Capseln, gegeben habe. Die Fälle waren
die folgenden:
1. Eine erwachsene Dienstmagd 20 g.
2. Eine erwachsene Dienstmagd 25 -
3. Ein Musik-Director. Grosse
nicht notirte Dosis.
4. Fräulein V. 14 Jahre .
5. Wittwe B. ungefähr 50 Jahre
6. Fräulein S. 30 Jahre .
7. Junger Herr L. 14 Jahre.
8. Herr K. erwachsen .
9. Doctor medicin. S. .
10. Herr F. erwachsen .
11. Herr Mag. jur. P. . . .
12. Herr Kaufmann H.
13. Herr W. 22 Jahre . . .
14. Junger Herr K. 14 Jahre .
15. Herr D. ein Podagra-Kranker
16. Herr Post. Beamte K. .
17. Herr K. erwachsen .
18. Herr Mag. jur. S. . . .
19. Herr K. aus Arabien .
20. Herr Student R. . . .
21. Junger Herr B. 12 Jahre.
22. Fräulein T. 12 Jahre . .
23. Herr Mag. jur. K. . . .
24. Herr Lieutenant K. aus Indien
25. Herr B. 30 Jahre . . .
26. Fräulein T. 20 Jahre . .
27. Herr Lehrer W. . . .
Der Wurm war fast immer
15 g.
25 -
20 -
15 -
20 -
25 -
25 -
20 -
22 -
30 -
14 -
15 -
22 -
25 -
25 -
28 -
18 -
15 -
10 -
30 -
25 -
32 -
17 V,-
17Va-
die Sa-
ginata oder Med io cannelata. Bei
einigen wenigen Patienten folgte Diarrhoe,
welche bald verschwand.
Nenere Arzneimittel.
Myrtoly ein wirksames Desiiificieuz für
die Liuftweg'e«
Von
Prof. Dr. Hermann Eichhorst in Zürich.
Die unter dem Namen Myrtol im Handel
erscheinende Flüssigkeit stellt ein wasserklares
Fluidum von erfrischendem, angenehmen
Geruch dar und bildet denjenigen Antheil
des Myrtenöles, welcher bei 160—170°
siedet. (Vergl. Pharmaceut. Centralhalle f.
Deutschland. No. XXVIII pag. 191. Berlin
1887.) In Frankreich scheint das Mittel
mehrfach hier und da versucht worden zu
sein, aber ausgedehntere Erfahrungen sind
unseres Wissens bisher nur von Linarin
bekannt gegeben worden. (Vergl. Linarin,
De Temploi du myrtol ou chemie de myrte
principalement dans les maladies des voies
respiratoires et genito-urinaires. Paris 1878.)
Wir selbst lernten das Mittel, welches
in deutschen Hand- und Lehrbüchern l^aum
genannt zu werden pflegt, zuerst aus Pariser
Reclamezusendungen kennen, welchen wir
für gewöhnlich keine Beachtung zu schenken
pflegen, aber gleich bei dem ersten Kranken
mit Lungenbrand, welchen wir der Myrtol-
behandlung unterzogen, war der Erfolg ein
so überraschend schneller und guter, dass
wir daraufhin dem Myrtol genauere Auf-
merksamkeit schenkten und in ihm eines der
sichersten Desinficientien der Luftwege kennen
lernten, über welches wir zur Zeit nach
unserer Erfahrung verfugen.
Das Mittel wird am zweckmässigsten in
Gelatinekapseln genommen, von welchen
jede Kapsel 0,15 Myrtol enthält. Anfangs
benutzten wir nur Pariser Präparate, späterhin
zogen wir die Myrtolkapseln von Pohl in
Schönbrunn bei Dan zig vor, welche sich als
dem französischen Präparat vollkommen eben-
bürtig erwiesen. Manche Patienten freilich
nehmen die vollkommen runden französischen
Gelatineperlen lieber als die ovalen deutschen
Gelatinekapseln, doch fällt im Grunde ge-
nommen dieser Umstand wenig in Betracht.
III. Jahrgang.!
Januar 1889. J
Plenio, Zur Creolinfrage.
23
Zerdrückt man eine Gelatinekapsel und
lässt ihren Gehalt, also nur 0,15 Myrtol au
Fliesspapier oder Watte hinabtropfen, so
^ird man einmal darüber erstaunt sein, ein
wie intensiver Geruch nach Myrtol sich ver-
breitet, und ausserdem, dass sich derselbe,
selbstverständlich unter allmählich er Abnahme,
Tage lang ohne besondere Schutzvorrich-
tungen erhält. Haben Menschen nur eine
einzige Myrtolkapsel verschluckt, so nimmt
in der Regel binnen einer Stunde die Aus-
athmungsluft einen sehr deutlichen Myrtol-
geruch an, welcher bis 2 Tage lang bestehen
bleibt.
Um bei putrider Bronchitis und Lungen-
gangrän einen desodorirenden und desinfi-
cirenden Einfluss auszuüben, reiche man alle
2 Stunden 2 — 3 Kapseln. Bei dem Gebrauche
von 3 Kapseln muss man insofern etwas
vorsichtig sein , als man öfter Appetitlosig-
keit auftreten sieht. Die Wirkung ist nicht
selten eine erstaunlich schnelle, und man
sieht oft nach dem Gebrauch von nur wenigen
Kapseln den widerlichen Gestank von Aus-
athmungsluft und Auswurf schw^inden. Die
Kranken werden sich selbst nicht mehr und
ebenso der Umgebung durch den vordem be-
standenen fauligen Geruch zur Last. Sehr
bald nimmt aber auch die Menge des Aus-
wurfes ab, ja mehrfach saheu wir voll-
kommenste Heilungen eintreten. Dagegen
ist das Myrtol gegen Tuberkelbacillen un-
wirksam, denn trotz andauernden Myrtol-
gebrauches sahen wir bei einem Herrn mit
Lungenbrand die Gangrän zurückgehen, da-
gegen nach geheiltem Lungenbrand Tuberkel-
bacillen im Auswurf auftreten, welche früher
nicht vorhanden gewesen waren. Starben
Patienten, welche Myrtol gebraucht hatten,
80 war es auffällig, einen wie durchdringenden
Myrtolgeruch alle Eingeweide verbreiteten.
(Vergl. Eichhorst, Desinfection der Luftwege.
Wiener Medic. Presse. 1888 No. 42.)
Zur Creoliiifragre.
Von
Dr. Plenio in Elbing.
Als durch die Firma William Pearson
& Co. das unter dem Namen Creolin gehende
Präparat in den Handel gebracht wurde, und
von ärztlicher Seite — ich nenne nur den
Namen Kor tum — warme Empfehlungen
für die Wiiksamkeit und Unschädlichkeit
dieses Mittels ausgestellt wurden, glaubte
man ein neues Antisepticum gefunden zu
haben, welches wohl dazu angetban wäre,
seinen Platz neben Carbolsäure und Sublimat
auszufüllen, sie womöglich zu überflügeln.
Verschiedenes und nicht zu allerletzt die
Billigkeit schienen darauf hinzudeuten, dass
das Creolin sehr schnell eine allgemeine
Verwendung finden würde. Und in der
That, die Versuche, in der kleineren Chirurgie,
sowie in der Gynäkologie das Mittel einzu-
bürgern in Form von Salben, Umschlägen,
wässeriger Lösung bei den Verbänden, bei
Spülungen scheinen die Voraussetzung be-
wahrheitet zu haben. Ueber Verwendung
unseres Präparates bei grösseren Operationen
hatte ich keine Erfahrung, und ich benutzte
eine Unterschenkelamputation, um mit dem
Creolin auch hierbei einen Versuch anzu-
stellen. Indessen stellten sich einige Uebel-
stände heraus, welche mich zu dieser Ver-
öffentlichung bestimmten, und welche mir die
Verwendbarkeit des Mittels immerbin etwas
einzuschränken scheinen. Zum ersten ist
der Umstand, dass die Lösung undurch-
sichtig ist, ein hinderndes Moment beim
Gebrauch der Instrumente insoweit, als man
erst lange in der Schale herumsuchen muss,
ehe man den Schieber, oder was sonst schnell
zur Hand sein soll, gefunden hat. Sodann
ist nicht nur mir, sondern auch dem assi-
stirenden Herrn Collegen sehr unangenehm
aufgefallen die Schwierigkeit der Handhabung
durch die von der Solution berieselten nassen
Hände.
Nicht nur die Instrumente selbst, auch
die Seide und sogar die das Operations-
gebiet liefernde Extremität fassen sich wie
mit Seife bestrichen an. Es ist nicht nur
sehr schwierig, ein Instument anzulegen,
sondern auch um den Messerschaft zu halten,
bedarf es der doppelten Anstrengung. Ich
glaube wohl, dass diese zwei unangenehmen
Eigenschaften der Creolinlösung, abgesehen
von der eventuellen Giftigkeit (cfr. Rosin
und Cr am er, Therap. Monath. 1888. Heft X
und XII), bei dem Gebrauch derselben schwer
ins Gewicht fallen und halte es nicht für
überflüssig, die operirenden Collegen darauf
aufmerksam gemacht zu haben.
Ueber das Acetylplienylhydracin oder
Pyrodin.
Von
Dr. Oskar Liebreich.
In meinem Bericht über das Pyrodin
(Therap. Mon.-Hefte No. 12, S. 557) hatte
ich in einer Anmerkung bereits mitgetheilt,
dass Professor Dreschfeld auf die toxische
Wirkung des Pyrodins hingewiesen habe.
Mir geht femer von ihm die Nachricht zu,
24
Liebreich, Ueber das Acetylphenylbydracin oder Psrrodln.
rTherapeutisehe
L Monatshefte.
dass reines Acetylphenylhydracin viermal
starker wirke als Pyrodin. Es ist also die
von Prof. Prescbfeld angegebene Dosis von
0,12—0,24 für Kinder und von 0,49—0,73
(2 — 4 grains und 8 — 12 grains) nicht für
Acetylphenylbydracin gültig, sondern für
ein Gemenge von Substanzen, deren wirk-
sames Princip Acetylphenylbydracin enthalt
und welches als „Pyrodin" bezeichnet ist.
Die Giftigkeit bei grossen Dosen eines
Heilmittels ist natürlich für seine Anwen-
dung nicht bequem; wird die Nützlichkeit
in kleinen Dosen jedoch bei einem Arznei-
mittel constatirt, so liegt in dem ersteren
Umstand keine Contraindication für die An-
wendung, wie es ja auch bei einem grossen
Theil alter und bewährter Heilmittel der
Fall ist.
Jedenfalls empfiehlt es sich, nicht „Pyro-
din" zu verschreiben, so lange darunter ein
Gemenge von Substanzen verstanden wird,
sondern den Namen Acetylphenylbydracin
für ersteres beizubehalten.
Die Dosen für reines Acetylphenyl-
bydracin sind, da dasselbe nach Mittheilung
Prof. Dreschfei d's viermal stärker wirkt,
als das von ihm angewandte Pyrodin, für
Kinder 0,03 — 0,06 und für Erwachsene
0,12 — 0,18. Die Maximaldose ist pro dosi
et die 0,21
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Berliner Med. Gesellschaft.
(Sitzung vom 7. November 1888,)
H. Leo: üeber die therapeutischen
Erfolge der Magenausspülung bei
Säuglingen. Autoreferat.
L. berichtet über seine bei 104 Kindern
gesammelten Erfahrungen, welche im Wesent-
lichen mit denen von Epstein übereinstim-
men. «Als Spülflüssigkeit wurde reines oder
mit einigen Tropfen einer 20°/o Thymollösung
versetztes Wasser angewandt. Die Darrei-
chung von Eiweisswasser nach dem Aus-
spülen fand L. weniger günstig als den Ge-
nuss von Milch oder Haferschleim. Be-
sonders auffällig ist bei allen Affectionen,
die mit Erbrechen einhergehen, die günstige
Beeinflussung dieses Symptoms. In der
Regel verschwand es nach dem Ausspülen
oder wurde doch erheblich gemildert. Die
besten Erfolge wurden mit der Ausspülung
bei acuter Dyspepsie mit oder ohne Er-
brechen, resp. mit Diarrhoe oder Obstipation
erzielt. Hier genügte häufig eine einzige
Ausspülung, um Heilung zu erzielen.
Bei Cholera infantum waren die Erfolge
im Allgemeinen zwar weniger günstig, doch
empfiehlt L. dessenungeachtet bei dieser
Krankheit in geeigneten Fällen die Ausspülung
anzuwenden und dieselbe mit der Darrei-
chung von Opium oder Calomel zu verbinden.
Auch bei einigen Fällen von chronischem resp.
subacutem Magenkatarrh wurden gute Er-
folge erzielt, ebenso bei einfacher, zuweilen
hochgradiger Diarrhoe. Besonders diese
letzteren Erfolge lassen es wahrscheinlich
erscheinen, dass die Magenausspülung nicht
nur aus dem Grunde von heilkräftiger
Wirkung ist, weil sie die im Magen enthal-
tenen schädlichen Stoffe entfernt, sondern
auch dadurch, dass sie die damiederliegende
motorische Thätigkeit des Magens günstig
beeinflusst.
XIX. Versanunlung der südwestdeutschen Irren-
ärzte in Karlsruhe.
(Sitzung vom 27. und 28, October 1888,)
Prof. Jolly (Strassburg): Ueber die
Opiumbehandlung bei Manie.
Vortragender fand, dass diejenige Periode
der Manie, in welcher der Zustand eine
gewisse Gleichförmigkeit annimmt, im Sta-
dium der sogenannten regulatorischen Stö-
rung, am besten für eine erfolgreiche Opium-
behandlung geeignet sei. Er benutzte hier-
bei zumeist die Tinctura Opii simpl., von
der in steigender Dosis 3 Male 10 bis 40
und 50 Tropfen täglich gegeben wurden. Un-
angenehme Nebenerscheinungen wurden nur bei
besonders starken Dosen beobachtet. Be-
züglich der Theorie der Wirkung neigt J.
zu der Annahme, dass das Opium direct
auf die Substanz des Grosshims einwirke.
Medicinalrath Wittich (Heppenheim):
hat bis 200 Tropfen der Tinctur an einem
Tage gegeben. Er glaubt, dass besonders
das weibliche Geschlecht für eine günstige
Opiumwirkung empfänglich ist und auch
stärkere Dosen verträgt. Bei plötzlichem
Aussetzen des Opiums in 20 bis 30 Fällen hat
er keine Abstinenzerscheinungen beobachtet.
Prof. Fuerstner bestätigt die günstige
Wirkung des Opiums bei sogen, chronischer
Manie und glaubt, dass diese Behandlung
die Kranken vor psychischem Verfall schütze.
Durcheile seien selten und weichen wieder,
m. Jahrgant.!
Januar 1889. J
Therapeutiscbe Mittheilung^en aus Vereinen.
25
auch vrenn Opium weiter gereicht werde.
Während der Behandlung nehmen die Kran-
ken an Korpergewicht zu.
Dr. Kny (Strassburg): Therapeutische
Wirkung des Hyoscins.
K. hat mit dem von Merck bezogenen
HTOScinum muriaticum bei innerlicher Ver-
abreichung sehr zufriedenstellende Resultate
erzielt. (Bei subcutaner Anwendung des
Mittels standen die unangenehmen Neben-
wirkungen in keinem Yerhältniss zu den
therapeutischen Erfolgen.) 88 den verschie-
densten Krankheitsgruppen angehorige Pa-
tienten der Strassburger Irrenklinik erhielten
3000 Einzeldosen. In 82,2 Proc. war der
Erfolg gunstig ; es trat nach 1 — 2 Stunden
ein 6 — 8 stündiger Schlaf ein. Die meisten
Misserfolge kamen bei Schlaflosigkeit ohne
motorische Erregung zur Beobachtung. Gün-
stig wirkte das Mittel dagegen bei Schlaf-
losigkeit mit heftigen motorischen Erschei-
nungen (Manie und Paralyse). Die Dosis
betrug V« — 1 °*g' Wegen Gewohnung muss
die Dosis bald gesteigert werden. 0,003 pro
die war die höchste Dosis. — Die selten
beobachteten üblen Nebenerscheinungen be-
standen in Klagen über Trockenheit im
Halse und Durstgefuhl. Für Herzkranke
scheint das Mittel nicht sehr gefahrlich zu
sein, in einem Falle von Aorteninsufflcienz
wurde es ohne Nachtheil gegeben. Die Ge-
schmacklosigkeit , leichte Löslichkeit und
Billigkeit sind besondere Vorzüge dieses
Mittels. — Bei aufgeregten Kranken steht
das Hjoscin als Hypnoticum obenan, wäh-
rend Sulfonal bei ruhigen schlaflosen Kran-
ken den Vorzug verdient. Bei Paralysis
agitans und beim Intentionstremor der mul-
tiplen Sklerose hat das Hyoscin sich als ein
palliatives Mittel bewährt.
Dr. Zacher will bei Verabreichung des
Hyoscins starke Verdauungsstörungen und
Speichelfluss beobachtet haben.
Dr. Kny hat ähnliche Symptome gleich-
falls beobachtet. Dieselben gaben aber zu
keinerlei Besorgniss Veranlassung.
Prof. Emminghaus: Bei Herzkranken
müsse man vorsichtig sein, denn der un-
schädliche Einfluss eines Narcoticums bei
einer Aorteninsufficienz gestatte noch nicht
den Schluss, dass das Mittel nun auch bei
anderen Herzaffectionen ohne Gefahr gegeben
werden könne. Bei Geisteskranken kämen
häufig braune Atrophie des Herzens, Fett-
herz und Arteriosklerose der Kranzarterien
vor. Diese Affectionen mahnen zur Vorsicht
in der Anwendung der Narcotica.
Prof. JoUy ist auch dagegen, dass man
die in einem Falle gemachten Erfahrungen
verallgemeinere. Das vom Vorredner betonte
häufige Vorkommen bestimmter Herzaffectio-
nen bei Geisteskranken will er jedoch nicht
beobachtet haben.
{Munek. med. Wochensehr. 1888 No. 46 u. 4S,) R.
Academie de medecine (Paris).
{Sitzung vwn 13. Nov. 1888.)
G. See und Gley: Ueber Strophanthin.
Die physiologische Wirkung des Stro-
phanthins wurde an einem Producte unter-
sucht, das Wurtz aus Strophanthus Komb^
dargestellt hat. Strophanthin ist ein kry-
stallinisches , farbloses Glykosid , das in
Wasser und Alkohol loslich, in Aether un-
löslich imd von saurer Reaction ist. — Die
Vortragenden haben die Wirkung des Stro-
phanthins auf die motorischen und sensiblen
Nerven, auf Athmung, Herz, Circulation und
Nieren studirt. In physiologischer Bezie-
hung ist als bemerkenswerthestes Factum
zu verzeichnen: eine Vermehrung der Energie
der Systole, Hand in Hand gehend mit
einer Steigerung des intra-arteriellen Druckes.
Der hauptsächliche Nutzen besteht darin,
dass die Thätigkeit des Herzens eine kräfti-
gere wird. Strophanthin ist in dieser Hinsicht
nicht dem Spartein überlegen, wohl aber
wirksamer als Digitalis. See und Gley
haben sich des Strophanthins in Dosen von
'/s oder ^/s mg in allen Fällen von Herz-
krankheiten bedient. Eine besondere Indi-
cation dafür besteht bei den Mitralfehlern,
besonders bei den Stenosen des Orificium
mitrale , ferner bei den Dilatationen und
Hypertrophien, die vornehmlich mit allge-
meiner Arteriosklerose zusammenhängen.
Burquoy wendet seit länger als 1 Jahr
Strophanthus an imd erzielt dabei gute Re-
sultate.
Dujardin-Beaumetz betrachtet den
Strophanthus als ein ausgezeichnetes Mittel,
das er noch über die Digitalis stellt. Beim
Verschreiben der Tinctur dürfte man gut
thun, die Stärke derselben anzugeben.
{Lt Progres mid. 1888 No. 4S,) R.
(Sitzung vom 20, November 1888.)
Otto Bujwid (Warschau): Ueber Be-
handlung der Tollwuth mit verschie-
denen Methoden. Seit dem 29. Juni 1886
bis zum 1. Januar 1887 hat Vortragender
104 von tollwüthigen oder der Tollwuth
verdächtigen Hunden gebissene Individuen
behandelt. Die einfache Methode Pasteur^s
wurde bei diesen 104 Personen angewandt.
Dieselbe bestand darin, mit 14 Tage altem
Mark zu impfen und die Procedur mit einer
täglichen Impfung von 5tägigem Mark zu
beschliessen. Am 23. November wurde ein
4
26
Tharapeutltche Mittheilungen aus Vereinen.
pTherapeudacho
L Monatsheft«.
Todesfall bei einem 11 jährigen, im Vorder-
arm gebissenen Kinde beobachtet. Mit der
Behandlung war erst am neunten Tage nach
dem Bisse begonnen worden. Darauf hat
B. in Folge der Arbeiten von Frisch (Wien)
eine schwächere Behandlungsmethode ver-
sucht und 7 Monate hindurch 6- und 7 tägiges
Mark inoculirt. Er hat 193 Personen in
dieser Weise geimpft und hierbei 8 Todes-
fälle zu verzeichnen gehabt. — Im Monat
August vergangenen Jahres hat er zum er-
sten Male an 2 am Kopfe und Gesichte
von einem zweifellos tollen Wolfe gebissenen
Leuten ein Verfahren in Anwendung ge-
bracht, das sich nur wenig von der „inten-
siven** Behandlungsmethode Pasteur's un-
terscheidet. Er impft ihnen 12 — 3 tägiges
Mark ein, indem er die Impfungen 2 Mal
am Tage vornimmt und die Serie 3 Mal in
folgender Weise wiederholt: Erster Tag
12 und 10 tägiges Mark; zweiter Tag 8 und
7 tägiges Mark ; dritter Tag 6 und 5 tägiges
und vierter Tag 4 und 3 tägiges Mark.
Diese Serie ist 3 Mal während 12 Tage
wiederholt worden. Einen Monat später
wurden 2 von einer tollen Wolfin gebissene
Personen in derselben Weise behandelt.
Diese, wie die vorhergenannten beiden In-
dividuen, sind gesund geblieben. Seither
sind 370 Personen, von denen 30 im Ge-
sichte gebissen worden waren, in der eben an-
geführten Weise behandelt worden, und nicht
ein einziger Todesfall ist zu verzeichnen ge-
wesen. In Warschau wird das Mark bei
einer Temperatur von 16 — 18^ getrocknet,
hierbei bewahrt es seine Virulenz besser,
als wenn es bei 23° getrocknet wird. Alle
Individuen waren stark gebissen worden
von Thieren, die tollwüthig oder der TolJ-
wuth im hohen Grade verdächtig waren.
Dagegen sind 8 nicht behandelte Personen
in Warschau und in den benachbarten Gou-
vernements zu Grunde gegangen. Die Appli-
cation der intensiven Behandlung hat sich
nicht nur als inoflfensiv, sondern auch als
recht wirksam erwiesen.
{U Progrh med, 1888 No. 47.) ü-
Societe medicale des Hdpitaux (Paris).
{Sitzung vom 23. November 1888.)
Fereol: Ueber Euteroptose. Vor-
tragender ist gegenwärtig ein eifriger An-
hänger dieser neuen Form von Dyspepsie,
welche von Glenard (siehe Therap. Monatsh.
I. Jahrg. S. 510) als „Enteroptose" be-
schrieben worden ist, und welche sowohl
durch subjective Symptome, als auch durch
zahlreiche physikalische Erscheinungen cha-
rakterisirt ist, wie: Kopfweh, Schwindel, ver-
schiedene nervöse Störungen, Schlaftosigkeit,
Hypochondrie, Appetitlosigkeit, Flatulenz,
Leibweh nach dem Essen, Intoleranz gegen
Milch, Erbrechen, Constipation , Diarrhoe,
Herzklopfen, Lage Veränderung der rechten
Niere und der Gebärmutter, Gefühl eines
gespannten Stranges vor dem Colon ascen-
dens und Colon transversum, Erweiterung
des Magens und Duodenums, Heruntersinken
der Baucheingeweide. Diese Symptome sind
so ziemlich identisch mit denjenigen, welche
Bouchard der Magendilatation zuschreibt.
Unter denselben legt Fereol ein ganz be-
sonderes Gewicht auf die Intoleranz gegen-
über Milch, auf die gegen 4 Uhr Morgens
sich einstellende Insomnie und auf den vom
Colon ascendens und dem rechten Winkel
des Colon trausversum gebildeten Strang.
Die von den Patienten empfundene Erleich-
terung beim Hinaufschieben der Eingeweide
mittelst der in der Gegend der Fossa iliaca
eingedrückten Hände ist gleichfalls ein werth-
voUer Fingerzeig für die Diagnose und Be-
handlung.
Enteroptose ist zu vermuthen in Fällen
von Dyspepsie, Neurasthenie, Psychose,
Hypochondrie, bei Wanderniere und Lage-
veräuderung des Uterus.
Die gegen die Enteroptose gerichtete
Behandlung giebt zuweilen zauberhafte Er-
folge, indem nicht nur die Affectionen der
Eingeweide völlig schwinden, sondern vor
allem auch die secundären Störungen. Man
muss mit Ausdauer und Vertrauen bei der
Sache sein. Folgende sind die von Glenard
angeführten Indicationen:
1 . Bekämpfung der Verdauungsstörungen
mit grossen Dosen Natrium bicarbon.
und wiederholten salinischen Abfuhr-
mitteln (jeden Morgen 5,0 — 10,0
Natrium sulfuricum).
2. Unterstützung der Bauch wand und
Aufrichtung der Eingeweide durch
Anlegen eines eigens ad hoc construir-
ten Tragegürtels.
Guyot hat viele Lageveränderungen der
Nieren beobachtet und dabei nur ein ein-
ziges Mal gleichzeitig Enteroptose constatirt.
Der empfohlene Tragegurt ist schwer zu er-
tragen und bringt nicht immer Erleichterung.
Bei einzelnen Individuen schien ihm die
U-förmige Deviation des Colon transversum
eine normale Disposition zu sein und Treves
hat dieselbe beim Foetus beobachtet.
Siredey nimmt an, dass diese Kranken
insgesammt nervöse Leute, Neuropathen seien.
Der Erfolg der Behandlung sei ein so wun-
derbarer, dass ein Bestand der Heilung be-
zweifelt werden dürfe.
{Revvt gen. df CUnique et de Therap. 2888 No. 48.)
Tit Jahrgrang.'l
Januar 1889. J
Referate.
27
Referate.
lieber das Benzanilid in der Kinderpraxis. Von
Dr. Ernst Kahn (Frankfurt a. M.).
Das Benzanilid hat die Formel
CßHsNH.COCeHs.
Wie in dem Acetanilid das Radical der
Essigsäure, ist in dem Benzanilid dasjenige
der Benzoesäure enthalten. Dasselbe ist ein
leicht krystallinisches, dem Acetanilid glei-
chendes,- weisses in Wasser schwer lösliches
Pulver. Verfasser stellte mit diesem, schon
früher von Cahn und Hepp untersuchten
Korper Beobachtungen auf der Kinderklinik
in Strassburg an. Dieselben erstreckten sich
auf 16 Fälle (Typhus, Meningitis, Phthisis,
Pneumonie, Bronchitis etc.). Von allen Pa-
tienten wurde das Pulver gern genommen.
Aus den zahlreichen (im Original) angeführ-
ten Tabellen ergiebt sich, dass das Benza-
nilid als ein kräftig wirkendes Fiebermittel
anzusehen ist. Der Abfall der Körpertem-
peratur erfolgt ungefähr in der gleichen
Weise, wie bei dem Acetanilid; das Wieder-
ansteigen geht langsamer vor sich. Die
Entfieberung geschieht unter (nicht sehr
plötzlich und intensiv eintretender) Schweiss-
bildung. Cyanose wurde in keinem Falle,
dagegen einmal ein grossfleckiges, bald vor-
übergehendes Exanthem bemerkt. Vom
Magen und Darmkanal wurde das Mittel
gut vertragen. Ein kräftiger Erwachsener
ertrug 3,0 (auf einmal genommen) ohne Be-
schwerde. Bezüglich der Einzelgabe dürften
nicht unter 0,1 in der Kinderpraxis zu geben
und nicht über 0,6 bei Individuen unter 12
Jahren zu steigen sein. Für Kinder von
1 — 3 Jahren genügen 0,1 — 0,2, für solche
von 4 — 8 Jahren 0,2 — 0,4 und für ältere
bis 0,6. Cahn und Hepp glauben, dass
von Benzanilid etwa doppelt so viel als von
Acetanilid, um gleiche Wirkungen zu erzielen,
nöthig sei; für die Kinderpraxis ist die Zahl
dieses Verhältnisses vielleicht etwas zu
niedrig gegriffen. Die grösste Tagesgabe, die
Verf. verabreichte, betrug 3,20 g, eine Menge,
die im Allgemeinen entschieden zu gross ist.
Bei der Darreichung der Einzel dosen ging
er von dem Gedanken aus, nach einer ein-
maligen grösseren Dosis durch zweckmässig
vertheilte kleinere die Temperatur womöglich
auf der Norm zu erhalten. Die Verabfol-
gung geschah in abgetheilten Pulvern, mit
Saccharum album gemengt.
{Jahrbttck/vr Kinderheilk. Bd. 38. Heß 3 u. 4. 188 S.)
R.
Bemerkungen über die Behandlung des Keuch-
hustens mit Antipyrin. Von Dr. Crozer
Griffith (Philadelphia). (Vortrag gehalten im
College of Physicians of Philadelphia 1888. —
Therapeut! c Gazette).
G. hat, veranlasst durch den Artikel
Sonnenburger^s in der Deutschen medic.
Wochenschrift No. 14, pr. 1887 „über Patho-
genese und Therapie des Keuchhustens^ etc.,
das Antipyrin in 15 Fällen von Keuchhusten
angewendet, deren Krankh ei tsverlauf er kurz
schildert, und stimmen seine Resultate —
obgleich er seinen Beobachtungen wegen der
geringen Zahl der Fälle keinen allzu grossen
Werth beilegen möchte — mit denen von S.
vollständig überein. Das Mittel war höchst
wirksam, wenn es zu Beginn der Krankheit
gegeben wurde, obgleich es sich auch sehr
nützlich erwies, wenn es erst in späteren
Stadien verabreicht wurde. Unter seinen
Fällen war nur einer, wo das Antipyrin keine
augenfällige Wirkung auszuüben schien,
obgleich auch in diesem Fall die Dauer der
Krankheit erheblich abgekürzt wurde. —
Wenn man die Wirksamkeit eines Keuch-
hustenmittels prüfen wolle, so sei es von der
grössten Wichtigkeit, dass dasselbe während
des frühen Stadiums der Krankheit ange-
wendet werde, und nach Henoch habe es
bisher keine Behandlungsmethode des Keuch-
hustens gegeben, welche einen augenschein-
lich günstigen Einfluss auf das paroxysmale
Stadium ausübe, während im 3. Stadium fast
jedes Mittel von scheinbarem Erfolg sei. —
Brieflich theilt G. dem Schreiber dieses noch
mit, dass Antipyrin jetzt sehr häufig gegen
Keuchhusten in Philadelphia gebraucht werde,
und wie er glaube, durchweg mit sehr günstigen
Resultaten. —
Zu dem Artikel „lieber die specifische
Behandlung des Keuchhustens mit Anti-
pyrin im Augustheft der Therap. Monats-
hefte sei hier berichtigend bemerkt, dass
irrthümlicherweise dort die Vermuthung aus-
gesprochen wurde, es habe Dr. v. Gens er in
dem dort citirten Vortrage keinen der Autoren
genannt, die vor ihm über die Anwendung
des Antipyrins gegen Keuchhusten geschrieben
hätten.
Der Vortrag ist unterdessen seinem
Wortlaut nach in der Wiener medic. Wochen-
schrift erschienen und ist Dr. v. Gens er in
seinen Darlegungen auf die Arbeiten von
Windelband und Sonnenburger aus-
führlich eingegangen. a,
4*
28
Refbrate.
pTherapeatifohe
L Monatehqfte.
Heilung eines Falles von Hallucinationen durch
Antip3rrin. Von Dr. Salemi (Nizza).
Eine bisher gesunde, 38 jährige Frau
wurde 3 Tage nach dem Tode ihres Gatten
plötzlich von Gehörshallucinationen befalleo.
Während der Arbeit hörte sie ihren Namen
rufen; sie blickte nach der Richtung, aus
der die 6timme kam und durchsuchte das
Zimmer, ohne Jemand zu finden. Darauf
machte sie sich wieder an ihre Arbeit und
hörte von Neuem dieselbe Stimme, w^elche
ihr allerlei Geschichten erzählte. Diese
mysteriöse Unterhaltung wiederholte sich
fortan täglich. Bald gesellten sich auch
GesichtshalluciDationen hinzu, indemPat. z.B.
aus einem Fenster oder Hause Rauch oder
Flammen aufsteigen sah, in deren Mitte sich
der Kopf einer Person bewegte. Im Uebrigcn
war das Allgemeinbefinden gut, Schlaf und
Appetit ungestört. 3 Jahre lang war dieser
Zustand unverändert geblieben, bis Pat. eines
Tages sich zum ersten Mal über denselben
zu einer Freundin aussprach. Letztere ver-
anlasste sie, sofort ärztliche Hülfe in An-
spruch zu nehmen. Daher wurde S. consul-
tirt. Er verordnete täglich 0,5 Antipyrin.
Nach Verlauf von wenigen Tagen blassten
bereits die Hallucinationen ab. Die Anti-
pyrin-Dosis wurde nun verdoppelt, und die
Gehörs- und Gesichtstäuschungen verschwan-
den gänzlich. Die betreffende Frau erfreut
sich seither der besten Gesundheit.
{Bull gin, de Therap. 1888 No. 44.) R.
lieber Asthma, sein Wesen und seine Behand-
lung. Von Dr. W. ßrügelmann (Paderborn).
Die vorliegende Arbeit ist die Frucht
langjähriger Studien und Beobachtungen, die
B. als Leiter der Curanstalt Insel bad bei
Paderborn zu machen Gelegenheit hatte.
Das Inselbad soll für Asthmatiker ein fast
immunes Klima besitzen. Ausser dem Klima
kommen daselbst als Heilfactoren noch Stick-
stoifinhalationen, comprimirte rareficirte Luft,
verdünnte Luft, Bäder, Douchen etc. in An-
wendung. B. theilt das Asthma in 5 ver-
schiedene Gruppen und zwar:
a) das nasale Asthma,
b) das pharyngo-laryngeale Asthma,
c) das bronchiale Asthma,
d) das Intoxicationsasthma,
e) das neurasthenische Asthma.
Die Behandlung des Asthmas ist eine
so vielseitige, wie dies vielleicht bei keiner
andern Krankheit der Fall ist. Wer alle
Formen desselben behandeln will, muss
Rhinologe, Laryngologe, Neurologe, Hydro-
therapeut, Pneumatotherapeut , Gynäkologe
und ein geübter Anstaltsarzt sein. Selbst-
verständlich wird sich dies Alles nicht in
einer Hand vereinigen lassen, aber gute
Kenntnisse in allen diesen Fächern sind doch
von dem Arzte zu verlangen, der Asthma
zweckmässig behandeln will. Ausser den
verschiedenen therapeutischen Maassnahmen
kommt noch eine Reihe von Arzeimitteln in
Betracht, die als Antiasthmatica ein gewisses
Ansehen gemessen. Das älteste Mittel von
allen ist wohl das Stramonium und zwar
mit Salmiak angezündet und der weisse
reizende Dampf inhalirt. Neuerdings wird
dasselbe auch zweckmässig in Kerzenform
in den Handel gebracht. Seine Wirkung
bewährt sich besonders bei Bronchialasthma
und Intoxicationsasthma. Bei nasalem und
pharyngealem Asthma ist es wirkungslos.
In ähnlicher Weise und mit gleichem Er-
folge kommt Jodkalium in Anwendung.
Das seit lange empfohlene Arsenik hat B.
bei Neurasthenie, zumal bei Ekzemen (im
palliativen Sinne) wirksam gefunden; in
anderen Formen nützt es nicht. Cannabis
indica und Pyridin Hessen meistens im
Stich. Amylnitrit that oft gute Dienste,
vornehmlich bei Bronchialasthma und In-
toxicationen , wenn es sich darum handelte,
den Krampf so weit abzuschwächen, dass
eine pneumatische Sitzung ausgeführt werden
konnte. Cocain (innerlich und in Injec-
tionen) hilft mitunter bei neurasthenischem
Asthma, ruft aber oft bedenkliche Erschei-
nungen hervor. Morphium (in subcutaner
Injection) ist in allen Formen als ultima
ratio unentbehrlich. Wenn die Kranken
(theils durch Sauerstoffmangel, theils durch
Erschöpfung) dem Untergänge ganz nahe
kommen, ist Morphium unser einzigstes
noch wirksames Mittel. Desgleichen ist
Chloralhydrat ein vorzügliches Beruhi-
gungsmittel, das zeitweise gar nicht entbehrt
werden kann. Ganz besondere Beachtung
verdient die Anwendung der Elektricität.
Schon früher ist dieselbe in Gestalt des in-
ducirten Stromes von Schaeffer zum Cou-
piren des Anfalls bei Bronchialasthma
und Intoxication empfohlen worden. Ein
Pol auf den Vagus, den andern in die Nase,
in den Rachen oder auf die Brust oder
beide Pole auf den Kehlkopf, je nach Sitz
der Krankheit, bringt oft ganz zauberische
Wirkungen hervor, Dauer der Sitzung 15
bis 20 Minuten. Bei andern Formen erwies
sich die Elektricität als nutzlos. Alle diese
Mittel sind nur Palliativa von grösserem
oder geringerem Werthe; die Heilung, resp.
die Möglichkeit einer Heilung des Asthmas
liegt in der richtigen, jedem einzelnen Falle
angepassten Combinirung der in der vorste-
henden Abhandlung besprochenen Disciplinen.
{Beu*er*8 Verlag. Berlin und Neuwied 1888. R.
I£L Jabrsang.1
Jannar 1888. J
Referate.
29
Beitrag zur Behandlung chronischer seröser Er-
güsse. Von Dr. H. Secretan. (Lausanne).
Die früher allgemein geltende Ansicht,
dass das Eindringen von Luft in den Pleural-
räum eine gefahrliche Complication bei seröser
Pleuritis bedeute, ist zuerst Ton Potain
widerlegt worden. £r wies nach, dass die
Entstehung eines Pneumothorax unter Um-
standen nicht nur nicht gefährlich, sondern
im Gegentheil einen Heileffect herbeiführen
kann, wenn nur die Luft frei von pathogenen
Mikroorganismen ist. Ja, er hat auf Grund
zufalliger Beobachtungen intrapleurale Luft-
infusion vorgeschlagen zur Behandlung chro-
nischer seröser Ergüsse in den Pleuraraum.
In einigen yon ihm so behandelten Fällen
trat nach Anlegung eines Pneumothorax
schnelle Resorption pleuritischer chronischer
Exsudate ein, die bisher allen therapeutischen
Maassn ahmen getrotzt hatten. Die vorstehen-
den Beobachtungen des franzosischen Klinikers
finden durch einen ganz analogen von
Secretan behandelten Fall ihre vollkom-
mene Bestätigung. Hier wurde bei einem
51jährigen, hereditär nicht belasteten Pa-
tienten ein seit 2 Jahren bestehendes pleu-
ritisches Exsudat, welches trotz mehrfacher
Thoracocentese nicht ausheilte, binnen 27
Tagen vollständig und endgiltig resorbirt,
nachdem gelegentlich einer Function unabsicht-
lich Luft in den Pleuraraum gedrungen war.
{Bw. mdd, de la Suuae Bomande. 1888. No. 7.)
B. Lohnstein {BerUn)»
Einige therapeutische Versuche mit der Hypnose.
Von Dr. Sperling (Berlin).
In der vorliegenden Mittheilung führt
Yerf. 8 z. Theil auch symptomatologisch
sehr interessante Fälle als Belag für die
tiefgreifende Wirkung der Hypnose an. Von
diesen zeichnet sich besonders der erste
durch glänzendes Heilresultat aus. Es han-
delt sich um einen 22 jährigen Mann, der vor
etwa 5 Jahren mit dem Hinterkopf auf das
Eis gefallen war und bei dem sich seitdem
ein Symptomencomplex herausgebildet hatte,
der als traumatische Hysteroepilepsie ge-
deutet werden musste. Hier wurden die
Krampfanfalle vermittelst der Hypnose be-
seitigt, worauf die Genesung durch Hydro-
therapie, Gymnastik, allgemeine Faradisation
etc. weiter gefordert werden konnte. — Ein
zweiter Fall von Hysteroepilepsie bei einer
25jährigen Frau iiess zwar auch den thera-
peutischen Erfolg der Suggestionsmethode
erkennen, gelangte aber nicht zur Heilung.
Patientin war augenscheinlich bei weitem
nicht so für die Suggestion empfänglich wie
der vorige Fall, übrigens auch durch häus-
liche Verhältnisse vielfachen, die Genesung
störenden Erregungen ausgesetzt. — Dankbarer
erwies sich wieder der 3. Fall (22jährige8
hysteroepileptisches Mädchen), bei dem zu-
erst die Krämpfe, dann verschiedene vaso-
motorische Erscheinungen (Rothe und brennen-
des Gefühl im Gesicht, Kälte und Schweiss-
ausbruch an den Extremitäten) beseitigt
worden sind. — Ein vierter Fall von Hystero-
epilepsie hat sich unter dem Einflüsse der
Hypnose nicht nur nicht gebessert, sondern
eher verschlimmert, in so fern als die Hervor-
rufung einer ausgiebigen kataleptischen
Starre anscheinend einen rein epileptischen
Anfall im Gefolge hatte. Zwei weitere Fälle,
in denen sich die Hypnose wiederum günstig
erwies, gehören den für diese Behandlung
besonders geeigneten hysterischen Lähmungen
an. Den Schluss bilden 2 Fälle von Hy-
sterie, die sich an eine Infectionskrankheit
(Malaria und Typhus) angeschlossen hatten
und beiläufig diagnostisch erhebliche Schwie-
rigkeiten boten. Beide wurden durch die
hypnotische Suggestion fast völlig geheilt.
Verf. formulirt danach seine Ansicht über
dieselbe wie folgt:
1. Die planvolle Anwendung der
Hypnose als Heilmittel ist durchaus
berechtigt, jedoch soll sie nur als
ultimum refugium betrachtet werden.
2. Es steht der Gebrauch der Hyp-
nose nur dem Arzte zu, sei es zu
wissenschaftlicher Forschung oder zu
Heilzwecken.
3. Es wäre ein nie wieder gut zu
machender Fehler von Seiten der Aerzte,
wollten sie sich der Forschung auf diesem
Gebiete als unter ihrer Würde stehend
enthalten und dasselbe schlecht bewährten
Laienhänden überlassen.
4. In Folge dessen ist es zweckmässig,
dass die neue Lehre im Publikum so wenig
wie möglich Verbreitung findet; das staat-
liche Verbot der öffentlichen hypnotischen
Schaustellungen muss als sehr weise aner-
kannt werden.
5. Der Erfolg der therapeutischen Hyp-
nose hängt im einzelnen Falle ab:
a) von der richtig gestellten Indication.
Daher ist genaue Kenntniss des Krank-
heitsbildes unerlässlich;
b) von der Methode zu hypnotisiren und
zu suggeriren. Daher sind die Resul-
tate mehr oder weniger individuell;
c) von dem persönlichen Einfluss des
Arztes auf seinen Patienten.
6. Allgemein gültige Gesetze und Regeln
für die Behandlung mit der Hypnose be-
stehen zur Zeit noch nicht, werden sich auch
kaum jemals aufstellen lassen, da mit indi-
vidueller Anlage des Charakters der Ver-
suchsperson gerechnet werden muss.
30
Referate.
[Therapeutische
llonatebefte.
7. Die oft angeführten üblen Nachwir-
kungen der H^'pnose hat Verf. bei richtiger
Anwendung niemals gesehen.
(A'euro/. CeutralbL 1838 No. 21, 13 u. 14.) Krön.
Zur therapeutischen Verwerthung der Hypnose.
Von Dr. M. Nonno (Hamburg).
Ein 29 jähriger Schriftsetzer hatte in
seinem 7. Lebensjahre ziemlich rasch unter
Krampferscheinungen eine Lähmung aller
Extremitäten mit Contractionen bekommen,
die später auch auf die Halsmuskeln über-
gingen, ausserdem Verlust der Sprache und
des Gehörs, sowie Beeinträchtigung des Ge-
fühls. Dieser Zustand hatte sich im 13.
Jahre unter einer elektrischen Behandlung
schnell verloren. Vor 7 Jahren hatte Fat.
einen Anfall von Bleicolik gehabt. 3 Jahr
später (4 Jahre vor seiner Aufnahme in das
Krankenhaus) traten plötzlich Parästhesien
in der rechten oberen Extremität auf, denen
bald Lähmung der Hand folgte. Einige
Zeit darauf kam es auch im rechten Bein
zu Parästhesien; dazu gesellten sich öfter
Anfälle von Schwindel. Es wurde auf der
Klinik sensibel -sensorische Hemianästhesie
rechts mit hochgradiger Gesichtsfeldeinen-
gung, zum Theil auch Störung des Farben-
sinns, sowie völlige Lähmung der rechten
Hand constatirt. Die elektrische Erregbar-
keit, zuerst normal, zeigte nach einigen
Wochen insofern eine Veränderung, als
sich eine deutliche, wenn auch nicht erheb-
liche Herabsetzung der indirecten galvanischen
und faradischen Erregbarkeit an der rechten
Oberextremität nachweisen Hess. Weiterhin
traten starke Schmerzen im rechten Bein
mit nachfolgender Lähmung desselben auf,
die aber nach mehreren Monaten laugsam
wieder zurückging. 2 74 Jahre später bestand
noch schlaffe Lähmung der rechten Oberex-
tremität. Nach mehrjährigem sonstigen Wohl-
befinden empfand Pat. neuerdings wieder,
ohne andere Ursache als vielleicht etwas
Uebermüduug, Kriebeln an beiden Füssen,
bald darauf durchschiessende Schmerzen in
den Unterschenkeln. Schnell entwickelte
sich dann eine Paralyse der unteren Extre-
mitäten. Die Untersuchung ergab ausser
diesen Symptomen noch verschiedene ausge-
breitete Anästhesie und Hyperästhesie, sehr
lebhafte Patellarreflexe, Achillessehnenclonus,
geringe Röthung der Papillen, normale elektri-
sche Verhältnisse. — Die anfänglich schwan-
kende Diagnose wurde schliesslich in Folge
des normalen elektrischen Verhaltens, ganz
besonders aber der eigenthümlichen Veränder-
lichkeit und Launenhaftigkeit der Sensibilitäts-
störungen auf functionelle Lähmung und
Anästhesie gestellt. (Hysterie will Verf. auf
Grund des Fehlens hysterischer Anfälle, so-
wie im Hinblick auf die vor aufgegangene Blei-
iutoxication, mit der die sichtbaren Verände-
rungen der Retinagefasse in Verbindung zu
bringen sind, endlich zu Folge der früher con-
statirten geringen Herabsetzung der elektri-
schen Erregbarkeit in der gelähmten Oberex-
tremität für diesen Fall nicht gelten lassen.)
— Es wurde nun ein Versuch mit der Hyp-
nose gemacht, der völlig gelang. N. suggerirte
nämlich dem Pat., er werde am nächsten Mor-
gen bei der Visite die linke grosse Zehe bewe-
gen können, was auch geschah. Jeden Abend
nahm N. sodann eine andere Zehe mit gleichem
Erfolge vor. So wurde langsam fortge-
schritten, bis nach etwa 5 Wochen die Läh-
mung der Zehen, Füsse und Beine verschwun-
den war. Nach ungefähr 2 Monaten konnte
Pat. gehen. Schon 2 Wochen vorher war
die Sensibilität für sämmtliche Qualitäten
normal befunden worden. Die Wiederher-
stellung der Motilität des seit 5 Jahren
gelähmten rechten Arms gelang nach einem
Monat fast völlig. Später besserte sie sich
noch mehr. Bei der letzten Untersuchung
fand sich, von den noch immer lebhaften
Sehnenreflexen an den unteren Extremitäten
abgesehen, auch noch am unteren dorsalen
Drittel des rechten Vorderarms eine Störung
der Sensibilität.
{Neurol Centralbl. 1888 No. 7 u. 8.) Krön.
Ein neues Anthelmlnticum. Von Prof. Dr. Pari si
in Athen.
Die Gocosnusse sind nach P. ein gutes
Bandwurmmittel, das allen andern Anthel-
minticis vorzuziehen ist, weil es keine Vor-
behandlung erfordert. P. ass das Endocar-
pium einer Nuss , nachdem er den Saft
derselben getrunken hatte. Nach 2 Stunden
Uebelkeit, Magenbeschwerden und leichte
Diarrhoe. Am folgenden Morgen entleerte
er eine Tänie sammt Kopf. Darauf wurde
das Mittel noch in 6 anderen Fällen ver-
sucht und jedes Mal derselbe günstige Erfolg
erzielt. Ueber diese Wirkung der Cocosnüsse
ist bei den Bewohnern Abessyniens bisher
nichts bekannt gewesen.
(Nach Schmidt' s Jahrb. 1888 u. AVgem. med. CentraU.
tS88 Ao. 102.) Ji.
Subcutane Kochsalzinjectionen bei acuter Anämie
und Cholera infantum. Von Dr. M. Weiss
in Prag. (Autoreferat.)
Bis vor Kurzem hielt man die Erschei-
nungen der acuten Anämie einzig und allein
bedingt durch die Verminderung der ßlut-
masse und durch den geringen Gehalt des
noch im Körper kreisenden Blutes an rothen
Blutkörperchen, und in Consequenz dieser
Anschauung suchte man diesen gefahrdrohen-
den Symptomen durch Incorporirung einer
m. Jahrgang.l
Janiur 1889. J
Referate.
31
hinlänglichen, einem anderen Individuum ent-
nommenen Blutmenge zu begegnen. Mit
wenigen Ausnahmen -wurde durch fast 200
Jahre die Bluttransfusion nur bei acuter
Anämie in Folge starker Blutverluste geübt;
erst in den sechsziger Jahren wurde die In*
dication für dieselbe auch auf cachectische
Zustande, Intoxicationen, acute und chro-
nische Infectionskrankheiten ausgedehnt.
Die Schwierigkeiten der directen Blut-
transfusion in die Arterien oder Venen und
die damit verbundenen Gefahren veranlassten
Ponfick, anstatt derselben die indirecte iu
die Bauchhohle zu versuchen; die gerühm-
ten günstigen Erfolge dieser Methode wurden
jedoch von anderen Experimentatoren nicht
bestätigt und selbst ihre Ungefähr! ichkeit
bestritten, indem Mos 1er einen Fall an
nachfolgender Peritonitis verlor. Der gleich-
zeitig von Amerika herübergekommene Vor-
schlag, die Bluttransfusion durch die intra-
venöse Milchinfusion zu ersetzen, konnte
keine Anhänger finden, da Nachprüfungen
ergaben , dass die Milchinfusion nicht nur
keinen Nutzen bringe, sondern auch in hohem
Grade das Leben durch Embolien gefährde.
Eine ganz andere Wendung bekam die
Lehre von der Transfusion, als Kronecker
und Sander und gleichzeitig mit ihnen
Jolyet und Laffont die Cohnheim'schen
Versuche mit Infusionen von Kochsalz-
lösung wieder aufnahmen, welche das Re-
sultat ergaben, dass die dem Verblutungs-
tode nahe gebrachten Thiere durch intra-
venöse Infusion einer schwach alkalischen
6 "/uo^gci^ Kochsalzlösung am Leben erhalten
wurden.
Schwarz, welcher diese Experimente
mit günstigem Erfolge wiederholte, erklärte
die belebende Wirkung der Kochsalzinfusion
auf die Weise, dass dadurch das mechanische
Missverhältniss zwischen Weite und Inhalt
des Gefasssystemes, welches in erster Reihe
den Tod bei Entblutungen bedinge, wieder
ausgeglichen werde. Die Ungefährlichkeit
dieser Operation und die günstigen Erfolge,
welche Schwarz, Küstner, Kocher u. A.
verzeichnen konnten, schafften derselben bald
Eingang unter den Aerzten, so dass binnen
wenigen Jahren die Casuistik der Kochsalz-
infusion eine verhältnissmässig sehr bedeu-
tende geworden ist. Die Schwierigkeiten
bei der Ausführung der intravenösen Koch-
saizinfusion sind zwar bei Weitem nicht so
gross wie bei der Bluttransfusion, aber immer
noch bedeutend genug, um ihre allgemeine
praktische Verwerthung zur Geltung gelan-
gen lassen zu können, und es ist deshalb
ein grosses Verdienst von Samuel, dass er
der subcutanen Kochsalzinfusion als Be-
handlungsmethode im asphyktischen Stadium
der Cholera Eingang verschafft hat.
Bald nach der ersten Publication von
Samuel hat Dr. Michael in Hamburg den
Gedanken angeregt, die subcutane Kochsalz-
injection auch bei acuter Anämie „nach
irgend welchen Blutverlusten" in Anwendung
zu bringen, doch blieb dieser Vorschlag,
weil nur nebenbei gemacht, ganz unbeachtet,
und erst im Jahre 1886 wurde diese Me-
thode gleichzeitig von Weiss in Prag und
Feilchenfeld in Berlin in Fällen von
drohendem Verblutungstode praktisch zur
Ausführung gebracht. Die glücklichen Er-
folge, die Weiss in 2 Fällen von acuter
Anämie zu verzeichnen hatte, veranlassten ihn,
die Indication auch auf CoHaps bei Cho-
lera infantum auszudehnen.
Als Injectionsflüssigkeit bedient sich
Weiss einer schwach alkalischen 6"/ooigen
Kochsalzlösung, welcher nach dem Rathe von
Jenning eine geringe Menge Alkohol als
Excitans zugesetzt wird, und um die Flüssig-
keit für den Fall des Bedarfes gleich bei
der Hand zu haben, hält er eine sterilisirte
Lösung in steril isirten, luftdicht verschlosse-
nen Flaschen vorräthig, welche unmittelbar
vor dem Gebrauch auf 38 — 40^ erwärmt wird.
Als Inj ection sapparat dient bei Erwach-
senen ein Glastrichter mit Kautschukschlauch,
an dem ein Hahn angebracht ist, dessen Spitze
genau in die drainagirte Canüle eines feinen
Troicarts passt; Kindern wird die Injection
durch eine Spritze mit langer drainagirter
Nadel beigebracht; selbstverständlich wird
das Instrumentarium unmittelbar vor dem
Gebrauche sorgfältig desinficirt. Erwachsenen
wird die Flüssigkeit in die seitliche Thorax-
wand, Kindern unter die Abdominalhaut inji-
cirt. Die Menge der einzuspritzenden Flüssig-
keit beträgt bei Kindern 30 — 50 g, und ist
die Injection zu wiederholen, sobald neuer-
dings die Erscheinungen des Collaps ein-
treten; bei Erwachsenen genügte eine ein-
malige Injection von 250 resp. 150 g, um
die Erscheinungen der acuten Anämie zum
Verschwinden zu bringen, doch dürfte in
anderen Fällen eine grössere Menge noth-
wendig sein. Die Resorption der injicirten
Flüssigkeit wird durch Massage zu fördern
gesucht und eventuell die Injection an einer
anderen Stelle fortgesetzt, sobald trotz Massi-
rens die Unterhautgeschwulst eine grössere
wird. Die üblichen excitirenden Behelfe
werden vor und nach der Injection in An-
wendung gebracht.
Weiss hat dieses Verfahren bisher in
2 Fällen von acuter Anämie durch profuse
Blutung und in 5 Fällen von Cholera in-
fantum angewendet.
32
Rafarmte.
rThontpentlflche
L Monatshefte.
Zur ersten Gruppe gehört ein Fall von
copioser Blutung aus einem runden
Magengeschwür bei einem 19 jährigen
chloro tischen Mädchen. Die äusserst drohen-
den Erscheinungen, als Syncope, Erloschen-
sein des Sensoriums und der Reflexe, kaum
fühlbarer Puls und Herzchoc, kühle Extre-
mitäten, Leichenblässe wurden durch Injection
von 250 g Kochsalzlosung in die seitliche
Thoraxgegend sofort behoben. Patientin
genas nach langer Reconyalescenz. Der
zweite Fall betraf einen 43 jährigen Mann,
der in der dritten Woche eines Typhus abdo-
minalis eine heftige Darmblutung be-
kam. Der schwere Gollaps wurde durch
eine subcutane Infusion von je 75 g in die
rechts- und linksseitige Thoraxgegend nach
15 Minuten gehoben; auch dieser Kranke
wurde einer vollkommenen Genesung zuge-
führt.
Die 5 Fälle von Gholera infantum be-
trafen Kinder im Alter von 3 — 9 Monaten,
bei welchen un zweckmässige Ernährung als
die nächste Krankheitsursache constatirt
werden konnte. Von diesen genasen 3 Fälle,
2 endeten letal, doch hatte auch bei
letzteren die subcutane Injection von je
50 g Kochsalzlösung mit einigen Tropfen
Rum eine sichtliche, wenn auch bald vor-
übergehende Besserung zur Folge.
Das Resume seiner Abhandlung fasst
Yerf. in folgenden Sätzen zusammen:
1. Die subcutane Kochsalzinjection ist
ein leicht ausführbares und bei den nöthigen
antiseptischen Gautelen absolut ungefähr-
liches und unschädliches Verfahren.
2. Bei acuter Anämie kommt ihr jeden-
falls eine belebende und, wie Fall I darthut,
eine lebensrettende Wirkung zu; die intra-
venöse Kochsalzinfusion dürfte durch die
subcutane mit Erfolg ersetzt werden können.
3. Das Quantum der zu injicirenden 6°/oq,
mit einigen Tropfen Alkohol oder Rum ver-
mischten Kochsalzlösung muss sich nach jedem
Einzelfalle richten.
4. Bei chloro tischen Individuen dürften
250 g vollkommen genügen, weil die Gefässe
in Folge ihres engeren Lumens und grösseren
Elasticität der Wandungen sich schon dem
geringeren Inhalte anpassen. Aus diesem
Grunde vertragen auch solche Kranke einen
relativ grösseren Blutverlust.
5. Bei acuter Anämie in Folge von
Blutungen im Verlaufe von Typhus und
anderen Infectionskrankheiten, überhaupt bei
Zuständen, wo eine Degeneration des Herz-
muskels vorausgesetzt werden kann, darf
principiell die Menge der zu injicirenden
Flüssigkeit keine grosse sein, weil eine
plötzliche Ueberlastiing des degenerirten
Herzens leicht die bedenklichsten Erschei-
nungen hervorrufen könnte.
6. Bei Gollaps im Verlaufe von Gholera
infantum erwies sich eine subcutane Injection
von 30 — 50 ccm in hohem Grade belebend,
ob ihr aber eine lebensrettende Wirkung
zukomme, wie es nach den 3 angeführten
Fällen den Anschein hat, kann nur nach
einer grösseren Beobachtungsreihe entschie-
den werden.
7. Es soll bei Gholera inf. mit der
Kochsalzinjection nicht gewartet werden, bis
der Gollaps einen hohen Grad erreicht hat
und die Girculationsstörung irreparabel ge-
worden ist. Man soll vielmehr gleich bei
beginnendem Gollaps injiciren und die In-
jection wiederholen, so oft abermals Zeichen
von Gollaps auftreten.
8. Nebst der Injection darf aber weder
bei acuter Anämie noch bei Gholera infantum
die übliche excitirende Methode vernach-
lässigt werden.
* {Wiener med, Prti$e 1888 No, 43, 44, 45, 46.)
lieber Herrn Dr. Bellarmlnow's neue Art der
ophthalmoskopischen Untersuchung. Von
Prof. J. Hirschberg.
Ueber die B eil arm in o wasche Unter-
suchungsmethode des Augenhintergrundes
(S. Therap. Monatshefte 1888, S. 538) äussert
sich Prof. Hirschberg, dass dieselbe oder eine
zum Verwechseln ähnliche bereits im Jahre
1882 im Archiv von du Bois-Reymond
(Seite 501) von ihm veröffentlicht sei^). —
Die von Hirschberg citirte Stelle lautet:
„Jetzt gilt es, die Refraction des lebenden
Hechtauges unter Wasser zu bestimmen
Ich bedecke den pupillaren Hornhautbereich
mit Wasser und lege darauf ein Stückchen
von einem Deckgläschen für mikroskopische
Präparate. Die Hornhaut ist jetzt in Wasser
getaucht, ihre Wirkung null. Die brechende
Wirkung des planparallelen Deckgläschen
ist gleichfalls null. . . . Mit üeberraschung
sehe ich, wie ausserordentlich viel besser
der optische Apparat dieses Fischauges in
Wasser, als in der Luft arbeitet."
Für die Untersuchung des Fischauges ist
die angegebene Methode unerlässlich, für an-
dere Thieraugen dagegen nicht. In Bezug auf
die Untersuchung des Auges bei Katze und
Pferd, welche Bellarminow mit seiner Me-
thode bei diffusem Tageslicht untersucht,
macht H. darauf aufmerksam, dass diese
Thiere auch ohne Vorbereitung und ohne
Pupillenerweiterung bei Tageslicht bequem
zu ophthalmoskopiren seien. Auf das Men-
*) Ein Auszug befindet sich auch in seinem
Centralblatt für prakt. Augenheilk. 1882 S. 504.
Januar 1889. J
Refermta.
33
schenauge habe Vf. damals die Glasplatte
nicht angewendet , weil die anästhesirende
Wirkung des Cocains noch nicht bekannt
war.
Vf. führt an, dass das direct von den
brechenden Mitteln des untersuchten Auges
gelieferte Netzhautbild auf seine optische
Güte nicht untersucht werden könne, wenn
man die brechende Wirkung der Hornhaut,
den wichtigsten Factor beim Fernsehen, aus-
geschaltet habe. Um ein schwach yergrösser-
tes aufrechtes Bild der Netzhaut zu gewinnen,
brauche man nur, statt eines Planglases auf
die Hornhaut zu drücken, ein starkes Con-
cavglas (l7a — 2 Zoll Brennweite) vor die
Hornhaut zu halten. £s sei dies die Me-
thode von Helmholtz und Stilling^),
welche Letzterer als Orthoskopie bezeichnet.
Prof. Hirschberg nimmt an, dass die
ferneren Veränderungen des Augenhinter-
grundes mit der Be 1 1 arm in o waschen Me-
thode nicht eruirt werden können.
{Berl kUn. WocUniehr. 1888 No. SO.) L,
PapaXn in der Behandlung der Diphtherie. Von
Dr. J. R.Bromwell (Washington).
Verf. hat in 6 Fällen von Diphtherie,
über welche er ausführlich berichtet, sich
mit bestem Erfolge des Papains bedient. —
Die Beobachtungen, die er hierbei machte,
fasst er in folgenden Schlüssen zusammen :
Die Wirkung des Medicamentes beruht
wesentlich darauf, dass es die diphtherischen
Membranen in sicherer und ziemlich vollkomme-
ner Weise löst. Gleichzeitig besitzt das Medi-
cament exquisit antiseptische Eigenschaften.
— Mit dem Verschwinden der diphtherischen
Membranen findet auch ein rascher Tempe-
raturabfall stat^, woraus man, nach Jacobi,
auf eine schnelle Absorption und Elimination
des Diphtherie -Giftes aus dem Organismus
schliessen kann. Symptome secundärer Blut-
intoxication wurden niemals beobachtet.
{Joum. ofiht Amtrican 3fedical Association 29. Sept. 1888.)
H. Lohnstein (Berlin),
Zur Behandlimg der Hyperemesis gravidarum.
Von Dr. Günther in Montreux.
Verf. hat in h Fällen sehr gute Erfolge
mit der Anwendung des constanten Stromes
erzielt. Er applicirte die Anode in Form
eines Schwammes in einer mit Gummi über-
zogenen Metallhülse auf den Cervix und das
benachbarte Scheidengewölbe, die Kathode
kam als 10 : 20 cm grosse Platte auf die
Gegend des 8. — 12. Rückenwirbels zu liegen.
Die Ströme werden mittelst Edelmann' sehen
Galvanometers und eines guten Rheostaten
*) Siehe Artikel: Ophthalmoskopie in Eulen-
barg^g Realencjklopädie.
ein- und ausgeschaltet, um ein zu rasches
Entstehen und Vergehen des Stromes und
somit die Gefahr des Abortes zu umgehen.
Die Stromstärke betrug nie über 5 Milliam-
peres, die Dauer der Sitzung im Beginn 2 — 3',
später 7 — 10'.
Bei täglicher Sitzung war spätestens nach
4 Tagen das Erbrechen vollständig sistirt.
(CentralblaU für Gynäkologie, XII, 29. 1888.)
Sckmey {Beutken O.-S.).
Die Befestigung von Wundtampons durch Haut-
faltennähte. Von Prof. Madelung.
In Fällen, in denen eine unverrückbare
Befestigung des Tampons erwünscht erscheint,
empfiehlt Verf., zu beiden Seiten der Wund-
spalte möglichst grosse Hautfalten empor-
zuziehen und dieselben mittelst einiger Su-
turen zu verbinden. Es werden dadurch
oft die leicht sehr quälenden circulären
Bindeneinwickelungen, z. B. des Leibes, über-
flüssig, und besonders nützlich erweist sich
das Verfahren bei Wunden in der Nähe des
Afters und der Geschlechtstheile, wo ein
festes Anliegen der Verbandstücke stets
schwer zu erreichen ist.
(CentralblaU für Chirurgie 1888. No. iß.)
hVeyer [SUttin).
i) Echinococcus der Niere. Nephrectomie. Hei-
lung, a) Ein Fall von Oesophagostomie
wegen Speiseröhrenkrebs. Heilung. Von Dr.
A. Knie in Moskau.
Da in der Litteratur erst 5 Fälle von
Exstirpation der ganzen Niere behufs Ent-
fernung von Echinococcen bekannt sind, fügt
Verf. einen sechsten Fall aus eigener Praxis
hinzu. Er hält die Totalexstirpation nur
dann für gestattet, wenn der Echinococcus-
sack nur noch einen kleinen Rest von der
Niere übrig gelassen hat, nicht aber, wenn
etwa noch eine halbe Niere vorhanden ist.
In letzterem Falle würden Incision des
Sackes und Drainage geboten sein.
In Fällen von Krebs im oberen Drittel
der Speiseröhre plädirt Verf. für die Oeso-
phagostomie und bringt zur Befürwortung
dieser anscheinend stiefmütterlich behandelten
Operation einen günstig verlaufenen Fall
aus eigener Praxis.
{St. Peterb, med. Wochenschr. 1888 No. 37.)
Freyer {Stettin),
Die antiseptische Wirksamkeit des Quecksilber-
oxy Cyanid.
Wie neuere in den Comptes. rend. d. Soc.
d. Biol. und im American Journal of the
medical Sciences Sept. 1888 veröffentlichte
Untersuchungen ergeben haben, besitzt das
Quecksilberoxycyanid vor dem Sublimat ev-
5
34
Rafarmta.
TTherapeatiiche
L Monatshefte.
hebliche Vorzüge : 1. Seine wässerige Lösung,
die alkalisch reagirt, fällt Albumin nur in
geringem Maasse. 2. Es ist viel weniger
reizend als Sublimat. 3. Von den Schleim-
häuten wird es weit weniger resorbirt als
jenes. 4. Eine Lösung von einer Concen-
tration 1 : 1500 greift metallene Instrumente
niemals an. 5. Die germicide Wirkung des
Quecksilberoxycyanids ist im Vergleich zu
der des Sublimats nur unbedeutend schwächer,
dagegen liefert es in der Wundbehandlung
bedeutend bessere Resultate, als das Queck-
silberbichlorid , da es die Gewebe nicht so
angreift und fast gar nicht von den Lymph-
bahnen resorbirt wird. — Aehnliche Vorzüge
wie das Oxycyanid besitzt auch das Cyanid
des Quecksilbers; nur wirkt es bei Weitem
nicht so intensiv den Eiterkokken gegenüber.
( The Journal qf the American Aledical Assoc. 29. Sept.
1888.)
H. Lohnstein {Berlin).
Die Allgemeinbehandlung der puerperalen Sepsis.
Von Prof. Max Runge (Göttingen).
Verfasser giebt in dieser vierten Mitthei-
lung über sein Heilverfahren bei Puerperal-
fieber, das bekanntlich in der Darreichung
von möglichst grossen Gaben von Alkohol
(lO^/a Flaschen Portwein und Madeira und
ca. 2 Liter Gognac innerhalb 8 Tagen in
einem Falle bei einer Dame, die früher nie
Wein genossen) in der Darreichung von
lauen Bädern (22— 24« R. 5—10 Minuten
lang) mit vorangehender und nachfolgender
Alkoholgabe, in der Zufuhr von reichlicher
Nahrung und in der Vermeidung jedes anti-
pyretischen Medicaments besteht, eine Zu-
sammenstellung der hiernach von ihm be-
handelten 20 Fälle, von denen 15 geheilt
wurden. Jeden Zwang bei der Darreichung
der Bäder will R. vermieden wissen (er führt
auf solchen einen Todesfall zurück), glaubt
aber, dass das erste Bad oft schon einen
so günstigen Einfluss auf Respiration und
Girculation, Sensorium und Esslust ausübt,
dass die Kranke schon von selbst oft nach
der Fortsetzung der Bäderbehandlung ver-
langt. Vorsicht beim Auskleiden der Kranken,
beim Hineinsetzen in das Bad und Heraus-
nehmen aus demselben ist selbstverständlich
zur Vermeidung von Collapsanfällen geboten;
letztere müssten ev. durch subcutane Dar-
reichung von Aether und Campher bekämpft
werden. Nur bei unstillbarem Erbrechen
hat Verf. keinen Erfolg von dieser allge-
meinen, „die Widerstandsfähigkeit des Orga-
nismus gegen das septische Gift in geradezu
imponrrender Weise erhöhenden" Behandlung
gesehen, neben welcher er natürlich auch
die locale, die Krankheit selbst angreifende
Behandlung (Uterusirrigationen, Eisblase)
übt. Von den 5 Todesfilllen waren 4 Fälle
mit unstillbarem Erbrechen complicirt, einer
mit Meningitis.
{Archiv für Gynaekologie^ 33- Band Heft 1.)
Landsberg {Stettin).
Die intrauterine Chlorzinkätzung. Dr. Rh ein -
Städter (Köln).
Veranlasst durch eine Debatte in der
Berliner gynaekologischen Gesellschaft, in
welcher jenes Verfahren gegen chronischen
Gebärmutterkatarrh von Dr. Bröse empfohlen
worden war, ergreift Rh., der dasselbe zuerst
geübt hat, noch einmal das Wort, um zu
constatiren, dass er in 10 Jahre langer
Anwendung desselben nie eine Stenose oder
Haematometra gesehen habe bei praeter
propter 11 640 Aetzungen bei 970 Kranken.
Das Verfahren besteht in einer wöchentlich
ein- bis zweimal vorzunehmenden Einführung
einer mit Watte umhüllten und in Zinc.
chlorat. Aqu. dest. aa getauchten Aluminium-
ätzsonde in das erkrankte Uteruscavum,
Ausdrücken während 1 — 2 Minuten, Stiche-
lung der Portio und Aetzuug mit der Chlor-
zinklösung und Einlegung eines Glycerin-
tampons (vergl. Rh. Praktische Grund züge
der Gynaekologie 1886, p. 47 — 54). In
ganz vereinzelten Fällen, wo die Portio mit
Ovula Nabothi besetzt war, hat Rh. am
Schluss der Behandlung noch die Aus-
kratzung der Cervix in der Portio vorge-
nommen. Mit dieser Methode will Rh. alle
Patientinnen ohne jeden Nachtheil für die
Dauer in einem Zeitraum von 7 — 12 Wochen
incl. der Periodenwoche, in der nichts ge-
schieht, geheilt und eine spätere Aetzcur
nie mehr nöthig gehabt haben; in vier
Fällen sah er sogar kurz darauf Conception
eintreten, ein Beweis, dass die Methode
Sterilität nicht verursacht.
{Centralblf. Gynaek. No. 34. 1888.) Landsherg {Stettin).
Ueber Chlorzinkätzung bei sog. inoperablem
Uteniscarcinom und bei chronischer Endo-
metritis. Von Dr. E. Fränkel (Breslau).
Frank el hat bald nach der Veröffent-
lichung Rheinstädter ^s in seinen Grundz.
d. Gyn. anstatt der bisher geübten Abra-
sion und Jodinjection bei Endometritis die
Ghlorzinkätzung intrauterin vorgenommen und
bei mehr als 100 ambulant behandelten Fällen,
insbesondere bei gonorrhoischer Erkrankung
des Endometriums ausserordentlich günstige
Resultate danach gesehen. Gonception beob-
achtete er wiederholt; jedoch auch eine
Stenose, wenn auch in einem Falle, wo wegen
weitausgedehnter papillärer Erosion die Portio
wiederholt intensiv mit der öOprocentigen
in. Jahrgrang.l
Januar 1889. J
Referate.
35
Losung bepinselt worden war. Die Stenose
Hess sich durch Bougiren leicht endgiltig
beseitigen; die Kranke blieb von ihrer hart-
näckigen Leukorrhoe dauernd befreit. Irgend
eine Gefahr dieser Aetzungen wird demnach
auch von ihm geleugnet. Ferner hat Fr.
die Aetzung mit Chlorzink (seit der Empfeh-
lung von Marion Sims 1879) bei mehr
als 50 inoperablen Uterus- und Scheiden-
carcinomen mit ausserordentlich befriedigen-
dem Resultat angewandt. Nachdem das er-
krankte Gewebe mit dem scharfen Löffel
resp. Messer entfernt ist, verkohlt er die
Wundfläche durch tiefes, energisches Ein-
wirkenlassen des Paquelin, desinficirt die-
selbe durch Ausspülung, bestreut die Wund-
hohle mit Jodoform und sto2>ft sie mit
Billroth'scher Tanninjodoformgaze aus.
Nach vollkommener Abstossung des Brand-
schorfes und nach Entfernung und Verkoh-
lung etwaiger noch verdächtiger Stellen,
wird zur Ghlorzinkätzung (2 : 3) geschritten,
die nach 12 — 24 Stunden einen festen
Schorf setzt, durch Einlegen gut ausge-
drückter Chlorzinktampons. Nachdem der
Aetzschorf sich, bei geduldigem Warten ohne
grossere Blutung abgestossen hat, besteht
die Nachbehandlung der zu rascher und
fester Vernarbung neigenden Wundfläche in
losem Jodoformgazeverband und, wenn der
Wundtrichter mit Granulation ausgefüllt ist,
Eingiessen von rohem Holzessig. Auf diese
Weise hat Fränkel 6 Fälle radical geheilt,
der älteste davon ist seit 7 Jahren recidiv-
frei, bei anderen die Blutung und Jauchung
erfolgreich bekämpft. Natürlich gilt diese
Behandlungsweise nur für inoperable Fälle;
wo operirt werden kann, führt auch Fr. die
Exstirpation aus.
{Centralblf. Gynatkol No. 37. 18S8.) Landsbery {Stettin).
Die intrauterine Chlorzinkfttzung. Von Dr. ßröse.
B. wendet die Rhein städter'sche Me-
thode seit 2 Jahren bei jedem uterinen Fluor
an und bestätigt die günstigen Resultate,
die jeuer hiermit gehabt hat. Er giebt die
Methode genau nach Rh. an, wendet sie aber
auch im Gegensatz zu diesem bei frischer
gonorrhoischen Infection an , sich stützend
auf die Untersuchungen von Bunna, dass
der primäre Sitz der Krankheit in der Cervix
und im Uterus (neben der Urethra) ist und
Vaginitis erst secundär eintritt. Stenosen hat
er ebensowenig wie Rh. danach gesehen, und
ebenso wie dieser wiederholt Conception kurz
nach der Beendigung der Aetzkur beobachtet.
Besonders aufmerksam macht B. auf die
während der Behandlung sich verstärkenden
menstruellen Blutungen (eine Beobachtung,
die Referent auch wiederholt zu machen Ge-
legenheit hatte) und empfiehlt deshalb von
Anfang an Hydrastis zu geben. (Rhein-
städter lässt täglich 0,4 Ergotin im
Klysma darreichen, wovon Ref. auch ausser-
ordentlich guten Erfolg sah.
'V Ergotin dialys. spiss. 10,0
Aquae dest. 70,0
Glycerin 20,0
Acid. salicyl. 0,2.
D. S. einen Thee'loffel mit 3 Essloffeln
lauwarmen Wassers täglich nach der Stuhl-
entleerung in den Mastdarm zu spritzen.)
Brose wandte femer die intrauterinen Chlor-
zinkätzungen mit Erfolg bei puerperaler Sub-
involution des Uterus und an Stelle der
Jodtinctureinspritzung nach der Auskratzung
des Uterus bei Endometritis fungosa an. Der
contrahirenden Wirkung der Chlorzinkätzung
endlich schreibt er die Volumenabnahme bei
Metritis zu.
(Deutsche med. Wochenschr. No. 42. 1888.)
Landsberg (StetitH).
Zur Behandlung der atonischen Post-partum-Blu-
tungen mittelst Tamponade der Uterushöhle.
Von Chazan (Grodno).
Verfasser sah sich in 3 Fällen von Nach-
blutungen zur Anwendung der Tamponade
genöthigt, da andere Mittel, der Blutung
Herr zu werden, ohne Erfolg blieben und
zwar legte er das erste Mal reine, nicht
desinficirte Leinwand, in den beiden anderen
Fällen in 2procentige Carbolsäure getauchte
und ausgedrückte Wattetampons in die
Uterushöhle ein. Alle 3 Fälle verliefen
günstig ohne grossere Puerperal erkrank ung,
nur im 2. Falle stieg die Temperatur am
Abend des 3. Tages auf 38,4, der Puls auf
120. Chazan bestätigt dadurch den Aus-
spruch Dührssen^s „keine Frau dürfe mehr
an Verblutung (post partum) zu Grunde
gehen", da das Bewusstsein, in der Tampo-
nade ein sicheres Ultimum refugium zu haben,
dem Arzt Ruhe und Sicherheit erhält. Er
führt aber den Erfolg nicht auf das ange-
wandte Jodoform (Dührssen) oder Carbol
zurück, sondern auf die pro phy laotische Anti-
sepsis, das Freisein der Hände von jedem
infectiosen Stoff und warnt darum vor der
Tamponade dort, wo die prophyl actische
Antisepsis nicht mit voller Exactheit beob-
achtet werden kann.
(Ctntralbl. f. Gt/naekol No. 36. 1888.)
Landsberg (Stettin),
Die Behandlung der Leukorrhoe durch Borsäure.
Von Harriet C. B. Alexander (Chicago).
Das von Schwartz (St. Louis) zuerst
angegebene Verfahren, hartnäckige Leukorrhoe
ohne tiefere Ursache (Endometritis, Carci-
0-
36
Referate.
rlier&peulUche
Monatehefte.
nom etc.) durch Borsäure in Pulverform zu
behandeln , hat sich dem Verf. gleichfalls
in mehreren Fällen, die bis dahin jeder Be-
handlung trotzten^ aufs glänzendste bewährt.
— Das Verfahren besteht bekanntlich darin,
dass man zunächst mittelst heisser Wasser-
imgationen, so heiss wie sie die Patientin-
nen leiden mögen, die Scheide möglichst er-
giebig ausspült, hierauf im Speculum erst
das vordere, dann das hintere Scheiden-
gewölbe sorgfältig abtrocknet und nunmehr
die ganze Portio, sowie beide Forniccs mit
pulverisirter Borsäure einpudert. — Nach
Me^er kann man den Effect wesentlich ver-
stärken, wenn man statt des Pulvers Bor-
säurekrystalle verwendet, die durch Watte-
tampons, mit denen die Scheide vollgestopft
wird, möglichst in loco gehalten werden.
In den vom Verf. mitgetheilten Fällen waren
niemals mehr als 4 Applicationen nöthig,
um die Leukorrhoe gänzlich zum Verschwin-
den zu bringen. Ausserdem konnte man
in allen Fällen ein Festerwerden der auf-
gelockerten Portio vaginalis, sowie der
Schleimhaut des Endometrium constatiren.
Wie lange freilich die Heilung angehalten
hat, darüber fehlt dem Verf. noch jede Er-
fahrung, da erst ein zu geringer Zeitraum
seit der Beendigung der Behandlung ver-
flossen ist.
{Medieal Standard, May 1888.)
ff. Lohnstein {Berlin),
lieber Jodoform-Dermatitis und Aber die Anwen-
dung des Cocain bei einigen Dermatitiden.
Von Dr. Josef Gejer in Budapest.
Gegen die Jodoform-Dermatitis wurde
bisher zumeist eine solche Behandlung em-
pfohlen, welche längere Zeit in Anspruch
nimmt. Krevet gelang es, eine an seinen
Händen aufgetretene derartige Dermatitis
durch locale hcisse Momentbäder nach eini-
gen Stunden zu heilen. Verf. kam in die
Lage, einen eigenthümlichen Fall von Jodo-
form-Dermatitis zu beobachten, den er zum
Gegenstande eingehender Untersuchungen
macht. Ein kräftiger junger Mensch wurde
von ihm wegen eines weichen Schankers mit
Einstäubungen von Jodoformpulver behandelt.
Die Heilung der Geschwürs fläche wurde da-
durch günstig beeinflusst; in der Umgebung
derselben entwickelte sich eine Dermatitis,
die mit Bläschenbildung einherging. Kopf-
schmerz, Fieber, Schnupfen oder andere Sym-
ptome traten nicht auf. Im Harne war Jod
enthalten; in dem Bläscheninhalt konnte
weder Jod noch eine andere Jod Verbindung
gefunden werden. Nach der Heilung des
Patienten begann Verf. jetzt seine Ver-
suche. Nach Application des Jodoform trat
stets die Dermatitis auf. (Bei Fürst traten
ähnliche Erscheinungen schon in der Jodo-
form-Atmosphäre ein, Ref.) Blieb das
Jodoform länger als eine halbe Minute auf
der Haut, so trat die Hautentzündung be-
stimmt auf, nur wenn das Mittel kürzere
Zeit mit der Haut in Berührung blieb, zeigte
sich keine oder nur eine schwache Reaction.
Manchmal trat die Dermatitis auf anderen
Stellen auf, als denjenigen, aufweiche das Jodo-
form gebracht wurde. Mit der Zeit wurde die
Empfindlichkeit der Haut gegen das besagte
Mittel eine grössere. Die oben erwähnten
Erscheinungen traten bei localer Anwendung
von Jodtinctur, Jodkali u. Jodol ebenfalls
ein. Bezüglich des Jodols glaubt Verf., dass
eine Jodol -Dermatitis noch nicht beobachtet
wurde. Trotzdem dass Geyer bei seinem Pa-
tienten, wie oben erwähnt, schon nach einer
halben Minute eine Jodoform-Dermatitis pro-
duciren konnte, schliesst er sich der Ansicht
Erevet^s an, dass eine Hautentzündung in
Folge des Ejratzens auftrete 1 Auf die Haut
gebracht verursache das Jodoform ein Jucken
und eine geringe Entzündung. Diese werde
durch das Kratzen gesteigert. Man kann
daher nur von einem solchen Mittel etwas
erwarten, welches das Jucken beseitigen
könne. Als solches Mittel bewährte sich das
Cocain. Es wurde die betreffende Stelle mit
einer 10 — 15 % starken Lösung eingepinselt,
worauf die „Kratzdermatitis" nicht auftrat.
Wurde mit der Einpin seiung zu lange ge-
säumt, so wurde die Dermatitis nicht beein-
trächtigt, nur das Jucken verschwand. —
Verf. kann von einer gleich vorzüglichen
Wirkung des Cocain gegen die Phenylhy-
draz in -Dermatitis berichten, welche er
an sich erprobte. Die erwähnten Einpinse-
lungen bewährten sich bei Urticaria und auch
bei Mückenstichen.
{Orvos-Het Szemh 1888 No. 27.)
Schuachny (Budapest).
Salz in der Hygiene der Haut und der Therapie
der Hautkrankheiten. Von Dr. Piffard
(New- York).
Hautaffectionen, die günstig durch syste-
matischen Gebrauch von Seebädern beein-
flusst werden, sind chronische Ekzeme, indo-
lente Psoriasis, Sommerausschläge, w^ie Furun-
culosis und pruriginöse Affectionen, ferner
scrophulöse Hautleiden. Die Wirkung 5 °/o
Soole als reinigend und desodorirend für die
Haut hat Verf. sehr zu schätzen gelernt.
Er machte nun Versuche mit Bädern, denen
nicht Seesalz, sondern weisses Salz zugesetzt
war, und zwar in 5, 10, 20 und 25procen-
tiger Concentration. Zwischen den ersten
beiden war in der Wirkung nur ein geringer
ni. Jabrgang.l
Januar 1889. J
Referate.
37
Unterschied; das Gefühl im Bade ist behag-
lich und angenehm. Bei den stärkeren Bädern
ist die Tragfähigkeit des Wassers stark erhöht,
ein Fünftel des Korpers bleibt über der
Wasseroberfläche. Die Schleimhäute werden
nur wenig gereizt. Auf der Haut bleiben
nur einige Wassertropfen zurück, alles andere
Wasser fliesst ab. Man streicht, um sich
ganz zu trocknen, nur mit der Hand jene
Tropfen ab und kann sich sofort ankleiden.
Schwächere Bäder (5°/o) erwiesen sich als
günstig bei oben genannten Affectionen. Das
Wasser sei so warm als erträglich, die Dauer
des Bades 15 bis 20 Minuten. 20 bis 30
solcher Bäder sind zu nehmen. Bei See-
bädern sei das Wasser yerhältnissmässig warm,
der Aufenthalt im Wasser nicht zu lang.
Nach dem Bade Frottiren und schnell An-
kleiden. Sollen die Bäder guten Erfolg
haben, so sind sie Monate lang fortzusetzen.
Da aber nicht so lange in der See gebadet
werden kann, so sind diese Salzbäder anzu-
wenden. Auf eine Badewanne mit Wasser
nehme man 5 Pfund weisses Salz. BäÜer
mit Seesalz sind nicht so zu empfehlen;
auch sie erzeugen, wie die Seebäder, ein
unangenehmes klebriges Gefühl auf der Haut.
{MonaUh. f. pract. Dermal. 1888. No. 5. S. 223.)
George Meyer {BerKn).
Beiträge zur Lehre von den Arzneiexanthemen.
Von Dr. Lese er (Leipzig).
Bei einem jungen Mediciner mit syphi-
litischer Initialsclerose an der Unterlippe
wurde, da derselbe angab, eine Idiosynkrasie
gegen Quecksilber zu besitzen, weil er schon
nach Waschung der Hände mit Va°/oo Subli-
matlosuDg Dermatitis bekommen, eine Calo-
melolemulsion (l : 10) in die Nates injicirt.
Da die Spritze sich verstopfte, wurde nur
etwa 0,06 Galomel eingespritzt. 11 Stun-
den nach der Injection scharlachartige Rö-
thung der Haut des ganzen Körpers am
Halse beginnend, in der Nacht starkes
Jucken. Das Erythem blasste langsam ab
unter starker Abschuppung der Haut. Es
wurde dann erst täglich eine, dann steigend
bis 4 Stück Pillen von Hydr. tannic. (ä 0,05)
eingenommen, wonach sich etwas Durchfall
einstellte, der dann wieder aufhörte. An
den Nägeln war nach Verabreichung der
dritten Pille dicht am Nagelbett eine Quer-
farche entstanden, wie sie der Fat. bei den
früheren Sublimatdermatiden beobachtet hatte.
Fat. entzog sich dann der Beobachtung.
Nach subcutaner Einführung des Hg. war
also hier ein universelles Erythem aufge-
treten. Die Quecksilber-Exantheme kommen
durch locale Reizung der Haut, interne
Wirkung, oder durch eine Combination bei-
der zu Stande, sie entstehen durch Störungen
der vasomotorischen Nerven wahrscheinlich der
Centralorgane durch das im Blut circulirende
Medicament. Hypothetisch bemerkt L., dass
diese Wirkung auf die Gesässnerven auch
local, durch directe Application des Mittels
sich entfalten kann. Er versuchte, die Frage
an einem Falle von Jod-Erythem zu ent-
scheiden. Bei einer 54jährigen Frau mit
alter Lues trat nach Einnahme von Kai.
jodat. und Natr. jodat., bei letzterem
schwächer, ein Erythema nodosum am Kör-
per auf, welches nach Aussetzen des Jods
sofort verschwand. Nach Injection von Kai.
jod. (0,2 : 1,0) in den Rücken, keine Reac-
tion; am Arm entsteht 14 Tage nach der
analogen Einspritzung ein kirschgrosser Kno-
ten, der vielleicht ein syphilitisches Infiltrat
darstellte, da er nach hydropathischen Um-
schlägen und Einnahme von Hg-Pillen sich
sehr verkleinerte. Letzteres Resultat war
also für die Beantwortung der Frage negativ.
Für die Quecksilbererytheme ist aber wohl
bewiesen, dass sie durch centrale wie locale
Einwirkung entstehen können.
{Deutsche med. Wochenschr. 1888, No. /4, S. 284.)
George Meyer {Berlin).
lieber die neuere Therapie des Ekzems. Von
Dr. Veiel (Cannstatt).
In der Therapie des Ekzems ist das
acute und chronische zu unterscheiden. Bei
ersterem ist eine innere Behandlung nicht
indicirt. Beim chronischen, weit verbreiteten
Ekzem ist Arsenik mit gleichzeitiger äusserer
Behandlung zu gebrauchen. Bei vorhandener
Chlorose reicht man eine Stunde vor der
Mahlzeit Eisen, eine Stunde nach derselben
Arsen. Die Therapie des scrophulösen Ek-
zems der Kinder wird wirksam durch Leber-
thran unterstützt, dabei Regelung der Diät.
Gegen das Jucken innerlich Chloral und
Kai. bromatum. Ferner ist das Stadium
der Affection von Wichtigkeit. Beim acuten
Ekzem sind alle Reizmittel zu meiden. Wo,
wie bei Kindern, Bäder nicht ganz zu um-
gehen sind, füge man diesen ein schleimiges
Vehikel hinzu. Alle Seifen sind zu vermei-
den. Zur Milderung des Brennens und Juckens
bei acutem, noch nicht nässendem Ekzem
empfiehlt sich der Unna' sehe Zinkleim:
*V Zinc. oxyd.
Gelatin. aa 15,0
Glycerin. 25,0
Aq. dest. 45,0
(Im Wasserbade zu erwärmen und mit
Borstenpinsel aufzutragen). Nach mehreren
Tagen wird er lauwarm abgewaschen. Bei
nässendem Ekzem werden die betreffenden
Stellen täglich ein Mal gewaschen, und dann
38
Referate.
TTherapeatltche
L Monatsheft«.
der Leim wieder aufgetragen. Erweist sich
dies als nutzlos, so verwendet V. Stärke-
meblkissen, die kühl erhalten und oft ge-
wechselt werden. Wird bei universellem Ek-
zem der Leim nicht vertragen, so pudere
man mit Amylum, dem bei starkem Jucken
2 Proc. Gampher beigemischt ist. Hilft dieses
gegen das Jucken nicht, so wasche man mit
Borax oder essigsaurer Thonerde mit etwas
Glycerin.
Liq. Alum. acet. 10,0,
Aq. dost. 100,0,
Borac. 3,5,
Acid. salicyl. 0,3,
Aq. dest. 170,0,
Glycerini 30,0.
Gegen ausgedehnte stark nässende Ek-
zeme kommen Salben muUe und Pasten zur
Anwendung. Ist der Ausschlag abgetrocknet
und schuppend 5 Proc. Tanninsalbe. Beim
chronischen Ekzem werden zuerst die Krusten
und Schuppen mit Schmierseife, Bädern oder
Oelen gelöst. Die Abheilung der nässenden
Stellen geschieht dann wie vorher. Sehr
dienlich ist dabei ein Zusatz von 1 bis 2 Proc.
Ichthyol. Schuppt das Ekzem dann noch,
so ist die Lassar' sehe Paste indicirt oder
der Theer in Spiritusform
Pic. liquid. 1,0
Spirit. 3,0,
oder mit einer der oben erwähnten Salben
zu 1 bis 2 Proc. Die Anwendung letzterer
ist an den Stellen der Bart- und Schamhaare
contraindicirt, da sie hier leicht sycosisartige
Entzündungen hervorruft. "Weicht das Ekzem
auch dem Theer nicht, so ist die Pyrogallus-
säure und Chrysarobin (Salbe von 2 bis lOProc.)
zuweilen von Erfolg begleitet.
{Med. Corr.'Blatt d. Württ. ärtil. Landesver. August-
heft.) George Meyer {Berlin).
Das Ekzem am Naseneingang. Von Dr. Herzog
(Graz).
Die Behandlung des Ekzems am Nasen-
eingange ist nach H. folgende. Zunächst
Erweichung und schonende Ablösung der
Borken, um dem Eiter Abfluss zu verschaffen.
Darauf Behandlung der zu Tage tretenden
entzündeten Stellen mit gelber Präcipitatsalbe
oder Ungt. Vaselin. plumb., Vaselin. pur. aa,
welche mehrmals täglich auf die erkrankten
Stellen gepinselt werden. Die Nase ist Nachts
mit genau eingelegten Wattekügelchen zu
verstopfen, die schon nach etwa vierzehn
Tagen fortgelassen werden können. Neben
dieser localen Behandlung ist auf die chro-
nische Rhinitis, die Ursache des Ekzems,
das grösste Gewicht zu legen. Zum Schluss
bespricht Verf. noch die Differentialdiagnose
zwischen Ekzem am Naseneingang und Sy-
kose, bei welch' letzterer eine Rhinitis chro-
nica nicht vorhanden zu sein braucht, son-
dern meist fehlt.
{Arch. f. Kindtrheilk. JX. Bd. 3. Heft. S. 211.)
George Meyer {Berlin).
Ein neues Suspensorium. Von Dr. £. Stern
(Mannheim).
Die Mängel der alten Suspensorien haben
verschiedene Specialisten zu Neuconstruc-
tionen veranlasst. Der Hauptfehler, das
Herabrutschen des Leibgurtes, wird durch
dieselben nicht beseitigt und das erste an
ein Suspensorium zu stellende Postulat:
permanente Suspension der Hoden, nicht
erfüllt.
Zur Erreichung dieses Zieles hat Verf.
nun ein Suspensorium construirt, das den
gerügten Fehler beseitigen soll. An Stelle
des Leibgurtes setzte er einen Achselträger-
Theil, der nicht herabrutschen kann und
den Beutel in der ihm einmal gegebenen
Lage absolut fixirt. Ausserdem wurden am
Beutel und seinen Aufhängebändern noch
einige kleine, nicht ganz unwichtige Ver-
änderungen angebracht.
Dieses neue Suspensorium besteht aus
zwei Theilen.
I. Trägertheil. Achselbänder (Fig. 1 und
2, a) sind vorn und hinten im spitzen Winkel
FiR.l.
Pig. 2.
fest vernäht (Fig. 1 und 2, i), wodurch eine
Art Halsband gebildet wird, das man be-
quem mit dem Kopfe passiren kann. Die
Spitzen dieses Halsbandes laufen in 40 cm
lange, vorn bis zum Mous veneris, hinten
bis zum Kreuzbein herab reichen de Riemen
(Fig. 1 und 2, c) aus, deren unteres Ende
mit sechs Haften (Fig. 1 und 2, d) be-
setzt ist.
II. Beuteltheil. Er besteht aus einem
Tragbeutel (Fig. 3, ^), der sich theil weise
III. Jahrgang.")
Janaar 188D. J
Referate.
39
Yon den bisherigen nicht unterscheidet:
längsovale Birnform aus grauem BaumwoU-
tricot, mit rundem Penis-Loch und Bund.
Von letzterem nun gehen zwei kurze vordere
Bänder aus, die ohne Ende zu einer Schlinge
(Fig. 3, v) vereinigt sind. Das Gleiche ist
bei den viel längeren hinteren (Schenkel-)
Fig. 3.
Bändern (Fig. 3, h) der Fall. Sie ent-
springen vom hinteren unteren Ende des
Beutels nicht spitzwinkelig, sondern gehen
von den Seitenrändem (Fig. 3, .r) aus, so
dass sie direct in die Glutäalfalten einbiegen
können. Zugleich bildet das hintere, untere
Ende des Beutels nicht eine das Perineum
bedeckende Spitze, sondern endet an der
Kadix scroti quer (Fig. 3, .f)? wodurch der
Damm vollkommen frei bleibt. Damit ist
jeder Druck auf den Perinealtheil der Urethra
vermieden und eine Beschmutzung bei der
Defäcation ausgeschlossen. — Von den Seiten-
rändern des Bundes gehen zwei 15 cm lange
Bänder (Fig. 1 und 3, s) aus, die an ihrem
Ende Garabinerhaken tragen. In der Mitte
des Bundes ist ein kurzer Riemen (Fig. 1
und 3, m) mit endständiger kleiner Schlinge
angebracht.
Der Trägertheil ist aus grauem, ela-
stischem Gurtstoff gearbeitet. Für die
vom Beutel entspringenden Bänder wurde
nicht der übliche schmale Band Stoff benutzt,
sondern weisse runde Schnur, wie man
sie an Rouleaux hat. Die so hergestellten
„Bänder" schmiegen sich jeder Bewegung
schneiden nicht in die Haut ein und
an
bewahren auch bei einer etwaigen Achsen-
drehung ihre Form.
Die Anlegung des Suspensoriums ge-
schieht in folgender Weise:. Der (am besten
vollständig entkleidete) Patient hängt sich
zunächst den Trägertheil um. Nachdem
sodann die vordere Bänderschlinge v in eine
der vorderen Haften, die hintere (Schenkel-)
Schlinge h in eine der hinteren Haften ein-
gehakt sind, werden die Schenkelriemen nach
vorne gezogen und durch die Seitenbänder 8
vermittelst der Carabinerhaken festgehalten.
Da an den Tragriemen sechs Haften be-
findlich sind, so kann durch Höher- resp.
Tieferhängen der vorderen oder hinteren
Schlinge das Suspensorium jeder Grösse
angepasst werden. Das mittlere Band fn
wird je nach Bedürfniss in eine der vorderen
Haften eingehängt (Fig. l)*).
{llluBtrirt. Afonafschr, der ärztl. PolyUchn, 188S,)
') Das Suspensorium ist nach Angabe des
Vf.'s von A. Werlin in Mannheim Lit. E. 2. 6. zum
Preise von 3 M. zu beziehen.
Toxikologie,
(Ans der Poliklinik für Magon- und Darmkrankliclten von
Dr. Ho» 8 -Berlin.)
Ueber Coloquinthen- Vergiftung. Von Dr. Jansen,
Arzt in Stettin.
Wittwe M., 44 Jahre alt, bisher stets
gesund, ist am 6. IX. 88 plötzlich erkrankt,
nachdem sie den Tag über ca. 25 aus einer
Droguerie gekaufte Coloquinthenfrüchte mit
^/, Liter Urin behufs Wanzenvertilgung ge-
brüht hatte. Sie will die unzerkleincrten
Früchte, ohne sie zu berühren, direct aus
der Düte in den Topf geschüttet und dabei
weder Staub bemerkt, noch bitteren Ge-
schmack empfunden haben. Schon Mittags
klagte sie über argen Schwindel, „wie wenn
sie im Kohlendunst gesessen hätte"; Wider-
wille gegen Speisen; kein Erbrechen. Am
folgenden Morgen heftige Diarrhoen, die
sie ca. 11 Mal tagsüber zu Stuhle nöthig-
ten und 2 Tage lang anhielten Dabei mäs-
40
TozikolOKla.
rlierapeutisch«
Mon atahefte.
sige Schmerzen im untern Theile des Ab-
domen, Kopfschmerzen, viel Durst, Appetit-
losigkeit, Uebelkeit, Zunge dick belegt. Am
Abend etwas Frost. Am 3. Tage schmerz-
hafte Anschwellung des Halses, des Gesich-
tes, aber keine Schluckbeschwerden. Im
Pharynx ärztlicherseits nichts gefunden.
Einige Tage später Anschwellung und
Schmerzhaftigkeit der Füsse. Eine jetzt
vorgenommene Urinuntersuchung ergab mas-
sigen Eiweissgehalt. Oedem der Füsse
hat 14 Tage bestanden.
Fat. will sehr abgemagert sein und klagt
bei ihrer Yorstellung (20. IX.) noch immer
über Schwindel bei Bewegungen, Kopf-
schmerzen, Appetitlosigkeit, Druck nach dem
Essen, Aufstossen, Schwäche und Mattigkeit,
jnässige Obstipation. Fat. zeigt ziemlich
guten Ernährungszustand, schlaffe Bauch-
decken, nirgends Druckempfindlichkeit, nir-
gends Tumor oder Resistenz in der Magen-
gegend. Grosse Curvatur einen Finger ober-
halb des Nabels. Kein Plätschergeräusch in
der Magengegend. Die übrigen Organe ohne
Besonderheiten. Urin frei von Eiweiss und
Zucker.
Der 1 — l^a St. nach der Einnahme eines
Probefrühstückes (l Weissbrod, 2 Glas Was-
ser) wöchentlich 2 — 3 Mal entnommene
Mageninhalt erwies sich durchweg fast gar
nicht chymificirt, von geringer oder massiger
Menge (bis 150 ccm), von schwach saurer
Reaction, ohne freie HCl (Tropaeolin, Günz-
burg'sche und Resorcinprobe) (Boas)^). Ge-
sammtacidität 5 — 14 % '/lo Normalnatron-
lauge. Kein Mucin; kein Labferment. Un-
deutliche oder schwache Milchsäurereaction
mit Uffelmann'schem Reagens. Jodreaction
nach 15 Min. im Speichel. Salolprobe er-
giebt nach 1 Stunde im Harne Salicylur-
säurereaction.
Am 22. IX. Ordination von Acid. hydro-
chlor. dil. 3 Mal täglich 10 — 15 gtt. und
daneben Kochsalz ^/g TheelSffel Morgens
nüchtern. Im Verlaufe dieser Therapie zeigt
der Mageninhalt ein einziges Mal, am 9. X.,
gute HCl -Reaction, Gesammtacidität von
35% ^lio^.'L, Sonst wie vorher stets Fehlen
von HCl.
Das plötzliche Entstehen und die Art
der Beschwerden der früher stets gesunden
Frau unmittelbar im Anschluss an die Co-
loquinthenabkochung : die Diarrhöen, Leib-
schmerzen, Appetitlosigkeit, Schwindel,
Oedeme, Albuminurie weisen auf die Wir-
kung eines aus den Coloquinthen während
der beschriebenen Procedur aufgenommenen
*) Boas, Ein neues Reagens für den Nachweis
freier Salzsäure im Mageninhalt. Centralbl. f. klin.
Med. 1888. No, 45,
Giftes hin. Ob wir auch den constanten
HCl- Verlust hierauf zurückzuführen und an
eine acute toxische Gastritis zu denken
haben, oder ob Salzsäure schon vorher im
Mageninhalt gefehlt hat, lässt sich kurzer
Hand nicht mit Bestimmtheit entscheiden.
Es ist bisher nicht bekannt, dass Drastica
eine Gastritis mit dauerndem Fehlen von
HCl herbeiführen, wenn schon die Möglich-
keit bestehen mag. Wie andererseits die
Publicatiou von Ewald und Wolf (Berl. klin.
Wochsch. No. 30. 1887) zeigt, kann in selte-
nen Fällen bei anscheinend ungestörter Ver-
dauung und dem Gefühle des Wohlbefindens
totaler Salzsäuremangel im Mageninhalt bei
erhaltener motorischer Kraft als eine Art vor-
zeitiger seniler Atrophie vorkommen. Da
überdies der Salzsäureverlust in unserem Falle
durch Wochen, hindurch constant geblieben
ist, während im Uebrigen die Beschwerden der
Fat. zurückgingen, so könnte möglicherweise
der Magenchemismus nach Analogie der von
den genannten Autoren publicirten Fälle zu
erklären sein.
Wie das fragliche Gift in den Organis-
mus eingedrungen sein könnte, erscheint
zweifelhaft. Es könnte einmal in Substanz
in den Magen aufgenommen sein. Bei der
leichten Verstaubbarkeit der Früchte wäre
dies ohne Weiteres plausibel, wenn nicht
das in diesem Falle vorauszusetzende Auf-
treten eines bitteren Geschmackes in Abrede
gestellt würde. Es könnte sich ferner um
ein flüchtiges Gift handeln, das mit den
Dämpfen entweicht und, in die Blutbahn
aufgenommen, die erwähnten Intoxications-
erscheinungen hervorgerufen hätte. Die bis-
her dargestellten wirksamen Principien der
Coloquinthen, das Colocynthin, Colocynthidin,
sowie das Citrullin sind allerdings nicht
flüchtig.
Fälle von Coloquinthenvergiftung scheinen
in der neueren Litteratur bisher kaum ver-
öffentlicht zu sein, was wohl mit der immer
mehr zurücktretenden Anwendung der Colo-
quinthen als Drasticum zusammenhängen
dürfte. Dagegen konnten wir in Erfahrung
bringen, dass in einer hiesigen Apotheke ein
Arbeiter, der 10 Kilo der sehr leicht stau-
benden Früchte entkernt und gesiebt hatte,
von schneidenden Schmerzen im Leibe be-
fallen wurde, welche ca. 10 Tage andauerten.
Dabei bestand tagelang anhaltender intensiv
bitterer Geschmack, Appetitlosigkeit, aber
keine Diarrhoe oder Schwindel. In diesem
Falle bietet das Verständniss der Intoxi-
cation bei der reichlichen Staubentwicklung
und der grossen Menge des verarbeiteten
Materiales keine Schwierigkeit. Von Linne
stammt übrigens schon der Ausspruch: Colo-
III. Jahrgaug.l
JanuAr 1889. J
Toxikologie.
41
cynthis deterrime olens solo odore pur-
gans et vomitoria est.
Beide Fälle müssen zur Vorsicht mahnen.
Der Verkauf einer so differenten Substanz
wie der Coloquinthen, deren Maximaldosis
bei 0,3 liegt, sollte strengeren Vorschriften
als bisher üblich unterworfen sein. Auch
dürfte es sich empfehlen, bei der Abgabe
grösserer Quantitäten zu nicht medicamen-
t5sem Gebrauche durch beigegebene gedruckte
Formulare auf die Giftigkeit des Präparates
und die entsprechenden Vorsichtsmassregeln
hinzuweisen.
Ueber einen Fall von vorübergehendem Verlust des
Sehvermögens durch innerlichen Gebrauch von
Opiumtinctur. Von Stabsarzt Dr. Hamm er le
(Strassburg i. E.).
Dem Anstreicher X., einem etwa 30 jährigen
Manne, der wiederholt an Bleikolik gelitten,
hatte Verf. beim Ausbruche eines neuen An-
falles 15,0 Tinctur. Opii simpl. verschrieben.
Davon sollten 2 stündlich 15 Tropfen 3 bis
4 Mal genommen werden. Ausserdem wurden
wiederholt kalte Klystiere und hydropathische
£inwickelung des Abdomens verordnet. Da
die Schmerzen nicht nachliessen, gab die
etwas unverständige Frau, ohne auf Zeit und
Tropfenzahl zu achten, das Opium immer
weiter, bis der Vorrath zu Ende war. Fat.
hatte innerhalb 12 Stunden die dreifache
Tagesmaximaldosis 1,5 Opium bekommen. —
Hierauf waren allerdings die Schmerzen ge-
schwunden, ohne dass sich Stuhlentleerung
eingestellt hatte. H. fand den Fat. am
folgenden Morgen in hohem Grade benommen,
mit blaurother Gesichtshaut, mit ad maximum
verengten, reactionslosen Fupillen. Dabei
wiederholtes Erbrechen und Klagen über
Brennen in der Magengegend. Am meisten
beunruhigte jedoch die im Laufe des Vor-
mittags stetig zunehmende Verdunkelung des
Gesichtsfeldes, die sich schliesslich bis zur
vollständigen Erblindung steigerte. Der Puls
war kleinwellig, hart und gespannt, 120
Schläge in der Minute. Temperatur dem
Gefühle nach normal.
H. verordnete 30,0 Ricinusöl mit 3 Tropfen
Crotonöl auf 2 Mal (im Zwischenraum von
1 Stunde) zu nehmen; alsdann Potio River!
stündlich 1 Esslöffel, sowie Fortsetzung der
kalten Klystiere und hydropathischen Um-
schläge. Darauf erfolgte reichliche Stuhl-
entleerung und Nachlass der Schmerzen in
der Magengegend. Das Gesicht erhielt wieder
seine natürliche Farbe, die Verengerung der
Pupillen und Erblindung bestanden noch.
Erst nach 4 Tagen stellte sich das Sehver-
mögen wieder ein und bald darauf war
Patient wieder arbeitsfähig.
Verfasser neigt zu der Annahme, dass
der vorübergehende Verlust des Sehvermögens
in diesem Falle durch einen Krampf der
Netzhautarterien bedingt gewesen sei.
{DeutMch, med, Woehenschr. 1888 No. 41.) R,
Bedrohliche Erscheinungen nach Antipyringe-
brauch. Von Dr. E. Rapin (Genf).
R. wurde vor Kurzem schleunigst zu einem
28jährigen Fräulein gerufen, das er bisher
wegen Ischias mit Antipyrin behandelt hatte.
Dosen von 1,0 hatten wiederholt gute Dienste
geleistet, so dass Fat. vor 5 Tagen aus der
Behandlung entlassen werden konnte mit der
Anordnung, bei Wiederkehr der Schmerzen,
von Neuem 1,0 Antipyrin zu nehmen. Das
war nun geschehen. Aber kaum hatte
Fat. das Pulver genommen, so stellten sich
heftiger brennender Schmerz im Magen, Er-
brechen und Collaps ein. Die Lippen waren
stark cyanotisch, der Puls klein und be-
schleunigt. Man befürchtete baldigen Ein-
tritt des Exitus letalis. Die Cyanose steigerte
sich noch zusehends. Einige Stunden später
Auftreten eines juckenden Exanthems über
den ganzen Körper. Alsdann allmähliche
Besserung des Allgemeinbefindens, so dass
Patientin nach 24 Stunden wieder hergestellt
war. Von der Reinheit des Antipyrins konnte
R. sich genügend überzeugen. Dasselbe Pulver
war zuvor ohne jede Störung genommen
worden. Der Apotheker hatte es direct aus
der Fabrik in Höchst bezogen. — Bei zwei
anderen Patienten (es handelte sich aller-
dings um Individuen mit Arterio-Sklerose
und Angina pectoris) hatte R. sehr bald nach
dem Genuss von 1,0 Antipyrin den Tod
eintreten sehen. Daher Vorsicht.
{Revw mdd. de la Sttisse Romande. 1888^ No. IL)
R.
Ueber toxische Nebenwirkungen des Antipyrin
(Vortrag, gehalten in der Gesellschaft der Aerzto
von Zürich im März 1888). Von Dr. Ilcrr-
mann Müller.
Die vielfache Anwendung, welche das
Antipyrin seit seiner Einführung in die ärzt-
liche Praxis gefunden hat, ist, abgesehen von
einer Reihe wirklich überraschender Wirkun-
gen, im Wesentlichen begründet durch den
Mangel an unangenehmen Nebenwirkungen,
den man dem Präparat zuschrieb. Leider
hat sich aber diese Meinung, wie eine Reihe
kürzlich gemachter Erfahrungen zeigt, als
irrig erwiesen. Nicht nur dass häufig die
erhoffte Wirkung ausbleibt, so treten zu-
weilen nach Anwendung des Medicamentes
Erscheinungen ein, die auf eine Beeinflussung
des vasomotorischen Nervenapparates zu be-
ziehen sind (Exantheme der verschiedensten
Ü
42
Toxikologie.
rlierapentiiche
Monatshefle,
Art, Schleimhautblutungen etc.). Complicirt
werden diese Erscheinungen zuweilen noch
durch schwere Gehirnsymptome (Coma, Con-
vulsionen etc.), sowie durch eine Reihe
schwerer Anfalle von Herzschwäche. Bei
andern Patienten endlich hat man gerade
eine conträre Wirkung des Medicamentes zu
beobachten Gelegenheit: die vorher massig
intensiven neuralgischen Schmerzen werden
nach mittleren Antipyringaben unerträglich,
eine nicht eben hohe Fiebertemperatur steigt
noch um ca. 2 Grade nach Anwendung des
Medicamentes. Endlich beobachtet man in
diesen Fällen noch ganz gefährliche cumula-
tive Erscheinungen, wenn man nach einer
einmaligen conträr wirkenden Gabe noch
weitere Gaben hinzufugt. U. a. hatte Verf.
hiervon jüngst selbst ein Beispiel zu sehen
Gelegenheit, wo bei einem 10 jährigen,
an acutem Gelenkrheumatismus erkrankten
Kinde nach einmaliger Application von
0,75 Antipyrin Steigerung des Fiebers, nach
2 — 3 maligen, in 3 stdl. Intervallen verab-
reichten Gaben schwere Gehirn Symptome,
Herzschwäche etc. eintrat. — Wahrscheiulich
handelt es sich in derartigen Fällen um eine
besondere Empfindlichkeit des betreffenden
Individuums gegen das Medicament, welches
hier einen excessiv starken Reiz sowohl auf
das vasomotorische Centrum, wie auch auf
den nervösen Central apparat für die Wärme-
regulation ausübt.
{Separat- Abdruck a. d. Correspondenzblalt jür schwäzer.
Aerzte XVII l, 1888).
II. Lohnstein {Berlin),
Vergiftung durch Himrod's Pulver. Von George
Thorpe.
Ein 2 7-jähriger Mann nahm zur Bekämpfung
asthmatischer Beschwerden einen Theelöffel
Himrod's Pulver, das aus Stramonium, Lobelia
und anderen narkotischen Mitteln besteht, in
Wasser. Eine Stunde später fand ihn T.
im Zimmer umherschwankend, in wilden
Delirien, zusammenhangslos sprechend, ohne
Bewusstsein von dem, was um ihn herum
vor sich ging. Auf der Stirn kalter Schweiss.
Die Pupillen waren weit; c. 25 matte Puls-
schläge in der Minute. Nachdem Pat. er-
brochen hatte, wurden kalte Uebergiessungen
auf den Kopf vorgenommen, Branntweindosen
und Kalkwasser gegeben. Am nächsten Tage
Wohlbefinden.
{The Lancet 1888 Vol. I No. 20,)
J. Ruhfmann (Berlin).
Selbstmord durch Verschlucken von Kaliumbichro-
mat. Von J. Stewart (Preston).
Eine 46-jährige Frau hatte 1 Unze Ka-
liumbichromat in Wasser aufgelost und bis
auf wenige Krystalle, welche ungelöst im
Gefässe zurückgeblieben waren, verschluckt.
Bereits 5 Minuten darauf war Pat. bewusstlos.
Als Vf. dieselbe 20 Minuten darauf sah, fand
er sie blass, mit schwitzender Haut und noch
bewusstlos. Der Puls war klein, fadenförmig
und unregelmässig, die Respiration langsam,
unregelmässig und schnappend. Spuren an
den Möbeln zeigten, dass Pat. erbrochen und
Darmentleerungen stattgefunden hatten. Vf.
hält eine Wirkung des Giftes auf das Re-
spiration scentrum für wahrscheinlich, da von.
Anbeginn die Athmung in ausgeprägter Weise
beeinflusst war. Zuweilen war ein Zwischen-
raum von 7* Minute zwischen zwei Athem-
zügen und die Respiration erlosch iV* Minuten
vor der Herzthätigkeit.
Bemerkenswerth ist das schnelle Ein-
treten des Todes. Derselbe erfolgte 40 Mi-
nuten nach dem Verschlucken des Giftes.
Die Section war leider nicht zu erlangen.
{British Med. Joum. 1888. 23. Aug. S. 420.)
rd.
Lltteratnr.
Mittheilan^en ans der medieinischen Klinik
zu Königsberfif i. Pr. Herausgegeben von
B. Naunyn. Strassburg i. E. Leipzig, Ver-
lag von F. C. W. Vogel 1888. 8«. 311 S.
Das vorliegende Buch umfasst eine Reihe
von Arbeiten Naunyn' s und seiner Assi-
stenten Falkenheim, Minkowski und
Stern, die im Jahre 1887 ihren Abschluss
fanden und zur Erinnerung an die Zeit des
Zusammenlebens an der Königsberger Klinik
gemeinsam veröffentlicht sind.
/. üeber primären und secundären Infect
am Beispiele der Lobärpneumonie von B. Naunyn.
Die von den meisten Autoren angenom-
mene Ansicht, dass bei Infectionskrankheiten,
deren Ursache ein specifischer, pathogener
Pilz ist, neben diesem andere Mikrobenarten
im kranken Körper auftreten und ihre wei-
tere krankmachende Wirkung entfalten kön-
nen, findet eines der besten Beispiele in der
acuten lobären Pneumonie, bei der man ausser
dem specifischen Krankheitserreger, der meist
der FraenkeTsche Pneumoniecoccus zu sein
scheint, häufig auch andere Pilze, so den
Streptococcus pyogenes und den Staphylo-
coccus aureus beobachtet. Es ist zweifellos,
dass diese letzteren dann gelegentlich für
die sog. Complicationen der Pneumonie maass-
gebend sein können.
in. Jahrg&ng.l
Januar 1889. J
Litteratur.
43
Um dem störenden Doppelsinn der Be-
zeichnung Infection, einmal als Yorgang
der Uebertragung und Wirksamwerden des
Infectionsstoffes und dann als Zustand, in
den der Organismus dadurch gerathen ist,
aus dem "Wege zu gehen , schlugt N. vor,
Infection nur für erster e zu gebrauchen, den
krankhaften Zustand aber, in welchen der
Organismus im Ganzen oder ein einzelnes
Organ durch die Infection versetzt wird, mit
Infect zu bezeichnen.
Mit Benutzung dieser Ausdrücke schildert
N. den complicirten Yorgang bei der Pneu-
monie so :
Die Infection der Lungen mit Pneumonie-
coccen ruft die Pneumonie hervor und der
pneumonische Infect der Lunge begünstigt
das Gedeihen der Eitercoccen in letzterer;
sie entwickeln sich und werden in der Lunge
herrschend, so dass sich jetzt in dieser secun-
där der Eitercocceninfect etablirt. Dabei
ist es sehr wohl möglich, dass die Infection
der Lunge durch Pneumoniecoccen und durch
Eitercoccen gleichzeitig im Beginn der Er-
krankung stattgehabt hat, dass es sich also
um eine gemischte Infection handelt. Als
Folge dieser Mischinfection tritt zunächst
der pneumonische Infect auf; der Eitercoccen-
infect kommt erst secundär in der pneumo-
nisch infecten Lunge zur Geltung.
II. Zur Prognose und Therapie der
syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems
von B. Naunyn.
Da die Durchführung einer energischen,
langdauemden antisyphilitischen Cur mit
grossen Ansprüchen an die Geduld aller Be-
theiligten und oft mit mancherlei Schwierig-
keiten verbunden ist, da die Anforderungen
an den Arzt und an den Kranken sehr grosse
und die Enttäuschungen sehr häufige sind,
so ist es für die Praxis oft von grÖsster
Wichtigkeit, die Prognose im Einzelfalle
einer syphilitischen Erkrankung möglichst
bestimmt stellen zu können.
Sehen wir ab von der syphilitischen
Tabes paralytica, der syph. Dementia para-
lytica und endlich der syph. Polyneuritis,
welche alle nach Naunyn^ s Erfahrungen
prognostisch ganz unabhängig davon sind,
ob Syphilis im Spiel ist oder nicht, und
sich Quecksilbercuren gegenüber ganz erfolg-
los zeigen, so scheint die Prognose aller
übrigen Fälle von Syphilis eine erheblich
bessere zu sein (von N.'s 88 klinischen
Fällen wurden 24 geheilt, 49 gebessert,
10 blieben ohne jeden Erfolg, 5 starben in
der Klinik) und abzuhängen: l) vom Lebens-
alter bei Beginn der Erkrankung des Nerven-
systems, 2) vom Alter des Infectes beim
Auftreten der Affection des Nervensystems,
d. h. wie lange nach der Infection die Nerven-
krankheit auftrat, 3) davon, wie lange Zeit
zwischen der letzten anderweiten Manifesta-
tion der Syphilis und dem Auftreten der
syph. Erkrankung des Nervensystems ver-
gangen war, 4) wie lange die Nervenkrank-
heit bereits bestand, ehe sie energischer anti-
syphilitischer Behandlung unterzogen wurde,
5) von der Symptomengruppe, d. h. der
Form, in welcher die Erkrankung des Nerven-
systems auftritt und 6) davon, ob früher be-
reits Quecksilbercuren überstanden sind.
Wo ein gutes Resultat der Behandlung,
eine Heilung der Krankheit, oder wenigstens
eine ihr nahe kommende Besserung erreicht
wird, da lassen fast immer die ersten An-
zeichen der Besserung nicht lange auf sich
warten. In solchen günstigen Fällen kann
man dieselben bei Quecksilberbehandlung oft
schon am Ende der ersten Woche sicher con-
statiren, nach Jodkalium beginnt die Besse-
rung oft schon nach 3 — 4 Tagen. Ist bei
Jodkaliumbehandlung bis Ende der 1. Woche,
bei energischer Quecksilberbehandlung bis
Ende der 2. Woche gar kein Resultat er-
zielt, so sind die Aussichten für jede dieser
Behandlungsarten sehr gering.
N.'s Ansicht nach ist „in jedem Falle
von syph. Erkrankung des Nervensystems
eine energische Inunctionscur vorzunehmen
(u. z. 30 — 40 Inunctionen von 4,0 — 50 g
mindestens und von 15 — 30 Minuten Dauer)''^
Es ist während der Cur sorgsamste Pflege
des Mundes, mindestens wöchentlich 3 Bäder,
Regulirung des Stuhlgangs und gute kräftige
Ernährung mit Bewegung im Freien erfor-
derlich und, wenn irgend möglich, der Be-
rufsthätigkeit zu entsagen. Neben den Inunc-
tionen, die N. in manchen Fällen u. z. „nicht
nur in solchen, wo Eile Noth that", bis auf
6,0, 8,0, ja 10,0 steigerte, wird von Anfang
an Jodkalium 1,0—3,0 pro die gegeben.
Sehr vorsichtig muss man mit dem
Quecksilber sein, wenn neben dem Leiden
des Nervensystems diffuse Nephritis oder
Hepatitis oder gar beides besteht. Solche
Kranken vertragen oft das Quecksilber sehr
schlecht.
Nach Beendigung der eigentlichen Cur
wird Jodkalium weiter genommen und nach
einem halben Jahr und öfters auch nochmals
nach einem weitern Jahre, wenn es durch-
zusetzen ist, werden jedesmal 20 Inunctionen
zu 4,0 — 5,0 in 2 — 3 Abschnitten gemacht.
III, üeber subcutane Stryihnineinspritzungen
von li, Naunyn,
N. wendet sich gegen das ungünstige
ürtheil, welches die neuere Zeit über die
44
Littaratur.
rlierapentische
Monatshefle.
Strychnininjectionen gefällt hat. Es wurzelt
dasselbe hauptsachlicli darin, dass das
Strychnin nur die Erregbarkeit der motori-
schen Centren steigern soll und also, weil
die Lähmungen meist durch gestörte Nerven-
leitung bedingt seien, erst dann wirksam
werden könnte, wenn diese Leitung wieder
hergestellt ist, ein Zustand, bei dem be-
kanntlich die Lähmung auch ohne Strychnin
heilen kann. N. kann diesem ürtheil nicht
beipflichten, muss vielmehr nach seinen Er-
fahrungen dem Strychnin eine viel umfassen-
dere Wirkung auf das Nervensystem zu-
sprechen. Er hat vorzüglich in Folge der
erfolgreichen Verwendung des Strychnin in
der Ophthalmologie und angeregt durch
V. HippeTs Arbeit, seit 1873 consequent
die Strychuinbehandlung bei Motilitätsstö-
rungen angewandt und glaubt mit den Er-
folgen zufrieden sein zu dürfen.
N. braucht ausschliesslich d. Strych. nitr.
in l^iger Lösung und pflegt an den Körper-
theilen zu injiciren, deren Function gestört
ist. Es wird täglich eine Injection gemacht,
mit 0,003 und noch weniger begonnen, täg-
lich um 0,001 gestiegen und nach imgefähr
6 Tagen 0,01 erreicht, welche Dosis noch
5 — 6 Tage beibehalten und nur höchst
selten noch vermehrt wird. Nach derartigem
Gebrauch von 10 — 12 Tagen wird 6 bis
8 Tage ausgesetzt und dann wieder 10 bis
12 Tage Strychnin in derselben Weise wie
vorher, injicirt und so fort, nur dass man
in der zweiten Serie und den spätem bereits
mit mittleren Dosen beginnen darf.
N.'s Erfahrungen nun über die Heilwir-
kung der Strychnininjectionen sind folgende:
1. Dauernde Nachtheile von dem Mittel
wurden nicht beobachtet.
2. Ohne jeden Erfolg blieben vollstän-
dige Lähmungen, ausser wenn sonst eine
Rückbildung der der Lähmung zu Grunde
liegenden Krankheit eintrat, und die Läh-
mungen, die ihrer Natur nach fortschreiten,
wie Tumoren, multiple Sclerose u. s. w., wäh-
rend eine günstige Wirkung zu verzeichnen
war in Krankheiten, welche sich subacut
oder chronisch zu einem stabilen Zustande
entwickelt haben, so bei der diphtheritischen
Lähmung und bei der multiplen Neuritis.
3. Gegenüber diesen Fällen wirkt das
Mittel recht oft günstig, wo unvollständige
Lähmungen, sog. Paresen, wenn auch recht
hohen Grades vorliegen, so bei älteren Cere-
brallähmungen nach Apoplexia sanguinea,
Apoplexia embolica, bei stabil gewordenen
Hirnerweichungen, bei Herdsclerosen der
MeduUa spinalis und Poliomyelitis u. a.
4. Auch in nicht wenigen Fällen von
Tabes dorsalis paralytica schien eine gün-
stige Wirkung eingetreten zu sein, wobei
ein Theil derselben allerdings auf Soolbäder
und die bessere Hygiene des klinischen
Aufenthalts gerechnet werden dürfte.
5. Gross war der Erfolg, wenn die
Grundkrankheit von selbst oder in Folge
anderer Eingriffe sich besserte, so bei diph-
theri tisch er, syphilitischer Lähmung und in
einem Falle multipler Neuritis.
6. Für die Beurtheilung der nicht sel-
tenen Fälle, in welchen die Diagnose der
Grundkrankheit zweifelhaft bleibt, gilt das
unter 2 und 3 Gesagte.
7. Falls die Strychnininjectionen eine
günstige Wirkung äussern, so ist diese ge-
wöhnlich sofort zu bemerken, sobald die
Dosen die genügende Höhe von 0,007 — 0,008
bei Erwachsenen erreichen, schreitet dann
von Tag zu Tag fort, und wird nach 5 bis
6 Tagen wieder weniger bemerkbar, um mit
der neuen Strych ninperio de von Neuem zu
beginnen.
8. Durchaus zu bestätigen ist der Ruf
des Strychnins als Mittel gegen Incontinentia
urinae bei Lähmungen, u. z. sowohl bei
cerebraler Hemiplegie, bei stabil gewordener
chronischer Encephalomalacie und Apoplexia
sanguinea, als auch bei Rückenmarkerkrau-
kungen verschiedener Art, auch bei Tabes.
9. In vielen Fällen endlich älterer, über
Jahr und Tag dauernder Hemiplegie nach
Apoplexie mit sehr unangenehmen schmerz-
haften Empfindungen in der gelähmten
Körperhälftc nehmen, obgleich die Injectionen
gegen die motorischen Lähmungen wirkungs-
los blieben, zur grossen Erleichterung des
Kranken die Schmerzen sofort ab.
IV, lieber die Gätvrungen im Magen von
Dr. 0. Minkowski.
Der normale Magensaft ist unzweifelhaft
im Stande, das Zustandekommen von Gäh-
rungsprocessen im Magen selbst zu verhin-
dern und wahrscheinlich auch die durch
Mikroorganismen bedingten Zersetzungsvor-
gänge im Darm in gewissen Schranken zu
halten oder wenigstens in bestimmte Bahnen
zu lenken. Der normale Mageninhalt auf
der Höhe der Verdauung ist so gut wie frei
von Mikroorganismen und zeigt höchstens
vereinzelte Sprosspilze. Das Filtrat eines
solchen Mageninhalts, welches freie Salzsäure
und Pepsin enthält und bei der Verdauungs-
probe energische Wirkung zeigt, kann man
wochenlang im offenen Gefäss im Labora-
torium stehen lassen, ohne dass in demselben
auch nur die geringste Entwickelung von
Mikroorganismen stattfindet. Diese Eigen-
schaft verdankt ein solcher Magensaft in
erster Linie unzweifelhaft seinem Gehalt an
III. Jabrgatig.l
Janaar 1889. J
Lltteratur.
45
freier Salzsäure, aber nicht ihm allein, viel-
mehr muss man, da nach Zerstörung des
Pepsins durch Kochen häufig eine lebhafte
Pilz Wucherung zu Stande kommt, annehmen,
dass im normalen Mageninhalt die hinein-
gelangten Pilzkeime dadurch unschädlich ge-
macht werden können, dass sie direct der
verdauenden Wirkung des Magensaftes unter-
liegen können.
Zur Untersuchung der Gährungen im
Magen bietet für praktische Zwecke die
mikroskopische Untersuchung des Magen-
inhalts immer noch das bequemste und ver-
bal tnissmässig sicherste Verfahren, um das
Stattfinden und die Intensität der Gährung
zu beurtheilen und darf man da, „wo auf
der Höhe der Verdauung oder längere Zeit
nach der Nahrungsaufoahme noch grössere
Mengen von Spross- oder Spaltpilzen im
Mageninhalte bei der mikroskopischen Be-
sichtigung gefunden werden, das Bestehen
einer krankhaften Magengährung annehmen".
Die Frage, in welcher Weise die verschie-
denen Arten der Mikroorganismen wirken
und betheiligt sind, und welche genaueren
Beziehungen zu der Art der Secretionsstö-
rungen bestehen, ist leider noch eine offene
Frage.
Was das Vorkommen bei Erkrankungen
angeht, so finden wir die schwersten und
hartnäckigsten Magen gährungen zunächst in
den Fällen, in welchen ein wirkliches Hin-
demiss für die Entleerung des Magens vor-
handen ist, der Magen also niemals vollstän-
dig leer wird (wie bei Garcinom am Pylorus,
Narbenbildungen u. s. w.). Wenn die Ent-
wickelung der Gährung hier auch erst secun-
där im stagnirenden Mageninhalt sich ent-
wickelt, so ist nichtsdestoweniger ihre Be-
deutung hier nicht zu unterschätzen, weil
sie gerade für das praktische Handeln viel
bestimmtere und au ssichtsv ollere Anhalts-
punkte gewährt, als die einseitige Berück-
sichtigung der mechanischen Verhältnisse.
Die Störungen, welche direct durch die
Gährungen im Magen bedingt sein können,
kommen dadurch zu Stande 1. dass Sub-
stanzen gebildet werden, welche die Magen-
schleimhaut reizen und katarrhalisch entzün-
den, wie die Bildung abnormer Säuren,
2. durch erhebliche Gasbildung im Magen,
3. durch Entstehung von Substanzen, welche
nach ihrer Resorption im Organismus schäd-
liche oder direct toxische Wirkungen auszu-
üben im Stande sind (Litten^ s Coma dyspep-
ticum), 4. durch Neutralisation der etwa
noch secernirten Salzsäure und somit Beein-
trächtigung der sterilisirenden Wirkung des
Magensaftes, ebenso wie seiner peptonisiren-
den Function, 5. endlich durch die Störung
der Darmfunction in Folge fortgesetzter
Zufuhr von gegohrenen und in Gährung be-
findlichen Massen.
Ausser den vorstehenden Fällen mit
schwerer mechanischer Insufficienz des Magens
kommen nun auch Gährungen vor in solchen
Fällen, in welchen ein directes Hinderniss für
die Entleerung des Magens nicht vorhanden
ist, aber schwere organische Erkrankungen
der Magen wand (wie Garcinom an der Cardia
und an der kleinen Gurvatur) mit Störung
der Secretion sich finden und noch häufiger
Gährungen in den Fällen, in welchen eine
schwerere anatomisch nachweisbare Läsion
des Magens nicht erkennbar ist (also mit
der Diagnose Magenkatarrh, Dyspepsien, s. w.),
und in denen die Gährungen entweder secun-
där zu einer bereits bestehenden Verdauungs-
störung hinzutreten oder ihrerseits die pri-
märe Ursache für die Functionsstörung des
Magens darstellen.
Kommen wir endlich zur Behandlung der
Gährungen, so bilden, neben Regelung der
Diät, Auswaschungen und Antiseptica die
Hauptmittel. Erstere müssen so ausgeführt
werden, dass eine möglichst vollständige Ent-
fernung der Gährungserreger bewirkt wird
d. h. der Magen muss so lange — zuweilen
bei schweren Formen von Gährungen selbst
mit 10 — 15 Liter — durch immer erneutes
Eingiessen von Wasser ausgespült werden,
bis das abfliessende Spülwasser vollkommen
klar erscheint. Während der Auswaschung
muss man den Fat. häufiger seine Körper-
stellung etwas verändern lassen und dazu
veranlassen, durch Schütteln des Abdomen
den Mageninhalt etwas aufzurühren. Die
Auswaschung ist leichter auszuführen, wenn
der Magen nicht übermässig durch unver-
daute Speisereste angefüllt ist und wird
daher zweckmässig des Morgens vor der
Nahrungsaufnahme ausgeführt. Selbst in
Fällen von Ulcus ventriculi ist die Aus-
waschung von Nutzen und letzterer jedenfalls
unvergleichlich grösser, als die etwaige Ge-
fahr einer durch die Ausspülung hervorge-
rufenen Blutung oder Perforation.
Von der innerlichen Verabreichung der
Antiseptica erweist sich bei weitem am besten
die Garbolsäure, zu 0,1 und sogar darüber,
mehrmals täglich vor der Mahlzeit in ver-
silberten Pillen genommen. Reicht die Wir-
kung der Garbolsäure nicht aus, dann ist
Benzol (Naunyn) und Kreosot (0,1 — 0,2
mehrmals täglich) zu versuchen und oft
wirksam.
Wenn ich mich mit der kurzen Wieder-
gabe nur dieser vorstehenden Arbeiten be-
gnügen muss, so geschieht es einfach deshalb,
weil sie mir therapeutisch das weitgehendste
46
Utteratur.
[Therapeatlscbe
Monatshefte.
Interesse zu beanspruchen schienen und -weil
das Referat bereits über die gewöhnlichen
Grenzen sich ausgedehnt hat. Eigentlich
niusste jede einzelne Arbeit besprochen
werden , denn nach ihrem Werthe gemessen
schiene es mir nothwendig für jede. Sowohl
die Arbeiten: 0. Minkowski, Beiträge zur
Pathologied er multiplen Neuritis, ferner
H. Falkenheim, Ueb er Lähmungen nach
acuter Arsenikintoxication,H. Falken-
heim, Die Lähmungen nach subcutaner
Aetherin jection, O.Minkowski, Ueber
den Kohlensäuregehalt des Blutes beim
Diabetes mellitus und des Coma dia-
beticum, H. Falkenheira, Zur Lehre
vom Empyem, wie endlich die casuistischen
Mittheilungen über je einen Fall von pro-
gressiver Muskelatrophie mit halbseitiger Be-
theiligung des Gesichts, von Chorea St. Viti
mit Pilzbildungen in der Pia mater, von
Febris recurrens mit constantem Spirochaeten-
Gehalt und von Hemimyoclonus — bieten des
Wissenswerthen und Neuen, wie des Bekann-
ten, in klarer, übersichtlicher Form Gebote-
nen eine reiche Menge und zeugen nur zu
deutlich von dem enormen Fleiss, der regen
Arbeit und der hohen wissenschaftlichen
Stellung der Konigsberger Klinik unter
Naunyn's Leitung.
Und was mir besonders wohlthuend an
dem ganzen Buche auffällt, ist, dass seine
Arbeiten sich nicht wie so viele der heutigen
in detaillirteste, theoretische Betrachtungen
und Experimente hinein verlieren, sondern
dass sie, neben vollendeter Behandlung aller
chemischen, bakteriologischen und sonstigen
theoretischen Fragen, überall den Hauptzweck
unserer Wissenschaft, das Wichtigste unseres
ganzen geistigen Strebens d. i. das ärztliche
Könnnen und Handeln auf therapeutischem
Gebiete vor Augen halten und voranstellen.
Wer wie Ref. das Glück gehabt hat, zu
Naunyn's Schülern zu gehören, dem muss das
Buch eine besondere Freude bereiten und
einen besonderen Genuss gewähren, weil er
vieles wiederfindet, was er einst gehört
und gelernt, manches findet, was er kaum
mehr wiedererkennt, weil es mittlerweile
durch die Fortschritte unserer Wissenschaft
in ungeahnter Weise gewachsen und geför-
dert erscheint, aber jeder wissenschaftliche
Arzt wird das Buch von Anfang bis zu Ende
mit Befriedigung und grösstem Interesse lesen
und es aus der Hand legen mit dem Gefühl,
dass demselben eine grössere und hervor-
tretendere Bedeutung gebührt, als der Mehr-
zahl der heute erscheinenden Arbeiten auf
diesem Gebiet.
G. Peters (Berlin).
Beiträge zur klinischen Chirurgie. Dr. Paul
Bruns. Mittheilungen aus der chirurg. Klinik
zu Tübingen. III. Band, 3. Heft. Tübingen 1888.
Verl. d. U. Laupp'schen Buchhandlung.
Das vorliegende 3. Heft^) bringt wiederum
einige interessante und lehrreiche Abhaud-
lungen aus dem chirurgischen Gebiete, die
in Gemässheit der Tendenz dieser Blätter
vornehmlich vom therapeutischen Standpunkte
aus besprochen werden sollen.
In der ersten Abhandlung (Ueber In-
fection mit Aktinomycose durch einen
Holzsplitter) berichtet E. Müller über
einen Fall, der, wie aus der üeberschrift
hervorgeht, sich besonders durch seine eigen-
artige Aetiologie auszeichnet. Die Behand-
lung erfolgte selbstverständlich durch Um-
schneidung der erkrankten Partien, worauf
reactionslos Heilung erfolgte.
In der zweiten Abhandlung (Ueber die
Operation der Hydrocele und ihre
Endresultate) erörtert Hertzberg die
verschiedenen Operationsmethoden genannter
Krankheit und zeigt an der Hand der auch
die Endresultate berücksichtigenden Sta-
tistik, dass der Incision bei weitem der
Vorzug zu geben sei.
Kloos (Zur Casuistik der Becken-
fr action) theilt 4 Fälle von verschiedenen,
typisch verlaufenden Beckenfracturen mit,
ohne auf die Behandlung derselben bez.
ihrer Complicationen, wie Blasenruptur, Blut-
erguss etc. näher einzugehen.
Kikuzi (Ueber die Tuberculose der
Nasenschleimhaut) knüpft an einen Fall
von Tuberkelgeschwulst der Nasenscheiden-
wand Betrachtungen über das Vorkommen
der Tuberculose an der Nasenschleimhaut
überhaupt und zeigt an der Hand der Litte-
ratur, dass Tuberculose an der Nasenschleim-
haut sowohl in Form von Geschwülsten, als
auch von Geschwüren vorkommt. Die Be-
handlung geschieht auf operativem Wege,
bald durch ausgiebigste Excision, bald
durch gründliche und wiederholte Kauterisa-
tion. Doch ist man vor Recidiven nie sicher.
Von wesentlichem Interesse ist die Ab-
handlung von Bruns über die Heilwir-
kung des Erysipels auf Geschwülste.
Verf. ist die Litteratur dieses Gegenstandes
durchgegangen und hat aus derselben zu-
nächst die Thatsache festgestellt, dass sichere
Heilwirkungen des Erysipels auf bösartige
Geschwülste beobachtet sind. Er kommt
daher zu dem Schluss, dass „die künst-
liche Erzeugung der Rose zur Beseiti-
gung von Tumoren unter gewissen
Umständen als berechtigt zu erklären"
^) Das Referat über das 2. Heft s. Ther. Mon.
Hefte 1888. S. 94.
IIL Jabrgang.l
Januar 1889. J
Practische Kotlzen und empfehlenswertbe Arznelformein.
47
sei, dass aber einstweilen nur die Sarcome
sich als geeignet für die Erysipel -Behand-
lung erwiesen haben. Nur ist für die
Technik der Behandlung zu bemerken,
dass die üebertragung selbst der Fehleisen'-
schen Reinculturen von Erysipel-Kokken noch
oft im Stiche lasst.
Es folgen dann von v. Noorden zwei
casuistiscfae Beiträge über das verkalkte
Epithelium und über Osteome der Ferse,
sowie von Kikuzi über zwei Fälle von
Stirnhöhlen-Osteom und über Keloid
des Ohrläppchens. Freytr {Stettin).
Die neueren Arzneimittel. Für Apotheker, Aerzto,
und Drogisten bearbeitet von Dr. Bernhard
Fischer, Assistent am pharmakologischen
Institut der Universität Berlin. Dritte ver-
mehrte Auflage. Berlin, Verlag von Julius
Springer 1889. 8^ 262 S.
Wie jeder unbefangene Fachmann bei
dem ersten Erscheinen dieses nützlichen und
zeitgemässen Buches vor 2 Jahren voraus-
sehen konnte, hat dasselbe bald die wohl-
verdiente Anerkennung und Verbreitung ge-
funden. Gegenwärtig liegt uns bereits die
dritte Auflage vor. Dieselbe ist, entsprechend
den Fortschritten der Wissenschaft, umgear-
beitet und vermehrt worden. Neu aufgenom-
men wurden : Jodum trichloratum, Magnesium
salicjlicum, Hydrargyrum salicylicum, Sulfo-
nalum, Sozojodol - Präparate, Guajacolum,
Antbrarobinum und Liquor ferri peptonati.
Ohne Schaden hätte das Antithermin fort-
gelassen werden können, da ihm kaum die
Berechtigung, ein Arzneimittel zu heissen,
zugesprochen werden dürfte. — Des Ver-
fassers ungewöhnlich klare und leicht fass-
liche Darstellungsweise, die schon seinem
^ Lehrbuche der Chemie" eine so grosse Be-
liebtheit und Popularität verschaffte, fesselt
den Leser auch beim Studium der neuen
Auflage der neueren Arzneimittel. Daher
möge auch derselben die ihr gebührende
Beachtung von allen Seiten im reichsten
Maasse zu Theil werden. Rahow.
Practische Notiseii
und
empfehleüswerthe Arsneiformeln.
Zur Therapie der Seekrankheit. Von Dr. Max
Cohn in Berlin.
Als Schiffsarzt der Hamburg -Amerika-
nischen Packetfahrt- Gesellschaft habe ich
Gelegenheit genommen, mit dem Antifebrin
und dem Antipyrin, von denen besonders
das letztere in neuerer Zeit mehrfach als
Mittel gegen die Seekrankheit empfohlen
wurde. Versuche anzustellen. Ich habe das
Antipyrin in Dosen von 1,0 g, das Antife-
brin in Dosen von 0,5 g, beide sowohl pro-
phylactisch vor der Ausfahrt, als auch wäh-
rend des Anfalls gereicht. — Mit dem Anti-
febrin hatte ich überhaupt keine, in prophy-
lactischer Hinsicht auch mit dem Antipyrin
keine Erfolge zu verzeichnen. Dagegen ge-
lang es mir, in einigen Fällen mit 1 bis
2 Dosen Antipyrin während des Anfalls eine,
wenn auch vorübergehende Erleichterung zu
erzielen. Die Patienten fühlten sich im All-
gemeinen wohler, die Kopfschmerzen wurden
geringer, es trat wieder Appetit ein, der
Brechreiz hörte auf. Vielfach aber versagte
das Mittel auch, und ich war nicht im Stande,
irgend einen Einfluss des Alters und Ge-
schlechts der Patienten oder der Schwere
der Erkrankung auf die Wirksamkeit zu
constatiren.
Als ein Allheilmittel der Seekrankheit
darf man das Antipyrin jedenfalls nicht be-
trachten, und ich glaube kaum, dass über-
haupt ein sicher wirkendes Medicament gegen
dieses auf CirculationsstÖrungen innerhalb
des Cerebnim beruhende Üebel gefunden wer-
den wird. Immerhin ist das Antipyrin eines
Versuches werth. — Am wohlsten fühlten
sich meine Patienten stets bei längerem Auf-
enthalt auf Deck in ausgestreckter Lage mit
tief liegendem Kopfe. Eiskalte Speisen und
Getränke in kleinen Quantitäten wurden am
besten vertragen.
Zur Therapie der Hydrocele. (Mitgetheilt von
Dr. V. Flamerdinghe.)
Obwohl namentlich von Seiten franzö-
sischer Autoren empfohlen und ohne Zweifel
auch von einer Anzahl deutscher Chirurgen
und praktischer Aerzte erprobt, scheint doch
die Verwerthung des Cocains als locales
Anästheticum bei der Radicalcur der Hydro-
cele testis bei uns noch nicht in dem Maasse
bekannt zu sein, wie sie es verdient. Die
Behandlung des Leidens vermittelst der Func-
tion mit nachfolgender Jodinjection ist mit
so wenig Umständen verknüpft, dass auch
der praktische Arzt im Stande ist, sie aus-
zuführen, zumal ihm die gleich zu bespre-
chende Anwendung des Cocains den Vor-
theil gewährt, die an die Injection der Jod-
tinctur oder eines anderen Reizmittels sich
anschliessenden, recht heftigen Schmerzen
dem Patienten zu ersparen. — Das von
meinem verehrten Chef, Herrn Dr. Harbordt
in ca. 13 Fällen seiner Hospitals- und Privat-
praxis eingeschlagene Verfahren ist kurz
folgendes: Nachdem mit Hülfe eines gut
desinflcirten , mittelstarken, mit Hahn ver-
48
Practische Notizen und empfehlemwerthe ArzneiibnnelB.
fTherapeutlsche
L Monalshefte.
sehenen Troikart die Flüssigkeit unter lang-
samer Compression der Geschwulst abge-
flossen, wird der Hahn geschlossen und nun
die Mündung einer mit Cocainlösung gefüllten
grosseren Pravaz'schen Spritze in die genau
schliessende Ausflussöffnung des Troikart
eingefügt, der Hahn geöffnet und die Lösung
eingespritzt. Bei mangelhaftem Ineinander-
passen beider Instrumente empflehlt es sich,
die Verbindung der Canülen durch ein kurzes
Stück Gummirohr (Drain) herzustellen. Die
Concentration der regelmässig angewandten
Lösung beträgt 4 : 100, während die einge-
führte Menge je nach der Grösse des Hydro-
celensackes abgestuft werden muss. Für die
mittel grossen ca. 300 g fassenden Hjdrocelen
Erwachsener dürften nach unseren Erfahrun-
gen als unschädliche Dosis 2,5 g obengenann-
ter Lösung = 0,1 Cocain genügen. Hat man
nun durch leichtes Kneten die Flüssigkeit
möglichst gut yertheilt, so lässt man nach
1 — 2 Minuten den üeberschuss abfliessen und
schliesst sofort die Injection reiner Jodtinctur
in oben beschriebener Weise an. Dieselbe
wird nunmehr überraschend gut vertragen.
Zur Verordnung des Kreosots
wird uns von Herrn Dr. Seitz, Assistenten
an der med. Poliklinik zu Heidelberg ge-
schrieben :
Als eine recht brauchbare Form der Dar-
reichung des neuerdings wieder gegen tubercu-
löse und chronisch-katarrhalische Affectionen
vielfach gerühmten Kreosots hat sich uns —
besonders während der kühleren Jahreszeit —
eine Combination mit Leberthran erwiesen.
Wir verordnen nach der Formel:
J^ Kreosot. 2,5
Ol. jecor. asell. 200,0
Saccharin i 0,1
M. D. S. 1 — 2— Sxtägl. 1 Kaffee- bis Ess-
lüffel zu nehmen.
(NB. Für Erwachsene! Für Kinder ent-
sprechend geringere Dosen).
Als Vorzüge dieser Medication möchten
wir den, gegenüber den andern bisher üblichen
Mischungen, weniger unangenehmen Geschmack
hervorheben — manche der damit Behandelten
finden, w^ohl mit Aufwand einiger Phantasie,
Aehnlichkeit mit dem Geschmack geräucherten
Schinkens.
Ferner dürfte die altbewährte Anwendung
des Leberthrans gleichzeitig mit Kreosot in
vielen Fällen als wünschenswerth erscheinen.
Endlich leidet der Appetit bei richtiger
Anwendung, d. h. bei allmählichem Steigern
der Dosen so gut wie nie.
Indem wir somit obige Combination nach
unserer bisherigen Erfahrung bestens empfehlen
können, glauben wir es nicht unterlassen zu
dürfen, darauf an dieser Stelle aufmerksam
zu machen.
Bei Uterinblutungen
wendet Montgommery (Bull. med. und
Lyon. med. 1888 No. 48) folgende Mixtur an:
^V Extr. Cannab. ind. 0,5
Extr. Secal. corn. 4,0
Extr. liquid. Hamamel.
Tinct. Canelae aa 15,0.
D. S. 3 Male täglich 1 Kaffeelöffel voll
zu nehmen.
Bei der Behandlung des Erysipels
hat Dr. Nolte (Allgem. med. Centr. Ztg.
No. 100/88) seit Jahren mit sehr gutem
Erfolge Mucilago gummi arabici unter Zusatz
von Carbolsäure angewendet. Er lässt die
afficirten Stellen und einige Centimeter darüber
hinaus 2 Mal täglich mit 3 — 5 procen tigern
Carbolgummischleim pinseln und diesen dann
trocknen.
In vielen Fällen von Laryngismus stridulus
sah Perceval (Lancet, November 1888) von
der Anwendung des Antipyrins in stündlichen
Dosen von 0,12 sehr guten Erfolg.
Ueber Scharlachdiphtherie und ihre Behandlung.
Nach Prof. Heubner (Volkmann's klin.
Vorträge No. 322) ist die Scharlachdiphthe-
rie durch das Scharlachcontagium bedingt.
Wie alle die übrigen Symptome wird auch
die Halsaffection durch das noch unbekannte
Virus hervorgerufen. H.'s vielfach erprobte
und bewährte Behandlung besteht in Ein-
spritzungen einer 3 — 5 % Garbolsäurelösung
in das Gewebe der Tonsillen und des weichen
Gaumens. Dadurch gelangt die desinficirende
Flüssigkeit, hinreichend concentrirt, in die
Gewebsräume, in den Lymphstrom und in die
Lymphdrusen. Die Injectionen sind so lange
fortzusetzen, bis die Drüsen abgeschwollen
und das Fieber zurückgegangen.
Wie soll der Arzt seine Instrumente desinficiren ?
Nach eingehenden Untersuchungen im
Berliner hygienischen Institut fand Dr. Da-
vid s o h n (Berl. klin. Wochenschr. 1 888 No. 35),
dass die ärztlichen Instrumente am besten
und gründlichsten durch folgendes Verfahren
desinficirt werden: Aufkochen in "Wasser
bei 100° C. auf die Dauer von 5 Mi-
nuten, wobei das Gefäss durch einen
Deckel verschlossen wird. Alle patho-
gen en Mikroorganismen werden hierdurch
vernichtet, ohne dass die Instrumente den
geringsten Schaden erleiden.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. — Druck von Guatav 8chade (Otto Francke) Berlin N.
Therapeutische Monatsheftee
1889. Februar.
Originalabhandlnngen.
Cephalothrypter oder Craniodast?
Von
Prof. Dr. P. Zweifel üi Leipzig.
Verebrtester Herr Redacteurl
Da Ihre » 'Therapeutischen Monatshefte"
die Schranke durchbrechen, welche eine alte
Gewohnheit um den Begriff Therapie zog,
Tielmehr ihre Spalten jeder Besprechung
offnen, welche das ärztliche Handeln am
Krankenbette betrifft, so gestattet mir die
weite Fassung Ihres Programms in den fol-
genden Zeilen ein Thema zu besprechen,
das für den praktischen Arzt eine grosse
Bedeutung hat. Es ist die Frage, mit wel-
chen Instrumenten und nach welcher Me-
thode ist die Perforation und besonders die
Extraction des perforirten Kindes am sicher'
sten auszuführen?
Die Perforation ist keine alltägliche
Operation. In Gegenden, in denen enge
Becken selten sind^ können Jahre yergehen,
ehe ein Arzt in guter Praxis vor diese Auf-
gabe gestellt wird. Die Häufigkeit oder
Seltenheit des Vorkommnisses entscheidet
jedoch keineswegs dessen Bedeutung, sondern
die Möglichkeit, helfen, nützen zu können.
I>er Arzt muss solcher Fälle froh sein, wo
er die Ueberlegenheit seiner Kunst gegen-
über dem Pfuscher- imd Quacksalberthum
glänzend an den Tag legen kann.
Zwar ist die Aufgabe für den Praktiker
nicht immer sehr begehrenswerth. Gerade
-weil die Perforation nicht alltäglich vor-
kommt, wird sich mancher Arzt gegebenen
Falls ungewohnt fühlen und um so schwerer
zu dieser Operation entschliessen. Um so
dringender ist es Pflicht aller Special isten,
die Aufgabe der Praktiker zu erleichtem,
^weil die Erfahrung allgemein ist, dass die
Zange zu viel und oft da gebraucht wird,
wo dies nicht geschehen, wo sie durch das
Perforatorium ersetzt werden sollte.
Sicher trägt aber die Uneinigkeit der
Fachgenossen über die Art, wie der per-
forirte Kopf am besten zu' entwickeln sei,
keineswegs zur Erleichterung bei. Der Arzt,
welcher allgemeine Praxis treibt, muss sich
in solchen technischen Fragen an das ürtheÜ
der Specialisten halten, weil es nur diesen
möglich ist, Erfahrungen grösseren ümfangs
über verschiedene Methoden zu sammeln.
Als vor 1 1 Jahren auf der Versammlung
der deutschen Gynäkologen zu München ein
interessanter Gedankenaustausch stattfand^)
über die Erfahrungen mit dem Craniodast
und dem Cephalothrypter , musste der un-
vereinbare Gegensatz der Berichte lebhaft
überraschen. Wären es Anschauungen ge-
wesen, wer hätte sich darüber gewundert!
Es waren jedoch Erfahrungen über dias
gleiche Instrument, den Cephalothrypter, den
einige der anwesenden Gynäkologen stets
mit vollster Zufriedenheit verwendet hatten,
den andere CoUegen, vorwiegend aus der
jüngeren Generation, in Acht und Bann ge-
than. Crede, der die Anregung zu' der
Discussion gab, trat lobend für den Cepha-
lothrypter ein und nahm für ihn eine Reihe
von Vorzügen in Anspruch. Wenn er auch
mit seiner Ansicht nicht allein stand und
seine gunstigen Erfahrungen von Hennig,
Olshausen und Schwartz bestätigt wurden,
so hat doch jene Empfehlung des Cephalo-
thrypters der zunehmenden Unbeliebtheit
dieses Instrumentes und der wachsenden
Bevorzugung des Cranioclastes nicht Einhalt
zu thun vermocht.
Von allen neueren Lehrbüchern empfohlen,
gewinnt der Craniodast mehr und mehr an
Beliebtheit. Es liegt dem Sprachgebrauch
unserer Zeit nahe, davon zu sprechen, dass
der Craniodast in die Mode gekommen sei.
Doch glauben wir nie an das Aufkommen
einer Mode in einer so ernsten Angelegen-
heit der wissenschaftlichen Discussion; denn
was ist die Mode anderes als ein urtheil-
loses Nachahmen einer persönlichen Ge-
schmacksrichtung! Wir sind ganz überzeugt,
dass in einer praktisch so ausserordentlich
wichtigen Frage zuletzt das Beste trium-
phiren wird und dass es nur nöthig ist,
an eine vorurtheilslose, praktische Prüfung
heranzutreten, um das Beste zu finden.
') Arch. f. Gyn. Bd. XH p. 275.
50
Zweifel, Cephalothrypter oder Cranioelait?
rrherapeotlMh«
L Monatahflfta.
Um eine solche Prüfung in weiteren
Kreisen der Fach genossen anzuregen, wurden
diese Zeilen yerfasst.
Der Wettbewerb betrifft zur Zeit
nur 2 Instrumente: Cephalothrypter und
Cranioclast. Mit Recht wird allgemein der
scharfe Haken diesen beiden Instrumen-
ten nachgestellt. Derselbe ist weit geföhr-
licher für die Ereissende und den Opera-
teur. Deswegen kann er für die gewöhn-
liche Praxis nicht empfohlen werden.
Oben wurde gesagt, dass d
clast von allen neueren Lehrb
pfohlen und dem Gephalothr
zogenen wird. Ich muss geste
selbst an dieser Empfehlung The^
habe, zwar keineswegs mit
Enthusiasmus — denn dazu fehlten
Yon Anderen geschilderten, nie versagenden
Dienste des Cranioclastes. Wenn auch in
den früher ausgeführten mehr als 30 Per-
forationen der Cranioclast von mir häufiger
benutzt wurde als der Cephalothrypter, so
geschah es nicht, weil er sich heryorragend
bewährte und nie abglitt, sondern nur weil
er nicht ebenso häufig den Dienst versagte
wie der Cephalothrypter. Denn nur ein
einziges Mal hielt der Cephalothrypter beim
kräftigen Ziehen fest und gestattete den
Kopf zu entwickeln, während im gleichen
Falle der Cranioclast wiederholt abgeglitten
war.
Ausser der ünzuverlässigkeit des Ce-
phalothrypters als Extractionsinstrument ist
uns niemals irgend ein Nachtheil aufge-
fallen. Von irgend welcher Geföhrdung der
Kreissenden durch das Instrument als sol-
chem kann nicht die Rede sein. Wer mit
dem Cephalothrypter Verletzungen der Mutter
macht, muss sich selbst die Schuld zu-
schreiben.
Das Abgleiten des Cephalothrypters ist
jedoch Grund genug des Instrumentes über-
drüssig zu werden. Weil wir dies selbst
oft genug erlebt haben, können wir die
Stimmung der Fachgenossen, die in der
Mehrzahl einen Schritt weiter gehen und das
Instrument ganz aus dem Armamentarium
Lucinae bannen wollen, ganz gut verstehen.
Auch in München zählte ich zu den-
jenigen, welche die Worte Crede's, „dass
der Cephalothrypter sicher festhalte",
mit Verwunderung anhörten, weil diese An-
gabe mit den eigenen Erfahrungen in Wider-
spruch stand.
Zwar hat es Crede nicht fehlen lassen
(1. c. p. 279 u. 280) ausdrücklich zu betonen,
dass er seine guten Erfahrungen ausschliess-
lich mit dem Busc haschen Modell gesammelt
habe und bei Versuchen mit den Cephalo-
thryptoren von Scanzoni, Braun und
Kiwi seh sich bald von deren ünzuver-
lässigkeit überzeugte. Aber um des be-
mühenden und entmuthigenden Abgleitens
willen, das uns so oft mit dem Breisky'-
schen Cephalothrypter vorgekommen, welcher
von anderer Seite ja auch warm empfohlen
wurde, konnten wir uns nicht entsch Hessen,
einen Busch 'sehen Cephalothrypter anzu-
schaffen, umso weniger als mit dem Cranio-
^t oder mit den Bo er' sehen Knochen-
^ippetten, wenn auch oft mit grosser An-
und einigen Enttäuschungen, doch
ihzukommen war, und keine durch
Entbundene starb.
IS mir erging, mag es anderen
Tssen ebenfalls ergangen sein. Weil
eine Erprobung des Busch' sehen
Cephalothrypter (in 14 Fällen seit meiner
Wirksamkeit in Leipzig) mir gezeigt hat,
dass dieses Instrument ganz ausgezeichnet
wirkt und vollauf das höchste Lob ver-
dient, möchte ich meine personlichen Er-
fahrungen den Fachgenossen vorlegen, um
dieselben zu einer nochmaligen Prüfung mit
dem Busch' sehen Cephalothrypter zu er-
muntern, ehe sie der ungünstigen Erfah-
rungen willen, die sie mit anderen Instru-
menten gemacht — das Kind mit dem Bade
ausschütten.
Es besteht zwischen den 2 Cephalo-
thrypter-Modellen, dem Brei sky' sehen und
demjenigen von Busch ein Unterschied im
Festhalten, wie er nicht grösser gedacht
werden kann. Danach ist die Vermuthung
gerechtfertigt, dass auch die früheren un-
günstigen Erfahrungen mit anderen Instru-
menten erlebt wurden. Das sprach auch
Spiegelberg aus.
Das Festhalten des Instrumentes ist bei
seiner sonstigen üngefährlichkeit ein voll-
berechtigter Grund zu seiner Empfehlung,
ja zu seiner Bevorzugung vor dem Cranio-
clast; denn es gestaltet dieses feste Fassen
des Kopfes die ganze Operation über-
raschend einfach und bequem, noch leichter
als die Cranioclasie ist. In der Regel
waren die 14 Perforationen, welche in den
Jahren 1887 und 1888 während meines
Hierseins und zum grössten Theil von mir
selbst ausgeführt wurden, innerhalb von 5 Mi-
nuten vom Ansetzen des Perforatorium bis
zur Entwickelung des Kindes vollendet. So
bequem war die Cranioclasie ganz ausnahms-
weise. Die einzelnen Fälle dieser Operation
waren unvergleichlich mühsamer, als die
hiesigen Cephalotrypsieen.
Da früher eingewendet wurde, gerade
der Cephalothrypter tauge bei engem Becken
nicht, so sei es gestattet einen Fall zu er-
m. JalirgaBff.1
Febniar 1889.J
Zweifel, Cephalothrypt«r oder Cranioclatt?
51
wähnen, der das Yerhältniss der beiden
rivalisirenden Instrumente kennzeichnen kann.
Wir bekamen eines Abends die dringende
Aufforderung, am folgenden Morgen mit dem
ersten Zug nach Pegau zu kommen, um
wegen absoluter Gebärunmoglichkeit einen
Kaiserschnitt auszuführen. Dort angekommen
erfuhren wir, dass Tags vorher die Perfora-
tion gemacht wurde, weil das Kind todt
war, dass drei junge tüchtige Aerzte sich
mit dem Cranioclast einen halben Tag lang
erfolglos abgemüht hatten und jetzt keine
andere Rettung kannten als durch den
Kaiserschnitt, weil selbst das zerstückelte
Kind um der ausserordentlichen Becken-
verengerung willen nicht zu entwickeln war.
Die Kreissende hatte ein rhachitisch platt
verengtes Becken mit einer Conjugata diago-
nalis von 6,25 cm. Es wurde dieselbe
dreimal gemessen.
Nach der Berechnung betrug die Con-
jugata Vera 4,26 — 4,6 cm. Es war nicht
zu erwarten, dass die Entwickelung durch
ein so hochgradig verengtes Becken möglich
sei. Nur weil die Aussichten für die Frau,
besonders wenn der Kaiserschnitt an dem
Orte selbst in einer finsteren, niedrigen
und ungelüfteten Bauernstube ausgeführt
werden sollte, sehr ungünstig waren, legte
ich den Bus ch^ sehen Cephalothrypter an.
Der Cephalothrypter wird genau ebenso
eingeführt, wie eine Zange an den hoch-
stehenden Kopf. Der Schädel hatte sich
nur mit einem kleinen Segment in den
Beckeneingang eingestellt. Er wurde von
den Bauchdecken aus fixirt. Dann wurde
die rechte Hand so weit eingeführt wie
möglich, 4 Finger an dem Kopf empor-
geschoben, mit der linken das linke Blatt
des Cephalothrypters gefasst und dasselbe,
mit seiner polirten Aussenfläche nach der
Synchondrosis sacro-iliaca gewendet, auf
der Yolarfläche der Hand zwischen der
Schädel wölbimg und den Fingern möglichst
weit eingeführt.
Durch eine Drehung am Griff wird das
Blatt seitlich an den Kopt gebracht, der
Griff stark gegen den Damm gesenkt und
einem Assistenten zum Festhalten über-
geben.
Genau ebenso, nur unter einem Wechsel
der Hände, wird das rechte Blatt eingelegt.
Dann kommen die beiden Blätter in^s
Schloss, der Braun^sche Compression sapparat
wird angelegt, langsam zusammengeschraubt
und das ausgepresste Gehirn und Blut fort-
während weggespült.
Hat die Compression sschraube ihr Ende
erreicht, so versucht man — ohne Gewalt
— ob sich der von beiden Seiten platt
gedrückte Kopf durch Drehen des Cephalo-
thrypters nach rechts oder nach links in
die von vorn nach hinten abgeplattete
Beckenspalte bringen lasse. Gewöhnlich
dreht sich der Cephalothrypter bei leichtem
Ziehen ?on selbst nach der einen oder der
anderen Seite.
Nun beginnt der Zug, unter abwechseln-
der Controle, ob der Kopf folgt, ob die
Löffel richtig liegen und nichts vom Mutter-
mund oder von der Scheide gefasst sei.
Als ich in dem erwähnten Fall kräftig
zu ziehen begann, folgte der Kopf. Inner-
halb von 2 Minuten war das Kind entwickelt.
Dasselbe hatte alle Zeichen der Reife
und war der Berechnung nach vollkommen
ausgetragen. Doch konnten die Angaben
über Gewicht und Länge nichts dafür be-
weisen, weil durch vollkommene Zerstörung
des Schädeldaches und durch das Wegfliessen
des Gehirns beide Maasse künstlich ver-
ändert waren.
Auch die übrigen Fälle von Perforationen
boten zum Theil sehr starke Beckenver-
engerungen dar. Die Zahlen folgen um-
stehend tabellarisch geordnet.
Wie in der Tabelle vermerkt ist,
kam ein halbes Abgleiten der einen Branche
des Cephalothrypters einmal vor. Dieses
Blatt war aber vom Assistenten über die
Nabelschnur angelegt worden, wobei das
Abgleiten keineswegs der Zuverlässigkeit
des Instrumentes Eintrag zu thun vermag.
Uebrigens begann der Cephalothrypter erst
abzugleiten, als der Kopf beinahe geboren
war. Er hielt immer noch so fest, dass
mittelst desselben und der blossen Hand der
Kopf vollends aus den äusseren Genitalien
entwickelt werden konnte.
Es kann nach den vorgelegten Angaben
Niemand behaupten, dass nur leichte Fälle
von geringem räumlichem Missverhältniss bei
unseren Cephalothrypsieen vorgekommen seien.
Wo liegen nun die Unterschiede in der
Construction , da sich so ausserordentlich
verschiedene Erfolge in der praktischen Ver-
wendung zwischen dem Cephalothrypter von
Busch und von Breisky herausgestellt
haben? Ich will auch den kleinsten Schritt
auf das Gebiet der Speculation vermeiden
und deswegen mich darauf beschränken, die
Maass- und Grössenunterschiede der von mir
benutzten Cephalothryptoren anzugeben.
Das Busch' sehe Instrument ist beträcht-
lich länger als der Cephalothrypter von
Breisky. Es misst der erstere 52 cm, der
letztere 43^3 cm. Die Beckenkrümmung ist
stärker (10 : 9 cm), die Kopfkrümmung be-
deutend geringer, nur 2,5 cm im Lichten und
zwischen den Kanten der beiden Löffel ge-
7*
52
Zweifel, Cephalothrypter oder Cranioclait?
1. Hhachitisch plattes Becken. Poliklinik 1887, No. 216.
P. litt in der Kindheit an der englischen Krankheit, lernte
das Gehen erst im 3. Jahre. II. P. von 24 Jahren. Erste
Geburt angeblich normal verlaufen, weil das Kind klein
war. Die Geburt fand am 22. Mai statt, die Periode war im
Juli ausgeblieben. Vorfall der Nabelschnur, das Kind vor
der Perf. schon abgestorben. Wochenbett normal. Die ganze
Operation dauerte seit Beginn der Narkose 10 Minuten.
2. Plattes Becken. Poliklinik 1887, Nr. 403. 27 jährige
in. P. Kreissende hatte schon 2 mal Geburten mit todten
Kindern durchgemacht, das zweite Mal kam das Kind todt
nach einer Wendung. Das Kind ruckte trotz langer Geburts-
thätigkeit nicht vor, war im Absterben begriffen, stand in
Vorderscheitelbeinstellung. Normales Wochenbett.
3. Einfach plattes Becken 3. Grades mit einer Verenge-
rung des geraden Durchmessers auf 6 cm ; Tumor in der hin-
teren Scheidenwand. Ein Dermoidkjstom , welches später
vereiterte und durch Laparotomie operirt werden musste.
Kind todt vor der Perf. Poliklinik 1888, No. 447.
4. Einfach plattes Becken, in. P. schon 2 mal lebende
Kinder geboren. Klinik 1887, No. 130. Ausserordentlich grosses
Kind (60 cm lang, 4100 g schwer). Vor der Perforation Ver-
langsamung der Herztöne und Meconium-Abgang. Eine starke
Dehnung aes unteren üterinsegmentes zwang zur Entbindung.
Die Entwicklung des Kopfes rasch und sicher, diejenige der
Schultern macht die grössten Schwierigkeiten. Das Wochen-
bett mit hohem Fieber complicirt, Entlassung am 36. Tag.
5. Klinik 1887, No. 219. 11. P. Erste Geburt spontan.
Kind starb nach 4 Tagen. U. Gesichtslage, Gesichtshnie im
queren Durchmesser, Kopf noch beweglich über dem Becken-
eingang. Kind starb ab. Perforation. Einsetzen des scharfen
Hakens am Oberkiefer. Wochenbett gestört, doch konnte
die Entlassung am 11. Tag erfolgen.
6. Einfach plattes Becken. Klinik 1887, No. 492. 25 Jahre
alt, vor 4 Jahren Entbindung eines todton Kindes durch die
Zange. II. Vorderscheitellage, 96 stündige Geburtsdauer, vier
Stunden vor der Perforation keine Herztöne mehr. Durch
Perf. und Cephalothrypsie in 10 Minuten leicht entbunden.
Kind 50 cm lang und 2700 g ohne Hirn. Fieber im Wochen-
bett, Entlassung am 17. Tag.
7. Allgemein gleichmässig verengtes Becken. Klinik 1887,
Nr. 563. Die Kreissende nur 140 cm lang, HI. P. frühere Ge-
burten angeblich normal. Jetzt vorzeitiger Blasensprung,
Muttermund nicht erweitert, Vorfall des Armes. Als keine
Herztöne mehr zu hören waren, Reposition des Armes. Per-
foration, Cephalothrypsie. Grosse Blutung. Cervixrisse, die
fenäht werden. Im Wochenbett vorübergehend geringes
ieber wegen der grossen Schwäche bis zum 26. Tag in der
Anstalt behalten.
8. Allgemein verengtes plattes Becken zweiten Grades.
Klinik 1888, Nr. 394. H. P. Weiss nicht, wann sie das Laufen
lernte. I. Geburt vor 2 Jahren. Sie wurde chloroformirt und
durch Operation entbunden, weiss aber nicht, was geschah.
Es stellte sich später heraus, dass schon damals perforirt
wurde. Wendung. Als auch nachher das Kind nicht voi>
rückte, Extraction, worauf Perforation und Cephalothrypsie
des nachfolgenden Kopfes; Wochenbett normal, Entlassung
am 11. Tag.
u S
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23
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28
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10,25
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Zweifel, Cephalothrypter oder Cranioelast?
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I
In cm:
9. Schwächliche kleine Person von 132 cm Eörpergrösse;
Becken klein n. platt. LP. Klinik 1888, Nr. 369. Kind 51cm
1. u. 2800 g ohne Gehirn. Wochenbett normal, Entlassung
am 10. Tag.
10. Rhachitisch allgemein verengtes, plattes Becken.
Klinik 1888, Nr. 561. Die Kreissende nur 139 cm lanc. 11. P.
Erste Geburt spontan, Nabelschnurvorfall. Bei der II. Geb.
wieder Nabelschnurvorfall, Absterben des Kindes, Perf. u.
Cepbalothr. Hier halbes Abgleiten, weil das eine Blatt über
die Nabelschnur gelegt war. Kind 53 cm 1. u. 3000 g ohne
Gehirn. Wochenbett normal, Entlassung am 10. Tag.
11. Poliklinik 1887, Nr. 287. Stimlage normales Becken.
Kind todt vor der l'erf.
24
24,5
todt.
12. Poliklinik 1887, Nr. 444. Nabelschnurvorfall. Kind
26
26,5
29
27
20
16
13. Poliklinik 1887, Nr. 452. I. VorderscheiteUage, dro-
hende ütemsruptur.
Für die Frage des Festhaltens des Cephalothrjpters am vorausgehenden Kopf kommen Nr. 5 und 8
in WegfaU.
10,75
8,75
10,5
8,5
messen. Die Kopfkrummung am Modell von
Breisky beträgt 4 cm. Dessen Innen-
flächen sind parallel, glatt polirt und ge-
fenstert. Die Löffel des Bus eh ^ sehen In-
strumentes sind ausgehöhlt, ungefenstert
und an der Innenfläche mit feinen Spitzen
yersehen, wie bei einer Raspel.
Das sind alles Unterschiede, die für
Festhalten oder leichtes Abgleiten recht gut
entscheidend sein können.
Der Cranioelast ist dem Abgleiten mehr
ausgesetzt, als der Busch 'sehe Cephalo-
thrypter.
Wir wollen die Frage nicht übergehen,
welches Instrument bei uneröffnetem Mutter-
munde eher verwendbar sei? Unbedingt ist
hier der Cranioelast, weil er schlanker und
schmaler ist, eher möglich; denn die Breite
der Blätter beträgt beim Cephalothrypter
4, beim Cranioelast 2 cm. Dies kann je-
doch die Wahl zwischen den 2 Instrumenten
nicht entscheiden. Die Indication zur Per-
foration bei sehr engem Muttermund ist eine
seltene Ausnahme. Es sind die 2 Fälle von
schwerster Rigidität oder Cancroid der
Portio. Und muss in solchen Fällen äusser-
ster Engigkeit und Unnachgiebigkeit ent-
bunden werden, so kann auch die Branche
des Cranioclastes zu breit sein. Ich habe
einmal die Perforation in solcher Lage aus-
fahren müssen, wo der Muttermund nur für
das Trepan-Perforatorium von E. Martin
durchgängig war. In solchen Ausnahmefällen
bleibt nur das ultimum refugium — der
scharfe Haken — für die Extraction des
perforirten Kopfes übrig.
Die Schilderungen von Verletzungen,
welche der „massige^ Cephalothrypter setze,
dass er schwere Erkrankungen bedinge, können
heute nicht mehr gelten. Wenn eine Ver-
letzung durch Mitfassen von Falten des
Muttermundes oder der Scheide entsteht, so
ist der Cephalothrypter nicht zu beschul-
digen. Er darf deswegen noch nicht ver-
worfen werden, denn die gleichen Vorkomm-
nisse können sich unter mangelhafter Vor-
sicht auch beim Gebrauch des Cranioelast,
ja sogar bei der Zange ereignen. Sie sind
sehr leicht zu vermeiden, wenn man sich
gewöhnt, alle in die Genitalien eingeführten
Instrumente zu decken. Wo Todesfälle
früher vorkamen, da muss man gerechter-
weise in jedem Einzelfall nachfragen, wie es
bei der Entbindung zuging? Es ist nicht
zu viel gesagt, dass das Geschehene oft
jeder Beschreibung spottete. Das lege man
nicht der Cephalothrypsie zur Last, weil zu-
fällig neben allen möglichen vorhandenen
Instrumenten auch dieses aus dem rostigen
Armamentarium hervorgeholt wurde. Seit-
dem die Antisepsis ihren Einzug in die Ge-
burtshilfe hielt und auch für Pflege und
1
54
Zweif«l, C^phalofhryptor od«r Craaloelut?
L MonatilMft«.
Sauberkeit der Instrumente ein Auge ofifen
gehalten wird, ist die Perforation eine un-
gefährliche Operation geworden. Es sind in
den Jahren 1883 bis und mit 1888 in der
hiesigen geburtshülflichen Poliklinik auf
3683 Geburten 55 Craniotomieen ausgeführt
worden, darunter 2 mal bei schon bestehender
Ruptura uteri, einmal bei Eklampsie. Diese
3 Frauen starben, keine an Folgen der
Craniotomie. Noch gunstiger waren die Er-
folge in der geburtshilflichen Klinik, wo
während desselbn Zeitraumes unter 3455 Ge-
burten 18 Craniotomieen vorkamen, davon
2 mal bei Eklamptischen, welche an dieser
Krankheit starben. Wo die Kreissenden vor
dem Eintritt in die Klinik nicht maltraitirt
waren, besonders durch die gewaltsamen
Versuche mit der an den hochstehenden
Kopf angelegten Zange, da war das Wochen-
bett in der Regel ganz normal. Von den
erwähnten 16 hatten nur 3 längere Zeit
Fieber, die anderen genasen rasch und konnten
6 derselben schon am 10. Tag p. p. entlassen
werden. Von den 68 Craniotomieen, die
nicht um der Eklampsie oder üterusruptur
willen schon vor der Operation dem Tod
verfallen waren, ist keine Person ge-
storben. Auch mir persönlich ist keine durch
Craniotomie Entbundene verloren gegangen.
Darum möchte ich recht betonen, dass
die Perforation und Cephalothrypsie eine
ungefährliche und für den Praktiker bequem
eingerichtete Operation ist, um die Collegen
möglichst vor dem Missbrauch der Zange
abzuhalten und zur Ausfuhrung der Cranio-
tomie im entsprechenden Fall anzuregen.
Der Act der Perforation im engeren Sinn
des Wortes, also das Eröffnen des Schädels,
wird von der Art des Extractionsinstrumentes
nur unwesentlich beeinflusst. Gerade wer
zur Verkleinerung des Kopfes den Cephalo-
thrypter benutzt, kann den Kopf mit einem
Trepan oder einem* scheerenförmigen Per-
foratorium durchbohren. Es kommt nur
darauf an, den Kopf vollkommen festzuhalten
und die Spitzen des Instrumentes durch
vorgelegte Finger sorgfältig zu decken.
Anders beim Cranioclast. Die Trepan-
öfFnung ist nicht gross genug, um die innere
Branche in die Schädelhöhle einzuführen.
Man braucht dazu ein scheeren- oder dolch-
förmiges (das beste der letzteren Kategorie
ist dasjenige von Blot) Perforatorium , um
die Oeffhung genügend zu erweitem. Für
die Gefährdung der Kreissenden besteht kein
Unterschied zwischen den einen oder den
anderen Perforatorien. Beide werden unter
drehenden, bohrenden Bewegungen fest an-
gedrückt und durchdringen das Schädeldach
regelmässig rasch und leicht.
Nach eigener Erfahrung lässt die Ver-
wendung des Cephalothrypters von Busch zur
Extraction perforirter Köpfe an Sicherheit
und Bequemlichkeit nichts zu wünschen
übrig. Jedenfalls ist dieselbe leichter als
die Cranioclasie. Im Interesse der Praktiker
wäre es zu beklagen, wenn ein so gutes
Hülfsmittel, wie der genannte Cephalothrypter
in den Hintergrund und schliesslich in die
Vergessenheit verdrängt würde, wesentlich aus
dem Grunde, weil mit Instrumenten anderer
Constructiou schlechte Erfahrungen gemacht
wurden. Darum wende ich mich an alle
vorurtheilslosen Fachgenossen mit der Auf-
forderung: Prüfet aber Alles und behaltet
das Gute.
Bemerkiingren über die SugrST^tiv-
therapte«
Von
Prof. Dr. Otto Binswanger in Jena.
fPorttetgunfi.J
Wie bekannt, hat gegenwärtig bei dem
Studium der hypnotischen Erscheinungen
die Gegensätzlichkeit der Ergebnisse der
Pariser Schule unter der Führung von Char-
cot und derjenigen der Nancj^er Schule zu
der Erörterung genöthigt, ob die einseitig
oder vorwaltend durch Suggestion bewirkte
Hypnose in allen Fällen derjenigen gleich-
werthig zu erachten sei, welche wir mittelst
der äusseren Einwirkungen durch Sinnenreize
ohne jede Suggestion erregt haben.
Die Antwort wird bei unbefangener Prü-
fung des vorhandenen Beobachtungsmaterials,
z. B. der Vergleichung der ersten Ergebnisse
Braid^s, der Forschungen Heidenhain^s,
der Studien der Charco tischen Schule und
nach eigenen Untersuchungen verneinend
ausfallen müssen. Die hypnotischen Zu-
stände nach physikalischen Eingriffen mit
Ausschluss der Suggestion zeigen eine grosse
Gesetzmässigkeit bezüglich der Hervorrufung
und Aufeinanderfolge der einzelnen Erschei-
nungen, nicht nur am einzelnen Versuchsob-
ject bei Öfterer Wiederholung der Versuche,
sondern auch in grossem Versuchsreihen an
den verschiedenartigsten Versuchspersonen.
Und zwar zeigt sich vor Allem, dass mittelst
dieser Vornahmen meist nur ein feststehen-
der Bruchtheil der hypnotischen Erscheinun-
gen bei jeder Versuchsperson hervorgerufen
werden kann, so lange nicht die Suggestion
zu Hülfe genommen wird, so lange also
nicht die Tabula rasa der Vorstellungstbä*
tigkeit, wie Preyer tre£Fend den geistigen
18W.J
Blntwanf«r» B«m«rkunfen Über die SugfeiÜvtherapie.
55
Zustand der Hypnotisirten bezeichnet hat,
mit den Einflüsterungen des Experimentators
bevölkert wird. Dann aber hört alle Ge-
setzmässigkeit auf; dann können beliebig
Krämpfe, Lähmungen, Anästhesien, Hyper-
ästhesien, Muskelsinnstörungen, Haliucina-
tionen u. s. w. bei ein und demselben Indi-
viduum wechselnd hervorgerufen werden,
sobald es nur in ausgiebigem Maasse sug-
gestibel ist. und weiterhin ist es mir
höchst wahrscheinlich geworden, dass die
primäre Suggestionshjpnose niemals die
Tiefe und Ausdehnung erlangen kann, wie
diejenige durch primäre und ausschliesslich
wirkende Sinnesreize (Fixation des Blickes,
leichtes Streichen u. s. w.). Es ist auch be-
merkenswerth, dass die Suggestionshyp-
nose, welche öfter wiederholtem, ur-
sprünglichem Braidismus nachfolgt,
bei alleiniger Suggestion des Schlafes
durch sei bstthätiges Auftauchen der
Erinnerungsbilder früherer hypno-
tischer Erscheinungen in der Ver-
suchsperson den ganzen Complex der-
selben zeitigen kann. Dies hat mich
in frappirender Weise ein Versuch gelehrt.
Ein junges Mädchen, welches circa 6 Mo-
nate früher durch Fixation des Blickes und
Streichen ohne alle Suggestion in tiefen
lethargischen Zustand, mit Aufhebung fast
aller Beziehungen des Ichs zur Aussenwelt
und gleichzeitiger neuromusculärer Ueberer-
regbarkeit versetzt worden war, wurde neuer-
dings durch Suggestion in hypnotischen
Schlaf gebracht; nach wenigen Augenblicken
trat der frühere lethargische Zustand mit
allen Einzelerscheinungen auf. Das Mädchen
gab nach dem Aufwachen an, beim Berühren
des Ellenbogens sofort die Vorstellung des
Fingerkrampfes („ griffe cubitale^) gehabt zu
haben. In diesem Falle ist die Erklärung
der Erscheinimgen mittelst der „indirecten^
Suggestion und der Autosuggestion durchaus
zulässig.
Wollen wir also künftighin neuere Er-
fahrungen über die Wirkungsweise hypno-
tischer Maassn ahmen, auch in therapeu-
tischem Sinne, mit denjenigen anderer Un-
tersucher vergleichen, so wird nothwendig
die Vorfrage gestellt werden müssen: hat
ursprüngliche Braid'sche Hypnose ohne
Suggestion, Braidismus mit nachfolgender
Suggestion oder primäre Suggestivhyp-
nose in der früher erörterten Bedeutung
zum Ausgangspunkte der geschilderten Er-
gebnisse gedient?
Durch diese Auseinandersetzung glaube
ich genügend gezeigt zu haben, dass ich
die genaueste Berücksichtigung der Methodik
bei Abwägung der Wirkungsweise hypno-
tischer Eingriffe im Allgemeinen wohl zu
würdigen weiss. An dieser Stelle beschäf-
tigt uns nur ein Gesichtspunkt, nämlich die
Bez)<»hungen der Methodik zur Heilwir-
kung der Hypnose. Ich habe schon früher
die Ansicht Liebeaul t^s und seiner Anhänger
gekennzeichnet; vergleichen wir, um ihren
Lehren auf den Grund zu kommen, die
„inneren" Vorgänge bei der Entwicklung der
Hypnose, soweit sie bei unserer unzuläng-
lichen Erkenntniss überhaupt klargestellt
werden können. Anhaltende, gleichförmige,
nicht ungewöhnlich starke und nicht auf-
regende Reizungen von Sinnesorganen führen
nacji Braid zum hypnotischen Zustand,
unter der Voraussetzung, dass „unter allen
Umständen" eine starke einseitige Anspan-
nung der Aufmerksamkeit („expectant atten-
tion") stattfindet.
Hier tritt also der hypnotische Zustand unter
dem Einfluss bestimmter äusserer Reize ein,
welche die psychische Beschaffenheit des
hypnotisirten Individuums, soweit es sich
um die Einführung fremder Vorstellungen
handelt, nicht wesentlich zu verändern
brauchten.
Dieser „physikalisch" erzeugte hypn.
Schlaf entspricht wohl am meisten den mag-
netischen Schlafzuständen der alten Heil-
magnetiseure und soll an sich, ohne weitere
Zuthaten des Experimentators, durch sugge-
stive Beeinflussung eine wohlthuende Ruhe
und Erholung des Kranken nach Analogie
des physiologischen Schlafes hervorbringen.
In gleicher Weise habe ich auch schon
früherhin (vergl. meine Mittheilungen in der
Realencyclop.) bei nervöser Schlaflosigkeit,
hystero-kataleptischen und somnambulischen
Zuständen Beruhigung und Schlaf durch
einfaches Zudrücken der Augen und Streichen
des Gesichts (Las^gue) erzielt, welchem erst
späterhin die Suggestion des Schlafes hinzu-
gefügt wurde.
In anderen Fällen genügte auch schon
nach Braid die „erwartungsvolle Stimmung"
im Vereine mit der bestimmten Vorstellung
des Hypnotisirtwerdens, besonders bei ein-
zelnen leicht empfönglichen Individuen, um
nach Augenschluss in Hypnose zu verfallen.
Hier wirkt also fast ausschliesslich die
spontan, auf Grund imitatorischer Vor-
gänge auftretende psychische Veränderung
der Versuchsperson, deren Vorstellungsleben
eine einseitige Concentration auf die Vor-
stellung der magnetischen oder hypnotischen
Beeinflussung erfahren hat. Diese „psy-
chische Infection" der Versuchsperson oder
besser gesagt, des zu heilenden Patienten
wird nun bei dem Verfahren der Nancyer
Schule zum Princip erhoben. Die Vorstel-
56
Blniwanfer, Bemerkungen über die Suggestivtherapie.
rlierapentlscha
Monatshefte.
lung des Schlafes wird nicht, wie falsch lieh
Herr Bernheim annimmt in Yollig harm-
loser Weise, nach Analogie des gewöhn-
lichen Einschlafens zur Zeit der Nachtruhe,
Tom Kranken selbst auf Grund natürlicher
Ermüdungsgefühle oder bestimmter, uns noch
unerklärter Ernährungszustände des Central-
nervensystems erregt, sondern ihm in völlig
wachem Zustande künstlich von aussen
zugetragen. Es wird demselben eine ihm
fremde, in bestimmten körperlichen oder
geistigen Zuständen in keiner Weise begrün-
dete Yorstellung auf gezwängt, seine geisti-
gen Vorgänge, sein Yorstelltingsinhalt werden
einer gewaltsamen Aenderung unterworfen.
Es bedingt also schon die einfache Sug-
gestion des Schlafes in der Ton Li^beault
geübten Weise eine Verkehrung bestimmter
natürlicher Vorgänge yermittelst fremder Vor-
stellungsreize, welche vom Arzte in die
associative Thätigkeit der Patienten hin-
eingeschoben werden. Oder mit anderen
Worten, wir durchbrechen mit diesen öfters
und eindringlich wiederholten Suggestionen
die selbstthätige Geistesarbeit des Patienten.
Man wird mir einwenden, dass diese üeber-
tragung von Vorstellungs- und Willensreizen
von Person zu Person ein von jeher und
überall geübter Vorgang ist, welcher aller
erzieherischen Thätigkeit und der geistigen
Fortbildung jedes Einzelnen zu Grunde liegt.
Und weiterhin wird man mit Recht sagen,
dass der Arzt fortwährend von der Macht
psychischer Beeinflussung seinen Kranken
gegenüber Gebrauch macht und schon lange
vor der modernen Suggestivtherapie die
„moralische Behandlung"' der Kranken bei
der Beseitigung gewisser Krankheitszustände,
vor Allem der Hypochondrie und der Hy-
sterie, die reichsten Früchte getragen hat.
Aber diese psychischen Hülfsmittel lassen
sich nur bei oberflächlicher Betrachtung mit
den Vorgängen bei der Suggestionshypnose
auf eine Linie stellen. Bei den ersteren
wirken wir durch die Macht einer richtigeren
Erkenntniss, durch die Gewalt eines ge-
festigteren Willens und schärfern ürtheilsver-
mögens, indem wir uns gleichzeitig bemühen,
der fremden Person die Noth wendigkeit und
die Zweckmässigkeit unserer Anschauungen
und unserer Befehle verständlich und ihrer
eigenen Denk- und Willensthätigkeit zu-
gänglich zu machen. Es bedarf hierbei der
eigensten Mitarbeit der zu beeinflussenden
Person, um diese inducirten Vorstellungen
ihrem Ich als mehr weniger wesentlichen
Bestandtheil ihrer geistigen Individualität
einzuverleiben. Das ist, wenn wir den so
beliebten neueren Ausdruck hierfür verwer-
then wollen, die Suggestion im wachen
Zustand, freilich in etwas veränderter Be-
deutung, als derselbe in den Werken über
die Suggestion sonst gebraucht wird. Das
Individuum hat die Möglichkeit, die indu-
cirte Vorstellung abzulehnen oder aufzu-
nehmen, dem fremden Willensimpuls zu
folgen oder nicht. Hier ist die Induction
von Vorstellungen Selbstzweck, dort bei der
Suggestion des Schlafes Mittel zum Zweck.
Denn bei der letzteren wird nicht das Ur-
theilsvermögen, die logische Denkfähigkeit
unserer Kranken verwerthet, nicht eine
wohlthätige Stärkung derselben erstrebt,
sondern diese gerade umgekehrt, mit ein-
seitiger Inanspruchnahme eines höchst un-
kritischen Seelenvermögens, der Einbildungs-
kraft gewissermaassen durchlöchert. Eine
vemunftgemässe Erziehung des Kindes und
des Kranken bemüht sich, den Körper in
die straffe Zucht des Geistes zu bringen,
den Einfluss körperlicher Zustände, z. B.
Ton Schmerzen, auf die seelischen Vorgänge,
auf die Gemüthslage, auf die Richtung des
Denkens, auf die Willenshandlungen mög-
lichst einzudämmen, dieselben also abzuhärten
und geistig freier zu machen. Gerade in
unserem nervösen Zeitalter hat die erziehe-
rische Aufgabe, die geistige Individualität
genügend zur Bekämpfung imd Unterdrückung
einseitiger und übermässiger Beeinflussung
psychischer Vorgänge durch körperliche Zu-
stände und umgekehrt heranzubilden, eine
erhöhte Bedeutung gewonnen. Statt dessen
macht die moderne hypnotische Suggestiv-
therapie es sich zur Aufgabe, diese Ver-
werthung von Vorstellungsreizen zur Er-
zeugung bestimmter körperlicher Verän-
derungen künstlich zu steigern und zu
züchten, d. h. den Kranken vorüber-
gehend hysterisch zu machen. Auf
dieser Bahn ist die vorwaltende Benutzung
der Suggestion zur Erzielung des hypno-
tischen Schlafes der erste Schritt.
Ich gelange also zu dem Schlüsse, dass
die Erzeugung des hypnotischen Zustandes
mittelst der Nancy er Methode durch diese
geschilderte psychische Veränderung der
Versuchsperson nicht zu unterschätzende
Gefahren birgt, welche naturgemäss mit
jeder Wiederholung der Versuche resp. der
hypnotischen Behandlung sich steigern. Es
würde, von diesem Gesichtspunkte ausgehend,
die Erzeugung des hypnotischen Schlafes
mittelst physikalischer Maasnahmen sogar
den Vorzug verdienen. Doch bergen diese vne-
der anderweitige üebelstände und unange-
nehme Folgeerscheinungen, wie ich schon
oben an der Hand der Erfahrungen der
alten Heilmagnetiseure kurz erwähnt habe.
Die Nancyer Schule betont gerade als
m Jahrgioif .1
Febrnju- 1889.J
Blntwanfer, Bemerkuofen Üb«r di« dufgeitivth«rapi«.
57
Hauptvorzug ihres Yerfahrens, dass dasselbe
ohne alle Nebenwirkung den hypnotischen Zu-
stand in der Form eines Schlafes heryorrufe,
welcher sich Ton dem physiologischen Schlafe
in nichts unterscheide. Also abgesehen Yon
dem Vorgänge bei der Hervorrufung dieses
Schlafes würde nach den Ausfuhrungen
Liebeault's, Bernheim's u. A. der hypno-
tische Schlaf an sich ein ganz gefahrloser
Zustand sein, der ohne schädliche Folgen
in ungezählter Aufeinanderfolge immer wie-
der bewirkt werden darf. Ich will auf diese
Beweisführung hier nicht näher eingehen, es
sei mir nur gestattet, darauf aufmerksam
zu machen, dass wir von den inneren Vor-
gängen beim natürlichen Schlafe noch so
wenig wissen, dass eine Yergleichung des-
selben oder sogar eine Identificirung mit
dem künstlichen, hypnotischen Schlafe leicht
begonnen und behauptet, aber schwer be-
wiesen werden kann. Charcot weist in
einer seiner letzten klinischen Vorlesungen
darauf hin, dass die „Schlafattaquen" im
Verlaufe schwerer hysterischer Krankheits-
iSAle durch ganz gesetzmässige Kennzeichen
Tom - natürlichen Schlafe scharf unterschieden
werden können und stellt gerade wegen die-
ser Merkmale jene den hypnotischen Schlaf-
zuständen zur Seite. Freilich handelt es
sich bei dieser Aufstellung Charcot^ s um
hypnotische Erscheinungen bei der grande
hysterie, welche sich mit denjenigen bei der
n kleinen^ Hypnose nicht völlig decken. Aber
auch bei letzterer lehren mich meine eigenen
Erfabrungen, dass einzelne der von Char-
cot und seiner Schule hervorgehobenen Er-
scheinungen dieses künstlichen Schlafes bei
genauer Untersuchung auch bei dem Schlafe
der gewöhnlichen Hypnose der Nancyer
Schule nachgewiesen werden können, am
häufigsten die leichten krampfartigen Zuckun-
gen der Augenlider oder leichte Muskel-
spannungen einzelner Muskelgruppen der
Extremitäten.
Aber nicht die Erzeugung des hypnoti-
schen Schlafes allein ist die Aufgabe des
Heilhypnotiseurs, sondern die Verwerthung
dieses Schlafes zur Anwendung heilkräftiger
Suggestionen. Zu diesem Zwecke ist es
nothwendig, dem „plastisch" gemachten Ge-
hirne eine Reihe von Vorstellungen einzu-
flüstern, welche bestimmte körperliche oder
auch geistige Krankheitszustände zu besei-
tigen im Stande sind. Auf andere sugges-
tive Einwirkungen, z. B. die Erregung von
Hallucinationen, Krämpfen u. s. w. habe ich
hier nicht näher einzugehen. Forel giebt
in seinem letzten Vortrage eine Zusammen-
stellung „derjenigen Krankheiten und krank-
haften Zustände, bei welchen die Anwendung
der Suggestion Erfolge aufzuweisen hat:
1. spontaner Somnambulismus; 2. Schlaf-
losigkeit; 3. Schmerzen aller Art; Kopf-
schmerzen (Migräne), Neuralgien (Ischias,
Zahnschmerzen u. s. w.); 4. functionelle
Lähmungen und Contracturen ; 5. Alkoho-
lismus und Morphinismus; 6. Rheumatismus;
7. Appetitlosigkeit; 8. Stuhlverstopfung und
Diarrhoe; 9. zur Erzielung chirurgischer
Anaesthesie bei Zahnextraction , auch schon
zur Anaesthesie bei der Geburt verwandt.
Dabei muss man sich aber hüten, vor dem
Patienten grosse Vorbereitungen zu treffen
und ihm dadurch Angst einzuflössen, indem
sonst die Suggestion sicher misslingt.
10. Menstruationsstörungen (Metrorrhagie
und Amenorrhoe); 11. Chlorose; 12. Stot-
tern, nervöse Sehstörungen; 13. neurasthe-
nische Beschwerden; 14. Uebligkeit, See-
krankheit; 15. Enuresis nocturna; 16. ner-
vöse Hustenanfälle (so bei einem Falle von
Emphysem); 17. hysterische Störungen. Da-
bei ist aber zu bemerken, dass Hysterische
wie auch Geisteskranke gewöhnlich schwer
zu hypnotisiren sind, sodass die Erfolge oft
ausbleiben.^
Man wird dieser Aufzählung einen Man-
gel an Reichhaltigkeit und Mannigfaltigkeit
nicht vorwerfen können; man wird aber
schon aus ihr den Schluss ableiten können,
den ich früher^) aus eigenen Erfahrungen ge-
zogen hatte, dass es sich hierbei vornehm-
lich um die Beseitigung von Sympto-
men und nicht um Heilung von Krank-
heiten gehandelt hat.
Forel, welcher als erfahrener Nerven-
pathologe und hervorragender Anatom die
Tragweite anatomischer Läsionen wohl zu
würdigen weiss, verwirft die von Bernheim
u. A. aufgestellte Behauptung, dass auch
schwere organische Erkrankungen durch
die Suggestivtherapie geheilt werden können,
üeberhaupt ist dieser letztgenannte Autor
ungleich kühner und erfolgreicher in seinen
Suggestivcuren gewesen. Hier, wo es sich
um die Feststellung des Maasses von Beein-
flussung der Patienten durch den Hypnoti-
seur handelt, kann ich nur die Ergebnisse
Bernheim^s kurz berühren und darf wohl
auf die treffende Kritik verweisen, welche
Seeligmüller den unsicheren Diagnosen
des Nancyer Klinikers angedeihen lässt.
Bern heim hat von 10 organischen Afifec-
tionen des Nervensystems 7 „geheilt", 2 „ge-
bessert" und 1 „ohne Erfolg" behandelt,
ausserdem „heilt" und „bessert" er chroni-
schen Gelenkrheumatismus, Gicht, Ischias,
^) Vgl. meinen Vortrag auf dem deutschen
psvchiatr. Congress 1887. Referat in dieser Zeit-
schrift Jahrg. 1887. November.
8
58
Blnswanfer, B«m«rkunf«n üb«r die Sugfeitlvtberapie.
[
MonatahefteL
traumatische ^Neuritis \ also entzündliche,
organische Nervenaffectionen u. A. m. Aehn-
liche Erfolge hat Dr. Renterghem in
AmsterdanpL erzielt, u. A. 2 Fälle yon spi-
naler Kinderlähmung, 3 Fälle von Epilepsie,
7 Fälle von Taubheit „ gebessert ** und 1
chronisches Fussgeschwür, 1 Zahnfleisch-
abscess, 6 Contusionen, 4 Darmkatarrhe
u. 8. w. „geheilt".
Es war noth wendig, schon an dieser
Stelle auf den weittragenden Einfluss der
Heilsuggestionen aufmerksam zu machen,
um den bedeutsamen Eingriff yor Augen zu
fuhren, welchen der Hypnotiseur bei dem
^^schlafenden" Kranken bewirkt. Durch die
Steigerung der Einbildungskraft, durch ein-
seitige Concentration der Vorstellungsthätig*-
keit auf bestimmte, mit den zu behandeln-
den krankhaften Erscheinungen in engstem
Zusammenhange stehende Ideenkreise, durch
kunstlich in das hypnotisirte Individuum
hineingetragene Wiilensimpulse zur Ein-
leitung bestimmter Willenserregung oder
Hemmung krankhafter Empfindungen, kurz
durch alle Hülfsmittel dieser Psycho-
therapie gelingt es thatsächlich, eine
ganze Reihe der oben geschilderten
Krankheitserscheinungen zu beseiti-
gen. Das „wie viel" und „wie lange" die-
ser Heilerfolge wird uns zum Schlüsse be-
schäftigen, ich habe hier nur die Beziehun-
gen der Methode zum Erfolge in Anbetracht
der behaupteten „Harmlosigkeit" des Ein-
griffes dem Leser noch klarer zu stellen.
Liebeault und nach ihm Bernheim
unterscheiden, wie ich schon Eingangs be-
merkt habe, in ziemlicher üebereinstimmung
mit den deutschen Heilmagnetiseuren , wenn
auch schärfer ausgearbeitet, eine Reihe von
Intensitätsgraden des hypnotischen Schlafes.
Für die suggestive Einwirkung auf die
Kranken genügen gelegentlich auch die
„leichteren" Grade der Hypnose, bei welchen
denselben die Erinnerung an die Vorgänge
während der Hypnose nach dem Erwachen
erhalten bleibt. Am ausgiebigsten und wirk-
samsten können aber vielseitige Suggestio-
nen in den „höheren" Graden des „küost-
lichen Somnambulismus" ausgeführt werden,
in welchen der Kranke in innigstem und
ausschliesslichem Rapport mit dem Hypno-
tiseur steht, und in vielen, aber nicht allen
Fällen ein willenloses Werkzeug desselben
geworden ist. In einer Zusanmienstellung
Li^beault^s befanden sich im Jahre 1880
unter 1011 Personen, welche von ihm hyp-
notisirt worden waren, 162 „Somnam-
bulen"; überhaupt nicht hypnotisirbare,
„widerspenstige" Individuen gab es darunter
nur 27. In einer späteren Statistik, welche
ein Jahr umfasst, fand er unter 100 ohne
Auswahl „hergenommenen" Personen 15 bis
18 Somnambulen. In den leichteren Gra-
den, besonders denjenigen des „tiefen" und
„sehr tiefen" Schlafes Liebeault's (3. und
4. Grad dieses Autors) oder der 4., 5. und
6. Stufe der hypnotischen „Beeinflussung^
Bernheim^s wurden schon eine Reihe sug-
gestiver Einwirkungen insbesondere auf mo-
torische Vorgänge (Katalepsie und Automa-
tismus) hervorgerufen, die auch trotz der
gelegentlichen Behauptung der Kranken,
nicht geschlafen zu haben, „von der Schwä-
chung ihres Willens oder ihrer Widerstands-
kraft" Zeugniss geben. Ueber den Ein-
fluss der Suggestionen in den „höheren^
Graden oder Stufen belehren uns am an-
schaulichsten und erschöpfendsten die Dar-
stellungen von Bernheim im 4. Capitel seines
Buches u. von Gh. Riebet. Die Thatsächlich-
keit der dort geschilderten Zustände künstlich
erzeugter Geisteskrankheit ist unbestreitbar.
Die Versuche besitzen den höchsten wissen-
schaftlichen Werth und finden von Seiten des
Psychiaters dankbare Anerkennung, da sie ein
Mittel darbieten, uns über viele dunkle Fragen
der Psychopathologie Aufklärung zu bringen.
Wir haben durch diese Studien Vorgänge
als wirklich vorhanden und jeder Zeit bei
„geeigneten" Individuen erzeugbar gefunden,
die wir wohl früher als Ausgeburten tollster
Phantasie in Märchenbüchern und Räuber-
romanen belächelt haben, die wir aber in
dieser nackten Thatsächlichkeit jeder Zeit
„auf Grund aller Erfahrung" bestritten
haben würden.
Dieses ihr bedeutsamer theoretischer und
wissenschaftlicher Werth. Aber die prak-
tischen Consequenzen für die Anwendung
des Somnambulismus zu Heilzwecken! Die
Zertrümmerung der eigenen Persönlichkeit,
welche schon in den Vorgängen behufs Er-
zielung des Schlafzustandes ihren Anfang
genommen hat, wird durch die Ausführung
der Heilsuggestionen fortgesetzt und vollen-
det, jene „hysterische" Grundrichtung des
Vorstellens und Wollens weiter ausgebildet.
Die einzelne hypnotische Sitzung wird wohl
bei weiser Beschränkung der Zahl und des
Inhalts der Suggestionen auf das nothwen-
digste Maass zur Erreichung einer bestimmten
Heilwirkung ohne länger dauernden Schaden
für den Kranken sein. Der „Rapport" mit
dem Hypnotiseur, die Willenslosigkeit, die
einseitige Steigerung der Einbildungskraft,
die Unterbrechungen der gesetzmässigen Be-
ziehungen des Ichs zur Aussenwelt und an-
dere Zustandsformen und Begleiterscheinun-
gen dieser „höheren" Grade der hypnotischen
Beeinflussung besitzen anfanglich keine weiter-
in. JaluTffaiiff.l
Febrnar 1889J
Blnswan^er, Bemerkunf«n Ober di« 8uggeitivtli«nLpl«.
59
gebenden Folgen für die hypnotisirten Per-
sonen im wachen Zustand, sondern gleichen
sich rasch und wahrscheinlich völlig aus.
Wird aber lange Zeit hindurch das Ver-
fahren fortgesetzt resp. öfters wiederholt, so
werden jene bedauern swerthen seelischen
,^ Automaten^ gezüchtet, welche die Schil-
derungen Bernheim^s und auch die obigen
Beispiele Liebeault's uns vor Augen fuhren.
Der willenlose Zustand solcher Kranken,
die nach Aeusserungen Liebeault^s mehr als
hundert Mal zu Heilzwecken hypnotisirt
worden waren, dauert auch im wachen Zu-
stande an und äussert sich durch die Mög-
lichkeit der Fortdauer der Suggestivein-
wirkung nach dem Erwachen*) (posthyp-
notische Wirkungen) und durch die Er-
zeugung von Suggestiywirkungen ohne alle
Hypnose im wachen Zustande. Bis zu
welcher pathologischen Steigerung des Ein-
flusses der Einbildungskraft müssen jene
Kranken gelangt sein, welchen Forel „wegen
Schlaflosigkeit verschiedenartige Amulette"
überreicht hat, „deren Betrachtung den ur-
sprünglich suggerirten Eintritt des Schlafes
regelmässig hervorruft" I Ich habe schon in
meinen früheren Arbeiten darauf hingewiesen,
dass die psychische Thätigkeit Schwach-
sinniger ganz ähnliche Beeinflussungen
ihrer Anschauungen und Willensrichtungen
darbietet.
Ich glaube mit diesem Hinweise auf die
dauernde seelische Beeinflussung der Kran-
ken durch die Suggestivbehandlung dargethan
zu haben, dass diese Methode keineswegs
harmlos sei und ohne Gefahr „unzählige
Male" wiederholt werden kann.
Es ist mir wohl bekannt, dass glück-
licher Weise nur bei einem geringen Bruch-
theil dieser künstlichen Somnambulen alle
selbstthätige seelische Arbeit vernichtet
werden kann, sondern bei der Mehrzahl der
Fälle die Kranken die Kraft haben, ge-
wissen Suggestionen gegenüber, welche dem
Kerne der JPersönlichkeit zuwider sind, sich
ablehnend zu verhalten. Dadurch wird die
Gefahr vermindert, dass gewissenlose Hyp-
notiseure ihre „Medien" zu unsittlichen und
strafwürdigen Handlungen missbrauchen.
Diese Seite der Frage, welche von Li^geois,
Ladame, v. Lilienthal u. A. ausführlicher
bearbeitet worden ist, habe ich hier nicht
weiter zu erörtern, da sie ja bei der thera-
peutischen Anwendung der H. durch
*) Ich hatte früher (vergl. meine Mittheilangen
auf dem psychiatr. Congress im Jahre 1887) diese
posthypnotischen Sa^gestionen nicht ans eigener
Krfahnmg gekannt; im Laufe des letzten Jahres
hatte ich aber Gelegenheit, dieselben in ausgiebig-
ster Weise bei einem 20j. Hysteroepiicptiker zu
Stadiren.
Aerzte hoffentlich keine praktische Be-
deutung gewinnt. Aber diese Widerstands-
kraft der Patienten gegen einzelne Suggestio-
nen hebt die Gefahren der H. nicht auf,
wenn sie dieselben wohl in der angeregten
Richtung vermindert; ebenso wenig ist die
„Desuggestionirung" vor dem Aufwecken
bezüglich der dauernden Beeinflussung der
Kranken und der Veränderung ihrer seelischen
Vorgänge von wesentlicher Bedeutung, da
ja gerade in dem Fortwirken bestimmter
Beeinflussungen auch im wachen Zustande
(z. B. bei der Hervorruf ung oder Unter-
brechung der Menstruation für einen be-
stimmten Zeitpunkt) der Hauptnutzen der
Behandlung beruht.
Auf dem Umstände, dass nicht alle
Suggestionen wirksam werden beruht auch
die Unsicherheit des Erfolges, bezüglich der
Einflüsterung Li^beault's, die Kranken
würden nach dem Aufwachen keinerlei un-
angenehme körperliche Nachwirktmgen des
Verfahrens verspüren. Dass solche trotz
dieser Vorsicht vorhanden sein können, be-
weist ein Beispiel Bernheim^s. In seiner
vierten Beobachtung der „Typen von Som-
nambulen" schildert er die Versuche an
einem 39 jährigen früheren Unterofficier,
welcher keinerlei „nervöse Vorgeschichte"
hat, gut schläft und an keinen Anfällen
von spontanem Somnambulismus leidet.
Bernheim konnte an ihm nichts Abnormes
finden, „abgesehen von einer sehr deutlichen
und fast allgemeinen Analgesie ohne Empfin-
dungsstörungen, welche ich auf die wieder-
holten hypnotischen Versuche zurück-
führen möchte" (pag. 62 der Freud-
schen Uebersetzung). Ich weiss nicht, wie
Bernheim mit diesem Befunde einer dauern-
den Gefühlsstörung seine Lehre der abso-
luten Harmlosigkeit und des rein psychischen
Einflusses der Hypnose in Einklang zu
bringen vermag. Mich erinnert diese „all-
gemeine Analgesie ohne Empfindungsstörung"
an ganz gleichlautende Erscheinungen, welche
ich nicht selten bei Epileptikern mit schweren
psychischen Aequivalenten auch ausserhalb
jedes Krampfanfalles zu beobachten Gelegen-
heit hatte. Hier wie dort schwere Bewusst-
seinsstörungen mit delirienhafter Verworren-
heit und hallucinatorischen Traumbildern;
im erstem Falle willkürlich in den sonst
gesunden Menschen hineinexperimentirt, beim
Epileptiker aber als spontan entstandene
Krankheitserscheinung. Ich reihe hier zwei
eigene Beobachtungen unangenehmer und
selbst gefahrvoller Folgeerscheinungen hyp-
notischer Versuche an.
Der erste Fall betrifft eine 21jährige
Wärterin, welche vor 2 Jahren von mir
8*
60
ftintwanger, fiemerkunaren Über die duitK^*tivUieMpi«.
piieriLpeatlMlb*
L Monataheftei
etwa 12 — 15 Mal hypnotisirt worden war,
anfäDglicb durch Festbalten ihres Kopfes
zwischen meinen Händen und Fixation des
Blickes mittelst Anstarren meiner Augen,
später (nach der 4. Sitzung) einfach durch
die befehlende Suggestion des Schlafens mit
gleichzeitigem Bedecken ihrer Augen mit
meiner Hand. Sie verfiel regelmässig in
tiefen lethargischen Zustand mit deutlich aus-
geprägter neuromuskulärer üebererregbar-
keit im Sinne Charcot's. Der letzte Versuch
wurde gelegentlich eines Vortrages über
diesen Gegenstand in der hiesigen medicinisch-
naturwissenscbaftlichen Gesellschaft ausge-
führt. Das intelligente, ruhige, früher in keiner
Richtung hin nervös beschaffene Mädchen —
wohl aber ist die Mutter Potatrix; 2 Schwe-
stern von ihr sind leicht erregbare Personen
mit entschieden hysterischer Gemüthsart und
Neigung zu convulsiblen Erscheinungen,
Weinkrämpfen, Globus- und Clavuserschei-
nungen — war durch die Versuche zerstreut,
träumerisch und schreckhaft geworden, so
dass ich dieselben aufgab. Diese Folgezu-
stände glichen sich bald anscheinend wieder
völlig aus. 6 Monate nach der letzten
Hypnotisirung wurde das Mädchen plötzlich
von einem schweren rechtsseitigen Lähmungs-
zustand befallen. Eine genaue Schilderung
dieses Anfalles, welcher sich in einem
thüringischen Badeorte abspielte, vermag
ich nicht zu geben. Es ist mir nur so viel
bekannt geworden, dass das Mädchen schon
mehrere Tage vor dem Einsetzen der Läh-
mung von einem intensiven rechtsseitigen
Kopfschmerz befallen wurde, dann plötzlich
auf einem Spaziergang zusammenbrach und
in bewusstlosem Zustand in ihre Wohnung
getragen wurde. Die Bewusstlosigkeit dauerte
3 Tage an; der Anfall begann mit leichten
Zuckungen im rechten Arm und Bein; nach
dem Aufwachen war sie rechtsseitig — an-
geblich mit Betheiligung des Mundfacialis
und der Zunge — gelähmt, der „Geschmack
war ganz weg, das rechte Ohr horte schlech-
ter". Der behandelnde Arzt diagnosticirte
eine linksseitige Himembolie. Nach drei
Wochen waren alle Erscheinungen wieder
geschwunden, doch lässt sich noch gegen-
wärtig (l^/a Jahre später) eine deutliche
Abschwächung der motorischen Kraft der
rechten Hand nachweisen, indem der Hände-
druck dynamometrisch gemessen links 70^
(28 Kilo), rechts 40° (15 Kilo) beträgt.
Irgend welche anderweitige hysterische Er-
scheinungen bestehen zur Zeit nicht, insbe-
sondere sind die Gesichtsfelder, der Gaumen-
reflex, Geschmack und Gebor intact. Auch
der geistige Zustand ist völlig normal.
Der zweite Fall betrifift das 12jährige
Kind, das ich schon oben erwähnt habe.
Die Kranke stammt von einem an Dementia
paralytica zu Grunde gegangenen Vater und
einer völlig nerven gesunden Mutter. Es ist
mit ziemlicher Sicherheit festgestellt, dass
das Kind geboren wurde zu einer Zeit, als
der Vater schon erkrankt war. Im 9. Lebens-
jahre bestand bei dem Mädchen längere Zeit
hindurch zuerst ein nervöser Husten und
später eine hysterische Aphonie. Im 1 1 . Jahre
entwickelte sich langsam unter heftigen
reissenden und stechenden Schmerzen bei
allen activen Bewegungen der rechten Hand
und der Finger eine Beugecontractur dieser
Hand und Finger, welche allen Behandlungs-
methoden (Faradisation, Massage, passiver
Gymnastik) trotzte. Im Frühjahr des ver-
gangenen Jahres wurde mir die Kranke zu-
geführt, ein verhältnissmässig kleines, blasses
Kind von schlechtem Ernährungszustande
mit scheuem, ängstlichem Verhalten, aber
guter intellectueller Entwickelung. Ich be-
gann bei der früheren Erfolglosigkeit der
anderweitigen, zu Hause versuchten Hilfs-
mittel die suggestive Behandlung. Die
Hypnose gelang überaus leicht; die Kranke
wurde auf einen Di van gelagert, die Augen
mit meiner Hand bedeckt und langsam
und sanft der Schlaf in der von L le-
be au It angegebenen Weise suggerirt. So-
dann wurden die Vorstellungen auf das
kranke Glied gelenkt, die Versicherung er-
theilt, dass die Behandlung gar nicht schmerz-
haft sei und dann der Befehl gegeben, die
Finger langsam zu öffnen. Nach 20 „Sitzun-
gen" war die Contractur beseitigt, die in
der Hypnose ausgeführten gymnastischen
Hebungen der Finger und der Hand auch
im wachen Zustande ohne Schmerz ausführ-
bar. Doch klagte die Mutter gegen Ende
der Behandlung — es fanden wöchentlich
2 — 3 Hypnotisirungen statt — über die
eigenthümliche Schlä&igkeit des Kindes, das
ganz interesselos geworden sei und „wo es
geht und steht", auf der Strasse, beim Lesen,
Sprechen u. s. w. plötzlich einschlafe. Ich
schickte dann die Kranke den Sommer über
in die Thüringer Berge und Hess dieselbe
unter der Aufsicht eines Collegen, den ich mit
der hypnotischen Behandlung genau in der
bisher geübten Form bekannt machte, und
welchen ich bat, falls die Contractur sich
wieder einstellte, die Suggestionen und Finger-
übungen in der Hypnose auszuführen. Denn
der Erfolg der Behandlung war noch unzuläng-
lich; wurde die hypnotische Behandlung 8 — 14
Tage ausgesetzt, so kehrten die Schmerzen
und auch die Contractur wieder. Die hyp-
notische Cur musste auch dort bald ausge-
setzt werden, da die „Schlafsucht^ immer
m. Jalirgaiiff.1
Febmar 1889.J
Binswanfer, Bemerkungen über die Suggeativtherapie.
61
mehr zunahm und der Arzt sowie die Mutter
für den geistigen Zustand der Kleinen Be-
fürchtungen hegen mussten. Anfang Novem-
ber sah ich das Kind wieder, schlaff und
schläfrig, mit der Gontractur wie im Früh-
jahr! Ich isolirte dasselbe von der überaus
besorgten und zu nachgiebigen Mutter, liess
allgemeine Korpermassage mit Ausnahme des
kranken Gliedes ausfuhren, sorgte für reiche
Nahrungsaufnahme, eine genaue Regelung
der Lebensweise, yerordnete Soolbader, leichte
Spiele, mechanische Beschäftigung und ging
dann langsam zu einer methodischen Uebung
des rechten Armes und leichten passiven
Bewegungen der zur spontan Faust geballten
rechten Hand und Finger über. Später wurden
leichte active Bewegungen unter steter Hebe-
voller Aufmunterung des Selbstvertrauens
und der Tapferkeit der Kleinen zugefügt,
und nach 7 Wochen war der allgemeine Er-
nährungszustand gebessert, die Schläfrigkeit
geschwunden und die Gontractur fast völlig
beseitigt. Alles ohne Hypnose I Ich ent-
liess zu Weihnachten das Kind nach Hause
mit den bestimmtesten Anordnungen für die
Fortsetzung des Gurverfahrens und hoffe
auf diesem entschieden ungefährlicheren
Wege die volle Gebrauchsföhigkeit der rechten
Hand noch zu erreichen, freilich ohne Hoff-
nung, damit die krankhafte Beschaffenheit
des armen Kindes definitiv bekämpft zu haben.
Man verzeihe mir diese ausführlichere
Darstellung des Falles, aber ich glaube da-
mit illustriren zu können, dass auch die
^ leichteste^ und zweckmässigste Hypnose
Schaden bringen kann und dass auch alle
Präventivsuggestion des nachherigen Wohl-
befindens gerade gegen diese Zustände von
Narkolepsie nichts hilft. Weiterhin beweist
er, dass keine dauernde Besserung durch
die hypnotische Psychotherapie bewirkt wer-
den konnte und schliesslich, dass andere
Behandlungsmethoden Gleiches und mehr er-
reichen Hessen.
Ich hege nicht die Erwartung, durch
diese Mittheilungen die fanatisirten Anhänger
der modernen Nancy er Schule irgendwie in
ihren Urtheilen und Anschauungen beein-
flussen zu können. Die Macht der Auto-
suggestion ist zu gross und der Einwand zu
wohlfeil, dass diese Zwischenfälle (accidents)
der fehlerhaften Methodik meiner üner-
fahrenheit und Unzulänglichkeit zugerechnet
werden müssen. Ich könnte diesen Einwand
kaum zurückweisen, wenn es sich bei der
ersten Beobachtung um einen Krankheits-
zustand in directem Anschluss an die Hypnose
gehandelthätte,oder ich durch lange fortgesetzte
gewaltthätige physikalische Maassnahmen auf
das Mädchen eingewirkt hätte. Aber dieser
schwere hysterische Zustand nach leichten,
kurzdauernden Sitzungen, ohne ausge-
dehnte suggestive Beeinflussung im hypno-
tischen Zustande und 6 Monate nach der
letzten Hypnose ! Und im zweiten Falle bin
ich sklavisch den Vorschriften der Nancyer
Meister gefolgt und dennoch dieser Miss-
erfolg!
Da glaube ich richtiger zu schliessen,
wenn ich annehme, dass der oben citirte
Satz Kluge^s noch heute zu Recht besteht
und dass es unmögHch ist, die Hypnose zu
dosiren und ihre Fernwirkungen genau vor-
her abzuschätzen.
fSchlUMt folgt.J
(Aus d«r paychUtriachen Klinik za Jen».}
Die OpiumbehaDdliingr bei Psychosen«
Von
Doceni Dr. Theodor Ziehen,
Hausarzt d«r Irren-HeilanstaU zu Jena.
Die Opiumbehandlung bei Psychosen ist
mehrere Jahrhunderte alt und trotzdem stehen
sich auch heute noch zwei durchaus ent-
gegengesetzte Ansichten über den Werth der-
selben gegenüber. Eiue lange Reihe z. T.
grosser Namen ist dafür und dawider ein-
getreten. Derjenige, der in Deutschland
mit der grössten Begeisterung die Allmacht
des Opiums verfocht, war H. Engelken*).
Auf der Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte zu Bremen i. J. 1844 empfahl
er das Opium, dessen specicUe Anwendungs-
weise ein Geheimniss seiner Familie ge-
wesen war, bei frischen Manien und Me-
lancholien in Dosen von 0,18 — 0,96 g und
verglich die Sicherheit seiner Heilwirkung
bei diesen Psychosen geradezu mit der des
Chinins bei Intermittens ; in vier bis sechs
Wochen sollte Gen esung eintreten . Engelken
soll jährlich 40^ Opium verbraucht haben*).
Die Kritik blieb nicht aus. Die Mehrzahl
der Psychiater verlangte eine Einschränkung
der Opiumtherapie auf bestimmte Indica-
tionen. So hob L. Meyer^) die günstige
Wirkung des Opiums in den Fällen hervor,
wo als ätiologisches Moment der Psychose
Vorgänge in den Sexualorganen in Betracht
kommen. Aus der besonders günstigen Wir-
kung des Opiums bei Kranken mit starker
Inanition glaubte man besondere trophische
') Vgl. auch Fr. Engelken, AUgem. Ztschr. 1.
Psychiatrie. Bd. 8.
') Vgl. aach H. Engelkeo jun., AUgemeiDe
Ztschr. f. Psychiatrie. Bd. 41.
') Allg. Zeitßchr. f. Psychiatrie, Bd. 17.
62
Zieheii» Die OpiumbehaBdlung bei Piyohoien.
rliwapamlMlM
MnnatalMflift.
Wirkungen des Opiums deduciren zu können.
Ob bei der Manie das Opium indicirt sei,
ob mehr bei der passiven oder activen Me-
lancholie, liess sich nicht übereinstimmend
feststellen. Nur darin schien grossere üeber-
einstimmung zu herrschen, dass die psychische
Hyperästhesie sowohl der Melancholie (na-
mentlich in deren Beginn) als auch der
Manie (namentlich im Reconvalescenzstadium)
Opiumbehandlung indicire. Die acute hal-
lucinatorische Paranoia, welche als dritte
Hauptform der acuten Psychosen neben der
Manie und Melancholie zu erwähnen wäre,
ist gerade von denjenigen Autoren, die
grossere Versuchsreihen über den therapeu-
tischen Werth des Opiums angestellt haben,
meist von der reinen Manie und Melancholie
nicht scharf getrennt worden. Im Allgemeinen
betrachtete man die unter mehr intellec-
tualen Symptomen verlaufenden Psychosen
als weniger passend für eine Opiumbehand-
lung; insbesondere die affective Störung
sollte zur Opiumtherapie auffordern^).
Einen besonders mächtigen Impuls hat
schliesslich die in Rede stehende Behand-
lung noch durch die lUenauer Schule er-
halten. Doch war es vorzugsweise das
Alkaloid des Opiums, das Morphium, welches
von dieser Seite für die Behandlung der
acuten Psychosen empfohlen wurde*).
Auch die gebräuchlichen Lehrbücher der
Psychiatrie enthalten durchaus noch nicht
übereinstimmende Angaben, wann die Opium-
behandlung sich empfiehlt und in welcher
Weise dieselbe anzuwenden ist.
Auf der hiesigen psychiatrischen Klinik
habe ich in den letzten 2 Jahren syste-
matisch eine grosse Zahl der zur Aufnahme
gelangenden acuten Formen der Manie, Me-
lancholie und Paranoia mit Opium behandelt
und zwar nach den verschiedensten Methoden.
Im Ganzen wurden über 18 000 Einzeldosen
gegeben, die Hohe der Einzeldosis schwankte
zwischen 0,025 und 0,4 g, der Gesammt-
verbrauch überstieg 3 Kilo, die höchste Tages-
dosis betrug 1,5 g. Als Präparat wurde
fast ausschliesslich Opium purum verwandt,
Extr. Op. aq., Tinct. Op. spl. und endlich
Morphium nur bei ganz bestimmten, sehr
eingeschränkten Indicationen und zum Ver-
gleich. Die behandelten Fälle betreffen 43
Melancholien (7 Männer, 36 Frauen), 4 ty-
pische Manien (2 Männer, 2 Frauen) und
50 Paranoia-Formen (27 Männer, 23 Frauen).
Selbstverständlich sind hierbei auch diejenigen
*) Z. B. Hergt. Allg. Ztschr. für Psychiatrie.
Bd. 33.
*) Schule, Klinische Psychiatrie. 1886. S. 42,
S. 89, S. 146 et passim. Ferner Schule, Dysphrenia
neuralgica. Garlsruhc 1867.
Fälle eingerechnet, welche acut einsetzten,
weiterhin aber chronisch verliefen. Die hin-
gegen von Anfang an chronischen Charakter
tragenden Formen der primären Paranoia
sind ausgeschlossen worden, ebenso alle schon
in ein secundäres Stadium eingetretenen
Fälle.
i. Melancholie.
Unter den 43 mir zur Verfügung stehenden
Fällen, welche mit Opium behandelt wurden,
befinden sich 8, in welchen trotz einer con-
sequenten , methodischen Opiumbehandlung
eine Heilung nicht erzielt werden konnte.
2 Fälle starben an intercurrenten Krank-
heiten, 2 wurden von den Verwandten unserer
weiteren Behandlung entzogen, der Rest ging
in Genesung über, d. h. also von 39 in Be*
tracht zu ziehenden Fällen 31 oder 79%.
Dieser therapeutische Erfolg ist wesent-
lich gunstiger als bei der nichtmedicamen-
tosen Behandlung der Melancholien. Für
die letztere beträgt ceteris paribus die Zahl
der Heilungen für die hiesige Anstalt c. 60 %.
Andere Autoren geben überhaupt die Procent-
ziffer der genesenden Melancholischen so
hoch an.
Ist dieser Erfolg nun allein dem Opium
zuzuschreiben? Keinesfalls. Bettruhe, zweck-
mässige Ernährung, angemessene psychische
Behandlung, Beschäftigung im richtigen Zeit-
punkt sind ganz ebenso wesentlich, ja noch
wesentlicher. Hingegen bemerke ich aus-
drücklich, dass in den obigen Fällen die
Opiumbehandlung niemals mit hydropathischer
Behandlung verbunden worden ist. Auch
von der oft sehr wesentlichen Unterstützung
der Behandlung der Melancholie durch Mas-
sage wurde, um eindeutigere Ergebnisse zu
erhalten ; in den obigen Fällen abstrahirt.
Lässt sich nun auch bestimmter angeben,
bei welchen Formen der Melancholie das
Opium besonders günstig wirkt und bei
welchen es versagt? Von jenen 8 ungeheilt
gebliebenen Fällen betreffen 6 eine ganz be-
stimmte Form der Melancholie. Diese Form
verläuft wie die typische Melancholie unter
depressiven Affecten, namentlich Angst, unter
Wahnideen, die inhaltlich mit den typischen
Versündigungsideen durchaus übereinstimmen,
und unter Hemmung der Ideenassociation.
Aber während bei der typischen Melancholie
alle Wahnideen erst secundär als Erklärungs-
versuche der krankhaften Affecte auftreten
und nach Zahl und Intensität den letzteren
annähernd entsprechen, ist dieses Verhältniss
bei der in Rede stehenden Form gestört.
Die Verschuldungsideen lassen sich zwar in
der Regel gleichfalls mehr oder weniger
direct auf krankhafte Affecte zurückführen,
aber schon von Anfang an sind die Wahn-
IIL Jahrgang.!
Februar 1889.J
Ziehen, Die Opiumbehandlung bei Psychosen.
63
Ideen imyerbältnissmäBsig intensiT, zahlreich
und detailliit bei Geringfügigkeit der primären
Affecte. Sie gewinnen schon bald den
letzteren gegenüber Selbstständigkeit und
entwickeln sich unabhängig weiter, ohne in-
haltlich sich Yon den typischen melancho-
lischen Wahnideen wesentlich zu entfernen.
Diese Form der Melancholie, für welche
also das Missverhältniss der Wahnideen und
Afifecte charakteristisch ist, ist für Opiumbe-
handlung durchaus ungeeignet. Das Opium
scheint den Ausgang in secundäre Paranoia
geradezu zu begünstigen.
Die beiden anderen nicht geheilten Fälle
unterscheiden sich weder symptomatisch noch
ätiologisch Ton den geheilten. In einem
Fall handelte es sich um eine Puerperal-
melancholie, im anderen um eine zum dritten
Mal recidivirende Melancholie. Bemerkens-
werth ist, dass in beiden Fällen, obwohl
eine intensive Opiumbehandlung etwa ein
Jahr lang durchgeführt wurde und die Psy-
chose jetzt schon 2 resp. 3 Jahre besteht,
ein deutlicher Schwachsinn nicht einge-
treten ist.
Mit Ausnahme jener einen oben skiz-
zirten Form sind alle anderen Formen der
Melancholie, die passiven ebenso wie die
activen, für Opiumbehandlung geeignet. Am
schnellsten pflegt der Erfolg bei denjenigen
Formen sich einzustellen, bei denen die
typische an giosp astische Pulscurve*) con-
statirt wird. Langes Bestehen der Me-
lancholie contraindicirt die Opiumbehandlung
in keiner Weise; sie ist durchaus nicht auf
die acuten Formen zu beschränken. Selbst-
verständlich darf es nicht bereits zu einem
intellectuellen Defect gekommen sein.
Besonders ist auch hervorzuheben, dass
gerade bei den prognostisch so bedenklichen
senilen Melancholien das Opium ganz vor-
züglich wirkt.
Unter den atypischen Formen der Me-
lancholie möchte ich besonders zwei hervor-
heben, bei welchen sich das Opium sehr gut
bewährt. Während die typische Melancholie
ohne Hallucinationen verläuft, kommen na-
mentlich bei erblicher Belastung Hallucina-
tionen intercurrent vor; der übrige Symp-
tomencomplex ist ganz der der Melancholie.
Diese Melancholia hal lucin atoria, die übri-
gens nicht häuflg ist, indicirt nach meinen
Erfahrungen Opiumtherapie. Ebenso endlich
die mit Zwangsvorstellungen complicirte
Melancholie. Gerade bei dieser Gomplication
habe ich in mehreren Fällen besonders
günstige Erfolge vom Opium gesehen. Die
•) Vgl. Ziehen, Sphygmographische ünter-
Buchuogen an Geisteskranken. Jena, G. Fischer.
1887. S. 56.
Melancholia hypochondriaca erwies sich meist
für Opiumbehandlung ungeeignet. Kata-
tonische Symptome (Melancholia attonita,
nicht Erschöpfungstupor) bei wirklicher Me-
lancholie contraindiciren Opium in keiner
Weise.
Was die Darreichungsweise des Opiums
bei Melancholie anlangt, so muss ich zunächst
Schule darin ganz zustimmen, dass das
Opium stets vor Eintritt der eigentlichen
Paroxysmen zu geben ist. Am zweck-
mässigsten eilt die ganze Opiumbehandlung
der erfahrungsgemäss nicht ausbleibenden
Steigerung der krankhaften AiPecte mit hohen
Dosen voraus^). Ich habe meist das Opium
purum per os der subcutanen Anwendung
des Extr. Op. aquos., wie sie v. Krafft-
Ebing empfahl, vorgezogen, da die Injection
selbst namentlich Kranke aus niederen Stän-
den in unvortheilhafter Weise aufregt und
ängstigt. Nur wenn die Kranken der inneren
Anwendung Widerstand leisten, geben wir
das Extract. -Der Wirkung auf die Psyche
nach entspricht etwa 0,075 Extr. Op. aq.
subcutan 0,1 Op. pur. innerlich.
[Schlu»9 folgt.]
Ueber die Behandlung der Coujuncttvitig
granulosa mitteLst partieller Exctsion
der Bindehaut.
Von
Dr. Th. Treitel,
Docent für Augenheilkunde in Königsberg i. Pr.
Durch die Einfuhrung von ausgedehnten
Excisionen der Bindehaut sind in der Be-
handlung der Conjunctivitis granulosa im
Laufe der letzten Jahre so wesentliche Fort-
schritte erzielt worden, dass es nicht unge-
rechtfertigt erscheinen dürfte, auf dieselben
in dieser der Verbreitung neuer therapeu-
tischer Methoden gewidmeten Zeitschrift die
Aufmerksamkeit der Herren Collegen zu
lenken.
Bei der Abfassung dieses Artikels
beabsichtigte ich nicht, eine Zusam-
menstellung dessen, was bisher über
Bindehautexcision bei Conj. granulosa
publicirt worden ist, zugeben, sondern
im Wesentlichen über die Erfahrungen zu
berichten, die ich selbst in den letzten drei
Jahren bei ca. 170 Operationen gesammelt
habe'). Das Princip des Verfahrens besteht
^) Ganz dasselbe gilt nach meinen Erfahrungen
von der Anwendung des Hyoscins bei Manie.
') Das Krankheitsbild der Conjonctivitis granu-
losa wird als bekannt vorausgesetzt. Eine vorzag-
64
Tr eitel, Behandl. der Conjunctivitis gniBuloia mitteilt part. Ezeision der BindehauL [ MonaShStoT*
darin, den ganzen oberen Uebergangstheil
der Bindehaut und einen Theil des an-
grenzenden Tarsus mit dem entsprechenden
Abschnitt der Conjunctiva tarsi zu excidiren.
Nachdem ich im Anschluss an die bisher
gemachten Vorschläge verschiedene Opera-
tionsmethoden versucht habe, bin ich schliess-
lich bei der folgenden stehen geblieben, die
ich glaube empfehlen zu können. Dieselbe
steht der von Heisrath geübten am nächsten.
Heisrath ist das Verdienst zuzuerkennen,
zuerst die Bindehautexcisionen bei einer
grösseren Anzahl von Granulösen systematisch
ausgeführt und die dabei gemachten Erfah-
rungen publicirt zu haben.
Was die Ausführung der Operation
anbetrifft, so zerfällt sie in drei Acte; während
derselben nimmt der Kranke Rückenlage ein,
der Operateur steht vor dem Patienten, der
Assistent an seinem Kopfende. Der ein-
facheren Beschreibung wegen nehme ich an,
dass das rechte Auge operirt wird.
1. Act. Während der Assistent mit der
linken Hand das untere Lid mit einem
D es marres^ sehen Elevateur ein wenig nach
unten, das ectropionirte obere Lid mit einer
Desmar res 'sehen Pincette') gegen den
Supraorbitalrand anspannt und so den oberen
Uebergangstheil so viel als möglich hervor-
treten lässt, fasst der Operateur den letzteren
mit einer Hakenpincette, zieht ihn so weit
nach unten, dass er ihn in seiner ganzen
Ausdehnung übersehen kann und legt genau
an der Grenze des Fomix in dessen mittlerer
Partie tief durch Conjunctiva und subcon-
junctivales Zellgewebe einen mittelstarken
Faden. Der Ein- und Ausstichspunkt sind
ca. 6 mm von einander entfernt. Die Enden
des Fadens werden an einander geknotet
und dem Assistenten übergeben.
Es ist höchst auffallend, dass in der über-
wiegenden Mehrzahl der Fälle die Follikel
des üebergangstheils an der Grenze
der Conjunctiva bulbi mit einer ganz
scharfen Linie abschneiden, eine Er-
scheinung, die ich erst bei Gelegenheit der
Conjunctivalexcisionen kennen gelernt habe.
An dieser Grenzlinie wird die Sutur ange-
legt. Sie hat einen dreifachen Zweck. Erstens
kann mit derselben der obere üebergangs-
liche und eingehende Darstellung desselben hat
K&hlmann in dem in den Volkmann'schen Hef-
ten veröffentlichten Vortrage „lieber Trachom** ent-
worfen.
') Ich bediene mich dabei der von Schneller
zur Ausschneidang des Üebergangstheils empfohle-
nen Pincette, die sich von der bekannten Des-
marre Büschen Pincette dadurch unterscheidet, dass
der untere Rand gerade, nicht convez ist, und dass
nicht die eine Platte ganz solide, sondern beide
hohl sind. Diese Pincette ist von Hahn&Löchel
in Danzig zu beziehen.
theil vollkommen herabgezogen und ausge-
breitet werden, gleichviel welche Stellung
das operirte Auge einnimmt. Zweitens wird
durch den Faden — und das ist der Haupt-
zweck desselben — die Grenze der krank-
haften Veränderungen markirt, die ohne ihn
in dem mit Blut bedeckten Operationsfeld
nur schwer zu erkennen sein würde, und
drittens erleichtert der Faden das Anlegen
der später zu besprechenden Nähte.
2. Act. Der Assistent zieht mit dem
Faden den oberen uebergangstheil senkrecht
nach unten, der Operateur, mit der linken
Hand die Desmarres'sche Pincette vom
Assistenten übernehmend, das ectropionirte
obere Lid nach oben und umgrenzt mit
2 Schnitten den zu excidirenden Abschnitt
der Bindehaut. Der erste Schnitt wird dem
Lidrande parallel, mindestens 4 mm von ihm
entfernt, mit einem Bistouri und zwar durch
die ganze Dicke des Tarsus angelegt, so dass
die Wunde in der ganzen Ausdehnung voll-
kommen klafft. Nach Beendigung des ersten
Schnittes übernimmt der Assistent die
Desmarres'sche Pincette. um den zweiten
Schnitt, der an der Grenze der Conjunctiva
bulbi verläuft, auszuführen, schiebt man
eine kleine gerade Scheere vom nasalen Wund-
winkel dicht oberhalb des Fadens bis zum
temporalen vor. Verwendet man eine Scheere
mit einem geknöpften Ende, setzt man sie
nicht zu steil und einigermaassen leicht auf,
so gleitet sie im subconjunctivalen Gewebe
ohne wesentlichen Widerstand vorwärts. Die
umschnittene Partie wird dann in der Art
excidirt, dass sie mit einer starken mehr-
zackigen Hakenpincette neben dem nasalen
Wundwinkel mit der linken Hand gefasst,
von der Unterlage ab- und gleichzeitig
temporalwärts angezogen wird, und alle
Theile, die sich anspannen, in der Richtung
von der Nase nach der Schläfe mit einem
Bistouri durch trennt werden.
Hierbei ist sehr sorgfältig darauf Acht
zu geben, dass möglichst wenig subsartales
und subconjunctivales Gewebe entfernt wird.
Das letztere pflegt übrigens so locker zu
sein, dass es bei energischem Anspannen der
Conjunctiva zum Theil zerreisst.
Sobald man sich davon überzeugt hat,
dass kein Theil der zu entfernenden Con-
junctiva stehen geblieben ist, wird das obere
Lid reponirt, und das Auge mit einem in
4% Borsäure getränkten, auf Eis abgekühlten
Bausch Watte comprimirt.
Wenn man davon absieht, dass das
Messer oder die Scheere abgleiten und den
Bulbus verletzen könnte, was bei einiger
Vorsicht wohl stets zu vermeiden sein dürfte,
ist nur der Unfall zu erwähnen, dass das
Febraar 1889 J
Treitel, Behandl. der Coi^unctivitis granulosa mitteltt part. fizclslon der fiindehaut.
65
Messer beim Durch scliDeiden des Tarsus zu
-weit nasalwärts bis in den Lidrand gleitet.
Diese Verletzung wäre nur dann von Belang,
iifenn dabei das obere Thranencanälchen
durcbscbnitten >\'ürde, Mras ich bisher noch
nicht erlebt habe.
Der Knorpel schnitt muss in seinem ganzen
Verlaufe gleich wert vom Lidrande entfernt
bleiben. Ein ungleichmassiger Schnitt hat
eine entsprechende Unregelmässigkeit der
Stellung des Lides resp. des Lidrandes zur
Folge. Dasselbe gilt, wenn auch in geringerem
Grade, von dem zweiten Schnitt an der
Grenze des Uebergangstheils.
3. Act. Nachdem die meistens recht
heftige Blutung durch Compression des
Auges gestillt ist, wird die Wunde der
Bindehaut nach vollständiger Ectropionirung
des oberen Lides mit 4 % Borsäure während
mehrerer Minuten ausgewaschen und dann
durch zwei Suturen geschlossen. Hierbei be-
zweckt man natürlich nicht, die sehr un-
gleichen Wundränder des relativ dicken Tarsus
und der äusserst dünnen Augapfelbindehaut
an einander zu befestigen, sondern nur, die
stark klaffende Wunde zu schliessen und die
Wundränder einander zu nähern. Um sich
gegen zu frühes Durchschneiden der Fäden
zu schützen^ empfiehlt es sich, die Nadeln
2 — 3 mm von den Wundrändern ein- resp.
auszustechen.
Sehr wichtig ist die Lage der Fäden;
ich möchte dringend davor warnen,
die mittleren Partien der Wunde zu
nähen und empfehlen, je eine Sutur au der
Grenze des nasalen und temporalen Viertels
gegen den mittleren Abschnitt der Wunde
anzulegen.
Zum Nähen bedient man sich der feinsten
Conjunctivalseide; man schneidet beide Enden
ganz kurz ab.
Nachdem die Nähte angelegt sind, wird
wieder einige Minuten mit Watte comprimirt,
dann der Conjunctivalsack, ohne das obere
Lid zu ectropioniren, mit 4% Borsäure aus-
gespült und so von etwa noch vorhandenem
Blutgerinnsel befreit, hierauf die Wunde mit
sehr fein gepulvertem Jodoform bedeckt, und
das operirte Auge mit einem Monoculus
geschlossen.
Im Bereiche des unteren Lides kommt
niemals eine Excision des Tarsus in Frage.
Hier genügt stets die Entfernung des Fornix
der Bindehaut. Man kann dieselbe auf drei-
fache Art ausführen. Bei jeder steht, falls
das rechte Auge operirt wird, der Operateur
am Kopfende, der Assistent vor dem Patienten.
Der Assistent hebt mit der rechten Hand
das obere Lid gegen den Supraorbitalrand,
eventuell mit Hülfe eines Desmarres'schen
Elevateurs, und zieht mit der linken Hand
das ectropionirte untere Lid nach unten.
Man kann erstens in der Art vorgehen,
dass man den unteren Ucbergangstheil
mit der schon erwähnten Sehn eil er 'sehen
Pincette fasst und mit einigen Scheeren-
schlägen entfernt.
Oder man trägt die kranke Partie mit
Hülfe einer gewöhnlichen Hakenpincette und
einer auf die Fläche gebogenen Cowper'schen
Scheere ab.
Oder man umgrenzt zuerst mit zwei dem
Lidrand parallelen Schnitten den oberen und
unteren Rand des zu excidirenden Stückes,
indem man eine kleine gerade Scheere von
einem neben dem äusseren Augenwinkel an-
gelegten Einschnitt der Conjunctiva nach
dem Canthus internus hin subconjunctival
vorschiebt. Beim Excidiren hält man sich
mit der Scheere dicht an der Conjunctiva.
Das dritte Verfahren ist am meisten zu
empfehlen, weil dabei sicherer als bei den
beiden anderen der Umfang des zu ent-
fernenden Stückes bemessen werden kann,
und weil ausserdem am wenigsten subcon-
junctivales Gewebe excidirt wird. In ganz
entsprechender Weise kann man selbstver-
ständlich den oberen Ucbergangstheil ohne
Tarsus ausschneiden.
Oft habe ich in einer Sitzung oben und
unten operirt in der Art, dass ich zuerst
oben den Tarsus und Ucbergangstheil, dann
den unteren Ucbergangstheil ausgeschnitten
und zum Schlüsse die Wunde oben genäht
habe. Niemals habe ich die untere Wunde
durch Suturen vereinigt; hier legen sich die
Wundränder nach Reposition des Lides stets
glatt an einander.
Es bleibt jetzt noch die Frage der
Anästhesirung bei der Operation zu
besprechen. Einen grossen Theil der Kranken
habe ich ohne Chloroform mit Cocain operirt.
Es empfiehlt sich folgendes Verfahren. Nach-
dem zwei bis drei Tropfen einer 10®/o Lösung
von Cocaiuum muriaticum in Zwischenräumen
von drei bis fünf Minuten in den Conjunc-
tivalsack eingetropft worden sind, wird mit
einer Pravaz'schen Spritze ein Theilstrich
derselben Lösung — also ca. 0,01 Cocain —
nach Ectropionirung des oberen Lides unter
die Conjunctiva des Uebergangstheils injicirt,
das Lid reponirt und ca. eine Minute massirt,
um die Flüssigkeit zu vertheilen. Dann
wird dieselbe Quantität in die Pars tarsalis
des Lides zwischen Tarsus und Orbicularis
von aussen eingespritzt, ebenfalls eine Minute
massirt, und dann die Operation begonnen.
Vor der Excision des unteren Uebergangs-
theils kann man nochmals einen Theilstrich
subconjunctival injiciren. Die meisten Pa-
9
ee
Treitelf Behandlider Coi^uneUvitii granulosa mittelst part. Ezcision der Bindebaut. [Monati^elt«^
obere Lid wird gar nicht gehoben oder nur
in der Art, dass man die Fingerkuppe auf
den intermarginalen Theil legt und so den
Rand des Lides gegen den Supraorbitalrand
schiebt. Es ist dies nicht immer zu ver«
meiden, wenn man die Cornea genau be-
trachten will, und das erscheint in den ersten
drei Tagen nothwendig. Die Fäden können
nämlich Erosionen des Hornhautepithels ver-
ursachen, die keineswegs gleichgültig sind.
In der ersten Zeit, in der ich die Conjunc-
tivaiexcisionen machte, traten fast in jedem
zweiten Fall solche Erosionen auf, so dass
ich weitere Versuche mit dieser Operation
fast aufgegeben hätte. In den meisten Fällen
freilich hinterliessen die Epitheldefecte ent-
weder gar keine oder sehr durchscheinende
Narben in den seitlichen Abschnitten der
Cornea.
Bei einigen Kranken entwickelten sich
aber aus ihnen tiefe Ulcera in der Nähe
des Homhautscheitels mit nachfolgenden dich-
teren Narben, und endlich bei einem Patien-
ten, einem zwölfjährigen Knaben, ein cen-
trales Hornhautgeschwür mit secundärer Fa-
cette und erheblicher Sehstorung. Dieser
Ausgang war um so betrübender, als ich
den Kleinen mit ganz gesunder Hornhaut in
meiner Klinik aufgenommen hatte. Hieraus
ergiebt sich die Bedeutung, welche den Su-
turen beizulegen ist, und erklärt sich die
oben ausgesprochene Empfehlung, niemals
den mittleren Abschnitt der Wunde zu nähen,
und beide Enden des Fadens kurz abzu-
schneiden.
Seitdem ich in der oben angegebenen
Weise nur zwei Suturen in der Nähe der
Wundwinkel, also seitlich vom Hornhautareal,
anlege, habe ich Erosionen des Corneaepithels
nur sehr selten zu Gesicht bekommen. Ge-
schah es aber gelegentlich, dann habe ich
sofort die entsprechende Sutur entfernt. Bei
Anwendung von Jodoform, Atropin und einem
festen Verbände trat dann ausnahmslos in
ein bis zwei Tagen Heilung ein.
Von den eben besprochenen Hornhaut-
veränderungen sind genetisch durchaus zu
unterscheiden multiple, kleine, weissliche,
SU b epitheliale Inültrate in der Nähe des
Randes der Hornhaut, die ich einige Male
gleichzeitig mit geringer Ciliarinjection, Licht-
scheu, Thränen und geringen Schmerzen we-
nige Tage nach der Excision habe auftreten
sehen. Sie hatten keinen anderen Nachtheil,
als dass sie die Dauer der Heilung etwas
verlängerten : sie heilten mit oder ohne Ab-
stossung der Epitheldecke stets ohne wei-
tere bemerkenswerthe Folgen.
Während diese Infiltrate auch in bisher
gesunder Hornhaut auftraten, wurden etwas
tienten, bei denen auf die eben genannte
Art verfahren wurde, verhielten sich bei der
Operation ruhig und gaben auf Befragen an,
keine oder nur geringe Schmerzen empfunden
zu haben. Ist ein Kranker so empfindlich,
dass er schon bei der Injection des Cocains
lebhafte Schmerzensäusserungen von sich
giebt, dann kann man nicht darauf rechnen,
dass er sich während der Operation ruhig
verhält, und thut besser daran, zu chloro-
formiren. Eine absolute Sicherheit für voll-
kommene Schmerzlosigkeit wie das Chloro-
form gewährt das Cocain für unsere Operation
nicht; es genügt aber für nicht zu willens-
schwache Kranke, um die Bindehautexcision,
die bis auf das Nähen bei einiger Uebung
kaum zwei Minuten erfordert, mit geringen
Schmerzen ausführen zu können. Den besten
Beweis für diesen Ausspruch liefern Kranke,
die bei der Operation des zweiten Auges
kein Chloroform wünschten, nachdem das
erste mit Cocain operirt worden war.
Bei der genannten Dosis habe ich bisher
keine Intoxicationserscheinungen beobachtet,
selbst dann nicht, wenn ich in einer Sitzung
beide Augen operirte, wobei in maximo 0,04
Cocain gegeben wurde.
Es beruht dies wohl darauf, dass nur
ein Theil der Flüssigkeit resorbirt wird, da
ich die Operation einige Minuten nach der
Injection beginne, so dass ein Theil aus
der Wunde wieder herausfiiesst. Die sub-
conjunctivale Injection erleichtert übrigens
die Durchtrennung des Uebcrgangstheils mit
der Scheere, da die Bindehaut durch die
Flüssigkeit von der Unterlage abgehoben
wird.
Bei der Nachbehandlung genügt ein
einseitiger Verband; das nicht operirte Auge
wird, um Mitbewegungen des operirten zu
verhindern, mit angefeuchteter Watte bedeckt
und mehrmals am Tage ausgewaschen. Ein
doppelseitiger Verband erscheint deswegen
nicht zweckmässig, weil in dem nicht ope-
rirten Auge in Folge von Secretretention
frische Entzündungen mit und ohne Pannus
entstehen können.
Die Patienten liegen nach der Operation
im Bett^) und erhalten während der ersten
drei Tage keine festen Speisen. Der Ver-
band wird alle 24 Stunden gewechselt, das
Auge gereinigt, der Conjunctivalsack mit
Hülfe einer Pipette mit Borsäure ausgespült
und ein Tropfen Atropin eingeträufelt. Bei
diesen Manipulationen müssen die Wunden
möglichst wenig gezerrt werden. Ein leichter
Zug am unteren Lide schadet nichts. Das
*) Ich habe die Patienten fast aasnahmslos zur
Operation in meine Klinik aufgenommen.
^rur^f] Treilel, BehandL der Conjunctivitis ' gianuloia mittelst part. Exeitlon der iBindeliaut.
67
häufiger innerhalb der ersten Tage nach der
Operation Pannus-Recidive beobachtet. Diese
Erscheinung ist nicht auffallend, da Aehn-
liches jedem Praktiker, der häufiger Opera-
tionen der Augenlider bei Granulösen aus-
geführt hat, bekannt ist. Sie beruht wesentlich
auf der Retention von Secret unter dem Ver-
bände und erst in zweiter Linie auf der bei
der Operation unvermeidlichen Irritation.
Es ergiebt sich hieraus erstens, die Excision
so schonend als möglich zu machen und
namentlich auch Verletzungen der Cornea
sorgfaltig zu vermeiden, die z. B. beim Ab-
tupfen der Wunde mit dem Schwamm leicht
eintreten können. Zweitens erscheint es
rathsam, sobald sich frischer Pannus unter
dem Verbände zeigt, den letzteren mehrmals
täglich zu wechseln und eine halbe bis gauze
Stunde Eataplasmen machen zu lassen.
Abgesehen von dem unmittelbar nach
der Operation eintretenden Wundschmerz,
der in einigen Stunden abklingt, pflegen die
Patienten nicht über Beschwerden zu klagen.
Ist der Wundschmerz sehr heftig oder währt
er länger als gewöhnlich, so lässt man den
Verband mit 2 % Borsäure anfeuchten und
legt ausserdem eine Eisblase für einige Stun-
den auf.
Diese Mittel anzuwenden, habe ich mich
nur selten veranlasst gesehen, seitdem ich
bei den Bindehautexcisionen zum Auswaschen
der Wunde 4-^/o Borsäure verwende. An-
fangs gebrauchte ich, wie auch noch jetzt
bei allen anderen Augenoperationen, Subli-
mat 1 : 10000. Aber selbst bei dieser schwa-
chen Lösung trat verschiedene Male ein sehr
heftiger und anhaltender Wundschmerz auf,
den ich auf das Sublimat glaubte zurück-
fuhren zu müssen, und der auch thatsäch-
lich in derselben Art bei Anwendung von
4 % Borsäure nicht mehr zur Beobachtung
kam.
Die Augenlider, namentlich das obere,
sind nach der Operation mehr oder weniger
erheblich geschwollen und oft sugillirt. Ge-
ringe Nachblutungen kamen mehrmals vor.
Bei einem Kranken beobachtete ich eine sehr
schwer zu stillende Nachblutung.' Heftige
Nachblutungen können nach jeder Lidopera-
tion eintreten; ich habe sie mehrmals nach
der Entropiumoperation des oberen Lides
gesehen. Hier genügte stets eine energische
Compression, eventuell des ectropionirten
Lides zwischen zwei Fingern, zur vollstän-
digen Stillung der Blutung. Diese erwies
sich bei dem in Rede stehenden Fall als
ganz unzureichend. So lange comprimirt
wurde, stand die Blutung, um dann von
Neuem zu beginnen. Unter einem festen
Schnürverband und Eis hörte sie nur zeit-
w^eise auf. Ferrum candens blieb ohne nach-
haltigen Erfolg. Erst nach zweimal 24 Stun-
den gelang es mit Hülfe von Unterbindung
der ganzen blutenden Stelle die capillare
Blutung vollkommen zu beseitigen, nachdem
freilich ihre Intensität sich inzwischen wesent-
lich vermindert hatte.
Am dritten Tage nach der Operation
können die Patienten das Bett verlassen,
und das nicht operirte Auge bleibt dann
unbedeckt.
Am achten Tage werden die Suturen
entfernt; sie können bis dahin ohne jede
Gefahr liegen bleiben; wenn sie bis zum
vierten Tage keine Homhauterosionen ver-
ursachen, dann geschieht es, soviel ich ge-
sehen habe, - später niemals. Gelegentlich
hat sogar eine Sutur, die in dem geschwolle-
nen Gewebe nicht aufgefunden werden konnte,
einige Wochen gelegen, ohne sich dem Pa-
tienten bemerkbar zu machen. Selbst acht
Tage nach der Operation ist die Wunde
nicht immer so fest vereinigt, dass sie sich
bei dem zur Herausnahme der Fäden noth-
wendigen Ectropioniren des oberen Lides nicht
lösen könnte. Wenn also die Entfernung
der Sutur irgend welche Schwierigkeiten be-
reitet, was bei den sehr feinen und kurz ab-
geschnittenen Fäden und bei der Schwellung
der Wundränder nicht selten der Fall ist,
dann ist es rathsam, die Fäden länger liegen
zu lassen.
Relativ häufig entstehen Wundgranula-
tionen in dem mittlereif, nicht durch Nähte
vereinigten Theile der Wunde; sie können
in Folge von Reiben einen Reizzustand des
Auges resp. Pannus unterhalten und müssen
dann mit einer kleinen Scheere möglichst
bald abgetragen werden. Andernfalls wartet
man so lange, bis sie sich an der Basis po-
lypenartig abgeschnürt haben. So vermeidet
man sicherer Recidive, die bei frühem Exci-
diren der Regel nach eintreten. Solche
Wundknöpfe werden an der Narbe des un-
teren Uebergangstheils nur ausnahmsweise
gefunden.
[Sehlusa folgt.]
Ueber Nasenschwiudel spec. über Apro*
sexla Ilasalis.
Von
Dr. BrU gel mann (Inselbad).
Die Beobachtung, dass durch Krankheiten
der Nase bedeutende Schwindelerscheinungen
entstehen können, ist nicht mehr ganz neu.
Dieselbe ist bereits vor einigen Jahren und
9*
68
Brügelmafin, Ueber Naienieh wi ndel ipec über Aprosexia natalls.
rliArapcotlseh«
Monauhefle.
in neuerer Zeit von Ziem'), B. Frank eP),
Eisberg^), sowie auch von Minke], Seiler
und Rupprecht verschiedentlichstbesprochen
worden. Dr. Joal^) ist der Ansicht, dass
der Nasenschwindel eine Reflexerscheinung
sei, Yon den Nervenendigungen des Trigeminus
ausgehend, welche über das Ganglion Meckelii
zu den Nervencentren gehen und dort eine
partielle Anämie und dann eine localisirte
Contraction der Vasomotoren hervorrufen.
Thatsache ist, dass, wenn man die Pole
eines galvanischen Stromes auf die Processus
mastoid. setzt, man schon bei einer Stromstärke
von 2 Mill. Amp. bedeutendes Schwindel-
gefühl künstlich hervorrufen kann. Dies
kommt höchst wahrscheinlich durch Reizung
der MeduUa oblong, zu Stande. Wenn aber
von der Nase aus durch Schwellungen, acuten
oder chron. Schnupfen, Nasenrachenkatarrh etc.
eine Trigeminusreizung verursacht wird, so
kommt ebenso eine üebertragung des Reizes
auf die Medulla zu Stande. Die Erklärung
des Nasenschwindels ist somit nicht sehr
schwierig, und zahlreiche günstige Resultate
durch Nasenoperationen machen obigen Zu-
sammenhang durchaus wahrscheinlich. Ziem ^)
erinnert in seiner verdienstvollen Arbeit über
neuralgische und nervöse Begleiterscheinungen
bei Nasen- und Rachenkrankheiten an die
Mittheilungen von V. Tröltsch, Wendtu. A.,
welche sich auch bei Hinterhauptschmerzen,
bei Erkrankungen des Nasenrachenraumes
verbreiten und erwähnt, dass Luschka die
im Verlauf von Räch «nk rankheiten auftreten-
den und von den Kranken gewöhnlich in die
Tiefe des Schädels verlegten Neuralgien aus
der Verbreitung des Ram.' pharyngeus des
Trigeminus am Schlundkopfe und Tuber-
ostium zu erklären gesucht habe.
Mit unanfechtbarer Gewissheit ist der
Zusammenhang dieser verschiedenen Kopf-
symptome mit Nasen- eventuell Rachenkrank-
heiten natürlich nicht zu erbringen und wird
hierzu wohl zunächst noch viel Material ge-
sammelt werden müssen.
Eine ganz neue Beobachtung kommt von
Guye- Amsterdam. In seinen hochinteres-
santen Vorträgen in der mit der rhinolaryn-
gologischen verbundenen otiatrischen Section
der Naturforscher-Versammlung 1887 und 88
spricht er über einen bis dahin noch nicht
beobachteten Symptomencomplex : Schwindel,
allmählich zunehmender Verlust des Denk-
^) Ziem, Monatsschrift für Ohrenheilkunde
1886, p. 290.
') V. Ziemssen's Handbuch IV. I. S. 162.
2. Aufl. 1879.
3) Monatsschrift für Ohrenheilkunde 1884 S. 14.
*) Revue mensuelle de laryngologle 1887 No. 7.
*) 1. c. pag. 288.
und Reproductionsvermögens , Kopfschmerz,
namentlich Morgens, gesteigert bis zu heftiger
Hemicranie, Unlust bis Unvermögen zu jeder
Thätigkeit, Gehörstörungen und ein absoluter
Widerwille gegen Alkohol^). Die Pathogenese
dieser Erscheinungen anlangend, so betont
Guye den von Axel, Rey und Retzius
nachgewiesenen Zusammenhang zwischen den
subduralen Lymphräumen des Gehirns und
den Lymphgefässen der Nasenschleimiiaut,
sowie auch das zeitweise Ausfallen des Wasser-
verlustes durch die Nasenschleimhaut, wenn
die Nasengänge mehr oder weniger verlegt
sind. Guye „fasst die Krankheit als eine
Retentionserschöpfung auf, hervorgebracht
dadurch, dass die Elimination der Stoff-
wechselproducte behindert ist. Auch will
er die durch Ernährungsstörungen der Nasen-
schleimhaut veranlassten vasomotorischen
Störungen mit in Rechnung bringen, weil
es Fälle giebt, in welchen es scheint, dass
gerade diese abnorm erhöhten vasomotorischen
Reflexe den Symptomencomplex der Krank-
heit zu Stande bringen." Er schlägt vor,
diesen Symptomencomplex mit dem Namen
Aprosexia nasalis zu belegen von ngoffix^iy
10 V vovv.
Schon gleich nach dem Vortrage von
Guye auf der letzten Natur forscher- Versamm-
lung in Köln fanden sich zahlreiche Bei-
träge zu seinen Beobachtungen unter dem
Auditorium selbst, lehrreicher aber kann
wohl kein Krankheitsfall für das Wesen
der Aprosexia nasalis sein als der, welchen
ich selbst gleich mitth eilen werde.
Herr W., Major a. D. aus Soest, 53 Jahre
alt, kam am 23. Sept. d. J. in meine Anstalt,
nachdem seine Gattin, welche eines Bronchial-*
katarrhs wegen im Sommer hier gewesen war
und sich von den verschiedenartigen durch
Nasen Operationen erzielten Erfolgen über-
zeugt hatte, ihn mehrere Monate hindurch
mit Bitten vergeblich bestürmt hatte, sich
einer operativen Behandlung zu unterziehen.
Die Anamnese ergab Folgendes: Der
Kranke hatte bereits vor mehr als 10 Jahren
an leichten Schwindelanfällen zu leiden ge-
habt, allmählich hatten sich halbseitige
Kopfschmerzen eingestellt und vor Allem ein
höchst fatales Druckgefühl im Hinterkopf,
welches zu der Einbildung Anlass gab, dass
an den Ansätzen des Cucularis an der Linea
semicircularis des Hinterhauptbeins sich eine
Geschwulst bilde, welche temporär zu- und
abnehme. Sodann bestand hochgradige Schwer-
hörigkeit, so dass rechts die auf die Ohr-
muschel aufgelegte Uhr nicht, links nur
^) cf. Deutsche Med. Wochenschrift 1887 No. 43
und 1888 No. 40.
in. Jahrgaiig.l
Februar 1889. J
Brügelmano, Ueber Naseoschwindel ipec. über Aprosexia nasalis.'
69
wenig gehört wurde. Dagegen wollte er
deutlicli eine starke Pulsation im linken Ohr
Temehmen und klagte vor Allem über ein
so gewaltiges Rauschen und Sausen in den
Ohren und im Kopf, dass er zu jeder Unter-
haltung und Thätigkeit absolut untauglich
wäre. Mit der Zunahme dieser Erschei-
nungen vermehrten sich auch die Schwindel-
anfalle, welche so bedeutend wurden, dass
er mehrfach umfiel oder sich mit Mühe auf
einen Stuhl oder sein Bett fallen Hess. Er
klagte dabei über Hitzegefühl im Schädel,
massige Urinverhaltung und bei einem ganz
befriedigenden Appetit über einen unüber-
windlichen Widerwillen gegen Alkohol, ja
sogar gegen Speisen, welche ganz gering
säuerlich waren, und sobald obige Erschei-
nungen zunahmen, über Widerwillen gegen
alle Fleischspeisen. — Er vergass Alles,
was er gesagt hatte und war unfähig einen
^amen, selbst ganz geläufige, zu reprodu-
ciren; ein und dasselbe sagte und fragte er
viele Male hintereinander an ein und dem-
selben Tage. Dabei hatte er ein unüber-
windliches Ruhebedürfhiss der Art, dass er
sich in jede beliebige Ecke verkroch und oft
Stunden lang tief schlief. Sein Kräftezustand
war durchaus normal, die körperliche Leist-
ungsfähigkeit sehr reducirt; er konnte weder
lange noch schnell gehen etc., Appetit und
Verdauung Hessen Nichts zu wünschen übrig,
wenngleich er auch seine Nahrung ganz ohne
Genuss verzehrte, Urin stark sedimentirend
(harnsaure Salze). Sexuelle Erregbarkeit fast
erloschen. Dabei rauchte er 17 Cigarren
pro Tag und verschiedene Pfeifen und meinte,
dies sei der einzige Genuss, der ihm noch
geblieben sei. Keine Sensibilitätsstörung
am ganzen Kopf war vorhanden, selbst nicht
auf erheblichen Druck, in der Nase beider-
seits etwas Congestion, leichte Schwellungen,
häufiger Yerschluss, namentlich der unteren
Hälfte beim Liegen, Rachen und Kehlkopf
gesund. Flimmern vor den Augen, kein
Strabismus.
Unter diesen Umständen konnte die Frage
entstehen, ob die geringen Veränderungen in
der Nase wirklich den Grund zu so schwerem
und langem Leiden abgeben können, oder aber
ob nicht eine Neurasthenia cerebro-spinalis
die Schuld daran trüge. Gegen letztere
sprach der Umstand, dass nirgendwo eine
schmerzhafte Stelle auf dem Schädel zu ent-
decken war, sowie die Abwesenheit der Er-
scheinungen, als unnatürlich gesteigertes
Hungergefühl mit übermässiger Nahrungs-
aufnahme sowie gesteigerte sexuelle Erreg-
barkeit, Veränderungen der Sprache etc., was
Alles ich bei Neurasthenia cerebro-spinalis
fast ausnahmslos beobachtet habe. Gegen
die Aprosexia nasalis sprach die ausserordent-
liche Geringfügigkeit der nasalen Erschei-
nungen. Nur die sonderbare Beobachtung
der Alkoholophobie, welche, wie bemerkt, von
mehreren Seiten bestätigt wurde, gab den
Ausschlag, dass ich die Diagnose auf Apro-
sexia nasalis Guye stellen musste.
Die Behandlung wurde demgemäss ein-
geleitet. Ich kauterisirte nach einander alle
irgend verdickten oder verdächtig aussehenden
Partien beider Nasen, legte hinter das
linke Ohr eine immerwährende Fontanelle
(Ung. stib. Kai. tart.) und Hess ihn kühle
Douchen gebrauchen und zeitweise Eis auf
den Kopf auflegen. Durch die Kauterisation
entstand natürlich zunächst erhebliche Schwel-
lung der Nase und alsbald nahm der Schwindel
derart zu, dass der Kranke das Bett nicht
verlassen konnte, es entstand Erbrechen, voll-
kommene Appetitlosigkeit und ausser der
bereits erwähnten Alkoholophobie auch Wider-
willen gegen alle Fleischspeisen. Der Urin
war spärlich und sehr stark sedimentirend.
Diese Reactionserscheinungen waren zu präg-
nant unmittelbar nach der Kauterisation, als
dass man sie nicht als Folge dieses Eingriffs
hätte ansehen sollen. Diese Beobachtung
stärkte natürlich sehr das Vertrauen, dass
die eingeschlagene Behandlung von Erfolg
sein werde und auch der Kranke selbst theilte
diese Ansicht. Nach einigen Tagen stiessen
sich bedeutende Brandschorfe ab, wodurch
die Nase bedeutend durchgängiger wurde
und gleichzeitig besserten sich die Erschei-
nungen, so dass er das Bett verlassen konnte.
Von da ab ging es täglich besser. Eine
abermalige Kauterisation brachte, sobald die
Nase zugeschwollen war, eine bedeutende
Verschlimmerung, welche aber ebenfalls mit
der Abschorfung nach einigen Tagen wieder
verschwand und nun ging die Besserung um
so schneller von Statten. Zuerst Hess das
Gefühl einer Pulsation im Ohre nach und
gleichzeitig hiermit Schritt haltend ver-
schwand das Rauschen und Sausen, das
Gehör besserte sich zusehends, so dass der
Kranke schon bald auf 10 Schritte das leise
Murmeln einer Quelle oder die Uhren in dem
ca. '/a Stunde weit entfernten Kirchthurm
hören und sich ganz flott unterhalten konnte,
ohne dass man besonders laut zu sprechen
nöthig hatte. Der Schwindel verlor sich
vollständig, der Harn hellte sich auf, der
Appetit, auch auf Fleisch war ganz be-
friedigend und — ganz plötzlich verlangte
er nach einem Glase Bier, welches er mit
grossem Behagen trank, allerdings nachdem
ich ihn Tags zuvor ganz allmählich über-
redet hatte, mit mir zum ersten Male ein
Glas Bier zu trinken. Von da ab trank er
70
, Uebei Nairaachwtndet tpec. Ubat Aprotwtta uiiüil.
regelmäasig und mit Appetit, batte nieder
Freude an einem gut beieiteten Mahle und
unterhielt sich wieder, ohne immer dasselbe
zu sagen und fortwährend von seiner Krank-
heit zu reden.
Er selbst betrachtete sich — wie er
wiederholt TMsicherte — als ganz gesund.
Die Nase verheilte langsam, nachdem sich
durch Ahstossung bedeutender Schorfe eine
grosse Durchgäogigkeit gebildet hatte und
die Fontanelle liess ich sich schliessen. Die
ganze Cur hatte 5 Wochen gedauert; ich
estliess ihn mit der Weisung, sich nach
14 Tagen wieder vorzustellen.
Das geschah. Der Zustand war ganz
vorzüglich. Er behauptet, nachdem die
Fontanelle völlig verheilt war, hätte sich
das Pulsgefühl wieder leise mahnend einge-
stellt, weshalb er sie aus freien Stücken
wieder ein wenig zum Eitern gebracht habe.
Ich kauterisirte noch eine kleine Stelle der
Nase, was ohne jede Reaction vorüberging
und erfahre, dass es ihm dauernd gut gebt.
Er ist bereits aus seiner völligen Abge-
schlossenheit heraus getreten, hat jetzt die
uöthigen Familienbesuche, welche er, seit-
dem er in Soest wohnt, als unmöglich unter-
lassen hatte, nachgeholt und geht Abends
zum Staunen der Soester Familieu fleissig
in Gesellschaft, wo er sich munter unterhält
und flott mittrinkt.
Das Rauchen hat er nach der ersten
Kauterisation von selbst völlig unterlassen,
mit steigender Gesundheit wieder begonnen,
bleibt aber jetzt in den normalen Schranken.
Zum Schlufis mochte ich noch besonders
auf die oben beschriebene Beschaffenheit des
Urins bei diesem Kranken hinweisen; es ist
mir nicht bekannt , dass irgendwo nach
Nasen Operationen eine Aeuderung in dieser
Hinsicht beobachtet worden wäre, wie dies
hier doch thatsäuhlich der Fall war; dieselbe
ist wohl so zu erklären, dass unter der von
der Nase aus hervorgebrachten AfTection des
Ccntralorgang gewisse Krampfzustände des
uropoetischen Systems entstehen, ganz ebenso
wie ich das Zustandekommen des Asthma's
zu erklären gesucht habe ^). Eine Incontinentia
urinae, welche ich zur Zeit bei einer schwer
asthmatischen Dame aus Hamburg zu beob-
achten Gelegenheit habe, liess nach Kaute-
risation der stark entzündeten Mandeln nach
und verschwand schliesslich ganz wie dies
bei Enuresis von Erlenmeyer, Ziem u. A.
ja bereits mehrfach beobachtet worden ist.
Jedenfalls aber geht aus der Guye"schen
Lehre und speciell der vorliegenden Beobach-
I Wes
') cf. Deber Asthma^
Behandlung. Verlag von L. IJeii^cr, Neuwied ond
Beriio iSm,
tung die besondere Mahnung hervor, bei
vorkommenden Fällen von Schwindel nicht
lediglich elektrische Maassnahmen als allein
indicirt anzusehen, sondern sich vor Allem
des Symptomencompleses zu erinnern, welches
unter dem Namen Aprosexia nasal Is mit
Fug und Recht als eine besondere Nerven-
krankheit aufgeführt werden muss.
Ein neuer Spftlapparat.
Zwei seitlich an einaodergeheftete Gummi-
ballons von je 50 g Inhalt, die ähnlich den
käuflichen Klystierballons nach beiden Seiten
hin in Schläuche auslaufen, sind vorn mit
einem Dittel'schen Doppelhahn, hinten mit
leicht zu reinigenden Kegelventilen verbun-
den, die in umgekehrter Richtung zu ein-
ander stehen, sodass also heim gleichzeitigen
Comprimiren beider Ballons das eine sich
öffnet , das andere sich schliesst. Beim
Gebrauch taucht das Ventilende des oberen
Ballons in die zum Ausspülen bestimmte
Flüssigkeit, das andere in das Abflussbecken,
die dritte Spitze des Doppelhahnes ist mit
dem Katheter bez. Troicart verbunden. (Das
Ventil des unteren Ballons befindet sich
deshalb tu einem schleifen förmig gebogenen
Rohr , damit es auch beim Herabhängen
schliesst, siehe Fig. 1.)
Werden nun beide Ballons gleichzeitig
comprimirt, was bei ihrer geringen Grösse
leicht mit einer Hand zu bewerkstelligen,
nachdem durch Hahndrehung die Verbindung
(Fig. 2) mit Ballon B abgeschlossen ist, so
wird sich durch den Druck der ausweichenden
Flüssigkeit Ventil a schliessen, Ventil b
öffnen müssen, der Inhalt des Ballons A
also nur in die betr. Körperhöhle, derjenige
III. Jahrguig.l
Februar 1889.J
Röriff, Ein neuer Spülapparat.
71
des Ballons B in das Abflussbecken ergies-
sen können.
Fig. 2.
Beim Loslassen der Ballons aber und
Abschluss des Hahnes gegen Ballon A
hin (s. Fig. 3) bewirkt die Saugkraft ein
Oeffuen des Ventiles a, ein Schliessen des
Yentiles by mithin füllt sich Ballon A mit
der zum Spülen bestimmten Flüssigkeit
t
Pig. 3.
wieder, Ballon B aus der zu reinigenden
Körperhohle, entnimmt also aus derselben
so viel, als Ballon A eben hineiugetrieben
— das gleich grosse Lumen beider Ballons
vorausgesetzt — bei gleich grosser Menge
wechselt der Inhalt. Durch die Druck- und
Saugwirkung wird dem Aufwühlen des Bo-
densatzes wie der Entfernung zäher Massen
energisch Rechnung getragen. Eindringen
von Luft kann leicht und vollkommen ver-
hütet werden, wenn man vor der Anwendung
die mit Katheter bez. Troicart versehene
Hahnspitze sowohl wie die Ventilenden der
Ballons in waspergefüllte Gefasse taucht und
so oft comprimirt , bis die durchgeleitete
Flüssigkeit alle Luft verdrängt hat , und
wenn man ferner während der Einführung
in die betr. Körperhohle Ballon B compri-
mirt hält, um allenfalls im Katheter oder
Troicart verbliebene Luft zunächst fortzu-
schaffen.
Durch wiederholtes Manipuliren mit dem
einen oder anderen Ballon allein ist natür-
lich grössere Füllung sowohl wie ausgiebi-
gere Entleerung der betr. Körperhöhle leicht
zu bewerkstelligen, doch empfiehlt es sich,
soviel Flüssigkeit darin zurückzulassen, dass
nach erfolgtem Zurücksaugen noch etwas
verbleibt, weil das Ansaugen sonst zu sehr
erschwert wird und zu Blutungen Veranlas-
sung geben könnte, auch ein besseres Be-
spülen der Wandungen erreicht und dadurch
mehr Sediment fortgeschafft wird. Bei praller
Füllung der Höhle muss natürlich mit dem
Ansaugen begonnen werden, um eine gefähr-
liche üeberfüllung zu verhüten.
Ich hatte diesen Apparat ursprünglich
nur zur Ausspülung der Blase bestimmt
(deutsche Medicinalzeitung 1888, No. 42
und 10. Vers. d. balneol. Section d, Ges. für
Heilk. in Berlin, März 88) und Fälle von
Erschlaffung ihrer Musculatur sowie das
Vorkommen zäher Sedimente für geeignet
zu seiner Anwendung gefimden, für ungeeig-
net: Tumoren, Varicositäten und Geschwüre
der Blase, Hämaturien insbesondere, ferner
Blasen, aus denen eingewachsene Steine ent-
fernt wurden und deshalb schwache Stellen
ihrer Wandungen angenommen werden kön-
nen. Bei diesen bestimmt vorgezeichneten
Indicationen habe ich auch nie üble Erschei-
nungen beobachtet; man hat es ja ganz in
der Hand, die Druckhöhe beliebig zu ändern
wie die Saugwirkung durch ganz allmähliches
Loslassen des Ballons weniger vehement zu
machen. — Die zurückbleibende Urinmenge
nach spontaner Entleerung wurde kleiner
bei Blasenschwäche, stark schleimige Ka-
tarrhe rascher als mit anderen Spülmethoden
beseitigt.
Inzwischen hatte ich Gelegenheit, auch
ein Empyem auf diese Weise zu behandeln.
Ich trug Sorge, die Pleurotomie bei dem
sehr herabgekommenen Manne vorzunehmen,
zudem er, auf dem Lande wohnend, nicht
jederzeit zu erreichen war und in hygienisch
so schlechten Verhältnissen lebte, dass ich
ein Reinbleiben des Verbandes und damit
der Wunde bezweifeln musste. Ich machte
darum die Thoracocentese und verband,
nachdem der Eiterabfluss (unter Wasser)
aufgehört, einen neuen Apparat mit dem
Troicart. Nun konnte ich, ohne Fat. irgend-
wie zu belästigen , mehrere Liter einer
schwachen Lösung von Kali hypermang. die
Pleurahöhle passiren lassen und durch die
Druck- und Saugwirkung des Apparates
reichlich Eiter herausbefördern, bis die Lö-
sung rosa, also eiterfrei, abfloss. Die Ca-
nüle Hess ich stecken, den weiteren Abfluss
natürlich unter Wasser erfolgen , um die
Ausspülung im Laufe der nächsten Tage
noch öfter zu wiederholen. Ich konnte da-
bei constatiren, dass das abfliessende Spül-
wasser viel mehr Eiter enthielt, wenn die
Ballons in Anwendung gezogen wurden, als
wenn nach langsamer Anfüllung der Höhle
der Abfluss ohne diese erfolgte. Die Canüle
72
Steril, Neue Lanoliosalben.
[Therapeutiadie
Monatabeflflu
entfernte ich, als das Spülwasser schon im
Beginn der Procedur rosa blieb.
Schlüsse auf die Brauchbarkeit meines
Spülapparates bei Empyembehandlung lassen
sich aus diesem eiuen, wenn auch gut Ter-
laufenen Fall kaum ziehen. Die Thoraco-
tomie wird durch diese Methode fragelos
nicht ersetzt, wo alle aotiseptischen Gau-
telen anwendbar sind; sehr herabgekommene
Individuen dürften yielleicht eine Ausnahme
bedingen. Vor der einfachen Irrigation nach
Kussmaul u. A. hat ihre Druck- und Saug-
"wirkung den Vorzug voraus, viel rascher
und viel gründlicher die pathologischen Se-
crete zu entfernen, durch die aufw^irbelnde
Wirkung des Druckes auch aus tiefer gele-
genen Theilen der Hohle. Erneute Versuche,
auch bei der Ausspülung anderer Körper-
hohlen — mir selbst, dem Specialarzt, bietet
sich' dazu kaum Gelegenheit — mögen die
Brauchbarkeit des Doppelballonspülapparates
feststellen.
Herr Gummi waarenfabrikant Bertram in
Hannover hat meine Apparate angefertigt
und liefert solche zum Preise von 10 Mark.
Neue Lianolinsalben.
Von
Dr. E. Stern,
SpeciaUrzt für Hautkrankheiten in Mannheim.
Seit drei Jahren habe ich in Fortsetzung
früherer Versuche^) das Lanolin bei den
verschiedensten Hauterkrankungen angewandt
und in Salben den alten Fetten substituirt.
In Folgendem sollen einige besonders be-
währte neue Gompositionen eingehender
charakterisirt werden.
/. Sapola?iolin.
So nenne ich ein Gemenge aus Lanolin,
anhydricum') und Sapo kalinus (Ph. G. II),
das zuerst Liebreich als Ersatzmittel des
Mol lins vorgeschlagen hat^). Ich verfolge
jedoch mit dieser Mischung nicht die Zwecke
einer überfetteten Seife, sondern will nur
zwei anerkannte Hommittel gleichzeitig auf
der Haut wirken lassen. Die Mitigirung
der Seife durch das Lanolin ist dabei eine
angenehme Zugabe. Gewöhnlich verordne
') Deutsche med. Wochenschr. No. 15, 1886.
^) Lanolinam anhydricum ist das wasser-
fi'eie Präparat, das durch Erhitzen des LaDoliDum
gewonnen wird. Lanolinum dagegen, welches
für die meisten Zwecke als solches verordnet wird,
besteht aus circa 77 7o Lanolinum anhydricum und
23 ^/ Wasser.
°') Therap. Monatsh., April X887.
ich im Verhältniss von 2 Th. Sapo: 2^2 Th.
Lanoliu. Mit Ausnahme der Salicylsäure
lassen sich alle üblichen Medicamente, wie
Borsäure, Theer, weisser Präcipitat, Resor-
cin u. s. w., dieser Mischung incorporiren.
Bei inveterirten infiltrirten Ekzemen, gegen
Mykosen, sowie in Fällen von Seborrhoe mit
starker Borkenansammlung lassen sich solche
Salben mit grösstem Vortheil gebrauchen.
Am häufigsten wende ich die Formel
IV Hydrarg. praecip. alb. 10,0
Sap. kaiin. 40,0
Lanolin, anhydr. 50,0
gegen Psoriasis capitis an. Bekanntlich
ist, trotz der grossen Fortschritte in der
Therapie der Psoriasis corporis seit Ein-
führung der Goapräparate, die Behandlung
der psoriatisch erkrankten Kopfhaut ganz
auf dem alten Standpunkt stehen geblieben.
Abgesehen von den üblen Nebenwirkungen
scheint Chrysarobin die Psoriasis capitis
überhaupt nicht so günstig zu beeinflussen,
wie den auf dem Korper etablirten Process.
In zwei hochgradigen Fällen gelang es trotz
dreiwöchentlicher, unter allen Cautelen vor-
genommenen Einreibung einer 25 % Salbe
nicht, des Leidens Herr zu werden, während
die Localisation auf dem Körper einer 20 ^Iq
Salbe rasch gewichen war. Viel schwächer
noch ist der Effect des von Bohrend ein-
geführten Anthrarobins, das zudem vom
Vorwurf der Haarverfarbung*) nicht frei ist.
Die Pyrogallus säure wirkt auf dem Kopfe
ebenso schwach wie am Körper.
Das Sapolanolin mit Präcipitat nun ist
ein Mittel, dessen Wirkungen auf dem Kopfe
nicht weniger rasch und glänzend sind wie
jene des Chrysarobins am Körper. Schon
nach 3 — 8tägiger Anwendung sind alle
Schuppenauflagerungen verschwunden, die
befallenen Partien erscheinen glatt und
weiss, und nun genügt eine indifferente
Salbe, am besten Lanolincreme, und täg-
liches Waschen, um die leichte Spannung
zu beseitigen und die Haut in den Normal-
zustand überzuführen.
Eine Verfärbung der Haare habe ich bei
dieser Methode niemals beobachtet. Was
die so häufige Rothfärbung der Haare nach
Gebrauch von Spirit. saponat. betrifft, so
rührt diese lediglich vom Spiritus her, wie
mich Gontrol versuche gelehrt haben.
IL Lanolin- Wachspaste. (Ünguent. adhaesiv.)
Das Bedürfniss einer Fixation der Me-
dicamente auf der Haut ohne Verband hat
sich mir besonders bei den so häufigen Kopf-
und Gesichtsekzemen der Kinder fühlbar ge-
*•) Rosenthal, Sitzg. d. Berl. med. Gesellsch.
V. 7. Mäi-z 1888. Dtsch. Med. Ztg. No. 22, 1888.
rgaug.!
Februar 1889.J
Stern, Neue Laoolinsalben.
73
macht. Für einen Anhänger des alten Sal-
benYerbandes ist das Zurechtschneiden der
Yerbandstücke, ihre genaue Adaptirung und
die Anlegung der Binden überaus umständ-
lich und zeitraubend. Die im Laufe des
letzten Decenniums eingeführten Pasten haben
mir jedoch nicht zugesagt. Die in grosser
Menge darin enthaltenen, wenn auch in-
differenten Pulver setzen sich in der epi-
dermisberaubten Haut fest, sind kaum zu
entfernen und erzeugen mechanische Reizung,
die den Yortheil der Austrocknung über-
compensirt. Nur bei ganz indolenten chro-
nischen Hautkatarrhen konnte ich eine, aller-
dings sehr günstige Wirkung constatiren.
Ich habe nun Lassar's schone Idee
einer ohne Yerband haftenden Pulverpaste
zur Construction einer ohne Verband haf-
tenden Fettpaste benutzt. Eine solche Paste
musste einen Schmelzpunkt besitzen, der
hoher liegt, als die Temperatur der Haut,
und sich aus volikommen indifferenten Fetten
oder fettartigen Körpern zusammensetzen.
Es Trar ein Leichtes, diesen Forderungen
gerecht zu werden durch ein Gemenge von
Gera flava, Lanolin und etwas Oel^). Die
nach der Formel
IV Ger. flav.
Lanolin, anhydr. aa 40,0
Ol. oliv. 20,0
(im Sommer Ol. oliv, benzoin.)
M. f. pasta usque ad refrigerat. agitand.
erhaltene Salbe ist von hellgelber Farbe
und dickschmieriger Gonsistenz, etwa wie
das sogen. Elebwachs der Friseure. Sie
lässt sich ohne Mühe in ziemlich hoher
Schicht auf der Haut ausbreiten und haftet
wie ein Pflaster, weshalb auch der Name
Ung. adhaesiv. nicht unpassend ist. Eine
damit eingeriebene Hand sieht aus, wie wenn
sie mit einem Glacehandschuh bedeckt wäre.
Diese vollkommen indifferente Paste dient
als Basispaste. Die meisten Medicamente
lassen sich ihr beimischen, ohne die Gon-
sistenz merklich zu beeinflussen. Bei Theer-
zusatz muss der Wachsgehalt etwas erhöht
werden. Die Basispaste allein oder in Ver-
bindung mit Borsäure oder Zinkoxyd ver-
wende ich überall da, wo ein Salbenverband
schwer anzubringen ist. So vornehmlich
beim Gesichtsekzem der Kinder. Sie leistet
hier, wenn auch langsamer, dieselben Dienste
der Deckung, Maceration und üeberhäutung,
so dass meist nach 8 — 14 Tagen, je nach
*) Ein Zasatz von 1— 8 7o Gummi elast., in
Benzin gelöst, erhöht zwar die Klebfähigkeit, erzeug
jedoch Spannung durch das sich bildende Gummi-
näntchen, und Reizung in Folge des, wie mir wahr-
scheinlich, mit dem Ceresin Yerbindongen eingehen-
den Benzins.
der Schwere des Falles, die Theerbehandlung
eingeleitet werden kann. Ueber den Vortheil
der schnellen, für Arzt und Patient so be-
quemen Application brauche ich mich wohl
nicht zu äussern.
Bei squamösen und vesiculösen Formen
ist ein Zusatz von Salicylsäure
IV Acid. salicyl. subt. plv. 3,0
Ol. oliv. ^ 17,0
Ger. fl., Lanolini aa 40,0
M. f. pasta.
von vorzüglicher Wirkung. In dieser Form,
ohne jede mehr oder weniger impermeable
Bedeckung, entfaltet die Salicylsäure ihre
schönen keratolytischen Eigeoschaften in
mildester Weise.
Ueber eine Reihe anderer Zusätze will
ich mich hier nicht weiter auslassen, da ich
bei Gelegenheit einer Darstellung meiner
Principien der Ekzembehandlung noch ein-
mal auf diese Materie zurückkommen werde.
///. Flüssige Lanolin-Injection,
Von der Erwägung ausgehend, dass La-
nolin an Schleimhäuten vorzüglich haftet,
beschloss ich, dasselbe durch reichlichen
Zusatz von Oel^) injectionsfähig zu machen.
Bei der merkwürdigen Aufnahmefähigkeit
des Gholesterinfettes für Wasser war es zu-
gleich möglich, die Medicamente in Solution
einzufuhren. Salicylsäure wurde natürlich
in Gel gelöst. So entstanden die Formeln:
1) IV Lanolin, anhydr. 25,0
Ol. amygdal. 75,0
M. (Basis-Injection)
2) IV Zinc. sulf. 0,5
Aq . 4,5
Lanol. anhydr. 20,0
Ol. amygd. 75,0
3) IV Acid. salicyl. 0,25
Ol. amygd. 75,0
Lanol. anhydr. 24,75
nach deren Analogie sich alle gebräuchlichen
Mittel incorporiren lassen. Die Injection
geschieht mit einer gewöhnlichen Spritze.
Die Basis injection, 5 — 10 Minuten in
der Urethra zurückgehalten, wirkt überaus
mild und reizherabmindernd. Noch 24 Stun-
den nachher finden sich Fettpartikel im Urin,
und diese lange Retention erklärt auch die
günstige Beeinflussung des gonorrhoischen
Processes. Ich gebe die Basisinjection im
Stadium acmes, füge dann 8 — 10 Tage ein
antiseptisches oder adstringirendes Mittel
hinzu und beschliesse mit einer iVs % Be*
sorcinlösung in Wasser. Auch bei chronischer
*) Im Winter möchte ich an Stelle von Ol. oliv,
als Geschmeidigkeits-Adjuvaus für Lanolin, das noch
bei — 10 ® klar bleibende Ol. amygdal. empfehlen,
10
74
Radestoek, U«ber Schwltx-Curen bei Syphilii.
[TherapeatlMlia
Monatahefle.
Urethritis anterior sind diese Lanolininjec-
tionen stets mit Vortheil zu gebrauchen.
Die Methode hat nichts gemein mit dem
Verfahren von Tommasoli^), der eine
feste Salbe, nach Art jener zum üeberziehen
von Sonden, mittelst einer besonderen Spritze
einführt.
XJcber Schwitz-Ciiren bei Syphilis.
Vou
Dr. Radestock in Geithain (Sachsen).
Schwitz-Curen sind theils als alleinige,
theils als unterstützende Gurmethoden neben
anderen Behandlungsformen gegen Syphilis
angewandt worden. Die Hütten 'sehen Gua-
jakabkochungen, die in England gebräuch-
lichen Abführthees, das Zittmann'sche De-
coct sowie die Mercurräucherungen, alle diese
Medicationen laufen mehr oder weniger auf
rege Schweisserzeugung hinaus, und in neue-
ster Zeit erfreuen sich noch die heissen
Bäder Aachens oder "Wiesbadens u. s. w.
mit Recht ihres Rufes, die Wirkung der
specifisch - antisyphilitischen Cur zu unter-
stutzen und durch Steigerung des Stoffwech-
sels die Ausscheidung des syphilitischen
Giftes zu erleichtern. Die schweisstreibende
Eigenschaft des Pilocarpins endlich be-
nutzte Lewin in der Charite bei milderen
Formen der Syphilis, in Gaben von 0,015
bis 0,02 einen Tag um den andern gereicht,
wobei er in 2 Jahren 6% Recidive beobach-
tete. Reihen wir hieran noch die Verab-
reichung einfacher warmer Wannenbäder oder
von Dampfbädern in ihren mannigfachen
Formen, so haben wir einen Abriss der zahl-
reichen Modificationen, in denen die Schwitz-
Cur zur Syphilisbehandlung nutzbar gemacht
worden ist.
Keine Schwitz -Cur an sich vermag die
Syphilis radical zu heilen, aber sie ist zur
Unterstützung specifischer Curen unentbehr-
lich.
Man kann leicht beobachten, dass bei
Personen, die infolge ihres Berufes viel schwit-
zen, wie z. B. Berufssoldaten, Heizer u. s. w.,
der Ausbruch der Exantheme ein rascherer
und der weitere Verlauf der Syphilis ein
milderer ist, selbst wenn eine zweckmässige
specifische Behandlung unterblieb. Vielleicht
^) L'iniettore uretrale d'unguenti. Giern, ital.
dolle mal. ven. e della pelle. 1887. Ref.V. f. D. & S.
1888, p. 296.
wirkt die Schweisssecretion ähnlich auf die
Ausscheidung des syphilitischen Giftes ein,
wie die durch das Fieber bedingte Diapho-
rese auf den Ablauf acuter Infectionskrank-
heiten.
Meine persönlichen Erfahrungen über den
Werth der Schwitz-Cur bei Syphilis verdanke
ich einer Reihe verschiedenartiger Fälle, die
theils im Spital, theils unter den gesell-
schaftlichen Rück sichtsn ahmen der Privat-
praxis behandelt, mir nicht nur die Bedeu-
tung dieser combinirten Cur als eine ener-
gische und schnelle, sondern auch als eine
nach Umständen mit den einfachsten Mitteln
durchführbare Behandlung klar legten.
Zunächst lasse ich sofort vom Bestehen
einer Primärsclerose, welche lediglich local
behandelt wird, wöchentlich mehrmals warme
Bäder von ca. 30^ R. und über halbstündiger
Dauer gebrauchen bis zum Auftreten des
Exanthems. Im Falle einer nun einzuleiten-
den Schmiercur wird das heisse Bad nur an
den Ruhetagen nach den einzelnen Touren
verordnet; das nach dem Bade eintretende
Schwitzen wird noch durch Darreichung war-
mer Thees, durch subcutane Injection von
0,02 Pilocarpin oder durch Anwendung des
Schwitzofens auf mehrere Stunden hinaus
verlängert. (Am zweck massigsten ist der
auf der Abtheilung für innere Medicin am
Stadtkrankenhause zu Dresden von Herrn
Geheimrath Dr. Fiedler verwandte und an-
gegebene Schwitzofen, bei welchem die durch
eine Lampe erhitzte Luft mittelst eines Roh-
res dem im Bette in mehrfache wollene
Decken eingehüllten Kranken zugeführt wird ;
dieser Apparat ist wohlfeil, leicht transpor-
tabel und billig zu unterhalten.)
Von Pilocarpininjectionen habe ich ge-
fährliche Nebenwirkungen nicht beobachtet;
nur schwächen sie den Körper mehr als
einfache heisse bezw. Warmluftbäder und
empfiehlt es sich, dieselben nur einen Tag
um den andern anzuwenden. Bei der inner-
lichen Darreichung des Quecksilbers lasse
ich in der Regel, besonders aber in ernste-
ren Erkrankungsfällen, täglich schwitzen.
Die Schwitz-Cur wird auch nach dem
scheinbaren Erlöschen der Krankheit wöchent-
lich je einmal vorgenommen und späterhin
mit längeren Pausen eventuell jahrelang fort-
gesetzt.
Selbstverständlich ist bei der immerhin
ziemlich angreifenden Cur der allgemeine
Körper- und Ernährungszustand sorgfältigst
zu berücksichtigen und eine gute Ernährung
anzustreben; dann wird das Resultat das
denkbar beste sein.
HL Jahrgang."!
Februar 1889J
Helblg, nr-Ozynaphtotefture.
75
Neuere Arzneimittel.
rf-Oxynaphtoösäure.
Von
Dr. Heibig (Dresden).
Aus der neuerdings ziemlich angeschwol-
lenen Litteratur über dieses seit 20 Jahren
bekannte Naphtolderivat, an dem man aber
erst kürzlich antiseptische Eigenschaften
entdeckte, ist Folgendes hervorzuheben.
Das Geschichtliche und die Eigen-
schaften im Allgemeinen schilderte die No. 49
der „Pharmaceu tischen Centralhalle" (Seite 610
u. 611) vom 8. December 1887, ferner Heibig
im 5. Heft des 267. Bandes von „Dingler's'*
polytechnischem Journal (Seite 238). — Das
Darstellungsverfahren und eine Anzahl
Verbindungen der Säure beschrieben
R- Schmitt und Burkard im 20. Jahrgang
der ^Berichte der Deutschen Chemischen
Gesellschaft" (Seite 2699). — Eine Be-
sprechung der chemischen Constitution
erscheint bei dem Umstände , dass nicht
weniger als sieben, (beziehentlich neun) Iso-
meren der Formel
C|0 Hg -< QQQ-g^ = Cji Hg O3
beschrieben sind, von besonderer Wichtigkeit;
sie ist demnächst in einer Monographie von
Burkard zu erwarten.
Yersuche über die Giftigkeit der Säure
stellten an Hausthieren Ellenberger und
Hofmeister an: XIII. Band der „deutschen
Zeitschrift für Thiermedicin und vergleichende
Pathologie".
üeber das bacteriologische Verhalten
in Bezug auf aseptische Wirksamkeit expe-
rimentirte ausführlich Lübbert: No. 2 (vom
15. Januar 1888) des VI. Bandes der „Fort-
schritte der Medicin".
Für die therapeutische Verwendung
würde in Bezug auf innere Krankheiten die
angeführte Arbeit von Ellenberger und Hof-
meister in Frage kommen. Hiernach durch-
läuft das Mittel den Körper unzersetzt; es
könnte also bei Anwesenheit von Mikroor-
ganismen im Blute und bei Rheumatismus
(analog der Salicylsäure) angezeigt erschei-
nen, üeber die Dosirung liegen keine Er-
fahrungen vor , nach den Thierversuchen
werden bei Erwachsenen wenige Decigramme
der gereinigten a-Oxynaphtoesäure in Pillen-
form wohl keine unerwünschten giftigen Wir-
kungen haben.
Als Gonserviiungsmittel für den
Haushalt erscheint theoretisch das Mittel
unzulässig; wer aber beobachtet hat, in
welchen Mengen bisweilen die doch keines-
wegs gleichgültige Salicylsäure von den Haus-
frauen z. B. beim Einmachen von Früchten
aufgestreut wird, möchte die Verwendung
einiger Decigramme a-Oxynaphtoesäure auf
einen Liter Eingemachtes wohl vorziehen.
(? Red.)
Das Natriumsalz würde gegen Gährungs-
processe im Darmcanale und gegen pathogene
Organismen dortselbst angezeigt erscheinen.
Die angeführte Abhandlung von Lübbert
bietet ebenfall j Anhaltepunkte für die äussere
Verwendung. — Das dort erwähnte 0,5%
Collodium hat sich inzwischen bewährt. Es
lässt sich leicht herstellen; beim Stehen im
Licht vergilbt es, scheint sich aber sonst
nicht zu ändern. Aufgestrichen trocknet es
zu einem festen Häutchen ein, es reizt die
Wunde nicht und bietet einen guten Ersatz
für Jodoform- Collodium. Schon die vielen
Vorschriften, welche zur Bereitung des letz-
teren gegeben wurden, beweisen die Schwie-
rigkeit der Anfertigung , ausserdem reizt
Jodoform-Collodium empfindliche Haut, ver-
dirbt leicht und lässt aufgestrichen das
Jodoform sich verflüchtigen. Alle diese Uebel-
stände zeigt das */a pro centige a-Oxynaphtoe-
säure-CoUodium nicht.
Recht brauchbar zeigte sich nach unse-
ren Beobachtungen bei der Behandlung von
Geschwüren und Wunden eine 1% a-Oxy-
naphtoesäure-Watte. Sie bewirkte weder
eine Störung des Allgemeinbefindens noch
eine örtlich^ Reizung, die Asepsie war dabei
vollständig und auch das Aufsaugungsver-
mögen für Wundsecrete den wirksamsten der
bisher angewandten Verbandwatten gleich.
— Zum Zwecke des Versuchs war die
Watte ohne eines der üblichen Fixirungs-
mittel, insbesondere Glycerin, hergestellt. In
einer Originalmittheilung berichtet A. Lüb-
bert: „Die Versuchsergebnisse waren bei
frischer und drei Monate alter Watte gleich.
Sie ist aseptisch keimfrei, d. h. es sind in
der Watte keine Mikroorganismen nachzu-
weisen. In sterilen Nährboden gebracht,
entwickelte sich von der Watte aus kein
Bacterienwachsthum , wobei der Einwand,
dass etwa die mit der Watte eingebrachte
Menge Oxynaphtoesäure den Nährboden un-
tauglich gemacht hätte, ausgeschlossen ist,
da die Nährböden in grossen Quantitäten
Verwendung fanden und die Watte fein ver-
10*
76
H e 1 b i f , rr-Oxyoaphtottiäure.
tTherap< ^
Monats]
theilt wurde. Die Aufsaugungsfähigkeit der
Watte beträgt etwa das 1 Va fache ihres Ge-
wichtes, und diese aufgesogene Menge wird
durch 1 ^/o ige cr-Oxynaphtoesäure - Watte
steril erhalten, gleichviel, ob als Nährboden
stark eiweisshaltige Flüssigkeiten verwandt
wurden, oder ob Kohlehydrate oder Neutral-
fette überwiegend vorhanden sind.'*
Für die Praxis eignet sich derartige
Watte des Abstäubens wegen nicht. Man
wird deshalb ein Fixirungsmittel z. B. Gly-
cerin benutzen und zum Ausgleich anstatt 1 %
etwas mehr Saure nehmen. Ein befrie-
digendes Erzeugniss lieferte ein nach Ana-
logie der Sublimat- Watte der Kriegs- Sanitäts-
Ordnung (Beilage 5 zu § 63; E, 1, 8;
Seite 404, t) angestellter Versuch:
H' Acidi a-oxynaphtoTci 3,5
Spiritus 250,0
Glycerini 50,0
Fuchsini 0,005.
Diese Flüssigkeit kommt auf 200 g Watte;
mit Rücksicht auf das Glycerin ergiebt sich
''~Yr(\ = ^?4% Säuregehalt der trockenen
Watte.
Die Bereitung der Watte geschah bei
den Versuchen selbstredend durch Handarbeit.
Die alkoholische Losung greift hierbei die
Epidermis der Hände merklich an.
Ellenberger und Hofmeister fanden
bei Thieren eine Salbe (l : 20) wirksam gegen
Räude. Die Menschenhaut wird von Vase-
linsalbe 1 : 10 nicht gereizt, letztere erwies
sich als ein vorzügliches Antiscabiosum.
Gegen Psoriasis zeigte sich die Säure in
einem Falle zwar anscheinend wirksam, doch
trat binnen wenig Wochen ein Rückfall auf.
Sollte sich ein passendes Lösungsmittel fin-
den, so möchte es sich empfehlen, das Ver-
halten gegen Psoriasis nochmals zu prüfen.
— Es lösen sich zwar beträchtliche Mengen
der a-Oxynaphtoesäure in Natronlauge, Am-
moniak, Pyridin u. s. w., doch beruht diese
anscheinende Lösung auf Bildung von Salzen
der Säure, wobei letztere gebunden und da-
durch unwirksam wird.
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Verein für innere Medicin (Berlin).
{Sitzung vom 7. Januar 1889,)
Prof. Litten: lieber Kohlenoxyd-
vergiftung. Vortr. stellt ein Ehepaar vor,
das in der Nacht vom 16. bis 17. December
von einer schweren Eohlenoxydvergiftung
betroffen worden ist. Die Frau ist völlig
wiederhergestellt worden, dagegen ist bei
dem Manne eine seltene Folgeerkrankung
zurückgeblieben. Sein rechter Arm war
bereits am folgenden Tage stark geschwollen.
Hierbei handelte es sich um kein eigentliches
Oedem, sondern vielmehr um eine teigige
Infiltration des subcutanen Bindegewebes
und der Muskeln. Die befallene Extremität
war 6 — 7 cm dicker als die gesunde. Die
Haut zeigte eine roth braune Verfärbung,
welche bei Fingerdruck citronengelb (wie
bei Icterus) ward. Ausserdem war eine totale
Lähmung der Motilität und Sensibilität des
Armes vorhanden, die elektrische Erregbar-
keit erloschen. Später zeigten sich auf dem
Handrücken Pemphigusblasen. Die Schwel-
lung nahm anfangs noch zu, dann ab und
verschwand schliesslich. Die übrigen Sym-
ptome bestehen noch fort. — Nach des
Vortragenden Ansicht ist die Kohlenoxyd-
Intoxication die unmittelbare Ursache der
Lähmung. Derartige Fälle sind, wenn auch
in sehr geringer Anzahl, bereits beschrieben
worden. Die betroffenen Individuen sind
fast ausnahmslos zu Grunde gegangen. In
einem einzigen Falle soll Heilung durch
„Galvanopunctur^* erzielt worden sein. In
dem vorliegenden Fall ist L. geneigt, einen
circumscripten hämorrhagischen Heerd im
Gehirn anzunehmen und eine ungünstige
Prognose zu stellen, weil sich bisher noch
keine Spur einer Besserung gezeigt hat.
Was die Transfusion in solchen Fällen an-
langt, so ist dieselbe bisher in 3 Fällen
versucht worden, und diese sind sämmtlich
zu Grunde gegangen. b.
Wiener Doctoren-Collegium.
(Sitzung vom 7. Januar 1889,)
Herr Salz er berichtet über ein auf der
Billrot haschen Klinik gebräuchliches Ver-
fahren, Fremdkörper aus dem Magen
zu entfernen. Dasselbe ist in England
schon lange bekannt und besteht darin, den
Kranken mehrere Tage hindurch Kartoffeln
essen zu lassen. Dadurch wird eine gleich-
tu. Jahrg*ng.'1
Pebmar 1889J
Therapeutische Mlttheilungen aui Vereinen.
77
massige Ausdehnung des Intestinaltractus
hervorgerufen, "welche die Fixirung des
Premdkorpers in einer Falte des Darms
verhindert. S. demonstrirt bei dieser Ge-
legenheit mehrere Fremdkörper, die auf diese
Weise nach Verlauf von 5 bis 9 Tagen ent-
fernt worden sind. Seit Einführung dieser
Procedur wird auf der Billroth' sehen
Klinik fast gar keine Gastrotomie behufs
Extraction von Fremdkörpern mehr gemacht.
Herr Hochenegg demonstrirt einen 6 cm
langen Nagel, der aus einem Knaben mit-
telst der Kartoffelcur herausgeholt worden ist.
Ä.
Gesellschaft der Aerzte in Budapest.
{Sitzung vom 3. Novbr. 1888.)
Herr Arthur Schwarz: Die Frank-
linisation und die Glaser'sche In-
fluenz-Elektrisirmaschine. Vortr. de-
monstrirt die I Gläser' sehe Influenzmaschine
und erläutert das Princip derselben. (Wir
bringen in nächster Nummer einen Original-
artikel über diesen Gegenstand. Red.) Man
hat die verschiedenen Methoden der Frank-
linisation mit gunstigem Erfolge angewendet,
so namentlich die Kopfdouche gegen cere-
brale Neurasthenie, Hemikranie und Kephal-
algie; die Büschelentladung bei Hysterie,
Neuralgien, Tic convulsif und Herzpalpi-
tationen; die Funkenentladung gegen lanci-
nirende Schmerzen, Ataxie, hysterische Läh-
mungen und Muskelatrophie.
In der Discussion heben die Herren
Jendrassik und Laufenauer hervor,
dass sie mit der Frank linisation häufig, aber
nicht constant, günstige Erfolge erzielt haben.
Herr B6kai: üeber Zoster nach
Arsenikgebrauch. Yortragender stellt ein
Kind vor, das wegen Chorea Arsenik erhalten
und am 28. Tage der Medication an Herpes
zoster pectoralis erkrankte. Er hat schon
früher 4 ähnliche Fälle beobachtet. Auf
ein derartiges Yorkommcu ist bereits von
Hutchinson und von Berger aufmerksam
gemacht worden.
{PtsU fMd, Chirurg. Presse 1888, No. 46.) R,
Dr. Josef Lumniczer hält einen Vor-
trag über die Aetiologie des Tetanus.
In der Debatte ergreift Dr. Emanuel Wein
das Wort und erwähnt, dass nach Angaben
des Stabsarztes Tyroch der Tetanus nach
^Exercirschüssen^ viel häufiger auftrete
als nach „scharfen ^^ Schüssen, um die Ent-
stehung des Tetanus zu verhüten, müsse
man auf Fremdkörper suchen; dies müsse
jedoch mit der grössten Sorgfalt geschehen.
Er macht auf den Fall Babrelli's auf-
merksam, wo stündlich 0,02 g Carbolsäure
injicirt wurde. Nach 8 Tagen genas der
Kranke. Dr. Hutyra erwähnt, er habe bei
Pferden mehreremals 8 — 10 g Creolin sub-
cutan angewendet, ohne einen Erfolg erzielt
zu haben. Docent Dr. Jonathan Habe-
rern sagt, dass vor mehreren Monaten auf
der I. Chirurg. Universitätsklinik ein schwerer
Fall von Tetanus nach Jodoformäther-Alko-
hol-Injectionen mit Heilung endete.
Schiisehny {Budapest).
Centralverein deutscher Aerzte in Böhmen.
{Sitzung vom 10. November 1888 in Eger.)
Dr. Müller (Franzensbad): Variola und
deren Behandlung.
Statt sich der (doch nur graduelle
Unterschiede desselben Krankheitsprocesses
bezeichnenden) Ausdrücke Variola und Vario-
lois zu bedienen, hält Verf. es für zweck-
mässiger, nur von „schweren und leichteren
Formen" von Blattern zu sprechen. Von
den schweren Formen unterscheidet er Va-
riola Simplex, confluens und haemorrhagica.
Die Behandlung der leichteren Formen
ist eine mehr symptomatische. Jede Me-
thode wird zum Ziele führen. Betreffs der
schweren Formen aber sind in Beziehung
auf das therapeutische Eingreifen vorzüglich
3 Stadien zu beachten: 1. das fieberhafte
Invasionsstadium, 2. das fieberlose
Eruptionsstadium und 3. das Stadium
der Eiterung.
Im ersten Stadium ist vorzugsweise
die ausgiebige Anwendung der Kälte an-
gezeigt in der Form von frischer Luft,
leichter Bedeckung, kalten Umschlägen und
Einwickelungen. Dadurch wird mehr erreicht,
als durch interne Antipyretica und am ratio-
nellsten der allgemein schädlichen Einwir-
kung der Intoxication auf den Organismus
entgegengearbeitet.
Das zweite Stadium ist das wichtigste
fiir das ärztliche Handeln, denn hier gilt
es, der Ausbildung der Knötchen und Bläs-
chen zur Eiterpustel kräftig entgegenzu-
wirken, um so das dritte Stadium entweder
ganz zu eliminiren oder thunlichst unschäd-
lich zu machen. — Als das wirksamste
Mittel hat M. hier den täglichen Gebrauch
von warmen Vollbädern erprobt. Wo dies
nicht durchführbar war, hat er täglich häufig
wiederholte Waschuugen resp. Abtupfungeii
mit warmem Wasser machen lassen. Beson-
ders im Gesichte und an den Augenlidern
erscheinen letztere sehr wohlthätig. Durch
dieselben wird wahrscheinlich auch das Auf-
treten von Conjunctivitiden hintangehalten.
Die Kranken fühlen sich schon nach den
ersten Bädern recht wohl, das brennende
78
Th«r«petttitche Mittheilungen aus Vereinen.
r1i«rapoatiM]M
Monatoheftc
und spannende Gefühl in der Haut ist yer-
sch wunden. Auch die eigen thümliche Haut-
ausdÜDstung macht sich bald nicht mehr
bemerkbar. — Der Arzneischatz bietet aber
auch Mittel, die durch ihre Wasser ent-
ziehenden uud emulgirenden Eigenschaften
die Eintrocknung der Pusteln direct begün-
stigeu. So hat sich das Glycerin in Form
des Unguent. Gljcerini gut bewährt. M.
lässt nach den Badern und Waschungen
die wichtigsten Theile des Korpers, nament-
lich dort, wo das Exanthem gehäuft erscheint,
häufig mit der Salbe bestreichen. Dies gilt
besonders im Gesichte. Am Kopfe ist eine
schwache Carbolöl-Lösung (l : 300) zweck-
mässig.
Für die Behandlung der Schleimhaut
der Mundhöhle, des Rachens und Oesophagus
sind Milchdiät und Mandelmilch als Getränk
recht zweckdienlich. Kommt man hiermit
nicht aus, so empfehlen sich Mund- und
Gurgel wässer aus einer schwachen Kali-
chloricum-Lösung in einem schleimigen Decoct.
Handelt es sich um einen Krauken, der
sich im dritten Stadium, dem der Eiterung,
befindet, oder liegt eine schwerere Form von
Variola confiuens vor, so tritt neben der
roborirendeu internen medicamentosen Be-
handlung die externe locale in den Vorder-
grund. Es verdient hier die essigsaure
Thonerde alle Beachtung. Alle Stellen, an
denen die Eruption am stärksten auftritt,
werden mit in essigsaure Thonerde-Losung
getränkten Leinwandlappen bedeckt und da-
rüber ein Verband angelegt. — Man kann
auch grosse Pusteln eröffnen und blossliegende
eiternde Stellen mit Jodoform behandeln.
In der Abtrocknungsperiode sind nur alle
2 — 3 Tage Bäder und nach denselben Streu-
pulver aus Amylum am Platze.
Was die Variola haemorrhagica be-
trifft, so soll der Arzt auch bei dieser ver-
zweifelten Form nicht ruhig die Hände in
den Schooss legen. Unter 6 hierher ge-
hörigen Fällen hat M. einige bis zu 8 Tagen
hingebracht und einen, bei dem Lungen-
und Darmblutungen vorhanden, gesund wer-
den sehen. Neben der Berücksichtigung
al Igemeiner hygienischer Maassnahmen bestand
die Behandlung in Essigwaschungen, Ver-
abreichung von China- Decoct mit Mineral-
säuren und Rothwein.
M. hat im Ganzen 93 Fälle behandelt,
von denen 24 zu den leichteren und 69 zu
den schweren Formen gehörten. Von den
schweren kamen
auf Variola simplex 54 Fälle mit 1 Todes-
fall;
auf Variola confiuens 8 Fälle mit 4 Todes-
fällen ;
auf Variola haemorrhagica 6 Fälle mit
5 Todesfällen;
auf Variola sine exanthemate 1 Fall mit
1 Todesfall.
Unter den angegebenen Fällen befanden
sich 55 Kinder und 38 Erwachsene, unter
den Todten 6 Kinder und 5 Erwachsene.
Die Impfung konnte 52 Male nach-
gewiesen werden; 19 waren ungeimpft. Ein
wesentlicher Unterschied im Verlaufe der
Krankheit trat bei Geimpften und nicht
Geimpften nicht hervor, deshalb lässt sich
aus der kleinen Zahlenreihe kein Schluss
zu Gunsten oder Ungunsten der Impfung
ziehen.
Discussion.
Dr. Po Hak hat im letzten Stadium
häufig und von der Decru Station an täglich
Bäder mit Erfolg angewendet. Von Beginn
der Krankheit giebt er innerlich Alkohol.
Dr. Netolitzky spricht gleichfalls für
Anwendung häufiger warmer Bäder. Dem
geheilten Falle von Variola haemorrhagica
gegenüber verhält er sich skeptisch, da es
sich um einen Fall von Morbus Werlbofi
gehandelt haben kann.
Dr. Die SS 1 war Arzt an 2 internen
Prager Abtheilungen. Auf der einen war
die Blatternbehandlung diametral entgegen-
gesetzt der auf der andern gebräuchlichen.
Während die eine Abtheilung ihre Patienten
exspectativ symptomatisch behandelte, be-
handelte die andere nach der hydropathischen
Methode, und die Pusteln wurden mit dem
Lapisstift eröffnet. Der Erfolg war auf
beiden Abtheilungen in jeder Beziehung
derselbe.
Dr. Auer beobachtete im Nürnburger
Krankenhause 400 Fälle, die von Beginn
an mit lauen Bädern erfolgreich behandelt
worden sind. Auf der Klinik von Hebra
sah er 5 schwere Fälle von Variola con-
fiuens im permanenten Wasserbade. Die-
selben genasen.
Dr. Geschier macht Mittheilungen über
die gegenwärtig in Eger herrschende Blat-
ternepidemie.
{Prag, med, Wochtntchr, 1888, No. 4S.)
R.
Gesellschaft der Aerzte in Zflrich.
SommersitzuDfi; im Operationssaale der chirur-
• U tri« •!
gischen Klinik.
{Sitzung am 23, Juni 1888,)
Prof. Krönlein: Demonstrationen:
1. n^ivL 39 jähriger Mann, der wegen
Carcinoma ventriculi vor 16 Tagen der
Re Sectio ventriculi unterworfen w^urde.
Reactionslose Heilung. (Pat. und Präparat
werden demonstrirt.)
m. Jahrgang.!
Febrnar 1889 J
Th«rapeutigcbe Mittheilungen aus Vereinen.
79
2. Der Vater des oben genannten, ein
7 2 jähriger Mann^ an dem wegen Carci**
noma recti die Exstirpatio recti vor
2\/2 Jahren ausgeführt worden war. Auch
gegenwärtig ist Pat. noch recidivfrei und
überaus rüstig und leistungsfähig.
3. Ein Mann, der wegen eines supradu-
ralen Haematoms in Folge Ruptur der Art.
mening. med. trepanirt wurde. Das Sen-
sorium war nach 12 Stunden yollstandig
klar, während Arm und Bein jetzt noch
paretisch sind.
4. Patientin, an welcher vor 3 Jahren
die Exstirpation der Gallenblase mit Erfolg
ausgeführt worden war wegen Cholclithiasis.
Die Anfälle sind seitdem Tollständig ver-
schw^unden. Patientin zur Zeit ganz gesund.
5. Patientin, bei welcher wegen Hydrops
der Gallenblase in Folge von Einkeilung
eines Gallensteins im Ductus cysticus die
sogenannte ideale Cholecystotomie ausge-
führt wurde. Reactionslose Heilung.^
{Corrup.- Blatt ßkr Schweizer Aerzte No. /. 89). R,
Academie des sciences (Paris).
(Stlsung am 31, December 1888.)
Herr Dr. W. Loewenthal berichtet über
die Resultate seiner Untersuchungen über
die Cholera.
Bekanntlich verliert der Cholerabacillus
seine Giftigkeit, wenn man ihn auf künst-
lichem Nährboden züchtet. Um demselben
seine Giftwirkung wiederzugeben, versuchte
L. ihn in einem Brei zu cultiviren, der zum
grössten Theil aus kleingehacktem Schweine-
Pankreas besteht. L. ist nämlich zu der
Ueberzeugung gelangt, dass es gerade der
Pankreassaft ist, der — in Gegenwart von
EiweissstofFen und Peptonen — die giftige
Wirkung des Cholerabacillus hervorruft. Da-
durch wird auch das klinische Bild der Cho-
lera beim Menschen klar; die mit der Nah-
rung eingeführten Bacillen erzeugen, mit
Hülfe des Pankreassaftes dieselbe toxische
Substanz (Ptomain) wie in dem künstlich
hergestellten Brei. Diese giftige Substanz
wird resorbirt nnd ruft die bekannten Sym-
ptome hervor. Vortragender ist nun dahin
gelangt, die Entwickelung des Cholera-
bacillus in seinem Pankreas-Brei zu hemmen,
indem er eine kleine Menge Salol hinzufügt.
Im Körper wird diese Substanz durch den
Pankreassaft zersetzt. Das Salol, welches
den Cholerabacillen Verderben bringt, ist
für den Menschen ein unschädliches Mittel.
Man kann bis 20 g in 24 Stunden neh-
men. Aus diesem Grunde schlägt L. die
Anwendung dieses Mittels bei der Cholera-
behandiung vor. Er hofft, dass es dieselben
Wirkungen beim Menschen entfalten werde,
die er im Reagensglase beobachtet habe. —
(Uebrigens ist Salol bereits früher sowohl
von Sahli als auch von Hueppe gegen
Cholera empholen worden. Red.)
{Le Progres med. 1889 No. 2.) R.
Gynaekologengesellschaft zu Kiew.
(Sitzung vom 30, Jan. 1888.) '
Dr. Ljachnitzky schlägt ein neues Ver-
fahren zur Herstellung keim&eier Laminaria-
stäbe und deren Aufbewahrung vor. Nur
absolut wasserfreier Weingeist und absolut
reiner Aether bewirken keine Veränderungen in
den physikalischen Eigenschaften des Lami-
nariatupels. Der Zusatz vou Jodoform oder
Carbolsäure vergrossert den Umfang des
Stäbchens ein wenig und macht die Ober-
fläche unregelmässig kantig und rauh. Vf.
schlägt vor, jedes Stäbchen besonders in ein
dünnes Glasrohr zu bringen und so während
^/a Stunde imKoch^schen Apparat einer Er-
wärmung auf 150® C. auszusetzen. Die Er-
wärmung muss eine allmähliche sein, weil
sonst die Stäbchen brüchig werden. Darauf
wird die Oe£fnung des Glasrohrs verlöthet.
Vor dem Gebrauch wird das verlöthete Ende
abgebrochen, das Stäbchen mit einer aus-
geglühten Kornzange herausgeholt und so-
fort in den vorher gründlich desinficirten
Cervix uteri eingeführt. Untersuchungen in
der Klinik des Prof. Rein haben gezeigt,
dass solche sterilisirte Stäbchen 24 Stunden
ohne Nachtheil im Cervix liegen können.
Vf. meint, dass sein Vorschlag wenig An-
hänger finden wird^ weil die Meisten heut-
zutage die Dilatation des Cervicalcanales
in einer Sitzung mit dem Heg arischen Dila-
tatorium vorziehen.
{Wratech 1888, No. 7.) fViedlaender.
Medlcal Society of Virginia.
(Ja/iressiUung zu Norfolk am 23,^25. Oct. 1888.)
Dr. Lewis: Zur Behandlung des Ileo-
typhus.
Bei der Behandlung des Ileotyphus ist
im Wesentlichen eine möglichst energische
Anregung der Gallensecretion indicirt, da
die Galle vermöge ihrer exquisit antisep-
tischen Eigenschaften im Stande ist, die im
Darmcanal befindlichen pathogenen Mikroben
zu tödten, resp. ihrer Entwickelung zuvor-
zukommen. Da nun die Quecksilber Verbin-
dungen im Allgemeinen die Gallensecretion
am meisten anzuregen vermögen, so erscheint
ihre Anwendung beim Abdominal typhus
Empfehlung zu verdienen, um so mehr, als
sie selbst ausgezeichnete Antiseptica sind.
j
80
ThermpeutiBch« Mittheliung«li äut Vereinen.
Bfonatahefre.
Leider besitzen indessen die Quecksilber-
verbindungen in Folge ihrer enormen Toxi-
cität unangenehme Nebenmrkungen, so dass
sie auf die Dauer nicht zu verwerthen sind,
da es sonst leicht zur Darmdiphtheric etc.
kommen kann. Denselben Nachtheil be-
sitzen, wenn auch nicht in demselben Grade,
die übrigen die Gallensecretion befördernden
Abfuhrmittel, wie Evonymin, Jalappe, Rha-
barber etc. — Die Ochsengalle, welche inner-
lich gegeben bekanntlich gleichfalls die Gal-
lensecretion steigert, hat den Nachtheil, dass
ihre Wirkung nicht nachhaltig ist. Unter
Berücksichtigung aller dieser Thatsachen
empfiehlt L. folgenden Behandlungsplan für
die Typhuspatienten: Im Beginn der Be-
handlung in 2 stündlichen Intervallen 3 Dosen
von je 0,15 g Calomel und 0,06 g Rhabarber.
Hierauf während des ganzen Verlaufes der
Krankheit Tag und Nacht 10 Tropfen der
officinellen verdünnten Salzsäure in einem
Weinglase Wasser alle 2 Stunden. — Ausser-
dem alle 3 Stunden ein Viertel Glas frischer
Milch, gleichfalls Tag und Nacht. Fällt
der Zeitpunkt für die Milchaufnahme und
die Verabreichung der Salzsäure zusammen,
so ist die Säure zuerst zu geben, da sie
schneller aus dem Magen verschwindet, als
die Milch. — Leiden die Patienten an Schlaf-
losigkeit, so erhalten sie alle 2 Stunden
0,12 g Do wer 'sehen Pulvers, wobei um 2 Uhr
Nachmittags mit der Application begonnen
wird. 4 Dosen zu überschreiten, widerräth
Verf., da er gerade bei Typhus
mehrfach unangenehme Nebenerscheinungen
beobachtet hat. Uebersteigt die Körper-
temperatur 39° C, so lässt Verf. der Pat.
Brust, Schultern, Rücken, sowie die Arme
alle 20 Minuten mit kaltem Wasser ab-
reiben. Im Ganzen hat L. 180 Typhus-
kranke in dieser Weise behandelt und nur
4 Todesfölle hierbei beobachtet.
{The Journal of the American Medical A»aociati*ni
17. lt. 1888.) Lohnstein {Berlin).
Referate.
(Aus der Klinik des Hofrathes Prof. Dr. Meynert.)
lieber die Wirkung des Sulfonals. Von Dr. K r o n -
fcld und Dr. Löwenthal. (Wien.)
Die Verf. verfugen über eine Beobach-
tungsreihe von 220 Verabreichungen an 40
näher bezeichneten Personen. Das Mittel
wurde regelmässig um 7 Uhr Abends verab-
reicht. Es hat in 79 Procent als Hypnoti-
cum gewirkt. Bis zum Einschlafen vergin-
gen gewöhnlich ^/q — 2 Stunden nach der
Verabreichung (in seltenen Fällen ein noch
längerer Zeitraum). Unangenehme Nachwir-
kungen wurden nicht beobachtet. Hie und
da wurde über Eingenommensein des Kopfes
und leichtes Schwindelgefühl am nächsten
Morgen geklagt. Dagegen wird zum Schluss
die günstige Nebenwirkung des Sulfonals
noch ganz besonders hervorgehoben. Ein
jugendlicher Neurastheniker mit Angstgefüh-
len, Weinkrämpfen und öfter auftretenden
Schlingbeschwerden erhielt längere Zeit
dieses Mittel, und es trat nebst ruhigem
Schlaf ein Ausfall aller erwähnten Beschwer-
den ein.
{Wien. kUn. Wochenschr. 1889. No. 2.) R.
lieber die neueren Cannabispräparate. Von
J. Prior. (Bonn.)
Es sind wesentlich drei Präparate als
gute Ersatzmittel der Cannabis indica
empfohlen worden: Cannabinum tanni-
cum, Cannabinon und Balsamum can-
nabis indicae. Dieselben hat P. an einem
grossen Krank enmateriale (Phthisiker, Em-
physematiker, Agrypnie, ältere Leute mit
nervöser Unruhe) erprobt. Was zunächst
Cannabinum tannicum anlangt, so ist
dasselbe an 35 Personen mit 100 Einzel-
dosen versucht worden. Zur Anwendung
kamen Dosen von 0,5 — 1,25. Eine complete
Wirkung trat ein bei 42 Verabreichungen,
unvollständig war der Erfolg bei 17 Ver-
suchen und in 41 Beobachtungen trat gar
kein Erfolg hervor. In denjenigen Fällen,
in welchen die Wirkung eintrat, machte sich
eine halbe bis eine Stunde nach Verab-
reichung des Mittels ein Gefühl von Schläfrig-
keit und Müdesein bemerkbar, dem alsdann
allmählich ein 5 bis 6 Stunden andauernder,
durch nichts gestörter Schlaf folgte. — In
einem Falle von Delirium tremens acutum
kam trotz 2,5 kein Nachlass zu Stande, es
trat sogar eine Steigerung der Exaltation
ein, die erst nach Darreichung von Chloral-
hydrat beseitigt werden konnte.
Das Cannabinon wird von Bombeion
in Chocoladetabletten mit 0,06 Cannabinon-
gehalt hergestellt. Verf. hat dasselbe bei
18 Frauen und 8 Männern versucht und die
III. Jalirgang.1
Febnur 1889. J
Referate.
81
Dosis bei einer Patientin sogar bis auf 0,1
gesteigert. In seinen Scblussfolgerungen
spricht P. dem Mittel jeden Werth ab. Nur
bei Hysterie und leicbter nervöser Erregung
i/var ein günstiger Einfluss unverkennbar.
In ernsteren Fällen führt es dagegen häufig
zu den bedenklichsten Erscheinungen, wie
Kopfschmerz, Erbrechen, Exaltationen u. s. w.
Balsamum Cannabis indicae wurde
10 Männern, in 80 Einzeldosen, gegeben.
Von der Empfehlung DenzeTs ausgehend,
dasB es in Gaben von 0,1 — 0,3 zuverlässig
wirke, wurde einem Emphysematiker mit
hochgradiger Dyspnoe zuerst 0,1 gegeben.
Da diese Dosis nicht wirkte, erhielt derselbe
am folgenden Abend 0,2. Darauf nur vor-
übergehende Erleichterung und Eingenommen-
heit des Kopfes, sowie Verdauungsstörungen.
Bei einem andern Pat. mit Myocarditis trat
nach dem Mittel' eine Verschlimmerung der
Athemnoth und Beklemmung auf. Auch
Schwindelgefühl, Formication und Pulsbe-
schleunigung wurde nach diesem Mittel in
2 weiteren Fällen von Herzklappenfehlem
beobachtet. — Diesen 3 Präparaten ist dem-
nach nicht viel Empfehlenswerthes nachzu-
sagen. Bezüglich der Anwendung des Canna-
binon und Balsamum Cannabis ind. ist be-
sonders bei HerzafPectionen die gross te Vor-
sicht geboten.
(Jffiadk. «Md. Woehtnsehr. 1888. No. 33.) R.
Anwendung von Strychnin bei Delirium tremens.
Von Dr. Manoel Raroos (BrasilieD).
Die ausführlich geschilderte Kranken-
geschichte zeugt zunächst von der Unwirk-
samkeit des Opiums und Morphiums bei den
wiederholten Anfällen von Delirium tremens.
Der 42jährige Patient erhielt in einer ein-
zigen Nacht 15,0 Tinctur Opii und 0,04
Morphin. Hypnon, das in einem früheren An-
falle gute Dienste geleistet hatte, war später
wirkungslos. Desgleichen brachte die An-
wendung Ton XJrethan und Paraldehyd nicht
den geringsten Nutzen. Schlaf und Heilung
erzielten erst subcutane lojectionen von
Strychoin. Von der Lösung:
Strychnini sulf. 0,1
Aq. destill. 10,0
injicirte Verf. dem Pat. um 9 Uhr Morgens
den Inhalt einer halben Pravaz'schen Spritze
(5 mg Strychnin). Um 97a Uhr lässt bereits
die Aufregung nach und Pat. schläft bis
4 Uhr Nachmittags. Nachts erneute Auf-
regung, die indessen nach einer Strychnin-
injection schwindet. Nachdem im Verlaufe
der nächsten Tage im Ganzen 0,04 Strychnin in
Anwendung gekommen, ist Pat. vollkommen
genesen. Während bisher 4 Gentigramm
Morphin und andere Opiumpräparate nicht
die geringste Wirkung hervorbrachten, ge-
nügte 0,01 Morphium nach einer Strychnin-
injection zur Hervorrufung eines festen,
langen Schlafes.
(BulUt. gen. de Thirap. 15. Octbr. 1888.) R.
Strychnin als Antidot bei narkotischen Vergiftun-
gen. Von G. A. Gibson.
Obwohl Strychnin schon während eines
längeren Zeltraumes als Antidot bei Chloral-
vergiftungen angewendet worden ist , hat
dasselbe in der Behandlung von Vergiftungen
mit anderen narkotisch wirkenden Substanzen
bis jetzt keine Beachtung gefunden. Verf.
welcher in dem Strychnin das stärkste Er-
regungsmittel für das Respirationscentrum
sieht, welches wir besitzen, empfiehlt, da die
Narcotica durch Lähmung dieses Centrums
den Tod herbeiführen, die Anwendung dieses
Mittels bei allen Vergiftungen mit narkotischen
Substanzen, um der Lähmung des Athmungs-
centrums entgegenzuarbeiten. G. hat wäh-
rend der letzten drei Jahre mehrere Male
Gelegenheit gehabt, sich von dem günsti-
gen Erfolge subcutaner Strychnininjectionen
(0,0006 — 0,0012 g je nach dem Alter der
Patienten in stündlichen Intervallen zwei
bis drei Male) zu überzeugen. Die Wirkung
gab sich sofort zu erkennen in der erhöhten
Frequenz, der grösseren Regelmässigkeit und
der Tiefe der Athemzüge. Selbst in Fällen,
in welchen die Respiration aufgehört hatte,
begann dieselbe wieder nach der Anwendung
von Strychnin.
Im Anschlüsse an diese Mittheilung giebt
Verf. einige allgemeine Gesichtspunkte für
die Behandlung narkotischer Vergiftungen, von
denen folgende als besonders be achtens werth
hervorzuheben sind. Neben der Entfernung
des Giftes, sei es durch Brechmittel, sei es
durch die Magenpurape, liegt uns die Auf-
gabe ob, die vitalen Centren in Thätigkeit
zu halten, während andrerseits Alles zu ver-
meiden ist, was Erschöpfung herbeizuführen
im Stande ist. Aus diesem Grunde perhor-
rescirt G. die noch vielfach empfohlene Me-
thode , den Patienten durch Umherführen
wach zu erhalten und empfiehlt ein milderes
Vorgehen: Anrufen, Kneifen der Beine und
Arme, leichte Nadelstiche, Senfpflaster an
den Waden , Anwendung des Inductions-
stromes. Die kalte Douche wäre nur mit
grösster Vorsicht anzuwenden. Alkoholische
Stimulantien wären zu vermeiden, da ihre
Wirkung sich zu der des Narcoticums hin-
zuaddirt. Wenn unter der Strychninbehand-
lung keine Besserung der Athmung eintritt,
so ist künstliche Respiration einzuleiten.
Die Anwendung des Strychnins empfiehlt
sich auch bei drohender Herzlähmung als
11
82
Referat«.
rTherapenCiiehie
L Monatsheft«.
Reiz für die motoriscben Herzcentren ; durcli
Ammoniak und Aether könne die Wirkung
unterstützt werden.
Ebenso wie für narkotische Gifte eigne
sich Stryclmin auch als Antidot für allge-
meine Anaesthetica, wie Chloroform.
(Als Antidot bei Chloral- und Chloro-
formvergiftungen wurde Strychnin von Lieb-
reich zu Anfang der siebziger Jahre em-
pfohlen, um der Lähmung der motorischen
Herzgang] ien entgegenzuarbeiten. Ref.)
(Ths rractioner, Deeember 1888, 8.40t), rd.
Ueber die Anwendung der Strophanthuspräparate
im Kindesalter. Von Prof. Dr. R. De mm e in
Bern.
Demme berichtet über die mit Tinct.
Strophanthi in dem unter seiner Leitung ste-
henden Jenner' sehen Einderspitales zu Bern
gesammelten Erfahrungen. Dieselben sind
insofern Yon besonderem Interesse, als die
bis jetzt erschienenen Publicationen sich fast
ausschliesslich mit der Anwendung des Mit-
tels bei Erwachsenen beschäftigen. Die-
sem Berichte schickt Vf. eine kurze Zusam-
menfassung der yon ihm experimentell an
Thieren, spec. am Froschherzen gewonnenen
Resultate über die "Wirkungsweise voraus,
aus welchen, als für die therapeutische An-
wendung von Bedeutung, hervorzuheben ist,
dass eine toxische Beeinflussung des Herz-
muskels, d. h. das Auftreten peristaltischer
Eammercontractionen und Lähmung des
Herzmuskels mit Stillstand in Systole bei
Strophanthus unberechenbarer und plötzlicher
eintritt, als nach Digitalis.
Angewendet wurde das Mittel bei im
Ganzen 21 zwischen dem 5. und 15. Lebens-
jahre stehenden Kindern, und zwar in:
7 Fällen von nicht compensirten Erkran-
kungen der Mitralklappe,
5 Fällen von Scharlachnephritis,
3 Fällen von Pleuritis exsudativa,
2 Fällen von Asthma bronchiale,
2 Fällen von tuberkulöser Lungenphthise,
2 Fällen von Tussis convulsiva.
Bei Kindern zwischen dem 5. uud 10.
Lebensjahre wurde mit 3 Mal täglich 1
Tropfen, bei älteren mit 4 Mal täglich 1
Tropfen in 2 — 3 Esslöffel Zuckerwasser, eine
Stunde nach der Mahlzeit dargereicht, be-
gonnen und allmählich die Dosis auf 4 und
5 Mal täglich 3 Tropfen gesteigert. Bei
den ersten Andeutungen von Uebelkeit,
Brechneigung, Kühl werden der Extremitäten
etc., wurde das Medicament ausgesetzt.
Vf. fasst seine Erfahrungen dabin zusam-
men, dass Strophanthus, bezw. die Tinctur,
auch im Kindesalter in Gebrauch gezogen
werden kann, eine Steigerung der Dosis
über 4 — 5 Mal täglich 3 Tropfen wegen
der Möglichkeit einer plötzlich und uner-
wartet auftretenden Herzlähmung jedoch
nicht rathsam erscheint. Dyspeptische Er-
scheinungen treten nur ausnahmsweise auf.
Bei Kindern unter 5 Jahren widerräth Vf.
die Anwendung gänzlich.
Als prädominirende Wirkung des Stro-
phanthus bezeichnet D. die Zunahme der
durch gesteigerten Blutdruck bedingten Urin-
absonderung unter gleichzeitiger Abnahme
und Beseitigung by dropischer Beschwerden.
Bei normalem oder bereits erhöhtem Blut-
druck bleibt die diuretische Wirkung aus.
Eine zweite, zuweilen augenfällige, wahr-
scheinlich centrale Wirkung ist die Beseiti-
gung dyspnoischer Beschwerden, welche sich
in Fällen mehr chronisch verlaufender Ne-
phritis, bei Asthma bronchiale, Tussis con-
vulsiva geltend macht.
Wenn zwischen der Wirkung des Stro-
phanthus und derjenigen der Digitalis in
vielen Beziehungen eine Uebereinstimmung
besteht, so kommt beiden Medicamenten
doch eine selbständige therapeutische Be-
deutung zu. So vermag Strophanthus nicht
in ähnlich zuverlässiger Weise die Compen-
sation eines Klappenfehlers zu schaffen wie
Digitalis.
Wo es sich daher um rasche Compen-
sirung von Klappenfehlem und um Erzielung
einer prompten Steigerung des Blutdrucks
mit ausgiebiger Pulsverlangsamung handelt,
giebt Vf. der Digitalis den Vorzug, und
empfiehlt die Anwendung des Strophanthus
in Fällen, in denen nach vorheriger Com-
pensation durch Digitalisgebrauch bei ein-
tretender Erschöpfung der Digitalis Wirkung
eine erneute Blutdruck Steigerung behufs Ver-
mehrung der Diurese nothwendig wird.
Ebenso wird Strophanthus in Fällen, in denen
dyspnoische Beschwerden in den Vorder-
grund treten, häuüg mit Vortheil angewendet
werden können. — Zweckmässig erweist sich
häufig eine combioirte Anwendung von Stro-
phanthus und Digitalis.
Bei längerem Gebrauch des Strophanthus
hat Vf. weder eine Cumulirung, noch eine
Abschwächung der Wirkung beobachtet.
Das verwendete Präparat war die
Kade'sche Tinctur (1 : 20).
{23. med. Bericht über die Thäügheit des Jennerechen
Kinderspitales in Bern im Laufe des Jahres 1887.) rd.
Zur Behandlung der Basedow^schen Krankheit
mittelst der Tinctura Strophanthi. Von Daniel
R. Brower. M. D. (Nach einem vor der
Mississippi Walley medical Society St. Louis,
am 25. Sept. 1888 gehaltoDon Vortrage.)
In der Behandlung des Morbus Base-
dowii hat sich dem Verf. in einigen von
in. Jalirgaof .1
Februar 1889.J
Referate.
83
ihm jüngst beobachteteD Fällen die Tinctura
Strophanthi Yon ausserordentlicher Wirksam-
keit erwiesen. — In dem ersten der beob-
achteten Fälle handelte es sich um einen
21 jährigen Mann, der seit mehreren Jahren
an ausgeprägten Symptomen der Krankheit
litt, ohne dass durch Anwendung yon Elek-
tricität, Tonicis u. a. m. die geringste Linde-
rung erzielt worden wäre. Zur Zeit des
Beginnes der Behandlung war die Herzaction
80 schnell, dass es unmöglich war, die Zahl
der Pulsschläge festzustellen. — Die Behand-
lung wurde in der Weise geleitet, dass zuerst
alle 6 Stunden 2 Tropfen der Tinctura
Strophanthi gegeben wurden. Alsdann wurde
die Dosis allmählich bis auf 10 Tropfen
erhöht. Nach wenigen Tagen schon war
unter der Einwirkung dieser Medication die
Pulszahl auf 87 gefallen. — Nach 4 Wochen
konnte man einen Rückgang sämmtlicher
Symptome constatiren. — Während der
Reconyalescenz traten an die Stelle der all-
mählich in immer kleinerer Dosis gegebenen
Strophanthustinctur Tonica. — Ein Recidiy
'wurde nicht beobachtet. — Dieselben Heil-
erfolge wurden auch bei 2 anderen Patienten,
beide ältere Frauen, beobachtet. Auch hier
varen alle anderen Behandlungsweisen toU-
kommen erfolglos gewesen. — Eine gleiche
Wirkung haben übrigens auch andere Au-
toren, u. A. Norman Bridge und Fletscher
Ingals, sowie Bucquoy von dem Medica-
mente gesehen, welches nach der Ansicht
Verf.'s auch bei denjenigen Nervenleiden
indicirt ist, deren Ursprung auf Circulations-
storungen im Rückenmark etc. zurückzu-
führen ist.
(!%€ Journal of the American Medical Asiociation
3. XL 1888.) H. Lohnstein {BerUn).
Zm Therapie des Morbus Basedowii. Von Prof.
Dr. Berthold Stiller in Badapest.
Yerf. schildert die ausserordentlich gün-
stigen Resultate, die er in 2 Fällen yon
Morbus Basedowii yon dem Aufenthalte in
hoch gelegenen Orten (lOOO Meter und dar-
über) erlebt hat. In beiden Fällen handelte
es sich um ausserordentliche Herzschwäche
mit beträchtlichen Stauungssymptomen, welche
beiden Erscheinungen durch einen mehr-
monatlichen Einfluss des Höhenklimas be-
seitigt wurden, auch auf Struma und Ex-
ophthalmus "war der Einfluss ein sehr gün-
stiger. Eine seiner Patientinnen — es handelte
sich in beiden Fällen um Damen — musste
sogar in Schmecks überwintern.
Auf eine theoretische Begründung dieser
Thatsache lässt sich S. nicht ein, er neigt
aber sehr sichtbar zu der Auffassung Waiden-
burg^s hin, der die Wirkung der yerdünnten
Luft auf Grund seiner Versuche für herzstär-
kend hält und sie daher theoretisch Herz-
kranken empfiehlt.
( Wiener medic. Wochen$chr, 2888, No. 27.)
Schmetf {Beuthen).
Ueber die elastische Compression in Verbindung
mit Rippenresection von geringer Ausdehnung
in der Behandlung des Empyems. Von Prof.
Dubruil (Montpellier).
Auf die Anwendung der yon ihm yor-
geschlagenen Methode kam Verfasser im Ver-
laufe der Behandlung eines Falles yon Em-
pyem, welcher „weder durch Thoracocentese
mit Aspiration noch durch Thoracotomie mit
Drainage und antiseptischer Ausspülung hatte
geheilt werden können^.
Es handelte sich um einen 30jährigen
Kranken yon kräftiger Constitution, der seit
Januar 1888 an linksseitiger Pleuritis litt,
und dem nach Anwendung aller üblichen
Mittel schliesslich zweimal — 3 resp. 5 Mo-
nate nach dem Beginne der Krankheit —
mittelst desPotain ^schen Apparates beträcht-
liche Quantitäten Eiters entleert worden
waren. Wiederum einen Monat später wurde
eine Incision im sechsten Intercostalraum,
an der Rückseite gemacht, und ein Drainrohr
ein gelegt ; fast gleichzeitig wurde ein mit der
Pleurahöhle communicirender Abscess in der
Hohe desselben Intercostalraumes, jedoch an
der yorderen Thoraxwand befindlich, eröffnet.
Diese letztere Oeffnung schloss sich bald
wieder; auch die an der hinteren Wand zog
sich beträchtlich zusammen, so dass schliess-
lich der kleine Drain, obwohl er immer noch
eingeführt wurde, nicht bis in den Pleura-
raum mehr reichte. Es hatte dies zur Folge,
dass alle 10 — 12 Tage der Kranke eine be-
trächtliche Temperatursteigerung erlitt und
sein Zustand sich erheblich yerschlechterte,
bis dann jedesmal die hintere Operations-
wunde sich spontan öffnete, eine gewisse
Quantität fötiden Eiters austreten Hess und
sich dann alsbald wieder schloss. In diesem
gefahrdrohenden Zustande sahD. den Kranken
zum ersten Male im Verein mit mehreren
Consulenten.
Man entschloss sich dazu, eine perma-
nente Oeffnung durch Operation zu schaffen
— wie es schon lange yorher hätte geschehen
müssen. Es wurde, entsprechend der wieder
geschlossenen Operationswunde an der Rück-
seite ein Stück der siebenten Rippe yon nur
einem Centimeter Länge resecirt und in der
Folge tägliche Ausspülungen mit Borsäure,
Jodoformglycerin, yerdünnter Jodtinctur yor-
genommen. Die Operation wurde sehr gut
überstanden und der Zustand besserte sich
seither yon Tag zu Tag.
84
Refermto.
rlierapaatSaolia
Monatohefte.
Die Lunge dehnte sich jedoch so bald
nicht wieder aus, und um nun eine bald-
moglichste Vereinigung der Pleurablätter
herbei zufuhren , wandte D. die elastische
Compression an, jedoch derart, dass er nur
allein auf die 7. Rippe wirkte, deren Conti-
nuität durch die Operation gestört worden
war und die sich ja zusammendrücken lassen
musste, bis die beiden Resection senden sich
berührten. Es wurde zu diesem Zwecke
die ganze Brust des Kranken mit einem
starken und gut wattirten Sayre 'sehen Ap-
parat umgeben, der dieselbe völlig umschloss
und nur allein das Niveau der 7. Rippe frei
Hess. Nachdem alsdann ein Drain in die
Wunde eingeführt war, welcher seiner Lage
nach der resecirten Partie der 7. Rippe ent-
sprach, wurde der ganzen Länge dieser Rippe
nach der von dem Apparat leer gelassene
Raum mit einer sehr dicken Lage Watte
ausgefüllt und überdeckt und nun über
dieser eine Kautschukbinde viermal sehr
fest herumgeschnürt. Durch den Widerstand,
welchen der umgelegte Apparat allen Punkten
des Thorax darbot, wirkte der Druck der
Binde allein auf die 7. Rippe und wurde
auch sehr gut ertragen; die elastische Com-
pression wurde täglich erneuert und blieb
alsdann permanent liegen. Beim Verband-
wechsel wurde jedesmal ein Schröpf köpf
auf die Operationsöffnung gesetzt.
Anfangs floss bei diesem Verfahren noch
stets eine gewisse Quantität Eiter ab, doch
verschwand dieselbe alsbald mehr und mehr
und hat schliesslich ganz aufgehört.
Die elastische Compression wurde unge-
fähr 3 Wochen fortgesetzt und hatte zur
Folge, dass die betreffende Rippe in der
That eingedrückt wurde und auch blieb.
Nach der Ansicht von D. ist der Kranke
seither geheilt.
D. hält diese Methode: Resection nur
eines sehr geringen Stückes der Rippe, elasti-
sche Compression und Application eines
Schröpfkopfes für eine sehr vortheilhafte
Nachbehandlung der Empyem Operation gegen-
über der einfachen Drainage, welche in der
That nicht immer ausreichend erscheint.
Durch die Application der Schröpfköpfe
einerseits und die Compression der Rippen
andererseits — von denen man auch meh-
rere an correspondirenden Stellen reseciren
kann — wird die Wiederausdehnung der
Lunge und das Wiederaneinanderlagern der
beiden Pleurablätter erheblich gefördert und
ausserdem durch den Umstand, dass nur
ein geringfügiges Stück einer oder mehrerer
Rippen resecirt wird, die Operation verein-
facht und weniger gefahrlich gemacht.
{Gazette de med. de Paris 1888, No. 52.) MendeUohn.
lieber den Rossbach'schen Stuhl fttr Emphyse-
matiker. Von Dr. D. S. Iwanow.
Die Idee, auf mechanischem Wege die
ungenügende Exspiration der Emphysemati-
ker zu unterstützen, gehört schon den alten
Aerzten, welche während der Exspiration
den Thorax mit den Händen zusammen-
drückten. Prof. Gerhardt (Berlin, klin.
Wochenschr. 1873) rühmt die guten Resul-
tate dieser alten Methode und bedauert nur
deren Unbequemlichkeit. Indem G. 2 bis
3 Mal des Tages mit den Händen die Brust
der Emphysematiker während 20 — 30 Ex-
spirationen comprimirte, constatirte er schon
nach einigen Versuchen Vergrösserung der
vitalen Lungen capacität, Verringerung der
Respirationsfrequenz,höheren Zwerchfellsstand
und Vergrösserung der Herzdämpfungsregion.
— Das von Dr. Feris empfohlene Band für
Emphysematiker entsprach auch bis zu einem
gewissen Grad seiner Bestimmung, wie Con*
trolversuche von Sigrist und Bertensohn
(Wratsch 1884, No. 40 u. 44) gezeigt haben.
Am glücklichsten und am meisten zweck-
entsprechend der Idee der alten Aerzte ist
der Stuhl von Prof. Rossbach, den Patient
selbst handhaben kann und der wegen seiner
Billigkeit leicht zu beschaffen ist. (Eine
genauere Beschreibung seiner Construction
findet man in der Illustr. Monatsschr. für
ärztl. Polytechnik Juni 1887. Ref.) Von
den beschriebenen 3 Fällen genügt als Be-
weis der folgende: 56 jähriger Fabrikar-
beiter, seit 8 Jahren an Husten und
Athemnoth leidend. Constitution normal,
Schleimhäute und Hände cyanotisch, Arteriae
brachiales gleichmässig verdickt und starr;
Thorax fassförmig, Fossa subclavicularis nicht
bemerkbar; trockenes Rasseln und verlän-
gertes Exspirationsstadium. Herztöne rein,
Puls 60 — 65, Lungengrenze bedeutend tiefer
als normal, dementsprechend die Herzdäm-
pfungsregion verkleinert. Milz nicht ver-
grössert, beginnt in der Höhe des 9. Inter-
costalraumes, Leber vergrössert und empfind-
lich auf Druck. — Nach 5tägiger indiffe-
renter Therapie, wahrend welcher Zeit alle
interessirenden Daten bestimmt wurden, be-
gann die Cur mit dem Rossbach' sehen
Stuhl. Derselbe wurde erst 2- und darauf
3 mal täglich angewandt, wobei Patient jedes
Mal 100 — 200 Athemzüge in demselben
machen musste. Nach 15 Tagen verlangte
der Kranke wegen bedeutender Besserung
entlassen zu werden. Bei seiner Ent-
lassung wurde constatirt: Vitale Lungen-
capacität hatte sich von 2800 — 2900 auf
3400 ccm gehoben. (Die Norm beträgt für
das Alter des Pat. nach den Tabellen von
Fabins 3445); der Exspirationsdruck, mit
in. Jalirgmii^.1
Febnur 1889J
Referate.
85
dem Pneumatometer gemeseen, war von 60
bis 64 auf 80 mm Hg gestiegen; Brustum-
fang, in der Höhe der Brustwarzen gemessen,
blieb bei maximaler Inspiration 90 cm wie
vor der Cur, sank aber bei maximaler Ex-
spiration Yon 86 auf 85 cm; somit hat sich
die exspiratorische Excursion um 1 cm ver-
mehrt; Respirationsfrequenz sank von 24
auf 20 — 18; Leber verkleinert und un-
empfindlich , Herzdämpfungsregion deutlich
vergrossert; Hammenge in 24 St. stieg von
1200—1300 auf 1500—1600; das Gefühl
von Luftmangel geschwunden, Treppensteigen
ohne . grosse Beschwerden. Vf. kommt zum
Resultat, dass seine 8 Fälle wegen der er-
zielten bedeutenden Besserung hoffen lassen,
dass der R.^sche Stuhl einst das beste Mittel
zur Heilung des Emphysems sein wird, zu-
mal seine Anwendung dem Gebrauch anderer
bewährter Heilmittel nicht im Wege steht,
wie Aufenthalt im Freien, Ausathmung in
verdünnter Luft, Diät, Expectorantia, Nar-
cotica, Cardiaca.
( WraUch 1888, No. 3.) Friedlaender.
Die intratracheale Zerstäubuncr, eine neue Methode
zum Einführen von Medicamenten in den
Organismus. Von A. F. M o d e s t o w. Disser-
tation St Petersb. 1888.
Vrf. hat unter Prof. Sutschinsky ge-
arbeitet. Sein Zerstäuber besteht aus einem,
mit einer Scala versehenen Reagensglas von
25 com Inhalt, aus einer Pravaz^schen
Nadel mit Seitenoffnung, welche auf das
Zerstäubungsrohr aufgesetzt wird, und aus
einem gewohnlichen Doppelballon zum Durch-
treiben der Luft. Seine Resultate sind fol-
gende: l) Wiederholte Functionen des Ath-
mungsrohrs an Thieren hinterlassen keine
sichtbar unangenehmen^ von dem Trauma
abhängigen Folgen. 2) Die Zerstäubung
indifferenter Flüssigkeiten intra tracheam
wirkt auf die Thätigkeit des Herzens weder
erregend noch deprimirend. 3) Das zer-
stäubte Medicament dringt in die entfernte-
sten Stellen des Respiration stractus, in die
Lungenalveolen und zwar schon während
des Zerstäubens. 4) Symptome der Allge-
meinwirkuDg des betreffenden Medicaments
treten frühestens nach 10 — 17 Secunden ein.
5) Die Dosirung muss die Mitte halten
zwischen der Dosis bei intravenöser und
der bei subcutaner Injectiou, so dass die
kleinste todtliche intratracheale Gabe für
die subcutane Injection nur toxisch, nicht
aber auch todlich erscheint. Bezugnehmend
auf seine Resultate schlägt Vf. vor, die in-
tratracheale Applicationsmethode zu ver-
suchen bei Lungenblutung, bei Vergiftungen,
schweren Malariaformen (?), Cholera (zur
Einführung der ChlornatriumlösuDg).
Friedlaender.
lieber die Wirkung der Fluorwasserstoffsäure in
der Behandlung der Lungentuberculose. Von
Dr. E. Götz, Assistenzarzt am Cantonal-Iios-
pital zu Genf.
Die Idee, die Lungentuberculose mittelst
Fluorwasserstoffsäure zu behandeln, ist be-
kanntlich aus der Beobachtung heraus ent-
standen, dass die in Glasfabriken längere
Zeit hindurch thätigen Arbeiter die ätzenden
Dämpfe, denen sie ausgesetzt waren, nicht
nur ohne Schaden für ihren Respirations-
apparat vertragen, sondern im Gegentheil selbst
fast immun gegen Lungentuberculose werden.
Man constatirte, dass in Gegenden, in welchen
die Lungentuberculose eine sehr häufige Er-
krankung war, die Arbeiter der Glasfabriken
mit einer gewissen Regelmässigkeit von der-
selben verschont blieben. — Auf Grund dieser
Beobachtungen ist die qu. Methode zuerst
von Bastien, und nach diesem von Charcot,
Bergeron, Dujardin-Beaumetz und
Chery empfohlen worden. In jüngster Zeit
sind Ton Garcin und Seiler umfassende
Versuche mit Fluorwasserstoffsäure angestellt
worden, die im Wesentlichen folgendes Resul-
tat hatten: bei 100 Patienten: 14 unver-
ändert, 41 Verbesserungen, 35 Heilungen,
10 Todesfölle. — Im Allgemeinen hat G.
die von den franzosischen Autoren angegebene
Methode, wenn auch mit einigen Modifica-
tionen beibehalten. Der Inhalationsraum ist
eine luftdicht schliessende, etwa 6 cbm fas-
sende Cabine, in welcher sich ein Tisch und
2 Sessel befinden. Die Säure befindet sich
in einem Guttaperchaballon und wird, ausser-
halb des Inhalatoriums, durch eine passende
Vorrichtung mit atmosphärischer Luft in
angemessener Weise verdünnt. Die so ver-
dünnte Säure wird durch, eine Druck- und
Saugpumpe in die Cabine hineingeleitet,
resp. die verbrauchte Luft in einen Abzugs-
schlauch aspirirt. Im Allgemeinen gelangte
ein Gemisch von 25 % Säure und atmo-
sphärischer Luft, zu gleichen Theilen, zur
Anwendung. — Jede Sitzung dauerte etwa
eine Stunde.
Im Ganzen hat Verf. 30 Patienten in
dieser Weise behandelt. — Was die Aus-
wahl derselben anlangt, so hatte man im
Allgemeinen, auf Grund der Ga rein- Seil er'-
schen Erfahrungen nur diejenigen Patienten
für die Behandlung ausgewählt, bei denen
die Krankheit sich noch im Aufangsstadium
befand, wo man also mit einiger Wahrschein-
lichkeit auf eine Besserung hoffen konnte.
— Von Medicamenten, die ausserdem zur
86
Refermte.
rfberftpentiieho
L MonaUhefk«.
Anwendung gelangten, standen in erster Linie
Lebertbran und Cbinawein. — Folgendes Re-
sultat wurde erzielt: 19 erbebliche Besserun-
gen, 3 mal Status idem, 3 Yerscblimmerungen,
5 Todesfölle.
Wie von vornherein zu erwarten war,
wurden die eclatantesten Heilerfolge in den-
jenigen Fällen beobachtet, in welchen es
sich um Krankheitsprocesse im Initialstadium
handelte. Indessen konnte man auch in den-
jenigen Fällen einen sichtbaren Erfolg beo-
bachten, in welchen bereits Erscheinungen von
mehr oder weniger vorgeschrittener Erwei-
chung in den Oberlappen vorhanden waren.
Absolut negativ war der Heilerfolg bei den
Patienten, bei denen man bereits Cavernen-
bildung nachweisen konnte. — Meist konnte
man bei Männern eine weit grossere Toleranz
der Methode gegenüber beobachten, als bei
Frauen, die ohne Ruhepause fast niemals
eine volle Stunde hindurch in dem Inhala-
torium zubringen konnten. — Eine Ausnahme
hiervon bot merkwürdigerweise eine schwan-
gere Patientin dar, welche nicht weniger als
50 Sitzungen durchmachte, ohne dass die
Gravidität auch nur die geringsten Störungen
erlitten hätte. — unter den Symptonen, die
auf eine Besserung während der Behandlung
schliessen lassen, steht in erster Linie die
Wiederkehr des Appetits und in Folge dessen
auch das Steigen des Körpergewichts, so dass
6. die Möglichkeit, dass die Fluorwasserstoff-
säure eventuell im Magen eine der Salzsäure
ähnliche Rolle spiele, was bereits Lupine be-
hauptet hat, für keineswegs ausgeschlossen
hält. — Weiterhin tritt unter der Behand-
lung sichtlich eine Verminderung der profusen
Nachtschweisse ein. — Weniger beeinflusst
wird der Verlauf des Fiebers. — Dagegen
macht sich von den eigentlichen respirato-
rischen Beschwerden zunächst ein deutlicher
Nachlass der Dyspnoe bemerkbar, während
gleichzeitig die Expectoration gänzlich ver-
schwindet. — Wenig wird durch die Inhala-
tion der Husten, die Diarrhoe gar nicht be-
einflusst. — Auch durch die physikalische
Untersuchung des Thorax lässt sich eine
wesentliche Aenderung nicht nachweisen;
ebenso wenig konnte man eine Verminderung,
geschweige ein Verschwinden der Tuberkel-
bacillen im Sputum ermitteln. — Bei alledem
ist es ein Vorzug der Methode, dass man
erhebliche Störungen bei ihr fast niemals
beobachtet; nur 3 Patienten wurden im Laufe
der Behandlung von Hämoptysis befallen.
(Revue de la Suitse Romawde 1888^ No. 8-)
B. Lohnttein (BerKn),
Ueber die Scharlachdiphtherie und deren Behand-
lung. Von Prof. Otto Heubner.
H. deflnirt die Schar lachdiphtherie als
entzündlichen Brand der Nasenrachenhöhle
im Gefolge nicht nur des Scharlachs, son-
dern auch als directe Folge der Infection
mit dem Scharlachcontagium. Diese Schar-
lachdiphtherie ist als solche niemals tödtlich,
abgesehen allein von den sehr seltenen Fällen,
wo die brandige Abstossung so tief greift,
dass eine grössere Arterie arrodirt wird.
Eine schwere Form, einen septischen Cha-
rakter nimmt die Scharlachdiphtherie erst
an, wenn der von Löffler in den diphthe-
rischen Membranen entdeckte, wahrscheinlich,
mit dem Rosenbach'schen Streptococcus
pyogenes identische und sich auch häufig in
der Mundhöhle Gesunder aufhaltende Strep-
tococcus in den durch die Lostrennung
der diphtherischen Membranen ulcerirten
Schleimhäuten sich ansiedelt und in die
Lymphbahnen und in das Blut hineinge-
langt. Thatsächlich hat auch Heubner bei
solchen Fällen schwerer Scharlachdiphtherie,
die sich demgemäss als eine Mischinfection
charakterisiren , diesen Streptococcus im
Blute, in der pericardialen Flüssigkeit und
im Gelenk ei t er aufgefunden und rein ge-
züchtet. Diese schwere Form der Scharlach-
diphtherie markirt sich klinisch dadurch,
dass das Fieber nicht in der zweiten Hälfte
der ersten Woche, ja auch nicht in der
ersten Hälfte der zweiten Woche absinkt,
sondern anhält und sogar ansteigt und dass
die Lymphdrüsen stark anschwellen. Diese
Form der Scharlachdiphtherie führt sehr
häufig zum Tode und zwar durch Drüsen-
nekrose, Zellgewebsbrand, Blutungen, sep-
tische Pleuritiden und Nephritiden, septische
Thrombosen und pyaemische Metastasen, Ge-
lenkeiterungen.
Vf. beschreibt nun eine Behandlungs-
methode dieser Diphtherie, die 1877 von
Taube angegeben und seit 1880 von H. mit
ausserordentlichem Erfolge angewandt worden
ist. Diese Methode besteht darin, dass regel-
mässig vom Beginn der oben genannten
Symptome an 2 mal täglich in das Gewebe
der Tonsillen und des weichen Gaumens je
eine halbe Spritze einer 3 — 5 % Carbolsäure-
lÖsung eingespritzt wird. Die Spritze ist
eine gewöhnliche Pravaz-Spritze, nur hat die
Canüle eine besondere Form, welche ein zu
tiefes Einstechen derselben verhindert. (Solche
Canülen sind erhältlich bei Möcke, Leipzig,
Universitätsstrasse.) Die Einspritzungen
müssen so lange fortgesetzt werden, bis die
Drüsen wieder abgeschwollen sind und das
Fieber wenigstens am Morgen nahezu bis
zur Norm abgesunken ist.
(v. Volkmann'* Sammlung hliniaeher Vorträge No. 322.)
Schmey {Beuthen).
ni. Jahrgang.^
Febmar 188Ü J
Rafermte.
87
Ueber den Einfluss der Massage auf die Harn-
secretlon. Von Dr. Anton Bum (Wien).
Bum bat im Laboratorium des Prof.
V. Bascb Versuche über die Einwirkung der
Massage auf die Hamsecretion an Hunden
ausgeführt, welche zu dem Resultate führten,
dass die Massage (in den Besehen Ver-
suchen die der Hinterbeine) die Hamsecre-
tion steigert.
Diese Einwirkung der Massage auf die
Hamsecretion, welche im Allgemeinen keine
dauernde, sondern gewöhnlich rasch vorüber-
gehende war, erwies sich als unabhängig
von dem Blutdruck, sodass dieselbe nicht
als Folge einer durch die Massage gesetzten
BlutdrucksteigeruDg aufgefasst werden kann.
Die Versuche lehrten ferner, dass weder
die Abschneidung der Blutzufuhr zu den
massirten Theilen, noch der Verschluss der
Lymphbahnen die Wirkung der Massage
beeinträchtigt, dass dagegen das Offenbleiben
der Venen eine unerlässliche Bedingung für
den Effect der Massage darstellt.
Vf. kommt hiernach zu dem Schluss,
dass j das aus den Venen in den Kreislauf
gelangende Blut auf die Diurese anregend
wirke, dass es jedoch nicht die Quantität,
sondern die Qualität des durch die centripetale
Massage auf dem Wege der Venen in den
Kreislauf geförderten Blutes sei, welche die
harntreibende Wirkung der Massage bedinge,
dass also die Ursache für die harntreibende
Wirkung der Massage in Stoffen zu suchen sei,
welche während der Massage aus der Musku-
latur durch die Venen in den Kreislauf ge-
langen.
Welcher Natur diese Stoffe sind und
welche Veränderung die chemische Zusam-
mensetzung des Harnes durch die Massage
erfahrt, das sind Fragen, die Vf. einstweilen
unbeantwortet lässt.
(Beparat' Abdruck aus der Zeitschr. f. klin. Med. Bd. XV,
H. 3.) rd.
Ueber die Jodoform-Behandlung der tuberculösen
Abscesse, insbesondere der spondylitischen
Senkungsabscesse. Von Prof. Dr. P. Bruns.
Verf. sieht sich auf Grund weiterer Beob-
achtungen von Neuem*) veranlasst, die Jodo-
formbehandlung tuberculöser Abscesse gegen-
über der Behandlung der letzteren mit ein-
facher Function oder mit Injection anderer
Substanzen zu empfehlen. Um dem Einwände
zu begegnen, dass etwa die Alkohol-Glycerin-
Miscbung, in welcher das Jodoform sich be-
fand, jene antibacillare Wirkung hervorbringe,
Tcrwandte Verf. neuerdings nur Mischungen
Yon Jodoform mit Glycerin oder mit Gly-
•) S. Therap. Mon.-H. Jahrg. I, No. 5, S. 161
und Jahrg. II, No. 6, S. 289.
cerin und Wasser zu gleichen Theilen, in
letzter Zeit sogar nur mit Olivenöl (l : 10),
und erhielt stets eine gleich constante, gün-
stige Wirkung. Die ätherische Jodoform-
lösung sei wegen störender Nebenwirkungen
jedenfalls zu verwerfen. Die Wirkung des
Jodoforms auf den Abscess ist eine langame,
die Injection ist in 3 — 4 Wochen zu wieder-
holen, der Erfolg aber in Wochen bis Mo-
naten ein ganz zuverlässiger. An 12 neuen
Beispielen wird der letztere erläutert.
{Beiträge tur kUn. Chirurgie Bd. JV. 8, 206.)
Freyer {SUUin),
Eine Methode der Osteotomie bei Genu valgum.
Von Dr. EugenHahn, Director des Kranken-
hauses Friedrichshain.
Nachdem Verf. bisher die Osteotomie
nach Mac Eweu^s Angaben ausgeführt und
die lange Dauer der Operation sowie einige
andere Unzuträglichkeiten derselben stets
unangenehm empfunden hatte, begann er,
auf Vorversucho an der Leiche gestützt, die
Durchmeisselung des unteren Theiles des
Oberschenkels von beiden Seiten in Angriff
zu nehmen. Die Zeitdauer der ganzen Ope-
ration vermindert sich dadurch um das
5 — 6 fache, und man ist im Stande, die
ganze Operation mit einem einzigen Osteo-
tom mit etwa 1 cm breiter Schneide zu Ende
zii führen, während man nach Mac Ewen
das Instrument meistens öfter zu wech-
seln genÖthigt war. Der Meissel wird
dicht oberhalb der Tuberositas condyli in-
terni femoris rechtwinklig zur Längsaxe des
Knochens aufgesetzt und dringt etwa 2 — 3 cm
in den Knochen ein. Ein 1 cm langer Haut-
schnitt für jede Seite ist ausreichend. Die
Vortheile dieser Art des Operiren s sind so
grosse, dass Verf. das Verfahren zur Nach-
ahmung warm empfiehlt.
[Ctntralblf. Chirurg., 1888, No. 48.)
Preyer (Stettin).
Ueber die Aethernarkose. Von Dr. Fritz Dum ont,
Arzt am Diakonissenspital Salem in Bern.
Verf. sucht auf Grund eigener und der
in Genf gemachten Erfahrungen der Aether-
narkose das Wort zu reden und hebt die
Vorzüge, die dieselbe vor der Chloroform-
narkose hat, im Einzelnen hervor. Sie ist
weder unangenehmer, als die Chloroformnar*
kose, noch complicirter, sofern man sich der
modificirten Julliard 'sehen Maske bedient;
auch tritt das Erbrechen seltener auf und
die Narkose ist eine eben so anhaltende,
wie beim Chloroform. Der Aether reizt
allerdings mehr die Bronchien und ist daher
bei acuter Erkrankung der letzteren nicht
zu gebrauchen; er ist wohl auch bis zu
88
Referate.
rrherapcntia^e
L Monatshefte.
einem gewissen Grade feuergefährlich. Allein
die durch ihn erzeugte Narkose ist vor Allem
weniger gefährlich, was durch Zahlen
belegt wird, und zwar liegt dies daran, dass
der Aether auf das Respirationscentrum,
das Chloroform auf das Herz wirkt. Bei
richtiger Anwendung und unter genauer
Controlirung der Respirationsbewe-
gungen lasse sich stets eine sichere und
zufriedenstellende Narkose erzielen. — Die
Mischnarkosen, Chloroform mit Aether,
Alkohol mit Aether, oder zuerst Chloroform,
dann Aether und umgekehrt, stehen gegen
die Aethernarkose durchaus zurück.
{Corrtspottdem-Bl./. Schweizer Aerzte, J88S No. 23.)
Freyer {SteUin).
Zur Stickozydul- Sauerstoff- Anästhesie In der
Geburtshilfe. Von Dr. v. Swi^cicki- Posen.
Nachdem die Stickoxydulsauerstoff Nar-
kose Yon Winkel und Zweifel in ihren
Lehrbüchern empfohlen, von Anderen gleich-
falls als ungefährlich und vorzüglich erkannt
worden ist, glaubt Verf. die Ursache für die
noch fehlende Einfuhrung dieser Anästhesie
bei Geburten zur Beseitigung der „obligaten
traditionellen Schmerzen" in das Fehlen
eines leicht transportablen Apparats und der
Condensirung des Gasgemisches (^/sNaO+Vs 0)
in einer Flasche verlegen zu müssen. Er
hat daher eine solche Condensirung hergestellt
und wendet einen von Ash & Sons, Berlin
gelieferten Apparat an. (Diese Firma liefert
eine eiserne Flasche mit 220 1 des Gas-
gemisches für 15 M. ab Berlin.) Nunmehr
glaubt V. S., steht der allgemeinen Einführung
dieser vorzüglichen Methode zur Anästhesi-
rung nichts mehr entgegen.
{Centralbl. /. Gynaekol. No. 43.) Landsberg {Stettin).
Kali hypermanganicum gegen Amenorrhoe und
Dysmenorrhoe. Von Priv.-Doo. J. M. Lwow.
Seine 187 Fälle theilt Verf. in 5 Gruppen:
1. Junge, im Allgemeinen gesunde, etwas
chlorotische Mädchen mit Klagen über Ver-
ringerung und heftige Schmerzhaftigkeit der
Menstruation (32 Fälle). Alle wurden schnell
geheilt durch 0,24 — 0,36 Kali hjpermanganic.
pro die (mit Extr. Pulsatill.), das kurz vor
der Menstruation genommen wurde. 2. Frauen
mit zu starker Involution des Uterus nach
der Geburt oder mit Atrophia uteri et ovari-
orum (17 Fälle). Bei den meisten waren
seit der letzten Geburt ca. 2 Jahre verflossen.
Kali hypermanganicum in derselben Dosis
aber ohne Unterbrechung 3 — 6 Monate hin-
durch, rief schon nach 4 — 6 Wochen Men-
strualblutung hervor, Welche durch weiteres
Fortgebrauclien den regelmässigen Typus an-
nahm. 3. Verlangsamte Involution des puer-
peralen Uterus in Zusammenhang mit ab-
gelaufenen Entzündungsprocessen des Uterus
und dessen Umgebung; die Menstruation nur
minimal, dafür abersehrschmerzhaft(62 Fälle).
Die Resultate sind auch hier befriedigend,
obgleich in einigen Fällen kein Erfolg ein-
trat, und zwar in solchen, in w^elchen die
puerperale Erkrankung irreparable Verände-
rungen hinterlassen hatte. 4. Blennorrhoea
vagiuae et uteri (65 Fälle). Hier hatte trotz
länger fortgesetzten Gebrauches Kali hyper-
maug. gar keinen Erfolg. 5. Frauen, bei denen
das Klimacterium zu früh begonnen hat, die
Menstruation zu 35 — 40 Jahren cessirte
(11 Fälle). Auch hier war Kali hypermang.
absolut ohne jeden Erfolg.
(Medicynskoje oboseenje 1888 No. 19. WraUch 1888 No.6.)
Friedlatnder,
Zur Verwendung des Creolln, Jodoform und Anti-
pyrin bei Augenkranken. (Bericht aas der
Abtheilung für Augenkranke des Pressbarger
Landes-Spitales.) Von Dr. £ dm. M er gl.
Eine 1 % ige Losung des Creolin wurde
bei Conjunctivitis catarrhalis, Tra-
chom und Hornhautentzündung ange-
wendet. Bei ersterem Leiden wurde mit
erwähnter Lösung touchirt. Die Hyperämie
der Bindehaut war in 1 — 2 Tagen ge-
schwunden, die Schwellung derselben und
das eitrige Secret nahmen ab, horten jedoch
nicht auf, ja es trat sogar eine leichtere
Verschlimmerung ein, wenn das Creolin fort-
gesetzt wurde. Als Verf. zum Lapis zurück-
griff, ging die Besserung wieder rasch von
Statten. Es wurde daher die Behandlung
mit Creolin begonnen und nach 2 — 3 Tagen
touchirte man mit einer 1 ®/o igen Lapis-
lösung. — Bei chronischem Bindehaut-
katarrh nützt das Creolin gar nichts, es
wurde nur dann in Anwendung gezogen,
wenn die Conjunctiva stark hyperämisch
war. — Die Behandlung des Trachom
konnte nur in einigen Fällen mit Creolin zu
Ende geführt werden, in den meisten Fällen
musste man zum Lapis oder Cuprum sulfu-
ricum greifen. Am besten empfiehlt es sich,
in den ersten Tagen die Behandlung mit
Creolin zu beginnen, und, wenn es mit der
Besserung nicht vorwärts will, zu den bis-
her üblichen Mitteln zu greifen. Durch
diese Behandlung wird die Dauer des Lei-
dens wesentlich abgekürzt. Ausgezeichnet
wirkt das Creolin beim Pannus trachomatosus.
Die Conjunctiva wird täglich 2 Mal touchirt
und Atropin in den Bindehautsack einge-
träufelt.
Gegen Hornhautgeschwüre wurde 10%iges
Jodoform-Vaselin angewendet, wodurch die
Heilung des ulcerösen Processes wesentlich
m; Jahrgang.!
Febnur 1889.J
Referate.
89
befordert wurde. Hypopyon yerscbwand
Dach dieser Behandlung binnen 2 — 3 Tagen.
Bei dieser Behandlung musste während
2 Jahren in 50 Fällen von Hypopyon die
Paracentese nur zweimal Torgenommen wer-
den. Die Application des Jodoform-Vaselins
geschieht in folgender Weise: £s wird das-
selbe auf ein Stückchen Gaze gestrichen,
das Auge damit bedeckt, worauf ein Druck-
Verband angelegt wird.
Ueber die bei torpiden Hornhaut-
geschwüren mit Antipyrin gemachten Er-
fahrungen will Verf. später berichten. Bei
grösseren Narben in der Hornhaut wurde
zuerst Cocain eingeträufelt und dann Anti-
pyrin inspergirt. Nachdem die darauf fol-
gende stärkere Thränensecretion aufhört,
wird das Auge massirt. In 3 schweren
Fällen wurde durch diese Behandlung die
Iridektomie unnöthig.
iOrvo» HeH SzemU 1888 No. 34.)
Schtuehny (Bttdapett).
Zur Therapie des Xanthoma. Von Dr. E. Stern
(Mannheim).
Ein 46 jähriger gesunder Mann, der auch
früher nie krank gewesen, hatte an beiden
Canthis internis leicht prominirende, glatte
strohgelbe Xanthelasmen von sammtartiger
Beschaffenheit, die oberhalb des Canthus
rundlich, unterhalb desselben länglich zuge-
spitzt und mit zwei kleineren umgeben waren;
im Ganzen bestanden vier grosse und vier
kleine Plaques. Der Patient wünschte aus
kosmetischen Gründen die Entfernung der
Erkrankung, verweigerte aber dieselbe auf
blutigem Wege (Excision oder Auskratzung).
Verf. yersuchte daher ein lOprocentiges
Sublimatcollodium, welches er zufallig
bei der Hand hatte. Nach einigen Tagen
entstand an den betreffenden Stellen ein
Schorf und nach dessen Abstossung eine
Geschwürsfläche, die sich schnell überhäutete,
sodass von den grösseren Geschwülstchen
noch Umrisse, von den kleineren nichts zu
sehen übrig blieb. Besonders hervorzuheben
ist, dass keine Spur von Retraction, die
nach Excision au den Lidern zu befürchten
gewesen wäre, sich gebildet hatte; ferner ist
die absolute Ungefährlichkeit des Verfahrens
gegenüber der Excision (Wunderysipel) be-
merkenswerth.
{Berl KUn. WocJuchr, 1888, No. SO.)
{George Mvyer (Berlin).
Einspritzungen von Salicyl- und Th3rmol-Queck-
sllber zur Sjrphilisbehandlung. Von Dr.
Jadassohn und Zeising (Breslau).
Die Verff. haben in einer grossen An-
zahl von Fällen von Syphilis die Behand-
lung mit Salicyl- und Thymolquecksilber
ausgeführt und kommen zu folgenden Er-
gebnissen über ihre damit erzielten Erfolge:
1. Intramuskuläre Einspritzungen 10 pro-
centiger Suspensionen von Salicyl- und (essig-
saurem und schwefelsaurem) Thymolqueck-
silber in Paraffinum liquidum bewirken so
selten Schmerzen und so selten — immer
sehr unbedeutende — Infiltrate, dass sie in
diesen Beziehungen von keinem anderen un-
löslichen Quecksilberpräparat erreicht werden.
Bezüglich der Schmerzen ist hierbei das
— im Ganzen eine etwas gesonderte Stel-
lung erfordernde — graue Oel auszunehmen.
2. Diese Einspritzungen bringen die ver-
schiedenen Erscheinungen der Syphilis in
schneller und energischer Weise zum Schwin-
den; sie erreichen nicht ganz die rapide
Wirkung des lOprocentigen Calomelöls, über-
treffen aber in dieser Beziehung das graue
Oel bei Weitem.
3. Zu einer Cur genügen sechs bis acht
Einspritzungen dieser Flüssigkeit gemäss
ihrem Hg-Gehalt vollkommen; man kann
dieselben mit geringeren Pausen, häufig auch
zwei auf einmal, yornehmen, ohne bei ge-
nügender Vorsicht unangenehme Nebenwir-
kungen zu erfahren. Dabei findet — wie
auch die mikroskopischen Untersuchungen
erweisen — die Ausscheidung des Queck-
silbers auch noch eine Zeitlang nach Be-
endigung der Cur statt.
{Vierteljahrschr./. Dermatol. u. Syph. 1888, Heft 5. 8. 781.)
George Meyer {Berlin),
Toxikologie.
Ein Fall von Vergiftung mit Crotonsamen (Semen
TlglU). Von Prof. Hugo Schulz in Greifs-
wald.
Vor einigen Tagen erfuhr ich durch Zu-
fall von einem meiner Zuhörer, dass er
während einer im Juli dieses Jahres von
mir gehaltenen Vorlesung von den zur De-
monstration herumgegebenen Crotonsamen
genossen und danach sehr intensive Wir-
kungen au sich wahrgenommen habe. Ich
12
L
90
ToklkologU.
L Monauhefte.
bat Herrn S., mir, soweit es ihm möglich,
nähere Daten zur Verfügung zu stellen und
ich lasse den Bericht des Herrn S. hier
folgen, weil er zeigt, wie energisch selbst
eine kleine Menge Crotonsamen unter ge-
wissen Yerhältnissen wirken kann:
„Um 8^4 Uhr Vormittags nahm ich von
den herumgereichten Semina Tiglii einen
Samen, biss etwa den vierten Theil davon
ab und zerkaute ihn. Der Geschmack war
anfangs nicht grade unangenehm, nach eini-
gen Secunden indess schon gleich dem einer
ranzig gewordenen Wallnuss, worauf ich die
zerkaute Masse ausspie. Nach etwa 5 bis
10 Minuten, in welcher Zeit ich, um den
Geschmack los zu werden, häufige Schluck-
bewegungen machte, bemerkte ich ein stark
brennendes, kratzendes Gefühl auf dem hin-
teren Theile der Zunge und im ganzen
Pharynx, verbunden mit einem Hitzegefühl
daselbst.
In den folgenden 15 — 20 Minuten merkte
ich, wie die erwähnten Erscheinungen, gleich-
massig fortschreitend, den Oesophagus hinab
bis in den Magen gingen. Mit dem Eintritt
in den letzteren stellten sich heftige, zie-
hende Magenschmerzen ein, die sich bis fast
zur Unerträglichkeit steigerten. Ich muss
bemerken, dass ich an jenem Morgen noch
nichts genossen hatte. Dabei empfand ich
das Gefühl der üebelkeit, kalter Schweiss
trat mir auf die Stirn, zum Erbrechen kam
es indess nicht.
Im Anschluss an die Magenschmerzen
entwickelte sich stark vermehrte Darmpe-
ristaltik. Ich fühlte und hörte deutliches
Kollern im Leibe. Bald stellte sich — es
war gegen 9 Uhr — heftige Kolik und
starker Stuhldrang ein.
Aus der Vorlesung eilte ich direct nach
Hause, musste aber bereits bei einem nahe
gelegenen Wirthshause einkehren, da ich
den Stuhldrang nicht länger aufhalten
konnte. Die Defäcation erfolgte äusserst
rasch, sie war völlig wässerig. Um das
brennende Gefühl im Halse zu beseitigen,
genoss ich ein Glas Bier und ein Buttor-
brod, konnte dieses jedoch nicht verzehren,
da sich wieder heftiger Stuhldrang einstellte.
Auf dem weiteren "Wege nach Hause musste
ich abermals einkehren. Im Ganzen hielt
die Wirkung bis Mittag an, so dass 9 oder
10 Darmentleerungen bis dahin erfolgten.
Weitere Beschwerden empfand ich nicht."
Herr S. ist von grosser, kräftig gebauter
Figur. Der Umstand, dass er am Morgen
des Tages noch nichts zu sich genommen
hatte, hat jedenfalls mit dazu beigetragen,
die Crotonwirkung in so rascher und hef-
tiger Weise sich entwickeln zu lassen. Da
es mich iuteressirte, zu erfahren, wieviel
etwa der vierte Theil eines Tigliumsamens
wiegt, so bestimmte ich an hundert ausge-
suchten Samen das Gewicht. Sie wogen
zusammen 24,2 g, mithin ein einzelner im
Durchschnitt 0,25 g. Der vierte Theil eines
Samens würde mithin 0,06 g wiegen. Die
Samen enthalten rund 50 % fettes Oei, docb
ist in dem vorliegenden Fall jedenfalls nur
ein minimaler Bruchtheil des in dem zer-
kauten Samenstück enthaltenen Crotonöles
in Wirkung getreten.
lieber die Giftwirkuncr des Extractum Filicis
maris aethereum. Im Anschluss an einen
Fall von Vergiftung mit diesem Präparate.
Von Dr. M. F r e y e r , Kreisphysikus zu
Stettin.
Erst wenn man in die Lage kommt, sich
mit einem Gegenstande etwas eingehender
zu beschäftigen, findet man oft, dass die
einschlägige Litteratur des Gegenstandes
nur wenig Ausbeute für das Studium des-
selben darbietet. So ging es mir, als ich
vor einiger Zeit in gerichtsärztlicher Be-
ziehung vor die Frage gestellt wurde, ob
in einem gegebenen Falle eine Vergiftung
mit Extr. Filic. vorliege.
Ueber eine Giftwirkung des Extr.
Filic. ist in den gangbaren Lehrbüchern
nicht viel zu finden. Die meisten derselben
sprechen vorwiegend von der Wurzel des
Farnkrautes, und wo von dem Mittel, gleich
ob Wurzel oder Extract, die Rede ist, wer-
den nur allenfalls „üble Nebenwirkungen
nach grossen Gaben" und zwar als solche
Uebelkeiten, Erbrechen und Diarrhoe ange-
führt. Nur Schmiedeber g^), indem er von
den Anthelminthicis im Allgemeinen spricht,
sagt: ,,Alle hierhergehörigen Präparate oder
ihre wirksamen Bestandtheile verursachen
nach grossen Gaben Vergiftungserschei-
nungen, die vorzugsweise das Centrai-
ne rvensystem betreffen". Irgend einen
Todesfall jedoch nach dem Genuss von
Extr.' Filic. weiss keines der Bücher anzu-
geben. Erst die neuere und neueste Lit-
teratur bietet einen Fall von tödtlicher Ver-
giftung und mehrere mit mehr oder weniger
schweren Vergiftungserscheinungen dar, wäh-
rend ich in der Lage bin, nunmehr noch
einen Fall von Vergiftung mit tödtlichem
Ausgang hinzuzufügen.
Die Vergiftungserscheinungen in den
einzelnen Fällen waren folgende:
In dem aus Amerika bekannt gewordenen,
tödtlich verlaufenen Falle^), welcher einen
^) Grundriss der Arzneimittellehre, S. 141.
») The Lancet, 1882, Vol. II, S. 630.
Febnur 1889
:]
ToJdkoloKitt*
91
30 jährigen Mann betraf, traten wiederholtes
Abführen nnd Erbrechen ein, allge-
meines elendes Befinden, Magen-
schmerz, Krämpfe in Händen und'
Füssen und schliesslich unter Coma der
Tod, ca. 20 Standen nach dem Einnehmen
der ersten und 14 Stunden nach der an-
deren Hälfte des Mittels^).
Spencer Cobbold^) weiss im Anschluss
an diesen noch mehrere Fälle anzuführen,
in deren einem bei einem Erwachsenen nach
ca. 7 g eine schwache Attacke von Gelb-
sucht erfolgte, während in einem anderen
Falle, bei einem 7 jährigen Knaben, nach
3,6 g Geistesverwirrung auftrat. Ausser-
dem will er von einem Falle gehört haben,
in welchem nach 10 g „schwere Sym-
ptome^ auftraten, ohne anzugeben, welcher
Art diese letzteren gewesen.
Durch die Güte des Herrn Prof. Lieb-
reich in Berlin ist mir eine Beobachtung
zugänglich gemacht worden, ''die ein Arzt
in Livland (Dr. Apping in Wolmar) neuer-
dings an sich selber angestellt hat. Eine
Stunde nach dem Einnehmen von 4 g des
dortigen, allerdings erheblich wirksameren
Präparates stellten sich Aufstossen, kal-
ter Schweiss auf der Stirn, Schwindel
und Zittern am ganzen Korper ein,
dann Erbrechen und Durchfall und
schliesslich eine Ohnmacht, die etwa eine
Stunde andauerte. Erbrechen und Durchfall
wiederholten sich auch später noch, wenn
auch nur in grösseren Pausen, worauf am
nächsten Morgen wieder Wohlbefinden vor-
handen war.
H. Mencke^) sah in einem Falle nach
20 g Extr. Filic. Eiweiss und Cylinder
im Harn, und in einem neuerdings von
Dr. Bayer*) berichteten Falle stellten sich
bei einer 26jährigen Frau nach 17 g des
Extractes (zusammen mit der gleichen Menge
Extr. p. granati) wiederholtes heftiges Er-
brechen und Diarrhoe, dann ein unge-
heures Schwächegefühl, Ohnmächten
und schliesslich ein soporöser Zustand
ein, der 30 Stunden andauerte, und aus
welchem sie nur durch oft erneuerte Wieder-
belebungsversuche erweckt werden konnte.
*) Die VerordDong lautete:
IV. Extr. aeth. filic. mar. IVs oz (= 43,2 g)
(irrthümlich statt IV3 Drachms = 5,4 g)
Polv. Kamalae 3 Drachms (= 10,8^g)
granati rad. 3 -
Macilag. acac.
Syr. simpl. q. s.
Aq. cinnam. ad 4 oz (= 115,2 g).
*) ibid. S. 683.
*) Ztschr. f. klin. Med. 1883, Bd. 6.
^ Prag. med. Wochenschr. No. 41, 1888.
Nach dem Erwachen bestand linkerseits
Amaurose und Pupillenstarre, welcher
Zustand sich erst nach 48 Stunden zu bes-
sern begann und bis auf einen leichten Licht-
nebel in 14 Tagen allmählich verschwand.
In meinem Falle endlich hatte ein 2^/4
Jahre altes Kind 8 Kapseln zu je 1 g Extr.
Filic. und 1 g Ol. Ricini und 2 Kapseln mit
reinem Ol. Ricini in ca. 5 Stunden erhalten.
Es wurde alsbald somnolent und verfiel
auch in einen kürzeren Schlaf, aus dem er-
wacht es der Mutter geistig benommen,
verwirrt und überhaupt „wie gelähmt"
erschien. Es konnte sich nicht mehr vom
Bette erheben, griff unruhig mit den Hän-
den hin und her, zog die Füsse an den
Leib heran, verdrehte die Augen, auch stellte
sich ein fast ununterbrochenes Auf-
stossen resp. Schluchzen ein, das sich
immer mehr verstärkte. Abends erhielt das
Kind ein homöopathisches Medicament, von
dessen Lösung ihm im Laufe der Nacht
mehrere Theelöffel voll eingegeben wurden;
doch verschlimmerte sich der Zustand zu-
sehends, die Schwäche nahm mehr und mehr
zu, das Gesicht war hochroth, es traten,
wie es scheint, auch noch krampfartige
Erscheinungen zum Schluss hinzu, und
als am nächsten Morgen der Arzt hinzukam,
verschied das Kind in seinem Beisein.
Zum Schluss mögen hier noch diejenigen
Erscheinungen hinzugefügt werden, welche
sich nach Vergiftung mit Extr. Filic. bei
Thieren zeigten. QuirlF) experimentirte
in dem pharmakologischen Laboratorium zu
Berlin an Kaninchen, denen er 2,5 — 5,0 des
Extractes, theils rein, theils vorher mit
Provenceröl verrieben, eingab. Er fand eine
doppelte Wirkung, eine directe Einwirkung
auf die Schleimhaut des Magens und Dar-
mes und eine toxische Wirkung auf das
Centralnervensystem. Die letztere documen-
tirte sich in allgemeiner Schlaffheit,
der dann Lähmungserscheinungen folg-
ten, welche, auf Herz- und Athemmus-
keln übergehend, den Exitus durch Col-
laps herbeiführten. Der Tod erfolgte nach
4 — 45 Stunden. Unter den Einzelsympto-
men sind kurze Zuckungen resp. krampf-
hafte Bewegungen der Beine hervorzu-
heben. Ein schwacher Eiweissgehalt
wurde nur in einem Falle beobachtet.
Dies dürfte Alles sein, was über Ver-
giftungserscheinungen nach Extr. Filic. bis-
her bekannt geworden ist.
Versuchen wir, die Einzelerscheinungen
unter gemeinsame Gesichtspunkte zu brin-
^) Experimentelle üntersachungen über die
Wirkung des Extr. FiUc. mar. Ciaug. - Dissert.
Berlin 1888.
12*
92
Toxikologie.
rlierftpeatiadia
Mon&tehefte.
gen, SO haben wir es, abgesehen yon den
Reizerscheinungen seitens des Magens und
Darmes, dem Erbrechen und der Diarrhoe, so-
wie von den vereinzelten Symptomen der Gelb-
sucht und der Albuminurie, fast ausschliess-
lich mit Erscheinungen seitens des Central-
nervensystems zu thun. Dieselben docu-
mentiren sich zunächst in der fast allen
Fällen gemeinsamen allgemeinen Schwäche
und dem elenden, bis zum Collaps gestei-
gerten Befinden, in zwei Fällen sogar zu
vollständigen Ohnmächten ausartend. Als-
dann machen sich die das Gehirn direct
betreffenden Symptome geltend, wie Benom-
menheit, Schwindel, Yerwirrung, Schlaf,
Sopor und Coma, welches letztere selbst in
den Tod übergeht, und endlich die an der
Peripherie des Körpers in die Erscheinung
tretenden motorischen Störungen, wie all-
gemeine Unruhe, Zittern am ganzen Körper,
Aufstossen und Schluchzen, Krampf in Hän-
gen und Füssen und allgemeine krampf-
artige Erscheinungen. Für die toxische
Wirkung des Präparates spricht schliesslich
noch in ganz exquisiter Weise die in dem
einen Falle aufgetretene Amaurose nebst
Pupillenstarre. In üebereinstimmung mit
den Erscheinungen am Menschen stehen die
an den Thieren beobachteten, die ebenso-
wohl allgemeine Lähmungs-, wie Krampf-
erscheinungen darbieten. Ein tödtlicher
Ausgang erfolgte bei zwei Menschen und
bei allen Thieren (8 an der Zahl), an denen
experimentirt worden ist. Somit bestätigt
sich auch speciell für das Extr. Filic, was
Schmiedeberg ^) für die Band Wurmmittel
im Allgemeinen angenommen, dass es näm-
lich Yergiftungserscheinungen verursacht, die
vorzugsweise das Centralnervensystem be-
treffen^).
Der pathologisch-anatomische Be-
fund in dem amerikanischen Falle bestand
in einer allgemeinen venösen Congestion in
allen Organen , einschliesslich des Gehirns,
des Herzens und der Lungen. Die rechte
Herzhälfke war mit zum Theil geronnenem
8) 1. c.
^ Ich will hier gleich bemerken, dass in zweien
der obigen Fälle neben dem Extr. Filic. noch
einige andere Bandwurmpräparate, in dem einen
P. £&malae und P. rad. granati zu je 10,2 g, in dem
anderen 17 g Extr. p. granati genossen worden sind.
Erwägt man jedoch, dass von dem letzteren Prä-
parate sonst bis zu 36 g and von den beiden er-
steren zu 12 resp. 30 g als Einzeldosis gegeben
worden sind, ohne dass man ihrerseits Yergiftungs-
erscheinungen zu registriren in der Lage war, so
wird man diesen Präparaten eine besondere Be-
ziehung zu den oben angeführten Vergiftungs-
erscheinimgen nicht vindiciren dürfen und somit
berechtigt sein, die beobachteten Giftwirkungen
dem Extr. Filic. allein zuzuschreiben.
Blut gefüllt, die linke war leer. Der Mageu
war leer; an der Cardia war ein congestio-
nirter Fleck von 3" Durchmesser, bedeckt
mit schmalen Streifen extravasirten Blutes.
Die Aussenseite des Dünndarms hatte rosa-
rothe Farbe, die Mucosa enthielt, vornehm-
lich im oberen Theile des Dünndarms, con-
gestionirte Flecke mit schwacher Blutextra-
vasation. Andere Flecke von ganz geringer
Extravasation waren über den ganzen Darm
zerstreut. Auf der Magen- und Darm-
schleimhaut befand sich ein dunkelbraunes,
nach Aether riechendes Fluidum.
fSehlus» folgt.]
Ueber eine bisher nicht beobachtete Nebenwirkung
der Salicylate
berichten G. A. Gibsou und R. W. Felkin
im Januarhefte des Practitioiier. Bei einer
Dame mittleren Alters stellte sich, nachdem
während des Tages Natrium salicylicum in
zweistündlichen Dosen von 1,2 g gegeben
war, am Nachmittag hochgradige Pupillen-
verengerung mit Verlust. der Reaction gegen
Licht und Schwächung der Sehkraft ein.
Daneben bestand Taubheit und heftiger
Kopfschmerz. Die Myosis und der Verlust
der Reaction gegen Licht trat inn3rhalb
8 Stunden nach Beginn der Anwendung aut
und war erst 30 Stunden nach der letzten
Darreichung gänzlich geschwinden. Die
Kenntniss dieser offenbar seltenen Neben-
wirkung ist wichtig, um sich vor diagnostischen
Irrthümem zu schützen. rd.
liitteratur.
Ueber üngflficke in der Chirargfie. Von J. N.
V. Nussbaum. Dritter Abdruck. Leipzig.
Verl. V. Wilh. Engelmann. 1888.
Verf. hatte diese kleine Schrift als Bei-
trag zu einer „Festschrift" Alb. v. Kolli-
ker gewidmet. In derselben will er, wie
es in der Einleitung heisst, versuchen, Un-
glücke, wie sie in der Chirurgie vorkommen,
aufzuzählen und „Andeutungen zu geben,
wie man sich bei solchen Unglücken am
besten benimmt".
Folgen wir diesen therapeutischen Win-
ken und sehen wir zu, was dieser alte er-
fahrene Lehrer der Chirurgie aus seiner
reichen Erfahrung im gegebenen Falle zu
thun bez. zu verordnen für das Beste hält!
Bei der Chloroform-Narkose empfiehlt
er, gegen das Würgen und Erbrechen in
III. Jahrganf.!
Febrnar 1889.J
LItteratur.
93
Folge Ekels Tor dem Chloroform das letztere
mit einigen Tropfen Ol. caryophyllorum
zu parfumiren; es riecht dann chocoladen artig
und benimmt den Ekel. Der durch die
Chloroformdämpfe oft erzeugte Hustenreiz
schwindet, wenn man rasch eine grosse
Dosis des Chloroforms zum Einathmen gibt.
Bei eintretender Asphyxie ist energisches
Hervorziehen der Zunge, beim Ner-
venchoc das Nelatonisiren das Beste,
d. i. das Aufhängen des Fat. an den Füssen,
daneben die künstliche Respiration, um den
Narkotisirten rasch erwachen zu lassen, ist
Amylnitrit brauchbar, gegen Nausea und
Erbrechen nach der Narkose eine Spritze
4 % Cocamlosung, Champagner, Ruhigstel-
lung der Bauchmuskeln durch Aufträufeln
von 40 Gramm Collodium auf den Bauch.
Gegen Trismus und Tetanus habe
sich bis jetzt das Romberg^sche Verfahren,
das Abhalten jeden Reizes der Sinnesor-
gane, am besten bewährt, dazu Chloralhy-
drat und Morphium zur Herabsetzung der
Reflexerregbarkeit. Auch ist während des
Tetanus jeder reizende Eingriff zu vermei-
den, die Entfernung eines Fremdkörpers
daher nur dann gestattet, wenn es ohne
derberen Eingriff geschehen kann.
Gegen Delir. träum, und potator.
haben Bier, Cognac, Opium und Digitalis
neben möglichst frischer Luft die besten
Dienste geleistet.
Bei Fettembolie und Fibrinferment-
Intoxication sind Excitantien zu ge-
brauchen.
Bei Blutungen aus einer grossen Yene
wirkte schliesslich erst die Unterbindung der
gleichverlaufenden Arterien blutstillend. Bei
Blutern sind neben dem Glüheisen weiche,
elastische, impermeable Tampons anzu-
wenden, die Verf. aus Watte oder Schwamm,
mit Guttaperchapapier umhüllt und vermit-
tels Chloroform zugeklebt, zu verfertigen
pflegte. Nach der Tonsillotomie bei einem
Bluter rieth ihm einmal Prof. Baum, noch
besser die Gaumenbögen zusammenzunähen.
Von den blutstillenden Substanzen hält Verf.
Liq. ferr. sesq. und Ergo t in, letzteres in
Injectionsform, noch für die besten.
An Stelle der Trans- und Infusion
hält er die Autotransfusion für weit
I eistungsfähiger .
Bei Knochenbrüchen sei zu beher-
zigen, dass man in der halben Heilnngs-
zeit den Verband erneuere, um ev.
Lageveränderungen der Knochenenden noch
rechtzeitig zu adaptiren. Auch übereile
man nicht den ersten Verband und
warte erst die Abschwel lung der gebrochenen
Extremität ab. Jedenfalls sei jeder Ver-
band zu entfernen, sobald Klagen über Druck
laut werden.
Gelegentlich der Verschluckung eines ab-
gebrochenen Stückes der Schneide eines In-
strumentes (Tonsillotoms) Hess Verf. Zucker-
wasser mit verdünnter Salzsäure trinken, um
das Messerstück schnell rostig und stumpf
zu machen, was in diesem Falle auch gelang.
Bei der Tracheotomie steckt er in die
geöffnete Trachea zunächst den linken Zeige-
finger und führt, indem er diesen entfernt,
die Canüle ein, um nicht den richtigen Weg
zu verfehlen.
Bei Abscessen am Halse operirt er
nach gemachtem Hautschnitt mit stum-
pfen Instrumenten, Komzange oder dgl.
weiter.
Gelang es bei manchen Blasen affectionen
nicht, den elastischen Katheter einzu-
führen, so verfuhr er in der Weise, dass
er zunächst einen vorn durchlöcherten sil-
bernen Katheter einführte, durch diesen eine
ganz feine Fischbeinsonde hindurchschob,
dann den silbernen Katheter entfernte und
nun über das zurückgelassene Fischbein den
ebenfalls vorn durchlöcherten elastischen
Katheter mühelos in die Blase schob.
Im üebrigen ertheilt Verf. für die Aus-
führung der verschiedensten Operationen noch
manchen Wink mehr technischer Natur und
zeigt, wie man selbst bei den anscheinend
schlimmsten Zuföllen, die einem während
der Operation passiren, sich zu rathen wis-
sen müsse und nicht den Muth zu verlieren
brauche. Freyer {SUtün).
Prof. Dr. Herrn, v. ZeissPs Lehrbach der Sy-
philis und der örtlichen venerischen Krauk-
neiten. — Neu bearbeitet von Dr. Maximilian
V. Zeissl, Docent an der Universität in Wien.
— Enke, Stuttgart 1888, 792 S.
In der letzten Zeit sind eine ganze Reihe
von Lehrbüchern der Syphilis entstanden,
von denen man hätte glauben dürfen, dass
sie dem ZeissTschen Werke vorgezogen wer-
den würden, weil sie ein für den Praktiker
erwünschtes Postulat besitzen, nämlich kürzer
zu sein. Allein das umfangreichste Lehr-
buch dieser Disciplin in deutscher Sprache
hat seinen ersten Platz behauptet und wieder-
um eine neue Auflage (die fünfte) erlebt.
Während aber die früheren alle noch vom
Vater Hermann v. Z. herausgegeben wurden,
hat diese Ausgabe sein Sohn Maximilian
V. Z. neu bearbeitet.
Denen, die das alte Buch kennen, \f^t
bekannt, mit welcher Gründlichkeit und Un-
parteilichkeit Z. geschrieben hat. Beides
sind Eigenschaften, die wohl überall, aber
gerade auf diesem Gebiete eine besondere
94
Llttttimtur.
rriienipeatisehe
1. Mon&tsh^k«.
Bedeutung babeu. Die Sypbilis und vene-
riscben Krankbeiten sind derartig, dass sie
aus einem Bucb scbwer oder gar nicht zu
erlernen sind. Der Student oder Arzt muss
selbst seben, füblen und prüfen. Je mehr
er Gelegenheit dazu hat, umso mehr wird
er sich fordern. Die Gründlichkeit des vor-
liegenden Buches, die allerdings seine Aus-
führlichkeit bedingt, ist es, die dem weniger
Erfahrenen bei der Orientirung hilft und
andrerseits dem Kundigen erst recht will-
kommen ist. — "Was dann die Unparteilich-
keit betrifiPt, so ist es allbekannt, wie hoch
die Fluthen bei sjpihlitischen Streitfragen
gingen und gehen, wie einzelne Autoren in
ihren Anschauungen verrannt und alle anders
Denkenden negiren. Z. stellt eine Anschau-
ung neben die andere und erörtert mit
mustergiltiger Ruhe und Sachlichkeit, was
ihm das Rechte scheint.
Diese Vorzüge des alten Buches sind —
wie es auch nicht anders zu erwarten war
— dem neuen treu geblieben. Natürlich
haben die Zeit und Fortschritte der Disci-
plin gewiss Aenderungen erheischt. Manches
ist geblieben und Yieles hinzugekommen.
Das Capitel über Stricturen der Harnrohre,
das gar nicht in ein Lehrbuch der veneri-
schen Krankheiten hineingebort, ist wesent-
lich gekürzt worden. Auch haben einzelne
Capitel, die nicht in gleichem Maasse wie
früher im Vordergrund des Interesses stehen
(endemische Syphilis u. s. w.), eine Kürzung
erfahren. Wir können das nur loben, denn
der Umfang des Buches wäre sonst zu gross
geworden.
Von den Neuerungen steht obenan die
Besprechung des Trippers; die Gonococcen-
Frage und Behandlung des Trippers ist des
Ausführlichen besprochen worden; alle nen-
nenswerthen neueren Arbeiten sind berück-
sichtigt.
Die Syphilisbacillen und das Gontagium
des weichen Schankers werden ausfuhrlicher
behandelt, als im alten Werk. Die syphili-
tischen Erkrankungen des Nebenhodens und
der Brustdrüse sind einer neuen Bearbeitung
unterzogen worden. Der fleissige Verfasser
darf glauben, das erreicht zu haben, was er
bei der Bearbeitung des Buches im Sinne
hatte, nämlich das Andenken seines Vaters
auch bei der heranwachenden ärztlichen Ge-
neration lebendig erhalten zu haben.
Eine Unterlassungssünde ist es, ein so
umfangreiches Buch wie das vorliegende ohne
Sachregister in die Welt zu senden. Dieses
fehlt sehr. Einen kleinen Ersatz bietet das
recht ausführlich hergestellte Inhaltsver-
zeichniss.
Ij$o Catper.
Wie ist unser Hebammenwesen rationell za
bessern? Von Dr. M. Frey er, Kreisphysikas
in Stettin. Berlin, Verlag von Jalius Springer.
1888. 8°. 20 S.
In der vorliegenden kleinen, durchaus
beachtenswerthen Brochüre hält Verf. die
bisher gemachten Vorschläge zur Aufbesse-
rung des Hebammenwesens nicht für aus-
reichend, weil sie der Sache nicht auf den
Grund kommen. Die Hauptfrage, um die
sich Alles dreht, bildet für ihn die Durch-
führung der Asepsis bei den Entbin-
dungen, und dazu bedarf es nach seiner
Meinung in erster Linie einer gründlichen
Ausbildung der Hebammen in der an-
tiseptischen Technik, etwa wie sie die
barmherzigen Schwestern in den Kliniken
sich anzueignen pflegen. Dazu biete aber
die gegenwärtige Einrichtung der Hebammen-
Lehrinstitute keine Gelegenheit, woher Verf.
eine Vorbildung der Hebammen- Aspirantin-
nen durch einen mehrmonatlichen prakti-
schen Cursus in dem Operationssaale
eines grossen Krankenhauses vorschlägt.
Er verlangt erst Ausbildung, dann Fort-
bildung der Hebammen, und fürchtet, dass
ein blosses „Desinfections-Regulativ", wie
es vorgeschlagen worden und auch seitens
der Behörden beabsichtigt werden solle, nur
zur Scheinantiseptik und nicht zur
Anwendung wirklicher Antiseptik führen
werde.
Dass mit der Durchführung der vom
Verf. gemachten Vorschläge das Uebel bei
der Wurzel gefasst werden würde, darüber
dürfte kaum zu streiten sein; die Frage
wäre vielleicht nur, ob das vorgezeichnete
Ziel, die verlangte praktische Vorbildung
der Hebammen in der Antiseptik nicht auch
schon bei veränderter Organisation der Heb-
ammen - Lehrinstitute zu erreichen wäre.
Sollte demnächst ein Desinfections-Regulativ
für die Hebammen in Kraft treten, ohne
dass sonst in der Ausbildung derselben eine
Aenderung einträte, so würde schon die
nächste Zukunft selber entscheiden, ob man
auch ohne Berücksichtigung der Vorschläge
des Verf.^s auskommen kann, oder ob maa
doch genöthigt sein werde, auf dieselben
zurückzukommen. Jedenfalls verdient diese
kleine aber wichtige Schrift unseres rührigen
Herrn Mitarbeiters Beachtung auch über die
Aerztekreise hinaus.
Rabow.
Lehrbach der patholosrisctaen Anatomie. Von
Birch-Hirschfeld. IL Bd. 2. Theil. (Ver-
lag von F. C. W. Vogel in Leipzig.)
Der vorliegende Band enthält den grossten
Theil der pathologischen Anatomie der
ni. JfthrfftDg.l
Febmar 1889.J
Praetlseh« Notizen und empfehlentwerth« Arsn«lform«ln.
95
AthmuDgsorgane, ferner die pathol. Anatomie
der Verdauungeorgane, der • Harn- und Ge-
schlechtsorgane und schliesslich die Befunde
bei einigen Infectionskrankheiten , Vergif-
tungen und gewaltsamen Todesarten. Das
Buch ist mit zahlreichen Zeichnungen und
reichen Li tteraturan gaben yersehen und wird
in jeder Beziehung, wie auch die vorange-
gangenen Theile desselben Werkes, nicht
nur dem pathologischen Anatomen, sondern
auch dem Praktiker eine höchst nützliche
und sehr willkommene Unterstützung bei
seinen Studien sein. Mit diesem Band ist
die 3. Auflage des Werkes abgeschlossen.
ffanttmann (Berlin).
Praetisehe Xotizen
und
emtpfehlenswerthe Arzneiformelii.
Ueber Jodoform -Dermatitis. Von Dr. Israel,
pract. Arzt (Gnesen).
Im diesjährigen Januarhefte der Therap.
Monatshefte wurde in einem Referate über
„Jodoform-Dermatitis und über die Anwen-
dung des Cocain bei einigen Dermatitiden^
Ton Dr. J. Meyer-Budapest berichtet, dass
dieser Autor eine solche Hautentzündung
sogleich nach der Application des Mittels
habe entstehen sehen, dass er aber diese
Dermatitis als Folge des Eratzens betrachte.
Dass diese Ursache sicher nicht für alle
Fälle aufrechtzuhalten ist, beweist fol-
gender Fall aus meiner Praxis: Es handelt
sich um eine Frau mit Ulcera cruris, die
Jahre, lang bestehen und gegen welche
schon alle erdenklichen Mittel angewandt
wurden. Ich machte der Pat. den Vorschlag
eins derselben, welches ihr gerade am un-
bequemsten war, mit Jodoform zu behandeln ;
sie Tersicherte mir, dass dies schon zwei
Mal Ton anderen Col legen Tersucht worden
sei, dass aber beide Mal Blasen und Haut-
roth e aufgetreten seien. Gleichwohl ver-
suchte ich es und brachte einige Erystalle
auf das Geschwür, und zwar so wenige, dass
ich mir einen Heilerfolg hiervon nicht ver-
sprechen konnte. Am nächsten Morgen erst
verspürte Pat. ein deutliches Jucken, und
als sie den Verband entfernte, waren bereits
rings um das Ulcus erbsen- bis wallnuss-
grosse Blasen zu sehen, welche bald barsten,
80 dass ich leider den Inhalt nicht unter-
suchen konnte. An einen Kratzeffect kann
in diesem Falle nicht gedacht werden, da
Pat. einen Verband trug und die Blasen
bereits vorhanden waren, als dieser entfernt
wurde. Das Auftreten der Dermatitis ist
also in diesem Falle nicht Folge des Kratzens,
sondern man muss meines Erachtens nach
eine Idiosynkrasie einzelner Menschen an-
nehmen, bei denen das Mittel auch in ge-
ringster Menge Hyperämie der Hautgefässe
bis zur Ezsudation und Blasenbildung her-
vorruft. Sonstige Nebenerscheinungen sind
übrigens bei meiner Pat. ebenfalls nicht zu
constatiren gewesen. Da das Jucken nicht
zu stark gewesen war, konnte von dem
Gebrauche des Cocains Abstand genommen
werden. Endlich wäre noch zu bemerken,
dass ich des Versuches halber bei derselben
Patientin und denselben Wunden Jodol in
Anwendung gebracht habe. Letzteres brachte
keinerlei Reizerscheinungen, also keine Rothe
oder Blasen und wurde überhaupt gut ver-
tragen. Somit glaube ich auch hierdurch
meine oben ausgesprochene Ansicht bestätigt
zu finden.
Wie conservirt der Arzt seine Hände?
Dr. Georg Meyer (Berlin) berichtet
über die praktischen Erfolge eines ihm von
0. Liebreich vor längerer Zeit empfohlenen
Verfahrens zur Beseitigung der Hautreizung an
den Händen^). Die durch vielfaches Waschen
hervorgerufene Röthung, Ekzeme und Ein-
risse der Haut bedingen ein längeres Fern-
halten von desinflcirenden Flüssigkeiten,
durch welche die genannten Leiden zum
Theil hervorgerufen und sicher verschlimmert
werden. Die Anwendung des Verfahrens
war folgende: die Hände werden mit neu-
traler Seife gründlich gewaschen, gut ab-
gespült und möglichst sorgfältig getrocknet,
dann werden dieselben mit einer kleinen
Menge Lanolin eingerieben und der Ueber-
schuss desselben mit einem trockenen
Handtuch entfernt. Am wirksamsten ist
die Anwendung reinen Lanolin^s:
•V Lanolini 50,0
Vanillini 0,1
Ol. Ros. gutt. I.
Jedoch kann diese Vorschrift auch durch
folgende geschmeidigere Salbe ersetzt werden:
^ Lanolini 100,0
Paraffin, liquid. 25,0
Vanillini 0,1
Ol. Ros. gutt. 1 — 2.
M. f. terendo unguentum.
Für Waschungen ausser dem Hause ist
es vortheilhaft, die Salbe in kleinen Metall-
flaschen, nach Art derer, die zur Aufnahme
von Malerfarben dienen, bei sich zu führen.
') Berliner klin. Wochenschrift 1889, No. 3.
96
Praetltehe NoÜseD und empfehleniwarthe An&elfofmela.
[Therftpeatiach«
' MönäUhefML
Die Einsalbung soll nach jeder
Waschung ausgeführt werden. Dazu ist
zu bemerken, dass das Einreiben ohne
Waschung besonders bei Epidermisrissen
nutzlos ist. Man bemerkt nämlich, dass bei
sogenannten „aufgesprungenen Händen" sich
Schmutz mit grosser Festigkeit in den Rissen
der Haut festsetzt. Dieser ist schwierig zu ent-
fernen, muss aber durch Waschen mit lauem
Wasser möglichst gelöst werden, weil er sonst
dauernd eine Reizung ausübt; erst dann ist
die Einreibung mit obigen Salben wirksam.
Liebreich.
Bei Behandlung der Diphterie
hat Lorey in Frankfurt a. M. mittelst
Einblasen von Zuckerstaub (Deutsch,
med. Wochenschr. 1888 No. 46) sehr gute Re-
sultate erzielt. Die erkrankte Schleimhaut
wird durch den feinvertheilten Zucker, dem
sog. Zuckerstaub der Pharmakopoe, in der
günstigsten Weise beeinflusst. Die günstige
Wirkung des Zuckers auf schlechte Granu-
lationen ist schon sehr lange kekannt. In
den letzten Jahren ist derselbe wieder auf
Yerschiedenen Kliniken beim Verband Ter-
wendet worden. Speciell im Pharynx wirkt
Zuckerstaub auf die entzündete Schleimhaut
wohlthätig und schmerzstillend. In 80 von
ihm beobachteten Diphtheriefallen constatirte
L. eine wesentliche Abkürzung der Dauer
und Ausdehnung des Belages; der faulige
Geruch schwand und die Membranen wurden
lockerer. Das Einblasen erfolgt am besten
mittelst eines kleinen Apparates, der aus
einer das Pulver enthaltenden gefensterten
Glasröhre und Gummiballon mit Schlauch
zusammengesetzt wird. Der Zackerstaub
w^ird möglichst reichlich und oft, je nach
der Stärke der Erkrankung über die Man-
deln, die Racbenwand und in die hintere
Nasenhöhle geblasen. — Von Medicamenten
hat sich, besonders wenn die ersten Zeichen
vom Ergriffensein des Kehlkopfes bemerkbar
wurden, Apomorphin 0,05 — 0,1 auf 120,0
Mixtur bewährt.
Als ein schnell helfendes Mittel gegen Schnupfen
empfiehlt Köhler (Schweiz. Wochenschr. für
Pharm. 1888 No. 49) Campferinhalationen,
die in folgender Weise vorzunehmen sind:
Man schüttet 1 Theelöffel voll gepul-
verten Campfers in ein mehr tiefes als weites
Gefäss, füllt dieses zur Hälfte mit sieden-
dem Wasser und stülpt eine dreieckige
Papierdüte darüber. Die Spitze dieser Düte
reisst man so weit ab, dass man die ganze
Nase bequem hineinstecken kann. Nun
uthmet man die warmen campferhaltigen
Wasserdämpfe etwa 10 — 15 Minuten durch
die Nase (nicht durch den Mund) ein und
wiederholt diese Procedur nach 4 — 5 Stun-
den. — Nach dreimaliger Wiederholung die-
ser Inhalationen soll auch der hartnäckigste
Nasenkatarrh verschwunden sein. Ein etwa
gleichzeitig vorhandener Rachenkatarrh wird
durch die warmen Dämpfe in günstigster
Weise beeinflusst.
Citronensaft gegen Nasenbluten
wird von Dr. Fauchon (Bull. gen. de The-
rap. 15 D^cbr. 1888) empfohlen. In einem
verzweifelten Falle, wo bereits alle bekann-
ten und bewährten Mittel Anwendung ge-
funden und im Stiche gelassen hatten, zog
F. den Saft einer eben ausgepressten Citrone
in eine gläserne Ohrenspritze ein und inji-
cirte denselben in das Nasenloch, welches
der Sitz der Blutung war. Letztere stand
sofort und wiederholte sich nicht mehr.
(Vergl. Therap. Monatsh. 1888 S. 48.)
Glycerinklystiere bei Diarrhöen und Prolapsus
ani der Kinder
empfiehlt G. Rice (The Practitioner 1888.
December). Der Erfolg war in einzelnen
Fällen geradezu zauberhaft. Gewöhnlich
sind nur wenige Injectionen (l — 3) von un-
gefähr 7,5 g Glycerin nothwendig.
Als Vehikel für Antipyrin
empfiehlt Batterbury im Brit. Med. Journ.
Kaffee, wodurch der unangenehme Ge-
schmack des Antipyrin fast gänzlich verdeckt
werden soll.
Prostbeulen an den Händen
verschwinden (nach Schweiz. Wochenschr. f.
Pharm, u. Pharm. Centralhalle 1 889 No. 2) sehr
schnell, wenn man sie möglichst oft mit ab-
solutem Alkohol wäscht oder befeuchtet.
Frostbeulen an den Füssen
behandele man Morgens und Abends mit
einigen Tropfen Ammon. sulfo-ichthyolic. oder
bepinsele sie mit einer Mischung aus 1 Th.
Jodtinctur und 7 Th. Collodium elasticum.
Die Strümpfe sind während der Nacht nicht
abzuziehen.
Gegen Taenien:
iV Ol. Crotonis gtt. I.
Chloroform. 4,0
Glycerin. 30,0.
D. S. Morgens nüchtern zu nehmen.
Abends vorher salinisches Laxans. Sonst
keine Vorbereitungscur. (Union med. 120
und Corresp.-Bl. f. Schweiz. Aerzte 1889
No. 2.)
YerUir von Julius Springer in Berlin N. — Druck von Gustav Schade (Otto Francke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. März.
Originalabhandlnngeii.
Ueber die Behaiidlimgr der Hydrocele
vagrlnalis mittelst Injection reiuer Car-
bolsäure nach lievls.
Von
Prof. Helferich in Greifswald.
Zur Heilung der Hydrocele yaginalis
wird bekanntlich jetzt in Deutschland in
den weitaus häufigsten Fällen die Radical-
operation mit dem Schnitt vorgenommen.
Diese Operation, unter antiseptischen Cau-
telen ausgeführt, wurde zuerst von T hier seh
in seiner bekannten Arbeit über die L ister '-
sehe Wundbehandlung und die Anwendung
der Salicylsäure beschrieben (1875, 4 Fälle),
dann namentlich aus der Hallenser Klinik
von Volkmann (1876) und Genzmer(l878)
in etwas anderem Verfahren in die Praxis
eingebürgert. Seitdem sind weitere Modifi-
cationen der Operation beschrieben, z. B. ver-
schiedenartige Ausführung des Verschlusses,
der Drainage der Wunde, Exstirpation des
ganzen parietalen Theiles der Scheidenhaut etc.,
welche alle auf möglichst rasche und solide
Heilung, besonders auf sicheres Vermeiden
von Recidiven gerichtet sind. Und es ist
zweifellos, dass diese Operation jetzt für
alle möglichen Formen von Hydrocele vagi-
nalis einen raschen und sicheren Verlauf,
sowie grösste Sicherheit gegen Recidive
bietet.
Dem gegenüber besteht die Thatsache,
dass manche deutsche Chirurgen die Radical-
operation für die gewöhnlichen und häufig-
sten Fälle von Hydrocele nicht anwenden
und gegen dieselbe sogar Bedenken erheben.
Hatte unser verstorbener Nestor, Professor
Baum in Göttingen, solche Bedenken, denen
er in seiner lebhaften Weise Ausdruck gab,
so war das am Ende nicht unerklärlich;
doch auch einige jüngere Chirurgen, treff-
liche Antiseptiker, geben für gewöhnlich der
Function und Injection von Jodtinctur den
Vorzug.
Wir geben zu, dass der blutigen Radical-
operation, was Sicherheit des Erfolges an-
geht, der Vorzug vor der Injectionsmethode
zukommt, eine Thatsache, welche neuerdings
noch in einer fleissigen Arbeit aus der Tü-
binger Klinik constatirt wird. Hierfür ist
jedoch nothwendig, dass der Kranke wenig-
stens 8 Tage lang klinisch oder zu Hause
behandelt wird; eine ambulatorische Behand-
lung ist dabei ausgeschlossen. Ist die letz-
tere allein möglich für einen mit Hydrocele
Behafteten, so ist nach unseren Kenntnissen
nur die Function und nachfolgende Injection
einer reizenden Flüssigkeit möglich und an-
gezeigt.
Die alte Methode der Injection mit Jod-
tinctur ist ja bekannt genug, auch in ihren
Nachtheilen. Wer es erlebt hat, dass ein
junger kräftiger Soldat, auf dem Operations-
tische liegend, bei der Injection von Jod-
tinctur vor Schmerzen ohnmächtig wurde,
und wer andere, bekannte Uebelstände des
Verfahrens berücksichtigt, wird geneigt sein,
andere Mittel zu versuchen.
So begann ich noch in der Münchener
chirurgischen Poliklinik auf die Empfehlung
eines amerikanischen Collögen, des Dr. Wool-
verton, Versuche mit den von Levis in
Philadelphia eingeführten Injectionen kleiner
Mengen reiner, eben nur flüssig gemachter
Carbolsäure. Dieses Verfahren ist im Cen-
tralblatt für Chirurgie 1883 No. 17 von
Dr. Part seh schon kurz referirt. Ich selbst
habe auf der Strassburger Naturforscherver-
sammlung zwei so behandelte und geheilte
Fälle mitgetheilt und das Verfahren „für
solche Fälle, in denen aus äusseren Grün-
den die Radicaloperation nicht gemacht wer-
den kann", empfohlen. Ich fügte hinzu:
„Die Methode ist sicher und schmerzlos".
Das letztere kann ich auf Grund von wei-
teren Beobachtungen vollauf bestätigen; das
erstere hat sich in der Folge nicht bewahr-
heitet. Es mag deshalb von einigem Werthe
sein, wenn ich über weitere Erfahrungen
mit diesem amerikanischen Verfahren der
Carbolsäureinjection kurz berichte.
Die Ausführung ist immer genau nach
den Vorschriften von Levis geschehen.
Derselbe nimmt krystallisirte Carbolsäure,
welche nur durch Zusatz von 5 — lO^/o Wasser
13
d§ Helferich, fiehandlung der Hydrocele VaglnaUt mitteltt t^Jection reiner Carbolsäure. [^"^^at^ft^^
oder Glycerin verflüssigt ist. Die Carbol-
säure soll eben nur flüssig sein; die Menge
des Losungsmittels soll deshalb bei kühler
oder warmer Temperatur verschieden gross
sein. Nach der gewöhnlichen Function der
Hydrocele injicirt man durch die noch lie-
gende Canüle mittelst einer kleinen Spritze
die Carbolsäure. Das Ansatzstück der Spritze
muss länger als die Canüle und so dünn
sein, dass es durch dieselbe bequem einge-
führt werden kann. Mit dieser Spritze ge-
lingt es, die Carbolsäure sicher in den Hy-
drocelensack zu bringen, ohne dass etwas
davon herausfliesst und ohne die Gefahr,
dass die Injection zwischen Sack und Scro-
talhaut in das Zellgewebe gemacht wird.
Gerade die Verwendung einer Spritze
mit langem, durch die Canüle bequem hin-
durchreichendem Ansatzstück erscheint mir
von Vortheil bei allen derartigen Injectionen,
unerlässlich, wenn ein so differentes Mittel
injicirt wird. Es ist mir selbst vor Jahren
bei einer Ausspülung des Hydrocelensackes
mit 5 °/o CarboUosung (nach Hüter) passirt,
dass die Lösung nicht mehr ausfloss, offen-
bar da in Folge einer Verschiebung der
Canüle die Injection nicht in den Sack,
sondern in das umgebende lockere Zellge-
webe stattgefunden hatte, glücklicherweise
ohne Schaden und mit dem Erfolge, dass
die Hydrocele zur Heilung kam. Ein sol-
ches Missgeschick ist bei Einhaltung der
Vorschriften von Levis, speciell bei Be-
nutzung einer Spritze der erwähnten Con-
struction nicht möglich. Man verschiebt das
durch die Canüle eingeführte Ansatzstück
in dem Sack und kann auf diese Weise
seine correcte Lage sicher nachweisen. Ich
habe die Injection nie gegen den Testikel zu,
sondern immer gegen die parietale Wand
hin gemacht.
Die Injectionsmenge schwankt zwischen
2 und 4 und 6 g reiner, flüssiger Carbol-
säure. Sofort nach der Injection wird der
Spritzenansatz nebst der Canüle herausge-
zogen, und, um die Sero talhaut vor eventueller
Aetzung an der Punctionsstelle zu schützen,
halte ich Alkohol bereit und wasche die
Region damit etwas ab. Nun wird das
Scrotum ein wenig mit den Fingern geknetet,
damit die Carbolsäure in dem Sacke möglichst
gleichmässig vertheilt werde; ist etwas Luft
nach der Entleerung, vor der Carbolsäure-
injection eingedrungen, so entsteht natürlich
ein glucksendes Geräusch dabei. Der Patient
empfindet dabei ein Gefühl von Wärme und
dann ein gewisses taubes Gefühl daselbst;
Schmerz ist durchaus nicht vorhanden, und
der Patient ist sofort im Stande, umherzu-
gehen. Ruhe hat Levis erst nach 24 Stun-
den verordnet, wenn die auftretende ent-
zündliche Reaction dieselbe wünschenswerth
machte; ich habe es nur in sehr wenigen
Fällen nÖthig gefunden, die Patienten liegen
zu lassen. Im Gegentheil , die Operirten
sind meistens sofort wieder ihrer Arbeit nach-
gegangen.
Die Reaction, welche auf diesen Eingriff
folgt , ist eine sehr verschiedene. Levis
berichtet hierüber eigentlich nichts in seinem
kurzen Aufsatze. In den ersten beiden Mün-
chener Fällen war mir die nach der Opera-
tion auftretende starke Schwellung und deren
lange Dauer bis zur allmählichen Heilung
eine recht unangenehme Ueberraschung. Die
Schwellung beruhte z. Th. auf erneuter Bil-
dung einer Hydrocele, und die Befürchtung,
es würde ein Recidiv entstehen, schwand
erst allmählich. Dem gegenüber muss ich
betonen, dass in anderen Fällen nach der
Carbolinjection jede Reaction auszubleiben
scheint: keine Schwellung, kein neuer Erguss,
nicht die geringsten Beschwerden, sondern
reactionslos entstehende dauernde Heilung.
In der grossen Mehrzahl der Fälle tritt, ent-
gegen diesen beiden selteneren Vorkomm-
nissen, eine massige Schwellung durch fibri-
nöses Exsudat ein, welche im Laufe einiger
Wochen ohne jede Arbeitsbehinderung des
Patienten verschwindet und zur endgültigen
Heilung führt.
Bemerkens wer th ist, dass in keinem Falle
auch nur die geringsten Symptome von Car-
bolintoxication eintraten. Dasselbe hebt
Levis hervor. Die Erklärung mag in der
sofortigen Gerinnung der Albuminate durch
die Carbolsäure und in deren Gebundenwer-
den hierdurch gesucht werden. Es ist ja
bekannt, dass schwache Carbollösungen leich-
ter Intoxication bedingen, als starke. Im-
merhin war mir die erste Carbolinjection,
welche ich vornahm , etwas unheimlich.
Heute kann ich die Angabe von Levis in
dieser Beziehung bestätigen. Einen beson-
deren Fall werde ich weiter unten be-
sprechen.
Die Carbolinjection hat natürlich eine
Aetzwirkung auf die Tunica vaginalis zur
Folge. In einem Falle war Gelegenheit,
das direct nachzuweisen; der Aetzschorf hatte
hier eine Dicke von 1 — 2 mm, ging jedoch
nicht auf das Hodengewebe über (cf. unten).
In zwei Fällen bildete sich bald nach der
Injection eine stärkere Hydrocele wieder,
deren Inhalt punctirt und untersucht werden
konnte: es fand sich nicht die geringste
Menge Carbolsäure in der punctirten Flüssig-
keit. Bei einem Kranken war ich in der
Lage, ein nach der Carbolinjection entstan-
denes Recidiv fast 5 Monate später mit dem
Min 1889. J
H e 1 f • r i e h , Behandlung der Hydroeele vaginalis mittelst I^Jeetion reiner Cart>olsJture . 9d
Schnitt radical zu operiren; Hoden und Ne-
benboden zeigten sieb normal, die Tunica
parietal is matt weiss und stark verdickt, die
Hydrocelenfliissigkeit etwas trübe. Die ge-
spräcbsweise geäusserte Befürchtung, der Ho-
den mochte durch die Carbolinjection gan-
gränös werden, ist demnach unbegründet
Ob aber die Carbolinjection immer und
unter allen Umständen unbedenklich ist,
diese Frage kann ich nicht einfach bejahen,
nachdem ich eine eigenthümliche Beobach-
tung gemacht habe, die ich in Folgendem
kurz mittheile.
Der 34 j. Arbeiter P. wurde am 30. Januar
1888 mit Hjdrocele Taginalis dextr. io die Klinik
anfgeDommen. Da eine möglichst kurz dauernde
Behandlung erwünscht war, yoUfuhrte ich am
31. Janaar selbst die Carbolinjection (etwa 3,6 g
95 ^/q Carbolsäure) in der gewöhnlichen Weise und
ohne jeden Zwischenfall. Nachmittags legt sich
Fat. zu Bett. Das Scrotum schwillt enorm an
und erweist sich Abends halb 8 Uhr als manns-
kopfgross, prall gespannt, äusserst schmerzhaft ; der
Fat. ohnmächtig und fast pulslos; eine Function
des Scrotum hat keine Entleerung zur Folge.
Der Anfall geht unter geeigneten Mitteln vorüber.
Sofort wird auf dem Operationstisch nach gehöriger
Reinigung ein grosser Schnitt über den ganzen
Hodensack gemacht. Das Zellgewebe zeigt sich
blutig sugillirt; grosse Blutcoagula werden aus den
erweiterten Gewcbsmaschen entfernt. Die Tunica
vag. enthält ca. 10 ccm einer bräunlichen Flüssig-
keit; ihre Innenfläche ist weisslich, wie angeätzt.
Die Entspannung der mächtigen Geschwulst, welche
offenbar einen starken Druck auf den Testikel aus-
übte, hatte eine sofortige Besserung der Allgemein-
erscheinungen zur Folge, und es konnte nunmehr
in Chloroformnarkose die Exstirpation des schwer
gefährdeten Hodens nebst dem umgebenden, stark
sugillirten Gewebe Tollzogen werden. Einige Liga-
turen; lockere Jodoformtamponade.
Auf meine Bitte hatte Herr College Grawitz
die Freundlichkeit, die Untersuchung des Prä-
parates selbst zu übernehmen, und ich theile seine
Aufzeichnungen im Folgenden mit: der Hoden ist
Ton einer dicken Schicht blutig infiltrirten Binde-
gewebes umgeben. Der Hjdrocelensack, faustgross,
enthält einzelne erbsengrosse Bröckel bräunlichen
trockenen, wie in Alkohol abs. coagulirten Blutes.
Die Farbe der im Ganzen glatten Innenfläche ist
gleichmässig grauweiss, opak, offenbar durch Aetzung.
Beim Einschneiden zeigt sich der Ueberzug des
Hodens von pergamentöser Derbheit, er ist 1 — 2 mm
dick. „Diese Haut ist jedoch nicht ganz yerschorft,
da man an feinen Schnitten noch eine minimale
weiche Zone zwischen Schorf und Hodenparenchjm
nachweisen kann.** Die äussere Wand des Hjdro-
celensackes 3 — 4 mm dick, faserig; an der Innen-
seite ca. 1 mm tief geätzt. „Nach aussen schliesst
sich an die Tunica vaginalis eine dicke Schicht
losen Ödematösen Bindegewebes an, welche nur
in nächster Umgebung des Hydrocelensackes gelb-
lich und YÖllig zart durchscheinend ist, in weiterer
Entfernung aber durch hämorrhagische Infiltration
in einen weichen feuchten rothen Gewebsklumpen
Terwandelt ist. Auf Lackmuspapier reagirt die
Oedemflüssigkeit alkalisch; auch das Hodenparen-
chjm ist etwas ödematös, reagirt alkalisch.** „Mi-
kroscopisch erkennt man in der geätzten Innen-
fläche des Hydrocelensackes Bindegewebe von
eigenthümlich trübem dunklon Aussehen (schwache
Vergr.), welches durch eine Verfilzung feinster
fibrinähnlicher Fasern zu Stande kommt. Darin
sind Blutgefässe nicht zu sehen. Unter dieser
dunklen innersten Schicht liegt eine helle Lamelle
homogener oder faseriger Structur, welche Blut-
gefässe in ziemlich reichlicher Menge einschliesst.
Das Blut in diesen ist z. Th. coagulirt, unter Er-
haltung bräunlicher rother Blutscheiben, z. Th. ist
es diffus braun gefärbt und hat die Wand der
kleinen Gefässe diffus gelbbraun imbibirt. Unter
dieser geätzten Zone beginnt mit schwer erkenn-
barer Grenze das dicke Bindegewebslager, welches
von natürlichem, frischem Aussehen ist, und in-
tacte Gefässe mit normalen rothen Blutkörperchen
führt. In dieser Schicht stösst man vielfach auf
Gefässlumina, welche ganz von Leucocythen erfüllt
sind. Auch frei im Gewebe finden sich proliferirte
grosse Gewebszellen und farblose Wanderzellen."
Seine Diagnose fasst College Grawitz zusammen:
„Aetzung im Inneren des Hydrocelensackes.
Oedem im interstitiellen Gewebe des Hodens und
dem losen Bindegewebe um den Sack. Blutung
in weiterer Entfernung, also nicht durch directe
Aetzwirkung entstanden.'' Der Verlauf der Wund-
heilung war in der Folge nicht gestört. Die Hei-
lung erfolgte ohne weiteren Zwischenfall.
Was war nun die Ursache dieses Zufalles ?
War es die Carbolinjection, welche ich vor-
her in 81 Fällen als einen harmlosen Ein-
griff kennen gelernt, und welche Levis viel
häufiger verwendet hat, ohne jemals auch
nur übermässige Entzündung und Eiterung
zu beobachten? Eine genaue Anamnese er-
gab nachträglich, dass bei dem Patienten
von jeher kleine Wunden sehr lange und
hartnäckig bluteten und dass Contusionen
immer zu ausgedehnten Extravasaten Veran-
lassung gaben. Es mag also richtig erschei-
nen, Haemophilie anzunehmen. Aber hat
die Function einer Hydroeele bei einem
Haemophilen jemals einen solchen Effect ge-
habt? Mir ist kein Fall derart bekannt,
und ich bin geneigt anzunehmen, dass in
diesem Falle die Injection reizender Flüssig-
keit bei bestehender Haemophilie zu dem
beschriebenen schweren Verlaufe die Veran-
lassung gab. Die Injection von Jodtinctur
hätte wohl dieselben Folgen gehabt unter
solchen Umständen.
Nach dieser Erfahrung ist meine Zu-
stimmung, dass unter gewissen Verhältnissen
die Injectionsbehandlung indicirt sei, etwas
abgekühlt worden. Wie steht es nun endlich
mit den Resultaten der amerikanischen Me-
thode?
Ausser den beiden ersten Münchener
Fällen verfüge ich über 29 weitere an 27 Pa-
18 •
100 Oliven, Behandlung von Phthlsikern mit Rectalii^ectlonen von fldstiger KohlentAura. iMn'^!!^^!^*
tienteD. üeber 25 derselben ist neuerdings
in einer Dissertation von A. Seidel ausfuhr-
licher, im Ganzen correct, berichtet. Von
diesen 29 nach Levis operirten Fällen ist
das Endresultat bei zweien unbekannt ge-
blieben. Bleiben also 27, von welchen 21
geheilt sind. Von 6 Recidiven sind 4 zum
zweiten Mal ebenso operirt und 3 davon ge-
heilt; in einem Falle blieb auch die zweit-
malige Injection erfolglos. An einem der
Recidive wurde die Radicaloperation mit
Erfolg gemacht, und beim letzten wurde ein
weiterer Eingriff bisher nicht vorgenommen.
Die Resultate sind demnach unsicher und
können mit denen der Jodin jection gar nicht
wetteifern; noch viel weniger mit denen der
Radicaloperation. Levis behauptet die vol-
lige Sicherheit des Erfolges, wenn er auch
zugiebt, dass ihm Misserfolge der Carbolin-
jection von anderer Seite zu Ohren gekommen
sind. Wenn das Verfahren aber in anderen
Händen nicht mehr leistet, als oben ange-
geben, so ist damit sein XJrtheil gesprochen.
Als ein durch annähernd sicheren Erfolg
empfehlenswerthes Verfahren wird die Car-
boliujection nicht gelten können, und es
wird richtig sein, in jedem Fall von Hydro-
cele zur Vornahme der Radicaloperation zu
rathen. Nur in AusnahmeföUen ist das In-
jections verfahren berechtigt.
(Aus der medidnischen Abthellang des Herrn Professor
Rosenbach Im Hospital zu Allerheiligen In Breslau.)
Ueber die Behandlungr von Phthlsikern
mit Rectaliiijectiouen von flüssisrer
Kohlensäure*
Von
Dr. Max Oliven, Coassistent.
Die grosse Widerstandsfähigkeit der
phthisischen Lnngenprocesse gegen jedes bis
jetzt gebräuchliche Heilmittel zwingt zu
immer neuen Versuchen, um eventuell auf
anderen Wegen als den bisherigen eine
Krankheit, die statistisch die grösste abso-
lute Sterblichkeitsziffer aufweist, anzugreifen.
Die Therapie der Phthise hat sämmtliche
Anwendungsarten durchgemacht, die bei dem
heutigen Stande der Wissenschaft dem Arzte
zu Gebote stehen. Die Anwendung aller
möglichen internen Mittel, Inhalationen der
verschiedensten Art, subcutane Injectionen
und Injectionen in die erkrankten Gewebe,
wie sie auch auf hiesiger Abtheilung ange-
wandt wurden, sind bis jetzt ohne nennens-
werthen Erfolg versucht worden. Denn man
darf sich nicht darüber täuschen, dass auch
in denjenigen Fällen, in denen ein Mittel
nicht reclamemässig, sondern angeblich auf
Grund wissenschaftlicher Beobachtung ange-
priesen wird, die Erfolge meist nicht mit
dem kritischen Auge gesichtet worden sind,
mit dem man heute, wo man den Verlauf
pathologischer Processe in allen seinen
Schwankungen genauer als je zu verfolgen
versteht, jedes therapeutische Ergebniss auf
seinen wahren Werth zu prijfen hat. So
lange diese Gesichtspunkte nicht überall zur
Geltung gebracht werden, so lange werden
wir über den wahren therapeutischen Werth
eines Medicamentes nicht mit Sicherheit
Aufschluss erhalten und können selbst an-
scheinend prägnante Erfolge nicht als ein-
wandsfrei gelten lassen. In den letzten
Jahren hat man, seitdem man über die
grosse Resorptionsfahigkeit des Darmes ge-
nauer orientirt ist, Versuche gemacht, irre-
spirable Gase und unter diesen an erster
Stelle Kohlensäure per rectum einzuführen,
um vermittelst ihrer Ausscheidung durch
die Lungen auf diese selbst möglichst gleich-
massig und energisch einzuwirken.
Dieses Verfahren, schon in verschiedenen
Hospitälern angewandt und als Exhalations-
methode bezeichnet, hat bis jetzt wegen
seiner Umständlichkeit wenig Anklang in
weiteren Kreisen gefunden. Die Kohlensäure
musste nämlich erst kurz vor ihrer Anwen-
dung am Kranken erzeugt werden. Dieser
Uebelstand ist nun dadurch gehoben, dass
man in den Stand gesetzt ist, flüssige
Kohlensäure, die in gusseisernen, auf ihre
Dichtigkeit geprüften Ballons verkäuflich ist,
in Anwendung zu bringen und damit ohne
jede Schwierigkeit sofort und in einer genau
zu dosirenden Menge das Medicament ein-
wirken zu lassen^).
Da nach den oben dargelegten Gesichts-
punkten eine einwandsfreie Prüfung der
Methode einen sehr langen Zeitraum erfor-
dert, und da gerade die Verhältnisse der
Hospitalpraxis nicht recht geeignet sind, den
Werth oder ünwerth einer Methode der
Phthisenbehandlung recht klar ins Licht zu
setzen, so hat Herr Professor Rosenbach
die Versuche hauptsächlich zu dem Zwecke
unternehmen lassen, um zu prüfen, in welcher
Weise die Eingiessungen subjectiv von den
*) Derartige Apparate, welche 1000 Liter Kohlen-
säure enthalten und selbst bei mehrmaliger täg-
licher Anwendung unter fast constant bleibendem
Druck für zwei Monate ausreichen, sind uns von
Herrn Apotheker G. Nithak in Obemigk (Schle-
sien), der dieselben nebst Gebrauchsanweisung liefert
und die WiederfüUung der entleerten Ballons über
nimmt, zur Verfügung gestellt worden.
^MiS^l^fO OHven, Behandlung von PhtbUikern mit RectaliAJectionen von nUuiger Kohlensäure. 101
Patienten vertragen werden, ob man es bei
dem grossen Druck der flüssigen Kohlen-
säure ohne Nachtheile für den Kranken
wagen kann, derartige Eingiessungen zu
machen, ob die Methode für die Privatpraxis
hinreichend bequem ist, wie sich femer die
Resorptionsverhältnisse gestalten und ob auf
irgend welche der häufigeren Symptome
(Fieber, Schweiss, Appetit etc.) durch die
Behandlung ein besonderer Einfluss ausgeübt
wird. Zugleich schien es uns ein nicht un-
wesentlicher Factor bei der grossen Zahl der
Phthisiker, die im hiesigen Hospital Auf-
nahme finden, zu sein, ein neues Verfahren
einzuführen, welches, wenn bei der langen
Krankheitsdauer alle übrigen Mittel erschöpft
sind, geeignet ist, eine Abwechslung in der
Therapie herbeizuführen und, wenn auch nur
für kurze Zeit, die Hoffnung der der inter-
nen Behandlung bald nicht mehr vertrauen-
den Kranken zu heben.
Die schwersten Fälle haben wir nach
wenigen Versuchen bald ausgeschlossen^ da
sich bei ihnen weder ein sicherer subjectiver
noch objectiver Befund erheben liess. Auch
die leichteren sind nur mit grosser Vorsicht
zu beurtheilen, da, wie dies bei ähnlichen
Versuchen bereits von anderen Autoren er-
wähnt worden ist und in der Natur der
Sache liegt, mit der Aufnahme in das Hos-
pital sich die äusseren Verhältnisse bessern
und die grossere Ruhe und bessere Ver-
pflegung auch ohne jede Therapie von gün-
stigem Einfluss auf den erkrankten Orga-
nismus ist.
Die Procedur wurde derartig vorgenom-
men, dass in Rückenlage ein Nelaton-
scher Katheter massig hoch per rectum,
welches vorher entleert werden muss, da
der den Katheter verstopfende Koth im un-
teren Rectal abschnitt ein häufiges Hinderniss
für das Einströmen ist, eingeführt und durch
Regulirung der am Apparat angebrachten
Schrauben und Manometer vomch tu ng, durch
welche die ausströmende Menge des Gases
bestimmt wird, so viel Kohlensäure einge-
lassen wurde, als der Patient vertrug. So-
bald derselbe über starke Spannung klagte,
wurde der Apparat abgestellt, und die
Sitzung war in durchschnittlich 3 — 4 Mi-
nuten vorüber. Soweit sich die Menge der
Kohlensäure abschätzen liess, wurden in
jeder Sitzung 2 — 4 Liter verbraucht. Das
Abdomen schwoll während des Einströmens
sichtbar an, und es traten die Erscheinungen
eines massigen Meteorismus deutlich zu Tage.
Weder während noch nach der Sitzung ent-
wich, bei zweckmässigem Verhalten des
Patienten, die Kohlensäure, indem die Rec-
talmusculatur vollkommen im Stande war,
sowohl das einströmende wie das einge-
strömte Gas bis zu einer bestimmten Menge
zurückzuhalten. Die Kranken wurden nun
aufgefordert, die eingelassene Kohlensäure
nicht per flatus entweichen zu lassen, und
es enthielt alsdann die Spannung des Leibes
Va bis 1^9 Stunden an und war nach dieser
Zeit vollkommen geschwunden. Wenn bei
Patienten das Gas während der Injection
aus dem Anus entwich, so wurde durch
blosses Andrücken eines Wattebausches gegen
die Anusöffnung ein genügender Verschluss
erzielt.
Die Procedur an und für sich wurde von
allen Patienten ohne besondere Beschwerden
ertragen, mit Ausnahme einer einzigen Pa-
tientin, die, durch den langen Krankheits-
verlauf unleidlich geworden und durch die
entstehende Schwellung des Leibes erschreckt,
sich der weiteren Behandlung widersetzte.
Bald nach dem Einströmen der Kohlensäure
stellte sich ein leichter Defäcations- und
Urindrang oder ein leichtes Brennen im
Rectum ein, das aber ohne besondere Ueber-
windung unterdrückt werden konnte.
Was nun den therapeutischen Erfolg in
Bezug auf die Symptomerscheinungen der
Phthise: das Fieber, den Appetit und das
Allgemeinbefinden und den Schweiss anlangt,
so wurden folgende Beobachtungen gemacht.
Die scheinbar günstigsten Resultate er-
zielten wir bei Patienten, deren Fiebercurven
sich in mittleren Grenzen, 37,7 — 38,5, hiel-
ten. Hier sahen wir häufig nach wenigen
Sitzungen eine deutliche Abnahme des Fiebers,
und es kehrte die Temperatur im weiteren
Verlaufe zur vollkommenen Norm zurück.
Bei Patienten, welche sehr steile Curven
aufwiesen, Abendtemperaturen von 39,5 — 40,5,
Morgen temperaturen von 37, war der Einfluss
ein viel geringerer. Die Höhe der Curven
sank wohl um einige Zehntel herab, doch
konnte die Temperatur nicht auf diesem
Standpunkt erhalten werden und kehrte trotz
anhaltender Kohlensäureanwendung stets zu
ihrer alten Höhe zurück. Das gleiche Re-
sultat ergab sich bei Phthisikern mit conti-
nuirlichem hohen Fieber. Auch hier machte
sich wohl ein geringer Rückgang bemerkbar,
ohne aber von längerer Dauer zu sein.
In wie weit bei dieser Verminderung der
Temperatur die Kohlensäure-Injection als
Ursache in Betracht kommt, ist schwer zu
sagen. Es ist jedenfalls nicht angängig, die
beobachteten Differenzen in der Temperatur
allein auf die Kohlensäure zu beziehen, da
ja bei einer grossen Reihe von Phthisikern
die Temperatur überhaupt inconstant ist,
und da die von uns zur Controle indifferent
behandelten Phthisiker ähnliche Remissionen
102 Oliven, Behandlung von Phthitikern mit RectaliiOectionen von flüssiger Kohlensäure. P^^^nü^^*
aufwiesen, um diese Fehlerquelle einiger-
massen auszuschalten, haben wir den Ver-
such nur an Kranken angestellt, bei denen
der günstige Einfluss der Hospitalpflege
durch einen längeren Aufenthalt auf der Ab-
theilung bereits zvi Tage getreten und bei
denen somit auf eine gewisse Constanz der
Erscheinungen zu rechnen war. Doch liegt
es auf der Hand, dass auch bei solchen
Kranken stets auf Schwankungen in den
Symptomen, die von Veränderungen des
Grundleidens abhängen, gerechnet werden
muss.
Das positiv günstigste Resultat erzielten
wir anscheinend in Bezug auf das Allge-
meinbefinden und den Appetit der Patienten,
indem selbst bei solchen, welche längere
Zeit an Appetitlosigkeit gelitten hatten, sich
in kurzer Zeit der Appetit hob, während
die Kranken gleichzeitig sich leichter und
w^ohler fühlten. Auch hier bleibt natürlich
die Frage eine offene, in wie weit der
psychische Factor®) bei den Angaben der
Patienten, die das Verfahren meist mit
grossem Interesse verfolgten, eine Rolle
spielt; denn es lässt sich nicht leugoeo,
dass diejenigen Patienten, die einer activen
Behandlung mehr zuzuneigen schienen, als
andere, auch einen bei weitem günstigeren
Einfluss der Methode auf ihr Allgemeinbe-
finden zu berichten hatten, als diejenigen,
die jeder Neuerung widerstrebten.
Was den dritten Punkt, die Schweisse
der Phthisiker, anlangt, so haben wir bei
einer grosseren Anzahl, wenn auch kein voll-
kommenes Schwinden, so doch eine zeit-
weise beträchtliche Abnahme dieses Sym-
ptoms bemerkt, und die Patienten verfehlten
nicht, nach der Kohlensäureinjection, mit
der sie das Ausbleiben der ihnen so lästigen
Erscheinung in Zusammenhang brachten,
dringend zu verlangen. Es wird Sache der
weiteren Untersuchung sein, festzustellen,
ob ein Zusammenhang der anscheinenden
Erfolge mit der oben geschilderten Therapie
wirklich vorhanden ist, wie überhaupt erst
eine vielmonatliche Anwendung der Kohlen-
säurebehandlung, die nur Sache der besseren
Privatpraxis sein kann, ein endgültiges ür-
theil über den Werth resp. die Unbrauch-
barkeit der Methode zeitigen kann; uns kam
es bei der vorliegenden Veröffentlichung nur
darauf an, im Allgemeinen zu constatiren,
ob die Anwendung der flüssigen Kohlensäure
ein den Patienten nicht belästigendes und
für den Arzt (resp. Patienten) leicht aus-
führbares Verfahren repräsentire, und diese
') Vgl. 0. Rosenbach, Bemerkungen zur Me-
thodik der Prüfung von Schlafmitteln. Berl, Klin.
Wüchenschr. 1888 No. 24.
beiden Punkte können wir mit voller Ge-
wissheit bejahen^).
Meinem hochverehrten Lehrer und Chef,
Herrn Professor Rosenbach, sage ich für
die Anregung und freundliche Unterstützung
bei den vorliegenden Versuchen meinen
besten Dank.
(Aoj dem phftrmftkologischen Inititate zu Berlin.)
Sublimat-Ijanolin als Antisepticuni«
Ein Beitrag zur Frage der desinficirenden Wirkung
von Salben.
Von
Dr. A. Qottsfein, pr. Arzt in Berlin.
Bekanntlich hat Koch in seiner Unter-
suchung über Desinfection (Mittheilungen
aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. Erster
Band 1881) den Nachweis geliefert, dass
Carbolsäure in Oel oder Alkohol ge-
lost auch nicht die geringste desin-
ficirende Wirkung ausübt. Diese merk-
würdige Erscheinung, über deren chemische Ur-
sachen eine w^eitere Untersuchung von Wolff-
hü gel in demselben Bande vorliegt, beschränkt
sich nach Koch übrigens nicht allein auf die
Carbolsäure, sondern wiederholt sich auch bei
anderen Stoffen, wie Salicylsäure, Thymol,
vermuthlich auch noch bei vielen anderen
in gleicher Weise. Koch betont, dass diese
Frage durchaus nicht allein, ein theoretisches
Interesse beansprucht. ^Auch die Desin-
fectionspraxis kennt eine andere als die
wässrige Lösung der Carbolsäure, nämlich
die in Oel und empfiehlt sie für Verhältnisse,
unter denen eine Unzuverlässigkeit dieses
Mittels von der schwerwiegendsten Bedeutung
sein muss; ich meine, die Desinfection von
Händen und Instrumenten der Hebeamme.
Und welch festes Vertrauen die Chirurgie
auf die sicher desinficirende Wirkung des
CarbolÖls setzt, weiss Jeder."
Seit der Feststellung dieser wichtigen
Thatsacheu ist die Anwendung der Anti-
septica in anderen Formen, als der wässrigen
Lösung, für die Praxis abgethan gewesen
und für die Verwendung derselben in Salben-
form fehlte jede Berechtigung; so sehr zu die-
sem Verzicht die K 0 c hasche Entdeckung zwang,
so musste derselbe doch vielfach für die Praxis
eine bedauerliche Lücke verursachen, denn es
giebt genug Fälle, in denen der innige Contact
zwischen Antisepticum und dem zu desinfi-
^) Eine ausführliche Mittheilnng über die An-
wendung der flüssigen Kohlensäure zu diagnostischen
Zwecken (bei Darm- und Magenleiden) wird Herr
Professor Rosenbach demnächst an anderer Stelle
veröffentlichen.
lOL Jahrgang.*!
Min 1889. J
Gottstein, Sublimat-Lanolin als Antlsepticum.
103
cirenden Objecte sicherer und anhaltender
durch eine fettige Mischung, als durch eine
wässrige Lösung zu erreichen ist. Um hiefür
nur ein Beispiel anzuführen, so hat z. B. erst
neuerdings Fürbringer in seinen „Unter-
suchungen und Vorschriften über die Desin-
fection der Hände des Arztes" (Wiesbaden,
Bergmann 1888) betont, dass die bisherigen
Methoden zur Sterilisirung der Hände strengen
Anforderungen nicht ganz zu entsprechen
vermögen, weil das fettige Hautsecret die
zur Tödtung der Keime erforderliche Adhä-
sion der antiseptischen Lösungen nicht zu-
lässt. Und gerade zur Hebung dieses Uebel-
standes hat Fürbringer sein neues Yerfahren
angegeben, bei welchem „neben der Seife
dem Alkohol der Löwenantheil an dem Des-
infectionserfolge gebührt, nicht sowohl wegen
seiner antiseptischen, als wegen der bereits
erörterten vorbereitenden Wirkung". Diese
vorbereitende Wirkung wäre anscheinend noch
viel einfacher zu erzielen, wenn das Anti-
septicum in einer fettigen Mischung verab-
reicht würde; es würde sich für den vorliegen-
den Fall noch der weitere ganz unschätzbare
Vorzug der Schonung der Epidermis ergeben,
denn die übrigen Verfahren greifen dieselbe
mehr oder weniger an, im günstigsten Falle
schaden sie derselben nicht, berauben sie
aber ihres schützenden Ueberzuges ; und doch
hat keiner der zahlreichen Forscher auf diesem
Gebiete auch nur die Möglichkeit einer Ver-
wendung der Antiseptica in fettiger Grund-
lage in Betracht gezogen und mit Recht,
denn die Koch'sche Entdeckung liess diese
Möglichkeit nicht zu. Das gleiche gilt für die
Wundbehandlung. Im Besitz einer sicher
antiseptisch wirkenden Salbe könnten wir
eine Wunde mit einer ganz geringen Menge
derselben bedecken und zugleich der Vorzüge
einer sicheren Adhäsion des Antisepticums
und einer Dauerwirkung desselben unter Ab-
schluss der äusseren Luft uns erfreuen,
während im Vergleich zur wässrigen Irrigation
nur minimale Mengen des giftigen Antisep-
ticums mit der resorbirenden Flache in Be-
rührung kommen. Aber auf eine derartige
Verwendung musste verzichtet werden, denn
die in Fett löslichen Antiseptica wirkten
eben nicht desinficirend, und die in demselben
unlöslichen, also vor Allem Sublimat, kamen
nicht in Frage, denn es gab keine Salben-
grundlage, welche wirklich eine homogene
Mischung mit wässrigen Lösungen des Anti-
septicums gestattete. Hiezu kam als wei-
terer Umstand, dass die wenigsten Salben-
grundlagen an sich unzersetzlich und reizlos
waren.
Nachdem das Lanolin in die ärztliche
Praxis durch Liebreich eingeführt war, lag
es nahe zu prüfen, ob durch dieses Mittel
die obengenannte Lücke ausgefüllt werden
konnte. Es forderten zu dieser Untersuchung
vorzugsweise zwei Eigenschaften des Lanolins
heraus, nämlich erstens seine Fähigkeit grosse
Mengen Wassers aufzunehmen, durch welche
es gelingt, auch mit solchen Stofifen gleich-
massige Mischungen zu erzielen, welche an
sich in Fetten unlöslich sind, und zweitens
die von mir erwiesene Eigenschaft des La-
nolins durch Mikroorganismen unzersetzbar
und für dieselben undurchgängig zu sein
(Berl. klin. Wochschr. 1887 S. 907). Es sind
dies zwei Eigenschaften, welche sich ver-
eint wohl bei keinem der Körper finden, die
wegen ihrer physikalischen oder chemischen
Eigenschaften als Salbengrundlagen Verwen-
dung gefunden haben. Es galt daher zu
prüfen, wie sich die Antiseptica in einer
Lanolinmischung verhalten, und es war hierbei
streng zu unterscheiden zwischen den in
Fetten löslichen und den in solchen unlös-
lichen Körpern, als deren Repräsentant haupt-
sächlich unser stärkstes Desinficiens, Sublimat,
in Frage kam.
Die in Fetten löslichen Antiseptica
verhalten sich mit Lanolin gemischt genau
wie nach der Koch'schen Entdeckung die
öligen Lösungen, d. h. sie sind anti-
septisch absolut unwirksam. Ich be-
nutzte zu meinen Versuchen Salbenmischun-
gen, welche Carbol, Thymol, Menthol mit
wasserhaltigem Lanolin im Verhältniss bis
z^ ö°/o gemischt enthielten. Von diesen
Salben wurden geringe Mengen mit einigen
Tropfen verflüssigter Cultur von M. prodigiosus
oder B. fluorescens liquefaciens innig ver-
rührt und Spuren der Mischung mit dem
Platindraht nach 5 Minuten, einer Stunde,
24 Stunden auf Nährgelatine gebracht, auf
welcher dann stets ungestörte Entwickelung
stattfand. Es gilt für dies Verhalten wohl
dieselbe Ursache, wie sie Wolffhügel 1. c.
für das Carbolöl angegeben hat. Die Carbol-
säure etc. wird von dem Fett viel begieriger
aufgenommen und festgehalten, so dass Carbol-
wasser an Oel mehr von Carbol abgiebt, als
umgekehrt. Es lässt sich dies auch sinn-
fällig durch einen einfachen Versuch zeigen,
den ich in dem Brit. med. Journ. 1888 vom
28. April für Carbolöl angegeben fand: Füllt
man ein Reagensglas zur Hälfte mit Wasser,
dem einige Tropfen Liquor ferri sesquichlorati
zugesetzt sind, bringt dann in dasselbe Carbol-
lanolin und erhitzt nun bis zum Schmelzen
des Lanolins, so tritt in der Kälte gar keine,
in der Wärme nur die Andeutung einer Car-
bolreaction ein. — Bei längerem Aufenthalt
der Culturen in Carbollanolin zeigt sich natür-
lich dasselbe Verhalten, wie ich es für reines
104
Gottitein, Sublimat-Lanolin als Antisepticum.
rTherapeotla^e
L Monatshefte.
Lanolin gefunden, die Bacterien sterben nach
kürzerer oder längerer Zeit aus Mangel an
Nährstoff ab.
In directem Gegensatz zu diesen Stoffen
steht das Verhalten des Sublim atl an olins.
Ich konnte für diese Mischung den Nachweis
bringen, dass dieselbe gerade so desin-
ficirend wirkt, wie die wässrige Lö-
sung von Sublimat. Eine Sublimatlanolin-
mischung ist, da Sublimat in Lanolin unlöslich,
offenbar zu denken als eine wässrige Lösung
des Stoffes, deren Theile von unzähligen ausser-
ordentlich kleinen Fettkügelchen so durch-
setzt sind, dass nur eine physikalische, nicht
eine chemische Aenderung der Substanz er-
zeugt wird. In dieser Voraussetzung bereitete
ich meine zu den Versuchen dienenden Salben,
indem ich zu einer bestimmten Menge La-
nolinum anhydricum statt eines abgewogenen
Quantums Ton Wasser ein solches von einer
Sublimatlösung 1 : 1000 oder 1 : 5000 hin-
zusetzte. Die Versuche wurden in drei
Reihen angestellt, nämlich mit vegetativen
Formen, mit sporenhaltigem Material und
schliesslich wurden zur Bekräftigung Thier-
versuche gemacht.
A. Vegetative Formen. Einige Tropfen
verflüssigter Cultur von M. prodigiosus, Ba-
cillus fluorescens oder verschiedenen Staphy-
lococcen wurden in derselben Weise, wie bei
dem Carbollanolin angegeben, mit Sublimat-
lanolin 1 : 5000 oder Mischungen von Subli-
mat mit Lanolin und Vaselin*) verrührt und
sofort Proben hiervon auf Reagensgläser über-
tragen. Diese Gläser blieben steril.
B. Sporenhaltiges Material. Trockene
Gartenerde, die sich im Controllglas als sehr
keimreich erwies, wurde mit gleichen Mengen
Sublimatlanolin 1 : 5000 und 1 : 1000 innig
gemischt und Proben hiervon wieder in Ge-
latine vertheilt. Die Gläser blieben bei
wiederholt angestellten Versuchen fast stets
steril, in wenigen entwickelten sich ziemlich
spät Schimmelpilze. (Verunreinigung?)
C. T hierversuche, a. Drei Serien von
Versuchen mit Milzbrandsporen an weissen
Mäusen müssen als gescheitert betrachtet
werden, weil mit einer Ausnahme sämmtliche
Thiere, nicht blos die mit reinem Milzbrand-
sporenfaden oder mit Sublimati anolinfäden
geimpften Mäuse, sondern auch diejenigen
nach 2 — 3 Tagen starben, welche in ge-
sonderten Gefässen aufbewahrt überhaupt
nicht berührt worden waren. Immerhin
sprachen diese Versuche nicht gegen die
Voraussetzung; denn soweit Sectionen ge-
macht wurden, fanden sich bei den mit reinem
Milzbrand geimpften Thieren reichliche Ba-
*) Auf 1 Th. Land, anhydric. werden circa 20 %
Vaselin. americ. genommen.
cillen im mikroskopischen Präparat, bei einer
am dritten Tage gestorbenen Maus, in deren
Schwanzwunde ein durch Sublimatlanolin ge-
zogener Seidenfaden für kurze Zeit gelegen
hatte, wurde in Schnitten von Leber und
Milz kein einziges Milzbrandstäbchen ge-
funden, und eine ebenso behandelte Maus
blieb sogar einmal bis zum 7. Tage am
Leben.
b. Versuche an Meerschweinchen mit
malignem Oedem.
Versuch 1. Zu demselben werden vier
gleichaltrige junge Meerschweinchen von
14 Tagen benutzt. Zur Impfung dient
trockene Gartenerde, welche in Hauttaschen
gebracht wird, die durch 2 Nähte geschlossen
werden.
Erstes Meerschweinchen. Erde allein.
48 Stunden später todt gefunden. Die mi-
kroskopische Untersuchung des Secretes im
Bereich der Wunde ergiebt reichliche Bacillen
des malignen Oedems.
Zweites Meerschweinchen. Erde mit
wasserhaltigem Lanolin innig vermischt und
die ganze Hauttasche mit der Mischung aus-
gefüllt. Das Thier gleichzeitig mit dem
ersten todt vorgefunden. Mikroskopischer
Befund der gleiche^).
Drittes Meerschweinchen. Erde mit
käuflichem Schweineschmalz gemischt. Das
Thier stirbt einige Stunden später als die
beiden ersten unter denselben Verhältnissen.
Viertes Meerschweinchen. Erde mit
Sublimatlanolin in gleicher Weise gemischt
und eine Hauttasche ganz hiermit angefüllt
*) Das Lanolin erweicht bei der Körpertempe-
ratur der Thiere und ist als Fremdkörper mr weisse
Blutkörperchen zugänglich. Daher widerspricht dieser
und spätere Versuche mit Lanolin allein nicht dem
Satze von der Undurchlässigkeit des Lanolins für
Mikroorganismen, und das erhaltene Resultat kam
völlig eiwartet. Dass aber das Lanolin allein ohne
antiseptischen Zusatz schon im Stande ist bei Auf-
streichen auf eine Fläche durch die blosse Umhüllung
einen beträchtlichen Bruchtheil der auf derselben
befindlichen Mikroorganismen auszuschalten, haben
mich Versuche gelehrt, bei denen ich an mehreren
Fingern leicht kenntliche Bakterienculturen, wie M.
prodigiosus, antrocknen Hess. Wurde dann der eine
mit Lanolin bestrichen und der lanolinisirte wie der
unbehandelte in Nährgelatine umgerührt, so ent-
wickelten sich im ersten Fall eine ungleich geringere
Zahl von Keimen, offenbar vorzugsweise diejenigen,
welche an der Oberfläche hafteten. Also das Lanolin
allein, obwohl ihm nur aseptische Bedeutung zu-
kommt, kann eine an ti septische Behandlung unter-
stützen. Diese Beobachtung hat auch Landsberg
bei seiner Untersuchung über Desinfection der Hände
(Vierteljahrschr. f. Dermat. Oct. 1888) gemacht. Von
drei Versuchsreihen, in denen er vor Anwendung des
Antisepticums die Hände mit Lanolin einfettete, er-
hielt er in 2 Reihen vollständige Keimfreiheit, ein
Resultat, das weit vollkommener war, als entspre-
chende Parallelversuche mit Glycerin, Oel oder ohne
jede Einfettung.
HL Jfthrgaag.l
MKk 1889. J
Gottstein, Sublimat-Lanolin als Antisepticum.
105
und durcli z'wei Nähte geschlossen. Das
Thier überlebt die anderen und bleibt munter.
£s wird am 8. Tage todt gefanden, mög-
licherweise erfroren. Section aus äusseren
Gründen nicht gemacht.
Versuch 2, Zwei grosse ausgewachsene
Meerschweinchen dienen zu diesem Versuche.
Dem ersten wird eine grosse Hauttasche mit
Erde + Sublimatlanolin 1 : 5000 ausgefüllt
und mit 2 Nähten geschlossen. Dem zweiten
wird eine Mischung von Erde mit 5 % Peru-
balsamlanolin in gleicher Weise beigebracht.
Beide Thiere waren noch 3 Wochen
nach Anstellung des Versuches am
Leben. Das Sublimatthier war gesund, die
Wunde glatt ohne Defect geheilt. Bei dem
Perubai samthier dagegen hatte sich schliesslich
die Haut an der Operationsstelle in der Aus-
dehnung eines 3 Markstückes nekrotisch ab-
gestossen und es lag das granulirende ünter-
hautzellgewebe blos. Auch war dies Thier
magerer geworden, doch sonst wieder munter.
Der Versuch mit Perubalsam wurde auf Grund
der Angabe von Riedlin über die antiseptische
Wirkung des Perubalsam (Arch. f. Hygiene
Bd. 7) angestellt. Er bestätigt dessen An-
gaben insofern, als der Perubalsam einen ge-
wissen Schutz gegen die tödtende Wirkung
des malignen Oedems abgab, während er
locale Entzündung und Nekrose nicht ver-
hinderte und so dem Sublimat nachstand.
Dem entsprach auch der mit dem benutzten
Material angestellte Reagensglasversuch: das
Gläschen, welches mit der Sublimatlanolin-
erde geimpft war, blieb steril; in demjenigen
mit Perubalsamlanolinerde entwickelte sich
eine Anzahl von Keimen.
c. Versuche an Meerschweinchen
mit Milzbrandsporen. Die Sporen stamm-
ten aus dem hygienischen Institute und waren
an Seidenfäden angetrocknet.
Versuch 1, Zu denselben dienten drei
ausgewachsene Meerschweinchen, erstes und
drittes männlich, sehr kräftig, zweites Weib-
chen, klein.
Erstes Meerschweinchen. Ein Seiden-
faden wird durch wasserhaltiges Lanolin ge-
zogen und mit einer Lanolinhülle umgeben
sofort unter die Haut gebracht. Eine Naht.
Das Thier lebt noch nach 72 Stunden,
wird vier Tage nach der Operation todt ge-
funden. Das Mikroskop ergiebt ausgespro-
chensten Milzbrand.
Zweit es Meerschweinchen (Weibchen).
Der Seidenfaden wird durch 5 °/o Perubalsam-
lanolin gezogen. Das Thier wird 24 Stun-
den vor dem ersten todt gefunden, ist also
zwischen 48 und 72 Stunden gestorben. Todes-
ursache: Milzbrand.
Die LanolinumhülluDg hat also demnach
den Tod um 24, bei dem stärkeren Thier so-
gar um 48 Stunden verzögert.
Drittes Meerschweinchen. Der Sei-
denfaden wird durch Sublimatlanolin 1 : 1000
gezogen und unter die Haut gebracht. Naht.
Dieses Thier blieb vollständig gesund,
frass stets und zeigte nichts Abnormes. Bei
einer genauen Untersuchung am 12. Tage
nach der Operation zeigt sich an der Ope-
rationsstelle nichts Besonderes; die Wunde
war glatt, nur mit einer leichten Verdickung
geschlossen und linear fest vernarbt. Nichts
von Geschwürsbildung oder Infiltration, nichts
von Röthung im Bereich der Narbe. Da
nunmehr eine Erkrankung des Thieres nicht
mehr zu erwarten war, wurde es, zugleich
um auszuschliessen, das dasselbe gegen alle
Regel immun sei, zum nächsten Versuch
benutzt.
Versuch 2, Demselben Meerschweinchen
wird ein Seidenfaden unter die Haut ge-
bracht, der einige Minuten in reinem Peru-
balsam gelegen hatte. Das Thier blieb in
den ersten Tagen gesund, wurde dann still
und starb kurz vor Ablauf des fünften Tages.
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass
der Tod an Milzbrand erfolgt war. Der
Tod erfolgte also sehr verspätet. Koch hat
dieselbe Beobachtung des verspäteten Todes
gemacht, als er einer Maus einen Seidenfaden,
der mit Sublimat 1 : 10 000 behandelt war,
beibrachte (l. c. S. 277). Er bemerkt hierzu,
es liesse sich kaum anders annehmen, als
dass durch die Sublimatlosung nicht allein
eine theilweise Vernichtung der Sporen,
sondern auch eine derartige Einwirkung auf
die noch nicht vollständig getodteten Sporen
eintritt, dass dieselben verspätet zur Keimung
gelangen. Wenn also zwar selbst dem reinen
Perubalsam nicht die Kraft innewohnt, Milz-
brandsporen bei kürzerer Berührung zu ver-
nichten, so dass eine weitere Prüfung für
die vorliegende Untersuchung überflüssig ist,
so haben doch die zwei Versuche mit Peru-
balsam gleich denen von Riedlin ergeben,
dass demselben antiseptische Eigenschaften
zukommen, ein Umstand, der bei der neuer-
lichen Verwendung des Perubalsams, z. B. bei
dem Land er er 'sehen Verfahren der Tuber-
kulosebehandlung, eine weitere Verfolgung
zweckmässig erscheinen lässt.
Für den vorliegenden Fall ist aber die
Uebereinstimmung der drei verschiedenen
Versuchsanordnungen beweisend und würde
es schon der eine einzige Thierversuch sein,
bei welchem ein ganzer Milzbrandsporen/aden,
der nur durch Sublimatlonolin hindurchgezogen
war, unter die Haut eines Meerschiceinchens ge-
bracht wurde, ohne dass das Thier auch nur er-
krankte. Es folgt daraus unanfechtbar dass,
14
106
Gottiteln, Sublimat-Lanolin als Antisepticum.
[TherapeaUadie
Monatafaefte.
das Sublimat mit Lanolin gemischt als Salbe
ebenso antisepiiscbe Eigenschaften besitzt, loie
in wässriger Losung, Das Sublimatlanolin ist
somit der erste Körper, von dem es exact
erwiesen ist, dass das Desinficiens auch in
anderer Form wirksam ist, als in wässe-
riger Lösung.
Welche praktischen Folgen sich aus dieser
neuen Thatsache ergeben, ist schon in der
Einleitung angedeutet worden. Für die
augenblicklich viel besprochene Frage der
Desinfection der Hände wird wohl freilich
das Sublimatlanolin in dieser Form zunächst
nicht in Frage kommen. Denn bei der Noth-
wendigkeit, täglich wiederholt wenn auch noch
so kleine Mengen des resorbirbaren Giftes
auf die Haut zu bringen, kann man Niemand
die Gefahr einer chronischen Quecksilber-
vergiftung zumuthen. Immerhin ist es mög-
lich, dass ein anderes in Fett unlösliches
weniger giftiges Antisepticum sich findet,
welches für diesen Zweck verwendbar wird.
Für die Wundbehandlung aber ermuntern
die mitgetheilten Versuche zur praktischen
Prüfung. Denn die antiseptische Wundsalbe
ergiebt mehrere Vortheile. Erstens sind mi-
nimale Mengen des Antisepticums erforder-
lich; denn z. B. zur Bedeckung einer selbst
inficirten Flächen wunde von nicht zu grosser
Ausdehnung braucht man etwa 0,5 g der
Salbe, d. h. etwa 0,5 mg Sublimat. Zur
Bespülung derselben Wunde aber, wenn man
etwa 7a ^' l^/oo Sublimatlösung verbraucht,
hat man 0,5 g des Antisepticums über die
resorbirende Fläche rieseln lassen, d.h. die
tausendfache Menge! Zweitens erzielt
man mit der Salbe einen innigeren Contact
als mit der weniger adhärirenden wässrigen
Lösung und drittens kommt die antiseptische
Wirkung nicht für wenige Augenblicke zur
Geltung, sondern sie ist eine langdauernde.
Schliesslich aber kann man durch die An-
wendung der Salbe zugleich ihre Eigenschaft
als luftabschliessende Schutzdecke ausnutzen.
Inwiefern noch weitere Anwendungen mög-
lich sind, z. B. zur Behandlung inficirter oder
gegen Infection zu schützender Schleim-
häute etc. oder zu Desinfectionszwecken,
das muss ebenfalls die praktische Prüfung
herausstellen.
Es ergiebt sich aus diesen Versuchen,
dass ein Körper wie das Sublimat, welcher
zum Wasser eine grössere Löslichkeitsaffinitat
zeigt, seine desinficirende Wirkung in fettigen
Salbenemulsionen bewahrt, während nach
Koch diejenigen Substanzen, welche eine
grössere Löslichkeit in Fetten besitzen als
wässrige Lösungen, unwirksam sind, soweit
es die Desinfection betrifft.
Ferner ist nach diesen Versuchen wohl an-
zunehmen, dass sich in allgemeiner Weise der
Satz aussprechen lässt: Salben, mit wässrigen
Lösungen einer Arzneisubstanz bereitet, bewahren
dann ihre volle Wirksamkeit, wenn die Arznei-
Substanz eine grössere Löslichkeit in Wasser zeigt,
als in Fett,
Weitere Untersuchungen dürften die Rich-
tigkeit des allgemein gefassten Satzes, der
speciell in dieser Abhandlung für Sublimat
als Desinficiens bewiesen ist, bestätigen.
Ueber lufluenz-Elektricität uud die ueue
Influeuzmaschine von Gläser iii Wien.
Vorti'ag gebalten im physiologischen Verein
in Breslau
Von
Dr. E. Bielschowsky (Breslau).
Etwa seit einem Jahrzehnt sind die
Elektrotherapeuten auf die Influenz-Elektri-
cität, die früher bereits unter den elektri-
schen Heilmethoden eine Stelle einnahm,
dann aber lange Zeit vergessen worden ist,
wieder in erhöhtem Maasse aufmerksam ge-
worden. In der Mitte des 18. Jahrhunderts
war es der französische Arzt Jal labert, der
die Influenz -Elektricität zu therapeutischen
Zwecken in Anwendung zog, und nach den
genauen Beschreibungen , die er geliefert,
recht gute Erfolge erzielte. Viele Aerzte
seiner Zeit konnten seine Erfahrungen be-
stätigen und fand die Influenz-Elektricitat
einen ausgedehnten Gebrauch. Als aber von
Charlatanen die Wirkungen dieser Elektrici-
tätsart in schwindelhafter Weise angepriesen
und fabelhafte Erfolge berichtet wurden,
kam dieselbe bei den Aerzten in Misscredit.
Erst Charcot gelang es, das Interesse der
Elektrotherapeuten von neuem der Influenz-
Ei ektrici tat zuzuwenden. In Deutschland
waren es Stein und Eulenburg, die sich
auf seine Anregung hin mit ihr beschäftig-
ten, und ihnen folgten Benedikt, Lewan-
dowsky u. A.
Die Influenz-Elektricitat, auch
Frank linisation, Spannungs - Ströme
oder statische Elektricität genannt, ist
der Reibungselektricität zu subsumiren; sie
wird dadurch erzeugt, dass ein durch Reiben
elektrisch gemachter Nichtleiter einem andern
unelektrischen Körper genähert, und dass von
dem ersten auf den zweiten die Elektricität
durch Influenz übertragen wird. Nachdem ein-
mal durch diesenVorgang die Influenz-Maschine
geladen ist, hält sie in Folge der ihr eigenen
Blalichowiky, Uabar lunuani-EIaklileltil udi) die neue lufluenzmaichine von Gliiei. 107
hohl
Construction die Elektricität nicht
sondern bringt sie zu c
nang, daes die Uebertntgung
derselben auf den menschlichen
Körper möglich wird.
Man bediente sich bis vor
Kurzem der Holtz'schen Influ-
eni-Maschine mit ihren yeracbie-
denen Uodi£cationen. Dieselbe
hat jedoch ffir den ärztlichen Ge-
brauch ausserordentlich grosse
ünzuträglichkeiten. Die Maschine
ist Ton der Witterung so abhän-
gig, dass es bei feuchtem Wetter
oft nicht möglich ist, dieselbe zu
laden. Um sich Ton diesem
Hindemias zu emancipiren, ist
auf Stein s Anrathen die Ma-
Echine unter einen Glaskasten
gestellt norden, der durch einen
Ventilator und durch Chlor cal-
cium trocken gehalten 'nerden
sollte. Ceberdiea muss die Ma-
schine Öfters auseinandergenom-
men werden, um die mit Schel
lackfimias überzogenen Glasschei-
ben aufs Torsichtigste zu reinigen
um diese der Einführung der
Influeuz-Maschmen in die ärzt-
liche Praxis sehr hindernden
Uebelstände zu beseitigen, hat
Stein') statt der Glasscheiben
Cylinder aus Hartkautschuk con-
struirt. Mechaniker Gläser in
Wien bat diese Idee aufgenom-
men und eine Maschine herge-
stellt, bei der die oben berührten
Nachtheile beseitigt smd, so dass
dieselbe für ärztliche Zwecke
leicht und zu jeder Zeit zu ge-
brauchen ist Lewandowsk}
hat die zur therapeutischen An-
nendung nSthigen Nebenapparate
angegeben und den ganzen Ap-
parat genau beschrieben, jedoch
an den deutschen Aerzten aicht
so zu^nglichen Stellen*), wie es
diese Blätter sind. Das Priocip
dieser Influenz-Maschine besteht
darin, dass als Nichtleiter, die
influirt werden sollen, zwei Hohl-
trommeln aus Hartgummi ver-
wendet werden, von denen die
■) Stein, Lehrbuch der allg.
Elektrisation Änfl. III, p. 160. — Ueber
einen neuen Apparat zur FraBklinisa-
tioD. Ther. Monatshefte 1887, No. 6.
*) Lcwandowskv, Qber eine neuartige Influenz-
maschine, ZeiUchrift fär Elektrotechnik 1888, Heft
& n. 6, u. Wiener med. Prcsee 1888 No. 23.
richtung sind drei Trommel
in Einflüssen derAtmosphär
108 Bi«lschowsky, Ueber Innu^nc-Elektricitat und die neue Influenzmaschine von GiMser. [7Hm!at£^ft?*
entzogen, so dasB überhaupt nur die
eine äussere Trommelfläcbe feucht
werden kann; dieselbe ist aber jederzeit
aufs schnellste trocken zu reiben. Beide
Trommeln rotiren um eine gemeinschaft-
liche Axe, aber nach entgegengesetzter
Richtung, -wie Durchschnittsfigur 3 ersicht-
lich macht. Diese Axe e f (Fig. l) ist
in den beiden verticalen Eisenständern a a^
und b 6}, welche auf dem rechteckigen, 70 cm
langen und 50 cm breiten Holzrahmen be-
festigt sind , eingelagert. Dreht man die
KurbeP) k nach rechts, so wird durch die
Riemenscheibe R mit Hilfe der Transmission
hält nun, während beide Conductorenkugeln
in Contakt stehen, den Anreger mit seiner
flachen Seite an der Stelle, wo sich innerhalb
der Trommeln die Saugkämme befinden, dicht
über oder unter die rotirenden Cy linder, je-
doch ohne sie zu berühren; es influirt dann
die Elektricität von dem Anreger auf die
Trommeln, wodurch die Ladung der Maschine
erfolgt. Es ist dies sofort an einem ziemlich
intensiven zischenden Geräusch, welches die
Maschine erzeugt, und an einem deutlichen
Geruch nach Ozon erkenntlich. Durch die
stete Rotation der Trommeln wird die Span-
nung der Elektricität gemehrt und erreicht
Fig.S.
auf r die äussere Trommel ebenfalls nach j
rechts gedreht; auf die Riemenscheibe r^ i
wird diese Bewegung durch das Zahnrad in
entgegengesetztem Sinn übertragen und Ton
diesem durch die Transmission auf r^ imd
somit auch auf die innere Trommel fortge-
pflanzt. Auf jeder Seite der äusseren Trom-
mel befindet sich ein Saugkamm aus Metall
Sk und Sk^, Senkrecht zu der Fläche
dieser beiden äusseren Kämme sind im In-
neren der kleinen Trommel zwei fernere
Saugkämme unbeweglich auf der gemein-
schaftlichen Axe befestigt (Fig. 3 sk und ak^.
Diese letzteren sind in sich metallisch ge-
schlossen, die ersten dagegen sind mit den
Gonductoren A^ m und A^n durch die Me-
tallstäbe d und c verbunden. Der Hart-
gummistab a b und die ihn schneidende Hart-
gummischeibe dienen nur zur besseren Be-
festigung des Ganzen.
Das Laden der Maschine geschieht in
folgender Weise. Man reibt ein Lineal aus
Hartgummi, Anreger genannt, mit einem
trocknen Tuch- oder Lederlappen einige Se-
cunden; es entsteht dabei ein leises Knistern,
der Anreger ist elektrisch geworden. Man
') Will man die Maschine nicht selbst drehen,
so kann man sich verschiedener Motoren bedienen
(Magnetmotoren , Wassermotoren , Dampfmotoren).
Abgesehen davon, dass man dann beide Hände
frei hat, wird der Gang der Maschine vollkommen
gleichmässig.
alsbald eine solche Höhe, dass Funken an
den von einander entfernten Gonductoren
überspringen. Lassen wir die Maschine im
Dunkeln gehen und drehen die Kurbel im
Sinne des Uhrzeigers von links nach rechts,
so sehen wir von dem rechten Saugkamm
auf den obem rechten Trommelquadranten
schöne hellblaue Lichtbüschel überströmen,
die zusammenfliessend die Trommel in ihrer
ganzen Breite und in Fingerhöhe wie mit
einem Lichtmantel umgeben. Auf dem ent-
gegengesetzten Saugkamm sehen wir nur
an jedem Zahn einen hellen, blauleuchten-
den Punkt erscheinen, d. h. rechts strömt
positive Elektricität auf die Trommel über,
links negative; es werden in Folge dessen
auf den Kämmen die entgegengesetzten Elek-
tricitäten frei und strömen von dort zu den
Gonductoren, die wir hier Pole nennen, ab.
Je nachdem man den Anreger an die obere
oder untere Peripherie der Trommel hält
und dabei die Kurbel nach rechts oder
links dreht, ändern sich die Pole, und ea
kommen folgende 4 Variationen vor:
Rotation der
äusseren
Trommel nach
rechts
rechts
links
links
Anregung
von
Auf dem
rechtasoitlgen
Auf dem
llnketeitigen
Saugk&mme aoflretende
ElektridUlt.
oben
unten
oben
unten
negativ
positiv
positiv
negativ
positiv
negativ
negativ
positiv
m. JahrgftDgJl
März 1889. J
Bielsfcliowsky, Ueber Influens-filektrieität und die fteue laflueazmaschine von Gläser. 109
um auch am Tag, wo uns die Licbt-
erscheinungen an den Trommeln nicht zu-
rechtweisen, bestimmen zu können, welcher
Pol positiv rsp. negativ ist, bringt man eine
brennende Kerze mit der Flamme zwischen
die Conduktoren der in Gang gesetzten In-
fluenzmaschine. Die Flamme neigt sich dann
stets nach dem positiven Pol hin. Es kommt
dies daher, dass die Spannungsstrome in der
Richtung von — zu -4- gehen.
Entfernt man die Conductoren über die
Schlagweite der Maschine von einander, so
ändert sich die Yertheilung der Elektricitat
vollkommen. Es befinden sich dann auf
jedem Saugkamm positive und negative
Elektricitat nebeneinander; so dass die eine
Hälfte seiner Zahne mit Punkten, die andere
mitBüscheln besetzt ist. Es kann bei dieser An-
ordnung Elektricitat nicht abgeleitet werden,
die Maschine muss entladen und von Neuem
angeregt werden. Die Entladung geschieht
durch einige, ganz kurze Drehungen der
Kurbel nach wechselnder Richtung. "Wird
die Maschine nicht mit diesem Kunstgriff
absichtlich entladen, so hält sie die Elektri-
citat längere Zeit fest.
Berühren sich die Conductoren, so geht
der Aasgleich beider Elektricitäten un-
merklich vor sich. Entfernt man die Pole
von einander, so finden elektrische Entla-
dungen statt. Wir unterscheiden drei Arten
der Entladung: 1. Funken-, 2. Büschel-,
3. Glimm-Entladung. Der elektrische
Funke entsteht, wenn die beiden Conduc-
toren bis zu einer gewissen Grenze von ein-
ander entfernt sind. Die Schlagweite und
Stärke des Funkens ist um so beträchtlicher,
je grosser die Menge und Spannung der Elek-
tricitat ist. Die Funken werden also, wenn
die gleich zu erwähnenden Leydener Flaschen
eingeschaltet sind, kräftiger und länger sein als
ohne dieselben. Jede Funken-Entladung er-
folgt mit einem mehr oder minder lauten Knall.
Sind die Conductoren über die Schlagweite der
Maschine entfernt, so strömt die Elektricitat
in einem Büschel bläulicher diyergirender
Strahlen unter eigenthümlich zischendem
Geräusch aus. Die Glimm-Entladung be-
steht in einem stetigen geräuschlosen Aus-
strömen der Elektricitat und findet dann
statt, wenn ein Conductor in eine Spitze
ausläuft. Diese drei Arten der Entladung,
wie wir sie oben an den Conductoren be-
schrieben, können dann auch an den Elek-
troden hervorgerufen werden.
Die LeitungSBchnüre werden an den
Stielen, auf denen die Saugkämme befestigt
sind, fijxirt. Da die Influenz-Elektricität
eine bedeutende Spannung besitzt, so ist es
nicht möglich, die Leitungsschnüre voll-
kommen zu isoliren. Sobald man eine selbst
mit einem doppelten Gummiüberzug ver-
sehene Leitungsschnur einem leitenden Gegen-
stand nähert, strömt die Elektricitat unter
Funkenbildung aus der Schnur nach dem-
selben über. Den Gläser^schen Maschinen
sind dicke Kupferdrähte, mit gefirnisstem
Hanfschnurgeflecht übersponnen, beigegeben.
Da dieselben trotzdem nicht vollkommen
isolirt und überdies unhandlich sind, können
sie durch die gewöhnlichen mit Gummi über-
zogenen Leitungsschnüre ganz gut ersetzt
werden. Sobald die Schnüre nur durch die
Luft gefuhrt werden, ohne einen Körper zu
berühren, werden sie durch die schlecht
leitende Atmosphäre genügend isolirt.
Um die Spannung der Elektricitat zu er-
höhen, kann die Maschine durch 2 Leydener
Flaschen verstärkt werden, indem man von
jedem Saugkamm aus eine mit Glas um-
gebene Metallleitung nach einer Leydener
Flasche herstellt [Fig. 2 Lj und Lj. I II (Ver-
bindungen)], und auch beide Flaschen unter-
einander verbindet (III). Sind die Flaschen
eingeschaltet, so erzielt man bedeutend
grössere Funken als ohne dieselben, weil
sich in denselben Elektricitat von grösserer
Spannung und Dichte als auf den Conduc-
toren allein ansammeln kann.
Wir unterscheiden zwischen localer und
allgemeiner Anwendung der Spannungs-
ströme auf den menschlichen Körper und
brauchen für beide Applicationsweisen ver-
schiedene Elektroden.
Um den ganzen Körper der elek-
trischen Influenz auszusetzen, bringen
wir den Patienten auf den Isolirschemel
(Fig. 2 J) und leiten einen Pol (I9) nach der
Metallplatte des Schemels hin, während wir den
andern Pol auf die Erde führen. Es strömt nun
die Elektricitat von der Metallplatte auf den
Körper über; wir erkennen dies daran, dass
wir Funken aus dem Patienten ziehen können
und sich seine Haare spontan sträuben. Der
Patient ist mit Elektricitat geladen.
Eine zweite Art der allgemeinen Fran-
klinisation besteht in der Anwendung der
sog. Luftdouche.
(Anordnung wie in Fig. 2). Als Elektrode
wird eine flache Schale aus vernickeltem
Eisenblech benutzt, die auf ihrer concaven
Fläche mit zahlreichen Spitzen versehen ist.
Diese Glocke wird mit Hülfe des leicht für
verschiedene Grössen stellbaren Statines über
dem Kopf des Patienten befestigt. Es strömt
dann die Elektricitat yon den Spitzen als
Glimmentladung aus, unsichtbar und ohne
Geräusch, aber für den unter der Glocke
Sitzenden als ein leiser, Kopf und Gesicht
bestreichender Wind fühlbar. Die Haare des
110 Bielschowiky, U«ber lafluenz-Elektrleltät und die neue Influenzmaiehine von Gläter. [^^i^^SlSf^
Patienten richten sich auf. Es ist diese Appli-
cationsweise der Spannungsstrome für den Pa-
tienten durchaus angenehm, nur muss man die
Vorsicht beobachten, die Glocke in einer ge-
nügenden Entfernung vom Kopf zu befestigen,
-weil sonst Funken auf den Eopf überschlagen
können, ein Umstand, der den Patienten für
immer yon dieser Behandlung abschrecken
würde. Femer muss der Patient darauf auf-
merksam gemacht werden, dass er sich nicht
während der Application der Douche erhebt
und sich so der Glocke nähert. Die Luft-
douche hat eine stärkere Wirkung als die
Ladung. —
Zur localen Application der Span-
nungsströme bedient man sich Elektroden,
die mit einer Kugel oder Spitze endigen, je
nachdem man die Funken- oder die Büschel-
und Glimmentladung verwenden will. An
einem Hartgummigriff befindet sich eineMetall-
hülse, auf die die Kugel oder die Spitze je nach
Bedarf aufgesteckt wird. Die Leitungsschnur
wird mit Hülfe einer Schraube an der Elek-
trode befestigt (Fig. 2 E und E,). Stg stellt
eine Spitzen-Elektrode an einem Stativ dar,
sog. Ozonisirungsapparat. Bei der localen Fran-
klinisation wird der Isolirschemel nicht be-
nutzt. Nähert man, während die Maschine bei
einer Schlag weite von 2 cm arbeitet und der eine
Pol auf die Erde abgeleitet ist, den zweiten,
mit einer Kugel armirt, dem Arm des Patien-
ten auf 2 cm, so schlagen Funken über.
Das Glied braucht nicht entblösst zu sein,
da in Folge der hohen Spannung die Klei-
dung den Funken ebensowenig wie den an-
dern Entladungen Widerstand bietet. Die
Application des Funkens ist schmerzhaft,
kann jedoch wenigstens ebenso gut w^ie ein
starker faradischer Strom ertragen werden.
Natürlich muss man die Stärke des Funkens
nach Bedürfniss steigern oder verringern.
Seine Application ruft auf der Haut eine anä-
mische Stelle hervor, die sich bald in eine
Quaddel ver-wandelt; später tritt eine lang
anhaltende Röthung ein. In der Umgebung
der anämischen Stelle contrahiren sich die
Erectores pil., der getroffene Muskel zieht
sich kräftig zusammen. Hält man die Kugel-
elektrode unmittelbar auf die Haut, so werden
dieHautnerven nur wenig gereizt; man fühlt nur
die Gontraction der Muskeln, die bei jedem
Funkenschlag stattfindet. Bei schnellem
Gang der Maschine tritt Tetanus ein. Be-
findet sich zwischen Elektrode und Haut
eine Lage Wolle durch die Kleidung oder
ist die Elektrode selbst mit einem dicken
Tuch- oder Lederüberzug versehen, — die
Elektrode muss dabei fest aufgesetzt
sein, — so theilt sich der Funken in un-
endlich feine Ströme und verursacht ein sehr
heftiges Brennen, die Haut wird erst blass,
dann aber intensiv geröthet; diese Hyperämie
hält mehrere Stunden an.
Bedient man sich statt der Kugel der
Spitze als Elektrode, so strömt die Elektri-
cität aus derselben als Wind aus, oder falls
man die Spitze der Haut stark nähert, als
Büschel. Die Büschel bestehen aus einer
Anzahl feiner Funken und sind wenig schmerz-
haft.
Die physiologische Wirkung ist bei dieser
localen Application ähnlich der des Induc-
tionsstromes. Der grosse Vortheil der Span-
nungsströme besteht darin, dass man mit
denselben ausserordentlich gut und leicht
localisiren und das kleinste Muskelbündelchen
isolirt treffen kann, ohne benachbarte Mus-
keln mit zu erregen, was bei kräftigem fara-
dischen Strom nicht möglich ist. Wir
werden therapeutisch den localen lofluenz-
strom in vielen Fällen verwenden können,
in denen auch der faradische Strom indicirt
wäre, bei Paralysen, trophischen
Störungen der Haut und Muskeln,
Anästhesien, Migräne, rheumatischen
Schmerzen, Neuralgien; bei leichteren
Formen der Nervenschmerzen, wie sie bei
der Neurasthenie und Hysterie vorkommen,
erweist sich der elektrische Wind als ein
sehr beruhigendes und wegen seiner voll-
kommenen Schmerzlosigkeit dem Patienten
höchst angenehmes Mittel. Sehr vortheühaft
lässt sich die Funkenentladung oder
die Kugelelektrode mit Ueberzug zur
Application von leichten Moxen an Stelle
des Blasenpflasters, faradischen Pinsels, oder
der Stichdouche, bei Rachialgie, hinter das
Ohr, etc. benutzen.
Wir haben bei allen diesen Applicationen
den grossen Vortheil, dass sich der Patient
nicht auszuziehen braucht, da, wie oben ge-
sagt, der Widerstand, den die Kleider bieten,
gegenüber der grossen Spannung der Ströme
vollkommen verschwindet.
Eine eigenthümliche locale Verwendung
findet die Influenz-Elektricität bei dem ner-
vösen Ohrensausen und dem damit ver-
bundenen Eingenommensein des Kop-
fes, dieser bekannten crux medicorum. Es ist
besonders Benediktes*) Verdienst, diese The-
rapie eingeführt zu haben und spricht er sich
über die Erfolge sehr günstig aus. Man ge-
braucht entweder eine Ohrglocke, die der Kopf-
glocke gleich, nur bedeutend kleiner ist und
vertical vor dem Ohr befestigt wird, oder
besser einen elektrostatischen Ohrtrichter nach
Lewandowski. In einem gewöhnlichen Ohr-
trichter aus Hartgummi ist isolirt ein Metall-
*) Benedikt, Wienermed. Blätter 1885 No. 35
u. Intemat. Klin. Rundschau 1888 No. 51.
iDWikfi U«ber InflueBi-EtoktrleltSlunddlaDaualaAueiizmaicblne voDGUUar. 111
Stift, der in einen Knopf auBgeht, angebracht,
der Stift ist TerBchieblich, so dass er bis zu
der inneren Oeffnnng des Tricbtera vorge-
schoben oder Ton ihr entfernt werden kann,
um stärkere oder schwächere "Wirkang zu
ersielen. An dem andern Ende des Stiftes
befindet sich eine Oese zur Befestigung der
LeituDgaschnur; dieselbe muss mSgiichst dünn
gewählt werden, damit sie durch ihre Schwere
nicht den Trichter aus dem Ohr herauszieht.
Der Trichter wird mit Hülfe einer Kopf-
binde und eines Kugelgelenkes ähnlich wie
der Reflector des Kehlkopfspiegels in dem
Ohr Sxirt. Die Spannung der Ströme darf
nur eine minimale sein, die Leydener Fla-
scheu müesen ausgeschaltet, die Conduc-
toren nur eben Ton einander entfernt sein.
Von dem Metallknopf im Ohrtrichter geht
dann der elektrische Wind direct auf das
Trommelfell über, was von dem Patienten
als leises Knistern gehört wird, Wird diese
Therapie richtig angewendet, so muss sie
durchaus schmerzlos sein ; die Dauer der
Sitzung soll 3 — 5 Min. nicht übersteigen.
Schon Dach den ersten Applicationen hat
Benedikt deutliche Besserung constatiren
können.
Die Indicationen für die therapeutische
Verwendung der allgemeinen Frank linisation
konnten bis jetzt nur auf empirischer Grund-
lage aufgestellt worden, da unsere Kennt-
nisse über ihre Physiologie leider noch sehr
gering sind. Schwanda') in Wien, ein
')£
Bd. 24. S. 195.
Wiener med. Jahrbücher.
russischer Aizt Stepanow*), Stein') und
Eulenburg^) haben sich mitdieser Frage be-
schäftigt. Es ist hauptsächlich festgestellt,
dass durch eine Sitzung von 20 Min. auf
dem Isolirschemel die Zahl der Pulsschläge
etwa um 'ij vermehrt wird; gleichzeitig wird
die Secretion der Drüsen gefordert, wodurch
sich die Speichel-, Urin- und Schweissab-
sonderung steigert.
Die meisten Erfahrungen über die thera-
peutische Wirkung der allgemeinen Frankli-
nisation haben die Franzosen, die ja seit
längerer Zeit als wir die lafluenz-Elektri-
cttät bei der Krankenbehandlung in Gebrauch
haben, gesammelt. In Deutschland haben
sich die Autoren bis auf wenige Ausnahmen
ablehnend gegen die Verwendung der Span-
nungsströme in der Therapie verhalten;
wohl besonders deshalb, weil bis jetzt noch
jede theoretische Erklärung für ihre Wir-
kungsweise fehlt und die Heilerfolge mehr
auf Rechnung der psjchischen Einwirkung
als auf die der Elektricität zu setzen
seien. Man müsste dann aber auch ebenso
gut alle Heilungen, die mit dem faradiscben
und galvanischen Strom erzielt sind, und die
doch nicht abzuleugnen sind, als auf Sug-
gestion beruhend bezeichnen ; denn noch iu
der 5. Auflage seiner „Elektricität in der
Medicin" sagt Ziemssen: „Was die An-
wendung der Elektricität von heute
vor der Elektrotherapie der 1. Hälfte
unseres Jahrhunderts voraus hat, das
ist nicht ein besserer Einblick in die
Wirkungsweise des elektrischen Stro-
mes, nicht eine wissenschaftliche The-
rapie im eigentlichen Sinn; die beutige
Elektrotherapie ruht nach wie vor
durchaus auf empirischer Grundlage."
Die bisher veröffentlichen therapeutischen
Erfolge beziehen sich grade auf solche Krank-
heitsformen und Symptome, denen mit jeder
andern Therapie nur schwer bei zu kommen
ist, und für den Praktiker wird es stets die
Hauptsache bleiben, seine Kranken mit einem
unschädlichen Mittel zu erleichtem oder zu
heilen ; die Frage , wie das Mittel wirkt,
wird für ihn immer erst in zweiter Linie in
Betracht kommen.
Die allgemeine Franklinisation haben
ausser den Franzosen, Stein, Eulen bürg,
Benedikt und Lewandowski mit Nutzen
angewendet bei der Hysterie, unter deren
Symptomen ich besonders die hysterischen
Krämpfe hervorhebe, und bei den erethi-
") Stepanow. Centralbl. fQr Norvenheilkdo.
1884. No. 22.
') Stein, Lehrbuch d. Bllg.Elekt.
») Enlenburg. Berl. Win. Wocbonschrift 1887.
No. 13 und 14.
112
Binswanger, Bemerkungen über die Suggestivtherapie.
rTherapeatiflehe
L MonaUhefte.
sehen Zuständen der Neurasthenie. Bei
den Depressionsformen der Nervenschwäche
dagegen hat sie sich nicht günstig erwiesen,
nur bei dem Kopf druck ist ihre Anwen-
dung nach Stein und Eulenburg^) vor-
theiihaft.
Die verschiedenen Kephalalgien, die Emo-
tionsneurosen wie Chorea, Paraljsis agitans,
Tremor idiopathic. werden von ihr günstig
beeinflusst.
Von besonders gutem Erfolg ist die Luft-
douche bei der nervösen Schlaflosigkeit,
die sich erfahrungsgemäss gegen alle thera-
peutischen Vornahmen sehr resistent erweist.
Stein berichtet unter 15 Fällen von 10
voUkommne Heilungen und 8 Besserungen.
Auch gegen Amenorrhoe ist die allg.
Franklinisation mit Nutzen applicirt worden.
Bei Geistesstörungen würde sich ein
Versuch mit den Spannungsstromen lohnen, da
Eulenburg und Benedikt Melancholien
sich bessern und selbst heilen sahen. Die
Länge einer Sitzung wird von Stein auf
20 Min. angegeben. Benedikt kommt mit
kürzerer Zeit aus und auch uns scheint eine
Dauer von 5 — 10 Min. zu genügen.
Es erübrigt, zu bemerken, dass wir
noch im Unklaren darüber sind, ob eine
therapeutische Differenz zwischen beiden
Polen vorhanden ist. Stein behauptet,
dass der positive Pol gunstiger einwirke als
der negative, er beruft sich dabei auf ein
Experiment, das in seinem Buch über all-
gemeine Elektrisation genau beschrieben ist,
welches nachweist, dass sich auf der Ober-
fläche des Körpers stets positive Elektricität
befindet. Es erscheint diese Annahme, dass
die positive Spannung dem Körper mehr
zusagt als die negative, nicht unwahrscheinlich,
wenn wir berücksichtigen, dass nach den
Untersuchungen von Wislicenus*®) die at-
mosphärische Elektricität bei weitem häufiger
positiv als negativ ist — bei 2124 Beobach-
tungen war dieselbe 2046 mal positiv und
nur 7 8 mal negativ — und dass sich er-
fahrungsgemäss zu Zeiten, in denen neg.
Elektricität herrscht, nach obigen Beobach-
tungen bei Gewitter, Sturm und plötzlichen
Abkühlungen, nervöse Personen besonders
schlecht befinden und Exacerbationen ihrer
Leiden verspüren.
»
') Eulenburg. Neurolog. Centralbl. Jahrg. 17.
Hft. 19.
'°) A. Wislicenus. Electricity von Ferguson.
p. 100.
Bemerkungren über die Sugrsrestiv-
tlierapie.
Von
Prof. Dr. Otto Bintwanger in Jena.
[Fortstttung.]
Auf diese bedenklichen Begleit- undFolge-
erscheinungen der hypnotischen Zustände
haben alle einsichtsvollen Arbeiter auf die-
sem Gebiete aufmerksam gemacht und ins-
besondere darauf hingewiesen, dass bei ein-
zelnen Personen ganz unvermittelt durch die
Hypnose die schwersten Erampfanfälle hyste-
roepilep tischer Art, isolirte Lähmungen, pro-
trahirte Delirien u. A. m. hervorgerufen wer-
den. Und zwar geschieht dies, um es noch-
mals hervorzuheben, auch bei leichtester
Suggestionshypnose, wenn auch häufiger
bei unzweckmässiger Anwendung der-
selben. In einem Falle von Hystero-Epi-
lepsie mit schweren spontan auftretenden
hallucinatorischen Delirien versuchte ich ein-
mal einen hallucinatorischen Erregungs-
zustand durch die Suggestion des Schlafes
und leichtes Zudrücken der Augen in einen
ruhigen Schlafzustand überzuführen; statt
dessen zeitigte ich einen schweren Krampf-
anfall, der in einen stundenlang andauern-
den katalep tischen Zustand überging. Ich
u uteri iess hier natürlich alle weiteren Ver-
suche einer Suggestivtherapie.
Man wird also bei der Anwendung des
Hypnotisirens die grösste Vorsicht walten
lassen müssen. Jeder Arzt, der sich mit der
einschlägigen Litteratur vertraut gemacht und
vorurtheilslos eigene Erfahrungen gesammelt
hat, wird mit Kopfschütteln das Hypnoti-
siren en masse betrachten, das jetzt in Nancy,
Zürich und anderen Orten geübt wird. Es
wird freilich immer wieder behauptet, dass
in der Hand geübter Aerzte sich all diese
Gefahren vermeiden lassen. Zweifellos macht
auch hier Uebung den Meister, und die vielen
Misserfolge hypnotischer Versuche durch
manche Kritiker beweisen sehr häufig nur die
Un Vollkommenheit und Ungeduld bei der
Ausführung der hypnogenen Maassnahmen.
Aber die weitere Behauptung der Verfechter
der Suggestivtherapie, dass alle ungünstigen
Erfolge auf fehlerhafte Proceduren zurück-
zuführen seien, muss ebenso energisch zu-
rückgewiesen werden. „Es wird sich darum
handeln, auf eine schonende Weise, mit ge-
nügender Sicherheit und bei richtiger Aus-
wahl der Fälle zu hypnotisiren , wenn man
eine schädliche Wirkung des H. vermeiden
will" (Freud). Leicht gesagt und schwer
gethan. Denn wir haben gesehen, dass bei
der Entstehung und Verwerthung der Sug-
m» Jfthrganf .1
Min 1889. J
Biaswangar, Bemerkungen über die Suggestivtherapie.
113
gestiThypnose der psychische Factor von
maassgebender Bedeutung ist. Wer vermag
im Voraus zu bestimmen, bis zu welchem
Maasse der künstlich erzeugte ,, Verlust des
psychischen Gleichgewichts" (Charcot) an-
wächst und andauert?
Da wir es hier mit einem Vorgang zu
thnn haben, der unabhängig von den Vor-
aussetzungen und dem Willen des Experi-
mentators trotz aller Desuggestionirung selbst-
thätig weiter wirken, tief ergreif endo und
dauernde Aenderungen der centralen Erreg-
barkeitszustände — besonders bei häufiger
Wiederholung der Hypnose — hervorrufen
kann, so ist diese Frage sicher berechtigt.
Gewiss ist in dieser Beziehung die Sug-
gestivhypnose weniger verhängnissvoll, aber
einen wesentlichen, die cerebralen Func-
tionen abändernden Eingriff stellt dieselbe
trotz aller Vorsicht dar. Die geistvolle
psychophysische Zergliederung der hypnoti-
schen Erscheinungen, welche Meynert in
Anlehnung an die Fe ebner' sehe Theorie des
wachen und des Schlafzustandes giebt, gipfelt
in der Beweisführung, dass die gesteigerte Sug-
gestionswirkung im hypnotisirten Zustande
eine Folge der Einschränkung der associativen
Erregungen, der erhöhten Intensität des »P^'
tiellen Wachens" der Hirnrinde im Bereiche
der suggerirten Zwangsvorstellungen durch
eine ausgezeichnete Goncentration sei. Zu
gleicher Zeit mit diesem „corticalen Schwäche-
zustand", diesem „experimentell erzeugten
Blödsinn" besteht eine Hyperästhesie der
subcorticalen Gentren, aus welchen dann
pathologisch gesteigerte Reizungen der Rinde
zufiiessen. Diese Gegensätzlichkeit der „Erre-
gungsgrössen des corticalen Organes gegenüber
den subcorticalen Himtheilen", reiht entspre-
chend den Meynert'schen Grundanschauun-
gen die Hypnose bekannten psychiatrisch
nenrasthenischen Erankheitszuständen an.
Diese Darlegungen Meynert's knüpfen
vornehmlich an Krankenbeobachtungen, an
die Schilderung spontaner, lethargischer,
nSomnianter" und somnambuler Zustände an
und können dem Einwand nicht entgehen,
dasB diese schweren Erankheitsvorgänge bei
hysterischen Kranken sich mit den Erschei-
nungen bei „leichter" zweckmässiger Sug-
gestivhypnose nicht völlig identificiren lassen.
Der psycho-physische Mechanismus wird
aber, meiner Ueberzeugung nach, in beiden
Fällen der gleiche sein und nur ein gradueller
Unterschied, in der Ausdehnung und Inten-
sität des „partiellen Wachens" (Fechner)
vorhanden sein. So anziehend es auch wäre,
auf diese Beziehungen des hypnotischen
Schlaf- und Traumlebens zu gewissen Geistes-
störungen näher einzugehen, so muss ich
doch im Hinblick auf den Zweck dieses
Aufsatzes darauf verzichten; es geht aber
schon aus diesen Andeutungen, im Vereine
mit den früheren Ausführungen über den
Einfluss der suggestiven Einwirkungen bei
der Erzeugung des Schlafes und den beab-
sichtigten Heilwirkungen deutlich hervor,
dass solche Warnungen nicht überflüssig sind.
Für jeden Fall aber ist mir unbegreif-
lich, wie ein Psychiater, welcher täglich und
stündlich an seinen Kranken den tiefgreifen-
den Einfluss psychischer Einwirkungen auf
die Entwickelung und den Weiterverlauf
geistiger Krankheiten beobachtet, von der
absoluten Harmlosigkeit und Ungefährlich-
keit der suggestiven Procedur reden kann.
Ich darf wohl an dieser Stelle an die oben
geschilderten trüben Erfahrungen Lie-
bault's aus der Zeit seiner Lehrjahre er-
innern und ich bitte diesen Meister der
Suggestivbehandlung um Entschuldigung,
wenn ich sage, dass ihm auch nach Absol-
virung der Lehrzeit ganz gleiche Ereignisse
bei seinen „Somnambulen" begegnen können.
Nirgends in seinen und seiner Schüler Ar-
beiten ist bewiesen worden, dass eine Vor-
ausbestimmung möglich sei, welche hypnoti-
sablen Individuen diesen Grad der Empfäng-
lichkeit erlangen werden und wann derselbe
erreicht sein wird. Es ist dies der beste
Beweis gegen die behauptete Dosirung der
Hypnose und ich glaube, dass wir von dem
Ziele noch weit entfernt sind, für jede Krank-
heit im Voraus das nothwendige Maass von
Hypnose nach unserm Belieben zur Anwen-
dung zu bringen. In phantasievoller Weise
ist dies allen Ernstes von Font an und
Segard (Elements de medecine suggestive,
Paris 1887) versucht worden. Ihre „reichen"
Erfahrungen erstreckten sich, wenn ich recht
berichtet bin, bei Abfassung ihres Buches
auf ein Jahr. Wenn wir ihren Erfolgen
Glauben schenken wollen, so wird man
künftighin mit einem „mittleren" Maasse von
Hypnose durch Suggestion eine Meningitis
tuberculosa und auch Diabetes mellitus zur
Heilung bringen!
Bei all diesen Bestrebungen vergessen
die Anhänger dieser Zukunftswissenschaft,
die Individualität des Patienten in Rech-
nung zu ziehen und bei der Grundfrage zu
verweilen, bei welchen Krankheiten der
Hypnotismus überhaupt angewandt werden
darf und ohne weitergehende Schädigung der
zu behandelnden Kranken uns einen erheb-
lichen Nutzen zur Beseitigung gewisser Krank-
heitszustände gewähren kann?
In diesem Sinne möchte ich die Ein-
gangs gestellte 3. Frage umändern und er-
weitern, nachdem wir gesehen haben, dass
15
114
Binswanger, Bemerkungen Über die Suggettlvtheraple.
tTherikpeatiMli«
Monatahefto.
die Yerwerthiing der Suggestibilit&t zu Heil-
zwecken sowohl beim Braid*&chen als auch
dem Nancyer (reinen und gemischten) Ver-
fahren möglich ist, das letztere aber leichter
und yielleicht auch weniger gefahrvoll (be-
züglich der somatischen Begleiterscheinungen)
zum Ziele fuhrt.
Ich theile nicht die Ansicht derjenigen,
welche glauben, dass der Hypnotismus nur
bei ausgesprochen nervös veranlagten, neur-
asthenischen oder hysterischen Personen zu
erzeugen sei. Mit einiger Geduld und Mühe,
Geschicklichkeit und geeignetem Genius loci
für die Hypnose, also in den modernen
Hypnotismuscentren Nancy, Toulon, Amster-
dam u. s. w., in der geeigneten Atmosphäre
Ton Suggerirbarkeit , wie Bernheim selbst
den Zustand auf seiner Klinik nennt, können
sicherlich die 90 Procent hypnotisirbarer
Individuen aufgefunden werden, von welchen
die Statistik Liebeaul t^s spricht. Ich bin
aber aus den entwickelten Gründen gegen
eine solche unmässige Ausdehnung des hyp-
notischen Verfahrens zu Heilzwecken. Ich
glaube dem auch anderwärts gefällten Ur-
theile beistimmen zu müssen, dass eine der-
artige Verwendung der Suggestivtherapie zur
Beseitigung aller möglichen Krankheitser-
scheinungen bei sonst gesunden Menschen
dem Bemühen gleichkommt, „mit Kanonen
nach Spatzen zu schiessen^. Man wird dieses
ürtheil im Hinblick auf die früher mitgetheil-
ten mannigfaltigen Anwendungen des Hypno-
tismus nicht zu unbillig finden können. Aber
auch andere neuere Mittheilungen über die An-
wendung des Hypnotismus zu Heilzwecken
drängen zu dieser Anschauung. So behandelt
Bai er lach er') Menstruationsanomalien, rheu-
matische und anderweitige neuralgische Zu-
stände, unter anderem auch Zahn- und Kopf-
schmerzen mit günstigem Erfolge mittelst
der hypnotischen Suggestion, betont aber
auch die Erfolglosigkeit derselben in einer
Reihe von Krankheitsfällen und hebt in einem
günstig beeinflussten Falle rheumatischer
Occipitalneuralgie selbst hervor, dass er ähn-
liche Zustände auch mit dem constanten
Strome schon öfter in gleich rascher Weise
beseitigt habe.
Die meisten Mittheilungen in unserer
deutschen Litteratur über hypnotische Be-
handlung und Heilung durch die Suggestiv-
therapie beziehen sich auf neurasthenische
und hysterische Krankheitszustände , seien
dieselben Constitutionen bedingt oder durch
Trauma, Intoxicationen, schwächende Krank-
heiten hervorgerufen. (Vergl. die Mitthei-
lungen von Schulz, Sperling, Nonne
*) München, raedic. Wochenschrift 1888 No. 30
und 39.
u. A.) Sie stehen in Einklang mit den zahl-
reichen Veröffentlichungen über die Erfolge
der Suggestivtherapie seitens ausländischer,
vornehmlich der französischen Aerzte. Eine
sehr ausführliche und klare Darstellung der-
selben findet sich in der Arbeit des Dr.
A. Frb. V. Schrenk-Notzing'). Diese the-
rapeutischen Erfolge betreffen hysterische
Lähmungen und Contracturen, verschiedene
Krampfformen (Chorea, hystero-epilep tische
Convulsionen , Schüttelkrämpfe , Spasmen
u. s. w.), hysterische Aphonie und Amauro-
sis, Migraine, hysterische Sensibilitätsstörun-
gen, Cardialgien, hysterisches Erbrechen
und nervöse Anorexie, Constipation und
Sphincteren-Krampf, Schlaflosigkeit u. a. m.
Ueberall finden wir in Bezug auf diese
Krankheitszustände die Bedeutsamkeit und
practische Tragweite dieser therapeutischen
Methode von klinisch geschulten und nüch-
ternen ärztlichen Beobachtern anerkannt.
Also das grosse Gebiet der schweren
functionellen Nervenkrankheiten, vor Allem
die ausgeprägten hysterischen Krankheits-
zustände bieten das geeignete Material zur
hypnotischen Behandlung dar. Vornehm-
lich die Char cot 'sehe Schule hat diese
Beschränkung der Suggestivtherapie zum
Gesetz erhoben. „Die Hysterie des Indi-
viduums muss ausserdem wirklich ausge-
bildet sein; denn ebenso wie der Hypno-
tismus eines der vorzüglichsten therapeu-
tischen Mittel bei Hysterie ist, ebenso kann
er dieselbe ganz besonders schnell hervor-
bringen; und es ist besser, in Frieden zu
leben mit vorübergehenden Neuralgien, als
es zu wagen, vielleicht das Auftreten von
Krämpfen zu veranlassen, ungerechnet alle
die Folgen, die daneben auftreten, und dass
schliesslich weitere Hypnotisationen nicht
immer geeignet sind, sie verschwinden zu
lassen.^ Mit diesen beherzigenswerthen
Worten zieht Gilles de la Tourette^)
das Facit seiner Erwägungen über die An-
wendung des Hypnotismus zu Heilzwecken.
Uebrigens hat schon Braid vorzugsweise bei
schweren Neurosen die Hypnose therapeutisch
verwerthet und vor der unkritischen An-
wendung „dieser temporären Störung der ner-
vösen Centren ^ durch ungewöhnliche Erregung
gewarnt.
Auch bei der Verwerthung des Heil-
hypnotismus in den genannten Krankheits-
zuständen wird man immer zuerst erwägen
müssen: 1. ob die Schwere der Krankheits-
') Ein Beitrag zur therapeutischen Verwerthang
des Hypnotismus. Leipzig 1888.
*) Der Hypnotismus und die verwandten Zu-
stände vom Standpunkte der gerichtlichen Medicin.
Deutsche Ausgabe. Hamburg 1889. pag. S04.
m; Jahrgmiif .1
Min 1889. J
Binswanger, Bemerkungen über die Suggettivtherapie.
115
erscheiDungen und die Erfolglosigkeit an-
derer Heilversuche die Anwendung dieses
Verfahrens, das nach all dem Gesagten auch
in der Hand des geübten Arztes Gefahren
birgt, rechtfertigt oder sogar gebieterisch
verlangt, oder 2. ob eine schwere hysterische
Geistesbeschaffenheit vorliegt, welche den
Hjpnotismus weniger gefahrlich erscheinen
lässt, sodass derselbe dann auch zur Be-
seitigung geringfügiger und vorübergehender
Krankheitserscheinungen herangezogen wer-
den darf. In einer Reihe von Fällen wer-
den gleichzeitig beide Erwägungen maass-
gebend sein, in anderen Fällen werden wir
uns nur die erste oder die zweite Frage
allein vorlegen müssen. Beginnen wir mit
dieser letzteren. Die Erfahrungen an der
Pariser Salpetriere haben gezeigt, dass in
der Mehrzahl der Fälle von schwerer Hy-
sterie (grande hysterie) die experimentelle
und therapeutische Anwendung des Hypno-
tismus den hysterischen Grundcharacter,
wenn ich so sagen darf, und die hysterischen
Erankheitszustände niemals dauernd heben,
wohl aber einzelne schwere Erscheinungen
(vergl. die obige Zusammenstellung) beseiti-
gen kann. Bezüglich der schweren hysteri-
schen „Krisen^ soll nach den Erfahrungen
P. Richer's der Hypnotismus direct einen
günstigen Einfluss besitzen: „Ich habe be-
merkt, dass seit mehreren Jahren, seit wir
Versuche mit dem Hypnotismus anstellen,
die Anfalle von grosser Hysterie bei unseren
Kranken in der Salpetriere seltener geworden
sind. Bei einigen Kranken treten die An-
falle in grosseren Pausen auf, bei anderen
sind sie, wenn nicht ganz, doch beinahe ver-
schwunden. Es hat also der Hypnotismus
einen günstigen Einfluss auf die hysterischen
Krampfanfälie und der Einfluss auf die Com-
plicationen dieses Nervenleidens ist nicht
weniger günstig"*). Die Kranken werden
durch Suggestion oder durch eine der sonst
in der Salpetriere gebräuchlichen hypnogenen
Maassnahmen in den hypnotischen Ruhezu-
stand, am besten in Lethargie oder, wenn
dies nicht möglich, in Somnambulismus ver-
setzt, also in analoger Weise dem drohen-
den und beginnenden Anfalle entzogen, wie
dies Schwarzschild u. A. schon früher-
hin gethan haben. Auf der Höhe des An-
falls gelingt die Hypnotisation nur selten;
ungeeignet für diese Behandlung sind die-
jenigen Kranken, welche durch die Hypnose
in kataleptische Zustände verfallen, da sich
aus denselben die schweren Krampferschei-
nungen zu entwickeln pflegen (vergl. hierzu
meine oben erwähnte Beobachtung). Auch
*) Vergl. Gilles de la Tourette 1. c. pag. 292.
macht Char cot darauf aufmerksam, dass bei
den „Somnambules agites", also denjenigen
Kranken, welche in der Hypnose lebhafte
Erregungen und Sinnestäuschungen zeigen,
dies Verfahren nicht indicirt erscheint. Nicht
alle Fälle schwerer Hysterie sind für die
Hypnose empfänglich; in jenen Fällen aber,
in welchen dieselbe leicht gelingt und nur
ruhige Schlaf zustände (lethargische und som-
nambule) durch sie bewirkt werden, ist es
mittelst der Suggestion möglich, auch ausser
den hysterischen Anfällen mannigfache Krank-
heitserscheinungen zu bekämpfen. Für die-
jenigen der Leser, welchen die Anwendung
der Suggestivtherapie unbekannt ist, wird
vielleicht die ausführlichere Mittheilung einer
schulmässigen Krankenbeobachtung nicht
ohne Interesse sein.
[Sehltus folgt,]
(Au8 der psychlatrlBchen Klinik xu Jena.)
I>ie OpiumbehaDdliinsr bei Psychosen.
Von
Docent Dr. Theodor Ziehen,
Hamarzt der Irren-Hellanstalt su Jena.
fSchluu.J
Weiterhin hat sich ergeben, dass es vor-
theilhafber ist die Tagesdosis nicht auf zu
viele kleine Einzeldosen zu verzetteln. Wir
beschränken uns in der Regel auf 3, höchstens
4 Dosen am Tage; die erste ist um 7 Uhr,
die zweite um 3 Uhr, die dritte um 9 Uhr
zu geben. Bei schlechtem Schlaf wird die
2. Dosis statt um 3 Uhr erst um 6 Uhr
gegeben, so dass die Hauptwirkung des
Opiums auf Abend und Nacht fällt. In
dieser Weise erhalten nun die Kranken je
nach ihrem Elräftezustand schon am ersten
Tage dreimal 0,05 bis dreimal 0,1 Opium.
Alsdann wird Tag für Tag die Dosis pro die
um 0,05 gesteigert; bei raschem Ansteigen
des Krankheitsprocesses, namentlich also bei
den agitirten Formen, muss täglich um 0,1
gestiegen werden. Bei den agitirten Formen
ist dies Steigen fortzusetzen, bis die Angst-
affecte nachlassen oder eine Dosis von 1,0
erreicht ist. In gewissen Fällen scheute ich
mich übrigens nicht, wochenlang noch höhere
Tagesdosen (bis zu 1,5) zu geben. Bei den
passiven Formen ist es am zweckmässigsten
auf 0,5 — 0,6 pro die stehen zu bleiben. Ein
gutes Zeichen, dass mit dem Steigen aufzu-
hören ist, gab mir meist die auch sphyg-
mographisch oft von mir verfolgte Lösung
des anfänglich vorhandenen Gefässkrampfes^).
8) Vgl. 0. J. B. Wolff. Arch. f. Psychiatrie IL
S. 60L
16 •
116
Ziehen, Die OpiumbehandXung bei Ptychosen.
rlxerapAOtltelie
Mnnatiihefle.
An der erreichten Tagesdosis ist nun nicht
starr festzuhalten. Namentlich bei den agi-
tirten Formen als den veränderlicheren gilt es,
jede Schwankung des psychischen Befindens
mit einer kleinen Schwankung der Dosis zu
beantworten. Kur die genaueste Krankheits-
beobachtung und grosse Erfahrung yerhilft
zu dem hier erforderlichen täglichen Indivi-
dualisiren. Ein definitives, stetiges Herunter-
gehen mit der Dosis hat erst dann einzutreten,
wenn ein anhaltendes Krankheitsbewusstsein
sich einzustellen beginnt. Man wird zweck-
mässig die Tagesdosis täglich um höchstens
0,05 vermindern. Die Ab stinenzersch einungen
bei dem Sinken der Dosen sind übrigens
ebenso wie die Intoxicationserscheinungen
bei dem Steigen auffallend klein.
Unter den letzteren ist die in etwa 50 "/o
der Fälle sich in lästiger Weise bemerklich
machende Obstipation mit gutem Erfolg von
Anfang an durch das Fluid Extract der
Cascara sagrada (bis zu 3 Theelöffeln täg-
lich)^) zu bekämpfen. Nöthigenfalls sind
Ricinusolklystiere zu geben. Auch Massage
des Unterleibs ist ein vorzügliches Prophy-
lacticum. Gegen die Durchfälle auf der
Hohe der Behandlung und beim Aussetzen
des Opiums empfiehlt sich Tct. Goto (10 bis
20 Tropfen, ev. mehrmals täglich). — Er-
brechen im Verlauf der Behandlung ist fast
ausnahmslos eine vorübergehende Erscheinung
und indicirt zunächst nur, mit der Dosis weder
weiter zu steigen noch weiter zu fallen.
Wird das Opium selbst erbrochen, so giebt
man Extr. Op. subcutan. — Der Appetit
leidet unter der Opiumbehandlung bei Melan-
cholie selten, die Ernährung hebt sich trotz
raschen Steigens der Dosen in der Regel
ganz auffallend. So ward bei einer jungen
Melancholica binnen 8 Tagen auf 0,5 Op.
pur. gestiegen: das Körpergewicht stieg in
derselben Zeit um 7 ^.
Irgend welchen ernstlichen Collaps habe
ich bei der von mir geübten Darreichung
niemals gesehen.
Oefter gaben mir die Kranken das Auf-
treten zahlreicher kleiner schwarzer Punkte
im Gesichtsfeld an; in einem Falle „ballten
sich auch die Punkte zu schwarzen Schatten
zusammen^. Wirkliche Hallucinationen sah
ich nicht eintreten. Auch jene Mouches
volantes sind vorübergehend.
Als wichtiges medicamentöses Unter-
stützungsmittel des Opiums nenne ich den
Gampher bei der Melancholia passiva und
stupida. Derselbe ist in Dosen von 0,05 bis
0,1 mehrmals täglich zu geben ^^). Ich füge
^) AuchViDumCascarae hat sich mir ^t bewährt.
^^) V. Krafft-Ebing's angüDstigo Erfahrunffen
(Lehrbuch, Bd. III. S. 52) über Opium bei fie-
hier beiläufig hinzu, dass auch in einem
schweren Fall sog. acuter tödtlicher Hysterie
(L. Meyer) diese Verbindung von Opium
und Gampher (0,01 p. dost) sich als von
unverkennbarem Nutzen erwiesen hat.
Es ist noch die Frage zu erledigen, wie
lange die geschilderte Opiumbehandlung
dann, wenn ein wesentlicher Erfolg aus-
bleibt, fortgesetzt werden soll. Seitdem
ich in 2 Fällen verschleppter Melancholie
nach 7 resp. 9 monatlichem Opiumgebrauch
Genesung habe eintreten sehen, möchte ich
rathen, eventuell vor einem bis zu Jahres-
dauer fortgesetzten Opiumgebrauch nicht
zurückzuschrecken, selbstverständlich nur
dann, wenn der Intellect noch keinerlei
Defect aufweist.
2. Manie'').
Der längere Gebrauch von Opium in der
typischen Manie erwies sich mir in 4 Fällen
durchaus unvortheilhaft. Genesung trat erst
ein, nachdem das Opium ausgesetzt worden
war; selbstverständlich soll hiermit nicht
gesagt sein, dass nicht schliesslich eventuell
trotz weiteren Gebrauchs des Opiums auch
Heilung eingetreten wäre. Jedenfalls habe
ich seitdem die Manie hier ohne Opium
rascher verlaufen sehen. Will man über-
haupt Medicamente anwenden, so ist ausser
den Bromsalzen namentlich das Hyoscin zu
empfehlen, welches der Manie gegenüber nach
meinen Erfahrungen in analoger Weise günstig
wirkt, wie das Opium der Melancholie gegen-
über.
Nur im Reconvalescenzstadium der Manie
erwiesen sich Opiate oft nützlich gegen die
hier nicht seltene, protrahirte Reizbarkeit
und Weinerlicheit. Auch die ähnliche Phase
des Pubertätsirreseins wird vom Opium
(kleine Dosen!) günstig beeinflusst und ab-
gekürzt.
3, Paranoia,
a. Die nicht-hallucinatorische Form
(Paranoia simplex) ist für eine methodische
Opiumbehandlung nach meinen Erfahrungen
ungeeignet; oft wirkt Opium hier sogar
schädlich. Gegen intercurrente AflFectano-
malien sowie gegen die nicht so seltenen
neuralgischen Sensationen und Parasthesien
(speciell in den Genitalgebieten) kann es
vorübergehend mit gutem Erfolg symptoma-
tisch gegeben werden ; der letzteren Indication
genügen Morphiuminjectionen besser.
b. Die hallucinatorische Form (Pa-
ranoia hallucinatoria) entsteht bekanntlich
meist auf asthenischer Grundlage. Es handelt
Inncholia passiva beziehen sich wohl auf den Ge-
brauch von Opium ohne Gampher.
^') Die Mania hallucinatona (Mendel) rechnen
wir hier mit den meisten Autoren zur Paranoia.
III. Jahrgmng.l
MSn 1889. J
Zi«h«iiy Di« Opiumb«handlung bei Psychosen.
117
sich um Gehirne, die durch Alkoholmiss-
brauch, sexuelle Excesse, fieberhafte Krank-
heiten, Blutverlust, Entbehrungen oder Kum-
mer erschöpft sind. Wo solche cerebrale
Erschöpfung als wesentliches ätiolo-
gisches Moment für eine hallucinato-
rische acute oder subacute Paranoia
nachgewiesen werden kann, ist Opium
und zwar in kleineren und mittleren
Dosen zu geben, so lange und in dem
Maasse, als die cerebrale Erschöpfung
mit Reizsjmptomen^') (Hallucinatio-
nen) einhergeht. Man halte sich in der
Begel auf einer Tagesdosis yon 0,2 — 0,6 Opium
pur. Nur bei heftigen durch die Halluci-
nationen veranlassten Angstafifecten geht man
mit y ortheil höher. Im Uebrigen ist die
Darreichung dieselbe wie bei der Melancholie.
Die Verbindung mit Campher bei den pas-
siven Formen ist auch hier zu empfehlen.
Bei spinalen Erregungszuständen ist es zweck-
mässig, mit dem Opium Bromkalium zu ver-
binden (4,0 — 6,0—10,0 pro die); aber auch,
wo spinale Erregungszustände fehlten, sah
ich zuweilen von der Hinzufügung des Brom-
kaliums y ortheile. Auch Chinin und Arsen
sind oft wichtige Unterstützungsmittel.
Unter den 50 von mir behandelten Para-
noia-Formen sind 28 Fälle von Paranoia acuta
s. subacuta hallucinatoria, in welchen cere-
brale Erschöpfung als wesentlichste Krank-
heitsursache angeschuldigt werden musste.
In 24 Fällen (ca. 86%) trat Genesung ein.
Auch dieser Procentsatz dürfte über dem
sonst ohne Opiumbehandlung bei dieser Psy-
chose erzielten Procentsatz von Genesungen
stehen; jedenfalls sind die hiesigen Resultate
bei der Behandlung ohne Opium um ca. 15%
schlechter. Dass Bettruhe, psychische Diät
etc. auch hier yorbedingung für günstigen
Erfolg sind, sei nochmals hervorgehoben.
Das Delirium tremens, welches ja als
eine peracute hallucinatorische Paranoia bei
dem durch chronischen Alkoholabusus er-
schöpften Gehirn angesehen werden kann,
ist iinter jenen 50 Fällen nicht miteinbe-
griffen. Der yerlauf der Psychose als solcher
ist hier zwar fast ausnahmslos so günstig,
dass es keiner Medication zu bedürfen scheint.
Indessen setzt die hochgradige Agitation den
Deliranten so manchen Gefahren aus (CoUaps,
Pneumonie), dass ein Sedativum oft sich em-
pfiehlt. Als bestes ist auch hier das Opium
(mittlere Dosen I) zu erachten.
Die Frage, worauf die günstige Wir-
kung des Opiums auf die rein affective Me-
lancholie imd die durch cerebrale Erschöpfung
'*) Wo die ErschöpfuDg ohne Reizsymptome
verläuft, also das klinische Bild des reinen Er-
Bchöpfungsstupors besteht, ist Opium nicht räthUch.
bedingte hallucinatorische Paranoia beruht,
so dass erstens mehr Fälle geheilt werden
und zweitens sehr oft auch — namentlich
bei frühem Einsetzen der Opiumbehandlung —
der Krankheits verlauf abgekürzt wird, ist
sehr verschieden beantwortet worden. Von
einer specifischen Wirkung kann nicht die
Rede sein. Die vasomotorische Wirkung des
Opiums, in höheren Dosen den peripherischen
Gefässkrampf zu lösen, kommt nebenher in
manchen Fällen gewiss in Betracht. Das
Wesentlichste ist jedoch jedenfalls die directe
sedative Wirkung des Opiums auf die cere-
bralen und speciell die corticalen Vorgänge.
Indem es die anstürmenden Affecte, Sinnes-
täuschungen und Wahnideen mässigt, vermag
der Intellect des Kranked diesem Ansturm
länger zu widerstehen. So wird eine un-
schätzbare Zeit gewonnen für die Einwir-
kung unserer anderweitigen Behandlung
(kräftige Ernährung etc.) oder die spontane
Erholung des Kranken.
Für die Praxis ausserhalb der Anstalt
ergiebt sich das Folgende. Bis zur Ueber-
führung eines acut Psychisch-Erkrankten in
eine Anstalt ist bei trauriger Verstimmung
mit Angstaffecten ohne Hai lucin ationen (Me-
lancholie) und ebenso jeder hallucinatorischen
Erregung auf Grund erschöpfender Einflüsse
(Paranoia halluc.) Opium zu geben. Bei
heiterer Verstimmung ohne Hallucinationen
(Manie) dürften bei der sorgfältigen Ueber-
wachung, welche die Hyoscin- Anwendung
erfordert, hohe Bromsalzdosen sich einst-
weilen empfehlen. So wird für acute heil-
bare Psychosen die Anstaltsbehandlung am
zweckmässigsten vorbereitet und eingeleitet.
Eigentliche Schlafmittel werden nebenher oft
nicht zu vermeiden sein. Bei dem Gros
der übrigen Psychosen, für welche der Ver-
lauf ein mehr chronischer ist, ist die Aus-
wahl des speciellen Sedativums weniger
wichtig.
Es erübrigt zu fragen, ob vielleicht in
gewissen Fällen die obige Opiumbehandlung
die Ueberführung in eine Anstalt überflüssig
machen kann. Die Familienbehandlung ist
nie räthlich bei der acuten hallucinatorischen
Paranoia. Bei der Melancholie ist sie dann
angängig, wenn l) keine An gstaffecte bestehen,
sondern nur eine leichte gemüthliche Depres-
sion, 2) die Verhältnisse genaue Ueber-
wachung und Pflege erlauben.
Die erste Hallucination, der erste Angst-
affect sollen unbedingt zur Ueberführung in
eine Irrenanstalt veranlassen. Denn damit
sind die Handlungen des Kranken unbe-
rechenbar geworden. Der günstige anfäng-
liche Erfolg der Opiumbehandlung darf nicht
zum Zögern verführen. Der Arzt hat dann
118
Tr eitel, BehandX. der Coi^uiicttvitls granulOM mittelst part. EzciiioA der Bindehaut, n^^^f,!?^!^^
L Monatshefte.
genug gethan, y/enn er durch frühzeitiges
Einleiten der zweckentsprechenden Behand-
lung einen rascheren und sicheren Erfolg
der Anstaltsbehandlung ermöglicht hat.
lieber die Behandlung der CoiUnnctivitis
granulosa mittelst partieller Excision
der Bindehaut.
Von
Dr. Th. Treitei,
Docent für Augenheilkunde In Königsberg i. Pr.
fSehlutt.J
Einige Wochen nach der Operation er-
scheinen die Lider bei der grosseren Hälfte
der Operirten vollkommen normal, bei den
Uebrigeu in folgender Weise verändert.
Bei unveränderter Stellung kann der
Rand des oberen Lides eine nach oben mehr
als normal convexe Linie darstellen oder in
dem mittleren Abschnitt wie eingekerbt aus-
sehen. Diese Anomalie ist meistens sehr
gering und kann bei oberflächlicher Betrach-
tung leicht übersehen werden. Sie beruht
darauf, dass der Knorpelschnitt in der Mitte
dem Lidrand naher liegt als an den Seiten
und kann demnach durch correcte Anlegung
des Schnittes vermieden werden.
Dagegen ist es nicht immer zu verhüten,
dass das ganze obere Lid hoher als normal
steht, dass die Lidspalte in verticaler Rich-
tung weiter als bei einem gesunden Auge
klafft. Diese Stellungsveränderung wirkt be-
sonders störend erstens in den seltenen
Fällen von einseitiger Operation wegen ein-
seitiger Erkrankung, und zweitens dann, wenn
sie sich auf beiden Augen verschieden stark
gestaltet. Sie ist weniger zu fürchten, wenn
nicht zu ausgiebig operirt wird, wenn also
die Excision sich einerseits nicht bis in die
Gonjunctiva bulbi, andrerseits nicht zu nahe
an den Lidrand erstreckt.
In letzterem Falle könnte ausserdem
ein partielles oder totales Entropium des
oberen Lides entstehen. Ein Entropium habe
ich einmal im nasalen Abschnitte des oberen
Lides erlebt und nach der Burchard tischen
Methode durch Einpflanzung eines brücken-
formigen Lappens aus der dem Lidrand be-
nachbarten Haut in den intermarginalen Theil
dauernd beseitigt.
Eine weitere wichtige Stellungsanomalie
des oberen Lides nach der Bindehautexcision
ist Ptosis. Vorübergehende Ptosis beobachtet
man gar nicht selten, so lange das obere
Lid ödematös geschwollen ist. Man muss
diesen Zustand kennen, um sich nicht un-
nöthigen Besorgnissen hinzugeben, wenn der
Kranke in der ersten Zeit nach der Abnahme
des Verbandes das obere Lid kaum zu heben
vermag. Dauernde hochgradige Ptosis habe
ich in der ersten Zeit dreimal beobachtet,
als ich nach dem Vorschlage von Schneller
in Dan zig nur den oberen Uebergangs theil
ohne Tarsus excidirte. Bei der oben be-
schriebenen Operationsmethode habe ich sehr
geringe Ptosis zweimal zu Gesicht bekommen.
Dabei möchte ich aber nicht zu bemerken
unterlassen, dass Schneller selbst bei einer
grösseren Zahl von Excisionen niemals Ptosis
erlebt zu haben angiebt. Trotzdem möchte
ich meinen, dass bei dem Sehn eil er' sehen
Verfahren, bei dem der Uebergangstheil in eine
Pincette eingeklemmt und dann mit einer
Scheere abgetragen wird, leichter subconjunc-
tivales Gewebe excidirt und somit die Sehne
des Levator palpebrae superioris verletzt wer-
den kann. Freilich sollte man auf Grund
der bisher gültigen Anschauungen der Ana-
tomie, nach denen sich die Levatorsehne am
oberen convexen Rande des Tarsus inserirt,
erwarten, dass sich in Folge jeder Operation,
bei welcher der letztere entfernt wird, hoch-
gradige Ptosis einstellt. Warum dies nicht
geschieht, wird durch die Schwalb ersehe
Beschreibung und Abbildung*) der Insertion
des Levator durchaus erklärt. Danach setzt
sich nämlich die Hauptsehne des Levator
in einem vor dem Tarsus gelegenen, von
Schwalbe als centrale Bindegewebsschicht
bezeichneten Gewebe an, also zwischen dem
Muse, orbicularis und dem Tarsus.
Da die Stellung des oberen Lides durch
die Excision meistens nicht verändert wird,
so bleibt auch nach derselben oft die schon
vorher vorhandene Ptosis bestehen, die ihre
Ursache in dem Grundleiden findet. Diese
Ptosis habe ich verschiedene Male auf
Wunsch der Patienten zu operiren Gelegen-
heit gehabt und von der v. Graefe 'sehen
Operation — Excision eines. Streifens Cutis
und Orbicularis — bessere Erfolge gesehen,
als sie im Allgemeinen diesem Verfahren
nachgerühmt werden. Man muss nur den
unteren Wundrand nicht zu weit vom freien
Lidrand anlegen.
Die Form und Stellung des unteren
Lides verhält sich nach der Excision des
unteren Uebergangstheils der Regel nach
ganz normal. Einige Male ist es mir auf-
gefallen, dass das untere Lid, das bei ge-
radeaus gerichtetem Blick keine Abweichung
von der Norm erkennen Hess, bei Hebung
*) Lehrbuch der Anatomie der Sinnesorgane,
Erlangen 1887, p. 221 und 241.
Mira ils? J Tr eitel, Bebandl. der Coi^unctivitis s^rmnuloia mittelst part Ezeision der Bindehaut.
119
»
der Blicklinie vom Bulbus abstand. Um dies
zu yermeiden, muss man auch unten nicht
zu ausgiebig excidiren und möglichst wenig
subconjunctivales Gewebe entfernen.
Die eben besprochenen, den Excisionen
folgenden Anomalien sind nur kosmetischer
Natur; sie sind an sich unerheblich und
Tersch winden vollkommen gegenüber der gün-
stigen Einwirkung der Operation auf die für
das Sehvermögen so unheilvolle Conjuncti-
vitis granulosa. Dazu kommt noch, dass
Form- und Stellungsanomalien der Lider bei
vorsichtigem und sorgfältigem Operiren fast
ganz vermieden werden können, und dass
die Krankheit an sich nicht unerhebliche
Entstellungen im Aussehen des Auges her-
beiführt.
Viel wichtiger erscheint folgender Einwand.
A priori könnte man zu der Ansicht gelangen,
dass die Excisionen auf den Verlauf der
Conjunctivitis granulosa ungünstig einwirken
müssen und deshalb zu verwerfen seien. Die
Schrumpfung und die damit einhergehende
Verkürzung des Bin dehauttr actus sind ja die
gefurchteten Ausgänge der sog. aegyptischen
Augenentzündung. Es kann deswegen irra-
tionell erscheinen, bei einem derartigen Lei-
den grosse Stücke der Bindehaut zu ent-
fernen, zumal ausserdem zu befürchten steht,
dass die durch die Excision gesetzte Narbe
die Cornea irritiren wird, und dass in Folge
des Verlustes der Uebergangstheile die Lider
bei den Bewegungen des Bulbus an der Aug-
apfelbindehaut zerren und dadurch nicht
allein den Patienten unangenehme Empfin-
dungen verursachen, sondern auch einen Reiz-
zustand der Cornea unterhalten werden.
Durch derartige Bedenken habe ich mich
selbst lange Zeit abhalten lassen, die Exci-
sionen auszuführen, und erst die Schnel-
ler'sche Arbeit im 80. Bande des Graefe'-
schen Archivs wurde für mich die Veran-
lassung, die Operation systematisch anzu-
wenden.
Die theoretischen Speculationen haben
sich in dieser Frage der praktischen Medicin
als ganz trügerisch erwiesen. Die von der
Excision a priori zu fürchtenden Fol-
gen treten bis auf verschwindend sel-
tene Ausnahmefälle thatsächlichnicht
ein. Diese These kann ich in Ueberein-
stimmung mit den bisher vorliegenden Publi-
cationen als Ergebniss meiner Beobachtungen
aufstellen.
Durch die Excision gelingt es schneller
als durch irgend ein bisher bekanntes Ver-
fahren die Heilung der Conjunctivitis granu-
losa herbeizuführen.
Durch diese Operation wird eben der
wesentlichste Angriffspunkt ded Leidens d. i.
die Fornix conjunctivae und die Conjunctiva
tarsi zum grossen Theil entfernt. Die zu-
rückbleibende Conjunctiva bulbi besitzt —
wahrscheinlich in Folge des Fehlens von
adenoidem Gewebe — eine wenn auch nicht
absolute, so doch sehr erhebliche Immunität
gegen die Bildung von LymphfoUikeln. Man
darf aber nicht annehmen, dass ähnlich wie
nach einer Geschwulstexstirpation nach der
Excision die Conjunctivitis granulosa voll-
kommen beseitigt ist. Es ist auch nicht
die Aufgabe bei der Excision, alles Krank-
hafte zu entfernen. Der operative Eingriff
befördert nur die Heilung in sehr erheblichem
Maasse. Es ist danach eine fortgesetzte Be-
handlung nothwendig, die nach den bekann-
ten Regeln zu leiten ist, über welche jedes
Lehrbuch Auskunft ertheilt.
Dass sich die Granulationen nach allei-
niger Excision des oberen Uebergangstheils
mit oder ohne gleichzeitige Excision des
Tarsus in den zurückbleibenden Partien der
Bindehaut in auffallend kurzer Zeit zurück-
bilden, habe ich nicht beobachten können,
und es mir aus diesem Grunde zur Regel
gemacht, stets gleichzeitig den unteren Ueber-
gangstheil fortzunehmen, wenn er sich mit
einigermaassen zahlreichen Follikeln besetzt
zeigt. Aus demselben Grunde erscheint es
mir rathsam, stets mit dem oberen üeber-
gangstheil einen Theil der benach-
barten Conjunctiva palpebralis und
den entsprechenden Abschnitt des
Tarsus auszuschneiden. Es sind mir
nicht allein Fälle zu Gesicht gekommen, in
denen sich nach alleiniger Excision des oberen
Uebergangstheils die Follikel der oberen
Conjunctiva tarsi ebenso langsam wie ohne
Excision zurückbildeten, sondern, was noch
mehr zu Gunsten der Tarsusausschneidung
ins Gewicht fällt, auch solche Fälle, in denen
Granulationen in der Conjunctiva tarsi auf-
traten resp. sich vermehrten, während letz-
tere vor der Operation ganz normal oder
wenig verändert erschien. Dieser Zufall
wurde sogar im unmittelbaren Anschluss an
die Excision des oberen Uebergangstheils
beobachtet, wohl als Folge zum Theil des
operativen Traumas, zum Theil des Ver-
bandes.
Relativ schneller als die Resorption der
restirenden Follikel erfolgt, soviel ich ge-
sehen habe, nach unserer Operation die Rück-
bildung des Pannus, gelegentlich in erstaun-
lich kurzer Zeit.
War die Cornea schon in Mitleidenschaft
gezogen, so sind die sonst so häufigen Reci-
dive nach der Excision seltener, wenn auch
nicht ganz ausgeschlossen. Sie sind beson-
ders dann zu fürchten, wenn die Hornhaut
120 Tr eitel, BebandL der Coi^unetlviti« granulosa mittelst part. Excision der Bindebaut. [^Monat«häte7^
schon längere Zeit afficirt gewesen, wenn
also, wie man wohl annehmen darf, die Er-
krankung in dieser Membran schon eine mehr
selbständige Gestaltung angenommen hat.
"Wenn ich nach dem Vorstehenden als
Regel beobachtet habe, dass die Conjunc-
tivitis granulosa einige Wochen nach der Exci-
sion erheblich gebessert, dass Fälle ohne
Pannus nach relativ kurzer Zeit — durch-
schnittlich etwa 6 Monaten — vollkommen
geheilt sind, dass der Pannus sich schnell
zurückbildet, dass Recidive seltener als ohne
Operation auftreten , so muss ich doch hin-
zufugen, dass sich in drei Fällen mit altem
Pannus ein sehr ungünstiger Verlauf einge-
stellt hat. Es traten wiederholentlich sehr
hartnäckige Entzündungen der Cornea auf,
und es währte in einem yon diesen Fällen
fast ein ganzes Jahr, bis das Auge zur Ruhe
kam. Einen derartigen Verlauf habe ich
bei der früher üblichen, friedlichen Therapie
— Atropin, Kataplasmen und Verband, da-
nach kühle Umschläge und Touchiren mit
Cuprum sulfuricum — niemals gesehen. Die
Excisionen waren nicht umfangreicher ge-
wesen als sonst. Jedenfalls möchte ich auch
auf Grund dieser Beobachtungen, abgesehen
von den schon oben genannten Gründen,
vor z\i ausgiebigem Operiren warnen.
Es ist nun die Frage zu besprechen, ob
man jeden Fall von Conjunctivitis granulosa
sofort der Operation unterwerfen soll.
Diese Frage muss mit Nein beantwortet
werden.
Erstens empfiehlt es sich in Fällen von
acuter Conjunctivitis granulosa abzuwarten.
Diese können auch bei der bisher üblichen
Therapie heilen: Anfangs Umschläge mit
2 — 4®/o Borsäure oder Eis, Blutentziehungen,
Scarificationen, später Touchirung mit 2 °/o
Arg. iiitr. oder 5 % Plumb. acet. perfecte neu-
tral, oder Cuprumstift.
Geht die acute Form in die chronische
über, oder tritt das Leiden von vornherein
chronisch auf, so erscheint die Operation in
allen Fällen indicirt, in denen die Cornea
in irgend einer Form in Mitleidenschaft ge-
zogen ist. Denn sobald erst einmal die
Cornea afficirt ist, und sei es in der leichte-
sten Gestalt von kleinen, vereinzelten, peri-
pherischen, subepithelialen Infiltraten, dann
besteht die Gefahr, erstens, dass solche Ent-
zündungen von Zeit zu Zeit wiederkehren
und die — meist auf grobe Arbeit angewie-
senen — Patienten wiederholentlich arbeits-
unfähig machen, und zweitens, dass die
Hornhautentzündung später einen ernsteren
Charakter annimmt. Diesen Zufallen kann
man aber der Regel nach durch die Exci-
sion vorbeugen.
Handelt es sich um eine chronische Con-
junctivitis granulosa mit ganz intacter Cornea,
so erzielt man mit Hülfe der Excision die
Heilung erheblich schneller als auf eine an-
dere Art. Sie ist in jedem derartigen, einiger-
maassen ausgebildeten Fall berechtigt, da sie
bei regelrechter Ausführung und sorgsamer
Nachbehandlung für das Auge gefahrlos ist.
Die Operation erscheint aber bei Fällen der
in Rede stehenden Art nicht so dringend
wie bei schon afficirter Hornhaut, und so
kann man die Entscheidung mehr dem Pa-
tienten anheimgeben, indem man ihm die
verschiedenen Chancen darlegt.
Dabei ist auch die Gefahr der Ansteckung
für die Umgebung in Betracht zu ziehen,
die möglichst bald zu beseitigen bei Patien-
ten der niederen Stände eine erhebliche prak-
tische Bedeutung hat.
Ausser bei der acuten granulösen Con-
junctivitis erscheint es zweitens nicht em-
pfehlenswerth sofort zu operiren, falls sich
ein Kranker mit erheblichem Reizzustand
des Auges in Folge von frischem Pannus
oder progressivem Ulcus corneae vorstellt.
In solchen Fällen halte ich es für vorsich-
tiger, mit der Operation so lange zu warten,
bis die Hornhautveränderungen und dem
entsprechend die Ciliarinjection , Thränen,
Lichtscheu und Lidkrampf bei der bekann-
ten Bchandlungsweise — Kataplasmen, Atro-
pin, Verband, eventuell Blutentziehungen,
Peritomie und Scarificationen der entsBünde-
ten Bindehaut — rückgängig geworden sind.
In dieser Anschauung wurde ich durch die
schon erwähnte Beobachtung bestärkt, dass
gelegentlich nach der Excision oberfläcbliche
Randinfiltrate und recenter Pannus auftraten.
Denn hieraus folgt, dass mitunter durch die
Excision und die Nachbehandlung ein Reiz
auf die Hornhaut ausgeübt wird. Wenn
Schneller nach der Operation Hornhaut-
geschwüre überraschend schnell heilen sah,
so ist zu erwägen, dass das von ihm geübte
Verfahren der Excision des oberen Ueber-
gangstheils weniger eingreifend ist als das
von mir angewandte, aber, soviel ich gesehen
habe, in dem Erfolg auch weniger sicher.
Schliesslich bleibt noch die Frage zu
erörtern, yne man sich bezüglich der Exci-
sion bei gleichzeitigen Veränderungen der
Lider, also namentlich Blepharophimose, En-
tropium und Trichiasis, zu yerhalten hat.
Man kann die sog. Canthoplastik zur Be-
seitigung der Blepharophimose gleichzeitig
mit der Excision ausfuhren. Im Allgemeinen
erscheint es mir aber richtiger, die Cantho-
plastik nicht gleichzeitig vorzunehmen, und
zwar deswegen, weil man dann die Wundrän-
der der Conjunctiva genauer an den ent«
]ij^!^^^M Tr eitel, Bebandl. der Coi^unctivitis granuloia mittelst part. Exetsioa der Bindehaut. 121
sprechenden Hautwun dran dem befestigen
kann. Ich mochte empfehlen, die Cantho-
plastik vor der Excision zu machen; die
letztere ist dann insofern erleichtert, als das
obere Lid bequemer ectropionirt werden kann,
und, was wichtiger erscheint, Retention von
Secret unter dem Verbände weniger zu
befarchten ist. Dagegen verschiebt man die
Beseitigung des Entropium und der Trichiasis
zweckmässiger Weise bis nach der Heilung
der Excision, weil durch diese selbst in der
oben beschriebenen Weise die Stellung des
Lides verändert werden kann. Dass ein vor
der Operation vorhandenes Entropium des
oberen Lides schon allein durch die Exci-
sion des Tarsus geheilt wird, wie behauptet
worden, habe ich niemals beobachtet, viel-
mehr mich stets veranlasst gesehen, dasselbe
nachträglich zu operiren. —
Sollte es mir gelungen sein, durch Vor-
stehendes die Herren GoUegen zu eigenen
Versuchen mit der partiellen Excision der
Bindehaut bei der Conjunctivitis granulosa
angeregt zu haben, &o würde der Zweck, den
ich dabei im Sinne gehabt habe, erreicht
sein. Ich habe mich bemüht, einerseits
alles auf die Technik Bezügliche möglichst
eingehend zu beschreiben, andrerseits die
Vorzüge des Verfahrens nicht in ein helleres
Licht zu setzen, als sie sich mir dargestellt
haben, und namentlich keinen Nachtheil des-
selben zu verschweigen, den ich beobachtet
habe.
Für diejenigen Leser, welche eingehender
mit unserem Thema bekannt zu werden
wünschen, füge ich ein Verzeichnis« der
wichtigeren über dasselbe publicirten Arbei-
ten in chronologischer Reihenfolge bei:
Heisrath: üeber die Behandlang der granulösen
Bindehaotentz&ndung mit tiefen und ansgedehn-
ten Excisionen. Berliner Klin. Wochenschrift
1882, No. 28, 29 u. 30.
Schneller: Die Behandlang des Trachoms durch
Excision der Uebergangsfalten. v. Graefe^s
Archiv XXX, 4, p. 131. 1884.
Vossias: Zur operativen Behandlang der Conjunc-
tivitis granalosa. Bericht über die 17. Ver-
sanmilung der ophthalmol. Gesellschaft. Heidel-
berg 188Ö, p. 186.
Richter: Zur Behandlang der Conjunctivitis gntr
nolosa durch Excision. v. Graefe's Archiv
XXXI, 4, p. 73. 1886.
Schneller: Ueber operative Behandlang des Tra-
choms. V. Graefe's Archiv XXXm, 3 p. 113,
1887.
Jacobson: Beitrag zur Lehre von der follicul&ren
Conjunctivitis (granulöse Augenentzundung).
Beitr&ge zur Pathologie des Auges, Leipzig
1888, p. 40.
Die liydropathische fieibbinde als
Hypnoticnln.
Von
Dr. med. M. Altdorfer,
dirlg. Arzt der WaaserheilaiutaU St. Anne's Hill bei Cork.
Obgleich unser Arzneisohatz eine statt-
liche Reihe von Schlafmitteln enthält, und
obgleich uns die chemische Industrie auch
auf diesem Gebiete neuerdings reichlich ver-
sorgt hat, so ist doch die Anwendung aller
dieser Medicamente gelegentlich mit unan-
genehmen Nebenwirkungen verbunden. Ganz
frei von diesem Uebelstande ist keines der
bekannten Mittel, vom Chloralhjdrat bis
Sulfonal. Wenn es nun auch in jedem Falle
richtig wäre, dass derartige unerwünschte
Vorkommnisse durch Minderwerthigkeit oder
Unreinheit des angewandten Präparates be-
dingt sind, wie gewöhnlich behauptet wird,
so wäre dies schon ein Grund zu bedauern,
dass diejenigen Schlafmittel, deren Anwen-
dung uns vom Chemiker und Apotheker ganz
unabhängig macht und. dabei keine unlieb-
samen Nebenwirkungen befürchten läset, nicht
viel allgemeiner in Gebrauch gezogen werden,
als dies thatsächlich geschieht — ich meine
die physikalischen Hypnotica.
Von Zeit zu Zeit findet man in der
medicinischen Litteratur das eine oder das
andere dieser Mittel günstig besprochen.
Ewer empfiehlt zur Bekämpfung der Schlaf-
losigkeit methodisch angewendete Muskelbe-
wegung; Zabludowsky und Andere rühmen
die hypnotische Wiricung der Massage; die ver-
schiedentlichsten hydropathischen Proceduren,
wie warme Bäder, Douchen, Abreibungen, die
feuchte Einwickelung (Sehn 11 er) haben in
diesem Sinne warme Fürsprecher gefanden.
Alle diese Mittel sind in den geeigneten
Fällen unzweifelhaft wirksam, doch ist die
Anwendung derselben mehr oder weniger
umständlich, und erfordert entweder beson-
dere Vorrichtungen oder die Anwesenheit
einer besonders geschulten Person, sodass
deren Verwendung in der Privatpraxis immer
mit Schwierigkeiten verbunden sein wird.
Ein physikalisches Heilmittel, das frei von
diesem Uebelstande ist, und das nichtsdesto-
weniger glänzende Dienste in Fällen von
Schlaflosigkeit leistet, besitzen wir in der
hydropathischen Leibbinde.
In welcher Weise ist nun die hypnotische
Wirkung dieser Anwendungsweise des Wassers
zu erklären? Wenn wir auch über das Wesen
des Schlafes noch nicht vollständig im Klaren
sind, so darf man doch annehmen, dass das
ruhende Gehirn, wie alle ruhenden Organe,
weniger Blut zugeführt erhalte, als das
16
122
Altdorfer, Dio hydropathUcho Leibbinde all Hjrpnoticum.
[Therapeatlache
Monatshefte.
thätige — eine Annahme, die bestätigt wor-
den ist durch Untersuchungen Ton Hughlings
Jackson. Letzterer fand, dass die Retina
während des Schlafes anämischer ist, als
während des Wachens. Wir werden beson-
ders in den Fällen von üeherreizung des
Gehirns mit vermehrter Thätigkeit des Organs
durch Beschränkung der Blutzufuhr eine zur
Erzeugung von Schlaf günstige Bedingung
schaffen, zumal wenn wir noch daneben eine
beruhigende Wirkung auf die Gehirnzellen
ausüben können. Diese Aufgabe erfüllen
nun die physikalischen Hypnotica. Einer-
seits wird durch Massage, warme Bäder,
feuchte Einpackungen etc. eine Erweiterung
der Hautgefösse und damit eine col laterale
Verengerung der Blutgefässe in den inneren
Organen, besonders auch im Gehirn hervor-
gerufen (W intern itz), andererseits bewirken
die verschiedenen mechanischen und thermi-
schen Reize eine Beruhigung der peripheri-
schen Nervenendigungen, die sich dann von
der Peripherie zum Centrum verbreitet.
Dieselbe Wirkung auf Blutgefässe und
Ganglienzellen des Gehirns erzielen wir aber
auch durch Anwendung der Leibbinde. Wenn
wir nämlich eine massig feuchte ' leinene
Binde um den Unterleib wickeln, und dar-
über einen wasserdichten Stoff vermittelst
einer breiten Flanellbinde befestigen, so
wird sich die Temperatur des in der Lein-
wand vertheilten Wassers rasch ausgleichen;
die Binde wird zuerst hautwarm, dann blut-
warm, und bleibt zugleich wegen der im-
permeablen Hüllen beständig feucht. Nun
hat Schüller*) zuerst durch directe Beob-
achtung am trepanirten Kaninchen gefunden,
dass eine nasse kalte Compresse, auf den
Bauch oder Rücken des Thieres gelegt, Er-
weiterung der Piagefösse, eine nasse warme
Compresse in derselben Weise applicirt, eine
mehr oder minder lange dauernde Ver-
engerung der Piagefässe bewirkt. Letzteres
muss also auch bei Application der oben
beschriebenen Binde stattfinden. Da aber
durch das Experiment bewiesen ist, dass
derartige topische Reize nicht in einfach
mechanischer Weise, sondern auf dem Wege
des Nervensystems die Circulation in anderen
Körpertheilen beeinflussen (Naumann)^),
und da Stricker entdeckt hat, dass an
vielen Punkten Vasodilatatoren mit sensiblen
Nerven verlaufen^), so ist auch anzunehmen,
dass die durch andauernde Berührung mit
dem blutwarmen Wasserdampf — einem der
*) Winternitz: Hydrotherapie in Ziemssen^e
Handbuch der allgemeinen Therapie. Leipzig 1881.
p. 111.
*) Winternitz, 1. c. p. 214.
3) Idem, 1. c. p. 229.
Innentemperatur nahestehenden, gleichmässi-
gen, nicht wechselnden Medium — bewirkte
Beruhigung der peripherischen Hautnerven
sich direct auf die Centraltheile des Nerven-
systems fortpflanzt. Wir sind also ver-
mittelst der feuchtwarmen Leibbinde im
Stande, die beiden hauptsächlichsten Vorbe-
dingungen zur Erzeugung von Schlaf zu
schaffen, nämlich eine cerebrale Anämie durch
Einwirkung auf das Gefässsystem, und eine
verminderte Thätigkeit der Gehirnzellen durch
directe Beeinflussung derselben.
Wie man aber auch über die theoretische
Erklärung denken mag, jedenfalls werden
Versuche am Krankenbett sehr bald auf
empirischem Wege die Thatsache feststellen
können, dass dieses einfache hydropathische
Mittel in Bezug auf Sicherheit der Wirkung
keinem der bekannten Hypnotica nachsteht.
Ganz genaue Indicationen lassen sich für
Anwendung dieses Mittels ebensowenig wie
für die der übrigen Hypnotica aufstellen; es
kommt dabei mehr auf die Individualität
des Patienten als auf den Namen der Krank-
heit an. Besonders wirksam hat sich mir
die Anwendung erwiesen in leicht fieber-
haften Zuständen, bei allen Dyspepsien, zu-
mal bei der Dyspepsia nervosa^ bei den
meisten neurasthenischen und hysterischen
Processen, und ganz besonders in der Kinder-
praxis, wo sich das Mittel auch schon wegen
seiner „Geruch- und Geschmacklosigkeit"
empfiehlt. Ungemein zu Gunsten der Binde
fällt der Umstand in die Wage, dass die-
selbe nicht allein keine der unerwünschten
Nebenwirkungen der internen Hypnotic%
keinen ungünstigen Einfluss auf die Ver-
dauungsorgane hat, sondern im Gegentheil
die angenehme Nebenwirkung zeigt, dass die
Functionen der Unterleibsorgane, besonders
die Darm thätigkeit, in denkbar günstigster
Weise beeinflusst werden.
Dass aber auch Fälle vorkommen, in
denen wir mit dem hier empfohlenen Ver-
fahren nicht auskommen, und in denen wir
unsere Zuflucht zu einem der chemischen
Hypnotica nehmen müssen, ist selbstverständ-
lich. „Alle Schlafmittel sind eben unsicher^,
sagt Hoff mann in seinen Vorlesungen über
Allgemeine Therapie, „und wir müssen uns
durch Versuche überzeugen, welches beson-
ders in jedem Falle anzuwenden sein dürfte."
Nur dürfte es sich bei diesen Versuchen
empfehlen, mit der Anwendung eines durch-
aus imschädlichen Mittels den Anfang zu
machen, und für diesen Zweck dürfte sich
nichts besser eignen als die hydropathische
Leibbinde, mit der man in zahlreichen Fällen
zum Ziele gelangen wird.
m. J»hrgang.l
Mira 1889. J
Bfittrich, Therapeutische Mittheilungen.
123
Therapeutische Mittheilungen.
Von
Dr. Böttrich in Hagen i. W.
1. Der Artikel des Herrn Dr. Koeniger
in No. 11 des 2. Jahrganges Therapeuti-
scber Monatshefte veranlasst mich, einige
Zeilen an Sie zu richten, denen ich, wenn
Sie sie der Mühe werth halten, etwas Raum
in Ihrer Zeitschrift zu gönnen bitte.
Lungenblutungen sind in der Praxis des
Arztes etwas Alltägliches und gerade des-
halb sehr wichtig. Selbstredend verdient
das Gewohnlichste und Wichtigste auch am
meisten Beachtung und kann daher nicht
genug berührt werden.
Mir scheint bei Lungenblutungen nicht
damit genug gethan zu sein, dass Ergotin-
injectionen gemacht werden oder dieses oder
jenes Arzneimittel gegeben wird, sondern
meiner Meinung nach lassen sich wissen-
schaftlich Grenzen feststellen, die eine be-
stimmte Behandlung erheischen. Ich unter-
scheide Lungenblutungen bei Lungenver-
dichtungen und Lungenblutungen aus Ca-
vemen. Erstere sind selten copiös, dauern
aber häufig längere Zeit (Haemoptjsis, Blut-
speien), letztere sind meist sehr profus
(Haemoptoe Blutsturz). Es ist das wohl
nichts Neues, aber nothwendig zu betonen,
bei der Festsetzung therapeutischer Eingriffe.
Die Behandlung derjenigen Erkrankung,
die im Augenblick die grösste Gefahr in
sich birgt, ist selbstverständlich am wich-
tigsten; es ist das die profuse Lungenblu-
tung, die Haemoptoe: hier ist, wie bekannt,
absolute Ruhe, Herabsetzung des Husten-
reizes durch Narcotica, Schlucken von Eis-
stückchen am besten. Innerlich haben sich
mir, ausser dem Morphium, Opium mit
Plumb. acet. im Anfang am besten bewährt,
letzteres ziehe ich dem Hydrastis vor, weil
durch Opium gleichzeitig der Hustenreiz her-
abgesetzt wird, in den weiteren Tagen gebe
ich auch gern Hydrastis. Geradezu gefährlich
sind hier die Inhalationen von Liquor ferri
sesquichlorati, weniger durch das Mittel, wie
die mitdemlnhaliren verbundenen Anstrengun-
gen; ich erwähne das, weil die Inhalationen von
Liquor ferri in vielen Lehrbüchern an der
Spitze der Behandlung der Haemoptoe
prangen. Wie kommt es aber, dass stets
wieder bei Lungenblutungen Inhalationen
von Liquor fern empfohlen werden ! Meines
Erachtens deshalb, weil die Behandlung der
Haemoptoe und die der Haemoptysis durch-
einander geworfen und nicht in der nothigen
Weise getrennt werden ; was bei dieser ange-
zeigt, ist bei jener geföhrlich. Bei der Hae*-
moptysis, dem Blutspeien, sind die Inhala-
tionen am Platze, hier kann man sehr wohl
nützen. Von inneren Mitteln verordne ich
am liebsten Hydrastis, ausser seiner vorzüg-
lichen Wirkung ist die Billigkeit des Prä-
parates nicht zu unterschätzen.
Auch über die neuerdings fast allgemein
geübte Kreosotbehandlung der Lungenphthise
mit Beziehung zur Lungenblutung mochte
ich einige Worte sagen.
Es war nur zu erklärlich, dass ein Arznei-
mittel, von berufener Seite gegen die verbrei-
tetste und wichtigste Krankheit wieder empfoh-
len, ungemein schnell Verbreitung finden
würde: stand man doch diesem grimmigen
Feinde der Menschheit fast hilflos gegenüber.
Freudig griff daher jeder zu einem Mittel,
von dem so viele Erfolge gerühmt wurden;
ob mit Recht, wage ich nicht zu entscheiden,
obgleich auch mir der Einfiuss des Kreosot
auf die Lungentuberkulose von günstiger
Wirkung zu sein scheint. Doch warnen
mochte ich, und darauf kommt es hier an,
vor zu früher Anwendung nach voraufge-
gangener Lungenblutung. Ich habe wieder-
holt gesehen, dass nach Verordnung von
Kreosot eine zum Stillstand gebrachte Lungen-
blutung von neuem ausgelost wurde, dabei
zeigte das Blut intensiven Kreosotgeruch.
Vor ^/4 Jahr hatte ich Gelegenheit, eine
sog. hysterische Haemoptoe zu behandeln.
Patientin war nicht hereditär belastet: El-
tern und Geschwister gesund, gesund er-
wiesen sich auch die Lungen der Patientin.
Die Blutung stand nach achttägiger Anwen-
dung von Hydrastis.
Auch gegen Nasen blu tun gen zeigt sich
Hydrastis von günstiger Wirkung. Gegen
eine bestehende Nasenblutung wird man
allerdings nicht viel mit Hydrastis ausrich-
ten, da ist natürlich die Localtherapie am
Platze; aber gegen das häufige Auftreten
von Nasenblutung ist Hydrastis ein vorzüg-
liches Mittel, ich bediene mich desselben
seit ca. 2 Jahren und bin gerade hier mit
den Erfolgen ausgezeichnet zufrieden. Es
versteht sich natürlich von selbst, dass da-
bei ein ev. vorhandenes Grundleiden nicht
vernachlässigt werden darf.
2. Sulfonal gegen Nachtschweisse.
Wenn auch die Zahl der gegen Nacht-
schweisse empfohlenen Mittel eine grosse ist,
so ist es doch wohl erlaubt, über ein neues
schweisswidriges Mittel, das neuerdings als
Schlafmittel vielgerühmte Sulfonal, einige
Worte mitzutheilen. Aufmerksam wurde ich
durch eine 80jährige Dame, der ich nur
^4 Gramm als Schlafmittel verabreicht hatte.
Die Dame litt an ungemein profusen Nacht-
16*
124
HydroxylamlD.
tTberapealiach«
Monatsheft«.
schweisseD, zweimal musste sie Nachts um-
gekleidet werden. Nach der Anwendung des
ersten Pulvers fragte sie mich, ob ich in
die Schlafpulver etwas gegen das Schwitzen
gethan habe.
Weitere Versuche ergaben, dass in den
meisten Fällen Nachtschweisse durch ^/a g
Sulfonal beseitigt werden. Die Wirkung
des Sulfonal schätze ich dem Atropin gleich,
dabei ist es absolut frei von ungünstigen
Nebenwirkungen. Auch ist seine Wirkung
sehr nachhaltig, die Seh weisse der zweiten
Nacht werden ohne Sulfonal als bedeutend
geringer bezeichnet.
Nenere Arzneimittel
Hydroxylamin.
Der Vorschlag von Prof. Binz, das Hy-
droxylamin wegen seiner stark reducirenden
und antimykotischen Eigenschaften an Stelle
der Pyrogallussäure und des Chrysarobins
in der Dermatotherapie zu benutzen (s.
Therap. Monatsh. 1888 S. 446), ist sehr
schnell durch P. J. Eich ho ff zur Ausfüh-
rung gelangt. Zweifellos werden die enthu-
siastischen Empfehlungen des Letzteren in
allernächster Zeit zu einer ausgedehnten
Anwendung des Mittels führen und in Kur-
zem eine umfangreiche Litteratur veranlassen.
Wir geben daher zur Orientirung für unsere
Leser folgende die chemischen Verhältnisse
des neuen Mittels betreffende Daten.
Das Hydroxylamin wurde zuerst von
Lossen im Jahre 1865 durch Reduction
von Salpetersäure- Aethyläther mittelst gra-
nulirten Zinns erhalten. Es ist eine dem
Ammoniak ähnliche, in freiem Zustande nur
in wässeriger Lösung bekannte Base, welche
mit Säuren durch directe Anlagerung gut
krystallisirende Salze bildet.
Seiner chemischen Zusammensetzung nach
ist es als Ammoniak aufzufassen, in wel-
chem ein Wasserstoffatom durch die ein-
werthige Hydroxylgruppe (OH) vertreten ist.
i^i^.
H
H
Ammoniak.
.OH
H
UydroxyUmin.
Seine bemerkenswertheste Eigenschaft,
welche neuerdings zur Verwendung in der
Photographie geföhrt und auch Veranlassung
für therapeutische Versuche gegeben hat, ist
das starke Reductionsvermögen. So wird
aus Fehling'scher Lösung Kupferoxydul
abgeschieden, Eisenoxydsalze werden zu
Eisenoxydulsalzen, Silber- und Goldsalze
zu metallischem Silber und Gold reducirt.
Für die medicinische Anwendungkommt das
chlorwasserstoffsaure Salz, das Hydroxyl-
aminum hydrochloricum NHj (OH) . HCl
in Betracht. Dasselbe stellt farblose, hygro-
skopische Kry stalle dar, welche in Wasser,
Alkohol und Glycerin löslich sind. Die
Lösungen röthen blaues Lackmuspapier, ver-
ändern Congopapier jedoch nicht.
Von einem für die medicinische Anwen-
dung bestimmten Präparate verlangt Eich-
hoff folgende Eigenschaften: Beim Erhitzen
auf Platinblecb muss sich das Präparat, ohne
Rückstand zu hinterlassen, vollkommen ver-
flüchtigen. Dasselbe darf keine freie Salz-
säure enthalten und dementsprechend
Congopapier nicht blau färben. Die wässe-
rige Lösung der Salze darf weder durch
Rhodankalium resp. Ferricyankalium verän-
dert werden (Prüfung auf Verunreinigung
durch Eisen), noch auf Zusatz von verdünnter
Schwefelsäure einen weissen Niederschlag
geben (Prüfung auf etwaigen Gehalt an
Chlorbaryum). Die alkoholische Lösung
darf durch alkoholische Platinchloridlösung
nicht gefallt werden. Ein entstehender
Niederschlag würde die Gegenwart von Chlor-
ammonium anzeigen.
Hinsichtlich seiner Wirkung und thera-
peutischen Verwerthung verweisen wir auf die
Referate (Therap. Monatshefte 1888 S, 446
und dieses Heft Referate).
Litteratur: P. J. Eichhoff, Ueber das
Hydroxylamin als neues, wichtiges der-
matotherapeutisches Heilmittel. Monatsh.
f. pract. Dermatologie 1889 No. 1.
£schscholtzia callfonilca.
Stanislaus Martin versuchte im Jahre
1887 im Bull, gener. de Thirap. vergeblich
die Aufmerksamkeit der Aerzte auf diese
Pflanze zu lenken, welche in einigen Gegen-
den als beruhigendes Mittel angewendet
wird. Neuerdings hat Ter-Zakariant auf
HI. Jahrgang.!
Hin 1889. J
Eschicholtzia californica. — Jurubeba.
125
Veranlassung yon Dujardin - Beaumetz
diese Droge einer Untersuchung unterzogen.
Wir entnehmen dem Berichte über dieselbe
Folgendes :
Eschscholtzia californica, zur Familie
der PapaTeraceen gehörend, ist eine strauch-
artige in Nord-Amerika einheimische, be-
sonders in Califomien sehr verbreitet vor-
kommende Pflanze, von welcher nach
Green e nicht weniger als 10 durch geringe
Abweichungen sich unterscheidende Varie-
täten existiren.
100 Theile der Pflanze liefern im Mittel
20 g eines alkoholischen, harzartigen, dun-
kelgrünen, eigenthümlich angenehm riechen-
den und bitter schmeckenden Extractes,
welches in Alkohol vollkommen, in Wasser
zum grossten Theil, in Glycerin nur sehr
wenig löslich und in Chloroform und Aether
unlöslich ist. An Wasser geben 100 Theile
der Pflanze ca. 15 g Extract ab. Das wäs-
serige Extract ist von röthlichbrauner
Farbe, besitzt denselben Geruch und Ge-
schmack wie das alkoholische, ist in Was-
ser, Alkohol und Glycerin löslich, unlös-
lich dagegen in Aether und Chloroform.
Barde t und Adrian isolirten aus der
Pflanze eine in geringer Menge in der Droge
enthaltene Base, welche dieselben für Mor-
phin halten, femer ein daneben in grösserer
Quantität vorkommendes Alkaloid und ein
Glykosid.
Die Versuche an Thieren wurden mit
den erwähnten alkoholischen und wässerigen
Extracten angestellt und zeigten, dass diese
erst in einer relativ hohen Dose wirksam
sind.
Toxische Gaben sind bei subcutaner An-
wendung 2,5 g, bei innerlicher Darreichung
6>ö g pro Kilo Thier. Kleine Dosen wirken
nur auf das Gehirn. Unbeweglich, des
freien Willens beraubt und unbeeinflusst
durch ihre Umgebung sitzen die Thiere da.
Grossere Dosen wirken auf die Medulla
oblongata, auf Rückenmark und periphe-
rische Nerven.
Constante Symptome sind allgemeine
Schwäche, Torpor, Beschleunigung der Re-
spiration, später Verlangsamung derselben,
vollkommene Lähmung der Extremitäten,
Verlangsamung der Circulation.
Die sensiblen Nerven werden später ge-
lähmt als die motorischen und erhalten
auch ihre Erregbarkeit früher zurück.
Die Körpertemperatur wird je nachdem,
ob man das alkoholische harzhaltige oder
das von den harzigen Beimengungen befreite
Extract anwendet, im ersten Falle erhöht,
im zweiten Falle erniedrigt um ungefähr
i°a •
Nach den therapeutischen Versuchen,
welche mit dem alkoholischen Extract an
13 Patienten (chron. Bronchitis, Phthisis,
Morbus Brightii, Ischias, Paralysis agitans,
Rheumatismus) angestellt wurden, bezeichnet
Ter - Zakariant die Eschscholtzia als ein
werthvolles und ungefährliches schlaferzeugen-
des Mittel und als ein in gewissen Fällen sehr
nützliches Analgeticum, dessen Wirkung die
Zeit der Anwendung überdauert und frei ist
von den Unannehmlichkeiten des Morphiums.
Jedenfalls scheinen erhebliche Dosen zur
Erzielung einer Wirkung nothwendig. Die
Dosen schwankten von 2,5 — 10 g täglich,
doch kamen selbst Tagesgaben von 12 g
zur Anwendung.
Die Verordnung geschieht nach folgenden
Formeln :
^ Extr. Eschscholtziae spir. 2,5 — 10,0
Rum
Syrup. simpl. jia 30,0.
Grössere Darreichung:
*V Extr. Eschscholtziae spir.
sive aquos. 20,0
Pulv. Rad. Liquirit. q. s.
F. pil. No. 40. D. S. 5—10 Pillen täg-
lich zu nehmen.
Weitere Erfahrungen werden nothwendig
sein, um sich ein Urtheil über den Werth
des neuen Mittels bilden zu können.
LUteratar: Ter-Zakariant, Etüde physio-
logique et therapeotique de rEschscholtzia califor-
nica. Bullet, gen. de Thcrap. 1889. CXVI. S. 21.
«Tiirubeba«
Unter dem Namen Jurubeba, Juri-
beb a oder Jurumbeba werden von den
Eingeborenen Brasiliens mehrere Species der
Gattung Solanum, Solanum insidiosum
Mart., Solanum acutilabum Dun., Sola-
num mammosum L. und Solanum pa-
niculatum L. seit Alters her als Heilmit-
tel benutzt. Besonders sollen dieselben als
vorzüglich wirkende Abführmittel bei Le-
ber- und Milzerkrankungen Anwendung
finden.
In neuester Zeit ist der Versuch ge-
macht worden, die zuletzt genannte Species,
Solanum paniculatum, auch in unseren
Arzneischatz einzuführen. Amerikanische
Aerzte benutzen das Mittel ganz allgemein
als Tonicum, Alterans, Antiblenorrhoicum,
Antisyphiliticum , Diureticum, Antiperiodi-
cum, besonders aber bei Blasenkatarrh und
als Drasticum.
126
Thonpoutiiche MitthoUungen aus Veroinen.
tTherapeutlache
Monatshefte.
Peckolt stellte aus den Früchten als
wirksames Princip einen Stoff dar, den er
Jurubebin benannte, der von Parke, Davis
& Co. auch in der Wurzel nachgewiesen
wurde und von letzteren als ein amorphes,
bitteres, aromatisch riechendes, in Wasser
wenig losliches Alkalo'id charakterisirt
wurde.
Prof. Robert hat nun ein Fluid extract
der Jurubeba, welches bereits in Dosen von
5 Tropfen wirksam sein soll, einer chemischen
und physiologischen Untersuchung unter-
worfen.
Dem Berichte zu Folge, dem wir auch
die aufgeführten Daten entnommen haben,
erwies sich das Mittel selbst in grossen
Dosen für Thiere und Menschen als gänzlich
unwirksam.
Bei einer an Verstopfung leidenden Pa-
tientin, welche aus Versehen 10 ccm des
Präparates genommen hatte, blieb jede Wir-
kung aus. In Uebereinstimmung hiermit
gelang es Kobert auch nicht, ein wirksames
Alkalo'id in dem Fluidextract nachzuweisen.
Litteratur: R. Kobert, lieber Jarubeba. St.
Pctersb. Med. Wochenschr. 1889, No. 1.
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Berliner medicinische Gresellschaft.
(SiUung vom 30. Januar 1889.)
Herr Litten stellt einen Fall von
Arzneiexanthem vor. Das Exanthem ist
bei dem Patienten stets (bereits zum fünften
Male) nach Genuss von Rhabarber auf-
getreten. Letzthin nahm derselbe von einem
Infus, rad. Rhei 8,0:200,0 mit Natrium bi-
carbon. nur einen Theeloffel und schon eine
halbe Stunde später stellte sich das Exan-
them ein. Dasselbe setzt sich zusammen
aus einem grossfleckigen, hämorrhagisch-
maculösen Exanthem und einer schweren
Pemphiguseruption. Diese Erscheinungen
traten unter Schüttelfrost auf und nahmen
vorzugsweise Ellbogen, Hände, Füsse und
Sero tum ein. r,
Verein deutscher Aerzte in Prag.
(Sitzung vom 30. November 1888.)
Dr. Hammer berichtet über einen selten
rasch letal verlaufenden Fall von Phos-
phorvergiftung. Es handelte sich um
eine 40jährige Frau, welche die Kopfchen
von 38 Päckchen Streichzündholzchen, nach
ungefährer Schätzung etwa 30 g Phosphor
entsprechend, verschluckt hatte. Trotz der
auf der Prof. Kahler'schen Klinik kurze
Zeit nach der That ausgeführten energischen
Magenausspülungen wurde die Pat. bald so-
porös und starb 9 Stunden nach Einnahme
des Giftes unter Convulsionen.
Bei der Section fand sich im Magen eine
blutig tingirte, nach Phosphor riechende
Flüssigkeit. Die Magenschleimhaut zeigte
zahlreiche traumatische Fissuren. Bemerkens-
werth ist eine ausgebreitete fettige Degene-
ration der Ganglienzellen, während alle an-
deren Organe intact angetroffen wurden,
trotzdem dass im Blut, im Herzen, Gehirn,
in der Leber, den Lungen und Nieren Phos-
phor im Mit seh er lichtscheu Apparat nach-
gewiesen wurde. Der Harn enthielt keinen
Phosphor.
Prof. Kahler bemerkt, dass die Fissuren
auf Dehnung der durch das Gift veränderten
Magenschleimhaut zu beziehen wären. Die
Convulsionen wären als directe Wirkung des
Giftes aufzufassen.
Prof. Ott fand in einem Falle von Phos-
phorvergiftung Degeneration der Herzganglien.
{Witntr tnfd. Presse 1889 No. 5.)
rd.
Academie de Medecine de Belgique (Brüssel).
(Sitzung vom 29. Decetnber 1888.)
Herr Dr. Delbastaille berichtet über
Experimente bezüglich der Blutergüsse
in die Gelenkhohlen. Dieselben sind an
Thieren angestellt worden und wurde hier-
bei das demselben Thiere entnommene Blut
verwendet, D. constatirte stets eine schnelle
Resorption des Blutes, wenn das Gelenk ge-
sund war. Bei einer etwaigen Verletzung
desselben vollzog die Resorption sich viel
langsamer. Ebenso wird das Blut in einem
beweglichen Gelenke schneller aufgesogen als
in einem unbeweglichen. Neuerdings herrschte
die Ansicht, dass die Gegenwart der Syno-
via die Resorption begünstige. Nach D/s
Untersuchungen übt jedoch die Synovia gar
keinen Einfluss auf diese Aufsaugung aus.
Es ergiebt sich deshalb hieraus folgender
Fingerzeig für die Behandlung: Bei einem
Blutergusse in die Gelenkhöhle sind (wenn
das betreffende Gelenk intact ist) Massage
^
m. J«]irgftiig.l
März 1889. J
Thorap«utlteho Mitthoilungen aut Vereinen.
127
und passive Bewegungen anzuTv enden. Be-
steht eine Verletzung, so muss das ergossene
Blut mittelst der bekannten Apparate aspi-
rirt werden. Handelt es sich um ein recht
erhebliches Trauma, so ist das Gelenk zu
eröffnen und der Erguss yoUständig zu ent-
leeren.
{La Semaine midieaU 1889 No. 1.) H,
Dritter Congress russischer Aerzte zu
St. Petersburg.
{Sitzungen vom 3.— 10. Januar 1889)
Frau Charbanoff (Petersburg): Ueber
Behandlung der Rachitis mit Phos-
phor. Auf Grund von 105 selbst beob-
achteten Fällen kommt 0. zu dem Ergeb-
niss, dass die Behandlung der Rachitis mit
Phosphor zu den befriedigendsten Resultaten
führte. Der Phosphor hebt nicht nur das
Allgemeinbefinden, er wirkt auch auf ge-
wisse Symptome. Zuerst wird das Nerven-
system günstig beeinflusst, alsdann bessern
sich die Functionen der Extremitäten und
der Zustand des ganzen Knochengerüstes.
Herr Podrese (Charkow): Ueber
schnelles Eingreifen bei tuberculösen
Gelenkaffectionen. Zahlreiche klinische
Erfahrungen scheinen dafür zu sprechen, dass
der operative Eingriff bei Behandlung des
Tumor albus jeder anderen Behandlungs-
methode vorzuziehen sei. Nach den statisti-
schen Erhebungen ergiebt die exspectative
Methode eine sehr grosse Mortalitätsziffer.
In den günstigsten Fällen gelangt man da-
hin, eine unbrauchbare Extremität zu er-
halten. Ausserdem ist ein Recidiv seltener
und gutartiger nach der Resection als bei
der exspectativen Methode. Dabei bleibt
noch zu beachten, dass eine allgemeine Aus-
breitung des tuberculösen Processes im Falle
einer chirurgischen Intervention weit weniger
zu befurchten ist, als bei jeder anderen Art
der Behandlung. — Die erforderlichen Be-
dingungen zur Erlangung einer Nearthrose
sind folgende: Man operire frühzeitig und
radical, indem alles verdächtig Aussehende
weggenonmien wird. Zur Nachbehandlung
sind die Extension und alsdann so früh wie
möglich passive und active Bewegungen zu
verordnen.
Herr Lindenbaum (Jaroslawb): Ueber
operative Intervention bei eitriger
Pleuritis. Man soll sich beim Empyem
nicht blos mit der einfachen Operation be-
gnügen, sondern ausserdem noch eine Rippe
reseciren. Diese Ansicht stützt sich auf
zahlreiche eigene Erfahrungen über Em-
pyem.
Herr Soubbotine (Charkow) bemerkt,
dass L. nicht angegeben, in welcher Periode
er operirt und nichts über den Zustand der
Lunge nach der Operation gesagt habe. Der
Zeitpunkt des operativen Eingriffs sei jedoch
von grosser Wichtigkeit, denn die Resection
einer einzigen Rippe geniige nicht in solchen
Fällen, in denen die Lunge sich nicht mehr
ausdehne.
Herr Komarewsky (Orel) glaubt, dass
die Resection einer Rippe nur beim Er-
wachsenen indicirt sei; bei den Kindern
müsse man sich mit der Operation des Em-
pyems und der Drainage begnügen.
{La Semaine mdd. 1889 No. 4 u. 5,)
Herr Privatdocent Dr. Dochmann (Ka-
san): Ueber die Steigerung der Körper-
temperatur als eine Theilerscheinung
der Vis medicatrix naturae. Die Stei-
gerung der Körpertemperatur in fieberhaften,
infectiösen Krankheiten dürfe nicht von vorn-
herein als etwas Schädliches betrachtet wer-
den, sondern könne vielleicht gerade zur
Unschädlichmachung des infectiösen Krank-
heitsvirus beitragen. D. führt eigene Ex-
perimente und Beobachtungen an, die diese
bis jetzt durchaus hypothetische Anschauung
zu stützen scheinen. Wenn er Katzen, die
vorher mit Curare vergiftet worden waren,
in den Wärmekasten brachte und einer künst-
lichen Temperatursteigerung unterwarf, so
erholten sie sich sehr rasch von der Ver-
giftung, was bei den in gewöhnlicher Tem-
peratur befindlichen Controlthieren niemals
der Fall war. Aehnliche Resultate gewann
D. bei Thieren, denen er faulende Substan-
zen injicirt hatte.
Herr Tepeljaschin: Ueber Kataract
in Folge chronischer Vergiftung mit
Mutterkorn. Im Winter 1879 — 1880
herrschte im Glaso waschen Kreise eine aus-
gedehnte Ergotismus-Epidemie. Während der
folgenden Jahre beobachtete T. 27 Staar-
kranke, bei denen der überstandene Ergotis-
mus als Ursache für die Staarbildung anzu-
sehen war. In 13 Fällen wurde an beiden,
in 9 Fällen an einem Auge die Extraction
des Kataracts vorgenommen.
Herr Gordou: Behandlung der Horn-
hautgeschwüre mit dem Glüheisen. G.
berichtet über 54 Fälle von Hornhaut-
geschwüren mit und ohne Hypopyon. Kau-
terisation mit dem Paquelin und dem Gal-
vanokauter. Dabei sehr gute Erfolge.
Herr Felser: Ueber „Trichlorjod"
(JCI3). Das Mittel wurde in der Univer-
sitätsklinik zu Kasan (in einer Lösung von
Va)%) an vielen Augenkranken, sowohl zum
Zwecke der Asepsis vor Operationen, wie
der Antiseptik bei infectiösen Processen an-
gewandt. Die bacteriologischen Untersuchun-
128
Thorapoutitche Mitthollungen aui Verelnoa.
rrherapeuUsoh«
L Monatshefte.
gen des Yortragenden ergeben die stark bac-
tericiden Eigenschaften des JCI3.
(8t. Pttertburg. med. Woehentchr. 1889 No. 2 u. 3.)
Wissenschaftliche Verhandlungen der Dorpater
medicinischen Facultät.
{Sitzung vom 20. October 1888.)
Prof. R. Kobert spricht: ^Ueber das
resp. die wirksamen Principien der Condu-
rangorinde".
Die Rinde enthält mindestens drei active
Substanzen, nämlich 2 oder 3 Glykoside
und ein Harz, welche qualitativ gleich wir-
ken. Auch das Condurangin von Vulpius,
welches Vortragender zu untersuchen Ge-
legenheit hatte, ist keine einheitliche Sub-
stanz, sondern ein Gemisch zweier der oben
aufgeführten Glykoside.
Bemerken swerth ist die Eigenschaft des
Condurangins, beim Erwärmen der wässerigen
Lösung wie Eiweiss zu gerinnen, so dass
in einem heiss filtrirten Decoct fast gar kein
Condurangin enthalten ist. Auch beim Sät-
tigen einer wässerigen Losung mit Kochsalz
föUt das Condurangin wie Eiweiss aus.
Die Wirkung des Condurangin ist in
erster Linie auf das Centralnerven System
gerichtet. Nach kleineren Dosen stellen
sich ataktische Veränderungen des Ganges
ein; nach etwas grösseren Dosen werden die
Thiere unbeholfen, wackeln beim Gehen
namentlich auf den hinteren Extremitäten
und fallen auf die Seite; Haut- und Sehnen-
reflexe scheinen dabei erhöht. Bei noch
grösseren Dosen machen sich neben den
oben angegebenen Erscheinungen grosse Un-
ruhe und heftige klonische vom Gehirn resp.
der Medulla oblongata ausgehende Krämpfe
geltend. Auf dieses Stadium der Erregung
folgt ein solches der Lähmung, in welchem
die Reflexe noch deutlich erhöht sind. —
Die elektrische Erregbarkeit der peripheri-
schen Nerven und der Muskeln ist anföng-
lich gesteigert, später herabgesetzt.
Als weitere Symptome nach grossen
Dosen sind zu erwähnen: Abnahme resp.
gänzlicher Verlust der Fresslust, Speichel-
fluss und Erbrechen. Auf Herz, Blutgefässe,
Blutdruck, Blut besitzt das Glykosid keine
nennenswerthe Wirkung. Der Sections-
befund ist negativ. Die tödtliche Dosis
beträgt bei Fleischfressern ca. 0,02 g pro
Kilo Thier, bei Pflanzenfressern ist dieselbe
etwa drei Mal so gross.
Ob eine specifische Wirkung des Con-
durangins auf Carcinomzellen existirt, ist
nicht entschieden.
{Bt. Peterab. med. Woehenschr. 1889 No. 1.) rd.
Erster Congress der italienischen Gesellschaft für
innere Medicin zu Rom.
{Sitsungen vom 20.— 25. October 1888.)
Tomaselli (Catania): Ueber icterisch-
haematurisches Fieber in Folge
von Chiningebrauch.
Schweres, in Paroxysmen auftretendes,
mit grosser Abgeschlagenheit verbundenes
Fieber, zu dem sich Diarrhoe, Haematurie,
Icterus und Dyspnoe gesellen, sind die Er-
scheinungen, die T. wiederholt nach Verab-
reichung von Chinin bei gewissen Individuen
beobachtet und auf die er bereits vor meh-
reren Jahren aufmerksam gemacht hat. Die
ersten Symptome pflegen 3 — 6 Stunden nach
Aufnahme des Chinins einzutreten und an
die 1 — 3 Stunden währende erste Periode
der Intoxioation (mit Temperatursteigerungen
von 39,5® — 42®) schliessen sich alsdann
Dyspnoe, Icterus und bedeutende Haematurie
an. Nach etwa 24 — 48 Stunden hört der
Anfall auf und der Pat. befindet sich in
einem Zustande der Prostration. Zuweilen
tritt unter Herzparalyse und CoUaps Exitus
letalis ein. Im Blute ist eine Entfärbung
und Verringerung der Zahl der rothen Blut-
körperchen nachweisbar und der Harn enthält
Fibrincylinder, Epithelien, Gallenpigment und
verkleinerte Blutkörperchen, Bemerkenswerth
bleibt, dass die eben genannten Erscheinungen
bei Individuen, die bereits Malaria überstan-
den haben, leichter auftreten, als bei anderen.
Candarelli (Neapel) hat auch ohne
Chinin einwirkung den eben erwähnten Sym-
ptomencomplex beobachtet. Deshalb neigt er
zu der Annahme, dass es sich hierbei um
eine Krankheit sui generis handelt.
Baccelli (Rom) fasst das Resultat der
über diesen Gegenstand gepflogenen Dis-
cussion dahin zusammen, dass die Existenz
von Malariaformen mit Icterus und Haema-
turie, welche nach Chiningebrauch ver-
schwinden, ausser Zweifel steht; ebenso
sicher ist es aber auch, dass ausnahmsweise
Fälle vorkommen, wie die von Tomaselli
beobachteten, bei denen diese Erscheinungen
erst beim Chinin gebrauch auftreten und bei
weiterer Anwendung desselben eine Ver-
schlimmerung erfahren.
Prof. de Renzi (Neapel): Zur Behand-
lung der Lungentuberculose.
Von allen von ihm versuchten Mitteln
(Jod, Jodoform, Naphtalin, Naphtol, Rectal-
injectionen mit Kohlensäure u. s. w.) zeigte
Jod sich am wirksamsten. Mit tuberculösem
Virus inflcirte Meerschweinchen^ lebten länger,
wenn sie hierauf mit Jod behandelt wurden
als die zur Controlle geimpften, aber nicht
behandelten Thiere. — R. hat auch —
ausgehend von der Beobachtung, dass das
ni. J«lirfuig.l
M&n 1889. J
Thorapoutlieho Mitthottungen aus Verolnen.
129
Blut Tuberkulöser eine geringere Alkalescenz
besitzt — einigen Kranken kohlensaure Al-
kalien yerabreicht, aber nicht den geringsten
Erfolg erzielt.
Pelloruti (Neapel) hat im Initialstadium
der Tuberculose Besserungen von den Rectal-
injectionen mit Schwefelwasserstoflf gesehen.
Rira (Parma) schildert die drei chirurgi-
schen Behandlungsmethoden der Lungen tuber-
culose: die Pneumectomie, Pneumotomie und
die parenchymatösen intrapulmonären Injec-
tionen, die den Zweck haben, die Cayernen
zu heilen und die tuberculösen Keime zu
zerstören. Am unschädlichsten ist die
zuletzt genannte Methode. Mit einer
Lösung Yon Sublimat und Campherchloral
wird die Lunge durch eine mit seitlichen
Oeffnungen yersehene, durch den Thorax
gesteckte Canule ausgewaschen. Besserung
hat R. erzielt, aber niemals Heilung.
Anpugnani und Scolla sahen günstige
Erfolge nach Inhalationen von Fluorwasser-
stoffsäure.
Prof. Maragliano (Genua): Zur Behand-
lung der Pneumonie.
Von der infectiosen Natur der Pneumonie
ausgehend, bekämpft M. zunächst die Infec-
tion selbst, alsdann die durch toxische, (von
den Bacterien gebildeten) Producte erzeugte
Herzschwäche. Er wendet sich gegen den
Nihilismus in der Therapie, ebenso wie
gegen die inneren antiparasitären Mittel
(Jodkalium, Calomel) und die parenchyma-
tösen Injectionen. Dagegen glaubt er den
Aderlaas empfehlen zu können. Femer ist
er (behufs Bekämpfung des Fiebers) für die
Anwendung von Bädern, die von 30® all-
mählich auf 20® abgekühlt werden. Des-
gleichen kann Alkohol in massigen Dosen
gereicht werden und Strophanthus. Um Herz-
schwäche zu vermeiden, giebt er niemals Ipe-
cacuanha im Fieberstadium der Krankheit.
Cantani (Neapel) glaubt, dass der Ader-
lass nur bei sehr erhöhtem Blutdrucke etwas
nützen könne. Für die reguläre Pneumonie
eigne sich am besten die exspectative und
symptomatische Behandlungsmethode.
Baccelli (Rom) hält den Aderlass für
gewisse Fälle noch immer für ein gutes
I Mittel. — In der asphyctischen Periode der
Pneumonie hat er wiederholt recht gute Er-
folge von Inhalationen von Sauerstoff gesehen.
Prof. Cantani (Neapel): Ueber Aetio-
logie und Behandlung des Dia-
betes.
Der Diabetes ist als eine All gemein er-
krankung zu bezeichnen, die sich im chylo-
poetischen System localisirt. Die Verrin-
gerung der Kohlensäure im Organismus der
Diabetiker ist Folge (und nicht Ursache)
der Krankheit, bedingt durch eine Vermin-
derung der Verbrennung der Kohlenhydrate.
— Die Ursache des Diabetes ist hauptsäch-
lich in der erhöhten Zufuhr von stärkehal-
tigen Substanzen und Zucker zu suchen;
dagegen ist der Diabetes nervösen Ur-
sprunges nur selten und vorübergehend. Zu
diesem Schlüsse gelangt C. auf Grund seiner
auf mehr als 1000 Fällen beruhenden Er-
fahrung. Er empfiehlt Eiweiss- und Fett-
nahrung und die alkalischen Wässer.
Cardarelli stellt den nervösen Ursprung
des Diabetes mehr in den Vordergrund.
de Renzi und Maragliano halten die
gemischte Kost für die beste.
Sonsino (Padua): Behandlung des An-
kylostoma mit Thymol.
Einem 18jährigen, anämischen Mädchen
gingen auf mehrmals täglich gereichte Dosen
von 4,0 Thymol 130 Ankylostomen ab.
Nach einigen Tagen gingen nach weiterem
Gebrauch des Mittels noch 70 dieser Nema-
toden ab. Im Ganzen nahm Pat. 23,0 Thymol,
worauf sie völlig geheilt wurde.
Baccelli: Behandlung der Neuralgien
mit subcutanen Carbol-Injec-
tionen.
Bei Ischias und verschiedenen Neuralgien,
sowie gegen Gelenkschmerzen bei chronischem
Gelenkrheumatismus leisten Injectionen von
1 -^/o Garbo llösung an den schmerzhaften
Punkten vorzügliche Dienste.
( Wien, med, Wochensehr. No. 51 und 33 und Wien, med,
Prttte 1888 No. A6.) R,
Referate.
Der T3rphu8 im Münchener Garnisonlazareth
unter dem Einfluss der methodischen Bäder-
behandlung (Brand). Von Oberstabsarzt Dr.
A. Vogl (München).
Da die Frage der Typhustherapie mit
dem Auftauchen zahlreicher antipyretisch
wirkender Stoffe in eine Wandlung und da-
mit auch wieder in den Vordergrund ge-
treten ist, fühlt sich Verf. veranlasst, die
Principien und Resultate seiner Behandlungs-
weise von neuem darzulegen. Sein^ Statistik
17
130
Referat«.
rlierapeutlMh«
Monatshefte.
bezieht sich auf die Jahre von 1841 — 1882,
welcher Zeitraum therapeutisch in 3 Perio-
den zerfallt, indem von 1841 — 1859 die
Behandlung noch eine medicameutos ein-
greifende, von 1860 — 67 eine mehr exspec-
tative, mit einzelnen Badern verbundene
war, während die dritte Periode von 1868
bis 1882 der methodischen Bäderbehandlung
angehört. Wenn wir in Berücksichtigung
eines wesentlichen Einwandes gegen die
VogTsche Statistik die Jahre von 1841
bis 1848 ausschalten, da erst mit dem Jahre
1848 eine verlässigere Auffassung des
Typhusbegriffes beginnt, so erhalten wir
für die beiden ersten Zeiträume eine Mor-
talität von 19,6%, dagegen von 12,6%
für die Zeit seit Einführung der Bäderbe-
handlung seit 1868.
Allerdings hat während dieser Zeit auch
die Morbidität abgenommen von 50,4 %o i^i
ersten Zeiträume bis auf 29,7 ^|^^ im dritten
Zeiträume, aber diese Abnahme der Morbi-
dität läuft durchaus nicht parallel der Ab-
nahme der Mortalität, vielmehr ist die Mor-
bidität zweimal ganz rapide abgefallen und
zwar 1859/60 und im Jahre 1880.
Theilt man den Zeitraum von 1868 bis
1882 noch in weitere 2 Perioden, nämlich
von 1868—1876, in welcher Zeit die Bäder-
behandlung noch unvollkommen war, und
in die Zeit von 1876 — 1882, während wel-
cher Zeit auf der zweiten internen Station
die streng methodische Bäderbehandlung
nach Brand, auf der ersten dagegen eine
combinirte Bäderbehandlung mit Darreichung
von Antipyreticis, namentlich aber auch
ohne nächtliche Bäder geübt wurde, so er-
hält man folgende Resultate: für die erste
Periode eine Mortalität von 15,2%, für die
zweite Periode eine solche von 6,5 %, an
der jedoch die erste Station mit 7,6 %,
die zweite dagegen nur mit 2,7 % betheiligt
ist: das heisst also, auf der zweiten inter-
nen Station des Münchener Garnison lazareths
ist seit dem Jahre 1876, von welcher Zeit
die Brand' sehe Methode in voller Strenge
daselbst durchgeführt wurde, die Mortalität
von 19,6% auf 2,7%, also um 16,9% ge-
sunken.
Dem Einwand, dass dieses bedeutende
Absinken der Mortalität allein von dem
Schwächerw^erden der Virulenz des Typhus-
contagiums abhänge, lässt sich mit Sicher-
heit durch einen Vergleich der Resultate
auf der ersten und zweiten Station begeg-
nen. Auf der ersten Station wurde näm-
lich, wie schon auseinandergesetzt, in den
Jahren von 1877 — 1882 eine combinirte Bä-
derbehandlung mit gleichzeitiger Anwendung
von Antipyreticis, auf der zweiten Station
nur streng methodische Bäderbehandlung
geübt; es verhalten sich dabei die Mortali-
tätsziffern wie 10,4 : 3,1. Es ist natürlich
nicht einzusehen, und Verf. weist diesen
Einwurf, den namentlich Port erhebt, mit
schlagenden Gründen zurück, warum die
Fälle auf der ersten Station schwerer sein
sollten als auf der zweiten Station, und es
ist fernerhin zu beachten, dass sich die
Mortalität auf der ersten Station derjenigen
vor Einführung der Bäderbehandlung sehr
nähert, in einem Jahrgange 1880/81 (18,8%)
dieselbe sogar fast erreicht hat.
Zur weiteren Erhärtung dieser Ange-
legenheit stellt V. noch die Mortalitäts- und
Morbiditätsziffern aus drei Jahrgängen einan-
der gegenüber:
Im Jahre 1874/75 war bei einer Morbidität
von 17,3 °/oo die Mortalität 22,0 %.
Im Jahre 1875/76 war bei einer Morbidität
von 18,6 "/oo die Mortalität 10,5 %.
Im Jahre 1876/77 war bei einer Morbidität
von 39,1 % die Mortalität 5,3 %.
Fernerhin weist V. auch darauf hin, dass
die Mortalität in den grossen Epidemien oft
weit unter derjenigen stand, wie sie sich
in endemischen Verhältnissen gestaltet; alles
zusammen Beweise dafür, dass das Absinken
der Mortalität durchaus nicht auf eine
schwächere Virulenz des Typhusgiftes zurück-
zuführen ist.
Dennoch bemüht sich V. noch auf andere
Weise die Behauptung der Gegner zu ent-
kräften, dass die Existenzbedingungen des
Typhus immer schlechter und schlechter ge-
worden seien, dass namentlich auf den Sections*
tischen vollkommen jene früher so häufigen
wohlgenährten Typhusleichen mit der kräf-
tigen, dunkelrothen Muskulatur fehlen, bei
denen der Tod schon vor dem 12. Tage der
Krankheit eingetreten war. Von 388 in den
Jahren 1876 — 82 im Münchener Garnison-
lazareth behandelten Typhen sind 65 ge-
storben, und zwar, wenn man mit Berück-
sichtigung der militärischen Verhältnisse und
als Ergebniss vieler Hunderte von Kranken-
geschichten und Temperaturcurven den ersten
Tag des Spital auf enthalts als den dritten
oder vierten Krankheitstag betrachtet, 15 — 18,
also ca. 25 %, vor dem 12. Krankheitstage,
fast alle diese Fälle endeten unter den
Symptomen der Herzschwäche oder derGehim-
paralyse, also in directer Folge der Infection.
Einen weiteren Anhaltspunkt zur Beur-
theilung der Intensität der Fälle bietet noch
die Zugangstemperatur, aus deren Betrach-
tung sich ergiebt, dass die Münchener Fälle
als mehr als mittlere zu betrachten sind,
da über die Hälfte aller eingelieferten Fälle
40,0® und mehr Grad hatte.
IIL Jahrflraag.l
März 1889. J
Roferate.
131
Vergleicht man ferner die Krankheits-
dauer, auf welche die Therapie keinen wesent-
lichen Einfluss hat, so ergiebt sich fiir die
Münchener Fälle eine Krankheitsdauer von
3*/« Wochen, was der gewöhnlichen Typhus-
dauer entspricht.
Als ein weiteres Moment zur Beurthei-
lung der Schwere der Infection ist von
Liebermeister die Hartnäckigkeit und Dauer
der Febris continua und subcontinua hervor-
gehoben worden. Auch hier wiederum ver-
fügt y. über eine grosse Anzahl von Fällen,
die in ihrer ausserordentlichen Schwere es
nöthig machten^ alle 2 Stunden zu baden.
Es ergiebt sich mit Sicherheit aus alledem,
dass wir heut noch mit ebenso excessiv
schweren Fällen zu thun haben, und dass
auch die Durchschnittsintensität der Fälle
jetzt noch dieselbe ist, wie damals. Es
muss also daran festgehalten werden, dass
der Abfall der Sterblichkeit vom Jahre 1868,
beziehungsweise vom Jahre 1876 an mit
keinem andern ursächlichen Factor zusam-
menhängt, als mit dem Beginn, beziehungs-
weise der systematischen Einführung der
Kaltwasserbehandlung, und dass die Ver-
schiedenheit der Sterblichkeit auf 2 Stationen
nach Einführung der Kaltwasserbehandlung
ganz allein durch die verschiedene Strenge
der Anwendung dieser Therapie erzeugt ist.
In dem zweiten Theile seines Aufsatzes
sucht V. einen Einblick zu geben in den
klinischen Verlauf uncomplicirter Typhen,
wie dieser sich unter dem Einflüsse der
streng methodischen Bäderbehandlung im
Gegensätze zu andern Behandlungsarten ge-
staltet hat. Was zunächst den Einfluss der
Bäder auf die Korpertemperatur betrifft, so
lässt er sich dahin zusammenfassen, dass er
bei Aufrechterhaltung der Tags- und Nacht-
periode mit ihrer normalen Gipfelbildung
die Exacerbationen durch zahlreiche kleine
Remissionen niederdrückt und in seiner un-
unterbrochenen Einwirkung auf diese Weise
allmählich und sicher die Durchschnitts-
maasse zum Sinken bringt. Während bei
spontanem Verlaufe das absolute Temperatur-
maximum ge wohn lieh erst mit dem Schlüsse
der ersten Woche erreicht wird, bildet bei
Bäderbehandlung die Temperatur des Abends
am Aufnahme- resp. am ersten Aufenthalts-
tage das Maximum; schon in den nächsten
Tagen kommen die Durchschnittstemperatur
und die Exacerbationen tiefer zu stehen.
Entgegen dieser Wirkung der Bäder wird
durch Antipyrin, welches allein in Frage
kommt, da Chinin, Kairin, Natrium salicylicum
direct schädlich wirken, eine vollkommene
Irregularität der Gesammtcurve erzeugt ; diese
geht in ihren Exacerbationen und in den
Durchschnittswerthen aus der 24 stündigen
Periode auf und nieder im Gegensatze zu
dem fast sicheren Abfalle von Tag zu Tag
I bei der Bäderbehandlung.
Das zweite Moment, auf dessen Beach-
tung es bei jeder Typhustherapie ankommt,
ist das Verhalten des grossen und kleinen
Kreislaufs. Das kalte Bad ist ein wahres
Tonicum für das Herz; es beruhigt dessen
Action, hebt den Puls, verringert die Zeichen
der Herzschwäche und macht sie selbst ver-
schwinden; die Zahl der Pulse bleibt im
Allgemeinen eine massige und überschreitet
selbst in schweren Fällen 110 — 120 Puls-
schläge nicht. Dicrotismus entsteht in den
von Anfang an behandelten Fällen nicht;
bei später in Behandlung gekommenen Fällen
verschwindet er unter der Wasserbehandlung
wieder. Die Furcht vor dem Eintreten eines
Collapses im kalten Bade ist so wenig be-
gründet, dass vielmehr in den ersten Tagen
die Adynamie des Herzens die dringendste
Indication für das kalte Bad und dieses
das sicherste Prophylacticum gegen den
Collaps ist. Ausserordentlich günstig ist
auch der Einfluss des Bades auf den kleinen
Kreislauf, indem es die bei anderer Be-
handlung so häufigen atelectatischen, hypo-
statischen und pneumonischen Complicationen
zu grossen Seltenheiten macht.
Im Gegensatze zum kalten Bade ergiebt
die Antipyrinbehandlung zwar eine günstige
Beeinflussung der Pulsfrequenz, nicht aber
der Qualität des Pulses, es wird hier nicht
blos die Hebung des Pulses, diese eminente
Wirkung des kalten Bades vermisst, sondern
es zeigt sich auch in vielen Fällen kürzere
oder längere Zeit Dicrotie, und es ist zu
bemerken, dass gerade bei ergiebiger Anti-
pyrinwirkung auf die Temperatur der Puls
unterdrückbarer wird.
Die Wirkung der kalten Bäder auf die
Erscheinungen von Seiten des Nervensystems,
auf den sogenannten Status typhosus ist
eine ganz ausserordentliche. Bei strenger
Durchführung der Brand'schen Methode,
aber nur bei dieser, gelingt es durch eine
1 — 4- und selbst mehrwöchentliche Akme
die Function der nervösen Centren aufrecht
zu erhalten; leichte Delirien bleiben Aus-
nahmefälle, es kommt weder zur versatilen,
noch zur stupiden Form des Typhus; es
tritt nie die Indication heran, Erregungs-
zustände durch Narcotica zu bekämpfen.
Im Gegensatze dazu erzeugt das Antipyrin eben
nur eine Euphorie, wie sie durch eine mehr
oder weniger anhaltende Abkühlung aus der
Fieberhitze zu Stande kommt. Der Kranke
liegt zwar ruhig und ohne Klage da, aber
die Frische in Aussehen und Bewegung, wie
17*
132
Rofermte.
rlierapflutladi*
Monatsheft«.
sie die anregende Wirkung der Bäder erzeugt,
fehlt gänzlich.
Was die Darmerscheinungen betrifft, so
ist die Minderung derselben eine ganz evi-
dente Wirkung des kalten Bades; die Durch-
fälle sistiren nach 2 — 3 Tagen einer metho-
dischen Bäderbehandlung meistens f&r immer
oder dauern höchstens in der Zahl von 1
bis 2 Entleerungen täglich noch einige Zeit
fort. Ueber die Akme hinaus fortdauernde
flüssige oder breiige Entleerungen kommen
nicht zur Beobachtung. Umgekehrt zeigt
sich die bei anderer Behandlung in der De-
fervescenz und Reconyalescenz nicht selten
aufgetretene hartnäckige Obstipation in den
mit Bädern behandelten Fällen nicht, ein
Beweis einer intact erhaltenen Function der
Darmmusculatur.
Es ist ferner zu bemerken, dass unter
den 221 streng methodisch behandelten
Typhen nur 2 Mal blutige Stühle, nie Peri-
tonitis, weder einfache noch perforative, auf-
getreten sind, was für die Behauptung
Brandts spricht, bei frühzeitiger Einleitung
seiner Behandlung werde die Bildung von
Darmgeschwüren aufgehalten, d. h. der krank-
hafte Localvorgang auf die Infiltration des
Drüsenapparates beschränkt. Dass diese
Umgestaltung des örtlichen Verlaufes um-
gekehrt auch auf den Allgemeinzustand, auf
die Umwandlung schwerer Fälle in mittel-
schwere und leichte einwirken muss, ist
selbstverständlich. Nach dieser Vorstellung
dürfte man von einer antityphösen Wirkung
der Bäder reden.
Im Anschluss daran bespricht V. die
Ernährung seiner Typhuskranken: Alle 2
Stunden, nachdem das Bad gereicht ist, giebt
er ihnen sofort eine kleine Menge heissen
Thees mit Cognac und ca. 7* — Vs Stunde
darauf 1 Tasse Bouillon mit Ei, oder Flaum-
suppe (Mehl, Ei, Milch) und setzt dies auch
bei Nacht fort. Sind die Pausen zwischen
2 Bädern länger geworden, so kann zwischen-
durch eine weitere Portion flüssiger Nahrung
(Kaffee mit Milch, Milch, weiches Ei u. s.w.)
gegeben werden. Die ganze reichliche Nah-
rungszufuhr findet ausschliesslich in den
Anfangs zahlreichen iind später grossen
fieberfreien Intervallen statt.
V. bespricht sodann die Betheiligung der
Nieren beim Typhus und ihre Beeinflussung
durch die kalten Bäder. Die Urinmenge
ist vom 2. Tage der Behandlung ab ver-
mehrt, man erhält im Durchschnitt täglich
2900 ccm hellen und klaren Urins. Albumin-
urie trat bei 221 streng methodisch be-
handelten Fällen nur 14 Mal in Form einer
Trübung aus kleinen Flocken ohne nach-
weisbare Formbestandtheile und «war am
ersten oder einem der nächstfolgenden Tage
auf und verschwand mit Eintritt der Polyurie;
sie bestand also nur sehr kurz und sehr
früh, noch bevor der Einfluss der Bäder zur
Geltung gekommen. Ebenso fehlen nephri-
tische Erscheinungen in einer vorgerückteren
Zeitperiode gänzlich. Bei anderer Behand-
lung findet man Albuminurie in 22 — 32 "/o*,
bei stärkerer Albuminurie findet man im
Urin auch Formbestandtheile. V. erwähnt
dann endlich noch, dass die kalten Bader
die acute Schwellung der Milz beschränken,
den Turgor der Haut erhöhen, Mortifications-
vorgänge derselben verhüten und das De-
fluvium capillorum post typhum verhindern.
Absolute Contraindicationen der kalten
Bäder bestehen in Venen thrombose, Perito-
nitis, späten Darmblutungen; eine Indication
für Milderung des Verfahrens bilden Larynx-
und Pleuraaffectionen, wirkliche Schwäche-
zustände; in diesen Fällen ist das
Ziemssen'sche allmählich abgekühlte Bad
zu verwenden.
Da nun kaum mehr eine Meinungs-
verschiedenheit darüber besteht, dass den
Bedingungen grösster Einfachheit und Energie
mit völliger Gefahrlosigkeit durch die
Brand'sche Methode in hervorragendem
Maasse genügt wird, so dürfte sich ihre
Formel für die Behandlung des Abdominal-
typhus normal angelegter Menschen mittleren
Lebensalters zur Aufnahme in die allgemeine
Praxis empfehlen ; für den Typhus im Kriege
wünscht V. ihr eine bindende Bedeutung
zu geben. Herabsetzung der Temperatur
des Bades, sowie Verabreichung der Bäder
schon bei etwas tieferer Körperwärme kön-
nen als Verschärfung der Methode in An-
wendung kommen und in allen Fällen,
wo primäre und secundäre Complicatio-
nen eine Milderung erwünscht machen, steht
die Abkürzung des kalten Bades und dann
das allmählich abgekühlte Bad von von
Ziemssen zur Verfügung.
Bei absoluter Gontraindication jeder
Badeprocedur — zeitlich oder für den gan-
zen Verlauf — ist die medicamentöse Anti-
pyrese unentbehrlich, also nicht als Ergän-
zung, sondern als Ersatz der Hydrotherapie.
Ein exspectatives Verhalten ist Angesichts
der Leistungsfähigkeit der heutigen Therapie
nicht mehr statthaft.
{Separatabdruck au$ dem deutsehen Archiv für kHnitche
Medicin XLllL und XLIV.)
Schmey {Beuihen 0.-8.),
Ueber den Nutzen der Antipyrese. Vortrag auf der
Natarforscher- Versammlung zu Köln, gehalten
von Prof. Thomas (Freiburg).
Vf. wendet sich gegen die Vorwürfe,
welche zur Zeit der antipyretischen Behand-»
Mira 1889. J
Rsfonte.
133
luDgAeberhafterlnfectionskrankheitei) mittelst
innerer Mittel vielfach gemacht werden.
Unangenehme Zufälle seien meistens Folge
einer unTorsichtigen Anwendung übergrosser
Dosen.
Wenn die Gegner der internen Antipyrese
hervorheben, dass die Erankheitsdauer durch
diese Behandlungsweise nicht abgekürzt werde,
dass die internen Antipyretica nur Antither-
mica seien, dass nur die erhöhte Eigenwärme,
nicht aber die sonstigen Symptome des
Fiebers beseitigt werden, so betont Th. diesen
gegenüber den wohlthätigen Einfluss, welchen
die Herabsetzung der fieberhaft gesteigerten
Korpertemperatur auf das subjective Wohl-
befinden und auf die Hirnsymptome ausübe.
Seiner Ueberzeugung nach werde die Recon-
valescenz abgekürzt und der Kranke früh-
zeitiger dem Zustande völliger Gesundheit
zurückgegeben, wenn die Fieberhitze häufiger
erniedrigt, als wenn das Fieber exspectativ
behandelt werde.
Auch die Hydrotherapie wirke nur sym-
ptomatisch und beseitige schwereHimsymptome
nur mittelbar durch Erniedrigung der Eigen-
warme. Daneben werde durch die Hydro-
therapie allerdings noch eine Anregung auf
das Nervensystem ausgeübt, welche durch
gleichzeitige Darreichung nützlicher interner
Antipyretica nicht abgeschwächt werde. Aus
diesem Grunde bevorzugt Th. die combinirte
Behandlung fieberhafter Zustände mittelst
hydropathischer Maassnahmen und interner
Antipyretica.
Im Allgemeinen verfährt Yf. so, dass
Morgens und Abends gebadet wird und vor
und während des Badens Frottirungen und
kalte üebergiessungen gemacht werden. Zu-
weilen wird im Beginne der Nacht noch ein
drittes Bad angeordnet. Bei Kindern soll das
Bad nur lau, nicht kalt sein und durch üeber-
giessungen des Rückens auf 21 — 23^ Reaumur
herabgesetzt werden. Um Mittag herum,
wenn die Temperatur schon wieder bedeu-
tend gestiegen sein sollte, und dann vielleicht
noch einmal, wenn nöthig, am späten Abend
wird die nothwendige Dosis des innerlichen
Fiebermittels gegeben. Von diesen gebraucht
Yf. fast nur Antifebrin und Antipyrin und
wendet neben denselben Excitantien, Wein,
Kaffee, Thee etc. an.
{Jahrbuek f. Ktttderkmlkunde. XXIX. Htft 2 8. 161.)
rd.
Experimentelle Prüfung des Preyer'schen Abküh-
Inngsverfahrens und seine Anwendung bei
Fiebernden. Yen S. Placzek.
Frey er hat im Jahre 1884 eine Methode
veröffentlicht, durch Zerstäubung von Wasser
mittelst eines Sprays auf die Körperober-
fiäche die Temperatur herabzusetzen. Dieses
Yerfahren war von Flashar schon etwas
früher auch beim Menschen angewandt wor-
den. Später, 1886, hat dann Hill er die Ab-
kühlung durch Wasser Verdunstung auf der
Haut, durch Frey er 's Yorschlag angeregt,
zur Behandlung an Hitzschlag erkrankter
Soldaten mit Erfolg verwendet.
Y. benutzte als Yersuchsthiere Meer-
schweinchen und Kaninchen. Es gelang
durch Zerstäubung von 250 — 500 g Wasser
von einer Temperatur von 7 — 16*^ die Tem-
peratur um 2 — 3° zu erniedrigen. Bei
niedrigerer Temperatur des Wassers war auch
der Temperaturabfall ein rascherer und
stärkerer. Die Dauer des subnormalen Zu-
standes betrug 3 — 5 Stunden; das Allge-
meinbefinden der Thiere litt durchaus nicht,
der Appetit blieb rege, die Athmung war
etwas beschleunigt; nur der Puls wurde zu-
weilen klein und weniger frequent. Das
subjective Wohlbefinden zeigte sich auch bei
den Abkühlungsversuchen am normalen Men-
schen und zwar währte das erfrischende Ge-
fühl längere Zeit, als dies gewöhnlich nach
einem Flussbade der Fall zu sein pflegt.
Bei einem fiebernden Thiere gelang durch
Besprühung mit 600 g von 12 — 15° und
gleich darauf folgende Besprühung mit 100 g
von 35° die Herabsetzung der Temperatur
um 2°, die dann allmählich in 3 — 5 Stunden
zur ursprünglichen Höhe anstieg. Durch
das nachträgliche Besprühen mit Wasser von
höherer Temperatur wird eine raschere Er-
weiterung der Hautcapillaren und demgemäss
eine bedeutende Wärmeabgabe erzielt.
In ähnlicher Weise gelang es bei einem
Tuberculosen, der abendliche Exacerbationen
bis 40° hatte, durch Besprühung mit 500 g
Wasser von 15 — 19° unter subjectivem Wohl-
behagen des Patienten die Temperatur zur
Norm zurück zufuhren und entweder sie
4 Stunden auf diesem Standpunkte zu er-
halten, oder nur ein allmähliches Ansteigen,
doch nicht bis zur früheren Höhe zu ge-
statten.
Gegenüber der Bäderbehandlung hat diese
Methode offenbar den Yorzug grösserer Ein-
fachheit und Bequemlichkeit, ein Umstand,
der namentlich für die Privatpraxis von
grÖsster Bedeutung ist. Der Patient bleibt
einfach auf seinem Lager liegen, wird von
seinem Hemde entblösst und ihm zur Yer-
hütung der Bettdurchnässung ein Wachstuch
oder Gummituch unterbreitet; es genügt, den
Patienten mittelst eines gewöhnlichen Sprays
mit '/i 1 von 15 — 18° und dann mit ^4 ^
von 40° zu besprühen. Die Procedur dauert
etwa 25 Minuten, kann daher leicht öfters
am Tage wiederholt werden. Nach kürzerer
134
Referate.
rlierapeutisehe
Honatabefte.
oder längerer Zeit wird Patient wieder ab-
getrocknet und mit dem Hemde bekleidet.
( Virchow't Ai'chiv Bd. 115.) Schmty {Beuthen O.'Sch.).
Zur Therapie der Variola. Von Dr. Alex. Hartge
(Dorpat).
Nach seinen, während der in den Jahren
1887 — 1888 zu Dorpat herrschenden Pockeu-
epidemie gemachten Erfahrungen schlägt Verf.
folgende Therapie der Variola vor: Bei Ver-
dacht auf Pocken, auch wenn noch keine Spur
von Exanthem, dagegen hohes prodromales Fie-
ber Torhanden, zuerst ein Abfuhrmittel, dann
täglich ein oder höchstens zwei lauwarme
Bäder von 26—26° R. zu verabfolgen. Wird
dann die Form der Erkrankung manifest,
so genügen bei Variolois äussere Mittel zur
möglichsten Verhütung von Narben. Es sind
so früh wie möglich kühle Umschläge zu
machen und ausserdem die W ei denbaum^Bche
Salbe anzuwenden (IJngt. einer. 1,0, Sapon.
kaiin. 2,0. Glycerini 4,0). Hierbei tritt
bei den sichtbaren Papeln und Knötchen oft
ein Stillstand ihrer Entwickelungen ein.
Vor zu energischer und zu häufiger Appli-
cation der Salbe ist zu warnen, namentlich
sind allgemeine oder Totaleinpinselungen
des Körpers zu vermeiden, da mercurielle
Stomatitis sich mit den Eruptionen im
Munde unliebsam compliciren kann. Die
Salbe gilt eigentlich nur für das Gesicht;
für Hände und Füsse bewähren sich die
Umschläge.
In Fällen schwerer Erkrankung
machte H. sehr gute Erfahrungen mit lau-
warmen Vollbädern von 25 — 26® R., die
1 — 2 Male am Tage in Anwendung kamen.
Dieselben beeinfiussten den Ausschlag in der
günstigsten Weise und wirkten wohlthuend auf
das Befinden der Krauken. Die Temperatur
sinkt im */* stündigen Bade bisweilen von 40,5
und 41,0 auf 38,0 — 38,5. Der Gebrauch der
Bäder wird fortgesetzt, bis die Temperaturen
spontan sinken. Nach dem Bade wird die
Weiden bäum 'sehe Salbe vorsichtig auf-
gerieben und daneben eventuell noch die
Application von Compressen verordnet.
Innerlich sind Alkoholica, in Form von
Eierpunsch oder Milch mit Cognac zu
reichen. Im Uebrigen ist die Behandlung
eine symptomatische. — Natürlich soll nicht
jeder Pockenkranke ohne Ausnahme gebadet
werden. Wie bei jeder anderen Krankheit
giebt es auch hier gewisse Contra-Indicationen.
{St, Petersburg, med, Wochenschr. 1889. No. 3.) B.
Die Digitalis in der Behandlung der Pneumonie.
Von Petresco.
Verf. hat durch Anwendung der Digitalis
in hohen Dosen in einer grossen Reihe von
Fällen von Pneumonie ausgezeichnete Erfolge
erzielt. Im Allgemeinen wurde ein Infus
aus 4 g fol. Digital., das auf 200 g Flüssig-
keit gebracht worden und dem etwa 40 g
Syrup hinzugefügt war, verwandt. Halb-
stündlich wurde hiervon ein TheelÖffel ge-
geben. Im Allgemeinen erreichte man mittelst
dieser Therapie, dass bereits am 3. Tage
die Krankheit in das Stadium decrementi
eintrat. Gewöhnlich erfolgte auch sehr bald
ein Abfall des Fiebers, sowie Verschwinden
der physikalischen Symptome. — Trotz der
auffallend hohen Dosis wurde eine Intoxi-
cation in keinem Falle beobachtet, obwohl
Verf. 577 Patienten in dieser Weise be-
handelt hat. — Die Mortalitätsziffer betrug
bei dieser Behandlung nur l,2°/o.
(Lyon Jfdd, in The Journal of (he American Auo-
eiaiion IS. Xll 1888.) H. LohmaUin ißerUn).
(Ana der Uniyenitäts-PoUklinik des Herrn Prof. Dehio io
Dorpat.)
Zur subcutanen Blutinjectton nach der von
Ziemssen'schen Methode. Von Dr. H. West-
phalen (Dorpat).
Verf. berichtet über einen in der Poli-
klinik des Prof. Dehio beobachteten Fall
von schwerer essentieller Anämie, der
namentlich in therapeutischer Hinsicht Be-
achtung verdient. Es handelt sich um einen
bereits sehr heruntergekommenen 36-jährigeu
Mann, Maurer, bei dem das Vorhandensein
eines Botriocephalus latus allenfalls die An-
nahme einer secundären Anämie hätte
zulassen können. Da aber nach Abtreibung
des Bandwurmes keine Wendung zum Besseren
eintrat, schien die Diagnose einer primären
progressiven Anämie nur noch an Boden zu
gewinnen. Nachdem die Medication mit
Liquor ferri dialysati nicht die geringste
Besserung gebracht hatte, beschloss man eine
subcutane Bluttransfusion nach v. Ziemssen
(v. Ziemssen: Klinische Vorträge, II. Abth.,
2. 1887) oder wie sie Ewald der Einfach-
heit wegen nennt, die subcutane Blutinjec-
tion auszuführen. — Die Operation wurde
in der Weise ausgeführt, dass zunächst einem
Studenten durch Aderlass ca. 150 ccm Blut
aus der Vena mediana entnommen und in
einem Glasgefässe aufgefangen wurden. Das
Blut wurde durch Quirlen mit einem Glas-
stabe defibrinirt, zur Entfernung grösserer
Fibrinflocken durch ein Stück Marly durch-
gelassen und mittelst einer 5 ccm fassenden
Spritze unter die Haut beider Oberschenkel
injicirt, derart, dass je an einer Stelle
20 — 30 ccm eingespritzt wurden. Hierauf
energische Massage bis zum völligen Ver-
schwinden der Blutbeulen. Das Blut wurde
gut resorbirt und unangenehme Nebener-
scheinungen (wie Albuminurie, H&moglobin-
ni. Jahrgang.l
Hins 188!). J
Referat«.
135
urie, Temperatursteigerung) blieben aus.
In dem Befinden des Fat. machte sich eine
deutliche, allmählich fortschreitende Besse-
rung bemerkbar, die sich auch in einer er-
heblichen Zunahme der rothen Blutkörperchen
documentirte. Vor der Operation waren
840,000, eine Woche nach derselben 1,240,000
rothe Blutkörperchen in 1 Cubikmillemeter
Blut gezählt worden. Durch die Injection ge-
sunden Blutes durfte in diesem Falle ge-
wissermassen der Anstoss zu einer Besse-
rung des Pat. gegeben worden sein, welche
sich schon nach einer Woche geltend machte
und nach einem Monat einer Heilung
gleichkam.
{8l PeUnburg. tned, Woehensekr, 1889, No. 2.) R.
Ueber die Aufhängungsmethode (Suspension) bei
der Behandlung der Tabes dorsualls und
einiger anderer Krankheiten des Nerven-
systems. YoQ J. M. Charcot (Paris).
Die Methode der Aufhängung, deren sich
Sajre zur Anlegung eines Gypscorsets be-
dient, wurde schon im Jahre 1883 von
Motchoukowsky in Odessa mit günstigem
Erfolge bei Tabes angewandt und die er-
zielten Resultate in einer Broschüre ver-
öffentlicht. Letztere ist zu Charcot^s Er-
staunen ziemlich unbemerkt geblieben; er
selbst erhielt im vorigen Jahre von ihr
Eenntniss und beschloss nun eine Nach-
prüfung der dort gemachten Angaben.
Er bediente sich folgender Methode:
Es wurde mit einer Aufhängung von der
Dauer einer halben Minute begonnen. Die
Sitzung wurde alle 2 Tage vorgenommen und
die Dauer derselben um je eine halbe Minute
bis zu vier Minuten gesteigert. Alle 15 — 20
Secunden wird der Zug auf die Wirbelsäule
durch Erheben der Arme gesteigert. Zu
einer Cur gehören 20 — 30 Sitzungen.
Bei 14 Tabetikern wurde das Verfahren
angewendet und bei 8 eine ganz erhebliche
Besserung, bei dem Rest jedenfalls eine Ver-
minderung der Beschwerden, erzielt. Gleich
nach der ersten Sitzung wurde den Patienten
das Gehen leichter, die Bewegungen coor-
dinirter, eine Besserung, die zunächst eine
Stunde, später dauernd anhielt. Nach 20 — 30
Sitzungen verschwand das Romb er g^sche Phä-
nomen. Dann wurden nach einander dieBlasen-
storungen und die lancinirenden Schmerzen
vermindert, das Allgemeinbefinden besserte
sich, und schliesslich kehrte die verloren
gewesene Potenz wieder. Patellarrefiexe
und Pupillarreaction stellten sich niemals
wieder ein!
Schliesslich hat Gh. dieselbe Methode
noch bei einem 13jährigen Mädchen mit
Friedreich ^scher Krankheit und 2 impo-
tenten Neurasthenikem ebenfalls mit gutem
Erfolge versucht.
Gh. giebt zu, dass diese Methode noch
längerer Nachprüfung bedarf und fordert
dazu auf unter dem Hinweise, dass die Be-
handlung niemals den Patienten irgendwie
unangenehm gewesen ist.
(Le Progrh Medical 1889. No, 3.)
M, Cohn {Btrlxn).
Vergleichende Betrachtungen Aber den therapeu-
tischen Werth der Tracheotomie und der In-
tubation beim Croup (nach einem auf der
JahressitzuDg der American Sargical Associ-
ation zu Washington 20. Sept. 1888 gehaltenen
Vortrage) von Dr. W. G. Gay.
Bei der täglich wachsenden Bewegung
zu Gunsten der Intubation beim Group im
Gegensatz zu der früher in analogen Fällen
gemachten Tracheotomie, hat Verf. es sich
zur Aufgat)e gemacht, die Indicationen und
Gontraindicationen der beiden Operationen
mit einander zu vergleichen. Bis jetzt ist
der Procentsatz der nach Intubation beob-
achteten Heilungen noch immer etwas geringer
als nach Tracheotomie (26 resp. 29 °/o).
Indessen ist bei der geringen Anzahl bereits
ausgeführter Intubationen ein abschliessen-
des Ürtheil hierüber noch nicht zu fällen,
da die Vervollkommnung in der Technik
noch täglich Fortschritte macht. — Im All-
gemeinen sind gegenwärtig die Schwierig-
keiten beider Operationen ziemlich gleich,
besonders wenn es sich um Kinder unter
3 — 4 Jahren handelt. Die Gefahren sind
bei der Tracheotomie wohl grösser als bei
Intubation. Im Wesentlichen bestehen sie
in Blutung und Gollaps, bei der Intubation
darin, dass die Membranen weiter in den
Kehlkopf hinausgestossen werden und so die
Trachea gänzlich obstruiren können.* Ausser-
dem kann bei schwachen Kindern in Folge
vergeblicher Versuche, die Tube in die Trachea
hineinzuschieben, sehr leicht während der
Intubation Gollaps eintreten. Um einen
einigcrmassen günstigen Ausgang garantiren
zu können, braucht man zwei geschulte
Assistenten, während die Tracheotomie mit
Hilfe eines Assistenten mit einiger Sicher-
heit ausgeführt werden kann. Die Nach-
behandlung dagegen erfordert bei der Trache-
otomie ungleich grössere Sorgfalt, als bei
der Intubation, da bei der ersteren stets
die Gefahr des Oollapses, selbst nach Siche-
rung der Luftwege weit grösser ist als nach
der Intubation. Von secundären Erkran-
kungen der Luftwege ist die hauptsächlichste
die Lungenentzündung nach beiden Opera-
tionen gleich häufig zu beobachten. —
Verf. gelangt schliesslich zu folgenden
Schlüssen: 1. In allen Fällen von Group
136
Roformte.
tTherapeatiwhft,
ICoDaUheflei
soll man die Intubation versuchen. 2. Vor-
zuziehen ist sie stets dort, wo die Nachbe-
handlung nicht vom Arzte persönlich geleitet
werden kann. 3. Die Tracheotomie ist in
denjenigen Fällen augezeigt, in welchen aus
irgend einem Grunde die Intubation nicht
durchführbar ist. Im Wesentlichen also
dort, wo die Röhre häufig hinausgeschleudert
wird; oder in denjenigen Fällen, in welchen,
während dieselbe im Kehlkopf liegt, eine
Ernährung des Patienten nicht ausgeführt
werden kann. 4. In allen Fällen muss man
neben den zur Intubation nöthigen Instru-
menten auch das Tracheotomiebesteck zur
Hand haben.
{Med, and Surgical Reporter, 20, Oetob. 1888.)
H. LohnsUin. {Berlin.)
(Ana der chlr. Klinik ku Freibarg 1. Br.)
lieber kflnstliche Ueberhflutung offener inope-
rabler Krebse. Von Prof. Dr. P. Kraske.
Ausgehend von der Erwägung, dass bei
offenen, inoperablen Carcinomen die Jauchung
am meisten belästigt und das Leiden so un-
erträglich macht, hält Verf. für ein palliativ
sehr wirksames Mittel die künstliche
Ueberhäutung der Geschwürsfläche.
Dieselbe kann sowohl durch gestielte
Lappen der Nachbarhaut, als auch durch
Reverdin^sche oder Thiersch'sche Trans-
plantationen bewerkstelligt werden, was
Verf. an 3 beschriebenen Fällen erläutert.
Die Lappen oder Läppchen heilen auf der
frischen Schnittfläche des Carcinoms unter
aseptischen Cautelen meistens per primam an.
Verf. nimmt an, dass bei dieser Wundheilung
sowohl das Gewebe der aufgepflanzten Haut,
als auch die krebsige Wundfläche activ be-
theiligt sind.
(MSnch. med. Wochensekr. 1889. No. 1.)
Freyer {SUUin).
Zur Frage der Ueberhäutung inoperabler Krebs-
geschwOre. Vou Dr. Carl Lauen stein zu
Hamburg.
Im Anschluss an Kraske^ s Aufsatz über
denselben Gegenstand berichtet Verf., dass
bereits von Eugen Hahn (üeber Trans-
plantation von carcinomatöser Haut. Berl.
klin. Wochschr. 1888. No. 2) die Betheiligung
des Carcinom- Gewebes an dem Anheilungs-
vorgang der aufgepflanzten Hautstückchen
nachgewiesen sei. Verf. hat nun, angeregt
durch eine Notiz, nach welcher Prof. Lucae
ein Epitheliom des äusseren Gehörganges
durch fortgesetztes Aufstreuen eines Pulvers
von Sabina u. Alum. ust. zu gleichen
Theilen zur vollständigen Heilung gebracht
hätte, die letztere Behandlung bei einem
ulcerirten Brustkrebs ebenfalls zur Anwen-
dung gebracht und deo selben sich zum
grössten Theile narbig schliessen gesehen.
Auch daraus geht die active Betheiligung
des Ejrebsgewebes an dem Heilungsprocess
unzweideutig hervor.
{Atünch. med. Wochenechr. 1889. No. 3.)
Freyw {SieUin).
Der gegenwärtige Stand der Antisepsis. VI. Die
Fraffe der Antiseptica vom Standpunkte der
ärztlichen Landpraxis. Von Dr. Anton Ritter
von Trentinaglia-Telvenburg in Pfunds
(Tirol).
Verf. betont, dass auch in der Landpraxis
selbst bei subtilen Verletzungen und Wunden
mit einfachstem Verband antiseptischer Natur
die glänzendsten Resultate zu erzielen seien,
es komme nur darauf an, wie „gewissenhaft^
der Operateur zu Werke gehe. Zu jenem
einfachsten Verbände gehören destillirtes
Wasser, Gaze-Streifen und Binden, Seide oder
feiner Silberdraht und endlich Jodoform und
Sublimat. Doch müssen sowohl Ver-
bandstoffe, als auch Instrumente jedes-
mal vor dem Gebrauch durch Kochen
von Neuem sterilisirt werden. Ihr
blosses Waschen mit Carbol- oder Sublimat-
lösung genügt nicht! Verf. verwirft daher
ebenfalls Catgut und imprägnirte Verband-
stoffe und verlangt eben an deren Stelle
Momentansterilisirung.
{Wtemer med. Presse 1888. No. S3.)
Preyer {atelün).
Die Herstellung künstlicher Muttermilch aus Kuh-
milch. Von Dr. Schmidt- Mühlheim.
Während mao früher annahm, dass die
Frauenmilch in ihrer Zusammensetzung nur
geringe Unterschiede von der weit besser
erforschten Kuhmilch zeige, dass sie wie
diese beiläufig 3 «/o Eiweiss, 3—4% Fett
und 4 — 5 °/o Milchzucker enthalte, ist neuer-
dings festgestellt worden, dass die colostrum-
freie Frauenmilch einen Eiweissgehalt von
durchschnittlich nur 1 % besitze, dass der
Gehalt an Milchzucker dagegen etwa 6 bis
8%, der an Asche aber nur 0,25% be-
trage, während der Fettgehalt grössere,
zwischen 1,2 und 10% liegende Schwan-
kungen erkennen lässt. Frauenmilch ist also
eiweissarm und milchzuckerreich, Kuhmilch
milchzuckerarm und eiweissreich ; das Ver-
hältniss des Eiweisses zum Milchzucker be-
trägt in der Frauenmilch 1 : 6, in der Kuh-
milch aber nur 1 : 1%. Bis jetzt glaubte
man die Kuhmilch zur Säuglingsernährung
durch Herabsetzung des Eiweissgehaltes ver-
bessern zu müssen und hat die Kuhmilch
deshalb verdünnt und derselben zur Er-
höhung des Gehaltes an stlckstof^eien
i
Man 1889. J
Referate.
137
Nährstoffen Milchzucker und AehnUches zu-
gesetzt. Dadurch wurde aber der beabsich-
tigte Zweck niemals erreicht, der Nährstoff-
gehalt dieser Kuhmilch blieb ein geringer,
die Säuglingskost wurde zu Yoluminös und
zu viel Wasser in den kindlichen Organis-
mus eingeführt.
Nach den Versuchen des Verf. erhält
mau eine Ueberein Stimmung der Kuhmilch
mit der Frauenmilch sehr einfach dadurch,
dass man die erstere statt mit Wasser mit
einer 11 — 12% Milchzuckerlösung versetzt;
giebt man zu 1 Volumen Kuhmilch 2 Vo-
lumina einer 11 ^/o Milchzuckerlosung, so
erhält man eine Flüssigkeit, welche enthält
1 % Eiweiss, 1,2 % Fett, 8,9 % Milchzucker
und 0,2 ^/o Asche, d. h. also ein Product,
das der Frauenmilch sehr ähnlich ist und
auch wie diese in feinkornigen Massen ge-
rinnt. Verf. empfiehlt die Herstellung sol-
cher Milchzuckerlösungen der grösseren
Sicherheit halber fabrikmässig betreiben zu
lassen.
{Archiv /. atumaUtche NakrungsmUtelkunde 1889 Januar.)
Goldtckmidt (Nürnberg).
Ein Fall kfiostlicher Frühgeburt wegen Oedema
pulmonum; Erweiterung des Gebärmutter-
halses vermittelst des Braun'schen Kolpeu-
rjmters. Von Dr. B r a a n - Krakau.
B. sah sich bei einer Kreissenden mit chro-
nischer Nephritis und beginnendem Lungen-
ödem zur Hervorrufung künstlicher Frühgeburt
genöthigt, jedoch die verschiedensten Mittel
hierzu brachten es nur dahin, dass die Cervix
für einen Finger durchgängig wurde. Die
Kräfte der Kranken sanken während dessen
so sehr, dass das Absterben der Mutter zu
befurchten war und alles zur Sectio caesarea
post mortem vorbereitet wurde. Im Bewusst-
sein, dass nichts mehr zu verlieren war, ent-
schloss sich B. zu einem äussersten Versuch
der Erweiterung des Gebärmutterhalses: er
führte einen um seine Achse gewickelten,
gut gereinigten Kolpeurynter durch die Cer-
vix in den Uterus, füllte denselben mit
Wasser, bis er kleinfaustgross war, und zog
ihn während einer Wehe, indem der Hahn
geöffnet war, langsam und vorsichtig heraus.
Nach 4 — 5 maliger Wiederholung dieser
Manipulation im Laufe von 2 Stunden fand
er den Muttermund so erweitert, dass die
Hand eingeführt, die Wendung und Extrac-
tion ausgeführt werden konnte. Der Fall
verlief günstig, das asphyktische Kind kam
bald zu sich, die Mutter kam am 4. Tage
des Wochenbetts nach Darreichung von Ana-
leptica, Schröpfköpfen etc. zu sich und ver-
liess am 14. Tage, nachdem die Oedeme
zurückgegangen waren, die Klinik.
{Centralblf. GifnaekoL No. 4L)
Landsberg {Stettin).
Ueber das Hydroxylamin, als neues, wichtiges
dermatotherapeutisches Heilmittel. Von Dr.
Eich hoff (Elberfold).
Bei Einverleibung des Hydroxylamins
in das Blut entsteht Methämoglobin ohne
Gefährdung für das Versuchsthier; bei
grösseren Gaben als 0,01 auf 1 Kilo Körper-
gewicht tritt Blutharnen ein. Femer wirkt
es als Narcoticum auf die Nervencentren
wahrscheinlich durch das im Blut sich
bildende Stickoxydul. Durch das starke
Reductionsvermögen ist es ein heftiges Gift
für niedere Organismen und daher für die
Hauttherapie sehr zu empfehlen und zwar
gegen Mykosen und bacilläre Erkrankungen
der Haut. Verf. hat bisher folgende Form
versucht:
^ Hydroxylam. hydrochlor. 0,1
Spirit. vin.
Glycerin. ok 50,0
S. Aeusserlich.
Mit dieser Lösung werden die jedes Mal
vorher mit Kaliseife gewaschenen kranken
Hautstellen täglich drei bis fünf Mal be-
pinselt. Die alkoholische Lösung dringt
schneller und tiefer in die Haut ein als etwa
die Salbenform. Man sei vorsichtig mit
Anwendung stärkerer alkoholischer Lösungen
als l^/oo> Verf. hat bisher Patienten mit
; dem Hydroxylamin behandelt, die an Lupus
I vulgaris, Herpes tonsurans capilliti, Sykosis
[ parasitaria faciei litten; besonders beim
Lupus waren die Erfolge ausgezeichnet.
Die Anwendung des Mittels würde sich
ferner empfehlen bei Psoriasis und parasitären
seborrhoischen Ekzemen. Vielleicht hätte
es auch bei der Lepra (mit und ohne gleich-
zeitigen Gebrauch der Chlor-, Jod- oder
Brompräparate) und bei Lues günstigen
Erfolg. Verf. räth zu weiteren Versuchen
mit dem Hydroxylamin in diesen Richtungen
auch besonders der Billigkeit des Präparates
wegen. (Ueber das chemische Verhalten
s. d. Heft, S. 124 Red.)
{Monateh- f. pract. Dermat. 1889 No. l.)
George Meyer (BerUn).
18
138
Toxikologie.
rTherapeatlBche
L MonaUhefte.
Toxikologie.
Ueber die Giftwirkung des Extractum Filicis
maris aethereum* Im Anschlass an einen
Fall von Vergiftung mit diesem Präparate.
Von Dr. M. F r e y e r , Kreisphysikus zu
Stettin.
[Schlust.J
In meinem Falle bot der Sectionsbefund
ebenfalls eine BlutüberfuUung fast sämmt-
lieber Organe dar. Das Herz enthielt in
allen vier Höhlen tbeils flüssiges, tbeils ge-
ronnenes dunkles Blut in grosser Menge,
im linken Yentrikel ein Speckgerinnsel, die
Lungen waren in ihren oberen Partien noch
blutreicher, als in den unteren, und im Ge-
hirn'waren'sämmtliche venösen Gefässe stark
blutgefullt. Der Magen enthielt einen dünn-
flüssigen goldgelben Inhalt mit stark wür-
zigem (Moschus-) Geruch'^), auf seiner
Schleimhaut kreuzten sich vielfach rothe,
bis einen halben Centimeter breite Streifen,
die eingeschnitten die ganze Schleimhaut-
schicht gleichmässig roth durchtränkt er-
kennen Hessen, während in der Submucosa
stark erweiterte und gefüllte Blutgefässe zu
bemerken waren, desgleichen ebenso be-
schaffene Gefässe in zahlreicher Menge au
der Aussenfläche des Magens Ton der gros-
sen Curvatur nach den beiden Seitenflächen
desselben hinzogen. Die Schleimhaut des !
Darmes endlich war stellenweise heller, |
stellenweise dunkler roth gefärbt und be-
sonders intensiv roth über den geschwellten
SolitärfoUikeln und Pey er 'sehen Drüsen-
haufen.
Bei den Kaninchen, an denen Quirll ex-
perimentirt bat, ergab die Section ebenfalls
durchweg venöse Stauung fast in allen Or-
ganen, insbesondere in den Mesenterial-
gefässen, während die Schleimhaut des
Magens und Darmes eine bald leichtere,
bald stärkere Röthung und hie und da
kleine Petechien zeigte. Ein entzündlicher
Process konnte in den Nieren nicht nach-
gewiesen werden.
Somit sehen wir die directe Wirkung
des Mittels auf die Magen- und Darm-
schleimhaut über eine katarrhalische Reizung
derselben nicht hinausgehen; nur hin und
wieder kommt es zu petechialen Extra-
vasationen, dagegen tritt deutlich eine venöse
Stauung in fast allen Organen zu Tage.
Dieser Befund hat selbstverständlich nichts
Pathognomones an sich; derselbe entspricht
vielmehr nur derjenigen Einwirkung des
^^) Das Kind hatte kurz vor dem Tode Mo-
schttstropfen erhalten. D. Verf.
Mittels, die von demselben zu erwarten war,
nämlich der local irritirenden und der unter
Collaps allmählich lähmenden. Je nach der
Stärke der Irritation ist es bald nur zu
hyperämischer Röthung der Magen- und
Darmschleimhaut, bald zu Petechienbildung
gekommen, während die lähmende Wirkung
zu jener, in einzelnen Organen mehr, in an-
deren weniger stark ausgesprochenen venösen
Stauung geführt hat.
Der charakteristische Geruch nach Extr.
Filic. war in meinem Falle durch den
Moschusgeruch verdeckt; in den anderen
Fällen ist von einem charakteristischen Ge-
rüche nichts berichtet.
Die Farbe des Mageninhalts war in
meinem Falle goldgelb, in dem amerikani-
schen dunkelbraun.
Eine chemische Untersuchung ist
nur in meinem Falle und zwar durch den
gerichtlichen Chemiker Dr. Bischoff zu
Berlin angestellt worden. Dieselbe ergab
für die Excremente, die unmittelbar Tor
dem Tode von dem Kinde entleert worden
waren, noch die Anzeichen für die Gegen-
wart von Extr. Filic. durch charakteristi-
schen Geruch und Chlorophyllfärbung der
Aetherauszüge, sowie von Ol. Ricini, indem
nach dem Verdunsten der Aetherauszüge ein
in Alkohol relativ leicht lösliches Fett
zurückblieb. Aus den Leichenth eilen
dagegen, die erst 17 Tage nach der Section
zur Untersuchung gelangten, konnte theils
in Folge von Zersetzung durch Fäulniss,
theils Mangels genügender C harakt er isir bar-
keit irgend ein specifischer Stoff überhaupt
nicht mehr dargestellt werden. Sie ent-
hielten nur Basen, die den Fäulnissbasen
glichen, ohne dass charakteristische Pflanzen-
basen in ihnen aufzufinden gewesen wären.
Die giftig wirkende bez. letale Dosis
des Extr. Filic. schwankt in den beobach-
teten Fällen ganz bedeutend. Schwerere
Vergiftungserscheinungen sind nach Obigem
bei Erwachsenen nach 4, 7, 10 resp. 17 g,
bei einem 7 jährigen Knaben nach 3,6 g
aufgetreten, während der Tod bei dem 30-
jährigen Manne in Amerika nach 43,2 g,
bei dem 2 ^/^ jährigen Kinde nach 8 g er-
folgte. Die dem Experiment unterworfenen
Kaninchen starben nach 2,5 bis 5 g.
Zunächst ist es eine bekannte Erfahrung,
dass das Extr. Filic. in seiner Wirksamkeit
schwankt, je nachdem es frisch oder alt
oder aus frischen bezw. alten Wui^eln be-
Min 1889. J
Toxlkologii
139
reitet ist. Auch auf die Gegend, aus der
die Wurzel herstammt, kommt es an, da
der Liyländer College, der schon nach 4 g
jene schilferen Vergiftungserscheinungen an
sich selber beobachtete, fand, dass die zu
Wolmar in Livland sehr häufig vorkom-
mende Wurzel ein ganz unvergleichlich wirk-
sameres Präparat liefert. Nach den Ex-
perimenten QuirlTs scheint auch die Con-
sistenz des Extractes eine Rolle zu spielen,
da das mit Provenceröl verdünnte Extract
schneller wirkte, als das reine Präparat.
In den oben angeführten Fällen kam es
theils rein, theils vermischt zur Anwendung,
und zwar in dem Bayerischen Falle in
Verbindung mit einem anderen Extracte, in
dem todtlich verlaufenen amerikanischen
' Falle in Form einer dünnen Emulsion
(43,2:115,2) und bei dem Kinde zu glei-
chen Theilen mit Ol. Ricini. Auf die letz-
tere Art der Präparation will der betreffende
Verkäufer des Mittels durch eine Notiz auf-
merksam geworden sein, die auf der vor-
jährigen Naturforscherversammlung zu Wies-
baden bekannt gegeben worden sein soll,
wonach das Extr. Filic, mit Ol. Ricini zu-
sammengemischt, erheblich wirksamer sein
sollte"). Das scheint sich denn auch in
unserem Falle — leider zum Unheil — be-
währt zu haben, indem das Kind etwa
3 Wochen vorher, wie es scheint, die dop-
pelte Quantität des reinen Extractes ohne
erheblichere Nebenwirkungen vertragen hat,
während es nach den zu gleichen Theilen
mit Ol. Ricini vorher verriebenen 8 g sofort
die oben geschilderten Vergiftungserscheinun-
gen darbot und innerhalb 24 Stunden zu
Grunde ging. Quirll hat ferner bemerkt,
dass in zwei Fällen seiner Versuche, in
denen nach der ersten Dosis keine beson-
dere Wirkung eingetreten war, nach der
zweiten Dosis die Wirkung desto rascher
eintrat, woraus er folgern möchte, dass die
toxische Substanz nur langsam aus dem
Organismus ausgeschieden werde, in dem-
selben also lange verweile und daher die
Wirkung der zweiten Portion cumulire.
Aehnliche Folgerungen konnten wohl auch
aus dem Bayerischen und den beiden todt-
lich verlaufenen Fällen gezogen werden.
Der Umstand ferner, dass bei dem hier
beobachteten Kinde weder Erbrechen noch
Diarrhoe eintraten, kann jedenfalls der Re-
sorption des Stoffes und der dadurch be-
dingten stärkeren Giftwirkung nur Vorschub
geleistet haben. Schliesslich bilden Alter,
Constitution u. dergl. selbstverständlich mit-
*') Ich konnte diese Notiz in dem Tafi^ebuch-
blatt der betr. Natorforschervers. nicht auffinden.
D. Verf.
wirkende Factoren, wobei man sich daran
zu erinnern hat, dass Kinder in den ersten
Lebensjahren, wie gegen Narcotica, so auch
gegen andere Pflanzengifte, ganz besonders
leicht reagiren.
Ueber das wirksame Agens in dem
Präparat vermögen weder die angeführten
Fälle, noch die angestellten Experimente
Aufschluss zu geben. Wird man dasselbe
erst kennen, dann wird man auch in der
Lage sein, die Dosis stricter abzumessen
und Unglücksfälle eventuell zu verhüten.
Ein Fall von Kaffeevergiftung von Dr. Max Co hn
in Berlin.
Im Aprilheft des vorigen Jahrganges
dieser Zeitschrift wurde von Glogauer ein
Fall von Kaffeevergiftung mitgetheilt. Ich
möchte heute über einen jenem ähnlichen
berichten.
Am 3. Februar, Abends 10 Uhr kam ein
Mann zu mir, der folgende Angaben machte:
Er habe sich Nachmittags 4 Uhr, da seine
Frau krank sei, selbst Kaffee gekocht und
zwar habe er eine Handvoll Kaffee genommen
und davon einen Aufguss von einer Tasse
bereitet. Da ihm dieses Getränk sehr be-
hagte, hat er sich gleich darauf in derselben
Weise noch eine Tasse gekocht. Zwei
Stunden später bekam Pat. Schwindel und
Kopfschmerz; es trat Zittern auf, beginnend
an den Füssen und sich dann über den
ganzen Körper verbreitend. Dazu gesellte
sich in den nächsten Stunden Röthe im Ge-
sicht, Herzklopfen, Angstgefühl, Brechreiz.
Pat. hat dann auch um ^j^lO Uhr erbrochen,
fühlte sich aber darauf so matt, dass er be-
schloss, ärztliche Hülfe aufzusuchen.
Pat., ein 39 jähriger ausserordentlich
kräftig gebauter Mann, zeigt als auffallendstes
Symptom ein heftiges Zittern des ganzen
Körpers. Ganz besonders war dies an den
Händen ausgeprägt, aber auch der Kiefer
zitterte so stark, dass die Sprache des Pat.
undeutlich wurde. Das Gesicht war stark
geröthet, die Stirn von Schweiss bedeckt.
Ausgesprochene Präcord ialangst. Herztöne
laut und klappend, aber rein. Puls 100,
Pulswelle hoch, Radialis ausserordentlich
9tark gespannt. Pat. giebt noch an, er habe
sehr häufig Urin lassen müssen; derselbe sei
klar, von hellbrauner Farbe gewesen.
Ich gab dem Pat. zwei Dosen Bromkali
ä 2 gr und traf einige diätetische Maass-
nahmen. Er verbrachte dann eine unruhige
Nacht, träumte sehr lebhaft und fühlte sich
beim Erwachen noch etwas matt, auch be-
stand noch leichtes Zittern der Hände, wäh-
rend alle übrigen Symptome verschwunden
18*
I
L
140
Toadkolofl«.
rrhttrspetttlMha
L Monaliheft«.
-waren. Erst allmählich wichen in den näch-
sten Tagen die letzten Spuren der Intoxi-
catiou. — Eine nachträgliche Berechnung
ergab, dass Fat. im Ganzen 5 Loth Kaffee
verbraucht hatte.
Vergiftung durch die Speiselorchel (Helvella
culenta) in Folge von Ptomal'nbildung. Von
Jonquiere, Studer, Demme, Berliner-
blau.
Nach dem dreimaligen Genuss in einer
Fleischsauce gekochter und vorher mit sehr
heissem Wasser drei- bis sechsmal ausge-
waschener Schwämme, die in getrocknetem
Zustande unter dem Namen „Morcheln^ ge-
kauft waren, traten bei Dr. Jonqui^re
jedesmal Krankheitserscheinungen auf, die
erst bei dem letzten Male den Verdacht
einer Pilzintoxication erweckten. Die Sym-
ptome zeigten sich 5 — 8 Stunden nach der
Einführung der „Morcheln" und bestanden
in Bauchschmerzen, welche ungefähr dem
Querdarm entsprachen, mit Angstgefühl so-
wie Beklemmung verbunden waren, und in
bald eintretendem vollständigen Tenesmus;
nach etwa einer halben Stunde wurde Uebel-
keit verspürt, der bei dem ersten und dritten
Male heftiges Erbrechen folgte. Puls. (80
bis 96 Schläge in der Min.) war etwas be-
schleunigt. An den Pupillen wurde in Bezug
auf Grösse und Reaction nichts Auffallendes
bemerkt; der Urin zeigte kein abnormes
Verhalten. Spastische Erscheinungen und
vermehrte Thränenabsonderung wurden nicht
beobachtet. In den ersten zwei Tagen war
der geformte imd etwas träge Stuhl fast
weiss und bekam erst nach 8 Tagen seine
normale Farbe wieder. Die Erholung ging
ziemlich rasch von Statten, nur blieb der
Appetit während mehrerer Tage geschwächt
und es schien, als ob Magen und Darm
seitdem für Manches empfindlicher und
weniger verdauungsfähig waren.
Nach den Angaben von Lenz und
Krombholz musste das Vergiftungsmaterial
als Helvella suspecta Ejombh. angesehen
werden; indess konnte die Vergiftung nicht
auf die von Böhm und Külz aus Helvella
esculenta isolirte Helvellasäure zurückgeführt
werden, weil die Pilze bereits zu alt waren
und nach Ponfick getrocknete Lorcheln ihre
deletären Eigenschaften nach vier Monaten
verlieren. Während nun das corpus delicti
bei physiologischen Versuchen entschieden
giftige Wirkung entfaltete, zeigten Proben
von Helvella esculenta, die sich durchaus
nicht von jenen Pilzen unterschieden, keine
giftigen Erscheinungen. Dieser Gonflict liess
sich nach genaueren Erhebungen durch das
Ergebniss beseitigen, dass Helvella escul*
und suspecta ein und dasselbe Product
seien, dass die eigen thümliche Feuchtigkeit
in allen Theilen der letzteren das für sie
Gharakteristische bilde und die leichtere
Schimmel bildung ermögliche, dass Helvella
Susp, nicht mehr als Species zu betrachten
sei und der hier in Frage kommende Pilz
H. esculenta ist. Nur blieb noch übrig, die
temporäre Giftigkeit zu ergründen.
Ein Decoct (von dem Reste der von Dr.
Jonquiere bezogenen Sendung) in einer
Goncentration von 50:250 g Wasser wurde
in dem pharmakologischen Institute in Bern
zu pharmakologisch- toxikologischen Unter-
suchungen verwendet. Bei langsamer Ver-
giftung (5 reiterirte subcutane Einspritzungen
von 0,1 g des Decoctes) und bei schneller
(einmalige subcutane Dose von 0,5) zeigten
sich dieselben, nur zeitlich differenten Er-
scheinungen bei Fröschen, zunächst ein der
Gu an idin Wirkung ähnliches, über sämmtliche
Skelettmuskeln verbreitetes Muskelflimmern
mit vorübergehend stärkeren fibrilläreu
Muskelzuckungen, dann der Gurarewirkung
analoge Lähmungserscheinungen im Gebiete
der motorischen peripherischen Nervenendi-
gungen, endlich Stillstand des Herzens in
Diastole, der durch Atropin aufgehoben
werden konnte. Auf grössere einmalige
Gaben von 1,0 und darüber traten kurz
dauernde allgemeine tetanische Krämpfe und
in 4 bis 5 Minuten Stillstand des Herzens
in Diastole ein.
Die Versuche bei den Warmblütern er-
gaben eine heftige Wirkung bei Katzen und
Kaninchen (0,5 g Decoct auf 1 kg Thier),
weniger ausgesprochen bei Hunden, keine
nennenswerthe bei Meerschweinchen. Die
Zunahme der Speichelsecretion, die Pupillen-
verengerung und Dyspnoe, die zum Erbrechen
und stürmischen Darmausleerungen führen-
den tetanischen Gontractionen des Magens
und Darmrohres (besonders bei Hunden und
Katzen), die allgemeinen tetanischen Muskel-
krämpfe, sowie der durch Reizung der Herz-
hemmungs-Vorrichtungen hervorgerufene Herz-
stillstand in Diastole sprachen dafür, dass
es sich hier um die Wirkung eines in den
betreffenden Exemplaren von Helvella es-
culenta unter günstigen Verhältnissen zur
Entwicklung gekommenen Fäulnissalkaloides
(Ptomaines) und zwar wahrscheinlich des
Neurins (Brieger) gehandelt habe. Eine
Analogie der Wirkung mit dem von Böhm
in Boletus lucidus und Amanita pantbeiina
enthaltenen Gholin liess sich nicht völlig
durchführen. Versuche mit dem getrockneten
und fein pulverisirten Decoctruckstande
führten zu keinem irgendwie verwerthbaren
Resultate.
IIL JalirgaBf.1
Min 1889. J
Toxikologie. — Litteratur.
141
Berlin erb lau isolirte aus den wässerigen
und alkoholischen Auszügen des Yergiftungs-
materials Trimethylamin und Neurin oder die
Vinyltarimethylammoniumverbindung , welche
letztere aus dem Cholin durch Wasser-
abspaltung entstehen kann, und zwar nach
B/s Meinung in Folge physiologischer Pro-
cesse etwa wie das Brieger'sche Tetanin,
das auf Rindfleisch durch Culturen der Te-
tanus erzeugenden Bacterien gebildet wird.
Hiernach ergiebt sich die practisch so
grosse Wichtigkeit beanspruchende Thatsache,
das8 die Gefahr bei Genuas namentlich von ge-
trockneten Schwämmen eine doppelte sein kann:
die eine rührt von der Verwechslung der essbaren
mit den giftigen her, die andere aber von den
Zersetzungsproducten der an und für sich ess-
baren Schwammarten; es ist ferner zu bemerken,
dass die entstandenen und Giftwirkung enlfalten-
den Fäulnissalkaloide durch das der Zubereitung
der PUze vorhergehende, vorschriftsmässige, mehr-
fache Abbrühen mit kochendem Wasser (und Ab-
giessen des letzteren) weder zerstört noch entfernt
werden,
{Separat'Äbdruck aus den Mitiheilungen der Natvr-
fortchenden Gesellschaft in Bern 1888.)
J. ^ulitmann {Berlin).
Das Picrotoxin, ein Antidot des Morphins.
Von Prof. Arpad Bokai in Klausenburg.
Verf. betrachtet das Picrotoxin als das
rationellste Antidot des Morphins. Beide
Mittel wirken entgegengesetzt auf das Ath-
mungscentrum der Medulla oblongata, indem
das Morphium auf dieses Centrum lähmend
einwirkt, das Picrotoxin jedoch die Thätig-
keit desselben erhöht. Bei Morphinver-
giftungen kommt dem Picrotoxin, da dasselbe
eine Lähmung des Athmungscentrums hintan-
hält, eine lebensrettende Bedeutung zu,
ausserdem wird das starke Sinken des Blut-
druckes — bei jenen Intoxicationen — durch
den auf das gefössYerengernde Centrum des
Tcrlängerten Markes geübten starken Reiz
des Picrotoxins Terhindert. Die auch auf
das Grosshim geübte entgegengesetzte Wir-
kung beider Mittel kommt bei Intoxica-
tionen nicht in Betracht. Zu bemerken
sei, dass das bisher einzige Antidot des
Morphins, das A tropin, in grosseren Dosen
nicht gereicht werden könne. Bokai glaubt,
dass man das Picrotoxin auch als Prophy-
lacticum bei der Chloroform-Narkose anwenden
kannte, um die gefürchtete Asphyxie zu
▼erhindem. Verf. wird über seine weiteren
Versuche später Mittheilung machen. (Ueber
die Anwendung des Strychnin^s als Antidot bei
narkotischen Vergiftungen s. Therap. Mouatsh.
d. Jahrgang S. 81 . Red.)
(Orvos Beälap 1889. No. 4.)
H. ächuschny {Budapest).
liitteratur.
Handbuch der Balneotherapie für practische
Aerzte von Dr. R. Flechsig, Kgl. sÄchs. Geh.
Hofrath und Kgl. Brunnenarzt zu Bad Elster.
Berlin 1888. A. Hirschwald.
Der schon durch sein Bäderlexikon be-
kannte Verfasser des vorliegenden Handbuchs
der Balneotherapie giebt den practischen
Aerzten ein Werk , welches sicherlich viele
Freunde sich erwerben wird. Es dient in
gleicher Weise Demjenigen, welcher sich über
das ganze balneotherapeutische Wissen einen
sichern Ueberblick verschaffen will, wie Dem,
der im Einzelfalle zuverlässige und für seinen
Patienten brauchbare Angaben über alle
möglichen Details eines in Betracht kommen-
den Curorts schnell zur Hand haben muss.
Der Stoff ist vortrefflich geordnet. Die
allgemeine Balneotherapie macht den An-
fang. In diesem Abschnitt werden die ver-
schiedenen Curarten: Mineral wassercuren,
Inhalationscuren, Gasbäder, Seebäder, Milch-
und Molkencuren, Trauben- und Kräuter-
curen, Moor- und Schlammbäder, Fichten-
nadel- und Kräuterbäder, hydroelektrische
Curen und Sandbadecuren abgehandelt.
Dann finden Hydrotherapie und Klimato-
therapie ihre Würdigung.
Im zweiten Theil, der speciellen Balneo-
therapie, werden die einzelnen chronischen
Krankheiten vorgeführt, welche Gegenstand
der balneotherapeu tischen Behandlung werden
können: die Constitution eilen Krankheiten
und die Leiden der einzelnen Systeme.
Den Schluss bildet die Balneographie,
die alphabetisch geordnete Besprechung der
einzelnen Curorte mit Angabe ihrer Lage,
Reiseverbindung, ihrer Curmittel und localen
Verhältnisse (Aerzte, Badeanstalten, Woh-
nungen, Curzeit, Curfrequenz), ihres Klimas
und einem Verzeichniss der neuesten Litteratur,
In gedrängter Darstellung wird Alles ge-
boten, was wissenswerth erscheint und zu-
gleich Alles vermieden, was manche balneo-
therapeutische Lehrbücher voluminöser als
erwünscht, unbequemer zum Nachschlagen
und zugleich theurer macht. Von diesem
Gesichtspunkt ausgehend giebt der Verfasser
nicht die vollständigen Analysen der Mineral-
wässer, da die Anführung minimaler Neben-
bestandtheile die Uebersicht nur erschwert,
sondern beschränkt sich darauf, die Haupt-
bestandtheile anzuführen, welche den Arzt bei
der Auswahl einer Quelle zu leiten haben. Die
einzelnen Quellen sind nach der Reihenfolge
ihres Gehaltes an wichtigen Bestandtheilen
in Gruppen gebracht, welche einen leichten
Ueberblick und Vergleich ihres chemischen
und pharmakodynamischen Werthes gestatten«
142
Littttratur.
rrherapeutbehe
L Monatshiifte.
Bei dem massigen Preise des in der be-
kannten gediegenen, der Verlagsbuchhandlung
eigenen Art ausgestatteten Buches ist es zu
^vünschen, dass es fleissig benutzt und der
Verfasser dadurch in die Lage gebracht
werde, in nicht zu langen Zeiträumen dasselbe
in neuen Auflagen mit den vielfach fort-
schreitenden Verbesserungen der, einzelnen
Curorte auf dem Laufenden zu erhalten,
wie es der stets liquide Stand unserer Kennt-
nisse und unser Bediirfniss, stets das Neueste
aus den Curorten zu wissen, erfordert. Da-
durch würde es dem practischen Arzte ebenso
unentbehrlich werden, wie die neueste Bäde-
kerauflage dem Keisenden, und sicher den ver-
schiedenen Interessen des ärztlichen Standes,
des Badepublikums, wie dem des Herrn
Verfassers und Verlegers am Besten ent-
sprochen werden. Dr. Schliep {Baden- Baden).
Arbeiten des pharmaJsologfisehen Instituts zu
Dorpat. Herausgegeben von Prof. R. Robert,
kaiserlich rassischem Staatsrath. Bd. U. Ver-
lag von Ferdinand Enke. Stuttgart. 1888.
VI. u. 140.
Der vorliegende Band, welcher Herrn
Prof. Schmiedeberg gewidmet ist, liefert
wie sein Vorgänger ein glänzendes Zeugniss
für die fruchtbringende Thätigkeit des Herrn
Herausgebers als Lehrer und wissenschaft-
licher Forscher. Wie der erste Band (s.
Therap.Monatsh. 1888 S.3Ö0), so enthält auch
dieser drei grössere experimentelle Arbeiten.
Die erste derselben: lieber die Wir-
kungen des Chroms, von Heinrich Pander
aus Riga, in umgearbeiteter Form vom
Herausgeber veröffentlicht, hat vorwiegend
toxikologisches Interesse. Auf die Einzel-
heiten dieser Arbeit einzugehen verbietet der
Raum. Erwähnt sei nur, dass Ghromoxyd-
salze und chromsaure Salze ähnliche Sym-
ptome erzeugen, sich aber durch die Inten-
sität ihrer Wirkung wesentlich unterscheiden.
Vf. kann die ältere Angabe von Rousseau
bestätigen, dass chromsaure Salze hundert-
mal giftiger auf Warmbliiter wirken als
Chromoxyd verbin dun gen. Während letztere
hinsichtlich ihrer toxischen Eigenschaften
den Silbersalzen an die Seite gestellt wer-
den können, gehören die Chromate zu den
giftigsten Metallverbindungen. Der Vorschlag
Robertos, chromsaure Salze aus dem De-
tailhandel gänzlich auszuschliessen, resp.
deren Verkauf nur gegen Giftschein zu ge-
statten, verdient daher volle Beachtung. —
Irgendwelche Indicationen für den inner-
lichen Gebrauch chromsaurer Salze beim
Menschen lassen sich aus den Versuchs-
resultaten nicht ableiten, vielmehr hält R. die
therapeutische Anwendung für direct gefährlich.
Dies gilt besonders auch für die
G ü n t z ^ sehe Chromwasserbehandlung der
Syphilis, bei welcher Ral. bichromicum in
kohlensäurehaltigem Wasser gelöst in Tages-
dosen bis zu 0,03 zur Anwendung gelangt,
was bei wochenlanger Fortsetzung der Cur
als eine unbedingt giftige Dosis angesehen
werden muss. Die Prognose, welche Ro-
bert den nach der Güntz'schen Methode
Behandelten stellt, ist daher auch eine recht
ungünstige. Viele derselben würden nach Jahr
und Tag an Nephritis zu Grunde gehen.
Die zweite Arbeit von Raphael Radzi-
willowicz handelt: Ueber Cytisin, das
von Hu se mann und Marm^ in den Samen
von Cytisus Labumum (Goldregen) im Jahre
1865 entdeckten Alkaloid. Dasselbe ist
neuerdings mehrfach Gegenstand der Unter-
suchung gewesen (s. Therap.Monatsh. 1887;
S. 156; 1888 S. 133 u. 465).
Seine Wirkung ist nach R. in erster Linie
auf das Nervensystem und zwar auf das cen-
trale wie auch auf das peripherische gerichtet.
Die Wirkung besteht im Allgemeinen in
einer anfanglichen Erregung, der später eine
Lähmung folgt. Dies gilt sowohl vom Ge-
hirn (Excitation, Hallucinationen, später
Somnolenz, Torpor und Coma), als auch
vom Rückenmark (Zuckungen und Rrampf-
anfälle, später Lähmung) und den in der
Medulla oblongata gelegenen Centren, dem
Athmungscentrum und dem vasomotorischen
Centrum. Die anfängliche Reizung der letz-
teren führt zu einer enormen Blutdruck-
steigerung, an welcher das Herz und der
peripherische vasomotorische Apparat voll-
kommen un betheiligt sind. Die nach vor-
hergehender Erregung eintretende Lähmung
des Athmungscentrums ist bei Warmblütern
die Todesursache.
Auf die peripherischen motorischen Ner-
ven wirkt Cytisin lähmend nach Art des
Curare. Dieser Wirkung geht aber stets
eine Rückenmarkslähmung voraus. Die
Cytisinlähmung mit der Curarelähmung zu
identificiren, wie dies Prevost und Bin et
thun, hält Vf. daher nicht für gerechtfertigt,
da die scheinbare Curarewirkung nur bei
übermaximalen Dosen in den Vordergrund
tritt. — Neben der Motilität scheint auch
die Sensibilität gelähmt zu werden. Das
stets auftretende Erbrechen bei Cytisin-
vergiftung scheint centrale Ursache zu haben.
— Eine Beeinflussung der Uterusbewegungen
ist bis jetzt nicht sicher erwiesen, erscheint
aber wahrscheinlich.
Hiernach steht das Cytisin in seiner
Wirkung zwischen Strychnin und Curare,
näher jedoch dem ersten als dem zweiten.
Bei Cytisinvergiftungen empfiehlt sich,
Min 1889. J
Litteratur.
143
falls nocli kein Erbrechen stattgefunden hat,
die Entfernung des Giftes mittelst der
Magenpumpe und bei Respirationslähmung
Unterhaltung der künstlichen Athmung,
welche wegen der schnellen Ausscheidung
des Giftes aus dem Organismus nicht von
allzulanger Dauer zu sein braucht.
Die von Kobert befürwortete therapeu-
tische Verwendung des Cytisin in allen
Fällen von niedrigem Blutdruck und er-
schlafftem Gefässsystem z. B. bei paralyti-
scher Migraine, ist basirt auf die gefäss-
contrahirende Wirkung. Auch bei denjenigen
Formen von Melancholie und Abulie, wo
eine zu geringe Versorgung des Gehirns mit
Blut vermuthet werden kann, wäre ein Ver-
such mit dem Mittel zu machen. — Eine
Verwendung des Cytisins als centralwirken-
des Brechmittel nach den Empfehlungen von
Prevost und Bin et widerräth der Verf. —
Ob das Mittel als wehen erregendes Agens
anwendbar ist, müssen weitere Versuche
ergeben.
Die Maximaldosis ist von Prof. Krae-
pelin für Cytisin. nitre, subcutan auf 0,01
festgesetzt. Vf. räth mit einer 10 Mal klei-
neren Dosis zu beginnen. Meistens genügen
0,003 — 0,005, um die gewünschte Wirkung
zu erzielen.
Den Schluss des Heftes bildet eine Ab-
handlung von David Rywosch: Verglei-
chende Versuche über die giftige Wir-
kung der Gallensäuren, auf welche näher
einzugehen Referent sich leider versagen
muss. Erwähnt sei nur, dass Robert es
für wünschenswerth hält, ehe man die gallen-
sauren Salze für immer aus der Therapie
verbannt, nochmals sorgfältige Untersuchun-
gen mit diesem alten Arzneimittel in gros-
seren Krankenhäusern anzustellen.
Langgaard.
Formnlae mag^istrales Berolinenses. Mit einem
Anbange enthaltend: 1. die Handverkaufs-Preise.
2. Anleitung zor Kosten-Erspamiss beim Ver-
ordnen von Arzneien. Ausgabe für 1889.
Berlin 1889. R. Gärtner 's Verlagsbuchhand-
long. Hermann Hey fei der.
Die Ausgabe für 1889 liegt uns vor.
Wir ersehen, dass die Form. mag. verbessert
und vermehrt sind (Liq. pector., Mixtura
acid. hydrochl., Mixt, peruviana, Past. sali-
cylica u. s. w.) und dass auch die Anleitung
zur Kosten ersparniss, in den Grundsätzen
sich gleichbleibend, wesentliche Verbesserung
und Erweiterungen erfahren hat, so die Para-
graphen über das Vorräthighalten von Ver-
bandmaterial, über Verordnung von inneren
und äusseren Mitteln zugleich u. s. w. Auf-
falleuderweise fehlen in der zweiten Abthei-
lung der Zusammenstellung von Heilmitteln
zu Handverkaufspreisen (S. 9) viele recht
gebräuchliche Mittel wie Rhabarber wurzel,
Borsäure, Vaselin und andere, während ganz
neue, noch nicht genug erprobte z. B. Lipanin,
Thal 1 in als Antrophore, Cocawein etc. auf-
genommen sind. Es bedarf wohl nur dieses
Hinweises, um in Zukunft nach dieser Rich-
tung hin Wandel eintreten zu lassen. — Im
Uebrigen können wir auch die diesjährigen
Form, magistr. Berol. als eine dankenswerthe
Erscheinung begrüssen und jedem Arzte als
einen in jeder Beziehung zuverlässigen Rath-
geber empfehlen.
Habow.
Pelper, Dr. E. Die Schntzpockenimpfansr und
ihre Ausführung. Ein Leitfaden für Aerzte
und Studirende. Wien und Leipzig, ürban
& Schwarzenberg. 1888.
Seitdem der Impfunterricht neuerdings
ein officieller Lehrgegenstand an den Uni-
versitäten geworden, sind auch mehrere neue
Lehrbücher über diesen Gegenstand ent-
standen. Das vorliegende ist speciell für
den Lehrzweck geschrieben und behandelt,
mit der Geschichte der Pocken epidemien
beginnend, die Aetiologie und verschiedenen
Arten der Pocken, die Vaccination und deren
Technik, die Gewinnung der Lymphen, die
Pathologie der Impfung und was sonst mit
letzterer im Zusammenhang steht. Dem sonst
klar und doch concis behandelten Gegen-
stand sind die gesetzlichen Bestimmungen
über Impfung, sowie Proben von Impflisten
und Impfscheinen im Anhange beigefügt.
Jedenfalls diirfte das Büchelchen seinen
Zweck, Studirenden und Aerzten ein Leit-
faden bei dem Studium des Gegenstandes
zu sein, durchaus erfüllen.
Freyer {SteUin).
Praetisehe Notlsen
und
empfehlenswerthe Arsneiforinelii.
Behufs Behandlung übelriechender Fussschweisse
geht uns von Herrn Dr. Sprinz (Burghas-
lach) folgende Mittheilung zu: „Schon seit
mehreren Jahren wende ich gegen den stinken-
den Fussschweiss ein ebenso einfaches wie
sicher wirkendes Mittel an. Ich lasse mit
einer 3®/o Borsäure lösung Abends die
Sohle des Strumpfes ziemlich anfeuchten
und während der Nacht trocknen. Bei ent-
sprechender Reinlichkeit und 3 Mal wochent-
144
Prmetiiehe Notisen und •mpfehlttoiw^rthe Annaiformeln.
rlierftpeatJieha
Monatiheft«.
lichem Wechsel derartig durchtrankter
Strümpfe ist selbst in den hartnäckigsten
Fällen der günstigste Erfolg zu verzeichnen."
Gegen das quälende Hautjucken der Gelbsüchtigen
empfiehlt Goodhardt (Brit. med. Journ.)
eine einmalige subcutane Injection von
0,02 Pilocarpin, muriat. Dasselbe hat auch
zuweilen gegen die blitzartig auftreten-
den Schmerzen in den Beinen bei Tabes
dorsalis gute Dienste geleistet. Die ange-
wandte Formel lautet:
1^ Pilocarpin, mur. 0,2
Aquae destill. 10,0.
D.S. Zur subcut. Injection. (Hiervon
den Inhalt 1 Pravaz' sehen Spritze zu in-
jicireu.
Bei der Ozaenabehandlung
hat sich Herrn Prof. Rosenbach (Ebstein,
Dtsch. med. Wochenschr. 1889 No. 6) der
Peru hals am vorzüglich bewährt. Durch
denselben wurde vollkommene Desodorisation
erzielt. Man streicht ihn in der Gegend
des Naseneinganges vermittelst eines Pinsels
auf die Schleimhaut auf. In die tieferen
Theile der Nasenhohle wird ein mit Balsam.
Peruvian. getränkter "Wattctampon einge-
führt. Die Manipulation ist täglich einmal
vorzunehmen.
Für die Therapie des Erysipels
giebt Dr. Ebstein (Dtsch. med. Wochenschr.
1889 No. 6) folgendes auf der Abtheilung
des Herrn Prof. Rosenbach geübte uud be-
währte Verfahren an:
Die gesunde Haut der Umgebung des
Erysipels wird zunächst in weitem Umfange
mit warmem "Wasser und Seife gründlich
gereinigt. Darauf wird an der ganzen Grenze
der erkrankten Partie in einem 15 — 20 cm
breiten Streifen der gesunden, sorgfältig ge-
reinigten und abgetrockneten Haut funf-
procentiges Carbolvaselin energisch einge-
rieben. Zuletzt wird auch die erkrankte
Hautpartie selbst mit Carbolvaselin be-
strichen, doch ist behufs Vermeidung einer
Verschleppung der Infectionskeime durchaus
darauf zu achten, dass das Auf streichen
stets von der gesunden nach der kran-
ken Haut hin, niemals umgekehrt
stattfinde.
Die Erfolge dieser an 27 Fällen
versuchten Behandlungsweise waren sehr
günstige. (Carbolvaselin verhält sich wie
Carbolöl. Eine Wirkung der Carbolsäure
kann dabei nicht zu Stande kommen. Vergl.
Gottstein d. Heft S. 102. D. Herausgeber.)
Für die Behandlung des Decubitus
empfiehlt Ebstein in der Deutsch. Med.
Wochenschrift prophy laotische Einreibungen
mit Lanolin. Dieselben werden von Prof.
Rosenbach auf der med. Abtheiluog des
Allerheiligenhospitals zu Breslau auf Grund
der von Gottstein (s. Therap. Monatsh.
1888 S. 36) erwiesenen Thatsache, dass
Lanolin die Gewebe gegen das Eindringen
von Mikroorganismen schützt, seit 9 Monaten
ausgeführt und haben sich vortrefiFlich be-
währt. Alle dem Drucke vorzugsweise aus-
gesetzten Hautstellen werden nach vorheriger
gründlicher Reinigung tüchtig mit Lanolin
eingerieben und durch reichliche Unterlagen
von Watte etc. vor weiterem Drucke mög-
lichst geschützt. Wo bereits Excoriationen
oder eine verdächtige Röthung der Haut vor^
banden sind, heilen dieselben unter der
Lanolindecke schnell und die Haut erhält
ihr normales, elastisch straffes Aussehen
wieder.
Auch dem Auftreten von Erythemen und
Erysipelas nach Function eines Ascites oder
Scarificationen ödematöser Hautstellen wird
durch energisches Einreiben von Lanolin
wirksam vorgebeugt.
Bei unstillbarem Erbrechen der Schwangeren
giebt Hubert (Lyon med. 1889 No. 4) fol-
gende Lösung:
i^ Kalii jodati 6,0.
Tinctura Jodi gtt. VI.
Aq. destill. 120,0.
M. D. S. 3 Mal täglich 1 Esslöffel.
Ananas, ein Expectorans.
Nach Dr. Flashar (Pharm. Ztg. 1889
N0..IO) soll der Saft der reifen Ananas
(Bromelia Ananas L.) ein vorzügliches Ex-
pectorans sein. Man gewinnt ihn, indem
man die reifen Früchte in Scheiben schneidet,
diese schichtenweise mit Zucker überschüttet,
hierauf das Gefäss schliesst und mit Stroh
umwickelt in Wasser allmählich bis zu
minutenlangem Kochen erhitzt. Bei chro-
nischen Bronchialkatarrhen mit
stockender Schleimabsonderung genüg*
ten wenige Theelöffel, um ausgiebige Expec-
toration hervorzurufen. Etwa 8 — 10 Thee-
löffel sind täglich zu verabreichen.
Diiroh die Uebersledelnng des Dr. 8. Babow nach Liatisanne findet eine Aenderung tn
der lieitnng der Therapeutischen Monatshefte nicht statt. — Der Sitz der Bedactlon wird für
die Zukunft in Berlin und Lausanne sein.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. ^ Druck von Ougtav Schade (Otto Francke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. AprU.
Originalabhandliuigen.
[Ans der I. medicinischen KUnfk des Hrn. Geb.-Rath Leyden.]
I>ie künstliche Emähriing
bei der Behandlung der Diphtherie.
Von
Stabsarzt Dr. Renvert,
Assistent der Klinik.
Die Einsicht, welche wir in der neuesten
Zeit in das Wesen der Infectionskrankheiten
namentlich durch Klarlegung ihrer Aetiologie
gewonnen haben, Hess erhoffen, dass daraus
auch für unser therapeutisches Handeln
Fruchte erwachsen wurden. Die alte Auf-
fassung, dass die Krankheit ein von aussen
eindringender Feind sei, führte ja in der
Chirurgie auch bald zu der localen Be-
kämpfung der Infectionskeime und gipfelt
in der modernen Chirurgie in der Kunst,
die Wunden keimfrei zu halten. Die gross-
artigen Triumphe, welche die Chirurgie durch
Anwendung der Antiseptica feierte, waren na-
türlich die Veranlassung, dieselben auch bei
Behandlung der inneren Infectionskrankheiten
anzuwenden und so entstand eine Behand-
lungsmethode, welche sich die Aufgabe
stellte, durch keimtödtende Mittel dem in
den Korper eindringenden Feinde, womöglich
an der Schwelle des Eintritts, entgegen zu
treten.
Gar bald zeigte sich aber, dass mit der
localen Vernichtung der Infectionskeime in
der inneren Medicin noch nicht viel gewon-
nen war. Gegen die Schädigungen, welche
dem Gesammt Organismus durch rasches Ein-
dringen der Keime in die Blut- und Lymph-
bahnen, oder durch Aufnahme von giftigen
Substanzen von der Infectionsstelle aus er-
wuchsen, erwiesen sich die antiseptiscben
Mittel ohnmächtig, denn in der wirksamen
Concentration waren sie auch den lebenden
Zellen des Organismus feindlich.
So ist es begreiflich, dass mau bei dem
vergeblichen Suchen nach directen specifischen
Heilmethoden immer Wieder auf jene in-
directen Methoden der Behandlung hinge-
wiesen wurde, die ihre Aufgabe darin sucht
nnd findet, den Organismus in den Abwehr-
bestrebungen gegen die Infection serreger zu
unterstützen, ihm durch Fernhaltung von
Schädlichkeiten, durch Schonung und Er-
haltung der Kräfte, durch Hebung der Er-
nährung in dem Kampf mit dem Feinde bei-
zustehen.
Auch in Bezug auf die Behandlung der
wohl mit Recht am meisten gefürchteten
Infectionskrankheit, der Diphtherie, welche
durch ihre Localisation an den dem Auge
und der Hand zugänglichen Schleimhäuten
der localen antiseptischen Therapie einen gün-
stigen Angriffspunkt zu bieten schien, hat
sich allmählich der Sturm der Entdeckung
specifisch wirkender Mittel gelegt. Die Zeit,
wo in medicinischen und politischen Tages-
blättern gewiss mit gleichem Erfolg und
Recht gegen die Diphtherie Mittel em-
pfohlen und nach kurzer Blüthe wieder ver*
werfen wurden, liegt noch nicht lange hinter
uns. Es würde zu weit führen, auch nur
an die vielen localen und sogenannten spe-
cifischen Behandlungsmethoden zu erinnern.
Alle, ohne Ausnahme, haben, wenn man
nicht mit einem kritiklosen Idealismus an
dieselben herantritt, so wenig Vertrauen ge-
funden, dass eine auf dem Gebiet der Diph-
therie so erfahrene Autorität wie Henoch
in seinem Lehrbuch der Kinderkrankheiten
sich dabin äussert: y,Nach meinen Erfahrun-
gen leisten alle bisher empfohlenen Mittel
absolut nichts in den schweren Fällen der
Krankheit^.
Bei dem gegenwärtigen Standpunkt un-
seres therapeutischen Könnens sind wir in
der Behandlung der Diphtherie, wie bei den
meisten anderen Infectionskrankheiten, auf
die bereits erwähnten indirecten Heilmetho-
den angewiesen. Unsere Aufgabe bei der
Diphtherie muss darin bestehen: 1. den lo-
calen Process zu mildern, 2. aber die Kräfte
des Kranken zu schonen und zu stützen.
Dass aber gerade bei der Erfüllung der zwei-
ten Aufgabe die Ernährung des Kranken eine
wesentliche Rolle spielt, dürfte wohl im
Allgemeinen anerkannt sein, obgleich es den
Anschein hat, als ob gerade bei dem Suchen
nach specifischen Heilmitteln dieser wichtige
19
146
Ranveri, Die kttnitliehe Ernährung bai der Behaivdlung der Diphtherie.
rlierapeatische
AfonaUhefte.
Theil der internen Therapie nicht allseitig
die Würdigung erfahren hat, welche er in der
That -verdient. Die tägliche Erfahrung am
Krankenbett lehrt es immer wieder, dass
kaum eine andere Infectionskrankheit so
rasch die Kräfte des Kranken verzehrt, wie
die Diphtherie, trotz ihrer meist ja nur kur-
zen Dauer. So betonen denn auch alle er-
fahrenen Kliniker die roborirende Behandlung
der Diphtherie und legen der sorgfältigen
Ernährung einen grossen Werth bei. In
dieser Beziehung ist es sehr bedeutungsvoll,
was Trousseau in seiner Clinique mMicale I.
S. 463 sagt: L'alimentation y occupe le
premier rang et plus la mal adle est grave,
plus je Yois la necessite de nourrir les ma-
lades. Un des signes les plus alarmants
pour le prognostic, c^est le defaut d'app^tit,
c'est le degoüt pour toute esp^ce de nourri-
ture. II faut chercher a le vaincre par tous
les moyens possibles et pour y parvenir,
je ne crains pas draller quelquefois chez les
enfants jusqu'aux menaces. Auch Henoch
weist auf die Wichtigkeit der Ernährung
hin und räth bei unbesiegbarem Widerwillen
zum Gebrauch von ernährenden Kly stieren.
In der Praxis bleibt es aber meist bei die-
sen Empfehlungen, und aus Mangel an Ueber-
zeugung werden sehr oft die allerdings manch-
jnal grossen Hindernisse nicht energisch ge-
■nug überwunden, Macht man sich am
Krankenbett erst einmal klar, wie gering
die spontane Nahrungsaufnahme bei den an
Diphtherie erkrankten Kindern sowohl wie bei
Erwachsenen ist, so wird man nicht erstaunt
sein über den raschen Kräfteverfall und den
so oft eintretenden Collaps gerade bei dieser
Erkrankung. Zu dem Widerwillen gegen
die Nahrung kommt aber noch das Unver-
mögen zu schlucken hinzu, oder der noch
viel ungünstigere Umstand, dass namentlich
bei tracheotomirten und gelähmten Fat. bei
jedemSchluckactNahruugsbestandtheiie durch
Verschlucken in die Luftrohre gerathen und
heftigen, quälenden Hustenreiz veranlassen.
Die oft wiederholte Beobachtung, welche wir
auf der Abtheilung für Infectionskrankheiten
der I. med. Klinik machten, dass in schwe-
ren Fällen von Diphtherie eine spontane
hinreichende Nahrungsaufnahme, trotzdem es
sich um erwachsene Patienten handelte, nicht
zu erreichen war, führte uns zur Anwendung
der künstlichen Ernährung mittelst der Sonde
und des Gavage -Apparats. Die Erfahrung
hat nun ergeben, dass diese Art der Er-
nährung nicht nur leicht und gut ausführbar
und ohne irgendwelche schädlichen Folgen
ist, sondern auch im Stande ist, die thera-
peutische Aufgabe zu erfüllen, die wir zur
Bekämpfung der Infectionskrankheiten, bei
der Ohnmacht anderer Mittel, für die wich-
tigste halten, nämlich die Kräfte des Pat.
zu erhalten und zu stärken. Es ist selbst-
verständlich, dass man bei der Bekämpfung
der Diphtherie darauf bedacht sein muss,
gleich bei Beginn der Erkrankung die künst-
liche Ernährung einzuleiten und nicht damit
erst zu beginnen, wenn die Zeichen des Col-
lapses und damit Störungen der Resorption
eintreten. Die künstliche Ernährung bei der
Diphtherie ist bereits früher vereinzelt an-
gewendet worden, aber soweit in der Litte-
ratur mir bekannt geworden, doch nie con-
sequent durchgeführt worden. So haben
Mos 1er*) und Archambault^) bei der
acuten Diphtherie die Ernährung durch die
Sonde vorübergehend bewerkstelligt. Plan-
massig ist dieselbe von anderen Autoren bei
den Lähmungszuständen nach Diphtherie in
Anwendung gezogen und namentlich in jüngster
Zeit von Ziemssen') wieder betont worden.
Was die Ausführung selbst betrifft, so
bedient man sich nach unseren Erfahrungen
am besten einer gewöhnlichen, möglichst
biegsamen Schlundsonde von 6 mm Breite,
die im Nothfalle mit einem einfachen Trich-
ter, zweckmässiger aber mit dem Gavage-
Apparat verbunden wird, durch welchen
mittelst Luftdrucks möglichst rasch die Nah-
rung zugeführt werden kann.
Der Einfluss der consequent durchgeführ-
ten künstlichen Ernährung auf den Verlauf
einiger schweren Fälle von Diphtherie war
, ein so günstiger, dass wir die Mittheihing
' derselben in dieser geschätzten Zeitschrift
für geeignet erachten, um von Neuem wieder
einmal die Aufmerksamkeit auf diese Seite
der Therapie zu richten.
Begreiflicherweise hat sich die Therapie
nicht allein auf die Ernährung beschränkt
und es soll in den nachstehenden Kranken-
geschichten die ganze Methode der Behand-
lung ersichtlich gemacht werden.
Im Allgemeinen sei noch über die Priu-
cipien der Behandlung kurz vorausgeschickt,
dass angewendet wurden:
1. Local:' Antiseptische Lösungen zur
Reinigung des Rachens und der Mundhöhle,
aber nur alle 2 — 3 Stunden, Eispillen, Eis-
cravatte. Eventuell Inhalationen.
2. Specifica wurden nicht versucht und
auch bei hoher Temperatur kein Antipyreti-
cum gereicht.
3. Möglichste Ruhe wurde dem Pat. ver-
schafft. Das häufige Mundspülen und na-
mentlich das minutenlange Gurgeln wurde
ebenso wie die häufige Untersuchung der
») Archiv für Heilkunde 1878 S. 67.
■-') Gazette des hopitaox 1877.
») Klinische Vorträge No. VI 1887.
in. Jahrgang .1
April 1889. J
Renverf , Die kUnatliche Ernährung bei der Behandlung der Dlphthteie.
147
RachenoTgane absichtlich Termieden, dabei
gleichzeitig für psychische Beruhigung und
Aufmunterung Sorge getragen. Gerade in
dieser Beziehung wurde
4. Morphium angewendet. Der vorsichj-
tigen Anwendung desselben im Verlauf der
Diphtherie legen wir eine besondere Bedeu-
tung bei. Kein anderes Mittel kann die
meist grosse Unruhe der Kranken beseitigen,
ihre Schmerzen und Unbequemlichkeiten lin-
dem, sowie ihnen Schlaf und damit Stär-
kung bringen. In keinem Fall sahen wir
unangenehme schwächende Wirkungen ein-
treten, aber oft horten wir Worte des Dan-
kes für die geschaffene Erquickung und
Ruhe. Selbstverständlich haben wir uns auf
die Anwendung nur kleiner Dosen von 0,003
bis höchstens 0,01 Morphium^) beschränkt
und auch diese immer zuerst am Tage ver-
sucht, um selbst die Wirkung auf den Fat.
beobachten zu können.
5. Die Ernährung des Kranken wurde
Tom ersten Tage der Behandlung an beson-
ders beobachtet, dabei gleichzeitig die Zu-
fuhr von starkem Wein angeordnet. In je-
dem Falle, wo die spontane Nahrungsauf-
nahme, sei es in Folge von Schmerzen beim
Schlucken, Lähmung der Schlingorgane oder
in Folge grosser Abneigung ungenügend war,
wurde die kunstliche Ernährung eingeleitet.
Der I. Fall schliesst sich an die von
Ziemssen mit der künstlichen Ernährung
behandelten Fälle an.
Fall L Franz K., Arbeitersohn, 12 Jahre
alt, Lähmung nach Diphtherie, aufgen. 18.7. 1888,
geheilt entlassen 20. 10. 1888.
Fat. erkrankt an Diphtherie und in der Recon-
valescem an Nephritis und diphtherischer iMhmung,
welche Pat. bis zur Unmöglichkeit des Schluckens
fültrt. Pat. wird der Klinik wegen Lähmung der
Schlingorgane sowie sämmtlicher Extremitäten in einem
»fark abgemagerten^ entkräfteten Zustand mit drohen-
dem Collaps zugeführt. Künstliche Ernährung, Rasche
Hebung der Kräfte und Heilung der Lähmungen,
Pat., aus gesunder Familie stammend, erkrankte
vor 6 Wochen an einer mit heftigem Fieber ein-
setzenden, sehr schmerzhaften Rachen-Diphtherie.
Unter Behandlung mit Bettrahe und Gurgelwässem
besserte sich das Leiden, nach 14 Tagen stand
Pat. auf und machte trotz grosser Mattigkeit täg-
lich einige Stunden Gchubungen im Freien. Nach
() Tagen nahm die Mattigkeit zu, Anschwellungen
der Haut im Gesicht und an den Füssen traten
auf, Pat. musste das Bett wieder aufsuchen und
wurde nun mit heissen Bädern behandelt. Nach
etwa 10 Tagen waren die Anschwellungen ver-
schwunden, Pat. stand wieder auf, konnte aber
nun vor Schwäche kaum noch gehen. Anfang
Juli bemerkte Pat. zuerst eine Schwierigkeit beim
Sprechen und Schlacken. Seine Stimme wurde
*) Bei Kindern selbstverständlich entsprechend
weniger.
näselnd und heiser, beim Trinken trat oft Husten-
reiz ein und zuweilen auch, wenn er hastig ge-
trunken, Erbrechen. Dazu gesellte sich nun zu-
nehmende Schwäche in den oberen und unteren
Extremitäten sowie Doppeltsehen. Von Tag zu
Tag wurde sein Zustand hilfloser. Da er seit
dem 14, 7. sich bei jeder Nahrungseinnahme ver-
schluckte und schliesslich ausser Stande war,
Nahrung aufzunehmen, seine Kräfte zusehends ab-
nahmen, wurde er am 18. 7. der I. med. Klinik
behufs künstlicher Ernährung zugeführt, nachdem
derselbe in der That seit 5 Tagen keine
Nahrung mehr zu sich genommen.
Status praes. 18. 7. Ab. 6 Uhr. Gutgebauter
12 jähriger Knabe mit welker, schlaffer Muskulatur,
stark abgemagert, Körpergewicht 57 Pfd., liegt
in zusammengesunkener passiver Rückenlage im
Bett, nicht im Stande, activ seine Lage zu ver-
ändern. Sein Gesicht ist abgemagert, Ausdruck
matt müde, die sichtbaren Schleimhäute sind blass.
Die Haut am Körper welk, von blassgrauer Farbe,
kühl, Temp. 36,0, frei von Oedem und Exanthem.
Puls an der dünnwandigen Hadialarterie regel-
mässig, von geringer Spannung und Füllung, bei
der geringsten Erregung auf 120 Schläge ge-
steigert, in der Ruhe 96 mal in der Minute. Mit
schwacher, stark näselnder, tonloser Stimme vermag
Pat. nur mit grosser Anstrengung einzelne Worte
hervorzubringen. Häufiger schwacher Hustenreiz.
Nach jedem Hustenparoxysmus ist Pat. ganz erschöpft
und flehentlich verlangt er nach Hilfe. Weder
feste noch flüssige Nahrung kann Pat. schlucken,
weist auch den wiederholten Versuch energisch ab.
Sensorium vollkommen frei. Schlaf während
der letzten Nächte durch fortdauernden Hustenreiz
gestört. Gehör-, Geschmack-, Geruchsinn erhalten.
Augen gut beweglich , ophthalmoskopisch nicht ver-
ändert, beiderseitige Accommodationslähmung. Am
Gesicht keine Lähmungen. Zunge gut beweglich.
Weicher Gaumen auffallend blass, hängt schlaff
herab, ist bei Sprech- und Schluckbewegungen
unbeweglich. Berührungen desselben sowie der
Rachenwand werden nicht empfunden. Die laryn-
goskopische Untersuchung ergiebt eine Schwäche
der gesammten Kehlkopfmuskulatur. Bei Intona-
tion bleibt zwischen den schlaffen wahren Stimm-
bändern ein ovaler Raum'. Sensibilität und Reflex-
erregbarkeit der Larynxschleimhaut herabgesetzt.
Die Stimme ist tonlos. HustenstÖsse sehr schwach.
Pat. ist nicht im Stande, den Kopf von der Unter-
lage zu erheben. Die motorische Muskelkraft der
Extremitäten ist sehr herabgesetzt. Pat. führt
jede gewollte Bewegung mit allen Muskeln aus,
aber äusserst langsam, schwerfällig und unbeholfen.
An den oberen Extremitäten besteht eine deutliche
Ataxie. Die Füsse stehen in Plantarflexions-,
Stellung. Die elektrische Untersuchung ergiebt
für den faradischen Strom bei indirecter und
directer Reizung eine Herabsetzung der Erreg-
barkeit, die an den unteren stärker ist wie an
den oberen Extremitäten. Keine Entartungsreaction.
Die Sensibilität soll angeblich an beiden Unter-
schenkeln gestört sein. Daselbst Taubsein und
prickelndes Gefühl in den Fusssohlen. Objectiv
besteht nur an beiden Fussrücken und Unter-
schenkeln eine leichte Herabsetzung des Gefühls
für Pinselberührungen, während Berührungen mit
19*
148
Renvttrf » Die kttnftUehe Ernährung bei dar Behandlung der Diphtherie.
rlittrapeatlMhe
Monatubeft«.
der Nadelspitze am ganzen Körper deutlich gefühlt
und richtig localisirt werden. Auch Temperatur-
sinn erhalten. Fusssohlenreflex nur schwach.
Cremasteren- und Bauchreflex rasch auszulösen.
Patellarsehnenreflex fehlt beiderseits. Organreflexe
erhalten. Respiration in der Ruhe' 22.
Die Untersuchung der Lungen ergiebt über
beiden Lungen namentlich h. u. schwaches Tesic.
Athmen und reichliche feinblasige Rasselgeräusche.
Das mühsam entleerte Sputum ist zfihschleimig.
Herzdämpfung normal. Spitzenstoss nach Innen
Yon der Mammillarlinio in 3 cm Ausdehnung
kaum fühlbar. Herztöne rein. Herzaction be-
schleunigt, zeitweise unregelmässig, 110 — 120 in
d. M. Zunge stark grauweiss belegt. Starkes
Durstgefühl, kein Appetit. Leib eingesunken,
nirgendwo schmerzhaft. Leber und Milz nicht
vergrössert. Stuhlgang retardirt, Urin spontan
entleert, sehr concentrirt, frei von Albnmen.
Behandlung: Ruhe. Verbot selbstständig weder
flüssige noch feste Nahrung zu sich zu nehmen.
Fütterung mittelst des Gavage-Apparates dreimal
täglich.
Die sofort vorgenommene Fütterung, vor der
sich Pat. sehr ängstigt, gelingt ohne jede Störung.
Es werden 7, 1 Milch, ^^ 1 Sherry, 2 Eigelb,
10 g Zucker eingepumpt. Abends 10 Uhr klagt
Pat. über grosse Müdigkeit, will aber nicht ein-
schlafen können. Subcutan 0,00ö Morphium, da-
nach zweistündiger von Hustenreiz mehrfach unter-
brochener Schlaf. Den Rest der Nacht verbringt
Pat. im Halbschlaf.
19.7. 8 Uhr M. T. 36,2. P,94. R. 22. Urin
400/1031. Der Schlaf hat Pat. angeblich wohl-
gethan und fühlt er sich etwas gekräftigt. Der
Hustenreiz noch quälend, die Expectoration
mühsam.
8Va Uhr. Gavage »/j 1 warme Milch, 2 Ei-
gelb, 30 Zucker, 1 Theelöffel Cognac.
12 Uhr. Gavage Va 1 warme Milch, 2 Ei-
gelb, Yy 1 Sherry.
6 Uhr. Gavage. V^ 1 Milch, 3 Eigelb, %5 1
Sherry, 30 Zucker.
6. Temp. 36,6. P. 96. R. 22.
Im Verlauf des Tages hat Pat. von Vj2 — 4 Uhr
ruhig geschlafen und giebt an, sich heute Abend
wohler zu fühlen. Die künstliche Ernährung geht
sehr leicht von Statten.
Im Ganzen an Nahrung erhalten: 1^^ 1 Milch,
7 Eigelb, 60 g Zucker, Vj 1 Sherry.
20. 7. 8 Uhr M. T. 36,0. P. 92. R. 22. Urin
400/1023. Nach fünfstündigem, erquickendem Schlaf
sieht Pat. heute entschieden wohler aus. Sein
Gesicht ist voller, seine Schleimhäute lebhafter
geröthet. Die Läbmungserscheinungen sind die-
selben. Die Schleimsecretion im Pharynx, Larynx
und in den Lungen hat abgenommen, auch der
Hustenreiz geringer. Jeder Schlingversuch noch
von Hustenparoxysmus gefolgt. Pat. verlangt
selbst nach der künstlichen Ernährung.
V, 9 Uhr
12 Uhr
6UhrJ
Gavage von je «/g 1 Milch, 2 Ei-
gelb, Yis 1 Sherry.
Im Ganzen erhalten 2 1 Milch, 6 Eigelb, Yj 1
Sherry.
Stuhlgang durch Clysma.
21,7, 8ührM. T. 36,0, P, 96. R.22. Urin
600/1025. Die Kräfte des Pat. haben sich be-
reits gehoben. Heute kann Pat. den Kopf selbst-
ständig bewegen, auch die Bewegungen in den
oberen Extremitäten sind kraftvoller, wenn auch
noch ataktisch. An den unteren Extremitäten
keine Besserung. Die Stimme noch tonlos, aber
kraftvoller. Die Reflexerregbarkeit des Velum
nimmt zu, die Einführung der Sonde bei der
Gavage ist heute wegen der wiederhergestellten
Sensibilität von Brecherregung gefolgt. Das Ein-
pumpen der Nahrung erfolgt erst, nachdem Pat.
sich vollständig beruhigt und keine Würg-
bewegungen mehr ausführt. Die Nahrung wird
nicht erbrochen.
Die Herzaction ist heute regelmässig, der Puls
von besserer Spannung und Füllung.
12 Uhr ^*^*^** Morgens ^4 1 Mehlmilchsuppe,
6 Uhr I ^ ^}^^> Vi 1 Sherry,
Mittags 1 Y« 1 Milch, 2 Eier und
Abends] 30 g Zucker.
Im Ganzen 2</« 1 Milch, 6 Eigelb, 60 g Zucker
und Y? 1 Sherry.
Stuhlgang durch Clysma.
22.7. 8 Uhr. T. 36,6. P. 108. R.22. Urin
600/1023 ohne Albumen. Guter Schlaf. Pat.
äussert lebhaftes Hungergefühl. Pat. kann heute
allein im Bette aufrecht sitzen, seine Rückenlage
aber activ noch nicht verändern. Sprache nicht
mehr so näselnd wie bei der Aufnahme. Auch
Stimme bereits klarer, weniger heiser. Der Ver-
such selbstständig zu schlucken misslingt.
9 Uhrl
12 Uhr \ ^^*8® ^^^ % ^ Milch, 2 Eigelb und
6 Uhrl 20 g Zucker.
Im Ganzen: 2Y4 1 Milch, 6 Eigelb und 60 g
Zucker.
23.7. 8 Uhr. T. 36,4. P. 106. R.22. Urin
500/1026. Schlaf und Appetit gut. Pat. glaubt
besser schlucken zu können. Velum noch gelähmt.
Larynxschleimhaut von normaler Farbe. Bewegungen
der Epiglottis und der Aryknorpel wieder normal.
Ränder der wahren Stimmbänder noch schlaff,
berühren sich bei Intonation noch nicht. Grobe
motorische Kraft der Muskulatur der oberen Ex-
tremitäten hat zugenommen, ebenso die faradische
Erregbarkeit der Nerven und Muskeln wesentlich
kräftiger. Ataxie besteht noch. An den unteren
Extremitäten noch dieselben Sensibilitäts- und
Motilitätsstörungen wie bei der Aufnahme. Fara-
dische Erregbarkeit hat bei directer und indirecter
Reizung deutlich abgenommen. Im Gebiet des
rechten Nervus peroneus besteht Entartungsreaction.
Accommodationslähmung bessert sich.
9 Uhr ]
Gavage von je ^3 1 Milch, 2 Eigelb,
20 g Zucker, Yis 1 Sherry.
Im Ganzen 21/^1 Milch, 6 Eigelb, 60 g Zucker,
Ys 1 Sherry.
Stuhlgang spontan.
24. 7. 8 Uhr M. T. 36,7. P. 108. R. 22. Urin
600/1029. Nacht gut geschlafen. Beständiges
Hungergefühl. Reizhusten ganz aufgehört. Die
UnterBuchung der Lungen ergiebt hinten beider-
seits überall lautes reines vesiculäres Athem-
geränsch ohne Katarrh. Stimme tonvoller. Sen-
sibilität der Rachenorgane stellt sich wieder her.
12 Uhr
6 Uhr
HL JakrfAat.l
April 18». J
Rttnvttrsy Die kÜnttUehe Ernährung bei der Behandlung der Diphtherie.
149
Gaumensegel zeigt beginneDde Bewegung bei
Phonation. Puls voU, krfiftig, regelmässig, nocL
leicht beschleunigt. Herztone rein.
9 Uhr 1
12 Uhr ^^^^ Vs ^ Milchmehlsappe, 2 £igelb,
6 Uhr 1 ^^ ^ Zucker.
Im Ganzen ^^/^ 1 Milchmehlsuppe, 6 Eigelb,
60 g Zucker.
Pat. hat heute nach der um 6 Uhr stattgehab-
ten GraTage einen Theil der Nahrung wieder er-
brochen. Danach grosse Müdigkeit und Gefühl
grossen Unbehagens.
7 Uhr. T. 36,8. P. 114. R. 22.
26. 7. 8 Uhr M. T. 36,4. P. 96. R. 22. Urin
800/1020 klar. Schlaf wieder gut. Heute Morgen
fühlt Pat. sich wieder ganz wohl und ist glücklich
darüber, dass er sich nicht mehr beim Versuch
zu trinken und zu essen Terschluckt. Er richtet
sich allein im Bett auf und kann ohne Hülfe und
ohne zu ermüden im Bette sitzen. Die Schwäche
in den oberen Extremitäten nimmt immer mehr
ab. An den unteren Extremitäten noch keine
Besserung der Lähmungserscheinungen. Weicher
Gaumen bewegt sich, wenn auch nur noch schwach.
Kehlkopfmnskulatur gut beweglich. Stimme hat
wieder Klang.
Da Pat. selbstst&ndig heute seine Nahrung zu
sich nehmen kann, wird die Gavage ausgesetzt.
Pat. hat seit seiner Aufnahme, also in 8 Tagen,
4 Pfd. zugenommen.
In der Folgezeit haben bei reichlicher spon-
taner Nahrungsaufnahme die Lähmungserschei-
nungen an den unteren Extremitäten sich langsam
gebessert und war Pat. bei seiner am 20. 10. er-
folgten Entlassung im Stande, wieder ohne fremde
Hülfe zu gehen.
Es folgen drei Eiranken geschieh ten mit
Anwendung der künstlichen Ernährung bei
schwerer Diphtherie des Rachens und Kehl-
kopfes.
Fall n. Louise B., 38 J. alt, Dienstmädchen.
Diphtherie. Aufgen. 25. 12. 88, geheilt entlassen
am 3. 2. 89.
Pat. kam mit einer ausgedehnten Diphtherie de»
Rachens und Kehlkopfs in entkräfteten Zustande mit
starker Albuminurie zur Aufnahme^ nachdem dieselbe
3 Tagt wegen heftiger Schluckhescltwerden keine Nah-
rung aufgenommen. Ktinstlivhe Ernä/trung, Besse-
rung des Krä/tezustandes, Heilung,
Seit ihrem 12. Lebensjahr regelmässig men-
struirt, hat Pat. im Jahre 1871 Typhus über-
standen, will aber sonst niemals krank gewesen sein.
Am 16. December 1888 zog sie rüstig und voll-
kommen gesund zu einer ihr bekannten Familie,
um, weil ohne Beschäftigung, der Frau gegen
Gew&hmng freier Wohnung in der Wirthschaft
Hülfe zu leisten. Es wurde ihr eine Lagerstelle
angewiesen, in der bis zum 10. December drei an
Diphtherie erkrankte Kinder gepflegt worden
waren. Die Kinder wurden am 10. December in
die Charit^ gebracht und sind in wenigen Tagen
sämmtlich der Krankheit erlegen. Pat. schlief in
diesem Bett Yom 16. bis zum 22. 12., an welchem
Tage sie zuerst unter andauerndem Frösteln an
einem sich rasch steigernden Schmerz im Halse
erkrankte, der namentlich beim Schlucken auftrat.
Pat. legte sich frühzeitig ins Bett, trank einen
erwärmenden Thee, konnte aber, die Nacht vor
Unruhe und Schmerzen im Halse nicht schlafen.
Gegen Morgen des 23. bemerkte Pat. zuerst einen
heftigen Hustenreiz und geringe Heiserkeit, wäh-
rend gleichzeitig eine Steigerung der Halsbeschwcr-
den sowie des allgemeinen Unwohlseins eintrat.
Den 24. verbrachte Pat. im Bette und suchte am
25. Nachmittags, da ein Nachlass der Hals-
beschwerden sich nicht einstellte, die KÖnigl.
Charit^ auf. Pat. giebt bei der Aufnahme an,
seit dem Tage ihrer Erkrankung ausser einigen
Tassen Thee und Bouillon nichts genossen zu
haben.
Status bei der Aufnahme: Grosses, kräftig,
normal gebautes 38 j. Jifädchen von guter Musku-
latur, dürftigem Ernährungszustand, in activer,
horizontaler Rückenlage, deren Haut an den
Wangen fieberhaft geröthet, zeigt einen ängst-
lichen, hülfesuchenden Gesichtsausdruck, die Augen
sind eingesunken, die Lippen tiefroth, trocken,
borkig belegt. Die Haut am übrigen Körper ist
trocken welk, frei von Oedem und Exanthem,
dabei heiss. Temp. 40,4. Der Puls an der ziem-
lich weiten Radialis deutlich dicrot, von geringer
Spannung und Füllung, regelmässig, auf L20 in
d. M. beschleunigt. Die Respiration ist ober-
flächlich costoäbdominell, 36 mal in der Minute,
von hörbarem in- und exspiratorischem Stridor
begleitet. Es besteht in der Ruhe keine Dyspnoe,
keine Cyanose. Pat. vermeidet aber jede unnöthige
Bewegung, da jede Lageveränderung Athemnoth,
Herzklopfen und meist auch krampfhafte Husten-
anfälie hervorruft. Mit vollkommen tonloser
heiserer Stimme klagt Pat. über Halsbeschwerden
und grosse Mattigkeit. Beim Versuch einen Löffel
Wein zu schlucken tritt heftiger Hustenreiz ein,
ohne dass Pat. etwas expectorirt. Die Unter-
suchung der Rachenorgane ergiebt eine Schwellung
und Röthung des ganzen weichen Gaumens und
des Z&pfchens, welches deutlich ödematös und an
der unteren Hälfte mit einem grauweissen Belage
bedeckt ist. Beide Mandeln sind angeschwollen,
treten aus den Gaumenbögen hervor und sind mit
demselben der Unterfläche festanhaftenden, schmie-
rigen, grauweissen Belage versehen, der sich auch
an der linken Seite noch auf die Rachenschleim-
haut hin unterzieht. Die Unterkieferdrüsen sind
beiderseits kastaniengross geschwollen, bei Druck
schmerzhaft. Auch die Betastung des Kehlkopfs
ist empfindlich, verursacht Hustenreiz. Die laryn-
goskopische Untersuchung ergiebt: Starke Röthung
und Schwellung der breiten Epiglottis, deren Rand
stark ödematös ist. Die Innenfläche derselben ist
mit einem grauweissen Belag bedeckt, desgleichen
die Gegend der Aryknorpel und beide Taschen-
bänder. Die wahren Stimmbänder sind intensiv
geröthet, ohne Belag und gut beweglich. Die
Tracheaischleimhaut ist ohne Belag, ebenfalls stark
geröthet Der Brustkorb ist gut gewölbt, bewegt
sich gleichmässig, beide Lungen sind überall gut
lufthaltig und zeigen nur über den hinteren unteren
Partien die Zeichen eines Katarrhs bei vesiculärem
Athmungsgeräusch.
Das Herz nicht vergrössert. Spitzenstoss im
5. LCR. in der Mammillarlinie. Die Herztöne
sind dumpf, aber rein.
150
R6 nV6r», DU kUnittlche fixnfthiung b^i d^r Behandlung der Diphtherie. P^on^i^h^^
An den Bauchorganen keine Veränderung
nachweisbar. Der Leib überall weich, eingesunken.
Milz nicht vergrössert.
Stuhlgang retardirt. Urin 100/1040 von trüber,
lehmiger Beschaffenheit, enthält Yg des Volumens
Eiweiss, microscopisch keine Nierenfonnelemente.
Diagnose: Diphthene des Rachens und Kehl-
kopfs.
Nachdem durch Ausspülen und Gurgeln mit
einer y^ % Creolinlösung eine vorläufige Reinigung
der Mundhöhle vorgenommen und eine Eiscravatto
umgelegt worden, wird der Pat., die seit 3 Tagen
keine Nahrung mehr zu sich genommen, sofort
Y2I2 Uhr durch Gavage '/j 1 warme Milch, 2 Eier,
Yjq 1 Sherry beigebracht. Die Einführung der
6 mm starken Sonde in den Oesophagus gelingt
ohne Beschwerden und ohne Schmerzensäusserung
von Seiten der Pat.
Gleich nach der Gavage giebt Pat. an, ein
angenehmes Gefühl in der Magengegend sowie
eine allgemeine Wärme zu verspüren. Der Pat.
wird Ruhe anempfohlen und 2 stündliches Aus-
spülen des Mundes mit der antiseptischen Lösung.
12 Uhr Puls 120. Resp. 36.
5 Uhr Nachmittags: Die Klagen beziehen sich
nur auf Halzschmerzen und grosse Mattigkeit. Puls
noch beschleunigt 120, etwas bessere Spannung.
Temp. 39,9. Pat. hat nichts geschluckt und in
Folge dessen weniger gehustet. Das geringe ent-
leerte Sputum ist eitrig, schleimig, confluirend.
1/26 Uhr. Gavage % 1 Milch, 2 Eier, Vio 1
Sherry. — Trotz der grossen Mattigkeit und des
vorhandenen Schlafbedürfnisses kann Pat. keine
Ruhe finden. Pat. erhält um 9 Uhr Morphium
0,01. Danach tritt Ruhe ein und schläft Pat.
etwa ly^ Stunde.
26. 12. Pat. hat den Rest der Nacht trotz
Morphium schlaflos zugebracht, aber doch das
Gefühl erquickender Ruhe gehabt. Der Befund
im Halse nicht verändert. Jeder Schlingversuch
von heftigem Husten gefolgt. Drüsenschwellung
hat nicht zugenommen. Kräftezustand ist etwas
besser wie gestern. Puls regelmässig, von besserer
Spannung und Füllung. Resp. noch von Stridor
begleitet.
8 Uhr. Temp. 38,6. P. 108. R. 32. Urin
500/1038, Ya Vol. Albumen, ohne Formbestand-
theile.
9 Uhr. Gavage % 1 Milch, 4 Eier, V,o 1
Sherry. Pat. äussert ihre Freude über die be-
queme schmerzlose Nahrungsaufnahme.
12 Uhr. Allgemeinbefinden der Pat. wesent-
lich besser wie gestern, wenn auch die Hals-
beschwerden noch dieselben geblieben. Die laryn-
goskopische Untersuchung ergiebt eine geringe
Abnahme der Schwellung der Epiglottis. Das
Kehlkopfinncre noch mit dem festanhaftenden
Belag bedeckt. Während der Untersuchung sieht
man, wie ein dünnflüssiges eitriges Secret zwischen
den Aryknorpeln in den Kehlkopf läuft und nun
Hustenreiz hervorruft. Der Kehldeckel ist auf-
fällig unempfindlich, auch die laryngoskopische
Untersuchung trotz der Tonsillenschwellung wenig
schmerzhaft. — Gurgelung und Ausspülen des
Mundes, Eiscravatte. — Pat. darf nicht selbst-
«tändig schlucken. Eisstückchen in den Mund.
ö Uhr. Halsbeschwerden gegen Abend ge-
ringer. Temp. 40,1. P. 114. R. 32. Gavage V, 1
Milch, 4 Eier, y,o 1 Sherry.
Abends 10 Uhr. 0,01 Morphium. Pat. schläft
etwa 1 Stunde lang, wacht dann durch Husten-
reiz auf. — Da um 12 Uhr Nachts noch kein
Schlaf wieder eingetreten, erhält Pat. nochmals
0,01 subcutan und tritt nun ein mehrstündiger
Halbschlummer ein.
27. 12. Während der Nacht hat Pat. trotz
des Morphiums angeblich nur wenig Ruhe ge-
funden und äussert heute Morgen das Verlangen
zu ruhen. 8 Uhr Temp. 38,6. Puls 120 regel-
massig. Resp. 30. Urin 525/1040 enthält noch
reichlich Album en Yg V., stark scdimentirend. Der
Belag an den Tonsillen nicht verändert, dagegen
der rechte Arcus palatoglossus heute ebenfalls mit
Belag bedeckt. Uvula weniger ödematös. Unter-
kieferdrüsen sehr schmerzhaft. Starke Schling-
beschwerden. Pat. will nicht den Versuch machen
zu schlucken wegen des quälenden Hustens. Pat.
sitzt im Bett aufrecht, da sie besser in aufrechter
Stellung athmen kann. Keine Cyanose. Stridor
noch erheblich. Stimme tonlos. Rand der Epi-
glottis blutig, Innenfläche zeigt an einzelnen Stellen
eine Losstossung des Belags. Aryknorpel und
falsche Stimmbänder noch mit Belag versehen.
Wahre Stimmbänder am Rande blutig suffundirt,
frei von Belag, gut beweglich, können sich aber
bei versuchter Intonation wegen der Schwellung
der Schleimhaut zwischen den Aryknorpeln nicht
berühren.
Um 8 Uhr Morgens erhält Pat. durch Gavage
V^ 1 Milch, 2 Gelbei, 7,4 1 Sherry.
9 Uhr 0,01 Morphium subcutan. Danach
3 Yj stündiger erquickender Schlaf.
4 Uhr. T. 39,5. P. 102 regelmässig, gut ge-
spannt. R. 24, ruhig.
5 Uhr. Gavage '/j 1 Milch, 4 Gelbei, Vi^ 1
Sherry.
10 Uhr. 0,01 Moi'phium. Danach cinstündi-
ger, von Husten mehrfach unterbrochener Schlaf.
Gegen 7212 Uhr nimmt der Hustenreiz zu, ohne
dass Pat. etwas expectoriren kann. Pat. verbringt
im Halbschlummer die Nacht bis gegen 4 Uhr.
Morphium 0,01.
28, 12. T. 38,5. P. 108, von guter Spannung
und besserer Füllung. Resp. 24. Kein Stridor.
Urin 575/1036. % Vol. Albumen.
8 Uhr Morgens liegt Pat. noch in leichtem
Halbschlummer, aus dem sie erst gegen y^ll Uhr
erwacht. Nach Ausspülung und Reinigung des
Rachens«
11 Uhr. Gavage 7^ 1 Milch, 2 Gelbei, «/^ 1
Sherry.
4 Uhr. T. 38,3. P. 96. Resp. 20, leichter
wie gestern.
5 Uhr. Gavage % 1 MUch, 2 Gelbei, '/^ 1
Sherry.
Pat. giebt an, es sei ihr heute viel leichter
"^ und wohler zu Muthe. Im Rachen hat die
Röthung etwas abgenommen, auch die Uvula ist
nicht mehr so stark geschwollen, aber noch mit
Belag versehen. Beide Mandeln noch geschwollen
und mit fest haftendem Belag bedeckt. Stimme
noch vollkommen tonlos und heiser. Pat. kann
nicht selbstständig schlucken; bei jedem Versuch
heftiger Schmerz und Hustenreiz. Im Verlauf des
April 1889. J
Renv^rf y Die künitiiehe Ernährung bei der Behandlung der Diphtherie.
151
Tages hat Pat. 3 stündlich eine Ausspülung des
Mundes und Rachens mit antiseptischer Lösung
vorgenommen.
Abends 10 Uhr. 0,01 Morphium.
29. 12. T. 38,3. P. 120. R. 24. Urin
800/1030. % Vol. Albumen.
Pat. hat während der Nacht etwa 6 Stunden
gut geschlafen und danach heute Morgen das
Gefühl der Besserung.
9 Uhr. Gavage V^ 1 Milch, 2 Gelbei, «/^ 1
Sherry, 20 g Zucker.
12—2 Uhr schl&ft Pat.
4 Uhr. T. 37,7. P. 102. R. 24. Kein
Stridor.
5 Uhr. Gavage % 1 Milch, 2 Gelbei, «/^ 1
Sherry, 20 g Zucker.
8—11 Uhr. Ruhiger Schlaf.
12 Uhr Nachts. 0,01 Morphium.
An den Mandeln beginnt eine Lösung des
Belags. Schlucken noch schmerzhaft und ohne
Hustenreiz nicht möglich. Auch im Kehlkopf
nimmt der Belag ab. Pnt. hat 3 stündlich ge-
gurgelt. Unterkieferdrfisen noch geschwollen und
schmerzhaft.
30. 12. T. 37,8. P. 102. R. 28, nicht an-
gestrengt. Urin 700/1030. »/g V. Albumen.
Schhif von 12 — 3 Uhr Nachts gut. Dann
Hustenreiz und Auswurf eines zälischleimigen,
eitrigen Sputums. Morgens macht Pat. den Ver-
such Milch zu trinken, wodurch aber so heftiger
Reizhusten auftritt, dass Pat. selbst wieder wünscht,
gefuttert zu werden.
9 Uhr. Gavage % 1 Milch, 2 Eigelb, »/? 1
Sherry, 20 g Zucker.
4 Uhr. T. 37,6. P. 108. R. 24.
5 Uhr. Gavage % 1 Milch, 2 Eigelb, V^ 1
Sherry, 20 g Zucker. Dann schläft Pat. bis gegen
11 Uhr Abends.
Pat. hat sich im Laufe des Tages recht wohl
gefühlt. Uvula und Tonsillen abgeschwollen, nur
an einzelnen Stellen noch grau weisser Belag.
Stimme heute nicht mehr tonlos.
Belag auf Epiglottis und Aryknorpel ver-
schwunden, das Oedem auf der Vorderflächo der
Epiglottis nicht mehr vorhanden. Die ganze
Kehlkopfschleimhaut intensiv geröthet und mit
zahlreichen stecknadelkopfgrossen Blutungen be-
säet. Stimmbänder, an den Rändern geröthet,
sind gut beweglich.
Pat. hat noch dreimal am Tage Ausspülungen
des Rachens vorgenommen. Hustenreiz war gering.
Lungen frei.
31. 12. T. 36,6. P. 96. R. 24. 700/1032
Vio ^^^- Albumen. Während der Nacht hat Pat.
gegen 12 Uhr 0,01 Morphium subcutan erhalten,
danach 5 Stunden ruhiger Schlaf.
Heute Morgen ist Pat. recht frisch. Pat. kann
ohne Schmerz und ohne sich zu verschlucken
flüssige und feste Nahrung zu sich nehmen. Im
Pharynx kein Belag mehr, nur noch starke
Rötbung der Schleimhäute. Stimme klarer, Husten-
reiz gering. Unterkieferdrüsen abgesehwollen,
nicht melir schmerzhaft.
4 Uhr. T. 36,5. P. 78. R. 20.
Im Laufe des Tages 3 stündiger ruhiger Schlaf.
Appetit angeregt.
1. 1. 89. Ohne Morphium gute Nacht verbracht.
8 Uhr. T. 36,7. P. 78. R. 18. 900/1030
Spuren von Albumen.
4 Uhr. T. 36,8. P. 76. R. 18.
Pat. nimmt mit grossem Behagen ilire Nahrung
zu sich und kräftigt sich zusehends. Im Pharynx
und Larynx noch Röthung und leichte Schwellung
der Schleimhäute vorhanden. Stimme noch rauh.
2. 1. Schlaf gut. T. 36,4. P. 72. R. 18.
1100/1030. Kein Albumen.
An den folgenden Tagen schreitet bei norma-
ler Temperatur und zunehmender, bis zu (5. 1.)
2400/1015 steigender Diurese die Reconvaleacenz
fort. Pat. hat noch andauernd ein grosses Schlaf-
und Ruhebedürfniss, dabei das Gefühl allgemeiner
Mattigkeit. Die Ernährung macht keine Schwie-
rigkeit. Pharynx und Larynx sind am 10. 1.
vollkommen normal. Lähmungserscheinungen sind
nicht eingetreten. Pat. will die Anstalt ver-
lassen.
Fall m. Auguste B., Arbeiterin, 22 J. alt,
Diphtherie des Rachens und Kehlkopfes; aufgen.
8. 12. 88, geheilt entlassen 12. 2. 89. Aus gesunder
Familie, seit dem 15. Lebensjahre regelmässig
menstruirt, bisher noch niemals schwer erkrankt,
giebt Pat. an, am Sonntag den 2. December zuerst
Fieber, Schmerzen im Halse beim Schlucken und
Kopfschmerzen verspürt zu haben. Am folgenden
Tage nahmen die Beschwerden bei der Arbeit zu,
die Drüsen am Halse begannen zu schwellen,
Appetitlosigkeit stellte sich ein und mehrmaliges
Erbrechen. Pat. blieb noch am 3. und 4. ausser
Bett, musstc sich dann aber niederlegen, weil sie
vor Schmerzen und Mattigkeit nicht mehr stehen
konnte. Am 5. trat zuerst Hustenreiz und Heiser-
keit ein. Pat. gebrauchte ohne Erfolg eine Me-
dicin und wurde am 8. 12. mit der Diagnose
Diphtherie in die Königliche Charite eingeliefert.
Ihre Klagen bei der Aufnahme beziehen sich auf
Schmeraen im Halse und grosse Mattigkeit.
Status bei der Aufnahme: Kleines gracil ge-
bautes Mädchen in gutem Ernährungszustand,
nimmt eine leicht erhöhte active Rückenlage ein.
Haut im Gesicht lebhaft geröthet, Schleimhäute
leicht cyanotisch, trocken. Blick müde, matt, Aus-
druck einer Schwerkranken. Haut am Körper
trocken, lieiss, T. 39,4. Kein Exanthem. Athmung
ist oberflächlich, nicht dyspnoisch, von lautem
inspiratorischem Stridor begleitet. Mund geöffnet,-
Zunge stark belegt. Foetor ex ore. Unterkiefer-
drüsen beiderseits geschwollen, rechts mehr wie
links, bei Druck schmerzhaft. Beim Schlucken
von Flüssigkeit angeblich grosse Schmerzen.
Weicher Gaumen stark geröthet. Uvula ge-
schwollen, mit einem grauweissen Belag bedeckt,
der sich auf beide Tonsillen und auf den rechten
Arcus palatoglossus hinüberaieht. . Tonsillen nicht
stark angeschwollen.
Stimme vollkommen heiser. Epiglottis breit,
gross, stirk geröthet, die Innenfläche ganz mit
einem fest haftenden Belag bedeckt, der in
gleicher Weise das ganze Kelilkopfinnere aus-
tapeziert. Die Gegend der santorin'schen Knorpel
intensiv geröthet und geschwollen, ebenso die
Aussenfläche der Giessbeckenknorpel. Beim Ver-
such zu intoniren heben sich aus der grauweissen
Masse die nur leicht gerötheten Stimmbänder her-
vor. Auch die Vorderfläche der Trachea ist mit
152
Ranvari, Die künitUeh« ErnähruoK bei der Behmndlung der Diphtherie.
rTherapentliicha
L ManaiMh^ftai
einem Belag Tersehen, und an einzelnen Stellen
sieht man die ticfrothe Trachealschleimhaut.
Es besteht lebhafter Hustenreiz. Das entleerte
spärliche Sputum ist zähe, eitrig, von Blutstreifen
durchsetzt. Die Athmung ist costal, 30 in d. M.,
regelmässig. Am Thorax ergiebt die physikalische
Untersuchung der Lungen einen ausgebreiteten
Katarrh über beiden unteren Lungenhälften.
Spitzenstoss im 5. I. C. R. schwach in der Mam-
millarlinie fühlbar. Herz nicht vergrössert, nach
rechts bis zum linken Stemalrand. Unter der
Herzspitze ein schwaches systolisches Geräusch
und reiner diastolischer Ton. Ueber den grossen
Geissen zwei reine Töne. H. Pulmonalton nicht
verstärkt. Puls an der dünnwandigen wenig ge-
füllten Radialarterie regelmässig, 114 in d. Minute,
Ton geringer Spannung.
Leber und Milz nicht vergrössert. Stuhlgang
retardirt. Urin trübe, stark sedimentirend, enthält
Y^ Vol. Albumen, ohne Nierenformbestandtheile.
Diagnose: Diphtherie des Pharynx undLarynz
mit Betheiligung der Trachea.
Behandlung: 8 stündliche Ausspülung des
Mundes und der Rachenorgane mit einer y, ^o
Creolinlösung. — Eiscravatte um den Hals. —
2 stündliche Nahrungsaufnahme, bestehend aus
einer Mischung von ^j^ 1 Milch, 1 Eigelb und Yj^ 1
Sherry.
6 Uhr. T. 40,5. P. 130 von geringer Spannung
und Füllung. R. 32. Athmung von lautem Stridor
begleitet, aber noch nicht dyspnoisch. Die Vor-
bereitungen zur Tracheotomie werden getroffen und
die Wärterin diesbezüglich instruirt. Es besteht
grosses Schlafbedürfniss.
12 Uhr. Pat. schläft seit einer halben Stunde.
Nahrung gut genommen. — Im Ganzen einge-
nommen: Yft ^ Milch, 2 Eigelb, Y? ^ Sherry.
9. 12. Schlaf nur sehr unruhig, von Husten-
reiz unterbrochen. Pat. klagt über lebhafte Hals-
beschwerden und beständiges Gefühl von Frost
und Hitze. Während der Nacht 1 1 Milch und
Yrj 1 Sherry aufgenommen.
8 Uhr. T. 39,3. P. 114. R. 32. Puls von ge-
ringer Spannung, aber regelmässig. Bei Respira-
tion lebhafter Stridor. Keine Athemnoth. Urin
500/1030. Yö Vol- Albumen.
8Y2 Uhr. Ausspülen der Rachenorgane und
Inhalation mit einer Y4"/o Creolinlösung.
Dann Nahrungsaufnahme : Y5 ^ Milch, 2 Eigelb,
20 g Zucker, Y16 ^ Sherry.
lO'/j Uhr. Yi5 1 Sherry mit 1 Eigelb.
Dann Ausspülung des Rachens.
12 Uhr. Y4 ^ ^ilcli °^i<^ 1 Esslöffel Cognac.
Pat. verlangt einige Eisstückchen, die ihr gegeben
werden
4 Uhr. T. 40,5. P. 138. R. 30.
Ausspülung des Halses und Inhalation heisser
Creolinlösung 2 Minuten lang.
4Yj Uhr. Aufnahme von Y4 ^ Milch, 1 Ei-
gelb, 20 g Zucker, Y15 ^ Sherry. Eisstückchen in
den Mund.
7 Uhr. Ys 1 Eismüch.
Dann Ausspülung des Halses.
Der Befund im Rachen derselbe wie bei der
Aufnahme. Die Athmung ist erschwert, aber nicht
dyspnolsch. Die Unterkieferdrüsen sind stärker
geschwollen als gestern. Der Hustenreiz ist
massig. Pat. hat nur wenig zähschleimig eitriges
Sputum entleert. Die Nahrungsaufnahme war
heute schwieriger, weil Pat. über Appetitlosigkeit
klagt und Alles nur mit Widerwillen geniesst.
Während der Nacht wird 3 stündliches Aus-
spülen des Halses mit nachfolgender Nahrungs-
aufnahme angeordnet. Schlaf soll dadurch nicht
gestört werden. Glycerin-Clystier; ohne Erfolg.
10. 12. 8 Uhr. T. 39,4. P. 132, regelmässig
von geringer Spannung. R. 36. Stridor geringer.
Urin 1100/1027. Ye Vol. Albumen.
Während der Nacht hat Pat. 4 Stunden im
Ganzen, wenn auch mit Unterbrechungen, ge-
schlafen. Nahrungsaufnahme in den letzten
24 Stunden im Ganzen ly^ 1 Milch, 4 Eigelb,
Y7 1 Sherry, 40 g Zucker.
Pat. macht heute einen auffallend müden Ein-
druck. Sie klagt über ein Angstgefühl in der
Brust und über zunehmende Schmerzen im Halse.
Sie hat das Gefühl, als müsse sie ersticken.
Athmung ist von lautem Stridor begleitet, aber
doch frei. Belag auf Tonsillen und im LarynK
nicht verändert. Rand der Epiglottis heute stärker
geschwollen, an einzelnen Stellen blutig. An den
Lungen keine weitere Veränderung.
4 Uhr. T. 40,6. P. 144. R. 36.
Nachmittags lebhafter Hustenreiz und zuneh-
mende Unruhe. Schlucken zwar schmerzhaft, aber
doch möglich. Die Unterkieferdrüsen schmerzen
bei jeder Halsbewegung.
8 Uhr. Grosse Müdigkeit. Pat. versucht zu
schlafen. Nahrungsaufnahme am Tage nur gering:
Y, i MUch, 1 Eigelb, % 1 Sherry.
11 Uhr. 0,01 Morphium. Danach 3 stündiger
ruhiger, erquickender Schlaf. Den Rest der Nacht
wird Pat. von heftigen Halsschmerzen und Husten-
reiz gequält. — Pat. hat 3 stündliche Ausspülungen
des Halses und Morgens 8 und Abends 7 Uhr
je 2 Minuten inhalirt. Ein dünner Stuhlgang
spontan.
11. 12. 8 Uhr. T. 37,9. P. 96. R. 30. Urin
350/1032. Ys Vol. Albumen. -- Seit gestern hat
der Hustenreiz zugenommen, ebenso die katarrha-
lischen Erscheinungen über beiden hinteren Langen-
hälften. Pat. klagt heute über Schmerzen in der
rechten unteren Lungenhälfte. Beim Versuch zu
schlucken heute Hustenreiz, weil Pat. sich ver-
schluckt. Feste Nahrung kann Pat. gar nicht zu
sich nehmen. Mic Mühe gelingt es, der Pat. fest
weiche Nahrung in Gestalt von Milch und Semmel
beizubringen.
4 Uhr. T. 40,0. P. 120, von rasch wechseln-
der Spannung. R. 32. Stridor geringer. Im
Pharynx hat die Röthung abgenommen. Belag
noch vorhanden. Tonsillen treten mehr hervor
wie bei der Aufnahme. Larynxschleimhaut noch
fleckweise mit Belag bedeckt. Die Gegend
zwischen den Aryknorpeln stark geröthet, erodirt,
die Taschenbänder noch mit fest anhaftendem
Belag bedeckt. Die Ränder der wahren Stimm-
bänder stark geröthet. Während der Untersuchung
sieht man eitriges Secret von den Rachenorganen
in der Furche zwischen den Aryknorpeln herunter-
fliessen, wodurch Hustenreiz erregt wird. Stimme
noch vollkommen tonlos.
6 Uhr. Pat. will keine Nahrung mehr auf-
nehmen, da jeder Schlingversnch von quälenden
m. Jmhrganff.l
Aprfl 1889. J
ft«nvarf, DU kftaittieha Ernährung b«i dar Bahmndlung dar Diphtharia.
153
Schmerzen begleitet. Fat. fühlt sich sehr matt
und verlangt nach Ruhe. 3 stundliche Ausspülungen
des Halses. Keine lohalationen mehr.
10 Uhr. 0,01 Morphium. Danach 4 stündiger
Schlaf.
12. 12. 8 Uhr. T. 37,5. P. 144. R. 32. Urin
300/1046. Albumen.
Fat. macht heute einen sehr matten Eindruck.
Der Puls ist von sehr geringer Spannung und
Füllung, die Herzth&tigkeit unregelmässig, das
systolische Gerfiusch an der Herzspitze stärker
wie bei der Aufnahme. Athmung beschleunigt,
nicht erschwert. Halsorgane noch lebhaft ge-
rothet und geschwollen, stellenweise noch mit
Belag bedeckt. Seit gestern Abend hat Pat. keine
Nahmng mehr zu sich genommen. Die Hals-
drüsen beiderseits sehr schmerzhaft und ange-
schwollen.
9 Uhr. Gavage 7, 1 Müch, y^ 1 Sherry, 20 g
Zacker. Danach Ausspülung der Halsorgane mit
antiseptischer Lösung.
11 Uhr schläft Pat. Vs Stunde. Hustenreiz
geringer.
4 Uhr. T. 37,5. P. 144. R. 30.
4V, Uhr. Gavage »/^ 1 MUch, 2 Eigelb," «/^ 1
Sherry.
5 Uhr. Ausspülung des Mundes.
8 Uhr. Gavage % 1 Milch, 1 Gelbei, Vj^ 1
Sherry.
11 Uhr. 0,01 Morphium. Danach 3 stündiger
angenehmer Schlaf. Von 2 Uhr ab liegt Pat. im
Halbschlaf, fühlt sich aber doch wesentlich kräf-
tiger. — Eiscravatte bleibt fort.
13. 12. 8 Uhr. T. 36,5. P. 104. R. 26.
Urin 400/1038. Spuren von Albumen.
Seit gestern ist eine wesentliche Besserung
eingetreten. Puls heute von guter Spannung,
regelmässig. Athmung ruhig, kein Stridor. Husten-
reiz bedeutend nachgelassen. Keine Brustschmerzen.
Im Rachen und Kehlkopf keine Beläge mehr,
letzterer aber bis in die Trachea hinunter zeigt
eine noch geschwollene und gelockerte, stark ge-
röthete Schleimhaut. Ausser der Gegend zwischen
den Aryknorpeln sind auch die freien Ränder der
wahren Stimmbänder heute deutlich hämorrhagisch
infiltrirt. Sputum zeigt streifige Beimengimgen
von Blut. Nachlass der katarrhalischen Geräusche
über den Lungen. Beim Versuch zu schlucken
starker Hustenreiz.
9 Uhr. Gavage: Y^ 1 Milch, 2 Eier, »/^ 1
Sherry.
12 Uhr. Ausspülung des Halses. Hydropa-
thische Einwickelung des Halses wegen der noch
andauernden Drüsenschwellung.
1—3 Uhr Schlaf.
4 Uhr. T. 36,6. F. 102. R. 26.
5 Uhr. Gavage: »/, 1 Milch, 2 Eier, % 1
Sherry.
8 Uhr. Versuch, festweiche Nahrung zu
nehmen, gelingt der Fat., worüber grosse Freude.
Pat. schläft um 10 Uhr und verbringt ohne Mor-
phium eine gute Nacht.
14. 12. 8 Uhr. T. 37,2. F. 108. R. 22. Urin
350/1045. Sparen Albumen.
Pat. hat 6 Stunden geschlafen. Heute Morgen
geniesst Pat. festweiche Nahrung ohne Schmerzen
mit gutem Appetit. Puls von guter Füllung und
Spannung. Schwellung und Röthung der Bachen-
organe nimmt ab. Stimme noch tonlos. Pat.
hustet ein eitrigschleimiges, zähes Sputum aus,
in welchem sich reichliche Mengen Fibringerinnsel
befinden. Katarrh über den Lungen nimmt ab.
4 Uhr. T. 36,4. P. 108. R. 22.
Die selbstständige Nahrungsaufnahme ist gut
vor sich gegangen. Pat. hat mit Appetit 2^3 1
Milch, 6 Eidotter, 100 g Schabefleisch, 2/^ 1 Sherry,
1 Gognac und 60 g Brod genossen.
15. 12. 8 Uhr M. T. 37,0. F. 102. R. 20.
Urin 400/1043, frei von Albumen.
Während der Nacht von 11 Uhr Abends bis
6 Uhr Morgens guter Schlaf. Ki-äftezustand der
Fat. bessert sich. Die Klagen beziehen sich nur
noch auf leichten Kehlkopfreiz und Stimmlosigkeit.
Im Larynx noch beträchtliche Röthung und
Schwellung der gesammten Schleimhaut. Die
wahren Stimmbänder sind nur noch an ihren
freien Rändern geröthet, berühren sich aber beim
Litoniren . nicht.
4 Uhr. T. 36,7. F. 96. R. 20. — Nahrungs-
aufnahme reichlich wie gestern, ohne Beschwerden.
Li der Folgezeit schreitet die Genesung ohne
üblen Zwischenfall fort. Fast Ende December
ist die Kehlkopfschleimhaut vollständig normal,
indess besteht die Stimmlosigkeit in Folge von
Lähmung der Mm. thyreoarytaenoidei noch bis zum
15. Januar fort. Geheilt am 2. 2. 89 entlassen.
Fall IV. Bertha G., Händlersfrau, 28 J. alt.
Diphtherie des Rachetis, Albuminurie. Unver-
mögen zu schlucken. Grosse Entkräftang. Künst-
liche Ernährung. Heilung. — Aufnahme 24. i. 89^
geheilt entlassen 18. 2. 89.
Pat. stammt aus gesunder Familie. Der Vater
ist an einer ihr unbekannten Krankheit, die Mutter
im Wochenbette gestorben. Zwei Geschwister
leben und sind gesund. Sie selbst überstand als
Kind Masern und Pocken und hat öfters an Hals-
entzündungen gelitten. Sie hat drei Schwanger-
schaften durchgemacht. Die beiden ersten Kinder
starben kurz nach der Geburt, das letzte Kind
lebt und ist gesund.
Die jetzige Krankheit begann am 21. Jan.
mit Schüttelfrost, darauf Hitze, Kopfschmerz und
Uebelkeit. Sehr bald stellte sich Halsschmerz ein,
welcher das Schlucken beschwerlich und schmerz-
haft machte. Pat. legte sich zu Bett und machte
warme Umschläge. Die Schlingbeschwerden
steigerten sich derartig, dass Pat. so gut wie
gamichts zu schlucken vermochte. Sie will in
diesen 3 Tagen gamichts zu sich genommen
haben, auch hatte sie kein Verlangen, etwas zu
gemessen, der Appetit maugelte gänzlich. Die
Kräfte nahmen zusehends ab, zumal sie auch der
Schmerzen und des Fiebers wegen während der
ganzen Krankheitsdauer fast gar nicht geschlafen
hatte.
Fat. blieb vom 21. bb 24. 1. ohne ärztliche
Hülfe, dann suchte sie, da ihr Zustand immer
schlimmer wurde, die Charit^ auf und wurde auf
die Isolirstation für ansteckende Krankheiten
verlegt. Schliesslich giebt Fat. noch an, dass sie
ihr 3 Monate altes Kind bis zu dem Moment,
da sie zur Charite gebracht wurde, selbst ge-
stillt hat.
Stat. praesens: Mittags 24. 1. 89. T. 89,6.
20
154
Ranvari, Dia küntüleh« Ernährung bei dar Bahandlunc dar Diphtherie. r^»«'^^!^!!^^
P. 126. R. 24. — Pat, macht bei der Aufnahme
einen sehr deplorabeln, schwerkranken Eindruck.
Sie ist matt und elend. Das Gesicht aufgedunsen
und yerschwollen , besonders aber zeigt der Hals
in der Gegend der Kieferwinkel deutliche An-
schwellung. Die Lippen sind trocken, die Sprache
stark näselnd, nicht heiser. Sensorium ist frei,
doch ist Pat. über die ihr bekannte Krankheit
sehr aufgeregt. Sie klagt über anhaltende Hals-
schmerzen und die Unmöglichkeit zu schlucken.
Die Untersuchung des Ilachens ergiebt eine inten-
sive Röthung und Schwellung, so stark, dass sich
die Innenflächen beider Tonsillen fast berühren.
Hier an der Innenfläche sind beide Tonsillen mit
einer dicken, derben, gelbgrauen diphtheritischen
Einlagerung versehen. Die Drüsen am Halse hart
und stark geschwollen. Foetor ex ore. Respiration
regelmässig, laut, schnarchend, doch ohne Stridor.
Kaum merkliche Dyspnoe. Puls regelmässig, klein,
leicht unterdrückbar. Am Herzen nichts Abnormes
zu constatireu, Herztöne rein.
Ord. : Eiscravatte. Gurgelung mit Creolin. Da
Pat. nicht schlucken kann, wird ihr gegen 5 Uhr
Vi 1 Milch, 2 Gelbei und 3 Esslöffel Sherry mittelst
des Gavage 'Apparates in den Magen gespritzt.
Pat. war zuerst über die ihr unangenehme und
etwas schmerzhafte Procedur aufgeregt, beruhigte
sich aber alsbald.
Abends 9 Uhr subcutane Morphiuminjection
von 0,01 M.
25. 1. Morg. 8 Uhr. T. 39,3. P. 132. R. 24.
Urin 500/1030, sehr starker Eiweissgehalt.
Pat. hat Nachts einen zwar unterbrochenen, aber
doch mehrstündigen Schlaf gehabt, durch den sie
sich erquickt und gekräftigt fühlt. Sie wachte des
Oefteren auf, musste husten, schlief aber wieder
ein. Ihr subjectives Befinden ist besser als gestern.
Der Schlaf hat ihr wohlgethan. Sie ist dankbar
dafür und fragt schon ängstlich am Morgen, ob
sie auch Abends wieder „zum Schlafen'' bekommen
werde. — Die Halsschmerzen haben sich noch
nicht ermässigt. Die Sprache ist näselnd, matt,
jedoch nicht heiser, die Athmung etwas rauh, hör-
bar, aber kein Stridor, keine Dispnoe. Die rechte
Halsseite ist deutlich geschwollen, die rechte Backe
stark geröthet, die linke blass.
Die Untersuchung des Pharynx ergiebt noch
sehr starke Röthung und Schwellung, der Belag
der Tonsillen hat seit gestern noch zugenommen,
ist grauroth, missfarbig, blutet bei der leichtesten
Berührung. Foetor ex ore etwas geringer.
Puls 132, regelmässig, von massiger, nicht ge-
rade schlechter Spannung. Das Schlucken ist immer
noch sehr schmerzhaft, doch vermochte Pat. einige
grosse Schlucke Milch zu nehmen, ohne sich zu
verschlucken. Appetit liegt gänzlich darnieder. —
Um 10 Uhr Morgens soll Pat. durch die Gavage
ernährt werden; während der Vorbereitungen er-
greift sie das Gefäss mit der zubereiteten Nähr-
flüssigkeit (V4 1 Milch, 2 Gelbei, 3 Esslöffel Sherry)
und trinkt sie aus, ohne sich zu verschlucken.
Um 12 Uhr. P. 130, von ziemlich guter Be-
schaffenheit. — Pat. hat seit 10 Uhr nochmals '/a ^
Milch, 2 Gelbei u. Sherry zu sich genommen, ohne
sich zu verschlucken.
Um 4 Uhr. T. 40,1. P. 100. R. 24.
Pat. klagte im Laufe des Tages sehr über
Halsschmerzen, ab und zu stellten sich Kopf-
schmerzen ein, die aber bald wieder vergingen.
Ab und zu Husten. Die Inspection des Pharynx
ergiebt keine merkliche Veränderung. Foetor ex
ore stärker als zuvor. Sprache näselnd. Sensori-
um frei. — Pat. nimmt noch '/4 ^ Milch. Die Ge-
sammt-Nahrungsauf nähme an diesem Tage betrug:
27, l Milch, 4 Gelbei, 3 kl. Port. Sherry. — Pat.
hatte sich im Laufe des Nachmittags auch subjec-
tiv leidlich befunden.
Abends 8 Uhr. T. 40,1. P. 126. Injection
von 0,01 M., wonach ein fast 6 stündiger ruhiger
Schlaf eintritt. Um 2 Uhr erwachte Pat. und konnte
nicht mehr einschlafen. Sie warf sich in einem
unruhigen Halbschlummer hin und her.
Um 5 Uhr Morgens verlangte Pat. nach ärzt-
licher Hülfe, weil sie einen im Halse steckenden
Pfropf nicht herausbringen konnte; es dauerte über
10 Minuten, bis sie unter kurzem, ziemlich kraft-
losem Husten ein Stück eitrigen Schleims heraus-
beförderte.
26. 1. Morgens 8 Uhr. T. 38,6. P. 116. R. 24.
Urin 500/1070, enthält V4 freies Vol. Albumen, stark
sauer, sedimentös.
Pkt. liegt heute Morgen in halberhöhter Rücken-
lage, Gesicht fieberhaft geröthet. Blick unruhig,
Gesichtsausdruck leidend, Sensorium frei. Puls
von leidlicher Beschaffenheit, doch auch leicht zu
unterdrücken. Athmung ziemlich frei, kein Dyspnoe.
Sprache matt, näselnd, nicht heiser.
Die Inspection der Rachenorgane ergiebt noch
keine deutliche Veränderung der Röthung, Schwel-
lung und des Belages. Die Untersuchung des
Larynx ergiebt denselben frei von diphtheritischen
Einlagerungen.
Da Pat. vor Schmerzen absolut nicht im Stande
ist zu schlucken, so wird sie um 10 Uhr per Gavage
ernährt. Sie benimmt sich dabei heute so unruhig
und ungeschickt, dass ein Theil der Flüssigkeit
wieder herausgewürgt wird, doch hat sie etwa Va ^
Milch mit Gelbei und Sherry bei sich behalten.
12 Uhr M. T. 38,1. P. 118. R. 24. Das Be-
finden der Pat. im Laufe des Tages war ein ziem-
lich gutes, die Schmerzen waren erträglich, Husten
massig, das Schlucken ist jedoch heute dauernd un-
möglich, so dass um 4 Uhr Nachm. wiederum zur
Gavage geschritten wird. Um die heute so leb-
hafte Reizbarkeit der Pat. abzustumpfen, werden
zuvor 0,005 Morphium subcutan eingespritzt, trotz-
dem besteht während der Gavage lebhafte Beunruhi-
gung, welche Pat. nicht unterdrücken kann. Ein
Theil (ca. V2) ^^ injicirten Nährflüssigkeit wird
sofort herausgebrochen.
Um 6 Uhr wird, nachdem sich Fat. beruhigt
und nachdem sie nochmals über ihr Verhalten bei
der Gavage instruirt war, wiederum gavagirt, es ge-
lingt ihr Vs 1 Milch mit 2 Gelbei und Sherry bei-
zubringen, ohne dass Erbrechen eintritt. Pat. ist
hierüber sehr glücklich.
4 Uhr. T. 39,3.
Abends 8 Uhr. T. 39,7. P. 108. R. 24.
Um 9 Uhr Injection von 0,01 Morphium.
Gesammtnahrung am 26. 1.: IV4 1 Milch,
5 Gelbei, % 1 Sheriy.
27. 1. Morg. 8 Uhr. T. 38,0. P. 110. R. 24.
Urin 500/1030, starker Eiweissgehalt.
Schlaf durch Husten öfters unterbrochen, doch
April 188». J
ftanvaf ft, üie kOnsiUcha fimährung bei der Behandlung der Diphtherie.
155
hat Pat. im Ganzen wohl 6 Stunden geschlafen.
Pat. sieht heute leidlich gut aus, befindet sich
ziemlich gut und ist guter Stimmung. Die Rachen-
organe sind immer noch stark geröthet, mit grauem
Belage bedeckt. Sprache näselnd, kein Stridor.
Das Schlucken ist auch heute ganz unmög-
lich. Pat. wird daher 3 mal (um 10 Uhi* Vorm.
und um 6 und 6 Uhr Nachm. gavagirt, ohne zu
erbrechen. Die zugefuhrte Nahrung beträgt heute:
VU 1 Milch, 5 Gelbei, »/t l Sherry, 25 g Zucker.
Der Puls schwankt heute zwischen 108 und 118
Schlägen, ist eher kleiner wie gestern. Doch be-
steht keine Dyspnoe, überhaupt keine Collaps-Er-
scheinungen. Kräftezustand im Ganzen befriedigend.
Im Laufe des Tages constatirt man bei der
Inspection des Rachens, dass die Röthung und
Schwellung nachgelassen und die Beläge sich ab-
znstossen beginnen. Kehlkopf frei.
8 Uhr Abends Morph! um-Injection yon 0,01.
28. 1. 8 Uhr Morg. T. 38,2. P. 92.
Nach der Morphium -Injection trat ein ruhiger,
erquickender Schlaf ein, welcher fast bis zum Morgen
dauerte und nur ab und zu durch leichten Husten
gestört wurde. Pat. befindet sich heute Morgen
yerhältnissmässig recht gut, sieht gut aus; sie ist
znyersichtlich und fröhlich gestimmt und giebt an,
fast gar keine Schmerzen mehr zu haben. Das
Gesicht ist weniger geröthet, die Schwellung am
Ualso hat nachgelassen, die Sprache ist etwas
freier. Im Pharynx ist die Röthung und Schwellung
entschieden yermindert, und die Innenfläche der
Tonsillen mit gut granulirenden oberflächlichen
Ulcerationen besetzt.
Das Schlucken ist erheblich leichter. Pat. kann
grosse und kleine Schlucke zu sich nehmen, ohne
zu würgen und ohne sich zu yerschlucken. Sie trinkt
zwar ohne Appetit, aber auch ohne Widerwillen.
Im Verlaufe des Tages bleibt das Krankheits-
bild ein gleich günstiges. Die Rückbildung der
Halsaffection macht weitere Fortschritte. Von der
Gayage wird Abstand genommen, da Pat. sich
genügend ernährt. Sie nimmt im Laufe des Tages
zu sich: 2 1 Milch, 2 Eigelb, % 1 Sherry, 20 g
Zacker.
Mittags 12 Uhr. T. 37,4. P. 96.
Nachm. 4 Uhr. T. 37,5. P. 90.
Abends 8 Uhr. T. 36,0. P. 90. Abends 0,01
Morphium.
29. 1. Morg. 8 Uhr. T. 37,4. P. 90. Urin
600/1025. Eiweissgehalt noch sehr reichlich.
Pat. hat ziemlich schlecht geschlafen, da sie oft
durch Husten gestört wurde. Dennoch befindet sie
sich heute Morgen gut und kräftig und ist yon
heiterer znyersichtlich er Stimmung. Gesichtsaus-
druck natürlich, heiter. Normaler Turgor der Ge-
sichtszüge. Puls yon guter Spannung. Die Röthung
im Pharynx ist fast yerschwunden, die Tonsillen
sind abgeschwollen, yom Belage sind nur noch
kleine Reste übrig. Sprache noch näselnd, aber
nicht heiser, ziemlich kräftig. Schlucken fast ganz
unbehindert. Athmung frei. Kein Foetor ex ore.
Zunge dick, weiss belegt. Appetit gering.
Im weiteren Verlauf bessert sich der Zustand
rasch, die Albuminurie yerschwindet, Appetit wird
rege, die Kräfte heben sich und konnte Pat. am
18. 2. geheilt entlassen werden.
lieber Lithotripsie bei eingekapselten
Blasen8teifien und deren Resultate.
Von
Dr. Rörtg ten. in Wildungen.
Bis zum Jahre 1873, in welchem ich
den ersten eingekapselten Blasenstein fand
und zertrümmerte, habe ich in der mir zu
Gebote stehenden Litteratur keine Notiz ge-
funden über die Anwendung der Lithotripsie
bei solchen, sondern nur Weniges über Litho-
tomie. Doch war mir ebensowenig damals,
wie bei öfterer Wiederholung dieser Opera-
tion, zweifelhaft, dass die Lithotripsie un-
gleich bessere Resultate liefern werde. Und
ich hatte Glück.
Eingekapselte Blasensteine sind gar nicht
so selten. In Bockes Lehrbuch der patholo-
gischen Anatomie yon 1843 auf Seite 137
heisst es: „Blasensteine befinden sich ent-
weder lose in der Blase, oder werden von
der Wand .derselben mehr oder weniger um-
kapselt (eingesackt), sie liegen in Aus-
buchtungen derselben oder sind durch Faser-
stoffgerinnsel an dieselbe befestigt (ange-
wachsen)".
Professor Niemeyer sagt auf S. 37
seiner Pathologie und Therapie, 1863: „Steine
liegen oft frei in der Harnblase, oft sind sie
in Ausbuchtungen und Divertikeln einge-
bettet und fixirt".
InMalgaigne^s Lehrbuch der operativen
Medicin von 1843 lesen wir auf S. 582
wortlich: „Der Umstand, der am meisten in
Verlegenheit setzt, ist der, -wenn der Stein
in einem Sacke eingeschlossen ist. Littre
räth, die Umhüllung zu zerquetschen, resp.
zu zerreissen. Boy er räth dasselbe, oder
sie auszuschälen." So auch Rognetta.
Sir Henry Thompson sagt in seinem
Werke: Lithotomie und Lithotripsie, von
1882, auf S. 215 so: „Eine Ursache für
das Andauern phosphatischer Bildungen,
wenn auch eine seltene, ist ohne Zweifel
ein eingekapselter Stein". „Ich darf wie-
derholen, dass ich dies Yerhältniss mehrere
Male beobachtet habe, in der Leiche nicht
selten, an Lebenden drei oder vier Mal."
Nähere Auskunft giebt er in der Tabelle
der 437 von ihm Operirten, indem er in
den Nummern 261, 271 u. 343 (einmal nach
einem Schnitt, zweimal nach Zertrümmerun-
gen mit tödtlichem Ausgang) bei den Sec-
tionen Divertikel fand, aber ohne Steine; in
zwei anderen Fällen mit letalem Ausgang,
in No. 193, einen Monat nach einem Seiten-
steinschnitt, einen grosseren Stein einge-
yfrachsen fand, den er nicht hatte entfernen
20 •
•
156 Rörig, Ü«b«r Lithotripil« bei aioKekapielten BUtanftteioM und daran Raiultata. [^on^uhdlt^^
können", und in No. 386 nach der 6. Session
„zwei kleine Steine in einem Divertikel".
In drei durch Lithotripsie glücklich be-
handelten, nicht letal verlaufenen Fällen,
hat er (No. 373) „aus dem Sacke, in dem
er gelagert vrar, den Stein in 6 Sitzungen
Stück für Stück entfernt", in No. 325 „etwas
von der mörtelähnlichen Masse am Blasen-
hals durch Auswaschen entfernt" und in
No. 411 „in 8 Sessionen gröbere Brocken
entfernt und dann gefunden, dass ein Theil
des Steines an der Seite der Blasen wand
eingekapselt war". Er konnte ihn fassen,
aber nicht bewegen und erklärte ihn „für
ungeeignet für weitere Operationen".
In dem 1888 erschienenen Werke über
specielle Pathologie und Therapie der Harn-
röhre und Harnblase handelt Professor von
Antal über eingekapselte oder fixirte Blasen-
steine auf S. 251, 254 u. 256.
Ich bin gewiss, dass überhaupt weit
mehr eingekapselte Blasensteine werden ge-
funden werden, wenn bei Verdacht auf Stein
die Untersuchung des Blasengrundes resultat-
los geblieben und nun die Blase in allen
Richtungen, oben, vorn, seitlich und hinten
genau und langsam betastet wird. Denn
unter 69 Fällen von Lithotripsie bei 57 Per-
sonen fand ich 35 und mehr eingekapselte
Blasensteine allein oder neben freiliegenden
in 28 Einzelfällen bei 24 Personen (da 2 in
einem Sommer nicht fertig wurden und ein
Herr 2 Mal Neubildungen darbot). Allein im
Sommer 1888 fand ich sieben Einkapselungen,
1887 vier. Diese 38 eingewachsenen Blasen-
steine fanden sich
in 6 Fällen (8 Steine) unten im Blasen-
grund, mehr oder weniger weit hinter
der Prostata;
in 3 Fällen (5 Steine) an der vordem
Blasenwand, über dem Blaseneingang;
in 3 Fällen (5 Steine und mehr) oben im
Blasenscheitel;
in 12 Fällen (13 Steine) rechts seitlich,
theils mehr nach oben, theils mehr nach
vorn, in der Höhe des Darmbeinkammes,
und
in 2 Fällen (4) Prostatasteinchen.
Wodurch werden eingekapselte
Blasensteine von freiliegenden unter-
schieden? Loseliegende können mit der
Sonde verschoben, mit dem Lithotriptor ge-
fasst und bei Rotirung des Griffs im Kreise
herumgedreht werden. Eingekapselte sind
nicht oder nur wenig verschieblich, höchstens
soviel, als die Blase ohne Gewalt gedehnt
werden darf. Sie hängen fest.
Ihre Grösse varriirte von der einer Hasel-
nuss bis zu der eines grossen Hühnereies,
also bis über 4 cm Durchmesser oder so-
weit die Schrauben meiner grössten Litho-
triptoren fassten.
Ihre physikalischen Eigenschaften
sind dieselben, wie der freiliegenden. Ich
fand kreideweiche (aus Phosphaten), darunter
einige Male wachsartigklebrige, die die Aus-
leerung der in den Schnäbeln befindlichen
Trümmer innerhalb der Blase sehr erschwer-
ten (aus kohlensaurem Kalk und organischer
Materie, Ebstein); ferner solche von der
Härte sehr festen Mörtels (ürate) und ganz
feste, welche die Kraft der vollen Faust
zum^erbrechen erforderten (Harnsäure und
Oxalsäure).
Auch der Klang eingekapselter Blasen-
steine ist derselbe, wie Äreiliegender — am
besten wahrnehmbar durch die Stahlsonde.
Harnsäure und oxal saure klingen beim An-
klopfen am hellsten, die aus üraten weniger,
die aus Phosphaten am wenigsten. Die
partielle Einhüllung scheint den Klang nicht
zu schwächen.
Die ümwallung, den Ring, das den
Stein einkapselnde Schleimhautstück,
fühlt man erst nach Ausschäl ung des Steines
als einen mehrere Millimeter hohen und
breiten Wulst, die innere Fläche als eine
rauhe teller- bis trichterförmige Grube von
der Grösse eines 1- oder 10-Pfennig- oder
eines Markstücks. Auch nach einem und
zwei Jahren habe ich die Nester, wenn seit-
lich oder im Blasenscheitel oder vom ge-
legen, mit der Sonde genau fühlen können,
aber ohne Recidiv.
Im gleichen Maasse, wie die Grube, fühlt
sich auch das in ihr gesessene Stein stück
rauh an, wie mit Moos oder Staub über-
zogen, zum Unterschiede von den rauhen
oder bröcklichen Bruchstellen bei Phosphaten
oder Uraten und dem bisweilen muschligen
Bruch porzellanartig fester harnsaurer oder
oxalsaurer Steine.
Die oben im Blasenscheitel (mit einer
Ausnahme), hinten überm Rectum, an der
vordem Blasenwand und seitlich gefundenen
eingekapselten Blasensteine waren grössten-
theils feste harn saure oder Urate, einige
nur hatten Phosphatringe. Ihre Kerne waren
zweifellos harnsaure; die aber im Blasen-
grunde incarcerirten oder in Divertikeln
festgehaltenen ausschliesslich phospha-
tische.
Im Allgemeinen lithotripsire ich
ohne Chloroform, aber bei localer Co-
cain an wen düng und habe allen Grund,
mit dieser Operationsmethode zufrieden zu
sein, da ich unter 69 so Operirten nur 2,
resp. 3 TodesföUe, also nur 3 — 4,3 % Mor-
talität, zu verzeichnen hatte, ein so günsti-
ges Yerhältniss, wie sich eines bessern die
IIL Jalirgmiig.1
April 1889. J
ROrlg, Üeber Uthotriptie bei ainK«kapt«lten BUientteinen und der«o Resultate.
157
berühmtesten Operateure nicht rühmen
können. Meine Patienten lyolltell auch aus-
nahmslos lieber 6 Wochen und mehr auf
Operation und Nachbehandlung Terwenden,
als einmal sich in Gefahr begeben. Es kann
doch nicht geleugnet werden, dass auch bei
Borgföltigstem Yerfiüiren in der Chloroform-
narkose Blasentheile gequetscht werden.
E^nesfalls würde ich zur Entfernung des
Steinrestes aus der Insertion Chloroform
anwenden aus Besorgniss, die Blase zu
quetschen, Ojstitis, Brand und Tod zu rer-
an lassen. Mit Chloroform geht es allerdings
rascher.
Ich lasse, wie überhaupt zur Lithotripsie,
das Rectum entleeren durch Clysmata oder
durch ein Abends vorher genommenes Laxans,
bei ruhigem Verweilen des Patienten den Urin
Vs — ^4 Stunde verhalten, ammoniakali sehen
aber oder blutig- eitrigen zuvor entleeren,
die Blase mit 74P^oc6°^^S6i^ Carbolwasser
ausspülen und 60 — 100 g dieser Losung ein-
flössen und den Patienten möglichst hori-
zontal sich auf festes Beckenpolster legen.
Mit der aseptisch gemachten Stahlsonde
überzeuge ich mich nochmals von der Lage
und Grosse des oder der Steine und be-
zeichne an diesen im Vergleich zur Penis-
ofFnung das Maass, bei welchem ich jenen
fühlen muss und führe den gleichfalls asep-
tisch gemachten Lithotriptor bis auf gleiche
Länge ein.
Die Lithotripsie Reibst.
Ich habe eingekapselte Blasensteine,
gleichviel, ob schmal oder dick, sofern sie
nur ein wenig hervorragten und zu fassen
waren, mit dem seitlich oder senkrecht an-
gelegten hochgezahnten Lithotriptor gleich
so oft, als nur möglich, gefasst und zer-
trümmert, nachdem ich .mich bei vorsichti-
gem Anschieben der Löffel durch Befragen
des Patienten, wie durch Betrachtung seiner
Mienen, überzeugt, dass Blasenschleimhaut
nicht gefasst sei.
Sobald das überhängende Stück abge-
}^ochen, habe ich ein plattschnabeliges In-
strument (ohne hohe Zähne) benutzt und
dessen Schnäbel nur soweit geöfiFhet, als
nöthig war, um sie, senkrecht aufgesetzt,
zvnschen Stein und Umhüllung einzudrängen,
dann angedrückt und zugeschraubt und bei
Wiederholung dieses Actes den Steinrest
Tollends zertrümmert und aus dem Neste
herausgezogen.
Es würde zu nichts führen, dickschnäblige
oder hochgezahnte Instrumente zum Fassen
der im Loche steckenden, vielleicht glatt
abgekniffenen Brocken zu verwenden. Diese
sind dazu ganz unbrauchbar und können
nur Blutung und Gangrän verursachen.
Waren durch das Zuschrauben des über-
hängenden Stücks Sprünge entstanden, die
sich bis in die Einschnürung erstreckten,
oder schon Brocken herausgefallen, so war
die AusBchälung des Nestes leichter.
Die oben im Blasenscheitel, an der vor-
dem Blasenwand und über dem Blasen-
eingang eingewachsenen können wohl nur
durch senkrechtes Aufsetzen der Schnabel-
spitzen gefasst und zertrümmert werden;
die seitlich incarcerirten zuerst mit seitlich,
dann mit senkrecht aufgesetzten Schnäbeln.
Bei hoch über dem Rectum eingewachsenen
muss der Versuch entscheiden ; die im Blasen-
grunde sind mit abwärts gerichteten Branchen
zu fassen.
Schwierig ist das Fassen eingekapselter
grosser, harter, rundlicher, glatter, nur wenig
aus der Umhüllung hervorragender Blasen-
steine, besonders derer, welche schräg stehen
zu den Griffen des Lithotriptors.
Bisweilen ist es ungemein schwer, mit-
telst dieses Instruments den Steinrest aus
dem Neste hervorzuziehen; es gelingt dann
leichter, ihn vermittelst einer rechtwinklig
gebogenen^ an der Spitze schippenfömig ab-
geplatteten Metallsonde herauszuheben. .
Nach Reinigung der Insertionsstelle von
allen Concrementen, jedenfalls nach mög-
lichster Zerkleinerung der in den Blasen-
grund gefallenen Steinbrocken, wird, wie nach
jeder Session, die Blase mittelst des Clower^-
schen oder Ultzmann'schen Evacuators und
warmer Carbol- oder Bor^äurelösung ge-
reinigt und vom Detritus befreit. Patient
wird zu Bett gebracht, zur Verhütung von
Fieberfrost überall, besonders am Unterleib,
recht warm zugedeckt, reichlich mit dünnem,
warmem (Thee) Geträtik versehen bei Fieber-
diät, muss am Operirtage ruhig liegen, leicht
schwitzen, auch liegend uriniren.
Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, ein-
gekapselte Blasensteine unzertrümmert aus
ihrer Adhärenz herauszuschälen, bevor sie
abgekniffen und zersprungen waren. Zum
Glück. Es hätten sonst Rupturen und schwer
oder nicht stillbare Blasenblutungen ent-
stehen können.
Ich habe, zwei ausgenommen, die ich
nicht operiren konnte und anders wohin
sandte, die in den verschiedensten Stellen
eingekapselten Blasensteine durch Litho-
tripsie entfernt, theilweise unter sehr er-
schwerenden Verhältnissen: bei faustgrosser
Prostata-Hypertrophie, bei verbogenem Ein-
gang, bei enormer localer und allgemeiner
Hjperaesthesie, bei einem Asthmatiker, der
30 Jahre an Asthma, seit einem Jahre an
Beschwerden der Harnentleerung gelitten,
bei ruhigem Sitzen 88 — 42 Respirationen
158
Binfwangttr, B«inerkuiiK«o über di« SuKK«ftivtheraple.
rTherap«otbcli«
L Monatshefte.
und 90 Pulse, beim Umlegen zur Operation
56 — 60 und mehr Respirationen und über
110 — 120 Pulse zählen Hess, wegen Er-
stickungszufällen sich nur wenig umlegen
konnte und nicht chloroformirt werden durfte.
Im Sommer 1886 extrahirte ich yon
zwei rechts seitlich eingekapselten, mehrfach
zertrümmerten und in sich zersprungenen
sehr festen harnsauren Blasensteinen ein
Bruchstück von 16 mm Länge und der
Stärke einer Bleifeder. Im Sommer 1888
lithotripsirte ich einen mehr seitlich einge-
wachsenen, sehr harten harnsauren Blasen-
stein von der Grosse einer grossen Birne,
der wie eine Glocke herunterhing und dessen
Rest ich als ein konisch geformtes, über
1 cm langes und eben so breites, scharf-
kantiges Stück glücklich nicht nur aus dem
Loche, sondern auch aus Blase und Harn-
röhre mittelst eines hohlen Lithotriptoi*s
extrahirte. Dies Stück Hess deutlich den
moosartigen üeberzug der Insertionsstelle
erkennen.
Mehle Resultate
der LithotnpHie eingekapselter Blasensteine,
Unter den 28 Fällen von Lithotripsie ein-
gekapselter Blasensteine incl. der 4 Prostata-
steinchen bei 2 Männern, überhaupt bei
24 Personen, habe ich nur einen Todesfall
zu verzeichen gehabt bei einem Herrn, den
ich in seiner Heimath operirte und am
5. Tage wohl verliess, um nach 8 Tagen
wieder zu kommen. Zwei Tage nachher
war er an Anurie und Fieber gestorben,
ob aus Nephritis oder mechanischem Ver-
schluss des Kanals, weiss ich nicht. 3 oder
4 Mal sah ich heftiges, durch Salicylsäure
oder Chinin beseitigtes Fieber, 1 Mal Cystitis
mit Heilung, bei einem Herrn 2 Mal Orchitis
als Folge des Drucks der Griffe auf Blasen-
hals und Samen Strang — sonst aber keine
.Blutung, keine Eiterung, keine Cystitis,
keinen Todesfall.
BeiuerkuDipeu über die Sug^gestiv-
tlierapie«
Von
Prof. Dr. Otto Binswanger in Jena.
[Si-hlHMS.J
Frl. B., geb. 1859, erblich sehr schwer
belastet, an grande hysterie leidend; neben
seltenen epileptischen Anfällen häufige to-
nische Krampfzustände ohne Bewusstseins-
verlust von mehrstündiger Dauer, zuweilen
von Aphasie, Taubheit etc. begleitet. Seit
1882 Mor|lliinismus. Aufnahme in die hie-
sige Klinik am 29. XII. 1887. Langsanoie
Entziehung des Morphiums, beendet Sept.
1888. Im Laufe der hypnotischen Therapie
bleiben schliesslich die Anfälle im Sommer
fast 2 Monate ganz aus. Im Gefolge einer
Nephritis und psychischer Schädlichkeiten
kehrten sie alsdann wieder und bestehen
heute noch fort. Die Hypnose ist bei Frl.B. zu
therapeutischen Zwecken angewandt worden:
I. Während der Morphiumentziehung.
Nur zur Bekämpfung der Anfälle ver-
wandt. Methode: stets Streichen (l — 10
Min.) -h Suggestion. Müdigkeitsgefühl pflegt
sich bei blossem Streichen des Kopfes nach
2 — 3 Min., bei gleichzeitiger Suggestion
schon nach ca. 1 Min. einzustellen. Ort des
Streichens: Stirn und Scheitel. Folgende
Symptome des Anfalls Hessen sich be-
seitigen:
1. hyster. Schüttelkrampf (18. Jan. 88).
2. Hai lucin ationen des Gesichts und Ge-
hörs (Jan. u. Febr. 88).
3. Contracturen (sehr oft während der
ganzen Entziehung): es wurde stets nur die
Hypotaxis erzielt und in dieser Lösung eines
bestimmten Gliedes, meistens desjenigen, in
welchem der tonische Anfall begonnen, sug-
gerirt. Die Lösung trat alsdann stets ein
binnen 3 — 6 Min. und zwar in 3 verschie-
denen Weisen. Etwa in der Hälfte der Fälle
folgte sie Gelenk für Gelenk der Suggestion
und zwar mit deutlich wachsender Ge-
schwindigkeit; oder (in fast der anderen
Hälfte der Fälle) folgte sie anfänglich der
Suggestion, und wenn 1 oder 2 Gelenke ge-
löst waren, fuhr die Kranke plötzlich mit
einem heftigen Ruck zusammen, und dann
war regelmässig eine ganze Extremität mit
einem Male völlig schlaff geworden ; endlich
in wenigen Fällen entsprach der Verlauf
nicht dem suggerirten (s. u.). Die ruckweise
Lösung war stets mit erheblichem Schmerz
verknüpft. Verzögerte sich manchmal die
Lösung, so war meist nachzuweisen, dass
P. einen bestimmten anderen Gedanken ge-
habt und nicht mehr an den Fuss etc. ge-
dacht. Beschleunigt konnte die Lösung oft
dadurch werden, dass P. aufgefordert wurde,
active Bewegungen in dem betr. Glied zu
versuchen. Nie Amnesie. — Auch begin-
nende Contracturanfälle resp.im Zunehmen und
Weiterverbreitung begriffene wurden mehr-
mals coupirt. Nach Lösung eines Gelenks
lösen sich die anderen auch ohne S. binnen
\/g Std. Bei sehr gehäuften Steifigkeits-
anfällen (23. I. etc.) wirkte Streichen nur
momentan lösend.
m. Jahr gaiiff.1
April 1888. J
Biiifwanf«r, Bemerkungen &ber die Suneitlvthenpie.
159
4. Taubheit (mit und häufiger ohne gleich-
zeitige Contractur): 5 und mehr minüt. Strei-
chen mit Suggestion bewirkte stets sehr all-
mähliche Wiederkehr des Hörens. Einmal
wird auch ein Anfall yon Seelentaubheit
durch S. beseitigt.
5. Erbrechen. Nackenstreichen 6 — 10
Min. Mit Suggestion stets erfolgreich.
6. Aphasie (mot.), meist mit Taubheit
zusammen, zuweilen auch (nicht stets, 17.
IL 88) Stummheit bedingt durch Zungen-,
Masseter- und Facialiskrampf (stets mit
Schluckbeschwerden verbunden). Streichen
mit Suggestion bewirkte Rückkehr der Spra-
che bei Aphasie binnen 6 Min., bei durch
Krampf bedingter Sprachstörung binnen
20 Min.; auch dann war die Sprache noch
schwerföllig. Der letzte Rest von »Sprach-
störung schwand meist erst binnen mehrerer
Stunden.
7. Agrypnie: Suggestion und Streichen
erzielen wohl bei längerer Fortsetzung tiefe
Hypnose mit part. Amnesie; hingegen bleibt
die Suggestion sowohl längeren Schlafes im
Anschluss an die Hypnose als auch späteren
Einschlafens durchweg erfolglos.
8. Kopfschmerzen: kein Erfolg.
II. Nach der MorphiumentziehuDg.
1. Gegen Erbrechen (im Decbr. 88):
es wurde 5 Minuten nach vollendeter Mit-
tagsmahlzeit Senken des Kopfes und Ent-
blössung des Nackens befohlen. P. wusste
den Zweck der Procedur. Alsdann wurde
2 — 3 Min. leise über den Nacken gestrichen,
bald mit, bald ohne Suggestion des Müde-
werdens. Letzteres trat stets zuerst (vor
Abnahme der üebelkeit) ein, einerlei ob es
ausdrücklich suggerirt worden war oder nicht.
Zugleich Schwere der Augenlider. Dann
Suggestion: „Der Magen beruhigt sich. Sie
sollen nicht erbrechen. Sie werden nicht
erbrechen. Die üebelkeit schwindet etc."
Regelmässig schwand die vorher ausnahms-
los dagewesene üebelkeit binnen 3 — 5 Min.
Das Erbrechen, das sonst Tag für Tag nach
dem Mittagessen eintrat, blieb aus. Ja P.
genoss einmal direct nach der Hypnose noch
etwas und behielt dies auch bei sich. Grosse
Müdigkeit blieb zurück („Lust zu einem
Nachmittagsschläfchen"). Kaffee, den P.
einmal Vj^ — 2 Std. nach der bez. Hypnose
nahm, wurde erbrochen. Während der gan-
zen Procedur Bewusstsein intact, Erinnerung
durchaus erhalten.
2. Gegen Retentio urinae 5 Mi-
nuten Streichen der Stirn, Sugg. tiefen
Schlafes. Schon nach ca. 3 Min. Resolution
der Glieder, tiefes langsames Athmen; nach
ca. 4 Min. antwortet P. nicht mehr. 4 ma-
lige* laute Wiederholung der Suggestion:
„Nach Va Stunde tiefen Schlafes werden Sie
aufwachen, Urin lassen und keine Rücken-
schmerzen mehr haben". P. schlief danach
'/a Std. sehr tief. Die leise eintretende
Wärterin konnte wenigstens keine Regung
entdecken. Nach etwas über 30 Min. Er-
wachen liess P. eine grössere Menge Urin.
Die Rückenschmerzen waren momentan bes-
ser, kehrten aber schon nach kaum einer
Minute in unveränderter Stärke zurück. An-
geblich absolute Amnesie. P. gab einmal
ausdrücklich an, das Ürinlassen falle ihr
auch nach der Suggestion schwer, aber sie
könne ihren Willen besser anstrengen.
3. Gegen Steifigkeitsanfälle: Ver-
fahren und Erfolg im Wesentlichen wie
während der Entziehung. Oefter entsprach
der' Verlauf der Lösung der Contracturen
nicht dem suggerirten. So begann die Lö-
sung einmal in der 1. Hüfte, statt, wie sug-
gerirt, im 1. Fuss, seltener im r. Fuss statt
im 1. Fuss, nie im Arm statt im Bein.
Wenn Lösung des 1. Fusses suggerirt war,
kam es öfters vor, dass zugleich mit dem
1. Fuss das 1. Knie sich löste, üeberhaupt
pflegt bei Lösung eines Gelenkes durch Sug-
gestion bereits eine Lockerung in allen an-
deren einzutreten. Wenn durch Suggestion
ein Gelenk freigeworden ist, schreitet auch
ohne weitere Suggestion die Lösung fort
und ist in spätestens ^Jq Std. beendet.
Gleichgiltig für den Ablauf der Lösung
I durch Suggestion scheint der Verlauf, den
die Contractur bei ihrem Entstehen genom-
men.
Es gelingt also, wie die vorstehende
Beobachtung lehrt, mittelst der hypnotischen
Suggestion und physikalischer Hülfsmittel
sehr quälende Krankheitserscheinungen,
welche mit dem Grundleiden in ursächlicher
Beziehung stehen, fast augenblicklich zu be-
seitigen, und damit der Patientin ein rela-
tives Wohlbefinden zu verschaffen. Freilich
ist damit ein tief er greif ender Einfluss auf
die Krankheit nicht gewonnen worden und
versagt die suggestive Einwirkung gerade
bei der schwersten Erscheinung, der abso-
luten Schlaflosigkeit, fast vollständig. Die
Beobachtung lehrt aber auch, mit welch ge-
ringer Mühe, mittelst einfacher Suggestionen
im leichtesten hypnotischen Schlafzustande
bei derartigen Kranken auf motorische,
sensible und sensorielle Vorgänge, wenn
auch nur vorübergehend, eingewirkt wer-
den und die Wiederkehr der Anfölle that-
sächlich für längere Zeit, in der obigen
Beobachtung 3 Monate lang, verhindert
werden kann. Die Hypnose ist hier,
auch ohne Desuggestionirung, niemals von
160
Bliifwang«r, B«m«rkuBgMi üb«r die 8uf f et Üvtherapla.
r1i6rap«iitlMli«
Monauhefttt.
unangenehmen Nebenwirkungen begleitet ge-
wesen und hat bei der intelligenten, gebil-
deten Kranken keine Störungen der geistigen
Schärfe, des Auffassungs- und Urtheilsver-
mogens zur Folge gehabt. Es hängt dies
sicherlich eng mit dem hysterischen Erank-
Mtszustande arasammen ; die Vorbedingungen
zum Eintreten der Hypnose, zur Beeinflus-
sung körperlicher Zustände durch psychische
Vorgänge sind gegeben und ist deshalb eine
gewaltsame Umänderung des geistigen Ver-
haltens in dem früher entwickelten Sinne
nicht mehr von Nöthen. Wir nützen diese
krankhafte Beschaffenheit der nervösen Re-
action zu Gunsten der Patientin aus; wir
bekämpfen die Krankheit resp. deren Aeus-
serungen mit ihren eigenen Waffen, ohne,
man muss sagen leider, noch etwas schaden
zu können. Diese gesteigerte Empfänglich-
keit für die Wirkung von Vorstellungsreizen
auf krankhafte, hysterische körperliche Zu-
stände lässt die Suggestion auch wirksam
erweisen ohne Hypnose. Noch deutlicher
als in vorstehendem Falle zeigt dies die
folgende Beobachtung.
Fr. P., geb. 1847, aufgenommen am 22.
XII. 1888, erblich etwas belastet, an hyste-
rischem Irresein leidend, ohne ausgeprägte
Symptome der Grande hysterie, ab und zu
tonische Krämpfe ohne Bewusstseinsverlust
auf Arm und Gesicht beschränkt. Suggestiv-
therapie nur gegen den einzelnen Anfall
wirksam.
Vorher bereits mehrmals hypnotisirt.
6. II. Anfall %b Uhr: erst Schwindel
und Benommenheit, dann schlaffe Lähmung
der beiden Schultern, dann in beiden Ell-
bogengelenken, dann Zufallen der Augen-
lider. Beim Kommen des Arztes besteht
beiderseits Ptosis und Lähmung beider Arme
bei erhaltener Beweglichkeit der Finger.
Sugg. (ohne jedes Streichen): „Denken
Sie an den 1. Arm, Sie werden ihn wieder
bewegen können*^. Binnen 1 Min. ward nun
erst der r. Arm, dann der 1. Arm wieder
beweglich. Dann rieb sich die Kr. die
Augen und konnte sie darauf wieder öff-
nen. Nachträglich giebt die Kr. an, die
Lähmung links sei der rechts vorausge-
gangen.
Am 5. II. wurde ein ähnlicher Anfall
beobachtet: Trismus und Beugecontractur
beider Arme (incl. Hände) ohne Sensibilitäts-
störung. Bei Sugg. ohne Streichen und
passiver Bewegung der Arme in kaum 1 Min.
Lösung.
Hier sind also ohne länger dauernde
hypnotische Beeinflussung die Suggestionen
im wachen Zustande sehr nutzbringend ge-
wesen.
Ich sehe also in der Hysterie die-
jenige Krankheitsform, bei welcher
die Hypnose, falls sie überhaupt im
Einzelfalle erzeugbar ist, am wirk-
samsten und gefahrlosesten verwandt
werden kann.
Die Nancyer Schule ist gemäss ihren An-
schauungen über das Wesen und die Be-
deutung der hypnotischen Vorgänge ent-
gegengesetzter Meinung. Sie hält die Hyste-
rischen im Allgemeinen für wenig geeignet
zur hypnotischen Behandlung und bestreitet
die Analogien zwischen der hysterischen nnd
der hypnotischen Geistesbeschaffenheit. „Ich
kann", sagt Forel, „aus vollster Ueber-
zeügung und aus Erfahrung die Nancy^sche
Schule bereits bestätigen: die geistig Ge-
sunden -mit gesundem Schlaf, die einfachen
Leute aus dem Volke sind unbedingt am
leichtesten zu hypnotisiren und durch Sug-
gestion zu beeinflussen, und zwar Männer
so gut als Frauen." und an einer anderen
Stelle sagt er, dass am besten die Sym-
ptome von Leiden zu behandeln seien, welche
noch nicht eingewurzelt, weniger alt nnd
überhaupt flüchtiger Natur sind. Es ist
wohl unnöthig, nach all dem Gesagten diese
Sätze im Einzelnen auf ihre Richtigkeit zu
prüfen und zu widerlegen. Ich möchte nur
nochmals wiederholen, dass ich an derHyp-
notisirbarkeit dieser einfachen gesunden Leute
aus dem Volke nicht zweifle, aber wohl
zweifelhaft bin, ob mit der Hypnose den-
selben eine Wohlthat erwiesen wird, ob jene
Leiden die Anwendung der Hypnose recht-
fertigen. Ich gelange damit zu der Erledi-
gung der ersten der beiden oben angeführten
Erwägungen. Bei der ausgeprägten grossen
Hysterie, bei schweren Krampfzuständen,
Lähmungen u. s. w., welche mit derselben
verknüpft sind, kann nach den gegebenen
Darlegungen wohl kein Zweifel mehr be-
stehen, dass wir zur Anwendung des Hyp-
notismus nicht nur berechtigt, sondern aucb
verpflichtet sein können. Für die leichteren
Grade, die „kleine Hysterie", wird die Frage
schon schwieriger zu beantworten sein. Die
geschilderten Fährlichkeiten der hypnotischen
Behandlung lehren uns, dass wir auch bei
zweckmässiger Anwendung derselben unan-
genehme und selbst gefahrvolle Folgeerschei-
nungen mit Sicherheit nicht ausschliessen
können. Vor Allem liegt daa Bedenken vor,
ob wir nicht im Einzelfalle durch öftere
Hypnotisirung die kleine in die grosse Hy-
sterie überfuhren oder wenigstens protrahirte
hysterische Zustände hervorbringen. Ich er-
innere an die mitgetheilte Beobachtung be-
züglich des 12jährigen Kindes. In solchen
Fällen wird uns nur die sorgfiUtigste Beob-
III. JaltfgaBg.l
April 1889. J
Blntwaofer, Bem«rkuiiKaii üb«r dl« Sufgettlvthenple.
161
achtung des Krankheltsverlaufes und des
Einflusses des hypnotischen Verfahrens auf
die psychischen und- somatischen Vorgänge
belehren können, ob die Chancen für Be-
seitigung von Krankheitserscheinungen grös-
ser sind als die Gefahren einer Steigerung
der neuropathischen Beschaffenheit. Noch
schwieriger gestaltet sich diese Fragestellung
in denjenigen Fällen, in welchen functionelle
Neurosen, wie Migraine, der Tic douloureux
und andere Neuralgien peripherischer Nerven,
oder gewisse Krampf formen, z. B. Tetanie,
der Accessoriuskrampf, der Tic conyulsif u. A.
ohne nachweisbare hereditäre neuropathische
Disposition als erworbene, durch Infectionen,
Intoxicationen, allgemeine Ernährungsstörun-
gen, traumatische Schädigungen u. A. be-
dingte Krankheitszustände uns entgegen-
treten. Hier werden wir, den oben ent-
wickelten Anschauungen entsprechend, nur
dann an eine hypnotische Behandlung den-
ken dürfen, wenn die zu bekämpfenden
Krankheitssymptome allen anderen thera-
peutischen Eingriffen getrotzt haben und
durch ihre Intensität und Dauer die Arbeits-
fähigkeit der Patienten TÖllig zu Nichte
machen. Es ist mir freilich nicht wahr-
scheinlich, dass in solchen yerzweifelten
Fällen die Suggestivtherapie einen wesent-
lichen Nutzen bringen wird; es ist mir ein
an qualvollster Trigeminusneuralgie leiden-
der Ejranker persönlich bekannt, welcher
sich schliesslich, nachdem auch die Resection
des betheiligten Quintusastes keine Linderung
gebracht hatte, in die Behandlung berufener
Vertreter der Suggestivtherapie, unter an-
deren auch diejenige Bernheim's begeben
hatte, ohne dass irgend eine Besserung er-
zielt worden wäre. Aber selbst vorausge-
setzt, dass andere derartige Fälle ein gün-
stigeres Ergebniss darbieten können, so wird
man doch nicht ausser Acht lassen dürfen,
dass bei lange fortgesetzter Suggestivbehand-
lung die Gefahr der ,, Magnetomanie ^, der
dauernden Gewöhnung an die hypnotische
Cur sehr nahe liegt und dadurch eine psy-
chische Depravation gezeitigt wird, welche
trotz temporärer Schmerzlosigkeit keine er-
neute Berufsthätigkeit mehr zulässt. Der
Vergleich mit dem Morphinismus und Co-
cainismus liegt hier sehr nahe.
Gerade zur Bekämpfung dieser Krank-
heitszustände sowie des Alkoholismus ist
die Suggestivtherapie vielfach empfohlen
worden. Thatsächlich lassen sich willens-
schwache, verkommene Säufer relativ leicht
bypnotisiren und ist wohl denkbar, dass
durch eindringliche Suggestionen eine ein-
seitige Steigerung der Willensenergie zum
Zwecke der Enthaltung von alkoholischen
Getränken vorübergehend erreicht werden
kann. Dies habe ich auch früherhin nicht
bestritten, ich habe nur bezweifelt, dass das
Unterschreiben einer Abstinenzkarte als be-
weiskräftig für den Heilerfolg betrachtet
werden kann und habe ausserdem darauf
hingewiesen, dass auch ohne alle hypnotische
Suggestion die pädagogisch wirkende Thätig-
keit der Irrenanstalt und der Trinkerasyle
bei Durchführung völliger Entziehung des
Alkohols ganz gleiche Erfolge wie die von
Forel mitgetheilten erzielen kann.
Der Hypnotismus als Erziehungsmittel
für böse Buben, wie dies Berillon, He-
ment, Voisin u. A. neuerdings empfohlen
haben, wird wohl kaum eine grössere Be-
achtung erlangen. Dass ich es für ein natio-
nales Unglück betrachten müsste, wenn sich,
der Hypnotismus der Schule bemächtigte,
brauche ich nach ausführlicherer Darlegung
seiner Gefahren kaum besonders zu betonen.
Ueber den Hypnotismus bei Geisteskranken
werde ich an anderer Stelle berichten.
Zum Schlüsse sei mir noch eine Bemer-
kung gestattet. Forel hat auf der letzten
Jahresversammlung der schweizerischen Aerzte
meinen landsmännischen Collegen den Rath
gegeben, in ausgiebigem Maasse in der Praxis
von dem neuen Heilverfahren Gebrauch zu
machen. Ich möchte dagegen an die Herren
Collegen die Bitte richten, diesen Rath nicht
zu befolgen, oder wenn sie, um eigene Er-
fahrungen zu sammeln, ihre Patienten nach
strenger Auswahl geeigneter Fälle, der hyp-
notischen Behandlung unterwerfen wollen,
dies nur im stillen Kämmerlein zu thun.
Die ungeheuere Macht der psychischen In-
fection könnte sonst leicht den Arzt zum
Stifter und Träger einer Volkskrankheit
machen, welche in ihren unheilvollen Folgen
für das geistige und sittliche Wohl nicht
nur „der einfachen Leute aus dem Volke",
sondern auch unserer nervösen gebildeten
Gesellschaft den psychischen Volkskrank-
heiten des Mittelalters kaum nachstehen
dürfte. Die jetzige Hochfluth der hypnoti-
schen Behandlung ist sicher noch im Steigen;
sorgen wir bei Zeiten dafür, dass nach
Ablauf derselben nicht werthvolle Errun-
genschaften des ärztlichen Wissens und
der ärztlichen Kunst versandet zu Grunde
gehen.
21
162
Mmlachowtki, Beitrag zur KenntoiH der Nebenwirkungen det Jod (Jodkali). [^^„'^^hd^*
Beitrag zur Kenntniss
der NebeiiwirkuDgeu des Jod (Jodkali).
Von
Dr. E. Malachowtki (Breslau).
Aus den gesammten casuistischen und
experimentellen Beiträgen über die Wirkun-
gen und Nebenwirkungen der Jodpräparate
ergiebt sich der jetzt allgemein angenommene
Satz, dass, welches Präparat auch immer
in Anwendung gezogen wird, die Folgeer-
scheinungen stets auf Rechnung des Jod zu
setzen sind. Damit stimmt auch die Er-
fahrung überein, dass dieselben mit um so
grösserer Leichtigkeit auftreten, je leichter
zersetzlich das angewendete Präparat ist.
. So lehrt zum Beispiel die klinische Beob-
achtung, dass nach Gebrauch des am leich-
testen zerfallenden Jodammonium die Affec-
tionen der Haut viel früher und häufiger
eintreten als nach Anwendung jedes anderen
Jodpräparates. Auf eine Erörterung der
Frage einzugehen, welche Verhältnisse im
menschlichen Körper das Jod aus seinen
Verbindungen austreiben und das Zustande-
kommen der bekannten Jodwirkungen be-
günstigen, behalten wir uns für eine dem-
nächst in dieser Zeitschrift erscheinende Ar-
beit Tor.
Was soeben von den Jodpräparaten im
Allgemeinen gesagt worden ist, gilt selbst-
verständlich auch von dem jetzt w^ohl am
häufigsten angewendeten Jodkali. Rose^)
hatte in seiner bekannten Arbeit geglaubt,
feststellen zu können, dass Jod in grossen
Dosen dem Körper einverleibt einen Einfluss
auf das Gefässsystem ausübe, indem es
einen Arterienkrampf hervorrufe. Er hatte
beschleunigte Herzaction, kleinen harten
Puls, Kälte und Blässe der Haut mit cya-
notischer Färbung der Extremitäten ge-
sehen. Da jedoch in seinem Falle neben
Jodtinctur auch Jodkalium in Anwendung
gekommen war, hatte Berg^) eingewendet,
dass dieser Symptomencomplex wahrschein-
lich als Kaliwirkung aufzufassen sei, eine
Ansicht, welche von Köhler verallgemeinert
dahin ausgesprochen worden ist, dass die
meisten Erscheinungen des „Jodismus" nach
Gebrauch von Jodkalium auf Rechnung des
Kalium zu setzen seien. Köhler hat
jedoch mit dieser Theorie keinen Anklang
gefunden, und so stehen auch wir nicht an,
nachstehende Beobachtungen als Jodwirkun-
gen aufzufassen. Wir erlauben uns dieselben
mitzutheilen, weil wir in der sehr reichen
Litteratur gleiche oder auch nur ähnliche
Fälle nicht aufgefunden haben. Es handelt
sich um Paraesthesien in einem Falle, um
Auftreten von Fieber in zwei Fällen.
1, Paraesthesien nach Jodkali.
Alle Erscheinungen des Jodismus sind
in ihrer Intensität so sehr wechselnd, bo
unabhängig von der Grösse der dem Körper
einverleibten Jodmenge, so ganz allein ab-
hängig von einer Disposition des betreffen-
den Kranken, welche auch wiederum zeitlich
begrenzt zu sein scheint, dass es nicht
Wunder nimmt, wenn einzelne Autoren nach
ihren Erfahrungen das Vorkommen nervöser
Störungen nach Jodgebrauch vollkommen in
Abrede stellen, während andere wiederum
über häufige und schwere Affectionen des
Nervensystems berichten können. Am ein-
gehendsten sind dieselben wohl zuerst von
Rilliet?) geschildert worden, welcher sie
unter der Bezeichnung „Ivresse jodique'' zu-
sammenfasste; und wenn auch seine Angab*en
vielfach angezweifelt werden, so verfügen
wir doch über eine reiche Anzahl anderer
sicherer Beobachtungen, so dass wir über
das Vorkommen der vielfältigsten nervösen
Störungen nicht in Zweifel sein können.
Wohl am häufigsten ist der die Kranken
oft furchtbar peinigende Stirnkopfschmerz,
ferner schmerzhafte Empfindungen in der
Supraorbitalgegend an der Austrittsstelle
des gleichnamigen Nerven, seltener der an-
deren Zweige des Trigeminus; lancinirende
Schmerzen in den Extremitäten, nervöses
Herzklopfen. Aber auch Erscheinungen von
Seiten des Gehirns sind beobachtet, wie
Unruhe, Angstgefühl, Benommenheit, Ge-
hörsstörungen. Aus der Litteratur der letz-
ten Jahre sind nach dieser Richtung erwäh-
nenswerth ein Fall von Negre*), welcher
bei einem 52jährigen Manne nach 6,5 g
Jodkali neben Schnupfen und Brennen im
Halse Tenesmus vesicae und heftige lanci-
nirende Schmerzen in Schultern, Armen und
Beinen beobachtete, ferner ein Fall von
Rice^), welcher dadurch besonders interes-
sant ist, dass die bekannten Erscheinungen
des Jodismus sich vorwiegend auf der
rechten Seite localisirten — ein für die
Theorie des Jodismus .sehr wichtiger Um-
stand — und der ausserdem sehr heftige
^) Rose, Das Jod in grossen Dosen. Virchow's
Arohiv Band 35.
'^) Berg, Beiträge zur Pharmakologie und
Toxikologie der Jodpräparate. Inaug.-Dissertation.
Dorpat 1875.
^) Rilliet, Bullet, de rAcademie de Medecine
1860 p. 382.
^) Negre, Sur un cas d'iodisme aigu. Bull.
gen. de Therap. 1887. Juill. 30 p. 87.
^) Rice, Unilateraler Jodismus, cit. nach
Deutsche med. Wochenschr. 1888 No. 28.
TIT. Jahrgang.!
April 1889. J
Malaehowtki, Beitrag zur Kenntnits der Nebenwirkungen det Jod (Jodkali).
163
Gehirnsymptome bot als: vollständig ge-
störte Nachtruhe, grosse Unruhe und Todes-
furcht, endlich der von Kopp®) beschriebene
Fall, ^^elcher mit dem unserigen ^'ohl die
meiste Aehnlichkeit hat, wenn er auch
sicherlich anders gedeutet werden muss.
Kopp beobachtete bei einem Luetiker, wel-
cher nach Jodkalium in den ersten Tagen
die gewöhnlichen Erscheinungen des Jodis-
mus bot, bei Fortgebrauch des Mittels nach
vier Tagen eine allmählich sich steigernde
Empfindlichkeit beider Fusssohlen, besonders
beim Auftreten und bei Druck, welche sich
später in Form von bohrenden und klopfen-
den Schmerzen auch spontan und insbeson-
dere bei Nacht geltend machte, so dass
absolute Schlaflosigkeit eintrat. Dabei be-
stand eine leichte Schwellung der Weich-
theilc und der stärkste Druckschmerz an
den Metatarsalknochen, so dass Kopp an
„periostalentzündliche Reizerscheinungen"
dachte, wogegen allerdings der Umstand zu
sprechen scheint, dass diese heftigen Sym-
ptome bereits sieben Stunden nach Aus-
setzen der Arznei verschwunden waren.
In allen diesen Fällen traten jedoch die
nervösen Störungen auf neben den gewöhn-
lichen Erscheinungen des sogenannten Jodis-
mus, während in unserem Falle die Paraesthe-
sien das einzige Symptom blieben.
Ein älterer Mediciner, E., der durch vieles
Arbeiten und erhebliche psychische Aufregungen
ziemlich nervös geworden war, pflegte einen ihm
nahestehenden Kracken, der in Folge eines schwe-
ren Herz- und Lungccleidens an so hochgradigen
Angstzu standen litt, dass er in diesen über eine
Stunde dauernden Anfällen stets einen Arzt neben
sich zu sehen das dringendste Bedürfniss hatte.
Die Anfälle kamen ebenso häufig des Nachts und
duldeten den Kranken nicht im Bette. Er sass
dann am Tisch und sein ärztlicher Wärter musste,
um ihn zu beruhigen, die ganze Zeit neben ihm
sitzen. In dieser Zeit trat bei E. als Recidiv einer
froher erworbenen Lues ein Gumma am Kopfe auf,
gegen welches er Jodkali in Dosen von 2 g pro
die nahm. Nachdem er die Arznei eine Woche
lang genommen hatte, ohne dass die geringsten
Zeichen von Jodismns aufgetreten waren, machten
sich erst leichte, im Laufe der nächsten Tage sicli
immer mehr verstärkende Sensationen an beiden
Beinen, vom Knie abwärts bis in die Fusssohlen,
und hier am stärksten belästigend, geltend, welche
ganz den Charakter der bekannten Paracsthcsien
hatten, die in den Fingern nach einem Druck auf
den Nerv, ulnaris zwischen Condylus humeri intern.
und Olecranon auftreten. Es war ein ununter-
brochenes Kribbeln und ^Ameisenlaufen^, in den
Fasssohlen anfangend und sich in kurzer Zeit bis
fast an das Knie hinauf erstreckend. Die Par-
*) Kopp, Ueber eine seltene Erscheinung bei
acutem Jodismus. Münchener med. Wochcnschr.
1866 No. 27 u. 28.
acsthesien verschwanden bei horizontaler Lage-
rung in kürzerer oder längerer Zeit, kehrten aber
in wenigen Minuten wieder, sobald die Beine her-
abhingen. Durch Bewegung der Beine milderten
sich die unangenehmen Empfindungen in etwas,
wurden aber furchtbar quälend, sobald E. in der
Nacht eine Stunde lang neben seinem Kranken
sitzen musste. Es trat dann eine solche nervöse
Unruhe des ganzen Körpers ein, welche sich in
häufigen Zuckungen namentlich der Schulter-, Arm-
und Brustmuskeln äusserte, dass es selbst dem
unter Morphium stehenden Kranken auffiel und ihn
ängstigte. Anfangs glaubten wir die Ursache darin
zu finden, dass E. während dieser Zeit auch am
Tage aus Rücksicht für seinen Pflegebefohlenen
weiche Schuhe trug, was sich ihm schon seit einiger
Zeit unangenehm bemerkbar gemacht hatte, indem
leichte Schmerzen in den Metatarsalgelenken auf-
getreten waren. Als aber auch beim Tragen festen
Schuhwerkes keiue Linderung auftrat, die Par-
aesthesien im Gegentheil immer .quälender wurden,
dachten wir an eine Jodwirkung. Es wurde das
Jodkali ausgesetzt, und nachdem sich schon inner-
halb 12 Stunden eine Milderung bemerkbar gemacht
hatte, waren die Paraesthesien nach im Ganzen
36 Stunden vollkommen verschwunden.
Damit war also sicher bewiesen, dass
wir es mit einer Arzneiwirkung zu thun
hatten. Es fragt sich nur, wie diese aufzu-
fassen ist. Es liegt von vornherein nahe
mindestens an eine Mitbetheiligung des Ge-
fässsystems zu denken. Dafür spricht vor
Allem der Umstand, dass bei horizontaler
Lagerung die abnormen Sensationen ganz
verschwanden, dass sie am stärksten auf-
traten bei herabhängenden Füssen, und dass
sie wiederum durch Bewegung sich mil-
derten. In der That hatte auch der Kranke
während der Paraesthesien das Gefühl, als
ob das Blut stockte und die Beine leicht
angeschwollen wären. Eine mehrmalige Be-
sichtigung jedoch ergab nicht den geringsten
Anhaltspunkt für eine Mitbetheiligung des
Gefässsystems. Es war keine Anschwellung
der Beine vorhanden, nirgends zeigte sich
eine Blässe oder Cyanose der Haut. Die
Arterien und die ziemlich reichlich ent-
wickelten Venen der Haut hatten normale
Füllung und Spannung. So bleibt nichts
übrig, als vorwiegend auf das Nervensystem
zurückzugreifen, und die Erscheinungen in
Analogie zu stellen mit den bisher bekann-
ten mehr neuralgischen Afifectionen einzelner
anderer peripherischer Nerven, wenn auch die
Inconstanz der Erscheinungen unter ver-
schiedenen bestimmten mechanischen Ver-
hältnissen mit dieser Erklärung allein nicht
ganz im Einklang zu stehen scheint.
2, Fieber nach Jodkali.
Noch weniger Anhaltspunkte als für die
eben geschilderten nervösen Erscheinungen
21*
164
Malachowtki, BeitTag zur K«nntnlflt der Nebenwirkuogan des Jod Oodkali). [^on^^tahä^^
finden wir in der Litteratur für das Auf-
treten von Fieber nach Jodgebrauch, wie
solches in den beiden folgenden Fällen
wiederum als einziges Symptom der Jod-
wirkung sich zeigte. Zwar treten häufig
die nach Jod vorkommenden Hautausschläge
mit Fieber auf; es ist dies jedoch mit
Sicherheit auf entzündliche Vorgänge in der
Haut resp. den Drüsen zurückzuführen, und
ebenso ist wohl die Beobachtung von Fous-
sagrives') zu deuten, welcher nach Ein-
spritzimg einer auf die Hälfte verdünnten
Jodtinctur in die traumatisch entzün-
dete Tunica vaginalis Anschwellung des
Hodensackes und bedeutendes Fieber inner-
halb zwei Stunden auftreten sah, welches
fünf Tage anhielt. Zwar giebt Lew in®) an,
dass nach todtlichen Gaben von Jodkali
neben andern schwersten Vergiftungssym-
ptomen „mitunter hohes Fieber und Albu-
minurie" zu beobachten ist und Hirt®)
macht in seinem Handbuch der Gewerbe-
krankheiten die Bemerkung: „Ein eigent-
liches Jodfieber, Temperaturerhöhung, mit
Pulsbeschleuniguug verbunden, kommt unter
den Arbeitern ebenfalls nur sehr selten
vor". Aber diesen Angaben widersprechen
die von Böhm*^), welcher Folgendes aus-
führt: „Auch die Annahme eines „Jod-
fiebers" hat die unklaren Vorstellungen von
dem Einfluss des Jod auf den Stoffwech-
sel ... . vielfach bestärkt. Nun ist es aber
nicht möglich, in der Litteratur sichere
Belege für die Existenz eines solchen spe-
cifischen Fiebers aufzufinden, wenn man
nicht allgemeine Angaben von fieberhaftem
Zustand u. dgl. dafür ansehen will. Rose
konnte bei den intensivsten Jodsymptomen
und allen äusseren Anzeichen des Fiebers,
Köthung des Gesichtes, beschleunigten Puls
u. s. f. doch das einzige wahre Kriterium
des Fiebers, die Temperatursteigerung nicht
constatiren . . . ". In gleichem Sinne äussern
sich Nothnagel und Rossbach*^): „Wo
die Körperwärme nach Jodkaliumgebrauch
genau gemessen wurde, zeigte sich die Tem-
peratur stets normal. In den wenigen An-
gaben sogenannter Jodfieber ist merkwür-
digerweise üie ein Thermometer angelegt
worden; dieselben sind demnach sehr frag-
') Foussagrives, L'Union medicale 1860
No. 71, cit. nach Lewin: Nebenwirkungen der
Arzneimittel 1881.
®) Lewin, Lehrbuch der Toxikologe 1885.
^) Hirt, Handbuch der GewerbeSrankheiten
1882. 3. Aufl.
*°) Zierassen, Specielie Pathol. und Therap.
Band XV, Handbuch der Intoxicationen. IL Aufl.,
p. 13,
*') Nothnagel und Rossbach, Handbuch
der Arzneimittellehre, ö. Aufl. 1884 p. 283.
lieber Natur", und ebenso fast alle andern
Lehrbücher der Toxikologie resp. Arznei-
mittellehre. Nirgends also sind genau beob-
achtete Fälle verzeichnet, in denen der Ge-
brauch von Jodpräparaten Fieber zur Folge
hatte, und wenn wir dennoch in unseren
Fällen das Fieber als eine reine Jodwirkung
ansehen, so geschieht es deswegen, weil
1. das Fieber kurze Zeit nach Beginn der
Jodtherapie bei vorher fieberlos erkrankten
Individuen auftrat, weil 2. das Fieber in
kurzer Zeit nach Aussetzen des Jodkali
verschwand und weil 3. trotz sorgfaltiger
Untersuchung nirgends am ganzen Korper
sich ein Anhalt für das Fieber bot, und
auch keinerlei subjective Beschwerden auf
eine Fieberquelle hinwiesen. Beide Patienten
wurden während unserer Thätigkeit im hie-
sigen Allerheiligen-Hospital beobachtet; die
Temperatur nach Auftreten des Fiebers zwei-
stündlich gemessen.
Die Fälle sind folgende:
Wilhelmine Sp., 40 J. alt, Tischlergesellenfrau,
wurde wegen massigen Emphysems und leichter
trockener Bronchitis in das Hospital aufgenommen.
Sie war bei der Aufnahme fieberlos, und will auch
vor ihrem Eintritt in das Hospital während ihrer
jetzigen Erkrankung nicht gefiebert haben. Es
wurde ihr von einer Jodkaliumlösung 3 x täglich
1 Esslüffel =1,0 pro die verordnet. Nachdem sie
die Arznei ca. 48 Stunden, wenn auch widerwillig,
genommen hatte, da sie ihr zu schlecht schmeckte,
trat am Nachmittag des dritten Tages leichtes Un-
behagen mit Frösteln ein, und die Abends ge-
messene Temperatur ergab 39,3°. Bei der sofort
vorgenommenen körperlichen Untersuchung konnte
keine Ursache für das Fieber gefunden werden.
Der trockene Katarrh hatte sich nicht gesteigert,
war im Gegentheil schon geringer geworden, der
Hustenreiz hatte nachgelassen, das Auswerfen ging
leichter von Statten. Es war weder Schnupfen
noch Augenkatarrh, oder irgend eine der nach Jod
häufig auftretenden Hautveränderungen vorhanden.
Kurz, es liess sich weder an diesem Abend noch
an den folgenden Tagen weder eine Ursache für
das Fieber noch irgend eine sonstige Erscheinung
des Jodismus aufdnden. Fat. behauptete, die Me-
dicin sei Schuld an ihrem Unbehagen und licss
sich nur mit Mühe bewegen, noch am nächsten
Tage die Arznei zu nehmen. An diesem Tage
hielt sich das Fieber unter denselben leichten sub-
jectiven Symptomen, ohne dass erneutes Frösteln
eingetreten wäre, zw^ischen 39 und 40®, um vom
folgenden Tage ab, an dem die Kranke sich
weigerte, die Arznei femer zu nehmen, allmfihlich
geringer zu werden. Innerhalb S'/j Tagen vom
Beginn des Fiebers an war die normale Tempera-
tur wieder erreicht, um auch weiterhin normal zu
bleiben. Das einzige subjective Symptom, das
Unbehagen, hatte schon mit dem Aussetzen des
Jodkali nachgelassen. Der Puls hatte dem Fieber
entsprechend eine Frequenz von 110 — 80 gehabt.
Der Appetit und die Verdauung waren während
dieser Tage nicht merklich alterirt, ebensowenig
IIL J«hrgang.l
April 1889. J
Malachowfki, Beitrag zur Keaotaits der Nebenwirkungen det Jod (Jodkali).
165
war die Menge und Concentration des Urins wesent-
lich anders geworden.
Aehnlich nur etwas kürzer gestaltete
sich der Fieberverlauf in dem folgenden
Falle, der ungefähr ein Jahr später zur
Beobachtung kam.
Emil L., 20 Jahre alt, Arbeiter, Hess sich
wegen leichter rheumatischer Beschwerden in das
Erankenhans aufnehmen. Dieselben bestanden seit
wenigen Tagen. Bis zu dieser Zeit will L. stets
gesund gewesen sein, namentlich nie an Gelenk-
rheumatismus gelitten haben. Die körperliche
Untersuchung des fieberlosen Patienten ergab auch
keine Anhaltspunkte für ein solches Leiden. Ebenso
waren alle inneren Organe gesund, die Herztöne
rein und laut, nirgends Geräusche, die Pulsfrequenz
eine normale. Die Yerordnung bestand in einer
w&ssrigen Lösung von Jodkali, 3 X tfiglich einen
Esslöffel, so dass die Tagesdosis 1,5 g betrug.
Nachdem das Medicament ungefähr vier Tage ge-
nommen war, ohne dass irgend welche Neben-
wirkungen sich geltend gemacht hatten, trat wieder-
um unter leichtem Frösteln und Unwohlsein eine
Erhöhung der Temperatur ein, welche am Abend
gemessen 89,7° betrug und im Laufe der Nacht
bis auf 40,2° stieg. Die bei der Abendvisite vor-
genommene körperliche Untersuchung, sowie auch
der Zustand des Kranken während des Fiebers und
nach Ablauf desselben ergab nichts, was als Ur-
sache der Temperaturerhöhung nachgewiesen werden
konnte. Subjective Beschwerden waren nicht vor-
handen, die Pulsfrequenz dem Fieber entsprechend
erhöht. Wir wollen noch besonders betonen, dass
auch jetzt weder eine Schmerzhaftigkeit, noch eine
Schwellung irgend eines Gelenkes vorhanden war,
und auch jetzt weder am Herzen noch an den
Pleuren Geräusche wahrgenommen wurden oder in
der Folgezeit auftraten. Auch der Urin zeigte
nichts, was etwa auf eine Nierenreizung bezogen
werden konnte. In der Erinnerung an den vorher
beschriebenen Fall wurde das Jodkali sofort weg-
gelassen. Der Verlauf war der, dass schon am
folgenden Tage das Fieber geringer war, die Curve
sich kaum über 39° erhob, und die normale Tem-
peratur innerhalb 2^^ Tagen erreicht war, um fortan
normal zu bleiben. Acht Tage später wurde, trotz-
dem die rheamatischen Schmerzen geschwunden
waren, ein erneuter Versuch mit Jodkali unter-
nommen. Dieses Mal jedoch trat selbst nach
weiteren acht Tagen Fieber nicht wieder auf, und
der Kranke wurde entlassen.
Es wäre ja allerdings ein sicherer Be-
weis für die Abhängigkeit des Fiebers von
dem Jodkali gewesen, wenn auch nach der
zweiten Darreichung des Mittels eine Tem-
peraturerhöhung eingetreten wäre, aber
keineswegs spricht dieser negative Erfolg
gegen die oben betonte Abhängigkeit. Es
ist ja zur Genüge bekannt, dass auch andere
Nebenwirkungen der Jodpräparate nach Aus-
setzen des Mittels und nochmaliger, selbst
schon nach wenigen Tagen erfolgter Anwen-
dung nicht wieder auftreten.
Eine Erklärung für das Zustandekommen
des Fiebers zu geben vermögen wir nicht.
Wir können nur als im Bereich der Mög-
lichkeit liegend hinweisen auf eine eventuelle
Beeinflussung thermischer Centren im Ge-
hirn, deren Existenz durch die neueren Un-
tersuchungen von Aronsohn und Sachs
wiederum wahrscheinlicher gemacht ist.
Vergleichende Untersucliungen über den
therapeutischen Werth der MoorbiUler
und deren Surrogate.
Von
Dr. Qustav Loimann in Franzensbad.
Wie auf vielen anderen Gebieten macht
sich gegenwärtig auch in der Therapie viel-
fach das Bestreben geltend, für theuere oder
schwieriger zu beschaffende Heilmittel billige
und bequeme Surrogate einzuführen. Es
liegt schon in der Natur der Sache, dass
es nicht die schlechteren Mittel unseres
Arzneischatzes sein werden, die man zu sub-
stituiren sucht, dagegen dürfte der Werth
der Ersatzmittel selbst, die meist in markt-
schreierischer Weise angepriesen werden,
weniger über allen Zweifel erhaben sein. In
jüngster Zeit hat man nun auch den Ver-
such unternommen, die Auslaugungsproducte
des Moores als vollkommen gleichwerthige
Surrogate für Moorbäder auszugeben, und
nachdem diese Angelegenheit auch in ärzt-
lichen Kreisen*) ihre Verfechter gefunden
hat, sei es gestattet, dieselbe vom thera-
peutischen Standpunkte etwas näher zu be-
trachten.
Moorbäder unterscheiden sich von in-
differenten Wasserbäderu in physikalischer
und chemischer Hinsicht. Die physikalischen
Eigenschaften sind von Cartellieri') einer
genauen Prüfung unterzogen worden, und
hierdurch vmrde festgestellt:
1. das höhere specifische Gewicht des
Moorbreies, es beträgt im Mittel 1,005;
2. Moor ist ein sehr schlechter Wärme-
leiter, seine Wärmecapacität und seine spe-
cifische Wärme sind ziemlich gering, erstere
') Heitzmann, Der Gebranch der Moor-
extracte in der gynäkologischen Praxis. Allgem.
Wien, medic. Zeitg. 1888 No.27 u. 28. Fiscber,
Die therapeutische Bedeutung des Moores und der
Mattoni sehen Moorextracte. Wiener Med.-Chir.
Centralbl. 1888 No.29 u. 31. Weiss, Mattoni's
Moorextracte. Zeitschrift für Therapie 1888 Nr. 16.
') Cartellieri, Monographie der Mineralmoor-
bäder zu Franzensbad. Prag 1852,
166
LoimaoDi Vergleicheode Untersuchungen über den thermp. Warth der Moorbäder.
tTherapeuUscfae
Monatshefte.
ist gleich 0,93, letztere gleich 0,76, die des
Wassers gleich 1 gesetzt.
In chemischer Hinsicht war das Moor
wiederholt Gegenstand eingehendster wissen-
schaftlicher Untersuchungen^) und seien hier
nur die Resultate der Arbeiten Cartellieri's*)
den Franzensbader Moor betreffend ange-
führt.
• Nach diesen enthalten 1000 Theile Moores
146,177 Theile löslicher schwefelsaurer Mine-
ralsalze, darunter allein 97,7803 schwefel-
saures Eisenoxydul, 47,969 Theile halb-
gehundene und freie Schwefelsäure und
57,627 in Wasser losliche organische Ver-
bindungen; fernerin Wasser unlöslich: 33,8418
Eisenverbindungen, 15,2807 anderweitige
mineralische Substanzen und 698,4385 Hu-
musverbindungen und Pflanzenreste.
Eine für die Praxis ebenfalls überaus
wichtige Eigenschaft, weil yon dieser die
Concentration des Bades abhängt, ist ferner
die Absorptionsfähigkeit des Moores für
Wasser, welche, wie Reinl*) nachgewiesen
hat, bei den verschiedenen Moorarten sehr
bedeutenden' Schwankungen unterliegt.
In therapeutischer Beziehung werden bei
einem Moorbade demnach hauptsächlich fol-
gende Factoren in Betracht kommen:
1. Die dicke, breiige Consistenz und das
hohe specifische Gewicht des Moorbreies,
bedingt durch die im Wasser unlöslichen
Mineralsalze, Schwefeleisen, Humusstoffe
und Pflanzenreste. Der auf dem Körper
lastende Druck ist daher in einem Moorbade
ungleich grösser als in eijiem Wasserbade
und wahrscheinlich meist höher als der intra-
abdominelle Druck. Bei Frauen mit weiteren
Genitalien dringt auch beinahe immer Moor
in die Vagina ein und entfaltet dann dort
die noch zu besprechenden adstringirenden
und antiparasitären Wirkungen®).
2. Die geringe Wärmecapacität und das
geringe Wärmeleitungsvermögen. Lässt man
ein frisch bereitetes Moorbad von 35° R.
durch 24 Stunden bei einer Lufttemperatur
^) Trommsdorf, Rogsky, Cartellieri
(Franzensbad), Lehmann (Marienbad) etc.
*) 1. 0.
*) Vergleichende Untersuchungen über den
therapeutischen Werth der bekanntesten Moorbäder
Oesterreichs und Deutschlands. Prager mcdicin.
Wochenschrift 1886 No. 13, 14 u. 15.
®) An Pessarien aus weichem Gummi oder aus
mit Gummi überzogenem Kupferdraht bleibt Moor
sehr leicht festhaften und reizt dann die Vaginal-
schlcimhaut. Solche Instrumente müssen daher
häufig für die Zeit der Curdauor entfernt werden,
oder sind durch glatte zu ersetzen. Dass ein Bade-
spcculum, welches empfohlen wird, um das Ein-
dringen der Badeflussigkeit in die Scheide zu er-
leichtern, seinen Zweck nicht erfüllt, sondern nach
Art einer Taucherglocke dnrch Lnfteinschlass das
gerade Gegentheil bewirkt, ist einleuchtend.
von 12® R. stehen, so findet man nach Ab-
lauf dieser Zeit an der Oberfläche des Bades
(die dann blos aus Wasser besteht, weil
sich der schwere Moorbrei zu Boden senkt)
13° R., in den tieferen Schichten (also im
Moorbrei selbst) 25° R. Rührt man nun
die ganze Masse rasch durch einander, so
zeigt dieselbe in allen Schichten eine gleich-
massige Temperatur von 22° R. Unter
gleichen Umständen zeigt ein Mineralwasser-
bad nach 24 Stunden durchweg nur 16° R.^).
Hieraus erklärt sich die in practischer Hin-
sicht höchst wichtige Thatsache, dass Moor-
bäder von bedeutend höherer Temperatur
genommen werden können als gewöhnliclie
Wasserbäder, ohne ein lästiges Gefühl der
Wärme zu erzeugen, und dass dieses Yer-
hältniss proportional ist der Consistenz des
Bades.
3. Der bedeutende Gehalt an löslichen
Mineralsalzen , besonders an Eisensulfat,
welcher natürlich zu der zu einem Bade
verwendeten Menge Moores in geradem Ver-
hältnisse steht. Um zur Bestimmung des
Procentverhältnisses positive Werthe zu ge-
winnen, wozu ja die Abstufungen „dünn",
„mitteldicht" und „dicht", welche auf rein
subjectivem Ermessen beruhen, keinen di-
recten Anhaltspunkt geben, habe ich die
Badewannen nach ihrem Cubikinhalt aus-
gemessen und die zu einem Bade verschie-
dener Dichte nöthige Menge Moor und
Wasser dem Gewichte nach bestimmt. Hier-
bei fand ich nun, dass zu einem Bade 100
bis 150 kg Moor und 50 — 75, für sehr
dünne Bäder 100 kg Wasser nöthig sind").
Für die äussersten Grenzen entsprechen also
mit Zugrundelegung obiger Analyse einem
dünnen Bade 14,6 kg, einem dichten 21,9 kg
löslicher Sulfate, wobei das Eisensulfat mit
9,7 resp. 14,6 kg betheiligt ist. Dies ergiebt
in Procenten ausgedrückt für ein dünnes
Bad 7,3 °/o löslicher Salze, wobei auf Eisen-
vitriol 4,8 °/o entfallen, während ein dickes
10,9° 0 Salze mit 7,3 °/o schwefelsaurem Eisen-
oxydul enthält. Aus dieser Berechnung er-
giebt sich auch, dass sich die Consistenz
des Bades zur Concentration der Lauge
etwa verhält wie 1:4.
^) Cartellieri 1. c.
*) Alle Angaben dieser Arbeit beziehen sich
auf Franzensbader Moor, über welchen allein mir
ausreichende Erfahrungen zu Gebote stehen. Die
Abstufung dünn, roitteldicht und dicht hat sich
in der Praxis bewährt und ist für diese auch voll-
kommen ausreichend. Eine ^Graduirung*' des Bade.s
durch Vorschrift bestimmter Gewichtsmengen Moores
würde ihren Zweck ganzlich verfehlen, weil der
Moor je nach dem Grade der Feuchtigkeit der
Luft verschiedene Menden Wasser absorbirt. Ausser-
dem w&re hiebei die Grösse der Wanne zu berück-
sichtigen.
DL Jahrgang.!
April 1889^ J
Loimann, Vergleichende Unterauehungen über den therap. Werth der Moorbäder.
167
4. Der erhebliche Säuregrad, der zum
grössten Theile von halbgebundeuer Schwefel-
säure , aber auch von freien organischen
Säuren, deren Vorhandensein im Moore eben-
falls nachgewiesen wurde, abhängt. Nach
der Analyse Cartellieri's würde sich
der Säuregehalt eines Moorbades auf 2 bis
3 ^/o berechnen ; zu demselben Resultate
kommt man nach Reinl, wenn der Gesammt-
gehalt der neutralisirbaren Säure, also der
„Säuregrad" auf Oxalsäure bezogen berechnet
wird*).
5. Die beträchtliche Menge löslicher und
flüchtiger organischer Verbindungen, die bis
zu einer Menge von 3 % vorhanden sind.
Sonach werden sich die therapeutischen
Wirkungen eines Moorbades äussern können
als kataplasmatische , hautreizende, adstrin-
girende und antimykotische. In der Regu-
lirung der Temperatur \md der Consistenz
haben wir ein Mittel, diese Wirkungen be-
liebig abzustufen, und daher werden wir
mit einem scheinbar so einfachen Heilmittel
die verschiedenartigsten therapeutischen Ziele
anstreben und erreichen können. Je nach
dem einzelnen Krankheitsfalle wird bald die
eine bald die andere Wirkung mehr in den
Vordergrund treten, sehr häufig werden sie
aber auch in ihrer Gesammtheit zur Aeusse-
rang kommen. So werden wir beispielsweise
in einem Falle von Anaemie und Neurasthenie
mehr mit der Haut reizenden, bei einem
Rheumatismus mit dieser und der kataplas-
matischen, bei einem Katarrhe des weib-
lichen Genitalschlauches mit der adstrin-
girenden und antimykotischen, bei einem
parame tri tischen Exsudate mit starker Secre-
tion der Genitalschleimhaut sowohl mit der
kataplasmatischen als adstringirenden und
antimykotischen Wirkung rechnen müssen.
Nun verhalten sich die verschiedenen
Moorarten in Bezug auf ihre physikalischen
und chemischen Eigenschaften durchaus nicht
gleich, vielmehr walten grosse Verschieden-
heiten ob, wie zahlreiche Versuche dargethan
haben. So, um nur ein Beispiel anzuführen,
ist nur bei den Mooren von Franzensbad
und Marienbad der Säuregrad ein so be-
trächtlicher, dass dadurch die antiparasitäre
Wirkung zur vollen Geltung kommt. Daher
haben auch die physiologischen Versuche ^^),
welche an verschiedenen Orten mit Moor-
bädern angestellt wurden, zu ganz verschie-
denen Resultaten geführt und daher difiPeriren
auch häufig die therapeutischen Erfolge bei
ein und derselben Erkrankung je nach der
angewendeten Moorart sehr bedeutend. Die
oben angeführten Eigenschaften geben uns
•) Reinl 1. c.
») KiBch, Fellner.
zugleich einen Maassstab für die Beurthei-
lung des therapeutischen Werth es eines
Moores; als der beste wird allenfalls jener
zu betrachten sein, welcher alle für die
Therapie in Betracht kommenden Factoren
in sich vereinigt. Wenden wir uns nun zu
den mit Moorextracten bereiteten Bädern,
wobei wir zunächst auf die chemische Zu-
sammensetzung des Moorsalzes und der Moor-
lauge Rücksicht zu nehmen haben.
Ein Kilo Moorsalz enthält 545,0 g Eisen-
vitriol, 29,7 g schwefelsaure Alkalien und
Erden, 6,0 g organische Substanz und 400,0 g
Krystall Wasser ").
Ein Kilo Moorlauge enthält 106,0 g schwe-
felsaures Eisenoxydul, 61,8 g andere Sul-
fate, 37,7 g saures schwefelsaures Natrium
und 17,8 g nicht flüchtige, organische Sub-
stanz. Ein Vollbad, zu welchem je nach der
Grösse der Badewanne 240 — 300 1 Wasser
nöthig sind, wird sonach bei Zusatz von
einem Kilo Moorsalz (die Durchschnitts-
menge) eine etwa 0,4%, bei Zusatz von
2 kg Moorlauge eine kaum 0,2 % Salzlösung
ergeben. Etwas günstiger gestaltet sich
dieses Verhältniss für Sitzbäder, für welche
etwa 30 — 351 Wasser genügen, die bei Zu-
satz von ^/a kg Moorsalz oder 1 kg Moor-
lauge eine 1,5% oder 0,7% Salzlösung re-
präsentiren.
Bei der Beurtheilung der möglichen phy-
siologischen oder therapeutischen Wirkung
eines mit Moorsalz bereiteten Bades kann
nur ganz ausschliesslich dessen Gehalt an
Eisenvitriol in Betracht kommen, dem gegen-
über die Menge der übrigen noch vorhan-
denen Salze verschwindend klein ist, da sie
bei einem Kilo nur 36,0 g, in einem Bade
also 1 ^/ooo beträgt. Ein mit Moorlauge her-
gestelltes Bad unterscheidet sich von dem
vorigen nur durch die schwach saure Reac-
tion, welche durch 100 — 150,0 g saurer
schwefelsaurer Alkalien, entsprechend einem
Säuregrad von 0,014 — 0,021 %, bedingt ist.
Ausserdem enthält das Moorlaugenbad etwa
36,0 nicht flüchtige organische Substanz,
der wohl kaum jemand eine Bedeutung bei-
messen dürfte. Wir haben es hier also nur
mit schwachen Salz- vornehmlich Eisen-
vitriol lÖsungen zu thun, welche einem Sool-
bade weit näher stehen als einem Moorbade,
mit welchem sie mit Ausnahme des Gehaltes
an FcgSO« gar nichts gemein haben, da alle
charakteristischen Eigenschaften eines Moor-
bades gänzlich in Wegfall kommen. Bei
^^) Dieser BerecbnuDC liegt die chemische
Analyse der Mattoni'scnen Moorextracte von
Herrn Prof. Ludwig in Wien zu Grunde. Von
anderen derartigen Präparaten liegen unseres
Wissens keine Ajualysen vor.
168 Westler, Erschein, nach eombinirten Cocara-ADÜpyrin-Ii^eetioneii am Zahnfleische. PH^ja^äto^^
Moorsalzbädern kann daher für die Therapie
auch nur die adstringirende Wirkung und
die eines schwachen Hautreizes in Anspruch
genommen werden.
Wo das ^mechanische Moment originärer
Moorbäder, die nach einer Art Massage
wirkende Friction" allzusehr yermisst wird,
hat man vorgeschlagen, dem Bade eine
Quantität Walderde beizumischen und glaubt
nun einen yoUständigen und billigen Ersatz
für wirkliche Moorbäder gefunden zu haben.
Für den Bewohner einer Grossstadt wird es
wohl mit diesem wohlgemeinten, aber keines-
wegs glücklichen Vorschlag für immer sein
Bewenden haben, aber auch am iTande, wo
die Herstellung eines solchen „künstlichen^*
Moorbades mit verhältnissmässig weniger
Schwierigkeiten verbunden ist , wird dieses
wohl nie einen Ersatz für ein originäres
Moorbad bieten können. Ohne uns auf Ein-
zelheiten nochmals einzulassen, wollen wir
nur Folgendes besonders hervorheben. Die
antimykotische, desinficirende Eigenschaft des
Moores ist nicht nur experimentell nachge-
wiesen, sondern auch durch langjährige,
klinische Erfahrung über allen Zweifel er-
haben festgestellt. Hierfür können die zahl-
reichen Berichte früherer Jahre über Heilun-
gen chronischer Geschwürsprocesse, Knochen-
caries etc. durch den Gebrauch der Franzens-
bader Moorbäder als genügende Beweise
angeführt werden. Von der Walderde aber
wissen wir, dass dieselbe nicht nur kein
Desinfectionsmittel, sondern sogar die Brut-
stätte zahlreicher Mikroorganismen ist, ein
Verhalten, das auch ein so geringer Zusatz
von Schwefelsäure, wie er beispielsweise in
der käuflichen Moorlauge enthalten, kaum
zu ändern im Stande sein dürfte. Der Ge-
halt an Eisensulfat kommt hierbei über-
haupt nicht in Betracht, weil neutralisirte
Lauge das Wachsthum niederer Organismen
nicht verhindert.
lieber den therapeutischen Erfolg künst-
licher, d. i. durch Zusatz von Walderde
hergestellter Moorbäder haben wir selbst
keine Erfahrungen, dagegen hatten wir häufig
Gelegenheit, entfernt vom Curorte Moor-
salzbäder, besonders Sitzbäder, bei leicht
recidivirenden Vaginalkatarrhen mit mehr
oder weniger lange andauerndem Erfolg zu
verordnen, bei anderweitigen Erkrankungen
des w^eiblichen Genital apparates dagegen
haben wir solche Bäder meist erfolglos an-
wenden gesehen.
Der richtige Platz, welcher den Surro-
gaten der Moorbäder im Heilmittelschatze
anzuweisen wäre, dürfte nach diesen Aus-
einandersetzungen kaum schwer herauszu-
finden sein.
Unangenehme Brscheinungren
nach eombinirten Cocalin-Antipyriii-
Injectionen am Za.hnileische.
Von
John Westler in Stockholm.
Nachdem ich eine Zeitlang mit einfachen
Cocain - Inj ectionen am Zahnfleische, um
Zähne schmerzlos extrahiren zu können, ex-
perimentirt und trotz verhältnissmässig klei-
ner Dosen (4 — 7 cg) unangenehme Intoxi-
kation serscheinungen beobachtet hatte, ver-
suchte ich die von Martin (s. Therap. Mo-
natsh. 1888. S. 185) empfohlene Combination
von Cocain mit Antipyrin, durch welche
Vergiftungserscheinungen vermieden werden
sollten. Die von mir hierbei gemachten
Erfahrungen waren jedoch keineswegs günstig.
Da ich in der Litteratur nur eine oder zwei
Notizen über Nachtheile bei An tipyrininj ec-
tionen gefunden habe, so glaube ich, dass
es von allgemeinerem Interesse ist, wenn
ich kurz über die von mir beobachteten
Fälle berichte.
Herr Martin, der die obengenannte
Combination empfiehlt, gibt folgende For-
mel an:
Cocaini hydrochlor. 0,04
Antipyrini 0,4
Aq. dest. 1,0.
Die von mir verwandte lautet:
Cocaini hydrochlor. 0,03 — 4
Antipyrini 0,5
Aq. dest. 0,5.'
Die Inj ectionen wurden immer an beiden
Seiten der Gingiva gemacht und nach 10 Mi-
nuten wurde extrahirt.
I. E. P., Soldat, 20 Jahre.
12. Vn. 88. 0,04 Cocam, 0,5 Antipyrin.
Extrahirte zweite rechte obere Bicuspis völlig
schmerzlos.
23. Vni. 88. Pat. hatte am Platze der In-
jectionsstelle an der Gaumenseite eine ungefähr
11x5 mm grosse und 1 bis 2 mm tiefe Narbe.
Der Pat. erzählte, dass ein ca. 9x5 mm grosser
Sequester herausgekommen sei.
II. G. B., Knabe, 10 Jahre.
12. vn. 88. 0,03 Cocain, 0,5 Antipyrin.
Extr. des ersten rechten oberen Molaris ohne be-
trächtlichen Schmerz.
Am folgenden Tag war die rechte Seite etwas
geschwollen und am Gaumen eine 6x6 mm
grosse weisse necrotische Partie.
31. VII. 88. Am Gaumen eine sehr tiefe
(ca. 2 mm) Narbe.
III. E. J., Mädchen, 10 Jahre, schwächliches
Individuum.
13. VII. 88. 0,03 Cocain, 0,5 Antipyrin.
Extr. des ersten rechten unteren Molaris. Schmerz-
m. Jahrgang.*!
April 1889. J
Joret, Menthol bei Asthma.
169
linderang unsicher. Ca. 10 Minuten nach Extraction
Ohnmacht mit Amaurose und Delirien.
24. Vn. 88. Noch etwas Schwellung; an
der Aussenseite des Proc. alv. eine Fistelöffnung,
die eine beträchtliche Menge Eiter absonderte.
Wurde täglich mit Carbolspühlungen behandelt,
bis sie am
15. YIII. 88 geheilt entlassen werden konnte.
rV. A. A., Mädchen, 19 Jahre, kräftiges
Individuum.
18. VII. 88. 0,04 Cocain, 0,5 Antipyrin.
Extr. des ersten rechten unteren Molaris ohne
erhebliche Schmerzen. 'Nachher schwache Intoxi-
kationserscheinungen.
30. vn. 88. Pat. erzählte, sie sei 4—5 Tage
nachher geschwollen gewesen.
V. E. E., Knabe, 10 Jahre.
20. vn. 88. 0,04 Cocain, 0,6 Antipyrin.
Extr. des ersten linken unteren Molaris, wenig
schmerzhaft.
23. vn. 88. Am Zahnfleisch war noch eine
Schwellung sichtbar, an der Aussenseite etwas
necrotisch. Wurde ebenfalls mit Carbolausspüh-
langen behandelt und war am
3. Vni. 88 geheut.
£s muss bemerkt werden, dass die In-
jectionsspritze und Canüle jedesmal mit einer
50 % Carbollösung gut gereinigt wurde,
auch habe ich dieselbe Spritze sowohl vor-
wie nachher, ohne derartige necrotische
Frocesse an Inj ectionss teilen beobachten zu
können, verwendet.
Diese Resultate waren natürlich nicht
geeignet, zu weiteren Versuchen mit der vor-
geschlagenen Mischung von Cocain mit An-
tipjrin zu ermuthigen.
Sämmtliche Patienten stammten aus der
hiesigen zahnärztlichen Poliklinik, wo die
Experimente auch vorgenommen wurden.
Menthol bei Asthma.
Von
Dr. Theod. Joret in Kastellaun.
Seit October 1888 behandele ich eine
Dame Anfang der 50.; derselben waren im
Sommer 1888 von einem Specialisten mehrere
grossere polypöse Wucherungen aus der Nase
entfernt worden.
Als ich die Pat. in Behandlung bekam,
bestanden ihre Hauptbeschwerden in zeitweise
(aHe paar Tage) auftretenden Congestionen
nach dem Kopfe, verbunden mit Athembe-
schwerden. Hand- und Fussbäder, Ableitung
auf den Darm, einmal mehrere Blutegel an
den Proc. mastoid. beiderseits brachten
Linderungen.
Allmählich Hessen die Congestionen nach,
während die Anfölle von Athemnoth immer
mehr in den Vordergrund traten. Gegen
diese Anfälle, welche rein asthmatische sind,
führte ich im Laufe der Behandlung eine
ganze Reihe von Mitteln ins Feld, welche
jedoch alle nur einige Tage von Wirkung
waren. Eine Mittheilung in der „allgemeinen
medic. Central-Zeitung^ , die mir Ende De-
cember zu Gesicht kam, über die günstige
Wirkung des Menthol bei Lungenkrankheiten,
welche Wirkung besonders auf die Schleim-
absonderung sich geltend machen sollte, Hess
mich das Menthol in einem typischen An-
falle benutzen.
Während vor Gebrauch des Mittels —
eine 20%ige Losung des Menthols in Ol. oliv.
— die Auskultation der Lunge allerwärts
Knister- und Rasselgeräusche hören liess,
verschwand nach einigen Einathmungen der
Losung wie auf einen Schlag der ganze An-
fall, die Auskultation ergab vollständig
normales Athmen, Herzschlag unverändert.
Puls voll und kräftig. Nur bemerkte Pat.
auf meine diesbezüglichen Fragen, dass sie
manchmal benommen im Kopfe sei, „es sei
ihr, als habe sie Chloroform gerochen, aber
nicht genug bekommen *'\ Seit der erst-
maligen Anwendung (2. Jan. 89) hat sich
das Mittel in allen Anfällen bewährt, stets
mit promptem Erfolg.
Sollte diese Mittheilung die Herren Col-
legen zur Erprobung des Mittels in geeigneten
Fällen veranlassen, so wäre der Zweck dieser
Zeilen erreicht.
Ziir
Antipyrintherapie des Keiichhii8teiis.
Von
Dr. Carl Loewe in Gronau i. W.
Da fortwährend noch fast nur günstige
Erfolge der Anwendung des Antipyrin bei
Keuchhusten bekannt gegeben werden, sei es
mir gestattet, drei Fälle zu erwähnen aus
einer Epidemie im Sommer vorigen Jahres,
bei denen der Gebrauch des Antipyrin aus-
gesetzt werden musste wegen nachtheiliger
Wirkung desselben (nur ein Fall konnte
als Idiosynkrasie direct angesehen werden).
In den übrigen sehr zahlreichen Fällen hatte
sich Antipyrin als günstig erwiesen.
Der erste Fall, bei welchem die
Wirkung unerwünscht war, betraf ein ca.
14 Monate altes Kind, das gleich nach der
22
170
Loewe, Zur Antipsrrintherapie dei Keuchhusteüft.
t Therapeutische
Monatshefte.
ersten Gabe in den Zustand höchster Er-
regung versetzt wurde; durch fortwährendes
Schreien wurden immer neue Anfälle ausge-
löst, verbunden mit Erbrechen ^ so dass die
erschreckten Eltern den baldigen Tod an-
nahmen. Ein Decoct. Althaeae und hydropa-
thische Umschläge Hessen das Kind aber
bald wieder normal werden. Im zweiten
Fall trat bei einem ca. ^/^jährigen Kinde
nach der zweiten oder dritten Do&e Cyanose
und GoUaps ein, die durch hydropathische
Behandlung beseitigt wurden. Als ich trotz-
dem am andern Tag in meiner Gegenwart
das Medicament verabreichen Hess, trat nach
nicht langer Zeit derselbe ungünstige Effect
ein und ich war froh, als ich das Kind sich
unter Kaltwasserbehandlung wieder erholen
sah. Ich leistete Verzicht auf jedes Medica-
ment und sah unter alleiniger hydropathischer
Behandlung Heilung eintreten. Bei einem
zweijährigen Kind, das ich zu beobachten
Gelegenheit hatte, schienen sich die Anfälle,
nachdem scheinbarer Rückgang erfolgt war,
durch Antipyrin verstärkt zu haben, so dass
neben Stimmritzenkrampf und Erbrechen auch
allgemeine Krämpfe sich einstellten von be-
deutender Heftigkeit. Nach Aussetzen des
Medicaments traten noch zweimal ein heftiger
und ein weniger heftiger Krampf in Pausen
von zwei Tagen auf, während vorher an einem
Tage zwei Anfälle und am folgenden unter
Verminderung des Antipyrin noch ein Anfall
erfolgte. Unter hydropathischen Umschlägen,
Garbolsäurelappen um das Bett und innerlich
Ghloralhydrat trat allmähliche Heilung ein.
Ich glaube aus dem ersten und dritten
Fall auf eine den Anfall verstärkende Wirkung
des Antipyrin in manchen Fällen schliessen
zu dürfen.
Neuere Arzneimittel.
Methacetin und Sxalgiu.
Ein glücklicher Zufall war es, welcher
Gähn und Hepp die antipyretische Wir-
kung des Acetanilids entdecken Hess. Glück-
lich besonders deshalb, weil der einfache
Bau dieser Verbindung uns die Aussicht er-
öffnete, durch willkürliche Substitutionen
unsere Einsicht in den Zusammenhang
zwischen Constitution und Wirkung der
Körper zu fördern und uns die Möglichkeit
erschloss, auf diesem Wege andere Körper
zu finden, bei welchen die gewünschte, für
therapeutische Zwecke verwerthbare Wirkung
reiner und uncomplicirt zu Tage tritt. Ein
unmittelbarer und glänzender Erfolg, das
Resultat einer bewusstcn, an die Entdeckung
des Antifebrins anknüpfenden Ueberlegung,
war das Phenacetin.
Auch die beiden neuesten, der gleichen
pharmakologischen Gruppe angehörenden
Mittel, das von Mahnert auf der v. Jaksch-
schen Klinik in Graz untersuchte Methacetin
und das von Dujardin-Beaumetz und
Bardet empfohlene Exalgin stehen wie das
Phenacetin in naher Beziehung zum Anti-
febrin. Ob dieselben eine grössere prakti-
sche Bedeutung erlangen werden, d. h. ob
sie irgend welche Vorzüge vor den anderen
bisher gebräuchlichen modernen Antipyreticis
undAntineuralgicis besitzen, oder ob ihnen nur
ein theoretisches Interesse zukommen wird, dar-
über lässt sich heute keine Vorhersage machen.
Methacetin.
Die Bezeichnung Methacetin für den in
Rede stehenden Körper wurde von Mahnert
der Kürze wegen gewählt. Seiner chemi-
schen Zusammensetzung nach ist dasselbe
als Acet-para-anisidin zu bezeichnen.
Dasselbe leitet sich in gleicher Weise vom
Amidophenol ab, wie das Phenacetin oder
Acet-para-phene tidin.
Unter Phenetidin versteht man den
Aethyläther des Amidophenols, unter Anisi-
din den Methyläther des Amidophenols.
Amidophenol.
C H <°^"»
Anifiidin.
Phenetidin.
Ebenso wie vom Phenetidin drei isomere
Modificationen existiren, giebt es auch drei
Anisidine, je nachdem die substituirten H-
Atome sich in der Ortho- (1:2), Meta- (1 : 3)
und ParaStellung (1:4) befinden. Ersetzen
wir ein H-Atom der Amidogruppe — NH2
durch den Rest der Essigsäure CHs . CO —
in dem Paraphenetidin, so erhalten wir das
Acet-para-phenetidin oder Phenacetin ; nehmen
wir die gleichen Substitutionen in dem Para-
anisidin vor, so erhalten wir das Acet-para-
anisidin oder Methacetin.
n H ^OC,B, (1)
Para-Phen0tidin.
Aoet-pATft- Phenetidin
(PhenacatiD).
m. Jahrgaog.l
April 1889. J
Methaeetiii und Czalgin.
171
C„ 0CH,(1)
^«H4<NH, (4)
Pan-Anbidin.
OCH
(1)
r» TT <^^^"' vi/»
^6Ö4<NH(CH3.C0)(4)
Acet-para-Aniaidia
(MethaceUn).
Das Phenacetin ist also der acetylirte
Aethyläther das Methacetm der acetylirte
Methyläther des Paramidophenols.
Das Yerhältniss dieser Yerbiodungen zum
Antifebrin oder Acetanilid zeigen folgende
Formeln :
Acetanilid Phenacetin.
(Antifebrin).
P TT -^ OCHj
Methaoetin.
Das Phenacetin ist ein Para-oxäthyl-
acetanilid, das Methacetin ein Para-oxy-
m e t h 7 1 acetanilid.
Das Ton Mahnert zu seinen Versuchen
Terwendete Methacetin stellte ein schwach
rothliches, geruchloses, leicht salzig-bitter
schmeckendes, aus tafelförmigen, bei 127^ C.
schmelzenden Blättchen bestehendes Pulver
dar, war in kaltem Wasser, besser jedoch
in warmem Wasser, sehr leicht in Alkohol
loslich.
Thieryersuche Hessen eine bedeutende
Temperaturemiedrigung Yon 39^ bis auf 36
und 35^ C. — es ist leider nicht angegeben
durch welche Dosen — und eine ausge-
sprochene, in Krämpfen sich äussernde
Wirkung auf das Centralnervensystem er-
kennen. Bei Kaninchen betrug die letale
Dosis 3 Gramm. Der Harn der Yersuchs-
thiere zeigte reducirende Eigenschaften und
war frei Ton Haemoglobin.
Therapeutisch versucht wurde das Mittel
bis jetzt nur bei fiebernden Kindern. Die
Temperaturemiedrigung erfolgte allmählich,
und dauerte verschieden lange, bis zu naehre-
ren Stunden. Schweisse waren häufig. In
einem Falle kam es zu Collaps. Sonst fehl-
ten unangenehme Nebenerscheinungen. Die
bei Kindern zur Verwendung gelangten Dosen
waren 0,2 — 0,3 (!).
Ob das neue Mittel vor den anderen
gebräuchlichen Antipyreticis besondere Vor-
zuge hat, vermochte Mahnert bei dem ge-
ringen , ihm zu Gebote stehenden Material
nicht zu entscheiden.
Exalgin.
Welche Verbindung unter dem von Du-
jardin-Beaumetz und G. Bardet mit dem
Namen „Exalgin^ (von i^ und äXyog) be-
legten Körper zu verstehen ist, lässt sich
aus der in: Les nouveaux remedes 1889
No. 6 enthaltenen Abhandlung nicht mit
Sicherheit ersehen. Die Vf. bezeichnen die-
selbe als Orthomethyl acetanilid. Hiermit
stimmt jedoch die angegebene Formel
CeH5.CsH3O.NCHs
nicht überein. Sie beschreiben das Präparat
als einen in feinen Nadeln oder in grossen,
weissen Tafeln krystallisirenden, bei 101° C
schmelzenden Körper, welcher in kaltem
Wasser schwer, leichter in heissem Wasser
und sehr leicht in ganz verdünntem Alkohol
löslich ist.
Das Mittel besitzt antiseptische und tem-
peraturerniedrigende Eigenschaften und wirkt
in hervorragender Weise auf die Sensibilität.
Kaninchen gehen nach 0,46 g pro Kilo Thier
unter Zittern durch Respirationslähmung nach
wenigen Minuten zu Grunde. Als Analgeti-
cum soll es bei allen Formen von Neuralgien
dem Antipyrin überlegen sein.
Die Dosis beträgt 0,25 ein bis drei Male
täglich in alkoholisch-wässeriger Lösung
(Cognac, Rum).
Litteratur, Fr. Mahnert: Ueber die anti-
pyretische Wirkung des Methacetins. Wien,
klin. Wochenschr. 1889 No. 13.
Diijardin-Beaumetz et G. Bardet: Note
8ur Taction physiologique et therapeutique de TEx-
algine ou Orthomethyiacctamiide et sur raction
compare de la serie aromatiqiic. Les noaveaux
remedes 1889 No. 6.
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Gesellachaft der Aerste in Zürich.
(Sitzung den S, November 1888,)
Herr Prof. Krönlein: Das Mastdarm-
carcinom, seine operative Behand-
lung und Prognose.
Vortragender berichtet auf Grund eigener
und auch anderweitig gemachter Erfahrungen,
dass die Prognose der operativen Behandlung
des Mastdarmcarcinoms eine ausserordentlich
günstige geworden, itidem die Mortalität auf
10^/0 imd noch weniger gesunken sei.
Unter den ätiologischen Momenten werden
Päderastie, Syphilis und Hämorrhoi-
den erwähnt, als Operatioatverfahren
22*
172
Therapeutltehe MittheiluBgen ftui VerelneiL
rlierapeatbche ,
Monatshefte.
Wird das von Kraske und Bardenheuer
besonders hervorgehoben. Zur Yermeldung
der Sepsis hält Verf. u. A. die ausgiebigste,
etwa 8 — 14 Tage lang vorher durchgeführte
regelmässige Entleerung des Darmes für
nothwendig, und bei inoperablen Carcinomen
mit ausgesprochenen Occlusionserscheinungen
zeigte sich die Colotomia iliaca als Palliativ-
verfahren ausserordentlich werthvoU. Der
Radicaloperation mit dem Thermokauter ist
die mit dem Messer als sicherer durchaus
vorzuziehen.
{Corresp.'BLf, SchweU. Aente, 1889 No. 2.)
Preyer {SUttin).
Verein der Aerzte in Krakau.
(October-Sitzung 1888.)
Prof. Obalinski: Ueber zweimalige
Laparotomie an einem jungen
Manne.
Acht Tage vor der Aufnahme in die
Klinik hatte Pat. sich selbst einen Leisten-
bruch reducirt. Bald darauf stellten sich
Ileussymptome ein. Bei der am Aufnahme-
tage diagnosticirten incarcerirten Hernie und
der sofort ausgeführten Laparotomie wurde
ein Bindegewebsstreifen gefunden, der die
Ursache der Ileussymptome war. Der Bauch-
sack wurde resecirt und ein Hoden exstir-
pirt. Einige Tage nach der Operation hatte
Pat. mehrere Stühle. Sein Zustand besserte
sich zusehends. (Die Schnittwunde war
bei der Laparotomie in der Linea alba ge-
führt worden.) — Eine Woche später musste
wegen exquisiter Ileussymptome (nach Aus-
schluss einer allgemeinen Peritonitis) die
zweite Laparotomie ausgeführt werden, zu-
mal der neue Erankheitsprocess ganz acut
entstanden, der Schmerz genau in der rechten
Bauchgegend localisirt wurde und anti-
peristaltische Bewegungen deutlich waren.
Bei der Operation fand sich die Diagnose
eines frischen mechanischen Hindernisses
bestätigt (Torsio oberhalb des Coecums).
Nach 6 Wochen war Pat. völlig hergestellt.
— Bei der zweiten Laparotomie wurde die
Schnittwunde etwas seitwärts gemacht. (Es
dürften wenige Fälle bekannt sein, an denen
in einer Woche eine Laparotomie, verbun-
den mit einer Radicaloperation der Hernie
mit Castration, die zweite verbunden mit
querer Enterestotomie vorgenommen worden
wäre.)
Prof. Obalinski zeigt ferner das Prä-
parat von einem vor 14 Tagen resecirten
Pylorus. Die Operation war wegen car-
cinomatöser Stenose gemacht worden. Die
60jährige Frau hat die 279 Stunden dauernde
Operation gut vertragen, war aber in Folge
grossen Chloroformgebrauchs (53,0) bald
nachher in Collaps verfallen. Nach einer
subcutanen Injection von 0,03 Cocain. hydrochl.
erholte sie sich. Seither besserte sich der
Zustand fortschreitend und Pat. ist gegen-
wärtig Reconvalescentin. Die früheren Sym-
ptome (Erbrechen, Magendrücken, Schmer-
zen, Appetitlosigkeit) sind gewichen. Hervor-
gehoben zu werden verdient noch, dass auch
ein Segment des Pankreaskopfcs, mit welchem
das Neugebilde verwachsen war, entfernt
werden musste. Ein derartiger Eingriff war
bisher stets als malum omen augesehen worden.
( Wien, med. Presse 1888, No. öl.) R.
Societe de Biologie (Paris).
{Sitzung am 5. Januar 1889.)
Die Herren Pouchet und Chabry haben
Untersuchungen über die Bedeutung
des Kalkes bei der Entwickelung der
lebenden Wesen angestellt. Sie legten
in künstlich präparirtes Seewasser, dem kein
Kalk beigemengt war, zahlreiche Eier von
Seeigeln. Dieselben gingen alsbald zu Grunde.
Darauf wurden Eier von Seeigeln in natür-
liches Seewasser gebracht, dem sein Kalk
zum grossten Theile entzogen war. Diese
Eier entwickelten sich zwar, aber die Larven
kamen nur ganz langsam aus, fast aus allen
entstanden Missbildungen, die niemals ihre
volle Entwickelung erlangten.
Diejenigen Eier dagegen, die zum Ver-
gleiche des Versuches in natürliches See-
wasser placirt waren, haben sich vollkommen
entwickelt.
Herr Girard bemerkt, dass man See-
thiere wohl in künstlichem Seewasser leben
lassen könne, dabei entstehen aber oft Miss-
bildungen, die eher durch das Zusammen-
drängen, wie in dem eben berichteten Falle,
als durch den Mangel an Kalk bedingt
seien.
Pouchet fragt hierauf, wie der Vor-
redner alsdann die Thatsache erklären könnte,
dass die Vergleichseier, welche, abgesehen
von der Kalkentziehung, sich unter ganz
analogen Verhältnissen befanden, niemals
Monstruositäten hervorgebracht haben.
{U Progres med. 1889 Nr. 2.) R.
Academie de Medecine (Paris).
(Sitzung am 19. Februar 1889.)
Herr Pean berichtet über einen Fall
von partieller Epilepsie, der durch
Trepanation geheilt worden. Die Epi-
lepsie war bei dem 28 jährigen Manne durch
einen Hirntumor hervorgerufen worden. Die
Anfölle markirten sich in folgender Weise:
Schmerzhafter Krampf in der rechten grossen
Zehe, dann Steifigkeit der rechten unteren
Extremität und tonische und klonische
III. JahrgaBff.l
April 1889. J
Therapeutltehe Mltfheilangen ftut Vereinen.
173
Zuckungen, die sich alsbald auf den Arm
und das Gesicht derselben Seite fortpflanzten.
Bewusstseinsverlust trat nicht bei jedenoi
Anfall und niemals bei Beginn desselben
ein. In der anfallsfreien Zeit war ein deut-
lich ausgeprägter paretischer Zustand der
rechten unteren Extremität zu constatiren.
Ausgehend von der Annahme, dass die An-
fzUe durch einen Tumor veranlasst seien,
'VN'elcher im Niveau oder in der Nachbarschaft
des motorischen Centrums der rechten un-
teren Extremität gelegen, entschloss man
sich zur Vornahme der Trepanation. Nach
Fortnahme der Geschwulst (eines von der
Pia mater ausgehenden fibrösen Lipoms)
wurde in die von der Geschwulst gebildete
Excavation ein Drain eingeführt, alsdann
wurden die vier Zipfel der Dura mater mit-
tels Catgut und die der Kopfhaut mit See-
gras (crin de Florence) genäht. Antisepti-
scher Verband.
Acht Tage nach der Operation konnten
Fäden und Röhrchen entfernt werden, und
am zehnten Tage war die Vemarbung voll-
ständig eingetreten. — Einige krampfartige
Erscheinungen (wahrscheinlich durch Reizung
der Gehirnsubstanz hervorgerufen) hatten
sich noch in den ersten Tagen nach der
Operation gezeigt. Seit 2 Monaten, (die
Operation wurde vor 2 7a Monaten vorge-
nommen) hat sich kein epileptischer Anfall
gezeigt, so dass die Heilung als eine voll-
ständige angesehen werden kann.
{La Semaine med, 1889 No. 8). R.
Referate.
Zur therapeutischen Anwendung des Acetanilid.
Von Dr. Ernst Jeudrässik, Univ.-Docent in
Budapest.
Das Antifebrin wird als Antipyreticum
von anderen Mitteln übertrofFen, während
dessen Wirkung auf das Nervensystem eine
hervorragende ist. Als schmerzstillendes
Mittel übertrifft es die Narcotica.
Eine ausgezeichnete Wirkung übt das
Antifebrin in Dosen von 0,5 g auf die Reiz-
zustände in Fällen von Tabes und Dementia
paraljtica und die Larynx-Krisen der Tabi-
ker aus. Ohne die Wirkungsweise analy-
siren zu wollen, constatirt J., dass das
A. auf das Grosshirn eine grössere Wirkung
habe, entgegen der Behauptung des Prof. A.
Bokai in Elausenburg, der dem Antifebrin
auf Grund seiner an Thieren gemachten
Versuche eine Wirkung auf das grosse Gehirn
abspricht, höchstens die Wahrscheinlichkeit
einer lähmenden Wirkung auf die sensitiven
Theile des Ruckenmarks zugesteht. Verf.
beobachtete bei grösseren Dosen Cyanose
und räth von grösseren Dosen (mehr als 1 g)
ab, da kleinere Dosen sich besser bewähren.
{Orvoti Heülap 1889 No. 9.)
Schuschny {Budape$t).
Zur Resorcinbehandlung des Keuchhustens.
Bereits 1885 war von Prof. Moncorvo
in Rio de Janeiro in seiner Arbeit: „Der
Keuchhusten und seine Behandlung mit Re-
sorcin*^ auf Grund längerer Untersuchungen
auf die günstigen Heilerfolge hingewiesen
worden, die man nach localer Anwendung
des Resorcin bei dieser — von ihm als In-
fectionskrankheit betrachteten — Affection
zu erzielen vermag. Bestätigt wurden die
Angaben Moncorvo's durch Bouchut,
Callias und besonders von Mauriac in
Bordeaux, sowie von Guaita in Mailand
und von An de er. — Auch Barlow beob-
achtete in 50 Fällen (19 Knaben und 31
Mädchen) ohne Ausnahme schnelle Heilung,
zuweilen schon nach 2 — 3 Tagen. Genau
zu demselben Resultate gelangte Rodrigues
Guiäs in Rio de Janeiro, der bei localer
Application des Resorcins 40 Fälle aus-
nahmslos in weniger als 10 Tagen heilen
sah. — Nur Constantin Paul in Paris
will wenig befriedigende Resultate beob-
achtet haben.
Jayme Silvado, ein Schüler Mon-
corvo's, dessen Auffassung über die Natur
und Behandlung des Keuchhustens sich mit
der seines Lehrers deckt, ist in seiner Ar-
beit: de Coquelucha, 1887, in welcher be-
sonders der gegenwärtige Stand unserer
Kenntniss über die Pathologie und Therapie
des Keuchhustens einer eingehenden Be-
sprechung unterzogen wird, zu folgenden
Resultaten gelangt: 1. Der Keuchhusten ist
eine parasitäre Krankheit, welche ihren Sitz
im Kehlkopf hat. 2. Den pathogen en Mi-
kroben der Krankheit hat man in den
Letz er ich^ sehen Micrococcen zu suchen.
3. Die Krankheit ist also mit- örtlichen,
parasiticiden Medicamenten zu behandeln,
von denen sich das Resorcin als das ge-
eignetste erwiesen hat.
{Virchow's Archiv, Bd. 115, Utfi 3.)
H. Loh^Uin {ßertin).
174
Referate.
rlierapeattsche
Monatshefte.
Zur physiologischen Wirkung des Cytisinum ni-
tricum. Von Prevost und Bin et (Genf).
Im Aaschluss an die von den Yerff. Yor
einigen Monaten über die physiologischen
Wirkungen des Cytisus labumum angestellten
Untersuchungen, hatten Husemann, Marme
und Radziwillo wicz über das wirksame
Princip der Pflanze ähnliche Untersuchungen
publicirt. Das Resultat derselben war bei
Husemann und Marme im Allgemeinen
identisch mit dem Untersuchuugsergebniss
der Verff., wälirend Radziwillowicz'
Untersuchungen ergaben^ dass das Alkaloid
z. Th. andere Erscheinungen setze, als die
Summe der extrahirten wirksamen Bestand-
theile der Pflanze. Insbesondere soll nach
ihm die muskellähmende Wirkung, die be-
reits kleinere Dosen" des Extractes hervor-
rufen, erst nach Application sehr grosser
Dosen des Alkaloids beobachtet werden,
welches in kleineren Gaben im Gegentheil
excitirend wirke. Ausserdem hat er statt
der nach Verabreichung des Extractes beo-
bachteten Druck erniedrigung im arteriellen
System im Gegentheil eine Druckerhöhung
gesehen. — Demgegenüber sind VerfF. auf
Grund zahlreicher Thierversuche zu folgendem
Ergebnisse gelangt: Die Wirkung des Alka-
loids deckt sich im Allgemeinen mit der des
Extractes. Dagegen findet die Vaguslähmung
durch das Cytisin bereits im Xnitialstadium
der Wirkung statt, während durch das
Extract dieselbe erst viel später eintritt,
als diejenige der motorischen Nerven der
Extremitäten. — Im Allgemeinen erwies sich
das Extract etwa 15 Mal schwächer als das
Alkaloid. — In subcutaner Injection ange-
wendet, bewirkte das Alkaloid bei den
Thieren, welche erbrechen können, Erbrechen;
in grösseren Gaben verabreicht, führte es
zu peripherischer Lähmung der motorischen
Nervenendigungen, analog der Curare-Läh-
mung. — Der Tod erfolgt bei den Mammi-
feren an Asphyxie, mit vorausgehenden
fibrillären Muskelcontractionen und bisweilen
unter klonischen Krämpfen. — Bemerkens-
werth ist endlich das Verhalten des Blut-
druckes zu dem Alkaloide. Während nach
intravenösen Injectionen eine wenn auch
kurzdauernde, so doch erhebliche Steigerung
des Blutdruckes eintritt, fehlt dieselbe nach
subcutaner Injection des Cytisin, selbst
in toxischer Gabe. Aus diesem Grunde fehlt
auch die Steigerung des Blutdruckes bei
den mit dem Extracte angestellten Ver-
suchen, da man das letztere nicht direct in
die Venen injiciren konnte.
{Rev. med. de la Suiste Romande. No, 11. 1888. 20. Nov.)
H. Lohnstein {Btrlin).
Ueber Sozojodolpräparate. Von Dr. 0. Sei fort,
Privatdocont in Würzburg.
Vf. hat die Sozojodolpräparate in mehr
als 50 Fällen der verschiedenartigsten Er-
krankungen der Nase, des Rachens und des
Larynx angewandt.
Das Sozojodol-Kalium gelangte in
einer Verdünnung von 1 : 2 oder 1 : 1 Tal cum
zur Anwendung.
Bei chronischer Rhinitis mit abnorm
reichlicher, sei es wässerig-schleimiger, sei
es eiterig -schleimiger Secretion, äusserte
dasselbe eine secretionsvermindernde und aus-
trocknende Wirkung.
Das So zojodol -Natrium wurde gleich-
falls in einer Verdünnung von 1 : 1 Talcum
mit zufriedenstellendem Erfolge zu Einbla-
sungen in den Larynx bei tuberculösen Ul-
cerationen verwerthet»
Durch Sozojodol-Zink wurde bei jenen
Formen chronischer Rhinitis, die durch ab-
norm geringe Secretion sich auszeichnen, die
Secretion reichlicher.
Bei Rhinitis hyperplastica konnte nach
1 — 2 wöchentlicher Behandlungsdauer eine
Abnahme des Volumens der Muschelschleim-
haut constatirt werden, bei Rhinitis atrophica
eine Beseitigung des Foetor. — Die Ver-
dünnung muss bei dem Zinksalze jedoch
eine viel grössere sein, als bei der Kalium-
und Natriumverbindung.
Meistens benutzte S. eine Verdünnung
von 1 : 10 und selbst dann stellten sich bei
einzelnen Individuen unangenehme Reactions-
erscheinungen : Brennen in der Nase, Kopf-
schmerzen, Schwindel, ja in einem Falle
Ohnmachtsanwandlung ein, so dass eine
noch stärkere Verdünnung 1 : 12 gewählt
werden musste.
Das Sozojodol-Quecksilber endlich,
welches selbst noch in einer Verdünnung
von 1 : 10 stark ätzende Eigenschaft auf
Schleimhäute besitzt, wurde nur bei tuber-
culösen und syphilitischen Ulcerationen am
Septum narium in Anwendung gezogen. Der
Erfolg war jedenfalls besser, als nach Chrom-
säureätzungen.
In Uebereinstimmung mit Langgaard
konnte Vf. nach innerlicher Darreichung des
Sozojodol Kaliums und -Natriums iln Urin kein
Jodalkali nachweisen.
{Münchener Med. Wochen sehr. 1888 No. 47.) rd.
Ueber CocaXn-Epilepsle. Von Dr. C. Hei mann
(Cliarlottenburg).
Verfasser bringt die Krankengeschichte
eines Patienten, bei welchem nach längerem
subcutanen Gebrauch sehr grosser Dosen
Cocain (bis 8,0 pro die) neben der in den
letzten Jahren von demselben Autor wie
I
ni. JalirgaDg.!
April 1889. J
Referate.
175
L
Ton yerschiedenen andern yielfach beobach-
teten sogenannten Cocain-Paranoia auch epi-
Jeptiforme Krämpfe auftraten. Dieselben
glichen, nach der Beschreibung genau den
classischen Insulten der Epilepsie und waren
auch mit Zuckungen, Sensibilitätsstörungen,
vollständiger Benommenheit , nachherigem
ErinneruDgsmangel an den Anfall etc. ver-
bunden. Nach Aussetzen des Giftes schwan-
den die Krankheitserscheinungen, wie Hallu-
cinationen, perverse Sensationen, Wahnideen,
und auch die Krämpfe traten nicht wieder
auf, wiederholten sich jedoch stets nach
neuen grosseren Dosen jenes Mittels. Da
nun ausserdem bei dem Patienten kein ver-
anlassendes Moment für die Epilepsie sonst
vorhanden war, derselbe erblich nicht be-
lastet ist, vorher nie an krampf ahn liehen
Zuständen gelitten hatte, so zieht der Ver-
fasser den wohl richtigen Schluss, dass in
diesem Falle die Epilepsie durch jenes Al-
kaloid veranlasst ist. Durch Versuche an
Thieren, bei welchen ebenfalls nach Cocain
epileptiforme Krämpfe auftraten, wird jene
Annahme noch unterstützt.
^Deutsch, mtd. Wochenachr. 1989, 12.) R.
Weitere Mittheilungen über die Behandlung der
Tuberculose. Von Dr. A. Landerer in Leipzig.
Nach einem ia der med. Ges. zu Leipzig am
18. Dec. 1888 gehaltenen Vortrage.
Im Anschluss an seine in einem früheren
Vortrage gemachten Mittheilungen (s. Therap.
Monatsh. No. 12, 1888, S, 564) über die
Behandlung der Tuberculose vermittelst
subcutaner und intravenöser Injec-
tionen von emulgirtem Perubalsam be-
richtet Verf. über weitere, durch diese Be-
handlungsmethode erzielte Erfolge. Wegen
einiger Unzuträglichkeiten, die die intrave-
nöse Injection in einem Falle darbot, wandte
Verf. neuerdings meistens Injection der
Emulsion direct in die fungösen Ge-
lenke oder, ähnlich den Calomel-Injectionen,
in den Muse, glutaeus an, in neuester
Zeit auch schon in ein tuberculöses In-
filtrat der Lunge. Die Gesammtsumme
der behandelten Fälle beträgt z. Z. ca. 70,
und Verf. ist zu dem Resultat gelangt, dass
operative Eingriffe eingeschränkt werden
können und dass mit Hilfe der Perubalsam-
Injectionen auch innere Tuberculosen beein-
flusst zu werden vermögen. Die intravenösen
Injectionen seien aber wirksamer, als die
Injection in die Gewebe (Muskulatur).
i^Münch, med. Wochtntchr. 1889. No. 4.)
Dreytr {SUttin).
Zur Kenntnlss der Wirkungen des Chloroforms.
Von Prof. E. Salkowski.
Bei Gelegenheit eines Versuches, den
Verf. anstellte, um zu prüfen, ob die von
ihm entdeckte hervorragende antiseptische
Wirkung des Chloroforms sich auch zur
Desinfection des Darmcanals verwerthen
liesse — eine Vermuthung, die sieht nicht
bestätigte — , machte Verf. die ausserordent-
lich interessante Beobachtung, dass dem
Chloroform eine specifische Wirkung auf den
Ei Weisszerfall zukomme. Er reichte einem
im N- Gleichgewicht befindlichen Hunde
4 Tage hintereinander je 1,5 g Chloroform
in 0,25 1 Wasser suspendirt und fand, dass
an diesen 4 Tagen und auch noch an dem
folgenden eine beträchtliche Erhöhung der
N- Ausscheidung im Harn auftrat. Am
stärksten war diese N -Ausscheidung am
4. Versuchstage, wo sie, wenn man die
normale Ausscheidung =100 setzt, 153
betrug.
Diese Beobachtung bietet also ein merk-
würdiges Seitenstück zu den Ergebnissen
Strassmann's,dereineErhöhungdesEiweiss-
zerfalles bei langdauernder Chloroformnar-
kose fand.
iVirohow'a Archiv Bd. llö S. 339.)
Schmey {Beuiken O.-S.).
Ueber Chloroform-Inhalation als sedatives Mittel
bei Lungen- und Herzkrankheiten. Von Prof.
0. Rosonbach (Breslau).
Auf Grund eines reichen Beobachtungs-
materials glaubt Verf. die Inhalation kleiner
Chloroformmengen in gewissen Zuständen
empfehlen zu können. Der diesem Mittel
zugeschriebene günstige Einfluss ist jedoch
nur bei strengem Innehalten genau bestimm-
ter Indicationen zu erwarten. — Der Vor-
theil der Chloroform-Inhalationen wird haupt-
sächlich darin zu suchen sein, dass man sie
versuchen kann, wo es darauf ankommt,
relativ kurz dauernde und sich oft wieder-
holende Anfalle zu coupiren oder wo man
die Anwendung eines schnell wirkenden und
leicht für den Bedürfnissfall zu dosirenden
Mittels für nöthig hält. Ferner ist es ein
Vortheil, dass der Kranke sich eben das
Medicament gewissermassen selbst dosirt
und die Inhalation abbrechen kann, sobald
er Erleichterung merkt.
Der Wirkungskreis der Chloroform-Ein-
athmung erstreckt sich auf asthmatische
Anfälle aller Art bei Herz- und Lungen-
kranken, besonders wirksam sind sie bei
den dyspnoischen Attacken der Emphysema-
tiker und der Herzleidenden beim Asthma
cardiac. verum; günstig werden auch die
frequenten Hustenanfälle der Phthisiker
beeinflusst. Auch beim Singultus und bei
gewissen cardialgischen Anfällen von
massiger Intensität lassen sich zuweilen
recht erfreuliche Erfolge erzielen, doch sind
hier Morphiumgaben entschieden vorzuziehen.
176
Referat«.
rlierapwiliach«
MonaUbeft«.
Was den Modus der Inhalation be-
trifft, so sind 5,0 — 15,0 Chloroform auf
etwas Watte, die in einen Trichter gestopft,
zu giessen und mit langsamen Zügen, indem
man den Trichter nicht zu nahe hält, zu
inhaliren. Der Verlauf dieser Anwendungs-
weise des Chloroforms ist gewohnlich der,
dass die Patienten, nach üeberwindung des
ersten unangenehmen Gefühls tod Kratzen
oder Stecheu, recht bald in eine relative
Euphorie gerathen und bisweilen einschlum-
mern. Selbst Anfälle von Lungenödem
wurden unter dem Einflüsse der Inhalationen
coupirt. Das wird jedoch denjenigen nicht
überraschen, der die oft zauberhafte, seda-
tive Wirkung einer Morphiuminjection bei
dem paroxysmalen (acuten) Oedem der
Nierenschrumpfung und gewisser Herzkrank-
heiten, sowie bei schweren anämischen Con-
vulsionen gesehen hat. Der nach einer In-
jection erfolgende Tod ist in solchen Fällen
nicht jedesmal der Einspritzung zur Last
zu legen, sondern dem Grundleiden. R.
citirt einen hierher gehörigen sehr lehrreichen
Fall, in dem der Zufall es fügte, dass der
eine Anfall trotz der Einspritzung mit Ge-
nesung endigte, während ein ganz gleicher
zweiter Anfall, bei dem keine Injection ge-
macht wurde, zum Tode führte.
{Stp.-Abdr. aus der „Internat, klinisch. Rundsch." J889.)
Ueber innerliche Anwendung des Chloroforms.
Von Dr. Stepp in Nürnberg. Vortrag gehalten
im ärztlichen Local verein.
Verf. hat, seitdem Salkowski die
Aufmerksamkeit auf die desinficirende Kraft
des in Wasser gelösten Chloroforms ge-
lenkt und darauf hingewiesen hat, dass
dasselbe auch bei inneren Erkrankungen
z. B. bei der Cholera vielleicht mit Nutzen
versucht werden könnte (s. Therap. Monatsh.
1888 S. 299), das Chloroform bei den ver-
schiedensten Erkrankungen innerlich darge-
reicht. Bei den hierzu angestellten Vor-
untersuchungen zeigte es sich und hierauf
legt St. einen besonderen Werth, dass das
Chloroform, welches bekanntlich in Wasser
nur schwer und unter starkem Schütteln
(0,7 : 100,0) löslich ist, nur bei gehöriger
Durchdringung mit den in Betracht kommen-
den Medien die wirksame Desinflcirung
sichert.
Während nun die ersten therapeutischen
Versuche (gewöhnlich 0,5 — 1,0 in 150,0
Wasser gelöst und bei Kindern ein Tropfen
Chloroform auf 10,0—20,0 Flüssigkeit),
welche bei tuberkulösen Kranken stattfan-
den, einen durchaus negativen Erfolg auf-
wiesen und auch beim Brechdurchfall der
Erwachsenen, wie der Kinder Chloroform,
allein gebraucht, nicht den gehegten Erwar-
tungen entsprach, stellte sich bei letzterer
Erkrankung bald heraus, dass ein Zusatz
von Opiumtinctur zu der Chloroformflüssig-
keit in viel geringerer Gabe, wie sonst üblich
genügt, um einen therapeutischen Erfolg zu
erzielen. Es scheint hier das Chloroform
den gährungsHihigen Mageninhalt günstig zu
beeinflussen, so dass die in den Darm über-
tretende Magenflüssigkeit weit weniger rei-
zend auf den Darm einwirken kann und
andererseits das Opium dann die Peristaltik
zu hemmen weit leichter im Stande sein
wird. Die Darreichung bei Kindern in den
ersten Lebensmonaten war auf 30,0 bis 50,0
Flüssigkeit 8 bis 4 Tr. Chloroform mit
^/j bis 1 Tr. Opiumtinctur in den üblichen
Verordnungen mit Bism. subnitr. oder Tannin.
Noch günstiger wirkte das Chloroform,
von dem übrigens erwähnt werden muss,
dass es niemals eine narkotische Wirkung
oder schmerzlindernde Eigenschaften beob-
achten Hess, bei Magengeschwüren u. z. in
einer Schüttelmixtur von Bism. subnitr. (l50,0)
und 1,0 Chloroform, anfangs stündlich, später
3 X täglich 2 Löffel gegeben. Die cardial-
gischen Schmerzen wichen rasch, das Brechen
sistirte und in kurzer Zeit stellte sich Hun-
gergefühl ein. St. glaubt, „dass die desinfi-
cirende, adstringirende und zu gleicher Zeit
blutstillende, endlich mild reizende Eigen-
schaft des Chloroformwassers dasselbe bei
der Behandlung des Ulcus rotund. unent-
behrlich machen wird, da wir kein anderes
Medicament besitzen , welches eine solche
Fülle so hervorragend günstiger Eigenschaf-
ten besitzt".
Auch als Mund- und Gurgel wasser (bei
Kindern 1 : 200,0, bei Erwachsenen 2 : 300,0)
bot Chloroform sowohl bei Zahnfleischerkran-
kungen, wie bei Diphtherie und folliculärer
Angina, Rachenkatarrh, Psoriasis der Mund-
schleimhaut (Leukoplakia) u. s. w. so augen-
scheinliche Erfolge, dass es, besonders wenn
man noch an seine gänzliche Unschädlich-
keit und seinen angenehmen Gebrauch denkt,
mit jedem andern Mittel wetteifern kann.
Diesen deutlichen Erfolgen gegenüber
Hess die innerliche Anwendung des Chloro-
form bei Diphtherie und Keuchhusten durch-
aus im Stiche, während hinwiederum 2 Pneu-
moniefälle bei seinem Gebrauch (u. z. im
ersten 1 * 150,0 Chloroformlösnng stündlich
2 Löffel, im andern, wie es noch zweckmäs-
siger ist, 1 : 150,0 täglich in 3 Abtheilungen)
einen vortheilhaften Einfluss erkennen Hessen
und -zu weiterer Prüfung anzuregen schienen,
und endlich 6 Typhusfillle, welche gleich-
falls mit 1 : 150,0 pro die in 3 Dosen be-
m. Jfthrfttig.l
April 1889. J
RalbnUtt.
177
handelt wurden, sogar in hobem Maasse be*
friedigen mussten. Das Zurückgehen der
Temperatur, die grossen Remissionen, das
schnelle Schwinden der Benommenheit und
Schwerhörigkeit, das ausgezeichnete Verhal-
ten des Sensoriums und rasche ßeconvales-
cen% treten bei dieser Behandlung oft in
geradezu auffallender Weise zu Tage. „Das
Chloroform ist eben in diesen Gaben* kein
Betäubungsmittel, sondern im Gegentheil ein
Reizmittel.^
Zur Erklärung der günstigen Wirkungen
des Chloroforms ist St. geneigt, die Zerle*
gung desselben innerhalb des Organismus
heranzuziehen. Bekannt ist, wie Chloroform
sich bei Lampenlicht zersetzt und Chlor-
kohlenoxyd abgespalten wird. Nun finden
sich im lebenden Organismus und besonders
im fiebernden Korper Verhältnisse, in wel-
chen gleichfalls Oxydationsproducte u. z.
Kohlensäure reichlich Torhanden sind und
sind dieselben Tielleicht die Ursache ähn-
licher Vorgänge, die dann durch entstehende
Spaltungsproducte des Chloroforms die
Krankheitserreger in der Blutbahn entweder
selbst beeinflussen oder aber mit den £nd-
producten derselben (den Ptomamen) dort-
selbst eine Verbindung eingehen und sie
unschädlich machen.
(i/ttncAener vudiciniMke Woekenechrift 1889 No. 8.)
G. PeUri {BerUn).
Zwcinndvierzig schwere und schwerste Lungen-
entzündungen auaschliesslich mit Chloroform-
inhalationen behandelt Von Dr. Theodor
Clemens (Frankfurt a. M.). (Autoreferat.)
Angeregt durch die Arbeit Ton Stepp
in Nürnberg (Münch. med. Wochenschrift
1889, No. 8): „Ueber innerliche Anwendung
des Chloroforms namentlich bei Pneumonien^
fühlte sich der Verfasser veranlasst, auf die
Resultate der Chloroformbehandlung bei
Lungenentzündung hinzuweisen, welche der-
selbe als Arzt im Hospital zum heiligen
Geist bereits Tor 40 Jahren^) yeroffentlicht
hat. Die Resultate dieser Behandlungsme-
thode waren so günstige, dass von 42
schweren und schwersten Pneumonien nur
zwei Todesfälle zu beklagen waren, welche
überdies einen starken Gewohnheitstrinker
') „Deutsche Klinik* Verlag von Georg Rei-
mer in Berlin, No. 51, 21. December 1850: „Ein
Beitrag zor näheren Erkenntniss des Cbloroforrns
in cbemiscber und physiologischer Beziehung^ von
Dr. Theodor Clemens in Frankfurt am Main;
Fortsetzungen in No. 52, 28. December 1850. No. 3,
18. Januar 1851. No. 4, 25. Januar 1851. No 7,
15. Februar 1851. No. 8, 22. Februar 1851 und
Schlnss No. 12, 22. März 1851, in welcher Arbeit
bereits von dem Verfasser die ersten XIV. mit
Chloroform-Inhalationen behandelten und geheilten
Pneumonien mitgetheilt worden sind.
und ein ganz kachektisches Individuum be-
trafen. Ebenso hat der Verfasser in einer
seitdem ausgeübten zweiundvierzigjährigen
Privatpraxis alle vorgekommenen Lungen-
entzündungen ganz auf dieselbe Weise be-
handelt und in dieser langen Zeit keinen
einzigen Todesfall an Lungenentzündung zu
verzeichnen gehabt, was der Verfasser üb-
rigens dem Umstand zuschreibt, dass er,
immer rechtzeitig gerufen, die Entwickelung
der Krankheit durch sofortige energisch fort^
gesetzte Chloroform-Inhalationen aufhalten
konnte. In allen Fällen war bei dieser
Behandlungsmethode dem Chloroform stets
Spiritus rectificat. zugesetzt worden, weil
durch diesen Zusatz erstens eine schädliche
Einwirkung und Zersetzung des Chloroforms
verhütet und zweitens bei länger anhalten-
den Inhalationen die NarcotisiruDg umgangen
wird. Selbst in sehr schlimmen Fällen von
Pneumonia duplex, wo bereits die Chloride')
im Harn zu schwinden begannen, konnte
durch beharrliche, selbst Nachts durchge-
führte Inhalationen von Chloroformspiritus
noch ein durchaus günstiges Resultat erlangt
werden. Da bekanntlich sowohl Chloroform
wie auch der Alkohol von dem Blut aufge-
nommen wird, so kann bei ausgiebigen und
fortgesetzten Inhalationen eine vollkommene
ümstimmung des Lungenblutes veranlasst
und durch Defibrinirung dem localen
Entzündungsprocess der Boden genommen
werden. Deshalb bei dieser Behandlungs*
methode die Seltenheit des gefurchteten
Ausgangs in Hepatisation, deshalb der so
sehr abgekürzte Ejrankheitsverlauf und die
oft unglaublich schnelle Rückbildung des
ganzen Erankheitsprocesses in den Lungen.
Die Indication der Zahl und Dauer der In-
halationen richtet sich nach Ausbreitung und
Intensität der Lungenentzündung. Je schwerer
der Fall, desto längere und häufigere Inha-
lationen und folgerichtig desto mehr Zusatz
von rectificirtem Spiritus zu dem Chloroform.
Da in dem Hospital zum heiligen Geist in
Frankfurt am Main die ersten Versuche mit
dem damals käuflichen Chloroform durchaus
fehlschlagen, so sah sich der Verfasser,
selbst Chemiker, veranlasst, aus Chlorkalk
und Weingeist ein vorzüglich reines, nicht
zu schweres Chloroform selbst herzustellen
•) TJroskopische Beiträge von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt am Main. Deutsche Klinik
31. Mai 1851, No. 22 und Fortsetzungen in No. 31,
2. August 1851. No. 33, 16. August 1851. No. 34,
23. August 1851. No. 36, 6. September 1851,
No. 39, 27. September 1851. No. 43, 25. October
1851. Siehe daselbst p. 459 die Chloride und die
prognostische Wichtigkeit des Verschwind ens der
Chloride im Urin bei den Entzündungskrankheiten
und insbesondere bei Pneumonien.
23
178
RaflMAItt.
rlierapeatbeho
Monatiheftt.
und wurden mit diesem stets gleichartigen
Präparat alle Fälle behandelt. Die mit
Chloroform und Spiritus getränkte, fest ge-
drehte Baumwolle wurde stets in ein Stuck
lockere und trockene Baumwolle eingehüllt
und so Yor Mund und Nase des Patienten
gehalten, dass man mit der senkrechten
flachen Hand zwischen Watte und Gesicht hin-
durchfahren konnte, damit Patient neben dem
Chloroformspiritus -Dampf immer noch einen
Theil Luft mit einathmen konnte, auf welche
Weise selbst bei langen Inhalationen die
Narcotisirung immer umgangen wurde.
{AUgem. med, Centrah. 1889, No. UlSS.) •
Die Wirkung des Tabaks. Von Ritter Dr . G i a c c h i ,
Spital sdirector in Fiume.
Yerf. hat Experimente an Menschen und
Thieren angestellt. — Die Wirkungen bei den
Thieren sind folgende: Schon eine sehr
geringe Quantität Nicotins (den Thieren ein-
gegeben) genügt, dieselben zu Grunde zu
richten. Um den pathologischen Befund
kennen zu lernen, machte G. Nicotin -Ein-
spritzungen und fand eine auffällige Pro-
stration, kalte Zunge, feuchter als gewohn-
lich, Dilatation der Pupillen und einen
ruhigen Tod. Die Section ergab: Anaemie
der Meningen, des Gehirns und schlaffes Herz.
Die Wirkungen bei gesunden Menschen
sind die folgenden: Das Tabakrauchen er-
regt anfangs Ekel, Brechreiz, Uebelkeit —
Symptome, welche später, nachdem man sich
an das Rauchen gewöhnt, selten vorkonmien.
— Unter vielen Thatsachen sei jene ange-
führt, welche Ho dnig erzählt, dass 2 Brüder,
nachdem der eine 17, der andere 18 Tabaks-
pfeifen ausgeraucht hatten, starben. Es sind
auch Fälle bekannt, wo der Tod eintrat,
nachdem der Kopf wegen Krätze mit einem
Tabakaufgusse gewaschen wurde. — Der Ta-
bak erweitert die Pupillen und befordert die
Harnsecretion. Die Blutcirculation wird ver-
langsamt. Hiernach ist es erklärlich, wie
Ohnmacht und sogar Tod eintreten ^ kann,
ohne dass die Herzfunctionen alterirt er-
scheinen. — Wie Nothnagel fand auch G.
bei Nicotinvergiftung allgemeine Schwäche.
Das Nervensystem befindet sich jedoch nach
Verf. unter der Nicotin Wirkung in keinem
Reizungszustande, sondern im Gegentheil
deprimirt. Keibel berichtet über einen
eclatanten Fall, wo ein Mann, der in Folge
starken Rauchens seine unteren Extremitäten
nicht gebrauchen konnte, sogleich, nachdem
er das Rauchen aufgab, die Motilität wieder
gewann. — Bezüglich der Einwirkung auf
den Appetit muss man zwischen der localen
reizenden und der dynamischen Wirkung
unterscheiden. Der Tabak reizt nur wenig
die ganz oberflächlichen Schichten der Magen-
schleimhaut. Durch stundenlanges Rauchen
vor dem Essen wird der Saft der Speichel-
drüsen ausgepresst. Raucher, die stark
speien, haben gute Verdauung; das Ver-
schlucken des Speichels erregt chronisch ent-
zündliche Processe. — Wenn nach dem
Essen sogleich geraucht wird, wird die Menge
des Nicotins von den Speisen, besonders
aber vom Weine neutralisirt.
Die Zunge der Raucher bekonmit ein
rauhes (zottiges) Aussehen und verliert an
Geschmack. Das Halten des Rauches im
Munde scheint (wenn nicht Erkrankungen
vorhanden) nicht schädlich zu wirken. — Die
tiefen Inspirationen und kurzen Exspirationen
sind (besonders bei Brustschwachen) schädlich.
Wirkungen bei Kranken: Mit Rück-
sicht auf seine hyposthenisirende Wirkung
wurde der Tabak bisher gegen viele Krank-
heiten gebraucht: Ischurie, Drüsenentzündung,
Hernien und Epilepsie. Unter den vielen
von G. beobachteten Fällen verdient beson-
ders ein Ascitiker Erwähnung. Derselbe
hatte früher nie Tabak geraucht. Er genas
in Folge der starken Diurese, die ihm das
Kauen des Tabaks verursachte. — Bei Irr-
sinnigen ist das Schnupfen des Tabaks oft
indicirt, viele (namentlich Frauen) greifen mit
einer gewissen Gier dazu. — Das Rauchen
soll besonders den Herzkranken (!) und den
an Hirncongestionen Leidenden empfohlen
werden. — Aeusserlich ist der Tabak gegen
Scabies und in Klystierform gegen Würmer
wirksam.
Nach den physiologischen Grundsätzen
dürfte gerathen sein, falls keine Gegenanzeigen
vorliegen, erst mit 40 Jahren mit dem Rauchen
zu beginnen. Dasselbe dient nicht nur als
Zeitvertreib, sondern es erfrischt den Men-
schen und regt ihn zur Thätigkeit an.
{Pt»t. med. clururg, Presse 1888 No. 46.) R.
Ueber die Technik bei Behandlung der Tabes und
einiger anderer Nervenkrankheiten mit der
Aufhängungsmethode (Suspension) von Gilles
^ de la Tourette (Paris).
Charcot^s Veröffentlichung der mit der
Aufhängungsmethode bei der Behandlung
der Tabes erzielten Resultate, über welche
wir in der vorigen Nummer dieser Zeitschrift
referirt haben, hat in den weitesten ärzt-
lichen Kreisen Aufsehen erregt. Kein Wunder
daher, dass an den Autor vielfache Anfragen
in Bezug auf die Details der zu befolgenden
Technik ergingen, welche Charcot veran-
lassten, durch seinen Schüler Gilles de la
Tourette eine genauere Beschreibung des
Apparats und der Methode veröffentlichen
zu lassen.
««.1
M. J
179
Der Apparat ist der von Sayre zur An-
leguDg seines GypBCorseU angegebene. Er
besteht ane einem 45 cm langen eisernen
Balken, der in seiner Mitte einen Ring tr>,
welcher an dem. zur Traction verwendeten
Flasclienznge befestigt wird. Der Balken
läuft beiderseits in Haken aus, dazu be-
stimmt, an einem Ringe die Achselstfitzen
EU trageo. Auf dem oberen Rande des
Balkens befinden sich auf jeder Seite je
drei Einkerbungen, deren Bedeutung bald
klar werden wird.
Dann geboren zum Apparat zwei Achsel-
stQtzen und eine in zwei Tbeile zerlegbare
Stütze für den Kopf. Der vordere Tbeil
der letzteren wird unter dem Eiun, der
biutere im Nacken befestigt; der erstere
trägt einen kleinen Ring, welcher dazu
dient, beide Theite nach Anlegung des Appa-
rate durch einen Riemen zu verbinden.
Dieser kleine Riemen spielt eine nicht un-
bedeiiteode Rolle, indem er einmal so stark
angezogeo werden muss, dasa eia Abgleiten
des Apparats verhindert wird, dann aber
wieder keinesfalls durch zu starken Druck
eine Compression der grossen Halsgefässe
berbeiHibren darf; um letzteres zu verhüten,
kann man auch zwischen Riemen und Haut
noch etwas Watte einfügen. Je nacb der
Dicke des Kopfes wird man die Ringe,
welche diesen Theil am Balken befestigen,
in die erste, zweite oder dritte Einkerbung
des letzteren hineinlegen und zwar so, dass
je dicker der Kopf, desto weiter nach aussen
der Ring befestigt wird.
Auch die Anlegung der Achselstücke er-
fordert einige Aufmerk aamkeit. Da Kopf
und Hals allein den Zug nicht aushalten
könnten, muss einerseits der Körper einen
Stützpunkt haben, andererseits darf dieser
Stützpunkt nicht so wirken, dass er die
Streckung der Wirbelsäule verhindert. Des-
wegen tragen auch diese Stützen je einen
Riemen an ihrem oberen Ende, der je nach
der KÖTperform des Patienten gestellt wird.
Et darf aber nicht zu kurz werden, um
Druck auf den Plexus brachialis zu ver-
hüten, nicht zu lang, da sonst der Zug auf
die Halsmuskeln zu stark wirkte. Es ge-
lingt Dach einigen Versuchen leicht, sich
über diese Verhältnisse klar zu werden.
180
Referat«.
tTherApentiache
Monatshefte.
Ist der Apparat angelegt, so beginnt man
ganz allmählich den Körper langsam empor-
zuziehen; der Patient darf dabei keinerlei
Bewegung machen, um ein Verschieben des
Apparats zu vermeiden. Der Kranke wird
so weit emporgezogen, dass die nach unten
gerichteten Fussspitzen den Boden nicht
mehr erreichen. Während der Aufhängung
wird der Patient dann vom Arzt leicht
unterstützt, während der letztere zu gleicher
Zeit genau die Dauer der Application beob-
achtet. Der Patient soll dann, um die
Wirkung der Operation noch zu erhöhen,
mehrmals langsam die Arme in verticaler
Richtung emporstrecken.
Die Dauer der Sitzung soll 3 — 4 Minuten
nie übersteigen. Man beginnt mit einer
halben Minute und erreicht die längste Dauer
in 6 — 8 Sitzungen. Hierbei muss das Ge-
wicht der Patienten derart in Berechnung
gezogen werden, dass bei grösserem Gewichte
die Dauer des Zuges nur eine geringere sein
darf. Für die Wirksamkeit der Operation
ist es durchaus noth wendig, dass durch die-
selbe weder Ermüdung noch Schmerzen ver-
ursacht werden.
Die Sitzungen dürfen nur alle zwei Tage
vorgenommen werden, da die tägliche Appli-
cation sich eher schädlich als nützlich er-
wiesen hat. Ebenso langsam und vorsichtig
wie das Hinaufziehen muss das Hinunter-
lassen bewirkt werden, damit jede Erschütte-
rung bei Berührung des Bodens vermieden
wdrd. Während der Ablösung des Apparates
wird der Patient unterstützt und dann sofort
für einige Minuten in einen bereit gehaltenen
Lehnstuhl gesetzt.
Schliesslich ist noch zu beachten, dass
der Hals freigehalten werden muss, um
etwaigen Druck durch Kragen zu besei-
tigen, sowie dass das Oberkleid behufs freier
Bewegung der Arme abgelegt wird.
Auf die erreichten Resultate geht Verf.
nicht nochmals ein. Er betont nur noch,
dass man bei Auswahl der Fälle vorsichtig
sein muss, dass die W^irkung bei jüngeren
Patienten nicht so gut ist wie bei älteren
und dass niemals mit der Methode irgend
welcher Schaden angerichtet worden ist. —
üeber die nothwendige Dauer der Behand-
lung kann Verf. noch nichts Sicheres sagen.
(JLe Progrh medical 23,fevr. 1889.)
M. Cohn {Berlin).
Der Kehlkopfkrebs, seine Diagnose und Behand-
lung. Von Professor Dr. B. Fraenkel.
Fr. hat sich mit dieser Arbeit, die man
ohne Weiteres zu seinen besten rechnen muss,
ein grosses Verdienst um die Laryngologie
sowohl wie um die Medicin im Allgemeinen
erw^orben. Er räumt mit dem Wnst ver-
alteter Anschauungen auf, beseitigt alle im
grossen ärztlichen Publicum noch stark ver-
breiteten falschen Vorstellungen gründlich,
lässt alles ünnöthige, das Krankheitsbild
Verwirrende bei Seite und giebt ein so klares,
aus der unmittelbaren gewissenhaften und
sorgfaltigen Beobachtung entspringendes Bild
von der doch so vielgestaltigen und zu
diagnostischen Irrthümern veranlassenden
Krankheit, wie wir es vergeblich in irgend
welchem ausführlichen Lehrbuche suchen.
Es kann sein Verdienst um die Sicherung
der Diagnose in dem engen Rahmen dieser
Monatsschrift nicht eingehend gewürdigt
werden; es muss vielmehr auf das Original
verwiesen werden, das jedem Arzte, der sich
dafür interessirt — und wer sollte das nicht
thun? — zum gründlichen Studium ange-
legentlichst empfohlen werden muss.
Ebenso präcise und genau bestimmt wie
Fr.'s Angaben bezüglich der Diagnose sind
die der Behandlung. Von dem Gedanken
ausgehend, dass der Kehlkopfkrebs, wie eben
jeder Krebs, zunächst ein locales Leiden
ist, stellt er den Satz auf, dass man
möglichst früh und radical ihn zu operiren
habe — und die Möglichkeit dazu ist durch
die zur Sicherung der Diagnose beigebrachten
Thatsachen in der Mehrzahl der Fälle ge-
geben — , um auf diese Weise die Anzahl
der Recidive zu vermeiden, geschweige denn
den Kranken den grausigen Qualen des
Ejrebstodes erliegen zu lassen. Für die
endolaryngeale Operation sind nur die
Frühformen des Krebses geeignet. — Fr.
hat selbst 3 Patienten auf diesem Wege von
ihrem Leiden mit dauerndem Erfolge befreit;
sie hat vor der radicalen chirurgischen Ope-
ration den Vorzug, dass sie bessere Chancen
für die Erhaltung der Function des Organs
bietet; der Patient ist keinen Tag bettlägerig
und giebt eher seine Zustimmung zu derselben.
Und wenn auch der von Gottstein und
Krön lein hervorgehobene Nachtheil dieses
Verfahrens, man sei nicht sicher, alles Krank-
hafte entfernt zu haben, zutreffend sein sollte,
so ist mit dem Versuche nichts geschadet,
weil event. immer sofort die partielle Ex-
stirpation folgen kann. Aber wenn man eben
nur die Frühformen des Carcinoms endolaryn-
geal operirt, so kann man auch alles Krank-
hafte entfernen und mit dem Instrument bis
ins Gesunde hineingehen.
Verf. berührt bei dieser Gelegenheit die
Frage der Umwandlung gutartiger Geschwülste
in bösartige; er giebt die Möglichkeit einer
solchen Transformation ohne Weiteres zu,
weist aber die Anschauung entschieden
zurück, als würde sie in ihrer Häufigkeit
m. Jahrguig.l
April 1889. J
Rftferftta.
181
durch kunstgerecht ausgeübte operative Ein-
griffe vermehrt.
Die zur endolaryngealen Operation ge-
eigneten Instrumente sind die schneidende
Zange und zuweilen die Schlinge, und zwar
die letztere, um zu greifen und abzureissen;
die Galvanokaustik kommt kaum in Frage.
Die Recidive nach dieser Operation sind
local oder regionär und verändern gewöhnlich
die Möglichkeit des operativen Eingriffes in
keiner Weise, während dieselben nach der
chirurgischen Operation, die etwa weiter ins
Gesunde hineingeht, eine Wiederholung der-
selben erschweren oder unmöglich machen.
Man muss sich nur hüten, die endolaryn-
gealen Operationsversuche so lange auszu-
dehnen, bis der Krebs sich weiter verbreitet,
und so den Yorwurf des Chirurgen vermeiden,
man habe ihm den Fall zu spät überwiesen.
Wo der Laryngologe nichts mehr er-
reichen kann, muss möglichst bald die
partielle Exstirpation des Kehlkopfs
gemacht werden, eine Operation, die nach
gewissenhaft angefertigter Statistik keines-
wegs schlechte Resultate giebt; im Gegen-
theil ist jetzt die Laryngofissur an sich
eine ungefährliche Operation, und die
Exstirpation insonderheit der Stimmband-
krebse wird geradezu glänzende Resultate
ergeben, sobald sie durchgehends
gegen Frühformen des Kehlkopf-
krebses instituirt werden wird, und
wenn bisher in gar vielen Fällen nicht früh
genug operirt worden ist, so findet das seine
Erklärung in einer gewissen Unsicherheit der
Diagnostik; aber wenn selbst einmal statt
eines Krebses ein Gummi oder ein Sarkom
durch die Laryngofissur statt auf endolaryn-
gealem Wege entfernt wird, so ist das noch
kein Fehler. Ein dem Kranken nach-
theiliger Eingriff geschieht nur dann,
wenn die rechtzeitige Exstirpation
eines Carcinoms unterlassen wird.
Operirt man endolaryngeal, wo dies angängig,
und giebt man noch probatorisch Jodkalium,
so schliesst man die Möglichkeit aus, durch
die Laryngofissur und die Exstirpation der
Geschwulst Schaden anzurichten. Im Grossen
und Ganzen soll nun der Chirurg 1 cm weit
von der Geschwulst seinen Schnitt führen,
aber, wenn möglich den Schild- und Ring-
knorpel erhalten, weil so die Narbenretrac-
tion ein Rohr für die Respiration übrig
lassen muss; auch auf die Schleimhaut des
adituB ad laryngem ist Werth zu legen, weil
die in ihr vorhandenen Zweige des n. laryn-
gens Buperior gegen die Verschluckpneumonie
schützen. So macht die Operation den
Kranken nur dann zum Invaliden,
wenn sein Beruf das Vorhandensein
einer lauten, klaren Stimme erfor-
dert.
Die Totalexstirpation* ist gefährlich, und
die Statistik giebt von 68 Operirten 9 dauernd
Geheilte.
Die inneren und topischen Mittel sind
ohne Werth.
Die Tracheotomie und zwar die tiefe ist
zu machen, sobald Stridor sich regelmässig
nach Bewegungen etc. bemerklich macht und
uns den Eintritt der Larynxstenose anzeigt,
die sonst Behinderung der Oxydation des
Blutes und so Herzschwäche hervorrufen
würde.
Bezüglich der Ernährung muss sich der
Patient allmählich an flüssige und breiige
Nahrung gewöhnen, auf die er später ange-
wiesen. Schliesslich tritt die Schlundsonde
in Action. — Gegen das Schluckweh ver-
wendet man Menthol und Cocain; gegen
den Foetor desinficirende und desodoriitende
Inhalationen und Insufflationen. Morphium
ist nicht zu entbehren.
{DBUtsehe med. Wbchemchr. 1889 No. l—S.)
A. Rosenbirg {Berlin).
Die Anwendung des Antipyrin bei Erkrankungen
der Nasenschleimhaut. Von Dr. Whitehill
Hinkel (Buffalo).
Die klinischen Erfahrungen, die Verf.
über den therapeutischen Werth des Anti-
pyrin bei Nasenleiden gemacht hat, haben
ihn zu folgenden Schlussfolgerungen geführt:
1. Eine Antipyrinlösung besitzt blut-
stillende Eigenschaften, wenn sie local auf
die Nasenschleimhaut applicirt wird ; indessen
ist das Medicament in dieser Beziehung dem
Cocain nicht, wie mehrfach behauptet worden
ist, überlegen. 2. In 4%iger Lösung be-
wirkte das Medicament häufig vorübergehende
Besserung bei Verstopfung der Nasenhöhle
in Folge von Anschwellung der Schleimhaut.
3. Vor dem Cocain hat das Antipyrin den
Vorzug, dass es niemals eine Trockenheit
der Schleimhaut hervorruft; auch hat es nicht,
wie jenes, Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen
im Gefolge. — 4. Beim Heufieber bietet es
vor dem Cocain den Vortheil, dass sich die
Patienten nicht so schnell an dasselbe ge-
wöhnen, wodurch die Wirksamkeit des Cocains
sehr schnell vermindert wird, wenn man es
nicht in immer stärkerer Dosis anwendet.
5. Nachtheile des Antipyrins sind u. a.
seine bei verschiedenen Affectionen so un-
gleiche Wirkung. 6. In Folge der desin-
ficirenden und gleichzeitig stimulirenden
Eigenschaften ist die Anwendung des Anti-
pyrins vorzugsweise dort indicirt, wo es sich
entweder um frische Wunden oder um gra-
nulirende Ulcerationen der Nasenschleimhaut
182
Referat«.
rTherApeatbohe
L MonaUbafke.
handelt. 7. In Verbindung mit Cocain ver-
mehrt es wesentlich die anästhesirenden
Eigenschaften desselben und erlaubt somit
eine Anwendung dünnerer Lösungen bei
unverminderter Wirksamkeit.
(N. T. Med. Joum. und The Joum, of the Am, Med,
A880C, 3. XI, 2888.) H, Lohmtem {BerUn).
Therapeutische Resultate. Von Dr. Ludwig
Polydk in Görbersdorf.
Die Diarrhoe der Phthisiker trotzt in
den meisten Fällen jeder ärztlichen Behand-
lung. In neuerer Zeit wurden zwei Mittel
empfohlen, denen eine ausgezeichnete Wir-
kung nachgerühmt wird. Debove empfahl
das Magnesium ^ilicicum (Talcum ve-
netum), welches mit einem aromatischen
Getränke oder Milch vermischt die stärkste
Diarrhoe stillen könne. Die Tagesdosis be-
trägt 200 g Talcum in ^'^ Liter Milch gut
aufgeschüttelt. Man kann sogar 4 — 600 g
Talcum geben. Die gute Wirkung tritt
schon nach 2tägigem Gebrauche ein, hört
jedoch beim Aussetzen dieser Behandlung
auf. Die Milch wird nach Polydk's Be-
obachtung von den Kranken in dieser Form
besser und lieber genommen, als die ge-
wöhnliche Milch. Das Talcum ermögliche
daher das Trinken dieses wichtigen Nah-
rungsmittels. P. bedauert, dass am 5. bis
7. Tage dieser Behandlung die Kranken von
einem quälenden Druckgefühl im Magen und
Darme geplagt werden, was sich durch die
Anhäufung grösserer Mengen dieses Pulvers
erklären lässt. — Es wäre ein Fehler, glau-
ben zu wollen, dass nach längerem Ein-
nehmen dieses Pulvers die Darmgeschwüre
heilen würden. — Ein viel wirksameres
Mittel ist die Milchsäure. Die Wirkung
tritt nach Angaben der DDr. Sezary und
Anne nach 3 — 4 Tagen auf, sie hält aber
auch nach Aussetzung des Mittels an. Die
Milchsäure wurde schon vor längerer Zeit
bei Darmkatarrhen (grüner Stuhl) der Kinder
in Anwendung gezogen, in letzterer Zeit mit
gutem Erfolge auch bei tuberkulösen Kehl-
kopfgeschwüren. Schon dies wäre ein Hin-
weis dafür, das Mittel bei tuberkulösen
Darmgeschwüren zu verwenden. P. gab im
Anfange pro die 2 g Milchsäure auf 100 g
Wasser, nach je 2 Tagen wurde die Ta-
gesdosis langsam erhöht, bis er auf 4 bis
5 g kam. Mehr gab P. nicht. Die Wirkung
war stets befriedigend. Schon am 3. Tage
hörten Diarrhoe und Schmerzen auf, am
4. oder 5. Tage begann der Stuhl normale
Form anzunehmen. Verf. musste die Milch-
säurebehandlung längere Zeit fortsetzen, da
sonst die Diarrhoe wieder auftrat. Nach
Aufhören der Diarrhoe setzte P. die Tages-
dosis auf 1 — 2 g herab und Hess den Pat.
das Mittel noch 2 — 3 Tage weitemehmen.
Der Erfolg war dann ein vollständiger. —
Die Kranken vertrugen die Milchsäure sehr
gut, da dieselbe auf den Appetit überhaupt
im Anfange garnicht einwirkt. Unangenehme
Wirkung trat nur nach längerem Einnehmen
auf. Verf. glaubt, dass die tuberkulösen
Darmgeschwüre nach dieser Behandlung
heilen könnten. Das könnte jedoch nur
Nekropsie bestätigen bei einem Patienten,
der mit Milchsäure längere Zeit hindurch
behandelt wurde.
(Orrofi HeHlap. 1888, No. öl,)
■ Schuscirny {Budaptii),
Die Behandlung bei Incarceration des retroflec-
tirten graviden Uterus. Von Dr. Cohnstein.
Die Vorschriften für die Behandlung des
retroflectirten incarcerirten Uterus gravidus
sind nicht bestimmt genug; sie schwanken
in den Lehrbüchern zwischen Entleerung
der Harnblase und Reposition der Gebär-
mutter hin und her: gelingt die erste nicht,
heisst es, so versuche man die zweite Me-
thode und missglückt diese, so nehme man
jene wieder vor. Diesen unbestimmten Rath-
schlägen nun tritt Cohnstein entgegen, in-
dem er als erste Maassnahme die vollständige
Entleerung der Harnblase aufstellt, ohne
welche selbst eine gelungene Reposition des
Uterus grossen Schaden für die Blase schafft,
während sie in schwierigen Fällen allein
schon die Reposition einleitet. In diesen
Fällen nun, d. h. wenn der für die vollstän-
dige Entleerung am besten mit mehreren
Oeffnungen versehene, wohl beölte, männliche
silberne Katheter, der mit der grössten Vor-
sicht in der plattgedrückten Harnröhre vor-
zuschieben ist, nicht in die Blase gelangt,
so ist die Portio von der Symphyse und
damit von der Harnröhre zu entfernen, in-
dem sie mittelst einer selbst nur in eineji
Theil der hinteren Lippe eingesetzten Kugel-
zange nach hinten und unten gezogen wird;
auf diese Weise gelang die Einführung des
Katheters dann dem Verf. in 4 Fällen. Ist
aber überhaupt nichts von der hinteren Lippe
zu erreichen, so wird in die der Symphyse
nächst gelegene Partie der hinteren Vaginal-
wand ein Häkchen eingesetzt, an ihm nach
hinten und unten gezogen, dann über diesem
wieder in den der Symphyse nunmehr am
nächsten gelegenen Abschnitt ein Häkchen
eingesetzt und so fort, bis die Muttermunds-
lippe erreicht ist. Ein Misserfolg ist auf
diese Weise noch nicht vorgekommen; aber
auch für den Fall, dass ein solcher eintreten
solle, ist nach seiner Meinung nur hiermit
eine Reposition des Fundus von der Scheide
m. Jahrgang.!
April 1889. J
R«fonte.
183
aus zu yerbinden. Nach der Entleerung der
Blase ohne diese instrumentelle Hilfe wird
die Reposition durch Druck auf die Gerrix
Ton aussen nach abwärts und gegen den
Fundus Ton innen nach oben bewerkstelligt;
bei Anwendung der Eugelzange wird diese
zu massigem ferneren Zuge an der Portio
nach hinten und unten verwandt, während
Ton aussen das Corpus aufgerichtet wird.
(Archiv f, GynaA, No, 33,) Landsb^ (Stettin).
Ueber combinirte Wendung in der Behandlung
der Placenta praevia. Von Dr. Lomer.
In der Meinung, die in jüngster Zeit in
Fachzeitschriften erschienenen Abhandlungen
über das Verfahren bei vorliegender Placenta
hätten zu wenig Beachtung bei den prakti-
sehen Aerzten gefunden, erörtert Lomer
noch einmal diesen Gegenstand mit beson-
derer Empfehlung der von der Berliner
Schule eingeführten combinirten Wendung.
Dieselbe wird in Narkose derart ausgeführt,
dass von der ganzen in der Vagina liegen-
den Hand erst ein, dann zwei Finger durch
den stets dilatirbaren Cervicalcanal hindurch-
geführt, die Blase gesprengt und der durch
äussere Handgriffe der inneren Hand ent-
gegengebrachte Fuss bis vor die Vulva ge-
zogen wird. Jetzt darf aber bei dem wenig
erweiterten Muttermund nicht extrahirt wer-
den, sondern es ist das Eintreten von Wehen
und die spontane Geburt abzuwarten.
Mit dieser Methode, die also ein sehr
frühes Eingreifen möglich macht, eine sichere
Blutstillung bewirkt und die mit der Ein-
führung von Tampons immer verbundene
Infectionsgefahr vermeidet, ist es gelungen,
die Mortalität der Mütter von 85 — 22%,
vfde sie nach den grösseren Zusammenstel-
lungen bisher betrug, auf 4,5% herabzu-
setzen, während das Leben des Kindes, das
aber im Vergleich zu dem der Mutter immer
nachstehen muss, hier wie dort in ca. 50%
der Fälle verloren ging. Es ist also auch
der Vorwurf der grösseren Kindersterblich-
keit, der diesem Verfahren gemacht worden
ist, nicht begründet, und die theoretischen
Bedenken, es könnte der lange Zeitraum
zvnschen Wendung und Geburt grade bei
Placenta praevia das Leben der Kinder in
grössere Gefahr bringen, werden von Lomer
durch die Beschreibung von 5 Fällen zurück-
gewiesen, in denen lebende Kinder spontan
nach Verlauf von % — 3 Stunden nach der
Wendung geboren wurden; auch bei fast
vollständig erweitertem Muttermunde hat L.
die spontane Greburt abgewartet (Fall l),
ohne dem Kinde damit zu schaden.
Natürlich sollen mit der combinirten
Wendung nun nicht all die anderen Methoden
verdrängt werden; vielmehr lässt L. nach
wie vor bei absolut fest geschlossenem Mut-
termunde und Blutung in der Schwanger^
Schaft die Tamponade, in anderen Fällen
auch die Blasensprengung allein zu; nur
möchte er die combinirte Wendung von den
practischen Aerzten in all den Fällen, wo
sie irgend anwendbar ist, auch gebraucht
wissen, damit das doch bedeutend wichti-
gere Leben der Mutter öfters gerettet wird,
als dies bisher geschehen ist.
(Btrl klin, Woehenschr. 1888. No. 49.)
Landsberg (Stettin),
Zur operativen Behandlung verjauchender Uterus-
myome. Von Dr. Lindfort-Lund (Schwe-
den).
Eine Mittheilung, die auch für die prac-
tischen Aerzte von Werth ist, weil sie zeigt,
mit welchem Erfolg in verzweifelter Lage
energisches Vorgehen gekrönt wird, macKt
Lindfort. Derselbe wurde aufs Land
2 Meilen von Lund entfernt wegen eines
Gebärmutter Vorfalls gerufen und fand in
einem Zimmer mit verpesteter Luft ein Weib,
zwischen dessen Schenkeln ein kindskopf-
grosser, birnfÖrmiger Körper aus der Vulva
hervorragend in ekelerregender Sauce und
blutiger Jauche lag. Nach nothdürftigster
Reinigung erwies sich derselbe als ein sub-
mucöses, verjauchendes Myom mit armdickem
Stiel, das den Uterus zum Theil invertirt
hatte. Ein Transport war nicht möglich,
die Lebensgefahr bei der schon febrilen Pa-
tientin drohend; so entschloss sich L., ohne
Assistenz, ohne Antiseptik mit dem Taschen^
besteck die Exstirpation zu machen: ein
doppelter Seidenfaden wurde möglichst hoch
um den Stiel gelegt und stark zusammen-
geschnürt und darauf der Stiel mit der
Scheere langsam durchtrennt, ohne dass es
nennenswerth blutete. Die Nachbehandlung
bestand in Garbolausspülungen und der Er-
folg war ein glänzender: ohne dass wieder
Fieber eintrat, konnte Pat. nach noch nicht
6 Wochen aufstehen und war, als L. sie ein
Vierteljahr später wiedersah, vollständig ge-
sund.
(Ceniralblf, Gynaek. No. 6. 1889.)
Landsberg (Stettin),
Das Wesentliche in der Thure-Brandt 'sehen
Behandlungsmethode des Uterusprolapses.
Modificatlon der Methode. Von Dr. SielskL
(Lemberg.)
Nachdem Autoritäten wie Schnitze,
Preuscher, Schauta, Fränkel Erfolge
mit der T hure -Brand tischen Massage bei
Uterusprolaps veröffentlicht haben , kann
kein Zweifel mehr obwalten, dass damit
184
RflfefftlA»
rriMmpoDtiadM
L MonatRheft«.
Fälle zur Hellung gebracht worden sind.
Die deutsche Wissenschaft hat aber gleich-
zeitig Erklärungsversuche für den Werth der
Methode gemacht, wie dies in den Veröffent-
lichungen jener Autoren (cf. Therap. Monatsh.
1888 S. 346 ff., 602 ff.), sowie in den Arbeiten
Profanter^s, Theilhaber's etc. geschehen
ist; nun giebt Sielski eine einfache, sehr
plausibel klingende Erklärung für die Wir-
kung der Üterushebung und modificirt danach
dieselbe derart, dass sie auch für den an-
wendbar sein dürfte, der nicht bei Brandt
gewesen ist. Unter Zurückweisung der An-
sicht , dass der zur Gontraction gereizte
Muskel dadurch Tage lang in normaler Höhe
gehalten werden könne, weil die Muskel-
wirkung ermüdet und Erholung braucht,
permanente Gontraction aber nur pathologi-
scher Natur sein kann, sieht Verf. in der
über die Gesundheitsebene hinausgehenden
Uterushebung eine Extension und in dem
dann erfolgenden behutsamen Loslassen eine
Reposition, analog dem Vorgehen der Ghi-
rurgen bei der Einrichtung einer Luxation.
Diese Ansicht begründet er wie folgt: Beim
Uterusprolaps folgt nicht die vordere Rec-
tumwand , sondern die Vaginalwand löst
sich von ihr los, der Douglas 'sehe Raum
rückt tief herunter, eine Enterocele vaginalis
posterior bildet sich, in der manchmal Dünn-
darmschlingen liegen. Diese verhinderten
bei einer einfachen Reposition des Uterus
den Bestand der normalen Lage; „durch
Interposition der benachbarten Theile^, wie
der Ghirurg sagt, kommt die Reposition
nicht zu Stande. Wird aber nach Thure-
Brandt der Uterus sehr hoch erhoben, dann
wird das Peritoneum aus der Spalte heraus-
gezogen und eine Reposition en masse der
Enterocele ausgeführt. An ihre Stelle tritt
sofort eine Goaptation der hinteren Vaginal-
mit der vorderen Rectalwand, wie sie nor-
maliter besteht, eine Verwachsung derselben
vollendet die Heilung. Somit ist also von
dem Thure-Brandt' sehen Verfahren die
Uterushebung das allein wichtige, den übri-
gen Handgriffen ist kein therapeutischer
Werth beizulegen; und diese Hebung führt
Sielski auf eine das Schamgefühl mehr
schonende und weniger rohe und dabei leich-
tere und sicherere Weise wie folgt aus:
Eine Uterussonde, welche in einer der Länge
der zu behandelnden Gebärmutterhöhle ent-
sprechenden Entfernung von der Spitze eine
scheibenförmige, kreuzergrosse Anschwellung
trägt (Elevator), wird eingeführt, so dass
die Portio auf der Scheibe eine Stütze be-
kommt, und so der Uterus aus dem Becken
in die Bauchhöhle so hoch, als dies, ohne
Schmerzen zu erregen, möglich ist, gehoben.
Auf diese einfache Weise hat Verf. bei täg-
licher Anwendung innerhalb 2 — 4 Wochen
fünfmal definitive Heilung erreicht und spricht
die Hoffnung aus, dass die noch zu findende,
auf die Fixation der reponirten Theile zu
richtende Nachbehandlung die Behandlungs-
dauer noch verkürzen wird.
{CmUralbLf. G^naOc. No, 4. 1838.)
Landthwg {auUm).
Ueber die Wirkung des Pilocarpins in der Geburts-
hilfe. Von Dr. John Philipps.
Aus den klinischen Erfahrungen, die
Verf. mit dem Pilocarpin in der geburts-
hilflichen Praxis gemacht hat, ergiebt sich,
dass das Alkaloid als Abortivum nur in den-
jenigen Fällen mit einiger Sicherheit Ver-
wendung finden kann, in welchen bereits
zuvor irgend welche Symptome, die auf die
Tendenz des Abortus hinzudeuten schienen,
vorbanden waren. Bei der Verwendung des
Medicamentes als eines die Geburt beschleuni-
genden Mittels hat man zu entscheiden, ob
dieselbe sich im Eröffnungs- oder im Sta-
dium der Austreibung befindet. In beiden
Fällen, vorzüglich aber in der Austreibungs-
periode, beschleunigte das Medicament in Folge
seiner die Intensität der Wehen beschleuni-
genden Wirkung die Austreibung der Frucht.
Im Vergleich mit Ergotin wirkte es inten-
siver und verursachte dabei weit weniger
Schmerzen als dieses. Ausserordentlich be-
währte sich das Medicament in verschiedenen
Fällen von Wehenschwäche, während bei
Atonia uteri und bei Blutungen unmittelbar
nach der Geburt keinerlei günstige Erfolge
nach seiner Anwendung beobachtet wurden.
Umfassende Anwendung erfuhr das Medi-
cament u. a. auch bei Eclampsia gravidarum
resp. parturientium. Im Ganzen wurde es
hier in 89 Fällen angewandt, darunter 31 mal
mit Erfolg; 8 mal erfolgte Exitus letalis.
Nichtsdestoweniger räth Verf. das Medica-
ment bei Eclampsie nur mit grösster Vor*
sieht anzuwenden, da sehr leicht schwere
Intoxicationserscheinungen eintreten. Gänz-
lich contraindicirt ist das Pilocarpin bei sich
einstellendem Goma.
(TA« TheraptutM GatetU, November 1888.)
H. LohmUAm {Berkm).
Die Anwendung des Creolin bei der eitrigen
Mittelohrentzündung. Von Dr. IgnazPurjesz
(Budapest).
Es wurde eine stark verdünnte Greolin-
Lösung (5 — 6 Tropfen Greolin auf einen
halben Liter lauwarmen Wassers) zu Aus-
spritzungen und zur Durchspülung der
Paukenhöhle per tubam Eustachii in Fällen
von acuter und chronischer Mittelohrentsün-
April 1889. J
Totikologfo.
185
düng angewendet. Die Bildung von eitrigem
Secret inirde in relativ kurzer Zeit (12 bis
16 Tagen) gehoben. In der Yon Purjesz
benützten Concentration reizt das Creolin
nicht und verursacht überhaupt keine unan-
genehmen Erscheinungen. Concentrirtere Lo-
sungen rufen ein brennendes Gefühl hervor.
— Es folgen 6 Krankengeschichten, welche
die vorzügliche Wirkung des Creolin dar-
thun.
{GffögyäMMat 1888, No. öl.)
Schu$chny {Budapest),
Toxikologie.
Ueber einen Fall von Anttpyrinintozlkatlon* Von
Dr. Hermann Berg er in Berlin.
Am 6. August vorigen Jahres wurde ich
des Abends zu einer Fat. gerufen, die wegen
Kopfschmerzen ein Gramm Antipyrin in
Pulverform genommen hatte. Bald nach der
Einnahme verspürte sie Brei^ien in der
Speiseröhre und im Munde, sowie ein Gefühl
der Spannung im Gesicht. Dann trat Athem-
noth und starkes Herzklopfen ein, dem bald
Salivation und Thranen folgte.
Ais ich 10 Minuten später die Fat. sah,
eine 22jährige, bisher stets gesund gewesene
Person von zarter Constitution, konnte ich
folgendes constatiren: Fat. sass, den Obeiv
körper vom übergebeugt, auf dem Bettrande
und war vor Mattigkeit kaum im Stande
sieh zu erheben. Aus dem Munde quoll
unaufhörlich dünnflüssiger Speichel, die
Thranen- und Schweisssecretion war sehr
profus. Das ganze Gesicht war geröthet
— jedoch nicht cyanotisch — und ödematös,
am meisten die oberen Augenlider und die
Oberlippe. Die Athmung war beschleunigt
und mühsam, die Pulsfrequenz erhöht. Die
Oonjunct. bulb. sowie die Wangenschleimhaut
waren intensiv geröthet. Auf letzterer war,
obwohl Fat. das Gefühl hatte , „als ob
beiderseits etwas herabträufle^, speciell am
Ausfuhrungsgang der Ductus Stenon. nichts
von einer wahrnehmbaren Speichelsecretion
zu entdecken, ebensowenig an der Caruncula
snbling., welche nur stark geröthet und ge-
schwollen erschien. Die Glandul. parot. und
submaxill. waren auf Druck empfindlich.
Die subjectiven Beschwerden der Fat.
bestanden ausser der starken Salivation in
allgemeiner Mattigkeit, Athemnoth, starkem
Herzklopfen, heftigem Brennen im Munde
und in den Augen, sowie einem spannenden
Gefühl im Gesicht. Am übrigen Körper
wurden weder objectiv noch subjectiv irgend
^welche abnorme Erscheinungen wahrge-
nommen.
Alle diese Symptome bestanden, trotz
einer sofort vorgenommenen Magenausspülung
und Darreichung von Analepticis noch eine
volle Stunde hindurch in vermehrter Inten-
sität, um dann erst allmählich abztmehmen.
I Fat. fühlte sich hierauf etwas wohler, schlief
jedoch nur wenig des Nachts.
Am nächsten Morgen (7. Aug.) hat das
Gesichtsödem sich wieder etwas vermindert,
ebenso die Thranen- und Speichelsecretion.
Athmung und Pulsfrequenz sind normal. Das
spannende Gefühl im Gesicht besteht noch,
ebenso grosse Mattigkeit. Das linke Bein
kann Fat. schwerer bewegen. Druck auf
die Speicheldrüsen noch schmerzhaft.
Die Ausspülflüssigkeit zeigt keine Reac-
tion mit Eisenchlorid, ebenso der Urin.
Derselbe ist frei von Eiweiss und Zucker.
8. August. Die Mattigkeit hat nach-
gelassen, ebenso die lähmungsartige Schwäche
im linken- Bein. Das Oedem besteht nur
noch in den oberen Augenlidern. Die
Speichel- und Thränensecretion hat voll-
ständig aufgehört. Conj. bulb. und Mund-
schleimhaut zeigen normale Färbung.
9. August. Fat. fühlt sich ganz wohl.
Es besteht nur noch geringes Oedem der
oberen Augenlider und Druckempfindlichkeit
der linken Gland. parot.
Um den Rest eines zweiten übrig ge-
bliebenen Pulvers, das aus einer Droguen-
handlung entnommen war, auf seine Wirkungs-
weise zu prüfen, vnirden Kaninchen mit einer
wässrigen Lösung injicirt, ohne dass irgend
welche ähnliche Erscheinungen beobachtet
worden wären. Auch andere Personen, die
dasselbe Präparat ebenfalls in Pulverform
genommen hatten, blieben von jeder Neben-
wirkung verschont, so dass wir in unserem
Falle lediglich eine Idiosynkrasie gegen das
Medicament annehmen müssen.
Die tOdtliche Nachwirkung des Chloroforms. Von
Dr. Fritz Strassmann.
Nachdem Ungar im Jahre 1887 einen
Fall von tödtlicher Nachwirkung der Chloro-
forminhalationen veröffentlicht hatte, war
eine experimentelle Untersuchung dieser An-
24
186
Toslkolocltt.
fThwapeatbchw
L Honauheft«,
gelegenheit Ton besonderem Interesse, nament-
lich auch um festzustellen, ob die Fettdege-
neration des Herzens, die man ziemlich häufig
in Fällen Yon Chloroformtod findet, nicht
als präexistirend , sondern als Folge der
Ghloroformeinathmungen anzunehmen sei.
Ungar hatte nun thatsächlich bei Hunden,
die er an yerschiedenen Tagen mehrere Stun-
denlang chloroformirte und bei denen mehr-
fach erst mehrere Stunden, in einem Falle erst
27 Stunden nach Ablauf der Narkose der Tod
eintrat, hochgradige fettige Degenerationen des
Herzens und der Leber, in zweiter Reihe des
Hefzens und der quergestreiften Muskulatur,
in dritter endlich des Magens und andrer
Schleimhäute gefunden; er suchte die Ursache
dieser Veränderungen in einer directen
Giftwirkung des Chloroforms auf das Gewebe,
möglicherweise in einer Wirkung des sich
abspaltenden Chlors. St. konnte nun bei
seinen Versuchen an Hunden die Resultate
Ungarns durchaus bestätigen, auch er fand
eine Fettmetamorphose der inneren Organe,
vorzugsweise der Leber, in zweiter Reihe
des Herzens, selten anderer Organe. Mit-
unter führte die längere Chloroform irung
beim Hunde mehrere Stunden, im höchsten
Falle 30 Stunden nach Ablauf der Narkose
und nach scheinbar TÖlliger Genesung noch
zum Tode des Thieres. In diesen zum
Tode führenden Fällen wurde die Herz-
affection immer besonders intensiv gefunden,
was besonders beim Fehlen jeder anderen
Todesursache darauf schliessen lässt, dass
in dieser Herzverfettung wirklich die Ursache
des letalen Endes zu suchen ist.
£s war nun von Interesse zu entscheiden,
ob es sich bei dieser durch das Chloroform
herbeigeführten Verfettung der Organe um
eine fettige Degeneration oder um Fettinfil-
tration derselben handle. Das mikrosko-
pische Bild sprach zwar schon zu Gunsten
der ersten Ansicht, doch konnte ein genauer
Aufschluss nur durch Stoffwechselunter-
suchungen erbracht werden. Es zeigte sich
nun, dass unter dem Einflüsse des Chloro-
forms eine Erhöhung der N-Ausscheidung
eintrat, es sich also um einen erhöhten Zer-
fall von stickstoffhaltiger Substanz, mithin
um eine Fettdegeneration und nicht um eine
Fettinfiltration handelt.
In nicht tödtlichen Fällen bildet sich
die Degeneration der Organe im Verlaufe
weniger "Wochen wieder zurück ; schwächende
Einfitsse, wie Hunger, Blutverlust u. s. w.
begünstigen den Eintritt der Veränderungen,
bei kräftigen und bei jungen Thieren kommen
sie weniger leicht zu Stande.
Andere Thierarten, wie Kaninchen und
Katzen, zeigen in ihrem Verhalten Ab-
weichungen von den Hunden, die bei Ueber-
tragung der bei letztern gemachten Beob-
achtungen auf den Menschen zur Vorsicht
mahnen.
( Virehow't Archiv, Bd. tl6. S. 1.) Schmty {Beuikm 0.1 S.).
Auftreten von Chorea als Theilerscheinung einer
Jodoform-Intozication von Prof. Dr. Demme
(Bern).
Bei einem 6jährigen Knaben operirte
D. einen Retropharyngealabscess, der seinen
Weg bis dicht über die Mitte der rechten
Clavicula genommen hatte, kratzte einen
cariösen Knochenheerd am 4. Halswirbel aus
un4 legte Jodoform-Gelatinestäbchen in den
Fistelcanal, während er die äussere Wunde
mit Jodoformpulver bestreute und mit Jodo-
formgaze bedeckte. Schon am Abend des
3. Tages nach dem Eingriff klagte Fat. über
Uebelkeit und heftigen Stimkopfschmerz
verbunden mit Mattigkeit und Appetitlosig-
keit. Diese Beschwerden verminderten sich
in den nächsten Tagen, und es wurde beim
Verbandwechsel ein neues Jodoformstäbchen
eingeführt. Am folgenden Morgen wieder
ähnliche Beschwerden wie früher, zugleich
fallen zuckende Bewegungen an den Armen
und Beinen auf. Diese steigerten sich im
Laufe der zwei nächsten Tage, und es ent-
wickelte sich das charakteristische Sym-
ptomenbild der Chorea minor. Nachweis
von Jod- Verbindungen im Harn gelang leicht.
Der Jodoform -Verb and wurde nun entfernt,
die Wunde gereinigt, ein augenblicklicher
Erfolg jedoch nicht erzielt. Uebelkeit und
Kopfschmerzen dauerten an, es bestand sehr
hartnäckige Schlaflosigkeit. Erst sehr lang-
sam unter Darreichung von Arsen verschwand
die Chorea, allmählich dann auch die übrigen
Beschwerden und etwa einen Monat nach
Beginn der Erkrankung konnte der Knabe
auf's Land geschickt werden. — Zur Aus-
heilung einer noch bestehenden Fistel wurden
dann einige Wochen später Ausspritzungen
mit Jodol gemacht und mit Jodolgaze ver-
bunden. Nach 14 Tagen trat wieder Chorea
ein, begleitet von denselben Symptomen
wie früher.
D. steht nicht an, anzunehmen , dass es
sich hier um eine echte Jodoform- und
Jodolintoxication handelt, und macht darauf
aufmerksam, dass das Auftreten von Chorea
bei einer solchen bisher nicht beschrieben ist.
{Bericht aus dem Jenn&r* ecken Kinäerepital 1883.)
M. Oohn {Berlin).
Intoxication durch Cantharlden« Von Dr. G a r cia
Camba.
Eine Frau klagte über heftige Schmerzen
in der Blase und Urethra, sowie über Be^
HL JahrgABf .1
April 1889. J
Tozikologift. — Litteratur.
187
gehwerden beim Wasserlassen. Der Urin
kam nur tropfenweise. Während des ärzt-
lichen Besuches begannen auch ihr Mann
und die achtjährige Tochter über dieselben
Symptome zu klagen. — Auf die Frage,
wodurch diese Erscheinungen hervorgerufen
sein könnten, erfuhr C, dass kurz vorher
ein halbes Dutzend gebratener kleiner Vogel
(aus demselben Neste stammend) von der
Familie verzehrt worden war. Magen und
Eingeweide der Yogelchen waren zufölliger
Weise noch nicht fortgeworfen. C. öffiiete
einen Magen und fand denselben mit kleinen,
glänzenden goldgrünen Korperchen gefüllt, die
alsbald als Theile der Lytta vesicatoria (spa-
nische Fliege) erkannt wurden. — Zweifellos
wären die Betroffenen zu Grunde gegangen,
wenn sie eine grossere Anzahl von den
Yogelchen verzehrt haben würden. Auf einem
beaachbarten Felsen befanden sich noch viele
derartige Nester. — Eine Gämpher-Emulsion
und Einreibungen mit Belladonna- Salbe
brachten den 3 Patienten Heilung.
{El Siglo medico und Lyon mid. 1888. No. 53.) R.
liltteratnr.
Lehrbaeh der venerischen Krankheiten und
der Syphilis. Von Dr. Isidor Neumann,
Professor der Dermatologie und Syphilis an
der k. k. Universität und Vorstand der Klinik
und Abtheilung för Syphilis in Wien. I. Theil :
Die blennorrhagischen Affectionen.
Wien 1888. Wilhelm Braumuller. 614 Seiten
gr. 8«.
Der Einfluss, den die Vervollkommnung
unserer TJntersuchungsmethoden auf die Er-
kenntniss und Behandlung der krankhaften
Veränderungen des Organismus ausgeübt hat,
ist nicht zum wenigsten den infectiosen Krank-
heiten des Sexualsystems zu Gute gekommen.
Insbesondere haben sich unsere Anschauun-
gen über das Wesen und die Behandlung
der blennorrhagischen Affectionen im Laufe
des letzten Jahrzehntes vielfach geändert.
Freilich konnte hierbei nicht verhindert
werden, dass man oft für arge Irrthümer
erklären musste, was kurz zuvor als epochale
Entdeckung gepriesen worden war; und über
nicht wenige Thatsachen, die für die Erkennung
des Wesens der Krankheit von principieller
Bedeutung sind, hat man sich trotz aller
Forschungen noch gegenwärtig nicht einigen
können. — Ueber einen Gegenstand, bei
dem so viele wesentliche Einzelheiten also
noch durchaus zweifelhaft sind, ein Lehr-
buch zu schreiben, ist eine schwierige, aber
um so dankenswerthere Aufgabe, wenn sie
in so vollkommener Weise wie hier gelost
wird. — In allen den Abschnitten, deren
Inhalt noch Gegenstand vielfacher Oontro-
versen ist, kommt zwar die subjective An-
sicht Verf. 's zur Geltung, stets aber wer-
den auch die abweichenden Theorien anderer
Autoren, sowie ihre Begründung in einge-
hendster, objectiver Weise gewürdigt.
Das vorliegende, umfangreiche Lehrbuch
Neumann' s, welches den ersten Theil des Lehr-
buches der venerischen Krankheiten und der
Syphilis bildet,behandelt die blennorrhagischen
Affectionen der Sexualorgane, sowie ihre Folge-
zustände, welche sich an diese in ihren An-
fangen so oft vernachlässigte Affection an-
schliessen. — Jeder einzelnen Krankheits-
beschreibung ist ein bezüglicher historischer
Theil voriEuigestellt; in die Beschreibung sind
ausserdem vielfach casuistische Mittheilungen
aus der reichen Erfahrung Verf. 's beigefügt.
Unter den einzelnen Abschnitten des
Lehrbuches beanspruchen naturgemäss die-
jenigen ein erhöhtes, actuelles Interesse,
welche im Laufe des letzten Jahrzehntes
die durchgreifendsten Aenderungen erfahren
haben. Hierhin gehört vor allem die Frage
nach dem ätiologischen Moment des Trippers.
— Der Standpunkt, den Verf. in dieser
Frage vertritt, ist, im Gegensatz zu den
meisten anderen Autoren, derjenige, den die
Avirulisten neuesten Stils einnehmen. Durch
mannigfaltige klinische Erfahrungen geleitet,
glaubt N., dass durch Einfuhrung reizender
Momente, Masturbation etc. etc., ja selbst
durch geschlechtliche, protrahirte Aufregung
als solche, eiterige Urethritiden erzeugt
werden können, die nicht nur denselben
Symptomencomplex und Verlauf darbieten,
wie der echte Tripper, sondern mit letzterem
auch die Contagiosität theilen. — Dass die
Frage der Specificität des acuten Trippers
durch die Entdeckung des Gonococcus Neisser,
resp. durch die Arbeiten, die im Anschluss
an dieselbe publicirt wurden, zu Gunsten
der virulistischen Anschauung entschieden
ist, kann Verf. nicht zugeben. Die Her-
stellung von Reinculturen, resp. ihre Ueber-
impfung auf andere Thiere, ist in einwands-
freier Weise bisher noch nicht gelungen.
Weiterhin ergiebt sich aus den Untersuchun-
gen von Bockhart, Lustgartenund Manna-
berg u. A., dass sich bei eiterigen Katarrhen
der Harnröhre sowohl, vn» in dem normalen
Secrete der Schleimhaut noch 11 andere
verschiedene Species von Coccen finden,
die sowohl untereinander, wie mit den Gono-
coccen in ihrem Verhalten den Farbstoffen,
Epithelialzellen etc. gegenüber bemerkens-
werthe Analogien zeigen; nur scheinen in
echtem, gonorrhoischem Secret die Gonococceu
24*
188
Llttatmtur.
rHierftpeiittsche
L MonAtaheft«.
im Vergleich zu anderen Mikroorganismen in
weitaus grösster Anzahl und in grosseren
Haufen vorzukommen, während die anderen
Mikroben in einem derartigen Secret an
Zahl bedeutend zurücktreten. — Dass in
der That auch durch andere Mikroben gleich-
falls pseudogonorrhoische Katarrhe der Harn-
röhre erzeugt werden können, hat Bock hart
bewiesen, indem er durch Ueberimpfung Ton
Staphylococcen und Streptococcen Blennorr-
hagien hervorrief. — Noch schwieriger als
beim acuten, ist die Beurtheilung der
Specificität und Contagiosität des chroni-
schen Trippers, bei welchem man in etwa
50 ^/o der untersuchten Fälle nach Neisser
und E. Schwarz Gonococcen nicht nach-
weisen kann, während doch der klinische
Befund zu einem ganz abweichenden Ergeb-
nisse in nicht eben seltenen Fällen führt.
Aus diesem Grunde misst Verf. dem Gono-
coccenbefunde beim chronischen Tripper des
Mannes keine wesentliche Bedeutung bei
und gestattet daher auch in denjenigen Fällen
die Ehe, in welchen das Secret auf einen
schleimigen Tropfen, den die Patienten sich
Morgens entleeren oder auf wenige im Harn
erscheinende ürethralfäden beschränkt ist,
unter der Voraussetzung, dass die qu. Indi-
viduen nicht nach fast jeder Cohabitation an
Kecrudescenzen dieser Symptome erkranken.
Hieraus ergiebt sich auch die Auffassung
Verf.'s, derzufolge den Gonococcen gegen-
wärtig die von fast allen anderen Autoren
vindicirte Bedeutung bezügl. der Natur des
Secretes, in welchem sie vorkommen, nicht
beizulegen sei, sondern dass man viel sicherer
geht, wenn man die Diagnose auf Grund
der klinischen Symptome und nicht des
bacteriologischen Befundes stellt. An dieser
seiner Auffassung hält denn auch Verf. ge-
legentlich der Beurtheilung der chronischen
Gonorrhoe des Weibes fest, bei der die
klinische Diagnose sich aus folgenden Mo-
menten zusammensetzt: 1. Erkrankung einer
bis dahin gesunden Frau kurz nach der Ver-
heirathung oder nach Unterbrechung der
ersten Schwangerschaft an einer Geschlechts-
affection mit hysterischen Erscheinungen.
2. Anwesenheit einer Urethritis. 3. Katarrh
der Bartholin'schen Drüsen. 4. Spitze Con-
dylome an der Vulva oder in der Umge-
bung derselben, am Anus etc. 5. Colpitis
granularis. 6. Eiterige Absonderung aus der
Vulva, Vagina, aus dem Uterus etc. 7. Ovari-
itis glandularis und Salpingo-Perimetritis. Da-
gegen lassen isolirte eiterige Erkrankungen
der Tuben einen sicherenRückschluss auf die
Natur des Leidens, resp. auf seine Entste-
hungsweise nicht zu.
Auf die neuerdings vielfach erörterte
Frage nach der Pathogenese der Compli-
cationen der Urethroblennorrhoe, insbeson-
dere der Cowperitis, Bartholinitis, Epidi-
dymitis, die von einigen als einfach fortge-
leitete gonorrhoische Processe, von anderen
aber als Ergebniss einer Mischinfection an-
gesehen werden, ist Verf. nirgends einge-
gangen.
In sehr ausführlicher Darstellung ist der
pathologisch-anatomische Theil bei den
verschiedenen Affectionen abg^andelt. Sind
doch gerade in den letzten Jahren die ana-
tomischen Veränderungen, die sich im An-
schluss an die Urethritis infectiosa in dem
Gewebe der Urethra ausbilden, Gegenstand
einer nicht geringen Anzahl von zum Theil
grundlegender Arbeiten geworden. Leider
sind die aus denselben ermittelten Resultate
immer noch nicht in ein bestimmtes, sie mehr
oder weniger umfassendes System gebracht
worden. Fast jeder Forscher hat sich über
die Natur imd Ursache der einzelnen beob-
achteten Veränderungen auf der Schleimhaut
eine von den übrigen abweichende An-
schauung, Nomenclatur etc. gebildet. —
So unterscheidet Desormeaux eine ein-
fache und eine blennorrhagische Urethri-
tis. Die erstere theil t er nach den ätiolo-
gischen Momenten in eine traumatische,
herpetische und katarrh^ische Schleim-
hautentzündung. Die blennorrhagische
Urethritis ist stets eine Folge von Tripper-
infection. "Wird sie chronisch, so beob-
achtet man im Gewebe der Schleimhaut
Granulationen (Urethritis granulosa), aus
denen sich durch Schwund die Stricturen
bilden. — Der Intensität der acuten Ent-
zündung entsprechend, unterscheidet Gryn-
feld Urethritis simplex, blennorrhoica
und membranacea. — Aus der Fülle der
von Tarnowsky gemachten Beobachtungen
haben sich bei chronischem Tripper für
diesen Forscher 5 Haupttypen ergeben:
a) eine in den tiefen Theilen der Schleim-
haut localisirte Entzündung; b) mehr oder
weniger ausgedehnte Hyperplasien des ge-
sammten submucösen Drüsenapparates, sowie
der angrenzenden Bindegewebsschichten und
Epithelien; c) Hyperplasie einzelner Theile
der Schleimhaut selbst (Vegetationen im
Papillarkörper, sowie fungöse Excrescenzen) ;
Für die Vervollkommnung unserer Kennt-
niss dieser Veränderungen sind insbesondere
die durch den Wiener Mechaniker Leiter
in so ingeniöser Weise verbesserten Elektro-
endoskopischen Apparate bedeutungsvoll ge-
worden. Unentbehrlich für den Specialisten,
ist auch in dem vorliegenden Buche die
Endoskopie und die ihre grosse Uebung er-
fordernde Technik ihrer, nicht nur für die
m. Jahrgang*!
April 1889. J
Littoratur.
189
Diagnostik, sondern auch für die Behand-
lung der ürethralleiden entsprechenden Be-
deutung gewürdigt worden. Für die Deu-
tung des Befundes ist vor allem das Ver-
halten der Trichterfigur, d. h. des in der
unteren Oeffhung des Bndoskops erscheinen-
den Theiles der Harnröhre von Wichtigkeit,
wobei ihre Tiefe, Farbe, mehr oder weniger
gleichmässige Consistenz, die man mit ziem-
licher Genauigkeit aus der Form des Trichters
bestimmen kann, in Betracht zu ziehen ist.
Selbstverständlich ändert sich auch das
endoskopische Bild, je nach dem Abschnitte
der Urethra, der untersucht wird. Oberhalb
der Colliculus seminalis, der als prominiren-
der hellrother Wulst in das Endoskop hin-
einragt, erscheint die Centralfigur als rundes
Grübchen, während die Schleimhaut selbst
ein tief dunkelrothes Aussehen annimmt.
Weiter pheripherisch erscheint in der Regio
prostatica das Bild eines gleichmässigen nach
rückwärts strebenden Trichters, während in
den noch weiter distal gelegenen Partien
der Schleimhaut die Centralfigur in Gestalt
eines in der Pars bulbosa horizontal, in der
Pars cavemosa vertical gestellten Spaltes
erscheint. Die Wand des Trichters selbst
erscheint hier in Form zweier Wülste mit
stark reflectirender Oberfläche. Am meisten
Verbreitung hat wohl die von Grynfeld
aufgestellte Fintheilung gefunden. Er theilt
die bei chronischem Tripper beobachteten
Veränderungen ein: 1. Granulationen mit
weniger oder mehr ausgedehnter Flächen-
bUdung; 2. Urethritis mit Geschwürsbildung.
Zu ihr gehören: a) chankröse Geschwüre,
meist vorn; b) herpetische Ulcerationen ge-
wohnlich vor der Fossa navicularis; c) Ge-
schwürsbildungen in Folge zu scharfer,
ätzender Injectionen; d) Verstopfung der
Drüsenausführungsgänge mit consecutiver
Cjstenbildung; e) granulirende Entzündungen
mit Ausgang in Atrophie (Trachom); 3. Epi-
thelauflagerungen mit Narbenbildungen, die
entweder in Form von Streifen oder in Form
mehr oder weniger circumscripter Plaques
sich im endoskopischen Bilde darstellen.
Bei Einführung des Endoskops machen sie
sich schon dadurch kenntlich, dass das En-
doskop besonders schwer über sie hinweg-
gleitet. 4. Katarrhalische Erkrankungen der
Ausführungsgänge der in das Lumen der
Urethra mündenden Drüsen mit Ausgang in
Polypen- und Cystenbildung.
In sehr ausführlicher und der reichen
Erfahrung Verf.^s entsprechender Darstellung
ist in der Vorlage die Symptomatologie der
einzelnen Tripperaffectionen beschrieben. Be-
sonderes Interesse unter ihnen beanspruchen
vor allem die Stricturen nach Urethroblen-
norrhoe, bei deren Darstellung Verf. sich
im Wesentlichen der DitteT sehen Einthei-
lung und Auffassung angeschlossen hat.
Aufs erschöpfendste sind alle jene ver-
hängnissvollen Folgezustände, die sich leider
so häufig aus diesen Veränderungen zu ent-
wickeln pflegen, und welche nicht nur die
Function des uropoetischen Systems, sondern
auch — in Folge Behinderung der Samenent-
leerung — des Sexualsystems oft in so be-
denklicher Weise schädigen können, erörtert.
Freilich haben die Stricturen den zahlen-
mässig geringsten Antheil an der Entwick-
lung jener Folge zustände, die unter dem
Gesammtbegriff der Neurasthenie sexualis
zusammengefasst, erst vor relativ kurzer
Zeit der vollen ihnen zukommenden Beach-
tung gewürdigt worden sind. Der Bedeu-
tung, die dieser wahrhaft schreckliche
Symptomencomplex nicht allein für den Arzt,
sondern auch für den Juristen besitzt, ent-
spricht die ausserordentliche Genauigkeit, mit
der diese Zustände vom Verf. erörtert wer-
den. Leider ergiebt sich auch hieraus, dass
unsere Kenntnisse bezüglich der Sympto-
matologie dieser Zustände immer noch
weit besser sind, als das Vermögen, sie zu
heilen, besonders wenn es sich um mehr
functionelle Neurosen, bei denen eine topische
Behandlung nicht eingeleitet werden kann,
handelt. Alle diese Affectionen finden sich
ebensowohl beim Manne, wie bei der Frau,
und ätiologisch die wichtigste Affection für
ihre Pathogenese ist der chronische Tripper,
zumal wenn er in jener muskel-, gefäss- und
nervenreichen Partie localisirt ist, an der beim
Manne sich Harn- und Sexualapparat kreuzen:
Regio prostatica, resp. beim Weibe in den
Tuben und nahe den Ovarien. Im Allge-
meinen lässt sich das proteushafte Bild der
Symptomatologie nach Verf. in 3 grosse
Reihen von Affectionen theilen: sensible,
motorische und functionelle Neurosen. Zu
den ersteren gehören Neuralgien der Harn-
röhre, des Penis etc., meist verbunden mit
einem höchst quälenden Priapismus, die
Sero talneural gien, ferner die eigentlichen
sexuellen Neurosen, die sich aus dem Vor-
handensein der vielen sympathischen Nerven-
geflechte, die mit dem Tastapparate der Haut
des männlichen Gliedes (resp. der Vulva
und Glitoris) einerseits und dem Gehirn und
Rückenmark andererseits in Verbindung
stehen, erklären lassen und zum Priapismus
(sowohl centralen, wie peripherischen Ur-
sprungs), sowie zur psychischen und para-
lytischen Impotenz und endlich zur Pro-
spermie führen können. Unter den Motilitäts-
neurosen sind u. a. die Krampf- und Läh-
mungszustände der Blase zu nennen. In der
j
190
LIttoratur.
Bfonatsheft«.
sexuellen Sphäre trifft man Abnormitäten in
der Function der Ejaculation und zwar ent-
weder abnorm leichte £jaculation (mit oder
ohne gleichzeitige Erection). Zu den secre-
torischen Neurosen endlich gehören u. a.
Vermehrung der Hamsecretion , sowie die
Polyspermie, Azoospermie, Prostatorrhoe,
Urethrorrhoea ex libidine etc., in anderen
Fällen hat man wiederum Gelegenheit, gerade
entgegengesetzte Verhältnisse zu beobachten.
Von klinischem Standpunkte interessant,
wenn auch nicht streng genommen zu dem
vom Verf. behandelten Thema gehörend, ist
das kleine Capitel über die Hamröhren-
steine, deren Existenz ja — abgesehen Yon
wenigen Prostataconcrementen , wohl nur
relativ selten auf Tripperaffectionen zurück-
zuführen ist. Meist handelt es sich um
steckengebliebene Nierensteine, oder um
Trümmer von zersprengten Blasenconcretionen,
seltener um Ablagerungen von Hamsalzen
auf Gerinnsel, die hinter Stricturen sich
absetzen resp. in Fisteln, durch welche lang-
sam der Harn hindurchsickert. Begreiflicher-
weise verursachen sie meist relativ grosse
Beschwerden, die indessen sofort nach ihrer
(durch Lithotrysie oder Sectio perinealis
vorzunehmenden) Entfernung radical ver-
schwinden.
Bei der Besprechung der Blennorrhoe
des Weibes, deren Beobachtung bekanntlich
leichter und ausgiebiger den Gynäkologen
als den Urologen und Syphilidologen zu
Theil vrird, beschränkt sich Verf. abgesehen
von der bereits oben erwähnten Kritisirung
der Aetiologie auf die nothwendigsten That-
sachen.
Mit besonderer Ausführlichkeit ist da-
gegen die Therapie des Trippers und seiner
Complicationen geschildert, deren Schwäche
das Heer von Injectionen, die Fülle von Sal-
ben, das Arsenal von Instrumenten nur noth-
dürftig zu verhüllen im Stande ist, und die
erst nach Einführung der localen Behand-
lungsweise unter der Führung der Elektro-
Endoskopie ein einfacheres und rationelleres
Aussehen anzunehmen beginnt. Injectionen
(meist dünne Lösungen aus der alten, be-
währten Arzneigruppe der Adstringentien)
empfiehlt Verf. erst nach dem Nachlasse
der Entzündungs- und Reizerscheinungen,
während welcher die essigsauren Salze oder
leichte Lösungen von Kaliumpermanganat
zur Anwendung kommen. Gleichzeitig wird
innerlich in massiger Dosis Copaivabalsam
mit Cubebenpfeffer gegeben. Hat die Ent-
zündung den M. compressor überschritten (bei
Urethritis acuta posterior), so werden mittelst
geeigneter Spülapparate die hinteren Partien
der Urethra mit den qu. Lösungen irrigirt.
Handelt es sich um chronischen Tripper, so
hat man sich durch Combination der Digital-,
Sonden- und Ocularuntersuchung über den
Sitz und die Natur des Krankheitsprocesses
Aufschluss zu verschaffen. Bei Urethritis
chronica anterior muss die medicamentöse
Behandlung mit der Sondencur combinirt
oder durch diese ersetzt werden, besonders
wenn es sich um Verlust der Elasticität der
Harnröhre resp. Beengung ihres Lumens in
Folge hyperplastischer Vorgänge und narbiger
Schrumpfung handelt. Die Medicamente sind
in Form löslicher Gelatinebougies auf die
afficirten Stellen zu bringen. Circumscripte
Affectionen ätzt man unter dem Schutze des
Endoskopes mit concentrirten Lösungen von
Höllenstein (l — 2%) od. Cuprum sulfuricum.
Bei Urethritis chronica posterior empfiehlt
Verf. Spülungen der tiefen Partien der
Harnröhre, sowie gleichfalls Aetzungen und
Pinselungen concentrirter Lösungen mittelst
der Pinselapparate. Vor allem aber ver-
säume man niemals, bei den mehr chronischen
Entzündungen dem Allgemeinbefinden des
Patienten von vorneherein die grösste Sorge
angedeihen zu lassen.
Die Complicationen sind, soweit es geht,
nach chirurgischen Principien zu behandeln.
Im Beginn energische Antiphlogose; jeder
Abscess ist sofort zu eröffnen, um eventuellen
Durchbruch nach innen mit consecutiTer
Urininfiltration und Fistelbildung zu verhin-
dern. Bei der Behandlung der Orchitis resp.
Epididymitis widerräth Verf. die Anwendung
der Fricke 'sehen Einwickelung, wodurch
häufig Hodenatrophie entsteht. Statt dessen
empfiehlt es sich, die Patienten ein fest an*
schliessendes Suspensorium tragen zu lassen.
Die prächtige Ausstattung des Buches
entspricht seinem meisterhaft geschriebenen
Inhalte, in welchem es dem Verf. in überaus
glücklicher Weise gelungen ist, die Erfahrung
Anderer und eigenes Studium in objectivster
Weise harmonisch den Lesern vorzufuhren.
H. LohnU^ (BerUn),
Karl Löbker: Chirnr^che Operationslehre.
Ein Leitfaden für die OperatioDSübungeii an
der Leiche, mit Berücksichtigung der chimr-
fischen Anatomie für Studirende und Aerzt«
earbeitet. Zweite verbesserte and theilweise
neubearbeitete Auflage. Urban & Schwär-
zenberg 1889. S«. 520 S.
Es ist nicht zu verwundern, dass Löb-
ker's Operationslehre, welche dem Studenten
ein Vademecum im Operationscursus , dem
Arzte ein übersichtlicher Rathgeber sein soll,
die zweite Auflage nach so kurzer Zeit er-
fahren, und in drei Sprachen eine ausgedehnte
Verbreitung gefunden hat. Haben Urban
& Schwär zenberg in gewohnter Weise
April HB». J "™
dem Werke einen Tonfigltchen Druck, treff-
liche Ausstattung in Form und besonders
in den Zeichnungen gegeben, so hat der
Greirswalder Chirurg es wohl t erstanden,
mit Klarheit der Diction Prägnanz und
Kfirze des Ausdrucks zu verbinden, den
Jünger durch eine leicht -verständliche, von
zwar einfachen, aber wohl gelungenen Fenster-
bildem unterstützte Lehrmethode in die
chirargische Anatomie einzuführen, dem Vor-
geschritteneren durch einen kurzen Einblick
in Wort und Bild seines Werkes Entschwun-
denes wieder ins Gedächtniss schneit zurück-
zurufen und neue Methoden Tor Augen zu
fuhren. Es ist erfreulich, zu sehen, wie der
Verfasser Neuerungen auf allen Gebieten der
Chirurgie Rechnung getri^n hat. Die
neueren RoBectionsmethoden fehlen nicht,
Mikulicz's Trepanation des Antrum High-
mori ist beschrieben; Tor Allen ist den
Magen Operationen in allen ihren Details
Rechoung getragen worden, nicht minder der
knöchernen Nasenbildung nach E ö nig-
Israel. So kann denn dieses schöne Werk
als eine Bereicherung der chirurgischen Lit-
teratur aufgefasst, uud sein Studium ange-
legentlichst empfohlen werden. BoU.
.^ 191
tem Autor Tnjr zugegangen, durch welche der
Nachweis erbracht wird, dass der lebende
Oi^anismuB Carbols&ure aus fettiger Lösung
resorhirt und somit die Wirkung der Anti-
leptica zur Geltung zu bringen vermag. Leider
konnte diese Notiz in diesem Hefte nicht
mehr aufgenommen werden und wird dieselbe
daher in dem nächsten erscheinen.
LutreicJI.
Ein neues Zimmerboot
Dass das stylgerechte Rudern diejenige
Bewegung ist, die fast sämmtliche hfuskel-
gruppen des Körpers beansprucht, wusste
man längst und hatte sich auch bemüht,
Ruderapparate zu construiren. Allein sie
entsprachen den Anforderungen, die man an
solche zu stellen berechtigt ist, nicht. Bei
dem von Dr. L, Ewer in Berlin construirten
„Zimmerboot" scheint es in vollem Maasse
gelungen zu sein, den beim wirklichen Ru-
dern gegebenen Verhältnissen möglichst nahe
zu kommen.
In der Figur bedeutet a ein Boot oder
den mittleren Theil eines solchen, in welchem
der Sitz l in Schienen sich bewegt, k ist
ein verstellbares Pussbrett. Das Ruder k
kann durch die drei Kugelgelenke c, d und
t nach allen Richtungen hin geführt werden,
genügende Festigkeit erhält es durch das
PrmctiBeh« Notla««
eBipfelil«n*werthe Arsneifonaeln.
In Bezug auf meiae Bemerkung zu den
practischen Notizen S. 114, die Behandlung
des Decubitus betreffend, von Prof. Rosen-
bach, „Carbolvaselin verhält sich wie Car-
bolöl", ist eine interessante und aufklärende
Beleuchtung dieser Bemerkung von genann-
Gestell b. In dem Messlngrohre / befindet
sich ein Kolben, der durch das Ruder auf-
und abgeführt werden kann. Dm eineo
leichten Rfickgaog des letzteren zu bewirken,
dient eine im Rohre g sich befindende lange
Spiralfeder.
Um den Apparat für Gross und Klein
zu benutzen, dient das Fuasbrett k, das
nach der Körpergrösse gestellt wird. Um
die Arbeit dem Kräftemaass des Arbeitenden
anzupassen, sind folgende Vorrichtungen ge-
troffen: Der Drehpunkt des Ruders kann
192
Praedsche Notlsaa und «apfiihleiiiwerthe AnnaiformttlB.
[ThtfApeattoche
IConaiabaflai
Yerändert werden. Je näber derselbe nach
c hin rückt, um so leichter lässt sich die
Bewegung ausführen. Ausserdem befindet
sich in dem Bohre / bei i ein Schlitz, der
durch einen King nach Belieben ganz ge-
schlossen bleiben oder mehr oder weniger
offen erhalten werden kann. Je grösser die
Oeffnung, desto leichter kann die Luft unter
den Kolben dringen, und um so leichter ist
die Arbeit.
Will man die geleistete Arbeit berech-
nen, so lässt sich auch das ausführen. Man
hat nur nöthig, ein Manometer auf eine in
/' befindliche Oeffnung zu schrauben und
den Ausschlag zu notiren; da die Kraft der
Spiralfeder bekannt ist, sind alle für die
Rechnung erforderlichen Daten Yorhanden.
Kältetampons
werden (nach Dtsch. Med. Ztg. 1888 und
Pharm. Centralh.) in folgender Weise her-
gestellt:
„Der Mitteltheil des Tampons wird aus
nicht entfetteter Watte, der Band aus Hoch-
seide gebildet, der Tampon in Methylchlorür
getaucht und mittelst einer Hartkautschuk-
pincette gegen die Haut gedrückt. Der
Tampon behält 15 — 45 Minuten lang eine
Temperatur von — 23 bis — 45^ C. und
braucht 278 Stunden, bis er sich auf 0® er-
wärmt. Die weisse Färbung der Haut ist
das Zeichen der beginnenden Anästhesie.
Dieses von Bailly eingeführte Verfahren
wird Stypage genannt."
Ozyuris vermicularis
wird nach Gubb (The London med. Record
u. Allg. med. Centralz. 1889, 16) sicher zer-
stört durch Rectal inj ectionen mit reinem
Leberthran oder einer Emulsion desselben
mit Eiern. Dieses Mittel ist zuverlässig
und reizt nicht.
Bei Behandlung des Oxyuris vermicularis
macht Grimaud darauf au^erksam, dass
Lallemand (Montpellier) mit keinem Mittel
so zuverlässige Resultate erzielt habe, als
mit den natürlichen Schwefel wässern. G.
hat sich gleichfalls davon überzeugen kön-
nen, dass schwefelhaltiges Wasser Gift für
die Spulwürmer sei. Man kann es inner-
lich oder per Clysma anwenden, die Würmer
verschwinden alsbald, ohne wiederzukehren.
Vom Generalsecretair des Organisations-Comites
des Congresses für Therapie und Materia
medica
geht uns folgender Prospect mit dem Er-
suchen um Aufnahme zu:
CONGRES INTERNATIONAL
DE THl&RAPEUTIQUB ET DE MATlfcRE MKDICALE.
La coDgres aura lieu ä Paris, da l*** au 5 acut
1889, ä rhotel des Societes savantes, 28, rae Ser-
pente. Pourront en faire partie tous les medecins,
pharmaciens et vetMnaires qui aaront envoye leur
adbesioD et paye la cotisation de 10 fraocs.
Le bareau du Comite d'organisation est ainsi
compose: MM. Moutard-Martin, president; Dc-
jARDiif-BEAUMBTZ, vice- president; Constantin
Paul, secretaire general; P.-G. Bardet, secretaire
general adjoint; Labbe, secretaire de la section de
therapeutique^ et R. Blondel, secretaire de Iq section
de maiiere medicale,
Le coogres sera divise en deux sections : Fune
de therapeutigue, Tautre de mattere medicale. Cha-
cane des deux sections poarra deliberer ä part
dans des salles separees, aox s^ances de la matinee
consacrees aux questions particalieres laissees au
choix des membres du coogres; les seances du
jour seront communes et reservees ä la discussion
des questions posees par le Comite d^organisation
du congres.
Premiere question. — Des antithermiques anal-
g^siques: Chimie et pharmacologie de ces corps,
— action phjsiologique et usages therapeutiques,
— lois qui peuvent permettre d'Stablir une relation
entre la fonction chimique et la fonction physio-
logique. (Rapportenr, M. Dujardin-Beaumetz.)
Deuxieme questifjn. — Des antisepiiques pro-
pres k chaque espece de microbes pathoginas:
Valeur proportionnelle des antiseptiques, leur action
speciale, — etude de leur mode d^absorption et
des meilleurs procedes d^administration. (Rappor-
teur, M. Constantin Paul.)
Troisieme quention, — Des toniques du cosur:
Leur natnre, — leurs actions speciales, — valeur
relative des plantes et de leurs principes actifs,
alcaloldes et glucosides. (Rapporteur, M. BucQUOf.)
Quatrihne question. — Des nouvelles drogues
d'origine v^g^tale r^cemment introdiiites dans la
th^rapeutique. (Rapporteur, M. Planghon.)
Ctnquieme question. — Unification des poids et
masures employ^s dans les formules; da rutillt^
d'une pharmaoopie internationale. (Rapporteur,
M. Shaer, de Zürich.)
Les membres du congres qui comptent faire
une communication sont pri6s d^en annoncer le
titre au secretaire du comite avant le 15 mai
prochain.
Les Communications et discussion seront reunies
dans un volume qui sera imprime par les soins du
comite d^organisation et sera adresse a chaque
adherent.
Une ezposition de drogues simples se rappor-
tant aux questions posees par le Comite aura lieu
au siege du congres pendant la duree de la session;
eile sera organisee par les soins de MM. Adrian
et Blondel.
On est prie d'adresser toutes les adhesions ou
Communications au Dr. Barrfet, secretaire general
adjoint du comite d^organisation , 119 bis., rue
Notre-Dame-des-Champs, ä Paris.
Verlaf von Jalins Springer in Berlin N, — Drack ron Outov Sch«4« (Otto Franeke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. Mai.
Originalabhandlnngen.
Der heutige Standpunkt und die
nächsten Ziele der Behandlung des Heus.
(Referat, erstattet auf dem 8. Congress für
innere Medicin zu Wiesbaden.')
Von
Professor Dr. H. Curschmann,
Director der medicin. Klinik zu Leipzig.
Wenn ich nach dem soeben gehörten,
klaren und fesselnden Vortrag meines Herrn
Mitreferenten (Leichtenstern) zum zweiten
Theil unseres Themas, der Behandlung
des Ileus, übergehe, so sehe ich meine
Hauptaufgabe darin, in grossen Zügen das
allgemeine Bild des heutigen Standpunktes
dieser Lehre zu entwerfen, und dasselbe nur
nach einzelnen Richtungen hin, welche ihrer
practischen und theoretischen Wichtigkeit
wegen besondere Beachtung verdienen, weiter
auszuarbeiten.
Unseren heutigen klinischen und beson-
ders diagnostischen Kenntnissen entsprechend,
über welche ich mich nachher mehrfach
werde auszusprechen haben, ist es ge-
wiss richtiger, dass wir bei^ unseren Er-
örterungen mehr an das allgemeine Bild
des Ileus anknüpfen, als an diejenigen
einzelnen Zustände, durch welche derselbe
hervorgerufen wird.
Es wird dazu noch die weitere Beschrän-
kung nützlich sein, nur von den Ileusfällen
zu reden, welche acut entstandenen
Yerschliessungen des Darmes oder
wenigstens einem acuten Hinzutraten
der Ileus erregenden Momente zu
chronischer Erkrankung zuzuschreiben
sind.
Hierzu würden, nach ihren anatomischen
Substraten gesichtet, gehören:
') Das Referat wurde . erstattet im Anschluss an
dasjenige des Herrn Leichtenstern (Cöln), welcher
aber den Begriff^ das Entstehen and die Diagnose
des Bens sich verbreitet hatte.
Dieses sowie das Curschmann^sche Referat,
nebst Discossion und Schiasswort werden ausführ-
lich erscheinen in den Verhandlangen des Con-
gresses. Wiesbaden. J. F. Bergmann.
(Ein Bericht über den Congress wird in dem
D&chsteD Hefte erscheinen. Red.)
1. Volvulus und Intussusception ;
2. innere Einklemmungen des Darmes
durch abnorme Bänder und Stränge
oder Durchtreten desselben durch ab-
norme oder physiologisch präformirte
Oeffnungen;
3. Verlegungen des Darmes durch Fremd-
körper und Tumoren;
4. Compressionen , Verwachsungen und
Stricturen mit plötzlich hinzutretenden
Knickungen, Verlagerungen oder par-
tiellen Lähmungen des Darmrohrs.
Es wurde schon vorher von mir ange-
deutet und geht noch mehr aus den Eröte-
rungen meines Herrn Mitreferenten hervor,
dass wir häufig nicht im Stande sind,
im einzelnen Falle den vorhandenen
Ileus aufeinen der gen an ntenspeciellen
Zustände mit Sicherheit zurückzufüh-
ren. In der Mehrzahl der Fälle müssen wir unß
mit der Erkenntniss begnügen: Es besteht eine
Darmverlegung, sie besteht wahrscheinlich
im Verlaufe des Dickdarmes oder des Dünn-
darmes, und wenn es hoch kommt, sie liegt
in den oberen, mittleren oder unteren Par-
tien dieses Darmabschnittes. Nur zuweilen
lässt sich Specielleres hinzufügen, z. B. die
Annahme einer Intussusception, des Sitzes
eines Volvulus am S. romanum, die Ver-
muthung, dass ein grosser Gallenstein sich
eingekeilt habe oder nach vorausgegangenen
früheren Bauchoperationen, ünterleibstraumen
oder anderweitig begründeten peritonitischen
Processen, es möge ein Strang, eine Ad-
härenz oder eine Knickung im Spiele sein.
Sind nun diese leider bisher vorhandenen
diagnostischen Schwierigkeiten unserem thera-
peutischen Handeln wesentlich im Wege?
Ohne Zweifel in sehr vielen Beziehungen.
Sie bedingen eine Hemmung der chirurgischen
wie der internen Behandlung.
Zum Glück stehen uns aber einstweilen
andere Wege offen, zu prognostisch und
therapeutisch ergiebigen Gesichtspunkten zu
gelangen.
Wir studiren zu diesem Zwecke die
allgemeinen Veränderungen und Fol-
gen, welche aus einer acuten Darm-
25
194 Curschmann, Der heutige Standpunkt und die nächsten Ziele der Behandl. des Ileus. [ Monauh^n^eT*
Verlegung für die einzelnen Theile des
Barmrohrs, für die übrigen Unterleibs-
organe und für entferntere Tbeile des
Körpers erwachsen.
Solche allgemeine Betrachtungen knüpfen
sich an die allgemein bekannten Erscheinun-
gen von Stenose und compensatorischer
Muskelaction, wie sie an jedem contractilen
schlauchförmigen Organ zu constatiren sind,
sowie an die speciellen motorischen Eigen-
schaften des Darmes, welche durch die
Leichtenstern' sehen ^) und die Noth-
nageTschen^) Arbeiten in jüngster Zeit so
wesentlich gefördert wurden.
Bei jedem Ileusfall hat man demnach
mit zwei Hauptmomenten zu rechnen:
1. mit der Stärke des Hindernisses für
die Fortbewegung des Darminhaltes;
2. mit dem Maasse der Kräfte, welche
dem vor dem Hindemiss liegenden
Darmabschnitte zur Ueberwindung des-
selben zur Verfügung stehen.
Die so in Betracht kommenden extremsten
Situationen, zwischen denen alle möglichen
Combinationen denkbar sind, würden sein:
1. geringfügiges, ja in der Leiche gar
nicht mehr nachweisbares Hindemiss
bei völligem Fehlen der Durchtreibungs-
kraft;
2. intacter oder selbst beträchtlich er-
höhter Modus peristalticus bei unüber-
windlich festem Hindemiss;
oder endlich mechanische Verhält-
nisse, welche bei an sich unschwer
zu überwindendem Verschlusse die
Darmtriebkraft zwar ungeschwächt,
aber in einer denselben direct oder
indirect fördernden Richtung wirken
lassen. In diese überaus wichtige Categorie
gehören die Verlagerungen, Auftreibungen
und divertikel artigen Umformungen des Dar-
mes oberhalb eines Hindernisses, mit Ent-
stehung der so viel besprochenen Klappen-
mechanismen, femer die Steigerungen be-
ginnender Intussusceptionen, die Vermehrun-
gen der Darmeinschiebungen bei bruchartigen
inneren Einklemmungen und auch die Er-
fahrung, dass Fremdkörper, wenn sie im
Anfang noch eine gewisse Durchgängigkeit
zuliessen, immer stärker eingekeilt werden
können.
Hat nun ein ausgesprochener Darmver-
schluss sich entwickelt, so kommen in den
meisten Fällen, mit Ausnahme der Duodenal-
und obersten Dünndarmverschlüsse, sehr bald
gewisse allgemeine Verhältnisse zur
^) Leichtenstern, Ziemssens Handb. d. spec.
Pathol. XL Therap.
3) Nothnagel, Beitr. zur Pathol. u. Physiol.
des Darmes 1884.
Ausbildung, welche für die weitere
Befestigung und Erhaltung der vor-
handenen Hindernisse sorgen. Zu-
nächst eine Stauung des flüssigen und
gasförmigen Darminhaltes oberhalb der
Occlusionsstelle. Ferner durch die hierdurch
bedingte Ausdehnung und Spannung der
Darmwand eine heftige Erregung der Peri-
staltik durch die nun — ein unglückseliges
Wechselverhältniss — neue Mengen von Gas
und Flüssigkeit bis zur Stelle des Hinder-
nisses hingebracht werden. Damit weitere
Auftreibungen und Spannung des Darmes,
weitere Steigerung der Peristaltik, bis endlich
früher oder später die Darmkräfte und der
Darmtonus sich erschöpfen und Parese oder
völlige Lähmung eintritt.
In allen solchen Fällen entwickelt sich
schliesslich als typisches Verhalten über-
mässige Auftreibung des Darmes "ober-
halb des Hindernisses, Collaps und
Leere desselben in den jenseitigen
Partien.
Besonders klar muss man sich über die
nun wieder hieraus resultirenden allgemeinen
Verhältnisse der Unterleibshöhle werden.
Durch die enorme Auftreibung der
Gedärme und entsprechende reactive
Spannung des Zwerchfelles und der
Bauchwand wird natürlich der intra-
abdominelle Druck gewaltig erhöht,
die meteoristischen Gedärme gegen
die leeren collabirten Partien und na-
mentlich gegen die Stelle des Verschlusses
mächtig augedrückt werden, so dass dadurch
fast jede Möglichkeit genommen scheint, die
incarcerirte Schlinge aus ihrer Lage zu be-
freien. Es ist der von allen Seiten
heftig wirkende elastische Druck, wel-
cher nun die unglückselige Situation erhält
und befestigt.
Wenn man zuerst in der eben vorge-
tragenen Weise sich die Verhältnisse klar
legt, so möchte man fast verzweifeln, dass
dieselben ohne intensiven mechanischen Ein-
griff wieder lösbar wären. Es drängt sich
immer wieder die Frage auf, wo sitzt das
Hindemiss? Muss dasselbe nicht manuell
beseitigt werden?
In der That haben auch manche sehr
aggressive Aerzte solche Zustände für spon-
tan, resp. durch interne Behandlung unlös-
lich gehalten und darin den Grund zum
frühesten operativen Eingreifen gesucht.
Ist nun beim Ileus unter solchen Ver-
hältnissen in der That die Prognose eine so
verzweifelte? Kennt die Natur keine anderen
als operative Wege den unheilvollen Knoten
zu lösen?
Die Antwort lautet günstiger als man
]tfidi^° J Curschmann, Der heutige Standpunkt und die nächsten Ziele der Behandl. des Ileus. 195
TOD Yornherein glauben sollte. Es zeigt
sich, dass namentlich in früheren Sta-
dien, aber auch während der ferneren
Perioden der Erkrankung, nicht we-
nige Heilungen vorkommen, dass na-
mentlich auch bei fast keinem zu Grunde
liegenden anatomischen Momente, (bei dem
Einen natürlich leichter, als bei dem An-
deren) ein Erfolg der inneren Behandlung
auszuschliessen ist.
Dass es gelingt, Intussusceptionen im
Anfang zu sistiren und zu heben, dass
Knickungen des Darmrohres zu beseitigen
sind, dass Fremdkörper, welche die Durch-
gängigkeit aufheben, über die Enge weg in
weitere Darmparthien fortgeschoben und so
auf natürlichem Wege entleert werden
können, ist theoretisch zweifellos und durch
die Erfahrung vielfach bestätigt.
Aber auch die sicher ungünstigsten Ver-
schlussmechanismen, die bruchartigen inne-
ren Einklemmungen durch Bänder, Ringe
und dergleichen sind hiervon trotz gegen-
theiliger Behauptung (Treves*)), durch-
aus nicht auszuschliessen. Abnorme Bände
und peritonitische Verklebungen können
je nach Alter und histologischer Beschaf-
fenheit unter dem Einflüsse der mächtig
vermehrten Darmspannung sich dehnen
oder lösen, einschnürende Ringe sich er-
weitem und damit insufficient werden. Auch
beim Volvulus ist eine Achsendrehung im
lösenden Sinn durchaus möglich, nament-
lich wenn durch Verminderungen des all-
gemeinen intraabdominalen Druckes der ab-
geschnürten Schlinge wieder eine grössere
Excursionsfähigkeit verschafft wird^). Von
den Heilungen, wie sie selbst in spätesten
Stadien bei Intussusceptionen und scharfen
Einklemmungen durch Gangrän und Ab-
stossung der meistbetheiligten Darmtheile,
Verwachsungen und dadurch wieder wegsam
werden der Nachbarpartien zu Stande kom-
men, will ich hier als allbekannt nicht be-
sonders reden. Auch darum nicht, weil
man hierauf wohl nur selten seine Rechnung
stellen dürfte. Die Einwände verbissener
Gegner, geheilte Fälle seien anatomisch un-
controlirbar und meist falsch gedeutet, in-
dem man namentlich Koprostasen und an-
dere ins Gebiet des Ileus paralyticus fal-
lende Zustände damit verwechselt habe,
sind nicht stichhaltig. Es sind in der Lit-
teratur nicht wenige gegentheilige Beob-*
achtungen niedergelegt und ich selbst ver-
*) Treves, Darmobstruction, deutsch von Pol-
lack. Leipzig 1888.
*) Vergl. die späteren Ausführungen über Wir-
kung der Magen ansspülung und der Gaspuiiction
des Darmes.
füge über eine Anzahl sehr instructiver
Fälle.
Zunächst möchte ich einige anführen,
welche darum besonders beweisend sind,
weil die betreffenden Individuen,
nachdem sie einer oder mehrmaligen
Attacken des Ileus getrotzt und
schliesslich einem den vorausgegan-
genen völlig gleichen Anfall erlagen,
zur anatomischen Untersuchung kamen.
Es gehört hierher ein Fall von wand-
ständiger, durch ein kurzes Band bedingter
Anheftung einer Ileumschlinge in der Nähe
des rechten inneren Leistenrings, wo nach
zweimaligem, offenbar durch Knickung des
Darmrohrs zur Ausbildung gekommenem und
wieder gelöstem Ileus bei der dritten
Attacke®) der Tod eintrat.
Ferner ein klinisch unklarer Ileusfall,
welcher durch Magenausspülung zur Heilung
kam, nach fast 14tägigem völligen Wohl-
beflnden aber recidivirte und nach dem nun
eingetretenen Tod sich zurückführen Hess
auf eine Verklebung und Knickung der
beiden Schenkel einer Jejunum-Schlinge.
Sehr instructiv war endlich ein Fall von
Volvulus des S romanum, bei dem zweimal
mehrtägiger Ileus bestanden und sich wieder
gelöst hatte, und bei dem die bei der dritten
Attacke gemachte Operation keine Heilung
brachte, vielleicht sogar den tödtlichen Aus-
gang förderte.
Auch einige klinische Beobachtun-
gen, welche glücklicherweise nicht'
zur an atomischen Untersuchung kamen,
sind für mich absolut beweiskräftig. So der
Fall eines Mannes, welcher als Soldat im
dänischen Feldzuge einen Bajonetstich in
den Unterleib erhalten hatte und den ich
dreimal im Verlaufe zweier Jahre an Ileus,
stets beginnend mit Schmerz und Druck in
der Gegend der früheren Narbe, erkranken
und bei passender innerer Behandlung ge-
nesen sah.
Femer die Krankengeschichte einer Dame,
welche, nachdem sie 9 Jahre vorher wegen
Ovarien tu mors laparotomirt worden war,
zweimal im Verlaufe eines Jahres die Er-
scheinungen des schwersten Ileus (das eine
Mal 4, das andere Mal 6 Tage lang) bot,
jedesmal bei entsprechendem Verhalten mit
Ausgang in Heilung. Ich glaube beide Fälle
zur Strang- oder doch bruch artigen inneren
Einklemmung rechnen zu dürfen.
Als Beispiel für Heilung eines durch
Fremdkörper bedingten Ileus führe ich einen
^ Ich hatte hier, da die Lokaldiagnose sicher
war, schon beim ersten Anfall (leider vergeblich),
zur Operation gerathen,
25*
196 Cursehmann, Der hautlg^a Standpunkt und die nächsten Ziele der Behandl. des Heut. [ Hon^hSptaT
zunächst diagnostisch ganz dunkeln, über-
aus schweren Ileusfall bei einer älteren Frau
an, der am dritten Tage, unter Entleerung
eines fast Hühnerei grossen Gallenstein per
vias naturales, sich definitiv löste.
Hartnäckige Zweifler konnten nun diese
Fälle als interessante, seltene Vorkommnisse
bezeichnen und meine allgemeinen Ausein-
andersetzungen über die Möglichkeit der
Heilung des Ileus als rein theoretische,
speculative, am Krankenbett sich selten be-
währende herabzusetzen suchen. Ihnen ge-
genüber ist gewiss eine Anfrage bei der
Statistik gerechtfertigt.
Bisher waren die bezüglichen Daten frei-
lich sehr spärliche. Ich glaube sie durch
grössere eigene und fremde Zahlen ausfüllen
zu können.
68 eigenen Fällen, über welche mir ge-
naue Aufzeichnungen zu Gebot stehen, füge
ich 20 ohne Operation behandelte aus der
Leipziger Klinik (Jahr 1858 — 89) zu. So-
dann 50 Fälle von Goltdammer^) und 17
von Bülau^) beobachtete, also im Ganzen
die stattliche und fQr die Beantwortung
einer grob -statistischen Frage genügende
Zahl von 105. Von diesen Fällen ge-
langten 37, also 3574 ^/o zur Heilung^).
Ziehen wir aus dem oben erörterten das
Facit, so folgt der Satz:
Es ist eine schwere Uebertreibung
zu behaupten, der Ileus könne be
innerer Behandlung nicht heilen. Man
kann im Gegentheil sagen:
Theoretisch ist bei kaum einer Form von
innerer Einklemmung spontane oder durch
innere Medication geförderte Heilung unmög-
lich. Die prac tischen Resultate zeigen sich
sogar in einer recht ansehnlichen Procentzahl.
Haben wir aber, das ist nun die weitere
Frage, Grund mit dem bis hierher ent-
wickelten Stand der Angelegenheit zufrie-
den zu sein?
^) Berl. Klin. Wochenachr. 1889.
*) Discass. über den Vortrag von Kümmell
im Hamb. ärztl. Verein. 1. Dec. 85. Abgedr. Deutsch,
med. Wochenschr. 1886.
^) Im Einzelnen stellen sich diese Zahlen folgen-
deroiässen *
Leipziger Klinik: 20 Falle, geh. 9 == 45%,
Goltammer: . . 50 - - 15 = 30%,
Bülau: 17 - - 6 = 3573%,
Curschmann: . . 68 - - 22 = 3273%.
In Bezug auf meine Fälle darf ich anführen, dass
ich bei nur 35 früher zusammengestellten Fällen
(vergl. Verhdl. d. Uamb. ärztl. Vereins 1. c.) weit
schlechtere Resultate hatte, d. h. nur 14 Vs% Hei-
lungen.
Als sehr interessant darf ich eine Mittheilung
von Mikulicz (Deutsch. Gesellsch. f. Chirurgie 1887)
anführen, nach welcher 3 ihm eigentlich zur Opera-
tion überwiesene Ileusfälle ohne diese bei einer durch
Mikulicz eingeleiteten internen Behandlung heilten.
Ganz gewiss nicht. Darin werden alle
Aerzte mit wenigen Ausnahmen, chirurgische
wie innere, Tollkommen übereinstimmen.
Die angeführten Heilungsprocente sind
entschieden zu niedrige, sie dürfen uns in
keiner Weise genügen.
Man wird dazu gedrängt, nach weiteren,
aggressiTeren Methoden umzuschauen und man
kann es jüngeren, besonders feurigeren Chi-
rurgen nachfühlen, wenn sie rathen:
Lieber auf die massige Chance der in-
neren Behandlung verzichten und so-
fort, wenn die Erscheinungen -des Ileus
sicher stehen, durch Laparotomie der
Grundursache im wahren Sinne zu Leibe
zu gehen.
Gewiss wäre dies das rationellste und
eines jeden Arztes, ideales Ziel. Ob es aber
gelingen wird, mit der Zeit in jedem Falle
von Ileus die Operation so gefahrlos zu ge-
stalten,' wie bei der Oviartomie oder beim
Bruchschnitte, das muss die Zukunft lehren.
Bei dem heutigen Stand der Kennt-
nisse und Fertigkeiten ist für viele
Fälle nicht einmal bewiesen, dass
die Laparotomie gefahrloser sei als
das Uebel. Fast alle inneren Aerzte sind,
soweit ich die Sache übersehe, dieser Mei-
nung und auch unter den Chirurgen scheinen
die Stimmen sehr getheilt, mit Neigung der
grosseren Zahl zu der gleichen Ansicht.
Nur wenige (Bardeleben, Kümmell u. A.)
stehen schon heute auf dem extremen Stand-
punkt der Frühlaparotomie in allen Fällen
von constatirtem Ileus. Die Mehrzahl spricht
sich präcis dahin aus*®), dass heute noch
grosse, für die nächste Zeit wohl schwer
überwindliche Einschränkungen beständen.
Worin bestehen diese Einschränkungen
nun?
Welche sind die heutigen Grenzen
der inneren und der chirurgischen
Behandlung?
Vor allem wird man sich sagen müssen,
dass die vorhandenen Schwierigkeiten noch
auf beiden Seiten, auf dem inneren,
wie dem speciell chirurgischen Ge-
biete liegen.
Die interne Medicin ist der Ausbildung
der Diagnose leider noch das Meiste schuldig.
Wir müssen uns darüber klar sein, dass
wir nur in der Minderzahl der Fälle im
Stande sind, mit wünschenswerther Genauig-
keit den Sitz und die anatomische Beschaff
^°) Debatte über den Vortrag des Herrn Barde-
leb en: Heber Ileus. Berl. med. Gesellsch. 1885
No. 27.
Discussion in Anschluss an das schöne Heferat
des Herrn Madelung, Deutsche Gesellsch. f. Cbir.
1887.
luTiSsr j Curichmann, Der heutige Standpunkt und die nächsten Ziele der Behandl. dei Ileus. 197
fenheit der den Daxm verschluss herbeiführen-
Afifectionen zu bestimmen.
Vielleicht ist dies schon heute für die
Nichtkrankenhausärzte, welche ihre Patien-
ten in früheren Stadien zur Beobachtung
bekommen, häufiger möglich, als für die an
Hospitälern wirkenden.
Hier kommen uns die Patienten meist
in einem Zustande zur Beobachtung, in
welchem die objective Untersuchung nur
wenig specielle Resultate haben kann.
Es besteht neben den ausgebildeten Er-
scheinungen des Ileus meist schon mehr
oder minder starker, gleichmässiger
Meteorismus, der Puls beginnt schon
klein und weich, hier und da in-
aequal oder irregulär zu werden, die
Extremitäten sind kühl, das Gesicht
verfallen.
Man kommt, wenn nicht die Anamnese
oder ganz specielle Zustände einen Finger-
zeig geben, meist über die allgemeine
Diagnose nicht hinaus. Man ist zufrieden,
wenn man sagen kann : Es ist eine scharfe
oder minder scharfe Einklemmung vorhan-
den, es besteht ein mehr oder minderer
Grad von Darmlähmung, im Dünn- oder
Dickdarm ist der Sitz des üebels.
Geht der Chirurg an solche diagnos-
tisch dunkle Fälle heran, so sind die Aus-
sichten meist schlechte, vielleicht noch ge-
ringere als bei innerer Behandlung. Eine grosse
Zahl unserer berühmtesten Operateure, ich brau-
che nur V.Bergmann,") Schede, Czerny,**)
Schonborn, Mikulicz, v.Wahl*') und
Madelung^^) zu nennen, halten sich da-
rum auch entsprechend reservirt, und rathen
vielfach geradezu von der Laparotomie ab. Es
sind noch mehr als theoretische Bedenken
die practischen Übeln Erfahrungen, welche
sie gemacht haben.
Forscht man der Ursache dieser
schlechten Chancen nach, so spielt unter
diesen nicht, wie man glauben mochte, die Ge-
fahr der septischen Infection eine Rolle ; unsere
guten Chirurgen haben diese auch für die
Bauchoperation mit fast unfehlbarer Sicher-
heit überwunden.
Die Hauptgefahr bei den frag-
lichen Fällen liegt in der Rückwir-
kung der Operation auf das Nerven-
system, namentlich auf die Inervation
des Herzens.
") Discussion. Berl. med. Ges. 1. c.
«) Virch. Archiv, Bd. 101, S. 425.
**) Dissert. V. Oettingen, Dorpat 1889. Cen-
tralblatt für Chirurg. 1889.
") DLscassion. Chir. Congr. 1887. 1. c. Die
hierbei gemachten Mittheilongen Schedes sind
besonders abgedruckt. Langenb. Archiv, Bd. 86.
Ebendas. Rydigier's Vortrag.
Solche Patienten halten nichts aus; sie
collabiren alsbald und man ist vielfach froh,
sie nur lebend vom Operationsbett bringen
zu sehen. Die weite Eröffnung der
Bauchhöhle, die Dauer der Operation,
das längere Manipuliren an den oft
auszupackenden Gedärmen steigert
rapid den schon vorhandenen Chok.
Hierin liegt es auch, dass sogar nicht
selten, nachdem der Operateur mühsam das
Hinderniss erreicht und beseitigt hat, bei
wieder durchgängigem Darm und ohne an
der Leiche nachweisbare schwerere Verände-
rungen desselben, ohne Peritonitis oder dergl.
der tödtliche Ausgang eintritt. Fälle, die
übrigens denen an die Seite zu stellen sind,
auf die meines Wissens zuerst Frerichs
hingewiesen und die wir Alle beobachtet
haben, wo trotz selbst auf internem Wege
erzielter Wiederdurch gängigkeit des Darmes,
die Kranken im Collaps ohne nachweisbare
anatomische Ursache zu Grunde gehen.
Wenn einzelne Aerzte solchen Fällen
gegenüber uns sagen, es müsse hier weit
früher operirt werden, so mag dies theore-
tisch nicht ohne Begründung sein, practisch
durchführbar sind heute diese Vorschläge
nicht. Bei der Aufnahme in die Hospitäler
sind die Kranken meist schon in dem ge-
schilderten labilen Zustande und hier so-
wohl, wie in der Privatpraxis wird, wie die
Sachen heute liegen, bei erst kurz beste-
hendem Ileus nicht leicht ein Arzt,^^) noch
viel weniger der Kranke oder seine Ange-
hörigen sich zu einer so grossen, gefahrvollen
Operation bei einem Uebel entschliessen,
dessen Prognose im Allgemeinen absolut
keine letale ist.
Die Schwierigkeiten, welche wir dem
Chirurgen durch unsere so vielfach mangel-
hafte Diagnose machen, verdoppeln sich für
diesen dadurch, dass er technisch solche
dunkle Fälle heute noch nicht ge-
nügend zu bewältigen im Stande ist.
Es kommt hier, wie wir sahen, vielleicht
das meiste auf möglichste Schnelligkeit
der Ausführung, auf grösste Schonung
des Darmrohres bei der Operation an. Dem
ist aber für die fraglichen Fälle heute im
Voraus berechenbar keineswegs, höchstens
zufällig in Einzelfällen zu entsprechen.
") Ich darf hierbei auf den Ausspruch Sc hon -
borns (1. c), verweisen: ; „so lange die
Sache so liegt, glaube ich, dass selbst diejenigen
von uns, die am meisten für operative Eingi'iffo
plaidiren möchten, doch Anstand nehmen würden,
bei ihrem eigenen Kinde oder sonst einem ihnen
sehr nahe stehenden Menschen innerhalb der ersten
24 Stunden, in der Zeit, in welcher die Operation
gewiss am gefahrlosesten ist, ziu* Laparotomie zu
schreiten."
198 Curichmann, Der heutige Standpunkt und die nftchiten Ziele der BehandL dei lieui. H^!??,!^!!!!^*
L MonAtshefte.
Man mu88 einer grosseren Zahl solcher
Laparotomien beigewohnt haben, um sich
der Schwierigkeit zu erinnern, durch eine
kleinere Incission in die extrem gespannten
Bauchdecken hindurch, zwischen den strotzend
ausgedehnten Därmen sich zu orientiren. Und
befolgt man auch den Vorschlag Küm-
melTs, die Bauchhöhle durch einen vom
Schwertfortsatz bis zur Symphyse reichen-
den Schnitte zu eröffnen und die Därme
weit auszupacken, so werden selbst Ope-
rateure von gleich hervorragender Gewandt-
heit und Sicherheit vielfach die Erfahrung
machen, dass auch so die beabsichtigte
Erleichterung der Orientirung sich nicht ent-
sprechend realisirt.
Ganz abgesehen davon, dass ich der
festen Ueberzeugung bin, dass so ausge-
dehnte Eventrationen bei Ileuskranken an
sich die Gefahr einer acuten Steigerung des
Chok bedingen, bestätigen die Erfahrungen,
die man am Leichentisch macht, wie schwie-
rig und zeitraubend unter denkbar bequem-
sten Verhältnissen, wie sie am Lebenden
nicht annähernd zu erreichen sind, die Auf-
findung der Stelle des Hindernisses und die
Entwirrung des vorhandenen Knotens ist.
Haben wir doch Alle Fälle gesehen, wo die
geübtesten pathologischen Anatomen Stunden
brauchten bis zu erzielter Klarheit.
Aber selbst da, wo die Einklemmungs-
stelle relativ rasch gefunden und entspre-
chend behandelt ist, sind meist die Schwie-
rigkeiten noch lange nicht überwunden.
Oft macht dann die gewaltige Aus-
dehnung und üeberfüllung der extrem
gespannten Därme noch mehr zu schaffen,
als das Aufsuchen der Einklemmungsstelle.
„Die ich rief, die Geister werd' ich nicht mehr
los", der Darm ist bei weitem nicht mehr
in den engen Raum der Bauchhöhle zurück-
zubringen. Nun beginnen die Manipulationen,
den Darminhalt von den überausgedehnten
Abschnitten über die frühere Einklemmungs-
stelle hinweg in die collabirten Theile zu
bringen, Verminderung und grössere Gleich-
mässigkeit des Volums zu erzielen.
Meist . gelingt dies nicht und der Opera-
teur muss nun seine Zuflucht zur Darm-
punction nehmen oder, was neuerdings
häufiger geschah, zu ausgedehnter Incision
und dem Versuch durch die grössere Wunde
den Darminhalt zu entleeren.
Die Chirurgen (Madelung) selbst er-
kennen, dass hier wiederum eine grosse
Schwierigkeit, eine höchst schädigende Ver-
zögerung der Operation liegt, und der innere
Mediciner, der derartigen Eingriffen beiwohnte,
wird aufathmend dem voll zustimmen.
Mikulicz hat daher vollkommen Recht,
wenn er sagt, dass die Laparotomie unter
den angeführten Umständen die Operation
in den Augen der Aerzte nur zu discredi-
tiren im Stande ist.
Hoffen wir, dass die angeführten Schwie-
rigkeiten zu überwinden sind und dass,
selbst bevor wir zu einer in allen
Fällen sicheren Localdiagnose kom-
men werden, die Chirurgie Mittel und
Wege finden wird, auch ohne dies, sicherer,
rascher und weniger eingreifend an das
Hinderniss heranzukommen.
Ich werde der erste sein, der dann auch
solche Ejranke frühzeitig dem Chirurgen
übergiebt.
Bis dahin wird man, wenn bei Kleiner-
werden des Pulses, Verfall der Züge und
wachsendem Meteorismus Grund besteht, von
einer Fortsetzung interner Medication abzu-
sehen (einige hyperacute Fälle ausgenom-
men), meines Erachtens am besten thun,
dem Programm zu entsprechen, welches
mein Freund Schede und ich für solche
Fälle entworfen hatten, die uns während
unseres gemeinsamen Wirkens in Hamburg
so oft zusammenführten:
„Kleinere oder mittelgrosse Incision der
Bauchdecken in der Linea alba oder einer
dem vermutheten Sitz des Hindernisses mög-
lichst nahen Stelle, kurzes, schonendes
Suchen ohne Da'rmauspacken nach der
afficirten Stelle und, wenn dies keinen
Erfolg hat, sofortiges Anlegen eines künst-
lichen Afters durch Annähung der zunächst
erreichbaren Schlinge in die Bauch wand."
Die Erfahrung sehr vieler Aerzte hat
gelehrt, dass nach dieser relativ imgeßlhr-
lichen (durch den verdienstvollen Thüngel
mit besonderem Nachdruck empfohlenen)
Operation nicht selten schon wenige Tage
später sich die natürliche Wegsamkeit des
Darmes von selbst wiederherstellt. Aber
auch wo dies nicht erzielt wird, ist wenig-
stens die Katastrophe aufgeschoben und der
Chirurg kann nun, frei von der dringenden
Gefahr des Augenblicks, die laparotomistische
Aufsuchung des Hindernisses bis zu einer
Zeit verschieben, wo der Kranke sich soweit
erholt und gekräftigt hat, dass die Verhält-
nisse denjenigen bei gleich grossen anderen
Unterleibsoperationen ähnlich sind.
Ganz anders liegen die Verhältnisse da,
wo wir das Glück haben, von vorne-
herein oder noch relativ früh eine
klare Diagnose stellen zu können, wo
der Darm noch nicht allzu stark oder noch
so ungleichmässig (v. Wahl) aufgetrieben
ist, so dass wir den, dem Hinderniss zunächst
gelegenen Darmabschnitt, den zufuhrenden
Schenkel der Schiinge zu erkennen vermögen,
i
mIi i£°^'l CurichmAiin, Der heutige Standpunkt und die nSchsteo 2iele der Behandl. dei tleui. IdO
Maj 188». J
oder wo wir einen Tumor oder wenigstens
eine cbaracteristische Resistenz zu finden
in der Lage sind.
Da bin auch ich unbedingt für mög-
lichst frühzeitige Operation. Hier
sind die Aussichten des Chirurgen un-
Tergleichlich günstiger, wie die des
inneren Arztes, hier wäre es sünd-
haft, Zeit zu yersäumen.
Leider ist die Zahl solcher Fälle bisher
noch eine geringe. Hoffen wir auf baldige,
rasch zunehmende Yergrosserung derselben I
Am häufigsten wird man unter heutigen
Verhältnissen noch zur Frühoperation ge-
langen, bei Intussusception, deren Diagnose
nicht allein in Anbetracht des Status prä-
sens, sondern auch der vielfach sehr cha-
racteristischen Anamnese wegen häufig früh
gesichert ist, bei Strangincarcerationen oder
Verwachsungsknickungen, wo man durch
früher überstandene Traumen- oder Bauch-
operationen, oder complicirte äussere Hernien
einen Fingerzeig auf ihre Stelle und Anord-
nung hat. Endlich bei gewissen Formen
des YoIyuIus, namentlich denjenigen am
S romanum**), welch' letztere unter Zuhülfe-
nahme der Stäbchenpercussion eine ziemlich
sichere Frühdiagnose gestatten.
Von Goltdammer ist eine Indication
zur Laparotomie besonders noch da er-
kannt worden, „wo bei sehr acutem Be-
ginn unter energischer Opiumdarreichung
'*) Hier möchte ich den Chirargen einen Vor-
schlag unterbreiten, welcher auf den ersten Blick,
besonders radical, aber darch die sehr eigenthüm-
lichen bei dieser Affection bestehenden Verhältnisse
geradezu geboten scheint. Ausgedehnte Beobach-
tungen am Lebenden und an der Leiche haben mir
nämlich gezeigt, dass der Volvulus des S. romanum,
welcher stets ceknupft ist an die Yergrosserung der
fraglichen Schlinge, entsprochende Verlängerungen
des zugehörigen Mesocolonabscbnittes und starke
Annäherung der beiden Schenkel der Schlinge an
deren Basis, ausschliesslich sich findet bei ungewöhn-
licher Gesammtlänge des Dickdarms. Die Träger
solcher Schlingen sind damit also von Ge-
burt her zum Volvulus veranlagt und, wenn ein
solcher einmal operativ gelöst wurde, so ist dem Arzt
alle Freude für die Zukunft dadurch verdorben, dass
er weiss, dass die nun in die Bauchhöhle wieder
versenkte, entwirrte Schlinge für den Träger jeden
Augenblick die Gefahr der Wiederholung des
schlimmen Zustandes involvirt. Sollte hier der
Vorschlag nicht rationell sein, die betreffende
Schlinge, was ja bei der Frühoperation
nicht allzu gefährlich wäre, geradezu zu
re^eciren, und so zugleich die momentane
Gefahr und diejenige für die Zukunft zu
beseitigen? Die anatomische Untersuchung zeigt
sofort, dass eine solche Schlinge purch einen mehrere
Finger breiten über und parallel dem Pourpartschen
Bande gerichteten Schnitt sich leicht aus der Unter-
leibshöhle heraus heben lässt, so dass Rescc-
tion und Vernähung bei geschlossen ge-
haltener Bauchhöhle und ohne Berührung
anderer Darmtheile geschehen könnten.
die schweren Verschluss- und namentlich
die Colljipserscheinungen unvermindert fort-
dauern und in denen demnach eine acute
innere Incarceration durch Bänder oder Oeff-
nung mit schwerer Darmquetschung vermu-
thet werden muss."
Ich möchte hier gerade des Collapses
wegen die Laparotomie widerrathen und die
Anlegung des künstlichen Afters empfehlen,
der, wie die Verhältnisse heute liegen, vor-
läufig noch eine grössere Rolle spielen wird.
Dieselbe Operation würde wohl auch in
den Fällen der Laparotomie vorzuziehen
sein, wo nach anfänglicher Besserung der
Erscheinungen durch interne Behandlung
plötzlich bedrohliche Verschlimmerungen
mit Collaps eintreten.
M. H. ! Wenn ich Ihre ersten Schritte
bei Betrachtung der Therapie des Ileus in
den Operationssaal lenkte, so haben wir
dies, ausdrücklich bemerkt, mit voller Legi-
timation gethan.
In der Operation wird, davon sind
auch wir fest überzeugt, in Zukunft
steigend der Schwerpunkt der Be-
handlung liegen, und, wenn wir innere
Aerzte auch bis jetzt keinen Grund haben,
dem Vorschlage Madelung's entsprechend,
unsere Ileuskranken von vornherein den
chirurgischen Abtheilungen zu übergeben, so
haben wir um so mehr die Pflicht, uns
präcise Anschauungen zu bilden über die-
jenigen allgemeinen und speciellen Verhält-
nisse, welche für Indication, Art und Chance
der verschiedenen Operationsweisen in Be-
tracht kommen.
In das speciell Technische werden
wrir zunächst dem Chirurgen so wenig hinein-
reden, wie dieser in die weitere Ausbildung
der feineren physikalischen und chemischen
Methoden zur Sifherung der Diagnose.
Wir sehen also, m. H., dass bei
vollster Anerkennung der chirurgi-
schen Tbätigkeit beim Ileus für die
grosse Mehrzahl der Fälle der inne-
ren Behandlung eine wichtige Tbätig-
keit vorbehalten ist.
Nichts ist unrichtiger, als die wohl hier
und da gemachte Behauptung, wir wirkten
beim Ileus nur palliativ. Es ist ja sehr
erfreulich, dass wir solchen Kranken bis zu
einem gewissen Grade in ihrem fürchter-
lichen Zustande Erleichterung bringen können.
Aber wir sind auch bei fast allen
Formen direct im Stande, durch plan-
mässiges Vorgehen curativ zu wirken.
Wir können bei nicht operirbaren Fällen
noch die Heilung fördern und bei solchen,
welche zum operativen Eingreifen Anlass
geben, vorher allgemein und local den Pa-
200 Curichmann, Der heutige Standpunkt und die nftchiten Ziele der Behandl. dei Ileus. [MooMsh^lte *
tienten so günstig beeinflussen, dass die
Aufgabe des Chirurgen dadurch wesentlich
erleichtert wird.
Eine besonders wichtige Aufgabe, welche
der Natur der Verhältnisse nach häufiger
noch dem practischen Arzte als dem Hospital-
arzte zufallt, ist die sorgfältigste Beobach-
tung und Behandlung der Patienten wäh-
rend der Anfangsstadien des Leidens.
Eine möglichst frühzeitige Diagnose auf
bestehenden Yerschluss,^^) ein entsprechend
frühzeitiges Eingreifen kann vielfach lebens-
rettend wirken.
Daher kommt es wiederum, dass sorg-
fältige Aerzte in der Privatpraxis bessere
Erfolge haben, als die Hosspitalärzte, und
umgekehrt, dass durch schlechte Beobach-
tungen, falsche Auffassungen der initialen
Zustände und dadurch bedingte forcirte un-
richtige Therapie selbst gutartigere Fälle
dauernd verpfuscht werden.
Sind die Zeichen des Ileus fest-
gestellt, so sind die Kranken vom
ersten Augenblicke an auf absolute
Diät zu setzen, in Einzelfällen kann,
während der ersten Tage höchstens etwas
geeiste Milch esslöfelweise, bei einzelnen
Patienten etwas Champagner gereicht werden.
Es folgt eben aus der Betrachtung der
durch die Occlusion bedingten mechanischen
Verhältnisse, dass den oberhalb des Hinder-
nisses gelegenen Theilen des Darmtractus,
welche ihren Inhalt ohnedies nicht fort-
zuschaffen vermögen, durch Nahrungs-
zufuhr nicht neue Belastung zu Theil
werden darf. Eine reine Belastung,
denn wir wissen, dass die Verdauungs- und
Resorptions Vorgänge im fraglichen Darm theil
von Anfang beschränkt und bald fast gänz-
lich aufgehoben werden.
Gegen den Durst, an welchem die Pa-
tienten leiden, kann man kleine Eisstück-
chen (mit Cognac befeuchtet) nehmen lassen.
Manche fühlen sich durch Zufuhr kleiner
Wassermengen erleichtert; in einzelnen Fälleo,
namentlich denjenigen, wo Herzschwäche
und enormer Wasserverlust der Gewebe zu
einem choleraähnlichen Allgemein zu stände
geführt hatten, habe ich von subcutanen
Kochsalzinfusionen Erfolge gesehen , nicht
allein in Bezug auf die subjectiven Erschei-
nungen, sondern auch in einer Vermehrung
der Pulsspannung und des allgemeinen Tur-
gors. Ich möchte die Methode für geeignete
Fälle einer weiteren Erprobung werth halten.
Nächst den Maassnahmen , welche eine
*^) Vergleiche in dieser Beziehung die interes-
santen AusfuhruDgen von 0. Rosenbach, Zar
Symptomatologie nnd Therapie der Darminsufficienz.
Borl. klin. Wochenschr. 1889, No. 13 und 14.
weitere Füllung des Darmes verhüten sollen,
sind besonders wichtig:
1. Therapeutische Bestrebungen zur Ver-
minderung der, wenigstens in
den ersten Stadien, oberhalb des
Hindernisses mächtig gesteiger-
ten, zuweilen krampfhaft unge-
ordneten Peristaltik.
2. Maassregeln zur Minderung der
Ueberfüllung und Spannung des
Darmrohrs.
3. Für bestimmte Fälle gewisse mecha-
nische Maassregeln, welche eine
directe Hebung des Verschlusses
oder doch eine Besserung der
bereits näher dargelegten Miss-
verhältnisse bezwecken.
Endlich können wir vorsichtige Versuche
machen, auf die unterhalb des Hinder-
nisses gelegenen Darmabschnitte Peri-
staltik erregend zu wirken, um so
vielleicht von hier aus eine Lösung des
Verschlusses zu bewirken.
Wenn wir nun dazu übergehen, diesen
internen Indicationen im Einzelnen zu ent-
sprechen, so erledigen wir am besten zuerst
die Frage nach der Behandlung mit Ab-
führmitteln.
Die Frage scheint mir heute fast völlig
geklärt. Historisch kann man sagen, dass
das abführende Verfahren um so ausge-
dehnter und energischer Anwendung fand,
je weniger die Natur und Entstehungs-
verhältnisse des Ileus durchdacht waren.
Ich glaube, die heutigen Aerzte werden
mit wenigen Ausnahmen den Satz unter-
schreiben :
Sobald nur bedründeter Verdacht
der Darmincarceration besteht oder
gar die Diagnose derselben gemacht
ist, absolut weg mit allen Abführ-
mitteln!
Wir können mit denselben niemals nützen,
nur schaden!
Wir wissen, und NothnageP®) hat dies
kürzlich noch überzeugend dargethan, dass
in den ersten Stadien der Darmocclusionen
eher verstärkter, ja krampfhafter Modus pe-
ristalticus besteht. Ihn durch Abführmittel
zu steigern, liegt gewiss kein Grund vor.
Wir würden sogar den Eintritt der Darm-
lähmung nur beschleunigen und ferner fast
ausnahmslos noch dem den Darm abschlies-
senden * Mechanismen zu Gunsten arbeiten.
So ist es ohne Weiteres klar, dass eine
Intussusception bei Verstärkung der Peri-
staltik sich vergrössern muss. Nicht weniger
•*>) Vortrag in der Wiener Med. Gesellschaft.
Intern. Klin. Rundschau, 1889, No. 11. Discassion
ebenda No. 12.
^AMm^l Curschmann, Der heutige Standpunkt und die nftchiten Ziele der Behandl. dei Ileus. 20 1
einleuchtend, dass durch sie bei bestehenden
Bing- oder Bandincarcerationen nur neue
Darmein schnitte in den einklemmenden Ring
faioeingeschoben werden.
Auch bei vorhandener Darmknickung muss
die stärker erregte Peristaltik immer mehr
flussigen Darminhalt und Gase in den zu-
fuhrenden Schenkel bringen. Die nothwen-
dige Folge ist stärkere Fixining des durch
die Fullungsdifferenz beider Schlingen be-
dingten Klappenmechanismus.
Selbst bei bestehendem YoItuIus ist es
Tiel wahrscheinlicher, dass der durch Laxan-
tia verstärkte Motus peristalticus im Sinne
der verhängnissvollen Drehung, als in der
entgegengesetzten Richtung wirken wird.
Gerade das Gegentheil, eine fast
ausnahmslos günstige Wirkung lässt
sich vom Opium und seinen Präpa-
raten constatiren.
Ich wusste keinen Ileusfall, wo
ich es wagen möchte, die Behandlung
nicht mit der Darreichung dieses
Mittels zu beginnen.
Dies ist wohl auch der unter den deut-
schen Aerzten allgemein geltende Grundsatz ^^).
Sie wissen, die für uns in Betracht kom-
mende Wirkung des Opiums beruht darin,
dass es wahrscheinlich durch Erregung des
Hemmungsnerveus des Darms (Nothnagel)
die Peristaltik desselben beruhigt, hiermit
die Yertheilung des Darminhaltes in den
oberhalb gelegenen Abschnitten ausgleicht,
so die ungleich- und übermässige Spannung
Termindert, und hiermit örtlich die den
Verschluss begünstigenden und befestigenden
mechanischen Verhältnisse herabsetzt. End-
lich wird der Eintritt der hauptsächlich aus
übermässiger Peristaltik und Darmwaud-
spaunung resultirenden Darmlähmung, sowie
die reflectorisch daraus resultirenden Herz-
schwäche verhütet oder doch hinausgescho-
ben. Vielleicht sind die durch das Opium
ruhig und gleichmässig gewordenen Darm-
bewegungen auch noch geeigneter, den Darm
aus seiner Einklemmung zu befreien, als
die stürmischen ungeordneten.
Sie sehen also gerade die den Abführ-
mitteln entgegengesetzte Wirkung. In der-
selben Richtung wie diese deletär,
wirkt das Opium günstig.
*') Besonders interessant, aber hier zu weit
führend, ist die Betrachtung der Geschichte der
Opium-Behandlung des Ileus, die, wie es scheint,
von England zu uns herübergekommen, noch bis in
die neuere Zeit heftige Gegner fand, keinen geringe-
ren z. B. als Bamberger.
Besondere Verdienste um die Einführung er-
warben sich Pfenffer, und nach ihm Wachs muth
(Virch. Arch., Bd. XXIII, S. 118), dessen Arbeit
zum Theil gegen Bamberger gerichtet ist.
Die Wirkung ist oft eine fast zauber-
hafte: der vordem schmerzgepeinigte colla-
birte Kranke sieht wohler aus, der Puls
hebt sich, Erbrechen uud Uebelkeit, Koliken
lassen nach, es folgt erquickender Schlaf.
Was die Darreichung anlangt, so em-
pfehle ich mit den meisten Autoren im An-
fang (Stadium der erregten Peristaltik) das
Mittel in dreisteren Dosen, 1- bis 2 stund-
lich im Ganzen 0,5 bis 1,0 Opium purum
in 24 Stunden. Abwechselnd damit oder
nebenher kann Morphium angewandt wer-
den, am besten subcutan. Wo das Opium
per OS nicht vertragen wird, in Form von
entsprechend starken Suppositorien.
In späteren Stadien, bei drohender oder
beginnender Darmlähmung empfehle ich vor-
sichtigere Darreichung oder selbst Unter-
brechung der Opium-Medication. Hier ist
jeder Fall verschieden und dem individuellen
Ermessen des Arztes die oft recht schwie-
rige Beurtheilung überlassen.
Dem Opium zunächst in curativer wie
palliativer Beziehung steht die von Kuss-
maul**) in die Therapie eingeführte Sonden-
entleerung und Spülung des Magens.
Sie ist ungetheiltem ürtheil selbst aller
chirurgischen Beobachter nach ein mächtig
beruhigendes, erleichterndes Mittel. Sie ist
aber weit mehr als dies, das muss den Zweif-
lern an der Wirkung interner Medication
gegenüber aufs schärfste betont werden: eine
die Heilung fördernde, die übrigeBe-
hahdlung stark begünstigende Me-
thode.
Die palliative und die curative Wirkung
der Methode liegen in einer Richtung.
Sie werden, m. H., in Erinnerung an
die Ihnen unterbreiteten Mittheilupgen über
die gewaltigen Druckdifferenzen in dem
oberhalb und dem unterhalb des Hinder-
nisses gelegenen Darmabschnitt, in weiterer
Erinnerung daran, dass zum Zustandekommen
des Kothbrechens offenbar eine Insufficienz
des Pylorus gehört, die Wirkung der Aus-
heberung des Magens nicht allein in einer
Entleerung dieses Organs, sondern auch in
einer Entleerung und Entlastung der sich
anschliessenden Darmtheile suchen.
Man pumpt den Magen aus und in dem
Maasse, wie man diesen entleert, strömen
wahrscheinlich durch den geöffneten Pylorus
neue Massen zu, die nun gleichfalls abge-
führt werden.
Meines Erachtens hs^t Oser^^) sehr Recht,
wenn er ein mechanisch sehr günstiges
Moment darin sucht, dass beim Auspumpen
■•*) Kussmaul-Cahn. ßerl. klin. Wochenschr.
1884. No. 42 und 43.
»») Wiener med. Blfttter. 1884. No. 48.
26
20^ Curichm&nB, Üer heuHge Standpunkt und die nächsten 2iele der Bebandl. des Ileus. [^onYuheft^^
Der Mechauismus der Wirkung dieser
Methode ist der der Magenauspumpiing au
die Seite zu stellen.
Auch hier handelt es sich um einen
Ausgleich der enormen SpannungsdifFerenz
der ober- und unterhalb des Hindernisses
gelegenen Darmpartien, speciell um Min-
derung des Meteorismus des zufuhrenden
Darmschlingen-Schenkels und der ihm näch-
sten Darmtheile^ Herabsetzung der abnormen
Bauchwand- und Zwerchfellspannung und
Erniedrigung des allgemeinen intraabdomi-
nellen Druckes.
Ganz wie nach der Magenausspülung
gewinnen hierdurch der eingeklemmte Darm-
theil und seine Nachbarschaft wieder grossere
Excursionsmoglichkeit und damit Gelegen-
heit zur Befreiung.
Die Methode ist natürlich mit grosser
Vorsicht und Auswahl anzuwenden.
Im Stadium der Darmlähmung, oder
wenn gar schon peritonitische Reizung oder
zu Gangrän tendirende Veränderungen der
Darmwand zu vermuthen sind, sollte man
von dem Verfahren abstehen.
In früheren Stadien geeigneter Fälle habe
ich häufig schon durch eine Function, hier
und da auch durch mehrfache Einstiche
an verschiedenen Schlingen beträcht-
liche Mengen von Gas stets unter sicht-
licher Erleichterung der Patienten entleeren
können. In 3 Fällen habe ich directe
Heilung erzielt^).
Nachtheile beobachtete ich von dem
eine Spannungsverminderung im Magen und
dadurch eine Begünstigung des Zuströmens
des unter höherem Druck stehenden Darm-
inhalts bedingt wird.
. Dass unter solchen Verhältnissen die
Uebelkeit, das Würgen und das Kothbrechen
bei dem Patienten sistiren, stets also ein vor-
züglicher palliativer Erfolg erzielt werden
muss, liegt auf der Hand. Die die Lösung
des Hindernisses begünstigende Wirkung
liegt darin, dass Spannung und Ueberaus-
dehnung des Darms, sowie der reactive
Druck des Zwerchfells und der Bauch wand
durch die Entleerung herabgesetzt und so
dem incarcerirten Darmtheil Gelegenheit ge-
boten wird, sich aus einer Fixirung zu be-
freien, die vorher kein Ausweichen und keine
Bewegung gestattete.
Dass diese Wirkung sich, wenn vielleicht
auch ungleich, auf den ganzen oberhalb des
Hindernisses gelegenen Darmabschnitt er-
streckt, ist klar. Wir weisen von diesem
Standpunkte die Anschauung von Hahn und
Sonnenburg,^) die Magenspülung sei haupt-
sächlich bei Verschlüssen im Colon, mit Koth-
aufhäufung daselbst anwendbar, zurück.
Ich möchte im Gegcntheil sagen, und
dies stimmt gleichfalls mit den von mir
entwickelten Anschauungen, dass ich die
promptesten Erfolge von der Sonden-
entleerung sah bei höher oben, im
Dünndarm gelegenen Hindernissen.
Die ausnahmslos grosse Erleichterung,
welche die Magenauspumpung auch da, wo
sie die Lösung des Hilidernisses nicht zu
fördern vermag, den Patienten bringt, hat
ihr von einigen Seiten den Einwand ein-
getragen, sie maskire den wirklichen Zustand,
lasse ihn besser erscheinen, als er eigentlich
sei und trage dadurch oft zu einer Ver-
schleppung des Falles bei, bis über den der
Operation günstigen Zeitpunkt hinaus. Es ist
gewiss berechtigt, hierauf aufmerksam zu ma-
chen und den. einzelnen Fall in dieser Richtung
kritisch zu beobachten. Der Methode an
sich kann daraus gewiss kein Vorwurf er-
wachsen.
Der Mageuausspülung reihe ich unmittel-
bar eine zeitweilig verlassene, aber neuer-
dings wieder mit gutem Erfolg von mir an-
gewandte Methode an: die directe Func-
tion des Darms.
Es handelt sich dabei, wie Sie wissen,
um eine Entleerung der Darmgase aus den
überausgedehnten Darmschlingen vermittelst
einer feinen Hohlnadel vom Caliber der-
jenigen einer Fravaz' sehen Spritze'^).
*^) DiscussioQ in der ßerl. med. Ges. 1. c.
'*) Vergl. Deutsche Med. Wochenschr. 1887
No. 21.
Nr. 21, wo ich folgende Schilderung der von mir
geübten Methode gab : „Was die Technik der Gas-
puDction des Darmes betrifft, so bin ich ein Gegner
der widerwärtigen, zudem jede genaue Controle
ausschliessenden Manier, die Gase durch die Hohl-
nadel einfach frei austreten zu lassen und dui*ch
die Bewegung einer brennenden Flamme oder
gar durch den Geruchsinn sich von der Energie
und der Dauer des Ausströmens zu überzeugen. Ich
benutzte eine lange mit Hahn versehene Hohlnadel
vom Caliber derjenigen der Pravaz'ßchen Spritze.
Die selbstverständlich wohl desinficirte Nadel wirtl
bei geschlossenem Hahn durch die Bauchdecken in
eine der am stärksten ausgedehnten, bei jedem ein-
zelnen Fall sorgfältigst auszuwählenden Dami-
scblingen eingestosscn, dann mit einem Gummi-
schlauch in Verbindung gesetzt, und dieser in eine
mit Salicylwasser gefüllte Flasche geleitet, welche
in ein die gleiche Flüssigkeit enthaltendes -Becken
umgestülpt ist. Oeffnet man nun den Hahn der
Canüle, so treten anfangs in continuirlichem Strom,
später langsamer in grossen Perlen, zuletzt inter-
roittirend (während der Exspiration aussetzend) die
Darmgase in die Flasche ein. Man kann so in der
einfachsten Weise die Menge des abgelassenen
Gases bestimmen, und wenn man den Schlauch
vorher mit einem' Quecksilber -Manometer in Ver-
bindung gebracht hatte, auch den Spannungsgrad,
welcher durch dasselbe bedingt war."
«*) Conf. Deutsch. Med. Wochenschr. 87 Nr. 21.
Nähere Mittheilung dieser Fälle.
Mftf l£?^] Curachmftnn, Der beutige Standpunkt und die nächsten Ziele der Behandl. des Ileus. 203
unter den angegebenen Bedingungen
angewandten Verfahren niemals, vor Allem
nicht Peritonitis oder Perforation.
Ein Ansaugen flüssigen Darmin-
haltes durch dann noth wendig stärkere
Oanülen möchte ich nicht für ungefährlich
und durch die Magenausspülung mehr als
ersetzt halten.
Was die lange so gd][)räuch liehe und
vielfach variirte Art der Behandlung des
Ileus mit Klystieren und Darmausspülungen
betrifft, so kann ich nur sagen, dass ich
7on denselben mehr und mehr zurückge-
kommen bin.
Die ihnen zugeschriebene Wirkung direct
durch hydrostatischen Druck das
Hinderniss zu lösen, kann für die meisten
Fälle, sicher für alle diejenigen, wo das
Hinderniss höher als die Bau hin' sehe Klappe
liegt, als illusorisch bezeichnet werden. Selbst
unter günstigeren Verhältnissen, ganz gewiss
aber nicht bei meteoristisch gespanntem
Bauch, gelangen Darmeinläufe, und wären sie,
wie Lebert wollte, mit der Handfeuerspritze
applicirt, über die genannte Stelle hinaus.
Statt dessen erlebte man nicht selten, dass
die eingefüllte Flüssigkeitsmenge, ohne ihre
Schuldigkeit zu thun, sich nicht wieder aus
dem After entleerte,- so dass dann der be-
klagenswerthe Patient ausser der Ueber-
füllung der oberhalb des Hindernisses ge-
legenen Darmpartien auch noch eine solche
der unterhalb befindlichen hatte und damit
ein neues Moment für die so überaus schäd-
liche Erhöhung des intraabdominellen Drucks.
Einige Male sah ich schon vorher ge-
schwächte Patienten direct nach etwas um-
ständlichen länger dauernden Einlaufen ge-
fahrlich collabiren.
Aber auch da, wo es sich um Verlegungen
im Dickdarm handelt, mache^ich kaum mehr
von den Eingiessungen Gebrauch. Ich gebe
dann einer anderen Methode den Vorzug,
welche entschieden wirksamer und sicher
weniger gefahrlich für den Patienten ist.
Es ist die in früherer Zeit schon öfter
empfohlene und neuerdings wieder, besonders
auch zu diagnostischen Zwecken, von
Ziemssen*), Runeberg**) u. A. geübte
Lufteinblasung in das Rectum.
Sie lässt sich ohne die geringste Be-
helligung des Patienten, fast ohne ihn zu
berühren, ausführen, indem man mit einem
eingelegten Darmrohr ein Spraygebläse in
Verbindung bringt. Man kann den Luft-
») Deutsch. Arch. f. klin. Mod. Bd. 83 S. 235
(Kohlensäure-Entwickelnng und Einblaäuns).
^ Rnneberg. Deutsch. Arch. für klin. Med.
Bd. 34 S. 460 (Lufteintrichteruog durch ein Spray-
geblise).
druck jederzeit beliebig abmessen und ver-
mittelst einer einfachen Vorrichtung die ein-
geblasene Luft leicht wieder herauslassen,
wenn die Spannung derselben dem Patienten
beschwerlich oder dem Arzte bedenklich er-
scheint^').
Mechanisch leistet das Verfahren reich-
lich dasselbe, wie die forcirtesten Wasser-
einläufe.
Ich habe in einigen Fällen, wo der Sitz
der Occlusion im Dickdarm lag, durch
dasselbe rasch und dauernd die Lösung
erreicht. Bei einer Patientin, wo eine durch
einen malignen Tumor des Quercolon be-
dingte Stenose sich zeitw^eilig zu einem
völligen Verschluss gestaltete (Knickung?),
wurde jedesmal, wenigstens für eine gewisse
Zeit, Durchgängigkeit durch die Luftein-
biasung erzielt'^). Ich kann das Verfahren
somit, bei passenden Fällen angewandt, als
rationell und wirksam empfehlen. Dazu darf
ich sagen, dass dasselbe, vorsichtig und bei
passenden Fällen ausgeführt, mir völlig un-
gefährlich erscheint.
Dass man bei bestehender Peritonitis,
bei Zuständen, welche abnorme Brüchigkeit
der Darmwand oder Ulceration derselben
vermuthen lassen, von dem Verfahren abstehen
wird, ist selbstverständlich.
Ich weiss wohl, meine Herren, dass noch
eine ganze Reihe anderer mehr oder weniger
wichtiger Maassnahmeu für die Behandlung
des Ileus empfohlen sind, aber ich habe Ihre
Geduld schon so lange in Anspruch ge-
nommen, dass ich nicht weiter an dieselbe
appelliren darf. Vielleicht wird mir Ge-
legenheit gegeben, über das eine oder andere
von mir nicht Erwähnte bei der Discussion
mich auszusprechen. —
Ueber die Erfolge der neuesten Behand-
lungsmethoden der Kehlkopftuberciilose.
(Vortrag, gehalten auf dem Congresse für innere
Medicin, April 1889.)
Von
Prof. Dr. H. Krause in Berlin.
M. H.! In dem Vortrage, welchen Dett-
weiler über die Therapie der Phthisis auf
einem der letzten dieser Congresse für innere
'') Vergl. die Beschreibung des von mir geüb-
ten Verfahrens Deutsche Med. Wochenschr. 1887
No. 21.
»8) VergL dieses und einiges anderer Fälle
deutsche medic. Wochenschr. 1. c.
26*
204
Krause, firfolf« der neuesten Behandlungsmethoden der Rehlkopftubereulose. LHomu^eft« *
Medicin gehalten hat, entwickelte der auf
diesem Gebiete wie wenige erfahrene und
selbstthätige Verfasser seine Meinung über
locale Behandlung der Phthise ungefähr in
folgenden Sätzen: Den Behandlungsmethoden
aller Zeiten, der ältesten und der jüngsten,
ist das Bestreben . gemeinsam, das locale
Leiden dadurch zu heilen, dass man den
Kranken unter gunstigere klimatische Ver-
hältnisse zu setzen und seine Constitution
durch eingreifende hygienisch - diätetische
Massnahmen zu heben versucht. Alle Ver-
suche, zu einer specifischen, radicalen Thera-
pie zu gelangen, sind bis jetzt gescheitert,
die immer von Neuem vorgeschlagenen, oft
mit Enthusiasmus aufgenommenen medicamen-
tösen, local therapeutischen, selbst chirur-
gischen Eingriffe erwiesen sich als machtlos,
sie hatten und haben nur symptomatischen
Werth Wir können es nicht leugnen,
unsere Behandlung ist im Wesentlichen noch
eine expectativ - symptomatische Gesammt-
therapie.
Bei der Vielseitigkeit und Kühnheit der
Mittel, mit welchen augenblicklich auf fast
allen Gebieten der Kampf gegen die Tuber-
culose aufgenommen wird, werden diese
Worte Manchem den Eindruck machen, als
verhielten sie sich zu ablehnend gegen
manches gute und erprobte Neue. Doch
wird man Dettweiler einräumen müssen,
dass er den augenblicklichen Standpunkt
der Therapie der Lungenphthisis, welche
nicht zum wenigsten durch seine Bestrebun-
gen eine klare, zielbewusste Kichtung ge-
nommen hat, im Wesentlichen zutreffend
schildert, wenn auch unsere Kenntniss von
den hygienischen Lebensbedingungen, sowie
der gerade für den Phthisiker unschätzbaren
rationellen Ernährungstherapie durch neuere
Untersuchungen eine vollkommenere geworden
ist. In medicamentöser Beziehung wird man
zugestehen müssen, dass in dem bislang nur
auf empirischer Basis angewandten Kreosot
ein oft vorzüglich wirkendes Mittel ge-
wonnen ist, ohne dass ich des Weiteren
mehr als nur beiläufig der Einathmungen
von heisser Luft und der von Landerer
neuestens angewandten und empfohlenen
parenchymatösen Injectionen und venösen
Infusionen von Perubalsam erwähnen will,
diö einen verwerthbaren und nachahmen s-
werthen Fingerzeig für weitere Versuche in
dieser Kichtung bieten.
Wesentlich anders gestaltet sich die mo-
derne Phthisiotherapie des Kehlkopfes. Bei
dem nahen Zusammenhange und der Häufig-
keit des gleichzeitigen Vorkommens der
Lungen- und Kehlkopftuberculose, bei der
oft erkannten Wichtigkeit der laryngosko-
pischen Untersuchung für die frühzeitige
Erkennung der bestehenden Tuberculose
in Fällen, wo die physikalische und die
Sputumuntersuchung im Stiche lassen —
habe ich es im Einverständnisse mit Ihrem
Vorstande nicht für überflüssig gehalten, Ihr
Augenmerk auf die neuerdings gewonnenen
Fortschritte in der Behandlung der Kehl-
kopftuberculose ' zu lenken. Indem ich hier-
bei beabsichtige, im Wesentlichen auf die
chirurgische Therapie dieser Krankheit ein-
zugehen, möchte ich von vornherein dem
Glauben an die Fremdartigkeit eines solchen
Vorgehens dadurch den Boden entziehen,
dass ich darauf hinweise, wie der Kehlkopf
in Folge der mittelbaren Beobachtung durch
unser Auge in die Reihe der dem Chirurgen
direct zugänglichen Organe gerückt ist. Er
unterliegt somit, abgesehen von seiner Lage,
seinen constituirenden Gewebselementen und
gewissen Schwierigkeiten bei den endolaryn-
gealen Operationen, denselben Bedingungen
für therapeutische Eingriffe wie die äussere
Haut. Sowie für die letztere ist auch für
den Kehlkopf die Absicht zulässig, dem
tuberculösen Processe durch blutige Ein-
griffe Einhalt zu thun. Der Einwand, der
heutzutage erhoben werden könnte, dass der
Kehlkopf antiseptischer Wundbehandlung
nicht unterzogen werden kann, erledigt sich
durch die Thatsache, dass Schleimhaut-
wunden auch ohnedies auffallend gut ver-
heilen.
Die Bestrebungen eines energischeren
Vorgehens gegen die Kehlkopftuberculose
gehören dem letzten Jahrzehnt an. Ob-
gleich schon in die ersten Jahre nach Ein-
führung des Laryngoskops die erfolgreichen
Bemühungen von Bruns, Türck, Stoerk
u. A., den Kehlkopf nicht blos dem Pulver-
bläser und dem Pinsel, sondern auch dem
Messer zugänglich zu machen, fallen, sind
die Versuche, den tuberculösen Krankheits-
erscheinungen in diesem Organe mit etwas
energischeren Mitteln beizukommen, äusserst
schüchterne geblieben. Man überliess die
Kranken ihrem trostlosen Schicksal und das
Morphium war und blieb das ultimum re-
fugium gegen die Schmerzen, Schlingbe-
schwerden und Inanitionserscheinungen, die
den Verlauf des Leidens begleiten. Der
erste Schritt, dasselbe durch Scarification
und Entspannungsschnitte in die prallen In-
filtrate und Oedeme erträglicher zu machen,
ging von Moritz Schmidt i. J. 1880 aus.
Seine Vorschläge blieben indessen zunächst
fast völlig unbeachtet; im Jahre 1885 habe
ich mich der von Schmidt vorgeschlageneu
Eingriffe mit Vortheil bedient. Es folgte
die therapeutische Verwendung des Jodo-
in. Jahrg«ng.l
Kai 1889. J
Krause, Erfolge der neuesten Behandlungsmethoden der Kehlkopflubereulose.
205
forms, welches B. Fraenkel zuerst io aus-
gedehntem Maasstabe versuchte. Dem
Mittel wurden analgesirende Wirkung, Rei-
nigung des Geschwürgrundes, Verlangsamung
des Fortschreitens des Processes nachge-
rühmt, Vernarbungen waren selten. Nicht
besser waren die Resultate der Borsäure und
ähnlicher Mittel.
Befriedigender waren- die Ergebnisse der
Milchsäurebehandlung, welche ich auf Grund
einer grosseren Reihe Ton Beobachtungen
i. J. 1885 und später veröffentlicht habe.
Ohne nach den zahlreichen Publicationen
über die günstigen Resultate dieser Behand-
lungsmethode und besonders nach den im
Seperatabdrucke erschienenen Verhandlungen
der lary ngologischen Section der 59. Natur-
forscher-Versammlung hier weiter auf diesen
Gegenstand eingehen zu wollen, möchte ich,
gewissermassen als Erklärung der guten
Resultate, nur darauf hinweisen, dass ich
glaube dieselben hauptsächlich, vielleicht
ausschliesslich dadurch erreicht zu haben,
dass ich eine intensivere Contactwirkung des
Mittels auf die Geschwüre von vornherein
erstrebt und durchgeführt habe. Nachdem
von Mo setig, auf dessen Empfehlung der
Milchsäure gegen Lupus ich die Hoffnung
auf die Wirksamkeit des Mittels gegen den
verwandten tuberculösen Process der Schleim-
haut stützte, mitgetheilt hatte, dass nur
eine längere Zeit im Contacte mit den Lu-
pusgeschwüren bleibende Milchsäurepaste eine
genügende Wirkung in die Tiefe zeigt, war
es einleuchtend, dass die gleiche Wirkung
im Kehlkopf, wenn überhaupt, nur durch
eine energische Einreibung des Mittels in
die kranke Schleimhaut erreicht werden
könne. Diese Voraussetzung erwies sich als
zutreffend. Leider bietet sich oft genug
Gelegenheit wahrzunehmen, dass diese Grund-
bedingung für die erfolgreiche Anwendung
der Säure vernachlässigt wird. Es ist vor-
gekommen, dass die Säure in 50procentiger
Lösung in Kehlkopf und Trachea einge-
spritzt wurde und der Patient mehrere Tage
lang unter heftigen Schmerzen croupartige
Membranen aushustete.
Was die auch jetzt noch hier und
da von den Gegnern der Milchsäure gegen
die letztere angeführten Klagen über die
Schmerzhaftigkeit derselben betrifft, so kann
ich dieselben nicht mit Stillschweigen
übergehen, weil sie geeignet sind, das all-
gemeine ürtheil über das Mittel ungünstig
zu beeinflussen. Ich habe die Schmerz-
haftigkeit der Milchsäure, wenn dieselbe in
frische ülcerationsflächen ohne Cocain ein-
gerieben wird, nie geleugnet, sondern sie
schon in meiner ersten Publication aus-
drucklich erwähnt und besprochen. Es ist
dieselbe Schmerzempfindung, die immer ein-
tritt, wenn ein Aetzmittel auf eine Geschwürs-
fläche aufgetragen wird. Aber es ist auch
eine weitere altbekannte Thatsache, dass,
wenn sich ein Geschwür mit Schorf bedeckt,
die Schmerzen in der Wundfläche und in
der Umgebung derselben nachlassen. So ist
es auch bei der Milchsäure. Den ersten
Schmerzen nach der Verreibung der Säure
folgt in der Mehrzahl der Fälle sehr bald,
meist schon am nächsten Tage, ein fühl-
bares und von den Kranken rühmend mit-
getheiltes Nachlassen der Schluckbeschwer-
den. Indessen werden dem Kranken nicht
selten auch unnöthige, bei einiger Vor-
sicht leicht zu vermeidende Schmerzen be-
reitet, und zwar ist dies der Fall, wenn
der Arzt von vornherein zu starke Lösungen
verwendet oder unvermittelt zu den stärksten
aufsteigt oder dieselben zu stark verreibt.
In dieser Beziehung kann ich immer nur
wiederholt empfehlen, entsprechend dem
Kräftezustand und der Toleranz des ein-
zelnen Patienten die Stärke der Lösungen
und die Kraft der Verreibung aufmerksam
zu dosiren, wie ich oft genug selbst bei
empfindlichen Kranken mit 10 — löprocent.
Lösungen unter Anwendung von Cocain be-
gonnen habe. Die stärksten Lösungen habe
ich seit längerer Zeit kaum je höh er als
auf 50®/o gesteigert.
Meine Erfahrungen über die Milchsäure
sind bei nunmehr 4jährigem Gebrauche der-
selben die gleichen geblieben, wie ich sie
in meinen ersten Arbeiten mitgetheilt habe.
Wie es einerseits Fälle gibt, in denen kein
Mittel mehr, oder die Milchsäure allein
nicht genügend wirkt, so ist es andererseits
doch die Mehrzahl der schweren Larynx-
phthisen, in denen die Säure recht befrie-
digende Resultate erzielen lässt. In ein-
zelnen Fällen ist die Wirkung zuweilen eine
überraschende. So wurde in meiner Poli-
klinik ein junger Mann beobachtet, welcher
viele Wochen hindurch wegen einer hart-
näckigen diffusen Laryngitis, bei welcher
allein eine leistenartige Verdickung der hin-
teren Wand verdächtig erschien, mit den
üblichen Mitteln, arg. nitr., Jod. etc. ver-
geblich behandelt wurde. Die Untersuchung
der Lungen und Sputa war negativ. Das
Leiden besserte sich in keiner Weise. Im
Gegentheil, die Schwellung der Schleimhaut,
die Verdickung der hinteren Wand nahmen
zu, die Heiserkeit ging in Aphonie über.
Als nun die Leiste in der Pars interarytae-
noidea oberflächliche Erosionen zu zeigen
begann, da mussten die bisherigen Zweifel
an der tuberculösen Natur des Leidens trotz
206
Krause, Erfolge der neuesten Behandlungsmethoden der Keblkopftuberculose. PMn'^t^häi^^
L Monatsheft«.
des andauernd negativen Befundes in Lungen
und Sputi% schwinden und es wurde Milch-
säure angewandt. Schon in den. ersten Ta-
gen darauf benarbten sich die Erosionen,
die geschwollene Schleimhaut begann sich
zur Norm zuruckzubilden, die Stimme bes-
serte sich, und nach drei Wochen war die
verdickte Leiste beseitigt, die Laryngitis
geheilt. In solchen Fällen, deren Zahl bei
der gewöhnlich aus den manifesten Symp-
tomen leicht zu stellenden Diagnose keine
erhebliche ist, kann die Milchsäure durch
ihre Wirkung die Bedeutung eines die zwei-
felhafte Diagnose unterstützenden Moments
gewinnen. Unter der Zahl der mit Milch-
säure behandelten und geheilten Patienten
befinden sich solche, bei denen die Heilung
länger als zwei Jahre angedauert hat. Bei
zwei Patienten, welche schwere, tiefgreifende
Geschwüre im Kehlkopf zeigten, sind erst
nach mehr als zwei Jahren Recidive auf-
getreten, welche operative Eingriffe noth-
wendig machten. Selbst gegen die Pha-
rynxtuberculose, eine Localisation, welche
wie Isambert schreibt, den Tod wenige
Wochen nach ihrem Auftreten erwarten
lässt, hat sich die Milchsäure mächtig er-
wiesen, so dass es möglich war, in einem
Falle diese AflFection ohne Recidiv bis zum
Tode, der sechs Monate später durch das
Lun^ren leiden herbeigeführt wurde, zu heilen.
Nur gegen diejenigen Infiltrate, welche ent-
weder nicht mit Geschwüren in unmittel-
barem Zusammenhange stehen oder eine zu
grosse Ausdehnung haben, ist mit Milch-
säure allein nichts auszurichten. Der Ver-
such, der Säure durch die von Schmidt
zuerst empfohlenen Scarificationen einen Weg
in die Tiefe zu bahnen, erwies sich als un-
zulänglich, weil die Schnitte sehr bald wie-
der verkleben und keine genügende Flächen-
ausdehnung haben. Von anderen Mitteln,
welche in neuerer Zeit empfohlen werden
und mehr oder weniger ausgebreitete An-
wendung finden, sind hier noch zu erwähnen:
das Menthol (Rosenberg), das Jodol (Lub-
linski) und die Tracheotomie (M. Schmidt).
Die beiden ersteren haben eine Reihe von
Anhängern gefunden, namentlich unter Den-
jenigen, welche aus irgend welchen Gründen
ein eingreifenderes Verfahren zurückweisen.
Mir selbst sind die günstigen Wirkungen
beider Mittel, besonders in leichten Fällen,
bekannt, sowohl nach den Mittheilungen
Anderer als auch aus eigenen Versuchen.
Sie haben indessen nur eine auf der Ober-
fläche bleibende Wirkung, die bei dem Men-
thol vielleicht zu einer intensiveren gemacht
werden könnte, wenn man auch dieses Mit-
tel in die Geschwüre verriebe. Die Tracheo-
tomie, deren Ausführung nicht bloss bei
Dyspnoe, sondern auch bei schweren und
rasch voranschreitenden Processen und bei
gleichzeitig vorhandenem Schluckweh von
M. Schmidt empfohlen wurde, ist bisher,
wenn man aus den wenig zahlreichen Ver-
öffentlichungen darüber einen Schluss ziehen
darf, in Fällen ohne Dyspnoe von Anderen
als dem Autor noch wenig geübt worden.
Ich selbst habe sie fünf Mal ausgeführt, in
zwei Fällen ohne Vorhandensein von Dys-
pnoe. Mein Urtheil über dieselbe ist nach
den hierbei gewonnenen Erfahrungen kein
ungünstiges. Die Tracheotomie ist in der
That durch Ruhigstellung des Organs und
Ableitung des Lufbstroms in eine andere
Bahn im Stande, den Process zum Still-
stand, ja zur Heilung zu bringen. Es ist
hierbei zuweilen in hohem Grade auffallend,
wie selbst ausgebreitete Infiltrate schnell
zur Abschwellung und Resorption gelangen
und die Geschwüre vernarben. Eine der
ersten Bedingungen zur Erreichung dieses
Zieles ist jedoch, was auch Schmidt schon
erwähnt, das Fehlen weit vorgeschrittener
Lungenprocesse , bei deren Vorhandensein
wir durch die Tracheotomie — mir ist ein
solcher Fall in Erinnerung — in Folge der
heftig gesteigerten Secretion die Qualen des
Patienten ins üngemessene steigern. Leider
eröffnen wir durch die Anlegung der Tracheai-
fistel der Ausbreitung des Lungenprocesses
andererseits Thür und Thor, und sind ge-
wiss nur in seltenen Fällen im Stande bei
günstigstem Verlaufe die Canüle wieder zu
entfernen, ein Umstand, welcher doch zu
Bedenken Anlass giebt. Neuerdings hat
M. Schmidt, wie er mir schreibt, bei
Phthisikern keine Tracheotomien mehr ge-
macht, weil er sie in allen Fällen mit Cu-
rette und Milchsäure umgehen konnte, bei
mehreren nicht Dyspnoeischen wurde die
vorgeschlagene Operation abgelehnt. Von
seinen 5 durch die Tracheotomie Geheilten
leben noch 4, 3 von diesen, vor 4 resp.
47i Jahren operirt, relativ wohl. Bei dem
vierten blieb der Kehlkopf geheilt, während
der Lungenprocess fortschritt. Der fünfte
starb an Inanition.
Ich komme nunmehr zum Curettement
des Larynx. Wie ich schon angedeutet
habe, stellte sich bald nach Auffindung
eines ii^irksamen Mittels gegen die Ge-
schwüre das naheliegende Bedürfniss ein,
nicht blos den schon vollendeten Defect zur
Vemarbung zu bringen, sondern auch die in
die Tiefe greifenden Gewebseinlagerungen,
aus denen allmählich die Zerstörung des
Gewebes, das Geschwür, entsteht, und weiter
das wuchernde Geschwür anzugreifen. Hier-
in. Jahrirang'l
Mal 1889. J
Krause, Erfolge der neuesten Behandlungsmethoden der Kehlkopftuberculose.
207
zu genügten nicht immer die Mittel, welche
uns ia dem Aetzmittel und den Seh mid ti-
schen Scarificationen zu Gebote standen.
Erst durch das von Heryng erprobte und
erapfohleue Verfahren, die geschwürig zer-
fallene und wuchernde Kehlkopfschleimhaut
auszuschaben, die Infiltrate mit der Curette
zu zerschneiden und zu entfernen und so
einen gesunden Geschwürsgrund, zu schaffen,
der durch Milchsäure zur Vernarbung ge-
bracht werden kann, ist m. E. auf diesem
Gebiete der grosste und ^eitesttragende
Fortschritt gemacht worden. Die Ueber-
tragung dieses chirurgischen Eingreifens auf
den Kehlkopf ist einer der kühnsten und er-
folgreichsten Schritte gewesen, welche in
der endolaryngealen Therapie überhaupt ge-
macht worden sind. Dabei kam Heryng
allerdings der umstand zu Statten, dass er
seine Beobachtungen und Untersuchungen
in einem seiner Leitung unterstellten Hospi-
tal machen konnte, ein Vortheil, welcher
bei uns bislang noch immer ein frommer
Wunsch war, und dessen Mangel neuerdings
auch Ton Gouguenheim und Beschorner
betont, wohl die Hauptschuld daran trägt,
dass das Heryng 'sehe Verfahren sich noch
so wenig eingebürgert hat. Es sind nur
einige eine massige Zahl von Fällen umfas-
sende Berichte von Sokolowski, Oltus-
zewski, Beschorner, Gleitsmann und
Keimer erschienen, von welchen letzterer
besonders sich sehr rühmend über die Er-
folge dieser Methode ausspricht. Ich selbst
übe dieselbe seit nunmehr 3 Jahren, nach-
dem mir Heryng bereits vor der Veröffent-
lichung derselben mündlich ausreichende
Informationen darüber gegeben hatte. Wenn
ich erst jetzt, nachdem ich schon früher das
Vorgehen Heryng' s in Versammlungen und
Discussionen habe empfehlen können, meine
Resultate mittheile, so geschieht dies einer-
seits, weil ich es für wichtig hielt, erst die
Summe der Erfahrungen eines grösseren Zeit-
abschnittes zu sammeln und andererseits,
weil dieselben sich in dem letzten Halb-
jahre, seitdem ich meine schweren Patienten
unter klinischer Beobachtung halten kann,
noch wesentlich günstiger als zuvor gestal-
tet haben. Bevor ich auf das Curettement
selbst eingehe, ist es vielleicht von In-
teresse zu erfahren, wie sich unter einer
grösseren Zahl von Hals- und Nasenkranken
meiner Poliklinik, welche dieselbe in den
Jahren 1886 — 1888 incl. frequentirten, das
Verhältniss der Larynxphthisiker überhaupt
erweist. Ich werde hierbei leichte Formen,
, d. h. Paresen und katarrhalische Erschei-
nungen auf anämischer Schleimhaut bei aus-
gesprochener Lungentuberculose, und schwere
Formen, d. h. Erosionen, Geschwüre und
Infiltrate unterscheiden. Hiernach fanden
sich im Jahre 1885 unter 607 Patienten
40 leichte und 25 schwere, im Ganzen
65 Fälle, in 1886 unter 986 Patienten 46
leichte und 67 schwere, im Ganzen 113, in
1887 unter 1363 Patienten 65 leichte und
84 schwere, im Ganzen 149, in 1888 unter
2285 Patienten 127 leichte und 113 schwere,
im Ganzen 240 Fälle. Das Verhältniss,
wie Sie sehen, ein annähernd constantes
stellt sich auf ungefähr 1 1 ®/o aller Kranken,
und würde noch grösser, wenn nur die
Kehlkopfkranken in Anschlag gebracht
würden. Die schweren Fälle umfassen ins-
gesammt die Zahl von 289; hiervon sind
dem Curettement bis zu Ende des Jahres
1888 unterworfen worden 58 Kranke, wozu
aus der Privatpraxis noch 13 Fälle hinzu-
kommen, was zusammen 71 Fälle beträgt.
Diese Zahl deckt indessen nicht ganz die-
jenige der wirklich curettirten Fälle, weil
ich hier 10—12 Fälle nicht mitrechne, über
die ich keine ausreichende Gewissheit hin-
sichtlich des Verlaufes während der Zeit
der Behandlung erlangen konnte. Eine
demnächst erscheinende ausführliche Arbeit
meines Assistenten, Dr. Friedländer, wird
genauere Zahlenangaben und Krankenge-
schichten enthalten. Von den 71 Kranken
sind geheilt resp. wesentlich gebessert und
frei von Beschwerden entlassen 43, wobei
sich die Zahlen der poliklinischen Patienten
wesentlich von denen der Privatkranken un-
terscheiden. Bei den ersteren kommen auf
58 Fälle 32 geheilt resp. wesentlich gebes-
sert Entlassene, bei den letzteren auf
13 Fälle 11 geheilt resp. gebessert Entlas-
sene. (Ich will gleich hier bemerken, dass
diese Heilungen nicht immer durchaus in
anatomischem Sinne aufzufassen sind. Wie-
derholte Sectionsbefunde haben mich gelehrt,
dass. selbst in solchen Fällen, wo die laryn-
goscopische Untersuchung alles Sichtbare
vernarbt zeigt, sich an schwer erreichbaren
Stellen, wie dem Sinus Morgagni oder dem
unteren Kehlkopfraum noch unbenarbte Ge-
schwüre finden können. Es ist einleuchtend,
dass an solchen unvollkommenen Heilungen
nicht die Behandlungsmethode, sondern die
natürliche Unvollkommenheit der endolaryn-
gealen Operationen überhaupt die Schuld
trägt.) Von den 43 geheilt oder gebessert
Entlassenen sind augenblicklich am Leben
und bis jetzt in dem Zustande wie bei der
Entlassung geblieben 28, gestorben sind 7,
aber keiner an den Folgen der Larynx-
tuberculose, das Schicksal von 8 ist un-
gewiss, eingeheilt gestorben sind 8, un-
geheilt fortgeblieben sind 8, ungeheiit und
208
Krause, Erfolge der neueiten Behandlungamethoden der KehlkopHuberculoae. LMoniSe^*
noch in Behandlung sind 12. Yon den
71 Kranken sind unter Beobachtung seit
2\'3 resp. 3 Jahren 6, seit 2^4 Jahren 2,
seit 2 Jahren 4, seit l^a — 1^/* Jahren 8,
seit 1 Jahr 5, die anderen weniger als
1 Jahr, aber nicht weniger als 4 Monate.
Ohne Recidive — soweit dies bis jetzt fest-
gestellt werden konnte — sind 16 geblie-
ben, von Recidiven befallen 16,
Das Heryng'sche Verfahren ist Yor-
nehmlich angezeigt bei dem Bestehen stark
wuchernder Geschwüre und ausgedehnter
Infiltrate. Was die gebotene Ausdehnung
des Verfahrens betrifft, so muss hervor-
gehoben werden, dass nicht ein oberflächliches
Abschaben, sondern nur eine möglichst aus-
giebige Excision der inflltrirten oder
wuchernden Partien Aussicht auf Erfolg
gewähren kann. Besonders häufig sind die
Tuberkelablagerungen der hinteren Wand,
der Pars interarytaenoidea des Kehlkopfes;
sie kommen oft ganz isolirt, auch in Form
ziemlich scharf aus der Fläche sich erhebender
runder oder zerklüfteter Tumoren vor. Aber
auch jede andere Partie der Schleimhaut
kann von diffusen oder ci reu m Scripten Tuber-
keleinlagerungen befallen werden. Der Be-
handlung am schwersten zugänglich und für
die Prognose am bedenklichsten sind die
Infiltrate der Epiglottis. Der Kehldeckel
bietet einmal schon dem Instrumente gewisse
Schwierigkeiten u. z. dadurch, dass er in
seinem oberen Theile demselben ausweichen
kann, sodann verbirgt derselbe in den meisten
Fällen, wenn er infiltrirt ist, durch sein
Hintenüberbiegen die Vorgänge an der
laryngealen Fläche. Man ist oft bei Sectionen
erstaunt auf der inneren Fläche des Kehl-
deckels, an den Taschenbändern, den unteren
Flächen der Stimmbänder und im unteren
Kehlkopfraume sehr stark ausgebreitete
krankhafte Processe zu finden, die der laryn-
goskopischen Untersuchung durch die nach
hinten gebeugte Epiglottis oder durch In-
filtrate und Oedeme der ary-epigl ottischen
Falten fast ganz oder theil weise entzogen
wurden.
Die mächtige Ausdehnung deslnfiltrations-
processes zeigt sich oft auch bei der Operation
selbst. Es wirkt nicht selten überraschend
wahrzunehmen, wie die Entfernung von In-
filtraten in der Grösse einer Bohne und
darüber eine wenig bemerkbare Lücke in
dem geschwollenen Gewebe hervorruft, welches
bald wieder zusammenrückt und oft jetzt
erst die Ausdehnung der Infiltration in die
Tiefe erkennen lässt. In solchen — nicht
seltenen — Fällen kann nur eine wiederholte
Ausräumung zum Ziele führen.
Hat man es nun mit starren auch die
Zungen fläche ergreifenden Infiltraten der
Epiglottis zu thun, so ist nach meinen Er-
fahrungen bei Sectionen und bei Operationen
an diesem Theile vorauszusetzen, dass die
Schwellung an der Zungenfläche bedingt ist
durch Geschwüre und Ablagerungen an der
laryngealen Fläche der Epiglottis und dem-
entsprechend nicht etwa auf die Zungenfläche
einzuschneiden, sondern die Abschwellung
dieser Fläche durch Auslöffelung und Aetzung
der gegenüberliegenden anzustreben. Man
wird dann häi^g beobachten, wie allmählich
der Kehldeckel seine normale Form wieder
anzunehmen beginnt, beweglich und damit
eines der schwersten Schluckhindernisse be-
seitigt wird.
Der Heilungsvorgang zieht sich oft durch
Auftreten neuer Geschwüre und Wucherungen
in die Länge, in günstigen Fällen geht der-
selbe zuweilen überraschend schnell vor sich.
Die Schnittflächen der abschwellenden Schleim-
haut legen sich dann bald dicht aneinander
und verkleben unter Einwirkung der Milch-
säure ohne auffallende Retraction. Ich
bediene mich seit längerer Zeit zur Aus-
führung des Ourettements einer von mir
construirten Doppelcurette. (Demonstration.)
Ursprünglich in der Absicht gefertigt, zur
Ausschneidung von Stücken aus den ary-
epigl ottischen Falten zu dienen, welche
einseitig wirkenden Instrumenten leicht
ausweichen, benutze ich die Doppelcurette
jetzt fast ausschliesslich zur Vollendung dieser
Operation an allen Kehlkopftheilen. Dieses
Instrument wirkt mit grösserer Sicherheit
und Genauigkeit als die einfache Curette,
welche oft mehr wegreisst als beabsichtigt
ist, nicht durchschneidet und überhaupt ein
sicheres Operiren in denjenigen Fällen er-
schwert, wo es sich um mehr als Abschaben
von der Oberfläche handelt. Freilich er-
fordert auch die Doppelcurette ein völliges
Vertrautsein mit der Technik der Kehlkopf-
operationen.
Es sei mir gestattet, einige bemerkens-
werthe Fälle von Heilung hier zu be-
sprechen :
I.
M. M., Apotheker, 27 J., tritt am 5. Mai 1887
in Behandlung. Befund: linkes Stimmband und
Taschenband stark infiltrirt und exulcerirt, Infiltrat
des linken Lig. ary-epigl., Perichondritis am linken
Aryknorpel. An der hinteren Larynxwand ein an
der Basis 1 cm im Darchmesser fassender, halb-
kugeliger, mit intacter Schleimhaut bedeckter Tumor.
Verdichtung der rechten Lungenspitze. Es besteht
hochgradige Heiserkeit und Dysphagie, massiges
Fieber, der Ernährungszustand ist noch relativ be-
friedigend.
Am 15. Mai wird zunächst der oben beschrie-
bene Tumor der hinteren Wand mit der Glüh-
m. Jft]irguig.1
Mai 1889. J
Krause, Erfolge der neuesten Behandlungsmethoden der Kehlkopftuberculose.
209
schlinge entfernt, die Ulcera nnd Infiltrate werden
mit SO^oig®^ Milchsäuremischung gepinselt: Bald
— schon in den nächsten zwei Tagen — sind
Schlingbeschwerden und Heiserkeit wesentlich ge-
ringer, die ersteren verschwinden bald ganz, die
Ulcera sind am 10. Juni völlig vernarbt; es besteht
noch ein geringes Infiltrat des Taschenbandes. Da
tritt am 13. Juni ein beträchtliches, Ödematöses,
kugeliges Infiltrat am linken Aryknorpel auf, wel-
ches vom das Lumen des Larynx stark verengt,
und hinten und seitlich den Sinus pyriformis fast
völlig verlegt. Wieder besteht Dysphagie. Nach-
dem sich bis zum 20. Jiini das Oedem zurückge-
bildet hat, wird an diesem Tage das ganze vorn
und hinten überhängende, kugelige Filtrat in zwei
Halbkugeln mit der Glühschlinge abgetragen. Die
yerschorften Partien benarben sich bald, so dass
Patient am 6. Juli nach Görbersdorf entlassen wer-
den kann. Die ganze linke Kehlkopfhälfte ist ab-
geschwollen, die hier bestandenen Ulcera sind ver-
narbt, die Infiltrate resorbirt. Es bleibt nur ein
geringes Infiltrat des rechten Lig. ary-epigl., welches,
in den letzten 8 Tagen aufgetreten ist. Am 29. Oc-
tober kehrt Herr M. aus Görbersdorf, wo er 6Va
Kilo an Körpergewicht zugenommen hat, zur Unter-
suchung hierher zurück; es zeigt sich eine kleine,
flache Erosion auf dem linken Aryknorpel und Un-
beweglichkeit des linken Stimmbandes, sonst ist
Alles vernarbt geblieben, grösstentheils geschrumpft.
Die Stimme ist zwar belegt, aber ziemlich kräftig.
— Der Patient begiebt sich hierauf nach Daves,
von wo er am 30. Januar 1888 berichtet, dass er
dort 2 Kilo zugenommen und damit sein früheres
normales Gewicht aus gesunder Zeit — 60 Kilo —
wiedergewonnen habe. Zwar bestehe noch ein wenig
Husten früh und Abends, aber er fühle sich körper-
lich ganz wohl und im Kehlkopfe zeige sich nichts
Krankhaftes, die Stimme sei, wenn auch nicht klar,
so doch immer von gleicher Stärke und gleichem
Klange. Patient gedenkt, im April seine Thätigkeit
als Apotheker wieder aufzunehmen. — Seit diesem
Briefe ist eine weitere Nachricht nicht erfolgt.
n.
Minna F., 28 J., aus Neuwarp, consultirte mich
am 23. November 1888. Sie kam aus Görbersdorf,
wo sie 5 Monate zugebracht hatte. Ihr Lungen-
leiden hatte sich dort wesentlich gebessert, auch
ihr Kehlkopfleiden, welches dort sachgemäss, zu-
letzt mit Anwendung der Curette behandelt worden
war, machte ihr nicht mehr so grosse Beschwerden
wie vor dem Aufenthalte in Görbersdorf. Doch
bestanden zur Zeit Heiserkeit und beträchtliche
Schlingbeschwerden. In den Lungen fanden sich
beiderseits grössere verdichtete Heerde, die stärkere
Erkrankung war auf der rechten Seite. Der Kehl-
kopf zeigte ein ErgrifTensein des ganzen oberen
Raumes von dem tuberculösen Processe. Geschwüre
bestanden nur auf beiden Taschenbändem. Da-
gegen waren der Kehldeckel, die ary-epiglottischen
Fsiten, die Aryknorpel von einem starren Infiltrate,
die hintere Wand von einer mächtigen, in das
Lumen stark vorspringenden und die Stimmbänder
bei der Phonation weit auseinanderhaltenden
Wucherung eingenommen. Die Secretion im Kehl-
kopf war gering, es bestand im Gcgentheil eine
gewisse Trockenheit und Sprödigkeit des ganzen
geschwollenen Gewebes, welche ihrerseits die Be-
schwerden steigern mochte. Ich ging zunächst
daran, die grosse Wucherung der Pars interary-
taenoidea mit der Doppelcurette zu entfernen, wa«
in 2 Sitzungen mit dem Erfolge gelang, dass die
Stimme nunmehr nach Beseitigung des eigentlichen
Hindernisses durch die nicht defecten Stimmbänder,
wenn auch immer noch mit einigen raahen Neben-
geräuschen, doch ziemlich klangvoll hervorgebracht
werden konnte. Alsdann wurden beide ary-epi-
glottischen Falten und zuletzt auch die Epiglottis
curettirt. Der Erfolg war, dass die zuvor stark
gespannte Schleimhaut in ihrem ganzen Umfange
abschwoll und einen normalen Socretionszustand
annahm. Die Schlingbeschwerden verschwanden in
den ersten 14 Tagen und nun machte auch die Er-
nährung der Patientin gute Fortschritte. 9 Wochen
nach der Auhiahme konnte der Process als ab-
gelaufen angesehen und die Patientin mit einer
Gewichtszunahme voh 5 Kilo aus der Anstalt ent-
lassen werden. Es verblieb ein leistenartiger Vor-
sprung an der Pars interarytaenoidea und eine
massige Verdickung der Epiglottis. Auch der Pro-
cess in den Lungen hat sich wesentlich gebessert,
die Rasselgeräusche sind gering, der Auswurf ganz
unbedeutend. Die Patientin ist noch jetzt unter
meiner Beobachtung. Ihre Wiedergenesung macht
ununterbrochene Fortschritte.
m.
Der beachtenswertheste Fall von, wenn auch
unvollkommener, Heilung einer Larynx- und Pha-
rynxtuberculose mittels Curette und Milchsäure ist
folgender:
J. F. aus Moskau, 39 Jahre alt, consultirte mich
am 21. September 1888. Der äusserst abgemagerte
Patient athmet stridulös und kann seit 4 Monaten
festere Speisen fast garnicht, flüssige nur mit gros-
ser Mühe zu sich nehmen. Es besteht ein diffuses,
unregelmassiges Infiltrat der ganzen Larynxschleim-
haut mit Oedemen über den Aryknorpeln; die Epi-
glottis in ihrer ganzen Ausdehnung infiltrirt, ist
starr hintenübergelagert, so dass ein Einblick in
die Tiefe äusserst erschwert ist. Man kann eben
noch erkennen, dass die laryngeale Fläche des
Kehldeckels, Taschen und Stimmbänder mit Ge-
schwüren und wulstigen höckerigen Wucherungen
besetzt sind und die Stimmbänder bei der Ath-
mung fast garnicht aus einander weichen. Der
linke Arcus palato-glossus ist von einem seichten
Längsulcus am Rande, 4 mm breit, von der Basis
der Zunge bis auf 1 '/j cm Entfernung von der
Uvula eingenommen. Hier ist die Schleimhaut nicht
infiltrirt, sehr anaemisch. Der Befund in den Lun-
gen ergiebt Dämpfungen über der rechten bis zur
2. Rippe, links supra-clavicular, dagegen äusserst
spärliches Rasseln; kein Fieber. Es wurde zu*
nächst eine Ausräumung der an der hinteren Wand
der Epiglottis befindlichen, beträchtlichen Wuche-
rungen vorgenommen und darauf 50%^Kö Milch-
säuremischung verrieben, weil es wichtig erscheinen
musste, das grösste Schluckhindemiss, die Starr-
heit der Epiglottis, zu beseitigen. Dies gelang in
überraschend schneller Weise: das den Kehldeckel
einschliessende Infiltrat schwand unter der angege-
benen Behandlung fast zusehends. Hierauf wurden
mit der Doppelcurette sechs erbsengrosse Stücke
27
210
Krause, Erfolce der neuesten Behandlungsmethoden der Kehlkopfluberculose. PMonatebäto^^
aus beiden Ligg. ary-epiglott. und den Aryknorpeln
herausgeschnitten und wieder längere Zeit Milch-
säure verrieben. Nach der Vemarbung dieser ex-
cidirten Partien, welche nach dem Curettement
tuberculösen Schleimhautgewebes in der Regel gut
von Statten geht, war der Einblick in den Larynx
ungehindert. Es eiübrigte noch, die Wucherungen
von den Taschenbändem, die theilweise als rund-
liche Tumoren auftraten, zu entfernen, was mühe-
los gelang. Gleichzeitig war das Phaiynxgeschwür
mit Milchsäure behandelt worden. Dasselbe erwies
sich aber in seiner Heilung weit hartnäckiger als
die Geschwüre im Kehlkopfe. Erst nach 4 Wochen
war und blieb es von nun an bis zur Entlassung
und später dauernd vernarbt. Am 28. November,
also nahezu 10 Wochen nach seiner Aufnahme,
konnte der Kranke mit einer Gewichtszunahme von
6 Kilo und völliger Wiederherstellung der respira-
torischen und Schlingfunctionen aus der Anstalt
entlassen werden. Die Stimme war nur wenig ge-
bessert worden, da die Stimmbänder sich als sehr
defect erwiesen und unter den Taschenbändem fast
verschwanden. Die Ligg. ary-epigl. und Aryknorpel
waren ziemlich schlank und die Sinus pyriformes
weit, nirgends mehr ein Geschwür oder ein bemer-
kenswerthes Infiltrat erkennbar. Der Patient hatte
die Absicht, nach Arco überzusiedeln, wohin er
mit seinen Geschwüren, seiner Athemnot und seinen
Schlingbeschwerden, bevor er mich consnltirte, ge-
wiesen worden war. Indessen machte eine drin-
gende geschäftliche Angelegenheit seine augenblick-
liche Anwesenheit in Moskau — mitten im Winter
— erforderlich. Gegen meinen abmahnenden Rath
reiste er dorthin und blieb dort bis zum 20. Januar
1889. 3 Tage darauf stellte er sich mir hier wie-
der vor, und trotzdem er bei starker Kälte sich
im Freien bewegt hatte, zeigte sich nicht nur keine
Veränderung zum Schlimmeren, sondern der Kehl-
kopfeingang war durch völliges Abschwellen der
infiltrirten Partien noch weiter, das Larjnxinnere
dem Auge noch zugänglicher geworden. So konnte
man nun auch deutlich erkennen, dass an der
unteren Partie des linken Taschenbandes noch eine
etwa erbsengrosse, narbig geschrumpfte Intumescenz
sass, die ich nunmehr, da der Patient jetzt direct
nach Arco ging, ihrem Schicksale überlies. Der
erste Brief von dort vom 2. Februar giebt einen
sehr günstigen Bericht: „Auswurf geringer, Appetit
besser. Schlaf vorzüglich." Aber schon gegen Ende
Februar erhielt ich die Mittheilung, dass der Pa-
tient, welcher nach eben frisch gefallenem Schnee
eines Tages, an welchem die Sonne ins Freie
lockte, auf einem weiteren Spaziergange von einem
scharfen, kalten Winde überrascht, und nachdem
er den ganzen Rückweg gegen den Wind an-
kämpfend zurückgelegt hatte, in der Nacht darauf
von einem Schüttelfroste, Stechen in der linken
Seite und heftigem Hustenreiz befallen worden war.
Es entwickelte sich eine linksseitige Pleuropneu-
monie mit schneller Einschmelzung des Gewebes,
welcher der Patient, nachdem er noch am 19. März
nach Berlin zurückgekehrt war, am 26. März, ohne
jedoch über die geringste Beschwerde von Seiten
des Kehlkopfes zu klagen, erlag.
Ich erlaube mir, Ihnen hier den Kehl-
kopf des Patienten zu demonstriren, dessen
Herausnahme allein von den Verwandten ge-
stattet wurde. Bei der Beurtheilung des
Präparats bitte ich festzuhalten, dass die
locale Therapie 4 Monate vor dem Tode
abgeschlossen und nicht wieder aufgenommen
worden ist. Sie erkennen deutlich das
schlaffe Infiltrat des linken Lig. ary-epigl.,
welches in den letzten Tagen vor dem Tode
als einzig sichtbares Zeichen der Wieder-
erkrankung des Kehlkopfes aufgetreten wrar.
Das flache Geschwür im rechten Sinus Mor-
gagni und an einem Theile der inneren
Epiglottisfläche sowie die kleineren unter
den Stimmbändern konnten bei Lebzeiten,
nicht festgestellt werden. Dagegen bemer-
ken Sie die ausgedehnte Narbenbildung an
den Stimmbändern, den Taschenbändem, den
ary-epiglottischen Falten — hier besonders
deutlich die eingezogenen Narben des Curette-
ments — und die Vernarbung an der laryn-
gealen Epiglottisfläche. Dieser Befund ist
von Herrn Geheimrath Virchow bestätigt
worden.
Wie schon aus den von mir angeführten.
Zahlen ersichtlich geworden ist, steht einer
grosseren Anzahl ähnlicher günstig verlau-
fener Fälle eine Reihe von solchen, bei
denen nur ein vorübergehender und theil-
weiser Erfolg und eine geringere Zahl von
solchen gegenüber, bei denen keine oder nur
kurz dauernde Erleichterung der Beschwer-
den erzielt werden konnte. Abgesehen von
den wenigen Fällen der letzten Categorie
konnte immer doch die Dysphagie erleich-
tert, der Process in seinem Fortschreiten,
aufgehalten werden. In den ungünstig ver-
laufenden Fällen haben wir in der Regel
gegen einen Zustand anzukämpfen, in wel-
chem bei stark entwickelter Cachexie, hec-
tischem Fieber, weit vorgeschrittenen Zer-
störungen in den Lungen die Schleimhaut
des Bronchialtractus und des Kehlkopfes
sich im Zustande aufl'allender Anaemie oder
starker entzündlicher Schwellung, hochgra-
diger Neigung zur Infiltration und schnell
um sich greifendem Zerfall befindet. Hier
ist dann gewöhnlich auch die Tendenz zu
üppiger, schwammiger Wucherung der Ge-
schwüre vorhanden, und was man mit der
Curette entfernt hat, wächst schnell wieder
nach. Dabei ist die Secretion erheblich ge-
steigert. Das Verhalten der letzteren ist
überhaupt, wie ich schon bei früheren Ge-
legenheiten ausgeführt habe, ein gewisser
Prüfstein für die Erwartungen, die man an
die Behandlung zu knüpfen hat.
Indessen soll man auch in solchen Fäl-
len nicht von vornherein an dem Erfolge
verzweifeln. Ich habe Fälle beobachtet, in
denen alle jene erwähnten ungünstigen Symp-
ITT. Jabriranf .1
Mai 1889. J
Krause, Errol^e der neuesten Behandlungsmethoden der Kehlkopftuberculose.
211
tome allgemeinen und localen Cbaracters
vorhanden waren und in denen es dennoch
einer sorgföltig und Torsichtig geleiteten
Therapie gelang, den localen Process zur
Heilung zu bringen, andere, in denen wenig-
stens ein Stillstand und ein im Vergleich
zu den bestandenen Hunger- und Inanitions-
qua}en erträgliches Befinden erzielt wurde.
Freilich ist zur Erreichung solcher Erfolge
nicht die locale Therapie allein ausreichend,
sondern es bedarf auch der umsichtigen Re-
gelung und üeberwachung der äusseren Ver-
hältnisse, unter denen der Kranke zu leben
hat, sowie ganz besonders der Ernährung.
Hier, wo wir die Vorgänge auf der kranken
Schleimhaut Schritt vor Schritt verfolgen
können, ist es oft eine betrübende Wahrneh-
mung, dass wir trotz aller Mühe nur darum
keinen Erfolg haben, weil wir auf die Um-
gebung und die Lebensweise des Kranken
keinen Einiiuss haben. Ich brauche in diesem
Kreise nicht weiter auszuführen, dass ein
Phthisiker in Bezug auf Hygiene und Diät
unter der sorgfältigsten Beobachtung eines
Arztes, zumal in derjenigen Zeit stehen
muss, wo wir in Lungen oder Kehlkopf
frische Infiltrate zur Resorption, ülcerationen
zur Vemarbung bringen wollen. Air unser
Können und Mühen wird nur zu oft ver-
geblich sein, wenn wir den unbemittelten
Kranken seinen ungenügenden häuslichen
Verhältnissen überlassen und ihn ambulant
behandeln müssen, und auch bei dem in
besserer Lebenslage Befindlichen hat der
Arzt auf den Gang der Dinge in der Be-
hausung des Kranken aus den verschieden-
sten Gründen nicht den Einfluss, der im
Hospital selbstverständlich ist.
Bei diesem Stande unserer heutigen La-
ryngotherapie und auf Grund eigener Er-
fahrungen muss ich mich auch gegen das
unterschiedslose Verschicken der KehJkopf-
phthisiker nach dem Süden erklären. Ja,
gäbe es dort gut geleitete Hospitäler, in
denen eine rationelle Therapie der Lungen-
und Kehlkopfphthise geübt würde, so wur-
den mir die günstigeren klimatischen Ver-
hältnisse als ein beachtenswerther Vortheil
erscheinen. Ich erkenne gern an, dass
Kranke mit initialen Symptomen und Recon-
valescenten dort eine viel erträglichere
Existenz, auch Heilung finden. Aber nament-
lich ein Kehlkopfphthisiker mit Geschwüren,
Infiltraten, Perichondritis, mit Dyspnoe oder
Dysphagie, selbst nur mit Erosionen scheint
mir kein geeigneter Kranker zu sein, um
denselben auf Reisen zu schicken, auf denen
er sich meistens selbst überlassen im Eisen-
bahncoupe und in Hotels ein fragwürdiges
Dasein führt.
Neuerdings hat auch Beschorner in
seinem sehr gründlichen und beachtens-
werthen Vortrag über „die locale Behand-
lung der Laryngo-Phthisis tuberculosa" die
Errichtung von Specialhospitälern für derar-
tige Leidende empfohlen. Beschorner
fühlt sich sogar, wie er sagt, darum noch
nicht berufen von einem bahnbrechenden
Fortschritte in der Phthisis-Therapie und
der mit ihr in untrennbarem Zusammen-
hange stehenden localen Behandlung der
Larynx-Phthise zu sprechen, weil wir noch
keine mit allem Heilapparate voll ausge-
rüsteten Volks-Sanatorien auf dem Lande
oder an der See, in waldreichen oder hoch-
gelegenen Gegenden nach Art und Einrich-
tung der bereits existirenden, zur Zeit aber
zumeist nur dem Wohlhabenden zur Verfü-
gung stehenden, geschlossenen Heilanstalten
für Lungenkranke haben, deren Erfolge in
Stadt-Hospitälern der Natur der Sache nach
niemals erreicht werden können.
Für die Erfüllung dieser weitgehenden
Ansprüche Beschorners und meiner be-
scheideneren, dass es uns gelingen möge,
nahe den Städten in baumreicher Gegend
Specialhospitäler für Lungen- und Larynx-
phthisiker zu erlangen, scheint mir eine
unerlässliche Vorbedingung zu sein, dass
wir dahin streben, in immer weitere Kreise
die Ueberzeugung zu tragen, dass wir in
der Kehlkopftuberculose keinem unüberwind-
baren Gegner gegenüber stehen und dass
es bei richtiger Auswahl und zielbewusstem
Handeln keine unerfüllbare Aufgabe ist,
einem Theil dieser unglücklichen Kranken
das Leben zu erhalten oder zu verlängern,
den anderen wenigstens Linderung und Er-
leichterung zu schaffen.
(Aiu der medicinltchen Klinik des Herrn Oehcimrath
Dr. M Osler In Greif» wald.)
Zur Kreosot-Therapie bei LiUiigen-
tubereulose.
Von
Dr. E. Holm in Greifswald.
Seitdem man durch die Entdeckung der
Tuberkelbacillen und die daraufhin ange-
stellten Impfversuche festgestellt hat, dass
die Lungentuberculose zu den Infections-
krankheiten zu rechnen ist, hat die Therapie
sich unablässig damit beschäftigt, durch
directes Vorgehen gegen die Tuberkelbacillen
mit bacterientödtenden Mitteln ein Heil-
verfahren zu finden, durch welches bessere
27*
212
Holm, Zur Kr«otot-Th«rapl« b«l Luac«ntub«reulof«.
rT1ft«r»peiitlMihe
L Monatftbeft^.
Resultate hervorgebracht würden, als man
bisher durch das Bestreben allein, den Ge-
sammtorganismus in seiner Widerstands-
föhigkeit zu kräftigen, hatte erreichen können.
Kaum ein Arzneimittel ist zu finden, wel-
ches man in der Hoffnung auf Erfolg in
der Therapie der Phthise nicht schon em-
pfohlen und angewandt — aber auch als
nutzlos bald wieder verlassen hätte. Trotzdem
dass so die Resultate negativ waren, blieb
man bei der Anschauung, dass nur auf anti-
bacteriellem Wege die Phthise erfolgreich
zu bekämpfen möglich sei. Als daher die
eminent antiseptische Kraft eines Medica-
mentes bekannt wurde, welches zeitweise
schon vor der Entdeckung der Tuberk^l-
bacillen gegen Lungenschwindsucht ange-
wendet, aber nicht recht zur Anerkennung
gelangt war, richtete sich die allgemeine
Aufmerksamkeit auf dieses Mittel. Und in
der That scheint dasselbe, das Kreosot, die
ihm jetzt gewordene Anerkennung zu ver-
dienen, da die neueren Untersuchungen seine
Brauchbarkeit für viele Fälle festgestellt
haben und durch die Anwendung des Kreosots
im Ganzen bessere Resultate als durch irgend
ein Mittel vorher erzielt sind.
Nachdem das Kreosot schon im Anfang
dieses Jahrhunderts gegen Lungenphthise
empfohlen, aber wieder in Vergessenheit
'gerathen war, wurde es 1877 von Gimbert
und Bouchard von Neuem in Anwendung
gebracht. Dieselben gaben es rein in Alkohol
oder Malaga- Wein (13,5 Kreosot auf 1 Liter
Flüssigkeit) oder in Leberthran, und zwar
so, dass 0,2 — 0,4 g auf einen Tag zu
nehmen waren. Der Gebrauch des Medica-
ments wurde ^4 bis 1 Jahr lang fortgesetzt und
wollen die Autoren recht günstige Resultate
erlangt haben. In demselben Sinne äussern
sich Hugues und Bravet (Paris 1878),
Reu 68 (Paris) und Pick (Coblenz 1883).
Reu SS wandte das Präparat zuerst in
Kapselform an, weil er diese Form für die
geeignetste hielt. Alle Autoren geben an,
dass der Auswurf sich nach dem Gebrauch
des Kreosots vermindere, dass das Allge-
meinbefinden sich hebe , theil weise der
Appetit sich bessere und die Nebenerschei-
nungen der Phthise nachlassen.
Es ist zu verwundern, dass trotz dieser
günstigen Berichte die Kreosot- Therapie
nicht allgemeine Aufnahme fand. Wahr-
scheinlich ist man auch sonst mit Versuchen
vorgegangen, hat sich aber durch die vom
Kreosot hervorgebrachten, in der Regel
jedoch nur von der Qualität des Präparates
bedingten unangenehmen Erscheinungen von
Seiten des Digestions -Apparates von der
weiteren Verwendung des Medicamentes ab-
schrecken lassen — oder man erreichte
keinen Erfolg, weil man zu kleine Dosen
verabreichte.
Es sei hier eingeschaltet, dass das Kreo-
sot vollkommen rein sein und vom Buchen-
holztheer stammen muss, nie das vom Stein-
kohlen- oder Fichtentheer herrührende Prä-
parat angewendet werden darf, da letzteres
regelmässig Störungen von Seiten des Magens
bewirkt.
Erst die Veröffentlichungen von Sommer-
brodt, Fräntzel u. A., sowie die Unter-
suchungen von Guttmann haben dazu ge-
fuhrt, dem Kreosot eine allgemeinere An-
erkennung zu verschaffen.
Die Erfahrungen Sommerbrodt^s be-
ziehen sich auf ca. 4000 Fälle. Schon seit
dem Jahre 1878 behandelte er die Lungen-
tuberculose mit Kreosot, und zwar wandte
er bis 1880 die Bouchard^ sehe Lösung,
von da ab der grösseren Billigkeit wegen
die Kreosotkapseln nach Reuss an (ä 0,05
Kreosot\ Er liess das Medicament dreimal
täglich und zwar unmittelbar nach den
3 Hauptmahlzeiten nehmen und steigerte
dabei die Dosis so, dass er in der ersten
Woche täglich 3, in der zweiten täglich 4
u. s. f. Kapseln nehmen liess. Auf diese
Weise ging er schliesslich bis zu 15 Kapseln
täglich. Zu betonen ist, dass Sommerbrodt
nur in sehr seltenen Fällen Nebenerschei-
nungen bemerken konnte. Traten einmal
solche auf, so wurde eine Pause im Ge-
brauch des Medicaments gemacht. Die
meisten seiner Patienten gewöhnten sich an
den Geschmack des Präparates sehr rasch;
einzelnen wurde das Kreosot sogar zum
Bedürfniss. Sommerbrodt fand, dass die-
jenigen Fälle, wo die Erkrankung erst im
Beginn war und nur geringe Symptome ver-
ursachte, die besten Erfolge lieferten, wäh-
rend . bei sehr weit vorgeschrittenen
Processen die Wirkung eine minimale oder
fehlende war.
In den meisten Fällen constatirte er
Beschränkung der Bronchial -Secretion und
Abnahme des Hustens, so dass er von dem
oft nachtheiligen Gebrauch der Narcotica
Abstand nehmen konnte. Eine Verbesserung
des Appetites trat fast regelmässig ein, so
dass er im Gegensatz zu Reuss zu dem
Schluss kam, sich nie von vornherein durch
den Zustand des Magens von der EJreosot-
Therapie abhalten zu lassen. Die physika-
lischen Phänomene der Krankheit, wo diese
in ihren ersten Anfängen bestand, ver-
schwanden oft gänzlich. Freilich gehörte
dazu eine langdauernde Behandlung; eine
gründliche Besserung war während weniger
Wochen nicht möglich. Empirisch fand er,
HL Jalurfang.!
Mmi 1889. J
Holm, Zjxt KrttOtot-Th«rapi« b«l LungeDtuberculote.
213
was Gatt mann durch seine Untersuchungen
später begründete, dass die Wirkung des
Kreosots um so besser sei, je mehr von
dem Medicament pro die vertragen wurde;
dass dagegen kleinere Dosen, wie 0,01 g
mehrmals täglich, sich als YÖliig nutzlos
erwiesen. Daher empfiehlt er überall da,
wo Kreosot gut vertragen wird, ein Hinaus-
gehen über die bisherige Maximaldosis von
0,5 pf*o die.
Während Sommerbrodt die Verabrei-
chuog des Kreosots in Kapseln vorzieht,
hält Fräntzel an der alten Bouchard^ sehen
Form fest, nur dass er statt Malaga Sherry
reicht:
JV Kreosoti 13,5,
Tinct. gent. 30,0,
Spirit. vini rect. 250,0,
Vini xerens. q. s.
ad col. 1000,0.
M. D. S. 2 — 3 mal tägl. 1 Essloffel in
einem Weinglas Wasser.
Auch er giebt an, dass sich verhältniss-
mässig sehr selten Nebenwirkungen zeigen, und
dass die Patienten wenig oder gar nicht durch
den Geschmack gestört werden. Gute Hei-
lungsresultate, d. h. Besserung des Allgemein-
befindens, Verschwinden resp. Verminderung
der physikalischen Erscheinungen, Husten-
und A US wurf-Herabsetzun g erzielte Fräntzel,
ausser in den ganz frisch beginnenden Fällen,
bei Patienten, bei denen wenig oder gar
kein Fieber bestand und Complicationen
von Seiten anderer Organe fehlten, wo also
der Verlauf der Phthise ein ganz chronischer
war. Zwar ist die Anzahl der völlig Ge-
besserten nicht gross (15 von 400, also fast
4^/o), aber dennoch steht der Procentsatz
dieser Heilungen durch Kreosot auf einer
Höhe, die niemals durch ein anderes Medi-
cament erreicht ist.
Von grosser Wichtigkeit für die Kreosot-
Therapie sind ferner die Guttmann^ sehen
Untersuchungen über den antiseptischen
Werth des Kreosots. Durch die günstigen
Mittheilungen über die Wirkungen des Prä-
parates angeregt, stellte Guttmann Unter-
suchungen an über die antiseptische Wirkung
dieser Substanz, um zu erfahren, in welcher
Verdünnung einem Nährboden zugesetzt, sie
noch im Stande sei, das Wachsthum von
Bacterien aufzuheben. Zunächst stellte er
fest, wie rasch in einer Mischung von be-
stimmtem Kreosot- Gehalt Mikroorganismen
abgetödtet würden. Diese Versuche, die
sich auf 4 Mikroorganismenarten erstreckten,
ergaben, dass das Kreosot diese Mikroben
rasch vernichtet und zwar schon in ganz
schwacher Lösung ('/e — Vs °/o Kreosot-Gehalt).
In einer zweiten Versuchsreihe wurden
18 verschiedene Mikroorganismenarten, unter
ihnen der Tuberkelbacillus, dem Einfluss
des in verschiedenem Procentgehalt in der
Nährgelatine vorhandenen Kreosots ausge-
setzt. Das Kreosot zeigte sich hier als ein
starkes antibacterielles Mittel, denn von
den 18 Arten wuchsen 12 nicht mehr bei
Vaooo Kreosot - Gehalt in der Nährgelatine
(4 darunter nicht mehr bei V4000)) ^ nicht
mehr, wenn der Kreosot- Gehalt 7iooo betrug.
Eine dritte Versuchsreihe bewies im
Vergleich zur zweiten, dass die antiseptische
Kraft des Kreosots stärker sei als die der
Carbolsäure.
Aus diesen Untersuchungen folgt nun:
Wenn man dem Organismus so viel Kreosot
zuführen könnte, dass im Blute längere Zeit
hindurch ^4000 ^is Vaooo seiner Menge Kreosot
enthalten ist, so wäre eine Verminderung
der Schnelligkeit resp. ein Aufhören im
Wachsthum der Tuberkelbacillen erreichbar.
Es ist aber unmöglich, eine so grosse
Kreosotmenge dem Körper einzuverleiben.
Wenn nun trotzdem die Kreosot- Therapie
so günstige Resultate liefert, so muss man
annehmen, dass die in der Praxis ange-
wandten Dosen, wenn sie jene Menge auch
bei Weitem nicht erreichen, trotzdem schon
auf das Wachsthum der Tuberkelbacillen
einen Einfluss haben, nämlich den, dass sie
die Vermehrung derselben etwas verlang-
samen durch ihre Einwirkung auf den
Nährboden. Als selbstverständlich betont
Guttmann ebenfalls die lange fortge-
setzte Anwendung des Kreosots, um einen
dauernden Erfolg zu erreichen. Durch seine
Versuche wurde die Erfahrung Sommer-
brodt^s: „Je mehr Kreosot pro die^ desto
besser die Wirkung^ bestätigt und begründet
und so empfiehlt denn auch Guttmann, mög-
lichst bald zu grossen Dosen aufzusteigen.
Er wählte eine schmackhaftere Form des
Präparates, als sie Fräntzel verabreicht:
IV Kreosoti 1,0,
Aeth. acet. 2,0,
Tct. aromat. 2,0,
Syr. simpl. 25,0,
Aquae dest. q. s. ad 100,0.
M. D. S. 3 mal tägl. 1 Theelöffel in Va Glas
Wasser mit 1 Theelöffel Syr, Rubi Jdaei.
— hatte aber trotzdem weit mehr über Ne-
benwirkungen zu klagen, als genannte Autoren.
Diese Verschiedenheit im Verhalten des
Kreosots dem Digestion stractus gegenüber
ist auffällig. Der Beobachtung Guttmann 's
analog lauten die Berichte, welche aus dem
Berliner städtischen Krankenhaus veröffent-
licht sind. Dem gegenüber stehen die An*
214
Holm» Zur Kreotot-Therapie bei LuDgentuberculose.
rTherapeutlache
L Monatühefte.
gaben der vorhin angeführten Autoren und
die Berichte von Thorner, Lublinski,
Driver, Hopmann u. A. Zwar herrscht
unter denselben keine Uebereinstimmung in
der Dosirung des Präparates, aber keiner
von ihnen hat besonders über Nebenwirkun-
gen zu klagen. Dieser Unterschied in der
Wirkung der Kreosot-Medicamente hat mit
grosser Wahrscheinlichkeit seinen Haupt-
grund in der verschiedenen Qualität des
Präparates; allerdings kann in einzelnen >ve-
nigen Fällen eine gewisse Idiosynkrasie gegen
das Kreosot nicht abgeleugnet werden.
Nachdem auf Grund der gemachten Er-
fahrungen die Kreosot-Therapie bei der Be-
handlung der Lungentuberculose in den Vor-
dergrund getreten war, wurde auch in der
medicinischen Abtheilung des Königlichen
Üniversitäts-Krankenhauses zu Greifs-
wald im Jahre 1887 dieses Heilverfahren
bei einer Reihe von Patienten eingeleitet.
Die Auseinandersetzung der Erfahrungen,
welche in diesen Fällen hier gewonnen
wurden, ist der Gegenstand dieser Arbeit.
Durch die Güte des Herrn Geheimen
Medicinalraths Prof. Dr. Mos 1er stehen mir
die Krankengeschichten von 54 mit Kreosot
behandelten Lungenschwindsüchtigen zur Ver-
fügung. Bei einer Reihe dieser Patienten
hatte ich selbst während einiger Monate,
wo ich als Volontair auf der medicinischen
Abtheilung thätig sein durfte, Gelegenheit,
die Wirkungen des Kreosots zu beobachten.
Ich schicke voraus, dass im Folgenden
von einer definitiven Heilung nicht gespro-
chen werden kann, da seit der Anwendung
des Präparats nicht Zeit genug verflossen
ist, um die Beobachtungen an den betreffen-
den Patienten genügend sicher zu stellen,
andrerseits aber die Patienten gewöhnlich,
sobald eine Besserung ihres Zustandes be-
merkbar geworden war, sich meist bald der
Behandlung entzogen. Der Bericht über die
gewonnenen Erfahrungen mag als ein Bei-
trag zur Statistik der Kreosot - Wirkung
dienen.
Die Anwendung des Medicaments geschah
fast ausschliesslich in zwei Formen. Ent-
weder wurden Kapseln nach Sommerbrodt
verabreicht, oder das Kreosot wurde mit
Tinct. Gent, gegeben, und zwar
IV Kreosoti 5,0,
Tct. Gent. 10,0,
M. D. S. 3 mal tägl. 5 Tropfen
in aufsteigender Dosis in einem Glase Milch.
Nur bei einem Patienten wurde die Pillen-
form versucht, jedoch bald als unzweckmässig
aufgegeben, und nun das Präparat mit Tct.
Gent, angewandt. Die Verabreichung geschah
nach den Mahlzeiten.
Es erscheint zweckmässig, diejenigen
Fälle aus der Zahl der Behandelten heraus-
zunehmen und zunächst zu besprechen, bei
denen es sich um die ersten Anfönge der
Tuberculose handelt. Darunter ist zu ver-
stehen das Vorhandensein von diffusem
Katarrh, besonders Spitzen katarrh, von In-
filtrationen in den Spitzen; das Fehlen von
Störungen seitens der Verdauungsorgane und
von amyloider Erkrankung; ein noch guter
Kräftezustand.
I. Es handelt sich hier um 10 Patienten,
bei denen die Diagnose durch den Nachweis
von Tuberkel bacillen im Sputum gesichert
war. Die Kranken befanden sich im Alter
von 16 bis 33 Jahren; 3 waren weiblichen,
7 männlichen Geschlechts.
Bei 7 dieser 10 Patienten wurde das
Kreosot ohne jede Störung von Seiten des
Digestions-Apparates vertragen. Bei den
3 übrigen Kranken erregte das Medicament
gastrische Störungen, und zwar bei einem
dieser Patienten schon nach sechstägigeni
Gebrauch kleiner Dosen so stark, dass von
der weiteren Anwendung des Mittels Ab-
stand genommen werden musste. In dem
Folgenden wird dieser Patient daher nicht
mitgezählt werden. In den beiden anderen
Fällen traten die Beschwerden nach ca.
14 Tagen auf, als schon eine grössere Dosis
des Kreosots (3 Mal tägl. 3 Kapseln) ver-
abreicht worden war. Es wurde das Medi-
cament während einiger Tage ausgesetzt,
dann wieder angewandt und nun auch wie-
der vertragen.
Ein wesentlicher Einfluss des Kreosots
auf die tuberculösen Processe lässt sich in
zwei Fällen constatiren; es sind das dieje-
nigen Kranken, bei denen der Process die
geringste Ausdehnung genommen hatte, und
welche mehrere Monate in Behandlung blie-
ben. Bei diesen beiden Patienten war bei
der Entlassung auf den Lungen absolut nichts
Abnormes mehr nachzuweisen. Die übrigen
7 Patienten blieben nur 3 Wochen bis l^a
Monate in Behandlung. Auch hier wurden
die physikalischen Phänomene schw^ächer
(bei 5 dieser Pat, verschwanden die Rassel-
geräusche vollständig), die Secretion und der
Husten Hessen nach, das Allgemeinbefinden,
hob sich. Für eine definitive Beurtheilung
jedoch verliessen diese Patienten die Anstalt
zu früh.
II. Die weitaus grösste Zahl der in Be-
handlung genommenen Phthisiker befand
sich schon in einem vorgeschritteneren Sta-
dium der Krankheit. Die besten Erfolge
wurden in diesen Fällen bei denjenigen Pa-
tienten erzielt, bei denen die Krankheit
einen durchaus langsam verlaufenden Charakter
tu. JalirgaBg.!
Mai 1889. J
Holm, Zur Kreotot-Therapie bei LungentubareuloM.
215
darbot, wo yerhältnissmäBBig wenig Husten
und Auswurf und keine auf derselben Basis
beruhenden Erkrankungen anderer Organe
Torhanden waren.
In 21 Fällen gelang es, den Zustand
der Patienten während ihres Verweilens in
der Klinik so weit zu bessern, dass das
Allgemeinbefinden bedeutend gehoben wurde,
und dass sie nach dem Verlassen des Kranken-
hauses leichtere Arbeit wieder aufnehmen
konnten. £ine Abnahme der Krankheitser-
scheinungen konnte constatirt werden. Diese
Patienten standen im Alter von 25 bis
68 Jahren; unter ihnen waren 2 Frauen
und 19 Männer. Fünf Ton ihnen suchten
wiederholentlich die Klinik auf (3 bis 4 Mal)
und verliessen jedes Mal, nachdem sie mit
Kreosot behandelt waren, in gebessertem
Zustand die Anstalt. Auch hier wurde das
Präparat sowohl in Sommerbrodt^schen
Kapseln, als in der Zusammensetzung mit
Tinct. Gent, recht gut yertragen. In zwei
Fällen nur zeigten sich Nebenerscheinungen
von Seiten des Yerdauungssystems ; eine
Pause von wenigen Tagen genügte, um das
Medicament weiter gebrauchen zu können.
Die Resultate waren ähnlich, wie die
sub I angeführten: Zuweilen Steigerung des
Appetits, stets Verminderung des Hustens
und Auswurfes (letzterer blieb immer tuber-
kelbacillenhaltig), Hebung des Allgemeinbe-
findens. Eine Temperaturherabsetzung bei
bestehendem Fieber kann nicht sicher auf
die Wirkung des Kreosots zurückgeführt
werden, da ein Sinken derselben nur ein
Mal bei ausschliesslichem Kreosotgebrauch
beobachtet wurde; in den anderen Fällen
musste immer zu Antipyreticis gegriffen
werden. Ob das Kreosot die bestehenden
Schweisse herabsetzte, kann ebenfalls nicht
constatirt werden; es wurden in diesen
Fällen ausser dem Kreosot noch zweckent-
sprechende Mittel, wie Atropinpillen oder
Strychnintinctur etc., angewendet.
III. Ohne Resultat blieb die Anwendung
des Kreosots in 23 Fällen. Bei diesen
Patienten hatte der Krankheitsprocess schon
ausgedehnte Lungenbezirke ergriffen und zu
weitgehenden Zerstörungen geführt. 12 von
den Kranken yerliessen die Anstalt ohne
jede Spur Ton Besserung; bei 11 erfolgte
der Exitus letalis.
Fassen wir nun die angeführten Fälle
zusammen und bezeichnen wir diejenigen,
wo bei der Entlassung der Patienten nichts
Abnormes mehr auf den Lungen nachzuweisen
war, als ,, anscheinend geheilt^, diejenigen
dagegen, wo eine Wiederherstellung des
körperlichen Wohlbefindens erzielt war, so
dass die Patienten wenigstens leichtere Ar-
beit wieder verrichten konnten, als „ge-
bessert", so resultirt daraus folgende Sta-
tistik :
Jahrgang
Anzahl der
Patienten
anscheinend
geheilt
gebessert
nicht 1
geheilt 1
sterben |
M&rz 1887
bis Nov.
1888
53
(nrsprttng-
lich 54, 1 Pat.
kann Jedoch
nicht mitge-
rechnet
werden cf.
oben)
2 —
Q 7 0/
28 —
62,8 »/,
12
11
Diese erzielten 3,7 % „anscheinend ge-
heilte" erreichen fast den von Fräntzel an-
gegebenen Procentsatz. Dagegen ist der
Procentsatz der „gebesserten" bedeutend
höher, als von anderen Autoren angegeben
wird. Dieser Umstand findet seine Erklä-
rung darin, dass in der Greifswalder Klinik
bald diejenigen Kranken, bei denen die
Lungentuberculose schon zu weit vorge-
schritten war, von der Kreosotbehandlung
ausgeschlossen wurden, dass also nur ver-
bal tnissmässig günstige Fälle für die Kreo-
sot-Therapie herangezogen wurden.
Von der Charakteristik jedes einzelnen
Falles muss hier natürlich Abstand genom-
men werden. Die einzelnen Momente in
der Wirkungsweise des Kreosots zusammen-
fassend betrachtet, ergeben folgendes Re-
sultat :
1. Das Kreosot wird sowohl in Kapsel-
form, als auch in der Zusammensetzung mit
Tct. Gentiana in den meisten Fällen gut
vertragen, sobald man mit kleineren Dosi-
rungen beginnt und das Medicament nach
den Mahlzeiten nehmen lässt. Zuweilen
steigert sich der Appetit. Der Geschmack
rief in keinem Falle dauernde Abneigung
hervor, vielmehr war die Gewöhnung an
denselben eine sehr rasche. Dass jedoch,
wie es manche Autoren hervorheben, ein
besonderes Bedürfniss nach dem Mittel ent-
stand, konnte nicht bemerkt werden.
2. Bei bestehenden Diarrhöen auf tuber-
culöser Basis hatte das Kreosot keinen Ein-
fluss; bestehende Obstipation wurde ebenfalls
nicht aufgehoben.
3. Eine Herabsetzung des Fiebers durch
Kreosot ist fraglich.
4. Unzweifelhaft ist in 12 Fällen die
erzielte Besserung der Krankheit durch
Kreosot allein bedingt. In den übrigen
18 Fällen (cf. die 30 Fälle der anscheinend
geheilten und gebesserten) ist der Erfolg
theilweise vielleicht zugleich durch die be-
deutend bessere Ernährung, als sie den
Patienten im Privatleben zu Gebote stand,
bedingt. Die ersten 12 Patienten lebten
jedoch in so günstigen Privatverhältnissen,
216
D«ttwell«ry Uebttr ein Taieheoflfttchcb«ii flir Hustend«.
tTherapeatlsche
llonatiihaft«.
dass bei ihnen eine mangelhafte Ernährung
ausser Betracht kommt.
5. Bei geringeren Blutbeimengungen im
Sputum zeigte das Kreosot eine gute Wir-
kung, da mit dem spärlicher werdenden
Auswurf auch diese Blutbeimischungen ver-
schwanden. In den Fällen, wo Hämoptoe
in stärkerem Maasse bestand, wurden gleich-
zeitig andere Medicamente angewandt.
6. Bronchial-Secretion und Husten nahm
stetig ab; das Sputum blieb tuberkelbacillen-
haltig.
7. Die Wirkungen des Präparates zeigten
sich um so besser, je reichlicher Kreosot
eingeführt wurde.
8. Bei weit vorgeschrittenen Veränderun-
gen der Lungen ist bei der Lungentubercu-
lose vom Kreosot kein Erfolg zu erhoffen.
Dagegen ist
9. seine Anwendung bei frisch beginnen-
der und chronischer, nicht zu weit gedie-
hener Schwindsucht «zu empfehlen.
Ueber
eiu Tasclienfläschclieu filr Hustende')*
Von
Qeh. Sanitätsrath Dr. Dettweiler
in Falkenslein.
Meine Herren!
Das verehrliche Präsidium hat mir die
Erlaubniss gegeben, Ihre freundliche Auf-
merksamkeit einige Minuten in Anspruch zu
nehmen für einen dem Anschein nach recht
geringfügigen Gegenstand: „ein Taschen-
fläschchen für Hustende^\ das aber als
naturgemässe Consequenz unsrer heutigen
Kenntnisse in seiner Bedeutung, trotz Klein-
heit und vulgären Zweckes, wohl kaum be-
anstandet werden dürfte.
Es war bis jetzt, wie Sie alle wissen,
nicht gelungen, das Vorkommen des Bacillus
der Tuberculose ausserhalb des thierischen
und menschlichen Organismus in der freien
Luft oder deren Niederschlag, dem Staube,
überzeugend nachzuweisen, so sehr ein sol-
ches als thatsächlich bestehend angenommen
werden musste. Es ist unnöthig, sich hier-
über vor einer solchen Versammlung des
Weiteren auszulassen. Die ausserordentlich
gewissenhaften, vielhundertfältigen und meines
Erachtens schon durch ihre Provenienz ein-
wandfreien Untersuchungen Dr. Cornet's,
veröffentlicht im 5. Heft der Zeitschrift
') Demonstrirt auf dem 8. Congress für innere
Medicin zu Wiesbaden 1889.
für Hygiene 1888, deren Kenntniss ich
gleichfalls hier voraussetzen darf, haben
nun kürzlich (auch der grosste Zweifler muss
dies anerkennen) unumstösslich dargethan,
dass die Infectiosität der Luft in der Um-
gebung eines Phthisikers, der seinen Aus-
wurf auf den Fussboden oder in das Taschen-
tuch entleert, der also, um es mit Cornet
kurz zu sagen, unreinlich spuckt, eine That-
Sache ist, und dass jene Ansteckungsfähigkeit
in dem Staube aus der nächsten Umgebang
eines solchen Kranken ihre Ursache hat, be-
ziehungsweise dass der Staub, das eingetrock-
nete und zerriebene Sputum der weitaus
häufigste Träger und Ueberträger des Bacillus
ist. Die in Rede stehenden Untersuchungen
haben, abgesehen von einer erheblichen und
erfreulichen Einschränkung der seither an-
genommenen Ubiquität des Bacillus, auch
denjenigen, welche bis jetzt im Zweifei über
die nicht sicher erwiesene Infectionsfahigkeit
der Luft einen praktisch wenigstens indiffe-
renten Standpunkt einnahmen, das schein-
bare Recht hierzu genommen. Eines der
erfreulichsten Ergebnisse der Untersuchungen
Cornet^s ist aber der Beweis für das, was
meine und vieler Meinung längst war, dass
der Tuberculose an und für sich nicht die
geringste Gefahr bringt, dass er absolut un-
schädlich ist, wenn für zweckmässige Be-
seitigung des Auswurfs und eventuelle Des-
infectiou seiner Effecten und des Kranken-
zimmers Sorge getragen wird. Cornet hat mit
dem Staube aus sechs Krankensälen, '/s ^^^
untersuchten, die dicht mit Phthisikern be-
legt waren, in denen aber nur in vorge-
schriebener, richtiger Weise expectorirt wurde,
keine Infection erzielen können, während eine
solche fast ausnahmslos (74 Procent) gelang,
wo Taschentuch oder Fussboden hierzu be-
nutzt wurden. Der Kranke kann demnach
nur sich und Anderen Schaden bringen durch
üble Gewohnheit, das heisst, durch Unrein-
lichkeit in dem oben deflnirten Sinne. Und
unreinlich in diesem Sinne sind noch die
meisten Phthisiker und Hustenden überhaupt,
sie sind meines Erachtens gezwungen hierzu
durch unsere gesellschaftlichen Gewohnheiten
und häuslichen Einrichtungen. Die Alles be-
friedigende Technik und Industrie unserer Tage
sind in mancher Beziehung merkwürdig weit
zurückgeblieben, der praktische, die Sinne nicht
beleidigende Spucknapf ist noch zu erfinden.
Man hat, indem man denselben zum Stief-
kind, zum versteckten, schämenswerthen Find-
ling der häuslichen Einrichtung machte, ihn
sowohl wie das Bedürfniss seiner Existenz
ignoriren zu dürfen geglaubt und damit Ge-
wohnheiten erzwungen, die ebenso unserer
verfeinerten Lebenssitte wie, nach unserem
Datlwallct, Oabar alii TBiehanDlsohohaa f&r HiuMod«,
217
heutigen Wiaseo, dem Allgemeinwohl Hohn
sprechen. Nur bei den aberrein liehen Hol-
ländern h&tte der Spucknapf in dem bekann-
ten Kwispeldoorchen, das in coDHervativen
Bürgerfamilien noch heute hier und da in-
mitten der Tafel zum allgemeinen Gebrauche
Bteht, eine nicht ganz appetitliche, aber ziem-
lich Btilgemäsae Verkörperung gefunden. Der
UuBtende, der Auswerfende, vor Allem a)BO
der Phthisiker, war und ist bis jetzt ge-
zwungen, in den meisten Fällen seinen Aus-
wurf in sein Taschentuch oder auf den Fuss-
boden zu deponiren und in uuBerem Sinne
damit unreinlich, das beisat sich und Andern
geßhrlich zu sein. Denn wo ist ihm im
Gesch&rt, im Bureau, Salon, in der Kirche,
im Theater, im Concert, Hör- und Gerichts-
saal, besonders aber im Wartesaal und auf
langer Eisen bah nfabrt die Möglichkeit ge-
boten, seine Bronchial- und Lungensecrete
anders als in der gerügten Weise wegzu*
schaffen ? Als das Zulässigste, weil für
den Augenblick die Sinne am wenigsten be-
leidigend, galt eben noch, ins Taschentuch
lu spucken. Nun kommt die Entdeckung
des Bacillus und als Folge der Nachweis
einer geradezu eminenten Schädigung des
allgemeinen Wohles durch die seitherige Ge-
pftogenheit. Hier muss Abhijire, im gewissen
Sinne eine kleine sociale Revolution geschaffen
werden, und die strenge Nothwendigkeit recht-
fertigt es, wenn ich, etwaige billige Witze
und Spöttereien nicht scheuend, gerade vor
den ersten Areopag Deutschlands in Dingen
des gesundheitlichen Wohles hin trete mit
dem ersten Versuche einer wirksamen Ab-
hülfe, einer Verminderung der ungeheuren
Gefahr, die in immer weiterer Verbreitung
der Schwindsucht liegt. Indem ich, unter
Au frech terha! tun g -meiner anderen, vielfach
abweichenden Ansichten, wie über Disposition
n. A., jene von Cornet erwiesenen Thatsachen
und diese Anschauungen so nachdrücklich be-
tone, trete ich keineswegs in Widerspruch mit
früheren Aeusserungen; ich habe den ersteren,
sobald für mich die Beweise zwingend gewor-
den waren, sofort in ausgedehnter Weise prak-
tisch Rechnung getragen, wie jeder Besucher
Falkensteins sich überzeugen konnte. Schon
vor fünf Jahren hatte ich in meiner Schrift:
„Ueber Behandlung der Lungenschwindsucht"
ausgesprochen: „Wäre es möglich, ein hand-
liches, kleines, durch Federdruck verschliess-
bares Geftss zu constroiren und gelänge es
durch eine weitgehende Agitation aller Aerzte
und der gesammten Presse das kranke Pub-
likum zu veranlassen, nur in einem solchen
Gefaese seine Sputa abzusetzen, so wäre eine
endliche Ausrottung oder doch erhebliche
Verminderung des Bacillus denkbar". Ich
suchte damals diesen Gedanken praktisch
zu verwerthen, hatte aber das Unglück, an
einen unpraktischen Techniker zu geratben
und durch andere zwingende umstände von
der Ausführung meines Planes abgezogen zu
werden. College Cornet bat mich diesem
wieder zugeführt und so bin ich nun heute,
nach mancherlei Berathungen mit sachver-
ständigen Freunden und Technikern in der
Lage, Ihnen ein, durch die bekannte Firma
Gebrüder Noelle in Lüdenscheid hergestell-
tes Gebrauchsgefäss vorzulegen, das allen
Anforderungen so lange aufs Beste entspricht,
bis ein besseres erfunden wird, was natür-
lich keineswegs ausgeschlosseu ist. Die vor-
gelegten Exemplare sind als aus der Hand
gefertigte Muster zu betrachten, die noch
einiger kleiner Verbesserungen fähig sind.
Nach Ihrer Zustimmung kann die fabrik-
mässige Herstellung beliebiger Quantitäten
in wenigen Wochen ermöglicht werden.
ErkUrung.
Dos kleine GerSth ist ein etwa 85 ccn hilten-
dea flaches bUugof&rbtes Gloetl Asche bsn, welches
zwei OeffnuDgeD besitzt, eine obere grössere zum
Einführen des Sputums mit einem metslleaen
Schrauben verschluss, der ausser einem gut sc blies sen-
den federnden Deckel noch einen glntt polirten,
bis in die Hfilftc des Fläaclichens reichenden koni-
schen Trichter enthült. Die Constniction entspricht
demnach den bekannten Tintenfftascrn und verbin-
dert das AusQiessen des die H&lfte des Raumes
nicht überschreitenden Inhalts beim Umdrehen —
selbst wenn der Deckel nicht geschlossen ist. Die
untere kloinere OoCfnung dient als Reinigangsloch
und hat gleichfalls einen SchraubenverscLIuss. Das
kleine Instrument ist handlich, billig (1,50), sicher
schliessend und läset sich leicht Tollstfodig reini-
gen. Es entspricht also seinem Zwecke.
Mau halte mir nicht entgegen, dass die
gesellschaftliche Sitte dem allgemeinen Ge-
brauche desselben als unappetitlich durch
die Betheiligten widerstreben werde. Es
kommt nur auf uns an, jene zu ändern, die
hygienische Bildungs- und BelehrungsfShig-
keit des Publikums hat sich bisher als eine
218
üeUweller, Üeber ein Taaehenfiflichchen fOr ttuatehde.
rlierapeaÜseitA
Monatshefte.
für ernste Bestrebungen durchaus nicht un-
empfängliche erwiesen, was auch in dem
nun zu entfachenden Kampfe gegen miss-
bräuchliche Verwendung des Taschentuches
nnd Fussbodens hoffentlich sich zeigen wird.
"Wie Cultur und Seifen verbrauch in einem un-
leugbaren Yerhältniss stehen, so hat auch das
Taschentuch seine culturelle Mission gehabt —
es muss aber wieder zu dem, was es ursprüng-
lich war, zum Nasen tuch gemacht werden. Es
bedarf unsererseits nur der Brandmarkung
einer seither gesellschaftlich zulässigen Ge-
pflogenheit, um diese allmählich als schäd-
lich, unreinlich aus der Welt zu schaffen.
Ist doch ohne anderen Hebel als den
wachsenden Sinn für Wohlanständigkeit das
Taschentuch zu einer welterobemden cul-
turellen Macht geworden. Es sind kaum
ein Paar hundert Jahre her, dass durch
fürstliche Tafelverordnungen verboten werden
musste, „denen Junkers und Edelleuten vom
Hofe in das Tischtuch zu schnauzen oder
zu spucken^. Der „Handgebrauch^ muss
also damals wohl noch allgemein üblich ge-
wesen sein. Die nächste Folge des sich
verfeinernden Sinnes war das Nasen-, das
Taschentuch, vcelches jetzt bereits zum
stolzesten Besitztitel des schmutzigsten Neger-
häuptlings gehört. Dieses wird und ist
aber, wie wir heute wissen, ein gefahrbrin-
gendes Instrument in der Hand des Hustenden;
wir müssen also seinen Gebrau chsumfang
wieder einschränken, was nicht allzuschwer
sein kann, da hygienische wie ästhetische
Gründe zwingend sind. Denn ist es
vielleicht unappetitlicher, seinen Auswurf in
ein solches Gefäss zu entleeren, das jeden
Abend in einer halben Minute bequem zu
reinigen ist, als ihn Tage lang wie ein kost-
bares Gut im Taschentuch aufzubewahren
und ihn im ekelerregenden und gefahrbrin-
genden Zustande dem Hausmädchen oder
der Wäscherin zu übergeben? Gewiss nicht!
Ich stelle daher unentwegt und mit dem
allergrössten sittlichen und wissenschaftlichen
Ernste die Forderung auf, dass es unsere
heilige Pflicht ist, jedem Hustenden (denn
man kann nie voraus wissen, wann der
Auswurf beginnt gefahrdrohend zu werden)
den Gebrauch dieses einfachen, billigen Ge-
räthes, das nicht mehr Raum beansprucht, als
ein Geldstückchen oder eine Schnupftabaksdose
des vorigen Jahrhunderts, statt des Taschen-
tuches oder gax des Fussbodens zur unabweis-
baren, leicht zu erfüllenden Bedingung zu
machen. Wenn Jeder von uns in seinem Kreise
mit demselben Nachdruck, wie er einschneiden-
dere hygienische Maassregeln beiPocken, Diph-
therie, Scharlach und Cholera trifft, die Eltern,
Angehörigen und den Kranken selbst belehrt
und für die richtige Beseitigung des Aus-
wurfs sorgen lässt, die Nichtachtung mit
aller Strenge, ja rücksichtsloser Härte ahn-
det, wenn Sie von Ihren Lehrstühlen herab
für die Sache eintreten und namentlich wenn
die Presse ihre ungeheure Macht in den
Dienst derselben stellt, so kann in wenigen
Jahren ein Verschwinden der schädlichen
Gewohnheit bewirkt sein. Ich bitte daher
den hohen Congress, für diesen unschein-
baren kleinen Gegenstand, „das Taschen-
fläschchen für Hustende^, sein maassgebendes
ürtheil abzugeben, ich werde Ihr Still-
schweigen als Zustimmung deuten, denn ich
bin, ohne Furcht vor Missdeutung und event.
trotz dieser gesonnen, die lebhafteste er-
laubte Agitation zu betreiben, wobei ich,
wie schon erwähnt, auch auf die Unterstützung
der Presse rechne; mich leiten nur wissen-
schaftliche und humanitäre Beweggründe.
Die von mir befürwortete Maassregel ist
natürlich nur ein Glied in der Kette, die
wir die Hygiene des Phthisikers nennen
müssen, was ja auch Dr. Cornet in seiner
Schrift schon ausführlich dargethan hat.
Vor Allem ist, um das Wichtigste hier noch
kurz aufzuführen, die Vermehrung praktischer
Spucknäpfe allerorts zu fordern (ich ver-
weise auf Grund 6 jähriger Erfahrung auf
die hier befindlichen Modelle, die sich als
sehr brauchbar erwiesen haben). Der Besen
muss, besonders in der Anstalt, im Kranken-
hause, im Hotel und in der Pension für
Lungenkranke verpönt sein, alle Wohnräume
und Gänge müssen feucht aufgenommen
werden. Man sollte die Teppiche, mit Aus-
nahme einer kleinen Bettvorlage, zu be-
seitigen streben, die Zimmer nach und nach
mit Linoleum oder ähnlichen Stoffen belegen,
die Wände nach der Abreise oder nach dem
Tode eines Lungenkranken mit frischem
Schwarzbrod abreiben, die Effecten durch
überhitzten Wasserdampf desinflciren lassen.
Auf diese Weise würde neben dem obli-
gatorischen Gebrauche des Taschen-
fl äschchens eine Sicherheit geschaffen
werden, die kaum übertroffen werden kann
und von deren wohlthätigen Folgen für die
Menschheit wir bis jetzt kaum eine Ahnung
haben. Ich bin mehr als je der Meinung,
dass ein in diesem Sinne geleitetes Kranken-
haus, eine Heilanstalt oder Pension für
Lungenkranke weniger Gefahr für Gesunde
und Kranke bringen, als irgend ein anderer
öffentlicher Ort in der Welt oder eine nach dem
seitherigen Gebrauche gehaltene Privatwoh-
nung, in welcher Lungenkranke sich befinden.
Und von diesen Gesichtspunkten aus lege
ich gerade für dieses kleine unentbehrliche
Gefäss, das den hygienischen Ring erstsohliesst
nL Jahrgang.*!
Mai 18S9. J
Hoffmaon u. Lange , Beobachtungen über da« Ichthyol nach dreiJähr. Anwendung. 219
und das die volle Lösung der von Ewald
präcisirten Formel: „ ausschliesslich ins
Speiglas^ bringt, zum Schlüsse nochmals
bei Ihnen ein recht nachdrückliches, gutes
Wort ein.
Beobacbtiuigreu über das Ichthyol nach
dreijähriHT^r Anwen<luugr*
Von
Dr. von HofTmann, nnd
Dirigent der Augeaheilanatalt
in Baden-Baden.
Dr. Lange,
pract. Arzt
Das Ichthyol ist unter den neueren Heil-
mitteln für den practischen A.rzt, dem das
Heilen und Hilfebringen am Herzen liegt,
80 hervorragend, es führt zu glänzenden Er-
folgen auf so breitem Gebiet, dass, wie schon
von Nussbaum sagte, seine Universalitat in
den Augen des Publikums leicht auch für
Aerzte etwas Verdächtigendes an sich tragen
kann. Aber keines der neueren Mittel lohnt
so sehr die intime Beschäftigung mit ihm,
kann in so vielfachen Formen in der Sprech-
stunde vom Arzte applicirt, so ohne Schaden
Kranken anvertraut werden. Es passt gut
in das Besteck des Arztes. Wir wollen die
Litteratur über dasselbe voraussetzen, um so
mehr, als die Ichthyol -Compagnie dieselbe
in liberalster Weise den Interessenten zur
Verfügung stellt.
Im Allgemeinen können wir sagen, dass
wir die wichtigsten Publicationen von Unna,
Zuelzer und von v. Nussbaum in allen
ihren Punkten während einer dreijährigen
Beobachtungsdauer bestätigt gefunden haben.
Im Folgenden sollen aus einer drei-
jährigen Stadt- und Land-Poliklinik und aus
der Privatpraxis Beweise für das oben aus-
gesprochene Lob beigebracht werden. Was
die innerliche Darreichung des Ichthyol an-
langt, so ist in Pillen und Capsules für die
Forma elegans gesorgt, die anderweitige Ver-
ordnung macht dem Arzte, Kenntniss von
der Chemie und Physiologie des Ichthyols
vorausgesetzt, keine Schwierigkeiten.
Unter den Patienten giebt es indessen,
wenn auch sehr selten, einige, welche das
Mittel sofort energisch abweisen, trotz besten
Willens und vielfachen Versuches; es sind
das dieselben Naturen, denen mit Leberthran
nicht beizukommen ist. Und gerade wie bei
letzterem vollzieht sich die Angewohnung
langsam, mit allgemach verschwindendem
Aufstossen, und wie der Leberthran wird
das Ichthyol zum Bedürfniss, und wollen wir
gleich erwähnen, dass es sich in der Be-
völkerung hier als Leberthranextract einge-
führt hat, eine vorzügliche Bezeichnung, welche
instinctiv die physiologische und therapeu-
tische Bedeutung des Ichthyol illustrirt.
Im Allgemeinen wird das Ichthyol überall
da hervorragend wirken, wo es sich um
Ructus, Flatus, stinkende und geruchlose,
um Tympanitis, um alle jene Formen von
Bedrückungen durch „Winde** handelt, welche
die Menschen so hochgradig beunruhigen, sie
zu Hypochondern und Leidenden machen,
die unser Mitleid und mehr noch unsere
Findigkeit anstacheln. Das Symptom „Blä-
hungen*'^ im weitesten Sinne können wir so-
fort mit Ichthyol behandeln, es ist ein
zuverlässiges Mittel bei Magen- und Darm-
katarrhen, welches man ambulanten Kranken,
die aus socialen Gründen eine Cur auf be-
stimmte Zeit vertagen müssen, mit Vortheil
bis zur möglichen eingehenden Behandlung
anvertrauen kann. Dose und Form ist dabei
individuell abzumessen.
Selbst jahrelang bestandenes, mit Migräne
wieder plötzlich auftretendes Aufstossen und
ganz acut aus gährenden Speisen entstan-
denes kann sofort durch eine Dose Ichthyol
in reichlichem Wasser beseitigt werden.
Es giebt hier eine Form von Scrophu-
lose, welche auf dem Lande und in den
Gebirgsorten reichlich sich findet und zurück-
zuführen ist nicht auf Armuth, schlechte Woh-
nung, Nahrungsmangel, sondern auf wenig
strenge Erziehung, mangelnde Reinlichkeit
und verkehrte Pflege der Elinder, und geradezu
auf Ueberfütterung. Die Kinder essen immer
ein salzloses, fades, oft schlecht durchge-
backenes Brod, so lauge sie etwas bekommen,
dazu an den gestatteten Esszeiten weissen
Käse, der sehr unsauber und oft zersetzt,
dazu Most oder Haustrunk, auch nur das
Unreine, Trübe, denn das Gute wird ver-
kauft, viel Obst, upreif und reif. Bei den
Hauptmahlzeiten fehlt es nicht an guten
Fleisch-, Milch- oder Mehlsuppen, zu denen
dann aber der Appetit mangelt und sich sehr
oft schlierigen Kartoffeln zuwendet mit un-
gesalzener, schlecht ausgewaschener und ran-
ziger Butter. Des Nuss- oder Bucheckern-
öles bedient man sich zum Schmelzen und
Backen. Die Kinder sind rothbäckig, leidlich
fest und kräftig ; aber die Lymphdrüsen sind
geschwollen, es finden sich diverse Haut-
ausschläge, meist Ekzeme, schlechte Zähne,
belegte Zunge, oft nach saurem Most riechen-
der Mund, grosse Flatulenz und enorme,
charakteristisch stinkende Sedes. Kopfhaut,
Ohrengegend, Mundwinkel zieren Eczeme, in
deren Gefolge durch Uebertragung entstan-
dene Augenkrankheiten selten ausbleiben,
darunter Blepharitiden mit Pilzbildungen an
28*
220
fTherapentliehe
Hoffmann u« Lange, Boobaehtungen über du Ichthyol nach dreyShr. Anwendung. 1 Monatahe^
den Cilienwurzeln, Phlyctaenen am Rande der
Cornea und auf dieser selbst, wo es dann
zur Geschwürsbildung kommt. Die anderen
Ortes häufige Keratitis-Büschelform ist hier
selten, der Gang der Infection Tom Ekzem
zum Auge ist allen Practikern bekannt, wird
auch oft genug durch Eiterung an den Finger-
nageln angezeigt.
Diese Kinder wurden früher nach er-
probter Praxis zunächst nach sorgfältigem
Bade in Carbol-Sublimatseife — neuerdings
in CreolinlösuDg — mit Calomel innerlich ge-
reinigt und es dauerte immerhin 7 Tage,
eventuell länger, so dass eine zweite Dosis
Calomel nöthig wurde, bis der Gestank der
Sedes nachliess. Jetzt, seit Sjähriger Er-
fahrung, werden die Kinder nach demselben
Bade sofort mit Ichthyol behandelt. Ichthyol,
Akoh., Spir. aether aa, anfangs so viel Tropfen
als das Kind Jahre zählt, dann in steigender
Dose, zweimal des Tages mit vielem Wasser
zum Nachtrinken ad libitum.
Schon am 2. Tage ist der Einfluss zu
merken, auffallend ist die Minderung der
Flatulenz, Desodorirung der Sedes, Reinigung
des Mundes und der Zunge. Dazu werden
etwaige Drüsen mit Ichthyol, pur. behandelt.
Jede gewünschte Wirkung kann die Dosirung
verschaffen und verschwinden harte Drüsen-
knollen unter „starker (Unna pag. 15) Wir-
kung^* mit Hornhautabstossung hierbei an-
genehmer und schneller, als unter irgend
einem anderen Heilmittel. Ohne besondere
Diät, als die einer vernünftigen Anstaltskost,
werden die Kinder gesunder und gebrauchen
das Leberthranextract, wie es die Leute
nennen, gerne weiter.
Aber auch bei Erwachsenen wirkt das
längere Zeit gereichte Mittel umstimmend auf
den ganzen Körper. Ein Gichtiker, der seine
ersten drei Attacken ausgehalten, ohne irgend
eine Erleichterung durch die gebräuchlichen
Hilfen, der in stetem Wechsel von Durchfall
und Verstopfung, quälender Flatulenz, sich
stärker füllenden Hämorrhoiden viel zu
leiden hatte, ist nach vierteljährlichem Ge-
brauch von Ichthyol geheilt und die vierte
Attacke war in 74 Stunde schmerzlos.
Ein 20 jähriges Mädchen, welches an
Chlorose und Tuberc. incip. litt und Vj^ Jahr
lang Eisenpillen gebraucht hatte und Mor-
phiumpulver, a discretion gegeben, war geistig
und körperlich so heruntergekommen, dass,
nachdem alle Hilfe umsonst gewesen, man
es aufgegeben hatte; es wog 48 Kilo. Hier
wirkten Ichthyolpillen vom ersten Tage an
beruhigend, die Tympanitis der Därme ver-
schwand und trotz sehr geringer Ernährung
80 g Eiweiss, 40 g Fett und 200 g Kohle-
hydrate trat sehr bald kein Gewichtsverlust,
sondern Zunahme ein, und da ich einen
Einfluss auf den Spitzenkatarrh und den
durch 4 monatliche Bettlage in den hinteren
und unteren Theilen der Lunge mit klein-
blasigem Rasseln einhergehenden Katarrh zu
sehen glaubte, stieg ich bis auf 3,5 g Ichthyol-
Natrium pro Tag. Dabei war auffallend,
dass die Sedes fast geruchlos wurden, dass
die HarnausscheiduQg anfangs an Menge ver-
doppelt und dass hier erst nach Wochen der
Harn, normal an Menge, sich dunkel förbte
und auch dann erst den Veilchen geruch an-
nahm. Der Auswurf, der wenig aber regel-
mässig Bacillen enthielt, wurde massig,
dünnflüssig, roch wie frische, nasse Wäsche
und hatte in der 12. Woche keine Bacillen
mehr. Ich hatte den Eindruck, als schwitze
die Lungenschleimhaut, so laut war überall
das nasse Rasseln und die Masse reizte zum
Auswurf ohne Kitzel, Qual, Anstrengung.
Erst als ich das Getränk möglichst ein-
schränkte, als die Wärme Aufenthalt im
Freien gestattete, schwand dieser Auswurf
und nun nahm Kraft (62 Kilo) und Gesund-
heit so zu, dass Patientin die See- und
Landreise nach Peru antreten konnte, von
wo noch keine Nachricht.
Anschliessend hieran heilten Knochen-
fisteln, eine am Auge nach tuberculöser Zer-
störung desselben, eine auf dem Fussrücken
in kurzer Zeit unter Ichthyol ganz ausge-
zeichnet. Wir führten Ichthyol. Amm. pur. in
die Fistelgänge ein, iudem wir zuerst die
in Ichthyol getränkte Watte wie einen Aetz-
stift gebrauchten, später tropfenweise Ichthyol
hineinbrachten.
Nach unverständigen Marien- und Carls-
bader Laien-Curen, bei diätetischen Experi-
mentatoren, bei einem verstopften Vegeta-
rianer, überall regelt das Ichthyol die Magen-
Darmthätigkeit, hilft Diarrhöen und Ver-
stopf ud gen steuern.
Es ist eben ein Mittel, welches seine
(eigene grössere) Wirksamkeit herbeifuhrt, in-
dem es Katarrhe der Schleimhaut beseitigt,
chemisch bestimmend auf die Ingesta wirkt
und als Eiweiss ersparendes vorsichtig in der
Ernährung zu sein erlaubt und ein Ausruhen
der Digestion ohne Kräfteverlust gestattet.
Bei raschem Wachsthum der Kinder, in den
Fällen, wo die Scrophulose nur in der Nase
localisirt ist, Borkenschnupfen und reichlich
glasiges, riechendes Excret, wo das Mehr-
essen nicht zu erreichen, oder bei ner-
vösen Kindern sofort Verstimmung hervor-
ruft, wirkt Ichthyol local und innerlich viel
schneller und sicherer wie Leberthran.
Die äussere Anwendung des Ichthyol ist
aber noch dankbarer und mannigfacher, es
kann mit viel besserem Erfolge in der Hand
IZI. Jafarir»Dg.'1
Mai 1889. J
H o f f m ann u. Lange, Beobaefatungen über das Ichthyol nach dre^jähr. Anwandung. 22 1
des Arztes in der Sprechstunde wirken, als
Jodtinctur oder Salben. Zudem kommt, dass
es sich in alle erdenklichen Verbindungen
und Formen bringen lässt, mit Sublimat und
Jod, mit Alkohol und Aether, mit Wasser und
Salben, mit Oelen und Seifen.
Es ist ein ausgezeichnetes Blutsti]lunfi;s-
mittel und giebt in der Plastik im Gesicht,
bei sorgfältigen Nähten der Hand- und Finger-
yerletzungen wundervolle Narben. Mit ihm
kann die Renommimarbe nicht gedeihen und
ist Ichthyol ein wahres Cosmeticum in ge-
schickter Hand. Es ist ein souveraines
Mittel bei Verbrennungen, selbst 2. Grades
noch nach ^j^ Stunden angewendet. Dabei
bemerke ich, dass ich an Stelle des Pinsels
eine Glaspipette wie einen Pinsel gebrauche,
indem ich die Tropfen auffallen lasse, event.
damit verstreiche, man muss nur nicht mehr
als 10 Tropfen auf einmal nehmen.
Bei Entzündungen der Gelenke, ob als
traumatisch oder rheumatisch oder aus sonst
irgend einem Grunde, habe ich herrliche
Erfolge auf folgende Art: Mit Seife, in
letzter Zeit Ichthyol seife, reibe ich meine
Hand ein und salbe das Gelenk wiederholt
vorsichtig mit dem Schaum, spüle ihn funf-
bis sechsmal ab mit recht warmem Wasser,
eventuell mit dem Schwamm; auf diese nasse
Haut bringe ich sofort mit einem Spatel
Ichthyol A. pur., so dass das ganze Gelenk
von einer dunkelbraunen glatten Ichthyol-
Schicht bedeckt ist, darüber kommt eine
dicke Wattelage ohne wesentlichen Druck. In
allen Fällen war der Schmerz in '/^ Stunde ge-
ringer. 6 bis 12 Stunden bleibt dieser Verband,
dann entscheide ich, wie weiter zu verfahren.
Distorsionen im Fussgelenk, Verstauchun-
gen der Hand, Schwellungen im Kniegelenk
verlaufen unter keiner Behandlung in so
kurzer Zeit.
Eine Luzatio pollicis auf den Handrücken
heilte unter Ichthyol, pur. in 6 Tagen, und
bildete die dicke, hornige, abgestossene Epi-
dermis der Maus ringsum bis zum 1. Gliede
eine vorzügliche Schiene für die erste Zeit.
Der acute Gelenkrheumatismus mit vielen
Recidiven und geschwächter Constitution ist
für innerliche und äusserliche Behandlung,
Lanolin-Ichthyol bei geringster Empfindung
im Gelenk, sehr geeignet, es schafft eine
bisher „nie dagewesene Gesundheit ^\
Von den Hautkrankheiten möchte ich die
practischen Aerzte vor allem auf die Hitze-
Erytheme fleissiger Hausfrauen und Feuer-
arbeiter, auf die Rosace-Patienten und jene
rothen Nasen mit Schmetterlingsflügeln links
und rechts auf den Wangen, aufmerksam
machen, weil diese Heilungen ein überaus
dankbares Publikum finden.
In den „Dermatologischen Studien" und
den „neueren Fortschritten in der Therapie
der Hautkrankheiten" von Unna findet der
Leser das Beste und Brauchbarste, eine wahre
Fundgrube für den practischen Arzt. Wer
selbst Hand anlegt, auch wohl den Kamm
selbst in die Hand nimmt, wird sehen, dass
Krankheiten der Kopfhaut und Haare und
sogenanntes nervöses Kopfweh auch mit
Ichthyol prächtig zu heilen sind.
Venen Stauungen und entzündete Venen
mit und ohne etwaige Ulcera cruris, entzünd-
liches Oedem der Augenlider (hier mit nach-
folgendem Paraffin-Ichthyol- Verband nach der
Ichthyol- Auf Streichung), selbst eine Infections-
wunde am Finger mit Oedem bis zur Schulter
und Lymphangitis und Phlebitis ging unter
12 stündigem Ichthyol, pur.- Verband zurück
und zeigte sich die Schwellung hinterher an
allen Stellen, wo kein Ichthyol hingestrichen
war. Auch hier beseitigte ein sofortiger An-
strich sofort die Schwellung.
Dabei ist zu beachten, dass etwaige starke
Ichthyol-Wirkung durch schwache, geeignete
Ichthyol-Präparate beseitigt werden kann, so
dass man den Effect ganz in der Hand hat.
Hartnäckige Schnupfen, granulirende Ge-
schwüre der Nasenschlcimhaut, die Borken
setzende Scrophulose eignen sich sehr für
locale Ichthyol-Behandlung und lassen wir
hinterher Ol. Eucalypti oder Menthol an die
Nasen Öffnung streichen, es mindert das sehr
den heftigen Reiz zum Niesen. Ebenso ist
das Anstreichen auf die aufgerissenen Taschen
in den Mandeln gleich nach dem Aufreissen
sehr zu empfehlen. lieber das letztere cfr.
von Hoffmann („Pract. Arzt". Mai 1887),
Beobachtungen, die wir jedem Practiker drin-
gend au das Herz legen wollen.
So hätten wir denn aus den Hunderten
von Beobachtungen das Sichere erwähnt und
gestehen, dass kaum ein Mittel uns so be-
schäftigt, uns zu so individualisirender Be-
handlung genöthigt hat, trotz der durch-
sichtigen physiologischen Wirkung, soweit
sie bisher bekannt ist.
Nach weiteren halbjährigen Versuchen
möchte ich darauf hinweisen, dass Ichthyol
schneller wirkt, wenn es, mit Alcoh. Aeth.
tropfbar flüssig, tropfenweise in Wasser ge-
geben wird, die Tropfenzahl in einem Schluck
und einer Tasse Wasser zum Nachtrinken
respective die Mittagssuppe oder der Abend-
thee und Morgen trunk.
Auch haben wiederholte Stickstoffbestim-
mungen die Zuelz er' sehen Erfahrungen be-
stätigt, zumal gegenüber dem Thiol Riedel,
dem die specifische Ichthyolwirkung fehlt,
obgleich es äusserlich ihm ähnlich aussieht,
222
V. Brunn, Zur Ichthyol-Behandlung des Erysipelas.
TTherapeiitUiGbe
L Monatohefte.
Zur
Ichthyol-BehaiiflluDg- des £rysipe1a8«
Von
Dr. von Brunn (Lippspringe).
Nachdem der günstige Einfliiss des Ich-
thyol auch beim Erysipelas von maass-
gebender Seite, in Sonderheit von Unna
und Nussbaum, gerühmt und empfohlen
worden, hatte ich, von jeher Verehrer des
Mittels, mir vorgenommen, auch meinerseits
dasselbe bei der ersten Veranlassung beim
Roth lauf zu versuchen. Eine * Gelegenheit
hierzu bot sich mir vor Kurzem in meiner
nächsten Umgebung dar, indem die inmitten
der eigenen Familie wohnende Lehrerin
meiner Kinder an der Gesichtsrose er-
krankte.
Dio junge Dame von 25 Jahren, deren Vater
häufig von der Eoßo befallen worden war, besitzt
selbst seit einer Reihe von Jahren eine hoch-
gradige Disposition zum Gesiehtserysipel und war
daran zuletzt erst während der diesjährigen Weih-
nachtsferien am 27. 12. 88 in der Ileimath er-
krankt gewesen und, da ein Recidiv eintrat, im
ganzen Monat Januar an der Wiederaufnahme der
Lehrthätigkeit verbindert worden. Patientin kennt
daher den individuellen Charakter und typischen
Verlauf ihrer Rose ganz genau und giebt mit
grösster Bestimmtheit an, dass ein Anfall von der
Intensität des gleich zu beschreibenden bei ihr
nie vorübergegangen sei, ohne dass der Process
auf Hals, Nacken und behaarte Theile des Kopfes
übergegangen, und 7 bis 9 Tage lang heftiges
Fieber mit intensivem Kopfschmerz vorhanden ge-
wesen, sowie grosse Prostration gefolgt wäre.
Die also disponirte Patientin bemerkte nun
am 10. 3. 89 Abends an der Nasenspitze den
ersten leichten Anflug einer verdächtigen Haut-
röthe, und di<^*?e hatte trotz sofortiger Einreibung
mit dem früher benutzten Salicylvaselin nach un-
ruhiger Nacht am 11. 3. früh 8 Uhr, als ich die
Kranke zuerst sah, auch den Nasenrücken und
die angrenzenden Partien der Wangen ergriffen
und eine T. von 38,5 ^ C. erzeugt. Dem Ver-
trauen der Patientin zu ihrer Salbe Rechnung
tragend, auch selbst auf die antibacterielle Wir-
kung der Salicylsäure bauend, Hess ich die Ein-
reibung fortgebrauchen und den cessirendcn Stuhl
durch ein Laxans befördern. Allein wie gereute
mich die gemachte Concession, als ich um 12 Uhr
Mittags, also 4 Stunden später, nach vorher-
gegangenem Schüttelfrost eine T. von 40,6® C. und
den localen Entzündungsprocess ganz beträchtlich ver-
breitert fand: Die Haut des gesammten Gesichtes
vom Mund, dem unteren Rande des Unterkiefers,
seitlich bis zum äusseren Gehorgang und oben
bis zur Stirn hinauf war diffus dunkel gerÖthet,
besonders um Nase und Augen herum stark ge-
schwollen und gespannt, in Folge de^jsen glatt
und glänzend, gleichzeitig waren die submaxillaren
Lymphdrüsen sympathisch vergrössert, und an diesen
sowie in der ganzen Gesichtshaut brennende und
spannende Schmerzen vorhanden, dabei un lösch-
barer Durst und gar kein Appetit — also da«
Bild eines foudroyanten Anfalls von Gesiehts-
erysipel.
Das Salicylvaselin hatte also das Fortschreiten
des Processes nicht verhindert, im Gegentheil der
Rose zur üppigsten Blüthe verhelfen und wurde
daher durch Ichthyol ersetzt; ich wählte aus später
zu besprechenden Gründen die Form des Ichthyol-
collodinm — Ammon. sulfoichthyolici, Aether. aa 5,
Coli od. 10 — und pinselte damit nach vorher-
gegangener sorgsamer Seifenwaschung der angren-
zenden, anscheinend noch intacten Umgebung
zuerst diese und sodann die erysipelatös entzündete
Hautpartie selbst energisch ein und Hess die vor-
her benutzte Watteumhüllung weg, in der Col-
lodiumdecke einen genügenden Schutz erblickend.
Der Erfolg war über alle Erwartung günstig: die
erste Wirkung bestand in einem wohlthuenden
subjectiven Eindruck, indem die Application an-
genehm kühlend wirkte, auch die spannenden
Schmerzen erheblich verminderte; und als ich
Abends 6 Uhr wiederkam, fand ich zu meinem
Erstaunen den Process, dessen Grenzen genau
angemerkt waren, nicht weiter geschritten und
die erysipelatöse Hautfläche selbst in hohem Grade
zxim Vortheil verändert, „die vorher rothe, ge-
schwollene, glänzende und saftreiche Haut war
eingesunken, faltig gelbbräunlich geschrumpft", die
Schmerzen waren ganz verschwunden, und ohne
Anwendung antifebriler Mittel war unter
Schweissausbruch die Temperatur um 6 Uhr auf
38,50 C. und Abends 9 Uhr auf 37,3 o C. ge-
sunken. Dem entsprechend war das Allgemein-
befinden ein besseres, der Durst hatte nachgelassen,
flüssige Nahrung konnte genossen werden, es folgte
eine relativ ruhige Nacht.
Am 12. 3. betrug die Temperatur Morgens
37,2 0 C, erhob sich jedoch während des Tage«
noch einmal auf 39,6 ^ C., da die erysipelatöse
Entzündung auf die Tags zuvor wahrscheinlich
schon inficirt gewesenen, vielleicht nicht mitge-
waschenen, jedenfalls nicht gepinselten Ohrmuscheln
übersprang; schleunigst wurden nun auch diese
eingepinselt und einige Gaben Antifebrin — in
Summa 1 Gramm — gereicht, und die Folge war,
dass schon am gleichen, also am zweiten Abend
nach der Erkrankung, die Temperatur auf 38,0** C.
gesunken, der Process definitiv zum Stillstand ge-
kommen und Euphorie eingetreten war. Es folgte
darauf wiederum unter Schweissausbruch eine
ruhige Nacht, völlige Entfieberung trat ein und
ist seitdem dauernd geblieben; die Krankheit war
also gebrochen und die Reconvalescenz begann:
Appetit stellte sich ein, die Kräfte hoben sich,
und am dritten Krankheitstage begann unter leb-
haftem Jucken an den zueret befallenen Stellen
die Abschuppung, obwohl die an Ohren und Augen-
lidern entstandenen Blasen Zeugniss gaben von der
grossen Intensität des localen Entzündungsprocesses.
Am fünften Tage konnte bei günstigem Allgemein-
und Kräftezustande das Bett verlassen werden,
was sonst erst am 12. bis 13. Tage in gänzlich
kraftlosem Zustande möglich war, und am achten
Tage wurde der Unterricht wieder aufgenommen,
was bei Gelegenheit des Weihnachtsanfalles erst
nach fünf Wochen geschehen konnte.
in. Jabrgang.l
Mal 1889. J
V. Brunn, Zur Ichthyol-Behandlung des Eryslpelat.
223
Wir sehen also einen intensiv wie exten-
siv recht hochgradigen Erysipelasprocess,
welcher nach allgemeiner und persönlicher
Erfahrung der Patientin selbst mindestens
8 bis 10 Tage zur Abheilung zu bedürfen
versprach, in überraschend schneller, rein
abortiver Weise zum Ablauf gekommen nach
einer das Utile und Jucundum bestens ver-
bindenden Behandlung; denn von keinem
Unbefangenen kann der prompte Heilerfolg
wohl anders als die unmittelbare Folge der
rechtzeitigen und energischen Application
des Ichthyol aufgefasst werden. Dürfen wir
daher mit Recht dasselbe als ein Nil simile
aut secundum bei der Behandlung des Ery-
sipelas preisen, so ist von höchstem Inter-
esse die Frage, in welcher Weise diese
Heilwirkung zu Stande kommt. Behufs
Beantwortung derselben müssen wir uns zu-
nächst vergegenwärtigen, dass es nach den
neueren Forschungsresultaten feststeht, dass
der Rothlauf eine infectiöse Dermatitis ist
und erzeugt wird durch einen ketten bilden-
den Streptococcus, welcher durch eine
zufällige kleine Verletzung der Haut oder
angrenzenden Schleimhaut in die Lymphge-
fasse der Cutis eindringt und eine Entzündung
ihrer Wandungen erzeugt; diese hat sodann
eine mehr oder weniger starke Hyperämie
der Cutis und consecutive massenhafte se-
röse Transsudation in das subcutane Binde-
gewebe sowie zwischen Cutis und Epidermis
zur Folge, wodurch ein besonders geeigneter
Nährboden für die fernere Proliferation des
Pilzes geschaffen wird. Die erysipelatös
entzündete Hautfläche ist demnach gleichsam
ein von obigem Streptococcus besamtes und
bestandenes Saatfeld, dessen Yergrösserung
durch das Vordringen des Pilzes innerhalb
der Lymphgefässe und sympathische Mitbe-
theiligung der benachbarten Lymphdrüsen
vor sich geht.
Hiemach ist uns dann auch die For-
derung der Indicatio causalis klar vorge-
zeichnet und gipfelt in dem Bestreben, das
infectiöse Agens zu vernichten, resp. die
Bacterien in ihrer Entwicklung und Proli-
feration zu hemmen. In der Voraussetzung,
dadurch eine directe Abtödtung der Mikroben
zu erzielen, hat man zuvörderst die eigent-
lichen Antiseptica angewandt und kann durch
energische Imprägnirung der Gewebe mit
dem Desinflciens auch thatsächlich seinen
Zweck erreichen. • Wenn man nach Hüter
mittelst Injection oder nach Kraske mit-
telst Incision der Grenzzone eine Carbol-
säurelösung direct zuführt und von da aus
den gesammten Nährboden damit durch-
feuchtet, so wird der erysipelatöse Process
mit Bestinamtheit am Weiterschreiten ver-
hindert und die schon entzündete Hautfläche
zum schnellen Abheilen gebracht. Allein
wie schmerzhaft, ja wie grausam ist dies
Verfahren und wie wenig Patienten werden
sich damit befreunden und die Einleitung
desselben willkommen heissen! Da nun eine
minder energische Applicationsweise, z. B.
das einfache Aufstreichen antiseptischer Sal-
ben, wie der obige Versuch mit dem Sali-
cylvaselin lehrt, nichts nützt, so wird jeder
Practiker eine Behandlungsweise freudig be-
grüssen, welche auf eine ganz schmerzlose
und leichte Art den Stillstand und die
rasche Abheilung des Erysipelas bewirkt,
und eine solche ist unzweifelhaft die Be-
handlung mit Ichthyol. Die Wirkung des-
selben iat mindestens ebenso sicher und
prompt wie jene, obwohl es nicht nach Art
der Antiseptica direct bacterientödtend wirkt,
sondern durch Veränderung der nothwen-
digen Lebensbedingungen die Vegetation der
Pilze aufzuheben scheint.
Allein auch beim Ichthyol kommt es
meines Erachtens recht wesentlich auf die
Auswahl der geeigneten Form an, und ich
wählte diejenige des Ichthyolcollodium in
der, wie ich glaube, richtigen Annahme, dass
das Collodium die Wirkung des Medica-
mentes selbst sehr wohl zu unterstützen im
Stande sei. Denn der Micrococcus des Ery-
sipelas ist nach Pasteur^s Nomenklatur ein
aerobiontischer Parasit, zu dessen Entwicke-
lung und üppiger Proliferation neben dem
geeigneten Nährboden eine möglichst ergie-
bige Zufuhr sauerstoifhaltiger Luft nothwen-
dige Bedingung ist. Ein Absterben des
Pilzes wird daher am sichersten und schnell-
sten dann erfolgen, wenn es gleichzeitig ge-
lingt, den Zutritt von Sauerstoff zu ver-
hindern und die physicalisch- chemische Be-
schaffenheit des Nährbodens derart zu
verändern, dass derselbe für die Vegetation
des Pilzes ungeeignet, dass er steril wird.
Und gerade diese Aufgaben scheint mir das
Ichthyol am zuverlässigsten in der Combi-
nation mit Collodium zu erfüllen und zwar
aus folgenden Gründen:
Zunächst bildet das auf die Haut gepin-
selte Collodium eine gleichmässige homogene
und impermeable Decke, welche mechanisch
den Zutritt der atmosphärischen Luft zum
bacteriellen Nährboden verhindert und zu-
gleich vermöge seiner comprimirenden Ein-
wirkung auf die von ihm bedeckte Fläche
die Succulenz und den Saftreichthum des
Nährbodens zu vermindern geeignet ist. In
ähnlichem Sinne wirkt das Ichthyol, indem
es zunächst nach Unna vermöge seiner re-
ducirenden Eigenschaft den mit ihm in Con-
tact kommenden Geweben den Sauerstoff
224
CaBymianikl, PneumaHtoher Magenaiplrator für therap. und diago. Zwecke. [^S^'S^SSt?*
entzieht und somit auf chemiscbem Wege
den Bacterien das für sie nothwendige Le-
benselement nimmt; gleichzeitig übt das-
selbe aber einen Einfluss auf die vitalen
FormelemeQte des Nährbodens aus, indem
es das gesammte Blutgefässsystem, Arterien,
Capillarcn und Venen, in nachhaltiger Weise
verkleinert, verengt und verkürzt, also eine
Art Einschrumpfung desselben bewirkt. Dass
damit eine Abnahme der Hyperämie und
Verminderung der serösen JDurchtränkung
der Gewebe Hand in Hand geht und durch
diese Aenderung des materiellen Substrates
die Pilz Vegetation aufs Tiefste geschädigt
werden muss, ist einleuchtend, und somit
stehe ich auf Grund obiger klinischer Beob-
achtung und vorstehender theoretischer Er-
wägungen nicht an, bei jedem circumscripten
Hauterysipel, mit Ausnahme desjenigen der
behaarten Kopfhaut, das Ichthyolcollodium
als eine sehr geeignete Application sform
bestens zu empfehlen.
Pneumatischer Magrenaspirator für
therapeutiselie und diag^nostlsche Zwecke.
Von
Julian Czyrnianski,
Qew. Secundararzt im k. k. allg. Krankenbauie In Wien.
Nicht immer führt der Trichterheber bei
der Behandlung Magenkranker prompt und
rasch genug zum erwünschten Ende einer
Sitzung, die besonders im Anfang der metho-
dischen Behandlung für den Patienten sehr
unbehaglich zu sein pflegt.
So einfach und nützlich die Expressious-
methode für die Differentialdiagnostik der
Magen erkrank un gen auch ist, konmit man
doch hie und da in die Lage, sich einen
mechanischen Behelf zur Hand zu wünschen,
wenn sie uns im Stiche lässt — einen Be-
helf, welcher uns die etwa mangelnden
physiologischen Kräfte der Bauchpresse er-
setzen, die Antiperistaltik des Magens mög-
lichst verschonen helfen und bei vorkom-
menden Verstopfungen des Schlauches uns
aus der momentanen Yerlegenheit bringen
könnte.
Das Einfachste wäre freilich im letzter-
wähnten Falle eine gewöhnliche Stempel-
spritze zur Hand zu nehmen, da man aber heut-
zutage die Magenpumpen mit Stempel aus
guten Gründen überhaupt bei Seite geschafft
hat, so betrachte ich immerhin einen pneu-
matischen Aspirator für den Praktiker so-
wohl als für den Kliniker als ein nützliches
Instrument.
Ich habe nun für meinen Gebrauch einen
einfachen Magen aspirator construiren lassen
und ist im Julihefte 1887 der „Therap.
Monatshefte" dessen Beschreibung und Ab-
bildung erschienen.
Seine Wirkung ist eine befriedigende,
insofern der Magen schlauch selbst mangel-
frei ist.
Am liebsten benutze ich als Magen-
schlauch ein gewöhnliches mitteldickes (etwa
13 cm Durchmesser, 9 cm Lumen) Drainage-
rohr mit tiefeingeschnittenem Fenster und
abgestumpften Rändern.
Was die Handlichkeit des erwähnten
Apparates betrifft, so hat er in seiner ur-
sprünglichen Form nur das Unangenehme,
dass man bei seiner Anwendung als Wasch-
pumpe die Einschaltungen der Schläuche
häufig wechseln und den Inhalt der Flasche
von Zeit zu Zeit weggiessen muss.
Dieser Umstand, dass man keiner Assistenz
bedarf, ist aber andererseits sehr günstig
und den genannten Unbequemlichkeiten war
durch entsprechende Modiflcation der Zu-
sammenstellung des Apparates leicht abzu-
helfen.
So will ich denn diese Modification,
welche, nebenbei gesagt, es ermöglicht, die
ganze Manipulation selbst mit einer freien
Hand in wenigen Minuten zu vollstrecken,
kurz beschreiben.
Es besteht der Apparat aus einer festen
Glasflasche, welche mit einem Dreiweghahn
auf solche Weise montirt ist, dass der Hart-
kautschukstöpsel mit dem Hahngehäuse Eins
ist. Der Hahn vermittelt die wechselweise
Communication : der Flasche einerseits mit
dem Magen, dem Krug und dem Abfluss-
becken anderseits. Der Wechsel der Com-
munication wird einfach durch Umdrehen
des Hahngriffes bewirkt.
Der umstellbare Saug- und Druck-
ballon mit Ventilen B wird oben auf den
Hahn angesetzt und abwechselnd mit dem
negativen (Saug-) und positiven (Druck-)
Ende applicirt, wobei er die Luft in der
Flasche bald verdünnt, bald comprimirt.
Die Einrichtung des Hahnes ist aus
Fig. 2 ersichtlich.
Die Manipulation zerfällt in 4 Tempos:
I. Griff G wird entsprechend der Com-
munication mit dem Krug gestellt; Ballon
mit dem Minusende applicirt. Beides kann
mit der linken Hand geschehen, während
die rechte mit dem Patienten und dem
Magenschlauch beschäftigt ist. Die Flasche
wird durch mehrere Ballonbewegungen ge-
füllt.
»89. J
CayiBlaniki, PDatunatUcliai MaKanaipintoi tDr lli*i*p. uod diafn. Zwaek*.
II. Griff G gegen den Magena eh tauch
gedieht; Ballon mit dem (■+■) Eade appli*
eilt. WaBser wird In den Magen gelinde
getrieben.
III, Griff G bleibt In der Torigen Stel-
lung; Ballon pumpt mit dem ( — ) Ende.
Mageninhalt kommt in die Aspiration sfiasche.
Die Handhabung des Apparates bietet
Iceine besonderen Schwierigkeiten. Als seine
Vortheile will ich jiennen: Handlichkeit,
kurze Dauer und Sauberkeit der Procedur,
gelinde Aepiratioo, leichte Zeriegbarkelt,
was die Reinhaltung erieichtert, und schliess-
lich den Umstand, dass man for der
IT. Griff G dem Abfiusse zu; Ballon
abercnals als Druckpumpe. Entleerung der
Flasche in da« Abflussbecken. Der ganze
Hergang wird einige Male wiederholt, bis
der Zweck erreicht ist.
Der Stöpsel, welcher mit dem Hahnge-
b&nse Eins ist, ist luftdicht in den Flaschen-
hals eingefügt, jedoch nicht so fest, dass er
bei grösserem Lüftdrucke nicht nachgeben
sollte. Damit aber der Hahnzapfen bei
Lnftcompression aus dem Hahngehäuse nicht
herausBchnelle, ist die Schraube S ange-
bracht.
Magen aus Waschung unverdOnnten Magen-
inhalt zur Untersuchung gewinnen kann,
auch wenn die ExpreBsionsmethode versagen
sollte. Bei etwas mehr dicklichem Magen-
inhalte kommt dies nicht selten vor und zwar
in Fällen damied erliegen der peptischer Kraft
des Magens, z. B. beim atrophischen Katarrh
der Magenschleimhaut ~ auch bei Magen-
ektasie, wo unter den stagnirenden zum
guten Theil unverdauten Massen gröbere
Brocken sich befinden und so leicht den
Schlauch versperren — auch sonst bei zahn-
losen Patienten oder bei überhaupt schwer
verdaulichen Mablzeitbestandth eilen.
Selbst ein aufgequollenes Stück Semmel
kann das Schlauchlumen verlegen zum Ver-
druEse des TT-ntersuchenden und zum Schaden
der Untersuchung,
Da aber das Interesse für die Magen-
pathologie stets zunimmt und ein jeder
zweckmässiger Behelf der Methodik mithilft
die Keihen der Observationen zu vermehren,
so betrachte ich den pneumatischen Aspirator
in der oben angegebenen Form als einen
nicht ganz und gar entbehrlichen Apparat').
') Der Apparat ist klatlich bei H. Keiner, Wie.
IX, Tan Swietengasse 10.
226
J o & c h i m I Beitrag sur Sulfonalwirkung.
[Therapeatiiebe
Monatoheftft.
Neuere Arzneimittel
Beitrag: zur Sulfoiialwirkung.
VUD
Dr. Joachim in Berlin.
Bei dem grossen Interesse, welches das
Sulfonal augenblicklich in therapeutischer
Hinsicht beansprucht, dürfte die Veröffent-
lichung nachfolgender Beobachtung ganz zeit-
gemäss sein.
Frau Oberamtmann M., 66 J. alt, hat in ihrer
Jugend oft an Gelenkrheumatismus gelitten. Im
18. Lebensjahre gesellte sich zu einem derartigen
Anfall eine Herzaffection, über deren Natur mir die
Patientin etwas Genaueres nicht angeben konnte.
Nach ihrer Aussage hat sie seitdem oft an Luft-
raangel und Herzklopfen gelitten, besonders wenn
sie Treppen hastig stieg, sich aufregte, Aerger
hatte etc. Fast jeden Winter hatte sich dazu
ein heftiger, quälender Husten gesellt, der gewöhn-
lich melirere Wochen anhielt und ihr oft die
Nachtruhe gestört hatte. Anfangs Januar dieses
Jahres consultirte sie mich wegen Luftmangels in
Folge eines starken, hartnäckigen Hustens, den sie
sich von einer Erkältung vor einer Woche zuge-
zogen haben will. Sie ist eine grosse, blasse,
massig kräftige Frau, ein wenig hysterisch und
hypochondrisch; sonst aber der „reine Feldwebel",
wie ihre Bekannten sagen. Die Lippen und Finger-
nägel ein wenig bläulich geftrbt; geringe Dyspnoe.
Bei einer genaueren Untersuchung fand ich
eine Temperatur von 36,1° — Vormittags — ; Puls
88, etwas unregelmässig, klein. Die Lungen er-
geben bei der Percussion keine Dämpfung; dagegen
Pfeifen und Schnurren links hinten, besonders
deutlich im unteren Theii; ebenso rechterseits.
Sputum mit geringen Blutspuren.
Herzstoss im linken 6. Intercostalraum , ragt
links bis an die Mamillarlinie, besonders nach
rechts und unten hin verbreitert; systolisches fre-
missement an der Herzspitze; Hypertrophie und
Dilatation des rechten Ventrikels; sehr lautes,
systolisches Geräusch, am deutlichsten an der Herz-
spitze, deutlich hörbar auch im 2. linken Inter-
costalraum in der Nähe des Sternum; der zweite
Pulmonalarterienton bedeutend verstärkt. Oedeme
sind nirgends vorhanden. Urin — früh und im
Laufe des Tages untersucht — frei von Eiweiss
und Zucker.
Die übrigen Organe bieten keinerlei nachweis-
bare Abnormitäten. Seit mehreren Tagen besteht
Luftmangcl und Schlaflosigkeit.
Aus gewissen Gründen glaubte ich auf das
Morphium als Schlafmittel verzichten zu müssen
und gab Abends 8 Uhr 2 g Sulfonal. Trotz der
bestehenden Mitralinsufficienz, der Dyspnoe und
des Hustens glaubte ich dieses Mittel anwenden
zu dürfen, da ja die meisten Beobachter auch bei
herzkranken Individuen die günstige Wirkung des
Sulfonals constatiren konnten und hervorheben,
dasö sie selbst nach grossen Dosen keinerlei un-
angenehme Einwirkung auf das Herz gesehen hätten.
Käst"), Langgaard und Rabow'), Rabbas')
und Andere nach ihnen machten auf dieses Ver-
halten ganz besonders aufmerksam und rühmten
es als einen der Vorzüge, die das Sulfonal vor
anderen Schlafmitteln besitze. Auf die Beobach-
tungen dieser Forscher gestützt w^andte ich also
das Mittel in der oben beschriebenen Dose an.
Ais ich die Patientin am anderen Morgen besuchte,
erklärte mir die Wärterin, dass sich auch nicht die
geringste Wirkung gezeigt hätte. Die Kranke hätte
nicht besser und nicht schlechter als die vorigen
Nächte auch geschlafen d. h. „keine halbe Stunde
Ruhe gehabt und mehr, sicherlich aber nicht
weniger gehustet". Unangenehme Nebenwirkungen,
besonders am Herzen, waren nicht vorhanden;
Patientin klagte über grosse Müdigkeit und den
quälenden Husten. Nachmittags Hess ich in dem
Glauben, dass bei dem grossen Schlaf bedürfniss
der Patientin schon eine geringere Dosis genügen
würde, 1 g Sulfonal nehmen. Auch hier blieb jede
Wirkung aus: der störende Husten und die Athem-
noth blieben bestehen, Schlaf trat nicht ein. Abends
8 Uhr bekam die Kranke 3 g, und da bis 10 Uhr
jede Einwirkung vermisst wurde, um 10 Uhr noch
1 g. Die Nacht war nach Aussage der Wärterin
und einer Hausfreundin, deren Angaben zu be-
zweifeln kein Grund vorliegt, sehr schlecht, bei
weitem schlechter als die vorangehenden Nächte.
Der Husten sehr heftig und quälend: Sclilaf war
nicht erfolgt, auch nicht für eine kürzere Zeit.
Dagegen stellten sich zwischen 11 und 12 Uhr
grosse Unruhe und grosser Luftmangel ein. Das
Herzklopfen, das die letzten Tage ganz geschwunden
war, trat ausserordentlich stark auf; ^jeden Augen-
blick glaubten wir, dass es alle sei. Auch nicht
eine Minute blieb die Kranke ruhig liegen und
nur mit grosser Mühe war es möglich, sie im Bette
zu behalten: bald warf sie sich hierhin, bald dort-
hin: bald setzte sie sich auf, bald legte sie sich;
^Luft, Luft" schrie sie fast ununterbrochen". Nach
Mittemacht — gegen 2 Uhr — wurde die Patientin
etwas ruhiger, ohne indess einschlafen zu können.
Sie schlummerte ein Viertelstündchen, fuhr Öfter
durch den Husten gestört erschreckt auf und
schlummerte weiter; fester, ruhiger Schlaf trat
nicht ein. Am Morgen war die Patientin sehr
matt, klagte heftig über Luftmangel und war noch
sehr unruhig: bald erhob sie sich, bald legte sie
sich hin, angeblich, weil sie so besser „Luft" be-
komme. Temperatur nicht erhöht. Puls %, bis-
weilen aussetzend, schwach: lebhafte Klagen über
Herzklopfen und quälenden Husten. Es sei hier
noch bemerkt, dass eine unangenehme Einwirkung
auf den Digestionstractus weder am vorangehenden
*) Käst, Sulfonal, ein neues Schlafmittel. Berl.
Klin. Wochenschrift 1888. No. 16 S. 309.
^) Langgaard u. Rabow, Ueber Sulfonal
(Bayer). Therap. Monatshefte 1888 No. V S, 238.
^) Rabbas, Ueber die Wirkung des Sulfonals.
Bcri. Khn. Wochenschrift 1888. No. 17. S. 332.
III. JahrgABg.l
Kai 1889. J
Joachim, Beitrag zur SulfonalwirkuDg.
227
Tage noch nach der letzten grossen Dosis des
Snlfonals (also im Ganzen 4 g) constatirt werden
konnte: der Appetit der Patientin blieb gleich; es
trat kein üebelsein, kein Erbrechen auf; der Stuhl-
gang wie vorher einmal täglich.
Am Abend machte ich eine Einspritzung yon
0,015 Morphium. Pat. hatte früher schon viel
Morphium genommen, das war der Grund, warum
ich zunächst Sulfonal versuchte; die ganze Nacht
anhaltender, ruhiger Schlaf bis zum Morgen, ins-
besondere nicht durch Husten gestört. Am fol-
genden Tage fühlte sich Patientin ganz erquickt:
Herzklopfen nicht vorhanden, Dyspnoe geringer;
der Husten viel weniger als vordem, wenn auch
nicht ganz geschwunden.
Fassen wir die mitgeth eilten Daten noch
einmal kurz zusammen, so hatten wir es
mit einer Patientin zu thun, die |in Folge
einer mit heftigem Bronchialkatarrh com-
plicirten Mitralinsufficienz an Agrypnie litt.
Bei dieser Kranken blieb nicht nur das
Sulfonal in der gebräuchlichen Dosis ab-
solut unwirksam; es traten vielmehr bei
einer grosseren Gabe (4 g) — und das im
G-egensatz zu den Angaben anderer Autoren —
sehr unangenehme Nebenerscheinüligen auf,
wie grosse Unruhe, starkes Herzklopfen,
heftige Dyspnoe und starker Luftmangel,
ohne dass selbst diese verhältnissmässig
grosse Gabe den Husten auch nur im min-
desten gelindert hätte. Ich komme darauf
weiter unten noch zurück. Dagegen trat
nach 0,015 Morphium subcutan injicirt ein
die ganze Nacht anhaltender Schlaf ein;
Hasten und Dyspnoe waren auch am darauf-
folgenden Tage geringer.
Die Tollige Wirkungslosigkeit des Mittels
bei einer herzkranken Patientin sowie die
Folgezustände, die durchaus nicht für die
„Unschädlichkeit des Sufonals selbst bei
herzkranken Individuen" sprechen, veran-
lassten mich, diesen einzelnen Fall auch
weiteren Kreisen bekannt zu geben. £s wird
eben dem Sulfonal wie vielen anderen neu
empfohlenen Mitteln gehn. Anfangs in seiner
Anwendung unbeschränkt, ergeben weitere
Prüfungen und Erfahrungen bei Weitem engere
Grenzen für seinen Gebrauch. Solange solche
bestimmte, durch die Praxis hinreichend be-
stätigte Indicationen noch nicht aufgestellt
sind, werden selbst einzelne Beobachtungen
unsere Kenntniss über den Werth des Mittels
zu vertiefen und erweitern im Stande sein;
diese Ueberlegung war für mich der Grund,
weshalb ich mich zu der Veröffentlichung
dieser Einzelbeobachtung entschloss.
Ohne mich eingehender mit den bereits
vorhandenen Beobachtungen und gemachten
Erfahrungen zu beschäftigen, mochte ich
doch auf zwei Punkte ganz besonders auf-
merksam machen und sie hier möglichst
kurz besprechen. Der eine betrifft die Frage
der Wirksamkeit resp. Unschädlichkeit des
Sulfonals bei Herzkranken; der zweit« die
Wirkung bei anhaltendem Husten und Bron-
chialkatarrhen, insbesondere die Angabe Ro-
sin's^), dass das Mittel in der Dosis von
2 g die Sensibilität der Bronchial Schleim-
haut entschieden beeinflusse.
Was nun zunächst die Wirkung des
Mittels auf das Herz betrifft, so liegen hier
theilweise sich widersprechende Beobachtun-
gen vor. Kast^), von dem bekanntlich die
erste Mittheilung über das Sulfonal her-
rührt, zieht aus seinen an Thieren und dann
an Menschen angestellten Versuchen den
Schluss, dass ein ungünstiger Einfluss des
Präparates auf das Herz und das Gefäss-
system selbst durch volle Dosen nicht her-
vorgebracht wird. Im Einklang damit hat
er auch bei herzkranken Individuen, denen
er das Sulfonal reichte, unangenehme Neben-
erscheinungen nicht beobachtet; es trat viel-
mehr bei allen von ihm mitgetheilten hier-
hergehörigen Fällen prompter Erfolg auf.
Es sei hier besonders auf seinen Fall 2,
Fall 7 und den Fall Marie H., 30 J. alt, hin-
gewiesen. Im letzten Falle handelte es sich
um eine Herzkranke — Stenose des Mitral-
ost., Aorteninsufflc. — mit gestörter Com-
pensation und sehr herabgesetztem Aorten-
druck, bei der schon nach 1 g gute Schlaf-
wirkung ohne Nebenwirkung auf das Herz
eintrat. Käst sah also, um kurz zu re-
sumiren, nach 1 — 2 g selbst bei Herzkranken
.gute Wirkung, insbesondere keine unange-
nehmen Folgeerscheinungen von Seiten des
Circulation sapparates. Auch Langgaard
und Rabow') sehen auf Grund der ange-
stellten Experimente in Herzkrankheiten
keine Gegenanzeige für die Anwendung des
Sulfonals; fügen aber vorsichtig hinzu: „Nach-
theiliges über dasselbe ist noch nicht zu
unserer Cognition gelangt, ob aber der hin-
kende Bote doch nicht früher oder später
nachkommt, müssen wir einstweilen ab-
warten." Desgleichen rühmt Rabbas^) die
unschädliche Einwirkung des Sulfonals auf
die Herzthätigkeit selbst bei längerem Ge-
brauch und giebt ihm deshalb den Vorzug
vor dem Chloral, „dessen schwächende Wir-
kung auf das Herz ja allgemein bekannt
und gefürchtet ist".
Indessen steht unsere oben mitgetheilte,
gegen th eilige Beobachtung durchaus nicht
vereinzelt da; eine ähnliche hat nämlich
schon vordem Schmey*) veröffentlicht. Sie
*) Rosin, Ueber die Wirkung des Sulfonals.
Berl. Klin. Wochenschrift 1888 No. 25 S. 500.
*) Schmey, Zur Wirkung des Sulfonals Therap.
Monatshefte. Jahrgang 1888. No. VH. S. 319.
29*
228
Joachim» Boitng cur Sulfonalwtrkung.
pTberftpeatiMli«
widerspricht TÖUig den Ton den ersten
Autoren bei Herzkranken gemachten Er-
fahrungen und sei bei der Wichtigkeit des
Gegenstandes hier kurz wiedergegeben. £s
handelte sich um einen 61jährigen Patienten,
der in Folge von Arteriosclerose an Angina
pectoris und Schlaflosigkeit litt. Gestützt
auf die Angaben von East, dass das Sul-
fonal das Herz nicht ungünstig beeinflusse,
entschloss sich Schmey zur Anwendung
dieses Mittels ^ nachdem der Patient nach
Dosen yon 3 g Amylenhydrat zwar ^- bis
6-stündigen Schlaf ohne alle schädlichen
Nebenwirkungen gehabt, indess das Mittel
des unangenehmen Geschmackes wegen nicht
gern weiter nehmen wollte. Es wurde ihm
eine Dose von 2 g verabreicht. „Die "Wir-
kung war eine ganz schreckliche. Bald nach
dem Einnehmen traten die Anfälle von An-
gina pectoris mit grosser Heftigkeit auf;
und sobald es gelungen war, durch kräftiges
Einathmen von Amylnitrit einen solchen An-
fall zu beseitigen, dauerte es nur wenige
Minuten, bis ein neuer Anfall sich einstellte.
So ging das die ganze Nacht hindurch. Ein
eigentlicher Schlaf trat nicht ein, sondern
2 Stunden nach der Einnahme des Mittels
zeigte sich für ungefähr 2 Stunden eine Art
von Halbschlummer, der durch häufige An-
fälle unterbrochen war. Noch die nächsten
2 Tage traten die Anfälle in ungewöhnlicher
Stärke und Heftigkeit auf." Auf Grund
dieser Erfahrung räth Schmey, „bei der
Angina pectoris und bei der Arteriosclerose
überhaupt von der Darreichung des Sulfonals
Abstand zu nehmen". Ich habe die Be-
merkungen des genannten Autors mit Ab-
sicht ausführlicher hier angeführt und zwar
aus dem Grunde, weil sie uns zeigen, dass
die von vielen Forschem angegebene Un-
schädlichkeit des Sulfonals selbst bei Herz-
kranken gelinde gesagt nicht für alle Falle
zutreffend ist; und dass man deshalb, bei
Individuen mit Krankheiten dieses Organes
in der Anwendung des Mittels etwas vor-
sichtiger zu sein, allen Grund hat. Und
wenn sich in Hunderten von Versuchen
prompter Erfolg und keine unangenehmen
Folgeerscheinungen für das Herz ergeben
hätten, — was, wie wir weiter unten sehen
werden, durchaus nicht der Fall ist, wenig-
stens soweit hier die absolute Wirksamkeit
des Mittels in Frage kommt — , so reicht
die Veröffentlichung dieses einzigen Falles
dem gegenüber hin, uns zu gewisser Auf-
merksamkeit zu mahnen. Was Schmey an
seinem Kranken heut beobachtet hat, kann
morgen jeder Einzelne von uns bei einem
anderen Patienten — nicht gerade zu dessen
Gunsten — erfahren. Wenn dem gegenüber
Müller*) bei einem 72jährigen Patienten
ebenfalls mit Arteriosclerose, der schon
10 Tage unter den furchtbarsten Beschwer-
den das Bett hütete, nach 1 g Sulfonal einen
fast die ganze Nacht währenden erquicken-
den Schlaf mit ruhiger Athmung sah, die-
selbe Beobachtung auch in den folgenden
Nächten machte, und nun auf die auch sonst
von ihm bei Arteriosclerose mit dem Sulfo-
nal gemachten Erfahrungen gestützt, die
Warnung Schmey's für durchaus nicht ge-
rechtfertigt erklärt, so verdient hervorgehoben
zu werden, dass bereits Käst in seiner er-
sten Mittheilung einen ähnlichen Fall mit-
theilt. — 2. Elise S., 50 Jahre, Arterio-
sclerose. Anhaltende Schlaflosigkeit; promp-
ter Erfdlg nach 2, später 1 g Sulfonal,
„niemals eine Spur unangenehmer Neben-
wirkungen, im Gegen theil fortdauernd gün-
stige Beeinflussung der vorhandenen Kopf-
beschwerden". — Indessen bei einem neuen
Mittel, wie bei dem Sulfonal, für dessen
Anwendung die nöthigen Indicationen erst
durch die Erfahrung geliefert werden müssen,
ist eine Beobachtung mit negativem Erfolg,
wie die von Schmey, mindestens ebenso
werthvoU, vielleicht sogar noch viel werth-
voller, als ein^ Reihe die Erfahrungen der
Vorgänger lediglich bestätigender Mit-
theilungen.
Eine wesentliche Bereicherung unserer
Kenntnisse in der Anwendung des Sulfonals
bei Herzkranken verdanken wir Schwalbe^),
der uns in seinen Arbeiten nicht nur die
Resultate seiner Beobachtungen mittheilt,
sondern auch kurze Krankengeschichten liefert
und es so ermöglicht, sich ein eigenes ür-
theil zu bilden. Er wandte das Sulfonal
im Ganzen bei 50 Patienten an, darunter
achtmal bei Herzleidenden. Sehen wir zu,
mit welchem Erfolge. Unter den sub III.
d. h. „Fälle ohne Schlaf wirkuog" mitgetheil-
ten 13 Fällen finden wir nicht weniger als
6 resp. 7 mit Herz äff ec ti on en ; unter der
Rubrik IV. d. h. „Fälle mit mehr oder
weniger vollkommener Schlafwirkung aber
mit Nebenerscheinungen" ebenfalls einen
Herzkranken; dagegen auf der anderen Seite
kein herzkrankes Individuum, bei dem das
Sulfonal prompt gewirkt hätte. Diese
Krankengeschichten seien hier kurz mit-
getheilt.
Fall 1. Grohts, 54 Jahr. Myocarditis. Pleurit.
fibr. dextr. Starke card. Orthopnoe. Delirien. —
Abends 1,5 g Sulfonal; keine Wirkung, auch keine
Beruhigung. 5 Uhr früh Exitus let.
^) Muller, Zur Anwendung des Sulfonals.
Therap. Monatshefte 1888. No. VUI. S.378.
^) Schwalbe, Zur kl. Würdigung der Sulfonal-
Wirkung. Deutsche med. Wochenschrift 1888. No.25.
S. 499.
in. Jmhrgang.'l
Mal 188d. J
Joachim, Beitrag zur Sulfonalwirkung.
229
Dieser Fall ist aus nabeliegendeo Gründen
für unsere Betrachtung kaum zu berücksichtigen.
Fall 2. Neumeyer, 33 J. Uneompensirte
InsufiF. valy. aort. Starker Hydrops, card. Dyspnoe.
Nach 1 g keine Wirkung; nach 2 g sehr unruhiger
Schlaf, Pat wirft sich viel umher, spricht aus dem
Schlaf; nach 27» g nur Vi stündiger Schlaf.
Fall 3. Hönisch, 62 J. Myocard. Emphysem;
betr&chtliche Dyspnoe. Nach 1 g keine Einwir-
kung.
Fall 4. B au mann, 59 J. Insuff. valv. mitr.
im Stadium der Incompensation ; card. Dyspnoe.
1 und 2 g ohne jeden Effect.
Fall 5. Frau Wies n er, 66 J. Schrumpfniere,
Myocard. Starke card. Orthopnoe. Nach 1 g keine
Wirkung; nach 2 g '/ißtündiger Schlaf.
Fall 6. Frau Do lata, 65 J. Nephr. Myocard.;
Asthma card. Nach 3 g kein Schlaf; stärkere
Unruhe.
Fall 7. Schröder, 39 J. Carcin. ventr. —
Stenos. et insuff. Talv. mitr.; keine Oedeme. Nach
1 H- 1 g kein Schlaf; 0,02 Morph, subcutan fester
Schlaf bis zum Morgen.
Ejrankengeschichte mit theilweiser Wirkung —
Rubrik IV. —
Fall 8. ünger, 28 J. Arthrit. subac. Insuff.
valy. aortae; Stenos. et Ins. valv. mitr. im Beginn.
Keine Herzbeschwerden. Nervöse Schlaflosigkeit
bedingt durch die Neuheit des Krankenhausaufent-
baltes. Nach 1 g keine Einwirkung; nach IVs g
Schlaf bis zum Morgen. Am Morgen leichter
Schwindel. »
In einem zweiten Artikel^) — es handelte
sich hier um die Wirkung grösserer Dosen —
erzählt Schwalbe Ton einem Patienten
— Insuff. valv. aortae und Dyspnoe — , der
vorher kleinere Dosen Sulfonal ohne Erfolg
bekommen hatte, dass derselbe auch nach
3 g keine Einwirkung verspürt hätte.
Nach 4 g sah er bei dem Kranken Müller —
54 J., Myocarditis, Arteriosclerose, stenocar-
dische Anfälle — , der nach 1 und 2 g ab-
solut keinen Erfolg zeigte^ wenig Schlaf, da-
gegen grosse Unruhe, Stöhnen. Der Kranke
wirft sich viel umher, taumelt im Bette
sitzend von einer Seite zur andern, phanta-
sirt, schimpft. „Puls und Respiration war
weder in diesem, noch in einem der vorher-
gehenden Fälle alterirt."
Auf Grund dieser Yersuche spricht sich
der Autor im Allgemeinen sehr günstig über
die Wirkung des Sulfonals aus — in 66%
der Gesammtbeobachtungen sah er eine
prompte Schlafwirkung — ; er kann aber
nicht umhin, die Erfolglosigkeit des Mittels
bei Herzkranken mit starker Dyspnoe ein-
zugestehen. „Viel wesentlicher aber ist der
Ausfall der Sulfonalwirkung, den ich im
Gegensatz zu Käst so gut wie bei allen
Fällen von Agrypnie gesehen habe, die sich
•) Schwalbe, Nachträgliche Bemerkungen
über die Sulfonalwirkung. Deutsche med. Wochen-
schrift 1888. No. 35 S. 725.
auf der Basis des cardialen Asthmas grün-
dete, welche resultirte aus der Compen-
sationsstörung eines Herzleidens; ... in
5 Fällen habe ich selbst bei sehr hohen
Dosen von unserem Mittel nicht die Spur
eines Erfolges gesehen.^ In seinen nachträg-
lichen Bemerkungen hält er im Allgemeinen
die eben angeführten Ausführungen aufrecht;
bei einigen Patienten mit massiger cardialer
Dyspnoe hat er zwar nach mittleren Dosen
befriedigenden Schlaf gesehen, „bei stärkerer
Athemnoth freilich hat das Medicament auch
diesmal wiederholt im Stich gelassen ^^
„Nur mangelhaften oder gar keinen Er-
folg" hat Ewald*) von dem Sulfonal bei
Agrypnie in Folge organischer Leiden, be-
sonders bei Klappenfehlern, Fettherz, Ar-
teriosclerose, Emphysem etc. gesehen.
Dem widerspricht zum Theil die Er-
fahrung von Matthes*®), dessen Beobach-
tungen sich freilich nur auf 4 „Kreislauf-
störungen" unter 25 Fällen beziehen. Nach
seinen Versuchen „war die Wirkung vorzüg-
lich bei Herz erkrank ungen mit und ohne
Compensationsstörung" ; die gewöhnliche Do-
sis war 1 — 2 g. „Auch bei Herzkranken",
hebt er ausdrücklich hervor, „wurden Un-
regelmässigkeiten nach Sulfonalgebrauch nie
wahrgenommen. "
Aehnlich äussert sich Zerner") über
das Mittel. „Auch wir können nach unseren
Erfahrungen der Warnung Sc hmey^s keines-
wegs beipflichten, da wir bei 4 Herzkranken,
darunter einem im äussersten Stadium der
Compensationsstörung, auch nicht die ge-
ringste schädliche Beeinflussung wahrnehmen
konnten"^
Ich möchte diese Betrachtung nicht
schliessen, ohne einer hierhergehörigen Be-
obachtung zu gedenken, die noch aus der
jüngsten Zeit von Garnier*') mitgetheilt
wurde. Mit Bezug auf die Einwirkung des
Sulfonals auf den Circulationsapparat äussert
er sich wie folgt: „Chez moi-meme, Taccel^-
ration du pouls, notee deja une heure apres
Tingeation d^une dose de 3 g de sulfonal,
pour atteindre son summum trois heure s
apres, cessa totalement au bout de cinq
heures, et les pulsations revinrent a peu
pres a la normale; .... aussi en Allemagne,
le sulfonal a-t-il ete introduit, meme dans
9) Ewald, Berl. Klin. Wochenschrift 1888.
No. 25 S. 516.
*°) Matthes, Beitr. zur hypnot. Wirkung des
Sulfonals. Centralbl. f. klin. Medicin 1888. No. 40.
S. 723.
") Zerner, Erfahrungen über Sulfonal. Wien,
medicin. Wochenschr. 1888. No. 45. S. 1515.
") Garnier, Du sulfonal et de la valeur de
son emploi comme hypnotique chez les alienes.
Annales m^dico-psycholog. 1889. Jan. S. 47,
230
Was Ut EzalKin?
[TherapMtische
Monatabeft«).
les maladies de cet organe (lesions des Tal-
vules, art^rio-scleroße etc.) ponr lutter, avec
moins de succes toutefois qu^ailleurs, contre
rinsomiiie qui lee accompagne souvent^.
Sonst, meint er, sei die Wirkung des Mittels
auf das Herz „ä peu pres nulle ''\
Sehr Tiel kürzer kann ich mich über
den zweiten Punkt fassen. Kosin^) sah in
der Dosis Ton 2 g Sulfonal „auch einen ent-
schiedenen £influss auf die Sensibilität der
Bronchialschleimhaut. Auch in einer grösse-
ren Anzahl von Fällen bei Phthisikern an-
gewendet, die über Schlaflosigkeit in Folge
zu heftigen Hustenreizes klagten, Hess sich
eine günstige Wirkung erkennen.^ Indess
Schwalbe ^^) hebt bereits in seiner ersten
Arbeit gerade mit Bezug auf eine eventuelle
Einwirkung des Sulfonals auf die Bronchien
hervor, dass in keinem Falle, trotz des an
sich guten Schlafes, der Hustenreiz an In-
und Extensität abgeschwächt war. „In den
Fällen, wo der starke Hustenreiz zu häufigen
Expectorationen Veranlassung gab, war die
Wirkung des Sulfonals eine minimale, und
die Patienten schliefen erst, wenn man ihnen
mit einer relativ geringen Dosis Morphium
zu Hülfe kam.^ Gerade diese letzte Aeusse-
rung scheint für die Entscheidung der vor-
liegenden Frage sehr beachtenswerth. Selbst
Matthes*^), der sonst im Grossen und Gan-
zen zu ähnlichen Resultaten wie Rosin ge-
langte, konnte die Angaben des eben ge-
nannten Autors, „dass das Sulfonal die Sen-
sibilität der Bronchialschleimhaut herabsetze",
nicht bestätigen; mit nur einer Ausnahme
wurde die Wirkung des Mittels regelmässig
durch den Hustenreiz beeinträchtigt. „Doch
ist es möglich," fügt er hinzu, „dass für
diese Herabsetzung der Sensibilität die an-
gewandten Dosen — gewöhnlich wurde
1 — 2 g gegeben — zu klein waren. ^ In-
dessen in meinem Falle war auch nach 3
resp. 4 g Sulfonal der Husten durchaus
nicht gemindert; nach Aussage der Wärterin
sogar eher stärker und häufiger. Dagegen
schlief Patientin — die früher viel Morphium
genommen hatte — , nach 0,015 Morph,
subcutan die ganze Nacht hindurch, ohne
durch Husten gestört zu werden.
Es liegt mir fern, aus dieser Einzel-
beobachtung irgend welche Schlüsse zu
ziehen. Indessen das zeigt die von mir
mitgetheilte Krankengeschichte sowohl wie
die Erfahrungen anderer Autoren, dass man
in der Anwendung des Sulfonals bei Herz-
kranken mit starker Dyspnoe ausserordent-
lich vorsichtig sein muss; ja dass mian es
unter solchen Verhältnissen am Besten ganz
meidet. Und das um so mehr, als nach den
vorliegenden Berichten in- derartigen Fällen
die Wirkung des Präparates ausserordentlich
häufig ausbleibt. Ebenso unwirksam ist das
Mittel in den meisten Fällen von Agrypnie,
die durch heftigen Hustenreiz veranlasst
wird. Hier bringt man den Patienten viel
schneller und sicherer mit Morphium als
mit dem Sulfonal die ersehnte Ruhe.
Nachschrift.
■
Als die vorliegende Arbeit bereits fertig-
gestellt war, Mitte Februar dieses Jahres,
kam mir die neueste Nummer der Berliner
Klinischen Wochenschrift zu Gesicht, in
welcher sich sehr beachtenswerthe und uns
besonders interessirende Mittheilungen über
den Werth des Sulfonals finden, die hier
noch kurz erwähnt seien.
(„Zur Casuistik der Sulfonal Wirkung"
von Prof. Kisch, Berlin. Klin. Wochenschrift
1889 No. 7 S. 128.)
„Keine Wirkung", sagt Kisch, „hatte
das Sulfonal (bis zu 2 g ' verabreicht) bei
Schlaflosigkeit in Folge von Asthma car-
diale." Nach 3 g Sulfonal sah K. bei einem
45 Jahre alten Neurastheniker folgende Er-
scheinungen. „Des anderen Morgens fühlte
sich der Patient sehr elend, ausserordentlich
matt, klagte über Gefühl von Abgeschlagen-
sein und Vergehen der Sinne. Ich fand eine
bedeutende Verlangsamung des Pulses
bis auf 38 Schläge in der Minute, so
dass ich Reizmittel verordnete, nach deren
Anwendung sich erst nach mehreren Stunden
die beängstigenden Symptome legten."
*') Schwalbe, Zur kl. Würdigung der Sulfonal-
wirkung. Deutsche med. Wochenschr. 1888. No. 25.
S. 503.
'*} Matthes, loco cit. S. 724.
Was ist Exalsrin?
In unserem ersten Berichte (s. April-
heft S. 171) über den von Dujardin-
Beaumetz und Bardet unter dem Namen
„Exalgin" in die Medicin eingeführten
Körper wiesen wir darauf hin, dass es un-
möglich wäre, aus den Angaben der ge-
nannten Autoren sich ein ürtheil über die
Zusammensetzung der Verbindung zu bilden.
Jetzt giebt Bardet in: Les nouveaux
remedes 1889 No. 8 die Erklärung ab, dass
die „Exalgin" benannte Substanz das, neben-
bei bemerkt gleichzeitig von Hepp und
Hofmann im Jahre 1877 dargestellte,
Methylacetanilid ist, d. h. Acetanilid, in
in. Jahrgang .1
Hai 1889. J
Therapeutische Mittheiluhgeii aus Vetelfieti.
231
welchem das zweite WasserstofiFatom der
NHj- Gruppe durch die .Methylgruppe CH3
ersetzt ist.
CgHsNH.CjHaO.
Acctanilid
f Antifebrin).
C6H5N.CH3.C3H5O.
Metbylacetanflid
(Exalgin).
Für die Anwendung empfiehlt Barde t
folgende Formel:
IV Exalgin 2,6
solve in
Alcoholat. Menthae 15,0
adde
Syrupi 30,3
Aquae 105,0.
D.S. Täglich 1 — 3 Esslöffel zu nehmen.
Jeder Esslöffel enthält 0,25 des Medi-
cam entes.
Therapeutische Mittheüimgen ans Vereinen.
Elfter Balneologen-Congress zu Berlin.
(Origin alhericht.)
Nachdem die Mitglieder der balneologi-
schen Gesellschaft, welche nicht nur aus
allen Theilen Deutschlands, sondern auch
aus Holland, Belgien, England, Schweden,
Oesterreich, Ungarn zahlreich erschienen
waren, am 1. März Abends das Römerbad
und am 2. März Vormittags das Admirals-
gartenbad besichtigt hatten, begannen die
eigentlichen Verhandlungen des Congresses
am 2. März Abends 7 Uhr Lm Hörsaale des
pharmakologischen Instituts unter Vorsitz
des Professor Liebreich. Der Vorsitzende
betonte in seiner einleitenden Kede das
stetige Wachsen der balneologischen Gesell-
schaft, den grossen Einfluss derselben auf
die Hygiene in den Curorten und die immer
steigende Anerkennung, welche der Congress
in den 11 Jahren seines Bestehens gefunden.
Zu Vorsitzenden wurden die Herren Lieb-
reich und Fromm und zum Generalsecretair
Herr Brock gewählt.
Zunächst spricht Herr t. L i e b i g
(Reichenhall) über die Bergkrankheit.
Der Vortragende schildert die Erscheinungen
des Uebels, Yon dem ungeübte Bergsteiger
zuweilen bei ihren ersten Versuchen befallen
werden, wenn sie in Höhen von über 1000
Meter gelangen. Athembeschleunigung mit
dem Gefühle der Beengung auf der Brust
macht den Anfang, es gesellen sich Puls-
beschleunigung, Blutandrang nach dem Kopfe,
Schwarzsehen, Schwindel hinzu, Blut tritt
aus Mund und Nase, die Beine versagen
den Dienst und es folgt vollständige Er-
schöpfung. Man hat sich bislang damit be-
gnügt, die verdünnte Luft der höheren Berg-
gebiete als alleinige Ursache der Bergkrank-
heit anzunehmen; Redner ist jedoch, nament-
lich mit Rücksicht auf die Thatsache, dass
der blosse Aufenthalt in grösseren Höhen
erfahrungsmässig keine Bergkrankheit er-
zeugt, der Ansicht, es liege die Ursache
derselben vielmehr in der mechanischen Un-
fähigkeit mancher Menschen, beim Steigen
in der verdünnten Luft die Athembewegungen
den veränderten Luftverhältnissen anzupassen.
Herr A. Loewy (Berlin): Ueber den
Einfluss der salinischen Abführmittel
auf den Gaswechsel des Menschen. Bei
Versuchen, welche der Vortragende im
Zuntz' sehen .Laboratorium vermittelst des
Zu ntz-Gep per tischen Athemapparats an
10 Individuen vornahm, fand er, dass nach
Einführung von Glaubersalzlösung stets eine
Steigerung des Gaswechsels eintrat, welche
in gleicher Weise die Sauerstoffaufnahme
und die Kohlensäureausscheidung betraf.
Diese Steigerung wird durch die von dem
Glaubersalz angeregte Darmperistaltik her-
vorgerufen und verschwindet daher sofort,
sobald nach erfolgtem Stuhlgang Darmruhe
eintritt. Die Vermehrung des Stoffumsatzes
geschieht allein auf Kosten des Körperfettes.
— An der Discussion über diesen Vortrag
betheiligen sich die Herren Liebreich,
Schliep, Wagner, Zuntz und Winter-
n;tz.
Dr. Schott, (Bad - Nauheim) besprach
wegen Kürze der Zeit statt seines ursprüng-
lich angekündigten Vortrags „über Herz-
krankheiten" das Thema: „Zur Behand-
lung des Morbus Basedowii" und schil-
derte zuerst die Cardinalsymptome , die
Tachycardie, Struma und ijxophthal-
mus. Bei der Beschreibung der ersteren
machte er darauf aufmerksam, dass bei der
Basedow' sehen Krankheit ebenso oft das
rechte wie das linke Herz ergriffen sei und
zwar auch da, wo keine Klappenerkrankung
den M. B. complicire; es käme wesentlich
darauf an, zu welcher Zeit man die Kranken
sehe und mit welcher Intensität das Leiden
232
Thermpotttitehe Mittbttlliuigen am Verolnwi.
rrherapentlMh«
L Monattheft«.
auftrete. Es erfolgten dann die Beschrei-
bungen der Gräfe'scben, Stellwag'schen
und Mobius 'sehen Symptome, der verän-
derte L ei tun gs widerstand, wie er durch
Charcot, Vigouroux, Eulenburg und
Kahler beschrieben wurde, ferner die den
M. B. so häufig begleitende Anämie und
Chlorose, die Menstruationsstorungen und
nervösen Symptome, wie Hysterie, Hypo-
chondrie und Melancholie, um dann darauf
aufmerksam zu machen, dass, wie dies
Charcot zuerst beschrieben. Zittern so
oft zu constatiren sei, dass man es fast als
ein Cardinalsymptom des M. B. ansehen
könne; auch Temperatursteigerungen
von 0,5 — 1,0 Grad Celsius kämen häufig
vor, wie auch profuses ganz- oder halb-
seitiges Schwitzen.
Die bei Frauen viel häufiger als bei
Männern vorkommende Basedo wasche Krank-
heit (im Verhältnisse etwa wie 4 resp. 7
zu l) entstehe häufig durch Gemüthsbe-
wegungen , sexuelle Excesse , ungenügende
Ernährung etc., in vielen Fällen bleibe
jedoch die Aetiologie vollständig dunkel.
Man müsse wesentlich zwischen einer
acuten resp. subacuten Form des M. B.
und einer chronischen unterscheiden. Die
letztere sei die bei weitem am häufigsten
auftretende.
Das Wesen der Erkrankung wurde
weder durch die frühere Ansicht, dass die
Chlorose und Anämie die Ursache sei, noch
durch eine Erkrankung des Sympathicus
genügend erklärt, vielmehr müsse man die
erkrankten Stellen viel höher und zwar im
Gehirn selbst suchen; freilich Hessen sich bis
jetzt diese Stellen noch nicht genau angeben.
Was die Therapie anlangt, so hat Seh.
unter den Medicamenten die besten Erfolge
vom Chinin in Dosen von 1 Gramm pro die
gesehen. Der vorsichtige, innere Gebrauch
der Eisenwässer gebe ebenfalls befriedi-
gende Resultate. In den letzten Decennien
spiele bei M. B. die Elektricität und
zwar der galvanische Strom (in neuerer Zeit
auch durch Vigouroux der faradische) eine
weitverbreitete und sehr befriedigende An-
wendung. Seit Trousseau's Empfehlung
habe in der neuesten Zeit die Hydro- und
Balneotherapie von Jahr zu Jahr an
Anhängern gewonnen , die erste in Form
von leichten Douchen auf den Rücken,
kühlen Vollbädern oder auch Einpackungen.
Unter den Bädern haben die Stahlbäder
und die kohlensäurereichen Thermal-
soolbäder die schönsten Erfolge ergeben,
desgleichen verdiente die Gymnastik nach
Redners Erfahrung wegen der schönen Re-
sultate die volle Beachtung der Aerzte.
Nach Stilleres Angabe seien klimati-
sche Curorte, insbes. solche von 1000 bis
1500 Meter Höhe ein wesentlicher Factor
bei der Behandlung des M. B.; Redner sah
aber hier neben günstigem Resultate auch
Misserfolge und warnt vor dem Ge-
brauch so bedeutender Höhen bei anderen
Herzkrankheiten. Das Resume Schottes
bezüglich der Behandlung der Basedo wa-
schen Krankheit lautet:
Mit Hilfe der Hydro-, Balneo- und
Klimatotherapie vermögen wir:
1. den Allgemeinzustand zu heben
insbes. die Chlorose und Anämie zu
beseitigen;
2. das Nervensystem zu kräftigen
und dadurch manches lästige Nebea-
symptom zum Verschwinden zu brin-
gen, und
3. auf die Cardinalsymptome gün*
stig einzuwirken, insbesondere das
Herz zu kräftigen, seinen Rhythmus
zu verlangsamen, eventuell dieArhyth-
mie zu beseitigen, sowie auch Struma
und Exophthalmus zur Verkleinerung
resp. zum Verschwinden zu bringen.
Herr v. Corval (Baden-Baden): Zur
Suggestionstherapie. Der Vortragende
hat bei Dr. Wetterstrand in Stockholm
800 hypnotischen Sitzungen beigewohnt und
bekennt sich auf Grund der dort gemachten
Beobachtungen und seiner eigenen Erfah-
rungen als Freund der jetzt von den meisten
Aerzten noch misstrauisch angesehenen hyp-
notischen Curen. Im Einzelnen erwähnt er
Folgendes : Zu hypnotisiren ist Jeder, nur ist
der Schlaf nicht bei jedem Individuum gleich
tief; es braucht aber auch kein tiefer Schlaf
vorhanden zu sein zur Erzielung von Erfolgen,
welche nicht nur palliative, sondern in ge-
eigneten Fällen auch radicale sind. Für
den Hypnotiseur ist unbedingt erforderlich,
dass er seine Gedanken fest auf den ge-
wollten Zweck zu richten vermag; mancher
kann deshalb nicht hypnotisiren. Besonders
angezeigt ist die hypnotische Behandlung bei
nervösen Krankheiten, ausgenommen sind die
schweren Formen der Hysterie und der
Neurasthenie mit vorwiegend melancholischer
Verstimmung. Zur Schmerzlinderung er-
weist sich die Behandlung bei Tabes vor-
trefflich; ausgezeichnete Resultate erzielte
man femer bei Alkoholikern, die sofort dem
ersten Befehle gehorchten, keinen Alkohol
mehr nahmen und durchaus nichts von den
gefürchteten Erscheinungen der plötzlichen
Enthaltsamkeit zeigten, vielmehr nach weni-
gen Tagen wie verjüngt aussahen. Bei
Bronchialasthma wurden Theilerfolge erzielt,
bei Stottern rasche Dauerheilung. Redner
m. Jahrgang.!
M&i 1889. J
Thormpoutiiehe MittheUungen aus Voreinwi.
233
bat die Methode Dachzuprüfen; bei vorsich-
tiger Anwendung sei noch kein Schaden an-
gerichtet worden.
Herr Groedel (Nauheim): üeber den
Einfluss von Bädern auf die elek-
trische Erregbarkeit der Muskeln und
Nerven. Redner hat durch sorgföltig an-
gestellte üntersuchuDgen gefunden , dass
warme Süsswasserbäder die elektrische Er-
regbarkeit der Nerven und Muskeln ver-
mindern, kalte dieselbe steigern. Thera-
peutische Consequenzen will er jedoch aus
diesen Ergebnissen noch nicht ziehen, bis
weitere Untersuchungen das mitgethellte Re-
sultat bestätigen. An der Biscussion be-
theiligen sich die Herren Rosenbaum,
Marcus, Ewald und Schott.
Herr Ewald (Berlin): Ueber den chro-
nischen Magenkatarrh und seine Be-
handlung an den Heilquellen. Ueber
die Bezeichnung des chronischen Magen-
katarrhs sei ein ganzes Potpourri von dys-
peptischen Zuständen verstanden worden;
genau genommen, könne von einem Katarrh
der Magenschleimhaut überhaupt nicht ge-
sprochen werden, weil die sogenannte Magen-
schleimhaut eigentlich gar. keine Schleim-
haut, sondern eine Drüsenhaut sei. Denn
sie weise lediglich eine grosse Zahl neben-
einander gelagerter Drüsen auf, zwischen
deren Ausgängen nur eine verschwindend ge-
ringe Menge eigentliches Schleimhautepithel
sich vorfinde. Ein Schleimhautkatarrh sei
einfach ein Zustand vermehrter Transsuda-
tion; bei dem „Magenkatarrh^ aber handele
es sich um eine acute oder chronische Ent-
zündung der Drüsenhaut, welche bis zur
Atrophie sich steigern könne. Der Vor-
tragende legt eine Anzahl von Zeichnungen
vor über die pathologisch-anatomischen Ver-
änderungen des Magens, namentlich be-
treffend die interstitiellen Wucherungen zwi-
schen den Drüsen bei den schwereren Er-
krankungen (Krebs) und gruppirte dann die
Arten des „chronischen Magenkatarrhs" als
chronische Gastritis (Verschleimung der Drü-
senzellen) und Atrophie der Magenschleim-
haut mit Schrumpfung oder Lähmung der
Magen - Muskulatur. An diese Zustände
schliessen sich dann die Neurosen des Ma-
gens. Bezüglich der Behandlung der chro-
nischen Gastritis an den Heilquellen unter-
scheidet Redner 4 Gruppen: die reinen Koch-
salzquellen, die alkalischen Wässer, die
alkalisch-salinischen Quellen und die Bitter-
wässer. Die Koch Salzwässer finden ihre An-
wendung, wo man stimulirend auf den Magen
wirken will, die alkalischen resp. alkalisch-
salinischen Wässer, wo man eine Hyper-
acidität oder Hypersecretion zu bekämpfen
hat und die Bitterwässer, wo ausser der
Magenaffection Störungen der Darmthätigkeit
vorliegen.
Herr G. Rosenbaum (Berlin): Ueber
hydroelektrische Bäder. Während man
allgemein annahm, dass der Korper des
Badenden schlechter leite als das Wasser
und daher seine Durchstromung eine sehr
geringe sei, fand der Vortragende durch sehr
sorgfältig angestellte Versuche, welche ein-
gehend beschrieben werden, dass die im
Korper zur Verwendung kommende Normal-
intensität zwischen ^/s — V* ^^^ gesammten
Stromstärke schwanke. Hierauf bespricht
Redner die Technik und die therapeutischen
Resultate bei den verschiedenen Nerven-
krankheiten.
Herr Gans (Carlsbad) (Autoreferat): Un-
tersuchungen über denEinfluss des Sac-
charins auf die Magen- und Darmver-
dauung. Nach einer historischen Einleitung
über die Entwickelung der Saccharinfrage, be-
züglich welcher die neuesten franzosischen For-
schungsresultate mit denen Salkowski^s im
diametralen Gegensatz stehen, berichtet Gans
über eine Reihe experimenteller Versuche,
die er über den Einfluss des Saccharins auf
nativen, menschlichen Magen- und Darmsaft
angestellt hat. Der Vortragende weist an der
Hand dieser Versuche nach, dass Saccharin
in Pulverform sowohl Pepsin und Labferment,
als auch pankreatisches Ferment aus dem
Magen- resp. Darmsaft mechanisch mitreisst
und dadurch mechanisch die Eiweissver-
dauung verlangsamt, dass jedoch jede Ver-
langsamung der Verdauung aufhört, sobald
man Saccharinlosung statt Saccharin pul ver
verwendet. Ausserdem demonstrirt er Darm-
säfte, bei denen er durch Saccharin die
faulige Zersetzung zur Zeit des Congresses
bereits S^/g Wochen hintanhalten konnte.
Auf Grund dieser Versuche schlägt Gans
vor, das Saccharin, namentlich wo es in
Pulverform nicht vertragen werde, nur in
Lösung zu verwenden , wozu sich das
saccharinsaure Natron deshalb ganz beson-
ders eignet, weil es nicht nur in heissem
Wasser, wie das Saccharin selbst, sondern
auch in kaltem loslich ist. Dabei bemerkt
aber der Vortragende ausdrücklich, dass auch
das Saccharin saure Natron nicht in Pulver-
form gegeben werden darf, da auch dieses
im sauren Magensaft nicht löslich ist.
Endlich empfiehlt Gans das Saccharin
gegen Zersetzungsprocesse im Darm (Fla-
lenz, Diarrhoeen etc.).
Herr Stifler (Stehen): Ueber kohlen-
saure Stahlbäder. Die Wirkungsgrösse
kohlensaurer Stahlbäder hängt von ihrer
chemischen und technischen Vollkommenheit
30
234
R«f«i«to.
tTher*p«irtisch<l
Monatthefte.
ab. KüDstliche kohlensaure Bäder wirken
nicht chemisch, sondern mechanisch. Redner
demonstrirt einen einfachen Apparat Ton
Professor Reichert, durch welchen man
schnell und zuverlässig den Kohlensäure-
gehalt eines Bades bestimmen kann.
Herr Lindemann (Helgoland): Die sa-
nitäre Bedeutung des Nordseebades.
Redner bespricht die Eigenthümlichkeiten
der Seeluft, den Ozongehalt und Salzgehalt,
das Freisein von schädlichen Beimengungen,
das Seeklima, die Wirkung der Seebäder,
den Einfluss der Winde etc. und erweist
durch statistische Angaben die günstige sa-
nitäre Beschaffenheit Helgolands.
Herr Dr. Hermann Weber in London
wurde wegen seiner grossen Verdienste um
die Balneologie und Elimatologie zum Ehren-
mitgliede der Bai neologischen Gesellschaft
ernannt.
Für den im October d. J. in Paris statt-
findenden internationalen Congress für Hydro-
logie und Klimatologie wird Herr Professor
Winternitz aus Wien zum Delegirten ge-
wählt.
Brock {Berlin).
Referate.
Die antiparasitäre Behandlung der Lungenschwind-
sucht. Zusammenfassender Bericht über die
seit der Entdeckung des Tuberkelbacillus
bis Ende 1887 erschienenen einschlägigen
Arbeiten. Von Dr. F. Wesener, DoceDten
der klinischen Medicin und erstem Assistenz-
arzte der Poliklinik zu Freiburg i. B.
Unter dem Einflüsse der Entdeckung des
Tuberkelbacillus und der durch denselben
sicher gestellten Aetiologie der Lungentu-
berculose richtete sich das Bestreben der
Therapeuten darauf, durch directe anti-
bacterielle Behandlung, d. h. durch
Methoden, welche den Bacillus innerhalb
des Körpers zu vernichten geeignet erschie-
nen, der Krankheit Abbruch zu thun. Es
ist den Lesern dieser Zeitschrift bekannt,
wie ausserordentlich zahlreich die auf die-
sem Gebiete hervorgetretenen Bemühungen
und wie mannigfach die verschiedenen Me-
thoden waren; ist doch thatsächlich keine
der überhaupt möglichen Einverleibungsarten
in den Körper übergangen worden. Der
Verfasser hat sich der mühevollen Arbeit
imterzogen, sämmtliche in dieser Frage in
dem in der Ueberschrift angegebenen Zeit-
raum erschienenen Mittheilungen geordnet
zusammenzustellen; er hat sich darauf be-
schränkt, unter Uebergehung der allgemeinen
und der symptomatischen Behandlungsme-
thoden nur die Leistungen der directen anti-
parasitären Therapie der Lungenschwindsucht
und der indirect parasitären Behandlung
durch Medicamente zu besprechen und ist
hierbei zu der Zahl von fast 300 Arbeiten
gelangt. Die Art der Darstellung ist fast
durchweg eine objectiv berichtende, der Ver-
fasser begnügt sich in denjenigen Fällen, in
denen ein allgemeines entscheidendes ürtheil
noch nicht erreicht zu sein schien, die ver-
schiedenen, z. Th. einander streng wider-
sprechenden Angaben der Autoren einander
gegenüberzustellen; und nur in denjenigen,
allerdings nicht . wenigen Fällen, in denen
eine neue Methode mit viel Aufsehen auf-
tauchte, um nur zu bald als wirkungslos
sich herauszustellen, fasst W. in wenigen
Worten das Endergebniss zusammen oder fügt
einige kritische Bemerkungen bei. Durch
diese Form der Darstellung wird, wenn auch
natürlich nicht stets im Einzelfalle, so doch
über den Werth dieser Richtung therapeu-
tischen Bestrebens im Ganzen ein Ürtheil
ermöglicht. W. stellt zuerst die Mittel zu-
sammen, welche für die interne Therapie
empfohlen sind, wobei das von H. Buchner
zuerst angerathene Arsen und das Kreosot
besonders ausführlich behandelt sind, darauf
folgt die Zusammenstellung der Resultate
der hauptsächlich von Frankreich her em-
pfohlenen Therapie mittelst cutaner Injectio-
nen, der Empfehlungen von Inhalation der
verschiedensten Stoffe (inclus. Cantani's
Bacteriotherapie), hierauf das Referat über
die Arbeiten über Bergeon's Methode der
Gaskly stiere (80 Nummern !) mit der Schluss-
folgerung, dass, da die Methode keine Hei-
lung, sondern höchstens Besserung her-
beiführe, ihre Berechtigung hinfallig sei,
denn zu diesem Zwecke ständen andere
Mittel und Methoden zu Gebote, die weniger
unangenehm, zeitraubend, unsicher und weni-
ger gefährlich seien. Es folgt noch ein Capitel
über intraparenchymatöse Injectionen, über
Lungen Chirurgie und über Monographien etc.
allgemeinen Inhalts. Aus denselben mag
der Ausspruch von JaccQud citirt werden,
Mai 1889. J
Refiumte.
235
dass der Einfluss der Entdeckung des Bacil-
lus auf die Behandlung der Schwindsucht
bisher gleich Null ist.
Die Torliegende Arbeit ist um so zeit-
gemässer, als gegenwärtig, trotzdem auch
das noch nicht mit besprochene Jahr 1888
wieder eine Beihe neuer Methoden und Mit-
tel gebracht hat, dennoch die Bestrebungen
der direct antibacillären Behandlung der
Lungenschwindsucht zu einem gewissen Ruhe-
punkt gekommen zu sein scheinen, und die
Frage nach der Möglichkeit eines solchen
Weges auf Grund der in den letzten Jahren
gesammelten und in obiger Abhandlung dar-
gestellten Erfahrungen unter der Vorausset-
zung, dass nicht ganz neue Gesichtspunkte
auftauchen, Torläufig im Allgemeinen im
negativen Sinne beantwortet zu sein scheint.
{Separat- Abdruck aus d. Ctrbl. f. Bacteriologie u.
Pararittnkunde. 1888. Bd. IV. No. 26—26.)
A. Gottstein (Berlin).
Ueber die Heilbarkeit und Ortliche Behandlung
der sogenannten Kehlkopfschwindsucht. Von
Ä. Sokolowski.
Die Frage der Heilbarkeit der -Phthisis
laryngis ist zu allen Zeiten oftmals ventilirt
und in der yerschiedensten Weise beantwortet
worden. Während die Einen jeden thera-
peutischen Erfolg in Abrede stellen, weisen
die Anderen eine Reihe spontan, ohne jeden
Eingriff geheilter diesbezüglicher Fälle auf.
Und es ist nicht zu leugnen, dass die Kehl-
kopf seh windsucht, sei sie nun mit Phthisis
pulmonum oder anderen phthisischen Pro-
cessen complicirt oder nicht, unter günstigen
äusseren Bedingungen Yollkommen heilen
kann. Zu letzteren gehören vor allem eine
in jeder Hinsicht ausgezeichnete Ernährung,
Bowie der ständige Aufenthalt in guter, staub-
und bacterienfreier Luft. Nicht selten nehmen
unter solchen Umständen auch die Lungen-
erscheinungen an Intensität ab oder schwin-
den Tollkommen. Bessere Erfolge erzielt
man jedoch durch eine methodische örtliche
Behandlung. Bewiesen wird dies durch die
Thatsache, dass unter 50 nicht local behan-
delten Fällen nur 16 % eine Besserung auf-
wiesen, 84 % dagegen ungebessert blieben,
während in 50 Fallen von Kehlkopfschwind-
sucht mit örtlicher Therapie 80 ^/o gebessert
und nur 20 % nicht günstig beeinflusst wur-
den. Am günstigsten für die Localtherapie
gestalten sich jene Fälle von Kehlkopf-
phthisis, die nur mit geringen Verdichtungen
der Lunge unter günstigem Allgemeinbefinden
und bei Abwesenheit von Fieber verlaufen.
Unter den medicamentösen Mitteln zur
Localbehandlung der Kehlkopf Schwindsucht
nimmt die Milchsäure eine hervorragende
Stelle ein. Man pinselt mit 25, 50 und
75 % Lösungen oder auch mit reiner Milch-
säure. Unter 34 in solcher Weise behan-
delten Fällen wurden 25 gebessert. Unter
diesen wiederum war die Besserung subjectiv
und objectiv in 18 Fällen, in den übrigen
sieben war wenigstens die Besserung im
Schlucken -und dadurch auch eine Besserung
im Allgemeinbefinden der Patienten eine ganz
erhebliche.
Das unangenehme Gefühl des Brennens
bei Anwendung der Milchsäure kann in vielen
Fällen durch vorherige Pinselung mit Cocain
vermieden werden.
Neben der medicamentösen kommt vor
allem die chirurgische Behandlung in Be-
tracht. Diese besteht entweder in tiefen
Einschnitten in die infiltrirten Kehlkopf-
partien, nach dem Vorgänge Schmidt's,
oder in dem Auskratzen des Kehlkopfs nach
Heryng. Verf. selbst empfiehlt schliesslich
neben diesen Maassnahmen noch das Aus-
rissen der um die Geschwüre wuchernden
Granulationen mittelst der Pincette. Ausser
diesen chirurgischen Eingriffen empfiehlt sich
dann die Weiterbehandlung mit Milchsäure,
Jodol oder anderen Mitteln. Auch die Gal-
vanokaustik ist bei Geschwüren der hin-
teren Kehlkopfswand, oder der Epiglottis
empfehlenswerth.
Diese combinirte Heilmethode der Kehl-
kopfschwindsucht hat bisher die besten Er-
folge gezeitigt. Sie wurde in 16 Fällen
angewandt, von denen 15 wesentlich gebessert
wurden, und zwar war 13 Mal die Besserung
eine objective. Der einzige Fall, der nicht
günstig beeinfiusst wurde, war eine Compli-
cation schwerer Larynx- und Lungen phthisis,
in dessen Verlaufe wegen eines durch co-
lossale Infiltration des Kehldeckels bedingten
Erstickungsanfalles die Tracheotomie vor-
genommen werden musste. Es trat bald
darauf der Tod ein. Es versteht sich wohl
von selbst, dass neben der local en Behand-
lung die allgemeine durchaus nicht vernach-
lässigt werden darf.
( Wiener kUn, Wochenschr. 1889 No. 4 u. S.)
Carl Rosenthal {Berlin).
Ueber einen Fall traumatischer Epilepsie. Von
F. Sulzer.
Einem 23 jährigen Mann fiel im Januar
1884 ein mannsfaustgrosser Stein auf den
Kopf, welcher eine stark blutende Wunde
verursachte. Am Tage darauf traten geringe
Lähmungserscheinungen am rechten Arme ein,
die bald von Sprachstörungen und Krämpfen
der ganzen rechten Körperhälfte gefolgt wur-
den. Dann blieb Patient, nachdem sich am
7. Tage nach der Verletzung plötzlich eine
30*
236
Refeimt«.
pTberapeaflieh«
L Monataheft«.
grosse Meoge Eiters aus der Wunde entleert
hatte, 3 Jahre und 9 Monate frei von
Krämpfen. Nach dieser Zeit traten die
Krämpfe wiederum und zwar sehr häufig
auf und betrafen zumeist die rechte KÖrper-
hälfte. Sie waren anfangs nicht von Bewusst*
losigkeit begleitet, doch stellte sich dieselbe
in der Folge regelmässig ein. Eine im Früh*
jähr 1888 an der Stelle der Narbe am
Schädel vorgenommene ausgedehnte Trepa-
nation mit Zertrennung einzelner Verwachsun-
gen der Dura mit dem Knochen hatte keinen
dauernden Erfolg. Es wurde deshalb am
Ende desselben Jahres eine nochmalige Ope-
ration vorgenommen. Da man aus der Art
des Auftretens der Krämpfe auf eine Laesion
in der Nähe des Facialiscentrums schloss, so
wurde an der Stelle des letzteren trepanirt und
von da aus ein sechseckiges Knochenstück
von 5 cm Länge und 4 cm Breite an der
Stelle der alten Kopfverletzung ausgesägt.
Ein etwa guldengrosses schwielig verändertes
Stück der Dura wurde umschnitten und ent-
fernt. Darauf erblickte man eine etwa
bohn engrosse Cyste, die, nachdem sie eröffnet
worden und das Serum ausgeflossen war,
excidirt wurde. Es folgte ein Jodoform-
Sublimatgazeverband. Die Operation selbst
verlief ziemlich günstig. In den folgenden
Tagen wurden mehrfache epileptische Anfölle
beobachtet, denen Aphasie, Parese des rechten
Mund- und Wangen facialis, Parese des rechten
Ober- und Vorderarms, wie der rechten Hand
folgten. Alle diese Störungen verschwanden
bis Ende Januar 1889, von welcher Zeit an
auch kein Krampfanfall mehr erfolgte. Ob
der Erfolg der beschriebenen Therapie ein
dauernder sein wird, muss die Folgezeit
lehren, so viel beweist er jedoch, dass
chirurgische Eingriffe an der Gehirn ober-
flache, wenn sie nur mit der nothwendigen
Sorgfalt und Präcision ausgeführt werden,
gut ertragen werden können.
{Wiener klin. Wochenschr. 1889 No. S.)
Carl Rostntkai (Berlin),
lieber die Anwendung der Sallcylsäure bei ma-
ligner Scarlatina. Von Dr. Shakowski.
Nach den Erfahrungen Verf's., welche
ein Material von 125 also behandelten
Patienten betreffen, hat sich die Salicylsäure
bei den schweren Formen des Scharlach-
fiebers ausgezeichnet bewährt. Die Mortali-
tät wurde auf nur 3,6 °/o herabgedrückt. Ge-
wöhnlich verschreibt Verf. Acid. salicyl.
1,0 g, Aqu. dest. 7,5 g, Syr. cortic. aurant. 30.
Von dieser Lösung wird einstündlich 1 Thee-
löffel bis Esslöffel genommen, in der Nacht
die gleiche Dosis alle 2 Stunden. — Die
Lösung bewirkt vor allem einen ziemlich
jähen Temperaturabfall : in einigen Fällen
konnte man im Verlauf von zweimal 24 Stun-
den ein Sinken der Temperatur von 41** C.
auf 38° C, ja selbst auf subfebrile Tem-
peraturen beobachten. Regelmässig ver-
schwand das Fieber dauernd am 10. Krank-
heitstage, Gleichwohl räth Verf., um etwaige
Recidive zu verhüten, dass auch nach diesem
Zeitpunkt die Salicylsäure, wenn auch in
schwächeren Dosen, weitergegeben werde. —
Bei dieser Behandlung gelang es, nicht nur
die so gefährlichen Complicationen (Urämie,
Hydrops, Diphtherie) in fast allen Fällen zu
vermeiden, sondern auch, wenn sie ausnahms-
weise zum Ausbruch gekommen waren, schnell
und leicht zu beseitigen. — Ohne Erfolg
war das Medicament l) in denjenigen Fällen,
in welchen das Medicament zu spät zur
Anwendung gelangte, d. h. spater als am
4. Krankheitstage. 2) Wenn gleichzeitig
schwere chronische Leiden bestanden.
(Novotü Terapii 1888 No. 6 u. The Journal of The
American Medieal Aßsociation 17. Nov. 1888),
B. Lohnstein (Berlin).
Weitere Untersuchungen über den todten Raum
bei chemischen Reactlonen. Von Professor
Oscar Liebreich.
Obgleich die vorliegende Untersuchung
einen mehr chemich-physikalischen Charakter
trägt, so sind die Resultate derselben ge-
eignet zwar nicht direct einen speciell thera-
peutischen Nutzen zu gewähren, sie sind
jedoch in der Lage unsere Anschauungen
über die Wirkung von Arzneimitteln zu er-
klären und eine schon vielfach durch die
Beobachtung erhärtete Thatsache wissen-
schaftlich zu bestätigen, dass die Wirkungen
von Arzneisnbstanzen im Körper anderen
Ursachen, anderen Umwandlungsgesetzen ge-
horchen, als es ausserhalb des Organismus
in grossen Gefässen zu geschehen pflegt.
Die Untersuchungen sind ausgegangen von
der theoretischen Betrachtung, welche sich
an die Zersetzung des Choralhydrats durch
Alkalien knüpfte, eine Betrachtung, die be-
kanntlich zur Einführung des Chloralhydrates
führte. Diese Einwirkung des Alkalis auf
Chloralhydrat ist keine augenblickliche, es
bildet sich das Chloroform, wenigstens wenn
man Natriumcarbonat anwendet, erst nach
einiger Zeit, es tritt also die Form der Re-
action ein, welche man mit dem Namen der
Zeitreaction bezeichnet. Das ausgeschiedene
Chloroform zeigt sich in der Flüssigkeit
nicht als ein schwer zu Boden sinkendes
Oel, sondern als ein gleichmässig fein ver-
theilter Nebel, welcher der Flüssigkeit einen
milchähnlichen Charakter giebt. Der allge-
meinen chemischen Auffassung nach müsste
dieee Reaction gleichm&BBig in dem ganzen
Gefässe tot sich gehen, es ist dies indeea
Dicht der Fall, und es konnte hier zum
ersten Male nachgewiesen werden, das3 die
Reaction von der Form des GeHisBes ab-
hängig ist und zwar besonders von der
OberflächenipaDSUDg der FJüssigkeit. Die
Figur 1 zeigt ein solches Geßes, in dessen
^ oberen Theil keine Re-
R'^ action eintritt, während
der übrige Inhalt von
*^ Chloroformnebel ange-
füllt ist. Diese obere, TOn
Chloroformnebel nicht
erfüllte Zone aa'acc' ist
vom Verfasser mit dem
Namen des t o d t e n
Raumes bezeichnet
worden. Ohne auf die
, I weiteren Einzelheiten in
FiK. 1. Betreff der Abhängig-
keit der Form dieses
todten Raumes von der Form des Gefässes,
der Oberfläche nbeschaffenheit u. s. w. einzu-
gehen, mögen die Figuren 2 und 3 die elgen-
ihümliche Abgrenzung desselben gegen die
Oberfläche zeigen, wobei der erste Fall die
Bildung des todten Raumes am Rande eines
cylindrischen GefaBsee, der zweite die Bil-
dung desselben unter einer Libellenblasen-
oberfläche darstellt. In der Abhandlung sind
die Gründe widerlegt, welche man fQr die
Entstehung dieser Erscheinung durch Ver-
dampfung oder Senk ungserscheinun gen an-
führen könnte.
bildet nun im rSbrenffirmigeD Cyllnder einen
centralen Faden, während die Wandschicbt
farblos bleibt, ausBerdem zeigt sich, dass
die Reaction in grossen Geissen bedeutend
schneller auftritt, als in kleinen. Nimmt
man statt einer cylindrischen Röhre ein Eu-
gelrohr, so tritt die Reaction zuerst im
rig. j.
Centrum der Engeln ein und zwar in den grös-
Beren früher als in den kleineren (s. Fig. 4
S. 238). Schafft man kleine CapillarTäume
dadurch, dass man Perlen ohne Bohrung von
einem Durchmesser von 0,52 — 1,12 mm in
die Flüsaigkeit aufschüttet, so tritt eine
wesentliche Verzögerung und bei sehr grosser
Verdünnung der JodsSuremischnng eine völ-
Für die biologische Betrachtung war
aber wesentlich die Frage zu erörtern, vrie
sich nun die Reaction verhalte, wenn die
Räume bedeutend kleiner werden. Hier
wurde der Beweis von der Abhängigkeit der
Umsetzungen von der Gestalt des Gefässes
■durct eine Reaction bewiesen, welche durch
wechselseitige Einwirkung von Jodsäure und
schwefliger Säure entsteht; bei Zusammen-
bringung dieser Eörper scheidet sich Jod
aus, welches hinzugefügte StSrkelösung blau
färbt, es tritt also in einer farblosen Flüssig-
keit Blaufärbung ein. Diese Blaußrbung
lige Aufhebung der Reaction ein. Diese Ver-
suche können als genügender Beweis be-
trachtet werden, dass in engen Räumen
die chemische Reaction verlangsamt
wird. Von sehr beweisender Eraft für
diese ReactionsbehinderuDg im kleinen Raum,
bedingt durch eine feste Wand und durch
die Oberflächenspannung, welche physikalisch
auch als feste Wand anzusehen ist, sind die
Versuche an einem Tropfen der Reactions-
Flüasigkeit, welcher zwischen zwei mit den
conveien Seiten auf einander gelegten Uhr-
gläsern zu einer biconcaven Flüssigkeit» linse
238
gedrückt wird. lo dem Reactionsgemiscb
im Becherglas tritt die Bläuuog früher ein,
als im Tropfen. In dem Ton oben betrach-
teten Tropfen zeigt sich ein blaner Ring,
der Rand des Tropfens bleibt farblos, klar
und durchsichtig. Der blaue Ring schattirt
sich nach innen zu ab und die Mitte des
Tropfens erscheipt ebenfalls farblos, in dem
Centrum des Tropfens
also Sndet gar keine
Reaction statt, d. h.
an derjenigen Stelle,
an welcher die Flüs-
sigkeit am engsten
begrenzt ist, ist ein
todter Raum vorhan-
den. Der Verfasser
kommt auf Grund der
vorliegenden Versu-
che KU der folgenden
Schi u 3 sfo 1 gerung :
„Ueberträgt man
die gewonnenen Re-
sultate auf biologische
Vorgänge , so wird
man zu dem Schlüsse
gefuhrt, dasB Zellen-
räume, in denen eine
Reaotion vor sich ge-
hen soll, ' an eine be-
stimmte Grösse ge-
bunden sind, damit
nicht ein andersarti-
ger — dem normalen
gegenübf
Flg.«.
de generati-
ver — chemischerVoT-
gang stattfinde. In der That legt uns die
Verschiedenartigkeit der Zellen mit ihrem
für eine jede gleichartigen Chemismus den
Gedanken nahe, dass die chemischen Vorgänge
in ihnen gerade an Räumen von bestimmter
Grösse gehundensind, wobei kleine Grössen-
differenzen allerdings keine Rolle spielen."
"Wenn also die Schlussfolgerung (jezogen
werden muss, dass für die bestimmte Thätig-
keit einer Zelle ein bestimmter Reactions-
raum nothwendig ist, so lässt sich daran
weiter die Vermuthung knüpfen, dass in
einer Zelle selbst ohne differencirte Ab-
grenzung, gewissermaassen einer protoplas-
matischen Flüssigkeit, vorausgesetzt, dass wir
es mit einer Kugel zu thun haben, jener
Form, die von R. Virchow gewissermaassen
ala ideale Zelle bezeichnet wird, die Reac-
tionsbewegung im Centrunt der Zelle am
stärksten sein muss, bei veränderter Gestalt
dagegen irgend ein anderer Punkt für die stärk-
ste Reaction 9 entwickelung sich finden müsse.
iSitimgil/tr.dtr Kgl. Priuii Aiadtmie dtr IVukkkA.
zt, BerKB. 1889. XIV.) A. GatMtin {Berlin).
Zur Statiatik der Totalexatlrpatlon des Kehl-
kopfes im functlonellen Sinne: laute, rer-
standllche Spracbe. Von Dr. Harn« Schmid,
dirig. Arzt v. Bethanien in Stettin. (Vortrag
gehslton in der med, Ges. zu Greifswald am
4, August 1888.)
Verf. hatte Gelegenheit, einen SOjäbrigen
Mann, dem am 8. Oct. 1886 von seinem interi-
mistischen Vorgänger in Bethanien (Stettin) der
ganze Kehlkopf wegen eines krebs verdächtigen
Tumors entfernt worden war, im Frühjahr 1888
als geheilt wiederzusehen und zu beobachten,
dass der Patient, der permanent eine Cauüle
trägt und bei dem sich zwischen Mund-,
Rachenhöhle und oberer Luftröhre ein voll-
ständig luftdichter Abschluss gebildet hat,
mit verbal tniasmässig lauter, verständlicher
Stimme zu sprechen vermag. Wie hier die
Stimme zu Stande kommt, nämlich durch
Bewegungen des Zungengrundes gegen die
gegenüberliegende Pharynxwand unter Be-
nutzung der im Rachen vorhandenen Luft,
bleibt physiologisch immerhin interessant;
indessen glaubt Verf., dieses Factum auch
therapeutisch verwerthen zu sollen, indem
er vorschlägt, künftigbin bei E ehi köpfe xstir-
pationen von vornherein auf eine Communica-
tion zwischen Trachea und Mundhöhle zu
verzichten, vielmehr die Trachea aus ihrer
Umgebung etwas ausgiebiger herauszupräpa-
rireo und sie dann weiter herauszunähen,
so dasB von oben her gar nichts mehr in
sie hineinkommen kann. Dass hierdurch
auch die Gefahr der Schluck Pneumonie ver-
ringert werden könnte, leuchtet wohl ein.
(c. LoNiiMteci'* Arehiv. Bd. 38, Etft I.)
fYej/er (Sltlli»).
Verf., gegenwärtig wohl der erfahrenste
Autor auf dem Gebiete der Ktopfoperation,
giebt uns an der Hand weiterer, seit 1684
ausgeführter Operationen, welche bereits die
stattliche Zahl 250 erreicht haben, eine
Reibe praktischer Winke für Indications Stel-
lung und Ausführung dieser Operation. Die
ungewöhnlichen Kröpfe, zu welchen er
die malignen Strumen und den Kropf bei
der Basedow'schen Krankheit zählt,
abgerechnet, gelangt er zu der Ueberzeugung,
dass die Operation „selbst unter sehr
schwierigen Verhältnissen, bei jeder
Grösse und jedem Alter, zu einer
völlig gefahrlosen geworden ist." —
Die Technik anlangend, empfiehlt er för
schwierigere Fälle und grosse Kröpfe als besten
den Winkelschnitt oder vielmehr den
Schnitt im scharfen Bogen, für ein-
fachere Kröpfe dagegen den Querschnitt,
der die feinste Narbe giebt. Bei Unter-
III. J«]irgwig.1
Mal 1889. J
Ref«rato.
239
bindung der Art. tbyreoid. inf. am Stamm
soll der Grenzstrang des Sjmpathicus
nebst seinen Aesten nicht mit der Ligatur
gefasst werden, desgleichen ist im weiteren
Verlauf der Operation der N. recurr. zu
schonen und daher genau zu beachten. In
kosmetischer Beziehung empfiehlt Verf.,
die Muskeln in der Medianlinie zu trennen
und dieselben lateralwärts abzuziehen, um
sich den nothigen Zugang zur Struma zu
schaffen.
Von grosser Wichtigkeit ist dem Verf.
die Methodik der Wundbehandlung.
Zur Hautdesinfection benutzt er neuerdings
die saure Sublimatlosung nach Krön-
lein^s Empfehlung und verwirft, wie be-
kannt, den Catgut ToUständig. Die Drains
werden nach 24 Stunden, die Suturen nach
2 mal 24 Stunden entfernt. — Die Cachexia
strumipriva oder thyreopriva, wie er
sie nennen möchte, lässt sich stets durch
Zurücklassen eines functionsfähigen
Stückes Schilddrüse Termeiden. Vor
der Blutstillung Wolff's durch metho-
dische Compression warnt er, da bei
derselben recht viel Blut verloren gehe.
Von den neuerdings empfohlenen Ope-
rationsmethoden hält er die der Unter-
bindung der Schilddrüsenarterien,
durch Wolf 1er wieder eingeführt und von
Billroth empfohlen, nur bei der Struma
vasculosa resp. bei Morb. Basedowii
von anzuerkennendem Vortheil, die Enuclea-
tion dagegen, d. h. die Entfernung der
kranken Partien, während das normale
Gewebe zurückbleibt, von So ein besonders
cultivirt, zur Entfernung anscheinbarer
Enotenbildungen, so auch bei Gysten-
kropfen, sofern dieselben als eine Cyste den
Haupttheil der Tumors ausmachen, für an-
gezeigt. Modificationen dieses Verfahrens
bilden die Resection nach Mikulicz und
die Amputation nach von Nussbaum.
Von anderen Operationsweisen soll die Ex-
stirpation bei diffusen Erkrankungen,
also bei malignen, entzündeten und diffus
hypertrophirten Strumen, und die Evacua-
tion (E vi dement) bei isolirten kleineren
und grosseren Knoten von weicher Consistenz
in verhältnissmässig gut erhaltenem Schild-
drüsengewebe zur Anwendung kommen.
Den Practikern aber wird ganz beson-
ders die Mahnung nahegelegt, jeden rascher
wachsenden oder Beschwerden machen-
den Kropf bei Erwachsenen für ver-
dächtig zu halten und ungesäumt die
Indication zu rechtzeitiger Radical-
heilung zu stellen.
(Corrttpondtmbl. f, Schweiz, Äertie, 1889. Nr. 1—2.)
Frtytr {Stettin).
Beitrag zum Studium und zur Behandlung des
Empyems der Highmorshöhle« Von Bayer.
B. räth für die Diagnose der Empyeme
die Anwendung des von ihm auf der 59.
Naturforscher-Versammlung 1886 zuerst em-
pfohlenen Verfahrens: event. nach Erweiterung
der natürlichen Oeffnung des Antr. Highmor.,
wofür er die Galvanokaustik sehr empfiehlt,
zur Entleerung des Eiters den Patienten die
Bauchlage mit herabhängendem Kopf oder,
wenn danach Himcongestionen auftreten, die
horizontale Seitenlage nach der dem er-
krankten Sinus entgegengesetzten Seite mit
etwas nach unten geneigtem Kopf einnehmen
zu lassen. Bei der Behandlung der Em-
pyeme bedient man sich der Lagen nur zur
Unterstützung der viel wirksameren Ent-
leerung durch Ausspülungen des Sin. max.
mittelst eines kurzschn abiigen Katheters. B.
empfiehlt das Verfahren mit einer gewissen
Reserve nur für diejenigen Fälle, in denen
das Empyem durch eine Affection der Nase
(die er in 7 von 25 Fällen beobachtet hat)
oder bei intacten Zähnen durch Neubildun-
gen bedingt ist oder die Vornahme einer
anderen Operation nicht gestattet wird. Sonst
erzielte B. durch Perforation der Alveole
mittelst Troicats oder der von den Zahn-
ärzten benutzten Bohrmaschine schnelle Hei-
lung der Empyeme.
{Deutsch, med. Wockenschr. 1889 No. 10.)
0. Britger.
Ueber Empyeme der Oberkieferhohle. Von Hart-
mann.
H. sah in fast der Hälfte der von ihm
beobachteten Fälle (32) bei Empyem des
Sinus maxill. eine Vorwölbung der nasalen
Wand desselben im Bereich des mittleren
Nasengangs nach der Mittellinie zu. Durch
die den Hiatus semilun. betreffende Vor-
wölbung entstehen, -begünstigt durch die
meist gleichzeitig bestehende Schleimhaut-
schwellung in Folge der Hemmung des Secretab-
flusses, die nicht selten mit dem Empyem
des Sin. max. in Verbindung stehenden Er-
krankungen des Sin. frontal. Diese werden
mit der Heilung der Affection des Sin. max.
beseitigt. Als Ursachen des Empyems des
Sin. max. spricht H. in ^s ^^^ Fälle Hyper-
trophien oder Polypen der Nase, sonst Er-
krankungen der Zähne an. Heilung des
Empyems wurde in 23 Fällen durch regel-
mässige, meist längere Zeit fortgesetzte Aus-
spülungen mit der vom mittleren Nasengang
nach Durchbrechung der äusseren Wand, ein-
geführten Nasenröhre erzielt. Zur Anlegung
einer Oeffnung kann event. die Galvano-
kaustik verwendet werden; bisweilen gelingt
auch die Einführung durch die natürliche
240
Rofermte.
rlierapeatSiehe
Monaub«fteL
Oeffnung. Für die Behandlung der durch
Ausspülungen nicht geheilten Fälle empfiehlt
H. die Eröffnung des Sin. max. yom Alveo-
larfortsatz aus mit Ausspülungen mittelst
einer Tom Patienten selbst einzuführenden
Metallrohre, welche er der Erö&ung durch
Aufmeisselung der Torderen Wand oder vom
unteren Nasengang vorzieht, weil — bei
mindestens gleicher Heilwirkung — die Aus-
führung der Operation weit einfacher ist und
die Ausspülungen durch die Patienten selbst
bequem besorgt werden können.
{Deutsch, med. Wochtnschr. 1889 No. 10.) 0, Brieger.
Behandlung und Heilung des eingewachsenen
Nagels mit Stanniol. Von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt am Main. (Auto-
referat.)
Das Plombiren des kranken Nagels mit
Stanniol hat dem Verfasser selbst in den
Fällen, wo schlechtes und unzweckmässiges
Schuhwerk (Hospital-Patienten) nicht zu
umgehen war, sehr gunstige Resultate
geliefert. Das Stanniol, die einfache bekannte
Zinnfolie („tinfoil, feuilles d'^tain^), enthält
bekanntlich Eisen, Kupfer, Arsenik, Molyb-
dän, Wolfram und Wismuth und wirkt bei
dem mit Zinnfolie unterlegten Nagel nicht
nur mechanisch, sondern auch ganz ent-
schieden chemisch. Verfolgen wir die Ent-
wickelung der ebenso lästigen als peinlichen
Krankheit bei jungen Individuen, so sehen
wir oft durch eine anfänglich gering er-
scheinende Affection geschwürige Degene-
rationen entstehen, welche scheinbar mit dem
eingewachsenen Nagel nicht mehr • in Ver-
bindung stehen. Wird bei solchen jungen
Individuen der eingewachsene Nagel dagegen
rechtzeitig mit Stanniol unterlegt, so wird
dem ganzen Krankheitsprocess vorgebeugt.
Dass für Familien Disposition und Syphilis
(hereditaria) eine Rolle spielen, ist gewiss
und hat z. B. M. D. Cotting in einer
einzigen Familie die Operation des ein-
gewachsenen Nagels sieben Male gemacht.
Gerade bei solcher Krankheitsanlage ist uns
die Gelegenheit geboten, bei jungen Individuen
durch zeitige Unterlegung des afficirten
Nagels mit Stanniol der weiteren Entwickelung
des Uebels vorzubeugen und muss dieses
Untersuchen des Nagels selbstverständlich
nicht nur ausgiebig geschehen, sondern auch
Öfter wiederholt werden. — Nachdem der
kranke Nagel durch ein Seifenbad gereinigt
und gut getrocknet worden ist, wird der
ganze Nagel mit einer Stanniol-Folie glatt
umschlagen. Ebenso wird ein dünn er Stanniol-
Streifen in die seitliche Furche gedrückt, wo
der Nagel bereits eingewachsen war oder ge-
wöhnlich einwachsen will. Diese Stanniol-
Streifen werden mit einer ganz dünnen
Schicht von gelbem Wachs in ihrer Lage
erhalten und immer so eingerichtet, dass
auch an allen Stellen, wo der Nagel lose
das Fleisch berührt, stets eine Stanniol-Folie
dazwischen liegt. Die frische Plombirung
und Verpackung des kranken Nagels mit
neuem Stanniol war in den ersten Wochen
dieser meiner Behandlung in 8 — 12 Tagen
höchstens 2 — 3 Mal nothwendig gewesen.
Ich sowohl wie alle meine Patienten, denen
ich die ganze Manipulation gelehrt habe,
nahmen jedes gewöhnliche dünne Stanniol-
Blatt, in welches Chocolade, Seife, Vanille etc.
etc. verpackt waren. Da das ganze Verfahren
so leicht ausführbar und ganz schmerzlos
ist, so lernen die Patienten schnell das
Unterschieben der Stanniol-Blättchen mit
einer kleinen Pincette, indem sie den Nagel
leicht heben. Wo es nothwendig ist, kann
man die Stanniol-Blättchen doppelt auf-
einander legen und unter den freigemachten
scharfen Nagelrand schieben.
(Allgemeine medidnitche Central - Zeitung. Berlin.
30. Januar 1889 9 Stück und 23. Februar 16 Stück).
Zur Therapie des Lupus. Von Dr. Schütz
(Frankfurt a. M.)
Nachdem Verf. beobachtet, dass Con-
pressivverband bei Ulcera cruris mit Gunmii-
binden oder doppelköpfigen Leimbinden
(Unna) im Stande ist, die Granulations-
wucherungen zu hemmen, versuchte er auch
grössere Wundflächen, die nach Auskratzen etc.
von Gesichtslupus und nachfolgender chemi-
scher Behandlung entstanden waren, in ana-
loger Weise zu verbinden. Die Wunde
wurde mit „Carbolquecksilberguttapercha-
pflastermuU^ (!) bedeckt, letzteres mehrmals
mit Gollodium bestrichen und der Verband
6 bis 24 Stunden liegen gelassen. Ver-
bandwechsel (eventuell Ablösung mit Essig-
äther) hat schnell zu geschehen. Die Wunde
bekommt bald ein frisches Aussehen, die
Granulationen flachen ab, schliesslich ent-
steht eine zarte, weiche Narbe. Der Ver-
band wirkt durch fortwährende Sublimat-
entwicklung antiseptisch, granulationserregend
durch die feuchte Wärme; ausserdem erzeugt
er starke Zugkraft und Gompression. Bis-
weilen, aber nicht allzu häufig, entstehen
durch das Gollodium Randekzeme. Nach
Schliessung der Wunde wird die junge
Narbe noch einige Tage lang indifferent
bedeckt, später folgt Massage und Abschlei-
fung der Narbe mit Marmorpulver, Schmier-
seife etc.
Das Allgemeinbefinden der Patienten ist
zu überwachen. £j*äftige Diät (forcirte Er-
nährung, Malzextract, Leberthran), Aufent-
in. Jabrgang.'l
Mal 1889. J
Toxikologie.
241
halt in frischer Luft, helle gute Wohnun-
gen etc., wodurch Zunahme des Körper-
gewichts bewirkt wird, ist anzurathen.
{Mßneh. med. Wochensehr, 1888, No. 4ö ff.)
Gearge Meyer {Berlin).
Innerliche Behandlung der Syphilis mit Queck-
sllbermltteln, vergleichende Studie über Subli-
mat und Protojodur. Hydrarg. Von Prof.
FourDier (Paris).
In ihrer Wirkung gegen die Erscheinun-
gen der Lues haben Sublimat und Proto-
jodur. Hydrarg. vor einander keine ausschliess-
lichen Vorzüge. Man verordne sie also beide
je nach den verschiedenen Indicationen des
einzelnen Falles: Sublimat macht keine Er-
scheinungen von Seiten des Mundes, aber
vom Digestionstractus; Protojodur. Hydrarg.
verhält sich gerade umgekehrt. Letzteres
möge man, abgesehen von der bestehenden
Indication, lieber verordnen, weil es von
den Yerdauungsorganen besser vertragen
wird und letztere von den Quecksilber-Mitteln
leichter und häufiger angegriffen werden als
der Mund. Ein erwachsener Mann verträgt
3 g Sublimat pro die^ ein Weib 2 g(?); für
das Protojodur. Hydrarg. betragen diese Zah-
len 0,1—0,12 und 0,07—0,08.
{Gm. des hdp. 1888, No. 128.)
George Meyer {Berlin).
Toxikologie.
Zwei Fälle von Kaffeevergiftung. Von Dr.
W. Weinberg (Stuttgart).
Angeregt durch die von 61 o gauer und
Cobn in den Therapeutischen Monatsheften
vom April 1888 und März 1889 veröffent-
lichten Fälle von Eaffeevergiftung übergebe
ich zwei Beobachtungen aus meiner Praxis
hiermit der Oeffentlichkeit. Sie erwecken
vielleicht deshalb einiges Interesse, weil
die Yergiftungserscheinungen nach Genuss
verhältnissmässig geringer Mengen von Kaffee
eintraten.
Fall L Ein 25 jähriger, an massigen
Genuss von Alkohol gewöhnter Mediciner,
welcher das Kaffeetrinken seit längerer Zeit
bis auf eine kleine Tasse direct nach dem
Mittagessen aufgegeben hatte, nahm aus-
nahmsweise an einem Nachmittag zwischen
3 und 6 Uhr vier Tassen starken schwarzen
Kaffees zu sich. Unmittelbar darauf beob-
achtete er bei sich nichts besonderes ausser
einer gewissen Aufgeregtheit und beschleu-
nigten Puls, was stets nach Kaffeegenuss bei
ihm einzutreten pflegte. Er ass mit Appetit
zu Nacht und trank darauf 2 Liter Bier,
worauf er gegen 11 Uhr rasch einschlief.
Gegen 1 Uhr Morgens erwachte er plötzlich
und verspürte ein höchst beängstigendes,
laut hörbares Herzklopfen; die Herzaction
war im höchsten Grade arhythmisch, sehr be-
schleunigt, betrug etwa 120 Schläge in der
Minute, der Spitzenstoss breit und stark
hebend. Der Puls war voll, hart und stark
schnellend. Dabei hatte er ein Gefühl der
Schwäche und der Beklemmung auf der Brust,
so dass er öfter aufsitzen musste und im
nächsten Augenblick sterben zu müssen
glaubte. Beim Aufstehen hatte er Schwindel-
gefühl, ausserdem bestand deutliches Zittern
der Finger.
Dieser Zustand dauerte ziemlich gleich-
massig bis zum Nachmittag an und verlor
sich dann allmählich, doch konnte Patient
auch die folgende Nacht nur wenig schlafen.
Schweissausbruch, wesentlich vermehrte Urin-
secretion, häufigeres Urinlassen, Erbrechen,
Störung des Appetits wurde nicht bemerkt.
Eigenthümlich ist das späte Auftreten der
Vergiftungssymptome.
Fall IL Ein 40jähriger Mann, starker
Raucher, der sonst nie Kaffee zu trinken
pflegt, hatte im Katzenjammer Morgeos 9 Uhr
drei grosse Tassen selbstbereiteten starken
schwarzen Kaffees zu sich genommen. Gegen
halb 11 Uhr Morgens überfiel ihn plötzlich
heftiger Schweiss, starkes Herzklopfen, Be-
klemmung auf der Brust, er konnte nicht
mehr arbeiten, lief fortwährend umher und
glaubte sofort sterben zu müssen. Als ich
ihn um 12 Uhr sah, fiel mir sofort die Un-
ruhe seiner Gesichtsmuskulatur auf, er zitterte
am ganzen Körper, besonders stark war der
Tremor der Arme und der Fiuger ausge-
sprochen. Die Extremitäten waren kühl und
mit kaltem Schweiss bedeckt. Der Puls war
beschleunigt, 120 in der Minute, gespannt,
aber regelmässig, die Erschütterung der
vorderen Brustwand durch den sehr ver-
breiterten und daher nicht genau localisir-
baren Spitzenstoss weithin sichtbar und fühl-
bar. Ich verordnete Bettruhe, warme Ein-
wickelung und injicirte Morphium 0,01. Um
2 Uhr war Patient etwas ruhiger und die
Pulsfrequenz auf 80 Schläge in der Minute
31
2d
Tozikologl«.
rTherapeutiscbe
L Mon&tahefte.
gesunken; der Tremor bestand in gleicher
Weise fort. Erst um Mitternacht schlief
Patient, der sich sonst eines guten Schlafes
erfreut, ein. Am andern Morgen bestand
noch schwacher Tremor der Finger; das Herz
zeigte normale Verhältnisse. Erbrechen und
Termehrtes Urinlassen fehlten.
Acute CocaVn Vergiftung. Von Dr. Josef Bettel-
heim (Mödling).
Bald nach der subcutanen Einverleibung
von einem Centigramm Cocain bei einem
kräftigen 38jährigen Manne fühlte dieser eine
gute Viertelstunde lang dumpfe Schwere in
den Gliedern und brach dann plötzlich be-
wusstlos zusammen. Das Gesicht war leb-
haft gerothet, die Venen an den Schläfen
zeigten sich strotzend gefüllt, der Puls gleich-
massig, voll (80), Temperatur 37,2; die
Athmung auffallend irregulär. Nach 4 bis
5 tiefen Athemzugen trat eine etwa 20 Se-
cunden dauernde Pause ein, während welcher
der Thorax in Exspirationsstellung verharrte.
Die Pupillen waren maximal weit, starr, auf
Licht nicht reagirend, während die Cornea
gegen Berührung überaus empfindlich war,
der Körper bei mechanischen und thermischen
Insulten mit Convulsionen reagirte. Die
Zähne waren krampfhaft aufeinandergepresst.
Nach einer Stunde, während welcher künst-
liche Athmung gemacht und Hautreizungen
vorgenommen wurden, begann Patient in
Intervallen von etwa 10 Minuten zu gähnen,
wobei er mit beiden Vorderarmen uncoordi-
nirte, choreaähnliche Bewegungen ausführte.
Patellarreflexe waren sehr lebhaft. Drei
Stunden später wurden die choreatischen
Bewegungen der Hände und dann auch der
Füsse häufiger und heftiger, bei lautem
Anrufen zeigte sich vorübergehend blödes
Lächeln; der soporöse Zustand blieb bestehen.
Am nächsten Tage kehrte das Bewusstsein
zurück; seit 16 Stunden wurde zum ersten
Male Urin gelassen, aber der Gang war
taumelnd, die Sprache lallend, unverständ-
lich; Coordinationsbewegungen äusserst man-
gelhaft. Langsame Besserung in dem Laufe
des Tages.
Auffallend waren bei dieser Beobachtung,
abgesehen von der enormen Wirkung einer
so kleinen, für einen leichten chirurgischen
Eingriff verwendeten, sufticienten Dose, die
Hyperämie des Kopfes und des Gehirns,
die Unregelmässigkeit der Respiration, die
prompte Auslösung der Corneal- und Pa-
tellarreflexe, die Nichtbeeinflussung des Herz-
schlages und die gehemmte Diurese.
{Wiener Mtdic, Presse, 1889, No. 12,)
J. Ruhemann (Berlin).
Ueber Amblyopie durch Nitrobenzol- (Roburit-)
Vergiftung. Von Dr. A. Nie den (Bochum).
Die geschilderte Vergiftung wurde durch
das „jüngste Kind der Sprengmittelgruppe ^,
das Roburit, herbeigeführt, eine Composition
von Dinitrochlorbenzol, Nitrochlornaphthalin
und Ammonium-Salpeter, ein Sprengstoff, der
vor dem Dynamit den Vorzug nicht nur der
grösseren Explosionskraft, sondern auch den
der grösseren Ungefährlichkeit voraus hat.
Bei einem seit wenigen Monaten in der
Roburitfabrik zu Witten beschäftigten 2 6j äh-
rigen Arbeiter zeigten sich in schneller Ent-
wicklung Kurzathmigkeit, namentlich nach
geringen Anstrengungen, sodann Herzklopfen,
Brechneigung, Appetitlosigkeit, Benommen-
heit des Kopfes und heftige Schwindel-
erscheinungen. Er bemerkte einen eigen-
thümlich schlechten Geschmack. Bei Fort-
dauer dieser Erscheinungen stellte sich
schnellzunehmende Verschleierung des Sehens
ein. Er zeigte tiefe Cyanose der Gesichts-
haut, der Lippen und sämmtlicher Schleim-
häute, Ektasie und Schlängelung der ober-
flächlichen Venen der Conj. bulbi, mühsam
arbeitende Respiration, einen schnellen (148
Schläge in der Minute), unregelmässigen,
niedrigen, wenig gespannten Puls, ohne dass
sich ein ausgeprägtes Herzleiden oder schwe-
rere Lungenaffection nachweisen liess. Die Ex-
spirationsluft verbreitete einen bittermandel-
ähnlichen Geruch. Die Leber war bedeutend
vergrössert, ihi^ Rand auf Druck schmerz-
haft; die Milz zeigte nur wenig über die
Norm vergrösserte Maasse. Der Urin war
frei von Eiweiss und Zucker.
Die ophthalmoskopische Untersuchung er-
gab starke venöse Hyperämie und arterielle
Anämie der retinalen Geisse, ein circa pa-
pillengrosses, an den Eintritt des Sehnerven
angrenzendes Exsudat in der rechten Retina
mit entsprechendem Defect des Gesichtsfeldes.
Dasselbe zeigte besonders concentrische Ein-
engung einschliesslich der Farben. Die cen-
trale Sehschärfe war stark herabgesetzt.
Während sich unter Gebrauch von Digitalis
und Spartein die Cyanose und Herzschwäche
bald besserten, kehrten der Augenhintergrund
und die Sehstörung nur langsam zur Norm
zurück.
Die Vergiftung rührt von dem Nitro-
benzol her; die Symptome erinnern an die
Blausäure- resp. Anilinvergiftung. Ob aber
das Nitrobenzol im Körper in Anilin um-
gewandelt wird, ist noch nicht entschieden.
{Centralbl. f. pract. Augenheilkunde. JuU 1888.)
J. Ruhemann {BerKn).
m JabrgMig.'l
Mal 1889. J
Llttoratur.
243
liltteratnr.
Klinisches Jahrbuch. Im Auftrage Seiner Excel-
lenz des Ministers der geistlichen, Unterrichts-
und Medicinal- Angelegenheiten Dr. v. Gossler
unter Mitwirkung der vortragenden Räthe Prof.
Dr. C. Skrzeczka und Dr. G. Schönfeld
Geh. Medicioalrath; herausgegeben von Prof.
Dr. A. Guttstadt. Erster Band. Berlin.
Verlag von Julius Springer. 1889. 8^
566 S.
Zum ernten Male werden in dem Kli-
nischen Jahrbuche die Jahresberichte, welche
die Directoren der stationären Kliniken und
Polikliniken der Universitäten über die Lei-
stungen der ihnen anvertrauten Anstalten
seit dem 1. April 1887 zu erstatten haben,
der Oefifentlichkeit übergeben. Diese An-
ordnung beweist, welche hohe Bedeutung
diesem Zweige des Universitätswesens an
maassgebender Stelle beigelegt wird und
legt Zeugniss ab von der steten Fürsorge,
welche die Leistungen der Kliniken und
Polikliniken begleitet. Nach dem ministe-
riellen Erlass vom 21. Mai 1887 soll die
einheitliche Berichterstattung zunächst über
die Wirksamkeit der preussischen Kliniken
nach ihrer dreifachen Aufgabe als Heilan-
stalt, als Unterrichtsanstalt zur Ausbildung
der Aerzte und als Anstalten zur Förderung
der Wissenschaft Auskunft und Einblick ge-
währen. Ausserdem aber sollen auch noch
Aufsätze von allgemeinem Interesse Auf-
nahme finden, welche die Aufgaben der Hu-
manität gegen die Kranken, die Wartung
und Verpflegung der Kranken, die Anfor-
derungen an die bauliche Einrichtung, sowie
au die innere Ausstattung von Kliniken und
Krankenhäusern überhaupt eingehend erör-
tern. Nach diesen Andeutungen soll also
das Klinische Jahrbuch als ein Archiv anzu-
sehen sein, in dem die bedeutendsten Lei-
stungen und die zuverlässigsten Erfahrungen
auf dem Gebiete des Krankenhauswesens
überhaupt, wie auf dem Felde der prac-
tischen Ausbildung des Arztes jährlich zur
Veröffentlichung gelangen.
Es war vorauszusehen, dass man bei
einem solchen Programm und bei solcher
Mitarbeiterschaft mit besonderen Erwartungen
dem Erscheinen des Buches entgegenblicken
würde. Der reiche und werthvolle Inhalt
des Yorliegenden ersten Bandes hat diese
Erwartungen gerechtfertigt. Es ist nach
seiner äusseren Anordnung eingetheilt in fol-
gende Abschnitte: A. Abhandlungen; B. Bau-
beschreibungen; C. Statistik der stationären
Kliniken und Polikliniken der preussischen
Universitäten für das Jahr 1887/88 und
zwar: 1. Verwaltungsnachrichten;^ 2. Morbi-
ditätsstatistik; 3. Unterrichtsstatistik; 4. Bi-
bliographie. D. Verschiedene Mittheilungen.
E. Amtliche Bekanntmachungen und Perso-
nalnachrichten.
Ein besonders grosser Abschnitt ist der
Statistik gewidmet. Wenn wir auch an
dieser Stelle, entsprechend dem Zwecke un-
serer Blätter, weniger auf dieselbe eingehen
können, so ist ihre Wichtigkeit und Bedeu-
tung ja längst auch für unsere Wissenschaft
eine so allseitig anerkannte geworden, und
ihr weitreichender Nutzen für die Zukunft
so klar vor Augen, dass eine allgemeinere
und sorgföl tigere Beschäftigung mit ihr nicht
dringend genug angerathen werden kann.
Es ist bezüglich der Statistik der Versuch
gemacht worden, für die verschiedenen Arten
von Kliniken und Polikliniken die zur Be-
handlung gelangten Krankheiten in einheit-
lichen Uebersichten zur Darstellung zu brin-
gen. Maassgebend war dafür der Grundsatz,
möglichst nach der Topographie des Kör-
pers die Krankheiten und gleichzeitig Er-
läuterungen, Complicationen u. dergl. in
Anmerkungen zu den einzelnen Krankheiten
vorzuführen. Allerdings setzt die Durch-
führung dieses Grundgedankens voraus, dass
die Krankheitsbezeichnungen, so oft es an-
gezeigt erscheint, auf anatomischer Diagnose
beruhen. Dieser Voraussetzung ist nun zum
ersten Male noch nicht ausreichend genug
entsprochen worden, so dass die tabellarische
Aufstellung der Morbidität die Ansprüche
der Wissenschaft noch nicht befriedigen wird.
Doch lässt das bereitwillige Entgegenkom-
men aller Betheiligten auch hier eine bal-
dige Vervollkommnung sicher erwarten.
Wenden wir uns zu den Abhandlungen
und den anderen Abschnitten des Buches,
so bieten: Die Geschichte des klinischen
Unterrichts, von Prof. Dr. Th. Pusch-
mann; Ueber die Entwickelung des klini-
schen Unterrichts an der Göttinger Hoch-
schule und über die heutigen Aufgaben der
medicinischen Klinik von Prof. Dr. Wil-
helm Ebstein, Geh. Medicinalrath ; Zweck
und Ziel der psychiatrischen Kliniken, von
Prof. Dr. E. Wernicke, Medicinalrath
u. V. A. des Lesens- und Wissenswerthen
eine wirklich überreiche Fülle. Leider ver-
bietet uns der Mangel an Kaum auf die-
selben alle näher einzugehen. Wir wollen
uns deshalb hier, in den therapeutischen
Monatsheften, nur mit fünf der Abhandlun-
gen im Nachfolgenden genauer beschäftigen,
die therapeutisch ein besonderes und ein-
gehendes Interesse in Anspruch nehmen, so
dass ihre ausführliche Besprechung berech-
tigt und nothwendig erscheint.
3l'
244
Ltttontur.
r'herApefatiwilM
Monatsheft«.
1. Die antiseptische Wundbehand-
lung in der Kgl. chirurgischen Uni-
versitÄts-Klinik zu Berlin. Von Prof.
Dr. Ernst yon Bergmann, Geheimer
Medicinalrath und Generalarzt.
• Seitdem wir uns zur Lehre yon der
Specifität der pflanzlichen Krankheitserreger
bekannt haben, können wir an die Wund-
behandlung und den Wundverband ganz be-
stimmte Forderungen stellen, nämlich eine
specifische Prophylaxe für die specifischen
Noxen. Es ist wahr, wir kennen noch die
wenigsten derselben, aber dass wir einzelne
schon kennen, fast so genau, wie den
Fe hl eise naschen Mikrococcus der Wund-
rose, das setzt uns in den Stand, die Rein-
heit' und Strenge dieses Princips zu betonen.
Und wenn wir deshalb auch, so lange wir
nicht alle pathogenen Bacterien kennen und
pathogene, halbpathogene und unschuldige
mit Yoller Schärfe zu unterscheiden nicht
im Stande sind, noch weit davon entfernt
sind, einfach und strenge das Ziel für unsere
Bestrebungen stellen zu können, so wissen
wir doch jetzt ganz bestimmt und klar, was
wir wollen und was unsere Prophylaxe soll
und muss und formuliren dieses Endziel
dahin, kein Bacterium in die Wunde kom-
men zu lassen, jedes in sie gerathene aus
ihr zu entfernen und während der ganzen
Heilung die Vegetationen ip und auf ihr zu
verhindern.
Diesen Grundsätzen entsprechend hat
sich folgende Praxis entwickelt. Beginnen
wir mit der Vorbereitung des Kranken für
die Operation. Jeder Kranke erhält, abge-
sehen von einem Bade bei seiner Aufnahme,
kurz vor der Operation ein Vollbad, in
welchem er vom Kopf bis zum Fuss^ gründ-
lich mit Seife und Bürste gereinigt wird und
kommt dann direct in den Operationssaal.
Hier beginnt nach Einleitung der Narkose
die Desinfection der Körpergegend, in wel-
cher das Operationsfeld liegt. Dieselbe wird
rasirt, mit warmem Wasser und Seife bear-
beitet, dann mit sterilisirten Handtüchern
getrocknet, darauf mit Alkohol gewaschen
und zum Schluss mit einer Va°/oo Sublimat-
lösung bespült und gewaschen. Ist die Haut
sehr fettig, so wird zur Alkoholwaschung
noch eine Abreibung mit Aether gefügt.
Sehr ähnlich wird, genau nach den Vor-
schriften Fürbringer's, mit den Händen
und Vorderarmen der Aerzte verfahren und
hebt V. B. immer wieder hervor, dass die
Gontactinfection durch die Hände des Arztes
in der Aetiologie der Wundkrankheiten die
Hauptrolle zu spielen berufen ist. Mit ihr
parallel geht die aus der Umgebung der
Wunde, also von der Körperoberfläche des
Kranken selbst, auf welche also gleichfalls
grosser Werth zu legen ist. Bedeckt werden
alle Seiten in der Umgebung des Operations-
feldes mit in Va^/oo Sublimatlösung getauch-
ten und vorher sterilisirten Handtüchern
und auch die Vorderarme des zu Operiren-
den gereinigt, damit beim Fühlen nach dem
Pulse u. s. w. nicht ein unreines Stück der
Körperoberfläche berührt wird.
Bekannt ist, dass das ärztliche Personal
seinen Rock ablegt, die Hemdsärmel bis
über das Ellbogengelenk hinaufstreift und
so gereinigt und vorbereitet einen bis an
die Knöchel hinabreichenden Talar aus
weisser Leinwand, der vom geschlossen ist
und hinten zugeknöpft wird, anzieht. Diese
Talare, sowie alle Handtücher, die im Ope-
rationssaale in Gebrauch gezogen werden,
ebenso die Betttücher, Unterlagsstoffe, Rol-
len, Polster, Bürsten, die Verbandgaze, die
entfettete Watte und die Hagedorn^ sehen
Mooskissen werden jeden Vormittag im Des-
infectionsapparate sterilisirt. Benutzt wird
hierzu der Desinfector von Henneberg
und Rietschel, den E. Esmarch (Koch
und Flügge: Zeitschrift für Hygiene, Bd. 2,
S. 342) beschrieben hat und der, ^/^ Stunde
lang angewendet, durch seine strömenden,
auf 100° erhitzten Wasserdämpfe sieber
wirkt. Die Bürsten werden danach in einem
geschlossenen, mit der Va^/oo Sublimatlösnng
gefüllten Glasgefässe aufbewahrt. Schwämme,
die nur ausnahmsweise bei grösseren Ope-
rationen im Gesicht und bei Laparotomien
gebraucht werden und den überhitzten stro-
menden Wasserdampf nicht vertragen, wer-
den nach den schon oft gegebenen Vorschrif-
ten ausgeklopft, mit gekochtem Wasser und
Seife gewaschen und in 1 ^/qq Sublimatlösung
eingelegt, die so oft erneuert wird, bis sie
vollkommen klar geworden ist.
Für die Desinfection der Instrumente,
die wo angänglich aus einem Stücke oder
so hergestellt sind, dass sie behufs Reini-
gung leicht auseinander genommen werden
können, und die auf täglich zu reinigenden
Glasplatten in geschlossenen Schränkchen
aufbewahrt werden, wird 3°/o Carbollösung
benutzt, in der sie ^/^ Stunde vor dem Ge-
brauche zu liegen haben. Nach dem Ge-
brauche wird jedes Instrument mit Seife
und gekochtem Wasser gereinigt, ehe es
wieder in die Carbollösung kommt. Cat-
gut, das zur Gefässunterbindung und zum
Anlegen von tiefen Etagennähten dient, wird
einfach in 5 °/o alkoholische Sublimatlösung
gelegt, nachdem es vorher flach über eine
schmale Glasplatte gewickelt worden ist,
und die Lösung mehrmals erneuert, bis sie
klar bleibt. Seide, die zur Vereinigung der
IIL Jahrgang:.'!
Kai 1889. J
Llttontiir.
245
Hautränder dient, wird in einem eigenen
kleinen Dampf apparat, wie er im üniversi-
tats-Institut für Hygiene zum Sterilisiren
der Spritzen u. s. w. in Anwendung ist,
sterilisirt, dann aufgehaspelt, nochmals der
Einwirkung des Dampfes ausgesetzt und mit
den Haspeln schnell unter einer Glasglocke
über Schwefelsäure getrocknet. Die Haspeln
mit der Seide kommen dann in einen yer-
schiossenen Kasten, in dem durch Einlegen
von Gampherstücken die Luft mit Gampher-
dämpfen geschwängert ist. Von jeder Has-
pel, deren 4 im Kasten sind, geht der Faden
durch ein kurzes, winkelig geknicktes Röhr-
chen nach aussen. Gegen die Luftinfection,
die bei der heutigen Bauart der Operations-
säle, der Ventilation und Luftheizung, und
der grossen Menge der Anwesenden ziemlich
gross angeschlagen werden muss, wird die
Wunde so kurze Zeit als möglich offen ge-
lassen und sofort nach Beendigung der Ope-
ration mit einer in Sublimatlosung getauch-
ten Gompresse aus vorher sterilisirter Gaze
bedeckt.
Ein weiteres Hauptgewicht wird auf die
Blutstillung und die primäre Desinfection
der Wunde gelegt. Es wird jedes, auch
das kleinste blutende Gefäss, jede Vene,
jedes Arterien lumen mit Oatgut unterbunden
und nicht eher zum Wund verschluss über-
gegangen, bis wiederholentlich das Gelingen
dieses Actes der Operation durch Abwaschen
und Abtupfen der ganzen Wunde constatirt
ist. Dann wird aus einer niedrig gehaltenen
Kanne, damit ein starker Druck aus dem
Irrigator oder der Spritze die giftige Lösung
nicht in die Bindegewebsräume treibt, ein
breiter Strom von erwärmter V«°/oo Subli-
matlösung über die vorher mit sterilen
Gazelappen getrocknete Wunde gegossen
und diese Procedur einige Male wiederholt.
Gegen die oft lebhafte Transsudation der
Wandflächen, besonders nach längerer Be-
rieselung, genügt es manchmal zwischen den
einzelnen Nähten Spalten zu lassen, damit
das sich in der Wundhöhle Ansammelnde
heraus und hinein in die Verbandstoffe
fliessen kann, sicherer aber bleibt das Drain-
rohr, das gewiss nicht viel schadet oder den
Heilungsprocess verzögert und deshalb nach
den Ausräumungen der Achselhöhle von
carcinomatösen Lymphdrüsen, nach der Ex-
stirpation tief gelegener Geschwülste, nach
der Amputation und Exarticulation des
Femur und den meisten Gelenkresectionen
stets noch beibehalten ist.
Zu den Waschungen wird das aus dem
Kessel der Dampfmaschine geleitete, also
vorher gekochte Wasser benutzt, dem aller-
dings noch das gewöhnliche Leitungswasser
behufs Abkühlung zugesetzt werden muss,
während alle Lösungen der antiseptischen
Mittel mit destillirtem Wasser bereitet werden.
Dieselben Frincipien, wie bei den bisher
besprochenen frischen Wunden bleiben auch
bei der Behandlung schon inflcirter Wunden
geltend, wenn auch die einzelnen Maassn ah-
men andere oder wenigstens anders compo-
nirte sind. Maassgeben d wird sein : die Ver-
hinderung weiterer Resorptionen und Inva-
sionen vom Infectionsherde aus, also Oeffiien
der ursprünglich geschlossenen Wunden, Er-
weiterung zu enger Abfluss- und Anlegung
passend gelegener Gegenöffnungen, Entspan-
nung, Sorge für den allergünstigsten Abfluss,
Drainage und Verband mit auf- und aus-
saugenden, hygroskopischen Verbandstoffen.
Bei complicirten Fracturen, sowohl bei
frischen, wie bei den erst nach einigen Tagen
zugewiesenen, werden zuerst ausgiebige Ein-
schnitte gemacht, alle Nischen und Taschen
gespalten, Gegenöffnungen angelegt, alle
Splitter, Fremdkörper und Coagula entfernt
und dann ohne vorheriges Irrigiren alle
Wunden ganz locker, aber bis in alle ihre
Ausbuchtungen hinein, mit Jodoformgaze ge-
füllt, nachdem selbstverständlich alle zuvor
lebhaft blutenden Gefasse unterbunden oder
umstochen sind. Darüber kommen dann
einige Bäusche sterilisirter Gaze und das
Mooskissen. Infolge der lebhaften Transsu-
dation und Exsudation von den entzündeten
Wundflächen müssen oft schon nach vier-
undzwanzig Stunden oder noch früher die
oberflächlichen Lagen des Verbandes ge-
wechselt werden. Hat sich die Jodoform-
gaze in der Wunde gelockert und trieft sie
von der Fülle der aufgenommenen Flüssig-
keit, so ist sie auch in der Tiefe der Wunde
zu wechseln und durch ein Drainrohr zu er-
setzen.
In ähnlicher Weise wird die Jodoform-
tamponade benutzt, wo wegen fortschreiten-
der Gangrän amputirt werden musste, oder
bei Exstirpation eines jauchenden Carcinoms
mit lymphangoTtischen Streifen in der Um-
gebung, ferner bei Maschinenverletzung und
complicirten Fracturen mit grossen Haut-
und Weichtheilverletzungen, bei Mastdarm-
exstirpation und Resection und Arthrectomie
bei tuberculösen Gelenkentzündungen.
[ForUtttung fotgt.]
Die symptomatische Bedentnngf und Therapie
des Besidnalharns. Von Dr. Leopold Cas-
par, Berlin. Berliner Klinik, Heft 7.
Um den Werth der vorliegenden Arbeit
gehörig würdigen zu können, muss man sich
vergegenwärtigen, dass die Abhandlungen der
Berl. Klinik und ähnlicher kleiner Sammel-
246
LIttontiir.
rlierftpentiidie
Monatshefte.
werke yorwiegend den Zweck yerfolgen, in
kurzen , anregenden Excerpten das Resultat
langer mühseliger Einzel forscbungen der
Special Wissenschaften denjenigen näher zu
rücken, denen die Müsse zur Leetüre der
Original litteratur auf allen möglichen Ge-
bieten ermangelt.
Diesem durchaus loben swerthen und prac-
tischen Zweck entsprechend, hat der Ver-
fasser eine Erscheinung aus seinem Fach-
gebiete herausgegriffen, welche wohl bis jetzt
in ihrer diagnostischen Bedeutung unter-
schätzt worden ist. Durch eine grosse An-
zahl von Untersuchungen an Gesunden und
Kranken hat Casper festgestellt, dass das
Yorhandensein von Residualharn, d. h. „das
Zurückbleiben yon Harn nach dem üriniren"
stets auf einen krankhaften Zustand hin-
weist und zwar giebt die Menge des Resi-
dualhams selbst — es werden die genauen
Anweisungen gegeben, wie derselbe unter
Vermeidung der yersctiiedensten Fehlerquellen
zu gewinnen ist — nach den Untersuchun-
gen des Yerf. einen präcisen Maassstab für
die Beurtheilung der Functionstüchtigkeit
der Blase selbst.
Es werden drei Momente angegeben,
welche zum Residualham Veranlassung geben
können: es kann sich handeln um eine
Störung der Innervation der Blasenmusku-
latur; um eine mehr oder minder yollstän-
dige Verlegung der Passage durch die Harn-
röhre oder endlich um eine Schwäche in
der Blasenmuskulatur selbst.
Hieran schliesst Verf. die Aufzählung
der Symptome, deren Auftreten uns das
Vorhandensein yon Residualham yermuthen
lässt i. e. in Sonderheit lange Zeit constant
bleibender häufiger Drang zum Hamen und
unwillkürlicher Abfluss yon Urin.
Hieran reiht sich der sehr practische
Vorschlag, die unglückseligen Bezeichnungen:
Incontinentia urinae und Ischuria paradoxa,
die schon so yiele Verwirrungen angestiftet
haben, ganz aufzugeben und durch die zweck-
mässige Benennung „unfreiwilliges Har-
nen" zu ersetzen, der allerdings jedesmal
dann eine nähere Bestimmung nach der je-
weiligen Ursache des Leidens hinzugefügt
werden müsste.
Durch yier typische Fälle, bei denen
jedesmal das Symptom des Residualharns
dasselbe, die das Symptom bedingende Er-
krankung eine andere ist, wird die yor-
her gegebene Symptomatologie aufs beste illu-
strirt.
Bei der Therapie muss natürlich das
jedesmalige Gmndleiden zuerst ins Auge ge-
fasst werden; denn hiernach yor allem würden
sich die Grundlagen der Behandlung zu richten
haben. Des Ausfuhrlicheren bespricht Verf.
dann noch die Frage des Eatheterismus, die
natürlich bei allen Fällen yon Residualharn eine
Hauptrolle spielt. Er zeigt, wie man das
Schreckgespenst der Cystitis durch präcise Sorg-
falt auch bei jahrelangem Gebrauch des Kathe-
ters bannen kann; und es wäre dankenswerth,
wenn gerade dieses Kapitel eine möglichst
rege Beachtung fönde, damit die so segens-
reiche Wirkung, welche in ungezählten Fällen
der Katheter zu entfalten yermag, nicht
durch allzu grosse Vorsicht noch durch all-
zu grosse Keckheit des Operateurs in Frage
gestellt werde.
Die Leetüre des Aufsatzes dürfte jedem
Practiker zu empfehlen sein. Kuttner.
Handbuch der kleinen Chirurgrie für practische
Aerzte. Von Dr. Gustav Wolzendorff,
Stabsarzt a. D. Mit 525 Holzschnitten. Zweite
vermehrte und verbesserte Auflage. Wien und
Leipzig. Urban & Schwarzenberg. 1889.
80. 565 S.
Das unter obigem Titel bereits in zweiter
Auflage erschienene Buch wird dem ange-
henden wie dem ausführenden Arzte eine
werthvolle und willkommene Gabe sein. Es
umfasst in sehr zweckmässiger und geschickter
Darstellung alle jene wundärztlichen Leistun-
gen, die das tägliche Leben an den practischen
Arzt stellt und welche zusanunengefasst
werden unter den Begriff „der kleinen
Chirurgie". Während letztere in früheren
Zeiten nicht viel mehr als Schröpfen, Blut-
egelsetzen und zur Aderlassen umfasste, be-
herrscht sie heute ein weit ausgedehntes
Terrain, mit dem der Arzt völlig yertraut
sein muss. Eine Vorstellung hiervon giebt
das vorliegende Werk, das alles auf diesem
Gebiete Feststehende in objectiyer Darstel-
lung vor Augen führt. Nicht weniger als
525 ausgezeichnete Holzschnitte dienen zur
Erläuterung des Textes, der alles Wissens-
werthe über die einfachen Verbände« und
ihre Anwendung, über Zugverbände, Druck-
verbände, Bruchbänder, über die antisep-
tische Behandlung der Wunden, Blutstillung,
Vereinigung der Wunden durch die Naht,
Einspritzungen, Katheterismus, Hautreize,
über künstliche Zerstörung von Geweben,
Trennung der Gewebe durch scharfe und
stumpfe Instrumente, über Massage, künst-
liche Athmung, Anaesthetica und vieles An-
dere bringt. — Ein Bedürfniss zur Ab-
fassung eines derartigen Buches lag auf jeden
Fall vor, und yrir können nicht umhin, das-
selbe jedem Arzte als einen recht nützlichen
und zuverlässigen Rathgeber warm zu em-
pfehlen. Rahotc.
in. Jahrgang.!
Mal 1889. J.
Pnetiteh« Notisen und •mpfohlaatwarth« AnnalfoniMlB.
247
Praettselie Hotlsen
and
empfehlenswerthe Arsnetfonnelii.
Haben die in Vaselin oder Oel gelösten Antisep-
tica wirklich keine therapeutische Bedeu-
tung? Von Professor Dr. Rosenbach in
Breslau.
Das auf S. 144 d. Z. enthaltene Referat
über die von mir vorgeschlagene Behand-
lung des Erysipels (Einreibung der angren-
zenden gesunden Partien in beträchtlicher
Ausdehnung mit Carbolvaselin) giebt dem
Herrn Herausgeber Anlass zu einer Bemer-
kung, die ebensowohl deshalb, weil sie die
von uns erhaltenen günstigen Resultate in
Frage stellt, als auch wegen der principiellen
Wichtigkeit des dort erhobenen Einwandes
zu einer nochmaligen Erörterung des Gegen-
standes willkommene Veranlassung bietet.
Der Satz, den Herr Liebreich auf der Basis
der Untersuchungen Gottsteins aufstellt:
Carbolvaselin verhält sich wie Carbolöl, eine
Wirkung der Carbolsäure kann dabei nicht
zu Stande kommen, kann in dieser allge-
meinen Fassung nicht richtig sein, da ja
bereits in unserer Mittheilung berichtet wird,
dass der Urin der Patienten in einigen Fäl-
len alle Eigenschaften des Carbolharns bot.
Hier ist also die Carbolsäure doch recht
deutlich zur Wirkung gekommen, und eben-
so haben weitere Untersuchungen, die von
uns seit längerer Zeit angestellt werden,
und deren Resultate demnächst an dieser
Stelle zur Veröffentlichung gelangen sollen,
den Beweis erbracht, dass auch bei Anwendung
von Salicjlpräparaten in Salbenform, deren
Nachweis im Urin ja ein sehr bequemer ist,
grosse Mengen des Antisepticums zur Re-
sorption gelangen. Der Satz von der Un-
wirksamkeit der Salben, um dies Wort der
Kürze wegen zu gebrauchen, darf also nicht
80 lauten, wie ihn Herr Liebreich formulirt;
er konnte nur lauten: Eine desinficirende
oder sterilisirende Wirkung der Antiseptica,
die in fettigem Medium zur Verwendung
kommen, ist ausgeschlossen. Diese Seite der
Frage kommt ja aber bei unserm therapeu-
tischen Vorschlage gar nicht in Betracht;
hier handelt es sich nicht um die absolute
Sterilisirung bezüglich der Mikroorganismen,
die von aussen eindringen konnten, son-
dern nur um eine Schutzmaassregel für die
noch nicht befallenen Theile. Diesen ist
zwar dann, wenn der Feind bereits das
Bollwerk der Epidermis durchbrochen hat,
eine wesentliche Schutzvorrichtung entzo-
gen, doch besitzt der Organismus in der
Energie der Gewebsthätigkeit immerhin noch
ein Vertheidigungsmittel, welches dem wei-
teren Vordringen der Mikroorganismen Ein-
halt gebieten kann, * wie die Spontanheilun-
gen des Erysipels beweisen. Diese Mittel
der Abwehr, welche in einem Verschluss
der Verbreitungswege für die Bacterien, in
einer Aufnahme und Vernichtung durch
amöboide und fixe Zellen oder in einer der
Entwickelüng der Keime ungünstigen Um-
änderung des Nährbodens bestehen, können
nun zum Theil durch therapeutische Maass-
nahmen verstärkt werden, namentlich kann,
wie dies auf der Hand liegt, die Beschaffen-
heit des Nährbodens ' durch Einverleibung
antiseptischer Agentien wesentlich beeinflusst
werden. Man darf deshalb die Resultate
der Culturversuche auf künstlichen Nähr-
böden nicht verallgemeinem und dieselben
zu Rückschlüssen auf die Verhältnisse des
lebenden Organismus verwerthen, da das
lebende Gewebe selbständige, im Kampfe
ums Dasein ausgebildete und erprobte
Kampfmittel ins Treffen zu führen vermag,
indem es entweder chemische Processe ein-
leitet und durchfuhrt, die den Eindringlin-
gen die Existenzbedingungen rauben, oder
indem es mit Unterstützung gewisser anti-
bacterieller Mittel, deren Concentration na-
türlich nicht selbst als Noxe wirken darf,
eine Sterilisirung des Nährbodens herbei-
führt. Der Organismus vermag ja sogar aus
Substanzen, die, dem künstlichen Nährboden
beigemischt oder der entwickelten Gultur
zugefügt, wegen zu geringer Concentration
oder weil sie in Form eines Salzes zur Ver-
wendung kommen, wirkungslos bleiben, ener-
gische Schutzmittel zu bilden. Wissen
wir doch jetzt, dass das so trefflich
wirkende Jodoform seinen antiseptischen,
entwickelungshemmenden Einfluss ausübt,
obwohl sich Mikroorganismen in ihm be-
finden und aus ihm entnommen auf künst-
lichen Nährböden sich fortentwickeln können,
wissen wir doch sogar, dass nach Injection
der Milzbrandvaccine Injection von Milz-
brandbacterien fruchtlos bleibt, obwohl die
Mikroorganismen im Körper des immunen
Thieres fortvegetiren und lange Zeit ihre
Virulenz behalten, wie Impfungen beweisen
(Bitter). Somit kommen wii auch vom
Standpunkte der Theorie aus zu dem Resul-
tate, welches wir bereits durch den Nach-
weis von Carbol- und Salicylderivaten im
Harn nach Anwendung der Medicamente in
Salbenform und durch die sehr günstigen
Ergebnisse dieser Behandlungsmethode er-
härtet zu haben glauben, nämlich dass An-
tiseptica, in fettigen Medien applicirt, zur
vollen Wirkung im Organismus gelangen.
Unserer Ansicht nach kommt es, um eine
248
Praetiieh« MoHsmi und •mpfbhtoiiiwarth« Anneifonii«la.
rlierapeatlachfl
Monatshefte.
ausgiebige Wirkung eines Antisepticums im
Korper zu erzielen, allein darauf an, die
Concentration so zu wäftlen, dass die auf-
nehmenden Gewebe eine erhöhte Immunität
erlangen, ohne durch das in keinem Falle
indifferente Schutzmittel ebenfalls geschädigt
zu werden; deshalb sind für gewisse Zwecke
möglichst geringe Goncentrationen des Mit-
tels, die die Energie der Gewebe» nicht zu
schädigen Termögen, obwohl sie den Nähr-
boden beeinflussen, indicirt, deshalb haben
wir für unsere Zwecke der schwächer wir-
kenden Form der Salbe den Vorzug vor an-
dern Formen der Application gegeben und
halten sie für zweckmässiger als wässrige
Lösungen, die die Haut aufquellen lassen,
ohne ihr fest anzuhaften und sie so toU-
kommen mit dem Antisepticum zu impräg-
niren wie Fette, unter welchen Bedingun-
gen auch bei wässrigen Lösungen eine ge-
nügende Resorption erzielt werden kann,
und wie die Wirkung der Salben gesteigert
werden kann, werden wir demnächst aus-
einanderzusetzen versuchen.
Electuarium e Senna inspissatum.
Der Gebrauch der Senna Latwerge wird
durch die Eigenschaft, dass dieselbe leicht
in Gährung übergeht, besonders in kleinen
Quantitäten oft misslich.
Es empfiehlt sich, um diesen üebelstand
zu beseitigen, das Electuar. e Senna bis zu
^ji eindicken zu lassen und dann in Oblate
zu verordnen. Liebreich.
Anwendung des Perubalsams als Antituberculosum
giebt Prof. Binz Veranlassung unter Hin-
weis auf die vielfachen Verfälschungen, welchen
diese Drogue ausgesetzt ist, als Ersatz des
Balsams ein in der Zusanmiensetzung con-
stantes Gemisch der wirksamen Bestand-
theile des Perubalsams zu empfehlen. Die
Drogue besteht der Hauptmenge nach (ge-
gen 60 °/o), aus Cinnamein, d. i. Zimmtsäure-
Benzylaether mit Benzoesäure - Benzyl-
aether, enthält ferner gegen 10*^/o freie
Zimmtsäure und geringe Mengen freier Ben-
zoesäure. Der Rest besteht aus Harz und
geringen Antheilen nicht näher bestimmter
aromatischer Verbindungen.
Die vier zuerst genannten Substanzen,
welche sich leicht aus anderweitigem Material
darstellen lassen, wären nach dem Vorschlage
von Binz in dem Verhältni&s, in welchem
dieselben im Balsam vorkommen, zu mischen
und mit einem indifferenten Lösungsmittel,
etwa Paraffinum liquidum oder einer anderen
Substanz auf 100 zu verdünnen.
Pflr die Behandlung des Carbunkels
empfiehlt Whitehead (Brit. Med. Joum.
89, 2. März) die Injection einer concentrirten
ätherischen Jodoformlösung in die Basis der
Geschwulst. In drei Fällen, in denen der-
selbe die Operation ausführte, stellte sich
unmittelbar nach der Injection ein brennen-
der Schmerz ein, welcher bald aufhörte und
einem dauernden Nachlass der Krankheits-
erscheinungen Platz machte. Am zweiten
Tage hatten Induration und Röthung nach-
gelassen und die Geschwulst war trocken
und geschrumpft. Innerhalb einer Woche
waren alle Spuren bis auf einen oberfläch-
lichen dunklen Schorf geschwunden, welcher
sich gelegentlich abstiess, ohne ein sicht-
bares Zeichen zu hinterlassen, wo der Car-
bunkel gewesen war.
Leinenzwim als Unterbindungs- und Nahtmaterial
wird von Dr. Hey der in Bonn (Centralbl.
für Chirurg. No. 51/88) vorgeschlagen.
Von Trendelenburg ist neuerdings, aus
rein wirthschaftlichen Gründen, wieder auf
den Zwirn als Nahtmaterial zurückgegriffen
worden, wobei sich herausstellte, dass der
einzelne, im Durchschnitt 40 cm lange Faden
gegen einen gleich langen Seidenfaden im
Preise wie 0,05 : 3 Pf. zu stehen kommt,
während das Verhalten des in Sublimat des-
inficirten Zwirnfadens (12 St. in 1 °/oo Sub-
limatlösung) von dem Seidenfaden sich in
keiner Weise unterscheidet, wie es sich be-
sonders bei einer Darmnaht gezeigt hat.
Carbolpastillen.
Die Anwendung der Carbolsäure ist des-
halb oft lästig, weil die Dosirung der con-
centrirten Säure oder des Acid. carbolicum
liquefactum umständlich und unbequem ist.
Besonders für den Arzt, welcher schnell eine
Garbollösung braucht, wäre eine schnelle
Herstellung einer genau dosirten Lösung
erwünscht. Von dem Apotheker Rade-
mann in Bockenheim-Frankfurt a. M. werden
etwa 2 Gramm wasserfreie Carbolsäure ent-
haltende Pastillen mit Borsäure und zwar
in der Weise hergestellt, dass an Stelle des
in der Carbolsäure enthaltenen Wassers
Borsäure eingerührt wird. — Die Pastil-
len lösen sich ausserordentlich leicht und
so kann man in einem Glasrohr die Car-
bolsäure in trockner Form bei sich führen
und eine dosirte Lösung sofort bereiten.
Die Grösse der Pastillen und der scharfe
Geschmack lassen eine Verwechslung mit
Pastillen zum innem Gebrauch ausschliessen.
LieiretcA.
VerUf Ton Jullui Springer in Berlin N. — Druok von QuataT Sohade (Otto Franoke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. Juni.
Originalabhandlnngeii.
Zur Prophylaxe der Tabercalose«
Von
Prof. F. Mosler in Greifswald.
(Vorgetragen in der Frühjahrssitzung der Aerzte
des Regierungsbezirks Stralsund am 12. Mai 1889.)
■
Die Prophylaxe der Tuberculose erfor-
dert vielseitige Maassregeln. Vor An-
steckung durch Tuberculose sind letztere
nicht nur selbst, sondern vorzugsweise Ge-
sunde, Angehörige, Pfleger, ja ganz Fem-
stehende zu schützen. Bisher hat Niemand
deutlich gewusst, welche Gefahren durch in-
timen Umgang mit Tuberculosen, durch Be-
wohnen derselben Räume, Benutzung der
gleichen Gebrauchsgegenstände, Essgeschirre,
Kleider, Betten veranlasst werden können.
Nur bei sorgfältiger Beobachtung
gewisserprophyl aktisch er Maassrege In
sind Heilanstalten, Badeorte, Gast-
' hofe, Schulen, überhaupt öffentliche
Locale ohne Gefahr der Ansteckung
durch Tuberculose zu besuchen.
Wer von Ihnen wollte leugnen, dass die
Weiter Verbreitung des Typhus abdomi-
nalis erheblich beschränkt worden ist, seit-
dem der Aufbewahrung und Desinfection der
Typhusstühle überall die grösste Aufmerk-
samikeit geschenkt wird?
Da wir gegen die Tuberculose, welche
von allen Krankheiten das Menschengeschlecht
am meisten dahinrafft, leider noch kein
sicheres Heilmittel kennen, ist es um so
mehr unsere Pflicht, ihre Weiterverbreituog
zu verhüten. Robert Koches grossartige
Entdeckung des Tuberkelbacillus müssen wir
in dieser Richtung verwerthen. Durch Georg
Cornet^s Untersuchungen erhalten wir die
Bestätigung, dass als hauptsächlicher Träger
der Infection der Auswurf Tuberculöser an-
zusehen ist. Hauptsächlich wird der ge-
trocknete Auswurf den Gesunden verderb-
lich, sobald derselbe, fein verstäubt, der
Atbmungsluft beigemischt, dem menschlichen
Körper zugeführt wird. Um die auf solche
Weise vermittelte Uebertragung von Tuber-
kelbacillen thunlichst zu verhüten, sind
Tuberculose anzuhalten, niemals in ein
Taschentuch, auf den Fussboden oder an die
Wände, sondern lediglich in ein für diesen
Zweck bestiiQmtes Gefäss, Spucknapf oder
Spuckglas auszuspucken.
Handspuckgläser sind unentbehrlich.
Dr. Dettw eiler hat ein solches con-
struiren lassen, das aus blauem dickem Glase
besteht, oben einen federnden, neusilbemen
Deckel, unten einen abschraubbaren Reini-
gungsverschluss hat. Es hat die Grösse
einer Faust, ist flach, ' lässt sich in der
Tasche tragen^). Es verdient darum besondere
Berücksichtigung, weil Aussicht vorhanden
ist, dass mit Einfuhrung solcher Taschen-
fläschchen die Benutzung der Taschentücher
zur Aufnahme des Auswurfes Hustender
mehr und mehr verbannt werden wird.
Gegen Benutzung der Taschentücher zu ge-
nanntem Zwecke bin ich noch mehr einge-
nommen, seitdem ich (Deutsche Med. Wochen-
schrift 1889, No. 13 und 14) erfahren habe,
dass Weiterverbreitung von Lungen-
entzündung durch Gebrauch der glei-
chen Schnupftücher von Seiten mehre-
rer Mitglieder einer und derselben
Familie erfolgt ist. Seitdem habe ich
mich noch eingehender mit der Frage be-
schäftigt, wie ich es möglich machen kann,
den Auswurf hustender Kranker in meiner
Klinik unschädlich zu machen. Dieselbe
Aufmerksamkeit, die für Aufbewahrung und
Entfernung von Typhusstühlen längst von
uns beobachtet wird, widmen wir fortan
nach Cornet's Anregung der Aufbewahrung
und Entfernung der Sputa. Auf den Fuss-
boden, besonders in abgelegene Ecken des-
selben, in Taschentücher dürfen sie nicht
mehr entleert werden. Auf den Corridoren,
im Auditorium, im poliklinischen Warte-
zimmer, in Krankenzimmern sind emaillirte
Spucknäpfe aufgestellt nach dem Muster der
in Falkenstein gebrauchten. Kranke, die im
Bett liegen, benutzen Spuckgläser, die ich mit
federnden Deckeln versehen habe, von denei^
>) S. diese Hefte No. ö. S. 216,
82
250
M Osler, Zur Prophylaxe der Tuberculose.
rrherapentiflehe
1_ Monatshefte,
ich Ihnen ein Exemplar Torlege. Sämmtliche
Spuckgeschirre sind beim Gebranch in ihrem
unteren Dritttheile mit gewohnlichem Wasser
gefüllt. Indem die Sputa darin schwimmen,
wird das Ausgiessen, das in 24 Stunden 1
bis 2 mal geschieht, wesentlich erleichtert.
Täglich werden die Gefässe mit heissem
Wasser gereinigt, der Auswurf mit dem
Wasch wasser in unsere mit Spülung verse-
hene Abtritte befordert. In der Privat-
praxis behandle ich keinen Kranken mit
Husten, dem ich nach dieser Richtung nicht
besondere Vorschriften gebe. Ich mochte,
dass dieser Vorgang recht viele Nachahmung
finde; vor Allem wäre es wünschenswerth,
dass von den Herren Collegen, welchen die
Leitung eines Krankenhauses obliegt, ähn-
liche Einrichtungen getroffen werden.
Gerade weil wir einer Zeit angehören,
welche in Folge so glänzender wissenschaft-
licher Fortschritte auf therapeutischem und
hygienischem Gebiete Grosses zu leisten be-
rufen ist, müssen wir Fragen von allgemein-
ster Bedeutung, die Entstehung, Verhü-
tung und Unterdrückung von Volks-
krankheiten, wie Tuberculose, Cholera,
Typhus, Pocken, immer und immer wieder
zum Gegenstande unserer Betrachtungen in
Vereinen machen. — Gewiss ist das End-
ziel alles medicinischen Studiums in letzter
Instanz das Heilen der Krankheiten, die
Medicin ist Heilkunde und Heilkunst.
Wird aber dieses Ziel allein nur erreicht
durch rastloses Mühen, jede frisch ange-
priesene Heilformel, jedes neue Mittel
zu versuchen? Ist nicht von den besten
Aerzten aller Zeiten die prophylaktische
Medicin für ein Ziel erklärt worden, dem
alle Aerzte nachzustreben haben?
Prophylaktische Medicin, prac tische
Gesundheitspflege, wie sie in unseren
Tagen von v. Pettenkofer und Rob.
Koch in so hervorragender Weise gelehrt
wird, ist nicht allein Sache der beamteten
Aerzte in grossen Städten, jeder Practiker
im kleinen Orte, auf dem flachen Lande hat
hier ein Feld der Thätigkeit vor sich, sehr
schwierig anzubauen, aber auch von seltener
Ergiebigkeit, das den Arzt in stete Berüh-
rung mit den grossen Strömen des öffent-
lichen Lebens bringt, der sauren täglichen
Arbeit einen gewissen idealen Glanz ver-
leiht.
(AoB der Irrenanitalt zu Andernach in der Rhefnprorlnz,
DIrector Dr. Nötel.)
Therapeutische Mittheiliuigren.
(Ernähr an g der Irren,
Berahigungs- und Schlafmittel bei Geisteskranken.)
Vott
Dr. Umpfenbach, Assistenzarzt.
Für den practischen Arzt ist es auch
von Interesse, die Mittel und Wege zu
kennen, welche der Irrenarzt seinen Kranken
gegenüber benutzt. Wenn schon daran fest-
zuhalten ist, dass die grössere Mehrzahl
der Geisteskranken nur in einer Anstalt
zweckmässig behandelt und geheilt werden
können, so sieht sich der practische Arzt
doch noch oft in die Lage versetzt, Geistes-
kranken gegenüber therapeutisch einschreiten
zu müssen; er allein beobachtet meistens
den Beginn der Krankheit und behandelt
die Kranken bis zur Ueberführung in eine
zweckentsprechende Anstalt.
Der im Jahre 1888 erschienene Bericht
über das erste Decennium unserer Anstalt
bespricht in seinem therapeutischen Theile
zunächst die zwangsweise Ernährung absti-
nirender Geisteskranker.
Bei der Behandlung der Irren spielt die
einfache aber kräftige Ernährung eine Haupt-
rolle. Darauf ist also besonders zu achten.
Kommt man bei den Nahrungs verweigernden
nicht anders zum Ziele, so soll man mit
der sog. Zwangsfütterung nicht allzu lange
warten. Dass manche Menschen es lange
Zeit ohne alle Nahrung aushalten können,
ist bekannt; diesen Beobachtungen gegen-
über aber stehen Fälle, wo Hungernde sehr
rasch zu Grunde gingen, unter Anderm ein
Fall von Oebecke, wo das Fasten acut
einsetzte und der Tod schon nach 8*/j Tagen
eintrat. Und in vielen Fällen befällt die
Psychose die schon längere Zeit blutarmen
und erschöpften Gehirne. Hat ein Kranker
mehrere Tage nichts zu sich genommen, so
soll man ihm künstlich etwas beibringen.
Bei kräftigen, gut genährten und vollblütigen
Individuen kann man einige Tage länger
zusehen.
Von den verschiedenen Arten der Zwangs-
fütterung geben wir der alten, schon von
Fabricius ab Aquapendente benutzten
Methode den Vorzug. Die von Ritti
empfohlene Anwendung der Elektricität
scheint keine Anhänger mehr zu haben.
Man wollte damit die angeblich verminderte
Sensibilität erregen und erwartete noch von
dem künstlich erzeugten Schmerze eine 6e-
müthsumstimmung(MartialPellevoi8in,De
TAlim). Filippi machte noch auf das da-
HL Jalirgang.1
Jnnl 1881). J
Umpfanbaehy Tbanpautitche Mittheilungen.
251
durch erzielte mechanisebe Oeffnen des
Mundes aufmerksam und scheint gehofft zu
haben, dadurch den Itranken gegen seinen
Willen auch zum Kauen und Schlingen der
Speisen zu bewegen. Die früher geübte
Aetherisation der Kranken ist auf die Dauer
schädlich. Die Patienten wurden bis zum
Halbschlaf betäubt und sollten in diesem
Zustande willig die Mahlzeiten geniessen
(Pellevoisin).
Die subcutanen Injectionen flüssiger Nähr-
stoffe sind . mühsam und unsicher in Bezug
auf Menge und Schnelligkeit der Resorption.
Die Ernährung mittelst Sonde durch den
Mund ist in den meisten Fällen schwierig
und sieht roh aus. Das zwangsweise Oeffnen
der fest geschlossenen Zähne, womöglich mit
einer Mundschraube, das gewaltsame Offen-
halten des geöffneten Mundes, das Einführen
der harten Sonde, Alles erfordert unter Um-
ständen sehr grosse Anstrengung und mehr
Zwang, als es unsere sonstige humane Be-
handlung erlaubt.
Dieser Procedur ist entschieden die Er-
nährung per anum vorzuziehen. Dieselbe
peinigt den Ejranken wenigstens nicht. Doch
hat sie den üebelstand, dass widerstrebende
Kranke es sehr bald verstehen, die injicirte
Flüssigkeit schnell wieder hinauszupressen.
Die meisten Vorzüge hat die Ernährung durch
die Nase (Fabricius ab Aquapendente).
Sie ist bequem. Die Einführung eines elasti-
schen Katheters bis zu No. 12 (Nelaton,
engl. Fabrikat) macht keine Schwierigkeit.
Sehr selten geräth man beim Einfuhren der
Sonde in den Kehlkopf, was durch das
deutlich erschwerte und laute Athmen,
Hustenreiz und das heisere Sprechen sofort
auffällt. Die meisten Kranken befördern
den Katheter, sobald er die Nase passirt
hat, durch unwillkürliche Schluckbewegungen
sehr rasch in den Magen. Das Eegurgitiren
und Zurückwerfen der Flüssigkeit in den
Trichter, was das Füttern durch die Schlund-
sonde so unangenehm macht, wird vermieden.
Erbrechen kommt sehr selten vor. Unter
Umständen genügt die Hilfe eines Wärters,
welcher dem betreffenden Kranken die Hände
hält, nur in seltenen Fällen sind zwei Leute
nöthig.
Wir benutzen als Futtersuppe seit Jahren
ein Gemisch von ^j^ bis. 7> Liter Milch mit
2 rohen Eiern und ca. 100 Gramm Zucker,
dem schliesslich, wenn der Kranke Analep-
tica braucht, ein Glas irgend eines alkoho-
lischen Getränkes daraufgesetzt wird. Diese
Masse wird dreimal täglich gegeben. Um
zu controliren, ob diese Nahrung genügt,
wird der Kranke öfters gewogen. Bisher
genügte das eben Genannte in allen Fällen,
Dauerte die Zwangsfütterung wochen- und
monatelang, so wird zwischendurch, sobald
der Ernährungszustand des Kranken es er-
laubt, immer einige Tage mit der Fütterung
pausirt, um den Kranken durch ev. Hunger-
gefühl zum Selbstessen zu bewegen; doch
meistens ohne Erfolg. Ueberhaupt wird
ihnen bei jeder Mahlzeit etwas hingesetzt,
resp. stehen gelassen. Die Kranken essen
schliesslich plötzlich von selbst wieder, so-
bald die Ursache ihrer Nahrungsenthaltung
fortgefallen ist.
Einen üblen Einfluss der Zwangsfütterung
haben wir bisher nicht bemerkt, Schluck-
pneumonien kamen nicht vor. Die Kranken
gewöhnen sich sehr rasch daran und lassen
sich bald ohne alles Widerstreben füttern.
Unter den abstinirenden Kranken sind
alle Arten von Geisteskrankheit vertreten.
Dem Alter und Geschlecht nach vertheilen
sich 41 Gefütterte wie folgt:
Gefuttert
Männliche
Weibliche
Snroma
Unter 20 Jahren
1
__
1
20—30 Jahre
3
5
8
30—40 -
8
7
15
40—50
2
7
9
50 60 .
2
4
6
60-70 -
1
1
70-80 -
—
1
1
Was die Dauer anbetrifft, so wurde die
Fütterung fortgesetzt:
Unter
4 Wocb.
1-2
Monate
8-4
Monate
6-8 1
Monate 1
8-12 1
Monate 1
Ueber 1
1 Jahr 1
Paranoia
Melancholie
Manie
Blödsinn etc.
Paralyse
Epilept. Irresein
Circul. Irresein
2
8
1
3
1
1
3
5
1
2
1
2
2
1
1
2
3
1
1
Von den Melancholischen wurde der eine
1 Jahr und 8 Monate gefuttert. Schliess-
lich ass er allein und konnte gebessert ent-
lassen werden.
Zur Demonstrirung der Körpergewichts-
verhältnisse vor und nach der Zwangs-
fütterung mögen einige Zahlen hier Platz
finden ; die erste Colonne giebt das Körper-
gewicht bei der Aufnahme in die Anstalt,
resp. während der Nahrungsenthaltung; die
folgenden geben die einzelnen Monate während
der Zwangsfütterung; in den mit Sternchen
bezeichneten Monaten wurde zuletzt ge-
füttert. (S. Tabelle S. 252.)
Gehen wir nun zu der wichtigen Gruppe
der Beruhigungs- und Schlafmittel
über, so können wir die sog. allgemeinen
feuchten Einpackungen an die Spitze setzen.
Sie wurden schon von Jacobi in seinen
32*
ümpfoDbach, ThMspeutliche HlltheIluD(eD.
^1
1
i
a
i
s
1
i
s
J
1
«
In,: K.. M.JimoIi.
ir.°w., :
Mnrg. Kl., Mel.
Sluppr . . .
A..n. e.. PuriHi.
JnllÄiia Ä., Pa-
r.l3-« . . ,
«.D
4IS.0
69,0
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U.fi
&0.B
ssii
n
710
ooio
si.o
M.D
4S.0
flI.S «3.0
60.0, 6C.S
- -
*SJ) 1*4.0
SH.i
letsten Lebens jähren viel benutzt, haupt-
sächlich bei den aufgeregten Formen der
Melancholie; Lahr empfahl sie dann später
für die maniacftÜBchen Zustände, Eöch-
lißg für die mit Stupor behafteten Me-
lancholiechen. Nach weiteren Empfehlungen
durch Mendel und STetUn sind dieselben
dann im letzten Decennium immer mehr
zur Anwendung gekommen und von allen
Seiten als brauchbar anerkannt worden.
Der Nutzen der Einwickeluag ist im
Allgemeinen ein doppelter. Einmal wirkt
sie allgemein beruhigend und schlafbringend.
Sie arbeitet durch Erweiterung aller Haut-
gefässe ganz energisch hin auf die Regelung
der Blutcirculatiou, sie hebt etwaige Stauun-
gen und befördert die Resorption. Sie
„schafft eine ableitende Strombafan, wodurch
die für die Innenorgane, speciell fQr das
Gehirn verfügbare Blutwalle gemässigt wird"
(Schule). Sie setzt Puls und Eigenwärme
herab und wirkt reflectorisch durch die
gl eich massige Erregung aller Hautnerveit.
All dies wirkt beruhigend. Ee ist aulTal-
leud , wie rasch auch die bis dahin im
höchsten Grade erregten Kranken mitunter
schon kurze Zeit nach der Einwickelung in
festen Schlaf versinken. . — Abgesehen von
dieser beruhigenden Wirkung nützen die
Einwickelungen fast immer bei gewissen
drohenden körperlichen Erscheiauogen.
Kranke, welche sich nicht bewegen, womög-
lich stundenlang auf einem Flecken stehen
oder sitzen, leiden meist an Blutstauung
in der äusseren Bedeckung. Die Kranken
fühlen sich eiskalt an, sehen blau aus, die
Extremitäten schwellen in einer Weise an,
dasB man glaubt, sie müssten platzen. Die
Einwickelung versetzt die Krauken sehr
bald in ordentlichen Schweiss, sie fühlen
sich wieder warm an, durch Regelung der
Circulation verschwinden die ödematösen
Anschwellungen.
Die Technik der allg. feuchten
Einwickelung ist folgende: Auf 1 — 2
wollene Bettdecken, die ausgebreitet sind,
kommt ein init gewöhnlich temperirtcm
rTberapmtlKha
Wasser durchtränktes und dann ausgedrück-
tes Bettlaken. Auf dieses Lager wird der
unbekleidete Kranke gelegt, die Arme und
Hände in der Axillarlinie, resp. an den
Oberschenkeln. Die Decken werden dann
bis an den Hals um ihn geschlagen, resp.
gewickelt, ähnlich wie beim Wickelkinde;
die Arme bleiben am Körper, müssen vor
Allem von den Genitalien femgehalten
werden, um für Onanie keine Gelegenheit
zu bieten, um die Decken mit ihrem le-
benden Inhalt wird dann, senkrecht zu ihrer
Längsaze, eine grosse Binde gewickelt, am
Besten von gestreiftem Drillzeug, 35 — 30 cm
breit und ca. 15 m lang. -Es ist darauf zu
achten, dass die Bindentouren in der Magen-,
und bei schwangeren Frauen ebenso in der
Unterbauch gegen d nicht zu fest angezogen
werden. Das ganze Packet wird dann, der
Länge nach, auf ein Matratzenbett gebracht,
mit noch einigen trockenen wollenen Decken
oben und namentlich an den Selten ausge-
polstert und dann mit der letzten Umhül-
lung wiederum in ganzer Ausdehnung mittelst
ein oder zwei grossen Binden an das Bett
befestigt. Die letzten Bindentouren um-
Bchliessen dann mit Ausnahme des Kopf-
polsters das ganze Bett von oben bis unten,
soweit der betr. Kranke reicht. Der Kopf
bleibt drauseen und wird im Falle stärkerer
Congestionen mit einem feuchten Handtuch
oder dergl. bedeckt. Ist die ganze Procedur
ordentlich gemacht, so muss der "Kranke
bequem liegen ; auch ein stark erregter und
kräftiger Mensch kann sich nur sehr schwer
aus den Decken herausarbeiten ; er sieht
und fohlt dies bald und bleibt ruhig liegen.
Die Kranken bleiben bei uns gewöhnlich
zwei Stunden in der sog. Wickel, werden
dann vom Bett losgebunden. Die letzte
Binde wird im Badezimmer entfernt, und er-
halten dann die Kranken, je nachdem es
sich um eine kräftige, ordentlich genährte
Person, oder eiu schwaches, decrepides,
blutarmes Individuum handelt, eine kühle
oder lauwarme Uebergiessuug. Dann werden
sie ordentlich trocken abgerieben und rasch
und warm angezogen, ev. Abends sogleich
ins Bett gebracht. Es sei noch bemerkt,
dass die Kranken sich sehr rasch an das
Wickeln gewöhnen und sich meistens bald
ohne alles Widerstreben wickeln lassen. In
der Wickel lassen sich auch Viele, die sonst
nichts genommen, die nöthige flüssige Nah-
rung beibringen; deshalb darf auch die Ma-
gengegend nicht fest gewickelt werden.
Die feuchten Einwickelungen passen für
jedes Alter, das höhere Greisenalter viel-
leicht ausgenommen. Bei Frauen wird wäh-
rend der Katamenien die Wickelung ausgc-
DmpfeDbaeb, TheMp«nt)«cb* UinheiliuiKeii.
253
setzt; ebenso pausirteu wir bei Leuten, die
an Magendannkatrarrh' erkrankten. Eine
Steigerung der MenstrualblutuDg trat nicht
ein. Gravidität ist kein Grund gegen die
Einwickelung. Fieberhafte Krankheiten im
Allgemeinen sind keine Contraindication.
Bei Herzkranken und Paralytikern aber ist
wegen ihrer grossen Neigung zu Eopfcon-
gestioneo und bei ihren häufigen Arterien-
Erkrankungen eine grosse Yoraicht noth-
ivendig.
Der Zweck der Einwickelungen wurde
bei uns in der grossen Mehrzahl der Fälle
erreicht. Von 70 derartigen Einwickelungen
fallen auf die einzelnen Hauptgruppeu der
Psychosen :
M.,..
'^l.oii":
wZ:.
nlrm^'ü
.„
Gei>lck«]l
M.
r.
H. 1 r.
M.
'■
M. F.
70
Hit Erfolp
VoriibBrgeli. Erf.
Ohne Erfolp
7
'i
10
1 :-<
-
4
1
H 3
li 2
89
10
Nach dem 'Leheasalter vertheileo sich
die betr. Patienten:
Alter
Uänner
Frauen
Sa.
Unter 20 Jahren
.,
2
f,
30-30 Jahre
13
29
41
30-«t -
4
10
14
40-50 -
1
4
5
50-GO -
1
8
4
Ueber 60 Jahre
^
1
1
Wie aus der ersten Tabelle ersichtlich,
war der Erfolg ein sehr guter. Die Ein-
wickelung kann beliebig lange fortgesetzt
werden ; wir tbaten es in mehreren Fällen
bis zu einem halben Jahre. Eine Gewöh-
nung daran, d. h., dass die Einwickelung,
wo sie anfangs geholfen, bei Öfterer Wieder-
holung später ohne Erfolg geblieben, wurde
kaum beobachtet.
Einen schädlichen Einflusa auf das All-
gemeinbefinden der Kranken, etwa collaps-
artige Erscheinungen, erlebten wir nicht.
In drei Fällen trat ein allgemeiner ekzema-
töser Ausschlag geringen Grades ein, der
nach dem Aussetzen der Hydrotherapie
rasch wieder verschwand; in dem einen Fall
wurde die Wickelung später von Neuem
wieder begonnen, ohne dass von Neuem
Ausschlag auftrat. Auch YerdauungsstS-
mngen traten kaum auf. Freilich muss bei
der ganzen Procedur, namentlich im Winter,
die nöthige Torsicht gebraucht werden. Er-
wähnt mag noch sein, dass unter den 70
Fällen zwei Schwangere 'waren, welche diese
Alt von Hydrotherapie ohne üblen Einfluss
ertrugen.
Bei der Abnahme der allgemeinen Un-
ruhe und bei der Wiederkehr des Schlafes
bat sich iu vielen Fällen das Allgemeinbe-
finden entschieden gehoben; in einigen Fällen
besserte sich der bis dahin sehr schlechte
Appetit. Das Körpergewicht nahm in der
Regel nicht ab, hob sich im Gegentheil in
mehreren Fällen sichtlich, wie die folgenden
Beispiele beweisen i
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In den mit * bezeichneten Monaten
wurde das Wickeln ausgesetzt. Der Fall 5,
eine schwangere Frau, litt aa Manie, die
in Remissionen verlief und deshalb dreimal
in Pausen von I — 2 Monaten längere Zeit
gewickelt wurde.
Was nun die gebräuchlichsten Schlaf-
mittel anbetrifft, so haben wir über Chlo-
ralbydrat, Opium, Morphium, Par-
aldehyd undBro'mkali nichts Neues bei-
zubringen. Letzteres hat auch hier bei den
Epileptikern schon in kleiner Dosis von
2 — 3 g in den meisten Fällen, in grossen
Dosen von & — 8 g pro die fast ohne Aus-
nahme die Zahl der Anfälle sehr herabge-
setzt. Ein gänzliches Ausbleiben der An-
fälle haben wir iu keinem Falle beobachtet.
Das Bromkali wurde fast immer gut ver-
tragen, auch in grossen Dosen. Dass man
trotzdem die nöthige Vorsicht nicht ausser
Acht lassen darf, zeigt folgender Fall, den
vrir kürzlich hier erlebten:
Die Ackerersfran Mar^. P., 34 Jahre alt, litt
seit ihrem lÖ. LebeaBJahrQ ohne nachweisbare
Ursache an Epilepsie. Zuerst sehr seltene AoffiJIe.
Später, nach dem Eintreten der ersten Menstruation,
traten in der Regel monatlich 1 — 2 Anftillo zur
Zeit der Periode ein. Während der Ehe kamen
die AnfJLlle dann meist wÖcbentlich und waren
gefolgt von einem mit der Zeit immer länger ao-
danemden Stadium der Verwirrtheit, welches
Ecblicaalich die Änstaltspflego nöthig machte. Kleine
Dosen Bromkali halfen nicht; dem Drfingcn der
Patientin wurde nachgegeben und erhielt sie
während Uürz, April und den ersten beiden
Dritteln des Mai 6 g pro die, dann 8 g. Die
Dosis wurde anscheinend ganz gut vertragen, nur
254
Umpfenbaehy Therapeutische Mittheilungen.
rlierapflutk^e
MonatMhf'fta.
zeigte sich vorübergehend ein rother, kleiner pustu-
lösor Ausschlag in den von jeher stark schweiss-
secernirenden Handtellern, die arg juckten. Am
letzten Maitage kam noch ein Anfall, und erhielt
Frau P. seit dem 1. Juni 10 g täglich. Die
Juni-Menstruation verlief ohne Anfall. Doch blieb
Patientin auch ohne solchen erregt, verwirrt und
aggressiv; sie hallucinirte und fürchtete, getödtet
zu werden. Schlaf war sehr wenig vorhanden,
der Appetit etwas unregelmässig, wie auch früher
öfter vor dem Einnehmen. Am 25, Juni fiel eine
grosse Hinfälligkeit auf, Patientin erschien wie
betrunken, sie schwankte, fiel überall hin, musste
schliesslich das Bett hüten. Die emporgehobenen
Arme und Hände sanken schlafiT, wie gelähmt, auf
die Kissen zurück. Die Pupillen waren eng, völlig
ohne Heaction; Nase und Extremitäten kühl, die
Temperatur etwas gesteigert. Patientin nahm gar-
nichts mehr zu sich; die in den Mund gelöffelte
Flüssigkeit wurde nicht weiter befördert, löste
keine Schluckbewegungen aus. Der Urin wurde
spontan nicht entleert, die Sensibilität war herab-
gesetzt, der Patellarreflez beiderseits kaum nach-
weisbar. Hautausschlag und Foetor ex ore fehlten.
Die Brustorgano ohne besonderen Befund. Puls
langsam, aber kräftig. Patientin reagirte auf Be-
fragen nicht, war heiser, sie schwatzte, aber nur
verwirrt. Dieser Zustand hielt an bis Anfang
Juli. Erst am 3. Juli wurden die Arme wieder
gehoben, am 6. Juli sass Patientin wieder aufrecht
im Bett und wurde an diesem Tage jder Urin
zuerst wieder spontan entleert. Einige Tage darauf
begann Frau P. das Bett zu verlassen und erst
unsicher, dann immer sicherer umherzulaufen. Das
Bromkali war sofort am 25. Juni ausgesetzt worden.
Die Anfangs Juli eintretenden Menses verliefen
profus, aber ohne epileptischen Anfall. Die Tempe-
ratursteigerung war wahrscheinlich Folge einer
Contusion des rechten Ellenbogen mit folgender
Infiltration. Die Anfangs sehr engen Pupillen
waren Ende Juni plötzlich sehr weit und starr,
später bestand eine grosse Ungleichheit: erst nach
14 Tagen waren die Pupillen wieder gleich weit
und von normaler Ecaction.
Wir haben es in diesem Fall offenbar
mit einer Bromkali - Vergiftung zu thun.
Während monatelang sechs, später acht Gramm
ohne üble Erscheinungen genommen waren,
genügten zehn Gramm, um das obige Krank-
heitsbild hervorzurufen. Dies kann eine
Warnung sein für Arzte und namentlich für
gewisse Anstalten, die Hilfesuchenden, welche
sie öfters garnich't gesehen haben, grossere
MeDgen Bromkali in die Hände geben, ohne
eine Controle ausüben zu können. Die
Kranken vrerden in dem dringenden Wunsche,
von Anfällen verschont zu bleiben, immer
eher zu viel als zu wenig hinunterschlucken.
Wenn es sich um einfache Schlaflosig-
keit handelt, ist das Bromkali entschieden
von grossem Werthe. Sind die Kranken
aber einigermassen physisch oder psychisch
erregt, einerlei, ob maniacalisch, melancho-
lisch oder sonst wie, — so ist die Wirkung
eine sehr unsichere. Eine vielleicht speci-
fischeWirkung hat das Mittel nur bei dem men-
struellen Irresein, bei den Psychosen, meistens
Manien, die periodisch auftreten und mehr
oder weniger in die Zeit der Menses fallen;
in der Zwischenzeit erscheinen die betr.
Kranken geistig gesund. Folgenden Fall
haben wir kürzlich beobachtet:
Die 20jährige Louise W. aus dem Kreise
Wetzlar war erblich angeblich nicht belastet, zeigte
auch körperlich keinerlei Spuren der Degeneration.
Sie war gut beanlagt und in den ersten 6 — 7 Jahren
immer regelmässig and ohne auffallende Begleit-
erscheinungen menstruirt. Im Beginn des Jahres
1887, während Patientin nebenbei an Liebes-
kummer litt, erschrak sie zur Zeit der Menses
heftig über den plötzlichen Tod einer nahen Ver-
wandten. Seitdem war sie immer zur Zeit der
Reinigung erregt, unruhig, — was immer mehr
zunahm, so dass Patientin schliesslich zur genannten
Zeit schrie, um sich schlug, ordentlich tobsüchtig
aussah. Einige Male schien sie auch dabei zu
halluciniren. Dieser Zustand dauerte nur so lange,
als das Blut floss; vorher schien sie gesund und
erholte sie sich auch immer sehr rasch nach dem
Aufhören der Blutung. Im Juni 1887* wurde sie
der hiesigen Anstalt zugeführt. Körperlich zeigte
sie mit Ausnahme von Chlorose leichten Grades
keine Abnormität Die Periode kehrte hier regel-
mässig wieder, dauerte immer 3 — 4 Tage. Die
ersten Male war Patientin sehr erregt; sie klagte
schon kurze Zeit vorher über Kopfschmerzen, sah
stark congestionirt aus und fühlte sich im Allgemei-
nen nicht recht wohl. Nach dem Eintritt der Blutung,
die übrigens ganz schmerzlos verlief, wurde sie
dann unruhig, zankte sich mit Allen, lief umher,
zerriss Sachen, schlug auch andere Kranke. Ein
oder zweimal schien sie zu halluciniren; sie klagte
und reagirte auf Schimpfworte, die thatsächlich
nicht gefallen waren. In der Zeit zwischen den
Perioden war Patientin freundlich, verträglich, mit
Allem sehr zufrieden, heiter und zum Scherzen
aufgelegt. Sie arbeitete dann auch sehr fleissig.
Mit dem Versiegen der Blutung schien sie immer
gesund. — Sie erhielt nun einige Tage vor dem
erwarteten Eintritt der vierten in der Anstalt be-
obachteten Menstruation und während derselben
zweimal 3 g Bromkali, wonach sie schon ruhiger
war, das nächste Mal zweimal 4 g. Sie vertrug
das Mittel sehr gut. Sie nahm es jedesmal un-
gefähr eine Woche. Die Erregungen wurden in
den folgenden Monaten immer schwächer, schliess-
lich blieben sie ganz aus. Im Frühjahr 1888
wurde daher das Mittel ausgesetzt, und da die
folgenden Katamenien in jeder Beziehung auch
ohne Bromkali normal verliefen, konnte die W.
im Sommer entlassen werden. Bisher ist sie
gesund geblieben.
Die Heilung konnte in diesem Falle nur
auf das Bromkali geschoben werden. Die
psychische Diät, soweit das Anstaltsleben
sie bietet, halfen bei der Fat. nichts. Erst
nach dem Gebrauch des gen. Mittels, und
zwar nach 8 g pro die^ trat eclatante Besse-
rung und schliesslich die Heilung ein. Der
m JahrfUn^.l
Juni 1889. J
ümpfenbach, Therapeutische Mittheilungen.
255
Fall war insofern günstig, dass die W. nicht
erblich belastet und früher ganz gesund ge-
wesen war; die Behandlung setzte auch noch
in einer relativ frühen Phase des Leidens
ein.
Das zuerst 1885 von Schmiedeberg,
Jelly und v. Jak seh empfohlene ürethan
haben wir im letzten Jahre nur noch in
wenigen Fällen angewendet, eigentlich nur,
um unsem Vorrath zu yerbrauchen. Die
Resultate waren nicht besser als früher,
unter 30 Fällen, die zusammen ca. 1800 g
consumirten, hatte es nur bei 5 dauernden
und bei 10 vorübergehenden Erfolg, bei 15
half es gar nichts. Hatte es Wirkung, so
musste rasch mit der Dosis gestiegen wer-
den. Am Besten half es noch bei den
Paranoikem, die an einfacher Asomnie litten,
im Uebrigen sich aber ruhig verhielten; bei
Melancholie hat es selten, bei Manie gar-
nichts genützt. Eine Hysterische nahm es
ebenfalls ohne allen Erfolg.
Das Mittel wurde übrigens von den
Geisteskranken ohne jedes Sträuben ge-
nommen, machte auch keine lästigen Neben-
erscheinungen. In einem Falle, bei einem
Paranoiker, trat nach dem Genuss von üre-
than vorübergehend Albuminurie geringen
Grades auf. Das spec. Gewicht des Urins
sank in allen Fällen, bei der eben erwähnten
Hysterischen stieg es um ein Geringes. Die
Harnvermehrung war bei uns nicht so gross
wie bei Stick er; sie betrug in der Regel
nur 100 g in 24 Stunden. Die Hysterische
machte auch hier eine Ausnahme; sie litt
neben vielen anderen Beschwerden auch an
Polyurie (ohne Zucker) und schied gewohn-
lich 6500—7000 g in 24 Stunden aus.
Nach Urethan brachte sie es bis auf 7 bis
8000 g.
Der bisher sehr hohe Preis des Sulfo-
nal -Bayer Hess seine Anwendung in un-
serer Anstalt nur in beschränktem Maasse
zu; es wurden bis Ende des Jahres 1888
etwas über 900 g verbraucht, die sich auf
25 Patienten vertheilen, 9 Männer und
16 Frauen. Das Mittel wurde als Pulver,
meist von 2 — 5 g, mit etwas Wasser Abends
gegeben. Da die Kranken ausgewählt waren,
nahmen sie es anstandslos; sie klagten
übrigens auch nicht über schlechten Ge-
schmack, Brechneigung und dergl. Der
Schlaf, wenn er erfolgte, trat nach 2 — 3
Stunden ein und währte dann bis zum
Morgen. Er verlief ohne Besonderheiten.
Der Erfolg des Sulfonals präsentirt sich
am Besten aus nebenstehender tabellarischer
Uebersicht.
Von den nur in geringem Grade mänia-
calisch Erregten hatten 4 den erwarteten
**
S
Melan- 1
cholio 1
Wahn- 1
sinn 1
Para- 1
nola 1
Dement,
paral.
Hyster. 1
HypoRb.fl
Sa.
Mit Erfolg
Vorübergeh. Erf.
Ohne Erfolg
4
1
2
4
1
4
8
2
1
1
1
1
16
4
5
Schlaf; es waren Leute, die auch vorher bei
Nacht sich ruhig verhielten, aber ohne Ein-
zunehmen nicht zum Einschlafen kamen;
auch die Paranoiker waren im Allgemeinen
ruhig. Die beiden Hypochonder, welche
dauernd, resp. vorübergehend Schlaf er-
hielten, wollten übrigens am Morgen, wie
gewöhnlich, nichts davon wissen, dass sie
ordentlich geschlafen hatten; sie schienen
sich demnach subjectiv nicht besser zu fühlen
als vorher.
Das Sulfonal wurde ohne Beschwerden
seitens des Magendarmcanals vertragen.
Dagegen klagten zwei junge Frauen, die
melancholisch verstimmt und längere Zeit
schlaflos waren, nach dem Einnehmen des
Mittels über eine lästige Eingenommenheit
des Kopfes, über ein Gefühl von leichtem
Schwindel, Trägheit des Gedankenablaufs.
Dies hielt den ganzen Tag über an. Aehn-
liche Symptome beschreibt Kisch (Prag)
in einem Falle.
Andererseits fiel auch bei zwei Paraly-
tikern, einem Mann und einer Frau, nach
Sulfonal eine plötzliche über Nacht eintre-
tende Zunahme der Unsicherheit in den
Beinen und der allgemeinen Benommenheit
auf. Beide hatten vorher niemals darüber
geklagt, hatten auch vorher noch keinen
paralytischen Anfall gehabt, waren auch
tagsüber immer ausser Bett gewesen. Die
Frau war so taumelig, dass sie 2 — 3 Tage
das Bett hüten musste. Nach dem Aus-
setzen des Sulfonals erholten sich die beiden
Kranken wieder von der Unsicherheit und
Benommenheit. Ob diese Symptome zufällig
auftraten oder Sulfonalwirkung waren, Hess
sich nicht eruiren; das Sulfonal wurde in
diesen beiden Fällen ausgesetzt. Stärkere
Congestionen nach dem Kopf haben wir
übrigens in keinem weiteren Fall bemerkt.
Das Mittel wurde auch auf die Dauer
gut vertragen, ohne Appetit oder Verdauung
zu beeinflussen; eine Gewöhnung daran trat
in den meisten Fällen nicht ein. Die zum
Theil sehr anämischen Frauen nahmen auch
während der Katamenien das Mittel ohne
üble Folgen; die Ton Löble (Wiener Presse
1889 No. 3) beobachtete acute Intoxications-
erscheinungen bei derartigen Frauen traten
hier niemals ein. Auch die von Kisch
(Prag) erwähnte Beeinflussung des Pollu-
tions- Gentrums durch Sulfonal blieb aus.
256
Umpfenbaehy Therapoutitche Mitthellungen.
tTherapentisehe
Monatshefte.
— Eine Verengerung der Pupillen, wie sie
Henocque bei Thieren fand, oder eine
Steigerung der Diurese, die Huchard beim
Menseben sab, baben wir nicbt beobacbtet.
Aucb gelang es uns nicht wie Engel mann
ein Sulfonal-Erytbem, oder wie Schotten
(in Gassei) einen masemähnlichen Ausschlag
zu erzeugen. Die im Bornemann'scben
Fall beschriebene Ataxie der Arme und
Beine sahen wir nicht, griffen aber auch
nicht zu seinen hohen Dosen; doch erinnert
die oben erwähnte Unsicherheit in den
Beinen der beiden Paralytiker daran. Wenn
Kisch nach 1 g Sulfonal eine mehrstündige
Aphasie beobachtete, so war dies wohl ein
zufalliges Zusammentreffen; der betr. Patient
hatte schon früher, bevor er Sulfonal ge-
nommen, einen apoplek tischen Anfall er-
litten. — Zum Versuche des Sulfonals
bei Angina pectoris (Schmey) oder gegen
Nachtsch weisse (Martin) fehlten uns zur
Zeit die nöthigen Objecte.
Nach unseren Beobachtungen ist das
Sulfonal, zumal auch wegen seiner Yolligen
Geschmacks- und Gerüchlosigkeit namentlich
für die Psychiater ein brauchbares Hypno-
ticum, doch ist es noch immer nicht das
Ideal-Schlafmittel. Die so überaus günstigen
Resultate von Gramer, Otto und Gon-
st antin Paul (Paris) haben wir nicht er-
zielt; wie Huchard (Paris) können wir das
Sulfonal, was Sicherheit der Wirkung an-
betrifft, den übrigen Schlafmitteln, nament-
lich dem Ghloralhydrat nicht voranstellen.
Im letzten halben Jahre wurde das
Hyoscin. hydro chlor, mehrfach bei uns in
Anwendung gebracht, hauptsächlich in Folge
der so sehr empfehlenden Berichte aus der
Merziger Anstalt (Irrenfreund 1887 No. 7).
Unser Präparat stammt von Merck in
Darmstadt und soll nach der Vorschrift von
Merck -Laden bürg hergestellt sein. Die
Anwendung geschah meistens per os, in
seltenen Fällen subcutan. Die Dosis schwankte
zwischen 0,0005 und 0,003 g innerlich, bis
zu 0,002 subcut. 1 — 2 mal tägl . Beim
innerlichen * Gebrauche wurde das Mittel,
sobald die Ejranken es nicht nehmen wollten
oder merken sollten, in Kaffee, Bier
oder Wein verabreicht. Da es vollständig
geschmacklos ist, wurde die heimliche Ein-
führung nur in seltenen Fällen durch die
Wirkung entdeckt. Die Injectionen wurden
meistens als sehr schmerzhaft empfunden,
doch dauerte der Schmerz nicht lange.
Abscesse bildeten sich niemals; bei einer
Kranken entstand in der Regel eine in
einigen Tagen vorübergehende Infiltration
in der Umgebung der Injectionsstelle.
Es erhielten bisher 55 Personen Hyoscin,
26 Männer und 29 Frauen, darunter 47
Patienten als Schlaf- resp. Beruhigungs-
mittel.
Sechs erhielten Hyoscin wegen starken
Ptyalismus, davon 4 mit dauerndem Erfolge,
so lange sie das Mittel nahmen, 1 mit nur
vorübergehendem, 1 ohne jeden Erfolg. In
allen Fällen wurde bis zu 2 mm gestiegen,
da das Mittel in kleiner Dosis nur vor-
übergehend half, d. h. die Kranken sich
daran gewohnten; 2 mm waren in den Fällen,
wo das Mittel half, von dauerndem Erfolg.
Bei einer Patientin mit choreatischer
Bewegung der Arme und Beine brachte
0,0005 Hyosc. subcutan beigebracht, ent-
schiedene Besserung für die nächsten Stun-
den; ebenso bei einem alten Epileptiker
mit starkem Tremor beider Arme und Hände.
In beiden Fällen musste der Versuch bald
abgebrochen werden, da jedesmal nach der
Application des Mittels für den ganzen Tag
Appetitlosigkeit und Brechneigung bis zum
Erbrechen auftraten. Bei dem Epileptiker
trat jedesmal ein so starker Schwindel ein,
dass der Patient kaum gehen konnte. Die
Injection von weniger als 0,0005 Hyoscin,
wie Erb anräth, hatte gar keinen Einfluss
auf die Muskelunruhe.
Von den 47 Geisteskranken, welche
Hyoscin erhielten, können wir noch einen
aussch Hessen, der das Mittel nur als Schlaf-
mittel nahm. Derselbe ist ein Hypochonder,
der alle möglichen Klagen hat, unter anderem
auch lange Zeit bei Nacht nicht schlief,
aber sonst Ruhe hielt. Nach Hyoscin schlief
er die ganze Nacht, wollte freilich am
nächsten Morgen nichts davon wissen; das
wohlthuende Gefühl nach einer gut durch-
schlafenen Nacht konnte ihm also das Hyoscin
auch nicht verschaffen. Auf seine hypochon-
drischen Beschwerden im Allgemeinen war
übrigens das Mittel ohne jeden Einfluss.
Die Resultate, welche wir bei den 46
unruhigen Geisteskranken erzielten, werden
am leichtesten durch folgende tabellarische
Zusammenstellung ersichtlich.
Epi- II
lepsie ||
1^
§•3
Para- J
noia 1
Melan- 11
Blöd- ]
sinn IJ
Dem. II
paral. H
Sa.
Mit Erfolg
Vorübergehend. Erf.
Ohne Erfolg
4
5
2
5
2
15
2
3
2
2
1
1
2
28
9
9
Die vorstehenden Ejranken erhielten zu-
sammen über 1000 Einzeldosen, die grössere
Mehrzahl per os. Mit Kny (Berl. klin.
Wochschr. 1888 No. 50) gaben wir der Applica-
tion per OS den Vorzug. Die Wirkung ist
zwar eine langsamere, und man braucht
meistens die doppelte Menge des Mittels.
in. Jabrf ang.l
Juni 1889. J
Umpfenbach, Therapeutische •Mittheilungen.
257
Doch treten die Folgen weniger stürmisch
auf, man spart auch den Kranken die
Schmerzen, yermeidet auch bei den energisch
Widerstrebenden das gewaltsame Halten.
Sobald das Hyoscin Tom Magen aus nicht
half, waren auch meistens die Injectionen
ohne Erfolg. Bei der . subcutanen Verab-
reichung trat, sobald das Mittel überhaupt
wirkte, in 15 — 30 Minuten ein fester Schlaf
auf; vom Magen aus erst nach 1 — 2 Stunden.
Der Hyoscin -Schlaf war fest, doch Hessen
sich die Kranken daraus erwecken. Nach
dem spontanen Erwachen waren die Kranken
noch einige Zeit ruhig. Sie lobten den
Schlaf, wollten von etwaigen Träumen nichts
wissen. .
Am sichersten ist die Hyoscin -Wirkung
bei den transitorischen Erregungszuständen
der Epileptiker; sie verfallen sehr rasch in
tiefen Schlaf und erwachen daraus beruhigt.
Bei Manie, resp. Tobsucht und acutem Wahn-
sinn war die Wirkung eine unsichere, ebenso
bei den Paralytikern. Recht erfreulich waren
die Erfolge bei den Verrückten; die Nachts
durch ihre Hallucinationen früher Gestörten
schliefen mit wenigen Ausnahmen schon nach
1 mm, und die bei Tage durch ihr queru-
lirendes und raisonnirendes Benehmen lästi-
gen und unruhigen Patienten waren nach
dem Genuss ihres morgendlichen Hyoscin-
Kaffees tagsüber ruhig und zufrieden. Diese
Ruhe hielt in einigen Fällen 2 Tage an;
nach dem Aussetzen des Mittels kehrte nach
1 — 2 Tagen die frühere Unruhe zurück.
Eine Gewöhnung an das Mittel war insofern
zu constatiren, als allmählich auf 2 — 3 mm
gestiegen werden musste; dann blieb die
Wirkung aber dauernd.
Bald nach dem Einnehmen trat bei zwei
alten Männern, wo das Mittel überhaupt
nichts half, eine Steigerung der Unruhe in-
sofern ein, dass sie wie ruhelos umherliefen,
Alles anfassten, in die Hände nahmen, wieder
fortsetzten u. s. w. Dies dauerte 1 — 2
Stunden. Ich möchte diesen Zustand, der
übrigens nur bei zwei Patienten beobachtet
wurde, weniger mit einem Alkoholrausch
vergleichen, wie es Kühlwetter thut, als
mit dem Gebahren von kleinen Kindern oder
Thieren, die sich nicht wohl fühlen und
durch planlose Bewegungen ihr Uebelbefin-
den verrathen. Bei den übrigen Kranken
trat kein besonderer Initial-Erregungszustand
auf. Nur sei erwähnt, dass ein maniacali-
sches Mädchen mehrfach sogleich nach der
Injection bis zum Einschlafen geschwätziger,
'ideenflüchtiger wurde, und ganz entgegen
ihrer sonstigen Gewohnheit mit Vorliebe ihre
sexuellen Jugendsünden erzählte.
Die von Kühlwetter geschilderte plötz-
liche totale Lähmung der Kranken nach
Hyoscin -Injection haben wir nicht bemerkt.
Eine Kranke zeigte nach der Injection in
den rechten Arm eine gewisse Lähmung der
linken Hand; sie wollte beispielsweise die
Bettdecke ergreifen, konnte es aber nicht,
weil die Hand ihr umschlug. Dieses wurde
bei der Kranken nur zweimal bemerkt,
später nicht mehr. Eine andere sehr auf-
geregte Kranke, eine Epileptische, welche
1 mm subcutan erhalten hatte, Hess sich
plötzlich platt auf den Boden fallen, that
wie gelähmt, Hess auch die emporgehobenen
Arme sofort wieder sinken, ging aber sehr
bald auf Zureden ohne Schwanken noch
über mehrere Treppen auf ihre Abtheilung
zurück.
Ueber einen gewissen Schwindel klagten
3 — 4 Kranke, auch wenn ihnen das Hyoscin
heimlich beigebracht war; einer behauptete,
man mache ihn betrunken. Ein Paralytiker
klagte über die Augen, wollte auch nicht
lesen können, weil er Nebel vor den Augen
hätte. Eine ausgesprochene Accommodations-
störung wie Dornblüth haben wir nicht
beobachtet; die Kranken lasen, schrieben
und nähten wie früher. — Ungefähr die
Hälfte der Kranken klagten über Kratzen
und Trockenheit im Halse, tranken aber
nicht auffallend mehr als sonst. Zwei
klagten über einen widerlich -süssen Ge-
schmack, die eine auch nach subcutaner
Application. Bei zwei Kranken trat eine
vermehrte Hamsecretion ein, die Hammenge
war gegen früher bis zu 800 g in 24 Stun-
den vermehrt.
Das Hyoscin wurde auch auf die Dauer
meistens gut vertragen , auch von älteren
Personen. Unter den oben zusammenge-
stellten Fällen waren 8 Patienten, die über
60 Jahre zählten, 2 sogar über 70. Die
Ernährung litt nicht darunter; Kranke,
welche das Hyoscin andauernd bis zu 5 Mo-
naten nahmen, behielten dasselbe Körper-
gewicht oder wurden sogar schwerer. Nur
bei einer sehr unruhigen Kranken, die auf-
fallend viel speichelte, war das Körper-
gewicht nach 4 Monaten um 5 Pfund ge-
sunken. Erbrechen und Appetitlosigkeit
folgten in 2 Fällen, wie schon oben erwähnt.
Die von Haynes und Root geschilderten
üblen Folgen traten nicht auf. Nur in
2 Fällen waren deutliche Congestionen nach
dem Kopf vorhanden. Bei einem Maniacus
mit übrigens compensirtem Herzfehler trat
nach dem Einnehmen sehr bald heftiges
Herzklopfen mit lästigem Gefühl in der
linken Seite auf. Das Mittel musste deshalb
ausgesetzt werden.
Der Einfluss des Hyoscin auf die Weite
83
258 Vottiut, Practitcher Nutzen der operativen Behandl. der Coojunctivttlt foUicularit. pMo^auh^ft^*
der Pupillen war sehr schwankend. Be-
obachtungen in Bezug auf die Reinlichkeit
wurden nur insofern gemacht, dass zwei
kranke Frauen, die vorher reinlich waren,
während des Hyoscin- Gebrauches unreinlich
wurden, auch im wachen Zustande. Bei
einem Paranoiker traten die Hallucinationen
mehr in den Vordergrund, wenigstens sprach
derselbe mehr davon. Ebenderselbe, ein
Mann von 52 Jahren, begann während des
Hyoscin -Gebrauches, was früher bei ihm
nicht beobachtet wurde, excessiv zu ona-
niren; er setzte dies auch nach dem Aus-
setzen des Mittels fort. Ein Junge von
16 Jahren, der schon früher onanirte, that
dies, während er unter Hyoscin gehalten
wurde, ebenfalls vielmehr als früher; er
behielt dies später ebenfalls bei.
Betrachten wir unsere hiesigen Resultate,
so müssen wir uns weniger zuversichtlich
als Kobert, Salgo, Kühlwetter, Kny,
Kraus und Dornblüth aussprechen, wenn
wir auch anerkennen müssen, dass wir in
dem Hyoscinum hydrochloricum ein gutes,
billiges und namentlich für die Irrenanstalten
sehr bequemes Hypnoticum besitzen. Wie
Kobert können auch wir nicht, entgegen
Haynes, Root und Erb, das Hyoscin als
besonders gefährlich bezeichnen. Doch scheint
bei bestehendem Herzfehler das Mittel aus-
zuschliessen zu sein.
Ueber den practischen Nutzen der ope-
rativen Behandlung: bei der Conjunc-
tivitis follicularis (granulosa).
Von
Dr. med. A. Vostiut.
A. o. Professor der Augenheilkunde in Königsberg i. Pr.
Der Artikel des Herrn Treitel in No. 2
und 3 dieses Jahrgangs der Therapeutischen
Monatshefte veranlasst mich den Lesern
dieser Zeitschrift gegenüber zu folgenden
MittheiluDgen.
Ich kann zunächst nicht umhin hervor-
zuheben, dass die operative Behandlung der
folliculären (granulösen) Bindehautentzündung
in Königsberg zuerst von Herrn Geheim-
rath Jacobson in der Königl. Universitäts-
Augenklinik und Poliklinik eingeführt, stets
geübt und immer mit dem besten Erfolg
verwendet ist. Die chronologische Ueber-
sicht des Herrn Treitel ist nur dazu an-
gethan in dieser Hinsicht zu einer irrthüm-
lichen Auffassung zu führen. Ich kenne diese
Therapie, so lange ich mit der Klinik
in Verbindung stehe, d. h. seit dem Jahre
1882, aus eigener Anschauung und weiss
aus mündlichen Mittheilungen des Herrn
Geheimrath Jacobson, dass sie auch schon
früher hier in seiner Klinik gebräuchlich
war. Theils wurden tiefe Scarificationen
und Incisionen in die erkrankte, hyperämische
und geschwollene Bindehaut gemacht, . die
durch die Blutentziehung günstig wirkten,
theils Streifen des erkrankten Gewebes
excidirt. Herr Geheimrath Jacobson hat
seine diesbezüglichen Ansichten von jeher
in seinen klinischen Vorlesungen, wiederholt
bei Gelegenheit der ostpreussischen Aerzte-
tage und in mehreren Abhandlungen^) öffent-
lich bekannt gegeben. Heisrath hat noch
als Assistent der Klinik und darauf in seiner
eigenen Privatklinik die operative Behand-
lung der ,, granulösen ^^ Bindehautentzündung
weiter fortgesetzt und die Exstirpation auf
einen grössern Abschnitt der Conjunctiva
ausgedehnt. In der Königl. üniversitäts-
Augenklinik wird die Excision der Binde-
haut und des Tarsus seit 6 — 7 Jahren
dauernd und ganz methodisch in allen Fällen
ausgeführt, in welchen die entzündlich affi-
cirte Bindehaut von reichlichen geschwollenen
Follikeln durchsetzt ist oder schon in dem
Uebergaug zum Schrumpfungsstadium sich
befindet, gleichviel ob die Cornea bereits
erkrankt oder frei von Complicationen (Pan-
nus) ist. Wir haben in dieser Weise nicht
nur alle aus der Stadt und Provinz zur
Aufnahme gelangenden sporadischen Fälle
behandelt, sondern auch ganze Epidemien
bekämpft und sind mit dem Erfolg sehr
zufrieden gewesen. Recidive sind nicht
beobachtet, die vorhandenen Hornhautcom-
plicationen sind nicht nur gebessert, sondern
in der Regel geheilt; die Patienten sind
früher als nach jeder anderen Behandlungs-
methode arbeitsfähig geworden. Private
und Gommunen haben einen wesentlichen
pecuniären Nutzen aus dieser Therapie
gezogen. Dem Auge erwächst kein Nach-
theil, wenn die Operation schonend und
nach chirurgischen Prinzipien ausgeführt
wird. Lidschlag und Lidschluss, Stellung
und Beweglichkeit des Bulbus werden nicht
benachtheiligt; die Ernährung der Cornea
und ihre Transparenz läuft keine Gefahr,
wenigstens kann dieselbe vollständig ver-
mieden werden.
Der oberste chirurgische Grundsatz ist
*) a) Jacobson, Beiträge zur Lehre von der
Conjunctivitis granulosa in Deutsche Medicinalzei-
tung von Grosser. Jahrgang 1884. No. 41 und 42.
b) Jacobson, Beiträge zur Pathologie des Auges,
Engelmann, Leipzig 1888.
tu. Jahrgang.'l
Juni 1889. J
V Ott! US, Practitcher Kutzen der operativen fiehandl. der Coi^unctivitit follicularis. 259
der, dass man nicht mehr entfernt, als drin-
gend geboten ist, dass man gerade, regel-
mässige und nicht eckige Schnitte ausführt.
Selbstverständlich darf von der Uebergangs-
falte nur die Schleimhaut selbst exstirpirt
. werden ; die tieferen Theile des Lides müssen
unversehrt bleiben. Da die Conjunctiva tarsi
mit dem Knorpel innig verwachsen ist, muss
bei Affection der Lidbindehaut der Tarsus
gleichzeitig excidirt werden; das subtarsale
Gewebe muss man schonen. £s ist nicht
nöthig, dass Tarsus und Conjunctiva bis an
den Lidrand beseitigt werden; es ist vielmehr
erforderlich, dass ein Streifen von 2 — 3 mm
Breite an der inneren Lidkante stehen bleibt.
Dieser schmale Streifen gibt dem Lide einen
gewissen Halt; die darin etwa noch vorhan-
denen Follikel verschwinden im weiteren
Verlauf. Wo man mehr von dem Knorpel
stehen lassen kann, wird man dies natürlich
thun. Die Conjunctiva bulbi bleibt meist
von der Krankheit verschont und darf nur
in den seltenen Fällen angegriffen werden,
wo sie erkrankt. — Stellungsveränderungen
der Lider beobachtet man nach der Excision
der Uebergangsfalte gar nicht und bei der
Operation der Conj. tarsi und des Tarsus
nur dann, wenn man den Schnitt ungleich-
massig macht, wenn man den oben erwähnten
Streifen nicht schont und wenn die Sutur
nicht richtig angelegt wird, d. h. wenn die
Nadeln in dem intermarginälen Theil ausge-
stochen werden, statt in dem Streifen des
Tarsus. Die Einkerbung resp. stärkere Con-
vexität des freien Lidrandes, welche Tr eitel
erwähnt, entsteht nur dann, wenn der Schnitt
im Tarsus nicht durchweg parallel zur freien
Lidkante, d. h. in gleichmassigem Abstand
von derselben gemacht wird. Dies ist ein
Kunstfehler, der jedem Operateur klar sein
muss, ehe er an die Operation herangeht.
Ptosis habe ich nie gesehen, vielmehr eine
Erweiterung der Lidspalte durch Hebung
des vorher wie sonst bei granulöser Con-
junctivitis herabgesunkenen oberen Lides.
Das zweite, wichtigste Prinzip ist wie
bei allen Wunden die Anbahnung der prima
reunio; denn Wundgranulationen stören die
Heilung und rufen unangenehme Reizerschei-
nungen (Zunahme eines Pannus) und starke
eitrige Secretion hervor. Damit prima reunio
eintritt, muss für eine gleichmässige Appo-
sition der Wundränder gesorgt werden; die-
selbe erreichen wir nur, wenn wir die Wunde
in ihrer ganzen Ausdehnung nähen, sowohl
in den Ecken als in der Mitte. Diesen
chirurgischen Grundsatz dürfen wir nicht
vernachlässigen. Nach der Entfernung der
uebergangsfalte bedingt die mittlere Sutur
überhaupt keine Gefahr für die Hornhaut^
bei der Operation des Tarsus und der Conj.
tarsi nur dann, wenn man die Fäden nicht
ganz dicht am Knoten abschneidet. Man
kann hier sogar noch im Knoten selbst inci-
diren; wenn er fest geschürzt wird, hält
auch ein angeschnittener Knoten, voraus-
gesetzt, dass man für vollständige Immobili-
sation der Lider sorgt. Lange Fadenenden
reiben natürlich auf der Hornhaut, zumal
wenn die Lider und das Auge nicht so un-
beweglich wie möglich gemacht werden, und
erzeugen Defekte, welche leicht inficirt wer-
den und sich in grössere Geschwüre um-
wandeln^ können. Hart am Knoten abge-
schnittene Fäden werden von der geschwollenen
Conjunctiva vollständig verhüllt und können
auf der Hornhautoberfläche keinen Schaden
anrichten, wenn man nur die feinste Con-
junctiva! seide verwendet; Catgut empfiehlt
sich zur Sutur deshalb weniger, weil es
dicker ist, sich nicht zu einem so feinen
Knoten schürzen lässt und in dem Secret
zunächst noch quillt.
Die Immobilisation der Lider und des
Auges kann nur durch einen beidersei-
tigen Druckverband ermöglicht werden.
Um Sekretstauungen zu verhüten, kann man
den Verband beliebig erneuern und dabei
das Auge auswaschen, ohne an den Lidern
viel zu zerren. Zum Auswaschen nimmt
man 4 ®/o Borwasser oder 0,02 ^Iq Sublimat-
lösung. Zur Verringerung der Secretion
empfiehlt es sich, auf das operirte Auge
über den durchnässten Verband eine Eis-
blase zu legen und auf dem nicht operirten
Auge nach Anfeuchtung des Verbandes kalte
Umschläge machen zu lassen.
Zur Vermeidung von Lid- und Horn-
hautläsionen während der Ausführung setzt
die Operation natürlich beim Operateur
eine ruhige, sichere Hand voraus; ausserdem
hat man sich davor zu hüten, das Auge
durch Wattebäusche oder Schwämme abzu-
wischen, einfache Ueberrieselungen der Cornea
während der Operation mit 4 ®/o Bor- oder
Sublimatwasser genügen, um dieselbe von
Coagulis zu reinigen. Von der Bindehaut
kann man durch Wischen oder mit einer
Pincette die Gerinsel entfernen. Diese Vor-
sichtsmassregeln muss man selbstredend
immer voraussetzen.
Ferner darf sich der Kranke während
der Operation nicht bewegen. Die einzige
Sicherheit hierfür gewährt uns nur die Chloro-
formnarkose, zumal bei Menschen mit ge-
ringer Willenskraft. Bei willensstarken Per-
sonen kann man das Cocain ebenso wie das
Chloroform entbehren; ich habe auch einige
Kranke, selbst Kinder, ohne jede Anästhesie
operirt. Es ist indessen viel rathsamer zu
83*
260 Voiiiui, Practischer Mutzen der operativen Bebandl. der Conjunctivitis foUieularia. f^'^o^tah^^
chloroformiren , wenn nicht Bedenken gegen
die Narkose vorliegen. Vor dem Cocain
mochte ich warnen, namentlich vor der Appli-
cation auf die Cornea und Conjunctiva. Wir
sehen darnach, ohne jede Lasion, Hornhaut-
afFectionen eintreten; wie viel leichter ist
ihr Zustandekommen aber ermöglicht, wenn
die Cornea anästhetisch und dabei gestreift
wird.
Sehen wir uns auf die eben entwickelten,
allgemein geltenden Prinzipien hin die Me-
thode von Treitel an, so müssen wir ganz
objectiv und vorurtheilsfrei bekennen, dass
bei derselben in mehrfacher Beziehung gegen
allgemeine chirurgische Grundsätze Verstössen
wird. Die Sehn eil er 'sehe Pincette ist un-
nöthig, zum Abklemmen des Operations-
terrains nach TreiteTs eigenem Ausspruch
nicht zu empfehlen, da man unmöglich damit
die Bindehaut so oberflächlich fassen kann,
wie es erforderlich ist; trotzdem empflehlt
er sie für die untere Uebergangsfalte. —
Die unvollständige Sutur ist jedenfalls ein
Hauptfehler; sie verhindert die prima reunio.
— Weiterhin habe ich den einpeitigen Ver-
band zu moniren; er immobilisirt die Lider
und das Auge nur unvollkommen und ver-
hindert die Heilung per primam durch die
permanenten Zerrungen an der Wunde. Es
ist deshalb gar nicht wunderbar, dass
Treitel so häufig Wundgranulationen ge-
sehen hat. —
Die Methode ist ausserdem umständlicher
als das Verfahren, welches mit ganz geringen
und unwesentlichen Modificationen von jeher
bis auf den heutigen Tag in unserer Klinik
üblich und von mir bereits in einem Vortrag
auf dem Heidelberger Ophthalmologencongress
im Jahre 1885 mitgetheilt ist. Dasselbe setzt
keinen anderen Instrumentenschatz voraus,
als ihn jeder Arzt besitzt, 3 Hakenpincetten,
1 gerade oder gebogene Scheere, 1 Skalpell,
1 Nadelhalter und ein paar gebogene Nadeln
mit feinster Conjunctivalseide, eventuell noch
eine Jag er 'sehe Hornhautplatte, femer nur
einen Gehilfen. Da ich nicht annehmen kann,
dass dem Leser dieser Zeitschrift mein Vortrag
zugänglich oder mein Grundriss der Augen-
heilkunde zur Hand ist, erlaube ich mir
eine kurze Beschreibung unseres Verfahrens,
zunächst für das obere Lid, hier anzufügen.
In tiefer Narkose wird das obere Lid
ektropionnirt , der Assistent fasst dann mit
je einer Pincette im inneren und äusseren
Augenwinkel die Conjunctiva am convexen
Rand des Tarsus, zieht die Uebergangsfalte
hervor und breitet sie durch Zug vollständig
aus, so dass man das ganze kranke Terrain
zu Gesichte bekommt. Der Operateur er-
hebt nunmehr im äusseren Winkel eine kleine
Schleimhautfalte mit einer Haken pincette,
incidirt dieselbe und umschneidet von hier
aus das kranke Gebiet nach dem Bulbus zu
durch einen Schnitt mit der Scheere, deren
eine Branche subconjunctival vorgeschoben
wird. Der Schnitt muss parallel zum «con-
vexen Rande des Tarsus geführt werden.
Dann wird ein mit einer Nadel bewaffneter
Seidenfaden durch den bul baren Wundrand
der Bindehaut gelegt und die umschnittene
Conjunctiva der Uebergangsfalte von den
darauf befindlichen Weichtheilen mit ein paar
Seh eeren schlagen bis an den convexen Rand
des Tarsus abpräparirt. Wenn nur die
Uebergangsfalte erkrankt ist, schneidet man
darauf die Schleimhaut am convexen Rande
des Tarsus mit der Scheere ab, stillt die
Blutung nach Reposition des Lides mit Eis-
compressen und näht nach Beseitigung der
Coagula die Wunde in ihrer ganzen Aus-
dehnung mit 4 — B Suturen; im äusseren
Winkel muss man für eine vollständige Be-
deckung der unteren Thränendrüse sorgen. —
Wenn die Erkrankung noch die Conjunctiva
tarsi betrifft, so erfasst der Assistent die
abpräparirte Conjunctiva fornicis mit je einer
Pincette im äusseren und inneren Augen-
winkel und zieht dieselbe nach unten und
vorn; der Operateur umschneidet nun vom
äusseren Augenwinkel aus mit einem Skal-
pell oder mit einer Scheere, deren eine
Branche subtarsal vorgeschoben wird, Tarsus
und Conjunctiva durch einen Schnitt, welcher
parallel zur freien Lidkante verläuft und von
letzterer je nach der Ausdehnung der folli-
culären Erkrankung, mindestens 2 — 3 mm
entfernt sein muss. Hierauf wird der Tarsus
von den ihn bedeckenden Weichtheilen des
Lides dicht an seiner Vorderfiäche bis zum
convexen Rande mit einem Skalpell abprä-
parirt, die Blutung gestillt und nach Reini-
gung der Wunde die Vereinigung der Wund-
ränder durch 4 — 5 feine Seidensuturen vor-
genommen, wobei der erste Seidenfaden eine
bequeme und einfache Handhabe zum Vor-
ziehen der Bindehaut bildet. Unstillbare
Blutungen habe ich bei der oberflächlichen
Operation nie gesehen. Nach Ueberriese-
lung des Conjunctivalsacks und Auges mit
4 % Borlösung zur Beseitigung etwaiger
Coagula wird ein beiderseitiger Druckverband
angelegt und auf dem operirten Auge über
den durchnässten Verband eine Eisblase appli-
cirt. Der Verband bleibt 3 — 4 Tage beider-
seitig, der Patient in Rückenlage im Bett.
Je nach Bedarf wird der Verband täglich
1 — 2 mal gewechselt und das Auge ausge-
waschen. Bei starker Secretion erneuert man
den Verband häufiger, ohne an den Lidern
zu zerren, und legt eiskalte Compressen
m. Jahrgang.!
Juni 1889. J
Votiiut, Praetiacher Nutaeo der operativen Behandl. der Conjunctivitis follicularia.
261
mehrmals über die durchfeuclitete Binde.
Nach 4 — 5 Tagen verbindet man nun das
operirte Auge und lässt den Ejranken ab-
inrechselnd kalte Bor- oder Sublimatumschläge
machen. Am 7. resp. 8. Tage steht der
Kranke auf; dann werden die Suturen ent-
fernt, wenn sie sich inzwischen nicht schon
spontan abgestossen haben. Patient bleibt
noch im Halbdunkeln, trägt eine Schutzbrille
und macht nur Umschläge mit Bor- oder
Sublimatwasser. Ist die Hyperämie und Se-
cretion der Conjunctiva stärker, so touchirt
man dieselbe mit einer 1 ^/o Argen tum- oder
3 ^/o neutralen Losung von Plumbum aceticum.
Am unteren Lide ist die Operation er-
heblich einfacher; der niedrige, weiche Tarsus
wird dabei immer geschont. Der Assistent
ektropionnirt mit der einen Hand das untere
Lid, mit der anderen zieht er das obere Lid
ab. Der Operateur umschneidet mit Pincette
imd Scheere das mit Follikeln besetzte Ge-
biet der Bindehaut nach dem Bulbus und
der freien Lidkante zu und präparirt das
unterschnitten e Stück derselben Ton der
Unterlage mit der Scheere ab. Nach Stillung
der Blutung legt er 2 — 3 Suturen an; nur
bei dünnen, schmalen Falten ist die Naht
entbehrlich, weil sich die Wundränder von
selbst anlegen, nach Excision breiter Falten
muss man zur Erzielung einer prima reunio
nähen.
Ich habe mich nicht gescheut, in einer
Sitzung beide Augen und, wenn nothig, alle
4 Lider zu operiren; der doppelseitige Ver-
band bleibt dann 7 — 8 Tage liegen und wird
Yom 4. Tage an mit kühlen Sublimat- oder
Borumschlägen versehen.
Die von Tr eitel aufgestellten Indica-
tionen hat Herr Geheimrath Jacobson von
jeher betont; ich möchte nur noch hervor-
heben, dass wir auch bei acuten Granula-
tionen, wenn die Schwellung unter der üb-
lichen Behandlung nicht sehr schnell zurück-
geht, die Excision der kranken Gonjunctiva
ausführen.
Die 7 jährige Erfahrung, welche ich bei
eigenen Operationen und den Erfolgen an-
derer OpAateure in der Klinik gesammelt
habe und die sich auf mehr als 1000 Ope-
rationen bezieht, berechtigt mich zu dem
Ausspruch, dass diese Methode der Behand-
lung diejenigen Erwartungen, welche man
an sie nur stellen kann, vollkommen er-
füllt. Die Behandlung wird wesentlich ab-
gekürzt; das Auge selbst wird vor Gefahren
geschützt, denen es ohne diese Therapie
stets ausgesetzt bleibt. Vor der Verkürzung
der Bindehaut hat man sich nicht zu
scheuen; operirt man früh, solange nur die
Uebergangsfalte krank ist, so ist der Aus-
fall an Bindehaut gering, denn sie ist durch
Schwellung vermehrt. Auch in vorgeschrit-
tenen Fällen ist der Defect nicht so stark,
als wir ihn schliesslich finden, wenn die
Kranken sich selbst überlassen gewesen
sind. Inzwischen hat dann bereits die
Cornea gelitten, während nach der Operation
die Hornhaut intact bleibt. Ein etwa be-
stehender Pannus heilt in der Regel oder
bessert sich wenigstens so bedeutend, dass
die Patienten arbeitsfähig werden und anderen
Menschen nicht zur Last fallen. Staat und
Communen haben einen grossen Vortheil.
Die Dauer der Cur erstreckt sich bei den
leichten Fällen nur über wenige Wochen,
bei den schwereren über 3 — 5 Monate, bei
den schwersten über noch längere Zeit; aber
der Gewinn an Zeit, Geld und Sehkraft ist
unter allen Umständen verhältnissmässig
grosser als bei allen anderen Behandlungs-
methoden. Die lineare Narbe der Bindehaut
hat keine dauernden Nachtheile.
Die Operation hat nicht nur bei den
Aerzten unserer Provinz Anklang und Ein-
gang gefunden; auch an anderen Orten ist
sie mit gutem Erfolg geübt, so von Schnel-
ler in Danzig, von Galezowski in Paris.
Diese beiden Operateure empfehlen sie ziem-
lich gleichzeitig mit H eisrat h. Rothmund
in München, Oberstabsarzt Seggel ebenda
und Eversbusch in Erlangen, Rähl-
manii in Dorpat, Konigstein in Wien,
Sattler in Prag, Schnabel in Graz
haben dem operativen Verfahren auch bereits
ihre Aufmerksamkeit zugewendet. Natürlich
haben sich auch Stimmen dagegen erhoben,
aber aus dem Munde von Männern, welche ge-
wohnlich keine eigenen Erfahrungen gesam-
melt, sondern nur reinem Skepticismus ge-
huldigt und kosmetische, sowie physiologische
Nachtheile gesucht haben, die andere aus
Erfahrung nicht bestätigen können.
Uns hat sich wiederholt Gelegenheit ge-
boten auch bei Epidemien den guten Erfolg
der operativen Behandlung kennen zu lernen;
Herr Geheimrath Jacobson hat mehrmals
die Güte gehabt, mich mit der Bekämpfung
derselben zu betrauen und mir auf diese
Weise die Möglichkeit geboten, umfangreiche
Erfahrungen zu sammeln. Ich erlaube mir
schliesslich hierüber die nachfolgenden Mit-
theilungen, die vielleicht ein allgemeines
Interesse beanspruchen, umsomehr, als die
Conjunctivitis follicularis in letzter Zeit so
sehr um sich gegriffen und so oft in Städten
und Dörfern unter Erwachsenen und Schülern
Epidemien verursacht hat. Ich hoffe, den
Herren Collegen für ähnliche Gelegenheiten
einen Anhaltspunkt zu ihrem Handeln zu
bieten . [Schiuu. folgt]
262
Cbolewa, Menthol bei Purunculoae des äusieren GehÖrganges.
rTherap«atisehe
t Monauheft«.
Menthol bei Furiiuculose des äusseren
Gehörgrangres.
Von
Dr. R. Cholewa in Berlin.
Seit den Arbeiten Loewenberg's über
Ohrfurunculose, die immorhin das Verdienst
hatten, das Interesse für dieses schmerzhafte
und oft recht langwierige Leiden wach zu
erhalten, sind Arbeiten von Garre, Bock-
hardt und Schimmelbusch (Arch. f. Ohren-
heilkunde Bd. XXVII. Heft 4. 1888/89) er-
schienen, die jeden Zweifel über die Aetiologie
der Furunculose beseitigen. Nach Loewen-
berg war ein Micrococcus der Träger derlnfec-
tion, nach den Versuchen letztgenannter Autoren
ist nur der Staphylococcus pyogen, aureus als
solcher zu betrachten. £s ist dies inso-
fern von hohem Interesse, als uns hierdurch
Fingerzeige für die Therapie und Prophylaxe
dieses Leidens gegeben werden können. Im
Allgemeinen gehen die Ansichten über letz-
tere sehr auseinander. Während die einen
die Incision oben anstellen, um die Schmerz-
haftigkeit des Leidens zu coupiren, verwerfen
andere dieselbe zum Theil und v^andten
Ohrtropfen an, bei deren Anwendung nicht
allein die Entzündung nachlassen, sondern
auch die Träger derselben vernichtet werden
sollten. Die grosse Anzahl solcherart' und
von hervorragender Seite empfohlener Mittel,
ich führe hier nur das Carbolglycerin 1 : 30
Politzer's, den Spiritus Web er- LieTs, die
Kali sulfurat.-Lösung Schwartze's, den
Borsäure Spiritus Loewenberg's und endlich
die essigsaure Thonerde Groschens an,
scheint mir schon darauf hinzuweisen, dass
die mit ihnen erreichten Erfolge nicht immer
den gehegten Erwartungen entsprochen haben
mögen.
Nach den Arbeiten Geh. Rath Dr. Koch's
(Mittheilungen aus d. Kais. Gesundh. 1881)
rangiren die obenerwähnten Mittel in ihrer
desinficirenden Wirkung ziemlich alle auf
gleicher Stufe. In Wasser oder Spiritus
gelost, zeigen sie erst bei einer Concentration
von 1 : 1250—1 : 2000 eine bacterienent-
wickelungshemmende Wirkung. Für viele
Fälle dürfte diese oder eine stärkere Con-
centration ausreichen und dass sie eine aus-
reichende sein kann, sehen wir an den
Fällen, die unter ihrer Anwrendung heilen.
Der Grund, warum die Wirkung der ein-
zelnen Mittel eine verschiedene und oft
nicht zufriedenstellende ist, scheint mir also
weniger in ihrem chemischen Charakter, als.
in mehr äusseren Umständen und zwar vor
allen Dingen in der jeweiligen Beschaffen-
heit des äusseren Gehörganges zu liegen.
Es ist eine bekannte Thatsache, dass der
Gehörgang bei Furunculose des Ohres sich
häufig ausserordentlich verengt zeigt. Eine
Reihe von Neu -Eruptionen furunculöser
Knötchen, welche der Ausdruck der von
Loewenberg beobachteten und seiner Zeit
veröffentlichten „Autoinfection^ sind, schaffen
dieses Resultat. Je enger der Gehörgang
nun geworden ist, desto geringere Mengen
der instillirten Flüssigkeiten wrerden in ihn
eindringen können und je nachdem nur eine
geringe oder gar keine Wirkung zu entfalten
im Stande sein. Betrachten wir diese Ver-
minderung ihrer Masse gleichwirkend wie
ein geringerer Concentrationsgrad ihrer Lö-
sungen, so werden wir nicht umhin können,
auch darin den Grund für die ungestörte
Autoinfection dieser Fälle zu suchen und
weiter hierdurch eine Erklärung für den
langwierigen Verlauf dieser Fälle finden.
Bei meinen therapeutischen Versuchen, die
Güte der einzelnen empfohlenen Mittel zu
prüfen, war es mir vor allen Dingen darum
zu thun, denselben im Gehörgang Platz zur
Entfaltung zu verschaffen, und da griff ich
naturgemäss zu dem Mittel, welches er-
fahrungsgemäss Schwellungen in der Nase
und dem Anfangstheil der Tuben (s. meine
Arbeit über „Sclerose". Zeitschr. f. Ohrenhk.
XIX. Band) recht energisch beseitigt und
nebenbei auch antiphlogistisch und analge-
sirend zu wirken im Stande ist. Ich nahm
Menthol. Wattewicken, mit starken Menthol-
(öl)lösungen getränkt, erweiterten den, ob
durch eigene oder benachbarte Entzündung
stark verschwollenen Gehörgang rasch und
haben mich nie bei durch furunculose Ent-
zündung verengtem im Stich gelassen. Aber
es war nicht allein die antiphlogistische
und analgesirende Wirkung dieses Mittels,
welche mich dasselbe bei der Behandlung
der Furunculose beibehalten liess, sondern
vor allem auch die antibacterielle. Nach
den lichtvollen Arbeiten Geh. Rath Dr.
Koches (ebenda) tödtet eine Menthollösung
von 1 : 2000 Cholerabacillen; die Arbeiten
von Rosen berg über TubercÄose bei
Mentholbehandlung sind bekannt, meine
eigene Erfahrung (Therap. Monatsh. 1888,
Juni) zeigt, dass das Mittel auch bei der
Dyphtherie in Betracht gezogen zu werden
verdient. Während Carbolsäure erst bei
einer Concentration von 1 : 1250 die Bac-
terien-Entwicklung zu hemmen im Stande
ist, sagt uns eben jene Koch^sche Tabelle,
dass Pfefferminzöl dies schon bei einer
Lösung von 1 : 33000 zu Wege bringt.
Die Koch^ sehen Arbeiten bezogen sich
nur auf den Milzbrandbacillus, und obwohl
HL Jahrgang.!
Jnnl 1889. J
Cbolewa, Menthol bei Furunculose des äusseren Gehörganges.
263
Geh. Rath Dr. Koch sieb dahin ausspricht,
dass die für diesen gefundenen aseptischen
Werthe der einzelnen Mittel auch für andere
Bacterien maassgebend sind, so lag doch die
Versuchung nahe, den Einiluss -von Men-
thol auf die Entwickelung des Staphylo-
coccus aureus zu prüfen. Mit gütiger Er-
laubniss von Herrn Prof. Dr. A. Fraenkel,
dem ich hierfür nochmals meinen yerbind-
lichsten Dank ausspreche, hatte Herr College
Dr. Rönick die Freundlichkeit, eine Reihe
von Versuchen anzustellen, deren leitender
Gedankengang folgender war:
Um zu erfahren, ob das Menthol irgend
welchen Einfluss auf die Entwickelung des
Staphylococcus aureus besitzt, wurden einmal
die auf ihre Verwendbarkeit vorher geprüften
Nährboden (Gelatine und Agar) mit einer
10 und 20 % Menthollösung (Glycerin und
Alkohol aa) versetzt; das andere Mal wurden
die Culturen nur der Einwirkung von
Mentholdämpfen ausgesetzt.
Um dem Einwände zu begegnen, dass
die Wirkung der Losung auf den Gehalt
von Alkohol und Glycerin aa zurückzuführen
sei, wurden Control versuche auch mit diesen
wie mit den unvermischten Nährböden ge-
macht. Das Resultat war, dass Glycerin
und Alkohol aa einen wesentlichen Antheil
an dem Effect der Menthollösung nicht
haben, da die gleiche Tropfenzahl wie die
von der Menthollösung zugesetzt, die Ent-
wickelung der Culturen nicht hemmten.
Was das Resultat der mit Menthol ange-
stellten Versuche betrifft, so ergab sich,
dass der Staphylococcus aureus selbst bei
einem Zusätze von nur 0,08 g (und noch
weniger) der 10% Lösung zu 7 — 8,0 g der
Agar und Gelatine in den Culturen (Platten-
misch- und Strichculturen) selbst bei starker
Impfung nicht mehr gedieh. Dass es aber
nicht einmal einer Vermischung des Nähr-
bodens mit der Menthollösung bedarf, um
das Wachs thum des Staphylococcus aureus
zu verhindern, zeigt die zweite Versuchs-
ordnung, nach welcher die unter Menthol-
dämpfen gehaltenen Platten sämmtlich steril
blieben, während die Controlplatten ein
positives Resultat ergaben.
Um zu sehen, welchen Einfluss Menthol
auf gut entwickelte Culturen hat, wurden
diese mit ein Paar Tropfen der 10 % Lösung
befeuchtet; die Culturen schwanden in 1 — 2
Tagen sichtlich. Femer wurden kräftige
Culturen .6 Tage lang der Einwirkung von
Mentholdämpfen ausgesetzt; da sich in die-
ser Zeit keine augenscheinliche Veränderung
zeigte, wurde abgeimpft; die Entwickelung
aber auf dem neuen Nährboden blieb aus.
Nach den vorliegenden Versuchen dürfte
der Schluss gerechtfertigt sein, dass der
Staphylococcus pyogenes aureus auf einem
mit Menthollösung nur schwach getränkten
Nährboden (0,008 Menthol in Substanz
: 8,0 g Agar) sich nicht mehr entwickelt,
dass, sobald er mit Menthollösung in directe
Berührung kommt, er in sehr kurzer Zeit
abstirbt, und dass zur Erzeugung dieses
Effects schon die Verdunstungssphäre des
Menthols ausreicht.
Im Grossen und Ganzen dürfte es er-
laubt sein, die pathogenen Verhältnisse der
primären Ohrfurunculose mit einer Platten-
mischcultur zu vergleichen. Wenden wir
nun bei ersterer Menthol an, so würden wir
ein Analogen zu der Versuchsreihe bekom-
men, wo Menthol dem Nährboden beigemischt
ist, oder wo gut entwickelte Misch- und
Strichculturen mit Menthollösung befeuchtet
wurden. Aus unseren Versuchen würde sich
nun die Annahme rechtfertigen, dass wie in
und auf dem künstlichen Nährboden die
Staphylococcus-Colonien abstarben resp. sich
nicht entwickelten, so auch unter natür-
lichen Verhältnissen im Ohre die Tödtung
des Coccus sowohl in der Tiefe, wie auf der
Oberfläche vor sich gehen wird. Selbst die
Coccen, welche der directen Berührung mit
der Flüssigkeit entgehen, werden alsbald
unter dem Einflüsse der überall hindringenden
Mentholdämpfe ihre Lebensfähigkeit einbüssen
und hierdurch selbstverständlich auch die
Autoinfection verhindert werden. Was die
Art der Behandlung der Furunculose im
Gehörgang betrifft, so habe ich mich ziem-
lich starker 20 ^/o Menthol -Oellösungen be-
dient, welche, wie schon gesagt, vermittelst
fest gedrehter Wattewicken in den Meatus
aud. extern, eingeschoben wurden. Dieselben
müssen durch ihre Grösse einen leichten
Druck auf die entzündlich inflltrirte Um-
gebung ausüben. Das leichte Brennen ver-
liert sich bald und an Stelle der früheren,
weithin ausstrahlenden Schmerzen tritt Wohl-
befinden und Nachts der lang vermisste
Schlaf ein. Die Wattewicken werden nach
24 Stunden durch neue ersetzt und kann
diese Procedur, die bis zur definitiven Hei-
lung fortgesetzt werden muss, füglich dem
Patienten überlassen werden, sofern er nur
lernt, die Wattewicken tief genug sich selber
einzuführen. War der Furunkel zum
Abscess vorgeschritten, so wurde mit dem
Messer gespalten, der Eiter entfernt und
die Nachbehandlung mit Mentholwicken, wie
oben angedeutet, eingeleitet. Nur wenige
Tage genügen auch hier, zufriedenstellende
Resultate zu erzielen.
264
Httnerfauthy Eine neue Mastdarm-Elektrode.
rTherapeatbeh«
L Monatsheft«.
Eine neue Mastdarm-Elektrode«
Von
Dr. Qeorg HUnei*fauth, Bad Homburg.
Eine zweckmässige, leicht handliche, für
alle Fälle ,und für beide Strom es arten
Terwendbare Mastdarmelektrode war lange ein
Desiderium der Elektrothera-
peuten; die seither fast allge-
mein benutzte Elektrode mit
olivenförmigem Enöpfchen an
einem biegsamen, mit Gummi-
hülse armirten Stiele war
schwierig in der Handhabung
und Localisation und gestat-
tete für höhere Stromstärken
nur die Application des fara-
dischen Stromes; zudem wurde
ein Torauf gehen der Wasserein-
lauf in das Rectum verlangt.
Um jedoch den für manche
Fälle wichtigeren constanten
oder auch einen combinirten
Strom ohne besondere Um-
ständlichkeiten anwenden zu
können, musste die Elektrode
vor allem eine weit grössere
Fläche besitzen und so habe
ich denn die in Zeichnung
angegebene construirt. Ob
ihrer Form ist sie sehr leicht
einzuführen, die Patienten thun
dies fast immer selbst, sogar
Kinder habe ich sie oft —
No. 3 — auf das erste Geheiss
geschickt und vollständig ein-
führen sehen; wenn die Elek-
trode die Mastdarmwandungen
berührt, wird sie auf diesen
einfachen mechanischen Reiz
schon massig festgehalten —
bei einfacher Atonie z. B. — .
Ich habe sie nicht nur bei
Atonie, Parese, Paralyse oder
Prolapsus recti angewandt,
auch bei neuralgischen und
spastischen Zuständen, sowie bei Coccygo-
dynie etc. hat sie mich sehr befriedigt. Bei
Blasenlähmungen der Frauen lässt sie sich
sehr geschickt (statt einer Flächenelektrode
an dem kurzen weiblichen Perineum) an
der vorderen Vaginal wand appliciren mit
Schluss der Kette über der Symphyse.
Die Elektrode ist aus Messingblech
von 0,8-— 1,0 mm Dicke hergestellt und
fein vernickelt, sehr leicht und vollständig
zu reinigen; an ihrem unteren Ende ist sie
durch ein rundes den Umfang um etwa
l^s mm überragendes Plättchen abgeschlos-
sen, an welches sich ein cylinderformiges
kurzes Ende mit Schraube zur Aufnahme
der Leitungsscbnur ansetzt; der obere Theil
läuft conisch aus und deshalb ist auch
die Elektrode bequem in Rectum und Vagina
einzufuhren.
Ich habe einen kleinen Satz von drei
Stück in folgenden Grössen herstellen las-
sen *) :
Länge Umfang Gewicht
No. 1 12 cm oben 4,8 cm ca. 50 g
Mitte 4,3 -
unten 4,0 -
No. 2 12 cm oben 3,6 - ca. 40 -
Mitte 3,0 -
unten 2,8 -
No. fJ 7 cm wie No. 2 ca. 30 -
Ueber Creoliu-Ekzeni.
Von
Dr. J. VVackez (München).
AssUtent der p&d. Polikltnlk. .
Veranlasst durch den dem Creolin nach-
gerühmten entschiedenen Vorzug der Ungif-
tigkeit wandte Verfasser dasselbe bei Kin-
dern an.
Von den damit behandelten 17 Fällen
— durchweg leichtere Schnitt- und Riss-
wunden — heilten 10 per primam, während
bei 7 sehr bald sich ein Ekzem zeigte. Die
Haut in der Umgebung der Wunde zeigte
sich vom zweiten Tage der Creolinbehand-
lung an lebhaft geröthet — Scharlachexan-
them ähnlich — , dabei bestand starker
Juckreiz; am 3. Tage erhoben sich an diesen
Stellen zahlreiche, mit einer klaren Flüssig-
keit gefüllte Bläschen, mitunter bis zur
Grösse eines Thalers sich ausbreitend. Die
Hauttemperatur war erhöht, die benachbar-
ten Lymphdrüsen geschwollen ; das Allgemein-
befinden der Patienten war insofern alterirt,
als dieselben über Appetitlosigkeit, Kopf-
schmerzen und manchmal auch Erbrechen
zu klagen hatten. Dabei war die seröse
Durch tränk ung der Haut eine derartige, dass
^/a — ^j^ Stunden nach Eröffnung der Blasen,
sei dieselbe spontan oder künstlich erfolgt,
die Flüssigkeit von der Haut noch reichlich
abtropfte. Am 3. Tage nach Entleerung der
1) Herr Simon, R. Blfinsdorf Nachf., Fabrik
elektro-med. Apparate, Frankfurt a./Main fertigt
diese Mastdarmelektroden in sauberer und elegan-
ter Ausstattung zum Preise von 4.75, 4.50 u. 4.25
pro Stück.
Juni 1889. J
Wackezi Ueber Creolin-Ekzem.
265
Blasen stiess sich die Epidermis in grossen
Lamellen ab, so dass z. B. in einem Falle
die ganze Palma manus bis zum Handgelenk,
sowie die volare Fläche der 4 Finger von
Epidermis entblösst vraren und das Bild einer
Verbrennung zweiten Grades nach Abstossung
der epidermoidalen Decke sich darbot. In
diesem Falle erhielt Patient, da er mit der
andern Hand die Wundfläche und ihre Um-
gebung wegen des bestehenden starken Juck-
reizes häufig rieb, auch an dieser Hand,
sowie im Gesichte einige Bläschen derselben
Beschaffenheit. Da in sämmtlichen Fällen
kein anderes Antisepticum als Creolin
(Pearsonii) in der Verdünnung von 1 : 1000
angewandt wurde, Hegt der Gedanke nahe,
dasselbe als Ursache des Ekzemes anzu-
schuldigen. Und in der That glaube ich,
dass nur die Anwendung des Creolins an
diesen accidentellen Wundkrankheiten Schuld
war. Das geschilderte Ekzem trat primär
nur an denjenigen Hautpartien auf, welche
mit Creolinlösung durchtränkter — gewöhn-
licher — Gaze bedeckt waren; secundär
später auch an andern Stellen, indess hier
nur durch Kratzeffecte übertragen. Zum
Vergleiche wandte Verfasser folgendes Ver-
fahren an:
Ein Knabe, 6 Jahre alt, erlitt durch
Fall auf der Strasse an beiden Händen
leichtere Risswunden. Die Wunden der rech-
ten Hand wurden mit Creolinlösung, die der
linken mit Sublimatlösung, beide iu der
Concentration von 1 : 1000, bebandelt. Am
3. Tage zeigte sich an der rechten Hand
das geschilderte Ekzem, während die Wunde
der linken Hand und deren Umgebung keine
Spur von Röthung etc. zeigte. Jetzt wurde
die Wunde der linken Hand mit 3 % Car-
bollösung behandelt, während an der andern
Hand die Creolinlösung beibehalten wurde.
Auch bei dem am nächsten Tage vorge-
nommenen Verbandwechsel zeigte die Wunde
der linken Hand nichts besonderes, während
die ganze Epidermis der Vola manus dextrae
in Blasen abgehoben war. Während nun
hier nach Eröffnung der Blasen ein Bor-
salbenverband angelegt wurde, wurde nun
auch die Wunde der linken Hand mit Creo-
lin behandelt, worauf sich am 3. Tage ca.
10 kleine, mit einer klaren serösen Flüssig-
keit gefüllte Bläschen in der Umgebung der
Wunde zeigten, welche zwei Tage später
platzten, worauf sich die Epidermis abstiess.
Da die Wunde der linken Hand bereits ge-
heilt war, wurde jedes weitere Antisepticum
bei Seite gelassen.
Dieser Fall, glaube ich, hat für die Be-
zeichnung des Ekzems als Creolinekzem be-
weisende Kraft. Wenn auch das Ekzem an
der linken Hand nicht so ausgebreitet und
heftig auftrat wie an der rechten, so trug
es doch denselben Charakter und es ist
wohl möglich, dass an der geringeren Ent-
wickelung desselben an der linken Hand
die hier vorher stattgehabte Anwendung
von Sublimat und Carbol Schuld war.
Da bei allen mit Creolin ekzemeu behaf-
teten Patienten eine Alteration des Allge-
meinbefindens bestand, so wurde auch der
Harn derselben chemisch untersucht. Die
auf Phenol und quantitative Bestimmung
der vorhandenen, thcils an Alkali gebun-
denen, theils aromatischen Aetherschwefel-
säuren gerichtete Untersuchung des etwas
dunkel gefärbten Morgenharnes ergab eine
Vermehrung der Aetherschwefelsäure gegen-
über der an Alkalimetalle gebundenen
Schwefelsäure, so dass sich das Verhältniss
wie 1 : 0,385 stellte (normal 1 : 0,1045 von
den Velden).
Zum Nachweis von Phenol wurden
150 ccm Harn mit verdünnter Schwefelsäure
destillirt; das Destillat ergab mit Brom-
wasser einen reichlichen Niederschlag von
Tribromphenol, welcher sehr bald krystalli-
nisch wurde.
Wenn nun das Creolin als Ursache des
Ekzems anzusehen ist, welcher der darin
enthaltenen Stoffe ist das schuldige Agens?
Anfangs war ich versucht, an eine Bei-
mischung von Carbolsäure im Creolin zu
glauben. Doch widerspricht dem einerseits
der oben geschilderte Fall mit der wechsel-
weisen Anwendung der verschiedenen Anti-
septica, andrerseits haben die verschiedenen
Analysen des Pearson' sehen Creolins er-
geben, dass thatsächlich dasselbe keine Spur
von Carbolsäure enthält. Ich möchte daher
an eine Beimischung unreiner, die Haut
reizender Phenole glauben, zumal die Er-
gebnisse der chemischen Harnuntersuchung
darauf hinweisen. Vielleicht ergeben weitere
Analysen Aufscbluss über eine noch vorhan-
dene Beimischung anderer Substanzen. Das
eine glaube ich annehmen zu dürfen, dass
auch Creolin seine Schattenseiten hat und
seine rückhaltlose Anwendung — nament-
lich im kindlichen Alter — nicht zu befür-
worten ist, ohne damit seine Verbannung
aus der pädiatr. Therapeutik zu wünschen,
denn seine antiseptische Wirkung hat sich
auch in den Fällen, wo Ekzem auftrat, aufs
beste in einer schönen und raschen Heilung
der Wundfläche selbst bewährt.
34
266
Kolbe, Beitrag sur Jodofoim-Dermatitii.
rrherapflaiiscbe
l. Monatshefte.
Beitrag^ zur Jodoform-Dermatitis.
Von
Dr. Kolbe,
pract. Arxt in Rossleben a. d. ITnstmt.
Im An Schill 886 an die Auslassungen über
die Jodoform-Dermatitis in den diesjährigen
Januar- und Februar -Heften der Therap.
Monatshefte gehen meine Beobachtungen da-
hin, dass thatsächlich auch ohne irgend einen
mechanischen Insult, etwa durch Reiben oder
Eratzen, lediglich in Folge der äusserlichen
Jodoform-Anwendung Dermatitiden entstehen
können. Hierher gehören zwei Fälle, die
ich vor Kurzem zu behandeln Gelegenheit
hatte und die hier angeführt werden' mögen :
Der erste betrifft eine Jodoform-Derma-
titis, die sich im Anschluss an eine Daumen-
amputation bei Jodoformbehandlung ent-
wickelte. Der Wundverlauf war während
der ersten 8 Tage unter Sublimatbehandlung
ein vollkommen befriedigender; die Nähte
heilten ausnahmslos cum prima intentione,
so dass nunmehr der Entfernung des einge-
legten Drainagerohres nichts mehr im Wege
stand. Um den durch letzteres bedingten
Wundkanal auch bei Anwendung eines länger
liegenden Verbandes antiseptisch behandeln
zu können, wurde das gerade bei Dauerver-
bänden sich so ausgezeichnet bewährende
Jodoform auf die Wunde applicirt und die
ganze Hand in aseptische Verbandstoffe
(Sublimatgaze und Sublimatwatte) gehüllt.
Aber bereits am nächsten Tage hatte dieser
sogenannte Dauerverband sein Ende erreicht
und musste entfernt werden, weil der Kranke
in der Umgebung der Wunde ein auffallen-
des Jucken empfand, dessen Grund zu eruiren
war. Bei Entfernung des Verbandes war
das Aussehen der frischen Narbe, sowie des
Wundkanales durchaus unverdächtig; dagegen
zeigten sich in der Nähe derselben, sowie
ferner am Handrücken, an den Fingern und
in der Hohlhand zahlreiche kaum erhabene
wassergelbe Bläschen von durchschnittlich
nur wenig mehr als Stecknadelkopfgrösse.
Der Handrücken war massig ödematös, ent-
zündliche Röthung noch nicht vorhanden,
wenigstens nicht in dem Maasse, dass sie
beim Verbandwechsel auffiel. Auf Anstich
entleerte sich aus den Bläschen ein Tropfen
klarer seröser Flüssigkeit. — Eine Erklärung
für diese Störung des Heilungsprocesses war
mir momentan unmöglich und sprach ich
meine Ansicht dahin aus, dass möglichenfalls
Diätfehler, so besonders der Genuss
schlechten fuselhaltigen Alkohols diese Er-
scheinung hervorgerufen haben könnte, wenn
schon mir selbst diese Deutung nicht ge-
nügen wollte. Ich ertheilte dementsprechend
strenge diätetische Vorschriften. Nach gründ-
licher Desinfection und abermaligem frischen
Bepudern des Wundkanales mit Jodoform
erfolgte die Application eines anderen Ver-
bandes. Jedoch zwei Tage darauf verfiel
dieser demselben Schicksale wie , der erste
und musste abgenommen werden, da Patient
angab, das Jucken sei nicht geschwunden,
sondern hätte sich im Gegentheil bis zur
Unerträglichkeit gesteigert. Das Aussehen
der Haut war allerdings jetzt ein ganz auf-
fallendes. Unzählige Blasen und Bläschen
auf stark ödematösem, lebhaft gerÖthetem
Grunde bedeckten dieselbe. Ein Theil der-
selben glich den oben beschriebenen bezüg-
lich ihrer Grösse und ihres Inhaltes, andere
waren bereits geplatzt, andere wieder mit
eitrigem Inhalte gefüllt; ihre Grösse differirte
zwischen der eines Stecknadelkopfes und
der einer Haselnuss. Eine derselben, von
der Grösse einer Erbse, war ausgesprochen
hämorrhagischer Natur und entleerte auf
Anstich einen blutig-schmierigen Inhalt und
zeichnete sich ausserdem vor den anderen
durch erhöhte Schmerzhaftigkeit aus. Der
Bläschenausschlag setzte sich bis auf die
Fingerspitzen fort und bedeckte nach oben
hin auch den unteren Theil des Unterarmes,
über die Grenzen des angelegten Verbandes
hinausgehend. Nachdem, soweit sich dies
überhaupt durchführen liess, die Bläschen,
und zwar besonders diejenigen mit eitrigem
Inhalt, angestochen und ausgedrückt waren,
wurden zur Bekämpfung des starken Haut-
juckens, sowie zur Beseitigung des entzünd-
lichen Erythems feuchte Oarbolwassercom-
pressen einer einprocentigen Lösung aufge-
legt und täglich einmal gewechselt. Bei
dieser Behandlung fand binnen wenigen
Tagen unter schnellem Nachlassen der sub-
jectiven und objectiven Erscheinungen die
Abheilung der Dermatitis statt, gefolgt von
einer lebhaften Abschuppung der Epidermis.
Die Jodoform-Behandlung wurde nunmehr
nur noch in quantitativ sehr geringem Um-
fange, aber mit gutem Erfolge und ohne
weitere Reizerscheinungen fortgeführt.
Der zweite Fall betrifft eine Patientin
mit Ulcus cruris, welches letztere bereits
seit ungefähr 2 Jahren bestand. Vor unge-
fähr einem Jahre wandte der s. Z. behan-
delnde College Jodoformvaselin an, nacli
welcher Therapie sich im Beginne sofort
ein heftiger entzündlicher Blasen ausschlag
einstellte, der wieder abheilte, um neuerdings
abermals aufzutreten, als von mir gelegent-
lich der Eröffnung eines in der Nähe des
Ulcus entstandenen phlegmonösen Abscesses
Jodoformpul 7er verwandt wurde, während
IIL jAtargaai:.')
Juni 1889. J
Sembritski, Zur Wirkung dM Antifebrin.
267
das Ulcus selbst mit üng. cereum (Ger.
aib. 15,0, OL olivar. 40,0) behandelt wurde.
Die Dermatitis stellte sich auch in diesem
Falle 2 — 3 Tage nach dem Einsetzen der
JodoformbehandluDg ein, und zwar unter
den heftigsten Reizerscheinungen: Schwellung,
RÖthung und Blasenbildung, sowie fast un-
erträglichem Brennen und Jucken. Dabei
entwickelten sich die zum Theil enorm grossen
Blasen hauptsächlich an den der Wunde etwas
entfernteren Stellen, während die Wunde selbst
ein ausserordentlich stark nässendes Ekzem
umgab, durch welches starke Verbände binnen
2 — 3 Stunden durchnässt waren. Der In-
halt der Blasen war von ganz derselben Art,
wie der bei oben angeführtem Falle. Die
starke Transsudation Hess mich ölige Mittel
anwenden und zwar in folgender Weise:
Acid. carbol. 0,5
Ol. Olivar.
Ol. Terebinth. ik 12,50
M. S. : Zum Bepinseln der gerotheten Stellen.
Auch hierdurch erzielte ich bedeutende
Linderung und ein gutes Abheilen des Pro-
cesses. Nach Beendigung der Dermatitis
musste ich jedoch von der Jodoformbehand-
lung, abweichend vom ersten Falle, gänzlich
abstehen, da sich um die Wunde herum
wiederum ein leicht entzündliches Erythem
einstellte, ohne jedoch von wirklicher Blasen-
bildung begleitet zu sein. Um überhaupt
an dieser Stelle noch von der Behandlung
der Ulc. cruris zu sprechen, so hat sich mir
stets am besten eine möglichst reizlose Be-
handlung bewährt; ich wende daher mit Vor-
liebe neben Reinigung mit schwachen Lö-
sungen von Acid. carbol. oder Kai. hyper-
maug. oder auch Sublimat gerade Unguentum
cereum an; sorge natürlich für möglichst
absolute Ruhigstellung und möglichste Hoch-
lagerung der Extremität. Zur Nachbehand-
lung, d. h. nach Schluss des Ulcus, empfiehlt
sich dann besonders zur Anregung der Epi-
dermisthätigkeit Höllenstein- oder Ichthyol-
Salbe.
Um nun auf die Jodoform -Dermatitis
zurückzukommen, so liefern obige Beobach-
tungen wiederum einen Beweis dafür, dass
dieselbe auch bei völliger Ausschaltung eines
mechanischen Insultes lediglich in Folge der
äusseren Anwendung des Jodoform eintritt.
Ferner aber ist der erstere der beiden an-
geführten Fälle auch deshalb noch von be-
sonderem Interesse, als er, nachdem er so
zu sagen den ersten Coup überwunden, trotz
deutlicher Jodoform-Idiosyncrasie, doch eine
quantitativ beschränkte Behandlung mit
diesem Mittel zuliess, ohne dass durch das-
selbe die einmal abgeheilte Dermatitis von
Neuem hervorgerufen wurde. Allerdings
scheint mir diese Beobachtung immerhin zu
den seltenen Ausnahmen zu gehören.
Zur Wirkuugr des Antifebrin.
Von
Dr. Sembritzki,
Arxt in KSolgsberg i. Pr.
Gegen das Antifebrin, welches mit Recht
als Antifebrile jetzt eine dominirende Stel-
lung einnimmt, werden in neuerer Zeit mehr
und mehr Stimmen laut, die gegen die bis
jetzt herrschende Sorglosigkeit bei Yerab-
reichung des Mittels gerichtet sind und zur
Vorsicht mahnen; ich möchte die Zahl die-
ser Beiträge um einen vermehren.
Seit Entdeckung dieses Medicaments
habe ich es mit Vorliebe bei febrilen Zu-
ständen angewandt und es dem bis dahin
so beliebten Antipyrin vorgezogen, da es
den Vorzug des bessern Geschmacks und der
Billigkeit in der That besitzt, den des Frei-
seins von allen Nebenwirkungen aber be-
sitzen sollte.
Ich muss wohl sagen, dass ich bei einer
Menge von Patienten einen glücklicheren,
abgekürzten und für den Patienten ange-
nehmeren Krankheitsverlauf nur der Dar-
reichung des Antifebrin verdanke. Doch
habe ich hierbei die Erfahrung gemacht,
dass man bei der Dosirung des Mittels nicht
schematisch verfahren darf, da die Empfäng-
lichkeit für dasselbe eine individuelle ist.
Während man erwachsenen, kräftigen
Männern eine Dosis von 0,5 geben kann ;
während ich selbst gegen Kopfschmerz 1 g
ohne die geringste Nebenerscheinung nehme,
habe ich stets gefunden, dass Frauen, be-
sonders aber gravide oder nährende Frauen,
nur ganz kleine Dosen vertragen.
Bei einer Frau D., 28 Jahre alt, gravida im
sechsten Monat mit Typhus abdom. und Tempe-
ratoren von 40,5 bis 41, habe ich nach einer Dosis
von 0,3 Antifebrin einen heftigen Collaps eintreten
sehen, der nur energischer Stimulation mit heissem
Wein, warmen Einwickelungen u. s. w. wich. Durch
0,2 trat, als ich es am nächsten Tage verabreichen
Hess, wieder ein coUapsähnlicher Zustand ein,
und erst 0,1 wurde vertragen; die Temperatur fiel
prompt ab und ich konnte diese Dosis während
des ganzen Krankheitsverlaufes geben. Die Frau
ist jetzt übrigens gesimd und von einem gesunden
Kinde entbunden.
Bei einer Frau Pr., 27 Jahre alt, die bis zum
Eintritt der Febris gastrica ihr 5 Monate altes
Kind genährt hatte, trat sogar nach einer Dosis
84*
268
Lewentanetf Ueber antiseptische Behandlung der Variola.
rrherapeutlBche
L Monatoheflft.
von 0,1 jedesmal unter profuser Schwcisssecretion
ein collapsartiger Zustand ein, bo dass ich nur
0,05 weitergeben konnte, aber auch hiermit den
gewünschten Temperatur-Abfall erzielte.
Frau P., 30 J., Typh. abdom. erhielt, nachdem
sie 0,2 nicht vertragen, 0,1 Antifebrin bis zu ihrer
Genesung.
Frau K., 50 J. alt, Typh. abdominal, vertrug
0,25 nicht, musste daher fernerhin die Hälfte er-
halten.
Einen Gegensatz hierzu bildet folgender
Fall :
Johanna B., 16 J. alt, ein sehr anämisches
Mädchen mit schwerem Abdominaltyphus, reagirte
auf 0,1 gar nicht, ich gab 0,2 und erhielt auch
keine Temperatur-Erniedrigung ; nun stieg ich immer
um 0,1 bis 0,4 und jetzt hatte ich erst einen Tem-
peratur-Abfall von 41 auf 38,2. Ich musste diese
Dosis von 0,4 während der ganzen Krankheit bei-
behalten, gab sie aber nur 2 mal pro die und
zwar nur dann, wenn die Temperatur über 39®
stieg.
Dieses ist natürlich nur ein Ausnahme-
fall und ein Beweis für die individuell
verschiedene Disposition für dieses Medi-
cament.
Im Allgemeinen dürfte es sich nach
meinen Beobachtungen empfehlen, bei Frauen
mit kleinen Dosen (0,1) zu beginnen und
erst, wenn diese keine Wirkung zeigen, all-
mählich zu grösseren überzugehen.
lieber
autiseptische Behandlung: der Variola.
Von
Dr. M. Lewentaner in Konstantinopel.
In keinem anderen Lande waren die
Pockenepidemien so verheerend gewesen, wie
hier zu Lande. Die Pocken sind hier
endemisch und so eingebürgert, wie jede
andere Krankheit, nur mit dem Unter-
schied, dass erstere öfter in Epidemien re-
crudesciren, um dann sporadisch in verschie-
denen Ortschaften weiter fortzuexistiren.
Während mancher Arzt anderswo vielleicht
nie in die Lage kommt, einen Pockenfall
zu behandeln, kennt hier zu Lande jeder
Laie aus eigener Erfahrung die Pockenkrank-
heit. So passirte es hier einem frisch zu-
gereisten älteren Arzte, einen Fall von
schwerer confluirender Variola als Lepra zu
diagnosticiren und mit Ghaulmoogra zu be-
handeln. Die Pocken dieses 7jährigen
Knaben wurden bald hämorrhagisch und
endeten tödtlich. Impfzwang existirt hier
nicht und die Vernachlässigung ander-
weitiger sonstiger hygienischer Maassnahmen
trägt nicht weniger Schuld an der Propa-
gation dieser Krankheit.
Besonders gefährdet scheinen ganz kleine
Kinder zu sein und von den Fällen, die ich
Gelegenheit hatte, früher zu behandeln,
gingen alle zu Grunde. Dasselbe geschah
auch mehr oder weniger, so viel mir bekannt
ist, in der Praxis anderer hiesiger Collegen.
Es scheint mir deshalb gerechtfertigt,
über eine Behandlungsmethode zu berichten,
vermittelst welcher es mir in 6 Fällen
schwerer confluirender Variola gelungen war,
alle Kinder mit ausgezeichnetem Erfolge zu
behandeln.
Die Kinder standen im Alter von 10, 11,
15 und 18 Monaten. Das jüngste 10 monat-
liche — Kind des Schreibers dieser Zeilen —
erkrankte im März 1884, ohne dass ein
Prodromalstadium bemerkt wurde, an den
confluirenden Pocken. Der Ausbruch der-
selben begann mit je einem auf beiden
lateralen Partien der Scheitelknochen symme-
trisch gelegenen kreisrunden rothen, 1 mm
über dem Niveau der Haut erhabenen Flecken.
Dieselben waren einer ürticariapapel ähnlich
und von der Grösse eines 20-Kreuzer8tücke8.
Ich merkte zwar eine Veränderung in der
Stimmung des Kindes, konnte mir aber
diese Papeln nicht erklären, als bald darauf,
am zweiten Abend, unter massig starkem
Fieber, das ganze Gesicht mit dem charak-
teristischen rothen Exanthem bedeckt wurde,
um sich bald auf dem behaarten Kopf,
Rumpf und Extremitäten auszubreiten.
Da die Patienten, die einmal die con-
fluirenden Pocken überstanden haben, furcht-
bar entstellt aussehen, öfters auf beiden,
oder im günstigsten Falle auf einem Auge
erblinden, verunstaltete dicke Nasen etc.
zurückbehalten, so war es mir natürlicher
Weise sehr daran gelegen, auf Mittel zu
sinnen, die mein Kind — sollte es die
Krankheit glücklich überstanden haben —
auch vor der eventuellen Entstellung schützen
sollten.
Um gleichzeitig antiseptisch und anti-
febril einzuwirken, applicirte ich eine 3%
Carbolsäurepaste aus Amylum und Ol.
amygdal. dulc. auf einer Leinwandmaske so
zugerichtet, dnss nur schmale Oeffnungen für
Augen, Nase und Mund zurückblieben. Auf
diese Weise wurde der ganze behaarte Kopf,
Gesicht und Hals mit der Maske eingehüllt.
Der Rumpf und Extremitäten wurden öfters
mit Folgendem gepinselt:
IV Glycer. neutr. 70,0
Amyl. pur. 30,0
Acid. salicyl. 3,0
M. f. Pasta.
Jnni 1889. J
Lewentanftr, üeber antisepHtche Behandlung der Variolft.
269
Nach einigen Tagen wurden die bis nun,
besonders im Gesicht und Händen, noch
isolirt stehenden mit deutlicher centraler
Delle und rothem Hof umgebenden Bläschen
und Pusteln confluirend und zu grossen mit
grauem Eiter gefüllten Blasen umgewandelt.
Man hätte glauben sollen, dass nach dem
Abfallen derartiger grosser Schorfe buchtige
entstellende Narben zurückbleiben würden.
Dies war nicht der Fall. Keine Blase
platzte, sondern alle trockneten, trotz des
immerwährenden Benässens mit den Pasten,
zu honiggelbem Schorfe ein, und nach dem
Abfallen derselben hinterblieb gar keine
Spur von Narben. Nur an den Stellen, wo
die Maske nicht hermetisch anliegen konnte,
wie oberhalb der Nasenflügel, an der Naso-
labialfalte blieben kaum merkbare Narben
zurück.
Die anderen 5 Kinder wurden nach dem-
selben Princip behandelt, nur mit dem Unter-
schied, dass anstatt der Carbolsäure- eine
Salicylsäurepaste angewendet wurde. Ob-
schon das erste Kind gar keinen Nachtheil
von der Garbo Ip aste erfuhr, so war es mir
doch daran gelegen, ein minder giftig wir-
kendes Präparat zu erproben. Alle diese
Kinder litten, wie gesagt, an der confluiren-
den Variola, befanden sich unter dieser Be-
handlung stets fieberfrei, munter und hatten
guten Appetit. Alle genasen vollständig,
ohne Narben oder sonstige Gomplicationen
zurückzulassen.
Schliesslich möchte ich noch hinzufügen,
dass auch der Modus der sogleich anzu-
gebenden internen Behandlung möglicher
Weise etwas zum günstigen Ausgang beige-
tragen haben kann. Gewöhnlich werden die
Schleimhäute der Nase, des weichen Gaumens,
Pharynx etc. von den Pusteln nicht ver-
schont; dadurch können gefahrliche Gompli-
cationen seitens dieser Gebilde entstehen. Be-
sonders die totale Ausfüllung der Nasen-
gänge mit Pusteln und Krusten zwingt die
Kinder, beständig mit offenem Munde zu
athmen, welcher Umstand zu Pharyngitis,
Bronchitis etc. Veranlassung giebt. Um
also den Pharynx vor Trockenheit zu schützen
und schlüpfrig zu erhalten — die Nasen-
gänge werden bereits am 2. — 3. Tage der
Krankheit vollkommen undurchgängig —
verordnete ich Folgendes:
IV Ol. amygdal. dulc. 15,0
Syrup. aurant. flor. 30,0
Aq. laurocer. 10,0
Ghinin. hydrochl. 0,3
Solv. in Acid. hydrochlor. q, s. f. Emulsio.
S.: Davon alle ^j^ — 7a Stunde in liegen-
der Stellung mitteilst Tropfenzähler dem
Kinde einzuflösseji. Die Kinder können sich
gegen diese Manipulation nicht wehren, weil
sie in Folge der geschwollenen und mit einan-
der verklebten Lider den Tropfenzähler nicht
wahrnehmen können und gewöhnen sich bald
resignirt die bittere Medicin zu schlucken.
Die Vortheile dieser Behandlungsmethode
vor anderen sind:
a) Alle Kinder genasen, während im
Deutschen Reiche 40 ^/o Todesfalle an
Pocken auf Kinder fällt, die das erste
Lebensjahr noch nicht erreicht hatten*).
Vor der antiseptischen Behandlung
starben bei uns selbst, wie oben be-
merkt, alle Pockenkinder.
b) War die Dauer der Krankheit ent-
schieden abgekürzt: vom Ausbruche
des Exanthems bis zum Abfallen der
Schorfe 12—13 Tage.
c) Fast vollkommen fieberfreier Verlauf,
auch kein Resorptionsfieber beim Ueber-
gang der Bläschen in Pusteln.
d) Die Ansteckungsgefahr für Umgebung
und andere Kinder scheint gänzlich
aufgehoben zu sein ; unter den Pocken-
kranken fanden sich gesunde Kinder,
die nicht geimpft und nicht zu iso-
liren waren.
e) Die Einfachheit der Methode, gegen-
über der Umständlichkeit der Bäder
und Ueberschläge. Letztere haben
noch den Uebelstand, dass bei der
niederen Klasse der Bevölkerung oder
unwissenden Leuten die Schuld an
dem Tode des Sandes der Erkältung
zugeschrieben wird.
f) In ästhetischer Beziehung — was sehr
wichtig sei besonders für Mädchen —
gar keine Entstellung. Vollkommen
glattes Gesicht, Hände etc.
Die Maske anzulegen bereitet gar keine
Schwierigkeit, man schneidet ein Stück Zeug
so zu, dass es Kopf, Gesicht und Hals be-
deckt; bilden sich hie und da Falten, so
hat man nur an dieser Stelle einen Scheeren-
schlag zu geben und die Zipfel legen
sich alsdann übereinander und haften an.
Gorneaanätzung bei event. Ueberfliessen der
Paste hat man nicht zu fürchten, da die
Lider bald geschwollen und verklebt werden
und die Augen gänzlich abschliessen. Haben
die Kinder einmal die Augen aufgeschlagen,
so ist alsdann schon die Maske überflüssig
geworden, indem die Eintrocknung derPusteln
bereits im Gange ist.
*) Ergebnisse einer Statistik der Pockentodes-
fälle im Deutschen Reiche für das Jahr 1886 von
Dr. Rahts. (Arbeiten aus dem K. Gesundheits-
amte Bd. 2.)
270
Agarieintiure.
TTheraifeatiiGhe
L Monatshefte.
Neuere Arzneimittel.
Ag^aricl nsfture.
(Agaricussäore. Agaricin.)
Seit der Empfehlung des Agarlcins als
schweissverminderndeB Mittel durch J. M.
Young im Jahre 1882 ist der Lärchen-
schwamm mehrfach Gegenstand chemischer
Untersuchung gewesen.
E. Jahns isolirte 1883 ausser mehreren
anderen Stoffen aus dem Lärchen schwamm
eine Substanz, welche er als identisch mit
der zuerst von Fleury (1870) in krystalli-
nischem Zustande erhaltenen Agaricinsäure,
sowie mit dem Agaricin von Schoonbrodt
bezeichnete und als eine zweibasische, drei-
atomige, der Aepfel säure homologe Säure
erkannte Yon der Formel
Schmied er konnte diese Angaben be-
stätigen und Fr. Hofmeister wies nach,
dass von den zahlreichen im Lärchen schwamm
enthaltenen Körpern nur dieser Agaricin-
säure die schweissvermindemde Wirkung zu-
komme.
Trotz dieser Erkenntniss waren die bis-
her im Handel, sei es unter dem Namen
„Agaricin", sei es als „Agaricussäure" vor-
kommenden, zu therapeutischen Zwecken be-
nutzten Präparate keine reinen Producte.
So fand Hofmeister, dass das Handels-
Agaricin einen von Schmieder als Aga-
ricol bezeichneten, physiologisch gänzlich
unwirksamen Körper als Verunreinigung ent-
hält, während die käufliche Agaricussäure
eine Beimengung des sogenannten „rothen
Harzes", wahrscheinlich Träger der abfüh-
renden Wirkung des Lärchenschwammes auf-
weist.
Die reine Agaricinsäure stellt ein weisses,
seidenglänzendes, leichtes Krystallmehl dar,
welches, unter dem Mikroskope betrachtet,
aus vierseitigen, tafelförmigen Krystallen be-
steht und aus absolutem Alkohol umkrystal-
lisirt, sich in büschelförmig gruppirteu Nadeln
oder in Rosetten abscheidet. Der Schmelz-
punkt liegt nach Hofmeister bei 138®.
Die freie Säure ist in kaltem Wasser nur
wenig, in kochendem ziemlich gut löslich.
Aus der stark schäumenden Lösung scheidet
sich beim Erkalten die Säure wieder in
fein krystallinischem Zustande ab.
Von den Salzen sind die Alkaliverbin-
dungen leicht löslich, die schweren Metall-
salze dagegen unlöslich.
Hofmeister hat nun neuerdings die
reine Agaricinsäure einer genaueren physiolo-
gischen Untersuchung unterzogen.
Da Agaricinsäure und Atropin zu glei-
chem Zwecke, nämlich zur Unterdrückung
pathologischer Schweisse , therapeutische
Verwendung finden, so war es von Interesse,
festzustellen, ob die Gleichartigkeit der
Wirkung nur auf die Beeinflussung der
Schweisssecretion beschränkt sei, oder ob
auch nach anderer Richtung ein Parallelis-
mus der Wirkung bestehe.
Von den Resultaten seien folgende, als
von allgemeinerem Interesse hervorgehoben.
Wenn man die Agaricinsäure auch nicht
zu den sehr giftigen Substanzen rechnen
kann, so ist dieselbe doch auch nicht als
indifferent zu bezeichnen. Oertlich zeigt
dieselbe stark reizende Eigenschaften, welche
sich bei subcutaner Injection in ausstrahlender
Entzündung mit Ausgang in Eiterung, und
bei innerlicher Darreichung grösserer Dosen
(0,5 — 1,0 g) in Erbrechen und Durchfall zu
erkennen giebt.
Die entfernte Wirkung besteht bei Kalt-
blütern in einer allmählich zunehmenden
Lähmung, Schwächung der Herzthätigkeit
und Herabsetzung resp. gänzlicher Unter-
drückung der Hautsecretion. Auf die Herz-
wirkung ist die gleichzeitige Anwendung
von Atropin ohne Einfluss.
Agaricinsäure vermag nicht wie Atropin
ein durch Muscarin in Stillstand versetztes
Froschherz wiederum zum Schlagen zu
bringen.
Bei Warmblütern kommt es nach inner-
licher Darreichung der reinen Säure wegen
der langsamen Resorption derselben zu keinen
schweren Erscheinungen. £ei subcutaner
oder intravenöser Injection der löslichen
Natron Verbindung ist die Wirkung vorwie-
gend auf die lebenswichtigen Centren in der
Medulla oblongata, namentlich auf das Vagus-
centrum und auf das Gefasscentrum gerich-
tet. Beide werden zuerst erregt, dann ge-
lähmt. Daher stellt sich zunächst Puls-
verlaogsamung mit Blutdrucksteigerung, später
Sinken des arteriellen Druckes ein. Der Tod
erfolgt nach voraufgehenden Oonvulsionen
durch Athmungsstillstand, bei künstlich
respirirten Thieren dagegen in Folge der
bedeutenden Blutdrucksemiedrigung.
Mydriatische Wirkung besitzt Agaricin-
säure nicht, vielmehr erzeugen Instillationen
von agaricinsaurem Nation eine wahrschein*
IfJ. jAhrgmag.!
Joni 1889. J
Agaricinaftium.
271
licli durcli die reizen den Eigenschaften des
Salzes bedingte, nicht sehr bedeutende,
durch Atropin zu beseitigende Pupillenver-
engerung.
Die Beeinflussung der Schweisssecretion
ist keine centrale, sondern Folge einer
Wirkung auf den secemirenden Apparat.
Reizung des Ischiadicus ruft bei Agaricin-
thieren keine Schweisssecretion herror, wohl
aber erweist sich Pilocarpin auch nach Ein-
yerleibung Ton Agaricin säure wirksam.
Eine Aehnlichkeit in der Wirkung
zwischen Agaricinsäure und Atropin besteht
also nur in Bezug auf Schweisssecretion.
Quantitativ yerhalten sich auch hierbei beide
Substanzen, sehr ungleich. Probsting
schätzte die Wirkung des Agaricins unge-
fähr 20 mal geringer, als die des Atropin.
Nach Hofmeister ist diese Schätzung noch
zu günstig für die Agaricinsäure.
Für die Praxis ergiebt sich aus den
Untersuchungen Hofmeister^s Folgendes:
1. Für therapeutische Zwecke ist reine
Agaricinsäure zu Ter wenden.
2. Die Furcht vor brechen- oder durch-
fallerregender Wirkung ist bei interner An-
wendung reiner Agaricinsäure übertrieben.
Auf der Prof. Kahler^schen Klinik
wurden wiederholt Dosen von 0,05, in einem
Falle sogar 0, 1 g gegeben, ohne dass, abge-
sehen Yon leichter schnell vorübergehender
Nausea, Intoxicationserscheinungen auftraten.
Graben von 0,02 — 0,03 wurden ausnahmslos
gut vertragen, und da die antihydro tische
Wirkung erst nach Stunden deutlich aufzu-
treten, dann aber über 24 Stunden anzu-
halten pflegt, so ist in der wiederholten
Darreichung kleiner Dosen die Möglichkeit
gegeben, die Unannehmlichkeiten, die nach
einmaliger Einnahme einer grossen Dose er-
wachsen könnten, zu umgehen.
3. Subcutane Injectionen des löslichen
Natronsalzes sind wegen der örtlich reizen-
den Eigenschaften zu vermeiden.
Litteraiur: 1. E. Jahns: ZurEenntniss der
Agaricinsäure. Arcb. für Pharmacie 1883 S. 260
—271.
2. J. Schmieder: Ueber die chemischen
Bestandtheile des Foljporus officinal.
(Agaricus alb. der Offi einen). Arch. f. Phar-
macie 1886 S. 641—668.
3. Fr. Hofmeister: Ueber den schweiss
vermindernden Bestandtheil des Lärchen-
schwamm es. Arch. f. ezp. Patholog. u. Pharmak.
XXV S. 189—202.
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Bericht Aber den achten Congress flir innere
Medicin (therapeut. Theil). Von Dr. Benno
L a q u e r - Wies baden.
Wie in früheren Jahren (Syphilisdebatte,
Oertelcur, Keuchhusten therapie) so hat auch
in diesem Jahre der Congress für innere
Medicin, welcher die durch die interne Klinik
vertretene Einheitsidee des menschlichen
Organismus festzuhalten und auszubauen be-
rufen ist, zwei wichtige therapeutische Fra-
gen durchberathen, von denen die eine uralt
— die der Gicht — die andere dagegen
in der jüngsten Zeit nicht von der Tages-
ordnung der medicinischen Oongresse ver^
seh wunden ist. Es lag sehr nahe, nachdem
der vorjährige Chirurgencongress eine aus-
fuhrliche Debatte über die operative Be-
handlung des Ileus geführt, nunmehr auch
vom Standpunkte des inneren Klinikers diese
hochinteressante Frage einer grösseren durch
die Discussion sich klärenden Beleuchtung
zu unterwerfen.
Der erste Referent, Herr Prof. Leichten-
stern (Köln), erörterte in ausführlichen und
glänzenden Zügen die Pathologie, Sympto-
matologie und Diagnostik des Ileus, und aus
seinen Ausführungen ging zweierlei hervor,
erstens dass manche, oder besser gesagt noch
recht viele Punkte in der Pathologie der
Darmocclusion, z. B. die Art und Weise des
Zustandekommens der Achsendrehung etc.
oder die Wirkung des Opiums hypothetisch
oder ganz dunkel sind, und dass es ferner
in nicht wenigen Fällen sehr schwierig oder
gar unmöglich sei, die von den Chirurgen
behufs operativen Einschreitens mit Recht
vom inneren Kliniker zu fordernde diagno-
stische Auskunft über die Ursache oder
wenigstens über den Sitz der Darmocclusion
genau und sicher zu ertheilen.
Die etwas dankbarere, weil in gewissem
Sinne einfachere Aufgabe der Besprechung
der Ileustherapie löste Herr Prof. Cursch-
mann mit gewohnter Meisterschaft (s. Mai-
heft S. 198).
Die zweite grössere therapeutische
Frage, die Behandlung der Gicht, ent-
behrte leider bei der grossen Länge der
272
Therapeutiich« Minh«Uungeii aus Verein««.
tTb«r&p6utiBcbe
Monntiih^^ftA.
Referate der Discussion. Seit der klassischen
Monographie von Sydenham im vorigen
und seit Garrod's Untersuchungen in diesem
Jahrhundert hat ja die Frage der Pathologie
und Therapie der Gicht etwas stagnirt;
immerhin haben gerade Ebstein und £.
Pfeiffer das Verdienst, neue Gesichtspunkte
zur Klinik dieser uralten Krankheit hinzu-
gebracht zu haben. Der erste Referent,
Prof. W. Ebstein, besprach die Pathologie
der Gicht und verwies bezüglich der Therapie
auf die bekannten Grundsätze für die Er-
nährung der Fettleibigen resp. auf die in
seinem Werke: Das Regimen bei der Gicht
(Bergmannes Verlag) niedergelegten Prin-
cipien.
Der zweite Referent, E. Pfeiffer (Wies-
baden), legte folgende Sätze über die Natur
der Gicht seiner Behandlung zu Grunde:
1, Die Gichtanlage oder die hamsaure Dia-
these besteht darin , dass die Harnsäure, welche
abgesondert toird, sofort schon in den Körper-
saften nicht in einer leicht löslichen, sondern in
einer schwer löslichen und zur Ablagerung neigen-
den Form ausgeschieden wird.
2. Die Folge dieser Schwerlöslichkeit der
Harnsäure ist die, dass dieselbe nicht sofort nach
ihrer Bildung fortgeschafft, sondern in den Ge-
weben abgelagert wird und zwar entweder in
Form allgemeiner Infiltration der noch gesunden
Gewebe oder als umschriebene Knoten,
3. Die erste Folge der Retention der Harn-
säure ist eine verminderte Ausscheidung derselben ;
bei weiterem Fortschreiten des Gichtprocesses
macht sich aber ein Damiederlegen des ganzen
Stoffwechsels mit beträchtlicher Verminderung der
Harnstoff- und Harnsäureausscheidung geltend^
welche in den schwereren Fällen zur Kachexie^
zu bedrohlichen locaJen Störungen an lebenswich-
tigen Organen und zum Tode führt,
4, Der Gichtanfall, sowohl der acute als der
chronische, entfiteht dadurch, dass durch beson-
dei'e Umstände eine stärkere und der normalen
sich nähernde Alkalescenz der Verdauungssäfte
bewirkt icird, welche zur Lösung der deponirten
Harnsäure fuhrt. Die in grossen Massen in
lösliche Form ül)er geführte Harnsäure bewirkt
die Schmerzanfälle und die Entzündungserschei-
nungen.
Vor allem handelt es sich darum, die
Harnsäureausscheidung wieder auf den nor-
malen Stand zu bringen, d. h. die Ansamm-
lung derselben in den Geweben und hiermit
die Ausbildung der Vorbedingung des Gicht-
anfalls zu verhindern. Im Gichtanfall selbst
sind die Schmerzen zu lindern und die über-
schüssige Harnsäure schmerzlos aus den Ge-
weben zu entfernen.
Diätetische Guren versprechen den
dauerndsten Erfolg. Referent empfiehlt fol-
gendes Regimen : Viel Eiweissstbffe, Fette
und grüne Vegetabilien, welche letztere den
Urin alkalisch machen, Vermeidung der
Kohlehydrate, des Zuckers.
Reichlicher Fleischgenuss ist indicirt, um
der mit starkem Sinken der Hamstoff-
und Harnsäure-Absonderung einhergeli enden
Kachexie vorzubeugen. Ausserdem sind die
Salze des Fleisches im Stande, die gebildete
Harnsäure in einem für die Ausscheidung
günstigen Lösungsverhältnisse zu erhalten.
Saure Milch und saurer Käse sind verboten;
ebenso Alcoholica.
Ref. empfiehlt ferner kohlensaure, phos-
phorsaure und borsaure Alkalien in steigender
Dosis, insbesondere Fachingen und die Kaiser-
Friedrichquelle in Offenbach.
In Wiesbadener Mineralbädem 7« stünd-
lich pro Tag hat Vortr. ein hervorragendes
und durch lange Nachwirkung sich auszeich-
nendes Heilmittel gegen die Harnsäuredia-
these kennen gelernt, welches auf die Harn-
säure-Ausscheidung der Gichtkranken einen
experimentell nachweisbaren Einfluss ausübt.
Auch werden die Reste acuter und sub-
acuter Gichtanfälle (Schwellung, schmerzhafte
Steifigkeit etc.) durch die Badecur rasch
fortgeschafft.
Beim acuten Anfall ist der Hauptwerth
auf die Mineralcuren, besonders Acid. muriat.
sowie auf das Natr. salicyl., auf frühzeitiges
Aufstehen u. dergl. zu legen«
In den Nachmittagssitzungen und dies-
mal auch in einer' Vormittagssitzung kamen
die Einzel vortrage zur Verlesung. Nachdem
Prof. Immermann (Basel) über Magen-
untersuchungen bei Phthisikem berichtet,
welche darin gipfelten, dass eine eigentliche
Dyspepsie bei Phthise nur selten vorkomme,
da die Phthisiker alle Ingesta ausgezeichnet
verdauten, dass dieselbe event. eine Gom-
plication der Phthise vorstelle und für sich
behandelt werden müsse, sprach Prof. Pe-
tersen (Kopenhagen), der durch sein berühm-
tes Werk über die Geschichte der Therapie
in weiteren ärztlichen Kreisen bekannt ge-
worden ist, über die hippokratische Heil-
methode. Vort. erörterte die Anschauungen
und Methode des unsterblichen Altmeisters
der Heilkunde, indem er dieselben dem um
sich greifenden Specialismus gegenüberstellte,
der das Gebiet der Klinik immer mehr und
mehr einenge und den Kliniker zwinge aus
Gründen der Selbstvertheidigung dem Hippo-
kratismus, den Principien des grossen Goers
mehr als seither sich anzuschliessen.
Prof. Für bringer (Berlin) folgte sodann
mit- einem Vortrage über Impotentia virilis
resp. Impot. coeundi und dessen Behandlung.
Vort. beleuchtete die Symptomatologie der
Jnvl 1889. J
Thetcpeutiiche MlttheUunseii Hut Verelnefi.
273
einzelnen Formen der Impotenz, ihre Dia-
gnostik, differencirte sie scharf von der Impot.
generandi, bei der das Mikroskop eine
Aspermie nachweise ohne Störung der sexu-
ellen Triebe sowie der Erection, von der
Impotenz im Gefolge von Krankheiten
(Tabes, Diabetes, Hirnlues, Morb. Brightii),
besprach die Prognose (Vs Heilungen, Vs
Besserungen, ^/s incurabel) und zuletzt die
Therapie dieser Krankheit; letztere müsse
im Sinne des vom Vortr. urgirten Staud-
punktes, dass die Impot. coeundi ein Sym-
ptom der Neurasthenie resp. eine Initial er-
Bcheinung derselben darstelle, am besten in
einer Nervenheil-Anstalt behandelt w^erden;
neben sexueller Abstinenz sei körperliche
und geistige Ruhe nothwendig. Mastcur
nach Weir-Mitcheir sehen Principien wirke
oft heilend, ebenso die sich anschliessende
hydriatische und elektrische Behandlung.
Vortr. warnt vor Anwendung der Aetzmittel
ausser bei entzündlichen Zuständen der
Harnröhre; bei reiner Neurose ist die local-
instrumentelle Reizung streng zu vermeiden.
Ein principiell-negirender Standpunkt in der
Frage der Eheschliessung empfiehlt sich
nicht.
Es folgt dann der Vortrag von Dr. Dett-
weiler über ein Hustenfläschchen (s. unter
Originalien S. 216), eine Demonstration des
Herrn Prof. Ebstein über die durch Injection
chemischer Substanzen erzeugten Harn- und
Nierensteine, ein Experiment, welches jeden-
falls auch der Ausgangspunkt einer frucht-
bringenden Entwickelung der Therapie wer-
den kann; alsdann sprach Dr. Klemperer
(Berlin) über Magenerweiterung und ihre Be-
handlung.
K. hat 17 Fälle von Dilatation auf der
Ley deutschen Klinik beobachtet, bei denen
keine Strictur des Pylorus bestand. Hiervon
hatten 8 herabgesetzten, 2 normalen, 7 gestei-
gerten Salzsäuregehalt. K. bespricht ausfuhr-
lich die Beziehungen zwischen Hyperacidität
und Dilatation. Er hat 21 Fälle von Salzsäure-
Hyperacidität beobachtet, die er in 2 grosse
Gruppen theilt. l) Hyperacidität mit guter
motorischer Kraft (12 Fälle). Die Patienten
bieten das Bild der nervösen Dyspepsie.
Heilung tritt schwierig ein. Es kommt nicht
zu Dilatation trotz der fortbestehenden Hyper-
acidität. K. hält diese Fälle für eine
Secretionsneurose. 2) Hyperacidität mit mo-
torischer Schwäche. a. Fälle, bei denen
motorische Schwäche und Hyperacidität durch
den Reiz überreichlicher und schlecht zer-
kleinerter Nahrung verursacht wird (3 Fälle).
Hierher rechnet Verfasser die Hypersecretion,
wovon er 4 Fälle gesehen hat. Bei dieser
Gruppe theilt K. einen Fall über Hyperacidität
mit, bei dem die Saccharificationsfähigkeit
des Speichels nach Ausweis exact chemischer
Feststellung deutlich vermindert war. —
b. Hyperacidi täten mit motorischer Schwäche,
ohne nachweisbares ätiologisches Moment
(6 Fälle). Es Hess sich in mehreren Fällen
nachweisen, dass die motorische Schwäche
das Primäre w^ar und durch den verlängerten
Aufenthalt der Speisen im Magen die Hyper-
acidität verursacht wurde. Hierher gehören
die phthisischen Dyspepsien; als Ursache der
motorischen Schwäche ist Torpor des Vagus
anzunehmen , der auch durch die vielfach
vom Verfasser hierbei beobachteten Herzpal-
pitationen wahrscheinlich gemacht wird. Die
Hyperacidität bei motorischer Schwäche kann
in Anacidität übergehen. — Die Methode,
deren sich K. für Feststellung der motorischen
Kraft bediente, ist das im Verein für innere
Medicin im vorigen Jahre geschilderte 01-
verfahren. Verfasser fasst das Ergebniss
seiner Untersuchungen über die Pathogenese
der Dilatation in folgendem Satz zusammen :
Die Dilatation des Magens geht hervor aus
motorischer Schwäche, welche entweder pri-
mär ist oder bedingt wird durch den Reiz ab-
normer lugesta; die Hyperacidität des Magen-
saftes ist nicht als Ursache der Ectasie zu
betrachten. Verfasser bespricht hierauf kri-
tisch die jetzt geläufige Anschauung über die
Erfolge der Behandlung der Magendilatation.
Die Lehrbücher gehen von der Ansicht aus,
dass eine einmal ausgebildete Dilatation nicht
rückbildungsfähig sei. Dem gegenüber be-
richtet Verfasser über einen Fall von ausser-
ordentlicher Magendilatation, welcher nach
Säurevergiftung innerhalb 4 Wochen ent-
standen war; nach glücklicher Pyloroplastik
bildete sich der Magen bald auf seine na-
türliche Grösse zurück, wie bei der wegen
Phthisis erfolgten Section constatirt wurde.
Bei Dilatationen, die sich mehr chronisch
ausbildeten, ist eine weitgehende anatomische
Rückbildung nicht zu erwarten, doch stellte
sich die motorische Kraft bei zweckmässiger
Behandlung fast im normalen Maasse wieder
her. Die Behandlung hat folgende Fac-
toren zu berücksichtigen: Die Ausspülung
ist Abends vorzunehmen, dabei ist wenig
Wasser anzuwenden, am besten ein Aspira-
tionsapparat zu benutzen. Hauptwerth ist
auf die Diät zu legen. Von Vielen wird
blosse Fleisch diät verordnet, in der Meinung,
dass diese im Magen leicht zur Resorption
gelangt. Verfasser hat festgestellt, dass aus
dem dilatirten Magen nur minimale Resorp-
tion stattfindet. Es ist wichtig, dass soviel
Nährmaterial in den Darm gelangt, dass eine
Restitution der Muscularis des Magens statt-
findet, d. h. es muss durch die Ernährung
85
274
Th«tmpetttiteh« Mltth«Üiiii(«n aus V«»ein«ii.
rTherapeotbdie
L Monatshefte.
ein Eiweissansatz erzielt werden. Zu diesem
Zweck sind ausser 80 g Eiweiss mindestens
120 g Fett und 250 g Kohlehydrat noth-
wendig. Fett wird am besten als Sahne,
das Kohlehydrat als Traubenzucker, daneben
Brod und Butter gegeben. Elektrlcität,
Massage, Alkohol und Bittermittel sind die
andern Factoren der Behandlung, durch die
Verfasser weit günstigere Resultate erhalten
hat, als in der Litteratur berichtet werden.
In dem kurzen Referat lassen sich die
ziemlich complicirten Verhältnisse schwer
wiedergeben, der sich näher Interessirende
muss auf das ausfuhrliche Referat in dem
officiellen Verhandlungsbericht verwiesen
werden.
Dr. Hanau demonstrirte durch üeber-
impfung vom Scrotum einer Ratte künstlich
erzeugte Krebse des Peritoneums, der Pleura
u. s. w., sowie die entsprechenden mikrosk.
Präparate.
Dr. Lauenstein (Hamburg) bespricht
unter Demonstration eines geheilten Falles
von Pylorusresection und eines ebensolchen
mit angelegter Magendünndarmfistel, beide
wegen stenosirenden Ulcus ausgeführt, die
Stellung der Chirurgie zu der Frage der
Pylorusoperationen überhaupt.
Da vor der Operation wohl eine Diagnose
auf Pylorusstenose resp. Tumor gestellt
werden kann, aber nicht auf Gut- oder Bös-
artigkeit der Torliegenden Erkrankung oder
auf die Möglichkeit, ob und wie die Affec-
tion chirurgisch anzugreifen ist, so ist hier
die Probelaparotomie am Platze, die bei
fehlender Peritonitis als ungefährlich zu be-
trachten ist. Erst dann lässt sich fest-
stellen, ob eine Operation überhaupt aus-
führbar. Es kommen dann 3 Opera-
tionen in Frage: l) die Plastik nach Hei-
necke-Mikulicz, 2) die Gastroenterostomie
nach Wolf 1er und 3) die eigentliche Pylo-
rusresection. Erstere ist angezeigt nur beim
stenosirenden Ulcus ohne Verdickung der
Magenwandungen, die zweite ist eine Pallia-
tivoperation, die, wie der eine vorgestellte
Patient zeigt, bei inoperabelem Ulcus in Be-
tracht kommt und beim Carcinom, dessen
Entfernung unmöglich. Bei Ulcus kommt
sie einer Radicaloperation sehr nahe, bei
Carcinom beseitigt sie Erbrechen und Auf-
stossen.
Die Pylorusresection eignet sich nur
für nicht verwachsene Stenosen durch Ulcus
und Carcinom.
Die Anlegung der Magendünndarmfistel
ist als wesentlich ungefährlicher zu be-
trachten, als die Resection. L. schliesst
eine Anzahl diagnostischer Bemerkungen an
bezüglich der Lage des Tumors, der Ver-
schiebbarkeit, der möglicherweise vorliegen-
den Verwachsungen, das Verhältniss des
Carcinoms und des Ulcus zur Ektasie und
betont, dass diejenigen Patienten, bei denen
der innere Arzt die Medication zur Opera-
tion stelle, noch einen befriedigenden Kräfte-
zustand haben müssen, um die Operation
überstehen zu können. Zu der Frage äus-
sern sich die Herren Curschmann,
Leyden, Lenbe, die vom Standpunkte des
Klinikers aus den operativen Eingriff be-
sonders bei stenosirendem Ulcus als ultima
ratio betrachten, während bei sicherem
Carcinom allerdings so frühzeitig als mög-
lich der Chirurg zuzuziehen ist.
Herr Roser (Hanau) demonstrirt einen
Patienten mit total, wegen Krebs ausgeführter,
Larynxexstirpation.
Herr Rosenfeld (Breslau) einen beim
jauchigen Empyem gefundenen Commabacil-
lus, Herr Finkeinburg (Bonn) spricht über
bodenständige Verbreitungsverhältnisse der
Tuberculose in Deutschland.
Herr von Ziemssen und Herr Krehl
(Leipzig) über Bewegungs Vorgänge am Her-
zen, resp. über den Druckablauf in den
Herzhöhlen und Arterien.
In der Nachmittagssitzung sprechen dann
Herr Leo (Berlin) über den Gas Wechsel bei
Diabetes, Herr Benno Laquer (Wiesbaden)
über Rhinosclerom mit Krankenvorstellung,
Dehio (Dorpat) über die experimentelle
Entstehung des vesiculären Athemgeräusches,
V. Basch über cardiale Dyspnoe, F.Müller
(Bonn) über Stoffwechseluntersuchungen bei
Krebskranken, Herr Fink 1er (Bonn) über
Streptococcenpneumonie, ferner Herr Krause
(Berlin) über die Erfolge der neuesten Be-
handlungsmethode der Kehlkopfphthise (s.
unter Originalien S. 203).
In der letzten (7.) Sitzung des Congresses
sprachen :
Herr Seifert (Berlin) über Rhinitis
fibrinosa; Herr Kraus (Prag) über die Al-
kalescenz des Blutes in Krankheiten.
Storch demonstrirt einen nach Art des
Bunsen^ sehen Flaschenaspirators gearbeite-
ten Apparat zur Entleerung pleuritischer
Exsudate und von Ascites.
Eisenlohr (Hamburg) bemerkt in der
Discussion, dass die Bülau'sche Methode
der Empyemoperation und Behandlung die
zweckmässigste bei einfacheitrigen, nicht pu-
triden Exsudaten sei. Jaff^ und Simmonds
haben die Details beschrieben und Immer-
mann neuerdings ebenfalls über günstige
Resultate berichtet. Das Princip ist das-
selbe wie beim Apparate Storch' s, nur ein-
facher; was besonders die luftdichte Ap-
plication des absaugenden Apparates be*
IIL Jalirgftii|r*l
Jiml 1889. J
Therapeutlioh« Mltlh«llangieii aus V«r«Ui«fi.
275
trifft, so wird diese durch die Einführung
des elastischen Katheters, um den sich die
Troicart'Stichwunde hermetisch legt, sicher
und einfach erreicht.
Am wesentlichsten bei der Bül aussehen
Methode ist die permanente Saugwirkung
des mit dem Katheter verbundenen Heber-
apparates und der Luftabschluss während
der ganzen Dauer der Eiterung der Pleura-
höhle. Die vom Vortragenden erwähnten
Nachtheile der Luftschicht zwischen Lunge
und Thoraxwand, des offenen Pneumothorax
werden yermieden, die Wiederausdehnung
der Lungen wird erleichtert, die Retraction
der Lunge und der Thorax wand verhütet etc.
Vortragender empfiehlt aber die Anwendung
der Bü lau 'sehen Methode besonders bei
einfachen eitrigen, nicht putriden Ergüssen.
Die Resultate sind sehr günstig. Dagegen
ist bei putriden Ergüssen nur eine beschränkte
Indication vorhanden wegen der leichten
Infection der Weichtheile von dem Erguss
aus. In solchen Fällen zieht Bülau die
Thoracotomie mit Rippenresection vor.
Posner (Berlin): lieber Therapie der chro-
nischen Prostatitis. Die locale Untersuchung
wird bei chronischer Prostatitis oft vernach-
lässigt oder vergessen; die früher schwere
und undankbare Diagnose ist dank den Un-
tersuchungen von Fürbringer über die norma-
len Secrete leichter geworden. Wichtige dia-
gnostische Momente sind: keine Rundzellen,
wohl aber sehr feine, kleine fettartige, von
P. als Lecithin angesprochene Körper,
ausserdem noch Eiterkörperchen ; ob letz-
tere aus der Prostata kommen, muss der
Arzt entscheiden. P. lässt zuerst uriniren,
comprimirt dann per anum die Prostata und
untersucht dann das Secret. Findet er darin
Lecithinkrjstalle, so ist es Prostata-Secret.
Differentiell-diagnostisch ist die senile Prosta-
ta-Hypertrophie auszuschliessen (normale
Secrete mit Rundzellen). Therapie: zuerst
Behandlung per urethram, Jodkali -Supposi-
torien. In einzelnen Fällen Sondenbehand-
lung (Metallsonde). Eventuell Combination
mit Win ternitz' scher Kühlsonde, die Pro-
gnose ist nicht absolut günstig. In der Dis-
cussion fragt Pauly (Nervi), ob Posner
Erfahrungen über den Arzb erger' sehen
Apparat hat (von E. Finger empfohlen)
bei chronischer Prostatitis mit lauem und
bei acuter Prostatitis mit kaltem Wasser,
was Pos n er verneint.
Herr Dr. Openchowsky (Dorpat) theilt
die Ergebnisse einer Reihe von pharmakologi-
schen Untersuchungen mit, welche er zuerst ü ber
die Wirkung der Digitalisgruppe auf das
rechte Herz und den kleinen Kreislauf an-
gestellt hat.
Nach der Ansicht des Vortr. bildet der
kleine Kreislauf ein abgeschlossenes System
und die Agentien, welche den grossen Kreis-
lauf beeinflussen, tangiren den kleinen gar
nicht oder nur in soweit, als der Zufluss
zum rechten Herzen vermehrt oder vermin-
dert wird. Die Herabsetzung des Druckes
im grossen Kreislauf durch Curare, Amyl-
nitrit, Chloral macht sich auf den kleinen
Kreislauf nur minimal in Folge Verminderung
des Blutzuflusses geltend. Helleborein er-
höht den Blutdruck im kleinen Kreislauf,
wenn der Zufluss in das rechte Herz ver-
mehrt wird, beeinflusst aber direct weder
die Lungengefässe noch das rechte H^rz.
Vortr. nimmt auf Grund seiner Untersuchun-
gen an, dass die Digitalisgruppe nur auf
das linke Herz und dessen Gefösssystem
wirke.
Da eine Immunität des rechten Herzens
gegen Gift nicht annehmbar ist, so wirken
diese Gifte wahrscheinlich nur auf die Co-
ronararterien, das r. Herz wird durch die
Contraction der rechten Coronaria gewisser-
maassen gehemmt.
Die Beobachtungen bestätigen diese Vor-
aussetzung. Gleich nach der Vergiftung ist
die linke Coronaria stärker gefüllt, die
rechte weist nichts derartiges auf.
Das r. Herz schlägt zweimal schneller
als das linke, was der Zahl der Pulse an
den typischen Blutdruckscurven entspricht.
Der linke Ventrikel eines durch Digitalis
vergifteten Thieres schlägt 2 — 3 mal länger
als das normale linke Herz, während der
rechte Ventrikel kürzere Zeit schlägt als
normal, wo er nur 2 — 8 mal länger schlägt
als der linke.
Diese Beobachtungen stimmen mit den
von Cohnheim, Samelson etc. gefundenen
überein; doch können auch noch nervöse
Vorrichtungen bei der Beurtheilung in Be-
tracht kommen.
Die Thatsache, dass die Wirkuug der
Digitalisgruppe sich nur auf den grossen
Kreislauf erstreckt, liefert vorläufig die ein-
zig mögliche Erklärung ihrer therapeutischen
Leistung. Die Aufhebung der venösen
Stauungen vor der Ueberfüllung des kleinen
Kreislaufs ist nur dann erklärlich, wenn das
linke Herz allein den Ueberschuss an Blut
aus dem kleinen Kreislauf wegschafft.
Würden die Mittel der Digitalisgruppe
auf beide Herzhälften proportional wirken,
so blieben die Verhältnisse dieselben wie
vorher. Trotz absoluter Steigerung der Ar-
beit wäre es unmöglich, mehr Blut aus dem
kleinen Kreislauf in den grossen überzuführen.
Die schnelle aber nicht vermehrte Arbeit des
r. Ventrikels ist offenbar nur als regula-
36*
276
TherapeuUiche Mittheilungen ftui Vereinen.
prlierapeiituche
L Monatshefte.
torisches Moment anzusehen. Wenn die
Digitalis die Symptome z. B. bei Mitral-
stenose verschlimmert, ist die Ursache hier-
von eher in der Erkrankung der Regulator-
vorrichtungen, als des Herzmuskels selbst
zu suchen.
Herr Mordhorst ( Wiesbaden) trägt so-
dann über seine therapeutischen Erfolge der
elektrischenMassagebeichron.Sehnen-,Gelenk-
und Muskel afifectionen rheumatischen und trau-
matischen Ursprungs vor. Die Massirelek-
trode hat die Form einer kleinen Walze;
die Durch Schnittsdauer der meist erfolg*
reichen Behandlung beträgt 4 — 5 Wochen.
In 'einer kleinen unter die Theilnehmer des
Congresses vertheilten Brochüre hat Redner
Näheres über die zahlreichen mit günstigem
Erfolge behandelten Fälle mitgetheilt. Ob und
wie hoch der constante Strom dosirt wird,
und ob und um wieviel die betr. Strom-
dosis nicht durch die bei dem Rollen der
Walze entstehenden Stromschleifen vermin-
dert wird, wurde nicht erwähnt.
Pauly (Wiesbaden - Nervi): Ueber ein
neues Aetherpräparat. Aether nitrosus wurde
von Bertoni (Padua) dargestellt, um der
chemischen Unzuverlässigkeit des Amylnitrits
zu begegnen.
Derselbe von der Formel C5 Hi, 0(N0)
leitet sich von dem tertiären Amylalkohol
ab, geht nicht wie Amylnitrit bei Oxy-
dation der salpetrigen Säure in Yalerian-
aldehyd und Baldriansäure über und hält
sich klar und rein. Der Siedepunkt ist
92 — 93", 30" weniger als der des Amyl-
nitrits. Innerlich zu 5 — 20 Tropfen auf
Zucker oder in Oblaten event. in Gelatine-
kapseln genommen, wird der Aether ni-
trosus, der süss schmeckt wie Glycerin, gern
genommen.
Nur Dujardin-Beaumetz hat bisher
Versuche angestellt. Vortr. fordert zu wei-
teren Versuchen auf. Die Wirkung auf das
Herz ist anhaltender wie die des Amylnitrit,
keine Pulsation der Temporaiis, kein Schwin-
del etc., keine Beängstigungen.
Mit diesen Vorträgen war die Tagesord-
nung erledigt.
Mit Recht konnte es Prof. Lieber-
meister in seinem Rückblick auf den dies-
jährigen Congress aussprechen , dass der
8. Congress einer der glänzendsten mit Rück-
sicht auf die Zahl der Theilnehmer (284) und
die Zahl der Vorträge gewesen ist. Die Theil-
nehmer des Congresses schauen aber mit
nicht geringer Befriedigung auf die in ge-
meinsamer Arbeit verlebten Tage zurück, in
denen ein frisches, zukunftsvolles, wissen-
schaftliches Leben pulsirte, in denen Allen
reiche Anregung in hohem Maasse zu Theil
wurde. Die für das nächste Jahr in Vor-
schlag gebrachten Themata werden noch be-
kannt gegeben werden.
Referate.
Die Behandlung der Lungenschwindsucht im Hoch-
gebirge und über das Zustandekommen von
Ernährungsstörungen in den Lungenspitzen,
welche die Disposition zur primären tuber-
kulösen Erkrankung derselben darstellen.
Vuii Dr. med. A. VoUand, prakt Arzt in
Davos-Dörfli. Leipzig 1889. F. C. W. Vogel.
Die Therapie der Lungenphthise fusst trotz
der Koch 'sehen Entdeckung im Wesent-
lichen auf Anschauungen, welche der vor-
bacillären Zeit angehören. Das einzige und
beste therapeutische Verfahren ist und bleibt
wahrscheinlich auch noch für lange Zeit,
die Ernährung des Kranken zu heben, da-
durch die Qualität des Blutes zu verbessern
und die Quantität desselben zu vermehren.
Verf. giebt in seinem 68 Seiten umfassenden
Aufsatze zahlreiche praktische Winke, die sich
auf die Cur im Hochgebirge beziehen. Die-
selben verrathen den praktischen, vorurtheils-
freien und nicht nach der Schablone wir-
kenden Arzt. Ich erwähne nur einige Rath-
schläge. Das Jaeger'sche Wollhemd sollte
die Form der Officiersinterimsröcke haben.
Speciell im Davoser Klima genügt ein Hemd
dem blutarmen Phthisiker nicht, er nimmt
noch eines und da er auch so friert, greift
er zu schweren Ueberziehern. Die Empfind-
lichkeit für jedes Lüftchen, die sich auch
so geltend macht, wird durch ein Hemd von
Shirting oder Leinwand über dem wollenen
abgestumpft. Pelze sind unnothig.
Nach einer kurzen Schilderung der pas-
senden Fussbekleidung folgt eine Kritik
der modernen Kopfbedeckungen. Volland
empfiehlt weiche, breitrandige Hüte aus hell
gefärbtem Filz. Der Sonnensch irm ist nicht
' nur gegen den intensiven Sonnenschein (Schnee-
j flächen), sondern auch als Windschutz zu ge-
m. Jahrgang.l
Juni 1889.
Referate.
277
Lraucben. Gegen den Sonnenschein benutze
man auch graue Augengläser oder dunkle
Schleier. Es folgt eine Schilderung der Betten,
der Reise, der Wohnungen, bei welch letzteren
man denRath des Arztes sehr nothwendig habe,
und der Ernährung. Der gesteigerte Appetit,
die Nothwendigkeit einer Vorsicht beim Essen
werden hervorgehoben. Die Nahrung sei
durchaus eine gemischte. Die Ernährung
mit besonders fettreichen Nahrungsmitteln
ist nicht unbedenklich, da man mit der-
selben nicht nützt, sondern sogar schadet.
Die gewöhnlich als Hauptnahrungsmittel der
Phthisiker empfohlene Milch sei mit Vor-
sicht anzuwenden. Reichlicher Milchgenuss
schadet und sei das Milch trinken zu yer-
bieten und abzuwarten, bis sich zu den ge-
wöhnlichen Mahlzeiten ein energischer Appetit
eingestellt hat. Ich glaube, viele Phthisiker
werden dem Verf. für diesen Satz Dank
wissen. Zur Unterstützung der Ernährung
und weiterer Kräftigung der Kranken kann
Verf. massigen Genuss leichterer Alcoholica
empfehlen. Die sogenannten Früh stück sweine
(Madeira, Sherry, Marsala, Oporto etc.)
alteriren erheblich den Mittagsappetit, sie
sollten höchstens löffelweise genommen wer-
den. Sehr nützlich findet Voll and das
Bier. Es ist manchmal ein gutes Schlaf-
mittel und ist zugleich nährend. Es muss
aber gut sein und wären lichtbraunes Bay-
risches, oder helles Wiener, Pilsener oder
Culmbacher, auch das englische Pale ale zu
empfehlen. Die dunkelbraunen Biere erweisen
sich zu häufig als gefärbt, ihr Nährwerth ist
daher kein grösserer geworden, dabei ver-
deckt die dunkle Farbe leichtere Trübungen.
Bier im XJebermaass wirkt herzschwächend
und verfettend, wegen eines etwaigen Zuviel
dürfe dasselbe aber nicht aus der Phthisis-
therapie verbannt werden. Der vielfach ge-
rühmte Cognac findet nicht das Lob des
Verf. Kleine Dosen desselben öfter am Tag
genommen, mögen anfangs gewiss einen
angenehm stimulirenden Einfluss auf die
Magen Verdauung ausüben , auch der Kranke
werde sich stärker fühlen. Allmählich schwin-
det jedoch der Appetit, die Ernährung leidet
und die Phthise macht Fortschritte. Von
dem ärztlichen Verordnen von unverdünntem
Branntwein sei wieder abzustehen.
Grössere Aufmerksamkeit wendet Verf.
dem allgemeinen Verhalten zu und er-
klärt, dass im Hochgebirge Ruhe die erste
Patientenpflicht sei. Das Athmen ist da-
selbst beschwerlicher, schwerere Kranke sollen
nie höher als eine Treppe wohnen oder
in solchen Häusern Wohnung nehmen, wo
ein Personen auf zu g ist. Wenn es das Wetter
erlaubt, muss der Patient im Freien sitzen.
Das ist in Davos zu allen Jahreszeiten,
wenn Sonne scheint, möglich, die Zahl der
Sonnentage ist eine verhältnissmässig grosse.
Geht es nicht mit dem Sitzen, so gehe man
auf den geschützten und ebenen Wandel-
bahnen spaziren. Im Zimmer oder im Bett
sei für frische Luft stets gesorgt, wenn es
nicht strenge nächtliche Kälte verbietet. Die
Stundeneintheilung, welche Verf. seinen
Kranken vorschreibt, sollte wirklich befolgt
werden, ebenso seine Winke bezüglich der
Haltung beim Schreiben und Lesen. Von den
Spielen eignen sich Billard, für schwächere
Personen Domino, Karten und Brett. Schach
wird für zu aufregend gehalten. Das Schlit-
tern sei zu verbieten, das Schlittschuh-
laufen nur mit Vorsicht zu gestatten.
So lange der Phthisiker noch reizbare
Luftwege besitzt, also noch von häufigem
Husten geplagt wird, ist ihm das Rauchen
und auch der Aufenthalt im Rauchzimmer
nicht erlaubt. Wenn er ausser der morgend-
lichen Auswurfszeit keinen Husten mehr hat,
so kann man ihm getrost 1 — 2 Cigarren pro
Tag gestatten.
Athem- und Lungen-Gymnastik sind
trotz Empfehlung vieler Autoritäten über-
haupt im Anfange des Davoser Aufenthaltes
dringend zu widerratheu. Später genügen
zur Kräftigung der Muskulatur und zur Be-
förderung des Blutumlaufs ruhiges Spaziren-
gehen auf ebenen Wegen vollständig und
ist nach Voll and 's 15 jährigen Erfahrungen
die vollständige Heilung der Lungenschwind-
sucht auf diese Art am sichersten zu er-
reichen.
Nach einer kleinen Aetiologie der
Phthise, für welche die lufection durch Ein-
athmung des Bacillus noch nicht erwiesen
angenommen wird , folgt eine Gasuistik,
welche die Ansichten desVerf. bekräftigen soll.
Die Prophylaxis besprechend, hebt
Verf. die rationelle, reichliche Ernährung
hervor, indem er den Mas teuren jeden
Nutzen abspricht. Die gute Ernährung bil-
det die Grundlage der Phthisistherapie. Zur
Hebung der Ernährung ist das Hochgebirgs-
klima das beste Mittel.
Die horizontale Lage ist ein palliatives
Mittel, das Spitzenparenchym wird durch
die gleichmässige Vertheilung des Blutes in
den Lungen besser ernährt. Die Lungen-
gymnastik vermindert die Blutzufuhr zu den
Spitzen, sie ist daher zu vermeiden. Die
Oertelcur erstrebt das Gegen theil der
Schwindsuch tscur.
Der Zweck der Hydrotherapie sollte
die Hautpflege sein; stärkere Abhärtungs-
curen sollen bei Seite gelassen werden. Bei
sehr empfindlichen Patienten lässt V. die
278
Rttfiwato.
rTherepentlache
L MonaUhefle.
Hautpflege mit trockenen FrottiruDgen Mor-
gens im Bett beginnen. Dann werden
Waschungen zunächst mit warmem Wasser
gemacht, welches mit zunehmender Erstar-
kung des Patienten nach und nach kühler
genommen wird. Die Douche hat keinen
nachweisbaren Nützen, bringt aber manch-
mal Schaden. Vor letzterem müsse man
sich bei Schwind such tscuren hüten.
üeber die in den letzten Jahren mit
grosser Reclame gepriesenen neuen
Schwindsuchtsmittel wird unbarmherzig
der Stab gebrochen, da sich dieselben gegen
den Bacillus machtlos erwiesen. Man kann
dieselben von Fall zu Fall anwenden, wenn
sie mit der Freiluft cur nicht im Widerspruch
stehen. Man ist nicht berechtigt, die frische,
freie, reine, dünne, trockene und sonnige
Hochgebirgsluft dem Patienten zu entziehen,
um ein zweifelhaftes Mittel an Stelle des
erprobten zu setzen.
Die Davoser Cur ist zu allen Jahres-
zeiten gleich werthig, aus diesem Grunde
darf sich die Dauer der Hochgebirgscur nicht
nach den Jahreszeiten richten, sondern sie
ist nach dem Gesundheitszustande des Pa-
tienten zu bestimmen. Bei einer Wintercur
halte der Phthisiker noch die Frühjahrs-
monate aus; ist der Patient empfindlich und
schwach, müsse er zeitig im Herbst in Da-
Yos eintreffen (Acclimatisation).
So yiel über die allgemeine Therapie
der Phthise. Von den zu behandelnden
Symptomen und häufigeren Complicationen
erwähnt Verf. vor Allem das Fieber. Der
dritte Theil aller Patienten kommt niit
Fieber nach Davos, welches bei geeigneter
Behandlung zumeist nach einigen Tagen
schwindet. Dießelbe besteht darin, dass
Patient zu Bett liegen muss, selbstverständ-
lich bei geöffnetem Fenster. Tritt das Fie-
ber am Nachmittag auf, so muss zeitig zu
Bette gegangen werden, bis dahin sitzt Pa-
tient im Freien. Freilich hört nicht in allen
Fällen das Fieber auf. Die radicale Be-
handlung besteht in der Hebung der Er-
nährung; alle Fiebermittel sind nur gegen
excessive Steigerung der Temperatur zu ver-
wenden. Bei einer Nachmittagstemperatur
von 39,0 — 39,3° bestehe noch nicht die
Nothwendigkeit eines medicamentösen Anti-
pyreticum; kalte Umschläge oder Eisbeutel
auf Kopf und Brust abwechselnd genügen.
Nur wenn wegen Fieber Schlaflosigkeit be-
steht, wird 1,0 gAntipyrin gereicht. Die Mahl-
zeiten mögen auf die fieberfreie Zeit verlegt
werden, bei contiuua könne die Remission
durch eine Gabe Antipyrin künstlich her-
vorgerufen werden. Wenn der Patient selbst
sein Fieber misst, so nimmt Y. ihm, wenn
er eine psychische Depression verhüten will,
das Thermometer weg. Die N ach tsch weisse
verschwinden in Davos bald. Waschungen
mit warmem Essigwasser genügen in hartnäcki-
geren Fällen, nur sehr selten muss die prompte
Wirkung des Atropin in Anwendung gezo-
gen werden. Der Husten schwindet auf
eine kleine Dosis Pulv. Doweri, Abends im
Bett genommen. Bei Schwerkranken kann
man ohne Morphium nicht auskommen.
Seitdem das Bergesteigen verboten wird, sind
die Lungenblutungen seltener geworden.
Ueberhaupt müssen die ursächlichen Mo-
mente vermieden werden. Meistens genügt
Bettruhe, selten greift V. zum Extr. Secal.
comuti. Auf Diät muss geachtet werden,
für regelmässige Stuhl ausleerung muss man
sorgen. Bei grösseren Blutungen giebt Y.
eine Dosis Morphium subcutan. Dasselbe
setzt den Blutdruck herab, die Spannung
der Arterien lässt nach. Es kommen Wärm-
flaschen an die Füsse, wenn möglich auch
an die Hände. Eisstückchen, Eissbeutel,
Ruhe, Ergotin, Diät, Clystier etc. wendet
Yerf. so an, wie es die prakt. Aerzte thun.
Den Magenkatarrhen muss besondere Auf-
merksamkeit gewidmet werden. Sie weichen
zumeist dem Davoser Klima. Die Behand-
lung erfordert die Energie und Geduld des
Patienten und Arztes. Ausser den üblichen
Mitteln versuchte Y. in einem mit Chlorose
combinirten Falle die Darreichung von
Schwefel, wie es Schulz und Strübing
empfohlen haben. Der Yersuch endete mit
einem eclatanten Erfolge. Das so behan-
delte Mädchen bekam rasch Appetit, Mattig-
keit und Herzklopfen und nach zwei Mona-
ten war das Aussehen ein blühendes. Auch
die Darmkatarrhe erfordern eine sorg-
fältige Behandlung. Ausgezeichnet wirkte
das Bismuthum salicylicum (Gehe).
Die Darreich ungs weise war die Solger' sehe:
R' Bismuth. salicylici (Gehe, Dresden)
Sacchar. 1 actis m ^^^O,
Mf. pulv. No 40 DS, 8 stdl. 1 Pulver.
Das geschmacklose trockene Pulver wird auf
die Zunge genommen und mit warmem
Wasser hinuntergespült. Empfindlichen Leu-
ten wurde das Mittel in Emulsion gereicht;
in Oblaten eingenommen versagte es die
Wirkung. Diese Behandlung nebst Befol-
gung passender Diät stillte alle Diarrhöen
nach 1 — 2 Wochen.
Pleuritiden lassen sich durch sorg-
fältige Yermeidung jeder erheblichen An-
strengung vermeiden. Bettruhe, Kataplas-
men. eventuell Morphium oder Pulv. Doweri
reichen meistens aus. Seitdem Yerf. einen
guten Esslöffel voll Salz in einem Was-
III. JahrgftDQT.'l
Jimi 1889. J
Rttfbrate.
279
serglas toU Wasser lösen (lö,0 : 200,0)
und davon alle 2 Stunden einen Esslöffel
Toll nehmen lasst, hat er nie ein Exsudat
höher steigen gesehen als bis zur Mitte der
Scapula. Die Resorption erfolgte verhält-
nissmässig rasch und war nach 8 Wochen
bis 2 Monaten erreicht. Als kraftiges und
dazu nahrhaftes Diaphoreticum erwies sich
ein Teller voll saurer Milch Abends ge-
nommen.
Bei Larynxphthise ist Y. mit Cocain
gut ausgekommen. Mit der Kräftigung des
Patienten gehen die Halsbeschwerden zurück.
Der Mittelohrentzündung und mehrerer gy-
naekologischer Leiden wird in der Abhand-
lung auch gedacht.
In einem Nachtrage freut sich der Ver-
fasser in der Yerurtheilung der Lungengjm-
nastik der Phthisiker, in Liebermeister
einen mächtigen Verbündeten gefunden zu
haben.
Sehuachny (Budapest).
Intensive Behandlung der Lungentuberculose mit
Guajakol und Kreosot Von Privatdocent
Dr. Bourget (Genf).
Nach P. Guttmanu's Untersuchungen
kann die Entwickelung des Tuberkel bacillus
gehemmt werden, wenn das Blut im Ver-
hältniss von 1 : 4000 mit Kreosot gesättigt
wird. Zu diesem Zwecke müsste ein Tuber-
culöser mindestens 1,0 Kreosot pro die
einnehmen. Dies sei aber nicht durchfuhr-
bar. 0,6 war die höchste Tagesdosis, bis
zu der Guttmann sich versteigen konnte.
Dagegen ist Sommerbrodt schon bis zu
0,75 gelangt, indem er das Kreosot in
Kapseln verabfolgte. — Nach Verf. ist die
Verabreichung des Kreosots in Kapsel- oder
Pillenform durchaus unzweckmässig, weil
1. sehr häufig eine starke circumscripte Ent-
zündung an der Stelle entsteht, wo die
Kapsel sich entleert und weil 2. die Kreosot-
pillen, denen häufig ein Harz beigegeben
(Tolubalsam etc.), sich fast niemals im
Digestionstractus auflösen. Dieselben er-
scheinen bei gelegentlicher Autopsie vom
Oesophagus bis zum Bectum wieder. — Bei
den meisten Pat. konnten die Pillen einen
Tag nach dem Einnehmen im Stuhlgang auf-
gefunden werden.
Seit 3 Jahren bedient B. sich einer
inneren und äusseren Behandlungsmethode,
.die er die intensive Behandlung, „m^thode
intensive^ nennt, und die ihm in vielen
Fällen ausserordentliche Dienste geleistet
hat. Er hat auf diese Weise sehr grosse
Dosen verabfolgen und den Organismus ohne
Schaden mit Kreosot sättigen können. Fol-
gendes ist sein Verfahren:
Innere Behandlung. Innerlich wird
gewöhnlich Guajakol verabreicht; dasselbe
reizt weniger und wird auch besser vertragen
als Kreosot. Im Sommer giebt B. es in
Wein gelöst und im Winter in Verbindung
mit Leberthran.
IV Guajacoli 7,5
Tinct. Chinae 20,0
Vin. malacens. 1000,0.
Man beginnt mit einem EsslöfPel (d. h.
0,5 Guajakol) bei jeder Mahlzeit und steigt
allmählich auf 2, selbst 3 Esslöffel. Manche
Pat. haben so 1,0 pro die ohne Wider-
willen genommen. Zuweilen wurde es aber
nach einiger Zeit nicht mehr vertragen.
Alsdann wurde das Mittel in Lavementform
gegeben :
IV Guajacoli 2,0
Ol. amygdal. 20,0
Gumm. arab. pulv. 10,0
F. emuls. cui adde
Aq. 950,0
D. S. Für 4 Lavements.
(In der Armenpraxis stellt man sich natür-
lich das Lavement mit Hilfe eines Eigelbs
und eines Esslöffels Olivenöls billiger her.)
Zweckmässig ist es, mit der Darreichung
abzuwechseln, 14 Tage hindurch das Mittel
per OS und 14 Tage per rectum nehmen zu
lassen. Im Winter dient statt des Weines
der Leberthran als Vehikel:
IV Guajacoli 3,0
Ol. jecor. asell. 200,0
M. D. S. 1 Esslöffel bei den Hauptmahlzeiten.
Manche Kranke vertragen 1,5 bis 2,0
den Tag.
Gleichzeitig kommt eine äussere Be-
handlung in Anwendung. Dieselbe besteht
darin, dass Pat. beim Schlafengehen Brust,
Rücken und Arme mit der folgenden 10 %
Kreosotmischung einreibt:
IV Kreosot, fag. 20,0
Ol. jecor. asell. 200,0
M. D. S. Zum Einreiben.
Darauf bedeckt sich Pat. bis zum Halse
mit der Bettdecke, so dass sein Körper sich
förmlich badet in den Kreosotdämpfen, die
sich sofort unter dem Einflüsse der Bett-
wärme entwickeln.
Am Tage, wenn es zu ermöglichen, und
während der ganzen Nacht muss der Kranke
sich des Nasen-Respirators von Feldbausch
(Wiesbaden, Lehrstrasse 23), welcher 2 bis
3 Tropfen Kreosot enthält, bedienen. B.
wendet im Krankenhause 2 bis 3 cm lange
Kautschukröhrchen an, deren Durchmesser
der Weite des Nasenloches entspricht. In
das Innere derselben steckt er nut Kreosot
280
Referat*.
rlierapeatlaclie
Mon&tdiefte.
durchtränkt es Filtrirpapier. Alsdann bringt
er das Röfarchen in ein oder in beide
Nasenlöcher, ^o es vermöge seiner Elasticität
befestigt bleibt. Von hier geht das Kreosot
direct in die Lungenalveolen über. — All-
mählich -wird Fat. mit dem Mittel gesättigt
und man gelangt dahin, dem Organismus so
viel zu incorporiren, wie nach Guttmann
erforderlich ist, die Entwickelung des Bacillus
zu hemmen, um mit dieser Methode wirk-
lichen Erfolg zu erzielen, muss die Behand-
lung mindestens drei bis vier Monate fort-
gesetzt werden. Dabei kräftige Ernährung.
Manche Fat. haben 5 bis 6 Monate hin-
durch sich dieser Behandlung unterworfen,
ohne dabei die geringsten Störungen zu
empfinden. Der Erfolg war zuweilen sehr
ermuthigend.
{Corresp.'Bl. für Schweiter Aerzte 15. Mai 1889.)
R.
Ucber die Dyspepsie der Phthisiker. Von Dr.
S. Klemperer.
V. hat bei 14 Phthisikern die secretori-
schen und motorischen Verhältnisse des
Magens geprüft. Zwei von diesen Fatienten
waren mit der Diagnose Magenkatarrh in
das Krankenhaus gekommen, sie zeigten
nur erst sehr geringe Symptome von Fhthisis,
namentlich im sparsamen Morgensputum
Bacillen. Bei diesen beiden Fatienten war
die Secretionsthätigkeit eine normale, da-
gegen war mit Hilfe der vom Vf. ausgebil-
deten Oelmethode eine motorische Schwäche
niederen Grades nachzuweisen. 8 Fatienten,
die an ausgesprochener Fhthisis, jedoch
noch ohne Höhlensymptome litten, ergaben
das merkwürdige Resultat, dass in der
grossen Mehrzahl der Fälle der Salzsäure-
gehalt den normalen überstieg; in 3 Fällen
zeigte er sich normal und zweimal vermin-
dert. Die motorische Kraft war mehr oder
minder herabgesetzt, doch konnte bei keinem
Fatienten eine wirkliche Dilatation des Ma-
gens nachgewiesen werden.
3 Fatienten mit sehr vorgeschrittenem
Lungenleiden zeigten hochgradige Vermin-
derung, ja völliges Versiegen der Salzsäure-
secretion, ausserordentliche motorische
Schwäche bei bestehender Ektasie und star-
ken Gährungs Vorgängen. Alle 3 Fatienten
gingen sehr bald zu Grunde.
Zwischen dieser terminalen Dyspepsie
und den oben geschilderten Fällen der
initialen Dyspepsie stand ein Fall in der
Mitte, der nur die Frühsymptome der
Fhthisis darbot, aber die Erscheinungen der
terminalen Dyspepsie zeigte; eine ent-
sprechende Behandlung besserte seinen Zu-
stand sehr bald in erheblichem Maasse.
Zusammengenommen also ergiebt sich in
allen Fällen phthisischer Dyspepsie eine
Herabsetzung der motorischen Kraft, gering
im initialen, sehr stark ausgesprochen im
terminalen Stadium. Die Secretionsthätig*
keit ist im Beginn mehr gesteigert, oft nor-
mal, selten herabgesetzt; im Endstadium ist
sie ausserordentlich vermindert.
Es handelt sich also, was auch durch
sorgfaltige histologische Untersuchungen eines
französischen Autors, Marfan, erwiesen
wird, für die Fhthisis um eine durchaus nicht
charakteristische fortschreitende subacute
resp. chronische Gastritis.
Therapeutisch hat man also bei der
initialen Dyspepsie von der Darreichung der
Salzsäure in den meisten Fällen abzusehen;
auch erscheint die sonst wohl indicirte Dar-
reichung von Alkalien aus dem Grunde nicht
für zweckmässig, weil sie die Gährungsvor-
gänge begünstigt. Am meisten zu empfehlen
ist die Verordnung von Medicamenten,
welche die motorische Schwäche zu heben
geeignet sind, also von Alkohol und von
Bittermitteln, namentlich von Kreosot. Der
grosse, thatsächliche Nutzen des Kreosots
bei der Fhthisis rührt nach dem Verf. nicht
von seiner problematischen bacülentödtenden
Kraft, sondern von seiner Anregung der
motorischen Magenfunctionen her.
{Berl klin. Wockensch. 1889 No. II.)
Schtney {BeiUheu O.-S.).
Wann und wie soll man Digitalis verschreiben?
Von Dr. Henri Huchard, Arzt am Hospital
Biebat in Paris. Librairie medicalo Leclerc
1888. 80. 133 S.
„Die Digitalis ist das grosse Heilmittel
des Herzens und wird es bleiben, und ohne
Digitalis dürfte die Herztherapie unmöglich
sein." Mit wenigen Worten ist dies das
Resume der interessanten und wichtigen Ar-
beit Huchard 's. Wir können nicht umhin,
seiner Ansicht beizupflichten, dass gegenwär-
tig die verderbliche Tendenz herrscht, neue
Mittel zu verordnen, während man längst
erprobte und bewährte so wenig kennt.
Murri (Bologna) pflegte mit Recht zu
sagen : „Die Digitalis ist so wirksam, dass
der Arzt, welcher sich ihrer richtig zu
bedienen versteht, seinem, an einem organi-
schen Herzübel leidenden Fatienten mehrere
Jahre des Lebens einbringen und viele Lei-
den ersparen wird."
Verf. hat das Studium dieses Mittels
von Neuem aufgenommen und sich dieser
dankenswerthen Aufgabe in der zweck-
mässigsten und vollständigsten Weise erle-
digt. Zuerst führt er uns die physiolo-
gische und therapeutische Wirkung der
IIL JahrgAnff.*!
Juni 1889. J
Refetmto.
281
Digitalis Tor Augen, desgleicben die ver-
schiedenen Theorien, welche früher modern
waren und gegenwärtig Geltung haben. Der
zweite Abschnitt, der bei weitem wichtigste,
hat die Aufschrift: „Wann soll Digitalis
verordnet werden?" unter Anderm heben
wir hier folgende wichtige Schlusssätze her-
vor: „Die Kenntniss des erkrankten
Orificium hat nur eine nebensächliche
Bedeutung für die Indicationss tel-
lung des Medicaments. Man darf aus
der Stärke eines Geräusches nicht Kück-
Schlüsse auf die Intensität der Läsion oder
der Krankheit ziehen. Da^ Stadium,
in dem die Krankheit sich befindet,
verdient vor Allem Beachtung. In der
That ist die Anwendung der Digitalis in
dem Stadium der Compensation (Eusystolie)
überflüssig, in dem Stadium der Hypercom-
pensation (Hypersystolie) schädlich. In der
Periode der noch nicht eingetretenen Com-
pensation (Hyposystolie) oder vorübergehen-
den Asystolie ist sie sehr wirksam. Hier
feiert die Digitalis ihre Triumphe. — In
dem Stadium der definitiven Asystolie oder
Amyocardie endlich kann sie noch nützen,
aber Gaffern in grossen Dosen verdient hier
den Vorzug.
Des Weiteren hat H. den Einfluss der
Digitalis auf andere Herzaffectionen unter-
sucht. Unter diesen seien erwähnt: die
Palpitationen und die Tachycardien, die
Arythmien, Angina pectoris, Herzhypertro-
phie der Pubertät und der Menopause, Ne-
phritis und die Asystolie renalen Ursprun-
ges, Aortenaneurysma, Struma exophthalmic.
u. s. w.
Bei verschiedenen fieberhaften Affectionen
wirkt die Digitalis nur, indem sie die häufig
geschwächte Herzfunction wieder kräftigt.
Wirkungslos ist sie bei Epilepsie, Geistes-
krankheiten, Spermatorrhoe, Incontinentia
urinae und Delirium tremens.
In dem dritten Capitel: „Wie soll Digi-
talis verordnet werden?" finden wir die be-
herzigenswerthe und practische Vorschrift,
Mittel mit cumulativer Wirkung im All-
gen>einen nur in flüssiger Form und abstei-
genden Dosen zu verordnen. Huchard
empfiehlt hauptsächlich die Form der Mace-
ration und Infusion.
Wir können nicht umhin, dass bedeu-
tungsvolle Buch, dessen Verfasser bekannt-
lich zu den tüchtigsten Beobachtern und
bekanntesten Klinikern Frankreichs gehört,
allen Fachmännern zu eingehendem Studium
warm zu empfehlen.
Packottd {Lautanne).
Behandlung des Diabetes mit Antipyrin. Von
Albert Robin.
Seit October 1887 hat R. die Diabetiker
seiner Krankenabtheilung mit Antipyrin be-
handelt und sich überzeugen können, dass
Harn menge und Zuckerausscheidung ent-
schieden vermindert werden. Antipyrin ist
jedoch kein indifferentes Mittel. Seine
Wirkung erscheint beim Beginn der Cur
eine zauberhafte zu sein, und man könnte
es beinahe für ein Specificum halten. Bald
überzeugt man sich jedoch, dass ihm eine
bescheidenere Rolle zukömmt, und dass man
mit den Indicationen und Contraindicationen
seiner Anwendung wohl vertraut sein muss,
wenn man die betreffenden Patienten vor
Schaden bewahren will. — 4 Krankenge-
schichten werden in extenso berichtet. Die-
selben veranlassen zu folgenden Schlüssen:
1. Antipyrin wirkt energisch auf die
Glykosurie, aber es beseitigt sie nicht gänz-
lich. Wenn es auch keine Heilung herbei-
führt, so übt es doch zweifellos einen auf-
fallenden hemmenden Einfluss (action sus-
pensive) auf die Glykosurie, Polyphagie,
Polydipsie und Polyurie aus, und diese
Wirkung verdient Beachtung.
2. Was die Dosirung anlangt, so hat
R. 2, 3, 4 und 5 g in 24 Stunden in Gaben
von 1,0 alle 3 — 4 Stunden verabreicht. Die
Dosis von 5,0 ist zu hoch, da sie sehr
schnell den Appetit vermindert und Albu-
minurie veranlasst. Mit 4,0 erhält man
schon günstige Resultate, aber auch diese
Gabe ist noch zu hoch und man thut gut,
nur 2,0 — 3,0 täglich zu verabfolgen.
3. Bezüglich der Verabreichungs-
weise erscheint es zweckmässig, dem Anti-
pyrin noch Natrium bicarbonicum (2:1)
hinzuzusetzen (weil nach Antipyrin der Säure-
gehalt des Harns sehr vermehrt erscheint).
Da Antipyrin die Wirkung des Pepsins herab-
zusetzen vermag, lässt R. das Mittel nicht
beim Beginne der Mahlzeiten, sondern in
Zwischenräumen von 4 Stunden zu 1,0
nehmen.
4. Das Mittel darf nicht ohne Unter-
brechung genommen werden. Nach 8 bis
12tägigem Gebrauch ist es auszusetzen.
Sobald die geringste Spur von Eiweiss im
Urin auftritt, darf nicht mehr Antipyrin ge-
geben werden. Die Zeit des Eintritts der
Albuminurie ist sehr variabel. In einem
Falle machte sie sich schon am 7., in einem
anderen erst am 24. Tage bemerkbar.
Es liegt auf der Hand, dass man bei
einem Diabeteskranken mit der bekannten
Diabetes-Diät dahin gelangt, die Harn- und
Zuckermenge zu verringern. Hierzu ist
jedoch viel Zeit und Geduld erforderlich.
36
282
Referat«.
rrh«rftpM.tiMh«
L Monatihefte.
Deshalb erscheint es zweckmässig, init Anti-
pyrin die Behandlung zu beginnen; dem
Kranken acht Tage hindurch Antipyrin zu
geben, ohne ihn einer besonderen Diät zu
unterwerfen. Sobald alsdann eine erhebliche
Reduction des Zuckergehalts eingetreten, fort
mit dem Antipyrin und strenge Befolgung
des classischen Regimes. Wenn Fat. nun
nach einiger Zeit der strengen Diabeteskost
überdrüssig, nach Abwechselung verlangt,
kann er wiederum 8 Tage lang Antipyrin
nehmen und während dieses Zeitraumes ohne
Schaden zur gewöhnlichen Kost zurückgreifen.
In dieser Weise hat R. einen Diabetiker
lange mit überraschendem Erfolge behandelt.
Wenn bei der Anwendung des Anti-
pyrins der Zuckergehalt nicht schnell (nach
6 — 8 Tagen) fällt und die Verminderung
nicht mindestens 25 % beträgt, ist es zweck-
mässig, das Mittel bei Seite zu lassen.
Desgleichen bieten Appetitabnahme, Ab-
magerung, Schwächegefühl, Gesichtsblässe
und Oppression wohl zu beachtende Contra-
Indicationen.
{Gaz, mdd. de Paris 1889 No. 15 und 16.) R.
Antipyrin gegen Ischias. Von Dr. G.Covarrablas
(Liina).
Nachdem in einem hartnäckigen Falle
Yon Ischias alle bisher bekannten und
empfohlenen Mittel (Salicylsäure, Jodkalium,
Chinin, Tinctura Gelsemii, Bromkalium,
Morphin etc.) wenig oder gar nichts genützt
hatten, entschloss C. sich, mit Antipyrin
einen Versuch zu machen. Er verordnete
dasselbe in Verbindung mit Chinin dreimal
täglich 0,5. Einen Tag darauf Hessen die
Schmerzen bereits nach und 10 Tage später
konnte Fat. geheilt das Krankenhaus ver-
lassen.
{RtviBt. Med. de Chile et Revue gin. de therap. 1889.)
R.
Hyoscin bei Geisteskranken. Von Dr. Otto K lin ck e
(Leubus).
Verf. ist zu folgenden Resultaten ge-
langt:
1. Das Hyoscin. hydrojodicum ist, wie
die beiden anderen Salze (H. hydrobrom.
und H. hydrochlor.) wegen seiner Billigkeit,
Geschmacklosigkeit und bequemen Anwen-
dungsweise den theuern, schlecht schmecken-
den anderen jetzt gebräuchlichen Schlaf-
mitteln, die schon von ruhigen Kranken
ungern genommen werden, bei verwirrten
und erregten Kranken oft vorzuziehen.
2. Es ist stets sowohl bei subcutaner,
wie interner Verabreichung mit den kleinsten
Gaben zu beginnen, da die Toleranz gegen
das Mittel individuell sehr verschieden ist.
Fer OS verabreichte Gaben, die im Allge-
meinen etwa doppelt so gross sein mögen,
wie subcutan applicirte, entfalten ihre Wir-
kung im Allgemeinen später als die letzte-
ren, verursachen aber nicht in so heftiger
Weise unangenehme und erschreckende
Nebenerscheinungen. Interne Gaben wirken,
soweit Verf. das nach der im Verhältniss
zu den subcutanen Injectionen geringen An-
zahl bis jetzt beurtheilen kann, in weit
mehr Frocent der Fälle schlaf erzeugend und
sind daher den Injectionen vorzuziehen,
während bei Tage subcutan gereichte Dosen
wegen ihrer schnelleren Wirkung bei hefti-
gen Erregungszuständen oft vortheilhaft sein
können. Die Dosis von 3 mg bei der
einen oder anderen Anwendungsweise zu
überschreiten, hat Verf. nicht für nothig
gefunden.
3. Das Hyoscin wirkt lähmend auf die
motorischen und secretorischen Centren, ver-
langsamt Fuls, Respiration, erzeugt Trocken-
heit im Munde und Schlünde, Mydriasis,
Accommodationslähmung, gelegentlich Appe-
titlosigkeit und Erbrechen.
4. Es ist oft mit Vortheil in Anwen-
dung zu ziehen bei allen mit grosser, mo-
torischer Unruhe, Geschwätzigkeit, blindem
Lärmen und Umherwirthschaften einher-
geheuden Fsychosen, namentlich bei mania-
kalischen Zuständen, aufgeregten Faralytikern.
I Bei melancholischen Zuständen ist Hyoscin
■ von geringer oder gar keiner Wirkung und
I Morphium in diesen Fällen daher vorzu-
• ziehen.
I 5. Durch das Mittel werden ohne Zweifel
Sinnestäuschungen theils schmerzhafter, theils
heiterer Art hervorgerufen, resp. vorhandene
gesteigert und vermehrt. Man wird daher
mit Recht die Anwendung des Mittels bei
frischen Fsychosen einzuschränken haben,
während es sehr wohl bei heruntergekomme-
nen Kranken selbst in grösseren Dosen an-
gewendet werden kann, das Fehlen jeglicher
Complication von Seiten des Herzens vor-
ausgesetzt.
{Centralbl. f. Nervenheilk, von Erlenmeyer 1889 No.7.)
Krön.
Ausscheidung der Salicylsäure. Von Dr. Chopin.
Verf. hat sich die Aufgabe gestellt,
mittelst verschiedenartiger, dem Körper zu-
geführter Arzneistoffe, deren Nachweis im
Urin leicht möglich ist, eine Theorie über
die Gesetzmässigkeit der Nierensecretion,
und zwar der gesunden und kranken Niere,
herzustellen, dabei den etwaigen Einfluss
dieser Stoffe auf die Secretion zu berück-
sichtigen, schliesslich quantitative Bestim-
mungen der durch die Nieren ausgeschiedenen
in. Jabrirang.l
Jan! 1889. J
Referate.
283
1
und im Körper zurückgehaltenen Substanz
vorzunehmen. Zunächst Avird die Salicyl-
säure daraufhin untersucht, deren Nachweis
bereits im Verhältniss von 1 : 1 Million mit
Liq. ferr. sesquichl. gelingt. Verf. findet bei
Gesunden insgesammt 80 ®/o der eingeführten
Salicylsäure wieder. Dieselbe wird übrigens
theilweise vor der Ausscheidung gespalten,
so dass sich im Harn neben der Salicylsäure
die stickstoffreichere und weniger flüchtige
Salicylursäure, wenn auch in geringerer
Menge findet, daneben auch noch häufig
Salicin und Spuren von Oxalsäure. Falls
1 g Salicylsäure (gleichviel ob per os, per
anum oder subcutan) gegegen wird, so er-
scheint sie nach 15 Minuten schon im Harn
und verschwindet nach 38 Stunden. Bei
Kindern tritt der Beginn und das Ende der
Ausscheidung schneller ein und es ist die
ausgeschiedene Menge procen tisch noch
grosser. Bei Greisen ist das Verhalten um-
gekehrt, ausserdem tritt leicht Albuminurie
ein. Bei gesunden und chronisch erkrankten
Nieren wirkt die Salicylsäure diuretisch, in
letzterem Falle vermehrt sich jedoch auch
der Eiweissgehalt. Bei acuten Nierenent-
zündungen vermindert sie dagegen die Se-
cretion. Sie wird bei allen Nierenerkran-
kungen später, länger und weniger vollstän-
dig als normalerweise ausgeschieden, dabei
findet eine relative Vermehrung der Salicyl-
säure statt, was Verf. durch vermehrte Stick-
stoffaufnahme in Folge des längeren Ver-
weilens in den Geweben erklärt.
Die Arbeit ist unter Leitung von Du-
jardin - Beaumetz und Gautier verfasst
worden. Sie ist theilweise eine Bestätigung
bekannter Thatsachen. Für den Praktiker
enthält sie jedenfalls eine Ermahnung zur
Vorsicht in der Verabfolgung des Natr.salicyl.
bei Nierenerkrankungen oder bei alten Leuten,
etwa zur Anregung der Diurese. Es liegt
die Verwechslung einer Salicylintoxication
mit Urämie nahe. Die gestellte Aufgabe,
die functionellen Leistungen der Niere, die
wie diejenigen aller Organe im innigsten
Zusammenhang mit dem augenblicklichen
Zustand des Gesammtorganismus stehen, als
zeitlich, ursächlich und quantitativ genau
abmessbare hinzustellen, dürfte jedoch durch
die Untersuchungen nicht gelöst sein.
{Bullet, gen, de Tkerap. 1889, Fevr.)
Rosin {Breslau).
Ueber 6 Gehirnverletzungen und deren Behand-
lung. Von Dr. Flothmann, Ems. Vortrag
r^ebalt. auf der 61. Vers, deutsch. Naturf. u.
Aerzte zu Cöln.
Verf. plaidirt dafür, bei Gehirnverletzun-
gen, sofern es gelingt, alle Fremdkörper zu
entfernen, die Blutung sorgfältig zu stillen,
die Wunde streng zu desinficircn und durch
Jodoform, Wismuth oder Paquelin zur Aus-
trocknung zu bringen, die Gesammtwunde
frühzeitig plastisch zu decken und
zwar zunächst mit Periost, dann mit der
äusseren Haut.
{MSneh. med. Woehenschr., 1888. Nr. 32.)
Freyer {SUtiin).
Zur Nachbehandlung der Tracheotomie. Mitge-
theilt von Dr. Herold, pr. Arzt in Kronach.
Verf. hat in 2 Fällen nach der wegen
Diphtherie vorgenommenen Tracheotomie un-
unterbrochene Creolininhalationen
(1 : 1000 während 8 — 10 Tagen) angewandt
und glaubt sowohl dem Mittel, als auch
der ununterbrochenen Anwendung des-
selben den eingetretenen Erfolg zuschreiben
zu dürfen. Während der Inhalationen bil-
deten sich weniger leicht Krusten in der
Canüle, wie bei der Nachbehandlung mit
andern Mitteln. Ausserdem Hessen die Kin-
der sich den andauernden Spray recht gern
gefallen.
{Manch, med. Woehenschr., 1889. Nr. 1.)
Freyer {Stettin).
Ein Fall von giacklicher Milzexstirpation. Von
Prof. Dr. Theodor Kocher in Bern.
Verf. war in der Lage, eine 5 1jährige
Patientin von einem 3530 Gramm schweren,
wie sich später herausstellte, durch Hyper-
plasie vergrösserten Milztumor auf opera-
tivem Wege zu befreien. Bei der Operation
bereitete die Kürze des Milzligaments grosse
Schwierigkeiten; die Bauchhöhle war durch
einen Median schnitt am lateralen Rande
des Rect. abdom. eröffnet und die Oeffnung
durch einen Querschnitt in Nabelhöhe
erweitert worden. Nach Eröffnung der
Bauchhöhle wurde geflissentlich jedes diffe-
rente Antisepticum vermieden. — In Ueber-
einstimraung mit anderen Beobachtungen trat
auch hier eine allmähliche Abnahme der rothen
und Zunahme der weissen, speciell kleinen
weissen Blutkörperchen ein. Schwellung der
Schilddrüse wurde nachträglich nicht beob-
achtet; doch befand sich die Patientin nach
3 Monaten noch in hydropischem und hoch-
gradig abgemagertem Zustande.
{Correspondenzbl. f. Schweiz. AerzU, 1888. Nr 21.)
Frey er {Stettin).
Ueber die Behandlung von Lageveränderungen
des Uterus nach der Methode von Brandt.
Von Dr. Alfred Goenner. Vortrag gehalten
in der med. Gesellschaft zu Basel am 6. Dec.
1888.
Nach einer kurzen Besprechung des heuti-
gen Standpunktes der Massage in der Gynä-
86*
284
Rafent«.
TTherapeatlMilra
L. MoDAUhefte.
kologie berichtet G. über 12 von ihm be-
handelte Fälle TOQ Lageveränderuageii des
Uterus ohne Fixation, von denen allerdings
4 als mit der Behandlung nicht abgeschlossen,
im Weiteren noch ausgeschieden werden. In
allen anderen 8 Fällen ist ein Resultat zu
yerzeichnen gewesen, wenn letzteres auch
natürlich nach der Art der Fälle verschieden
sein mnsste. Die einfachen Retroflexioneu
sind alle geheilt ; die mit Senkung resp.
kleinem Vorfall sind insofern besser gewor-
den, als der Uterus jetzt wieder im Becken
ist und anteiiectirt, aber doch noch tiefer
als normal steht; ein Fall von totalem Pro-
laps ist nicht geheilt, sondern nur gebessert
worden.
G. resumirt nach diesen seinen Fällen
in folgender Weise. Wenn die Brand ti-
sche Methode auch nicht alle Yorfälle und
Knickungen der Gebärmutter aus der Welt
schaffen wird, wenn man auch nicht alle
mit solchen Leiden behaftete Frauen auf
diese Weise wird behandeln können und
viele noch bleiben werden, die Ringe tragen
müssen, so leistet dieselbe bei richtiger An-
wendung doch so entschieden wirklich Gutes,
dass sie wohl eine Zukunft haben dürfte
und allgemeinstes Interesse beanspruchen
darf. Natürlich ist, um die Methode nicht
zu discreditiren, wie überall auch hier eine
Auswahl nothig. Patientinnen mit bedeu-
tendem Dammdefect, schlaffe, muskelschlaffe
Individuen und solche mit wenig Energie,
welche die Anstrengung der Cur scheuen,
sind entschieden auszuschliessen, weil hier
die guten Erfolge stets ausbleiben werden.
Was die Art der Ausführung betrifft,
die am besten Vormittags vorgenommen wird
und bekanntlich in 3 Abschnitte zerföllt,
nämlich in Kreuzbeinklopfungen, zweitens in
Hebebewegungen des Uterus und drittens in
Knieschliessungen mit Hebungen des Kreuzes,
so sucht G. in manchen Fällen ohne Assi-
stenz auszukommen und hält dieselbe nur
da, und auch hier nicht für absolut noth-
wcndig, wo Lüftungen des Uterus gemacht
werden müssen.
Die Knieschliessungen sind Anfangs für
die Patientin etwas ermüdend, bald aber
werden die Adductoren der Oberschenkel
stärker und man muss seine ganze Kraft an-
wenden, um Widerstand leisten zu können.
Das Gleiche findet mit dem Levator ani statt,
man kann seine Contractionen gut fühlen,
wenn man untersucht, während die Patientin
die Beine einander nähert, und kann auch
constatiren, wie im Laufe der Behandlung
die Contracturen des Muskels stärker werden
und wie er stärker gegen die Scheide vor-
springt. Damit sich der Levator energisch
contrahire, ist es nothig, dass die Kranke
das Kreuz tüchtig hebe, während sie die
Knie schliesst. Blosses Schliessen wirkt
nicht so gut.
{CorrespandnnzblaU /. Schweiger AenU 1889 No, 3.)
G. PeUrs {BerK»).
Neuere Erfahrungen ttber die Anwendung der
Galvanokaustik in der Augenheilkunde. Von
Prim. Dr. Wilhelm Goldzieher, Docent in
Budapest.
Verf. hat mit dem Galvanokauter eine
Reihe glänzender therapeutischer Erfolge er-
zielt. Dieses Instrument ist dem Thermo-
kauter vorzuziehen, da ersteres viel hand-
licher ist; ausserdem ist der feine Platin-
draht desselben unersetzlich.
Eine Indication der Galvanokaustik liegt
bei Geschwüren und Substanzverlusten der
Cornea vor, überhaupt aber dort, wo ein
septisches Geschwür angenommen werden
kann. Nach der ersten Aetzung nimmt schon
die Iritis ab und das subjective Befinden
des Kranken bessert sich rasch. Die Gal-
vanokaustik ist von grossem Werthe bei
solchen Fällen der scrophulosen (phlyktae-
nulären) Augenentzündung der Kinder, wo
einzelne noch frische oder bereits geschwü-
rige Phlyktaenen der Cornea vorliegen. Ein
grosser Theil jener Erscheinungen, welche
bisher mit Atropin, Quecksilberpräparaten
etc. behandelt wurden, bleibt uns erspart,
wenn, wo es geht, d. h. ein circumscripter
Herd auf der Cornea sitzt, derselbe durch
punktförmige Aetzung mit dem Galvano-
kauter zerstört wird. Der Lidkrampf ver-
schwindet bald und die Krankheit ist der
raschen Heilung wcifc zugänglicher. — Bei
der Keratitis fasciculosa Graefe, dem soge-
nannten Gefässbändchen , ist die galvano-
kaustische Behandlung direct indicirt. Gold-
zieher pflegt zuerst den Kopf des Gefass-
bändchens anzuätzen und dann sofort das
Gefässbündel am Hornhautrand quer, d. h.
in der Richtung des Hornhautlimbus mit
dem Glühdrahte durchzuschneiden. Um jeden
Aetzschorf trübt sich bald die Hornhaut,
ihre Trübung nimmt also zu; werden mit
dem Glüh drahte Blutgefässe durchschnitten,
so treten zu diesen Trübungen noch Aus-
tritte von Blutbestandtheileu aus den ver-
letzten Gefässen hinzu und vergrössem die
Trübung. Die Trübungen resorbiren sich
früher oder später und die Heilung geht
rasch vor sich. Das nach der Aetzung auf-
tretende Hypopyom braucht nicht für eine
Verschlimmerung gehalten zu werden. Das-
selbe ist bei Kindern, wenn es nicht septi-
scher Natur ist, nicht geföhrlich. Es ver-
schwindet bald und trotz des Hypopyoins
in. Jahrirang.!
JanI 1889. J
R«f«rate.
285
ist die Dauer der Heilung abgekürzt. Verf.
bezeichnet als einen nicht genug zu schätzenden
y ort heil der galvanok austischen Behandlung
der phlyktaenulären Homhautinfiltrationen,
dass die zurückbleibende Trübung viel gün-
stiger sei, als die nach den üblichen Metho-
den. Selbst tiefere Brandschorfe der Cornea
hinterlassen sehr schone durchscheinende
Narben; in den Torliegenden Fällen G.^s sind
die Trübungen, wenn sie wahrnehmbar sind,
scharf begrenzt, stören das Sehen daher nicht
so sehr, wie die Narben scrophulöser Ilorn-
hautprocesse.
Bei chronischem oder -vernachlässigtem
Bindehautkatarrh treten manchmal am Lim-
bus der Cornea punktförmige Infiltrate oder
Geschwürchen auf; für diese eignet sich eine
galvanokaustische Behandlung sehr gut. Die
Heilung ist in diesen Fällen eine rasche und
gründliche, die Geschwürchen erneuern sich
nicht an einem andern Orte, wie wir es bei
der Anwendung von warmen Umschlägen,
Atropin etc. beobachten können. In einem
Falle von Ulcus rodens corneae gelang es
Verf. den Process plötzlich zum Stehen zu
bringen und vollständige Heilung zu er-
zielen. Der Rand des Geschwüres wurde
tief geätzt, auch wurden die Nachbarpartien
nicht geschont.
Nach einer ausgebreiteten Aetzung wurde
stets fein zertheiltes Jodoform-Pulver auf die
Cornea gestreut und ein Verband angelegt.
Von grossem Nutzen ist die galvano-
kaustische Behandlung beim Trachom. Durch
diese Manipulation entsteht ein Vernarbungs-
process, der sich später auf die ganze
Schleimbaut verbreitet. G. zerstört mit dem
Galvanokauter von Zeit zu Zeit stets eine
andere Körnerpartie; die Schleimhaut, welche
auf diesen Eingriff gar nicht reagirt, wird
schon am nächsten Tage mit Cuprum sul-
furicum oder einer Lapislösung touchirt.
Die Patienten vertragen dies sehr gut, ihre
Arbeitsfähigkeit leidet gar nicht. Beim Pan-
nus trachomatosus erweist sich der Glüh-
draht als das souveräne Mittel. Der Grad
des Pannus beeinträchtigt nicht den Effect.
Als Regeln stellt G. folgende Sätze auf.
Sind wenig Gefasse vorhanden, so ätzt man
sowohl die Basis der Gefässe, längs des
Limbus, als auch ihr Ende auf der Horn-
haut, wo sich gewöhnlich einige Infiltrationen
befinden. Bei ausgebreitetem Pannus wird
eine tiefe, linien förmige Aetzung parallel dem
Limbus, innerhalb des Hornhautgebietes ge-
macht; einzelne dicke Gefäss wurzeln sollen
jenseits der Hornhaut auf dem Scleralgebiet
energisch mit dem Glühdraht durchschnitten
werden. Ausser der Galvanokaustik ist bei
Pannus trachomatosus mit glatter, nicht
secernirender Bindehaut jede locale Behand-
lung zu vermeiden. Die Galvanokaustik ist
stets unter Cocainwirkung vorzunehmen. Lid-
halter oder Fixirpincette sind bei einiger
Uebung unnöthig. Nach Aetzung der Cornea
wird das Auge verbunden, nach der der Con-
junctiva braucht dieses nicht zu geschehen.
{Orvosi HeU Szemk 1888 No. 32.)
Schutchny (Eudapett).
Die Behandlung der Cornealgeschwflre. Von
Dr. P. A. Callan (New- York).
Comealgeschwüre beobachtet man meist
bei jungen Individuen, wo sie sich häufig
genug im Anschluss an Phlyktänen in Folge
des Reizes, den die Frictiou des Lidrandes
auf sie ausübt, entwickelt. — In derartigen
Fällen ist gelbe Praecipitatsalbe , einmal
täglich zwischen die Lider gestrichen, oft
von ausgezeichneter Wirkung. Wenn nöthig,
hat man noch etwas Atropin und Cocain,
besonders bei starker Lichtscheu, hinzuzu-
setzen. — Gleichzeitig verabreiche man
Tonica, ordne möglichst viel Bewegung in
frischer Luft an, während die Patienten
gleichzeitig nur leicht verdauliche Kost
geniessen, in einem grossen luftigen Raum
schlafen und gegen grelles Licht durch
rauchgraue Gläser geschützt werden sollen.
Geradezu schädlich sind Binden, sowie
längerer Aufenthalt in einem dunklen
Räume. — Handelt es sich um Comeal-
geschwüre in Folge von Conjunctivitis, so
ist letztere zu behandeln, zumal wenn die
schweren Formen wie gonorrhoische Con-
junctivitis, Trachom etc. vorliegen. Bei
Geschwüren ohne ersichtliche locale Ursache,
die auf constitutionelle Diathesen zurück-
zuführen sind (Malaria, Syphilis), ist das
Grundleiden zu behandeln, die Geschwüre
selbst unter Cocain mit aseptischen Watte-
Tampons mehrmals täglich sorgfaltig zu
reinigen und hierauf mit einer 1%
Silbernitratlösung sorgföltig zu touchiren
(2 — 3 Mal täglich). Weiterhin ist das
Auge 2 — 3 Mal des Tages mit 40° C. heissem
Wasser, jedesmal etwa eine halbe Stunde lang,
zu waschen. — BestehtheftigerReiz der Cornea,
so ist dieselbe mit Borsäure zu baden; dann
träufele man Atropin und Cocain ein und
lege über das Auge eine leichte Bandage.
Nach Beseitigung der heftigsten Entzündung
ist auch in diesen Fällen Silbernitratlösung
anzuwenden, die von allen Medicamenten
nach Verf. am geeignetsten ist, um die
Geschwüre zu reinigen und darauf, durch
Ausübung eines steten Reizes, die Heilung
derselben zu beschleunigen.
{The Mtdical <f 9urg. HeporUr 3. XL 1888.)
Hugo Lohniiein {Berlin).
286
Referat«.
r'herapeatiaeha
Monauhefte,
Die Behandlung der Psoriasis vulgaris mit Jod-
kalium. Von Dr. Gutteling (Rotterdam}.
Verf. schildert die Erfolge, welche auf
der Klinik für Syphilis von Prof. van Haren
Noman in Amsterdam bei 22 an Psoriasis
vulgaris leidenden Patienten mit grossen Do-
sen Jodkalium erzielt wurden, welche in
einigen Punkten von den Erfahrungen Has-
lund^s mit dem Mittel (siehe diese Monatsh.
1887 S. 410) abweichen. 10 Patienten
wurden in die Klinik aufgenommen, 12 poli-
klinisch behandelt. Das Mittel wurde in
laugsam steigenden, kleinen, aber häufigen
Dosen gereicht. Auch die Beobachtung der
ambulant behandelten Kranken ist für die
Beurtheilung des Werthes des Medicamentes
für die Therapie der Psoriasis wichtig, da
bei ihnen die Vortheile der Hospitalbehand-
lung, gleichmässige Ernährung, Aufenthalt
in guter Luft, Einstellung der Beschäftigung
etc. wegfallen. Die höchste Dosis pro die
betrug 57 Gramm, die grosste Gesammt-
menge des verbrauchten Jodkaliums 3684
Gramm (bei demselben Kranken). In 5
Fällen trat vollkommene Genesung ein (bei
einem Patienten auch noch bei einem Re-
cidiv). Bei 5 poliklinischen Patienten wurde
wegen hartnäckiger Kopfschmerzen, Schnupfen
etc. der Gebrauch des Jodkalium ausgesetzt,
und eine andere Behandlung der Psoriasis
begonnen. In allen anderen Fällen trat be-
deutende Besserung des Zustandes ein; bei
6 Kranken wurde nach mehreren Monaten
mit der Darreichung des Jodkalium aufge-
hört, da ein Stillstand in der Besserung
eingetreten schien, und nur noch geringe
Eruptionen am Körper der Patienten vor-
handen waren. Die beim Jodkaliumgebrauch
zu befürchtenden Erscheinungen des Jodis-
mus scheinen gerade bei Darreichung kleiner
Gaben aufzutreten, da selbst bei Monate
lang anhaltender Anwendung des Mittels in
grossen Dosen, ausser bei jenen 5 genannten
Kranken, keine so heftigen Nebenerschei-
nungen auftraten, dass das Mittel hätte aus-
gesetzt werden müssen. Bei 6 von 7 Pa-
tienten, deren Körpergewicht bestimmt wurde,
nahm dasselbe von ^/s bis ö^s Kilogramm
zu, in einem Falle um 2^3 Kilogramm ab.
Die Diurese war gesteigert, das specifische
Gewicht des Harns blieb ungefähr das
gleiche. In einem Falle wurde der sauer
gelassene Harn sehr schnell alkalisch und
trübe. Albuminurie wurde bei keinem
Kranken constatirt; einige Male traten
Affectionen der Respirationsschleimhaut,
Kopfschmerzen und Conjunctivitis auf, wel-
che eine Herabsetzung der Jodkaliumdosis
veranlassten. Kleine Gaben von Atropin
brachten diese Symptome schnell zum
Schwinden. In einigen Fällen trat Acne,
einmal Purpura, einmal Oedem eines Unter-
schenkels und einmal rheumatische Schmer-
zen in den Gelenken auf. Die Pulsfrequenz
nahm zu, nachtheilige Wirkungen des Mitteis
auf das Herz zeigten sich nicht, jedoch ist
bei Herzaffectionen Vorsicht in der Anwen-
dung des Jodkalium nöthig. Salivation ent-
stand beim Gebrauch desselben nicht. Jeden-
falls hat das Medicament einen unbestreit-
bar günstigen Einfluss auf die Psoriasis, be-
sonders in frischen Fallen, welcher sich meist
bei Dosen von 10 bis 20 Gramm pro die
äussert. Tritt die gute Wirkung bei diesen
Gaben nicht ein, und müssen diese gesteigert
werden, so bleibt meist das Ergebniss trotz
energischer Behandlung unvollkommen. Die
beim Gebrauch grosser Dosen des Jodkalium
auftretenden Nebenerscheinungen waren nie
ernster Natur und zeigen sich auch bei Ein-
nahme kleiner Gaben. Die kürzeste Be-
handlungsdauer in den 5 geheilten Fällen
betrug etwas mehr als 14 Tage, die längste
4^3 Monat.
( Wttkbl. van hrt Xedei'l. Tijdschr. voor Gtneetk. 1889.
1. No. /7.) Ctoryt Mtytr {Btrlin).
Ueber dl« Behandlung der infectiösen Urethritis
mittelst der Thallin-Antrophore. Von Dr.
Istamanoff (Tiflis.)
Nachdem Verf. bereits mit dem Thalliu.
sulfur. in 2procentiger Lösung sehr gute
Erfolge bei der Gonorrhoe erzielt, wendete
er nach Bekanntwerden der Stephan^ sehen
Thallin-Antrophore dieselben in 29 Fällen
von acutem und bei 24 Patienten mit chro-
nischem Tripper an. Bei den ersten war
vollständige Genesung in 10 bis 20 Tagen
bei 28 Kranken zu constatiren, von den
letzteren 24 Patienten wurden 21 in 3 bis
5 Wochen geheilt. 4 Fälle blieben un-
geheilt, einer derselben bekam nach der ersten
Einführung des Antrophores Schmerzen in der
Blasen gegend und beim Üriniren. I. ge-
brauchte stets 5procentige Thallin-Antro-
phore, täglich einmal bis zur vollständigen
Genesung, von einer Länge von 14 bis 25 cm.
Schädliche Nebenwirkungen traten nur ein-
mal (v. s.) ein; das bei den ersten Ein-
führungen in der Urethra vorhandene leichte
Brennen wird stets gut ertragen. Das
Schmelzen der Antrophore dauert 15 bis 20
Minuten und länger. Anfangs muss der
Arzt das Instrument persönlich dem Patien-
ten einlegen; später kann der Kranke ohne
Nachtheil die Einführung selbst übernehmen.
{AfonaUh.f.pracL Dtrmaiol 1888, No. 24.)
Geory€ Meyer (Ber2tn).
Jani 1889. J
Raformtft.
287
Ueber die therapeutische Verwendung des Queck-
silbersallcylats. Von Dr. P 1 u m e r t (Pola).
Bei den blennorrhagi sehen Processen der
männlichen Harnröhre wurde eine Losung
von Quecksilbersalicylat 1 — 3 : 1000 verwen-
det. Es zeigte sich, dass mit dem Mittel
der Arzneischatz gegen die Urethritis be-
reichert ist, aber keine Abkürzung des Pro-
cesses bewirkt werde. Weiter wurde das
Präparat in der Form von Yerbandwasscr,
Streupulver etc. bei venerischen und syphi-
litischen Geschwuren mit günstigem Erfolge
benutzt. Die Behandlung der Syphilis mit
dem salicylsauren Quecksilber geschah mit-
telst subcutaner Injectionen und innerlicher
Anwendung. Zur Injection wurde die Losung
kurz vor dem Gebrauch bereitet (1 : 100);
jede Spritze enthielt also 0,01 Hydrarg.
salicyl. Die Injection geschah täglich.
Bleibende Infiltrate, Entzündungen, Abscesse
wurden nie beobachtet. Das Mittel wirkte
bei allen Formen der Syphilis gleich günstig.
Durchschnittlich wurden 30 Injectionen aus-
geführt. Stomatitis kam nur einmal vor.
Beim Gebrauche von mit dem Medicament
hergestellten Pillen (pro dost 0,025) stellten
sich nie Erscheinungen von Seiten des Ma-
gens oder Darms, nur einmal leichte Stoma-
titis ein. 2 — 4 Pillen wurden pro die ver-
abreicht. Auch hier war der Erfolg ein
sehr zufriedenstellender, üeber das Eintreten
von Recidiven beim Gebrauch des Mittels
soll später berichtet werden.
{VierUljakrickr.f.Dwmatolu. 8ypK 1888, 6. Heß, 8. 663.)
Otorge Meyer {Berlin).
Zur Behandlung der Syphilis mit Injectionen von
Calomel und Oleum cinereum. Von Prof.
Doutrelepont (Bonn).
Yerf. hält auf Grund seiner langjährigen
Erfahrung folgende Behandlungsmethode der
Syphilis für die beste: Der Primäraffect ist,
so lange dies gründlich geschehen kann, zu
exstirpiren. Ist dies nicht mehr möglich, so
werden die Sklerosen und indolenten Bu-
bonen mit ortlicher Anwendung von Em-
plastr. Hydrarg. behandelt, innerlich Jod-
kali. Zeigen sich die ersten secundären Er-
scheinungen, so verwirft D. jede weitere
exspectative Behandlung und verwendet das
Quecksilber so lange, „bis alle Symptome
völlig geschwunden, die erkrankten Stellen
ganz zur Norm zurückgekehrt sind^. Bei
der Entlassung nehmen die Patienten noch
einen Monat Jodkali, welches die Entfernung
des Hg durch den Harn beschleunigt. Ferner
verwendet D. das Jodkali im tertiären Stadium,
in welchem das Hg bisweilen nicht vertra-
gen wird. Die Weiterbehandlung, um Re-
cidiven vorzubeugen, ist die chronisch-inter-
mittirende Fournier^s. Von den Queck-
silberanwendungsweisen hält D. die Schmier-
cur für die wirksamste, die Injectionen
kommen ihr nahe; letztere haben jedoch
sehr viele Vorzüge: Bequemlichkeit, Sauber-
keit etc. Für die Einspritzungen wurde in
der Bonner Klinik die Galomclolsuspension
(Calomel. vap. parat. 1,0
Ol. olivar. 10,0)
benutzt. Alle 8 Tage wurde eine Spritze
applicirt; 4 — 6 Spritzen genügten zur Be-
seitigung der Symptome. Die Injectionen
sind intramuskuläre und geschehen unter
Beobachtung peinlicher Antisepsis. Abscesse
bleiben dann ganz aus. Ferner wurden In-
jectionen mit dem grauen Oel gemacht je
0,15 an zwei Stellen alle 5 bis 8 Tage
iV Hydrarg.
Lanolin, aa 3,0
Ol. olivar. 4,0
und auch hiermit sehr zufriedenstellende Er-
folge erzielt. Verf. hält die Calomelölinjec-
tionen neben der Inunctionscur für die wirk-
samste und energischste Methode der Sy-
philisbehandlung; die Wirkung des Oleum
cinereum hält er für fast gleich dem Calomel.
{DUche. med. Wochechr. 1888, No. 38.)
George Mejftr {Berlin).
Zur Balneotherapie der Neurosen. Von Prof.
Dr. £. Heinrich Kisch.
Ref. hat bereits einmal an dieser Stelle
(vgl. diese Zeitschrift 1888 S. 90) Gelegen-
heit gehabt, die Beobachtungen des Verf.
über Koprostase - Reflexneurosen zu be-
sprechen. Ohne wesentlich Neues zu brin-
gen, hebt Verf. hervor, dass namentlich das
nervöse Herzklopfen, die Hemicranie, die
Ischias, die Intercostalneuralgie, die Lumbo-
Abdominalneuralgie, die Ovarialneuralgie
und, wie schon Güssen bau er nachgewiesen
hat, die Trigeminusneuralgie in sehr vielen
Fällen auf hartnäckiger Stuhl Verstopfung be-
ruhen. Verf. hat bei diesen Patienten durch
eine methodische Anregung der Darmthätig-
keit, namentlich mit Hilfe des Marienbader
Kreuz- und Ferdinandbrunnens und durch
geeignete diätetische Vorschriften es zu
Wege gebracht, dass die bezeichneten Re-
flexneurosen binnen einigen Wochen auf-
horten und die Anfälle gar nicht oder sehr
selten und abgeschwächt wiederkehrten.
Unterstützt wurde die 4 — 6wöchentliche
Trinkcur mit den Glaubersalzwässern, oft
auch durch Säuerlingsbäder mit kalten Re-
gcndoucheo, femer durch Dampfbäder und
Moorkataplasmen auf den Unterleib.
{PeeUr nudic.-chirurg. Prette 1889 No. 11.)
Schmey (Beuthen O.-S.).
288
TosUcolofl«.
tTbera.peiitl«die
Monatshefte.
Toxikologie.
Zur toxischen Wirkung des Cocain. Von Prof.
Dr. Wölfler (Graz).
Nach Yerfs. zahlreichen Untersuchungen
giebt die Injection est eile eine gewisse
Disposition für die Entstehung von Vergif-
tungsföllen ab. Er hat beobachtet, dass in
allen jenen Fällen, in denen Vergiftuogs-
erscheinungen eintraten, die Cocainiojection
am Kopfe, sei es am Gesicht, in der Mund-
hohle oder in der Gegend der behaarten
Kopfhaut ausgeführt worden war. W, nimmt
an, dass das C, welches im Gesicht injicirt
wird, auf das Gehirn viel unmittelbarer und
unvermittelter wirkt, als wenn dasselbe in
Gegenden einverleibt wird, welche vom Ge-
hirn weiter entfernt liegen. Aehnliche Er-
fahrungen sind schon längst mit dem Eisen-
chlorid gemacht, welches, an den Extremi-
täten eingespritzt, fast niemals schadet, am
Gesicht dagegen häufig zur Entstehung von
gefährlichen Hirnembolien Veranlassung giebt.
Demnach kann man bei kleinen Operationen
an den Extremitäten oder am Rumpfe ganz
ruhig 1 g einer 5 **/o Cocainlosung injiciren,
während man im Gesicht und in der be-
haarten Kopfhaut nie mehr als 0,02 Cocain
verwenden soll.
{Wien. med. Wochentchr 1889 No. 18.) R,
Ein Fall von Antifebrin -Vergiftung. Von Dr.
Pauschinger.
Ein 3 4j ähriger kräftiger Herr besorgte
sich, weil er zu fiebern glaubte, 6 Pulver.
Antifebrin zu je 1,0 und nahm von ^j^S Uhr
Abends an in einstündigen Pausen 5 Pulver.
Um 4 Uhr Morgens traten heftige Diarr-
höen auf, die den ganzen Tag andauerten.
Gegen Mittag bot Patient folgendes Bild:
Hautdecken, Conjunctiva, Lippen und Mund-
schleimhaut blau verfärbt; Puls klein, von
normaler Frequenz. Hertöne rein; Anilin-
reaction des Urins. Hochgradige Mattigkeit,
Schwindel und Frostgefühl; Temp. 37,3,
Abends 38,4. Am folgenden Tage früh 35,0,
Abends 37,5. Die Darmentleerungen, ganz
flüssig und schwarzgrau gefärbt, Hessen am
2. Tag an Heftigkeit nach, steigerten sich
aber bald wieder. Bei mangelndem Appetit
erhol tete Patient sich ganz langsam, bis er
endlich am 10. Tage seine alte Leistungs-
fähigkeit wieder gewonnen hatte.
{Mönch, med- Woehensehr. 1889 No.l9.) R.
Eine Antifebrinvergiftung. Von Dr.E.Fürth(Wien).
Ein an Hemicrnnie leidendes Mädchen
hatte 4 g Antifebrin genommen. Unmittel-
bar nach der Einnahme stellte sich Uebel-
keit, Aufstossen, später Schmerz in der
Magengegend und häufiges Erbrechen einer
grünlich-wässerigen Flüssigkeit ein, Gyanose,
anfänglich nur der Lippen, später des ganzen
Gesichtes, der Hände und Füsse, während
die Haut an den übrigen Körpertheilen, bei
subjectivem Kältegefühl, blass und eiskalt
anzufühlen war. Puls schwach, kaum fühl-
bar, frequent, 140 Schläge, Respiration ober-
flächlich, etwas beschleunigt. Pat. war fast
bewusstlos. Später gesellten sich Erschei-
nungen von Himreizung: Pupillenerweiterung,
Zuckungen im Gesicht, Zähneknirschen,
Starrheit der Extremitäten und lebhafte
Delirien hinzu. Dann verfiel Pat. in tiefes
Coma, aus welchem sie nach etwa 3 Stun-
den erwachte.
Acht Stunden nach der Vergiftung war
das Bewusstsein vollkommen zurückgekehrt,
Puls 84, mittelkräftig, Athmung ruhig, Tem-
peratur etwas unter der Norm. Pat. klagte nur
über Schmerzen im Magen und über Schwin-
delgefühl. Die Gyanose verlor sich erst nach
24 Stunden. Nach zwei Tagen konnte Pat.
das Bett verlassen.
( Wiener med. Presse 1889 No. 16.) rd.
littteratnr.
Klinisches Jahrbnch. Im Auftrage Seiner Excel-
lenz des Ministers der geistlichen, Unterrichts-
und Medicinal-Angelegenheiten Dr. v. Gossler
unter Mitwirkung der vortragenden Räthe Prof.
Dr. C. Skrzeczka und ES". G. Schönfeld
Geh. Medicinalrath; herausgegeben von Prof.
Dr. A. Guttstadt. Erster Band. Berlin.
Verlag von Julius Springer. 1889. 8".
566 S. [Sehlust.]
2. Erfahrungen über den Dauer-
verband und die Wundheilung ohne
Drainage. Von Professor Dr. J. Miku-
licz, Medicinalrath.
Nach M. sind alle die W^unden zu dieser
Behandlungsweise geeignet, welche vor der
Anlegung des Verbandes sicher aseptisch
sind und voraussichtlich auch im weiteren
Verlaufe, sei es von aussen, sei es von innen,
nicht inficirt werden können.
Als antiseptische Lösungen werden be-
nutzt Sublimatlösung 1 : 2000 und 5 % Car-
bollösung, in welcher letzteren die Instru-
mente liegen. Als Unterbindungsmittel dient
Catgut. Die unpräparirten Darmseiten wer-
den nach Kümmel 1 auf 24 Stunden in eine
wässerige 1 "/o Sublimatlösung gelegt, dann
m. Jahvgang.l
Juni 1889. J
Littciatur.
289
auf Rollen gewickelt und in einer Mischung
von 0,5 Sublimat, 10,0 Gljcerin und 100,0
Alkohol aufbewahrt. Zur Naht wird ver-
wendet a) Seide, nach Czerny eine Stunde
in 5 % CarboUosung gekocht und dann in
einer ebensolchen- Losung aufbewahrt, b)
feiner Silberdraht und c) Sublimat-Catgut.
An Stelle der Wundschwämme dienen Bausch-
chen von Holzfaser, von einer doppelten
Schicht Mull locker umhüllt, die in Va^oo
Sublimatlösung aufbewahrt und nach dem
Gebrauch vernichtet werden. Zum Wund-
verband wird gebraucht a) Protectiv-silk oder
Guttaperchapapier, das 5 Minuten vor der
Benutzung in 5 % CarboUosung gelegt wird,
b) Jodoformgaze, wovon der Theil, der zur
directen Bedeckung der Wunde kommt,
dauernd in 5 % CarboUosung liegt und c)
Mooskissen, die nicht besonders präparirtsind.
Vor der Operation werden die Hände
aller dabei Betheiligten gründlich mit Eali-
seife und Bürste bearbeitet, dann in 5 ^/o
CarboUosung gewaschen und während der
Operation von Zeit zu Zeit in Sublimat-
lösung gereinigt. Die Nagelfurchen werden
besonders mit einem aus CarboUosung genom-
menen Stückchen Jodoformgaze ausgerieben.
Bas Operationsfeld wird mit Ealiseife
gewaschen und rasirt, Hände und Füsse mit
Aether und dann mit Bürste und Seife ge-
reinigt, das gereinigte Operationsfeld mit
Sublimatlösung abgewaschen, an schwer zu
reinigenden Stellen auch 5 ^/q CarboUosung
zu Hülfe genommen, die mit Sublimatlösung
sorgfältig fortgespült wird, und während der
Operation die Wunde etwa alle 10 Minuten
mit Sublimatlösung berieselt. Nach der
Operation erfolgt noch eine gründliche Aus-
waschung der Wunde mit 5 ^/q CarboUosung,
die sofort mit Sublimatlösung fortgespült
wird. Nun wird die Wunde in der Art ver-
einigt, dass an einer und bei grösseren
Wunden an zwei Stellen l*/g bis 3 cm lange
und 2 bis 5 mm klaffende Spalträume zum
Abfiuss offen bleiben. Die Wundränder
werden durch 2 bis 4 Entspannungsnähte
aus Silberdraht oder Seide vereinigt und
zur feineren Vereiliigung der Hautränder eine
fortlaufende Catgutnaht benutzt. Beim Wund-
verband wird zunächst der offen gelassene
Theil der Wunde mit einem kleineu, 2 bis
4 cm langen Streifen Protectiv-silk bedeckt,
dann die ganze Wunde mit einer vierfachen
Lage aus der CarboUosung genommener Jodo-
formgaze bedeckt, die die Wunde 2 bis 8 cm
überall hin überragt, darüber ein grösseres
Stück Jodoformgaze gelegt und endlich ent-
sprechend grosse Mooskissen aufgelegt, die
mittelst leicht comprimirender ßindentouren
befestigt werden. Der Verband bleibt, mit
seltenen Ausnahmen, bis zur vollendeten
Wundheilung, bei Resections wunden event.
bis zum Eintritt der knöchernen Verwachsung
der Enochenenden liegen.
Schliesslich bemerkt M. noch, dass er
die Wundbehandlung „unter dem feuchten
Schorf** nach Operationen wegen tuberculöser
Processe in der letzten Zeit sehr beschränkt
hat, weil es ihm auffiel, dass gerade nach
glatten primären Heilungen relativ oft und
frühzeitig locale Recidive auftraten. Er
wendet hier jetzt die Jodoformgazetampouade
an, um die Wunde jetzt ganz durch Granu-
lationen heilen zu lassen oder ev. durch die
Secundärnaht zu schliessen.
B. Die Maassregeln zur Verhütung
des Kindbettfiebers auf den geburts-
hilflichen Kliniken der preussischeu
Universitäten. Von Dr. 6. Schönfeld,
Geheimer Medicinalrath und vortra-
gender Rath im Ministerium der geist-
lichen, Unterrichts- und Medicinal-
Angelegenheiten.
Der wesentliche Umschwung, den die
neue Zeit auch der Geburtshilfe gebracht
hat, erfolgte bekanntlich hinwiederum wie
auf allen Gebieten unserer Wissenschaft mit
der Einführung des anti- und aseptischen
Verfahrens in der Wundbehandlung und mit
der Erkenntniss der Existenz der vielartigen
Infectionsquellen, sowie mit der Ueberzeu-
guug, dass es sich in jedem Wochenbette
um nichts anderes als eine grosse, der In-
fection mit mannigfaltigen Krankheitskeimen
besonders gunstige Wunde handelt, welcher
gegenüber der Geburtshelfer sich in gleicher
Weise, wie wenn dieselbe durch eine Operation
oder eine sonstige Verletzung entstanden
wäre, zu verhalten hat. Mit der zunehmen-
den Herrschaft dieses Grundgedankens und
der feineren Ausbildung des Verfahrens
zur Vernichtung der Krankheitskeime ohne
Benachtheiligung des mütterlichen Organis-
mus hat sich die Prophylaxe allmählich zu
einer Vollendung entwickelt, deren thatsäch-
liche Erfolge denen auf dem chirurgischen
Gebiete um nichts mehr nachstehen und die
grössten Hoffnungen der früheren Geburts-
helfer weit übersteigen.
Die 1887 eingereichten, amtlichen Dar-
legungen lassen ersehen, dass an allen 10
geburtshilflichen Kliniken der preussischeu
Universitäten mit kleinen Abweichungen im
grossen Ganzen die gleichen Grundsätze
herrschen. Die Maassnahmen erstrecken sich
allgemein auf die Kreissende und alles, was
mit derselben in Berührung kommen kann,
insbesondere auf das Geburtslager und die
sonstige Ausstattung des Gebärzimmers, auf
die untersuchenden und abwartenden Per-
37
290
Utterahif.
rHierapendidbe
L Monatshefte.
sonen, namentlich die Klinicisten und auf
die in Anwendung kommenden Geräthschaften,
und sind in ihren Hauptzügen folgende.
Die Entbindung findet überall auf einem
besonderen, nur zu diesem Zwecke bestimm-
ten, häufig desinficirten Zimmer statt, welches
einen leicht abspülbaren Fussboden und eben-
solche Wände besitzt. Das Geburtslager
dient zugleich als Wochenbettslager, die
BettgestcUe bestehen aus Eisen und sind
leicht zu reinigen, die Lagerung geschieht
auf einem frisch gewaschenen und neu ge-
stopften Strohsack, über dem eine Gummi-
decke angebracht ist. Bevor die Kreissende
auf das Gebärbett kommt, erhält sie, wenn
noch Zeit ist, ein warmes Bad und reine
Leibwäsche. Nach demselben werden die
äusseren Ge seh lechtsth eile gründlich mit
lauem Wasser und Seife gewaschen und des-
inficirt, worauf eine Ausrieselung der Scheide
erfolgt, die bei protrahirtem Geburts verlauf,
mit häufigen Untersuchungen, von Zeit zu
Zeit wiederholt wird. Als Besinficientiea
w^erden Sublimat 0,2 — 1,0 ^oo und Carbol-
säure 3 — 5 ®/o benutzt. Nach Beendigung
der Geburt und vor Ueberb ringung in das
Wocheozimmer wird die Scheide nochmals
gründlich ausgespült und der Körper der
Wöchnerin, soweit erforderlich, gereinigt.
Während des Wochenbetts werden die
äusseren Genitalien , unter Vermeidung
jeglicher Berühi-ung, grösstentheils zweimal
täglich gereinigt, durch Berieselung mittelst
der auch zur Scheidenausspülung während
der Geburt üblichen Lösung, mit darauf
folgender Abtrocknung durch reine Tücher
und unter häufigem Wechsel der Unterlagen.
Von Instrumenten kommt mit den Geschlechts-
theilen in unmittelbare Berührung regel-
mässig nur das Ausflussrohr des Irrigators,
das zweckmässig nur aus Glas besteht und
jeder Kreissenden neu zugetheilt wird.
Eine ganz besondere Aufmerksamkeit
wird der Unterweisung der Klinicisten ge-
widmet, die auf das Allergenaueste und Ein-
gehendste instruirt, auf das Strengste beauf-
sichtigt und, wenn irgendwie septisch, auf
mehr oder weniger lange Zeit zurückgewiesen
werden. Um die der Kleidung der Studiren-
den etwa anheftenden Schädlichkeiten un-
wirksam zu machen, besteht an mehreren
Kliniken die Einrichtung, dass der Practi-
kant vor dem Eintritt in das Gebärzimmer
seinen Rock mit einem von der Klinik be-
reit gestellten frisch gewaschenen Leinenrock,
der den ganzen Körper einhüllt, vertauscht.
Die Behandlung der Nägel, Hände und Arme
der Untersuchenden geschieht nach den
üblichen Vorschriften der Chirurgie und hat
fast überall dem Sublimat die erste Stelle
eingeräumt. Dass vor jeder neuen Explo-
ration die Desinfection wiederholt werden
muss, ist selbstverständlich.
Die sorgfältige Ausführung des geschil-
derten Verfahrens — für dessen sehr lehr-
reiche, ausführliche Zusammenstellung wir
auf das Original verweisen müssen — hat
es denn vermocht, dass, wie bekannt, die
Sterblichkeits Ziffer in unseren Kliniken so
herabgesunken ist, dass eine Mortalität von '
1 % schon als recht ungünstig angesehen
wird. Seh. schliesst mit den Worten: Zu
wünschen bleibt, dass der in den Kliniken
ausgestreute Same auf dem Felde der selbst-
ständigen Berufsthätigkeit überall kräftiges
Gedeihen finde und nirgends verkümmere.
4. Ueber Verletzungen des Auges.
Beobachtungen aus der Augenklinik
in Bonn. Von Professor Dr. Th. Sae-
misch. Geheimer Medicinalrath.
5. theilt sein reiches Beobachtungsmaterial
ein in A. Verletzungen, bei welchen eine Per-
foration der Bulbuskapsel nicht stattgefunden
hat. 1) Gontinuitätstrcnnungeu der Conjunc-
tiva, Verbrennungen der Conjunctiva und
der Cornea, oberflächliche Verletzungen der
Cornea; 2) Verletzungen der Cornea, welche
zur Entwickelung eines Ulcus serpens ge-
führt haben; 3) Quetschungen des Bulbus.
B. Verletzungen, bei welchen eine Conti-
nuitätstrennuug der Bulbuskapsel stattge-
funden hat u. z. l) Continuitätstrennung der
Cornea, 2) der Sclera, 3) der Cornea und
der Sclera.
Von der ersten Gruppe der Verletzungen
interessirt am meisten das typische Ulcus
corneae serpens. Von ihm darf jetzt wohl
mit aller Sicherheit behauptet werden, dass
es in der Regel ein durch Infection einer
meist oberflächlichen Hornhautwunde zu
Stande gekommener Process ist, bei welchem
in einer ziemlichen Zahl Ton Fällen das
Secret der längst erkrankten Schleimhaut
des Thränensackes, in andern Fällen der
Körper, welcher die Hornhaut verletzte, als
Träger der inficirend wirkenden Massen an-
zusehen sind. Im erstem Falle wird für
beständige Entfernung des Thränensack-
inhalts zusammen mit Einträufelungen von
3% Borsäurelösting Sorge getragen werden
müssen, während im zweiten Falle die An-
tiseptica und der Galvanokauter den anfangs
auf sie gesetzten Hoffnungen nicht ent-
sprochen und kaum die früheren Resultate
mit der Keratotomie geändert haben, so dass
im grossen Ganzen die frühere Behandlungs-
weise unverändert geblieben ist. Dass die
Keratotomie den Fachgenossen nicht immer
gleich befriedigende Resultate geliefert hat,
wie ihm selbst, erklärt S. daraus, l) dass
Jaul 1889. J
Irlttentur.
291
sie angewendet ist, wo ein typisches Ulcus
serpens überhaupt nicht vorlag, 2) dass die
Operation nicht in der Weise ausgeführt ist,
wie [sie von ihm angegeben ist, 3) dass
das operirte Auge nicht in genügender Weise
unter Atropinwirkung gesetzt worden ist und
4) endlich, dass nicht rechtzeitig genug
operirt ist. Deshalb darf, wenn feuchte
Wärme und Atropin neben sorgfältiger Be-
rücksichtigung des complicirenden Thräneu-
sackleidens nicht sehr bald, in 3 — 4 Tagen,
sich wirksam erweist, mit der Ausführung
der Operation nicht gezögert werden, wenn
auch die Ausdehnung des Geschwürs noch
keine erhebliche ist. Zurückzuweisen ist,
dass die Eeratotomie zur Bildung vorderer
Synechien oder zur Cataractbildung, die sich
an sie anschliesst, Veranlassung giebt. Die
erstere wird manchmal unvermeidlich sein,
denn als unvermeidlich stellt sich in manchen
Fällen die Bildung vorderer Synechien bei
Kettung des Auges heraus und letztere kann
gleichfalls da, wo auch das Ulcus nicht
operativ behandelt ist, auftreten, dadurch,
dass die festen Exsudatmassen, die sich oft
zwischen Cornea und Pupillargebiet ein-
schieben, längere Zeit mit der Linsenkapsel
in Berührung bleiben.
Ausser dem Ulcus serpens bieten be-
sonders die Continuitätstrennungen der Cor-
nea und der Sclera therapeutisch Wichtiges.
S. verfährt hier nach folgenden Grundsätzen,
l) Bei allen perforirenden Wunden der Cor-
nea und Sclera ist zunächst für eine mög-
lichst schnelle Vereinigung der Wundränder
u. z. durch Application eines Druck verbau des
auf beide Augen zu sorgen. Der Verletzte
hütet das Bett, bis die Wunde sicher ge-
schlossen ist. Verträgt eine heftige ent-
zündliche Reaction nicht mehr den Druck-
verband, so ist unter Umständen die feuchte
Wärme am Platze. 2) Vor Anlegung des
Druck Verbandes wird eine sorgfältige anti-
septische Reinigung der Wundpartie, des
Conjunctivalsackes und der Lider vorge-
nommen. 3) Vor Anlegung des Druckver-
bandes ^ird, wenn irgend möglich, die
Frage zur Entscheidung gebracht, ob sich
der Körper, welcher die Verwundung gemacht
hat, etwa noch im Auge befindet oder nicht.
Es sind hier das Verhältniss der Grösse der
Wunden zu einander, die sich am Bulbus,
im Bulbus und an seinen Adnexen vorfinden,
ferner das Vorhandensein tieferer Verletzungen
des Auges, welche es unwahrscheinlich
machen, dass der verletzende Körper sie
hervorrufen und nachher das Auge wieder
verlassen konnte, ferner das Miss verhältniss,
welches sich zwischen den sichtbaren Ver-
änderungen, wie sie an der Eingangspforte
und der dieser benachbarten Gebilde (z. B.
an der Cornea, Iris und Linse) nachgewiesen
werden, und der Functionsstörung heraus-
stellt und endlich etwaige Spuren eines
Fremdkörpers im Innern des Auges von Be-
deutung. 4) Befindet sich der Fremdkörper
noch im Auge, so ist zu entscheiden, ob
seine Entfernung sofort anzustreben ist oder
nicht. Letzteres dürfte der Fall sein, wenn
der verletzende Körper bis in die Linse ge-
rathen und dort liegen geblieben ist. Hier
wird seine Entfernung mit der getrübten
Linse zu vereinigen sein.
5) üeber die verschiedenen mer-
curiellen Methoden der Syphilis-The-
rapie. Erfahrungen aus der Klinik
für Hautkrankheiten und Syphilis in
Breslau. Von Professor Dr. Albert
Neisser.
N. bekennt sich zu der chronischen, an
Fournier^s Namen geknüpften Behandlungs-
methode und behandelt demgemäss l) jeden
Kranken u. z. ohne Rücksicht darauf, ob
seine Krankheit sich in Symptomen äussert
oder latent ist; 2) mehrere Jahre hindurch,
durchschnittlich 4 Jahre; 3) in vielen ein-
zelnen, durch längere Pausen getrennte
Curen; 4) die Curcn sind abwechselnd ener-
gische und milde, namentlich die allererste
Cur soll sehr energisch sein, ebenso in den
spätem Jahren mindestens eine; 5) die All-
gemeinbehandlung beginnt erst, sobald die
Diagnose über jeden Zweifel erhaben ist.
Die Schmiercur erklärt N. zwar als
eine ausgezeichnete Methode der Hg-Ein-
verlcibung bei Hospitalkranken, aber er ver-
wendet sie nur in den Fällen, in denen die
Injectionsmethoden nicht gebraucht werden
können, weil einmal die Aus- und Durch-
führung einer wirklich guten Einreibung sehr
schwer ist, weil manchmal Ekzeme und Ery-
theme der Haut störend dazwischen treten
und weil die Dosis des thatsächlich ver-
riebenen Hg so gut wie unbekannt ist.
Wendet er eine Einreibungscur an, so ver-
ordnet er als mittlere Cur 30 Einreibungen
zu 3,0 pro die, lässt 20 Minuten einreiben
und die Salbe folgendermassen herstellen.
1000,0 Hg werden mit Benzoe-Aether
^ Benzoes
Aeth. sulf.
Amygd. dulc.
20,0
40,0
5,0
in einem Glase bis zur Entstehung eines
dicken Breies tüchtig geschüttelt. Dann giebt
man den Quecksilberbrei zusammen mit der
darüberstehenden Flüssigkeit in einen Mörser
und verreibt ihn zunächst mit der Hälfte
einer aus 900,0 Adeps und 100,0 Cera flava
bestehenden (erkalteten!) Salbenmasse bis
87*
292
Littormtur.
rrherapeaÜMh*
L Monatahefte.
zur vollständigen Extinction des Hg. End-
lich wird die andere Hälfte der Salbe noch
hinzugegeben und sorgfältig vermischt. Die
Salbe enthält dann 50 ^/o metallisches Hg
u. z. in einem äusserst feinküglichen Zu-
stande.
Nur vor jedem Einreibungsturnus wird
ein Bad genommen. Nach der Einreibung
wird der betreffende Theil in einen nicht
allzudicken Watteverband gelegt, der 24
Stunden bis zur nächsten Einreibung liegen
bleibt. Der Patient legt sich zu Bett, um
leicht zu transpiriren, starkes Schwitzen
wird vermieden. Trotz, oder richtiger, wegen
der Verdunstung des Hg wird der Patient
möglichst in freier Luft gelassen. Bei kleinen
Kindern oder als milde Nebencur werden
Pflastereinwickelungen angewendet u. z. wird
wöchentlich je eine oder zwei Extremitäten
mit dem Pflaster, das 8 Tage liegen bleibt,
eingehüllt. Das Pflaster besteht aus gleichen
Theilen des officin. deutschen grauen Pflasters,
und 10% Salicylseifenpflaster, welcher Masse
noch 15% Yaselin zugefugt werden kann.
Der Schmiercur gegenüber haben die In-
jectionsmethoden den Vortheil: l) einer
sicheren Hg-Ein Verleihung, 2) der verbal t-
nissmässig grossen Bequemlicbkeit, 3) der
fast absolut genauen Dosirung des Medi-
camentes, 4) der grossen Seltenheit störender
Hg-Nebenwirkungen, 5) erlauben sie sonst
nach jeder Richtung hin roborircnd mit
Bäder- und Schwitzcuren vorzugehen.
Während früher bekanntlich Sublimat-
lösung (mit dem Zusatz der 10 fachen Gl Na-
Menge u. z. 30 Injectionen zu 0,01 Subli-
mat pro die) das gebräuchlichste war, haben
sich seit Scarenziodie Injectionen ungelöster
Hg-Salze in grössern, ab.er seltenern Einzel-
dosen jetzt all gemeine Anerkennung verschafft,
welch letztere durch die grosse Bequemlich-
keit in der äussern Durchführbarkeit der
Cur und einer ausgezeichneten, von keiner
andern Methode übertroffenen Wirksamkeit
begründet ist. N. rühmt besonders das
Thymolquecksilber aus der Fabrik von E.
Merck in Darmstadt und das Salicyl-Hg aus
der von Hey den 'sehen Fabrik in Rade-
beul bei Dresden, stets natürlich beide in
öliger oder flüssiger Yaselin-Suspension an-
gewandt. Was die Technik der Injectionen
anlangt, so werden dieselben zumeist intra-
musculär in die Glutäalgegend u. z. soweit
oben gemacht, dass das ev. nachfolgende In-
filtrat beim Sitzen und Liegen nicht hinder-
lich werden kann. Sorgsam zu achten ist,
dass der Einstichcanal frei von Hg-Salz
bleibt. Man füllt deshalb vor dem Einstich
die Canüle mit reinem Oel oder ParaMn.
Nach der Injection genügt meist, dass man
vor dem Herausziehen der Canüle mit zwei
Fingern einen tiefen Druck neben der Einstich-
stelle ausübt und so ein Zurückfliessen in
den Stichcanal hindert. Unter dieser Vor-
sicht kommen Infiltrate so gut wie gar nicht,
Abscesse nie vor. Man rechnet 8 Injectionen
zu 0,1 für eine recht kräftige und energische
Cur, u. z. werden alle 4 — 5 Tage je 1, oder
in 8 tägigen Intervallen je 2 Injectionen
gemacht.
Als milde Zwischencuren empfiehlt N.
als am meisten geeignet Langes Ol. einer. (Hy-
drarg, depur., Lanolin, aa 3,0 Ol. Olivar. pur.
4,0 etc.) oder sein Ol. einer. benzoat. und macht
hiervon einmal wöchentlich eine Injection
von 26 = 74 Pravaz^sche Spritze u. z. als
Cur durchschnittlich 4, auch 6 Injectionen
in 8 — 14 tägigen Intervallen.
Die Resultate, zu denen N. kommt, sind
folgende:
1) Die verschiedenen Stadien erfordern
verschiedene Methoden. Besonders energisch
soll die erste Cur sein, ferner machen wir
während des durch seine Infectiosität aus-
gezeichneten Frühstadijims häufiger (je zwei-
mal in den ersten 2 Kalenderjahren) ener-
gische Curen, als später. In der Spätperiode
machen wir nur bei einem nach längerer
Pause auftretenden Recidiv — neben der
Jod-Behandlung — eine energische Hg-Cur.
2) Die verschiedenen Syphilisformen er-
fordern verschiedene Methoden: a. Recidiv-
formeu, deren gefahrbringende Localisation
(Iris, Nerven, Nervencentra u. s. w.) schnelle
Beseitigung erfordert, oder solche, die sich
durch grössere Hartnäckigkeit auszeichnen
(derb-papulös. Exantheme); b. häufige leichte
Recidive (Plaques u. s. w.) werden am besten
mit löslichen Hg-Injectionen behandelt.
3) Chronische milde Mercurialisirung
während symptomfreier Perioden erzielen wir
am besten durch Injectionen von grauem
Oel.
4) Mit Rücksicht auf die in verschiedenen
Drüsen stattfindende Yirus-Localisation wird
in jedem einzelnen Krankheitsfälle eine re-
gionäre Behandlung dieser einzelnen Drüsen-
gruppen stattfinden müssen, daher neben den
Injectionen auch cutane (bes. den Drüsen-
packeteu entsprechend) und interne Appli-
cation.
5) Mit Bezug auf die Vererbungsfahig-
keit werden wir vor der Zeugung Vater und
Mutter energisch zu behandeln haben, so
lange die Gefahr einer hereditären üeber-
tragung besteht. — Während der Gravidität
wird eine langdauernde milde Mercurialisirung
am besten mit Ol. ciner.-Injectionen am Platze
sein.
Lassen wir es nach diesen Ausführungen
in. Jahf gmng.l
Jonl 1889. J
Littoratur.
293
mit der Besprechung der Yorstehenden Ab-
handlungen bewenden und blicken wir zum
Schluss noch einmal zurück auf das Buch,
das wir aus der Hand legen, so bietet der
Reichthum und die Bedeutung seines In-
halts die sichere Aussicht, dass die ange-
strebte, einheitliche Verwerthung des ge-
sammten klinischen Materials unserer üni-
Yersitäten noch reiche Früchte zeitigen wird
und muss, und erweckt für die nachfol-
genden Bände grosse und berechtigte Hoff-
nungen. Mag es uns deshalb gestattet sein,
das klinische Jahrbuch bei seinem ersten
Erscheinen freudig begrüsst und eingehendstem
Studium hiermit allseitig empfohlen zu haben.
Dass Ausstattung und Druck des Buches,
sowie die zahlreich beigegebenen, theilweise
künstlerisch ausgeführten Pläne nichts zu
wünschen übrig lassen, war bei dem be-
kannten Verlane, in dem es erschienen ist,
nicht anders zu erwarten.
G. Ptttri {Berlin).
Klinisehe Diagnostik innerer Krankheiten
mittelst bacteriologischer, chemischer und mi-
kroskopischer Untersuchungen. Von Prof. Dr.
Rudolf V. Jaksch. Zweite vermehrte Auf-
lage. Mit 125 zum Theil farbigen Holzschnit-
ten. Wien und Leipzig. Urban & Schwar-
zenberg. 1889. 8». 438 S,
In einem früheren Jahrgange unserer
Zeitschrift (1887 S. 207) wurde bereits auf
den practischen Werth und die wissenschaft-
liche Bedeutung des überschriftlich genann-
ten Werkes aufmerksam gemacht. Zu un-
serer grossen Genugthuung hat dasselbe in
allen Kreisen ungetheilten Beifall und dank-
bare Aufnahme gefunden. Hiervon legt das
beredtste Zeugniss ab das rasche Erscheinen
einer neuen Auflage. Dieselbe ist fast um
ein Fünftel ihres früheren Volumens ver-
mehrt und enthält recht nützliche Neuerun-
gen und dankenswerthe Verbesserungen. Mit
bewundemswerthem Geschick und wahrem
Bienenfleiss hat der Verf. seinem Buche
Alles einverleibt, was den Werth und die
Brauchbarkeit desselben zu erhöhen ver-
mochte, üeberall tritt das eifrige Bestreben
hervor, allen Fortschritten unserer Wissen-
schaft so viel wie möglich gerecht zu wer-
den. Insbesondere sind auch viele neue,
vom Verf. selbst erprobte, einfache klinische
Methoden aufgenommen worden. In manchen
noch nicht spruchreifen Fragen begegnen wir
dem besonnenen, vorsichtigen Urtheil des
erfahrenen Klinikers. Man wird ihm gerne
beipflichten, wenn er sich z. B. mit grosser
Reserve bezüglich des wirklichen Zusam-
menhanges des sogen. Tetanusbacillus mit
dem Tetanus ausspricht.
Dankenswerthe Erweiterungen und Ver-
besserungen hat auch der Abschnitt: „Der
Magensaft und erbrochene Massen^ erhalten
und verdient hier vornehmlich der toxikolo-
gische Theil: „ Verhalten des Erbrochenen
bei Vergiftungen^ rühmend hervorgehoben zu
werden. — Der Besprechung der PtomaTn-
vergiftungen ist in der neuen Auflage eben-
falls ein grosserer Raum gewidmet worden.
Desgleichen ist die Zahl der lehrreichen Ab-
bildungen ganz erheblich vermehrt worden.
Auf weitere Einzelheiten kann leider nicht
eingegangen werden, und wollen wir nur
nachdrücklich betonen, dass auch die zweite
Auflage dieses ausgezeichneten Buches die
wärmste Empfehlung verdient. Dasselbe
wird allen Aerzten, denen der Sinn für die
Fortschritte der Wissenschaft noch nicht er-
loschen ist, und die im Drange ihrer Be-
rufspflicht nicht genügend Zeit finden, sich
in Spccialwerken zu informiren, ein wahrer
Freund und zuverlässiger Rathgeber sein.
Babow.
Diagnostische Semiotik des Harns. Herausge-
geben von Dr. med. Rosen feld, Assistenten
am ehem. Laboratorium der med. Klinik Bres-
lau. Breslau, Preuss & Jünger, 1889.
Verf. giebt in kurzer Anordnung eine
Beschreibung aller derjenigen Veränderungen
des Harns, welche für die Diagnose von
Wichtigkeit sind. Die Beschreibungen, be-
stimmt für den Studirenden als Wegweiser
am Krankenbett zu dienen, dürften auch für
den practischen Arzt von Nutzen sein.
Liebreich.
Bäder-Almanach. Mittheiluugen der B&der, Luft-
curorte und Heilanstalten in Deutschland,
Oesterreich, der Schweiz und den angrenzen-
den Gebieten für Aerzte und Heilbedürftige.
Vierte Auflage. Mit Karte der B&der, Oar-
orte und Heilanstalten Deutschlands, Oester-
reich-Ungarns und der Schweiz. Berlin und
Frankfurt a. M. Rudolf Messe, VIII.
376.
Der von dem leider zu früh verstorbenen
Thilenius begründete Bäder-Almanach ist
in seiner 4. Auflage erschienen. Der nach
Bädergruppen geordnete AI man ach mit einem
sehr guten alphabetisch geordneten Register
gestattet dem Arzte mit Leichtigkeit, sich
über die verschiedenen Bäder zu orientiren.
— Der Vorzug dieses Almanachs vor Lehr-
büchern der Balneotherapie besteht darin,
dass in demselben eine Reihe von Detail-
fragen beantwortet wird und der Arzt in die
Lage gesetzt ist, seinen Patienten in aus-
führlicher Weise die nSthigen Anordnungen
zu geben. Dem Werke ist zur Orientirung
eine vortreffliche Bäderkarte beigegeben.
Liebreich,
294
Llttaratur.
rlierapenttsehe
MonatHhAfle.
. Elngresaudte Bücher.
Jahrbuch der practlschen Medldn. Heraus-
gegeben von ür. S. Guttmann, Sanitätsrath
in Berlin. 1889. — Ferdinand Enke. Stult-
giirt 1889.
Handbuch der Geburtshülfe. Herausgegeben von
Dr. P. Müller, Prof. d. Geburtsh. u. Gynäko-
logie an der Universitfit Bern. lU. Band. —
Ferdinand Enke. Stuttgart 1889.
Aachen als Kurort. Bearbeitet von Dr. Dr. Alex-
ander, Beissel, Brandis, Goldstein,
Mayer, Rademaker, Schumacher, This-
sen unter Redaction von Dr. J. B eissei. —
C. Mayer's Verlag. Aachen 1889.
Das Stotterübel. Von Dr. Rafael Coen, pract.
Arzt und Spracharzt in Wien. — Ferdinand
Enke. Stuttgart 1889.
Die Behandlung der häufigsten und wichtigsten
Augenkrankheiten. Von Dr. L. Köuigstein,
Docent a. d. k. k. Universität in Wien. I. Heft.
Krankheiten der Lider und der Bindehaut. —
Wilhelm Braumüller. Wien 1889.
Die nervösen Krampfformen (Epilepsie, Hy-
stero- Epilepsie) und deren Behandlung.
Von Dr.Wilhelm. — Wilhelm Brauraüller.
Wien 1889.
Klinische Zeit- und Streitfragen. Herausgegeben
von Regierungerath Prof. Dr. Joh.Schnitzlcr.
111. Band 3. Heft: Die Lehre vom Hirn-
druck. Eine kritische Studie von Dr. Ed.
Albert. HL Band 4. Heft: Die Thure-
Brandt^sche Behandlung der weib-
lichen Sexual-Organe. Von Dr. L. Fell-
uer. — Wilhelm Braumüller. Wien 1889.
Die Heiserkeit, ihre Ursachen, Bedeutung und
Heilung. Von Dr. Maximilian Bresgen.
— Heus er 's Verlag (Louis Heuser). Ber-
lin-Neuwied 1889.
Die chemische Diagnose der Magenkrankheiten
und die daraus resultirenden therapeuti-
schen Grundsätze. Für pract. Aerzte von
Dr. Valentin Wille, pract. Arzt in Mem-
mingen. — Jos. Ant. Finsterlin. München
1889.
Praetisehe NottEen
and
empfeUenswerthe Arsneiformelii.
Fein krystallisirtes Jodol für Insufflationen in
der rhinolaryngologischen Praxis. Von Dr.
Max Schäffer (Bremen). (Original - Mitthei-
lung.)
Die Wirksamkeit des Jodols in Pulver-
form wurde nach meinen bisherigen Beob-
achtungen wesentlich dadurch beeinträchtigt,
dass es sich bereits im Insufflationsrohre zu
kleinen Klümpcben zusammenballte und so
eine gleicbmässige Vertheilung des Pulvers
auf den betreffenden Schleimhäuten unmög-
lich wurde. Auf den Schleimhäuten selbst
zeigte das Pulver noch mehr die Neigung
sich zusammenzuballen, so dass die Wirkung
des Präparats grösstentheils illusorisch war,
denn es wurden diese Klümpchen von den
durch die mechanische Reizung vermehrten
Secreten einfach fortgeschwemmt, wie z. B.
in der Nase, dem Nasenrachenraum, oder
ausgehustet bei der Application in den Kehl-
kopf und die Luftrohre.
Diesem üebelstande suchte ich seit
Kurzem durch Beimischung von fein kry-
stallisirter Borsäure zu begegnen. Da mich
auch dieses Gemenge nicht zu befriedigen
vermochte, so unternahm es E. Merck in
Darmstadt auf meine indirecte Anregung hin
die Firma Galle <& Go. in Biebreich a. Rh.
zu veranlassen, ein Jodolpräparat darzustel-
len, welches allen practischen Anforderungen
entsprechen sollte. Ein solches Präparat
ist mir kürzlich durch E. Merck zugesandt
worden und fasse ich im Nachstehenden
meine Erfahrungen über dasselbe kurz zu-
sammen.
Das Präparat von fein kristallinischem
Gefuge vertheilt sich bei der Insufflation
gleichmässig über die Schleimhäute, besitzt
durch seine krystallinische Form die Fähig-
keit, sich in die obere Schleimhautschicht
förmlich einzubohren und giebt so den Se-
creten Zeit, durch Aufsaugung die Wirkung
des JodoJs thatsächlich zur Geltung kommen
zu lassen.
An einer grösseren Versuchsreihe von
Erkrankungen der Nase, wie Ozaena atro-
phicans, Ozaena syphilitica — Kuocheneite-
rungen — von Erkrankungen der Tonsilla
pharyngea — des Larynx — tuberculösen
Geschwüren — von schweren Trachealer-
krankungen habe ich zur Genüge feststellen
können, dass das Jodolum crystallisatum in
Wahrheit die vom Jodol erwartete Wirkung
entfaltete, welche ich an den seither ge-
brauchten Jodolpräparaten vermisste, weil
diese eben einfach nicht oder nur theilweise
zur Resorption kamen.
Ueber Glycerin-Suppositorien. Von Dr. M. S c h m e 1 -
eher, k. Bezirksarzt in Amberg. (Original-
Mittheilung.)
Bei den günstigen Erfolgen, welche mit
Glycerin in Form von Clysma erzielt wur-
den (Therap. Monatshefte 1888 Heft 8 u. 9),
interessirte es mich, die Glycerinsuppositorien,
die sich seit Kurzem unter der Bezeichnung
„Marke Helfenberg" im Handel befinden,
welche durch einen kleinen Zusatz von
Stearin zum Glycerin hergestellt sind, die
mir ganz zufällig bekannt w^urden, auf ihre
Wirkung in grösserem Maassstabe zu prüfen.
Ich fand hierzu erwünschte Gelegenheit in
der mir unterstellten Gefangenanstalt, sam-
HL Jahrgang 1
Juni 1889. J
Practitebe Notizen und empfehlanswerth« Ann«iform«ln.
295
melte aber auch soweit als möglich in meiner
Privatpraxis Erfahrungen Überdieselbe. Nach-
folgend gestatte ich mir das Ergebniss meiner
Beobachtungen in kurzen Worten vorzulegen.
Ich habe die Glycerinsuppositorien aus
der Helfenberger Fabrik in 238 Fällen von
Stuhlvei*8topfung aus verschiedenen Ursachen
angewendet und hierbei 1 36 mal den ge-
wünschten Erfolg erzielt; 72 mal war die
Anwendung ohne Erfolg, in 30 Fällen blieb
mir das Resultat unbekannt.
In 117 genauer beobachteten Fällen trat
dieWirkung ein: innerhalb einer halben Stunde
24 mal, in einer weiteren halben Stunde 18mal,
innerhalb 2 Stunden 18 mal, innerhalb vier
Stunden 20 mal und vor Ablauf von 6 Stun-
den 3 mal ; 34 mal versagte das Mittel. Bei
diesen Fällen fand man das Suppositorium
grosstentheils : aufgelost 42 mal, halb auf-
gelöst 16 mal, nahezu unverändert 10 mal.
Oefters wurden in Fällen, wo die Suppo-
sitorien wirkungslos waren, noch Klystiere
von 5 — 10 g Glycerin versucht, aber auch
durch sie kein Erfolg erzielt. Unangenehme,
stark reizende oder besonders lästige Neben-
wirkungen, wie sie Dr. Kroll (Therap.
Monatshefte 1888 Heft ll) bei Anwendung
der Glycerinsuppositorien mit Seifenzusatz
befürchtet, habe ich nie beobachtet, kann mir
auch von dem 4% Seifenzusatz um so weniger
eine nachtheilige Wirkung denken, als ja
früher bekanntlich vielfach kleinsten Kindern
Stuhlzäpfchen lediglich aus Seife bestehend,
ohne Nachtheil gegeben wurden. Ich spreche
hier lediglich von der Wirkung der Helfen-
berger Suppositorien, ohne irgend ein Urtheil
mir über die verschiedenen andern von
Boas, Kummer etc. hergestellten, die ich
nie versucht habe, anzumaassen.
In verschiedenen Punkten aber mochte
ich der Ansicht des Herrn Collegen Kroll,
wie sie in oben citirtem Aufsatze ausge-
sprochen ist, beistimmen. Auch ich glaube,
dass es zweckmässig ist, dass möglichst
rasch viel Glycerin mit der Darm Schleimhaut
in Berührung kommt, lege deshalb einen
besondem Werth darauf, dass die Com-
position der Suppositorien derart ist, dass
sie in der Wärme des Darmcanals sich rasch
lösen; vielleicht gelingt es der Helfen-
berger Fabrik, eine Mischung herzustellen,
die in dieser Beziehung die Seifenglycerin-
suppositorien übertrifft; auch ich bin der
Ansicht, dass die Wirkung des Glycerins
sich lediglich auf den Dickdarm beschränkt,
und dass die Suppositorien daher vorzugs-
weise bei geminderter peristaltischer Be-
wegung des Dickdarms, also bei der so-
genannten Stuhlträgheit in Anwendung zu
ziehen sein werden, und hier um so sicherer
wirken, je weiter die Kothmassen schon herab-
gerückt sind.
Da mein obiges Material ohne alle Aus-
wahl der Fälle von Stuhlverstopfung benutzt
wurde, daher sicher in vielen Fällen das
Glycerin nicht indicirt war, so ist ein Er-
folg von über öO^/o — bei den 117 Fällen
sogar 72®/o — immerhin sehr gross und ich
glaube, dass bei der Bequemlichkeit ihrer
Handhabung die Suppositorien das Glycerin-
clysma bald verdrängen, und bei vielen
Kranken obiger Art sich rasch einbürgern
werden, und halte dafür, dass durch ihre
Einführung für viele Fälle von habitueller
Stuhlverstopfung der Arzneischatz mit einem
werthvollen Mittel bereichert wurde.
Nachschrift. Kurz nach Einsendung
obigen Artikels, in dem ich den Wunsch
nach leichter und rascher im Darm lös-
licher Suppositorien aussprach, erhielt ich
durch Herrn E. Die te rieh in Helfenberg
ein Quantum Suppositorien zugeschickt,
welche statt mit Seife mit Cacaoöl zu
gleichen Theilen bereitet sind. Die guten
Wirkungen, die ich mit demselben erzielt,
veranlassen mich, kurz noch einmal meine
Erfolge mit diesem Mittel zu veröffentlichen.
Es wurden mit diesen Suppositorien
230 Fälle von Stuhlverstopfung verschiedener
Art behandelt. Der Erfolg trat ein: inner-
halb V* Stunde 32 mal, ^/j St. 40mal, 1 St.
36 mal, 2 St. 46 mal, 3 St. 18 mal, am
nächsten Tage 5 mal; somit 177 oder 77°/o
Erfolge gegen 53 oder 23% Nichterfolge.
Von den Suppositorien konnte in den Stühlen
nie mehr etwas gefunden werden, sie werden
also sofort im Darm vollständig gelöst, und
eine nachtheilige oder unangenehme Neben-
wirkung wurde bei ihrem Gebrauche nie
wahrgenommen .
Eine neue Spritze zur subcutanen Injection nach
Dr. Overlach.
Von allen Verbesserungen, welche bisher
für Spritzen zur subcutanen Injection vorge-
schlagen sind, ist jedenfalls die nachstehend
beschriebene die originellste und wie mir
scheint äusserst practisch.
Die Neuerung betrifft die Dichtung des
Spritzenstempels, die bekanntlich bei der
Handhabung der Spritzen von der grössten
Wichtigkeit ist.
Die Anforderungen, welche man an einen
brauchbaren Spritzenstempel machen muss,
sind folgende: 1. soll derselbe bei einer
Erneuerung der Umkleidung den Volumen-
inhalt der Spritze nicht verändern; 2. soll
der eingetrocknete Stempel zum Gebrauch
schnell den richtigen Grad der Quell ung er-
reichen.
296
Practisohe Notlsan und «tnpf«hleiisw«rth« Arsnelformeln.
[Therapeatticb«
Monataheft«.
Bei der Ot er 1 ach ^ sehen Spritze wird
der Stempel aus einer kleinen Asbestplatte
gebildet, welche gegen eine Elfenbeioplatte
anliegt. Die Dichtung des Stempels ge-
schieht dadurch, dass der Stempel, so weit
es geht, aufgezogen wird; er wird dann durch
Drehung der Stempelstange mit Hilfe der
Platte d und durch weiteres Ausziehen der
Flanschen b in die Oeffnungen bei c ein-
nutze ich ein anderthalbfach concentrirtes
Tamarindenmus, wie es die hiesige Fabrik
herstellt, und statt des Syr. simpl., den die
Pharmakopoe vorschreibt, verwende ich
Zuckerpulver. Auf diese Weise erhalte ich
eine Masse, aus der sich durch Ausrollen
und Ausstechen Pastillen herstellen lassen.
Eine solche von 2 g Gewicht entspricht
1 Kaffeelöffel Latwerge.
treten. Durch weiteres Drehen der Scheibe
wird dann eine Compression der Asbest-
platte bewirkt.
Der Modus der Anbringung eines neuen
Stempels ergiebt sich von selbst, sobald man
durch Auseinanderschrauben der Spritze die
einzelnen Theile betrachtet hat.
Es dürfte zweckmässig sein, den Stem-
pel nicht aus Asbest, sondern aus anderm
Material anzufertigen, weil beim Eintrock-
nen eines Asbeststempels sich leicht kleine
Fasern loslosen, welche vor der subcutanen
Injection sorgfältig ausgespült werden
müssen.
Die Ausführung der Spritze zeigt noch
den Vortheil, dass das Medicament nirgend
Metall berührt.
Die ingeniöse Construction für die Stem-
peldichtung wird sicher für andere Spritzen
ebenfalls sehr zweckmässig zu verwerthen
861D» Liebreich.
Electuarium e Senna inspissatum.
In Folge der im vorigen Hefte S. 248
gegebenen Vorschrift zur Bereitung eines
Electuarium e Senna inspissatum ist fol-
gende Zuschrift eingegangen, welche, da sie
an die vorige Notiz anknüpft und von all-
gemeinem Interesse ist, hiermit unsern Lesern
übergeben wird:
Sehr geehrter Herr Professor!
Erlauben Sie mir, Sie im Auschluss an
die Vorschrift zu einer concentrirten Lat-
werge auf eine Latwergen-Conserve, zu der
ich Pharm. Centralbl. 1885, S. 185 und in
meinem Manual I. Aufl. S. 26 und IL Aufl.
S. 39 das Verfahren angab, aufmerksam zu
machen.
Da das Präparat äusserlich den „Tama-
rinden-Conserven" ähnlich ist, nannte ich
es „Couserva Electuarii". Als Basis be-
Bei dieser Gelegenheit gestatte ich mir
Ihr Augenmerk auf das italienische Ver-
fahren, einen Theil der Säure im Tamarin-
denmus durch Magnesiumcarbonat abzustum-
pfen und damit die Wirkung zu erhöhen,
hinzulenken.
Um 70— 80"/o der freien Säure abzu-
stumpfen, braucht man
1 Theil Magnesiumcarbonat
auf
10 Theile Extract. Tamarindor.,
oder
20 Theile Pulp. Tamarind. depurat. sexquipl.
conc,
oder
30 Theile Pulp. Tamarin. depurat. Ph. G. IL
Das Erb a' sehe Tamarindenextract ver-
dankt diesem Abstumpfen seinen wenig
sauren, milderen Geschmack und dabei die
höhere Wirkung.
etc. etc.
E. DitUrieh.
X. internationaler medicinischer Congress.
Bekanntlich hat der Congress zu Wash-
ington einstimniig Berlin zum nächsten Ver-
sammlungsort erwählt und die Herren Vir-
chow, von Bergmann und Waldeyer
mit der Vorbereitung betraut. Diese Herren
haben das Ehren-Amt übernommen und am
27. Mai in einer vertraulichen Sitzung, zu
welcher einige wenige in solchen Angelegen-
heiten erfahrene Kräfte eingeladen waren,
vereinbart, dass nunmehr ungesäumt und
thatkräftig vorgegangen werden soll. Lei-
tender Gesichtspunkt für die Gestaltung der
bevorstehenden Weltversammlung wird sein,
dass nicht Berlin, sondern ganz Deutsch-
land zusammentritt, um mit allseitig
vereinten Kräften eine dem grossen Ziel
würdige Unternehmung zu schaffen.
Verlag von Julius Sprint er in Berlin N. — Druck yon OusUt Sdiade (Otto Franoke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte^
1889. Jult.
Originalabhandlnngen.
Eine Quellsonde zur Behandlung von
Verengerungen der Speiseröhre.^)
Von
Professor Dr. Senator in Berlin.
M. H.! Mit kurzen Worten moclite icli
Ihnen eine Sonde, welche zur Erweiterung
von Speiserohrenverengerungen bestimmt ist,
demonstriren. Die Therapie dieser Yer-
engerungen hat ja durch die in Deutschland
von Leyden und Renvers wieder auf-
genommene und vervollkommnete Anwendung
der Dauer-Canülen einen grossen Fortschritt
gemacht, aber diese wirken doch haupt-
sächlich nur palliativ, und es bleibt da-
neben doch die curative Aufgabe, die Ver-
engerung zu beseitigen. Da von Arzneien
in dieser Beziehung nur in ganz seltenen
Ausnahmen ein Mal ein Erfolg zu erwarten
ist und auch die operative Beseitigung bis
jetzt noch als sehr geföhrlich, wenn über-
haupt ausfuhrbar gilt, so hat man die Er-
weiterung bis jetzt herbeizuführen versucht
durch Einführung immer dickerer Sonden oder
Elfenbeinoliven. Diese müssen aber immer
mit einiger Gewalt in die Strictur einge-
presst werden, denn gehen sie bequem
durch, so haben sie ja keinen Zweck. Durch
gewaltsames Hineinschieben kann man aber
leicht schaden. Es liegt ja nun sehr nahe,
ähnlich wie bei anderweitigen Stricturen
quellbare Stoffe anzuwenden, indessen sind
solche für die Speiseröhre bis jetzt wenig
in Gebrauch gekommen, wenn auch vielleicht
ab und zu Versuche damit gemacht sein
mögen. Allenfalls sind noch Darmsaiten
versucht worden, aber auch sehr selten,
weil sie in der That für diesen Zweck
wenig geeignet sind, denn erstens quellen
sie ungemein langsam, so dass man sie viele
Stunden liegen lassen müsste, was für den
Kranken eine grosse, selbst unerträgliche
Belästigung bildet, sodann werden sie bei
stärkerer Quellung rauh durch Aufrollung
*) Denionstrirt im Verein für innere Medicin
3. Juni 1889.
der Därme und dadurch gefährlich. Auch
bekommt man sie (wenigstens hier in Berlin)
nicht in jeder gewünschten Stärke. Vom
Pressschwamm muss man ganz absehen, er
quillt zwar sehr schnell, wird aber so rauh,
dass man ebenfalls in Gefahr kommt, Ver-
letzungen beim Herausziehen zu machen.
Dagegen haben wir in der Laminaria*und
Tupelo ein passendes Material. Letztere
quillt nur gar zu langsam und ist theurer
als die erstere, die ich deshalb fast allein
benutzt habe. Man muss aber nicht etwa
eine ganze Sonde aus Laminaria einführen,
was durchaus verfehlt wäre, sondern nxir
gerade ein Stück von der Länge der Strictur
oder wenig mehr. Selbstverständlich muss
man Stücke von verschiedenem Kaliber, wie
Sie sie hier sehen, für verschiedene Grade
der Verengerung haben. Diese Stücke wer-
den durch eine Schraube fest an eine dünne,
weiche (schwarze, franzosische) Sonde be-
festigt und ausserdem habe ich zur Sicher-
heit noch durch die Laminaria-Stücke selbst
an ihrem oberen (nach der Sonde zu ge-
legenen) Ende ein feines Loch bohren lassen,
durch welches ein langer Seidenfaden ge-
zogen ist, welcher mit der Sonde eingeführt
wird und mit dieser zum Munde heraus-
hängend liegen bleibt. Sollte einmal, was
mir nie vorgekommen und auch kaum zu
fürchten ist, dennoch das Stück sich von
der Sonde lösen, so würde man es an dem
Faden herausziehen können. Zum leichteren
Einführen der Sonde versieht man sie mit
einem dünnen Mandrin. Nach dem Heraus-
ziehen spült man das Laminaria-Stück, wel-
ches an Glätte kaum etwas eingebüsst hat,
in Wasser ab, desinficirt in 5%iger Garbol-
lösung oder l°/ooiger Sublimatlösung und
lässt es trocknen, worauf es wieder ge-
brauchsfähig ist. V
Das Wichtigste bei dieser Sonde
und ihr Vorzug vor den bisher ge-
bräuchlichen Bougies ist, dass man
ein Caliber wählen kann und soll,
welches ohne Anwendung von Gewalt in
die Verengerung sich einbringen lässt
und erst hier allmählich aufquillt,
38
298
Senator, Eine Quellsonde zur Behandlung von Verengerungen der Speiseröhre. [MoiuSxheft«.
nicht selir hochgradig war, so dass er auch
ohne diese Sonde und vielleicht ohne jede
Behandlung gebessert worden wäre. Die
Seltenheit dieser Fälle gerade in inneren
Kliniken ist auch mit ein Grund, weshalb
ich die Sache schon jetzt der Oeffentlichkeit
übergebe, damit auch Andere Gelegenheit
nehmen mögen, die Sonde zu erproben*).
also äusserst schonend die Erweite-
rung bewirkt. Vor der Einführung wird
das Laminaria - Stück in Wasser getaucht
(nicht mit Fett oder Oel bestrichen). Schon
nach Y4 Stunde, sicher aber nach Va Stunde
ist es erheblich gequollen. Länger die Sonde
liegen zu lassen, halte ich im Allgemeinen
nicht für rathsam, weil alsdann das Heraus-
ziehen schwieriger und die Wandung der
verengten Stelle zu stark gereizt wird. Ich
habe selbst im Anfang meiner Versuche im
Uebereifer die Sonde länger liegen lassen,
aber gefunden, dass dadurch leicht ein
schmerzhaftes Druck gefühl entsteht. Auch
rathe ich die Erweiterungsversuche von Zeit
zu Zeit, je nach der Empfindlichkeit und
den erzielten Erfolgen, einen Tag oder länger
auszusetzen. Ich will nicht behaupten, dass
mit dieser Sonde das Ideal schon erreicht
ist. * Ich habe selbst vielfach Versuche ge-
macht und machen lassen, noch ein anderes
gut quellbares, dabei haltbares und unschäd-
liches Material zu finden, bis jetzt aber
ohne Erfolg. Vielleicht gelingt es Anderen
besser.
Ich benutze die Laminaria-Sonden seit
etwa einem Jahr, leider, mit einer einzigen
Ausnahme, bisher nur bei Stenosen, die
durch Carcinom verursacht sind, so dass
Sie sich nicht wundern werden, wenn ich
nicht von glänzenden Erfolgen zu berichten
habe. Es wäre ja denkbar und es liegen
Erfahrungen in dem Sinne vor, dass ein
hinreichend lange und stark ausgeübter
Druck zu Atrophie und narbiger Schrum-
pfung des Krebses führen könnte, indess für
gewöhnlich werden wir mit unseren Er-
wartungen bescheidener und zufrieden sein
müssen, den Kranken auf längere Zeit Er-
leichterung beim Schlucken verschaffen und
dadurch das Leben verlängern zu können.
Diese bescheidenen Erfolge glaube ich mit
der Laminaria-Sonde besser als mit den
bisher üblichen Bougies und Elfenbein oliven
erreicht zu haben. In Zahlen kann ich das
Ergebniss nicht ausdrücken, schon deswegen
nicht, weil ein Theil der Patienten (im Ganzen
17), die fast alle ambulatorisch behandelt wur-
den, aus der Beobachtung wegblieben, wenn
der erwartete Erfolg nicht gleich eintrat,
oder aus irgend welchen anderen Gründen.
Dafür habe ich einige andere Patienten seit
längerer Zeit in beständiger Beobachtung,
die sich erheblich gebessert haben.
Die günstigsten Fälle für diese Behand-
lung sind ja diejenigen Verengerungen,
welche nicht auf maligner Basis beruhen,
also narbige Stricturen. Leider habe
ich im Laufe des Jahres nur einen einzigen
Fall der Art zu sehen bekommen, der auch
Zur Behandlong
der Lungentuberculose mit Kreosot«
Von
Prof. Dr. Sommerbrodt in Breslau.
Nachdem seit meinen Mittheilungen in
der Berliner Klinischen Wochenschrift 1887
No. 15 und 48 „über die Behandlung der
Lungen tubercu lose mit Kreosot", welche
sich auf ein ambulantes Beobachtungsmate-
rial von etwa 5000 Fällen stützten, die Ver-
wendung des Kreosots thatsächlich eine all-
gemeine geworden ist, denn es wird jetzt in
allen Erdth eilen in grossen Mengen zu die-
sem Zweck gebraucht, glaube ich annehmen
zu dürfen, dass dies wesentlich darauf be-
ruht, dass ich sehr gemässigt im Versprechen
dessen, was diese Behandlung leistet, ge-
wesen bin und dass sie das gehalten bat,
was ich versprach. „Allerdings bin ich sehr
bestimmt geneigt zu glauben, dass man an
Lungentuberculose Erkrankte im Anfangs-
stadium mit Kreosot heilen kann, darin soll
aber nicht der Schwerpunkt meiner Mitthei-
lungen liegen, sondern darin: dass man
sehr, sehr vielen Tuberculosen durch
Kreosotgebrauch ausserordentlich
nützen kann, denn das weiss ich, das
kann ich verbürgen."
So schrieb ich damals und ich denke,
dass dies ebenso bestimmt als vorsichtig
gesagt war; auch jetzt noch habe ich gar keine
Veranlassung etwas daran zu ändern. Die
Mittheilungen, welche seitdem über die Kreo-
sotbehandlung veröffentlicht wurden, haben
in keinem Falle einen direct gegnerischen
Standpunkt eingenommen ; alle bestätigen,
dass das Kreosot ein brauchbares, ja werth-
volles Medicament bei Behandlung der Lun-
gentuberculose oder Phthisis sei, zum Theil
rühmen sie seinen Nutzen auf das Lebhaf-
teste, fast alle sehen aber dasselbe lediglich
als ein symptomatisches Mittel an, geeignet
^) Hr. iDstrumentenmacber Windler, Hof-
lieferant (hier, Dorotheenstr. 3), fertigt solche Son-
den zum Preise von wenigen Mark.
Jall 1B89. J
Sommerbrodt, Zur Behandlung der Lungen tuberculote mit Kreotot.
299
den Appetit zu verbessern, die Secretion zu
beschränken, den Hustenreiz zu mildem etc.,
während ich in meinen Mittheilungen dem
Gedanken Raum gab, dass das Kreosot die
Grundkrankheit selbst beeinflusse, dass es
den Nährboden für die Entwicklung der
Tuberkelbacillen minder geeignet oder un-
geeignet mache, mit einem Wort, dass es
Bich bei dieser Therapie um ein antibacilläres
Imprägnirungs -Verfahren handele. Nichts
war natürlicher, als dass ich den Wunsch
aussprach, es mochte durch exacte wissen-
schaftliche Untersuchungen diese Frage ge-
klärt werden.
Eine meine Anschauungen scheinbar be-
stätigende Mittheilung über solche Unter-
suchungen machte bald danach Paul Gutt-
mann^), welcher das Verhalten der Tuberkel-
bacillen auf Nährgelatine untersuchte, welche
mit Kreosot vermischt war. Er fand, dass
hei ^/^ooo Kreosotgehalt im sterilisirten Blut-
serum das Wachsthum der Tuberkelbacillen
ein äusserst geringes war, sodass schon bei
einer wenig stärkeren Concentration es voll-
ständig aufhorte. „Wenn es also eine Mög-
lichkeit gäbe — so schreibt er — dem Or-
ganismus so viel Kreosot zuzuführen, dass
im Blute längere Zeit hindurch ^4000 ^^^
seiner Menge Kreosot enthalten sein könnte,
dann wäre das Aufhören im Wachsthum der
Tuberkelbacillen denkbar. Eine so grosse
Ereosotmenge dem Körper zuzuführen ist
aber unmöglich. Denn wenn die Blutmenge
mit '/i3 des Körpergewichts angenommen
wird, so würde sie beispielsweise bei 60 kg
Korpergewicht 4615 g betragen, es müsste
also mehr als 1 g Kreosot im Blute
circuliren, um den Kreosotgehalt des
Blutes auf ^j^oo^ zu bringen. Wie viel
Kreosot aber in den Magen eingeführt werden
müsste, um ^iooo Kreosotgehalt im Blute zu
erreichen, entzieht sich natürlich jeder Be-
rechnung. "
Nun, ich glaube, dass das Postulat von
Guttmann in Beziehung auf die eingeführte
Kreosotmenge doch vielleicht erreichbar ist!
Seit meiner letzten Publication im Herbst
1887 habe ich bei vielen Hunderten
Yon Tuberculosen meine Kreosotkapseln
(a 0,06) derartig verordnet, dass ich den
ersten Tag 3, jeden folgenden Tag eine mehr
nehmen Hess, so dass vom 18. Tage ab
3x7 Kapseln (in 3 Fällen') 3x9)
*) P. Guttmann, Die antiseptische Wirkung
des Kreosots und seine Empfehlung go^en Lungen-
schwindsucht. Zeitschr. f. klin. Medic. B. XII. H. 5.
*) Einen dieser Fälle habe ich mit Herrn Dr.
Th. Körner-Breslau behandelt; der Kranke hat
Tom Juni 1888 ab viele Monate 1,35 g Kreosot
p. Tag verbraucht und sich dabei sehr wohl be-
viele Monate lang gebraucht wurden,
d. h. also 1 g (in 3 Fällen 1,35 g) pro
Tag! Da nun entschieden nicht anzu-
nehmen ist, dass das eine Gramm bereits
vollkommen aus dem Körper ausgeschieden
ist, ehe das zweite, dritte u. s. w. hinzu-
kommt, so ist sehr wohl denkbar, dass eine
derartige Cumulation von Kreosot in den
Gewebsflüssigkeiten beim Menschen statt-
findet, welche den von Guttmann gefor-
derten Mengen entspricht.
Es ist gewiss nicht überflüssig, wenn ich
zur Beleuchtung des eben Gesagten wenig-
stens ein Beispiel hier einschalte.
Am 30. August 1888 übersendete mir
Herr Stabsarzt Dr. Bohr aus dem Manöver-
Terrain einen Premier-Lieutenant der Infan-
terie mit ausgeprägter Tuberculose der
rechten Lungenspitze. Dämpfung über der
Fossa supraspinata dextra, trockenklingende
Rhonchi daselbst, starke Abmagerung, quä-
lender Husten, massiger Auswurf, geringer
Appetit, schlechtes Aussehen. Reichliche
Bacillen im Auswurf, auch elastische Fasern,
geringe Dyspnoe. Ein Jahr vorher hatte
Patient Pleuritis sicca dextra.
Vom 1. Septbr. ab brauchte Patient in
Breslau Kreosot, vom 18. Sept. ab 20 Kap-
seln pro Tag. — Am 29. Sept. im Mor-
gensputum Tuberkel -Bacillen, die nur in
kleinen Häufchen zusammenliegen, ebenso
noch elastische Fasern. Im Uebrigen fort-
schreitende Besserung in jeder Beziehung,
enormer Appetit. Am 1. Nov. Wieder-Ein-
tritt in den activen Dienst, da die Dämpfung
geschwunden, Auswurf gänzlich fehlt, Kör-
pergewicht zugenommen hat. Husten nur
noch Morgens. Während des ganzen Winters
kein Tag Dienstversäumniss, Felddienst-
übungen unter Umständen bis an die Kniee
im Schnee mitgemacht, ständige Zunahme
der Körperfülle in Summa 20 Pfund, blü-
hendes Aussehen, keinerlei Beschwerden. Im
April dieses Jahres fehlte jede physikaHsch
nachweisbare Veränderung am Thorax, ebenso
jeder Auswurf, kurz, die Möglichkeit, hier
an Tuberculose zu denken, fehlte für jeden
Nichteingeweihten vollkommen. Patient
hat vom 1. Sept. 1888 bis Anfang Juni
1889 5400 Stück Kapseln gebraucht,
mit 270 g Kreosot und 1080 g Tolubal-
sam! und hat sich seit Jahren nicht so
wohl und frisch gefühlt wde jetzt. Er
braucht die Kapseln der Sicherheit halber
vorläufig weiter, indess nur 9 pro Tag.
Auf diese Art habe ich viele Hunderte
von Patienten behandelt und immer und
fanden. Die letzten Nachrichten (aus Lemberg in
Galizien) lauten ebenfalls sehr günstig.
38*
300
Sommerbrodty Zur Behandlung dar Lungentubarculosa mit Kreosot
rlierapeatiache
Monatshefte.
immer wieder, besonders bei frischen Fällen
oft meine Freude an der Wirkung des Me-
dicaments gehabt und Günstiges erlebt,
natürlich auch stets Kranke gesehen, 'wo die
Wirkung durchaus keine so grosse gewesen
ist. Auch jetzt noch muss ich aussprechen,
dass die Zahl der Patienten, welche das
Medicament in der von mir gewählten Form
mit Tolubalsam in Kapseln nicht vertragen,
eine recht kleine ist, und oft konnte ich er-
mitteln, dass an dem angeblichen Nicht- Ver-
tragen die Art des Einnehmens, z. B. in
den leeren, anstatt den gefüllten Magen, die
Schuld trug.
Vor allen Dingen hat mich aber diese
Art der Behandlung in dem früher von mir
ausgesprochenen Satze bestärkt: „Je mehr
Kreosot pro Tag vertragen wird,
desto besser die Wirkung". Ebenso
hat sie mir gezeigt, dass der Vorwurf,
welcher der Tolubalsam-Beimengung, wegen
ihrer angeblichen Störung der Verdauung
gemacht wird, hauptsächlich am Schreibtisch
construirt ist. Reuss hat nach vielfachen
Versuchen gefunden, dass das Kreosot, ge-
mischt mit Tolubalsam, sehr gut vertragen
wird') und ich habe das lediglich bestätigen
können. Uebrigens bezweifele ich gar nicht,
dass mit der Hop mann 'sehen Mischung
(Kreosot 1, Tinctura gentianae 2 zu 3 X
3 bis 3 X 30 und mehr Tropfen), sowie mit
dem Bouchar duschen Kreosotwein und an-
deren Mischungen in genügend grosser Dosis
ganz dasselbe zu erreichen ist, nur habe ich
gar keine Veranlassung gehabt, meine so
viele Jahre benutzte Verbindung von Kreosot
mit Tolubalsam in Kapselform aufzugeben,
da sie billig, bequem und gut verträglich
ist. Auch gegen das Kreosotwasser lässt
sich gar nichts sagen, nur müssten sehr
grosse Quantitäten getrunken werden, wenn
die allein einen Erfolg versprechenden
grossen Dosen Kreosot auf diese Weise ein-
verleibt werden sollen.
Während ich mun in dieser Art die
Lungen- (auch Kehlkopf- und Drüsen-) Tu-
berculose behandelte und immer noch hoffte,
es würden die mir von Koch in Berlin in
Aussicht gestellten wissenschaftlichen Unter-
suchungen von Cornet durch Thier-Experi-
mente der Anschauung Stütze geben, dass
das in den Organismus eingebrachte Kreosot
den Nährboden verändere und dadurch anti-
bacillär wirke, erschienen zwar die ausge-
zeichneten, epochemachenden Arbeiten und
Versuche Cornet 's, indess grade in der
Richtung, auf die ich am meisten Erwar-
tungen setzte, mit gänzlich negativem Re-
sultat.
Cornet*) inficirte 7 Meerschweinchen mit
Tuberkelbacillen, theils durch Impfung, theils
durch Inhalation und brachte denselben da-
nach täglich durch Magenkatheter 0,02 Kreo-
sot bei, einigen hatte 6r auch schon eine
Zeitlang vor der Infection das Kreosot ge-
geben. Alle diese Thiere gingen aber an
Tuberculose zu Grunde, wie die Control-
thiere. „Der destruirende Process der Tu-
berculosis — schreibt Cornet — die Ent-
wickelung und Vermehrung der Bacillen war
also auch durch reichliche Verabreichung
von Kreosot (auf das Korpergewicht des
Menschen berechnet täglich 2 g und darüber)
in keiner Beziehung (bei den Thieren) ge-
hemmt worden. Sehen wir nun gleichwohl
beim Menschen durch Anwendung von Kreosot
den Verlauf der Tuberculose in manchen
Fällen günstig beeinflusst, so kann diese
Einwirkung offenbar nicht in einer anti-
bacillären , entwickelungshemmenden Kraft
dieses Mittels ihren Grund haben, sondern
ist von anderen bisher unbekannten Verhält-
nissen abhängig."
Den Schwerpunkt der eventuell günstigen
Wirkung glaubt Cornet in die Secretions-
Verminderung durch das Kreosot legen zu
müssen.
Ich kann mich noch nicht entschliessen,
diese Frage für eine erledigte anzusehen.
Dass das Kreosot bei der Behandlung der
Lungentuberculose ein sehr werthvolles Me-
dicament ist und grosse Wirkungen hat,
dafür bürgt mir neben den sehr zahlreichen
spontanen Kundgebungen von Collegen aus
ganz Deutschland und darüber hinaus, welche
sich bei mir in Rücksicht auf erzielte Er-
folge für die Empfehlung des Kreosot
bedankten, die ganz enorme und seit zwei
bis drei Jahren immer sich steigernde Ver-
breitung der Kreosottherapie, ein Moment,
welches um so schwerer in's Gewicht fällt,
als die Kurzlebigkeit von Medicamenten,
welche nicht halten, was von ihnen ver-
sprochen wurde, bekanntlich eine sehr grosse
ist, wobei ich hier nur an das Natrium ben-
zoicum und an das Arsen erinnern will.
Wie das Kreosot aber wirkt, das halte ich
noch keineswegs für genügend aufgeklärt.
Die „Appetit verbessernde" Wirkung (Klem-
perer) und die „secretions vermindernde"
Wirkung (Cornet) sind sicher vorhanden,
aber dass dies die Haupt Wirkungen seien,
fällt mir äusserst schwer anzunehmen. Ich
^) Reu SS gab die Mischung in der Form von
Dragees.
*) Corüet, üeber d. Verhalten der Tuberkel-
bacillen im thierischen Organismus unter dem Ein-
Ünss entwickelungshemmender Stoffe. Zeitschrift
f. Hygicae. B. Y. 1888.
m. Jahrgftiif .1
Jali 1889. J
Sommarbrodt, Zur Behandlang der Lungentubereulote mit Kreosot.
301
kann mich noch nicht entschliessen , trotz
der absolut Degativen Resultate beim Thier-
Experiment, den Gedanken aufzugeben, dass
beim Menscheo durch genügende Kreosotzu-
fuhr der Nährboden für die Tuberkelbacillen-
Entwickelung im ungünstigen Sinne be-
einfiusst wird und ich möchte mir den Vor-
schlag erlauben: doch auch einmal das Blut-
serum Yon solchen Menschen, welche längere
Zeit täglich 1 g und mehr Kreosot gebraucht
haben, darauf hin zu untersuchen, ob die
Bacillen hierauf in gleicher Weise gedeihen,
wie auf gewöhnlichem menschlichen Blutserum.
Wenn man notorisch Tuberculöse ledig-
lich unter Kreosotbehandlung hat heilen
sehen — und ich kenne nun schon eine
ganze Reihe jahrelang controlirter Fälle —
wenn man bei einer sehr grossen Menge die
einzelnen Krankheitserscheinungen, inclusive
der physikalisch nachweisbaren Veränderun-
gen am Thorax zurückgehen sah, ohne dass
die Lebensverhältnisse der Kranken geändert
wurden, wenn man lange vorhandene, eiternde
tuberculöse Halsdrusen in verhältnissmässig
kurzer Zeit heilen, die geschwollenen ver-
schwinden und die begleitende Lungen-
tuberculose sich wesentlich bessern, wenn
man tiefe zerklüftete Geschwüre im Larynx
absolut vernarben sah, ohne jede andere
Behandlung als unter innerlich gebrauchtem
Kreosot, wenn man die Körperfülle herunter-
gekommener Tuberculöser durch 20 — 30 Pfd.
Gewichtszunahme gesteigert sah und zwar
bei Leuten, die auch vorher nicht grade
schlechten Appetit hatten, dann fällt es
Jemandem, der 1 1 Jahre lang so sehr viel Vor-
theilhaftes vom Kreosotgebrauch wahrge-
nommen hat, doch recht schwer, dies Alles
nicht auf die antibacilläre Wirkung des
Kreosot zu beziehen und nur der „secretions-
vermindernden** und „appetiterregenden Wir-
kung^ eventuell einer ganz unbekannten
zuzuschreiben, besonders wenn man die bes-
ten Wirkungen bei Kranken im Initial-
stadium sah, wo von reichlicher Secretion
überhaupt noch nicht die Rede war, oder wo
sie überhaupt ganz fehlte und der Appetit
auch nicht grade besonders darniederlag.
Indessen dem Ausspruch der exacten
Forschung: eine antibacilläre Wirkung des
Kreosot im Organismus ist beim Meer-
schweinchen nicht nachzuweisen, muss man
sich beugen. Aber für die Behandlung der
Tuberculöse mit Kreosot hat dies Resultat
keine Bedeutung. Immer wieder von Neuem
halte ich mich auf Grund meiner BeobacV
tungen an Tausenden von Elranken verpflich-
tet, der Kreosotbehandlung das Wort zu
reden, aber mit grossen Dosen muss sie
vorgehen, die kleinen sind werthlos!
Viele Monate lang 1 g Kreosot pro
Tag (eventuell auch bis zu 1,35 g und
noch darüber hinaus), gleichviel in
welcher Form der Darreichung, das muss
angestrebt werden und ist in den meisten
Fällen zu erreichen, falls das Präparat
gut ist und die Kapseln oder Tropfen oder
der Wein mit Kreosot nicht in den leeren
Magen, sondern unmittelbar nach der Mahl-
zeit genommen werden. Je besser es einem
Kranken danach geht, desto ausdauernder
muss er diese Behandlung fortsetzen!
Möchten nur recht viele Initialerkrankun-
gen (Spitzenkatarrhe und geringe Inflltratlonen)
möglichst bald mit grossen Dosen Kreosot
behandelt werden, dann würden die guten
Resultate dieser Behandlung noch augen-
fälliger werden, als sie es jetzt schon sind.
Bei den vorgeschrittenen Krankheitsfällen ist
wenig zu erwarten 1
Ueber Entstehung: und Therapie
des acuten Jodismus.
Von
Dr. Röhmann und Dr. Matachowski
Frivatdocent pract. Arzt
in Breslau.
Jeder, der Gelegenheit hat, mit Jod oder
Jodsalzen behandelte Patienten unter genauer
Controle zu halten, wird erstaunt sein über
die ungeahnte Häufigkeit, in der ihm das
typische Bild des auf die Schleimhäute des
Respiration s tractus , des Mundes und der
Augen localisirten acuten Jodismus in seiner
sehr wechselnden Intensität entgegentritt.
Um dieser Erfahrung einen zahlenmässigen
Ausdruck geben zu können, hat der eine
von uns jüngst Gelegenheit genommen, 86
Personen Jodkali in Dosen von 1,0 — 3,0 g
pro die zu verabreichen, und konnte bei
45 von diesen, also bei über 50®/o, mehr oder
weniger heftige Reizerscheinungen feststellen.
Die Mengen des Jodkaliums, welche
zum Auftreten des Jodismus führen, sind
ausserordentlich verschieden. Buchheim^)
giebt an, dass Gaben von 0,02 Jodkalium
auf 1000 g Korpergewicht — also 1,2 bis
1,5 g pro die — im allgemeinen keine Be-
schwerden, grössere Dosen dagegen Katarrh
der Nase und des Rachens hervorrufen.
Wenn auch diese kleinen Mengen nicht ver-
tragen werden, so läge das an einer ge-
wissen Prädisposition des Körpers. In der
That sind Fälle bekannt, in denen schoix
302
R 0 h m a fi n und Malachowski, fintatehung und Therftpie des acuten jodUmus. [^o^i^h^t^*
nach 0,2 g die heftigsten Erscheinungen auf-
getreten sind.
Demgegenüber huldigen widerum Andere
der Ansicht, dass grössere Dosen seltener
Nebenwirkungen hervorrufen als kleine. So
berichtet z. B. Haslund (Ueber die Behand-
lung der Psoriasis mit grossen Dosen von
Jodkalium. Viertel jahrsschr. f. Dermat. u.
Syphil. 1887 XIV. Jahrg. p, 677), ohne je-
doch obige Ansicht direct auszusprechen,
dass er bei Anfangsdosen you 3,33 g Jod-
kali pro die (nach zwei Tagen schon auf
5,0 g steigend) in 60 Fällen nur 6 Mal in
den ersten Behandlungstagen leichten Jodis-
mus der Respirationsschleimhäute gesehen
habe, während Greves, der die Behand-
lung der Psoriasis mit täglichen Gaben von
1,66 — 2,0 g einleitete, angiebt, dass er ge-
wöhnlich am zweiten oder dritten Tage
wegen Kopfweh oder Unwohlsein die Ver-
abreichung von Jodkali habe unterbrechen
müssen.
Bei den oben berichteten Versuchen
konnte ein Unterschied nicht festgestellt
werden. Es entstand Jodismus sowohl nach
Verabreichung von nur 0,33 g, als auch bei
18 unter 29 Personen, welche 3,0 g auf ein-
mal oder auf drei Dosen vertheilt in "Wasser
erhalten hatten*).
Da der Jodismus für die Patienten zwar
sehr unangenehm ist, noch nie aber trotz
der beunruhigendsten Symptome ein Men-
schenleben vernichtet hat**), ja sogar ohne
jedes Eingreifen von Seiten des Arztes wie-
der verschwindet, so verhalten sich Viele in
Bezug auf die Therapie vollkommen in-
different, zum grossen Theil jedenfalls des-
wegen, weil bisher noch kein sicheres und
dabei einfaches Mittel zur Coupirung oder
Linderung der Reizerscheinungen bekannt ist.
Gesucht und empfohlen wurde schon
Vieles. Zum grössten Theil beruhen diese
Empfehlungen auf reiner Empirie. So be-
*) Unter 10 Personen, die 3,0 g Jodkali auf
einmal erhielten, sahen wir bei 6 Jodismus auf-
ti'eten.
•*) Während der Drucklegung dieser Arbeit
erschien das Juniheft der Archives generales de
medecine. Es enthält einen Aufsatz: Action de
riodure de potassiuni ä tres hautes doses sur Tor-
ganisme von Paul de Helenes, in der der
Autor eine Angabe von Fournier erwähnt, der in
zwei Fällen Tod durch Glottisoedem in Folge von
Jodismus gesehen hat. Leider war die Arbeit
Fourniers (Gazette des hopit. 1889 No. 21) nicht
zugänglich, so dass die näheren Angaben über
diese Fälle nicht ermittelt werden konnten. In Be-
zug auf die Häufigkeit des Jodismus nach kleineren
oder grösseren Gaben berichtet auch Molenes:
Et d'ailleurs, je repeterai encore une fois, que los
accidents se produisent aussi bien et meme plus
souvent avec les petites doses qu'avec les
fortes.
hauptete Aubert, bei gleichzeitiger Dar-
reichung von Extr, Belladonnae 0,1 pro die
Jodismus verhindern zu können. Uns selbst
ist dies nicht gelungen, trotzdem wir längere
Zeit stets diese Combination anwendeten,
und wir sind davon wieder abgegangen.
Auch Haslund erklärt in der oben citirten
Arbeit, dass er die Vorschrift Aubert s viel-
fach angewendet, aber nicht für wirksam be-
funden hätte. Ebensowenig theoretisch be-
gründet, wie diese Empfehlung, ist die des
Atropins von Leloir, und der Sol. Fowleri
2—3 X tgl. 3—5 Tropfen von Stick er. Ob
Seiden Norris für die Empfehlung des Brom-
kali — in doppelt so grosser Menge gleichzeitig
mit dem Jod salz zu nehmen — theoretische
Gründe beibrachte, ist uns unbekannt ge-
blieben, da die Originalarbeit uns nicht zu-
gänglich war***). Auf rein empirische Grund-
lage stützt sich ferner die Empfehlung von
Keyes, Cazenave und anderen, zur Ver-
meidung des Jodismus das Jodkali in grossen
Mengen Milch zu nehmen. Es ist diese
Methode, wie wir einer mündlichen Mit-
theilung des Herrn Prof. A. Neisser ent-
nehmen, sehr zweckmässig. Seit dem Jahre
1882 wird sie auf der hiesigen Hautklinik
angewendet und nur ganz vereinzelt sind
bemerkenswerthere Fälle von Jodismus da-
selbst beobachtet worden. Dass sie aber
auch nicht vollständig schützt, davon konnten
wir uns selbst auf oben genannter Klinik
überzeugen. Bei 8 Personen, die genau auf
etw^aige Beschwerden befragt wurden, konnten
wir drei Mal allerdings nur leichte Erschei-
nungen des Jodismus feststellen. Somit
erscheint durch die Darreichung in Milch
wesentlich eine bedeutende Milderung der
Erscheinungen erzielt zu werden. Es ist
dies vielleicht vor Allem darauf zurückzu-
führen, dass nach den Untersuchungen von
RosenthaP) das Jod um so schneller aus
dem Körper entfernt wird, je mehr Flüssig-
keit mit demselben eingeführt wird.
Eine rationelle Bekämpfung des Jodismus
setzt voraus, dass wir uns über die Ursachen
seiner Entstehung im Klaren sind. Noth-
nagel und Rossbach^) nehmen an, dass
der Jodismus nach Jodkali nur bedingt sei
durch die Verunreinigung des Präparates
durch freies Jod oder Jodsäure, „welches
schon während des Einnehmens verdampfend,
durch unmittelbar örtlichen Contact und
***) Neuerdings wurde Bromkali vom San.-Rath
Joseph Sarater, rosen, mit günstigem Erfolge bei
Jüdoformintoxication angewendet. Durch Versuche
im Reagensglas glaubt er gefunden zu haben, dass
diesem Salze eine sehr grosse Jodbindende" (!) Kraft
innewohnt. Die Empfehlung des Bromkali durch
Seiden Norris war ihm jedenfalls unbekannt ge-
blieben. (Berl. kl. Woch. 1889 No. 15.)
HZ. Jahr^of .n
Joli 1889. J
Röhmann und Malachowaki, Entstehung und Therapie des a6uten Jodismus.
303
nicht erst von der Blutbahn aus diese
Symptome erzeugte". Demgegenüber hat
Bresgen*) zwei Fälle Ton schwerem acuten
Jodismus yeroffentlicht , bei denen das in
Anwendung gezogene Jodkalium nach der
Prüfung durch einen so competenten Beur-
theiler wie Binz*) durchaus chemisch rein
war. Die Ansicht von Nothnagel und
Rossbach erscheint also unhaltbar.
Im Allgemeinen wird angenommen, dass
sich im Organismus nach der Einführung
Ton Jodsalzen freies Jod bildet. „Ein posi-
tiver Beweis dafür fehlt bisher" (Schmiede-
berg). Ebenso sind es nur Hypothesen,
welche das Wie dieser Entstehung erklären
sollen.
Kaemmerer®) und Buchheim^) machen
hierfür den Sauerstoff des Blutes verant-
wortlich. Ersterer nimmt an, dass durch
die Kohlensäure des Blutes Jodkalium unter
Bildung von Jodwasserstoff zerlegt, und aus
letzterem durch den Blutsauerstoff freies Jod
abgespalten werde; Buchheim dagegen
glaubt, dass der im Blut locker gebundene
Sauerstoff bei seiner Abspaltung durch an-
dere Substanzen activirt würde und Jod-
kalium direct zersetze. Einige, wie Gaglio^)
sprechen noch immer von dem Vorhanden-
sein von Ozon im Blute.
Diesen Ansichten - gegenüber verlegt
Binz*) den Ort der Spaltung des Jod-
kalium aus dem Blut in die Gewebe. Hier
werde das Jod aus dem Jodkalium bei
Gegenwart von Kohlensäure in Freiheit ge-
setzt durch die oxydirende Wirkung des
„an das Protoplasma der thätigen Zelle
gebundenen Sauerstoffs" (üs sing er).
Kur Binz sucht seine Ansicht zu begrün-
den und zwar durch folgenden an die Beobach-
tungen von Schoenbein anknüpfenden Ver-
such. „Ein frisches Blatt der stark protoplas-
mahaltigen Lactuca sativa wird mit einigen
Cubikcentimetern Wasser im Mörser zer-
rieben, ferner wird eine etwa l°/o-Lösung
von reinem Jodkalium mit reiner Kohlen-
säure bei gewöhnlicher Zimmerwärme ge-
sättigt, mit ein wenig Kleister gemischt und
in zwei Hälften getheilt. Zu der einen
Hälfte setzt man das neutral reagirende
protoplasmahaltige Wasser, zu der andern
die gleiche Menge gewöhnlichen Wassers.
Diese letztere bleibt selbst bei längerem
Stehen unzersetzt, in jener beginnt binnen
wenigen Minuten die blaue Färbung. Beim
Erhitzen des Pflanzenwassers bleibt die Re-
acüon aus."
Gegen die Beweiskraft dieser Beobach-
tung macht nun Gaglio geltend, dass nur
chlorophyllhaltige Pflanzenzellen die von
Binz beschriebenen Eigenschaften haben.
Dagegen sind farblose Pflanzentheile nicht
im Stande, Jodkalium zu zerlegen ; ebenso-
wenig vermögen dies daraufhin untersuchte
animalische Gewebe (Leber, Milz, Pancreas,
Gehirn, sowie Muskeln und Eingeweide von
Fröschen) bei Gegenwart von Blut und
Kohlensäure. Diesen letzteren Versuchen
von Gaglio würde jedoch keine Bedeutung
beizumessen sein, denn selbst wenn sich
Jod aus dem Jodkalium bildete, so würde
es von dem reichlich vorhandenen Eiweiss
sofort gebunden werden.
Wir selbst könnten erwähnen, dass eine
Anzahl darauf hin untersuchter Bacterien
in 1 °/oo Jodkalium enthaltenden nicht alkali-
sirtem Fleischextract gezüchtet, kein freies
Jod abspaltet (Röhmann).
Wichtiger jedoch erscheinen uns die Be-
obachtungen von Pfeffer®), welche zeigen,
dass man in lebenden Pflanzenzellen mit
den empfindlichsten Reagentien keine Wir-
kungen erkennen kann, die auf die Anwesen-
heit von activem, also Jodkalium zerlegendem
Sauerstoff hindeuten. Die energischen Oxy-
dationen, die man durch manche Pflanzen-
theile — auch in dem soeben angeführten
Versuche von Binz — erhält, sind bedingt
durch gewisse beim Absterben sich bildende
Stoffe, welche, indem sie sich selbst bei
Gegenwart des Sauerstoffs der Luft oxy-
diren — in diesem Sinne also reducirend
zu nennen sind — , secundär diesen relativ'
wenig wirksamen Luftsauerstoff zu den oben
erwähnten energischen Oxydationen (des Jod-
kaliums) befähigen.
Durch die angeblich oxydirenden Eigen-
schaften des Protoplasma, z. B. der im Nasen-
secret enthaltenen Lymphzellen, und durch
die hierdurch bewirkte Abspaltung von
Jod aus Jodkalium erklärt Binz auch das
Entstehen des Jodismus.
Eine andere Hypothese besagt, dass Jod
im Organismus gerade so wie im Reagens-
glase durch die Einwirkung von Nitriten
bei Gegenwart von Kohlensäure in Freiheit
gesetzt werden könne. Sie wird von Sar-
tisson^) und Buchheim*) sowie in neuerer
Zeit besonders von Ehrlich*^) zur Erklärung
des Jodismus herangezogen.
Wir wollen zunächst auf diese Theorie
etwas näher eingehen.
Die Möglichkeit, dass Nitrite zeitweise
im Blute kreisen, und als solche durch
Harn, Speichel, Schweiss, oder durch die
Drüsen der Schleimhäute ausgeschieden wer-
den können, kann nicht bezweifelt werden.
Durch die Versuche von Röhmann")
ist nachgewiesen und von Th. Weyl") be-
stätigt worden, dass von den in den Or-
ganismus eingeführten salpetersauren Salzen
304
Röhmann und Malachowtki, Cntttehuog und Therapie dei acuten JodUmui.
[Thcnipeatiaehe
Uonaiihefte.
nur ein Theil wieder durch den Haxn aus-
geschieden wird. Ein anderer Theil ver-
schwindet im Organismus durch Reduction.
Hierbei müssen sich Nitrite bilden. Dass
dies wirklich der Fall ist, lehrt die Unter-
suchung des Speichels und Schweisses. Es
zeigt sich nämlich, dass die meist schwache
und langsam eintretende Blaufärbung des
angesäuerten Jodkaliumstärkekleisters, welche
nach den Untersuchungen Ton Buch heim,
Schoenbein, Meissner u. A. schon nor-
maler menschlicher Speichel zeigt, nach Ein-
gabe von salpetersauren Salzen ausserordent-
lich an Intensität zunimmt. Dieselbe Re-
action giebt der nach Pilocarpininjection
erhaltene Schweiös.
Ausser durch diese Blaufärbung des Jod-
kaliumstärkekleisters ist das Vorhandensein
von Nitriten durch Peter Gries") mittelst
Sulfanilsäure und Naphthylamin nachgewiesen
worden. Auch diese Reaction fällt ungleich
stärker aus, wenn man vorher per os ein
Nitrat einführt.
Wodurch diese Reduction der Nitrate zu
Nitriten bewirkt wird, ist bisher noch unklar.
Die Mitwirkung des Drüsenparenchyms, z. B.
der Speicheldrüsen, ist hierzu nicht erfor-
derlich. Dies wird durch folgenden einfachen
Versuch bewiesen. Spült man den Mund,
sei er vorher auch noch so sorgföltig gereinigt,
mit einer Losung von Salpeter aus, so erhält
tnan in der nach einigen Secunden aus-
gespieenen Lösung Nitritreaction. Es zeigt
dies zugleich, wie leicht und schnell die
Nitritbildung erfolgt.
Trotz dieser Anwesenheit von Nitriten-
wird unter normalen Verhältnissen das nach
Eingabe per os im Speichel secernirte Jod-
kalium nicht zersetzt. Geben wir einem
Menschen 0,5 g Jodkalium und 1,0 g Sal-
peter in je einer Gelatinekapsel, so finden
sich nach etwa 20 Minuten im Speichel
nebeneinander Jodkalium und Kaliumnitrit,
aber kein freies Jod. Stärkekleister wird
durch diesen Speichel nicht gebläut, und
zwar geschieht dies nach unserer Ansicht
deswegen nicht, weil der Speichel in Folge
der Anwesenheit von kohlensaurem Natrium
alkalisch reagirt. Sobald er dagegen mit
verdünnter Schwefelsäure angesäuert wird,
wird Jod frei und dementsprechend Stärke-
kleister blau gefärbt.
Es erscheint nicht überflüssig bei dieser
Gelegenheit zu betonen, dass es nicht gleich-
giltig ist, mit welcher Säure wir bei der
Prüfung auf Jodkalium das Gemenge von
Kaliumuitrit und Stärk ckleister ansäuern.
Von einer Losung, welche in 220 cc 0,01 g
Jodkalium, 0,01 g Kaliumnitrit und 0,2 g
Stärke enthält, werden 5 cc durch 1 cc
Vio Normalschwefelsäure innerhalb weniger
Secunden gebläut, ähnlich verhält sich eine
äquivalente Menge Oxalsäure, dagegen tritt
nach Zusatz der entsprechenden Menge
Weinsäure, Milchsäure oder Essigsäure an-
fangs keine Färbung, dann erst rothviolette,
und erst sehr allmählich Blauförbung ein.
(Röhmann.)
Man könnte nun leicht denken, dass
sich auch aus dem Nitrit und Jodkalium
enthaltenden Speichel Jod abscheiden müsste,
wenn man längere Zeit Kohlensäure ein-
leitete, und könnte zu dieser Ansicht um
so leichter kommen, wenn man die Angaben
der Autoren kennt, denen zufolge im Orga-
nismus nicht nur die Nitrite, sondern auch
das Jodkalium durch Kohlensäure zerlegt
werde.
Dies ist jedoch nicht der Fall. Es ver-
hält sich in dieser Beziehung der Speichel
genau so, wie eine Lösung von Jodkalium,
Kaliumnitrit und Natriumbicarbonat. In
ihr bildet sich beim Durchleiten von Kohlen-
säure kein Jod; diese Abspaltung erfolgt
dagegen beim Einleiten von Kohlensäure
sehr bald, wenn die Lösung nur Jodkalium
und Kaliumnitrit, aber kein doppelt kohlen-
saures Natrium enthält.
Die Bildung von Jod könnte sich in
letzterem Falle auf zweierlei Weise erklären
lassen: entweder wirkt die Kohlensäure zer-
legend auf das Jodkalium unter Bildung
von Jodwasserstoffsäure, oder sie zerlegt
das Kaliumnitrit.
Die Zerlegung von Jodkalium durch
Kohlensäure ist zuerst in einer wiederholt
citirten, ganz kurzen Mittheilung von H.
Struve^*) behauptet worden. Seine Ansicht
stützt sich, soweit wir sehen, nur darauf,
dass neutrales Wasserstoffsuperoxyd Jod-
kalium allein nicht zersetzt, wohl aber bei
Anwesenheit von Kohlensäure. H. Struve
stellt sich vor, dass die Kohlensäure den
Zusammenhang von Jod und Kalium lockere,
so dass in der wässrigen Lösung neben
saurem kohlensaurem Kalium Jodwasserstoff
vorhanden sei, welchen Wasserstoffsuperoxyd
leichter als das Jodkalium zu oxydiren ver-
möge.
In anderer Weise hat Schulz'*) im
Laboratorium von Binz die Zerlegung der
Jodide durch Kohlensäure nachzuweisen ge-
sucht. Er leitete in eine Jodkalium ent-
haltende Lösung von Methylviolett einen
Strom von Kohlensäure und schloss aus der
mit der Zeit eintretenden Entfärbung oder
Grünfärbung auf die Bildung von Jodwasser-
stoffsäure.
Wir verfuhren in der von Schulz an-
gegebenen Weise, indem wir durch eine Jod-
m. Jfthrguig.'l
Juli 1889. J
RÖhmann und Malachowski, Eatatehung und Therapie des acuten Joditmui.
305
kaliumhaltigeMethylviolettl58ung(l:100000)
Kohlensäure durchleiteten. Eine 0,5 % Jod-
kalium haltende Lösung verändert sich auch
bei stundenlangem Durch leiten von Kohlen-
säure nicht; und selbst wenn man genau
nach Schulz in ein Reagensglas 20 cc der
Methylviolettlösung und 1 g Jodkalium bringt,
und durch eine Capillare Kohlensäure ein-
leitet, wird die Methylviolettlösung wohl
etwas blasser, bleibt aber stets violett.
Der Control versuch wurde mit Jodwasser-
stoff angestellt. Derselbe war durch Einleiten
von HjS in eine Suspension von feingepulver-
tem Jod hergestellt worden. Der ausgeschie-
dene Schwefel war durch Schütteln mit Asbest
und Filtriren, der H^S zum grössten Theil,
aber nicht vollständig, durch Einleiten von
Wasserstoff entfernt worden. Die Lösung
enthielt etwa 2,6 **/o Jodwasserstoff. Von
diesem genügten 3 — 4 Tropfen, um 20 cc
der Methyl Violettlösung deutlich blau zu
färben. Die Anwesenheit des Schwefel-
wasserstoffs war ohne Einfluss.
Wir müssen demnach annehmen, dass
die Angaben von Schulz auf einem Be-
obachtungsfehler beruhen, vielleicht bedingt
durch die Beschaffenheit des verwendeten
Methylvioletts.
Dagegen kann man sich leicht von der
Zerlegung des Kaliumnitrits durch Kohlen-
säure überzeugen I
Dieselbe Methylviolettlösung, welche sich
bei Anwesenheit von Jodkalium durch- CO3
nicht verändert, wird durch Kaliumnitrit
und CO2 bald gebläut. Ebenso beweisend
ist folgender Versuch. Man fällt durch
Thierkohle entfärbtes salzsaures Naphthyl-
amin durch Natronlauge, wäscht den Nieder-
schlag mit Wasser gut aus und suspendirt
ihn in Wasser. Eine Lösung von Sulfanil-
säure wird mit Natronlauge genau neutrali-
sirt. Bringt man nun Kaliumnitrit, sulfanil-
saures Natrium und Naphthylamin zusammen,
so tritt die Griess^sche Reaction (Roth-
färbung) nicht ein. Leitet man jedoch durch
die Kaliumnitritlösung vorher Kohlensäure,
setzt SU Ifanil saures Natrium und dann Naph-
thylamin hinzu, so färbt sich die Flüssig-
keit roth.
Auch diese Zerlegung des Kaliumnitrits
durch Kohlensäure findet bei Gegenwart
von Natriumbicarbonat weder in dem
einen noch in dem anderen Falle statt.
Hieraus ergiebt sich, dass im mensch-
lichen Organismus eine Abspaltung
von Jod aus dem Jodkalium durch
die Nitrite unter Vermittelung der
Kohlensäure nur dann eintreten kann,
wenn an dem Ort der Zersetzung kein
Alkali vorhanden ist. Wenn also Nitrite
im Organismus circuliren und gleichzeitig
in dem betreffenden Gewebe, z. B. in einer
Schleimhaut oder auch auf einer solchen,
aus irgend einem Grunde nicht alkalische
Reaction herrscht, so ist es wahrscheinlich,
dass durch die in den Geweben producirte
Kohlensäure Nitrite zerlegt imd Jod frei
werden würde.
Da nun die Kohlensäure bei jedem In-
dividuum und in allen Geweben vorhanden
ist, so müssen zwei Bedingungen zusammen-
wirken, damit Jod frei werden und dem-
gemäss Jodismus entstehen kann; es müssen:
1. Nitrite im Organismus circuliren,
2. darf die Reaction in den betreffen-
den Schleimhäuten nicht alkalisch
sein.
Stellen wir uns auf den Boden dieser
Hypothese und überlegen wir die Mittel zur
Bekämpfung des Jodismus, so ergeben sich
drei Wege; erstens: wir suchen das bereits
abgespaltene Jod wieder zu binden; zweitens:
wir beseitigen die salpetrige Säure in dem
Augenblick, wo sie durch die Kohlensäure
aus ihren Salzen in Freiheit gesetzt wird,
so dass sie also Jodkalium nicht mehr zer-
legen kann; oder endlich drittens: wir ver-
hindern die Entstehung von freier, salpetriger
Säure, indem wir die nicht alkalische Reac-
tion auf den betreffenden Schleimhäuten in
eine iilkalische umzuwandeln suchen.
Eine Bindung des Jods wurde zu er-
reichen versucht durch Zufuhr von pflanzen-
sauren Alkalien, indem man von der Vor-
aussetzung ausging, dass diese im Organis-
mus zu kohlensauren Alkalien verbrennen
und das Jod unter Entweichen der Kohlen-
säure fixiren. Zu einer derartigen Auffassung
kann die. leichte Bindung des Jods durch
fixe und einfach kohlensaure Alkalien
verleiten. Doppelt kohlensaure Alkalien
verhalten sich aber ganz anders. Diese ganz
bekannten Verhältnisse lassen sich leicht in
folgender einfachen Weise demonstriren.
Man füllt in einen Cylinder, wie er zur
Wasseranalyse gebraucht wird, 100 cc einer
1 % Losung von doppelt kohlensaurem Na-
trium, in welche zuvor Kohlensäure einge-
leitet worden istf), und setzt dazu 20 cc */a%
Stärkekleister; in einen zweiten Cylinder
in entsprechender Weise kohlensaures Natrium
und Stärkekleister, in einen dritten destil-
lirtes Wasser und Stärke. Nun lässt man
aus eiüer Bürette zunächst in den Natr.
f) Das käufliche Natr. bicarb. ist gewöhnlich
durch kleinere oder grössere Mengen einfach
kohlensauren Natriums verunreinigt. Darch die
Einleitung von Kohlensäure in die Lösung werden
diese Mengen einfach kohlensauren Natriums eben-
falls in Natr. bicarb. umgewandelt.
39
306
RShmann und Mulaohowaki, fintftehuttg und Therapie des acuten Jodiimu«. [TM^'lfS^llft^
bic. enthaltenden Cylinder tropfenweise so
viel einer sehr verdünnten Jodjodkalium-
lösung einfliessen, bis die Flüssigkeit nach
dem ümschütteln eben blau erscheint, und
fügt genau die gleiche Menge zu den beiden
andern Lösungen. Diejenige, welche kohlen-
saures Natrium enthält, bleibt völlig unge-
färbt, die beiden andern zeigen eine in Be-
zug auf ihre Intensität gleiche Färbung.
Die Fähigkeit der obigen, doppelt koh-
lensaures Natrium enthaltenden Lösung, Jod
zu binden, ist also nicht grösser, als die
einer rein wässrigen, Stärke enthaltenden
Flüssigkeit.
Doppeltkohlensaure Alkalien, wie wir
sie im Blute und den Gewebssäften kreisend
annehmen müssen, sind demnach nicht im
Stande, etwa in Freiheit gesetztes Jod auf-
zunehmen und so für den Organismus un-
schädlich zu machen.
Den zweiten Weg, durch Fortschaffung
der freien salpetrigen Säure den Jodismus
zu bekämpfen, hat in sehr geistreicher Weise
Ehrlich***) eingeschlagen.
Von der Thatsache ausgehend, dass sal-
petrige Säure durch Sulfanilsäure unter Bil-
dung von Diazobenzolsulfosäure zerstört
wird, empfiehlt er Sulfanilsäure als Mittel
gegen den Jodismus, und zwar sollen 4,0
bis 6,0 g Sulfanilsäure, die durch Zusatz
von 3,0 — 4,0 g kohlensaurem Natron in
150 g Wasser gelöst werden, möglichst bald
nach Eintritt des Jodismus genommen wer-
den; eventuell ist diese Gabe nach 12 Stun-
den zu wiederholen. Bei dieser Behandlung
will Ehrlich etwa in der Hälfte der Fälle
schon nach 1 — 2 Stunden eine Coupirung
des Anfalls gesehen haben, der jedoch in
vielen Fällen sich nach 12 Stunden wieder-
holte, weswegen eben die Medication er-
neut werden musste. In andern Fällen
werden die unangenehmen Erscheinungen
nur gemildert, selten bleibt jede Wirkung
aus. Der eine von uns hat in einer grösseren
Zahl von Fällen dieses Verfahren angewendet,
und wenn auch, was nur auf zufälligen Um-
ständen beruhen mag, nie ein Anfall coupirt
wurde, so trat doch stets eine schnelle
und bedeutende Erleichterung, nach der
zweiten Gabe ein Verschwinden des An-
falls ein. Da nur wenige Beispiele der
Sulfanilsäurewirkung von Krönig^^), und
noch dazu an wenig zugänglicher Stelle —
in den Charite-Annalen — beschrieben sind,
so sei es gestattet, einige beweisende Kranken-
geschichten hier einzufügen, welche dem im
Allerheiligen-Hospital beobachteten Material
entstammen.
Marie D., 25 Jahre alt, warde am 26. October
1886 wegen einer in Folge eines Abortus entstan-
denen Perimetritis in das Hospital aufgenommen.
Nach dem Ablauf der acuten Entzündung erhielt
sie zur besseren Resorption des Exsndatrestes vom
15. November Abends an Jodkali in Dosen von
1»0 g pro die (0,33 pro dosi). Nachdem sie Abends
7 Uhr 0,33 Jodkali genommen hatte, trat schon
in der Nacht zum 16. starker Schnupfen, Secretion
der Thränendrüsen und Kopfschmerzen ein. Das
Jodkali wurde nicht ausgesetzt; sie erhielt also
Morgens wiederum 0,33, um 10 Uhr Vormittags
die Ehrlich^ sehe Mischung, und Mittags und
Abends, wie auch späterhin dieselbe Dosis Jod-
kali. Der Schlaf iu der Nacht vom 16. zum 17. war
im Gegensatz zu der vorherigen Nacht ungestört, am
Morgen beim Erwachen hatten alle Beschwerden
nachgelassen, und schwanden im Laufe des Vor-
mittags vollständig, nachdem Patientin früh 67s
Uhr noch einmal Sulfanilsäure in derselben Menge
erhalten hatte. Es hatten somit die Erscheinungen
des Jodismus ca. 30 Stunden angehalten, noch 24
Stunden nach Anwendung der Gegenmedication ;
sie traten bei fortgesetzter Jodkaliverabreichung
nicht wieder auf.
Anna PI., 27 Jahre alt, wurde am 1. Novem-
ber 1886 aufgenommen. Sie litt an Emphysem
und trockener Bronchitis. Die dauernd gereichte
Arznei bestand in Jodkali 0,33 3 X täglich. Nach-
dem sie am 1. November 0,66 g genommen hatte,
erwachte sie am 2. mit Kopfschmerzen, starker
Secretion der Thränendrüsen und starkem Schnupfen.
Die Beschwerden steigerten sich im Laufe des
Tages; sie erhielt deswegen 6 Uhr Nachmittags
eine Sulfanilgabe. Am Morgen des 3. hatten alle
Beschwerden bedeutend nachgelassen; da dieselben
jedoch nicht gänzlich schwanden, erhielt die Kranke
Nachmittags 4 Uhr wiederum SulfaniLBäare mit
dem Erfolge, dass sie schon um 6 Uhr sich voll-
ständig wohl fühlte. Dauer des Jodismus also
36 Stunden, nach der Verabreichung der Sulfanil-
säure noch 24 Stunden. Diese Zeit wäre sicher
abgekürzt worden, wenn die zweite Gabe Sulfanil-
säore früher gereicht worden wäre.
Pauline R., 24 Jahre alt, kam wegen eines
chronischen Gelenkrheumatismus am 13. December
1886 auf die Abtheilung. Sie wurde zunächst mit
Salicyl ff) behandelt und erhielt Jodkali in derselben
ff) Es sei gestattet, einige Bemerkungen über
die Therapie des Gelenkrheumatismus anzufügen.
Gestützt auf die an einem sehr reichen Material
gewonnenen Erfahrungen meines zu früh verstor-
benen Chefs, weiland Sanitäts-Rath Dr. Victor
Friedlaender, sowie auf eigene Behandlung von
mehreren Hundert Fällen von acutem und chro-
nischem Gelenkrheumatismus muss ich entgegen
der jetzt namentlich in der Privatpraxis an Boden
gewinnenden Anwendung von Äntipyrin und Salol
das altbewährte salicylsaure Natron als daa beste
Mittel empfehlen. Allerdin^ nur dann, wenn man
sich entschliesst, dasselbe in grösseren Mengen zn
geben, als sie allgemein angewendet werden. So
empfehlen z. B. Nothnagel u. Rossbach (Hand-
buch) dasselbe in stündlichen Dosen von 1,0.
^Grosse Gaben, etwa von 5,0 zweimal täglich ge-
geben, wirken viel weniger erfolgreich." Lieber-
meister (Vorlesungen) begnüst sich sogar mit
4,0 — 6,0 pro die. Strümpell (Lehrbuch) befürwortet
pro die 10,0 innerlich nicht zu überschreiten, und
giebt ebensoviel als Klysma. Auch Riess (Real-
m. Jahrganf .1
Juli 1889. J
RÖhmatin und MalaehowSki, Entstehung und Therapie des acuten Jödlamui.
307
Form und Menge, ^ie vorher berichtet, als am
15. December die Beschwerden von Seiten der
Gelenke nachgelassen hatten. Am 15. Abends
nahm sie das Medicament zum 1. Male, klagte am
16. Abends nach im Ganzen 1,0 g über Kopf-
schmerzen und wies am 17. Morgens das Bild
eines schweren Jodismus auf. Zu den heftigen
Kopfschmerzen waren hinzugekommen starker
Schnupfen, starke Secretion der Thränendrüsen mit
Oedem der oberen und unteren Augenlider, Schmer-
zen im Munde und im Halse. Sie erhielt um
10 Uhr 5,0 g Sulfanilsäure, fühlte sich bereits
Abends viel leichter und bot am Morgen des 18.
als Krankheitserscheinungen nur noch sehr geringe
Oedeme der Augenlider sowie massige Kopfschmer-
zen. Sie erhielt nochmals 5,0 g Sulfanilsäure, mit
dem Erfolge, dass am Abend auch diese beiden
Sjrmptome vollständig geschwunden waren, Fat.
sich vollkommen wohl befand. Es hatte somit der
Jodismus ca. 44 Stunden gedauert, etwa 30 Stun-
den nach Einleitung der Sulfanilsäuretherapie.
Dieser Fall ist es, welcher dadurch be-
sonderes Interesse bietet, dass die Kranke
unter Weitergebrauch des Jodsalzes schon
nach wenigen Tagen einen neuen Anfall
von Jodismus zu überstehen hatte. Es
"waren wiederum dieselben Symptome aufge-
treten, auch die Oedeme der Augenlider
fehlten nicht, aber im Ganzen waren die
Erscheinungen milder. Trotzdem blieben
sie vom 20. früh bis 23. Abends, also
84 Stunden bestehen, als des Vergleiches
wegen keine gegen den Jodismus gerichtete
Medication eingeleitet wurde. Es widerlegt
daher dieser Fall auf das Bestimmteste die
encyclopaedie U. Aufl. 1886) giebt nur 6 X tägl.
1,5 g innerlich. Er berechnet aus 148 so behan-
delten Fällen die durchschnittliche Behandlungs-
dauer bis zum Aufhören der Schmerzen auf
8,7 Tage. Eichhorst (Lehrbuch) empfiehlt
ebenfalls stündlich 1,0 g; bevorzugt aber die Säure
vor dem Natriumsalz und erzielt bei dieser Be-
handlung häufig schon nach 12 Stunden Aufhören
der Schmerzen. Jürgensen (Lehrbuch) ist der
einzige, welcher grössere Dosen, bis 18 g des sa-
licjlsauren Natr. pro die, anwendet.
Wir selbst haben stets das Natriumsalz in der
Menge von 3 X täglich 6,0 per Klysma gegeben,
ohne im Ganzen häufigere oder ernstere Neben-
wirkungen gesehen zu haben, als andere Autoren
berichten. Dagegen brachten diese grossen Men-
gen, namentlich im Gegensatz zum Salol, den
Schmerz viel schneller zum Verschwinden und be-
schleunigten dementsprechend die Heilung. Wir
hatten auch nur sehr selten Veranlassung, wegen
noch bestehender leichter Schmerzen die von vielen
Autoren empfohlene Nachcur mit kleinen Dosen
Salicylsäure einzuleiten. Selbstverständlich wider-
stand auch eine Anzahl von Fällen diesen grossen
Dosen, aber die durchschnittliche Behandlungs-
daner bis zum Aufhören der Schmerzen
war entschieden kleiner, als die von Riess ange-
gebene Zahl, und aus einer Versuchsreihe mit 5,0
bis 8,0 Salol pro die konnten wir in Bezug auf
diesen Punkt mit Sicherheit eine Differenz von
einem Tage zu Gunsten der Salicylsäure berechnen.
Malacfunoski,
gegen den beweisenden Wertb einer jeden
Therapie des Jodismus von mancher Seite
erhobenen Einwände.
Nicht weniger rationell nun erschien uns
nach der Nitrithypothese der dritte Weg:
anstatt schon gebildete salpetrige Säure
zu zerstören, das Freiwerden derselben zu
verhindern.
Da salpetrige Säure, wie wir oben er-
örtert haben, nur dort entsteht und auf das
Jod zersetzend wirken kaun, wo die Reac-
tion, sei es durch Kohlensäure oder eine
andere Säure sauer ist, so durfte man es
für möglich halten durch Einführung von
Alkali — am zweckmässigsten von Natrium
bicarbonicum — , die saure Reaction zu be-
seitigen. Wo das Kaliumnitrit hingelangte,
konnte auch das doppeltkohlensaure l^atrium
hinkommen, und wenn eine Schleimhaut aus
irgend einem Grunde vorher neutral oder
sauer reagirte, so konnte man vermuthen,
dass sie nach Eingabe von kohlensauren Al-
kalien zu einer ausreichenden Alkalisecretion
angeregt werden v^ürde.
Die Erfolge, welche wir thatsächlich
durch Verabreichung von Natrium bicarboni-
cum beim Jodismus erzielten, sprechen für
die Richtigkeit dieser Annahme.
Nach Eintritt des Schnupfens und Stirn-
kopfschmerzes wurden ca. 10 — 12 g Natr.
bicarbonicum auf zwei Dosen vert heilt in-
nerhalb 24 Stunden gereicht. Wir haben
diese Therapie seit Anfang 1887 geübt und
sind mit der Wirkung derselben durchaus
zufrieden. Es gelingt mit Sicherheit innerhalb
weniger Stunden stärkere Beschwerden ganz
bedeutend zu mildern, leichtere vollständig
zum Verschwinden zu bringen. Ein Fall,
bei dem das Natr. bicarbon. gar keinen
Einfluss gehabt hätte, ist uns in dieser Zeit
nicht vorgekommen. Selbstverständlich wurde
stets trotz des Jodismus das Jodkali weiter
gereicht^ ohne das Resultat der Therapie zu
beeinflussen.
Es hätte somit die klinische Beobachtung
die theoretischen Erwägungen bestätigt, und
wir stehen nicht an, dieser Medication den
Vorzug zu geben vor der Sulfanilsäure,
wenn auch vielleicht in einzelnen Fällen
durch die Sulfanilsäure eine noch schnellere
Beseitigung des Anfalls, eine Coupirung ein-
tritt. Die Sulfanilsäure ist in den Apo-
theken nicht vorräthig, und wenn dieser
Umstand auch wegfiele, so würde doch wohl
der theure Preis ein Hinderniss für eine all-
gemeine Annahme dieser Therapie sein. Ein
nach der Ehrlich' sehen Vorschrift herge-
stelltes Recept kostet 1,00 Mark, die Be-
seitigung des Jodismus also im Einzelfalle
durchschnittlich 2,00 M. Natr. bicarb. da-
89*
308
fTher&pfliitiacbe
RS hm a BD und Malachowiki, Cntitehung und Therapie dea acuten Jodismus. 1 Mona^eft?
gegen ist ebenso billig, als unscbädlich und
in jedem Augenblick obne genauere Dosi-
rung anzuwenden, so dass in jedem einzel-
nen Falle sofort nach Eintritt der ersten
Symptome die Therapie eingreifen kann.
Die folgenden Krankengeschichten mögen
die geschilderte Wirkung veranschaulichen.
Mathilde G., 35 Jahre alt, kam im April 1887
wegen eines rechtsseitigen Pleuraezsudates auf
die Abtheilung. Zur Aufsaugung eines Restes
desselben erhielt sie vom 25. ab 2,0 g Jod-
kali pro die auf drei Dosen vertheilt. Nach-
dem schon im Laufe dieses Nachmittags sich
leichtere Beschwerden eingestellt hatten, steigerten
sich dieselben im Laufe der Nacht. Heftiger Stim-
kopfschmerz raubte der Kranken den Schlaf fast
vollständig, es trat eine starke Secretion der Nase
und der Thr&aendrusen ein, am Morgen des 26.
war starkes Oedem beider Augenlider, sowie Oedem
der ganzen Mundschleimhaut und wahrscheinlich
nuch des Larynx vorhanden. Patientin sprach
heiser, das Schlingen war erschwert. Gegen 10 ühr
Vormittags erhielt sie 5,0 g Natr. bicarbonicnm.
Die Beschwerden Hessen sehr bald nach und waren,
nachdem sie Abends eine zweite Gabe Natron be-
kommen hatte, am Morgen dos 27. bis auf ein
leichtes Oedem der Augenlider geschwunden. Die
Stimme war klar, jedoch verspurte die Kranke noch
einen unbedeutenden Schmerz beim Schlingen. Eine
Wiederholung des Anfalles trat trotz fortgesetzter
Gaben von Jodkali nicht ein.
Johann G., 43 Jahre alt, nahm am 3. Januar
1889 die Hülfe unserer Poliklinik (Malachow8ki)in
Anspruch. Er litt an Emphysem mit dichtem Katarrh.
Wegen sehr erschwerter Expectoration und viel
trockenen Hustens wurde ihm Jodkali, 2,0 pro die auf
drei Gaben vertheilt, verordnet Am anderen Morgen
erschien er wieder mit der Klage, dass er nach
einmaligem Einnehmen (0,66 g) in der Nacht zum
4. wegen starken Kopfschmerzes und heftigen
Schnupfens nicht habe schlafen können. Ausserdem
thränten die Augen sehr stark, und es war ein
Oedem beider Augenlider vorhanden. Er erhielt
sofort 6,0 g Natr. bicarbonicum und für den
Abend dieselbe Gabe. Der Erfolg war der gleiche,
wie im vorigen Falle; am Morgen des 5. fühlte er
sich vollkommen wohl, nur das Oedem der Augen-
lider war noch in geringem Grade vorhanden. In
den nächsten Tagen bekam er unter Fortgebrauch
des Jodkali ein über Rumpf und Arme verbreitetes
etwas juckendes Exanthem in Form von Miliaria
ähnlichen, mit wässeriger Flüssigkeit gefüllten
Bläschen, welche auf leicht gerötheter Haut auf-
sassen. Als dasselbe acht Tage lang bestehen
blieb, wurde das Medicament ausgesetzt, ohne dass
inzwischen andere Erscheinungen des Jodismus
sich wieder gezeigt hatten.
Rosalie Seh., 43 Jahre alt, wurde am 25. Fe-
bruar 1889 der Poliklinik zugewiesen. Wegen
eines Katarrhs in den abhängigen Partien beider
Lungen wurde ihr Jodkali, 2,0 g pro die auf drei
Gaben vertheilt, verordnet. Sie nahm am Abend
und am nächsten Morgen je 0,66 g. Schon in der
Nacht hatten sich Kopfschmerzen eingestellt, ebenso
Schnupfen, Secretion der Thränendrüsen und häu-
figes Niesen. Im Laufe des Vormittags traten alle
Erscheinungen stärker auf. Sie musste so häufig
niesen (ca. 10 Mal in der Viertelstunde), dass es
ihr absolut unmöglich war, ihre häuslichen Ge-
schäfte zu besorgen. Dazu trat ein ziehender
Schmerz und eine Art Trismus der Kaumuskulatnr,
sodass der Mund nur halbgeöfifnet werden konnte.
Patientin fühlte eii>e starke Trockenheit im Schlünde,
die Sprache war rauh und heiser. Wegen dieser
sehr beunruhigenden Beschwerden erschien sie am
Nachmittag wieder in der Sprechstunde, wo alle
ihre Angaben bestätigt werden konnten. Eine
Inspection des Larynx, der auch auf Druck etwas
schmerzhaft war, konnte wegen des Trismus nicht
ausgeführt werden. Sie erhielt sofort einen ge-
häuften Theelöffel Natr. bicarbonicum und die
gleiche Gabe für den Abend. Am nächsten Morgen
erschien sie wieder in der Poliklinik mit der Mit-
theilung, dass das Niesen schon auf dem Nach-
hausewege nachgelassen hätte, sowie dass alle Be-
schwerden im Laufe des gestrigen Nachmittags sich
gemildert hätten. Das Niesen hatte ganz aufgehört,
ebenso der Schnupfen; sie konnte den Mund weit
öffnen, hatte keine Schmerzen mehr, und nur noch
beim Husten machte sich ein leichter stechender
Schmerz im Kopfe bemerkbar. Ebenso waren noch
leichte Schmerzen beim Schlingen vorhanden; doch
auch diese verschwanden im Laufe des Tages voll-
kommen. Das Jodkali hatte sie trotz aller Be-
schwerden dauernd genommen. Eine Wiederholung
des Anfalles trat nicht ein.
Nachdem durch diese und sehr viele
andere Beobachtungen festgestellt war, dass
wir im Stande sind, durch Natr. bicarbon.
den Jodismus zu lindern und schneller zum
Yerschwinden zu bringen, lag es nahe, zu
versuchen, ob durch gleichzeitige Darreichung
von Jodkali -h Natr. bicarb. das Eintreten von
Reizerscheinungen überhaupt verhindert wer-
den könne. Zu diesem Zweck erhielten
35 Personen drei Tage hintereinander un-
mittelbar nach jeder Dosis Jodkalium, die
0,33 — 1,0 g betrug und dreimal täglich
verabreicht wurde, 4,0 g Natr. bicarb., und
vom 4. Tage ab wiederum durch drei Tage
dieselben Mengen Jodkali ohne das Natrium-
salz, das letztere deswegen, weil wir beob-
achten wollten, ob Jodismus vielleicht erst
eintreten würde nach Sistirung der Zufuhr
von Natrium, und so ein neuer Beweis für
die Wirksamkeit dieser Therapie erbracht
würde. In der That haben wir uns in die-
ser letzten Voraussetzung nicht getäuscht.
Während die Reizerscheinungen der Schleim-
häute nach Jod kaligebrauch in der B,egel
spätestens nach 36 Stunden aufzutreten
pflegen, machten sie sich bei 7 von diesen
Personen erst am 4. oder 5. Tage geltend,
zu einer Zeit also, in der das Natriumsalz
nicht mehr verabreicht wurde. Dagegen ge-
lang es nicht bei Allen durch die gleich-
zeitige Verabreichung von Natr. bicarb. das
Auftreten von Jodismus zu verhindern. Bei
17 Personen unter 35 trat bereits zur nor-
III. Jabrgang.1
Juli 1889. J
Röhmann und Malaehowikl, Entftobung und Tharapie des acuten Joditmus.
309
malen Zeit — allerdings nur in sehr milder
Form und yon nur stundenlanger Dauer —
Katarrh der Nase oder Stirnkopfschmerz ein.
Ein Fall ist dadurch besonders bemerkens-
werth, dass bei demselben am zweiten Yer-
suchstage massiger Schnupfen auftrat, der
bald wieder verschwand, während sich am
fünften Tage (also nach Weglassung des
Natr. bicarb.) der Schnupfen in stärkerer
Weise wiederholte und von Thrän enträufeln
und Stirnkopfschmerz begleitet war.
Die Beobachtung, dass an den erwähnten
7 Personen die Reizerscheinungen erst nach
dem Aussetzen des Natr. auftraten, beweist
also, dass es in gewissen Fällen möglich ist,
durch Natr. bicarb. den Eintritt des Jodismus
zu verhindern. Wenn wir in einer Anzahl
anderer Fälle als Effect dieser combinirten
Medication nur eine Milderung der Erschei-
nungen erhielten, so liegt dies wohl daran,
dass wir nicht bei jedem Individuum im
Stande sind, durch die bisher verabreich-
ten verhältnissmässig geringen Mengen von
Natr. bicarb. eine ausreichende Alkalisecre-
tion der Schleimhäute zu erzielen; vielleicht
gelingt dies durch Einführung grösserer
Mengen.
Obgleich nun sowohl die dargelegten
theoretischen Erwägungen als auch die the-
rapeutischen Erfolge mit Sulfanilsäure oder
Natriumbicarbonat zu Gunsten der Nitrit-
hypothese sprechen, so muss doch noch auf
eine andere Möglichkeit der Entstehung von
Jod aus Jodkalium und somit des Jodismus
hingewiesen werden.
Neben den von aussen mit der Nahrung
in den Organismus eingeführten Nitraten
und den sich daraus bildenden Nitriten kommt
nämlich unserer Ansicht nach noch ein an-
derer Factor sehr wesentlich in Betracht.
Wir haben oben gezeigt, wie schnell und
wie energisch in der Mundhöhle salpetersaure
Salze zu salpetrigsauren reducirt werden.
Unzweifelhaft sind also im Speichel energisch
reducirende Substanzen vorhanden. Wo
sich diese finden, beobachten wir erfahr ungs-
gemäss als eine Folgeerscheinung auch starke
Oxjdations Wirkungen, wobei wir es für
diesmal unerörtert lassen wollen, ob die-
selben auf einer Entstehung von Wasser-
stoffsuperoxyd durch Reduction von Wasser
(M. Traube), oder auf der Bildung von
activem Sauerstoff (Hoppe-Seyler, Bau-
mann u. A.) beruhen.
Auf einer derartigen secundären Oxy-
dation beruhen auch die „Ozonreactionen",
welche Sartisson^) und Buchheim^) mit
normalem Speichel ^ erhielten. „Das Vor-
kommen von Ozon erscheint sehr natürlich,
seitdem Gorup-Besanez nachgewiesen hat,
dass bei lebhafter Wasserverdunstung stets
Ozon gebildet wird. Das bei der höchst
intensiven Verdunstung, welche von den
Schleimhäuten der Luftwege aus stattfindet,
gebildete Ozon ist wahrscheinlich auch als
die Quelle des salpetrigsauren Ammoniaks
im Speichel und Nasenschleim anzusehen.
Da nun durch das Ozon aus alkalischen
Jodmetallen Jod abgespalten wird, so sind
auf der Schleimhaut der Luftwege Bedin*
gungen gegeben, unter denen das in den
Körper eingeführte Jodkalium in dem an-
gegebenen Sinne zersetzt werden kann."
Eine Ozonbildung durch Wasserver-
dunstung in der Mundhöhle scheint uns je-
doch kaum in Betracht zu kommen. Die
Bildung von Jod aus Jodkalium, sowie die
Bildung von Nitrit aus Ammoniak, welche
Buch heim und Sartisson auf die An-
wesenheit von Ozon beziehen, sind vielmehr
unserer Ansicht nach ebenfalls secundäre
Oxydation s Wirkungen. Aehnlich wie in
Hoppe-Seyler's bekanntem Versuche Pal-
ladiumwasserstoffblech die Oxydation von
Jodkalium oder Ammoniak bewirkt, können
dies auf der Schleimhaut die erwähnten,
sicher vorhandenen, uns in ihrem Wesen
allerdings noch unbekannten reducirenden
Substanzen thun.
Es könnte somit scheinen, dass wir uns
wieder der oben citirten Ansicht von Binz^)
nähern. Wir weisen aber nochmals auf den
Unterschied hin. Binz nimmt an, dass
die Oxydation direct eine Function des
lebenden Protoplasmas sei, wir denken
an Oxydationswirkungen, die bei Gegenwart
von molecularem Sauerstoff durch Producte
des Protoplasmas, durch reducirende Sub-
stanzen, bewirkt werden.
Wir betonen auch ausdrücklich, dass
unsere Ausführungen nur für die Erklärung
des Jodismus, nicht für die Jodwirkung im
Organismus überhaupt gelten.
Auf der Schleimhaut sind also stets die
Bedingungen für Reductionswirkungen und
bei Anwesenheit von Sauerstoff auch für
energische Oxydationen gegeben. Dieses
Nebeneinander von Oxydation und Reduction
erschwert den Einblick in die interessanten
Wurster' sehen") Reactionen, auf welche
einzugehen uns vielleicht später Gelegenheit
gegeben wird.
Uns kommt es im Augenblick nur darauf
an, auf die durch reducirende Substanzen
vermittelte Oxydation hinzuweisen.
Ein Vortheil unserer Hypothese scheint
uns der zu sein, dass sie das Entstehen von
Jodismus bei Leuten, denen eine nitratfreie
Nahrang gereicht wird, nicht ausschliessen
würde; zweitens aber erklärt sie das doch
310
Röhmann und Malachowtki, EntstehuDg und Therapie dea acuten Jodiamua.
tTherapffutbcfa«
MonatMhefte.
immerhin auffallende Factum, warum nur
auf der Schleimhaut der Luftwege der
Jodismus auftritt: Nur hier haben wir eben
den zur Oxydation erforderlichen Sauerstoff.
Aus unseren bisher mitgetheilten Be-
obachtungen ergiebt sich, dass wir bei der
Entstehung des Jodismus immer mit zwei
Factoren zu rechnen haben, erstens mit der
Bildung von salpetriger Säure aus den Ni-
traten der Nahrung, zweitens mit Oxydations-
processen, welche durch reducirende Substan-
zen Termittelt werden.
Für den ersten Fall haben wir die Be-
deutung der Alkalisecretion bereits erörtert.
Dass dieselbe auch bei der Entstehung des
Jodismus durch secundäre Oxydation, wenn
man sich dieses Ausdrucks bedienen darf,
eine sehr wesentliche Rolle spielt, lässt sich
leicht demonstriren.
Wenn man in zwei JodkaÜumlosungen,
Yon denen die eine doppelt kohlensaures Na-
trium enthält, ein Palladiumwasserstoff blech
hineinstellt, so lässt sich nach einiger Zeit
in der einen freies Jod nachweisen, in der-
jenigen dagegen, die Natr. bicarb. enthält,
nicht. Man kann sich dies folgendermassen
erklären: das Jod, "Reiches, wie wir oben
gesehen haben, in molecularem Zustande
Yon saurem kohlensauren Natrium nicht ge-
bunden wird, zersetzt in statu nascendi, d. h.
in demselben Augenblick, wo es durch die
vom Palladiumblech vermittelte Oxydation
aus dem Jodkalium abgespalten wird, das
doppelt kohlensaure Natrium und wird wie-
der zu Jodkali. Auch etwa gebildete Jod-
säure würde durch das Alkali neutralisirt
werden.
Hieraus geht also hervor, dass auch bei
diesen secundären Oxydationsprocessen das
Freiwerden von Jod durch die Anwesenheit
des Natr. bicarbon. verhindert wird. Demnach
ist auch vom Standpunkt unserer zweiten
Hypothese aus die Darreichung des doppelt
kohlensauren Natriums in möglichst grossen
Dosen als Mittel zur Verhütung oder Besei-
tigung des Jodismus rationell.
Auf eine sehr bemerken swerthe Erschei-
nung in dem klinischen Verlauf des Jodismus
wollen wir noch eingehen. Wir meinen die
durch das einmalige Auftreten von Jodismus
bedingte Widerstandsfähigkeit der Schleim-
häute gegen das immer von Neuem frei
werdende Jod. Bekanntlich sind es nur
ganz vereinzelte Personen, welche eine solche
Idiosynkrasie gegen Jodpräparate haben,
dass sie immer und immer wieder mit Reiz-
erscheinungen von Seiten der Schleimhäute
darauf antworten. Die meisten vertragen,
nachdem sie einmal Jodismus überstanden
haben, das Mittel recht gut, auch bei nach
einiger Zeit wiederholten Anwendungen.
Wenn wir nun bedenken, dass der Jodanfall
zu Stande kommt durch das Zusammentreffen
bestimmter chemischer Verhältnisse, so ist
zunächst nicht einzusehen, warum denn die
Reizerscheinungen aufhören, da doch nichts
geschehen ist, um diese chemischen Grund-
bedingungen zu ändern und damit die immer
erneute Abspaltung von freiem Jod zu ver-
hindern. Ehrlich^^) hat diese Immunität
durch die Ansicht zu erklären versucht,
dass durch den primären Katarrh der
Schleimhäute die Bedingungen für das
Zustandekommen des Jodismus abgeändert
seien. Uns scheint mit dieser so allgemein
gehaltenen Formulirung nichts gewonnen.
Dagegen scheint es uns statthaft, zur Er-
klärung auf die Lehre von der Immunität
gegen einmal überstandene Infectionskrank-
heiten zurückzugreifen. Es sind bekanntlich
mehrere Theorien in Bezug auf diesen Punkt
aufgestellt worden; aber die ausgezeichneten
Experimente und Auseinandersetzungen
Flügge^ s und seiner Schüler lassen doch
nur diejenige Theorie als mit allen Verhält-
nissen in bestem Einklang stehend erschei-
nen, welche die Immunität dadurch zu
Stande kommen lässt, dass die durch die
Lebensthätigkeit der Mikroorganismen im
Körper gebildeten chemischen Substanzen
die Körperzellen * in ihrer — allgemein ge-
sagt — vitalen Energie so verändern, dass
sie nun im Stande sind, eine neue Bacterien-
invasion zu bekämpfen, ohne mit Krankheits-
erscheinungen darauf zu reagiren.
Wir glauben nun in den Verhältnissen
beim Jodismus ein Analogen sehen zu
dürfen. Auf den erstmaligen Angriff durch
freies Jod antworten die Zellen der betreffen-
den Schleimhäute mit krankhaft gesteigerter
Secretion, werden aber dadurch in ihrer
„Empfindlichkeit^ so verändert, dass sie
ein erneutes Eindringen desselben chemischen
Stoffes ohne Reizerscheinungen überwinden,
obwohl die chemischen Grundbedingungen,
deren Aenderung Ehrlich supponirt, unver-
ändert fortbestehen. Damit steht auch im
Einklang die oben angeführte Beobachtung,
dass Personen, die auf combinirte Darreichung
von Jodkali und Natr. bicarb. nicht Jodismus
bekommen, sofort Reizerscheinungen zeigten,
als das Natriumsalz weggelassen wurde. Es
werden eben durch diese Gombination nur zeit-
weise Bedingungen geschaffen, welche die
Abspaltung von freiem Jod und damit das
Auftreten von Jodismus verhindern, nicht
dauernde, und es wird durch die Ein-
führung von Natr. bicErbon. nichts in der
Energie der Zellen geändert.
HL Jalirgang.l
Jnli 1889. J
Voiilui, Practitcher Nutzen der operativen Behandl. der Conjunctivitis folllcularlt. 311
Benutzte Litteratur:
1. Bachheim: Ueber die Wirkung des Jod-
kaliums. Arch. f. ezperim.Pathol. u. Pharmak.
1874. HLBand.
2. Rosenthal: cit. nach Lewin: Toxikologie
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4. Bresgen:* 2 Fälle von schwerem, acutem
Jodismus. Centralbl. f. klin. Med. 1886.
Nr. 9.
Binz: Bemerkungen zu vorstehender Mit-
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5. Binz: Die Zerlegung des Jodkaliums im
Organismus. Virch. Archiv. 1874. Bd. 62.
— Vorlesungen über Pharmakologie. 1886.
6. Kaemmerer: Ueber die arzneiliebe Wir-
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Virchow's Archiv. Bd. 59.
7. Gaglio: cit. nach Jakowski in Virchow-
Hirsch's Jahresbericht. 1884. (Jodismus.)
8. Pfeffer: Ueber Oxjdationsvorgänge in leben-
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1889. Bd. VII. Heft 2.
9. Sartisson: Ein Beitrag zur Kenntniss der
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10. Ehrlich: Ueber Wesen und Behandlung des
Jodismus. Charite-Annalen. 1885. X. Jahrg.
11. Köhmann: Ueber die Ausscheidung von
Salpetersäure und salpetriger Säure. Zeitschr.
f. phys. Chemie. Band V.
12. Th. Weyl: Ueber die Nitrate des Tbier- und
Pflanzenkörpers. Virch. Archiv 96. 101.
13. Griess: Berichte der deutsch - chemischen
Gesellschaft. Bd. XH.
14. Struve: Ueber die Gegenwart von Wasser-
stoffhjperoxjd in der Luft. Zeitschr. f.
analyt. Chemie. Bd. VHI.
15. Schulz: Die Zerlegung der Chloride durch
Kohlensäure. Arch. f. d. ges. Physiologie.
1882. Bd. 27.
16. Erönig: Sulfanilsäure bei Jodismus. Charite-
Annalen. 1885. X. Jahrg.
17. Wurster: Centralbl. f. Physiologie. 1887.
Ueber den practischen Nutzen der ope-
rativen Behandlung^ bei der Conjunc-
tivitis follicularis (grranulosa).
Von
Dr. med. A. Vossius.
A. o. Profewor der Augenheilkunde in Königsberg 1. Pr.
[SchluMtJ
Die ersten guten Erfahrungen mit der
operativen Therapie bei Massenerkrankungen
machte ich in Thorn, woselbst in dem
Armenhause eine Endemie folliculärer Con-
junctivitis herrschte. Zum näheren Ver-
standniss muss ich bemerken, dass sich in
dieser Stadt, in welcher für die Armen auf
die denkbar gunstigste und umfassendste
Art gesorgt wird, ein besonderes Armen-
und Waisenhaus befand. Beide Anstalten
waren räumlich weit von einander getrennt.
Das Armenhaus stand innerhalb der Stadt
neben dem Garnisonlazareth und war ein
altes, bereits in Beginn des Verfalles be-
griffenes, den hygienischen Anforderungen
nicht mehr entsprechendes Gebäude, in wel-
chem arme städtische Kinder Aufnahme und
Erziehung fanden bis zum 10. resp. 11. Le-
bensjahr, in welchem sie in das Waisenhaus
transferirt wurden, um sich später von hier
aus einem Lebensberuf zu widmen. Das
Waisenhaus war ein ziemlich neues Ge-
bäude, ausserhalb der Stadt, ganz frei nahe
einem Wäldchen gelegen und in seinem
Inneren sehr gut eingerichtet. Beide An-
stalten hatten ein besonderes städtisches
Guratorium und wurden zu meiner Zeit der
ärztlichen Obhut des Herrn CoUegen Sinai
anvertraut.
Unter den Kindern des Armenhauses
herrschte seit 4 — 5 Jahren die granulöse
(folliculäre) Bindehautentzündung, welche
trotz dauernder ärztlicher Behandlung mit
Arg. nitr., Zinc. sulfur., Cupr. sulfur. nicht
getilgt werden konnte. Fast jedes Kind,
welches in die Anstalt aufgenommen wurde,
erkrankte an den Augen.
In der jüngsten Zeit nun begann auch
in dem Waisenhaus, zunächst nur unter dem
Zuwachs aus dem Armenhause, später auch
unter den anderen Kindern das Leiden
immer grössere Dimensionen anzunehmen,
und als schliesslich alle Maassn ahmen des
früheren behandelnden Arztes die Weiter-
verbreitung nicht verhindern konnten, wandte
sich der Magistrat an Herrn Geheimrath
Jacobson um Rath, der mich gütigst mit
der Behandlung und Ordnung betraute und
nach Thom schickte.
Bei meiner ersten Untersuchung über
den Umfang und die Ursache der Endemie,
Ende Juni 1885, fand ich von den 76 In-
sassen der beiden Anstalten im Ganzen 36,
also über 47 ^/o augenkrank. Bei 8 Kindern
war sowohl die obere wie die untere Ueber-
gangsfalte nebst der Conj. tarsi dicht mit
Follikeln besetzt, bei 11 Kindern fanden
sich grössere Gruppen derselben, ähnlich
den Pey er 'sehen Plaques im Darm, im For-
nix des Conjunctivalsackes und bei 17 Kin-
dern die ersten Zeichen der folliculären
(granulösen) Conjunctivitis: Thränen, Licht-
scheu, RÖthung der Bindehaut, Gefühl von
Reiben und Scheuem in den Augen, Schwere
und Verklebtsein der Lider und bei der
Ektropionnirung der Uebergangsfalten nur
vereinzelte charakteristische Granula in der
312 Vottiuf, Pnctischer Nutsen der operativen Behandl. der Conjunctivitis follicularis.
rlierapeatiidie
MonaUhefte.
CoüjunctiTa. Schwere Hombautcomplicationen
fehlten.
Die Ursache dieser Endemie lag auf der
Hand. Kranke und gesunde Kinder waren
in beständigem Verkehr geblieben, hatten
in denselben Räumlichkeiten beisammen ge-
schlafen und zum Theil dieselben Wasch-
utensilien benutzt. Die Kranken tummelten
sich, mit nur geringen Ausnahmen, ohne
Schutzmassregeln gegen blendendes Sonnen-
licht und Staub unter den Gesunden auf
dem engen, staubigen Hof herum, welcher
die grosse Zahl yon Kindern kaum zu fas-
sen yermochte. Die gekalkten Wände und
Decken der Wohn- und Schlafräume des
Armenhauses, in dessen unterer Etage noch
der Schwamm bestand, befanden sich in
einem yollständig verfallenen Zustand, so
dass den Kindern während des Schlafes
der Kalk und Staub direct in die Augen
fiel.
Meine erste Fürsorge war auf eine abso-
lute Trennung der kranken von den gesun-
den Kindern in verschiedenen Häusern ge-
richtet. Zu dem Zweck wurden die Ge-
sunden aus dem Armen- in das Waisenhaus
übergeführt, die Kianken in dem Armenhaus
intern irt, welches zuvor in seinem Inneren
einigermassen den hygienischen Anforderun-
gen entsprechend renovirt und gründlich
desinficirt wurde. Leichtere und schwere
Kranke vnirden in besonderen Zimmern
untergebracht. In Zwischenräumen von
8 Tagen wurde eine genaue Untersuchung
der Gesunden unternommen, um eventuell
inzwischen Erkrankte sofort abzusondern.
Zur Wartung der Kinder dienten 3 barm-
herzige Schwestern.
Jedes Kind erhielt eine blaue Schutz-
brille, eigenes Waschzeug und ein besonderes
Fläschchen mit Augenwasser nebst Pinsel.
Die Wärterinnen wurden angewiesen, mehr-
mals täglich die kranken Augen mit einer
4 % Borlösung auszuwaschen und kühlen zu
lassen.
Bei den 17 Kindern mit nur verein-
zelten Follikeln wurden die letzteren ohne
Narkose mit einer Cowp er' sehen Scheere
oberflächlich abgeknipst, darnach wurden
die Augen gekühlt. Vom 2. resp. 3. Tage
ab wurde die medicamentöse Therapie ein-
geleitet. Herr College Sinai pinselte täg-
lich die obere und untere Uebergangsfalte
mit einer 3 °/o neutralen Losung von Plumb.
acet.; darnach mussten die Augen eine
Stunde mit eiskalter 4 % Borlosung gekühlt
werden. Die kalten Umschläge wurden
ausserdem noch 2 — 3 mal täglich gebraucht.
Unmittelbar nach denselben durften die
Kinder nicht ins Freie, im Uebrigen aber
unter Aufsicht und Schutz massregeln gegen
Staub, Rauch und blendendes Licht spazieren
gehen.
Nach 4 Wochen konnten diese 17 Kin-
der aus der Cur als gesund entlassen und
ins Waisenhaus translocirt werden.
Bei den übrigen 19 Kindern wurde gegen
die Granulöse in erster Linie operativ vor-
gegangen. Bei 8 Kindern excidirte ich den
erkrankten Abschnitt der oberen Uebergangs-
falte und des Tarsus nach der oben be-
schriebenen Methode. Nach Ablauf von
2 — 3 Wochen, nachdem inzwischen nur kalte
Umschläge mit Borwasser gemacht und die
Wunden fest vernarbt waren, trug Herr
College Sinai die erkrankte untere Ueber-
gangsfalte oberflächlich mit der Cowper'-
schen Scheere ab. In 11 Fällen genügte
es in Narkose die grosseren Complexe der
Follikel in der oberen und unteren Ueber-
gangsfalte mit Scheere und Pincette abzu-
schneiden. Wie mir Herr College Sinai
später mittheilte, war die Epidemie nach
3 Monaten vollständig erloschen und seit
dem 1. November 1885, wie wiederholte
Revisionen der Kinder ergaben, kein Rück-
fall und keine neue Erkrankung an Con-
junctivitis follicularis beobachtet, jedenfalls
ein erfreuliches Resultat, wenn man be-
denkt, dass man zuvor in mehreren Jahren
nicht Herr der Krankheit geworden war.
Im Jahre 1886 war eine umfangreiche
Epidemie unter den Volksschülern in Weh-
lau aufgetreten. Der Character der Epi-
demie, die sich im Verlauf eines Jahres zu
ihrem Höhepunkt entwickelt hatte, und ihre
Ursache aufzudecken war mir nicht schwer
gefallen. In dem neuen, mit allem Comfort
ausgestatteten, günstig gelegenen Schulge-
bäude selbst war die Veranlassung der
MassenerkrankuDg an Conjunctivitis follicu-
laris nicht zu suchen; es musste in erster
Linie eine Infectionsquelle ausserhalb be-
standen haben. Dieselbe fand sich auch
bei näheren Recherchen. Unter den zuerst
erkrankten Schülern befanden sich Kinder,
welche zuvor als mit einfachem Katarrh
behaftet von ihrem Arzt in die Schule ge-
schickt waren; dieselben litten aber, wie
ich mich an Ort und Stelle überzeugte, an
granulöser Bindehautentzündung. Ihre Augen
waren durch eitriges Secret verklebt, die
Conj. tarsi geröthet und leicht geschwollen,
die Uebergangsfalte mit Follikeln besetzt.
Die Kinder waren in allen Klassen Tertheilt
gewesen. Ihre Eltern litten, wie die Un-
tersuchung ergab, seit langer Zeit an z. Th.
bereits in das Schrumpfungsstadium über-
gehenden „Granulationen^^ Die häuslichen
Verhältnisse waren die denkbar ärmlichsten.
rn. Jahrgang.!
Juli 1889. J
Votslui, Practiicher Nutsen der operativen BehandL der CoAjunetIvitia follicularis.
313
ungünstigsten und unsaubersten. Zahlreiche
Familienmitglieder lebten in einem engen
Räume zusammengepfercht beisammen und
benutzten, wenn überhaupt, nur ein gemein-
schaftliches Waschbecken und Handtuch.
Natürlich waren diese Kinder, welche mit
den Gesunden in- und ausserhalb der Schule
ofb genug in nahen Verkehr kamen, die
Quelle der Infection von Mensch zu Mensch
und die Urheber der ganzen Epidemie ge-
wesen. Sie waren unter den ersten der in
den amtlichen Listen angeführten Kranken
und in allen Schulklassen vertreten; es war
daher auch kein Wunder, dass in allen
Klassen zugleich mehrere Kinder von der
Krankheit befallen wurden.
Damals war die Frage aufgeworfen, ob
etwa der Mangel an Rouleaux in den Schul-
zimmem die Schuld au den Ausbruch der
Epidemie tragen könne, eine Annahme,
welche die Königl. Regierung hierselbst ver-
trat. Ich musste diese Frage mit aller
Entschiedenheit verneinen. Die Schule ist
ganz neu, mit der Hauptfront nach Osten
resp. Westen gerichtet, von einem Corridor
der ganzen Länge nach durchzogen; an den-
selben stossen die Klassenzimmer. Der
Corridor wird an seinem Nord- und Südende
durch Fenster beleuchtet. Die Klassen-
zimmer sind hoch, gut beleuchtet, wie man
es nur verlangen muss, und vorzüglich ven-
tilirt. Die nach Osten gelegenen Zimmer
wurden nur während des Vormittags 1 bis
2 Stunden von der Sonne . beschienen, wäh-
rend sie in die westlichen Zimmer erst
Nachmittags von 2 — 4 Uhr schräg einfiel.
In den östlichen Zimmern wurde die nörd-
liche Wand schräg beschienen, während ihr
die Sander den Rücken kehrten, in den
"westlichen die seitliche und vordere Wand;
doch war die Helligkeit nicht so gross, wie
ich mich persönlich überzeugte, dass da-
durch eine üeberblendung resp. Ueberreizung
der Augen hätte eintreten können. Jeden-
falls schien die Sonne in keinem Raum den
Kindern direct auf das Schreibe- oder Lese-
buch. Das Merkwürdigste war, dass sich
gerade in den Klassen der Ostseite, in denen
die Kinder der beschienenen Wand den
Rücken kehrten, vor deren Fenstern sich
femer noch Bäume befanden, die das Licht
-wesentlich dämpften, die meisten Augen-
kranken befanden, ein Zeichen also, wie
D^enig das Licht als Ursache beschuldigt
i^erden kann.
Diese Annahme widerstrebt andererseits
auch vollständig unseren bisherigen Erfah-
rungen über derartige Epidemien. Nie
-waren es abnorme helle Räume^ sondern
dunkle, schmutzige, staubige und rauchige,
mit Menschen überfüllte Gebäude, wie Ca-
sernen, feuchte Souterrainwohnungen etc.,
in welchen der Ausbruch von Epidemien
der folliculären Bindehautentzündung beob-
achtet und durch die Einwirkung von
schlechter verdorbener Luft, von Staub und
Rauch die Entwickelung des Infection skeims,
der unbedingt vorhandenen, aber leider
immer noch nicht sicher aufgefundenen Mi-
kroorganismen begünstigt ist. Oft genug
befanden sich unter den Insassen Kranke
mit granulöser Bindehauterkrank ung, welche
mit den Gesunden gemeinschaftliches Wasch-
zeug, womöglich ein gemeinschaftliches Bett
theilten. Derartige ungünstige Wohnungs-
verhältnisse lagen auch bei dem Wehlauer
Proletariat vor, welches vorwiegend die
Volksschule versorgt.
Hierin, in dem trotz der Erkrankung
fortgesetzten, ärztlicherseits nicht unbedingt
untersagten Schulbesuch, in der Uebertra-
gung des Ansteckungsstoffs von Auge zu
Auge haben wir die Ursache der Wehlauer
Epidemie zu suchen; die helle Beleuchtung
konnte höchstens den Zustand der bereits
kranken Augen verschlechtert haben. Diese
Möglichkeit war aber für die Wehlauer
Schule ausgeschlossen, da w&hrend der hell-
sten Monate die Schule geschlossen wurde.
Als der Magistrat zu Wehlau auf Ver-
anlassung des kgl. Regierungspräsidenten
hierselbst strenge Massregeln zur Unter-
drückung der Epidemie ergriff, waren von
300 Schülern 120, d. h. 40 Proc. an der Con-
junctivitis follicularis erkrankt. Auf meinen
Rath wurden folgende Vorkehrungen ge-
troffen: Die kranken Kinder wurden vom
Schulbesuch ausgeschlossen. Die Stadt Weh-
lau richtete ein älteres, der Gemeinde ge-
höriges, geräumiges Haus zu einem Lazareth
ein, in welchem die Kinder unter Aufsicht
von drei barmherzigen Schwestern und unter
der ärztlichen Behandlung der Herren Col-
legen Hirsch und Marchand standen. Zu-
nächst wurden die schwereren Fälle zur
Operation internirt, während die leichter
Erkrankten täglich in die Anstalt zur medi-
camen tosen Behandlung der Augen kamen.
Ausserdem wurde für sorgfältige Lüftung
und Desinfection der Häuslichkeit der Kin-
der gesorgt. Die medicamentöse Behand-
lung bestand in häufigen Waschungen der
Augen mit Bor- oder. Sublimatwasser, in
Umschlägen mit denselben Lösungen und
in Touchirungen der Conjunctiva mit 1 proc-
Arg. nitr.-lösung oder einer neutralen 3 proc.
Lösung von Plumbum aceticum.
Nachdem ich unter Assistenz der Herren
GoUegen Hirsch und Marchand mehrere
Kinder operirt hatte, führten die beiden
40
314 Voifius, Practiioher Nutcea der operativen Behandl.der Copjunctivitlt foUlcularis. n^!!!tS!h^*
Herren Collegen später selbständig die 'ope-
rative Beliandlung fort. Im Ganzen wurden,
so viel ich weiss, 100 Kinder openrt. Herr
College Hirsch hatte selbst die Absicht,
die Epidemie genauer zu schildern, ich will
ihm daher nichit vorgreifen, zumal mir ge-
nauere Daten nicht bekannt sind. Nur ein
Ereigniss will ich noch erwähnen; dasselbe
brachte die Herren Collegen Anfangs in
grosse Verlegenheit. In dem einen mit 6
oder 7 Mädchen belegten Zimmer brach bei
mehreren 2 — 3 Tage nach der Operation
Blennorrhoea Conjunctivae mit einer schweren
Cornea] affection aus; als Ursache derselben,
d. h. als Infectionsquelle, ergab sich bei
2 Mädchen eine eitrige Vulvovaginitis. —
Ende des Jahres 1886 war die Epidemie,
so weit ich weiss, erloschen und keine neue
Erkrankung mehr vorgekommen.
Im Jahre 1887 bekam ich Gelegenheit
zur Bekämpfung einer Epidemie von folli-
culärer. Conjunctivitis in 2 hiesigen Volks-
schulen, wegen deren Bekämpfung der kgl.
Regierungspräsident hiersei bst mit Herrn
Geheimrath Jacobson in Verbindung getreten
war. Zuerst zeigte sich die Krankheit in
der 3. Knaben Volksschule; die Lider waren
geröthet, durch die Secrete verklebt, die
Bindehäute hyperämisch, mit Follikeln be-
säet. Bald nach Beginn der Schule, im
Herbst 1886 traten die ersten Erkrankungen
an der Bindehautentzündung auf; die Fälle
vermehrten sich dann stetig, so dass Mitte
November 208 Kinder, d. h. 33 Proc. als
augenkrank in den Listen der Lehrer ge-
führt wurden und grösstentheils vom Schul-
besuch dispensirt waren. Die frühere Be-
handlung der Knaben war keine einheitliche
gewesen; dieselbe wurde von den verschie-
densten Aerzten der Stadt geleitet, die An-
steckungsföhigkeit theils als feststehend,
theils als zweifelhaft befunden. Schwer-
kranke, ansteckende Knaben waren in die
Schule gegangen, andrerseits solche mit ein-
fachem Catarrh dispensirt. Unter diesen
Umständen veranlasste der Herr Regierungs-
präsident im Monat November 1886 eine
Revision der ganzen Schule durch Herrn
Geheimrath Jacobson. Bei derselben stellte
sich heraus, dass nur 83 Knaben, d. h.
12,46 Proc. augenkrank und einer strengen
Behandlung bedürftig waren. Diese 83
Kinder wurden sofort vom Schulbesuch aus-
geschlossen, im übrigen wurde die Schule
in jeder Woche einmal einer Revision durch
Herrn Geheimrath Pincus unterzogen. Im
weiteren Verlauf der Beobachtung kamen
noch 86 neue Erkrankungen vor, so dass
im Ganzen 169 Kinder, d. h. ca. 25,4 Proc.
an foUiculärer Conjunctivitis erkrankt waren.
Herr Geheimrath Jacobson hatte die
kostenfreie Behandlung von Seiten der Klinik
unter der Bedingung übernommen, dass der
Magistrat die erforderlichen Schutzbrillen
und Räume für die etwa einer Operation
zu unterweisenden Kinder in dem städti-
schen Krankenhaus schaffen sollte. Mir
selbst wurde die Behandlung übertragen;
bei derselben unterstützten mich die Herren
Practicanten meines Augenoperationscursus
und die Herren Collegen Ulrich resp. So-
bolewski, der letztere in seiner Eigen-
schaft als Assistent der chirurgischen Ab-
theilung des Krankenhauses. Das königliche
Polizeipräsidium überwachte die regelmässige
Gestellung der Knaben in der Klinik und
im Krankenhaus. In letzterem hatte Herr
Director Meschede 20 Betten für die Kin-
der eingeräumt. Wenngleich im Anfang
mit mancher Schwierigkeit von Seiten der
Angehörigen der Kinder zu kämpfen war,
so legte sich der Widerstand derselben gegen
die officielle Behandlung sehr bald Dank
des Einschreitens des Herrn Regierungs-
präsidenten und des Herrn Polizeipräsi-
denten, so dass in der Cur im Allgemeinen
keine Störung eintrat.
Anfangs wurde, weil nur sehr wenige
schwere Fälle nachweisbar waren, bei sämmt-
liehen Kindern in der Poliklinik der Ver-
such gemacht, durch tägliche locale Be-
handlung der Conjunctiva mit einer Iproc.
Argent. nitr.- resp. neutralen 3 proc. Losung
von Plumb. acet. und nachfolgende Kühlung
der Augen das Leiden zu bekämpfen. Als
indessen der Zustand der Bindehaut sich
bei der Mehrzahl der Kinder voraussichtlich
in Folge mangelhafter Beaufsichtigung und
Schonung im Eltern hause verschlechterte,
musste Ende Januar 1887 mit der Inter-
nirung und Operation der Patienten im
Krankenhaus begonnen werden.
58 Kinder wurden operirt. Die Ope-
ration wurde an beiden Augen, sowohl an
den oberen wie an den unteren Lidern aus-
geführt. Im Durchschnitt erfolgte die Ent-
lassung aus der Krankenanstalt nach 20,
in die Schule nach 40 Tagen, bei manchen
auch etwas später. Aber auch nach der
Entlassung in die Schule mussten sich die
Kinder noch einige Zeit hindurch zur Re-
vision in der Klinik vorstellen und in der
Schule unter Aufsicht der Lehrer Umschläge
mit Borwasser machen. Bei 8 Knaben war
wegen einer Horuhautaffection ein längerer
Aufenthalt in dem Krankenhaus erforderlich;
nur 2 Kiuder behielten eine dichte, das
Sehvermögen wenig störende, excentrische
Comealtrübung zurück. 2 Kinder hatten
schon früher in Folge Scrophulose eine Hom-
HL Jahrgtakg.l
Jali 188d. J
Vottiut, Pracüicher Nutzen der operativen Behandl. der CoAjunctivitis folUeularls. 315
Hauterkrankung. In den übrigen Fällen war
die Erkrankung der Hornhaut durch Unvor-
sichtigkeit beim Tupfen der ungeübten Prakti-
kanten oder durch ein zu langes Fadenende
bewirkt.
Diejenigen Knaben, welche keiner Ope-
ration bedurften, besuchten die Schule,
machten selbst Umschläge mit Borwasser
und kamen täglich zur localen Behandlung
der Bindehaut unter Polizeiaufsicht nach der
Poliklinik. Ende Juni 1887 war diese Epi-
demie als erloschen zu betrachten. Die
letzten Kinder wurden als gesund im No-
vember aus der Behandlung und Beobachtung
entlassen.
Fast zu gleicher Zeit brach eine Epi-
demie der folliculären Conjunctivitis in der
IV. Knabenvolksschule aus, welche in ihren
Anfangen vom Herrn CoUegen Seydel be-
obachtet, allmählich immer grossere Dimen-
sionen annahm. Während im Dezember 1886
nur 27 Fälle von ausgesprochener follicu-
lärer Bindehautentzündung und 53 leichte
Bindehautcatarrhe constatirt wurden, waren
im April 1887 97 Kinder mit Gatarrh und
93 mit Granulöse behaftet. Am 14. Mai,
als die Behandlung von der Klinik über-
nommen wurde, waren bereits 107 von 1051
Schülern, d. h. 10,18 Proc. einer strengen
Behandlung bedürftig. Bei 58 Knaben war
eine Operation und die Intemirung im
Krankenhause nothig. Die übrigen Kinder
wurden in derselben Weise wie die Knaben
der III. Knabenvolksschule behandelt. Vier
von den Operirten bekamen eine leichte
Hornhauterkrankung; nur bei einem Patienten
blieb eine intensivere centrale Comealtrübung
zurück, welche sich allmählich aufhellte und
die Sehkraft nur wenig beeinträchtigte. Ende
November waren sämmtliche Kinder geheilt.
Eine Ursache für die Epidemie Hess sich
in den neugebauten, nicht gerade überfüllten
Schulen nicht nachweisen; dieselbe war
vielmehr in den schlechten häuslichen Ver-
hältnissen der Kinder zu suchen. Die An-
fönge der Krankheit traten bei mehreren
Knaben im Sommer während der Badezeit
auf, wie ich mehrfach in der Poliklinik
constatiren konnte. Die Knaben besuchten
die städtische Freibadeanstalt, in welcher
eine mangelhafte Aufsicht und nicht genü-
gende Reinlichkeit bestand; die Kinder be-
nutzten zum Abtrocknen vielfach gemein-
schaftliche Handtücher. Mehrere Knaben
stellten sich mit der folliculären Conjuncti-
vitis bald nach der Aufnahme der Bäder in
der Poliklinik vor. Von ihnen war offenbar
die Krankheit auf andere Kinder übertragen.
Bemerkunsren über die therapeutische
Verwerthungr der Hypnose.
Von
Dr. Schuster in Aachen.
Angeregt durch die „Bemerkungen
Binswanger^s über die Suggestionstherapie^
in dem 2., 3. und 4. Hefte der Therapeu-
tischen Monatshefte 1889, die mit dem
Rathe an die Aerzte schliessen, „welche
ihre Patienten nach strenger Auswahl der
Fälle der hypnotischen Behandlung unter-
werfen wollen, dies nur im stillen Kämmer-
lein zu thun, damit nicht der Arzt zum
Stifter und Träger von psychischen Volks-
krankheiten werde", erlaube ich mir meine
über hypnotische Behandlung gewonnenen
Anschauungen meinen Herren Collegen mit-
zutheilen. Ich schicke voraus, dass seit
dem Jahre 1880 — 81 , wo ich zum ersten
Male die auf den Neuling verblüffend wir-
kenden Demonstrationen hypnotischer Zu-
stände an hystero- epileptischen Kranken
in der Salpetriere in Paris sah, ich diese
terra für mich bis dahin incognita mit
steigendem Interesse verfolgt habe. Da die
äusserst lehrreichen Vorstellungen und Vor-
lesungen an der Charco tischen Salpetri&re
in Bezug auf Therapie im Allgemeinen, ins-
besondere aber auf die therapeutische Ver-
wendung der Hypnose sich sehr zurückhal-
tend verhalten, so hatte ich so lange die
Ansicht, dass für den practischen Arzt die
Hypnose nur ein theoretisches Interesse be-
anspruchen könne, bis mich die Beruh eim^-
schen Veröffentlichungen aus Nancy, im
Verein mit den Versicherungen eines Do-
centen der Psychiatrie, den ich hierselbst
an Kniegelenksentzündung behandelte, und
der mir über seine Erfolge mit der von ihm
in ausgedehnter Weise verwandten Hypnose
berichtete, eines andern belehrten. Seitdem
habe ich die Hypnose „nach strenger Aus-
wahl der Fälle" therapeutisch häufig an-
gewandt und glaube darin bei der Behand-
lung von manchen Krankheitszuständen ein
nicht unwichtiges Hilfsmittel gefunden zu
haben, möchte aber glauben, dass, wenn
auch die Hypnose in früheren, weit hinter
uns liegenden Jahren von Einzelnen ärztlich
benutzt worden ist, sie denn doch viel zu
neuen Datums für die gegenwärtigen deut-
schen Aerzte sowohl, als wie für die anderer
Nationen ist, als dass sie jetzt schon in
ihrer therapeutischen Wirkung endgiltig ab-
geurtheilt werden sollte. Meines Erachtens
gilt es hier, zunächst eine Menge genauer
Beobachtungen zu sammeln, dann wird sich
40»
316
Schulter, Bemerkungen Qber die therapeutiiche Verwerthung der Hypnote. [M^tlteheft« ^
daraus ergeben, in wie weit die Überschwang-
lieben Hoffnungen der Einen und die yer-
achtenden Abweisungen der Anderen auf
ihren wahren Werth zurückzuführen sind.
Jedenfalls vermögen die letzteren „die be-
ginnende Hoch flu th der hypnotischen Be-
handlung" nicht zurückzuhalten. Man ver-
gesse nicht, dass ein grosser Theil derjeni-
gen Krankheitserscheinungen, die jetzt dem
heilenden Einflüsse der Hypnose empfohlen
werden, bis jetzt vom pr actischen Arzte
entweder gar keiner Behandlung unterzogen,
ja oft mit einem autoritativen Schlagworte
abgewiesen, oder aber in die Bäder, an die
Elektrotherapeuten, die Kaltwasseranstalten,
die Massirer verwiesen wurden.
Man macht der Hypnose den Vorwurf,
dass, wenn sie auch manches lindernd und
heilend beeinflussen könne, dieses denn doch
sehr vorübergehend geschehe. Aber wie sieht
es denn mit dem Werthe der eben genannten
Heilpotenzen aus? "Wie viele Kranke, ein-
mal in die Bäder geschickt, besuchen die-
selben, — und die wirksamsten, wie Carlsbad
u. a. erst recht nicht ausgenommen — nicht
jedes Jahr wieder? Und der Elektrothera-
peut, der z. B. Tabes oder auch weniger
ernst erscheinende nervöse Störungen mit
der Elektricität heilen will, er verlangt
monate-, ja jahrelanges Streichen und Pin-
seln mittelst der Elektrode, und wie kläglich
ist dennoch so gar häufig der elektro thera-
peutische Erfolg! Und wenn er über-
raschend eintritt, wer bürgt dafür, dass er
nicht Öfter suggestionirter Erfolg ist? Und
wie sieht es heutzutage mit der Massage
aus? Ursprünglich gegen entzündliche
Schwellungen oft erfolgreich verwandt, soll
sie jetzt ein Heer von nervösen und anderen
Störungen der verschiedensten Organe heilen.
Der Massirer sagt es noch mehr als der
Elektrotherapeut, dass der Erfolg von der
ihm eigenen Manipulation abhänge. Und
dennoch, wenn man in den Zeitungen liest,
wie häuflg dieselben höchsten Herrschaften
in die berühmteste Knet- oder Streich cur gehen,
wo bleibt da der heilende, dauernde "Werth
und Erfolg? Und wenn er bei den nicht
auf Exsudaten beruhenden Störungen ein-
tritt, war er dann am Ende nicht gar die
Folge einer Suggestionstherapie?
Im vergangenen Jahre traf ich im Amstel-
hotel in Amsterdam — dem damaligen Cen-
trum des berühmten Massirers Herrn Dr.
Metzger — den mir bekannten Grafen X.,
der mich nach dem Zweck meiner Reise
befragte. „Und was thun Sie hier?" fragte
ich. „Ich leide an träger Verdauung", ant-
w^ortete er, „und lasse mir hier den Leib
massiren. Und wie er geschickt massirt!
er spielt geradezu Klavier mit seinen Fingern
auf meinem Magen — und denken Sie, jeden
Tag anders, jeden Tag eine andere Melodie!
0, er hat eine wunderbare Fertigkeit — er
ist ein gar bedeutender MannI" „Und Sie
fühlen sich sehr wohl dabei", fügte ich be-
stätigend hinzu, „denn Sie sehen vorzüglich
aus." „0 ich bin fast hergestellt, wie neu-
geboren!" Das war die wörtliche Unter-
haltung! "Wie wirkte in diesem Falle die
sogenannte Massage anders, als durch den
suggestiven Einfluss der massirenden, bedeu-
tenden Persönlichkeit, verbunden mit der
vielleicht hypnotisirenden Einwirkung der
streichenden oder spielenden Finger? Und
dennoch hat die Massage ihr medicinisches,
ausgedehntes Bürgerrecht bis jetzt nicht ein-
gebüsst, und dennoch droht das Massirtw er-
den zur Volksleidenschaft zu werden.
Und wie sieht es mit den hochgeschätz-
ten medicamen tosen Heilmitteln aus? "Wir
gebrauchen Morph iuminjectionen, um Schmerz-
anfälle vorübergehend zu lindern, wir Hessen
sie jahrelang nur mit dem Glauben ihrer
vorübergehenden Linderung von den Patienten
an sich selbst ausüben und dachten nicht
daran, welches Unheil wir anrichteten, sowohl
an den morphioman gewordenen, als an deren
Familien, dass wir auf dem "Wege waren,
die Morphiumsucht zu einer Gesellschafts-
krankheit, die Morphiuminjectionen zu einer
Pandemie zu machen. "Wir wandten das
Jodoform, die Sublim atbespülun gen auf
Wunden an im guten Glauben und kamen
erst später zu der Erkenntniss, dass wir
Kranke damit wahnsinnig gemacht, ja ge-
tödtet hatten. Haben wir diese Unheil in
sich bergenden neu empfohlenen Mittel nicht
von Anfang an als Heilmittel mit offenen
Armen aufgenommen und ihren durch die
traurigen Misserfolge geläuterten Gebrauch
nicht dennoch beibehalten? "Wir behandeln
Krankheiten mit Quecksilbercuren, die unter
Umständen lebensgeflihrlich werden können,
und dennoch sagen wir uns nur zu häufig,
dass wir solche Curen wiederholt bei den-
selben Kranken anwenden müssen. Der
vorübergehende Erfolg beeinträchtigt dem-
nach den "Werth eines Heilmittels nicht!
An vielen anderen Beispielen lässt sich der-
selbe Nachweis führen, dass wir bei den-
selben sich wiederholenden Klagen mit un-
serm medicamentösen Heilschatz immer
wieder aufs neue kommen müssen, ohne
dass wir denselben darum unterschätzen
oder gar verachten. Nun! ich meine, wenn
die Suggestionstherapie einigen therapeuti-
schen "Werth hat, wenn auch, wie es scheint,
für einzelne functionelle Nervenstörungen
hereditärer Art nur vorübergehenden, wir
ni. Jahrgang.!
Jall 1889. J
Schuster, Bemerkungen über die therapeutische Verwertbung der Hsrpnose.
317
ihr dann dieselbe Beachtung schenken müssen,
wie den vielen anderen Heilmitteln und
Methoden. Wie häufig ist nur eine Summe
verschiedener zusammenwirkender Heilmetho-
den im Stande, Krankheiten und Krank-
heitsanlagen zu besiegen, wie freut der
practische Arzt sich über jedes neue Hilfs-
mittel, das er mit verwenden kann zu seinem
oft schwierigen Heilzwecke. Der Arzt hat
eben die etwa schädlichen Wirkungen eines
Heilverfahrens zu vermeiden; er wird sich
vor dessen Missbrauch hüten, wenn er nicht
seine ärztliche Existenz preisgeben will.
Schliesslich wird jede gesittete Existenz,
welchem Berufe sie auch vorstehe, vor dessen
missbräuchlicher Anwendung sich in Acht
nehmen. Und so wird es sich auch mit der
Hypnose als Hilfsheilmittel verhalten, wenn
sie als solches den Aerzten zugängig ge-
worden ist. Ebensowenig wie wir das
Morphium, den Mercur und andere Mittel
missbräuchlich anzuwenden uns bestreben,
oder trotz ihrer oft missbräuchlichen Ver-
wendung verwerfen, ebensowenig werden wir
dieses mit anderen Heilverfahren thun dür-
fen. Und wenn die Suggestionstherapie im
Stande ist, Kjrankheitssymptome und -Zu-
stände in einfacher Weise heilen zu helfen,
die bis dahin nicht oder nur mittelst ein-
greifender Curverfahren zu heilen versucht
wurden — nun, dann wird sie bleibenden
Werth in der Medicin behalten, wo sie bis
jetzt bettelnd abgewiesen wird. Es handelt
sich nicht so sehr um die Frage, „vermag
die Hypnose für sich allein Krankheitszu-
stände zu heilen ^\ als vielmehr darum, ob
sie als eines der vielen Hilfsmittel zu er-
achten ist, die wir zur Erzielung von Heil-
zuständen benutzen können?
Die Berechtigung der Hypnose als eines
therapeutischen Agens lässt sich wohl am be-
sten darthun durch Erwähnung von genauen
Beobachtungen, die dann um so mehr Werth
erhalten, wenn ähnliche von anderen Seiten
gemacht worden sind. Ich erlaube mir,
hier einige wenige von vielen anzuführen,
i^erde mich auf die angewendete Methode
der Hypnose nicht einlassen, darüber geben
die verschiedenen Bücher über Hypnotismus
Aufschluss; bemerke nur, dass ich die durch
Siuneseindrücke oder die durch Suggestion
hervorgerufene Hypnose für einen und den-
selben Zustand ansehe. Noch weniger kann
ich auf die Erklärung der Hypnose ein-
gehen. Ich erlaube mir nur daran zu er-
innern, dass auch im wirklichen Schlafe
Geistescentren für den Schlafenden thätig
sind; mögen es die subcorticalen sein. Der
Telegraphist, der vor seinen fortwährend
Icnatternden Apparaten nachts in Schlummer
verfällt, wacht sofort auf, sowie das Signal
seines Ortes erknattert und ist auch sofort
bei der Antwort. Der Müller, den das
Klappern seiner Mühle im festen Schlafe
nicht stört, erwacht sofort, wenn plötzlich
das Klappern der Mühle aufhört u. s. w.
Dann sind auch die den vegetativen Vor-
gängen, die dem organischen Muskelfaser-
system und anderen Organen vorstehenden
Centren im Schlafe in Thätigkeit. Man
nehme nun an, diese unbewusst thätigen
Nervencentren seien, ganz abgesehen von
organischen Störungen, in eine von der Norm
abweichende Thätigkeit getreten, und man
könnte im hypnotischen Zustande und wohl
auch im wachen kräftigend, regulirend und
zu grösserer Thätigkeit anregend auf sie
einwirken, so wäre damit die Regelung der
von ihnen abhängigen Functionen wohl ver-
ständlich.
Im vorigen Frühjahre wurde ich von einer
Dame, die seit 4 Jahren verheirathet ist, wegen
ihrer Amenorrhoe consultirt. Vor ihrer Verhei-
ralhang sei die Periode regelmässig, wenn auch
nicht stark aufgetreten, seit ihrer Yerheirathung
aber zeige sie sich sozusagen gar nicht mehr, sie
bleibe 4, ja 7 nnd mehr Monate aus, und wenn
sie sich dann zeige, sei sie kaum einen Tag spär-
lich vorhanden. Anfangs habe sie geglaubt, in
Hoffnung zu sein, um so mehr, als sich morgend-
liches Erbrechen einstellte. Aber das stelle sich
bis heute regelmässig jeden Morgen beim Aufstehen
ein. Durch die Untersuchung konnte ich keine
Deviatio uteri, dagegen ein sehr enges Orificium
uteri constatiren. Ich riet ihr zu einer Consultation
bei einem Professor der Gynäkologie, an den sie
sich auch wandte. Dieser schlug ihr die unblutige
Erweiterung des Cervicalcanales vor. Sie consul-
tirto aber auch noch einen bewährten, sich mit
Gynäkologie beschäftigenden Chirurgen, der nur
von der blutigen Erweiterung nach ihrem Berichte
eine Heilung von der Amenorrhoe erwartete. Man
ging auf keinen dieser Vorschläge ein. Im Spät-
herbst klagte mir Patientin über trübe Gemüths-
stimmung trotz zunehmender Corpulenz und meinte,
beides, auch das noch fortbestehende morgendliche
Erbrechen, käme von dem Ausbleiben der Periode.
Zu einem operativen Verfahren möchte ihr Mann
nur ungern seine Zustimmung geben. In der Er-
wägung, dass die Amenorrhoe vielleicht auf einem
krampfartigen Zustande der organischen Muskel-
fasern des Genital, tractus, sowie seiner Blutgefässe,
ausgehend von einem Verstimmungszustande im
Nervensysteme, beruhen könne, schlug ich ihr die
Hypnose als ein an und für sich unschädliches
Verfahren vor, das, wenn meine Voraussetzung zu-
treffe, wohl erfolgreich sein könne; wenn nicht, so
bliebe ja eines der früher vorgeschlagenen Ver-
fahren. Es gelang leicht, die Kranke zu hypnoti-
siren; die Suggestion gipfelte darin, dass das
morgendliche Erbrechen aufhören, die Periode genau
am bestimmten Tage — das war um den 16. bis
18. des Monates — und zwar reichlich während
3 Tage ohne Beschwerden eintreten würde. Gleich-
318
Schuster, Bemerkungen Qber die therapeutische Verwerthung der Hypnose.
rlierapcuttsche
Monatüheft«.
zeitig wurde ihr eine ihrer Constitution angepasste
Lebensweise anbefohlen. Sie wurde Anfangs täg-
lich, dann alle 2 Tage — im Ganzen 12 Mal — bis
zur Gesichtsanaesthesie hjpnotisirt. Das nächste
Resultat war das sofortige Wegbleiben der morgend-
lichen Brechanfälle. Ich war nun gespannt auf die
Zeit, wo die Periode eintreten müsste. Genau an
dem angegebenen Tage trat eine starke, 3 Tage
dauernde Periode ein und hat sich gerade vor
2 Tagen zum vierten Male genau um die erwartete Zeit
wiederholt. Dabei ist das Allgemeinbefinden unter
einer fortgesetzten, massig entfettenden Lebens-
weise ein vorzügliches, die Gemüthsstimmung eine
glückliche geworden. Ich bemerke noch, dass
während meiner mehrwöchentlichen Abwesenheit
von hier ich die Patientin täglich die Autohypnose
machen liess, ohne dass auch nur einmal ein Nach-
theil geschehen wäre, und dass sie in den letzten
2 Monaten nicht mehr behandelt wird. Ihr Mann
sagte mir neulich, er habe kein Vertrauen zu dem
Verfahren gehabt und finde das Resultat gar merk-
würdig. Ich erwiderte ihm, wir müssten auch
medicamentöse günstige Einwirkungen merkwürdig
finden, weil wir sie oft nicht erklären können; wir
thun es nur nicht, weil wir uns an die günstige
Einwirkung gewöhnt hätten. Das Wiederauftreten
der Periode bei Amenorrhoischen durch Einwirkung
mittelst Hypnose sei ausserdem bereits von ver-
schiedenen Seiten beobachtet. "^
Ich kann hinzufügen, dass Li^bault
mir gegenüber diese Wirkung als wiederholt
von ihm constatirt sehr hervorhob, und wer
Gelegenheit hatte, den guten, schlichteD,
ergrauten kleinen Herrn in seiner beschei-
denen Wohnung in der Rue bleue zu spre-
chen, wird mir beistimmen, dass aus seinem
Munde nur die einfache Wahrheit zu sprechen
sich bemüht, die eine grosse Erfahrung zur
Unterlage hat.
In meiner Praxis als Syphilidologe muss
ich die Hypnose als wichtiges Hilfsmittel
für die Beseitigung mancher mit der Syphilis
zusammenhängenden Gemüths Veränderungen
ansehen. Es stellen sich mir häufig Kranke
vor, die man Syphilophoben nennt, und die
man gewohnt ist, mit dem Ausspruche, „es
fehle ihnen nichts", wieder zu entlassen;
oder man schickt sie in Kaltwasser an stalten,
oder man thut ihnen den Gefallen und
unterwirft sie nochmals einer Quecksilbercur
— aber diese Unglücklichen werden damit
das Gespenst der Syphilisfurcht nicht los.
Letztere besteht bei solchen, die noch un-
bedeutende syphilitische Reste haben, oder
aber syphilisfrei sind. Meist sind es schon
hereditär neuropathisch angelegte Naturen.
Jedes kleinste Fleckchen, jede geringste Ab-
weichung vom Normalen macht sie erzittern.
Nicht wenige derselben verfallen dem Selbst-
morde; ich glaube, dass, wenn man in einer
Statistik der Selbstmorde die Syphilophobie
als ihre Ursache genauer verfolgen würde,
80 ergäbe sich eine grosse, hieraus entsprin-
gende Anzahl. Für diese Kranken halte
ich die Suggestionstherapie für berechtigt
und zwar als höchst dankbaren mithelfenden,
vielleicht rettenden Factor in der Behand-
lung. Aus verschiedenen Fällen erwähne
ich folgenden:
Ein Patient, Familienvater, im rüstigen Mannes-
alter, hält sich für syphiliskrank. Schlaflosigkeit,
eingenommener Kopf, Appetitmangel, aufgeblähter
Leib, zögernder Stuhl und zudem noch Kakosmia
subjectiva sind seine Klagen. Die eine Nasenhöhle
ist weiter als die andere in Folge Verschiebung
der Scheidewand, im üebrigen aber sind beide ge-
sund. Patient hat einen bekannten Psychiater
darüber consultirt, ob er nicht geisteskrank sei.
Da ich eine organische Erkrankung seitens der
Centralnervenorgane au sschli essen, auch eine etwa
noch bestehende Syphilis als sehr zweifelhaft an-
sehen musste, habe ich ihn am zweiten Tage seines
Hierseins in Hypnose versetzt. Seitdem ist der
üble subjcctive Geruch verschwunden, der Schlaf
wieder gekommen. Mehrmalige Hypnose beseitigte
kleine Rückfälle des traurigen Gemüthszustandes.
Ich versäumte dann die Suggestion im wachen Zu-
stande nicht und liess ihn,' weil im vergangenen
Jahre der Syphilis wahrscheinlich angehörende
Drüsenschwcllungen einer Inunctionscur gewichen
waren, eine milde Inunctionscur machen und konnte
den Patienten in froher Stimmung seiner Familie
zuschicken.
Aber wird dieses Resultat auch von
Dauer bleiben? Diese Frage beeinträchtigt
die günstige Einwirkung der Hypnose eben-
sowenig, wie ein Syphilisrecidiv die des
Mercurs oder des Jods beeinträchtigt.
Ich bemerke noch, dass ich zur erfolg-
reichen Behandlung solcher Kranken es für
nöthig erachte, sie einer Anstaltsbehandlung
zu unterziehen, wo sie überwacht sind, und
die die Berührung mit den vielen hier am
Platze ambulant behandelten specifischen
Kranken und deren oft nachtheilige Ein-
wirkung, sowie diejenige des für die Kranken
in unnützester Weise interessirt sich ge-
berdenden Publikums möglichst einschränkt.
Dieses ist einer der wesentlichen Gründe,
warum ich die ärztliche Leitung des auf
Burtscheider Gebiet gelegenen Schlossbades
als Heilanstalt für chronisch Erkrankte über-
nommen habe, wo allein meine eigenen
ärztlichen Bestimmungen ihren Ausdruck
finden und, wie mir scheint, zum bcsondem
Nutzen nervös belasteter Kranken.
Schliesslich gebe ich kurz die, wie ich
glaube, grosse Wichtigkeit der hypnotischen
Einwirkung als Mithilfe bei der Behandlung
eines Morphiumsüchtigen an.
Letzterer, vor mehr als 20 Jahren inficirt,
wurde in Folge einer einige Jahre darauf einge-
tretenen Ischias durch den behandelnden Arzt ver-
anlasst, sich selber Morphiuminjectionen zu machen.
Seitdem ist er Morphiomane. Er hat sechs Ent-
m. Jahrgang.!
Juli 1889. J
Schütter, Bemerkungen Ober die tfaerapeutliche Verwertfaung der Hypnose.
319
ziehungscaren in bekannten Heilanstalten für Mor-
phiumsüchtige gemacht, \vurde jedesmal als vom
Morphium befreit entlassen, war aber jedesmal
nach 4 bis 6 Wochen — wie das meistens bei den
Morphiomanen der Fall ist — wenigstens bei
denen, die ich kennen gelernt habe — wieder dem
Morpbinmmissbrauch Terfallen. Er ist nur fähig
zu essen, oder im Hause sich herum zu bewegen,
oder einen Brief noch eben zu unterzeichnen, selt^en
zu schreiben, wenn er morphinisirt ist. Ich con-
statirte bei dem kräftig gebauten aber hinfälligen
und abgemagerten Patienten den Verlust des Knie-
reflexes an der früher von Ischias befallenen Ex-
tremität, an der Oberfläche der Leber einen resi-
stenten, zuweilen stark schmerzhaften Punkt. Ich
hatte bereits früher die leichte Hypnosefähigkeit
bei Morphiumsüchtigen wiederholt constatiren kön-
nen. Patient, der den Willen kund gab, sich jedem
Cunrerfahren zur Befreiung vom Morphium zu
unterziehen, ging auf die Isoltrung und die hyp-
notische Behandlung ein. Unter deren Mithilfe
gelang es, ihn über die vielen mit der Entziehung
verbundenen Zufälle yerhältuissmässig leicht zu
bringen, namentlich auch, als Sulfonal nicht schlaf-
machend wirkte, ihn von dem missbräuchlichen
Ghloralgebranch zu befreien, weil allmählich durch
die spät abends vorgenommene Hypnose ein guter,
zuweilen allerdiogs durch starke Diurese unter-
brochener Schlaf erzielt wurde. Innerhalb fünf
Wochen war er morphiumfrei. Ich bemerkte ihm,
dass er auch, wenn er in seine Heimath entlassen
würde, sich meines Einflusses nicht entziehen
dürfe und mir wöchentlich berichten müsse. Dies
geschiebt bis heute. Einmal, als er unter Gähn-
anfällen Morphiumlust verspürte, liess ich ihn
hierher kommen und die Autohypnose machen, die
er auch zu Hause vornehmen solle. Die Anfälle
verschwanden, und er blieb morphinmfrei. Es sind
nun 10 Monate vergangen, und er ist gesund und
arbeitsfähig geblieben.
YergaDgeneD December besuchte ich ihn.
Er wohnt in einer Universitätsstadt. Der
Kliniker, der ihn mir zugeschickt und sich
der Hypnose gegenüber ablehnend verhalten
hatte, forderte mich auf, mit Rücksicht auf
das auch ihm bedeutsame Heilresultat des
frühem elenden Kranken und jetzigen kräf-
tigen, muntern Mannes, nachmittags auf
seine Klinik zu kommen und ihm mein
Hypnose verfahren in Gegenv^art seiner Assi-
stenten zu zeigen. Ich kam seinem Wunsche
wenn auch mit der Bemerkung nach, dass
ich nicht wisse, ob es mir gelingen würde.
Es war gerade ein älterer Kranker mit den
ausgesprochenen Symptomen der multiplen
Sklerose hereingebracht worden. Die Ex-
tremitäten, der Leib waren rigide, das
Führen des halbgefüllten Glases konnte nur
imter sich steigerndem Schütteln und Ver-
schütten des Wassers bis an den Mund ge-
bracht werden. Die Hypnose gelang vollstän-
dig. Die Zuckungen der Extremitäten wurden
zusehends ruhiger, der Herr Professor musste
laut zugestehen, dass die Rigidität des
Abdomens nachgelassen habe. Ich forderte
den Hypnotisirten auf, das halbgefüllte Glas
an den Mund zu führen und zu trinken.
Er vermochte, ohne etwas zu verschütten,
zu trinken. Der Herr Professor, einer der
bewährtesten Kliniker, gab zu, dass, wenn
auch von einer Heilwirkung der Hypnose
bei dem an einer organischen Erkrankung
des Centrain ervensystems Erkrankten die
Rede nicht sein könne, sie aber auch jetzt für
ihn der Beachtung werth geworden sei. Er
forderte mich auf, meine Erfahrungen zu
verofiPentlichen, weil er glauben müsse, dass
die Hypnose für die Behandlung Morphium-
süchtiger, deren Zahl in der bessern Gesell-
schaftsklasse Legion sei, ein bedeutsames
Hilfsmittel bei ihrer Behandlung werden
könne.
Indem ich mich der weiteren Aufzählung
von Krankengeschichten — und es stehen
mir deren eine Reihe ermunternder zu Ge-
bote, darunter auch die eines mit Ekthyma
specificum behafteten Potators — enthalte,
glaube ich hervorheben zu müssen, dass ich
bis jetzt bei den der Hypnose unterworfenen
Kranken keinen Nachtheil gesehen habe.
Morphiumsüchtige bedürfen der genauen
Ueberwachung, und sind für solche in dem
Ton mir geleiteten Schlossbade die hiezu
erforderlichen Vorkehrungen getroffen. Ich
hüte mich, bei solchen Kranken, die ich
nach genauer Prüfung auf den etwaigen Erfolg
durch Hypnose der Mithilfe letzterer unter-
worfen habe, zu experimentiren. Das mag
den Kliniken überlassen bleiben. Auch finde
ich es als selbstverständlich, anderen etwaigen
therapeutischen Indicationen möglichst ge-
recht zu werden. Ich theile nicht die Furcht,
dass die Hypnose seitens der Aerzte zu
einer Ursache psychischer Volkskrankheiten
gemacht werden könnte. Man wird eben,
ist einmal der Hypnose ein therapeutischer
Werth beizulegen, zu bestimmen lernen
müssen, in welchen Fällen derselbe erfolg-
reich zum Ausdruck zu bringen ist, und
dazu muss meines Erachtens, wie eingangs
bereits erwähnt, die Sammlung von genauen
Beobachtungen und Erfahrungen die nöthige
Grundlage schaffen. Werden dieselben ohne
Voreingenommenheit beurtheilt, so wird
sich herausstellen, was Spreu und was
Weizen ist.
320 Pinner y Zur Frage von der Resorption det Quecksilbers im thieiischen Organismus. iMvÜ^itahAfte*
L Monatshefte.
Zur Frage von der Resorption des
Quecksilbers im thierischen Org^anisiniis.
Von
Dr. Pinner, pract. Arzt in Zittau i. S.
Die wunderbare und bisher so wenig er-
gründete Wirkung des Quecksilbers auf die
Rückbildung derjenigen entzündlichen Pro-
ducte, welche unter dem Einflüsse des syphi-
litischen Virus im menschlichen Körper ge-
bildet werden, verleiht diesem Metalle als
sogen. Specificum einen therapeutischen Werth,
der es wohl begreiflich erscheinen lässt, dass
sich ernste und gewissenhafte Forscher fort-
während bemühten, die bis auf den heutigen
Tag noch unergründete Frage zu beant-
worten, auf welche Weise das in der grauen
Salbe enthaltene und durch die Inunction
Ton der Haut resorbirte Quecksilber in den
Kreislauf gelange.
Denn erst mit der Losung dieser Frage
haben wir eine Basis gewonnen, auf welcher
wir die specifische Wirkung dieses Metalles
gegen die Symptome der Syphilis weiter stu-
diren können. Ob dasselbe eine directe Wir-
kung gegen die Syphilis selbst zu entfalten
vermag, wird bei dem gegenwärtigen Stande
der Frage nach der Aetiologie der Syphilis
kaum beantwortet werden können. Aber
die unter dem Einflüsse des syphilitischen
Yirus entstehenden krankhaften Processe
sehen wir unter der Wirkung dieses Mittels
zur Heilung gelangen, ausgenommen die
glücklicherweise seltenen Fälle, bei welchen
die Quecksilberaräparate, in welcher Form sie
auch zur Anwendung gelangen mögen, ihre
Wirkung versagen, oder wo sie sich nach
klinischen Erfahrungen wegen bestehender
dyskrasischer Erkrankung als contraindicirt
erwiesen haben.
Da nun die Inunctionsmethode als soge-
nannte Schmiercur trotz der in neuerer Zeit
in die Therapie eingeführten Injectionsme-
thode immer noch als die wirksamste und
in der Praxis am meisten verbreitete anti-
syphilitische Behandlungsweise gelten muss,
so begann ich auf Rath des Herrn Prof.
Liebreich und mit gütiger Unterstützung
des Herrn Dr. A. Langgaard einige Ex-
perimente darüber anzustellen, ob überhaupt
und auf welchen anatomisch festzustellenden
Wegen eine Resorption des Quecksilbers
durch die Haut stattfinde. Zu diesem
Zwecke wurde ein auf dem Rücken kurz
geschorenes Kaninchen innerhalb vier Tagen
3 mal mit je 1 g der gewöhnlichen grauen
Salbe in vorschriftsmässiger Weise 10 — 15
Minuten lang eingerieben. Die betreffende
Stelle wurde hierauf mit Gaze bedeckt, hier-
über legte ich eine Schicht Guttapercha-
papier und befestigte dasselbe durch einen
hinlänglich breiten Streifen des vorzüglich
klebenden amerikanischen Heftpflasters so
vollständig, dass mit absoluter Sicherheit
ein Verdunsten des Quecksilbers von der
Haut ausgeschlossen werden konnte.
Da bekanntlich in jedem Raum, in wel-
chem mit diesem Metalle manipulirt wird,
dasselbe als Quecksilberdampf in der Luft
befindlich ist, so brachte ich das Thier jedes-
mal nach beendeter Inunction in einen an-
deren Raum, um dadurch dem Einwurfe zu
entgehen, dass die während der Einreibung
verdampften Mengen Quecksilber später von
dem Thiere mit der eingeathmeten Luft re-
sorbirt worden seien.
Zur Einreibung wurden also 3 g Salbe
verbraucht, mithin der officinellen Zusammen-
setzung des Präparates gemäss 1 g Quecksilber
innerhalb 4 Tagen. Salivation trat nicht
ein, auch blieb das Zahnfleisch völlig intact.
Das Thier starb 32 Tage nach der letzten
Inunction, und bis zu diesem Tage konnte
ich bereits 24 Stunden nach der ersten
Inunction in den mit Salzsäure und chlor-
saurem Kali behandelten Faeces deutlich das
Quecksilber nachweisen.
Der Harn zeigte bereits 24 Stunden
nach der ersten Inunction vermittelst der
von Fürbringer modificirten Ludwig^ sehen
Methode eine Quecksilber-Reaction. Die-
selbe wurde am 25. Tage undeutlich, trat
aber am 27. Tage wieder ein und Hess sich
von da ab wieder in jeder Harnportion nach-
weisen. Es hatte demnach bei dem Thiere
eine Aufnahme von Quecksilber durch die
Haut stattgefunden, mithin halte ich diese
Frage für erledigt.
Bei der Untersuchung der Organe fand
ich das linke Herz normal , den rechten
Vorhof und Ventrikel prall gefüllt mit dunk-
len Blutgerinnseln und parietalen Thromben.
Der Kehlkopf in den unteren Partien der
vorderen Wand stark hyperämisch. Die
Lunge blutreich. Die Leber dunkelbraun,
hyperämisch und icterisch, das Gewebe
schlaff. Die Magenschleimhaut geschwollen
und diffus geröthet, ^tat mamelone, Wandung
stark verdickt. Die Darmschleimhaut zeigt
fast durchgehends, besonders aber im oberen
Drittel des Proc. vermif. und auf den Quer-
falten des Colon diffuse Röthung. Geschwüre
waren auf der Darmschleimhaut nicht vor-
handen, auch zeigten die Nieren völlig nor-
males Verhalten.
Bei der mikroskopischen Untersuchung
derjenigen Hautstellen, an welchen die
Inunctionen stattgefunden hatten, fand ich
in. Jahrgang.*!
Juli 1889. J
Pinner, Zur Frage von der Retorption det OuecksUbers im thierischen Organinmus. 321
da8 Quecksilber genau an denselben Stellen,
wo es von Fürbringer (Virch. Arch. 82)
und J. Neu mann (Wien. med. Wschr. 71,
50 — 52) beobachtet worden ist und wie es
auch von Zuelzer (Wien, medic. Halle 64)
beschrieben ist.
Da ich meine bisherigen Versuche nur
an Kaninchen anstellte, so muss ich vor-
läufig die Frage unerortert lassen, wie sich
die Ausführungsgänge der Schweissdrüsen in
dieser Hinsicht verhalten.
Entgegen der Ansicht derjenigen Autoren,
welche die Aufnahme des Metalls durch die
Epidermis überhaupt in Abrede stellen, (s.
Rindfleisch, Arch. f. Dermatol. u. Syphil.
1870 S. 309, R. Fleischer, Erlangen 1877
und Rohrig, Physiol. der Haut, Berlin 76),
war ich auf Grund der Untersuchung der
Präparate in der Lage, Befunde von Für-
bringer, J. Neumann und Zuelzer be-
treffs der Art und Weise, wie das Queck-
silber seinen Weg durch die Haut nimmt,
zu bestätigen.
Auch muss ich mich der von Rind-
fleisch gegen Blomberg, Voit und Over-
beck geäusserten Ansicht, dass die Metall-
kügelchen die Epidermis nicht durchdringen,
mit Fürbringer und J. Neumann an-
scbliessen.
Letztgenannte beide Autoren haben durch
ihre experimentellen Untersuchungen bewie-
sen, dass bei der Verreibung der grauen Salbe
auf der Haut das metallische Quecksilber in
der Form feinster Kugel chen in die nach
aussen mündenden Oeffnungen der Epidermis,
welche gleichsam die natürlichen Eingangs-
pforten der Haut darstellen, mechanisch
hineingepresst wird. Beide Autoren stimmen
darin überein, dass das Quecksilber nach der
Inunction in den Haarfollikeln, den Talg-
drüsen und den wallartigen Einsenkungen
der Epidermis und, soweit sich die Unter-
suchungen auf menschliche Haut beziehen,
in den konischen Ausmündungsstellen der
Schweissdrüsen befindlich sei.
Die von mir zur Untersuchung bestimmten
Hautstücke wurden in absolutem, mehrfach
gewechseltem Alkohol gut gehärtet. Hierauf
brachte ich dieselben auf 12 Stunden in
eine Mischung von Aether und absol. Alko-
hol zu gleichen Theilen und alsdann in
Celloidin. Hier Hess ich dieselben 48 Stun-
den liegen; dann legte ich sie auf Kork
befestigt in 80%igen Alkohol, um nach
24 Stunden die Schnitte davon anzufertigen.
Ich war gerade bei der Untersuchung dieser
Objecte von der soeben beschriebenen Me-
thode der Einbettung ausserordentlich be-
friedigt. Denn das Celloidin macht die Prä-
parate schön durchsichtig, ausserdem fixirt
es die im Gewebe liegenden Fremdkörper
so genau an ihrer Stelle, dass dieselben
durch das Messer ihren Standort nicht wech-
seln, in welcher Richtung man auch schnei-
den mag. Auf diese Weise war ich in der
Richtung hin vor Irrthümern sicher, dass
sich das Quecksilber nach der Inunction
auch in der That an denjenigen Hautstellen
vorfindet, an welchen ich es in den Schnit-
ten vorfand.
Ich habe solche in sehr grosser Anzahl,
sowohl mit Kalilauge, Glycerin und Essig-
säure aufgehellte, als auch mit Haematoxylin,
Lith. Carm., Alaunchenille und Pikrinsäure
gefärbte, mit Alkohol und Creosot nachbe-
handelte und in Ganadabalsam eingebettete
untersucht und bin unter allgemeiner Be-
rücksichtigung der zweifellos die Anwesen-
heit von Quecksilber-Kü gelchen im Gewebe
zeigenden Präparate zu folgendem Befunde
gelangt:
Die Quecksilberkügelchen lagern sich
besonders um die Haarschafte, da wo die-
selben die Epidermis durchbohren, und drin-
gen in die Follikel hinein, je nachdem die
anatomische Einrichtung des Follikels ein
Vordringen der Kügelchen gestattet. Als
maassgebend hierfür kann nur der mehr oder
weniger feste Zusammenhang des Haar-
schaftes mit den Wurzel scheiden angesehen
werden. An solchen Haaren, deren Ausfall
in naher Zeit eingetreten wäre, besteht be-
kanntlich nur noch ein ganz loser Zusam-
menhang der Cuticula mit der inneren Wurzel-
scheide, und auf diese Weise können die
Kügelchen mit Leichtigkeit bis auf den
Grund der Papille vordringen, während um-
gekehrt der feste Zusammenhang der Cu-
ticula mit der inneren Wurzelscheide diesen
Fremdkörpern einen energischen Widerstand
leistet und so deren Vordringen nur auf
kurze Strecken gestatten kann. Im engsten
Zusammenhange mit den Haaren muss man
die Talgdrüsen als diejenigen Gebilde an-
sehen, welche das Eindringen des Queck-
silbers gestatten, und zwar sowohl die froi-
mündenden als auch diejenigen, welche ihr
Secret in den Haarsack entleeren. In diesen
Gebilden fand ich das Quecksilber in der
feinsten Vertheilung, eine Menge Kügelchen
dicht neben einander im Lumen derselben
befindlich. Auch in den thalförmigen Ein-
senkungen der Epidermis fand ich die Kügel-
chen vor, also überall da, wo der über die
Haut hingleitende Finger die Quecksilber-
Kügelchen nicht vor sich her von der Haut
wegschieben kann.
Sind die Quecksilber-Kügelchen in diese
Einsenkungen hinein gerathen, so bleiben sie
hier liegen, auch wenn die Haut nach der
41
322 Pin n er, Zur Präge von der Resorption des OuecksUbers Im thieriftchen Ori^anismus. [^oB?tsblft^^
EinreibuDg gereinigt wird. Erwägt man, wie
yiele MaDipulationen mit jedem Schnitte bis
zu seiner Fertigstellung als eingebettetes
Präparat vorgenommen werden müssen, oder
berücksichtigt man die Wirkung der Schmier-
cur selbst in denjenigen Fällen, wo man
mit derselben den gleichzeitigen Gebrauch
Ton Bädern verbindet, so kann man über
dieses Verhalten wohl kaum noch im Zweifel
sein. Gewöhnlich pflegt man aber die Pa-
tienten nur vor Beginn der Schmiercur und
in den einzelnen Pausen derselben baden
zu lassen. Den Process der Selbstreinigung
der Haut, welcher bei den meisten Menschen
nach einer abendlichen Inunction durch das
nächtliche Schwitzen der vorher durch das
Reiben auf mechanische Weise hyperämisch
gemachten Hautpartie eintreten würde,
sucht man dadurch zu verhindern, dass man
die Einretbungen des Morgens machen lässt.
Soweit nun eine solche Cur nicht gerade in
der heissen Jahreszeit stattfindet, wo erst-
lich durch die hohe Aussentemperatur die
Verdampfung des Quecksilbers während des
Einreibens und gleichzeitig durch das Trans-
spiriren der Haut dessen Weg waschen von
der Epidermis begünstigt zu werden pflegt,
ist man durch die eben angedeutete Vor-
schrift bestrebt, das Einathmen der mit
Quecksilber-Dampf erfüllten Luft während
der Nacht zu vermeiden.
Trotzdem ist man nicht im Stande, das
Verdampfen des Quecksilbers von der Haut
der Kranken zu verhindern, wenn man nicht
analog meinem angegebenen Versuche die
mit grauer Salbe eingeriebenen Stellen luft-
dicht bedecken würde. Bekanntlich zeigt
eine in der Westentasche getragene goldene
Uhr schon nach wenigen Inunctionen der
Brustgegend einen deutlichen Amalgambe-
schlag, welcher den Beweis liefert, dass ein
Verdampfen des Quecksilbers von der Haut
aus, ja sogar wie ich in zwei kürzlich beob-
achteten Fällen constatirte, durch eine mehr-
fache Schicht die Haut bedeckender Klei-
dungsstücke hindurch stattfindet. Dieses
von der Haut aus verdampfende Quecksilber
kann natürlicherweise seinen Weg auch zum
Theil in die Respirationsorgane nehmen, und
somit sind diejenigen Autoren scheinbar im
Rechte, welche die Ansicht vertreten, dass
das Quecksilber nicht durch die Haut, son-
dern die Luftwege in den Körper gelange.
Scheinbar nur deshalb, weil sicli aus
meinem Versuche ergiebt, dass bei luft-
dichtem Verschluss der eingeriebenen Haut-
stelle die so vielfach bezweifelte Aufnahme des
Quecksilbers durch die Haut doch stattfindet
und weil bei unbedeckter Haut nur diejeni-
gen Mengen des Metalls verdampfen können,
welche frei auf der Haut liegen bleiben.
Für gewöhnlich muss man also eine Doppel-
wirkung des Quecksilbers theils durch die
Respirationsorgane, theils durch die Haut
annehmen.
Selbst bei unbedeckter Haut werden die-
jenigen Theile des Metalls, welche in fein-
ster Vertheilung durch die anatomische Ein-
richtung der Epidermis in die taschenartigen
Ausmündungsstellen der Haare und Drüsen
hinein gepresst werden, der Verdampfung
nicht anheimfallen, sondern was hier an
Quecksilber deponirt ist, das verbleibt hier
und muss durch die Haut resorbirt werden.
Denn bei meinem Versuche war die Verdam-
pfung von der Haut ausgeschlossen, Harn
und Faeces ergaben trotzdem 32 Tage lang
die Quecksilber-Reaction, folglich muss eine
Resorption durch die Haut stattgefunden ha-
ben und zwar von denjenigen Stellen aus,
wo ich mikroskopisch das Quecksilber in
den Schnitten nachgewiesen habe. Ob ein
mechanisches Vordringen der Quecksilber-
Kügelchen in die Lymphgefösse des Coriums
und durch diese in's Blut erfolgt oder ob
chemische Vorgänge das hier deponirte Queck-
silber zur Resorption bringen, wage ich
vorläufig nicht zu entscheiden.
Die Möglichkeit, dass die Quecksilber-
Kügelchen in die Blutbahn gelangen, ist zwar
von Fürbringer nur bei verletzter Epidermis
zugegeben worden, aber an frischen Schnitten
mit üngt. einer, eingeriebener Haut gelang
es mir in Deckglaspräparaten, welche ich
unter Anwendung der erforderlichen Cautelen
aus einem Tropfen eines querdurclischnittenen
Blutgefässes anfertigte, die Quecksilber-Kügel-
chen im Blute nachzuweisen. Darin aber
stimme ich nach meinen Untersuchungen mit
Rindfleisch, J Neumann und Fürbrin-
ger gegen eine Reihe anderer Autoren voll-
ständig überein, dass sich die Quecksilber-
Kügelchen nirgends im Rete Malpighi oder
im Gewebe des Coriums vorfinden. Wo die-
selben nach beendeter Inunction auf der
Haut liegen bleiben, bahnen sie sich einen
Weg zwischen den obersten theil weise zer-
klüfteten und mit den tieferen Epidermislagen
nur noch lose zusammenhängenden Epitbel-
lamellen. Dies sind, wie oben erwähnt,
diejenigen Mengen des Metalls, welche bei
unbedeckter Haut zu verdampfen pflegen.
Diese Kügelchen fand ich auch in den
Bläschen eines Mercurialekzems.
Ausserdem sah ich in mehreren Prä-
paraten die tieferen Gefasse des Coriums
und deren Umgebung dicht gefüllt mit klei-
nen Quecksilber-Kügelchen, und muss daher,
da ich die Epidermis dieser Präparate völlig
intact fand, annehmen, dass zur Aufnahme
m. Jahrgang.'l
Juli 1889. J
Liebreich, dalzbrunn in dchlesieft.
323
des metallisclien Quecksilbers in die Blut-
bahn nicht erst eine Verletzung der Epi-
dermis vorausgesetzt werden muss.
Um nun zu untersuchen, ob die oben
erwähnten Stellen der Epidermis auch für
andere in Salbenform auf der Haut zur An-
wendung gelangende Substanzen die natür-
lichen Aufnahmebehältnisse bilden, verrieb
ich ungefähr 1 Decigramm Phenolphthalein
mit 2 g Fett zu einer Salbe und rieb mit
ungeföhr dem 10. Theile derselben ein vor-
her glatt geschorenes Kaninchenohr ein.
Nach 24 Stunden excidirte ich ein Stück
desselben, reinigte es sorgfältig mit Alkohol
und Wasser und fertigte alsdann Schnitte
davon an. Dieselben zeigten bei mikro-
chemischer Anwendung von Kalilauge eine
prachtvolle Rothfärbung genau an denselben
Stellen, an welchen man nach Einreibung
mit IJngt. einer, die Quecksilber-Kügelchen
bemerkt. Das Rete Malpighi sowie das Co-
rium blieben unverändert.
Es geht demnach aus meinen Versuchen
hervor :
1. Das mit der grauen Salbe auf der
Haut verriebene Quecksilber wird durch die
Haut allein aufgenommen, wenn die einge-
riebenen Hautstellen luftdicht bedeckt wer-
den.
2. Das Quecksilber dringt in Form
feinster Kugel chen in die Haarbälge und
Drüsen, gelangt von diesen Stellen aus in
die Blutbahn und kann schon 24 Stunden
nach der Inunction im Harn und in den
Faeces chemisch nachgewiesen werden.
Salzbrunn in Schlesien.
Von
Prof. Oscar Liebreich.
Es ist in der Geschichte der Balneo-
therapie wohl zum ersten Mal eingetreten,
dass bei der Anpreisung eines zur Versen-
dung bestimmten Mineralwassers das Ausland
benutzt wird, um über den Badeort, in wel-
chem die Quelle entspringt, unrichtige An-
gaben zu veröffentlichen, um so die Benutzung
des Badeortes seitens der Patienten zu ver-
hindern. Dieses eigenthümliche Ereigniss
ist durch eine Brochüre des Dr. P. James
in London und vorzüglich durch seinen
Uebersetzer, Herrn Dr. L. Fürst, hervor-
gerufen worden. Die Brochüre zeigt kei-
nen Verleger auf ihrem Titelblatt angegeben,
und es liegt wohl nahe, dass diese Arbeit
von dem Quellenbesitzer versandt wor-
den ist.
Zur Aufklärung diene Folgendes: In
Ober-Salzbrunn entspringen eine Reihe von
Quellen, von denen der Oberbrunnen als der
wichtigste und gehaltvollste benutzt wird.
Ausserdem kommen in Anwendung die
Luisenquelle, der Mühlbrunnen; von den
dortigen Badeärzten sehr wenig benutzt ist
die Kronenquelle und von der Direction der-
selben ist es besonders bekannt gemacht
worden, dass diese an der Ursprungstelle
nicht mehr verabreicht wird.
Als Grund ist von ihr der mangelnde Raum
angegeben; dies ist jedoch nicht allein zu-
treffend. Der wahre Grund ist, dass in
Salzbrunn diese minderwerthige Quelle nicht
mehr zur Benutzung empfohlen wird. Was
den Oberbrunnen betrifft, so hat derselbe einen
festen Rückstand von 32,14; die Luisen-
quelle 31,94, Mühlbrunnen 22,8, die Kro-
nenquelle dagegen nur 17,08. Herr Dr.
James geht an die Betrachtung der mine-
ralischen Bestandtheile der Salzbrunner
Quellen in einer Weise heran, welche ein
unkundiges Publikum voraussetzt, das aus
den Zahlen nichts herauszulesen versteht.
Er erwähnt mit keinem Worte, dass der
Oberbrunnen 21,522 Natriumbicarbonat ent-
hält, während die Kronenquelle nur 7,92
aufweist. Zu bemerken ist, dass die Zu-
nahme des doppeltkohlensauren Kalks, jenes
verbreiteten Bestandtheils unseres gewöhn-
lichen Trinkwassers, in der Kronenquelle
auf 6,3 steigt. In einfache Worte übersetzt,
heisst es, dass die Kronenquelle mit ihren
geringen mineralischen Bestandtheilen dem
Brunnenwasser sich nähert. Aus diesem
Grunde ist es daher auch natürlich, dass die
Quelle am Orte nur geringe therapeutische
Verwendung ünden kann. Für alle diejenigen,
welcheinteresse an der Versendung der Kronen-
quelle haben, muss es von Wichtigkeit sein,
diesen Sachverhalt möglichst zu verschleiern.
Aber man darf doch nicht so weit, gehen,
deshalb einen blühenden Badeort zu ver-
dächtigen.
Herr Dr. P. James hat eine Brochüre
geschrieben, welche die grÖsste Uukenntniss
der einschlagenden Verhältnisse zeigt, und
hat sich wohl nie die Mühe gegeben, Salz-
brunn persönlich kennen zu lernen. Es ist
nun unbegreiflich, wie ein deutscher Arzt es
über sich gewinnen konnte, diesen Unrichtig-
keiten durch eine Uebersetzung eine weitere
Verbreitung zu verschaffen, statt einen mit
den Verhältnissen nicht vertrauten englischen
Arzt im Interesse des Badeortes aufzuklären.
Ich gebe hier folgende Stelle aus der Bro-
chüre:
41*
324
Liebreich, Saizbrunn in Schlesien.
rlierapentiiche
MonatxhAfte.
„Wir brauchen diese Parallele (mit Ems)
Dicht weiter zu verfolgen, da wenig Eng-
länder eine Saison in Sdlzbrunn verbringen,
es sei denn aus bestimmten Indicatiouen
und in Anbetracht, dass sie daselbst weni-
ger Comfort finden als an den von ihnen
mehr besuchten Orten.
Die Mineralwässer Salzbrunns sind wich-
tiger als dessen Klima, und wir beziehen
uns deshalb im Folgenden nur auf die erste-
ren. Mehr als eine Quelle ist bekannt
geworden und in Gebrauch gekommen, aber
Salzbrunn hat keine alte Geschichte, denn
diese reicht kaum über mehr als ein halbes
Jahrhundert zurück. Ja die Kronenquelle
hat erst ein Jahrzehnt hinter sich etc.**
Diese Unterstützung der falschen Auf-
fassung eines Ausländers und die Verbreitung
derselben in Deutschland ist um so bedauer-
licher, als gerade die schlesischen Bäder
durch vereinte Anstrengungen sich mit zu-
nehmendem Erfolge bemüht haben, zweck-
mässige, weitgehendsten Ansprüchen ge-
nügende Einrichtungen zu schaffen um so
dem Vorwurfe provinzialer Verhältnisse zu
begegnen. — Die klimatischen Verhältnisse
sind anerkannt als durchaus günstige zu be-
zeichnen. — Aber auch die falschen Angaben
des Dr. P. James über die Geschichte des
Bades werden von dem Uebersetzer ohne
Erläuterung wiedergegeben. — Die Geschichte
Salzbrunns als Curort ist älter als
fünfzig Jahre, wie folgende Litteratur es
zeigt:
1601 wird die heilkräftige Wirkung Salz-
brunns erwähnt von Caspar Schwenk-
feld (Naturforscher und Badearzt in
Warmbrunn).
1771. Bericht des Breslauer Medicinal-
Collegiums über schlesische Mineral-
quellen.
1777. Professor Morgenbesser: Nachricht
an das schlesische Publikum über
seine Gesundbrunnen.
1802. Moyalla, die Mineralquellen in Schle-
sien und Glatz.
1815 Assessor Günther' s und Professor
Fischer's Analyse.
1816 Durch das Wirken Dr. Zemplin's
wird Obersalzbrunn zu einem Welt-
bade.
Es wird ferner angegeben, dass im Jahre
1820 bereits 412 Curgäste den Oberbrunnen
brauchten, eine Zahl, die für die damalige
Zeit als hoch zu bezeichnen ist, und schon
in diesem Jahre wurden 70000 Krüge Ober-
brunnen versandt.
Herr P. James bemüht sich nun, einem
schwachen Mineralwasser therapeutische Er-
folge zuzusprechen, welche in viel stär-
kerem Maasse von dem Oberbrunnen
längst bekannt sind. Dieser Autor hat
wenigstens den Vorzug, nicht auf vage che-
mische Theorien einzugehen, während Herr
Fürst solche in einer Anmerkung vorführt. Es
hat keinen Zweck, auf diese oft wiederholten
Dinge von Neuem einzugehen, um so mehr, als
ich nicht annehmen kann, dass denselben von
irgend einer verständigen Seite Bedeutung
beigelegt werden wird. Man muss allge-
mein für richtig halten, dass es bei der
Behandlung der Gicht sich wesentlich nicht
um die Lösung ausgeschiedener Harnsäure,
sondern um die Verhinderung der Bildung
derselben handelt. Bei einem so geringen
Alkaligehalt, wie dem der Kronenquelle,
kann man sich nicht der Vorstellung hin-
geben, dass hier eine besondere Einwirkung
stattfinde. Aber am allerwenigsten ist an-
zunehmen, dass in dem Organismus abge-
lagerte Harnsäure durch Zuführung von
weniger Alkali besser gelöst werde als
durch grössere Alkalieinverleibung. Häufig
wird der Lithiongehalt der Obersalzbrunner
Quellen angeführt; wenn auch constatirt ist,
dass der Oberbrunnen von allen Salzbrunner
Quellen den grössten Lithiongehalt zeigt, so
sind die Quantitäten viel zu gering, um
einen therapeutischen Einfluss ausüben zu
können. Mit Recht sagt daher G.Mayer*)
in seiner Abhandlung über die Gicht, „dass
er diesen Zusatz (Lithioncarbonat) vorziehe,
denn die Kronenquelle enthalte gar nur
0,011 Lithium bicarbonicum". Bei der un-
genügenden Kenntniss, welche Herr Dr. P.
James über Ober-Salzbrunn sich vorläufig
verschafft hat, worin er meines Wissens eine
Ausnahme von seinen englischen Gollegeu
bildet, wird er seine Patienten nicht nacli
Salzbrunn senden. Jeder Arzt jedoch, der
dies Bad durch eigenen Augenschein kennen
gelernt hat, wird die Ueberzeugung gewinnen,
dass eine vorsorgliche Verwaltung und eine
liebenswürdige Bevölkerung alles aufgeboten
hat, um den von dem Arzte und Patienten
zu stellenden Anforderungen zu genügen.
*) Aachen als Curort. Red. J. Boissei,
Aachen 1889.
r
IIT. Jahrgang.l
Jali 1889. J
V. M e r i n g , Ueber Amylenhydratverordnung.
325
Neuere Arzneimittel.
Ueber Amylenhydratverordnung.
Von
Professor J. v. Mering in Strassburg i. E.
Als ich vor zwei Jahren in diesen
Monatsheften das Amylenhydrat als ein zu-
verlässiges Schlafmittel, welches sich durch
das Fehlen unangenehmer Nebenerscheinungen
auszeichnet und die Herzthätigkeit nicht
afficirt, empfahl, hatte ich folgende Recept-
formel vorgeschlagen:
*V Amylenhydrat. 7,0
Aq. dest. 60,0
Extr. liqu. 10,0.
M. D. S. Abends vor dem Schlafengehen
die Hälfte zu nehmen.
In dieser Form wird das Mittel von
Vielen nicht ungern genommen. Da aber
manche Personen einen Zusatz von Lakritz
nicht lieben, habe ich nach anderen Ge-
schmackscorrigentien gesucht und kann fol-
gende Verordnungs weisen empfehlen:
Vf Amylenhydrat. 7,0
Aq. dest. flor. aurunt 50,0
Syrup. Gort, aurant. 30,0.
M. D. S. Abends die Hälfte zu nehmen.
Weitaus am besten aber nimmt sich
das Mittel in Bier:
'V Amylenhydrat. 20,0.
D. S. Abends einen Theelöffel (4— -6 Gubik-
centimeter) in einem kleinen Glase
Bier.
Da das Amylenhydrat sich in Wasser
sowie Bier ziemlich langsam löst (1 Theil
lost sich in 8 Theilen), ist es rathsam, vor
dem Genuss das Amylenhydrat in dem Bier
(einem Weinglas voll Bier) 2 — 3 Minuten
vermittelst eines Theeloffels umzurühren und
dann einen Schluck Bier nachzutrinken^).
Man kann auch das Mittel, wie Prof. Jolly
empfohlen hat, in einem Glase Wein nach
Zusatz von 1 — 2 Theelöffel Zucker nehmen.
Ich persönlich würde der Mischung mit Bier
den Vorzug einräumen.
Amylenhydrat lässt sich auch zweck-
mässig in Kapseln, welche je 1 g enthalten
und im Handel sind, verabreichen. Die
schlafmachende Dosis beträgt 3 — 4 g, doch
*) Diese Verordnungs weise ist auch deshalb
die etnpfehlenswertheste, weil sie bei Weitem die
billigste ist.
habe ich wiederholt bei schweren Aufregungs-
zuständen als Einzeldosis 6 — 7 g ohne jeden
Nachtheil und mit gutem Erfolge gegeben.
Seitdem ich auf das Amylenhydrat die
Aufmerksamkeit gelenkt habe, ist dasselbe
Gegenstand zahlreicher anderer Untersuchun-
gen gewesen, deren Resultate übereinstim-
mend ergeben, dass das Amylenhydrat ein
recht brauchbares, von schädlichen Neben-
wirkungen freies Hypnoticum ist. — Die
verschiedenen hierauf bezüglichen Publi-
cationen will ich hier nicht aufzählen , son-
dern nur das Resume von zwei in der Berl.
klin. Wochenschrift im Jahre 1888 veröffent-
lichten Mittheilungen wiedergeben, welche
bisher in diesen Heften noch nicht referirt
worden sind.
Laves fasst die auf der inneren Ab-
theilung von Bethanien in Berlin gewonnenen
Resultate folgendermassen zusammen:
„1. Amylenhydrat ist ein sehr brauch-
bares Hypnoticum, das in 2— 3 fach grösserer
Dosis wie Ghloral zu geben ist.
2. Es wirkt etwas weniger sicher als
Chloralhydrat und Morphium.
3. Unangenehme Zufälle (Aufregung,
leichte rauschartige Benommenheit) wurden
sehr selten beobachtet. Gefährliche Zu-
fälle wurden nie beobachtet.
4. Eine Angewöhnung, beziehentlich
Nachlass der Wirkung wurde innerhalb dreier
Monate nicht beobachtet.
5. Häufiger als bei einem anderen
Schlafmittel wurde die tiefe und er-
frischende Art des bewirkten Schlafes
gerühmt."
Dr. G. Busch au gelangt auf Grund der
in der Heilanstalt Leubus gemachten Er-
fahrungen zu folgenden Schlusssätzen:
„Das Amylenhydrat, wenn auch kein
Schlafmittel ersten Ranges, ist doch im
Stande, das Ghloral und das Paraldehyd zu
ersetzen; ausserdem besitzt es vor Ghloral
den Vorzug, dass es die Herzthätigkeit nicht
in so grossem Maasse beeinflusst; dem Par-
aldehyd ist es ebenfalls vorzuziehen, einmal
wegen der besseren Wirkung bei geringer
Dosis und andererseits wegen des Fehlens
des unangenehmen Exhalationsgeruches,
w^orauf in der besseren Praxis gewiss viel
zu geben ist. Denn nicht nur in Anstalten
für Geisteskranke oder Nervenleidende, son-
dern auch in der ärztlichen Praxis dürfte
sich das Amylenhydrat als Hypnoticum treff-
lich bewähren. Freilich sein bis jetzt noch
326
Liebreich, Das dithiosalicyleaure Natron ü.
rTherftpeotiache
L Monatshefte.
ZU hoher Preis (Kilo 60 Mark) ist leider
ein üebelstand, mit dem der Arzt bei der
Verordnung zu rechnen hat; bei gesteigerter
Nachfrage nach dem Präparat dürfte eich
derselbe aber bedeutend ermässigen.^
Bezüglich des letzten Punktes ist bereits
Remedur geschafiPen, denn das Amylenhydrat
kostet zur Zeit nur 35 Mark pro Kilo.
Sämmtliche Erfahrungen, die sich in der
Litteratur über die günstigen Wirkungen
des Amylenhydrats vorfinden, beziehen sich
auf Amylenhydrat, welches aus der Fabrik von
C. A. F. Kahl bäum in Berlin stammt. Wäh-
rend letztere Firma ein Präparat von tadelloser
Beschaffenheit darstellt, findet sich zur Zeit
auch Amylenhydrat im Handel, welches sich
nicht in 8 Theilen Wasser lost, sondern
trübe bleibt und mit Fuselöl und Diamylen
stark verunreinigt ist. Vor solchen unreinen
Präparaten mochte ich warnen, da ich mehr-
fach nach denselben unangenehme Neben-
erscheinungen, wie Congestionen, Kopfschmerz,
Uebelkeit und Brechneigung beobachtet habe.
Das ditblosallcylsaure Natron II.
Von
Prof. Oscar Liebreich.
Von Dr. H. Linde nborn ist in dem
städtischen Krankenhause zu Frankfurt a. M.
das dithiosalicylsaure Natron, bezeichnet als
„11^, nach jener therapeutischen Richtung
hin versucht worden, die durch die Wirkung
des salicylsauren Natron angezeigt ist^).
Die Vorversuche von Hueppe ergaben,
dass eine 20 °/o Losung des genannten Salzes
in minimo 45 Minuten auf Milzbrandsporen
tödtend einwirkte. Es wird ferner ange-
geben, dass auch in der Einwirkung auf
Cholera- und Typhusbacterien, die Bacterien
des grauen Eiters und des Staphylococcus
aureus, die Dithiosalicylate den Salicylaten
überlegen seien. Sehr merkwürdig ist es,
dass im Urin weder die ursprüngliche Ver-
bindung noch Salicylsäure sich hat nach-
weisen lassen. —
Die Krankheiten, bei denen das Präparat
benutzt wurde, waren 4 Fälle von polyarti-
culärem und ein Fall von monarticulärem
Gelenkrheumatismus, sowie ein Fall von
Gonitis gonorrhoica, complicirt mit Jrido-
chorioiditis.
Die Dosen betrugen in den leichteren
Fällen Morgens und Abends je 0,2, in den
schwereren Fällen Morgens 0,2, Abends
') Berlin, klin. Wochenschrift 1889, S. 568.
zwei- bis drei- und viermal stündlich 0,2 g.
Es wird angegeben, dass die leichteren Fälle
nach zwei, die schwereren nach längstens
sechs Tagen schmerz- und fieberfrei gewesen
seien, auch die Anschwellung der Gelenke
verschwunden sei.
Ein Fall von Gonitis gonorrhoica, wel-
cher aus einem andern Hospital zugegangen
war, hatte bereits über 12 Tage hindurch
täglich 4,0 — 6,0 g Natrium salicylicum, je-
doch ohne Erfolg verbraucht, denn Schmerz
und Schwellung des Kniegelenks waren nicht
gebessert und die abendliche Temperatur,
zwischen 38° und 38,6® schwankend, ge-
blieben.
Es wurde derselbe mit dithiosalicylsan-
rem Natron II behandelt. Von dem Be-
ginne der Anwendung von 0,2 g des Morgens
und Abends an ging die Abendtemperatur
nie über 37,8*^, nach 10 Tagen trat Heilung
mit Ausnahme der Irido -Chorioiditis ein.
Dr. H. Linden born nimmt an, dass das
dithiosalicylsaure Natron II dem salicyl-
sauren Natron gegenüber die Vorzüge einer
kräftigeren Wirkung habe, die schon durch
eine geringe Dosis hervorgerufen werde und,
was von besonderer Bedeutung scheint, keine
Nebenwirkung auf die Circulation ausübe,
kein Ohrensausen und Gollaps herbeiführe
und vor allen Dingen nicht auf den Magen
einXvirke.
In bescheidener Anerkennung der noch
nicht weitgehenden Beobachtungen giebt
Verfasser an, dass diese Versuche noch nicht
maassgebend sein können, aber jedenfalls ist
anzuerkennen, dass die bis jetzt vorliegen-
den Resultate in Zusammenhang mit der
nahen chemischen Beziehung zur Salicylsäure
zu weiteren Versuchen eine begründete An-
regung geben.
Eine schwierige und noch nicht beant-
wortete Frage ist der chemische Theil. —
Die Substanz ist zuerst von dem Ghemiker
Baum dargestellt worden und das zu den
therapeutischen Versuchen benutzte Präparat
mit „II" bezeichnet worden. HerrDr. Lin-
de nborn führt folgende Formel an:
__0H
S — CeHT-COGH
I
S Ge Hj
COOK
OH
I
Die Baum^sche Darstellung findet sich
in den Berichten der chemischen Gesellschaft
beschrieben und zwar in folgender Weise:
Es werden moleculare Mengen Salicyl-
säure und Chlor-, Brom- und Jodschwefel
auf 120—150® erhitzt. Nach beendeter
Entwicklung der sich bildenden Salzsäure
wird Lösung in Soda-Losung vorgenommen;
in. Jahrgang.l
Jali 1889. J
Liebreich, Das dithiosalicylsaare Natron n.
327
durch ZufagUBg you Salzsäure fällt die neue
Säure als harzige strohgelbe Masse aus^).
Sie ist loslich in Alkohol, Benzol und Eis-
essig. Das Natriumsalz wird durch Aus-
salzen mit Hülfe von Kochsalz gewonnen^).
Es ist aus dieser Darstellung sowie aus
den Angaben Dr. Lindenborn^s nicht er-
sichtlich, um welchen der vielen isomeren
Körper es sich handelt.
Der Salicjlsäure isomer sind zwei Korper
bekannt und es ist festgestellt worden, dass
die werthyolle therapeutische Eigenschaft nur
der Salicjlsäure zukommt. — Bei der
Dithiosalicylsäure wird die Frage, welcher
der isomeren Körper wirksam sei, oder ob
es mehrere sind, schon bedeutend schwieri-
ger. Die theoretische Betrachtung zeigt^
dass eine ausserordentlich grosse Zahl Kör-
per gleicher Zusammensetzung existiren kön-
nen. Eine Constitutionsformel lässt sich
folgendermaassen darstellen :
*) Der Vorgang drückt sich durch folgende
Formel aus:
2CeH4'^^^^^„+2SCl = 2HCl +
Sallcylsänre Cblorscbwefei
OH
S - Cg HTCOOH
I
S - Cß H3 COOH
^— OH
Dithiosalicylsüaro
•) Ber. der deutschen ehem. Ges. 1889. No. 5
S. 175. Ref. (D. P. 46413. 28. Jan. 1888. Kl. 22.)
OH
C
COOH
I
C
S-C^:
2
V
HC"
HC
yCH
CH
CH
S-C^^
C"
OH
4
3
CH
I
COOH
Zu dieser Formel ergeben sich, mit An-
nahme, dass die voranstehende Zahl dem
HO, die nachfolgende dem COOH zukommt,
weitere folgende 9 Isomerien.
2.3 : 1.2 3.4 : 2.3 4.5 : 2.3
2.3:2.3 3.4:3.4 4.5:3.4
3.4:1.2 4.5:1.2 4.5:4.5
Welches ist nun der von Baum mit II
bezeichnete Körper? — Auch diese Frage
wird entschieden werden müssen, um zu
sichern therapeutischen Resultaten zu ge-
langen, wenn man auch zuvörderst, da die
EntscheiduDg dieser Frage eine immerhin
schwierige chemische Untersuchung voraus-
setzt, nur ein Präparat benutzt, das nach
einer bestimmten Methode gleichmassig dar-
gestellt wird.
Jeden faHs wird gestützt durch die bis
jetzt gewonnenen Erfahrungen mit Recht
darauf hingewiesen, dass man es mit einer
wirksamen und vielleicht sehr brauchbaren
Substanz zu thun habe.
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Achtzehnter Congress der deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin, 24—28. April 1889.
(Originalbericht.)
T. Esmarch (Kiel): üeber Aetiologie
und die Diagnose der Carcinome,
insbesondere derjenigen der Zunge
und Lippe.
Im Anschluss an eine bereits auf dem
6. Chirurgencongresse gegebene Anregung,
die Aetiologie einer Reihe bösartiger Ge-
schwülste einer genaueren Untersuchung zu
unterziehen, kritisirt Esmarch die für das
ganze therapeutische Handeln so wichtige
Anschauung, die wir über das Wesen einer
malignen Neubildung besitzen. Eine Reihe
Ton Erfahrungen berechtigen zu der An-
nahme^ dass eine Reihe von Geschwülsten,
die ihrem klinischen Bilde nach für Carci-
nome imponiren, auf syphilitischer Grund-
lage entstanden sind. — Die Diagnose dieser
Geschwülste, zumal an Lippe und Zunge,
ist um so schwieriger, als selbst die sorg-
fältigste anatomische Untersuchung häufig
zu keinem positiven Ergebniss führt. Han-
delt es sich daher um grössere Operationen
wegen Tumoren zweifelhaften Charakters,
so darf man sich nicht scheuen, selbst zum
Zweck einer sicheren Diagnose grössere Vor-
operationen zu machen. So ist es in einer
ganzen Reihe von Fällen dem Vortr. ge-
lungen, ursprünglich als Carcinome resp.
Sarcome diagnosticirte Geschwülste als auf
syphilitischer Basis entstanden nachzuw^eisen.
Derartige Syphilome können ohne recente
328
TherapeutiBche Mitthellungen aus Vereinen.
rlierapeatbeh«
Monatshefte
Erscheinungen erst viele Jahre nach der
Infection auftreten und ebenso lange bestehen
ohne zu ulceriren. Besonders wichtig ist
die Behandlung derartiger Tumoren. Selbst-
T erstand lieh kann es sich hier nicht um
Exstirpation der Geschwulst handeln, son-
dern um eine Monate, ja Jahre hindurch
fortgesetzte antisyphilitische Cur, bei der
man mit Inunctions-, Injections-, Schwitz-
etc. Curen thun liehst abwechseln soll. Durch
eine consequente Fortsetzung derartiger
Curen ist es dem Verf. gelungen, mehrere
derartiger verdächtigen Geschwülste zu ent-
fernen. Vielleicht ist überhaupt für die
Aetiologie maligner Tumoren die Lues nicht
ohne Bedeutung in so fern, als sie aner-
kanntermassen Neigung zu Wucherungen und
Granulationen hinterlässt.
Heidenhain (Berlin): Ueber die Ur-
sachen der localen Krebsrecidive
nach Amputatio mammae.
Die Hauptursache der häufigen Recidive
nach Amputatio mammae wegen Carcinom
(von den Patientinnen Verf.'s blieben nur
n ^lo länger als 3 Jahre recidivfrei) liegt
darin, dass es nicht gelingt, sämmtliche
Geschwulstpartikel zu exstirpiren. Selbst
bei vollkommen auf dem Pectoralis beweg-
licher Mamma hat man die Fascia pectoralis
mit der obersten Brustmuskel schiebt zu ent-
fernen, da genaue mikroskopische Unter-
suchungen des Vortragenden ergeben haben,
dass selbst unter diesen Umständen bereits
carcinomatöse Herde in der Fascie existiren.
Ist das Carcinom bereits dem M. pectoralis
adhärent, so empfiehlt sich die Exstirpation
der gesammten Muskelschicht sowie des Pe-
riostes der Rippen. Wesentlich grossere
Functionsstorungen erwachsen hieraus nicht.
L anderer (Leipzig): ü eher die Methode
der trockenen Operation.
Im Allgemeinen macht sich in neuester
Zeit das Bestreben geltend, nicht mehr ge-
legentlich der Operationen Antiseptica zu
verwenden, sondern von vorneherein die
Operationen aseptisch auszuführen. Letzte-
res ist jedoch nur in den Räumen eines
vorzüglich ausgestatteten Krankenhauses,
nicht aber in der Land- und Armenpraxis
etc. ausführbar. Hier empfiehlt L. trockene,
antiseptische Verbandstoffe, indessen mög-
lichst wenig antiseptische Flüssigkeit bei
der Operation zu verwenden. Die Gefahr
der Intoxication mit dem (meist giftigen)
Desinficiens wird so wesentlich verringert,
die Operation geht rascher, die Heilung
noch sicherer und prompter von Statten, als
bei Anwendung der antiseptischen Flüssig-
keiten.
(Sitzung vom Donnerstag^ den 25. April^ Morgens^
Discussion über die Verimpfbarkeit
und Heilbarkeit des Krebses.
Aus den über diesen Gegenstand ge-
machten Erfahrungen ergiebt sich im Ali-
gemeinen, dass es nicht gelingt, einen Krebs-
knoten durch üeberimpfung von einem
Thiere auf ein anderes zu überpflanzen.
Indessen kommen doch Ausnahmen vor. So
hat Hahn einen Fall beobachtet, in welchem
eine Uebertragung von Mensch auf Mensch
wahrscheinlich stattgefunden hat, und auch
Rolinski ist es unter 40 Thierversuchen
einmal gelungen, Carcinome von einer Ratte
auf eine zweite zu überimpfen.
Was die Ergebnisse der endgiltigen
Heilung nach Carcinom-Exstirpation anlangt,
so konnte Krause (Halle) 3 Patienten vor-
stellen, denen vor 4 resp. 5 Jahren die
Zunge wegen carcinom atoser Degeneration
exstirpirt war und die bis jetzt recidivfrei
geblieben sind. Ausserdem sind 2 Patienten
länger als 3, 3 Patienten länger als 4 Jahre
dauernd gesund. Im Ganzen sind innerhalb
des in Frage kommenden Zeitraumes 95
Exstirpationen der carcinomatos degenerirten
Zunge, darunter 56 ohne Kieferresection an
der Halleuser Klinik vorgenommen. Die
Mortalität betrug 2,2 ^/q. Gegenüber den
Angaben Krause^s bezügl. der totalen
Heilung führen Küster, Schede und
V. Esmarch Fälle an, in denen das erste
Recidiv erst 7, 9, ja sogar 21 Jahre nach
der ersten Operation entstand. Weiterhin
konnte Krause 3 Patienten vorstellen, die
nach Exstirpation eines Rectum- Carcinoms
im Jahre 1880, 81 und 83 recidivfrei ge-
blieben sind, während v. Bergmann und
Hahn Patienten vorstellten, bei denen nach
der Laryngotomie wegen Stimmband- Carci-
nom die qu. Patienten 4 resp. 8 Jahre
recidivfrei geblieben waren, nichtsdesto-
weniger hat sich auch bei diesen beiden
Patienten in jüngster Zeit ein Recidiv ein-
gestellt.
Schinzinger (Freiburg): Ueber Carci-
noma mammae.
Erfahrungsgemäss tritt der Brustkrebs
um so bösartiger auf, je jünger die Patien-
tinnen sind. Vielleicht lässt sich nun bei
solchen Krebskranken , die noch vor den
klimakterischen Jahren stehen, dadurch ein
schnelleres Altern und damit ein geringerer
Grad von Bösartigkeit ihres Leidens er-
zwingen , dass man vor der Operation des
Mamma-Carcinoms die Patientin ihrer Ovarien
beraubt.
m. Jahrfang.!
Jali 1889. J
Therapeutische Mittheiluof en aus Vereinen.
329
König (Göttingen): Demonstration
künstlich hergestellter Nieren-
steine.
Dadurch, dasslnan Hunden zugleich mit
dem Futter grossere oder geringere Mengen von
Oxamid beibringt, gelingt es, in den Harn-
^wegen leichte katarrhalische Afifectionen her-
vorzurufen. Es kommt in Folge dessen zur
Bildung kleiner Schleimgerinnsel, auf welche
sich aus dem Nieren excrete die harn sauren,
Oxalsäuren etc. Salze niederschlagen. An
die Bildung des Kerns schliesst sich in
Bchalenartigen Lagern die Bildung der peri-
pherischen Schichten.
Krause (Halle): üeber die Behandlung
und besonders Nachbehandlung
der Hüftgelenkresectionen.
Bezüglich der Behandlung gilt in der
Hallenser Klinik bei den Resectionen als
erstes Princip, die Function und Beweglich-
keit des Gelenkes möglichst zu erhalten.
XJm eine Verkürzung des Beines nach Mög-
lichkeit zu hindern, müssen die Patienten
Doch Jahre lang in einer Schienenvorrich-
tung gehen, da sonst die Function des
operirten Gelenkes resp. der Extremität zu
sehr leidet. Geradezu schädlich ist das
Tragen hoher Sohlen, die mit dem Becken
die kranke Extremität zu sehr heben und
in Folge dessen auch verkürzen.
[Schltua folgt.]
Berliner medicinische Gesellschaft.
{Sitzung vom 3, April 1H89.)
Litten: Zur Aetiologie und Therapie
der Aortenaneurysmen.
Die Dauer der Aortenaneurysmen ist im
Allgemeinen sehr wechselnd ; im Aligemeinen
ertragen die Patienten das Leiden nicht
länger als 2 Jahre. Fälle, die sich auf eine
längere, bis 15jährige Existenz eines Aneu-
rysma beziehen, gehören zu den Ausnahmen.
Der Tod erfolgt entweder durch Marasmus,
Compression oder Durchbruch in die Nach-
barorgane.
Die Behandlung hat die durch die Com-
plicationen bedingten Symptome, sowie die
Behandlung des Aneurysma selbst ins Auge
zu fassen. Erstere anlangend, so sind die
oft quälenden Intercostalneuralgien durch
subcutane Antipyrininjection, die oft beste-
hende Schlaflosigkeit durch Sulfonal in
äusserst wirksamer Weise zu bekämpfen. —
Für die Behandlung des Aneurysma selbst
ist, zumal von Franzosen und Engländern,
das Jodkali empfohlen worden, welches nach
Jaccoud, Durosiez, Dieulafoy u. A.
eminent resorbirend wirken soll. L. selbst
bat über das Medicament nicht die gün-
stigen Erfahrungen gemacht und hält es nur
dort für wirksam, wo der Process auf Sy-
philis zurückzuführen ist. — Auch die-
jenigen Methoden, welche eine locale Be-
handlung des Aneurysma bezwecken, sind
nicht allein in der Mehrzahl der Fälle un-
wirksam, sondern auch direct lebensgefähr-
lich. Zu ihnen gehört die Elektrolyse und
Elektropunctur des aneurysmatischen Sackes,
sowie die Methode, durch Fremdkörper
(Eisendraht, Ro&shaare etc.) Gerinnungen
des Inhaltes des Sackes herbeizuführen. Die
Hauptgefahr liegt hier in der Thrombose
lebenswichtiger Gefässe. — Ebensowenig
hat man durch Unterbindung der yon dem
aneurysmatischen Sacke abgehenden Gefösse
dauernde Heilung erzielen können. Ein
zunächst günstig yerlaufener Fall Barde-
leben's recidivirte schnell.
In der sich an den Vortrag anschliessen-
den Discussion betont Senator den Unter-
schied der Bauchaorten -Aneurysmen und
derjenigen des innerhalb, des Thorax gele-
genen Antheils der Aorta. Die ersteren er-
fahren durch consequente Jodkalium-Appli-
cation und locale Behandlung mittelst Pe-
lotten häufig eine wesentliche Besserung.
Unter 8 mittelst dieser Methode vom Verf.
behandelten Personen konnte man bei 3 eine
wesentliche, andauernde Besserung erzielen.
— Die Aortenaneurysmen 4es Thorax hin-
gegen sind einer wirksamen Behandlung
weit weniger zugänglich. — Am zweck-
mässigsten ist bei ihnen die Application von
Jodkali. — Aehnlich gute Erfolge berichten
auch Ewald und Heidenhain. Demge-
genüber hält Litten an seiner skeptischen
Anschauung bezügl. der Wirkung des Jod-
kali fest, dessen Wirksamkeit er nur in
denjenigen Fällen, in welchen das Aneurysma
auf specifischer Basis entstanden ist, und
auch hier nur im Entstehen der Affection,
zugiebt.
(ßUzang vom 10, April 1889.)
Herr Moll: Therapeutische Erfahrun-
gen auf dem Gebiete des Hypno-
tismus.
Das Beobachtungsmaterial, dem die Er-
fahrungen M.'s entnommen sind, umfasst im
Ganzen etwa 120 Fälle. — Im Allgemeinen
war die Tiefe der Hypnose bei den einzel-
nen Individuen sehr verschieden, und es
lassen sich im Allgemeinen 3 Grade unter-
scheiden: a) die leichten Zustände der Hyp-
nose bis zum Augenschluss; b) die mittle-
ren Grade, wobei bereits Verlust der will-
kürlichen Bewegungen eintritt und c) die
tiefe Hypnose, bei der Sinnestäuschungen
beobachtet werden. — Amnesie, nach dem
Erwachen aus der Hypnose, wurde unter
42
330
Th«Tap«tttlBehe BfltthttlluiigeB «ut Ver^liMB.
rrhermpeatiaelie
L Monatshefte.
5 — 6 Fällen gewöhnlich nur einmal beob-
achtet.
Im Allgemeinen waren diejenigen Fälle,
in welchen es sich um schnell wechselnde
Klagen der Patienten handelte, sowie die-
jenigen, in welchen die Neigung bestand, die
Beschwerden durch Autosuggestion zu än-
dern, nicht von Erfolg gekrönt. Am meisten
leistet die Hypnose dort, wo sich das Leiden
in einzelnen hystero-epileptischen Antillen
äussert. 9 Patienten, die an derartigen An-
fällen litten, wurden binnen kürzester Zeit
durch Hypnose von ihnen befreit.
Aber auch andere schmerzhafte Affec-
tionen sind für die Hypnose geeignet; so
hat M. 22 Fälle von Cephalalgie, 7 von Car-
dialgie, 4 von Ovarialgie etc. durch tiefe Hyp-
nose (Grad III) geheilt, in einzelnen Fällen
allerdings nur vorübergehend. — lo einem
Falle, in welchem eine Beseitigung chorea-
tischer Bewegungen durch Hypnose gelang,
trat leider sehr bald ein Hecidiv ein.
Herr B. Fränkel wendet sich gegen
die Vorwurfe, welche von Seiten Herrn
MolTs gegen die Elektricität gemacht wer-
den. Herr Ewald weisst die Erscheiauugen
der Suggestion als solche nicht ab. Jedoch
sei bei einer Therapie, die von dem Willen
des Kranken abhängig, für die ärztliche
Thätigkeit nur ein geringer Raum geboten
und würde die Therapie in die Hände von
Nichtärzten übergehen. Eine Fortsetzung
der Discussion fand statt in der Sitzung vom
8. Mai.
(Sitzung vom 8. Maü)
Discussion über den Vortrag des Herrn
Moll: Therapeutische Erfahrungen auf
dem Gebiete des Hypnotismus.
Hr. Mendel hat im Laufe der letzten
Jahre zum Theil in Gemeinschaft mit seinem
Assistenten Hm. Sperling, eine ganze
Reihe hypnotischer Versuche gemacht. Das
Ergebniss derselben war, dass eine erheb-
liche Einschränkung der Indication dieses
Verfahrens nothwendig sei; unzweifelhaft
bestehen während des Vorganges der Hyp-
nose vorübergehende Störungen in der
grauen Hirnrinde, die bei häufiger Anwen-
dung des Verfahrens dauernd werden kön-
nen. In der That hat man bereits Ent-
stehen von früher nicht vorhandener Hystero-
Epilepsie, allgemeine Nervosität, in andern
Fällen Hypnotisirsucht beobachtet. — Die
glänzendsten Erfolge hat die Hypnose bei
Hysterischen, aber leider sind dieselben wie
sich herausgestellt hat, nur vorübergehend.
Meist treten sehr bald Recidive ein, die
dann der Hypnose weniger zugänglich sind.
— Im Allgemeinen komme man in Paris, wo die
Hypnose in Charcot einen ihrer begeistertsten
Anhänger fand, wesentlich von dem Enthu-
siasmus zurück, den man derselben früher
entgegengebracht habe. — Wendet man die
Hypnose an, so dürfe dies wohl als ulti-
mum refugium bei geeigneten nervösen Lei-
den geschehen, aber nicht in Fällen wie
Menstruationsschmerzen etc.
Hr. Sperling berichtet über die von
ihm gemachten Erfahrungen. Im Allgemei-
nen hat sich ihm in verschiedenen Fällen
von Hystero-Epilepsie die Hypnose als werth-
volles therapeutisches Hilfsmittel bewährt.
Aber auch bei organischen Affectionen des
Nervensystems kann sie unter Umständen
von Nutzen sein, z. B. bei den Fern Wirkun-
gen einer Hemiplegie, die sich in zwei
Beobachtungen Verf.^s unter der Einwirkung
der Hypnose wesentlich besserten; in einem
Falle von multipler Sclerose konnte man
gleichfalls eine wesentliche Linderung der
zuvor nicht geringen Schmerzen durch Hyp-
notisirung des Kranken erreichen. — Im
Allgemeinen wendet Sp. bei seineu Hypno-
sen möglichst milde Verfahren an," indem er
den Patienten die Hypnose zunächst sugge-
rirt und sie dann durch sanften Drack auf
die Augenlider etc. hypnotisirt. — Contrain-
dicirt ist die Hypnose bei Katalepsie, da-
gegen nicht, wenigstens nach den Erfahrun-
gen Verf. 's, bei hysterischen Krämpfen, bei
denen er in einigen Fällen recht gute Er-
folge erzielte.
Hr. Moll weist die Vorwürfe, die der
Hypnose als solcher gemacht werden, zu-
rück. Eventuelle Schäden seien nicht grös-
ser, als die in Folge mancher neuerer Arz-
neimittel gelegentlich beobachteten üblen
Nebenwirkungen; dass die Methode auch
von Nichtärzten ausgeübt werde, was ihr
Hr. Ewald vorgeworfen habe, habe sie mit
andern Applicationen (Massage etc.) gemein-
sam; der Vorwurf, dass sie aus dem Gebiete
der exacten Wissenschaften sich entferne
und in das der Psychologie übergreife, sei
keiner, denn die Medicin habe das Recht,
ebenso wie die andern Wissenschaften, so
auch die Psychologie, wenn nöthig, sich
dienstbar zu machen. Loknstem.
(SUziing vom 1, Mai.)
Herr P. Guttmann: üeber Hydracetin.
Das von G. untersuchte Hydracetin
(Acetylphenylhydracin
CeHsNH — N-CH,CO)
ist ein weisses, krystallinisches, geruchloses
und fast geschmackloses Pulver, welches
sich schwer in Wasser (ungefähr im Ver-
hältnisB von 1 : 50), leicht in Alkohol löst.
Eine ähnliche Substanz, das Pyrodin,
hat im Vorjahre Dreschfeld als Anti-
Ilf . JahrcMDg.!
Jnli 1889. J
ThenpeuÜsehe Mittheilungen «us Vereinen.
331
pyreticum erkannt; nach einer spatem Mit-
theilnng verdankt jenes Mittel seine Wirk-
samkeit lediglich dem zu 25 % in ihm ent-
haltenen Acetylphenylhydracin.
Reines Acetylphenylhydracin (Hydracetin
Riedel) giebt in «Substanz mit einer Mi-
schung Yon 98 Theilen concentrirter Schwe-
felsäure und 2 Theilen Salpetersäure ver-
setzt, eine tiefcarminrothe Färbung; es be-
sitzt stark reducirende Eigenschaften, so
Jässt es z. B. schon in der Kälte aus alka-
lischer Kupferlösung rothes Kupferoxydul
ausfallen, scheidet aus alkalischer Silber-
lösung metallisches Silber aus, reducirt
Quecksilber- und Eisenoxyde zu Oxydu-
len etc.
Die von 6. mit dem Hydracetin Riedel
angestellten Thierversuche zeigten, dass
dieses Mittel schon in relativ geringen
Gaben toxisch wirkt. Kaninchen starben
nach 1 Tage, wenn man ihnen eine wässe-
rige Lösung von 0,5 g H. in den Magen
oder die Bauchhöhle brachte, nach 3 Tagen
bei intraperitonealer Application von 0,25 g
H.; die gleiche Menge, in den Magen ge-
bracht, wurde von einem Versuchsthiere ver-
tragen.
Die inneren Organe, namentlich Nieren,
Leber, Milz und Lungen waren bei allen
Tersuchsthieren rothbraun, leicht grünlich,
das Blut im Herzen und der Yena cava
deutlich verförbt. In der Harnblase fand
sich stets eine bräunliche trübe Flüssigkeit,
^reiche Blutfarbstoffreaction gab, bei mikro-
skopischer Untersuchung aber erhaltene rothe
Blutkörperchen nicht erkennen Hess. Schnitte
durch Leber und "Nieren zeigten in den Ge-
lassen und Hamkanälchen bräunlichen De-
tritus, hie und da auch stärkere Trübung
der Epithelien. Im Blute der mit H. ver-
gifteten Thiere Hessen sich zahlreiche Zer-
fall sproducte von Blutkörperchen nachweisen,
die Entstehung derselben konnte G. bei
Zusatz von Hydracetinlösung zu normalem
Blute beobachten.
Als Antipyrecticum bewährte sich
Hydracetin in Dosen von 0,1 — 0,15 g bei
18 hochfiebemden Kranken (8 Fälle von
Typh. abdom., 3 von Phth. pulm., je 2 von
Pneumonie und Scarlatina, je 1 von Erysi-
pel, acuter Miliartuberculose und Septi-
caemie).
Die Einzelgaben betrugen 0,05 — 0,1 g,
die Tagesmengen 0,05 — 0,2, nur in wenigen
Fällen 0,3 g; meist wurde eine Gabe von
0,1 g und nach 2 Stunden eine weitere von
0,05 g verordnet. Bei dieser Anordnung
tritt nach ^/^ Stunde beginnend ein lang-
samer continuirlicher Temperaturabfall ein,
"welcher meist l'/a — 2 Grad, zuweilen sogar
bis zu 3 Grad beträgt und gewöhnlich von
mehr oder minder starker Schweisssecretion
begleitet ist. Das Minimum wird ungefähr
nach 2 — 3 Stunden erreicht, hält nur kurze
Zeit an. Der Wiederanstieg der Temperatur
erfolgt langsam, fast stets ohne Frost.
Einfluss auf den Verlauf der Erkrankun-
gen hatte das Hydracetin nicht.
Bei acutem Gelenkrheumatismus
verwendete G. Hydracetin in 8 Fällen, und
zwar in Einzel gaben von 0,1 g, in Tages-
mengen von 0,2 — 0,3 g. In allen Versuchen
beobachtete er Schmerzlinderung, in einzel-
nen völlige Schmerzlosigkeit. Die Wirkung
machte sich nach 7) ^^^ längstens 2 Stun-
den bemerkbar, hielt mehrere Stunden an,
war aber stets nur eine symptomatische.
Von je 0,1 g Hydracetin sah G. auch
vorübergehenden guten Erfolg in 2 Fällen
von Ischias.
Aeusserlich verwendete G. das Hydra-
cetin als Einreibung bei Psoriasis, und
zwar wegen der stark reducirenden Eigen-
schaften, welche diesem Mittel in demselben
Maasse eigen ' sind, wie dem Chrysarobin
und der Pyrogallussäure.
Der Erfolg war in den beiden beobach-
teten Fällen ein günstiger; zur Anwendung
kam eine lOprocentige Vaselinesalbe. Un-
angenehme Nebenwirkungen wurden nicht
beobachtet.
Auf Grund seiner Versuche empfiehlt G.
das Hydracetin zur äusserlichen Anwendung
bei Psoriasis ; beider innerlichen Anwendung
mahnt er wegen der stark reducirenden
Eigenschaften des Mittels zur Vorsicht.
Als Antipyreticum würde die Dosis für
Erwachsene 0,1 g pro die sein (als ein-
malige Gabe von 0,1 oder 2 durch Zwischen-
raum von 1 Stunde getrennte Dosen von
je 0,05 g), als Antineuralgicum und Anti-
rheumaticum Morgens und Nachmittags je
0,05.
Zur Vermeidung von Intoxicationen soll
die Tagesmenge von 0,1 g nie länger als
3 Tage hintereinander gegeben werden.
Als Vergiftungserscheinung wurde in
mehreren Fällen, in denen Hydracetin län-
gere Zeit (bis zu 7 Tagen) in täglich zwei-
maligen Dosen von je 0,1 g gegeben war,
eine aufiPallende Blässe beobachtet. Der
Harn war frei von Hämoglobin und Eiweiss,
auch die Menge der reducirenden Substanzen
war nicht vermehrt*).
{Berl kUn. Woeh^ntchr. 1889 No. 20.) C E.
*) Es ist aus der Arbeit des Herrn P. Gutt-
mann von dem Referenten die Formel des Autor's
wiedergegeben worden; dieselbe ist jedoch richtig
folgende: Cg H^ NH - NH — CO CH,
lAehrtieK
42*
332
Referat«.
TTherapeatiAche
L Monatshefte.
Academie de Medecine (Paris).
{Sitzumj vom 11. Juni 1880.)
Herr G. See: lieber ein neues Diu-
reticum.
Bei der Milchcur ist die zu verabrei-
chende Menge Milch auf mindestens 4 — 5 Liter
zu veranschlagen. Da viele Kranke eine
solche Quantität nicht vertragen, suchte S.
festzustellen, worin das wirksame Princip
bestehe. Er fand, dass dies die Lactose
sei, die direct auf die Nieren einwirke. In
Folge dessen verabfolgte er den Milchzucker
in einer Menge von 100,0 in 2 Liter Wasser
gelöst. Bei Nierenkranken fand er keine
günstige Wirkung, dagegen war der Erfolg
bei Ilydropsien in Folge von Herz-
affectionen ein geradezu überraschen-
der. Man muss den Milchzucker 6 — 8 Tage
hintereinander verordnen, dann einige Tage
pausiren und ihn alsdann wieder verab-
reichen. Alle anderen Getränke sind während
dieser Zeit zu untersagen. Jodkalium ist
als ein nicht zu vernachlässigendes Unter-
stützungsmittel gleichfalls mit in Anwendung
zu ziehen.
{Revut gen. dt Cliniq. et de Therap. 1889 No. 2A.)
Dt. Ciaret {Cery).
Referate.
Ueber Sulfonal und sein Werth als Hypnoticum
bei Geisteskranken. Von Dr. S. Garnier.
Aus 17 Beobachtungen, die ausführlich
berichtet werden, zieht S. folgende Schlüsse:
1. Sulfonal ist ein ganz vorzügliches Schlaf-
mittel für Geisteskranke. In Dosen von
2,0 — 5,0 beseitigte es in fast allen Fällen
die Schlaflosigkeit. 2. Es wirkte, wo Par-
aldehyd, ürethan , Chloral, Hypnon sich
unwirksam gezeigt hatten. 3. Seine Geruch-
und Geschmacklosigkeit erleichtern seine
Anwendung, desgleichen ist es als ein Vor-
zug des Sulfonals zu betrachten, dass es die
Respiration, Circulation und Verdauung nicht
ungünstig beeinflusst. 4. Erbrechen und
leichte Diarrhoe wurden in wenigen Fällen
nach dem Gebrauch von Sulfonal beobachtet.
5. Ebenso traten zuweilen Schwindel, Gefühl
von Trunkenheit und Gleichgewichtsstörung
auf. Daher dürfte die Anwendung des
Mittels in Fällen von congestivem Irresein
zu vermeiden sein. 6. Die diure tische Wir-
kung des Mittels ist zweifellos festgestellt,
aber ohne Bedeutung. 7. Die beruhigende
Wirkung am Tage ist unzuverlässig. Tritt
sie ein, so macht sich Schläfrigkeit bemerk-
bar, die durch Verringerung der Dosis ver-
mieden werden kann. 8. In dosi refracta
wirkte Sulfonal bei einem Individuum am Tage
gar nicht und in der Nacht war die Wir-
kung zweifelhaft. 9. Kranke, die das Mittel
einen Tag um den andern erhielten, zeigten
in der Hälfte der Fälle ein ruhiges Ver-
halten während der sulfonallosen Nächte.
10. Bei Geistesgesunden scheint Sulfonal in
der That normalen, festen Schlaf, ohne
störende Nebenerscheinungen, zu bewirken.
Daher ist das Mittel in Fällen von nervöser
Schlaflosigkeit zu empfehlen.
{Annal€8 med. pttycholog. 1889 No. 1 und 2.) B.
Ueber die Wirkung übermässiger Dosen von
Sulfonal. Von Dr. F. Fischer (lllenau).
Als Nebenwirkungen des Sulfonals sind
verschiedentlich Eingenommenheit des Kopfes,
protrahirte Schläfrigkeit, leichte Benommen-
heit, Mattigkeit, Schwindel, Uebelkeit, Er-
brechen gesehen worden. Bornemann hat
taumelnden Gang, Ataxie, Illusionen, ängst-
liche Erregtheit sowie schnell vorübergehende
Bewusstseinsstörung in einem Falle be-
schrieben (D. Med.-Ztg. 1888 No. 85). Die
Beobachtung F. 's betrifft einen 36 j., an
acuter hallucinatorischer Morphium-Cocain-
Paranoia leidenden Mann, der vor seiner
Aufnahme in die Anstalt wohl 10 — 15 g
Sulfonal pro die verbraucht und in der-
selben 1 — 2 g einige Tage hindurch erhalten
hatte, während gleichzeitig die Morphium-
dosis (Cocain war gleich entzogen worden)
jeden Tag um 1 — 2 cg vermindert wurde.
Dabei entwickelte sich folgender Zustand:
Pat. ging unsicher, taumelte wie ein Be-
trunkener oder Atactischer herum, so dass
er sich an den Wänden halten musste.
Die Ataxie breitete sich auch über die
oberen Extremitäten aus, die Schriftzüge
glichen denen eines Atactischen. Die Sprache
wurde sehr erschwert, undeutlich, das Be-
wusstsein gestört. Unmittelbar nach einer
Morphiuminjection oder nach Alkoholgenuss
erschien die motorische Störung vermehrt,
auch war das Gehen im Dunkeln unsicherer
als bei Beleuchtung. Mit dem Aussetzen
in. Jabrgftng.l
Jall 1889. J
Refermte.
333
des Sulfonals verlor sich die Bewegungs-
uDd Bewusstseinsstörung Dach und nach.
Die Sehnenreflexe waren wie im Borne-
mann "sehen Falle erhalten. Verf. hat
übrigens selbst bei 4 g Sulfonal sonst nie
solche Erscheinungen gesehen, bestätigt
Tielmehr den günstigen hypnotischen Erfolg
desselben bei nervöser Schlaflosigkeit. Viel-
leicht hat es sich in dem obigen Falle um
eine gehäufte Wirkung des Mittels gehan-
delt, da wegen "Weigerung des Patienten
die von Käst angegebene Darreichungsweise
(fein pulverisirt in wenigstens 200 g warmer
Flüssigkeit in den frühen Abendstunden),
wobei Lösung und Resorption am raschesten
erfolgt, nicht innegehalten werden konnte.
(Neurol Centralbl. 1889 No, 7.) Krön.
Ueber die Anwendung von Antifebrin bei Angina.
Von Dr. W. Sahli (Langenthai).
An sich selber und bei vielen anderen
Fällen von Angina und Diphtherie hat S.
Antifebrin in vorsichtigen Gaben mit recht
gunstigem Erfolge angewandt. Er ist weit
davon entfernt, im Antifebrin ein Specificum
gegen Angina oder gar Diphtherie anzusehen.
!Nur gegen die subjectiven Beschwerden dieser
Affection leistet das Mittel ausgezeichnete
Dienste, und damit ist schon recht viel ge-
wonnen. Er nahm selber bei Angina mit
hohem Fieber 3 Mal täglich 0,25 und hatte
alsbald weniger von dem quälenden Schlucken
zu leiden und guten Schlaf. Er verabfolgt
das Antifebrin als Schüttelmixtur mit Spiri-
tuszusatz und einem beliebigen Syrup.
Trotz vielfacher Anwendung des Mittels hat
er — im Gegensatz zum Antipyrin — nie-
mals unangenehme Nebenerscheinungen beob-
achtet.
{Corresp.-Bl.Jur Schweizer Aerzte 1889 No. 12.)
R.
(Aiu der medicin. Abtheilnng des Prof, Dräsche im k. k.
allgem. KrankcnhauBe in Wien.)
Ueber die Wirkung des Pyrodins. Von Dr. Th.
J. Zerner, Secundärarzt der genannten Ab-
theil UDg.
Bereits bei der ersten Empfehlung des
Pyrodins hatte Dreschfeld auf die toxi-
schen Eigenschaften des neuen Mittels auf-
merksam gemacht und zur Vorsicht bei der
Anwendung desselben gemahnt (s. Therap.
Monatsh. 1888 S. 557 und 1889 S. 23).
Die seitdem mit dem Mittel gemachten Er-
fahrungen haben die Berechtigung dieser
Tarnung dargethan und die von Zerner
an 53 Kranken gesammelten Beobachtungen
weisen so ungünstige Resultate auf, dass
das Pyrodin als Antipyreticum und über-
haupt als innerliches Mittel als abgethan
betrachtet werden kann.
Wenn auch die "Wirkung auf die fieber-
haft erhöhte Körpertemperatur in den meisten
Fällen eine sehr energische war und stets
ohne Collaps erfolgte, so bot die Anwendung
des Pyrodins gegenüber den anderen Anti-
pyreticis doch keine Vortheile dar, welche
die Gefahren einer Intoxication durch das
Mittel aufwiegen und die Verwendung in
der Praxis rechtfertigen könnten.
Die Temperaturerniedrigung trat, meistens
unter profusen Schweissen, bereits nach einer
halben Stunde ein und erreichte in zwei bis
drei Stunden ihr Minimum. Nach weiteren
zwei bis drei Stunden hatte die Temperatur
die ursprüngliche Höhe wiedererlangt.
Die Respirationsfrequenz wurde nur in
einigen Fällen, die Zahl der Pulse unter
gleich zeitiger Erhöhung der Spannung meistens
herabgesetzt. Ein wohlthuender Einfluss auf
das subjective Befinden machte sich nur aus-
nahmsweise geltend, und ebensowenig zeigte
sich eine günstige Einwirkung auf die Dauer
der Krankheit, ja es schien sogar der Krank-
heitsverlauf unter Pyrodinanwendung ein
schwererer zu sein als bei den exspectativ
behandelten Fällen.
Was die Wirkung bei verschiedenen
Krankheiten betrifft, so gelang es beim Ery-
sipel nur selten, die Temperatur um mehr
als l^C. herabzudrücken. Am intensivsten
und sichersten war die Wirkung bei tuber-
culösen Processen. Bei Gelenkrheumatismus
erfolgte oft ein ganz bedeutender Temperatur-
abfall, jedoch ohne wesentliche Beeinflussung
der Schmerzen.
Die Wirkung als Antineuralgicum war
unsicher. Am meisten leistete das Mittel
in Dosen von 0,3 g bei Hemicranien und
nach Excessen in baccho.
Vergiftungserscheinungen, welche constant
nach grösseren Gaben auftraten , aber auch
durch Dosen hervorgerufen werden, welche ge-
ringer sind, als die von Dreschfeld angege-
bene Maximaldosis 0,2 g, erfolgten in 9 Fällen
(6 Typhus abdominalis, 1 Pneumonie, 2Tuber-
culose) und waren 6 Mal schwerer Natur.
Die Patienten waren apathisch; es trat be-
deutende Prostration auf. Die Scleren waren
tief icterisch, die allgemefne Hautdecke sub-
icterisch geförbt: Nase, Wange und Finger-
spitzen zeigten bleigraue Färbung. Der Puls
wurde beschleunigt, zeitweise unregelmässig,
klein und schwach, die Respiration beschleu-
nigt, in einigen Fällen auffallend verlang-
samt. Der anfangs rothgelbe, später dunkel-
rothe Urin wurde bei den schweren Intoxi-
cationen braun und massig getrübt, enthielt
gelösten Blutfarbstoff, Urobilin, Albumin,
hyaline, granulirte und Epithelialcylinder,
Lymphzellen und vereinzelte rothe Blut-
334
Refermte«
rlxerApcnfiadift
Monatabefte.
korpercheo. Gallensäuren waren nicht vor-
handen. £iBe der Fingerkuppe entnommene
Blutprobe zeigte unter dem Mikroskop mangel-
hafte Geldrollenbildung und eine grosse An-
zahl theilweise oder ganz entfärbter Blut-
körperchen (Schatten). In den schweren
Fällen bestand deutlich ausgesprochene
Poikilocytose. Der Hämoglobingehalt (ge-
messen mittelst des FleiscbTschen Hämo-
meters) war verringert. Was den weiteren
Verlauf betrifft, so verschwand zunächst der
Blutfarbstoff aus dem Urin, dann das Albu-
min, am längsten dauerte der Icterus. Die
Dauer der Intoxicationserscheinungen betrug
8 — 12 Tage; in einem Falle (Typhus) konn-
ten noch 3 Wochen lang Albumin und
Nierency linder im Harn nachgewiesen werden.
Es geht hieraus hervor, dass das Pyro-
din zu den Blutgiften zu rechnen ist. Wenn
die geschilderten schweren Vergiftungserschei-
nungen auch nur an schwer fieberhaft er-
krankten Individuen beobachtet wurden, so
lässt der Umstand, dass Vf. bei sich selber
nach zwei innerhalb 18 Stunden genommenen
Dosen von 0,4 g Eingenommensein des Kopfes,
allgemeine Mattigkeit und Brustbeklemmung
constatirte, sowie der Nachweis von Met-
hämoglobinämie bei gesunden Kaninchen zur
Vorsicht auch bei Nichtfiebemden und Ge-
sunden mahnen.
Bei Typhus hält Z. die Anwendung für
verwerflich, bei Pneumonie, Scharlach, Masern
für überflüssig. Bei Tuberculose und an-
deren chronisch verlaufenden fieberhaften
Krankheiten wird der Gebrauch dadurch ein-
geschränkt, dass es nur wenige Tage hinter-
einander angewendet werden kann. Bei Ge-
lenkrheumatismus steht Pyrodin dem salicyl-
sauren Natron nach.
Als Einzel- und Tagesgabe bezeichnet
Vf. 0,2 g, höchstens 0,3 g.
{CtrlbL f. d. ges. Therapie 2889. Heß 3,) rd,
Behandlung der Hydropsie mit Calomel. Von
Dr. Colombo (Aubervilliers).
C. berichtet über einen Fall, in dem
eine Frau von einem organischen Herzleiden
befallen und bereits in das letzte Stadium
mit Anasarka und Asystolie gelangt war.
Mit Digitalis und Strophanthus war kein
diuretischer Effect mehr zu erzielen. Es
wurde Calomel in Pulvern von 0,2 täglich
3 Mal zu nehmen verordnet und diese Me-
dication 3 Tage lang fortgesetzt. Um
Salivation zu verhüten, Spülung des Mundes
mit Kali chloricum. Darauf wurde das Mittel
4 Tage ausgesetzt und dann wieder von
Neuem wie vorher gebraucht. Am 9. Tage
trat starke Diurese ein. Nach 3 Wochen
dieser Behandlung war die hydropische
Anschwellung verschwunden und das Allge-
meinbefinden ein gutes. Verf. glaubt daher,
dass Calomel anzuwenden sei, wo Digitalis
und Strophanthus ihre Wirkung versagen.
{Remie g4n. de CUniq. et de Thirap. 1889 Ho. 24,)
Dr. Ciaret (Csry).
Ueber die diuretische Wirkung der Virga aurea.
Von Dr. L. Roche (Torsey).
Verf. macht darauf aufinerksam, dass
die Virga aurea durchaus kein neues Mittel
ist. Dr. Du che senior betrachtete dieselbe
schon 1886 als ein ausgezeichnetes Diureti-
cum. Er Hess seine Patienten täglich ein
Infus von 16,0 — 30,0 der Blätter auf ein
Liter Wasser glasweise zweistündlich nehmen.
Nach Verlauf von 48 Stunden trat die
diuretische Wirkung ein. (Nach mir per-
sönlich von Herrn Dr. Rabow gemachten
Mittheilungen hat derselbe die oben ge-
nannte Pflanze schon seit länger als 12 Jahren
mit gutem Erfolge vielfach, besonders bei
Hydropsien, als diuretisches Mittel verordnet.
Er hat die Solidago Virg. aurea auch oft in
Combination mit Digitalis — im Infus —
gegeben. Uebrigens hat schon Rademacher
die diuretische Wirkung dieser Pflanze ge-
kannt; auch ist dieselbe in manchen Ge-
genden Ostpreussens seit sehr lange als
Volksmittel gegen Wassersucht in Gebrauch.)
(Revue gSn. de Therap. 1889 No. 24.)
Dr. Ciaret {Cgry).
Ueber Jodbehandlung bei Cardiopatliien. Ein
neues Diureticum: Virga latifolia. Von Dr.
Mascarel.
Verf. beschäftigt sich mit der Behand-
lung der Cardiopathien mittelst Jod, und
erinnert an ein Arzneimittel , welches neuer-
dings zu sehr ausser Acht gelassen wird.
Dies ist die Virga latifolia, ein diureü-
sches Agens.
M. verordnet Jodkali in den Dosen von
1 g täglich in der ersten, 2 g in der zwei-
ten, 3 g in der dritten Woche. Dann unter-
bricht er diese Medication während einer
Woche, um dieselbe in der fünften in der-
selben Weise wieder zu beginnen. Diese
Behandlung, während mehrerer Jahre fort-
gesetzt, vermindert in erheblicher Weise die
Anfalle von Dyspnoe, welche ihren Ursprung
in einer Herzaffection haben. Der Einfluss
dieser Medication auf die Endocarditis scheint
zweifellos. — Was die Solidago virga
aurea betrifft, so zerstosst er die Pflanzen
sammt Blätter, Blumen und Stengel su
Pulver und verordnet davon einen Theeloffel
voll, vermischt mit einem leicht gezuckerten
frischen, rohen Ei am ersten Tage. Am
zweiten Tage 2 gleiche Dosen, am dritten
HL J«hrgaaff.l
Jnli 1889. J
Reformttt«
Sä5
3 Dosen u. 8. w. bis zum siebenten Tage,
jeden Tag um eine Dosis steigend. Dabei
muss die Verstopfung bekämpft werden.
{Revue gen. de CUmque et de TlUrap, 1889. No. 22.)
Ciaret {Cery).
Ueber die Punction des Darms bei Darmver-
schluss. Von Prof. 0. Rosenbach.
Gegen die Methode der Darmpunction
bei Ileus wird wesentlich geltend gemacht,
dass sie erstens gefahrlich sei und zweitens
nicht Genügendes leiste, da sie nur sympto-
matisch wirke.
Thatsächlich ist aber noch niemals durch
die Darmpunction eine Infection des Perito-
neums erfolgt, und es ist auch theoretisch
nicht einzusehen, weshalb die Punction des
Darmes und selbst eines sehr gespannten
Darmes mit der Canüle einer Pravaz' sehen
Spritze unter den nothigen Cautelen eine
Infection herbeifuhren sollte. Man verwen-
det eine möglichst spitze, dünne, 4 — 5 cm
lange Canüle. Man sticht die Canüle mit
aufgesetzter Spritze und hineingestossenem
Stempel nach der üblichen Reinigung der
Bauchdecken langsam in den Darm und ent-
fernt nachher die Spritze. Als Einstich-
stelle wählt man am besten die obere Hälfte
des Abdomens oberhalb der Nabelliuie; auch
suche man sorgföltig die prominenteste Stelle
aus. Falls überhaupt kein Gas ausströmt,
oder das Ausströmen nach einiger Zeit
sistirt, so kann man die Spritze aufsetzen
und durch Ansaugen das Ausströmen des
Gases befördern. Wird durch die Punction
nicht eine genügende Menge Gas entleert,
so kann man das Verfahren an einer anderen ,
oder mehreren anderen Stellen des Darmes
wiederholen.
Vor Entfernung der Canüle wird die
Spritze aufgesetzt und zur Reinigung etwas
Carbol- oder Jodoformlösung in den Darm
eingespritzt. Alsdann wird die Canüle bei
geschlossener Spritze entfernt.
Was den zweiten Einwand betrifft, so
ist zu bemerken, dass die Punction sicher-
lich eine direct causale Wirkung ausübt,
indem sie der Darmlähmung Yorbeugt und
für alle Fälle operativ zu behandelnde oder
der Selbstentwickelung überlassene, durch
Entlastung des Darmes und Verminderung
des intraabdominellen Druckes günstigere
Verhältnisse schafft.
Vf. schildert sodann 4 Krankheitsfälle;
in den beiden ersten Fällen wurde durch
die Punction vollständige Heilung herbei-
geführt; in den beiden andern Fällen, die
unheilbar waren, da es sich bei dem einen
wahrscheinlich um einen malignen Tumor
des Coecum^ bei dem andern um eine grosse
bis unter die Leber reichende, von mehr-
fachen Perforationen des Coecum ausgehende
Jauchehöhle handelt, wurde eine sehr we-
sentliche Verbesserung des subjectiven Be-
findens und eine Verlängerung des Lebens
erzielt.
{Berl klin. Wochentchr. 1889 8. 370.)
Schmey {BenUhen 0.-8.).
Die Wiederherstellung der Harnblase. Experi-
mentelle UntersuchnjigeD von Prof. Tizzoni
und Alfonso Foggi.
In Rücksicht auf die bisherigen mangel-
haften Erfolge, die man allein schon bei
den Versuchen, den Harnleiter auf eine an-
dere Stelle der Harnblase oder auf das Rec-
tum zu verpflanzen, gehabt hat, haben die
Verfasser die viel weiter gehende Idee, näm-
lich eine ganz neue Blase an Stelle der ex-
stirpirten zu setzen, zur Ausführung zu brin-
gen unternommen.
Zu dem Zwecke haben sie bei einer
etwa 2 Mon. alten Hündin aus einer Dünn-
darmschlinge ein ungefähr 7 cm langes Stück
resecirt, dasselbe zunächst noch mit dem
Mesenterium in Verbindung gelassen, den In-
halt entleert und die Schleimhaut mit Carbol-
wasser abgespült, die Enden mit je einer
Schlinge befestigt und das eine Ende vor-
läufig vom am Blasenhalse befestigt. Die
beiden durchtrennten Darmabschnitte wurden
hierauf durch eine Kreisnaht vereinigt und
die Bauchwunden geschlossen. Am nächsten
Tage wurde in der Operation fortgefahren,
indem nun die XJreteren von der Blase ge-
löst, die letztere vom Blasenhalse abge-
tragen, die isolirte, inzwischen sehr zusam-
mengeschrumpfte Darmschlinge an dem einen
Ende mit dem Blasenhalse ringsum vereinigt,
die XJreteren seitlich in die Wände dieser
Schlinge eingepflanzt und die Bauchwunde
wiederum geschlossen, nachdem noch ein
elastisches Rohr in der neuen Blase und in
der Harnröhre wohlbefestigt zurückgelassen
war. Der Erfolg war ein durchweg befrie-
digender. Die anfangliche Harnincontinenz
hörte schon nach 14 Tagen auf und der
Hund war später im Stande, den Urin sogar
im Strahle zu entleeren. Die Verfasser
hoffen, künftighin die Operation in einer
Sitzung auszufahren (es könnte ja, während
der eine Operateur den resecirten Darm ver-
einigt, der andere sich mit der Implantation
der excidirten Schlinge beschäftigen! Ref.)
und beabsichtigen, über das weitere Studium
des Falles in einer ausführlichen Arbeit zu
berichten.
(CentraUflfür Chh-urgie 1888 No. SO.)
Freier {SUtUn).
ä36
Refermte.
tTherApenUscbo
Monatahefttt.
Incarceratio interna — Laparotomie — Regulini-
sches Quecksilber. Von Dr. Gelpke, Gelter-
kieden.
Auf Grund mehrerer Fälle innerer In-
carceration, von denen 2 operativ und 2
medicamentös behandelt wurden, glaubt Yerf.
die Anwendung des regulinischen Queck-
silbers wieder empfehlen zu sollen, trotzdem
dass in dem einen Falle in Folge nur theil-
weiser Ausscheidung des Quecksilbers ,,nicht
unbedenkliche Erscheinungen chronischer
Merkurvergiftung" wohl ein halbes Jahr
lang bei dem Patienten bestehen blieben. —
Bei gleichzeitiger Anwesenheit einer Hernie
empfiehlt Verf., den Bauchschnitt von
der Bruchpforte ausgehen zu lassen,
weil in den beiden operirten Fällen die
innere Incarceration sich in der Nähe der
Bruchpforte befand. Jedenfalls soll der
Laparotomie eine medicamentöse Behand-
lung, vor allem die mit regulinischem Hg,
vorangehen.
{Correspondentblf. Schweizer Aerzte, 1889t No. 2.)
f\reyer (SUtfin).
Beitrag zur Behandlung der gangränösen. Her-
nien und des widernatOrlichen Afters. Von
Dr. Carl Koch in Nürnberg.
Auf Grund eigener Erfahrungen ist Verf.
zu dem Resultat gelangt, dass in Fällen
gangränöser Hernien stets die Anlegung
eines künstlichen Afters zu inten-
diren sei. Ist diese auch nicht ganz frei
von Gefahren, so sei die Gefahr der Pri-
märresection doch viel grosser noch, weil es
zu unsicher ist, das entzündlich infiltrirte
und inficirte Gewebe vollkommen zu ent-
fernen, während bei Anlegung des künst-
lichen Afters es meistens gelingt, nach Aus-
räumung aller Wundbuchten eine antisep-
tische Behandlung durclizuführen. Den gan-
gränösen Darm räth Verf. antiseptisch um-
hüllt und einstweilen un eröffnet aussen
liegen zu lassen. Die Heilung des wider-
natürlichen Afters tritt zuweilen spontan
ein, oder sie gelingt meistens nach Besei-
tigung des Sporns oder durch theil-
weise oder vollständige Continui-
tätsresection. Hauptsächlich auch vom
practischen Standpunkte aus und ganz be-
sonders für die Privatpraxis sei die Anlegung
des widernatürlichen Afters im Gegensatz zu
der Primärresection als das Normal verfahren
bei brandigen Brüchen anzuempfehlen.
{München, med. Wochenschr.j 1888, No. 62.)
Frey er {Stettin).
Die Indication der Ovariotomie und der Myomo-
tomie. Nach einem Vortrage von Professor
Dr. Hermann Loehlein (Gieseen).
Während die Fragen der Technik, ob
intra- oder extraperitoneale Stielversorgung
im Kreise der Specialisten erörtert werden
müssen, nimmt die Frage von der Indication
der beiden Operationen in hohem Maasse
das Interesse der weitesten ärztlichen Kreise
in Anspruch. „Jeder Arzt wird sich den
Vorwurf ersparen wollen, günstige Verhält-
nisse für die operative Entfernung einer in
ihrer weiteren Entwickelung das Leben be-
drohenden Neubildung versäumt zu haben,
ebenso aber auch den andern, dass er, einer
momentan gesteigerten Operationslust folgend,
wegen Beschwerden, die sich auch ander-
weitig bessern oder beseitigen liessen, einen
gefährlichen Eingriff angerathen oder unter-
nommen habe."
Was nun zunächst die Ovariotomie be-
trifft, so kann man von ihr mit Schroeder
sagen, dass sie überall indicirt ist, wo ein
Tumor ovarii nachgewiesen ist, es sei denn,
dass es sich um maligne Geschwulstbildungen
handelt, die nicht mehr auf das Ovarium
beschränkt sind und eine radicale Entfernung
nicht mehr zulassen. Die früher angeführten
Contraindicationen: gleichzeitig bestehende
Schwangerschaft, Eiterung in der Cyste,
complicirende Peritonitis sind als solche nicht
mehr zu halten, fordern vielmehr theil weise
sogar zu unverzüglicher Vornahme der
Operation auf. Bei der Frage, welche Grösse
ein Neoplasma erreicht haben müsse, um
die Ovariotomie zu erheischen und ob auch
kleinere Tumoren vielleicht, um ihrer selbst
willen, die Operation anzeigen, hat das ent-
scheidende ürtheil die Statistik gesprochen,
welche nachgewiesen hat, das in 6, ja selbst
in 5 Fällen einmal die Diagnose Tumor ovarii
gleichwerthigmit der Diagnose Tumor malignus
ist. Und da wir im vorliegenden Falle oft
nicht exact entscheiden können, ob wir einen
bösartigen Tumor vor uns haben, da femer,
auch abgesehen hiervon jede als cystiscb
überhaupt zu erkennende Eierstockgeschwulst
sicher und unaufhaltsam, bald langsam, bald
schneller wächst und einerseits mit ihrem
Wachsthum, sei es durch Peritonitis, Stiel-
torsion u. 8. w., sei es durch die mechanischen
Folgen ihrer Ausdehnung das Leben der
Patientin in der Regel direct gefährdet, oder
andererseits durch lästige Druck erscheinun gen
und nachtheiligen Beiz auf die Nachbarschaft
eine symptomatische Indication zur Operation
stellen kann, und da wir schliesslich und
das ist das Wichtigste, mit Einführung der
Antisepsis zur Zeit 95% und mehr Heilungen
zu verzeichnen haben, so erscheint die In*
dication der Ovariotomie durch den einfachen
Nachweis von Ovarialtumoren, auch kleinen,
jedem Zweifel entrückt. Natürlich ist zu ver-
langen, dass dieser Nachweis bei den kleinen
Tumoren besonders grundlich geführt wird
in. Jfthrgsn^.'l
Jnli 1889. J
R«fento.
337
und durch wiederholte Untersuchung und
Yergleichung nach jeder Richtung hin ge-
sichert ist.
In vielen Punkten von der Ovariotomie
abweichend, stellt sich die Betrachtung der
durch üterusmyome bedingten Indication
zur Laparotomie. Der Grund liegt in der
pathologischen Bedeutung der Myome, welche
eine so verschiedene ist, dass die Ent-
scheidung nur für jeden einzelnen Fall, nach
seinen Beschwerden und Erscheinungen, ge-
troffen werden kann. Bekannt ist, dass nach
Hofmeier^s grösseren Zusammenstellungen
für die deutschen Operateure bei der Myomo-
tomie auch heute noch bei der intraperito-
nealen Methode 25% bei der extraperitonealen
14% Todesfölle vorkommen. Bei solcher
Grösse der ungünstigen Zahlen kann nur
ein Punkt bestimmend für die Häufigkeit der
Operation sein, nämlich der, ob — wie in
den letzten Jahren mehrfach behauptet ist
— die Myome eine ausgesprochene Anlage
zur malignen Entartung selbst haben oder
ob sie durch ihre Gegenwart die Schleimhaut
des Uterus zu maligner Entartung dis-
poniren. Beides kann nicht zugegeben werden.
Die Statistik der letzten Jahre gewährt
durchaus keinen Anhalt für die pathoge-
netischen Beziehungen der beiden Geschwulst-
arten und Wyder's Untersuchungen, die
bis jetzt keine Berichtigung erfahren haben,
zeigen, dass die bei Myomen auftretende
Endometritis glandularis den Vorwurf der
Malignität nicht verdiene. Daraus ergiebt
sich, dass wir zur Zeit nicht berechtigt
sind, die Exstirpation eines Myoms aus dem
Grunde vorzunehmen, weil es der Ausgangs-
punkt maligner Erkrankung für die Frau
werden könnte, dass wir im Gegentheil aus
den Symptomen die Thdication zur Myomo-
tomie entnehmen dürfen.
Lassen wir also die Symptome ent-
scheiden, so dürfte die Indication als un-
anfechtbar gelten l) bei mächtiger Ent-
wrickelung der Myome, namentlich auch
cystischer, die durch ihre Grösse Störungen
der Circulation und Respiration bedingen,
2) bei auffallend schnell wachsenden Myomen,
3) bei bedenklichen Druckerscheinungen seitens
der Geschwulst (Ureterencompresson, Tuben-
hämatom u. s. w.), 4) bei fieberhaften Er-
scheinungen, die auf Vereiterung oder Ver-
jauchung des Tumors oder doch einzelner
Knollen desselben zurückzuführen sind, 5) bei
Hydrops ascites.
Schwierig ist, dem Vorstehenden gegen-
über die Indication nur zu fi xiren bei den
häufigsten und so unendlich verschieden auf-
tretenden Symptomen: den Blutungen und
Schmerzen. Bezüglich der Blutungen ist
hervorzuheben, dass sowohl Ergotin (subcutan
oder mit gleichem Erfolg per rectum, als
Halbklystiere oder als Suppositorien), wie
Extr. Hydrast. Ganad. (6 — 10 Tage vor
dem berechneten Termin der nächsten Menses
2 — 3 mal tgl. 30 Tr.) in einer ganzen Reihe
von Fällen einen eclatanten Einfluss zu
Tage treten lassen und mithin nie unversucht
bleiben dürfen, bevor man allein auf das
Symptom der Blutungen hin an die Myomo-
tomie denkt.
Ist die Wirkung dieser Mittel nicht ge-
nügend ausgesprochen, so kommt die Abrasio
mit sich anschliessenden Injectionen von
Tct. Jodi oder noch zweckmässiger mit
Liq. ferri in Betracht, die oft auf Jahre
hinaus die Endometritis corporis haemor-
rhagica zu bekämpfen im Stande ist.
Kehren auch hier die Blutverluste hart-
näckig wieder und bilden sich die Er-
scheinungen der Anämie aus, dann ist Gefahr
im Verzuge und die Entfernung des Myoms
mit oder ohne Exstirpation des Uterus ge-
boten. Beeinflusst wird die Entscheidung
werden, einmal durch die voraussichtlich
grössere oder geringere Schwierigkeit der
Operation, dann durch das Alter der Kranken
und endlich durch die sociale Stellung, von
welchen Punkten besonders der letztere oft
von durchschlagender Bedeutung ist.
Die Rücksicht auf die sociale Stellung
lässt auch bezüglich der von dem Myom
ausgehenden Schmerzen bei Frauen der
arbeitenden Klasse, die hierdurch erwerbs-
unfähig gemacht werden, die Radical Operation
zeitiger ins Auge fassen, als bei Gut-
situirten, welche durch ausgiebige Ruhe, den
Gebrauch von Kreuznach und überhaupt von
Soolbädern, durch Anwendung massiger Dosen
narkotischer Mittel, durch gutgewählte
Lagerung, Leibbinden, passende Pessarien
u. s. w. oft lange Zeit hindurch genügende
Linderung finden können. Natürlich kann
aber auch den Bestsituirten durch wieder-
kehrende Schmerzempfindungen das Leben
so verbittert werden, dass sie lieber eine
gefährliche Operation wagen, als ewig hilfs-
bedürftig erscheinen zu wollen.
Wo plötzlich heftige Schmerzen an
einer beschränkten Stelle eines grössern
Tumors auftreten, nachdem überhaupt oder
längere Zeit kaum über Schmerzempfind ungeu
geklagt wurde, wird die Annahme einer
Vereiterung oder einer sarcomatösen Ent-
artung hervortreten und zu raschem Handeln
drängen.
(Berliner Klinik 1889. Heft 2.)
G. Peters {Berlin),
43
338
ROPKAttt*
rlierap^ntladie
Monateheft«.
Ueber die galvanokaustiachQ Heilung der follicu-
lären Bindehautentzündung. Von Oberstabs-
arzt Burchardt (Berlin}.
Um möglichst schnell eine Heilwirkung
bei echter foliiculärer Bindehautentzündung
herbeizuführen, behandelt Yerf. m einer
Sitzung möglichst viele Follikel (bis 88) gal-
yanokaustisch. £s tritt danach nur eine
massige Schwellung der Schleimhaut auf.
Bei lebhafter Entzündung der Conjunctiva
lässt B. erst die Reizerscheinungen abklingen,
weil alsdann erst die tief in der Bindehaut
liegenden Follikel wahrgenommen und zer-
stört werden können. Die galvanok austische
Operation wird etwa alle 8 Tage wiederholt,
um den Rest der kranken oder wieder-
gewucherten Follikel zu yernichten. Das
Auge wird cocainisirt. Um die Zerstörung
gut zu begrenzen und die Granulationen
sicher zu treffen, benutzt B. einen möglichst
kurzen und dünnen (^s mm) Platindraht.
Nach der galyanokaustischen Sitzung wird
mit Cuprumstift oder ^/s **/o Kupfersulfat-
lösung leicht nachgeätzt, alsdann fein ge-
pulvertes Jodoform täglich 1 — 2 Mal in den
Bindehautsack eingestreut.
Bei etwa 60 Fallen echter foliiculärer
Bindehautentzündung wurde bei den meisten
in 6 — 8 Wochen durch diese Behandlung
Heilung erzielt. Diese kommt in frischen
Fällen so prompt zu Stande, dass Schrum-
pfungen der Bindehaut und Pannus gänzlich
vermieden werden.
{Dttoh. Milit&rärztl ZeiUchr. t889. H. 4.)
J. Rulumann {Berlin),
ZvLT Behandlung der Psoriasia, insbesondere mit
Hydroxylaminum muriaticum. VonDr.Fabry
(Bonn).
Nach Beseitigung der Schuppen wurde
obengenanntes Mittel in spirituöser Lösung
IV Hydroxylamin. mur. 0,2 — 0,5
Spirit. vin. 100,0.
Calcar. carbon. q. s. ad neutr.
S. Zum Pinseln;
oder als hydropathischer Umschlag in
wässeriger Solution:
IV Hydroxylamin. mur. 1,0
Aq. fontan. 100,0.
Calcar. carbon. q. s. ad neutr.
S. Zu Umschlägen
auf der Bonner Klinik zur Anwendung ge-
zogen. Zum Vergleich wurden auch mehrere
Patienten mit Pyrogallus, Anthrarobin und
grossen innerlichen Jodkaliumdosen behan-
delt, sodass bei einigen auf der einen Seite
Pyrogallusspiritus, auf der anderen gleich-
zeitig Hydroxylamiu verwendet wurde. Be-
handelt wurden im Ganzen 12 Männer und
12 Frauen, und zwar 4 bis 6 Wochen lang
bis zum völligen Schwinden der Flecken.
Betreffs der Versuchsergebnisse führt F. eine
bereits von Doutrelepont gemachte Notiz
an, dass das Medicament „sich bei Psoriasis
wie die bis dahin gebrauchten reducirenden
Substanzen verwerthen lässt; es scheint in
der Intensität der Wirkung dem Chrysarobin
und der Pyrogallussäure nicht nachzustehen
und hat den nicht genug zu schätzenden
Vorzug, Körper und Wäsche nicht zu fai>
ben. Man muss bei dem Gebrauch dieses
Mittels vorsichtig sein, weil es wegen seiner
starken Giftigkeit das Allgemeinbefinden
ernstlich alteriren kann ; bei manchen Patien-
ten ist die Application so schmerzhaft, dass
die Einleitung einer anderen Therapie ab-
solut erforderlich wird ; das lässt sich jedoch
vermeiden, wenn man in dem einen Falle
die Au fpin seiungen , in dem anderen die
Application der Umschläge nicht zu lange
fortsetzt, wenn wir beim Auftreten der ge-
ringsten Reizerscheinung eine andere, reiz-
mildernde Therapie an die Stelle treten
lassen, indem wir entweder Aufstreuen von
Salicylpuder, Anwendung von 0,1 ®/o Salicyl-
säureumschlägen oder Einreibung der ge-
reizten Stellen mit 10% Zinklanolinsalbe
anordnen.^ Ist unter dieser Behandlung
Reizung und Schmerz der afficirten Stellen
geschwunden, so kann das Hydroxylamin
wieder verwendet werden.
{Arch, f. Dermatol u. Stfph. 1889. 2, Hrfi.)
George Meyer {Berlin),
Eine Form von wucherndem und atrophischem
Femphygus nach Jodgebrauch. Von Dr.
Hallo peau (Paris).
Ein 42 jähriger Mann litt an einem eigen-
thümlichen Ausschlag des ganzen Körpers:
Narben, Neubildungen mit Krusten von ver-
schiedener Gestalt und Farbe ; Missgestaltung
der Nase; am linken Auge Staphylom und
hintere Synechie, am rechten leichte Horn-
hauttrübung. Im Harn Eiweiss. Husten
und Auswurf. In den Lungen LO Dämpfung
und Rasseln. Pat., der angeblich vor
20 Jahren eine Sclerose gehabt, erhielt
pro die 1 g Kai. jodat. Der Gebrauch des
Mittels erzeugte bei dem Manne jedesmal
einen eigenthümlichen bullösen Ausschlag
mit nicht schwindenden Narben. Somit war
die Natur jenes ersten Exanthems festgestellt.
Verf. stellt folgende Schlusssätze über diese
sonderbare Affection, ihre Entstehung und
Verbreitung auf:
1. Die nach Jodgebrauch entstehenden
bullösen Ausschläge können bei dazu ver-
anlagten Personen unzerstörbare Narben
m. Jalirgsng.'l
JaU 1889. J
R«fermt0.
339
hinterlassen nnd sicli mit einer Zellgewebs-
nnd Epidermiswacherung vergesellschaften,
die sich in Neubildungen äussert, die ge-
wöhnlich kreisförmig angeordnet und den
Condylomen ähnlich sind.
2. Sie können Conjunctiya und Cornea
befallen und so Blindheit hervorrufen.
3. Die darnach entstehenden Narben
sind gewöhnlich leicht eingedrückt, farblos,
von runder oder polycyklischer Gestalt; sie
können den Eindruck hervorspringender
Bänder machen oder sich retrahiren und so
dem Gesicht das Aussehen wie bei altem
Lupus verleihen.
4. Das Auftreten der Blasen ist von
Fieber und Durchfall begleitet.
5. Die Idiosynkrasie, welohe diese Re-
action bedingt, kann allmählich bei Indivi-
duen sich ausbilden, welche während langer
Zeit das Mittel ohne oder mit nur geringen
Beschwerden gebraucht haben.
6. Sie wird vielleicht durch bestehende
Albuminurie begünstigt.
7. Entgegen der gewöhnlichen Ansicht
muss man, wenn sich die Erscheinungen bei
einem mit Jodkalium behandelten Syphili-
tiker zeigen, viel eher als bei einem mit
Quecksilber behandelten Individuum sich
fragen, ob die Symptome von der Krankheit
oder von dem Mittel herrühren.
8. Die pathologische Wirkung des Jods
erstreckt sich nur auf kurze Zeit.
9. Bromkalium kann von einer Person
gut vertragen werden, welche Idiosynkrasie
gegen Jod besitzt, obwohl ersteres ganz
analoge Zufalle bei anderen Kranken her-
vorbringen kann.
{L'Union med. 1888 No. 82ff)
George Meyer (BerKn).
Zur Behandlung der Dysmenorrhoe durch Sug-
gestion und Hypnotismus von Arthur C.
Hugenschmidt.
Durch die Erfolge des Hypnotismus und
der Suggestion angeregt, hat Verf. sich der-
selben in einigen Fällen von Dysmenorrhoe
ohne erkennbare anatomische Grundlage mit
beslem Erfolge bedient. — In dem ersten
Falle handelte es sich um ein 2 7 jähriges
seit ihrem 11. Lebensjahre menstruirtes
Weib, welches 5 — 6 Tage vor dem Er-
scheinen der Menses von einer ausserordent-
lich intensiven Ovaria! gie gepeinigt wurde,
die oft so stark war, dass Fat. an Kopf-
schmerz , Benommenheit, ja selbst an hefti-
gem Erbrechen während dieser Zeit litt.
Diese Beschwerden hörten gewöhnlich erst
mit dem Einsetzen der Periode auf. Eine
Hypnotisirung der Patientin, zu welcher
sich Verf. nach vergeblichen Versuchen
einer localen Behandlung der Beschwerden
entschloss, gelang zuerst nicht. Nach mehr-
fachem Experimentiren indessen glückte es,
die Fat. zu hypnotisiren und ihr die Be-
schwerden, welche der menstruellen Blutung
gewöhnlich vorausgingen , abzusuggeriren.
In der That ist die Patientin seitdem gänz-
lich frei von diesen prämenstruellen Koliken.
— In dem 2. Falle handelte es sich um
eine zeitweilig auftretende Ovarialgia dextra.
Gelegentlich eines exquisit heftigen Anfalles
wurde Verf. consultirt. Es glückte ihm,
sehr schnell die Patientin in Hypnose zu
versetzen und ihr jene Anfälle abzusugge-
riren, die auch seitdem niemals mehr auf-
getreten sind. — Der 3. Fall endlich betrifft
eine 28jährige Frau, bei der die Periode im
12. Lebensjahre zum ersten Male erschienen,
dann im 19. Lebensjahre ohne auffindbare
Ursache ein Jahr lang verschwunden war,
und schliesslich unter heftigsten prämenstru-
ellen Koliken, verbunden mit Schwellung der
Brüste, Erbrechen etc. wieder sich gezeigt
hatte. Das vom Verf. hier angewandte Ver-
fahren glich genau dem in den beiden eben
erwähnten zur Anwendung gelangten. Der
Erfolg war auch hier radical. Ueble Neben-
wirkungen sind vom Verf. in keinem der
erwähnten Fälle zur Beobachtung gelangt.
(The Medical Surgical and Reporter 13. X. 1888,
H. Lohnstein (Berlin).
Der galvanische Strom als Abführmittel von Dr.
A. Chelmonski.
Die Untersuchungen Verf.'s bezweckten
eine Prüfung der Schlüsse, zu denen vor
einiger Zeit Schildbach auf Grund einer
grösseren Untersuchungsreihe gekommen war.
Aus derselben hatte sich ergeben, dass ein
massig starker galvanischer Strom (Kathode
im Rectum, Anode am Abdomen) lebhafte
peristaltische Bewegungen im Gefolge hat, so
dass nach einer 10 — 15 Minuten währenden
Sitzung binnen längstens 2 Stunden Stuhl-
gang erfolgt. — Aus den Untersuchungen
Verf.'s, die an 2 gesunden und 8 an Obsti-
patio habitualis leidenden Patienten vorge-
nommen wurden, ergab sich folgendes: 1. In
9 Fällen trat — frühestens 50 Minuten,
spätestens 12 Stunden nach der Galvanisation
— ziemlich dünnflüssiger Stuhlgang von
breiiger Consistenz auf. 2. Bei 4 Fällen
entstand exquisite Diarrhoe. 3. In 3 von
den 10 Fällen beobachtete man während
der Elektrisation Blässe im Gesicht, Klein-
heit des Pulses, Ausbruch kalten Schweisses
etc. — In einem Falle trat wahre Syncope
ein. Im Allgemeinen hat Gh. nicht so
prompte Wirkungen von der Application
des galvanischen Stromes gesehen wie Schild-
4;)*
340
Referate.
TTherapeatlKhe
L Monatchefte.
bacli; gegen die ausgebreite AnwenduDg des
Stromes sprechen auch die relativ oft beob-
achteten üblen Nebenwirkungen, wie Anaemia
cerebri, Collaps etc., so dass man sich der
Methode nur mit Vorsicht bedienen darf.
{Jaztia Lekarska 1888 No, 19 und The Medic. and
Surgic. Rejyorter 3. XL 1889.) B. Lohn$tein {Berlin).
(Aus der SchocIer^Bchcn Augenklinik.)
Zweifach Jodquecksilber und Jodkalium als intra-
musculäre Einspritzung. Von E. Fischer.
F. cmpdehlt die intramusculäre Injection
(in die Rückenmuskeln oder Glutaeen) der
bekannten Losung des zweifach Jodqueck-
silber in Jodkali (Hydrargyr. bijod. rubri
0,25, Kai. jodat. 2,5, Aq. destill. 25,0) bei
den mit Einspritzung Ton Jodtinctur in den
Bulbus behandelten Netzhautablosungen und
zwar behufs Aufhellung der entstandenen
Glaskorpertrubungen, femer bei frischer Iritis
mit Gummi- und Hypopyonbildung, bei
Iridochorioiditis und Chorioretinitis mit er-
heblichen Glaskorpertrubungen. Femer sah
er gute Erfolge von der oben genannten
Einspritzungscur bei rheumatischer Irido-
chorioiditis mit Glaskorpertrübung, ferner
bei den centralen Veränderungen des Augen-
grundes der Myopen und bei hartnäckig der
spontanen Resorption widerstehenden Blutun-
gen des Glaskörpers. Auch bei Keratitis
parenchymatosa, bei der bezuglich dieser
Therapie Verf. keine Erfahrung hat, sind
jene Injectionen empfohlen worden.
Die auch bei dieser Injection eintretende
Schmerzhaftigkeit kann aus chemischen Grün-
den durch Zusatz yon Morphium oder Cocain
zur Einspritzungsflüssigkeit nicht yermieden
werden.
{KHn. MonaUblf. Augenhälk. 1889. Märt.)
J. Rukemann (Berlin),
Toxikologie.
Ueber einen Fall von Antifebrinvergiftung. Von
Dr. A lisch, Stabsarzt in Hameln a. W. (Origi-
nalmittheilung).
Da ich weiss, dass die Spalten der
Therapeutischen Monatshefte casuistischen
Beiträgen seitens der practischen Aerzte, in-
sofern sie ein gewisses therapeutisches In-
teresse beanspruchen können, jeder Zeit offen
stehen, möchte ich mir erlauben, einer geehrten
Redaction einen Fall von Antifebrinintoxi-
cation mitzutheileo , den ich erst in der
allerjüngsten Zeit zu beobachten Gelegenheit
hatte, und der mir in der That geeignet er-
scheint, ebenfalls als Beitrag zu dienen,
wie vorsichtig man in der Verabreichung des
Antifebrins sein muss. Ich gestehe offen,
dass ich selbst nach dieser personlich ge-
machten Erfahrung das Mittel, dem ich
bislang meinen grössten Enthusiasmus ent-
gegengebracht habe, ähnlich wie es dem
Herrn CoUegen Sembritzki, Königsberg,
ergangen ist (vergl. Therap. Monatshefte
1889 pag. 267) in ganz entschiedener Weise
nur mit misstrauischen Augen ansehen werde,
ja, dass ich diesen heimtückischen Freund
jetzt fast zu fürchten beginne.
Schneidermeister Seh, von hier war Mitte
Juni 88 an einer von vornherein mit hohem Fieber
verlaufenden acuten Gastritis erkrankt; der Verlauf
war der gewöhnliche: ausserordentlich stark be-
legte Zunge, Schmerz in der Magengegend, abnorme
Gasbildung, völlige Anorexie. Temperatur am
20. Juni früh 39,2, Abends 40,1. Am 21. Juni
früh 7 Uhr 39,0. Ich verordnete Antifebrin 0,25
dos. VI. mit der Weisung, 1 Pulver um 9, das
2. um 10, das 3. um 11 Uhr zu reichen, eine Do-
sirung, wie ich sie bis dahin nicht allein bei
afebrilen neuralgischen, sondern auch zahlreichen mit
Fieber verlaufenden Zuständen geübt hatte, ohne
dass mir jemals etwas von irgend wie übler Neben-
wirkung mitgetheilt worden wäre. Um 12 Uhr
Mittags wurde ich gerufen, und fand den Patienten
in der rechten Seitenlage unter 3 Federbetten
liegend, zusammengekrümmt und vor Frost mit
den Zähnen klappernd, in höchst bedenklichem Zu-
stande vor; hochgradigste Cjanose der Haut, klo-
nische Zuckungen der Extremitäten, Respirations-
frequenz nicht zu constatiren, Puls nicht fühlbar,
Herzthätigkeit sehr beschleunigt. Nur mit Mühe und
mit durch das Schütteln des Körpers abgebrochenen
Worten konnte mir Patient mittheilen, dass ein
tobender Kopfschmerz und hochgradiges Schwin-
dclgefühl ihn schon nach Einnahme des ersten
Pulvers quälten, die nunmehr unerträglich seien
und das nahe Ende einleiten dürften.
Ich sorgte sofort für reichliche Zufahr frischer
Luft, und verordnete Kaffee und Aether. Bis
2 Uhr hatte sich der Zustand in keiner Weise ge~
ändert, um 6 Uhr war etwas Ruhe eingetreten;
Puls fühlbar, aber sehr klein — 140 in 1 M. —
grosse Prostration, livide Färbung des ganzen Ge-
sichts, Temperatur 39,2.
Der Kranke war die darauf folgende Nacht
noch recht unruliig gewesen, hatte aber gegen
Morgen des nächsten Tages etwas geschlafen,
und befand sich am 22. Juui früh 7 Uhr relativ
wohl.
Iir. Jahrgaog.l
Jali 1889. J
Toxikologie.
341
Da im weiteren Verlaufe der Krankheit die
Temperatur noch hoch blieb, so beispielsweise am
23. Abends 38,6, am 24. früh 38,0 zeigte, der Pa-
tient sich übrigens von den stattgehabten Ver-
giftungszufällen leidlich erholt hatte, machte ich an
diesem Tage experimenti causa noch einen Versuch
mit einer Dosis von 0,25 g Antifebr., die - ich um
10 Uhr reichen Hess. Schon 1 Stunde später trat
nun zunächst ein IVsStündiger ruhiger Schlaf, aber
unter starker Schweissabsonderung, ein; nach dem
Erwachen wieder intensives Frösteln, Cjanose des
Gesichts, auffallendes Klein werden des Pulses und
enormes Schwächegefühl. Temperatur um 4 Uhr
89,0. Der Kranke erholte sich von diesem Anfall
relativ schnell, — binnen 24 Stunden — und ist
jetzt Reconvalescent.
Bas Präparat hatte eine deutlich krystal-
linische Structur, keinen abnormen Beige-
schmack, und war unbedingt, wie alle üb-
rigen aus den hiesigen beiden Apotheken
entnommenen Sachen, Yon tadellosester Be-
schaffenheit. Ich bemerke dies besonders)
weil es vorkommen kann, wie mir dies per-
sonlich bei einer Berliner Apotheke begegnet
ist, dass man recht unreine, gefärbte, und
ganz unbrauchbare derartige Medicamente
erhält.
Das Interessante des vorliegenden Falles
dürfte auch darin liegen, dass das Antife-
brin keinerlei fieberherabsetzende "Wirkung
ausgeübt hat.
(Aus der med. Klinik des Herrn Prof. Riegel in Giessen.)
Beitrag zur Kenntniss der Strychninvergiftung.
Von Dr. G. Honigmann, I. klin. Assistenz-
arzt.
Es handelte sich um einen Postschaffner,
dem das Gift, mit Butter gemischt auf Brod
gestrichen, von seiner Frau beigebracht wor-
den war. Bemerk enswerth an dem Falle
ist, dass die Yergiftungserscheinungen erst
mehrere Stunden nach Aufnahme des Giftes
eintraten, was Vf. wohl nicht mit Unrecht
auf die Mischung des Giftes mit der Butter
zurückführt, ferner eine mehrere Tage an-
dauernde Steigerung der Reflex erregbarkeit.
Hervorzuheben ist ferner die Thatsache, dass
gleich nach dem stärksten Krampfan fall die
Patellarreflexe trotz grosster Lebhaftigkeit
der Hautreflexe erloschen waren, nach An-
wendung von Chloralhydrat aber in erhöhtem
Maasse bestanden. Als bisher noch nicht
beschriebenes Symptom ist zu erwähnen:
mehrere Tage dauernde Albuminurie und
Oligurie und das Auftreten von Formelemen-
ten (weisse und rothe Blutkorperchea, sowie
hyaline Cy linder) im Harn. Vf. sieht die-
selbe als Folge der durch Strychnin hervor-
gerufenen Contraction der Nierengefässe und
dadurch bedingten Circulationsstorung an.
{Deutschs Med. WocheHsckr. 1889 No.22.)
rd.
liltteratur.
Auszug ans den Krankengeschichten der im
Wintersemester 1888 — 89 in der medicinischen
Klinik von Geh. Medicinalrath Prof Dr. Mos 1er
vorgestellten Patienten. 2. Folge. Zusammen-
gestellt von Dr. Niesei, Dr. Weber, Dr.
Buchholtz. Redigirt von Dr. E. P ei per. 1889.
Die Vorgänge auf unseren Universitäts-
kliniken nehmen nicht allein das Interesse
der alten Schüler jener Institute in An-
spruch, sondern interessiren selbstverständ-
lich das gesammte medicinische Publicum.
Wenn auch die wissenschaftlichen und neuen
Erfahrungen durch zahlreiche Zeitschriften
bekannt gegeben werden, so giebt es doch
eine Reihe von Beobachtungen, welche für
die Praxis von der grössten Bedeutung sind,
für die Publication aber, wie der gewöhn-
liche Ausdruck heisst, nicht „lohnen^. Es
ist daher ein ganz besonders dankenswerthes
Verdienst Mosler's, das Bild der Vorgänge
in der ihm unterstellten Greifswalder Klinik
durch Publication des oben genannten Werkes
zu fixiren. Nicht nur die Practicanten, wel-
chen die Schrift gewidmet ist, sondern auch
die gesammte ärztliche Praxis muss dieses
Unternehmen mit Dank entgegennehmen.
Es sind im Ganzen 60 Fälle aufgeführt. Die
Beschreibung der Erkrankung, Diagnose,
Therapie und bei letalem Ausgang der
Sectionsbefund sind in gedrängter, aber voll-
kommen ausreichender Weise aufgenommen
und liefern zugleich den Beweis einer vor-
trefflichen klinischen Methode. Am Schluss
des Heftes sind die Receptformeln zusammen-
gestellt, welche glücklicherweise zeigen, dass
die nihilistische Anschauung der Therapie
unter Mos 1er 's Leitung in Greifswald keinen
Eingang gefunden hat. Liebreich.
Haeter-Losscn*s Grundriss der Chirurgie.
I. Band: Die allgemeine Chirurgie. Vierte
vollkommen umgearbeitete Auflage. Mit 200
Abbildungen. Leipzig. Verlag von F. C.
W. Vogel. 1888.
Es ist wohl als eine Folge des schnellen
Fortschreitens der Chirurgie anzusehen, dass
über diesen Wissenschaftszweig und zwar
über den allgemeinen Theil desselben, in
jüngster Zeit eine ganze Anzahl neuer Lehr-
bücher entstanden sind. War es Koenig
nicht möglich geworden, sein 1883 be-
gonnenes Lehrbuch der allgemeinen Chirurgie
zu Ende zu führen, so liegen uns allein aus
den letzten beiden Jahren neue Lehrbücher
von Fischer, Landerer, Tillmanns und
Lossen vor. Denn als ein neues Buch
ist auch des letzteren vorliegende Bear-
beitung von Hu eter 's Grundriss anzusehen.
Was diese Autoren bewogen hat, neue
342
Littanhir.
rTherapeatfaclie
L Monatshefte.
Lehrbücher ihrer Specialwissenschaft zu
schaffen, ist keineswegs der Umstand, dass
diese Wissenschaft etwa irgend einen Ab-
schluss einer bestimmten Phase erreicht
hätte, als vielmehr die Thatsache, dass in
Folge der hauptsächlich auf bakteriolo-
gischem Gebiete gemachten Fortschritte
gerade in der Chirurgie ueue Anschauungen
und damit yorwiegend wieder neue thera-
peutische Maassnahmen Platz gegriffen haben.
Bei der Beurtheilung eines solchen Lehr-
buches wird man daher Yornehmlich an den
letzteren erkennen können, inwieweit jenen
neugewonnenen Anschauungen Rechnung ge-
tragen worden ist.
Ob dieser oder jener Eintheilung der
Materie der Vorzug zu geben sei, werden die
yerschiedenen Beurtheiler selbstverständlich
verschieden auffassen. Mir will es als ein
Vortheil erscheinen, ohne weitschweifige
Einleitung gleich in medias res zu treten
und, wie es Lossen gethan, mit der Wunde
und Wundheilung begonnen zu haben, um
dann erst auf die Lehre von der Entzündung
und dem Fieber überzugehen. Auch die
weitere Eintheilung in Verletzungen und
Erkrankungen der einzelnen Gewebe, acute
Wufidkrankheiten und Geschwülste, ist eine
durchaus zweckmässige und konnte zur
Uebersichtlichkeit und Klarheit des ge-
sammten Inhaltes des Werkes nur beitragen.
Dasselbe ist von der zweiten Hälfte des
Werkes, der allgemeinen Operations-, Instru-
menten- und Verbandlehre zu sagen.
Im Allgemeinen haben die neuesten An-
schauungen und Erfahrungen bei den ein-
zelnen Gegenständen ihre gebührende Be-
rücksichtigung gefunden; indessen wollte es
mir hier und da scheinen, als ob Manches,
was über den Rahmen des Experimentes
und der vorläufigen Mittheilung bereits hinaus
ist, ebenfalls schon einer Mitberücksichtigung
würdig gewesen wäre. Wird z. B. schon
der Phagocytenlehre Metschnikoff's eine
gewisse Berechtigung zuerkannt, so dürfte
andererseits der Annahme einer speciellen
Anlage zur Tuberculose ebenfalls schon
etwas mehr Wahrscheinlichkeit beigemessen
werden, zumal da die Tuberkel - Noxe nicht
nur bekannt, sondern bereits im Sperma
Tuberculoser (J an i- Weigert) gefunden
worden ist.
Beim Jodoform finde ich dessen
schlimme Seiten zu stark hervorgehoben,
während seine guten Eigenschaften mir zu
wenig gewürdigt erscheinen. Demgegenüber
ist, was bei Hu et er 's Vorliebe für die Car-
b Ölsäure nicht auffällig erscheinen darf,
das letztere Präparat allenthalben in den
Vordergrund gestellt, bald als Hueter'^sche
subcutane Injection oder Infusion, bald als
percutan wirkender Umschlag, und doch ist,
besonders bei letzterem, neben der Gefahr
der allgemeinen Carbolintoxication auch der
zuweilen eingetretenen localen Schädigungen
zu gedenken. Ich erinnere an das Gangrä-
nöswerden einzelner Glieder, an den berüch-
tigten „Carbolfinger". — Die Drainage ist
nicht nur bei kleinen Wunden zu ent-
behren, sondern sie wird bereits bei den
grossten Höhlen wunden principiell fort-
gelassen und durch die Anwendung von
Etagennähten neben massiger Compression
der Wunde vermittelst d^s Deck Verbandes
entbehrlich gemacht. — Neben der seitlichen
Ligatur der Venen dürfte auch deren
aseptische Naht zu nennen sein, femer bei
der allgemeinen Blutstillung neben der
extremen Winkelstellung der Gelenke
die Verticalstellung der ganzen Ex-
tremität, und neben den verschiedenen
Formen der Transfusion auch die Auto-
transfusion, die ein so erfahrener Prac-
tiker, wie von Nussbaum für die leistungs-
fähigste jener Formen hält. — Von der
Massage endlich wäre zu erwähnen ge-
wesen, dass sie neuerdings auch bei frischen
Blutergüssen, z. B. bei frischen Gelenkcon-
tusionen, mit Vortheil Anwendung findet,
und bei der localen Anästhesie, dass von
dem Cocain nicht nur in Form von Be-
pinselungen, sondern auch von subcu-
tanen lujectionen ausgedehnter Gebrauch
gemacht wird.
Mag nun dasjenige, was ich in Vorste-
hendem für erwähnenswerth gehalten, dem
Autor weniger wichtig erschienen sein, so
erscheint es mir gerade vom Standpunkt
einer „allgemeinen Chirurgie" erforder-
lich, dass jener Dinge, sofern sie eben auf
wissenschaftlicher Forschung oder practischer
Erfahrung beruhen, wenigstens gedacht wird.
Ihr Fehlen hat indessen dem Werthe des
ganzen Werkes, das sich durch Klarheit
und Präcision seines Inhaltes vortheilhaft
auszeichnet, und dessen Leetüre eine durch-
aus anregende ist, keinerlei Abbruch gethan.
Abbildungen und Ausstattung des Werkes
sind vortrefflich; ausserdem enthält dasselbe
ein ausführliches Sachregister. /Vey«r (Stettm).
F. Tiemann und A.Gärtner. Die chemische
und mikroskopisch-bakterioloiBrische Unter-
suchnngf des Wassers zum Gebraache for
Chemiker, Aerzte, Medicinalbeamte, Pharma-
ceuten, FabricantcD und Techniker, als m. Auf-
lage von Kubel-Tiemann^s üntersnchung
von Wasser. BrauDSchweig. Vieweg &
Sohn. 1889.
Die üntersuchungsmethoden des Wassers
gewinnen eine immer grössere Bedeutung
m. Jahrgang.!
Jali 1889. J
Uttontiar.
343
durch die Yeryollkommnung der Methoden.
Die Aufgaben, welche zu losen sind, gehen
über das Gebiet einer Forschungsmethode
T¥eit hinaus und wie es in dem vorliegenden
Werke zur Anerkennung gekommen ist,
müssen sich Chemiker und Bakteriologe ver-
ein igen, um zu fruchtbringenden Resultaten
zu gelangen. — Es ist dies in yollkommen-
8ter Weise geschehen und glaube ich
mit Recht annehmen zu können, dass
kein Experimentator bei der Untersuchung
des Wassers dieses' Hülfsbuches wird ent-
behren können, denn abgesehen von der yor-
trefif liehen Beschreibung bekannter Methoden
finden sich zahlreiche, den Verfassern ori-
ginale üntersuchungs- Methoden aufgeführt.
Selbst derjenige, welcher nicht selbstthätig
an die Untersuchungsarbeiten herantreten
-will, wird bei der Leetüre des Werkes durch
die belehrende und angenehme Form, in
welcher die Abhandlungen geschrieben, ge-
fesselt.
Der Einleitung über die Beschaffenheit
der Wässer verschiedener Art folgen die
qualitativen und später die quantitativen
Methoden, wobei eine eingehende Prüfung
der zur Anwendung kommenden Reagentien
nicht ausser Acht gelassen ist. Dieser
Theil, welcher in vollkommener Weise alle
anzuwendenden Methoden enthält, ist für
den untersuchenden Chemiker von der
grossten Bedeutung. In den folgenden Ca-
piteln sind die Schädlichkeiten und orga-
nischen Befunde in der grossten Ausführlich-
keit behandelt und für den Mikroskopiker
findet sich eine Zusammenstellung aller Be-
funde, welche die Wissenschaft bis jetzt zu
Tage gefördert hat. Wenn auch denjenigen,
welche sich mit Bakteriologie beschäftigen,
viele Methoden als alte Bekannte entgegen-
treten, so wird doch durch Vorführen aller
für die Wasser -Untersuchung nothwendigen
Methoden ein vortreffliches Ganzes ge-
schaffen. — Dieser sowie der folgende
III. Abschnitt ri^^ie Beurtheilung der che-
mischen und mikroscopisch-bacteriologischen
Befunde" sind von hervorragendem Interesse
für den Arzt, welchem nach den angestellten
Untersuchungen das entscheidende Urtheil
zusteht. — Zehn beigefügte Tafeln, grÖssten-
theils in Buntdruck, werden jedem an die
Materie experimentell herantretenden For-
scher von ganz besonderem Interesse sein,
da die beste Beschreibung nicht annähernd
die Anschauxmg des subtilen Materials er-
setzen kann. Liebreteh^
Praetisehe N^otisen
and
entpfehlenswerthe Arzneiformeln.
Borsäure-Lanolin.
Bei Kindern, fetten Personen und be-
sonders bei Greisen wird durch Wärme und
Reiben sehr leicht Intertrigo erzeugt, welche
bei Vernachlässigung zu £kzemen mit üblem
Geruch Veranlassung giebt.
Die gewöhnlichen Fettsalben könneq oft
schon Heilung hervorrufen, wirken jedoch
meistens durch die bald eintretende Ranci-
dität nachtheilig. Folgende Vorschrift hat
sich bewährt. £s werden die Theile mit
Wasser und neutraler Seife gereinigt, vor-
sichtig mit einem Tuche getrocknet, wobei
die krankhafte Stelle, trotz Abtrocknens,
einen gewissen Grad von Feuchtigkeit be-
hält. Es wird nun mit folgender Salbe,
wenn nöthig, zweimal täglich eingerieben:
iV Acid. borac. 0,5
Lanolini 50,0
Vaselini amer. 10,0.
M. f. Unguentum.
Vor einer neuen Einreibung ist die krank-
hafte Stelle wieder zu reinigen. Uebreieh,
Haarwasser far die Kopfhaut.
Es wäre sehr wünschenswerth, wenn bei
den Fortschritten, welche die hygieinische
Hautpflege in letzter Zeit gemacht hat, statt der
käuflichen Präparate, welche oft unglaublich
dürftig und mehr von Friseuren als von Aerz-
ten erfunden sind, solche zur Anwendung
kämen, welche von dem Arzt verschrieben
und iu den Apotheken angefertigt werden.
Sehr häufig liegt das Bedürfniss vor,
eine zu stark absondernde Kopfhaut und
Haar von Fett und Schmutz zu befreien,
wobei die Anwendung von Seife und Wasser
gemieden werden muss.
Besonders bei Frauen, die durch das
langsame Trocknen der Haare beim Waschen
an Erkältung und deren Folgen leiden, ist
es zweckmässig, alkoholische Mittel anzu-
wenden oder nach dem Waschen dieselben
zu benutzen, um das Haar schnell trocknen
zu lassen.
Es empfiehlt sich hierzu folgende sehr
einfache Vorschrift:
iV Spiritus aethereus 60
Tinctura Benzoes 5 — 7,0
Vanillini 0,05
Heliotropini 0, 1 5
Olei Geranii gtt. I.
S. Aeusserlich. Vor der Flamme zu
schützen weil brennbar, gut verschlos-
sen zu halten!
344
Practitch« Notizen und empfeblaniwarth« Arzneiformeln.
rTherapentliche
I. Mon&t«hefta.
Es wird nach dem Waschen oder direct
ein Esslöffel auf der Kopfhaut und den
Haaren verrieben und mit einem feinem
Tuch getrocknet.
Man kann mehrere Male in der Woche
diese Procedur -wiederholen. Es zeigt sich,
dass Seborrhoea capitis bei stark fettiger
Kopfhaut zum Verschwinden gebracht wer-
den kann.
Werden die Haare beim Gebrauch der
Mischung zu trocken, so setzt man für
einige Zeit das Mittel aus oder gebraucht
von ranzigen Fetten freie Pomaden.
Liebr&ich.
Abführmittel.
Nachfolgende Vorschrift ist uns zuge-
gangen :
Essentia Frangulae.
Gort. Frangulae 500
Aquae destillatae 3000
coque per horam 1, colaturae expressae adde
Natrii sulfurici 200
et evapora ad pondus 1000, tum subside et
adde
Syrupi simplicis
Spiritus Vini Gognac aa 100.
Dosis: Ein Liqueurglas voll!
Ueber die in der Königlich Preussischen Armee
gesammelten Erfahrungen über Anwendung
von Chromsäurelösungen gegen Fussschweisse
entnehmen wir einem in der Deutschen
Militärärztlichen Zeitschrift 1889, Heft 6
enthaltenen Berichte, dass die Wirkung der
Ghromsäure auf die an übermässiger Schweiss-
absonderung leidenden Füsse eine ganz auf-
fallend günstige war. Die feuchten, vorher
gerotheten Hautstellen erhielten meist ein
trockenes, glattes Aussehen und der unan-
genehme, durch Zersetzung des Schweisses
bedingte Geruch verschwand bald nach der
Anwendung. In vielen Fällen genügte eine
einmalige, in den meisten eine zwei- bis
dreimalige, in Zwischenräumen von 8 bis
14 Tagen vorgenommene Bestreichung mit
dem Mittel, um anhaltende Besserung oder
auch Heilung des Leidens zu erzielen.
Im Ganzen wurde die Behandlung an
mehr als 18000 Leuten angewendet, von
welchen 42 % als geheilt, 50 ^/o als gebessert
und 8 % als ungeheilt angesehen werden
können.
Gewöhnlich wurde nach Gebrauch einer
lOprocentigen wässerigen Lösung kein grösse-
rer Erfolg beobachtet, als nach Anwendung
einer öprocentigen.
Während die meisten Leute keine Be-
lästigungen nach dem Aufstreichen der Säure
empfanden, stellte sich bei anderen Brennen,
Prickeln, Ziehen oder Jucken oder ein Ge-
fühl von Spannung, Trockensein und Taub-
heit ein. Bei sehr empfindlicher Haut wurde
nach stärkeren Einpinselungen das Entstehen
von Schrunden, Rissen und selbst Wunden,
Blasenbildung und Geschwursbildung beob-
achtet. In einzelnen Fällen kamen Fuss-
ödeme, dreimal Ekzeme vor. Nach wenigen
Tagen waren jedoch alle Nebenerscheinungen
verschwunden. — Bei bestehenden Wunden
ist die Anwendung schmerzhaft und von
Entzündungserscheinungen begleitet. Sub-
jectiv wurde in vereinzelten Fällen über
Mattigkeit, Unbehagen, Kopfschmerz und
Gelbsehen geklagt. Sonst wurden Intoxi-
cationserscheinungen nicht beobachtet.
Mehrfach wurde als Folge der Unter-
drückung der Fussschweisse vorübergehend
vermehrte Schweisssecretion an anderen
Körpertheilen angegeben. Uebele Folgezu-
stände hatte die Aufhebung der Fussschweisse
nicht.
Am zweck massigsten erscheint es, das
Einpinseln der Lösung (und zwar gewöhnlich
einer öprocentigen) auf die sauber gebadeten
und gut getrockneten Füsse einige Zeit vor
dem Schlafengehen und die etwa nöthige
Wiederholung nach 8 — 14 Tagen vorzu-
nehmen. — Bei bestehenden Wunden ist
die Ghromsäurebehandlung erst nach Heilung
derselben vorzunehmen.
Gegen Nachtschweisse der Phthisiker
empfiehlt Prof. 0. Rosen b ach (Breslau)
Application einer Eisblase auf das Abdomen
während einiger Stunden der Nacht. Dieses
Verfahren soll alle bekannten Anthidrotica
an Wirksamkeit übertreffen.
Als Belebungsmittel in Chloroformasphyxie
wird (Münch. med. Wochenschr. 15/89) em-
pfohlen, Aether auf den Bauch zu giessen;
die dadurch erzeugte Abkühlung soll sofort
zu tiefen Respirationen anregen.
Phenacetin gegen Keuchhusten
ist mit gutem Erfolge von Dr. R. Hei-
mann (Münch. med. Wochenschr. 12/89)
gegeben worden. Bei einem Knaben von
3 Jahren liess er 0,4 in 4 Dosen a 0,1 ge-
brauchen, bei einem Mädchen von 2 Jahren
0,3 in 3 Dosen und bei einem Säuglinge
von 7 Monaten 0,2 in 4 Dosen a 0,005.
Nirgends beobachtete er üble Nachwirkun-
gen. 0,1 Phenacetin wirkte durchschnittlich
3 Stunden.
VerUg von Jnlius Springer in Berlin N. — Druck von Qostav Schade (Otto Francke) Berlin M.
Therapeutische Monatshefte.
1889. August«
Origmalabhandlnngeii.
Chloralformamid, ein neues Schlafmittel.
Von
Dr. Eugen Kny,
Assistent der Psychiatrischen Klinik zu Strassbarg 1. E.
Seit Anfang dieses Jahres hatte ich Ge-
legenheit, Versuche mit einem neuen Schlaf-
mittel anzustellen, welches sich durch ver-
schiedene Eigenschaften vor den bisher ge-
bräuchlichen Hypnoticis auszeichnet. Dieses
neue Präparat, ein Additionsproduct aus
Chloralanhydrid CCI3CHO und Formamid
CHONH, hat die Formel:
C CI3 CH<j^g ^^^
Dasselbe stellt farblose Krystalle dar und
ist löslich in 9 Theilen Wasser und in l'/j
Theilen 96procentigem Alkohol. Der Ge-
schmack des Ghloralamids ist milde, schwach
bitter, keineswegs ätzend. Die wässerige
Lösung, welche bei einer 60® C. nicht über-
steigenden Temperatur hergestellt werden
muss, ist haltbar. Sowohl die alkoholische
als auch die wässerige Lösung wird durch
Zusatz von Silbemitrat nicht verändert;
ebenso wirken schwache Säuren nicht auf
dieselbe ein, während sie durch Aetzalkalien
schnell, durch kohlensaure Alkalien nur
ganz langsam zersetzt wird. Der Schmelz-
punkt des Ghloralamids beträgt 115® G.
Das Ghloralamid wird von der Chemi-
schen Fabrik £. Schering in Berlin auf
Veranlassung von Prof. von Hering dar-
gestellt und in den Handel gebracht.
Die Prüfung seiner physiologische Wir-
kung auf den thierischen Organismus ergab
folgende Resultate:
Injicirte ich Fröschen 0,025—0,03 g
Ghloralamid in wässriger Lösung, so trat
nach 25 — 30 Minuten ein träger, schläf-
riger Zustand ein, in welchem die Reflexe,
wenn auch nicht erloschen, so doch erheb-
lich herabgesetzt waren. Im Laufe von
2 — 3 Tagen erholten sich die Thiere wieder
vollständig.
Kaninchen, welche 17« — 2 gr Ghloral-
amid in den Magen erhielten, verfielen nach
20 — 25 Minuten in tiefen Schlaf. Nach
10 — 12 Stunden waren die Thiere wieder
ganz munter.
Zwei einschlägige Versuche mögen im
Folgenden ausführlich geschildert werden.
Ein KaoniDchen von 2 kg Körpergewicht er-
hielt IIU. 45M. 2 g Chloralamid in 50 Wasser
in den Magen.
11 U. 55 M. Das Thier läuft ansicher umher.
12 U. 5 M. liegt halb auf der Seite.
12 U. 10 M. liegt auf der Seite und schläft.
Abends 9 Uhr schläft das Thier noch fest.
Nachts 12 U. munter.
Dasselbe Thier erhält einige Tage darauf
Abends 6 Uhr 10 M. in derselben Weise 1,5 g
Chloralamid.
6Ü. 22 M. läuft eine kurze Strecke taumelig
umher.
6 ü. 30 M. schwankt beim Laufen, sitzend hält
es sich aufrecht, neigt aber zur Seite.
6 U. 35 M. liegt fortdauernd auf der Seite, auf
massige Reize reagirt es nicht, auf starke Reize
Zuckungen. Herzschlag sehr kräftig.
7 U. 10 M. Herzschlag kräftig, liegt dauernd
auf der Seite, lässt einen Hund auf sich hetzen
und sich auf den Leib legen ohne jegliche Reaction.
Auf starkes Kueifen Zuckung, Respiration sehr tief,
regelmässig, 24 in der Minute.
Abends 12 U. lag das Thier noch auf der
Seite und schlief fest. Am anderen Morgen ganz
munter.
Nachdem die schlafmachende Wirkung
des Ghloralamids sowie dessen Unschädlich-
keit am Thierkörper festgestellt war, er-
schien es von grosser Wichtigkeit, den Ein-
fluss dieses Mittels auf die Circulation zu
Studiren. Es ist ein bekannter schwer-
wiegender Nachtheil des so vielfach ange-
wendeten Ghloralhy drates , dass es eine be-
deutende Herabsetzung des Blutdruckes be-
wirkt, ein Nachtheil, welcher die Verwend-
t)arkeit dieses sonst vorzüglichen Hypnoticums
erheblich einschränkt. Dass das Chloral-
hydrat die Herzthätigkeit schädlich beein-
flusst, ist durch zahlreiche Untersuchungen
festgestellt; unter Anderen hat Gervello
in seiner Arbeit: „Ueber die physiologische
Wirkung des Paraldehyds und Beiträge zu den
Studien über das Chloralhydrat** (Archiv f.
experim. Pathologie und Pharmakologie
44
346
Kay, Chloralforxnamidy ein neues ScblafmitteX.
rlicrapeutiiche
Monatsheft«.
Bd. XYI) bei zwei Kaninchen Bestimmungen
des Blutdrucks nach Chloralhydratgaben
publicirt, welche ich hier einfugen möchte,
um sie Resultaten, die ich unten folgen
lasse, vergleichend gegenüber zu stellen.
^Versuch XX. pg. 283.
„Ein Kaninchen yon 2,45 kg erhält um 5 Uhr
in wässeriger Lösang 1,25 g Chloralhjdrat in den
Magen, auf 5 Einzeldosen vortheilt innerhalb
1 Stande 15 Min.
Blutdruck 115
6 U. 32 M. 66.
Das Kaninchen ist im Zustande der Narkose, die
Reflexe sind lebhaft. Die Dosis von 1,25 g Chloral
für ein Kaninchen von 2,45 kg Körpergewicht steht
weit unter der Grenze der letalen Gaben.**
Versuch XXI. pg. 283.
„Kaninchen von 1,72 kg Körpergewicht erhält
5 U. 30 M. 1,25 Chloralhjdrat in wässnger Lösung
auf einmal in den Magen.
Blutdruck vorher 110
5U. 45 M. 51—75
6Ü. 38
6U. 40 M. 31.
Das Kaninchen ist in tiefer Narkose, die Reflexe
bestehen fort, sind aber schwach."
Diesen Versuchen Cervello's kann ich
noch eine eigene Blutdruckcurve nach intra-
venöser Application von Chloralhydrat hin-
zufügen.
Vor der Injection betrug bei dem Versuchs-
kaninchen der Blutdruck im Mittel 123 ccm.
4 ü. 43 M. Blutdruck 123. I. Injection (lang-
sam in IV3--2 M.) von 2 ccm 47o Chi oral hjdrat-
lösung (= 0,08 Chloralhjdrat) in die Vena jugu-
laris.
4U. 47 M. Blutdruck 110.
4 ü. 48 M. Blutdruck 112. IL Injection von
2 ccm 4% Chloralhjdratlösung.
4U. 49 M. Blutdruck 102.
4U. 50 M. Blutdruck 100. III. Injection von
2 ccm Chloralhjdratlösung.
4U. 55 M. Blutdruck 100. IV. Injection von
2 ccm Chloralhjdratlösung.
4U. 58 M. Blutdruck 90. V. Injection von
2 ccm Chloralhjdratlösung.
5U. Blutdruck 72—74.
5 U. IM. Blutdruck 76.
5U. 5M. Blutdruck 70.
5 U. 15 M. Blutdruck 80. Corncalrcflex schwach
vorhanden.
5U. 20M. Blutch-uck 84—86. Cornealreflex
massig vorhanden, auf Kneifen der Beine geringe
Reaction.
5U. 30 M. Blutdruck 92. VI. Injection von
2 ccm.
5Ü. 34— 40M. Blutdruck 78-82.
Diesen Curven gegenüber mögen nun
einige Blutdruckbestimmungen nach Chloral-
amid Platz finden und zwar:
1. Bei Darreichung in den Magen.
Um 3 U. 20 M. erhält ein grosses Kaninchen
2,5 g Chloralamid auf einmal in den Magen.
Blutdruck 132.
130.
122.
122. Thier
VI. Spritze.
Blutdruck 122. Keine Spur von Reflexen.
3U. 30 M. Blutdruck 122—124. Reflexe deut-
lich vorhanden, keine Wirkung.
3U. 40 M. Blutdruck 114—118. Keine Reflexe
von der Cornea mehr, Thier losgebunden, schläft.
3tr. 50 M. Blutdruck 106.
3 U. 55 M. Blutdruck 110. Keine Reflexe.
AthemzOge tief und regelmässig.
4U. wird das Thier abgenommen, auf den
Boden gelegt, schläft ununterbrochen auf der Seite
liegend weiter. Blutdruck 106.
2. Bei Injection in die Vene.
Normaler Druck bei dem Kaninchen im Mittel
139.
4 U. 50 M. Nach Injection von 1 Spritze =
2 ccm 57o Chloralamidlösung (= 0,1 g Chloralamid)
in die Vene Blutdruck 130.
4U. 52 M. IL Spritze.
4U. 54 M. III. Spritze.
4U. 55 M. IV. Spritze.
4 U. 58 M. V. Spritze,
schläft, Beine schlaff. Sehr schwache Reflexe bei
starkem Kneifen der Beine, Cornealreflex stark ab-
geschwächt.
5U. 2M. Blutdruck 124. Comeakeflex ge-
schwunden.
5U. 3M.
5U. 4M.
5U. 5M.
5U. 7M.
Aus vorstehenden Versuchen ergiebt sich
die wichtige Thatsache, dass das Chloral-
amid den Blutdruck im Vergleich zum
Chloralhydrat nur sehr wenig alterirt. Bei
Cervello betragen die Differenzen zwischen
dem normalen Druck und dem Druck nach
Einfuhrung von Chloralhjdrat in den Magen
50 — 80 mm, bei unserem Chloral hydrat-
versuch nach intravenöser Injection 50 mm.
Beim Chloralamid beträgt die Differenz im
Stadium der aufgehobenen Reflexe, sowohl
bei interner wie bei intravenöser Application
nicht mehr wie 17, d. h. sie bewegt sich
innerhalb der Grenzen, wie sie beim natür-
lichen Schlaf vorkommen können. Hieraus
geht hervor, dass durch Chloralamid im
Gegensatz zum Chloralhydrat die Herzthätig-
keit nur in sehr geringem Maasse beeinflusst
wird.
Nach diesen vorbereitenden Studien am
Thierkörper, durfte man es wagen, das Mittel
an schlaflosen Menschen zu versuchen. Die
Zahl der Fälle, an denen ich den therapeu-
tischen Werth des Chloralamids prüfte, betrug
31, die Zahl der Einzel versuche überstieg
100^). Die Einzeldosis schwankte zwischen 1,5
bis 4 g. Da mir vor Allem daran lag, die Wir-
kung des Chloralamids im Vergleich zu der
des Chloralhydrates einer eingehenden Prü-
*) Die Mehrzahl der Versuche wurde mit Ge-
nehmigung des Herrn Prof. Jolly an Patienten
der Psychiatrischen Klinik zu Strassbui^ i. E. aus-
geführt.
in. Jahrgang.l
Aairnst 1889. J
Kny, Chloralformamid, ein neuei Schlafmittel.
347
fuDg ZU unterziehen, -wählte ich dazu fast
nur solche Formen von Schlaflosigkeit, bei
denen das Chloralhydrat nach meinen Er-
fahrungen die besten Dienste leistet. Es
sind dies, allgemein gesagt, Fälle von ein-
facher Schlaflosigkeit. Bei einer schweren
Tobsucht Hess Chloralamid ebenso im Stich
-wie Chloralhydrat. Bei einer agitirten
Melancholie entfalteten beide Mittel gleich
unzulängliche Wirkung. Dagegen zeigte sich
Chloralamid bei einer ganzen Reihe von
Psychosen, die nicht mit lebhafter Aufregung
einhergingen, dem Chloral entschieden eben-
bürtig, so bei 6 Melancholien ohne starke
^Beängstigung, bei 2 älteren Fällen von Ver-
rücktheit, bei 2 Primär-Schwachsinnigen und
1 massig erregten Paralytiker. — Bei 2
chronischen Alkoholikern und einer seit
Monaten an grossere Morphiumgaben ge-
"wohnten Patientin mit Tabes dorsalis rief
Chloralamid regelmässig und sicher Schlaf
hervor. Ebenso bei 4 schlaflosen Neurasthe-
nikern. In Fällen von Insomnie auf Grupd
körperlicher Affectionen leistet es ebenfalls
gute Dienste, wie ich bei einem Phthisiker,
einem Pleuritiker, drei Fällen von Herz-
fehlem und vier Patienten mit neuralgischen
Schmerzen mittleren Grades constatiren
konnte. Ohne Gefahr kann es auch bei
Schlaflosigkeit alter Leute gegeben werden.
Bei höheren Graden peripherischer Reizzu-
stände, bei sehr intensiven Schmerzen und
äusserst heftigem Hustenreiz ist die Wir-
kung, gleich der des Chlorais, eine mangel-
hafte, wie ich in einem Falle von sehr
heftiger Cephalgie und einem zweiten von
In tercos talneural gie erfahren musste. Hier
empfiehlt sich ein Zusatz einer geringen
Quantität von Morphium.
Die schlafmachende Wirkung des Chloral-
amids ist nicht so energisch wie die
des Chloralhydrats. Nach meiner Er-
fahrung wirken 2 g Chloralhydrat so stark
hypnotisch wie 3 g Chloralamid. Die
Wirkung tritt etwas später ein, 20 bis
40 Minuten nach der Gabe, also durch-
schnittlich im Verlauf einer halben Stunde,
während sie sich nach Chloralhydrat bereits
nach 15 Minuten zeigt. Der Schlaf nach
Chloralamid ist ein tiefer, erquickender, seine
Dauer schwankt je nach der Individualität
des Falles zwischen 6 und 10 Stunden. Die
Patienten erwachen des Morgens mit freiem
Kopf und ohne Beschwerden von Seiten der
Yerdauungsorgane. Klagen über Eingenom-
menheit des Kopfes und üblen Geschmack
im Munde, die nach Chloralhydrat so häufig
laut werden, habe ich nach Chloralamid
niemals zu hören Gelegenheit gehabt.
Ich komme hiermit zu den entschiedenen
Vorzügen, welche unser neues Chloralpräparat
vor dem Chloralhydrat auszeichnen.
Der Mangel einer unangenehmen Ein-
wirkung auf den Digestionstractus ist darauf
zu beziehen, dass das Chloralamid die
Schleimhäute so gut wie gar nicht reizt.
Auf die Lidbindehaut des Kaninchens ge-
bracht, erzeugt Chloralhydrat in 10%iger
Lösung sofort eine starke Hyperämie, eioe
Erscheinung, welche nach Einbringung einer
gleich starken Chloralamidlösung ausbleibt.
Ein einfacher Versuch demonstrirt dasselbe
noch besser. Ein kleines Partikelchen reinen
Chloralhydrats auf die Zunge gelegt erzeugt
einen stark bitteren, beissenden Geschmack,
Chloralamid in Substanz oder in concentrir-
ter Lösung (l : 10) nur eine leicht bittere,
rasch verschwindende Empfindung. Das
Chloralamid wird deswegen von den Patien-
ten sowohl in Pulverform (auch ohne Oblaten)
oder in Wein oder dergl. aufgelöst gern ge-
nommen, ohne dass selbst bei empfindlichen
oder magenleidenden Patienten üble Wirkun-
gen zu befurchten sind. Die Darreichung
in alkoholischen Flüssigkeiten, die man
zweckmässiger Weise noch etwas erwärmt,
empfiehlt sich wegen der günstigeren Lösungs-
verhältnisse. Besonders in Rothwein, dem
etwas Zucker zugesetzt ist, nimmt sich das
Mittel sehr gut.
Der hervorragendste Vortheil des Chloral-
amids besteht darin, dass die Circulation
auch in tiefer Narkose keinerlei wesentliche
Beeinträchtigung erleidet. Das Herz schlägt
kräftig und der Blutdruck hält sich nahezu
auf der normalen Höhe. Selbst bei einem
schwächlich gebauten Patienten mit Mitralin-
sufficienz, sowie bei einem zweiten an hoch-
gradiger Aorteninsufficienz leidenden war nach
grösseren Gaben (3 — 4 g) eine nachtheilige Be-
einflussung der Herzthätigkeit nicht zu con-
statiren. Im Uebrigen schliefen beide Pa-
tienten 6 — 8 Stunden ohne Unterbrechung.
Bei eiuem anderen Patienten trat nach Gaben
von Chloralhydrat regelmässig starker Rash
ein; als Patient dann Chloralamid bekam,
blieb die Erscheinung vollständig aus, was
offenbar auf den Mangel der gefässl ahmen-
den Wirkung des Chloralamids zurückzu-
führen ist. Ueberbaupt habe ich bei keinem
meiner Patienten jemals nach Chloralamid
eine Spur von nachfolgender Röthung des
Kopfes, verbunden mit lästigem Hitzegefühl,
beobachtet.
Die geringe Einwirkung des Chloralamids
auf die Circulationsorgane kann man aus
zwei Gesichtspunkten erklären. Einmal
wird das Chloralamid durch das freie
Alkali des circulirenden Blutes lang-
sam in Chloral(hydrat) und Forma-
44*
348
Kny, Chloralformamid, ein neues Sehlafinittel.
rTherapeaÜiche
L Monatabefta.
mid gespalten, und es kommt dadurch
immer nur eine kleine Quantität Chlo-
ral auf einmal zur Wirkung.
Zweitens wirkt das abgespaltene
Formamid wie alle Korper der N Hj-
Gruppe erregend auf das Gefäss-
centrum in der Medulla und damit
erhöhend auf den Blutdruck.')
Fassen wir die Unterschiede in der Wirkung
beider Chloralpraparate nochmals kurz zusam-
men, so sind dieselben folgende: Das Ghloral-
hydrat wirkt stärker hypnotisch als Chloral-
amid und wird deswegen in Fällen, welche
die Anwendung eines sehr energischen Schlaf-
mittels erfordern, nicht umgangen werden
können. Dagegen hat das Ghloralamid vor
dem Chloralhydrat besonders den Yorzug,
dass es nicht auf das Herz wirkt, den Ver-
dauungskanal nicht afficirt und wegen seiner
Geschmacklosigkeit weit lieber genommen
wird. Endlich hat das Ghloralamid noch
den Vortheil, dass es nicht von Congestions-
erscheinungen und unangenehmen Neben-
wirkungen nach dem Erwachen, wie dies
mitunter bei Chloralhydrat der Fall ist, be-
gleitet wird.
Vergleichende Versuche, welche ich bei
einer Anzahl Patienten zwischen der Wir-
kung des Ghloralamids und des Sulfonals
angestellt habe, fielen in der Mehrzahl der
Fälle zu Gunsten des Ghloralamids aus; eine
ganze Reihe intelligenter, der Selbstbeob-
achtung fähiger Patienten haben mir zu
wiederholten Malen versichert, dass sie das
Ghloralamid dem Sulfonal vorziehen. Das
Ghloralamid zeichnet sich vor dem Sulfonal
dadurch aus, dass nach seiner Einnahme in
Folge der Leichtlöslichkeit der Schlaf viel
rascher eintritt und am andern Morgen be-
endet ist. Nach Sulfonal erfolgt die Wir-
kung erfahrungsgemäss erst nach einigen
Stunden und hält auch noch häufig tagsüber
an. Indessen gebe ich zu, dass einzelne
Fälle vorkommen können, in denen die Wir-
kung des Ghloralamids durch Sulfonal über-
troffen wird.
Auf Grund dieser Ausführungen
kann ich das Ghloralamid bei Schlaf-
losigkeit in Folge nervöser Erregungs-
zustände leichteren Grades, bei Neur-
asthenie, bei Agrypnie in Folge kör-
perlicher Leiden (Phthise, Herzfehler,
Rückenmarksaffectionen etc.), sowie
in allen Fällen von Insomnie, die
') Dass im Oreanismus Chloral(hydrat) aus
dem Chloralformamid abgespalten wird und zur
Wirkung kommt, konnte icn dadurch bestätigen,
dass ich im Urin eines Hundes, welcher 12 gr
Chloralamid erhalten hatte, ürochloralsäure m
grosser Menge nachwies,
nicht mit heftigen Schmerzen oder
starken Reizerscheinungen anderer
Art einhergehen, empfehlen.
Zum Schluss bemerke ich noch, dass
einige Versuche, die ich mit Ghloralacet-
amid am Thier und am Menschen ange-
stellt habe, ungünstige Resultate ergaben.
Dass Chloralacetamid als Schlafmittel un-
brauchbar ist, hängt offenbar mit seiner
Schwerlöslichkeit und der dadurch bedingten
langsamen Resorption sowie mit der schwe-
reren Spaltbarkeit zusammen.
Ueber die therapeutische TVirkuugr des
Kubidium- Ammonium - Bromid.
Vorläufige Mittheilung
von
Prof. Dr. Karl Laufenauer in Budapest.
Unter den Alkalibromiden sind das
Bromkalium, Bromnatrium, Bromammonium
die bekanntesten und die gebräuchlichsten.
Wir benutzen dieselben bei zahlreichen
Krankheiten des Central nervensystems, manch-
mal sogar mit yorzüglichem Erfolge. Um
nur eine Form zu erwähnen, so befindet sich
unter den gegen die genuine oder auch
secundäre Epilepsie anempfohlenen Mitteln
kein einziges, welches mit der Wirkung der
Alkalibromide concurriren könnte. Ver-
suchen wir auch andere Arzneien, so sind
wir dennoch in schweren und pressanten
Fällen alsbald auf die sicher wirkenden
Brompräparate angewiesen. Bei diesem
Sachverhalte dachte ich vor zwei Jahren
darüber nach, ob man nicht aus der Reihe
der Bromalkali -Metalle anders zusammen-
gefugte Verbindungen versuchen könnte, um
festzustellen, ob letztere dem Kalium-, Na-
trium- und Ammoniumbromid gleichwertbig
wären, oder diese noch an Wirksamkeit über-
träfen.
Meinen diesbezüglichen Plan theilte ich
Herrn G^za v, Karlovszkj, Assistenten
am hiesigen chemischen Institute, mit, wel-
cher seine chemischen Fachkenntnisse mir
gerne zur Verfügung stellte. Unser Gedan-
kenaustausch war ungefähr folgender. Be-
kanntlich ist die Wirkung des Kaliumbromids
viel energischer als jene des Natriumbromids,
und die Wirkung des letzteren ist abermals
beträchtlicher als jene des Bromlithiums.
Wenn wir nun in Betracht ziehen, dass von
den angeführten 3 Alkalimetallen das Kalium
chemisch das positivste, das Lithium das
m. Jalirg&nt.l
Angurt 1889. J
Lauf«tiauer, Therapeutische Wirkung dei ftubIdium-Animohiuhi-BroiAid.
349
minder positivste Element ist, dass femer
das Kalium abermals das grosste (39,04)
und das Lithium das geringste (7,01) Atom-
gewicht besitzt, so scheint die Wirksamkeit
der genannten Metallbromide mit der Posi-
tivität und dem Atomgewicht der betreffenden
Metalle im directen Yerhältniss zu stehen.
Nach diesen Erwägungen müssen wir
a priori zu dem wahrscheinlichen Schluss
gelangen, dass die therapeutische Wirkung
eines Alkalibromides, in welchem das Alkali-*
znetall eine grossere Positivitat und ein
höheres Atomgewicht besitzt als das Kalium,
auch bedeutender sein wird, als die Wirkung
des Kaliumbromids. Yon derartigen Metallen
verfugen wir nur über zwei: das Rubidium
und Caesium (Atomgewicht 85,2 resp. 132,5).
Zu therapeutischen Zwecken wurde
meines Wissens von diesen noch keines ver-
-wendet, wahrscheinlich weil einestheils beide
nur in letzterer Zeit durch die Spectral-
analyse entdeckt wurden, anderentheils
vielleicht ihres hohen Preises halber. Herr
Karlovszkj stellte Yor allem im Institute
des Herrn Prof. Than das Rubidium broma-
tum dar, und zwar aus dem im Handel vor-
kommenden Rubidium- Alaun. ImHerbste 1887
bekam ich 35 g von diesem Präparate. Die
Wirkung wollte ich auf rein empirischem Wege,
indem ich die meines Erachtens überflüssigen
Thierexperimente überging, bei J. E., einem
14jährigen, an Epilepsie leidenden Knaben
feststellen, der auf meine Abtheilung am
18. Septbr. 1887 aufgenommen wurde. Der
Kranke wurde 10 Tage hindurch beobachtet, und
derselbe hatte jeden Tag durchschnittlich 2,
sogar 3 typische epileptische Anfälle. Nun be-
gannen wir die Verabreich ung des Rubidium-
hromids. Dieses wurde Anfangs in Dosen
zu 0,5 g pro die gegeben, nach Tagen stieg
ich abermals mit 0,5 g, und als ich zur
taglichen Dosis von 2 g gelangte und dies
mehrere Tage hindurch verabreichte, ging
mir das Mittel aus ; an dem Kranken konnte
ich inzwischen einen Einfluss des Rubidium-
bromids auf die epileptischen Anfälle gar
nicht constatiren, was ich offenbar den
kleinen Dosen, dem kurzen Gebrauch des
Mittels und ausserdem jenem umstände zu-
schreiben muss, dass der Kranke einen sehr
schweren Fall repräsentirte.
Das Rubidiumbromid ist sehr theuer,
seine Darstellung aus Rubidium- Alaun ist
mit bedeutendem Material verlust verbunden,
da wir dasselbe nicht rein, sondern mit
Ammoniumbromid gemengt gewinnen,' und
in Anbetracht dessen, dass das Ammonium-
bromid ein ähnlich wirkendes Mittel ist,
proponirte mir Herr v. Karlovszky, dass
ich zu ferneren Versuchen nicht das reine
Rubidiumbromid, sondern die bei der Dar-
stellung selbst direct gewonnene Verbindung
mit Ammoniumbromid benutzen sollte. Diesen
Körper, welcher mehr als ein Salzgemenge
denn als ein Doppelsalz zu betrachten ist,
können wir Rubidium-Ammoniumbromid be-
nennen. Es ist ein weisses oder etwas gelb-
liches, krjstallinisches Pulver. . Es schmeckt
Anfangs etwas kühlend, später salzig. In
Wasser ist es sehr leicht (in der glei-
chen Menge seines Gewichtes) löslich. Kry-
stallwasser besitzt es nicht. Auf Platin-
draht in die farblose Flamme gehalten,
färbt letztere sich roth; die Flamme er-
scheint durch das Kobaltglas dunkelroth.
In trockener Eprouvette erhitzt, verflüchtigt es
sich theilweise und giebt einen weissen Rück-
stand. Mit Natronlauge erwärmt, entsteht
Ammoniak. Wird seine wässerige Lösung mit
etwas Chlorwasser und mit Chloroform ge-
schüttelt, so färbt sich letzteres röthlich-gelb.
Die Zusammensetzung des Körpers ist:
RbBr.3(NH4Br), das heisst ein Molekül
Rubidiumbromid und 3 Moleküle Ammo-
niumbromid. In 100 Gewichts th eilen sind
daher 36 Th. Rubidiumbromid und 64 Th.
Brom- Ammonium enthalten.
Herr v. Karlovszky stellte von diesem
Mittel im Laboratorium 400 g dar, später
bestellte ich nach seiner Anweisung bei
Kahl bäum in Berlin 1 kg, so dass ich
für ausgedehntere Versuche genügend Mate-
rial hatte.
Aus meinem ganzen Verfahren folgt als
selbstverständlich, dass ich dieses Mittel
vor Allem bei epileptischen Zuständen stu-
dirte, die Hysteroepilepsie ganz ausge-
schlossen, da bei dieser functionellen Krank-
heit die Alkalibromide so wie so als wir-
kungslos sich erwiesen.
Es ist nun natürlich, dass ich auf jeden
störenden Nebenumstand, welcher zu Trug-
schlüssen führen konnte, ein Augenmerk
hatte, was heutzutage in der zwar motivir-
ten, doch etwas fieberhaften Sucht nach
neuen Mitteln ein sehr häufiges Vorkommniss
ist. Und bei diesem Punkt zog ich in Be-
tracht, dass die Epilepsie in Bezug des
Erscheinens der Anfälle eine vollständig
unberechenbare Krankheit ist, welche nicht
nur bei den einzelnen Individuen in höchst
verschiedenen Intervallen auftritt, sondern
äusserst häufig auch bei ein und demselben
Kranken den Typus fortwährend wechselt.
Die Anfalle können in ebenso unmotivirter
Weise sich mehren, als abnehmen oder auf
bald längere, bald kürzere Dauer, im Kin-
desalter manchmal während 8 — 9 Jahre
vollständig ausbleiben. Soeben sprach ich
von einem Typus, ich bin genöthigt, mich
350
Laufenauer» Therapeutiaehe Wirkung des Rubidium- Ammonium-Bromid«
rlierapeutiidi«
Monatshefte.
selbst ZU corrigiren, da die Epilepsie in
Bezug des Erscheinens keinen Typus besitzt.
Seit Jahren notire ich und liess notiren die
Anfälle der Epileptischen, doch gelang es
mir in keinem einzigen Falle, irgend ein
System oder eine Regel hinsichtlich des
zeitlichen Erscheinens oder der Zahl der
Anfälle zu entdecken; wir können immer
nur von Anfällen mit durchschnittlicher
Zahl sprechen. Ich muss aber hervorheben,
dass bei den epileptiformen Anfällen der
Hysterischen in selteneren Fällen ein Er-
scheinungstypus Yorhanden ist, und zwar
so genau, dass dieser den Monat, den Tag,
sogar die Stunde und die Minute einhält,
worüber der Krankheitsverlauf eines auch
gegenwärtig unter Beobachtung stehenden
Falles meiner Privatkranken deutlichen Be-
weis abgiebt.
Bei dem Anstellen von Experimenten
mit einem neuen Mittel halte ich jene Epi-
leptischen für zweckentsprechend, bei wel-
chen nach vorläufiger Beobachtung sich her-
ausstellt, dass sie längere Zeit hindurch fast
jeden Tag Anfälle haben, und der Fall ent-
spricht vollständig meinen Intentionen, wenn
die Anfälle nach dem Auslassen des respec-
tiven Mittels ihren früheren Charakter
wieder annehmen, d. h. sie erscheinen aber-
mals sehr häufig. Wenn nun bei einem
solchen Kranken während der Anwendung
des Mittels in den Anfällen ein vollständiger
Stillstand oder eine bedeutende Verminderung
derselben sich einstellt, so kann ich sicher
folgern, dass dies die Wirkung des Mittels
war und kein zufälliges Ausbleiben bedeutet.
Wohl sind diese Fälle in therapeutisch-
experimenteller Hinsicht sehr überzeugend,
sie sind aber in therapeutischer Hinsicht in-
sofern nicht entsprechend, als dieselben, zu
den schwersten gehörend, nicht erlauben die
vollste anfallstillende oder richtiger die
Epilepsie heilende Wirkung des Mittels zu
Studiren; eine Ausnahme würde jedoch jenes
ideale, bis heute aber noch unentdeckte
Heilmittel bilden, welches die Epilepsie
vollkommen und sicher heilen würde. Be-
reits hier würde ich genöthigt sein — um
überflüssige Hypothesen zu übergehen —
auf den einzigen rationellen therapeutischen
Stützpunkt: auf das pathologisch-anatomische
Wesen der Epilepsie zurückzukommen, doch
vermeide ich dies absichtlich, denn ich würde
mich allzuweit von meinem vorgesteckten
Ziele entfernen, und bemerke nur, was ich
vor Jahren bereits betonte, dass, wenn wir
nämlich über das pathologisch-anatomische
Wesen der Epilepsie noch sehr wenig wissen,
so trägt hierin nicht die Epilepsie die
Schuld, sondern wir, denn die in der Litte-
ratur vorkommenden diesbezüglichen Be-
obachtungen erstrecken sich, auf die mikro-
skopische Durchforschung nur höchst selten,
obgleich sich Jeder davon leicht überzeugen
kann, dass das Mikroskop die interessante-
sten Befunde zu Tage fördert, wenn auch
makroskopisch garnichts eruirt wurde.
Ich greife zurück zur Schilderung meiner
Versuchsmethode ; das Rubidium- Ammonium-
bromid hatte ich folgenderweise angewandt:
Es gab Kranke, bei welchen ich das Mittel,
nach vorangehender längerer oder kürzerer
Beobachtung, an und für sich und längere
Zeit hindurch anwendete. Es gab aber
Kranke, bei welchen ich die Wirkung des
Mittels auf vergleichendem Wege feststellen
wollte, und zwar folgendermaassen: Der
Patient bekam 15 Tage hindurch z. B. 90 g
Kaliumbromid , hernach während abermals
15 Tagen 90 g Rubidium- Ammoniumbromid,
ferner während 15 Tagen von neuem die
gleiche Menge Kaliumbromid und schliess-
lich wieder während 15 Tagen ein Brom-
gemenge, welches in 90 g von Bromkalium,
Bromnatrium und Bromammonium je 30 g
enthielt. Vorausgesetzt, dass der Zustand
des Kranken dem Experiment entsprach,
verglich ich die in den vier Serien beobach-
ten Anfälle nach ihrer Zahl, Form und Dauer.
Diese Reihenfolge kehrte ich manchmal um,
in der Weise, dass das Rubidium- Ammoni-
umbromid zuerst, das Kaliumbromid zuletzt
verabreicht wurde. Es ist wohl natürlich,
dass wir bei einer derartigen Methode nur
eine relative und nicht absolute Wirkung
erhalten, wie ich mich auch nicht damit
brüsten kann, dass ich während dieser Zeit,
ja sogar auch nur in einem einzigen, zweifel-
los erwiesenen Falle ein absolutes Heil-
resultat erreicht hätte, obwohl ich auch
scheinbar geheilte Patienten hatte.
Von mehreren, später aufzuzählenden
Gesichtspunkten experimentirend, wandte ich
das Mittel bei 22 Personen an. Unter diesen
befanden sich: 12 epileptische Psychosen,
5 einfache Epilepsien, 2 Fälle von Hysterie,
je ein Fall von Gehirn syphilis und Tabes
und ein Versuchsindividuum.
Eine vollkommen relative Wirkung zeigte
sich bei 13 epileptischen Individuen, d. h.
die Zahl der Anfälle war ebenso gering oder
ebenso gross, wie während der Verabreichung
der anderen zwei Brompräparate.
Die Wirkung war gering oder nicht
sicher zu beurtheilen bei 3 Personen; bei
einem Individuum zeigte sich gar kein
Effect.
Ich benutzte bei diesem Ausweis das
vergleichende Verfahren, denn dieses schien
mir als das sicherste und reinste.
m. Jabrgauf .l
Augast 1889. J
Laufenaner, Therapeutische Wirkung des Rubidium-Ammonlum-Bromid.
351
Doch sehen wir nun die Resultate in
etlichen Fallen detaillirt.
Beobachtung!. S. St., 25jähriger unverhei-
ratheter Uhrmacher, wurde am 20. Febr. d. J. auf
die BeobachtuDgsabtheilung aufgenommen. Dia-
gnose: Psjchosis epileptica. Vor 8 Jahren bekam
er den ersten epileptischen Anfall. Seitdem leidet
er an täglichen Anfüllen, welche häufig nur in
etliche Secunden dauerndem Schwindel sich mani-
festiren.
Seine diesbezügliche Behauptung bekräftigt
die Beobachtung, da es keinen Tag ohne Anfall
giebt.
a) Vom 1. — 15. März, d. h. während 15 Tage
bekam er (vom 1. — 12. März 2 + 2, und vom
12.— 15. März 2 -H 3 g pro die) zusammen 64 g
Bromkalium. Die Zahl der Anfälle betrug 16,
die Dauer derselben B Secunden mit Salivation
und Bewusstlosigkeit.
b) Vom 16. — 30. März, also während 15 Tage
bekam er (am 16. März 2 + 2, 17.— 22. 2 + 3
und vom 23. — 30, 3 + 3 g pro die), in Summa
82 g Kubidium-Ammonium-Bromid. Die Zahl aer
Anfalle war 8; sie erschienen in der Form von
etlichen Secunden dauernden Schwindel mit ver-
schwundener Erinnerung; Patient fällt nicht um.
c) Vom 31. März bis 14. April, also während
15 Tage (vom 31. März bis 8. April 3 + 3,
und vom 9. bis 14. April 4 + 4 Kaliumbromid
+ 1,5 g Chloralhydrat pro die) bekam er zusam-
men 102 g Kaliumbromid und 9,0 g Chloralhydrat.
Es zeigte sich geriogercr und bedeutenderer Schwin-
del oft mit krampfigen Zuckungen; er fiel zusam-
men und war bewusstlos.
d) Vom 16.— 30. April, d. h. während 15 Tage
bekam er im Ganzen 90 g Bromkali-, Bromnatri-
und Bromammonium (im Verhältnisszu 30 + 30 + 30)
und zwar 3 + 3 pro die; die Zahl der Anfälle
betrug 30. Ihre Qualität wie bei c).
Beobachtung V. J. Gy., 24jährige, verhei-
rathete Tagelöhnerin. Sie wurde am 22. Januar
1889 auf die Beobachtungsabtheilung aufgenom-
men. Vor 4 Jahren bekam sie im Wochenbette
Schwindel; nach einem Jahre stellten sich be-
deutende Krampfanfälle ein. Seither leidet sie
an beiden.
Diagnose: Psychosis epileptica. Täglich 3 bis
4 Anfälle, besonders Nachts, wo sie dann laut
aufschreit.
a) Vom 1. — 16. März, d. h. während 15 Tage
(3 -f- 3 g pro die) bekam Patientin im Ganzen
90 g Bromkalium. Zahl der Anfälle 30. Sehr
starke und häufige Krampfanfälle mit vollkommener
Bewusstlosigkeit.
b) Vom 16. — 30. März, also während 15 Tage
(vom 16.— 22. März 3 + 3 und vom 23.— 30.
März 3 + 4 g pro die) bekam sie zusammen 98 g
Rubidiam-Anunonium-Bromid. Zahl der Anfälle
12. Dauer der Krampfanfälle 20 Secunden."
c) Vom 31. März bis 14. April, also während
15 Tage (4 + 4 pro die) bekam sie zusammen
120 g Bromkaliura. Zald der Anfälle 46. Es
zeigten sich theils Krampfanfälle, theils kleineren
Anfallen entsprechendes lautes Aufschreien.
d) Vom 15. — 29. April, also während 15 Tage,
bekam sie vom Bromkalium, Bromnatrium und
Bromammonium 120 g; pro die 4 + 4g. Zahl
der Anfälle 33. Qualität der Anfalle wie bei c),
Krampfanfälle zeigten sich nicht.
Beobachtung XIV. A. N., 14jähriges Mäd-
chen. — Ambulante Patientin. Diagnose: Epilep-
toid. Sie leidet nach eigener Angabe seit etlichen
"Wochen an Ohnmachtsanfallen, ihr Gesicht wird
starr, während Speichel aus dem Munde fliesst
und die Extremitäten steif werden. Die Anfälle
pflegen Herzklopfen und Hämmern in den Schläfen
einzuleiten.
Am 24. April bekam sie 2 + 3 g Rub.-Am-
mon.-Bromid. Am 8. Mai dieselbe Therapie.
Während sie vorher täglich auch 5 Anfälle hatte,
empfand sie seit der Verabreichung des Rub.-Am-
mon.-Bromids (14 Tage) nur zweimal Schwindel.
Beobachtung XVIT. N. N., 21 jähriger,
unverheiratheter Musikant. Seit seinem 9. Jahre
leidet er an Schwindel und an ausgeprägten
grösseren Krampfanfällen. Patient meldete sich
in meiner Privatpraxis. Diagnose: Epilepsie. Seit
längerer Zeit nahm er 6 g Bromkali und 1 cg
Belladonna. Später zeigte sich täglich der Schwin-
del oder ein y, stündlicher, mit Bewusstlosigkeit
ein hergehender Krampfanfall. Manchmal bestand
eine 3 — 4tägige Pause ohne besondere Ursache.
Ich verabreichte ihm während 2 Wochen 6 g
Rub.-Ammon.-Bromid pro die. In der Anzahl
und Qualität der Anf&lle zeigte sich kein Unter-
schied.
Indem ich die ausführlichere Mittheilung
meiner Beobachtungen auf eine andere Ge-
legenheit mir vorbehalte, beschränke ich
mich diesmal nur auf folgende Bemerkungen.
Die antiepileptische Wirkung des Rub.-
Ammon.-Bromids studirte ich bei 17 Epi-
leptischen. In dieser Zahl vraren fast sämmt-
liehe klinischen Varietäten der Epilepsie
enthalten. Es fanden sich nämlich die ein-
fache, krampfhafte Epilepsie, die mit gerin-
gerem oder bedeutenderem Schwindel einher-
gehende Epilepsie, die epileptische Psychose
und Epilepsie in Form maniakalischen Aequi-
valentes vor. Die tägliche Dosis variirte
zwischen 4 — 7 g. Die Wirkung entsprach
im Ganzen der Bromkali- Wirkung, indem
wir wohl wissen, dass die Brompräparate in
gewissen Fällen der Epilepsie wirkungslos
sind. Ich kann jedoch die Bemerkung nicht
unterdrücken, dass das Bromrubidium in
6 Fällen von -Epilepsie (siehe Beobachtung I.
und V.) eine zweifellos viel bedeutendere,
anfallstillende Wirkung entfaltete, wie die
verwandten Brompräparate.
Ausserdem versuchte ich die sedativ-
hypnotische Wirkung des Rub.-Ammon.-Bro-
mids. Die abendliche Dosis war 4 — 5 g.
Das Resultat war sehr zufriedenstellend, da
meine schlaflosen Patienten in einen 4 bis
6 Stunden andauernden Schlaf versanken.
Nach den allerdings wenig zahlreichen
Erfahrungen in meiner Privatpraxis dürfen
wir erwarten, dass unser Mittel ausser bei
352
rHierapentbdi«
Laufenftuer, TherftpeuUscb« Wirkung da« Rubidium- AnUnonium-firomid. 1 SonSSefte.
den aufgezählten Krankheiten auch bei an-
deren Neurosen sich bewähren wird.
Die bisher bekannten Bromide der Al-
kalimetalle entfalten ihre Wirkung nach
allgemein bekannter Ansicht derart, dass
die Bestandtheile Kalium, Natrium, Ammo-
nium etc. auf das Blutgefässsystem, der Be-
standtheil Brom aber direct auf das Gentral-
nervensystem wirken. Bei dieser Wirkungs-
weise können wir bei der Einführung des
Rub.- Ammonium -Bromids eine gesteigerte
Kaliumwirkung erwarten, worauf auch meine
Beobachtungen zu deuten scheinen. Nach 5 g
Rub.-Ammon.-Bromid erschien bei dem
Yersuchsindividuum nach 30 Minuten die
Respiration unverändert, die Temperatur um
0,2^0. gesunken und der Puls um 4 Schläge
vermindert. Bei einer neueren, nach 30 Mi-
nuten vorgenommenen Untersuchung kehrten
Temperatur und Puls zu ihrem früheren
Zustande zurück.
Unangenehme Nebenwirkungen hatte ich
bei der Verabreichung dieses Mittels nicht
beobachtet; die durch dasselbe hervorgerufenen
physikalischen Aenderungen (Reflexvermin-
deruDg etc.) stimmen mit der Wirkung der
verwandten Brompräparate überein. Einen
Ausschlag konnte ich bei seiner Anwendung
nicht beobachten, welcher Umstand höchst
wahrscheinlich durch die Qualität der Fälle
bedingt war. Am zweiten Tage nach der
Einnahme des Rub. -Ammon.- Bromids ist
letzteres mittelst der Spectralanalyse im Urin
nachzuweisen (bei 2 g pro die)^ jedoch in
geringer Menge, es scheint sich im Organis-
mus anzuhäufen oder es wird anderwärts
gebunden. DerBestandtheil Brom aber wird in
Form einer organischen Yerbindung eliminirt.
Diese Daten verdanke ich der Liebenswür-
digkeit des Herrn Prof. Plosz, der übrigens
die diesbezüglichen Untersuchungen fortzu-
setzen versprach.
Die Verordnungsweise des Rub.-Ammon.-
Bromids stimmt mit jener der übrigen Brom-
metalle vollkommen überein. Am besten
ist der Lösung ein säuerlicher Syrup, z. B.
Syr. Citri oder Gort. Aurant. beizugeben.
Folgende Formel kann ich sehr anempfehlen,
welche es ermöglicht, das Mittel in genauen
Gramm-Dosen zu verordnen.
1^ Rub id. -Ammon. bromati 6,0
Aquae destillatae 100,0
Syr. Citri 20,0
M. D. S. Jeder Esslöffel enthält 1 g
Rub.-Ammon.-Bromid.
Empfehlenswerth ist auch jene Ver-
ordnungsweise, nach welcher abgewogene
Gramme des Pulvers in einem Citronat
oder Orangeat eingenommen werden. Die
wirksamen Dosen fangen bei 2 g an, die
grösste Menge beträgt 5 g pro do8i\
pro die 7 — 8 g, eventuell auch melir.
Die Verordnung in Pulver oder Pillen kann
ich nicht anempfehlen, denn das Mittel
nimmt die Lösungskrafb des Magens sehr in
Anspruch. Gleichzeitig bemerke ich, dass
das Rub.-Ammon.-Bromid heute bereits in
allen Budapester Apotheken zu bekommen
ist; der Fabrikspreis eines Grammes ist
9 Kreuzer, sein Apothekerpreis wird aller-
dings mehr betragen.
Ein verbreiteter Gebrauch wird dieses
nach meiner Ansicht schätzbare Mittel aller-
dings billiger machen, bei welchem ausser
seiner pharmako-dynami'schen Wirkung auch
zweifelsohne dessen suggestive Wirkxmg in
Betracht zu ziehen ist: jedes neue, dem
Patienten noch unbekannte Mittel erweckt
die Hoffnung der Genesung, und wirkt somit
erfrischend, anregend auf die psychomoto-
rischen Centren der Rinde, von wo durch
Reflexübertragung in vielen Fällen Genesung
oder Besserung erzielt wird.
Wenn kein anderer, so ist auch dieser
Gesichtspunkt genügende Indication zum
Versuch seiner eventuellen Wirkung.
Ich erachte mit gegenwärtiger Publication
meine, auf die Therapie der Epilepsie ab-
zielenden Bestrebungen noch nicht für ab-
geschlossen; ich beabsichtige die Wirkung
dieses und anderer geplanter Heilmittel an
experimentell epileptisch gemachten Thieren
zu erproben, und reservire mir bereits bei
dieser Gelegenheit das Prioritätsrecht, um
die Verbindung des Broms mit Caesium
zum Gegenstand ähnlicher Versuche zu
machen.
Zur Therapie des Erysipels,
speciell dessen meclianisclie Bebandluugr.
Von
Dr. Hermann Kroell in Strassburg.
Zur Zahl der Krankheiten, deren gründ-
lichere Erforschung in neuerer Zeit eine
sichere Grundlage für ihre Therapie abge-
geben hat, gehört auch das Erysipel. Das
emsige theoretische Studium auf allen medi-
cinischen Gebieten hatte zwar bis vor kurzem,
je mehr man sich der Complicirtheit der
Vorgänge bewusst wurde, im Allgemeinen
statt einer Forderung der Therapie, nach
dem Vorbilde eines Skoda, einen verzweif-
lungsvollen therapeutischen Nihilismus her-
vorgerufen. Aber diese umständlichen theo-
llt Jfthffang.'l
Angnrt 1889. J
Kro«ll, 2ur Therapie dei Eryiipeli, Bpeeiell detten mechanische Behandlung.
353
retischen Studien waren andrerseits allein
im Stande, in positivem Sinne nützlich zu
"wirken und der Therapie zum zielbewussten
Handeln eine wissenschaftliche Stutze zu
geben.
So hat die Erkenn tniss der Aetiologie,
die pathologische Anatomie und die rich-
tige Anschauung über die zeitliche Aufein-
anderfolge der einzelnen Erscheinungen am
Kraukenbett auch bei der uns beschäftigen-
den Krankheit ein festes Fundament für die
Behandlung geschaffen.
Wir brauchen nicht auf Galen zurück-
zugehen, welcher beim Erysipel erhitztes
Blut mit gelber Galle gemengt in die Haut
gelangen lässt, oder auf Rhazes, der es
Ton dünnem und heissem Blut ableitet und
daraus die Indicationen für das therapeutische
Yorgehen entnahm, wir dürfen nur um
150 Jahre zurück schauen, um Ton Lauren-
tius Heister zu erfahren, dass das Ery-
sipel aus unnützem und Terdorbenem Geblüt
hervorgehe, welches durch die Schweiss-
löcher als den besten und kürzesten Weg
ausgetrieben werden müsse.
Und seitdem bis vor kurzer Zeit wur-
den allerlei innere Leiden, Erkältung, epi-
demische Constitution und Gemüthsbewegun-
gen, Gallenreiz und Anhäufung gastrischer
ünreinigkeiten (noch von Chelius) als ätio-
logische Momente angenommen und demge-
mäss das Handeln des Arztes bestimmt.
— An Stelle dieser verschwommenen theils
auf naturphilosophischer Speculation, theils
auf fehlerhafter Auffassung der Causalität
der Symptome beruhenden Anschauungen
wird nun fast widerspruchslos das Krank-
heitsbild in der Weise aufgefasst, dass durch
eine des Epithels beraubte kleinere Stelle
oder durch grössere äussere Wunden der
Fehleisen^sche Streptococcus in die Lymph-
räume eindringt, durch seinen Lebensprocess
die Entzündung der Haut und durch die
Abgabe von Toxinen ins Blut die Allgemein-
erkrankung hervorruft.
Die Erkrankung breitet sich in der
eigentlichen Cutis weiterkriechend aus, aber
nicht nach der Richtung des allgemeinen
Lymphstromes, sondern nach den verschie-
densten Richtungen imd an den Extremi-
täten sowohl in proximaler als distaler
Richtung. Durch diese Flächenausbreitung
unterscheidet sich das Erysipel als Entzün-
dung der Lymphräume der Cutis patholo-
gisch-anatomisch von der strangformigen
Lymphangioitis. Aber trotz dieser auf den
ersten Blick ungebundenen Verbreitung des
Coccus in der Lederhaut, liegt doch auch
hier eine gewisse Gesetzmässigkeit vor,
indem nach den Untersuchungen von Pfle-
ger die Verbreitung durch die von Lan-
ger angegebene Spaltbarkeit der Haut be-
stimmt wird. Ich mochte hier nur kurz
daran erinnern, dass Langer durch Ein-
stechen einer spulrunden Ahle an den mei-
sten Stellen der Haut nicht ein rundes
Loch, sondern lineare Spalten auftreten sah,
ein Beweis, dass es sich um eine vorwiegend
in einer bestimmten Richtung verlaufende
Faserrichtung handelt; an einer Reihe an-
derer Stellen entstanden durch die gleiche
Procedur dreieckige und zerrissene Löcher,
was auf eine Kreuzung von in verschie-
dener Richtung laufenden Fasersystemea
hinweist (Unna). An den dadurch entstan-
denen Knotenpunkten wird nun dem Vor-
dringen des Streptococcus Widerstand ge-
boten, dasselbe oftmals sistirt, und der
Wanderung des Erysipels eine gewisse Ge-
setzmässigkeit aufgedrückt. In diesem ana-
tomischen Verhalten der Cutis liegt also
der Grund, warum an einzelnen Stellen die
Wanderung des Erysipels eine gleichmässig
fortschreitende und langsame ist, während
an andern Stellen sich zungenartige Fort-
sätze rasch vorschieben, der Richtungslinie
von ungekreuzten Fasersystemen folgend,
Fortsätze, welche wohl auch als Fackeln
bezeichnet worden siad.
Alle übrigen Erscheinungen, die das
Krankheitsbild bietet, sind entweder Rei-
zungen der angrenzenden Gebilde, wie des
Rete und des Unterhautbindegewebes, oder
und vor Allem Folgen der Aufnahme von
Toxinen und andern, durch die Entzündung
und den dadurch veränderten Stoffwechsel
hervorgebrachten Stoffen ins Blut. Das
Fieber geht mit dem Steigen und Fallen
der Örtlichen Erscheinungen Hand in Hand
und zeigt so nach oben und nach unten
deutliche Schwankungen.
Auf Grund dieser unseren heutigen An-
schauungen zu Grunde liegenden Thatsachen
muss die Therapie aufgebaut werden. Wir
müssen klar dabei vor Augen behalten, dass
wir es zu thun haben mit einem Mikroor-
ganismus, der 1. nur in der Cutis seinen
Nährboden sucht, der sich 2. zwar nach
allen Richtungen weiter verbreiten kann,
dessen Umsichgreifen aber durch Knoten-
punkte sich kreuzweise treffender Cutisfasern
ein gewisses Hinderniss entgegengesetzt wird
und der 3. durch seinen eigenen Lebenspro-
cess und den veränderten der betroffenen
Haut secundäre Allgemeinerscheinungen her-
vorzurufen im Stande ist. Von der letzten
Indication will ich weiter nicht sprechen;
sie muss nach allgemein gültigen Regeln
erfüllt werden; somit bleiben blos die bei-
den Aufgaben hier näher zu erörtern übrig,
45
354
Kr o eil. Zur Therapie des Erysipels, speeiell dessen mechanische Behandlung.
rlierspeatiacho
Monatehelle.
wie der Mikrobe an Ort und Stelle in sei-
nem Lebensprocess abgeschwächt oder ge-
todtet und wie bei mangelhaftem Erfolg in
dieser Eich tu Dg die Weiterausbreitung auf
noch gesunde Hautpartien verhütet werden
kann.
Wenn auch in letzter Zeit wieder der
therapeutische Nihilismus beim Erysipel ge-
predigt wird, wenn z. B. Weigel in Lem-
berg meint, dass eben jede Therapie zum
Ziele führe, sofern hinreichend Spannkraft im
Organismus sei, und dass jeder Streit um
die Therapie des Erysipels ein Streit de
lana caprina sei, so wird ein derartiger
Ausspruch doch nicht im Stande sein, die
Aerzte zu müssigen Zuschauern zu machen,
da die Krankheit wohl häufig in leichter
Form, oft aber auch in so erschreckender
Weise auftritt, dass das Handeln des Arztes
mit aller Macht herausgefordert wird. Und
dies wird um so eher der Fall sein, als die
schweren Allgemeinsymptome als Folge der
ortlichen Erkrankung erkannt sind und man
bei letzterer selbst den gifterzeugenden Pilz
und die durch ihn hervorgerufene Entzün-
dung auf die Cutis beschränkt vor sich hat,
also an einer zugänglichen fassbaren Stelle,
wie das sonst in so vielen andern Krank-
heiten nicht der Fall ist, wo doch auch
therapeutisch eingeschritten werden soll.
In beiden oben gestellten therapeutischen
Aufgaben sind wir mit unserm Können noch
nicht zum wünschenswerthen Ziele gelangt;
aber nachdem die Eichtung des Strebens
vorgezeichnet ist, wird muthmasslich der
Erfolg auch nicht ausbleiben.
Vor Allem handelt es sich also den
Pilz zu zerstören, eventuell abzuschwächen.
Es würde zu weit führen, hier alle die
Stoffe aufzuführen, welche zu diesem Zwecke
bis jetzt empfohlen worden sind. Auch
wurden einer Eeihe derselben schon vor der
Auffindung des Pilzes eine wesentlich gün-
stige Einwirkung zugestanden. Ich werde
mich auf eine kurze üebersicht beschränken,
da meine Ausführungen hauptsächlich der
zweiten Indication, nämlich der mechani-
schen Verhütung der Ausbreitung der Pilz-
krankheit gelten sollen.
Vor Allem sind zur Vernichtung des
Mikroorganismus thermische Einwirkun-
gen in ihren entgegengesetzten äussersten
Graden anzuführen; also einerseits Eis,
andrerseits das Brennen des Eothlaufs, wie
es nach Hilsmann in der Türkei geübt
wird, indem auf der erkrankten Fläche über
einem Tuch Werg abgebrannt oder indem
anderwärts die Stelle mit Filz bedeckt und
rasch einige Male mit einem Glüheisen über-
fahren wird. Hauptsächlich sind es aber
die chemischen Agentien, auf welche das
Augenmerk gerichtet wurde, die einerseits
den Pilz direct in seiner Entwicklung hem-
men, andrerseits eine solche Eeizung der
Haut herbeiführen sollen, dass der Nähr-
boden für denselben ein ungünstiger wird.
Unter die ersteren, die pilzfeindlichen
Mittel, gehören vor Allem
1. die Quecksilberpräparate. So
wurde das Emplastr. mercuriale aufgelegt
(Neumann); ebenso die graue Salbe auf
Lappen aufgestrichen und l°/ooige Sublimat-
lösung mittelst Verbandwatte aufgebunden;
2. die Carbolsäure, welche von Hü-
ter an der Grenze des Erysipels, also neben
der Grenze, wo die Pilzvegetation am leb-
haftesten vor sich geht, mittelst subcutaner
Injection verwendet wird; Mischungen mit
Jod und Terpentin (Eothe); als 3 bis
^%ig6 Lösung mit Mucilago gummi arabic.
auf gestrichen (Nolte);
3. die Salicylsäure, theils subcutan
(Petersen), theils als Umschläge mittelst
einer Lösung von salicyl saurem Natron (Hal-
lopeau);
4. Ol. terebinthinae aethereum
zur Aufpinselung auf die erkrankte Stelle
und deren Umgebung (Lücke);
5. Spiritus absolutus von 90% zum
energischen Abwaschen der kranken Stellen
und deren Umgebung (Bohrend);
6. Eesorcin 5,0 : Vaselin. 20,0 als Ein-
reibung ;
7. Ichthyol in verschiedenen Formen
(Nussbaum).
Zu den hautreizenden und in oben ange-
führtem Sinne umstimmenden Mitteln möchte
ich rechnen
1. die Jodtinctur und zwar als Tinc-
tura jodi fortior, womit der ganze Theil be-
strichen und dann wegen der heftigen
Schmerzen mit Eisumschlägen behandelt
wird (Hasse);
2. Argentum nitricum, welches in
einer Lösung von 1 : 8 — 10 nach vorheriger
Seifenabwaschung auf die ganze entzündete
Stelle und deren Umgebung aufgepinselt
wird. Ein rasch darauffolgender Tempera-
turabfall wurde von Volkmann durch ge-
naue Curven constatirt.
Die gegebene Aufzählung macht keinen
Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll
nur eine übersichtliche Eintheilung der
hauptsächlichsten Mittel geben. Der Werth
der einzelnen Stoffe ist auch durchaus nicht
unbestritten, und es muss der Zukunft vor-
behalten bleiben, darüber zu entscheiden.
Die Hoffnung aber, den Streptococcus mit
sicher vernichtenden Stoffen zu erreichen,
liegt um so näher, als dieser sich auf seinen
in. Jahrgang.!
August 1889. J
Kr cell, Zur Therapie des Eryilpeli, ipeeiell dessen mechanische Behandlung^.
355
zugänglicben anatomischen Sitz ebenso be-
schränkt -wie die Krätze auf das Rete mu-
cosum oder die Pityriasis yersicolor auf die
obersten Epidennisschichten.
So lange aber ein solch sicheres Mittel
nicht gefunden ist, bleibt noch eine zweite
Behandlungsmethode zu Recht bestehen,
von der ich in diesen Zeilen hauptsächlich
reden mochte. Es ist dies die mecha-
nische Behandlung, welche der oben be-
rührten zweiten Indication entspricht.
Es ist sehr begreiflich, dass dem beob-
achtenden Arzt, der den Erysipel wall dro-
hend sich Torschieben sah, der Gedanke sich
aufdrängen musste, durch mechanische Mittel
das Weiteryorschreiten der Entzündung zu
hindern, die angrenzenden gesunden Gewebe
vor dem üeberfluthetwerden durch einen Wall
zu schützen.
So soll schon Yelpeau im Allgemeinen
die Compression empfohlen haben, EUiot-
son umkreiste den Rand mit Hollenstein,
Baumgärtner that dasselbe mit dicken
Schichten Collodium, Otto überzog ihn mit
Leinolfirniss und Binden, Andre mit Was-
serglas, Wolf 1er anfangs mit Traumaticin,
später mit Heftpflasterstreifen. Endlich
wurde sogar empfohlen, durch Aetzung oder
tiefen Einschnitt einen Trennungsgraben an-
zulegen und diesen mit 5^/oiger Carb Ölsäure
zu berieseln (Kühner)!
Dass es durch diese Massnahmen oft
auch gelungen ist, einen therapeutischen Er-
folg zu erzielen, ist für mich unzweifelhaft,
wenn auch die Methode "von Zweiflern ver-
lacht und von Andern die Art der Wirkung
missdeutet wurde. So lässt Neu mann das
Collodium durch die Kälte, Leb er t durch
die Milderung der entzündlichen Spannung
wirken, was doch kaum glaublich ist.
Wenn aber Wolf 1er meint, „eine ge-
nügende Erklärung des werthvollen Verfah-
rens^ nicht geben zu können, so scheint
mir eine solche doch nicht so fern zu lie-
gen. Ich erinnere nur an die oben ange-
führten anatomischen Thatsachen, welche von
Pfleger hervorgehoben wurden. Da es
sicher steht, dass das Erysipel nicht in
gleich leichter Weise nach den verschiede-
nen Richtungen sich durch das Gewebe der
Cutis verbreitet, dass dessen Fortschreiten
überall da Hindernisse findet, wo sich die
Fasersysteme der Cutis, rhombische Formen
bildend, durchkreuzen, so ist es auch wahr-
scheinlich, dass mechanische Hindemisse,
wie sie durch die Compression der Haut
gegen eine harte Unterlage künstlich her-
gestellt werden können, eine ähnliche Wir-
kung auszuüben im Stande sind, wie jene
Kreuzungspunkte.
Durch eine solche Compression wird
künstlich das nachgeahmt, was bis zu einem
gewissen Grade der anatomische Bau erfah-
rungsgemäss an und für sich schon leistet,
es werden dadurch künstliche Knotenpunkte
geschaffen.
Dass all den oben genannten Methoden
wesentliche ünvoUkommenheiten anhängen,
lässt sich wohl nicht leugnen. Die durch
dieselben hervorgerufene Compression ist
eine zu geringe und zu wenig nachhaltige.
Deshalb mochte ich hier auf ein nahe
liegendes Verfahren aufmerksam machen,
das mir in allen den Fällen, die ich in letzter
Zeit zu behandeln Gelegenheit hatte, in
auffallender Weise das Weiterschreiten des
Processes verhütet hat.
Ich umspanne nämlich neben dem hoch-
geschwollenen Rande die gesunde Haut —
an den Extremitäten mit einem 6 — 8 Milli-
meter dicken Kautschuk schlauche — am
Kopfe mit einem 3 Centimeter breiten und
je nach dem Kopfumfang verschieden lan-
gen glatten Kautschukring. Zur Erläuterung
theile ich im Auszug zwei meiner Kranken-
geschichten mit, weil daraus wohl die Ap-
plicationsweise am deutlichsten ersicht-
lich ist.
In dem einen Fall, der mich im December
vorigen Jahres auf dieses Verfahren geführt hat,
handelte es sich um ein Erysipel, welches von
einer graDulireoden Fistelöffnung am äusseren
Rande des rechten Quadratas lumborum ausge-
gangen ist. Der Mann hatte zwei Jahre vorher
ein schweres Kopferysipel überstanden. Die er-
wähnte Fistelöffnung war nach einer grossen In-
cision zurückgeblieben, die ich ein Jahr yorher
auf einen perityphlitischen Abscess, bald nach
einer ähnlichen Incision unter dem Poupar tischen
Bande, gemacht hatte. Die Infection der ersten
Stelle entstand trotz täglicher sorgfältiger Creolin-
behandlung der beiden Wunden und des sie Ter-
bindenden Fistelganges. Ich erwähne diese That-
Sache, weil sie zeigt, dass nicht alle Antiseptica
gleich schützend gegen das Eindringen des Strepto-
coccus wirken; — es müsste denn etwas versehen
worden sein. Sie liefert aber den Beweis, dass
wenigstens in diesem Falle der einmal eingepflanzte
Pilz durch das Creolin nicht gleich wieder zer-
stört wurde.
Das Erysipel breitete sich, ohne scharfe Rän-
der zu bilden, über den Rucken bis zum Hals aus
und wurde da anscheinend mit gutem Erfolg mit
Terpentinspiritus behandelt. Mit einem Male er-
schien das Erysipel am rechten Beine, breitete
sich, scharfe geschwollene Ränder bildend, rasch
in distaler Richtung aus und brachte durch die
mit dieser Ausbreitung verbundenen hohen Tem-
peraturen den Kranken in grosso Lebensgefahr.
Einreibungen von Ichthyol in reinem Zustande und
verbunden mit gleichen Theilen Vaselin und La-
nolin hielten das Fortschreiten nicht auf, und so
umgürtete ich, als das Erysipel am Knöchel an-
45*
356
Kroell, 2ur Therapie dei Eryiipeli, tpeeiell deuen mechft&iftehe Behandlunit' f^o'iuSSSto^
gelangt war, diese Stelle mit einer dicken Collo-
diamschicht. Das bisherige rapide Fortschreiten
wurde dadurch nur einen Tag aufgehalten, worauf
der Ring durchbrochen und rasch der ganze Fuss
bis zu den Zehenspitzen ergriffen wurde. Ich
glaubte, dass damit der Process seinen Ablauf ge-
funden haben werde, als Tags darauf unter heftigen
neuen Fiebererscheinungen die Wanderung nach
dem linken Oberschenkel begann und die bedenk-
lichsten Schwächezustände hervorrief. In der Mitte
des Oberschenkel legte ich nun unter dem scharf-
randigen Erysipel abermals einen breiten und
dicken CoUodiumstreifen an, aber schon am fol-
genden Tage war er rissig zersprengt und das
Erysipel war weiter gewandert. Nun brachte ich
unterhalb der äassersten Grenze des Rothlaufs ein
ein Gentimeter breites adhäsives Gummipflaster an,
welches ich rings um die Extremität stark anzog.
Rasch breitete sich das Erysipel an denjenigen
Stellen, welche noch frei geblieben waren (da ja
die Entzündung nicht an allen Pankten gleich weit
vorgedrungen war), bis zum Heflpflasterband aus,
lag mehrere Stunden wallartig über demselben,
worauf aber auch dieses durchbrochen wurde.
Jetzt legte ich unterhalb der Grenze nach
Art des Esmarch^ sehen Schlauches einen 6 mm
dicken Kautschukschlauch in zwei hart sich an
einander schmiegenden Spiralen an, also in einer
etwas über 12 mm betragenden Breite fest um den
Schenkel an, aber nach 12 Stunden war auch diese
Grenze durchbrochen, indem an der lateralen
Seite sich eine anfangs flache Zunge vorschob.
Nun wurde endlich der Schlauch unterhalb des
Eniees so angelegt, dass die an einander liegenden
Schlauchspiralen die Hautpartie in einer Breite
von 6 cm straff umspannten, also eine ganze
Reihe von Spiralen gebildet wurden. Der Puls in
der Pediaea war das Zeichen, dass durch den
Schlauch die Cutis zwar fest auf die unterliegende
Fascie aufgedrückt, die Circulation aber in den
subfascialen Theilen ungestört geblieben war.
Unter Fortbestand des Fieber wanderte nun
das Erys. rasch bis zum Schlauch, stieg wallartig
an demselben empor, blieb aber hier stehen, und
die Temperatur fiel am zweiten Tage unter die
Norm. Nur an einer kleinen Stelle war ein blass-
rother Fortsatz unter dem Schlauch durchgedrun-
gen, ein Zeichen, dass das Erys. eine entschiedene
Tendenz zum Weitervordringen hatte, was auch
aus dem scharfen und hochgeschwollenen Rande
hervorging. Das sehr schmerzhafte Befallenwerden
des Fusses wurde dadurch dem Kranken erspart
und die ganze Erkrankung abgekürzt, was in diesem
Falle wegen des stets drohenden Collapses von
hohem Werthe war.
Dies ist der einzige Fall von allgemei-
nem Erysipel, den ich in Betreff meiner
mechanischen Behandlung prüfen konnte.
Soviel geht aber aus dieser Krankenge-
schichte jedenfalls hervor, dass
1. die Compression der Haut, welche
meiner Meinung nach künstlich den hem-
menden Wirkungen der gekreuzten Fasersy-
steme, nur in erhöhtem Maasse, entspricht,
eine solche sein muss, dass die Haut längere
Zeit wirklich bis zu einem gewissen Grade
mit anhaltender Stärke comprimirt wird;
Collodium, Heftpflaster u. dgl. reichen zu
diesem Zweck nicht aus; — dass
2. die Compression eine gewisse Breite
einnehmen muss und an den Extremitäten
mindestens 5 Gentimeter betragen soll ;
und dass
3. die Compression die Circulation der
tiefer liegenden Partien freilassen muss.
Im angeführten Fall handelte es sich
um eine in distaler Richtung fortschreitende
Entzündung; kriecht diese in proximaler
Richtung fort, so wird der Arzt auf die
circulatorischen Verhältnisse ein noch schär-
feres Augenmerk zu richten haben, da sonst
leicht Gangrän der peripherischen Theile die
Folge sein könnte. Eine entsprechende Um-
sicht wird aber wohl auch in letzterem Falle
die Anwendung der beschriebenen Ligatur
erlauben.
Meine übrigen Beobachtungen und Ver-
suche betreffen das Gesichts- und Kopfery-
sipel. In diesen Fällen war die Anwen-
dung des Schlauches selbstverständlich nicht
möglich, da die einzelnen Spiralen bei jeder
Bewegung des Kopfes abzurutschen drohen.
An die Stelle des Schlauches muss hier ein
Gummiband gesetzt werden.
Da das Erysipel meist als Gesichtsery-
sipel von der Nase oder den Ohren aus-
geht, so handelt es sich vor Allem, den
Uebergang auf den behaarten Kopf zu ver-
hüten, da durch einen solchen die Dauer
eine längere wird, die Allgemeinzufälle sich
steigern, die Meningen ergriffen werden
kennen und ausserdem auch der heftige
Schmerz und der spätere Haarausfall in Be-
tracht kommen.
Man möge mir verstatten, mein Verfah-
ren in diesen Fällen ebenfalls durch die
kurze Beschreibung einer Krankengeschichte
zu erläutern.
Bei einem 45j&hrigen Kranken, der vor 3 Jah-
ren schon einmal eine schwere Erkrankung an
Gesichts- und Kopfrose mit allen unangenehmen
Folgen durchgemacht hatte, trat in Folge von ver-
nachlässigtem Nasenkatarrh mit Krustenbildung
am 14. März 1. J. unter dem rechten Auge ein
scharfrandiges Erysipel auf. Die Abendtemperatur
war 40,0. Am 15. hatte sich dasselbe fast über das
ganze Gesiebt verbreitet. Abendtemperatnr 39,2.
Da die Wanderung auf die Stirn überzugehen droht,
so wird ein Gummiring von 36 cm Umfang, 3 cm
Breite und 2 mm Dicke, wie solche in jedem Kaut-
schuk waarengeschäft erhältlich sind, den untern
Theil der Stime und des Hinterhauptes umspannend
um den Kopf angelegt, welch letzterer selbst einen
Umfang von 58 cm hatte. Am 19. ist das Erys.
ringsum bis zum Gummiband vorgeschritten; die
mächtige Schwellung fUlt steil ab gegen den un-
teren Rand des Bandes; Ohren, Augen, Gesicht
m. Jahrgang.')
Aagnat 1889. J
Kr o eil, Zur Therapie dei Erytlpeli, speeiell deaien mechanische Behandlung.
357
sind bis zur ünkennbarkeit geschwollen. Abend-
temperatur 39,3. Tags darauf, am 20. ist Patient
absolut fieberlos, die Haut unter dem Band ist
dünn und weiss und setzt sich ringsum scharf von
dem Entzündungswall ab; der Kopf ist absolut
frei, dagegen sind flache Fortsätze nach abwärts
gegen den Hals vorhanden, — die Krankheit selbst
aber ist abgeschlossen.
Ob das häufige Abbrechen des Eopf-
erysipels am Halse auf besonderen anato-
mischen Einrichtungen beruht, mochte ich
dahin gestellt sein lassen und es blos als
Vermuthung aussprechen, obgleich Ausnah-
men in dieser Richtung Avohl manchen
Aerzten in trauriger Erinnernng sein werden.
Die gleichen Resultate erhielt ich in
drei andern Fällen, in einem yierten war
der Eflfect einige Tage ein guter; als aber
der Kranke bei noch fortbestehender Schwel-
lung am Genick und bei fortdauerndem
Fieber das Band der Bequemlichkeit halber
abnahm, wurde der Kopf noch nachträglich
ergriffen.
Das Unbequeme der Schnürung aber
kommt nicht in Betracht gegenüber der
Schmerzhaftigkeit eines Kopferysipels und
dem spätem Haarausfall, welch letzterer
abgesehen von ästhetischen Rücksichten
doch auch die haarlose Kopfhaut manchen
Schädlichkeiten aussetzt.
Aus meinen Fällen musste ich den
Schluss ziehen, dass
1. die Schnürung über den untern Theil
der Stime und die Basis der Hinterhaupts-
schuppe in dem Nacken angelegt werden
muss, sobald das Erysipel Neigung zum
Weiterkriechen auf den Kopf hat, und dass
2. das Band wenigstens 3 Centimeter
breit, 2 Millimeter dick und 22 — 25 Centi-
meter geringern Umfang als der Kopf
selber haben muss.
Ob es zweckmässig ist, ein Erysipel,
welches Yon dem Kopf auf das Gesicht sich
auszjibreiten droht, in derselben Weise zu
behandeln, muss weitere Erfahrung lehren,
obgleich ich glaube, dass bei gleichzeitiger
Anwendung der oben citirten Antiseptica
eine Gefahr für die Meningen dadurch
nicht hervorgerufen wird.
Diese mechanische Behandlung soll aber,
wie aus der letzten Bemerkung hervorgeht,
keineswegs der auf directe Zerstörung des
Krankheitsgiftes hinzielenden Behandlung
Abbruch thun. Das einzig Richtige liegt
Yorläufig in der Verbindung beider Methoden
oder richtiger gesagt in der Erfüllung beider
früher besprochenen Indicationen.
Die Anzahl der von mir bis jetzt nach
meinem Verfahren behandelten Fälle ist
nocli zu gering, um beweiskräftig zu sein;
mögen Andre ohne Vorurtheil, unter ent-
sprechender Vorsicht und mit Genauigkeit
die Methode nachprüfen; dann wird sie sich
entweder einbürgern oder sie wird wieder
einschlafen.
Wünsch enswerth wäre es, dass sie so
lange gute Dienste leisten würde, bis es
gelingt durch Asepsis das Erysipel über-
haupt zu verhüten oder durch Antisepsis
den Streptococcus gleich nach seiner Ein-
nistung zu tödten.
Die externe elektrische Beliandlung
der Kelilkopfluranklieiten.
Von
Dr. Theodor Clement in Frankfurt a. M.
„Man vemrechselte zuerst Neryenth&tlg-
kelt and Innerr&tion. £■ liegt auf der
Hand, daas Innervation nnr diejenige
Nerventh&tigkelt bezeichnen kann, welche
auf andere nicht nervöse Thelle geriebtot
ist, z. B. die Erregung der Muskel- luid
Drfisenelemente zur Th&tigkeit.'*
Oülularpathologie von BudotJ Virehow,
Pag. 845.
Es giebt wohl kaum irgend ein Organ
im menschlichen Organismus, dem äusserlich
und von beiden Seiten so leicht mit elek-
trischen Strömen beizukommen wäre, als
gerade der Kehlkopf. Geringe Haut- und
Muskelbedeckung, Hervorspringen des Knor-
pelgerüstes (ganz besonders an dem männ-
lichen Hals) bieten uns für das Anlegen
beider Elektroden für Querdurchströmungen
reichlich geeigneten Platz und Gelegenheit.
Wir können deshalb mit Leichtigkeit den
ganzen Kehlkopf von aussen unter elektri-
schen Einfluss bringen und durch elektrische
Erregung der Arbeitsnerven eine total ge-
steigerte Innervation der Gewebselemente
des ganzen Kehlkopfes veranlassen. — Was
eine solche gesteigerte Innervation in den
verschiedensten Leiden des Kehlkopfes zu
bedeuten hat, wird dem begreiflich sein, der
durch die beharrlich fortgesetzte Einwirkung
minimalerund einfachster elektrischer Ströme^)
^) Allgemeine medicinische Gentralzeitung, Ber-
lin. IL. Jahrgang, 10. Stück, 4. Februar 1880.
Dr. Theodor Ulemens in Frankfurt a. M. Der
unterbrochene inducirte Strom, seine Aufsaugung,
befördernde Kraft und moleculare Action. (Directo
Mittheilung an die Redaction dieser Zeitung.) Diese
meine Arbeit wurde fortlaufend veröffentlicht in
Nr. 10, 15, 18, 23, 28 u. 34. — Siehe ferner in
meinen Werken: üeber die Heilwirkungen der
Elektricit&t und deren erfolgreiche methodische
Anwendung in verschiedenen Krankheiten von
Dr. Theodor Clemens in Frankfurt a. M. Mit
9 Lichtdruckte^eb. Frankfurt a. M. Verlag von
358
ClemenB, Die externe elektrische Behandlung^ der Kehlkopf kränkelten.
rlier&peiitiB^e
Monatehefte.
die hartnäckigsten Bypbilitischen Sklerosen
verschwinden sah und wuchernde indurirte
Papillome vollständig zur Rückbildung ge-
bracht hat. — Der Einfluss der elektrisch
gesteigerten Innervation auf jede Art der
Entzündung ist eine ebenso unwiderlegbare
Thatsache, wie die allmähliche Rückbildung
der Entzündungsproducte durch elektrische
Ströme. Je näher der Ursprung der Arbeits-
nerven den Centralorganen, je näher das in
seiner Innervation zu steigernde Organ dem
Gehirn, desto rascher und allgemeiner wer-
den die elektrischen Ströme ihren Einfluss
auf die krankhaften Processe der Gewebs-
elemente (Zellen) entfalten. — Schneller
und oft ganz plötzlich wirkt der elektrische
Strom auf den Kehlkopf in den Fällen, wo
eine noch rein nervöse Alteration das Krank-
heitsbild hervorgerufen hat. Habe ich doch
Fälle beobachtet, wo ein schier unerträglicher
Hustenreiz im Kehlkopf binnen fünf Minuten
nach einer elektrischen Querdurch Strömung
des Kehlkopfes verschwand mit bleibender
Abnahme der Intensität des Kehlkopfreizes.
Die plötzliche Heilung eines tobenden Zahn-
schmerzes durch einen localen heftigen In-
ductionsstosB ist ja eine längst bekannte er-
fahrungsmässige Thatsache.
Ebenso ist der heilsame Einfluss elektri-
scher Ströme auf Speichelflüsse, Kehlkopf-
katarrhe etc. etc. von mir häufig beobachtet
und oft experimentell ausgeführt worden.
Hier, wo nach Pflüger, wie bei der Speichel-
drüse, die Nerven die Tunica propria durch-
brechen und sich mit den Drüsenzellen
selbst, ja sogar mit den Kernen derselben
verbinden, liegt die mögliche Innervation der
Gewebselemente durch elektrische Ströme
auf der flachen Hand. Deshalb auch hier
der so leichte unmittelbare Einfluss durch
stetig elektrische Himerregung, wie das
Wässern des Mundes bei dem Anblick einer
leckeren Speise. Können wir durch elek-
trischen Einfluss Ebbe und Fluth in den Or-
ganen zu Wege bringen, können wir durch
elektrische Bebung (Atomen-Oscillation) die
todte, starre Zelle dem Stoffwechsel wieder
zugänglich machen, so haben wir in den
elektrischen Strömen ein Mittel, welches die
locale Wirkung aller Medicamente in den
Schatten stellt. Dass in jedem erkrankten
Organ die natürliche normale Innervation
Noth gelitten hat, wodurch selbstverständ-
lich die Widerstandsfähigkeit gegen alle
Franz Benjamin Aaflarth. 1879. — Die Elektricitat
als Heilmittel. Ein Wort zur Aufklärung und zum
Verständniss elektrischer Curen und elektrischer
Heilapparate von Dr. Theodor Clemens in Frank-
furt a. M. Verlag von Franz Benjamin Aufi'arth.
Frankfurt a, M. 1882.
schädlichen Einflüsse bedeutend gesunken
ist, dass die krankhafte organische Verände-
rung oder Stoffwechselstillstand eigentlich
gar nichts anderes ist, als eine mangelhafte
oder gesunkene Innervation, dieses Factum
zeigt uns den Weg, auf welchem wir die
normale Innervation wiederherzustellen im
Stande sind. — So gut wir das ausge-
schnittene, still gewordene Froschherz durch
minimale elektrische Ströme wieder anregen
und beleben können, eben so gut können
wir den gesunkenen und erstarrten Stoff-
wechsel wieder erwecken und beleben durch
elektrische Ströme, mit welchen wir un-
geahnte Ziele erreichen, nicht durch die
Stromintensität, sondern durch die Häufig-
keit und die Dauer der Einwirkung* Nir^
gends gilt hier das Sprichwort „Gutta cavat
lapidem non vi sed saepe cadendo!^ mehr als
bei der elektrischen Behandlung und Heilung
chronischer organischer Leiden. Werden
auch in manchen Leiden des Kehlkopfes
scheinbar rasche Erfolge erzielt, so können
wir dennoch bleibende und dauernde Hei-
lungen nur nach längeren und langen elek-
trischen Curen erwarten. Eine vollkommene
Umstimmung des erkrankten Kehlkopfes ist
auch bei elektrischen Curen dieses Organs
immer eine Frage der Zeit. Bei organischen
Structurveränderungen, die bei Kehlkopf-
leiden meistens mit Congestiv- Zuständen
gepaart sind, können wir von einer elektro-
lytischen Wirkung der Elektricitat überhaupt
nur nach längerer Behandlung und täglich
wiederholten Sitzungen ein günstiges Re-
sultat erwarten. — In den meisten Fällen,
wo ich den Kehlkopf äusserlich mit elektri-
schen Strömen behandelte, bediente ich mich
kleiner feuchter Compressen, die auf jede
Seite des Kehlkopfs aufgelegt, den knopf-
förmigen Elektroden zum Stützpunkt dienten.
Diese Elektroden hatten gewöhnlich einen
bis zwei Centimeter Durchmesser und wur-
den von zwei Stativen (wie solche in mei-
nem Werk über Heilelektricität abgebildet
sind) zu beiden Seiten des Patienten ge-
halten. Die Elektroden legen sich dabei
mit einer runden festen Metallplatte leicht
auf die gewöhnlich mit Salzwasser (auch
Jodsalzwasser oder sonstige gewünschte Me-
dicamente in salzischer oder saurer Lösung)
befeuchteten Compressen zu beiden Seiten
des Kehlkopfs, denselben auf diese Weise
in die Mitte nehmend, ohne irgend einen
besonderen Druck auszuüben. Der freie
Zwischenraum des Kehlkopfes muss vorher
gut getrocknet und mit einem Tropfen Oel
eingerieben werden, um Nebenschliessungen
auf der Haut zu vermeiden, zu welchem
Zweck ich den freibleibenden Kehlkopf auch
m. Jahrgang.*]
Aurnst 1889. J
Clemeni, Die externe elektrische Behandlunf der Keblkopfkrankhelteo.
359
öfters mit einem Stück Heftpflaster bedeckt
habe. ' Auch etwas Lycopodium-Pulver auf
den freibleibenden Kehlkopf gerieben, ver-
hütet das Feuchtwerden der zwischen den
feuchten Compressen liegenden Hautstellen
und somit die Nebenschliessungen. Auf
diese Weise können wir faradlsche Ströme,
wie solche intralaryngeal durchaus nicht
mehr vertragen werden, 10 und 20 Minuten
lang anwenden und somit eine leichte elek-
trische Bebung (elektrisch atomistische Mas-
sage) des ganzen Kehlkopfes veranlassen.
Ernste Symptome und Zwischenfalle, wie
solche innerlich faradisirt gewiss nicht zu
vermeiden sind (Hustenreiz, Glottiskrampf etc.),
habe ich bei dieser von mir häufig mit Er-
folg ausgeführten Methode niemals gesehen.
Während der Rachen, das Gaumensegel und
die Tonsillen, wie ich bei meiner elektri-
schen Behandlung der Diphtherie^) gezeigt
habe, durchaus nicht übermässig empfindlich
sind gegen die directe Einwirkung der ver-
schiedensten elektrischen Ströme, ist die
Glottisgegend, Stimmritze wie Stimmbänder
gegen directe Einwirkung der Elektricität,
besonders wenn bereits ein krankhafter Reiz
vorhanden ist, überaus empfindlich. Dass
aber sowohl von den Tonsillen wie von dem
Gaumensegel aus indirect auf den Kehlkopf
gewirkt werden kann, habe ich in vielen
Fällen gesehen.
Durch eine elektrische Schliessung vom
Nacken nach den Tonsillen^) werden z. B.
gerade bei Diphtherie Würgebewegungen
hervorgebracht, welche viel energischer als
bei dem Brechmittel weit eher den Kehl-
kopf von seinen Pseudomembranen zu be-
freien im Stande sind, als es das nerven-
schwächende Brechmittel überhaupt vermag.
Die erschütternde, reizende und umstimmende
Wirkung dieser elektrischen Schliessungen
auf den ganzen Muskelapparat des Kehl-
kopfs ist weit energischer und intensiver,
als solche bei Brechbewegungen vom Ab-
dominal-Vagus*) aus hervorgebracht werden
^ Und noch einmal die elektrische Behandlung
der Dipbtheritis von Dr. Theodor Clemens in
Frankfurt a. M. Allgemeine medicinischo Central-
Zeitung. Berlin. Jahrgang 1887. Nr. 79.
') Welche mechanischen Eingriffe überhaupt
Pharynx und Larynx vertragen, beweist ja die
segensreiche neue Methode des Einsetzens eines
goldenen Röhrchens in die Stimmritze an Stelle
der Tracheotomie.
*) Wir reizen also hier mechanisch und elek-
trisch die Vagus -Ausläufer des Gaumens, des
Pharynx, des Oesophagus und des Kehlkopfs und
vermeiden die Neben- und Nachwirkungen des
schwächenden Brechmittels auf den Plexus coeliacus
und den Magen -Herz -Vagus. Wieviele Kinder
sterben an der Magen und Herz schwächenden
Neben- und Nachwirkung allzuhäufig gereichter
Brechmittel! Auch dürfen wir bei localen elektri-
konnen. Der einfache mechanische Reiz des
„Finger in den Halssteckens ^, um Brech-
bewegungen zu veranlassen, ist ja ein all-
bekanntes Volkshülfsmittel, welches schon
oft eine zufällige mechanische Erstickungs-
gefahr beseitigt hat. — Dazu kommt noch
bei elektrischen Schliessungen vom Nacken
aus nach der Mundhöhle die Erregung des
Halstheils des Nervus vasomotorius , dessen
Zweige direct vom Plexus pharyngeus sowohl
den Pharynx als auch den Larynx versorgen.
Die elektrische Einwirkung auf das Vagus-
gebiet einerseits, andererseits auf die in der
Mund- und Rachenhohle ohne jede Unter-
brechung alles auskleidende Schleimhaut,
berechtigt uns, Reactionen zu erwarten, wel-
che bei jedesmaliger elektrischer Schliessung
sofort eintreten müssen. Ich habe in einer
sehr grossen Anzahl von Fällen der verschie-
densten Art diese segensreiche Wirkung ein-
treten sehen. Ganz besonders ist aber hier
der mit Medicamenten beladene elektrische
Strom*) zu empfehlen, und habe ich zwei
schlimme Fälle von syphilitischer Rancedo
auf diese Weise dauernd durch den Jod-
strom geheilt, ein Heilverfahren, welches
ich hiermit näher beschreiben will. Ich lege
auf jede Seite des Kehlkopfes eine kleine
sechsfache Leinwandcompresse, circa 3^3 cm
Quadrat, welche in einer Jodsalzwasserlosung
(Kochsalz 36 Gramm, aufgelöst in 1000
Gramm Quell wasser, in dieser Losung wer-
den 12 Gramm Natr. bicarbonic. puriss.
pulv. gelost und nach 24 Stunden werden
dieser Lösung fünfzig Tropfen Jodtinctur
zugesetzt. Stündlich geschüttelt, ist dieses
Jod Salzwasser zu jedem Gebrauch fertig,
sobald es farblos und crystallhell ist) reich-
lich getränkt sind und auf jeder Seite die
Mitte des Kehlkopfes decken. Auf diese
durchfeuchteten Jodsalzcompressen wird nun
auf jede Seite eine vergoldete Messingscheibe
(rund und circa 2^2 cm im Durchmesser)
aufgesetzt, welche durch je ein Stativ (siehe
die Kupfertafeln meines Werkes über Heil-
elektricität) leicht angedrückt werden. Durch
sehen Reizungen von dem Mund und Rachen aus
nicht vergessen, dass die Schleimhaut, womit die
ganze Höhle des Kehlkopfs ausgekleidet ist, sich
ununterbrochen in die Schleimhaut des Mundes
wie des Schlundes fortsetzt, überzogen mit dem-
selben Epithelium und überaus reicn an Nerven
und Gefussen.
*) Die elektrolytische Durchleitung von Jod
durch die thierischen Gewebe, bereits mit den Cur-
erfolgen dargestellt in der deutschen Klinik in den
Jahren 1858, 59 und 60. Nebst einer historisch-
physikalischen Darstellung der elektrolytischen Ver-
wendung der Arzneistoffe im vorigen Jahrhundert
von Dr. Theodor Clemens in Frankfurt a. M.
Siehe Allgemeine medicin. Centralzcitung in Berlin,
Nr. 7, 1870.
360
Clemeni, Die externe elektrliehe Behandlung der Kehlkopfkrankheiten.
rlier&peatlcche
Monatsheft«.
diese feuchten Leinwandcompressen i^erden
nun täglich 3 — 4 mal leichte faradische
Ströme mit Spiralen-Einlage je eine Viertel-
stunde lang ohne Unterbrechung durch-
geleitet. Nach jeder Sitzung i?verden die
beiden kleinen Compressen frisch mit der
Jodsalzwasserlösung getränkt, mit Gutta-
percha bedeckt und bleiben nun liegen bis
zu der nächsten Sitzung, auf ivelche Weise
also die für den eindringenden elektrischen
Strom ausgewählte Eehlkopfgegend wahrend
der ganzen Behandlung immer durch die
Jodsalzlösung feucht gehalten wird, wodurch
wir mit Hülfe des elektrischen Stromes local
und äusserlich mit ganz geringen Jodsalz-
mengen Resultate erzielen, welche uns in
Erstaunen setzen. Habe ich doch Fälle be-
handelt, wo ich mit dieser einfachen elek-
trischen Heilmethode Kehlkopfleiden geheilt
habe, welche allen Mitteln (auch innerlichen
Jodcuren) hartnäckigen Widerstand leisteten.
Einen berühmten Tenoristen, der nicht nur die
Singstimme gänzlich verloren hatte, sondern
fast aphonisch geworden war, heilte ich
durch eine sechsmonatliche externe elek-
trische Cur so vollkommen, dass der Sänger
w^ieder zur Bühne ging und noch zehn Jahre
im Besitz seiner Stimmmittel blieb. — Eine
elektrische Heilmethode, mit welcher ich
nach einer nun vierzigjährigen Erfahrung
nicht nur schlimmste Eehlkopfleiden dauernd
geheilt, sondern auch die schlimmsten syphi-
litischen Sklerosen sowie Zungen-Papillome
mit Induration vollkommen und ohne alle
Recidive zum Schwund gebracht habe, ver-
dient, mea quidem sententia, doch wohl die
Aufmerksamkeit der Collegen^). — Ich habe
bis heute auch nicht einen einzigen Fall
erlebt, in welchem die externen Kehlkopf-
ströme nicht ertragen worden wären, ja
selbst in der Kinderpraxis werden diese
elektrischen Eingriffe, selbst von kleinen
Kindern gern und willig geduldet^). Nur
darf man natürlich in der Kinderpraxis nicht
mit einem grossen Stativ-Apparat hervor-
rücken, weil solche Vorbereitungen selbst-
verständlich Furcht erregen. Ich bediene
mich in solchen Fällen einfach dünner
Platinblättchen als Elektroden, die in Ver-
bindung mit einem dünnen^ gut isolirten
Leitungsdraht dann in die nassen Compressen
eingesteckt werden, ohne dass der kleine
Patient von dem ganzen Apparat sowie von
den Elektroden irgend etwas zu sehen be-
^) Jedem Interessenten stehen die Adressen
meiner CoUegen, welche diese Resultate miterlebt
und mitbeobachtet habeo, jederzeit zu Diensten.
^) Allgemeine medicin. Centralzeitung, Berlin.
Die elektrische Behandlung der Diphtheritis von
Dr. Theod. C 1 e m en s in Frankfurt a. M. Nr. 1. 1885.
kommt. Diese Platinelektroden werden, in
den feuchten Compressen lagernd, dann ent-
weder rechts und links vom Kehlkopf oder
von dem Nacken nach dem Kehlkopf ganz
einfach durch eine leichte seidene Halsbinde
festgehalten, nachdem die feuchten Com-
pressen mit Guttapercha bedeckt worden
sind. Dass auf diese Weise selbst eine
beginnende Perich ondritis geheilt werden
kann, bin ich überzeugt und habe ich Fälle,
wo das erste Stadium dieser Affection di-
agnosticirt worden war, elektrisch geheilt.
Freilich gehört zu solchen Curen Geduld
von beiden Seiten. — üeberhaupt ist die
Einwirkung der elektrischen Ströme auf den
Entzündungsprocess^) noch lange nicht genug
gewürdigt, eine Wirkung, die physiologisch
und dynamisch so nahe liegt bei der be-
kannten Capillar-Congestion. — Wie wir
durch ein einfaches elektrisches Salzwasser-
bad in einem Glas Wasser ein Panaxitium
elektrisch coupiren können, so dürfen wir
es wagen, eine Perityphlitis durch aufgelegte
feuchte Jodsalzwasser-Compressen mit elek-
trischen Strömen zu heilen und die oft hier
so peinlichen Schmerzen zu tilgen. Der
Kehlkopf ist jedoch für elektrische Ströme
viel leichter erreichbar, als der gut ver-
steckte Blinddarm mit seiner Zeilgewebs-
einpackung und Fettpolsterung.
Ueber Zahnverpflanzung von einem In-
dividuum auf das andere.
Von
Zahnarzt Kirchhofer in Lausanne.
Schon seit einigen Jahren macht man
Versuche über das Pfropfen der Zähne, selbst
vom Menschen auf Thiere. Man kann sagen,
dass die meisten Fälle einen guten Erfolg
ergeben haben, und dass somit die Zahn-
heilkunde einen grossen Schritt vorwärts
gemacht hat. Einige Zahnärzte haben auch
die Transplantation probirt, jedoch mit
weniger gutem Erfolge.
8) Deutsche Klinik, Berlin. Nr. 28. 11. Juli
1874. Meine Erfahrungen auf dem Gebiete der
Heilelektricität in der Chirurgie, von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt a. M. Ferner in derselben
Zeitschrift Nr. 6, 6. Februar 1875: Die Wirkungen
elektrischer Ströme durch Erschütterung der Mole-
cülen. Femer in der Allgem. medicin. Central-
zeitung, Berlin, Jahrgang IL, Nr. 10, 15, 18,23,28
u. 34: Der unterbrochene inducirte Strom, seine
Aufsaugung befördernde Kraft und moleculare
Action.
AngQst 1889. J
Kirchhofe r, Üeber 2ahQverpfiaBzung Von einem Individuum auf das and6te.
361
Ich will in diesen Zeilen nicht die Lehre
über das Pfropfen der Zähne beschreiben,
sondern nur einen sehr merkwürdigen Fall
aus meiner Praxis citiren. Es handelt
sich um 2 mittlere und obere Schneide-
zähne, welche 56 Stunden nach dem
Herausziehen von einer Person auf
die andere verpflanzt wurden.
Eine 28jährige Tochter aus gesunder
Familie kommt Anfangs November vergan-
genen Jahres zu mir, da der Zustand des
Mundes es erforderte. Sie besass, ausser
den Wurzeln der molaren, praemolaren Eck-
zähne und kleinen Schneidezähne noch die
beiden grossen, mit Gold ausgefüllten
Schneidezähne. Sie litt jedoch nie an
Periostitis, noch weniger an Gingivitis, das
letztere hätte jedoch der Fall sein können,
da alle "Wurzeln mit einer starken Schicht
Zahnsteins umgeben waren. "Wir entfernten
daher vermittelst der Chloroformnarkose alle
"Wurzeln sowie die beiden Schneidezähne,
und ohne den letzteren irgend eine Beach-
tung zu schenken, schloss ich dieselben in
eine Schachtel, üngeföhr 56 Stunden nach-
dem wir diese Person operirt hatten, stellte
sich ein 33 jähriger Mann bei mir ein. Er
litt an einer sehr starken Periostitis, nach-
dem er während einer Turnstunde vom Reck
auf den Mund gefallen und ihm die beiden
mittleren, oberen Schneidezähne in der Nähe
des Zahnhalses abgebrochen waren.
Sowie ich das sah, dachte ich an die
beiden vor 56 Stunden extrahirteo Zähne.
Da ich wusste, dass die Person gesund war
und sie an keiner inficirenden Krankheit
litt, so nahm ich ihre Zähne und desinficirte
dieselben vermittelst einer 5 ®/o Carbollosung.
Ich entfernte alsdann die beiden kranken
Zähne des Herrn X. und pfropfte ihm so-
fort die beiden andern Zähne au die Stelle.
Ich unterband dieselben an den beiden
kleinen Schneidezähnen und bepinselte dann
die ganze kranke Stelle mit Jodtioctur.
Ich wiederholte das Bepioseln alle Tage
zweimal. Schon am achten Tage hielten
sie ordentlich fest, von selbst, da die Liga-
tur abgefallen war. Ich Hess daher die-
selben so wie sie waren, und in der dritten
"Woche konnte unser Patient schon weiches
Brod mit denselben kauen. Gegenwärtig hal-
ten die beiden Zähne so fest wie die anderen.
"Wer sich für diesen immerhin seltenen und
merkwürdigen Fall interessirt, kann ihn ge-
legentlich sich von mir demonstriren lassen.
Man sieht aus diesem Factum, dass das
Leben des Periostes viel länger andauert,
als man gewohnlich annimmt. Es stammt
wahrscheinlich von den Zellen, welche die
Osteoblasten bilden.
Ueber einigre beruhigende Mittel f(lr
Geisteskranke.
Von
Dr. Otto DornblUth,
zweitem Arzte der Prov.-Irren-Anst< Kreuzbarg O.-S.
1. Hyoscin.
Ueber das Hyoscin Ladenburg sind, so-
viel mir bekannt, bezüglich seiner Wirksam-
keit nur günstige Berichte veröffentlicht
worden. Nur Lemoine schreibt (Gaz. m^d.
de Paris, 1889, 3, referirt im Neurol. Cen-
tralbl. 1889, 8, p. 244), dass seine Versuche
bei Erregungszuständen der chronischen
Manie wenig erfolgreich ausgefallen seien.
Seine Angabe, dass erst bei 0,001 (subcu-
tan) Ycrgiftungserscheinungen aufgetreten
seien, giebt jedoch zu der Vermuthung An-
lass, dass sein Präparat dem in Deutsch-
land vorzugsweise benutzten von E. Merck
nicht gleichwerthig gewesen sei.
Ich selbst habe im März v. J. über die
genau aufgezeichnete Wirkung von mehr als
1800 im Verlauf von 11 Monaten an weib-
liche Irre verabreichten Gaben eine Zu-
sammenstellung gemacht, die in der Berl.
Klin. Wochenschrift 1888, No. 49 ver-
öffentlicht ist. Ich habe seitdem das
Merck' sehe Präparat in weiteren Hunderten
von Fällen angewendet und glaubte da-
nach wohl in der Lage zu sein, vergleichende
Beobachtungen mit dem mir zur Prüfung
übersandten Hyoscinhjdrobromat der Chemi-
schen Fabrik auf Actien (vorm. E. Sche-
ring) in Berlin anzustellen. Dasselbe kostet
nur halb so viel, wie das gleichnamige
Merck' sehe Präparat, nämlich 5 M. für
ein Gramm. In der Wirkung kommt es
diesem, wie ich in den letzten 3 Monaten
mich überzeugt habe, nun durchaus gleich;
auch in der äusserlichen Erscheinung, der
Geschmacklosigkeit, dem dauernden Elar-
bleiben der mit filtrirtem und abgekochtem
destillirten Wasser angefertigten Lösung
war kein Unterschied wahrzunehmen. Bei
der Einspritzung unter die Haut veranlasste
die Lösung 0,02 : 10,0 keinerlei Reizerschei-
nungen. Wegen der alarmirenden Symptome
nach subcutaner Injection wirksamer Mengen
habe ich mich übrigens, wenn nicht eine
sehr schnelle Einwirkung zur Coupiriing
epileptischer Wuthausbrüche u. dgl. angezeigt
erschien, in neuerer Zeit fast ganz auf die
innerliche Anwendung beschränkt. Dass man
das Mittel in Suppe, Kaffee, Wein etc. ganz
unbemerkt verabreichen kann, ist jedenfalls
ein grosser Vorzug vor allen anderen üb-
lichen Beruhigungsmitteln, doch ist hierbei
40
362
DoroblQth, Ueber einige beruhigende Mitted fQr Qeisteslcranke.
[TherapeutMche
Monatshefte.
jedenfalls Vorsiebt am Platze, da die Pa-
tieoten zwar die Arznei unvermerkt nehmen,
deren Wirkung aber zuweilen, namentlich
bei grösseren Gaben, bemerken, sodass unter
Umständen die Wahnidee der Vergiftung
durch Speisen hierdurch eine Stütze erfahren
könnte. Bei Patienten, die an derartigen
Verfolgungsgedanken leiden, darf nur die
offene Verabreichung von Arzneien statt-
finden.
Bei inneren Gaben bis zu 2 rag zwei-,
sogar dreimal täglich habe ich übrigens nie-
mals anderes als leichte Schwindelgefühle,
Müdigkeit und gelegentlich Trockenheit im
Halse angeben hören. Das Auftreten von
Sinnestäuschungen, von denen einzelne Auto-
ren*) sprechen, habe ich niemals bei Geistes-
kranken, dagegen einmal bei einer geistes-
gesunden, etwas nervösen Dame in Gestalt
beängstigender nächtlicher Illusionen (nach
der Injection von 0,001) wahrgenommen.
Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass einzelne
Kranke eine derartige Wirkung nicht mit-
theilen würden; es sind aber trotz der ge-
nauen Ueberwachung unserer Patienten nie-
mals Anzeichen davon bemerkt worden, und
die nicht geringe Zahl der Auskunftsfähigen
hat solche Vorkommnisse stets mit Sicher-
heit in Abrede gestellt. Ueberhaupt ha-
ben meine Patienten, die im Verlauf von
periodisch maniakalischen Erregungszustän-
den mit Hyoscin per os behandelt waren,
in den rubigen Zeiten niemals irgend eine
Klage über das Mittel geführt, während das
nach der subcutanen Anwendung fast regel-
mässig der Fall war, zuweilen bis zu dem
Grade, dass die Kranken das Versprechen
erbaten, in der Erregung keine Einspritzun-
gen wieder zu erhalten, da der Verlust der
Herrschaft über ihre Glieder und die Trocken-
heit im Halse ihnen ganz unerträglich seien.
Was nun die specielleren Anzeigen der
innerlichen Behandlung mit Hyoscin angeht,
so habe ich es zunächst bei der periodischen
Manie als vorzügliches Palliativum bewährt
gefunden. Es gelingt bei regelmässigen Ga-
ben von 1 — 2 mg Morgens und Abends sehr
vielfach, diese bedauernswerthen Kranken
ohne Isolirung in den ihrem Benehmen in
der Zwischenzeit entsprechenden halbruhigen
Abtheilungen zu erhalten und der sonst
kaum vermeidlichen Verlegung in eine un-
ruhige Station aus dem Wege zu gehen.
Wie wenig dazu die früher üblichen Nar-
kotica im Stande waren, ist zu bekannt,
als dass darüber viel gesagt zu werden
braucht. Einzelne derartige Kranke, die
im Umhergehen trotz Hyoscin sehr unruhig
') Konrnd. Erlonmeycr's Contralblatt 1888,
18; Klinke, ebd. 1889, 7.
sind, kommen bei Hyoscingebrauch wenigstens
soweit dass sie in einem genügend versicher-
ten Einzelzimmer die Erregungszeit in einem
vollständigen Bett verbringen können, wäh-
rend man sonst durch die einmal gebotene
Rücksicht auf Sparsamkeit sie in einer
nackten Zelle mit dürftiger Ausstattung und
bei sogenannter fester Bekleidung isoliren
müsste. Besonderen Nutzen verspreche ich
mir von der Hyoscinbehandlung in solchen
Fällen, wo die Erregungen der periodischen
Manie geringere Intensität haben, sodass die
Patienten garnicht in eine Irrenanstalt kom-
men, wohl aber ihrer Umgebung viel Sorge
und Unannehmlichkeiten bereiten durch ihre
Unruhe, Reizbarkeit und Neigung zu allerlei
Ausschreitungen. Der von mir mehrfach be-
obachtete günstige Einfluss auf Patienten
mit sogenannter Folie raisonnante, welche
bis dahin durch ihre immerwährenden Klagen
und Intriguen und die als gerechtfertigt
behaupteten Aeusserungen ihres Krankheits-
zustandes eine wahre Qual für die Leidens-
genossen und noch mehr für das Pflegeper-
sonal darstellen, lässt für jene zu Hause
Verpflegten vom Hyoscin das Beste erhoffen.
Bei den hier meist genügenden Gaben von
1 mg in Lösung jeden Morgen tritt die läh-
mende Wirkung völlig zurück und es füllt
für den Kranken lediglich die Neigung fort,
sich erregt zu äussern.
Die Wirkung der subcutanen Einspritzun-
gen pflegt nach 3 — 10 Minuten, die der
innerlichen Gaben nach ^/j bis 1 Stunde
merkbar zu werden. Ruhiges Verhalten nach
Empfang des Medicamentes begünstigt die
Wirkung; vieles Umherlaufen nach dem
Einnehmen durch den Mund kann die Wirk-
samkeit sehr beeinträchtigen. Die Patienten
sollen deshalb zunächst still sitzen oder — viel-
leicht noch besser — liegen. Ein initiales
Erregungsstadium kommt etwa in 5 — 10%
der Fälle vor und kann sich zuweilen auf
zwei bis drei Stunden ausdehnen. Andere
Male wurde beobachtet, dass nach abend-
lichen Gaben die vorher erregten Kranken
wachend, aber ruhig stundenlang im Bett
lagen und dann erst einschliefen.
Ebenso wie die länger andauernden
maniakalischen Zustände werden auch
die vorübergehenden Erregungen Geistes-
kranker durch Hyoscin sehr gelindert.
Epileptiker und Hallucinanten, Para-
lytische und andere Demente werden an-
scheinend gleich gut beruhigt. Ob bei den
Manien eine Abkürzung, bei den anderen
Formen eine anhaltende Besserung bewirkt
wird, konnte ich bisher nicht zweifellos
entscheiden. Dem dauernd auffallend viel
besseren Verhalten zweier Epileptischen, die
tn. jAhrgang.*!
AngQst 1888. J
Dornblüthy Ueber einig« beruhigende Mittel für Geistetkranke.
363
ich 8^. Z. in Brieg behandelte, nach einer
längeren Hyoscincur stehen andere Falle
derselben Psychose gegenüber, wo kein der-
artiger £rfolg eintrat.
2. Codein.
Die chemische Fabrik von Knoll & Co.
in Ludwigshafen a. Rh. hatte mir Ende Ja-
nuar d. J. beliebige Mengen ihrer Codein-
präparate zur Verfügung gestellt. Es sind
seitdem in der hiesigen Anstalt 10 g Codein.
pur. und 20 g Codein. phosphor. verbraucht
worden, und wenn die Zeit von wenigen
Monaten auch selbstverständlich nicht aus-
reicht, um über alle in Frage stehenden
Punkte ein ürtheil zu gewähren, so lässt
sich doch in mancher Beziehung Positives
angeben.
Wenn ich von einer Patientin absehe,
bei der Gaben von 0,04 auch in Wieder-
holung nach zwei Stunden ganz unwirksam
blieben, bei der aber auch Hyoscin und an-
dere Sedativa auf eine triebartige, verwirrte
Unruhe keinen Einfluss ausübten, gestaltete
sich bei genau verzeichneten 448 innerlichen
Gaben der Effect wie folgt:
Uröme der Qabcn
0,02 0,025 1 0,03
7 1 7 j 7
0,04
0,05
0,06
0,08
1 . Beruhigung
für 8—12 Std.
74
2
4
165
2
68
22
2. Befähigung
für ca. 6 Std. .
9
84
_
«■^
3. fieruhiguDg
für3-4Std. .
3
10
_
1
_
4. Keine Wir-
kung
1
1
—
2
Bei 34 subcutanen Einspritzungen war
das Resultat:
0,025
0,03
0,04
0,05
1. wie oben . . .
7
2
15
2
'i - -
O. " " ...
^. — — ...
1
1
2
1
2
1
Die Gaben wurden von vornherein etwa
der Stärke des zu bekämpfenden Affectes
gemäss gewählt, die Einspritzungen grade
in einigen schwereren Fällen versucht, wodurch
sich deren nach der Tabelle scheinbar un-
günstigere Wirkung erklärt. Sie betreffen
alle in der Irrenanstalt vorkommenden Er-
regungszustände; der grÖsste Theil der Ga-
ben von 0,06 und 0,08 ist 2— 3 mal täglich
einer ruhigen Melancholischen in Fortsetzung
einer Opiumcur gereicht worden. Die Wir-
kung war noch besser als die ebenso häu-
figer Gaben von 30 Tropfen der Tct. Op. spl.
Bei den tobsüchtigen Erregungszuständen
wirkt das Codein entschieden schwächer als
das Hyoscin, so dass ich das letztere zu
diesem Zwecke vorziehen würde. Dagegen
würde ich das Codein anwenden, wenn, wie
so offc, ein Wechsel des Mittels angezeigt
erscheint, femer, wenn das Hyoscin wirklich
einmal Sinnestäuschungen erzeugen sollte.
Ob Störungen am Herzen das Codein mehr
indiciren als das Hyoscin, erscheint für viele
Fälle zweifelhaft, da letzteres nach Sohrt's*)
Experimenten den Puls, wenn überhaupt, so
nur durch Schwächung des henmienden Yagus
beeinflusst, also nicht ohne Weiteres bei
Herzleiden contraindicirt ist.
Jener schwächeren Wirkung auf die Er-
regungszustände entspringen vorzugsweise
die ungunstigen Zahlen der Tabelle; um so
besser ist der Einfluss überall da, wo ängst-
liche Unruhe, präcordiale Sensationen, Schlaf-
losigkeit zu bekämpfen sind. Hier findet
das Codein eine hervorragende Anzeige, um
so mehr, als eine Gewöhnung an dasselbe,
analog dem Morphinismus, nach den ausge-
dehnten Beobachtungen von Fi seh er- Kreuz-
ungen nicht stattzufinden scheint.
Zur Injection eignet sich bei der Schwer-
lÖslichkeit des reinen Codein von den von
mir benutzten Präparaten nur das phosphor-
saure Salz. Im Uebrigeft sind die Wirkun-
gen beider gleich. Wenn man zur Lösung
des Phosphates filtrirtes und abgekochtes
destillirtes Wasser benutzt und auch sonst
aseptisch vorgeht, bleibt die Solution mo-
natelang klar und verursacht an der Injec-
tionsstelle keine Reizerscheinungen. Nach
Mittheilung der Fabrik wird das Salz immer
frisch dargestellt, um Zersetzungen vorzu-
beugen, die wegen des Ueberschusses an
Phosphorsäure befürchtet werden. Ich habe
der verlaufenen kurzen Zeit nichts der-
in
artiges wahrgenommen. Das Codein. pur.
setzt seiner Lösung einige Scbwierigkeiten
entgegen. Hier hat es sich bewährt, 0,8
mit 20,0 Alkohol etwa 24 Stunden stehen
zu lassen und dann 160,0 Wasser und 20,0
Himbeersyrup zuzusetzen, sodass ein Thee-
löffel (5 g) grade 0,02 Codein enthält. Der
bitterlich -brenzliche Geschmack ist dabei
recht gut verdeckt. Uebrigens steht ja der
Verordnung in Pillen form nichts im Wege,
wenn man das Präparat aus der Apotheke
bezieht.
Es erscheint mir nicht zweifelhaft, dass,
wenn die Kno IT sehen Codeinpräparate die
wünschenswerthe Constanz bewahren, der
Arzneischatz der Psychiatrie damit eine
dauernde Bereicherung erfahren wird. Für
leichtere Erregungen würde etwa mit 0,02,
für schwerere mit 0,04 zu beginnen sein.
') Sohrt, Pharmakotherapeutische Studien über
das Hyoscin. Dissertation, Dorpat 1886.
46*
364
Hevzogt Anwendung der Sozojodolprftparate bei Nasen- und HalsafTectlonen. [M^^lushefte.
Die unaDgenebmen EmpfiDdungen, über wel-
cbe nacb Cbloral- oder Morpbiumgaben am
näcbsten Tage so oft geklagt wird, blei-
ben auch bei grösseren Codeindosen voll-
kommen aus. Auch sonstige unerwünschte
Nebenwirkungen sind uns bisher nicht vor-
gekommen.
lieber Anweudung' der Sozojodolpräpa-
rate bei Nasen- liud Halsaffectlouen.
Von
Dr. Josef Herzog,
Specialarzt fUr Hals- und Nasenkrankheiten in Qraz.
Noch immer gilt die Anwendung der
Nasendouche, mag nun eine Kasen-Rachen-
affection so oder so heissen, als die belieb-
teste therapeutische Maassnahme. Haben die
Kranken wenig oder gar keine Luft durch
die Nase, ist die Secretion vermehrt oder
vermindert, wenn nicht ganz aufgehoben, ist
endlich das Secret schleimig oder fötid, in
allen diesen Fällen soll das Salzwasser in
Form der Douche die Heilung herbeiführen.
Dem ist aber bei weitem nicht so. Wie
ich schon an anderer Stelle ganz ausdrück-
lich betonte^), kann die Douche nie ein
Heil-, stets nur ein Reinigungsmittel sein.
Es ist wahr, dass sich die Mehrzahl der
Kranken nach Anwendung der Salzwasser-
douche für einige Zeit erleichtert fühlen ;
doch geheilt werden sie nimmer, und sobald
sie aufhören zu douchen, stellt sich bald
wieder ihr früherer Zustand ein. Ausserdem,
dass die Douche für gewisse Nasenaffectionen
nicht nur nichts nützt, kann dieselbe aber
auch unter Umständen recht gefährlich
werden.
Nach meinen Erfahrungen bringt die
Nasendouche nur dann Nutzen, wenn sie bei
copiösen, ziehenden oder gar eitrigen Sc-
ore ten oder bei der fötiden Form des chron.
Nasenkatarrhes (Ozaena) in Anwendung ge-
zogen wird; ich vermeide sie daher sowohl
bei den acuten und chron. einfachen Nasen-
katarrhcu als auch bei den Retronasalka-
tarrhen, worunter ich eine acute oder chron. -
katarrhalische Affection des Nasenrachen-
raumes verstehe, an welcher sich die Nasen-
höhlen nur insofern betheiligen, als die hin-
teren Muschel enden mit afficirt sind. Ich
entbehre die Nasen douchen in diesen Fällen
um so leichter, als ich durch die Anwen-
*) Herzog, Der acute u. chron. Nasenkatarrb
etc. Graz 1886.
düng der Borsäure und in neuester Zeit
der Sozojodolpräparate so ausgezeich-
nete Resultate erzielen konnte.
Von der Application des Jodols, welches
bekanntermassen von Seifert als Ersatz-
mittel des Jodoforms eingeführt wurde, bin
ich bei einfachen Rhinitiden resp. Retronasal-
katarrhen ganz abgekommen und verwende
es nunmehr bei Naseneiterungen, wo ich
mit dem Erfolg recht zufrieden war, weniger
beim chron. fötiden Nasenkatarrhe; freilich
erreicht das Jodol, wie ich offen gesteben
muss, lange nicht vollkommen den Werth
des Jodoforms; doch verbietet in sehr vielen
Fällen der intensive Geruch des letzteren,
der nicht nur die Kranken, sondern auch die
Umgebung, ja die ganzen Wohnräume in
arger Weise belästigt, leider seine Anwen-
dung.
Die Borsäure, welche ich schon circa
4 Jahre pure in Form von Insufflationen ver-
wende, leistete mir gerade bei einfachen
Rhinitiden und den Retron asalkatarrhen stets
ganz vortreffliche Dienste, und ich kann nur
PöscheTs Mittheilungen (Zur Behandlxmg
der Erkrankungen des Nasenrachenraumes;
Münch. Med. Wochenschrift 1888 pag. 233),
nach denen er dieselbe seit zwei Jahren in
Fällen, wo Douche etc. vergebens angewendet
worden, mit bestem Erfolge in Anwendung
bringt, vollinhaltlich bestätigen.
Vor mehreren Monaten wurden mir aus
der chemischen Fabrik von H. Trommsdorff
(Erfurt) in liebenswürdiger Weise eine grös-
sere Menge von Sozojodolpräparaten zur Er-
probung bei meinen Nasen- und Halskranken
zur Verfügung gestellt und ich werde mir
nun erlauben, meine diesbezüglichen Erfah-
rungen, die ich bei über 100 Kranken —
bei 65 Kranken konnte der Verlauf ganz
genau notirt werden — gemacht habe, mit-
zutheilen.
„Das Sozojodol (vergl. Mittheilung, d.
61. Vers. Deutscher Naturforscher und Aerzte,
Cölu 1888) vereinigt in sich mehrere ein-
zelne au und für sich schon als werthvolle
Antiseptica bekannte Stoffe, nämlich Jod 52,8,
Phenolrest 20 % und 7 % Schwefel in Form
von Sulfosäure."
Die Sozojodolpräparate sind die sauren
Salze der Dijodparaphenolsulfosäure"
Cg Hjj — -OH
- SO3 II
Von mir kamen in Verwendung das So-
zojodol-Natrium, das Sozojodol-Kalium, das
Sozojodol-Zink und das Sozojodol-Queck-
silber. Im Beginne meiner Versuche ver-
w^endete ich beide ersten Präparate pure;
jedoch bald erwies sich mir eine Verreibung
ni. Jahrgang.*!
Augnst 1889. J
Hersofif, Anwendungr der Sozojodolpräparate bei Nasen- und HalsafTectionen.
365
mit Tale, venet. und zwar aa als erspness-
licher. Das Zink- und Quecksilberpräparat
wurde von vornherein gleich verdünnt ange-
wendet, da dieselben pure absolut zu reizend
wirken würden.
Das Hydrargyrum sozojodolicum
repräsentirt sich als äusserst feines orange-
gelbes Pulver und enthält 31,2% Queck-
silber und 38 % Jod. Dasselbe wurde von
mir in Salbenform 1 : 50 Lanolin bei Wund-
sein, Ejccoriationen, Rhagaden- und Ekzem-
bildiingen an den Naseneingängen mit so *
ausgezeichneten Erfolgen in Anwendung ge-
bracht, dass ich in diesen Fällen statt
der von mir durchwegs mit recht guten
Erfolgen verwendeten gelben Präcipitat salbe
(vergl. meine Arbeit: Das Ekzem am Nasen-
eingange, Archiv für Kinderheilkd. IX. Bd.)
künftighin nunmehr das Ung. Hydrarg. sozo-
jodolic. appliciren lassen werde.
14 Kranke wurden von mir mit dieser
Salbe behandelt und bei 10 konnte ich
mich persönlich von dem guten Erfolge
überzeugen; derartige Affectionen am Nasen-
eingange, welche wochenlang vergeblich be-
handelt wurden, heilten bei regelrechter An-
wendung binnen 3 bis 12 Tagen vollkommen
ab. Die Heilung scheint mir unter dieser
Medication entschieden eine raschere zu sein,
als bei den bisher geübten.
Weniger zufrieden war ich mit dem
Quecksilbersalz in der Form von Insufflatio-
nen in die Nase in der Verdünnung 1 : 20
und 1 : 10. Bei Naseneiterungen, wo ich
es versuchte, nahm die Eiterung wohl ab,
doch den gleichen Effect erzielte ich eben-
falls mit Jodol und Borsäure und auf viel
weniger schmerzhafte Weise , indem die
Sozojodolquecksilber - Einstäubungen selbst
in der Verdünnung 1 : 20 — eine grössere
Verdünnung hätte keinen Erfolg — ent-
schieden zu stark reizen. Tuberculöse und
syphilitische Ulcerationen am Septum narium,
in welchen Fällen Seifert (üeber Sozojodol-
präparate, Miinch. Med. Wochenschrift 1888
No. 47) recht zufriedenstellende Erfolge ge-
sehen hat, standen mir derzeit gerade nicht
zur Verfügung.
Damit will ich jedoch jetzt noch nicht
über diese Quecksilberverbindung ganz den
Stab gebrochen haben; ich werde jedenfalls
die Versuche noch weiter fortsetzen, und
vielleicht finden sich Formen von hierherge-
gehörigen Krankheiten, wo sie mit Nutzen
verwendet werden können.
Das Zincum sozojodolicum, in Form
von farblosen Krystal Inadeln (6,8 % Zink),
wurde von mir in der Verdünnung von
1 — 2 : 10 im Beginne meiner Versuche bei
allen Formen von chron. Bhinitis in An-
wendung gezogen; doch bald kam ich zur
Ueberzeugung, dass es sich nur in jenen
Fällen, wo es sich um sogenannte trockene
Katarrhe handelte, recht gut bewährte, in-
dem es die Secretion anregte und zugleich
eine geringe Abnahme des Volumens der
Muschelschleimhaut bewirkte. Handelte es
sich um fötide Formen, so konnte auch bei
seiner Verwendung eine auffallende Besse-
rung des fötiden Geruches constatirt und
konnte die Anwendung der Douche auf ein
Minimum reducirt werden. Wer da weiss,
welche Quantitäten von Flüssigkeit mit dem
Zusatz von irgend einer desinficirenden Sub-
stanz in früherer Zeit mittelst des Irriga-
teurs durch die Nasen gänge hin durch ge-
trieben wurden, um nur halbwegs eine Rei-
nigung der Nasenhöhlen resp. des Nasen-
rachenraumes zu erzielen, wird den Werth
dieses Präparates schätzen lernen.
Am besten zufrieden war ich mit den
Erfolgen bei Anwendung vom Natrium so-
zojodolicum, noch mehr vom Kalium
sozojodolicum; ersteres bildet feine weisse
krystallinische Nadeln, letzteres farblose
dicke nadeiförmige Prismen (54 % Jod). Da
beide Salze in ihrer Wirkungsweise nahezu
übereinstimmen, so können sie in Einem ab-
gehandelt werden. Die Gebrauchsweise war
1 zu 1 Thl. Tale, venet. also aa. p. ä.
Von grossem Werth waren mir diese
Präparate sowohl bei den einfachen chron.
Rhiuitiden als auch bei den sog. Retrona-
salkatarrhen, indem bei ihrer Application
nicht nur die wässerig-schleimige oder selbst
eitrig-schleimige Secretion abnahm, sondern
auch die Schwellung der Nasenschleimbaut
— Schwellkörper — so günstig beeinflusst
wurde, dass die Patienten in kurzer Zeit
eine für die Luft passirbare Nase bekamen
und dass ich nur bei sehr starken Schwel-
lungen ab und zu mit Milchsäure, Chrom-
säure ätzen oder zum Galv an ok auter greifen
musste. Auch in zwei Fällen von Laryngitis
tuberculos. mit Geschwürsbildung versuchte
ich Insufflationen mit Sozojodol-Kalium (l : l)
und konnte ein auffallend schnelles Rein-
werden der Geschwüre und Verflüssigung
des zähen Secretes bemerken, was ich von
der Anwendung der Borsäure nicht so ganz
sagen kann. Eine Beeinflussung des tuber-
culösen Processes war nicht erkennbar, was
auch bei der Kürze der Zeit kaum möglich
war, doch die Stimme wurde wie gesagt
reiner, das Sprechen leichter und was den
Kranken vor allem angenehm war, so konn-
ten sie den Schleim leichter herausbeför-
dern. Was die Dosirung betrifft, so habe
ich dieselbe bei Besprechung der einzelnen
Präparate schon erwähnt. Es erübrigt somit
366
Köhler» Elo Taschenlnigator.
rTherapcutiflcb«
L Moiuitsh«ftew
noch anzugeben, in welchen Intervallen die
Application zu erfolgen hat.
Die Beantwortung dieser Frage hat seine
Schwierigkeit; denn dieselbe ist einerseits
von der Art und andererseits vom Grade
der Erkrankung abhängig. Es giebt Fälle,
wo diese Insufflationen täglich, andere, wo
sie jeden 2. oder 3. Tag gemacht werden
müssen. Bei Uebemahme eines derartigen
Kranken ist es gut, wenn er sich im Be-
ginne der Cur täglich oder wenigstens alle
2 Tage dem Arzte vorstellt, damit sich letz-
terer durch eine genaue rhinoskopische Un-
tersuchung von der Wirkung des Medica-
mentes, dem Stande der Schleimhautaffection
überzeugen kann, um das Weitere zu ordiniren.
Da es aber Fälle giebt, wie z. B. beim
chron. fötiden Nasenkatarrhe, wo eine täg-
liche Application des Pulvers wünschens-
werth erscheint, man jedoch derartigen
Kranken aus naheliegenden Gründen nicht
zumuthen kann, täglich sich beim Arzte
durch Wochen oder Monate einzufinden oder
bei auswärts wohnenden Kranken, so habe
ich dieselben instruirt, wie sie diese In-
sufflationen zu machen haben und Hess mir
zu diesem Zwecke von Herrn Eger (Glas-
bläser, Maiffredygasse No. 10) einen kleinen
Apparat, bestehend aus zwei Glasröhren,
welche durch einen Gummischlauch in Ver-
bindung stehen, anfertigen. Das grossere
Glasrohr endigt schaufeiförmig zum Auf-
fassen des Pulvers, darüber wird das eine
Ende des Schlauches gezogen. Dieses Rohr
wird in die Kasenöfifnung gebracht, währenc^
der Kranke das zweite Glasrohr am anderen
Ende des Schlauches in den Mund zu neh-
men und durch dasselbe kräftig zu blasen hat.
Damit aber durch diese Manipulationen
kein planloses Insuffliren Platz greift, wie
es leider beim Gebrauche der Douche so
oft geschieht, so wird dem Kranken strenge
aufgetragen, sich an bestimmten Tagen dem
Arzte behufs Untersuchung und Feststellung
für weitere therapeutische Eingriffe , wie
Wechsel des Pulvers, Art und Weise der
Anwendung, Pinselungen, Kauterisationen etc.,
vorzustellen. Fassen wir zum Schlüsse,
das über die Sozojodolpräparate Gesagte zu-
sammen, erwägen wir, wie unter deren Ge-
brauche die Schleimhautschwellungen in ganz
aufifallender Weise abnehmen, die Secrete
ihre Zähigkeit verlieren, je nach Wahl der
Präparate die Secretion reducirt oder angeregt
wird, femer wie der üble Geruch bedeutend
abnimmt, wenn auch oft nicht ganz ver-
schwindet, wie endlich Hautafifectionen in
den Nasen eingän gen unter der Anwendung
von Sozojodolquecksilbersalbe in kurzer Zeit
geheilt werden können, so müssen wir uns
eingestehen, dass durch Einführung dieser
Präparate in die Therapie der Erkrankungen
der Nase und des Halses, letztere nicht nur
eine sehr schätzenswerthe Bereicherung, son-
dern auch Vereinfachung erfahren hat.
Etik Taschenirrisrator.
Von
Dr. P. Köhler in Magdebarg.
Nach zahlreichen mehr oder weniger miss-
glückten Versuchen habe ich mir jetzt fol-
genden, leicht in der Tasche zu transporti-
renden Irrigator hergestellt:
Ein gewöhnlicher dünner Gummischlauch
(S) mit einer hörnernen spitzen Ansatzspitze
(Sp). — Das Knie (K) besteht aus gewöhn-
lichem dünnem Bleche, das ich mit einer
Scheere nach Fig. 2 geschnitten habe; die
b
Pig.i.
Fig. 1.
Vorsprünge aa bb cc werden senkrecht zur
Längsachse so umgebogen, dass sich die
Spitzen derselben entgegenstehen, ^ ^
sodann wird das ganze Blechstück ^\ i^
der Längsachse nach halbkreisförmig K
gebogen und der Schlauch zwischen den
Spitzen hindurch der Länge nach darüber
fortgezogen. Ueber das Ende des Schlauches
ist dann noch ein Stückchen einer starken
Glasröhre Gl fortgezogen (damit das Ende
am Boden liegen bleibt!).
Ich fülle mir den Schlauch an meinem
Sprechzimmerirrigator mit Sublimatlösung,
stecke die Spitze des Ansatzrohres in das
mit dem Glasstück beschwerte Ende des
III. Jahrg&ng.l
AngOBi 1889. J
Schulz, Die Zerlegung von Jodkalium durch Kohlensäure.
367
Schlauches recht fest hinein und trage dann
das Ganze bequem in der Tasche. Will
ich den Irrigator dann auswärts benutzen,
so mache ich mir in irgend einem Gefass
(Flasche, Topf, Napf o. a.) die desinficirende
Losung zurecht, ziehe die Homansatzspitze
aus dem Schlauchende heraus, tauche letz-
teres in die Desinfectionsflüssigkeit und der
Irrigator ist zum Gebrauch fertig. Das
Blechknie hat vor den ursprünglich be-
nutzten Glasrohrknieen die zwei Vorzüge:
erstens zerbricht es nicht in der Tasche,
zweitens kann man das in die Desinfections-
flüssigkeit tauchende Ende des Schlauches
je nach der Tiefe des benutzten Gefässes
beliebig verlängern oder verkürzen, so dass
das Schlauchende immer am Boden ist.
Die Zerlegung von Jodkalluin durch
Kohlensäure.
Von
Dr. Hugo Schulz in Greifswald.
Im Julihefte dieser Zeitschrift haben
Röhmann und Malachowski in einem
Aufsatze über Entstehung und Therapie des
acuten Jodismus auch der Versuche Er-
wähnung gethan, die ich 1882 im Bonner
pharmakologischen Institut über die Zer-
legung von Chloriden, Bromiden und Jodiden
angestellt habe*). Ich kann zu den, von R.
und M. gefundenen, von den meinigen ab-
weichenden Resultaten nur bemerken, dass
ich die Versuche mit Jodkalium in den letzten
Tagen aus Anlass der Leetüre des obengenann-
ten Aufsatzes wiederholt und genau denselben
Befund erhalten habe, wie vor 7 Jahren. Das
von mir benutzte Jodkalium war frei von
Jodsäure. Die Sache ist damit für mich er-
ledigt, nur mochte ich mir erlauben, meinen
Zweifel auszusprechen, ob die Herren R.
und M. meine Arbeit im Original gelesen
haben. Erstens nämlich habe ich nie be-
hauptet, dass eine Methyiviolettlosung mit
Jodkalium versetzt durch Kohlensäureein-
leiten sich „grün" färbe, und zweitens ist
das, Seite 305 „genau nach Schulz" vor-
genommene Verfahren auch nicht dem Original
entsprechend, wovon die Herren R. und M.
sich mit leichter Mühe durch die Leetüre
meiner Arbeit werden überzeugen können.
1) Pflüger's Archiv 1882, XXVII.
Neuere Arzneimittel.
IJeher Hyosciu.
Von
Dr. S. Rabow.
Das Hyoscin ist in neuerer Zeit i'echt
oft Gegenstand eingehender Erörterungen
und Beobachtungen gewesen und auch in
unserer Zeitschrift wiederholt besprochen
worden. Bei der grossen Bedeutung, die diesem
Mittel zukommt, scheint es uns zweckmässig,
noch einmal auf dasselbe an dieser Stelle
zurückzukommen und die wesentlichsten
hierauf bezüglichen Punkte hervorzuheben.
Bekanntlich ist das Hyoscin zuerst von
Ladenburg im Jahre 1880 aus Hyoscyamus
und der bei der Hyoscyaminbereitung zurück-
bleibenden Mutterlauge dargestellt worden.
Bald darauf wurde das Alkaloid von
Edlefsen und Illing, Gnauck, Hirsch-
berg, Emmert^ Fraentzel u. A. in Form
seines salzsauren oder jodwasserstofFsauren
Salzes therapeutisch mit mehr oder minder
günstigem Erfolge verwendet, ohne in wei-
teren Kreisen besondere Beachtung zu finden.
Seitdem jedoch Kobert und Sohrt, gestützt
auf experimentelle und klinische Untersu-
chungen, auf den grossen Werth dieses
Mittels bei der Behandlung verschiedener
Affectionen des centralen Nervensystems auf-
merksam gemacht und auch Erb seine Wirk-
samkeit in verschiedenen Fällen erprobt
hatte, ist das Mittel an vielen Orten ange-
wendet und sein Werth ziemlich überein-
stimmend anerkannt worden. Das Hyoscin
kann somit als eine wirkliche Bereicherung
unseres Arzneischatzes angesehen werden.
Es ist gegen die verschiedenartigsten
Leiden, wie Asthma, Keuchhusten, Enteral-
gie, als Mydriaticum, Antiepilepticum, gegen
die Schweisse der Phthisiker, ferner gegen
Chorea, Paralysis agitans, Tremor und Auf-
regungszustände der Geisteskranken empfohlen
worden.
L
368
Rabow, Ueber Hyoscin.
rlienpeatisdb«
Monatabefte.
Ohne dass bisher ein in die Augen
springender Unterschied ihrer Wirkung be-
kannt geworden, kommen gegenwärtig die
folgenden 3 Salze, Hyoscinnm hydrobromicum,
Hyoscinam hydrojodicum und Hyoscinum
hydrochloricum im Handel vor.
In physiologischer Beziehung nähert
sich das Hyoscin in seiner Wirkung dem
Atropin. Wie letzteres wirkt es erweiternd
auf die Pupille und vermindert die Schweiss-
und Speichelsecretion.
lieber den Einfluss auf Puls und Respi-
ration gehen die Ansichten noch auseinander.
Dagegen steht es fest, dass das Rückenmark
nicht besonders beeinflusst wird, ebensowenig
die elektrische Erregbarkeit der motorischen
Zone des normalen Hundegehirns.
Zur therapeutischen Verwendung
kommen die 3 oben angeführten, in Wasser
leicht löslichen, geschmack- und geruchlosen
Salze. Sie werden entweder subcutan oder
in wässeriger Losung per os verabreicht. Die
Dosis schwankt von 0,0002 pro dosi bis
zu 0,002 pro die.
Bei Nervenaffectionen, wie Chorea, Para-
lysis agitans etc. sind kleinere Dosen
(0,2 — 0,3 mg) angezeigt als bei ausgespro-
chenen Geisteskrankheiten. Bei letzteren
kommt es weit weniger als Heilmittel, denn
als Beruhigungs- und Schlafmittel in Be-
tracht. — Wenn man auch mit einer ent-
sprechend starken Hyoscindosis bei allen
aufgeregten Geisteskranken mehrstündigen
Schlaf erzielen kann, so habe ich mich mit
dieser An wendungs weise niemals recht be-
freunden können. Zur Erzeugung von Schlaf
in dergleichen Fällen mochte ich, aus hier
nicht zu erörternden Gründen, anderen
Hypnoticis entschieden den Vorzug geben.
Dagegen räume ich dem Hyoscin unbe-
dingt den ersten Platz ein, wo es sich
um einfache Beruhigung aufgeregter,
chronischer Geisteskranken handelt.
Hier feiert das Mittel geradezu seine
Triumphe. Tobsüchtige Irre, die beständig
isolirt werden mussten und auf andere Be-
ruhigungsmittel wenig oder gar nicht rea-
girten, beruhigten sich auf eine minimale
Dosis Hyoscin (^3 — V« ™6) auffallend schnell,
ohne dass dabei störende Nebenwirkungen
in Betracht kamen. Dabei habe ich mich
fast niemals der schmerzhaften Injectionen
bedient, sondern das Mittel beinahe immer
in wässeriger Losung per os verabfolgt und
zwar reichte ich es in folgender Form:
IV Hyoscin. hydrojod. 0,01
Aq. destill. 10,0.
■
Davon als erste Dosis gewohnlich
8 Tropfen (= ^/s ^?) ^^ Wasser, Milch oder
Wein. Das geruch- und geschmacklose
Mittel wurde ausnahmslos gern genommen
und gut vertragen. Eine Gewöhnung trat
wohl ein, aber nur langsam; alsdann wurde
die Dosis allmählich auf 12 Tropfen (^/^ mg)
erhöht. Nur in ganz seltenen Fällen war
ich nach 4 — 6 Wochen genöthigt, bis auf 16
1^3 '^g) ^^^ 20 Tropfen (^/ß mg) zu geben.
Ein chronischer Maniacus erhielt 6 Wochen
hindurch jeden Morgen Va ™S und konnte
auf diese Weise ruhig unter den anderen
Kranken weilen. Wurde das Mittel ver-
suchsweise einmal ausgesetzt, so war Iso-
lirung unerlässlich. Denselben Kranken mit
Sulfonal luhig zu halten, waren stets
4,0 — 6,0 Sulfonal pro die noth wendig.
Bei Epilepsie leistete Hyoscin mir gar
nichts, die Zahl der Anfälle blieb unverän-
dert, dagegen wurden die Aufregungszustände
der Epileptiker mit '/g — ^l^ mg wirksam be-
kämpft.
Auf die Angstzustände der Melan-
choliker hatte das Mittel gar keinen Ein-
fluss. Mitunter konnte sogar eine Steigerung
der Hallucinationen wahrgenommen werden.
Ebenso war bei den Angstzuständen der
Alkoholiker kein sichtbarer Nutzen einge-
treten. Dagegen war der Erfolg in einem
Falle von Delirium tremens ein überraschend
günstiger. Pat., der vorher lärmend und
tobend umherrannte, beständig nach Ratten
und Mäusen haschte, wurde eine halbe
Stunde nach Einnahme von 16 Tropfen der
Hyoscinlösung (^/a mg) ruhig und blieb auch
fortan ruhig.
Ueber die Wirkung bei anderen Affec-
tionen fehlt es mir an aasreichenden eigenen
Erfahrungen.
Nach recht zahlreichen Beobachtungen
möchte ich aber, in Uebereinstimmung mit
vielen anderen Autoren, das Hyoscin bei
aufgeregten lärmenden Geisteskranken als
eines der vorzüglichsten Beruhigungs-
mittel empfehlen. Als Schlafmittel möchte
ich es, wegen der verhältnissmässig grossen
Dosis (20 — 25 Tropfen) die hierzu erforder-
lich, nur ausnahmsweise angewendet sehen.
Die innere Verabreichung scheint mir vor
der subcutanen in den meisten Fällen den
Vorzug zu verdienen. Abgesehen von man-
chen anderen Unbequemlichkeiten, kommen
die Patienten — bei längere Zeit fortgesetz-
tem Gebrauch — durch die interne Appli-
cation körperlich nicht so herunter, wie
durch die subcutane.
Von Nebenerscheinungen habe ich, gleich
anderen Beobachtern, zuweilen Trockenheit
im Halse, Durstgefühl, Leibweh, Mydriasis etc.
bei lange fortgesetztem Gebrauche des Hyos-
cins wahrgenommen.
m. Jahrgang'.'!
Angtut 1889. j
Rabow, Ueber Hyoscin.
369
Beängstigende ErsdieinuDgen, wie heftiger
Schwindel , Blässe etc. traten bei meinen
bescheidenen Dosen niemals ein. Ich bin
niemals über 0,002 pro die hinausgegangen.
LittercUur,
Sdlefsen und lUing: üeber die Wirkung des
Hyoscin. hjdrojodicum und hydrochloric. (La-
denburg). Centi-albl. für die med. Wiss. 1881
No. 23.
Gnauck: Ueber die Wirkung des Hyoscin. Ibid.
1881 No. 45.
Derselbe: Ueber Hyoscin bei Geisteskranken.
Clmrite-Ann. Bd. VII.
Hirschberg: Hyoscin i. d. Augenhlk. Centrbl.
für Augenheil k. Juni 1881.
fimmert: Hyoscin. hydrojod. Arch. f. Augcnhcilk.
1881 Bd. 11.
Glaussen: Hyoscin. hydrojod. und bromic.
Dissert. Kiel 1883.
l**raentzel, 0.: Ueber Hyoscin gegen Nacht-
schweisse der Phthisiker. Charitc-Annal. 1883.
Wood und Hard: Hydrobromate of Hyoscine as
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September 1885.
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Kobert: Ueber die Wirkungen des salzs. Hyos-
cins. Archiv für cxperim. Path. und Pharm.
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Kobert: Ueber Hyoscin. Ibid. Juli 1887.
Küblwetter: Irrenfreund. 1887 No. 7.
Schleussner: Ueber Hyoscin. Dissert. Strass-
burg 1888.
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Konrad: Centrbl. für Nervenhk. 1888 No. 18.
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Dissert. Leipzig 1888.
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Kny: Berl. klin. Wochenschr. 1888 No. 50.
Gramer: Münch. med. Wochenschr. 1889 No. 21.
Klinke: Hyoscin bei Geistoskrankh. Central blatt
für Nervenhlk. 1889 No. 7.
J. Seglas: De Temploi de Thyoscine dans les
maladies mentales et nerveuses. Le Progrbs
med. 1889 No. 24.
Umpfenbach: Therap. Mittbeil. Therap. Monats-
hefte. Juni 1889.
Therapeutische Mittheilnngen ans Vereinen.
Dritter deutscher Gynäkologencongress
zu Freiburg, 12.-14. Juni 1889.
Originalbericht von R. Schaeffcr (Berlin).
Trotz seiner peripherischea Lage hatte
Freiburg eine so grosse Anziehungskraft aus-
zuüben vermocht, dass mehr als 70 deutscher
Gynäkologen zusammengeströmt ^'aren, und
nur wenige hervorragende Namen vermisst
wurden. Die Schweiz war durch Fehl in g
und Wyder vertreten, den weitesten "Weg
hatte Eüstner aus Dorpat zurücklegen
müssen. Die Leitung des Congresses hatte
Hegar (Freiburg) übernommen.
In Anbetracht der vorwiegend practischen
Zwecke dieser Zeitschrift werden wir im
Folgenden die Vortrage, welche ein mehr
theoretisches Interesse darbieten, übergehen
und auch aus den referirten Thematis be-
sonders die therapeutische Seite berücksich-
tigen.
Der erste Sitzungstag
begann mit verschiedenen Demonstrationen.
Wiedow (Freiburg) stellte 2 geheilte Fälle
TOD Kreuzheinresection vor, welche behufs
Exstirpation eines carcinomatösen Uterus
ausgeführt worden waren.
Winckel (München) demonstrirte seinen
9. Fall, bei dem er durch Injection von
0,03 Morphium in den tubaren Fruchtsack
ein Absterben der Extrauterinschwan ger-
schaft herbeigeführt hatte. In diesem Falle
war eine 2 malige Injection nothwendig ge-
wesen. Bereits nach 14 Tagen war eine
so schnelle Resorption erfolgt, dass volle
Arbeitsfähigkeit eintrat.
In der Eröffnungsrede schildert He gar
in grossen Zügen die mannigfaltige Aetio-
logie der gynäkologischen Leiden und ihren
Zusammenhang mit den Allgemeinerkran-
kungen. Ebenso mannigfach und auf den
Gesammtorganismus Rücksicht nehmend müsse
auch die Therapie sein. Ja dieselbe müsse
bereits im intrauterinen Leben durch Regelung
der Diätetik der Mutter beginnen. Um das
neue Geschlecht kräftiger und gesunder zu
machen, habe man vorgeschlagen, Personen
mit Bildungsfehlern, Psychosen, Neurosen
oder constitutionellen Krankheiten das Hei-
47
370
Thermpeutlseh« Mltthellungen aus Vereinen.
[Therapeatisefa«
Monatshefte.
rathen zu untersagen. Wenn auch der Stand
unserer heutigen Wissenschaft zu einer
solchen Härte noch nicht berechtigt, so lässt
sich doch vorhersehen, dass wir mit fort-
schreitender Erkenntniss zu einem solchen
durchaus vernünftigen Vorgehen gelangen
werden. Biese „Zuchtwahl" bedeutet keine
Erniedrigung des Menschen; sehen wir doch,
dass alle Religionsstifter einen grossen Werth
darauf gelegt nahen. Auch die weitere Frage,
ob man nicht die Quantität des Nachwuchses
zu Gunsten seiner Qualität beschränken soll,
harrt noch ihrer Entscheidung. Zur Lösung
dieser Probleme sei in erster Linie der
Gynäkologe berufen.
Auf Einladung G. Veit's wird Bonn
als Ort der nächsten Versammlung im Jahre
1891 einstimmig beschlossen.
Als erster Referent über die Selbstin-
fection (sc. puerperarum) definirt Kalten -
bach (Halle) den Begriff dahin, dass er
dieselbe für vorliegend ansieht, sobald der
Elrankheitserreger in oder an der betreffen-
den Wöchnerin (Schwangeren) seinen Sitz
hatte. Wie weit K. den Begriff fasst, geht
daraus hervor, dass er von Selbstinfection
spricht, wenn z. B. mittelst eines sterilen
Katheters Schmutz aus den Schamhaaren der
Wöchnerin in ihren Uterus hineingebracht
wird. K. sieht die Selbstinfection als einen
häufigen Vorgang an. Er empfiehlt deshalb
lebhaft, beim Beginn des Geburtsactes stets
desinficirende Vaginalausspülungen vorzu-
nehmen, welche bei einer sich in die Länge
ziehenden Geburt wiederholentlich gemacht
werden müssen. Zurückgebliebene Piacentar-
reste müssten wegen der Gefahr der Blutung
entfernt werden. Membran Öse Reste erfor-
derten dagegen nie ein Eingehen mit der
Hand in den Uterus; man könne getrost
ihre spontane Loslösung abwarten. Nach
beendeter Geburt sei eine nochmalige Des-
infection der Scheide im allgemeinen nicht
erforderlich. Dieses streng durchgeführte
antiseptische Verfahren habe in seiner Klinik
den Erfolg gehabt, dass er unter 1500 Ge-
burten nur 3 schwere Puerperalfieber erlebt
habe.
Der Correferent Fehl in g (Basel) be-
dauert, dass das Wort Selbstinfection über-
haupt Eingang gefunden, da es eine grosse
Verwirrung hervorgerufen habe. Die von
Kaltenbach gegebene Definition sei zu
verwerfen, da sie ein rein äusserliches Mo-
ment zu sehr betont. Von Selbstinfection
zu sprechen habe nur dann einen Werth,
wenn man es in Gegensatz setzt zu Con-
tactinfection. Der von Kaltenbach heran-
gezogene Fall, dass eine Schwangere durch
Verschleppung der Bacterien, welche sich in
ihren Schamhaaren befinden, oder dadurch,
dass sie sich mit unreinen Fingern selbst
touchirt, inficirt wird, sei eine solche Con-
tactinfection. Von Selbstinfection dürfe
man nur sprechen, wenn ein solcher Con-
tact mit der Aussen weit nachweislich
nicht vorhanden war.
Diese Auffassung von der Selbstinfection
sei von schwerwiegendster practischer Be-
deutung; denn die Kai tenb ach 'sehe Defi-
nition stelle geradezu einen Ablassbrief aus
für alle seitens der Aerzte und Hebammen
begangenen Fehler in der Antiseptik. Dass
es Fälle von richtiger Selbstinfection, wie
er sie definirt, giebt, leugne er nicht; doch
seien sie ausserordentlich selten und ver-
laufen stets leicht. Dies werde bewiesen
durch die Leopold' sehe Statistik über
427 vor der Geburt nicht untersuchter
Frauen. Das Morbiditätsverhältniss war hier
nur l,6**/o.
Als therapeutische Maassregeln empfiehlt
er daher peinliche Desinfection der äusseren
Genitalien bei jeder Kreissenden. Eine
Vaginalausspülung bei normalen Geburten
verwirft er gänzlich. Besonders wichtig sei
es, die Virulenz der etwa im Genitaikanal
enthaltenen Keime nicht aufkommen zu
lassen. Das beste Mittel aber dafür sei,
dass man durch geburtshülfliche Maassnahmen
eine möglichste Erleichterung und Beschleu-
nigung der Geburt anstrebe.
Im Anschluss hieran wurden die einen
ähnlichen Gegenstand berührenden Vorträge
abgehandelt. Bumm (Würzburg) führt in
seinem Vortrage: Die Aetiologie der Pa-
rametritis aus, dass er im gesunden Ger vical-
und Vaginalsecret weder den Streptococcus
noch den Staphylococcus aureus je gefunden
habe. Nur durch Gontact von aussen könnten
sie in den puerperalen Uterus gelangen. Eine
Selbstinfection sei daher so gut wie ausge-
schlossen.
Leopold (Dresden): Ueber das
Wochenbett bei innerlich nicht unter-
suchten und nicht ausgespülten Ge-
bärenden und die Selbstinfection.
Im Ganzen ständen ihm jetzt 510 der-
artige Fälle zur Verfügung; unter diesen sind
nur 9 Erkrankungen zu verzeichnen gewesen;
da diese fast sämmtlich mit Compiicationea
verbunden waren (todtfaule Frucht bei Syphi-
litischen, Dammriss u. s. w.), so sei selbst diese
geringe Zahl noch nicht einmal ganz auf
Rechnung der Selbstinfection zu setzen. Ganz
im Gegensatz dazu habe er die schlechtesten
Erfolge im vorigen Jahre gehabt, in welchem
er eine gründliche Desinfection der Vagina
und der Cervix bei jeder Kreissenden vor-
genommen habe. Er mache deshalb jetzt
Hr. Jalirg«nf .1
Aucust 1889. J
Therapeutiach« Mittheilungen aus Vereinen.
371
keine Vaginalausspülungen mehr und sei
jetzt wieder ausserordentlich mit seinen Re-
sultaten zufrieden.
Auch in Bezug auf die Frage von der Con-
tact- und Selbstinfection stelle er sich gauz
auf den Standpunkt Fe hl in g 's. Das Wort
Selbstinfection sei aus der Wissenschaft zu
yerbannen. Als Prophylacticum schlägt er
vor, sich bei normalen Geburten lediglich
auf die äussere Untersuchung zu beschränken,
dann sei eine Ausspülung unnothig, ja
schädlich.
Battlehner (Karlsruhe): Auf welche
Weise soll die Hebamme bei einer Ge-
bärenden das antiseptische Verfahren
ausüben? Da 95 % aller Geburten von den
Hebammen allein geleitet werden, so müsse
die vorher aufgeworfene Frage so gestellt
werden: Soll die Hebamme die Scheide des-
inficiren oder nicht? Solange dieselbe unter-
suchen darf, müsse sie auch Yaginalaus-
spülungen machen.
Hermann (Mannheim) und Ziegen speck
(München) bekennen sich zu der Anschauung
Fehling's. Dagegen erklären Ahlfeld
(Marburg), Keh rer (Heidelberg) und D öder-
lein (Leipzig), dass sie um so bessere Erfolge
erzielt hätten, je gründlicher sie die Desin-
fection der Scheide vorgenommen hätten.
In seinem Vortrage über Genitaltuber-
culose berichtet Werth (Kiel) über mehrere
Fälle von Tuberculose der Tuben. Eine frühe
Folgeerscheinung ist der Ascites. Als The-
rapie empfiehlt er: Incision der Bauchdecken
und Ablassen des Ascites; die Tuben brauchen
niclit entfernt zu werden. Er habe wieder-
holentlich danach Heilung (wenigstens völliges
Wohlbefinden auf mehrere Jahre hin) beob-
achtet.
In der Discussion führt E lisch er
(Pest) eine ganz gleiche Beobachtung an.
Nach der Sitzung demonstrirt Benckiser
(Karlsruhe) sterilisirtes Catgut und Schwämme.
Die Sterilisation, die eine völlig sichere ist,
geschieht dadurch, dass die in ein Couvert
eingeschlossenen Catgutfäden sowie die
Schwämme in einem Trocken-Sterilisations-
apparat 1 — 2 Stunden lang auf 140° C. er-
hitzt werden. Die Haltbarkeit des Catgut
werde dadurch nicht im Mindesten beein-
trächtigt. [Fortgetzung folgt.]
Achtzehnter Congress der deutschen Gesellschaft
für Chirurgie zu Berlin, 24—28. April 1889.
(Originalbericht.)
Nachmittagssitzung, [Fortsetzung.]
Thiersch (Leipzig): üeber Extraction
von Nerven.
Trotz des Erfolges, den man in der
Behandlung gewisser Formen von Neuralgie
durch Resection der qu. Nerven aufweisen
kann, giebt es doch andere Fälle, in denen
auch nach der Behandlung die Schmerzen
andauern. Die Erfolglosigkeit unserer The-
rapie in diesen Fällen ist wahrscheinlich
in der Schwierigkeit begründet, mit der die
möglichst centrale Abreissung der Nerven
verbunden ist. Die gewöhnlich hierbei an-
gewendete Methode, die Nerven möglichst
herauszuziehen und central abzuschneiden,
ist insofern unvollkommen, als es nicht ge-
lingt, genügend tief in die Canäle einzu-
dringen, aus denen die Nerven herauskom-
men. Zu dem Zwecke hat nun Th. jüngst
eine Art Zange construirt, deren einer, er-
habener Schenkel in den andern, hohlen
eingreift. Die Innenflächen beider Schenkel
sind mit stumpfen Riefen versehen, so dass
es einerseits gelingt, die Nerven möglichst
central zu fassen, andererseits sicher zu
halten und sehr weit centralwärts abzu-
reissen. Im Anschluss daran beschreibt Th.
die qu. Operation am N. inframaxillaris,
lingualis, auriculo-temporalis etc.
Angerer (München): Bemerkungen über
die Diagnose und Operation der
Pylorusstenosen.
Für die Wahl der Operation bei Patien-
ten, die an Symptomen der Pylorusstenose
leiden, ist eine möglichst &ühe und genaue
Stellung der Diagnose von entscheidender
Wichtigkeit. Dieselbe wird gestellt durch
eine Vergleichung der Verhältnisse, in
welchen eine eventuell fühlbare Geschwulst
vor und nach der Aufblähung des Magens
durch Gase (besonders CO3, die durch kurz
hintereinander erfolgende Einführung von
Natriumbicarbonat und Weinsäure erzeugt
wird) zu demselben steht. Hierbei ist fest-
zustellen, ob die qu. Geschwulst dem Magen
überhaupt angehört (in diesem Falle liegt
sie nach seiner Aufblähung mehr oben links),
femer ob sie beweglich, oder mit dem Nach-
barorgan, vor allem mit dem Pancreas, ver-
wachsen ist. In ersterem Falle ist die
Gastrotomie, in letzterem Falle die Gastro-
enterostomie indicirt, durch welche den Pa-
tienten oft auf Monate hin wesentliche Er-
leichterung geschafft wird. — Vor allem ist
es jedoch für einen günstigen Operations-
erfolg noth wendig, frühzeitig die Diagnose
zu stellen und unmittelbar darauf zu ope-
riren, nicht erst, wenn es sich um decrepide,
kachektische Patienten handelt. — Für die
Narkose empfiehlt A. nur im Beginn der
Operation Chloroform, in späteren Stadien
Aether.
In der an den Vortrag sich anschliessen-
den Discussion ist die Beobachtung Lauen-
stein's bemerk enswerth , nach welcher im
47*
372
Therapeutische Mitthellunc^n aus Vereinen.
[Therapeutiidie
Monatahefte.
Gegensatz zu anderen Operationen nach dem
Eingriffe eine gesteigerte Diurese (bis zu
1600 cc p. d,) wohl in Folge der Magen-
ausspülung beobachtet worden ist. Viel-
leicht hängt damit die Thatsache zusammen,
dass manche Kranken trotz grosser Schwäche
dennoch die Operation gut überstehen. —
Ob es sich hier um eine Folge von Resorp-
tion des Spülwassers vom carcinomatösen Ma-
gen aus, dessen Resorption sföhigkeit übrigens
höchst zweifelhaft ist, oder um einen auf
reflectorischem Wege ausgelösten Nervenreiz
handelt, hat Redn. nicht entscheiden können.
Sitzung vom Freitag^ den 26. April^ Vormittags.
Wehr (Lemberg) führt Hunde mit
Carcinomen am Präputium resp. an der
Vagina und am Uterus vor. Die betreffen-
den Geschwülste waren von einem anderen
Hunde diesem Thiere inoculirt worden. Die
histologische Untersuchung bestätigte die
Richtigkeit der Diagnose.
Schmid (Stettin) zeigte einen Patien-
ten, an dem vor etwa 2*/a Jahren die Kehl-
kopfexstirpation wegen Carcinom vorgenom-
men war. Bisher ist ein Recidiv nicht ein-
getreten, und Pat. kann, obwohl er keinen
künstlichen Kehlkopf besitzt und seine Luft-
röhre — wegen der Canüle — von der
Mundhöhle abgesperrt ist, ziemlich verständ-
lich sprechen.
Oppenheim (Berlin): Die traumatische
Neurose.
Im Allgemeinen wird die „traumatische
Neurose" von den Chirurgen in ihrer Be-
deutung noch zu wenig gewürdigt, obwohl
von bedeutenden chirurgischen und internen
Klinikern wie Bruns, Strümpell u. a.
durch casuistische Beiträge auf die Bedeu-
tung dieser leider noch so häufig als Simu-
lation angesehenen Affection hingewiesen ist.
Fast stets handelt es sich um Maschinen-
arbeiter, Eisenbahnbeamte etc., die nach
irgend einem Unfälle, der mit einer mäch-
tigen Erschütterung verbunden war, abge-
sehen von nachweisbaren Traumen an Stö-
rungen des Nervensystems erkrankten, die,
von einer wahrhaft proteushaften Verschie-
denartigkeit, sich in den verschiedenartigsten
neurasthenischen Beschwerden, psychischen
Depressionszu ständen etc. documentirten. Die
wichtige Erkenntnis dieser Thatsachen, die
vom Vortragenden durch Vorführung dreier
sehr charakteristischer Fälle demonstrirt
werden, ist von eminent practischer Bedeu-
tung, da von derselben der Wahrspruch des
Richters gegenüber Entschädigungsforderun-
gen im Betriebe verunglückter Arbeiter ab-
hängt.
Petersen (Kiel): Ueber Arthrodese.
Lauenstein (Hamburg): Ein Vorschlag
zur vollständigen Exstirpation
der erkrankten Kapsel des Knie-
gelenkes, unter Rücksichtnahme
auf die Erhaltung der Beweglich-
keit desselben.
In den Fällen, in welchen nach Knie-
gelenkresection ein Schlottergelenk zurück-
bleibt, schlägt P. vor, die knöcherne Ver-
einigung in gestreckter Stellung dadurch
zu erzwingen, dass man die Knochenenden
ansägt, sie einander nähert und durch hin-
eingeschlagene Elfenbeinpflöcke mit einander
vereinigt.
Lauenstein hingegen sucht bei der
Kniegelenkresection die möglichste Func-
tions Fähigkeit dadurch zu erhalten, dass er
sämmtliche Theile des Gelenkes exstirpirt,
mit Ausnahme der Ligamenta cruciata, die
er für wesentlich quoad functionis restitu-
tionem hält.
In der sich anschliessenden Discussion
bestreitet König die Bedeutung dieser
Bänder. Wie beim Ellbogengelenk das Ole-
cranon, so seien sie nur Hemmungsvorrich-
tungen für die Rotation. Ihre Durchschnei-
dung braucht schon deshalb nicht gefürchtet
zu werden, weil sie sich doch wieder ver-
einigen.
Krause (Halle): Ueber die Behand-
lung der schaligen Sarcome.
In 3 Fällen gelang es K., am Ober-,
Unterkiefer, resp. am Femur schal ige Sar-
come durch sorgfältiges Evidement und anti-
septische Nachbehandlung (Tamponade der
Höhle) zu beseitigen. In einem Falle wurde
ein Recidiv beobachtet.
In einem analogen Falle brachte v. Es-
march in die Knochenhöhle statt der Tam-
pons gepulverten, decalcinirten Knochen und
erreichte auf diese Weise schnelle, feste
Verheilung ohne Recidiv.
Fischer (Breslau): Trepanation wegen
eines Gehirntumors.
Die Trepanation führte hier zur Fest-
stellung eines leicht blutenden Gehirntumors
in der psychomotorischen Region, der sich
als Rundzellensarcom erwies.
In der sich an den Vortrag anschliessen-
den Discussion betonte Horsley (London)
die Wichtigkeit der Localdiagnose für eine
erfolgreiche Trepanation. Zu dem Zwecke
ist die Trepanationsöffnung möglichst gross
zu machen, die Dura mater stets sorgfältig
vom Knochen abzulösen, Blutungen sorg-
fältig, eventuell mit heissem Wasser zu
stillen. — Bei Gehirntumoren ist die Tre-
panation meist nur deshalb nicht von Er-
folg begleitet, weil die Patienten zu spät
zum Chirurgen kommen.
Angast 18dd. J
Therapeutisehe Mittheilungen aus Vereinen.
373
Hoftemann (Königsberg): Ueber sel-
tene Fälle von Trepanation.
In 3 Fällen, in welchen Conynlsionen,
wahnsinnige Kopfschmerzen etc. auf intra-
cranielle Druckerhohung hinwiesen , hat
Vortr. mit gutem Erfolge die Trepanation
ausgeführt; da sich stets die Sinus venosi
als prall mit Blut gefüllt erwiesen, so wur-
den sie punctirt und wechselnde Mengen
Blut aus ihnen entfernt. fSehius» /oigt.j
VIII. Congress
fQr innere Medicin zu Wiesbaden 1889.
Das Referat über den von Posner (Berlin)
gehaltenen Vortrag (S. 275) enthält einige
Ungenauigkeiten. Von unserem Berichter-
statter geht uns nachträglich folgende Be-
richtigung zu:
C. Posner (Berlin): Zur Diagnose und
Therapie der chron. Prostatitis.
Vortr. bespricht im Wesentlichen die-
jenigen Fälle von chron. Prostatitis, die im
Anschluss an Gonorrhoe oder an Excesse
in venere fast symptomlos verlaufen, resp.
sich unter dem Bilde einer Neurasthenie,
beginnender Impotenz etc. verbergen und nur
bei localer Untersuchung erkannt werden.
Man findet bei ihnen leichte Schwellung und
circumscripte Empfindlichkeit der Drüsen, so-
wie ein auf Rectaldruck erscheinendes Secret,
welches neben den übrigen charakteristischen
Elementen des Prostatasaftes (Lecithinkom-
chen, Epithelien, Amyloiden, ev. Schreiner'
scher Base) Eiterzellen enthält. Die Therapie
richtet sich einmal gegen den Allgemeinzustand
(Bäder, Luft, massige Bewegung, sexuelles
Regime), dann aber auch gegen die locale
Erkrankung. Redner empfiehlt in dieser
Hinsicht Abführmittel, Salzsitzbäder, Jod-
kalisuppositorien ; eine Behandlung der Ure-
thra darf nur mit der allergrössten Vorsicht
geschehen; am besten eignen sich für dieselbe
Beniqu^sonden, für manche Fälle auch das
Psychrophor. Von einer adstringirenden oder
ätzenden Behandlung ist indess in der Regel
abzurathen.
Referate.
Caffebi bei adynamischen Zuständen. Von Dr.
H. Huchard (Paris).
Trotz wiederholter diesbezüglicher Hin-
weise seitens Verfassers hat man in der
Praxis von der tonisirenden und exci-
tirenden Eigenschaft des CafTeins in sub-
cutaner Injection noch nicht genügenden
Gebrauch gemacht. Man fürchtete wahr-
scheinlich die Anwendung grosser Dosen.
H. bemüht sich nun den Beweis sowohl für
die Wichtigkeit als auch für die vollige
Unschädlichkeit sehr grosser Caffein-
Dosen zu erbringen. Er behandelt diesen
Gegenstand seit 1882 bereits zum dritten
Male. Und dennoch wird sein Name selten
citirt, während andere Autoren (Seifert,
Riegel, Langgaard etc.) genannt werden.
— H. führt das Beispiel eines gichtischen
Mannes an, der von einer rechtsseitigen
Pneumonie befallen war, zu der sich nach
12 Tagen noch eine Lungenentzündung lin-
kerseits gesellte. Pat. verfiel alsbald in
einen Zustand hochgradigster Adynamie und
collabirte. Im Verlauf von 30 Tagen appli-
cirte H. ihm 95 Injectionen von 0,25 Caffein,
51 Injectionen Aether und 19 Injectionen
Trinitrin. Pat. besserte sich wider alles
Erwarten. Wegen der gleichzeitigen Ver-
wendung von anderen Mitteln kann die Be-
weiskraft dieses Falles angezweifelt werden.
Deshalb führt Verfasser noch 5 andere
Fälle an, in denen die alleinige Anwendung
des Cafifein ausserordentliche Dienste ge-
leistet. Hier handelt es sich um einen
schweren Typhus, in dem 50 Caffein-Injec-
tionen Heilung brachten. Dort sind es
4 schwere Fälle von infectiöser Pneumonie,
bei denen Caffein sich bewährte. In diesen
Fällen hiess es: ^^^i^ Krankheit sitzt in
den Lungen, die Gefahr im Herzen."
Verf. scheut sich nicht, von Beginn an
2,0 — 3,0 Caffein in subcut. Form zu ver-
ordnen. Die tägliche Anwendung von 0,2
bis 0,5 ist illusorisch. — Die an Thieren
angestellten Versuche ergaben, dass das
Caffein seine "Wirkung auf das centrale Ner-
vensystem ausübt, ehe es das Herz beein-
flusst. Es existirt demnach ein wirklicher
Unterschied in der "Wirkung der Digitalis
und des Caffeins. Die Digitalis ist in erster
Linie ein Herzmittel, Caffein dagegen wirkt
zuerst aufs Nervensystem, seine Wirkung
auf die Medulla oblongata steht zweifellos
fest, desgleichen werden auch Gehirn und
Rückenmark beeinflusst. Verf.^s Mittheilung
bezweckt vor Allem hervorzuheben:
'■'.C •'* ST"
374
Referate.
rlierapeatlsche
Monatshefte.
1. die grosse Wirksamkeit hoher Caffein-
Dosen in subcutaner Form in allen
adynamischen Zuständen ;
2. die Unschädlichkeit grosser CafFe'in-
Dosen.
{Revue gin. de Cliniq. et de Therdp, 1889 No. 25.)
R.
Ueber den inneren Gebrauch des Kreosots und
parench3miatöse Kreosotinjectionen bei Tuber-
culose der Lungen. Von Dr. A. Andreesen
in Jalta.
Es ist nach A. unmöglich, dem Men-
schen soviel Kreosot zuzuführen, dass in
demselben V4000 Kreosot kreist, da die ein-
zuführende Kreosotmenge nicht auf die Blut-
menge, sondern auf die gesammte Gewebs-
flüssigkeit zu berechnen ist. Bei einem
Menschen von 60 k Körpergewicht müsaten
pro die wenigstens 9,0 Kreosot gegeben
werden. (Vergl. Bourget. Therap. Monatsh.
1889 S. 279. Red.)
Es ist ja möglich, dass, wenn monate-
lang der Gehalt der Gewebeflüssigkeit an
Kreosot auch geringer als '/4000 ist, doch
schliesslich die Wirkung der Bacillen abge-
schwächt wird und dieselben ihre Virulenz
verlieren. Dem Verf. erscheint es natür-
licher, die gute Wirkung des Kreosots durch
Beeinflussung des Magen darmcan als zu er-
klären. Wenn man nur mit der Wirkung
des Kreosots auf den Magen rechnet, braucht
man gar nicht so grosse Dosen zu geben.
Es genügen schon 0,3 — 0,5 pro die,
A. hat auch Versuche mit parenchy-
matösen Kreosot - Injectionen ange-
stellt und zwar bei 6 Tuberculoesen, von
denen sich 5 im letzten Stadium befanden.
Er hat im Ganzen 60 Injectionen gemacht,
und bei 2 Kranken je ein Mal gleich nach
der Injection leichte Haemoptoe beobachtet,
sonst keine bedrohlichen Zufälle. Das Fieber
wurde dadurch nicht nennenswerth beein-
flusst. Der Husten wurde in einem Falle
stärker, in einem andern massiger. Bei
einer Patientin mit conti nuirlichem Fieber
und starken Nachtschweisseu sistirte eine
halbe Spritze (0,015 Kreosot) für 2 Tage
die Schweisse. Einem Kranken mit doppel-
seitigen Cavernen schafften die ersten vier
Injectionen zweifellose Erleichterung. Spä-
tere 6 lojectionen waren ohne Einfluss. —
Die Injectionen sind fast schmerzlos, beson-
ders wenn sie vom Rücken gemacht werden.
Im zweiten Intercostalraum vorn gemachte
Injectionen riefen leichte, nach einigen Stun-
den vorübergehende Schmerzen hervor. Die
Behandlung an und für sich hält Verf. für
ungefährlich. Wenn auch 3 seiner Kranken
gestorben sind, so glaubt er doch nicht.
dass die Injectionen den Exitus beschleu-
nigt haben. — Auf seine Anfrage an Dr.
Rosenbusch in Lemberg, der bekanntlich
zuerst die Kreosot-Injectionen versucht und
empfohlen hatte, erhielt A. folgenden Be-
scheid :
„Ich muss zugeben, dass die Injectionen
nicht in dem Grade helfen, wie die ersten
Versuche es mich hoffen Hessen. Eine län-
gere Beobachtung der von mir auf diese
Weise behandelten Kranken lehrte nämlich,
dass bei Vielen das anfänglich erreichte
Resultat bald vorüberging, und dass die
nachfolgenden Versuche vollkommen nutzlos
waren. Alles das bezieht sich auf Kranke
mit ausgesprochenem Zerfall (Cavernen).
Bei diesem Zustand sind die Injectionen
absolut nutzlos. Anders verhalten sich die
Kranken mit Infiltraten und beginnendem
Zerfall. In diesen Fällen folgte auf einige
Injectionen meistens eine bedeutende Besse-
rung und ich beobachtete bis jetzt deren
Viele, bei denen keine Recidive eingetreten
sind."
{8t, Petersb. med. Wochenschr. 1889, No. 23.)
R.
Die locale Behandlung der Laryngo - Phthisis
tuberculosa. Vortrag, gehalteD in der Ge-
sellschaft für Natur- und Heilkunde zu Dresden,
von Dr. Oscar Beschorner.
Nach einer Betrachtung der Entwicklung
der Lehre von der Kehlkopfschwindsucht
und ihrer Behandlung bespricht Vf. die Me-
thoden, die sich ihm in langjähriger Praxis
bewährt haben.
Zunächst bespricht B. die Prophylaxis,
d. h. die Methoden in den Fällen, wo der
tuberculöse Process noch auf die Lungen
beschränkt ist, einer Infection des Kehl-
kopfes durch das mit diesem in unausge-
setzte und intensivste Berührung kommende
bacillenhaltige Bronchialsecret vorzubeugen.
Es handelt sich dabei also natürlich um
eine Erleichterung der Expectoration, fem er
um die Entfernung zähen Schleimes ans
dem Kehlkopfe und eine Verminderung seiner
Reizbarkeit. Dieses Ziel wird vornehmlich
erreicht durch Einathmungen von ^a — 2 %
Lösungen von Natr. bicarbon. und Natr. chlor,
mit Zusatz von 5 % Aq. amygd. am. und
0,05 ®/ü Morphium oder noch besser durch
Einathmungen einer 5 % wässerigen Lösung
der Essentia Alantoli mit einigen Tropfen
Aq. amygdal. am. Sollte dies nicht genügen,
so sind Ausspülungen resp. Ausspülungen
des Kehlkopfes, Einathmung concentrirter
Carboldämpfe mittelst der Curschm an n'schen
Maske vorzunehmen.
Katarrhalische Anschwellungen der Kehl-
in. Jakrg&ng.l
Angiut 188». J
Referftto.
375
kopfscbleimbaut sind durch locale Anwen-
dung der gewöhnlichen Adstringentien zu
beseitigen.
Was nun die eigentliche Eehlkopfphthisis
betrifft, die im Durchschnitt 26 °/o aller
Phthisiker befallt, so feiert die locale The-
rapie Triumphe in den Fällen, in welchen
der Geschwürsprocess noch auf kleine Par-
tien des Kehlkopfes beschränkt, die Lungen-
affection eine wenig vorgeschrittene ist und
bat hier namentlich die chirurgische Be-
handlung in Verbindung mit der Milchsäure
Erfolge aufzuweisen.
Nach sorgfältiger Reinigung und Ab-
spülung der Geschwürsfläche mit dem Watte-
pinsel oder Irrigation mit Hilfe einer leich-
ten Kochsalz- oder Salicylsäure-Lösung und
nach Bepinselung mit 15 °/o Cocainlosung
stellt Vf. durch vorsichtiges Abschaben mit
der von Heryng angegebenen Curette eine
reine Geschwürs fläche her, auf die dann
eine, meist 50 % Milchsäurelösung einge-
rieben wird; die Schmerzen sind hierauf
erträglich, Glottiskrampf wirkt oft sehr
störend, doch meist nur dann, wenn über-
schüssige Flüssigkeit in die Trachea hinab-
läuft. Es bildet sich ein Schorf, der nach
einigen Tagen abföllt. Die Heilung erfolgt
nicht selten in überraschend kurzer Zeit.
Handelt es sich aber bei vorgeschrittener
Lungenschwindsucht um ausgebreitetere Ge-
schwüre und Zerstörungen, so hört jede
eingreifende Localbehandlung auf, weil ein-
mal die im günstigsten Falle entstehenden
Narben die Beschwerden viel eher zu ver-
mehren als zu vermindern geeignet sind,
und weil zweitens Recidive, sogar unter der
Narbe, sehr bald folgen. In solchen Fällen
hat man zu milderen, weniger eingreifenden
Medicationen zu greifen, zur Einblasung von
antiseptischen Pulvern auf die, wenn mög-
lich unter Leitung des Kehlkopfspiegels ge-
reinigte Geschwürsfläche. Hier empfiehlt
Vf. am meisten das Jodol, in zweiter Reihe
das Jodoform und die Borsäure. Auch bei
dieser Medication erlebt man nicht gar
selten Heilungen von Geschwüren.
Ist endlich die Kehlkopfphthisis so weit
vorgeschritten, dass es zu den Erscheinungen
und Folgezuständen der Perichondritis la-
ryngea kommt, so hat sich die Aufgabe des
Arztes auf Linderung der subjectiven Er-
scheinungen, namentlich der Schmerzen,
Schluckbeschwerden und der Athemnoth zu
beschränken. In den schwersten Fällen von
Athemnoth durch Verengerung des Kehlkopf-
lumens ist zur Tracheotomie zu schreiten.
Die excessiven Schmerzen sind durch Pinse-
lungen mit Cocain- und Morphiumlösungen,
im Nothfalle durch submucöse Cocain -In-
jectionen zu beseitigen. Die Dysphagie
wird häufig durch Schlucken von Eispillen
gemindert.
Es ist selbstverständlich, dass der Er-
folg einer Behandlung des Kehlkopfleidens
zumeist abhängig ist von derjenigen der
Lungenphthise und dass bei einem Fort-
schreiten der Lungenschwindsucht der the-
rapeutische Effect auch im Kehlkopfe nur
ein vorübergehender sein kann und ist.
Sehmey {Beutken 0.-8.).
Zur Behandlung des T3rphu9. .Von Prof. Dr.
Friedrich Koränji in Budapest.
Nach einer Beschreibung der eigenthüm-
lichen letzten Typhusepidemie, in welcher
Prof. Koranyi oft eine Mischinfection mit
Malaria beobachtete, berichtet dieser hervor-
ragendste Kliniker Ungarns über seine the-
rapeutischen Erfahrungen. Auf seine üniv.-
Klinik wurden während der letzten Zeit
91 Typhuskranke jeden Standes, Alters und
Constitution aufgenommen, unter welchen
50% an einem mehr als 3 wöchentlichen,
25% an einem mehr als 4 wöchentlichen
Typhus erkrankten. Das Mortalität s-Procent
betrug 6,7, drei Patienten starben an Darm-
perforation, einer an einer beiderseitigen
gangränösen Parotitis, einer an Lungengan-
grän, einer an einer complicirenden Nephri-
tis. Kordnyi verlor daher an Typhus selbst
keinen Patienten, der Tod erfolgte stets
nur in Folge von Complicationen. Auf der
Klinik wurde zu allen Behandlungsarten ge-
schritten, weil dies schon die Stellung der
Klinik als solche so erheischt, andererseits
war in vielen Fällen die Behandlung von
dem Falle selbst dictirt.
Zur antipyretischen Behandlung darf
natürlich nur dann geschritten werden, wenn
dadurch das Feststellen der Diagnose nicht
beeinflusst wird; Temperaturgrade unter 39®
werden mit Antipyreticis nicht behandelt.
Wo eine antipyretische Behandlung indicirt
erscheint, wählt Verf. lieber interne Mittel;
das umständliche Baden kann er denselben
nicht vorziehen. Dass dieser Standpunkt
nicht schade, beweist die günstige Statistik.
Zur hydriatischen Cur greift er, wenn neben
schweren Erscheinungen in den ersten Tagen
die Temperatur eine Höhe von 40® erreicht,
bei nervöser Gereiztheit, furibunden Deli-
rien, andauernder Schaflosigkeit, starker
Photophobie, mit welchen Erscheinungen von
Anfang an starker Herzerethysmus mit
schwachem Puls besteht. Die Bäder wur-
den bei Schwäche der Gefässnerven (Pulsus
dicrotus oder Calor mordax) angewendet,
ebenso bei an Kaltwassercur gewöhnten
Kranken, sowie auch bei solchen, die inner-
376
Referate.
PlierApentitclie
Monatsheft«.
lieh Antipyretica nicht vertragen. Neben
der defervescirenden Wirkung kann man
mit dieser Behandlung die beruhigende Wir-
kung auf die Nervencentren und die erre-
gende auf die peripherischen Nerven erreichen.
Auch zeigt sich eine gewisse Wirkung auf
die Blutcirculation, welche durch die Wir-
kung auf die Hautgefässe bedingt ist. Die
Bäder sind contraindicirt in Fällen grosser
Anämie oder Chlorose, bei sehr nervösen
und neurasthenischen Kranken, sowie sol-
chen, die durch geistige Anstrengung oder
Ausschweifungen erschöpft oder Blutungen
geschwächt sind, ebenso bei Kranken, die
eine Bäderscheu haben oder sich in oder
nach dem Bade unbehaglich fühlen. Ebenso
sind die Bäder zu meiden bei Kranken, die,
an Heiserkeit und Kehlkopfschwellung lei-
dend, der Gefahr eines Glottisödem ausge-
setzt sind, sowie bei Adipösen, wie bei
Leuten, wo Collaps zu befurchten, natürlich
aber auch dort, wo ein Personal fehlt, wel-
ches die Application des Bades nicht ver-
steht.
Von internen Antipyreticis wurden Anti-
pyrin, Antifebrin, Salicylpräparate und Chi-
nin benutzt. Diese Behandlung ist in An-
wendung zu ziehen, wenn die Patienten an
starken Schmerzen im Kopf, Rücken oder
den Extremitäten leiden, oder wo in der
ersten, manchmal in der zweiten Woche der
Erkrankung eine zu starke Herzaction beob-
achtet wird, oder wo die oben angeführten
Gründe den Gebrauch von Bädern von vorn-
herein ausschliessen. Die Antipyretica wer-
den nicht angewendet, wenn schwerere Er-
scheinungen seitens des Magens bestehen,
die Diarrhoe noch stärker wird, oder wenn
nach diesen Mitteln Herzschwäche auftritt.
Bei eventueller Idiosynkrasie sind dieselben
ebenso zu meiden.
Bei den internen Antipyreticis muss die
rationelle Grenze eingehalten werden, ein
starkes Herabdrücken der Temperatur darf
nicht durch zu profuse Seh weisse, Schwäche-
gefühl und andere unangenehme Symptome
erkauft werden. Riess, der durch perma-
nente Bäder eine niedrige Temperatur der
Typhuskranken erreicht, hat keine besseren
Resultate als Yerf. erzielt, zudem ist die
Procedur selbst mit viel Schwierigkeiten
verbunden, und wenn das protrahirte Bad
einigen Patienten wohl thut, kann es ande-
ren ausgesprochen scbädlich sein.
Koranyi hält es für wichtig, die Em-
pfänglichkeit der Pat. für Antipyretica zu
prüfen, da dieselbe bei den Patienten eine
recht ungleiche sei. Anfangs dürfen eben
nur kleine Dosen gereicht werden. Dieser
Vorsieht dankt es Verf., dass auf seiner
Klinik nie ein Arzneicollapsus vorkam,
auch beweist die geringe Mortalität, dass
K. mit dem Resultate seiner Behandlung
zufrieden sein könne.
{Orvosi IJetUap 1889 Ko. 18, 19.)
B. Schusehny {Budape$t),
•
Beiträge zur Therapie der Tussis convulsiva. (Aus
der Poliklinik für Kinderkrankheiten des Herrn
Dr. Baginsky). Von Dr. 0. Mugdan.
V. theilt die Resultate mit, die in der
Baginsky 'sehen Kinderklinik mit neueren
Behandlungsmethoden des Keuchhustens er-
zielt wurden.
Das Resorein wurde in 8 Fällen in einer
1 — l^/aprocentigen Lösung, 2 stündlieh einen
Kinderlöffel, ohne jeden Erfolg gegeben ; nur
bei einem Kinde war der Keuchhusten schon
nach 5 Wochen geheilt. Die Erkrankungen
waren leicht und die Kinder gut genährt.
Es sind femer Versuche angestellt worden
mit Cocaineinpinselungen, und zwar wurde
der Rachen, der Zungengrund und die Mandeln
mit einer 2- oder öprocentigen Lösung am
ersten Tage 3 mal, am 2. und 3. Tage
2 mal, von da ab einmal täglich eingepinselt.
Die Resultate waren sehr zufriedenstellend,
indem die Anfälle an Zahl und Intensität
allmählich abnahmen und die Dauer der
Krankheit erheblich abgekürzt wurde; in
2 Fällen dauerte es bis zur Heilung 4 Wochen,
in 7 Fällen ca. 8 Wochen und nur in einem
einzigen Falle war nach 6 Wochen noch kein
Erfolg eingetreten ; unter den in ca. 3 Wochen
geheilten befanden sich 2 Fälle von schwerer
Pertussis. Trotzdem ist diese Behandlung
in der Baginsky 'sehen Poliklinik aufge-
geben worden, da sie nicht als ungeföhrlich
betrachtet werden kann.
Es sind dann drittens Versuche gemacht
worden mit den von Michael inaugurirten
Einblasungen von Resina benzoes pulverata.
V. verfugt über 25 genau beobachtete Fälle ;
in einem Falle trat die Heilung in 3 Tagen,
bei einem andern in 6 Tagen ein; 8 Kinder
brauchten 1 — 2 Wochen , 6 Kinder 2 — 3 Wochen
und endlich 1 Kind 26 Tage, bei 8 Kindern
trat kein Erfolg ein. Die Einblasungen
wurden mehrmals täglich vorgenommen. Die
erste und zweite Einblasung löste immer
einen Anfall aus; Kinder, die unter dieser
Behandlung gebeilt wurden, ertrugen schon
die 4. oder 5. oder jede nur mit sehr
geringer Reaction; solche Kinder dagegen,
die auch bei diesen Einblasungen mit starken
Anfällen reagirten, erwiesen sich gewöhnlich
als refractär. Vf. hält die Einblasungen für
die gefahrloseste und für die Kinder am
wenigsten anstrengende Behandlung, die in
der Mehrzahl der Fälle eine begründete Aus-
^
nL jAhrgang.l
AngoMt 1889. J
Referate.
377:
sieht auf eine erfolgreiche Therapie gewährt
lind räth, vor allen andern Behandlungs-
methoden immer zuerst die Einblasungen zu
versuchen.
Vf. berichtet endlich über die Erfolge,
die in der Poliklinik mit Antipyrin erzielt
worden sind; in 7 Fällen leistete das Anti-
pyrin gar nichts, es setzte weder die Zahl
der Anfälle herunter, noch ihre Heftigkeit.
(Arekio för Kinderheilkunde 1889. S. 430.)
Schmey (Beuthen 0.-8.).
Zur Behandlung des Keuchhustens. Aus der Ab-
theiluDg für Kinderkrankheiten des Prof. M o n ti
an der allgemeinen Poliklinik in Wien. Von
Dr. M. T. Schnirer.
Vf. hat zunächst das Antipyrin in der
Form beim Keuchhusten angewandt, dass er
in Pulverform zunächst 0,5 pro die gab und,
falls die Kinder dies gut vertrugen, bis auf
2,0 pro die stieg. Das Mittel wurde in 28
genau ausgewählten Fällen, die sich im
Stadium spasmodicum befanden, ausgewählt;
das Resultat war aber ein durchaus negatives,
da in fast allen Fällen die Krankheit mehr
als 6 Wochen, durchschnittlich 50Va Tage
dauerte. Auch die Intensität und Zahl der
Anfälle wurde durch die Antipyrin darreichung
nicht erheblich beeinflusst. In keinem ein-
zigen Falle gelang es dem Vf., durch Dar-
reichung von Antipyrin den Keuchhusten
zu coupiren.
Bessere Resultate erzielt Seh. mit dem von
Netter empfohlenen Oxymel Scillae. Die
Nett er 'sehe Vorschrift, nach der sich der
Vf. genau richtete, ist folgende: Zwischen 3
und 4 ühr Nachmittags nimmt der Kranke
etwas zu sich, von 4 — 5 Uhr bekommt er
alle 10 Minuten einen Kafifeelöfifel voll Oxymel
Scillae, so dass Elinder unter 3 Jahren 4 — 5
Kaffeelöffel, Kinder über 3 Jahre 6 — 7Kaffee-
löffel und endlich Erwachsene 7 — 8 Kaffee-
löffel erhalten. Um 7 Uhr nimmt der
Kranke das Abendbrot zu sich. Das
Mittel wird bis zum Aufhören der Anfälle
fortgesetzt und gut vertragen. Vf. hat das
Mittel in 12 Fällen angewandt, und wenn
auch die Dauer der Erkrankung durchaus
nicht beeinflusst wurde, so trat doch ein
rascher Abfall der Zahl und Intensität der
Anfälle ein.
{Archiv für Kinderheilkunde 1889. 8. 447.)
Schmey {ßeuthen 0,-8.).
Einige Beobachtungen über Verhütung des Ma-
lariafiebers diirch Chinin. Von Dr. C. Graeser
(Bonn).
Ein ausserordentlich werthvoller Beitrag
zur Kenntniss imd Handhabung der Malaria-
prophylaxe, deren Möglichkeit zur Zeit von
der Mehrzahl der Autoren noch bestritten
wird!
G. hat auf 5 Reisen, die er als Schiffs-
arzt auf Dampfern der holländischen Maat-
schappy Islederland nach Ostasien machte,
reichlich Gelegenheit gehabt, sich von der
unzweifelhaften Wirkung prophylaktischer
Chiningaben gegen den Ausbruch der Malaria,
dieses schlimmsten Feindes der in den Tropen
weilenden Europäer, zu überzeugen.
Tandjong-Priok, der Hafen von Batavia
auf Java, gilt als eine der schlimmsten
Malaria-Brutstätten des Ostens; kaum ein
Weisser bleibt vor Erkrankung verschont;
es kam vor, dass ein englischer Dampfer
nicht ausfahren konnte, weil die ganze
Equipage — mit Ausnahme des Kapitäns,
der in Batavia im Hotel gewohnt hatte,
am Malariafleber im Hospitale lag.
Bei seiner 1. Reise gab G. am Abend
der Ankunft in Tandjong-Priok der gesammten
Mannschaft — 69 Köpfe — je 1,0 Chinin,
sulf. in Genever gelost; die gleiche Dosis
am 3. u. 5. Tage. Vom 10. bis 18. Tage
erkrankten 17 Mann an Malaria, darunter
14 Europäer und 3 malaische Bediente.
Dauer der Erkrankungen 5 — 7 Tage. Bei
dem 2. Aufenthalt in Tandjong-Priok wurde
kein Chinin gegeben: Vom 9. bis 17. Tage
erkrankten 25 Mann.
2. Reise. Bemannung 69 Mann. Am
Tage der Ankunft in Tandjong-Priok erhält
jeder Mann 1,0 Chinin, sulf.; ebenso am 8.
12. u. 16. Tage, am 10. und 14. je 0,5. Es
erkrankten ein Maschinist und 3 malaische
Bediente. Keiner von ihnen hatte Chinin
genommen. Beim 2. Aufenthalte erkrankten
17 Mann, von denen nur ein einziger
Chinin genommen hatte.
3. Reise. 78 Mann. Chiningaben, wie
oben. Es erkrankten 4 malaische Jungen,
während sich in 7 anderen Fällen nur einzelne
Symptome fanden — Müdigkeit, Rücken-
schmerzen, Milzschwellung, die auf ein- bis
zweimalige Darreichung von 1,5 Chin. sulf.
schwanden. Nach dem 2. Aufenthalt er-
krankten 16 Mann.
4. Reise. 78 Mann. Beim 1. Aufent-
halte 6, beim 2. Aufenthalte 9 Erkrankun-
gen.
5. Reise. 78 Mann. Beim 1. Aufent-
halte 3 Erkrankungen neben 4 nicht aus-
gebildeten, beim 2. 8 Erkrankungen.
Noch bessere Erfolge erzielte — cf. Nach-
trag — G.'s Nachfolger, Dr. Buwalda, der
auf des ersteren Anregung schon 3 Tage vor
der Ankunft in Tandjong-Priok mit der
dreimaligen wöchentlichen Darreichung von
1,0 Chinin, sulf. per Kopf begann und diese
Ordination während des ganzen, beinahe
48
378
Rafeittte.
rlierapeatiseh«
Monatshefte.
b Wochen dauernden Aufenthaltes an den
£ü8ten Yon Sumatra und Java fortsetzte.
Vorstehende höchst bemerken swerthen Re-
sultate yerdienen gewiss — ganz abgesehen
von ihrer Bedeutung für die Erklärung der
Pathogenese der Malaria — in den weitesten
Kreisen bekannt zu werden, zumal in der
gegenwärtigen Zeit lebhafter colonialer Be-
strebungen und Kämpfe, die mehr Europäer
als sonst in tropische Zonen fuhren. So
hat bereits C. Binz in Bonn die G.'sche
Publication in der deutschen Colonialzeitung
(1889 Nr. l) einem grosseren Publikum
bekannt gemacht, und giebt derselbe den
Rath, man solle statt des schwefelsauren
das Salzsäure Chinin geben, welches leichter
löslich und wirksamer ist.
(BerlKUn, Wochenschr. 1888. No. 42 tmd {Naektrag) 33.)
lieber die Behandlung Tabischer mittelst Sus-
pension. Von Prof. Bernhardt CBerlin).
B. hat im Ganzen 256 Aufhängungen
an 21 Patienten vorgenommen. Die Zeit-
dauer betrug '/a bis 3, ausnahmsweise vier
Minuten. Die Suspensionen wurden einen
Tag um den andern vorgenommen. Ueble
Zufälle wurden nur bei 2 Patienten bemerkt.
(Ohnmachts- bezw. epileptiformer Anfall).
Unter den 21 Fällen befanden sich nur
2 (tabeskranke) Frauen. Die eine entzog
sich sehr bald der Behandlung, bei der
anderen besserten sich qualvolle Rücken-
schmerzen schon nach dreimaliger Suspen-
sion soweit, dass die früher nothwendigen
MorphiuminjectioDen fortbleiben konnten.
Von den 19 Männern litten 16 schon Jahre
lang an Tabes. Bei Zweien konnte die
Diagnose vielleicht zweifelhaft sein. Einer
derselben, der nur über Impotenz klagte und
sonst nur absolutes Fehlen des Kniephäno-
mens und eine geringe Ungleichheit der
Pupillen zeigte, hatte nach 19 Suspensionen
wieder Erectionen und Pollutionen, allerdings
ohne libido coeundi. Im Grossen und
Ganzen hat sich B. von dem günstigen Ein-
fluss der Suspension auf das Befinden der
Kranken in einer Reihe von Fällen (nicht
durchweg), namentlich in Bezug auf die
Schmerzen und die Locomotiou, überzeugt.
In einem Falle hörte auch das Doppeltsehen,
das sich Abends bei Licht einstellte, auf,
ein Pat. wollte sogar auf einem seit Jahren
so gut wie tauben Ohr wieder hören. Das
entschwundene Kniephänomen, die Pupillen-
starre blieb durchweg unverändert.
{Berl. kUn. Wochenschr. 1889 No. 24. Sep.-Abdr.)
Krön.
Ergebnisse der Suspensionsbehandlung bei Tabes
dorsalis und anderen chronischen Nerven-
krankheiten. Aas der Nerveapoliklinik von
Prof. Eulenburg und Prof. Mendel in
Berlin.
Innerhalb einer etwa dreimonatlichen
Beobachtungsperiode sind 40 poliklinische
Fälle mit Suspension behandelt worden,
31 Männer, 9 Frauen. Die Gesammtzahl
der Suspensionen betrug 975. Dieselben
wurden in der Regel bei denselben Patienten
nur dreimal wöchentlich, in geeigneten Fällen
auch häufiger, sogar täglich, vorgenommen.
Es wurde meist mit Suspensionsdauer von
1 Minute begonnen und, um je ^9 Minute
steigend, bis zu 3, in einzelnen Fällen bis
zu 4 Minuten fortgeschritten. Unter den
40 Fällen befanden sich 34 mit Tabes dor-
salis (25 Männer, 5 Frauen), 1 mit disse
minirter Sklerose (Frau), 1 mit chronischer
Myelitis (Mann), 3 mit Paralysis agitans
(Frauen). In dem Falle von disseminirter
Sklerose war nach 16 Suspensionen Schlaf
und Allgemeinbefinden erheblich besser, der
Kopfschmerz, die Hyperaesthesie der linken
unteren Extremität, die Parästhesien in
den Beinen hatten nachgelassen, sogar eine
Abnahme der Augenmuskel affection (Paresen
beider Oculomotorii und des rechten Ab-
ducens) war unverkennbar. Von den übrigen
nicht zur Tabes gehörigen Fällen hatte nur
einer mit Paralysis agitans eine geringe
Besserung gezeigt: die Muskelspannungen
des Arms wurden etwas nachgiebiger, das
lästige Gefühl a\if steigend er Hitze verlor
sich, der Gang wurde etwas leichter, das
Zittern blieb unverändert. Was nun die
Tabesfälle betrifft, so wurden fast ausschliess-
lich alte, zum Theil sehr alte und schwere
Fälle, die schon längere Zeit vorher mit
den gebräuchlichen anderweitigen Gurmitteln,
namentlich Elektricität, behandelt worden
waren, der Suspensionsmethode unterzogen.
Von den 34 Fällen entzogen sich 5 der
weiteren Behandlung, 6 wurden ungebessert
2 als gebessert entlassen, 21 wurden weiter
behandelt. Von diesen können 4 oder 5
erheblich, 11 oder 12 als einigermassen ge-
bessert bezeichnet werden, während 5 als
fast ganz unverändert erschienen. Am
häufigsten vrurdeu Schlaf und Allgemeinbe-
finden günstig beeinfiusst (ca. 16 Fälle), dem-
nächst das Romberg^sche Symptom (19 Fälle)
und auch die Blasenstörungen (14 Fälle).
In 10 Fällen wurden die neuralgischen
Symptome, besonders die lancinirenden
Schmerzen, in 9 die Motilität, in 5 die
Parästhesien, in 3 die Hypästhesien und
Anästhesien, in 3 die Potenz gebessert. Die
gastralgischen Anfälle verschwanden in einem,
die Kopfschmerzen in mehreren Fällen. In
in. Jahrgang.*]
Anffuit 1888. J
Rafermta.
379
einem Falle soll sich sogar die Amblyopie
(bei bestehender Atrophia n. optici) ge-
bessert haben. Das WestphaTsche Zeichen,
die Myosis und reflectorische Pupillenstarre
■wurde nie beeinflusst. — Die Methode er-
scheint danach bis jetzt weder ganz werth-
los, noch geeignet, sehr weitgehende Er-
wartungen zu befriedigen.
{NeuroL Centralbl 1889 No. IL S^.-Abdr.)
Kran.
Wirbelweh, eine neue Form der Gastralgie. Vor-
läufige MittheüojDg von Dr. Max Buch (Will-
manstrand).
Schon seit lange ist eine Form von
Leibschmerzen, Cardialgie, Gastralgie bekannt
gewesen, die nur auf neryoser Grundlage
beruhend, keine organische Unterlage auf-
weist. Dieser Schmerz wird gewöhnlich in
den Magen verlegt. B. hat jedoch gefunden,
dass der Sitz der nervösen Cardialgie ge-
wöhnlich nicht der Magen ist, sondern dass
der Schmerz im Epigastrium nur einen Thei]
eines wohlcharacterisirten, vom Sympathicus
ausgehenden Symptomencomplexes darstellt.
Das hervorragendste und pathagnomonische
Symptom ist eine Empfindlichkeit der vor-
deren Fläche der Wirbelsäule auf Druck
durch die Bauchflächen hindurch. — Aus
dieser characteris tischen Form des Druck-
schmerzes bei 40 Fällen von nervöser Car-
dialgie , die B, seit Entdeckung dieses
Symptomes beobachtet, geht schon hervor,
dass nicht der Magen selbst druckempfind-
lich ist; ja in einigen Fällen, wo der Schmerz
gerade im Epigastrium localisirt wurde,
konnte hier durch Druck kein Schmerz,
sondern gegentheilig ein Gefühl von Wohl-
behagen hervorgerufen werden. Druck auf
die Wirbelsäule in der Nabelgegend verur-
sachte ausser dem localen Schmerz einen
ins Epigastrium ausstrahlenden Schmerz,
der genau dem spontanen Schmerz entsprach.
— Das Wirbelweh kann sich über die ganze
Lenden Wirbelsäule erstrecken. Dasselbe
zeigt die Neigung bei Druck auf gewisse
Punkte in entfernter liegende auszustrahlen.
Yon andern begleitenden Symptomen führt
Yerf. solche an, die den Magen betreffen:
TJebelkeit, Aufstossen, Heisshunger etc. In
manchen Fällen wurde über schmerzhaftes
Pulsiren der Bauchaorta geklagt. — Der
Symptomencomplex des Wirbel weh s tritt
meist als Theilersch einung der Neurasthenie
auf, femer auch bei Chlorose. — Als ana-
tomische Grundlage des Wirbelwehes sind
die der Wirbelsäule aufliegenden Sympathicus-
geflechte mit den Grenzsträngen anzusehen.
— Das in Rede stehende Leiden ist als
Neuralgie der Wirbel geflechte des Bauch-
sympathicus zu bezeichnen, und B. hat dafür
den kurzen und bezeichnenden Ausdruck
„Wirbel weh" gewählt. Bezüglich der Be-
handlung hat Yerf., nachdem Bromkalium
sich unwirksam gezeigt, mit der subcutanen
Anwendung des Antipyrin die besten Er-
folge erzielt. Er spritzte von einer 50%
wässrigen Lösung eine volle Spritze in die
Bauchgegend oder beim Bestehen von Neu-
ral gieen an den Schmerzpunkt. Die Injec-
tionen wurden täglich oder alle 2 — 3 — 4 Tage
vorgenommen. Heilung ist bisweilen schon
nach 2 — 3 Einspritzungen eingetreten, bis-
weilen erst nach 10 oder mehr. Besserung
gewöhnlich schon nach der ersten Injection.
Natürlich darf auch das Grundleiden nie
vernachlässigt werden. So ist bei Chlorose
Eisen indicirt; bei Endometritis eine ent-
sprechende Behandlung; bei Neurasthenie
eine Wasserkur u. s. w.
{St. Peiertb, med. Woehenschr. 1889, No. 22.)
Ueber die Suggestionstherapie Vo n Prof. C h a r c o t
(Paris),
Auf eine diesbezügliche Anfrage äussert
Ch. sich der Redaction der Deutsch- med.
Wochenschr. gegenüber in folgender Weise:
„Ohne absolut leugnen zu wollen, dass
bei organischen Erkrankungen des Nerven-
systems die hypnotische Suggestion in ein-
zelnen Fällen eine gewisse Besserung her-
beifuhren kann, bin ich doch überzeugt,
dass dies nur auf Kosten eines reinen
Zufalls gesetzt werden darf und dass
nicht die Rede davon sein kann, das
Suggestionsverfahren zu einer thera-
peutischen Methode zu erheben. Da-
gegen kann man bei hysterischen Erschei-
nungen, namentlich bei Frauen und bei
Personen, die leicht in Hypnose zu versetzen
sind, mit einem somnambulen Stadium, das
schon bei den ersten Yersuchen ziemlich
ausgesprochen ist, ein gutes Resultat er-
hoffen. Was die Hysterie bei Männern an-
langt, so sollte man sich noch mehr Reserve
auferlegen und sich in Acht nehmen, auf
einer Methode zu bestehen, die weit davon
entfernt ist, in allen Fällen günstig zu wir-
ken, im Gegentheil zu Ergebnissen fuhren
kann, die ebenso unangenehm für den Kran-
ken wie für den Arzt sein können."
{Duck. med. Wochenschr. 1889, No, 2ö.) R.
Angeborene conträre Sexualempfindung. Erfolg-
reiche hypnotische Absuggerirung homo-
sexualer Empfindungen. Von Prof. Dr. von
Krafft-Ebing.
Es handelt sich um einen 34jährigen
Dr. philos., der väterlicherseits neuropathisch
48*
380
Rttfarate.
pfherspentiteh«
L MoD&Uhefta.
belastet und seit Eindesbeinen nerros und
leicht erregt ist. Seit seiner Jugend hat er
nur Sympathie für Männer und will niemals
an den Reizen des schonen Geschlechts Ge-
fallen gefunden haben; beim Anblick TOn
ihnn sympathischen Männer bekam er sexuelle
Gefühle, Erectionen und eine Zeitlang auch
Ejaculationen. Nach 8 hypnotischen Sitzun-
gen, in denen ihm suggerirt wird, dass er
Ton nun an dem Manne gegenüber geschlecht-
lich indifferent sein und der Mann ihm ge-
schlechtlich ebenso gleichgültig sein würde,
als das Weib, fühlt sich Patient frisch,
muthig und im Besitze seines ganzen Selbst-
vertrauens; er habe das Gefühl und den
Beweis, dass ihm der Mann ganz gleich-
gültig geworden sei.
Es ist zu bemerken, dass Patient von
durchaus männlichem Habitus ist, seine Geni-
talien sind gut entwickelt und ganz normal.
{Internationale* Centralblatt für die Pkyeiologie und
Pathologie der Ham' und Sexualorgane 1889, Seite 1.)
Schmey ißeuthen 0.-3.).
Zur Behandlung der Granulationsstenosen der
Trachea nach Tracheotomie. Aas der Tü-
binger chirurgischen Klinik des Prof. Dr.
Brans von Dr. Th. Koestlin.
üeber erschwertes Decanulement nach
Tracheotomie sind in den letzten Jahren
zahlreiche mehr oder weniger umfangreiche
Arbeiten erschienen, ohne jedoch in der
Therapie dieser Afifection wesentlich Neues
zu bieten. Speciell bei den Granulations-
stenosen der Trachea wurde stets eine
Entfernung derselben mit dem scharfen
Löffel von der Tracheotomiewunde aus
empfohlen und nachherige Aetzung der An-
satzstelle der Granulation, wobei bald die-
sem, bald jenem Aetzmittel der Yorzug ge-
geben wurde. Eine endolaryngeale Behand-
lung wurde nur bei grösseren Kindern in
ganz yereinzelten Fällen Torgenommen, da
ja natürlich die Unruhe und Aengstlichkeit
der kleinen Patienten, um die es sich ja
hierbei fast stets handelt, in den meisten
Fällen eine solche von yomherein unmöglich
machte. Eine verhält nissmässig einfache,
leicht, selbst ohne Spiegel durchzuführende
Methode zur endolaryngealen Beseitigung
dieser Granulationen wird nun aus der
Tübinger Klinik (v. Bruns) durch Dr. Th.
Koestlin angegeben und nach einem derart
behandelten Falle warm empfohlen: Ent-
fernung mittelst des Yoltolinischen
Kehlkopf-Schwammes. An einer starken
Kehlkopf sonde wird am vorderen Ende ein
kleines Schwämmchen befestigt, dann die
Sonde unter Leitung des linken Zeigefingers
bei leichter Narkose des Kindes in den
Kehlkopf eingeführt, durch einen leichten
Druck durch die Glottis hindurchgezwängt
und nun tief in die Trachea geleitet, wo
sie einigemale energisch auf- und abbewegt
wird, so dass durch das Schwämmchen die
Trachealwand abgewischt und damit die
Granulationen abgerissen werden. Wird
diese Procedur vorgenommen bei noch nicht
entfernter Canüle, so wird diese während
derselben weggenommen, nachher noch 1 Tag
eingelegt. Tritt eine Granulationsstenose
kürzere oder längere Zeit nach der Trache-
otomie auf, dann ist eine Retracheotomie
überflüssig, was auch sehr zu Gunsten dieser
Methode spricht.
Der Fall, bei welchem sie zur Anwen-
dung kam, ist folgender: Bei einem Mäd-
chen von 5 Jahren, wegen Diphtherie mit
Larynxstenose tracheotomirt, macht die Ent-
fernung der Canüle vom 8. Tage an Schwie-
rigkeiten, wird jedoch am 19. Tage möglich;
am 21. Tage Athmung frei, Tracheotomie-
wunde zusammengeschrumpft auf eine linsen-
grosse Granulationsfläche; bald darauf Ath-
mung erschwert; am 33. Tage wird bei
laryngoskopischer Untersuchung ein der vor-
deren Trachealwand aufsitzender, das Trache-
allumen mehr als die Hälfte ausfüllender
Granulationsknopf constatirt. Tags darauf
Retracheotomie, Entfernung der Granulation
mit scharfem Löffel, Lapis -A et zuug. Bald
Recidiv, nach wenig Wochen fast das ganze
Tracheallumen ausfüllende Granulations-
massen. Yier Monate nach der ersten
Tracheotomie Auswischung der Granulationen
nach obiger Methode, laryngoskopisch völliges
Freisein der Trachea nachgewiesen. Inner-
halb der nächsten 8 Wochen 3 mal Recidiv,
jedesmal ebenso behandelt. 14 Tage später,
ß^a Monate nach der ersten Tracheotomie,
Entfernung der Canüle, rasche Schliessung
der Wunde; 4 Wochen später wurde die
Athmung wieder erschwert, es wurde nun
ein kleiner, laryogoskopisch nachgewiesener
Granulationsknopf ohne Narkose mittelst des
Kehlkopfschwamms abgewischt, worauf dann
kein Recidiv mehr erfolgte.
Ein ähnliches Yerfahren hat Boeker in
3 Fällen angewandt, indem er mit einem
neusilbemen Katheder, in dem auf der con-
cayen Seite eine bogenförmige Oeffnung mit
angeschärftem Rande angebracht war, theils
mit, theils ohne Spiegel den Granulations-
knopf abzuschneiden suchte ; in einem vierten
Fall war das Kind so furchtsam, dass er
nicht zum Ziele kommen konnte.
Betreffs der Frage nach der Entstehungs-
ursache der Granulationswucherungen in der
Trachea weist Koestlin darauf hin, dass
sie als Caro luxurians aufzufassen sind; wie
in. Jahrgang.!
Augiut 1889. J
Referat«.
381
nun an jeder anderen Wunde dies besonders
anftrete bei Reizung derselben, so auch hier,
wo die Anwesenheit der Canüle, die ausge-
husteten Schleimmassen, das Wundsecret
selbst, die Keibungen der Canüle an der
Wunde bei Athembewegungen und Husten-
stÖssen Momente genug bilden, welche
reizend auf die Wunde einwirken.
{Beiträge zur Chirurgie , Hittheilungen aus den Kliniken
SU Tübingen, Heidelberg , Zürich, Basel. Bedigirt van
Dr. P. Bruns, IV, Bd. 2. Heß, No, IX.) PauU (Lübeck),
(AiM der chimrg. Klinik des Herrn Prof. Dr. t. Volkmann
in Halla)
Ueber Entfettungscoren bei Gelenkkrankheiten
nebst einigen Bemerkungen über Gonitis cre-
pitans. Von Dr. Rudolf Volkmann, Assi-
stenzarzt.
Die Absicht, welche man bei diesen
Ouren verfolgt, ist folgende:
Man sucht ein Individuum, das iü Folge
einer früheren Erkrankung an Schwäche
oder irgend einer Insufficienz der ünterex-
tremitäten leidet, durch eine vorsichtige
Entfettungscur so viel leichter zu machen,
dass die wenig leistungsfähigen Extremi-
täten ein geringeres Korpergewicht zu tragen
haben. — Einen wie grossen Einfluss eine
auch nur geringe Herabsetzung oder auch
Vermehrung des Eörgergewichts auf die
Leistungsfähigkeit der unteren Extremitäten
hat, lehrt der Vergleich mit einem Renn-
pferde, dessen Erfolge bekanntlich schon
durch geringe Belastungsdifferenzen erheb-
lich beeinflusst werden. — Seit 14 Jahren
-werden in der Klinik zu Halle Entfettungs-
curen bei Gelenkaffectionen angewandt. Die
speciellere Methode richtet sich nach der
Individualität des Falles. — Veranlassung
zu derartigen Curen wegen Erkrankungen
der Extremitäten bei absoluter oder rela-
tiver Obesität können die verschiedenartigsten
Störungen geben. Hierher gehören z. B.
die congenitalen Luxationen. Auch bei
rachitischen Kranken mit biegsamem Kno-
chengerüste und stark entwickelter Körper-
fülle ist eine Berücksichtigung der Diät
von grosser Wichtigkeit. Dann kommen
alle die erworbenen Affectionen wie Genua
valga, Plattfüsse, resecirte Knie- und
Hüftgelenke in Betracht. Dasselbe gilt
Ton den Kinderlähmungen. Auch bei der
von R. V. Yolkmann als Gonitis crepitans
bezeichneten Affection kann man mit einer
geeigneten Entfettungscur Erfolge erzielen.
(DeuUehe Med. Wochensehr. 1889, No. 25.)
B.
JEine Klumpfüssmaschine. Von Th. Kölliker,
Leipzig.
Zur Nachbehandlung des Klump fusses
kleiner Kinder bedient Verf. sich einer
Schiene, zu der er das Modell aus einem
Guttaperchastreifen herstellt, der, in heissem
Wasser erweicht, um den in leicht übercor-
rigirter Stellung befindlichen Fuss vom late-
ralen Rande desselben beginnend über den
Fussrücken, unter der Sohle durch und an
der andern lateralen Seite zum Unterschen-
kel hinaufsteigend geleitet wird. Nach dem
Erhärten des Streifens wird der Form des-
selben entsprechend eine Stahlschiene gefer-
tigt, die innen mit Filz ausgelegt ist. Beim
Anlegen der Schiene wird zuerst der Fuss
in das leicht federnde Fussstück eingescho-
ben und dann das ünterschenkelstück der
Schiene an dem Unterschenkel befestigt,
wodurch der Fuss dauernd in Supination
und Abduction erhalten wird. Vortheilhaft
hierbei ist, dass die noch weiter nöthigen
Manipulationen an dem Fusse (Massage
etc.) ungehindert zur Ausführung gelangen
können.
{Centralbl f. Chirurg. 1889, No. 15.)
Freyer (Stettin),
Zur Operationstechnik bei der Unterbindung der
Arteria thjrreoidea inferior. Von Prof. Dr.
Rydygier (Krakau),
Um dem Vorwurf, den man dieser be-
hufs Heilung der Struma geübten Opera-
tion in kosmetischer Hinsicht gemacht, zu
begegnen, hat Verf. ein neues Operations-
verfahren in Anwendung gebracht, das gleich-
zeitig die Ausführung der sonst schwierigen
Operation erheblich erleichtert. Er schneidet
die Haut 2 cm über der Clavicula und par-
allel zu dieser, also quer ein und trennt
nach Spaltung des Platysma und der oberen
Fascie mit beiden Zeigefingern stumpf das
lockere Gewebe, allmählich bis zum innern
Rande des M. scalenus antic. sich in die
Tiefe bohrend, wo man bei ausgiebigem
Klaffenmachen der Wunde den Truncus thy-
reocervic. resp. die Art. thyreoid. inf. als-
bald zu Gesicht bekommt. Verf. unterbin-
det stets doppelt und hat bisher noch kein
Einreissen der Arterie erlebt. Die Narbe
versteckt sich hernach in der natürlichen
Querfaltung der Halshaut und liegt ausser-
dem so weit nach unten, dass sie kaum sicht-
bar ist.
{Centralbl. f. Chirurgie, 1889, No. 14.)
Freyer (SteUin).
Ueber eine neue Behandlungsmethode der seit-
lichen Rückgratsverkrümmung. Von Dr. H.
Wolfermann in Strassburg i. Eis.
Von der Erwägung ausgehend, dass es
sich bei der Scoliose um eine Drehung der
Wirbelsäule um ihre Längsachse, sowie um
eine Herausrückung der Säule aus der Sym-
382
Referate.
rTherApeotische
L MoTiKtahefte.
metrieebeoe handelt, hat Yerf. einen corset-
artigen Apparat construirt, der aus zwei ge-
trennten Th eilen, einem Beckenstück und
einem Thoraxstück, besteht und vermöge
seiner Construction das letztere gegen das
erstere 1. um die Längsachse der Wirbel-
säule, 2. um die sagittale Achse zu drehen,
3. in der Höhenrichtung und 4. in frontaler
BichtuDg nach rechts oder links zu yer-
schieben vermag. An einer Abbildung wird
der Apparat, zu dessen Herstellung es eines
Gypsmodells im gegebenen Falle bedarf, er-
läutert. Der Apparat ist patentirt und wird
von Prof. Lücke als sehr erfolgreich
empfohlen.
(Cemtralbl. für Chirurgie 1888 No. 42,)
Freyer {SUUin).
Die Wendung bei engem Becken. Von Dr. W.
Nagel (Berlin).
Aus der Gus s er o waschen Klinik ver-
öffentlicht Nagel 80 Geburten bei eugem
Becken und bespricht im Anschluss daran
die Therapie derselben. 60 davon sind
durch die Wendung behandelt worden, sämmt-
liche 60 Mütter sind dabei am Leben ge-
blieben, eine von ihnen musste einer Fistel
wegen wiederholt, beim dritten Male mit
Erfolg operirt werden; 6 mal sind mit
einer Ausnahme unerhebliche Erkrankungen
im Wochenbett notirt; das eine Mal han-
delte es sich um eine vorübergehende Phleg-
masia alba dolens. Yon 61 Eündern sind
46 lebend geboren. Yon den 20 Müttern,
bei denen die hohe Zange angelegt wurde,
starben 4, im Wochenbett erkrankten ausser-
dem 8, ebensoviel blieben gesund; von den
Kindern wurden 17 lebend, 3 todt geboren.
Schon aus dieser Zusammenstellung ergiebt
sich der Vorzug, den die Wendung verdient^;
aber auch die 20 Fälle der hohen Zange
sind nur geschehen, wenn in Fällen, die an-
fönglich sich selbst überlassen worden wa-
ren, der Kopf wohl durch die Beckenenge
mit seinem grösseren Theile getrieben war,
die Contractionen nunmehr nachliessen und
der Zustand der Mutter gebieterisch eine
Beendigung der Geburt verlangte, sodass
also die Zange nicht wegen, sondern trotz
des engen Beckens angelegt wurde, um das
Kind vor der sonst nothwendigen Perfo-
ration zu retten. Grade um dem Bestreben
entgegenzutreten, die hohe Zange bei engem
Becken wieder einzufuhren, da es in Anbetracht
des Einflusses, den die englischen, die hohe
Zange noch immer verehrenden Geburts-
helfer zum Theil noch haben, und nach
Einführung der Achsenzugzangen, nicht gar
wunderbar wäre, wenn eine Empfehlung für
diesen Eingriff eines' schönen Tages auch
aus irgend einer deutschen Klinik empor-
tauchte, femer im Gegensatz zu der von.
Winter empfohlenen Methode, bei Erst-
gebärenden der durch den Yei tischen Hand-
griff nothwendig — dies bestreitet Verf.
entschieden — eintretenden tiefen Damm-
risse und des Unterschiedes in der Wehen-
thätigkeit bei Primip. und Multip. wegen abzu-
warten und später eine Zange anzulegen,
hat Nagel diese Arbeit veröffentlicht; und
er präcisirt und begründet vollauf seinen
Standpunkt dahin: ist bei Iparae bei völlig
erweitertem Muttermunde und stehender
Blase der Kopf nicht in das Becken ein-
getreten, oder zögert er, nach dem Blasen-
sprunge dies zu thun, so soll man, ganz
gleichgültig, ob in dem letzten Falle der
Muttermund vollkommen erweitert ist oder
nicht, zur inneren ev. combinirten Wendung
(ev. ohne sofort folgende Extraction) schrei-
ten; bei Mehrgebärenden kann man etwas
länger warten, wenn der Verlauf früherer
Geburten auf eine natürliche Geburt eines
lebenden Kindes hoffen lässt; mit grund-
sätzlichem Warten überlässt man die Frau
in vielen Fällen ihrem guten Glücke, denn
die lange Dauer der Geburt ist es haupt-
sächlich, welche die Prognose trübt, sowohl
für Mutter wie für Kind. Für die Wendung
selbst empfiehlt Verfasser das Herabholen
des Fusses der vorliegenden Fruchtseite
resp. bei Querlagen mit dem Bauch nach
vorne des oberen Fusses und nach der Wen-
dung das Abwarten einiger üteruscontrac-
tionen für die Fixirung des Steisses, die bei
engem Becken nie sofort erfolgt.
(Arch./. Gynaekol No. XXXIV. I.)
Landsberg (Sletü»),
Die Therapie des engen Beckens. Von Duhrssen
(Berlin).
Von den verschiedenen Arten des engen
Beckens kommen für die GeburtsstÖrungen
hauptsächlich in Betracht das allgemein
verengte und das noch häufigere platte
Becken. Bei jenem beträgt die Verenge-
rung im allgemeinen nicht über 2 cm, d. h.
der Raum wird nicht so beschränkt, dasa
ein normaler Kindsschädel nicht hindurch-
ginge. Demzufolge halten auch fast alle
Autoreb hier ein exspectatives Verfahren
indicirt; nur bei besonderen Gomplicationen,
wie Hinterscheitelbeinstellung, Nabelschnur-
vorfall und Querlage, ist die (von Lietz-
mann ziemlich immer verlangte) Wendung
angezeigt. Beim exspectativen Verfahren
nun kommt es allerdings häufig zu Wehen-
schwäche und Stillstand der Geburt, wäh-
rend das Befinden der Mutter die Beendi-
gung verlangt. Duhrssen erklärt diesen
HL Jahrgang.!
Anfratt 1889. J
Referate.
383
pathologischen Zustand in weiterer Yerfol-
gung der Dohrn' sehen Ansicht, das allge-
mein yerengte Becken sei eine auf einer
kindlichen Stufe der Entwickelung stehen
gebliebene Form, mit einer ebenfalls mangel-
haften Ausbildung der Uterusmusculatur,
der Vagina und des Introitus vaginae, aus
welcher er auch die Rigidität dieser Theile
herleitet. Damit erklärt er wiederum die
häu£g sehr grosse Schwierigkeit der Zangen-
extraction unter oben genannten Umständen
und giebt nunmehr den Rath, in solchen
Fällen die ganz ungefährlichen seitlichen
Incisionen des Introitus ev. auch des Mutter-
mundsaumes vorzunehmen, ein Verfahren,
durch welches er „mit überraschender Leich-
tigkeit^ anfangs schwierige Zangenextractio-
nen Yollendete und das nach seiner Meinung
somit geeignet ist, die Indicationen für Per-
foration des lebenden Kindes sehr einzu-
schränken.
Beim platten Becken kommen bei Conj.
Tera unter 5,5 der Kaiserschnitt, bei solcher
Ton 7,0 — 5,5 die Perforation oder der
Kaiserschnitt (relative Indication) in Be-
tracht, wobei D. sich mehr für das erstere
"Verfahren ausspricht. Verengerungen von
9,5 — 8,5 und von 8,5 — 7,0 cm Conj. vera
erfordern nach D.^s Ansicht bei beweglichem
Kopf und völlig erweitertem Muttermund
die Wendung (prophylactisch) und Extraction.
Das abwartende Verfahren, auch bei Primip.,
-wie es Winter vorschlägt, verwirft er.
lieber die Methode bei wenig oder nicht
-völlig erweitertem Muttermunde, wo ja von
anderer Seite die combinirte Wendung ohne
sofortige Extraction vorgeschlagen wird,
spricht sich Dührssen nur insoweit aus,
als er auch da durch Cervixincisionen sich
die günstige Erweiterung schaffen würde.
Bei der Entwicklung des nachfolgenden
Kopfes nun schliesst er sich nach selbst-
ständig von ihm gemachten Erfahrungen
dem Bath an, den Winkel auf der letzten
Gynäkologenversanmilung gab, nämlich mit
dem Zeigefinger einer Hand in den Mund
des Kindes einzugehen und so das Kinn
der Brust genähert zu halten, mit der an-
dern Hand direct auf den Kopf in der Rich-
tung nach der Stirn zu drücken (A. Mar-
tin'scher Handgriff). Es erspart dieses
Verfahren gegenüber dem Veit-Smellie'-
schen Handgriff, den D. nun auch den
Mauriceau-Le vre tischen nennt, einen
Assistenten und führt schneller zum Ziel:
innerhalb 30 Secimden wurde damit der
Kopf eines ausgetragenen Kindes entwickelt
bei einer Conj. von 6,6 cm.
(BM-ftner Klinik. Btft 8.)
Landsberg {Stettin).
Zur therapeutischen Verwendung des HydraceÜn
gegen Psoriasis. Von Dr. Oe Streicher
(Berlin).
Verf. hat bei sechs Patienten mit Pso-
riasis in der Lassar 'sehen Klinik das von
P. Guttmann als „für die Behandlung der
Psoriasis versuchsweise in Aussicht zu
nehmende" Hydracetin in Anwendung ge-
zogen. Das Medicament wurde erst in einer
10-j dann wegen zu geringer Wirkung in
einer 20-procentigen Lanolinsalbe täglich
auf die betroffenen Hautstellen eingerieben
und nach 24 Stunden erneuert. Der Gontrole
wegen wurde jede andere unterstützende
innerliche und äusserliche Medication (Seifen-
bäder etc.) unterlassen. Bei allen Kranken
zeigte sich örtlich ein sehr guter Erfolg des
Hydracetins auf die Affection; die Schuppen-
bildung schwand in etwa 14 Tagen, Ent-
zündung oder Verfärbung der Haut, Flecke
in der Wäsche traten nicht auf. Von der
7. bis 10. Inunction stellten sich aber bei
allen Personen mehr oder weniger schwere
Allgemeinerscheinungen: Mattigkeit, Schwere
der Glieder, Blässe der Haut und sichtbaren
Schleimhäute, bei einem Patienten sogar
Icterus ein. Der letztere Kranke konnte
sich nur noch mühsam fortbewegen. Fieber
fehlte. Puls normal, Herzthätigkeit und Ver-
dauung nicht gestört. Urin dunkel-mahagoni-
braun, mit einem Stich ins Grünliche, ent-
hält jedoch keine Gallenfarbstoffe, geringe
Mengen Eiweiss, keinen Blutfarbstoff oder
rothe Blutkörperchen; Reaction auf Garbol-
oder Salicylderivate, sowie der Ausfall der
Trommer^schen Probe negativ; Indicange-
halt des Harns (Jaffe) vermehrt. Im Blut
mikroskopisch keine Veränderungen.
Wenn also auch das Hydracetin einen
sehr günstigen Einfluss auf die Heilung der
Psoriasis hat, so müssen doch wegen seiner
gefährlichen toxischen Eigenschaften erst
weitere Versuche in Betreff seiner Anwendung
und Dosirung angestellt werden, ehe das
Mittel allgemein für die Therapie der Psoriasis
in Gebrauch gezogen werden kann.
(Berl. Klin, Wochentehr. 1889. No. 28.)
George Meyer {ßerUn),
Gallenstein, geheilt durch Neuenahrer Sprudel«
Von Dr. Lenne.
Eine 38jährige Nähterin hatte 3 Jahre
zuvor einen schweren Anfall von Gallenstein-
kolik durchgemacht. Eine dagegen ange-
wandte Trinkcur von Garlsbader Wasser be-
kam ihr nicht gut, weshalb dieselbe einge-
stellt werden musste. In den folgenden
Jahren zeitweise leichte Schmerzen, die durch
Morphin beseitigt wurden. Im dritten Jahre
wurde L. wegen eines heftigen Anfalls con-
384
Referate.
rrherapeatlfldi«
L Monatshefte.
«ultirt. Nach der üblichen Behandlung zur
Beseitigung der augenblicklichen Beschwer-
■den verordnete er eine Trinkcur mit Neuen-
ahrer Sprudel. Der Erfolg war ein vorzüg-
licher. Schon in der vierten Woche begann
der Abgang von Steinen, so dass nach und
nach einige 20 erbsengrosse Steine gesam-
melt wurden. Seitdem — seit 5 Jahren —
ist Fat., welche noch vorsichtshalber 2 Jahre
Neuenahrer Wasser getrunken hatte, von
den Kolikanfallen verschont geblieben.
(AUgem. med. Cmtr.-Ztg. 1889 No, 44.) B.
Toxikologie.
Eine Antifebrin Vergiftung. Von Dr. L. Brie g er,
pract. Arzt Id Neisse. (Original-Mittheilung.)
Bei der immer mehr zunehmenden An-
wendung von Antifebrin und in Berücksich-
tigung des Umstandes, dass dasselbe im
Handverkaufe, auch in Droguenhandlungen
und zu so billigem Preise zu haben ist
(Taxe 10 g 20 Pf.), dürfte folgender Fall
zur Vorsicht beim Gebrauche auch nur
mittlerer Dosen mahnen und zeigen, wie
nöthig es endlich ist, dieses Mittel für
die Apotheken und die Receptur zu reser-
viren.
Der 28jährigen Schuhmachersfrau K., die an
grosser Blutleere und häufigen Migräneanföllen
leidet, waren Antifebrinpulver (ä 0,5 g, bei einem
Anfall 1 Pulver, event. nach 1 Std. ein zweites
zu nehmen) verordnet worden. Am 23. Juni nun
nahm sie wegen heftiger Kopfschmerzen früh
Yg8 Uhr zwei Pulver, und da sie wohl Erleichte-
rung, doch kein Verschwinden der Schmerzen
fühlte, gegen YjB Uhr ein drittes. Nach 9 Uhr
empfand sie dann plötzlich Uebelkeit, sie erbrach
etwas und vor den Augen wurde ihr ganz schwarz.
Allmählich verschlimmerte sich der Zustand. Ge-
gen Yi^^ ^^^ ^^^ ^^^ Kranke. Nägel, Gesichts-
haut, Lippen, sowie alle sichtbaren Schleimhäute
tief cyanotisch. Arme und Beine blass und kühl.
Am ganzen Körper, mit Ausnahme des Kopfes,
Zuckungen; Puls sehr schwach, Herzaction stark
erregt, grosse Angstgefühle; Pupillen waren etwas
erweitert und ihre Reaction sehr träge. Zudem
bestand Doppelsehen. Der Zustand war ein
äusserst schwerer.
Unter der energischen Anwendung von Reiz-
mitteln (Aether subcutan und per os, starkem
Kaffee), sowie fortwährendem Reiben des Körpers
mit hautreizenden Mitteln besserte sich ganz lang-
sam das Befinden; der Puls wurde etwas kräfti-
ger und die Cjanose wich allmählich einer grossen
Blässe. Nach ca. 2 Stunden war jede directe
Gefahr verschwunden; grosse Schwäche, sowie
Reizbarkeit blieb jedoch noch mehrere Tage be-
stehen. Die Kopfschmerzen waren wohl nach dem
dritten Pulver verschwunden, stellten sich aber
dann nach den Brechbewegungen wieder ein.
(Ans dem Laboratorium der med. Klinik In .fena.)
Die Aetzwirkung des Broms und ihre Behandlung«
Von Docent £. Sehrwald (Jena).
Ein Fall, der S. in jüngster Zeit zur
Beobachtung kam, war Veranlassung, die
Frage zu erörtern, in welcher Weise die Ver-
ätzungen durch Brom und Bromdämpfe am
rationellsten zu behandeln sein werden. —
Einer der im Laboratorium arbeitenden
Herren goss sich bei der Darstellung von
Bromlauge etwa 5 ccm reines Brom, das mit
20ccm verdünnter Kalilauge überschüttet war,
aus Versehen über die rechte Hand. Es
trat eine ausgiebige Verätzung des untern
Viertels der Beugseite des Vorderarmes und
des angrenzenden Handtellers auf. Ausser-
dem spritzten einige Tropfen der Flüssigkeit
ins Gesicht. Die Reizung der Respirations-
schleimhäute war sofort eine äusserst intensive.
Die Folgen an der Haut waren die be-
kannten. Die Haut zeigte sofort eine starke
Gelbfärbung, die Epidermis hob sich strecken-
weise in grossen Blasen ab, die Schmerz-
haftigkeit war bedeutend.
Nachdem 2 — 3 Minuten verstrichen waren,
sah S. den Verletzten. Er Hess die geätz-
ten Partien reichlich mit einer 1 — 2®/o Car-
bollösung bespülen, wodurch fast momentan
alles noch freie Brom gebunden wurde.
Zugleich milderte das Carbol auch die be-
stehenden Schmerzen, da es bei längerer
Berührung mit der Haut eine nicht unbe-
deutende Anästhesie zu erzeugen vermag.
Um einen klaren Einblick bezüglich der
günstigen Wirkung des Carbol s zu gewinnen,
hat S. auch an sich selber einige Versuche
angestellt. Er brachte sich auf die Rücken-
fläche eines Fingers einige Tropfen chemisch
reinen Broms und tauchte nach einigen Mi-
nuten den Finger in eine 2% CarboUösung.
Das Brom fiel sofort als weissliche Wolke
ab, und als S. nach einer halben Minute
den Finger herauszog, war an der Haut
nichts zu sehen, als eine leichte weisse
Färbung und eine geringe Schrumpfung der
Epidermisdecke. Keine Blasenbildung, keine
unangenehme Empfindung.
II
in. Jahrgang.")
AugQiit 1889. J
Tozlkologltt.
385
Wichtiger war nun die Frage, ob man
auch die so viel häufigeren Reizungen der
Schleimhäute durch Carbol zum Verschwin-
den bringen könne. S. athmete selber Brom-
dämpfe ein und sobald eine heftige Reiz-
wirkung in Nase, Augen u. s. w. sich ein-
stellte, athmetete er nun Dämpfe Yon reinem
Acid. carbolic. liquef. nach. Schon nach
wenigen Athemzügen war jede unangenehme
Empfindung verschwunden, und so oft S.
den Yersuch wiederholte, trat stets derselbe
günstige Effect ein.
Wie weit auch bei einer innerlichen Ver-
giftung mit Brom das Carbol sich empfehlen
würde, ist zunächst noch nicht zu ent-
scheiden. Jedenfalls geht aber aus Verfassers
Beobachtungen hervor: „dass bei Verätzungen
der Haut durch Brom die verdünnte Carbol-
säure als Antidot und Anästheticum das
weitaus rationellste Mittel ist, unddass ebenso
bei Reizungen der Schleimhäute durch Brom-
dämpfe das Einathmen der Dämpfe des con-
centrirten verflüssigten Carbols geradezu als
Specificum wirkt und vor allen bisher empfoh-
lenen Mitteln weitaus den Vorzug verdient."
{Wien. med. Wochensehr. 89. No. 25-26.) R.
Tod durch Inhalation von Aethylenbromid.
Mehrfach ist in den Therap. Monatsheften
auf die Gefahren hingewiesen, welche die
Benutzung eines unreinen Bromäthyls oder
gar des in seiner Wirkung wesentlich ver-
schiedenen und toxischen Aethylenbromid für
den Patienten bietet. Wir verweisen auf
die diesem Gegenstand behandelnden Artikel
in den Jahrgängen 1887 und 1888 dieser
Hefte von Asch, Langgaard, Szuman,
Hirsch. Der vorliegende von einem Dr. A,
berichtete, tödtlich endigende Fall einer
Aethylenbromid-Inhalation zeigt, wie berech-
tigt diese Warnungen sind.
Es handelte sich um einen 31 -jährigen,
vollkommen gesunden und arbeitsfähigen
Tagelöhner, bei welchem behufs Operation
eines eingewachsenen Nagels, nach Angaben
des Arztes zunächst „Aethylenbromat" zur
Narkotisirung verwendet wurde. Der nächste
Erfolg der Inhalation war, dass Fat. un-
bändig wurde, injicirte Conjunctiven, Rei-
zung im Kehlkopf bekam, über starke
Schmerzen unter dem Brustbein klagte und
behauptete von dem Mittel verschluckt zu
haben. Betäubung trat nicht ein. Im
Ganzen waren etwa 40 g des Mittels ver-
braucht. Auch der die Narkose leitende
Arzt hatte die Wirkung des Mittels auf
seine Augen empfunden. Es wurde darauf
Chloroform benutzt, welches bald Narkose
herbeiführte, und die Operation ohne Zwi-
schenfall ausgeführt.
Nach dem Erwachen klagte Fat. über
Schmerzen „unter dem Herzen^* und erbrach
im Laufe des Tages mehrmals heftig. Diese
Erscheinungen steigerten sich am nächsten
Tage und in der darauffolgenden Nacht trat
der Tod bei vollständigem Bewusstsein unter
den Erscheinungen der Herzschwäche ein.
Gegen Ende beobachtete der behandelnde
Arzt Eurzathmigkeit und Bronchialrasseln.
Bei der Section ergab sich: die Magen-
schleimhaut gelblich gefärbt, fettig, an
mehreren Stellen hellrothe Wulstungen von
Funktform bis Linsengrösse. Verletzungen
der Schleimhaut waren nicht vorhanden,
ebenso keine Entfärbung oder Defecte an
den Lippen, der Mundschleimhaut, in der
Umgebung des Kehlkopfes oder dem An-
fangstheil der Speiseröhre. Letztere zeigte
in den tiefer gelegenen Abschnitten nament-
lich oberhalb der Gardia mehrfach hellrothe
Flecken und stellenweise Abschürfungen der
Schleimhaut. In dem Mageninhalt konnte
Brom nicht nachgewiesen werden. Die Leber
zeigte beginnende Verfettung. Die Lungen
waren dunkelroth, stark blut- und
wenig lufthaltig; die rechte Lunge mit der
Brustwand verwachsen. Die Schleimhaut
der grossen Luftröhre, sowie deren
Verzweigungen bis in die feinsten
Bronchien, war hellroth gefärbt und
mit röthlichem Schleim bedeckt. Herz-
muskulatur schlaff und wenig entwickelt,
blassbraunroth.
Die Untersuchung des zur Anwendung
gelangten Narcoticum, von welchem noch
7,2 g vorhanden waren, ergab, dass dasselbe
Aethylenbromid C Hj Br — CHaBr und
nicht das als Anästheticum empfohlene
Aethylbromid C H3 — CHj Br war.
Offenbar hatte der Arzt beabsichtigt, das
vielfach mit gutem Erfolge benutzte Brom-
äthyl anzuwenden. Aus den vor Gericht ge-
machten Aussagen geht hervor, dass sowohl
Arzt als auch Apotheker über den Unter-
schied von Aethylbromid und Aethylenbromid
gänzlich im Unklaren waren. (S. unter Fract.
Notizen d. Heft. S. 390 Bromäthyl. Red.)
{Aerztl. Miitheilg. aus u. für Baden 1889 No. 12 «. 13.)
rd.
Schwere Antipyrinvergiftung bei einem Kinde
(Antipyrinepilepsie). Von Dr. Franz Tuczek.
Vf. hat seine eignen 3 Kinder wegen
Keuchhusten mit Antipyrin behandelt. Das
älteste Kind, ein 4 jähriger kräftiger Knabe,
erkrankte, nachdem er 3 Wochen hindurch
3 Male täglich 0,4 g Antipyrin bekommen
hatte, an tiefem Sopor, in dem sich moto-
rische Reizerscheinungen stürmischer Art,
darunter gehäufte epileptische Krampfanfälle,
49
386
Tozikologltt.
PTherapeatiache
L Monatshefte.
eigenthümlicher AthmungstypuB , Arhythmie
der Herzthätigkeit, Pupillenerweiterung ein-
stellten. Dabei trat ein maculoBes Exanthem
auf, bei subnormaler Temperatur und ver-
langsamstem gespanntem Puls. Am 3. Krank-
heitstage beginnt sich das Bewusstsein auf-
zuhellen, die Krämpfe klingen ab und kehren
vom 4. Tage an nicht -wieder.
Nach Ausschluss aller andern Krankheits-
ursachen, z. B. Meningitis, konnte es sich
nur um eine Intoxication handeln und zwar,
da kein anderes Gift gereicht war, nur um
eine Antipyrinvergiftung.
Die Krämpfe trugen vollständig den
Charakter der Rindenepilepsie, was bei der
unzweifelhaften Wirkung des Antipyrins auf
die Grosshirnrinde nicht Wunder nimmt.
Bemerkenswerth ist ferner noch das Auf-
treten von Acetonurie während des ganzen
Elrankheitsverlaufes, von der Yf. annimmt,
dass sie durch gesteigerten Zerfall eiweiss-
haltigen Materials in Folge der Ejrämpfe ent-
standen sei.
{BerUner klinische Woehentchriß 1889 No. 17.)
Sehmey {Beuthen 0, 3.).
Litteratur.
Handbach der Geburtshülfe. Herausgegeben von
Dr. P. Müller, n. Band, 1. Hälfte. Stuttgart,
Enke, 1888»).
Der unlängst erschienene erste Theil des
zweiten Bandes dieses Handbuches hat die
Erwartungen, die nach dem ersten Bande
von ihm gehegt werden durften, nicht ge-
täuscht. J. Yeit, der zunächst die „ver-
schiedenen Schwangerschafts- und Geburts-
storungen bespricht, beginnt mit den Ent-
zündungen an und im Uterus: Perimetritis
mit eclatant septischen Erscheinungen will
er stets ndt criminellem Abort zusammen-
hängend wissen; bei der Endometritis unter-
scheidet er auch während der Schwanger-
schaft die gewöhnlichen 3 Formen, weist
die Deciduome als unhaltbar zurück, sieht
auch die Placenta marginata als eine Folge
der Endometritis an, während er als ätio-
logisches Moment für die Endometritis chro-
nica gravidarum selbst, unter Entlastung
der Syphilis, eine gleiche Erkrankung vor
der Schwangerschaft hinstellt, wie er dies
wiederholt nachweisen konnte. Als Folge
der Endometritis nun tritt sehr häufig der
Fruchttod ein, der seinerseits wieder zur
») Vergl. Th. M. 1888 S. 396 ff.
Unterbrechung der Schwangerschaft in den
ersten Monaten, zum Abort, führt, nicht
weil die todte Frucht als Fremdkörper
wirkt, sondern weil mit ihrem Tode alle
die Ursachen fortfallen, welche erfahrungs-
gemäss zur Ausdehnung des Uterus und zunoi
Ausbleiben von Contractionen führen. Der
Fruchttod und damit wieder der frühzeitige
Abort kann ferner herbeigeführt werden
durch Myxoma chorii, durch plötzliche
Steigerung der Temperatur, durch Uebergang
von Infectionsstoffen; der Abort in späterer
Zeit meist durch Syphilis und Nephritis.
Zum Theil können diese Momente auch
ohne das Zwischenglied des Fruchttodes zum
Abort führen, wie dies auch bei Traumen
(Cohabitation), wenn auch nicht in dem
Maasse möglich ist, wie dies bisher allge-
mein geglaubt wurde, bei Retroflexio uteri,
tiefen Gervixrissen etc. Nach Darlegung der
Symptome und Besprechung der Diagnose
mit besonderer Berücksichtigung des Cervi-
calabortes, d. h. desjenigen Zustandes, bei
welchem das Ovulum in das untere Uterin-
segment und den erweiterten Gervicalcanal
kommt, ohne durch den rigiden äusseren
Muttermund ausgestossen werden zu können,
unterscheidet Verfasser für die Therapie den
drohenden Abort, den vor sich gehenden
Abort und die Retention von Eitheilen. Für
den ersteren hält er Bettruhe für ca. 10 Tage,
aber nicht über Wochen und Monate hinaus,
da eine event. Lockerung zwischen Ovulum
und Uterus sich bereits in jener Zeit wieder
consolidirt, und Opiate für indicirt; beim
vor sich gehenden Abort wartet er zunächst
ab, um eine vollständige Ausstossiing des
Eies zu erreichen, lässt sich jedoch durch
stärkere Blutungen zum Eingreifen zwingen
und zwar wählt er bei geschlossenem Mut-
termund die feste Tamponade, die zugleich
wehen anregend wirkt, sonst die manuelle
Entfernung des Eies; letztere muss jedoch
event. nach instrumenteller Dehnung des
äusseren Muttermundes bei Zersetzungsvor-
gängen, nach Incision desselben bei Ger-
vicalabort angewandt werden. Bei Retention
kleinerer Eitheile ist die Ausräumung mit
der Curette oder dem Löffel vorzunehmen,
beim Zurückbleiben grösserer Reste oder des
ganzen Eies bei geschlossenem Muttermund
die Dehnung desselben durch Quellmeissel
mit nachfolgender manueller Entfernung.
Blutungen nach dem Abort sind, wenn sie
nicht auf Retention von Eiresten beruhen,
die Ursache also in einer Atonie des Uterus
liegt, durch Tampon ade (Jodoformgaze nach
Dührssen) zu stillen. Die Behandlung der
Wiederkehr des Aborts föllt zusammen mit
der der vorliegenden Endometritis, Retro-
in. Jahrgang.")
AngMt 1889. J
Littentur.
387
flexio etc. Im nächBten Capitel bespricht
Yeit die Placenta praeyia, die er als Ent-
'wicklung der Placenta im unteren Uterin-
segment definirt, eine Abnormität, für welche
er den ütemskatarrh in sofern verantwort-
lich macht, als die Flimmerbewegung der
Epithelien und der Tonus der Musculatur,
der sonst die Erweiterung der Höhle hin-
dert, verloren geht, und empfiehlt bei der
Therapie vor Allem, sobald der innere Mut-
termund für zwei Finger durchgängig ist,
die combinirte Wendung ohne Rücksicht auf
das kindliche Leben, event. mit Durchboh-
rung der Placenta, und ohne anschliessende
Extraction, jedoch mit Gewährung eines
leichten Zuges an dem in der Hand blei-
benden Fuss; nur bei der relativ seltenen
Aussicht, dass der heruntertretende Theil
die blutende Stelle comprimirt, kann man
sich mit der Blasensprengung begnügen. Bei
geschlossenem Muttermund ist die Colpeu-
ryse anzuwenden; das Accouchement force
dagegen ist ganz zu verwerfen. Die Anämie
ist selten so hochgradig, dass sie eine Be-
handlung erfordert, event. müsste eine
Transfusion versucht werden. Bei normalem
Sitz der Placenta kommt es zur vorzeitigen
Losung in Folge von Traumen und von
Decidua-Erkrankungen , oder bei partieller
Entleerung des Inhalts (z. B. nach der Ge-
burt des ersten Zwillings, bei Hydramnios).
Auch hier ist, wenn die Blutung eine in-
nere ist, die richtigste Behandlung die ge-
waltsame Entbindung am besten mittels
combinirter Wendung, hier jedoch mit sich
anschliessender Extraction; bei äusseren Blu-
tungen ist die Entbindung nothwendig, wenn
sie in der Geburt entstehen, während, wenn
sie in der Schwangerschaft auftreten, man
die Wahl hat zwischen Abwarten (bei un-
bedeutender Blutung), Tamponade oder
Blasensprengung, je nachdem bei stärkerer
Blutung der Muttermund noch geschlossen
ist oder nicht, und wenn dies nicht die
Stillung der Blutung herbeifuhrt, combinirte
Wendung resp. Accouchement force. Als
-weitere Störung in der Geburt bespricht
Yeit sodann die Wehenschwäche, die in
der Austreibungsperiode auf mangelhafte
Bauchpresse, beim engen Becken auf Ueber-
anstrengung in der ErÖffnungszeit zurückzu-
fahren ist; Wehenschwäche in der EröflF-
nungsperiode dagegen ist die Folge von Ab-
normitäten in der Uterusmusculatur, sei es
dass diese bei Chlorotischen oder älteren
Erstgebärenden fehlerhaft „ beanlagt ^^ ist, sei
es dass Myome die Schuld tragen; oder die
Folge von üeberfüllung des Eies, wo die
durch die grosse Menge des Fruchtwassers
liervorgerufene Spannung es zu richtigen
Gontractionen und zur Entwicklung der
Wehenthätigkeit nicht kommen lässt. Für
die Wehenschwäche in der Austreibungszeit
ist therapeutisch die Zange anzuwenden in
langsamer, nicht überstürzter Weise, wäh-
rend die Darreichung von Seeale allein selten
zum Ziele führt, eher noch bei vorhandener
Furcht vor der Zangenentbindung die Ein-
gabe von Kaffee, Alcoholica, insbesondere
Champagner. In der Eröffnungsperiode ist
Wehenschwäche durch Blasensprengung zu
bekämpfen, event. durch heisse Wasserirri-
gationen, durch Golpeuryse oder der Ein-
legung eines Katheters; von innerlichen
Mitteln ist keins anzuwenden, da auch die
Gefahrlosigkeit des Seeale in dieser Zeit
noch nicht erwiesen ist. In reinen Fällen
von Krampfwehen ist Morphium, am besten
subcutan verabreicht, das souveräne Mittel.
Die schon beim Abort kurz erwähnten
Nachblutungen werden noch in einem be-
sonderen Capitel besprochen und auf mangel-
hafte Gontractionen des Uterus zurückge-
führt, denen die Loslösung der Placenta
nicht so rasch gelingen kann, sowie auf
Adhärenz einzelner Theile der Nachgeburt
oder nach Entfernung der Placenta auf reine
Atonie, ein Zustand, dessen Grund wieder
zu suchen ist entweder in der Fortdauer
der schon in der Geburt mangelhaften We-
hen, oder in der plötzlichen Entleerung des
üteruskörpers oder in Erkrankungen der
Uteruswand; endlich kann Uebersturzung in
der Entfernung der Placenta auch Nach-
blutungen herbeiführen. Diese Blutungen
treten stets in der ersten Stunde nach der
Geburt auf und können so stark werden,
dass sie den Tod verursachen; von Einriss-
blutungen sind sie durch das Verhalten des
Uterus, der bei den letzteren bretthart ist,
zu unterscheiden. Die Behandlung besteht
bei Placentarretention in der Herausbeförde-
rung derselben, die zunächst mittels Reiben
und Kneten des Uterus versucht werden
muss; nur selten bei lebensgefährlichen
Blutungen ist man genöthigt sofort operativ
vorzugehen. Auch nach Ausstossung der
Placenta ist bei reiner Atonie die erste
Maassnahme mechanisches Reiben und Kne"
ten, ein Verfahren, das fast sicher zum
Ziele führt. Ihm zunächst steht die Com-
pression des Uterus zwischen der aussen auf
dem Abdomen ruhenden und der inneren in
die Scheide, event. in den Uterus einzu-
führenden und direct gegen die Placentar-
stelle drückenden Hand. Haben diese Ver-
suche nur vorübergehend Erfolg, dann muss
man zur Einspritzung von heissem Wasser
in die Scheide oder den Uterus selbst seine
Zuflucht nehmen und als letztes Mittel end-
49*
388
Littantur.
[Therapentiiehe
Monatsheft«.
lieh ist die Tamponade des Uterus selbst
mittels Jodoformgaze am besten anzuwen-
den. Die Stellung, die Verfasser hiermit
der Jodoformgazen -Tamponade, -wie sie
Dührssen empfohlen hat, einräumt, dürfte
wohl eine unterschätzte sein; wenigstens
wird sie wohl der Einfuhrung der Hand
und Druck gegen die PlaceDtarstelle immer
-vorzuziehen sein. Nach Stillung der acuten
Blutung empfiehlt Verfasser dann Gompres-
sion des Abdomens und die Verabreichung
Ton Seeale, um eine Wiederholung zu ver-
hindern. Es folgt hierauf die Besprechung
der Inversio uteri, die V. auf einen ato-
nischen Zustand des Uterus bei Ausstossung
des Kindes und noch fest haftender Pla-
centa, weniger auf den Zug an der Nabel-
schnur zurückfuhrt, ferner der traumatischen
sowie der in ihrer Aetiologie noch etwas
unklaren Verletzungen des Uterus während
der Schwangerschaft und der Ruptura uteri
während der Geburt. Letztere tritt ein bei
einer über die Dehnungsfahigkeit gehenden,
durch mechanische Geburtshindernisse yer-
anlassten Dehnung des unteren Uterinseg-
ments. Diese muss wenn möglich immer
rechtzeitig durch Verkleinerung des Kindes
oder Sectio caesarea, wenn dazu Zeit ist,
yermieden werden; niemals aber darf bei
drohender Ruptur eine Wendung auch nur
versucht werden. Auch nach eingetretener
Ruptur ist die Entfernung des Kindes so-
fort vorzunehmen, am besten durch das
Loch und auf natürlichem Wege natürlich
unter strengster Wahrung der Antisepsis
mit nachfolgender Abdominaldrainage und
Gompression des Bauches. Bei den Durch-
reibungen des Cervix werden die hohen
Blasenscheidenfisteln erwähnt, die häufig an-
fangs ohne jedes Symptom bleiben, dann
gynaekologisch behandelt werden müssen;
während die Durchreibungen an der Hinter-
wand durch adhäsive Peritonitis von selbst
heilen. Cervixrisse werden bei starker Blu-
tung am besten durch die Naht geschlossen,
von der die erste Nadel unter Leitung des
Fingers im Dunkeln anzulegen ist. Die
perforirenden Verletzungen des Scheidenge-
wölbes bei der Geburt seh Hessen sich in
der Entstehung und Behandlung an die
Rupturen des Uterus an ; Längsrisse der
Scheide sind meist geringfügig im oberen
Theil; Durchreibungen führen zu Blasen-
scheidenfisteln, die am besten zunächst durch
permanente Einlage des Katheters event. gy-
naekologisch behandelt werden müssen;
Längsrisse sind event. durch die Naht zu
vereinigen, nach V. Ansicht am besten mit-
tels Catgut. Bei den verschieden grossen
Verletzungen des Dammes, deren Entstehen
des weiteren auseinandergesetzt wird, ist
natürlich auch die sofortige Naht ohne alles
Glätten der Wunde mit fortlaufendem Cat-
gutfaden indicirt, bei Gentralrupturen nach
Durchschneidung der Brücke. Ebenso müs-
sen Verletzungen in der Nähe der Urethra
und Glitoris, wenn die Blutung nicht durch
Gompression gegen die Symphyse gestillt
werden kann, durch die Naht geschlossen
werden. Beim Thrombus vulvae et vaginae
ist nur die Application von Eis mit Verbot
der Anwendung der Bauchpresse, nur selten
die Spaltung des Tumors zur directen Blut-
stillung geboten. Den Sehluss dieses Ab-
schnittes bildet die Besprechung der Con-
vulsionen in Schwangerschaft, Geburt und
Wochenbett, besonders der Eclampsie. Trotz
Zuziehung und Berücksichtigung der grossen
einschlägigen Litteratur kann Veit einer
bestimmten Theorie sich nicht anschliessen ;
am meisten neigt er bei Eclampsie mit Al-
buminurie sich der Traube-Rosenstein'-
schen Ansicht zu, die das Gehimödem ver-
antwortlich macht, und nimmt noch eine
gewisse Prädisposition hierzu namentlich bei
Primiparen an; die Eclampsie ohne Eiweiss
im Urin bleibt unerklärt. Die Prognose ist
immer eine ernste, die Qualität des Pulses
giebt meist den richtigen Anhaltspunkt. Die
Behandlung muss prophylactisch, namentlich
bei Erstgebärenden, jede Funetionsstörung
in den Nieren während der Schwangerschaft
ernstlieh berücksichtigen; für die Convul-
sionen selbst besteht sie am besten in der
Einleitung einer vollkommenen Ghloroform-
Narkose, die ohne Gefahr für die Mutter
auch über 24 Stunden fortgesetzt werden
kann und häufig muss. In der somit
noth wendig werdenden' fortwährenden Aiu-
wesenheit des Arztes, die allerdings bei
Eclampsie auch so wie so anzurathen ist,
liegt ein Bedenken gegen das Ghloroform,
dem sich in der Geföhrdung des kindlichen
Lebens durch dasselbe ein zweites anschliesst,
Naehtheile, denen wohl die jeden Augen-
blick nach den Verhältnissen zu ändernde
darzureichende Menge des Medicaments vor-
theilhaft gegenübersteht, die aber doch nach
einem anderen Mittel verlangen lässt und
dies ist im Morphium, subcutan am besten
angewandt, gegeben. Hier muss man jedoch
von vornherein die volle Maximaldosis ge-
ben, nach G. Veit sogar häufig bei Weitem
darüber hinausgehen, um vollständige Nar-
kose zu erreichen, Mengen, die natürlich
auch wieder ihre Nachtheile haben. Von
den anderen Narcoticis ist nur noch das
Chloralhydrat (im Clysma) zur Unterstüt-
zung bei der Betäubung werthvoll. Zu einem
Aderlass räth Verfasser nur bei bedrohlichen
HL jAhrgang.!
Angust 1889. J
Lltteratur.
389
ErscheinuDgen Ton LuDgenödem. Die ge-
bartshilflicbe Behandlung der Eclampsie
darf nie eine eingreifende sein, da mit der
Menge der gesetzten Verletzungen auch die
Zahl der Conyulsionen zunimmt: Abwarten
bei regelmässigen Wehen, Sprengung der
Blase bei schleppender Erofifnungsperiode,
Zange bei tiefstehendem Kopf. Die Behand-
lung der Grundkrankheit endlich wird am
besten durch heisse Bäder und feucbtwarme
Einwickelungen Yorgenommen ; Pilocarpin ist
seiner Wirkungen auf das Herz wegen nicht
zu empfehlen.
In dem 7. Abschnitte des Werkes be-
spricht Schaut a die Beckenanomalien, zu
deren richtigen Yerständniss er in dem all-
gemeinen Theil zunächst die Entstehung und
Entwicklung des normalen Beckens, die Er-
kenntniss des Beckenraums an der Lebenden
durch die Anamnese, die allgemeine Unter-
suchung des Scelettes sowie die äussere und
innere Beckenmessung in erschöpfendster
Weise bespricht. Bei Erwähnung der letz-
teren theilt er auch die Resultate yon
100 Beckenmessungen mittels des Skats ch^-
schen (von ihm ein wenig modificirten)
Beckenmessers mit, welche Differenzen über
1 cm nicht ergeben haben, so dass er dieses
Instrument als das Tollkommenste von den
Torhandenen empfiehlt. Die anomalen Becken
unterscheidet er, je nachdem sie die Folge
Ton Entwicklungsfehlern, yon Erkrankungen
der Beckenknochen, von abnormer Verbin-
dung derselben, von Krankheiten der be-
lastenden und endlich der belasteten Sce-
letttheile sind. Nach einer ausfuhrlichen
Besprechung der allgemeinen Folgen eines
engen Beckens für die gravide und gebärende
Frau, sowie für das Kind, geht Verf. ein-
zeln auf jedes abnorme Becken ein und
bringt hierzu ausserordentlich characteri-
stische Abbildungen einschlägiger Abnormi-
täten aus der Sammlung der Prager Insti-
tute. Einzeln auf die Darstellung der
Anatomie und Aetiologie der verschiedenen
Beckenformen, den Einfluss, den sie auf
Geburt, auf das Leben der Mutter und des
Kindes ausüben, und die dadurch bedingte
Therapie einzugehen, ist natürlich hier nicht
möglich; hervorgehoben sei, dass Schanta
aehr häufig — für den practischen Arzt
virohl viel zu häufig — „nach dem heutigen
Stande der Sectio caesarea^ diese Operation
empfiehlt. Es wird sich die rechtzeitige
und aussichtvolle Ausfuhrung derselben
meist wohl nur in einer Klinik bewerkstel-
ligen lassen, womit dem Practiker allerdings
die Pflicht erwächst, möglichst frühzeitig
bei vorliegenden Becken abnormitäten eine
derartige Uebersiedelung zu veranlassen. Er-
wähnt sei noch, dass bei dem häufigsten
engen Becken, dem einfach platten, nicht
rhachitischen, ebenso wie für das platte
rhachitische die Wendung als die domini-
rende Therapie hingestellt wird, wenn nicht
starke Dehnung des unteren üterinsegmentes
dieselbe contraindicirt und eine Perforation
nothwendig macht. Die Zange ist meist,
bei Hinterscheitelbein Stellung stets zu ver-
werfen; die künstliche Frühgeburt kommt
natürlich auch in Betracht bei gegebenen
Verhältnissen.
Landsberg {Stettin).
Die Mikroorganismen der Mandhöhle. Die ört-
lichen and allgemeinen Erkrankungen,
welche durch dieselben hervorgerafen
werden. Mit 112 Abbildangen im Texte und
einer chromolithographiscben Tafel. Von W.
D. Miller. Leipzig, Thieme 1889.
Der durch seine zahlreichen und wichti-
gen Untersuchungen über die Mikroorganis-
men der Mundhohle rühmlichst bekannte
Verfasser giebt in dem vorliegenden Werke
eine ausfuhrliche, durch Klarheit der Dispo-
sition und Darstellung ausgezeichnete Ab-
handlung über die Bakterien der Mundhohle
und deren Bedeutung für Physiologie und
Pathologie des Organismus. Der Grundge-
danke des Werkes, welcher scharf hervor-
tritt, ist der Nachweis, „dass nicht allein
bei weitem die grosste Mehrzahl derjenigen
Erkrankungen der Zähne und der angrenzen-
den Theile, für welche die Hilfe des Zahn-
arztes in Anspruch genommen wird, ihre
Entstehung den im Munde vorkommenden
Pilzen zu danken hat, sondern dass auch
anderwärtige örtliche und allgemeine Er-
krankungen von verschiedenster Natur und
höchster Bedeutung auf dieselbe Ursache
zurückzuführen sind.^ Schon aus diesem
*
Grunde ist ein Studium dieses Werkes auch
für den praktischen Arzt sehr zu empfehlen,
dem der Verfasser auf Grund des von ihm
beigebrachten experimentellen und klinischen
Materials berechtigt ist zu sagen, dass man
die Mundhöhle als Krankheitsheerd zu sehr
unterschätzt hat. — Der Verfasser giebt im
ersten Theil eine kurze Darstellung des
Wesentlichsten aus der Morphologie und Phy-
siologie der Spaltpilze, es folgt dann die
specielle Darstellung der in der Mundhöhle
constant und gelegentlich vorkommenden
Formen, ihrer gährungserregenden und farb-
stoffbildenden Eigenschaft, zum grossen Theil
auf Grund eigener Forschungen. Einen grossen
und wichtigen Abschnitt ninmit die Lehre von
der Zahncaries ein, welcher eine interessante
historisch-kritische Darstellung früherer Hy-
pothesen vorausgeschickt ist. Die Zahncaries
ist nach der ausführlichen durch zahlreiche
390
UttMtttur.
rThenpentbelia
L Monatahefl«.
mikroskopisch-bakteriologische Untersuchun-
gen gestützten Ausführung, ein complicirter
Process, dessen erste Ursache die Entkalkung
durch Säuren (saure Gährungsproducte) ist,
das entkalkte Gewebe zerföllt dann weiter
durch die zerstörende Thätigkeit secundärer
eingedrungener Mikroorganismen, welche den
verschiedensten Formen angehören können.
Dieser Lehre entsprechend gestaltet sich die
Prophylaxe der Garies. Den zweiten Ab-
schnitt des Werkes bildet eine ausführliche
die bakteriologische und klinische Litteratur
auf das sorgfaltigste berücksichtigende Schil-
derung der in der Mundhöhle yorkommenden
pathogenen Arten und ihrer krankheitserzeu-
genden Rolle, sowohl in der Mundhöhle
selbst als in den mit derselben verbundenen
Organen durch deren directe oder indirecte
Einwirkung. Dieser Theil ist von hervor-
ragendem praktischem Interesse.
Durch das ganze Werk ist eine Fülle
neuer Beobachtungen und Gedanken einge-
streut, auf die im Einzelnen nicht eingegangen
werden kann. Eine derselben, weil von
speciell therapeutischem Interesse, möge hier
Platz finden. Zum Zweck der Mundreinigung
eignen sich nur sehr wenige Mittel und
unter diesen vorzugsweise Sublimat, mit
welchem nach vorausgegangener Behandlung
mit der Zahnbürste, sogar vollkommene Ste-
relisirung der Mundhöhle erreicht werden
kann. Miller bedient sich seit Monaten fol-
gender Lösung, von deren Gefahrlosigkeit er
überzeugt ist:
IV Acid. thymic. 0,15
Acid. benzoic. 3,00
Tinct. Eucalypt. 15,00
Hydrarg. bichlorat. 0,80
Alkohol 100,00
Ol. menth. piperit. 0,75
Hiervon soviel in ein Glas Wasser zu
giessen, als genügt um eine deutliche Trübung
zu erzeugen und die Mischung beim Bürsten
und nachherigen Spülen der Zähne zu ge-
brauchen. A. GoUstein (Berün).
JBing'esandte Bücher.
Ueber Hypnotismus, seine Bedeutung und seine
Handhabung. In kurzgefasster Darstellung
von Dr. August Forel. Prof. der Psychiatrie
und Director der caDtonalen Irrenanstalt in
Zürich. — Stuttgart. FerdinandEnke. 1889.
Kurzer Leitfaden für die Punction der Pleura-
und Peritonealergüsse von Dr. B. Naunyn,
Prof. und Director der med. Klinik der Kaiser-
Wilhelms-Universität Strassburg. — Strassburg.
KarlJ. Trübner. 1889.
Taschenbflchlein fttr den bacteriologischen Prac-
ticanten von Dr. Hugo Bernheim (Würzburg).
— Würzburg. Adalbert Stuber. 1889.
Lehrbuch der klinischen Arzneibehandlung. Für
Aerzte und Studirende von Dr. Franz Pen-
zold, ord. Prof. und Oberarzt der med. Po
liklinik in Erlangen. — Jena. Gustav Fischer.
1889.
Specielle Diagnose der inneren Krankheiten. Ein
Handbuch für Aerzte und Studirende. Nach
Vorlesungen bearbeitet von Dr. Wilhelm
Leube. Prof. der med. Klinik und Oberarzt
am Juliusspital in Würzburg. — Leipzig.
F. C.W.Vogel. 1889.
Annalen der städtischen allgemeinen Kranken-
häuser. In Verein mit den Aerzten dieser
Anstalten herausgegeben von Professor Dr.
V. Ziemssen. Director des städt. allgem.
Krankenhauses. Band IV. Mit 3 Tafeln.
M. Rieger ^sche Universit&ts- Buchhandlung.
(Gustav Hi mm er). München 1889.
Anleitung zu hygienischen Untersuchungen. Nach
den im hygienischen Institut der königl. Lud*
wis-Mazimilians -Universität zu München üb-
lichen Methoden zusammengestellt, von Ru-
dolf Emmerich und Heinrich Trillich.
Mit einem Vorwort von Dr. Max v. Petten-
kofer. Mit 73 Abbildungen. — München.
M. Rieger'sche Universitfits - Buchhandlung.
(G. Himmer). München 1889.
Hygienische Tagesfragen VIL Cholera. — Ge-
schichte und Epidemiologie der Cho-
lera. Generalarzt Dr. J. Fayrer, London. —
Die Cholera in Indien. Dr. Erni-Greif-
fenberg, Batavia. — Quarantänen. Stabs-
arzt Dr. Schuster, München. — Studien
über die Aetiologie der Cholera. Prof.
Dr. C. Cr am er, Zürich. Mit einem Vor-
worte von Dr. Max von Petten kofer. —
M. R i e g e r ^ sehe Universitäts - Buchhandlung.
(Gustav Himmer). München 1889.
Practische Notlsen
und
empfehlenswerthe Arsneiformelii.
BromaethyL
Die auf Seite 385 berichtete, in Folge
einer Verwechselung von Bromaethyl und
Bromaethylen erzeugte todtlich verlaufene
Vergiftung giebt uns Veranlassung, noch-
mals die Eigenschaften des für medicinische
Zwecke allein brauchbaren Bromaethyls an-
zuführen :
Aethylum bromatum. Bromaethyl,
Aethylbromid CH3 — CHj Br. Farblose,
leicht bewegliche, nicht leicht entzündliche
Flüssigkeit von süsslichem chloroformähn-
lichem Geruch, unlöslich in Wasser, mit
Alkohol, Aetber, Chloroform, Fetten und
ätherischen Oelen in allen Verhältnissen
mischbar und bei 0^ nicht erstarrend.
Siedepunkt 38 — 39 ® C. Spec. Gew. =
1,38—1,39 bei 15° C.
m. jAhrgmng.l
Auinut 1889. J
Prmctiiche Notizen und empfehlenswertbe Arzneiformeln«
391
Ein gefärbtes oder stechend und
unangenehm riechendes Präparat ist
für die medicinische Anwendung un-
brauchbar.
Mit dem gleichen Tolumen destillirten
Hassers geschüttelt, darf es letzterem keine
saure Reaction ertheilen und mit dem glei-
chen Yolumen reiner conc. Schwefelsäure
versetzt, darf nach Verlauf von 24 Stunden
keine Färbung auftreten. Lässt man einige
Tropfen Aethylbromid in eine 3 cm hohe
Schicht Yon Jodkaliuml5sung langsam ein-
fallen, so dürfen die sich zu Boden setzen-
den Tropfen keine violette Färbung zeigen.
(B. Fischer.)
Da Bromaethyl sich unter dem Einfluss
der Luft und des Lichtes leicht zersetzt,
so ist dasselbe in kleinen, vollständig ge-
füllten und gut verschlossenen, gefärbten
Flaschen aufzubewahren.
Aethylenum bromatum, Aethylen-
bromid CH,Br—CHjBr siedet bei 131,6^0.,
besitzt ein spec. Gew. von 2,18 und erstarrt
bei 0° zu einer Elrystallmasse.
Thiocamf
ein neues, nebenbei bemerkt zum Patent an-
gemeldetes, Desinficiens, welches voraussicht-
lich in nächster Zeit mehrfach genannt wer-
den vn.rd, ist, wie wir dem British. Med.
Journ. Juli 20, entnehmen, nach Prof. Emer-
son Reynold das Product der Einwirkung
"von Schwefliger Säure auf Campher. Es
stellt eine Flüssigkeit dar, welche sich in
'▼'erschlossenen Gefassen unverändert aufbe-
iBvahren lässt. In dünnen Schichten der
£reien Luft ausgesetzt findet dagegen eine
stetige Entwickelung von Schwefliger Säure
statt. Sechs Unzen der Flüssigkeit sollen
-über 20 Liter dieses Gases abgeben.
Das Präparat ist gleichsam eine ohne
Anwendung von Druck und Kälte verflüssigte
Schweflige Säure und gestattet in einfacher
^etse, durch Ausgiessen der Flüssigkeit in
flache Schalen, beliebige Mengen gasförmiger
Schwefliger Säure behufs Desinficirung ab-
geschlossener Räume zu entwickeln.
Ueber die desinficirende und^entwickelungshem-
mende Wirksamkeit einiger gebräuchlicher
Mundwässer
hat 'P. E. Archinard mit Unterstützung
Ton C. Frank el im hygienischen Institute
zu Berlin Versuche angestellt, über deren
Resultate in derBerl. klin. Wochenschr. 1889
No. 27, berichtet wird.
Untersucht wurden folgende, aus einem
Droguengeschäfte bezogene Mundwässer:
1) £au dentifrice von W. Pierre in Paris,
2) Salicyl-Mund- und Zahnwasser (deutsches
Fabrikat), 3) Eucalyptol-Mundwasser (anti-
septische Eigenschaften besonders gerühmt
und hervorgehoben), 4) Eau de Minthe
(deutsches Fabrikat). Sämmtliche Präparate
erwiesen sich selbst in öOprocentiger An-
wendung Milzbrandsporen, Typhus- und
Gholerabacillen gegenüber als vollkommen
wirkungslos.
Leider erstreckten sich die Untersuchun-
gen nicht auf die in unserem Munde und
den Zähnen enthaltenen Fäulniss- und Gäh-
rungserreger, die als die Ursache der Zahn-
caries anzusehen sind. Wir verweisen in
dieser Beziehung auf die in den Therap.
Monatsheft. 1887 S. 97, enthaltenen Aus-
führungen Miller^s und auf die unter Litte-
ratur S. 389 dieses Heftes befindliche Be-
sprechung des diesen Gegenstand ausführlich
behandelnden Miller^schen Werkes.
Haarwasser.
Ein empfehlenswerthes von mir vielfach
angewendetes Haarwasser hat folgende Zu-
sammen setz u n g :
*V Spirit. sapon.
Aq. coloniens. aa 100,0
Tinct. Chinae comp. 2,0
M. D. S. Vor dem Gebrauch umzuschüttein.
Rabow.
Ueber die Zeit, wann Arzneien genommen wer-
den sollen,
giebt Chris tison (nach British med. Journ.
u. Correspbl. für Schweizer Aerzte 6/89)
folgende Rathschläge: Alkalien sollen vor
dem Mahl genommen werden. Jod und
seine Verbindungen siod nüchtern zu neh-
men, weil sie dann schneller resorbirt wer-
den. Während der Verdauung würden sie
durch Säuren und stärkehaltige Substanzen
verändert und ihre Wirkung geschwächt
werden. — Säuren sind während der Ver-
dauung zu nehmen. — Stark wirkende Arz-
neien (Arsen, Zink u. s. w.) sollen nach,
Silbernitrat vor der Mahlzeit genommen
werden. Sublimat, Tannin, Alkohol sollen
in den Magen kommen, wenn er in Ruhe
ist. Phosphate, Lebertbran, Malzextract
sind während der Mahlzeit zu nehmen, da-
mit sie mit den Speisen zusammen verdaut
werden.
Migränepulver
nach Dr. Hammerschlag (Allg. med. Centr.
Ztg.):
GoflFeini citric. 1,0
Phenacetini 2,0
Sacch. alb. 1,0
Divid. in part. aeq. No. X ad caps. amyl.
Alle 2 — 3 Stunden 1 Kapsel zu nehmen.
392
Prmetltche Notls«ii und empfehleniwerthe Arsnaiformelii.
rlierapecttiMha
Honatahefta.
Zahnschmerzbalsam :
IV Extr. Opü.
Camphor. txit.
Bala. Peruv. aa 0,5
Masticis 1,0
Chloroform. 10,0
Mit dieser Losung befeuchtete Watte in
die Zahnhohle zu legen.
Bei Diphtherie
hat A. Seibert in New- York (med. Mo-
natsschr. l) das Kochsalz mit Erfolg ange-
wandt. Zweimal täglich Bestreichung der
befallenen Rachenpartie mit gepulvertem
Kochsalz unter möglichst dauerndem An-
drücken mittels eines Löffelstiels. S. will
durch dieses „Einpökeln" schöne Resultate
in mittel schweren Fällen erzielt haben.
Gegen Soor
wird neuerdings Saccharin von Fournier
empfohlen. Er hat 10 Fälle erfolgreich be-
handelt, indem er die afficirten Stellen täg-
lich 5 Male mit folgender Lösung pinselte:
IV Saccharini 1,0
Spirit. 7ini 50,0.
D. S. 1 Kaffeelöffel mit einem halben
Glase Wasser zu vermischen und mit dieser '
erhaltenen Mischung zu pinseln. Concen-
trirte Lösungen können schaden.
Zur abortiven resp. prophylaktischen Behandlung
des Panaritiums
empfiehlt Dr. Kappesser (Berl. Klin.
Wochenschr. 19/89) folgendes Verfahren:
„Man lässt von einer Hand voll frischer
Holzasche durch Ueberbrühen mit ^4 Liter
kochenden Wassers in einem entsprechend
schmalen und hohen Topf eine Lauge frisch
bereiten und dahinein das erkrankte Glied,
sobald die ersten Symptome durch das cha-
rakteristische Klopfen u. s. w. sich zeigen,
einige Male, so lange und so heiss es er-
tragen werden kann, eintauchen und das-
selbe dann mit einer von der Flüssigkeit
warm getränkten Compresse einhüllen. Letz-
tere wird etwa stündlich erneuert; das Ein-
tauchen wird, falls es noch erforderlich,
nach 10 bis 12 Stunden in der gleichen
Weise wiederholt".
Behandlung der Warzen mittelst Innerer Verab-
reichung von Tinctura Jodi.
Dr. Imossi (Gibraltar) hat in 10 Fällen
nach Jodtinctur Warzen im Gesicht und
an den Händen zum Schwinden gebracht.
Er verabreichte Erwachsenen 2 Mal täglich
10 Tropfen Tinctura Jodi in einem halben
Glase Wasser. Dabei ist es ihm aufge-
fallen, dass die betreffenden Individuen ab-
magerten. Die Abmagerung hörte auf, so-
bald die Jod-Medication eingestellt wurde.
Aus diesem Grunde hat I. sich des Mittels
auch bei Obesitas bedient. (Bull. g^n. de
Therap. 15 Juin 1889). — Pütt in sah Hei-
lung der Warzen nach innerlicher Anwen-
dung von Solutio Fowleri eintreten.
Gegen Pruritus
empfiehlt Norman Porrith im British Med.
Journ. Juli 27. 89, Einreibungen mit 2 Proc.
Cocain enthaltender Cacaobutter. P. hat aus
letzterer kleine Conus formen lassen, wel-
che nach Art der Mentholstifte in einem
verschraubbaren Holzetui in den Handel ge-
bracht werden.
Bei Pruritus vulvae und ani
sind (Rev. gen. de Clin, et de Therap.) warme
Waschungen mit folgender Mischung zweck-
mässig:
'V Natrii subsulfurosi 30,0
Acid. carbolici 5,0
Glycerini 20,0
Aq. destill. 500,0.
Gegen Fussschweisse
wird (Corresp.Bl.für Schweizer Aerzte 1889)
in der eidgenössischen Armee ein aus zwei
Theilen Alaun und 10 Theilen Talk berei-
tetes Pulver benutzt. Dasselbe hat sich
sehr bewährt. Es ist ungiftig und auch
für vninde Füsse gut verwendbar, was die
Chromsäure nicht ist.
Berichtigung:
In dem Referate über die Fabry'sche
Arbeit: Zur Behandlung der Psoriasis mit
Hydroxylamin (S. 338) ist in dem zweiten
Recept irrthümlich die HydroxylaminlÖsung
1 : 100 statt 1 : 1000 angegeben.
Das Recept muss also lauten:
^ Hydroxyl amini mur. 1,0
Aq. fontan. 1000,0
Calcar. carbon. q. s. ad neutr.
S. Zu Umschlägen.
Feriencurse fttr Aerzte.
Wir machen unsere Leser darauf auf-
merksam, dass die Herbstferien-Curse für
Aerzte an der Münchener Universität vom
26. September bis zum 23. October dieses
Jahres stattfinden. Hinsichtlich der Einzel-
heiten verweisen wir auf den Inseratentheil.
Red.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. — J^rnck von Uiutav bduule ^Otto Francke) Berlin M.
')
Therapeutische Monatshefte,
1880. September.
Origmalabhandlimgeii.
Beitarftgre zur Kenntniss des CkKletns.
Von
Dr. Quido Rheiner in St. GraUen.
Die Arzneimittellehre nnserer Zeitepoclie
ist eine Wissenschaft, die wie keine andere
so reich an neuen Errungenschaften ist, wmin
auch an manchen zweifelhaften Werthes.
Jedes Jahr bringt uns eine Reihe neuer
chemischer Substanzen, dazu bestimmt, den
Kampf mit den krankhaft reagrrenden Func-
tionen des menschlichen Körpers aufzunehmen ;
so zahlreich ist deren Zuwachs, dass wir
kaum Zeit finden, dieselben gehörig zu er-
proben und schon sind andere an deren Stelle
getreten. Aus diesem Grunde veralten unsere
pharmakologischen Werke so rasch, denn
kaum hat ein solches das Licht der Welt
erblickt und darf auf Yollständigkeit An-
spruch machen, so wird es bereits durch
andere mit neuen therapeutischen Substanzen
bereicherte in den Hintergrund gedrängt.
Wir müssen uns sagen, dass manche selbst
allgemein beliebte und heute noch von jedem
Arzt verschriebene Arzneimittel eigentlich
sehr entbehrlich sind, weil sie entweder that-
sächlich sich zur Beseitigung bestimmter
Affectionen als völlig unzureichend erweisen
oder dann durch rationellere Stoffe und Ver-
fahren ersetzt werden könnten. Darum ist
es nur erklärlich, dass unter dem sich immer
mehr anhäufenden Arzneischatz manche Mittel
vertreten sind, die, obschon bei richtig ge-
stellten Indicationen ihre Dienste leistend
und ihrem Zweck vollkommen genügend,
bei deren Nichtbeachtung versagen, so dass
sie als unnütz bei Seite gelegt und unter
dem sich thürm enden Wust neuer Substanzen
vergessen werden, bis der Eine oder Andere
einzelne derselben wieder herausgreift und
deren Werth zu schätzen weiss, nachdem er
sich genau mit dem Studium dieser Chemi-
kalien befasst. Ein solches Stiefkind unseres
Arzneimittelschatzes ist das Godein, dieses
dem Morphium nahestehende Alkaloid, das
hie und da schüchtern ans Tageslicht ge-
zogen wird,- aber im Kampf mit seinen mäch-
tigen Rivalen stets wieder unterlag, wohl
mit Unrecht, wie ich mir angelegen sein
lassen werde, zu beweisen.
Wer es aber unternimmt, einem be-
stimmten therapeutischen Mittel des Ge-^
naueren seine Aufmerksamkeit zuzüwenden-
und bestehende Widersprüche zu lösen
trachtet, hat auch die Pflicht, seine Resultate
den Kollegen zur weiteren Prüfung vorzu-
legen, auch wenn damit eine alte Vorliebe
des einen oder andern für dieses oder jenes
Mitte] verletzt werden sollte, das er bis
dahin gebraucht, gewissermassen ut aliquid
flat; es ist wohl erspriesslicher, das Gebiet
therapeutischen Könnens klar zu erkennen,
als sich io Selbsttäuschungen einzuwiegen
und bei Anwendung nutzloser Dinge die Zeit;
zu verlieren.
Ohne des Genauem auf die Geschichte
des Godeins einzugehen, die allerdings nicht
bis auf Hippokrates, sondern nur bis in die
Mitte unseres Jahrhunderts zurückdatirt,
ist es doch von Interesse, einzelne historische
Momente hervorzuheben. Das Codein wurde
1832 von Robiquet entdeckt, 1833 zuerst
von Kunkel an Thieren, 1884 von Gregory
an sich selbst und seinen Schülern auf seine
Wirksamkeit geprüft. Als Versuchsobject
diente das salpetersaure Salz; bei 0,15 g
erzielten obige Forscher keine Wirkung, bei
einer Dosis von 0,3 g trat Pulsbeschleuni-
gung auf, Blutandrang zum Kopf und all-
gemeine geistige Aufregung wie nach Genuss
alkoholischer Getränke. Einige Stunden nach
Einverleibung des Codeinsalzes folgte Ab-
spannung, Ekel, manchmal Erbrechen, hierauf
erst Schlaf. Das Interesse einer grossen Zahl
französischer Forscher war auf dieses, einen
Ersatz für Morphium bezweckende, Alkaloid
in jener Zeit gerichtet. Barbier sah bei
seinen ebenfalls 1834 gemachten Versuchen
bei Kranken nach Codein -Gebrauch direct
gesunden Schlaf folgen ohne nachherige Ein-
genommenheit des Kopfes oder Blutandrang
zu demselben, die Patienten erwachten, ohne
üble Nachwirkungen zu verspüren; Magendie
(1834) schreibt, dass auf eine Quantität von
0,06 C. sanfter, ruhiger Schlaf sich an-
50
394
Rhein er, Beiträge sur KeimtniM dei Codeina.
rTherapeatbcbe
L MonaUbeft«.
Bchliesse, nach Martin Solon genügten schon
0,01 — 0,02 g; dabei resultire auch Verminde-
rung bestehenden Hustenreizes. 0 esterlein
bemerkt in seinem a. 1847 erschienenen Hand-
buch der Heilmittellehre: „Codein wirkt un-
gleich schwächer als Morphium, nach Manchen
sogar noch schwächer als Opium, und während
es nach Einigen örtlich irritirt und das Herz
stimulirt, dagegen nicht oder doch weniger
als Opium narkotisch wirken soll, schreiben
ihm Andere stark betäubende Eigenschaf-
ten zu.
Therapeutisch diente es als Sedativum bei
Gastralgie und spasmodischen Affectionen,
überhaupt wie Morphium, doch wie es scheint,
ohne besondern Erfolg. 1866 stellte Berthe
mit Codein eine Versuchsreihe an Hunden,
Robiquet am Menschen an. In der Gaz.
des Hop. 1856 berichtet Letzterer, dass auf
0,01 — 0,03 gC. entschieden hypnotische Wir-
kung auftrete, erquickender Schlaf ohne nach-
herige üble Nachwirkungen; bei 0,1 — 0,2 g
dagegen war der Schlaf unerquicklich, nach
dem Erwachen der Kopf schwer, benommen
und oft Brechreiz vorhanden. Robiquet
fuhrt des Weitern an, dass Codein oft mit
Candiszucker verfälscht werde und empfiehlt
als Erkennungsmittel die Anwendung des
Saccharimeters, denn wenn man Codein im
Verhältniss von 0,5 cg in 100 Theilen Alkohol
von 56^ auflose, so werde bei Codein das
polarisirte Licht 16 Mal stärker nach links
rotirt als bei Zucker. Die üntersuchungs-
ergebnisse von Schroff lauteten weniger
ermunternd als diejenigen Robiquet^s; erst
bei 0,1 g sah er eine Wirkung des Mittels
und zwar Eingenommenheit des Kopfes,
Druck in der Schläfen- und Stimgegend,
Brechreiz, Unfähigkeit sich zu beschäftigen
und etwas Schläfrigkeit. Cl. Bernard da-
gegen lobt es sehr, rühmt den Mangel übler
Nachwirkungen gegenüber dem Morphium;
0,05 salzsauren Codeins genügten ihm zur
Einschläferung eines mittelgrossen Hundes,
wenn er auch den Codein-Schlaf als weniger
tief bezeichnet als den Morphium- Schlaf:
„ranimal a plus Tair d^Stre calme que d^etre
vraiment endormi". Auch er nahm wie Schroff
am Menschen eine gewisse Erhöhung der
Reflexerregbarkeit beim Versuchsthier wahr,
schreckhaftes Zusammenfahren der Thiere bei
Geräuschen, äussern Reizen.
1866 finden wir Codein in der Pariser
Pharmacopoe erwähnt und heisst es daselbst:
Elle procure aux malades un sommeil doux
et paisible qui n^est pas suivi de pesanteur
de tSte comme cela arrive avec la Morphine.
Selon Magendie 5 cg de Codeine equivalent
ä 3 cg de Morphine. Dose 1 ä 5 cg. Sie
erwähnt auch als Präparat das Sei de Gregory
als „un chlorhydrate double de Morphine et
de Codeine, fem er einen Sirop de Codeine ^.
Barnay (1877) bezeichnet in Ueberein-
stimmung mit seinem Vorgänger Gregory
den hypnotischen Erfolg des Codeins als
sehr unsicher, dagegen beobachtete er auf
Grund von Thierversuchen starke Neigung
der Versuchsthiere zu Convulsionen. Bardet
(1878) experimentirte an sich selbst. 0,15 g C.
muriat. waren wirkungslos, 0,2 — 0,25 g be-
wirkten allgemeine Muskelschwäche, Schwere
des Kopfes, doch keinen Schlaf. Nach 0,25 bis
0,4 g folgte unerquicklicher Schlaf, gefolgt
von Kopfweh und öfters Nausea beim Er^
brechen. Er streicht Codein von der Liste
der Narcotica. Schon 1876 finden wir es
in der Pharmacopoea helvet. angegeben, ebenso
den Syr. Codeini (Rp: Cödeini 1,0 Aq. dest.
2,0 Syr. spl. 500,0), femer 1882 in der
Ph. german. und in der Ph. of the United
States of America.
Berühren wir mit einigen Worten den
Chemismus des in Frage stehenden Alkaloids.
Das Codein oder Methylmorphin, sich vor
den übrigen Opiumalkaloiden durch seine
viel grössere Loslichkeit in Wasser aus-
zeichnend (l : 80), ist der Methyläther des
Morphins, d. h. das H-Atom der Hydroxyl-
gruppe des Morphins [C17 H^ NOj (OH)] ist
durch das Alkoholradikal CH3 vertreten =
Ci7 H18 NOa (OCHs). So vermochte Grimaux,
dem wir die Kenntniss der Zusammensetzung
dieses Korpers verdanken, aus Morphin-
Natrium und Jodmethyl synthetisch Codein
darzustellen, das mit dem aus Opium ge-
wonnenen vollkommen identisch ist. Das
reine Codein bildet kleine farblose Krystalle,
die bei 150^ schmelzen und beim Erkalten
wieder krystallinisch erstarren. Es ist ge-
ruchlos und besitzt einen schwach bittem
Geschmack. Die Lösung reagirt schwach
alkalisch. Die Salze des Codeins sind neutral,
krystallisirbar und in Wasser loslich. In
100 Theilen Opium sind nicht ganz 0,6 Theile
Codein enthalten.
Bevor wir zur Schilderung der Resultate
der eigenen Beobachtungsreihe übergehen,
ist es der Vollständigkeit des Themas halber
angemessen, in gedrängter Form eine kurze
Zusammenstellung der bis jetzt gefundenen
physiologischen Wirkungsweisen des Codeins
folgen zu lassen, wie sie durch die Unter-
suchungen Schroder^s (Arch. für experim.
Path. u. Pharmak. 1883) über die Morphium-
Gruppe bekannt geworden sind. Beachtens-
werth ist die Einwirkimg des Codeins auf
den Darmkanal. Kleine, narkotisch wirkende
Gaben setzen nach Schröder die Peristaltik
desselben herab, grosse giftig wirkende er-
zeugen blutige Diarrhöen. Beim Menschen
m. Jabrgmnf . l
Sept«m1>er 1889.J
Rheiner, Beiträge sur Kenntnin de« Codein«.
395
kommen letztere niclit in Betracht, bei An-
wendung kleinerer, therapeutisch wirkender
folgt niemals Obstipation, wie auch aus
meinen diesbezüglichen Beobachtungen ohne
Ausnahme sich ergab, ein gegenüber Mor-
phium nicht zu -verkennender Yortheil; ein
weiteres wohl zu schätzendes Moment besteht
darin, dass, wie wir sehen werden, sämmt-
liche Kranke, denen Godein gegeben wurde,
niemals über Abnahme des eyentuell bei
ihrem Leiden noch bestehenden Appetits
klagten, wie dies beim Morphium hie und
da vorkommt, im Gegentheil, in zahlreichen
Fällen Hess sich deutlich eine Zunahme
bei denselben constatiren.
Was das Verhalten der Pupillen anbe-
trifft, so beobachtet man bei therapeutischen
Gaben keine besondere Aenderung der ge-
wöhnlichen Weite derselben, bei toxischen
Dosen tritt erhebliche Pupillendilatation ein ;
local üben weder Godein noch Morphium
einen Einfluss auf deren Beschaffenheit aus,
so dass die Erweiterung derselben bei Godein-
Intoxication eine secundäre Erscheinung ist,
bedingt durch eine im Gentralorgan ein-
tretende Veränderung, entgegen den direct
auf die Pupillen einwirkenden Substanzen
wie Physostigmin, Atropin, Muscarin etc.
Der Blutdruck wird durch Godein nicht,
der Puls unwesentlich beeinflusst, die Respi-
ration nach Schröder Anfangs bei toxischen
Gaben verlangsamt, hernach kehrt sie zur
Norm zurück und überschreitet dieselbe
sogar.
Es sind in der Litteratur mehrere Fälle
von Godein -Vergiftung bekannt, so erwähnt
Ambrosoli in der Gaz. Lomb. 1875 einen
solchen bei einem zweijährigen Kinde, der
kurz zusammengefasst so lautet:
Leichenblasses Aussehen, kühle Extremi-
täten, Puls und Herzschlag unfühlbar, Ab-
domen meteoristisch aufgetrieben, Augen
gläsern, starr, Pupillen enorm weit, alle
Secretionen aufgehört. Das Kind hatte im
Verlauf einiger Stunden vom behandelnden
Arzt 0,1 g Godein auf 150,0 Mixt gummosa
mit 30,0 Syr. Ipecac. erhalten mit Repetition
der Arznei. Auf innerliche und äussere
Reizmittel Besserung des Zustandes nach
Vs Tag.
Ein zweiter Vergiftungsfall wird von
Myrtl beschrieben bei einem Diabetiker,
der an Angstzuständen litt wegen zweier
rasch auf einander folgender Todesfälle seiner
Mutter und seines Bruders an Zuckerharnruhr.
Er erhielt Pillen mit Godein (4 Grains) und
Strychnin (^/go Grain), empfand bald nach den
ersten einen heftigen Anfall von Schwindel,
Gollapszuständen und sehr verengte Pupillen.
Letzteres sowie die Beimischung von Strychnin
lassen die Genese der Litoxication etwas
zweifelhaft erscheinen; nach Angabe MyrtPs
genas der Kranke bei Verkleinerung imd
Weitergebrauch der Godein-Dosis nach zwei
Monaten von seinem Diabetes mell.
Als Antidot bei Godein- Vergiftung führt
Husemann (Arch. f. exper. Pathologie und
Pharmak. 1877) das Ghloralhydrat an, be-
merkt aber, dass man ntur dann einen Erfolg
davon bemerken, könne, wenn die Godein-
Gabe nicht mehr als 1 — iVs inal so gross
wie die minimal letale Dosis sei.
Wenn wir kurz auf die bisherige therapeu-
tische Anwendung des Alkaloids übergehen,
so ergiebt sich aus litterarischen Berichten,
dass es bis jetzt nur bei Erwachsenen tempo-
räre Benutzung fand. Kunkel, Barbier,
Martin Selon, Magendie gebrauchten
Godein bei ünterleibsneurosen und fanden,
dass es weder die Girculation noch Respira-
tion, noch die Functionen des Darmkanals
merklich verändere und dass der durch
Godein bewirkte Schlaf niemals von Schwere
im Kopf, Betäubung, Anschwellung der
Augen etc. begleitet werde, auch keine Gon-
gestionen nach dem Kopf veranlasse. V i g 1 an ,
Ar an, Berthe empfahlen es bereits als
Sedativum bei Entzündungen der Bronchien
und Lungen, übermässiger Secretion aus den
Luftwegen und bei Husten.
Kr e bei (1856) sah guten Erfolg von
Godein bei Schlaflosigkeit in Folge rheuma-
tischer Ischias, wobei er nach angeblicher
Anwendung vieler anderer Mittel nicht nur
Beruhigung und Schlaf, sondern auch an-
haltende Beseitigung des Grundübels folgen
sah; auch er bemerkt, dass es auch bei
längerer Anwendung nicht die üblen Nach-
wirkungen des Opiums und Morphins besitze,
höchstens trägen Stuhl, nie aber stärkere
Obstipation nach sich ziehe und empfiehlt,
Morphium nur dann anzuwenden, wenn die
Schlaflosigkeit durch heftige körperliche
Schmerzen bedingt sei und Godein bereits ohne
positiven Erfolg gereicht wurde. Bu er mann
(Bull, de Th^rap. G. VL p. 495) bediente sich
des Godein. mur. in subc. Form bei einer
allerdings nur geringen Anzahl von Kranken
mit Neuralgien, sah aber wenig Erfolg davon
und bemerkt, dass es wenigstens bis zu der
von ihm gebrauchten Gabe von 8 cg ohne
alle Wirkung geblieben, während Morph,
mur. in gleicher Weise gegeben in allen
Fällen schon in einer Quantität von 1 — 2 cg
Hülfe brachte.
Ausser bei Neuralgien und Affectionen
der Brustorgane fand Godein auch Verwen-
dung bei Tabes, so in einem Falle durch
Hammond, wo bei Ordination von Godein
und Arg. nitric. nach vierzehn Tagen alle
50'
396
Rheiner, Beitrflge cur Kenntnita des Codeina.
rTh«rftpeatiKhe
L Monatahefle.
Symptome gescliwiinden sein sollen und das
Kniepliänomen ^edergekehrt sei, schliesslich
beiDiabetes mellitus, bald mit, bald ohne Erfolg.
Rabuteau schreibt 1872 in der 6az.
hebd., Codein ^irke beim Menschen erst in
Gaben von 6 — 10 cg und ca. 80 Mal schwächer
als Morphium und Narcein auf die Empfin-
dungsnerven, yerdiene daher keine Beach-
tung. In einer Dosis von 15 cg erzeuge es
nach V« — 1 Stunde eine Erschlaffung der
Muskeln und etwas Kribbeln (demangeaison),
besonders in den Extremitäten, eine erheb-
liche und vier Stunden dauernde Verengerung
der Pupille, aber keine Somnolenz. Ref.
wurde nun in Folge eines 1880 von Dr.
Budberg in Montreux erschienenen kurzen
Referates über seine Erfolge mit Codein an Er-
wachsenen, femer eines 1888 von Dr. Fischer
in Kreuzungen publicirten (beide im Corr.-Bl.
f. Schw. Aerzte) darauf gefuhrt, in Anbetracht
der sich widersprechenden Angaben von
früher und jetzt, auch seinerseits das Mittel
zu studiren imd zwar dasselbe nicht nur beim
Erwachsenen, sondern auch bei Kindern auf
seinen therapeutischen Werth zu prüfen.
Budberg verwandte bei einem Bronchitiker,
der zugleich starker Raucher war und sich
in seinem Berufe geistig viel anstrengen
musste, nachdem er gegen Morphium sowohl
innerlich als subcutan gegeben eine besondere
Idiosynkrasie bewiesen hatte, anfangs abend-
liche Dosen von 1 cg Codein, wodurch der
Husten um 4 — 5 Stunden hinausgeschoben
wurde, während es in Pulverform, erst bei Be-
ginn der Anfälle gereicht, erfolglos war und
in diesem Fall subc. Einspritzungen Ton 1,
später 2 cg C. gute Dienste thaten, ohne dass
unangenehme Nebenwirkungen sich zeigten.
Codein beseitigte Husten und Schmerz, führte
aber keinen Schlaf herbei. Bei weitern Ver-
suchen an Kranken beobachtete Budberg
ebenfalls weder jemals Aufregung noch Nausea.
Beim Asthma der Emphysematiker wirkten
6 cg C. weniger als 2 cg Morphium, dabei
folgten keine Störungen der Verdauungs-
organe. B. wendet Codein an, wo ein weniger
energisches Narcoticum genügt, femer wo
der Verdauungsapparat gegen Morphium re-
bellirt und stärkere Hirnhyperämie die Folge
des letztem ist. Fischer empfiehlt das
sicher wirkende und an Geföhrlichkeit weit
hinter dem Morphin zurückstehende Codein
bei allen Fällen von quälendem Husten der
Phthisiker, namentlich bei nicht zu massen-
hafter Secretion, bei allen Fällen von Agrypnie,
wo das schlaf stören de Moment nicht heftige
Schmerzen sind, und zwar in Dosen von
2Va — 3 cg, eventuell 3 — 4 Mal täglich, welche
Einzeldosis von 0,025 Fischer 1 cg Mor-
phium äquivalent erachtet.
Ich halte es nun für das Zweckmässigste,
an Beispielen direct die Wirkungen des
Codeins bei sämmtlichen Kranken, bei denen
dessen Anwendung indicirt erschien, zu er-
läutern und die betreffenden Krankenge-
schichten, soweit sie für uns hier Interesse
haben, folgen zu lassen und zwar in ge-
drängtester Kürze. Hiebei kommt in Betracht,
dass ein grosser Theil der Kranken durch
dürftige Verhältnisse unentgeltliche Behand-
lung geniessen, weil von der Hülfsgesellschaft
unterstützt und daher keinen Grund haben,
die Zahl der Besuche und Dauer der Be-
handlung möglichst zu reduciren, solche Fälle
sind mit H bezeichnet. Im Weitem wird,
besondere Erwähnung vorausgesetzt, ange-
nommen, dass die Organe der Patienten mit
Ausnahme der behandelten sich in intactem
Zustande befinden, um möglichst kurz sein
zu können, d. h. dass z. B. bei Kindern weder
Atrophie noch wesentliche Rhachitis bestehen,
noch auch bei Erwachsenen wesentliche con-
stitutionelle Leiden etc., dass schliesslich im
Beginn der Behandlung keine Verdauungs-
störungen vorliegen, weder Erbrechen noch
Diarrhoe und der Emährungszustand der
Kranken wenigstens ein mittelguter sei.
1. J. Rnegg, 10 Wochen. 15. II. Seit An-
fang Febr. Bronchitis diff. afebriUs. Znnehmende
Heftigkeit. Grosse Apathie, viel Wimmern. R. 70;
trinkt fast nichts, einmal Erbrechen. 0.: Codein
1 mg: 120,0 M. alcohol. D. 2stündl. 1 Einder-
löffel.
17. n. Husten um die Hälfte abgenommen,
milder, trinkt mehr. 18. H. St. idem, rahiger
Schlaf ohne Flügelathmen. Pols gut. 20. II.
Husten setzt oft mehrere St. aus, trinkt viel.
23. n. Fixirt wieder lebhaft. 3 C. Arznei
fertig. Nie Verdauungsstörungen. Husten nur
vereinzelt.
2. M. Albanis, 13 Wochen. 7. H. Seit
3 W. Bronch. diff. afebr.; C. 20, keuchhustenart.
Anfälle. Kein Nasen- noch Conjunct. -Katarrh.
Trinkt fest nichts, Apathie. 0.: Cod. -Pulver
10. n. Vom 7. n. Ab. bis 10. H. Morg. 7 C.-P.
genommen. Husten stark nachgelassen, Kind
trinkt wieder, ist munter. Nie Verdauungsstörun-
gen. Eltern finden das Kind gesund.
3. H. Brunner, 6 Mon. 22. H. Seit ca.
1 W. Bronch. afebr. Allgemeinbefinden ordent-
Hch. 0.: Cod. 1 mg: 120,0 2stdl.
25. II. Husten ordentlich abgenommen, nie
Verdauungsstörungen, Munterkeit und Appetit.
4. H. Peter, 9 Mon. H. 2. H. Anämie, seit
6 Tagen immer heftigere Bronch. diff. febrilis. Oft
Erbrechen nach dem Husten. Mass. Fieber (38
bis 39*^). Grosse Mattigkeit, trinkt fast nichts.
C: Cod.-P. a 1 mg.
2. n. Ab. 8 h = Ya mg C, von 9y, h Ab. an
Abnahme d. H.; Nacht unruhig. 3. Ö. Mittags
Ya mg C. Husten fast null bis Ab. 7 h, dann Zu-
nahme. N. 11h == Vamg C, Schlaf von 12 h
bis 4. n. Morg. 5 h.
ULJahrgmng, i
September 1»M>J
Rbelner, Beiträge cur KenntniM de« Codeini«
397
ö. 11. Erst heate Ab. 5 h wieder y^ mg C.
nöthig, Hustenanfälle sp&rlich, mild. Afebril.
Trinkt z. viel, ist munter, nie Verdauungsstörun-
gen. Mutter findet das Kind wieder gesund.
8. ni. Kind hustet nicht mehr. Grösste Tagesdosis
1 mg C.
5. Th. Fischer, 10 Mon. 25. IV. Zuneh-
mende Bronch. diff. afebr. Trinkt fast nichts.
0.: Cod. 2 mg; 120,0 2stdl.
27. rv. Husten geringer, Appetit besser, heute
3 mal Diarrhoe. Arznei rep.
29. rv. Husten fast verschwunden, Allgemein-
befinden normal.
6. 0. Strausak, 11 Mon. 26. m. Im Ja-
nuar Masern mit schwerer Bronchopneum. Gene-
sung. Seit 2 Wochen wieder heftige Bronch.
diff. afebr. Husten bes. Nachts. Obstipirt. 25. HI.
4 mal Erbrechen, trinkt nichts. 0.: Cod. 0,0015
div. in part. aeq. Nr. X.
28. ni. Bisher 6 C.-P. genommen =s */iq mg
C. Husten fast verschw.; trinkt wieder, Munteiv
keit, kein Erbrechen.
6. rv. Seit ca. 4 Tagen Bronch. recid. mit
bronchopneum. Herden. Hohe febr. contin. (40
bis 40,5°). Ausdruck schwerkrank. 0. : Cod.
2 mg: 120,0 28tdl.
8. rv. Husten unverändert, quälend. Cod. rep.
10. IV. St. id. Cod. rep. 13. IV. St. id. Cod.
weggelassen, keine Verdauungsstörungen, noch ver-
mehrte Mattigkeit. 0.: Liq. amm. an. 2,0 120,0
2 stündl.
16. rv. Febr. Md. Remissionen, heftiger Hu-
sten. 20. IV. Afebril, starker Husten. Zahlr.
feuchte Rhonchi. 0.: Cod. 3 mg 120,0. D. für
3 Tage bestimmt. Husten nahm erst am 3. Tage
ab, ist nun fast null. 23. IV. Munterkeit. Entlassung.
7. E. ünold, 1 Jahr. 8. HI. Seit Vg W.
zunehmende Bronch. diff. Mass. Fieber (38-— 38,6»),
Stertor thoracis, mäss. Apathie. 0.: Cod. 2 mg
120,0 2stdl.
10. m. Arznei fertig. Husten, mehr noch d.
Stertor abgenommen. Munterkeit. Entlassung.
8. 0. Winkler, ly, J. 5. HI. Bronch. diff.
afebr. Grosse Mattigkeit, trinkt fast nichts. 0.:
Cod. 3 mg 120,0 2stdl.
8. in. Husten spärlicher, milder. Trinkt
mehr. Arznei rep. 11. HL Husten unbedeutend,
Allgemeinbefinden gut. Keine Verdauungsstö-
rungen.
9. L. Brunner, l^/^ J. 22. H. Seit V, W.
zunehmende leicht febr. Bronch. diff. Rhachitis.
Trinkt fast nichts. 0, : Cod. 3 mg 120,0.
25. U. Abnahme des Hustens nach y^ '^^y
nur noch gering. Appetit und Munterkeit wieder-
gekehrt. Keine Verdauungsstörungen.
10. E. Studerus, 2% J. 4. IL Bronch.
diff. afebr. Anämie, Rhachitis. 0.: Cod. 5 mg
120,0 2stdl.
6. in. Husten geringer. Cod. rep. 8. HI. Hu-
sten unwesentlich. Munterkeit.
11. A. Emesegger, 3% J. H. 7. m. Seit
ca. 1 W. Katarrh d. grossen Bronchien, quälen-
der Husten, bes. Nachte. Mäss. Diarrhoe. 0. : Cod.
6 mg: 120,0 2stdl.
9. ni. Arznei fertig. Husten und Diarrhoe st.
abgenommen. Munterkeit. Kind erscheint der
Mutter gesund.
12. W. Buob, 4 J. H. 4. II. Nach Masern
Bronchopneumonie. R. 80, leichter Livor, P. 140,
regulär. Ausdruck schwerkrank. Quälender Husten.
0.: Codein-P. k 2 mg.
6. II. Am 4. n. Ab. 7 h = 2 mg C, Hu-
sten bleibt heftig, 12 h = 2 mg C, sehr un-
ruhiger Schlaf bis 5. H. Morg. 7 h, 11h und 9 h
Ab. je 2 mg C; Husten heftig, fast gleich, zeit-
weises ScMummem.
9. n. Täglich 4 — 6 mg C, trotzdem quälender
Husten, hohes Fieber, unruhiger Schlaf.
11. n. Am 9. n. 4 dünne Stühle, aUmäblich
Remission des Fiebers. St. melior, Abnahme des
Hustens, Wirkung des Cod. sehr gering. 14. H.
Reconvalescenz.
13. H. Müller, 4 J. H. 13. m. Bronch.
diff. afebrilis. 0. : Cod.-P. k 2 mg.
16. m. Am 14. m. Morg. 11h, 3 h, 6 h je
2 mg C, Husten unverändert, am 15. UI. Morg.
7 h, 10 h, 1 h je 2 mg C. Keine Verdauungsstö-
rungen, Husten ordentlich abgenommen, Kind
scheint der Mutter wieder hergestellt.
14. R. Schönenberger, 5 J. 10. H. Seit
8. n. zunehmende Bronchitis febrilis, Katarrh der
Conjunct. und Nase; Obstipation. 8. H. Imal
Erbrechen. 0.: Natr. bicarb. T. Ab. 39,5 o. Schlech-
ter Appetit.
15. H. Husten nimmt zu, abendl. Fieber (39
bis 39,50), schlechter Schlaf. 0.: Cod.-P. k
2% mg.
18. n. Am 15. n. Mittags 2% mg C, Husten
nimmt ab. Nachts guter Schlaf, am 16. H. Zu-
nahme des Hustens, darum M. 10 h 2ygmg C,
seitdem kein Codein mehr nöthig, Appetit nimmt
zu, Munterkeit, Entlassung.
15. E. Hugentobler, 5 J. 20. H. Vor
2 J. Croup, damals Tracheot. sup.; 8wöchentl.
Spitalaufenthalt, seitdem immer oder mehr weniger
Husten und rauhe Stimme, nun heftiger bellender
Husten, Heiserkeit, Munterkeit, kein Fieber. 0.:
Cod. k 2 y^ mg.
22. H. Am 20. H. Na. 8 h, 10 h je 2y3 mg
C, dann Schlaf bis 2 h. 21. II. Morg. 2 h =
2 Yg mg wegen neuen Hustenanfällen, Schlaf bis
7 h. Husten des Tages stete massig; Na. 10 h
= 2y, mg, Nacht sehr unruhig, Husten bis zum
Erbrechen. 22. H. Morg. 6ya h = 2^/^ mg Cod.
gauz erfolglos, keine Verdauungsstörungen, guter
Appetit.
25. II. Husten eher zugenommen, bis jetzt
10 P. ä 2 Yj mg C. genommen. 0. : Liq. ammon.
anis. 3,0, Morph, mur. 0,006: 120,0 2stdl. ein
Theelöffel. Grösste Cod. -Tagesdosis 7 Vj mg.
27. II. St. idem, Husten gleich stark, dauert
noch 2 W. so an.
16. C. Diem, 6 J. H. 24. IV. Seit 14 Ta-
gen Bronch. diff. afebr., trotz Liq. amm. anis.
stärker geworden. 0.: Cod. leg 120,0. Kein Appetit.
26. IV. Husten löst sich besser, Appetit steigt.
Arznei rep.
29. IV. Allgemeinbefinden gut. Behandlung
scheint der Mutter nicht mehr nöthig.
17. E.Frey, 8 J. 18. IH. Bronch. febr.;
praecipue pulm. d. lob. inf. Keine Dämpfung.
Kein Appetit. 0.: Cod. 2 cg: 120,0, 2stdl.
20. III. Seit 19. HI. Husten stark abgenom-
men, Appetit im Steigen, Munterkeit.
S98
Rheinar) Beitrftg« cur Kenntnlu dei Codeins.
Bfonataheft«.
18. Giesser Z. H. 34 J. 26. ü. Schwere
tuberculöee Belastung. Jedes Frühjahr qu&lende
Bronch. sosp. mit Tiel schleimigem Auswarf.
Schmerz in beiden Ap. pulm., ausc. und perc.
Befund sehr gering. Phthis. hab. Hect. Fieber.
Keine Tub.-Bac. 0. : Cod.-P. ä 2 i/j cg.
29. n. Täglich 3—4 C.-P. ohne Erleichterung,
heftige H.-AnßLlle. Cod. macht dem Fat. schlecht,
will keines mehr. 0.: Pulv. Dow. k 0,25.
3. m. Husten unverändert, Tag und Nacht.
Viel Sputum, kein Appetit. 0. : Morph, mur. 0,06
180,0 M. alcohol. 2stdl. 1 Esslöffel.
6. m. Husten ziemlich gleich, keine üebel-
keit. Morph, rep.
9. ni. St. idem. 0.: Tct. Chin. comp.
15. ni. Auch üebelkeit Tom Chinin. 0.:
Morph, m. P. k 0,01.
20. m. Auf 3—4 M.-P. tägl. etwas Erleich-
terung, keine besondere Schläfrigkeit, Appetit steigt.
10. IV. Nimmt Morph, mit mäss. Erfolg
weiter, bei feuchter Witterung sind aber 3 — 4 cg
Morph, nutzlos.
19. Steinhauer W. H. 40 J. 5. m. Vorge-
rückte Phthisis pulm. et lar. ohne grosse Caver-
nen. S. yiel Sputum. Agrypnie durch Husten.
0.: Codein-P. k 27j,cg.
7. in. Abnahme von Husten und Sputum,
Nachtruhe.
27. m. Täglich 3—4 C.-P., P. fühlt grosse
Erleichterung, möchte nicht ohne Cod. sein. Ap-
petit steigt. Seit 3 Tagen keine Pulver mehr,
seitdem viel mehr Husten.
10. IV. St. idem, fühlt sich glücklich mit den
Pulvern. Nie Verdauungsstörungen.
20. IV. Erhält nun ohne Wissen Pulv. Dow.
ä 0,25 zum Vergleich.
27. IV. Wirkten ordentlich, Cod. wird vorge-
zogen, Pulv. Dow. verminderte den Appetit.
20. Tapezierer Z. H. 42 J. 28. I. Phthisis
pulm. et lar. Massiger Sympt.- Verlauf. Viel
Husten und Bangigkeit, wenig Sputum. Agrjpnie.
0.: Cod.-P. k 2y5Cg.
5. n. Täglich ca. 3 Pulver, Husten sehr er-
träglich, ordentliche Nächte, beim Erwachen vor--
übergehend leichter Schwindel ohne Kopfweh,
ohne P. nie.
8. n. Husten sehr gering, Bangigkeit noch
vorhanden in geringerem Maasse. Ordentlicher Ap-
petit. Allgemeinbefinden gut. Keine Verdauungs-
störungen.
21. Arbeiter K. H. 25 J. 25.11. Musculö-
ser Mann; mäss. Emphysem, Bronch. chron. sicca
mit ac. heftig. Nachschub. Husten bis zum Er-
brechen, Agrypnie. Kein Appetit. C: Cod.-P.
ä 2 % cg.
1. m. Täglich 3—4 P. Wirkung nach »/g
bis 1 St. Husten bedeutend geringer, Gefühl
grosser Erleichterung, sehr gute Nächte, Appetit
im Steigen; fühlt sich gesund wie lange nicht
mehr. Keine Verdauungsstörungen.
20. ni. Keiner P. mehr bedürft., seit 3 Tagen
wieder heftiger Husten. 0.: dito.
25. m. Husten seit dem 22. HI. auf Cod.
wieder verschwunden.
22. Sticker E., ?J. Chron. interstit. Phthise.
6. HI. Quälender Husten, schlaflose Nächte. 0. :
Cod.-P. k 2 cg.
8. rV. Am 5. ni. Ö Pulver. Besserung des
Hustens, ordentlicher Schlaf.
10. in. Im Allgemeinen 3 P. täglich. Appe-
tit bessert sich.
25. m. St. id. Pulv. Dow. k 0,25.
2. IV. Wirkung auf den Husten fast gleich,
Appetit aber wieder abgenommen, zieht d. Cod.-P.
noch vor.
23. Nähterin M. H. 45 J. 20. IV. Längs,
progred. Phthise. Anämie, gracile, kleine P. Viel
Schwindel, kein Appetit, quälender Husten,
Agrypnie. 0.: Cod.-P. ä 2 cg.
23. IV. Am 21. IV. Morg. 8V^h, 1 h, 3 h je
2 cg, ordentl. Abnahme des Hustens und Schlaf.
22. IV. 3 C.-P., zuletzt Nachts, trotzdem die
ganze Nacht Husten. Keine Aenderung des All-
gemeinbefindens. 0.: Pulv. Dow. ä 0,20.
24. IV. Am 23. IV. Ab. 8 h = 0,2 P. Dow.,
Schlaf bis 24. IV. Morg. 4 h, beim Erwachen hef-
tiger Schwindel, dauert bis Abend an.
25. IV. 3 P. Dow. wegen heftigen Hustens,
den ganzen Tag Üebelkeit und Brechreiz, Husten
unverändert.
26. IV. 0.: Cod. k 2 cg.
28. IV. Cod. macht weniger Üebelkeit und
Schwindel. Wirkung auf den Husten bei Codein
und Morph, sehr gering, bei Cod. noch mehr Appetit.
24. Zimmermann B. H. 20. IV. Mäss. Em-
physem, Bronch. chron.. Degener. Cord, potat.
Asthma card. et bronch. Gebrauchte Digitalis
und andere Herzmittel mit ordentl. Erfolg. 0.:
Cod. ä 2 cg.
26. IV. Husten gemildert, 2 — 3 P. genügen
pro die. 0. : Pulv. Dow. ä 0,20.
1. V. Wirkung ziemlich gleich, Husten sehr
vermindert, weniger die Bangigkeit. Keine Ver-
dauungsstörungen; Pals ordentlich, unverändert.
25. Frau H., 46 J. H. Bronch. chron., quä-
lender Husten mit Schlaflosigkeit, viel zähes Spu-
tum, Engbrüstigkeit. 0. : Cod.-P. ä 2 y^ cg.
Am 22. in. Ab. 8 h und 10 h je 2 »/, cg C,
Schlaf bis 23. HI. Morg. 3 h, Erwachen mit etwas
Kopfschmerz und Husten.
23. m. Morg. 3 % h = 2 »/, cg C, Schlaf bis
Morg. 7 h, dies für P. unerhört viel, wieder etwas
Kopfschmerz, ohne Pulver nie.
27. m. Tägl. 3—4 C.-P., Husten stark abge-
nommen, gute Nächte, stets Morg. etwas Kopf-
schmerz. Auswurf löst sich besser. Keine Ver-
dauungsstörungen. 0.: Pulv. Dow. ä 0,25 ohne
Angabe der Verschiedenheit der Pulver.
1. IV. Erbrechen nach jedem Pulver, nahm
3 mal täglich 1 P. D., Husten nicht stärker ge-
worden. Will wieder die früheren P. Kein Ap-
petit mehr.
13. IV. Wieder tägHch 3 C.-P., erbrach seit-
dem nicht mehr, Husten unbedeutend, Bangigkeit
weniger beeinflusst.
17. IV. Kein Cod. mehr nöthig. Appetit zu-
genommen.
26. Messmer B. Chron. Bronch.; Asthma
bronch.; Atherom. Peinigende Asthmaaniälle,
besonders Nachts, hie und da durch Chloral ver-
meidbar. St. Husten. 0. : Cod.-P. k 2 y, cg.
25. I. Ab. Sy, h = 2% cg, nach 20 Min.
Schlaf bis 26. I. Morg. 1 h, dann heftigen 1 stund.
A.-Anfall, darauf Schlaf bis 6 h.
m. Jahrfug. 1
Septombcr 1889.J
Freund, Ueb«r den G«brmueh dei Codein« bei Prauenkirnnkheiten.
399
26. I. Morg. und Ab. 8 »/j h je 27, cg C,
dann Schlaf bis N. 12 h, 1 std. A.-Anf.
27. I. Morg. und Ab. öy^h = 2% cg C,
gleichwohl st. Bangigkeit. Hasten abgenommen.
8. n. Tägl. 2—4 C.-P., gestern st. Bangig-
keit, trotz 2 Yj cg G. 9 h und 10 h Ab. Zunahme
der Bangigkeit bis 12 h, dann Abnahme, schlech-
ter Schlaf. Husten bedeutend, Bangigkeit nicht
wesentlich abgenommen. Keine Nebenwirkungen
des Godeins.
27. Frau H., 69 J. H. 28. H. Bronchitis
chron. mit ac. Nachschub. Z&hes Sputum. All-
gemeinbefinden ordentlich. God.-P. k 1 cg.
2. m. 28. n. Ab. 6 h 1 cg G., Husten bleibt
gleich, 9 V, h = 1 cg, darauf Ruhe und Schlaf.
1. m. = 4 F., Yon Mittag an keine mehr
nÖthig, Appetit gut, keine Verdauungsstörungen,
Husten gering.
28. Schuster B., 76 J. H. 30. HI. Emphy-
sema, Bronch. chron.; bedeut. Asthma bronch.
Decrepidit&t; kein Atherom d. A. rad. 0.: God.
8 cg 180,0 2 SU. 1 Essl.
2. IV. Husten zur H&lfte abgenommen. Asthma
fast gleich, Sputum löst sich besser, besserer
Schlaf. God. rep.
6. rV. Husten fast yerschwunden, Bangigkeit
wenig nachgelassen. Besserer Appetit und Schlaf
ohne schwere Tr&ume wie bisher, keine Ver-
dauungsstörungen. 0.: Tct. Ghin. comp.
16. IV. Husten nicht zugenommen, Dyspnoe
geringer, Allgemeinbefinden recht ordentlich.
29. Wasserträger L., 75 J. H. Tusuffiz. y.
Mitr. gravis Gompens. nach früherem Rheum. artic.
Bronch. chron. Asthma, Atherom. 29. L Seit
Mon. keuchende Ein- und Ausathmungen, viel
Husten, sehr unruhige Nächte. Spartein und P.
Dow. stets nutzlos, doch gut vertragen, Schwäche-
delirien. 0.: God.-P. k 1^^ cg,
4. n. Bisheriger Erfolg gering, etwas weniger
Husten, nahm tägl. 3 P.
8. in. Immer Asthma, Puls nicht verändert,
etwas mehr Ruhe.
12. HI. God. weggelassen, Nutzen minimal.
[SdUuM folgt.]
Ueber den Gebrauch des Codeins bei
Frauenkrankbeiten.
Von
Dr. H. W. Freund,
1. AMistent der Frauenklinik In Straitbnrg.
Auf die Empfehlung des Privatdocenten
Dr. V. Schröder hin habe ich in einer
grosseren Reihe von Fällen schmerzhafter
Frauenkrankheiten Versuche mit Godein
angestellt. Die dabei gewonnenen Resultate
rechtfertigen eine kurze Veröffentlichung.
Bekanntlich hat in neuerer Zeit L au der-
Brunton^) von diesem Bestand theil des
Opium ausgedehnten Gebrauch gemacht und
dasselbe hauptsächlich fOr „Schmerzen im
Darm und im unteren Theil des Abdomens^
empfohlen. Meine Untersuchungen erstrecken
sich nur auf den zweiten Punkt dieser Em-
pfehlung, also auf die Stillung von Schmeiß
zen im unteren Theil des Abdomens bei
Frauen. Es hat sich herausgestellt, dass
der obige Satz Lauder-Brunton^s für die
Gynäkologie eine erhebliche Einschränkung
erfahren muss.
Schmerzen, welche von der Gebärmutter
ausgehen, seien es solche bei Dysmenorrhoe
oder bei acuten und chronischen Leiden,
lassen sich durch Godeingaben wohl vor-
übergehend lindem, aber niemals auch nur
annähernd in dem Grade, wie durch Opium
oder Morphium.
Dass man femer bei grösseren Exsuda-
tionen im Beckeoperitoneum und Binde-
gewebe mit dem Godein keine Triumphe
feiern kann, war von vornherein zu erwar-
ten. Auch bei Tubenerkrankungen ist das
Mittel nicht als schmerzstillend zu em-
pfehlen.
Dagegen hat es einen grossen, unver-
kennbaren und meist sehr prompten £in-
fluss auf Schmerzen, welche von den Eier-
stöcken ausgehen; ob es sich um Ver-
lagerung oder Prolaps der Ovarien, um
Oophoritis, acute oder chronische Perioopho-
ritis oder um sog. reine Ovarialneuralgie
handelt, immer lassen die Schmerzen auch
schon nach kleinen Dosen Godein erheblich
nach, in den meisten Fällen aber schwinden
sie gänzlich, so lange die Wirkung des
Mittels anhält. Ich muss allerdings zu-
fügen, dass in allen Fällen die für die be-
treffenden Leiden erforderliche locale und
diätetische Therapie sofort eingeleitet wurde ;
wir wissen aber, dass diese allein nicht ge-
nügt, die meist sehr heftigen Schmerzen in
kurzer Zeit zu beseitigen.
Hinsichtlich der Dosirung habe ich mich
an die bisher giltigen Vorschriften gehalten
und dreimal täglich eine Pille von je 3,3 cg
Codein (mit Extr. Gentian. und Pulv. Rad.
Liquir.) gegeben. Diese Dosis genügt in
den meisten Fällen; nur sehr selten braucht
man sie zu steigern.
Irgend welche unangenehme oder schäd-
liche Nebenwirkungen vom Codein habe ich
nie gesehen; hierin muss ich Lauder-Brun-
ton völlig zustimmen.
Codem betäubt nicht, es beeinflusst
weder den Appetit noch die regelmässige
*) Ueber den Gebrauch des Codeliis zur Be-
seitigung des Schmerzes bei ünterleibskrankheiteu.
Brit. med. Joura. 9. Jan. 1888.
400
MeiBBan, Guajakol bei PhtlüBa.
rlientpeiitiaeli*
Monatihefte.
Darmentleerung, und vor allen Dingen giebt
es keine Gewöhnung an das Mittel, keinen
Codemismus. Ich lasse einige Patientinnen
die Pillen schon monatelang bei jedem
neuen Anfall von Ovarial schmerzen brauchen;
in den schmerzfreien Intervallen Termögen
diese Frauen das Mittel bei Seite zu lassen,
ohne es ungern zu vermissen.
Somit kann ich das Codein als schmerz-
stillendes Mittel bei Eierstockskrankheiten
warm empfehlen.
Ouajakol bei Phthise.
Von
Dr. Meisten in Falkenstein im Taunus.
Seit der Empfehlung des Guajakols an
Stelle des Kreosots, dessen wirksamen Be-
standtheil es darzustellen scheint, durch
Penzoldt, Sahli, Fräntzel sind verhält-
nissmässig wenig Berichte über seine prak-
tische Anwendung bei Lungenkranken be-
kannt geworden. Bourget in Genf hat im
Corresp.-Bl. f. Schweiz. Aerzte 1889, 10 und
in der Wiener med. Presse 1889, 23 einiges
verofiPentlicht und namentlich Arzneiformeln
angegeben. Nach ihm wird es von der
Magenschleimhaut besser vertragen als das
Kreosot. Auch kann es erforderlichen Falles
in Emulsion per rectum verabreicht werden.
Ferner wird Guajakol-Leberthran (l — 2°/o)
empfohlen. Bericht über die Erfolge soll
erscheinen. Schetelig (Deutsche Medien-
Zeitung 1889, 16) hat eine Arbeit über die
hypodermatische Anwendung des Kreosots
bei Phthisischen veröffentlicht, bei welcher
sich ein bemerkenswerthes Ergebniss heraus-
stellte. Abgesehen nämlich davon, dass in
dieser Form grosse Dosen des Medicaments
(1,0 — 1,5 täglich) durch Monate hindurch
ohne Schaden vertragen wurden, zeigte sich
eine deutliche antipyretische Wirkung dieser
Kreosot-Einspritzungen. Die genannte Menge
Kreosot, dem fiebernden Phthisiker unter die
Haut gebracht, setzt die Temperatur unter
allen Umständen , herab. Die Wirkung tritt
etwa nach einer Stunde ein und dauert bei
mittleren Gaben längstens 6 Stunden. Bei
acuten Yerschlimmerungen chronischer Fälle
war die antipyretische Wirkung am besten.
Zum Schluss kommt Seh. auf das Guajakol,
welches wegen seiner Reinheit unverdünnt
eingespritzt werden könne, und von welchem
eine kleinere Dosis CA^Va) g^^^g^i chemisch
reines Guajakol sei deshalb zu weitem Ver-
suchen ausschliesslich zu empfehlen. Auf
persönliche Anregung Sch.'s hat der Unter-
zeichnete das Guajakol in zwei Fällen von
stark fieberhafter Phthise eine Zeitlang an-
gewendet, und kann das Gesagte im Wesent-
lichen bestätigen. Die Einspritzungen (tiefe
Injectionen unter die Bauchhaut) wurden
im Ganzen nicht schlecht vertragen; doch
bildeten sich mehrfach auch recht schmerz-
hafte Verhärtungen, die sich, allerdings ohne
Eiterung, langsam wieder vertheilten. Die
aufiPallendste Wirkung war der regelmässige
Abfall der Temperatur um 1 — 2°, welcher
schon nach 0,25, sicher aber nach 0,5 Gua-
jakol schon vor Ablauf einer Stunde er-
folgte, und zwar geschah derselbe, was Seh.
nicht hervorhebt, stets unter starkem Schweiss-
ausbruch. Nach einigen Stunden stieg die
Temperatur, einigemal unter Schüttelfrost,
wieder an. Collaps- Temperaturen wurden
nicht beobachtet; die Elranken klagten nur
sehr über den lästigen, profusen Schweiss,
der nach ihrer Aussage stärker war als nach
0,25 — 0,5 Antifebrin. Eine Einwirkung auf
den Krankheitsprocess war nicht zu consta-
tiren. Doch ist Zahl und Dauer der Ver-
suche auch zu gering, um darüber überhaupt
ein Urtheil abzugeben. Ich hielt mich aber
nach dem gewonnenen Eindruck nicht für
berechtigt, dieselben ohne Weiteres an kranken
Menschen fortzusetzen. Immerhin scheint
die erwiesene antipyretische Wirkung des
Guajakols in subcutaner Anwendung, welche,
soweit bekannt, bei innerlichem Gebrauche,
vielleicht in Folge der langsameren Resorption,
nicht vorhanden ist, bemerkenswerth genug,
um zu weitem Forschungen, namentlich
Thierexperimenten, aufzufordern. Stellt sich
dabei heraus, dass das Guajakol, bez. das
Kreosot unter Umständen und in genügender
Gabe nichts weiter bewirkt als eine Tempe-
ratur-Erniedrigung des fiebernden Organismus,
so wäre das Ergebniss ein sehr geringes,
da wir diesen Effect durch eine ganze An-
zahl von Arzneistoffen in viel einfacherer
und bequemerer Weise erreichen können.
Was ich bisher nach ziemlich reichlicher
Erfahrung über die Einwirkung dieser Mittel
auf den bacillären Process in den Lungen
beobachtete, ist völlig gleich Null, und was
ich vom Kreosot rühmen kann, beschränkt
sich darauf, dass es in geeigneter Form auch
in grossen Gaben meist gut vertragen wird
und gelegentlich einen günstigen Einfluss
auf den Verdauungsapparat ausübt. Eine
specifische Wirkung auf tu bereu löse Processe
ist indessen keinesweges undenkbar; m. £.
aber müsste dieselbe erst durch Thierexperi-
mente erwiesen sein, bevor man auf die Ge-
fahr hin, unangenehme Nebenerscheinungen
in. Jalirgang. "1
September 1889J
Meiasen, Guajakol bei Phthise.
401
berrorzurufen , die Mittel in genügender
Dosis beim kranken Menschen anwendet.
Diese Experimente könnten in gleicher Weise
angestellt werden wie Trudeau in Saranac
Lake (Adirondacks im Staate New-York) die
Wirksamkeit des hygienisch - diätetischen
Heilverfahrens gegen Tuberculose demon-
Btrirte. Tr. impfte eine Anzahl Kaninchen
in gleicher Weise mit dem Koch^schen Ba-
cillus. Die Hälfte der Thiere wurde in
einen engen, feuchten, dunklen Raum ge-
bracht, wo sie schlecht und mangelhaft er-
nährt wurden, die andern aber wurden auf
einer kleinen Insel im See ausgesetzt, wo
sie in Hülle und Fülle alles fanden, was
ein Kaninchen herz erfreuen kann. Erstere
starben alle oder fanden sich schwer tuber-
culos, letztere überwanden die Infection alle
bis auf eins. So müsste man auch eine
Anzahl geeigneter Versuchsthiere in gleicher
Weise inficiren, und dann einen Theil mit
dem Arzneimittel behandeln, während die
andern zur Controle dienen. Leider fehlen
dem beschäftigten Praktiker zu sehr Zeit
und Gelegenheit für solche Versuche; viel-
leicht fühlen Andere sich dazu angeregt.
Nachtrag.
Kurz nach der Abfassung der vorstehen-
den Betrachtungen erschien eine neue Arbeit
über Guajokol - Einspritzungen bei Phthise
von Schetelig (Deutsche Medic. - Zeitung
1889, 62), in welcher die mit Wahrschein-
lichkeit auf den Tuberkel -Bacillus selbst
gehende Wirkung derselben wiederholt be-
tont wird. Man soll nur chemisch reines
Guajakol in einmaliger täglicher Dosis von
0,5 — 1,0 anwenden; die Technik der Injec-
tionen muss eine sehr sorgsame sein. Nach
Seh. ist die Wirkung am aufißlUigsten in
allen Fällen von acuten Verschlimmerungen
chronischer Phthisen, in denen die Ein-
schmelzung keine zu rapide, sondern eher
anzunehmen ist, dass eine lebhaftere Ent-
wicklung von Bacillen stattfindet, d. h. also
wohl bei drohenden oder vorhandenen Aus-
breitungen des bacillären Processes. Seh.
giebt an, in zwei Fällen die Zunahme der
Bacillen vor und die Abnahme nach der
Guajakol-Behandlung nachgewiesen zu haben,
gleichzeitig mit der Aufbesserung des Ge-
sammtzustandes. Die Reihenfolge scheint ihm
die folgende zu sein: Sofortige Herabsetzung
der Temperatur für einen längern oder kürzern
Zeitraum, mit oder ohne Schweiss, aber
ohne bedenkliche Collapserscheinungen, Besse-
rung des Schlafes, Neubelebung des Appe-
tits, Veränderung und dann Verminderung
bez. Beseitigung des Auswurfes, Verlang-
samung und Kräftigung des Pulses.
Das würde eine sehr bedeutende Wir-
kung vorstellen. Schreiber dieses kann aber
seine skeptische Reserve gleichwohl noch
nicht verlassen und möchte um so mehr
zur Prüfung durch Thierversuche rathen,
ehe man zur weitern Anwendung am Kranken
schreitet.
Noch einmal über die Beliandlnngr der
ConjnnctiTitis grranulosa mittelst par-
tieller EiXCision der Bindehaut.
Von
Dr. Th. Treitel,
Docent für Augenheilkunde in Königsberg 1. Pr.
Meine Abhandlung über ausgedehnte
Bindehautexcisionen in No. 2 und 3 dieses
Jahrgangs dieser Zeitschrift, hat meinem
hiesigen Fachcollegen Yossius zu einem
höchst polemischen Aufsatz^) Anlass gege-
ben. Ich werde es durchaus vermeiden, auf
den einer wissenschaftlichen Arbeit unwür-
digen Ton des Vossius'schen Artikels ein-
zugehen und auf die Verdächtigungen, die
sich Yossius gegen meine Person erlaubt,
auch nur ein Wort zu erwidern.
Eine Antwort auf den Aufsatz kann ich
nicht umgehen, weil es mir im Interesse
der Sache geboten erscheint, die ganz un-
berechtigten Angriffe von Voss ins gegen
meine Operationsmethode zurückzuweisen.
Diesen gegenüber möchte ich zunächst
hemerken, dass man, wenn man sich ein
unparteiisches ürtheil bilden will, meinen
Artikel neben demjenigen von Vossius lesen
muss. Denn der letztere ist geeignet, be-
züglich meiner Beschreibung des Operations-
verfahrens z. B. der Lage des Knorpelschnittes
im Verhältniss zum Lidrande und der Be-
handlung der Suturen, unrichtige Anschauun-
gen zu erwecken.
Yossius macht meiner Methode den
Vorwurf, dass sie „in mehrfacher Beziehung
gegen allgemeine chirurgische Grundsätze^
Verstössen soll und führt für diese Behaup-
tung drei Gründe an :
l) Ich soll die Schneller'sche Pincette
für die Excision der unteren Uebergangs-
falte empfohlen haben^ während ic^ sie für
die obere verwerfe. Hätte ich das gethan,
so könnte man darin vielleicht, wenn man
durchaus Angriffspunkte gegen meinen Auf-
1889.
*) Therapeutische Monatshefte No. 5 und 6 ;
51
402 Treit«l, Behandl. d«r Co^juncttvitiB granulosa mittelst pari. Ezciaion der Bindebaut f^^^i^bel^
satz ausfindig machen will, einen Yerrtoss
gegen logische, aber niemals gegen chirur-
gische Grundsätze finden. Aber auch das
wäre nicht gerechtfertigt. Denn eine nicht
hinreichende oberflächliche Excision des obe-
ren üebergangstheiles kann eine Ptosis des
oberen Lides zur Folge haben, während eine
Verletzung des subconjunctivalen Gewebes
im Bereiche des unteren üebergangstheiles
keinen nennenswerthen Nachtheil nach sich
zieht. Aus diesem Grunde habe ich bei
Besprechung der Excision des unteren üeber-
gangstheiles die Schnelle rasche Pincette
angeführt, ausdrücklich aber nicht diese,
sondern die ümschneidung mit gerader
Scheere empfohlen. Hiemach erweist sich
der erste Einwand Ton Yossius als ganz
haltlos.
2) Yossius behauptet: „Die unvollstän-
dige Sutur ist jedenfalls ein Hauptfehler; sie
verhindert die Prima intentio".
Wenn ich jetzt über ca. 180 Operationen
mit zwei Suturen verfuge, bei denen bis auf
ca. 15 ^/o die Wunde in der ganzen Aus-
dehnung per primam geheilt ist, so steht
Yossius wohl allein, wenn er meine Art
zu nähen, als unvollständige Sutur bezeich-
net. Ich halte den Yorwurf von Yossius,
nur zwei Nähte anzulegen, im Gegentheil
für einen wesentlichen Yorzug meiner Me-
thode und' empfehle dieselbe allen Collegen,
die sich davor schützen wollen, unheilbare
centrale Hornhauttrübungen zu erhalten.
Dieser Gefahr setzen sie sich aus, wenn
sie die Mitte der Wunde durch einen Faden
schliessen. Hierüber lassen meine Erfah-
rungen keinen Zweifel zu. Das Risiko von
Wundgranulationen steht zu demjenigen de<«
Fadens in der Mitte der Wunde in gar
keinem Yerhältniss. Denn die Wundgranu-
tionen machen entweder gar keine Reizer-
scheinungen oder sie verzögern die Heilung;
sie bewirken aber niemals dauernden Scha-
den, niemals unheilbare Sehstörung.
Wer den von Yossius gegen mich er-
hobenen Yorwurf von un chirurgischem Han-
deln wegen angeblich nicht genügender
Nähte gelesen hat, wird mit Erstaunen da-
von Kenntniss nehmen, dass Yossius, wie
er selbst 1885 in Heidelberg mitgetheilt
hat*), bei seinen ersten 50 Operationen gar
keine Sutur angelegt und erst durch das
Yorgehen von Heisrath, welcher in den
ersten Jahren auch nicht genäht hat^), ver-
*) Bericht über die 17. Yersammlung der oph-
thalmologischen Gesellschaft, Heidelberg 1885,
pag. 190.
*) Gfr. Richter, Zur Behandlung der Conjunc-
tivitis granulosa durch Excision; v. Graefe's Arch.
XXXI, 4, pag. 85.
anlasst worden ist, die Wunde durch Su*
turen zu schliessen!
Yielleicht aber könnte Jemand meinen,
das Auftreten von Epithelerosionen sei ein
so seltenes, dass man deswegen auf die bei
drei Suturen gewiss sicherere Erzielung einer
prima intentio nicht zu verzichten brauche.
Aeussert sich doch Yossius in dem ersten
Theil seines Aufsatzes unter Berufung auf
das grosse Material der hiesigen Universitäts-
Augenklinik dahin, dass „die Ernährung der
Cornea und ihrer Transparenz keine Gefahr
läuft, dass dieselbe wenigstens vollständig
vermieden werden kann."
Darauf folgt dann aber in directem
Widerspruch in dem 2. Theile desselben
Artikels die Mittheilung, dass er bei Ex-
cisionen der Bindehaut an 116 Knaben bei
12 Kindern Epithelerosionen beobachtet hat!
„Zwei Kinder behielten eine dichte, das
Sehvermögen wenig störende, excentrische
Comealtrübung zurück." Bei einem dritten
Knaben „blieb eine intensivere centrale Horn-
hauttrübung zurück, welche sich allmählich
aufhellte und die Sehkraft nur wenig be-
einträchtigte".
Dass übrigens diese Epithelerosionen die
Folge der Suturen sind, unterliegt für mich
nicht dem geringsten Zweifel. Die unregel-
mässigen, oberflächlichen Defecte mit schar-
fem, ausgezacktem Rand und gelegentlich
daran heftenden Epithelfetzen lassen gar
keine andere Deutung zu, zumal sie der
Lage der Sutur entsprechen und stets in
den ersten Tagen nach der Operation auf-
treten, während unmittelbar nach derselben
die Hornhaut — abgesehen von präexisti-
rendem Pannus — ganz glatt aussieht. Dazu
konmit, dass ich nach Fortlassung der mitt-
leren Sutur nicht ein einziges Mal eine
centrale Erosion zu Gesicht bekommen, und
ferner, dass die peripheren stets sehr schnell
geheilt sind, sobald die entsprechende Sutur
entfernt wurde.
3) Ebenso unbegründet wie die ersten
beiden ist der dritte Einwand von Yossius,
der folgendermassen lautet: „Weiterhin habe
ich den einseitigen Yerband zu moniren; er
immobilisirt die Lider und das Auge nur
unvollkommen und verhindert die Heilung
per primam durch die permanenten Zerrungen
an der Wunde." Yossius urtheilt hier
wieder a priori über Dinge, über welche
man sich allein auf Grund von Erfahrungen
ein ürtheil erlauben darf. Dass thatsäch-
lich bei der von mir in meinem ersten Auf-
satz angegebenen Art des Yerbandes in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle die ganze
Wunde per primam heilt, habe ich soeben
angegeben.
^^J^HjJj^^^^ 1 Tr«lt«l, BehandL der Coi\Junetlvitlt grmnulou mitteUt part. Excision der Bindehaut
403
Meine Empfehlung des Cocains halte
ich vollkommen aufrecht; ich habe bisher
nicht ein einziges Mal irgend einen Nach-
theil Yon diesem sehr schätzenswerthen Mittel
gesehen, bei den Bindehautexcisionen eben-
sowenig wie bei Extractionen, Tenotomien,
Torlagerungen etc.
Ebenso wie die Angriffe yon Yossius
gegen die von mir beschriebene Operation s-
methode sind diejenigen gegen die von mir
angegebene üebersicht der wichtigeren Arbei-
ten über ausgedehnte Bindehautexcisionen
Tom Zaune gebrochen. Yossius stellt die
Sache so dar, als hätte ich über die opera-
tive Behandlung der Conjunctivitis granulosa
überhaupt, und nicht, wie aus den ersten
Worten und dem ganzen Inhalte meines
Aufsatzes unzweifelhaft hervorgeht, aus-
schliesslich über ausgedehnte Excisionen
der Bindehaut geschrieben. Nur an diese
knüpft sich der grosse Fortschritt in
der Therapie der unheilvollen Krank-
heit. Dass Heisrath, wie ich mich ausge-
drückt habe, „das Verdienst zuzuerkennen ist,
zuerst die Bindehautexcisionen (sei. die ausge-
dehnten) bei einer grösseren Anzahl von Gra-
nulösen systematisch ausgeführt und die dabei
gemachten Erfahrungen publicirt zu haben ^,
unterliegt nicht dem geringstem Zweifel.
Diejenigen meiner Leser, welchen in
dieser Frage in Folge der Darstellung von
Yossius Zweifel aufgestiegen sein sollten,
verweise ich auf folgende Sätze von
Yossius aus dem Yorwort zu seinem Grund-
riss der Augenheilkunde: „Bei der Therapie
dieser verbreiteten Yolkskrankheit habe ich
gewiss die von Jacobson in der Eönigs-
berger Klinik von jeher besonders betonte
Yorschrift, Messer und Scheere nicht zu
scheuen und nach Maassgabe der durch
dieses Yerfahren erzielten günstigen Resul-
tate der operativen Methode in den Vorder-
grund gestellt. Nachdem schon Scarificatio-
nen und partielle Excisionen relativ bessere
und schnellere Erfolge als die einfache,
sonst übliche medicamentöse Behandlung
gebracht und Heisrath in der Klinik
die Excision auch auf den ganzen
Tarsus ohne .kosmetischen oder anderen
Nachtheil für den Kranken ausgedehnt
hatte, sind wir diesem letzteren Ver-
fahren sowohl bei den in klinische Behand-
lung einleitenden Fällen als auch bei der
Bekämpfung von Epidemien treu geblieben,
nicht zum Schaden der Erkrankten und der
Communen."
Schliesslich mochte ich nicht unterlassen,
nochmals darauf hinzuweisen, dass sich die
von mir empfohlene Art, die Bindehaut zu
excidiren, an die Heisrath^ sehe anlehnt.
Ob man die kranke Conjunctiva nach einer
von diesen oder nach der von Yossius in
seinem Artikel nochmals beschriebenen
Methode ausschneidet, scheint mir von sehr
nebensächlicher Bedeutung zu sein.
Zur SuggestiT-Therapie.
Nach einem aaf dem Neurologen- Congresse
zu Baden gehaltenen Vortrage.
Von
Dr. V. Corval.
Während ich in einem auf dem Balneo-
logen-Congresse zu Berlin gehaltenen Vor-
trage (veröffentlicht in der Deutschen Medi-
cinal-Zeitung 1889 No. 83) mir die Aufgabe
gestellt hatte, die Collegen durch kurze prac-
tische Mittheilungen zur Nachprüfung der
bereits vorliegenden zahlreichen therapeuti-
schen Versuche auf dem Gebiete der Sug-
gestion zu veranlassen, kam es mir dieses
Mal mehr darauf an, der Frage näher zu
treten, ob wir bereits berechtigt seien, von
der Suggestiv-Therapie Gebrauch zu machen
und in welchen Fällen etwa. Zugleich aber
wollte ich den Weg andeuten, welchen wir
einzuschlagen hätten, um diese wichtige
Frage der Lösung näher zu bringen.
Zu diesem Zwecke war ich selbstver-
ständlich genöthigt, mancherlei frühere An-
gaben zu wiederholen und dieselben durch
neuere, indessen gesammelte Erfahrungen zu
vervollständigen, um auf diese Weise soweit
als möglich die Berechtigung meiner Schluss-
folgerungen darzuthun.
Für diejenigen Leser, welchen der be-
treffende Aufsatz der Medicinal-Zeitung nicht
zu Gesichte gekommen, füge ich noch hinzu,
dass ich meine ersten Beobachtungen über
Suggestion in Stockholm bei Dr. Wetter-
strand, einem ebenso ernsten wie wissen-
schaftlich hochgebildeten und nichts weniger
als einseitigen Arzte, der bei seinen Col-
legen in höchster Achtung steht, im Verlaufe
von 4 Wochen und täglich 30 — 40 hypno-
tischen Sitzungen gemacht habe. Ich habe
dabei die Anwendung der Suggestiv-Methode
bei Patienten jeden Standes, jeden Alters
und beider Geschlechte, bei den verschieden-
artigsten krankhaften Zuständen gesehen und
den Erfolg mit eigenen Augen verfolgen
können. Ich habe weiter beobachtet, dass,
entsprechend den Angaben der französischen
Autoren, in Bezug auf Hypnotisirbarkeit kein
wesentlicher Unterschied bei gebildeten Er-
wachsenen zu sehen war, während Kinder
öl*
404
V. Corval, Zur Suggattiv-Therapie,
rrhorapeatlseii«
L Monatahefte,
und Leute Diederen Standes, welche mehr
an Unterordnung und Gehorsam gewöhnt und
weniger zu Reflexionen geneigt sind, dem
Einflüsse leichter erlagen, auch leichter in
tiefen Schlaf, in Somnambulismus (mit Amnesie
nach dem Erwachen) yerflelen, dass bei kei-
nem der Hypnotisirten weder vor, noch
während oder nach der Hypnose irgend
welche abnorme Erscheinung zu Tage trat,
und Alle das Bild des ruhigen behaglichen
Schlafes zeigten, und dass endlich die Wir-
kung des Verfahrens in der Mehrzahl der
Fälle eine gute, oft sogar eine geradezu
überraschende war, und zwar nicht nur vor-
übergehend, wie ich später an einigen Bei-
spielen zeigen werde.
Meine eigene, sich erst über 6 Monate
erstreckende Erfahrung ist selbstverständlich
eine relativ geringe, wegen des geringen
Krankenstandes im Winter, besonders aber,
weil ich die später zu präcisirenden Grund-
sätze meines Lehrers auf das Strengste be-
folgte. Trotzdem verfüge ich bereits über
eine Anzahl von Fällen, welche ich in etwa
600 Sitzungen behandelt habe, und kann
ich mit voller Bestimmtheit erklären, dass
diese Erfahrung mir vollinhaltlich alles be-
stätigt hat, was ich in Stockholm gesehen
und von Wetter Strand gehört habe, so
dass für mich persönlich die Frage bis zu
einem gewissen Grade durchaus entschieden
ist, wenn ich auch zugebe, dass die theore-
tische Erklärung noch sehr viel zu wünschen
übrig lässt, und dass die Indicationen und
Gontraindicationen der genaueren Feststellung
dringend bedürftig erscheinen — ein Uebel-
stand, den übrigens die Suggestiv-Therapie.
mit so manchen anderen beliebten und viel
verwandten Heilverfahren theilen dürfte.
Wenn ich Ihnen nun zur Begründung
meiner Behauptung, dass die Suggestiv-
Therapie sich bereits die Existenzberechti-
gung erworben habe, einzelne casuistische
Mittheilungen mache, so werde ich mich da-
bei nur auf ganz besonders interessante,
practisch wichtige Angaben beschränken ; eine
statistische Zusammenstellung wäre ermüdend
und wegen der Kleinheit der Zahlen nicht
beweiskräftig genug. Vorausschicken möchte
ich nur noch, dass ich selbstverständlich
auch Misserfolge bei Wetterstrand gesehen
und selbst erlebt, in der Mehrzahl der Fälle
aber eine mehr od«r weniger gute, ja nicht
selten radicale Wirkung gesehen habe.
In erster Reihe muss ich hier, wie ich
es auch in Berlin gethan habe, die Wirkung
des Suggestiv- Verfahrens bei Alkoholikern
hervorheben. Ich wünschte nur, jeder Un-
gläubige hätte die Gelegenheit, eine Reihe
von solchen Fällen (ich sah 2 seit Jahren
Geheilte und 5 in der Behandlung) zu be-
obachten; für mich war diese Beobachtung
entscheidend. Die Alkoholiker verfallen
meist sehr leicht in Schlaf, werden meist
bald somnambul; das Gebot der Enthaltung
von alkoholischen Getränken jeder Art wirkte
vom ersten Male ab entscheidend, es traten
in keiner Weise irgend welche Collaps- oder
andere Abstinenzerscheinungen ein. Die Pa-
tienten assen und schliefen vom ersten Tage
ab gut und erholten sich körperlich zu-
sehends von Tag zu Tag. Die Suggestion
nahm freilich auch auf alle diese Dinge
Rücksicht. Recidive traten freilich gelegent-
lich auch ein, doch keinenfalls häufiger wie
bei anderen Entwöhnungsmethoden, und
wichen gewöhnlich in 1 oder 2 Sitzungen.
Bekanntlich rühmt auch Forel den Erfolg
der Suggestiv-Therapie bei Aikoholismns,
und Dr. Oedmann (Drrector der Irren- An-
stalt in Lund) bestätigte diese Erfahrung,
freilich mit dem Zusätze, dass er selbst nicht
im Stande sei, zu hypnotisiren und daher
die betreffenden Patienten zu Wetterstrand
schicke. Ich selbst habe einen Fall von
periodischem Alkoholismus in Behandlung
gehabt und glaube, denselben zunächst über
eine solche Periode glücklich hin weggebracht
zu haben. Es gelang wenigstens sehr rasch,
die bereits als Vorläufer auftretende, bald
aufgeregte, bald stark deprimrrte Stimmung
völlig zu einer normalen zu gestalten, bei
absolutem Verbote des Alkohols.
Viel weniger günstig waren die Erfolge
bei Morphinismus, durchaus negativ bei
Cocainismus, während Chi oral-Missbrauch
sich leicht abwähren lässt.
Dass Neuralgien aller Art, besonders
Ischias, Zahnschmerzen, Kopfschmer-
zen, Migraine meist für kürzere Zeit, doch
auch dauernd beseitigt werden können, dass
Schlaflosigkeit aus verschiedenen Ur-
sachen meist sehr günstig beeinflusst wird,
dürfte allgemein bekannt sein. Besonders
interessant war mir die Beobachtung an
einem seit Jahren an Tabes leidenden Col-
legen, welcher von den intensivsten lancini-
renden Schmerzen in 8 Sitzungen befreit
worden war, und der während meiner An-
wesenheit wiederkehrte, weil, nach einer
Pause von 6 Monaten, seit 2 Tagen die
Schmerzen sich wieder gemeldet hatten. In
2 Sitzungen war er schmerzfrei und blieb
es wenigstens während der nächsten 3 Wochen,
wo ich ihn wiederholt sah*).
^) Nach Einsendung des Manuscriptes beob-
achtete ich die gleiche günstige Wirkung bei einem
Tabischen in eigner Praxis, bei welchem augleich
die seit 2 Jahren bestehende Diarrhoe beseitigt
wurde. Der Erfolg hält bereits fast 3 Monat an.
m. Jahrgang. 1
Bmptaaxhw 1889.J
V. Corval, Zur Suf f attlv-Therapie.
405
Von Migraine habe ich selbst neben
mehreren leichten einen sehr schweren Fall
in Behandlung gehabt: Die Patientin wurde
sofort somnambul, ohne Torher irgend welche
hysterische Erscheinungen gezeigt zu haben.
Suggestion: Aufwachen um 12 Uhr, Kopf
durchaus frei, keine üebelkeit, keinen Schwin-
del, vollständig frisch; jeden Morgen 8 Uhr
Stuhlgang. Die Befehle wurden auf das
Pünktlichste ausgeführt, ohne dass die Pa-
tientin heute noch eine Ahnung davon hat,
was ich befohlen, und sich nur darüber freut,
dass jetzt der Stuhl stets Morgens uro 8 Uhr
erfolge, nachdem seit Jahren die stärksten
Drastica angewendet werden mussten (Mas-
sage undElektricität hatten nur vorübergehend
gewirkt), und dass sie seither (6 Monate)
keine Migraine gehabt, welche früher läng-
stens alle 4 Wochen aufgetreten war.
Je 1 Fall von Neuralg. trigem. und
auric. temp. behandele ich im Augenblicke
mit dem günstigsten Erfolge.
Von Epilepsie sah ich mehrere Fälle,
welche ganz erheblich gebessert waren, einige
aeit mehreren Jahren ohne Anfälle, bei An-
deren die wöchentlichen AnHllle auf jähr-
liche reducirt. Bei ganz schweren Fällen
hat auch Wetterstrand keinen Erfolg ge-
sehen.
Schwerhörigkeit und Ohrgeräusche
wurden sehr oft dauernd günstig beeinflusst,
selbst bei Fortbestand ganz erheblicher ana-
tomischer Läsionen. Ich selbst habe in
2 Fällen auffallende Besserung erreicht, trotz-
dem bei dem einen Patienten Verwachsung
des Trommelfelles mit der hinteren Pauken-
wand, bei dem anderen Verdickung und starke
Einziehung des Trommelfelles bestand. Sehr
interessant ist die Gehorverbesserung wäh-
rend des hypnotischen Schlafes selbst; die-
selbe erhält sich jedoch nicht auf dem gleich
hohen Grade beim Erwachen.
Wetterstrand und Dr. Velander (Jon-
köpping) theilten mir mit, dass sie wieder-
holt das Stottern ganz oder fast ganz be-
seitigt hätten. Ich kann gleichfalls über
2 ganz exquisite Fälle eigener Praxis sehr
Günstiges berichten, und sah in Stockholm,
dass ein 4 jähriger Knabe, welcher in
Folge grossen Schreckens vor */j Jahr an-
gefangen hatte, hochgradig zu stottern, durch
Suggestion im Wachen die normale Sprache
plötzlich wieder gewann. Ganz besonders
interessant und für die Macht der Suggestion
beweisend ist die Beobachtung, dass der
hochgradigste Stotterer nach wenigen Sitzun-
gen im Schlafe die vorgesprochenen Worte
und Sätze, selbst der schwierigsten Art, fast
fehlerlos nachspricht. Ich habe diese Er-
scheinung wiederholt verschiedenen Collegen
vorführen können, desgleichen einen voll-
ständig geheilten Stotterer.
Bronchial -Asthma sah ich in drei
Fällen wesentlich gebessert, und es war mir
besonders interessant zu beobachten, dass
hochgradige Dyspnoe jedes Mal in kürzester
Zeit gehoben, dass die Respiration sofort mit
Eintritt des Schlafes ruhig und tief wurde.
Die Wirkung der Suggestion bei Muskel-
Bheumati8mus,z.B. Lumbago undTorti-
collis, ist meist geradezu zauberhaft und
zwar nicht nur für den Augenblick, sondern
dauernd, wie ich es aus eigener Erfahrung
bestätigen kann, desgleichen bei Klavier-
spielerkrampf.
Doch es mag an diesen Beispielen ge-
nügen. Ich möchte mir nur noch einige Be-
merkungen über die Resultate der Suggestiv-
Behandlung bei Erkrankungen des Cen-
tralnervensystems, sowie über die päda-
gogische Bedeutung der Suggestion
erlauben.
Man sagt den französischen Autoren, ins-
besondere auch Bernheim nach, dass sie
behaupten, Erkrankungen des Centrain erven-
systems geheilt zu haben, und daraufhin
erklärt, dass dieselben es mit der Diagnose
nicht sehr genau genommen hätten. Dass
manche der mitgetheilten Fälle, z. B. die
von Fontan und S^gard mitgetheilten, in
Bezug auf Sorgfalt in der Diagnose berech-
tigte Zweifel erwecken müssen, gebe ich
bereitwillig zu; unbegreiflich ist es mir je-
doch, dass man die auf Heilung bezüglichen
Aeusserungen in der Weise auffassen kann,
wie es meist geschieht, und neuerdings so-
gar von Binswanger und Seeligmüller
geschehen ist, welche Bernheim vorwerfen,
er behaupte, organische Affectionen des
Centrain ervensystems in dem Sinne geheilt
zu haben, dass die organische Läsion sammt
ihren Folgen beseitigt worden sei. Dass
Bernheim seine Worte nicht in diesem
Sinne verstanden wissen will, geht doch un-
zweideutig aus folgenden Sätzen, welche sich
in der neuesten Auflage seines Werkes be-
finden, hervor:
„Die functionelle Störung in den Krank-
heiten des Centralnerven Systems überschreitet
oft das Gebiet der anatomischen Läsion,
d. h. strahlt oft durch Choc oder dynami-
schen Reiz auf die benachbarten Zonen aus.
Und gegen diesen veränderten Dynamismus,
welcher unabhängig ist von einer directen
materiellen Veränderung, ist die Psycho-
Therapie vielleicht allmächtig."
In welch' anderer Weise können wir uns
denn unsere durch Hydrotherapie, Elektrici-
tät u. s. f. in ähnlichen Fällen unzweifelhaft
zu erzielenden Erfolge erklären?
406
V. Corval, Zur Sugf astlT-Tliermple.
rbcrftpeatiMhe
Monatthefl«.
Auch Fontan und S^gard gehen von
ähnlichen Anschauungen aus, und es sind
diese beiden Autoren, wie auch Bern heim,
in der glücklichen Lage gewesen, wenigstens
in einem ihrer bezüglichen Fälle ihre Dia-
gnose durch Autopsie bestätigen zu können
(Revue de THypnotisme 1889, 2).
Was endlich die pädagogische Seite
der Suggestion betrifft, so bin ich selbst-
yerständlich weit entfernt davon, der allge-
meinen Verwendung derselben in diesem Sinne
das Wort zu reden, wenn wir auch zugeben
müssen, dass sie bereits, den Betreffenden
unbewusst, eine grosse Bolle in der Erzie-
hung spielt. Bei der notorischen, von mir
persönlich auch mehrfach beobachteten gün-
stigen Wirkung der Suggestion zur Beseiti-
gung schlechter Gewohnheiten, z. B. Onanie,
Enuresis noct. (selbstverständlich nur in
den geeigneten Fällen) dürfte es sich aber
doch empfehlen, auf diese Methode zurück-
zugreifen, wenn man sonst nicht zum Ziele
kommt. Ich habe in eigener Praxis einen
hochinteressanten hierher gehörigen Fall be-
obachtet, welchen mit wenigen Worten zu
skizzrren Sie mir noch gestatten mögen.
Ein dVsJäbriges, körperlich and geistig durch-
aus normal eutmckeltes Sand, hereditär nicht be-
belastet, seither sehr brav und folgsam, zeigt seit
etwa f/i Jahren eine ganz auffallende Veränderung
des Wesens: anhaltende Unruhe und Aufregung,
sehr ungehorsam, beantwortet jeden Befehl mit
Schreien und Strampfen, Iftsst sich nicht waschen
und ankleiden, wirft sich, in^s Bett gelegt, stunden-
lang hin und her. Da alle Erziehungsversuche in
Güte und Strenge durchaus vergeblich blieben, und
ich auf beginnende Chorea schliessen zu müssen
glaubte, suggerirte ich dem Kinde Schlaf mit promp-
tem Erfolge und befahl dann Ruhe, Gehorsam, Ein-
schlafen zu bestimmter Stunde. Nach 8 Sitzungen
war das Kind nicht mehr wieder zu erkennen:
munter und doch gehorsam aufs Wort, schlief zur
bestimmten Stunde ein, unterzog sich willig den
Proceduren des Wasch ens und Ankleidens. Trat
späterhin wieder etwas vermehrte Unruhe ein, so
genügten 1 — 2 Sitzungen, um das Kind zu dem
liebenswürdigsten und folgsamsten zu machen.
Sie sehen also, meine Herren, dass auch
ich ein langes Register von krankhaften Zu-
ständen aufführen könnte, welche unter mei-
nen Augen und in eigener Praxis mit mehr
oder weniger günstigem Erfolge der Suggestiv-
Therapie unterworfen wurden. Ich will aber
damit durchaus nicht gesagt haben, dass
nun alle diese Zustände in gleicher Weise
behandelt werden sollten, dass wir nun ein
unfehlbares Mittel gegen derartige Erkran-
kungen gewonnen hätten. Ich möchte viel-
mehr schon an dieser Stelle erklären, dass
sich gewiss nicht alle in gleicher Weise zur
Suggestiv-Behandlung eignen, dass sich z. B.,
entgegen den allgemeinen Anschauungen,
höher entwickelte Formen von Hysterie und
Neurasthenie mit melancholischer Verstim-
mung als nichts weniger wie besonders gün-
stige Objecto darstellen, wenn man auch
namentlich bei ersteren gelegentlich gera-
dezu zauberhafte Wirkungen beobachtet.
Wetterstrand hat wahrscheinlich ganz
Recht, wenn er solche Fälle nach Möglich-
keit ausschliesst, weil bei denselben die
Hypnose erstens sehr oft nicht gelingt, da-
für aber hochgradige Erregung gesetzt wird,
und weil diese Patienten in Folge gewollter
oder ungewollter Autosuggestionen nur zu
häufig in völlig verkehrter Weise reagiren.
Auch Forel verlangt ein gesundes Gehirn.
Wir können somit auch die Charcot^schen
an 12, zu Experimenten geradezu dressir-
ten Schwei^Hysterischen gemachten Beob-
achtungen für die Suggestiv- Therapie in
keiner Weise verwerthen, ganz abgesehen
davon, dass es verschiedenen anderen Beob-
achtern niemals gelungen ist, die nach
Charcot in ganz gesetzmässiger Weise auf-
tretenden Erscheinungen in gleicher Weise
hervorzurufen.
Wir kommen damit zu der Frage, ob
wir berechtigt seien, die Suggestion thera-
peutisch zu verwerthen, ob die mit dersel-
ben möglicher Weise verbundenen Gefahren
die Anwendung eines in mancher Beziehung
noch nicht genügend erprobten Mittels
nicht verbiete. Es unterliegt keinem Zwei-
fel, dass mit der Hypnose viel Unfug ge-
trieben worden ist, dass die angestellten
Experimente manche recht' unangenehme
Folgen gehabt haben. Die Fälle jedoch,
wo das Suggestiv- Verfahren zu rein thera-
peutischen Zwecken, in milder Form ange-
wandt, wirklich Schaden gestiftet hat, sind
doch wohl zu zählen, und selbst die von
glaubwürdigen Autoren berichteten gestatten
immerhin einigen Zweifel, ob die später
beobachteten Erscheinungen wirklich der
Suggestion zuzuschreiben seien.
Wenn B ins wanger z. B. erzählt, dass
ein Mädchen, welches erblich stark be-
lastet, selbst noch keine hysterischen Er-
scheinungen gezeigt hatte, 6 Monate nach
einigen hypnotischen Sitzungen in Convul-
sionen verfallen sei, und noch längere Zeit
an rechtsseitiger Lähmung gelitten habe, so
wird doch die Frage erlaubt sein, wodurch
der Zusammenhang letzterer Erscheinungen
mit den 6 Monate vorher angestellten Hyp-
notisirungsversuchen bewiesen sei, ob die
Hysterie nicht bei diesem Mädchen ohne
Hypnose, gerade so gut wie bei ihrer
Schwester, welche niemals hypnotisirt worden
war, hätte zum Ausbruch kommen können.
Das zweite von Binswanger angeführte
HL Jahrgttiff. 1
September 1889J
V. C o r V a 1 , Zur Su|^g«ativ-Theraplet
407
Beispiel: Gontracturen an der rechten Hand
bei einem Torher schon notorisch hysteri-
schen 9 jahrigen Mädchen, wo die Hypno-
tisirung ausgesetzt werden musste, weil sich
Schlafsucht einstellte, spricht zunächst doch
entschieden für meine Behauptung, dass
sich Hysterische durchaus nicht besonders
für die SuggestiT-Therapie eignen. Wenn
B ins wanger endlich als Beweis für die
Gefahren der Suggestion den Fall von
Li^beault anführt, wo ein junger Mensch,
welchen er, um seine Macht zu zeigen,
stumm gemacht hatte, den anderen Morgen
sprachlos (wohl in Folge Ton Traum und
Autosuggestion) zu ihm eilte, so entnehme
ich diesem Beispiele nur, dass man als Arzt
niemals die Berechtigung habe, seinen Pa-
tienten etwas Schädliches, Unangeneh-
mes oder Widernatürliches zu sugge-
riren.
Ich bestreite selbstverständlich nicht,
dass trotz richtiger Auswahl der Patienten,
trotz aller Vorsicht gelegentlich auch ein
unangenehmes Ereigniss eintreten könne,
halte aber die Behauptung Binswanger^s,
dass man die Patienten künstlich hysterisch
mache, künstlich einen Blödsinn züchte, für
Tiel zu drastisch und in keiner Weise für
bewiesen.
In mehr wie 1300 Sitzungen habe ich
noch niemals irgend welche störende oder
auffallende Erscheinungen beobachtet. Die
Patienten zeigten äusserlich vollständig das
Bild des ruhigen, behaglichen Schlafes; Puls,
Respiration zeigten durchaus keine Verän-
derung, wenn man eine solche nicht eben
s^gg®^^ hatte. Das Erwachen geschah wie
sonst auch nach tiefem Schlafe auf einfachen
Befehl; es zeigten sich niemals Benommen-
heit , Kopfschmerz, Schwindel, wenn das
durchaus frische Erwachen suggerirt war.
Alle erklärten, sehr behaglich geschlafen und
keinerlei Unbehagen gefühlt zu haben, und
auch in späterer Zeit war durchaus keine
abnorme Erscheinung zu beobachten.
Ich muss also Wetterstrand vollen
Glauben schenken, wenn er mich versichert,
dass er in beinahe 40 000 Sitzungen auch
nicht ein einziges Mal irgend etwas Unan-
genehmes erlebt oder irgend welchen Nach-
theil in der Folge gesehen habe, glaube
aber freilich, dass er diese guten Resultate
seinem ausserordentlich vorsichtigen Vor-
gehen zu verdanken hat.
Wie steht es denn aber mit unseren
sonst üblichen Heilmethoden? Gebrauchen
wir das Chloroform nicht mehr, weil ge-
legentlich ein Todesfall dabei vorkommt?
Scheuen wir uns, Morphium-Injectionen zu
machen, trotzdem wir wissen, dass wir dabei
nur zu leicht riskiren, unsere Patienten zu
fast unheilbaren Morphinisten zu machen?
Wenden wir kein Cocain, Antifebrin, Anti-
pyrin, Salicylsäure u. dgl. an, trotzdem von
verschiedenen Seiten immer wieder neue und
sehr erhebliche Gesundheitsschädigungen ge-
meldet werden, und wir über die Art ihrer
Wirkung zum Theil nichts weniger wie zu-
verlässige Kenntniss haben? Wohin würden
wir überhaupt mit unserer Therapie gelan-
gen, wenn wir stets erst auf unanfechtbar
physiologisch begründete Erklärung unserer
Methode warten und der Empirie gar keine
Berechtigung zugestehen wollten?
Dass wir aber mit der Suggestiv-Therapie
therapeutische Erfolge erzielen, dürfte wohl
heute nicht mehr in Frage stehen; es
konnte sich nur darum handeln, ob diese
Erfolge nur vorübergehende oder auch
dauernde seien. Hier entscheidet nur die
eigene Erfahrung an einer grösseren Zahl
von Fällen; vorgefasste Meinungen und ge-
legentliche Misserfolge können nicht mit-
sprechen. Jedenfalls sind wir doch schon
so weit, dass wir sagen können: „Wir haben
das Recht und die Verpflichtung in geeig-
net scheinenden Fällen, dort wo die übliche
Therapie im Stiche gelassen hat, auch den
Versuch mit der Suggestiv-Therapie in vor-
sichtiger Weise zu machen^. Ich komme
auf diesen Punkt noch zum Schlüsse zurück
und möchte an dieser Stelle obigen Satz
nur noch dahin erweitem, dass wir heute
schon zuweilen in der Lage sind, die Sug-
gestion als ein zweifellos unschädlicheres
Mittel zu versuchen. Es steht fest, dass
wir mit derselben bei den schwersten Neur-
algien zum Mindesten vorübergehend glän-
zende Resultate erzielen, und erinnere ich
nur an den oben angeführten Fall des tabi-
schen Collegen. Hier, wo uns nur zu oft
kein Mittel wie die Morphium- Spritze übrig
bleibt, trotzdem dass wir fast mit Sicherheit
wissen, dass wir dieselbe nicht mehr aus
der Hand legen können, dürfte doch das
Suggestiv -Verfahren als das viel weniger
verderbliche den Vorzug verdienen. Des-
gleichen sind wir ohne Zweifel berechtigt,
in den seltenen Fällen, wo es gelingt, durch
Suggestion Unempflndlichkeit hervorzurufen,
bei kürzer währenden Operationen (Zahn-
extraction, Augenoperation u. dgl.) dieses
Mittel statt des Chloroform anzuwenden.
Fragen wir uns nun, welche Fälle für
die Suggestiv-Therapie geeignet erscheinen,
so müssen selbst die begeisterten Anhänger
derselben zugeben, dass, trotz der Fülle der
mitgetbeilten Beobachtungen, eine bestimmte
Antwort zur Zeit noch nicht gegeben werdeh
kann. Im Allgemeinen scheint das grosse
408
v.Corval, Zur Suggestlv-Therapie.
[Therapeatlsdie
Monatahefte.
Gebiet der functionellen Neurosen
hierher zu geboren, und wird die fortgesetzte
Beobachtung wahrscheinlich die Grenzen
der Wirksamkeit unseres Verfahrens genauer
bestimmen. Damit ist jedoch das Gebiet
gewiss noch nicht abgeschlossen, wenn wir
an die unzweifelhaft feststehende Tbatsache
denken, dass die Suggestion einen mehr oder
weniger deutlichen Einfiuss auf das Tasomo-
torische Centrum hat, wie die Beeinflussung
der Menses u. s. f. beweisen. Dabei gebe
ich bereitwillig zu, dass in manchen Fallen
die Hypnose auch nachtheilig wirken könne,
selbst wenn sie mit Vorsicht angewandt
wird; ich habe selbst bereits der Hysteri-
schen als durchaus nicht geeigneter Objecto
erwähnt. Es wird also der Zukunft, fort-
gesetzter, gewissenhafter, vorurtheilsloser
Prüfung anheimgestellt werden müssen, die
IndicatioDcn und Gontraindicationen genauer
festzustellen, und es scheint mir ganz be-
sonders Pflicht der Kliniker zu sein, die
ihnen zum Zweck genauer Beobachtung ge-
währten besonders günstigen Verhältnisse
auch nach dieser Richtung hin auszubeuten,
während andererseits wieder die Erfahrungen
der praktischen Aerzte, welche es mit einem
vielfach anders gearteten Materiale zu thun
haben, zur Vervollständigung des Resultates
beitragen müssen.
Ich erlaube mir nur noch zum Schlüsse,
mein Glaubensbekenntniss in Bezug auf die
Suggestiv-Therapie in wenige Sätze zusam-
menzufassen.
1 . Wir besitzen in der Suggestiv-Therapie
ein Heil- Verfahren, welches sich in vielen
Fällen theils palliativ, theils wirklich curativ
nützlich erweist.
2. Bei richtiger Auswahl der Fälle und
vorsichtigem Vorgehen, mit Vermeidung
aller Experimente und vor allen Dingen
jeder für den Zweck unnothiger, ja
schädlicher Suggestion, laufen wir in
keiner Weise Gefahr, Schaden zu stiften,
zum Mindesten nicht mehr, wie bei einer
ganzen Reihe anderer vielfach verwandter
Mittel.
3. Da die Sache noch zu neu ist, die
Indicationen und Gontraindicationen noch
nicht mit einiger Sicherheit festzustellen
sind, so empfiehlt es sich im Allgemeinen,
z nächst nur dort von dem Suggestiv-
Verfahren Gebrauch zu machen, wo die
sonst üblichen Mittel im Stiche ge-
lassen haben. Von dieser Regel sollen
wir nur abweichen, wo wir jetzt schon mit
Bestimmtheit sagen können, dass die Sug-
gestion weniger bedenklich sei als an-
dere gebräuchliche Mittel, z. B. statt der
Morphium-Injection bei hartnäckiger Neur-
algie, statt des Ghloroform, wo wir Anä-
sthesie zu erzeugen im Stande sind u. s.*'f.
4. Es ist höchst wünschenswerth, dass
die Suggestiv-Therapie in gleich ernster
Weise studirt werde, wie das bei anderen
Heilverfahren der Brauch ist. Dieses Stu-
dium sollte sich aber nicht mehr, wie
seither zum grössten Theile, auf das Her-
vorbringen mehr oder weniger interes-
santer Erscheinungen beschränken, son-
dern vorwiegend und in erster Reihe festzu-
stellen suchen, in welchen Fällen eine thera-
peutische Wirkung mit einiger Zuversicht
zu erwarten, in welchen von dem Verfahren
abzustehen sei. um jedoch reine und
brauchbare Beobachtungen zu erhalten,
sollte man hier, wo es sich um eine Wir-
kung vermittelst der Psyche handelt,
die bezüglichen Versuche nur in der Weise
anstellen, dass die Versuchsperson weder
eingeschüchtert und aufgeregt, noch zu
Schaustellungen ermuntert werde, d. h.
also nicht zum Zweck der Demonstra-
tion in einem Hör- oder Krankensaale, son-
dern in besonderem Zimmer vor 1 oder
höchstens 2 Zeugen.
5. Bei solchem Vorgehen, bei eifrigem
gemeinschaftlichem Bemühen der Kliniker
und der praktischen Aerzte zu dem ange-
deuteten rein praktischen Zwecke, bei Ver-
meiden sogenannter interessanter Experi-
mente, werden wir bald sicheren Boden
haben, und wird sich die Suggestiv-Therapie
nicht nur dem Heil schätze einfügen, sondern
zum Gemeingute aller Aerzte werden.
6. Damit wird aber auch der unbe-
fugten Anwendung dieses so wichtigen
und wirksamen Verfahrens ein Riegel vor-
geschoben sein, sobald der absichtlich ver-
breitete Nimbus des Wunderbaren ge-
fallen sein wird.
7. Zugleich aber wird es sich als un-
abweislich herausstellen, dass die Anwen-
dung eines so wirksamen Heilverfahrens
durch gesetzliche Bestimmung nur dem
Arzte gestattet werde. Das Verbot öffent-
licher Schaustellungen genügt in
keiner Weise, um dem mit der Hypnose
und der Suggestion getriebenen Missbrauche
zu steuern.
m. Jahrgang. "I
September 188»J
Rttter, Ueber die Perlneorrbaphie nacb Tait-Sän|^er.
409
Uebep
die Perlneorrhapliie nach Tait-S&ngrer.
Von
Dr. med. H. Rüier in Hamburg.
Nachdem ich seit dem 19. März dieses
Jahres 10 Mal nach der von Sänger in
No. 103 der Yo 1km an naschen Vorträge ge-
schilderten Methode stets mit ausgezeich-
netem Erfolge operirt habe, halte ich es für
eine Pflicht der Dankbarkeit gegen den,
der diese Lappen-Methode in Deutschland
zuerst yerständlich beschrieben und ausge-
bildet hat, auch meinen Theil dazu beizu-
tragen, das ärztliche Publikum auf diese
dankbare Operation aufmerksam zu machen.
Vor Allem glaube ich denjenigen Collegen
einen Dienst zu erweisen, die nicht oft in
die Lage kommen, Dämme wiederherstellen
zu müssen, da diese Methode am sichersten
Tor schwerem Lehrgeld bewahrt.
Lassen Sie mich jetzt erzählen, wie es
mir mit der besagten Operation erging.
Seit 4 Jahren verfolgte mich eine Frau
Hus dem Arbeiterstand e mit Klagen über
einen alten, vor 17 Jahren acquirirten, com-
pleten Dammriss. Vor 4 und vor 3 Jahren
machte ich vergebliche Versuche ihre Leiden
zu heilen. Beide Male machte ich die
Ad frischung genau nach den Vorschriften
He gar ^s, beide Male wandte ich versenkte
Catgutnähte an und vermied sorgfältig alle
Stichöffnungen im Mastdarm. Trotzdem
platzte nach der ersten Operation der ganze
Riss bei der ersten Stuhlentleerung; nach
der zweiten Operation bildete sich an dem
oberen Wundwinkel am 4. Tage die ge-
furchtete kleine Rectovaginalflstel, die durch
schnelle Vergrösserung bald die ganze Arbeit
zerstörte.
Auf diesem Wege weiter fortzufahren,
schien mir aussichtslos. Nach jedem Eingriff
hatte sich der Riss ungünstiger gestaltet.
Hierzu kam noch, dass ich durch eine kurze
Notiz von Paul F. Mund^ im September-
heft 1886 des Americ. Journal of obstetrics
auf eine neue Methode der Dammbildung
aufmerksam geworden war. Auf Seite 926
steht nämlich:
„We also saw Täit do an Operation for
complete laceration of the perineum, which
was certainly ingenious and original^ und
dann folgt die kurze, aber vollständige Be-
schreibung der Perineorrhaphie, wie sie
Sänger im November 1887 uns so meister-
haft geschildert hat.
Der dritte und Hauptgrund, der mich
aber von weiterem Operiren nach der alten
Schablone abhielt, war, dass die Patientin
in der nächsten Zeit nicht wieder kam und
mir so Ruhe Hess, in Müsse praktisch und
theoretisch alle Wandlungen zu studiren,
die die Dammoperationen durchmachten.
Es dauerte bis zum März dieses Jahres,
dass sie wieder so viel Muth gesammelt
hatte, um sich einem neuen Eingriff zu
unterwerfen. Mein Plan war fertig. Keine
andere als die Tait- Sänger^ sehe Lappen-
methode schien mir gute Garantien für die
Heilung bieten zu können. Ein Punkt schien
mir aber wichtig: Wollte ich dieselben
günstigen Resultate wie Sänger haben, so
musste ich genau, bis in^s Kleinste genau,
so verfahren wie er selber. Ich schrieb
deshalb nach Leipzig, ob es möglich wäre,
einer Operation beizuwohnen. Einige Tage
darauf hatte ich schon die Einladung dazu
in Händen und am 7. März das Glück, von
Sänger^ s eigener Hand einen completen
Riss und von seinem Assistenten Herrn
Dr. Hey der einen incompleten operiren zu
sehen. Beiden Herren wiederhole ich an
dieser Stelle meinen ihnen mündlich abge-
statteten Dank für alle ihre Liebenswürdig-
keiten.
Sänger lagerte seine Patientin, in Steiss-
Rückenlage durch seine Beinhalter flxirt,
auf das Perineal-Pad von Howard A. Kelly,
Philadelphia. Es ist das eine Gummiunter-
lage, welche die überflüssige Verunreinigung
und Durchnässung des Kranken mit Sicher-
heit verhütet und auf die ich die Herren
Collegen aufmerksam mache. Nach der
üblichen Reinigung, Einlegen eines Tampons
ins Rectum, führte der Operateur sofort Zeige-
und Mittelfinger der linken Hand, mit der
Volarfläche gegen das Septum recto-vaginale
gewendet, in den Mastdarm. Diese beiden
Finger blieben nun während der Operation
an ihrem Platze, bis zum Verschluss der
Wunde, und sie erschienen mir recht als
die Directoren des ganzen Unternehmens.
Mit Leichtigkeit holte er sich den nar-
bigen Saum des zerrissenen Septum, der bei
der Fettentwicklung der Patientin und dem
Substanzverluste ziemlich tief lag, hervor
und machte ihn dem Messer zugänglich.
Mit einigen Zügen trennte er die Scheide-
wand in einen rectalen und einen vaginalen
Lappen, spaltete die Gewebe rechts und
links nach den Endpunkten der kleinen
Labien und ebenso nach denjenigen des
zerrissenen Sphincter ani zu. Die Wunde
erhielt so die Form eines dreiseitigen Pris-
mas, die Basis dem Operateur zugekehrt.
Die aus der Tiefe der beiden rechts und
links entstandenen Dreiecke kommende
Blutung wurde schnell mit Hilfe der im
Rectum liegenden Finger durch einige
52
410
RUteri üeber die Perlneorrhaphie nach Talt-Sflnger.
rlierapentistdie
Honatahefte.
Schieberpincetten gestillt. Bei dieser Form
der Wunde war ich gespannt, wie die Naht
mit der Peaslee' sehen Stielnadel ausfallen
würde. Ich hatte den Eindruck, dieselbe
müsse beim Heraushebeln der Gewebe un-
weigerlich abbrechen. Aber die beiden
Rectalßnger führten der Nadel die zu durch-
stechenden Gewebe entgegen und sie glitt
mit bewundernswürdiger Sicherheit schnell
hinter der Wundfläche durch. Nur beim
Ausstich war eine kleine Nachhilfe des
Assistenten nöthig, desselben, der die Nadel
mit dem Silberdraht armirte. Jedenfalls
haben Ton Rokitansky und von Wini-
warter nicht mit dieser rectalen Unter-
stützung der linken Hand genäht, sonst
würden Beide sich nicht abfällig über die
Peaslee'sche Nadel geäussert haben.
Nachdem so der wichtigste Theil der
Operation beendet, reinigte der Operateur
gründlichst seine linke Hand und machte
sich an das Zusammendrehen der Silber-
suturen. Voll Staunen sah ich Tor meinen
Augen den schönsten Damm entstehen. Es
waren bei der Operation des completen
Dammrisses eben 15 Minuten yerflossen und
Herr Dr. Sänger hatte in aller Müsse
operirt, um micli ja auf alle wichtigen Mo-
mente gehörig aufmerksam zu machen. Nach
gehöriger Kürzung der Drähte und Ver-
sicherung ihrer Enden mit durchbohrten
Schrotkörnern wurden durch den Scheiden-
lappen, sowie oberhalb des Anus noch
einige Seidennähte angelegt, um die Wunde
überall genau zu schliessen. Etwas Jodo-
form mit dem Pulverbläser auf die Wunde
geblasen, ein kleines Stückchen Jodoform-
gaze um die Drähte, als Schutz gegen In-
fection von Aussen, gewickelt und die Ope-
ration war beendet.
Den Eindruck hatte ich gleich, dass
dieser Damm heilen müsse I — Ich brannte
vor Begierde, das so eben Gelernte selbst
zu versuchen. Der Versuch gelang über-
raschend gut. Die mir assistirenden Herren
Colle^en waren erstaunt über die classische
Einfachheit des Verfahrens. Meine erste auf
diese Weise Operirte war überglücklich
darüber, dass sie endlich nach 17 Jahren,
nachdem zwei Mal vergebliche Versuche zu
ihrer Heilung gemacht waren, wieder Herr
ihres Sphincter ani geworden war. Nachher
operirte ich noch 9 Mal incomplete Damm-
risse nach dieser Methode. Bei allen war
der Erfolg ausnahmslos gut, so dass ich
diese Lappen-Methode jedem Arzte nicht
dringend genug empfehlen kann, besonders,
sobald er in die Lage kommt, einen Damm
mit einem completen Riss restauriren zu
müssen. Bei den incompleten ist der Vor-
theil gegenüber andern Operationsweisen
nicht so augenfällig.
Einen guten Rath möchte ich aber
Jedem geben, der sich auf diesem Gebiete
versuchen und sich und seinen Patientinnen
Enttäuschungen ersparen will, der ist, nach
gründlichem Studium der Monographie von
Sänger sich nach Leipzig zu begeben und
sich an der Quelle die Operation anzusehen.
Meine alte
vielfach bew&hrte Mastdarm -Elektrode,
insbesondere gegen Prostata -Ijeiden.
Von
Dr. Theodor Clement in Frankfurt a. M.
In dem dritten Jahrgang Heft 6 dieser
Zeitschrift veröffentlicht der Elektrothera-
peute Hünerfauth in Bad Homburg eine
neue Mastdarm-Elektrode und nehme ich
bei dieser Gelegenheit eines meiner vielen
elektrotherapeutischen Instrumente in die
Hand, welches mir nun bereits seit vierzig
Jahren nicht nur wesentliche Dienste ge-
leistet hat, sondern geradezu in schweren
und schwersten Prostata-Leiden unerwar-
tete Erfolge gewährte. — Ich habe bereits
in meinem Werke „über die Heilwirkungen
der Elektricität" ^) darauf hingewiesen, in
wie vielen und ernsten Fällen die von mir
zuerst angewandten elektrischen Elystiere
und Mastdarm-Elektroden und Spiralsonden
zur Wirkung gebracht werden sollen. Ich
citire deshalb einfach folgende Anmerkung
meines Werkes über Heilelektricität pag.90,
um meinen längst behaupteten Standpunkt
in dieser Frage zu beleuchten und in £i^
innerung zu rufen. — „Diese elektrischen
Elystiere kann ich bei Trägheit des Mast-
darms nicht genug empfehlen. Bei Darm-
einklemmungen , Darmverschlingungen und
Darmein Schiebungen können sie aber ge-
radezu als Lebensretter auftreten, weil kein
Mittel so rasch und unmittelbar eine so
allgemeine Darmbewegung, und zwar vom
Mastdarm aus, hervo):zubringen im Stande
^) „lieber die Heilwirkungen der Elektricitat
und deren erfolcreicbe methodische Anwendung in
verschiedenen Krankheiten*^ von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt am Main (mit neuen Eupfer-
tafeln). Frankfurt am Main, Verlag von Franz
Benjamin Auffarth, 1876 — 1879, pag.90 etc.
Ferner ebendaselbst pag. 479: „Die elektrische
Behandlung der Kramp fcoliken, Leibschmerzen,
sowie hartnäckiger Stuhlverstopfungen und colli-
quativer Diarrhöen durch elektrische Ströme.*'
lU. Jahrgang. *1
September 1889 J
Clemens, Vielfach bewfihrte Maitdarm-Elektrode gegen Prostata-Leiden.
411
a
ist. "Wird das Leiden hoher oben in dem
Darmkanal vermuthet, so macht man meh-
rere Einspritzungen yon Salzwasser hinter-
einander, oder man bringt lange Sonden
(Schlund Sonden) mit der Spritze in leitende
Verbindung. Bei der elek-
trischen Behandlung der
Krankheiten des Darmka-
nals werde ich noch mehr
von dieser Methode spre-
chen." —
Die nun hier beschrie-
bene und in ^/s natürlicher
Grösse gezeichnete Mast-
darm-Elektrode verbindet
ganz einfach die Injec*-
tions-Spritze mit der Elek-
trode, und können auf
diese Weise zugleich mit
den verschiedenen elektri-
schen Strömen beliebige
Medicamente zur Anwen-
dung kommen. Wird die
Spritze, z. B. mit Jodsalz-
wasser gefüllt und die Elek-
trode (a) ganz (wenn nöthig
bis zur Spritze) in den
Mastdarm eingeführt, so kann man nach
einigen Minuten die Spritze (b) während
der Stromschliessung in den Mastdarm ent-
leeren. Die Resorption der Injection im
Mastdarm erfolgt mit Hülfe elektrischer
Ströme erstaunlich schnell. An der auf-
geschlitzten Röhre (C) wird die Elektrode
an das Stativ gesteckt, worauf der nächste
Schieber die gespaltene Metallröhre fest-
klemmt. Den zweiten Pol kann man im
Nacken, auf dem Kreuz oder auf dem Mittel-
fleisch befestigen. Im letzteren Fall ist die
elektrische Jodsalzwirkung auf die kranke
Prostata durch Querströmung eine ebenso
rasche wie intensive. Wird die Elektrode (d)
an die Stelle von (a) gesetzt, so wird durch
den Druck der Elektrode (d) auf die Prostata
die Wirkung noch gesteigert. Ueberhaupt
kann man auf dieInjections-Spritze (b) jede be-
liebige Elektrode zur Mastdarm-Behandlung
stecken und ebenso die von der Spritze ab-
genommenen Elektroden auch ohne Spritze
verwenden, da der Hals aller Elektroden
nicht nur auf die Injections-Spritze, sondern
auch zugleich auf das Stativ passt.
In frischen Fällen sind die Heilwirkun-
gen dieser meiner elektrisch-medicamentösen
Behandlungsmethode der Prostata -Leiden
manchmal erstaunlich, namentlich was das
Schwinden der oft so peinlichen Schmerzen
betrifft. So habe ich z. B. bei einem älte-
ren Manne, wo bei geringer Prostata-
Schwellung die Schmerzen einer nächtlichen
Pollution so heftig waren, dass Patient in
einem solchen Falle aus dem Bette sprang
und sofort kalte Aufschläge auf das Peri-
näum und kalte Wasser - Einspritzungen
machen musste, das ganze Leiden in vier
Wochen vollkommen geheilt, bei einer täg-
lichen Mastdarm -Sitzung mit elektrischer
Jodsalzwasser-Injection mittelst der beschrie-
benen Elektrode.
Neuere Arzneimittel.
(Aus dem pharmakolog^chen Institut in Greiftwald.)
Ueber die
fftulnisswidrigre WIrkungr der Flusssfture.
Von
Dr. C. Qottbrecht, pract. Arzt in Colberg.
Die in neuerer Zeit vielfach besprochene
Frage, welchen Werth die Flusssäure für
die Therapie der Lungentuberculose besitzt,
hat mehrfach Veranlassung gegeben, die ge-
nannte Verbindung hinsichtlich ihrer thera-
peutischen Verwendbarkeit zu prüfen. Nach-
dem schon von Chevy in seiner Abhand-
lung: „de Tacide fluorhydrique et de son
emploi en th^rapeutique" Bull. g6n. de
Therap, 1885 Aoüt 15, p. 108 auf die filul-
nisswidrige Eigenschaft der Flusssäure hin-
gewiesen war, liegen jetzt von mehreren
Seiten klinische Beobachtungen vor, wonach
die therapeutische Anwendung der Flusssäure
in Form von Inhalationen den Verlauf der
Lungenphthise günstig zu beeinflussen scheint.
Weitere experimentelle Untersuchungen,
welche hier im Institut, sowie von Tap-
peiner in München vor Kurzem angestellt
wurden*), haben die Charakteristik der
^) Vergl. H. Schalz: Untersuchungen über die
Wirkung des Fluornatriums und der Flusssäure.
Arch. f. exp. Pathol. und Pharmakologie 1889,
XXV. Tappeiuer: Zur Kenntniss der Wirkung
des Fluornatriums, ebenda.
52*
412
Gottbrecht, Ueber die aulnisswldrlKe Wirkung der FlusMäure.
rrherapeatlaefae
L Monateheft«.
Flusssäure -wesentlich erweitert und insbe-
sondere die im hiesigen Institute angestell-
ten Versuche die Thatsache festgestellt, dass
eine mit Flusssäuredämpfen stark impragnirte
Atmosphäre nicht die bisher angenommene
grosse Schädlichkeit für den thierischen Or-
ganismus besitzt. Dagegen ist die Aetzkraft
einer ca. SOproc. Flusssäurelösung auf le-
bendes Gewebe bedeutend, wie ich nach
einem Selbstyersuch berichten kann. Ein
Tropfen einer solchen Losung auf die Haut
des Unterarms gebracht, verursacht gleich
darauf ein juckendes, leicht brennendes Ge-
fühl an der betreffenden Stelle. Reibt man
die Flüssigkeit in die Haut ein, so lost sich
die Epidermis los und rollt sich unter dem
Finger zusammen. Nach einiger Zeit be-
steht noch ein leicht brennendes Gefühl
ohne Jucken. Die betreffende Stelle sieht
weiss aus und fühlt sich trocken und etwas
hart an; in der Umgebung besteht leichte
Injectionsrothe. Nach zwei Tagen hatte
sich ein dunkler Schorf an der Aetzstelle
gebildet, auf Druck war geringe Schmerz-
haftigkeit vorhanden. Noch nach 4 Wochen
war die Stelle durch starke Rothung der
Haut deutlich erkennbar.
Im Anschluss an die oben angeführten
Untersuchungen beabsichtigte ich, die Gren-
zen der föulniss widrigen Kraft der Fluss-
säure experimentell festzustellen und dem-
nächst die Wirkung derselben auf die Tu-
berkelbacillen selbst zu untersuchen. Wäh-
rend ich an der Ausführung der letzteren
Arbeit durch äussere Verhältnisse zu meinem
Bedauern verhindert wurde, lasse ich meine
über die antiseptischen Eigenschaften der
Flusssäure gemachten Beobachtungen hier
folgen.
Versuch I.
Bei den Versuchen ging ich zunächst
von einfachen Verhältnissen aus. Da ich
zuerst die fäulnisswidrige Kraft der Fluss-
säure der gewohnlichen fauligen Zersetzung
organischer Materie gegenüber prüfen wollte,
stellte ich am 21. Nov. 1888, von einer
30proc. Flusssäurelösung ausgehend, Concen-
trationen von 5,0 — 2,5 — 1,0—0,5 — 0,25 und
0,1 Proc. her. Von den betreffenden Lo-
sungen wurden je 40 ccm in gut verschliess-
bare Gläser gefüllt, und gleich grosse Stücke
frischen rohen Rindfleisches hineingebracht.
Ein Controlansatz enthielt 40 ccm destillir-
tes Wasser. Die stärksten Concentrationen,
welche sich nach dem Einlegen der Fleisch-
stücke bald leicht trübten, bewirkten sofort
eine Quellung der äusseren Ränder und eine
hellere Färbung der Fleischstücke; bei den
schwächeren Concentrationen war der Far-
benton entsprechend dunkler.
22. Nov. 1888. 1. Der 5,0 proc. Ansatz
zeigt etwas feinkörnigen Bodensatz; die Lösung
ist sonst klar. Das Fleisch erscheint blass und
auf seiner Oberfläche wie mit einer feinen hell-
graaen Haut überzogen. Die Faserung des Flei-
sches ist deutlich erkennbar: der Gemch des
Ansatzes rein. In der Lösung findet geringe Gras-
entwicklung statt.
2. Der 2,5 proc. Ansatz zeigt dieselben
Veränderungen, wie der 5,0 proc, jedoch ohne
Gasentwicklung.
3. Beim 1,0 proc. Ansatz ist die Flüssig-
keit schwach trübe, etwas flockig zerfallenes Ge-
webe befindet sich am Boden, die Ränder des
Fleischstückes sind leicht gequollen.
4. Ansatz mit 0,5 Proc. Die Lösung ist
leicht getrübt, das Fleisch ist besonders an den
Rändern stark gequollen. Zahlreiche Krystallflitter,
aber keine Detritusmassen werden beim Umschüt^
teln der Lösung siebtbar..
5. Ansatz mit 0,25 Proc. Die Lösung
ist klarer als bei 1 Proc. Die Quellung an den
Rändern ist stärker als beim vorigen Ansatz. In
der Flüssigkeit sind zahlreiche glitzernde Krystall-
flitter suspendirt.
6. Ansatz mit 0,1 Proc. Die Lösung ist
leidlich klar, es befinden sich einige Krystallflitter
in derselben. Das Fleisch ist im Ganzen stark
gequollen. — Der Geruch aller sechs Ansätze
ist rein.
7. Controlansatz. Die Flüssigkeit ist
röthlich gefärbt. Am Boden befindet sich eine
geringe Menge Detritusmasse. Der Geruch ist rein.
Es werden am heutigen Tage von sämmt-
lichen Ansätzen Abimpfongen (I) auf sterilisirte
Gelatine gemacht. Die Oulturen werden bei Zim-
mertemperatur aufbewahrt. — Die Impfungen
wurden im Verlauf des Versuches in Zwischen-
räumen wiederholt, um festzustellen, bei welchen
Concentrationen und nach wie langer Zeit die
FäulniBs zuerst auftritt.
23. Nov. 1888. Die Beschaffenheit der An-
sätze ist heute ähnlich wie gestern. Die Fleisch-
stücke in dem 5,0 und 2,5 proc. Ansatz sind
etwas geschrumpft und hart geworden, sie sehen
aus wie gekocht. Bei dem Controlansatz allein
ist durch die Flüssigkeit etwas Blutfarbstoff aus-
gelangt. Der Ansatz riecht süsslich faulig.
Von den angelegten Culturen zeigen 5,0 und
2,5 Proc. im Verlauf des Impfstiches und auf der
Oberfläche der Gelatine eine Gerinnung, die auch
noch bei 1,0 Proc. angedeutet ist. Die Gerinnung
erscheint in einem hellgrauen Häutchen in der
Gelatine. Die übrigen Ansätze zeigen auf der Ge-
latine keine Veränderung.
24. Nov. 1888. Die Fleischstücke im 5,0
und 2,5 proc. Ansatz sind hart geworden und
klappern am Glase beim Umschütteln. Die Flüs-
sigkeiten sämmtlicher Ansätze haben sich nicht
merklich verändert; der Geruch ist überall rein.
Der Controlansatz ist vollständig faul. Von den
Culturen ist die Impfung vom Controlansatz deut-
lich angegangen; bei den übrigen ist keine Ver-
änderung zu bemerken.
25. Nov. 1888. Das Aussehen der Flusssäure-
ansätze hat sich seit gestern nicht verändert Der
Geruch ist überall rein.
m. Jahrgang. "]
Beptamber 1889.J
Gottbrecht, üeber die AulniMwldrli^e Wirkung der Flutsafture.
413
Von den Cultareo ist heute auch die von
dem O,lproc. Ansatz herrührende deutlich ange-
gangen. Die übrigen sind unverändert.
26. Nov. 1888. Keine Veränderung.
Von «dem 0,5 — 0,25 und O,lproc. Ansatz
werden zum zweiten Mal Controlimpfungen (II)
auf sterillsirte Gelatine gemacht.
27. Nov. 1888. In den ersten zwei Ans&tzen
von 5,0 und 2,5 Proc. sind die Fleischstücke,
wie schon bemerkt, geschrumpft. Bei den übrigen
nimmt die Quellung mit der Abnahme der Fluss-
säureconcentration zu. Die Lösungen sind durch-
weg klar; der Geruch ist überall rein.
Controlimpfnng I. Die Impfung vom 0,1 proc.
Ansatz ist weiter gewachsen. An der Impfstelle
vom 0,25 proc. Ansatz ist seit gestern ein steck-
nadelkopfgrosses graues Pünktchen sichtbar. Bei
den übrigen ist die Impfung bisher ohne Resultat
geblieben.
29. Nov. 1888. In der Beschaffenheit der
Ansätze hat sich nichts geändert.
Gontrolimpfung I. Das graue Pünktchen auf
der Gelatine vom 0,25 proc. Ansatz hat sich nicht
vergrössert.
Gontrolimpfung 11. Ist bisher resultatlos ver-
laufen.
1. Dec. 1888. Gontrolimpfung I. Die Impf-
stelle vom 0,25 proc. Ansatz zeigt nach wie vor
das beschriebene graue Pünktchen auf der Gber-
fläche der Gelatine. Da es sich seit dem 27. Nov.,
also innerhalb 4 Tagen, keine Spur vergrössert
hat, ist die Gultur als nicht angegangen zu be-
trachten.
In der gleichen Weise wie bisher werden
heut zum dritten Mal Abimpfungen vom 0,5 — 0,25
und 0,1 proc. Ansatz gemacht. (Gontrolim-
pfung ni.)
5. Dec. 1888. Beschaffenheit der Ansätze :
Das Anssehen der Fleischstücke hat sich nicht
verändert; von 0,1 proc. abwärts besteht Quellung.
In den starken Goncentrationen zeigt das Fleisch
auf der Oberfläche einen bläulichgrauen Farben-
ton. Die überall vorhandenen Detritusmassen sind
sehr gering; die Lösungen der 0,5 — 0,25 und
0,1 proc. Ansätze enthalten Krystallfütter.
Gontrolimpfung I. Nur die Gultur vom
0,1 proc. Ansatz ist weiter gewachsen.
Gontrolimpfung 11 und III sind ohne Erfolg
geblieben.
Die fortgesetzte BeobacbtuDg ergab, dass
die Fleischstücke in den stärkeren Losungen
sich abgesehen von den beschriebenen Ver-
änderungen in Bezug auf Farbe und Quel-
lung der Ränder unverändert erhielten. Es
ergiebt sich somit aus dem Versuch eine
nicht unbeträchtliche antiseptische Kraft der
Flusssäure. Interessant ist ferner die aus
den vorgenommenen Gontrolimpfungen sich
ergebende Thatsache, dass die erste dem
0,1 proc. Ansatz entnommene Abimpfung von
Erfolg, dagegen die von demselben Ansatz
mehrere Tage später bewirkte Abimpfung
ohne Resultat gewesen ist. Will man nicht
annehmen, dass die Flusssäure in diesem
Falle die Fäulnissbacillen direct getödtet
hat, so findet der Vorgang aus dem ange-
stellten Experiment in der Annahme seine
plausible Erklärung, dass die Flusssäure
ihren Nährboden, d. h. also das Muskelge-
webe in einer Weise verändert hat, dass
die Fäulnisskeime, der zu ihrer Entwicklung
nöthigen Bedingungen beraubt, allmählich
verkümmert und schliesslich zu Grunde ge-
gangen sind. Im Einklang mit dieser An-
nahme steht auch die Beobachtung, dass es
bei der ersten Abimpfung vom 0,25 proc.
Ansatz nur zur Entwicklung eines sehr un-
bedeutenden Fäulnissheerdes auf der Gela-
tine kam, der die einmal erreichte geringe
Ausdehnung nicht weiter überschritt, dass
aber die zweite Abimpfung von demselben
Ansatz ganz resultatlos verlief.
Versueh H.
Die zweite Frage, die zu beantworten
war, war die: Was leistet Flusssäure dann,
wenn absichtlich grossere Mengen faulender
Substanz auf einen, mit der Säure impräg-
nirten Nährboden gelangen?
Zur Beantwortung derselben wurden am
13. Dec. 1888 in weite Reagensgläser je
20 ccm Flusssäurelösung gefüllt in den ver-
schiedenen Goncentrationen von 0,5 — 0,26
—0,1—0,05 und 0,01 Proc. Ein Control-
ansatz .enthielt nur 20 ccm destillirten Was-
sers. Die Rohren wurden wie gewöhnlich
mit Watte verschlossen und durch längeres
Verweilen in einer Temperatur von 100®
sterilisirt. Sodann wurden in die einzelnen
Lösungen kleine, möglichst gleich grosse
Stücke von frischem rohen Rindfleisch ge-
bracht, die aus der Mitte eines grösseren
Stückes herausgeschnitten waren. Die An-
sätze wurden in den Brütofen gebracht, des-
sen Temperatur ständig auf 20® gehalten
wurde.
15. Dec. 1888. Die Ansätze sehen vollstän-
dig klar aus, die Fleischfarbe ist in den stärkeren
Goncentrationen etwas abgeblasst, die Gontouren
der Fleischstücke sind scharf erhalten, nirgends
ist Zerfall sichtbar. In dem Gontrolansatz ist die
Losung besonders in der Umgebung des Fleisch-
stückchens röthlich gefärbt.
16. Dec. 1888. Der Gontrolansatz zeigt eine
leichte Trübung, die Lösung der übrigen Ansätze
ist klar.
17. Dec. 1888. Es werden von den Ansät-
zen Abimpfungen auf sterilisirte Gelatine gemacht.
Nach drei Tagen, während welcher Zeit die Röhr-
chen sich in einer ständigen Temperatur von 20*^
im Brütofen befunden hatten, war noch nirgends
ein Erfolg der Impfung zu constatiren. Auch
die fortgesetzte Beobachtung ergab, dass keine
der angelegten Culturen angegangen war.
20. Dec. 1888. Das Aussehen der Ansätze
ist unverändert. In jeden derselben kommen
4 Tropfen eines faulenden, stark stinkenden
J
414
Gottbrecht, üeber die faulnlMwidiige Wirkung der PluMsäure.
[Therapentiaehe
Monatshefte.
Fleischansatzes. Die Aufbewahrung geschieht wie-
derum im Brütofen bei 20 o.
21. Dec. 1888. Die Lösungen sind bis auf
die des Controlansatzes, welche stark trübe ist
und sparsame Gasentwicklung zeigt, vollständig
klar. Der 0,01 proc. Ansatz hat direct über dem
Fleischstuckchen eine leichte wolkige Trübung,
nach Umschütteln verschwindet dieselbe indess
sofort und der Ansatz unterscheidet sich äusserlich
nicht nachweisbar von den übrigen.
22. Dec. 1888. Von sämmtlichen Ansätzen
wird eine zweite Abimpfung auf sterilisirte Nähr-
gclatine gemacht. Zugleich wird zur Controle für
das bei dem Versuche verwandte Fäulnissmaterial
eine Abimpfung direct von dem faulenden Fleisch-
ansatz auf Gelatine vorgenommen. Die Ansätze,
wie auch die angelegten Culturen werden von
jetzt ab bei Zimmertemperatur stehen gelassen.
Nach Verlauf längerer Zeit ergebt sich für die
Culturen und Ansätze folgender Befund.
a) Ansätze,
Die Lösung des 0,5 proc. Ansatzes ist voll-
ständig wasserhell und durchsichtig, ohne eine
Spur von Zerfallstheilen des Fleisches; dieses
selbst ist in seiner äusseren Structur gut erhalten
und nur an den Rändern in geringem Grade auf-
gequollen; der rothe Fleischfarbenton ist etwas
abgeblasst. Der 0,25 proc. Ansatz hat dasselbe*
Aussehen wie der 0,5 proc. Die Lösung des
0,1 proc. Ansatzes hat über dem Fleischstückchen
eine schwache wolkige Trübung; das Fleisch ist
an den Rändern in seiner Faserung etwas aufge-
lockert, hat aber keinen Zerfall erlitten. Die na-
türliche Fleischfarbe ist hier besser erhalten als
bei den vorigen Ansätzen. Die Lösung des
0,05 proc. Ansatzes ist besonders in den unteren
Schichten röthlich gefärbt. Beim Umschütteln
zeigen sich kleine Zerfallstheilchen, und der ganze
Ansatz wird leicht trübe. Das Aussehen des
Fleisches ist sonst gut erhalten. Die Lösung des
0,01 proc. Ansatzes ist im Ganzen etwas röthlich
gefärbt. Der Zerfall vom Rande des Fleisches ist
bedeutender als bei 0,05 proc. Auf der Oberfläche
der Lösung befinden sich Glasbläschen. Die Lö-
sung des Controlansatzes ist trübe, schmierig; der
Ansatz stinkt stark.
h) Culturen.
Die Cultur von dem Controlansatz und die
Controlcultur, welche von dem bei dem Versuche
verwandten Fäulnissmaterial angelegt war, sind an-
gegangen. Von den übrigen ist keine einzige
Cultur in der für die Entwicklung von Fäulniss-
bacillen typischen Weise ausgewachsen. Während
bei den meisten der Impfstich kaum mit blossem
Auge wahrnehmbar ist, bemerkt man an der vom
0,5 proc. Ansatz, also der stärksten Concentration
herrührenden Impfstelle auf der Oberfläche der
Gelatine einen kreisrunden, etwas erhabenen, mit
scharfen Rändern versehenen, milchig trüben Fleck.
Eine von diesem Fleck vorgenommene Abimpfung
war resultatlos und bestätigte somit die Annahme,
dass es sich nicht um das Vorhandensein einer
Fäulnisscultur, sondern um einen durch die Ein-
wirkung der Flusssäure auf die Eiweissgelatine
liervor gerufenen Gerin nungsprocess handelte.
lÖ. Jan. 1889. Es wird heute, also 20 Tage
nach der zweiten Controlimpfung am 21. Dec. 1888,
eine dritte Abimpfung von den Ansätzen in der
gleichen Weise auf Nährgelatine vorgenommen.
11. Jan. 1889. Die Cultur vom Controlan-
satz ist angegangen, die übrigen zeigen keine Spur
von Reaction auf der Gelatine. •
12. Jan. 1889. Die Controlcultur wächst
stark weiter, während die übrigen Culturen nicht
die geringste Veränderung in ihrem Verhalten dar-
bieten.
13. Jan. 1889. Bei der Cultur vom 0,5
und 0,25 proc. Ansatz bildet sich der bereits bei
der vorigen Controlimpfung beschriebene und von
den Ansätzen mit gleicher Concentration herrüh-
rende, milchig trübe Fleck in der Nähe des Impf-
stiches aus. Ein Weiterwachsen desselben wird
indess nirgends beobachtet.
18. Jan. 1889. Da sich heute nach weiteren
5 Tagen der gleiche Befund herausstellt, somit
keine der Impfungen von den Flusssäureansatzen
von Erfolg gewesen ist, wird der Versuch als ab-
geschlossen betrachtet.
Aus der Schilderung desselben tritt die
fäuloisswidrige Kraft der Flusssäure gleich-
falls deutlich zu Tage. Die Verhältnisse
waren durch die Art der Darstellung der
Ansätze in diesem Falle so gestellt, dass
jede der verschiedenen Losungen in ihrer
Wirksamkeit einem bekannten und jedesmal
nahezu gleichen Fäulnissquantum gegenüber
controlirt werden konnte. Die Controle ge-
schah durch Abimpfungen auf Gelatine,
welche von Zeit zu Zeit vorgenommen wur-
den. Es zeigte sich, dass keine einzige der
von den Flusssäureansatzen angelegten Cul-
turen anging, während die dem Controlan-
satz entnommene Cultur schnell und üppig
wuchs. Die zweite, nach mehreren Wochen
vorgenommene Controlimpfung ergab das-
selbe Resultat. Die Ansätze selbst hatten
während der mehr als vierwöchigen Ver-
suchsdauer ihr Aussehen nicht wesentlich
verändert.
Versuch HI.
Ein ähnliches Resultat, wie das aus dem
vorigen Versuch abgeleitete, hatte ein Ver-
such, welcher am 24. Nov. 1888 in der Art
gemacht war, dass Fleischjauche auf Gela-
tine von bestimmtem Flusssäuregehalt auf-
geimpft wurde. Bei diesem Versuch stellte
sich der Uebelstand heraus, dass bei der
nicht zu umgehenden Sterilisirung der An-
sätze die Flusssäure die Gelatine zum Theil
gerinnen Hess und die Losungen so trübte,
dass eine Controle der angelegten Culturen
erschwert oder unmöglich gemacht wurde.
Es konnten daher nur schwache Concentra-
tionen von Flusssäure, welche die Gelatine
leidlich klar Hessen, bei dem Versuche ver-
wandt werden.
Neben einem Controlansatz, der keine
Flusssäure enthielt, wurden zwei Ansätze
mit 0,1 und 0,05 proc. Flusssäure in der
IlL Jahrgang. 1
September 1889J
Gottbrecht, Ueber die fSLulnisswldrige Wirkung der Flusssäure.
415
Weise hergestellt, dass zu je 15 com Nähr-
gelatine 5 com entsprechend concentrirter
Flusssäure in Reagensgläser gefüllt wurden.
Die Röhrchen wurden mittelst Wattestopfens
verschlossen und sterilisirt. Die eingetretene
Trübung gestattete immerhin noch die ge-
naue Beobachtung der Fäulnissculturen,
welche nach dem Erstarren der Gelatine
angelegt wurden. Es zeigte sich, dass die
auf dem Controlansatz angelegte Cultur
schnell und gut aus wuchs und schon am
27. Kot., also nach drei Tagen, das typische
Bild einer Fäulnisscultur auf Gelatine bot.
Bei den andern beiden Ansätzen war auch
ein langsames Auswachsen der Gulturen zu
constatiren; das Bild war indess ein von
der Controlcultur wesentlich verschiedenes.
In der Nähe des Impfstiches hatte sich bei
beiden Ansätzen ein stecknadelkopfgrosses
hellgraues Pünktchen nach den ersten drei
Tagen herausgebildet. Dasselbe nahm bei
dem 0,05 proc. Ansatz in den nächsten Ta-
gen an Ausdehnung etwas zu, während es
sich beim 0,1 proc. Ansatz nicht augenfällig
änderte. Nach Verlauf von weiteren 8 Tagen
hatte sich der auf dem 0,05 proc. Ansatz
befindliche etwa lin sengrosse Herd durch-
aus nicht vergrössert. Es wurden daher am
5. Dec. 1888 von den verdächtigen Gela-
tinestellen beider Ansätze Abimpfungen auf
sterilisirte Gelatine gemacht. Die Beobach-
tung ergab indess auch hier, dass die Gul-
turen sich nicht entwickelten.
Die gewöhnliche Fleischfäulniss
kam also nicht zu Stande, wenn das
die Fleischstücke umspülende Wasser
0,1 proc. Fluorwasserstoffsäure ent-
hielt. Das Weiterwachsen von Jauche-
bacterien hörte auf, wenn sie auf
einen Nährboden gebracht wurden, der
0,1 — 0,05 Proc. der Säure enthielt.
Bemerken will ich noch, dass auch
Schimmel Vegetation durch Flusssäure einge-
schränkt wird. Fleisch, das in 0,5 Proc.
Salzsäure gelegt war, war' aus irgendwelchem
Grunde verschimmelt. Von demselben Fleisch
war ein anderes Stück in 0,5proc. Fluss-
säurelösung gebracht worden. Es wurde nun
ein beträchtlicher Theil der Schimmelmassen
aus dem Salzsäureansatz in das die Fluss-
säure enthaltende Gefäss übertragen, aber es
trat kein Weiterwachsen derselben ein, die
Schimmelfäden bildeten bald ein kleines,
graues Elümpchen, das auf dem Boden des
Ansatzes lag, ohne sich zu verändern, während
in dem entsprechenden Salzsäureansatz die
Schimmelvegetation in gewohnter Weise fort-
wucherte.
Therp^pentische Mittheilungeii ans Vereinen.
Dritter deutscher Gynäkologencongress
zu Freiburg, la. — 14. Juni 1889.
Originalbericht von R. Schaeffer (Berlin).
Zweiter Siizungstag.
Vor der Sitzung finden verschiedene De-
monstrationen statt; unter Anderem macht
Sänger (Leipzig) an einer ihm von Herrn
He gar zur Verfugung gestellten Kranken
eine Perineoplastik nach derLawson Tait^-
schen Methode. Im Anschluss daran hält er
seinen Vortrag über Lappenperineorrha-
phie. Er betont, dass die guteHeilung wesent-
lich auf der exacten Vereinigung der Haut
beruht. Das Gatgut sei bei allen plastischen
Operationen zu verwerfen, weil es zu schnell
resorbirt werde.
In der Discussion macht Eüstner
(Dorpat) darauf aufmerksam, dass die Damm-
risse fast alle auf einer Seite und nicht median
sitzen. Auf diesen schiefen Sitz des Risses
müssten alle Dammoperationen Rücksicht
nehmen; die Anfrischung müsste also schief
und nicht symmetrisch gemacht werden.
Freund (Strassburg) beschreibt eine ganz
neue Methode zur Heilung der Prolapse.
Mittelst eines halbmondförmigen Schnittes
in das hintere Scheidengewölbe eröffnet er
den Douglas. Die Methode beruht auf der
Ausschaltung (Verödung) des stark erweiter-
ten Douglas^schen Raumes. Hirschberg
(Stuttgart), Schatz (Rostock) und Hegar
stimmen darin überein, dass die Lawson Tait-
Sänger^sche Dammplastik zwar häufig recht
brauchbar, aber doch keine Panacee sei.
Behandlung der Ex trauter in Schwan-
gerschaft. Erster Referent J. Veit (Berlin).
Man muss unterscheiden zwischen Extra-
uterinschwangerschaften der ersten und der
letzten Monate. Erstere seien ausnahmslos
operirbar. Am häufigsten und wichtigsten sind
die Tubarschwangerschaften. Der Nachweis
einer primären abdominalen Gravidität ist
nicht erbracht, während Ovarialgraviditäten
416
Therapeutiiche Mittheilungen aus Vereinen.
rriMrapeiitiMlM
L MoiuUahefie.
allerdings Yorkommen. Die Diagnose ist oft
mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrschein-
lichkeit zu stellen. „Wenn neben dem Uterus
ein tubarer Tumor von reicher Gonsistenz
ohne Fluctuation und Spannung zu fühlen ist,
dann ist lebende Tubarschwangerschaft wahr-
scheinlich". Beim tubaren Abort wird der
Tumor von Woche zu Woche härter. Hinsicht-
lich der Therapie ist genau zu unterscheiden
zwischen : a. intactem (weiterwachsendem) Ei.
Als Heilmittel kommen in Betracht: l) die
Elektrolyse. Diese verwirft Y. vollständig.
2) die Morphiuminjection, die nachWinckeTs
Yersuchen zur Abtödtung des Eies sicher ge-
eignet ist. 3) Die Laparotomie. Dieselbe ist
— bei intactem Ei * — ungefährlich. V. hat
12 Fälle operirt und geheilt. In solchen
Fällen ist sie stets indicirt. Wenn es schon
zur Ruptur der Tube und zur intraperito-
nealen lebensbedrohenden Blutung gekommen
ist, so ist die Entscheidung, ob man operiren
solle, schwer. Hier müsse individualisirt
werden, je nachdem man einen die Bildung
der Haematocele vorbereitenden Tumor fühlt
oder nicht, b. beim tubaren Aborte kann
es sehr wohl noch zu einem Platzen des
Fruchtsackes kommen und somit zur Yer-
blutung. Daraus folge zunächst, dass die
Morphiuminjection noch lange nicht alle Ge-
fahr beseitigt. Wenn Blutung nach aussen
anhält und peritonitische Schmerzen vor-
handen sind, so liegt die Gefahr einer Ruptur
vor. Daher operire er in diesen Fällen stets,
während er in allen anderen Fällen abzu-
warten räth.
Als zweiter Referent spricht Werth
(Kiel) über die Behandlung der Extra-
uterin Schwangerschaften in der letzten
Hälfte. Bei aus getragener tubarer oder
abdomineller Schwangerschaft gab die Ope-
ration bis zum Jahre 1887 eine sehr schlechte
Prognose. Seitdem ist sie besser geworden.
Yon 9 operirten Müttern starben nur 2.
Der Grund der besseren Erfolge liegt in der
besseren Blutstillung der Placen tarsteile.
Weil diese sehr schwierig, so empfiehlt er,
nicht auf das eventuelle Absterben der Frucht
zu warten, sondern frühzeitige Laparotomie
bei lebendem Kinde. Wenn man den Frucht-
sack nicht mehr ganz exstirpiren kann, so
ist eine Bestreuung der Placentarstelle mit
einem Salicylsäure-Tanningemisch anzurathen ;
dasselbe verbindet die haemo statische mit
der antiseptischen Wirkung; die vaginale Ex-
stirpation ist im Allgemeinen zu verwerfen.
In der Discussion behauptet Ziegen-
speck (München) eine Tubarschwangerschaft
durch Massage geheilt zu haben, so dass
eine völlige Restitutio ad integrum einge-
treten wäre. Hermann Freund (Strass-
burg) und Schwarz (Halle) treten für Yeit's
Indicationsstellung lebhaft ein. Letzterer
verwirft die Morphiuminjection Winckel^s.
Olshausen (Berlin) macht auf die Schwierig-
keiten der Diagnose einer Tubarschwanger-
schaft aufmerksam. Namentlich sei auf die
Anamnese und fortbleibenden Menses sehr
wenig Gewicht zu legen. Er sei wieder-
holentlich Irrthumem ausgesetzt gewesen.
In seinem Yortrage über Becken-
ab sc esse schildert Wiedow (Freiburg) die
verschiedenen Operationsmethoden zur Er-
ö£fnung derselben. In der Discussion
räth Elischer (Budapest) dringend zur
frühzeitigen Eröffnung, da sonst sehr leicht
eine amyloide Nephritis sich einstellt. —
Wir übergehen die Yortrage von Yeit (zur
Lehre des Kaiserschnittes), sowie die von
Bumm, Leopold, Schatz, Baier,
Fromme 1 und Sänger, weil dieselben
zum Theil ein rein theoretisches, zum Theil
ein nur specialistisches Interesse darbieten.
Dritter Sitzungstag,
Münchmeyer (Dresden): Ueber die
Totalexstirpationen des Uterus an der
Dresdener Frauenklinik. In den letzten
5^/s Jahren sind an der Dresdener Klinik
110 vaginale üterusexstirpationen gemacht.
Die Ursache war: 80 mal Carcinom, (von
diesen sind 37 länger als ein Jahr recidiv-
frei); 17 mal Myom; 4 mal sehr grosser Prolaps;
5 mal schwere nervöse Erkrankungen; 3 mal
Ovarialsarkome. In 8 Fällen sind ausser
dem Uterus noch die Adnexa herausgenommen.
Die Mortalität dieser 110 Fälle betrug 6.
In der Discussion warnt Olshausen vor
verfrühter Statistik; noch nach 11 Jahren
könne ein Recidiv des Carcinoms eintreten.
He gar zieht die Castration bei Uterusmyom
als gefahrloser und leichter der Totalexstir-
pation vor.
Nach einem sehr interessanten Yor-
trage Döderlein^s (Leipzig): Ueber die
Bedeutung und Herkunft des Frucht-
wassers, spricht Dührssen (Berlin) über:
Blutungen post partum. Laut Statistik
erfolgen in Deutschland jährlich etwa 360
Todesfälle an Yerblutung post partum. Die
bisher angewandten Mittel zur Bekämpfung
der Uterusatonie, die bimanuelle Gompression,
die Injectionen von heissem Wasser und die
Einspritzung von Liquor ferri sind theils un-
wirksam, theils gefährlich. Die Tamponade
dagegen wirkt sehr sicher und zwar nicht
nur bei atonischen Blutungen, sondern auch
bei Gervixrissen. Ausserdem ist sie völlig
ungefährlich. Sie wird am besten mittelst
langer sterilisirter Jodoformgazestreifen, die
in fest verschlossener Kapsel aufbewahrt
HL Jahrgang, 1
Beptwnber 18S9.J
Theimpeuttidie Mittheilungen aus Vereinet.
417
werden, ausgeführt. Im Nothfalle kann man
auch ein Stück Bettlaken nehmen, welches
man durch Einlegen in kochendes Wasser
sich schnell sterilisirt. Discussion: 01s-
hausen hält die Tamponade für irrationell
und für höchst gefahrlich in den Händen
von Aerzten, welche der Antiseptik nicht ab-
solut Herr sind. Er sowohl wie Veit,
Fehling und Battlehner empfehlen die
bimanuelle Compression. Schae ff er (Berlin)
bestreitet, dass man alte Leinwand durch
kurzes Einlegen in kochendes Wasser sicher
sterilisiren könne. Do hm (Königsberg) hat
die Tamponade 5 mal mit gutem Erfolg an-
gewendet.
Schatz (Rostock) berichtet über seine
Versuche mit dem Seeale cornutum. Das-
selbe sei ein ausgezeichnetes Wehenmittel,
nur dürfe es nicht häufiger als alle Stunde
gegeben werden, sonst erzeuge es einen Tetanus
des Uterus. Ausserdem dürfe man es nur
geben, um die Wehen zu yermehren, nicht
um sie zu verstärken. Küstner empfiehlt
das Cor nutin als das zuverlässigste Seeale-
präparat; dasselbe sei jetzt in kleinen
sterilen Glasviolen im Handel, welche je
0,0025 g, d. h. eine einmalige Dosis enthalten.
Skutsch (Leipzig) empfiehlt bei doppel-
seitigem Hydrosalpinx statt der bisher
üblichen Exstirpation der Tuben die Sal-
pingo-Stomotomie, d. h. die Anlegung
einer Oefifnung in die geschlossene Tube,
damit die Möglichkeit einer späteren Con-
ception erhalten bleibe.
Battlehner (Karlsruhe) empfiehlt als
Desinficiens (besonders für Hebammen) die
Essigsäure. Dieselbe soll in 5^/o-Lösung ebenso
sicher wirken wie die Garbolsäure (?). Ausser-
dem sei sie absolut ungiftig und leicht be-
schaffbar, da der gewöhnliche Essig direct
dazu verwendet werden könne.
Küstner: Ueber Ventrofixatio uteri
bei Retroflexio. Die Trennung der peri-
metrischen Stränge geschieht am besten durch
den Paquelin, weil man dadurch der Blutimg
am besten Herr wird. Die nachherige Ventro-
fixatio sei dann erstens meist überflüssig;
zweitens aber ist sie darum zu verwerfen,
weil sie zu dauernder Neigung zum Abort
führt, denn der vom angeheftete Uterus kann
sich bei eintretender Schwangerschaft nicht
ausdehnen. Auch die übrigen Redner
(Frommel, Veit, Skutsch, Küstner,
Hegar) sind von dieser Operation nicht sehr
begeistert. Sänger und Leopold wollen
sie nicht ganz verwerfen. Letzterer empfiehlt
sie besonders dann, wenn die Frau aus dem
geschlechtsthätigen Alter bereits heraus ist.
Achtzehnter Congress der deutschen Gesellschaft
fQr Chirurgie zu Berlin, 24—28. April 1889.
(Oiiginalbericht.)
[Sehluss.J
Sitzung vom 26. April, Nachmittags,
Mikulicz (Königsberg): Weitere Er-
fahrungen über die operative Be-
handlung der Perforations-Peri-
tonitis.
Sämmtliche Fälle von Perforations-Peri-
tonitis kann man eintheilen in acut ver-
laufende septische und in progredient eitrig-
fibrinöse Perforations-Peritonitiden. Während
bei der ersten Form die Laparotomie voll-
kommen nutzlos sei, gestaltet sich bei der
zweiten Form die Prognose, wenn auch nicht
gerade günstig, so doch nicht hoffnungslos.
Hier ist daher eine Operation geradezu ge-
boten und zwar möglichst bald nach Beginn
der Erkrankung. Bei der Operation selbst
hat man ^ie natürliche Verlöthung der
Darmschlingen möglichst zu erhalten, da
durch dieselbe der weiter fortschreitenden
Eiterung am besten vorgebeugt werde. Die
einzelnen bereits bestehenden Eiterherde
sind aufs Sorgfältigste aufzusuchen und zu
entleeren. — Die Wahl des Antisepticums
sei von secundärer Bedeutung, da es haupt-
sächlich auf die Entfernung des Eiters an-
kommt, welche man eben so gut durch
physiologische Kochsalzlösung, wie durch
sehr dünne Sublimatlösungen erreichen kann.
Findet man die Perforationsstelle nicht so-
fort, so braucht man durchaus nicht ihr
Auffinden zu forciren, da derartige Perfo-
rationsstellen weit leichter und schneller
spontan heilen, als man bisher geglaubt
habe. — Im Uebrigen ist auf eine möglichst
geringe Darmperistaltik durch grosse Gaben
Opium, sowie möglichst sparsame Diät zu
achten.
In der sich an den Vortrag anschliessen-
den Discussion betont König die Wichtig-
keit eines möglichst sofortigen Eingriffes
nach der Verletzung, Die Prognose , die
sich mit jeder Stunde, die man verstreichen
lässt, verschlechtert, wird erfahrungsgemäss,
nach den übereinstimmenden Angaben meh-
rerer amerikanischer Chirurgen, absolut
schlecht, wenn zur Zeit des Eingriffes be-
reits 18 Stunden seit der Entstehung der
Perforation verflossen sind. "Wahl verwendet
für die Desinfection 3^/oige Borsäure. Zum
Schutze der Intestina verwendet er ein vier-
eckiges, einfach zusammengelegtes Calicot-
Jodoformtuch , welches durch die Wunde
hindurch unter die Bauchdecken geschoben
und hier mittelst 4 Nähten während der
Dauer der Operation befestigt wird.
53
418
Therapeutische Mltthellungeii aus Vereinen.
rTherapeatitche
L Monatshefte.
Sitzung vom 27, April^ Vormittage.
Hoffa (Würzburg): Zur Lehre Ton der
Sepsis.
Nach der Ansicht des Verf. ist der Tod
in Folge septischer lutoxication bedingt
durch ein Freiwerden von Fermenten im
Blute. — Die Mikroben dringen in die
weissen Blutkörperchen ein, lösen dieselben
auf und machen auf diese Weise die fibrin-
bildenden Fermente frei; so entstehen im
Blutstrom Gerinnungen und in Folge dessen
Embolien. — In andern Fällen indessen
handelt es sich um wirkliche Intoxication
durch sogenannte Toxine, Stoffwechselpro-
ducte der pathogenen oder der Faulniss-
bacterien. Dem Vortragenden ist es nun
gelungen, aus dem Körper von Kaninchen,
die an Kaninchensepticämie zu Grunde ge-
gangen waren, mittelst einer von Brieger
angegebenen Methode eine Verbindung von der
Formel Ca H7 N3 (= Methyl guanidin) zu iso-
liren. — In die Lymphbahnen gesunder
Kaninchen injicirt, erzeugt diese Verbindung
die Symptome der Kaninchensepticämie, so
dass nach Verf. diese Krankheit als Folge
der Giftwirkung dieses Toxins anzusehen ist.
— In gleicher Weise gelang es, aus Milz-
brandcadavem ein Toxin von der Consti-
tution C3 Hß Na zu isoliren. Beide Toxine
rufen, Fröschen injicirt, Unruhe, Convulsio-
nen etc. hervor. 0,2 g führen bereits nach
20 Minuten bei Kaninchen zum Tode.
Kitosato: Ueber einen Tetanuserreger.
Bekanntlich hat man den von Nicolaier
in Göttingen entdeckten Mikroben des Te-
tanus bisher noch nicht in Reinculturen
darstellen können. Dem Verf. ist dies nun
durch folgendes Verfahren gelungen: Die
unreinen Tetanusculturen wurden bei 36
bis 38° zu lebhaftem Wachsthum gebracht
und dann die Cultur plötzlich auf 80° C.
erhitzt. Hierdurch werden alle Bacillen ab-
getödtet, nur die Sporen der Tetanuserreger
bleiben keimfähig. Aus ihnen konnte man
Reinculturen gewinnen. — Weiterhin gab
Vortragender eine kurze Uebersicht über
die charakteristischen Eigenschaften des
Tetanusbacillus.
Schüller (Berlin): Laparotomie und
Excision des Wurmfortsatzes,
Bramann (Berlin): Zur Behandlung
der Schusswunden des Dünndarms
und Mesenteriums.
In einem Falle Schüller's, in welchem
die Symptome auf eine Darminvagination
hinwiesen, ergab sich nach Ausführung der
Laparotomie, dass es sich um eine Verlage-
rung des Wurmfortsatzes handelte. Nach
Excision desselben erfolgte Heilung per
primam inten tionem.
In der Bramann^ sehen Beobachtung
handelte es sich um einen Patienten, dem
eine Revolverkugel unterhalb des Rippen-
bogens in den Dünndarm und von hier aus
in einen Lendenwirbel gedrungen war. In
diesem Falle war ein natürlicher Verschluss
der Darm wand dadurch entstanden, dass sich
die Darmschleimhaut vor die Perforations-
öffnung gelegt hatte. — Eine Aufblähung
des Darmcanals behufs Auffinden der Perfo-
rationsstelle, ein Verfahren, welches bekannt-
lich vorzugsweise von amerikanischen Aerzten
empfohlen ist, wäre hier vollkommen un-
nütz gewesen, da das Gas unter einem viel
zu hohen Drucke hätte eingepumpt werden
müssen, um die natürliche Verschlussstelle
zu durchbrechen.
In der darauf folgenden Discussion wies
So ein (Basel) darauf hin, dass Natur und
Heilung der Darmwunden wesentlich durch
den Zustand bedingt werden, in welchem
sich der Darm zur Zeit der Verletzung ge-
rade befindet. — Esmarch empfahl die von
Bramann erwähnte Methode der Wasser-
stoffeinblasung dringend. Unter andern er-
wähnt er einen Fall, in welchem nach
leichter Auffindung von 8 Schussperforations-
stellen des Darmes die Anfüllung mit Gas
und „Ableuchtung" noch eine neunte Perfo-
ration sstelle zu Tage förderte.
Nackmittagssitzung.
Kümmel (Hamburg): Die operative
Behandlung der Urinretention bei
Prostatahypertrophie.
Vortragender befürwortet in üeberein-
stimmung mit andern Autoren eine energische
chirurgische Behandlung der Prostatahyper-
trophie, besonders derjenigen Formen, welche
mit Urinretention einhergehen. Während
alle andern Behandlungsmethoden hier nicht
dauernd Besserung schaffen, ist es ihm ge-
lungen, in* 6 Fällen radicale Besserung da-
durch zu erzielen, dass er sämmtliche Theile
der Prostata, soweit sie in das Blaseninnere
hineinragten, sei es durch die Sectio alta,
oder durch Boutonniere entfernte, die Blasen-
schleimhaut durch fleissige Irrigationen in
einen relativ normalen Zustand versetzte
und schliesslich den Muskeltonus durch
Strychnin - Injectionen wieder herzustellen
suchte.
Im Gegensatz zu den Ausfuhrungen K.^8
glaubt So ein, dass man in derartigen Fällen
nach Beseitigung des Blasenkatarrhs sämmt-
liche durch die vergrösserte Prostata ver-
ursachten Beschwerden auch ohne Operation
beseitigen könne. — Thiersch mahnt be-
züglich der Operation gleichfalls zur Vor-
sicht, da nach Exstirpation grösserer Partien
in. Jahrganir. 1
September 1889. J
Therapeutltctie Mitthelluni^en aus Vereinen.
419
der Prostata die Gefahr einer BlaBeninconti-.
nenz vorliegt.
Lohnstein (Berlin).
Gesellschaft der Aerzte in Wien.
(Sitzung votn 31, Mai 1889.)
Herr Dr. Frey: Ueber die practische
Bedeutung des Hypnotismus.
Der Hypnose sei eine grosse Heilwirkung
auf den menschlichen Organismus zuzuschrei-
ben. Man dürfe sich derselben nicht zu
skeptisch entgegenstellen.
Herr Dr. Anton. Man thue besser,
sich skeptisch dem Hypnotismus gegenüber
zu Terh alten. Alle die angeführten Kranken-
geschichte a seien durchaus nicht beweisend.
Mit demselben Rechte konnte man Kranken-
geschichten citiren, welche die Heilbarkeit
TonLourdes und an derer Wunder orte beweisen.
(Wien, med, Wochenschr. 1889 No. 23.) B.
Societe medico-psychologique (Paris).
(Sitzung vom 28, Januar 1889,)
Dr. Pachoud und Dr. Ciaret (Cery)
senden einen Bericht über- die Wirkung des
Sulfonal bei Geisteskranken. Derselbe
enthält folgendes Resum^: Durch Gebrauch
von Sulfonal werden maniakalische Er-
regungszustände leicht zum Schwinden
gebracht. Desgleichen zeigt das Mittel sich
nützlich bei der Schlaflosigkeit der
Melancholischen und bei „nervöser Agryp-
nie". — Der Schlaf ist ruhig und stärkend;
er gleicht dem tiefen Schlaf der Kinder und
hält durchschnittlich 4 — 5 Stunden an. Nach
dem Erwachen keine unangenehme Empfin-
dung. Seitens der Verdauung und des
Respirations- und Circulationsapparates sind
keine Störungen beobachtet worden. Die
Dosis von 1,0 giebt unzuverlässige Resul-
tate, während 2,0 den Geisteskranken nach
einer halben Stunde beruhigt und ihm nach
einer oder l*/j Stunden Schlaf bringt. Es
konnten 5,0 in 2 Malen innerhalb 24 Stun-
den ohne Störung genommen werden.
Gegenwärtig werden 3,0 pro dosi gege-
ben und bis 6,0 pro die gestiegen. — Die
Verfasser halten das Sulfonal für eine Be-
reicherung des hypnotischen Arzneischatzes.
Seiner ausgedehnteren Anwendung in Irren-
anstalten steht nur sein noch immer ver-
bal tnissmässig hoher Preis entgegen.
Herr A. Voisin ist gleichfalls mit der
Anwendung des Sulfonals zufrieden. Er hat
häufig schon 1,0 wirksam gefunden.
Herr S^glas hat nur ein einziges Mal
Sulfonal bei Melancholie versucht, um mit
den Schlafmitteln abzuwechseln. Dabei hat
er keinen Erfolg gehabt, während Morphin
schnell Schlaf herbeiführte. Ausserdem hat
er unangenehme Schwindel zustände nach Sul-
fonal beobachtet.
(Annähe nUd. peycholog, 1889 No, 2,) R,
Societe de Biologie (Paris).
(Sitzung vom 4. Mai 1889,)
Herr Dr. Lemoine (Lille): Ueber
Pyrodin.
Vortr. hält das Pyrodin für ein wirk-
sames Antipyreticum, das er besonders bei
Tuberculosen mit gutem Erfolge angewandt
hat. In Gaben von 0,05 setzt P. die Tem-
peratur rasch herab. Dieselbe fällt nach
kaum einer Stunde um 1 bis l^a Grad. Es
'genügt, den fiebernden Phthisikern diese
Dosis nur einmal täglich zu reichen, wenn
ihre Temperatur in den Grenzen von 37,0
bis 37^ erhalten bleiben soll. Auch nach
dem Aussetzen des Mittels pflegt als-
dann die Körperwärme noch mehrere Tage
normal zu bleiben. — Ausserdem besitzt
das Pyrodin noch eine schmerzstillende
"Wirkung. Die Neuralgien, die Schulter-
schmerzen, die Magenbeschwerden (welche
bei Tuberculosen so häufig vorkommen),
schwinden schnell. Die N ach tsch weisse wer-
den günstig beeinflusst, der Schlaf wird ruhig
und fest. Migräne wird durch Pyrodin
schneller coupirt als durch Antipyrin. —
In stärkeren Dosen ist Pyrodin toxisch, und
L. räth nicht höher zu gehen als bis zu
0,1 — 0,15 an einem Tage. Mit 0,25 treten
bedenkliche Symptome ein, ähnlich wie bei
Antipyrin Vergiftung: Cyanose des Gesichts
und der Extremitäten-, Kälte des ganzen
Körpers , Temperaturherabsetzung , starke
Schweisse und CoUaps. Manche Individuen
sind dem Mittel gegenüber äusserst empfind-
lich, daher Vorsicht bei seiner Anwendung!
(La Semaine mid. 1889 No. 19.) R,
Societe de Chirurgie (Paris).
{Sitzung vom 8, Mai 1889,)
HerrMonod: Ueber Gangrän der Finger
durch Carbollösungen.
M. demonstrirt den Wachsabguss eines
brandigen Fingers von einer Frau, die ihren
Finger zu lange in einer sehr concentrirten
Garbo Isäurelösung gelassen hatte. Die gan-
gränöse Partie zeigt eine schwarze Ver-
färbung.
Kirmisson, Terrier, Qu^nu, Nicaise
und Le Den tu berichten über ähnliche
unangenehme Erfahrungen.
(Le Progres med, No. 19 1889,)
R.
53*
420
Therapeutiiche MitthaUungen aus Vereinen.
L Monatshefte.
Academie de Medecine (Paris).
(Sitzung am 14, und 21. Mai 1889.)
Herr Worms: üeber Diabetes mit laog-
samem Verlauf imd seine Behand-
lung,
Die oben erwähnte Form des Diabetes
ist die am häufigsten Yorkommende. W. be-
richtet über 41 derartige Fälle, die er in
den letzten 25 Jahren genau beobachtet hat.
12 davon sind 20 — 12 Jahre nach der ersten
Constatirung des Diabetes an verschieden en
Zwischenföllen zu Grunde gegangen. Von
den 29 noch Lebenden leiden 19 Personen
an Diabetes seit 25, 18, 16, 14, 13 und
12 Jahren. Von den Theorien, die bezüg-
lich der Pathogenese des Leidens gegen-
wärtig bekannt sind, findet nach W. keine
einzige ihre Bestätigung in der klinischen
Beobachtung. Es handelt sich um ein ge-
wissermassen personliches , proteusartiges
Uebel, das aus einer Menge der verschie-
densten Ursachen hervorgehen kann. Man
soll niemals den diabetischen Menschen mit
einem Thiere, das im Laboratorium künstlich
diabetisch gemacht worden, in Vergleich
bringen. — Durst, Polyurie, Abmagerung,
Alteration der Zähne fehlen oft während
der ganzen Dauer der Krankheit; diese
Symptome sind also nicht charakteristisch.
— Die Unterscheidung zwischen chemischer
Glykosurie und Diabetes mellitus ist nicht
gerechtfertigt. Häufige Urinuntersuchungen
zeigten eigen thümliche Schwankungen des
Zuckergehaltes. Man findet zuweilen 50 g
am Morgen, 5 g Abends und am folgenden
Tage 15 g. — Die ' Behandlung hat in
erster Linie die Aufgabe, für die Erhaltung
der Korperkräfte und für die Integrität der
Verdauungsorgane zu sorgen. Eine grosse
Rolle spielt auch die innere Ruhe (le calme
morale). Kächstdem kommt der Diät eine
hervorragende Bedeutung zu. Die Mineral-
wässer von Vals, Bourboule, Royat,
Vittel etc., sowie die Hydrotherapie leisten
zuweilen grosse Dienste. — Was die soge-
nannten antidiabetischen Medicamente betrifft,
so sollen nur diejenigen in Anwendung
kommen, die auch lange vertragen werden.
Mit Chininum sulfuricum in Tages-
dosen von 0,2 — 0,3 hat W. gute Resultate
erzielt. Arsen und Opium sind gleich-
falls gute Mittel, doch müssen sie zu oft
ausgesetzt werden und, was gewonnen, ist
schnell wieder verloren. — Antipyrin setzt
schnell die Zuckermenge herab, aber, abge-
sehen davon, dass es die Verdauungsorgane
beeinträchtigt, verursacht es Albuminurie und
erzeugt so eine Gefahr, die grosser ist als
diejenige, die es bekämpfen soll. Brom-
kalium hat nur ungünstige Wirkungen her-
vorgebracht.
Herr Duj ardin -Beaumetz macht einen
Unterschied zwischen Glykosurie als Symptom
und Diabetes als Krankheit. Letzterer
bietet 3 Formen dar: eine gutartige und
leichte Form, ferner eine langsame und
mittlere und schliesslich eine schwere
Form. Die Prognose richtet sich nicht
nach der täglich ausgeschiedenen Zucker-
menge, sondern nach den Erfolgen der ein-
geführten Nahrung. Auf letztere ist die
grosste Rücksicht zu nehmen. Vortr. ver-
bietet die Milch, erlaubt für jede Mahlzeit
100 g mit Wasser zubereitete Kartoffeln.
Er gestattet ferner Soya-Brod, fette Speisen
und gesalzenes Fleisch. Die Getränke
süsst er mit Saccharin (bis 0,10 als höchste
Tagesdosis). Kaffee und Thee sollen die
alkoholischen Getränke ersetzen. Zu dieser
Diät fügt er noch Arzneimittel, die auf die
Medulla wirken (Kai. bromat., Exalgin,
Antipyrin). Auch die Muskelübungen sind
von grossem Nutzen.
Herr G. S6e: Der Urin enthält bereits
im normalen Zustande Zucker. Von der
normalen, permanenten Glykosurie zum
Diabetes ist nur ein Schritt, und dieser
Schritt ist gethan, sobald die Lebercircula-
tion durch das vasomotorische System der
Leber oder unter dem Einfluss einer Reizung
des verlängerten Marks oder anderer nervöser
Centren alterirt ist. Daher muss das Nerven-
system behandelt werden und man nützt,
indem man Antipyrin verabreicht.
Herr A. Robin tritt der Anschauung des
Vorredners bei.
(L« Progr^t mdd. No. 20 vnd 21 1889.) IL
Referate.
Zur Behandlung der Lungenphthise durch Creosot.
Von Beverley Robinson.
Den Mechanismus der Wirkung des Creo-
sot sucht R. nicht in seiner local antisep-
tischen Wirksamkeit, denn das Medicament
vermag in einer 1 : 1000 Lösung nicht den
Tuberkelbacillus zu zerstören, sondern in
seiner die Bildung von Narbengewebe be-
m. Jahrgang 1
September 1889.J
Referat«.
421
fördernden Wirkung. Gleichzeitig scheint
das Medicament — wie, weiss Verf. aller-
dings nicht anzugeben — das Allgemein-
befinden zu heben. Allerdings muss man
fiich, um einigermaassen sichere Erfolge zu
erzielen, der reinen von Morson, oder Ton
Merk dargestellten Präparate bedienen. Im
Allgemeinen rath Verf. häufige, aber kleine
Dosen zu appliciren. — Am meisten hat sich
die Combi nirte interne wie die äussere externe,
mittelst Inhalation erfolgende Application
des Medicamentes bewährt. — Im Allge-
meinen hat auch Yerf. den Eindruck ge-
wonnen, dass das Medicament in der The-
rapie der Phthisis pulmonum yon ausseror-
dentlicher Wirksamkeit ist. — Nicht nur
die örtlichen Symptome lassen unter seiner
Anwendung nach, sondern auch das Allge-
meinbefinden bessert sich, die Nachtschweisse
hören auf, und das Körpergewicht nimmt
erheblich zu. Giebt man das Medicament
in nicht zu hohen Dosen, so macht es nach
den Tom Verf. beobachteten Fällen auch
keinerlei Magenbeschwerden. Die Beobach-
tungen Verf. 's bilden somit eine vollkom-
mene Bestätigung der yon deutschen Autoren
gemachten Angaben.
{Americ Jaum, of Mtdical Sciences ; Occidental Med.
Times, 1889 Mai,) Lohnstein.
(Au der ddrarglachen Abtheilang des Primararztes
Dr. F. Schopf Im Bezlrkskrankenhanse za Sechshaas.)
Zur Therapie der Localtuberculose mit Perubal-
sam. Von Dr. St. v. VÄmossy, Secundar-
arzt I. Gl. an der geDannten Abuieilimg.
Bekanntlich haben tuberculöse Heerde
wenig Neigung zu vernarben, sondern zeigen
vielmehr in den weitaus meisten Fällen
einen progredienten Charakter, werden zu
fistulösen Geschwüreu, chron. Abscessen,
Cavernen u. s. w. Der Grund dieser Eigen-
thümlichkeit ist nach Lau der er ^s Ansicht
in der überaus geringen entzündlichen Reac-
tion in und um tuberculöse Heerde zu su-
chen, welche doch wohl als ein zur Beseiti-
gung der schädlichen Einwirkung des Ent-
zündungserregers dienender, zweckmässiger
Vorgang, also gewissermassen als eine Ab-
wehr der Natur gegen die dem Organismus
feindlichen Elemente erblickt werden muss.
Da nun genügende Thatsachen bekannt sind,
wie die Fälle, in denen ein Erysipel über
einen Lupus hinweggeht oder in denen ein
torpides Geschwür oder eine schwach gra-
nulirende Wunde von einem Erysipel ergrif-
fen wird, Fälle, welche beweisen, dass
durch Anfachen einer Entzündung torpide,
schwer heilende Ulcerationen zur raschen
Vemarbung gebracht werden können, so er-
gab sich aus naheliegender Analogie auch
für die tuberculösen Processe die Aufgabe,
diese mit einer Narbe abschliessende Ent-
zündung künstlich herbeizuführen.
Gemäss diesen Anschauungen Lande-
rer's und angeregt durch dessen Empfeh-
lungen des Perubalsam als Heilmittel gegen
tuberculöse Processe, wendete Dr. Schopf
ai^f seiner Abtheilung denselben zuerst bei
leichteren tuberculösen Haut- und Drüsen-
erkrankungen, und als er sich hier bewährte,
bei den tuberculösen Knochen- und Gelenk-
erkrankungen an.
Das Versuchsmaterial beläuft sich vor-
läufig nur auf 28 Fälle. Wenn die Zahl
auch zu gering ist, um aus derselben ein
Ürtheil über den Erfolg der Anwendung des
Perubalsam bei tuberculösen Processen zu
gewinnen, so reicht sie dennoch hin, um auf
Einiges aufmerksam zu machen.
Zur Anwendung kam in der Mehrzahl
der Fälle die Form der Perubalsamgaze.
Letztere wird einfach so bereitet, dass ste-
rilisirter Gazestoff in Perubalsam getaucht,
ausgewunden und trocknen gelassen wird.
Dann wurde verwendet das Perubalsam-
pflaster und die Perubalsamemulsion, letz-
tere nur zu Injectionen in tuberculöse Drü-
sen. Da aus der Emulsion nach dem Re-
cepte Landerer's der Perubalsam sich nach
kurzem Stehen zu Boden setzt, so wurde
dasselbe, um eine dauernde Emulsion zu
gewinnen, so modificirt: Bals. peruv. 1,0
Pulv. gumm. arab., Ol. amygdal. aa 3,0
Aq. dest. 100,0, Natr. chlorat. 0,7. Selbst-
verständlich wurde strengste Antisepsis beob-
achtet, ausgekratzte Höhlen wurden zuerst
mit Carbol oder Sublimat gründlich desin-
ficirt und dann mit der Gaze ausgestopft.
Dauerverbände kamen in einzelnen Fällen
auch zur Anwendung und wurde hierbei die
Wunde mit 3 — 4facher Lage Perubalsamgaze
bedeckt.
Aus den für sämmtliche Fälle mitgetheil-
ten Krankengeschichten geht hervor, dass
der Perubalsam sich ausnahmslos von gün-
stigem Einfluss auf die Wunden und Ge-
schwürsflächen gezeigt hat. Die tubercu-
lösen Geschwüre, Drüsen- und Knochener-
krankungen heilen in verhältnissmässig kur-
zer Zeit. Die Wundheilung geht unter leb-
hafter Granulation und minimaler Secretion
vor sich, allerdings nachdem in den meisten
Fällen das Krankhafte erst gründlich ent-
fernt war.
Obwohl L anderer dem Perubalsam zum
Unterschiede von Jod, Sublimat u. s. w. jede
Fem Wirkung abspricht, kam es doch in
4 Fällen, und zwar waren dies 3 Fälle, in
denen der Perubalsam mit grossen Flächen
in Berührung kam und einer, in dem der
422
Reftmte.
[TherapentiMlie
Monatobefte.
Verband zu oft gewechselt werden musste,
zu einer entzündlichen Reizung des Harn-
apparates, also zu augenscheinlicher Resorp-
tion. Es mahnen diese Fälle jedenfalls zur
Vorsicht. Eine bräunliche Verfärbung des
Urins ist das erste Zeichen, dass Perubalsam
in grösserer Menge in den Blutkreislauf ge-
langt ist.
(Wiener medicin. Presse t889, No, 17 u, folg.)
G. Peters {Berlin).
Ueber die antibacilläre Kraft des Perubalsams.
Von W. Bräutigam und E. Nowack.
Landerer^s überraschende Erfolge der
Behandlung tuberculoser Processe mit Peru-
balsam regten die Verf. an, durch eine
Reihe von Versuchen festzustellen, welche
"Wirkung verschiedene Concentrationen von
Perubalsam gegen Reinculturen von Mikroor-
ganismen ausüben.
Nach genauer Prüfung der Echtheit des
Präparates wurde eine SSVa^/oige Mutter-
emulsion bereitet, deren einzelne Xügelchen
mikroskopisch betrachtet die Grosse eines
Blutkörperchens nicht übertrafen. Nach Neu-
tralisation und Sterilisirung vertheilte man
sie in Reagenzgläser mit je 5 g einer schwach
alkalisch reagirenden, sterilisirten, noch
heiss-flüssigen Nährgelatine derart, dass eine
Stufenfolge von 2, 4, 6, 8 und 10^/oiger
Perubalsamgelatine entstand. Tüchtig ge-
schüttelt und auf Eis rasch zum Erstarren
gebracht, standen die Gläser zum Impfen
bereit. Die Culturen, die zur Verwerthung
gelangten, waren: 1. grüner Eiter, 2. Milz-
brand, 3. Cholera, 4, rother Kieler, 5. Sub-
til is.
Hierbei zeigte es sich nun:
1. dass reiner Perubalsam Mikroorganis-
men binnen 24 Stunden zu vernichten ver-
mag;
2. dass er in Emulsion bis zu einer
Concentration von 20% jeder speciüschen
"Wirkung auf Entwicklung und Wachsthum
jener Culturen entbehrt und
3. dass die therapeutische Wirkung der
intravenösen und intrapulmonalen Injectionen
von Perubalsam nicht auf eine antibacilläre
Kraft dieses Mittels zurückgeführt werden
darf, vielmehr die erzielten günstigen Er-
folge in einer durch die Emulsion angereg-
ten aseptischen Entzündung (Landerer)
beruhen, oder aber in der Vernichtung ge-
wisser Ptomainewirkungen, so zwar, dass
das umgebende Gewebe trotz der Eindring-
linge lebenskräftiger bliebe, und während
sonst die angrenzenden Zellen, durch jene
Ptomai'ne geschwächt, für jede erneute Aus-
saat von Mikroorganismen einen gut vorbe-
reiteten Nährboden abgeben, nunmehr der
unverletzte Körper rascher und kräftiger
die Abwehr einzuleiten vermag. Damit
würde vor Allem auch die gerühmte und
von uns selbst beobachtete günstige Beein-
flussung des Allgemein beündens erklärt
werden.
{Centralbl f. klinische Median 1889, No. 24.)
G. Peters {Berlin).
lieber die Anwendung des Natrium salicylicum
bei Rippenfellentzündung. Von Dr. Leopold
Herz.
Das zufällige Nebeneinanderliegen einer
acuten Rippenfellentzündung mit einem Rheu-
matismus-Kranken bewog den Verf., einen
Heilversuch mit Natrium salicylicum zu
machen. Der Erfolg war ein so überraschend
günstiger, dass in den folgenden Pleuritis-
fällen dasselbe Mittel wiederholt wurde.
Das Beobachtungsmaterial ist nicht gross,
da Verf. nur über 3 Fälle verfügt. Die
Wirkung des salicylsauren Natriums war
aber in jeder Richtung befriedigend. Die
Patienten erhielten um 4 Uhr Nachmittags
6,0 in Lösung, mit der Weisung, die Me-
dicin in 3 Stunden zu verbrauchen. Das
Mittel wurde in dieser Weise 3 Tage ge-
reicht, coupirte alsbald die Schmerzen und
brachte Fieber und Reibungsgeräusch zum
Schwinden.
{Wien. med. Wochenschr. 1889, No. 28.) R.
Zur Behandlung gewisser Formen chronischer
Urämie durch Morphin. Von Stephen
Makenzie.
Im Gegensatz zu anderen Autoren
hat Verf. durch Anwendung des Mor-
phins wesentliche Besserung in mehreren
Fällen von Urämie erzielt. In einem
dieser Fälle handelte es sich um eine
38jährige Patientin, welche seit mehreren
Jahren an den Symptomen einer schweren
chronischen Nephritis litt. Gelegentlich
eines schweren urämischen Anfalles mit
ausserordentlich intensiver psychischer Er-
regung, bei der sich die Anwendung von Amyl-
nitrit, Alkohol, Aether etc. vollkommen
nutzlos erwiesen hatte, wich nach einer
subcutanen Injection von 0,01 Morph,
muriaticum sofort die beängstigende Dyspnoe,
der vorher rapide Puls nahm an Schnellig-
keit ab. Auch bei späteren Anfällen der
Patientin bewährte sich das Medicament
stets in derselben Weise. — In einem an-
deren Falle, in welchem eine gleichfalls an
chronischem Morbus Brightii leidende Patien-
tin durch urämische Symptome: Kopf-
schmerzen, Erbrechen, Herzklopfen, Athem-
noth etc. gequält wurde, leistete das Morphin
gleichfalls gute Dienste, nachdem Chloral,
ni. Jahrgang, l
September 1889 J
IteformM.
423
Nitroglycerin etc. ohne jeden Erfolg in An-
wendung gebracht worden waren. Ebenso
bewährte sich das Morphin in anderen Fällen
von Urämie stets; beängstigende Nebener-
scheinungen, wie Herzschwäche, wurden nicht
beobachtet. — Wahrscheinlich wirkt das
Morphin in der Weise, dass es den Spasmus
der Gefasse, welcher durch die urämische
Intoxication entsteht, löst und der Gehirn-
anämie entgegenarbeitet.
(Therapeutie. Gae§tU Juni 1889.)
H. LohnsUin {Berlin).
Ueber Anhäufung von Bromkali Im Organismus
nach längerem Gebrauche des Medicaments.
Von Maurice Doyon.
Aus der bereits mehrfach an Hunden
beobachteten Erscheinung, dass nach Appli-
cation Ton Kai. bromat. nicht die ganze
Menge des eingeführten Medicamentes aus-
geschieden, sondern ein gewisser, wenn auch
kleiner Bruch th eil im Organismus zurück-
gehalten wird, sucht D. auch beim Menschen
gewisse Intoxicationserscheinungen herzu-
leiten, die er bei Patienten, welche längere
Zeit hindurch Bromkali in grossen Dosen
erhalten hatten, beobachtet hat. — In einer
dieser Beobachtungen hatte ein 12 jähriges
Mädchen über ein Jahr lang Tagesdosen you
3 — 6 g gegen schwere Epilepsie erhalten. —
Gelegentlich eines Scharlachfiebers wurde
die Patientin von tiefer Somnolenz befallen,
so dass man, in der Annahme, die Bromkali-
Application hätte dieselbe verschuldet,
letztere aussetzte. Sehr bald musste man
sie jedoch wieder aufnehmen, da sich nach
dem Aussetzen unmittelbar heftige mania-
kaliscbe Anfälle einstellten. Wenige Tage
darauf Exitus letalis, nachdem die Patientin
in den letzten Tagen noch heftige Stick-
hustenanfälle mit Dyspnoe, Cyanose etc.
dargeboten hatte. — Die Autopsie ergab
nichts besonders Charakteristisches, jedoch
zeigte sich nach der chemischen Analyse
der etwas festen Gehirnmasse, dass in dem-
selben nicht weniger als 2 g, und in der
Leber etwa 0,7 g Kai. bromat. enthalten
war. — Auf diese Anhäufung von Brom-
kali besonders im Centralnervensystem sucht
D. die beobachtete Somnolenz, sowie die
Dyspnoeannille zurückzuführen und warnt
vor längerer Application des Medicamentes
in hohen Dosen.
{Therapeuiie, Oatette 15. Mai 1889.)
H. Lohnstein {Berlin).
Ueber Phosphorbehandlung der Rachitis (ans dem
Kinderspitale des Prinzen von Oldenburg in
Petersburg). Von Anna Schab anowa.
Jedes neue zur Behandlung der Rachitis
empfohlene Mittel ist stets theils mit über-
grossem Enthusiasmus, theils mit ebensolchem
Skepticismus angesehen worden. Ebenso
erging es auch dem von H. Kassowitz
empfohlenen Phosphor. Während die Einen
denselben als Specificum gegen die englische
Krankheit feierten, hatten Andere nur über
ungünstige Resultate zu berichten. Seh.
unternahm es daher, die Wirksamkeit des
Phosphors in der Behandlung der Rachitis
zum Gegenstand ausführlicher Untersuchun-
gen zu machen.
Die Beobachtungen wurden an 105 Kin-
dern angestellt, die zum allergrossten Theile
ambulant und poliklinisch behandelt wurden.
Das Alter derselben schwankte zwischen
1 Monat und 5 Jahren. Der Phosphor
wurde nach der Vorschrift von Kassowitz
in Dosen von 0,01 auf 100,0 Oel gegeben.
Man verwandte theils Oleum provinciale,
theils Oleum amygdalarum dulcium, theils
Leberthran. Doch wurde der letztere meist
weniger gut ertragen. Bei Kindern, welche
an Durchföllen litten, wurde das Mittel auch
in einer Emulsion verabreicht. Neben dieser
Phosphorbehandlung wurden meist noch
Salzbäder angeordnet, selbstverständlich
auch nahrhafte Diät und sonstige hygienische
Maassnahm^n. Im Allgemeinen waren die
Erfolge dieser Behandlung folgende. Vor-
zügliche Resultate wurden erzielt bei 6 Kin-
dern im Alter von 1 — 2 Jahren; gute in
10 Fällen bis zu 1 Jahr, in 18 von 1 bis
2 Jahren, in 2 von 2 — 3 Jahren, in einem
Falle bei einem Kinde zwischen 3 und
4 Jahren und in einem bei einem anderen
Kinde zwischen 4 und 5 Jahren. Ziemlich
gut war der Erfolg in 7 Fällen bis zu
1 Jahr, in 23 von 1—2 Jahren, in 5 von
2 — 3 Jahren, schliesslich in 4 von 4 bis
5 Jahren. Gering war die Besserung in
7 Fällen bis zu 1 Jahre, in 9 von 1 bis
2 Jahren, in 6 von 2 — 3 Jahren und in
einem Falle von 3 — 4 Jahren. In 6 Fällen
wurde eine Verschlimmerung constatirt.
In den meisten Fällen konnte man
während der Dauer der Behandlung eine
Zunahme des Körpergewichtes und der
Körperlänge constatiren, ohne dass aber stets
hiermit eine Zunahme der allgemeinen Er-
nährung und eine Besserung der Krankheits-
erscheinungen einherging, und umgekehrt.
Die Craniotabes und die Erscheinungen an
den Fontanellen und Nähten des Schädels
besserten sich meist erst nach 3 — 6 monat-
licher Behandlung. In derselben Zeit zeigten
sich auch meist eine Zunahme des Thorax-
umfanges und eine Abnahme der Rosenkranz-
schwellungen. Die Epiphysen Schwellungen
wurden nur in etwas über die Hälfte der
in Betracht kommenden Fälle günstig beein-
424
R«fiirmtab
rrberapaotfiAt
L MonatabaAai
t 1
fluBst. Geschah dies, so war auch der
günstige Einfluss auf die Function der Ex-
tremitäten unverkennbar. Was den Durch-
bruch der Zähne anlangt, so war auf ihn
die Phosphorbehandlung fast stets yon
günstiger Wirkung. Dazu kommt noch,
dass die oft recht unangenehmen Begleit-
symptome des Zahnens bei Phosphordarrei-
chung in vielen Fällen gemildert auftraten.
In anderen Fällen dagegen konnte ein
günstiger Einfluss nicht constatirt werden.
Besonders vorzüglich ist die Wirkung des
Phosphors auf die nervösen Erscheinungen.
Laryngospasmus schwand in allen Fällen,
in denen die Behandlung constant durch-
geführt wurde binnen verhältnissmässig
kurzer Zeit. Ebenso gut war die Einwir-
kung des Mittels auf allgemeine Convulsionen,
Hyperästhesien, Schlaflosigkeit und Reiz-
barkeit.
In einem Falle, der mit Enuresis nocturna
complicirt war, schwand diese Complication
nach 4 monatlicher Behandlung. Auch das
Sprachvermögen scheint sich durch Phosphor-
darreichung zu heben. Die Wirkung des
Mittels auf die Verdauung ist ebenfalls
in der Mehrzahl der Fälle eine günstige
zu nennen. So verschwanden oft Dyspepsie,
Verstopfung und Meteorismus binnen kurzer
Zeit. Allerdings sind auch einige Fälle zu
verzeichnen, in denen sich stets nach dem
Einnehmen des Mittels dyspeptische Erschei-
nungen zeigten. Doch zählen diese Vor-
kommnisse zu den Seltenheiten. Es ist
nach alledem nur rathsam, in einem jeden
Falle von Rachitis die Phosphorbehandlung
anzuwenden, ganz besonders aber dann,
wenn es sich um Störungen in der nervösen
Sphäre handelt.
{Jahrbuch f. Kinderheilhunde und phytUehe Ermehung
XXIX, H^ 3 u, 4.) Carl Rosmthal {BerUn),
Ein Handgriff zur Unterdrückung des Stick-
krampfs beim Keuchhusten. Von Dr. 0.
Naegeli in Ermatingen (Autoreferat).
Verf. beleuchtet zuerst auf Grund der
Verhandlungen des Congresses für innere
Me'^icin zu Wiesbaden vom Jahre 1887 den
Stand der Frage bez. Aetiologie, Pathologie
und Therapie des Keuchhustens. Er geht
von der Ansicht aus, Pertussis sei eine,
durch noch nicht entdeckten Goccus oder
Bacill erzeugte, allgemeine Infectionskrank-
heit mit Localisation im Larynx, charak-
terisirt durch Reflexneurose des N. laryn-
geus superior. Ein speciflsches Mittel gegen
Keuchhusten giebt es zur Zeit nicht. Die ganze
Behandlung ist eine symptomatische und
fast immer nur gegen die prägnanteste Er-
scheinung, den Stickkrampf, gerichtet. Die
Localbehandlung bezweckt eine Abstumpfung
der gereizten Nervenendigungen im Larynx,
die Insufflationen in Nase und Rachen
wirken durch Contrastimulus, die Nervina,
Anästhetica und Narcotica sind alle nur
wirksam durch ihren Einfluss auf den hyper-
ästhetischen Vagus.
Wenn man den Stickkrampf beseitigen
könnte, wäre die Macht der Krankheit ge-
brochen, denn jeder Hustenanfall ist ein
Insult für die Kehlkopfschleimhaut und der-
selbe legt jedesmal wieder den Grund zu
einem folgenden Paroxysmus.
Das Charakteristische des Anfalles selbst
ist der völlige Verschluss der Luftwege,
der Glottiskrampf, deshalb die grosse Aehn-
lichkeit eines keuchhustenden Kindes mit
einem Asphyk tischen.
Im Mai d. J. wurden zwei Kinder des
Verf. im Alter von 4 und 7 Jahren von
Keuchhusten befallen und boten Gelegen-
heit zu täglicher Beobachtung und Behand-
lung.
Im Gedanken an die Aehnlichkeit mit
Asphyxie in der Narkose und gestützt auf
die experimentellen Studien Kappeler^s,
wurden beim Stickkrampf Versuche gemacht
zuerst mit dem Howard-Heiberg^schen
Handgriff. Derselbe ist dahin modificirt
worden, dasö der Unterkiefer nicht nur vor-
geschoben, sondern zugleich kräftig herab-
gedrückt vrurde. Der Erfolg war ein ecla-
tanter. Nachdem die Lüftung des Kiefers
perfect war, hörte der Husten sofort auf.
Die Krankheit der Kinder dauerte circa
5 Wochen, und während dieser Zeit vnirde
das Experiment Tag und Nacht wenigstens
500 Mid ausgeführt. Durch die Praxis
modiflcirte sich das Verfahren allmählich in
folgender Weise:
1. Handgriff von vorn.
Mit den beiden halbgebogenen Zeige- und
Mittelfingern wird der aufsteigende Ast des
Unterkiefers vor dem Ohr fest gefasst, die
Daumen werden aufs Kinn gesetzt und mit
kräftigem und doch sanftem Zug und Druck
schiebt man den Unterkiefer nach vorn und
unten. Ist der Mund etwas geöffnet, so
greifen beide Zeigefinger in der Gegend der
Eckzähne ein und fixiren den Kiefer.
Ist der Mund beim Husten, wie es ge-
wöhnlich der Fall ist, schon etwas geöffnet,
so fasst man gleich von Anfang an mit
beiden Daumen oder Zeigefingern den Kiefer
an besagter Stelle inwendig, legt die übrigen
Finger am Unterkieferkörper auf und
vollführt derart den Zug nach vorn und
unten.
Die einfachste, im späteren Stadium der
in. Jahrgang. 1
September 1889.J
Rafermta.
425
Krankheit fast einzig noch angewendete,
Methode bestand darin, dass nur der Dau-
men oder Zeigefinger einer Hand hinter den
vorderen, unteren Schneidezähnen eingesetzt
wurde, während die übrigen Finger unter
dem Kinn fassten und, ohne Druck auf die
Zähne auszuüben, den Zug in oben angege-
bener WeSe bewerkstelligten. Die andere
Hand Yollzieht, auf der Stirn des Patienten
liegend, den Gegendruck.
2. Handgriff yon hinten.
Kehrt Patient uns gerade den Rücken
zu, so setzt man beide Daumen in ihrer
ganzen Länge an den aufsteigenden ünter-
kieferast, legt die Zeigefinger auf den Joch-
bogen, die übrigen Finger an's Kinn und
schiebt den Unterkiefer nach vom und ab-
wärts. Oder die Zeigefinger greifen unter
den Eckzähnen in den Mund und helfen
den Zug in besagter Weise aufs Schnellste
ins Werk setzen. Sobald der Kiefer ge-
lüftet ist, fordert man das Kind auf, tief
zu athmen; thut es dies, so ist man ab-
solut sicher, dass kein Krampf husten mehr
folgt.
Der Handgriff ist einfach, von jeder
verständigen Mutter oder Wärterin leicht
ausfuhrbar und völlig schmerzlos.
Die Einwirkung seines Verfahrens auf
den Stickkrampf erklärt sich Verf. einmal
refiectorisch, durch Losen des Muskeltonus
sowie auch mechanisch, indem durch Heben
des Kehlkopfs mit dem Zungenbein der
Kehldeckel, vielleicht auch die Rima glot-
tidis geöffnet wird.
Bei den eigenen Patienten war der Er-
folg stets ein absolut sicherer, so dass die
Kinder weder zum Brechen, noch zum Ex-
pectoriren grosser Schleimmassen kamen —
ausser wenn Niemand beim Anfall in ihrer
Nähe war. Ihre Nachtruhe wurde nicht
gestört, denn sie schliefen weiter, während
der Handgriff an ihnen ausgeführt wurde.
Die ganze Krankheit konnte durch die
betreffende Behandlungsweise allein — an-
dere Medicamente wurden nicht gereicht —
bedeutend abgekürzt werden. Eine Reihe
von Eltern, die dasselbe Verfahren bei ihren
Kindern anwendeten, hatten dieselben Er-
folge.
Krampfhafter Husten anderer Entste-
hungsursache konnte durch dieselbe Mani-
pulation auch coupirt werden. Verf. ge-
langt zu folgenden Schlusssätzen:
1. Der Keuchhusten kann durch den
Naegeli'scheu Handgriff sicher und sofort
coupirt werden.
2. Eltern, Wärterinnen und ältere Ge-
schwister sind im Stande, . die betreffende
Procedur jederzeit mit Leichtigkeit auszu-
fuhren.
3. Der Handgriff ist für die Patienten
weder schmerzhaft noch lästig, auch kann
er niemals nachtheilig wirken, jedoch
räth Verf., denselben zu unterlassen, wenn
der Mund des Kindes mit Speisen ange-
füllt ist.
4. Das regelmässige Unterdrücken der
Anfälle hat einen günstigen Einfluss auf
den Verlauf und die Heilung der Krankheit
überhaupt. Es wird dadurch den Compli-
cationen vorgebeugt und so die Mortalität
herabgedrückt werden.
5. Durch die angegebene Procedur kann
oftmals auch Krampf husten , welcher aus
anderer Ursache entstanden ist, bedeutend
erleichtert und abgekürzt werden.
{Corretpondetutbl für Schweiur AerzU 1889 No. 14,)
Ueber Magenausspülungen bei sehr jungen
Kindern. Von Fan eher.
Bekanntlich ist Fauch er der erste ge-
wesen, welcher bei Erwachsenen Magenaus-
spülungen in grösserem Umfange angewandt
hat. Bei Kindern sind diese Ausspülungen
zuerst von deutschen Aerzten empfohlen
worden, und werden neuerdings auch von
Fauch er selbst mit bestem Erfolge bei
selbst ganz jungen Kindern angewandt. —
Je nach dem Alter des Kindes hat man
nur bei den Kleinen die Dimensionen der
Instrumente entsprechend zu modificiren. —
Wenn man den ganzen Oberkörper des
Kindes zusammen mit den Armen in ein
grosses Tuch einwickelt, das Kind hierauf
mit etwas vorgeneigtem Kopf (um ein et-
waiges Eindringen von Fremdkörpern in den
Pharynx zu verhindern) aufrecht von einer
Wärterin vor sich hinsetzen lässt, kann man
ohne besondere Schwierigkeiten den Magen
ausspülen. — Die Rückenlage während der
Auswaschung, die besonders Ebstein warm
empfohlen hat, hat sich dem Verf. nicht
besonders bewährt. — In einem Falle, in
welchem sich am 27. Tage nach der Geburt
bei einem Kinde ein schwerer Gastro-In-
testinalkatarrh entw^ickelte, wurde das Er-
brechen bereits am 3. Tage (nachdem pro
die 3 Auswaschungen applicirt worden waren)
gehemmt. — Wenige Tage später verschwand
auch die Diarrhoe des Kindes vollkommen.
Abgesehen von den Ausspülungen waren
Medicamente nicht verabreicht worden.
( The Journale/ the American Med. Association 18, V. 1889,)
H. Lohnstein {Berlin),
Die Suspension in der Behandlung der Rücken-
marksleiden. Von Charles Dana.
Die Beobachtungen Verfs. beziehen sich
auf einige Fälle von Tabes dorsualis, sowie
54
426
Referate.
Plierapentlsdie
Monatshefte.
Ton anderen Rückenmarksleiden, insbeson-
dere Friedreich' scher Krankheit, Paralysis
agitans, Myelitis transversa, Hemiplegie und
Neurasthenia sexualis. Im Ganzen wurden
16 Fälle behandelt. Angewandt wurde für
die Suspension der Sayre'sche Apparat.
Gewöhnlich wurde 3 — 4 mal wöchentlich die
Suspension ausgeführt. Ihre Dauer betrug
zunächst ^a Minute und wurde bis auf
3 Minuten Dauer gesteigert. — Bei Ataxie
fühlten sich die Patienten gewöhnlich nach
der Suspension leichter und beweglicher in
den Beinen als zuTor. Mit einer Ausnahme
Hessen auch die Schmerzen nach Appli-
cation der Suspension nach. Die an Para-
lysis agitans leidenden Patienten fühlten
sich nach der Suspension weit leichter und
freier als vordem. — Abgesehen von der
bereits von Motchackowski beobachteten
Steigerung des arteriellen Druckes, beobach-
tete Verf. noch erhöhte Reflexerregbarkeit
während der Suspension. — Aehnlich sind
die Resultate, zu denen Morton gelangt.
Er behandelte 6 Tabiker mit etwa 200 Sus-
pensionen und constatirte eine sehr erheb-
liche Besserung sämmtlicher Beschwerden,
wie sie in ähnlicher Weise kein Medica-
ment zu erzeugen im Stande ist. — Auch
in Fällen von Impotentia coeundi hat sich
dem Verfasser die Methode von Nutzen er-
wiesen.
{OccidMtal Medical Times, Juni 1889.)
Lohfutein {Berlin).
Die Gefahren des Hypnotismus. Von Geheimrath
Dr. V. Ziemssen.
Die Wiedergabe weniger Sätze mag hier
genügen, um den Standpunkt zu kennzeich-
nen, den der weltbekannte Kliniker bezüg-
lich der Frage des Hypnotismus einnimmt.
„Unsere Erfahrungen imEIrankenhause sind
der Anwendung der Hypnose als Heilmittel
durchaus ungünstig. Wir haben eine Reihe von
Personen, die mit der Hypnose behandelt wur-
den, genau verfolgt. Die Ergebnisse sind
in allen wesentlichen Punkten unbefriedigend
und zum Theil geradezu abschreckend. Ich
kann sie in die zwei Sätze zusammenfassen:
dass die Hypnose nichts oder nur vorüber-
gehend bei leichten functionellen Störungen
nützt, und dass dieselbe bei vielen Kranken
geradezu schadet.
Noch hat die hypnotische Strömung, wie
es scheint, ihren Höhepunkt bei uns in
Deutschland nicht erreicht, noch steigt der
Enthusiasmus für das wunderthätige Heil-
mittel; aber ich vertraue der historischen
Erfahrung, dass dergleichen Strömungen, je
schneller die Hochfluth steigt, um so rascher
auch wieder in das natürliche Bett zurück-
geleitet werden. Ich vertraue besonders auf
den gesunden Sinn der deutschen Aerzte,
deren wissenschaftliche Objectivität diesen
Dingen wie aller wunder süchtigen Speculation
einen festen Damm entgegensetzen und ver-
hüten wird, dass mit der Hypnose Unheil
angerichtet werde."
{Münch. med, Woehenschr. 1889, No. 3L) R.
Die antiseptische Chirurgie in der LandpraxiB.
Vortrag, gehalten in der Herbstversammlang
des cantonal - ärztlichen Vereines St. Gallen.
Von Dr. Carl Schul er in Rorschach.
Davon ausgehend, dass die Antiseptik
auch in der Landpraxis heutzutage leicht
durchführbar sei, betont Verf., dass es in
erster Linie, wie Küster bereits hervorge-
hoben, auf die primäre Desinfection und
auf die dauernde Trockenlegung der
Wunde ankomme. Der erste Verband
entscheidet über das Schicksal des
Patienten, sagt Volkmann. Verf. urgirt
insbesondere in dieser Beziehung die Auf-
bewahrungsweise der Instrumente, des
Nähmaterials, der Verbandstoffe seitens der
Aerzte , die diese Gegenstände meistens
nicht aufbewahren, sondern nur „herum-
liegen" lassen. Diese Gegenstände sollen
bereits in aseptischem Zustande
zum Kranken gebracht werden (nach
einem anderen Autor über dieses Thema —
von Trentinaglia — sollen sie jedes-
mal vor dem Gebrauch durch Kochen
von Neuem sterilisirt werden*). Des
Weiteren weist Verf. auf die gründliche
Desinfection des Operationsfeldes, der Hände
des Operateurs nach Für bring er und auf
die verschiedenen Antiseptica hin, unter denen
ihm (nach vorläufig dreiwöchentlicher Be-
obachtung) das Creolin alle guten Eigen-
schaften der Carbolsäure, des Sublimats und
des Jodoforms in sich zu vereinigen und
somit ganz besonders für die Landpraxis
geeignet zu sein scheint. Das Streben nach
Heilung unter dem feuchten Blutschorf ver-
wirft er für die Landpraxis, sicherer sei
hier die Drainage oder der comprimirende
Verband, und bei accidentellen Wunden der
feuchte Verband dem trockenen vorzuziehen.
{Corretpond.'Bl. f. Sokweizer AenU 1889, No. 7.)
Freyer {Stettin),
1. Ueber Desinfection des weiblichen Genital-
canals. Von Dr. Steffeck (Giessen). (Zeit-
sclirift für Geburtshülfe and Gynäkologie,
Band 15. 2.)
a. Zur Desinfection des Geburtscanais. Von
Döderlein und Günther (Leipzig). (Arch.
für Gynäkologie, Band B4. 2.)
1) S. Ther. Mon.- Hefte, Jahrg. UT, Heft 3,
S. 136.
m. Jahrgang. "]
September 1889.J
Rsfento.
427
3. Zur Deainftction des Genitalcanals. Von Dr.
Steffeck (GiesseD). (Centralbl. f. Gynäkolo-
gie 1889. Heft 14.)
4. Zweihundert Geburten ohne prophylaktische
Scheidenausspülungen. Von Dr. M ermann
(Mannheim). (Centrbl. f. Gynäkologie 1889.
Heft 16.)
5. Entgegnung an Mermann. Von Dö der lein
(Leipzig). (Centralbl. f. Gynäkologie 1889.
Heft 20.)
6. lieber die Aufgaben weiterer Forschungen auf
dem Gebiete der puerperalen Wundinfectlon.
Von Dr. B u m m (Würzburg). (Arch. f. Gynäk.
34. IIL).
7. Die Wochenbetterkrankungen der Provinzial-
Hebammenlehranstalt zu Hannover. Von
Dr. Polen (Hannover). (Arch. f. Gynäkol.
34. IIL).
8. Dritter Beitrag zur Verhütung des Kindbett-
fiebers. Von Leopold (Dresden). (Arch. f.
GynäkoL 85. 1.).
Die Gleichheit des Gegenstandes, mit
dem sich die acht vorgenannten Arbeiten
beschäftigen, gestattet wohl eine gemein-
same Betrachtung derselben, zumal es für
den Practiker interessant sein muss, die
Vorschriften verschiedener Forscher über
die prophylaktische Desinfection des Ge-
burtscanais und die Verhütung des Puer-
peralfiebers zusammengestellt zu finden.
Diese Vorschriften bewegen sich von der
weitgehendsten Polypragmasie bis zur ab-
soluten Femhaltung jedes Desinficienz vom
Genitalcanal. Zunächst hat Steffeck (l)
in seinen diesbezüglichen Untersuchungen
des Genitaltractus von Schwangeren und
Gebärenden gefunden, dass die „prophylak-
tischen Scheidenausspülungen ^ selbst mit
Vs^/oo Sublimat ganz ohne Eiufluss sind auf
die Entwicklung von Goccen; dass diese
schon merklich beeinflusst wird, wenn wäh-
rend der Ausspülung die Scheidenwände
und der untere Ger vix abschnitt mit einem
Finger abgerieben werden; dass eine Steri-
lisation (laut Impfcontrole) hervorgerufen
wird, wenn zu dem Abreiben zwei Finger
verwandt werden, und dass endlich der
Genitaltractus steril erhalten wird, wenn
nach dieser sorgfältigen Auswaschung zwei-
stündliche Ausspülungen angewandt werden.
Als Desinficienz hat sich dabei bewährt
Sublimat 1 : 3000 oder Carbol 3 : 100, gar
nicht das Greolin. Diese Methode der Aus-
waschung mit 2 Fingern und nachfolgenden
zweistündlichen Ausspülungen mit einer der
genannten Flüssigkeiten, die aber auch ge-
lehrt und gelernt sein will, empfiehlt St.
zur Einführung auch in die Hebammen-
praxis, um Puerperalfieber zu verhindern.
Natürlich ist dabei die Desinfection der
Hände des Geburtshelfers bzw. der Heb-
amme nicht zu vernachlässigen.
Ebenso wie Steffeck gehtD oder lein (2)
von der Ansicht aus, dass es nothwendig
wäre, bei Geburten zur Herbeiführung eines
absolut fieberlosen Wochenbettes mit dem
Genitalcanal so zu verfahren, wie es der
Chirurg mit seinem Operationsfeld hält, d. h.
die Scheide und jdie Portio noch vor der
Geburt keimfrei zu machen; denn auch in
den Fällen, in denen die Ereissende über-
haupt nicht berührt wurde, stellte sich
nach den Berichten verschiedener Kliniken
in 40 ^/o febrile Temperatur, wenn auch
meist nur vorübergehend, ein, so dass der
Vorwurf, der den Geburtshelfern in den
Fällen eines Eingriffes wegen der ungenü-
genden Desinfection der Hände und Instru-
mente gemacht wird, zum Theil wohl grund-
los ist. Demgemäss hat D. die Scheide
und Portio von Kreissenden, von deren
Schleim vorher Deckgläschenpräparate ge-
machtworden waren, mit sterilisirtem Wasser
ausgespült und mit dem Finger möglichst
ausgewischt. Die nunmehrigen Deckgläs-
chenpräparate haben aber absolut keine
Differenz gegenüber den früheren ergeben.
Da eine Ausbürstung mit Seife wegen
der Turgescenz und Hyperämie im Genital-
canal der Graviden nicht angängig war, be-
wirkte Doderlein eine Schaumbildung da-
durch, dass er die Finger mit Mollin
schlüpfrig machte, welches sämmtlichen
Schleim in sich aufnimmt, während Glycerin
und Vaselin Fettschichten bilden und so
das Eindringen des Desinficienz unmöglich
machen. Nachdem damit die Vagina aus-
gerieben war, Hess D. ein Liter Sublimat
(1 : 2000) einlaufen, indem er gleichzeitig
die grossen Labien zusammenhielt, so dass
die Vagina ballonartig ausgedehnt und in
allen Falten ausgeglichen wurde. Aber auch
dies fahrte ebensowenig wie der entspr^
chende Versuch mit 3 ^/y Carbol zu absoluter
Keimfreiheit, erst mittelst einer 3 ®/o Creolin-
losung (auffallender Gegensatz zu den
Steffeck'schen Versuchen!) wurde diese
erreicht, die Deckgläschenpräparate waren
baöterienfrei. Wie weit sich diese Resultate
auch in der Praxis bewahrheiten, hat Günther
festgestellt, indem von ihm im vorigen
Sommerhalbjahr stets die Desinfection des
Geburtscanais ante partum und nach der
Geburt mit je 1 Liter 3 °/o Creolinlosung
bei zusammengehaltenen grossen Labien vor-
genommen wurde (über Verwendung des
Mollins ist nichts gesagt!). Das Resultat
war, dass die normalen Wochenbetten von
53,8 resp. 51,1 ®/o in den beiden voran-
gegangenen Sommersemestem auf 70 ^/o stieg,
die gestörten Wochenbetten von 38,4 resp.
39,3 auf 28,1 % fielen, und die kranken
54*
428
Rafarato.
rTherspeotiieh«
L Monatshefte.
von 8,2 resp. 9,2 auf 1,1 °/o. Auch Günther
denkt an eine Empfehlung dieser Methode
für die Hebammenpraxis.
Gegen diese Forscher wendet sich
Steffeck (3) wieder, indem er die Unter-
schiede zwischen den beiderseitigen Ver-
suchen in die Gontrole verlegt, die Doder-
lein geübt hat, nämlich durch Deckglas-
präparate: solche sind absolut beweisunfähig,
nur Impfversuche (auf Agar) ermöglichten eine
richtige Gontrole, und diese auf das D oder-
lein-Günther 'sehe Verfahren übertragen,
ergaben ihm, dass von 9 Versuchen nur in
2 Fällen keine, in 6 Fällen bis zu 40, in
einem Falle unzählige Keime sich entwickel-
ten. Danach lehnt St. das Greolin ab und
empfiehlt von neuem sein Verfahren mit
Sublimat oder Garbol, wenn auch diese
Desinficientien, energisch verrieben, (auch die
Aufblähung der Vagina misslang ihm) die
Scheide sehr rauh und trocken machen.
Schon im Anschluss hieran bemerkt St.,
dass es vorerst noch gerathen scheint, den
Hebammen ein ganz passives Verhalten vor-
zuschreiben. Ein solches auch für Aerzte
empfiehlt direct M ermann in seinem Be-
richt (4). Derselbe hält jede Anordnung
von Ausspülungen, die durch Hebammen
vorgenommen werden sollen, für gefährlich,
nicht nur wegen der damit verbundenen
Möglichkeit der Ausseninfection , sondern
auch wegen der Verwirrung, die sie in den
Köpfen der Hebammen erzeugt. Es werden
unverständliche Begriffe bei ihnen geweckt,
sie halten die werthlosen und in der Praxis
doch nicht durchführbaren Ausspülungen für
gleichwerthig mit der Desinfection ihrer
Hände und unterlassen das eine und das
andere, oder sie glauben sich durch das
Ein gi essen von etwas carbolisirtem Wasser
Absolution für die Sünden ihrer Hände und
ihres sonstigen Schmutzes verschafft zu
haben. Es wäre auch eine lohnende Auf-
gabe, den Inhalt der Irrigatoren der viel
in der Armenpraxis beschäftigten Hebammen
b acter ioskopisch zu untersuchen. M. geht
weiter von der Ansicht aus, dass die in der
Vagina vorhandenen Bacterien ungefährlich
sind, dass die normale Kreissende mit all
den Millionen Bacterien, die sie in sich
trägt, auch mit denen, die man noch ent-
decken wird, aseptisch ist; dass ebensowenig
wie die Bacterien der Mundhöhle, die beim
Essen mit den Rachen passiren, den Schleim-
hau t-Excoriationen schädlich sind, dies bei
den Vaginalbacterien für die bei der Geburt
entstehenden Wunden der Fall ist. Dem-
gemäss lässt M. im Mannheimer Wöchne-
rinnenasyl, wo jede Kreissende meist mehr-
fach von mehreren Personen untersucht wird.
nur die subjective Antisepsis aufs Penibelste
handhaben, sowohl in Bezug auf die Hände
der Untersuchenden, die nach Fürbringer
desinficirt werden, als auf die Kleidung der-
selben und der Kreissenden. Letztere er-
halten vor der Geburt ein Vollbad, bei
welchem die äusseren Genitalien mit Watte
abgewischt werden, die Hände werden auch
ihnen aufs Gründlichste desinficirt, sie er-
halten saubere Wäsche, aber ihr Genital-
tractus bleibt frei von jedem Desinficienz.
Auf diese Weise hatte M. von 200 Fällen
nur 2 letale Ausgänge, einen in Folge einer
Ausseninfection (die Betreffende hatte eine
Puerperalkranke gepflegt und sich dann selbst
untersucht), den anderen durch Magencarci-
nom; die Zahl der Fiebernden betrug für
das erste Hundert 21 °/o, für das zweite
6 °/o, ist also geringer wie nach der D5 d er-
1 ein 'sehen Polypragmasie. Daher weg mit
den Vaginal inj ectionen und jeder Art innerer
Antisepsis für die Hebammenpraxis!
Gegen diese Verbannung jeder objectiven
Antiseptik bei Kreissenden und gegen den
Vorwurf colossaler Polypragmasie wendet
sich Döderlein (5), indem er aus seinen
Versuchen wiederholt, dass er nachgewiesen
zu haben glaubt, dass auch die nicht unter
die bekannten Eitermikroorganismen gehöri-
gen Spaltpilze der Scheide Temperaturer-
höhungen im Wochenbett machen können,
wenn sie in die Uterushöhle gelangen, und
dass ohne Hinzuthun von Arzt oder Heb-
amme pathogene Bacterien im Genitalcanal
Kreissender resp. Wöchnerinnen vorkommen.
Er bestreitet daher, dass die normale Kreis-
sende aseptisch ist, und verlangt die Des-
infection derselben durch Ausreiben mit
Creolinmollin unter Irrigation mit 2 % Creo-
linemulsion. Den Werth derselben könne
man nur durch die Aenderung der Resultate
an derselben Anstalt beurtheilen, und diese
sind an der Leipziger Klinik unbestreitbar
sehr gute geworden. Die Mannheimer An-
stalt könne man nicht zum Vergleich her-
anziehen, da die dortigen Verhältnisse andere
wären, als an einer für Lehrzwecke bestimm-
ten Klinik (aber doch nicht verschieden von
den Verhältnissen in der allgemeinen ärzt-
lichen Praxis! D. Ref.).
Ganz auf den Standpunkt Mermann's
stellt sich Bumm (6) in seiner ausserordent-
lich lesenswerthen Arbeit, die sich mit der
Aetiologie der putriden Intoxication und
der septischen Infection im Wochenbette
beschäftigt. B. hat im Secret gesunder
Frauen keinen Streptococcus (der die Mehr-
zahl der schweren puerperalen Infectionen
verursacht) gefunden, sieht die Fälle, in
denen Winter einen solchen gefunden haben
in. Jahrgan«. 1
September 1889.J
Rafarmto.
429
will, einerseits als nicht normal, anderer-
seits als werthlos an, da W. selbst die
Cocceo nicht strict als pathogen e bezeichnet.
B. leugnet danach die Möglichkeit einer
Streptococcen-Infection durch SelbstinfectioD ;
es genügt nach seinen Deductionen zur Fern-
haltung einer Infection von Kreissenden und
Wöchnerinnen die überall durchführbare,
strengste subjective Antisepsis und die Rei-
nigung der äusseren Genitalien; jede pro-
phylaktische Reinigung des Genital sohl auch es
ist unnöthig und complicirt.
Auch Poten (7) sucht durch seinen Be-
richt vor jeder Polypragmasie bei der Lei-
tung von Geburt und Wochenbett zu war-
nen: in der Anstalt in Hannover erhalt
auch nur jede Ereissende ein Vollbad, die
äusseren Genitalien werden mit Seife und
Wasser gründlich gereinigt und mit Subli-
matlösung (1 : 2000) nachgewaschen; die
Haupt sorge wird auf die Desinfection der
Explorirenden gelegt, die mit warmem Wasser,
Seife, Bürste und (1 : 1000) Sublimat sich
reinigen. In neuerer Zeit wurde dort auch
noch vor der ersten Untersuchung eine Aus-
spülung mit Sublimat (l : 5000) vorgenom-
men. Post partum werden die äusseren
Genitalien mit Sublimat abgespült und ab-
gewischt; im Wochenbett wird nichts unter-
nommen, ausser auf directe ärztliche Ver-
ordnung. Die Resultate sind hierbei besser
als die in der Leipziger Anstalt nach Ein-
führung des Död er lei naschen Verfahrens,
das P. auch für undurchführbar in der Pri-
vat- und Hebammenpraxis hält.
Endlich wendet sich auch der neueste
Bericht aus der Dresdener Klinik (8) gegen
die D ö derlein- Ste ff eck ^ sehen Maassnah-
men. Auch hier wird der Hauptwerth auf
die subjective Reinlichkeit gelegt (eine Zeit
lang wurde sogar nur sorgfältigste Reinigung
der Hände mit Kaliseifenlösuug ohne jedes
Desinficienz versucht) und Leopold stellt
in Aussicht, nach dem M ermann^ sehen
Vorgange auch jede Scheidenausspülung fort-
zulassen. TodesföUe hatte L. 15 unter
1369 zu beklagen, also 1,09% gegen 1%
in den beiden Vorjahren; davon sind 4 Fälle
durch Infection verursacht = 0,27 %. Eine
Erklärung für diese Fälle (einer darunter
Sepsis nach einer einmaligen Untersuchung
durch eine zuverlässige Hebamme) sucht L.
in den nachgewiesenen Untersuchungen, die
Hausschwangere unter einander vornehmen,
und macht die Leiter aller Anstalten auf
solche Dinge aufmerksam. Die Wochen-
betten waren in 79% fieberlos, in 16%
fast fieberfrei, so dass 95% am zwölften
Tage entlassen werden konnten; 1,8% der
Wöchnerinnen bekamen länger andauerndes
Fieber in Folge von Vorgängen ausserhalb
der Genitalien, und ebensoviel (1,8%) in
Folge leichterer oder schwererer puerperaler
Erkrankungen. Unter den 1369 Kreissenden
nun sind 179 = 13%, die so spät auf
den Gebärsaal kamen, dass sie weder aus-
gespült noch untersucht werden konnten;
sie blieben bis auf 2, die längeres Fieber
durch Bronchitis resp. Mastitis bekamen,
ohne beachtenswerthe Temperaturerhöhung.
L. führt diese Fälle namentlich als Beweis
gegen die Selbstinfection an und erwähnt
dabei, dass nach seinen diesbezüglichen Er-
fahrungen seit 4 Jahren in Sachsen in der
Hebammeninstruction von jeder Scheiden-
ausspülung sowohl während der Entbindung
als im Wochenbett abgesehen ist. Da auch
in der neuesten preussischen Verordnung
innere Manipulationen aufs Aeusserste be-
schränkt sind, so müssen wohl die Erfah-
rungen dafür sprechen, dass alle Gebärenden,
sobald die behandelnde Hebamme selbst
aseptisch ist, einer Reinigung ihrer inneren
Geschlechtsorgane mit Desinfectionsmitteln
nicht bedürfen. Landsberg (5te««»).
Ueber die mechanische Behandlung des Erysipels.
Von Prof. Wölfler (Graz).
Verf., welcher bereits früher die Behand-
lung des Erysipels mittelst Begrenzung der
Entzündung durch Siccativ- oder Trauma-
ticinstreifen empfohlen, hat jetzt statt mit
diesen durch Heftpflasterstreifen in einer
grösseren Anzahl von Rosefällen Heilung
erzielt. Die Heftpflasterstreifen werden
circulär an der Grenze der erkrankten und
gesunden Hautpartie im Gesunden fest an-
gelegt (an den Extremitäten circulär, beim
Gesichtserysipel Streifen um den Hals, Stirn,
Kinn, quer über den Kopf, je nach dem
Sitz der Affection). Die Heftpflasterstreifen
werden immer gekreuzt, das Pflaster muss
gut kleben. In einiger Entfernung vom
ersten lege man noch einen zweiten Sicher-
heitsstreifen an, da man die Ausdehnung
des Processes nicht immer genau kennt.
Das Heftpflaster muss fest liegen und seine
Festigkeit controlirt werden. Geht das
Erysipel mit gleich starker Röthung über
den ersten Streifen hinaus, so hat der letz-
tere nicht gut gelegen, öfters geht es
wesentlich abgeschwächt über den ersten
Streifen und erlischt dann schnell. Die
erysipelatöse Haut schwillt vor dem Streifen
häufig stark an. Die Temperatur geht nicht
immer sofort nach Anlegen der Streifen
zur Norm zurück, sondern erst nach zwei
bis drei Tagen.
(Wien. hUn. Wook$chr. 1889 Nr. 23).
George Meyer {BerKn).
430
Raferat».
rTherapentbdie
L Monatshefte.
Zur Therapie des Erysipels. Von Dr. Koch
(Wien).
Auf der Haut- und Syphilisabtbeilung
im Rudolf sspitale zu Wien wird das Ery-
sipel mit folgender Salbe behandelt:
IV Creolin. 1,0
Jodoform. 4,0
Lanolin. 10,0.
Diese wird mit weichem Pinsel gleich-
massig dick auf die gerothete Haut und
ca. 3 — 4 Querfinger im Gesunden aufge-
strichen und Guttaperchapapier darüber
gebreitet. Im Gesicht ist dies ausreichend,
da so die Haut macerirt und die Resorption
angeregt wird. Ist die Kopfschwarte be-
troffen, so werden die Haare kurz ge-
schnitten, die aufgetragene Salbe mit Gutta-
perchapapier bedeckt, darauf dieses mit
Watte und Binden befestigt. Die Eingangs-
pforten (z. B. Nase) des Virus werden eben-
falls behandelt. Die unter dieser Therapie
erzielten Ergebnisse werden vom Verf. sehr
gerühmt und die Methode zur Anwendung
empfohlen.
Das Creolin wurde in obiger Formel ge-
wählt, da es ausgezeichnet desinficirend
wirkt, ohne die schädlichen Nebenwirkungen
des Carbol zu besitzen; das freiwerdende
Jod im Jodoform hat auf die Entzündung
und ihre Producte resolvirenden Einfluss.
Das Lanolin wird wegen seiner guten
Resorptionsfähigkeit als Salbenconstituens
benutzt.
{Witn. KHn, Wochenschr. 1889 JVo. 21,)
George Meyer {Befrhn),
Behandlung der Purpura haemorrhagica mit Ar-
gentum nitricum. VonV. Poulet.
Verf. bespricht zwei Fälle von Purpura
haemorrhagica, welche durch Verordnung
von Silbemitrat geheilt worden sind.
Im ersten Falle handelte es sich um
ein 12 jähriges, von der Werl hoff sehen
Krankheit befallenes Kind. Alle gebräuch-
lichen Behandlungeweisen, wie z. B. Ferrum
sesquichloratum, Verstopfung der Nasen-
locher, gesäuerte Getränke, u. s. w. blieben
ohne Erfolg. Nun wandte er Silbernitrat-
pillen an. Dieselben waren zu 0,01 dosirt,
und 2 davon wurden täglich verabreicht,
unter dem Einfluss dieser Behandlung ward
eine merkliche Besserung am nächsten Tage
wahrnehmbar. Zugleich horten die Blutun-
gen auf.
Zweiter Fall. 20jährige Frau. Auch
von der Werl hoff sehen Krankheit befallen.
Silbernitrat zu 0,008, dreimal täglich wie-
derholt, führte eine baldige Heilung herbei.
Ihr. Poulet glaubt, dass das ^ilbemitrat
in diesen Fällen auf das Nervensystem ein-
wirkt, ebenso wie es auf dasselbe wirkt in
Fällen von Rückenmarks- und Nervenkrank-
heiten, sowie bei Epilepsie.
In der Purpurea scheint es nach Verf.
auf die vasomotorischen Nerven einzuwirken.
{BulUt.giti,dt TMrap,, 30, Mai 1889,)
Ciaret {Cwy),
Ein Beitrag zur Salbensondenbehandlung der
chronischen Urethritis. Von Dr. Szadek
(Kiew).
Verf. hat von 116 Fällen von Urethritis
chronica 30 mittelst Salbensonden behandelt.
Er benutzt hierzu die Benique- Sonden,
die mit folgender Masse überzogen werden
(Sperling):
. Arg. nitr. 0,1—0,3
Cer. alb. 4,0
Lanolin. 20,0.
M. f. Ugt.
Von jenen 30 Kranken blieben drei un-
gcheilt, 18 wurden geheilt (11 ohne andere
Behandlung, 7 mit Nachbehandlung mit
Einspritzungen), 9 wurden gebessert. Je-
doch giebt S. auch Contra indicationen für
diese Methode an und kommt zu folgenden
Ergebnissen :
1. Durch Einführung der Sonden in die
Behandlung des Nachtrippers ist eine Be-
reicherung der Harnrohren therapie geschaffen,
die jedoch nicht zur Behandlung aller Fälle
der chronischen Gonorrhoe erhoben werden
kann.
2. Die von Unna empfohlene Behand-
lungsmethode der chronischen Urethritiden
mittelst Anwendung der Salbensonden ist
ein sehr vorzügliches und wirksames Ver-
fahren in vielen Fällen des Nachtrippers imd
der Neurasthenia sexualis. Diese Behand-
lung ist aber nur in entsprechenden, streng
bestimmten Gonorrhoeföllen angezeigt, be-
sonders in denen, wo wir eine hyper-
plastische Entzündung oder Hypertrophie
der Harnrohrenwande , sogenannte weite
Stricturen, aber keine Erosionen, Granu-
lationswucherungen imd Geschwüre vor uns
haben.
3. Immerhin aber wird sich für viele so
behandelte Gonorrhoefälle nach der Er-
weiterung des Harnrohrenlumens eine Nach-
behandlung mit den Injectionen verschiede-
ner Adstringentien nothwendig erweisen.
4. Obwohl es immer solche Gonorrhoe-
fälie giebt, welche allen therapeutischen
Eingriffen , auch der Sondenbehandlung
widerstehen, wird sich immerhin für jeden
tüchtigen und erfahrenen Fachmann häufig
Indication für diese Behandlungsmethode
zeigen, welche bequem, exact und in vielen
m. Jahrgang, l
September 1889. J
Rafermte.
431
Fällen von Urethritis chronica besonders
vorzüglich wirksam ist.
{Arch. / Dermatol. u. Syph. 1889, 2. Htfi,)
George Meyer (BerUn),
Ein Fall von Heilung des Rotzes mittelst mer-
curleller Behandlung (Inunctionscur) nebst
einigen practisehen Bemerkungen über den
Rotz und dessen Prophylaxe. Von Dr. Gold
(SeveriDoyka bei Odessa).
Ein 30 jähriger Bauer war seit 8 Tagen
mit Schmerzen und Schwäche in den Beinen,
Schwere im Kopf, Athemnoth und Husten
erkrankt. Temperatur, als G. Patienten
sah, 38,9°, Puls 100, voll und hart. Appetit
schlecht. In den letzten zwei Tagen hatten
sich Abscesse bis zu Taube neigrosse an den
Extremitäten entwickelt. Keine Lues. An
den anderen Organen nichts Abnormes.
Mittelst bakteriologischen Gulturverfahrens
wurde der Eiter aus einem Abscess unter-
sucht, und die bereits vorher gestellte
Diagnose des Rotzes durch mikroskopischen
Nachweis der Rotzbacillen sichergestellt.
Wegen der gewissen Analogie zwischen Rotz
und Lues, femer wegen der günstigen anti-
parasitären Wirkung der Quecksilberpräpa-
rate verordnete Verf. eine Einreibungscur
(zweimal täglich Inunction mit je 2 g üngt.
einer, fort.) unter sorgfältiger Mundpflege,
Darreichung kräftiger Diät, Bädern etc. Die
Abscesse wurden incidirt und antiseptisch
behandelt. Nach dreimonatlicher Behand-
lung (68 Einreibungen) und folgender zwei-
monatlicher Beobachtung wurde Patient ge-
heilt entlassen und ist gesund geblieben.
Es ist der einzige von 25 Rotzkranken,
welchen Verf. heilen konnte.
Zum Schluss giebt G. einige praktische
Bemerkungen über die Differentialdiagnose
zwischen Rotz und anderen Erkrankungen
(z. B. Polyarthritis rheumatica, Typhus ex-
anthematicus, Purpura haemorrhagica etc.),
die besonders dadurch erschwert wird, dass
die meisten an Rotz leidenden Patienten
jeden Umgang mit (kranken) Pferden leug-
nen. Die Ursache der in Russland immer
häufiger auftretenden Erkrankung sieht Verf.
in dem ohne ernste Controle in Russland
stattfindenden Pferdehandel und dem Mangel
systematischer, sachverständiger Beaufsich-
tigung desselben, deren Herbeiführung einiger-
maassen das Weiterumsichgreifen der mör-
derischen Affection hemmen konnte.
Theoretische Erörterungen über den
guten Erfolg der Schmiercur im obigen
Falle will Yerf. nicht anstellen.
{Berl klin. Woeken»ehr. 1889, Ab. 30,)
George Meyer {Berlin).
lieber die Anwendung der CocaYnanästhesie bei
der Blasensteinzertrümmerung. Von Dr. A.
Freudenberg (Berlin).
Verf. bespricht zunächst die Vortheile
der Bigelow'schen Litholapaxie vor den
übrigen zur Entfernung von Blasensteinen
vorgeschlagenen Verfahren. Die Steinzer-
trümmerung setzt den Patienten einer ge-
ringeren Lebensgefahr aus, bedingt bei gün-
stigem Verlauf Heilung nach wenigen Tagen,
ohne die Schrecken einer grossen Operation
in sich zu tragen und sollte daher stets als
Regel betrachtet werden. Recidive bleiben
auch beim Steinschnitt nicht aus. Kranke,
die die Lithotripsie durchgemacht haben,
werden im Fall des Recidivs sich leichter
einer neuen Operation unterwerfen, als die-
jenigen, die die Lithotomie überstanden.
Bei grossen, harten Steinen, Complicationen
durch Blasentumoren oder von Seiten der
Urethra etc. wird natürlich die Operation
durch Schnitt am Platze sein. Es sind nun
viele Versuche gemacht, bei der Steinzer-
trümmerung nach Bigelow die Chloroform-
narkose durch die Cocain anästhesie zu er-
setzen. Erstere ist bBi Herz- und Gefäss-
krankheiten, an denen Steinkranke mit
Prostatahypertrophie nicht selten leiden, ge-
fährlich, femer wird die Steinzertrümmerung
durch die Einführung der Cocainanästhesie
eine schmerzlose Operation. F. beschreibt
zunächst die von Fürstenheim zur Zer-
kleinerung und Entfernung des Steins be-
folgte Methode (mittelstarke Instrumente,
23 — 27 Charri^re, Vollendung der Operation
möglichst in einer Sitzung, nach der Zer-
trümmerung des Steins Aspiration aller Frag-
mente, Unterbrechung nur bei grösseren
Blutungen, wenn nöthig, Entfernung grösse-
rer Steinreste in einer zweiten oder dritten
Sitzung). Die Litholapaxie wurde bei
13 Patienten unter Cocainanästhesie (Co-
caTnum muriaticum Merck) ausgeführt.
Es wurden Mengen von 1 bis zu 4 g steigend,
in einem Falle 5 g verwendet, und mit diesen
meist Verminderung des Schmerzes, in einigen
Fällen vollkommene Schmerzlosigkeit während
der Operation erzielt. Bei 1 1 Kranken war der
Erfolg mit dem Cocain sehr günstig, nur bei
2 Patienten, bei denen nur geringe Mengen
des Mittels gebraucht waren, musste Chloro-
form in Anwendung gezogen werden. Nur
in einem Falle trat eine Intoxication ein
(wahrscheinlich hatte der Patient eine Idio-
synkrasie gegen Cocain), sonst waren dau-
ernde Nebenerscheinungen von der Cocain-
anästhesie nicht zu verzeichnen, obwohl in
fast allen Fällen Complicationen, besonders
Affection der Blasenschleimhaut, bestanden.
Vorsicht ist jedoch bei der Anwendung
432
Rttfarmttt.
rlieimpeatiadie
Monatahefte.
des Cocains auch hier gehoten, da die
Empfönglichkeit der PatieDten dem Mittel
gegenüber sehr verschieden ist. Man ver-
wende im Ganzen 3 bis 4 g, höchstens 5 g
in 6 bis 8 bis lOprocentigei Lösung für
Blase und Harnröhre zusammen, jedoch
auch nicht weniger als 2 g, da sonst leicht
die anästhesirende Wirkung des Cocains
ausbleiben kann. Ueberwachung des Patien-
ten während der Operation, um eventuell
schnell das Cocain aus der Blase zu ent-
fernen, ist sehr wichtig. Lageveränderungen
nach der Injection des Medicamentes in die
Blase hält F. für unnöthig. Die Methode
der Blasencocainisirung nun war folgende:
Entleerung der Blase (mit J acqu es -Paten t-
Eatheter), Auswaschung mit Borsäure- oder
schwacher Carbollösung, Injection mit einer
an den Katheter gesetzten Spritze von 40
bis 46 ccm einer 6 bis 8 bis 10 (!) pro-
ceutigen Coca'inlösung zur Hälfte direct in
die leere Blase, zur anderen Hälfte nach
Zurückziehen des Katheterauges in die Pars
posterior urethrae durch die Pars prostatica
in die Blase, hierauf Anfüllung der Pars
anterior urethrae mit 5 bis 10 ccm derselben
Lösung. Nun wartet man unter Zudrücken
der äusseren Harnröhrenmündung 6 bis
8 Minuten, füllt in die Blase BorsäurelÖsung
nach, bis der Inhalt 150 bis 200 ccm be-
trägt und beginnt mit der Operation.
„Ihre Hauptin dication findet die Cocain-
anästhesie bei der Litholapaxie unter gün-
stigen Verhältnissen (kleinere Steine bei re-
lativ normalen Harnorganen), wenn die Ope-
ration in allen ihren Phasen in längstens
15 bis 25 Minuten zu vollenden ist.^ Bei
sehr ängstlichen, überempfindlichen Patienten
wird das Chloroform am Platze sein.
Jene für die Cocain an äs thesie genannten
günstigen Verhältnisse sind natürlich nur
vorhanden, wenn der Stein frühzeitig er-
kannt wird, da mit dem Wachsthum des
Steins auch die Harnorgane mehr afficirt
werden. Diese frühzeitige Diagnose des
Steins muss daher allen Aerzten ganz be-
sonders als Ziel vorschweben, da dann der
Stein noch klein ist, daher die Litholapaxie
angewendet werden kann, deren Erfolg dann
ein günstiger sein wird, und auch die Co-
cainanästhesie dann am Platze ist.
{Bert KUm, Woekmuekr. 1889. No. 27-30.)
Georg« Meyer {BerSm).
lieber die therapeutische Verwendung der Sozo-
jodolpräparate mit besonderer Berflckslchti-
gaag der Rhino- und Laryngologie. Von
Carl Stern.
Die aus der Sozojodolsaure, Acid. sozo-
jodolic, Dijodparaphenolsulfonsäure darge-
stellten verschiedenartigen Sozojodolpräparate
sind wirksame Antiseptica. Dies wurde für
die Säure selbst und für das Sozojodol-
natrium von Langgaard durch Versuche fest-
gestellt. Aber auch in antiparasitärer Hin-
sicht kann, wie G. Müller gezeigt hat, das
Sozojodol erfolgreich mit den sonstigen ge-
bräuchlichen Mitteln concurriren, wobei be-
sonders seine relative Unschädlichkeit in
Betracht kommt.
Welcher von den vielen in den Sozo-
jodolpräparaten vorhandenen Stoffen — Jod,
Phenol, Schwefel — das bestwirkende Agens
darstellt, las st sich schwer entscheiden, da
bei der Constanz der chemischen Zusammen-
setzung unseres Präparates die einzelnen
Stoffe sich nicht leicht aus der einmal ein-
gegangenen Verbindung trennen. Vielmehr
scheint die gute Wirkung gerade auf der
Combination aller aufgezählten Antiseptica
zu beruhen. Der umstand, dass sich im
Atomencomplex der Dijodparaphenolsulfon-
säure leicht ein Wasserstoffatom durch
Kalium, Natrium, Quecksilber, Blei und
andere Metalle ersetzen lässt, macht dieses
Mittel geeignet zur Anwendung auf Wund-
flächen und Schleimhäute, da man mit dem-
selben je nach der Wahl des Metalles eine
specifische bis zur eventuellen Aetzwirkung
gesteigerte Einwirkung auf jene Gewebe
ohne Schwierigkeiten erreichen kann. Be-
sonders verdient aber das Mittel in der
Rhinologie und Laryngologie Anwendung zu
finden, nicht allein wegen seiner antisep-
tischen Eigenschaften, sondern vielmehr
wegen seiner modificirenden Einwirkung auf
die Secretion der Schleimhäute. In dieser
Beziehung ist die Natriumverbindung wenig
wirksam, um so wirkungsvoller dagegen die
Ealiumverbindung. Dieselbe vermindert
durch ihre wasserentziehende Eigenschaft die
Secretion in ganz erheblichem Maasse, und
es ist kaum von der Hand zu weisen, dass
bei der Leichtigkeit, mit der sich das Kalium
aus der Verbindung lost, gerade dieses die
genannte Wirkung besitzt. Die Zink Ver-
bindungen wirken je nach ihrer Zusammen-
setzung entweder adstringirend, irritirend
oder ätzend auf die Schleimhaut. Das
Quecksilberpräparat besitzt ausser seiner
wahrscheinlichen specifischen Wirksamkeit
noch eine sehr stark ätzende Wirkung auf
die Schleimhäute.
Was die Erfahrungen anlangt, welche
man mit dem Mittel in der Therapie ge-
macht hat, so berichtet Lassar in dieser
Beziehung sehr günstige Resultate. £r ver-
wandte bei allen möglichen Hauterkrankun-
gen die Präparate in 5 — 10% Streupulver
imd Pasten. Am besten bewährten sich
IIT. Jahrgmay. 1
SeptambT 1889.J
Rafarat«.
433
dieselben bei parasitären Erkrankungen und
bei varicosen ünterscbenkelgeschwüren.
In der Rbino- und Laryngologie wurden
die Sozojodolpräparate zuerst Yon Fritscbe
angewandt, aber ohne bestimmte Indication.
Doch bat er nur günstige Erfolge bei allen
möglichen Erkrankungen gesehen, besonders
aber bei solchen, die mit Eintrocknung eines
festen, zähen Secretes einhergingen. Ebenso
günstige Erfolge wurden bei tuberculösen
und luetischen Affectionen der Nase und des
Kehlkopfes erzielt.
Beim Tripper wurde das Zinkpräparat
in 2 ^/o Lösung sowohl beim Manne, als
beim Weibe, ohne besonderen Erfolg ange-
wandt.
Auch in der Gynäkologie fand das Sozo-
jodolnatrium Anwendung beim Cervixkatarrh
mit Ectropium und Erosionen, das Sozo-
jodolzink bei Endometritiden.
Es folgt zum Schluss das Resultat von
108 mit Sozojodolpräparaten in neuester
Zeit behandelten rhino- und laryngologischen
Fällen. Yon diesen betraf die allergrösste
Zahl Elrankheiten der Nase und deren
Nebenhöhlen. Dayon wurden 86 Fälle von
Rhinitis chronica, meist hyperplastischer
Form, mit Sozojodolzink behandelt und zwar
in Pulverform, wobei als Constituens Talcum
gewählt wurde. Die Erfolge waren sehr
günstig bei Rhinitis chron. hyperpl. mit
abnorm geringer Secretion. Es wurde bald
reichlich Schleim secernirt unter allmählicher
deutlicher Abschwellung der bedeutend
hypertrophirt gewesenen unteren Nasen-
muscheln. Bei 26 Fällen der Rhinitis chron.
atrophicans mit ebenfalls spärlicher Secretion
war der Erfolg des Mittels ein ähnlich
günstiger.
Bas Sozojodolkalium fand seine Anwen-
dung in 15 Fällen von abnorm starker
Secretion der Nasenschleimhaut mit secun-
därem ausgebreiteten Ekzema narium. Der
Erfolg war meist sehr zufriedenstellend, in-
dem die Hypersecretion in kurzer Zeit ge-
hoben wurde. Die Quecksilberverbindung
und diejenige mit Natrium wurde zu selten
angewandt, um sichere Schlüsse auf deren
Wirksamkeit ziehen zu lassen.
{hunigural-DUsert. 1889.)
Carl Rotenthai {BerUn).
Zur Kenntniss der Wirkung des Naphthalins auf
das Auge und die sogen. Naphthalincataracte.
Von Dr. Kolinski.
Nach 30 Thierexperimenten (angestellt
an Kaninchen, Meerschweinchen und Hun-
den) kommt K. zu Resultaten, die mit denen
von Panas, Dor und Hess ziemlich über-
einstimmen. Yerf. nimmt au, dass bei der
Naphthalin Vergiftung die rothen Blutkörper-
chen leiden und dass hieraus die weit-
gehendsten Ernährungsstörungen resultiren.
{Nach Petersburg, med. Woehentchr. 1889 No. 15.)
R.
Zur elektrischen Behandlung der Angiome. Aus
der TübiDger chinirgiscben Klinik dee Prof.
Dr. BruDS von Dr. Th. Gessler.
Seit 1874 wurde auf der Tübinger chi-
rurgischen Klinik in 10 Fällen von meist
sehr ausgebreiteten subcutanen, geschwulst-
förmigen Angiomen, bei denen jedoch auch
mehr oder weniger die bedeckende Haut von
Teleangiectasien eingenommen war, die Elec-
trolyse angewandt und zwar in der Weise,
dass unter Narkose in das Angiom zwei
Platinnadeln gestossen und mit den beiden
Polen verbunden wurden; ein Strom von
10 — 20 Milliamperes wurde 10 — 15 Minuten
lang durch geleitet. In früherer Zeit blieben
die Nadeln noch einige Tage liegen, später,
nachdem kurze Zeit vor Beendigung der
Sitzung der Strom gewechselt worden, wur-
den sie gleich entfernt, die Stichöffnungen
mit Jodoformpulver eingerieben und ein
Jodoformverband angelegt zur Erzielung
einer Heilung unter dem Schorf. Von den
so behandelten 10 Fällen (sämmtlich Kinder
von 21 Wochen bis 2 Jahren bis auf ein
9jäbriges Mädchen) trat in 7 Fällen in 1 bis
3 Sitzungen Heilung ein, bei 2 blieb das
definitive Resultat unbekannt, 1 Fall war noch
in Behandlung. Besonders hervorgehoben muss
werden, dass der Eingriff selbst ein ganz
geringfügiger, die Reaction nach demselben
keine sehr starke zu sein pflegt, so dass
auch im jugendlichsten Alter diese Methode
ohne Bedenken sich anwenden lässt. Ein
Vergleich mit den übrigen auf andere Weise
(Excision, Galvanokaustik, Ignipunctur, Un-
.terbindung der zuführenden Arterie und In-
jection von Eisenchlorid) daselbst behandel-
ten Fällen ergiebt die Superiorität dieser
Methode, besonders für die schwersten Fälle
ausgedehnter geschwulstförmiger Angiome.
{Beiträge cur Chirurgie^ Älitiheilungen ans den KUniken
tu Tübingent Heidelherg^ Zürich^ Basel. Redigirt von
Dr. P. Bruns, IV. Bd. 2. Beß, No. XVJ.) Pauli (Lüheek).
Ueber den Einfluss des Olivenöls auf die Gallen-
secretion. Yorläufige Mittheilung von Dr. Sieg-
fried RoBenberg ^erlin.)
Die von manchen Autoren nach grossen
Dosen Olivenöls bei Gallensteinkolik beob-
achteten Erfolge veranlassten R. die Wirkung
des Olivenöls auf die Gallen secretion zu stu-
diren. Die Versuche, welche Vf. im Zun t zi-
schen Laboratorium an Hunden mit perma-
nenter Gallenflstel anstellte, ergaben, dass
56
434
Referate.
rlierapentiich«
Monatihefle.
unter der Einwirkung des Olivenöls die
Menge der secemirten Galle sehr beträchtlich
vermehrt, die Consistenz dagegen vermindert
"wird.
{FortsckritU d. Med. 1889, No. 13.) rd,
Cocain-Anosmie. Von Dr. H. Zwaardemaker
(Utrecht).
Verf. hat gefunden, dass Cocain bei
localer Anwendung den Geruchssinn in ähn-
licher Weise beeinflusst, wie die sensiblen
Nerven und die Geschmacksnerven. In ge-
nügender Menge von den oberen Theilen der
Nasensschleimhaut resorbirt, erzeugt Cocain
eine vorübergehende, sich gleichzeitig auf sehr
verschiedene Geruchsqualitäten beziehende
Anosmie, welcher eine Hyperaesthesia olfac-
toria voraufgeht.
{ForUchritU d. Med. 1889. No. 13.) rd.
Zur Behandlung von Anchylostomum duodenale.
Von Dr. Sonsino.
Bei einem jungen Mädchen, bei welchem
anfänglich Chlorose diagnosticirt worden
war, ergab die Untersuchung der Faeces die
Anwesenheit von Anchylostomum. Nach eini-
gen Gaben von 4,0 Thymol wurde Pat. da-
von befreit.
{Ocuetta d. Ospitali und Wien, med, Wockensekr.
1889 No. 21.) R.
Zur Technik der Mastdarmresectlon. Von Dr.
William Levy, Chirurg beim Gewerkskrankenr
verein zu Berlin.
Als Verbesserung des Operationsverfah-
rens nach Kocher, Eraske und Heineke,
deren Schnittführung durch Beckenboden
und Schliessmuskel die Funktionen letzterer
beeinträchtigt, schlägt Verf. ein vorläufig
erst an der Leiche von ihm geübtes Ver-
fahren vor, nach welchem der Schnitt wage-
recht über das Kreuzbein, fingerbreit ober-
halb der Corona coccygea geführt und an
den Enden durch senkrechte nach unten
verlaufende Schnitte vervollständigt wird.
In der Richtung des wagerechten Schnittes
wird dann das Kreuzbein vermittelst einer
breiten Knochenscheere durchtrennt, durch
einen starken scharfen Haken nach unten
gezogen, worauf der Mastdarm in grosser
Ausdehnung, nach unten bis 2 cm oberhalb
des Anus und nach oben bis in die Flex.
sigm., freigelegt werden kann. Beckenboden
und Schliessmuskel können somit vollstän-
dig geschont werden. Nach erfolgter Re-
section des Mastdarms wird der umgeschla-
gene Lappen nebst Kreuzbein wieder in
seine alte Lage gebracht und durch Knochen-
und Weich th eilnähte vereinigt.
{CmiraJhl, /. Chirurgie, 1889, No. 13.)
Freyer {SteUki).
Toxikologie.
Ein Fall von Creolin Vergütung. Von Dr. Cr am er
in Lauenburg a. d. Elbe. (Original-Mittheilung).
Es handelte sich um einen Patienten,
welcher eine heftige Blasenblutung wahr-
scheinlich in Folge eines Zottencarcinoms
gehabt hatte. Es zeigte sich, dass der De-
trusor vesic. nicht functionirte und ich war
gezwungen, eine grossere Menge blutigen
Harns durch Catheterismus zu entleeren. Da
anscheinend das ergossene Blut schon stag-
nirt hatte, spülte ich die Blase mit einer
Va^/o Creolinlösung aus, gebrauchte aber die
Vorsicht, die letzten Reste derselben mit
warmem Wasser zu entfernen. Nach 24
Stunden sah ich den auf dem Lande wohnen-
den Kranken wieder. Er hatte sich nach
der Creolinspülung gut befunden, doch war
seitdem, wie vorher, keine genügende Harn-
entleerung dagewesen, was mich veranlasste,
die gleiche Maassregel zu wiederholen. Beide
Male klagte Pat. über erhebliche Schmerzen
durch das Tragen des sehr vorsichtig ein-
geführten Silbercatheters. Als sich diese
Klagen während des Ausflusses der einge-
führten Creolinlösung steigerten, entfernte
ich, nachdem der letzte Tropfen der Losung
dem Augenmaass nach die Blase yerlassen
hatte, wegen der Schmerzen den Catheter,
ohne die frühere Wasserspülung zu wieder-
holen.
Am nächsten Tag vnirde mir eine Urin-
probe gebracht, die deutlichste Zeichen des
Carbolurins bot. Einige Stunden später
wurde ich eiligst herausgeholt und fand den
Kranken, der einen heftigen Schüttelfrost
gehabt hatte, mit einer Temperatur von 40,5
sehr collabirt und dyspnoisch Tor.
Nach Angabe der Umgebung hatte er
erbrochen und dann heftig rauschähnlich
delirirt. Der Urin zeigte noch massige Cai-
m. JtJxrgtLng. 1
Saptember 1889.J
Toxikolocla.
435
bolreaction, aber die Blutung stand, die auf
interne Mittel gar nicht reagirt hatte.
Unter Anwendung von Analepticis, sowie
Phenacetin 0,5 erholte sich der Kranke. Am
nächsten Tag war der spontan gelassene IJrin
ganz klar.
Zur Casuistik der Oxalsäure-Vergiftungen« Von
Dr. E. Schaff er (Offenbach).
Während die Intoxicationen mit Phosphor
in den letzten Jahren seltener geworden sind,
hat die Zahl der Vergiftungen mit Oxalsäure
(Zucker- oder Eleesäure) resp. mit dem in
seinen Wirkungen identischen sauren, Oxal-
säuren Kali (Kleesalz) erheblich zugenommen.
Bei ihrer yielseitigen Verwendung in der
Industrie und ihrer starken toxischen Wir-
kung verdient die Oxalsäure besonders Inter-
esse. Es liegen bisher nur spärliche klini-
sche Beobachtungen über diese Intoxication
beim Menschen vor. Meistens tritt eben der
Exitus ein, bevor ärztliche Hilfe zur Stelle
war. Oft findet der Arzt den Pat. schon
moribund, so dass eine genaue Untersuchung
und Beobachtung nicht mehr möglich. — S.
berichtet nun ausfuhrlich über einen hierher
gehörigen Fall, den er im Stadtkrankenhaus
zu Offenbach genau zu beobachten Gelegen-
heit hatte.
Derselbe betrifft einen 19jährigen Men-
schen, der sich am 26. Februar für 25 Pf.
Kleesäure in einer Drogenhandlung gekauft
und dieselbe in einem Glase Wasser gelost
zu sich genommen hatte. Vorher hatte er
3 Glas Bier, Brod mit Käse und eine Tasse
Kaffee genossen. Nach 5 Minuten trat
Würgen und Erbrechen ein, sowie brennende
Schmerzen im Hals und Leib. Nun erfuhr
die Umgebiing, dass Pat. sich mit Kleesäure
vergiftet. Von ärztlicher Seite wurden
Magenspülungen mit Wasser vorgenommen.
Spülwasser sowie Erbrochenes waren blutig
gefärbt. Bei der Aufnahme (^a Stunde nach
dem Selbstmordversuch) bereits schwerer
Collaps mit kleinem, unregelmässigem, lang-
samem Pulse (48 in der Minute) und ober-
flächlicher Respiration (10 — 12 in der Minute).
Haut mit kaltem Schweiss bedeckt, livide
Gesichtsfarbe, Pupullen weit. Sensorium
benommen. Brechreiz. — Ordin.: Campher
subcutan, heisser Kaffee, Cognac. 2 Stunden
später hatte sich der Puls gehoben und Pat.
war weniger somnolent. Klonische und to-
nische Krämpfe in den untern und obem
Extremitäten und gesteigerte Reflexe. Nach
einiger Zeit lassen die Krämpfe nach, das
Sensorium wird freier. Starke Schmerzen
im Halse. Anästhesie an den Finger- und
Zehenspitzen, sowie auf der Vorderfläche der
beiden Hände und Plantarfläche der Füsse.
Sensibilität an den übrigen Stellen des Kor-
pers normal. Temp. 38,2, Puls 80. Klagen
über Schmerzen in der Lumbaigegend und
in beiden Beinen. Füsse und Hände »^^
eingeschlafen". Starkes Durstgefühl. Brennen
im Munde.
Der am folgenden Tage spontan entleerte
Urin ist blutig gefärbt, sauer, stark eiweiss-
haltig, enthält reichliche Epithelien und
Epithel cylinder, desgleichen Oxalsäurekry-
stalle. Pat. klagt über Schmerzen in der
Nieren- und Blasengegend, Appetitlosigkeit
und Brechreiz. Dazu gesellt sich alsbald
Hyperhidrosis an Händen und Füssen und
Kopfschmerz.
An den nächstfolgenden Tagen bestehen
die vorgenannten Symptome noch fort. Pat.
kommt sich „wie betrunken" vor.
Nach Verlauf von 8 Tagen Besserung
und am 13. März kann Pat. als geheilt ent-
lassen werden.
Es ist leicht verständlich, dass die In-
toxication serscheinun gen in den verschiedenen
Fällen je nach den begleitenden Umständen
verschieden stark auftreten. Das Nahrungs-
quantum, das in unserem Falle der Pat.
noch kurze Zeit vor dem Selbstmordversuch
zu sich genommen, war sicherlich für den
Verlauf der Intoxication von günstigem Ein-
fluss, ebenso wie das schon 5 Minuten nach
Einführung des Giftes erfolgte Erbrechen.
{Münch. med, Wochensehr. 1889, No. 23.) Ji.
Acute Jodintoxication bei einem Nephrltiker. Von
Dr. Gerson (Pforzheim).
G. verordnete bei einem 27 jährigen
Manne, der an traumatischer Periostitis der
Tibia litt, Bleiwasserumschläge und innerlich
Jodkali 5:150 g, 3 mal täglich 1 Essloffel.
Am nächsten Tage war eine bedeutende Ver-
schlimmerung des AUgemeinbeflndens einge-
treten (Pat. hatte 60 g d. h. 2 g Jodkalium
gebraucht). Bereits nach Einnahme des er-
sten Löffels Niesen, Schnupfen, Benommen-
heit, Kreuzschmerzen; nach dem zweiten
Löffel Erbrechen; nach dem dritten Appetit-
losigkeit, starkes Durstgefühl, Metall-
geschmack im Munde, Pupillen weit; auf
Rumpf und Armen ein masern ähnlicher hell-
rother Ausschlag; Puls voll; starke Druck-
empflndlichkeit in der Nierengegend. Im Harn
keine Jodreaction, aber reichlich Ei weiss,
Fettkörnchency linder, dunkele Farbe, hohes
specifisches Gewicht (1026). Nach Aus-
setzen des Medicamentes trat Besserung aller
Symptome ein, nur die pathologischen Be-
standtheile im Urin waren noch vorhanden,
Jod nicht im Urin nachzuweisen. Der Pa-
tient hatte vor anderthalb Jahren eine acute
Nieren erkrankung überstanden, diesen Um-
55 •
436
Tozlkologi«.
rrhermpeatiKhe
L MoBJttabeflai
stand aber yersch wiegen. Wahrscheinlich
litt der Mann also an chronischer parenchy-
matöser Nephritis ; die erkrankte Niere schied
das Jod nicht aus, sodass es im Organismus
die geschilderten Yergiftungserscheinungen
hervorrief.
{Müneh. med. Wockenachr. 1889 No. 25.)
George Meyer {Berlin),
Intoxication durch subcutane Injection von Oleum
clnereum. Von Dr. Lukasiewicz (Wien).
Bei einer 46jährigen, an Lues leidenden,
sonst gesunden, kräftigen, gut genährten Per-
son wurden im Ganzen in 7 Wochen 9 mal
Injectionen von Ol. einer, vorgenommen und
im Ganzen 2,15 com einer 30 procentigen Ol.
einer, applicirt. Jedes Mal vor der Einsprit-
zung wurde genau der Mund nachgesehen und
stets sorgföltige Mund- und Zahnpflege an-
geordnet. Trotz dieser Yorsichtsmassregeln
stellte sich eine Woche nach der letzten
Injection eine Stomatitis ein, die sich immer
mehr trotz aller Gegenmittel ausbreitete,
ferner Diarrhoe, blutige Stühle, Tenesmus,
Albuminurie, und unter fortgesetzter Ab-
magerung, starken Schmerzen im XJnterleibe
starb die Patientin ca. vier Wochen nach
der letzten Einspritzung des grauen Oels.
Die Section ergab starke Schwellung der
Schleimhaut im ganzen Dickdarm, im Dünn-
darm geringere Veränderungen. Die Unter-
suchung einer aus der Rückenhaut excidirten
Injectionsstelle ergab 0,0415 g Hg = 69,5%
der injicirten Menge von 0,0597. Die Re-
sorption des Hg war sehr langsam erfolgt,
jedoch ist dieselbe zuletzt mit der schnellen
Abmagerung der Patientin schneller von
Statten gegangen. Die Zufuhr des Quecksilbers
aus den angelegten Depots in den Korper konnte
nicht gehindert werden; es ergiebt sich auch
hieraus wieder die Unmöglichkeit genauer
Dosirung bei den Injectionen. Der zeitliche
Zwischenraum zwischen zwei Einspritzungen
ist sicher viel länger zu wählen. An der
Klinik von Kaposi werden die Injectionen
nur an einer Stelle ausgeführt, nicht mehr
als 0,15 Ol. einer. (Hydrarg., Lanolin, aa 3,0;
Ol. olivar. 4,0, also 30procentige Oelsuspen-
sion). Die Frist zwischen zwei Injectio-
nen beträgt mindestens 1 Woche, individuell
(schlechte Zähne etc.) bis zu 2 Wochen ;
mehr als 5, höchstens 6 Injectionen (0,75
bis 0,9) werden nicht gemacht. Wenn nöthig,
wird nach einer Pause die Schmiercur an-
geschlossen.
Jedenfalls also ist grosse Vorsicht bei
der Anwendung der Quecksilberölsuspension
anzurathen.
{Wien. hUn, Wochensehr. 1889 No. 29 u. 30.)
George Meyer (Berlin).
Schnell eintretender Tod nach subcutanen Ein-
spritzungen von Morphin. VonDr. H. Bai-
land.
B. hat 6 Fälle beobachtet, in denen
sehr bald nach einer Injection von 0,01
Morphin Exitus letalis eingetreten ist. In
allen Fällen handelte es sich um Tuber-
culose im letzten Stadium mit intensiver
Diarrhoe.
Gleich nach der Einspritzung machte
sich eine deutliche Erleichterung bemerkbar,
aber eine halbe Stunde nachher starben die
betreffenden Patienten ganz plötzlich, ohne
vorher die geringsten Beschwerden zu ver-
rathen.
{Revue gen. de CUnique et de Therap. 1889, No. 27.)
Ciaret {Cery).
Zwei Fälle von schnell eintretendem Exitus leta-
lis nach subcutaner Morphin - Injection.
Von Dr. L. du Bourg.
Verf. behandelte einen 42jährigen Alko-
holiker mit Lebercirrhose, allgemeinem Ic-
terus und Insufficienz der Aortenklappen.
Um die quälende Dyspnoe zu bekämpfen,
wurde ihm eine subcutane Einspritzung von
0,005 Morphin gemacht. 15 Minuten nach
der Injection verspürte Pat. grosse Erleich-
terung und 20 Minuten später starb er ganz
plötzlich.
In dem zweiten Falle handelte es sich
um eine 47 Jahre alte Dame, die seit fünf
Tagen an Ileotyphus erkrankt war und seit
2 Tagen an furibunden Delirien litt. Hoch-
gradigste Aufregung, zu deren Bekämpfung
0,005 Morphin subcutan eingespritzt wurden.
10 Minuten später trat Beruhigung ein, aber
15 Minuten nach der Einspritzung war Pa-
tientin plötzlich verschieden.
{Revue gen. de CUnique et de TkSrap. 1889, No. 29.)
Chret {Cery).
Litteratvr.
Die moderne Behandlaner der Nervenschwäebe
(Neurasthenie), der ^sterie and verwandter
Leiden. Mit besonderer Berücksichtiganff der
Luftcaren, Bäder, Anstaltebehandlaog und d^
Mitchell-Playfair'flchenMastcur. VonDr. Löwen-
feld, Specialarzt für Nervenkrankheiten in
München. Zweite vermehrte Auflage. Wies-
baden. J. F. Bergmann 1889. 8<>. 131 S.
Diese verdienstvolle Broschüre ist bereits
bei ihrem ersten Erscheinen in den Thera-
peutischen Monatsheften besprochen und warm
empfohlen worden. Wie zu erwarten war,
September 1889.J
Litteratur.
437
hat sie alsbald die gebührende Anerkennung
und weite Verbreitung gefunden, so dass
gegenwärtig dem ärztlichen Publicum wieder*
um eine neue Auflage vorgelegt werden kann.
— Dieselbe ist durch danken swerthe Aen-
derungen und Zusätze erheblich vermehrt
worden. Die neusten Methoden und Be-
handlungsweisen sind von einem objectiven
Standpunkte aus eingehend und sachgemäss
berücksichtigt worden. Hierbei möchten wir
noch die klare und leicht fassliche Dar-
stellungsweise des federgewandten und an
eigenen Erfahrungen reichen Verfassers mit
ganz besonderem Nachdrucke hervorheben.
Entsprechend der Bedeutung, die der hyp-
notischen Behandlung gegenwärtig von
vielen Seiten zuerkannt wird, hat der Verf.
derselben in einem eigenen Abschnitte eine
ausführliche und unparteiische Besprechung
gewidmet. — Gleich ihrer Vorgängerin werden
wir daher auch der neuen Auflage unsere
rückhaltslose Anerkennung zollen müssen.
Babow.
Mittheilnnipeii ans der chirarsrisclien Klinik zn
Kiel von Dr. Friedrich v. Es mar eh. Heft IV.
Kiel u. Leipzig. Verlag von Lipsius u.
Tisch er. 1888.
In dem vorliegenden IV. Heft der Kieler
Mittheilungen untersucht zunächst Hitze-
grad „die Enderfolge der Kniegelenks-
resectionen seit Einführung der anti-
septischen Wundbehandlung und der
künstlichen Blutleere." Aus 115 von
1874 — 84 operirten Fällen gewinnt er das
Resultat, dass diese Operation bei der Gelenk-
tuberculose ihren alten Platz behaupten darf.
Im Besonderen führt er aus, dass die Winkel-
stellung des Beines sich durch Tragen von
Schutzverbänden bis zur vollständigen
knöchernen Ankylose, oft also jahrelang
vollständig vermeiden lasse. Eine Beschleuni-
gung der Ankylose sei durch Verbesserung
der Operationstechnik und möglichste Ent-
fernung alles Kranken — was bei künst-
licher Blutleere desto leichter sei — , sowie
durch Fixation der Knochenenden mittelst
langer Stahlnägel anzustreben und auch
zu erreichen.
Bier liefert „Beiträge zur Kenntniss
der Syphilome der äusseren Muscula-
tur". Indem er auf den Mangel besonderer
Charakteristica in der Entwicklung , den
Symptomen und dem Verlauf dieser Theiler-
scheinungen der allgemeinen Syphilis hin-
weist, weiss er doch hervorzuheben, dass die
Muskelsyphilome zuweilen schon sehr früh
erscheinen und in erster Linie die Kopfnicker
befallen, auch mit Vorliebe in der Nähe der
Sehnen und Knochenansätze sich etabliren.
Therapeutisch sei der schon von Nelaton ge-
gebene Rath zu beherzigen, dass Muskelge-
schwülste, deren anderweitige Natur nicht
unbedingt feststeht, zunächst antisyphilitisch
zu behandeln seien; auch solle man bei an-
fänglichem Misserfolg nicht den Muth ver-
lieren, sondern in der antisyphilitischen Cur
fortfa-hren, da die Schwierigkeit der defini-
tiven Heilung des chronischen Muskelgummas
eben in den anatomischen Verhältnissen, in
dem derberen Bindegewebe und den unresor-
birbaren Käseherden, ihren Grund haben.
Derselbe Verfasser beschreibt noch einen
Fall von Akromegalie, jener erst neuer-
dings mehr bekannt gewordenen, merkwürdi-
gen Vergrösserung peripherischerKörpertheile,
besonders der Hände, Füsse und des Gesichtes.
Freyer {Stettin).
Lehrbnch der Ohrenheilkunde, mit besonderer
Rücksicht auf Anatomie und Physiolo&rie
von Dr. Joseph Grub er, K. K. a. o. Pro-
fessor der Ohrenheilkunde an der Universität,
Vorstand der Universitäts-Klinik für Ohren-
kranke und Ohrenarzt des allgemeinen Kranken-
hauses in Wien. Zweite, gänzlich umgearbeitete
und vermehrte Auflage. Mit 150 in den Text
gedruckten Abbildungen und 2 chromo-litho-
graphischen Tafeln. Wien. Druck und Ver-
lag von Carl Gerold's Sohn 1888. Gr. 8.
S. 676.
Zu den erfreulichen Erscheinungen auf
dem Gebiete der neueren medicinischen Litte-
ratur gehört die Thatsache, dass man nun-
mehr auch der lange unverdientermaassen ver-
nachlässigten Ohrenheilkunde ein grösseres
wissenschaftliches Interesse entgegenbringt.
Ist doch seit dem ersten, deutschen klassi-
schen Lehrbuch von Tröltsch, 1862, einige
mindcrwerthige , meist compilatorische Ela- •
borate abgerechnet, eine stattliche Reihe sehr
verdienstvoller Werke erschienen. Zu diesen
letzteren gehörte unzweifelhaft bereits die
erste Auflage des Grub er' sehen Lehrbuches,
das, abgesehen von einigen Bemängelungen
der hier und da auftretenden, schwerfiilligcn
Schreibweise und nicht ganz zweckmässiger
Eintheilung des Stoffes vielfache Anerkennung
von Seiten berufener Fachmänner gefunden
hat. Der Autor hat sich den erwähnten
Ausstellungen gegenüber in der neuen Auf-
lage nicht ablehnend verhalten, so dass die
Kritik diesmal sich in höherem Grade lobend
aussprechen kann.
Der erfahrene Lehrer und Forscher lässt
sich in der Einleitung zunächst über die
Wichtigkeit des Studiums der Anatomie des
Gehörorgans aus und wendet sich sodann
zur Osteologie des Schläfenbeins, wobei er
den embryologischen und kindlichen Verhält-
nissen seine besondere Aufmerksamkeit
schenkt. Sodann geht Verf. zu einer ein-
438
Littaratur.
rlkerapeutiMlie
BfonAtabefle.
gehenden Betrachtung der Weichtheile des
Gehörorgans über. Es kann hier nicht der
Ort sein, auf alle die interessanten Details
(beispielsweise die Histologie des Trommel-
fells, worin der Autor ganz besonders yiel
gearbeitet hat) einzugehen. Zur eigentlichen
Ohrenheilkunde übergehend, behandelt Yerf.
dann den allgemeinen Theil in yier Capiteln,
und zwar im ersten das Erankenexamen, die
verschiedenen Hörprüfungen und physiologi-
schen Hörversuche, im zweiten die objective
Untersuchung des äusseren Ohres, des Trom-
melfelles, der Paukenhöhle und des Nasen-
rachenraumes, sowie die verschiedenen Arten
des Catheterismus der Ohrtrompete, die ver-
schiedenen Methoden der Luftdouche, sowie
die Bougirung der Tuba; im dritten Capitel
bespricht er kurz die Pathologie der Ohren-
krankheiten und wendet sich im vierten zu
der so wichtigen, allgemeinen Therapie der-
selben. Wie leicht begreiflich, lässt sich auf
diesem viel bearbeiteten, aber mit Contro-
versen reich gesegneten Gebiete auch gegen
einzelne Encheiresen des Autors manches ein-
wenden. Die Disciplin ist noch zu jung, und
bezüglich der einschlägigen physiologischen
und pathologischen Zustände sind wir noch
zu sehr auf Hypothesen angewiesen, als dass
auf therapeutischem Gebiete schon Fertiges
verlangt werden könnte. Sodann bespricht
Yerf. in 16 Capitel n die Krankheiten des
äusseren, mittleren und inneren Ohres in
ausführlicher und mit einer, auf reicher Er-
fahrung beruhenden hervorragenden Sach-
kenntniss. Den neuen physiologischen und
bakteriologischen Forschungen trägt er hier
vollauf Rechnung. Der chirurgischen Er-
öffnung des Warzenfortsatzes, die bekannt-
lich durch Schwartze's erfolgreiche Be-
mühungen zu so grossem und berechtigtem
Ansehen gekommen ist, widmet er die ver-
diente Aufmerksamkeit, indem er Schwartze's
Indicationen acceptirt, die Operationsmethode
genau schildert und die topographischen
Verhältnisse des Warzen fortsatzes mit Bezug
auf die Operation klarstellt. Die patho-
logischen Veränderungen am Trommelfell,
sowie die betreffenden Operationen an dem-
selben sind ausserordentlich sorgfältig bear-
beitet und kann Ref. den für die Tenotomie
des Tensor tympani vorsichtig ausge-
sprochenen Indicationen beipflichten. Die
vom Verf. eingeführten Gelatine -Präparate
(Amygdalae aurium) bei Otitis externa
diffusa hält Ref. für sehr zweckmässig; be-
sonders wirkt das den Präparaten zugesetzte
Narcoticum sehr schmerzstillend; doch glaubt
er nicht, dass die Amygdalae neben ihrer
anästhesirenden Wirkung noch eine anti-
phlogistische haben. Den bei Periostitis
des Processus mastoideus empfohlenen Lei-
ter^ sehen Kühlapparat hält Ref. für über^
flüssig. G. meint, dass er primäre, selbst-
ständige Entzündung des Warzentheils ohne
vorherige Erkrankung des Periostes und
ohne Entzündung der Schleimhäute der
Paukenhöhle noch niemals gesehen habe.
Wenn auch zugestanden werden muss, dass
die Affection selten ist, so kommt dies nach
des Ref. Erfahrung bei Tuberculose that-
sächlich mitunter vor.
Bei der Therapie der Caries des mitt-
leren Ohres ist die in neuester Zeit ge-
übte, besonders von Schwartze so ange-
legentlich empfohlene Extraction des Ham-
mers unerwähnt geblieben, obwohl sicherlich
bei chronischen Eiterungen diesem operativen
Eingriff eine sehr gute Zukunft prognosticirt
werden kann.
Dass bei Granulationen am Trommelfell,
bei Myringitis (S. 345) Bepinselungen mit
Tinct. opii oder dünner Sublimatlösung (bei
Syphilis) von Erfolg sind, möchte Ref. be-
zweifeln. Am sichersten helfen hier Aetzun-
gen mit Chromsäure oder Höllenstein, ev.
die Galvanokaustik, die ja Verf. auch be-
sonders hervorhebt. Auch die Labyrinth-
erkrankungen mit air ihren hypothetischen,
physiologischen und pathologischen Grund-
lagen hat Verf. in dankenswerther Weise
eingehend behandelt.
Es wäre ein Leichtes, die obigen klei-
nen Ausstellungen noch zu vermehren. Doch
fallen dieselben gegenüber den übrigen, in
die Augen springenden Verdiensten dieses
so sorgföltig bearbeiteten Werkes gar nicht
ins Gewicht. Was die Ausstattung des
Buches betrifft, so kann dieselbe als eine
musterhafte, bis jetzt auf diesem Gebiete
geradezu unerreichte bezeichnet werden.
Das Werk wird auf Grund seines die ge-
sammte Disciplin umfassenden und instruc-
tiven Inhalts gewiss auch dem Belehrung
suchenden practischen Arzte von grossem,
anregendem Nutzen sein.
L. Kate {Berli»),
Die Methoden der Bakterienforschnng:. Von
Ferdinand Hueppe. Vierte vollständig um-
gearbeitete und wesentlich verbesserte Auflage.
Wiesbaden, Kr ei d ei 1889.
Das bekannte Werk von Hueppe, welches
die Methoden der Bakterienforschung in vor-
züglicher Form, in ausserordentlicher Voll-
ständigkeit und mit dem kritischen Blick
des bewährten Forschers darstellt und welches
daher schon längst überall eine dauernde
Stätte fand, wo bakteriologisch gearbeitet
wird, ist soeben in vierter Auflage erschienen.
In derselben hat das Werk vielfach eine ein-
September 1888J
Ltttoratur.
439
greifende Umarbeitung erfahren, der erste
Abschnitt über die mikroskopische Technik
ist nach den allgemeinen Gesichtspunkten
und nicht mehr rein empirisch dargestellt,
ebenso der zweite Theil, welcher die expe-
rimentelle Technik behandelt, nicht durch
blosse Einfügung der seit der letzten Auflage
hinzugekommenen neuen Errungenschaften
vermehrt, sondern der Hauptwerth auf die
Darstellung der Methoden nach biologischen
und historischen Gesichtspunkten und auf
die Erzielung objectiyer Darstellung gelegt.
Durch diese Veränderungen konnte das
Werk von Hueppe in der Stellung nur be-
festigt werden, die es schon einnahm, näm-
lich ein unentbehrliches Handbuch für den
Lernenden, ein höchst werthvolles Nach-
schlagebuch für jeden zu sein, der selbständig
arbeitet. A, GoUsUin (Berlin).
Die Yerbreitang' des HeUpersonals der phar-
macentischen Anstalten und des pharma-
centischen Personals im Dentschen Reiche.
Nach den amtlichen Erhebungen vom 1. April
1887 bearbeitet im Kaiserlichen Gesundheits-
amte. Mit drei Uebersichts karten. Berlin.
Verlag von Julias Springer. 1889.
Das vorliegende Werk ist eine Wieder-
holung der bezüglichen statistischen Auf-
nahmen vom 1. April 1876. Wie jene
sollten auch diese den Zweck haben, das
verwendbare Medicinal -Personal kennen zu
lernen, um daraufhin die Zweckmässigkeit
und Durchführbarkeit medicinalpolizeilicher
Maassn ahmen beurtheilen zu können. Eine
Erweiterung haben jedoch diese neueren
Erhebungen durch ihre Zusammenstellung
nach den einzelnen Kreisen erfahren, wäh-
rend dagegen die wissenschaftlichen Vereine
der Aerzte und Apotheker fortgelassen sind.
Desgleichen sind die Heilanstalten fortge-
blieben.
Bei einem Vergleich mit der früheren
Zählung fällt zunächst eine erhebliche Zu-
nahme der Aerzte auf (15,4 ^/o), und
zwar hat diese in Städten über 5000 Ein-
wohner stattgefunden, während in den kleinen
Plätzen sogar eine Abnahme zu verzeichnen
ist. Den weitesten Weg zum Arzt hat die
Landbevölkerung in den sechs östlichen Pro-
vinzen Preussens und in Mecklenburg, den
kürzesten in Hessen, Waldeck, Reuss j. L.,
Sachsen und Baden.
Die Wundärzte haben mehr als um
die Hälfte abgenommen.
Die Zahl der approbirten Heildiener
ist um 15,4 ^/o angewachsen.
An berufsmässigen Krankenpfle-
gern wurden gezählt:
a. freipractisirende : 476 männliche und
962 weibliche;
b. einer weltlichen Genossenschaft an-
gehörig: 554 männliche und 1465 weibliche;
c. im Verbände einer geistlichen Ge-
nossenschaft stehend: 584 männliche und
10 544 weibliche.
Davon sind '/a katholischer und ^j^ evan-
gelischer Confession.
Die Hebammen haben sich um 8,8%
vermehrt.
Nicht approbirte Personen, die sich
mit der Behandlung kranker Menschen be-
schäftigten und ihren Gewerbebetrieb ange-
meldet oder öffentlich angekündigt haben
(darunter auch die im Auslande Approbirten
und die sogen. Zahntechniker), gab es 1718.
Dies ist natürlich nur ein kleiner Theil der
wirklichen Zahl, wie das Beispiel von Bayern
lehrt, wo am 31. December 1887 allein
745 Personen die Heilkunde ausübten, ohne
staatlich anerkannt zu sein. Gegen 1876
haben sich diese Personen im Deutschen
Reiche somit um 117% vermehrt, also
l^jijsi&l stärker als die Aerzte. Der
fünfte bis vierte Theil davon kommt auf
das weibliche Personal.
Die Thierärzte haben um 4,36 % ab-
genommen.
Bei den Apotheken ist eine Zunahme
von ruDd 6 % zu constatiren gewesen. Die
Zahl der privilegirten betrug 1837 (gegen
1884 bei der ersten Zählung), die der con-
cessionirten 2667, der Filialen 19.
Etwa der vierte Theil derselben wird vom
Geschäftsinhaber allein versehen, ohne Hilfs-
personal. Letzteres hat um 1240 in den
letzten 11 Jahren zugenommen. Dispen-
siranstalten gab es 197 (34 mehr), ärzt-
liche Hausapotheken 415 (51 weniger),
darunter 74 homöopathische.
Näher auf diese Zahlenverhältnisse ein-
zugehen, gestattet uns der Raum nicht; es
sei nur bemerkt, dass das vorliegende Werk
mit seinen Tabellen und Eintheilungen eine
ausgiebige Fundgrube für denjenigen bietet,
der sich in dieser Beziehung nach einer
bestimmten Richtung hin orientiren will.
Dem Werke sind 3 kartographische
Darstellungen über die Vertheilung der
Aerzte, Hebammen und Apotheken beige-
fügt, so dass ein Blick auf dieselben uns
schon über manchen Punkt, z. B. über die
höhere Zahl von Aerzten in den wohlhaben-
deren Gegenden u. dergl., zu belehren
vermag.
Die Ausstattung des Werkes ist die be-
kannte, von der genannten Verlagsbuchhand-
lung gewohnt vortreffliche.
Freyer {SUUin).
440
PractlBChe Notizen und empfehlenfwerthe Armeiformeln.
rlkerapeatlMbe
MonstsbcfteL
Practische Notiaeii
and
empfehleiiswerthe Araiieifonneln.
Desinfection infectiOser Darmentleenxngen.
Prof. üffelmann hat die gebräucblicli-
sten zur Desinfection infectioser Faecalien
empfohlenen Substanzen einer eingehenden
Prüfung auf ihre diesbezügliche Wirksamkeit
untersucht und ist dabei zu Resultaten ge-
langt (Berl. klin. Wochenschr. 1889 No. 25),
welche wesentlich von den allgemein gelten-
den Annahmen abweichen.
Am wirksamsten erwiesen sich die Mi-
neralsäuren: Schwefelsäure und Salzsäure^
mit der gleichen oder der doppelten Menge
Wassers verdünnt, welche nach zweistün-
diger, beziehungsweise zwolfstündiger Ein-
wirkung alle in den Faecalmassen vorkom-
menden Keime vernichteten. ^Nächst ihnen
erwiesen sich am wirksamsten die saure
Sublimatlosung (salzsaure 2 p. M.-L5sung)
und die mit Wasser " verdünnte Kali-
lauge. Garbo Isäure 5% todtete nach
einstündiger Einwirkung nicht alle in Faeces
vertheilten Eberth' sehen Bacillen, wohl
aber nach 24 stündiger diese und fast alle
anderen Keime. Creolin 12,5 vernichtete
erst nach 24 Stunden fast alle Keime.
Aetzkalk wirkte bei einem Zusatz von
0,1 : 10 ccm unsicher; bei 0,25 : 10 ccm und
einer 24 stündigen Einwirkung erwies sich
derselbe als ein nahezu sicheres Desinficiens.
Nicht saure Sublimatlösung (2 p. M.)
vermochte selbst bei 24 stündiger Einwir-
kung nicht immer alle Keime zu tödten;
bei ^/^stündiger Einwirkung blieben ziemlich
viele Keime, selbst Typhusbacillen am Leben.
— Ganz unwirksam war das blosse üeber-
giessen der Faecalien mit siedendem Wasser.
Die Untersuchungen lehren, dass die
Dauer der Einwirkung von der grossten Be-
deutung ist, und dass man nie, selbst nicht
bei Anwendung der wirksamsten Mittel,
hoffen darf, innerhalb weniger Minuten
Faeces desinficirt zu haben. Am leichtesten
waren die Cholerabacillen zu vernichten.
Auf Grund der gewonnenen Resultate
giebt üffelmann, um flüssige oder dünn-
breiige Faecalien sicher zu desinficiren,
folgende Vorschriften :
Schwefelsäure oder Salzsäure mit
der doppelten Menge Wassers verdünnt. Die
Faecalien sind mit dem gleichen Volumen
der verdünnten Säure zu mischen und bei
Anwendung von Schwefelsäure 2 Stunden,
bei Anwendung von Salzsäure 12 Stunden
stehen zu lassen.
C ar b o 1 s äu r e 5 %. Gleiche Mengen Fae-
calien und Carbolsäure. Dauer der Einwir-
kung 24 Stunden.
Sublimatlosung (Sublimat 2,0, Acid.
muriatic. 0,5, Aquae 1000,0). Gleiche
Mengen Faecalien und Sublimatlösung. Dauer
der Einwirkung mindestens ^/^ Stunde, besser
24 Stunden.
Aetzkalk. Wenn sich aus practischen
Gründen Aetzkalk empfiehlt, so sind 2,5 g
auf 100 ccm Faecalien 24 Stunden lang
einwirken zu lassen. Von Kalkmilch sind
2,5 Theile auf 1 Theil Faecalmasse (24 Stun-
den) anzuwenden.
Betreffs consistenter Faeces sind weitere
Untersuchungen nothwendig.
AntipyrinlOsung zur subcutanen Injection.
Für gewöhnlich wird zur subcutanen Injec-
tion eine aus gleichen Gewichtstheilen Antipy-
rin und Wasser hergestellte Lösung benutzt.
Prof. Edlefsen (Mittheilg. f. d. Verein
Schi es w. -Hol stein. Aerzte 1889, Heft 12,
Stück l) hat nun das Volumen einer Lö-
sung von 3 g Antipyrin in 3 g Wasser be-
stimmt und gefunden, dass dasselbe nicht
6 ccm, sondern 5,2 ccm beträgt. In 1 ccm
einer so bereiteten Lösung — dem Inhalt
einer Pravaz 'sehen Spritze — sind dem-
nach nicht 0,5, sondern 0,577 g Antipyrin
enthalten. Aus diesem Grunde befürwortet
Edlefsen den von Quincke gemachten
Vorschlag, Antipyrin zur subcutanen Injec-
tion nach Maass wie folgt zu verschreiben:
'V Antipyrini 3,0
Aq. dest. q. s.
ad Ccm. VI •
M. D. S.
Jede Spritze dieser Lösung enthält dann
0,5 g Antipyrin.
Castoreum.
Nachdem Klunge vor bereits sieben
Jahren (Schweizer Wochenschr f. Pharm. 1882
No. 14)das Vorhandensein eines alkaloiden
Principes im Castoreum festgestellt hat, ist
es jetzt Ludwig Reuter gelungen (Pharma-
ceut. Centralhalle 1889 No. 20), aus dem
Bibergeil ein in sternförmigen Gruppen kry-
stallisirendes Glykosid abzuscheiden. Das-
selbe ist leicht löslich in Wasser, wird durch
kaustische und kohlensaure Alkalien aus
seiner Lösung ausgefallt und giebt mit den
meisten Alkaloidreagentien Niederschläge.
Wir dürfen wohl hoffen, dass diese Ent-
deckung auch unsere Kenntniss über die phy-
siologische Wirkung des Castoreums fordern
und unser Urtheil über den therapeutischen
Werth des viel gebrauchten Mittels klären wird.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. — Druck von Gustav Schade (Otto Franoke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. October.
Originalabhandlnngen.
Ueber die Sclilitznng der Mandeln.
Von
Dr. Moritz Schmidt ia Frankfart a. M.
(Vortrag gehalten in der Section für Laryngologio
nnd Rhinologie der 62. Natarforscheryorsammlung
zn Heidelberg, September 1889.)
Es wird den Meisten unter Ihnen, meine
Herren, hente gehen, wie es mir Tor
1^2 Jahren ging, dass es Ihnen ganz nnbe-
kannt sein dürfte, was unter Schlitzung der
Mandeln zu yerstehen sei. Ich will Ihnen
daher zunächst das Verfahren schildern und
dann die Indicationen zu demselben. Das
Verfahren besteht darin, dass man mit einem
Schielhäkchen in die Lacunen der Mandeln
eingeht und die mediale Wand der Lacune
mittelst des Hakens einreisst, indem man
zuerst das stumpfe Ende unten durchdrückt
und dann mit einem raschen Ruck die ge-
bildete Brücke durchreisst. Es geht dies
meistens sehr leicht; bietet die Substanz
der Mandel etwas mehr Widerstand, so
schlüpfe ich die Oese des Czermak^ sehen
Gaumenhalters, den ich fast ausschliesslich
als Zungenspatel benutze, über den Stiel
des Häkchens, fixire mit der Oese die Man^
del nach hinten und reisse dann die Brücke
durch. Man fängt am besten unten an,
geht dann aufwärts, yergesse aber nie das
oberste, in der Nische zwischen den zwei
Gaumenbogen versteckte Ende der Mandel,
in welchem sehr häufig die Ursache der Be-
schwerden sitzt, wegen deren man die
Schlitzung vornimmt. In diesen obersten
Theil kommt man, indem man die Spitze
des Hakens nach oben wendet, man reisst
dann natürlich, nach oben durch, während
man sonst nach unten durchreisst.
In diesen Lacunen der Tonsillen, beson-
ders im obersten Ende der Mandel, sitzen
nämlich oft unglaublich viele Secretpfröpfe,
in welche durch den Einfluss der Leptothriz
mehr oder weniger bedeutende Ealkablage-
rungen stattgefunden haben. Dieselben un-f
terhalten erstens einen chronischen Heiz zu-
stand des Tonsillargewebes, welcher das-
selbe entzündlichen Processen und Infectionen
zugänglicher macht, z. B. Diphtherie, Angina
phlegmonosa u. s. w. Zweitens werden durch
diese kleinen Entzündungen in der Mandel
aber auch mannigfache krankhafte Gefühle
und Reflexe ausgelost, auf welche ich nach-
her noch zu sprechen komme.
Das Operationsverfahren stammt, soviel
mir bekannt, von Dr. von Hoff mann in
Baden-Baden, welcher dasselbe zuerst in der
ophthalmologischen Gesellschaft in Heidel-
berg 1884 mittheilte. Der College empfahl
dasselbe besonders bei chronischen Reizzu-
ständen der Conjunctiva und bei Asthenopie
der Kinder. Herr College von Hoff mann
glaubt aber auch in dem Verfahren einen
Schutz gegen die mancherlei Infectionsträger
gefunden zu haben, welche in der Tiefe der
Lacunen einen günstigen Brütofen besitzen,
indem er die Masse der Mandel fester, nar-
big macht, die Lacunen in offne Rinnen
verwandelt, welche bei jedem Schluckaot
ausgewischt werden. Er hat mir einen Fall
mitgetheilt, in welchem er bei zwei Mädchen,
welche bis dahin grosse Disposition zu diph-
therischen Erkrankungen zeigten, durch die-
ses Verfahren diese Disposition beseitigte,
so dass beide nachher Diphtheriekranke
längere Zeit pflegten, ohne sich anzustecken.
Er giebt gern zu, dass dieser eine Fall
nicht beweisend sei.
von Hoff mann hat auch versucht, die
Operation mittelst eines an der Concavität
schneidenden Häkchens zu machen, ist aber
davon abgekommen, weil die geschnittenen
Flächen zu schnell wieder verheilen.
Früher habe ich, und viele von Ihnen
gewiss auch, oft derartige Fälle mit der
galvanokaustischen Methode behandelt, indem
ich in die einzelnen Lacunen einging und
sie zu zerstören suchte. Krieshaber hat
dies ja als eignes Verfahren Ingnipunctur
beschrieben.
Mit dem stumpfen Schielhäkchen, welches
auch dünner ist, kommt man indessen besser
bis auf den Grund der Lacunen, denn die-
selben verlaufen oft gebogen und sind bis-
weilen sehr tief.
66
442
Schmidt, Ueber die Schlitzung der Mandeln.
rrherapeatiidie
L Monatabefte.
Der Zweck der Operation ist wie gesagt
die Lacunen in offne Rinnen zu verwandeln,
die durch jeden Schluckact gereinigt wer-
den. Ton Hoff mann schlägt deshalb auch
vor, einige Tage nach der Schlitzung die
klappenformigen Lappen wenn nothig mit
der Cow per' sehen Scheere und einer Pin-
cette abzutragen, ebenso den vorderen Gau-
menbogen theilweise herauszuschneiden, wenn
er, wie nicht ganz selten, Lacunenoffnungen
verdeckt, so dass der Inhalt nicht heraus
kann.
Das Verfahren an sich ist namentlich
bei den weichen Mandeln der Kinder fast
nicht schmerzhaft. Man kann ja auch vor-
her Cocain einpinseln bei besonders empfind-
lichen Leuten. Nachher reibe ich etwas
Sozojodolzink 1 auf 5 Tale mittelst eines
Wattebäuschchens ein. Ein desinficirendes
Gurgelwasser lässt die Folgen der kleinen
Operation, welche meist nur in zweitägigem,
leichtem Schluck weh bestehen, rasch ver-
schwinden. Nach 8 — 14 Tagen wiederholt
man dann die Schlitzung, wenn nothig.
Die vorhin erwähnten Indicationen recht-
fertigen allein schon die Vornahme der
nützlichen, kleinen Operation. Ich bin aber
bei der Ausführung derselben darauf ge-
kommen, dass noch eine ganze Reihe von
Parästhesien oder Hyperästhesien von den
Mandeln resp. den in ihnen befindlichen
Secretpfropfen ausgehen. So z. B. Gefühle
eines Fremdkörpers, Druckgefuhle, nament-
lich aber unbestimmte Schmerzen nach dem
Ohr zu, die sich in zwei Fällen zu Trige-
minusneuralgien der betreffenden Kopfhälfte
steigerten; häufig ist ferner dadurch eine
chronische Pharyngitis unterhalten, nicht
selten auch eine Parese der Stimmbänder
verursacht, die nach Schlitzung der Mandeln
und nach Heilung des chronischen Reizzu-
standes in denselben von selbst oder durch
die vorher vergeblich versuchte elektrische
Behandlung schwindet.
Auf der vorigen Naturforscherversamm-
lung in Köln hat Michel auf den grossen
Einfluss geringfügiger pathologischer Verän-
derungen besonders an den Mandeln auf die
Stimme hingewiesen. Die von ihm erwähnten
Verwachsungen lassen sich auch mit dieser
Methode leicht beseitigen.
Wenn diese Leiden auch keine gefahr-
drohenden sind, so werden Sie doch gewiss
Alle zugeben, dass die Kranken oft mehr
unter diesen Parästhesien körperlich und
geistig leiden, als unter wirklich schweren
Erkrankungen.
Ich komme immer mehr zu der Ueber-
zeugung, dass rein nervöse Par- und Hyper-
ästhesien im Halse ausserordentlich selten
sind; sie sind meist verursacht von irgend
einem erkrankten Punkte des lymphatischen
Ringes, den man allerdings nicht immer
findet; sehr häufig sitzt er aber in der
Mandel. Die beste Art ihn zu finden ist
die Sonde, als welche ich jetzt immer das
Schielhäkchen benutze. Die meisten Kran-
ken geben bei Berührung mit demselben ge-
nau an, welche der berührten Stellen die
richtige ist, oder dass sie das Gefühl mehr
oben oder unten spüren; nach diesen An-
gaben sondirt man eben dann weiter, bis man
die richtige Stelle gefunden.
Stupide, indolente Patienten können frei-
lich diese Angaben nicht machen, dann muss
man eben nach und nach die Punkte be-
handeln, von welchen die Parästhesien er-
fahrungsgemäss oft ausgehen. Ich fange
dann jetzt meist mit der Mandel an, wenn
dieselbe Lacunen hat und gereizt aussieht,
gehe dann zur Tonsilla lingualis über, dann
zum Rachendach, dem Sulcus zwischen Zunge
und Mandel u. s. w.
Zum Schlüsse kann ich Ihnen nur noch-
mals empfehlen, sich mit dem Verfahren ver-
traut zu machen. Sie werden es gewiss
bald ebenso schätzen lernen, wie ich es
thue.
Ueber den practisclien Werth der
Nitze'sclien Kystoskopie«
Von
Dr. H. Goldschmidt in Berlin.
(Vortrag, gehalten in der Section für innere Medicin
der 62. NaturforscheryersRmmlung zu Heidelberg.
September 1889.)
M. H. Die Lehre von den Krankheiten
der Harnblase ist noch nicht weit vorge-
schritten. Die ärztliche Kunst verfugte bis
jetzt nur über unzureichende Hül&mittel
der speciellen Diagnose. Ich brauche nur
anzuführen, dass die chemische und mi-
kroskopische Untersuchung des Harns, die
bei so vielen Affectionen der Niere die
feinsten Veränderungen des Organs erschliesst,
uns wohl einen Anhalt dafür geben kann,
dass die Blase überhaupt erkrankt ist, dass
sie uns aber bei der Frage nach der eigent-
lichen Natur der Affection meist im Stich
lässt. Wollten wir die andern Punkte be-
rühren, die wir zur Stellung der Diagnose
heranziehen, Anamnese, Symptomatologie,
Palpation, combinirte Untersuchung, Sondi-
rung u. s. w., so bleibt doch nur eine ver-
hältnissmässig kleine Reihe von Krankhei-
IILJahrgADCl
Octobor 1889. J
Goldscbmldt, Ueber den practlschen Wertb der Nit^e'scben Kyttotkopie.
443
teD, die ^ir mit positiver Sicherheit
und zu einer frühen Zeit erkennen können;
in yielen Fällen "werden wir uns mit ganz
allgemeinen Diagnosen, wie „Blasenkatarrh"
begnügen müssen, eine grosse Anzahl bleibt
dunkel. — häufig genug lässt sich ja nicht
einmal die Frage mit Sicherheit beantwor-
ten, ob der Sitz des Uebels die Niere oder
die Blase ist.
Die vorgeschrittene Technik und das
Vertrauen auf den guten Wundverlauf ha-
ben bei diesem Stand der Dinge den Chi-
rurgen ermuthigt, in einer grossen Zahl
dunkler Fälle die Aufklärung durch opera-
tiven Eingriff zu erstreben; in der That
sind durch die Erweiterung der Urethra
beim Weibe, durch die Eröffnung der Pars
membranacca beim Manne und durch den
hohen Blasenschnitt viele exacte Diagnosen
gestellt worden.
Doch liegt es in der Natur der Sache,
dass diese Eingriffe, wenigstens beim Manne,
erst gemacht werden, wenn kaum ein anderer
Ausweg mehr offen ist; für ge wohnlich wird
der Patient die Feststellung seiner Krank-
heit verlangen und verlangen dürfen, ehe er
eine Operation zugiebt.
Es ist unter diesen Umständen zu ver-
wundern, dass es einer so langen Zeit be-
durft hat, um der Erfindung Nitze's —
der Sichtbarmachung des Blaseninnern —
die allgemeine Achtung zu verschaffen. Aber
auch heute noch ist den Aerzten die grosse
Bedeutung der Methode noch lange nicht
genügend in das Bewusstsein übergegangen,
vielfach herrschen noch falsche Begriffe über
Complicirtheit und beschränkte Anwendbar-
keit derselben.
Deswegen fühle ich mich verpflichtet,
nachdem ich das Verfahren 2^3 Jahre hin-
durch mit stets wachsendem Interesse aus-
geübt habe, nach meinen Kräften zur Ver-
breitung der Kystoskopie beizutragen, indem
ich an dieser Stelle Zeugniss für dieselbe
ablege.
Sie Alle kennen wohl, wenigstens aus
Abbildungen, das kleine Instrument hier,
das Kystoskop, das wie ein Katheter in die
vorher ausgespülte und mit klarem Wasser
gefüllte Blase eingeführt wird. Es trägt an
seiner Spitze eine Glühlampe, die, wonn sie
der elektrische Strom durchfliesst, einen
grossen Theil des Blaseninnern beleuchtet.
Das Bild der so erhellten Wand giebt die
in einen Spiegel verwandelte schräge Fläche
eines Prisma wieder, und dieses Spiegelbild
kann das Auge des Untersuchers betrachten.
Es befindet sich aber am Ende des Eohres
eine Sammellinse, dic^ einen ihrem Bre-
chungsindex entsprechenden grossen Abschnitt
der dem Prisma gegenüberliegenden Blasen-
wand als umgekehrtes verkleinertes Bild in
das Innere des Rohres projicirt; von dort
wird es durch eine neue Linse an das Ende
des Rohres geworfen und hier durch eine
Lupe vergrossert.
Diese kurze Beschreibung wird Ihnen in^s
Gedächtniss zurückrufen, welch wichtige
neue Eigenschaften dem Instrument gegen-
über anderen Endoskopen innewohnen; es
trägt die Lichtquelle, die zu Tageshelligkeit
gesteigert werden kann, in das Hohlorgan
hinein und lässt vermöge der Linsencombi-
nation und auch dadurch, dass die als Spie-
gel wirkende Hypotenusen-Fläche des Prisma
je nach seiner Entfernung von der Blasen-
wand einen kleineren oder grösseren Ab-
schnitt derselben wiedergiebt, in jedem Falle
eine bei Weitem ausgedehntere Partie des
Organs erschauen, als es dem engen Lumen
des langen Rohres entsprechen würde.
So lässt sich theoretisch gegen die Me-
thode gewiss nichts einwenden; wie nimmt
sich das Instrument nun in der Praxis aus;
— ist die Kystoskopie bei richtiger Aus-
übung gefahrlos, — ist sie allgemeiner an-
wendbar, — was leistet sie besonders im
Vergleich zu den andern diagnostischen
Hülfsmitteln?
Zur Beantwortung dieser Fragen will ich
durch eine Darstellung meiner kystoskopischen
Erfahrungen, die durch mehr als 300 Ein-
zeluntersuchungen an etwa 180 Patienten
gewonnen sind, beizutragen suchen. —
Nachdem ich anfangs stets nur ängstlich
und in dem Bewusstsein, die Kranken einer
grossen Gefahr auszusetzen, zu einer kysto-
skopischen Untersuchung geschritten war,
demzufolge die Fälle sehr auswählte und
vorher alle andern Mittel, zu einer Dia-
gnose zu gelangen, erschöpfte, wurde es
mir bei zunehmender Vertrautheit mit all
den kleinen Einzelheiten einer Methode bald
möglich, sehr viel unverzagter vorzugehen.
Denn ich überzeugte mich, dass bei gehö-
riger Vorsicht nichts für den Kranken zu
fürchten ist.
Ein einziges Mal, im Sept. 87 hatte eine
lange ausgedehnte Untersuchung bei einem
Manne, der an Einführung starker Instru-
mente gewöhnt war, einen heftigen acuten
Blasenkatarrh zur Folge. Zweifellos war
ich nicht vorsichtig genug gewesen, und
hatte wohl zu brüske Bewegungen mit dem
Instrument gemacht. — Jedenfalls belehrte
mich der Unglücksfall (der übrigens schnell
und gut verlief), und ich habe seitdem kein
einziges Mal Nachtheil von der Untersuchung
gesehen.
Wie bei jedem andern instrumenteilen
56*
444
Goldschmidt, Ueb«r den praetUchan Werth der Nitze'schen Kystoikople.
rliantpentiaehe
M<ynatih«ftaL
Eingehen in Urethra und Blase, so muss
man auch beim Eystoskopiren mit aller-
grosster Behutsamkeit und Schonung vor-
gehen. Schon bei den vorbereitenden Schrit-
ten, d. h. bei der Ausspülung und Anfül-
lung der Blase kann man nicht sanft genug
verfahren. Stets soll man des wahren Aus-
spruchs Thompson^s gedenken: ,, Die Blase
lässt sich zum Gehorsam schmeicheln, aber
nicht zwingen".
Um an der Aeusserung der Empfindlich-
keit der Patienten einen richtigen Maassstab
für die Führung des Instrumentes zu haben,
bin ich im letzten Jahre von Nitze's
Vorschrift, Urethra und Blase vorher zu
cocainisiren , vrenn irgend möglich, abge-
wichen; ich kann versichern, dass die Pa-
tienten in der Kegel nur massige Schmerzen
hatten, die dann auch gerne von ihnen er-
tragen wurden, da man ihnen moralischen
Halt durch die Versicherung geben konnte,
dass ihr Leiden wirklich gesehen und er-
kannt würde.
Wie beim Sondiren und Katheterisiren,
so wird man auch beim Einfuhren des
Kystoskops besonders Verletzungen und
daran sich anschliessende Blutungen zu ver-
meiden trachten, denn die Infectlon findet
ihren Boden nicht nur in den erkrankten
oder verletzten Theilen der Schleimhaut,
sondern wohl noch mehr in dem Blut-
coagulum.
Auf die Reinigung des Introitus urethrae
tmd der Instrumente ist natürlich die aller-
grosste Sorgsamkeit zu verwenden; selbst-
verständlich kann man das kunstvoll gear-
beitete Instrument nicht auskochen, man
kann aber durch pedantische Reinigung mit
4 °/o Carbollosung für die Praxis ausrei-
chende, zuverlässige Verhältnisse schaffen.
Das zu injicirende Wasser muss stets eine
Zeit lang gekocht haben und kühlt dann in
geschlossenem Gefäss bis zur geeigneten Tem-
peratur ab.
Die Einführung des Instruments ist bei
der gewählten Krümmung sehr einfach; bei
leichter und namentlich ganz langsamer
Handhabung lässt sich eine Verletzung der
Harnrohre und eine Blutung fast mit Sicher-
heit vermeiden, man kann, w^ie bei allen
starken Metallsonden der Schwere des In-
strumentes vertrauen, es vnrd sich den Weg
selbst bahnen und braucht von der Hand
nur leicht geführt und geleitet zu werden;
erst beim Passiren der hintersten Partie,
wobei der Griff nach unten zeigt, kann
demzufolge die Schwere nicht mehr wirken
und man muss vorsichtig vorwärts drücken;
wohl mehr hierdurch als durch die Grade-
streckung der Urethra entsteht ein Schmerz,
dem dann ausnahmslos, wenn die Spitze an
das Orificium internum gelangt, Harndrang
folgt; unmittelbar, nachdem der Schnabel
des Instrumentes in der Blase ist, pflegt
jeder Schmerz zu schwinden, und wenn nicht
besondere anatomische oder pathologische
Verhältnisse des Falles zu starken Bewe-
gungen des Instrumentes zwingen, um das
Prisma der erkrankten Stelle gegenüber zu
bringen, so hat der Untersuchte meist gar
kein Schmerzgefühl mehr.
Die Blase selbst ist (wie man sich den-
ken kann), wenn man Infection vermeiden
kann, vor jeder Beschwer geschützt, denn
nur selten hat man nothig, das Instrument
mit irgend einem Punkt der Blasenwand in
Berührung zu bringen. So hat mir denn
auch kein einziger der Untersuchten von
einer durch die Untersuchung hervorgerufe-
nen Blutung berichten können; selbst das
Auftreten weniger Blutstropfen beim ersten
Uriniren, (das meist mit Schringen verbun-
den ist) gehört zu den Seltenheiten.
Demnach habe ich die Eystoskopie als
eine so gut wie schmerzlose und mit einer
einzigen Ausnahme als eine unschädliche
Methode erkannt.
Die Orientirung in der Blase und das
richtige Einstellen der Bilder ist oft nicht
ganz leicht und erfordert gewisse Uebung,
denn die Blase stellt nicht immer einen so
einfachen mathematisch definirbaren £5rper
wie eine Kugel oder ein Ellipsoid dar. Nament-
lich die weibliche Blase scheint mir von der Ge-
stalt eines Ellipsoid s am öftesten abzuwei-
chen und von oben nach unten abgeflacht
zu sein. Es hängt dies wohl von der
grösseren Beschränkung des Raumes durch
Nachbarorgane ab und ferner von der rela-
tiv schwächeren Musculatur der Blasenwand,
die bei Füllung dem Druck der Bauchwand
nachgiebt und sich nicht nach allen Seiten
hin gleichmässig ausdehnt.
Diese Unregelmässigkeiten erschweren
die Untersuchung sehr, denn nur, wenn
die dem Prisma gegenüberliegende Partie
einen Kugelabschnitt darstellt, entsteht in
der Fläche ein getreues, gleichmässig be-
leuchtetes Bild, während bei ungleich wei-
ten Abständen der beleuchteten Schleimhaut
vom Spiegel, auf diesem die nahe gelegenen
vergrössert und hell, die femer gelegenen
verkleinert und dunkler erscheinen. So kann
ein verzerrtes und zu falschen Deutungen
Anlass gebendes Bild erscheinen. Doch ist
das richtige Einstellen ebenso wie das rich-
tige Deuten lediglich Sache der Uebung.
Wenn ich nun zurückblicke auf das,
was mir die Kystoskopie als diagnostisches
Mittel geleistet hat, so kann ich nicht wann
in. Jahrgang. 1
October 1889. J
Goldschmidt, Ueber den practlschen Werth der Nitze*8Chen Kystoskopie.
445
genug anerkennen, einen wie sicheren und
getreuen Fuhrer ich an ihr gehabt habe,
einen Führer, der sich um so mehr bewährt,
je länger ich mich seiner bediene.
Vor Allem in den Fällen, in denen es sich
um Blutungen oder um Blutbeimischun-
gen zum Harn handelt. Die rechte Zeit
zum Kystoskopiren kann man hier bei dem
chronischen Verlauf ohne Schaden für den
Fat. geduldig abwarten, manchmal allerdings
muss man sie eilig zu erwischen verstehen.
Am schwierigsten ist die Untersuchung,
wenn es sich um längere Zeit bestehende Ge-
schwülste handelt, deren Sitz, Ausdehnung
und Form man feststellen will. Ich habe
dreimal Tumoren als Ursache der Blutungen
und sonstigen Beschwerden gefunden; bei
2 Fällen (Männer), einem Carcinom und einem
Fibrosarcom, gelang es mir, trotz wochen*
langer Aufmerksamkeit, nur je einmal, mikro-
skopisch charakteristische Fetzen im Urin
oder Spülwasser zu finden, und zwar beide
Male erst nach der endoskopischen Sicher-
stellung. Ich hebe das hervor, um die
"Wichtigkeit der letzteren zu erweisen.
Der dritte Fall (Fibro-Papillom) ist da-
durch interessant, dass das Kystoskop sich zu-
verlässiger erwies, als die Digitalexploration.
Während mir das kystoskopische Bild einen
auf vollständig normaler Schleimbaut auf-
sitzenden, himbeergrossen Polypen zeigte, in
dessen weichen Zotten ich unter Fuhrung des
Kystoskops mit einer Sonde formlich blättern
konnte, fühlte der gynäkologische College
nach der Erweiterung der Urethra den Tumor
ebenfalls, glaubte aber eine Infiltration der
Umgebung annehmen zu müssen und schloss
daraus auf carcinomatosen Charakter des
Tumors. Die darauf folgende Sectio alta
erwies die Richtigkeit des kystoskopischen
Befundes.
Ich habe ferner mehrere Male bei Blu-
tungen Steine entdeckt, die trotz wieder-
holter Untersuchungen mit der Sonde nicht
gefühlt worden waren; einmal eine Anzahl
von 12 — 14 kleinen, bohnenförmigen Con-
crementen, die wie Eier in einem Nest hinter
dem stark vergrosserten mittleren Lappen
der Prostata lagen. Was die Methode leisten
kann, zeigte sich mir, als ich in einer ganz
gesunden Blase ein Stein chen, etwa so gross,
wie der 3. Theil eines Apfelkerns fand. Der
Kranke hatte vor Jahren nach einer typi-
schen Nierensteinkolik einen Stein entleert.
Das kleine Stückchen, das ich diesmal fand,
kam ihm weder beim Durchgang durch den
Ureter, noch bei dem Passiren der Harn-
rohre, das am folgenden Tage statt hatte,
zur Wahrnehmung; er hätte es auch im Urin
nicht gesehen, wenn er nicht aufgefordert
worden wäre, in den nächsten Tagen danach
zu suchen.
Man sieht, wie früh man Diagnosen auf
Stein machen kann; — zu einer Zeit, wo eine
einfache Ausspülung genügt, um den Kern
herauszuschaffen.
Noch häufiger findet man als Ursache
geringerer aber andauernder Blutbeimischung
zum Harn Ulcerationen, und das sind Fälle,
die ohne Eröffnung der Blase auf keine an-
dere Weise, namentlich, wie sich das von
selbst versteht, nicht mit H&lfe der Sonde
erkannt werden können. Die mikroskopischen
Befunde sind nicht beweisend, die subjecti-
ven Symptome sind hier sehr wechselnd und
geben keinen genügenden Anhalt; mehrfach
sah ich im Laufe der Behandlung oder bes-
ser gesagt, der Beobachtung Blutbeimischung,
Harndrang und Schmerzen schwinden, ohne
dass die Geschwüre sich wesentlich ver-
ändert hatten; es blieb oft nur geringe
Pyurie als einziges Zeichen der Erkrankung
zurück.
Eine ätiologische Eintheilung der Ge-
schwüre nach dem endoskopischen Bilde
allein lässt sich zur Zeit wohl noch nicht
geben, allein hier unterstützt uns, nach Con-
statirung des Thatbestandes, die Anamnese
und die mikroskopische Untersuchung des
Urinsedimentes. Unter Berücksichtigung die-
ser Hülfe konnte ich einige Male Ulceratio«
nen als tuberculöse ansprechen, obwohl sie
noch ziemlich fiach und klein waren; ich
mochte erwähnen, dass ich auch hierbei im
Laufe der Zeit ohne andere Behandlung als
Ausspülung Besserungen des Befindens und
Aufhören der Blutbeimischung beobachtete,
was wohl zur Würdigung der Erfolge, die
man bei ähnlichen Affectionen mit Hülfe der
Sectio alta erreicht hat, betont werden darf.
Bei schwereren Katarrhen sah ich öfter
ulcerative Processe; im Verlauf von gonor-
rhöischer Cystitis habe ich solche nicht ge-
funden.
Eine Veränderung, der man vielfach be-
gegnet, und die ein sehr schönes Bild giebt,
ist die trabeculäre Hypertrophie der
Musculatur im Gefolge von chronischen
Störungen der Harnentleerung, oft ohne
jedes Zeichen einer katarrhalischen Compli-
cation.
Als Ursache für überaus schmerzhaften
Harndrang fand ich einmal bei einer Frau
einen langen, seichten Einriss in der Schleim-
haut, der sich von der unteren Peripherie
des Orif. int. etwa 1 cm weit in's Innere
der Blase erstreckte, eine Rhagade, sehr
ähnlich dem Bilde, das ich von der Um-
gebung des Orificium intemum nach einer
Simon'schen Erweiterung der Urethra erhielt.
446
Goldschmidt, Ueber den practicchen Werth der Nitce'tchen Kystoskopie. ^M^itob«!!^
Am häufigsten begegnen -^ir Bildern ka-
tarrhalischer Zustände, die, me Nitze das
ausführlich geschildert hat, ausserordentlich
verschiedener Art sein können. Nur selten
findet man die Veränderungen gleichmässig
über die ganze Blasenschleimhaut verbreitet,
auffallend oft sieht man die Umgebung der
Ureteren-Oeffnungen afficirt und besonders
auffällig, wenn es sich noch scheinbar um
Anfangsstadien, um mehr hyperämische Zu-
stände handelt.
Man kann hier 'wohl vermuthen, dass
die Entzündungserreger aus der Niere stam-
men, und dem zu Folge zuerst und haupt-
sächlich an der Eintrittsstelle in die Blase
ihre Wirkung zeigen.
Durch T\'elche Umstände umgekehrt das
Nierenbecken der Infection aus der Blase
ausgesetzt ist, darauf schien mir öfter ein
gewisses Klaffen der Ureterenmündung, die
sonst wie mit festen Lippen geschlossen ist,
hinzudeuten; man findet nämlich das Offen-
stehen der Uretermündung öfters, wenn
Stricturen- oder Prostatavergrösserung län-
gere Zeit die Urinentleerung erschwert
haben.
Die directe Beobachtung der Ureter-
offnungen und des Modus der Urinentleerung
aus ihnen, sowie der blutigen oder eitri-
gen Beschaffenheit des Harns wird uns
die wichtigsten Aufschlüsse über den
Zustand der Nieren geben; Nitze hat be-
reits diesbezügliche Beobachtungen gemacht;
ich habe bis jetzt noch keinen Fall gehabt,
der positiven Anhalt bot. — Dagegen will
ich erwähnen, dass es mir in mehreren Fällen
bei weiblichen Individuen gelang, unter
Leitung des Kystoskops, also unter Leitung
des Auges eine' Simon^sche Sonde in den
Ureter einzuführen. Zweifellos ist das die
sicherste, vielleicht die einzig sichere Me-
thode der Ureteren-Sondirung, die oft so
dringend erwünscht ist, um über den Zu-
stand der Niere Aufschluss zu erhalten.
Nur ganz kurz und allgemein wollte ich
im Vorstehenden skizziren, was mir das
Kystoskop geleistet hat; in den meisten
Fällen hat es den Grund des Leidens nicht
nur ahnen, sondern wirklich sehen lassen,
in Trielen, hier nicht angeführten durch die
sichere Erkenntniss, dass die Blase nicht
in Mitleidenschaft gezogen ist, den Sitz
der Erkrankung höher annehmen lassen.
— In einer ganzen Reihe hätte man
sich, wie früher, ohne Schaden für den
Patienten und ohne Aenderung der The-
rapie mit der allgemeinen Diagnose „Ka-
tarrh" behelfen können, bei nicht wenigen
jedoch würde man, durch die Symptome und
Beschwerden gedrängt, zu einem operativen
Eingriff behufs Erlangung der Diagnose ver-
pflichtet gewesen sein.
Sicherlich können alle bisherigen Hülfs-
mittel zusammengenommen uns nicht solche
Aufschlüsse über die in Hede stehenden
Hamkrankheiten geben, wie die Kystoskopie.
Wir konnten bisher eigentlich nur die grö-
beren Veränderungen erkennen, und auch
diese, wie gesagt, oft erst mit Hülfe chirur-
gischer Eingriffe. —
Die Digitalezploration, die nach
Thompson zur Methode erhoben wurde,
wird niemals allgemeine Verbreitung finden,
auch wenn die Kystoskopie nicht mit ihr in
den Wettkampf träte.
Zu viele Affectionen, besonders ulcera-
tive Processe, geben auch dem tastenden
Finger nichts zu fühlen, und im besten Fall
ist das Tastgefühl das subjectivste Ding,
über das sich, wie über den Geschmack,
nicht streiten lässt; das Auge beurtheilt den
Krankheitssitz und Anlass denn doch besser,
und der Befund kann von anderen Augen
controlirt werden.
Insofern wäre die Sectio alta als dia-
gnostisches Mittel vorzuziehen, aber leider
sind wir noch nicht so weit, diesen Eingriff
als einen ungefährlichen betrachten zu kön-
nen. Wir können die Blase noch nicht mit
derselben Sicherheit in Bezug auf den Wund-
verlauf eröffnen, wie etwa die Bauchhöhle
oder die Gelenke. Das ersieht man schon
aus den vielen verschiedenen Vorschlägen
für die Ausführung und Erleichterung der
an sich so einfachen Operation, aus den
verschiedenen Ansichten über die Nach-
behandlung und besonders über die Blasen-
naht.
Und endlich ist die Besichtigung der
über der Symphyse eröffneten Blase gar nicht
so einfach; die Seitenwände legen sich un-
mittelbar nach der Eröffnung an einander,
Fundus und hintere Wand werden so fast
unsichtbar und das Hohlorgan präsentirt sich
als schlaffer, unförmlicher Körper.
Es leistet das Kystoskop, im All-
gemeinen gesprochen, mehr als selbst
die Eröffnung der Blase. Darum ver-
dient die Methode die ausgebreitetste
Anwendung. Sie ermöglicht die Dia-
gnose in frühem Stadium der Krank-
heit, — darin liegt ihr unschätzbarer
therapeutischer Werth.
Die Methode ist noch jung; es wird uns
aber bald gelingen, den Bildern, die wir
sehen, eine bestimmte Symptomengruppe zu-
zuertheilen und so zu einem, den Ergebnissen
der pathologischen Anatomie entsprechenden
System der Harnkrankheiten zu gelangen.
Dann erst werden wir auch die allein
ITf. Jahrganf;. 1
October 1889. J
Schaeffer, Ueber die Behandlung der Uterusmyome nach Apostoll,
447
richtigen Anzeigen f&r unser Eingreifen fin-
den, das sich anch auf die Niere zu frühe-
rer Zeit ihrer Erkrankung erstrecken wird;
dann Tverden wir entscheiden können, ob
die Erkrankung der Blase mit oder ohne
Eröffnung der Blase zu bekämpfen ist; den
viel umstrittenen Weg, auf dem wir am
besten zu dem Organ gelangen, werden wir
mit Sicherheit nach dem jeweiligen Sitz der
Krankheit, dem einzelnen Falle entsprechend,
wählen.
Dann wird keine Operation mehr zu
kühn sein, denn sie ist dann nur noch
wohlangezeigtes, zweckmässig geplantes Heil-
mittel.
Von der Begründung der Kystoskopie
datirt eine neue Zeit in der Erkenntniss der
üarnkrankheiten. — Durch die geniale Er-
findung Nitze^s ist eine Methode entstanden,
die nicht nur zufällige Resultate giebt, son-
dern die in sich selbst die Bürgschaft ihres
Erfolges enthält und der Menschheit zum
gross ten Segen gereichen wird. Die Kysto-
skopie ist gefahrlos für den Patien-
ten, allgemein anwendbar und dia-
gnostisch leistungsfähig im höchsten
Grade. Diese üeberzeugung hier auszu-
sprechen und 60 zu einer Yerall gemein erung
der Methode beizutragen, war der Zweck
meines Vortrags.
Ueber die Bebandlungf der Uternsmyonie
nach Apostoli.
Von
Dr. R. Schaeifer in Berlin.
Die sich beständig steigernde Menge neuer
Arzneimittel und Behandlungsmethoden hat
es mit sich gebracht, dass unter den Aerzten
ein ziemlich unterschiedsloses Misstrauen
gegen jedes neu empfohlene Mittel Platz ge-
griffen hat. Es wäre sonst unyerstandlicb,
dass die galvanische Behandlung der Uterus-
myome nach Apostoli, welche seit meh-
reren Jahren bereits von Allen, welche sie
in Anwendung gezogen , so ausserordent-
lich lebhaft und einstimmig befürwortet
wird, unter den Aerzten Deutschlands so
wenig bekannt und, wo bekannt, vielfach
belächelt worden ist. Ich folge deshalb
gern der Aufforderung der Redaction dieser
Monatshefte, eine Schilderung des Apo-
stoli'sehen Verfahrens und der bisher ge-
wonnenen Ergebnisse zu machen, um so das
Interesse namentlich des practischen Arztes
auf diese vielversprechende Behandlungsart
zu lenken. Meine eigenen Erfahrungen über
den Werth oder Unwerth der üteruselektro-
lyse sind, da ich erst seit 6 Monaten an
dem poliklinischen Material des Herrn Dr.
J. Veit zu Berlin diese Methode anwende,
noch so gering, dass ich der Versuchung
widerstehe, aus unseren bisherigen Erfolgen
ein selbständiges Urtheil abzuleiten, sondern
dass ich mich darauf beschränken will, die
Apostoli^ sehe Behandlung, wie sie heut
ausgeübt wird, und die damit erzielten Ke-
sultate wiederzugeben.
Um den Fortschritt einer neuen Methode
zu verstehen, muss man zunächst ins Auge
fassen, was die alten geleistet haben. Ausser
den veralteten oder wenigstens von der
Mehrzahl der Aerzte als unwirksam erkann-
ten Mitteln, als da sind: Jod, Jodkalium,
Bromkalium, Chlorcalcium *) (bei den Eng-
ländern), Phosphor, Arsenik, jod- und brom-
haltige Bäder, kommt unter den Arzneimit-
teln nur die subcutane Ergotin-Injection in
Betracht. Es gilt wohl als zweifellos fest-
gestellt, dass dieselbe in einzelnen Fällen
eine wirkliche Besserung herbeigeführt hat.
Die Injectionen sind aber 1. sehr langwierig.
Schroeder (1. c.) hat erst bei 50— 400(!)
Einspritzungen Erfolg gesehen; 2. nicht
ungefährlich sowohl wegen des Ergotismus,
der leicht auftreten kann, als auch wegen
der nicht immer zu vermeidenden Bauchabs-
cesse; 3. vor Allem aber in der grössten
Anzahl von Fällen völlig machtlos.
Unter den operativen Methoden zur Be-
seitigung der Uterusmyome bez. der aus
ihnen entstehenden Beschwerden ist zu
nennen: 1. die Auskratzung der Uterus-
schleimhaut; 2. die Oastration; 3. die vagi-
nale Totalexstirpation des Uterus; 4. die
Laparomyomotomie. Eine Kritik der ein-
zelnen Operationen und eine Statistik der-
selben quoad valetudinem und quoad vitam
zu geben, würde den Rahmen dieser Arbeit
bei Weitem überschreiten.
Die eine Thatsache aber, dass man in
vielen und meist gerade in den Fällen, in
denen die Beseitigung der Geschwulst eine
Lebensfrage für die Kranke ist, die immer
noch höchst gefährliche Entfernung des
Myoms mittels des Bauchschnittes nicht um-
gehen zu können glaubt, zeigt, dass den
drei ersterwähnten Operations weisen nur ein
mehr untergeordneter Werth beizumessen
ist. Die Gefährlichkeit der Laparomyomo-
tomie ergiebt sich aber am besten aus der
Statistik Schroeder s, der noch vor Kurzem
unter 164 Operationen 28*^/o Todesfälle zu
') Cfr. Schroeder, Handbuch der Frauen-
krankheiten. 9. Aufl. 1889 pag. 310.
448
Schaeffer, Ueber die Behandluog; der Utenisnyome nach Apostoli.
nrhenpeatfadM
t Monatah4"ft«.
Terzeichnen hatte. Wenn sich die Mortali-
tät jetzt auch durch Einfuhrung der He-
garUchen extraperitonealen Stielversorgung
etwas gebessert hat, so sind die Erfolge bis-
her doch noch lange keine erfreulichen. Es
kommt hinzu, dass diese Operation doch nur
von einem Gynaekologen oder Chirurgen von
Fach gewissenhafter Weise auszuführen ist,
und dass sie, selbst wenn sie günstig ver-
läuft, doch immer einen ganz gewaltigen
Eingriff auf den Organismus der Frau
darstellt.
Bei diesem Stand der Dinge und der
relativen Häufigkeit der Fibromyome des
Uterus ist eine ernsthafte Prüfung einer
neuen, so warm empfohlenen Behandlungsart
gewisd am Platze.
Die galvanische üterusmyombehandlung
ist nicht auf eine Linie zu stellen mit der
noch immer in ein gewisses mystisches Dun-
kel gehüllten Elektrotherapie in der Nerven-
heilkunde. Es handelt sich hier nicht um
eine Beeinflussung der Nerven oder gar der
Psyche, sondern um ganz greifbare Vorgänge,
wie wir sie auch ausserhalb des Organismus
in sichtbarer Weise durch den elektrischen
Strom hervorrufen können. Diese Vorgänge,
auf denen sich im Wesentlichen die Wirkung
des galvanischen Stromes auf die Uterus-
myome aufbaut^ sind:
1. Die Verschorfung von Gewebstheilen
an der Berührungsstelle des positiven Poles.
2. Die Zersetzung des Wassers und der
Salze.
3. Die Contractionen der Muskelfasern.
Wenn man ausserdem noch auf die ka-
talytische oder kataphore tische (= auf-
lösende) Wirkung des Stromes Werth gelegt
hat, 80 hat man ein etwas geheimnissvolles
Wort statt eines Begriffes eingeführt, an das
man ja glauben kann, das sich jedoch noch
nicht objectiv nachweisen lässt. Die drei
genannten Wirkungen des galvanischen Stro-
mes reichen yielmehr vollkommen zur Er-
klärung seines günstigen Einflusses auf die
Geschwülste aus.
Das Instrumentarium, welches man
zur Anwendung der Apostoli' sehen Me-
thode gebraucht, ist folgendes:
1. Eine stationäre oder transpor-
table Batterie von 30 — 50 oder mehr
Elementen, welche zur Erzielung der ho-
hen Stromstärken, die man benutzt, unent-
behrlich sind.
Es ist von Wichtigkeit eine möglichst
grosse Anzahl von Elementen zu ven\'enden.
Denn wenn für den Anfang auch eine ge-
ringere Elementenzahl genügen sollte, um die
gewünschte Stromintensität zu erzielen, so
ist doch wegen der hohen Stromstärken,
welche man anwendet, die Polarisation in-
nerhalb der Batterie eine so gewaltige, dass
binnen weniger Minuten die Stromintensität
eine ganz erhebliche Einbusse erleidet. Je
geringer nun die Anzahl der Elemente ist,
desto mehr macht sich diese Abschwächung
bemerkbar; nur bei einer sehr starken Bat-
terie (50 oder mehr Elemente) ist man in
der Lage, auch starke Stromiutensitäten für
längere Zeit hindurch auf annähernd gleich-
bleibender Höhe zu erhalten.
2. Einen Metallrheostat. Der Zweck
desselben ist, dass man die Möglichkeit hat,
den galvanischen Strom ganz allmählich
ohne Unterbrechung bis zu den höchsten
Stärken anwachsen zu lassen. Aus diesem
Grunde sind die sonst üblichen Flüssigkeits-
rheostaten oder die Elementenzähler unzu-
länglich. Die letzteren sind so construirt,
dass man immer nur sprungweise jedesmal
5 Elemente einschalten kann. Die jedes-
malige Steigerung der Stromstärke ist eine
so bedeutende, dass sie als heftiger Schlag
von dem in den Strom eingeschalteten Kran-
ken empfunden wird, der von nachhaltiger
schädlicher Wirkung auf das Nervensystem
sein kann. Ein brauchbarer Metallrheostat
hat daher mindestens 32 Contacte und er-
laubt hierdurch, dass man die Stromstärke
continuirlich in ganz kleinen Schritten zu-
nehmen lassen kann.
Der Preis des von uns benutzten Rheo-
staten beträgt 90 Mark.
3. Ebenso unentbehrlich ist ein Gal-
vanometer für absolute Messungen.
Die heutzutage allgemein übliche Einheit
zur Messung der Stromstärken ist bekannt-
lich ein Milli-Ampere (l Volt : 1 Ohm). Wäh-
rend man aber in der Nervenheilkunde stets
nur ganz schwache Ströme anwendet, aller-
höchstens bis zu 20 M.-A., benutzt man bei
der galvanischen Fibromyombehandlung Ströme
bis 200, ja bis 300 M.-A. Das Galvano-
meter muss deshalb auf diese Stromstärken
eigens eingerichtet sein. Eine weitere, in
letzter Zeit aufgeworfene Frage ist, ob das
Horizontal- oder das Verticalgalvanometer
vorzuziehen sei.
Noeggerath') macht darauf aufmerk-
sam, dass bei den Verticalgalvanometern der
Zeiger nur kurze Zeit auf dem erreichten
Striche stehen bleibt, und dass er innerhalb
weniger Minuten von z. B. 200 M.-A. auf
180 M.-A. fällt. Eine genaue Nachprüfung,
lässt mich zwar die Richtigkeit dieser Be-
hauptung für den von uns benutzten (von
Hirschmann, Berlin bezogenen) Apparat
durchaus zugeben. Wenn No eggerat h aber
2) Borl. klin. Wochenschrift 1889 No. 2G.
in. Jalirgmng. 1
Oetober 1889. J
Sehaeffer, Ueber die BehandluDg der Uterusmyoma nach Apostoli.
449
hinzusetzt, dass dies gerade ein Fehler der
Yerticalgalvanometer sei, welcher sich bei
den Horizontal galvanometern nicht findet,
so ist diese Verallgemeinerung nicht ganz
zutreffend. Beide Apparate sind nämlich so
eingerichtet, dass um den Zeiger des Gal-
vanometers eine Drahtspirale läuft, durch
welche der Strom der Batterie hindurchgeht
und dadurch in der Nadel einen inducirten
Strom hervorruft. Es liegt also auf der
Hand, dass der Ablenkungswinkel des Zei-
gers und die Stromstärke der Batterie in
einer ganz bestimmten, unverrückbaren Func-
tion zu einander stehen. Wie eine frei-
schwebende Nadel (vorausgesetzt, dass sie
überhaupt magnetisch ist) stets nach dem
magnetischen Nordpol zeigt und nie weder
nach rechts noch nach links auch nur um
einen Grad abweichen wird — in gleicher
Weise ist der Ablenkungswinkel des Zeigers
eines Galvanometers einzig und allein ab-
hängig von der Stärke des Stromes. Ein
Zurückgehen des Zeigers beweist also mit
Nothwendigkeit, dass die Stromintensität ge-
sunken ißt. Dass dies Sinken der Strom-
stärke durch Polarisation innerhalb der Bat-
terie zu Stande kommt, ist schon vorher
erwähnt worden. Wenn also Noeggerath
bei dem von ihm benutzten Horizontalgal-
vanometer ein Zurückgehen des Zeigers wäh-
rend des Gebrauches nicht beobachtet hat,
so kann der Grund hierfür nur darin liegen,
dass die Batterie aus mehr oder aus besse-
ren (schwerer polarisirbaren) Elementen be-
standen hat als diejenigen waren, mittelst
deren er die Yerticalgalvanometer prüfte.
Zu besonderen ünzuträglichkeiten führt
diese üngenauigkeit jedoch im Allgemeinen
nicht. Denn den schliesslichen Maassstab
für die Stromstärke, die man im einzelnen
Falle anwendet, bildet nicht der Zeiger des
Galvanometers, sondern die Reaction, die
der Strom auf die Kranke ausübt. Sind
die Schmerzempfindung und die Nachwir-
kungen des Stromes sehr lebhaft, so wird
man sich beispielsweise mit 60 M.-A. be-
gnügen, während man im anderen Falle die
Stromstärke so weit steigert, wie es die
Kranke gut aushält. Als weitere Ausrü-
stungsgegenstände kommen nur noch die
beiden Elektroden hinzu.
4. Die inactive Elektrode muss, ent-
sprechend dem besonderen Zweck, von mög-
lichster Grösse sein. Da dieselbe auf den
Bauch der Patientin gelegt wird, und da,
wie schon erwähnt, sehr hohe Stromstärken
in Anwendung gezogen werden, so würde
eine kleine Elektrode einen unerträglichen
Hautreiz hervorrufen. Ausserdem wird es
nach dem bekannten Gesetz, dass der Wider-
stand in der Leitung in demselben Yerhält-
niss abnimmt, wie ihr Querschnitt wächst,
nur durch eine grosse Elektrode ermöglicht,
die gewünschten starken Strome zu erzielen.
Zu diesem Zwecke benutzt man als Elek-
troden 200 bis 600 qcm grosse dünne Blei-
platten, welche zu noch grosserem Schutze
der Haut unten mit einer Filzschicht be-
kleidet sind. Die Bleiplatte kann mittelst
einer Messingschraube mit der Leitungs-
schnur verbunden werden. An Stelle der
Filzbekleidung hat man anfangs einen Teig
aus Topferthon genommen. Wir verwenden
ein 20x30 cm grosses Mooskissen, auf welches
wir die Bleiplatte auflegen. Es wird hier-
durch ein möglichst genaues Anschmiegen
an die Haut erreicht. Im Grossen und Gan-
zen ist es 'jedoch ziemlich gleichgültig, wel-
cher dieser Formen man den Vorzug geben
will.
5. Die active Elektrode hat die Bestim-
mung in die Uterushöhle eingeführt zu wer-
den ; sie muss deshalb die Form einer Uterus-
sonde haben.
Der Griff ist ebenfalls mit einer Schraube
für die Leitungsschnur versehen.
Da nur der vordere Theil der Sonde im
Uterus liegt, der hintere aber Scheide und
Harnröhrenwulst berührt, so ist es wün-
schenswerth, diese Theile gegen die Einwir-
kung des Stromes zu schützen. Denn nur
die inneren Abschnitte des Genitalrohres be-
sitzen jene geringe Elektrosensibilität, welche
es gestattet, so starke Ströme hindurchzu-
leiten; die Berührung der äusseren würde
eine lebhafte Schmerzempfindung hervorrufen.
Aus diesem Grunde führt man die Sonde
im Milchglasspeculum ein, welches man wäh-
rend der Sitzung in der Scheide belässt,
oder schiebt eine Gummihülse (Drain oder
englischen Katheter) über den aus dem Cer-
vix herausragenden Theil der Sonde. Das
Metall, aus dem diese Sonden vorräthig
sind, ist entweder Platin oder Aluminium.
Ersteres ist recht theuer; da man 2 — 3
Stärken braucht, so würden sie sich auf
etwa 50 Mark stellen. Allerdings haben
sie den Vorzug, dass sie nicht durch den
Strom angegriffen werden. Eine Alumi-
niumsonde kostet 1,75 — 2,50 Mark, ein
recht bedeutender Unterschied. Diese Son-
den sind ferner sehr leicht und biegsam.
Allerdings wird das Aluminium, da es die
Eigenschaft hat, sich sowohl in Alkalien wie
in Säuren zu lösen, bei der jedesmaligen
Anwendung (gleichgültig ob es als negativer
oder als positiver Pol fungirt) stark angeätzt.
Sehr zweckmässig ist es, wenn die Sonde
eine knopfförmige Anschwellung in ihrem
vorderen Drittel besitzt, wie es die gewöhn-
57
450
Schaeffer, Ueber die BehandluDg der Uterusmyome nach Apostoli.
rlierapeatbd»
MonaUhefte.
lieben Uterussonden haben, damit man beur-
theilen kann, wie tief die Sonde in die
Uterusböhle eingeführt ist.
Es ist nun das Einführen der Sonde in
den myomatosen Uterus oft nicht ganz leicht,
da es ab und zu vorkommt, dass der Cer-
Yicalcanal durch das Myom verlegt ist. In
diesem Falle empfiehlt Apostoli, den ac-
tiven Pol in Form einer dünnen Platinnadel
von der Scheide aus in die Geschwulst hin-
einzustossen. Dieses Vorgehen setzt natür-
lich eine sehr gründliche vor- und nacb-
herige Antiseptik der Scheide voraus. Bei
einiger Geduld und Geschicklichkeit wird es
jedoch meist gelingen, diesen immerhin doch
mit Vorsicht aufzufassenden Eingriff zu ver-
meiden. Wenigstens erwähnen Apostoli
und die englischen Autoren nur ganz ver-
einzelte Fälle, in denen die Elektropunctur
unumgänglich war.
Der Gesammtpreis des geschilderten Ap-
parates (unter Inbegriff eines Gehäuses mit
Glasverschluss) kostet etwa 350 — 450 Mk.
Nach dem bisher Gesagten ist über die
Ausführung der elektrischen Behandlung
nicht mehr viel hinzuzufügen. Der auf einen
gynaeko logischen Untersuchungsstuhl liegen-
den Kranken wird zunächst die breite, in-
active, wohl angefeuchtete Elektrode auf
den Leib gelegt. Als Anfeuchtungsmittel
benutzt man entweder "Wasser oder besser
eine massig concentrirte Kochsalzlosung, da
letztere einen geringeren Leitungswiderstand
besitzt. Falls dieselbe eine stärkere Reizung
der Haut hervorrufen sollte, wie es Noeg-
gerrath beschreibt, so mag man ja zum
Wasser zurückkehren. Die Elektrode wird
mit einem trockenen Tuche bedeckt und von
der Kranken mit den Händen fest auf den
Leib gedrückt. Alsdann desinficirt man die
Scheide und den Cervix im Speculum, führt
die Sonde ein , schiebt die Gummihülse
darüber und verbindet den Griff mit dem
Leitungsdraht. Erst jetzt, nachdem man
sich überzeugt hat, dass alle Schrauben fest
angezogen sind, und ein Ausgleiten der
Drähte nicht möglich ist, schliesst man die
Batterie und lässt, indem man die Kurbel
des Rheostaten dreht, den Strom langsam
anwachsen. Je langsamer man den Strom
verstärkt, desto geringer ist die Schmerz-
empfindlichkeit und desto stärkere Strome
kann man anwenden. Man thut gut in der
ersten Sitzung sich mit schwachen Strömen
zu begnügen, etwa von 60 oder 80 M.-A. und
erst in der zweiten oder dritten Sitzung,
wenn man sieht, dass die Kranke die Be-
handlung gut verträgt, bis 150 M.-A. oder
noch höher den Strom zu steigern. Ueber
200 M.-A. gehen die meisten Gynaekologen
fast nie hinaus. Die Dauer einer Sitzung
soll 5 bis 10 Minuten betragen, etwa 2 bis
3 Sitzungen finden in der Woche statt. In
gleicher Weise, wie man den Strom allmäh-
lich anwachsen liess, muss man jedesmal
auch behutsam „ausschleichen". Eine plötz-
liche Oeffnung des Stromes oder gar eine
Stromwendung ist durchaus zu vermeiden.
Will man, nachdem man beispielsweise den
negativen Pol angewandt hat, hinterher
noch den positiven einwirken lassen, so
muss man erst mittelst des Rheostaten die
Stromstärke bis 0 abschwellen lassen, dann
mittelst des Stromwenders wenden und dann
erst von Neuem wieder ansteigen.
Die wichtigste Frage ist nun, wann
wendet man die positive und wann die ne-
gative Elektrode als activen Pol an. Die
An wen dungs weise richtet sich ganz nach
den Symptomen, die man bekämpfen wilL
Die beiden hervorstechendsten Erscheinungen,
welche das Uterusmyom macht, sind 1. Blu-
tungen (sehr profuse Menorrhagien oder an-
dauernde Metrorrhagien) und 2. Schmerzen
und Druckerscheinungen, welche die Ge-
schwulst auf die Nachbarorgane (z. B. Blase
Mastdarm, Nervenstämme u. s. w.) ausübt.
Im erst er en Falle, dem bei Weitem häufige-
ren, handelt es sich nur darum, die Blutun-
gen zu stillen und dadurch der zunehmen-
den Anämie Einhalt zu thun. Um dies zu
erreichen^ führt man die Sonde als positi-
ven Pol in den Uterus. Der Zweck, den
man damit verfolgt, ist, eine intensive Aetz-
wirkung der Uterusschleimhaut auszuüben.
Dass diese Absicht wirklich erreicht wird,
davon kann man sich sehr leicht überzeu-
gen, wenn man den positiven Pol einige
Minuten auf eine Erosion der Portio einwir-
ken lässt. Es tritt dann hier ein ebenso
intensiver Aetzschorf auf, wie er nicht stär-
ker nach Anwendung von Liquor ferri entr-
steht. Man erkennt diese Verschorfung in
der Uterushöhle ferner auch daraus, dass
die Sonde, wenn der Strom einige Minuten
hindurchgegangen ist, sich fest mit der Ute-
russchleimhaut verklebt hat und nur mit
einiger Anstrengung herauszuziehen ist.
Es mag gleich hier erwähnt werden,
dass der positive Pol entschieden schmerz-
stillend wirkt und dass dies eine weitere
Indication für seine Anwendung ist.
Im zweiten, viel selteneren Falle, dass
keine lästigen Uterinblutungen, sondern le-
diglich die Grösse der Geschwulst ein Ein-
schreiten verlangen, wendet man den nega-
tiven Pol als Sonde an. Am negativen Pol
entwickelt sich der Wasserstoff und die
Basen der zersetzten Salze. Der frei ge-
wordene Wasserstoff führt zu einer lebhaften
Iir. Jahrgang. 1
October 1889 J
Schaeffer, Ueber die Behandlung der Uterutmyome nach Apostoli.
451
Ent'wickelung von Schaum, der aus dem
äusBeren Muttermunde uud der Scheide her-
ausquillt. Die in Freiheit gesetzten Basen
bringen eine schnelle Auflösung und Schmel-
zung des Gewebes hervor. Der negative
Pol wirkt daher in hervorragendem Maasse
denutritiy. Da er aus diesem Grunde zu
Blutungen Veranlassung giebt und ferner im
Gegensatz zum positiven Pol Schmerzen
eher hervorruft als stillt, so sieht man, dass
die Indication für die einzelnen Strome eine
ganz bestimmte und durchaus nicht willkür-
liche ist. Beide Stromarten haben endlich
das gemeinsam, dass in der inte r polaren
Strecke starke Muskelcontractionen des
Uterus ausgelost werden, von denen man
sich Torstellt, dass sie auf eine Verklei-
nerung der Geschwulst hinwirken.
Es darf allerdings nicht verschwiegen
werden, dass in einigen ganz wenigen Fällen
auch eine umgekehrte Anwendungsweise als
die eben geschilderte angeblich von gutem
Erfolge begleitet gewesen sein soll. So sehr
nun auch eine solche unbedingte, aller
Theorie widersprechende Lobpreisung eines
Verfahrens (wenigstens nach meinem Dafür-
halten) zu Misstrauen reizt, so darf man
doch nicht vergessen, dass die Elektrolyse
erst eine ganz neue Behandlungsart ist, bei
der noch manches Zufällige als Gesetz-
massiges mit unterlaufen mag.
Wir sehen also, dafis die Elektrolyse
der Uterusmyome 1. mit ziemlich einfachen
Mitteln arbeitet; 2. dass sie von jedem prac-
tischen Arzte ohne specialistische Vorkennt-
nisse und ohne Aufwendung besonderer Ge-
schicklichkeit auszuführen ist, und 3. dass
dieselbe (wenigstens wenn man sich auf die
Sondenmethode beschränkt und die Elektro-
punctur von der Scheide aus als einen nicht
so gleichgültigen Eingriff betrachtet) voll-
kommen ungefährlich ist. Unter den
mehreren hundert Fällen, über die bisher
berichtet ist, hat nur Brose bisher einen
Todesfall veröffentlicht.
Im Brös ersehen Falle handelte es sich
um ein submucöses Myom, welches nach
mehrmaliger Galvanisirung in Verjauchung
überging. Die Frau starb an Sepsis.
Ich glaube jedoch nicht, dass man diesen
Fall nothwendigerweise der Elektricität zur
Last legen muss. Aehnliches ist auch
sonst bisweilen im Anschluss an eine ein-
fache Sondirung beobachtet worden; wenn
man mittelst der Sonde virulente Keime in
das Uterusinnere bringt, (und diese Gefahr
wird man trotz aller Antiseptik nie mit
völliger Sicherheit beseitigen können) so
können diese, besonders wenn sie einen
so geeigneten Nährboden wie ein zerfallen-
des Myom vorfinden, sehr wohl zu einer All-
gemeininfection führen.
Sonst ist, soweit mir bekannt, noch kei-
nem Beobachter irgend ein ernsteres Miss-
geschick bei der galvanischen Sondenbe-
handlung vorgekommen.
Was nun die Erfolge der galvanischen
Myombehandlung anlangt, so ist in Betracht
zu ziehen, dass das Uterusmyom von mitt-
lerer Grösse an sich etwas ziemlich Gleich-
gültiges ist, und dass nur die Symptome,
Schmerzen und Blutung, ein Eingreifen er-
heischen. Wenn man unter Heilung ein
völliges Schwinden der Neubildung versteht,
60 wird diese Forderung wohl schwerlich
durch die Aposto Hasche Methode erfüllt.
Wenn man aber darunter Aufhören der Be-
schwerden, Wiederherstellung der Arbeits-
fähigkeit und das Gefühl des Gesundseins
versteht, so sind in diesem Sinne so zahl-
reiche Heilungen berichtet, dass ein etwas
übertriebener Skepticismus dazu gehört,
wollte man alle diese Fälle in das Reich
der subjectiven Täuschungen verweisen. Der
objective zahlenmässige Nachweis, dass die
Geschwulst unter der galvanischen Einwir-
kung sich verkleinert hat, ist in der That
sehr schwer, denn alle die Maasse, die man
bei einer Beckengeschvmlst anlegt, sind nur
approximativ, und eine Geschwulst kann
sich recht erheblich verkleinern, ohne dass
man im Stande ist, dies durch directe Mes-
sungen nachzuweisen. Auch mittelst der
Uterussonde lässt sich die Verkleinerung des
Tumors nicht immer erkennen; denn die
Länge der Uterushöhle braucht, wieApostoli
erst jüngst nachgewiesen hat, durchaus nicht
in demselben Verhältnisse abzunehmen, wie
die Geschwulst selbst. Eine Anzahl ge-
wissenhafter Untersucher geben sich daher
auch gar nicht die Mühe, durch Mittheilung
von sich verkleinernden Maassen ihren Be-
richten den Schein einer höheren Objectivität
zu verleihen. Wie vorher ausgeführt, ist
es auch für die Kranken im Wesentlichen
einerlei, wie gross der Tumor ist; was sie
verlangen, ist, frei von Beschwerden und
Blutungen zu sein. Dass dies aber mittelst
der Apostolischen Behandlungsart wirk-
lich erreicht wird, geht aus den Kranken-
geschichten, welche Apostoli^s Assistent
Carl et, wie auch aus den Mittheilungen
hervorragender englischer und vereinzelter
deutscher Gynaekologen so übereinstimmend
hervor, dass es genügt, einige wenige dieser
Krankengeschichten wiederzugeben, da sie
im Allgemeinen gleichlautend und geradezu
typisch sind. Die Dauer der Behandlung,
welche zur Erreichung des gewünschten Er-
folges nöthig war, schwankt von einem Tage
67 •
452
Schaeffer, Ueber die Behandlung der Uteruamyome nach Apostolt.
rrherapeatiieh«
L MonaUheft«.
bis ZU lYa Jahren. Die beiden nachfolgen-
dem Berichte sind Ton Play fair mitgetheilt:
1. Ein 32 jähriges Mädchen leidet seit Jahren
an sehr profusen Menses, welche 10 — 12 Tage
anhalten und nur eine Pause von 7 — 10 Tagen
machen. Die combiuirte Untersuchung stellt einen
über apfelsinengrossen Tumor in der Torderen
Wand des Uterus fest* Nach 14 Sitzungen, jedes-
mal mit 200 M.-A., werden die Menses normal,
dauern 4 Tage, die Pause wird 20 Tage, die
Blutung selbst ist sehr massig. Die vorher sehr
heruntergekommene Kranke fühlt sich wieder wohl
und kann ihre frühere Beschäftigung (sie ist Gou-
vernante) wieder aufnehmen.
2. Eine 35 Jahr alte Dame leidet an einem
bis über den Nabel reichenden Uterusmyom. Die
Sonde dringt 4yj Zoll ein. Die Blutung ist sehr
bedeutend, sodass die Kranke hochgradig anämisch
geworden ist. Nach 6 Sitzungen verreist die
Kranke. Nach ^^ Jahren schreibt sie, dass es ihr
ausgezeichnet ginge, sie könne sich jeder Be-
schäftigung unterziehen, nur noch nicht tanzen
und Tennis spielen.
Aebnliche Erfolge findet man in der
Litteratur (namentlich in der englischen und
französischen) zu hunderten verzeichnet; ja
es finden sich eine ganze Reihe noch er-
heblich günstigerer Resultate vor, Fälle, in
denen nach einer oder zwei Sitzungen alle
Beschwerden und Blutungen beseitigt viraren.
Da es aber Geschmacksache ist, ob man sich
durch solche, man könnte fast sagen Wunder-
euren leichter überzeugen lässt, als durch
die Mittheilung nüchterner, nicht so über-
schvirenglich lobender Berichte, so habe ich
gerade jene beiden maassvoll gehaltenen an-
geführt. Auf meine eigenen Erfolge gehe
ich, um nicht die Zahl voreiliger Veröffent-
lichungen zu vermehren, aus dem Eingangs
erwähnten Grunde nicht ein.
Wenn aber ein Gynaekologe wie Tho-
mas Keith, welcher nur 4 ^/o Todesfälle
bei der Laparomyomotomie zu beklagen hat,
auf Grund von 100 nach der Apostoli'-
schen Methode behandelten Uterusmyomen
den Satz ausspricht: er glaube sich eines
Verbrechens schuldig zu machen, wenn er
bei Uterusfibromen diese Methode nicht erst
versucht habe — so kann man in der That
den Schluss ziehen, dass diese Behandlungs-
art des eigenen Versuches werth ist.
Sehr beherzigen sw^erth ist auch noch der
Ausspruch Playfair's, welcher feststellt, dass
sämmtliche Untersucher, die sich bisher
ernsthaft mit der Methode Apostoli's be-
schäftigt haben, des Lobes voll sind. Es
ist deshalb in hohem Grade zu wünschen,
dass dieselbe von Seiten deutscher Aerzte
mehr als es bisher geschehen ist, in die
Hand genommen und auf ihren Werth ge-
prüft wird.
Näheres über die Apostoli'sche Fibro-
myombehandlung des Uterus findet sich bei:
1. Carle t: Du traitemcnt electrique des tu-
meurs fibreuses de Tuterus d^apres la methode du
Dr. Apostoli. Paris 1884.
2. Bigelow: Apostoli and his Work. Lan-
cet 1888 Vol. II p. 1221.
3. Michels; Ueber die Anwendung der £lek-
tricität in der Gynaekologie. Würzburg 1888.
4. Bayer: Ueber die Bedeutung der Elektri-
cität in der Geburtsh. u. Gynaek. Zeitschrift für
Geb. u. Gyn. Bd. 11 p. 127.
5. Engel mann: The use of electricity in
gynaec. practice. Transact. of the Amer. gyn.
soc. 1886.
6. Derselbe. Zeitschrift für Geb. u. Gynaok.
1888 Bd. 15 p. 198.
7. Thomas Keith: Results of supravaginal
hysterectomy with rcmarks on the old ways aod
the new of treating uterine fibroids. British
medic. Journal 1887. lO./XII. p. 1257.
8. Benedict: Berl. klin. Wochenschrift 1888.
23. VII.
9. Noeggerath: Zur Theorie u. Praxis der
elektrischen Behandhmg der Fibroide des Uterus.
Berl. klin. Wochenschrift 1889 No. 8, 9 u. No. 23
bis 25.
10. Bröse. Zur Elektrotherapie in der Gy-
naekologie. Deutsche medicin. Wochenschrift 1889
No. 24.
11. Play fair: Some remarks on the use of
electricity in gynaecologie. Lancet. 1888. 21. YII.
12. Orthmann: Beitrag zur Elektrotherapie
in der Gynaekologie. Berl. klin. Wochenschrift
1889 No. 21 u. 22.
13. John Shaw. Transactions of the ob-
stetrit, Society of London. XXX. p. 243.
14. Spencer Wells: Remarks on the eloc-
tric. treatement. Brit. med. Joum. 1888 p. 1428.
Wien. klin. Wochenschr. 1888 No. 9 u. 10.
15. Apostoli: On some novelties in my elec-
trica! treatement of uterine fibroids. Congress of
the British med. assoc. Glascow. August 1888.
16. Derselbe: Bull, de therapie 30. IV. 1888.
17. Derselbe: British med. Journ. 1888 1.63.
Die
Lassar'sclie Haarcur in der Privatpraxis«
Von
Dr. Eugen Qraetzer in Sprottau.
Die Alopecie ist ohne Zweifel von
allen Krankheiten die vom Publikum am
wenigsten beachtete, ja sie wird von den
meisten Menschen gar nicht als Krankheit
angesehen, sondern als eine Eigenthümlich-
keit betrachtet, die bei manchen Personen
sich „mit der Zeit^ einstellt, und die man
eben gehen lässt, wie es Gott gefallt. Und
October 1888. J
Crftetx«r, Di« Latoar*teh« Haureur ia d«r ^rivatpralll.
453
kann uns Aerzte diese Gleichgültigkeit des
Publikums einem Leiden gegenüber, "welches
ein Organ unseres Körpers dahinrafft, das
als dessen Hauptschmuck gilt, in Erstaunen
setzen? Wenn bisher Jemand daran dachte,
in unsere Sprechstunde zu kommen, um uns
wegen seines Haarschwundes um Eath zu
fragen, was haben wir gethan? — Wir
lächelten mitleidig, zuckten bedauernd die
Achseln und yerschrieben entweder — ut
aliquid fiat — ein unschuldig Träuklein,
das nichts schadete und nichts nützte, oder
wir sagten mit rücksichtsloser Offenheit, was
uns selbst Lesser in seinem Lehrbuch der
Hautkrankheiten (2. Aufl. S. 174) in dem
Capital über Alopecia areata offen ver-
kündet: n^i' sind durch kein Mittel
im Stande, den Haarausfall zum Still-
stand zu bringen und ebensowenig
den neuen Kachwuchs zu beschleuni-
gen. Daher ist eine Behandlung eigent-
lich überflüssig, besonders da in der
Mehrzahl der Fälle in nicht zu lan-
ger Zeit spontan eine yollige Heilung
eintritt."
Ob dieser Aussicht auf Spontanheilung
für unsere Clienten in der That eine grosse
Bedeutung als Trostspruch beizumessen ist,
bezweifle ich sehr. Denn wie es feststeht,
dass bei der Alopecia pityrodes die Pro-
gnose auf spontane Heilung recht schlecht
ist, 80 kann man nicht die Thatsache hin-
wegleugnen, dass auch nicht alle Fälle von
Alopecia areata so unschuldiger Natur
sind, dass nach einiger Zeit das Leiden
ohne alle Therapie Yon selbst verschwindet.
£s kommt gar nicht so selten vor, dass die
Krankheit immer weiter um sich greift und
zu totaler Eahlköpfigkeit fuhrt. Aber selbst
wenn wir wirklich mit dem Factor rechnen
könnten, dass in sämmt liehen Fällen von
Alopecie der Erankheitsprocess nach einiger
Zeit sistirt, und die Neigung zur Spontan-
heilung dann sich geltend macht, würde
dieser Umstand den Arzt berechtigen, die
Hände in den Schooss zu legen? Das würde
doch nur dann der Fall sein, wenn erstens
die Unannehmlichkeiten und Nachtheile, die
das Leiden für die damit behafteten Per-
sonen mit sich bringt, so geringfügig wären,
dass man sich über jene hinwegsetzen konnte,
und wenn wir zweitens wirklich kein Mittel
besässen, das mit sicherem Erfolge die Af-
fection bekämpfte. Was den ersteren Punkt
anbelangt, so muss hervorgehoben werden,
dass selbst leichtere Fälle von Alopecia
areata wochen- und monatelang bestehen
können, ehe die Neigung zur Spontanheilung
zum Vorschein kommt. Sehen wir von der
Entstellung des Aeusseren, die doch
immerhin auch beim Mann in Betracht ge-
zogen werden muss, hier ganz ab, so greift
doch der Haarschwund als Krankheit
oft so tief in unseren socialen Ver-
kehr, in unser Familienleben ein, dass
schon aus diesem Grunde dem Leiden eine
grössere Beachtung geschenkt werden müsste.
Die Folgen des Haarschwundes, also die
daraus resultirende Entstellung, fallen hier
weniger in^s Gewicht, als jene vom Laien-
publikum der Affection allgemein angedich-
tete Aetiologie. Denn die Ansicht, dass
jeder bei jüngeren Leuten vorkommende
Haarausfall eine Folge von Excessen in
baccho et in venere ist, hat so colossale
Verbreitung, dass Jedermann überzeugt ist:
die an Alopecie Leidenden geben sich ent-
weder einem unsoliden Lebenswandel hin,
oder wenigstens sie haben „gelebt^. In-
folgedessen dienen jene Unglücklichen nicht
nur ihren Bekannten und Freunden als Ziel-
scheibe der Spottlust, was gewiss auch nicht
gerade angenehm ist, sondern es können
auch für die Kranken Nachtheile ent-
stehen, die ihre persönlichen Inter-
essen auf das Empfindlichste zu
schädigen im Stande sind. Es kann
z. B. der Fall eintreten, dass ein junger
Mann, der sich mit Anderen um ein Amt,
um eine Stellung bewirbt, wegen seiner
Glatze in den Verdacht unregelmässigen
Lebens kommt und deshalb seinen Mit-
bewerbern das Feld räumen muss. Oder
ein Kahlkopf ist dem Betreffenden bei einer
eventuellen Verheirathung ein Hinderniss
und kann so ein Lebensglück zerstören.
Allerdings sind wir zu der Annahme be-
rechtigt, dass stärkere Excesse wenigstens
befördernd auf den Haarschwund wirken
können, und besonders darf in dieser Be-
ziehung die Syphilis als ätiologisches Moment
nicht unterschätzt werden; in den meisten
Fällen jedoch ist auch Lues nie vorhanden
gewesen, und die Kranken sind an ihrem
Leiden gänzlich unschuldig. Wenn nun das-
selbe anfangt, sie in ihren Interessen zu
schädigen, dann kommen diese Leute zum
Arzt, um von diesem gewöhnlich mit den
Worten abgespeist zu werden: „Wir haben
dagegen kein Mittel I^' Das war auch früher
leider der Fall; es wurde dies und das em-
pfohlen, aber alle diese Mittel verdatakten
ihren Haupterfolg wohl der Neigung der
Krankheit zur Spontanheilung, und bei Con-
trolversuchen machten sie meist glänzend
Fiasko. Da gab Lassar im Jahre 1880
uns seine antiparasitäre Methode, mit
der es ihm gelungen war, bei Alopecia
pityrodes, die er als eminent an-
steckende, auf parasitärer Basis be-
454
Graotzer, Dio LaMftT'fiQho Haarcur in der Privatpraxi*..
rlierap«iitiMb6
Moiifttshafte.
ruhende Affection hinstellte, gute thera-
peutische Erfolge zu erzielen. Allein die
Richtigkeit seiner Beobachtungen ^urde von
yerschiedcDen Seiten angezweifelt, seine Er-
folge fanden wenig Beachtung, sodass die
Gleichgültigkeit der Aerzte dem Leiden gegen-
über bestehen blieb. In No. 12 der „Therap.
Monatshefte 1888" erschien ein Aufsatz von
Lassar: „Ueber Haarcuren", ia welchem
der Verfasser nochmals seine Methode em-
pfiehlt, die ihm in mehr als 1000 Fällen
nicht nur von Alopecia pityrodes, son-
dern auch von Area Celsi, die er als der
,,Contagiosität mindestens hochyer-
dächtig" bezeichnet, die besten Dienste
leistete. Diese Cur muss 6 bis 8 Wochen
lang täglich, später seltener, Yon geübter
Haod ausgeführt werden und zerfällt, um es
hier kurz zu wiederholen, in folgende Actei
1. Zehn Minuten langes Einseifen des
Haarbodens mittelst einer starken Theerseife.
2. Abspülung der Seife zuerst mit lauem,
dann mit kühlerem Wasser vermittelst Irri-
gator oder Giesskanne, und Abtrocknen.
3. Frottirung des Kopfes mit folgender
Losung :
«V Sol. Hydrarg. bichlorat. 0,5: 150,0
Glycerin.
Spir. Colon, aa 50,0.
M. D. S. Aeusserlich!
4. Trockenreibung des Kopfes mit ab-
solutem Alkohol, dem 7a % Naphtol zuge-
setzt ist.
5. Reichliche Einreibung mit der Lo-
sung:
IV Acid. salicyl. 2,0
Tct. benz. 3,0
Ol. ped. taur. ad 100,0.
M. D.
Natürlich widerstehen hartnäckige Fälle,
die aber selten sind, auch dieser Methode,
die, wenn die wachsthumsfahigen Elemente
bereits vollständig zerstört sind, auch immer
im Stich lassen muss. Aber in letzterem
Falle hören wenigstens Schuppenbildung und
Juckgefühl auf, und der Krankheitsprocess
macht keine weiteren Fortschritte, sodass
auch hier die von Lassar vorgeschlagene
Therapie nicht nutzlos ist.
Der Artikel machte in ärztlichen Kreisen
berechtigtes Aufsehen, auch die politische
Tagespresse brachte Referate, sodass die
Sache dem Laien publikum bekannt wurde;
ob aber trotzdem Publikum und practische
Aerzte nunmehr sich veranlasst sehen, dem
viel verbreiteten Uebel mehr auf den Leib
zu rücken, das wage ich stark zu bezweifeln.
Bei ersterem heisst es, wenn man darauf zu
sprechen kommt, allgemein: ,)Die Botschaft
hört' ich wohl, allein es fehlt der Glaube",
und den practischen Aerzten fehlt zwar der
Glaube nicht, wohl aber die rechte Zuver-
sicht, mit der Methode, die dem Kliniker
so gute Resultate lieferte, in ihrer
eigenen Frivatpraxis irgendwie bemerkens-
werthe Erfolge erzielen zu können.
Und ist dieser Gedanke so unberechtigt?
— Kliniker und practische Aerzte
haben mit so grundverschiedenen Ver-
hältnissen zu rechnen, dass es kein
Wunder ist, wenn oft Erstere Heilmethoden
als vorzüglich bezeichnen, die letzteren über-
haupt ein Noli me taDgere sind oder, wenn
sie zur Anwendung gebracht werden, gänz-
lich fehlschlagen. Auch Lassar hebt die
^geübte Hand" hervor und sagt später
nochmals: „Es werden vor Allem eine
geschickte Hand zur Ausführung,
grosse Energie und Gonsequenz in der
Durchführung gefordert werden müs-
sen." Ja, das sind recht schöne Dinge, die
dem Kliniker in allen Fällen zur Ver-
fügung stehen, die wir aber in der Privat-
praxis leider sehr oft, namentlich bei dem
niederen Publikum und der Landbevölkerung,
entbehren müssen, was zur Folge hat, dass
bei chronischen Leiden oft alle unsere Heil-
bemühungen und die besten Curmethoden
in schmählichster Weise scheitern. Das ge-
wöhnliche Publikum (auch bei dem besseren
soll es vorkommen I) kann sich nicht mit
dem Gedanken befreunden, dass zur Heilung
mancher Krankheiten nicht Tage, sondern
Wochen, Monate und Jahre nöthig sind, und
wenn daher das vom Arzt verordnete Mittel
nicht sofort „anschlägt", so wird ein anderer
College in Anspruch genommen — mit dem
gleichen Erfolge. So geräth nicht allein
die Heilmethode in Misscredit, son-
dern auch der behandelnde Arzt. Dass
der letztere Factor, besonders bei dem
jüngeren Arzt, selbst wenn er dem
Streberthum gänzlich fernsteht, im-
merhin eine Rolle spielt, ist unschwer zu
begreifen. Bei der Lassar'schen Haar-
cur ist noch ein anderer Punkt zu berück-
sichtigen: Dieselbe erfordert nicht nur wäh-
rend längerer Zeit täglich ziemlich müh-
same Manipulationen, sondern auch einen
etwas kostspieligen Heilapparat. Der
Patient hat sich jedes Mal ausser der Theer-
seife und dem mit Naphtol versetzten Al-
kohol noch die Sublimat- und SalicyllÖsuog
anzuschaffen und kommt nun schwerbeladen,
nicht sehr erbaut über die „theuere Apo-
theke", nach Haus. Ist nun trotz alledem
ein Erfolg nicht sofort zu verzeichnen, oder
tritt ein solcher, wegen Mangels einer ge-
übten Hand, der nöthigen Energie und Con-
in. Jalirganir. 1
October 1889. J
Qraetzer, Di« Lassar'schre Haarcur in der Privatpnu^ts»
455
Sequenz u. 8. w. gar nicht ein, dann ist na-
türlich, um mich eines drastischen Ausdruckes
zu bedienen, um so mehr der Teufel los.
Alles das ging auch mir durch den Kopf,
als ich den Las s arischen Aufsatz las, und
es wird wohl manchem Collegen nicht an*
ders gegangen sein. Ich muss gestehen,
dass wohl auch bei mir Alles beim Alten
geblieben wäre, wenn ich nicht zufallig kurze
Zeit später zu einer Erprobung der Heil-
methode gewissermassen gezwungen worden
wäre.
Am 25. Januar d. J. kam nämlich ein Herr E.
aus 0. bei Sprottaa zu mir mit der Bitte, ihn
Yon seinem Haarschwand za befreien, der seit
mehreren Wochen sein Haupthaar zerstöre und
täglich weiter um sich greife. Er hatte das bis-
her gar nicht beachtet, hat aber die Absicht, sich
jetzt zu verloben, und furchtet, dass die begin-
nende Kahlköpfigkeit ein Hindemlss sein könnte.
Zufällig hatte er Yor einigen Tagen in einer Zei-
tung über die Lassar^sche Haarcur eine Notiz
gelesen und ersuchte mich nun, dieselbe bei ihm
zu Yersuchen. Auch als ich den Patienten darauf
aufmerksam machte, dass die Cur in der Privat-
praxis doch leicht erfolglos sein könnte, bestand
er darauf, sodass ich seinem Wunsche willfahrte.
Der im mittleren Lebensalter stehende, normal
gebaute und gesund aussehende Mann hatte ge-
rade auf dem Scheitel seines Kopfes einen kahlen
Fleck, der rundliche Gestalt zeigte und einen
Durchmesser yon etwa 6 cm hatte. An diese
Stelle schloss sich ringsum unmittelbar ein unge-
fähr 2 cm breiter Streifen an, auf dem das Haar
schon ziemlich licht war, und wo schon bei ge-
ringem Zug ganze Büschel von Haaren einem
zwischen den Fingern blieben. Schuppenbildung
war nie vorhanden gewesen, ebensowenig Juck-
gefühl.
Diagnose: Alopecia areata.
Erst nach 8 Wochen sah ich Herrn K. wieder.
Er stellte sich als „geheilt^ vor. Und in der
That konnte man kaum unterscheiden, wo einst
der kahle Fleck gewesen war. Bereits nach
den ersten Einreibungen, so erzählte der
freudig erregte Patient, hörte der Haarausfall
auf, bald sprossten neue Härchen auf, die
sich allmählich vermehrten und vergrös-
serten, sodass bald das frühere Aussehen
wiederhergestellt war.
Dieser ebenso glänzende, wie mich über-
raschende Erfolg bestimmte mich, in einem
zweiten Falle von Alopecia areata, der kurze
Zeit darauf in meine Behandlung kam, wie-
der die Lassar'sche Methode in Anwen-
dung zu bringen.
Am 24. März d. J. consultirte mich der 15 Jahr
alte Emil T. aus B., einem Dorfe in der Nähe
von Sprottau. Sein Kopf zeigte gewissermassen
ein marmorirtes Aussehen, indem haarlose Stellen
mit behaarten abwechselten. Im Ganzen fanden
sich 4 kahle, runde, von einander getrennte Schei-
ben von Zweimark- bis Fünfmarkstückgrösse. Dass
die Affection, die erst seit einigen Wochen be-
stand, immer weitere Fortschritte machte, bewies
der Umstand, dass auch in der Umgebung der
Scheiben das Haar sich zu lichten begann, und es
leicht gelang, Haarbüschel herauszuziehen. Auch
hier kein Jucken, keine Schuppenbildung.
Ich schlug, jetzt zuversichtlicher geworden, den
Eltern des Patienten sofort die Lassar^sche Cur
vor. Diese zeigte auch in diesem Falle einen
überraschenden Erfolg. Auch hier sistirte
gleich nach den ersten Curtagen der
Krankheitsprocess, imd bei seinem zweiten
Besuch, den mir der junge Mann am 19. April
machte, bot sein Kopf ein wesentlich anderes Bild
dar, als 3 Wochen vorher. Wenn auch der
Haarwuchs auf den afficirten P»:tien noch
ziemlich dünn war, so war doch von eigent-
licher Kahlheit nirgends mehr die Rede. Am
15. Mai, bis zu welchem Tage die Cur fortgesetzt
wurde, sah ich den Patienten wieder. Die Heilung
hatte wieder bedeutende Fortschritte gemacht, und
war kaum eine Unterscheidung der kranken Stellen
von den normalen möglich. Nach weiterer drei-
wöchentlicher Cur konnte ich den Patienten als
völlig „geheilt^ aus der Behandlung entlassen.
Leider sind mir seitdem keine Fälle von
Alopecie mehr vorgekommen, und Skeptiker
werden behaupten, jene 2 Fälle seien
durchaus nicht beweiskräftig, da ja
bei Area Celsi recht viele Spontanheilun-
gen zu Stande kämen. Wenn aber in beiden
Fällen gleich in dep ersten Behand-
lungstagen ein Umschwung in der
Weise eintrat, dass der Haarausfall
sofort nachliess, und allmähliche Re-
stitution sich zeigte, so kann man dreist
sagen, dass dieser Erfolg allein der
Heilmethode zu verdanken ist und nicht
einem glücklichen Zufall* Anders wäre es
gewesen, wenn dieser Umschwung erst nach
mehreren Wochen sich gezeigt hätte. Dann
konnte man vielleicht die Behauptung auf-
stellen, dass eine Heilung zu der Zeit ohne
alle Therapie auch zu Stande gekommen
wäre.
Mit diesen 2 Fällen von Heilung der
Alopecia areata, die natürlich den 1000
Lassar' sehen gegenüber, ungemein winzig
sich ausnehmen, würde ich nicht in die
Oeffentlichkeit zu treten wagen, wenn ich
es nicht für durchaus geboten hielte, dass
sich auch die .Stimmen von Privatärzten zu
Gunsten der Lass arischen Methode erheben,
die für die Frivatpraxis erst maassgebend
sein und jeden Zweifel bei den Collegen
zerstreuen können. Da das seit Fublication
des Las 6 arischen Aufsatzes bisher nicht
geschehen ist, so glaubte ich trotz der klei-
nen Anzahl meiner Heilungen dieselben doch
bereits jetzt veröffentlichen zu müssen, um
wenigstens dadurch Anregung zu weiteren
Yerstiohen und zu weiteren Publicationen zu
456
OraoKor, Die LastarUch« ttaareur In dar ^rivatpraxU.
L Monatahttft«.
geben. Berücksichtigen -wir, dass ich mit
recht schwierigen Yerhältnissen zu rechnen
hatte, dass meine beiden Patienten Land-
bewohner waren, bei denen eine energische
und consequente Durchfuhrung einer Cur
ziemlich problematisch ist, dass es an einer
geübten Hand fehlte, und die Patienten die
Cur selbst ausführten, so glaube ich doch,
dass meine beiden Heilungen wenigstens in
soweit beweiskräftig sind, als sie zeigen,
dass auch in der Hand der Priyat-
ärzte die Lassar^sche Methode des
Versuches werth ist. Und wenn auch in
der Privatpraxis nur 50 % Heilungen vor-
kämen, 80 genügt das doch, um eine Me-
thode bekannt und beliebt zu machen, die
es nicht verdient, von privat ärztlich er
Seite so ganz vernachlässigt zu wer-
den, wie es bisher recht oft geschehen sein
mag. Und wenn erst Publikum und Aerzte
sich daran gewöhnt haben, das Leiden nicht
wochenlang anstehen zu lassen, sondern
gleich zu Beginn, wenn die ersten
Haare ausfallen, die Lassar^sche Cur
in energischer Weise in Anwendung
zu ziehen, so wird diese meiner üeber-
zeugung nach nicht 50 ^/o, sondern 100%
Heilungen auch in der Privatpraxis
aufweisen, und die Kahlkopfigkeit wird im-
mer seltener werden! und hier können vor-
züglich gerade die practischen Aerzte
wirken: Sie haben, wenn sie erst diesem
Gegen stände ihre Aufmerksamkeit zuwenden,
ungemein oft Gelegenheit, den Beginn der
Alopecie zu sehen oder Klagen darüber
zu hören, die allerdings nur nebenbei an-
gebracht werden, wenn der Arzt eines an-
deren Leidens wegen consultirt wird. Wenn
sie nun unter Hinweisung auf die Er-
folge der Lassar^schen Cur darauf drin-
gen, dass dem Uebel gleich beim Beginn
energisch auf den Leib gerückt wird, so
können sie viel Gutes stiften.
Aber auch die prophylaktische Seite will
ich nicht unerwähnt lassen, weil auch in
dieser Beziehung gerade die practi-
schen Aerzte eine recht wirksame Thätig-
keit entfalten können. Wie oft wird der
Hausarzt Gelegenheit finden, die Familien-
mitglieder auf die Ansteckungsgefahr der
Alopecie aufmerksam zu machen und darauf
zu sehen, dass jedes einzelne ein besonderes
Kammzeug besitzt, und dass die Kinder nicht
Kämme und Bürsten ihres mit Alopecie be-
hafteten Vaters benutzen dürfen, ebenso wie
es nöthig ist, beim Friseur eigenes Frisir-
zeug anzuschaffen und auch das in öffent-
lichen Gebäuden und Anstalten ausliegende
nicht in Gebrauch zu nehmen.
Es bietet sich also dem practischen Arzte
auf einem für ihn bisher so „kahlen" Ge-
biete ein weites Feld wirksamer Thätigkeit
dar, und hofft der Verfasser durch diese
Zeilen, indem er das Lassar'sche Verfahren
auch von privatärztlicher Seite aus be-
leuchtete, bei seinen Collegen Anregung
zu geben, dass jene bisher der Alo-
pecie entgegengebrachte Gleichgültig-
keit aufgegeben, und einem Leiden er-
höhte Aufmerksamkeit zugewandt
werde, dem wir nicht machtlos gegen-
überstehen, sondern das wir prophy«
laktisch und therapeutisch jetzt wirk-
sam bekämpfen können.
Beiträge zur Kenntniss des Godeins*
Von
Dr. Quido Rheiner in St Gallen.
[SehlutaJ
Eecapituliren wir das skizzenhaft Darge-
stellte, so machen wir daraus folgende Er-
fahrungen, soweit die massige Zahl unserer
Beobachtungen sie abzuleiten gestattet:
Codein repräsentirt ein sehr beachtens-
werthes therapeutisches Mittel unseres Arznei-
schatzes in Fällen, wo wir ein etwas milderes
Narcoticum als Morphium wünschen, zumal
ein solches, das möglichst nicht die Schatten-
seiten des letztem theilt. Es hat gewiss
seine Berechtigung, wenn wir es thunlichst
vermeiden, im Kindesalter, besonders bei
Säuglingen, das oft bei Erwachsenen schon
in kleinsten Dosen prompt wirkende Mor-
phium anzuwenden, wohl bewusst der Ge-
fahren, die eine unüberlegte Anwendung des-
selben auf den kindlichen Organismus aus-
übt, und doch schliesse ich mich ganz den
Anschauungen May er^ s in Aachen an(Therap.
Monatsh. Juli 1888), welcher schreibt: „Es
herrscht leider unter den Aerzten eine über-
triebene Furcht vor der Anwendung des
Morphiums bei Kindern; man kann schon
Kindern von wenigen Monaten innerlich
Morphium in entsprechender Dosis ohne jeden
Nachtheil geben; schon vor 30 Jahren sah
ich einen äusserst schweren Keuchhusten-
Fall bei einem sechswöchentlichen Kinde,
welches in jedem Anfall zu verbleiben drohte,
durch melurmalige tägliche Anwendung von
^9 mg Morph, acet. glücklich vorübergehen,
indem sofort nach regelmässiger Anwendung
der minimalen Morphium-Gaben die Heftig-
keit der Anfälle allmählich nachliess. Bei
Kindern von 2 — 3 Jahren habe ich oft Mor-
phium-Lijectionen in schmerzhaften Krank-
m. Jahrgang. 1
Ootobtf 1889. J
Rheiner, Beiträge cur Kenntnin dea Codeina.
457
heiten (z. B. Ohrenentzündungen, Unterleibs-
entzündungen) gemacht, etwa 2 — 3 mg für
ein 2 — 4 jähriges Kind, und habe dieselben
selbst bei noch jüngeren Kindern nicht ge-
scheut, fallt doch gerade in der Kinderpraxis
die Hauptgefahr der Morphium- Anwendung,
die Angewöhnung, fort."
Auch ich hatte schon vor Erscheinen
der Mayer' sehen Arbeit nicht gezaudert,
bei indicirt erscheinenden Fallen mich
des Morphiums bei Kindern in kleinsten,
wohl berechneten Mengen zu bedienen,
wenn es nothig war, selbst bei Säuglingen,
d. h. unter einem Jahr, wenn die das Kind
pflegenden Eltern nicht unterhalb einer be-
stimmten Grenze menschlicher Vernunft sich
befanden, und zwar unter Beobachtung grosster
Vorsicht und der Angabe an die Umgebung
des kleinen Kranken, dass es sich um ein
ernstes Mittel handle. Niemals traten toxi-
sche Wirkungen auf, so dass weitere Tor-
sichtige Untersuchungen über die Verwend-
barkeit des Morphiums in den yerschiedenen
Perioden des Kindesalters sehr wünschens-
werth wären. Wenn man nun im Allge-
meinen, und wohl mit Recht zurückschreckt,
ohne dringende Nothwendigkeit zu diesem
geföhrlichen Alkaloid zu greifen bei Erkran-
kungen der Un erwachsenen, so bietet sich
uns im Codein ein weniger gefährliches und,
wie ich gezeigt habe, sehr nutzbringendes
Mittel, das wohl in manchen Fällen den so
beliebten Liq. ammon. anis. ersetzen dürfte.
Auch wenn wir Codein in relatir hohen
Dosen anwandten, so 1 mg des Tages bei
einem 9 monatlichen Säugling, 6 mg bei einem
schwerkranken vierjährigen Kinde, so wurde
die schon vorher bestehende psychische De-
pression nie gesteigert, noch ereigneten sich
irgend welche unangenehmen Nebenerschei-
nungen, ebensowenig bei Erwachsenen selbst
bei Tagesdosen von 12 cg, Quantitäten, die
bei Morphium wir uns wohl hüten würden,
anzuwenden. Einen nicht zu unterschätzen-
den Vortheil des Codein gegenüber Morph,
erkennen wir darin, dass auch bei fortge-
setzten Gaben von Codein sowohl bei Er-
wachsenen als der schnell reagirenden Kinder-
welt durch dasselbe in keinem Fall eventuell
vorhandener Appetit schwand, sondern bei
den meisten Kranken, selbst den Säuglingen,
derselbe sich zusehends besserte, zum Theil
allerdings wohl secundär, was wir allerdings
auch dem Codein zu verdanken haben, indem
durch raschen Rückgang der andern krank-
haften Symptome das appetitvermindernde
Moment, d. h. das subjective Gefühl des
Krankseins sich mehr verlor.
Sie haben des Weitem vernommen, dass
in keinem Fall durch das in Frage stehende
Alkaloid der Verdauungstractus gegen das-
selbe revoltirte und die angenehme Ruhe, in
welche die Darmperistaltik durch Opium
und Morphium eingelullt wird, bei Cod. in
bescheidenerem Maasse auftrat, ferner be-
stehendes Erbrechen und Darmkatarrh jeden-
falls durch letzteres nicht gefordert werden,
sie also keine Contraindicationen für Cod.-
Gebrauch bilden. Resumiren wir dabei die
im Kreise unserer theils ambulatorisch, theils
zu Hause behandelten Kranken beobachteten
störenden Nebenwirkungen, welche erstere
zu genauer Selbstcontrolle aufgefordert wur-
den, da sie auf die nicht häufige Anwendung
dieser Substanz aufmerksam gemacht wurden,
so ist es erstlich in einem Fall leichter
Schwindel (No. 20) Morgens beim Aufstehen,
während in einem andern ein vor Dar-
reichung von Cod. schon bestehender und
durch Anämie und körperliche Schwäche
bedingter bei der betreffenden Frau (No. 23)
nicht gesteigert wurde; femer massige Kopf-
schmerzen (No. 25); von Kribbeln oder an-
dern durch Nervenreizung hervorgemfenen
Erscheinungen konnte in keinem Fall auch
nur die leiseste Spur beobachtet werden.
Was die Art der Anwendung des Codeins
anbelangt, so erstreckten sich unsere Unter-
suchungen nur auf Darreichung in Losung
oder Pulverform, zu subcut. Gebrauchsweise
bot sich keine Gelegenheit, über dieselbe
berichtet Budberg. Die Raschheit der Wir-
kung gestaltet sich verschieden, bald schon
nach 799 hald erst nach einigen Stunden.
Wenn wir an der Hand der gemachten
Krankennotizen einige Indicationen für die
Ordinirung unseres Alkaloids aufstellen
wollen, so werden wir in angegebener Form
uns desselben mit Vortheil bedienen bei
fieberlosen oder massig febrilen Bronchitiden
der Kinder und Erwachsenen ; in denjenigen
Fällen indessen, wo hohes Fieber, stark
beschleunigte Athmung etc. die Betheiii-
gung der feinen Bronchien und dazwischen
liegender Lungenpartien ergaben, vermochte
Codein in unsern Fällen den quälenden
Hustenreiz wenig zu mildern, noch den da-
durch verscheuchten Schlaf zu erzwingen,
ebensowenig in einem Fall von Pseudocroup
nach früherer Diphtherie laryng. trotz man-
gelnden Fiebers, doch war in diesem Fall
auch Morphium wirkungslos.
Bei Phthisis pulm. sehen wir von Codein
eine sehr zufriedenstellende Wirkung, die Kran-
ken äusserten sich in anerkennender Weise,
der Husten nahm mehr oder weniger rasch
bedeutend ab, dadurch fiel das schlaf störende
Moment weg und resultirte traumloser, er-
quickender Schlaf, das Sputum schien sich
besser zu losen, der Appetit nahm zu.
53
458
Rlieiii«r, B«ltrllge cur Xennteltt doi Codalni.
L MoBAtalMlU.
Wenn denselben Patienten nach Cod. ver-
gleichsweise ohne oder mit ihrem Wissen
Pulv. Doweri ordinirt wurde, so war aller-
dings in mehreren Fällen die mildernde
Wirkung auf den Hustenreiz so . ziemlich
identisch, dagegen zeigte sich ein eclatanter
Beweis des Vorzugs von Cod. darin, dass,
nachdem sich der Appetit auf Cod.-Gebrauch
gleichzeitig gebessert, derselbe durch Dow.-
Pulver wieder abnahm (No. 19, 22, 23, 25).
Bei einem anämischen Individuum und einem
chronischen Bronchitiker erzeugte P. Dow.
fortdauernd Uebelkeit und Brechreiz bis
Erbrechen, Codein nicht, wenn auch in beiden
Fällen sowohl P. Dow. als Godein wenig
leisteten. YÖUig nutzlos war es bei einem
Fall beginender Phthise mit massenhafter
Schleimsecretion (No. 18), doch auch P. Dow.
brachte hier keinen Erfolg, erst Morph, in
ziemlich hohen Dosen (P. wurde vor einem
Jahre zum letzten Mal vorübergehend aus-
wärts behandelt) von 3 — ^cg pro die schafften
einige Milderung des continuirlichen quälen-
den Hustenreizes, ohne dass bei dem gegen
Medicamente offenbar äusserst renitenten
Organismus des P. irgend welche Neben-
wirkung oder Schläfrigkeit eingetreten wäre.
Völlig nutzlos erwies sich Codein bei heftigem
Asthma; während Chloralhydrat (l,0), Abends
genommen, mehrere Tage hintereinder die
Anfälle durch festen Schlaf des P. siegreich
zu verhindern mochte (No. 26), wachte der
Kr. nach Cod. -Darreichung gleichwohl auf,
als der Asthmaanfall im Anzug war, auch
die Bangigkeit der Phthisiker und Herzleiden-
den Hess sich nur insofern durch Codein
gunstig beeinflussen, als der damit verbun-
dene Husten abnahm, doch wurde Cod. auch
von Herzkranken völlig schadlos und ohne
besondere Einwirkung auf die Circulations-
organe ertragen.
Es wurde im Weitem noch bei 5 Fällen
der Einfluss des Cod. auf den Keuchhusten
der Kinder geprüft und folgen zum Schluss
noch die darüber gemachten Notizen:
Ida Koch, 2^/^ J. H. 31. I. Seit Ende Dec.
1888 Bronch. ac, seit Mitte Jan. 1889 keuch-
hustenartige Anfälle, alle 15 Min., auch Nachts.
Kein Appetit.
Status: Zartes Kind, grosso Apathie, Katarrh
der Augen, Nase, des Rachens, Heizung desselben
löst e. typischen K.-Anf. aus von 1 y. Min. Dauer
mit Erbrechen. Ulc. subling. T. Ab. 38,5 <>.
Einzelne K.-H.-FäUe in der Umgebung. 0. : Cod.-P.
a 2 mg.
2. U. Am 2. n. Morg. 1 h nach heft. Anfall
2 mg C, nach 40 Min. Schlaf bis 8. U. Morg.
5 h ohne Hosten, darauf wieder Y48tündl. heft.
AnfMle; Morg. 5y, h = 1 mg. Schlaf bis 9 h^
neue Anf., 9 y, h ^ 1 mg C, dann vom Ref. selbst
beobachteter ruhiger Schlaf bis 12 h Morg., Mund
geschlossen, kein Flugelathmen. Bei der Unter-
suchung im Schlaf erwacht P., heft. Anfall. Von 12 h
an stdl. 1 Anf., Ab. 6 h 3 Anf. rasch nacheinander,
von Ab. 9 h bis 4. II. Morg. 8 h ruhiger Schlaf,
darin 3 mal massig gehustet.
5. II. Gestriger Tag gut, Kind trinkt Milch,
spielt, keine Yerdauungsstorungen, 2 Anfalle,
5 mal sonst massig gehustet.
7. II. Seit dem 5. U. kein Cod. mehr, kamen
noch 3 Anf. vor.
8. II. Gestern 2 AnflÜle.
16. II. Täglich je 1—2 versch. st. Anfälle,
manche heftig, Kind muss herumgetragen werden.
Sonst findet die Mutter das Kind gesund, ist sehr
glucklich über den Verlauf.
2. Arnold S., 2% J. Stad. florit. Pert.,
ca. 40 Anfälle im Tag, keine Complicationen.
28. n. 0.: Cod.-P. k 2 mg.
26. n. Täglich ca. 1 %— 2 C.-P., Husten un-
verändert.
29. IL St. idem.
3. ni. St. idem. Cod. weggelassen«
3. Marie Gr., 3V4 J. Stad. florit Pert.; Anf.
y,stdl. Keine Complicationen.
19.11. 0.: Cod.-P. k IVamg.
23. IL Pulver am 19. H. Ab. 7 h, 20. IL
Morg. 7 h, 2 h, 7 h, 10 L Anf. unverändert.
25. IL St. idem.
28. n. St. idem. Nichts Neues.
1. IIL Cod. gut vertragen, nutzlos.
4. Josephine Gr., 2 y,J. Anämie, St. florit.
Pert. Grosse Apathie. 19. II. 0.: Cod.-P.
k 1 mg.
1. IIL Täglich 3 — 4 mg Cod. Ist nutzlos,
wird gut vertragen.
20. II. St. idem.
5. Bertha Gr., 1% J. Stad. catarrh. Per-
tussis seit Mitte Februar. Anämie. Heftige
Bronchitis. 19. H. 0.: Cod. 2 mg 120,0 2 stdl.
22. n. Husten eher zugenommen. Cod. rep.
25. n. Beginn d. typischen K.-Anf. Cod.
rep.
1. HI. Typ. Verlauf, y^stdl. 1 Anfall. Lan^.
Reconvalescenz.
Wie Sie ersehen, erwies sich das Codein
in vier Fällen als völlig nutzlos, der Keuch-
husten konnte auch in seinem Beginn nicht
coupirt werden und nahm seinen typischen
Verlauf. Was den Fall l) betrifft, so be-
rechtigt derselbe zu eipigen Reflexionen.
Es ist eine betrübende Thatsache zu sehen,
wie machtlos wir dieser Krankheit im All-
gemeinen noch gegenüberstehen und wohl
erklärlich, dass, wie bei der Diphtherie und
anderen Affectionen, die oft unbekümmert
um therapeutische Eingriffe ärztlichen Kön-
nens ihren günstigen oder ungünstigen Ab-
lauf nehmen, wir gerne, wenn auch von
vornherein mit pessimistischen Gedanken
in Bezug auf Erfolg, nach jedem neuen von
competenter Seite empfohlenen Mittel greifen,
um eventuell doch einmal wenigstens unsere
Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen.
Es herrscht noch in den Anschauungen des
tit Jftlirgtiif . 1
Oetober 1889. J
ftheiner* Beitri^e xur tteontnbs dai CodeiAt.
4Ö9
Volkes tief eingewurzelt ein ausgespro-
chener Nihilismus betreffs der Keuchhnsten-
therapie und bezeichnend sagt eine süd-
deutsche Bauernregel: „T^er Keuchhusten
dauert so lange, bis er aufhört^. Dies ist
denn auch der Grund, dass mau die
pertussiskranken Kinder meist erst dann
dem Arzt zufuhrt, wenn die Krankheits-
erscheinungen zu einer gefahrlichen Höhe
zugenommen haben, eventuell schlimme
Complicationen dazugetreten sind. Es ist
selbstyerständlich kein Zweifel, und man
muss sich freuen, dass ein Arzt auf Chinin-
darreichung innerlich oder subcutan, ein an-
derer mit Antipyrin, ein dritter mit Arg.
nitr. — Insufflationen in die Nase etc. etc. Er-
folge zu Terzeichnen hat, und sind solche
wohl zu beachten, ohne dass wir bei eigenen
Misserfolgen nach Anwendung der zur Kennt-
niss gebrachten neuen berechtigt wären,
die Achseln zu zucken und über diesen
offenbar „neuen Schwindel" zur Tagesord-
nung überzugehen; es ist absolut nothwendig,
dass man mit allen Kräften darauf hin-
arbeitet, der noch offen stehenden Frage der
Genese des Keuchhustens auf die Spur zu
kommen, um damit neue therapeutische An-
haltspunkte zu gewinnen. Es mag dahin-
gestellt bleiben, ob der Fall Koch von
Einzelnen gar nicht als Pertussis bezeichnet
werden will und ob man schlussfolgern will,
weil die Elrankheit so abnorm rasch bei An-
wendung dieser Substanz zurückgegangen, sei
es offenbar gar kein Keuchhusten gewesen. Es
würde eine solche Schlussfolgerung wohl eine
sehr einseitige Auffassung und eine yorge-
fasste Meinung yerrathen, wollte man bei
einem Leiden, das klar vor uns liegt und
das jeder Anfanger in der Medicin primo
visu diagnosticiren wird, dessen wahren Cha-
rakter yerlengnen, weil sich ein Mittel bei
ihm als wirksam erwiesen, während sonst die
Zahl der therapeutischen Misserfolge Legion
ist. Es steht zu erwarten, dass yielleicht
in hundert Fällen das Codein bei Keuch-
husten seinen Dienst völlig versagen wird,
aber wenn es dem Arzte auch nur in we-
nigen Fällen seine Dienste leiht, so verdient
dies, dass man sich mit ihm beschäftigt bei
einem so widerwärtigen und hartnäckigen
Leiden, bei dem es in Bezug auf Erfolg oft
so ziemlich auf dasselbe herauskommt, ob
man sein Möglichstes thut oder ob man, die
Hände in den Taschen, es auf die Gnade des
Himmels ankommen lässt.
Ueber Sulfonal.
Von
Dr. M. Steiner.
Die Vorzüge des Sulfonal vor den ge-
bräuchlichen, theils alten: Morphium, Chlo-
ralhjdrat, Bromkali, theils in neuerer Zeit
entdeckten Schlafmitteln, wie Urethan, Hy-
oscin, Cannabinon, Paraldehyd, Amylenhy-
drat sind so evident und von so zahlreichen
Beobachtern hervorgehoben worden, dass
vnr es als eine nicht nur ephemere, werth-
voUe Bereicherung unseres Arzneischatzes
betrachten können.
Wenu dieses in vielen Fällen, namentlich
von nervöser Agrypnie so sicher wirkende
Remedium auch in einzelnen ohne nennens-
werthen Erfolg bleibt, so verliert es
darum meines Erachtens keinesfalls an Be-
deutung.
So schätzen swerth es z. B. bei einer in
Folge langwieriger Krankheiten (Cystitis
und Polyarthritis acuta) hochgradig nervös
gewordenen Person (Frau B., 65 Jahr) mit
heftigen Herzpalpitationen und habitueller
Schlaflosigkeit befunden wurde, indem 1 g
Sulfonal zu ihrer ZuMedenheit, auch wohl
noch, wie ebenfalls von anderen Beobachtern
erwähnt wird, in der darauf folgenden Nacht
wirkte, während sie Chloral und Morphium
verabscheute, da sie davon nur ungünstige
Nebenwirkungen, nie einen erquickenden
Schlaf gefunden hatte — so musste es in
einem anderen Falle einer in Reconvalescenz
nach erschöpfender Krankheit (Pleur. exsud.
purul. im Puerperium) befindlichen Person
(Frau J., 23 Jahr alt) bald aufgegeben
werden, da wohl am ersten Abend 1 g Sul-
fonal zur Schlaferzeugung genügte, am
zweiten aber schon drei nacheinander ge-
nommene gleiche Gaben Schlaf nicht mehr
erzielten. Ja, in einem Falle von Puer-
peralpsychose mit melancholischer Depression
und anhaltender Schlaflosigkeit, die auch
schon in der Gravidität neben psychischer
Exaltation und Praecordial angst bestand
und in der letzten Woche derselben durch
Chloralhydrat einigermassen gehoben werden
konnte, liessen je 2 g Sulfonal, an drei auf-
einander folgenden Abenden gereicht, völlig
im Stich. (Dieser Fall betraf die 80jährige
Tochter der Frau B.)
Besonders am Platze erscheint mir das
Sulfonal bei sonst gesunden, kräftigen, wohl
gepflegten, mit idiopathischer Schlaflosigkeit
behafteten Individuen (Frau K., 51 Jahr alt),
bei welchen 2 g Dosen einen guten sympto-
matischen Nutzen haben, „um das perio-
68*
460
Stoiner, U«ber SullbiiftL
rrh«r«
L Moni
IConatahellA.
dische Schlafbedürfniss zu unterstützen oder
zu befriedigen". — Alle bisher veröffent-
lichten Beobachtungen erstrecken sich indess
nur auf Tage oder vielleicht einige Wochen,
in denen das Sulfonal zur Entfaltung seiner
Heilwirkung gereicht wurde.
Dies geht u. A. aus folgendem von
0 estreich er (Berlin, klin. Wochenschrift.
1888 No. 25) gefällten Urtheile über das
Sulfonal hervor: „Dasselbe ist ein unschäd-
liches, von keinen üblen Nebenwirkungen
gefolgtes Schlafmittel. Ob bei anhalten-
dem Gebrauch Störungen auftreten, lässt
sich vor der Hand noch nicht sagen."
Ebenso äussern sich Langgaard und
Rabow (Therapeut. Monatshefte 1888, Mai-
heft): ,^Nachtheiliges über dasselbe ist noch
nicht zu unserer Cognition gelangt. Ob
aber der hinkende Bote doch nicht früher
oder später nachkommt, müssen wir einst-
weilen abwarten«"
Meine bis heute elf Monate lang fortge-
setzte Beobachtung der Wirkung dieses
Mittels auf ein und dasselbe Individuum,
welches in der genannten Zeit rund 300 g
Sulfonal nicht nur ohne schädliche Nach-
wirkung, sondern vielmehr auf das Allge-
meinbefinden sehr günstig influirend ge-
nossen hat, scheint mir wohl geeignet, die
befürchtete Eventualität zu entkräften.
Es sei mir daher gestattet, diesen Fall,
der auch sonst pharmakologisch Bemerkens-
werthes bietet, einer etwas ausführlicheren
Behandlung zu würdigen:
Der Baaquier N. ans B., 64 Jahr alt, von
kräftiger ConstitatioD, ohne erbliche oder neuro-
pathische Belastang, dem Weingenuss sehr ergeben,
hat von Krankheiten eine chron. Cystitis, Morbas
Brighthii, wiederholt Eiysipelas faciei in den
letzten 10 Jahren überstanden.
Infolge jahrelangen habituellen Genusses grosser
Dosen Chlorals traten nicht nur deutliche Zeichen
beginnender Vaguslähmung auf, welche mir wieder-
holt mit heroischen Mitteln zu bekämpfen oblag
und gelang, sondern auch einer chronischen In-
toxication, wie Abmagerung, Willens- und Qe-
dfiohtnissschwäche, Launenhaftigkeit, verschiedene
Sensationen im Körper und Erregungszustände.
Die indicirte Entziehungscur stiess nach den Um-
ständen des Falles auf den heftigsten Widerstand.
Eine Ersetzung durch Morphium, Cocain hiesse
den Teufel durch Beelzebub, der Teufel obersten
austreiben. Bromsalze wurden selbst in kleinsten
Mengen nicht vertragen, es folgte ihnen sofort das
bekannte Exanthem an Gesicht und Extremitäten
in grosser Extensität. Eotsprechende Mittel von
schlechtem, d. h. unangenehmem Geschmack wur-
den perhorrescirt und solche mit schon in geringen
Dosen giftiger Eigenschaft waren zu bedenklich.
Das Drängen nach Hjpuoticis war nicht abzuwehren,
und die Noth aufs Höchste gestiegen, als die
ersten Veröffentlichungen der guten Wirkung des
Sulfonals erschienen, der hohe Preis war glück-
licherweise kein Hinderungsgrund f&r seine An-
wendung.
Es wurde ca. ein halbes Jahr lang jede Woche
mindestens 5 mal am Abend, oder schon Nach-
mittags 2 g genommen, um das Schlafbedürfniss
wegen höchster Abspannung, Kopfschmerz, Mattig-
keit — meist wohl eine Folge überreichen Genusses
von Alkoholic, aber auch geistiger Ueberanstrengong
bei meist sitzender Lebensweise zu befriedigen. Er-
folgt der Schlaf nicht sofoii; nach 1 Stunde, so
wurde eigenmächtig anfangs die Dosis verdoppelt,
resp. noch einmal gebraucht. Es stellte sich stets
ein mehr als siebenstündiger, ruhiger Schlaf ein,
worauf sich Pat. gekräftigt fühlte und zur ge-
wohnten Arbeit berufsfreudig ging. Ueble Neben-
wirkungen waren niemals zu verzeichnen, nam.
vertrug der stark geschwächte Magen, dem Speisen
jeder Art tagelang widerstanden, das Mittel auf-
fallend gut. Pat. war darauf nicht zu bew^egen,
das Chloralhjdrat, welches ich ihm der Abwechs-
lung wegen und aus Furcht vor cumulativer Wir-
kung oder sonstiger Nachtheile jenes neuen, in
seinen Folgen noch nicht genügend erforschten
Mittels zuweilen anbot, in erneute Anwendung zu
ziehen.
In der Folge nahm der Pat. in der Ernährung
zu, wurde ausdauernder in der Arbeit und gleich-
massiger in seinem Wesen und Temperament.
Eine Gewöhnung an das Medicament trat
trotz ausdauernden Gebrauches nicht ein: die Wir-
kung blieb bei gleicher Dosis dieselbe, und das
Bedürfniss, sich des Schlafmittels zu bedienen, trat
in immer grösseren Zwischenräumen auf, so z.^
dass zuletzt in jedem Monat nur 1 — 2 mal drei
Dosen ä 2 g zu verordnen nöthig wm^de.
Hiernach dürfte das Sulfonal auch in
Fällen, in welchen eine anhaltende Dar-
reichung eines Schlafmittels durchaus nicht
umgangen werden kann, wie kein anderes
Mittel sich unschädlich erweisen, voraus-
gesetzt, dass nicht organische Veränderungen
des Korpers ein Veto einlegen.
Zur
Beliandliin^^ der Hydropsie mit CalomeL
Von
Dr. Kreuzeder in Dorfen.
Anschliessend an den Seite 384 der
Therapeutischen Monatshefte, Juli 1889, ver-
öffentlichten Fall: „Beseitigung einer Hy-
dropsie bei einem organischen Herzleiden
im letzten Stadium mit Calomel und Mund-
spülung mit einer Losung von Kali chlori-
cum^ habe ich in vielen Fällen mit Calomel,
welchem eine geringe Dosis Opium zugesetzt
war, und nachdem Digitalis und andere
Mittel erfolglos blieben, die Hydropsie be-
m. Jahrgang. 1
October 1889. J
Kreuzeder, Zur BehandluDg dor Hydropiie mit Calomel.
461
seitigt. Hierbei habe ich die Beobachtung
gemacht, dass Patienten mit cariösen Zähnen
bei der Behandlung mit Calomel trotz der
MundauBSpülungen mit Eali chloricum in
der Begel eine Mercurial- Stomatitis acqui-
riren. In 2 Fällen kam es bei Calomel-
yerabreichung zur Geschwürsbildung an den
Schleimhäuten der Wangen und des Bodens
der Mundhöhle mit gangränöser Abstossung
grosser Partien der befallenen Theile (Stoma-
kace mercurialis).
Nach diesen Erfahrungen halte ich es
für unumgänglich noth wendig, vor Beginn
der Calomel therapie die Zähne des Patienten
zu besichtigen und eyentuell von der Dar-
reichung des Calomels Abstand zu nehmen.
Neuere Arzneimittel.
Ueber einige neue Schlafknittel.
Von
Dr. A. Langgaard.
Die grosse Zahl neuer Schlafmittel, welche
die letzten Jahre uns gebracht haben, ver-
danken wir dem Streben, ein Mittel zu
schaffen, welches mit gleicher Sicherheit
Schlaf erzeugt wie Chi oral hydrat, ohne des-
sen deprimirende Wirkung auf Gefasssystem
and Respiration zu theilen. Da die Er-
fahrung gelehrt hatte, dass sämmtliche chlor-
und bromhaltigen Schlaf erzeugenden Körper
diese unerwünschte Wirkung auf Circulation
und Athmung besitzen, ging man von den
Chlor- und Bromsubstitutionsproducten auf
die halogenfreien Verbindungen der Fettreihe
über. Durch Cervello" wurde der Paralde-
hyd in die Therapie eingeführt, Personali
befürwortete die Anwendung des Methylal,
Y. Mering empfahl das Amylenhydrat,
Schmiedeberg das Urethan. Wenn nun
auch durch die genannten Körper das Gefäss-
und Respirationscentrum in sehr viel schwä-
cherem Maasse beeinflusst wird als durch
Chloralhydrat, so stehen sie andererseits
diesem in ihrer hypnotischen Wirkung an
Sicherheit nach und eignen sich wegen der
schnell eintretenden Gewöhnung nicht zu
längerem Gebrauche.
Aus diesem Grunde hat man neuerdings
wiederum auf die chlorhaltigen Substanzen,
speciell auf das Chloralhydrat zurückgegriffen,
dessen geföss- und respirationslähmende Wir-
kung man dadurch zu beseitigen oder ab-
zuschwächen hoffte, dass man, nach den von
Schmiedeberg bei Gelegenheit des Ure-
thans entwickelten Grundsätzen, die auf die
Centren in der Medulla oblongata erregend
wirkende NHa-Gruppe oder eine NHa ent-
haltende Atomgruppe in das Chloralmolecül
einfügte.
Derartige Verbindungen giebt es mehrere
und sind leicht darzustellen. Das Chloral
hat nämlich die Fähigkeit, sich mit Am-
moniak, Urethan, Säureamiden durch ein-
fache Addition zu verbinden. Von den
vielen möglichen Verbindungen sind es vor^
läufig jedoch drei, Welche unser Interesse
in Anspruch nehmen und therapeutische Ver-
werthung gefunden haben.
1. Das Chloralammonium, eine Ver-
bindung von Chloral mit Ammoniak.
CCla-C--^ +1 =CCl8-C-H
■-— H NH, ^~— NH^i
Chloral Ammoniak = Chloralammonlom
2. Das Chloral-Urethan, eine Ver-
bindung von Chloral mit Aethylurethan.
_^0 H
CC1,-C"^ + I =
-— H NH-COOCjHj
Chloral Urethan
C Cl, - C - H
"■^ — ^NHCOOCjHj
Chloral-Urethan
3. Das Chloralamid oder richtiger
Chloralformamid, eine Verbindung von
Chloral mit Formamid.
__--0 H -OH
CClj-C^-^ + I =CCJ3-C - H
^^— H NH-CHO — --NH.CHO
Chloral Formamid Chloralformamid
Von diesen drei Verbindungen beansprucht
weitaus das grösste Interesse das durch
V. Mering in die Therapie eingeführte
Chloralamid«
Trotz der kurzen Spanne Zeit, welche seit
der Einführung verflossen ist, liegt bereits
ein stattliches Beobachtungsmaterial vor.
Das Chloralamid stellt farblose in 9 Th.
Wasser und in 1 ^a Theilen 96procentigen
Alkohol lösliche, bei 115" C. schmelzende
462
LaDgfgaardy Ueber einige neue Schlafmittel.
rlierapeatliclM
MoBAtahefte.
Kiy stalle dar, yon mildem, schwach bitterem,
nicht ätzendem Geschmack. Sowohl die
wässerige als auch die alkoholische Lö-
sung wird durch Zusatz von Silbemitrat
nicht getrübt; ebenso wirken schwache Säuren
nicht auf dieselbe ein, während sie durch
Aetzalkalien schnell, durch kohlensaure Al-
kalien sehr langsam unter Abspaltung yon
Chloroform zersetzt wird.
Die wässerige Losung, welche bei einer
60^ C. nicht überschreitenden Temperatur
hergestellt wird, ist haltbar; bei höheren
Temperaturen tritt Zersetzung ein.
Das Urtheil der verschiedenen Beobachter
über dieses neueste der Schlafmittel ist bis
jetzt übereinstimmend ein recht günstiges.
Es lässt sich dahin formuliren, dass das
Chloralamid ein brauchbares, wenn auch
nicht in allen Fällen wirkendes Schlafmittel
ist, welches sich gut nehmen lässt, Terhält-
nissmässig selten und nur geringe Neben-
wirkung äussert, vor allen Dingen aber auf
Circulation und Athmung keinen nachtheiligen
Einfluss ausübt.
Die Energie der schlaferzeugenden
Wirkung des Chloralamids ist nach den
meisten Autoren geringer als die des Chlo-
ralhydrats. Nur Hagen und Hü f 1er
sprechen sich im entgegengesetzten Sinne
aus. Nach Eny, dessen Angaben ich be-
stätigen kann, wirken 2 g Ghloralhydrat unge-
föhr so stark hypnotisch wie 3 g Chloralamid.
Hagen und Hü f 1er rechnen das Chlo-
ralamid zu den Mitteln, welche den Schlaf
selbst unmittelbar herbeiführen, während
Alt demselben nur eine den Eintritt des
Schlafes begünstigende Wirkung zuschreibt.
Die schlaferzeugende Dosis für den
erwachsenen Menschen wird ziemlich über-
einstimmend auf 2 — 3 g angegeben; Frauen
und schwächliche Personen reagiren im All-
gemeinen leichter auf das Mittel als Män-
ner. Hagemann und Strauss fanden die
Wirkung ziemlich ungleichmässig. Bei einer
hysterischen Frau, welche frei von schmerz-
haften Affectionen war, waren 3 g ohne Wir-
kung, während in einem andern Fall von
Trigeminusneuralgie 1 g Schlaf herbeiführte.
Am sichersten wirkt Chloralamid nach
den von Lettow auf der Mo sler^ sehen
Klinik gemachten Erfahrungen, wenn es als
Clysma gegeben wird.
Der Eintritt des Schlafes schwankt
nach den Angaben der verschiedenen Beob-
achter von */j bis zu 3 Stunden. Die Wir-
kung erfolgte nach Lettow 29 Male nach
1 Stunde, 23 Male nach 2 Stunden und
3 Male nach 3 Stunden.
Chloralamid wirkt also wesentlich lang-
samer als Chloralhydrat.
Die Dauer des Schlafes schwankt von
2 — 9 Stunden. Sie betrug nach Lettow in
17 Fällen 4 — 6 Stunden, in 2 Fällen 2 bis
4 Stunden und in 2 Fällen nur 2 Stunden.
Was nun die Wirksamkeit des Mittels
bei den verschiedenen Formen der Schlaf-
losigkeit anbetrifft, so ist dieselbe, nach
dem ürtheil sämmtlicher Beobachter, am
sichersten bei der einfachen nervösen Schlaf-
losigkeit. Aber auch bei Insomnie in Folge
von körperlichen Leiden mit nicht zu hef-
tigen Schmerzen, lancinirenden Schmerzen
der Tabiker, bei massigem Hustenreiz, bei
einer ganzen Reihe von Psychosen, die nicht
mit zu hochgradiger Erregung einhergehen,
bei Delirium potatorum, erwies sich das
Mittel als durchaus befriedigend. Ohne Ge-
fahr kann es nach Eny bei Agrypnie alter
Leute gegeben werden. Mehrfach ist das
Mittel mit gutem Erfolge bei Herzkranken
gegeben worden. In einem Falle von car-
dialem Asthma (Myocarditis in Folge von
Arteriosklerose) schien das Mittel nach Ha-
gen und Hüfler einen geradezu therapeu-
tischen Erfolg zu haben. Der Puls hob
sich und die asthmatischen Anfälle ver-
schwanden vollständig.
Bemerkens werth ist der Erfolg, welchen
Alt in 2 Fällen von Chorea bei einem
Knaben und einem Mädchen sah. Nach 5-
resp. Stägigem Gebrauch von 3 Mal täglich
1 g Chloralformamid waren die vorher hoch-
gradigen Choreabewegungen fast vollständig
verschwunden.
Bei sehr intensiven Schmerzen, starkem
Hustenreiz, hochgradigen Erregungszuständen
pflegt die Wirkung zu versagen.
Ein gänzliches Ausbleiben der Wirkung
sahen Hagen und Hüfler unter 28 Fallen
2 Male, Alt unter 41 Fällen 12 Male,
Peiper unter 24 Fällen bei 3 Patienten.
Von der Anwendung als Beruhigungsmittel
bei Tobsüchtigen sah Rabow keinen Erfolg.
Auch bei einem ruhigen schlaflosen Manne
versagte einmal 3,0 Chloralformamid, wäh-
rend derselbe Patient nach 2,0 Chloralhy-
drat vorzüglich schlief.
Die Nach- und Neben Wirkungen werden
ziemlich übereinstimmend als relativ seltene
und wenig beunruhigende Erscheinungen an-
gegeben. Nur Alt giebt an, dass zuweilen
derartige subjective Nebenerscheinungen auf-
treten, dass man von der Anwendung Ab-
stand nehmen muss.
Für gewöhnlich beschränken sich die-
selben jedoch auf eine am folgenden Tage
bestehende Müdigkeit und Schläfrigkeit (von
Rabow nicht beobachtet), Kopfschmerzen
und Schwindelgefühl nach dem Erwachen,
meist von geringer Dauer.
III.J«brgMiff.l
Oetober 18». J
Langg^aard, Ueb«r einige, neue Sehlarmittel.
463
Bei einer an Ischias leidenden Patientin
beobachteten Hagemann und Strauss hef-
tiges, den ganzen Tag anhaltendes Schwin-
delgefühl, und eine andere Kranke klagte,
dass sie nach Einnahme des Pulvers wie
„toll^ im Kopfe sei. Alt berichtet über
das Auftreten Ton Schwindel, Benommen-
sein, rauschähnlichem Zustand , heiterer Auf-
regung mit unaufhörlicher Schwatzhaftigkeit
nach 4 g des Mittels bei einer ruhigen Frau.
Bei einer anderen Person trat nach der gleichen
Gabe unangenehmes Schwindel- und Taumel-
gefühl, Kopfschmerz im Hinterkopf, Uebel-
keit und Brechreiz auf, welch* letzterer
auch nach Ausspülung des Magens bestehen
blieb.
Erbrechen beobachteten Peip er in einem
Falle 12 Stunden nach Einnahme des Mit-
tels, Hagemann und Strauss in 2 Fällen,
bezweifeln jedoch, dass es in dem einen
Falle auf das Chloralamid zurückzufüh-
ren ist.
In einem Falle sahen Hagen und
Hü f 1er Collaps, den sie aber nicht mit
Sicherheit dem Mittel zuschreiben wollen.
Hinsichtlich der Respiration und Cir-
culation geben sämmtliche Beobachter an,
dass dieselben in keiner Weise durch Chloral-
amid beeinflusst werden.
Hiermit stehen nun die von mir in einer
grosseren Versuchsreihe an Thieren gewon-
nenen Resultate in directem Widerspruch.
Was zunächst die Respiration betrifft,
so ist das Urtheil darüber, ob eine Beein-
flussung durch ein Mittel stattfindet, beim
Menschen hauptsächlich auf die Veränderun-
gen der Athemfrequenz basirt. Die Tiefe
der Athmung unterliegt nur einer ungefähren
Schätzung, welche auf Genauigkeit keinen
Anspruch machen kann.
^ Ich habe in meinen an Kaninchen ange-
stellten Versuchen die Wirkung auf die Ath-
mung durch Messen des exspirirten Luft-
quantums mittelst einer Gasuhr festgestellt
und gefunden, dass die Tiefe der Respiration
selbst bei den leichteren Graden der Wir-
kung recht beträchtlich abnimmt.
Bemerken will ich, dass ich bei allen
Versuchen das Chloralamid in Lösung an-
wandte und dass die Losungen stets unter
Controlle des Thermometers bei einer Tem-
peratur zwischen 50 und 60** C. hergestellt
wurden, eine Zersetzung des Präparates also
ausgeschlossen ist.
Zum Belege diene folgender Versuch,
bei welchem die in der zweiten Reihe ent-
haltenen * Zahlen das innerhalb 5 Minuten
exspirirte Luftquantum in Cubikcentimetern
bedeuten.
Kaninchen 1500 g schwer, trachootomirt.
Uhr
ocm Luft
Bemerkangen
12.40
—
Beginn des Versuchs.
12.45
2750
12.50
2850
12.55
2840
l.~
2760
1. 5
2860
1.10
2950
1.15
2830
1.20
2830
1.22
_-
1,5 g Chloralamid in 25 Wasser
gelöst in den Magen.
1.25
^_
Das Thier wird wieder mit der
1.30
2710
Gasuhr verbunden.
1.35
2880
Thior zittert Reflexe erhalten.
1.40
2270
Reflexe erhalten.
1.45
2180
Thier macht Bewegungen.
1.50
1970
Reflexe erhalten.
1.55
1750
2.—
1870
Wiederholte lebhafte Bewegung.
2. 5
1770
2.10
1680
2.15
1740
Reflexe erhalten.
2.20
1560
2.25
1660
2.30
1400
2.35
1500
Im Durchschnitt wurden demnach inner-
halb 5 Minuten exspirirt:
vor der Eingabe 2833 ccm
in der ersten halben Stunde
nach der Eingabe 2293 ccm
in der zweiten halben Stunde 1713 ccm.
Das Luftquantum hat also in der ersten
halben Stunde um ca. 19 ^/o, in der zweiten
halben Stunde um ca. 39,5 ®/o abgenommen,
üeber das Verhalten des Blutdrucks
bei Thieren liegt nur eine Mittheilung von
Kny vor. Derselbe beobachtete bei einem
grossen Kaninchen nach 2,5 g Chloralform-
amid eine Abnahme von 122 — 124 auf
106 Millimeter Quecksilber.
Zur Bestimmung des Blutdrucks bediente
ich mich des Hürtle'schen Gummimano-
meters, welches ausser der bequemeren Hand-
habung vor dem Quecksilbermanometer den '
grossen Vorzug hat, ein richtigeres Bild von
dem Verhältniss der Pulshohe zum Blut-
druck zu liefern und uns die Beurtheilung
der im Gefässsystem herrschenden Spannung
gestattet.
Folgender Versuch möge das Verhalten
des Blutdrucks nach Chloralamid illustrircn.
Graues Kaninchen 2300 g schwer.
Bemerkangcn
2,5 g Chloralamid in 35 Wasser
gelost in den Magen.
Uhr
Blatdrnck
12.35
110-148
12.40
—
12.45
80 120
12.50
80 130
1.—
70-115
1. 5
63-118
1.15
53-115
1.20
80-120
1.30
83—125
1.45
78 120
2.
65-125
2.15
63—120
464
LaDS(a«rd, Uabai alolg* a
In der Tabelle entspricht die niedrigere
ZabI dem FuBspunkte, die höhere Zahl dem
Gipfel der Puls'welle. Die Differenz zwischen
beiden ergiebt die H5he der Pulswelle.
Bei einem anderen 1650 g schweren
Kaninchen betrug der Blutdruck 105 — 120.
Nach Eingabe des Mittels sank derselbe
stetig und betrug nach 80 Minuten 38—73.
Die Herzthätigkeit blieb in allen Yersuchen
eine energische.
BlatdradECDTTe eines Kanlncbi
Während Kny aus seinen VerBiichen fol-
gert, dass das Chloralamid den Blutdruck
im Vergleiche zum Chloralbydiat nur sehr
wenig olterirt, komme ich auf Grund der
von mir erhaltenen Resultate zu dem Scbluss,
dass die Beeinflussung des Blutdruckes durch
Chloralamid eine recht bedeutende, bei den
höheren Graden der Wirkung sehr ener-
gische ist.
Eine Abnahme der Gefäss Spannung giebt
sich jedooh schon bei den schwächeren Gra-
den der Wirkung, wenige Minuten nach Ein-
gabe des Mittels in deutlicher Weise zu
erkennen, wie Curve 2 zeigt.
Der Dnterschied in dem Verhalten des
Chloralamids und des Chloralhjdrats scheint
mir der zu sein, dass die Blutdrucksemie-
drigung dnrch Chloralamid sich allmählicher
und langsamer entwickelt und in ihren hö-
heren Graden nach etwas grösseren Dosen
und später pintritt, als nach Chi oral hydrat.
Auf die Frage, ob dieser Unterschied ledig-
lich durch die langsame Zerlegung des Chlo-
ralamids bedingt wird, oder ob, wie Kny
annimmt, daneben eine erregende Wirkung
der NHj-Gruppe auf das Gefösscentrum sich
geltend macht, will ich als auf eine rein
theoretische, hier nicht weiter eingehen.
Es liegt mir vollkommen fem, die Brauch-
barkeit des Chloralamids irgendwie in Zweifel
zu ziehen, aber gegenüber dem einstimmigen
ürtbeil, dass das Mittel in gar keiner Weise
die Respiration und die Circulation beein-
flusse und deshalb ohne Gefahr bei Herz-
kranken gegeben werden könne, muss ich
nach meinen Resultaten betonen, dass die
Anwendung bei Herzkranken Vorsicht
erfordert, wenn man sich unliebsame
Erfahrungen ersparen will.
Die Dosis beträgt 2—3 g entweder in
Pulverform mit Nachtrinken von Milch, Was-
ser oder Kaffee, oder in Lösung mit einem
Syrup, auch in Wein oder Bier. Lcttow
empfiehlt, das Mittal 1 — 1'/* Stunden vor
dem Schlafengeben zu geben. Die Anwen-
dung per Clysma sei die sicherste.
!*■ Chloralamid 2,0—3,0
Elaeosacchar. Foenicul. 1,0.
M. f. pulv.
S. 1 — l'/i Stunden vor dem Schlafengehen
zu nehmen. (Peiper.)
IV Chloralamid 3,0
Acid. muriat. dtlut. gtt. V.
Aq. dest. 60,0
Syr. Rub. Idaei 10,0.
M. D. S. Auf einmal zu nehmen.
(Peiper.)
^ Chloralamid 10,0
Aq. dest. 120,0
Syr. Rub. Idaei 30,0.
M. D. S. Abends 1 Stunde vor dem
Schlafengehen 2(— 3— 4) Easlöffel zu
nehmen. (AH.)
^ Chloralamid 3,0
Acid. muriat. dilut. gtt. II.
Spir. Vini 1,0
Aq. dest. 100,0.
M. D. S. Zum Elystier.
(Peiper.)
LUteriUar:
1. Hagen und Uüfler; Ueber die schlaft
macboode Wirkung des Cbloralamids. MüncL
med. WoobenscLr. 1889 No. 30.
HL Jahrgang. 1
OctotMT 1889. J
Therapeutifctae Mitthelluagen aus Vervlnen.
465
2. Ed. RoichmaDn: Ueber Cfaloralamid, ein
neaes Schlafmittel. Deutsch, med. Wochen-
schrift 1889 No 31.
3. E. Poiper: Chloralamid, ein neues Schlaf-
mittel. Deutsch, med. Wochenschrift 1889
No. 32.
4. Lettow: üeber Chloralamid als Hypnoticum.
Inaugural-Dissertat. Greifswald 1889.
6. S. Kabow: Uebor Chloralamid, ein neues
Hjpnoticnm. Centralblatt für Nervenheilkunde
1889 No. 15.
6. J. Hagemann und Strauss: Ueber Chloral-
amid. Berl. klin. Wochenschr. 1889 No. 33.
7. K. Alt: Chloralamid, ein neues Schlafmittel.
Berl. klin. Wochenschr. 1889 No. 36.
8. £. Knj: Chloralamid, ein neues Schlafmittel.
Thorap. Monatshefte August 1889.
[SefUutt folgt.]
Therapentisclie Mittheilnngen ans Vereinen.
Internationaler Congress fQr Dermatologie und
Syphiligraphie zu Paris.
{Vom 5. bis 10, August 1889.)
Von den auf dem Congress besprochenen
Thematen über therapeutische Methoden uud
Mittel zur Behandlung syphilitischer und
Hauterkrankungen sind folgende hervorzu-
heben.
Schiff (Wien): Die Behandlung der Ver-
brennungen mittelst Jodoform.
Nach Entfernung der Brandblasen wird
die Wunde mit einer ^j^^joigen Losung von
Kochsalz abgev\raschen , mit mehreren Lagen
trockener Jodoformgaze, einem Stück Gummi-
papier und einem Bausch entfetteter Watte
bedeckt, und das Ganze hierauf mit Binden
befestigt. Durchdringt das Secret den Ver-
band, so wird die Watte, nicht das Jodo-
form, erneuert; letzteres bleibt ein bis zvtrei
Wochen lang liegen. Mosetig- Moorhof
räth, für den Verband keine undurchgängigen
Sto£Pe anzuwenden; fur^s Gesicht empfiehlt er
eine 5^/oige Jodoformsalbe, darüber eine
Maske von Gummipapier, täglich zu erneuern.
Das Jodoform lindert die bisweilen bei Ver-
brennungen vorhandenen starken Schmerzen;
die Dauer der Behandlung beträgt 8 bis
375 Tage.
In der Discussion empfiehlt Hebra, nach
Schwinden des Brand schorfs kein Jodoform,
sondern 1- oder 2 %ige Losungen von Resor-
cin zu benutzen.
Barthelemj: Die Aetiologie und Be-
handlung der Acne. .
Da die Acne häufig bei Individuen vor-
konmit, welche an Magenerweiterung leiden,
so ist zunächst letztere und deren Ursachen
zu behandeln. Femer ist sorgfältige Anti-
sepsis der Haut mit Waschungen mit Subli-
mat-, Borax-, Naphtolseife, Anwendung von
Salben oder Pasten mit Carbol, Schwefel,
Salicyl oder mit Salicyl-Bor-Zinkoxydpflaster
geboten. Günstig wirken auch Einreibungen
mit Eampherspiritus. Bei Weiterumsich-
greifen der eiterigen Entzündung ist der er-
hitzte Platindraht zu benutzen; Abscesse
werden nach chirurgischen Grundsätzen er-
öffnet.
Bei der Besprechung der Häufigkeit
des Vorkommens der „tertiären" Er-
scheinungen der Syphilis, sowie der
dasselbe begünstigenden Verhältnisse waren
alle Redner darin einig, dass das Unterlassen
jeder oder die Anwendung einer ungenügend
langen oder zu wenig energisch betriebenen
Behandlung das am häufigsten veranlassende
Moment zum Auftreten tertiärer Symptome
sei; besonders eine regelrechte Quecksilber-
therapie sei geeignet, letzteres zu verhindern.
Es ist dies sehr wichtig, da die tertiären
Erscheinungen am häufigsten das Central-
nervensystem betreffen, also meistens lebens-
geföhrlicher Natur sind.
Eine ziemlich ausgedehnte Debatte rief
die Frage der Syphilisbehandlung, haupt-
sächlich mit Quecksilbereinspritzungen,
hervor. Leloir und Tavernier berichten
über die von ihnen erzielten Ergebnisse mit
Injectionen von Calomel, Hydrarg. oxydat.
flav., OL einer. Unter anderen nach den-
selben beobachteten Complicationen erwähnen
sie zwei bisher noch nicht bekannte Erschei-
nungen : Plaques im Munde, welche vier bis
fünf Tage nach der Injection auftreten, und
„Hydrargyrie" der Haut, die Ton der Ein-
stichstelle ihren Ausgang nimmt. Die sub-
cutanen Einspritzungen sind besonders am
Platze, wenn es sich darum handelt, erythe-
matose Eruptionen und die Gummata der
äusseren Haut schnell zum Schwinden zu
bringen. Sie eignen sich besonders für die
Hospitalbehandlung oder für Personen, die
das Bett hüten können, femer für die Be-
handlung der Puellae publicae. Die Schleim-
hautaffectionen beeinflussen sie wenig und
59
466
Therapeutische MltthelluDgen auf Vereinen.
rTherapflntiidie
L MonAtibeAe.
verhindern das Auftreten von Recidiveu nicht.
Sie sind contraindicirt bei der Lues des
Hirns und Rückenmarks und der Einge-
weide, sowie bei Kindern und Schwan-
geren. Redner benutzen bei ihren Patienten
bis zum Schwinden der Erscheinungen die
Schmiercur und reichen dann Quecksilber
innerlich; in angemessenen Zeiträumen wer-
den die Einreibungen wiederholt, ebenso so-
bald sich wieder Symptome zeigen. Jod-
kalium wird erst vom Ende des zweiten
Jahres ab verordnet.
Anderson beginnt die Behandlung der
Syphilis erst am Anfang der secundären
Periode, da bei alleinigem Vorhandensein
des Schankers die Erkennung seiner Natur
meist (?) unmöglich sei. In den ersten
Stadien der Erkrankung benutzt er Queck-
silberpräparate; Jod nur, wenn Kopf- und
Knochenschmerzen bei deren Anwendung
nicht weichen. Er zieht die Inunctions- oder
Injectionscur der Darreichung des Hg per os
vor. Auch Langlebert föngt erst im Be-
ginn des secundären Stadiums die (Queck-
silber-)Behandlung der Lues an und setzt sie
während der Dauer der ersten Erscheinungen
fort; jedoch soll Hg nicht in den von Sym-
ptomen freien Z\Nischenräumen gebraucht wer-
den. Jod ist das chronisch zu verordnende
Mittel gegen Lues. Die Jodbehandlung der
latenten Syphilis dauert ca. drei Jahre; Jod
darf nicht früher als beim Schwinden der
ersten Secundärerscheinungen zur Anwendung
kommen und bewährt sich vorzüglich gegen
Tertiärsymptome. Kräftige Diät u. s. w.
darf nicht vernachlässigt werden. ImGegensatz
zur continuirlichen Behandlung Fournier's
will Diday nur bei vorhandenen Erscheinun-
gen einschreiten, da dann die Witkung der
parasiticiden Mittel am stärksten sei. J u 1 1 i e n
weist auf die oft im tertiären Stadium der
Lucs bestehende Magendilatation hin, welche
wohl zum Theil auf der Therapie, zum Theil
auf Veränderungen im Bau des Lebergewebes
beruht. Die Magenerweiterung erzeugt ner-
vöse Erscheinungen, welche leicht für syphi-
litischeHirnsymptome gehalten werden können;
sie kommt hauptsächlich bei forcirter Queck-
silberbehandlung vor. Erst durch die erfolg-
reiche Therapie (der Magen ektasie) ist man im
Stande, die Diagnose zu stellen; man sei daher
in solchen Fällen mit der Verordnung des
Quecksilber vorsichtig und versuche erst eine
Behandlung, die sich gegen die Verdauungs-
störung richtet. Hat diese keinen Erfolg,
so sind Injectionen von Calomel oder grauem
Oel indicirt, auch Klysmata von zwei bis
vier g Jodkalium in Milch. — Leloir be-
tont, dass auch er die antisyphilitische Be-
handlung niemals vor Beginn des secundären
Stadiums ins Werk setze. Diesem Verfahren
widerspricht Schwimmer, da man die Natur
des Schankers meist an seiner Härte, sowie
der Anschwellung der regionären Lymph-
drüsen erkennen könne. Die Behandlung ist
stets sofort zu beginnen, da die Secundär-
erscheinungen sonst viel schwerer auftreten.
Mit Hydrarg. salicyl. hat Seh. bessere Er-
folge gesehen als mit Hydrarg. jodat. flav. und
Sublimat, jedoch weniger gute als mit Ca-
lomelinjectionen. Bei Behandlung mit Hy-
drarg, thymol. waren die Resultate nicht
günstig. Neumann hält den Beginn der
Allgemeinbehandlung für indicirt, wenn
der Schanker hart wird; sie ist auch nach
Schwinden der Secundärsymptome noch eine
Zeit lang fortzusetzen. Die Inunctionscur
verdient vor den Injectionen den Vorzug.
Kaposi wendet sich gegen die Behandlung
mit Einspritzungen von löslichen Quecksilber-
präparaten, nach denen schwere Störungen
im Organismus (selbst Tod) eintreten können,
da es nicht möglich ist, nach der Injection
der Resorption des Hg Einhalt zu thun.
Die Schmiercur ist ungefährlicher, weil mit
Aussetzen der Einreibungen die Darreichung
und Aufnahme neuer Quecksilbermengen in
den Körper aufhört. Castelo spricht sich
für frühzeitige Behandlung der Lues aus.
Schuster (Aachen) verwirft die Einspritzung
unlöslicher Quecksilberpräparate, deren Re-
sorption uncontrolirbar sei. Du Gastel
(Paris) sieht den einzigen Nutzen solcher
Injectionen in der Linderung heftiger Kopf-
schmerzen; während Rosolimos (Athen) die
Einspritzungen in der secundären Periode und
dann anwendet, wenn nach längerem Ge-
brauch von Hg und Jod per os die Schleim-
häute (des Digestionsapparates etc.) nicht
mehr genügend functioniren. Der beste Platz
für die Injectionen ist der Rücken. Auf die
Erwähnung eines Falles von Dubois bei
einem 60jährigen Manne, bei welchem er
die Allgemeinbehandlung erst mit Beginn
secundärer Erscheinungen anfing und welcher
bis jetzt (l Jahr!) gesund geblieben, er-
widert Lancereaux, dass die Syphilis cy-
klischen Verlauf habe und bereits nach dem
Ende ihrer ersten Periode bisweilen abortiv
verlaufe, sodass auch nicht selten bei nicht-
behandelten Kranken keine weiteren Erschei-
nungen folgten. Petrin i (Bukarest) ver-
ordnet mit sehr günstigem Erfolge das Hy-
drarg, tannic. (bei guter Mundpflege), 0,01
pro dosi in Pillenform, in den ersten zehn
Tagen je eine, dann bis zum 25. oder 30.
Tage je zwei Pillen. Mauriac ist der An-
sicht, dass die beste Art der Darreichung
des Hg und Jods per os geschähe, nur in
Ausnahmefällen Schmier- oder Spritzcur ge-
•llLJategang.'l
Oetober 1889. J
Therapeutiiche MItthellunfen aui Vereloen.
467
boten sei. Die Behandlung beginne im Augen-
blick, ^wo der Schanker als syphilitisch er-
kannt ist. Die Excision desselben hindert
nicht die Allgemeininfection. Bei den leichten
Formen der Lues ist die Benutzung des
Quecksilbers, in schwereren (Eingeweide-
syphilis) dieses und des Jods am Platze.
Die Selbstheilfähigkeit des Organismus, die
in den ersten Perioden der Erkrankung Tor-
handen ist, nimmt ab und schwindet nach
Eintritt des tertiären Stadiums. In fast
keinem Fall darf die allgemeine Kräftigung
und Pflege des Körpers unterbleiben, t. Wa-
traszewski hat durch Thierexperimente die
Gefährlichkeit der lojectionen (wenn dieselben
in eine Yene gelangen) nachgewiesen. Sie
erzeugen unter genannten Umständen aus-
gedehnte Hepatisation in den Lungen, be-
sonders wenn die Medicamente in Fetten
suspendirt sind. Weniger schwere Erschei-
nungen entstehen, wenn die Präparate mit
Gummi gemischt sind, weil dieser sich mit
dem Blute yermischt, während das unlös-
liche Fett mit den Quccksilbertheilen dlrect
in die Lungen gelangt. Balz er hat niemals
schwere Erscheinungen bei Injectionscuren
beobachtet, jedoch will er dieselben nur im
Spital ausgeführt wissen.
Butte: Die Behandlung der Tricho-
phytiasis mit Salbe Ton Lanolin
und Jodprotochlorür.
Nach erfolgloser Anwendung von Subli-
mat- und Höllensteinlanolin sah B. Heilung
Ton Abwaschung des Kopfes mit lauwarmem
Wasser, Abtrocknung, hierauf Einsalbung
mit einer lOproc. Pomade Ton Jodproto-
chlorür und Lanolin. Jeden zweiten Tag
wird diese Procedur wiederholt. Quin-
quaud (Paris) Terwendet folgendes Ver-
fahren: Abschneiden oder Rasiren der Haare;
täglich Morgens Abseifen des Kopfes mit
warmem (im Winter) oder kühlem (im Som-
mer) Wasser. Hierauf Abtrocknen und Ein-
reiben mit:
IV Hydrarg. bijodat. 0,15—0,2
Hydrarg. bichlor. 1,0
Misce. Solve in
Alcohol. (90 %) 40,0
Adde
Aq. destill. 250,0.
Die erkrankten Partien werden nach vor-
heriger eventueller Epilation mit einem im
Winkel von 45^ gegen seinen Stiel ge-
krümmten stumpfen Werkzeug abgekratzt,
wodurch Schuppen und Pilzwucherungen von
der Epidermis entfernt werden. Nach Ver-
lauf einer Woche, in welcher ein bis zwei
Mal die Kopfhaut abgeschabt wird, wird
wiederum epilirt, was, da die Haare nach
dem Waschen weniger brüchig sind, leichter
gelingt. Alle 8 bis 14 Tage sind die Ab-
schabungen zu wiederholen, und dann der
Kopf mit einem Pflaster von
IV Hydrarg. bijodat. 0,2
Hydrarg. bichlor. 1^0
Emplastr. simpl. 250,0
zu bedecken. Besnier macht auf die bei
der antiparasitären Therapie entstehenden
Hautentzündungen, die die Fortsetzung der
Behandlung hindern, aufmerksam. Er ver-
meidet daher alle Antimycotica. Nach Kurz-
schneiden der Haare epilirt er rings um die
erkrankte Stelle, lässt Abends den Kopf mit
etwas Bor Vaseline bestreichen und des Mor-
gens mit Seifen wasser abwaschen. Auch
Yidal lässt die Haare zuerst abschneiden,
dann bestreicht er die erkrankten Stellen
mit Jodtinctur, reibt reines oder Bor- oder
1 proc. Jodvaseline ein und bedeckt den Kopf
mit einer Gummimütze. Der Verband wird
Morgens und Abends erneuert, vorher der
Kopf abgeseift und getrocknet. Reizt die
Jodtinctur nicht, so wird sie täglich, anderen-
falls alle drei bis vier Tage eingepinselt.
Ein anderes Behandlungsverfahren, bei wel-
chem der Kopf mit Empl. Hydrarg. de Vigo')
bedeckt wird, ist ebenfalls recht empfehlens-
werth. Abschneiden der Haare in achttägi-
gen Zwischenräumen und tägliches Einsalben
des Kopfes mit 1 procent. Jodvaseline hat
Hallopeau mit günstigem Erfolge ange-
wendet. Drysdale (London) hält in einigen
Fällen jede Therapie des Leidens für er-
folglos. Die Grundzüge der Behandlung
bilden Reinhaltung des Kopfes und Anwen-
dung der Jodtinctur. v. Hebra hat bei dem
nicht häufigen Vorkommen der Affection in
Wien von 10 proc. Pyrogallussalbe Schwin-
den derselben beobachtet. Besnier unter-
scheidet leichte und schwere Fälle der Krank-
heit; bei ersteren ist die Therapie einfach
und erfolgreich.
Houlky-Bey: lieber die Syphilis in
Konstantinopel und über die
Wirkungen der verschiedenen
Quecksilber-Präparate bei hydro-
dermatischer (intramusculärer)
Anwendung.
Seine Erfahrungen über letztere fasst er
in folgenden Schlusssätzen zusammen :
1. Die intramusculären Injectionen von
Quecksilber- Präparaten bilden für die Behand-
lung der Lues eine sichere und wirkungsvolle
*) Empl. Hydrarg. do Vigo, Emplatre mercuricl
des Cod. fran^. hat folgende Zusammensetzung:
Empl. Biropl. 2000. Cerae flavae 100. Colophonii 100.
Bdellii, Ammoniaci dep., Olibani, Myirnae m 80.
Croci 20. Hydrargyri 600. Styracis liq. dep. 300.
Tercbinth. laricin. 100. Ol Lavandulae 10. (Ref.)
59"
468
Thermpeutische Mittheilungen aui Vereinen.
L Monatshefte.
Methode, da das in Berührung mit dem Ge-
webe befindliche Quecksilber direct und
rascher resorbirt wird. Sie sollten allen
anderen Applicationsmethoden des Queck-
silbers vorgezogen werden.
2. Man entgeht dadurch den bei an-
deren Methoden vorkommenden Unannehm-
lichkeiten (Gastroenteritis, mcrcurielle Der-
matitis etc.).
3. Sie erlauben eine mathematisch ge-
naue Dosirung des Mittels.
4. Besondere Gontraindicationen bestehen
für sie nicht. Kachexie und Diabetes mel-
litus sind nicht nur für sie, sondern für jede
Anwendung des Quecksilbers Gegenanzeigen.
Ein neues Verfahren für Quecksilber-
einspritzungen hat Gruyl angegeben.
1 g Sublimat wird in Aether gelost, 100 g
Gel oder mehr hinzugefügt, stark geschüttelt
und der Aether durch Erhitzen entfernt.
Wenn nothig, ist die klare Flüssigkeit zu
filtriren.
Jacquet (Paris): Polymorpher Haut-
ausschlag nach Bromgebrauch.
Nach achttägigem Gebrauch von zwei bis
drei Gramm Bromkalium pro die hatten sich
bei einer Frau die ersten Anfänge eines
Exanthems gezeigt, welches drei Wochen
später sehr verschiedene Formen darbot, in-
dem im Gesicht Pusteln, aus denen bei
Druck sich Blut und Eiter entleerte, auf
den Händen kleine abgeflachte Bläschen be-
standen. Im Urin und Inhalt der Bläschen
war Brom nachweisbar. Die Patientin erlag
kurze Zeit darauf einem Herzleiden; die
histologische Untersuchung der Gesichts-
pusteln ergab starke Erweiterung der Gapil-
laren und Entzündung des um die Talg-
und Schweissdrüsen befindlichen Gewebes.
Hardy hat einen ähnlichen Fall gesehen
und hält das Auftreten des Ausschlags für
eine Idiosynkrasie der Patienten gegen das
Brom. G rock er glaubt, dass das Brom bei
diesen Individuen nicht durch die Nieren
ausgeschieden wird, sich in den Drüsen der
Haut festsetzt und diese reizt. Kaposi
beobachtete bei einem Säugling, dessen
Mutter mit Bromkalium behandelt wurde,
Bromakne.
Ausserdem gelangte die Behandlung
des Lupus (Olavide), sowie von Ma-
nassei: Die Wirkungen des Hydroxyl-
amin in der Behandlung der Haut-
krankheiten zur Besprechung.
George Meyer {Berhm).
Königl. Gesellschaft der Aerzte in Budapest.
(Sitzung am 12, Januar 1889.)
Docent Goldzieher berichtet über Hei-
lung des Pterygiums mit Hülfe des Gal-
vanokauters. Der Erfolg dieser Behandlung
ist bei weitem günstiger als der nach anderen
operativen Eingri£fen. Zwei operirte Fälle
werden vom Vortragenden vorgestellt.
Bchfuckny (Budapest),
Sodete beige de gynecologie et d*obstetrique.
(Sitzung am 21, Juli 1889.)
Herr Jacobs: Ueber die Behandlung ge-
wisser Formen von Endometritis.
J. spricht über eine Behandlungsmethode,
die ihm sehr gute Erfolge ergeben bei hyper-
trophischen Zuständen mit chronischer Endo-
metritis des Uterus oder des GoUum und
bei chronischer Metritis mit Phlegmasien der
Annexen des Uterus.
Diese Methode ist einfach. Sie besteht
darin, zwei oder drei Male wöchentlich zwei
bis vier ccm einer Jodoform-Emulsion in die
Gebärmutter zu injiciren. Dabei hat er
niemals unangenehme Nebenerscheinungen
wahrgenommen. Die Emulsion hat folgende
Formel :
^ Jodoform, subtilis pulveris. 20,0
Glycerini 25,0
Aquae 5,0
Gum. Tragacanth. 0,10.
(Rev, gin, de Cliniq, et de Therap. 3. 7. 89,) R.
Referate.
Sulfonal als Hypnoticum und Sedativum. Von
Dr. Conolly Norman.
Verf. hat im Irren-Hospital zu Rich-
mond das Medicament in 22 Fällen ange-
wandt. Unangenehme Symptome wurden
nur in 2 Fällen beobachtet; beide Male be-
standen dieselben in exceptioneller Muskel-
prostation. Es handelte sich hier um
exceptionell ungünstige Fälle, bei denen
sich keins der vorher angewandten Medi-
camente bewährt hatte. Gastrische oder
Intestinalbeschwerden wurden in keinem
Falle beobachtet. — In einigen Fällen, in
welchen die Patienten zuvor Speise ver-
m. Jftlirgmnf. 1
October 1889. J
Retenite.
469
weigert hatten, stellte sich nach Application
des Medicamentes das Verlangen nach Speise
wieder ein. Maniakalische Anfalle wurden
nach der Anwendung des Medicamentes In
ihrer Dauer bedeutend abgekürzt und ge-
mildert. — In den Fällen, in welchen die
Patienten an Schlaflosigkeit litten, stellte
sich nach Application des Sulfonals unge-
störter ruhiger Schlaf ein. — Als Gesammt-
resultat seiner Untersuchungen ergiebt sich,
dass das Sulfonal allen unter ähnlichen In-
dicationen angewandten Medicamenten über-
legen ist. Als einzigen Missstand bezeichnet
Verf. die Hohe des Preises und die ünlos-
lichkeit des Sulfonals.
(Oeeidental Medieal Times, Juni 1889.)
Lohnatiin {BerKn).
Antipyrin bei Nierenkrankheit und Diabetes.
Von M. H. Feeny.
In einem als hoffnungslos angesehenen
Falle von Morbus Brightii beobachtete F.
nach Antipyrin Abnahme und schliesslich
Verschwinden aller bedrohlichen Symptome.
Es handelte sich um eine 29jährige Per-
son mit hochgradigem, allgemeinem Hydrops,
intensiven Kopfschmerzen, schwacher, un-
regelmässiger Herzaction, Athemnoth. Urin
spärlich, Ton hohem sp. Gew., stark eiweiss-
haltig. Anämie und allgemeine Prostation.
Trotz sorgfältigster Pflege und medicamen-
toser Behandlung stetige Verschlechterung
des Zustandes. Zur Beseitigung der Kopf-
schmerzen wurde Antipyrin, dgrains (ca. 0,2 g)
zwei Mal täglich, verordnet. Als hiemach
die Herzirregularität zunahm und sich Gol-
laps einstellte, wurde die Dosis am dritten
Tage auf 3 grains (0,2 g) pro die reducirt.
Von diesem Tage an besserte sich der Zu-
stand stetig. Nach einigen Tagen neben
Antipyrin tonisirende Behandlung. Der
Hydrops nahm ab, die Kopfschmerzen Hessen
nach, der Appetit besserte sich. Nach Ver-
lauf von ca. 6 Wochen war jede Spur von
Hydrops verschwunden, der Urin war
schwach eiweisshaltig, das Allgemeinbeflnden
gut. Nach weiteren 2 Wochen konnte Pat.
aus der Behandlung entlassen werden.
Bei einem 64jährigen an Diabetes lei-
denden Geistlichen sah F. nach Antipyrin
nach 3 Wochen Abnahme des Zuckers bis
auf 7« ^^^ ursprünglichen Menge. Auch in
diesem Falle musste die Dosis wegen un-
günstiger Beeinflussung der Herzthätigkeit
auf 0,2 g täglich reducirt werden.
iBrU. Med. Jaum, 2L SepL 1889, 8, 656.) rd.
Antipyrin bei Chorea und Tetanus. A. Gary-
land (New-Seeland).
Verf. beobachtete in einem Fall von
Chorea bei einem 12jährigen Kinde, nach-
dem Chloral und Bromkalium ohne Erfolg
gegeben waren, nach Antipyrin, 10 grains
(0,6 g) alle vier Stunden ein Schwinden der
Symptome nach drei Tagen. — In einem
Fall von Tetanus wurden die Krämpfe durch
Antipyrin günstig beeinflusst. Der Fall
endete tSdtlich.
{British Med. Joum. t889, 6. Juli. 8, 14,) rd.
Zur Wirkung des Antipyrin auf die Wehen-
thäügkeit Von Pinzani.
Verf. hat in einer grosseren Versuchs-
reihe Untersuchungen über die Wirksamkeit
des Antipyrin auf die Wehenthätigkeit an-
gestellt. Die Versuche wurden in der ersten
Serie von Versuchen so angeordnet, dass
man mittelst der auf das Abdomen aufge-
legten Hand den Einfluss annähernd ab-
schätzte, den die Application der Antipyrin-
dosen auf die Wehenthätigkeit ausübte. In
einer zweiten Versuchsreihe wurde nach
Application des Antipyrin die Scheide sorg-
fältig desinflcirt, und hierauf ein leerer,
gleichfalls vorher aseptisch gemachter Col-
peurynter möglichst tief in den Uterus
hinein geschoben und dann sorgfältig und
ganz allmählich mit blutwarmem Wasser
angefüllt. Durch den Schlauch, der sich an
den Colpeurynter anschloss, war derselbe
mit einem Manometer in Verbindung, an
dem man die Druckschwankungen bequem
ablesen konnte. Die vom Verf. applicirte
Antipyringabe schwankte zwischen 1 und 3 g.
Im Wesentlichen ergab sich aus den Ver-
suchen, dass die schmerzstillende Wirkung,
welche das Antipyrin bei den Wöchnerinnen
hervorruft, auf Kosten der Intensität und
Ausgiebigkeit der Gontractionsenergie zu
Stande kommt. — Giebt man das Medi-
cament per os, so tritt die Wirkung etwa
4 — 5 Stunden post applicationem ein; giebt
man es dagegen als subcutane Injection, so
wirkt es schon 2 Stunden spater. — Von
Interesse ist endlich die Beobachtung Verf.^s,
dass die Kinder der Mütter, welche intra
partum Antipyrin bekommen hatten, in den
ersten Tagen ihres Lebens an heftiger Diarr-
hoe litten. — Im Allgemeinen widerräthP.
daher die Application des Antipyrin intra
partum.
{The Journal of the American Mtdicae Association
4. Mai 1889.) B. Lohnsttin {Berlin).
Antifebrin in der Behandlung der Epilepsie. Von
Th. Di 11 er (PanviUe).
D. wandte Antifebrin bei 9 Epileptikern
während 4^2 Monat an. Die Dosis betrug
4 grains (etwa 0,25 g) drei Mal täglich.
In allen Fällen, in denen das Mittel
ununterbrochen gegeben wurde, nahm die
470
RttlWttt^
L Ui
ooatihflfta.
Anzahl der Anfalle um 25 — 75% ab, ver-
glichen mit denjenigen Monaten, in welchen
die Patienten abwechselnd unter Brom-
therapie und tonisirender Behandlung stan-
den. Nichtsdestoweniger bevorzugt D. die
Bromide, wenn die Anfalle häufig sind
und wenn es darauf ankommt, dieselben
möglichst schnell zu reduciren.
{The Therap. GazetU 1889, 8.383.) rd,
Bromoform, ein Mittel gegen Keuchhusten. Von
Dr. Sepp (Nürnberg).
Nachdem Yerf. günstige Erfolge mit der
inneren Anwendung des Chloroforms erzielt,
hat er auch mit dem bisher gänzlich unbe-
achteten Bromoform Versuche bei einer An-
zahl von infectiosen Erkrankungen ange-
stellt. Die erhaltenen günstigen Resultate
bei Keuchhusten veranlassten ihn, einstweilen
hiervon kurze Mittheilung zu machen.
Bezüglich der Eigenschaften des Bromo-
forms hebt S. hervor, dass dasselbe eine
helle klare Flüssigkeit von eigenthümlichem,
nicht unangenehmem Geruch sei. Dasselbe
hat die chemische Zusammensetzung CHBrs,
spec. Gewicht 2,9. Es ist in Alkohol leicht,
in Wasser schwer loslich, von süssem Ge-
schmack und greift die Schleimhäute nicht
an. — Verdunstet Bromoform bei Lampen-
licht, so entwickeln sich starke Dämpfe, wel-
che die Bespirationsschleimhäute und die
Gonjunctiva heftig reizen. Mit einigen Tropfen
Bromoform versetzter Urin bleibt haltbar und
fault nicht.
Bei der innerlichen Darreichung wurden
nachtheilige Erscheinungen nicht beobachtet.
Eine Einwirkung auf Puls und Temperatur
wurde nicht wahrgenommen. Die Wirkung
des Bromoforms ist von der des Brom-
kaliums gänzlich verschieden, wie dies Beob-
achtungen bei Epilepsie gezeigt haben. Es
ist eher ein Anregungs- als ein Beruhigungs-
mittel. Die Tagesgabe für Kinder beträgt
5 — 10 — 15 — 20 Tropfen in 100,0—120,0
Flüssigkeit gelost (stündlich 1 — 2 Löffel).
Da die Loslichkeit in Wasser sehr gering
ist, so ist ein Zusatz von Spiritus Yini er-
forderlich, und zwar auf 2 — 3 Tropfen Bro-
moform je 1,0 Spiritus, also z. B. :
ÄV Bromoform. gtt. X
Spirit. Vini 3,0—5,0
Aq. dest. 100,0.
Eine derartige Lösung wird von den Kin-
dern, gern genommen. Erwachsene erhielten
CHBrs in Kapseln zu 0,5 täglich 2 bis
3 Male.
Verf. hat das Mittel in 60—70 Fällen
bei Kindern von 6 Monaten bis zu 7 Jahren
angewandt. Bei allen Kindern trat in 2 bis
3 bis längstens 4 Wochen Heilung ein.
Schon 5 — 6 Tage nach Beginn der Behand-
lung nahmen die Anfälle an Zahl und Hef-
tigkeit ab. Ganz schwere Fälle mit 30 bis
40 starken Anföllen am Tage bedurften
einer 10 — 12 tägigen Behandlung, bis eine
(alsdann sehr rasche) Abnahme der AniUlle
eintrat. — Erwähnen swerth ist noch, dass
unter dieser Behandlung die katarrhalischen
Erscheinungen der Lungen gering oder gar
nicht vorhanden waren, und wo sie bestan-
den, rasch schwanden. Aus den Beobach-
tungen ergiebt sich für die Behandlung, dass
die Gabengrösse zu der Intensität der Lifec-
tion und zu dem Alter des Kranken in ge-
radem Verhältniss stehen muss. Gewöhnung
an das Mittel scheint nicht stattzufinden.
In prophjlactischcr Hinsicht ist bemerkens-
werth, dass Geschwister eines Keuchhusten-
kranken, bei denen schon das katarrhalische
Stadium bestand, durch Anwendung von
Bromoform von dem Keuchhusten verschont
blieben.
{DtuUeh, med. WocheMckr, 1889 No. 31.) R.
Zur Keuchhustenbehandlung. Von Dr. Schilling
(Nürnberg).
Gestützt auf die VerÖ£fentlichung von
Salkowski über die antiseptische Wirkung
des Chloroformwassers (5,0:1000,0) hat
Verf. seit April v. J. 62 Keuchhustenfalle,
die Kinder im Alter von 10 Wochen bis zu
12 Jahren betrafen, mit Chloroformwasser-
Inhalationen behandelt. Er lässt das Chlo-
roform in der Weise inhaliren, dass er in
den Dampfkessel des Inhalationsapparates
einen Esslöffel voll warmen Wassers bringt,
dem er je nach dem Alter des Kindes,
Chloroform purissimum zufugt, und zwar an-
fänglich je doppelt soviel Tropfen, als das
Kind Jahre zählt. Wenn keine Besserung
nach 8 tägigen Inhaliren eintritt, so werden
3 Mal so viel Tropfen inhalirt, als das
Kind Jahre alt ist. In das am Apparat an-
gebrachte Medicinglas kommt nur kaltes
Wasser (ohne Chloroform) zur Abkühlung
des heissen Dampfes, der dem Kessel ent-
strömt. Da nur ein kleiner Theil des Chlo-
roforms (4,0 : 1000,0) sich im Wasser löst
und der Ueberschuss zu Boden fallt, so
bringt Verf. dasselbe nicht in das Medicin-
glas, sondern direct in den Dampfkessel;
erhitzt entweicht das flüchtige Gas rasch.
Deshalb ist es nöthig, den Fat. schon vor
Beginn des strömenden Dampfes inhaliren
zu lassen. Die jeweilige Sitzung ist so
lange auszudehnen, bis die Flüssigkeit im
Kessel völlig verdampft ist. S. lässt 4 Mal
täglich inhaliren. Nach wenigen Tagen
schreitet meist die Krankheit nicht weiter
fort, und nach circa 8 Tagen werden die An-
October 1889. J
ftefeMI«.
471
iUlle weniger uach Zeit und Stärke. In der
Hälfte der Fälle hört nach 14 Tagen das
convulsiTlsche Stadium auf, um in das ka-
tarrhalische überzugehen. 4 Fälle endeten
schon nach Ablauf der ersten Woche gün-
stig, während 28 Fälle nach der 2., 21 Fälle
nach der 3. und 8 Fälle in der 4. Woche
sich zum katarrhalischen Stadium wandten.
Die Erfolge sind demnach als gute zu be-
zeichnen. — Bei den Carbolinhalationen,
die S. früher anwandte, war das Resultat
weniger günstig. Antipyrin wirkt zuweilen
prompt; in fielen Fällen hat es jedoch im
Stiche gelassen. Desgleichen hat Verf.
zweifelhafte Erfolge mit den gerühmten In-
sufflationen von Natr. benzoicum etc.
in die Nase erzielt. Mehrere Male hat S.
den Sandern das Chloroform aus der Chlo-
roformmaske oder auf Fliesspapier geträufelt
aus einer Büte einathmen lassen. Der Er-
folg war gut.
Von Chloroformwasser (0,5 : 100,0) in-
nerlich gereicht, hat er weder bei Pertussis
noch bei einer andern Krankheit besondem
Yortheil gesehen.
{Müneh. med. Woehensehr, 1889 No. 29.) R.
Zur Behandlung des Asthma. Von N. S. Da Tis.
Das Asthma hat seine Ursache in einem
Spasmus der kleineren Bronchien. Derselbe
kann begründet sein entweder in einer Rei-
zung der peripherischen Nervenverzweigungen
der Bronchialschleimhaut in Folge einer lo-
calen Entzündung, oder in einem central
gelegenen und von dort aus auf die peri-
pherischen Nerven wirkenden Beize; in einer
dritten Gruppe von Fällen endlich handelt es
sich um Reflexwirkung, indem ein peripherisch
liegender Reiz Ton geringer Intensität einen
grösseren centralen Reiz und in Folge dessen
auch eine weit ausgedehntere peripherische
Wirkung auslost. Je nach der Natur der
Aifection ist die Behandlung zu modificiren.
Die sämmtlichen für die Behandlung in
Betracht kommenden Arzneimittel theilt D.
je nach der Ursache in 3 Gruppen. Die
erste umfasst alle diejenigen Medicamente,
welche die peripherische Reizbarkeit der
Schleimhaut mildern. Am besten bewähren
sich hier 6 — 10% Cocain losun gen, auch
Cocaininsufflationen oder Cocamsalben (letz-
tere am wenigsten wirksam). Zu berück-
-sichtigen ist hierbei die gelegentlich auf-
tretende Cocamintoxication, die zu grosster
Vorsicht in der Application des Cocains auf-
fordert. Weiterhin kommt Morphin in Be-
tracht, welches Yerf. allein oder combinirt
mit Cocain (4% Cocain- + 2% Morphin-
losung) anzuwenden pflegt. — Ist die Rei-
zung der Schleimhaut durch Geschwülste
der Nascnschleimhaut vera'hlasst, so sind
diese zu entfernen. — Handelt es sich um
Herzfehler, so ist durch Application der
Digitalis der Druck im Gefässsystem zu
steigern und so die Beseitigung der venösen
Hyperämie der Bronchialschleimhaut, durch
welche der spastische Reizzustand der Bron-
chien veranlasst wird, zu beseitigen. Ist
der Reizzustand wesentlich durch Reflex-
action veranlasst, so ist durch Application
von Chloralhydrat, Acther, Chloroform, so-
wie durch Bromsalze die Reflexerregbarkeit
herabzusetzen. Von den angeführten Medi-
camenten hat sich das Chloralhydrat am
besten bewährt, welches zweckmässiger in
wenigen grossen (z. B. 2 Dosen ä 1,0 bis
1)^ g)) &ls in häufigen kleinen Gaben appli-
oirt wird. Handelt es sich um gleichzeitige
Bronchitis, so empfiehlt Verf. folgende Com-
position
iV Chlorali hydrat. 15,0
Ammon. mur. 10,0
Morph, mur. 0,2
Stib. sulph. aurant. 0,15
Extract. Grindel, robust. 45,0—60,0
Aq. dest. ad. 120,0
3— 6stdl. 1 Theeloffel in heissem Wasser
zu nehmen.
Aehnlich wirken die Bromide, welche
vorzugsweise die peripherischen Nervenendi-
gungen abstumpfen. Auch hier giebt man
zweckmässig grosse Dosen von 1,5 — 2 g.
Von anderen Droguen, die sich erfahrungs-
gemäss bei gewissen Affectionen als sehr
wirksam erwiesen haben, kennen wir den
Mechanismus der Wirkung nicht genau, ob-
wohl wahrscheinlich bei einigen unter ihnen,
wie bei der Grindelia rebus ta, den wirk-
samen Bestandtheilen . des Tabaks, dem
Quebracho, der Lobelia inflata etc. es sich
wahrscheinlich um eine dem Chloralhydrat
analoge Wirkungsweise handelt. Von letz-
terer wendet Verf. ein Extract an , von dem
er 2 — 4 ccm 2 — 3 stdl. anzuwenden pflegt.
Die Application eines Tabakextractes eignet
sich vorzugsweise in milden Fällen, dort
zumal, wo es sich um Personen handelt,
die an den Genuss desselben nicht gewöhnt
sind. Die Quebracho und Grindelia wirken
wahrscheinlich vorzugsweise durch Lähmung
des Athmungscentrum. In Gaben von 2 bis
4 ccm sind sie milde Expectorantia und To-
nica. Die 8. Gruppe ' der anzuwendenden
Arzneimittel wirkt auf die vasomotorischen
Centren und zwar vasodilatatorisch. Zu
ihnen gehören die Nitrite, sowie das Nitro-
glycerin. Letzteres besitzt leider die un-
angenehme Nebenwirkung, Kopfschmerzen zu
erregen, und muss deshalb nicht selten aus-
472
Rttfente.
tTherapeatiaehe
Honatah«fte.
gesetzt werden. Angenehmer wirkt das Na-
trium nitrosum in Dosen Ton 0,03. Die
Wirkung zeigt sich bei dieser Verbindung
oft schon 10 Minuten nach dem Beginn der
Application. Aehnlich wie die Nitrite be-
wirken Atropin, Strammonium und Hyoscya-
mus eine deutliche Relaxation der Bron-
chiolen, sowie Herabsetzung der Hyperästhesie
der peripherischen Nervenendigungen der
Bronchialschleimhaut. Zuweilen haben sie
unter einander oder auch mit Ghloralhydrat
combinirt dem Yerf. ausgezeichnete Dienste
geleistet. Besonders bewährte sich folgende
Formel :
IV Chloral. hydrat. 20,0
Natr. nitros. 3,0
Tinctur. Strammen. 10,0
Syr. 60,0
S. 4stdl. 1 Theeloffel in einem Glase
Wasser.
In. denjenigen Fällen, in welchen das
Asthma auf psychische Eindrücke (Schreck,
Idiosynkrasie gegen gewisse Gerüche etc.),
sowie auf Urämie zurück zufuhren ist, hat
man das Grundleiden zu behandeln.
( The Journal o/ihe Amerie. Med. AtsoeicUion 1889 Mai 25.)
Lohnaiein {Berlin).
Versuche Aber Lipanin als Ersatzmittel für
Leberthran. (Aus der poliklinischen Abthei-
lung für Kinderkrankheiten des Docenten Dr.
Maximilian Herz in Wien.) Von Dr. De-
metrias Galatti.
Die günstige Wirkung des Leberthrans
beruht auf dessen bedeutendem Säuregehalt
(Oel- und Palmitinsäure), indem die fetten
Säuren es sind, die durch Bildung von Seifen
die Emulsion und damit die leichte Verdauung
des Fettes bewirken. Nun enthält aber der
dunkelgefärbte, braune, aus gefaulten Lebern
hergestellte Thran bedeutend grössere Men-
gen von Fettsäuren als der helle Dampf-
thran. Der Unterschied beträgt bis zu
10 Proc. Es sollten daher eigentlich nur
die dunklen Sorten yerordnet werden. Leider
aber stehen dem gewichtige Bedenken ent-
gegen. Die Kinder nehmen den Thran un-
gern oder gamicht wegen seines höchst un-
angenehmen und widrigen Geruchs und Ge-
schmacks und des nicht selten dem Ein-
nehmen folgenden Aufstossens und Erbrechens.
Alle zur Verdeckung dieser Eigenschaften
angewandten Corrigentien haben ebensowenig
guten Erfolg gehabt, wie die Leberthran-
schokolade und das Morrhuol, der conden-
sirte Leberthran ohne Fettbestandtheile.
Aus diesem Grunde wurden Versuche mit
dem Lipanin als Ersatzmittel des Leber-
thrans angestellt. Dieses Mittel wird aus
feinstem Olivenöl (sogenanntem Jungfernöl)
dargestellt, welches theilweise yerseift wird
und einen Zusatz von 6 proc. Oelsäure er-
hält. Dasselbe ist geruchlos und schmeckt
nach reinem Olivenöl, v. Mering und Haus er
haben das Mittel an 78 meist scrophulösen
und rhachitischen Kindern angewandt und
Folgendes constatirt:
Das Mittel wurde meist gut genommen,
ja nach längerer Zeit sogar gerne. Uebel-
keit, Aufstossen und Erbrechen, sowie an-
dere pathologische Erscheinungen seitens des
Magendarmtractus wurden niemals beobachtet.
Dagegen hob sich fast in allen Fällen das
Allgemeinbefinden und das Körpergewicht
der kleinen Patienten nicht unbedeutend.
Der Appetit stellte sich ein und die vorher
manchmal höchst ungenügende Nahrungsauf-
nahme wurde wieder normal. Als Speci-
ficum gegen Tuberculose hat sich jedoch das
Mittel nicht bewährt.
{Sqtaratabdruck aus „Archiv für Kinderheilkunde''^
XI. Band.) Carl Bosenthal (BerUn).
Die Behandlung der Diarrhoe der Phthlsiker.
Von Dr. Polydk.
Verf. hat die von Debove mit dem
Magnesiumsilicat und von S^zary und
Aune mit der Milchsäure gemachten Ver-
suche einer näheren Prüfung unterzogen.
Es ergab sich aus denselben, dass in den
ersten Tagen Magnesiumsilicat selbst in den
hohen von Debove empfohlenen Gaben von
100 -- 200 g Talk in mehreren Litern Milch
ganz gut von der Mehrzahl der Patienten
vertragen wird. Indessen lässt sehr bald
die Toleranz gegen das Medicament nach,
die Patienten bekommen früher oder später
Magenbeschwerden, so dass man mit dem
Magnesiumsilicat sehr bald wiederum aus-
setzen muss. Gewöhnlich tritt alsdann sehr
bald die Diarrhoe von Neuem wieder auf.
Die Ansicht derjenigen also, welche dem
Medicament gleichfalls heilende Eigenschaf-
ten in Bezug auf tuberculose Ulceration zu-
schrieben, sind damit widerlegt. Mehr zu-
frieden ist Verf. mit der Wirkung der
Milchsäure gewesen. Die Anfangsdosis
schwankte hier gewöhnlich zwischen 1,5 bis
2,0 g auf 120 g Wasser; allmählich wurde
diese Dosis gesteigert, 4,5 g pro die jedoch
in keinem Falle überschritten. — Gewöhn-
lich lassen Diarrhoe und Kolikscbmerzen be-
reits am dritten Tage nach Einleitong der
Medication nach; die Stühle werden wieder
geformt und nehmen allmählich ihren nor-
malen Charakter wieder an. — Bezüglich der
Dosirung haben sich dem Verf. kleinere
Dosen längere Zeit hindurch besser bewährt,
als grössere Dosen, die man schnell hinter-
in. Jtduegvkg, 1
October 188». J
Referate.
473
einander den Patienten applicirte. Giebt man
das Medicament in massigen Dosen, so kann
man beobachten, dass die Patienten Monate
lang, ohne Magenbeschwerden zu empfinden,
die Milchsäure vertragen.
(The Journal of the American Meäical Association
29. Juni 1889.) H. Lohnstein {Berlin).
Zur Behandlung des Erysipels mit Carbolinjec-
tionen. Von Dr. Paul Samt er.
Nach den an dem Kranken material des
städtischen Krankenhauses zu Dan zig ge-
machten Erfahrungen glaubt S. Ton Neuem
die bereits vor 15 Jahren von Hüter in die
Therapie des Erysipels eingeführten- Carbol-
injectionen empfehlen zu können. Er führt
10 Beobachtungen an, die ihn zur Aufstellung
des Satzes veranlassen: Das Hauterysipel
kann durch Carbolinjectionen sicher
vermieden werden. Bedingung des Erfolges
ist 1. gesicherte Diagnose, 2. ausreichende
Dosirung.
Eine erysipelähnliche Schwellung, auf
welche Carbolinjectionen keinen Einfluss aus-
üben, ist sicherlich kein echtes Erysipel.
Ebenso glaubt S., dass bei frühzeitiger An-
wendung der Carbolinjectionen Abscesse und
sonstige Complicationen seltener werden.
Die Carbollösung, welche zur Verwen-
dung kommt, hat die Zusammensetzung:
n^ Acid. carbol. puri
Alkohol, absol. aa 3,0
Aq. destill. 94,0
und wird für jeden einzelnen Fall frisch berei-
tet. Der Ort der Injection ist die gesunde
Haut, 1 — 2 cm vom Rande der erkrankten Par-
tie entfernt. Ohne Erhebung einer Hautfalte
wird die Nadel der Spritze in der Richtung
nach dem erkrankten Theile hin flach ein-
gestochen, so dass die Flüssigkeit möglichst
in die tieferen Lagen der Cutis gelangt. Es
wird langsam ^/g — 1 ganze Spritze injicirt.
Falls es sich nicht um das Gesicht handelt,
empfinden die Patienten nur ein leichtes
Brennen. Die Entfernung der Einstichpunkte
von einander schwankt, je nach der vom
einzelnen Punkte aus injicirten Menge von
2 — 3 bis 5 — 6 cm. Demnach würde man,
um ein Erysipel der unteren Extremität cen-
tralwärts am Oberschenkel mit einem Ringe
von Carbolinjectionen zu umgrenzen, 7 — 8 g
der Lösung bedürfen, wenn die Grenzlinie
genau kreisförmig wäre, da diese aber stets
eine unregelmässige Figur bildet, so kann
man als durchschnittliche Dosis für ein Ery-
sipel der unteren Extremität bei Erwachsenen
10—15 g der 3% Lösung = 0,3—0,45 reine
Carbolsäure betrachten. — Die sonstige Be-
handlung ist ziemlich indifferenter Natur:
Einreibung mit Oel und Bedeckung mit
Watte. Innerlich viel Reizmittel etc. Aus
prophy laotischen Gründen wird zur Verhütung
von Carbol in toxication von vornherein Na-
trium sulfuricum in grösseren Dosen (stund-
lich 1 Esslöffel einer 3 % Lösung) verab-
reicht.
Die mehrmalige Wiederholung der In-
jectionen wird zur Regel bei Erysipel des
Rumpfes. Nur in sehr frühen Stadien wird
man selbst mit 12 — 15 g Carbollösung die
allseitige Umgrenzung eines Rumpferysipel
zu Stande bringen. Schwieriger sind die
Verhältnisse bei den Erysipelen des Gesichts
und Kopfes, indem hier die Injectionen sehr
schmerzhaft sind und ausserdem leicht kleine
Abscesse entstehen. Verf. fasst seine Grund-
sätze für die Behandlung des Erysipels da-
hin zusammen: bei Erysipelas capitis et fa-
ciei in dringenden Fällen Carbolinjectionen,
sonst indifferente Behandlung; bei Erysipelas
trunci et extremitatum von vornherein Car-
bolinjectionen, als -seltene Ausnahme am
Rumpfe Kraske'sche Methode.
{DtuUch. med. Wochenschr. 1889, No. 35. 36.)
R.
Ueber Creolin. (Nach einem in der Societc de me-
decine zu Lausanne am 6. April 1889 gehalte-
nen Vortrage.) Von Dr. Roux.
Das in Deutschland neuerdings für die
Desinfection im Grossen so beliebt gewordene
Creolin ist in England unter dem Namen
Cresyl-Yeyes seit längerer Zeit bereits im
Gebrauch. Wie für alle neu auf den Markt
gebrachten Medicamente, so hat man sich
auch für das Creolin übermässig begeistert,
und wenn auch die vorzügliche Desinfections-
kraft des Medicaments bei relativer Ungiftig-
keit keineswegs gering anzuschlagen ist, so
haften doch dem Creolin andererseits gewisse
Mängel an, welche seine Anwendung wesent-
lich einschränken. Wenn das Creolin auch
keine gefahrdrohenden Intoxicationsersch ei-
nungen hervorruft, so sind doch auch nach
seiner Application Diarrhöen beobachtet wor-
den, und zwar nicht nur nach fortgesetzten
Irrigationen, sondern bereits nach Application
von feuchten, in Creolin getauchten Com-
pressen auf grössere Wund flächen. Auch
Fälle von auffallend schneller Abmagerung
sind nach der Anwendung des Desinficiens
zur Beobachtung gelangt. Abgesehen von
diesen Nebenwirkungen kommen noch gewisse
Unzuträglichkeiten in Betracht, so die Un-
durchsichtigkeit der Emulsion, die gewöhn-
lich die Instrumente mit einem dicken Nieder-
schlage überzieht und die Messer und Nadeln
vollkommen unbrauchbar macht. In gleicher
Weise schlägt sich das Creolin auf die Wund-
ränder nieder und verhindert die Bildung
60
474
Rererate*
prherapeatiadie
L Monatdiefle.
linearer Narben , TS'ährcnd die Haut des
Operateurs in Folge der langdauernden Be-
netzung mit dem Desinficiens eine graue,
hässlicbe Farbe annimmt. Von grossem
Nutzen erwies sieb das Medicament als
Yerbandwasser in den Fällen, in welcben aus
irgend einem Grunde die Anwendung der
Carbbl säure oder des Sublimats contraindi-
cirt war, und in welcben das Jodoform nicbt
genügend zu desinficiren scbien. Vor diesem
letzteren besitzt das Creolin ausserdem den
Vorzug, jauchende Wunden mit grosser Energie
zu desodoriren. Bei Blasenkatarrben bat dem
Verf. eine 1 ®/oige Emulsion gute Dienste ge-
leistet, und wurde aucb, abgesehen yon den
soeben angeführten Zwischenfällen, yon den
Patienten gut vertragen. Als intrauterine
oder Vaginalspülung hat sich Verf. des Me-
dicamentes in 2 ^/oiger Lösung bedient. Ab-
gesehen Ton einem einzigen Falle spürten
die Patienten niemals irgend welches Brennen
oder Schmerz. Ebenso milde wirkte die Appli-
cation des Medicamentes auf die Schleimhaut
der Nase, des Mundes, die Umgebung des
Afters, Pleurahöhle etc.
Ein wichtiges Moment zu Gunsten der
Anwendung des Creolins ist die Thatsache,
dass dasselbe nicht wie die Carbolsäure
brennt und bei Weitem nicht so toxisch
wirkt, wie die gewöhnlich gebräuchlichen
Sublimatlösungen.
Es ergiebt sich im Allgemeinen aus den
Erfahrungen Verf.^s, dass man das Medica-
ment in der Hospital - Praxis überall dort
anwenden kann, wo es sich darum han-
delt, ein wenig toxisches, gut desodo-
rlrendes und sicher desinficirendes Medica-
ment anzuwenden. Nicht anwendbar erscheint
es zur Desinfection der Instrumente und
Hände bei feineren Operationen, unzweifel-
haft jedoch ist es bei Desinfectionen in.
grösserem Maassstabe den bisher gebräuch-
lichen Medicamenten seiner Billigkeit . und
relativen Unschädlichkeit wegen vorzuziehen.
(Revue med. de la Suisse Romande. No. 6, 1889.)
Lokrutein (Berlin).
Creolin in der Landpraxis. Yon Dr. Schlesinger
(Jaka).
Bericht über günstigen Erfolg von Blasen-
auswaschung mit Creolin (30 Trpf. : 500 g
Wasser) bei einem Patienten mit Cystitis
purulenta, bedingt durch starke Prostatahyper-
trophie; ferner von prophy laotischer Aus-
waschung in einem Falle von plötzlicher com-
pleter Anurie durch Prostatahypertrophie,
endlich von Heilung von zwei Fällen von
Kopf- und Gesichtsausschlag bei jungen Kin-
dern durch Einpinselung mit 10% Creolin-
Vaselinesalbe.
( Wien, med' Presse. 1883. No. 36.) Georrje Meyer [Berlin).
Die antiseptische Wirkung des Said. Vod
Corner.
Für die Nachbehandlung von Wunden
hat sich dem Verf. das Salol in einer Reihe
von Fällen gut bewährt, nachdem nach der
Operation die Wund fläche mittelst 5%iger
Carbolsäurelösung gehörig desinficirt worden
war. Vor dem Jodoform, an dessen Stelle
es vorzugsweise in Anwendung gelangte, ist
es wegen seines angenehmeren Geruches zu
bevorzugen. Hierzu kommt noch, dass es
fast absolut ungiftig ist, sowie endlich die
Wundoberfläche gut austrocknet. Eiterung
ist bei seiner Anwendung nicht beobachtet
worden. In neuerer Zeit ist das Medicament
seiner sicheren Wirkung wegen auch bei
complicirten Fracturen mit bestem Erfolge
angewandt worden. In sämmtlichen Fällen,
in welchen bereits Fiebertemperatur bestand,
ging dieselbe sehr bald nach der Anwendung
des Salol auf die Normaltemperatur herunter.
{The Journal of the American Medical Agsadatiim.
8. Juni 1889.) H. Lohnsiein (Berlin).
Neuere Untersuchungen Über die antiseptische
Wirkung des Jodoforms. Von Dr. C. B. Ti-
lanus (AmsterdamV
„Das Jodoform ist ein Antimycoticum in
dem Sinne, dass es der Vermehrung einiger
bestimmter Sorten von Mikroorganismen,
auch bei Anwesenheit minimalster Quanti-
täten, entgegenwirkt, wenn es auch bis jetzt ^
noch nicht nachgewiesen ist, dass es diesel-
ben Organismen sicher zu tödten vermöge.*^
(Manch, med. Wochenachr. 1889, No. 32 u. 33)
Beiträge zur Jodoformbehandlung der tubercn-
lösen Knochenentzündung. Von J. Dallioger,
Docent in Budapest.
Verf. hat in mehreren schweren Fällen
von tuberculöser Knochenentzündung 5%igeii
Jodoformäther in die Abscesshöhle injicirt
und dabei böse Zufälle bei den PatienteD,
wie Asphyxie, Betäubung, Gangrän der Abs-
cesswand, dagegen niemals Ausheilung des
Processes beobachtet. Etwaige Injectionen
in geschlossene Psoasabscesse hält er wegen
der drohenden Gangrän geradezu für gefährlich.
(Centralbl. f. Chirurgie 1889, No. 20.)
Freyer (SUttin).
Die chirurgische Behandlung tuberculöser Peri-
tonitis. Von Cecherelli.
Die ersten Laparotomien bei tiiberculöser
Peritonitis sind auf Grund falscher Diagnosen
gemacht; worden, da die Symptome nicht
selten bei dieser Affection denen der malignen
Abdominaltumoren gleichen. Die Erfahning
hat nun gelehrt, dass auch bei der tuber-
culösen Peritonitis nach der Laparotomie
in. Jfthrgang. 1
Octobcr 1899. J
Rttfinto.
475
eine wesentliche Besserung eintritt. Verf.
hat in 4 Fällen bei tuberculöser Peritonitis
die Laparotomie ausgeführt. Die Resultate
waren folgende: In 2 Fällen (bei einem 32
jährigen Weibe und einem 1 1jährigen Knaben)
mit Symptomen einer hochgradigen Peritonitis,
konnte durch die Operation mit consecutiver
Drainage Tollkommene Genesung erzielt
werden. Ebenso günstig verlief die Heilung
in den beiden letzten Fällen, welche kleinere
Kinder betreffen. Die tuberculöse Natur der
Peritonitis konnte in sämmtlichen Fällen
durch den Bacillenbefund demonstrirt werden.
Auf Grund der gelegentlich dieser 4 Fälle
gemachten Beobachtungen gelangt Yerf. zu
folgenden Schlüssen: Am strictesten indicirt
ist die Laparotomie in denjenigen Fällen
Ton Peritonitis tuberculosa, welche mit be-
trächtlicher Entwickelung von Hydrops
Ascites einhergehen. Wahrscheinlich werden
hier durch die neugebildeten Pseudomem-
branen die Tuberkeln eingeschlossen und un-
wirksam gemacht. In denjenigen Fällen, in
welchen Adhäsionen sich bereits spontan ge-
bildet haben, ist die Laparotomie, weil über-
flüssig, contraindicirt.
{The Journal of ihe Americau Medical Association
8. Juni 1889.) H. Lohnstein {Berlin).
1^1« gegenwärtige Radicaloperation der Unter-
leibsbrüche. Von Gchcimrath von Nuss-
baum in München.
Bevor Verf. seine Methode der Radical-
operation der Unterleibsbrüche auseinander-
setzt, erörtert er die Frage, welches Regime
man bei jungen Leuten versuchen soll, um
das Verschwinden der Hernie zu bewirken.
£s ist bekannt, dass ungefähr 5 ^/o aller
Kinder einen Bruch, dass aber die Mehrzahl
dieser Brüche von selbst verschwindet bis
zum 12. Jahr, sodass dann nur noch etwa
1 °/o der Kinder einen Bruch haben. Ausser-
dem gelingt es sehr häufig, durch ein passen-
des Regime bei Leuten vor dem 20. Lebens-
jahre, so lange der Korper eben noch im
Wachsen ist, dieses Verschwinden des
Bruches zu befordern. Zunächst muss eine
Diät gewählt werden, welche wenig Koth
macht, also wesentlich Fleischkost mit wenig
Brod, Gemüsen und Mehlspeisen, bei Nei-
gung zu Verstopfung ist jeden Abend ein
Abführmittel, bei deutlicher Neigung zur
Fettleibigkeit Morgens und Abends je ein
Esslöffel einer 5°/o wässerigen Jodkalilosung
zu gebrauchen; Pressen, Drängen, Schreien,
Singen, lautes Sprechen ist zu vermeiden.
Jeden Morgen und Abend muss die Bruch-
gegend mit frischem Brunnen- oder Blei-
wasser gewaschen werden; ist die Haut der
Bauchgegend recht reizlos und schlaff, so ist
es vortheilhaft, dieser Waschung noch eine
Einreibung mit einem Löffel einer Am-
moniakmischung (Liq. Ammon. caust., Ol.
Rosmar. Spirit. camphorat. ana) folgen zu
lassen. Ferner sind gymnastische Uebungen
zu machen, duplicirte Bewegungen, die durch
Kräftigung der Muskelansätze die dreieckigen
Lücken verkleinem, wo die Brüche hindurch-
gehen. Bei einem linksseitigen Leistenbruch
z. B. hänge man an das linke Tibiatarsal-
gelenk ein Gewicht von 5 — 10 Kilo und
lasse den Patienten auf dem rechten Fusse
allein stehen, die Arme in die Hüften ein-
spreizen und mit dem belasteten Fusse nach
innen und aussen, nach vom und hinten
und kreisförmige Bewegungen machen. Es
gelingt auf diese Weise, bei jungen Leuten
Brüche vollständig zu heilen und das Bruch-
band entbehrlich zu machen.
Die Radicaloperation ist dann zu machen,
wenn der Bruchinhalt theilweise verwachsen
ist, sodass ein Stück des Darmes oder
Netzes nicht ganz reponibel ist und ein
Bruchband garnicht oder nur mit Schmerzen
ertragen werden kann. Ferner soll die
Radicaloperation jeder Herniotomie beigefügt
werden, da die Gefahren der Herniotomie
dadurch nicht wesentlich vermehrt, die
Resultate aber sehr verbessert werden.
Die Operation v. N's charakterisirt sich
wesentlich dadurch, dass er den Bmchsack-
hals mit sogenannten Hinterstichen vernäht
und ihn 1 — iVa c^J^ unterhalb der Nähte
amputirt und ganz entfernt; alsdann wird
der Bruchsackstumpf in den Bruchkanal
hineingestopft, sodass das parietale Blatt
des Peritoneum an der Stelle, wo es früher
concav vorlag, convex in die Bauchhöhle
hineinragt. Jetzt wird eine Drainage ein-
gelegt, eine tiefgehende Matratzennaht und
eine oberflächliche Kürschnernaht mit Chrom-
säurecatgut angelegt und darüber kommt
dann der antiseptische Verband. Bei gün-
stiger Gestaltung der Leistenpfeiler wird
auch die Anfrischung und Naht derselben
hinzugefügt, doch legt v. N. darauf kein
besonderes Gewicht.
Ebendieselbe Methode wird' auch ange-
wandt, wenn die Radicaloperation der Her-
niotomie zu folgen hat, abgesehen allein
von dem Falle, wo ein Stück des Darmes
bereits nekrotisch geworden ist. In diesem
Falle resecirt er das nekrotische Darrastück,
lässt beide Darmenden mit ihrem Lumen
durch die erweiterte Bruchpforte heraus-
stehen und heftet ihr Gekröse mit Cat-
gut an.
Ist ein Theil der Hernie verwachsen, so
ist es nöthig, an den Eingeweiden kleine
Stückchen jener Gewebe stehen zu lassen,
60*
476
R«fente.
rlierapeatlMihe
Monatshefte.
mit denen sie verwachsen sind; lost man
die Eingeweide dagegen Yollständig los, so
kommt meist eine perforative Peritonitis zu
Stande.
Trotz dieser rationellen Operationsme-
thode recidiyiren nach mehreren Jahren doch
ein Fünftel bis ein Viertel der operirten
Hernien, und an der zugenähten Stelle ent-
steht ein neuer Bruchsack. Dagegen entstehen
nach der Schwalb ersehen Methode, Brüche
durch Injection 20 — 80% Alkohol zu heilen,
weit weniger Kecidive. Nun ist aber diese
Methode nicht sehr leicht auszuführen und
andrerseits auch durchaus nicht ungefährlich.
Y. N., der eine Zeit lang so verfahren ist,
dass er ca. 3 Wochen, nachdem seine Ra-
dlcaloperation geheilt war, mit Schwalbe^s
Methode feste Narben erzeugte, verfährt
jetzt so, dass er diese feste Narbe oder
Schwiele durch den Thermocauter hervor-
ruft. Nach der Heilung der Radicaloperation
wird die Naht des Bruchsackhalses noch
einmal biosgelegt und hart um denselben
mit dem glühenden Thermocauter eine feste
Brandnarbe erzeugt.
(Berliner Klinik 1889, Heft 12.)
Schtney (Beuthen O.S.)
Ein Beitrag zur Chirurgie des Mastdarmvorfalles.
YoD Regimentsarzt Dr. J. Habart.
Verf. beschreibt einen Fall von Mast-
darmvorfall, der nach Beseitigung eines
Mastdarmkrebses entstanden war und von
Dr. Hochenegg (Albert'sche Klinik in
Wien) durch Resection und Verlagerung
der Analöffnung nach oben, also durch
Anlegung eines Anus praternat. sacral. mit
gleichzeitiger Verschiebung des Darm-
rohres behufs Bildung einer grösseren Pe-
rinealbrücke operirt worden ist. Zu diesem
Zwecke musste das Steissbein mit resecirt
werden.
{Wien. kün. Woehenschr, 1889, No, 16.)
Freyer {Stettin).
Ueber das Verhalten von Neurosen nach gynä-
kologischen Operationen. Von Dr. Rudolf
G n a u c k « (Pankow).
Unsere Kenntnisse von den Beziehungen
der Nervenkrankheiten zu den Geschlechts-
krankheiten sind noch sehr unsicher und die
Erfahrung muss das Meiste lehren. Gynäko-
logisch bezeichnet man häufig ein Leiden
als Geschlechtserkrankung mit Lendenmark-
symptomen, das neuropathologisch wiederum
als Neurose mit Geschlechtskrankheit be-
zeichnet wird. Bezüglich der Häufigkeit der
Erkrankungen des Geschlechtsapparates bei
Neurosen hat G. beobachtet, dass ungefähr
ein Drittel derselben derartige Störungen
zeigt. Bestimmte Indicationen hinsichtlich
der Form der Neurose wären sehr ervninscht,
doch ist es nicht möglich, diese zu geben.
Man kann nicht bestimmte Neurosen be-
zeichnen, die sich für die Behandlung der
vorhandenen Erkrankung des Geschlechts-
apparates besonders eignen oder besonders
nicht eignen. Legt man sich die Verhält-
nisse vom Standpunkte des Neuropatho-
logen zurecht, so kann man dreierlei unter-
scheiden :
1. Man schreitet zu einer gynäkologischen
Behandlung der Operation in der Aus-
sicht, eine Neurose oder eine Gruppe
von nervösen Symptomen oder ein ein-
ziges solches zu heilen.
2. Man thut dies trotz der vorhandenen
Neurose, da eine unabweisbare Indi-
cation vorliegt.
3. Man thut dies, da bei einer Neurose
eine Erkrankung des Geschlechtsappa-
rates vorliegt, deren Beseitigung mög-
licherweise fördernd auf die Heilung
der Neurose wirken, resp. deren Be-
stehenbleiben die Heilung erschweren
könnte.
Was die erste Gruppe anlangt, so ist es
häufig gelungen, durch gynäkologische Ein-
griffe Heilung herbeizuführen, wenn ein ein-
zelnes nervöses Symptom oder eine Gruppe
solcher vorhanden war. Die Heilung einer
wirklichen allgemeinen Neurose wird dadurch
kaum gelingen; gewöhnlich handelt es sich
auch dann nur um das Verschwinden eines
hervorragenden Symptoms oder mehrerer
solcher. — Wohl werden Heilungen allge-
meiner Neurosen nach gynäkologischen Ein-
griffen angegeben, allein dieselben waren
meist nur scheinbare. Es handelte sich um
hysterische Erkrankungen, und bei diesen
erlebt man ja das Sonderbarste!
Bei dem zweiten Punkte handelt es sich
um gynäkologische Eingriffe einer unabweis-
baren Indication zufolge. — Derartige Fälle
werden immer Schwierigkeiten bieten, da
eine Verschlechterung des ganzen Zustandes
bisweilen kaum zu vermeiden ist. Vorwie-
gend werden es Blutungen, Geschwülste,
unerträgliche Hysteralgien etc. sein,
welche ein Eingreifen nöthig machen. G.
citirt zwei derartige Fälle eigener Beobach-
tung. In Fällen dieser eben erwähnten
Kategorie wird der gynäkologische Eingriff
nicht zu umgehen sein. Es handelt sich
darum, den richtigen Zeitpunkt für beide
Erkrankungen zu wählen und eine geeignete
Weiterbehandlung für die nervöse Erkran-
kung nicht zu unterlassen. — Drittens kann
man sich endlich zu einem Eingriff ent-
schliessen, weil eine Erkrankung vorliegt,
HL Jahrgftng. 1
October 1888. J
Refermte.
477
deren Beseitigung vielleicht fordernd auf die
Heilung der Neurose wirken, deren Be-
stehenbleiben die Heilung beeinträchtigen
könnte.
Nervenkranke Frauen gehen häufig, auch
wenn keine grossen Unterleibsbeschwerden
vorliegen, zuerst zum Gynäkologen. Man
muss sich hüten, ihren hypochondrischen
Klagen und ihrem Verlangen nach opera-
tiven Eingriffen zu sehr nachzugeben. Häufig
schiebt man dadurch eine krankhafte Sen-
sation in den Hintergrund, um einer andern,
neuen Platz zu machen. 6. kennt eine An-
zahl schwerer hypochondrischer Kranken,
die theils von einem, theils von mehreren
Gynäkologen behandelt wurden und gerade
auf diese Behandlung eine Verschlechterung
ihres Befindens zurückführten.
Bei manchen Kranken erklärte sich der
Misserfolg der Behandlung auch dadurch,
dass die zu Grunde liegende Affection, die
beginnende Dementia paralytica, nicht erkannt
worden war.
Zuweilen werden unbedeutende .Dinge,
wie geringe Erosionen am Muttermund, ge-
ringer Cervixkatarrh und Aehnliches bei
Neurosen lange behandelt, nur ut aliquid
fiat um eine psychische Wirkung hervor-
zubringen. Dieses Verfahren hält G. nicht
nur für unrichtig, sondern auch für bedenk-
lich. Abgesehen davon, dass man auf andere
Weise auf die Kranken psychisch einzu-
wirken vermag, kann man auch directe Ver-
schlimmerungen hervorrufen.
Genügt eine einfache, nicht zu eingrei-
fende gynäkologische Behandlung, so vermag
eine solche die Behandlung der Neurose
entschieden zu unterstützen. Am besten
scheint sie begonnen zu werden, wenn die
Neurose anfängt, sich zu bessern.
Aus Verfassers interessanten Beobach-
tungen geht zur Evidenz hervor, eine wie
wichtige Vorbedingung das Vorhandensein
eines gesunden, unbeschädigten Nervensystems
ist, um ohne Nachtheil eine eingreifende und
länger dauernde Behandlung nervenreicher
Organe einleiten zu können.
{S^.'Abdr. aus der Disch. med» Wochentchr, 1888 ^
No, 36.) R.
Ueber die Unterbindung der Uterusgeßlsse. Von
Privat-Docont Dr. A. von Gubaroff in
Moskau.
Verf. beschreibt die von ihm an der
Leiche und von Prof. Sneguireff mit gutem
Erfolg auch am Lebenden geübte extraperi-
toneale Unterbindung der den Uterus ernäh-
renden Gefässe: der A. uterina, A. utero-
ovarica und A. ligam. rotundi. Als Haut-
schnitt wird der für die Unterbindung der
A. iliac. comm. und int. von Pirogoff em-
pfohlene benutzt. Indication für die Unter-
bindung sollen geben: „1. unoperirbare
Carcinome des Uterus, welche von grossen
Blutungen begleitet sind, 2. intraligamen-
töse Geschwülste und subseröse Myome ; die
Operation geht der intraperitonealen Opera-
tion voran, 3. Blutungen aus der Gebärmut-
ter, welche kein anatomisches Substrat
nachweisen lassen, bei denen aber alle be-
kannten Mittel vergebens angewendet worden
sind."
{CentralbL /. Ckir. 1889, No. 22.)
Freytr (SUtHn).
Ueber den Werth subcutaner Kochsalzinfusionen
zur Behandlung schwerer Anflmie. Von
Münchmeyer (Dresden).
Verfasser berichtet über 8 Fälle subcu-
taner Kochsalzinfusion nach starken Blut-
verlusten, sieben Mal bei der Entbindung,
ein Mal bei einer Myomotomie, in denen die
Anämie stets erfolgreich bekämpft wurde.
Die Methode ist einfach und von jedem
Praktiker bei drohender Gefahr auszuführen:
Mit einer grossen durchbohrten Nadel wer-
den, nachdem die gebräuchlichen Analeptica
gegeben sind, am besten in der Rückenhaut
zwischen den Schulterblättern oder in der
Nähe der Achselhöhle an einem Punkt oder
in Zwischenräumen 500 — 1000 g einer auf
37^ erwärmten 0,6%igen Kochsalzlösung
unter die Haut gebracht und durch Massage
vertheilt. Die Nadel ist vorher durch Er-
hitzen über einer Spiritusflamme sterilisirt
worden. In sie mündet ein Schlauch, der
von einem Trichter oder Irrigator ausgeht,
und durch den zunächst eine reichliche Menge,
^^igei^ Garbollösung läuft, deren Rest wie-
derum durch den Anfang der Kochsalzlösung
weggespült wird. Während letztere durch-
läuft, geschieht der Einstich zur Vermeidung
von Lufteintritt. Diese subcutane Infusion
ist gegenüber der intravenösen durchaus ge-
fahrlos zu nennen, sie entbehrt der Umständ-
lichkeit und des grossen Apparates, wie ihn
Ziemssen für subcutane Blutinjectionen ver-
langt, und ist diesen gegenüber schmerzlos.
Verfasser hofft auf Nachbeobachtungen und
deren Veröffentlichung behufs Bestätigung der
günstigen Wirkung.
{Archiv/. Gynaee. 34. HI.)
Landsberg {Steltin).
Zur Behandlung der Uterusatonie. Von Ammon
(Forchheim).
Verfasser hatte bei einer atonischen Blu-
tung nach adhärenter Placenta selbst mit
Einführung der Faust in den Uterus, Druck
gegen die Symphyse, heissen Ausspülungen
478
Refoimtc.
rTherapeatbaka
L Monfttahefte.
und schliesslich TampoDadc mit 2^/oiger
Creolinwasser- Watte keinen Erfolg. Erst
nach einer Einspritzung von Ergotin (2:20)
sah er anhaltende Contraction des Uterus.
Er empfiehlt dies daher mit dem Bemerken,
stets sofort eine frische Lösung zu verordnen,
während deren Herbeischaffung man die übri-
gen Mittel versuche, da es nachher meist zu
spat werde.
{Internal kltn. Rundschau. 1889, No. 17.)
Landsberg (Stettin).
Sechs Fälle von erfolgreicher Tamponade des
puerperalen Uterus bei atonischen Blutungen.
Von Born (Breslau).
Nachdem schon früher nach Curette-
ments besonders bei Aborten die Jodoform-
gazetamponade in der Breslauer Klinik an-
gewandt worden war, wobei zugleich der
Zweck erreicht wurde, dass beim Heraus-
ziehen des Gazestreifens losgelöste Beste
noch mit hinausbefördert wurden, wandte
man dieses Yerfahren in neuerer Zeit dort
auch bei atonischen Blutungen post partum
an, und Born berichtet über 6 derartige
Fälle mit glücklichem Ausgange. 5 davon
waren mit mehr oder weniger starken Cer-
vixrissen verbunden, deren Blutung vor der
Tamponade mittelst Naht beseitigt worden
war, so dass die Einwirkung nur auf die
Atonie geschah ; zwei Male handelte es sich
um Placenta praevia, bei denen ebenso wie
in zwei anderen Fällen die Wendung vor-
genommen wurde, in den beiden letzten
Fällen war der Forceps angelegt worden.
Jedes Mal hatten andere Versuche der Blut-
stillung durch Compression, Massage, kalte
Ausspülungen, Ergotininjection etc. im Stiche
gelassen. Born folgert daraus, dass nur in
der üterustamponade eine sicher wirksame
Methode zur Bewältigung der Gefahr der
Atonie liege. Er giebt dann noch ein ein-
faches Instrument an, mit dem die Gaze ein-
geführt wird (nach Dr. Weinhold): ein 2 mm
dicker Draht ist an einem (peripherischen)
Ende zur Handhabe umgebogen, am andern
quer eingekerbt. Mittelst dieser Einkerbung
wird der Gazestreifen beim Einschieben fest-
gehalten; beim Herausziehen folgt der ein-
geschobene Theil nicht, wie sonst bei Zangen,
Pincetten etc.
{Centralhlf. Oynaec 1889. No. 25.)
Landtberg (Stettin).
Vier Fälle von erfolgreicher Uterustamponade bei
Atonie. Von Eckeriein (Königsberg).
Verfasser hofiPt auch durch die grössere
Menge von casuistischen Belegen für die
Güte der Dührssen^schen Tamponade zur
Weiterverbreitung derselben beizutragen. Drei
Male hat er selbst, ein Mal ein anderer
Königsberger Arzt, dieselbe mit Erfolg an-
gewandt und zwar handelte es sich um einen
Forceps wegen Wehenschwäche, die in die
Nachgeburtsperiode hineindauerte, um eine
profuse Blutung am 13. Tage des Wochen-
betts aus unbekannter Ursache, um eine
Wendung und eine spontane Beckenendlagen-
Geburt. Das erste Mal tamponirte er ohne
jedes Instrument, indem er mit 2 Fingern
der linken Hand Jodoformgaze aus 3 *^/oigem
Garbolwasser in den Uterus stopfte, auch in
den beiden nächsten Fällen wurde lege artis
mittelst Jodoformgaze aus Carbol tamponirt,
im letzten bei Fehlen der Gaze und höchster
Gefahr mit einer reinen Windel, die in 5 ^jo^ge
Carb Öllösung getaucht und dann ausgedrückt
worden war. Der Erfolg war jedes Mal ein
prompter, während Versuche, auf andere Weise
der Blutung Herr zu werden (Massage, heisse
Ausspülungen, Ergotin), misslungen waren.
{Cmtralblf, Gynaec. 1889. No. 26.)
Landsberg (Stettin).
Heisse Ausspülungen von 40^ R. VNTaaser post
partum. Von Deipser (Meiningen).
Verfasser will dem Arzt die Möglichkeit
geben, stets ein gutes Wochenbett vorher-
sagen zu können und glaubt, dass dies er-
reicht werden dürfte, wenn nach jeder Ent-
bindung bald nach der Entfernung der Nach-
geburt und sodann 6 Tage lang täglich einmal
eine Ausspülung von 1 Liter 40° R. heissen
Wassers bei untergeschobenem Stechbecken
und abschüssiger Lage des Oberkörpers vor-
genommen wird. Das 40° heisse Wasser ist
für etwaige Bakterien der Scheide todtbrin-
gend; ohne die Gefahren von Desinficientien
zu bieten, bringt es noch den Vortheil der
Anreizung zu Contractionen (die allerdings zu
heftig werdend, Schmerzen bereiten können und
dann mit Antipyrin 0,25 g 1 bis 2 Male bekämpft
werden müssen); endlich können die Aus-
spülungen von den Hebammen ohne Schaden
ausgeführt werden, zumal die Flüssigkeit
auch Schädlichkeiten im Irrigator vernichtet
Zum Schutz der äusseren Weichtheile gegen
die Hitze empfiehlt sich Bestreichen der-
selben mit Vaseline und Unterbrechen des
Strahls. Deipser hat die Methode oft an-
gewandt, ohne Enttäuschungen erfahren zu
haben (vielleicht hätte er auch ohne sie kein
Puerperalfieber erlebt. D. Ref.).
(Centralblf. Gynaee. 1889. No. 22.)
Landsberg (Stettin).
Die Anwendung des faradischen Stromes in der
Q3mäcologie. Von Dr. A. P. Glarke.
Der faradische Strom hat vor dem con-
stanten, wie ihn vorzugsweise AposJtoli
lH.Jabrg&nf.'l
October iM)). J
Rttfermto.
479
und seine Anhänger anzuwenden pflegen,
mancherlei Vorzüge. Seine Wirkung er-
streckt sich vorzugsweise auf die oberfläch-
lichen Blutgefässe, die in kräftigster Weise
contrahirt werden. Hierdurch kommt es
weiterhin zu einer Erhöhung des Stoffwech-
sels dieser Organe und zu ausgiebigerer
Resorption der entzündlichen Stoffwechsel-
producte. Dabei beobachtet man niemals,
wie gelegentlich wohl nach Application des
Constanten Stromes, üble Zufälle, Blutun-
gen etc. — Im Allgemeinen ist die Wirkung
des faradischen Stromes beruhigend, so dass
die Patienten schon nach wenigen Sitzungen
eine wesentliche Besserung ihrer Beschwer-
den empfinden. — In einem der so behan-
delten Fälle, in welchem Symptome einer
ausgesprochenen Oophoritis mit extremer
Empfindlichkeit etc. bestanden , genügten
mehrere Sitzungen von je 5 — 10 Minuten
Dauer, um nach 2 — 3 Monaten bereits eine
wesentliche Besserung der Beschwerden her-
beizuführen. — Die Sitzungen erfolgten in
diesem Falle in 3 — 4tägigen Intervallen.
In ähnlicher Weise konnte man in 12 an-
dern Fällen von Metritis, Salpingitis etc.
nach kurzer Zeit eine wesentliche Besserung
beobachten.
{The Journal oj the American Mtdical Association
IL Mai 1889.) LohnsUin,
Ueber operative Versuche zur radicalen Behandr
lung der typischen Prostatahypertrophie.
Von Prof. H. Helferich. (Aus der chirurg.
Klinik zu Greifswald.)
Neben parenchymatösen Injectioncn (Lu-
gorsche Lösung) in das Gewebe der Pro-
stata und galvanokaustischen Eingriffen hat
man auch gelegentlich anderer Operationen
an der Blase theils unfreiwillig, theils ab-
sichtlich Theile der hypertrophischen Pro-
stata," bes. des mittleren Lappens derselben
resecirt, um die Drüse zum Schrumpfen zu
bringen und die Beschwerden zu beseitigen.
Nur in seltenen Fällen ist man der Pro-
statahypertrophie allein ihrer Beschwerden
wegen direct operativ entgegengetreten.
Einen solchen Fall beschreibt Verf., der in
der Weise vorging, dass er nach voran-
gegangener Sectio alta den vorspringenden
Theil der Prostata vermittelst einer
Cowper'schen Scheere excidirte und
mit dem Fistelbrenner möglichst tief
in das Gewebe eindrang und dasselbe
zerstörte. Auf diese Cauterisation sei be-
sonders Werth zu legen, weil von derselben
eine ausgiebige Schrumpfung des hypertro-
phischen Gewebes zu erwarten sei. Andere
Operateure suchen nicht durch die Sectio
alta, sondern mittelst der medianen Ure-
throtomie zur Prostata zu gelangen. Dabei
mag sich die Dehnung der Pars prosta-
tica zur Besserung der Beschwerden vor-
theilhaft erweisen und sei dieselbe ev. mit
dem Operations verfahren des Verf.*8 zu
combiuiren. Jedenfalls sei aber der opera-
tive Eingriff erst in Betracht zu ziehen,
wenn die milde und palliative Behand-
lung mit elastischen Mercier^schen
Kathetern oder die Massage der Pro-
stata vom Rectum aus nicht mehr aus-
reiche.
{Münch. Med, Wockenschr, 1889, No. 7.)
Preyer (Steitin).
Zur Therapie der Prostatahypertrophie und der
chronischen Cystitis. Von Dr. Feh leisen
(Berlin).
Verf. wendet sich zunächst gegen die
Versuche , die hypertrophische Prostata
durch innere Mittel oder parenchymatöse
Injectionen zu verkleinern. Auch Operatio-
nen am „mittleren" Lappen der Drüse haben
wohl nur durch die nachfolgende Drainage
und damit Ruhigstellung der Blase günsti-
gen Einfluss auf die durch die Cystitis und
mangelnde Contractionsfähigkeit des Organs
bewirkten Beschwerden. Die Operationen
an der Prostata werden, da meist die Blase,
und zwar nicht nur secundär durch Ueber-
anstrengung mit erkrankt ist, glänzende
Erfolge nicht haben. Die Störung in der
Urinentleerung, die zum Theil durch primäre
Erkrankung der Blasenmusculatur bedingt
ist, kann man durch regelmässige Kathete-
risirung und Ausspülung der Blase mit Ad-
stringentien (Arg. nitr. in grösseren Pausen)
am besten bekämpfen; bei „Atonie" der
Blase Einspritzung von 50 com einer ca.
Iproc. Höllensteinlösung. Macht das Ea-
theterisiren durch Neigung zu Blutungen
Schwierigkeiten, oder ist anhaltender Reiz-
zustand der Blase (irritable bladder) vor-
handen, so ist es am besten, „die Prostata
gewissermassen auszuschalten^ durch Aus-
führung des hohen Blasenstichs und Einfuh-
rung einer Verweilcanüle resp. durch Anle-
gung einer Blasenfistel. Die Operation ist
einfach, schmerz- und gefahrlos; der Urin-
drang hört auf, die Cystitis bessert sich,
da man die Schleimhaut local behandeln
kann; die Prostata wird durch Katheter
und durchgepressten Urin nicht mehr gereizt
und kann sogar etwajB abschwellen. Yerf.
hat drei Male bei Kranken mit Prostatahyper-
trophie eine Harnfistel angelegt. Von zwei
Fällen, in denen das Ergebniss anscheinend
ein gutes war, fehlen weitere Nachrichten.
Der dritte Patient befindet sich seit 2'/,
Jahren wohl. Er trägt in der Fistel eine
480
Rairnnfm.
rrherapentiidM
etwas gebogene, 10 cm lange, silberne Ca-
nüle, die vorn mit einem Plattchen, um
nicht hineinzurutschen, und einen Knopf
zum Befestigen eines Gummischlaucbes, der
den Penis beim Uriniren ersetzt, yerseben
ist. Das Herausfallen der Canüle verhindert
eine durchbohrte, mit Leib- und Schenkel-
riemen befestigte, Pelotte, an welcher ein
Quetschhahn den Schlauch und so auch die
Canüle yerschliesst. Der Apparat wird per-
manent getragen, die Blase mit Trichter
täglich ausgespült, die Canüle einmal
wöchentlich gewechselt. F. zieht die Me-
tallcanüle dem sonst gebräuchlichen Gummi-
katheter vor. Der Pat. kann den Urin
sechs Stunden lang halten, und ihn dann
durch Druck auf den Quetschhahn im Pissoir
etc. ohne Weiteres entleeren, was bei E[ran-
ken, die sich katheterisiren müssen, nicht
so bequem von statten geht, weil hierzu
nicht jedes Local passend ist. Bereits zur
Zeit der Operation hatte der Kranke Er-
scheinungen von Pyelitis; da trotz dieser
durch die Fistula vesicae suprapubica seine
Beschwerden so sehr gemildert sind, ist die
Operation für analoge sicher empfehlens-
werth.
{BtrL kUn. Wochensekr, 1889, No. 33.)
George Meyer {BerUn).
Eine neue Operation zur Heilung der Incon-
tinentia urinae. Von R. Gersunj in Wien.
Verf. war in der Lage, bei einem Mäd-
chen, welches in Folge bestehender Epispadie
von Geburt an an permanentem Hamträufeln
litt und bei welchem die Pawlik' sehe Ope-
ration: Excision keilförmiger Stücke aus
der nächsten Umgebung der Harnrohrenmün-
dung, keinen genügenden Erfolg hatte, auf
ein neues Verfahren zu sinnen und kam auf
den Gedanken, die Harnrohre zum Zwecke
ihres Verschlusses um ihre Längsaxe zu
drehen. Er präparirte sie aus ihrer Um-
gebung heraus, drehte sie um 180° und be-
festigte sie mit Nähten. Da auch hierbei
der Erfolg noch kein genügender war, drehte
er die Urethra in zwei folgenden Operationen
um weitere 90 und 180°, so dass dieselbe
im Ganzen also um 450° gedreht war. Nun-
mehr war der Erfolg ein befriedigender und
andauernder.
Verf. hofft, dass die Operation für Fälle
geeignet sein wird, in welchen der Sphincter
vesicae fehlt oder unbrauchbar geworden ist,
und glaubt, dass sie auch beim Manne aus-
zuführen sein wird, indem man die Urethra
hinter dem Bulbus durchschneidet, das her-
auspräparirte centrale Ende torquirt und
wieder einnäht. Die Torsion wird stets so
weit zu erfolgen haben, dass die torquirte
Stelle von einem dünnen Katheter nur gerade
noch überwunden wird.
iCentralblaUf. Chir. 1889, No. 25.)
Freyer (Sietti»).
Ueber Hydrargyrum salicylicum. Von Dr. Hahn
(Bonn).
Verf. berichtet über die in der Klinik
von Prof. Doutrelepont bei Behandlung
der Syphilis mit Quecksilbersalicylat erziel-
ten Erfolge. Benutzt wurde das Präparat
zur Injection nach der Vorschrift (Neisser):
*V Hydrarg. salicyl. 1,5
Paraffin, liquid. 15,0.
Das im Gefass am Boden sich sammelnde
Salz muss vor dem Gebrauch jedesmal
durch Schütteln neu emulgirt werden. Die
Spritze, 2 ccm fassend, hat eine 5 cm lange
Spitze, wird in Glasdose unter Paraffin,
liquid, aufbewahrt, mit welchem vor und
nach der Benutzung stets die Canüle durch-
spritzt wird. Es wurde zuerst achttägig
0,1 des Präparates tief in die Glutaen in-
jicirt, später jedoch, da diese Dose zu gross
erschien, alle vier Tage 0,06. Klinisch
wurden 29, poliklinisch 9 Patienten behan-
delt und folgende Ergebnisse festgestellt:
1. Man erzielt mit Hydr. salic. gute
Heilresultate bei allen Formen der Syphilis;
Frühformen gehen bereits auf ein bis zwei
Injectionen deutlich zurück.
2. Die Zahl der Injectionen scheint im
Allgemeinen die bei einer Behandlung mit
Galomelöl um eins bis zwei zu übersteigen.
3. Dafür hat das Hydr. salic. den grossen
Vorzug, dass es sowohl locale Reizerschei-
nungen als auch allgemeine Intoxications-
erscheinungen so gut wie gar nicht her-
vorruft.
4. Es empfiehlt sich, die Injectionen
alle 3 Tage in der Stärke von 0,05 zu
machen, da man dann gegen eine Intoxica-
tion am besten gesichert sein dürfte.
(Betreffs des Eintritts und der Häufig-
keit des Recidive, welche nach der Behand-
lung der Syphilis auch mit diesem Präparat
eintreten, ist noch kein endgiltiges Urtheil
festzustellen.)
(Arch. f. Dermal, u. Syph, 1889, 3. Heß.)
George Meyer {Berlin).
Ueber Einspritzungen von CalomelOl und Oleom
cinereum. Von Dr. Hugo Löwenthal
(Berlin).
Verf. beschreibt die in den letzten zwei
Jahren in der dritten medicinischen Klinik
von Prof. Senator mit Einspritzungen von
Galomelöl und Oleum cinereum bei Syphilis-
kranken erhaltenen Ergebnisse. Die Injec-
tionen geschahen unter strenger Antisepsis
stets in die Glutäen und zwar mit
m. JftlirtAnr.1
Oetober 1889. J
KttnlBlB»
481
uod
Vf Calomelan.
Ol. olivar.
1,0
10,0
*V Hydrarg. metall. 20,0
Aeth. benzoic. 5,0
Paraffin, liquid. 40,0
(60 Theile Ol. einer, enthalten 20 Theile
Hydrarg.).
Mit 53 Einspritzungen Ton grauem Oel
wurden 10 Kranke behandelt; jedoch wurde
trotz sonstiger günstiger Erfolge das Ver-
fahren aufgegeben, weil schmerzhafte Infil-
trate und Abscesse an den Injectionsstellen
entstanden. Bei 20 Patienten wurde 112 mal
Calomelol eingespritzt; nur einmal wurde
ein Abscess, öfters Infiltrate beobachtet.
Die Patienten konnten aber stets ihrem Be-
rufe nachgehen, was bei der anderen Me-
thode nicht immer der Fall war. Waren
die Infiltrate zu schmerzhaft oder trat Fieber
ein (welches sogar bis 40^ stieg), so wurden
mehr Injectionen von 0,05 Calomel statt
der grosseren von 0,1 gemacht; das Fieber
blieb dann bei diesen Personen aus. Die
meisten Patienten boten Spätformen der
Lues dar und hatten vorher bereits andere
Curen (Inunctionen und Sublimatein-
spritzungen) durchgemacht. Gerade bei die-
sen war der Erfolg in Bezug auf die Hei-
lung recht gunstig.
iBtrl KUn. WochtMchr. 1889, No, 32.)
Georg* Meyer {Berlin).
Die Behandlung der Syphilis mittelst Injectionen
von Oleum cinereum. Von Dr. Mandry (Köln).
Auf der Abtheilung des Prof. Leichten-
stern des Kolner Bürgerhospitals wurden
von Anfang Oetober 1888 bis Anfang April
1889 bei 81 Frauen (meist puellis publicis)
und 26 Männern, welche an Syphilis litten.
Versuche mit Einspritzungen von grauem
Oel gemacht. Im Ganzen erhielten die
Männer 154, die Frauen 393, also ungefähr
je 5 Injectionen. Nur bei drei Frauen ent-
wickelten sich an den Einstichstellen im
Ganzen fünf Abscesse (bei einer Frau 3,
bei den beiden anderen je einer), welche
jedoch in kurzer Zeit nach spontanem Auf-
bruch wieder verheilten; sie waren in der
ersten Zeit der Behandlung entstanden, unter
den letzten 400 Einspritzungen wurde keine
Abscessbildung mehr beobachtet. Stomatitis
trat drei Mal bei den Männern, 17 Mal bei
den Frauen auf und zwar in zwei Fällen,
wo nur 1,2 Oleum cinereum angewendet
war. Bei einer Patientin wurden in 8 Wo-
chen im Ganzen 3,3 Ol. einer, in sechstägigen
Zwischenräumen in Einzeldosen von 0,3 bezw.
0,4 injicirt. Hier entstand ulcerose Stoma-
titis, Nekrose des Unter- und Oberkiefers mit
Verlust eines Theils der Zähne. Stomatitis
trat nicht mehr auf, seit pro dost nicht
mehr als 0,3 und insgesammt 1,5 bis 2 g
injicirt wurden. Bei 13 Patienten stellte
die Mundentzündung sich erst nach Entlas-
sung aus dem Hospital ein, wahrscheinlich
weil durch die bei der Bewegung stärkere
Muskelthätigkeit das in den Muskeln abge-
lagerte Quecksilber schneller resorbirt wird
als bei Korperruhe. Der Einfluss der Be-
handlung auf das Allgemeinbefinden war
sehr günstig (Zunahme des Korpergewichts).
Von den 107 Patienten wurden geheilt 77,
gebessert 11, ungehcilt 3, verlegt 3, im Be-
stand blieben 13. Die durchschnittliche
Behandlungsdauer betrug 45 Tage. In der
Schnelligkeit der Wirkung schien zwischen
grauem Oel und grauer Salbe ein Unter-
schied nicht zu bestehen.
Zur Verwendung gelangte das graue Oel
nach der Angabe von Lang:
IV Hydrargi
Lanolini aa 3,0
Adde
Ol. Oliv. 4,0.
Alle 8 Tage wurde in der letzten Zeit
der Versuche in die Nates eine Dosis von
0,3 Ol. einer, injicirt, nach 5 Einspritzungen
eine Pause von 6 bis 8 Wochen gemacht,
und wenn nothig wiederum injicirt. Die
Einstichstelle, an der fast stets Infiltration
entsteht, die nach 1 bis 2 Wochen wieder
verschwindet, wird mit Jodoformcollodium
bestrichen. Die Injectionen machten nur
geringe Schmerzen. Recidive verhindert das
Ol. einer, ebensowenig wie die anderen An-
tisyphilitica. Verf. fasst die Erfahrungen
über das Ol. einer, in der Therapie der
Lues so zusammen:
„Das graue Oel ist ein Antisyphiliticum,
das in der Sicherheit der Wirkung von der
grauen Salbe und, wie es scheint, von Ca-
lomel um etwas übertroffen wird.
Die Methode ist gefahrlos, so lange die
Dosirung in den angegebenen Grenzen bleibt,
und sobald nur die Kranken, auf die Ge-
fahren einer Mundentzündung aufmerksam
gemacht , eine einigermassen ordentliche
Mundreinigung vornehmen.
Die nahezu absolute Schmerzlosigkeit
der Einspritzungen gestattet eine ambulante
Behandlung der Kranken; die Anwendungs-
weise — alle 8 Tage eine Injection — ist
die denkbar bequemste: alles Punkte, die
dem practischen Arzt das Mittel mit Recht
empfehlenswerth erscheinen lassen. In der
Hospitalbehandlung aber, wo es an sach-
verständiger Controle nicht fehlt, steht die
Schmiercur unseres Dafürhaltens noch un-
übertroffen da."
{Deutsche med. Wockenechr. 1889, No. 35.)
George Me/jitr {BerVaC)»
61
482
Referate.
pIlierapentlaG^
L Monatshefte.
Experimentelle Untersuchungen über die Resorp-
tion des Quecksilbers bei den subcutanen
Calomelinjectionen. Von Dr. Cheminade
(Bordeaux).
Der Verf. injicirte einem Kaninchen in-
nerhalb fünf Tagen vier Mal je eine halbe
Spritze folgender Lösung
flp Galomel. vapor. pai*at.
Natr. chlorat. aa 5,0
Mucil. gum. arab. 2,0
Aq. destill. 50,0,
todtete das Thier, welches sich völlig wohl
befunden hatte, einen Tag nach der letzten
Einspritzung und untersuchte die vier In-
jectionsstellen. Bereits einen Tag nach
der letzten Injection konnte an deren Ort
keine Flüssigkeit mehr gefunden werden.
In dem Gewebe entstehen zuerst Ekchymo-
sen und Vascularisation, später verliert das-
selbe seine dunkle Farbe und wird weiss-
gelblich. Das Quecksilber selbst wird in natura
resorbirt (das Galomel setzt sich im Körper
theils in Hg, theüs in Sublimat um) und
zwar ziemlich langsam.
(Verf. meint, dass Vergiftungen nach
Quecksilberinjectionen, deren auf dem letzten
internationalen Dermatologencongress in
Deutschland Erwähnung geschah, nur nach
^ enormen^ Dosen des Mittels einträten, da
jenes Versuchsthier, ohne irgend welche
Störungen zu zeigen, in 5 Tagen 0,2 g er-
hielt. Nun ist aber die Disposition dem
Quecksilber gegenüber individuell eine sehr
verschiedene, so dass manche Patienten be-
reits nach Anwendung geringer Quecksilber-
mengen schwere Intoxicationserscheinungen
darbieten können, wie neuere Publicationen
aus Deutschland, welche Verf. allerdings
nicht zu kennen scheint, beweisen, während
andere Personen grössere Mengen des Mittels
ohne Beschwerden vertragen. Femer darf
man doch nicht, wie der Verf., die an
einem Thier gemachten Erfahrungen ohne
Weiteres auf Menschen übertragen. Was
einem Kaninchen nicht schadet, braucht
nicht auch für den menschlichen Organis-
mus unschädlich zu sein und umgekehrt.
D. Ref.)
{L Union mid. 1889, No. 98.)
George Meyer {Berlin).
Toxikologie.
Vergiftung mit concentrirter Carbolsäure bei
einem diphtheriekranken Kinde. (Heilung.)
Von Dr. A. Model, K. Bezirksarzt a. D. in
Memmingen. (Originalmittheilung).
L. D., 9 jähriges Mädchen, übernahm ich
am 25. Juni d. J. zur Behandlung an einer
länger unerkannt und unbehandelt gebliebe-
nen Diphtherie, welche sich sowohl durch
die schweren Allgemeinerscheinungen (hohes
Fieber etc.), als durch die Corrosionen im
Isthmus faucium, sowie durch Betheiligung
des Larynx auszeichnete. Es bestand heisere
Stimme, Athmungshinderniss, bei tiefem
Athmen Stridor.
Unter der persönlich geleiteten, vorsich-
tigen, genau auf die diphtherisch veränder-
ten Partien beschränkten Sublimatbehand-
lung ^) und einer ebenso rigorosen und häu-
^) Ich habe diese Methode, welche sich von
der des Herrn Collcgen Canstatt in Uragaaj
(Bayr. ärztl. Int.-Blatt 1884, No. 10) unterscheidet,
frfiher wiederholt in meinen amtlichen Sanit&tsbe-
richten erwähnt, und im Mfixz 1887 in Briefen an
zwei Freunde, worunter ein hervorragender innerer
Kliniker. Dieser meinte, die Methode sei zu ge-
fährlich. Ich kann versichern, dass ich gerade bei
figen Reinigung der Fauces und Nasenhöhlen
(mit einer vorzüglichen Nasen-Rachenspritze),
wie sie mir seit längeren Jahren die erfreu-
lichsten und raschesten Resultate ergeben
haben, war das Kind am 30. Juni so weit,
dass dasselbe, obwohl durch die schwere
Diphtherie stark heruntergekommen, in we-
nigen Tagen aus der eigentlichen, regulären
diesem Vorgehen niemals auch nur das geringste
toxische Symptom gesehen habe. Auch bei kleinen
Kindern nicht, mit oder ohne Anwendung der treff-
lichen V. Bruns^schen Mundsperre. Der Pinsel ist
aber wegen leichten Abfliessens und unsicherer
Handhabung nnbedinst zu verbannen. Mit dem
an starkem Stiel fest aufgebundenen runden
Schw&mmchen lässt sich dagegen unter Schonung
der intact gebliebenen Nachbartheile sicher ope-
riren. Bei keinem anderen Verfahren sah ich die
Reinigung der diphtherischen Geschwüre so auf-
fallend rasch erfolgen. Auch auf die Temperatur
scheinen die häufigen nachdrücklichen TonchimneeD
einen sehr wohlthätigen Einfluss zu üben, wie Herr
Dr. Eman. Weber-Kronach, früherer Assistent
bei Herrn Geheimrath E. v. Bergmann (damals
in Würzburg), mir bestätigte. Die Methode ist
jedoch nur da anwendbar, wo der Arzt Alles ge-
nügend oft selbst besorgen oder genau controliren
kann.
ttt. Jatirgang. ^
October 1889. J
Tozikoiogla.
483
BebandluDg hatte entlassen werden können.
Es hatte nur noch seine roborirende weinige
Chinamixtur zu nehmen und zu gurgeln.
Abseits stand — mit warnender Aufschrift
und auffallendem, grossem Giftzeichen (Tod-
tenkopf) versehen — das etwas grossere
Glas mit 90 **/o Carbolsäure, über dessen ge-
fahrlichen Inhalt Jeder informirt war und
wusste, dass das Gift lediglich zu Des-
infectionszwecken bestimmt war.
Durch einen unglücklichen Zufall kam
nun das isolirte Giftglas auf den Tisch, auf
welchem die Chinaarznei stand, und — »^ganz
in Gedanken^* — fand Seitens der durch
Nachtwachen erschöpften, höchst aufopfern-
den und ausgezeichneten Pflegerin die ver-
hängnissYolle Verwechslung statt — unter
umständen, deren Schilderung hier zu weit
fuhren würde, welche aber den Missgriff mög-
lichst entschuldigen lassen.
Am 30. Juni, früh nach 6 Uhr bekam
also das Kind einen Tollen Esslöffel
Acidum carb. liquefactum, und zwar in
den noch leeren Magen und schien sehr
bald bewusstlos geworden zu sein. Ehe
dies jedoch Tollständig eintrat, wurde nach
dem durch das Schreien etc. entdeckten
Missgriff die Vergiftete von ihrem Vater
noch angerufen ein paar Schluck Wasser zu
trinken, wovon ein ganz geringer Betrag
noch in den Magen gelangt sein mag. Un-
glücklicherweise war ich — sonst früh im
Hause gewöhnlich der Erste — in Folge
von Schlafunterbrechung zu jener Stunde
noch zu Bette, als keuchend und jammerer-
füllt der Vater in mein Zinmier stürzte, wo-
bei wir beide glaubten, dass es wohl bereits
zu spät sei. Es schien auch entschieden so,
wie der Status praesens lehren wird. Sofort
rief ich meinem Dienstboten zu: »Ein hal-
bes Pfund Glaubersalz aus der nächsten
Apotheke so schnell als möglich in's D.'sche
Haus!" eilte rasch angekleidet in mein Ar-
beitszimmer, raffte aus dem Instrumenten-
schrank die nöthigen Instrumente zusammen
und begab mich so eilig als möglich in das
ca. 3 Minuten entfernte Unglückshaus.
Das arme Kind lag — vollständig re-
gungs-, empfind ungs- und be\\nisstlos, an-
scheinend soeben verröchelnd (schwaches
Tracheairasseln ohne jede sichtbare Ath-
inung). Der ganze Körper war kalt und
feucht, von Puls und Herzschlag nichts mehr
wahrnehmbar, die halb geöffneten verdrehten
Augen mit sehr weiten Pupülen erschienen
völlig gebrochen, und die allgemeine An-
ästhesie war so vollständig, dass die nach
Oben gerollten und flxirten Augäpfel her-
umgeschoben werden konnten, ohne eine
Spur von Reaction Seitens des Orbicularis
auszulösen. Von einer Bewegungsfähigkeit
am ganzen Körper nicht mehr die geringste
Spur — kurz — das Leben schien bereits
entflohen.
Anfangs blieb naturlich zum genaueren
Untersuchen nicht eine Secunde Zeit; es
konnte somit dieser Status praesens theil-
weise erst später in den momentanen Pausen
ärztlicher Arbeit festgestellt werden. Dies
war um so leichter möglich, als nach fast
2 stündiger nahezu unausgesetzter Anstren-
gung so ziemlich der gleich hoffnungslose
Zustand noch bestand.
Der leichte Trismus wurde manuell über-
wunden und rasch ein dicker Kork mög-
lichst lateral wärts eingerollt. Das Hinunter-
fuhren einer Schlundsonde (für Kinder) und
Einspritzen von ca. 1 Liter der bereits fer-
tigstehenden Glaubersalzlösung mit meiner
„Diphtheriespritze"*) — sit venia verbo! —
war das Werk eines Augenblicks. Fast
ebenso rasch wurde ein grosser Theil des
ganz wässerig-schleimigen Mageninhalts wie-
der herausgezogen, welcher intensiven Car-
bolgeruch verbreitete und sofort neue Salz-
lösung nachgefüllt.
Da gelang plötzlich das weitere Aus-
pumpen nicht mehr, die Fenster der Sonde
für Kinder schienen zu klein und verlegt.
Sie wurde daher sofort ausgezogen und
schnell das starke vom unbiegsame und
verdickte Schlundrohr für Erwachsene ein-
geführt. Es war mir diese Nothwendigkeit
wegen der durch die diphtherischen Ge-
schwüre hart mitgenommen gewesenen me-
dialen Rachenpartien und wegen des ge-
fährdet gewesenen Kehlkopfes nicht ganz
gleichgültig, deshalb hatte ich anfangs ein
geringeres Sondencaliber vorgezogen. Von
da an hatte jedoch das Auspumpen mit
Glaubersalzlösung keine Schwierigkeiten
mehr. So wurde mit jener Lösung wieder-
holt (im Ganzen 5 mal) gründlich ausge-
waschen, bis man keine Spur von Phenolge-
ruch mehr wahrnehmen konnte und dann
ca. 200 g Weisswein eingespritzt. Inzwischen
waren Schwefeläther und meine Pravaz-
Spritze eingetroffen und es wurde eine vollö
Spritze Aether subcutan injicirt, was eine
Andeutung von Schmerzempfindung hervor-
zubringen schien. Jede Pause zwischen
diesen Manipulationen wurde für Hautreize
und zum Wiederhervorrufen der Athmung
ausgenützt. Letztere hatte nicht gänzlich
aufgehört, sondern unwahrnehmbar leise fort-
') Eine vortreffliche grosse Leiter 'sehe Hart-
gummispritze, mit mehreren CaDülen für Injec-
tionen. Schon vor 22 Jahren Hess ich noch ver-
schiedene coniBche Aufsätze für die Nase daran
anbringen, speciell auch für Diphtheriebehandlang.
61*
484
Toxikologie.
rrhempendsdie
L MonfttBbefte.
bestanden, da nach einer Stunde und yiel
länger noch das Trachealrasseln zu hören
war.
Wie schon einmal bei einer hochgradi-
gen Morphiumvergiftung zu Nordlingen^),
so liess ich auch bei dem gegenwärtigen
an ästhetischen Zustand zeitweise alle paar
Augenblicke den kalten Wasserstrahl aus
meiner Spritze auf der Stime und dem
Manubr. sterni zerstieben, was nach über
2 Stunden ärztlichen Manipulirens endlich
einmal eine kaum merkliche Abwehrbewe-
gung mit einem Finger auslöste. Auch wur-
den häufig mit den schnell und tief ein-
gehenden Fingern zähe Schleimmassen aus
den Fauces und der Nähe der Kehlkopfs-
apertur entfernt, nachdem dieselben nicht
expectorirt werden konnten.
Während aller dieser Handlungen wurde
der erkaltete, gefühllose und zusammenge-
brochene Eindeskörper — unten mit warmen
wollenen Decken bedeckt, von starken Män-
nern auf einem Stuhle sitzend festgehalten,
und zwar wurde von dem einen der Kopf
sanft am Haupthaare emporgezogen, um die
Operationen mit den Schlundsonden bei her-
vorgezogener Zunge leichter ausführen zu
können. Ich zog jedoch jenen eingespritz-
ten Wein (leichter Tischwein, wie man ihn
gerade zur Hand hatte) wieder heraus,
wusch der Sicherheit halber noch einmal
mit Glaubersalz aus und injicirte dann, als
ich mich wiederholt von der Abwesenheit
allen Phenolgeruchs überzeugt hatte, allmäh-
lich ^li Liter Champagner. Sehr langsam
wurden nun beim Anspritzen und den üb-
rigen Proceduren die Zeichen rückkehrenden
Gefühls durch yerschiedene Reflexbewegun-
gen deutlicher. Allmählich war ein schwacher
frequ enter Herzschlag wieder hörbar, jedoch
nach 2^2 Stunde Arbeitens weder an der
Radialis, noch sonst an einer Arterie eine
Spur von Puls wahrzunehmen. Aber eine
ganz flache Respiration wurde auch wieder
sichtbar, wenn auch das grossblasige Ras-
seln immer noch bestand, das erst nach
3 Stunden allmählich verschwand, nachdem
mit dem Nachlassen der Anästhesie und dem
Wiedererwachen des Bewusstseins ein schwa-
cher Husten eingetreten war.
Etwa um 10 Uhr Vormittags, nach fast
4 stündiger, wesentlich ununterbrochener Ar-
beit war Alles gewonnen, die Kleine aller-
dings ausserordentlich prosternirt, und der
Radialpuls endlich wieder als ganz dünnes
Fädchen fühlbar. Bis Abends erfolgte oft-
mals Erbrechen. In kleinen Quantitäten
wurde jetzt häufig flüssige Nahrung, nament-
*) Cf. Bayr. ärztl Intelligenzblatt 1871, No. 46,
pag. ö74.
lieh Milch, eingeflösst und geschluckt, da-
zwischen auch etwas Champagner mit Eis-
pilien gegeben, der aber das Erbrechen eher
zu begünstigen schien. Stuhlgang erfolgte
trotz der grossen, temporär einverleibten
Mengen Glaubersalzlösung erst Abends nach
wiederholten Klystieren. Eine besondere
Erregung durch den per Spritze und später
per OS reichlich gegebenen Champagner war
durchaus nicht wahrnehmbar, obwohl er lange
im Magen verweilt hatte, bis nach dem Er-
wachen das erste Erbrechen eingetreten war.
Bei Rückkehr des Bewusstseins hatte Pat.
keine Idee von Allem, was mit ihr vorge-
nommen war. Den Tag über wurde noch
über Brennen im Schlund und Druck im
Magen geklagt, letzteres auch noch am
nächsten Tag. Im Gaumen zeigte sich an
den Tonsillenresten (soweit sie die Diph-
therie verschont hatte), ferner an den Arcus
und der Uvula milchweisse Färbung durch
das Yorbeipassiren der Phenylsäure. Am
rechten Mundwinkel war auch die äussere
Haut verätzt — mit nachfolgender Schorf-
bildung. Seit der Rückkehr des Bewusst-
seins wurden reichlich Ernährungsklystiere
zugleich gegeben. Nachts folgte ein tiefer
Schlaf; am 1. Juli spielte das matte, zwei
schweren Gefahren entronnene Kind da-
zwischen doch wieder ganz munter, obwohl
ein deutlich wahrnehmbarer Fieberzustand
da war. (Abends T. 39®, Puls 130, am
1. 7. allmählich abnehmend, am 2. 7. war
das Fieber verschwunden.) Inwieweit der-
selbe nach Maassgabe der verschiedenen in
Betracht kommenden Factoren als „Carbol-
fieber" aufzufassen ist und wie sich letztere
an der Gesammterscheinung betheiligen,
dürfte schwer festzustellen sein. Unzweifel-
haft ist, dass das Kind bei der Vergiftung
schon mehrere Tage vorher fieberfrei ge-
wesen war, daher von einer directen Betbei-
ligung des vorausgegangenen diphtherischen
Processes keine Rede mehr sein konnte.
Vom 1. Juli an wurde wieder tüchtig
flüssige Nahrung (immer wenig, aber sehr
oft) und Wein genommen, und es folgte unter «
der thunlichst forcirten Ernährung eine er-
freulich rasche Reconvalescenz.
Zu Untersuchungen des Harnes („Car-
bolharn^ bestand nie) und der Magenspül-
flussigkeit auf Phenolgehalt fehlte mir leider
jede Müsse. Denn die persönlich (anfangs
fast stündlich) vorgenommene Localbehand-
lung der schweren Diphtherie und dann die
bald darauf folgende Vergiftung hatten meine
Zeit bedauerlich absorbirt.
Jenes so sehr geschwächte und oligä-
misch gewordene Kind dürfte unter ungün-
stigsten Verhältnissen (leerer- Magen etc.)
in. Jahrgang. 1
October 1888. J
Litteratur.
485
wohl die 20 — SOfache Menge der für dieses
Alter und nach solchen Antecedentien todt-
lichen Dosis an concentrirter Carbolsäure
erhalten haben^).
Ich hatte den Eindruck, dass ein paar
Minuten — yielleicht noch weniger — Ver-
spätung schnellsten energischen Vorgehens
wohl genügt haben würde, um diejenigen
Veränderungen im Chemismus herbeizufüh-
ren, aus welchen eine Rückkehr ins Leben
nicht mehr möglich ist, und ich mochte fast
glauben, dass in der ganzen Litteratur der
Carbolsäurevergiftungen einer der bemer-
kenswerthesten Fälle hier vorliegt.
Ein Fall von CocaYnvergiftung. Von Reg.-Arzt
a. D. Dr. J. Stein (Saaz).
Vf. berichtet über das Auftreten von
lotoxicationserscheinungen bei einem 274-
jährigen Mädchen nach Anwendung eines
Cocalnsuppositorium (R. Cocain, muriat. 0,5.
Butyr. Cacao q. s. ut f. suppositor. No. III).
Eine Stunde nach Application desselben er-
wachte das Kind aus dem Schlafe, begann
lebhaft mit den Händen herumzuwerfen und
beständig zu sprechen. S. fand das Kind
27a Stunden nach der Anwendung sehr er-
regt, ängstlich, lebhaft gestikulirend, mit
den oberen Gliedmassen Bewegungen nach
Art von Choreakranken ausführend und ohne
Unterbrechung sprechend. Die Pupillen
waren etwas erweitert, der Puls gespannt,
nicht auffallend frequent, die Athmung etwas
beschleunigt. Nach Anwendung von kalten
Umschlägen auf den Kopf beruhigte sich
das Kind im Laufe von weiteren vier Stun-
den und war am folgenden Tage wieder her-
gestellt.
{Prager Med. Wockenschr, 1889, No. 32.)
rd.
liitteratnr.
Handbuch der Krankheiten der weiblichen
Gcschlechtsorg^ane von Dr. Carl Schröder.
9. Auflage, umgearbeitet und herausgegeben
von M. Hofmeier, o. ö. Prof. der Gcburts-
hülfe und Gynäkologie in Würzburg.
Die Beliebtheit, welcher sich das vor-
liegende Lehrbuch bei Aerzten und Studi-
*) Cf. Falck, Pract. Toxikologie p. 205, wo
daa letale Minimum für Erwachsene (wenigstens für
reine flüssige Carbolsäure) mit 15,0 g jedenfalls zu
hoch angegeben sein dürfte. Zutreffender scheint
Prof. Kobert's Angabe zu sein (cf. dessen neue
Bearbeitung von W erb er' s Lehrbuch 1887, p. 68),
welcher ^bei Einfuhr in eine Körperhöhle viel
weniger als 1 g" für tödtlich hält.
renden erfreut, findet ihren Ausdruck in der
abermals nothwendigen Neuauflage des Wer-
kes, welches zum ersten Male von dem her-
vorragenden Schuler und Freunde des ver-
storbenen Schröder bearbeitet wurde. Wenn
auch Hofmeier pietätvoll im Grossen und
Ganzen den Worten und Anschauungen
Schröder' s Rechnung getragen hat, so ist
doch sowohl äusserlich manches verändert
und u. A. eine Umstellung und andere Ver-
theilung des Stoffes vorgenommen worden.
Auch bezuglich des Inhaltes der einzelnen
Capitel und Abschnitte musste theils mit
Rücksicht auf neuere Arbeiten, theils auf
eigene, abweichende Anschauungen des Yerf.'s
selbst eine theilweise Umarbeitung vorge-
nommen werden, so vor Allem der die
Tubenerkrankungen behandelnden Abschnitte.
— Das äussere Gewand des Buches ist das*
selbe geblieben.
LohnsteiH.
Lenbe, Handbuch der speciellen Diac^fnose der
inneren Krankheiten. Leipzig 1889, C. F.
W.Vogel.
Das kürzlich in seiner ersten Hälfte er-
schienene Handbuch Leube's von der spe-
ciellen Diagnose der inneren Krankheiten
bildet insofern eine seltenere Erscheinung
auf dem Gebiete der Lehrbücher der inter-
nen Medicin, als es sich ausschliesslich in
eingehender Weise mit der Diagnostik be-
schäftigt. Die bedeutendsten Errungen-
schaften der ärztlichen Wissenschaft in den
letzten Jahrzehnten sind auf den glänzen-
den Fortschritten in der Diagnostik begrün-
det; das Gebiet derselben hat dabei aber
derartige Ausdehnungen erreicht, dass selbst
die ausführlichsten Handbücher der internen
Medicin ihm allein nicht genügend Rech-
nung tragen konnten, wie denn auch das
Werk Leube's beweist, wie gross der Um-
fang dieses einen Capitels aus der Patho-
logie im Laufe der Zeit geworden ist.
Der Inhalt des Lehrbuchs trägt allent-
halben den Stempel der Originalität, denn
es ist die eigenste Schöpfung seines Autors,
des berühmten Klinikers, welcher seine lang-
jährigen Erfahrungen darin niedergelegt und
auch weiteren Kreisen zugänglich gemacht
hat. Unter den Vorzügen des Werkes ver-
dient in erster Reihe seine Vollständigkeit,
wenigstens soweit es bis jetzt erschienen ist,
hervorgehoben zu werden. Es dürfte nicht
leicht ein Punkt auch aus den entlegensten
Gebieten in ihm unberücksichtigt geblieben
sein, und der Praktiker wird selbst in den
schwierigsten Fällen stets Rath und Be-
lehrung daraus schöpfen können. Und trotz
der rühmenswerthen Ausführlichkeit des In-
486
Litteratur.
rlieirftp«atiMlM
MonaUbefte.
halts wild dem Leser die Orientirung leicht
werden, denn Klarheit des Ausdrucks und
der Gedanken und eine leichtfassliche Dar-
stellung tritt alierwärts zu Tage. Dieser
Vorzug der leichten Verständlichkeit ist nicht
zum geringsten Theile dadurch erreicht, dass
der Autor es vermieden hat, durch allzu-
grosse Schematisirung, dem Wesen nach zu-
sammengehörige Krankheitsgruppen bis in's
Einzelne zu trennen; so wird z. B. die acute
Endocarditis einheitlich abgehandelt und auf
ihre klinisch nicht gerechtfertigte Rubrici-
rung in einzelne Formen aus ätiologischen
oder anatomischen Gründen verzichtet, oder
die entzündlichen Erkrankungen der Niere
werden nur in drei Formen unterschieden,
die acute Nephritis, die parenchymatöse Ne-
phritis (weisse Niere mit secundärer Schrumpf-
niere) und Schrumpfniere sens. strict. Die
Vermeidung einer seh ematisir enden Behand-
lung des Stoffes war auch von wesentlich
günstigem Einflüsse auf die stylistische Seite
des Werkes. Der Autor hat es verstanden,
die Leetüre durch eine ansprechende Form
der Darstellung und des Ausdrucks genuss-
reich zu gestalten und Trockenheit und
Längen zu vermeiden. Ein nicht geringer
Vorzug dieses Lehrbuchs der Diagnostik ist
es endlich, dass auch die Grenzen des dia-
gnostischen Vermögens mit rückhaltloser
Offenheit fast in jedem Capitel scharf be-
zeichnet sind. Das Werk umfasst bis jetzt
die Krankheiten der Brust- und Unterleibs-
organe. Die äussere Ausstattung ist eine
angemessene. Eine glänzende Aufnahme und
eine rasche und weite Verbreitung ist ihm
gesichert.
Bosin {Breilau).
Mltthellnngren ans Dr. Brehmer's Heilanstalt für
Lungenkranke in Görbersdorf. Herausge-
geben von Dr. Hermann Brehmer, dirigi-
render Arzt. Wiesbaden, Bergmann 1889.
Der Herausgeber, welcher hervorhebt,
dass die Lungenschwindsucht gegenwärtig
im Vordergrunde des ärztlichen Interesses
stehe, dass dieses Interesse jedoch der
Thätigkeit der Laboratorien, nicht aber der
klinischen Institute entstamme, bezeichnet
diesen Umstand als eine Lücke, welche er
durch Mittheilungen aus seiner Anstalt aus-
zufüllen beabsichtigt. Bei der Bedeutung
des Verfassers und seiner Anstalt für die
Behandlung der Lungenschwindsucht ist
diese Absicht, die von ihm erhaltenen Re-
sultate wissenschaftlich auszunutzen, dank-
bar zu begrüssen. Das Werk erhält noch
dadurch eine werthvolle Vergrösserung, dass
Brehmer auch Mittheilungen seiner Assi-
stenten aus denjenigen wissenschaftlichen
Hilfsinstituten publicirt, mit welchen er in
opulenter Weise seine Anstalt ausgerüstet
hat, aus dem chemischen, meteorologischen
und bakteriologischen Laboratorium. Das
Werk enthält zehn Arbeiten von verschie-
denem Charakter und Umfang, zunächst
einen ausführlichen ärztlichen Bericht über
die Heilanstalt im Jahre 1888 vom Ver-
fasser selbst. Dieser Bericht ist reich an
Einzelheiten, die von Interesse für die
Aetiologie und Prognose der Krankheit unter
der von ihm eingeführten Behandlung sind.
Zu Grunde gelegt sind dem Bericht 506 Fälle,
von diesen entsprechen 484 den genealogi-
schen Bedingungen, welche Verf. in seiner
„Aetiologie^ als maassgebend für die Erlan-
gung der Disposition zur Phthise aufstellte,
nämlich der Vererbung, der directen und
der indirecten Anpassung, und nur in
7 Fällen konnte nichts Gemeinsames in Be-
zug auf die Abstammung gefunden werden.
Diese genealogischen Verhältnisse sind nach
Brehmer wichtiger als die Erblichkeit, auf
sie kamen 59,3 ^/o, während auf die Erblich-
keit nur 30 % zu rechnen waren. 88 % der
beobachteten Fälle waren schwache Esser.
Schliesslich kommen für die Entstehung der
Phthisis noch mechanische Momente in Be-
tracht, denn unter den beobachteten Fällen
(im Ganzen 554) war 462 mal die linke
Lunge zuerst erkrankt, und nur in 92 Fällen
die rechte; in diesen Fällen aber kamen
oft Abnormität, wie Tieferstand der rechten
Clavicula oder Milztumor zur Beobachtung.
Von den 554 Kranken wurden geheilt 8,8%,
fast geheilt 1 3 °/o, und zwar wurden von
denen des ersten Stadiums 75 % ganz oder
relativ geheilt; die daraus folgende Mahnung
ergiebt sich von selbst.
Hieran schliesst sich von klinischen Mit-
theilungen eine Arbeit von Polyak über die
Fluorwasserstoffbehandlung, welche zu dem
Resultat kommt, dass die Methode nicht nur
wirkungslos ist, sondern auch direct schaden
kann, eine empfehlende Mittheilung von
Jett er über das Preyer'sche Abkühlungs-
verfahren im Fieber, eine längere Arbeit
von Stachiewicz über die Milchsäurebe-
handlung der Kehlkopf seh windsacht und
deren günstige Resultate. Neben den an-
deren Arbeiten verschiedenen Inhalts, einer
Mittheilung von Brehmer meteorologischen
Inhalts, einer Abhandlung von Wendriner
zur Zuckerbestimmung im Harn, und kleine-
ren bakteriologisch -technischen Notizen von
Stroschein bedarf noch einer besonderen
Hervorhebung eine grössere experimentelle
Untersuchung von Wysokowicz über die
Passirbarkeit der Lungen für Bakterien, in
welcher der Vf. im Gegensatz zu Büchner
IILJ«lirgmiif.l
OctotMT 1889. J
Littentur.
487
zu dem Resultat kommt, dass das normale
Lungen gevebe für Mikroorganismen unpassir-
bar ist.
Dem Werke sind eine grössere Zahl von
Curventafeln zur Erläuterung der meteoro-
logischen Abhandlung beigefügt.
A. GotltUin (Berlin),
Jahrbuch der practlschen Medicin. Begründet
von Dr. Paul Börne r. Herausgegeben von
Dr. S. Guttmann, Sanit&tsrath m Berlin.
Jahrgang 1889, Stuttgart, Enko.
Von dem Jahrbuch der practischen Me-
dicin, welches unter der Mitwirkung be-
rufenster Vertreter der medicinischen Wissen-
schaft und Praxis durch die Mühewaltung
des verdienstToUen Herausgebers in einheit-
lichem Charakter redigirt wird, liegt der
Bericht für das Jahr 1888 diesmal in einem
Theile in der Stärke Ton fast 800 Seiten
vor. Die Aufgabe, welche der Verfasser
sich gestellt, dass die wirklichen Ergebnisse
des abgelaufenen Jahres unter strenger Fest-
haltung an der wissenschaftlichen Methode
als der Grundlage ärztlichen Könnens dem
Praktiker in abgerundeter Form und in be-
rechtigter Vollständigkeit als Ausgleich
für die durch die Zersplitterung der Fach-
presse geschafiPenen Schwierigkeiten der
Orientirung dargeboten werden, ist in dem
vorliegenden Jahrbuch durchweg erfüllt.
Die einzelnen Abschnitte, von denen die-
jenigen über Respirations-, Herz- und Con-
stitutionskrankheiten durch Schwalbe, über
Haut- und venerische Krankheiten durch
Joseph und derjenige über öffentliche Ge-
sundheitspflege durch A. Pfeiffer-Wiesbaden
neue Bearbeiter erhalten haben, zeichnen
sich durch Abrundung und Vollständigkeit,
sowie kritische Sichtung, einige ganz be-
sonders durch Lebhaftigkeit der Darstellung
aus und sind ausserordentlich geeignet zur
Orientirung über die Fortschritte der Dis-
ciplinen und im Einzelnen, sowie über den
augenblicklichen Stand sogenannter brennen-
der Fragen.
Ein ausführliches Namen- und Sach-
register bildet den Schluss des Werkes.
Ä. Gollstein (Berlin).
Die neueren Arzneimittel für Apotheker, Aerzte
and Drogisten, bearbeitet von Dr. Bernhard
Fischer. Mit in den Text gedruckten Holz-
schnitten. Vierte vermehrte Auflage. Berlin.
Julius Springer. 1890. 8°. 312 S.
In dem kurzen Zeiträume von kaum
3 Jahren haben wir bereits zum vierten
Male Gelegenheit, das Erscheinen des über-
schriftlich erwähnten Buches zu begrüssen.
Die rasche Aufeinanderfolge seiner Auflagen
dürfte am beredtsten für die Anerkennung
sprechen, die dasselbe in den betreffenden
Fachkreisen gefunden und gleichzeitig auch
als vollgültiger Beweis seines wissenschaft-
lichen Werth es und seiner practischen Brauch-
barkeit dienen. Wer sich für die neuesten
Erscheinungen und Errungenschaften des
Arzneischatzes interessirt und in zuverlässi-
ger Weise sich über dieselben informiren
will, wird in dem verdienstvollen Buche
Alles finden, was er sucht und braucht.
Auf die ungewöhnlich klare, fliessende und
geschickte Art der Darstellung ist bereits
bei Besprechung der früheren Auflagen ganz
besonders hingewiesen worden. — In der
nun vorliegenden vierten Auflage haben die
einzelnen bereits vorhandenen Monographien
wesentliche Aenderungen und dankenswerthe
Vervollständigungen erfahren. Neu aufge-
nonmien wurden: Chloralammonium, Chloral-
amid, Eucalyptol, Exalgin, Hydracetin, Hy-
drargyr. benzoicum, Hydrargyr.imidosuccinic,
Hydrargyr. thymicum (und thymico-acetic),
Hydroxy laminum hydrochloricum, Methacetin^
Methylchlorid, Methylenchlorid, Myrtol, ThioJ.
Der Umfang des Buches hat dadurch wiederum
um 50 Seiten zugenommen. Nach wie vor
kann dasselbe als ein nützlicher und zuver-
lässiger Freund und Rathgeber allen Fach-
männern angelegentlich empfohlen werden.
Babow.
Practische ITotiBeii
und
empfehlenswerthe ArBneiformelii.
Graue Quecksilbersalbe als Abortivum gegen
PanarlÜum. Von Dr. A. Model in Mom-
mingen. (Originalmittheilung.)
Bei unzweifelhaft begonnenen Panaritien
sieht man bekanntlich die Versuche, den
Entzündungsprocess wieder rückgängig zu
machen und damit alle unangenehmen Fol-
gen zu verhüten, fast immer scheitern.
Ich habe es in solchen Fällen des An-
fangsstadiums probat gefunden, die ganze
bedrohte Endphalange, nach genügender anti-
septischer Reinigung, bis zur Längsmitte
des Fingers herab mit einem dicken Hut
von consistentem Ung. einer, dicht zu um-
geben und denselben — mit Sublimatgaze
und sicherndem Gummifinger überzogen —
ununterbrochen liegen zu lassen. Vorderarm
und Hand in Mitella. Wo der Process nicht
allzuweit vorgeschritten war, sah ich öfters
— besonders im jugendlichen Alter — die
488
Pnetiicha NotSxen und •mpfehlantwartha Arzneiformeln.
rTharapantiiche
L Monatshefte.
objectiven und subjectlven Erscheinungen
sofort allmählich zurückgehen. Schwellung,
Köthung, Hitzegefuhl und das lästige Klopfen
nahmen ab, eigentliche Eiterung trat nicht
ein und die partiell etwa emporgehobene
Epidermis stiess sich später (besonders um
die Anwachsstelle des Nagels herum) ganz,
oder fast ganz trocken ab. Panaritia pro-
funda dürften sich allerdings durch diese
Methode, auch bei bester Ruhe, in ihrer
Weiterentwicklung kaum merklich beein-
flussen lassen.
Terpenthinöl gegen Diphtherie.
Dr. Peabody empfiehlt in „The Omaha
Clinic" bei Diphtherie Terpenthinöl nach
folgender Formel:
IV Ol. Terebinthinae
Sacchari
Gummi arabici aa 7,5
Aq. destillat. 120,0
M. f. lege artis emulsio. D. S. 3 stünd-
lich 1 Theeloffel zu nehmen.
Auch Inhalationen yon Terpenthinol-
dämpfen (auf heisses Wasser) waren oft
nützlich.
Kobert weist in „Fortschritte der Medicin
1889 No. 15" darauf hin, dass die Anwen-
dung des Terpenthinöls durchaus nicht neu
ist. Seine Brauchbarkeit in vielen Fällen
unterliege keinem Zweifel; es dagegen als
eine Panacee ansehen zu wollen, wäre ver-
kehrt.
Abführende Chocolade«
um Ricinusöl in eine angenehme Form zu
bringen, empfiehlt Giraud jun. (Pharmaceut.
Zeitung 1889 No. 50) dasselbe mit Choco-
lade zusammen zu Pastillen zu formen:
Cacaopulver entölt 50,0
Zuckerpulver 100,0
Ricinusöl 50,0
Vanille q. s.
Aus dieser Masse werden Tafeln oder
grossere Pastillen verfertigt. Etwa 10 g
dieser Chocolade sollen bei einem Kinde ab-
führend wirken.
Gegen Meteorismus
empfiehlt Osley (Lancet. Mai 1889) die
Knieellenbogenlage. Ein Patient fühlte so-
gleich, nachdem er diese Lage eingenommen
hatte, vollständige Erleichterung, während
alle anderen Mittel gegen den Meteorismus
nichts geholfen hatten.
Bei Endometritis
hat V. Swiecicki (Allg. med. Centr. Ztg.
1889, 70) in 12 Fällen Morphium angewandt.
Er führte dessen Salz in Losung, gewohn-
•0,005 pro dosi drei Male wöchentlich in
die Uterushöhle ein. Die Behandlung
dauerte durchschnittlich 3 — 4 Wochen, und
er konnte in 7 Fällen eine Besserung und
in 4 Fällen eine vollständige Beseitigung
des üteruskatarrhs constatiren. Nur in
einem Falle war eine derartige einfache Bc-
handlungsweise ohne sichtbaren Erfolg. Erst
die Chlorzinkbehandlung beseitigte die En-
dometritis, die hier wahrscheinlich gonor-
rhoischer Natur gewesen war.
Zur Reposition eingeklemmter Brüche
ist neuerdings der Aetherspray von Tims,
Birt und Lloyd versucht worden. Jedes
Mal war ein günstiger Erfolg zu ver-
zeichnen.
Gegen chronischen Blasenkatarrh
'wird von Prof. v. Mosetig-Moorhof (Wien,
med. Presse 1889) empfohlen, 1 Esslöffel
der folgenden Emulsion:
Vr Jodoformii 50,0
Glycerini 40,0
Aq. dest. 10,0
Gum. Tragacanth. 0,25
in */a Liter warmen Wassers zu vertheilen und
nach vorheriger Reinigung der Blase in die-
selbe einzuspritzen. Jeden dritten Tag eine
Spritze. Nach 3 — 4 Sitzungen soll der
Katarrh geheilt oder gebessert sein.
Gegen nächtliche Incontinentia urinae
wendet Richards mit Erfolg Kalium bro-
matum in Combination mit Tinct. Bella-
donna an. Allein verabreicht wirkte weder
das eine noch das andere Mittel. Vor dem
Schlafengehen giebt er 0,6 Kalii bromati
und gleichzeitig 10 bis 20 Tropfen Tincturae
Belladonnae.
Gegen Fussschweisse
wird (Wiener klin. Wochenschr. 1889 No.34)
folgendes Streupulver empfohlen:
'V Acid. salicylic. 5,0
Alumiuis 2,0
Acid. tannici 3,0
Amyii trit. 90,0.
Behufs Desinfection der Thyphus- und Cholera-
ausleerungen
genügt es nach den Untersuchungen von
E. Pfuhl (Zeitschr. f. Hygiene VI. Bd.,
1889), so lange Kalkmilch zuzusetzen, bis
nach sorgfältigem Mischen jede Probe der
Ausleerung eine starke Bläuung von rothem
Lackmuspapier hervorruft, also eine deut-
liche alkalische Reaction zeigt.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. — Druck von GruaUT Schade (Otto Francke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. November.
Origmalabhandlimgen.
Ueber die Anwendung^ von Jod- und
Brompräparaten per Rectum zu localen
(regrioii&ren) und allgemeinen Heil-
zwecken.
Von
Prof. Heinrich Köbner in Berlin.
Bei der ucgewobnlicli reicbbaltigen Litte-
ratur der letzten zwei Decennien über den
tberapeutiscben Gebrauch bezw. die ver-
schiedenen Gebrauchsweisen der Haloide und
aller ihrer Verbindungen nimmt es Wunder,
so ausserordentlich wenig über die Darrei-
chung derselben, speciell des Jods, des Broms
und ihrer Salzverbindungen, durch das
Rectum publicirt zu finden, obwohl dasselbe
als Applicationsorgan auch dieser Präparate
mannigfache Nutzanwendungen und Vorzüge
darbietet. Ich mochte daher die unter ein-
ander sehr yerschiedenen Heilzwecke, -welche
ich innerhalb Yon etwa 25 Jahren bei ge-
eigneten Fällen damit erfüllt habe und deren
Kreis ich durch die gefällige Mitwirkung
zweier befreundeter Collegen im letzten
Jahre erweitern konnte, sowie die For-
men und Combinationen ihrer Darreichung
weiteren Kreisen bekannt geben, da sowohl
ein hierauf gerichteter Einblick in die
besten deutschen Lehrbücher der Arznei-
mittellehre, sowie der Syphilidologie, als
neuerliche Erkundigungen bei speciellen
Fachcollegen mich gelehrt haben, dass reelle
klinische Erfahrungen Anderer hierüber fast
gänzlich fehlen und es sich allenfalls in
einem oder dem andern dieser Lehrbücher
um hypothetische Möglichkeiten jener Anwen-
dung handelt.
Die rectale Application der Jod- und
Brompräparate habe ich in zweierlei Rich-
tungen sehr brauchbar gefunden:
einmal für locale bezw. regio-
näre Indicationen und zweitens für
die constitutionellen bezw. für
die Heilwirkungen dieser Mittel
auf fern liegende Organe.
Einzig seit langer Zeit bekannt und in
die Praxis, wenigstens seit Schi ei ss von
Löwen feld's^) Empfehlung, eingeführt ist
die Verordnung von Jodkalium in Form von
Suppositorien gegen chronische Pro-
statitis. Schleiss selbst „brachte in der
Regel nur jeden 2. Tag ein keilförmiges,
bohnengrosses Stück einer wachsharten Salbe
(aus 1 Theil Jodkalium auf S^/e Theile Cacao-
butter und ^/e Theil Süssmandelöl) auf der
Spitze seines Zeigefingers, in dessen Nagel
eingehackt, in der Bauchlage des Kranken
auf die vordere Wand der Mastdarmhohle
und rieb es auf der Prostatagegend während
etwa 5 Minuten ein; nachher Hess er den-
selben noch ^4 Stunde in der Bauchlage
verharren". Mit Recht hob Schleiss her-'
vor, dass durch diese locale Einreibung,
welche er schon vor langer Zeit „auf An-
ordnung und Anweisung seines Lehrers
Philipp V. Walther" anwenden gelernt
und bei welcher das Jodkalium end osmotisch
nur die Mastdarm Schleimhaut zu durchdrin-
gen hat, mit einem Male mehr hiervon in
die Prostata gebracht werde, als bei inner-
lichem Gebrauche in Wochen. Nur wo
wegen räumlicher Entfernung der Kranken
es nicht möglich war, die Einreibung selbst
vorzunehmen oder sie durch einen Stell-
vertreter vornehmen zu lassen, hiess Schi,
die Kranken sich selbst „von Zeit zu
Zeit ein solches Stuhlzäpfchen in auf dem
Bauch liegender Stellung einzulegen". In-
dess stiessen ihm selbst schon Fälle auf, in
welchen „die Einreibung innerhalb des
Mastdarms unmittelbar auf die prosta-
tische Hervorragung wegen zu grosser
Schmerzhaftigkeit bei der Introduction des
Fingers nicht ausführbar war", andere, in
welchen auch die Kranken selbst zur Appli-
cation der Zäpfchen sich nicht fähig zeigten.
Solche Hess er als Ersatz entweder jene
Salbe am Perineum einreiben, trotzdem er
diese, von den meisten früheren Autoren bei
Prostataleiden für zertheilend oder schmerz-
lindernd wirkende Salben empfohlene Gegend
wegen der grosseren Entfernung von der
Prostata, d. h. wegen der viel beträch t-
*) Zur Symptomatologie und Therapie dei
Prost&takrankheiten. 1858.
62
490
Köbnar, Anwendung von Jod- und Brompräparatan per Rectum etc.
rlierAptetiiche
Monatahefte.
lieberen Masse der dazwischen liegenden
Gewebe mit Recht für viel ungeeigneter
bält, als den Mastdarm. Oder er Hess zeit-
weise statt der die Schleimhaut zu reizenden
Salbe Klystiere aus der Adelheidsquelle von
Heilbronn geben.
Yon diesen Angaben, deren Wiedergabe
bei dem heute zu Tage herrschenden Mangel
an historischer Gerechtigkeit gegen frühere
verdiente Autoren auch auf dem Gebiete
der uropoetischen und Genitalkrankheiten
mir begründet erscheint, ist in der Praxis
Tielfach abgewichen worden. Zunächst in
Betreff der Suppositorienform. Dieselben
sind wohl von Neueren niemals eigenhändig
eingeführt und im Rectum eingerieben, dafür
aber den Kranken selbst, und zwar in
schwächerer Zusammensetzung und in einer
grösseren Salbenmenge eingehüllt — im All-
gemeinen 0,2 Jodkalium auf 1,0 bis 1,5 Ca-
caobutter — zur Selbsteinführung verordnet
worden.
Ich selbst habe seit langer Zeit Zusätze
verordnet. Der nächstliegende bestand
überall, wo noch eine irgend erhebliche
Empfindlichkeit der allseitig oder nur in
einem Lappen geschwollenen Prostata auf
Druck oder ein reflectorischer Tenesmus des
Mastdarms nach Einschiebung des Zäpfchens,
oder wo noch Tenesmus vesicae mit vermehr-
tem Harndrang am Tage sowie in der Nacht
vorhanden war, in einem Zusatz von Extr.
Beilad., wovon bei nur Imal täglicher Ein-
führung eines 0,25 Jodkalium enthaltenden
Zäpfchens demselben 0,02 bis 0,03, bei
2 maliger nur 0,01 bis 0,015 zugesetzt
wurden. Denn so schnell und angenehm
sich oft genug seine beruhigende Wirkung,
namentlich auf den Blasenhals, kund gab,
so durften doch niemals dem Kranken zu
viel solcher Zäpfchen auf einmal verordnet
werden, d. h. derselbe nicht länger als
etwa 5 — 6 Tage ohne Besichtigung bleiben,
weil selbst bei obiger Tagesdosis zu-
weilen Zerstreuungskreise und Flimmern
vor den Augen, die Unfähigkeit in der
Nähe zu lesen oder kleine Objecto scharf
zu erkennen, als Symptome der den Kran-
ken unbewussten und mit dem Gebrauche
der Zäpfchen nicht in Zusammenhang ge-
dachten Mydriasis und Accomodationsparese
schon nach einigen Tagen auftraten und
zum baldigen Aussetzen nöthigten. Auf
Grund dieser Erfahrungen habe ich seit
Jahren bei jeder Verordnung Belladonna-
haltiger Suppositorien irgend welcher Art')
*) Auch nach Einführung eiues mit Extr. Bella-
donn. in Salbenform bestrichenen Tampons in die
Vagina einer an Parametritis et Oophoritis leiden-
den Wöchnerin habe ich einmal Intoxikationser-
^ 0,25
(1,0),
die Kranken von vornherein angewiesen,
beim ersten Auftreten von Flimmern vor
den Augen und undeutlichem Sehen jene
auszusetzen.
Viel häufiger fügte ich aber Brom-
kalium hinzu aus dem doppelten Gesichts-
punkte, alle sexuellen Erregungen nach dem
Ablauf acuter und während der Dauer chro-
nischer Entzündungen der Prostata resp. des
meistens noch mit erkrankten prostatischen
Theiles der Urethra zu beruhigen, sowie
die resorbirende Wirkung des Jodkaliums
nach Art des gemeinschaftlichen Vorkom-
mens in natürlichen Mineralwässern zu stei-
gern. So verordnete ich früher gewöhnlich:
Kai. iod.
Kai. brom.
Ol. Cacao q. s.
welcher Mischung ich nur selten die oben
erwähnten Dosen von Extr. Beilad. beigab.
Bei empfindlichen Kranken wurde häufig
durch diese Composition, sowie schon durch
die blossen Jodkaliumzäpfchen ein Gefühl des
Brennens iii der Schleimhaut hervorgerufen,
welches durch Belladonnazusatz oft nicht
gemildert wurde und nicht selten zu der Aus-
stossung des Zäpfchens schon nach wenigen
Minuten führte. Dies veranlasste mich, die
Verordnung derselben, da sie immerhin eines
längeren Schmelzens im Mastdarm bis zu
ihrer völligen Verflüssigung bedürfen und,
so lange diese nicht eingetreten, jenen trotz
hohen Emporschiebens oberhalb des Anus
auch mechanisch, besonders bei Lageverän-
derungen der Kranken, reizen, immermehr
einzuschränken und zu Lösungen überzu-
gehen. Es schien mir aber wenig rationell,
zu solchen Kly stieren die so schwachen
natürlichen Jodmineralwässer, wie die oben
genannte Adelheidsquelle, oder deren Ah-
dampfungsproducte,,wie Elreuznacher Mutter-
lauge oder Laugensalzlösungen zu wähleo,
wovon ungefähr */a Liter nöthig sind und
welche unendlich mehr Chlomatrium, Chlor-
calcium und andere für die hier angestrebte
Wirkung entbehrliche Salze enthalten. Viel
rationeller, weil sicher dosirbar, den Kran-
ken viel leichter erträglich, weil wegen der
viel geringeren Schleimhautreizung die Mus-
kelcontractionen der Sphincteren kaum er-
regend, und in gleichen Zeitfristen wirksamer
sind kleine Klysmen von Jodkalium-
lösungen, welchen je nach Bedarf auch
Bromkalium und bei grösseren oder länger
bestehenden oder sich träge verkleinernden
Indurationen der Prostata schon nach weni-
scheinuncen beobachtet. Jahresber. d. schles. Ge-
sellßch. t Vaterland. Cultur für 1865. Bresl. 1886,
p. 139.
Norembe/^9. J KSbner, Anwendung von Jod- und Brompräparaten per Rectum etc.
491
yertheilt auf
10 Elysmata,
für 20
Klysmen,
gen Tagen reine Jodtinctur zugesetzt wird.
So begann ich z. B. mit Lösungen yon:
Kai. iod. 3,0
„ brom. 2,5—3,0
(eyent. nebst
Extr. Bellad. 0,3 !)
Aq. 200,0
so dass bieryon je 20 g in nur 50 bis
100 erwärmten Wassers anfangs täglich 1,
später 2 mal injicirt wurden.
Dem ersten — gewohnlich dem Morgen-
Klysma — liess ich ein grösseres Reini-
gungsklystier aus kühlem Wasser voraus-
schicken, nach der YöUigen Entleerung des
Rectums behufs YÖlligen Aufhörens des
Stuhldranges '/a ^^8 1 Stunde warten, bevor
der in das Bett zurückgekehrte Patient sich
in der Seitenlage jene kleine Arzneiein-
giessung machte, mit welcher er noch min-
destens ^/4 Stunde liegen zu bleiben ange-
wiesen wurde. Weiterhin stieg ich z. B. auf
Kai. iod. 10,0
„ brom. 8,0—10,0
(event. nebst
Extr. Beilad. 0,6)
Aq. 300,0
also je 15,0 dieser Lösung nebst 80 bis
100 g Wasser, 2mal täglich zu injiciren.
Höchst wirksam und überraschend gut
vom Mastdarm tolerirt fand ich nun Zu-
sätze reiner Jodtinctur, welche ich
vorzog, von diesen Lösungen gesondert
vorräthig halten zu lassen, um die Zahl
ihrer hin zuzu träufelnden Tropfen an jedem
beliebigen Tage variiren zu können. Von
3 Tropfen während etwa 3 bis 5 Tagen liess
ich auf 5, 6, nach einigen Wochen auf 9 bis
10 Tropfen für jedes solches Klysma steigen,
ohne jemals Zeichen einer Schleimhautentzün-
dung zu beobachten. Wohl aber ging die Ab-
schwellung der Prostata und, wo sie vorhanden
war, auch die katarrhalische Hypersecretion
derselben rascher als vorher zurück, und wie-
derholt machte der verminderte Tenesmus
vesicae den Zusatz des Belladonnaextractes
entbehrlich. Mehrere Kranke, welche den
Beginn ihrer häufig gar nicht diagnosticirten
und meistens durch schablonenmässig ver-
ordnete mehrmonatliche Urethralinjectionen
gesteigerten chronischen Entzündung beider
Seiten- und in geringerem Grade auch des
mittleren Lappens der Prostata auf l'/a Jahre
und länger zurück datirten, bemerkten nach
dem regelmässigen Gebrauch jener Klysmen
während einer Reihe von Wochen das
Schwinden der lästigen subjectiven Be-
schwerden bezw. Parästhesien im Penis und
besonders in der Glans, namentlich der
Empfindungen von Kälte und von Kraft-
losigkeit in denselben und gaben unbefragt
das Wiedererwachen desAppetitus coeundi an.
Eine zweite, aber ungleich seltenere lo-
cale Indication boten mir einige Fälle von
syphilitischen Mastdarmgeschwüren
mit begleitendem, hartnäckigem, reich-
lich secernirendem Katarrh der Rec-
tumschleimbaut, welcher jene lange Zeit
überdauerte. Nach fast nutzloser Behand-
lung dieses letzteren mit adstringirenden
und desinficirenden Eingiessungen hatten
kleine, nur Jodkalium (0,5 — 1,0) enthaltende
Klysmen öfter Erfolg.
Der chemische Nachweis des Jodes im
Speichel und Harn jener Prostatakranken —
in ersterem nach Einführung von Supposi-
torien von nur 0,25 Jodkaliumgehalt schon
nach 20 — 30 Minuten, im Harn nach Klys-
men von 0,5 schon nach 10 — 12 Minuten,
aufhörend um die 20. bis 22. Stunde, nach
Klysmen von 1,0 Jodkalium bis zur 28. bis
30. Stunde — hatte mir die Schnelligkeit und
die Dauer seiner Elimination und damit die
Resorptionsfähigkeit der Rectum-
schleimhaut für Jodpräparate als un-
gefähr gleichbedeutend mit jener des
Magens unmittelbar vor die Augen geführt
und mich zuerst auf die Verwerthung jener
auch für die constitutionellen Heil-
anzeigen derselben, in erster Reihe bei
Syphilis hingeleitet. Insbesondere schienen
mir solche Syphiliskranke zu dieser Anwen-
dungsweise einzuladen, welche bei früheren
Versuchen innerlichen Jodgebrauches sehr
bald die heftigsten Beschwerden gehabt
hatten und deshalb sich durchaus keiner
Jodcur unterziehen mochten, so noth wendig
eine solche auch für sie war.
Als erster einschlägiger Fall präsentirte
sich mir Ende October 1865 ein Hütten-
meister aus Oberschlesien, welcher nach
einer Infection vor 9 Jahren frühzeitig Haut-
geschwüre im Gesicht, später an den unteren
Extremitäten bekommen hatte, die nach ver-
schiedenen mercuriellen und Zittmann^schen
Guren mit Entziehungskost in einem Knapp-
schaftslazareth sehr vorübergehend vernarbt,
während einer fast 2jährigen „Erholungs-
cur^ in einer Kaltwasseranstalt durch Ent-
stehung und Zerfall immer neuer Hautknoten
sich über das ganze Gesicht, die Kopfhaut,
die Ohren und den Nacken verbreitet hatten.
In diesem Zustande war er zu zwei ver-
schiedenen Malen von Hebra im Wiener
allgemeinen Krankenhause, zum ersten Mal
1860 als mit vermeintlichem Lupus exulce-
rans behaftet, 4 Monate hindurch mit Leber-
thran innerlich und äusserlich, nachher
2 Monate lang mit Zittmann^schem De-
coct, zum zweiten Mal 1863 wiedefrum mit
62*
492
Köbner, Anwendung von Jod- und Brompräparaten per Rectum etc.
rlterapentladie
Monatahefte.
letzterem behandelt -und die Benarbung unter
Hinterlassung von Ectropien beider unteren
Augenlider und narbiger Retraction der
Ohren bewirkt worden. Gegen immer wieder
auftretende und ulcerirende neue Knoten
am Kopf, den Armen und Unterschenkeln
war seitdem in seiner Heimath wiederholt
Jodkalium verordnet worden, welches aber
jedes Mai wegen baldiger Symptome von
Jodismus nebst vollständigem Verluste des
Appetits bei Seite gesetzt werden musste.
Bei seinem Eintptte in meine Behand-
lung mit evidenten knotig - geschwürigen
Syphiliden des Gesichtes, der Vorderarme
und Unterschenkel, kleinen Periostosen der
Ulnae, Lungen- und Magenkatarrh nebst
herabgekommener allgemeiner Ernährung
weigerte sich daher dieser Kranke von vorn-
herein vor dem Einnehmen jeder jodhaltigen
Arznei. So versuchte ich bei ihm zum
ersten Male gegen Syphilis Jodkalium per
Rectum, und zwar in Suppositorien zu 1 g,
während ich zugleich den Magenkatarrh und
örtlich auch die Haütgeschwüre behandelte.
Trotzdem er ungefähr '/a Stunde nach dem
Einbringen jedes Suppositoriums einen leicht
bitteren Jodgeschmack empfand, vertrug er
doch diese Medication so gut und seine Er-
nährung und Gesammtbefinden hoben sich
dabei derart, dass jene 14 Tage lang fort-
gesetzt werden konnten. Dann aber nö-
thigten schmerzhafte Hämorrhoidalknoten
zum Aussetzen und zur Substituirung der
Suppositorien durch ein innerliches Jod-
präparat, als welches sich nach Lage dieses
Falles der Syrup. ferri iodati empfahl. In-
dess veranlasste dieser dem Kranken so viel
Beschwerden, dass wir nach 13 Tagen wie-
der die Suppositorien aufnahmen, welche
nun bis zu der — unter beständiger gleich-
zeitiger Localbehandlung der zahlreichen
Geschwüre — bis Mitte Januar 1866 er-
zielten Heilung derselben und Rückbildung
der Periostosen unausgesetzt vertragen
wurden.
In allen späteren Fällen von Syphilis,
welche wegen Verdauungsstörungen oder
wegen frühen Eintretens der verschiedenen
Symptome des Jodismus, nicht immer blos
der katarrhalischen der Nasenschleimhaut und
der angrenzenden Stirn- und Highmorshöhle,
der Conjunctiva, der Thränenwege und der
Respirationsschleimhaut sowie des Magens,
sondern mitunter auch der zu wenig bekannten
Congestionen nach dem Kopf und hie und
da neuralgischer Schmerzen im Trigeminus-
gebiet den internen Gebrauch von Jodprä-
paraten ausschlössen, verwendete ich das
Jodkalium nur noch in Kly stierform , und
zwar zu *0,5, anfangs nur Imai täglich, je
nach der Toleranz desselben und nach der
Art der syphilitischen Symptome auf 0,75
und zuletzt auf 1,0 pro Clysma steigend.
Bei Individuen mit heftiger Idiosyncrasie
empfiehlt sich die Vertheilung dieser Dosis
auf 2 Klysmen (Morgens und Abends), wenn
man die Hauptvorzüge, welche sie selbst
von dieser Applicationsmethode angeben,
den verhältnissmässig ungleich weniger be-
lästigenden bitteren Geschmack und die
Erhaltung des Appetits — von den ge-
nannten Arzneisymptomen ganz abgesehen
— nicht verlieren will. Ja, es gab unter
ihnen solche, welche im Beginn nur 0,25
Jodkalium oder Jodnatrium auf einmal ver-
trugen und erst nach einiger Zeit eine Stei-
gerung auf 0,5 und endlich auf 0,8 zu-
liessen.
Die therapeutischen Wirkungen dieser
Jodklysmen selbst in relativ so kleinen Tages-
mengen begannen auffallend schnell. Bei
mehreren Patienten mit syphilitischen Perio-
stitiden an den Schädelknochen, welche
viele Wochen hindurch wegen der bohren-
den osteocopen Schmerzen trotz der ver-
schiedensten vorher gebrauchten Narcotica
und auch mancher moderner antineuralgi-
" scher oder „Kopfschmerz "-Mittel, z. B. des
Antipyrin, Phenacetin, nicht schlafen gekonnt
hatten, trat schon nach 3 Klysmen zu je
0,5 Jodkalium binnen anderthalb Tagen die
erste schmerzfreie und völlig durchschlafene
Nacht ein. Ebenso markirte sich Mh zeitig
ihre Wirkung auf papulÖse Syphiliden der
Haut und mehr noch auf Plaques muqueuses
der Rachenschleimhaut.
Achtet man darauf, die Jodsalzlösungen
einerseits nicht concentrirt, andrerseits nicht
in einer zu grossen Wassermenge — im
Durchschnitt zwischen 70 bis 120 g — ,
statt welcher man bei besonders empfind-
licher Rectumschleimhaut auch lauwarme
Emulsionen von Leinsamen oder Milch
wählen kann, zu verordnen, so dass die
Patienten sie völlig bei sich behalten, so
ist diese Applicationsmethode in den be-
zeichneten Fällen sehr empfehlenswerth.
Insbesondere ist sie weit vorzuziehen der
von mehreren Autoren in neuerer Zeit ver-
suchten subcutanen Injection von Jodkalium-
lösungen, weil sie erstens leichter — von den
Kranken selbst — auszuführen, zweitens frei
von den durch die subcutanen Injectionen
hervorgerufenen Schmerzen und bei irgend
erheblicher Concentration auch Entzündungen
der Haut bis zur Verschorfung ist und so-
mit ungleich länger fortgesetzt werden kann,
und weil sie endlich für eine andere Cate-
gorie von Syphilisfällen für schnelle Ein-
führung grosser Jodmengen benutzt wer-
III. Jahrgang. 1
November 1889. J
Köbner, Anwendtkng von Jod- und Brompräparaten par Raetum etc.
493
den kaon. Ick meine hauptsächlich Fälle von
Syphilis des Gehirns, namentlich solche,
wo Schluckbeschwerden oder ünbesinnlich-
keit Yorhanden sind. Freilich wird man in
solchen wohl niemals die Combination
mit gleichzeitigen mercuriellen, seien
es Inunctions- oder Injectionscuren, unter-
lassen, welche ich auch bei den meisten
mit früheren oder anderen Gewebslocalisa-
tionen der Syphilis behafteten Kranken
gleichzeitig anwandte.
Den beraerkenswerthesten Fall unter den
auf diese Art Geheilten stellte ich hier vor
etwa iVa Jahren vor^), nachdem die Heilung
2 Jahre vorher erzielt worden war. Es
war eine 56jährige Frau, welche bei ihrem
Eintritt in meine Behandlung Mitte Januar
1886 mit einer vor 11 Jahren begonnenen
syphilitischen Myositis des linken Muse,
sternocleidomastoideus in seiner ganzen
Länge und einem dadurch allmählich be-
wirkten Caput obstipum geringen Grades,
derselben Muskelinfiltration des rechten Kopf-
nickers in seinem unteren Drittel, subcuta-
nen und cutanen gummösen Knoten am An-
satz beider Muskeln am Brustbein und den
Schlüsselbeinen, am Unterkiefer, über einem
Schulterblatt und einem Knie behaftet war.
Alle diese Localisationen, sowie eine bisher
ganz unbemerkte Perforation der knorpligen
Nasenscheidewand hatten sich bei der seit
länger als 20 Jahre verheiratheten Ehefrau,
welche 9 lebende Kinder geboren und von
der Aetiologie ihrer Krankheit keine Ahnung
hatte, so schleichend entwickelt, dass sie
mit Ausnahme der allmählich immer schwe-
rer und schmerzlich werdenden seitlichen
Kopfbewegungen von jener wenig Belästi-
gung hatte. Dagegen schilderte sie 2 malige
frühere Heilungsversuche mit Jodpilleh als
von den sofortigen Symptomen schweren
Krankseins, darunter namentlich höchster
Aufregung, Beklemmungs- biszurErstickungs-
angst und anderen derart gefolgt, dass sie
niemals wieder in den Gebrauch eines Jod-
mittels willigen wollte. Durch gleichzeitige
allgemeine, auch nur mit Unterbrechungen
von ihr vertragene und (meinem Grundsatze
gemäss) auch regionäre^) Einreibungen grauer
Salbe neben den Jodkly smen, welche in der That
0,75 bis höchstens 1,0 Jodkalium in 24 Stun-
den niemals übersteigen durften, ohne ihr die
widerlichste und nachhaltigste Bitterkeit, wenn
') cfr. Verhandl. der dermatologischen Vereini-
gung zu Berlin 1887/1888, Sitzung vom 3. Juli 1888,
im Arch. f. Dermat. u. Syph. 1889, Heft I.
*) Vergl. meinen Vortrag auf der (Magdeburger)
Natniforscherversammlnng 1884: Ueber die thera-
peutische VerwerthuD^ der lokalen antisyphilit.
, Wirkung des Quecksilbers. Deutsche med. Wo-
chenschr. 1884, No. 47.
auch wenig sonstige Beschwerden zu verur-
sachen und zum Aussetzen zu nöthigen, ge-
lang die völlige Heilung binnen 9 bis 10
Wochen.
Dass in der That den Jodklysmen ein
wesentlicher Antheil an dieser zukommt,
lehrt unter anderen ihre alleinige Anwen-
dung bei einem 42 Jahre alten Gehirnkran-
ken, welchen ich Anfangs Mai dieses Jahres
bei einem Besuche in dem Irrenasyl de Cery
bei Lausanne auf der Abtheilung des Herrn
Prof. Rabow sah, und bei welchem wir als
höchst wahrscheinliche Ursache seiner
Aphasie und völligen Anarthrie bei erhalte-
nem Bewusstsein, seiner rechtsseitigen Hemi-
plegie, des Kopfwehs und Erbrechens mehr-
fache gummöse Herde im Gehirn dia-
gnosticirten. Auf meine Bitte leitete mein
geschätzter Freund, Prof. Rabow, welchem
ich die Summe meiner vorstehenden gün-
stigen Erfahrungen mittheilte, die Behand-
lung dieses Kranken mit Jodklystieren ein.
Ebenso willigte derselbe in dankens-
werther Bereitwilligkeit in di^ Ausführung
meines Vorschlages, auch Bromkalium in
Lösungen per Rectum bei einigen ihm
geeignet scheinenden Kranken seiner Abthei-
lung mit Exaltationszuständen der ner-
vösen Centralorgane zu versuchen, ein
Gedanke, auf welchen mich die Angabe
mehrerer, mit den oben angegebenen brom-
haltigen Suppositorien behandelter Prostata-
kranker von einer allgemeinen und na-
mentlich diejenige eines sehr fetten unter
ihnen bezüglich der seine Herzpalpita-
tionen sehr beruhigenden Wirkung der-
selben geführt hatte.
Herr Prof. Rabow schrieb mir nun am
24. Juni 1889 über die von ihm verord-
neten Rectalinjectionen wörtlich: „Ich habe
diese Methode wiederholt versucht und habe
gefunden, dass sowohl Kai. bromat. als
auch Kai. iodat., vom Rectum aus ap-
plicirt, besser und schneller wirken,
als bei interner Application. Jodkali
Labe ich dem von Ihnen bezeichneten, an den
schwersten Hirnsymptomen leidenden Kranken
auf diese Art 3 Wochen hindurch mit bestem
Erfolge gegeben. Die erste Woche erhielt
er 0,75 in 200,0 Milch Morgens und Abends,
Da er das Lavement bei sich behielt und
schon nach wenigen Tagen auffallende Besse-
rung aller Symptome zeigte, namentlich an
Körpergewicht zunahm , stieg ich in der
zweiten Woche auf die doppelte Dosis. Er
erhielt Morgens und Abends 1,5 in 200,0
Milch 14 Tage hindurch gleichfalls mit
durchaus befriedigender Wirkung. Gar keine
Nebenerscheinungen. Patient war erfreut
über die Besserung seines Befindens und
494
Köbner, Anwendung von Jod- und Brompräparaffan per Rectum etc.
rrherapentiiclM
L MonAteheftcL
schrieb dieselbe der Rectal beb andlung , zu.
Leider konnte ich die Behandlung nicht
fortsetzen, da Patient Ende Mai (als nicht
geisteskrank) aus der Anstalt abgeholt
wurde.
Kai. bromat. habe ich einem 50 jähri-
gen Herrn, Melancholiker mit Angst-
zuständen, 2 g in 200,0 Wasser gelöst,
mehrmals per Rectum gegeben. Die ersten
3 Tage trat sehr bald (viel schneller als
bei der inneren Verabreichung) Beruhigung
ein. Später blieb jeder Erfolg aus, weshalb
ich von weiterer Darreichung des Brom-
kaliums Abstand nahm.
Einem Knaben von 5^2 Jahren, an epi-
leptiformen Krämpfen leidend, gebe ich
— nachdem alle anderen Mittel versagt —
seit einiger Zeit täglich 1,0 Kai. bromat.
in 120,0 Aq. per Rectum. Ich habe dabei
den Eindruck, dass es lohnt, mit dieser
Behandlung weiter fortzufahren, kann aber
ein definitives Urtheil hierüber noch nicht
abgeben."
Endlich schien mir die Nutzanwendung
dieser Methode auch für die anderweitigen
Indicationen der Jodsalze, unter Anderem
bei solchen Formen von Asthma, geeignet,
bei welchen die Stauungen im kleinen
Kreislauf u. A. oft auch yenöse Hyperämien
und Katarrhe des Magens verursachen, die
diesen Kranken den oft heilsamen Jod-
gebrauch verleiden oder unmöglich machen.
Meine Bitte um einschlägige Versuche an
seinem reichen Material an Asthmakranken
erfüllte in diesem Sommer mit grosser Hin-
gebung und mit dankenswerther Ausdehnung
auf noch zwei andere Krankheitsfälle Herr
Dr. Julius Lazarus, Arzt am hiesigen
jüdischen Krankenhause und Leiter des
pneumatischen Cabinets und der internen
Poliklinik desselben.
Sein schriftlicher Bericht yom 12. August
1889 lautet:
„Meine Beobachtungen sind in Kürze
folgende :
Frau R., seit ca. 5 Jahren an Asthma bron-
chiale leidend, hat seit mehreren Jahren Sei. kal.
jod. 5 : 150 innerlich, 3 mal täglich 1 Esslöffol
gebraucht, je nachdem sie asthmatische Anfälle
hatte oder frei war, es dann aussetzend. In der
letzten Zeit stellten sich erhebliche gastrische
Störungen ein. Vom 19. vor. Mon. bis zum
10. d. Mon. wurde ihr mit 2 Ausnahmen jeden
Abend ein Klysma von einer Losung von Jodkali
5 : 150 1 Essloffel auf 5 Esslöffel Salzwasser ver-
abreicht. An 2 Abenden, wo dies nicht geschah,
wollte ich die Dauer des Jodnachweises im Harn
prüfen. Es fand sich aber, dass länger als 17
Stunden Jod nicht nachweisbar war. Die Wir-
kung dieser im Vergleich zum innerlichen Ge-
brauch geringen Jodgabe war auf das Asthma
eine entschieden gute, indem die Anfalle an Häu-
figkeit und Intensität schnell abnahmen. Der
Appetit war bedeutend gebessert. Reizerscheinun-
gen auf das Kectum waren nie zu constatiren.
Herr W., Asthma bronchiale. Patient hatte
wiederholt vergeblich versucht, Jodkali innerlich
zu gebrauchen. Lösungen von 5 : 150 hatten
schon nach 2 — 3 Tagen unerträglichen Stimkopf-
schmerz, Conjunctivitis, Schnupfen etc. erzeugt.
Allabendliche Klystiere von 1 Esslöffel einer Jod-
kalilösung 10 : 150 mit 5 Esslöffel Wasser wäh-
rend 23 Tagen bringen das Asthma gänzlich zum
Schwinden und haben nie eine Spur von Jodismus
hervorgerufen. Das Jod konnte noch nach 24 St.
im Harn nachgewiesen werden.
Frau Lm., Morbus Basedowii mit sehr
harter, fester und grosser Struma (3 lappig),
Pulsfrequenz ca. 160, macht sich seit dem 12. VIT.
bis heut jeden Abend eine Eingiessung von 1 Ess-
löffel einer Jodkalilösung 10 : 150 mit 5 Esslöffel
Wasser. Die Struma ist verkleinert, Puls 100 bis
120. Subjective Beschwerden sehr gemildert.
Nie eine Spur von Jodismus. Jod im Harn ca.
24 St. lang nachzuweisen.
Frau Lw., Periostitis rheumatica cranii.
Patientin konnte selbst kleine Dosen Jodkali (0,2)
innerlich wegen starker gastrischer Störungen
nicht vertragen. Sie erhielt Morgens und Abends
eine Eingiessung einer Jodkalilösung 5 : 150,
1 Esslöffel mit 5 Esslöffel Wasser während 6 Ta-
gen, wonach die schmerzhaften Auftreibungen am
Kopfe schwanden. Patientin hatte nie gastrische
Störungen oder andere Zeichen von Jodismus.
Jod wurde 12 St. nach der Eingiessung noch
im Harn constatirt."
Zum Schlüsse mochte ich eine sehr
einfache Methode des Jodnachweises
im Speichel innerhalb der Mundhöhle
der Kranken selbst bei allen Arten der
Darreichung von Jodpräparaten erwähnen.
Bestreicht man Aväbrend derselben die vordere
Hälfte der Zunge an ihrer oberen oder
unteren Fläche oder die Wangenschleim-
haut unterhalb der Mündungsstelle des
Ductus stenonianus oberflächlich mit einem
Stifte von Argentum nitricum (etwa in Form
mehrerer Linien), so werden dieselben alsbald
gelb (Jodsilber).
Während des Druckes der vorstehenden
Arbeit kommt mir ein Bericht über eine
Krankenvorstellung von Dr. Behring in der
Niederrheinischen Gesellsch. f. Natur- u.
Heilkunde^) zu Gesicht, welche einen mit
rapide verlaufender Phthise mit Gavernen-
bildung und hektischem Fieber 5 Monate
vorher zu Dr. B. gekommenen und durch
tägliche Injectionen von 10 bis 12 ccm
einer 5procentigen Jodoform-Fett lös ung
in's Rectum (= 0,5 bis 1,0 Jodoform pro
^) Sitzungsberichte derselben 1888, pag. 75.
ni. Jahrgang. 1
November 1889. J
Knoblauch, Ueber Sulfonalwirkung.
495
die) ausserordentlich gebesserten 20 jährigen
Patienten betraf. ^Die Resorption des Jodo-
forms, woYon derselbe im Ganzen mehr als
30 g bekommen hatte, erfolgte viel prompter
und glatter, als wenn dasselbe in Pillen-
form Tom Magen aus gegeben wird, und
der Patient wurde nicht durch den Jodo-
formgeruch und -geschmack belästigt.^
Wenn Behring diese Applications weise
des Jodoforms auf Grund dieser einen Be-
obachtung für alle Fälle empfiehlt, in wel-
chen sein Gebrauch zum Zwecke allgemeiner
Therapie indicirt erscheint, so möchte ich
in erster Reihe diejenigen hierzu anregen,
welche es gegen constitut. Syphilis, wie
Thomann und Isidor Neumann, heute
zu Tage subcutan anwenden.
(Aua der Psychiatriacben Universitätaklinik zu Heidelberg.)
Ueber S.ulfonälwirkiingr.
(Vortrag, gehalten in der Section für Neurologie
und Psychiatrie der 62. Naturforscherversammlung
zu Heidelberg, September 1889.)
Von
Dr. Knoblauch, Assistent der Klinik.
M. H.!
In einem Zeitpunkt, in dem Baumann
und Kast^), die Entdecker des Sulfonals,
eine Reihe anderer organischer Verbindungen
aus der Gruppe der Disulfone auf ihre
hypnotische Wirkung, welche diejenige des
Sulfonals noch übertreffen soll, geprüft und
den Weg gezeigt haben, auf dem vielleicht .
durch theoretische Speculation eine unabseh-
bare Zahl neuer Schlafmittel entdeckt werden
kann; in einem Zeitpunkt, in dem das
Ghloralamid allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich zieht, ist es fast überflüssig, von
den in der Heidelberger psychiatrischen
Klinik gemachten Beobachtungen über das
Sulfonal zu reden, für und wider dessen
therapeutische Anwendung wohl mehr Ver-
öffentlichungen vorliegen, wie über jedes
andere der Schlafmittel, durch welche unser
Arzneischatz in den letzten Jahren bereichert
wurde.
Die Mehrzahl dieser Schlafmittel ist bei
ihrer Veröffentlichung mit grosser Begeiste-
rung aufgenommen worden, und hat in den
') Baumann und Käst: „Ueber die Bezie-
hungen zwischen chemischer Constitution und phy-
siologischer Wirkung bei einigen Sulfonen^. Zeit-
schrift f. physiol. Chemie Bd. XIV Heft 1, 1889
S.62.
weitesten Kreisen Anwendung gefunden,
bevor ihre physiologische Wirkung hin-
reichend studirt, ihre Vorzüge und Nachtheile
bekannt waren. Nachträglich haben sich
mehr oder weniger Unzuträglichkeiten in ihrer
Anwendung gezeigt und haben es mit sich
gebracht, dass diese Hypnotica sehr bald
tbeilweise in viel engeren Grenzen angewandt,
theilweise wieder ganz aus unserem Arznei-
schätze entfernt wurden. Ich brauche Sie
nicht an die Geschichte der Gannabis indica,
des Hypnons, Urethans, des Paraldehyds und
Amylenhydrats zu erinnern, von denen heute
nur noch die beiden letztgenannten ausge-
dehntere Anwendung finden dürften.
Auch das Sulfonal hat, obwohl eins der
jüngst empfohlenen Hypnotica, eine Ge-
schichte hinter sich, welche in mehr als
60 Veröffentlichungen niedergelegt ist. Viele
Autoren rühmen seine schlafbringende Wir-
kung, welche diejenige des Ghlorals über-
treffen soll, ohne dessen schädliche Ein-
wirkung auf das Herz zu theilen; andere
sehen minder günstige Erfolge und warnen
sogar wegen des Auftretens unliebsamer
Nebenerscheinungen vor dem Gebrauche des
Sulfonals.
Die ersten Mängel, welche sich bei An-
wendung des neuen Mittels zeigten, bestan-
den darin, dass seine hypnotische Wirkung
häufig später eintrat, als beabsichtigt und
erwünscht war, und die Dauer des Sulfonal-
schlafes das physiologische Maass überschritt,
indem die Kranken bis tief in den Vormittag
hinein schliefen und den ganzen Tag über
Abgespanntheit und lästige Müdigkeit klag-
ten. In einer zweiten Veröffentlichung er-
klärt Kast^), wie Ihnen Allen bekannt, diese
postponirende Wirkung des Sulfonals
durch die Schwerlöslichkeit des Mittels und
die chemische Kesistenzfähigkeit seines Mole-
cüls, und giebt präcise Vorschläge über die
Art der Darreichung des Sulfonals, um diesem
Missstand abzuhelfen. Eingabe des fein
pulverisirten Mittels in mindestens 200 ccm,
womöglich heisser Flüssigkeit — Suppe,
Thee u. dergl. — in den frühen Abend-
stunden sollte die protrahirte Sulfonalwir-
kung vermeiden oder wenigstens beschränken.
In der That berichtet in der ersten Ver-
öffentlichung, die nach Käst 's Arbeit „über
die Art der Darreichung und Verordnung
des Sulfonals" erschien, Ruscheweyh')
über ganz vorzügliche Erfolge bei Sulfonal-
anwendung, im Gegensatz zu einer Anzahl
*) Käst: „Ueber die Art der Darreichung und
Verordnung des Sulfonals". Therapeut. Monatshefte
II, 1888 S. 816.
'} Ruscheweyh: „Zur Darreichung des Sul-
fonals**. Neurolog. Centralblatt, 1888 S. 598.
496
Knoblauch, Uaber Sulfonalwirkung.
rlierapealiidi»
Monatahflfta.
von Misserfolgen, welche in die Zeit vor
der Verabreichung des Mittels nach Kast^s
neuer Vorschrift fallen. Wenn auch häufig
keine Beschleunigung der Schlafwirkung zu
erzielen war, so blieb vor allem die Nach-
wirkung am nächsten Tage aus, und häu£g
trat auf wesentlich kleinere Dosen, in heisser
Bouillon oder Milch verrührt, ausreichender
Schlaf ein, während vorher grössere Dosen,
in kaltem Wasser verabreicht, ohne die ge-
wünschte Wirkung geblieben waren.
Bei dieser Darreichungsweise des Sulfo-
nals sah Rusche weyh auch eine Reihe
anderer, unliebsamer Nebenerscheinungen weg-
fallen, welche früher beobachtet worden waren:
Schwindel gefü hl und objectiv wahrnehmbares
Taumeln; während er in einzelnen Fällen
über ein Gefühl des allgemeinen Unbehagens
und Elendseins klagen hörte, welches sich
manchmal bis zum Erbrechen steigerte, und
welches als Aeusserung eines gestörten Di-
gestionstractuB aufgefasst wird.
Andere Beobachter, auch wir selbst, sahen,
trotz genauester Befolgung der Vorschläge
Kast^s, in einzelnen Fällen diese störenden
Nebenerscheinungen nicht wegfallenl Wir
haben festzustellen versucht, ob die Dar-
reichung des Mittels in gröberer oder feinerer
Pulverisation, sogar gelöst in grossen Mengen
heisser Milch, einen deutlichen Einfluss auf
Eintritt und Dauer der Sulfonalwirkung aus-
übt, konnten aber, wenigstens beim Menschen,
zu keinem positiven Resultate kommen.
Auch wir sahen, wie andere Beobachter,
taumelnden Gang, Schwindelgefühl und Er-
brechen nach Sulfonaldarreichung als unan-
genehme Nebenerscheinungen des vielgeprie-
senen Hypnoticums.
Die gleichen Erscheinungen hatte East^)
bei Thieren nach Sulfonaleingabe gesehen
und in seiner ersten Veröffentlichung be-
schrieben. Funaioli und Raimondi^),
Shick^) und D au thuille^) haben eine Reihe
sehr interessanter Thierversuche gemacht, um
die Wirkung des Sulfonals auf die Respiration
und Circulation, auf die Reflexerregbarkeit,
die Erregbarkeit der sensiblen und moto-
rischen Nerven und der Muskeln zu studiren;
und wir selbst haben in einer grossen An-
zahl von Versuchen bei Hunden, Kaninchen
*) Käst: „Sulfonal, ein neues Schlafmittel**.
Berl. Klin. Wochenschrift, 1888 S. 311.
^) Funaioli eKaimondi; ^11 solfonale, nuovo
ipnotico. — nuove esperienze fisioterapeutiche".
Archiv© italiano per le malatie nervöse etc., 1888
S. 325.
^) Shick: „Physiological action of sulphonal".
The Journal of nervous and mental disease, 1889
S. 32.
^) Dauthuille: „Etüde sur le sulfonal". These
de Paris, 21. fevrier 1889.
und Meerschweinchen hauptsächlich den Ein-
fluss des Sulfonals auf die Motilität des
Versuchsthiers festzustellen versucht.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einen
anderen Nachtheil des Mittels hervorheben,
welchen viele Beobachter am Krankenbett
erfahren haben, und der auch durch diese
Thierversuche bestätigt wurde: nämlich die
Schwierigkeit, die Dosis individualisirend zu
bemessen, bezw. die Verschiedenheit der
Wirkung gleich grosser Dosen bei verschie-
denen, und selbst bei den gleichen Indivi-
duen zu verschiedenen Zeiten.
Bei diesen Thierversuchen zeigte sich,
wie nach unseren Erfahrungen am Menschen
a priori zu erwarten war, nur eine relativ
geringe Verschiedenheit des Eintritts, der
Dauer und Intensität der Sulfonalwirkung,
je nachdem das Mittel verschieden fein pul-
verisirt in Fleisch und Brodkügelchen ver-
abreicht, oder in kaltem Wasser verrührt,
bezw. in grossen Mengen heisser 2 % iger
Kochsalzlösung aufgelöst durch die Schlund-
sonde eingeführt wurde.
Die Motilitätsstörungen, welche bei
Thieren auftreten — bei mittelgrossen Hun-
den nach 2 — 3 g, bei Kaninchen nach
0,5 — 1,0 g, bei Meerschweinchen nach
0,1—0,2 g Sulfonal — äussern sich in
einer motorischen Schwäche, welche zunächst
die Hinterbeine und den hinteren Abschnitt
des Rumpfes befällt und sich allmählich
auch an den Vorderbeinen zeigt. Diese mo-
torische Schwäche tritt zu einer Zeit auf,
in der noch keine hypnotische Wirkung zu
beobachten ist; die Thiere sind keineswegs
schläfrig, sondern manchmal sogar auffallend
lebhaft und munter, so dass man fast von
einem Erregungsstadium sprechen könnte,
welches in vereinzelten Fällen nach Sulfonal-
gebrauch auch beim Menschen beobachtet
wurde®). Ein Hund, der nach Sulfonalein-
gabe mit den Kaninchen im Garten zum
Zweck der Beobachtung zusammengebracht
wurde, machte zu einer Zeit, wo er schon
deutliche Parese der Extremitäten zeigte,
förmlich Jagd auf die Kaninchen, ohne eine
Spur von Müdigkeit zu zeigen.
Später stellen sich sehr deutliche Zeichen
von Müdigkeit ein; die Lider werden schwer
und senken sich, das Thier reagirt träge
und schwankt im Stehen hin und her, wie
ein Schlaftrunkener. Jetzt tritt 'die Schlaf-
wirkung in den Vordergrund, das Thier legt
sich zur Ruhe und fällt bald in Schlaf, aus
dem es, je nach der Tiefe desselben, mehr
oder minder leicht zu erwecken ist. War
^) Crozer Griffith: „Kemarks on the un-
pleasant effects of sulphonal''. The therapeatic
Gazette, May 15. 1889.
in. Jahrgang. 1
Norember 1888. J
Knoblauch, Uaber Sulfonalwirkung.
497
die Dosis eine massige, so wacht das Tliier
nach mehrstündigem, tiefem und ruhigem
Schlafe auf, ohne andere Erscheinungen zu
zeigen, als noch für ^/^ — 2 Stunden andau-
ernde Unsicherheit des Ganges, welche theils
durch restirende Schwäche, theils durch
Ataxie der Extremitäten bedingt sein dürfte ;
besonders bei hochbeinigen Hunden zeigt
sich nach dem Sulfonalschlaf ein ausge-
sprochenes Schleudern der Beine beim Laufen.
Bei grösseren Dosen steigert sich die an-
fängliche Parese zu vollständiger Paralyse
der Extremitäten; Anfangs sind die Thiere
aus dem tiefen Schlafe noch zu erwecken,
aber völlig unföhig, sich aufzurichten und
zu bewegen. Bald tritt Goma und tiefer
Sopor ein, und in den schlaffen Extremitäten
zeigt sich ein Tremor, welcher Anfangs deut-
lich synchron mit den Athembewegungen ist,
resp. sich an reflectorisch ausgelöste oder
passiv ausgeführte Bewegungen anschliesst.
Gleichzeitig werden clonische Convulsionen
im Gebiete der Kaumusculatur beobachtet.
In diesem Stadium liegen die Thiere stun-
den- bis tagelang, ein Hund von 8 kg Ge-
wicht z. B. nach 4,0 g Sulfonal vier volle
Tagel Beim Erwachen bilden sich die oben
geschilderten Erscheinungen gerade so rasch
zurück, wie nach kleinen Dosen.
Bei tÖdtlichen Dosen folgt auf das Sta-
dium des Tremors bei völligem Sopor eine
Periode, in der das Thier meist ruhig da-
liegt, und zu deren Beginn in den schlaffen
Extremitäten sowohl spontan, als auch im
Anschluss an reflectorisch ausgelöste und
passiv ausgeführte Bewegungen clonische Con-
vulsionen auftreten, welche, ähnlich wie die
Anfalle bei der Rindenepilepsie, in den Hin-
terbeinen beginnen und nach messbarer Zeit
die Vorderbeine und die Nackenmusculatur
befallen. Diese Anfälle treten Anfangs sehr
häufig, alle 1 — 2 Minuten, auf, werden dann
immer seltener und erlöschen mehrere Stun-
den vor dem Tode!
Die Obduction der durch Sulfonalintoxi-
cation gestorbenen Thiere ergiebt eine starke
Hyperämie aller Organe, auch des Hirns und
seiner Häute, ohne Aufschluss über die Causa
mortis zu geben. Auch die mikroskopische
Untersuchung des Centralnervensystems lässt
keine anatomische Veränderung desselben er-
kennen, welche zur Erklärung der intra vitam
beobachteten Störungen herangezogen werden
könnte.
Diese Beobachtungen lassen es zum min-
desten fraglich erscheinen, ob, wie Kast^)
') Käst: „Sulfonal, ein neues Schlafmittel^.
Berl. Klin. Wochenschrift, 1888 S. 309 und Fischer
„Ueber die Wirkung übermässiger Dosen von Sul-
fonal«. Nedrol. Centralblatt, 1889 S. 199.
meint, der erste Angriffspunkt des Sulfonals
wirklich in der grauen Rinde des Grosshirns
zu suchen sei; wir möchten wenigstens die
Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die
Sulfonalwirkung anfänglich vielmehr eine
spinale sei; einen sicheren Entscheid ver-
mögen wir freilich nach unseren Beobachtun-
gen nicht zu föllen.
Aehn liehe Motilitätsstörungen sind auch
beim Menschen vielfach nach Sulfonalge-
brauch beobachtet worden *°) ; auch wir hatten
Gelegenheit, sie zu sehen, und zwar keines-
wegs nach exquisit grossen Dosen, sondern
manchmal schon nach täglichen Dosen von
1,0 — 1,5 g, bemerk enswerther Weise manch-
mal erst nach sehr langem Gebrauch des
Mittels. Diese Motilitätsstörungen beim
Menschen sind Schwäche der Beine und
Arme, Taumeln, Zähneknirschen und Sprach-
behinderung; zu ihnen gesellen sich als wei-
tere unangenehme Erscheinungen Schwindel-
gefühl, selten Erbrechen und ausnahmsweise
auch Durchfall. Das Erbrechen möchten
wir als cerebrales Symptom auffassen, denn
bei den in unserer Klinik beobachteten Fällen,
wo es zweifellos Sulfonalwirkung war, konnte
eine Affection desDigestionstractus mit Sicher-
heit ausgeschlossen werden.
Wir sahen diese Intoxicationserscheinun-
gen niemals nach Einzeldosen von 0,5 bis
4,0 g, manchmal aber bei täglicher Dar-
reichung von 1,0 — 2,0 g nach wenig Tagen.
Besonderes Interesse bieten diejenigen Fälle,
in denen das Sulfonal Wochen und Monate
lang gut vertragen wird und plötzlich In-
toxicationserscheinungen auftreten. Eine Pa-
ranoica erhielt seit Ende Juni täglich 1,0
bis 2,0 g Sulfonal, ohne irgend welche Neben-
erscheinungen zu zeigen; plötzlich, am 10. Sep-
tember, klagte sie, sie fühle sich so elend
wie noch nie, erbrach und zeigte sehr deut-
liches Schwanken und Taumeln beim Stehen
und Gehen. Eine andere, hypochondrische
Kranke, welche vom 18. Juni bis 14. Juli
täglich 0,5 — 2,0 g in refracta dosi erhalten
hatte, zeigte, mit Ausnahme des Erbrechens,
plötzlich am Morgen des 18. Juli die gleichen
Erscheinungen , vier Tage nachdem das
Mittel ausgesetzt war! Wir haben auch
nach zweimaliger Abenddose von 2,0 g die
gleichen Intoxicationserscheinungen gesehen.
Wir glauben wohl, es werden sich bei
sorgfältigster individualisirender Bemessung
der Dosen diese unliebsamen, wenn auch
ungefährlichen Nebenerscheinungen der Sul-
*°) Vergl. a. a. Bornemann: ^Ein Fall von
Sulfonalintoxication*'. Deutsch. Med. Ztg., 1888
No. 95; Fischer 1. c. S. 196; und Rghm: „Zur
Casuistik der unangenehmen Nebenwirkungen des
Sulfonals"". Berl. Klin. Wochenschnft, 1889 S. 364.
68
498
Knoblauch, Ueber Sulfonalwirkung.
rrherapcntiidbe
L Honjitahafta.
fonalwirkuDg einschränken, vielleicht ganz
Termeiden lassen; aber, wie schon erwähnt,
wir halten es für sehr schwierig, die Dosis
individuell zu bemessen, und in einzelnen
Fällen treten zweifellos Intoxicationser-
scheinungen auf, noch bevor die Dosis ge-
nügt, eine ausreichende Schlaf Wirkung zu
erzielen.
Und wie gestaltet sich diese Schlafwir-
kung bei den einzelnen Psychosen? Ich
hatte leider nur Gelegenheit, 20 Beobach-
tungen in den Kreis meiner Betrachtung zu
ziehen, welche sämmtlich Frauen betreffen
und sich auf 10 Melancholien, 1 Hypochon-
drie, 3 Manien, 1 Verworrenheit, 2 Paranoien
und 3 organische Psychosen vertheilen.
So zu sagen keinen Erfolg sahen wir bei
den 3 Organisch-Kranken und bei zwei Fällen
von Melancholie; alle fünf Fälle haben das
Gemeinsame, dass die Kranken lebhaft hallu-
ciniren. Ich möchte an dieser Stelle eine
Beobachtung aussprechen, die wir gerade bei
Hallucinanten gemacht zu haben glauben,
dass nämlich bei fortgesetztem Sulfonalge-
brauch die Kranken lebhafter halluci-
niren wie früher! Diese Vermuthung ge-
winnt an Wahrscheinlichkeit durch die Beob-
achtung, dass nach Sulfonal gebrauch auch
bei Geistesgesunden Hallucinationen auf-
treten, die nach dem Aussetzen des Mittels
rasch wieder verschwinden"). Diese Ver-
muthung dürfte geeignet sein, die Erfahrung
zu erklären, dass das Sulfonal gerade bei
lebhaften Hallucinanten am unzuverlässigsten
wirkt, eine Erfahrung, in welcher alle Beob-
achter der Sulfonalwirkung übereinstimmen!
Bei den 3 maniakalischen Frauen (2 perio-
dischen Manien, 1 mehrfaches Recidiv) haben
wir nur bedingte Erfolge zu verzeichnen;
zweifellos hat sich in mehreren Anfällen der
Verlauf der periodischen Manien kürzer und
weniger heftig gezeigt, wenn auch in sehr
geringem Maasse. Bei dem Recidiv blieb
das Mittel ohne Erfolg; es trat bei Tage
keine Beruhigung und Nachts nur sehr
kurzer, häufig unterbrochener Schlaf ein.
Am günstigsten gestaltete sich die Sul-
fonalwirkung bei unseren Melancholischen
uüd einer Hypochondrica; relativ günstig
bei einer Verworrenen und bei zwei an chro-
nischer Paranoia Erkrankten, welche zur Zeit
nur noch selten halluciniren. Bei den letzt-
genannten wurde von 72 bezw. 65 Nächten
in 52 bezw. 33 Nächten 8 — 9 stündiger
Schlaf erzielt, während die Kranken in 20
bezw. 32 Nächten theilweise schlaflos und
sehr laut und störend waren.
») Ki^ffer: „Contribution ä Petude du Sulfo-
nal**. These de Nancy, 30. juillet 1888; Ferner:
Rehm 1. c.
Ich gestatte mir, Ihnen die Wirkung des
Sulfonals in einem Theil der angeführten
Fälle durch eine Reihe von Tabellen zu de-
monstriren, welche in der Weise angefertigt
wurden, dass die Stunden der Nacht von
8 Uhr Abends bis 6 Uhr Morgens durch
Quadrate dargestellt, und der Schlaf durch
schwarze, das Wachen durch weisse Farbe,
und Unruhe (Lautsein und Verlassen des
Bettes) durch Schraffirung markirt sind*).
Zum Zweck möglichst genauer Beobach-
tungen wurden sämmtliche Kranke, von
denen ich Ihnen derartige Tabellen vorlege,
während der Sulfonalbehandlung auf der
Wachabtheilung verpflegt, und von dem
Wartepersonal stündliche Vermerke über ihr
Verhalten in das Wachbuch eingetragen. In
dieser Maassregel liegt der Grund, weshalb
unsere Beobachtungen nicht auf eine gros-
sere Anzahl von Fällen ausgedehnt werden
konnten.
Ist nun die schlaf erzeugende Wirkung des
Sulfonals, wie von so vielen Seiten angegeben
wird, wirklich grosser, als die anderer be-
währter Schlafmittel, z.B. des Chloralhydrats,
Morphiums und Opiums? Wir haben diese
bessere Wirkung des Sulfonals nicht
feststellen können! Aus den vorgelegten
Tabellen und ihren Erläuterungen werden
Sie die Ueberzeugung gewonnen haben, dass
wirklich gute und ausreichende Schlafwir-
kung und relative motorische Ruhe am Tage
nur bei unseren Melancholischen erzielt wur-
den, und auch dann nur, wenn die Kranken
nicht lebhaft hallucinirten. Gerade für die
einfache Melancholie besitzen wir aber in
dem Opium ein souveränes Schlafmittel,
welches in vielen Fällen auch die Psychose
direct günstig beeinflusst, indem es die Angst
der Kranken vermindert und, sobald es ge-
lungen ist, ausreichenden Schlaf zu erzielen,
auch Tags über grössere psychische Beruhi-
gung herbeiführt. Eine derartige günstige
Beeinflussung der Psychose sahen wir bei
Sulfonalbehandlung niemals!
Bei allen anderen in Betracht gezogenen
Formen der Geistesstörung, also bei der
Manie, der Paranoia, der acuten hallucLna-
torischen Verworrenheit und bei Organisch-
Kranken, haben wir, wie Sie theilweise aus
den Tabellen ersehen können, durch Ghloral-
hydrat mit Morphiumzusatz und durch Opium,
und bei der Verworrenheit speciell durch
grosse Alkohol-Dosen, mindestens ebenso
gute, meist sogar wesentlich bessere Erfolge
gesehen, als bei Sulfonalbehandlung.
Nach unserer Ansicht dürfte in der psy-
chiatrischen Therapie dem Sulfonal also vor
*) Wegen Raamman^els kann hier nur ein Theil
der demonstrirten Tabellen abgedruckt werden.
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Knoblauch, Uaber Sulfonalwirkung.
501
dem Chloralhydrat nur in den Fällen der
Vorzug gegeben werden, -wo bestehende Herz-
fehler die Psychose compliciren und die
Verordnung von Chloriilhjdrat contraindiciren.
Aber auch dieser Vorzug dürfte mindestens
fraglich erscheinen, nach den Erfahrungen,
welche innere Kliniker gemacht haben; denn
gerade bei compensirten .und uncompensirten
Herzfehlern berichten die einzelnen Beob-
achter über widersprechende, theils durch-
aus günstige, theils ungünstige Erfahrungen
über die hypnotische Wirkung des Sulfonals.
In unsere Beobachtung fallen nur zwei
Fälle, die durch compensirte Herzfehler com-
plicirt waren; eine Hypochondrie und ein
Fall Ton Lues cerebri mit massenhaften
Hallucinationen. Im ersten Falle zeigte das
Sülfonal recht gute Wirkung, im zweiten
blieb es ohne wesentlichen Erfolg.
Auf Grund unserer Erfahrungen möchten
wir also dem Sülfonal in seiner therapeu-
tischen Verwerthung bei Geisteskranken
keinen wesentlichen Vorzug Tor den
anderen, bewährten Schlafmitteln, dem Chlo-
ralhydrat, Morphium und Opium geben; da-
gegen möchten wir noch einmal auf die
grossen Mängel hinweisen, welche diesem
vielgepriesenen Hypnoticum anhaften:
Abgesehen von den ausführlich geschilderten
Intoxicationserscheinungen, dem bekannten Taumeln,
der Parese der Extremitäten, dem Zähneknirschen
und der Sprachbehinderung, dem Schwindel und
unbestimmbaren Ekndigkeitsgefuhl, selbst Er-
brechen und Durchfall, zeigt sich häufig, auch
nach einmaliger, kiemer Dosis eine protrahirte,
unangenehme Schlafwirkung am nächsten Tage!
Der Eintritt der hypnotischen Wirkung des
Sulfonals verzögert sich häufig und ' lässt sich
nicht mit Sicherheit in einer bestimmten Zeit nach
Darreichung des Mittels voraussehen!
Die Dosis, welche ausreicht, andauernden
Schlaf zu erzeugen, schwankt bei verschiedenen
Individuen und selbst bei demselben Individuum
zu verschiedenen Zeiten ganz beträchtlich; und in
einzelnen Fällen treten zweifellos Intoxicationser-
scheinungen auf, bevor die Dosis gross genug ist,
andauernden Nachtschlaf zu erzeugen!
Es liegt yiel Wahres in dem Ausspruch
von Marandon de Montyel"): „/« Sülfonal
n'est pas un mSdicament, mais un poison!"
Wir glauben nicht, dass das Sülfonal in
der Psychiatrie sich eine bleibende Stellung
neben dem Chloralhydrat, Morphium und
Opium erringen und sie bewahren wirdi
*') Marandon de Montyel: „Des dangers
da salfoDal*'. Seance de la soci^te medico-psycho-
logiqoe da 25. mars 1889. Annales m^d.-psychol.
XLVn. ann^e 1889 S. 495.
Zar Behandlungr
der liUngrenschwindsiicht mit Kreosot.
Von
Dr. med. 8. Engel (Berlin).
Nachdem auf FräntzeTs und Sommer-
brodt^s Empfehlungen Kreosot gegen Lun-
genschwindsucht von einer ausserordentlich
grossen Menge von Aerzten angewendet wor-
den war und in der Mehrzahl der Fälle be-
stätigt worden, dass Kreosot in grossen
Dosen auf Kranke mit noch nicht allzuweit
fortgeschrittener tuberculoser Lungenphthise
günstig einwirkt, war es die Aufgabe der
exacten Medicin, experimentell die Ursache
f&r diese Thatsache zu suchen. Es handelte
sich dabei um Beantwortung der Frage: Ist
das Kreosot nur von symptomatischer Wir-
kung oder ist es im Stande, die Gewebe
und Säfte des menschlichen Korpers, in ge-
nügender Menge eingeführt, derartig zu mo-
di£ciren, dass die eingedrungenen und sich
beständig vermehrenden Tuberkelbacillen in
ihrer Fortentwicklung gehemmt werden, viel-
leicht gar ihre Existenzfähigkeit verlieren?
Ja die Modificationsfahigkeit des Kreosots
brauchte nicht einmal soweit zu gehen, dass
dadurch die eingedrungenen Tuberkelbacillen
vernichtet würden. Es genügte schon, wenn
man die Korpersäfte und -gewebe derartig
mit Kreosot imprägnirte, dass die Bacillen
aus ihnen ihre Nahrung, die sie zur Existenz
und Fortpflanzung brauchen, nicht entnehmen
konnten. In diesem Falle würden dieselben
in ähnlicher Weise zu Grunde gehen wie
im verkästen, ausgetrockneten Tuberkel.
Die Frage, ob das in den lebenden Or-
ganismus hineingebrachte Kreosot föhig ist, *
den Nährboden so zu verändern, dass er
contrabacillär wirkt, hat zuerst Cornet nach
Experimenten am Thier in seiner ausseror-
dentlich lehrreichen Arbeit^) zu beantworten
versucht.
Zu diesem Zwecke hat er 7 kräftigen
Meerschweinchen mit einem Durchschnittsge-
vdcht von 500—600 Gramm 0,02 g Kreosot
in Lösung durch den Magenkatheter in den
Magen injicirt und nach Fortsetzung dieser
Procedur während eines Zeitraums von 3
bis 8 Wochen vier von seinen Thieren, so-
wie zwei Control thieren, eine hanfkomgrosse
Masse Reincultur von Tuberkelbacillen unter
die Haut der Bauchdecke gebracht. Die drei
übrigen nebst zwei Control thieren mussten
*) Dr. Georg Cornet. üeber das Verhalten
der TuberkelbacUleD im thierischen Organismus
unter dem Einflass entwicklangshemmender Stoffe.
Zeitschrift f. Hygiene. Bd. 5. 1888.
502
fingel, 2ur fiahandlung «iar Lunganseliwlndsueiit mit Rreoiot.
rlienipeatladia
Monatabelle.
an zwei Tagen feinzerstäubte Tnberculose-
Reincnlturen inbaliren. Ancb nacb der In-
fecüon bekamen die 7 Tbiere 0,02 Kreosot
täglicb.
Das Resultat war ein absolut negatives.
Sowobl die durcb Impfung als aucb die
durcb Inhalation inficirten Tbiere gingen,
nebst den Controltbieren, innerhalb der
nächsten drei Monate zu Grunde. Bemer-
kenswerth ist dabei, dass die durch Inhala-
tion inficirten Yersuchsthiere zum grossten
Theile eher starben als die Impfthiere und
femer, dass die anatomischen Yeränderungen
bei einem nicht mit Kreosot behandelten
Inhalations-Controlthiere bedeutender waren
als bei zwei fast zu gleicher Zeit verendeten
mit Kreosot behandelten Inhalation sthieren,
worauf jedoch Cornet ausdrücklich keinen
Werth legen will.
Was die pathologisch-anatomischen Ver-
änderungen der Brust- und Bauchorgane be-
trifft, so ist unverkennbar, dass bei den In-*
halationsthieren die Brustorgane, bei den
durch einen Impfstich unter die Bauchdecken
inficirten die Bauchorgane besonders stark
afficirt wurden. Die Yeränderungen waren,
je nachdem das Thier längere oder kürzere
Zeit nach der Infection gelebt hatte, mehr
oder weniger bedeutend; sie bestanden in
Yergrösserung und Yerkäsung der Drüsen
sowie in Tuberkelbildung in Lunge, Leber
und Milz, welcV letztere, in den Fällen
stärkster Destruction bei den zuletzt ge-
storbenen Thieren mit vielen und ausgebrei-
teten Herden besetzt war.
Wie lehrreich und wichtig diese Yer-
suche auch sind, so hiesse es doch deren
Bedeutung ausserordentlich überschätzen,
wenn Jemand behaupten wollte, dass durch
dieselben die Wirkungslosigkeit des Kreo-
sots gegenüber den Tuberkelbacillen im le-
benden Organismus bewiesen sei; wie Som-
merbrodt anzunehmen scheint, wenn er in
seiner letzten Arbeit ri^vLr Behandlung der
Lungentuberculose mit Kreosot" schreibt'):
„Indessen dem Ausspruch der exacten For-
schung: eine antibacilläre Wirkung des
Kreosot im Organismus ist beim Meer-
schweinchen nicht nachzuweisen, muss man
sich beugen".
In dem Zusammenhange, in welchem
Sommerbrodt diesen Satz aufstellt, müsste
man annehmen, dass die von Cornet an-
gestellten Thier-Experimente, auf die sich
seine Worte beziehen, den Yerhältnissen
entsprechen, wie sie bei einem Menschen
vorliegen, den man gemeinhin „schwind-
süchtig" nennt. Dies ist jedoch keineswegs
^ Therap. Monatshefte. Juli 1889 S. 301.
der Fall. Es haben zwar auf die Yersuchs-
thiere zu gleicher Zeit Tuberkelbacillen und
Kreosot eingewirkt, es ist jedoch noth wen-
dig zu berücksichtigen, wie die Yersuche
angestellt worden sind, welche anatomischen
Yeränderungen durch die Tuberkelbacillen
bei den Thieren hervorgerufen worden sind;
welchen pathologischen Zuständen beim
Menschen die im Thierkorper hervorgebrach-
ten Yeränderungen entsprechen, um das ver-
schiedene Resultat, welches durch Sommer-
brodt^s und Cornet's Kreosotbehandlung
erzielt worden ist, erklären zu können.
Wir wollen uns demnach folgende Fragen
zur Beantwortung vorlegen:
1. Entspricht die Art und Weise, wie
Com et' s Yersuchsthiere mit Tuberkelba-
cillen inficirt worden sind, der Entstehungs-
weise der tuberculosen Lungenschwindsucht
des Menschen?
2. Wie verhalten sich die bei den Meer-
schweinchen erzeugten pathologisch-anatomi-
schen Yeränderungen zu den Sectionsbefun-
den bei verstorbenen Lungenschwindsüch-
tigen ?
3. Wie weit dürfen wir das von Cor-
net gefundene Resultat mit den therapeu-
tischen Erfahrungen vergleichen, wie sie
beim Phthisiker mit Kreosot gemacht worden
sind?
Cornet hat seine Yersuchsthiere nicht
in gleicher Weise inficirt. Einem Theil hat
er eine hanfkomgrosse Masse Reincultur von
Tuberkelbacillen unter die Haut gespritzt,
den andern Hess er feinzerstäubte Tuber-
culose-Reincultur an zwei Tagen inbaliren.
Die Dauer jeder Inhalation ist nicht ange-
geben, was offenbar für die Beurtheilung
der Schwere der Infection von grosser Wich-
tigkeit ist.
Beschäftigen wir uns zunächst mit der
ersten Gruppe. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, dass die Schwere der Infection
abhängig ist von der Menge der eingeimpften
Tuberkelbacillen. Ein Organismus, welcher
10 Bacillen aufgenommen hat, wird weniger
leiden, als wenn auf ihn zugleich tausend
derselben einwirken'). Cornet hat zu
gleicher Zeit eine hanfkomgrosse Masse Ba-
cillen eingeimpft. Wenn man auch „hanf-
korngross" nur als annähernd genaue Grossen-
angabe ansehen darf, scheint doch soviel
sicher, dass die Menge der eingeimpften
') Man vergleiche hierzu R. Koch, Die
Aetiologie der Tuberculose (Mittheilangeo
aas dem kaiserlichen Gesundheitsamt. Band II.
Seite 44). „Namentlich ist es von grösster Bedeu-
tung, ob die Infection mit sehr wenig Bacillen oder
mit einer grösseren Mense derselben bewirkt
wurde.*" Koch weist dabei auf den dadurch be-
dingten Unterschied am Eaninchenauge hin.
ItL Jahrgang,
November 1889
Ü
Engel, 2ur ^handlung der Lungenichwlndsucht mit Kreoiot
503
Bacillen mindestens ein Yolumen Ton 2 cbmm
hatte. Um einen Begriff Ton der Menge
Tuberkel bacillen zu bekommen, die sich in
einem solchen Räume zusammenfinden kann,
wollen wir daran erinnern, dass 1 cbmm
Menschenblut ausser dem Blutserum 5 Mil-
lionen rother Blutkörperchen enthält, dass
ferner die Länge eines Tuberkelbacillus nur
die Hälfte oder den dritten Theil eines
menschlichen rothen Blutkörperchens, seine
Breite nur etwa den zwanzigsten bis dreissig-
sten Theil der Länge beträgt. Nach ober-
flächlicher Schätzung würden demnach jedem
Thier ca. 600 Millionen Tuberkelbacillen
eingeimpft worden sein.
Bei der kritischen Beleuchtung des Ver-
suches dürfen wir den folgenden Punkt
nicht ausser Acht lassen: den äusserst gün-
stigen Nährboden, auf den. dieselben durch
den Versuch verpflanzt worden sind. Wäh-
rend sich die Bacillen im Reagensglase auf
der zur Cultur geeigneten Substanz — ver-
muthlich auf geronnenem, sterilisirtem Blut-
serum — auf einen Haufen zusammenge-
pfercht, langsam vermehrten, kamen sie nach
dem Impfstich unter Lebensverhältnisse,
welche für ihre Lebens- und Vermehinings-
fahigkeit nicht günstiger sein konnten.
Schon auf dem Culturboden im Wachsen
begriffen, wurden sie durch den Säftestrom,
in den sie allmählich eindrangen und von
welchem sie durch den Körper getragen
wurden, auf viele Nährböden verpflanzt.
Ist diese Vertheilung der Bacillen an und
für sich schon von grosser Wichtigkeit für
die schnelle Vermehrung derselben, so wird
ihrer Vervielfältigung durch die Möglichkeit
der Metastasen bildung noch mehr Vorschub
geleistet. Es hat sich nämlich bei der
Cultivirung der Tuberkelbacillen herausge-
stellt, dass, um die Culturen im Gange zu
erhalten, nach 10 Tagen eine Weiterimpfung
auf einen neuen Nährboden stattfinden muss.
Endlich wollen wir in dieser Hinsicht
noch erwähnen, dass durch die in die Haut
gemachte Stichwunde eine Anzahl Bacillen
ohne weiteres in Blut- resp. Lymphgefässe
eindringen und nach entfernteren Gegenden
verpflanzt werden konnte.
Die zweite Gruppe von Thieren inhalirte
feinzerstäubte Tuberculose - Rein cultur an
zwei Tagen. Obwohl die Zeitdauer, wäh-
rend welcher eingeathmet worden, nicht an-
gegeben ist, so geht doch daraus, dass an
zwei Tagen inhalirt wurde, femer aus dem
relativ frühzeitigen Absterben der Inhala-
tionsthiere, endlich daraus, dass ein Inhala-
tionsthier zehn Tage nach der Infection einer
Pneumonie erlag, ein anderes dreissig Tage
nach der Infection schon schwere patholo-
gische Veränderungen in den Bronchi aldrüsen
und Lungen zeigte — mit grosser Wahr-
scheinlichkeit hervor, dass eine bedeutende
Menge von Bacillen auch auf die Inhala-
tion sthiere eingewirkt haben muss. Nicht
zu vergessen, dass, wenn von „fein zerstäubt"
die Rede ist, die Staubmenge sicherlich so
gross war, dass sie mit blossem Auge er-
kannt werden konnte.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein,
die ätiologischen Momente der Lungen-
schwindsucht des Menschen auseinanderzu-
setzen. Soviel ist jedoch sicher, dass,
mögen die Tuberkelbacillen durch den Di-
gestions- oder Respiration stractus in den
menschlichen Körper hineingelangt sein,
mögen katarrhalische oder traumatische Er-
krankungen der Luftwege die Veranlassung
gebildet haben, dass die in dieselben ein-
gedrungenen Tuberkelbacillen nicht wieder
herausbefördert werden konnten, — auf
keinen Fall wird zu gleicher Zeit eine so
grosse Menge von Bacillen den menschlichen
Organismus angreifen, wie in den angegebe-
nen Experimenten auf die Meerschweinchen
eingewirkt hat. Dazu kommt, dass auch
die Lebens- und Vermehrungsfähigkeit der
aus einer Tuberculose-Reincultur entnomme-
nen Bacillen bedeutend stärker sein wird
als die derjenigen, welche aus eingetrock-
netem Auswurfe Lungenschwindsüchtiger
stammen und während ihres Aufenthalts
ausserhalb des menschlichen Körpers in Folge
der niederen Temperatur an einer Fortent-
wicklung verhindert, erst im menschlichen
Körper weiter wachsen.
Die erste unserer auf Seite 502 aufge-
stellten Fragen müssen wir denmach dahin
beantworten :
Die künstlich erzeugte Infection der
Meerschweinchen bildet keine Analogie für
die Infection beim Menschen; insbesondere
steht die zu gleicher Zeit den Thieren ein-
verleibte Menge von Tuberkelbacillen in
keinem Verhältnisse zu der Menge derjeni-
gen, welche aus der Luft in die Athmungs-
organe des Menschen gelangen kann^ zumal
wenn man bedenkt, dass im Vergleiche zum
Körpergewicht der Versuchsthiere die den
Menschen inficirende Bacillenmenge eine
hundertfache sein müsste.
Bevor wir an die Beantwortung unserer
zweiten Frage herantreten, ist es nothwen-
dig festzustellen, dass das Wort „Lungen-
tuberculose", welches sowohl in Sommer-
brodt's Arbeit als auch in der Cornet's
vorkommt, von beiden in verschiedener Be-
deutung gebraucht wird. Während Som-
merbrodt, wie aus dem Inhalt seiner Ar-
beit hervorgeht, die chronische tuberculose
504
Engel, Zur Behandlung dar Lungansehwindsucht mit Kreosot
r1ierap«atlfdifl
Monatahefte.
Lungenschwindsucht meint, spricht Cornet
in seiner Arbeit (Seite 127) von ,, ausgebrei-
teter Tuberculose der Lungen" in der Be-
deutung der allgemeinen Miliartuberculose.
Eine andere ist auch experimentell noch
nicht erzeugt worden^). Dem entsprechen
auch die pathologisch-anatomischen Befunde
bei den Meerschweinchen. Je nachdem die
Tuberkelbacillen durch Impfstich in den
Bauch oder durch Inhalation in die Lungen
eingedrungen sind, sind die oben bezeich-
neten anatomischen Veränderungen das eine
Mal in den Organen des Unterleibs, das an-
dere Mal in denen der Brust besonders stark.
Demnach müssen wir unsere zweite Frage
dahin beantworten, dass die Sectionsbefunde
bei den künstlich inficirten Thieren denen
entsprechen, wie sie bei der acuten Miliar-
tuberculose des Menschen vorgefunden wer-
den, nicht aber denen der chronischen tuber-
culosen Lungenphthise desselben.
Aus Cornet 's Versuchen, soweit sie das
Kreosot betreffen, geht nichts weiter hervor
als, dass Meerschweinchen, bei denen durch
eine grosse Menge in der Fortpflanzung be-
griffener Tuberkelbacillen eine allgemeine
acute Miliartuberculose erzeugt worden ist,
durch Kreosot, welches in einer Menge von
1 : 12— 1300 Blut in den Magen des Thieres
injicirt wurde, vom Untergänge nicht ge-
rettet werden konnten. Es wird doch Nie-
*) Zur Unterstützung dieser Behauptung wollen
wir wiederum die oben citirte Arbeit R. Koch 's
anfuhren. Bei der Besprechung der spontanen
Tuberculose der Meerschweinchen und Kaninchen
sagt er auf Seite 43 :
„Die Veränderungen, welche in diesen an spon-
taner Tuberculose gestorbenen Thieren gefunden
wurden, unterscheiden sich von den in Folge von
künstlicher Infection entstandenen in sehr charak-
teristischer Weise, so dass sich die verschiedene
Art und Weise der Infection mit aller Sicherheit
erkennen Iftsst.
Es wurden nämlich regelmässig bei den
Thieren mit spontaner Tuberculose ein oder einige
wenige grosse tuberculose Herde, die sich in weit
vorgeschrittener Verkäsung befanden, in der Lunge
una zugleich bedeutend vergrösserte und verkäste
Bronchialdrüsen angetroffen.
. . . Bei den durch Lihalation inficirten Thieren,
welche immer grössere Mengen von Bacillen
in die Lungen aufgenommen hatten, fanden sich
auch dem entsprechend nicht ein oder wenige
grosse Herde, sondern eine sehr grosse An-
zahl von kleinen Tuberkeln in den Lungen.
Zieht man diese an künstlich inficirten Thieren ge-
machten Erfahrungen in Betracht, dann wird man
die spontane Tuberculose, wie sie unter den er-
wähnten Verhältnissen bei Meerschweinchen und
Kaninchen vorkam, als durch Inhalation von einem
oder wenigen Infectionskeimen , d. h. Bacillen
entstanden, sich Torstellen müssen. Erwähnens-
werth ist noch, dass mehrfach in den grössten
Käseherden der Lunge der centrale Zerfall sehr
weit fortgeschritten war, und in Folge dessen sich
vollständige Cavemen, wenn auch von geringem
Umfange, gebildet hatten.^
mand behaupten wollen, dass durch dieses
Resultat die Frage erledigt worden ist, ob
sich die erfahrungsgemass günstigen Erfolge
bei der Ereosotbehandlung der tuberculosen
Lungenschwindsucht durch das Thierexperi-
ment bestätigen lassen. Gegen die acute
Miliartuberculose hat sich Kreosot, wie aus
den Versuchen hervorgeht, nicht bewährt.
Das Gegen th eil hat bisher noch Niemand
behauptet. Nur ein den menschlichen Ver-
hältnissen entsprechendes Experiment kann
über die Art der Wirksamkeit des Kreosots
bei der chronischen tuberculosen Lungen-
schwindsucht ein entscheidendes Wort reden.
So lange es noch nicht gelungen ist, diese
experimentell zu erzeugen, ist die Frage
als noch unerledigt zu betrachten.
Um noch mit wenigen Worten die Form,
in der das Kreosot gegeben werden kann,
zu erwähnen, so sind in Berlin ausser den
Sommerbrodt^schen Kreosotkapseln, der
Hopmann^schen Kreosotmischung, dem
Bouc bardischen Kreosotwein und dem
Kreosotwasser noch die Jasper^schen Kreo-
sotpillen mit je 0,05 Kreosot im Gebrauch,
die leichter als Kapseln zu nehmen sind
und den zweifelhaften Werth der Kapseln
bezüglich ihres Balsams nicht theilen. Bei
deren Verabreichung ist jedoch, um sicher
zu sein, dass sie nicht unwirksam durch
den Stuhlgang wieder entfernt werden, noth-
wendig darauf zu achten a) dass Diarrhoen
vermieden werden, b) dass stets eine ge-
ringe Menge derselben (2 — 3 Stück) wäh-
rend des Essens zwischen den einzelnen
Bissen oder auch während des Trinkens ver-
braucht werden; c) dass während der Pillen-
cur stets eine möglichst grosse Menge
Flüssigkeit in den Magen kommt. Nach
den bisherigen Erfahrungen empfahl es sieb,
zu je 20 — 25 Stück einen Liter Milch ver-
brauchen zu lassen. Mit 8 — 10 Pillen in
den ersten Tagen beginnend, ist es auf diese
Weise möglich gewesen, von 5 zu 5 Stück
in jeder halben Woche ansteigend, bis
80 Stück pro Tag, d. h. 4 g Kreosot nehmen
zu lassen, ohne dass über irgend welche
Beschwerden geklagt wurde. Wieviel Kreosot
davon vom Körper resorbirt wurde, Hess
sich bisher noch nicht feststellen. Endlich
soll nicht unerwähnt bleiben, dass Verfasser
in einigen Fällen von einer Mischung:
„Kreosot 1,0, Cognac 4,0, in Milch zu
nehmen^) bezüglich der Brauchbarkeit zu-
firiedengestellt wurde. 60 Tropfen der Mi-
schung (0,5 Kreosot) in 1 1 Milch gut ver-
theilt, werden, wenn reine Milch nachge-
trunken wird, gut vertragen. Mit dem An-
steigen der aufzunehmenden Milchmenge steigt
auch die aufgenommene Quantität Kreosot.
m. Jalirgirag. l
Korrmber 1889. J
Bats, Zu den ftusieren Operationen bei Laryoxtubereulose.
505
Zu den äusseren Operationen bei liarynx-
tuberciilose.
(Vortrag, gehalten in der laryngologischcn Scction
der 62. Naturforscherversarami ung zu Heidelberg.
September 1889.)
Von
Dr. Betz in Mainz.
üeber die IndicatioDSstellung zu äusseren
chirurgischen Eingriffen bei Larynxtubercu-
lose gehen die Meinungen noch weit ausein-
ander. Gilt dies schon für die einfache
Tracheotomie, die Yon der Mehrzahl der
Laryngologen nur bei erheblicher Laryngo-
Btenose als Yollberechtigter Eingriff angesehen
wird, während ihr andere, unter Führung
Ton M. Schmidt, einen viel grosseren V\^ir-
kungskreis zuweisen, aus bekannten Gründen,
die ich hier nicht zu wiederholen brauche,
so wird diese im ganzen reservirte Haltung
noch ablehnender, wenn es sich um grössere
äussere Operationen handelt, bei der Laryngo-
fissur mit der Ausräumung tuberculoser
Massen, bei der Resection und der Total-
exstirpation des tuberculosen Kehlkopfs.
Es sind diese Verhältnisse in der Ihnen be-
kannten Arbeit von Seifert (Münchener
med. Wochenschr. 1889, 14 und 15) ein-
gehender erörtert, auch die einschlägige Litte-
ratur ziemlich vollständig berücksichtigt, so
dass ich mich einfach auf diese Publication
beziehen kann. Nur über die letzgenannte
Operation, die Exstirpation des Kehlkopfs,
die, wie mir scheint, nicht ganz mit Recht
fast einstimmig verurtheilt wird, möchte ich
mir einige kurze Bemerkungen erlauben.
Der erste, der die Operation bei Larynx-
tuberculose in Vorschlag brachte, ist, soviel
ich sehe, E. Franke 1 (Deutsche med.
Wochensch. 1885, 28) indem er bei Gelegen-
heit der Demonstration eines Präparats von
ausgedehnter tuberculöser Destruction des
primär erkrankten Kehlkopfs, es fanden
sich nebenbei nur einige frische peribron-
chitische Knötchen in den Lungen, die Frage
aufwarf, ob nicht in ähnlichen Fällen die
Exstirpatio laryngis gemacht werden sollte.
V^enn ich von einem Falle von Lloyd
(Internat. Centralbl. f.- Laryngologie IV
p. 279), der im Jahr 1884 operirt wurde,
deswegen absehe, weil hier die Diagnose auf
Epitheliom gestellt war, und erst bei der
nachträglichen Untersuchung die tuberculose
Natur des Tumors als wahrscheinlich festge-
stellt wurde, so ist mir nur noch ein Fall
von Hopmann bekannt, den er auf der
Wiesbadener Naturforscher Versammlung 1887
mitgetheilt hat. Es bestand hochgradige
Infiltration des ganzen Kehlkopfs mit bedeu-
tenden Schluck- und Athembesch werden, bei
Anfangs nicht erheblicher Betheiligung der
Lungen. Führte die Operation in diesem
Falle auch nicht zu einem vollen Erfolg,
da dem Kranken nur eine ausserordentliche
Erleichterung geworden war bis zu dem
3 Monate nach der Operation durch den fort-
schreitenden Lungenprocess erfolgten Tode,
so ist der Fall doch darum von grossem
Interesse, weil er beweist, dass die Operation,
wenn nur sonst die Verhältnisse günstig sind,
sehr wohl einen guten Verlauf nehmen kann.
Ob noch ein oder der andre weitere Fall
veröffentlicht wurde, habe ich vielleicht über-
sehen; empfohlen wurde die Operation noch
von Mas sei bei primärer Kehl köpf tubercu-
lose (Internat. Centralbl. f. Laryngol. V p. 27).
Ich habe nun einen Fall zu behandeln
gehabt, bei dem ich mich durch die fast
allgemeine Verwerfung der Radicaloperation
leider abhalten Hess, die Exstirpation recht-
zeitig vorzunehmen, und ich möchte mir er-
lauben, Ihnen diesen Fall nebst dem zuge-
hörigen Präparat als einen Beitrag zur Be-
urtheilung dieser Frage vorzulegen.
Ich sah die damals 35 Jahre alte Frau L.
zuerst im Nov. 1884, als sie mich wegen
Hosten und Heiserkeit consultirte. Die
Untersuchung ergab über beiden Lungen-
spitzen spärliche Rhonchi, keine deutliche
Dämpfung. Im Larynx eine Schwiele an der
Interarytänoidealschleimhaut , Stimmbänder
etwas höckerig verdickt, keine Ulceration.
Nach kurzer Zeit blieb sie aus der Behand-
lung weg, und ich sah sie erst wieder im
Juli 1887 auf W^unsch ihres Hausarztes.
Ich hörte, dass sie in der letzten Zeit einige
Mal bei Herrn Dr. M. Schmidt in Frankfurt
gewesen sei, und dass dieser die Tracheo-
tomie für nöthig erklärt hätte. Der damalige
Befund war: Epiglottis stark verdickt, na-
mentlich an ihrer Laryngeal fläche, daselbst
einzelne miliare Geschwürchen zeigend,
Stimmbänder in ihrer ganzen Ausdehnung
ulcerirt, schwerer beweglich, Vorderfläche
der hinteren Larynx wand ulcerirt und ebenso
wie die aryepiglottischen Falten infiltrirt.
Hochgradige Dyspnoe und Dysphagie. Bei
Untersuchung der Lungen ergab die Percussion
wie vor 3 Jahren nichts besonderes, die
Auscultation ebenso wenig, da das Stenosen-
geräusch und weiterhin das Athmen durch
die Canüle etwaige feinere Veränderungen
verdeckte; es konnte nur so viel mit Be-
stimmtheit behauptet werden, dass eine
grössere Betheiligung der Lungen nicht
bestand. Ein Zweifel an der Diagnose
war durch den charakteristischen laryn-
goskopischen Befund und den Nachweis von
64
506
Bats, Zu den äuitaran Opentlottaa bal Laryaxtubarculoia.
rHierapeiitiiGhe
L Monatsheft«.
Tuberkelbacillen ausgeschlossen. Es bestand
Gravidität im 8. Monat, und es ist ein son-
derbares Zusammentreffen, dass die drei
Fälle meiner Beobachtung, bei denen die
Tracheotomie ^egen tuberculÖser Laryngitis
nöthig ^urde, sämmtlich hochschwangere
Frauen betrafen; es konnte demnach scheinen,
als ob dieser Zustand direct zur Steigerung
der Stenose, vielleicht durch Beeinflussung
der Circulations Verhältnisse, beitrüge. In
Parenthese sei bemerkt, dass die eine dieser
Patientinnen noch jetzt, 8 Jahre nach der
Operation, mit gesundem Kehlkopf lebt.
Der fernere Verlauf bei unserer Patientin
war nun kurz folgender: Am 23. 7. 87
Tracheotomie. In den nachfolgenden Tagen
keine Localbehandlung des Larynx. Es
trat, wie gewöhnlich nach der Tracheotomie
in solchen Fällen, ein Nachlass derSchwellung
am Eehlkopfeingang und damit Besserung
der Dysphagie ein. Vom 1. August bis
9. September locale Application Anfangs von
Jodol, späterhin von Cocain und Milchsäure,
doch ohne jeden sichtbaren Erfolg. Am
10. September rechtzeitige Entbindung, dies-
mal ohne Forceps, da Patientin Multipara
und das Kind ein atrophisches, bald nach
der Geburt verstorbenes war. (in den beiden
früheren Fällen, die ebenfalls Mehrgebärende
betrafen, musste die Geburt mit der Zange
beendet werden, offenbar wegen Wegfalls
der Bauchpresse durch Ausfall des Glottis-
schlusses.) In der nächsten Zeit nach der
Entbindung nur Cocain zur Linderung der
wieder stärkeren Dysphagie. Es vollzog sich
nun in den nächsten Monaten statt der er-
hofften Besserung eine stetige Verschlim-
merung des örtlichen Leidens, immer bei
günstigem Lungenbefund. Jodol und Milch-
säure nützten gar nichts, Cocain und Menthol
hatten einen nur palliativen Erfolg bezüglich
der Dysphagie. Es stellte sich immer deut-
licher das Bild einer Perichondritis des ge-
sammten Keblkopfgerüstes ein. Die Contouren
des Larynx bei der äusseren Untersuchung
wurden breiter, die Palpation schmerzhaft,
während das laryngoskopische Bild sich
eigenthümlich veränderte. Am Zungengrund
erschien im Spiegel die ödematöse Epiglottis,
die direct der hintern Rachenwand anzu-
liegen schien. Erst wenn man die Epiglottis
mit der Sonde nach vorn zog, erschienen
die ödematösen aryepiglottischen Falten und
der Kehlkopfeingang. Genauere Details von
der Larynxhöhle waren nicht zu erkennen,
es war Alles in einen grossen geschwürigen
Trichter verwandelt. Scariflcationen der öde-
matösen Wülste brachten nur vorübergehende
Erleichterung. So warder Befund im Juli 1888,
1 Jahr nach der Tracheotomie. Offenbar war
zu dieser Zeit schon das Knorpelgerüst in
weitem Umfang zerstört und dadurch dieses
eigenthümliche Zusammensinken des Kehl-
kopfs hervorgerufen. Damals war wohl bei
noch günstigem Zustand der Brnährung und
der Lungen der richtige Zeitpunkt für die
Exstirpation des ohnehin zerstörten Kehl-
kopfs gegeben.
So zog sich bei zunehmender Schwierig-
keit der Ernährung und steigendem Kräfte-
verfall der Process hin bis Anfang dieses
Jahres, als das Schlucken ganz unmöglich
und die Ernährung mit der Schlundsonde
nöthig wurde. Mitte Februar trat eine genau
zu verfolgende Aspirationspneumonie im
rechten ünterlappen auf; aber auch diese
führte noch nicht zum Tode, der Exitus er-
folgte vielmehr in der Nacht des 28. Februar,
19 Monate nach der Tracheotomie, durch
ein bei Larynxtu bereu lose sehr seltenes £r-
eigniss,' eine copiöse arterielle Blutung aus
der Laryngea superior der linken Seite, wie
sie eben nur möglich ist bei einer so toU-
ständigen Destruction des Kehlkopfes. Ihrer-
seits konnte sich diese nur in längerer Zeit
nach der Tracheotomie entwickeln; und des-
wegen ist sie bei Tuberculose so selten, weil
hier in der Regel die Lungenaffection viel
früher den Tod herbeiführt.
Bei der Section fand sich nun neben der
erwähnten grangränescirenden rechtsseitigen
Pneumonie in beiden Lungenspitzen geringe
Induration, vereinzelte ältere und spärliche
frische Tuberkelablagerungen, kein grösserer
Herd. Im oberen Theil der Luftröhre die
Tracheotomieflstel mit glatten Rändern, der
Larynx in eine grosse Höhle mit gangränösen
Wandungen verwandelt; von einzelnen Theilen
ein Rest der Epiglottis und aryepiglottischen
Falten, sowie die theilweise nekrotische Ring-
knorpelplatte und einige sonstige Knorpel-
fragmente kenntlich. Im Rachen ein grosses
zusammenhängendes Blutcoagulum, welches
sich in die Larynxhöhle fortsetzt und daselbst
an der linken Seitenwand in der Gegend
des Verlaufs der Arterie adhärirt.
Ich glaube, Sie werden mir zugeben, m. H.,
dass in diesem Falle die einzige Möglichkeit
der Heilung in der Exstirpation gelegen war;
und die Operation hätte bei dem Zustand
der Lungen und der grossen Lebenszähigkeit
der Patientin gewiss günstige Aussichten
dargeboten. Ich bin nun weit entfernt zu
glauben, dass sich solche Fälle häufig dar-
bieten werden; da sie aber vorkommen, so
ist für sie wenigstens die absolute Verwerfung
der Larynxexstirpation ungerechtfertigt.
r
loremSTif^sid 1 Clemens, Heilung und Sehwund der lyphilitisehen Sklerosis durch elektr. Ströme.
507
Yollkomineiie Heilung und Schwund
der syphilitischen Sklerosis durch die
methodische Anwendung^ elektrischer
Ströme.
Von
Dr. Theodor Clement in Frankfurt am Main.
aCrescunt diBrlplinao lente tardeqae;
per varloB errores sero porvenitnr ad re-
ritatem. Omnia praeparata esse debent
diurno et anldao labore ad introituin
veritatia novae. Jam illa eerto temporU
momento dlTina qaadam necenitate coacta
emerf et.** C. G. J. J a c o b i.
nWenn es sich darum handelt, wissen-
schaftliche Erfahrungen als Folge einer vor-
urtheils freien und nüchternen Beobachtung
festzustellen, so müssen alle Nebenrück-
sichten schwinden, die einem abgegebenen
Urtheile hindernd in den Weg treten
könnten.
Ich befand mich in der letzten Zeit iu
einer solchen Lage, indem mir die Gelegen-
heit ward, eine Erfahrung zu sammeln, die
mir bisher unbekannt geblieben war.
Es handelte sich um die syphilitische
Infection eines blühenden, gesunden Mannes
in den dreissiger Jahren, welcher sich nach
einem unreinen Beischlafe eine doppelte
ulceröse Sklerose am Praeputium und Fre-
nulum zugezogen hatte.
Dass die Sklerosen zunächst zur Ueber-
häutung zu bringen versucht wurde, dass
nach der bestimmten Zwischenzeit denselben
eine ausgesprochene Roseola folgte, ja dass
noch während des Bestandes derselben höchst
verdächtige geschwürige Halserscheinungen
sich zu entwickeln begannen, sind allbe-
kannte Dinge, die keiner weiteren Erörte-
rung bedürfen. Das, was mir in der Sache
neu war, und was ich — ich möchte sagen
— fast täglich mit meinen eigenen Augen
und meinen Fingern verfolgen konnte, war
Der Schwund der Sklerosen durch
die katalytische Wirkung des elek-
trischen Stromes.
Jeder, der sich mit der Behandlung der
Syphilis beschäftigt, weiss, wie ungemein
schwierig, ja oft völlig resultatlos der
Schwund der Sklerose, selbst durch die
best geleitete mercurlelle Behandlung zu
erzielen ist. — Ich habe über diese Frage
eine lange, lange Reihe von Beobachtungen
und Untersuchungen angestellt — (siehe
meine wissenschaftlichen Hospital-Berichte)
— und bin zu der Ansicht gelangt, dass
in der grossen Mehrzahl der Fälle eine
Mercnrialcur dieselbe nicht beseitigt, also
auch nicht als Präventivcur betrachtet wer-
den kann.
Um so überraschter und erstaunter war
ich, zu sehen, wie durch die Einwirkung
der Elektricität die Härte des syphilitischen
Primäraffectes fast von Tag zu Tag schwand,
so dass nach Ablauf der 6. bis 7. Woche
die Sklerosen vollkommen getilgt waren.
üeber die Technik der elektrischen Be-
handlung habe ich kein Urtheil; wer sich
darüber informiren will, muss sich an den
Erfinder dieser elektrischen Heilmethode,
Herrn Dr. Theodor Clemens, in Frank-
furt am Main, wenden, welcher mit mir
diesen Patienten behandelt und die elek-
trische Cur persönlich ausgeführt hat.
Dass bei dieser Beobachtung und bei
der durch dieselbe gewonnenen wichtigen
Erfahrung keine Täuschung mit unterlief,
werden diejenigen wohl glauben , welche
wissen, dass ich durch meine 33jährige
Hospital thätigkeit in diesem speciellen
Zweige unserer Wissenschaft mir wohl ein
kleines Urtheil in Syphiliticis angeeignet
haben dürfte.
Die Thatsache steht fest und giebt einen
neuen Beleg für den Werth der Elektro-
therapie. "
Frankfurt am Main, im September 1887.
Sanitätsrath Dr, Alex. Knoblauch.
Ich habe bereits in meinem Werke über
HeilelektricitätO viele Fäll^ angeführt, wo
die elektrische Behandlung nicht nur die
Sklerosen dauernd beseitigte, sondern auch
den Einfluss gezeigt, welchen die methodische
Anwendung der statischen Elektricität wie
des Galvanismus und Elektromagnetismus
bei den verschiedensten Formen tertiärer
und inveterirter Syphilis in oft überraschen-
der Weise als Heileffect uns darzubieten
im Stande ist. Heute nach einer vierzig-
jährigen Erfahrung und im Besitze eines
Materials, welches nach allen Seiten hin ein
reifes Urtheil erlaubt, bin ich nicht nur im
Stande, meine Methode der elektrischen
Heilung der Sklerosen klar darzulegen und
als Gemeingut einzuführen, sondern befinde
mich auch in der Lage, die Einwirkung
aller verschiedenen elektrischen Ströme bei
Behandlung und Heilung der Syphilis neben-
einanderzustellen und epikritisch zu charak-
terisiren. Seit zwanzig Jahren war es mein
beständiges Streben, namentlich diese meine
0 Ueber die Heilwirkungen der Elektricität
und deren erfolgreiche methodische Anwendung in
verschiedenen Krankheiten. Von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt am Main. Verlag von
Franz Benjamin Auffarth in Frankfurt am
Main 1876-1879, Pag. 507. Meine elektrische
Behandlung bösartiger Geschwüre, schlimmer For-
men der Syphilis wie deren Nachkrankheiten und
Complicationen.
G4*
508
Clamens, HeUung und Schwund der syphilitlschea Sklerosls durch elektr. Ströme. f^t^at^^ft«^
elektrische Heilmethode der Syphilis mög-
lichst zu Yereinfachen, damit meine wie ich
glaube segensreiche Erfindung nicht nur bald
in den Händen aller Elektrotherapeuten sein
mochte, sondern auch dem Nicht-Specialisten
zugänglich gemacht würde. Ich habe bereits
in den Jahren 1868 und 1870 einen Pa-
tienten'), der von Herrn Hofrath Professor
Sigmund in Wien als incurabel entlassen
worden war und von Sigmund meiner heil-
elektrischen Behandlung übergeben wurde,
nicht nur vollkommen geheilt und den Pa-
tienten zur Prüfung wieder nach Wien ge-
sandt, sondern auch diese ganze Cur im
Beisein und in täglicher Gegenwart des
Herrn Medicinalraths Physikus Dr. Litten
aus Stettin ausgeführt, welcher College sich
nicht genug über den durch die elektrischen
Strome bewirkten Schwund der Sklerosen
wundern konnte. Dieser Patient hatte in
Folge von H unter ^schem Chanker am
Penis zwei und am Hodensack eine Sklerose
von zwei bis drei Centimeter Länge, die
sich so hart wie Pappdeckel anfühlten.
Der Kranke hatte drei Schmiercuren^), Jod-
und Badecuren durchgemacht und die Skle-
rosen blieben unverändert in ihrer ganzen
Grosse und Härte, waren aber nach einer
siebenmonatlichen elektrischen Cur weder
für das Auge, noch für die Fingerspitzen
wahrnehmbar. XJeberblicke ich heute mein
ganzes Krankenmaterial, so ergicbt sich mir
als Resultat für die Zeitdauer meiner elek-
trischen Heilmethode der Sklerosen ein
Zeitraum von sechs Wochen bis zu sieben
Monaten. Frische Fälle, die noch nicht
über zwei und drei Monate alt waren, wur-
den gewohnlich von mir in sechs bis sieben
Wochen zu ganz vollkommenem Schwund
gebracht, wie dies ja auch in dem von Herrn
Sanitätsrath Dr. Knoblauch beglaubigten
Fall geschehen ist. Hier waren zwei grosse,
sehr harte Sklerosen vorhanden und wurden
solche vor Beginn der elektrischen Cur genau
mit dem Cirkel gemessen und gezeichnet,
welche Messung und Abzeichnung von 8 zu
*) üeber die Heilwirkungen der Elektricität
und deren erfolgreiche methodischo Anwendung in
verschiedenen Krankheiten. Von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt am Main. Verlag von
Franz Benjamin Auffarth in Frankfurt am
Main 1876—1879. Siehe Pag. 524 und Anmerkung.
') Ich habe überhaupt noch keinen Fall ge-
sehen, dass Sklerosen, welche nach einer zweiten
Schmiercur nicht gewichen sind, nach einer dritten
geschwunden wären. Auch intensive Jodcuren
bleiben dann meistens resultatlos und behalten
solche Patienten ihre Sklerosen meist lebensläng-
lich, enden dann oft mit Gehirnkrankheiten und an
sogenannter Gehirnerweichung, welcher partielle
Paralysen vorhergehen. Die nicht geschwundene
Sklerose ist und bleibt ein schlafender Lowe.
8 Tagen auf das genaueste wiederholt wur-
den. In diesem mit Herrn Dr. Knoblauch
behandelten Fall war die innere Sklerose des
Praeputiums bis zum Frenulum genau zwei
und einen halben Centimeter lang und in
der Mitte ein und einen halben Centimeter
breit, während die äussere Sklerose auf der
Epidermisfläche des Praeputialendes circa
zwei Centimeter lang und ein und einen
halben Centimeter breit war. Die innere
Sklerose war länglich eiförmig und die
äussere auf der Epidermis mehr rundlich.
Beide Sklerosen waren pappdeckelhart und
bei Spannung weisslich durchscheinend.
Der Verlauf der ganzen syphilitischen An-
steckung ein durchaus schwerer. Roseola,
Schuppenflechte auf dem Kopf und in den
Handtellern, Condyloma an den Schenkeln,
wo der Hoden sack auflag. Geschwüre auf
den Tonsillen, Scharlachröthe des Rachens
und Auflockerung der Schleimhaut, sowie
Plaques opalines (Psoriasis mucosa, Leuko-
plakia buccälis) der Wangenschleimhaut
nebst beginnender Paronychia syphilitica der
Fingernägel. — "Wir hatten es also hier
mit einer schwersten syphilitischen Infectipn
zu thun, wofür die harten und. grossen Skle-
rosen, sowie die Schwellungen der Leisten-
drüsen beider Inguinalgegenden schon deut-
lich genug sprachen.
Selbst die Excision der Sklerosen bleibt
bekanntlich fast in allen Fällen resultatlos,
indem die Narbe hart bleibt und die Indu-
ration sich mit der Zeit, wenn auch nur
langsam, wieder bildet. Unter allen von
mir elektrisch behandelten und geheilten
Fällen befand sich nur ein einziger Patient
der Art. Die nach der Excision wieder
entstandene Sklerose mit der Narbensubstanz
verbunden, verlangsamte den Schwund durch
den Einfluss der Elektricität ungemein, so
dass ich in diesem Fall bei täglich vier
elektrischen Sitzungen volle drei Monate
gebrauchte, um die an und für sich kleine
Praeputial-Sklerose zum Verschwinden zu
bringen. Wäre die Sklerose eine epidermi-
dale gewesen, so hätte ich die Recidive
nach der Excision gewiss nicht unter sechs
Monaten entfernen können, während die
nicht operirten Sklerosen , ob in der inneren
oder äusseren Haut des Praeputiums lagernd,
meist in geringerer Zeitdauer entfernt wer^
den können. Eine Ausnahme machen hier
die Sklerosen der Glans penis, welche in der
Regel hartnäckiger, dem lösenden und
schmelzenden Einfluss der elektrischen
Ströme länger widerstehen. Das Gleiche
gilt von den Sklerosen der Yagina und der
grossen und kleinen Schamlefzen, welchen
Umstand ich jedoch lediglich dem weniger
I^vemWi%.] Clemens, Heilung und Sehwund der syphilitischen Sklerosis durch elektr. Strome. 509
entwickelten Lymphnetz dieser Theile im
Gegensatz zu .dem des Penis zuschreibe.
Es sind diese Theile oft in hohem Grade
schlaff, welk und auch ohne Sklerose schon
im Zustande einer gewissen Induration.
Dass neben der elektrischen Behandlung
der Sklerosen oder nach Beseitigung der-
selben eine antisyphilitische Cur stattfinden
muss, wird jeder Arzt, der die Baeren-
sprung^sche Ansicht (Sklerose ist schon
der Ausdruck der Allgemeininfection) theilt,
einsehen. Dessenungeachtet ist die endliche
und wirkliche Beseitigung der Sklerose für
den Patienten ein ganz gewaltiger Yortheil,
wie uns die Erfahrung aus tau senden von
Fällen hinlänglich zeigt; denn bleibt die Skle-
rose trotz aller antisyphilitischen Behand-
* lungsmethoden, so ist eben der Patient nie-
mals als geheilt zu betrachten. Ich muss
daher hier die mögliche Frage, ob diese
meine Methode der Heilung der Sklerosen
mittelst elektrischer Strome von meiner
Seite zugleich als eine Coupirmethode der
Syphilis^) aufgefasst werden darf, durchaus
verneinen. Selbst wenn in einzelnen Fällen
die kaum entwickelte Sklerose durch elek-
trische Strome zu schnellem und schnellstem
Schwund gebracht wird, muss man dennoch
den möglicherweise kommenden syphilitischen
Symptomen mit Aufmerksamkeit entgegen-
sehen. Dann aber ist die Schmiercur, me-
thodisch richtig angewandt, gewiss die beste
Radicalcur, um sicher vor den so oft ein-
tretenden Recidiyen zu schützen. Die elek-
trische Technik zur Heilung, Schmelzung
und Auflosung der Sklerosen ist von mir in
der Art vereinfacht worden, dass die ganze
elektrische Behandlung sowohl vor als wäh-
rend und nach der Schmiercur ausgeführt
werden kann, was natürlich von sehr grossem
Yortheil ist, obgleich nach meinen Erfah-
rungen es immer am besten und schnellsten
zum Ziele führt, wenn der durch die elek-
trischen Strome bereits eingeleitete Schwund
*) Vierteljahresschrift för Dermatologio und
Syphilis, herausgegeben von Prof. F. J. rick in
Prag. Dreizehnter (1886) Jahrgang. (Der Reihen-
folge XVIII. Jahrgang.) Wien 1886. Wilhelm
BraumuUer. Pa^ 638. Prof. Kaposi (Wien)
Referat über die Therapie der Sypnilis. — Ich
stehe durchaus, was die Beurtheilun^ der Sklerose
betrifft, auf der Seite von Kaposi und Boeck,
indem ich auch nach meinen Erfahrungen der An-
sicht huldige, dass nicht jede Sklerose von Syphilis
gefolgt zu sein braucht, weshalb ich weit entfernt
bin, meine elektrische Heilung der Skleroso als
eine Coupirmethode der Syphilis anzupreisen. Was
es aber heisst, eine Sklerose, welche mitten in dem
Ausbruch der Syphilis und selbst nach drei Schmier-
und Jodearen dennoch bestehen bleibt, doch noch
endlich durch elektrische Ströme zum Schwund zu
bringen, das wird jeder Syphilidologe wohl zu wür-
digen wissen.
schon angebahnt ist, bevor eine weitere anti-
syphilitische Cur beginnt.
Die ganz eigenthümliche Veränderung
der Gewebe, welche bei syphilitischen In-
fectionen sich manchmal so rasch bildet
und welche wir Sklerosis nennen, bedarf
einer genauen physio- pathologischen Cha-
rakteristik, bevor wir zu einer näheren Aus-
einandersetzung meiner elektrischen Behand-
lungs- und Heilmethode weitergehen.
Bekanntlich ist Wasser ein vorzüglicher
Leiter für alle elektrischen Strome, während
todtes, das heisst starres Wasser (Eis) weder
faradische noch galvanische Strome leitet
und durch die stärksten galvanischen Ströme
nicht zersetzt werden kann^). Eis, also
erstarrtes Wasser, ist nur für statische
Elektricität, nicht für galvanische ein Leiter.
Die Elektrolyse des Wassers ist also nur
möglich, wenn die Wasseratome beweglich
bleiben; auf diese Thatsache weiter schlies-
send, konnte ich durch folgendes Experi-
ment die elektrolytische Wasserzersetzung
beschleunigen und vermehren. Hielt ich
nämlich bei elektrolytischen Wasserzersetzun-
gen eine stark tönende grosse Stimmgabel
in die Nähe der beiden polaren angesäuerten
Wassercy linder, so dass sich die Schwin-
gungen auf das Glas übertragen konnten,
so sah ich sofort eine kräftigere Gasent-
wickelung entstehen. Es wurden hier also
durch üebertragung der Schallschwingungen
die Wassermolecüle in Bebung versetzt und
die Elektrolyse beschleunigt. . Dass wir
diese erschütternden Bebungen bei organi-
schen Geweben durch faradische Ströme
hervorbringen können und diese moleculare
Action®) in der Elektrotherapie gar sehr
würdigen müssen, habe ich in meinen Wer-
ken über Heilelektricität^) vielfach ausein-
andergesetzt. — Wenn ich nun bei der
Sklerosonbildung den Vergleich mit dem
*) Siehe mein Werk „Ueber die Heilwirkungen
der Elektricität und deren crfolgi'eiche methodische
Anwendung in verschiedenen Krankheiten. Frank-
furt ajn Main. Verlag von Franz Benjamin
Auffarth. 1876—1879. Pag. 581 u. Anmerkung.
^) Allgemeine medicinische Centralzeitung.
Berlin, IL. Jahrgang, 10. Stück, 4. Februar 1880.
Der unterbrochene inducirte Strom, seine Aufsau-
gung befördernde Kraft und moleculüre Action.
von Dr. Theodor Clemens in Frankfurt am
Main. Diese Arbeit wurde fortlaufend veröffent-
licht in Nr. 10, 15, 18, 23, 28 und 34.
^) Siehe meine Broschüre: ,,Die Elektricität
als Heilmittel. Ein Wort zur Aufklärung und
zum Verständniss elektrischer Curen und elektri-
scher Heilapparate". Von Dr. Theodor Clemens
in Frankfurt am Main. Vorlag von Franz Ben-
jamin Auffarth. Frankfurt am Main 1882.
rag. 16. Die elektrischen Wechselströme oder der
unterbrochene und sogenannte Inductionsstrom.
510 Clemens, Heilung und Schwund der lyphilititchen Sklerosis durch elektr. Ströme. [^Monat^dlt«^*
erstarrten Wasser®) wage, so ist dies durch-
aus nicht zu weit gegriffen, denn auch bei
der Sklerosenbildung sinkt die Leitungs-,
also auch die Reactionsfähigkeit gegen elek-
trische, galvanische wie faradische Ströme
ganz bedeutend. £s yeräudert also auch
hier die Stagnation in dem organischen Ge-
webe das Verhalten der Molecule. Ich habe
in sehr vielen Fällen eine an ünempfind-
lichkeit grenzende Torpidität der syphiliti-
schen Sklerosen gegen elektrische wie elek-
trostatische Strome beobachtet und in fast
allen von mir elektrisch behandelten und
geheilten Fällen wahrgenommen, dass die
Empfindlichkeit mit dem Heilungsprocess
wuchs, ja dass sogar am Schlüsse der ge-
lungenen Cur die Stellen, wo die Sklerosen
gestanden hatten, die normale Umgegend
an Empfindlichkeit übertrafen. Die von
mir elektrisch geheilten Sklerosen waren
vier Wochen nach geschlossener Cur weder
sichtbar, noch fühlbar wahrzunehmen, und
weder ein gefärbter Fleck, noch eine Narbe
zeigte die Stelle an, wo die Sklerosen ge-
standen hatten.
Das organische Eis war eben einfach ge-
schmolzen und der eigenthümliche, weiche
Dichtigkeitszustand aller lebenden Gewebe^)
(den wir als den festflüssigen Aggregatzu-
stand bezeichnen müssen), war zurückgekehrt.
Von der Meinung und Ansicht, dass wir in
der Sklerosenbildung ein Syphilisbacillen-
depot finden müssten, sind wir durch die
neuesten Untersuchungen^®) wohl vollständig
zurückgekommen. Mit dem Mikroscop sehr
vertraut, waren bisher alle meine Bemühun-
gen, den Lustgarten^ sehen specifischen
Syphilisbacillus zu finden, gänzlich resultat-
los. Ich glaube daher, dass das eigenthüm-
liche, rein menschliche Syphilisgift in der
Sklerose selbst liegend, mit feinen und fein-
sten Ausläufern mit dem Lymphnetz in
engstem Zusammenhang steht, und dass von
der Sklerose aus die ganze Intoxication des
^) Sprechen wir doch von jeher gleichsam im
Vorgefühl eines Vergleichs bei der Heilung von
Indurationen und Sklerosen von einem Schmel-
zungsprocess.
^) Siehe „Gesammelte populäre Vorträge aus
dem Gebiete der Entwickelungslehro". Von Ernst
Ha ekel. Erstes Heft. Bonn. Verlag von Emil
Strauss. 1878. Pag. 25. Ueber die Wellenzeugung
der Lebenstheilchen oder die Perigenesis der Pla-
stidule. Pag. 35 u. Pag. 47.
*°) Doutrelepont und Schütz, lieber Ba-
cillen bei Syphilis. (Aus der Klinik für Syphilis
und Hautkrankheiten in Bonn. — Deutsche med.
Wochönschrift 1885, Nr. 19.)
^M. v. Zeissl. Untersuchungen über den Lust-
garten'sehen Bacillus in Syphilisproducton und
Secreten derselben. (Wiener med. Presse 1885,
Nr. 48.)
Organismus") ausgeht. 'Wurde das syphili-
tische Gift nicht einen lähmungsartigen Zu-
stand an dem Orte der fnfection hervor-
rufen (H unter' scher Chanker, Induration,
Sklerose), so wäre wohl die Gesammtintoxi-
cation des ganzen Organismus eine viel
raschere. Diese lähmungsartige Gewebe-
erstarrung, die wir eben Sklerosis nennen,
weicht eben deshalb nur dem localen elek-
trischen Strom zugleich mit einer eingelei-
teten Imbibition, welche kein anderes Mittel
einzuleiten im Stande ist, als eben die mo-
leculäre Action fördernde und wieder er-
weckende Kraft der Elektricität. Sehr
richtig sagt Ernst Haekel an der citirten
Stelle: „Der festflüssige Aggregatzustand der
organischen Gewebe erscheint als eine noth-
wendige Vorbedingung aller der verwickelten .
Molecularbewegungen, als deren Gesammt-
resultat das „Leben" sich darstellt. Die
Leichtigkeit, mit welcher das Plasson unter
verschiedenen äusseren Existenzbedingungen
Wasser und wässrige Losungen aufiiimmt
und abgiebt, ist dabei von besonderer Be-
deutung, und nicht minder die ausserordent-
liche Neigung der meisten Plassonarten, sich
mit anderen Kohlenstoffverbindungen, sowie
mit Salzen zu vermengen."
Aus dem eben Gesagten und Angedeu-
teten geht deutlich hervor, dass meine Me-
thode, die Sklerose (und ähnliche Entartun-
gen der Gewebe) elektrisch zu heilen, nicht
auf dem Wege des Experimentes und der
Versuche entstanden ist, sondern ihre Ent-
stehung und ihre Erfolge rein wissenschad-
lichen Ansichten und Schlussfolgerungen
verdankte.
War ich von jeher der Ansicht, dass die
Schankerinduration die Krankheit selbst ist'^),
so wage ich hier den Vergleich des Zellen-
Organismus der Pflanze. In der Sklerose
ist der syphilitische Samen zur Blüthe und
Samen tragenden Frucht gelangt und ist nun
im Stande, von dem Fruchtknoten aus reife
syphilitische Samenzellen durch das Lymph-
gefäss- System weiter zu verbreiten. Ver-
welkt der weiche Schanker, ohne diesen be-
fruchtenden Fruchtknoten weiter zu treiben,
so ist eben der Parasit einfach verwelkt
und abgestorben, bevor der Process der
**) Wie ich nachgewiesen habe, bildet sich
auch bei Diphtherie unter der Pseudomembran
eine Tonsillarsklerose und geht von hier ans die
Blutvergiftuns in die Schilddruse und- in das Ge-
hirn. Siehe Allgcm. med. Centralzeitung 1885, Nr. 1.
Die elektrische Behandlung der Diphtheritis. Von
Dr. Theodor Clemens in Frankfnrt am Main,
und ebenda 1887, Nr. 79. Und noch einmal dir
elektrische Behandlung der Diphtheritis.
'^) V. Baeronsprnng, Mittheilnngen ans d<*r
Abtheilung und Klinik für syphilitische Kranke.
Annalen des Charite-Krankenhauses. Berlin 18G0.
I^vember^8&.] Clemens, HeUung und Schwund der STphUitlsehen Skleroils durch elektr. Ströme. 51 1
FmcbtentwickeluDg zu Stande kam. Dieser
Vergleich ist durchaus nicht so weit herge-
holt, wie dies auf den ersten Blick erschei-
nen mag und stimmt durchaus mit der An-
sicht des syphilitischen Krankheits-Depot in
anderen Organen. — Ich gehe in dieser
Hinsicht noch etwas weiter wie Virchow^^),
indem ich der Ansicht huldige, dass eine
Sklerose jederzeit die Fähigkeit besitzt, an-
derweitige Sklerosen in anderen Organen
zu reproduciren und so die allmähliche
Durchseuchung des ganzen Organismus zu
bewirken. Diese in anderen Organen de-
ponirten Sklerosen können Jahre lang schlum-
mern und in ganz verschiedenen Zeitperio-
den zur Reife gelangen. Deshalb' kann
ein scheinbar geheilter Syphilitischer ganz
gesunde und dann wieder syphilitische
Kinder zeugen, weil eben in diesem späteren
Zeitraum eine in einem anderen Organ yer^
borgen schlummernde Sklerose reif, d. h.
Samen tragend geworden ist. — Wem wird
hier nicht der Schill er^sche Ausspruch
schwer auf die Seele fallen? — „Das eben
ist der Fluch der bösen That, dass sie
fortzeugend Böses muss gebären!" Die
Zeit, in welcher der syphilitische Frucht-
knoten, die Sklerose, im Stande ist, in an-
deren Organen weitere Sklerosen zu erzeugen,
ist gewiss eine äusserst verschiedene, sowohl
was die Intensität der Infection, als auch
die Individualität des Inficirten betrifft.
Eben deshalb gelingt manchmal die Hei-
lung durch die Exstirpation der Sklerose*^),
obgleich diese abortive Behandlung veneri-
scher Primär (?)-Affecte mittelst der Exci-
sion durchaus nicht das gehalten hat, was
sie zu versprechen schien. Der torpide
Bubo, welcher sich in der Folge nach der
Schankerinduration entwickelt, ist eigentlich
gar nichts anderes, wie die Inguinal- Skle-
rose ; kommt er, was selten der Fall ist,
zum Aufbruch oder wird er operativ miss-
handelt und voll geschmiert mit reizenden
Salben, so werfen sich eben die torpiden
Wundränder zu Sklerosen um und zeigen
dann ihren Charakter um so deutlicher, je
irrationeller sie eben behandelt werden.
Habe ich doch als Hospitalarzt einen Schiff-
*•) Vir oh GW 's Archiv, Bd. XV und Separat-
abdruck: ^Ueber die Natur der constitutionell-syphi-
iitischen Affectionen", Berlin 1859. Siehe femer
„Die Lehren vom syphilitischen Gontagiuin und
ihre thatsächliche Begründung" von Dr. Heinrich
Auspitz. Wien 1866. Wilhelm Braumüller.
Pag. 374.
") Vierteljahrsschrift für Dermatologie und
Syphilis von Prof. Dr. F. J. Pick und Dr. H.
Auspitz. Wien 1877. Wilhelm Braumüller.
Vierter 1877 er Jahrgang. Pag. 107. „Ueber die
Excision der syphilitischen Initialsklerose" von Prof.
Heinrich Auspitz in Wien. Pag. 107.
mann behandelt, der in Folge eines solchen
Vorgangs eine Sklerosen - Landschaft von
einem Fuss Durchmesser auf dem linken
Abdomen zur Schau trug. Hier war nun
freilich die ungeheuerliche Grosse dieser
Mondlandschaft durch den mechanischen
Reiz des Ruderdrucks gegen die Inguinal-
Gegend entstanden und unterhalten worden '^).
Dass die Sklerose die Lymphwege wählt
und immer dabei einen kalten, eigenthüm-
lieh schleichenden Process entwickelt, sehen
wir schon an dem Fehlen der Lymphgefass-
Entzündungen, die ja so leicht entstehen,
wenn giftige Stoffe durch Infection und Ino-
culation in die Lymphbahnen gelangen.
Das syphilitische Gift ist eben ein ganz
eigen thümlich kalt und chronisch wirkendes
Gift, das mit der Zeit immer schleichender
und deshalb gefährlicher geworden ist.
Diesen Charakter zeigt auch die oft so
hartnäckige Roseola syphilitica, welche ein
lecht venöses Exanthem, ohne alle Fieber-
erregung verläuft und dennoch durch ihre
oft sonderbare Yertheilung eine Mit-Afifection
des Yasomotorius vennuthen lässt. Die so
specifische Wirkung der Quecksilber-Schmier-
cur zeigt hier recht deutlich, dass ein Gift
das andere auf dem richtigen Wege, den
Lymphbahnen, getrotfen hat. — Es wird
wohl mancher Leser darüber vielleicht er-
staunen, dass ich scheinbar untreu meiner
üeberschrift, so weitschweifig in fast alle
Gebiete der Syphilidologie hinübergreife.
Diesem scheinbar berechtigten Vorwurf zur
Antwort, dass das erste Mittel zum Sieg
über den Feind unleugbar immer die ge-
naueste Eenntniss dieses Feindes sein muss.
Will ich ein neues noch gänzlich unbekanntes
Mittel, eine neue ungläubig angestaunte Me-
thode, zur segensreichen Bekämpfung eines
der fürchterlichsten Feinde der menschlichen
Gesundheit und der menschlichen Gesell-
schaft einführen, so muss ich einem sach-
^^) Dass in diesem Fall die von mir mit der
Cowper^schen Scheere abgetragenen Sklerosen
keine einfachen Epidermidal- oder Bindegewebs-
Wucherungen waren, sondern sich der histologi-
schen Anatomie der syphilitischen Initialsklerosc
durchaus ähnlich und verwandt zeigen, wurde da-
mals von mir durch häufige mikroskopische Unter-
suchungen dargethan. In allen von mir unter-
suchten Fällen stimme ich mit den Resultaten der
Untersuchungen von Auspitz und Unna übcroin,
nur mit dem Unterschied, dass ich den in die
Tiefe wuchernden Epidermidalzapfen hier jede spe-
cifische Bedeutung abspreche. Ich habe diese
Wucherungen, die fast cancroide Formen annah-
men, am schlimmsten in den localen Sklerosen nach
Leichenvergiftungen beobachtet. Siehe: Die Anatomie
der syphilitischen Initialsklerose. Von Professor
Heinrich Auspitz in Wien und Dr. Paul Unna
in Hamburg. Yierteljahrschrift für Dermatologie
und Syphilis 1877. Pag. 161.
512
Cl«iB«ni, Heilung und Schwund der sypbilitltchen Skleroiii durch elektr. Ströme. PM^iuLaft«.
TerstäDdigen Publikum Tor allen DiDgen
meine Ansichten und meine Stellung der
Tielen Streitfragen auf diesem Gebiete ge-
genüber aufs Genaueste darlegen. Deshalb,
bevor ich zu meiner Elektrotherapie der
Syphilis und speciell zu der elektrischen
Behandlung der Sklerose übergehe, noch
eine kleine Abschweifung auf das histolo-
gisch-au atomische Gebiet dieser viel bespro-
chenen Affection. — Als Assistenzarzt im
heiligen Geist - Hospital zu Frankfurt am
Main zog ich mir bei der Section einer
Tuberculosen eine Leichenvergiftung an dem
vierten Knöchel der rechten Hand im Jahre
1849 zu. Ich hatte einfach bei dem Her-
ausschälen der verwachsenen linken, ganz
tuberculösen Lunge mich an einem Knochen-
splitter einer Rippe kaum sichtbar verletzt.
Trotz sofortiger intensiver Ghlorwaschungen
(Garbol damals unbekannt) und Aufschlägen
von Kupfervitriol - Losung entwickelte sich
am nächsten Tage an dieser Stelle ein kleiner
Pustelausschlag, der bald ein kleines kaum
stecknadelkopfgrosses Geschwürchen bildete,
welches i.ch sofort mit Höllenstein ergiebig
ätzte. — Der Schorf £el ab und es bildete
sich eine schwielige Induration, welche aber-
mals geätzt sich in eine flache Erosion ver-
wandelte. Der. feuchten Imbibition schon
damals bei solchen Infectionen sehr huldi-
gend, trug ich in einem Verband Tag und
Nacht einen kleinen Leinsamenaufschlag auf
der kranken Stelle der Hand und besorgte
fortwährend ununterbrochen meine Spital-
Geschäfte. Collegen, welchen ich nach Mc*
naten die Hand zeigte, schüttelten den Kopf,
ja Altmeister Professor Dr. Kloss, ein alter
hocherfahrener Hospitalarzt, gab mir die
wenig tröstliche Prognose mit auf den Weg:
„Lieber College, das Ding werden Sie ihr
Lebetag nicht mehr los^. — Kam nun noch
dazu der Umstand, dass mein College in
dem Hospital, Herr Dr. Bender, in Folge
Leichen Vergiftung (äusserst geringe, aber
trotz aller Ermahnung vernachlässigte Ver-
letzung am Finger bei der Section einer an
acuter Leberatrophie Verstorbenen) auf gräss-
liche Weise sein junges Leben lassen musste,
so war meine Aufmerksamkeit auf den
Krankheitsprocess meiner Hand eine selbst-
verständlich sehr gewissenhafte. Hatte ich
in ähnlichen Fällen schon die histologische
Beobachtung gemacht, dass die Heilung sol-
cher Affectionen durch epitheliale Wuche-
rungen in die Tiefe sehr aufgehalten, wenn
nicht unmöglich wurden, so konnte ich nun
bei mir selbst die Bildung dieser in die
Tiefe wuchernden Epithelzapfen*^) deutlich und
i<) Offenbar eine Sklerosen-Bildonff, welche als
Leichentuberkel in die von A ab er t beschriebene
auf der Höhe der Affection sbgar mit blossem
Auge verfolgen. — Schon damals schien
mir die permanente Imbibition der Sklerose
eine durchaus nothwendige Heilungsbedin-
gung, weil ich dadurch den eigenthümlichen
Charakter der Epidermis wohl am besten
beeinträchtigen konnte. Die stets in die
Tiefe wuchernden harten Epithelzapfen
wirkten offenbar wie fremde Körper und
zeigten nach ihrer Entfernung deutlich mit
der Loupe wahrnehmbare Cauäle, aus denen
sich Blut und Eiter ergoss. Trotz aller
Imbibition und trotz 30 mal iger Kauterisation
mit Salpetersäure konnte ich doch erst nach
Jahresfrist meine Hand geheilt erklären.
Freilich darf ich dabei nicht verschweigen,
dass ich mich in einem vollkommen durch-
seuchten Hospital in rastloser, angestreng-
tester Thätigkeit befand, indem das Haus
überfüllt mit den Schwerverwundeten der
1848er September-Revolution ein Nosocomial-
Gaugrän in optima forma gezeitigt hatte,
so dass alle Amputirten an Pyämie zu Grunde
gingen und einfachste Schröpfkopfwunden
zu gangränösen Geschwüren entarteten, welche
allen Behandlungen Monate lang Trotz boten.
— Für einen auf der heutigen Höhe der
Desinfection sichre Stehenden eine gräss-
liche Rückerinnerung und um so deprimi-
render, als ich schon damals Ventilation und
Desinfection , leider nur tauben Ohren pre-
digte. — Werfen wir nun noch einen kurzen
Rückblick auf den ganz eigenthümlichen
Krankheitsprocess, den wir Sklerosis nennen
und der so gänzlich falsch mit Ulcus durum
bezeichnet worden ist, so muss ich mich zu
der Vir cho waschen Ansicht") bekennen,
dass Schankerinduration und Gumma als im
Wesen identische Zelleninfiltration des Binde-
gewebes zu betrachten sind. Die anato-
mische Specificität dieser Infiltrationen bei
Syphilis charakterisirt diese Sklerosen als
ein der Syphilis ganz eigenthümliches Krank-
heits-Product, als die Frucht eines Krank-
heits-Processes, der fortschreitend in allen
Organen des menschlichen Organismus gleiche
besondere Form von Hautiapus, in den Lupus
papillomatosus übergehen würde. Siehe den Be-
richt über die Verhandlungen der Section für Der-
matologie und SjphUis auf dem achten internatio-
nalen medicinischen Congress in Gopenhagen, 10.
bis 16. August 1884, pag. 441. Dr. Unna (Hambnrg).
Archiv für Dermatologie und Syphilis^ 16 Original-
Abhandlungen.
*') Virchow „Ueber die Natur der constitn-
tionell-syphilitischen Affectionen i. J. 1869." Femer
Archiv für Dermatologie und Sjphilifl, Band 16.
Original-Abhandlungen Pag. 405. Wie stehen wir
heute gegenüber der Syphilis? Vortrag, gehalten
von Professor Dr. Heinrich Au spitz in Wien
bei Eröffnung seiner klinischen Vorlesungen über
Syphilis am 18. October 1884.
Nov'em1b«?^889 ] C^l«m«n8, Heilung und Schwund der syphilitischen Sklerosis durch elektr. Strönie. 513
und ähD liebe Producte zu schaffen im Stande
ist. leb halte den indolenten torpiden Bubo
der Inguinalgegend, der ja so oft der Sklerose
folgt, für die erste Etappe auf dem Wege
zur allgemeinen Infection. Dass ein Lymph-
drusen-Convolut nicht in derselben Weise
entarten wird, -wie die Zelleniofiltration des
Bindegewebes, ist selbstverständlich, dass
es aber ganz zu denselben Krankheitspro-
cessen gehören mochte, beweist die That-
sache, dass meine elektrische Heilmethode
die Sklerosen und die Gummata, wie auch
den torpiden sklerotischen Leisten-Bubo voll-
kommen und dauernd zu beseitigen im
Stande ist.
In der torpiden Leistengeschwulst, in der
gummatosen Periostitis, in dem wuchernden
Condylom, wie in den verschiedensten De-
generationen aller Organe des inficirten
menschlichen Organismus, müssen wir überall
gleichmässig die zu allen möglichen Dege-
nerationen geneigte Syphilis zelle^^), den
menschlichen Syphiliskeim suchen, der eben
so wenig auf einem anderen thierischen Or-
ganismus sein furchtbar gedeihliches Schma-
drotzerthum entfalten kann, wie ein Apfel reis
Äuf einem Birnbaum gedeiht. — Die Epithel-
"wucherung der syphilitischen Initialsklerose
iist durchaus nicht als charakteristisch zu
betrachten, wohl aber die eigenthümliche
Infiltration des Bindegewebes. Epithel-
wucherung in die Tiefe finden wir bei dem
Epitheliom, wie bei dem Papillom, in der
Schwiele der localen Leicheninfection, wie
im Lupus und Garcinom, in allen Fällen
ein schlimmer Gast, aber nirgends ein spe-
cifisch charakteristisches Merkmal. — Die
charakteristische eingeimpfte Syphiliszelle,
ein durchaus organischer und organisirter
Krankheitskeim, darf durchaus nicht mit der
Einwanderung pathogener Mikroben ^^) ver-
wechselt werden, auch ruft der organische
Syphiliskeim in seiner Umgebung keinen
Yemichtungskampf hervor, sondern die Skle-
rose, sobald sich eine solche gebildet hat,
ist nichts anderes als ein samentragender
Fruchtknoten und kein Ulcus durum. Die
Sklerpse, der syphilitische Fruchtknoten, ist
•das Zeichen, dass die Impfung angegangen
") Tageblatt der 60. YersammluDg Deutscher
Naturforscher und Aerzte in Wiesbaden 1887.
Pag. 118.
Professor Poehl, St. Petersburg: Die Eigen-
schaften des Harns der Syphilitiker und Beiträge
zur Frage über die Ursache der Immunität der
Thiere geeenüber der Syphilis.
^') Virchow's Archiv 101 S. 1. Der Kampf
der Zellen und der Bacterien.
Der Untergang pathogener Schimmelpüzo im
Körper von Dr. Huro Ribbert, Bonn. Verlag
von Max Cohen &Sohn (Fr. Cohen) 1887.
und nun zu ihrer Weiterent Wickelung fähig
ist. Also ist die Sklerose die Syphilis
selbst.
Ich glaube meine wissenschaftliche Stel-
lung der Syphilis gegenüber nun genau dar-
gelegt zu haben, und gehe ich nun auf
festem Boden zu der elektrische^ Behand-
lung und Auflösung der Sklerose, also zu
der elektrischen Behandlung und Heilung
der Syphilis selbst über. — Wenn es ein
Mittel giebt, mit welchem wir, ohne irgend
eine arzneiliche Cur und ohne locale Aetzung
die Sklerose zum allmählichen Schwund
bringen können, so muss dieses Mittel über-
haupt bei Behandlung der Syphilis von sehr
grosser Bedeutung sein. Meine elektrische
Heilmethode macht aber nicht nur die Skle-
rosen verschwinden, sondern sie äussert,
überhaupt und in mannigfaltiger Weise zur
Anwendung gebracht, bei den verschiedensten
Formen der Syphilis ihre heilkraftige Ein-
wirkung. Es würde mich hier zu weit
führen, wenn ich alle jene Erfahrungen und
Resultate, die ich in einer nun vierzigjäh-
rigen heilelektrischen Praxis gemacht habe,
auch nur andeutungsweise hier berühren
wollte und muss ich die Interessenten auf
mein wiederholt citirtes Werk*^) verweisen.
Bevor ich jedoch zur Beschreibung meiner
elektrischen Heilmethode der Sklerosen
übergehe, muss ich noch eine kleine Erklä-
rung voraussenden, warum ich, wie wir
sehen werden, gerade dem faradischen Strom
bei dieser Methode die Hauptrolle zuweise.
Ich gehe nämlich von der Ansicht aus, dass
im gesunden animalen Organismus alles in
beständiger atomistischer Bewegung ist. Ob
wir mit Planetensystemen oder mit Zell-
systemen zu thun haben, so walten im Gros-
sen wie im Kleinen überall dieselben Natur-
gesetze, allüberall beständige Bewegung des
Entstehens und Vergehens. Wir sehen die
Flimmerbewegung und die oscillatorische
Bewegung gar mancher Zellengebilde und
müssen uns wohl zu der Annahme hinneigen,
dass keine einzige Zelle, keine einzige Mo-
lecüle des menschlichen Organismus auch
nur einen Augenblick während des Lebens
ruht» — Alles ist in beständiger Bewegung
von der Conception des Ovulums bis zum
Tode. Das Entstehen neuer Zellen, wie
das Abstossen und Vergehen der alten Zellen
kann ohne Bewegung nicht gedacht werden.
Wenn nun aber durch Wucherung und Bin-
'0) Ueber die Heilwirkungen der Elektricität
und deren erfolgreiche methodische Anwendung hi
verschiedenen Krankheiten. Von Dr. Theodor
Clemens in Frankfurt am Main. Verlag von
Franz Benjamin Auffarth in Frankfurt am Main.
1876-1879.
65
514
Fault 9 2ur tetodorlsirendttn Wirkung dar Borsäura.
rTberspeutiaehe
l. Monatshefte.
degewebs - Infiltration die organische Zelle
starr gebettet ^ird, so muss der natürliche
Stoffwechsel sofort beeinträchtigt werden,
die organische Mauserung hört dann auf
und wird durch Ablagerung der giftigen
Syphiliszelle ersetzt. Wir haben es also
dann mit einem Krankheitsprocess nach
zwei Seiten zu thun. Erstens Erstarrung
des organischen Gewebes, zweitens giftige
Ablagerung, und wohl aus beiden Momenten
geschaffen, mag hier ein pathologisches Pro-
duct entstehen, welches wir Sklerose zu
nennen gewohnt sind. — Bevor ich also zu
der elektrischen Behandlung und Auflösung
der Sklerose übergehe, habe ich mich zu
der „Cellular-Pathologie" RudolfVirchow's
bekannt, auf welchem Standpunkt das ganze
System meiner hierher gehörigen elektro-
therapeutischen Heilmethode entstanden ist.
[Sehluu folgt.]
Zur desodorisirenden Wirkung der
Bors&nre.
Von ^
Dr. W. Faust in Dresden.
Die Desodorisationsfähigkeit der selbst
geruchlosen Borsäure ist schon vielfach her-
vorgehoben worden, sie wird aber neuerlich
scheinbar nicht mehr genügend gewürdigt,
seitdem man, gestützt auf genauere bacterio-
logische Untersuchungen, von ihrer antisep-
tischen Kraft nicht mehr viel hält. Diese
ist aber gamicht so gering, wenn sie nur
genügend lange entfaltet werden kann; und
eine Dauerwirkung an umschriebenen Kör-
perstellen zu erzielen, ist bei ihrer geringen
Reizwirkung 9 ihrer Schw^erlöslichkeit und
ihrer relativen Ungiftigkeit leicht möglich.
In ingeniöser Weise erreichte schon List er^)
ein Yorräthighalten der Borsäure durch sei-
nen mit hei SS gesättigter Borsäurelösung
(l : 4) bereiteten Borlint, in welchem er
ein ganzes, nur allmählich sich entleerendes
Borsäuremagazin mit den Wundflächen in
Berührung brachte. An geeigneten um-
schriebenen Orten erreicht man dasselbe di-
rect durch Borsäurepulver.
Als die Borsäure im Laufe dieses Jahr-
hunderts die ihr von ihrem Entdecker,
Homberg^), vindicirte Bedeutung als Ner-
_t
^) Lister, über Borsaureanwendung, übers,
von Lindpaintner, bayr. Tntell.-Bl. XXlII, 1876.
') Homberg, Momoires de TAcad. d. sciences
h Paris 1702.
vinum verloren hatte, war es nun gerade
ihre desodorisirende Wirkung, durch welche
sie die Aufmerksamkeit wieder auf sich
lenkte, war gerade sie es, welche 1868 den
schwedischen Chemiker Gähn veranlasste,
sie als Aseptin oder Amykos zur Conser-
virung des Fleisches zu empfehlen. Von
Nyström') in die Wundbehandlung ein-
geführt, überraschte sie schon W est er-
lund^) auf Estlander's Klinik durch das
rasche Verschwinden des Fäulnissgeruchs
bei mit „Aseptin^ behandelten Geschwüren.
Crede^) betont 1877, als die antiseptische
Technik schon weiter vorgeschritten war,
dass er unter keinem anderen Verbände,
selbst an den ungünstigsten Stellen, so ab-
solute Geruchlosigkeit wahrgenommen habe,
wie unter dem Borverband.
Bekanntlich findet die Borsäure seit
Bezold's^) Empfehlung in der Ohrenheil-
kunde ausgedehnte Verwendung, hier emi-
nent ihre desodorisirende Fähigkeit entfaltend.
Dasselbe constatirten Atkinson, Harri es,
Goodhart, Kurz u. A. für die Diph-
therie, gegen welche Wertheimer 1878
sie zuerst empfohlen hatte. Nach ihnen
soll zugleich die Lösung der Membranen
befördert und ihre Neubildung verhindert
werden. Leukorrhoe bei Vaginitis etc. wird
ebenso günstig beeinflusst^), doch muss man
sich freilich vor solcher Massenapplication,
wie sie Welch®) anwandte, hüten, der 6 bis
8 Mal je 40 bis 50 g Borsäurepulver in
die Vagina einbrachte, wonach, bei aller-
dings dauernder Heilung, in 5 Fällen ähnliche
schwere Vergiftungserscheinungen eintraten,
wie sie Mitscherlich^) zuerst am Kaninchen,
Molodenkow^^) zuerst mit tödtlichem Aus-
gang am Menschen beobachtete. Gegen
übelriechenden Fussschweiss empfahlen die
Borsäure Thin, Willcox, Bull 1880,
neuerlich Sprinz*^). Ich selbst habe bei
Tränkung der Strümpfe mit kalt gesättigter
Borsäurelösung keinen wesentlichen Erfolg
gesehen, der ungleich grösser und nach-
haltiger bei Anwendung des Liq. Anti-
hidrorrhoicus von Brand au ist, werde aber
in geeigneten Fällen einmal einen Versuch
mit einer heiss gesättigten machen.
*) Ny ström, Upsala läkaroforen. forhand!.
Vn, 4, p. 382; 1871.
*) Westerlund, finska läkaresällsk. handl.
XIV, 1, p. 1; 1872; cf. Schmidt's Jahrb. 154, 1872.
*) Berlin. Kl. Wochenschrift 1877 No. 22.
«) Arch. f. Ohrenheilkunde XV, 1, 1880.
^) Kurz, Memorabilien 1882, XXV, 9.
®) Correspondenzblatt für Schweizer Aerztc
1888, 23.
^) Lehrbuch d. Arzneimittellehre 1851, ITT,
»0) Petersburger med. W. 1881, VT.
»0 Therap. Monatsh. Mftrz 1889.
TIT. Jahrgang. 1
Norember 1889. J
Langgaard, Uebar alnlge naua Scblafknittel.
515
Die AnwenduDg von Borsäurepulver ganz
speciell empfehlen möchte ich bei Balano-
posthitis, hervorgerufen durch massenhafte
Bildung und Zersetzung des Smegmas. Ich
habe in letzter Zeit Gelegenheit gehabt,
eine Anzahl derartiger Fälle zu behandeln,
die gegen Waschungen, Streupulver, Salben
merkwürdig resistent waren. Der Einfluss
nach vorhergegangener Reinigung auf die
Glans und das innere Präputialblatt aufge-
stäubter feinpul verisirter Borsäure war nun
ein ganz eclatanter; bereits nach einmaliger
Application horte die Smegmabildung fast
auf und war der widerliche Foetor völlig
verschwunden. Hartnäckige Balanitiden
wichen nach ca. 3 maliger Einpuderung, die
man etwa an drei auf einander folgenden
Abenden vornehmen lässt. Besonders em-
pfiehlt sich aber die einfache Borsäure-
behandlung durch ihre nachhaltige Wirkung.
Leute, die sonst unendlich häufig kleine
Erosionen bekamen, blieben bei der vermin-
derten Smegmabildung und der verhinderten
Zersetzung frei davon, selbst bei nicht ge-
rade besonderer Reinlichkeit. Welche pro-
phylaktische Bedeutung dies hat, ist klar.
Nenere Arzneimittel.
Ueber einigte neue Schlafmittel.
Von
Dr. A. Langgaard.
Chloralammonl um.
fSchlussJ
Ueber dieses Mittel liegt meines Wissens
bis jetzt nur eine Publication vor von dem
Amerikaner W. B. Nesbitt, welcher das-
selbe zu Anfang vorigen Jahres in einigen
vierzig Fällen in Dosen von 5 — 20 grains
(ca. 0,3 — 1,2 g) versuchte.
Merkwürdiger Weise findet sich in der
betreffenden Mittheilung kein Wort über die
hypnotische Wirkung. Als Wirkung wird
angeführt: unmittelbar nach dem Einnehmen
ein wenige Minuten anhaltendes Gefühl von
Spannung im Kopf und ein angenehmes, vom
Magen über das Abdomen ausstrahlendes
Wärmegefühl, ferner eine Beschleunigung der
Athem- und Pulsfrequenz während ^a ^^^
1 Stunde. Blutdruckbestimmungen konnten
wegen Mangels an Apparaten nicht ausgeführt
werden, jedoch hält Nesbitt eine Erniedri-
gung des Blutdrucks für wahrscheinlich, da
die erregende Wirkung auf den Puls viel
weniger ausgesprochen war, als auf die
Respiration.
Da die Verbindung im Handel nicht zu
haben ist, so war ich genothigt, mir die-
selbe darzustellen. Die Darstellung geschieht
durch Einleiten trockenen Ammoniakgases
in eine kalt gehaltene Losung von was-
serfreiem Chloral in der l^a fachen Menge
Chloroform. Die Reaction verläuft sehr
glatt. Das sich in feinen Krystallen ab-
scheidende Chloralammoniak wird nach dem
Abgiessen des Chloroforms zwischen Fliess-
papier gepresst und getrocknet.
Chloralammoniak bildet kleine, bei 62 —
64^ schmelzende Ejrystallnadeln. Die Angabe
in Beilstein^s Handbuch der organischen
Chemie, dass es in kaltem Wasser fast unlös-
lich sei, durch heisses Wasser aber in Chloro-
form und ameisensaures Ammoniak gespalten
werde, kann ich nicht bestätigen. Es lost
sich schon in kaltem Wasser unter Zer-
setzung auf. Auch ein in einem trockenen,
gut verschlossenen Glase befindliches Prä-
parat zeigte sich nach längerem Aufbewahren
zersetzt. Es roch stark nach Ammoniak
und Chloroform.
Wenn einerseits schon diese Eigenschaft
das Präparat als ungeeignet für die prac-
tische Yerwerthung erscheinen lässt, so bietet
andererseits auch die Wirkung keine Vor-
theile, welche eine Empfehlung rechtfertigen
konnten.
Bei den von mir an Kaninchen ange-
stellten Versuchen trat die hypnotische Wir-
kung deutlich hervor, gleichzeitig aber machte
sich eine starke Gefässerschlaffung und Er-
niedrigung des Blutdrucks geltend, selbst
bei Dosen, die einen nicht sehr tiefen,
etwa zwei Stunden anhaltenden Schlaf er-
zeugten.
LiUeratur: W. B. Nesbitt. Chloral Ammoniam
— Trichloramidoethylic Alkohol. Therap. Ga-
zette 1888 S. 88.
Chloral-Ürethan.
Auch über diese Verbindung liegt bis
jetzt nur eine Mittheilung von G. Poppi
vor, welcher das Chloral-Ürethan unter dem
Namen „Uralium" zu Anfang dieses Jahres
65*
516
Langgaard, Ueb«r einig« neue Schlafmittel.
rlierapenti«^
Monatshefte.
ia die Therapie einzuführen versuchte. Mir ist
die Pop pi' sehe Mittheilung nur durch Re-
ferate hekannt geworden. Danach soll das
Mittel schneller und sicherer wirken, als
irgend ein anderes Hypnoticum, es soll frei
sein Yon jeglichen Nebenwirkungen und den
Blutdruck nur bei todtlichen Dosen her-
absetzen, bei den therapeutischen zur An-
wendung kommenden Gaben aber unbeein-
flusst lassen.
Ich muss gestehen, dass mir gleich beim
Lesen der Notiz, ehe ich die Substanz in
Händen hatte nnd ehe ich Versuche ange-
stellt hatte, die Idee, die beiden Schlafmit-
tel zu combiniren, als eine wenig glückliche
erschien. Es war mir nicht recht yerständ-
lich, wie die gefässl ahmen de Wirkung einer
Substanz durch Combination mit einer an-
dern, welche keinen nachweislich erregen-
den Einfluss auf das Gefössnervencentrum
ausübt, aufgehoben werden soll.
Die Verbindung ist übrigens nicht neu
und auch schon längere Zeit bekannt.
Chloral-Urethan wird erhalten durch Auf-
lösen von ürethan in wasserfreiem Ghloral.
Wird, die erhaltene Losung mit concentrirter
Salzsäure versetzt, so erstarrt sie innerhalb
24 StTinden zu einer in Wasser unlöslichen
Masse. Dieselbe wird zunächst mit concen-
trirter Schwefelsäure behandelt, dann mit
Wasser gewaschen, wobei ein Gel resultirt,
das später krystallisirt. (B.Fischer, Neuere
Arzneimittel III. Aufl.)
Das Chloral-Urethan ist in kaltem Was-
ser fast unlöslich; in kochendem Wasser
wird es in Ghloral und Ürethan gespalten.
Alkohol und Aether lösen es leicht.
Das von mir benutzte Präparat stammte
aus der Dr. Schuchard tischen Fabrik in
Görlitz.
Bei den an Kaninchen angestellten Ver-
suchen wurde das Mittel den Thieren in
feiner Emulsion mittelst Schlundsonde in den
Magen gebracht.
Was zunächst die hypnotische Wirkung
betrifft, so war dieselbe bei den verschiede-
nen Thieren sehr ungleich, was wohl auf
die geringe Löslichkeit und ungleichen Re-
sorptionsverhältnisse zurückzuführen ist.
So riefen bei einem 1300 g schweren
Kaninchen 2 g des Mittels kaum eine Wir-
kung hervor, während bei einem andern
1750 g schweren Thiere durch 1,5 g gerade
keine sehr tiefe, aber immerhin deutlich
ausgesprochene Hypnose erzeugt wurde.
3 g bewirkten bei einem 1800 g schweren
Thiere tiefe Hypnose, Erlöschen sämmtlicher
Reflexe und vollkommene Muskelerschlaffung.
Das Verhalten des Blutdrucks zeigt fol-
gender Versuch:
Uhr
lU. 0
lU. 5
lü. 10
1 U. 15
1 ü. 20
lU. 25
lU. 35
lü. 45
lü. 55
Kaninchen 1750 g schwer.
Blutdruck '
In mm Hg
98
105
70
50
50
50
50
50
Bemerknngen
Erhält 1,5 g Chloral-Urethan
in den Magen.
Reflexe erhalten.
Reflexe erhalten.
Reflexe erhalten.
Reflexe erhalten.
Reflexe erhalten.
Reflexe erhalten. Thier wird
losgebunden, schwache Hyp-
nose.
In diesem Versuche war die hypnotische
Wirkung nicht st§rk, die Reflexe waren
während der ganzen Versuchsdauer erhalten
und dennoch war der Blutdruck 10 Minuten
nach Eingabe des Mittels bereits von 105
bis auf 50 mm gesunken.
Chloral-Urethan wirkt nach meinen Thier-
versuchen schwächer und weniger sicher
Schlaf erregend als Chloralhydrat, theilt mit
diesem aber die Wirkung auf das Gefass-
nervensystem.
JSTaelitraff.
Nachdem die obigen Zeilen bereits im
Satz für den Druck fertiggestellt wai-en,
erschien in No. 80 der Ph arm aceu tischen
Zeitung folgende Notiz, welche leider auch
ihren Weg in die Spalten einiger politischen
Tagesjournale gefunden hat:
»»
Ueber da« Somnal.
Das von Herrn Apotheker Radlauer in
Berlin dargestellte Somnal ist äthylirtes
Chi oral ürethan von der Formel
C^ Hu Clj 0^ N
und wird aus Chloral, Alkohol und ürethan
dargestellt. Es unterscheidet sich von dem
bisher bekannten Chloralurethan durch den
Mehrgeh alt von 2 C und 4 BT.
Somnal besitzt einen Schmelzpunkt von
42° C. und siedet im Vacuum etwa bei
145® C. Dasselbe wird durch Zusatz von
Silbernitrat nicht verändert; ebensowenig
durch Säuren. Somnal wird in Dosen von
2 g am besten mit Zusatz von Solutio
Succi Liquirit. oder Syrup. Rubi Idaei nach
folgender Verordnung gegeben:
IV Somnal 10,0
Aq. destillat. 45,0
Solut, Succi Liquirit. 20,0
des Abends 1 Esslöffel.
In dieser Dosis von 2 g bewirkt das
Somnal nach vielen damit angestellten
ärztlichen Versuchen schon '/a Stunde nach
dem Einnehmen einen 6- bis Sstündigen
ruhigen Schlaf ohne nachherige unangenehme
nLJfthrgaog. l
November 1889. J
Langgaardy Ueber «inige naue ScUafinittal.
517
Nebenwirkung. Es zeichnet sich nach An-
gabe des Fabrikanten vor den anderen
Schlafmitteln dadurch aus, dass der Schlaf
bereits nach Va Stunde eintritt, dass er 6
bis 8 Stunden dauert, und dass das Somnal
keinen Einfluss auf die Verdauung, den
Puls, die Athmung und die Temperatur
ausübt, somit in seiner Wirkung die vor-
trefflichen Eigenschaften des Chloralhy-
drates und des Urethans vereinigt, ohne die
unangenehmen Nebenwirkungen der beiden
Salze zu zeigen."
Nach einer neueren Angabe des Herrn
Radlauer in No. 87 der Pharmaceutischen
Zeitung wird das Somnal fabrikmässig dar-
gestellt durch gegenseitige Einwirkung von
Ghloralalkoholat und Urethan im Vacuum,
wobei sich das Somnal durch einfache Ad-
ditioa bilden soll. Nach der Formel
C CU - C
0 Ca Hi
H
NH COO Ca Hj,
welche Herr Radlauer seinem „Somnal"
giebt, wäre dasselbe ein Chloralurethan
-OH
C CI3 - C — H
"^^^NH COO Ca H5,
in welchem der Wasserstoff der OH-Gruppe
durch Aethyl C9 H5 ersetzt ist.
Das Präparat, wie es von der Fabrik
in den Handel gebracht wird, stellt eiqe
klare, wasserhelle, stark alkoholisch rie-
chende Flüssigkeit dar, von bitterem, inten-
siv scharfem, kratzendem Geschmack, ist mit
der gleichen Menge Wassers klar mischbar,
trübt sich auf weiteren Wasserzusatz und
giebt wiederum, nachdem 5 Theile Wasser
zugefügt sind, eine klare Lösung.
Jeder Unbefangene wird nach der oben
wiedergegebenen Notiz der Pharmaceutischen
Zeitung, welche das Somnal als einen bei
42° schmelzenden Korper beschreibt, er-
staunt darüber sein, dass das Präparat eine
Flüssigkeit ist. Dieser offenbare Wider-
spruch hat auch wohl Herrn Lutze
(Dr. Kade's Oranienapotheke) zu der in
No. 86 der Pharmaceutischen Zeitung mit-
getheilten Ansicht geführt, dass das Somnal
nur eine Auflösung von Chloralhydrat und
Urethan in Alkohol sei.
Ob das Somnal wirklich der angegebe-
nen Zusammensetzung entspricht, ob es nur
eine alkoholische Lösung von Chloralhydrat
und Urethan dai-stellt, oder ob es end-
lich, was mir wahrscheinlich erscheint,
eine Auflösung eines bei der Einwirkung
von Urethan auf Ghloralalkoholat erhaltenen
Reactionsproductes in Alkohol ist, könnte
nnr durch eine genaue chemische Unter-
suchung festgestellt werden. Jedenfalls
scheint Herr Rad lau er selbst sich über
sein neues Präparat wenig klar zu sein,
wenn er dasselbe als ein einfaches Additions-
product aus Ghloralalkoholat und Urethan
bezeichnet. Ist es dieses, so entspricht es
nicht der von ihm angegebenen Formel. Hat
es aber die angegebene Zusammensetzung,
so ist es kein einfaches Additionsproduct.
Eine Verbindung von der Formel
OC, Hj,
C CI3— H
~ NH.COOC3H5
könnte sich aus Ghloralalkoholat und Ure-
than nur bilden unter Wasseraustritt.
Die Feststellung der Zusammensetzung
des Somnals scheint im Uebrigen von sehr
geringem Werthe zu sein, da das Präparat
alle diejenigen Eigenschaften, welche der
Erfinder als Vorzüge vor anderen Schlaf-
mitteln, speciell vor . dem Chloralhydrat,
rühmt und welche die Einführung in die
Praxis rechtfertigen würden, nach meinen
Erfahrungen nicht besitzt. Der Geschmack
scheint mir eher unangenehmer, jedenfalls
aber nicht besser, als der des Ghloralhydrats
zu sein. Die hypnotische Wirkung ist ge-
ringer, sie tritt erst nach grösseren Dosen
und später ein, als nach Chloralhydrat und
ist von kürzerer Dauer. Die Athmung und
die Circulation werden sehr energisch in der
gleichen Weise und mindestens ebenso stark
beeinflusst wie durch Chloralhydrat. Der
Blutdruck sinkt bei Kaninchen auch nach
Dosen, die nur einen etwa 2 Stunden dauern-
den Schlaf mit Erhaltung aller Reflexe er-
zeugen, bis 40 mm Quecksilber und selbst
noch tiefer.
Mein Freund Herr Prof. Rabow, welcher
das Somnal versuchsweise angewendet, hat,
schreibt mir über die damit gemachten* Er-
fahrungen : „Der Geschmack ist sehr schlecht,
auch in der angegebenen Form mit Succus
Liquiritiae. — Ich habe das Somnal in Do-
sen a 2 g bis jetzt zwanzig Male verabreicht
an 18 Personen und darunter 7 Male guten
Erfolg gesehen; 9 Male war die Wirkung
schwach, d. h. die Patienten schliefen nur
2—3 Stunden, und 3 Male war die Wirkung
gleich Null. Ein Kranker, der auf 2,0 Som-
nal gamicht schlief, schlief ausgezeichnet
nach 2,0 Chloralhydrat. Ein anderer Pa-
tient, der mit 2,0 Somnal nur 2 Stunden
schlief, verbrachte eine sehr gute Nacht nach
0,015 Morphin."
518
Tharmpautitcha Mitthailungen au« Vereinen«
rberspetttiMho
HonauheftOL
Thioresorcin.
Das unter Toxikologie S. 534 erwähnte
Thioresorcin ist ein Ton der Firma Ewer
und Pick in den Handel gebrachtes, für
die Wundbehandlung bestimmtes Schwefel-
substitutionsproduct des Resorcin.
Dasselbe stellt ein schwach gelblich ge-
färbtes, oder gelblich graues, geruchloses
Pulver dar und ist in Wasser unlöslich.
Kaustische und kohlensaure Alkalien lösen
es auf. Aus diesen Lösungen wird es durch
Säuren wiederum gefallt.
Nach der Patentschrift wird Thioresorcin
dargestellt durch Eintragen bestimmter Ge-
wichtsmengen Schwefel in eine kochend
heisse Lösung yon Resorcin in Natronlauge.
Aus dem erhaltenen Reactionsproduct wird
das Thioresorcin durch Säurezusatz abge-
schieden und durch Wiederauflösen in Alkali
und Ausfallen mittelst Säure gereinigt.
Therapeutische Mittheilnngen ikim Vereinen.
Ueber die 6a. Versammlung der deutschen Natur-
forscher und Aerzte zu Heidelberg. Vou Dr.
J. Paul y in Nervi bei Genua, (Originalbericht.)
Ueber das reichhaltige Gebotene der
diesmaligen Versammlung können wir dem
Rahmen dieser Zeitschrift gemäss nur kurz
und quasi in Extractform berichten. Wegen
ausführlicher Mittheilnngen müssen wir aaf
andere Specialzeitschriften, sowie auf den
offlciellen Bericht der Redactionscommission
verweisen, der voraussichtlich schon Anfang
November erscheinen dürfte.
Ueber die Vorträge der allgemeinen
Sitzungen, die Hochbedeutsames von For-
schern ersten Ranges brachten, welche Alle
von den Geschäftsführern der Versammlung,
dem Physiker Quincke und dem Physiologen
Kühne eigens dazu aufgefordert waren,
muss Referent zu seinem Bedauern hinweg-
gehen. Geheimrath Viktor Meyer, der
Nachfolger auf Bunsen's Lehrstuhl, hielt
einen glänzenden Vortrag über die chemi-
schen Probleme der Gegenwart, den
übrigens auch der Grossherzog von Baden
durch seine Gegenwart auszeichnete. Wenn
zu grosse Bescheidenheit ein Fehler ist, so
hat diesen als einzigen der berühmte Che-
miker begangen: sich selbst hat er nie ge-
nannt. Wohl aber ist er den Forschungen
Anderer in mustergültiger Weise gerecht
geworden. Edison's Phonograph wurde auch
vorgeführt, und besonders die Wiedergabe
von Musikstücken erregte grosses und be-
rechtigtes Aufsehen.
Der Bonner Physiker Hertz brachte
einen Vortrag über die Beziehungen
zwischen Licht und Elektricität (nicht
etwa das elektrische Licht darunter zu ver-
stehen. Ref.), worin er uns mit seinen
epochemachenden Untersuchungen über das
Wesen, die Art und die Schnelligkeit der
Schwingungen bei der Wellenbewegung der
Elektricität bekannt machte. Aussergewöhn-
lioh warmer Beifall folgte diesem schönen
Vortrage.
Professor Puschmann aus Wien wusste
in seinen Ausführungen über die Geschichte
der Medicin und die Noth wendigkeit ihres
ausgiebigeren Studiums die Hörer zu fesseln.
Hoffentlich findet sein Appell an die Hörer
ein thatkräftiges Echo und auch der Wunsch
einer guten und rationellen, mit guter
Uebersetzung versehenen Ausgabe der me-
dicinischen Classiker, welche von kundigen
Aerzten und nicht von Philologen besorgt
wird, erfüllt sich bald.
Professor Brieger aus Berlin sprach
über Bacterien und Krankheitsgifte
und führte in klarer Uebersichtlichkeit die
Hörer in dieses actuelle Gebiet ein.
Wenn ich jetzt auf diejenigen Vorträge
eingehe, welche therapeutische Fragen streif-
ten oder zu ihrem alleinigen Thema hatten,
so beginne ich mit der Abtheilung für in-
nere Medicin, welche eine derartige Menge
von Vorträgen aufwies (38 an Zahl!), dass
sie geradezu alle verfugbare Zeit der Hörer
in Anspruch nahmen. Indessen werdje ich,
wo die Gleichartigkeit d^s Stoffes oder an-
dere Gründe es empfehlenswerth erscheinen
lassen, hieran gleich die bezüglichen Verhand-
lungen anderer Sectionen anschliessen resp.
einschieben.
Prof. Rumpf (Marburg) berichtet über
Versuche, die den Einfluss des Alkohols
(auf 10 ^/o Jodkalilösung), sowie des Glyce-
rins (auf Ferrocyankali) auf die Diffusion
von Salzen betreffen. Während die erste
m. Jfthrgan«. *1
Norember 1889. J
Thenpeutisohe MitthaUungen aus Varttinen.
519
Reaction nach 8 — 10 Minuten nachzuweisen
war, trat sie bei einem Zusatz von 10 ^/oigem
Alkohol schon nach 2 Minuten auf. Ein
Zusatz von mehr als 10% Alkohol wirkte
bei Ferrocyankali verzögernd, weniger als
10% dagegen beschleunigend. R. räth da-
her, allen Substanzen, die auf Schleimhäute
eine mehr als oberflächliche Wirkuog ent-
falten sollen, Glycerin (zu 5 — 10%) und
ev. Alkohol zuzusetzen, ev. weiterhin Gly-
cerin als Diureticum zu yersuchen.
In seinem Vortrage über mechanische
Theral>ie bei inneren Krankheiten
empfahl Jürgensen (Tübingen) sehr wan
die Behandlung des Orthopäde« Hessin g
in Göggingen bei Augsbwg bei Tabes dor-
sualis. Die MeC^hode, die dieser seit 15
Jahren amrendet, besteht in Anlegung eines
Stoff-Corsets, welches auch eine Deh-
nung der Wirbelsäule zu Wege bringt, aber
ständig, Jahre laug, ev. Jahrzehnte lang, nicht
gewaltsam, sondern allmählich. Er suspendirt
ev. leicht unter den Armen. Leidet auch
der Halstheil des Rückenmarks, so wird
der Druck des Kopfes auch auf das Becken
übertragen. H. individualisirt seine Fälle.
J. hat die Erfolge H.'s bei 6 Fällen und
zwar stets in bestimmter Reihenfolge mit
beobachten können:
a) Blasen- und Mastdarm-Störungen traten
zurück.
b) Die lancinirenden Schmerzen, die
„Blitzer", verloren sich.
c) Nachtruhe kam damit zurück.
d) Gehfähigkeit kehrte allmählich zurück.
e) Die Sehnen - Reflexe waren vielleicht
in einem Falle wieder leicht vorhan-
den.
Hessin g rechnet 1 Jahr für eine Cur
und verlangt mit Recht Anstaltsbehand-
lung.
In der Discussion besprechen Eisenlohr
(Hamburg), Schuster (Aachen), Mosler
(Greifswald) u. A. ihre Erfahrungen mit
Suspensionen nach Chapcot. Auch Erb
(Heidelberg) modiflcirt sein in Baden abge-
gebenes ungünstiges Urtheil über die Sus-
pensionen. Von Hessing's Corsetten hat
er in je einem Falle von multipler Sklerose
und transversaler Myelitis gute Erfolge ge-
sehen.
Rumpf (Marburg) macht auf die anti-
luetische Therapie für frische Fälle dringend
aufmerksam. Man versäumt sonst eine
wichtige Zeit.
Von der maschinellen gymnastischen
Behandlung in Baden - Baden haben in je
einem Falle von Tabes Baeumler (Frei-
burg) und Kussmaul (Heidelberg) Erfolge
gesehen.
Hühnerfauth (Homburg) hat von
„Hackungen" bei Tabes in 2 — 3 Monate
langer Behandlung Erfolg gesehen. Er räth
zu Halbsuspensionen (bis zu den Fuss-
spitzen), die 5 — 6 Minuten, später sogar
länger, die Hackungen in dieser Stellung
vertragen lassen.
Geh.-Rath Binz (Bonn) berichtet in der
Section für Pharmakologie über neue Ver-
suche betreffend künstliche Narkose bei
Thieren unter Anwendung chemischer Sub-
stanzen einfacher Zaannirensetzung. Es
handaki srch um das Natriumnitrit und
das salz saure Hydroxylamin. Von bei-
den hatte der Vortragende schon früher den
Nachweis geführt, dass sie bei vorsichtiger
Anwendung ganz in der Art des Chloro-
forms wirkten. Er hat diese Wirkung so
gedeutet, dass die Substanz des Gehirns un-
mittelbar von den beiden stark reducirenden
(d. h. sauerstoffraubenden) Stoffen getroffen
werde. Gegen diese Deutung hat nun
L. Lewin in Berlin Einsprache erhoben,
indem er auf Grund seiner Versuche des
Weiteren ausführt, nur die von den beiden
genannten Substanzen verursachte Blutver-
änderung (Methämoglobin und Hämatin) sei
die Ursache der auch von ihm bestätigten
nackotischen Wirkung. Binz hat in Folge
dessen die Frage nochmals experimentell
geprüft, und zwar an Fröschen, deren Blut
nach der bekannten Methode durch eine
0,7procentige Kochsalzlösung ersetzt war.
Solche Frösche leben noch etwa 30 Stunden
wie unversehrt, hüpfen umher, schwimmen,
in's Wasser geworfen, ganz kräftig, kurz,
verhalten sich äusserlich genau wie andere,
vorausgesetzt, dass man zu der Operation
gesunde, frisch gefangene Thiere genommen
und die Operation geschickt ausgeführt hat.
Die neuen Versuche ergaben das von Binz
Erwartete: Frösche, welche so hergerichtet
waren, reagirten auf Natriumnitrit und neu-
trales salzsaures Hydroxylamin in absolut
derselben Weise wie Frösche, welche noch
im Besitz ihres Blutes sind. Damit ist die
Lewin 'sehe Opposition widerlegt und in
Verbindung mit früher bereits publicirten
Thatsachen der Binz 'sehen Erklärung des
künstlichen Schlafes als einer unmit-
telbaren, von dem Blut und den Blut-
gefässen unabhängigen Lähmung der
Ganglien der Gehirnrinde eine neue
hinzufügt. Die betreffende Arbeit ist in
Virchow's Archiv, Octoberheft 1889 ausführ-
lich abgedruckt.
Sodann legte derselbe die Resultate
neuer Versuche vor, welche Dr. Graeser
in seinem Laboratorium mit der javanischen
Droge Syzygium Jambolanum, den Be-
I
520
ThcrapeutiBcb« MltthaUungan aus Vereinen.
rrherapeatbebe
L Mon&tahefte.
Btandtlieileii einer Myrtacee, angestellt hat
zur Heilung des künstlichen Diabetes
mellitus. Die bereits im Central bl. f.
klin. Medicin 1889, No. 28 publicirten Re-
sultate wurden in letzter Zeit dahin er-
weitert, dass nunmehr jedesmal eine Ver-
minderung des Zuckers um durchschnittlich
86 % eintrat. Als Versuchsthiere dienten
kräftige Hunde. Sie wurden nach v. Me-
ring's Methode durch Phlorrhizin diabetisch
gemacht und ihnen dann das Jambul in
Form von Pulver oder Extract unter das
Futter gemischt. Die Thiere gediehen da-
bei ganz vortrefflich, nahmen an Korper-
gewicht zu und blieben munter. Die Quan-
tität des im Harn enthaltenen Zuckers wurde
mittelst eines Wild 'sehen Polaristrobometers
bestimmt. Gemäss diesen Versuchen und
Beobachtungen, welche im Auslande bereits
an Menschen angestellt worden sind, kann
ein Zweifel über die Heilkraft des Jambul
gegen die Zuckerharnruhr nicht mehr ob-
walten. Es fragt sich nur, wie weit die-
selbe sich erstreckt, wie lange sie anhält
und ob sie gegen das Grundleiden angeht
oder nur eine symptomatische ist. Die Un-
tersuchungen darüber werden im Laborato-
rium des Vortr. fortgesetzt. Ihr erstes
weiteres Erforderniss wird sein, aus der
Pflanze den oder die wirkenden Bestandtheile
zu isoliren. Die Droge, wie sie jetzt in dem
Handel erscheint, wird durch langes Lagern
unwirksam, gleich den meisten andern.
Eine genaue und zuverlässige Dosirung ist
nicht möglich. Das wird sich zum Bessern
ändern, wenn man erst chemisch über ihren
Inhalt unterrichtet ist und die Hauptsache
in der Hand hat.
Einen warmen Fürsprecher für rhino-
laryngologische Operationen fand das Co-
cain (Nase und Rachen 10 — löprocent.
Losung, Kehlkopf 20procent.) in B. Frän-
kel (Berlin). Die Maximaldosis wäre un-
gefähr 0,1 des salzsauren Salzes.
Schmidt (Frankfurt a. M.) zieht im Ca-
vum pharyngo-nasale 1 : 5 Zucker in sehr
geringen Mengen vor.
Hey mann (Berlin) hat höhere, als
lOprocent. Lösungen oft angewendet, dabei
aber Intoxicationen, wenn auch nicht schwere,
gehabt.
Prof. Schnitzler (Wien) empfiehlt bei
Kehlkopf - Tuberculose Perubalsam mit
Collodium zum Bepinseln. Collodium decke
die Geschwürsfläche, Bals. peruv. wirke des-
inficirend. Er hat rasche Abnahme der Be-
schwerden gesehen, was er von der Milch-
säure-Behandlung nicht behaupten kann. —
Für diese letztere treten Krause (Berlin),
Schmidt (Frankfurt a. M.) und Keimer
(Düsseldorf) ein.
A. Nykamp (Leiden) hat von der heis&en
Luft nach Weigert bei Lungentuberculose
keine Erfolge gesehen. Eine gewisse Lun-
gengymnastik wird dabei erreicht. Verschie-
dene andere Redner äussern sich ebenso
abfällig über die Heisluft -Behandlung nach
Weigert.
Haupt (Soden) tritt dafür ein, dass
locale Kehlkopf- und Rachenbehandlung in
Bädern nur in dringenden Fällen anzuwen-
den sei. Sonst wäre es besser, die hygie-
nischen Heilfactoren des Bades auf den Pat.
und sein Allgemeinbefinden ungestört wirken
zu lassen.
M.Schmidt ( Frank fürt a. M . ) spricht
über die von Dr. Hoffmann in Baden
zuerst empfohlene Schlitz ung der Man-
deln. (Der Vortrag ist im Octoberheft ab-
gedruckt.)
Bei Neurasthenia cordis (nervöse
Herzschwäche) empfiehlt Lehr (Wiesbaden)
unter Vorlegung sehr schöner instructiver
Pulscurven, die er an dreissig Kranken ge-
wonnen, vor Allem die Behandlung des
Allgemeinleidens, der Neurasthenie. Wasser-
behandlupg in zweierlei Form. Bei der reiz-
baren Form genügen meist Halbbäder von
30—20® C. und 1 — 5 Min. Dauer. Sie setzen
die Pulsfrequenz herab und mindern den
Blutdruck, beruhigen auch die ängstlichen
Pat. sehr.
Schwerere Fälle, besonders die atonischen
Formen, bedürfen energischer Hautreize,
Abreibungen, Fächerdouchen über den Rücken,
Regendouchen über den ganzen Körper von
5 — 20 Secunden Dauer. ' Bei kleinem, fire-
quentem Puls sieht man die Pulscurve steiler
und höher werden*, auch die Dicrotie ver-
schwinden. Weder Gymnastik noch Elek-
tricität erwiesen sich nützlich; letztere nur
in einzelnen Anfallen als Galvanisation des
Herzens selbst oder noch besser der Frank-
linisation (Spitzenströmung auf die Herzge-
gend). Eisenpräparate waren wegen der oft
complicirenden Blutarmuth vielfach mit Er-
folg angewendet..
[Fortsetzung /cigLj
III. Jahrgang. 1
November 1889. J
Rafermte.
521
Referate.
Die Verbreitung der Tuberkelbacillen ausserhalb
des Körpers. Aus dem hygienischeD Instituto
zu Berlin. Separatabdrack aus der Zeitschrift
für Hygiene, Bd. V, 1888. Von Dr. Georg
Cornet.
Die Resultate der Yorliegenden umfang-
reichen Untersuchung haben in den wenigen
Monaten seit ihrem Bekanntwerden die all-
gemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt;
die Folgerungen von hoher Bedeutung, wel-
che sich aus denselben ergeben, sind von
Aerzten wie Gesundheitsbehorden ruckhalt-
los anerkannt und auf das praktische Leben
übertragen worden; der Widerspruch, wel-
chen einige Ausfuhrungen des Verfassers
gefunden haben und welcher an sich nicht
für bedeutungslos erklärt werden soll, rich-
tet sich gegen theoretische Anschauungen;
unanfechtbar aber und unberührt von die-
sen noch weiter auszutragenden Meinungs-
Terschiedenheiten in Bezug auf theoretische
Grundanschauungen der Tuberculosefrage
steht die Forderung des Verfassers nach
strengster Durchführung gewisser prophylak-
tischer Maassregeln, welche sich aus seiner
Untersuchung ergeben.
Da der Inhalt der Cornet^ sehen Unter-
suchung im Allgemeinen wohl bei jedem
Arzt als bekannt vorausgesetzt werden kann,
eine Wiedergabe derselben aber in einem
Blatte von dem Programm des vorliegenden
nicht fehlen darf, so sollen in den folgenden
Zeilen die thatsächlichen Grundlagen kurz
wiedergegeben werden.
Cornet stellte sich die Aufgabe, den
Tuberkelbacillus, ohne dessen Eindringen in
den Organismus keine Tuberculose denkbar
ist, ausserhalb desselben, in der Luft, nach-
zuweisen, um zunächst zu ergründen, ob die
Annahme von seiner Ubiquität berechtigt
oder ob sein Vorkommen ausserhalb des
Körpers an gewisse Bedingungen gebunden
ist. Die bisherigen nach dieser Richtung
angestellten Versuche scheiterten an tech-
nischen Hindernissen; es galt also ein neues
Verfahren zu ersinnen, welches er darin
fand, dass er nicht die Luft selbst, sondern
den aus ihr abgesetzten Staub auf seinen
Gehalt an Tuberkelbacillen prüfte. Eine
auf Grund der Esmarch' sehen Versuche
über den Eeimgehalt der Wände und der
Petri' sehen Untersuchungen über den Keim-
gehalt der Luft angestellte Berechnung er-
gab, dass durch das Abreiben von 1 qm
Wand mindestens der Bakterienniederschlag
von 51 cbm Luft, der Bedarf eines Menschen
von 4 Tagen, untersucht wird. Diesen Staub
also sammelte Cornet in zweckentsprechen-
der Weise und brachte ihn in die Bauch-
hohle von Meerschweinchen, deren spätere
Erkrankung an Tuberculose oder Gesund-
bleiben das Resultat des Versuchs entschied.
In dieser Weise wurde der Staub verschie-
dener Krankenhaussäle, speciell solcher, in
welchen Phthisiker lagen, Irrenanstalten,
Gefangnisse, Polikliniken, Zimmer von Pri-
vatpatienten u. s. w. untersucht. Es wur-
den im Ganzen 147 Staubproben auf 392
Thiere verimpft ; von diesen Thieren starben
an andern Krankheiten als an* Tuberculose
196, in 40 Fällen starb wenigstens ein Thier
der Versuchsreihe an Tuberculose, im Gan-
zen starben an Tuberculose 59 Thiere,
während 137 gesund blieben. Von 21 Kran-
kensälen in 7 £j:ankenhäusern wurde in 15
tuberculoser Staub nachgewiesen.
Bei der Prüfung der einzelnen Fälle er-
giebt sich nun als Gesammtresultat, dass
eine Ubiquität des Tuberkelbacillus nicht
besteht, dass es häufig gelingt, tuber-
culoses Virus da nachzuweisen, wo
Phthisiker sich, sei es in grösserer
Anzahl, sei es einzeln, aufhalten,
dass der Tuberkelbacillus aber fehlt,
wo nicht ein längerer Aufenthalt von
Phthisikern vorausgegangen war. Da
nun der Tuberkelbacillus ausserhalb des
menschlichen oder thierischen Organismus
sich niemals vermehren, sondern nur eine
begrenzte Zeit erhalten bleiben kann, so ist
als die häufigste Infectionsquelle der tuber-
culose Mensch zu betrachten. Es ist aber
erwiesen, dass unter keinen Umständen die
Ausathmungsluft den Tuberkelbacillus nach
Aussen befördert. Auf Grund der von dem
Verfasser neu gefundenen und dieser älteren
Thatsachen haben wir demnach in dem un-
vorsichtig durch Speien auf den Boden und
auf Taschentücher nach Aussen beförderten
und nicht unschädlich gemachten, der Aus-
trocknung ausgesetzten Sputum des tu-
berculösen Menschen selbst die
Hauptinfectionsquelle der Phthise zu
suchen.
In den an diesen Schluss angefügten
Deductionen stellt sich Verfasser nunmehr
auf einen rückhaltlos contagionis tischen
Standpunkt in Bezug auf die Verbreitung
G6
522
Referate.
rrhermpeaÜMii«
L Monatshefte.
der Tuberculose, er hält die von ihm auf-
gedeckten Thatsachen fQr ausreichend zur
Entstehung der Bedingungen für Infection
in jedem einzelnen Falle, ohne dass es der
Heranziehung anderer Momente bedürfe;
eine Disposition erkennt er nur in dem
Sinne an, dass die Infection in manchen
Fällen durch irgend einen Umstand begün-
stigt werde, nicht in dem Sinne, dass in
allen oder fast allen FälJen dieser Umstand
zu ihrem Zustandekommen nothwendig vor-
ausgesetzt wird. Dieser scharf betonte con-
tagionistische Standpunkt ist es, gegen wel-
chen sich mancher Einspruch, wie in der
Einleitung angegeben, gewendet hat; und es
wird zugegeben werden müssen, dass man
schwanken kann, ob man mit Cornet, wel-
cher auf Grund zahlreicher Beobachtungen
und Yersuche zu seinem Standpunkt ge-
langte, annehmen will, dass das genaue Stu-
dium jedes Einzelfalles die Heranziehung
anderer Momente als der Contagion über-
flüssig machen werde, oder ob man im vor-
liegenden Falle die Basis inductiver For-
schung doch noch nicht für breit genug hält,
um ohne andere Momente auszukommen.
Der Versuch wird hier noch zu entscheiden
haben, und ein solcher ist erst neuerdings
von Bollinger im grossen Stile vorge-
schlagen, welcher beantragt hat, ein Gefäng-
niss auf das Strengste zu desinficiren und
nunmehr zu beobachten, wie sich weiter die
Schwindsuchtssterblichkeit unter den Sträf-
lingen verhalten werde.
Hierdurch werden aber die prophylak-
tischen Maassregeln nicht berührt. Denn
ob man den menschlichen Korper als in
jedem Falle disponirt ansieht oder den Ba-
cillus nur als den zündenden Funken be-
trachtet, der bald auf mehr, bald auf we-
niger empfängliches Brennmaterial fällt, so
bleibt, nachdem durch Cornet' s verdienst-
volle Arbeit ein Hauptherd und die Mög-
lichkeit seiner Beseitigung aufgedeckt ist,
die Pflicht, in strengster "Weise gegen den-
selben vorzugehen.
Der Fhthisiker ist an sich nach Cornet
fast absolut ungefährlich und wird es erst
durch üble Angewohnheiten, durch Befordern
des Sputums an Orte, an denen es der
Zerstäubung ausgesetzt ist. Eine sichere
Prophylaxe hat nur darauf zu halten, dass
das Sputum unter keinen Umständen an
einen andern Ort befordert wird, als in
einen mit einer ganz dünnen Schicht Wasser
bedeckten Speinapf. Einer besonderen Des-
infection bedarf es durchaus nicht; der In-
halt desselben ist den Abwässern zu über-
geben, in denen die Tuberkelbacillen bald
zu Grunde gehen. GlRser, Löffel etc. sind
durch heisses Wasser zu desinficiren, Ta-
schentücher und Hemden sorgfaltig auszu-
kochen. Nach dem Tode des Phthisikers
hat Desinfection der geeigneten Gegenstände
mit strömendem Dampf, des Zimmers und
der Möbel, Oefen durch Brotabreibung nach
dem Esmarch^ sehen Verfahren stattzufin-
den. Die Reinigung des Zimmers hat stets
auf feuchtem Wege zu geschehen. Nament-
lich in Fabriken, im Geschäftsbetrieb, Gast-
häuser u. s. w. ist durch strenge Vorschriften
darauf zu halten, dass nicht nur die Fhthi-
siker, sondern Jeder, welcher auswirft, die
Gewohnheit annimmt, das Sputum nur in
die dazu bestimmten reichlich vorhandenen
Speinäpfe zu befördern. Dasselbe gilt na-
mentlich für Krankenhäuser, Irrenanstalten,
Curorte.
Darnach gestaltet sich die Prophylaxe
der Tuberculose, eine Frage von höchster
Bedeutung, als eine Sache, welche zwar mit
einfachen Mitteln zu erzielen ist, zu der
aber das Interesse aller Gesellschaftsklassen,
wie diese gleichmässig betroffen werden, auch
in der Abwehr heranzuziehen ist. Die Pro-
phylaxe gipfelt in dem Satze, dass das Volk
zur Reinlichkeit erzogen werden muss.
Die Rolle, die hierbei dem Arzte zu-
kommt, ist keine geringe^ und es ist zu ver-
langen, dass ein Jeder in seinem Bereich,
von der Wichtigkeit der Frage durchdrun-
gen, die Ausführung der von Cornet auf-
gestellten Forderungen durchzusetzen als
strenge Pflicht auffasst.
Ä. GotUtein {Berlin).
Ueber Sauerstoff-Inhalationen. Von Dr. Izor
Glass in Budapest.
Schon die älteren Forscher beobachteten
eine wohlthuende Wirkung der Sauerstoff-
Einathmungen bei verschiedenen Krankheits-
formen, wie Dyspnoe, Asthma, Emphysem
und Asphyxie. Die Athemnoth verschwand,
die Zahl der Inspirationen verminderte sich,
das Allgemeinbefinden der Patienten besserte
sich. Trotzdem wurden die Sauerstoff- In-
halationen nicht Gemeingut der Aerzte, da
einerseits der Glauben verbreitet war, dass
dieselben allgemeine Erregung und Entzün-
dung hervorrufen, andererseits die Reinheit
des Oxygens vieles zu wünschen übrig Hess.
— Zudem war die Technik eine höchst
primitive, die Erzeugung des Gases eine
kostspielige.
Unter den modernen Apparaten ist der
zweckmässigste und einfachste der grosse
Limo US in 'sehe, welcher aus einer durch
Schrauben hermetisch verschliessbarcn Eisen-
retorte, 2 Waschflaschen, einem Gasometer,
Kautschukballons und dem unmittelbar zur
m. Jahrgang. 1
Norember 1889. J
Refbrftte.
523
Inhalation dienenden Narghile besteht. Der
Sauerstoff wird in der Retorte durch Er-
hitzen Yon chlorsaurem Kali und Mangan-
hioxjd erzeugt und gelangt in die Wasch-
flaschen, -welche mit schwacher Kalilauge
gefüllt sind. So gereinigt gelangt das
Ozygen in den Gasometer, yon wo aus die
Kautschukballons gefüllt werden. Der Ballon
wird nun mit einem mit Wasser gefüllten
Narghile in Verbindung gebracht. Auf
diese Art gelangt das Gas zur Inhalation.
Trotz der Zweckmässigkeit des Limousin'-
schen Apparates sah sich Verf. zu manchen
Verbesserungen genöthigt. Um die Reinheit
des Sauerstoffes zu sichern, nahm Glass
eine dritte Reinigungsflasche, ausserdem lässt
er nach Empfehlung Jungfleisch^s den
Sauerstoff, bevor die Ballons vom Gasometer
aus gefüllt werden (also zwischen Gasometer
und Ballon), durch eine Natriumthiosulfat-
lÖsung leiten. Damit exspirirte Luft nicht
in den Narghile dringen könne, Hess Verf.
seine Inhalationsapparate mit einem doppel-
ten Ventilsjsteme versehen, ausserdem Hess
er, um das Einathmen zu erleichtern, eine
Maske anfertigen. Glass beobachtete fer-
ner, dass manche Asthmatiker oder Emphy-
sematiker trotz dieser Verbesserungen nicht
inhaliren können. In solchen Fällen, wo
die Inspirationskraft eine stark gesunkene
ist, lässt er vom Gasometer direct inhaliren.
Eine am Gasometer angebrachte Scala zeigt
die Menge des verbrauchten Sauerstoffes.
Die Ballons, welche in der Wohnung des
Kranken benutzt werden, werden mit einer
Vorrichtung versehen, welche gestattet das
Oxjgen nach Belieben des Arztes ausströmen
zu lassen.
Verf. theilt einige interessante Kranken-
geschichten mit, von denen Ref. nur wenige
hervorheben will. In einem Falle von Hy-
peremesis gravidarum, den auch Prof. Tauf-
fer beobachtete, trat schon nach der ersten
Inhalation grosse Besserung ein. Entschie-
dene Besserung trat bei einem Mädchen ein,
welches an Morbus Brightii und Chorea
minor litt. Bei einem hysterischen Mädchen,
welches auch an Phthisis pulmonum labo-
rirte, trat eine solche Besserung ein, dass
Pat. nach kurzer Zeit das Bett verlassen
konnte.
Zum Schlüsse beschäftigt sich Verf. mit
den Indicationen und Contraindicationen der
Sauerstoff-Inhalationen. Indicirt erscheinen
dieselben bei Anämie, Chlorose, Neurasthenie,
Hysterie, Albuminurie, Phthise, Asthma,
Emphysem, Dyspnoe und Asphyxie. Ref.
fürchtet, dass Sauerstoff-Inhalationen bei
Asphyxia neonatorum kaum benutzt werden
könnten, denn bis der Arzt, zumal auf dem
Lande, das Oxygen erhält, hat die Asphyxie
einem Zustande Platz gemacht, wo der
Sauerstoff kaum nützen dürfte. Contraindi-
cirt ist die Inhalation bei Lungenblutungen
und grösseren Aneurysmen, wo die Gefahr
einer Berstung besteht. Die passendste Zeit
ist die vor dem Essen.
{Gffögydszai 1889, No. 29, 30.)
Bekfuchny (Budapest).
Zur Diphtheriefrage und über den Heilwerth des
Ferrum sesqulchloratum. Von Dr. Michael
Szeremley in Tarkeve.
Seit mehr als 20 Jahren benützt Verf.
bei Behandlung der Diphtherie nach Ja-
kobi^B Empfehlung das Ferrum sesqulchlo-
ratum. Dieses Mittel wurde bei jeder diph-
therischen Erkrankung von ihm in Anwen-
dung gebracht. Eine andere Behandlung
erwies sich dem Verf. stets als nicht noth-
wendig und so wurde von antiphlogistischer,
antiseptischer etc. Behandlung abgesehen.
Nach Anwendung des Ferrum sesqulchlo-
ratum sah Verf. zumeist binnen 24 Stunden
das Fieber, den penetranten Foetor ex ore
schwinden. Die Pseudomembranen begannen
sich abzulösen, die infiltrirten Lymphdrüsen
verkleinerten sich. Nach alledem betrachtet
Verf. das Ferrum sesqulchloratum als spe-
cifisches Mittel der Rachendiphtherie, geradeso
wie bei Malaria das Chinin. Von der Tinc-
tura ferr. sesquichlor. (in der 1 Theil F. s.
und 5 Theile Spiritus enthalten sind), wurde
eine. 3 — 4 — 5%ige Lösung gebraucht und
halbstündlich ein Kinderlöffel verabreicht.
Zum Schlüsse gesteht Szeremley ein,
dass diese Erfolge nur bei Rachendiphtherie
beobachtet werden können. Bei Nasen- oder
Larynxdiphtherie kann von einer solchen
hervorragenden Wirkung nicht die Rede sein.
{Orvosi Hetilap. 1889. No. 33)
Schuschny (Budapest).
Die locale Behandlung der Diphtherie. Von Mull-
hall (St. Louis).
Die Behandlungsmethode des Verf. be-
ruht auf folgenden Anschauungen: 1. Diph-
therie ist eine Infectionskrankheit. 2. Der
specifische Mikroorganismus befällt in der
Mehrzahl der Fälle zunächst die Mandeln.
3. Wird die Affection sich selbst überlassen,
so entsteht zunächst an den Ansiedelungs-
stellen Verjauchung. In späteren Stadien
kommt es alsdann zum üebertritt der fauli-
gen Massen in die Blutcirculation. 4. Bei
Betheiligung der Nase oder des Kehlkopfs
tritt eine erhebliche Zunahme der Mortalität
ein. 5. Der Charakter der Affection ist der
eines acuten, adynamischen Leidens.
Was die Behandlungsweise anlangt, so
66*
524
Raferate.
r'herAp«iitiadie
Monatshefte.
haben sich dem Yerf. häufig Spülungen und
Gurgelungen besser beifvährt, als Application
des Dampfsprays. Was die Haltung anlangt,
welche die Patienten -während der Behand-
lung einzunehmen haben, so empfiehlt sich
eine sitzende Stellung mit ein wenig zurück-
gebeugtem Kopfe. Alle Stunden wird eine
Besprayung vorgenommen. Als Medicament
dient Carbolsäure 1 %, zuweilen in Verbin-
dung mit dünnen Jodlosungen. Besondere
Aufmerksamkeit hat man dem hinteren
Nasenrachenraum zuzuwenden. Auch wenn
die Mitbetheiligung desselben yoUig ausge-
schlossen ist, ist Desinfection mittelst nicht
reizender Antiseptica zu empfehlen. Ist In-
fection der Nasenschleimhaut als wahrschein-
lich vorhanden anzunehmen, so ist die letz-
tere mit dünner Carbolsäure stündlich zu
reinigen. Hierbei kommt es, im Gegensatz
zu früheren Anschauungen, weniger auf die
Menge der angewandten Losung an. Im
Gegen theil empfiehlt Verf. zu jedesmaliger
Reinigung nicht mehr als je einen Theelöffel
Flüssigkeit für jedes Nasenloch anzuwenden.
Am besten bedient man sich zu diesem
Zwecke einer kleinen Glasspritze mit kolbi-
gem Ansätze, um Verletzungen der Schleim-
haut nach Möglichkeit zu verhüten. Von
eigentlichen Medicamenten haben sich dem
Verf. am besten die Solventia, in erster Linie
das Papoid bewährt. — Handelt es sich
um Kehlkopfdiphtherie, so muss man zu
Inhalationen seine Zuflucht nehmen. Vor
Allem sind hier Zerstäubungen von Kalk-
wasser, sowie Inhalation von Dämpfen ge-
löschten Kalks zu empfehlen. In einigen
Fällen von Kehlkopf diphtherie erzielte man
gute Resultate dadurch, dass man die Pa-
tienten in kleinen Räumen Schwefeldämpfe
oder Dämpfe kochenden Wassers, dem Ter-
pentinöl oder Theer zugesetzt war, inhali-
ren Hess.
(//. Congrest d, Americ, Laryng. Assoeiat. z, Watkington
30,y.-l. VL 89.)
Lohnstein (Berlin),
Ueber Versuche einer Ernährung kranker Säug-
linge mittelst sterilisirter Milch (nach Soxh-
let's Methode). Von R. ü h 1 i g.
In der Leipziger Poliklinik für Kinder-
krankheiten wurden an einer grossen An-
zahl von an Verdauungskrankheiten leiden-
den Säuglingen Versuche einer Ernährung
mittelst keimfreier, nach der bekannten Me-
thode von Soxhlet sterilisirten Milch an-
gestellt. Es wurde zu diesem Zweck nach
jeder Hinsicht gute und gesunde Milch ver-
wendet und dieselbe im hygienischen In-
stitute lege artis sterilisirt. Für Kinder
unter 4 Monaten verdünnte man vor dem
Kochen die Milch mit der Hälfte Wasser
und setzte zu Je einem Liter dieser Flüssig-
keit 30 g Milchzucker. Kinder über 4 Mo-
nate erhielten die Milch unverdünnt. Be-
vor diese Nahrung zum ersten Male gereicht
wurde, nahm man bei jedem Kinde nach
Prof. Epstein eine Magenausspülung ent-
weder mit lauwarmer physiologischer Koch-
salzlösung oder mit einer solchen unter
Zusatz von 0,1 Resorcin auf 500 Flüssig-
keit vor, um den gährenden Inhalt aus dem
Magen zu entfernen und letzteren gleich-
zeitig zu desinficircn.
Unter 39 Säuglingen, welche als Ver-
suchsobjecte dienten, litten 12 an acuter
Dyspepsie, verbunden mit dyspeptischer Di-
arrhoe, 20 an chronischer Dyspepsie mit
schwerer Ernährungsstörung, schliesslich 7
an acuter Gastroenteritis (Cholera infantum).
Diese sämmtlichen Säuglinge waren bisher
unter den denkbar ungünstigsten Ernährungs-
verhältnissen gewesen. Nur in 3 Fällen
waren dieselben erst seit ca. 2 Tagen, in
allen anderen dagegen bereits wochenlang
krank. Die Gewichtsverhältnisse der Säuglinge
waren durchweg sehr ungünstige. In den
allermeisten Fällen hatten sie kaum die
Hälfte des Normalgewichtes. Ein jedes
dieser Kinder erhielt durchschnittlich täg-
lich 2 unverdünnte und 3 verdünnte Fla-
schen Milch von je 150 g Inhalt, und zwar:
10 Kinder 1 — 6 Tage lang,
9 „ 1 — lVa Wochen lang,
2^2 „ „
2 „ 4
4 „ 5
1^6 n «
1 Q
1 n 12 „ „
Von den 39 Kindern starben 11, also
28,2%; davon gehen aber 4 Fälle ab, welche
an intercurrenten Erkrankungen zu Grunde
gegangen waren, nachdem sie sich bereits
unter der neuen, zweckmässigen Diät we-
sentlich erholt hatten. Es verblieben dem-
nach 35 Fälle mit 7 letalen Ausgängen,
d. h. 20°/o. Das ist gegenüber den ermit-
telten Zahlen von Kindersterblichkeit, 80^;o
(Henoch), 84,9% (C. Meyer, München),
48,7% an Verdauungsstörungen (Varren-
trapp, Frankfurt), ein ausserordentlich gün-
stiger Erfolg Was die Zunahme des Kor-
pergewichtes anlangt, so konnte man bei
16 Säuglingen eine fast normale Gewichts-
zunahme constatiren, durchschnittlich nabm
ein jedes Kind in jeder Woche um 144 g
an 'Körpergewicht zu. Da auch die Kosten
der Herstellung der betreffenden Nahrung
yy
Vi
m. Jahrgang, l
November 1889. J
Rttfanta.
525
keine bedeutenden sind, so wäre die Be-
schaffung Ton keimfreier Milch zur Ernäh-
rung der Säuglinge vom gesundheitlichen
Standpunkte dringend zu wünschen.
{Jahrbuch für Kinderheilkunde XXX, 1. u. 2, Heß.)
Carl Rosenthal (Berlin),
Einige practische Bemerkungen über die Hysterie
und den H3rpnotismus. Von Dr. Ernst Emil
Moravcsik, Privat-Docent in Budapest.
Wenn auch der Arzt die hystero- epilep-
tischen Anfälle nicht beseitigen kann, so
kann er doch das öftere Auftreten und die
Dauer derselben beeinflussen. Es ist be-
kannt, dass Druck auf beide Ovarien oder
Nn. supraorbitales die Anfalle beseitigen
könne, nach öfterer Anwendung dieser Be-
handlung ist dieselbe nutzlos. In solchem
Falle ist es gut, die hysterogenen Zonen auf-
zusuchen, und der Druck auf diese Flächen
coupirt eine Zeit lang die Anfälle. Bei den
Kranken können wir während der Anfalle
manches beobachten, was wir in therapeuti-
scher Hinsicht verwerthen können. So flnden
wir manchmal, dass Kranke während des
Anfalles von Zeit zu Zeit solche Manipula-
tionen mit ihren Händen vornehmen, welche
die Anfälle beruhigen sollen. So z. B. drücken
manche den Schädel in verticaler oder hori-
zontaler Richtung, oder drücken sich in der
Gegend des Scrobiculus cordis. Wir können,
wenn wir diese Bewegungen ablauschen, die
Anfälle abkürzen oder gar aufheben.
Es sind Anfälle, die manchmal nur durch
Morphiuminjectionen oder Chloroforminhala-
tion beseitigt werden können. Man kann
dem Fat. die Morphiuminjection nur dann
suggeriren (durch Einspritzen von Aq. dest.
oder blosses Einstecken der Nadel), wenn
derselbe sich schon einmal von der Wirkung
des Morphium überzeugen konnte.
Die Anfälle können in erster Reihe durch
psychische Einwirkung seltener werden.
Wechsel der Umgebung, Beseitigung der Ur-
sache der Gemüthserregungen wirken sehr
gut. Ausserdem wirkt die psychische Be-
handlung vorzüglich. Der Kranke will be-
dauert werden, er will das Interesse der
Umgebung erwecken; wenn dies nicht geht,
werden die Anfälle seltener. Es ist daher
nicht gut, wenn man einem hysterischen
Symptome zu viel Aufmerksamkeit schenkt.
Durch Trösten und verschiedene Versprechun-
gen kann man ein öfteres Auftreten der
Anfälle hintanhalten.
Es ist unnöthig zu erwähnen, dass die
Brompräparate auf die Anfälle keine Wir-
kung haben. Es ist nicht gut, den Fat.
ohne Medicamente zu lassen. Kräftigende
Nahrung, gute Luft, richtige Beweguug, all-
gemeine Faradisation , Hydrotherapie, Ge-
müthsruhe, die angestrebt werden muss, das
Trösten, dass Fat. gesunden werde, thun
das ihre. Der Arzt muss auch die zahllosen.
Symptome bekämpfen, über die der Elranke
klagt.
Vor Allem muss man aber auf den Zu-
stand des chylopoetischen Tractus sehen,
da die kleinsten Affecte Störungen der Ver-
dauung hervorrufen. Das Wechseln der
Form oder der Farbe des Medicamentes ist
nicht immer von Erfolg, da die Suggestion
uns zu häufig im Stich lässt. Die Suggestion
ist dann von Erfolg, wenn der Fat. die Wir-
kung des Medicamentes kennen gelernt hat.
Die Brompräparate, welche nach Verf.
auf die hystero- epileptischen Anfälle keinen
Einfluss ausüben, sind bei Hysterischen gegen
die allgemeine Erregtheit von Nutzen. Schlaf-
losigkeit, Kopfschmerz und Zittern wßrden
gehoben. Gegen die Fräcordialangst, me-
lancholische Depression etc. wird das Lau-
danum in vorsichtig aufsteigender und ebenso
absteigender Dosis (von 2 cg bis 6 — 8 cg
pro die^ auf ein- oder zweimal gegeben)
mit Nutzen angewendet. Abends ist gut
Bier oder Cognac.
Gegen die Kopfschmerzen wendet Verf.
ausser den Brompräparaten Antipyrin, Canna-
binum tannicum (in Dosen von 10 bis 20
bis 30 cg), Nitroglycerin (von 0,0006 Nitro-
glycerin enthaltenden kleinen Trochisci
2 stündl. 2 — 3 mal 1 Stück), Massage und
elektrische Behandlung an. Letztere kann
in allen Formen angewendet werden.
Die Schlaflosigkeit lässt sich manchmal
selbst mit grossen Dosen von Brompräparaten
nicht bekämpfen, man muss zu Schlafmitteln
greifen. Manchmal nützt das abendliche
Hypnotisiren. Man benutzt die „magneti-
schen Striche", wobei die beim Fixiren
leicht entstehende Hyperämie des Bulbus
vermieden wird. Das hysterische Ohren-
sausen weicht auf Anwendung der Stimm-
gabel.
In manchen Fällen, wo der Patient der
Suggestion leicht zugänglich ist, hat der Arzt
eine leichte Stellung. Mit ganz indifferenten
Mitteln hat man den besten Erfolg. In
einem Falle, dessen interessante Krankheits-
geschichte Verf. mittheilt, konnte Verf. mit
beinahe ganz indifferenten Mitteln die
schwersten hysterischen Symptome bekämpfen.
Die Limonade solvens schmeckte dem Fat.
vortrefflich und kein anderes Mittel konnte
bei diesem Fat. Stuhlgang hervorrufen, als
das obengenannte, selbst Ricinusöl mit einigen
Tropfen Crotonöl rief keine Wirkung hervor.
Die Hypnose erhöht die Reflex erregbar-
keit, wenn man auch eine Zeit hindurch
526
Rttferata.
rlierapentijMlM
Mon&uheftfiu
Wohlbefinden suggerlrt. Es giebt aber doch
Fälle, wo man zur Hypnose greifen muss.
So z. B. bei hysterischer Aversion gegen
Speisen. Einige hysterische Lähmungen,
Anästhesien, Schlaflosigkeit, Singultus, Er-
brechen, Aphorie, Amblyopie und Schmerzen
kann man auf „Befehlen^ während der Hyp-
nose aufheben.
Bei hysterischen Lähmungen (Mono-Hemi-
und Paraplegien) wurden nach Farado-Mas-
sage oder Massage schöne Erfolge beobachtet.
Die Schleimhäute der Hysterischen sind für
Katarrhe sehr empfänglich. Ein solcher Ka-
tarrh kann nach kürzerer oder längerer Zeit
spontan heilen.
Was die Castration anbelangt, so kann
Verf. berichten, dass diese in einem Falle
(wo die Operation vor 2 Jahren ausgeführt
wurde), den er beobachtete, insofern von Er-
folg war, als die hystero-epilep tische Elranke
seit damals keinen motorischen Krampf hatte.
Es waren stets nur psychische Anfälle. Seit
einem Jahre sistirten auch diese. Jetzt ist
die Patientin eine verlässliche Spitals Wärterin.
Vor Kurzem hat Moravcsik diese Fat.
untersucht und Pupillendifferenz, verengertes
Gesichtsfeld, acustische Hyperästhesie, Zun-
gendeviation, Facialis -Parese, erhöhte psy-
chische Reflex-Erregbarkeit und verschiedene
besondere Charaktereigenschaften wahrge-
nommen. Die Grundlage der Hysterie scheint
sonach nach der Operation fortzubestehen,
trotzdem dass die hervorragendsten hysteri-
schen Symptome gehoben wurden. Nach der
eingehenden Krankengeschichte hebtYerf. her-
vor, dass Charcot als differential-diagnosti-
sches Symptom der Hysterie ^ie Intactheit
der Gehirnnerven annimmt. In dem von
Moravcsik erwähnten Falle waren rechts-
seitige Facialis-Parese und Deviation der
Zunge nach links. Nach der Castration
haben diese zwei Symptome zusehends ab-
genommen.
iOrvosi netilap. 1889, N0.SO.)
SchuBchny {Budapest).
Die Behandlung der Mandelhypertrophie mittelst
Galvanokaustik. Von Chas. E. K night.
Die Behandlung der Mandelhypertrophie
mittelst Galvanok auters giebt nur bei älte-
ren Kindern und bei Erwachsenen befriedi-
gende Resultate. Bei jungen Kindern ver-
dient die Ablation entschieden den Vorzug.
— Von den Instrumenten, die Verf. bei
älteren Kindern und bei Erwachsenen an-
wandte, hat sich die galvanokaustische
Schlinge am besten bewährt. Die Opera-
tion kann in einer Sitzung beendet werden;
gelingt es nicht, in dem beabsichtigten um-
fange das Organ zu zerstören, so lässt man
den Rest stehen und macht keine weiteren
Eingriffe. Gewöhnlich tritt alsdann von
selbst in dem zurückgelassenen Gewebe
Schrumpfung ein. Die Operation selbst ver-
ursacht weniger Beschwerden als die schnei-
dende Operation mittelst der gewöhnlichen
Tonsillotome; störend ist nur der unange-
nehme brenzliche Geruch und Geschmack
nach verbranntem Fleisch.
Von anderen Autoren behandelt de Blois
mit gutem Erfolge die Mandel vergrössening
durch Elektrolyse mittelst langer Platin-
nadeln, welche in das Gewebe eingestochen
werden. Die Schmerzen sind, zumal wenn
vorher cocai'nisirt wird, äusserst gering. Ge-
wöhnlich werden pro Tag sechs Applica-
tionen ausgeführt. Nach wenigen Tagen
tritt gewöhnlich deutliche Verminderung des
Volumens ein. — Die Methode ist indessen
nur bei Erwachsenen anwendbar. — Sajous
(Philadelphia) ätzt einzelne Stellen der
Oberfläche mittelst stumpfen Platinbrenners.
Indessen tritt erst nach 18 — 20 Aetzungen
merkbare Verkleinerung ein. Indicirt ist die
Methode besonders bei wenig dichter Infil-
tration. Die Contractur des Gewebes, welche
hier in Folge der Narbenbildung auftritt,
bewirkt im Wesentlichen die Verkleinerung
des Organs. Bosworth (New- York) ver-
wirft diese letztere Methode, weil sie weit
mehr Zeit erfordert, als die einfache Exci*
sion; Rice (New- York) schliesst sich dem
an und hebt hervor, dass in Folge der Gal-
vanokaustik nicht selten secundäre Mandel-
entzündungen beobachtet werden.
(12. Congr, d. Amarik, LatyngoL AstodtU. wm Wtuk-
ingUm 30. V. bU 1. VI. 89.) LohnsUm {BerUn).
Die Behandlung der Mandelaffectionen, soweit sie
nicht durch Mandelhypertrophie complidrt
sind. Von Dr. John. 0. Roe (Rochester).
Gegenüber der Mandelhypertrophie ist
die Bedeutung der übrigen Affectionen der
Tonsillen nur gering. Indessen giebt es
immerhin eine Reihe von Tonsillar-Affec-
tionen, die bei ziemlich intensiven Beschwer-
den einer erfolgreichen Behandlung oft gros-
sen Widerstand entgegensetzen. • Im Wesent-
lichen kommen hier zwei Affectionen in Be-
tracht, nämlich die chronische Entzündung
der Krypten und Lacunen der Tonsille und
zweitens die fibroide Degeneration desStroma.
Die erstere ist das Endstadium des chroni-
schen folliculären Mandelkatarrhs, und ge-
wöhnlich begleitet von diffusem Pharynx-
katarrhe. Eine erfolgreiche Behandlung ist
nicht nur wegen der Affection selbst von
Bedeutung, sondern auch deshalb, weil sie
nicht selten zu lästigen Folgekrankheiten
(Asthma, nervöse Symptome etc.) führen
m. Jahrgang. 1
November 188tf. J
Refefate.
527
konncD. Die locale Behandlung dieser Af-
fectionen ist Yollig aussichtslos, auch die
Elektrolyse in irgend einer Form ist nur
selten von Erfolg begleitet. Das einzige
Radicalmittel ist die Exstirpation des er-
krankten Organs. Allenfalls kann man, be-
vor man sich hierzu entschliesst, die er-
krankten Follikel öffnen und dann mit
Ghromsäure oder Höllenstein ätzen. Die
Operation selbst ist schmerzlos, wenn man
vorher mit Cocain die Oberfläche der Ton-
sille auspinselt. Auch die Blutung ist dann
gering. Der Erfolg ist in jedem Falle ein
voller.
{11. CongresM d, Amerie. Laryng. Atsociat. z. Washington
30, K.-i. VI. 89.)
Lohnstein (Berlin).
lieber die Behandlung gangränöser Hernien. Von
Dr. Ferdinand Klaussner, Doc. f. Chir.
und I. Assist, an d. Kffl. chir. Univ.-Poliklinik
za München. (Nach einem im Münchn. ärztl.
Ver. am 5. 12. 88 geh. Vortr.)
Yerf. beschreibt die verschiedenen Me-
thoden und deren Technik: Anlegung eines
Anus praeternat., primäre Darmresection,
Freilegung der eingeklemmten Darmschlinge
und Abwarten, Anlegung des Anus praeter-
nat. und Resection der beiden Darmenden
erst nach Wochen oder Monaten, endlich
Resection und Darmnaht, doch Verzögerung
der Reposition des genähten Darmes auf
Stunden oder selbst Wochen (secundäre Re-
position). Yon allen diesen Operationen
räth Verf. zur Anlegung eines Anus prae-
ternat. bei herabgekommenen Personen, die
eine länger dauernde Operation voraussicht-
lich nicht vertragen würden, ferner, wenn
unter ungünstigen äusseren Verhältnissen
operirt werden musste; zur primären Darm-
resection dagegen nur bei kräftigen Leuten
und im Allgemeinen nur in Spitälern, wo
allein man auf die strengste Antisepsis sich
verlassen könne.
{Alünch. med, Wochenschr. 1889^ No. 5 «. 6.)
Pieyer (Stettin).
lieber die Behandlung des angeborenen Klump*
fusses in der v. Volkmann'schen Klinik zu
Halle a. S. Von Dr. O.v. Bungner, Assist,
an der Klinik.
Seit den nicht mehr befriedigenden Er-
fahrungen mit dersubcutanenDurchschneidung
der Sehne des Tib. postic, mit der Keil-
excision aus dem lateralen Theile der Fuss-
wurzelknochen und mit der Talus-Exstir-
pation wird in der Hallenser Klinik bei an-
geborenem Klumpfuss nunmehr meist folgen-
dermassen verfahren: Steht das Kind noch
im ersten Lebensjahre, so wird die
Mutter angeleitet, an dem Klumpfuss forcirte
Bewegungen nach der entgegengesetzten
Richtung hin mit gehöriger Kraft auszu-
führen. Meist ist dann kein weiterer opera-
tiver Eingriff erforderlich, und es genügt die
NachbehandlungmitderScarpa'schenSchiene,
mit Massage und Einreibungen. Im zweiten
Lebensjahre wird eine allmähliche Um-
formung des Fusses durch wiederholte
Fixirung in verbesserter Stellung mit dem
Gyps- oder Gypswasserglasverband erzielt,
meist nach vorangegangenes subcutaner
Durchtrennung der Achillessehne. In den
schweren Fällen endlich wird die Phelps'-
sche Operation ausgeführt (senkrechter
Schnitt über dasOs navic. bis auf den Knochen
mit zum Theil subcutaner Durchtrennung der
hier sich spannenden Sehnen und Fascien,
ev. auch mit gleichzeitiger Tenotomie der
Achillessehne), dann zunächst Fixirung der
Extremität auf der Volkmann' sehen T- Schiene,
später mit gefenstertem und vollständigem
Gipsverband je 4 — 6 Wochen lang, endlich
iVs jährige orthopädische Nachbehandlung mit
dem Scar panschen oder einem Schienen-
Stiefel. Die Erfolge quoad functionem sind
stets vorzügliche gewesen.
(Ceniralbl /. Chirurgie 1889, No. 24.)
Freger (Stettin).
lieber Entstehung und Behandlung der seitlichen
Rückgratsverkrümmung. Von Dr. H. Wolf er-
mann in Strassburg i. E.
Zur weiteren Erläuterung der Wirkung
seines schon früher (Centralbl. f. Chir. 1888,
No. 42) beschriebenen Apparates geht Yerf.
auf die Entstehung der Scoliose näher ein
und führt aus, dass der Apparat nicht durch
Seitendruck, sondern durch Drehung bezw.
Hebung wirken müsse. Er lässt den Ap-
parat 23 Stunden hintereinander, also auch
Nachts, wirken und den Fat. dann eine
Stunde turnen. Je nach dem Grade der
Scoliose muss der Apparat 3 — 4 Monate bis
2 — 3 Jahre gebraucht werden.
(Centralbl. f. Chirurgie 1889, No. 16.)
Freyer (Stettin).
Ein Beitrag zur Behandlung der Furunkel. Von
Dr. Leu (Halberstadt).
Verf., Militärarzt, hat die Behandlung
der Furunkel mit subcutanen Carbolsäure-
injectionen in der von Bidder vorgeschla-
genen Weise in 19 Fällen zur Anwendung
gezogen und fasst die dabei gemachten Er-
fahrungen folgendermaassen zusammen:
1. In der Garbolsäure, subcutan ange-
wendet, besitzen wir ein ebenso einfaches
als wirksames Mittel für die Abortivbehand-
lung von Furunkeln jeder Grösse und jedeu
Stadiums.
528
Rfifonta.
rTherapeottMhe
L Monaubefte.
2. In der Entstehung begriffene, noch
nicht in Eiterung übergegangene Furunkel
sind für diese Behandlung besonders gut
geeignet; denn je zeitiger die Einleitung
derselben, um so günstiger der Erfolg.
3. Die Heilung erfolgt in diesen Fällen
ohne Bindegewebsnecrose, bei den T^eiter
vorgeschrittenen, im Scbmelzungsstadium
befindlichen, bezw. offenen und eiternden
Furunkeln ohne störende Narbenbildung.
4. Der Gehalt der Losung an Carbol-
säure darf zur Entfaltung einer schnellen
Wirkung nicht zu gering bemessen sein.
Mit einer 8procentigen Losung werden an-
scheinend schnellere Heilungsergebnisse er-
zielt, als mit schwächeren Losungen.
5. Für die Militarmedicin besonders ist
bei der Häufigkeit der Furunkel in der
Armee und bei der Inanspruchnahme einer
grossen Zahl von Diensttagen bis zu ihrer
Heilung diese äusserst schätzenswerthe Be-
handlung Yon ganz besonderem Werth.
Verf. setzt die Gründe hierfür weiter
auseinander: Die Erankheitsdauer ist kürzer;
die Leute können ambulant behandelt wer-
den, ohne den Dienst zu versäumen und
ohne dass die Heilung dadurch verzögert
wird. Der Apparat zur Behandlung (Pravaz-
Spritze und Carbollösung) kann überall
(auf Märschen etc.) mitgeführt werden.
(Dltch. Militärärztl Zäüchr, 1889, No 7.)
George Meyer {Berlin).
Einige Bemerkungen zur Behandlung der um-
schriebenen Entzündung des äusseren Gehör-
ganges. (Otitis externa circamscripta. Furan-
culus.) Aas Prof. ZaufaTs Ohrenklinik. Von
Dr. W. Anton and Dr. S. Szones (Budapest).
Auf die Mittheilung Cholewa^s hin
(s. Therap. Monatsh. 1889 No. 6) versuchten
die Vf. das Menthol in öliger Lösung (Men-
thol. 4,0 : Ol. oliv. 20,0) bei 12 Fällen von
Furunculose des äusseren Gehörganges.
Mit obiger Lösung getränkte Wattetampons
wurden in den Gehörgang so fest einge-
führt, dass sie einen leichten Druck auf die
Wandungen desselben ausübten; der 24
Stunden liegende Tampon wurde alsdann
erneuert. Da es sich herausstellte, dass
diese Behandlung weder die Furunkelbildung
aufhielt, noch Recidive zu verhindern fähig
war, noch den Verlauf abkürzen, noch durch-
wegs schmerzstillend wirkte, sahen sich
Verf. nicht gedrungen, von der früher ge-
übten Therapie der Ohrfurunculose abzu-
stehen, d. h. der Anwendung der Büro wa-
schen Lösung (nach Billroth), welche hin-
reichend desinficirend und adstringirend
wirkt, sowie in Form feuchtwarmer Cata-
plasmen als schmerzstillendes und erwei-
chendes Mittel den therapeutischen An-
sprüchen bisher genügt.
{Prager Med. Wocktneehr, 1889, No, 33.)
J, Rttliemann {BerKn),
Fünfundzwanzig erhaltende Kaiserschnitte und
die Stellung der Sectio caesarea zur Perfo-
ration. Von Leopold (Dresden).
Der Leiter der Dresdener Klinik fügt
den bisher veröffentlichten 23 Kaiserschnitt-
fallen 8 neue hinzu, von denen 5 nach
Sänger, 2 nach Porro (und der achte ?)
operirt wurden. Conservative Kaiserschnitte
hat Leopold im Ganzen 25 ausgeführt mit
2 Todesfällen der Mutter. Diese stellt er
den in seiner Anstalt im gleichen Zeitraum
vorgenommenen 92 Perforationen gegenüber,
zieht jedoch bei jenen 3 Fälle ab, in denen
die Perforation überhaupt nicht in Frage
kam, und wählt von diesen auch nur die-
jenigen aus, bei denen der Kaiserschnitt da-
mit hätte concurriren können, d. h. die mit
Conj. Vera von etwa 7,5 cm. So erhält er
sowohl 22 Fälle von Sectio caesarea, als
auch von Perforation, jene mit 2 Todes-
i^Uen, diese mit keinem, und folgert aus
dem Resultat dieser Vergleichung unter Zu-
rückweisung einer Vergleichung von allen
Kaiserschnittfällen mit allen Perforationen
aus den verschiedensten Kliniken, wie dies
Caruso unlängst that, dass der erhaltende
Kaiserschnitt nur in den seltensten Fällen
an die Stelle der Perforation treten darf.
Diese Mahnung, aus einer Klinik kommend,
in der jedes Vierteljahr eine Sectio caesarea
ausgeführt wird und welche die grösste An-
zahl derselben bei der geringsten Mortalität
aufzuweisen hat, dürfte gerade deshalb um
so beherzigenswerther sein.
{Archiv f, Ggndk. Band 34, Heft 2,)
Landtberg {StelHn).
Weitere Beiträge zur Lehre vom Kaiserschnitt
nach conser virender Methode. Von S k u t s c h
(Jena).
Verfasser veröffentlicht aus der Schultz er-
sehen Klinik 2 Fälle von Sectio caesarea
nach Sänger, ausgeführt von Schultze
und ihm selbst, beide mit günstigem Resul-
tate für Mütter und Kinder. Die erste
Frau hatte eine Conj. vera von 8 cm;
l*/« Jahre vorher hatte bei ihr nach vei^
geblichen Wendungs- und Zangenversuchen
die Perforation des lebenden Kindes gemacht
werden müssen, so dass jetzt im Interesse
des Kindes operirt wurde. Die zweite
Frau hatte eine Conj. vera von 6,2 cm; bei
ihr war schon vor 2 Jahren in Jena ein
Kaiserschnitt erfolgreich ausgeführt worden;
jetzt rettete dieselbe Operation neben der
TU. JfthrgAag. I
November 1889. J
Rttfwmt».
529
Mutter, in deren Interesse sie wegen starken
Eiweissgelialtes im Urin, starker Oedeme
und drohender Eklampsie gemacht wurde,
auch Zwillingen im Gewicht von 3010 und
2540 g das Leben.
{Archiv f. Gynäk. Band 34, Heß 1.)
Landsberg {Stettin).
Ueber einige Fälle von Sectio caesarea. Von
Stanislaus Braun (Krakau.)
Zwei Kaiserschnitte mit glucklichem
Ausgange, einen nach Porro bei einer tuber-
culosen Zwergin mit Conj. vera von 6 cm,
und einen nach Sänger bei einer „ziemlich
verständigen (!?)" Frau mit einer Conj. vera
von 8 cm, veröffentlicht Verfasser gleich-
zeitig mit einem tÖdtlich verlaufenen Fall
aus dem Jahre 1870 und 2 Sectiones caesar.
post mortem.
(Archiv /*. Gffnäk, Band 34, Heß 2.)
Landsberg {Stettin).
Ueber einen zweiten Kaiserschnitt mit Uterus-
naht an derselben Frau. Von Zweifel
(Leipzig).
Bei einer Frau, die bisher 4 Perforatio-
nen, 1 Fehlgeburt, eine schwere Zange und
einen Kaiserschnitt durchgemacht hatte,
wurde die letzte Operation zum zweiten
Male mit gutem Ausgang für Mutter und
Kind ausgeführt trotz vieler Verwachsungen
der Darmschlinge mit der Bauchwand und
des Netzes mit Uterus und Bauchwand.
Gleichzeitig wurde durch Ligatur beider
Tuben mit Silkwormgut der Frau die Mög-
lichkeit, ferner zu concipiren, genommen.
{Centralblf. Gynäk, 1889, No, 13,)
Landsberg {Stettin),
Zur Vereinfachung des Kaiserschnittes. Von
Fritsch (Breslau).
„Ich erfahre fast jedes Jahr von meh-
reren Kaiserschnitten, die in Schlesien von
practischen Aerzten ausgeführt sind.^ Da-
mit begründet F. sein Bestreben, die Me-
thode des Kaiserschnitts möglichst zu ver-
einfachen, wenn auch die jetzt in den Kli-
niken allgemein geübte Methode, insbesondere
der Nath, die besten Resultate ergiebt.
Seine Vereinfachungs vorschlage beziehen
sich aber gerade auf die Naht. Nachdem
er von der ursprünglichen Sänger^ sehen
Vorschrift, mit Draht zu nähen, zurück-
gekommen war und bei einem Kaiserschnitt
nach Sänger schliesslich den Uterus wegen
Atonie und innerer Nachblutung hatte ent-
fernen müssen, ZuHllle, die er auf die durch
den Schlauch bewirkte Fern hal tun g des er-
nährenden Blutes von der Uterusmusculatur
zurückführt, öffnete er beim nächsten Kaiser-
schnitt den Schlauch schon nach der Muskel-
naht und bemerkte, dass die Blutung aus
der Wunde schon vor Anlegung der sero-
serösen Naht stand, diese also, wenn man
sie der Blutstillung wegen anlegen wollte,
überflüssig sei. Diese Betrachtung, sowie
Erfahrungen bei Myomenucleationen, wo
auch trotz gewöhnlicher Wundnaht kein
Blut aussickerte, Hessen in ihm den Ent-
schluss reifen, beim nächsten Kaiserschnitt
die sero-seröse Naht principiell wegzulassen.
Eine zweite Vereinfachung betrifft das Mit-
fassen der Decidua: da die Uterushöhle, so
lange keine Entbindungsversuche gemacht
sind, aseptisch ibt, hat Jodoformirung keinen
Zweck, und indem selbst ein späterer Zerfall
der Uterusinnenfiäche , die Lochien, der
Uteruswunde nichts mehr anhaben können,
ist auch die ängstliche Schonung der De-
cidua unnÖthig, wie dies bisher mit der
Vorschrift geschah, an der Decidualgrenze
auszustechen. Die Durchführung der Naht
durch das ganze Parenchym erspart Zeit
und Mühe und macht durch das Mitfassen
einer grösseren Menge von Gewebe die
Wunde fester. Man darf natürlich nicht zu
viel fassen ; das richtige Maass dürfte aussen
ca. 1 cm, innen ca. 0,5 — 0,75 cm vom
Wundrande für Ein- und Ausstechen sein.
Nach dieser vereinfachten Methode nun ist
F. in 2 Fällen vorgegangen, beide sind ohne
Nachblutung trotz complicirender Bronchitis
bezw. Erbrechen glücklich für Mütter und
Kinder verlaufen. ' Als Nahtmaterial em-
pfiehlt er Seide, da von einer fortlaufenden
Naht nicht die Rede sein kann, Catgut (das
er selbst verwandt hat) sich schwer knüpfen
lässt und das Liegenbleiben der Seidenfäden
ungeföhrlich ist.
{Centralblf, Gynäh. 1889, No. 23.)
Landsberg {Stettin),
Experimentelle Untersuchungen über die ge-
bräuchlichsten Nahtmaterialien bei intra-
peritonealen Operationen, hauptsächlich in
Bezug auf die Uterusnaht beim Kaiserschnitt.
Von Thomson (Dorpat).
Carbolcatgut, Silkwormgut, Chromsäure-
catgut und Seide hat Th., veranlasst durch
die widersprechenden Angaben über den
Werth derselben beim Kaiserschnitt, auf
ihre Resorbirbarkeit am puerperalen Uterus
in folgender Weise geprüft. Nachdem die
ziemlich gleich dicken Fäden den verschie-
denen Vorschriften gemäss zubereitet und
auf ihre Sterilität in sterilisirter Nährgela-
tine controlirt worden waren, wobei Carbol-
catgut sich nicht vollständig bewährte, nähte
Th. mit ihnen Schnitte, die er Kaninchen,
Katzen und Hunden, gleich nachdem sie
67
530
Referate.
pTherapeatiscba
geworfen hatten, in den Utenisbörnern
einige Gentimeter lang beigebracht hatte,
'v^'ieder zusammen, rechts und links mit ver-
schiedenem Material und fand, dass der
puerperale Zustand keinen Einfiuss ausübt,
dass Ghromsäurecatgut gai-nicht resorbirt
wurde, eben so wenig Silkworm, dass die
Resorption von Carbolcatgut nach 8 — 10
Tagen mehr oder weniger vollständig war,
während dies bei Seide erst zwischen dem
50. und 64. Tage erfolgte. Er schliesst
daraus, dass Seide das sicherste und beste
Nahtmaterial ist, weil sie vollständig steril
gemacht werden kann und mit der Zeit re-
sorbirt wird, Ghromsäurecatgut und Silkworm
wegen der Nicht- Resorbirbarkeit, Garbol-
catgut wegen der zu schnellen Resorbirbar-
keit und wegen Infectionsgefahr zu ver-
werfen sind.
(CentralbL f. Gynäk, 1889, No, 24,)
Landiberg {SUtHn).
Zur Injectionsbehandlung der acuten Gonorrhoe.
Von Dr. Friedheim (Leipzig).
Die Injectionen sind nur zur Behandlung
der Gonorrhoe der Pars anterior anwendbar.
Die Behandlung der acuten Gonorrhoe hat
in diesem ersten Stadium, also mög-
lichst zeitig zu beginnen und zwar mit
Mitteln, die die Krankheitserreger sicher
vernichten. Auf diese Weise werden die
Gomplicationen der Gonorrhoe, Gystocollitis,
Epididjmitis, etc. am sichersten vermieden.
Mikroskopische Gontrole ist für die Durch-
führung einer rationellen Trippertherapie
unerlässlich. An einem sehr grossen Mate-
rial von 1200 Fällen hat Yerf. eine gros-
sere Anzahl von Medicamenten zur Be-
handlung der Gonorrhoe theils selbst geprüft,
theils die Ergebnisse mit denselben aus den
Krankenjoornalen der Breslauer dermatolo-
gischen Klinik in durchaus kritischer Weise
genauer zusammengestellt. Das geeignetste
Mittel zur Therapie des Trippers im ersten
eitrigen Stadium ist dasjenige, welches die
Gonokokken todtet, das Schleimhautgewebe
nicht zerstört und die entzündlichen Er-
scheinungen, wenn nicht verringert, so doch
sicher nicht steigert. Nach diesen drei Ge-
sichtspunkten wurde die Wirkung der ein-
zelnen Präparate auf den Verlauf etc. der
Gonorrhoe beurtheilt. Zur Beobachtung
wurden frische oder bisher erfolglos behan-
delte, zahlreiche Gonokokken enthaltende
Fälle gewählt. Die Dauer der meist dreimal
täglich wiederholten Injectionen betrug ca.
3 Minuten, die Menge der eingespritzten
Flüssigkeit mindestens 5 ccm. Die Unter-
suchung der mikroskopischen Präparate ge-
schah mehrere Tage hintereinander, das Se-
cret wurde nach mehrstündiger Urinretention
mit ausgeglühter Platinnadel der Tiefe der
Urethra entnommen. Aus denselben Gründen,
aus denen sofort nach Beginn der Affection
die Behandlung mit (antiparasitären) Mitteln
begonnen wird, wird dieselbe auch nach
Eintritt von Gomplicationen, beson-
ders Epididymitis, unverändert fort-
gesetzt. An eine Spontanheilung der Go-
norrhoe, wodurch eine Localbehandlung bei-
nahe überflüssig und die Auswahl der Mittel
gleichgültig wäre (Finger), glaubt Fr. nicht.
Die Wirkung der untersuchten Medica-
mente ist folgende: Hydrarg. formamid.
hat in Lösung von 1 : 1000 bis 10000
eine kräftige antibacterielle Wirkung, doch
sind Reizerscheinungen von Seiten der Schleim-
haut, Harndrang, starke Secretion etc. damit
verbunden; Calomel in 10 ^/o Suspension
mit 2,5 Natr. chlorat. beeinfiusst die Schleim-
haut weniger stürmisch, die antibacterielle
Wirkung ist aber weniger sicher; Salicyl-
quecksilber 1,0 : 270 mit 1,7 Natr. chlorat.
vernichtet die Kokken dauernd unter ge-
riogen Reizerscheinungen; Sublimat erzeugte
noch in Lösungen von 1 : 20000 Schmerzen,
die antiparasitäre Wirkung war mit diesen
Goncentrationen nicht sehr gross. Zink-,
Tannin-, Bleipräparate in bekannten
Stärkegraden hatten gar keinen autibacte-
riellen Erfolg; Bismuth. subnitr. und
salicyl. sind für die Behandlung der acuten
Gonorrhoe nicht brauchbar; sie bewirken
zwar, wie die vorigen, Verminderung und
Verdünnung des Ausflusses, vernichten aber
nicht die Bacterien. Kai. per mang, tödtet
in stärkeren Lösungen die Kokken, reizt
aber dann die Schleimhaut stark; der Aus-
fiuBS wird bei Anwendung schwächerer Lösun-
gen dünner, der Eitergehalt herabgesetzt.
Die ausserdem von F. in sorg^ltigster Weise
controlirten Injectionen von Acid. nitr.
1 : 1000, Acid. pyrogall. 4 : 100, Chloro-
formwasser, Jodoformöl, einprocentigem
Creosot-Camillenthee, Borsäure, essig-
saurer Thonerde, Antipyrin, Resorcia,
Natr. salicyl., Kalkwasser, Naphthol,
Sozojodol-Kalium, -Natrium, -Zink,
Creolin (höchstens 1 : lOO), Natr. fluor-
silicat., Natr. chloroboros. , Borax,
Borsäure, Rotters^cher Lösung, Thal-
lin. sulf. und T hallin. tartar. ergaben
zum Theil ungenügende, zum Theil so stark
reizende Wirkungen, wenn sie in Lösungen,
die Kokken tödtend. wirken, benutzt wurden,
dass sie nicht allgemein in Gebrauch gezogen
werden können. Verf. empfiehlt folgende
von Ne isser systematisch betriebene Appli-
cation des Arg. nitr. gegen den Tripper,
welche er bei 818 Patienten genau verfolgen
in. Jahrgang, l
November 1889. J
Rttfecal«.
531
konnte. Das Mittel vernichtet sicher die
Gonokokken, ^es ruft Verhältnisse hervor,
durch welche die in der Schleimhaut einge-
nisteten Gonokokken seiner Wirkung zugäng-
lich gemacht werden; es hilft dieselben durch
ihre Beziehungen zu Eiterkörpern und Epi-
thelzellen eliminiren, vermindert zu starke
EiteruDg, reducirt den Ausfluss schliesslich
auf ein Minimum^. Das Arg. natro-sub-
SU 1 furo s. giebt keine Eiweissfällung und
hat geringere antibacterielle Exaft.
Die Behandlung mit dem Arg. nitr.
ist folgende: Bei jeder acuten Gonorrhoe
wurden sofort Injectionen von Arg. nitr.
1 : 4000 bis höchstens 2000 4 bis 6 Mal
pro die ausgeführt. Der Ausfluss, erst reich-
licher, wird nach ca. 4 Tagen dünner, die
Gonokokken nehmen beträchtlich ab. Die
Einspritzungen mit Arg. werden dann auf 2
und eine pro Tag verringert und statt ihrer
solche mit adstringirenden Mitteln, Borsäure,
Zinkpräparaten etc., eingeführt. Das Secret
hört so fast völlig auf. Eine Arg.-Injection
pro die wird noch viele Wochen lang ver-
ordnet. Diät etc. wird im Anfang streng
anbefohlen, dann noch während der Arg.-
Behandlung bei Seite gelassen. Bei empfind-
lichen Patienten wird die Zahl und Stärke
der Höllensteininjectionen vermindert oder
unmittelbar vor und nach diesen Ein-
spritzungen von Borsäure oder Antipyrin
eingefügt. Ferner sind Bäder, Suppositorien
zu verordnen. Wird auch dann das Arg. (auch
erwärmt) nicht vertragen, so können Hydrarg.
salicyl., Natr. chloroboros., Thallin gebraucht
werden. Ist auch diese Anwendungsform
(eventuell Irrigationen der Pars anterior)
nicht möglich, so sind innere Mittel in Ver-
such zu ziehen, die höchstens sonst die
Injectionen unterstützen. Von allen inneren
Mitteln sah F. nur von grossen Dosen
Balsam. Copaiv (bis zu 12 Kapseln ä 0,6 g
pro die) ohne gleichzeitige Einspritzungen
bisweilen Einwirkung auf die Gonokokken.
Menge und Eitergehalt des Secrets nimmt
ohne Reizwirkung ab. Aber das Mittel
wirkt schädlich auf Magen und Darm und
ist daher nur in genannten seltenen Aus-
nahmefällen anwendbar. Betreffs der Art
und des Eintritts der Complicationen, die bei-
nahe stets nach Injectionen, die ungenügende
antibacterielle Wirkungen hatten, sich ein-
stellten, siehe das sehr lesenswerthe Original.
{Ärch. /. Dermatol und 8ypk. 1889, 4. Htfl.)
George Mtyeir {BerUn).
Wann erscheint das Quecksilbers des grauen Oeles
im Urin? Von Dr. Kronfeld (Wien).
Um zu untersuchen, in welcher Zeit nach
den Injectionen des grauen Oeles das Queck-
silber im Urin nachweisbar ist, benutzte
Verf. den Urin von Kranken, die nie vor-
her irgend einer Quecksilberbehandlung
unterworfen gewesen waren. Bis zum Nach-
weis des Hg wurden nur ein oder zwei In-
jectionen an ein und demselben Tage ge-
macht und zwar mit 50 procent. Ol. einer.
Zu bemerken ist, dass ein Theilstrich des
30 proc. grauen Oeles 5 Sublimatinjectionen
entspricht. Zur Untersuchung wurden 500 bis
700 ccm Flüssigkeit benutzt. 5 Patienten
erhielten je 1 Theilstrich, 5 je zwei halbe
Theilstriche, und weitere 6 je zwei Mal
1 Theilstrich 50 proc. Oeles. Es ergab sich
nun, dass die Ausscheidung des im Ol.
einer, enthaltenen Hg nach analogen Ge-
setzen geschieht, wie die anderer Hg-Präpa-
rate. Nach Injection von einem Theil-
strich erschienen die frühesten Spuren des
Hg 4 Tage nach der Einspritzung, nach
Einverleibung von zwei Mal 1 Theilstrich
bereits am ersten Tage. Auch hier also
ist für die Resorption zum Theil die Menge
des applicirten Hg wichtig. Bei Einspritzung
von 0,1 an zwei Stellen war Hg stets nach-
weisbar, während es nach Injection derselben
Menge an eine Stelle zwei Mal sehr lange
nicht im Harn erschien.
Schliesslich untersuchte K. noch den
Urin von 5 Kranken , die pro die 2 g
Ungt. einer, verrieben hatten und fand bei
diesen 4 Mal nach drei und vier Einreibun-
gen das Hg im Harn, während es bei einem
Patienten innerhalb 13 Tagen nicht nachge-
wiesen werden konnte.
(Wien. med. Woeheiuchr. 188S, No. 35 «. 36,)
George Meger {Berlin).
Ueber die praktische Durchführung der Antisep-
sis am Auge besonders bei Operationen und
Verletzungen. Von Dr. H. Adler (Wien).
Nach einer einleitenden Betrachtung über
die so spät erfolgte Verwerthung der anti-
septischen Behandlungsgrundsätze in der
Oculistik schildert Verf. den Werth der
hier in Betracht kommenden Agentien an
der Hand einer Tabelle. Dieselbe zeigt die
Concentration, bei welcher, und die Zeit-
dauer, in welcher die Vitalität des Staphy-
lococcus pyogenes zerstört wird, femer die
durch die Antiseptica bewirkte Reizung des
Auges und die Haltbarkeit der Lösungen.
Hierbei kommen die Mittel, welche bereits
praktisch ihren Ruf bewährt haben, obenan
zu stehen, das Sublimat, Panas^sche Lösung
(Hydrarg. bijod. in Solution), Argent. nitric,
Chlorwasser, Calomel, Jodoform. Die Bor-
säure hat keine parasitentödtende Wirkung.
Jodol reizt mehr w\e Jodoform, wirkt aber
ähnlich wie dieses. Creolin reizt in noch
67»
532
Referate.
rrherapeatlsche
L Monatshefte.
antiseptisch M'irksamen Yerdünnungen die
Bindehaut des Auges. Das kräftigste An-
tisepticum (bei randständigen Hornbautge-
schwuren, unreinen Hornhaut wunden, Ulc.
serpens u. s. w. angewendet) liefert die gal-
Yanokaustisch erzeugte Glühhitze. Warm
tritt Verf. für Verwendung des Jodoforms
(speciell bei Verletzungen des Auges) in der
Oculistik ein.
Im nächsten Abschnitte bespricht Verf.
die antiseptischen Vorbereitungen bei Ope-
rationen an den Augen, die Concentration
der antiseptischen Mittel, den Verband
(„Streifenverband"), die Aufbewahrung der
Verbandstoffe, die Behandlung der Instru-
mente (mindestens 2 Minuten lange Sterili-
sirung in feuchter Wärme von 90 — 100°)
u. 8. w.
Verf. verwendet hierfür einen von ihm
angegebenen portativen Eochapparat. Bei
Verletzungen an den Augen legt Verf.^nach
sorgfältiger antiseptischer Reinigung mit
Sublimat einen Jodoform verband an. Bei
vielen Conjunctivalleiden und Eeratitiden
wendet er antiseptische Losungen, Sublimat
1 : 5000, Borsäure 15,0 mit Salicylsäure 5,0,
destillirtes Wasser 500,0, Chlorwasser, auch
3procentige Borsäurelosung zu Augenwäs-
sern, beziehungsweise zu lauen Umschlägen
an. Mjdriatica und Mjotica können in an-
tiseptischen Losungen länger aufbewahrt
werden. Bei Injectionen der Vorderkammer
bedient sich Verf. des von v. Wecker em-
pfohlenen Tropfgläschens. Endlich betont
A. die Wichtigkeit der strengen Durchfuh-
rung hjgienisch-antiseptischer Maassnahmen
in der poliklinischen Behandlung.
( Wiener medic. Presse 1889 No. 34 «. 3Ö.)
J, Buhemann (Berlin).
Toxikologie.
(Aus der inneren Abthcilung des Luisen-IIospitals zn Aachen.)
Ein Fall von Santoninvergiftung. Von Dr.
van Hey. (Original- Mittheilung.)
Die Berechtigung, den folgenden Fall von
Santoninvergiftung zu veröffentlichen, glaubte
ich darin finden zu dürfen, dass er bis jetzt
der einzige in der Litteratur bekannte Fall
einer chronischen Santoninvergiftung ist.
Derselbe wurde im Luisen - Hospital zu
Aachen beobachtet und. mir von Herrn Ge-
heimen Sanitätsrath Dr. Mayer in liebens-
würdigster Weise zur Beschreibung überlassen.
Der elfjährige Patient litt seit Nov. vorigen
Jahres beständig an heftigen Lcibsehmei'zen, gegen
welche neben andern Medicamenten Ende December
Santoninpulver verabreicht wurden, worauf auch
mehrere Spulwürmer abgingen. Da die Leib-
schmerzen Ende Januar wiederkehrten, so wurden
zum zweiten Male Santoninpulver verordnet, doch
mit der ausdrücklichen Bemerkung, dieselben nicht
erneuern zu lassen. Die Mutter Hess trotzdem
die Pulver von neuem anfertigen, da die Leib-
schmerzen nicht aufhörten, und gab dieselben ruhig
weiter, bis Mitte Februar klonische Krämpfe zu
den Leibschmerzen traten; dieses forderte die
Mutter erst recht auf, in ihrer Weise fortzufahren;
die Kränlpfe wiederholten sich darauf häufiger an-
statt nachzulassen, daher sagte sich die Mutter, die
Pulver sind zu schwach und müssen also häufiger
gegeben werden, weshalb sie mehrere Male ohne
Vorwissen des Arztes die Pulver erneuern liess und
noch Santonin im Handverkauf sich verschaffte und
anstatt nach Vorschrift alle 2 Tage ein Pulver zu
geben, deren alle Tage zwei gab. Die Krämpfe
wiederholten sich und dauerten längere Zeit an,
verbunden mit grosser Unruhe und Angst. In-
zwischen bemerkte der ziemlich aufgeweckte Junge,
wie Mitte März die Beine schwächer wurden,
welche Schwache stetig zunahm; eine Woche später
fing auch die Sprache an, schwer zu werden, die
Stimme wurde leiser und leiser, bis sie am 7. April
ganz erlosch. Dabei hatte Patient die verschieden-
artigsten Gesichts-Hallucinationen, er sah glühende
Kugeln, Lichter und Blitze; alle Gegenstände er-
schienen ihm gelb gefärbt. Der jetzt consultirtc
Arzt verbot sofort nach Erhebung der Anamnese
die Pulver, was die Mutter jedoch nicht hinderte
noch zwei derselben zu geben. Die Antwort des
Knaben darauf war ein heftiger Krampfanfall am
8. April, worauf am 9. April der Patient in das
Luisen-Hospital aufgenommen wurde. Die Gei^ichts-
farbe war sehr blass, der Ausdruck ein trauriger,
in sich gekehrter. Die Pupillen waren weit und
vollständig reactionslos. Patient klagte über starken
Schwindel und Kopfschmerz, allgemeine Unnihe
und Angst, Uebelkeit und Erbrechen. Alle weissen
Gegenstände erschienen ihm seit langem gelbgc-
färbt, blaue als grünlichgelb, die violette Farbe als
schwarz oder grünlichgelb. Sehr ängstlich war er
über Druck und Brennen im Auge, Funkensehcn,
Blitz- und Lichterscheinungen. Die Athmung war
etwas beschleunigt, der Puls zwischen 79 u. 80
Schlugen in der Secunde. Patient wurde, da er
nicht gehen konnte, sofort zn Bett gebracht; beim
Vorsuche, sich zu erheben, fiel er sogleich zurück,
aufrecht gestellt, sank er um; die motorische
in. Jahrgang, "l
November 1889. J
Toxikologie.
533
Kraft der Beine war sehr herabgesetzt. Keine Ent-
artungsreaction. Die PateUarsehnenreflexe waren
normal, Fussklonus nicht Yorhanden; die Sensibilität
gut erhalten. Patient musste katheterisirt werden
und erhielt am folgenden Tage wegen Stuhlver-
haltuDg einen Einlauf. Der etwas schwere Urin war
geblich gefärbt und ergab schwache Santoninreaction.
Patient konnte sich seiner Umgebung nur schriftlich
Ycrständlich machon, er hörte und verstand alles,
vermochte aber kein Wort zu sprechen. Am Abend
des Aufnahmetages bekam Patient den letzten An-
fall, bestehend in länger andauernden klonischen
Zuckungen in den Beinen, weniger in den Armen,
verbunden mit Verdrehungen der Augen, Zuckungen
und Verzerrungen im Qesicht; das Bewusstsein war
wie stets ungestört.
Die Verordnung bestand abwechselnd in Brom
und Jod; zugleich wurde für regelmfissige Stuhl-
cntleerung gesorgt. Nach einigen Tagen war das
Gelbschen nicht mehr so deutlich ausgeprägt, doch
hatten alle Farben für den Patienten noch einen
gelblichen Schein, was auch noch mehrere Wochen
anhielt. Die Pupillen wurden nach drei Tagen etwas
enger, blieben aber noch lange gegen Licht vollstän-
dig unempfindlich. Während des Hospitalaufenthaltes,
der bis zum 22. Mai dauerte, hatte Patient das
Gehen nicht wieder gelernt, erst Anfangs Juni ver-
mochte er sich wieder allein aufzurichten und zu
stehen, lernte dann eine kurze Strecke gehen,
Anfangs allerdings steif, erst später mit elastischen
Schritten, fuhr aber schnell in der Besserung fort,
so dass er Ende Juni wieder so gut gehen konnte
wie vorher. Ende Mai hatte Patient das Weinen
wieder gelernt und sprach einzelne, ihm vorge-
sprochene Worte, machte bald gute Fortschritte
und war nach drei Wochen wieder Herr seiner
Sprache. Noch lange Zeit klagte er über Schwäche
in den Gliedern und lästiges starkes Schwitzen.
Gegenwärtig befindet sich der Patient vollständig
wohl.
Wie bei jeder SaDtoninvergiftuDg, so
haben wir auch hier als eines der Haupt-
symptome das Gelbsehen, welches ja auch
schon bei nicht giftiger Dosis auftritt. Dem
Gelbsehen geht, wie aufmerksame Beobachter
versichern, für kurze Zeit ein Violettsehen
voraus, das namentlich an dunklen Gegen-
ständen wahrgenommen wird. Das Gelb-
sehen sab Rose noch früher auftreten als
die Gelbfärbung des Urins, so dass also das
Santonin, noch ehe es Pigment bildet, be-
reits als solches in der Art auf die Endaus-
breitungen des Opticus wirkt, dass dieselben
nicht mehr in normaler Weise percipiren.
Die Untersuchungen Rose^s zeigen uns, dass
wir es mit einer rein nervösen Störung der
Endorgane des Opticus zu thun haben, mit
einer Störung, die so gross sein kann, dass
sie, wie Odelio Blinn (The Therapeutic
Gazette 1887 No. 7) berichtet, zu einer
mehrtägigen Amaurose führen kann. Rose
Hess Patienten, welche grössere Gaben San-
tonin genommen, das Spectrum beobachten,
und fand, dass sie dasselbe zwar vollständig
sahen, aber die Stellen, wo sie, ohne San-
tonin genommen zu haben, die violette Farbe
wahrnahmen, zuerst als schwarz und dann
als farblos bezeichneten, dass sie also das
Spectrum verkürzt sahen. Daraus ergiebt
sich unter Berücksichtigung des der Xan-
thopsie vorausgehenden Violettsehens, dass
die violettpercipirenden Organe sich zuerst
in einem Stadium erhöhter Erregung befin-
den, welchen bald ein Zustand verminderter
Erregung und Erregbarkeit folgt — daher die
Violettblindheit. Helmholtz und Hüfner
fanden, dass diese Violettblindheit auf einem
directen Einfluss des Santonin auf die violett-
empfindenden Netzhautelemente beruht.
Dieser eigenthümlichen Reizung des Op-
ticus schliesst sich in erster Reihe eine heftige
Erregung der übrigen Gehirnnerven an, darauf
folgen allgemein klonisch -tonische Krämpfe
besonders der Extremitäten, wie denn auch
nach den Untersuchungen von Binz (Die
Santoninvergiftung und deren Therapie.
Archiv für experimentelle Pathologie und
Pharmakologie. 1877. Band VI) das San-
tonin als ein Krampfgift für das Gehirn
sowohl als die Medulla in ihrem ganzen
Verlauf bezeichnet werden muss. Als Folgen
der cerebralen Wirkung sehen wir bei unserem
Patienten die Gesichtshallucinationen, den
heftigen Schwindel und Kopfschmerz, die
Uebelkeit und Brechneigung. Auch hier
machte bald der Zustand der verminderten
Erregbarkeit dem Stadium der erhöhten Er-
regung und Reizung Platz. Der Knabe konnte,
nachdem er häufigere Krämpfe -gehabt, weder
geben noch stehen, die motorische Kraft war
herabgesetzt; analog der Lähmung der violett-
percipirenden Organe hatten wir die Ataxie
der Beine. Der Zustand der Depression
dauerte wohl deshalb so lange, weil das
Santonin mehrere Monate hindurch genom-
men wurde.
Ueber eine functionelle Störung oder
einen Verlust der Sprache finden wir in der
Litteratur wenig Angaben; zwar berichten
van Hassel t und Rinder hoff (Archiv für
holländische Beiträge II. 3. 1860) über Affec-
tion der Kehlkopf- und Glottismuskeln und
Binz in der genannten Arbeit über das Aus-
bleiben der Stimme Avährend 15 Stunden
bei einem 25 Monate alten Kinde, welches
2 Trochisci von 0,0207 Santoningehalt ge-
nommen hatte, und ein anderer Beobachter
sah bei einer 20 jährigen kachectischen Person
vollständige Aphasie in Verbindung mit dem
Gelbsehen nach 0,05 Santonin auftreten.
Diese Stimmlosigkeit beruht wohl ebenfalls
auf der Krampfwirkung des Santonins auf
die nervösen Centralorgane, welcher Erregung
bald das Stadium der Depression folgt, gleich
534
Toxikologie.
rTherapenliseh«
L Monatahefte.
"wie die Violettblindheit dem Yiolett sehen,
die Amaurose den Gesichtshallucinatiooen
sich anschliesst.
Sehr auffallend ist in unserer Krankheits-
geschichte das lange Anhalten der Erschei-
nungen, der chronische Verlauf. Die meisten
beobachteten Fälle dauerten nicht länger als
72 Stunden, und auch bei den Tbierexperi-
menten ist nur von 3 — 4 Tage andauernden
Krämpfen u. s. w. die Rede. Aber in allen
diesen Fällen handelt es sich auch nur um
eine einmalige grosse Gabe oder um nur
wenige Tage hintereinander genommene
grössere Dosen; in unserem Falle ist eben
das Gift Monate lang genommen worden,
indem die Eltern es gedankenlos weiter gaben.
Wieviel im Ganzen genommen wurde, Hess
sich nicht eruiren, doch wurde als sicher
festgestellt, dass 4 Schachteln zu 5 Pulvern
ä 0,1 und später 4 oder 5 Schachteln zu
5 Pulvern ä 0,08 Santonin genommen wur-
den ; dazu hatte die Mutter noch Wurmpulver
gegeben, welche sie im Handverkauf erwarb;
dieselben sollen 0,05 Santonin enthalten.
Jedenfalls sind Mengen — wenigstens 4 g —
genommen worden, die sicher zum Tode ge-
führt hätten, wäre nicht durch den langen
Gebrauch eine allmähliche Gewöhnung einge-
treten.
Ein Vergiftungsfall mit Thioresorcin. Von Dr.
Amon (Forchheim).
Verf. hat bei einem 46jährigen, an Para-
plegie leidenden Patienten, der an Ulcus
varicorum eines Unterschenkels litt, und auf
diesem letzteren ohne Wissen von A. das
Thioresorcin reichlich als Streupulver ange-
wendet hatte, eine Intoxication von letzterem
Präparat beobachtet. Die Erscheinungen be-
standen in Ödematöser Anschwellung. eines
oberen Augenlids, masernartigem, juckendem
Exanthem an Stirn, Nasenwurzel, Kinn,
Wangen, hinter den Ohren. Der Nacken
selbst war von dem Ausschlag frei; an Brust
und Armen nur vereinzelte Flecke, während
an den erstgenannten Stellen dieselben mehr
zusammenflössen. Im Urin nichts Bemerkens-
werthes. Dass thatsächlich das Präparat
die Ursache des Ausschlags war, bewies,
dass derselbe drei Tage nach Aussetzen des
Mittels verschwunden war und auf versuchs-
weise Anwendung desselben sich sofort wie-
der zeigte, um nach Entfernung des Medi-
camentes von dem Geschwür dann endgiltig
aufzuhören. Während das Thioresorcin in
Substanz gelbbraune Farbe hat, war dieselbe
auf dem Geschwür stets vollkommen gelb,
die Form krystallinisch. Es hatte unter
dem Verbände also eine Zersetzung des Prä-
parates stattgefunden. Die Vergiftung ist
wohl auf Thioresorcin und Resorcin gemischt
in diesem Falle zurückzuführen.
{Atünch. med, Wochenschr. 1889 No. 32.)
George Meyer (BerKn).
Ein Fall von Cocainvergiftung.
Zu dem im Octoberhefte S. 485 berich-
teten Fall von Cocainvergiftung bemerken
wir, einem Wunsche des Herrn Dr. Stein
aus Saaz nachkommend, dass die Cocain-
suppositorien , welche die Intoxicationser-
scheinungen hervorriefen, nicht von Herrn
Dr Stein, sondern von einem andern Arzte
verordnet wurden, was in dem betreffenden
Referate nicht besonders hervorgehoben ist.
Die Redaction.
liltteratur.
Annalen der städtischen allgremeiucn Eranken-
häuscr zu München. In Verein mit den
Aerzten dieser Anstalten herausgegeben von
Prof. Dr. V. Zicmssen. Bd. IV. Mit 3 Tafeln.
München 1889, M. Kieger^sche Universitilts-
buchhandlung.
Der jüngst erschienene 4. Band der
Miinchener Krankenhaus-Annalen, welche die
Jahrgänge 1880 — 84 umfassen, bildet ein
stattliches und inhaltreiches Werk. Der
erste Theil desselben, der eigentliche Krank-
heitsbericht, nimmt den grössten Theil des
Buches für sich in Anspruch. Von den
beiden städtischen Krankenhäusern links und
rechts der Isar haben die einzelnen Abthei-
lungen gesonderte Berichte darin niederge-
legt. Nicht nur der Statistiker wird aus
den genauen Verwaltungsberichten, sowie
aus den allgemeinen Morbiditäts- und Mor-
talitätsstatistiken reiche Belehrung schöpfen
können, sondern in ganz hervorragender
Weise wird durch eine ausführliche Casuistik,
durch Skizzirung von hunderten von Kranken-
geschichten das practische ärztliche Inter-
esse gefesselt; schwierige, seltene Fälle und
Gomplicationen, Diagnosen, durch die Section
bestätigt oder corrigirt, erfolgreiche thera-
peutische Maassnahmen, sind in solcher Fülle
beschrieben, dass dies Werk fast den Cha-
rakter eines Lehrbuches angenommen hat.
Bei der Fülle des Materials kann auf Ein-
zelnes hier nicht eingegangen werden.
Den zweiten, viel kürzeren, aber nicht
minder interessanten Theil des Buches bilden
einige Originalabhandlungen. Die erste der-
selben, über den prognostischen Werth des
Wundsecretes, von Geheimrath v. Nuss-
b au m , enthält die Veröffentlichung einer wich-
tigen Erfahrung. Geheimrath y. Nussbaum
m. Jahrgang. I
November 1889. J
Llttf tiif»
535
hat auf Grund jahrzehntelanger Beobachtung
die Ueberzeugung gefasst, dass wenn das
Wundsecret längere Zeit blutig tingirt ist,
die Heilung der Wunde eine ungünstige Pro-
gnose bietet. Nicht die Nachblutungen yer-
steht T. N. unter dieser blutigen Verfärbung
des Secretes, auch nicht jene prognostisch
so üblen tertiären Blutungen, sondern eine
durch capillare Blutung zu Stande kommende,
keine bestimmte Localisation aufweisende
Rothfarbung des Wundsecretes oder des
Eiters. Je länger diese Verfärbung anhält,
umsomehr verschlechtert sich die Prognose.
Bei Tuberculosen und Säufern wird sie be-
sonders oft und andauernd beobachtet, v. N.
erklärt diese Erscheinung durch einen nicht
nur auf den ungünstigen Zustand der Wund-
Terhältnisse zurückzuführenden, sondern oft
auch mit dem Allgemeinbefinden zusammen-
hängenden mangelnden Tonus der Gapillar-
gefässe in der Wunde. Als Folge hiervon
tritt eine schlechte Ernährung des Paren-
chyms der nächsten Umgebung der Wunde
ein und so ein ungünstiger Heilverlauf.
Der zweite Artikel v. Ziemssen's über die
Häufigkeit der Lungenschwindsucht in Mün-
chen constatirt eine erfreuliche, procentische
Abnahme der Sterbefälle und eine viel nie-
drigere Ziffer der Mortalität, als in anderen
Städten. Die statistische Skizze Zaubzer^s
zum Milchconsum der Stadt München zeigt
einen überraschend grossen Verbrauch von
Milch in dieser Stadt. Schulthess constatirt
in der Abhandlung über Fieber bei subcu-
tanen Fracturen das Vorkommen derselben
namentlich bei subcutanen complicirten Frac-
turen der grossen Röhrenknochen während
der Heilung, besonders nach bedeutendem
Bluterguss. Die Prognose scheint durch
das Fieber sich eher gunstig zu gestalten.
Ein Fall von Meningit. cerebro-spinal. sy-
philitica, welcher jahrelang von v. Z. beob-
achtet wurde und gunstig verlief, wird aus-
fuhrlich von 0 s term ai e r beschrieben und von
allgemeinen Gesichtspunkten aus beleuchtet.
Einige interessante Fälle von hämorrhag.
Diathese geben Martin die Veranlassung,
über das Wesen und Vorkommen derselben
auf Grund eingehender litt er arisch er Studien
sich zu verbreiten, und er kommt zu dem
Resultate, dass alle die verschiedenen Be-
zeichnungen für die hämorrhag. Diathese
(Purpura simpl.,rheumat.;Peliosi8,Scorbut etc.)
eine einheitliche Krankheit bilden, für welche
er den Namen: Morbus maculos. Werthoffii
empfiehlt. Den Schluss der Abhandlungen
bildet die Helbing'sche über die Wirkung
des Thaliin, welches Verf. als Antipyreticum
bezeichnet, das in Dosen von ^/^ g wirkt,
reichliche Seh weisse, beim Wiederansteigen
der Temperatur öfters Fröste erzeugt, sonst
aber keine unangenehmen Nebenerscheinungen
hervorrutt, unter den übrigen temperatur-
herabsetzenden Mitteln nur dem Antipyrin
nachsteht. Dieses ist allein im Stande,
dauernd subfebrile Temperaturen zu erzeugen.
JRosi» {Breslau),
Führer durch die Prlvat-Hcilanstalten Deutsch-
lands, Oesterreichs nnd der Schweiz. Von
P. Berger. Berlin 1889/90. Hugo Sieinitz.
Das Bedur&iss nach der Behandlung in
Heilanstalten ist in letzter Zeit immer
grösser geworden und wird es von Tag zu
Tag mehr, weil die neuen Heilmethoden ein
so complicirtes und kostspieliges, ärztliches
Instrumentarium, eine beträchtliche, techni-
sche Schulung des abwartenden Personals,
eine permanente, sachkundige Beaufsichti-
gung beanspruchen, dass eine Reihe von
Curen zu Hause nicht gut durchführbar ist.
IJm nun für jeden Fall die geeigneten An-
stalten angeben zu können, ist die Kenntniss
von ihrem Wirkungskreise, ihren Einrich-
tungen und äusseren Verhältnissen ein un-
abweisbares Erforderniss für die practischen
Aerzte, dem vorliegendes Buch Rechnung
trägt. Es bildet diesbezüglich einen brauch-
baren Führer, indem es sich die Aufgabe
stellt, einen möglichst abgerundeten, voll-
kommenen, wahrheitsgetreuen Prospect der
Privat-Heilanstalten zu liefern. Neben der
Schilderung der sehr übersichtlich geordne-
ten Anstalten bespricht Verf. in knapper
Form Wesen und Indication der diätetischen,
physikalisch-mechanischen Behandlungsme-
thoden, der Wassercuren u. s. w.
J. Üuhemann {BerKn).
Practiscbe If otisem
und
empfehlemswerthe Arsmeiformelii.
Zu den antiseptischen Mundwässern.
In meinem Buche über die „Mikro-
organismen der Mundhöhle" habe ich
S. 189 ein Recept für ein Mundspülwasser
angegeben, welches neben Thymol und Ben-
zoesäure Quecksilberbichlorid enthält
und zwar so, dass letzteres Mittel in einer
Concentration von etwa 1 : 3000 in der
Mundhöhle angewandt wird*). Dieses Recept,
welches nur den Aerzten resp. Zahnärzten
unter der Voraussetzung der Beaufsichtigung
seitens derselben von mir angegeben worden
») S. Thorap. Monatshefte 1889. S. 390. Red.
536
Practtoche Notlsen und •mpfehlenswerlhe Arzneiformeln.
[TherAp«atiaeli«
Monauhefte.
ist, hat den Ruodlauf durch die Tagesblätter
genommen und sehe ich mich deshalb ver-
anlasst, vfie das auch in meinem Buche
S. 185 aus dem Zusammenhange erhellt, da-
rauf hinzuweisen, dass das Mittel in der
Hand der Laien ein differentes Mittel
ist, welches, nicht richtig zur Anwendung
gebracht, Schaden stiften konnte. In diesem
Zusammenhange habe ich geschrieben S. 185,
obgleich selber von der Gefahrlosigkeit des
Mittels in angegebener Concentration über-
zeugt, „doch fehlt die Sicherheit, und man
muss deswegen vorläufig von dem anhalten-
den täglichen Gebrauche dieses vorzüglichen
Mittels Abstand nehmen. Abwechselnd mit
anderen Mitteln oder aber bei acuten Er-
krankungen der Mundschleimhaut ist es ge-
wiss für kürzere Zeit angezeigt". Ferner
S. 189: „möchte ich diese Losung jedem
Arzte und Zahnarzte zum persönlichen Ge-
brauche empfehlen. Nur auf diese "Weise
würde man feststellen können, ob das Mittel
sich zur allgemeinen Anwendung eignet".
Ich habe also damit nur den Aerzten
resp. Zahnärzten ein Mittel in die Hände
geben wollen, nicht aber den Laien, und
möchte ich diejenigen Zeitschriften, welche
das Recept ohne seinen Zusammenhang ab-
gedruckt haben, ersuchen, hiervon Kenntniss
zu nehmen. 2>^. MlUr.
Menthol gegen unstillbares Erbrechen der
Schwangeren.
Gottschalk wandte in einem Falle
(Berl. klin. Wochenschr. No. 41, 1889) von un-
stillbarem Erbrechen, wo auch Cocain ver-
sagte, Menthol mit ausgezeichnetem Erfolge
an. Er Hess die Kranke von folgender
Mischung:
Menthol. 1,0
solve in
Spirit. vini 20,0
Aq. dest. 150,0
stündlich 1 Esslöffel nehmen. Nach dem
3. Esslöffel hörte bereits das Erbrechen auf.
Zur Behandlung des Pruritus cutaneus univer-
salis
hatWertheimber (Münch. med. Wochenschr.
No. 44, 1889) sich in 3 Fällen, wo alle ge-
bräuchlichen Mittel versagten, des sali-
cyl sauren Natrons mit überraschendem
Erfolge bedient. Er verabfolgte dasselbe
mit der Weisung, täglich 3 Mal 2 Esslöffel
der 3procentigen Lösung zu nehmen. Das
Mittel hat sich in den drei Fällen dem
Leiden gegenüber nicht etwa als ein Lin-
derungsmittel, sondern als ein wirkliches
Heilmittel bewährt.
Zum Schutz des gesunden Auges bei einseitiger
Blennorrhoea neonatorum
träufelt Fraen kel(Chemnitz)(Elin. Monatsh.
f. Augenheilk.) in das gesunde Auge täglich
einen Tropfen einer 2procentigen HöUenstein-
lÖBung ein, wodurch dieses geschützt wird,
falls man den Fat. alle Tage zur Behand-
lung bekommt. Das Verfahren soll auch
bei wochenlangerWiederholung keine dauernde
Reizung veranlassen.
Said als Streupulver
empfiehlt E. Graetzer (Der ärztliche Prak-
tiker) bei Unterschenkelgeschwüren nach der
Formel l^ Saloli 2,0— 3,0
Amyli 48,0—47,0.
Mit dieser Mischung sind die afficirten Theile
fein zu bestäuben, nicht in dicker Schicht
zu bestreuen. Stärkere Concentrationen als
die angegebenen sollen weniger zu empfehlen
sein. Auch in einem Falle von Bartflechte,
welche den verschiedensten Mitteln Wider-
stand geleistet hatte, erfolgte innerhalb 14
Tagen Heilung. Desgleichen leistete das
Salolstreupulver G. gute Dienste bei Ge-
schwüren, eiternden Hautdefecten, Brand-
wunden.
Für die Behandlung von Brandwunden
empfiehlt E. Oster may er (Deutsch, med.
Wochenschr.), nach Eröffnung der Brand-
blasen und Entfernung des Inhaltes mit
sterilisirter Watte die Stellen mit einer 10-
procentigen Mischung von Sozojodolkalium
und Stärkemehl oder venetianischem Talk
gehörig zu bestreuen und mit Verbau dwatte
zu bedecken. Die Schmerzen sollen auf-
hören und der Heilungsprocess in erstaun-
lich kurzer Zeit und ohne Eiterung erfolgen.
Auch bei Aetzungen mit Laugen und Säuren
soll die Behandlung mit Sozojodolkali gute
Dienste leisten.
Verordnung von Leberthran.
Als Geruchs- und Geschmackscorrigens
für Leberthran empfiehlt Seig (Journ. de
med. de Paris — Journ. de Fharmacie et
de Chimie) einen Zusatz von Kreosot und
Saccharin nach folgender Formel:
Ol. Jecoris Aselli 2000,0
Kreosoti 2,5
Saccharini 0,16.
Bei der Verordnung des Coffeins
in Form des Goffeino-Natrium bezoTcum als
Mixtur sind nach A. Raynaud (Journ. de
Fharmacie et de Chimie) saure Synipe,
welche eine Abscheidung von Benzoesäure
bewirken, als Corrigientien zu vermeiden.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. — Druck Ton GusUv Schade (Otto Francke) Berlin N.
Therapeutische Monatshefte.
1889. Deeember.
Originalabhandlnngen.
Ueber JodkaliumTVirkungr»
Von
Prof. Dr. Oppenheimer in Heidelberg.
(Vortrag, gehaltec in der Section für Pharmakologie
der 62. Naturforscherversammlung zu Heidelberg
September 1889.)
M. H. Ich muss um Entschuldigung und
um Ihre Nachsicht bitten, ^enn ich vor dieser
Versammlung über Jodkaliumwirkung sprechen
will, ohne die Resultate einer experimentellen
Untersuchung vorlegen zu können. Was ich
Ihnen hieten kann, sind Beobachtungen am
Krankenbett, die mir ein gewisses Interesse
auch für den Pharmakologen zu haben schei-
nen. Bei dem augenblicklichen Stande der
wissenschaftlichen Forschung, welche trotz der
vortrefiFlichen experimentellen Arbeiten der
besten Pharmakologen noch nicht volle Klar-
heit gebracht bat, halte ich es für wichtig,
zu den Erfahrungen zurückzugehen, welche
man am Menschen machen konnte, um neue
Anhaltspunkte für fernere experimentelle
Untersuchungen zu gewinnen. Ich werde
von diesem Gesichtspunkte aus mich nicht
mit den therapeutischen Resultaten beschäf-
tigen, welche man mittelst des Jodkaliums
erzielen kann. Die Verhältnisse hierbei sind
offenbar zu compliclrt, als dass sie vorerst
wissenschaftlich verwerthet werden können.
Viel einfacher sind die Erscheinungen, welche
man bisher — mit Recht oder Unrecht, lasse
ich zunächst unentschieden — als Jodismus
bezeichnet hat.
Zuerst will ich hervorheben, dass, wie
allgemein bekannt, Jodkalium von vielen
Individuen ohne jede nennenswerthe StÖurng
vertragen wird. Ich habe zwar nie so grosse
Dosen in Gebrauch gezogen wie Haslund,
der bei Psoriasis bis zu 40,0 g pro die stieg,
aber in vielen Fällen habe ich 8 — 10,0 g täg-
lich nehmen lassen, ohne eine andre Störung
als eine mehr oder weniger leichte Magen-
affection zu sehen, wie sie wohl auch bei
Anwendung anderer Kalisalze beobachtet
wird. Wie gross der Procentsatz derjenigen
ist, welche Jodkalium vertragen, kann ich
nicht in Zahlen angeben. Röhmann und
Malachowski fanden unter 86 Patienten 41,
die frei von jeder Störung blieben bei einer
Tagesdose voi) 3,0. Im Ganzen scheint mir
eine procentualische Berechnung keinen Yor-
theil zu bringen. Die Thatsache, dass die
Erscheinungen des Jodismus bald eintreten,
bald fehlen, steht fest, und wie mir scheint
sind zur Erklärung dieses Verhaltens des
Organismus gegenüber dem Jodkalium nur
zwei Möglichkeiten vorhanden. Entweder
der physiologische Organismus reagirt unter
allen Umständen in gleicher Weise auf das
Mittel. In dem Falle befinden sich die-
jenigen Forscher im Recht, welche mittelst
der gewöhnlichen physiologischen Ejräfte und
Einrichtungen des Körpers die Spaltung des
Jodkaliums in seine Componenten vor
sich gehen lassen und die Wirkung des
Mittels davon ableiten. Aber es fallt ihnen
dann die Aufgabe zu, die Bedingungen an-
zugeben, unter welchen die Spaltung nicht
zu Stande kommt und Jodismus nicht in
Erscheinung tritt. Soweit ich sehe, ist diese
Forderung bis jetzt unerfüllt geblieben. Oder
man muss annehmen, dass das Jodkalium
nur dann Jodismus erzeugt, wenn in dem
Körper abnorme Bedingungen sich vorfinden,
durch deren Anwesenheit eine solche Ver-
änderung in dem Jodkalium entsteht, dass
die neugebildeten Substanzen die Wirkungen
hervorbringen, die man als Jodismus be-
zeichnet. Fehlen diese Bedingungen, so bleibt
der Jodismus aus.
Eine solche ungewöhnliche Bedingung
wird allgemein angenommen für die Ent-
stehung der Katarrhe und Entzündungen,
welche man nach dem Gebrauch von Jod-
kalium auf den Schleimhäuten der Respi-
rationsorgane beobachtet. Dass dieselben
durch frei werdendes Jod verursacht werden,
wird nicht bezweifelt. Der Streit dreht sich
nur um die Frage, durch welche chemische
Vorgänge die Spaltung des Jodkaliums er-
folgt. Die Einen nehmen an, dass auf den
Schleimhäuten aus den Nitraten, die mit der
Nahrung dem Körper zugeführt werden, sich
Nitrite bilden^ welche das Jodkalium zer-
68
538
Oppenhelmer, Ueber Jodkalium Wirkung.
rTherapeatfache
L Monatahefte.
legen. Die Annahme lässt unentschieden, wie
und wo die Reduction der Nitrate stattfindet
und woher in dem gewöhnlich alkalischen
Nasen Beeret die Säure stammt, welche zur
Spaltung des Jodkaliums durch die salpetrig-
sauren Salze nothig ist. Sie ist Tollständig
unzureichend zur Erklärung der Katarrhe,
welche durch Jodkalium bei Milchnahrung,
die nitratfrei ist, z. B. bei Säuglingen, ent-
stehen, und zur Erklärung der Fälle, welche
das Mittel ohne Störung ertragen. Eben
dieselben Bedenken sprechen aber auch gegen
die zweite Annahme, wonach Ozon, das sich
bei Wasserverdunstung bildet oder salpetrig-
saures Ammoniak, das durch Wasserver-
dunstung bei Gegenwart von Stickstoff ent-
steht, die Zerlegung des Jödkaliums be-
sorgen soll.
Die Beobachtung am Krankenbette führt,
wie mir scheint, auf den rechten Weg. Wenn
man weiss, dass bei tuberculösen Infiltrationen
und chronischen Pneumonien unter dem
Gebrauch von Jodkalium die Secretion der
Bronchialschleimhaut zunimmt und selbst
frische Entzündungen mit rascher Schmelzung
der Gewebe und Lungenblutungen auftreten,
weshalb allgemein vor der Anwendung dieses
Mittels in solchen Fällen gewarnt wird,
wenn man beobachtet hat, dass bei ulcera-
tiven Vorgängen im Larynx durch das Jod-
präparat leicht Oedem entsteht, wenn man
sieht, dass bei Asthma, welches auf fibrinöser
Bronchiolitis beruht und bei Gatarrh sec,
wo ähnliche Gerinnungen mit den charakte-
ristischen Charcot-Ley deutschen Krystallen
ausgeworfen werden, das Mittel durch Stei-
gerung der Secretion und reichlichere Ex-
pectoration einen ausgezeichneten Erfolg her-
beiführt, so liegt der Gedanke nahe, dass
die Jod Wirkung in einem Zusammenhange
steht mit der Beschaffenheit der stagnirenden
Secrete, welche bei allen diesen Erkrankungen
in Betracht kommen. Und ich glaube mich
nicht von der Wahrheit zu entfernen, wenn
ich auch in den Gängen und Buchten der
Nasenhöhle das häufige Vorkommen stag-
nirender Secrete annehme, wenn dieselben
sich auch nicht durch schlechten Geruch und
Nasenfiuss zu erkennen geben. In allen
stagnirenden Secreten dürfen wir Fäulniss-
vorgänge voraussetzen und finden uns chemi-
schen Processen gegenüber, bei denen Reduction
und Oxydation in ausgedehntem Masse auf-
treten. Durch sie kann sowohl das Nitrat
in Nitrit reducirt werden, als auch durch
Bildung von Wasserstoff activer Sauerstoff
entstehen, der das Jodkalium zersetzt. Wel-
cher dieser Vorgänge, ob der eine oder beide
zugleich, in Wirklichkeit stattfindet, vermag
ich nicht zu sagen; ich wollte nur feststellen,
dass bei Erklärung der Jodkalium Wirkung
dieselben nicht vernachlässigt werden dürfen,
und dass mit diesen Annahmen sowohl das
Ausbleiben als das Auftreten dieser Wirkung
ungezwungen erklärt werden kann. Selbst
die Angewöhnung an das Mittel, die Er-
fahrung, dass bei fortgesetzter Darreichung
des Jodkaliums die anfänglich aufgetretenen
Entzündungen von selbst schwinden, würde
darin seine Erklärung finden, dass mit der
reichlichen Secretion, welche die ersten Dosen
erzeugen, die faulenden Substanzen und
damit die Bedingungen zur Spaltung des
Jodkaliums entfernt würden. Endlich würde
es auch verständlich werden, warum die
Jodwirkung nur in den Luftwegen beobachtet
wird. Hier findet ein reichlicher Zutritt von
Luft statt, wodurch einestheils nach allge-
meiner Annahme leicht saure Fäulnisspro-
ducte entstehen, welche zur Zersetzung der
Nitrite nöthig sind, anderntheils kann sich
das Wasserstoffsuperoxyd bilden, welches den
nascirenden Sauerstoff zur Zerlegung des Jod-
kaliums abgeben kann.
Ehe ich diesen Gegenstand verlasse, darf
ich wohl darauf hinweisen, dass die Röthung
des Gesichts, die Oedeme der Augenlider,
der Thränenfiuss und Kopfschmerz, die Un-
ruhe und Schlafiosigkeit als Reflexneurosen
aufzufassen sind, die von der Reizung der
nasalen Trigeminusfasern ausgehen. Ganz
denselben Erscheinungen begegnen wir bei
acuten Entzündungen der Nasenschleimhaut
aus andern Ursachen. Es ist für mich deshalb
zweifellos, dass sie nur in secundärer Be-
ziehung zu dem Jod stehen und den Namen
Jodismus nicht verdienen. Dies wird in
deutlicher Weise bewiesen, wenn man die
Erscheinungen betrachtet, welche durch un-
mittelbare Einw^irkung der Jodpräparate auf
die Nerven und Muskel Substanz hervorge-
rufen werden.
Die Erscheinungen, welchen wohl mit
Recht die Bezeichnung Jodismus zukommt,
charakterisiren sich durch Kopfschmerz,
Schlaflosigkeit, Kraftmangel, kleinen, sehr
schnellen, zitternden Puls, Herzklopfen und
Beängstigung, Ohnmachtsgefühle, Schwäche
des Gesichts und Gehörs, wozu sich Stupor
und manchmal Gonvulsionen gesellen. Häufig
sind diese Symptome nach dem Gebrauche
des Jodkaliums nicht. Ich habe sie nur
einmal beobachtet mit günstigem Ausgang.
Sie sind aber schon seit 40 Jahren bekannt,
wo sie von Röser zuerst beschrieben wur-
den. Derselbe fasst sie jedoch nicht als
Folge des Jodkaliums auf, sondern als
Krankheit der verschwundenen Kröpfe, weil
sie nur auftreten, wenn durch den Gebrauch
des Jodkaliums ein grosser Kropf rasch
QLJabrgAiur. 1
Decemlwr U8S. J
Oppenheimer, Ueber Jodkallomwirkang.
539
zur Resorption gebracht worden war. Bis
in die neueste Zeit findet sich diese An-
nahme in den Lehrbüchern erwähnt und da-
mit begründet, dass durch die rasche Be-
seitigung des Drucks, den die hypertrophi-
sche Thyreoidea auf die Halsgefasse aus-
übt, die Girculationsyerhältnisse in der
Schädelhohle eine plötzliche Veränderung
erfahren.
Dass diese Ansicht nicht richtig ist,
geht schon daraus hervor, dass bei totalen
oder partiellen Exstirpationen der Schild-
drüse, wo doch die Entfernung des Drucks
noch viel rascher erfolgt, als durch Jod-
kaliumbehandlung, niemals etwas ähnliches
gesehen wurde. Was man als Cachexia
thyreoipriva beschrieben, unterscheidet sich
in seinem zeitlichen Auftreten und sympto-
matischen Verhalten so sehr von dem er-
wähnten Symptomencomplex, dass ich darauf
nicht einzugehen brauche. Die Ursache
jener Erscheinungen muss deshalb wo anders
liegen, und wenn man in Betracht zieht,
dass die Symptome der Jodoform Vergiftung
nahezu die gleichen sind, so muss man an-
nehmen, dass das Jod bei ihrem Entstehen
betheiligt ist. Dasselbe kann nach den
Untersuchungen von Binz ähnlich wie das
Brom und Chlor toxisch, und zwar läh-
mend auf die nervösen Gentralapparate ein-
wirken. In dieser Beziehung scheint die
Wirkung klar und deutlich, die Schwierig-
keit liegt aber darin, dass man nicht weiss,
in welcher Verbindung das Jodpräparat zu
dem Gehirn gelangt, und es keinem Zweifel
unterliegt, dass das Jodkalium bei ganz ge-
sunden Individuen niemals einen Einfluss
auf das Gehirn ausübt. Auch hier scheint
mir die Beobachtung am Krankenbette den
Weg anzugeben, auf welchem vielleicht die
Frage nach der Wirkungsweise der Lösung
zugeführt werden kann.
Wenn man sieht, dass durch das Mittel
der Kropf verschwindet, so kann dies nur
dadurch zu Stande gekommen sein, dass
vorher undiffundirbare Substanzen resorp-
tionsfähig gemacht wurden, und man ist
hier zu der Annahme gedrängt, dass das
Jodkalium einen Einfluss auf die colloiden
Substanzen ausgeübt haben muss. Unter-
suchungen, die ich hierauf anstellte, sind
bis jetzt allerdings resultatlos geblieben,
aber bei den Schwierigkeiten, welche sich
einer chemischen Untersuchung der colloiden
Substanzen entgegenstellen, halte ich eine
gänzliche Abweisung der Hypothese für
nicht gerechtfertigt.
Für den Fall, dass diese Untersuchung
ein positives Resultat ergeben sollte, wären
wir jedoch noch immer nicht zu einer voll-
kommen klaren Einsicht in das Wesen des
Jodismus gekommen. Denn es giebt noch
eine zweite Form desselben, die unter an-
dern Bedingungen sich entwickelt. Bei
Basedow^scher Krankheit erzeugt Jodkalium
ein Delirium cordis mit Störungen der Gircu-
lation, die sich in vermehrter Pulsfrequenz
und wechselndem Füllungsgrad der kleinen
Arterien ausspricht. Rothe und Blässe des
Gesichts, Unruhe und Müdigkeit, Unbehagen,
Angstgefühl und Aufregungserscheinungen
wechseln mit .einander ab. Man könnte
vermuthen, dass diese Erscheinungen durch
Jodverbindungen erzeugt würden, welche
sich in der vorhandenen Struma der Kranken
bilden. Aber auffallender Weise bemerkt
man dabei keinen Einfluss auf die Grösse
der Thyreoidea, was möglicherweise nicht
eintritt, weil die Medication nicht lange ge-
nug fortgesetzt werden kann. Man müsste
annehmen, dass hier schon minimale Mengen
der supponirten Jodverbindung wirksam
wären. Diese Vermuthung ist aber un-
richtig, weil dieselben Erscheinungen beob-
achtet werden bei Individuen, die nicht an
Basedow leiden, welche keine Struma und
keinen Exophthalmus haben, die sich nur
dadurch auszeichnen, dass sie ein irritables
Herz besitzen und ein gewisser Erethismus
des peripherischen Gefösssystems und eine
reizbare Schwäche der psychischen Stimmung
bei ihnen besteht. Unter normalen Lebens-
bedingungen überschreiten diese Erscheinun-
gen nicht die Breite der Gesundheit. Ich
kenne ganze Familien, bei denen diese
Disposition hereditär ist. Ward man aus
irgend einem Grunde veranlasst, Jodkalium
zu verabreichen, so konnte man schon nach
3 Centigramm die stürmischsten Erschei-
nungen einer gestörten Blutcirculation, Herz-
klopfen, kleinen Puls, Klopfen der Caro-
tiden, das Gefühl, als ob der Schädel
bersten müsse, bei ihnen beobachten.
Eine Hypothese für diese Fälle vermag
ich nicht zu geben. Wir können nur ver-
muthen, dass bei einer gewissen Disposition
des . Gefässn er ven Systems die chemische Zu-
sammensetzung desselben der Art ist, dass
Jodkalium eine Veränderung desselben her-
vorbringen kann, und dass beim Mangel
dieser eigenthümlichen Beschaffenheit das
Jodkalium nur die Wirkung eines Kalium-
salzes verursacht.
68*
540
Sehellonf, Bamerkungen cur fnedieamcntStaii Therapl« des Malariafleben. [ i/^^^^n^
Bemerkungen zur niedicanieutösen
Therapie des Malariafiebers.
Von
Dr. 0. Schellong, Arzt in Königsberg.
Die Tbatsache, dass das ChiDin bei dem
Malariafieber bisweilen versagt, insofern
trotz vorschriftsmässiger Verabreichung aus-
reichender Gaben desselben die Fieberparoxys-
men wiederkehren, hat es möglich gemacht,
dass in Malaria-Gegenden ausser dem Chinin
stets noch eine grosse Anzahl anderer Arze-
neien von Aerzten und Laien anempfohlen
und versucht wurden. Zur richtigen Wür-
digung der Erfolge, welche eine medica-
mentose Therapie leistet, muss man wissen,
dass die Fieberanfälle der Malaria bisweilen
ausbleiben, ohne dass irgend welche
Arzenei genommen wird, andererseits dass
sie wiederkehren, aber bisweilen vom Kran-
ken oder Arzt übersehen werden. Wenn
es daher in einem Berichte der Lancet,
No. 19, Februar 1887, von den sehr gün-
stigen Erfolgen, welche Clark^) mit dem pi-
krinsauren Ammoniak in einer Malaria-
Gegend Nord -Indiens erzielt hat, heisst:
„unter 5000 Fällen trat auf pikrins. Am-
moniak nur 9 mal nicht Heilung ein, und
von diesen 9 Fällen reagirte auch nur ein
einziger auf Chinin", so begegnen solche und
ähnliche Angaben doch stets von vornherein
einem gewissen Misstrauen, so lange nicht
ausgeführt wird, in welcher Weise die Con-
trole über ein so grosses Material geübt
wurde.
Es kommt auch ganz besonders darauf
an, was man unter Heilung der Malaria
verstehen will; das Ausbleiben eines An-
falles, welcher am nächsten oder den nächst-
folgenden Tagen erwartet wurde, ist jeden-
falls kein Beweis für die Heilung; man
wird eine Heilung vielmehr nur aus dem
Allgemeinbefinden des Kranken und aus
dem Verhalten der Milz, annehmen
können, und das oftmals auch nur unter
Reserve, da Infectionen bekanntlich lange
Zeit hindurch ganz symptomenlos fortbe-
stehen können.
Ist es demnach nur mit Hülfe eines
grossen Beobachtungsapparates möglich zu
entscheiden, in wie fern ein Medicament die
Heilung der Malaria herbeizuführen vermag,
so wird man sich in den meisten Fällen
darauf beschränken müssen zu untersuchen,
in wie weit Medicamente im Stande sind,
^} In Folge dieser Mittheilung hat die Neu-
GuiDea - Compasnie auf Veranlassung von Herrn
Prof. Liebreicn das Mittel anwenden lassen. Red.
die Fieberparoxysmen zu unterdrücken oder
sie doch wenigstens hinauszuschieben. Dem
Chinin kommt diese Eigenschaft in hervor-
ragendem Maasse zu. Was in dieser Hin-
sicht das pikrinsaure Ammoniak zu ^leisten
vennag, möge an folgenden Beispielen ge-
zeigt werden.
Casaistik:')
1. Europäer.
5. IX. Fieberparoxysm.
G. IX. 3 Pillen, neuer Paroxysm.
2. Europäer.
5. IX. Paroxysm.
6.-8. IX. 9 Pillen.
9. IX. Paroxysm., darnach 3 Pillen.
10. IX. Paroxysm.
3. Europäer.
7. IX. Paroxysm., darnach 3 Pillen.
8.-9. IX. 9 Pillen.
17. IX. Paroxysm. (in der Zwischenzeit fort-
währendes Gefühl des Krankseins).
4. Europäer.
11. IX. Paroxysm.
12. IX. 3 Pillen, Paroxysm.
13. IX. 6 Pillen, Paroxysm.
14. IX. Chinin.
5. Europäer.
13. IX. Paroxysm., dann 2 Pillen.
14. IX. 3 Pillen.
15. IX. Paroxysm., dann Chinin.
6. Europäer.
16. IX. Paroxysm.
17. IX. 6 Pillen.
18. IX 3 Pillen, neuer Paroxysm.
7. Europäer.
17. IX. Paroxysm., 5 Pillen.
18. IX. 3 Pillen, neue Paroxysm.
8. Europäer.
7. HI. Pai'oxysm.
8. III. 1,5 Chin., neuer Paroxvsm.
9.— 15. m. 38 Pillen.
16. III. Paroxysm.
17. m, 6 Pillen, Paroxysm.
18. m. 8 Pillen, Paroxysm.
19. m. 2,0 Chin., fieberfrei.
9. Europäer.
14. III. Paroxysm., Milz: 1 Fingerbreite
unter dem Rippensaum palpabel.
15. III. u. ff. Mit 8 Pillen p, d, beginnend, täg-
lich um eine verringernd.
21. ni. Paroxysm. (Befinden in der Zwi-
schenzeit durchaus schlecht).
') Clark verabreichte das Medicament 4 bis 5
mal täglich, in Dosen von 0,0075—0,09; in der
Mehrzahl der Fälle, so heisst es in dem Be-
richt, wirkten schon Gaben von 0,03 in der
fieberfreien Zeit gereicht. Ich benutzte zu
meinen Versuchen PilleD von 0,038 Gehalt an pi-
krins. Ammoniak.
)««emHe?i8f9 J Schellong, BemerkuDgen cur medicamentösen Therapie des Malariaflebert.
541
22. III. 7 Pillen.
23. IJI. 7 Pillen, Paroxysm.
24. III. 7Pillen, Paroxysm., Milz: 3 Finger-
breiten anter d. Rippens.; 2 Fingerbreiten von
der Medianlinie und dem Nabel entfernt.
10. Europäer.
19. III. Paroxysm.
20. III. Fieber besteht Tag über fort.
21. III. Bei normal. Temp. 9 Pillen.
22. m. 9 Pillen.
23. III. 8 Pillen, Paroxysm.
11. Europäer.
G. IX. Im Beginn neues Paroxysm., 2 Pillen.
7. IX. Temp. 38,2, 1 Pille.
- 39,2, 1 Pille.
- 39,2, 1 Pille.
8. IX. Fieber besteht fort bis zum 12. IX.
12. Malaye.
6. IX. Paroxysm., 2 Pillen.
13. IX. Paroxysm.
14. IX. 3 Pillen, Paroxysm.
13. Malaye.
19. IX. Paroxysm.
20. IX. 6 Pillen.
21. IX. 3 Pillen, Paroxysm.
14. Malayisches 5jähr. Kind.
Mit Milztumor, gebraucht 8 Tage hindurch 2 Pill.
p, die, ohne geringste Einschränkung des Tumors.
15. Melanesier.
9. IX. Paroxysm.
10. IX. 2 Pillen.
11. IX. Paroxysm.
16. Melanesier.
6. IX. Paroxysm.
7. IX. 6 Pillen.
8. IX. 6 Pillen, bis 9. III. kein Recidiv zur
Kenntniss gelangt.
17. Melanesier.
8. XII. Paroxysm. (39,8). Milz: 2 Finger-
breit, unter d. Rippens. palpabel.
9. Xn. 38,0, 7 Pillen, 38,2.
10. XII. 37,6, 6Pülen.
11. XII. 6 Pill., Milztumor unverändert,
bis 12. IL kein Recidiv zur Kenntniss gelangt.
18. Melanesier.
12. XII. Paroxysm.
13.— 15. XII. 18 Pillen, bis 9. III. kein Recidiv
zur Kenntniss gelangt.
19. Melanesier.
19. XII. Paroxysm., darauf 3 Pillen.
20. XII. Paroxysm.
39,2, 6 Pillen.
37,6, 2 Pillen.
21. XII. 37,2, 6 Pillen.
38,2.
22. XII. Paroxysm., 39,4.
20. Melanesier.
19. XII. Paroxysm.
20. XII. 6 Pillen.
29. XII. Paroxysm.
21. Melanesier.
12. III. Paroxysm.
13. III. 8 Pillen.
14. III. 10 Pillen.
21. III. Paroxysm.
22. Melanesier.
12. III. Paroxysm.
13. III. 8 Pillen.
14. m. 8 Pillen.
Aus der vorstebenden Casuistik ist er-
sichtlich, dass sich das pikrins. Ammoniak
in einigen wenigen Fällen bewährt zu haben
scheint, insofern neue Fieberanfalle selbst
längere Zeit ausblieben^) oder wenigstens
einzelne Paroxysmen unterdrückt wurden.
Eine temperaturemiedrigende Eigenschaft
des Medicaments trat nicht zu Tage, eben-
sowenig ein Einfluss auf den Milztumor.
Alles in Allem wurde aber nicht annähernd
die Wirkung des Chinin erzielt; und es^ist
mir ganz unbegreiflich geblieben, wie man
in diesem Medicament einen ebenbürtigen
Ersatz des Chinin hat finden wollen.
In andern Fiebergegenden, so besonders
auf den Inseln der Südsee, erfreut sich die
Tinctura Warburgii einer grossen Be*
liebtheit; besonders pflegen Missionare da-
für Propaganda zu machen, nachdem ein
angesehener englischer Missionar das kühne
Wort ausgesprochen hat, dass die War-
burg^sche Tinctur ihm niemals versagt habe.
Die Warburg'sche Tinctur setzt sich
nach Liebreiches Mittheilung an die Direc-
tion der Neu Guinea-Compagnie nach folgen-
dem Recept zusammen^):
^ Aloes
Rad. Angelic.
Rhizomat. Zedoar. iia 4,0
Camphorae
Croci aa 0,3
digere per aliquot horas c.
Spirit. dilut. 100
in colatur. solv.
Chin. sulf. 2,0
oder mit andern Worten, es handelt sich
hierbei um eine 2®/o Chininlosung, welche
durch die Anwesenheit der Aloe und des
Camphers event. bestimmten Indicationen zu
entsprechen in der Lage wäre. — Es sollen
davon tägl. 4 — 6 Theelöffel genommen wer-
den, also etwa der fünfte Theil der Lösung,
enthaltend Chin. 0,4, Aloes 0,8, Camph. 0,06.
') Das wurde jedoch nur bei Angehörigen der
Melanesischen (Eingeborenen-) Rasse beobachtet;
was den Werth dieses Resultates wiederum ein-
schränkt, da die Eingeborenen an ihre latente In-
fectionen gewöhnt sind.
*) Verf. hat seine diesbez. Beobachtungen in
Ncu-Guinea gemacht.
542
Schelloog, Bemerkungen sur medieamentSten Therapie det Malariafiebers. P^^^,!!^!!^*
L Monatshefte.
Man kann demnach annehmen, dass, wenn
eine Wirkung mit dieser Tinctur überhaupt
erzielt wird, dieselbe auf Rechnung des Chi-
nincomponenten zu setzen ist. Chinin, in
so kleinen Gaben und in flüssiger Form ge-
geben, macht niemals Verdauungsstörungen,
welchen etwa durch die Aloe entgegengewirkt
werden sollte, ist vielmehr selbst ein sehr
schätzenswerthes Stomachicum; der Campher
andrerseits in so kleiner Dosis wird in
Fällen, wo die Herzthätigkeit sei es durch
grosse Gaben Chinin, sei es durch die
Krankheit als solche geschwächt ist, nichts
besonderes nützen, und kleine Gaben Chinin
(0,4 — 1,0) regen die Herzthätigkeit ihrerseits
schon genugsam an. Diese beiden Zusätze
würden also im wesentlichen einem 6e-
schmackscorrigens (Tinct. aurantior., aroma-
tica etc.) geichzusetzen sein.
Es wurde, den War bürg 'sehen Fieber-
tropfen aber besonders nachgerühmt, dass sie
das Fieber zu „brechen", sowie das Er-
brechen zu sistiren vermochten; letztere
Eigenschaft würde sie dann unter Umständen
besonders werthvoll erscheinen lassen; ich
prüfte das Medicament an einer Reihe Ton
Fällen, Yon welchen ich die folgenden
Notizen wiedergebe.
CasnistilL:
1. Melanesier.
2. XII. Paroxysm. mit gering. Milzschwellong.
3.-4. XII. Normal. Temp. 8 Theelöfifel T. W.
6. XII. Paroxysm. (Quartantyp.) 3 Theelöffel
T. W.
6.-8. XII. 18 Theelöfifel T. W. (30 Theel. =
3 g Chin.) Bis 23. II. kein Recidiv zar Beobach-
tung gelangt.
2. Melanesier.
3. XII. Paroxysm. Während desselb. 2 Thee-
löfifel T. W.
4. XII. Temp.-AbfaU. 6 Theel. T. W.
5. XII. Paroxysm. (Tertiantyp.); während
desselben 7 Theelöffel T. W. Ab. 40,1.
6. XU. Früh 38,4.
3. Melanesier.
14. XII. Paroxysm. Während desselb. 2 Thee-
löfifel T. W.
15. XII. Bei norm. Temp. 6 Theel. T. W.
Abends 38,1.
16. XII. Bei norm. Temp. 6 Theel. T. W.
17. XII. - - ' - 3 -
Bis 12. II. kein Recidiv zur Kenntniss gelangt.
4. Melanesier.
19.1. Paroxysm. Während desselb. 4 Thee-
löffel T.W. Ab. 39,5.
20. 1. Früh 38,1. Ab. 39,1.
5. Melanesier.
15. III. Paroxysm. ; das Fieber dauert fort
bis zum 18. III., trotzdem täglich 4 Theel. T. W.
verabfolgt wurden. Am 18. III. Krise; darnach
16 Theel. T. W.; trotzdem 19. IH. Paroxysm.
Es wäre müssig, die Zahl solcher Bei-
spiele zu Termehren. So oft ich auch die
T. W. angewandt habe, ich bin nicht ein
einziges Mal davon überzeugt worden, dass ihr
temperaturherabsetzende „ fieberbrechende^
Eigenschaften zukommen. Wie will man
das eigentlich auch exact feststellen, da
es eine bestimmte Norm für die Dauer eines
Fieberparoxysmus gar nicht giebt? Auch was
ihre angebliche Eigenschaft anbetrifft, Er-
brechen zu sistiren, so habe ich mich von
einer solchen günstigen Wirkung niemals
überzeugen können; Opiate leisteten mir
hierbei weit mehr.
Ich glaube, dass man gut thut, heutzu-
tage noch an dem Chinin als an einem
durchaus günstig auf den Malariaprocess
einwirkenden Medicament festzuhalten; auch
das Chinin kann oft genug die Wiederho-
lung der Fieberparoxysmen nicht hintenan
halten; noch häufiger lässt es zu, dass in-
nerhalb geringerer oder grosserer Zeiträume
Recidive auftreten; es verhindert aber bei
richtigem, d. i. besonders energischem Ge-
brauch (15 g in 14 Tagen bis 3 Wochen)
stets, dass sich diejenigen Zustände Ton
Malariaanämie herausbilden, welche entwe-
der direct das Leben des Kranken bedrohen
oder doch gelegentlich die Veranlassung zu
den schweren, perniciösen Formen der Ma-
laria abgeben . Die Eucalyptustinctur, Arsenik-
präparate etc. haben mir in dieser Hinsicht
auch nicht im entferntesten das Gleiche ge-
leistet.
Ueber die
Anwendiingr des Olivenöls bei der
Behandlung der Gallenstelnkranklieit.*)
Von
Dr. Siegfried Rotenberg in Berlin.
Es sind jetzt ungefähr fünfzehn Jahre
her, seit amerikanische Homöopathen zum
ersten Male Olivenöl in grossen Dosen bei
der Behandlung der Cholelithiasis zur An-
wendung brachten. Sie erzielten Erfolge;
und so kam es, dass auch Allopathen von
dem Mittel Gebrauch zu machen begannen,
welches nunmehr — wie mir ein mir be-
kannter deutsch-amerikanischer College mit-
getheilt hat — in ganz Amerika — rein
*) Nach einem am 6. XI. in der Berl. med.
Gesellschaft gehaltenen und in der Berl. klin.
Wochenschr. 1889 No. 48 abgedruckten Vortrage.
>»Dem^/l8&.] Roienberff, Anwenduoff de« OUvenöli bei der Behandlung der GaUeniteinkrankhelt. 543
oder zugleich mit Belladonna — bei Gallen-
steinkoliken gegeben zu werden pflegt.
Was wohl sicherlich mit dazu beige-
tragen hat, das Mittel als besonders wirk-
sam erscheinen zu lassen und es daher in
der Praxis einzubürgern, das war die Beob-
achtung, dass nach der Einverleibung grosser
Oeldosen nicht blos die Beschwerden oft
ganz rapide verschwanden, sondern auch
Goncremente abgingen, die zwar von weicher
Gonsistenz waren, aber doch wegen ihrer
facettirten Gestalt an Gallenconcremente er-
innerten und für erweichte Steine angesehen
wurden. Das war freilich ein grosser Irr-
thum, und obwohl bereits Ball^) im Lancet
vom Jahre 1880 unter Hinweis auf Flint's
Fractice of Medicine darauf aufmerksam
machte, dass nach Einverleibung grosser
Oeldosen Goncretionen von verseiftem Fett
abgehen, und ferner Singleton Smith^) unter
Heranziehung einer von Professor Ramsay
in Bristol angestellten Untersuchung solcher
Goncremente das Gleiche betonte, hat dieser
Irrthum sich doch noch bis in die neueste
Zeit erhalten, bis dann in Folge der von
Professor Yillejean auf Veranlassung von
Ghauffard und Dupr6^) und von Professor
"Wiley auf Veranlassung von Prentiss*) an-
gestellten Untersuchungen die Natur und
Entstehungsart jener Goncremente zu allge-
meinerer Kenntniss gelangte.
War in diesem Punkte nun eine Täuschung
auch mit untergelaufen, so war die Beob-
achtung, dass die durch die eingeklemmten
Steine hervorgebrachten Erscheinungen —
wie Kolikanfalle und Gelbsucht — unter
der Oelmedication oft prompt und rapide
rückgängig wurden, doch eine durchaus
richtige, und es liegen in der Litteratur eine
nicht ganz unbeträchtliche Anzahl von Einzel-
beobachtungen vor, welche für die Wirksam-
keit dieser Behandlungsmethode Zeugniss ab-
legen.
Der erste, welcher unter den Allopathen
die Oelbehandlung empfahl, war Kennedy^),
der als Beweis für die Wirksamkeit die-
ser Medication vier Krankengeschichten bei-
bringt, in denen das Aufhören der Schmer-
zen nach Abgang „erweichter Steine^' betont
wird.
Ihm folgte Thomson^), welcher bei einer
38 Jahre alten Frau, die schon längere Zeit
an Gallensteinkoliken litt, durch Anwendung
») Lancet 1880. II. p. 522.
») Lancet. August 20./1881. p. 187.
') Bulletins et memoires de la societe medicale
des hopitaux de Paris. 1888. No. 16.
*) Medical News. 1888. L p. 518.
*) Lancet. Sept. 18/1880.
«) Medical Record. March 15./1881.
grosser Dosen Olivenöls einen Heilerfolg er-
zielte.
Singleton Smith') war der erste, welcher
einen hartnäckigen Fall von Gallensteinkolik
mittheilte, in welchem auch die Oelmedica-
tion im Stiche Hess.
Nach einer längeren Pause in der Litte-
ratur lenkte dann Touatre®) von N^uem die
Aufmerksamkeit der Aerzte auf die in Rede
stehende Behandlungsmethode, nachdem er
zwei Male Gelegenheit gehabt hatte, an sich
selber die Wirksamkeit derselben zu er-
proben.
Seine Mittheilung veranlasste Th. Zerner
jun.®) in zwei Fällen von Gallensteinkolik
von dem Mittel Gebrauch zu machen, und
beide Male war der Erfolg ein positiver.
In Frankreich prüften Ghauffard und
Dupre*°) die Methode in sechs Fällen, über
welche sie folgendes berichten:
Im ersten Falle verminderte sich bereits
nach einem Tage das Lebervolum und die
Region der Gallenblase wurde schmerzfrei.
Appetit kehrte zurück und der Allgemein-
zustand besserte sich. Bei einem zweiten
Anfall trat unter der gleichen Medication
von Neuem Besserung ein.
Fall zwei ergab ein negatives Resultat.
Im dritten Falle verschwand der Icterus
und das Hautjucken, der Appetit stellte
sich wieder ein, und das Allgemeinbefinden
hob sich.
In der vierten Beobachtung schwand der
Schmerz in der Lebergegend und die Ko-
liken horten auf.
Ebenso wich in dem fünften Falle in
ganz rapider Weise die Schmerzhaftigkeit
der Leberregion, so dass die Kranke nach
acht Tagen vollkommen schmerzfrei entlassen
werden konnte.
' Der sechste Fall endlich ist dadurch aus-
gezeichnet, dass nicht blos Schmerz und
Icterus verschwanden, sondern auch neben
vielen Fettcon cremen ten ca. 15 veritable
Gholestearinsteine von Erbsengrosse und fa-
cettirter Gestalt abgingen.
Ausserdem führen die genannten Autoren
noch eine Beobachtung von Bucquoy an,
in welcher rapide Besserung eintrat und ein
mehrwochentlicher Icterus vollständig ver-
schwand.
Die beiden letzten Beobachtungen stam-
men aus Washington; die eine vonPrentiss"),
welcher bei einem 40 Jahre alten Mann mit
sehr hartnäckiger Gallensteinkolik nach einer
8) Lancet. lO./XII. 1887.
9) Wien. med. Wochenschrift. 1888. No. 23/24.
") Medical News. 1888. L p. 518.
544 Roeenberg, Anwendung des Olivenöls bei der Behandlung der Gallensteinkrankheit. PMonatehlfte.*
Pinte Baumwollsamenol in zwei Kolikan-
fällen ein Schwinden der Beschwerden ein-
treten sah, und die zweite von Hoehling*^),
der einen OMcier erfolgreich mit Oel be-
handelte und in schneller Weise von seinem
Leiden befreite.
Ich selber hatte drei Male Gelegenheit,
mich voj der Wirksamkeit dieser Medication
zu überzeugen. In meinem ersten Falle
handelte es sich um eine 36 Jahre alte
Frau, welche bereits fünf Jahre hindurch
an Gallensteinkoliken litt. Man hatte sie
nach Karlsbad geschickt, auch hier Karls-
bader Mühlbrunnen, Karlsbader Salz und ver-
schiedene andere Mittel gebrauchen lassen,
alles jedoch ohne Erfolg. Als sie in meine
Behandlung trat, war die Leber vergrössert
und sehr empfindlich, die Gallenblase als
Tumor palpabel. Kolikanfölle traten bei-
nahe täglich auf, und die Patientin war in
Folge dessen zu jeder Thätigkeit unfähig.
Ich Hess sie im Laufe von zwei Wochen
1000,0 g Olivenöl in Einzeldosen von 100
bis 180 g gebrauchen und unter dieser Me-
dication schwand in wenigen Tagen Leber-
und Gallenblasentumor, die Koliken kehrten
nicht wieder, Appetit und Stuhlgang regelten
sich, und bis jetzt sind anderthalb Jahre
seid der Cur vergangen, ohne dass sich auch
nur das geringste Symptom des alten Leidens
wieder gezeigt hätte. Nach der ersten Oel-
dosis waren drei ca. linsengrosse Cholestearin-
concremente abgegangen; später wurde die
Aufmerksamkeit so sehr auf die in reich-
licher Menge abgehenden Fettconcretionen
gerichtet, dass ich nicht anzugeben weiss,
ob nicht etwa noch mehr veritable Gallen-
steine vorhanden waren.
Mein zweiter Fall betraf eine 37 Jahre
alte Waschfrau, welche ihren ersten typischen
Kolikanfall im Juli 1888 bekam. Eine längere
Zeit hindurch gebrauchte Cur mit Karlsbader
Salz war erfolglos, und später, einige Zeit
nach demAussetzen jeder Therapie, schwanden
die Beschwerden von selber. Um die Weih-
nachtszeit erfolgte eine neue Attacke, die
mit einem abführenden Medicament erfolglos
behandelt wurde, und von da an bis zum
Juli dieses Jahres blieb die Kranke ununter-
brochen icterisch und hatte Schmerzen in
der Leberregion. Regelmässig zur Zeit der
Menstruation stellten sich acute Kolikan-
fälle mit Verschlimmerung aller vorhandenen
Erscheinungen ein. — Es gelang mir durch
zweimalige Anwendung von je 200,0 mentho-
lisirten Olivenöles — eine dritte Dosis reinen
Oeles wurde ausgebrochen — in wenigen
Tagen den Lebertumor zum Verschwinden
^-) Mcdical NcNYs. X888. I. p. 591.
zu bringen, nachdem schon 24 Stunden nach
der ersten Oelein Verleihung jeder Schmerz
beseitigt war. Auch der sehr langwierige
und hartnäckige Icterus war nach vier Wochen
bis auf eine geringe Spur an den ConjunctLv.
sclerae verschwunden. Etwa zwei Monate
nach Beginn der Cur trat ein leichtes Recidiv
auf, das durch eine einmalige Dosis von 200,0
mentholisirten Oeles beseitigt wurde, und
seither ist die Patientin gesund geblieben
und hat so sehr an Körperfülle zugenommen,
dass ihr sämmtliche Kleider nicht blos in
der Taille, sondern auch in den Aermeln
zu knapp geworden sind.
In meiner dritten Beobachtung handelte
es sich um eine 38 Jahre alte Dame, welche
bereits neun Jahre an ihren Gallenstein-
koliken laborirte. Pat. war deswegen mit
den verschiedensten Mitteln behandelt worden
und hatte auch die Bäder von Marienbad,
Kissingen und Karlsbad besucht. Trotzdem
in Kissingen Steine und Gries und in Karls-
bad blos etwas Gries abgegangen war, hatten
die Anfälle doch nicht aufgehört, und zeigten
sich nach wie vor mit der alten Intensität
und Häufigkeit. Ich selber leitete eine Oel-
cur ein und gab 200 g mentholisirten Oliven-
öls. Danach gingen viele Fettconcremente,
daneben aber auch ein facettirter Cholestearin-
stein von Linsengrosse ab. Die Koliken,
welche vorher eine Woche hindurch täglich
aufgetreten waren, schwanden bis auf ein
gelindes Schmerzgefühl in der Lebergegend,
und auch dieses hörte auf, nachdem im Ver-
lauf zweier Tage unter der Anwendung von
täglich 3 g salicylsauren Natrons in heissem
Wasser gelöst und unter Anwendung hoher
Darmeingiessungen noch etwas Lebergries aus-
gestossen worden war. Eine erneute Oel-
einverleibung förderte nur noch Fettconcre-
•mente zu Tage, und die Patientin, welche
früher an sehr häufigen Anfällen zu leiden
hatte, ist bis jetzt von Beschwerden befreit
geblieben.
In den vorstehenden 21 Einzelbeobach-
tungen ist zweimal ein negativer Erfolg ge-
meldet, während neunzehn Male entweder
Besserung oder sogar vollständige Heilung
erzielt wurde, und es entsteht nun die Frage,
in welcher Weise das Oel eine Wirksamkeit
zu entfalten im Stande ist. Touatre^^)
dachte sich die Sache so, dass das Oel in
die G allen wege eindringe und die hier be-
findlichen Concremente so erweiche, dass ihre
Ausstossung nunmehr mit Leichtigkeit er-
folgen könne. — Diese Vorstellung ist durch-
aus unwissenschaftlich; denn weder sind die
Gallenwege dazu da, um Ingesta aufzuneh-
»') 1. 0.
D^mbe^iS^ 1 Rosenbergr, Anwendung det Olivenöls bei der Behandlung der Gallensteinkrankheit. 545
men, noch ist eine Kraft yorhanden, welche
solche dem Strome der Galle entgegen in die
Gallengänge hineintreiben könnte. Zum Ueber-
fluss haben noch Ghauffard und Dupre'^)
die ünhaltbarkeit der Touatre^schen An-
nahme experimentell erwiesen. — Stellt man
sich auf einen teleologischen Standpunkt, so
erscheint es Yon Anfang an als wahrschein-
lich, dass bei der Bedeutung der Galle für
die Fettverdauung nach Einfuhr grosser Fett-
quoten auch eine starke Anregung der
Gallensecretion erfolgen werde. Allerdings
lehren die physiologischen Lehrbücher gerade
das Gegentheil; jedoch sind deren Angaben
zurückzuführen auf die Untersuchungen Ton
Bidder und Schmidt"), die für die Frage,
wie sich die Gallenabsonderung während
der Fettverdauung gestaltet, gar nicht zu
verwerthen sind, in erster Reihe wegen der
Anordnung der Yersuche, dann aber auch,
weil die Bidder-Schmidt'schen Versuchs-
thiere offenbar sich bereits im Zustande der
Inanition befanden, in welchem die Secre-
tionen regelmässig verringert sind. Auch
ein von Prevost und Binet**) in Bezug auf
die vorliegende Frage angestellter Versuch
ist unbrauchbar, weil er nach zu kurzer
Zeit abgebrochen wurde. Ich selber**) habe
in einer grosseren Anzahl von Versuchen,
bei welchen zwei Hunden mit permanenter
Gallenblasenfistel grosse Oeldosen resp. in
einem Versuche eine grössere Menge (120,0)
reinen Schinkenfetts gegeben wurde, mit
absoluter Regelmässigkeit constatirt, dass
während' der Oel- und Fettverdauung die
Gallensecretion beträchtlich steigt und die
Gallenconsistenz erheblich sinkt, dass diese
Beeinflussung der Leberthätigkeit grösser
ist, als während der Verdauung von Albu-
minaten und Kohlehydraten und weitaus
viel beträchtlicher, als unter der Wirkung
von Galle und salicylsaurem Natron, welche
von anderer Seite für die wirksamsten Cho-
lagoge angesprochen werden. Demzufolge
halte ich Oel, resp. Fett in grossen Dosen
für das mächtigste Anregungsmittel der
Gallenabsonderung, welches alle übrigen an
Grösse und Dauer der Wirkung wesentlich
übertrifft.
Diese mächtige Oelwirkung erklärt uns
nun, auf welche Weise bei der Oelbehand-
lung die Beschwerden der Gallensteinkran-
ken gehoben werden. Nicht auf eine Auf-
") Die Verdauungssäfte und der Stoffwechsel.
Mi tau in Leipzig. 1852.
'^) Revue medicale de la Suisse Romnnde.
1888. No. 5, 6, 7.
'^) Meine TJut ersuch ungen erscheinen dem-
nächst in Pflüger's Archivj cf. auch Fortschritto d.
Med. 1889. No. 13.
lösung der Concremente kommt es an, son-
dern auf eine Herausschwemmung, und diese
kann die hereinbrechende Gallenfluth sehr
wohl bewerkstelligen. Wo die Concretionen
in Wirklichkeit nicht ausgetrieben werden,
da muss man sich die Sache so denken, dass
sie unter dem Druck der grossen Gallen-
menge derart in ihrer Lage verändert wer-
den, dass die Einklemmungserscheinungen
aufhören und für die Galle oft auch die
Passage nach dem Darm frei wird.
Unter solchen Umständen könnte man
sehr wohl daran denken, jedem Gallen-
steinkranken gleich in erster Linie Oel zu
verordnen , wie das ja thatsächlich in Ame-
rika auch allgemein geschieht. Dem steht
nur bei uds zu Lande der Umstand ent-
gegen, dass im Allgemeinen grosse Fett-
mengen und besonders flüssiges Fett nicht
gut vertragen zu werden pflegt, und aus
diesem Grunde wird man gut thun, für die
ersten therapeutischen Versuche solche Mittel
anzuwenden, die zwar von viel geringerer
Wirksamkeit sind, als das Oel, aber doch
in einer grossen Reihe von Fällen sich prac-
tisch bewährt haben.
Hier kommen in erster Reihe die alka-
lischen Mittel und alkalischen Mineralwässer
in Betracht, die auch zu den Cholagogen
Substanzen gezählt werden, obwohl die Be-
rechtigung dazu noch nicht über alle Zwei-
fel erhaben ist. Denn die verschiedensten
Beobachter, welche sich mit der Prüfung
dieser Mittel befasst haben, sind zu den
allerwidersprechendsten Ansichten gekommen,
und das hat schliesslich dazu geführt, dass
manche Autoren, wie z. B. Leichten stern*^),
der Ansicht sind, dass wo man in der Praxis
nach jenen Mitteln einen Cholagogen Effect
beobachtet hat, dieser dem Wasser zuge-
schrieben werden muss, in welchem die
Alkalien gelöst sind. Denn auch Wasser
und besonders warmes Wasser hat ganz un-
zweifelhaft cholagoge Energie. Nun liegt
in dieser Ansicht sicher etwas Wahres, aber
im Allgemeinen ist man damit doch wohl etwas
zu weit gegangen, da man die positiven Re-
sultate, die z. B. L e wasch ew^^) beobachtet
hat, nicht so ganz unberücksichtigt lassen
darf. Die Differenzen zwischen Lewaschew
und anderen Beobachtern, z. B. mir selber,
erkläre ich mir aus dem Einfluss indivi*
dueller Verhältnisse, durch welchen bald ein
cholagoger Effect zur Geltung kommt, bald
") Allgem. Balneothenmie in Ziems sen, Hand-
buch der allgem. Therap. IL Bd. 1. Th. p. 321.
^8) Zeitschrift f. klin. Med. VH u. Vlfl. 1884;
Deutsch. Arch. f. Uin. Med. XXXV. 1884; Vircho w
Arch. 101; Arch. f. experim. Patholog. u. Pharma-
kolog. XVIL 1883.
69
546 Rotenberff, Anwendung dct OHvenölt bei der Behandlung der GaUensteinkrankheit. [^'^'I^äi^
ganz ausbleibt. Jedenfalls ist das eine un-
zweifelhaft, dass die Alkalien und alkalischen
Mineralwässer weder von sicherer noch von
betrachtlicher Wirkung sind, und Lewa-
sche w^^) selber räumt ihnen in der Reihe
der von ihm geprüften Substanzen die letzte
Stelle ein. — Diese Sachlage erklärt zur
Genüge, warum wir in der Praxis so oft
gar keine Erfolge von den in Rede stehen-
den Mitteln sehen, und wir werden daher
auch gut thun, wenn wir nach einiger Be-
obachtungsdauer von der Anwendung der
Alkalien oder alkalischen Mineralwässer
bei einem bestimmten Kranken keinen
Nutzen wahrnehmen, uns der Ueberzeugung
hinzugeben, dass sie bei diesen betreffenden
Patienten einen Cholagogen Einfluss nicht
besitzen und uns nach andern Mitteln um-
zusehen.
Gewohnlich wird dann in einem solchen
Falle zu der Durand ersehen Mischung
gegriffen, welche ursprünglich in der Idee
empfohlen worden war, die Concremente
im Körper aufzulösen. Später überzeugte
man sich von der Unrichtigkeit dieser Vor-
stellung und Frerichs^^) und Chwostek")
schrieben dem Mittel lediglich einen durch
seinen Aethergehalt bedingten antispasmo-
dischen Effect zu, während Lewaschew")
auch diesem Mittel cholagoge Eigenschaften
zugestanden wissen wollte. Ich selber habe
im Gegensatz zu Lewaschew^) danach eine
Steigerung der Gallen secretion nicht con-
statiren können, obwohl die in meinen Yei^
suchen zur Anwendung gekommenen Dosen
grösser waren, als die beim Menschen üb-
lichen. Bei diesem Widerspruch wird man
auch dieses Mittel im günstigsten Falle nur
zu den inconstant wirkenden rechnen dürfen.
Nun hat das Mittel noch die unangenehme
Eigenschaft, den Patienten leicht den Magen
zu verderben und ihnen sehr schnell wegen
des beständigen Aufstossens nach Terpen-
thinöl widerwärtig zu werden, und aus all
diesen Gründen scheint mir der Vorschlag
von Frerichs*^) volle Beachtung zu verdienen,
die Durand e'sche Mischung ganz aus der
Therapie zu streichen.
Weiterhin pflegt man in der Praxis oft
zu den vegetabilischen Abfuhrmitteln zu ]
greifen, wie Aloe, Rheum, Podophyllin etc.
Jedoch sollen diese nach der Angabe von
Rutherford^) nur dann wirken, wenn sie
in nicht abführenden Dosen gegeben werden.
Tritt Durchfall ein, so hört ihr Einfluss auf
die Gallensecretion auf. Nun ist die ab-
führende Dosis beim Menschen sehr von in-
dividuellen Verhältnissen abhängig, so dass
es nicht ganz leicht ist, hier das rechte
Maass zu treffen, und wo es gelingt, da er-
zeugen jene Mittel, wie ich mich zu über-
zeugen Gelegenheit hatte, nicht selten Darm-
koliken, so dass sie den an und für sich
schon schmerzgeplagten Patienten höchst
unangenehm sind, ein Uebelstand, der nicht
einmal durch eine prompte Wirkung com-
pensirt wird.
Nun giebt es noch ein Mittel, dessen
grosser cholagoger Werth schon von den ver-
schiedensten Beobachtern betont worden ist,
ohne dass es jedoch in diesem Sinne bisher
eine weitere Verwendung gefunden zu haben,
scheint, es ist dies das salicylsaure Natron.
Unnger-Canre.
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^^) Klinik der Leberkrankheiten. Braonschweig.
1861.
«0) Allgem. Wien. med. Zeitg. 1880. No. 36 sqq.
u. 1888. No. 35.
31) 1, c.
2») Brit. med. Joum. 1875; 1877; 1878.
% •% 9^ «% 1f% «^
Schon in Dosen von einem Gramm an ver-
mehrt es ganz prompt die Gallenmengo und
lässt die Gallenconsistenz geringer werden,
und aus diesem Grunde sollte es meines
Erachtens stets an Stelle der Durande'-
schen Mischung und der vegetabilischen Ab-
führmittel versucht werden, die es an Wirk-
samkeit unbedingt übertrifft. Ich selber
habe es mit ausgezeichnetem Erfolg in einem
hartnäckigen Fall von Gallensteinkolik mit
Icterus und Lebervergrösserung angewendet,
nachdem von anderer Seite Karlsbader Mühl-
brunnen, Karlsbader Salz, Dur an de 'sehe
Mischung und Rheum erfolglos gegeben wor-
den waren. Ich liess dreimal am Tage ein
Gramm salicylsaures Natron in einem halben
Liter heissen Wassers gelöst nehmen und
zweimal täglich eine hohe Darmeingiessung
mit je einem Liter kalten Wassers machen,
in welchem 5,0 Natr. salicyl. gelöst waren.
Ich hatte das Medicament in heissem Wasser
gelöst trinken lassen, weil auch das heisse
Wasser, wie bereits oben erwähnt, cholagoge
I^Mmw'lsli 1 Rosenberg, Anwendung des Olivenöls bei der Behandlung der Gallensteinkrankheit. 547
Eigenschaften besitzt, und die hohen Ein-
giessangen hatte ich empfohlen, weil wie
Peiper^) und ich fanden, auch durch diese
. die Gallensecretion angeregt wird. Der Er-
folg der Cur war ein ausgezeichneter. Nach-
dem durch drei Tage unter fortgesetzter
Anwendung dieser Medication viel Leber-
gries abgegangen war, fühlte sich die Pa-
tientin schmerzfrei, das Lebervolum war
kleiner geworden und der Icterus begann
Natron bei der Gallensteinkrankheit zu thera-
peutischen Versuchen empfehlen zu dürfen.
Gelingt es nicht, durch die vorgenannten
Mittel des Leidens Herr zu werden — wie
das ja in der Praxis gar nicht so selten
vorkommt — dann sollte man es nicht unter-
lassen, einen Versuch mit dem Oel zu
machen, da klinische Erfahrung ebenso wie
das physiologische Experiment für die Wirk-
samkeit dieser Therapie in gleicher Weise
Gurre naoh 5 g künstl. Karls-
bader Salz in Gelatinekapsel.
Gurre nach 5g künstl. Karls-
bader Sals, gelöst in 600 g H3O
▼on 40 oa
Curve nach 1 g Durande^scher
Mischung im Verhältnlss von 1 g
Ol. tereb. + 3 g Aether snif.
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Gurre nach 10 g Galle mit
1 g fester Substanz.
Gnrve nach 1 g Natr. salicyl.
Gurye nach 120 g Ol. olivar.
• (4 g p. Kilo Hund).
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zu schwinden, so dass die Kranke aus der
Behandlung fortblieb. Nach mehreren Mo-
naten erfolgte ein Recidiv, das auf die-
selbe Weise mit dem besten Erfolge be-
handelt wurde. Nebenwirkungen von Seiten
des salicjlsauren Natrons waren nicht auf-
getreten. — Auch in dem dritten meiner
mit Oel behandelten Fälle sah ich nach
salicylsaurem Natron noch etwas Gries ab-
gehen. Ich glaube daher, das salicylsaure
») Zeitschr. f. kUn. Med. IV. 1882.
sprechen. Nur mochte ich dazu rathen, das
Mittel nicht in ganz reiner Form zu geben.
Denn wenn die Patienten h5ren^ dass sie
reines Oel trinken sollen, dann empfinden
sie schon von vorn herein solchen Wider-
willen davor, dass es nicht weiter wunderbar
erscheinen darf^ wenn nach dem Oel Erbrechen
eintritt. Ich habe in meiner zweiten und
dritten Beobachtung dem Oel 0,25 °/o Menthol,
10 — 15% Cognac und zwei Eidotter hinzu-
gefügt, und zwar wählte ich das Menthol
einerseits, um durch dessen scharfen Geschmack
69*
548 Rosenberg, Anwendung des Olivenöls bei der Behandlung der GaUensteinkrankheit. I^on?ish!!ln!f*
den reichlichen Oelgeschmack etwas zu ver-
decken, andrerseits in der Absicht, durch
seine anästhesirenden Eigenschaften der
Brechneigung entgegenzuwirken. Den Cognac
setzte ich als Geschmackscorrigens hinzu,
und die Eidotter sollten die Farbe des Medi-
caments ändern. Ich will nicht unterlassen
zu betonen, dass letztere sehr fein verrieben
werden müssen, da, wenn sie klumpig sind,
leicht Erbrechen durch die Klumpen aus-
gelöst wird. Trotz dieser Maassnahmen er-
kannten die Patientinnen die ölige Natur
des Medicaments, empfanden aber doch nicht
solchen Widerwillen davor, wie die erste
Patientin, welche reines Oel erhalten hatte;
auch erbrach die zweite Kranke reines Oel,
während sie das mentholisirte gut vertrug.
Was die Dosis anlangt, so halte ich eine
solche von 150 bis 200 g für ausreichend,
und lasse das Medicament in vier bis acht
Portionen innerhalb einer bis drei Stunden
oder auch in längerer Zeit gebrauchen.
Nachher lasse ich den Mund mit etwas
Essigwasser ausspülen und recht heissen und
starken schwarzen Kaffee nachtrinken. Tritt
Erbrechen ein, so warte ich einen bis zwei
Tage und versuche die Medication noch ein-
mal, iodem ich das ganze Quantum in kleineren
Einzeldosen und innerhalb eines grösseren
Zeitraumes gebrauchen lasse.
Yon Nebenerscheinungen kam nach dem
Einnehmen des Oel es regelmässig Anorexie
zur Beobachtung, die jedoch nach längstens
2 4Stunden in meinen Fällen vollkommen wieder
geschwunden war und einem regen Appetit
Platz gemacht hatte. Femer hörte ich regel-
mässig einen Tag nach dem Einnehmen des
Oeles über ein grosses Schwäche- und Mattig-
keitsgefühl klagen, das jedoch ebenfalls in
kürzester Zeit wieder verschwunden war.
Man könnte nun noch Bedenken tragen,
das Mittel bei icterischen Gallensteinkranken
anzuwenden, da wir ja gewöhnt sind, bei
bestehendem Icterus den Kranken den Genuss
fetter Speisen zu untersagen. Ich kann nur
versichern, dass meine zweite, seit Monaten
permanent hochgradig icterische Patientin
das ihr verordnete Oel sehr gut vertrug, was
vollkommen in Ueberein Stimmung steht mit
dem, was Zerner^)Chauffard und Dupre^*)
und andere der vorher genannten Autoren
unter den gleichen Umständen beobachtet
haben. Es kann demnach auch der Icterus
nicht als Contraindication gegen die Oelbe-
handlung betrachtet werden.
Ganz falsch wäre es nun anzunehmen,
dass wir in der Oelbehandlung ein sicher
wirkendes Mittel gegen die Gallensteinkran k-
'') 1. c.
heit haben. Das ist von vornherein unwahr-
scheinlich, und unter den oben angeführten
Fällen befinden sich ja auch zwei mit negativem
Resultat. Vor allen Dingen und ganz natur-
gemäss wird man allemal da Misserfolge
sehen, wo die Verhältnisse derartig sind,
dass die Concremenie niemals mehr auf dem
natürlichen Wege entfernt werden können
und zu ihrer Beseitigung einen chirurgischen
Eingriif nothwendig machen. Doch sollte
man nie versäumen, bevor man sich zu einem
chirurgischen Eingriff entschliesst, wenigstens
einen Versuch mit der Oelbehandlung zu
machen.
Ist es gelungen, das Leiden zu beseitigen
und die Ausstossung der Concremente her-
beizuführen, so ist noch eine Nachbehandlung
erforderlich, wenn man nicht sehr schnell
den Eintritt von Recidiven erleben will.
In dieser Beziehung hat man einer Eindickung
der Galle entgegenzuarbeiten und die Ka-
tarrhe der Gallenwege zu bekämpfen, zwei
Momente, welche als Ursachen für die Gal-
lensteinbildung angesehen werden.
Um der Eindickung der Galle entgegen-
zuwirken, kann man von dem salicylsauren
Natron in kleinen Dosen oder auch von Fett
und Oel in Form von Speck, fetten Braten-
saucen, Oelsardinen, öligen Salaten und dgl.m.
Gebrauch machen, während Katarrhe der
Gallen wege am wirksamsten wohl durch die
Alkalien und alkalischen Mineralwässer be-
einflusst werden dürften.
Zum Schlüsse füge ich noch einige von
ein und demselben Versuchshunde gewonnene
Curven bei, welche die cholagoge Energie der
von mir geprüften Substanzen am schnellsten
und besten veranschaulichen werden. In
diesen Curven bezeichnen die übereinander
stehenden Zahlen die Gallenmengen in Gram-
men, die nebeneinander stehenden die Zeit,
innerhalb welcher aufgefangen wurde. In
allen Versuchen wurde erst eine Stunde lang
im nüchternen Zustande des Thieres aufge-
fangen, und dann erst die auf ihre etwaige
cholagoge Wirkung zu untersuchende Sub-
stanz gegeben. Im Uebrigen verweise ich
auf meine demnächst in Pflüger^s Archiv
über diesen Gegenstand erscheinende Abhand-
lung.
tIL Jabrg anff. 1
DecembAr 1889. J
Herczel, Ueber Nierenoperationcfi.
649
Ueber Nlerenoperationen.
Von
Dr. E. Herczel,
Auistcnt an der chirnrgiBchen Klinik KU Heidelberg.
(Vortrag, gebalten in der chirurgischen Soction
der 62. Naturforscherversammlung zu Heidelberg
September 1889.)
M. H. ! Bei dem viel versprechenden Auf-
scliwung, welchen die Nieren Chirurgie in den
letzten Jahren genommen hat, erscheint es
zeitgemäss und wünschenswerth, eine grossere
Eeihe verschiedenartiger Krankheitsfölle aus
derselben Klinik zu Yer6£fentlichen , da hier
sowohl bezüglich der Indicationsstellung, als
auch bezüglich des Operations Verfahrens und
der Nachbehandlung immer gleiche Gesichts-
punkte zum Ausdruck gelangen.
Seit 1878 führte mein Lehrer Herr Geh.-R.
Czerny 33mal die Nephrectomie, 7 mal
die Nephrotomie, 3mal die Nephro-
lithotomie, 2mal die Pjelotomie, 2mal
die Pyelolithotomie, 3 mal die Nephro-
rrhaphie aus. 8 mal wurden Hydrone-
phrosen punctirt; 2 mal Myxolipome der
Nierenfettkapsel mit günstigem Erfolge ent-
fernt.
Bezüglich der Nephrectomien *) über-
standen 47% die Operation dauernd. Doch
weichen die Endresultate der Exstirpation
bei den einzelnen Nierenleiden so weit aus-
einander, dass es nicht nur berechtigt, son-
dern auch dringend erforderlich ist, die ver-
schiedenen Arten der Nierenkrankheiten,
welche die Nephrectomie erheischen, gruppen-
weise gesondert zu betrachten.
Wegen Hydronephrosen wurde 4mal
operirt, einmal Heilung erzielt; 3 Fälle
endeten letal (l Urämie beim Defect der
2. Niere; 1 sept. Peritonitis per laparot.;
1 an septischer Thrombose der Vena
renalis).
Bei einer Üreter-Scheidenfistel wurde
durch die Exstirpation die Incontinenz ge-
hoben.
Unsere Resultate bei der Exstirpation
bösartiger Neubildungen lassen noch
viel zu wünschen übrig^). In 12 Fällen
(l Adenom, 2Medullarcarcinom, 6 Spin-
delzellensarcom, 3 Angiosarcom) er-
zielten wir nur 3 mal (25%) Heilung. Auch
von diesen dreien starben zwei 6 Monate resp.
') Alter schwankt zwischen 11 Monaten und
60 Jahren.
') Auch nach der neuesten diesbezüglichen
Statistik von Siegrist (Ueber die Nierenexstirpation
bei malignen Tumoren. Inaug. - Dissert. Zürich)
starben von 61 Patienten 52, 45 7o i^ directen An-
schlass an die Operation.
2 J^hre nach der Operation an Metastasen
und an localen Recidiven, der letzte Fall, trotz-
dem dass die Fettkapsel secundär total resecirt
wurde. Meist (5 mal) erfolgte der Tod an
Collaps (imal per laparot.), 2mal an
Peritonitis (beidemal transperitoneal oper.),
1 mal an Lungenödem, Imal an Tetanus.
Diese grossen Verluste erklären sich z. Th.
aus den unverhältnissmässig schwierigen Ver-
hältnissen der einzelnen Fälle, theilweise aus
dem Umstände, dass bis zum Jahre 1883
bei etwas beweglicheren Geschwülsten öfters
der Versuch gemacht wurde, die Tumoren
transperitoneal zu entfernen. Auch war die
Erkrankung meist schon weiter vorgeschritten
als ursprünglich angenommen wurde, da die
Autopsie in nicht weniger als vier Fällen
ausgedehnte Metastasen aufwies. Es giebt
dies einen deutlichen Fingerzeig, maligne
Nierentumoren möglichst frühzeitig (sammt
der Kapsel) zu entfernen. Ein 11 monat-
liches Kind ausgenommen betrug das Alter
des Leidens bei unseren Patienten stets
schon 1 — 4*/^ Jahre.
Viel günstiger liegen die Verhältnisse bei
derNiereneiteruug, einer Krankheitsgruppe,
in die ynr Nierenabscesse, Pyonephrosen und
Tuberculose recht gut zusammenfassen können,
umsomehr da bei genauer mikroskopischer
und bacteriologischer Untersuchung sich
manche exstirpirte Niere als tuberculös er-
weisen wird, wo früher weder im Urin noch
im Fistelsecret Bacillen nachgewiesen werden
konnten. In der weit überwiegenden Mehr-
zahl der Fälle ist die Nieren äff ection der
primäre, der perinephritische Abscess der
secundäre Process. Deshalb ist es auch
dieses Gebiet, wo wir mit den Nephrecto-
mien die glänzendsten und überraschendsten
Erfolge erringen können.
In der That gelang es uns unter 11 Fällen
(5 M., 6 W.) 9 mal (82% Heilung), darunter
7 mal Patienten mit Fisteln, die wirklich
schon bis zur äussersten Grenze herunterge-
kommen waren, einmal sogar eine Kranke,
der 8 Jahre vorher das Bein wegen Caries
amputirt wurde, durch die Nierenexstirpation
der endgültigen Genesung zuzuführen. Nur
ein Kranker starb an Sepsis (Stiel und
Wundin fection), ein anderer an congenitalem
Defect der zweiten Niere 8 Tage (!)
nach der Operation.
Viel unbefriedigender sind die Resultate
der Nephrotomie bei den Pyonephrosen.
Es wurden 7 Fälle operirt; zwei davon
endeten letal; 4 mussten späterhin nephrec-
tomirt werden, und nur einer wurde dauernd
gebessert. Ich glaube daher, dass diese
Operation nur bei stark geschwächtem Kräfte-
zustande als Vorakt zur Exstirpation oder
550
H6re£«l, Ueber Niereooperatioo^o.
rtherapeatifdie
L If onatdiefte.
aber überall dort ausgeführt werden sol^ wo
begründeter Verdacht auf Erkrankung der
zweiten Niere vorliegt, da hier der Verlust
einer minimalen Menge secemirenden Paren-
chyms den Tod herbeiführen kann, indem das
zurückbleibende Gewebe keine compensato-
rische Hypertrophie einzugehen im Stande ist.
Die Nephrolithotomie wurde 3 mal
ausgeführt (3 W.). Sämmtliche Fälle endeten
letal; stets waren beide Nieren krank.
Wegen einfacher Pyelitis wurde nie ope-
rirt, wohl aber fünfmal wegen Pyelitis
calculosa (2 W., 3 M.) bei multipler Con-
crementbildung, bei starker Erweiterung des
Nierenbeckens und bei starlcem Schwunde
der functionirenden Substanz die Niere ex-
stirpirt, und zwei Heilungen erzielt. 3 Pa-
tienten starben (l an Verblutung bei
einer Hufeisenniere — perlaparot.; 1 an
Urämie; 1 an Coma diabeticum).
Mit der Diagnose Nierenbeckenstein
wurde 4 mal die Pyelotomie Torgenommen;
zweimal fanden sich auch wirklich solitäre,
bis taubeneigrosse Steine im Nierenbecken,
nach deren Entfernung die Incisionswundß
des letzteren mit Catgut nach Art der
Czerny^schen Darmnaht geschlossen wurde.
Einmal wurde dabei wirklich prima intentio
erzielt, durch die Lenden wunde floss kein
Harn und schon nach 14 Tagen verliess die
Kranke gesundet unsere Anstalt. Das zweite
Mal hielt die Naht nur theilweise Stand,
wohl weil Blutcoagula das Lumen des Ureters
verlegten. Am 8. Tage ungefähr gingen die
Gerinnsel ab und bald nach diesem Zeit-
punkte nahm sämmtlicher Urin den Weg
durch die Blase.
Zweimal trafen wir, trotzdem dass typische
Koliken, einmal sogar mit Blutabgang vor-
lagen, keine Concremente. Im ersten Falle
handelte es sich um S-formige Knickung und
Krümmung des Ureters mit temporärer Hy-
dronephrose, im zweiten um Pyelonephritis
tuberculosa. Beide mussten später nephrec-
tomirt werden, weil die Nierenbeckenfisteln
absolut keine Heiltendenz zeigten.
Durch die Entfernung colossaler (bis
11 kg schwerer) Myxolipome der Nieren-
fettkapsel mittelst des medianen Bauch-
schnittes gelang es in zwei Fällen die Nieren
unverletzt zu belassen und die Patienten zu
heilen.
Was die Technik der Nephrectomie an-
langt, bedienen wir uns jetzt bei richtig ge-
stellter Diagnose ausnahmslos des Gz erny'-
schen Lei^denschnittes. Die lumbale
Methode ist unstreitig viel weniger eingreifend
und gefahrloser als die transperitoneale, und
bei Verlängerung des schrägen Schnittes nothi-
genfalls bis zum äusseren Rande des geraden
Bauchmuskels gelingt es auch ohne seitliche
Hilfsschnitte, Thürflü gelschnitt oder Rippen-
resection selbst die grössten Geschwülste zu
exstirpiren. Ceteris paribus wird eine sub-
capsuläre Aushülsung leichter ausfuhrbar
sein als eine Exstirpation sammt der Kapsel,
welch letztere Methode bei malignen Tumoren
wir doch stets anstreben müssen, da das
perirenale Gewebe meist Stätte der
Recidive ist. ILinder sind weniger wider-
standsfähig als Erwachsene.
Bezüglich der Stielversorgung ist wohl
die wichtigste Methode das Anlegen einer
elastischen Ligatur, hinter welcher secun-
där ein starker Seidenfaden en masse fassend
mit Leichtigkeit geschnürt werden kann. In
2 — 3 Wochen gehen dann beide meist spontan
oder bei geringem Zuge ab.
Besonders bei Pyonephrosen , wo ausge-
flossener Eiter die frische Wunde oft ver-
unreinigt, mochte ich vor Umstechungen
resp. Abbinden des Stieles in zwei Portionen
warnen. Leicht kann dabei der Faden durch
die Lumina der Gefässe gehen , und durch
die capillare Aspiration der Seide entstehen
eitrig zerfallende Thromben, die wieder sep-
tische Metastasen bedingen. Erst jüngst
mussten wir in Folge eines analogen Vor-
ganges den Tod einer sonst gesunden Pa-
tientin beklagen, und die genaue Durchsicht
unserer Krankengeschichten macht es mir
wahrscheinlich, dass wir auf ähnlichem Wege
(Pyämie und Sepsis) noch 2 andere Kranke
verloren haben.
Seit 2 Jahren üben wir die Jodoform-
dochttamponade (Gersuny) der Wund-
höhlen, welche sich trefflich bewährt. Die
Muskeln vereinigen wir mit wenigen ver-
senkten Catgutnähten, die Haut darüber mit
Seide und lassen die Dochte je nach Um-
ständen 2 — 7 Tage liegen.
Hauptaufgabe des Operateurs wird es
stets bleiben, vor jedem Eingriffe über den
Zustand der zweiten Niere möglichst
klaren Aufschluss zu erlangen. Und da
müssen wir gestehen, dass es uns bisher
weder durch die Compressions- noch durch
die Catheterisirungsmethoden in zuverlässiger
Weise gelingt, zur Untersuchung genügende
Urinmengen von den einzelnen Nieren isolirt
aufzufangen. Heute, wo besonders von fran-
zösischer Seite der kranken Niere mit Recht
die Fähigkeit abgesprochen wird, genügende
Mengen Harnstoff auszuscheiden, ist es
doppelt nothwendig, das Secretjeder einzelnen
Niere in grösseren Quantitäten gesondert
auffangen zu können, um nicht allein von
der mittleren 24 stündigen Harnstoffmenge
urtheilen zu müssen, sondern auch um prüfen
zu können, ob die zweite Niere kräftig genug
HL Jahrgaiiff. I
Deoember 1889. J
Heresel, Ueber Nierenoperationen.
551
ist, und ob sie die Arbeit der kranken Niere
zum Theiie leistet.
Darum wird in zweifei baften scbwierigen
Fällen wohl auch jetzt nicht Anderes übrig
bleiben, als auf den ursprünglichen Czerny'-
schen Vorschlag zu recnrrirenundeineNieren -
beckenbauchfistel anzulegen, umsoeher
da diese Operation die spätere Exstirpation
nicht nur nicht erschwert, sondern im
Gegensatz erleichtert.
In der That gelang es uds, vor ca.
3 Monaten bei einer käsig tuberculosen
Nephritis festzustellen, dass die zweite, auch
nicht völlig gesunde Niere (deren Harn viel
Ei weiss enthielt) viermal so viel Harnstoff
secernirt als die kranke. Wir wagten darauf-
hin die Nephrectomie, der Heil verlauf war
vollkommen zufriedenstellend, und selbst der
Eiweissgehalt des Urins schwand bald völlig
(Demonstration).
Gestatten Sie mir noch zum Schlüsse in
aller Kürze eine Operationsmethode zu er-
örtern, die es erlaubt, kranke Theilstücke
einer sonst gesunden Niere partiell zu
entfernen, d. h. zu reseciren.
Thierexperimente von Fluriar, F. Bar-
denheuer beweisen ja zur Genüge, dass es
wohl möglich ist, keilförmige Excisionen aus
der Niere zu machen und unter Umständen
durch sofortige Naht der Wunde sogar prima
intentio zu erzielen, da nach Tuffier^s
neuesten Versuchen die Schnittflächen der
Niere secretionsunföhig werden, gleichgültig
ob die Urinableitung durch den Urether offen
oder durch Unterbindung desselben unter*
brochen ist.
Am Menschen machte meines Wissens
mein Lehrer Herr Geh.-Rath Czerny im
November 1887 die erste gelungene par-
tielle Nierenexstirpation.
Des hohen Interesses halber, den dieser
günstig verlaufende Fall beansprucht, will
ich mir erlauben, über denselben Einiges zu
berichten.
Es handelte sich um einen 80jährigen
vh. Gärtner, der Anfangs März 86 ein
schweres Trauma in der rechten Lendenge-
gend erlitt. Seit dieser Zeit bestand heftige
Hämaturie nebst starken, mit Erbrechen ge-
paarten Schmerzanfällen. Während der An-
falle war der Urin klar; nach Abgang von
wurmförmigen Gerinnseln trat Euphorie ein.
Abmagerung. Bei der Untersuchung in
Narkose fand sich die rechte Niere vergrössert,
der untere Pol deutlich palpabel.
Am 16. Nov. 87 20 cm langer schräger Lum-
balschnitt. Aushülsung der rechten Niere. An
der Gonvexität derselben, zwischen oberem
und mittlerem Drittel sitzt eine borsdorfei^
apfelgrosse, pralle lastische, fast fluctuirende
Geschwulst,bläulich durchschimmernd, darüber
eine bindegewebig verdickte prall gespannte
Eapselschichte. 6 cm langer Randschnitt.
Ausräumung des krümmelig bröckligen Ge-
schwulstbreies mit scharfem Löffel. Der
palpirende Finger konnte in das erweiterte
Nierenbecken leicht eindringen, von dort
Gewebsbröckel entfernen und auch den oberen
und unteren erweiterten Kelch von sonst
normaler Beschaffenheit abtasten. Nach ellip-
tischer Resection der Wundränder wurde
die Wunde mit 5 Gatgutnähten etwas ver-
kleinert und mit Jodoformgaze tamponirt;
die Niere reponirt. Tamponade der Höhle
mit Jodoformgaze, daneben 2 Gummidrains.
Sublimatholzwolleverband. Mikroskopische
Diagnose: Angiosarcom.
Der Verlauf war Anfangs vollkommen
zufriedenstellend. Schon am 3. Tage nach
der Operation betrug die Urintagesmenge
1550 cbm mit 1021 sp. Gew. 9 Tage lang
ergoss sich Urin aus der Lumbaiwunde.
Die Jodoformgaze wurde am 7. Tage nach der
Operation entfernt. Der Blasenharn wurde
allmählich eiweissfrei und sauer. Später folgten
Durchfalle und rechtsseitige Pleuritis. Trotz-
dem erholte sich der Kranke bald, nahm an
Gewicht stetig zu und konnte im Januar 88
mit einer kleinen Fistel entlassen werden.
Auch diese schloss sich nach wenigen Wochen.
Seitdem geht es dem Fat. sehr gut. Hämatu-
rien und Schmerzen haben vollkommen auf-
gehört, nur bei Hustenstössen verspürt er
Schmerzen in der Narbe. Leider hat er sich
in letzter Zeit der Beobachtung entzogen.
Auf dem diesjährigen Ghirurgencongresse
besprach Herr Julius Schmidt aus Cöln eine
von Prof. Bardenheuer operirte Nieren cyste
mit partieller Nierenexstirpation, die weniger
gunstig verlief, indem später die Nephrectomie
ausgeführt werden musste. Er meinte den
Grund des Misserfolges in der Eröffnung
der Nierenkelche, beziehungsweise des
Nierenbeckens zu finden. Unser Fall be-
weist im Gegensatz, dass auch grössere, die
Pyramiden mitfassende Defecte der Niere
trotz breiter Eröffnung des Nieren-
beckens wenigstens durch Granulationsbil-
dung sicher zur Ausheilung gelangen können.
Ob eine Naht des menschlichen Nieren-
parenchyms, wie es wahrscheinlich ist, Stand
halten wird, muss die Zukunft lehren. Jeden-
falls wird sie nur dort angelegt werden
dürfen, wo die Beschaffenheit des Urins
normal ist, also hauptsächlich bei kleinen
Tumoren, die in der Rinde sitzen.
552
SuChftnnek, Zur Kaehbehandlung bei Operationen In der KasenhShle.
[TtierApAatlieb«
L Monatahefte.
Zur Naclibeliaiidlung bei Operationen
in der Nasenliölile«
Von
Dr. Hermann Suchannek, Docent in Zürich.
Das antiseptische Verfahren ist dem
heutigen Mediciner so zu sagen in Fleisch
und Blut übergegangen und es darf nicht
Wunder nehmen, wenn sich in rascher Folge
Gynäkologen, Ophthalmiater, Otologen und
die Jünger der Zahnheilkunde die Segnungen
der modernen Wundbehandlung zu Nutze
machten. Man wird es daher begreiflich
finden, wenn Bezold in einem Referat über
das seit Jahresfrist erschienene Werk eines
bekannten amerikanischen Otologen die Nicht-
beachtung der Fortschritte der Ohrenheil-
kunde auf dem Gebiet der Antisepsis rügt.
— Um so auffallender muss es darum
erscheinen, dass die Rhinologen bisher im
Hintertreffen blieben. Diese Zurückhaltung
erklärt sich vielleicht aus der Erfahrung,
dass einmal die Nasenschleimhaut äusserst
leicht resorbirt und andererseits eine hoch-
gradige Empfindlichkeit den beliebtesten con-
centrirteren antiseptischen Lösungen gegenüber
an den Tag legt. So wird, um nur Einzelnes
herauszugreifen, Sublimat in der grossen
Mehrzahl der Fälle nur in sehr schwacher
(0,05°/oo) Concentration vertragen und selbst
dann kommt es bei längerer Anwendung
dieser Solutionen gelegentlich zu Intoxica-
tionen. Carbolwasser macht schon in l^/o
Concentration unangenehme Reizerscheinun-
gen, und das viel gerühmte und als ungiftig
gepriesene Creolin hat sich mir nach verschie-
denen misslungenen Versuchen als nicht em-
pfehlenswerth erwiesen. — Selbst die mit
Creolin getränkten Tampons, die man ge-
legentlich zur Verflüssigung der Secrete bei
Ozäna einführt, verursachen eine Weile hef-
tiges Brennen.
Nur die auch in der Augenheilkunde be-
kannte und angewendete 4^/o Borsäure resp.
concentrirteren Boraxlösungen sind ohne Ein-
fluss auf die Nasenschleimhaut, freilich anch
von keiner erheblichen keimtödtenden Wir-
kung, daher mehr als Spülwasser verwend-
bar. Wir bedürfen ja aber auch zur Nach-
behandlung nach chirurgischen Eingriffen in
der Nase — maximale Reinigung der Schleim-
haut durch sorgfältiges Austupfen mittelst
Wattebäuschchen vorausgesetzt — keiner
stärker desinficirenden Mittel, haben wir doch
in dem Jodoform ein Medicament, das so-
wohl im Rectum und Mund — mithin an
Stätten, die doch gewiss ein wahrer Tunmiel-
platz fürpathogeneBacterien sind (cf.Miller^s
neuestes Werk über die Bacterien des Mun-
des) — als in der Nase einen reizlosen Wund-
verlauf sichert. Dabei ist es übrigens ziem-
lich gleichgültig, ob in einer unsern Blicken
und der Sonde unzugänglichen Bucht oder auf
der Regio olfactoria, die ja ohnehin fast stets
unberührt bleiben muss, mehr oder minder
minimale Secretmeugen restiren; wissen wir
doch nach Neisser's Untersuchungen, dass
direct unter dem Einfluss der Bacterien-
culturen sich aus dem Jodoform Jod ab-
spaltet, welches hauptsächlich in statu nascendi
und zwar hierbei schon in minimalen Dosen,
dann aber auch wohl in Verbindung mit Alka-
lien antiseptisch wirkt resp. die Cadaverin-
eiterung hindert (Behring). Je stärker daher die
reducirende Einwirkung der Bacterienculturen,
bei der nascirender Wasserstoff eine hervor-
ragende Rolle spielt, sich geltend macht, um
so grössere Mengen Jodoform werden zersetzt.
Dass solche Zersetzung auch in der Nase
erfolgt, kann man an der allmählich fast
völligen Entfärbung der anfangs schwefel-
gelben (50 %) Jodoformgaze, nachdem letztere
bis zu 8 Tagen in der Nase verweilt hat,
erkennen. Nun — wird man mir einwenden
— ist es aber eine alte Erfahrung, dass die
Nase recht erhebliche Traumen und chirur-
gische Eingriffe verträgt und die gesunde
Nasenschleimhaut einen schlechten Nährboden
für pathogene Bacterien abgiebt. — Das ist
vollkommen richtig, aber practisch belanglos,
denn einmal wird man nicht leugnen können,
dass, wenn man sich unter den Schutz ersterer
Tradition stellt, man doch dem Zufall, der
ja auch in der voran tisep tischen Zeit mit-
unter wunderbar gespielt hat, allzugrosse
Concessionen macht; andererseits gebort eine
völlig normale Nasenschleimhaut zu den
Seltenheiten. Meistentheils ist eine, wenn
auch noch so geringe pathologische Secretion
oder sind circumscripte oder diffuse Ver-
änderungen der Mucosa vorhanden. In diesem
Fall und in noch höherem Grade bei ausge-
sprochenen Rhinitidcn wird das eiweissreiche
Secret zu einem guten Nährboden und der
Infection ist bei erfolgendem Trauma Thor
und Thür geöffnet. Sah ich doch, um nur
ein Beispiel anzuführen, bei einem mit scro-
phulöser mucopurul enter Rhinitis behafteten
Knaben nach heftigem Fall auf die Nase,
der zur Fractur des Nasengerüstes führte,
keine Consolidation, sondern eine nekrotische
Abstossung fast des ganzen Vomer erfolgen.
Ich bin der Ueberzeugung, dass bei sofortiger
Inspection und Behandlung der Affection
(Einlegen von Jodoformtampons beiderseits)
diese Eventualität hätte vermieden werden
können. Item — da wir gewöhnlich nur an
nicht gesunden Nasenschleimhäuten operiren,
IILJahrgmag. 1
Deoember 1889. J
Süehannek, Zur Nachbehandlunir bei Operationen in der Nasenhöhle.
553
müssen wir eine Garantie für guten Wund-
Yerlauf übernehmen.
Ich yerfahre nun, mag ich Kauterisationen
der Nasenhohlen zur Festlegung und Ver-
kleinerung der Schwellkorper an der untern
Muschel behufs Hebung von Nasenstenosen
oder Beseitigung bestehender Reflexneurosen,
Operationen mit kalter oder heisser Schlinge,
Abtragung von septalen Deviationen oder
des vorderen Endes der blasig aufgetriebenen
und das Nasenlumen grosstentheils ver-
schliessenden mittleren Muschel vornehmen,
jedes -Mal folgendermassen :
Handelt es sich tun leicht fortspülbare
Secretmassen, so mache ich mit 4 % c. 24^ R.
warmer Borsäurelosung, der ich, wenn ich
mich überzeugt habe, dass Patient alle die-
jenigen Regeln, die bei der Nasendousche zu
beachten sind, stricte erfüllt, Sublimat im
Verhältniss Ton 1 : 20000 zusetze, eine Aus-
spülung und entferne nur noch sichtbare
Secretreste mit an Sonden befestigten Watte-
bäuBchchen. — Ich benutze dazu aus Eisen-
oder Messingdraht hergestellte dünnste Sonden,
die an einem Ende auf 5 — 7 mm Länge mit
einem Gewinde versehen sind und die übliche
Nasenkrümmung besitzen. Der längere Schen-
kel ist 12 — 13 cm lang; die Dicke muss sich
nach der grosseren oder geringeren Geräu-
migkeit der Nasenhöhlen richten und beträgt
Vs — 1 mm. Ich benutze die (von Bresgen?)
vor Jahren empfohlenen Gewindesonden auch
zu Touchirung des Rachens und Kehlkopfs
und brauche ein Herab gleiten der am Ge-
winde befestigten Watte absolut nicht zu
fürchten.
Nach Entfernung der Sonde wird der
mit Secret bedeckte Pfropf (wie dies ja wohl
allgemein geschieht) mittelst eines c. 6 cm
im Quadrat haltenden Stücks dicken Fliess-
papiers (Pflanzenpapier) erfasst durch Dre-
hen nach der entgegengesetzten Richtung
entfernt und einem Porzellaneimer überant-
wortet. — Bei der Billigkeit des Materials
ist die Bescha£fung einer grosseren Anzahl
solcher Sonden räthlich und bei eventuell zu
stillender Blutung (Tränkung der Watte-
bäuschchen mit frisch ausgepresstem Citronen-
saft) vortheilhaft. Erscheint mir das Ope-
rationsfeld, soweit es sich übersehen lässt,
rein, so pflege ich auf dasselbe noch einen Spray
mit schwächerer Rotter 'scher Losung ein-
wirken zu lassen, resp. statt dessen einer
Ofib ®/oo Sublimatlösung mich zu bedienen.
Dann schreite ich nach Desinfection der
äusseren Nase und deren Umgebung (Bart
besonders berücksichtigen!) mittelst 5 "/q und
Abtupfen des Vestibulum mit 1 "/o Carbol-
lösung zur Operation. Dieselbe wird unter
Oocainanästhesie (meist 2 maliges Aufstreichen
einer 20*^/0 Lösung und nur bei länger
dauernden Operationen submucöse Cocainin-
jection !) ausgeführt. — Selbstredend werden
die noth wendigen Instrumente für die Zeit
von 5 Minuten in siedendes Wasser gelegt
und Hände und Nägel der üblichen desin-
ficirenden Toilette unterworfen. — Ist die
Operation beendet, so pinsele ich die in An-
griff genommenen Stellen mit einer Lösung
von Jodoform, Bals. peruv., Sapo Kali aa 2,0,
Collodium 30,0 (guttaperchaähnlicher üeber-
zugl), anderenfalls tamponire ich je nach der
Localität der Operation die Nase (theil weise !)
mit 50 ^/o Jodoformgaze aus. Auch dieser
Act erfordert üebung und muss selbstredend
ebenso wie die vorherige Säuberung der Nasen«
höhle stets unter Leitung eines Nasenspecu-
lums (wozu ich Bresgen^s modificirte Du-
play'sche dringend empfehlen kann, doch
thut ein Voltolinischex oder dessen Modi-
ficationen auch gute Dienste) geschehen. -^
Die Tamponade wird, da «ie in den meisten
Fällen nur partiell erfolgt, gut vertragen und
lassen die anfänglichen Unbequemlichkeiten
am nächsten Tage nach. Sollte der Patient
über nachträglich eintretende Schwellung
auch der freigebliebenen Theile der Nasen-
schleimhaut klagen, so kann er^ durch Ein-
träufeln einiger Tropfen einer sterilen lau-
warmen 10% Cocainlösung (Tropfröhrchen)
oder einer 10% Menthollösung oder Ein-
athmung von Mentholdämpfen (einige Kry stalle
asiatischen Menthols auf c. 50^ R. warmen
Wassers streuen und den Dampf der sich
verflüchtenden Substanz bei geschlossenen
Augen und Munde durch die Nase einathmen !)
sich Erleichterung verschaffen. — Wo sich
eine ausgiebige Tamponade der Nasenhöhle
als nöthig erwies, habe ich mit Hinblick auf
die unangenehmen Erfahrungen von Barth
(Berl. klin. Wochenshc. 1888) die Patienten
angevTiesen, bei den leisesten unangenehmen
Sensationen im Ohr mich sofort wieder auf-
zusuchen. Ich hatte mir vorgenommen, bei
den ersten Zeichen von beginnender Mittel-
ohrentzündung die Tampons zu entfernen
und statt dessen Jodoformcollodium aufzu-
streichen und einer Otitis media incipiens mit
den (von verschiedenen Autoren, unter Andern
auch von Herrn Collegen Rohr er empfohlenen
und auch von mir für das erste Stadium des
acuten Paukenhöhlenkatarrhs als trefflich er-
probten) Eingiessungen einer 20% Carbol-
glycerinmischung in den äussern Gehör-
gang zu begegnen. Indess habe ich bisher
dieser Maassnahmen auch bei event. völliger
länger dauernder Obturation der einen Nasen-
hälfte nicht bedurft. Immerhin ist diesem
Punkte auf jeden Fall die genügende Beach-
tung zu schenken. — Der Tampon bleibt bei
70
554
Suchannek, 'Zur Nachbehandlung b«i Operationan in der Nasenhöhle.
fTberapeattodM
L MonatriieftaL
Operationen mit der kalten Schlinge 3 — 4,
bei Kauterisationen 8 Tage lang liegen, ohne
dass der Patient über febrile oder Resorp-
tionserech einungen zu klagen hätte. — Nun
giebt es allerdings nervöse Personen, die auch
von der Jodoformgazetamponade nichts
wissen wollen. Dann stehe ich von derselben
ab und lasse sie nach der Operation am
ersten Tage 1 — 2 stündlich, später seltener
eine Palvermischung von Acid. boric. 10,0,
Cocain, muriatic.0,1 (Barth) einblasen, nach-
dem ich die Wunden durch JodoformcoUodium
oder Jodoformpulver geschützt habe. Natür-
lich heilen auch bei dieser Behandlung die
Affectionen in vielen Fällen; dass sie es
aber nicht immer thun und unerwünschte
Erscheinungen (Infection mit Erysipel-, Sta-
phylo- oder Streptococcen) auftreten können,
habe ich leider in einem schliesslich günstig
verlaufenden Fall erleben müssen. Dass
aber nur die Jodoformgazetamponade sicher
vor Infection schützt, wenn man die Patienten
nach Hause reisen lassen muss (wobei die
Gefahr im Winter grosser ist und zwar durch
die, als sogenannte Erkältung bekannte vaso-
motorische Störung, welche die Widerstands-
fähigkeit des Körpers dem Eindringen patho-
gener Mikroben gegenüber herabsetzt), davon
glaube ich mich genugsam überzeugt zu
haben.
Nach Entfernung des Tampons sieht die
Wunde völlig reizlos aus und ist ein späterer
Wundcroup nicht mehr zu befürchten. Trotz-
dem veranlasst mich meine Vorsicht, nach
Bresgen's Vorgang noch einige Tage hinter-
einander eine ^a^ Jodjodkaliglycerinlösung
einpinseln zu lassen. — üebrigens thuteine l^/o
ja auch antiseptisch wirkende und die Epi-
thelregeneration in hohem Maasse befördernde
Argen tumlösung gleichfalls gute Dienste. —
Ich bin überzeugt, dass Collegen, die bisher
keine weitere Nachbehandlung für nöthig
erachtet haben und denen das Glück bis
dato hold gewesen, nicht ohne weiteres ihren
früheren Standpunkt dem viel unbequemeren
oben weiter auseinandergesetzten Modus
opfern werden. Vor Infection schützt aber
selbst die Behandlung mit dem Galvanokauter
nicht, denn häufig genug entstehen ganz kleine
blutende Substanzverluste, die weitere Be-
achtung kaum zu verdienen scheinen und
doch zur Eingangspforte für Infectionsstoffe
werden können.
Beiläufig gesagt, bediene ich mich statt
der entschieden nicht zu empfehlenden Tam-
ponade der Nase mittelst einfacher B musi-
scher oder Eisenchloridwatte bei profusen
Blutungen seit Existenz der Jodoformgaze
stets der letzteren, habe auch das viel zu
plumpe Belloc'sche Röhrchen längst ad
acta gelegt — die Tamponade von vorn
unter Hülfe des zweiblättrigen Speculums
reicht bei guter Beleuchtung mit reflectirtem
Licht völlig aus. — Bei Operationen im
Nasenrachenraum bepinsele ich die kauteri-
sirten Stellen mit JodoformcoUodium, nach
Entfernung der Rachentonsille erscheint in-
dess eine antiseptische Behandlung deshalb
nicht erforderlich, weil das auf der Wund-
fläche haftende Blutcoagulum nach Sbtiren
der ja immer nur sehr massigen Blutung
rasch eintrocknet und durch Würg- und
Schneuzversuche des Patienten nicht entfernt
werden kann. Es entsteht somit ein schützen-
der Schorf, der erst dann von selbst sich
löst, wenn unter dem Schutz der gebildeten
Granulationen eine Infection nicht mehr zu
besorgen ist. — Ausserdem dürften Infections-
erreger eher in den ohnehin engen Nasen-
höhlen der Kinder (und an diesen ope-
rirt man ja doch fast ausschliesslich die
hypertr. Tons, phar.) haften bleiben. —
Anhangsweise sei erwähnt, dass schon
am Anfang vorigen Jahres Kitchen (New-
York med. Record 7. 1. 88) eine Methode
der Nasentamponade publicirte. Dieselbe
ist von der meinigen indess doch verschieden.
K. benutzt Schienen aus dünnem Tafelblech,
die er mit Watte schichtweise umhüllt.
Danach führt er den mit dem passenden
Medicament getränkten und mit Vaseline
bestrichenen Tampon in die Nasenhöhle. Er
hat diese Art der Tamponade gegen recidi-
virende Blutimgen, zur Verhütung von Ver-
wachsungen nach Operationen, zur Unter-
drückung von zu starken Grauulationsbil-
dungen nach erfolgter Kauterisation, sowie
als Schiene bei septalen Brüchen etc. —
angewendet. Wahrscheinlich werden meines
Erachtens nach auch mit Jodoformgaze um-
wickelte Schienen in geeigneten Fällen von
Vortheil sein.
£ndolaryngreale Cntfernunur eines unter-
halb der Stimmritze sitzenden Fibro-
myxom.
Von
Dr. Qorit in Brüssel.
(Vortrag, gehalten in der Königl. Belg. Akademie far
Medicin am 27. April 1889.)
Meine Herren! Sämmtliche Laryngologen
stimmen darin überein, dass die larjngealen
Tumoren sehr selten sind; jedoch alle
hierauf bezüglichen Zahlen gehen weit aus-
einander. So z. B. giebt Schwartz, welcher
, Enlfemuiig «Inaa untaihalb der Sümmrlts« iltiandeD Plbromrzom.
Dweabw lg». J
sich auf die Statistik des Dr. Fanvel st&tzt,
für die Polypen (gutartige GeechnülBte) das
VerbältDisB von 1 Proc. an, während Prof
Sclmitzler, welcher die Güte hatte, mir
die ÄDzabl, sowohl gntaitiger wie bösartiger
Tumoren, anzugehen, welche er io: seiner
jährlich von 4000 bis 6000 Kranken besuchten
Poliklioik beobachtet hat, zu dem Schlüsse
kommt, dass auf 1000 Fälle von Larynx-
kraukheiten 5 — 6 Tumoren beider Gattungen
kommen.
Wenn man aber tob den maliguea Tu-
moren, z.B. dem Epitheliom, das am häufigsten
vorkommt, absieht, so ergiebt sich sofort,
dass das Verhältniss der gutartigen Tumoren
sich jedenfalls auf eine sehr kleine Zahl
beschränkt. Wenn ich mir nun gestatte,
meine eigene Erfahrung heranzuziehen , so
stelle ich fest, dass unter siebenhundert
Fällen von Larynxkrankheiten, welche in
meiner Behandlung waren, zwei Mal das
Epitheliom sich vorfand, ein Mal das Papillom
und endlich eine Geschwulst, welche ich der
Akademie heute ausführlicher zu beschreiben
die Ehre habe.
Diese Geschwulst bot zwei aussergewöhn-
liche Eigenschaften : erstens ihren tiefen Sitz
im Kehlkopfe, und weiterhin ihre histologische
Beschaffenheit.
Die Kranke, welcher ich die Geschwulst
entfernt habe, ist ein Mädchen von 24 Jahren,
von guter Gesundheit.
Seit vier Jahren zeigt ihre Stimme eine
zunehmende Heiserkeit: doch ist letztere nicht
beständig, was ich bereits bei der ersten
Untersuchung in meiner Klinik bestätigen
konnte.
Die Stimme hat für Äugenblicke den
normalen Ton; hierauf wird sie plötzlich
rauh, kurz, sie bietet mit vollster Bestimmt-
heit den diphtho nie eben Charakter, der von
den Autoren als den Polypen des Kehlkopfes
eigenthümlich angegeben ist.
Bei dem laryngoskopischen Examen sind
die Stimmbänder während der Phonation
von vollkommen normaler Beschaffenheit
(Fig. 1); während der Inspiration (Fig. 2)
sieht man, indem man den Kopf der Kranken
sich ein wenig nach vom neigen l&sst, unter-
halb des rechten Stimmbandes eine kleine
Geschwulst, rund, glänzend, von gräulicher
Farbe und in der Richtung der Stimmband-
Oeffnung etwas hervorspringend. Lässt man
den Ton „he" mit Respirations-Bewegungen
kurz aufeinander folgen, so kann ich folgende
für die Diagnose sehr wichtige Thatsache
feststellen: bald schliesst sich die Glottis
vollkommen, bald springt der kleine, Tumor
zwischen den beiden Stimmbändern an der
vorderen Commissur des Larynx vor (Fig. 3).
655
Diese drei verschiedenen Ergebnisse des Kehl-
kopfbildes sind durch die H. H. Doctoren
S t ro ob an t und Van Dorpe bestätigt worden.
Die Athmang ist frei.
Welche Diagnose bezüglich der Natur
des Tumors dürfte ich nun machen? Seine
ausgedehnten Auf- und Abbewegungen sagten
mir, dass es sich um einen gestielten Tumor
handelte, welchen man ja gewöhnlich Polyp
nennt.
PK.S.
Beiläufig bemerke ich, dass die Bezeich-
nung „Polyp" für alle gutartigen Tumoren
des Kehlkopfes eine zu weit gehende ist,
indem damit vom anatomisch-pathologischen
Standpunkte aus nicht Bestimmtes gesagt
ist. Unter dem Namen „Polyp" sind die
verschiedenartigsten Tumoren einbegriffen,
wie z. B. die Papillome, Fibrome, Myxome,
Adenome, Angiome, Lipome, LaryDX-Oysten,
welche nichts weiter gemein seh aftl Iah haben,
als ihre Gutartigkeit.
556
Goris, EntferouD^ eines unterhalb der Stimmritce litsenden Fibromyxom.
rlierapentliclie
Monatiih«(tA.
I
Bezüglich des Sitzes unserer Geschwulst
konnte kein Zweifel bestehen; da sie yoll-
ständig während gewisser Stimmband-Bewe-
gungen verschwand, hingegen sofort zwischen
den Stimmbändern hervorsprang, sobald die
Kranke einen sehr starken Ton ausstiess,
so haben wir es mit einer Geschwulst zu
thun, die unterhalb der Glottisspalte, an
der hinteren Fläche des Stimmbandes ge-
legen ist.
Dieser Sitz ist, meine Herren, eine ana-
tomische Eigen thümlichkeit, auf welche ich
etwas näher eingehen mochte.
Schwartz sagt bezüglich des Sitzes der
Kehlkopfgeschwülste folgendes: Bruns hat
gefunden, dass unter 1100 Kehlkopfge-
schwülsten 836 sich auf den Stimmbändern
finden; die übrigen Male nahmen sie die
Gegend über der Glottis, viel seltener
unterhalb der letzteren ein. Diese
Thatsache ist durch die Statistik von Fauvel
bestätigt: von 300 von ihm operirten Fällen
befanden sich 250 innerhalb der Glottis, 10
oberhal^ und 9 unterhalb derselben. Für
31 konnte die Insertionsstelle nicht bestimmt
werden.
Selbstverständlich bietet die Operation
beim Sitz des Tumors unterhalb der Glottis
viel grossere Schwierigkeiten. Das Alter
der Patientin, ihre vortreffliche Gesundheit,
besonders aber auch die äussere Beschaffen-
heit der Geschwulst bestimmten mich, unseren
Tumor als einen gutartigen zu erklären.
Welcher Gattung von Geschwülsten ge-
horte nun diese Neubildung an?
Das Papillom, die häufigste der gut-
artigen Geschwülste des Larynx, nimmt ge-
wohnlich den freien Rand der Stimmbänder
ein, sitzt mit breiter Fläche auf und besitzt
eine in Folge der Hypertrophie der Papillen
hockerige Oberfläche.
Das Fibrom, wenn auch zuweilen mit
breitem Ansatz, ist doch am häufigsten ge-
stielt, beweglich und von glatter Oberfläche.
Da die Myxome, Angiome, Lipome und
die laryngealen Cysten sehr selten vorkommen,
so diagnosticirte ich ein Fibrom, welches ge-
stielt, seinen Sitz unterhalb der Glottis hat.
Die häufig wiederholten laryngoskopischen
Untersuchungen hatten mich über den ge-
nauen Sitz der Geschwulst, tvie über deren
Grösse in^s Klare gesetzt: so durfte ich mich
dazu entschliessen, die Entfernung derselben
auf intralaryngealem Wege zu versuchen.
Natürlich ist bei einer so schwierigen
Operation, die in dem vorderen, und wegen
der Epiglottis am wenigsten zugänglichen
Theilö des Larynx gemacht weirden sollte,
absölilt noth wendig, dass der Operateur vor
Allem sicher ist, dass der Kranke während
der Operation still hält und die Einführung
der Instrumente gut uod ruhig erträgt.
Ich erreichte diesen doppelten Zweck
dadurch, dass ich der Patientin täglich, ohne
Anwendung von Cocain, eine Sonde bis
zwischen die Stimmbänder einführte. Die
ersten Berührungen wurden seitens der Pa-
tientin nur mit grosser Mühe ertragen; allein,
und dies ist sehr beachten swerth, nach Ver-
lauf von zehn Sitzungen war die Toleranz
der Mucosa eine derartige geworden, dass
ich, wenn auch sehr schnell, meine Sonde
zwischen die Stimmbänder einführen konnte,
ohne Husten zu erregen. Endlich, am Tage
der Operation pinselte ich, um des Erfolges
ganz sicher zu sein, zwei verschiedene Male
die Schleimhaut des Larynx mit einer
lOprocentigen Coca'in-Losung ein. Hierauf
unter Leitung des Spiegels entfernte ich mit
einem Schlage, vermittelst der Guillotine
von Schrott er, während die Patientin eine
energische Phonations-Bewegung machte, den
Tumor: mit Genugthuung konnte ich meinem
assistirenden Collegen Dr. Yan Dorpe den
kleinen zwischen den beiden Ringen des
Instruments gefassten Tumor zeigen. Der
Verlauf nach der Operation war durchaus
befriedigend, aber meiner Voraussetzung
entgegen, besass der Tumor nicht die Eigen-
schaften eines reinen Fibroms.
Von der Grösse eines Gerstenkorns zeigte
er, mit Ausnahme einer Stelle, die volle
Durchsichtigkeit einer weissen Gelatine; er
war von glatter Oberfläche, Hess sich zwischen
den Fingern leicht zusammendrücken, so
dass er in allen Punkten den Myxomen oder
mucosen Polypen der Nase glich.
Dr. Denys, Professor derpath. Anatomie
an der Universität Loewen, nahm die mikro-
skopische Untersuchung vor; er fand, dass die
Geschwulst die Structur der Myxome der
Nase hatte.
Folgendes ist sein Bericht:
„Der Tumor ist bedeckt von einer Epi-
dermislage, ähnlich derjenigen der Haut;
diese Epidermisiage setzt sich zusammen
aus polygonalen und abgeplatteten Zellen.
Unterhalb dieser findet sich ein Gewebe,
welches von vergrösserten. Zellen mit langen
Ausläufern und einer intercellularen Substanz
gebildet ist; letztere besteht aus feinen,
fast durchweg von einander geschiedenen
Fibrillen; nur an einigen Stellen bilden sie
Bündel. Vereinzelt findet sich eine Substanz,
geformt aus dicken, fest ineinander ge-
schobenen, das Licht stark brechenden Tu-
berkeln, von dem Aussehen einer colloiden
Substanz."
Das mikroskopische Ansehen der Ge-
schwulst ist sehr ähnlich den hyalinen
tri. Jfthrg&nf . 1
D«cemb«r 1889. J
Plainer, Baitrflge zur Therapie der chron. Gonorrhoe.
557
Myxomen, welche von Bruns und Gottstein
beschrieben sind.
M^orell Mackenzie theilt in seinem Werke
eine einzige Beobachtung yon einem zum
T heile myxomatosen laryngealen Tumor mit.
Eine "weitere Beobachtung von reinem
Myxom ist von unserem Landsmann, Dr.
Eeman in Gent, gemacht.
Endlich findet sich im Intern. Central-
blatte für Laryngologie ein letzter Fall, den
King im Canadian Practionner veröffent-
licht hat.
Andere Mittheilungen über Myxome
finden sich in der laryngologischen Litteratur
nicht vor.
Trotz der Aehnlichkeit, welche zwischen
meinem Falle und dem von Bruns besteht,
bin ich der Ansicht, dass der von mir ent-
fernte Tumor kein rein hyalines Myxom ist.
Durch sein festes Bindegewebe theilt er auch
offenbar die Eigenschaften eines festen
Fibroms.
Er gehört eher zu derjenigen Klasse von
Tumoren, welche Ziegler ödematöse Fibrome
oder besser Fibromyxome nennt; er beschreibt
dieselben unter den Myxomen, weil sie ohne
bestimmt ausgeprägten Charakter Ueber-
gangsform zwischen den reinen Fibromen
und den reinen Myxomen darstellen. Aus
diesem Grunde habe ich denn auch für
meinen Tumor den Namen Fibro-Myxom ge-
wählt.
Schlussfolgerung:
1. Die in Frage stehende kleine Geschwulst
nahm eine Stelle des Larynx ein, wo
Geschwülste selten vorkommen.
2. Die Entfernung derselben war in Rück-
sicht auf ihre Anheftung eine schwierige.
3. Wegen ihrer histologischen Beschaffen-
heit gehört sie zu einer Gruppe von
Geschwülsten, die äusserst selten im
Kehlkopf vorkommen.
Die Operirte wurde den Mitgliedern der
Akademie vorgestellt.
(Au« der med. Klinik de« Herrn Prof. Erb in Heidelberg.)
Beiträge zur Therapie der chron.
Gonorrhoe.
Von
Dr. Wilholm Fleinor,
Priyatdooent und Astlatenzarzt am Ambalatoriom der med.
Klinik in Heidelberg.
Unter diesem Titel habe ich in der
Münchener med. Wochenschrift (1889
No. 40) einen auf der Versammlung deutscher
Naturforscher und Aerzte zu Heidelberg in
der Section für Dermatologie und Syphilis ge-
haltenen Vortrag publicirt und ich nehme
anlässlich dieses Autoreferates die Ge-
legenheit wahr, auf einen Fehler hinzuweisen,
welcher in allen Publicationen , welche die
Salbensondenbehandlung der chronischen Go-
norrhoe zum Gegenstande haben, begangen
worden ist.
Laut Protokoll des 9. Chirurgencongresses
(Verhandlungen der deutschen Gesell-
schaft für Chirurgie 1881 p. 58) hat
Herr Prof. Czerny in der Sitzung vom
9. April 1880 eineHarnrohren-Aetzsonde
demonstrirt. „Das Instrument", sägt Czerny
p. 68, „ist von solidem Zinn und hat die
Gestalt und Grösse eines gewohnlichen Metall-
katheters (etwa No. 11 der englischen Scala),
der von dem Schnabel gegen den Pavillon
in Centimeter eingetheilt ist. 5 cm vor der
Spitze, an der stärksten Convexitat, befindet
sich eine längliche Nische, in welche man
eine beliebige Aetzpaste eintragen kann.
Das Instrument wird gut geölt eingeführt,
und wenn es mit dem Schnabel die Stelle
der grössten Schmerzhaftigkeit berührt,
brauche ich es nur noch 6 cm weit vorzu-
schieben, um sicher zu sein, dass die Paste
genau die empfindliche Stelle berührt. Man
lässt es dann so lange ruhig liegen, bis die Paste
geschmolzen ist, und zieht es wieder langsam
heraus. Als Vortheile des Instruments möchte
ich nebst seiner Billigkeit die leichte Hand-
habung und vielleicht die genaue Locali-
sirung der Aetzung ansehen. (Die Instru-
mente sind von Herrn DröU in Mannheim
angefertigt und durch ihn zu beziehen.)
Ich gebrauche in der Regel als Con-
stituens der Paste Butyrum de Cacao. Das
schmilzt erst, wenn es längere Zeit (5 bis
10 Min.) in der Körpertemperatur ist, so
dass beim Einführen dieser Aetzpaste die
Harnröhre sehr wenig benetzt wird. Anders
ist es freilich beim Herausziehen. Allein
ich glaube nicht, dass man eigentlich ätzende
Substanzen anbringen soll, sondern blos
reizende, also Tannin oder Nitroargentum.
Ich möchte niemals Kali causticum oder
Argent. nitr. in Substanz anwenden.
Oefter gebrauchte Pasten waren:
IV Butyr. cacao. 10,0
Tannin, p. 2,0
£xtr. opii 0,50. M. f. pasta.
Ferner:
IV Butyr. cacao. 10,0
Argent. nitr. 0,60
Extr. beilad. 1,0. M. f. pasta.
Diese Paste wird mit dem Federmesser
in die Nische der Sonde gebracht und so
glatt gestrichen, dass die Nische ganz aus-
gefüllt ist.
558
Pleiner, Baiträge zur Therapie der ehroD. Qonorrhoe.
rrherapeatlMbe
leb mochte noch einen kleinen' Hand-
griff hinzufugen: Beim Herausziehen der
Sonde führe ich in der Regel die Finger-
spitze an das Perineum und streife die Paste
heraus, so dass die vorderen Partien der
Harnröhre auch nur sehr ^enig damit in
Berührung kommen dürften."
Diese Mittheilung Czerny^s hat merk-
v^ürdiger weise kaum Beachtung gefunden.
In den Publicationen von Unna, Casper,
Sperling, Teltz, Bender, Feibes,
Szadek, findet die Czerny'sche Behand-
lungsmethode nicht nur keine Erwähnung,
— auch mir war Czerny's Vortrag leider
unbekannt — sondern auf Grund einer Mit-
theilung in den Monatsheften für pract.
Dermatologie Bd. III. 1884 p. 327, er-
hebt Unna den Prioritätsanspruch darauf,
„gegen die chronisch entzündlichen Verände-
rungen der Harnröhrenschleimhaut eine Combi-
nation der mechanischen und chemischen Be-
handlung durch Salbensonden eingeführt zu
haben". In den therapeutischen Monats-
heften Bd. I p. 177 sagt sogar Unna:
„Meiner Ausfuhrung der combinirten Behand-
lung liegt also die Wahl einer Salbe zu
Grunde, welche die Eigenschaft hat, bei
Zimmertemperatur fest, bei Körperwärme
dünnflüssig zu sein. Allen etwa noch zu
erdenkenden und sich bewährenden, combi-
nirten Methoden gegenüber nehme ich (Unna)
diese Idee speciell als die meinige in An-
spruch." In Folge dieses Unna^schen An-
und Ausspruchs ist bisher die Salbensonden-
behandlung der chron. Gonorrhoe auf Unna
zurückgeführt und nach ihm benannt worden.
Obgleich ich nun der Ueberzeugung bin,
dass Unna seine Behandlungsmethode un-
abhängig von Gzernj und ohne Vorwissen
von dessen Vortrag ersonnen hat, so geht
doch aus der oben mitgeth eilten G z er ny^ sehen
Behandlungsmethode ohne weiteres hervor,
dass Gzerny in jeder Beziehung das Priori-
tätsrecht zukommt. Gzerny hat zuerst die
Zinnsonde und eine erst bei Körpertempe-
ratur schmelzbare Salbenmasse, deren Gon-
stituens Gacaobutter war, angewendet. Vier
Jahre später hat Unna die Mittheilung von
seinen, mit erst bei Bluttemperatur schmelz-
barem Salbenüberzug versehenen Zinnsonden
gemacht und noch später hat Gas per seine
cannellirte Sonde beschrieben. Die Nische
in der Gzerny^ sehen Sonde hat, wenn auch
nur local, so doch denselben Zweck, wie die
Rinnen an den Gasper^schen Sonden.
Mit dieser Darlegung der Verhältnisse
glaube ich dem Prioritätsanspruche Gzerny^ s
gerecht geworden zu sein und ich bedauere
nur, dass ich erst nach der Publication meiner
kleinen Mittheilung von dem Gzerny 'sehen
Vortrage auf dem 9. Ghirurgencongress Kennt-
niss erlangt habe.
Was nun meine Behau dlungs weise der
chronischen Gonorrhoe anbetrifft, so unter-
scheidet sie sich im Principe von der be-
kannten Unna' sehen Methode nicht, sondern
bietet nur hinsichtlich der Einfachheit der
Anwendung und hinsichtlich der Reinlichkeit
bezw. Antisepsis einige Vortheile dar, welche
die Ausführung der Sondenbehandlung weniger
umständlich und wenig bedenklich machen.
Ich habe gewöhnlich vernickelte Stahl-
sonden von verschiedener Dicke mit spiegel-
glatter Oberfläche benutzt, welche ich mit
einer in Tafelform gegossenen Salbenmasse
von folgender Vorschrift überzogen hatte
JV Argent. nitr. 1,0
Ger. flav. 2,0
Butyr. cacao. 17,0
M. len, calor. fund. leg. art. in tabulam.
Zur Präparation der Sonde wird diese
vom Schnabel ab bis über die Hälfte der
Länge über einer nicht russenden Flamme
(Spirituslampe) erhitzt, noch heiss mit reiner
Verbandwatte nochmals blank gerieben und
dann, wie ein Fiedelbogen über Golophonium,
unter leichter Drehung über die Salbentafel
hin und her gezogen, so dass ein dünner,
gleichmässiger, beim Erkalten starrer Ueber-
zug der Sonde entsteht. Man hat es dabei
ganz in der Hand, ein beliebig grosses
Stück vom Sondenende mit zu über-
ziehen oder frei zu lassen; auch kann
die Salbe nur auf bestimmte Stellen der
Sonde aufgetragen werden, um nur circum-
script erkrankte Partien der Harnröhre
damit zu behandeln. Die Abkühlung der
Sonde geht an der Luft schon ziemlich schnell,
noch rascher beim Eintauchen in Wasser vor
sich, so dass die Präparation der Sonde in
3 — 5 Minuten vollendet ist und diese dem-
nach während der Sprechstunde in einer
für den entsprechenden Fall geeigneten Grösse
jeweils frisch vorbereitet werden kann.
Nach der Verwendung der Sonde ist der
Salbenüberzug verflüssigt und lässt sich mit
Watte leicht abreiben; ein nachheriges Durch-
ziehen der Sonde durch die Flamme steril i-
sirt die erstere wieder vollkommen.
Statt Argent. nitric. habe ich in manchen
Fällen Acid. tannic. angewendet. Auf der er-
hitzten Sonde scheidet sich aber Tannin sehr
oft in krümeliger, kömiger Form aus, wo-
durch die Sondenoberfläche rauh und das
Einführen in die Urethra schmerzhaft wird.
Deshalb habe ich es vorgezogen, Tannin
statt auf der Sonde in Stäbchenform an-
zuwenden.
Diese Stäbchen werden so hergestellt,
dass die geschmolzene, wohlgemischte Salben-
I
I
)ec«mb!Mf^89 1 Clement^ Heilung und Schwund der asTphllititcben Sklerotit durch elektr. Ströme. 559
masse yom Apotheker in ein inwendig mit
Glycerin befeuchtetes Glasrohr von vorge-
schriebenem Lumen (3 — 4 mm Durchmesser)
aspirirt wird. Nach dem Abkühlen in Wasser
oder im Eisschrank wird das Glasrohr aus-
geblasen und der lange Salbency linder nach
Vorschrift so abgetheilt, dass auf ein kleines,
abgetheiltes Stäbchen 0,1 — 0,2 Ac. tannic.
kommen. (cfr. Fürbringer, ültzmann,
Bender.)
Die Einfahrung der Stäbchen geschieht
meiner Erfahrung nach am besten mit einem
kurzen, dem Grünfei duschen nachgebildeten
Harnrohrenspeculum. Das letztere wird
auf seiner Aussenseite geölt und geschlossen
in die Harnröhre bis zur gewünschten Tiefe
eingeführt. Dann wird der Obturator ent-
fernt, das Stäbchen an seiner Stelle in die
Hülse geschoben und mit dem als Stempel
dienenden Obturator in der Harnröhre ver-
senkt. Ein Wattetapmon, durch die Vor-
haut oder einen kl. Verband vor der ürethral-
mündung fixirt, nimmt die nach dem Schmelzen
ausfliessende Fettmasse auf und verschont
die Leibwäsche.
Yollkommene Heilangr und Schwund
der syphilitischen Sklerosls durch die
methodische Anwendung^ elektrischer
Ströme.
Von
Dr. Theodor Clemens in Frankfurt am Main.
fSehlu»t,J
Imbibition und Oscillation.
Durchtränkung und Bewegung und
zwar chemisch alterirende Burchtränkung
und atomistische Oscillation ist das Grund-
princip meiner elektrischen Sklerosenlosung,
um die erstarrte Zelleninflltration wieder
zur Schmelzung und in Fluss zu bringen,
bedürfen wir Durchtränkung und Bewegung,
denn wir dürfen ja nicht vergessen, dass
die mikroskopische Zelle ein selbständiges
Lebewesen ist, aus denen sich unser Orga-
nismus lebend und strebend, in unaufhör-
licher wechselnder Bewegung zusammensetzt
und lebendig erhält^^). Die Durchtränkung
'I) Ich kann nicht umhin eine Stelle hier zu
citiren aus Ernst HaekeTs „Gesammte popu-
läre Vorträge aus dem Gebiete der Entwickelungs-
lehre." Erstes Heft. Bonn, Verlag von Emil
Strauss. 1878. Pag. 35. Zweites Heft. „Seitdem
die Zellentheorie im Jahr 1838 hier in Jena durch
den genialen Botaniker Schieiden für das Pflan-
zenreich begründet und im folgenden Jahre von'
Lob mann auf das Thi erreich ausgedehnt wurde,
der Zelle durch Endosmose muss die Zellen-
substanz, den festflüssigen Zelleninhalt des
Protoplasma, „das zuerst Gebildete^ verän-
dern, während die Oscillation die Weiter-
bewegung des veränderten Zelleninhalts be-
fördert. Es wird also allmählich das krank-
haft veränderte Protoplasma durch Imbibi-
tion umgewandelt und die interstitielle
Anschoppung des Bindegewebes dadurch
aufgehoben. Zellkerne und Protoplasn^^a
werden dadurch allmählich von den krank-
haft veränderten „Plasma - Producten" er-
lost.
Es war eine sehr lange Reilie von Ver-
suchen und physiologisch chemischen Schluss-
folgerungen, welche mich endlich die pas-
sendste Flüssigkeit flnden Hessen, die zur
Imbibition und Durchtränkung der Sklerose
auf elektrischem Wege den Lösungs-Process
aiii besten und sichersten flnden Hessen. —
Obgleich ich mit reinem Wasser unter An-
wendung elektrischer Strome viele Sklerosen
zum Schwund gebracht hatte, so schien es
mir dennoch angezeigt, dem Wasser Arznei-
stoffe zuzusetzen, da ich, was den Trans-
port von Medicamenten durch elektrische
Strome betrifft, bereits vielfach höchst gün-
stige Erfahrungen gemacht und auch schon
veröffentlicht hatte. (Siehe deutsche Klinik
14. Januar 1860 : Die angewandte Heil-
elektricität etc. Pag. 17. Ferner Allgemeine
medicinische Centralzeitung. Berlin 1870
No. 7 : „Die elektrolytische Durchleitung
von Jod durch die thierischen Gewebe", be-
reits mit den Curerfolgen dargestellt in der
Deutschen Klinik 1858. 59 und 60 etc.
Nebst einer historisch - physikalischen Dar-
stellung der elektrolytischen Verwendung der
Arzneistoffe im vorigen Jahrhundert.) Zwei
Momente mussten mir ja bei der elektrischen
Heilung der Sklerosen immer vor Augen
gilt dieselbe in der Botanik wie in der Zoologe,
in der Morphologie wie in der Phy^siologie der
Organismen mit vollem Rechte als die feste Basis
UDO als der unerschütterliche Ausgan^punkt für
jede elementare Untersuchung. Wie sehr auch der
Begriff der „Zelle" in den seither verflossenen 38
Jahren sich veränderte, wie grossartig auch die
Zellentheorie im Inneren überall ausgebaut und im
Aeusseren erweitert wurde, ihr Grundgedanke ist
unverändert derselbe geblieben und hat sich zu
immer höherer Geltung erhoben. Dieser Grundge-
danke liegt darin, dass wir die mikroskopischen
Zellen als selbständige Lebewesen, als
physiologisch und morphologisch auto-
nome Organismen anzusehen haben; Brücke
hat sie deshalb passend als Elementar-Organismen
bezeichnet, Yirchow als Lebensheerde, Darwin
als Lebenseinheiten. — Vor allen anderen Natur-
forschern bat Rudolf Yirchow das bleibende
Verdienst, in diesem Sinne die Zellenlehre nach
allen Richtungen hin durchgeführt und durch seine
„Cellular-Patholo^e'^ der neueren Medicin die feste
histologische Basis gegeben zu haben.
560
Clamana, Hailung und Sehwund der syphilitischen Sklerotit durch «lektr. Ströme.
r'herAp««tItd«
HonatabefU.
stehen, erstens möglichst rasche Heilwirkang
und zweitens möglichst yereinfachte elek-
trische Heilmethode. Da ich nun die Beob-
achtung gemacht hatte, dass jodhaltiges
Wasser bei der Imbibition der Sklerose
rascher wirkte wie gewöhnliches Wasser,
so wurden alsbald von mir verschiedene
Formen von Jodlösungen zur Anwendung
gebracht. Von Anfang an vermied ich selbst-
verständlich alle Salben und alle Fette, und
kann ich überhaupt bei der Behandlung
von Geschwüren und Geschwülsten aller
Art nicht genug vor den Fetten warnen, sie
mögen nun Namen haben wie sie wollen.
Ich habe in meinem Werk über Heilelek-
tricität bei Besprechung der elektrischen
Behandlung der Syphilis die Yermeidung
aller Fettsalben auf das Dringendste empfoh-
len und vor allen Yerbandsalben gewarnt.
Haben wir in der Sklerose eine Verände-
rung des organischen festflüssigen Aggregat*
zustandes der Gewebe vor Augen, so müssen
wir doch zuerst suchen, durch wässrige Im-
bibition den natürlichen weichen Dichtig-
keitszustand der gesunden lebenden Gewebe
wieder zu gewinnen, was durch Fette nie-
mals erlangt werden kann. — Um ebenso
energisch, chemisch verwandt als elektrisch
leitend zu wirken, habe ich der von mir
angewandten Imbibitions - Flüssigkeit, dem
Wasser, vor allem das Kochsalz zugesetzt,
jene mächtige Chlorverbindung (Natrium
chloratum), ohne die bekanntlich unser Or-
ganismus nicht bestehen kann, äusserlich
ein durchdringendes Reizmittel, welches die
peripherischen Hautgefässe kräftig erregt,
die Aufsaugung steigert und Stockungen be-
seitigt, dabei in seiner Lösung ein vorzüg-
licher Leiter der elektrischen Ströme. Die-
sem Kochsalz setzte ich noch ein anderes
Natronsalz zu, nämlich das Natrium bicar-
bonicum puriss. pulverat., um noch mehr
auf Fpithelium, Lymphgefässsystem und die
drüsigen Gebilde zu wirken*"). Der ganz
vollendeten Lösung setzte ich alsdann die
offlcinelle Jodtinctur tropfenweise zu und
hatte ich auf diese Weise ein kräftiges Jod-
salzwasser mir bereitet.
Meine durch lange Erfahrung und vielseitige
Anwendung hinlänglich erprobte Imbibitions-
Flüssigkeit wird folgendermaassen bereitet:
") Die bekannte FntdeckuDg Virchow^s, dass
eine in gewöhnlichen Verhältnissen zur Ruhe ge-
kommene Wimperbewegung durch den Zusatz ver-
dünnter Kali- und Natronlösungen wieder zur Ao-
tivitat gelangt, war hier mein leitender Gedanke.
— Virchow's Archiv Bd. 6 S. 133. Wie Koel-
liker zeigte, kommt den Samenf&den dieselbe
Eigenschaft zu. — Wollen wir wieder Leben in
die Sklerose bringen, so muss chemische and dy-
namische Einwirkung hier Hand in Hand gehen.
Auf tausend Gramm weiches Wasser
nehme ich 36 g gewöhnliches Kochsalz.
Nachdem diese 36 g Kochsalz vollständig
in dem Wasser gelöst sind , wird nach
24 Stunden dieser Lösung noch 12 g Natrium
bicarbonic. puriss. pulverat. zugesetzt und
öfter umgeschüttelt. Wenn diese Lösung,
die jede Stunde wenigstens einmal umge-
schüttelt worden ist, nach 24 Stunden hell
bleibt, so setze ich alsdann fünfzig Tropfen
der offlcinellen Jodtinctur zu, und wird diese
nun fertige Jodlösung nach 14 Tagen, nach-
dem solche ganz farblos geworden ist, in
Gebrauch genommen. Es ist nothwendig,
dass die mit der Jodtinctur versetzte Natron-
lösung täglich mehrmals umgeschüttelt wird
und an einem nicht zu hellen Ort aufbe-
wahrt bleibt.
Bei den elektrischen Sitzungen, welche
ich in Folgendem genau beschreiben werde,
nehme ich lediglich diese Flüssigkeit in
Gebrauch, indem die Leinwandeompressen,
'auf welche die Elektroden gesetzt werden,
immer mit dieser Jodsalzwasser-Lösung ge-
tränkt sind. Während der ganzen Cur darf
die Sklerose niemals trocken werden, was
ich dadurch erlange, dass die Sklerose mit
einigen in dieser Lösung getränkten Lein-
wandläppchen bedeckt wird. Um die Stelle
des Penis werden dann in dieselbe Lösung
getauchte Leinwandstreifen gewickelt, die
dann mit dünner Gutta-Percha und Gummi-
ringen (die nie einschneiden dübrfen) geschützt
werden. Auf diese Weise werden die Skle-
rosen vom Beginn der Cur bis zum Schluss
niemals mehr trocken und dauert die Imbi-
bition zwischen den einzelnen Sitzungen,
Tag und Nacht ganz ununterbrochen fort.
— Die Elektroden, welche bei den verschie-
denen Sitzungen von mir benutzt werden,
sind natürlich je nach dem Sitz der Skle-
rosen verschieden, unterscheiden sich jedoch
von den gebräuchlichsten, die ich hier und
in meinem Werk über Heüelektricität be-
reits genau beschrieben habe, nicht wesent-
lich. Diese Elektroden theilen sich in all-
gemeine und speciell locale. Die allgemei-
nen wirken theils auf die ganzen Genitalien
oder den ganzen Penis oder den ganzen
Hodensack, während die localen vorzugs-
weise nur die Sklerose allein treffen. Um
zu gleicher Zeit auf den ganzen Penis zu
wirken, bediene ich mich hohler Metallcy-
linder, 15 cm lang und 4 cm weit. Diese
Cylinder, welche zur Aufnahme des ganzen
Penis bestimmt sind, werden von starkem
Weissblech angefertigt, haben auf der einen
Seite einen festen Metallboden, in welchen
der Leitungsdraht in der Mitte, 12 cm lang
mit Klemmschraube fest eingenietet und
t
■ ■
De^^r^is^.] Clemans, H«Uung und Sehwund dar syphUltitchan Sklerosto durch «laktr. Ström«.
eingelöthet ist. An diesem geschlossenen
Kopfende ist ein 3 cm langes eingelöthetes
Röhrchen Qj^ cm -weit), um einen kleinen
Glastrichter aufzunehmen, damit man den
um den Penis angelegten Metallcylinder als
£lektrode mit beliebigen Flüssigkeiten an-
füllen kann, um z. B. ein locales elektrisches
Jodbad für den Penis herzustellen. Diesen
Metallcylinder, welchen ich No. 1 nennen
-will, lasse ich gewöhnlich mit gefimisstem
Papier und dann mit Leder überziehen, um
die Isolirung zu bewerkstelligen. Das Kopf-
ende, an welchem der Patient während der
Sitzung die Elektrode hält, wird dreifach
mit Leder überzogen. Der stärker wirkende
Metallcylinder No. 2 ist ganz auf dieselbe
Weise isolirt und construirt wie No. 1, nur
mit dem unterschied, dass nach der ersten
Isolirung mit gefimisstem Papier der ganze
Gylinder dicht mit einer inducirenden Draht-
spirale umwunden ist. Die Drahtspirale
muss immer mit dem Drahtleiter und der
Klemmschraube am Anfang und am Ende
so verbunden werden, dass Anfang und Ende
der Drahtspirale yollkommen isolirt auf dem
Kopf des Metallcylinders stehen. Deshalb
hat der Metallcylinder No. 2 einen von
dem Dreher angefertigten 9 cm dicken höl-
zernen Kopf , welcher 2 cm tief in den
Metallcylinder eingelassen ist. Dieser höl-
zerne Kopf wird dann Ton drei starken
Metalldrähten mit drei Klemmschrauben
durchbohrt. Kecbts und links die von dem
Metallcylinder aufs beste isolirten Strom-
leiter der Spirale, welche mit. Anfang und
Ende der Spirale leitend verbunden werden
und in der Mitte, den Holzkopf ganz durch-
bohrend. Der Draht, welcher mit dem Me-
tallcylinder leitend verbunden, ist wie bei
No. 1. Wird diese streng isolirte Spirale
mit einem Pol einer Inductionsspirale (Schlit-
tenapparat) verbunden, während der andere
Pol des Schlittenapparates, z. £. als feuchte
Metallplatte im Nacken angebracht ist, so '
werden trotz aller Isolirung an der inneren
Fläche des Metallcylinders die leisesten fa-
radischen Ströme an jedem Berührungspunkt
sehr deutlich gefühlt werden. Auf diese
Weise liegt der Penis in einer inducirten
Spirale wie der Magnetstab in der Inductor-
spirale des Schlittenapparats. An diesen
Metallcylinder reiht sich nun No. 3 meines
Metallcylinder-Systems an, welcher aus einem
einfachen Elektromagnet besteht, welcher
zugleich als Elektrode für beliebige Ströme
verwendet werden kann. Dieser Hohlmagnet
von einem bis zwei Gentimeter Stärke bildet
einfach den Metallcylinder zur Aufnahme des
Penis und besteht aus einem Weissblechring,
der fest mit guten lackirten Holzkohlen-
561
Drahtstäbchen (von der Dicke eines starken
Schellendrahts) gefüllt ist. Um diesen Hohl-
magnet wird eine Spirale von starkem, gut
isolirtem Kupferdraht gewunden, in vier
Lagen, welche, Anfang wie Ende, in die auf
dem Holzkopf des Metallcylinders stehenden
Klemmschrauben übergehen, um so den Strom
der galvanischen Batterie zum Magnetisiren
des Hohlmagnets aufzunehmen. Durch den
in der Mitte des Holzkopfes direct mit dem
Metallcylinder in Verbindung stehenden,
gleichfalls eine Klemmschraube tragenden
Leitungsdraht kann nun jeder beliebige
elektrische Strom zugleich in den Elektro-
magnet eingeleitet werden, so dass auf diese
Art der Elektromagnet zugleich als Elek-
trode benutzt werden kann. Vor dem An-
legen dieser Metallcylinder ^ird der ganze
Penis ^) mit Leinwandstreifen umwickelt,,
welche in die angegebene Jodsalzlösung ge-
taucht worden sind. Auf diese Weise liegt
nun der Penis nicht nur in einer metalli-
schen elektrischen Hülle (elektrische Vagina),
sondern auch zugleich in einem Jodbad.
Bei der Anlage des Metallcylinders No. 1
kann durch die kleine Ansatzröhre am Kopf
des Gylinders jede beliebige Flüssigkeit
nachgegossen werden, welche alsdann bei
längeren elektrischen Sitzungen die um den
Penis gewundenen Leinwandstreifen durch-
tränkt und dauernd feucht hält. Auf diese
Weise kann dann der elektrische Strom in
die Gewebe der aufgelockerten Sklerose
dringen, während die Aufsaugung auf der
ganzen Haut des Penis leicht von Statten
geht, befördert durch die faradische Er-
schütterung der Gewebe. — Dass die Oscil-
lation im Verein mit der Imbibition (eine
atomis tische elektrische Massage!) in der
That allein die Schmelzung der härtesten
Sklerosen bewirkt, habe ich in einer langen
Reihe vergleichender Behandlungsmethoden
mit anderen Strömen aufs Deutlichste be-
wiesen. Ich habe eine grosse Zahl von
Fällen mit statischer Elektricität, mit con-
stanten Strömen und mit elektromagnetischen
Ladungen^) behandelt und habe bei meinen
'^) Bei allen unseren bekannten gewöhnlichen
Bebandlangsarten der Penis-Sklerosen vergessen wir,
dass der ganze Penis ja erkrankt ist, wofür die er-
krankten und histologisch veränderten Gefässe and
Lymphstränge sprechen, welche ja oft sieht- und
tastbar mit den Sklerosen in Yerbindunff stehend,
den ganzen Penis durchziehen. Es wird also bei
meiner elektrischen Behandlunprsmethode der Skle-
rosen immer auch zu gleicher Zeit der ^nze Penis
behandelt. — In meinem Werke über Heil elektri-
cität habe ich diese Hohlspiralen, Pag. 41 genau
beschrieben und zu gleicher Zeit deren grosses
Wirkunfi|8gebiet eingehend besprochen.
^) Siehe mein Werk über Heilelektricität,
Pag. 607.
71
562
rrherftpentiMlie
CUrnana, HeUung und Schwund der lyphrntlsehM Skleroaii durch elektr. Ström«. [ MonlS^eft?
BeobachtuDgen und Erfahrungen stets die
möglichste Vereinfachung meiner elektrischen
Heilmethode vor Augen gehabt, damit nicht
nur der Specialist, sondern jeder Arzt im
Stande sein könnte, sich von der ganz
ausserordentlichen Wirkung meiner elektri-
schen Heilmethode der Sklerosen zu über-
zeugen. — Da es zu weitläufig wäre, hier
Krankengeschichten zu erzählen, Yon denen
mir eine grosse Zahl der interessantesten
zu Gebote stehen, so will ich, um meine
Methode kurz und klar zu versinnlichen,
ein Schema aufstellen, welches zugleich als
Norm dienen kann.
Die überhäutete Sklerose wird in der
Kegel täglich dreimal, in besonders schlim-
men Fällen auch viermal elektrisch behan-
delt. Ich sage die überhäutete Sklerose,
weil eine locale elektrische Behandlung der
noch nicht überhäuteten Sklerose wegen all-
zugrosser Reizbarkeit vermieden werden
muss. Sollen dennoch noch nicht überhäutete
Sklerosen elektrisch behandelt werden, so
dürfen nur die Metallcjlinder angewandt
werden, um auf den ganzen Penis zugleich
zu wirken, in welchem Falle dann die Skle-
rosen indirect elektrisch behandelt werden.
Dies ist z. B. der Fall, wenn mehrere Skle-
rosen zugleich am Penis sich befinden und
die Induration bis zur Ueberhäutung noch
zunehmen würde. In einem solchen Falle
werden die Metallcylinder mit den feuchten
Compressen so lange angewandt, bis die
Sklerosen überhäutet sind, worauf dann die
Sklerosen täglich einmal direct elektrisch be-
handelt werden können. — Die Cur beginnt
dann folgendermaassen, indem mit einem
weichen Pinsel, getaucht in mein Jodsalz-
wasser, Eichel und Vorhaut rein abgewa-
schen wird. Alsdann wird auf jede Sklerose
ein kleines Leinwandläppchen gelegt, das
in Jodsalzwasser getaucht worden ist. Ueber
diese Läppchen werden in vier auch fünf
Lagen spannenlange zarte Leinwandstreifen
gewunden, die ebenfalls in Jodsalzlösung
getaucht wurden. lieber diesen Verband
wird nun der Metallcylinder No. 1 gescho-
ben bis an die Wurzel des Penis und das
Stromende des Metallcylinders nun mit dem
einen Pol eines du Bois-Reymond'schen
Schlittenapparats verbunden, während der
andere Pol (einerlei welcher) an der Nacken-
platte befestigt wird. Diese Nackenplatte
von Kupfer ist gewöhnlich 16 — 17 cm lang,
oben 5 und unten 4 cm breit, vierfach mit
Leinwand überzogen und mit meiner Jod-
salzwasserlösung getränkt. Der faradische
Strom wird nun so gerichtet, dass der Pa-
tient die leichte Oscillation im Nacken und
Penis eben gerade noch fühlt, wobei man
bedacht sein muss, dass die Feder des
Hammers am Inductionsapparat möglichst
rasche und viele Schwingungen macht, wie
die Flügel einer summenden Biene. Diese
erste Sitzung dauert 20 — 25 Minuten, wor-
auf nach Abnahme des Metallcylinders die
liegen bleibenden Leinwandstreifen mit einem
Pinsel, in die Jodsalzwasserlösung getaucht,
ergiebig getränkt werden. Ein Streifen
dünner Gutta-Percha, mit zwei Gummiringen
leicht gehalten, verhindert dann die schnelle
Verdunstung. Dieser ersten Sitzung folgt
die zweite, indem man (z. B. bei drei
Sitzungen täglich) den Tag in drei möglichst
gleiche Theile theilt. — Die zweite Sitzung
ist eine directe. Die Sklerose wird mit
einer in Jodsalzlösung getränkten kleinen
vierfachen Compresse bedeckt und nun eine
flache Knopfelektrode direct auf diese Com-
presse leicht aufgedrückt. Diese Elektrode
besteht aus einem kräftigen Messingdraht
von gut zwei Millimeter Durchmesser, der
in dem einen Ende in einen platten, nur
einen Gentimeter breiten Knopf von Messing
übergeht, während das andere Ende, um
den Strom aufzunehmen, mit einer Klemm-
schraube versehen ist. Der faradische
Strom von dem einen Pol auf den kleinen
Raum von einem Gentimeter direct auf die
Sklerose beschränkt, muss hier noch leichter
gestellt werden, so dass er eben noch auf
der Sklerose gefühlt wird, wobei darauf zu
achten ist, dass, wie ich bereits bemerkt
habe, die Sklerosen gewöhnlich gegen alle
elektrischen Ströme sehr unempfindlich sind.
Es ist bei diesen directen Sitzungen des-
halb häufig der Fall, dass der Patient den
Strom an der Nackenplatte (und diese bildet
bei jeder Sitzung immer den einen Pol)
ganz deutlich fühlt, während trotz der sehr
gut leitenden Jodsalzcompresse der fara-
dische Strom auf der Sklerose garniclit ge-
fühlt wird. In einem solchen Fall darf der
Strom niemals so weit verstärkt werden,
dass der Patient auch an der Sklerose die
Oscillation gleich stark fühlt. Es genügt
vollkommen, wenn im Anfang der Strom an der
Nackenplatte deutlich, aber auf der Sklerose
garnicht gefühlt wird, da dessenungeachtet
dieselbe Stromintensität bei allmählicher
Belebung der Sklerose nach und nach zur
Sensation gelangt. Würde man die Irrita-
tion durch Steigerung der Stromintensität
überstürzen, so würden wir statt der Hei-
lung und Auflösung der Sklerose höchstens
eine Inflammation der Induration und ins-
besondere ihrer nächsten Umgebung zu
Wege bringen. — Gutta cavat lapidem non
vi sed saepe cadendol — Ein gerade hier
bei der elektrischen Behandlung und Auf-
I
^0mW^^9 1 Clemem, HeUang und Sehwimd der syphilltitcheo Sklerotli dureh elektr. Ström«.
563
lösuDg der Sklerose sehr zu beherzigender
Wahlspruch, den man sich wahrend der
ganzen Cur t&glioh wiederholen muss. —
Diese directe Knopfelektrode isolirt man am
besten, indem man den Messingdraht durch
eine starke Glasröhre mit zwei Korkstopfen
fuhrt, damit der Patient diese directe Elek-
trode gleich allen übrigen selbst fuhren und
halten kann, während die andere Hand, ein-
fach mit einem Handschuh bekleidet, die
Genitalien in der nothigen Richtung unter-
stützt. Diese directen Sitzungen gebe ich
gewohnlich 10 — 20 Minuten tind lasse bei
Inguinalindurationen dann noch eine Sitzung
(als zweite Abtheilung dieser zweiten Sitzung)
sogleich folgen. Die fühlbare Drüsen-Skle-
rose der Inguinalgegend wird gleichfalls
mit einer in Jodsalzlosung getränkten Gom-
presse bedeckt und die Knopfelektrode
(55 cm lang) mittelst eines Stativs fest auf
die Bubonen gedrückt. Bei diesen Inguinal-
Elektroden muss der flache Messingknopf
wenigstens 2 cm breit sein, während die
ganze Inguinal-Elektrode genau so wie die
kleine Sklerosen -Elektrode construirt ist,
nur mit dem Unterschied, dass diese In-
guinal-Elektrode, um Yon dem Stativ fest-
gehalten zu werden, eine Länge Ton wenig-
stens 55 cm haben muss. Während der
ganzen zweiten Abtheilung dieser zweiten
Sitzung, die zwanzig Minuten dauert^ muss
das Stativ, welches diese Inguinal-Elektrode
hält, den Messingknopf fest gegen die Com-
presse des Bubo drücken. Nach Yollendeter
zweiter Abtheilung dieser Sitzung wird die
feuchte Compresse von dem Bubo entfernt,
während der Penis wieder mit den feuchten
Jodsalzcompressen umwickelt und wie nach
der ersten Sitzung verbunden wird. Die
dritte Sitzung ist gleich wie die erste, nur
mit dem Unterschied, dass statt des ein-
fachen Metallcylinders jener mit der Spirale
genommen wird. Die Drahtspirale, welche
auf das Strengste von dem Metallcylinder
isolirt, den ganzen Metallcylinder umgiebt,
wirkt, in den faradischen Strom geschlossen
(gleich wie bei der ersten Sitzung) auf jeden
Punkt des ganzen Penis und bleibt 15 — 20
Minuten in Wirkung. Da aber hier dem
faradischen Strom ein sehr bedeutender
Widerstand entgegengesetzt wird, kann die
Stromintensität des Schlittenapparats so viel
gesteigert werden, dass Patient ein leichtes
Stromgefühl im Penis verspürt. In Fällen,
wo wir es mit bedeutenden Indurationen
der Lympbstränge des Penis zu thun haben,
nehme ich gewohnlich stärkere Penisspiralen,
welche einfach dadurch hergestellt werden,
dass statt einer Drahtlage zwei, drei und
sechs Lagen Draht auf den Metallcylinder
gewickelt werden. Diese verstärkten Hohl-
spiralen nähern sich alsdann in gewissen
Beziehungen dem beschriebenen Hohlmagne-
ten für den Penis, welchen ich namentlich
in schlimmsten und veralteten Fällen gegen
die Sklerose anwende. In einem solchen
Fall wird der Penis in den Hohlmagneten
gesteckt und, je nach der gewünschten Wir-
kung, der Strom durch eine galvanische
Batterie von 2 — 6 Elementen geschlossen,
so dass nun der Penis in einem starken
Elektromagneten steckt, worauf der mittlere
Pol des Elektromagneten nebst der Nacken-
platte mit dem faradisohen Strom verbunden
wird. Während einer solchen Sitzung wird
der galvanische Strom, der den Elektro-
magnetismus erzeugt, 5 — 6 mal unterbrochen,
indem der elektromagnetische Strom und
Stoss^) in statu nascente am stärksten
wirkt. Diese elektromagnetischen Ladungen
und Stosse des ganzen Penis haben eine
ganz speciflsche moleculare Wirkung und
bringen, auch nur von Zeit zu Zeit ange-
wandt, die Heilung und Lösung hartnäckig-
ster Sklerosen schneller in Gung. — Bei
dieser Gelegenheit ist es nothwendig, dass
ich auf die allgemeine Wirkung der La-
dungen des ganzen Körpers aufmerksam
mache, indem ein bereits unter dem Ein-
fluss einer allgemeinen Elektrisation oder
Faradisation stehender ganzer Organismus,
gleichzeitig local behandelt, selbstverständ-
lich ganz andere Reactionserscheinungen
darbietet, als wenn wir einzig und allein
eine rein locale elektrische Behandlung aus-
führen, bei welch letzterer Methode eine all-
gemeine Wirkung auf das Hautsystem (elek-
trische kritische Exantheme) niemals beob-
achtet werden. — Diese in meiner yierzig-
jährigen heilelektrischen Praxis häufig von
mir beobachteten kritischen Ausschläge und
sogar geschwürigen Processe (Furunculosis
und Carbunkel), welqhe sich im Yerlaufe
häufiger Ladungen des ganzen Körpers für
Heilungen der verschiedensten Krankheiten
höchst erfolgreich ausbildeten, habe ich
'*) Siehe mein Werk „üeber die Heilwirkungen
der Elektricität und deren erfolgreiche methodische
Anwendung in verschiedenen Krankheiten von Dr.
Theodor Clemens in Frankfurt am Main. Ver-
lag von Franz Benjamin Auffarth, Frankfurt
am Main. 1876—1879. Pag. 693". Der elektro-
magnetische Stoss nnd Strom mit zwei Elektro-
magneten. Der constante magnetische Strom und
der elektromagnetische Stoss.
Desgleichen mein Schriftchen : „Die Elektricität
als Heilmittel**. Ein Wort zur Aufklärung und
zum Yerständniss elektrischer Curen und elektri-
scher Heilapparate von Dr. Theodor Clemens
in Frankfurt am Main. Verlag von Franz Ben-
jamin Auffarth in Frankfurt am Main. 1882.
Pag. 61. Die magnetischen und elektromagnetischen
Ströme als Heilmittel.
IV
5G4 Cl«m«n8, HeUung und Schwund der ayphilltitchea Sklerosis durch elektr. StrSme. [^^luS^rt^
1
ebenso in vielen Fällen von inveterirter und
Constitution eil er Sypbilis in den verschie-
densten und cbarakteristischsten Formen
entstellen sehen, so dass ich auf diese
ebenso interessante, als bisher noch gänzlich
unbekannte Wirkung fortgesetzter elektri-
scher Ladungen des ganzen Körpers auf-
merksam machen muss. Diese mit meinen
Spiralenbatterien ^^) polar ausgeführten und
beschriebenen Ladungen des ganzen Körpers
äussern zwar eine höchst energische Wir-
kung auf das Hautneryensystem, sind aber
bei Behandlung der Sklerosis nach meiner
Methode, wie mich zahlreiche Erfahrungen
und Vergleiche gelehrt haben, durchaus
nicht unbedingt nothwendig, obgleich bei
deren Anwendung die Wirkung beschleunigt
und die Curdauer abgekürzt werden kann.
Die Oefifnungs- und Schliessungs-Erschütte-
rung ist bei dieser meiner Spiralenbatterie
wohl das mächtigste Erregungsmittel ^),
welches die ganze Elektrotherapie aufzu-
weisen hat und wurde von mir zur Zerthei-
lung kalter Geschwülste, arthritischer Au-
ky losen etc. intercurrirend mit Erfolg ange-
wandt. — Sollte bei veralteten und miss-
handelten Indurationen eine yierte elektrische
Sitzung an einem Tage nothwendig werden,
so wird der mit der Spirale umwundene
Hohlcylinder für den Penis zweimal ange-
wandt imd diese Sitzung yon 20 Minuten
bis zu einer halben Stunde yerlängert, wo-
bei darauf zu achten ist, dass bei solchen
verlängerten Spiralensitzungen die den Penis
umhüllenden Leinwandstreifen sehr reichlich
mit meiner Jodsalzlösung vor der Sitzung
durchtränkt worden sind, damit der Penis
bei länger dauernden Sitzungen nicht trocken
wird. Nach beendigter Sitzimg muss der
liegen bleibende Verband mit einem Haar-
pinsel, bevor mit Gutta-Percha verbunden
wird, abermals mit meiner Jodsalzlösung
reichlich durchfeuchtet werden. In dieser
^) Siehe mein citirtes Werk „Ueber die Heil-
wirkungen der Elektricität". Physikalische Ab-
theilung, Pag. 720. Meine Spiralen-Batterio (Tafel
Vb und Taßl Villa). Ebenso in meinem Schrift-
chen „Die Elektricität als Heilmittel. Ein Wort
zur Aufklärung und zum Verständniss elektrischer
Curen und elektrischer Heilapparate. Frankfurt
am Main. Verlag von Franz Benjamin Anf-
farth 1882. Pag. 28". Meine Spiralen - Batterie.
^ Der neae Indactionsapparat von Dr. E.
Tiegel in New- York (New-Iorker medicinische
Presse, März 1886; mit eingehender Sachkenntniss
construirt und die Mängel der gewöhnlichen Schlit-
tenapparate erkennend, bietet, wie kein anderer
eine gleichmässige Wirkung der Stromschwan-
kungen, erreicht aber bei Weitem nicht die Wir-
kung meiner Spiralen-Batterien. Das Hin- nnd
Herzerren ungleicher Inductionsströme vermeide
ich bei dem Schlittenapparat durch geringe Ströme,
die dann am gleichartigsten fliessen.
Weise werden nun in derselben Reihenfolge
täglich 3 (oder 4) Sitzungen gegeben und,
ohne je auszusetzen, damit fortgefahren, bis
alle Sklerosen gänzlich verschw^unden sind,
was selbst in schweren Fällen gewöhnlich
nach 6 — 7 Wochen der Fall ist. In jenem
mit Herrn Sanitätsrath Dr. Knoblauch ge-
meinschaftlich behandelten schweren Fall
waren 224 Sitzungen zur Vollendung der
Cur nothwendig gewesen. — Die Zahl der
nothwendigen Sitzungen wird manchem Le-
ser als eine Schwierigkeit solcher Curen er-
scheinen, doch gebe ich zu bedenken, dass
eine wirkliche Heilung eines so schwer zu
beseitigenden Uebels oft genug mit Jahre
langen (dem Organismus gefährlichen) Curen
ganz vergebens angestrebt wird. — Nicht
selten geschieht es bei meiner elektrischen
Heilmethode, dass die Sklerosen in den
ersten vierzehn Tagen scheinbar sich gar-
nicht yerändem und würde in einem solchen
Fall sowohl Arzt als auch der Patient die
Cur als hoffnungslos aufgeben oder, um
einen Effect zu erzwingen, zu stärkeren
Strömen übergehen. Man soll sich aber in
solchen Fällen durchaus nicht irre machen
lassen, auf keinen Fall die Intensität der
Ströme erhöhen oder gar verdoppeln, hier
wohl das Schlimmste, das gethan werden
könnte, indem alsdann die ganze Cur aus-
sichtslos verdorben ist. üeberhaupt ist
während der ganzen Cur jede üeberreizung
der Sklerosen zu yermeiden, wobei nicht in
vergessen ist, dass faradische Ströme, welche
auf der Haut kaum gefühlt und sehr oft
anfangs auf den Sklerosen gar nicht em-
pfunden werden, zur gänzlichen Schmelzung
der Indurationen vollkommen genügen. Ein
Umstand, auf den nicht genug aufmerksam
zu machen ist, weil ja hierdurch die Art
und Weise, die Wirkung (welche nur allein
in der leisen Bebung zu suchen ist) sich
deutlich charakt^risirt. Imbibition und mo-
leculare Oscillation bilden bei meiner elek-
trischen Heilmethode der Sklerosen die bei-
den wichtigsten Heilmomente. — Ich glaube
keine unhaltbare Hypothese aufzustellen,
wenn ich behaupte, dass im lebenden Or-
ganismus alles in beständig lebender Bewe-
gung ist. Was wir in der Flimmerbewe-
gung, in dem Oscilliren^) der Pigmentköm-
^) Dr. Scheurlen (Assistenzarzt der I. med
Klinik des Geh.-Rath Prof. Dr. Leyden in Berlin):
Die Aetiologie des Oarcinoms. Vortrag, gehalten
im Verein für innere Medicin. Sitzung vom 28. No-
vember 1887. Officielles Protocoll. (Publicirt in
der Deutschen medicin. Wochenschrift.) bemerkt
an den von ihm zuerst entdeckten Erebskörperdien
(Sporen) bei starker Verfrösserung und aufmerk-
samer Betrachtung deutUche Bewegung — ob
Eigenbewegung oder Molecalarbewegung, will d«r
^emä?i8& ] Clemens, Heilung und Schwund der Byphiimaehen Sklerotii durch elektr. Ströme.
565
eben, in der so lebhaften Bewegung der
Samenfäden etc. beobacbten, ist gewiss
eine Lebenstbätigkeit, die sieb im lebenden
Organismus Ton keiner Zelle und Ton keiner
Molecüle trennen lässt. Oder können wir
uns etwa die beständige Mauserung des le-
benden Organismus, das Geben und Ver-
scbwinden der alten und das Kommen und
Ergänzen der neuen Zellen, obne Leben und
Bewegung vorstellen? — Gewiss nicht. Und
wenn pathologisch , d. h. durch einen ge-
Entdecker dieser Ejrebskörperchen (Krebssporen)
dahingestellt sein lassen. — Die Zukunft wird die-
sen Bewegungen, Oscillationen, überhaupt aber der
Beweglichkeit dieser elementaren Formen gewiss
noch eine grössere Aufmerksamkeit zollen nnd die
Frage beleuchten, was geschieht, wenn diese ele-
mentare Beweglichkeit der normalen Molecaie pa-
thologisch gestört wird oder ganz aufhört?
störten Lebensprocess die alte abgelebte
Zelle nicht gehen kann und die neuen Zellen
yerbildet sich zwischen die nicht weichen-
den alten Zellen drängen, was entsteht
dann? Ist dies cellularpathologisch viel-
leicht dann jener Vorgang, den wir Wuche-
rung nennen? — "Wie es heute keine Pa-
thologie mehr giebt ohne Mikroskop und ohne
Naturgeschichte der Zelle, so giebt es auch
heute keine Lebenskraft mehr obne Physik
und Elektricität. Heute ist die Medicin
eine Wissenschaft, welche durch die reelle
Naturforschung eine neue Welt entdeckt
bat, eine Welt, die das lautere Gold mensch-
licher Weisheit und wissenschaftlicher Wahr-
heit dem emsigen Forscher zu bieten ver-
spricht. — Glück auf!
Nenere Arzneimittel.
Ueber die Wirkungr des Chloralamid aiif
Kreislauf und Athmungr*
Von
J. V. Mering und N. Zuntz.
Die bisherigen experimentellen und klini-
schen Erfahrungen lassen das Chloralamid
als ein Hypnoticum erscheinen, welches einer-
seits mit ähnlich grosser Sicherheit wie
Chloralhydrat Schlaf erzeugt, andererseits
die gefürchteten Nebenwirkungen dieses sonst
so Yorzüglichen Schlafmittels auf die Cen-
tren der Blutbewegung und Athmung nicht
besitzt.
£ny hat gefunden, dass Chloralamid in
einer Gabe, welche Schlaf hervorruft, ja
selbst die Reflex erregbarkeit fast aufhebt,
den Blutdruck nur sehr wenig herabsetzt,
anscheinend nicht viel mehr, als dies auch
der physiologische Schlaf thut*). Eine Ver-
gleichung mit der entsprechenden Menge
Chloralhydrat ergab, dass diese eine ungleich
stärkere Schädigung des Kreislaufs bewirkt.
— Dementsprechend lauten die Unter-
suchungen des Blutdrucks und des Puls-
charakters, welche Dr. E. Reich mann in
*) lieber die Veränderung, welche Puls- und
Blutdruck beim gesunden Menschen im Schlaf er-
leiden, vergleiche Mos so, Diagnostik des Pulses,
Leipzig 1879 pag. 12, und Mos so, Ueber den
Kreislauf des Blutes im menschlichen Gehirn 1881.
der Riege loschen Klinik ausführte. — Der
beim Menschen mit Hilfe des v. Basch'-
schen Sphygmomanometer gemessene Blut-
druck ergab keine wesentliche Aenderuog
nach Chloralamid, auch der Charakter der
Pulswelle blieb unverändert, während die-
selbe nach Chloralhydrat deutlich die Zeichen
verminderter Gefässspannung zeigte. (Vergl.
die schonen Curven von Reich mann, Deutsch,
med. Wochenschrift 1889 No. 31.)
Blutdruck versuche, welche von Halasz
(Wiener med. Wochenschrift 1889 No. 38
u. 39) im Institute Prof. Strick er 's aus-
geführt wurden, ergaben „mit voller Be-
stimmtheit, dass die Circulation durch Chlo-
ralamid nicht schädlich beeinflusst wird.^
Die practischen Consequenzen aus diesem
Verhalten des Blutdrucks und der Herz-
thätigkeit sind denn auch schon von meh-
reren Klinikern gezogen worden, sie haben
das Chloralamid schlaflosen Herzkranken,
zum Theil solchen mit ausgesprochener Com-
pensationsstörung verabreicht und wie die
Mittheilungen von Reichmann, von Lettow,
sowie von Haldsz, Hagen und Hüfler
lehren, mit sehr gutem Erfolg. — Halasz
sagt am Schlüsse seiner oben angeführten
Mittheilung: „das Chloralamid übt keinen
schädlichen Einfluss auf das Herz und
die Circulation aus und kann deshalb un-
besorgt bei Herzfehlern, Schwäche zuständen
und Arhythmie des Herzens gegeben werden."
Demgemäss muss es überraschen, dass
566
V. Mcringu. Zuntz, Wirkung des Chloralamid auf Kreislauf und Athmung. [^"J^^SSia *
A. Langgaard (Therap. Monatsh. 1889
S. 46l)auf Grund seiner erneuten Experimente
vor der Anwendung des Chloralamid, dessen
Brauchbarkeit er im Uebrigen vollauf aner-
kennt, bei Herzkrankheiten warnen zu müssen
glaubt, weil es eine starke Herabsetzung
der Gefassspannung bewirke, während die
Herzthätigkeit auch in seinen Versuchen
eine energische blieb. — Als Stütze seiner
Behauptung theilt Langgaard die Ergebnisse
zweier mit Hilfe des neuen Hü rtl ersehen
Gummimanometers angestellter Versuche mit.
— Wir können die Beweiskraft dieser
Versuche nicht anerkennen und zwar in
erster Linie deshalb nicht, weil Control-
versuche mit anderen Narcoticis in ent-
sprechender Dosis fehlen. Schon der phy-
siologische Schlaf setzt den Blutdruck herab.
Eine massige Herabminderung des Blutdrucks
durch ein Schlafmittel ist also ohne Be-
deutung und die Ermittlung des für Herz-
kranke am meisten geeigneten Mittels ist
nur möglich, wenn man unter Einhaltung
möglichst identischer Bedingungen
die in Frage kommenden Mittel vergleicht.
— Während nun aber alle bisherigen Er^
fahrungen über die Beziehungen der Schlaf-
mittel zum Blutdruck am Quecksilber-
manometer, welches bekanntlich die Grosse
der pulsatorischen Schwankungen viel zu
klein, den Mitteldruck aber richtig angiebt,
gesammelt wurden, benutzt Langgaard für
seine Untersuchung den Hürtl ersehen Appa-
rat, bei dem in Folge der grossen Fulswelien,
welche er zeichnet, der Mitteldruck nur
durch sorgfaltige Integrirung der Curve er-
mittelt werden kann. Er hätte, um seine
Resultate beweiskräftig zu machen, Parallel-
versuche mit anderen Schlafmitteln, etwa
mit Chloralhydrat ausführen müssen.
Wir haben nun, um zu prüfen, ob die
Angaben Langgaard^s oder die der anderen
oben citirten Autoren zu Recht bestehen,
eine Anzahl Bestimmungen des Blutdrucks
nach Chloralamid ausgeführt. Wir bedienten
uns dabei absichtlich des alten Quecksilber-
manometers, weil die mit seiner Hilfe ge-
wonnenen Angaben des Mitteldrucks ohne
Weiteres mit denen aller früheren Autoren
verglichen werden können. Wir geben die
Versuche der üebersichtlichkeit halber in
der Weise, dass wir den Blutdruck in der
Narkose nicht in absoluten Werthen, son-
dern in Procenten des vor der Einverleibung
des Medicaments beobachteten Normalwerthes
angeben. — Da der absolute Blutdruck bei
normalen Kaninchen nicht allzuweit von
dem Werth von 100 mm Quecksilber ab-
zuweichen pflegt, ändert diese Umrechnung
die Zahlen nicht erheblich, sie hat aber den
Vortheil, die Berechnung von Mittel werthen
zu ermöglichen. — Die erste Columne der
folgenden Tabelle giebt die Nummer des
Versuchs, die folgenden Columnen den Pro-
centwerth des Blutdrucks zu der in der
Ueberschrift genannten Minute nach Ein-
verleibung des Medicaments.
At Ohloralamid per os.
5'
10'
15'
20'
30'
40'
50'
60'
70*80'
90'
100'
120'
I
98
93
84
77
78
74
77
77
78
77
78
n
97
—
82
—
65
64
—
58
—
55
—
54
55
III
—
—
—
96
108108
96
—
126
.—
120
mb
100 1041106
94
85
82
78
—
—
—
—
IV
100
92
~—
90
88
86
—
88
>—
91
85
—
V
83
80
87
87
90
92
96
87
83
83
83
—
M
96
92
9^90
86
86
86
74 83
72
94 72
87
B« Chloralamid IntravenOs.
VI
95
II
94
lU
91
95
IV
8^
V
90
0. Chloralhydrat per os.
VU
VIII
TX
95
94
95
80
82
72
62
75
68
68
68
54
59
64
43
63
55
52
^"^^
61
48
M
95
81
7(^68
60
64
—
53
—
—
—
—
—
In Bezug auf die verabreichten Dosen und die
Intensität der Narkose ist folgendes zu bemerken:
I 0,952 g pr.k; nach 9 Min. Schlaf, nach 12 Min.
kein Comea-
reflez mehr.
II 0,818- - - - 6 - - nach 16 Min.
Keflexe mi-
nimal,
in 0,905- - - - 12 - - träge Reflexe
bleiben,
nib Das vorige Kaninchen erhält nach 27) Stun-
den nochmals 0,38 g pr. k, nach 5 Min. wie-
der Schlaf und träge Reaction, die Reflexe
schwinden auch jetzt nicht völlig.
IV 0,960g pr.k; nach 25 Min. kein Reflex mehr
durch Drücken der Zehen, nach
42' auch nicht von Cornea resp.
Conjnnctiva.
V 1,052 - - - nach 10 Min. keine Reaction
von den Zehen, nach 15 Min.
auch nicht mehr von der Cornea.
VI Die kleinen römischen Zahlen nnter den
Blutdruckwerthen besagen, wie viel Injec-
tionen von je 0,05 g Chloralamid in 5 proc
Lösung in die Jugularvene gemacht sind.
Im Ganzen wurden also 0,25 g pr. k inji-
cirt; nach 15 Min., das heisst nach der 3.
Injection, war volle Reactionslosigkeit einge-
treten.
VII 0,694g Chloralhydrat pr.k; nach 12 Minu-
ten kein Reflex von der Cornea, nach
20 Min. auch keiner mehr von der
Conjuncüva.
VIII 0,612 - pr. k; nach 7 Min. Schlaf; erst nach
50 Min. reactionslos.
IX 0,640- pr.k; nach 15 Min. Comeareflex ge-
schwunden, nach 30 Min. wieder vor-
handen.
in Jftbrgaiiff. 1
Deoember 1889 J
V. Mering u.Zuntz, Wirkung de« Chloralamid auf Krelslaur und Athmung.
567
Im Durchschnitt wurden pro Kilo Thier
vom Chloralhydrat 0,649 g, vom Chloralamid
0,937 g verabreicht. Der Chloralgehalt der
beiden Verbindungen ist 89 resp. 77 °/o. —
Hätten ^ir in beiden Reihen gleiche Mengen
Chloral zuführen wollen, so hätten wir also
äquivalent mit 0,649 g Chloralhydrat im
Mittel, 0,745 g Chloralamid geben müssen.
Wir wählten absichtlich eine höhere Dosis;
so ist denn die günstigere Wirkung des
Chloralamid auf den Blutdruck a fortiori
bewiesen. Auffallend ist, wie ungleich die
verschiedenen Thiere auf gleiche Dosen der
Narcotica reagiren. Während bei No. III
ein Sinken des Blutdruckes nach Chloralamid
überhaupt nicht zu Stande kommt, ist bei
No. II dies Sinken bedeutend, entsprechend
etwa dem von Langgaard beobachteten . Wir
sind deshalb geneigt anzunehmen, dass dieser
Forscher durch eine zuweilen vorkommende
grossere Empfindlichkeit der Kaninchen gegen
das Mittel getäuscht wurde. Noch ein anderer
Umstand hat aber wahrscheinlich den Abfall
in seinem Versuche zu hoch erscheinen lassen.
Es scheint nämlich, als sei der Normaldruck
von ihm zufällig zu hoch gefunden worden.
Wir fanden fast nie einen nennenswerthen
Abfall des Druckes in den ersten 5 Minuten
nach Einführung des Mittels; Langgaard
findet dagegen nach 5 Minuten einen Abfall des
Minimaldruckes von llOnmi auf 80 mm; im
ganzen weiteren Versuche Hlllt er dann nur
noch von 80 mm bis auf 63 mm, also um einen
geringen, mit unseren Erfahrungen harmoniren-
den Werth. — Der zweite Versuch von
Langgaard entzieht sich der Erörterung, da
keine Dosirung angegeben ist. Selbstver-
ständlich wird es eine Grösse der Dosis
geben, bei welcher der Blutdruck in be-
denklicher Weise abfallt, wir haben aber
nicht nur Schlaf, sondern vollständige
Anästhesie erreicht, ohne dass ein
solcher Abfall zu Stande kam.
Der Unterschied in der Wirkung auf
den Blutdruck zwischen Chloralamid und
Chloralhydrat tritt namentlich bei Betrach-
tung der Mittelwerthe klar zu Tage. Die
narkotische Wirkung trat zwar nach Chloral-
hydrat schneller ein, war aber, entsprechend
der relativ kleineren Dosis, auch schneller
vorüber.
Nachdem wir gefunden haben, dass bei
Kaninchen individuelle Schwankungen in der
Wirkung der Narcotica auf den Blutdruck
vorkommen, könnte es Bedenken erregen,
dass wir nur 3 Versuche mit Chloralhydrat
angestellt haben. Wir durften uns aber mit
dieser geringen Zahl begnügen, weil in der
Litteratur eine ganze Reihe von Versuchen
vorliegen, in denen gleiche und zum Theil
sogar kleinere Dosen den Blutdruck um
50 ®/o und mehr erniedrigten (vgl. die Unter-
suchung des einen von uns über Chloral-
hydrat und Crotonchloralhydrat, Arch. f. exp.
PathoL und Pharmakol. III. S. 191 ff.), ferner
die Versuche von Cervello, ibid. 16. S.
283 : 0,51 g pro Kilo senkten den Blut-
druck von 115 mm auf 66 mm, ferner 0,73 g
pro Kilo von 110 mm bis auf 31 mm. —
Schmiedeberg fasst ibid. Bd. 20 S. 210
seine Erfahrungen dahin zusammen, dass
schon nach 0,5 g Chloralhydrat bei Kanin-
chen der Blutdruck in der Regel auf mehr
als die Hälfte des normalen herabgeht.
Wir dürfen nunmehr kühn behaupten,
dass die experimentelle Untersuchung in
vollem Einklänge mit den Eingangs citirten
klinischen Erfahrungen dazu ermuntert, das
Chloralamid auch in solchen Krankheitsfällen
noch anzuwenden, in welchen das Chloral-
hydrat wegen seiner Wirkung auf die
Herzthätigkeit und den Blutdruck ausge-
schlossen ist.
Nun soll aber das Chloralamid nach
Langgaard auch das Athemcentrum schädi-
gen ; er zieht diesen Schluss aus der erheblichen
Abnahme der Athemgrösse eines Kaninchens,
welches pro Kilo 1 g Chloralamid erhalten
hatte. Das ausgeathmete Luftquantum sank
bei einem Kaninchen nach 1 g Chloralamid
pro Kilo Thier in der ersten halben Stunde
um 19%, in der zweiten um 39,5%. Be-
weist aber ein solches Sinken eine Schädi-
gung oder auch nur eine Abschwächung des
Athemcentrums? Die Athemthätigkeit hängt
ausser von der Erregbarkeit des Centrums
von der Grösse der Reize ab, welche auf
dasselbe einwirken. Die Reize aber sind,
wie bekannt, solange Sauerstoffmangel nicht
in Frage kommt, Kohlensäure und andere
Stoffwechselproducte. Nun sinkt die Kohlen-
säurebildung beispielsweise im natürlichen
Schlaf des Menschen gegen den Ruhezustand
um 22% (Voit in Hermann^s Handbuch
der Physich VI 1. p. 205); dazu kommt,
dass im wachen Zustande die Athmung durch
die mannigfachsten sensorischen und psychi-
schen Einwirkungen fortwährend angeregt
und über die durch den Blutreiz bedingte
Grösse erheblich gesteigert wird. (Mosso^s
Luxusathmung, vgl. du Bois-Reymond^s
Archiv 1886 Suppl. S. 42.) Der Wegfall
der Reize allein erklärt also zur Ge-
nüge den Abfall der Athmung, welchen
Langgaard beobachtet hat. — Wir
können die Richtigkeit dieser Schlussfolge-
rung aber auch experimentell beweisen. — Wir
beobachteten mehrfach zu anderen Zwecken
stundenlang die Athemgrösse eines sehr in-
telligenten Pudels, welcher gelernt hatte,
5ß8
Liebreich, Ueber ChloralsubBtitutiontmittel.
rlier&pmtbdie
Monatiihftft«.
beim Athmen durch eine Scbnauzenkappe
Tollkommen rubig zu liegen; dabei kam es
zuweilen vor, dass das Tbier einscblief.
Dann sank regelmässig die Atbemgrosse unter
den Ruhewertb, wie folgende Zahlen, welche
die Atbemgrosse per Minute in 100 ccm an-
geben, beweisen:
1) absolute Ruhe wach: 33, 33, 30, 30,
30, 30.
2) - - schläft: 22, 22, 23, 22,
25, 22.
3) - - erwacht: 29, 38 (Heben
des Kopfes), 36,
32, 30.
Hier hat also der physiologische Schlaf
einen Abfall der Atbemgrosse um mehr als
30**/o bewirkt, d. h. um etwa ebenso viel,
wie der durch Chloralamid herbeigeführte
Schlaf bei Langgaard's Kaninchen. Von
einer Schädigung des Athemcentrums
durch Chloralamid kann demgemäss
in letzterem Falle keine Rede sein.
Ueber Chloralsubstltutiousmittel.
Von
Prof. Oscar Liebreich.
Es sind in neuerer Zeit eine Reihe von
Substitiitionsmitteln für das ChJoralhy-
drat empfohlen worden. Einige von diesen
sind unbrauchbar, zum wenigsten liegt kein
Grund vor, dieselben in die Therapie ein-
zuführen^ wie das Ural und Chloralam-
monium. Es ist auch eine Substanz em-
pfohlen worden, welche mit dem Namen
Somnal bezeichnet worden ist. Während die
ersteren Korper chemische Verbindungen sind,
ist das letztere ein unklares, in seiner
Zusammensetzung unerkanntes Ge-
menge.
Es ist wunderbar, wie manche Aerzte
sich durch einen verführerischen Namen be-
stimmen lassen, Gemenge von Chloralhy-
drat mit beliebigen Substanzen zu verschrei-
ben und auf diese Weise dem Geheimmittel-
betriebe unbewusst Vorschub zu leisten.
Ueber das Chi oral formamid sind da-
gegen die practischen Resultate derart zufrie-
denstellend, dass man diese Substanz in die
Kategorie der brauchbaren Schlafmittel ein-
reihen muss. Man wird sich, wie die wei-
tere Entwickelung der wissenschaftlichen
Untersuchung ergeben wird, aber dahin
einigen müssen, dass bei Verbindungen von
Chloralhydrat mit indifferenten Compo-
nenten die Wirkung immer bei der Spaltung
im Organismus auf das Chi oral zurückzu-
führen sein wird, wenn auch Unterschiede
in der practischen Anwendung sich ergeben. —
Anders verhält sich die Sache, wenn
sehr differente Korper, wie die Blau-
säure sich mit dem Chloralhydrat verbin-
den. Wie aus einer Untersuchung des
hiesigen pharmakologischen Instituts hervor-
geht^), kommt hier die Blausäurewirkung zur
Geltung, so dass eine Chi oral Wirkung nicht
zur Beobachtung gelangen kann.
') Otto Hermes, das Chloralcyanhydrat als
Ersatz für Aqua AmjgdaW. amar. Diss. inang.
Berlin 1887.
Therapentische Mittheilungen ans Vereinen.
Ueber die 6a. Versammlung der deutschen Natur-
forscher und Aerzte zu Heidelberg. Von Dr.
J. Pauly in Nervi bei Genua. (Originalbericht.)
[Fortteizung.]
Auf die Genese der Degeneration der
Ilinterstränge des Rückenmarks werfen
die bedeutsamen Untersuchungen Prof. Licht-
heim's (Königsberg) Licht. Hatte L. bei
perniciösen Anämien diese Degeneration be-
reits gefunden, so hat jetzt sein Schüler,
Cand. med. Minnich, auf seine Veranlassung
erweiterte Untersuchungen angestellt, aus
denen hier nur betont werden soll, dass M.
in drei Fällen von schwerem Icterus
ähnliche Veränderungen gefunden hat und
dass L. sich besonders bei Diabetes mel-
litus positive Befunde verspricht. Er fasst
diese Veränderungen als toxische auf d. h.
Folge von Autointoxication. Die Therapie
wird aus diesen Forschungen besondere An-
regung ziehen.
Prof. Strümpell (Erlangen) sprach in
der Abtheilung im Psychiatrie und Neuro-
logie über die Beziehungen zwischen
der Syphilis und Tabes dorsalis. Er
vergleicht letztere mit der „grossen Gruppe
Decemher 1889. J
Thevttpeuüiehe MlttheUung^en aut Vereinen.
569
der nervösen Nachkrankheiten nach Infec-
tionen der verschiedensten Art", den secun-
daren Degenerationen bestimmter Gebiete
des Nervensystems nach Diphtherie, Typhus,
Dysenterie u. a. Auch in den degenerirten
Nerven nach postdiphtherischen oder post-
typhösen Lähmungen sei nichts von crou-
pöser Entzündung oder typhöser Neubildung
zu finden. Bei chronischen Infectionskrank-
heiten, so besonders bei der Tuberculose,
seien ausgedehnte Degenerationen in den
peripherischen Nerven schon oft nach ge-
priesen. Tabes sei eine nervöse Nachkrank-
heit der Lues, wie Ataxie eine häufige der
Diphtherie, v^ahrscheinlich in Folge stetig
sich bildender kleiner Mengen chemischer
Gifte. Die Vermittlung durch Gefässverän-
derungen brauchten wir nicht. — Die Tabes
und Paralyse sind mit einander verwandt,
gewissermaassen nur yerschiedene Localisa-
tionen desselben Krankheitsprocesses.
Aus der sehr interessanten Discussion
heben wir hier hervor, dass Prof. Schnitze
(Bonn) betont, die diphtherische Lähmung
wie die Ergotintabes sind regressiv, die
wahre Tabes progressiv. Gegen eine „ein-
fache Analogie zwischen Tabes und Paralyse"
sprechen sich Schule, Mendel, Tuczeck
und Fürstner aus. Von MendeTs Ausfüh-
rungen sei noch besonders erwähnt, dass er
„syphilitische Hirnerkrankungen von pro-
gressiver Paralyse, nicht aber syphilitische
und nicht syphilitische progressive Paralyse
unterscheide".
Aus dem Vortrage Hofrath Fürstner's
(Heidelberg) über das Verhalten des Kör-
pergewichts bei Psychosen, der eine
Fülle sorgfaltig gesammelten Materiales bot,
sei hier nur erwähnt, dass er bei organischen
Psychosen (zu diesen rechnet er auch die
periodischen , circulären , epileptischen)
Schwankungen von aussergewöhnlicher Stärke
beobachtet hat, so Abnahme von 5 bis
8 Pfund innerhalb 24 Stunden, 10 bis
13 Pfund innerhalb weniger Tage. Dabei
zeigen Nahrungsaufnahme und -abgäbe keine
wesentlichen Veränderungen. Der Abstieg
ist oft unmittelbar vor dem Einzelanfall zu
constatiren, besonders bei täglichen Wägun-
gen. F. macht dafür wie für die dabei oft
gesteigerte Albuminurie und Temperatur-
steigerung direct cerebrale Vorgänge yerant-
w ortlich.
Schmidt (Wiesbaden) tritt für das Co-
dein beiMorphiomanie ein. Es ermöglicht
eine Herabminderung der Morphium -Absti-
nenzerscheinungen bis zur Erträglichkeit.
S. wendet eine 10°/o Lösung von Cod. phos-
phoric. an; die höchste Dose pro die war
3,0 g. Der Vortrag Knoblauches (Heidel-
berg) über Sulfonal Wirkung erschien in ex-
tenso in dieser Zeitschrift (Novemberheft
S. 495).
In der pharmakologischen Abtheilung
brachte werthvolle Mittheilungen über Col-
c hie in Dr. Jacobj (Strassburg).
J. hat sich nach der von Houd6 ange-
gebenen Methode krystallisirtes Colchicin
hergestellt. Die chemische Analyse der von
ihm gewonnenen, völlig farblosen Krystalle,
welche bis 1 cm lang und bis 3 mm dick
waren, ergab, wie dies auch schon Z ei sei
für sein krystallisirtes Colchicin nachge-
wiesen hat, dass dieselben, dem Krystall-
wasser analog, Chloroform gebunden
enthalten. Da J. für sein von Chloroform
befreites Alkaloid den gleichen C- und
H-Gehalt fand, wie Zeisel für das seinige,
und auch hinsichtlich der Reactionen zwi-
schen beiden keine Abweichung zu finden
war, so nimmt J. an, dass sowohl das
von Houdd dargestellte als sein eigenes
Colchicin mit dem von Zeisel eingehend
untersuchten identisch seien.
Bei der Untersuchung der Wirkungen
dieses auskrystallisirten, absolut reinen, chlo-
roformfreien Colchicins war J. in der Lage,
die Annahme Rossbach 's, dass der Tod
bei Colchicin Vergiftung in Folge von Läh-
mung des Athmungscentrums eintrete, sowohl
indirect als direct zu bestätigen. Das Ver-
giftungsbild bei Warmblütern war im All-
gemeinen das Yon Rossbach und Andern
bereits beschriebene. Nach einer von der
Grösse der Dose und Art der Application
unabhängigen Latenzzeit von 1 — 2 Stunden
trat Abgeschlagenheit, Nauseose, sowie mehr
oder weniger heftiges Brechen und Durch-
falle auf. Dann bildete sich sensible und
allmählich aufsteige.nde motorische
Lähmung aus, und die Thiere gingen end-
lich meist ohne Krämpfe unter schnell ab-
nehmender Athemfrequenz zu Grunde. Da
bei sofort angeschlossener Section die Herz-
thätigkeit noch bis 20 Minuten die Ath-
mung überdauerte und Versuche an isolirten
Froschherzen zeigten, dass weder die Puls-
zahl noch das Pulsvolumen und die abso-
lute Herzkraft eine wesentliche Veränderung
erfahren, der Blutdruck vergifteter Warm-
blüter sich aber bis kurz vor dem Tode auf
normaler Höhe erhält, so kann Yon einer
Schädigung des Circulationsapparates,
welche den Tod zu bedingen im Stande
wäre, nach Ansicht von J. nicht die Rede
sein.
Zur Untersuchung der Wirkung des Col-
chicins auf den Darm hat J. das alte Braam-
Houckge est ^ sehe Verfahren dahin abgeän-
dert, dass die Beobachtung der freigelegten
72
570
Tlierftpeutliehe Mlttheilunf«ii aui VeMlnan.
rrhenLpeatlsdbe
L MonauhflftflL
Därme in einem aufrecbtsteb enden mit Glas-
"vvänden yersehenen Blecbkasten, der mit
^ji^lo Kochsalzlösung gefüllt war, Torgenom*
men wurde. Auf diese Weise kamen die
Därme des in senkrechter Stellung befind-
lichen Thieres nie mit der Luft in Berüh-
rung und flottirten frei in der Flüssigkeit.
Dabei aber gestattete diese Yersuchsanord-
nung gegenüber dem alten Verfahren einen
YÖlligen üeberblick über den gesammten
Darmtractus, von dem sogar bei elek-
trischem Licht Momentphotographien
aufgenommen werden konnten. J. war mit
dieser Beobachtungsweise im Stande, zu
constatiren, dass, was bisher bestritten
wurde, antiperistaltische Wellen am
Dickdarm, sowie am untern Theil des Ileum
an sonst gesunden Thieren normaler-
weise auftreten, und dass nach Durchfall
erregenden Mitteln dieselben in erhöhtem
Maasse beobachtet werden können. Die
durch Colohicin bedingten Darmbewegungen,
welche genauer beschrieben werden, führt
J., da durch die Ro s sb ach ^ sehen Unter-
suchungen eine Wirkung auf die Darmge-
fässe, sowie den Vagus und Sympathicus
bereits ausgeschlossen wurde, zurück auf
eine erhöhte sensible Reflexerregbarkeit der
in der Darmwand gelegenen nervösen Appa-
rate. Denn einmal lässt sich die Peristaltik
durch Atropin unterdrücken und kann also
nicht von einer directen Erregung der Mus-
culatur ausgehen, andererseits aber tritt die
Peristaltik auch bei directer Injection des
Giftes in^s Blut, nicht wie nach Muscarin^
gleichzeitig über den ganzen Darm auf, so
dass eine directe Reizung der in der Wand
gelegenen nervösen Apparate angenommen
werden müsste; sondern sie ergreift, yom
Duodenum beginnend und nach abwärts
attaquenweise fortschreitend, vornehmlich
diejenigen Theile des Darms, deren Schleim-
haut, sei es durch Speisereste, sei es durch
Luft und abgesonderten Schleim, eine Rei-
zung erßlhrt. Dass die durch Colchicin am
Darm hervorgerufenen, unter Umständen
sehr heftigen Bewegungen mit ihren Folgen
den Exitus letalis begünstigen können,
leugnet J. nicht, dahingegen hält er es für
unzulässig, den eintretenden Tod direct auf
dieselben zurückzuführen, da auch in zahl-
reichen Fällen, wo die gastroenteritischen
Erscheinungen völlig in den Hintergrund
treten können, wie z. B. bei Kaninchen, der
Tod und zwar nach annähernd der gleichen
Zeit eintritt. Versuche an Muskeln ergaben,
dass dieselben bei der Colchicinvergiftung
eine Veränderung ihrer Function erfahren,
welche derjenigen durch Veratrin sehr ähn-
lich ißt. Die Myogramme zeigten die für
Veratrin charakteristische Nase, sowie ein
oft sehr ausgedehntes Plateau. Auch wurde
beobachtet, dass die Ermüdung des Muskels
bisweilen auffallend schnell eintritt, dass
aber derselbe durch eine kurze Ruhe dann
seine alte Kraft wiedergewinnen kann. Auf
den tödtlichen Ausgang dürften, wie aus
dem Folgenden ersichtlich, diese functionel-
len Veränderungen vielleicht nicht ganz ohne
Einfluss sein. Die Athmung wurde mit
einem neuen von Dr. Dreser construirten,
von J. zu seinem Zweck modificirten Appa-
rat untersucht. Derselbe besteht im We-
sentlichen aus einem graduirten, oben durch
einen Hahn verschliessbaren Cylinder, über
dessen unterer Oeffnung in der Wand ein
nach oben gebogenes Rohr angesetzt ist.
Dieser Gjlinder wird in ein mit Wasser
stets überlaufend gefülltes Becherglas so-
weit eingetaucht, dass gerade die innere
Oeffnung des seitlich abgehenden Rohres
durch den Wasserspiegel abgeschlossen ist.
Darauf wird er durch Aufsaugen des Was-
sers mittelst der oberen Oeffnung gefüllt.
Die in dem Gylinder befindliche Wassersäule
ist durch den Luftdruck äquilibrirt und ein
an das Seitenrohr mittelst Schnauzenkappe
und Ventil angesetztes Thier kann unter
einem Widerstand von 2 mm Wasser in das
Rohr ausathmen. Es zeigte sich bei den
mit dieser Vorrichtung angestellten Ver-
suchen, dass erst etwa eine Stunde vor dem
Tode die Athmung eine erheblichere Verän-
derung erleidet, indem die Zahl der Athem-
züge vermindert, das Volumen des einzelnen
Athemzugs aber vergrössert wird, und zwar
letzteres so bedeutend, dass zunächst das
pro Minute ausgeathmete Luftquantum sich
gleich bleibt. Dann sinkt die Zahl der
Athemzüge immer schneller ab und selbst
die zunehmende Vergrösserung des einzelnen
Athemzuges ist nicht mehr im Stande, eine
Gompensation zu erzielen. Dieses Verhalten
weist darauf hin, dass die Ursache des
schliesslichen Athemstillstandes vornehmlich
auf die mehr und mehr sinkende und end-
lich erlöschende Erregbarkeit des Athmungs-
centrums zu beziehen ist. Ob dabei die leichtere
Ermüdbarkeit der Atbemmusculatur schädi-
gend mitwirken kann, lässt J. unentschieden.
J. schildert dann die Wirkungen des
Colchicins auf das Nervensystem, welche be-
ginnend mit einer peripherischen Lähmung der
Sensibilität, dann übergehend in eine Ton
unten nach oben aufsteigende Lähmung der
motorischen und reflectorischen Centren des
Rückenmarks und der Medulla, endlich auch
das Athmungscentrum ergreift, so dass die
Athmung in der beschriebenen Weise erlischt
und dadurch den Tod bedingt.
m. Jahrgang. 1
I>«cemb«r 1889. J
Thttrmpautliehe MlttheUung«! aut Verelnan«
571
Diesen ErscheinuDgen an Warmblütern
gegenüber, welche bereits nacb Gaben von
1 — 3 mg pr. Kilo auftraten nnd zum Tode
führten, fiel es auf, dass, wenn das gleiche,
ganz reine Colchicin Fröschen unter die
Haut oder in die Vene beigebracht wurde,
dieselben die relativ sehr grosse Dosis von
60 — 80 mg vertrugen, ohne erheblichere
YergiftuDgserscheinuDgen zu zeigen. War
das Colchicin dahingegen, sei es in Folge
ungenügender Reinigung oder durch langes
Stehen an der Luft und im Licht nicht völ-
lig farblos, sondern stärker gelbbraun ge-
färbt, so erzeugten auch an Fröschen schon
kleinere Dosen von 20 — 30 mg ausgespro-
chene Yergiftungserscheinungen, unter denen
krampfhafte Symptome am meisten hervor-
stachen. Aus diesen unreinen Präparaten
gelang es J., einen rothbraunen, harzartigen
amorphen Körper zu isoliren, dessen Koh-
lenstoff- und Wasserstoffgehalt von dem des
Colchicins abweicht und auf eine Formel
hinweist, in welcher 2 Colchicinmolecüle
durch ein Sauerstoffatom verbunden sein
würden. Diese Verbindung, welche auch
aus dem Samen gewonnen werden konnte,
verhält sich chemischen Reagentien gegen-
über fast genau wie das krystalüsirte Col-
chicin. In Chloroform ist sie weniger lös-
lich als dieses, so dass diese Eigenschaft
zur Isolirung benutzt werden konnte. An
Fröschen ruft sie in Gaben von 10 mg Er-
scheinungen hervor, welche mit denen des
Fikrotoxins und Veratrins manche Aehnlich-
keit haben und schliesslich unter strjchnin-
artigen Krämpfen den Tod herbeiführen.
Da neben dem C- und H-Gehait noch
einige andere Umstände darauf hindeuteten,
dass es sich um ein Oxydationsproduct des
Colchicins handle, weshalb J. es auch bis-
weilen als Oxy colchicin bezeichnet, so wurde,
aber ohne Erfolg, versucht, das Colchicin
mit Hülfe verschiedener üblicher Oxydations-
mittel in Oxycolchicin überzuführen. Als
J. dann durch Elektrolyse die Oxydation
zu erzielen versuchte, indem er durch eine
neutrale ColchicinlÖsung einen elektrischen
Strom leitete, dessen beide Pole durch ein
Diaphragma getrennt waren, zeigte sich,
dass an dem positiven Pole die Flüssigkeit
sich derart veränderte, dass sie an Fröschen
im oben erwähnten Sinne immer wirksamer
wurde und schliesslich gleichfalls eine 10 mg
enthaltende Menge der Lösung genügte, um
die Thiere unter den charakteristischen Er-
scheinungen zu tödten. Da an Warmblütern
die Wirkung des Colchicins und Oxycolchi-
cms ziemlich gleich war und auch die mi-
nimale letale Dosis bei beiden annähernd
die gleiche Grösse besass, so kam man auf
die Yermuthung, dass sich das krystallisirte
an Fröschen unwirksame Colchicin im Or-
ganismus des Warmblüters in das amorphe,
auch an Fröschen wirksame umwandle. Es
wurde deshalb mit einem von J. neu con-
struirten Durchblutungsapparat, welcher ge-
stattet, in geschlossenem System eine kleine
Menge Blutes unter intermittirendem Druck
und völliger Arterialisirung längere Zeit
durch ein Organ circuliren zu lassen, eine
Niere künstlich durchblutet und dem Blute
kry stall isirtes Colchicin zugesetzt. Es gelang
darauf, aus diesem Blute eine Substanz wie-
derzugewinnen, welche sich hinsichtlich
ihrer Reactionen wie Oxycolchicin verhielt
und auch an Fröschen die für dasselbe
charakteristischen Yergiftungserscheinungen
erzeugte. Daraufhin glaubt J. annehmen
zu dürfen, dass auch im lebenden Organis-
mus des Warmblüters Colchicin in Oxy-
colchicin oxydirt werde. Nimmt man dies
aber an,- so ist es leicht begreiflich, warum
dasselbe Colchicin, welches bei Frö-
schen in grossen Dosen so wenig wirk-
sam ist, den Warmblüter in kleinen
Mengen zu tödten vermag. Dasselbe
verwandelt sich eben in seinem Orga-
nismus in das auch am Frosch so wirk-
same Oxycolchicin und führt als solches zu
der letal verlaufenden Intoxication. —
[ForU4itung folgt.]
Referate.
Die Wirkimg des Sulfonal bei Geisteskranken*
Von Dr. Wm. Mabon.
Verf. hat das Sulfonal in 18 verschiedenen
Fällen von Psychosen als Hypnoticum an-
gewendet. Im Ganzen wurden in 115 Nächten
119 Applicationen ausgeführt. 26 Mal wurde
es in einer Gabe von lg, 81 Mal von je
2 g, 9 Mal in Dosen von 3 g gegeben.
3 Mal gelangten Dosen von 4 g zur Anwen-
dung. 83 Mal erzielte man festen, über
6 Stunden lang anhaltenden Schlaf, 20 Mal
währte die nach Application des Sulfonal
572
R^Cifmto.
rHierapeatiMlie
L HonAtshcfte.
erzielte Ruhe zwischen 3 und 6 Stunden,
in 11 Fällen dauerte der Schlaf kürzer als
3 Stunden. 79 Mal wurde ruhiger, normaler
Schlaf erzielt; in 17 Fällen wurde die nächt-
liche Ruhe mehr oder weniger durch wache
Perioden unterbrochen. Im Durchschnitt trat
etwa Vj^ Stunde nach Verabreichung des
Sulfonal der erwünschte Schlaf ein. — Von
unangenehmen Nebeneffecten beobachtete man
in 3 Fällen leichte Somnolenz, welc|ie in-
dessen durch eine Keduction der Dosis sehr
bald wieder verschwand. Im Allgemeinen
ergiebt sich hieraus die Forderung, die
mittlere Dosis nicht höher zu wählen, als
1 g, wenn auch in der Mehrzahl der Fälle
1,5 — 2 g nöthig waren, um wirklich rahigen
Schlaf zu erzielen. — Das Sulfonal wurde
zuerst in Mucilago gummi arab., später in
heisser Milch oder heissem Schleim gegeben.
Hierbei beobachtete man, dass nach Anwen-
dung der letztgenannten Menstrua weit
früher Schlaf eintrat. (In einem Falle be-
trug der Unterschied nicht weniger als eine
Stunde.) Der erzielte Schlaf war länger und
ruhiger, als sonst gewohnlich nach Application
anderer Hjpnotica beobachtet wird. — Ver-
dauungsstörungen kamen nicht zur Cognition,
ebensowenig andere unangenehme Nebenwir-
kungen.
(Therapeutic gatttU 15. Jurd 1889.)
LoAiM^em {BtrUn),
Amylenhydrat gegen Epilepsie. Von Dr. H. A.
Wildermuth (Stuttgart).
Die hypnotische Wirkung des Amylen-
hydrates hatte Verf. bewogen, dasselbe bei
Epileptikern mit nächtlichen Anfällen zu
versuchen. Der Erfolg war gleich beim
ersten Falle überraschend. In der Folge
wandte Verf. das Mittel auch bei Epilepsie
mit Anfällen während des Tages an und zwar
auch hier mit günstigem Resultat in der
überwiegenden Mehrzahl der Fälle. Theil-
weise schien die Krankheit gradezu coupirt.
Im Ganzen wurde das Mittel bei 30 männ-
lichen und 36 weiblichen Kranken versucht.
Die Dosis betrug 2—4, pro die 5 — 8 g.
Die Form bestand in wässriger Lösung 1 : 10,
welche in^ Quantitäten von 20 bis 40 g pro die
in verdünntem Weine oder Obstmost gegeben
wurde. Besonders machte sich der günstige
Einfluss des Amylenhydrats bei gehäuften
Anfällen geltend, in denen Verf. dasselbe
subcutan applicirte (2 Spritzen, rasch hinter-
einander; eine Grammspritze enthält 0,8
Amylenhydrat). Ueble Nebenwirkungen wur-
den hierbei wenig beobachtet, wohl aber bei
längerem Gebrauche des Mittels per os,
nämlich anhaltende Schlafsucht, welche sich
in ganz unberechenbarer Weise schon nach
kleinen Gaben in einzelnen Fällen einstellt«.
Oft hörte dieselbe spontan auf, nachdem der
Kranke sich an das Mittel gewöhnt hatte,
ohne dass eine Verminderung der Tagesgabe
erforderlich war. Darreichung des Medi-
cam ents in möglichst gebrochener Gabe, An-
ordnung regelmässiger Mittagsruhe unter-
stützen die Angewöhnung. Tritt solche nicht
ein und lässt die günstige Einwirkung auf
das Grundleiden den Weitergebrauch des
Mittels trotzdem wünschenswerth erscheinen,
so empfehlen sich kleine und mittlere Gaben
von Cocain innerlich (0,02 — 0,05 pro dosi,
0,08 — 0,2 pro die). Seltener als Schlafsucht
sind Verdauungsstörungen, Obstipation und
Appetitmangel. In vielen Fällen lässt die
antiepileptische Wirkung schon nach 6 — 8
Wochen nach, so dass ein dauernder Ge-
brauch nicht angeht. Nach seinen bisheri-
gen Erfahrungen hält Verf. das Amylenhy-
drat für indicirt:
1. bei gehäuften Anfällen,
2. bei starkem Bromismus, welcher ein zeit-
weiliges Aussetzen des Mittels angezeigt
erscheinen lässt,
3. bei E. nocturna, etwa abwechselnd mit
Brom, in frischen Fällen mit Atropin
zusammen.
{N0urol-Cibl 1889 No. IS.) Krön.
Zur Behandlung des Morphinismus und Chlora-
lismus. Von Prof. Dr. M. Rosenthal (Wien).
Die Untersuchung frischen, bei Morgen-
pollutionen oder beim Coitusversuche aufge-
fangenen Spermas am Morphinisten hatte dem
Verf. folgendes ergeben: In dem einen Falle
(mehrmalige Injectionen von 0,3 — 0,5 pro die)
hatten sich in dünnflüssigem Sperma ganz
dünne, kurze, unbewegliche Samenfaden, die
auch auf Zusatz von diluirter Kalilösung
regungslos blieben, in dem zweiten, älteren
Falle (0,6 — 0,8 tägliche Inj ectionsdosis) neben
Parese des Detrusors in der mit dem letzten
Hamtropfen ausgepressten, weisslichen Flüs-
sigkeit grosse, glashelle, rhombische Samen-
krystalle ohne eine Spur von Spermatozoen
erwiesen. Dieser Fall von toxischer Azoo-
spermie hatte während der Entziehungscur
Besserung der Detrusorenparese und Auf-
treten von einzelnen unbeweglichen Samen-
fäden in den beim Hamen abgehenden Tropfen
constatiren lassen. Nach etwa einem Monate,
als das Morphium in dem Harn bis auf ge-
ringe Spuren geschwunden war, hatten sich
wieder Pollutionen, sodann auch bessere
Erectionen eingestellt. Ausserdem waren in
den beim Coitus aufgefangenen Samentropfen
in deutlicher Bewegung begriffene Sperma-
tozoen nachweisbar gewesen.
Mit dem Verhalten dieser Thatsachen
in. JahrgAiig. 1
Deeember 1889. J
Rttfiifmto.
573
yersucbt nun R. psychiscb auf die MorpLi-
niBten einzuwirken, die die beschwerdende
Abstinenz leicbter ertragen, wenn ibnen die
Wiedergewinnung des Gescblecbtsgenusses
in Aussiebt gestellt wird. Als medicamen-
tose Substitution des Morpbiums benutzt R.
das Oodein (C. muriaticum) und zwar im
Beginn der Cur 0,02—0,03 per os bei Eli-
mination einer Abendinjection, bei sebr er-
regbaren Kranken mit 2 — 3 g Bromnatrium
in Losung. In weiterer Folge müssen, bei
stetiger Reduction der Morpbiuminjectionen,
die genannten Bösen 3 — 4 mal in 24 Stunden
gereicbt werden. Einer Morpbiumdosis Ton
0,01 entspricbt eine Codeindosis von 0,025'
bis 0,03. Meist genügt 0,1 oder etwas
darüber pro die, Ueber 0,2 pro die ist R.
nocb nie gestiegen. Das Codein bewirkt
Scblaf, obne unangenebme Betäubung zu er-
zeugen und stört die Verdauung nicbt.
Nacb Entwöhnung vom Morphium sind die
Codeingaben unter angeblicher Beibehaltung
des Inhalts der Lösung oder der Pillen all-
mählig zu reduciren. In der Zwischenzeit
sind abgeschreckte Halbbäder von 26 — 24*^,
weiterhin feuchte Abreibungen von 20®, bei
diffusen Schmerzen oder Gastralgien leichte
faradische Pinselüngen der betreffenden Theile
von Nutzen. — Bei der allmählichen Ent-
ziehung von Opium oder Chloral bedient
sich R. der Cannabis indica: Extr. Cannab.
ind. 1,0 mit Extr.-Rhei und Aloe zu 50
Pillen, nach Bedarf 3 — 10 Pillen am Tag.
( Wkner medic, Presse 1889 No. 37.) Krön,
Weitere Mitthellungen über Behandlung des
Keuchhustens mit Antipyrin. Von Dr. Win-
delschmidt (Cöln).
W. theilt seine im letzten Jahre gewon-
nenen Resultate bei Behandlung des Keuch-
hustens mit Antipyrin mit. Die in der
Armenpraxis aufgezeichneten Fälle betragen
rund 300, wozu 40—50 Fälle aus der Pri-
vatpraxis hinzukommen. In der Hälfte der
Fälle (50 °/o) ist das Resultat ein sehr gün-
stiges, insofern als die Dauer des Keuch-
hustens auf 14 Tage bis 3 Wochen reducirt
wurde. 20 ®/o weisen eine sedative Wirkung
auf. In den übrigen Fällen keine Wirkung
und keine Controle. Von den 300 Fällen
aus der Armenpraxis waren 6 Todesfälle,
davon 4 bei ganz kleinen Kindern. Die
Ursache war in den ersten 2 Fällen Pneu-
monie und in den 4 letzten Pneumonie und
Krämpfe.
Demnach glaubt W. das Antipyrin als
sicherstes, energischstes und angenehmstes
Keuchhustenmittel ansehen zu können. Es
muss möglichst frühzeitig und in nicht zu
kleinen Dosen gegeben werden (3 bis 4 mal
täglich so viel Decigramme und mehr, als
das Kind Jahre zählt). W. verordnet meist:
^ Antipyrini 1,0—5,0
Vini Tokayens.
Syrup. Senegae aa 50,0
Aq. dest. 100,0
M. D. S. 3 X täglich 1 Esslöffel.
Bei Fiebertemperatur wird die Lunge
genau untersucht und event. Priessnitz'scher
Umschlag um den Thorax gemacht. Der
Pat. muss alsdann selbstverständlich das
Bett hüten.
{AUgem, medic. Cenir,-Zig. 1889 No. 16.) R.
Bromoform, ein Mittel gegen Keuchhusten. Von
Dr. Stepp (Nürnberg).
Im Anschluss an seine frühere diesbezüg-
liche Publication (siehe Ref. S. 470) theilt
Verf. mit, dass die Behandlung durch Dar-
reichung des Bromoforms in Tropfenform
bequem gemacht und vereinfacht wird. Die
erforderliche Tropfenzahl lässt man in einen
Kaffeelöffel mit Wasser fallen. Das Bromo-
form sinkt auf den Boden des Löffels und
bildet dort eine Perle. Bei der Darreichung
ist nun darauf zu achten, dass die Bromo-
formperle auch in das Mündchen geräth.
Sie wird rasch verschluckt, und das nach-
folgende Wasser lässt kaum eine Geschmacks-
empündung aufkommen. Die AnwenduDgs-
weise wäre folgende: Bei einem 3 — 4 wöchent-
lichen Kinde 3 — 4 Male täglich 1 Tropfen;
bei älteren Säuglingen 3 Male täglich 2 — 3
Tropfen, je nach der Intensität der Infection;
bei Kindern im 2. bis 4. Lebensjahre 3 — 4
Male täglich 4 — 5 Tropfen und bis zum
7. Lebensjahre 3 — 4 Male täglich 6 — 7
Tropfen.
Die Zahl der mit diesem Mittel behan-
delten Kinder beläuft sich bereits auf 100.
In keinem einzelnen Falle sind unangenehme
Erscheinungen beobachtet worden. Die Ge-
nesung war in 2 — 4 Wochen erfolgt. —
Auf die Flüchtigkeit und leichte Zersetzlich-
keit des Bromoforms ist zu achten (Schützen
vor Sonne). Wenn es rothes Aussehen zeigt,
ist es nicht mehr zu brauchen.
{DeuUehe med. Woehenschrifi 1889 No. 44.) R.
(AuB dem 1. öffentlichen Kinderkrankeninstitute in Wien.)
Zur Theorie und Behandlung der Rachitis. Von
Dr. Max Kassowitz.
Verf. tritt vor Allem gegen die Ansicht
auf, dass mangelnder Kalkgehalt der Nahrung
oder ungenügende Resorption der Kalksalze
bei gestörter Magendarmfunction die Ursache
der Rachitis sei. Die entzündliche Hyper-
ämie der knochenbildenden Gewebe sei das
wesentliche Moment bei der Rachitis, nicht
der Kalkmangel. Die Darreichung von Kalk-
674
Itoforattb
rher*|»«utlieh«
MnnatphflftiL
Präparaten ist demnacli nutzlos, die ge-
wöhnliche Kost enthält genügend Kalksalze.
Desgleichen sei das Verbieten der Amylaceen
nicht zweckmässig, da dieselben am Ende
des Säuglingsalters eine vorzügliche Ergänzung
der Milchnahrung bilden, während Fleischkost
DigestionsstoruDgen verursache. Die curative
"Wirkung der künstlichen Soolbäder auf
den rachitischen Krankheitsprocess kann K.
nur als eine sehr unbedeutende bezeichnen.
Dagegen rühmt er die Erfolge der Salzbäder
am Meeresstrande oder im Gebirge.
Durch die Entdeckung Wegner^s von
der specifischen sklerosirenden Einwirkung
des Phosphors auf die Knochen wachsender
Thiere wurde K. darauf geführt, sich des
Phosphors gegen den rachitischen Process
zu bedienen. Die günstigen Resultate, die
von ihm 1884 veröffentlicht wurden, sind
inzwischen auch von vielen andern Beobachtern
bestätigt worden. Gegenwärtig kann Yerf.
die Gesammtzabl seiner diesbezüglichen Beob-
achtungen bei massiger Schätzung auf minde-
stens 25 000 beziffern. Die weitaus über-
wiegende Mehrzahl dieser Kinder erhält den
Phosphor in Leberthran (0,01 : 100,0), und
zwar bekommen sie einmal täglich einen
•Kaffeelöffel voll mit dem Gehalte von einem
halben Milligramm Phosphor. Der Phosphor-
leberthran wird vorzüglich vertragen und von
den meisten Kindern ohne Widerstreben ge-
nommen. (Der Sommer ist keineswegs eine
Gegenanzeige für den Gebrauch des Leber-
thrans). In der besseren Praxis verwendet
K. als Ersatzmittel des Leberthran s das
Lipanin. Er verschreibt dann eine Phosphor-
Lipaninemulsion nach folgender Formel:
Phosphori
0,01
Lipanini
30,0
Sacch. alb. pulv.
Pulv. gumm. arab.
a 15,0
Aq. destill.
40,0
M. f. emulsio. D. S. Täglich 1 Kaffeelöffel.
Die Herstellung einer genau dosirten
Lösung von 0,01 Phosphor in Oel, besonders
aber das genaue Abwägen dieser kleinen
Gewichtsmenge einer an der Luft sich ent-
zündenden Substanz ist keineswegs leicht,
und K. kann sich des Verdachtes nicht er-
wehren, dass die von vereinzelten Beobachtern
gemeldeten Misserfolge dadurch zu Stande
gekommen sind, dass die betreffenden Kinder
in ihrem Medicamente entweder gar keinen,
oder nur ganz ungenügende Mengen von
Phosphor erhalten haben.
(Im Anschluss an die obigen Ausführungen
möchte Ref. darauf aufmerksam machen, dass
ein in Frankreich schon lange bekanntes
und beliebtes Mittel gegen Rachitis, die
^Trousseau'sche Butter", folgende Zusam-
mensetzung hat:
IV Frische Butter 200,0
Kalii jodat. 0,15
Kala bromat. 0,50
Natrii chlorat. 5,0
Phosphori 0,01
Diese Menge Butter ist, auf Brod ge-
strichen, innerhalb 3 Tagen zu verzehren
[Trousseau]).
{Wien. med. Wochensch. 1889 No. 28-38.) R.
Ueber den Werth der Kreosot- und Gaajakol-In-
Jectionen bei Phthisikern. Von Dr. Ludwig
Poly4k in Görbersdorf.
Nachdem Schetelig mit der internen
Verabreichung des Kreosots keinen Erfolg
aufweisen konnte, versuchte er subcutane In-
jectionen mit 20 und 30 procentigen Mi-
schungen von Kreosot mit Mandelöl. Es
wurden unter die Bauchhaut oder die Haut
der Extremitäten 4 — 12 g dieser Mischung
injicirt. Auf diese Art konnten manchmal
sogar 3,6 g Kreosot injicirt werden. Gewöhn-
lich wurde dies mit 1 — 1,5 g, öfters mit
2 — 3 g gethan. Trotzdem dass die Injectionen
Monate hindurch fortgesetzt wurden, zeigte
sich eine schädliche, cumulative Wirkung in
keinem einzigen Falle. Eine antipyretische
Wirkung zeigte sich 1 Stunde nach der In-
jection, manchmal schon nach einer Dosis
von 1 g. Ausserdem wurden Injectionen
mit reinem Guajakol von Seh. empfohlen.
Von demselben wurde täglich einmal 0,5
bis 1 g injicirt.
Zu Beginn seiner Experimente hegte
Polydk keine grossen Erwartungen. Er
wollte nur erfahren, ob die erwähnten In-
jectionen die gebräuchlichen Antipyretica
substituiren können. Bei 8 Patienten wurden
176 Einspritzungen gemacht. Die Pravaz'-
sche Spritze muss bei Kreosot-Injectionen
4 ccm fassen können, die Nadel muss ein
grösseres Lumen haben, als gewöhnlich.
Abscesse traten nach den Einspritzungen
nicht auf, wohl aber schmerzhafte Verhär-
tungen, die erst nach Wochen verschwanden.
Als Normaldosis behufs Erreichung einer
antipyretischen Wirkung wurde vom Verf.
0,5 g Kreosot verwendet. Die Tagesdosen
schwankten zwischen 2,5 und 4,0 g Kreosot,
um von Guajakol injectionen das Sinken der
Temperatur um 1*^ zu erreichen, wurde ge-
wöhnlich 0,25 — 0,5 g injicirt. Die Maxi-
maldosis {pro dost) betrug 2 g, die grösste
Tagesdosis 3 g.
Nach' der Injection trat bei jedem Pa-
tienten profuser Schweiss auf, nach einer
halben Stunde trat ein merkliches Sinken
der Temperatur ein, dann sank dieselbe noch.
in, Jahrgang. '^
Becember 1889. J
Rttfersle«
575
beträchtlicli. 4 Stunden nach Yerabreicbung
trat starker Schüttelfrost ein, welchem die
fieberhafte Temperatur auf dem Fusse folgte.
Dieselbe war jedoch immer hoher als yor der
Einspritzung. Weder Schweiss noch Schüttel-
frost konnten unterdrückt werden. Das
Sinken der Temperatur ist nicht immer gleich;
ist die Temperatur im Steigen begriffen, so ist
der Effect kein grosser; Vormittags trat die
antipyretische Wirkung prompter ein. Einen
ünterscbied zwischen dem Kreosot und dem
Guajakol konnte Verf. nicht wahrnehmen,
zweckmässiger sei jedoch die Anwendung des
Guajakol, Ton dem man geringere Mengen
brauche. Oollaps-Erscheinungen traten nie auf.
Auf den Verlauf der Krankheit konnte
P. keine Wirkung beobachten; in einigen
Fällen verringerte sich anfangs die Menge
des Sputums, in zwei Fällen besserten sich
Appetit und Verdauung. Die antipyretische
Wirkung der lojection trat sogar in solchen
Fällen, in welchen 0,5 g Antifebrin oder
1 g Phenacetin den Dienst Tersagten, ein.
Zudem belästigen die Einspritzungen nicht
den Magen. Interessant wäre es zu erforschen,
ob dieselben auch bei anderen fieberhaften
Krankheiten eine solche intensive antipyre-
tische Wirkung besitzen.
{Orvoti EttUap, 1889 No, 40.)
Schtuehny {Budapest),
Beiträge zur Lehre vom Fieber beim Scharlach.
(Vortrag, gehalten aaf dem Gongress russischer
Aerzte zu St. Petersburg am 7. Januar 1889).
Von Dr. Reimer.
Verf. theilt auf Grund zahlreicher Fieber-
curven die yerschiedenen Formen des Schar-
lachs folgendermassen ein:
1. Einfacher oder uncomplicirter Scharlach,
welcher zerföllt in:
a) leichten und == 0,0 %
b) schweren = 83,76 %
2. Complicirter Scharlach, welcher zer-
fällt in:
a) kurzer mittel leichter = 2,08 ®/o
b) - mittelschwerer = 6,94 °/o
c) mittellanger leichter = 5,66 %
d) - schwerer = 39,34 °/o
e) protrahirter leichter = 26,47 %
f) - schwerer = 79,99%
3. Scharlach im Gefolge
anderer Krankheiten = 81,96 **/o
4. Scharlach gefolgt von
anderen Krankheiten = 44,32 %
(Die neben jeder Form angeführten Zahlen
bedeuten die Mortalität derselben).
Was die Therapie anlangt, so wurden
Ton 3460 Scharlachfällen 978 hydrothera-
peutisch behandelt, und zwar mit der aus-
gesprochenen Absicht, durch die angegebene
Behandlung die Entfieberung herbeizufuhren.
Die Hydrotherapie wurde in folgenden Formen
angewandt:
1. Kalte Umschläge;
2. - Einwickelungen oder Einpackungen
3. - - mit Abklatschungen
4. - - mit Uebergiessungen
in der trocknen Wanne
5. - - mit Uebergiessungen
im allmählich abgekühlten Halbbade
6. Lauwarme Vollbäder (kurze oder protra-
hirte);
7. Allmählich abgekühlte Vollbäder;
8. Kalte Halb- und Vollbäder mit Frottiren.
Kalte Umschläge auf den Kopf oder auch
auf Brust und Bauch wurden häufig ange-
wandt, sobald deren Anwendung nicht durch
allzugrosse Unruhe und Beweglichkeit der
kleinen Patienten vereitelt wurde. Die Herz-
action wurde hierdurch recht gut beeinflusst,
doch war ein bedeutender Einfluss auf den
Gang der Temperatur nicht ersichtlich.
Kalte Einwickelungen, in der Weise vor-
genommen, dass besonders anämische, rhachi-
tische und reizbare Kinder in ein in 8 — 10°
kaltes Wasser getauchtes Laken gewickelt
und darin 10 Minuten lang liegen gelassen
wurden, um dann sogleich in ein zweites, gleich-
behandeltes Laken gelegt zu werden, hatten
weder auf die Herzaction, noch auf die Tem-
peraturcurve irgend welchen günstigen Ein-
fluss.
KalteEinwickelungen mit Abklatschungen,
angewandt in solchen Fällen, wo es auf einen
Hautreiz und eine Erregung des Nerven-
systems ankam, erzielten zwar ergiebigere
Inspirationen, hatten aber auf den Gang der
Temperatur keinerlei Einfluss.
Kalte Einwickelungen mit Uebergiessungen
in der trocknen Wanne mittelst 2 — 3 Eimern
kalten Wassers von etwa 12 — 14*^, in Fällen
von Cyanose, Sopor und beginnendem Collaps
angewandt, hatten bei öfterer Wiederholung
und nachheriger, sorgfältiger Abtrocknung
und Einhüllung in wollene Decken meist
sehr guten Erfolg. Doch war auch hier eine
Beeinflussung des Fieberganges nicht zu con-
statiren.
Aehnliche, zum Theil noch bessere Er-
folge wurden mit kalten Einwickelungen und
daraufl^olgenden Uebergiessungen im allmählich
abgekühlten Bade erzielt. Doch steigerte
sich in einzelnen Fällen noch der eingetretene
Collaps, so dass bei der Anwendung dieser
Methode grosse Vorsicht geboten war.
Lauwarme Vollbäder, mehr oder weniger
protrahirt, hatten nur ungünstigen Erfolg.
Die Temperatur wurde kaum beeinflusst,
während eine allgemeine Erschlaffung fast
die unausbleibliche Folge war. Ebenso wenig
tm
Referat*.
rilMrftpeotiMlM
L Monataheftp.
gut waren die Resultate bei der Behandlung
mit allmählicli abgekühlten Vollbädern, die
doch beim Typhus besonders beliebt und
mit YoUem Recht in Anwendung sind.
Um vieles gunstiger wirkten kalte Voll-
bäder, welche in der Weise ausgeführt wurden,
dass der kleine Patient, während er in der
nur halb mit Wasser Ton 12 — 18°R. gefüllten
Badewanne sass, kräftig frottirt wurde, um
nach dem Bade in wollene Decken eingehüllt
zu werden. Nicht selten sank infolge dieser
*Bäder die Temperatur bis um 2^ C. Die
Patienten fühlten sich erleichtert und ver-
langten zum Theil sogar die Wiederholung
dieser Procedur. In sehr schweren, verhäng-
nissYollen Fällen reichten natürlich auch die
kalten Vollbäder nicht aus.
Besondere Vorschriften für die Anwendung
der verschiedenen hydrotherapeutischen Maass-
nahmen zu geben, ist bei dem ausserordent-
lich variablen Verlaufe des Scharlach einfach
unmöglich. Der Arzt muss hier mehr als
irgendwo anders zu individualisiren verstehen.
Was die antipyretische Behandlung des
Scharlachs mittelst innerlich gegebener anti-
pyretischer Mittel anlangt, so sind Chinin,
Natrium salicylicum, Kairin, Thallinum sul-
phuricum und tartaricum theils ganz wir-
kungslos, theils von mehr oder weniger
schädlicher Nebenwirkung. Dagegen wirkt
Antipyrin rasch temperaturherabsetzend im
Scharlach; man muss es jedoch mit aller
Vorsicht anwenden, will man anders rasch
eintretende Collapse vermeiden. Aehnlich
verhält es sich mit dem Antifebrin.
{Jahrhueh der Kinderheilkunde XXX, Htft t und 2,)
Carl Bosenthal {Berlin),
1. UeberNaacn-S3rphili8. VonDr.PaulMichelson.
(Volkmann 's klinische Vorträge No. 326.)
2. Beiträge zur Kenntniss der pharyngo- nasalen
Syphilis -Affectionen. (Aus dem Ambulatorium
des Docenten Dr. P. Mich eis od.) Von P.
Gerber. — Arch. f. Dermatol. u. Syphilis.
Bd. XXI, 1889. Heft 4.
l) P. Michelson giebt ein übersicht-
liches Bild über den heutigen Standpunkt
der Pathologie und Therapie syphilitischer
Nasenaffectionen ; der Schwerpunkt der Arbeit
liegt in der durchaus auf eigener Erfahrung
fussenden Schilderung der früheren Stadien
derselben.
M. betont bei der Besprechung der Aetio-
logie, nachdem er die Unsicherheit der anam-
nestischen Angaben erwähnt, wie irrthümlich
die noch jetzt vielfach verbreitete Ansicht
sei, dass Tertiärformen der Syphilis erst nach
langjährigem Bestände der Krankheit aufzu-
treten pflegen; das vorhandene statistische
Material ergebe sogar, dass gerade die ersten
drei Jahre nach stattgehabter Infection am
meisten dem Auftreten schwerer Formen der
Syphilis ausgesetzt seien. Ebenso wird ent-
schieden die Unhaltbarkeit der antimercuriali-
stischen Hypothese, dass Quecksilbergebrauch
zu schweren Formen der Syphilis disponire,
nachgewiesen, im Gegentheil beweist die
casuistische Zusammenstellung des Verf.,
dass weitaus die Mehrzahl der von Nasen-
syphilis befallenen Patienten keine genügende
Quecksilbercur durchgemacht hatte.
Aus der Symptomatologie verdient das
häufige Auftreten von Ulcerationsprocessen
an der Nasenscheidewand hervorgehoben zu
werden; dieselben verliefen vielfach
in sagittaler Richtung und^ waren ge-
wissermassen als Decubitusgeschwüre, ent-
standen durch den Druck der intumescirten
Muscheln, zu betrachten. Diese Form der
ülcerationen des Septums fasst M.
geradezu als pathognomonisch für die
Syphilis auf, während der früher als
sicheres Kennzeichen der Specifität geltende
Foetor vielfach vermisst wurde, und wenn
vorhanden, durchaus nichts Charakteristisches
bot. Verf. macht ferner aufmerksam auf die
gefährlichen, theil weise das Leben gefähr-
denden Erscheinungen, welche bei Nasen-
syphilis auftretend, durch Uebergreifen auf
die Meningen den Patienten drohen. Er
erwähnt das Entstehen der Sattelnase als
bedingt durch narbige Schrumpfung des Binde-
gewebes, welches die häutige und knorplige
Nase an die Nasenbeine fixirt, unabhängig
von Defecten des knöchernen Nasen gerüstes.
Die Therapie, welche gleichzeitig die
AUgemeininfection und das locale Leiden
in^s Auge zu fassen hat, vermochte wohl,
wenn rechtzeitig eingeleitet, bleibende De-
structionen des Nasengerüstes zu verhüten,
ohne jedoch einen Einfluss auf die im Ge-
folge der Syphilis sich mit Vorliebe ein-
stellende Atrophie der Gewebe ausüben zu
können. Gegen die AUgemeininfection wurden
Inunctionscuren (bis 50 Einreibungen ä 3 g)
und innerliche Darreichung von Jodkali {Vj^
bis 3 g tägl.), in schweren Fällen beides
gemeinsam ordinirt. 0 ertlich wurden des-
inficirende Sprays oder Tampons — Bor-
säure, Kali permangan., Thymol — zur
Beseitigung der Borken und Reinigung der
Geschwürsflächen angewandt; Insufflationen
von Jodoform, Pinselungen mit Sublimat-
lösungen oder Application von Mercurial-
salben brachten diese dann stets zur Heilung.
Vorhandene Sequester, mittelst Sondenunter-
suchung leicht nachweisbar, müssen entfernt
werden, wozu in den meisten Fällen eine
mit Nasenkrümmung versehene Komzange
genügt, sodass zu grösseren chirurgischen
BB
m. jahrfMkg. 1
Deeamber 1889. J
Rttfbtmto.
577
Eingriffen, wie sie von Yolkmann früher
vorgeschlagen wurden, meist keine Indication
hestehen dürfte.
2) P. Gerber unterbreitet dem Leser
in extenso das aus 27 Krankheitsfallen be-
stehende Beobachtungs-Material, auf welchem
die im Vorstehenden referirten Darlegungen
Michelson^s beruhen und geht zugleich
auch auf die, mit Nasen- Syphilis ausser-
ordentlich häufig (in etwa 50 °/o der Fälle)
complicirte Syphilis der Mundrachenhohle
näher ein. — Besonderes Interesse beansprucht
die als Fall 15 mitgetheilte Beobachtung,
da aus derselben hervorgeht, dass Syphilis
des Nasenrachenraums ohne irgend eine er-
kennbare Veränderung in der Mundrachen-
hohle bestehen kann. •
Joil {Balk),
Beitrag zur Kenntniss des Hydrargyrum salicy-
Ucum. Von Dr. G. Müller (Dresden).
Verf. hat mit dem Quecksilbersalicylat
Versuche an Thieren angestellt, aus welchen
er schliesst:
1. dass das Hydrarg. salicyl. innerlich,
subcutan und auf Wunden angewendet, den
übrigen Quecksilberverbindungen an Giftig-
keit bedeutend nachsteht, eine Thatsache,
die auch dadurch in's rechte Licht gestellt
wird, dass Verf. einem alten, wenig wider-
standsfähigen Anatomiepferd innerhalb 4 Ta-
gen etwa 30,0 Quecksilbersalicylat in Pillen-
form eingeben konnte, ohne dem Thier irgend-
wie zu schaden;
2. dass das Mittel bei Hunden sowohl
vom Verdauungstractus als von der Sub-
cutis aus in die Blutbahn aufgenommen
wird und im ersteren Falle nach 10 — 15 Stun-
den, im letzteren nach 35 — 42 Stunden
wieder im Harn erscheint, sowie dass seine
Aufnahme von der Subcutis schneller vor
sich geht, wenn es im gelösten Zustande,
als wenn es im ungelösten Zustande applicirt
worden war;
3. dass die Aufnahme des Quecksilber-
salicylates von der Haut aus nicht erfolgt;
4. dass das Hydrarg. salicyl. von granu-
lirenden Wunden aus dann sehr prompt
resorbirt wird, wenn es in grossen Mengen
zu Dauerverbänden benutzt wird, während
bei der offenen Wundbehandlung nur sehr
kleine Mengen dieses Körpers zur Aufnahme
in die Blutbahn zu gelangen scheinen;
5. dass das genannte Mittel weder im
gelösten Zustande noch in Salbenform eine
nennenswerthe Wirkung auf Demodex foUi-
culorum auszuüben vermag.
{Monatth. f. pract. Dtrmai. 1889 No* 7.)
George Metfer (Berlin).
Erfahrungen über dielocal anästhesirende Wirkung
des Cocains bei grösseren Operationen. Von
Oberstabsarzt Dr. Albers in Saarlouis.
' Verf. bedient sich zur Erzeugung localer
Anästhesie bei grösseren Operationen subcu-
taner Injectionen einer 5 %igen Cocainlösung.
Nachdem durch einen Strich mit Jodtinctur
Lage und Grösse des auszuführenden Haut-
schnittes markirt ist, wird die Canüle der
Fr ava zischen Spritze bis unter die Haut
geführt und beim Herausziehen der Canüle
noch ein kleiner Einstich in das Rete Mal-
pighi gemacht, wobei im Ganzen etwa ^j^ der
Spritze injicirt wird. Nach der Injection
bläht sich die Oberhaut etwa 1 cm breit zu
beiden Seiten des Einstichs weisslich auf.
Darauf wird l^/a cm von der Grenze der
Aufblähung eine weitere Injection in der-
selben Weise gemacht, um eine Incision
von 8 — 10 cm Länge schmerzlos auszuführen,
sind 4 — 5 Injectionen, also im Ganzen höch-
stens der Inhalt einer Spritze nothwendig.
Drei bis vier Minuten nach der Einspritzung
muss die Incision gemacht werden; verzögert
sich dieselbe um einige Minuten, so genügt
es, am Anfang und Ende derselben noch-
mals etwa Vs ccm zu injiciren. Kommt man
auf tiefere Gebilde, Aponeurosen, Muskeln
u. s. w., so muss unter dieselben ebenfalls
eine Einspritzung gemacht und das Cocain
durch den Druck des Fingers auf die Ein-
stichsstelle zurückgehalten werden. Die
Wirkung des Cocains, angewandt auf grössere
Wundflächen, wozu höchstens 17) bis 2^1
Spritzen nöthig sind, hält meisten 10 bis
20 Minuten an.
Verf. hat dieses Verfahren bei Hernioto-
mien, Radical - Operationen der Hydrocele,
Entfernung grösserer Geschwülste u. s. w.
mit Vortheil angewendet.
{DeuUche MiHtärärzU. ZdUchr. 1889. S^ 11.)
rd.
Eine neue dermoplastische Amputation, ausgeführt
wegen eines ausgedehnten Geschwürs des Un-
terschenkels. Von Dr. Roman von Baracz,
Operateur in Lemberg.
Wegen eines unheilbaren ünterschenkel-
geschwürs führte Verf. die Operation ähnlich
aus, wie sie von Rydygier (Krakau)*) ange-
geben worden ist, nur dass er auch den Talus
und die unteren Enden der Unterschenkelkno-
chen entfernte, das Bein also erheblich kürzte,
um aus der Sohle einen zur Deckung des
Defects genügend grossen Lappen zu er-
halten.
( Wien. med. Presse 1889. No. 38.)
Freyer {8teUin\
') Therap. Mon.-Hefte, 1888, pag. 294.
73
578
Toxlkologl«*
rher&peotlidie
MonmiihH^A.
Toxikologie.
Ueber Creolinvergiftung. Von Dr.med. Job.Dinter,
Assistenzarzt an der Herzogl. Irrenanstalt Hild-
burghaasen. (Originabnittoeilang.)
Das soyiel geprieeene neue Antisepticum
Oreolin ist allem Anscheine nach doch nicht
das ungefährliche Heilmittel, als Streiches es
anfangs von den verschiedensten Seiten ge-
rühmt Tvurde. In der letzten Zeit sind
mehrere Fälle von unzweifelhafter Creolin-
intoxication beobachtet und veröffentlicht
worden, denen ich noch 3 wettere hinzu-
fügen kann. Das betr. Material entstammt
der hiesigen Irrenanstalt und ist mir von
Herrn Director Dr. Mayser gütigst zur
Veröffentlichung überlassen worden.
Am 6. September a. c. Abends gegen
5^/4 Uhr kam auf der Abtheilung für unruhige
Frauen eine paralytische Kranke Bü. in Folge
einer groben Nachlässigkeit der betr. Wärterin
über ein e Fl asche mit reinem Creolin (Pearson)^),
trank selbst daraus und gab noch 2 anderen
Kranken, welche in einem Zimmer zu Bett
lagen, davon zu trinken. Nach ungeföhrer
Schätzung mochten alle drei zusammen etwa
70 g genossen haben. Ich verzichte darauf,
die näheren Umstände des ganzen Vorganges
zu schildern, erwähnt sei nur, dass die Sache
anfangs unbemerkt blieb. Um 6 Uhr ver-
zehrten alle drei ihr Abendbrod, bestehend
aus Schwarzbrod und Leberwurst, mit gutem
Appetit.
Kurz nach 67« Uhr wurde die zuerst
genannte Kranke Bü. plötzlich ohnmächtig.
Wenige Minuten später fand ich dieselbe
vollständig coUabirt und bewusstlos , die
Haut fühlte sich am ganzen Körper sehr
kühl an, der Puls war kaum zu fühlen, aus
dem Munde kam ein starker Creolin geruch.
Ich machte sofort einige Aetherinjectionen,
worauf der Puls etwas kräftiger wurde. Da
unterdessen die leere Creolinflasche gefunden
worden war und einige andere Kranke aus-
sagten, dass die Bü. daraus getrunken habe,
ging ich sofort daran, der Kranken den Magen
auszuspülen, gegen welche Procedur dieselbe
gar nicht reagirte. Die Spülflüssigkeit hatte
im Anfang ganz das Aussehen und den Geruch
einer Creolinlösung, nach und nach wurde
sie klarer, den specifischen Geruch behielt
sie noch lange. Die Ausspülung wurde etwa
eine Stunde lang fortgesetzt; gegen Ende
') Das Präparat war von der Firma E. Merck
in Darmstadt in Originalflasche bezogen worden.
derselben flng Patientin an sich zu bewegen
und zu sprechen. Schon während des Aus-
spülens hatte sie mehrere dünne, grünlich
gefärbte, stark nach Creolin riechende Stühle
entleert. Eine zum Schluss vorgenommene
Wassereingicssung in das Rectum bewirkte
eine reichliche, ebenso beschaffene Ausleerung.
Hierauf verfiel die Kranke in einen tiefen
Schlaf mit schwerer schnarchender Ath-
mung.
Jetzt erst, also gegen 8 Uhr, kam die
Wärterin dazu, nach den beiden andern oben
erwähnten Kranken, einer periodisch maniaka-
lischen Br. und einer paranoischen Epileptica
Fr. zu sehen und fand dieselben in einem
trostlosen Zustande. Beide hatten heftig
erbrochen und mehrere ebenfalls grünlich
gefärbte, dünne Stühle entleert. Das ganze
Zimmer war von einem starken Creolingeruch
erfüllt. Auch diesen beiden Kranken wurde
sofort der Magen ausgespült, die Spülflüssig-
keit war vollkommen klar, roch jedoch stark
nach Creolin. Weitere therapeutische Maass-
nahmen wurden zunächst nicht getroffen;
selbstverständlich wurden die Kranken sobald
als möglich zu Bett gebracht.
Im Folgenden will ich die 3 Kranken-
geschichten kurz wiedergeben; die Reihen-
folge soll durch die Schwere der Erscheinungen
bestimmt werden.
Fall 1. Br. Wilhelmine, 53 Jahre alt, war
entschieden am schwersten erkrankt; ob man daraus
zu scbliessen berechtigt ist, dass sie auch die grösste
Menge CreoliD getrunken hat, wage ich nicht zu
entscheiden, da die Br. bedeutend schwächer ist,
als die beiden andern in Betracht kommenden
Kranken; gegen die Bü. war sie jedenfalls dadurch,
dass die Mageäausspüiung bei ihr ziemlich spät
erfolgte, im Nachtheil. Sie klagte über heftiges
Brennen im Leibe; derselbe war etwas aufgetrieben
und im hoben Grade druckempfindlich. Auf der
Zungenoberfläche fehlte bis auf einen schmalen
Saum an der Spitze das Epithel der Schleimhaut
vollständig; sonst waren in der Mundhöhle keine
Veränderungen nachzuweisen. Das Erbrechen und
der Durchfall dauerten bis zum nächsten Morgen
fort. Der Urin konnte anfangs, weil er stets zu-
gleich mit den Faeces entleert wurde, leider nicht
untersucht werden.
Am auffälligsten am ganzen Krankheitsbilde
war entschieden eine starke Herabsetzung der
Körpertemperatur: dieselbe betrug gegen 9 Uhr
Abend im After gemessen 34,1® 0. und ging trotz
Darreichung von Glühwein, warmen Einwickelnngen
u. dgl. nur sehr langsam in die Höhe. Am andern
Morgen betmg sie 35,6®; ein warmes Bad bewirkte
m. Jalirgang. 1
Toxikologie.
579
eine Zanahme nm 1®; Mittags war die Temperatur
jedoch wieder auf 36,0^ gesunken; am Abend des-
selben Tages betrag sie 37,3^ und blieb seit dieser
Zeit auf der Norm. Gleichen Schritt mit der Tem-
peratur hielten Puls und Respiration.
Der am 7. Sept. in sehr geringer Menge ge-
lassene Urin hatte die dunkle, olivengrüne Farbe
des Carbolharns, roch intensiv nach Creolin, rea-
girte stark sauer und enthielt eine geringe Menge
Ei weiss. Auch an den folgenden Tagen wurde Urin
Yon derselben Farbe und ebenfalls von geringer
Menge gelassen, £i weiss konnte jedoch in dem-
selben nicht mehr nachgewiesen werden. Bemerkens-
werlh ist, dass der am 7. September gelassene Urin
trotz beständigen Stehens im warmen Zimmer noch
am 23. September sauer reagirte ; am 24. zeigte er
neutrale und erst am 27. September alkalische Ro-
action.
Der Stuhl war, nachdem der Durchfall ge-
wichen, einige Tage etwas angehalten, so dass bis-
weilen mit Eingiessungen nachgeholfen werden
musste, seine grüne Färbung behielt er bis zum
10. September bei.
Die im Anfang zu beobachtende Appetitlosig-
keit schwand rasch. Ob eine am 8. September auf-
tretende Röthung des weichen Gaumens und beider
Tonsillen noch auf Rechnung des Creolins zu setzen
ist, erscheint mir zweifelhaft.
Nicht unerwähnt will ich endlich lassen, dass
die Br., welche bis dahin beständig heftig erregt
gewesen war, seit dem Genuss des Creolins sich
vollständig ruhig verhalten hat, so dass es jetzt
möglich ist, sie in der Nähstube zu beschäfti-
gen.
Fall n. Bu. Thekla, 53 Jahre alt, zeigte
ebenfalls eine starke Herabsetzung der Eigenwärme;
dieselbe betrug am Abend des 6. Sept. 34,5° G.
im After, ging jedoch rasch in die Höhe, Nachts
2 Uhr war sie schon 37,0, am Abend des 7. Sept.
war sie sogar auf 37,9 gestiegen, um am nächsten
Morgen auf 37,3 zu sinken und von da an normal
zu bleiben. Auch hier hielten Puls und Respiration
mit der Temperatur gleichen Schritt.
Wie schon erwähnt, war Patientin nach been-
deter Magenausspülung in tiefen Schlaf verfallen,
der die ganze Nacht hindurch anhielt und weder
durch die Temperaturmessung noch durch Umlagern
beeinträchtigt wurde.
Während der Nacht erbrach die Kranke nicht,
am nächsten Morgen stellte sich nach dem Früh-
stück einmaliges Erbrechen ein. Auch die Diarrhoe
hatte während des Schlafs sistirt, trat jedoch am
Morgen mit erneuter Heftigkeit auf und hielt noch
mehrere Tage an, so dass schliesslich am 11. Sept.
Opium gegeben werden musste. So lange die
Diarrhoe dauerte, waren die Ausleerungen grünlich
gefärbt.
Der Urin, der auch hier in sehr geringer Menge
entleert wurde, war von normaler Farbe, reagirte
sauer und enthielt kein Ei weiss.
Der Appetit war nicht gestört. Das subjective
Befinden der Kranken war andauernd ein gutes.
Schon am ersten Morgen nach der Katastrophe
versicherte sie, sie befinde sich ausgezeichnet und
habe noch nie so gut geschlafen, wie in der ver-
gangenen Nacht. Sie erinnerte sich genau daran,
wie sie das Creolin getrunken und wie sie den
beiden andern Kranken davon gegeben hatte; über
die Vorgänge nach dem Abendessen wusste sie
Nichts anzugeben. Der psychische Zustand blieb
hier gänzlich unverändert
Fall III. Fr. Amalie, 48 Jahre alt, hatte ihrer
Aussage nach nur sehr wenig Creolin getrunken,
was auch nach dem Verlauf der Krankheit nicht
unwahrscheinlich ist.
Das Erbrechen und der Durchfall hörten mit
der Magenausspülung auf; die Leibschmerzen
schwanden noch am Abend.
Die Temperatur war hier nicht gesunken, sie
betrug am Abend des 6. Sept. 37,2** C; im. Ver-
lauf des nfichsten Tages stieg sie indess bis auf
88,7^ am Abend, fiel ji^doch während der folgenden
Nacht auf 37,6 und hielt sich seitdem in normaler
Breite. Am Morgen des 7. Sept. war eine beträcht-
liche Steigerung der Pulsfrequenz, nämlich 120 in
der Minute, zu beobachten; der Puls war dabei
sehr klein, die Kranke etwas benommen. Diese
Erscheinung ging jedoch unter Anwendung von
Reizmitteln rasch vorüber. Gegen Mittag desselben
Tages zeigte die Zunge einen schwachen, grau ge-
färbten Belag, der sich bis zum Abend in rascher
Weise vermehrte, jedoch am nächsten Tage wieder
abnahm.
Auch die Kranke Fr. entleerte noch einige
Tage hindurch grünlich gefärbte Stühle'). Der
Urin, der auch hier in sehr geringer Menge ent-
leert wurde, hatte normale Farbe und war frei von
Eiweiss.
Zur Zeit ist es noch nicht möglich, ein
einheitliches Bild der Creolin Vergiftung zu
geben, da die bisher veröffentlichten Beob-
achtungen nicht in vollem Einklang mit ein-
ander stehen. Auch die oben geschilderten
drei Fälle zeigten allerlei Verschiedenheiten
nicht nur in der Intensität, sondern auch in
der Art der Symptome. Von Seiten des
Verdauungscanais waren bei allen dreien
heftige Erscheinungen zu constatiren, nämlich
Erbrechen und Diarrhoe mit grünlicher Ver-
färbung der Fäces. Nur in Fall I waren
Aetzwirkungen in der Mundhöhle zu beob-
achten. Eine Einwirkung des Giftes auf
das Nervensystem war ebenfalls nur in einem
Falle und zwar durch eine schwere Bewusst-
losigkeit gekennzeichnet. Ebenfalls wieder
nur in einem Falle konnte eine Veränderung
des Urins nachgewiesen werden. Schliesslich
ist bei allen drei Kranken eine mehr oder
minder starke Beeinträchtigung der Eigen-
wärme zu erwähnen: in zwei Fällen war
dieselbe stark herabgesetzt, im dritten am
Tage nach der Vergiftung bis 38,7 gestei-
gert.
Alle die hier angegebenen Erscheinungen
sind schon von anderen Autoren, wenn auch
■) Die am 15. October a. c. vorgenommene Ob-
duction der inzwischen im epileptischen Anfall ver-
storbenen Fr. ergab vollständige Intactheit der
Schleimhaut des Verdanungstractus.
78^
580
Littttratur.
rlierapentlfleh«
MoDatühefte.
nicht in demselben Zusammenhang, beob-
achtet worden. Ich verzichte darauf, die
betr. Arbeiten hier einzeln aufzuführen und
verweise deshalb auf die Veröffentlichung
von Dr. van Ackeren, Berliner Klinische
Wochenschrift 1889 pag. 709 ff., in welcher
die Litteratur der Creolinvergiftung eingehend
besprochen wird. Ich möchte hier nur noch
auf 2 Aufsätze aufmerksam machen, welche
in jener Arbeit nicht erwähnt worden sind
bezw. nicht erwähnt werden konnten, nämlich
auf denjenigen von Gramer, Therapeutische
Monatshefte 1889 pag. 434, welcher bei einem
wegen Blasenblutung mit Creolinausspülungen
behandelten Kranken Temperatursteigerung
bis 40,5 mit Schüttelfrost beginnend, Collaps,
Erbrechen und Garbo Ireaction des Urins beob-
achtete, und auf denjenigen von Tzonciu
und Georgescu'), welche bei einem Hunde
von 5400 g Gewicht nach interner Verab-
reichung von 10 g Greolin Erbrechen und
Entleerung von breiigem, schwärzlich ge-
färbtem Stuhl constatiren konnten.
Lltterainr.
Die chiruri^ischen Krankheiten der Harn- und
männlichen Oeächlechtsorgane. Band I.
Theil 1. Die Krankheiten der Harnröhre
und der Prostata. Von Dr. Paul Güter-
bock. Mit 101 HolzBchn. Leipzig uDd Wien
1890. Franz Deuticke. 260 Seiten.
Bas Erscheinen des Werkes des Verf. 's,
„des ersten Versuches einer vollständigen Dar-
stellung der chirurgischen Krankheiten der
Harn- und männlichen Geschlechtsorgane in
deutscher Sprache," ist mit grosser Freude
zu begrüssen, da ein solches Buch bisher
nicht vorhanden war, sondern nur Sonderbe-
schreibungen einzelner hierhergehöriger Ca-
pitel oder üebersetzungen ausländischer Ar-
beiten existiren. Es füllt daher das Buch
eine Lücke in der Fachlitt erat ur aus, die
sich um so fühlbarer machte, als leider auf
den meisten deutschen Hochschulen die in
Rede stehende Specialwissenschaft sich keiner
sehr grossen Beachtung zu erfreuen hat, und
daher ein nicht kleiner Theil von Aerzten
vor dem Eintritt in die Praxis auf diesem
so überaus wichtigen Gebiete nicht die Kennt-
nisse zu sammeln Gelegenheit hat, als bei
') Dieser Aufsatz findet sich in der von der
Firma Pearson und Co. versandten Litteratar-
sammlung über Creolin auf pag. 179 ff.
der Häufigkeit gerade dieser Erkrankungen
wunschenswerth erscheinen dürfte. Fast jede
Affection der Harn- und Geschlechtsorgane
ist im Stande, unter geeigneten Umständen
schwere, den Gesammtorganismus betreffende
Erscheinungen hervorzurufen. Wie man sich
beim Durchlesen jedes Gapitels der vorlie-
genden Schrift überzeugen kann, beleuchtet
G. gerade den Zusammenhang der Erkran-
kungen eines oder mehrerer Gebiete des
Urogenital apparat es mit die Gesammtconsti-
tution betreffenden Affectionen auf das Ein-
gehendste, sodass nicht nur der Studirende
aus dem Buche Anregung zur Weiterarbeit,
sondern auch der Arzt Aufklärung über die
meisten ihn in dieser Hinsicht interessiren-
den Fragen finden kann. Die sorgfaltigen
Angaben aus der bis in die neueste Zeit
benutzten, besonders französischen und eng-
lischen Litteratur, sowie die grosse Zahl
von Abbildungen von zum Theil selbst beob-
achteten einschlägigen Fällen, die klare und
geschickte Gruppirung des Stoffes und leicht
verständliche Darstellung desselben, alle
diese Vorzüge werden dem Buch einen Platz
unter den hervorragendsten seiner Fachwis-
senschaft sichern. Eine kurze Angabe des
reichen Inhaltes des bis jetzt erschienenen
ersten Theiles des ersten Bandes des Ge-
sammtwerkes, welcher die Erkrankungen
der Harnröhre und Prostata umfasst, dürfte
nicht unerwünscht sein.
Der Verf. beginnt den ersten, den Krank-
heiten der Harnröhre gewidmeten Abschnitt
mit einer Beschreibung der Anatomie und
Physiologie der Urethra sowie der
Theile des kleinen Beckens, welche zu die-
ser in Beziehung stehen, wobei er die chi-
rurgische Eintheilung der Harnröhre in eine
vordere bewegliche und hintere feste Ab-
theilung gegenüber der anatomischen in drei
Theile bevorzugt und auch weiterhin vcr-
werthet. Die Untersuchung der Harn-
röhre geschieht durch Fragen an den Kran-
ken, durch die physikalische Untersuchung des
Patienten und die mikroskopische, chemische
etc. Prüfung der Secrete. Bei der instni-
mentellen Untersuchung der Harnröhre giebt
der Verf. die Formen der hierzu nöthigen
Katheter und Bougies an und bespricht
hierauf die Technik des Katheterismus.
Wenn der Verf. bei der Desinfection der zu
diesem erforderlichen Werkzeuge anführt,
dass, „wenn auch durch den Katheterismus
die Gefahr sowohl der indirecten wie der
Contactinfection gegeben ist, doch diesen
Möglichkeiten und der ungeheuren Häufig-
keit der Katheterpraxis gegenüber die An-
siedelung von Mikroorganismen verbunden
mit krankhaften Veränderungen in Harnröhre
tit. Jaiurgang.
Deoember 1889
.]
titterahit.
581
und Blase etwas relativ seltenes ist
(Thompson)," so ist der in dem Nachsatz
aufgestellten Meinung wohl nicht unbedingt
zuzustimmen, da die Beobachtung von Bla-
senkatarrhen etc., deren Erscheinungen sich
fast unmittelbar an die Einführung des
(nicht genügend desinficirten) Katheters an-
schliessen, (auch bei jungen Individuen mit
bisher intacter Blasenschleimhaut) gerade
nicht so seltenes Vorkommniss ist. Selbst-
verständlich empfiehlt G. unter allen Ver-
hältnissen beim Eatheterismus sorgfältige
Befolgung antiseptischer Maassregeln, jedoch
erwähnt er die Sterilisirung der Instrumente
mittelst Auskochen, die bequemste Art der
Reinigung medicinischer Werkzeuge, gar
nicht. Es verdient hervorgehoben zu wer-
den, dass dieselbe sich auch für elastische
und weiche Katheter ohne Schaden für die
betreffenden Instrumente anwenden lässt, —
Fehler in der Ausführung des Katheterismus
bedingen Blutungen und falsche Wege. Als
AUgemeinreaction des Organismus tritt bis-
weilen das Katheter- oder Harnfieber, wel-
ches sich in einer acuten und chronischen
Form darstellt, auf. Eine andere Art der
Untersuchung der Harnrohre und -blase ge-
schieht durch die Endoskopie, besonders mit
dem von Nitze angegebenen Cystoskop mit
elektrischer Beleuchtung.
Von den Erkrankungen der Harnrohre
wird zuerst die wichtigste, die Entzündung der-
selben, einer Besprechung unterzogen. Der
Hauptrepräsentant derselben ist der Tripper,
welcher mit allen seinen im acuten Stadium
vorkommenden Complicationen beschrieben
wird. Etwas zu kurz erscheint die Diffe-
rentialdiagnose zwischen Tripper und Harn-
röhrenschanker auseinandergesetzt, deren
Yerwechselung schwerwiegende Folgen nach
sich ziehen kann. Die Schilderung der Be-
handlung der acuten Gonorrhoe, der chro-
nischen Urethritis und ihrer Therapie ent-
hält alle bis in die neueste Zeit für diese
angegebenen Mittel und Verfahren. Der
besonders von Oberländer warm empfoh-
lenen endoskopischen Methode der Nach-
tripperbehandlung gegenüber scheint G. sich
ziemlich skeptisch zu verhalten. — Das
nächste Capitel enthält die Besprechung der
Verletzungen der Harnrohre, von denen die
Harnrohrenzerreissung und ihre Behandlung
einer ausführlicheren Schilderung unterzogen
werden. Die Beschreibung der pathologi-
schen Anatomie, Symptome, Diagnose und
Behandlung der Verengerungen der Urethra
nimmt den umfangreichsten Theil des vor-
liegenden Bandes ein. Von den therapeu-
tischen Methoden ist besonders die blutige
Durchtrennung der Strictur durch Harnroh-
renschnitt in breiterer Ausdehnung ausein-
andergesetzt, und giebt Verf. ein vollkom-
menes Bild von den Indicationen, Technik
und Nachbehandlung der Operation. — Ge-
schwülste der Harnröhre sind beim männ-
lichen Geschlechte selten, bei Weibern im
Verhältniss zu den bei Frauen im Allge-
meinen vorkommenden Tumorenbildungen
auch nicht sehr häufig, jedoch viel häufiger
als bei Männern. Die Therapie besteht bei
beiden Geschlechtern in Entfernung der Tu-
moren. Als letzte erworbene Erkrankung
der Harnröhre werden dann die nervösen
Affectionen derselben, spastische Contrac-
turen, Hyperästhesie etc. erwähnt. Von den
angeborenen Anomalien der Urethra sind
ausser den Obliterationen, Verengerungen
und Erweiterungen hauptsächlich die Hy-
pospadie und Epispadie wichtig, deren Aus-
bildung zu höheren Geraden operatives Ein-
greifen zur Herstellung einer normalen Harn-
röhre erfordert. Die hierzu gebräuchlichen
Verfahren werden durch zahlreiche Abbil-
dungen veranschaulicht. Den Beschluss die-
ses Abschnittes bildet die Beschreibung der
Erkrankungen der Cowper' sehen Drüsen.
Der zweite Abschnitt dieses Theiles,
welcher sich mit der Schilderung der Krank-
heiten der Prostata beschäftigt, bietet
eine Fülle bemerk enswerther Anhaltspunkte,
aus denen überall ersichtlich ist, wie Vieles
noch auf dem besonderen Gebiete sowohl
der Anatomie und Physiologie, als der Er-
krankungen der Vorsteherdrüse und ihrer
Therapie zu erforschen ist. Da gerade die
Affectionen der Prostata, deren häufigste die
Hypertrophie des Organs ist, bei älteren
männlichen Individuen weit verbreitete Er-
krankungen sind, die mit quälenden Er-
scheinungen einhergehen, welche nicht nur
jeden Lebensgenuss verbittern, sondern auch
durch weitere Complicationen nicht allzusel-
ten den Exitus herbeiführen, so ist gerade
dieses Capitel, welches übrigens zusammen
mit dem Abschnitt über die Stricturen den
Glanzpunkt dieses Theiles des Werkes bil-
det, dem besonderen Studium der Leser zu
empfehlen.
Sollte diese kurze Aufzählung des Stof-
fes, dessen Hauptpunkte hier nur angedeu-
tet werden konnten, vielleicht ein Bild von
dessen Reichhaltigkeit und sachgemässer Be-
handlung desselben zu liefern im Stande
sein, so hält Ref. ihren Zweck, sorgfaltiges
Studium des in jeder Beziehung anziehenden
Werkes, für erfüllt.
Die Abbildungen sind klar gezeichnet,
die gesammte Ausstattung des Buches ist
glanzvoll.
George Meyer {Berlm),
582
Litteratur.
rlierapeatisdlie
Monauh^fte.
Die Urämie. Von L. Landois. Wien und Leip-
zig, Urban und Schwarzenberg 1890.
Die bereits an anderen Stellen (Wiener
med. Presse 1887, No. 7 — 9 und Deutsche
med. Wochenschr. 1887 No. 31) mitgetheil-
ten Versuclie über die Erregung typischer
Erampfanfalle nach Behandlung des cen-
tralen Nervensystems mit chemischen Sub-
stanzen werden in dem vorliegenden Werke
über Urämie in extenso angeführt und be-
stimmen den Verf. zu folgender Erklärung
des Wesens der urämischen Erscheinungen.
Danach besteht dieses in einer toxischen
Einwirkung von solchen Substanzen auf das
Gehirn, welche normaler Weise durch den
Urin entleert werden sollten und zwar der
sogenannten Extractivstoffe und der Salze.
Der Angriff und Ursprungsherd der hier-
durch erzeugten, spontan recidivirenden
Erampferscheinungen liegt sicherlich in den
psychomotorischen Centren. An die Erre-
gung dieser können nach dem Ausbruch der
corticalen, also nach dem Typus der Rin-
denepilepsie verlaufenden Erschütterungen
noch ausgebreitete Krämpfe, welche in den
tieferen Regionen des Gehirns, nämlich im
Pons und in der Medulla oblong., und zwar
vorzugsweise tonisch ausgelost werden, sich
hinzugesellen. Mit den bezeichneten Vor-
gängen in den motorischen Rindengebieten
verbinden sich oft in anderen corticalen Re-
gionen Reizungs- und Depressionserscheinun-
gen, von denen das Coma das wichtigste
ist. Daneben reihen sich sonstige corticale
Erscheinungen, welche die Bewegungssphäre
betreffen, aber im klinischen Bilde nur wenig
Analogien finden, wie motorischer Drang,
Zwangsbewegungen, Chorea, Paralysen und
Paresen, und solche, welche Reizungen und
Lähmungen den psychosensoriellen Centren
entspringen u. s. w.
Was nun die krampfauslösende Wirkung
der auf die Hirnrinde aufgetragenen Stoffe
betrifft, so zeigten sich Harnstoff und koh-
lensaures Ammoniak diesbezüglich inactiv.
Dagegen wirkten Kreatin, Kreatinin, durch
Waschen gereinigtes Uratsediment, harn-
saures Ammoniak, Leucin, ferner Kochsalz,
Chlorkalium, einfach kohlensaures Natron,
saures phosphorsaures Kali convulsionser-
regend.
Es möge hierbei hervorgehoben werden,
was klinisch von Bedeutung ist, dass die
Narkose (bei Hunden Chloroformnarkose,
bei Kaninchen Aetherrausch) die Krämpfe
fernhält, wenn selbige noch nicht zum Aus-
bruch gekommen waren; sie beseitigt die-
selben, w^enn die Muskeln bereits angegriffen
waren.
Indem der Verf. im vorletzten Abschnitte
die Theorien über das Wesen der urämischen
Intoxication und die diesbezüglichen experi-
mentellen Forschungen zusammenstellt und
kritisch beleuchtet, präcisirt er noch einmal
in einem Schlussworte die von ihm gewon-
nenen Resultate, auf Grund deren sich eine
Reihe schwierig zu beantwortender Fragen
ergiebt. J, Rukemann {ßerlin).
Klinische Beiträsre zur manuellen Behandlungr
der Frauenkrankheiten. Von Braun-Fern-
wald und Kreis sl, Wien 1889 pag. 40.
Die sehr verdienstliche Abhandlung fuhrt
die in jüngster Zeit grenzenlos übertriebene
Bedeutung der Massage bei den Erkrankun-
gen der weiblichen Geschlechtsorgane auf
ihren wahren Werth zurück. In dem ersten
Theile, welcher von der Massage bei Vor-
fall der Scheide und des Uterus han-
delt, berichten die Verff., dass sie unter
14 nach der Thure-Brandt 'sehen Methode
behandelten Fällen nur 4 geheilt hätten.
Der Grund für die Misserfolge liege eben
darin, dass lange nicht alle Fälle von Pro-
laps für die Massagebehandlung geeignet
seien. Dieselbe setzt sich bekanntlich im
Wesentlichen aus folgenden 4 Acten zusam-
men: 1. Tapotement (Klopfen mit der Faust
auf die Sacralgegend) ; hierdurch werden
Contractionen der Giuteal- und Analgegend
reflectorisch angeregt; 2. die Lüftung des
Uterus: während der Assistent den in Ante-
flexionsstellung gebrachten Uterus von der
Scheide aus nach oben drängt, fasst der
Masseur die Gebärmutter von den Bauch-
decken aus und hebt sie in die Höhe;
3. die Knieschliessung und -Öffnung bei ge-
hobenem Gesäss unter Widerstandsleistung
seitens des Arztes; 4. von Seiten der Kran-
ken häufiges freiwilliges Ausführen jener Be-
wegungen, wie sie beim Zurückhalten des
Stuhlganges gemacht werden.
Alle jene 4 Maassnahmen haben nun in
erster Linie den Erfolg, die den Beckenboden
bildenden Muskeln zur Contraction zu ver-
anlassen. Die Verff. führen nun mit vollem
Recht aus, dass die Grundursache der weit-
aus meisten Prolapse nicht — wie Thure-
Brandt annimmt — in einer Erschlaffung
der an den Uterus herangehenden Bänder
besteht, sondern in einer Erschlaffung des
„Diaphragma des Beckenausgangs ^; die Deh-
nung des Bandapparates sei meist secundär.
Die beiden vornehmlich hier in Betracht kom-
menden Muskeln sind der Levator ani und
M. transversus perinaei profundus. Daher
ist die Massage nur dann von voraussicht-
lichem Erfolg begleitet, wo der Prolaps auf
einer pathologischen Nachgiebigkeit dieser
Gebilde beruht. Hieraus ergeben sich sehr
tn. Jahf gan^. 1
D«oeinb«r 1889. J
Litteratut.
583
gewichtige Gegenan zeigen der Massage; in
erster Linie sind Yorfälle, welche mit
Scheidendammrissen vergesellschaftet sind,
durchaus ungeeignet für diese Behandlung.
Ebenso einleuchtend ist, dass erhebliche
Cervixhypertrophie die manuelle ürolapsbe-
handlung aussichtslos machen wird. Als
weitere Gegenindication führen sie an: sehr
dicke Bauchdecken, Schwangerschaft, Ge-
schwülste, EntzündungSYorgänge der Becken-
organge, sehr langes Bestehen der Vorfalle,
starkes Heruntergekommensein der Kranken
u. s. w. Am besten eignen sich solche Falle
— und diese allerdings oft mit ganz aus-
gezeichnetem Erfolge, — welche frischen
Alters und uncomplicirt sind. Im zweiten
Theile sprechen die Yerff. ihre Erfahrung aus
über die Massage bei entzündlichen Er-
krankungen der Geschlechtsorgane. Dieselbe
erstreckt sich auf 24 Falle. Vorwiegend
waren es fixirte Retroflexionen und para-
metranc Exsudate, welche die dankbarsten
Angriffsobjecte für die Massage abgaben.
Die Arbeit sei hiermit wegen ihrer
klaren, von Voreingenommenheit freien Dar-
stellung allen denen, die sich mit üterus-
massage beschäftigen, warm empfohlen.
Schatfsr (Berlin).
Eingesandte Bücher.
Lehrbuch der physiologischen und pathologi-
schen Chemie in 21 Vorlesungen für Aerzte
and Stadirende von G. Bunge, Prof. der
physiologischen Chemie in Basel. II. Auflage.
Leipzig. F. C.W.Vogel. 1889.
Diagnostik der inneren Krankheiten auf Grand
der heutigen Untersuchungsmethoden. Ein
Lclirbuch für Aerzte und Studirende. Von
Dr. Oswald Vierordt, a. o. Prof. der M«»d.
und Director der med. Poliklinik an der Uni-
versität Jena. II. Auflage. Leipzig. F. C. W.
Vogel. 1889.
Pathologie und Therapie der Nervenkrank-
heiten für Aerzte und Studirende von Dr.
Ludwig Hirt, Prof. an der Universität Bres-
lau, n. Hälfte. Wien und Leipzig. Urban
und Schwarz enb erg. 1890.
Handbuch der Kinderkrankheiten. Herausgege-
ben von Dr. C. Gerhardt, Prof. der Me-
dicin und Geh. Med.-Rath in Berlin. V. Band.
2. Abtbeilung. Tübingen. H. Laupp^sche Buch-
handlung. 1889.
Lehrbuch der Kinderkrankheiten in kurzgefass-
ter systematischer Darstellung. Zum Gebrauche
für Studirende und Aerzte von Dr. Ludwig
Unger, Docent für Kinderheilkunde an der
k. k. Universität zu Wien. I. Hälfte. Leipzig
und Wien. Franz Deuticke. 1890.
AerztUche Erfahrungen über die Malaria der
Tropen -Länder. Gesammelt von Dr. Lud-
wig Martin, k. bajer. Hofrath und approb.
Arzt für Deutschland und Niederländisch -In-
dien. Berlin. Julius Springer. 1889.
Prmctisehe Ufotisen
nnd
empfehlenswerthe Amielfonneln.
Ueber die Behandlung des Frostes.
Die Behandlung des Frostes hat zu
den verschiedenartigsten Vorschlägen geführt,
von denen einige auch als hygienische Mittel
von Werth sind.
So empfiehlt es sich, Waschungen vorzu-
nehmen aus Alaun, Borax, Tinct. Benz, nach
folgender Formel:
^ Aluminis
Boracis aa 5,0
solve in
Aq. Rosarum 300,0
oder
Tinct. Benzoes 15,0
D. S. zur Waschung.
Allgemein empfohlen vrird der Gebrauch
des Camphers, des Jodes, des Bals. Peruvian.
oder Petroleums und selbst der Tinct. Can-
tharidum als Beimischung zu Salben. Fette
Einreibungen haben sich stets als nützlich
bewährt.
Allgemein gebräuchlich ist die Behand-
lung mit Collodium allein oder mit Jod-
zusatz.
Für Salbenanwendung empfiehlt sich die
Hufel and 'sehe Salbe
Boracis 5,0
ünguent. 25,0
M. f. unguentum.
Sehr zweckmässig und angenehm zum
Verreiben ist folgende Camphersalbe:
^ Olei camphorat. 2,0
Lanolini 20,0
M. f. ung. Aeusserlich.
Man kann den Camphergehait durch Zu-
satz von Campherpulver verstärken oder nach
Hu et er 's Vorschlag bei Verbrennungen die
Pemionen mit Zusatz von Carbolsäure be-
handeln*).
Die obige Salbe ist auch bei kalten,
feuchten Füssen, welche besonders zu Fer-
nionen führen, als Prophylacticum und in
Verbindung mit der Collodiumbehandlung
bei dünner Verreibung zu verwerthen.
Liebreieh.
118.
•) Hueter-Lossen, Chirurgie 1889. Bd. 1 p. 117,
584
PraetWehe ÜotLseo unci empiehlanswertlke ArzneÜbnnela.
Monatahefte.
Ein neuer antiseptischer Verband von Lister.
In einem vor der Medical Society of
London am 4. November gehaltenen Vortrage
(British Med. Journ.) empfahl Li st er als
zuverlässliches, nicht reizendes Antisepticum
eine Doppelverbindung von Cyanquecksilber
mit Cyanzink, welche durch Mischen einer
Losung von Quecksilbercyanid-Cjankaliummit
einem löslichen Zinksalz erhalten wird. Die
Zusammensetzung des „Boppelcyanids",
wie diese Verbindung von Lister kurz ge-
nannt wird, ist noch nicht sicher festgestellt.
Basselbe ist in Wasser so gut wie unlöslich,
löst sich aber in 3000 Theilen Blutserum.
Auf Gaze wird es unter Anwendung von
Stärke fixirt.
Zur localen Behandlung der Diphtherie
empfiehlt d'Espi^e in Genf (Rev. mM. de
la Suisse rom. 89 No. l) die Salicylsäure
als das beste Mittel. Je nach der Schwere
des Falles kommen stündlich oder zwei-
stündlich Lrrigationen mit einer Lösung von
1 7» bis 2 pro Mille zur Verwendung. Bei
älteren Kindern oder Erwachsenen ersetzen
Gurgelungen die Irrigationen. Zur Beseiti-
gung der Membranen empfehlen sich auch
gleichzeitige Pinselungen mit Citronensaft.
Gegen die Grippe
wird von A 1 i s o n (Arch. g^n. de med.
August 1889) mit bestem Erfolge Tannin
angewandt. Dasselbe wirkt secretionsver-
mindernd und setzt die Schmerzhaftigkeit
herab. Erwachsene erhalten 1,0 bis 2,0
pro die in 3 Dosen (nach dem Essen),
Kinder Klystiere mit 0,4 bis 0,6 (im ersten
Lebensjahre 0,2).
Bei Angina
fand Joris senne (Nouveaux remedes Oc-
tobre 89) Antipyrin sehr wirksam. Kleinen
Kindern verabreicht er zwei Mal täglich
0,50. Vom 6. Jahre an giebt er mindestens
0,60 — 0,70. Niemals traten unangenehme
Nebenerscheinungen auf. Die Verabreichung
erfolgte in wässeriger Lösung unter Zusatz
von Succus Liquiritiae.
Gegen Keuchhusten
verschreibt der bekannte Kinderarzt Monti:
Chinin, muriat. 0,40—0,70
Natrii bicarb.
Sacch. alb. aa 1,50.
M. f. pulv. et divid. in part. No. X.
D.S. 2 stündlich 1 Pulver.
Cohen empfiehlt Einathmungen
von Bromkali- Nebel mittelst eines sogen.
Refraichisseurs, der, mit einer 4 — 6®/oigen
wässerigen Bromkalilösung gefüllt, durch
Compression des Gummiballons sofort den
Nebel erzeugt. Durch Einbringung in den
Mund gelangt der Nebel zum Kehlkopf
und wirkt dadurch beruhigend auf die
Husten anfalle.
Als ein zuverlässiges Mittel gegen Diabetes inä-
pidus
wird von Hershey (Philadelphia) das Ex-
tractum secal. cornuti gerühmt. Das-
selbe hat sich in der Klinik von Costa
bewährt, woselbst es in Dosen von 1,0 drei
Mal täglich mit bestem Erfolge verabreicht
wurde.
Zur Behandlung von Reiszuatänden
seitens der Ovarien, der Blase, der Va-
gina, besonders aber bei Beschwerden der
Menopause und bei schmerzhafter Periode
empfiehlt Farlow Zäpfchen von folgender
Form:
IV Extract. Cannab. indic.
Extract. Belladon. aa 0,015
Butyr. Cacao q. s.
M. f. Supposit. D. S. dos. VI.
Zur Verordnung des Antipyrins.
Einer Notiz im British Medical Journal
zu Folge erzeugt Gerbsäure in Antipyrin-
lösungen einen aus Gerbsäure und Antipyrin
bestehenden Niederschlag, welcher auf Zu-
satz verdünnter Schwefelsäure löslich ist
Gerbsäurehaltige Decocte, lufuse, Tinctoren
lassen sich daher nicht mit Antipyrin zu-
sammen verordnen.
Starke Lösungen von Antipyrin und
Chloralhydrat geben beim Vermischen eine
weisse Trübung. Nach einiger Zeit sammelt
sich am Boden des Gewisses eine ölige
Flüssigkeitsschicht, welche nach Verlauf von
einigen Stunden zu einer kry stall in ischen
Masse erstarrt. Die Krystalle geben mit
Eisenchlorid die charakteristische Antipyrin-
reaction und entwickeln beim Erwärmen mit
Kalilauge Chloroform. — In verdünnten
Lösungen tritt dieser Niederschlag nicht ein.
Bei einem Verhältniss von 1 Antipyrin bez.
Chloralhydrat auf 8 Wasser ist die Mischung
anfänglich klar, nach einigen Stunden treten
jedoch auch in dieser Lösung noch Krystalle
auf. Bei einer Verdünnung von 1 : 32 Was-
ser bleibt die Mischung dauernd klar.
Verlag von Julius Springer in Berlin N. — Druck von Gustav Schade (Otto Franoke^ Berlin N.
Namen-Regrister.
(Die fettgedruckten Zftfalen bezeichnen Öriginal-Abhandlnngen.)
Adler, ÄDtisepsis am Auge 531.
Ahlfeld, Desinfection der Scheide 871.
Albers, Cocain bei grösseren Opera-
tionen 577.
Alexander, Behandlung derLeukorrhoe
mit Borsäure 35.
Aliscb, Antifebrinvergiftang 340.
Alison, Tannin bei Grippe 584.
Altdorfer, Schlaflosigkeit 121.
Ammon, Uterusatonie 477. '
AmoD, Vergiftung mit Thiore8orcin534.
Anderson, Syphilis 466.
Andreesen, Kreosot-Injectipnen 874.
Angerer, Pylorusstenose 371,
Anpugnani, Fluorwasserstoffsäure 129.
Anton, Hjpnotismus 419.
Anton W., Entzündung des äusseren
Gehörgan ees 528.
Auer, Variola 78.
Archinard, Mundwässer 391.
Baccelli, Chinin. Pneumonie. Neuralgie
128, 129.
Baeumler, Tabes 519.
Bailly, Stypage 192.
Balland, Tod nach Morphin 486.
Balzer, Injectionscuren 467.
Y. Baracz, Dermoplastische Amputa-
tion 577.
Bardet, Exalgin 170, 230.
Barthelemy, Acne 465.
y. Basch, Dyspnoe 274.
Batterbury, Antipyrin 96.
Battlehner, Hebamme und Antisepsis
371.
Bay6r,Empyem der Highmorshöhle 239.
Berger, Antipyrin-Intoxication 185 —
Priyatheilanstalten 535.
y. Bergmann, antisept. Wundbehand-
lung 244.
Berlinerblau, Vergiftung durch Speise-
lorchel 140.
Bernhardt, Tabes und Suspension 378.
Beschorner, Laryngo-Phtbisis 374.
Besnier, Trichophytiasis 467.
Bettelheim, Cocain-Vergiftung 242.
Betz, Operation bei LarynztuDerculose
505.
Bielscho wsky, Influenz-Elektricität 106.
Bier, Syphilome der Musculatur 437.
Binet, Uytisinum nitrioum 174.
Binswanger, Suggestionstherapie 1, 54,
112, 158.
Binz, Pembalsam 248 — Kunstiiche
Narkose 519.
Birch-Hirschfeld, Pathol. Anatomie 94.
Bokai, Zoster nach Arsenik 77 —
Picrotoxin, Antidot des Morphins 141.
Born, üterusblutuncen 478.
du Bourg, Tod na(m Moiphin 436.
Bourset, Guajakol und Kreosot bei
Tuberculose 279.
Böttrich, Therap. Mitth. Hydrastis.
Sulfonal 123.
Bramann, Schusswunden des Dünn-
darms 418.
Brand, Typhus abdom. 15.
Braun, Eünstl. Frühgebart wegen Oed.
pulm. 137 — Fälle yon Sectio cae-
sarea 529.
Braun-Fernwald, Manuelle Behandlung
der Frauenkrankheiten 582.
Bräutigam, Peru baisam 422.
Brehmer, Mittheilungen für Lungen-
kranke 486.
Brieger Prof., Bacterien und Krank-
heitsgifte 518.
Brieger Li, A^tifebrin- Vergiftung 384.
Bromwell, Papaln bei Diphtherie 33.
Bröse, Intrauterine Chlorzinkätzung 35.
Brower, Basedow'sche Krankheit 82.
Brü^elmann, Asthma 28 — Nasen-
schwindel 67.
y. Brunn, Ichthyol bei Erysipel 222.
Bruns, Beiträge zur kl. Chirurgie 46
— Jodoform bei tubercul. Abscessen
87 — Elektrische Behandlung der
Angiome 433.
Buch Wirbelweh 879.
Buchholz, Auszug aus Krankenge-
schichten 341.
Bujwid, ToUwuth 25.
Bum, Massage und Hamsecretion 87.
Bumm, Parametritis 370 — Wund-
infection 427.
y. Büngner, Behandlung des Klump-
fusses 527.
Burchardt, FoUiculäre Bindehautent-
zündung 338.
Burquoy, Strophanthns 25.
Butte, Trichopnytiasis 467.
Callan, Comcalgeschwüre 285.
Camba, Intoxication durch Canthariden
186.
Candarelli, Chinin 128.
Cantani, Pneumonie, Diabetes 129.
Casper, Residualharn 245.
Cecnerelli, Tuberculose Peritonitis 474.
Chabry, Bedeutung des Kalkes 172.
Charbanoff, Rachitis 127.
Cbarcot, Suspension bei Tabes 135 —
Suggestionstherapie 379.
Chazan, Post-partum-Blutung 35.
Chelmonski, galyanisch. Strom als Ab-
führmittel 339.
Cheminade, Resorption des Queck
Silbers 482.
Cholewa, Menthol bei Furunculose des
äussern Gehörganges 262.
Chopin, Ausscheidung der Salicylsäure
282.
Christ^ison, Wann sollen Arzneien ge-
nommen werden? 391.
Ciaret, Sulfonal 419.
Clarke, Faradischer Strom in der Gynä-
kologie 478.
Clemens, Behandlung der Lungenent-
zündung mit Chloroform 177 —
Eingewachsener Nagel mit Stanniol
behandelt 240 — Elektrische Be-
handlung der Kehlkopfskrankheiten
357 — Mastdarm-Elektrode bei Pro-
stata-Leiden 410 — Heilung der
syphilit. Sklerosis mit elektrischen
Strömen 507, 559.
Cohen, Bromkali bei Keuchhusten 584.
Cohn, M. Seekrankheit 47 -^ Kaffee-
yergiftung 189.
Cohnstein , Inoarceration des retro-
flectiften grayiden Uterus 182.
Colombe, Hydropsie mit Calomel -be-
handelt 334.
Corner, Salol 474.
Cornet, Verbreitung der Tuberkelbar
cillen 521.
y. Coryal, Suggestionstherapie 232,
403.
Coyarrublas, Antipyrin gegen Ischias
282.
Cramer, Creolinyergiftung 434.
Crocker, Brom- Ausschlag 468.
Curschmann, Behandlung des Ileus
1 tlt>.
Czymianski, Ma^enaspirator 224.
llallineer, Jodoform bei tuberculöser
Knocnenentzündung 474.
Dana, Suspension bei Rückenmarks-
leiden 425.
Dayidsohn, Desinfection der Instru-
mente 48.
Dayis, Asthma 471.
Deipser, Heisse Ausspülungen post
partum 478.
Delbastille, Blutergüsse in die Gelenke
126.
Demme, Strophanthns bei Kindern 82
— Vergiftung durch Speiselorchel
140 — Chorea bei Jodolorm-Intoxi-
cation 186.
Dettweiler, Taschenfläschechen für Hu-
stende 216.
Diday, Syphilis 466.
74
586
Nam«n*Rogister.
HJ
Diessl, "Variola 78.
Dietrich, Eleqtuarium e Senna inspis-
satam 296.
Dill er, Antifebrin ge^en Epilepsie 469.
Dinter, Creolinvergiftang 578.
Dochmann, Temperatnrsteigerang 127.
Döderiein, Antiseptisches Verfahren
der Hebamme 371 — Desinfection
des Geburtskanals 426.
Dornblüth, Beruhigungsmittel für Gei-
steskranke, Hyoscin, Codein 361.
Doutrelepont, Syphilis mitOalomelund
Oleum einer, behandelt 287.
Dojon, Bromkali im Orpanismus 428.
Drysdale, Trichophytiasis 467.
Dabois, Syphilis 466.
Dubruil, Empyem 83.
du Gastel, Syphilis 466.
Dührssen, Enges Becken 382 — Blu-
tungen post partum 416.
Dujarain-Beaumetz, Strophanthus 26
— Exalgin 170 — Diabetes 420.
Dumont, Aethemarkose 87.
Ebstein, Ozaena, Erysipel, Decubitus
144.
Ebstein (Göttingen), Harn- und Nieren-
steine erzengt durch Injection che-
mischer Substanzen 273 — Behand-
lung der Gicht 272.
Eckerlein, Utorustamponade 478.
Edlefsen, Antipyrinlösung zur Injection
440.
Eichhoff, Hydroxylamin 124, 137.
Eichhorst, Myrtol 22.
Eisenlohr, Empyemoperation 274 —
Suspension bei Tabes 519.
Emminghaus, Narcotica 25.
Engel, Behandlung der Lungenschwind-
sucht mit Kreosot 501.
V. Esmarch, Carcinome 327 — Wasser-
stoffeinblasung 418 — Mittheilungen
aus der chirurg. Klinik 437.
d'Espine, Salicy&äure bei Diphtherie
584.
Eulenburg, Suspensionsbeh. bei Tabes
378.
Ewald, Suggestion 330.
Ewer, Zimmerboot 191.
Fabry, Behandlung der Psoriasis mit
Hydroxylamin 338, 392.
Falkenheim, Lehre vom Empyem 46.
Farlow, Reizzustände der Ovarien 584.
Faucher, Magenausspülung bei Kindern
425.
Fauchen, Citronensaft bei Epistaxis 96.
Faust, Desodorisirende Wirkung der
Bors&ure 514.
Feeny, Antipyrin bei Nierenkrankbeiten
und Diabetes 469.
Fehleisen, Prostatahypertrophie 479.
Fehling, Selbstinfection 370.
Felkin, Nebenwirkung der Saücylate
Felser, Trichlorjod 127.
F^r^ol, Enteroptose 26.
Finkelnburg, Verbreitung der Tuber-
culose 274.
Fischer B., Die neueren Arzneimittel
47, 487.
Fischer (Breslau), Trepanation 372.
Fischer E., Zweifach Jodquecksilber
und -Jodkalium als intramusculäre
Einspritzung 340.
Fischer F., Sulfonal 332.
V. Flammerdinghe, Hydrocele 47.
Flashar, Ananas 144.
Flechsig, Handbuch der Balneotherapie
141.
Fleiner, Chron. Gonorrhoe 557.
Flothmann, Gehimverletzung 288.
Foggi, Wiederherstellung der Harn-
blase 335.
Fournier, Syphilis 241.
Fränkel B., Kehlkopfki-ebs 180 —
Elektricität 330 — Cocain 620.
Fränkel E., Chlorzinkätzung 34.
Fränkel (Chemnitz), ßlennorrhoea neo-
nater. 536.
Frendenberg, Cocain bei Blasenzer-
trümmerung 431.
Freund, Codein bei Frauenkrankheiten
399.
Frey, Hypnotismus 419.
Freyer, Gift Wirkung des Extr. Filicis
maris äth. 90. 138 — Wie ist daa
Hebammenwesen zu bessern? 94.
Friedheira, Gonorrhoe 530.
Fritsch, Verhütung des Kaiserschnittes
529.
Fürbringer, Impotentia virilis 272.
Fürstner, Opium 24 — Körpergewicht
bei Psychosen 569.
Fürth, Antifebrinvergiftung 288.
dalatti, Lipanin 472.
Gans, Saccharin 233.
Garnier, Sulfonal 332.
Gärtner, Untersuchung des Wassers
342.
Garyland, Antipyrin bei Chorea 469.
Gay, Tracheotomie und Intubation 135.
Gelpke, Incarceratio interna 336.
Gerber, Pharyngo- nasale Syhphilis-
Affectionen 576.
Gerson, Acute Jodintoxication bei
Nephritis 435.
Gersuny, Incontinentia urlnae 480.
Geschier, Blattemepidemie 79.
Gessler, Elektrische Behandlung der
Angiome 433.
Geyer, Jodoform- Dermatitis 36.
Giacchi, Wirkung des Tabaks 178.
Gibson, Strychnin als Antidot bei
narkotischen Vergiftungen 81 —
Nebenwirkungen der Salicylate 92.
Gilles de la Tourette, Suspension bei
Tabes 178.
Girard, Seethiere 172.
Giraud, Abführende Chocolade 488.
Glass, Sauerstoff-Inhalationen 522.
Gley, Strophanthin 25.
Gnanck, Neurosen und gynäkologische
Operationen 476.
Gold, Rotz- und Inunctionscur 431.
Goldschmidt, Kystoskopie 442.
Goldzieher, Galvanokaustik in der
Augenheilkunde 284 — Pterygium
468.
Gönner, Lageveränderung des Uterus
283.
(Soodhardt, Pilocarpin gegen Haut-
jucken 144.
Gordon, Homhautgeschwüre 127.
Goris, Fibromyxom 554.
Gottbrecht, Flusssfture 411.
Gottschalk, Menthol bei Erbrechen
der Schwanfferen 536.
Gottstein, Sublimat-Lanolin 102.
Götz, Fluorwasserstoffsäure 85.
Gräser. Malariafieber 377 — Syzygium
Jamoolanum 519.
Grätzer, Lassar^sche Haarcar 452 —
Salol als Streupulver 536.
Griffith, Antipyrin bei Kenchhosten 27.
Grimaud, Oxvuris 192.
Grödel, Einnuss der Bäder aof dk
elektrische Erregbarkeit derMaskeli
und Nerven 23ö.
Grub er, Lehrbuch der OhreDheilkuode
437.
V. Gubaroff, Unterbindung der TJteros-
gefässe 477.
Gubb, Oxvuris vermicularis 192.
Günther, Hyperemesis gravid. 33.
Günther (Leipzig), Desinfection des
Gebui^tscanals 426.
Güterbock, Krankheiten der Hamor-
gane 580.
Gutteling, Psoriasis und Jodkaliom
286.
Guttmann P., Hydracetin 330.
Guttmann S., Jahrbuch der practischeo
Medicin 487.
Guttstadt, Klinisches Jahrbuch 243.
Guyot, Enteroptose 26.
Habart, Mastdarmvorfall 476.
Hahn E., Osteotomie des Genu TaJgom
87.
Hahn (Bonn), Hydrargyrum salicylicam
480.
Hallopean. Pemphigus nach Jod 33S
— Trichophytiasis 467.
Hammer, Phosphorvergiftung 126.
Hammerle, Verlust des Sehvermögens
nach Opiumtinctur 41.
Hammerschlag, Misränepniver 391.
Hardy, Bromaussem ag 468.
Hartge, Variola 134.
Hartmann, Empyem der Oberkiefer-
höhle 239.
Haupt, locale Kehlkopfbehandlung 520.
V. Hebra, Trichophvtiasis 467.
Hegar, Aetiologie der gyn&koL Leides
369.
Heidenhain, Krebsrecidive 328.
Heimann C, Cocain-Epilepsie 174.
Heimann R., Phenacetin gegen Keacb-
husten 344.
Helbi^, «-Oxynaphtoesäure 75.
Helfench, Hydrocele 97 — Prostata-
hypertrophie 479.
Herczel, Niorenopcrationen 549.
Herold, Nachbehandlung der Trache-
otomie 283.
Herschey, Seeale comutum bei Diabetes
insipid. 584.
Hertzberg, Hydrocele 46.
Herz, Natrium salicyl. bei Pleuritis
422.
Herzog, Ekzem am Naseneingang 33
— Sozojodol bei Nasen- und Hais-
affectionen 364.
Heubner, Scharlachdiphtherie 48, 86.
Heyder, Leinenzwim als Nahtmaterial
248.
Heymann P., Cocain 520.
Hinkel, Antipyrin 181.
Hirschberg, öphthalm.Unter8uchnDgen
32.
Hitzegrad, Kniegelenksresection 437.
Hochenegg, Fremdkörper 77.
Hoffa, Sepsis 418.
V. Hoffmann, Ichthyol 219.
Hofmeier, Handbuch 485.
Hofmeister, Agaricinsfture 270.
Höftemann, Trepanation 378.
ni. JahrgKag, 1
Deoember 1889. J
Hamen*Regitt«r.
587
Holm, Kreosot bei LuDgentuberculose
211.
HoDigmaDD, SirjchniDvergift. 341.
Houlky-Bey, Syphilis 467.
Habert, Erbrecnen derSchwaDgereDl44.
Huchard. Dicitalis 280 — Ga£PeIn 373.
Hugenscomiot, Dysmenorrhoe und
Suggestion 339.
Hönerfauth, Mastdarm-Elektrodo 264
— Zuckungen bei Tabes 519.
Hüppe, Lehrbuch der Bakterien-
forschung 438.
Hüter-Lossen, Grundriss der Chirurgie
341.
Immermann, .Magenuntersuchung bei
Phthisikem 272.
ImoBsi, Warzen und Tinctura Jodi 392.
Israel, Jodofoim-Dermatitis 95.
Istamanoff, Urethritis und Tbaliin-
Antrophore 286.
Iwanow, Stuhl färEmphy8ematiker84.
•f acobj, Golchicin 569.
Jacobs, Endometritis 468.
Jacobson^ Otiatrische Statistik 18.
Jacquet, Hautausschlag nach Brom 468.
Jadassohn, Salicyl- und Thymolqueck-
silber bei Syphilis 89.
V. Jaksch, Klinische Diagnostik 293.
Jansen, Goloquinthen-Vergiftung 39
Jendrassik, Franklinisation 77 —
Acetanilid 173.
Joachim, Sulfonalwirkung 226.
Jolly, Opium bei Manie 24, 25.
Jonquiere, Vergiftung durch Speise-
lorcbel 140.
Jores, Menthol bei Asthma 169.
Jorisenne, Antipyrin bei Angina 584.
JuUien, Syphilis 468.
Jürgensen, Mechanische Therapie bei
Tabes 519.
Kahler, Phosphor-Vergiftung 126.
Kahn, Benzanilid 27.
Kaposi, Syphilis 466.
Kappesser, Panaritium 392.
Kaltenbach, Selbstinfection 370.
Kassowitz, Rachitis 573.
Kehrer, Desinfection der Scheide 371.
Kikuzi, Tuberculose der Nasenschleim-
haut 46.
Kirchhofer, Zahnverpflanzung 360.
Kisch, Balneotherapie bei Neurosen 287.
Kitosato, Tetanuserreger 418.
Klaussner, Behandlung gangränöser
Heniien 527.
Klemperer, Magenerweiterung 273 —
Dyspepsie der Phthisiker 280.
Klincke, Hyoscin bei Geisteskranken
282.
Kloos, Beckenfraction 46.
Knie, Echinococcus der Niere. Ocso-
phagostomie 33.
Knigh^ Mandelhypertrophie 526.
Knoblauch, Sulfonalwirkung 495.
Kny, Hyoscin 25 — Chloralformamid
345.
Kobert, Jurubeba 126 — Condurango-
rinde 128 — Arbeiten aus dem
pbarmakolog. Institut 142.
Koch, Erysipei 430.
Koch Carl, Therapie der gangränösen
Hernien 336.
Kocher, Kropf ezstirpationen 238 —
Milzexstirpation 283.
Köbner, Anwendung Ton Jod und
Bromprfip. per Rectum 489.
Köhler, Schnupfen 96.
Köhler P., Taschenirrigator 366.
Kolbe, Jodoform-D crmatitis 266.
Kolinski, Naphthalin 433.
Köllicker, Klumpfussmaschine 381.
Komarewski, Eitrise Pleuritis 127.
Köni^, Künstlich hergestellte Nieren-
steine 329.
Kodlny, Behandlung des Typhus 375.
Köstlin, Granulationsstenosen 380.
y. Krafft-Ebing, Conträre Sexual-
empfindung §79.
Kraske, Ueberhäutong offener Krebse
136.
Krause (Halle), Sarkom 872 — Carci-
nom 328 — Hüftgelenkresection 329.
Krause H., Behandlung der Kehlkopf-
tuberculose 203 — Milchsfiure 520.
Kreissl, Manuelle Behandlung der
Frauenkrankheiten 582.
Kreuzeder, Behandlung der Hydropsie
mit Calomel 460.
Kröll, Therapie des Erysipels 352.
Kronfeld, Sulfonal 80 — Wann er-
scheint das Quecksilber des grauen
Oels im Urin? 531.
Krönlein, Carcinoma ventriouli, Exstir-
patio recti, Gallensteinblasen-Ex-
stirpation 78 — Mastdarmcarcinom
171.
Kümmel, Urinretention bei Prostata-
hypertrophie 418.
Küstner, Dammrisse 415 — Ventro-
fixatio uteri bei Retroflexio 417.
I^ancereaux, Syphilis 466.
Landerer, Behandlung der Tuberculose
175 — Methode der trockenen Ope-
ration 328.
Landois, Ur&mie 582.
Lange, Ichthyol 219.
Langgaard, üeber neue Schlafmittel
461, 515.
Langlebert, Syphilis 466.
Lauenstein, Krebsgeschwüre 136 —
Pylorusresection 274 — Pylorus-
stenose 371, 372.
Laufenauer, Franklinisation 77 —
Rubid.-Ammonium-Bromid 348.
Laquer, Congress für innere Medicin
271 — Rhinosclerom 274.
Lehr, Neurasthenia cordis 520.
Leichtenstem, Ileus 271.
Leloir, Syphilis 465.
Lemoine, ryrodin 419.
Lenn6, GaUensteine und Neuenahrer
Sprudel 383.
Leo, Magen ausspülung 24 — Gas-
wechsel bei Diabetes 274.
Leopold, Wochenbett 370 — Ver-
hütung des Kindbettfiebers 427 —
Sectio caesarea 528.
Lesser, Arzneiexanthem 37.
Leu, Behandlung der Furunkel 527.
Leube, Handbucn der speciellen Dia*
gnose der inneren Krankheiten 485.
Levy, Mastdarmresection 434.
Lewentaner, Behandlung der Variola
268.
Lewis, Ueotyphus 79.
Lichtheim, Degeneration der Hinter-
stränge 568.
y. Liebi^, Ber<;krankheit 231.
Liebreicn, Ueber Acetphenylhydracin
oder Pyrodin 23 — Carbolyaselin
191 — Todte Raum 236 — Eleo-
tuarium e Senna inspissatum 248 —
Spritze zur subcut. Injection 295 —
Salzbrunn 323 — Das dithiosalicyl-
saure Natron II 326 — Haarwasser
343 — Chloralsubstitutionsmittel
568 — Pernionen 583.
Lindemann, Bedeutung des Nordsee-
bades 234.
Lindenbaum, Empyem 127.
Lindfort, üterusmyome 183.
Lister, Antiseptischer Verband 584.
Litten, Kohlenoxyd -Vergiftung 76 —
Rhabarberexanthem 126 — Aorten-
aneurysma 329.
Ljachnitzky, Keimfreie Laminaria 79.
Löbker, Chirurgische Operationslehre
190.
Löhlein,Oyariotomie und Myotomie 336.
Löwe C, Antipyrin bei Keuchhusten
169.
Löwenfeld, Behandlung der Neryen-
schwäche 436.
Löwenthal H., Calomelöl und Oleum
einer. 480.
Löwentbal, Sulfonal 80.
Löwentbal W., Cholera 79.
Löwy, Salinische Abführmittel 231.
Loimann, Moorbäder und deren Surro-
gate 165.
Lomer, Placenta praeyia 183.
Lorey, Zuckerstaub gegen Diphtherie
96.
Lumniczer, Tetanus 77.
Lwow, Kali- hypermangan. gegen
Amenorrhoe und Dysmenorrhoe 88.
Mabon, Sulfonal bei Geisteskranken
571.
Madelung, Wundtampons 33.
Mahnert, Methacetin 170.
Makenzie, Chronische Ur&mie und
Morphin 422.
Malachowski, Nebenwirkungen des Jod
(Jodkali) 162 — Entstehung und
Therapie des acuten Jodismus 301.
de Man, Ueber Extract. Filicis 21.
Mandry, Syphilis und Ol. einer. 481.
Maragiiano, Pneumonie 129.
Mascarel, Jod bei Cardiapathie, Virga
latifolia 334.
Mauriac, Syphilis 466.
Meissen, Guajakol bei Phtbise 400.
Mendel, Hypnotismus 330 — Sus-
pension bei Tabes 378.
Mergl, Creolin, Jodoform und Anti-
pyrin 88.
Mermann, Hebamme und Antisepsis
371, 427.
V. Mering, Amylenhydrat 325 -r-
Chloraiamid 565.
Meyer G., Conseryirung der Hände 95.
Michelson, Nasen-Syphilis 576.
Mikulicz, Dauerverband und Wund-
heilung 288 — Perforations- Peri-
tonitis 417.
Miller, Mikroorganismen der Mund-
höhle 389 — Antiseptische Mund-
wässer 535.
Minkowski, Magengährung 44.
Model, Vergiftung durch Carbolsäure
482 — Panaritium 487.
Modestow, Intratracheale Zerstäubung
85.
Moll, Hypnotismus 329.
Monod, Gangrän der Finger nach
Carbollösung 419.
74*
588
Namen-Regitter.
pTherapeatSa^«
MoDtgömmery, Uterinblutung 48.
Monti, Keachhasten 584.
Moravosik, Hysterie und Hypnotismus
625.
Mordliorst, Elektrische Massage 276.
V. Mosetig-Moorhof, Chronische Cys-
titis 488.
Mosler, Prophylaxe der Tuberculose
249 — Krankengeschichten 341 —
Suspension bei Tabes 519.
Mugdan, Tussis conyalsiva 376.
MöUer (Franzensbad), Variola 77. •
Müller E., Aktinomykose 46.
Müller F., Stoffwechsel bei Krebs-
kranken 274.
Müller G., Hydrargyr. salicylic. 577.
Müller H., Nebenwirkungen des Anti-
pyrin 41.
Müller P., Handbuch der Gebartshülfe
386.
Mullhall, Behandlung der Diphtherie
623.
Münchmeyer, Exstirpation des Uterus
416 — Kochsalzinfusion bei Anämie
477.
Nagel, Wendung bei engenpt ^Becken
382.
Naegeli, Handgriff bei Keuchhusten
424.
Naunyn, Mittheilungen aus der med.
Klinik zu Königsberg 42 — 44.
Neisser, Methoden der Syphilis-The-
rapie 291.
Netolitzky, Variola 78.
Neumann, Lehrbuch der venerischen
Krankheiten 187 — Syphilis 466.
Nieden, Amblyopie durch Nitrobenzol
242.
Niesei, Krankengeschichten 341.
Nitschmann, Sozojodol 16.
Nolte, Erysipel 48.
Nonne, Hypnose 30.
V. Noorden, Verkalkte Epitheliome 47.
Normann, Sulfonal 468.
Nowack, Perubalsam 422.
V. Nussbaum, Unglücke in der Chi-
rurgie 92 — Unterleibsbrüche 475.
Nykamp, Heisse Luft bei Lungen-
tuberculose 519.
Obalinski, Laparotomie 172.
Oliven, Behandlung der Phthise mit
Kohlensäure 100.
Openchowsky, Digitalisgruppe 275.
Oppenheim, Traumatische Neurose 372.
Oppenbeimer, Jodkaliumwirkung 537.
Osley, Meteorismus 488.
Ostermayer, Brandwunden 536.
Oestreichcr, Hydracetin bei Psoriasis
383.
0 verlach, Spritze zur subcut. Injection
295.
Ott, Phosphor-Vergiftung 126.
Fachoud, Sulfonal 419.
Parisi, Cocosnüsse als Bandwurm-
mittel 30.
Pauli, Aether nitrosus 276 — Natur-
forscherversammlung in Heidelberc:
518, 568.
Pauschinger, Antifebrin -Vergiftung
288.
Peabody, Terpentinöl gegen Diphtherie
488.
Pean, Trepanation bei Epilepsie 172.
Peiper, Krankengeschichten 341 —
Schutzpockenimpfung 143.
Pelloruti, Tuberculose 129.
Petersen, Arthrodese 872.
Petresco, Digitalis bei Pneumonie 134.
Petrini, Sypnilis 466.
Perceval, Layngbmus stridulus 48.
Pfeiffer, Gicht 272.
Pfuhl, Kalkmilch zur Desinfection der
Typhus- und Choleraausleerungen
488.
Philipps, Pilocarpin in der Geburts-
hülfe 184.
Piffard, Salz bei Hautkrankheiten 36.
Pinner, Resorption des Quecksilbers
320.
Pinzani, Antipyrin und Wehenthätig-
keit 469.
Placzek, Abkühlung bei Fieber 133.
Plenio, Zur Creolinfrage 23.
Plumert, Quecksllbersalicylat 287.
Podrere, Tuberculose Gelenkaffeo-
tion 127.
PoUak, Variola 78.
Polydk, Diarrhoe der Phthisiker 182,
472 — Kreosot bei Phthisikern 574.
Porrith, Pruritus 392.
Pouchet, Kalk bei der Entwicklung
der lebenden Wesen 172.
Posner, Prostatitis 275, 373.
Poten, Wochenbetterkrankung 427.
Poulet, Purpura haemorrhagica, be-
handelt mit Argen t. nitr. 430.
Prevost, Cytisinum nitricum 174.
Prior, Cannabispi*äparate 80.
Puijesz, Typhus abd. 12 — Creolin
bei eitriger Mittelohrentzündung 184.
Puschmann, Geschichte der Mcdicin
518.
Rabow, Ueber Hyoscin 367 — Haar-
wasser 391 — Somnal 517.
Radestock, Schwitzcuren bei Syphilis
74.
Ramos, Strychnin beiDelirium trem.81.
Rapin, Antipyrin 41.
Raynaud, Verordnung des Coffeins 536.
Reimer, Scharlach 575.
Renvers, Ernährung bei der Diph-
therie 145.
de Renzi, Lungentuberculose 128.
Reuter, Castoreum 440.
V. Rey, Fall von San tonin -Vergiftung
532.
Reynold, Thiocamf. 391.
Rheiner, Zur Kenntniss des Codeins
393, 456.
Rheinstädter, Chlorzinkätzung 34.
Rice, Glycerinklystier 96.
Richards, Incontinentia urinae 488.
Riva, Lungentuberculose 129.
Robin, Behandlung des Diabetes mit
Antipyrin 281.
Robinson, Lungenphthise und Kreo-
sot 420.
Roche, Wirkung der Virga aurea 334.
Roe, Mandelaffectionen 526.
Röhmann, Jodismus 301.
Rörig, Neuer Spülapparat 70.
Rörig, sen., Lithotripsie 155.
Rosenbach, Chloroform - Inhalationen
bei Lungen- und Herzkrankheiten
175 — Carbolvaselin 191 —.Haben
die in Vaselin oder Oel gelösten
Antiseptica wirklich keine therap.
Bedeutung 247 — Punction des
Darms bei Darmverschluss 335 —
Nachtschwcisse der Phthisiker 344.
Rosenbaum, Hydroelektrische Bäder
233.
Rosenberg S., Olivenöl bei Gallen-
steinen 433, 542.
Rosenfeld, Semiotik des Harns 293
— Jauchiges Empyem 274.
Rosenthal, Morphinismus u. Chloralis-
mus 572.
Roser, Larynzexatirpation 274.
Rosolimos, Syphilis 466.
Roux, Creolin 473.
Rumpf, Einfluss des Alkohols nnd
Glycerine auf die Diffusion der
Salze 518.
Runge, Puerperale Sepsis 34.
Rüter, Perineorrhaphie 409.
Rydygier, Unterbindung der Arteri*
thyreoidea 381.
Slahli, Antifebrin bei Angina 333.
Salemi, Antipyrin bei Hallucination 28.
Salkowski, Wirkung des Chloroforms
175.
Salzer, Fremdkörper 76.
Sämiscb, Verletzungen des Auges 290.
Samter, Behandlung des Erysipels mit
Carbolinjectionen 473.
Sänger, Perineoplastik 415.
Schabanowa, Rachitis 423.
Schäffer E., Oxalsäure -Vercifbung 435.
SchäfferM., krystallisirtes Jodol 294.
Schäffer R., Behandlung der Uterus-
myome nach Apostoli 447.
Schatz, Seeale comutum 417.
Schellong, Malariafieber 540.
Schinzinger, Carcinoma mammae 328.
Schiff, Behandlung der Verbrennun-
fen 465.
illing, Keuchhusten 470.
Schlesinger, Creolin 474.
Schmeicher, Glycerin - Suppositorien
294.
Schmid H., Kehlkopfexstirpation 238,
372.
Schmidt, Codein bei Morphinismus 509.
Schmidt (Mülheim), Künstliche Matter-
milch 136.
Schmidt M., Schlitznng der Mandeln
441 — Zucker bei Operationen 520.
Schnitzler, Perubalsam bei Eehlkopf-
Tuberculose 520.
Schönfeld, Klinisches Jahrbuch 243.
289.
Schott, Morbus Basedowii 231.
Schuler, Antiseptische Chirurgie 426.
Schüller, Laparotomie 418.
Schultze, Tabes 569.
Schulz H., Vergiftung mit Croton-
samen 89 — Zerlegung voa Jod-
kalium durch Kohlensäure 367.
Schuster, Hypnose 315 — Syplülis
466.
Schütz, Therapie des Lupus 240.
Schwarz, Franklinisation 77.
Schwimmer, Syphilis 466.
ScoUa, Fluorwasserstoffsäure 129.
Secretan, Seröse Ergüsse 29.
See, Strophanthus 25 — Diabetes
420 — Lactose als Diureticum 332.
Seglas, Sulfonal 419.
Sehrwald, Aetzwirkung des Broms
384.
Seibert, Diphtherie 392.
Seifert, Rhinitis fibrinosa 274.
Seig, Zusatz von Kreosot nnd Sac-
charin zu Loberthran 536.
m. JahrgAng. 1
Deeomber 1889. J
Namen-Regitter.
589
Seitz, VerordnoBg des Kreosot 48.
Sembritzki, Wirkung des Antifebrins
267.
Senator, Qaellsonde 297.
Shakowski, Salicjlsäure bei Scarla-
tina 236.
Sielski, Utemsprolaps 183.
Siredey, Enteroptose 26.
Skrzeczka, Klinisches Jahrbuch 243.
Skutsch, Salpingo-Stomatomie 417 —
Zur Lehre Tom Kaiserschnitt 528.
Socin, Darmwunden 418.
Sokolowski , , Kehlkopfsschwindsucht
235.
Soinmerbrodt, Lungentuberculose be-
handelt mit Kreosot 298.
Sonsino, Ankjlostoma behandelt mit
Thvmol 129, 434.
Soubbotine, Empyem 127.
Sperling, Hypnose 29, 330.
Sprinz, Fusssch weisse 143.
Steffeck, Desinfection der weibl. Geni-
talien 426.
Stein, Cocaln-Verffiftung 485, 584.
Steiner, Sulfonal 459.
Stepp, Innere Anwendung des Chloro^
forms 176 — Bromoform gegen
Keuchhusten 470, 573.
Stern, Neues Suspensorium 38 —
Neue Lanolinsalben 72 — Xan-
thom 89.
Stern C, Sozojodol 432.
Stewart, Selbstmord durch Kalium-
bichrom at 42.
Stifler, Kohlensaure Stahlbäder 233.
Stiller, Morbus Basedowü 83.
Strassmann, Chloroform 185.
Strümpell, Syphilis und Tabes 568.
Studer, Helvella esculenta 140.
Suchannek, Nachbehandlung der
Nasenoperationen 552.
Sulzer, Traumatische Epilepsie 235.
y. Swiecicki, Stickoxydul - Sauerstoff-
An&sthesie 88 — Endometritis 488.
Szadek, Chronische Urethritis 430.
Szenes, Entzündung des äusseren Ge-
hörganges 528.
Szeremley, Diphtherie und Ferrum
sesquichlor. 523.
Tavernier, Syphilis 465.
Terpeljaschin, Kataract nach Mutter-
korn 127.
Ter-Zakariant, Eschscholtzia 24.
Thomas, Antipyrese 132.
Tiemann, Untersuchung des Wassers
342.
Tilanus, Jodoform 474.
Tizzoni, Wiederherstellung der Harn-
blase 335.
Tomaselli, Chinin 128.
Thiersch, Extraction der Nerven 371.
Thomson, Nähmaterialien beim Kaiser-
schnitt 529.
Thorpe, Vergiftung durch Himrod's
Pulver 42.
Treitel, Conjunctivitis gran. 63. 128.
401.
V. Trenitinaylia, Antisepsis 136.
Tuczek, Antipyrin -Vergiftung 386.
Uffelmann ^ Desinfection infectiöser
Darmentleerungen 440.
Uhlig, Ernährung der Säuglinge mit
sterilisirter Milch 524.
Urapfenbach, Therapeutische Mitthei-
lungen 250.
Ungar, Pneumatische Therapie im
Kindesalter 7.
V. Vamossy, Perubalsam bei Lungen-
tuberculose 421.
Veit, Extrauterinschwangerschaft 415.
Vidal, Trichophytiasis 467.
Vieil, Ekzem 37.
Vogl, Typhus 129.
Voisin, Sulfonal 419.
Volkmann, Entfettungscuren 381.
Volland, Behandlung der Lungen-
schwindsucht 276.
Vossius, Conjunctivitis granul. 258.
311.
Wackcz, Creolin-Ekzem 264.
V. Watraszewski, Syphilis 467.
Weber, Krankengeschichten 341.
Weinberg, 2 Fälle von Kaffeever-
giftung 241.
Weiss M., Kochsalzinjection bei Anä-
mie 30.
Werth, Genitaltuberculose 371.
Wertheimber, Pruritus cutaneus uni-
versalis 536.
Wesener, Behandlung der Lungen-
schwindsucht 234.
Wessler , Cocain - Antipyrininjection
168.
Westphalen, Subcutane Blutinjection
134.
Wbitehead, Behandlung des Carbun-
kels 248.
Wiedow, Kreuzbeinresection 369 —
Beckenabscess 416.
Wildermuth, Amylenhydrat gegen Epi-
lepsie 572.
Winckol , Extrauterinschwangerschaft
369.
Windclschmidt, Antipyrin bei Keuch-
husten 573.
Wittich, Opium 24.
Wolfler, Cocain 288 — Erysipel 429.
Wolfermann, Rückgratsverkrümmung
38h 527.
Wolzeudorf, Handbuch der kleinen
Chirurgie 246.
Worms, Diabetes 420.
Zeising, Syphilisbeh. mit Salicyl- und
Thymolquecksilber 89.
Zeissl, Lehrbuch der Syphilis 93.
Ziegenspeck, Desinfection. der Heb-
amme 371 — Tubarschwangerschaft
416.
Ziehen, Opium bei Psychosen 61.
115.
Zemer, Pyrodin333.
V. Ziemssen, Hypnotismus 426 — An-
nalen des I&ankcnhanses zu Mün-
chen 534.
Zuntz, Chloralamid 565.
Zwaardemaker, Cocain 434.
Zweifel, Cephalotrypter oder Cranio-
clast 49 — Ein zweiter Kaiser-
schnitt mit Uterusnaht an derselben
Frau 529.
Sach-Register.
Abführmittel, salinische
231.
Abkühlungsverfahren 133.
Acetanilid 173.
Acetylphenylhydracin 23,
330.
Acne 465
Aderiass 129.
Aethernarkose 87.
Aether nitrosus 276.
Aethylbromid 385, 390.
Aethylenbromid 385, 391.
After, widernatürlicher 336.
Agaricinsäure 270.
Aktinomykose 46.
Amenorrhoe 88.
Ammon. picronitr. 540.
Amputatio n , dermoplasti-
sche 577.
Amylenhydrat 325, 572.
Anästhesie 88.
Ananas 144.
Anchylostomum 129, 434.
Angina 333, 584.
Angiome 433.
Ankylostoma 129, 434.
Antbelminticum 30.
Antifebrin 267, 288, 333,
340, 469.
Antifebrin -Vergiftung 288,
340, 384.
Antipyrese 132.
Antipyrin 27, 28, 41, 47,
48, 88, 96, 169, 181,
185, 281, 282, 440, 469,
573, 584.
Antipyrin-Epilepsie 385.
Antipyrin -Vergiftung 185,
384.
Antisepsis 136; bei Augen-
operationen 531.
Antiseptica 247.
Antiseptischer Verband 584.
Aortenaneurysma 329.
Aprosexia nasalis 67.
Argentum nitric. 430.
Arsenik 77.
Arthrodese 372.
Arznei-Exantheme 37.
Arzneimittel, neuere 47, 487.
Asthma 28, 169, 471.
Athmungsstuhl 84.
Bäder-Almanach 293.
Bäder, hydroelektrische 233.
Balneotherapie 141.
Basedow^scheKrankh. 82,83.
Beckenabscess 416.
Becken, enges 382.
Beckenfractur 46.
Benzanilid 27.
Bergkrankheit 231.
Bindehautentzündung 338.
Blasenkatarrh 488.
Blasensteinzertrümmerung
431.
Blasensteine 155.
Blennorrhoea neonatorum
536.
590
Saeh-R^clttor.
L Mona
HonatahcAe.
BlutiDJection 134.
BlatuDgen 123.
Blutungen po8t partum 416.
Bors&nre 514.
Borsäure-Lanolin 343.
Brandwunden 536.
Bromäthyl 385, 390.
Bromätzun^ 384.
Bromexantaem 468.
Bromkali- Anhäufung 423.
Bromoform 470, 573.
Brompräparate per Rectum
angewandt 489.
CafifeTn 373.
Calomel 334, 460.
Calomelinjection 287, 482.
Calomelöl 480.
Cannabispräparate 80.
Canthariaen 186.
Carbolpaetillen 248.
Carbolyaselin 191.
Carbolyergiftung 482.
Carbunkel 248.
Carcinome 327, 328.
Carcinoma ventriculi 78.
Cardiopathien 334.
Castoreum 440.
Cephalotrypter 49.
Chinin 128, 377, 584.
Chirurgie, kleine 246.
Chloralamid 345, 461, 565.
Chi Oralammonium 461, 515.
Chloralformamid 345, 461.
Chloralsubstitutionsmittel
568.
Chloral-Urethan 461, 515.
Chloroform 175, 176, 177,
185.
Chloroform-Asphyzie 344.
Chlorzink-Aetzung 34, 35.
Chocolade, abführende 488.
Cholera 79.
Cholera-Entleerungen 488.
Chorea 186, 469.
Chromsäure 344.
Cocain 36, 392, 431, 434,
520, 534, 577.
Cocain- Antipyrininj ection
168.
Coca5n-Epilepsie 174.
Cocain-Vergiftung 242, 288,
485, 534.
Cocosnüsse 30.
Codetn 363, 393, 399, 456,
669.
Coffein 536.
Colchicin 569.
Coloquinthen- Vergiftung 39.
Condurango 128.
Congres intern, de Therap.
192.
Conjunctivitis foUic. 63,
118, 258, 311, 401.
Cornealgeschwüre 285.
Cornutin 417.
Cranioclast 49.
Crcolin 23, 88, 184, 473,
474.
Creolin-Ekzem 264.
Creolin-Vergiftung^34, 578.
Creosot 420 vide Kreosot.
Crotonsamen 89.
Croup 135.
Cytisin 174.
Ilarmpunction 335.
Dauerverband 288.
Decubitus 144.
Degeneration der Hinter-
stränge 568.
Delirium tremens 81.
Desinfection der Darment-
leerungen 440.
Desinfection der Instru-
mente 48.
Diabetes 129, 281, 420, 469,
519.
— insipidus 584.
Diarrhoe 96, 472.
Digitalis 134, 276, 280.
Diphtherie 33, 96, 145, 488,
523, 584.
Doppelcyanid C4.
Dysmenorrhoe 88, 339.
Dyspepsie der Phthisifter
272, 280.
Ekzem 37, 38.
Elektricität bei Syphilis 507.
Electuarum e Senna 248,
296.
l^physem 84.
^Empyem der Oborkiefcr-
höhle 239.
Empyem 46, 83, 127, 274.
Endometritis 468, 488.
Enteroptose 26.
Entfettungscur bei Gelenk-
affection 381.
EpUepsie 172, 235, 469, 572.
Erbrechen 144, 536.
Ergüsse, seröse 29.
Ernährung, künstliche 145.
Erysipel 46, 48, 144, 222,
352, 429, 430, 473.
Eschscholtzia californ. 124.
Essentia Frangulae 344.
Exalgin 170, 230.
Extractum Filicis 21.
Extractum Seealis 584.
E xtrauterinsch wan gerschaft
3G9, 415.
Fibromyxom 554.
Filix mas. 90, 138.
Fluorwasserstoffsäure 85,
129, 411.
Flusssäure 411.
Formnlae mag. Berol. 143.
Franklinisation 77.
Fremdkörper 76.
Frostbeulen 96, 583.
Frühgeburt 137.
Furunkel 627.
Fussschweisse 143, 344,
392, 488.
Gallensteinblase -Exstir-
pation 79.
Gallensteine 383, 542.
Galvanokaustik 284.
Geburtshülfe 386.
Gehirntumoren 372.
Gelenkergüsse 126, 127.
Gelenkkrankheit 381.
Genitaltuberculose 371.
Genu valgum 87.
Gicht 271.
Glycerinklystiere 96.
Glycerin-Suppositorien 294.
Gonorrhoe 530, 557.
Granulations-Stenosen 380.
Grippe 584.
Guajakol 279, 400, 574.
aarcur 452.
Haarwasser 343, 391.
Hämoptoe 123.
Hallucination 28.
Harnbinse, künstliche 335.
Hamsecretion 87.
Hautjucken 144.
Hebammenwesen 94.
Helvella esoul. 140.
Hernie, eingeklemmte 488.
Hernie, gangränöse 336,527.
Himrod's Pulver 42.
Hornhautgeschwür 127.
HüflgelenKr«0ection 329.
Hydraoetm 330, 388.
Hjdrtrgyr. salicyl. 480, 577.
, Hydrargyr. thymolicum 89.
Hydrocele 46, 47, 97.
Hydropsie 460.
Hydroxylamin 124, 137, 338,
519.
Hyoscin 25, 256, 282. -361,
367. ^
Hyperemesis gravid. 33, 536.
Hypnose 29, 30, 315, 329,
330, 419, 426, 525,
Hysterie 525.
Ichthyol 219, 222.
Ileus 193, 271.
Impfung 143.
Impotentia virilis 272.
Incarceration des Uterus 182.
Incarceratio interna 336.
Incontinentia urinae 488.
lufect. 42.
Influenz-Elektricität 106.
Intratracheale Zerstäubung
85.
Intubation 135.
Ischias 129, 282.
Jahrbuch klinisches 243.
Jod 128, 489.
Jodintoxication 435.
Jodismus 301.
Jodkaliam 286, 489, 537.
Jodkalium, Zerlegung 367.
Jod, Nebenwirkung l62.
Jodoform 87, 88, 465, 474.
Jodoform-Dermatitis 36, 95,
266.
Jodoform-Vergiftung 186.
Jodol 294.
Jodquecksilber 340.
Jodtinctur 392.
Jurubeba 125.
Kaffeevergiflung 139, 241.
Kaiserschnitt 528, 529.
Kalk 172.
Kali hypermang. 88.
Kalium bichromat. 42.
Kataract 127.
Kältetampons 192.
Kehlkopfs-Exstirpation 238,
372.
Kehlkopfs krankheiten 357.
Kehlkopfkrebs 180.
Kehlkopfschwindsucht 203,
235, 505.
Keuchhusten 27, 169, 173,
344, 376, 377, 424, 470,
573, 584.
Kindbettfieber 427.
Klumpfussbehandlung 527.
KlumpfusBmaschine 381.
Kniegclenkresection 437.
Kochsalzinfusion 477.
Kochsalzinjection 30.
Kohlenoxydvergiftung 76.
Kohlensäure -Inj ection 100.
Krebsgesohwflre 136.
Kreosot 48, 211, 279, 298,
374, 501, 574.
Kreuzbeinresection 369.
Kropfexstirpation 288.
Kystoskopie 442.
liactose 332.
Laminaria 79.
Lanolinsalben 72.
Laparotomie 172, 336, 418.
Laryngismus strid. 48.
Laryngo-PhthisiB 374, 505,
520.
LeberthranverordnoDg 536.
Leinenzwirn 248.
Leukorrhoe 35.
Lipanin 472.
Lithotripsie 155.
Lungenentzündopg 177.
Lungenphthise 420, 501,
520.
Lungenschwindtucht 211,
234, 501, 520.
Lungentuberculose 128, 129,
249, 274, 276, 279, 374,
501.
Lupus 240.
11 agenaspirator 224.
Magenausspülungen 425.
Magenerweitening 273.
Magengä,hruDg 44.
Magenkatarrh 233.
Magenspülung 24.
Magnesium silicicum 182.
Malaria 377. 540.
Mandelhypertrophie 526.
Mandelschlitzang 441.
Manie 24.
Massage, 87.
Massage elektrische 276.
Mastdarmkrebs 171.
Mastdarm-Elektrode 264,
410.
Mastdarmvorfall 466.
Mfßtdarmresection 434.
Mechanische Therapie der
Tabes 519.
Menthol 169,262, 528, 536.
Meteorismus 488.
Methacetin 170.
Migränepulver 391.
MikroorganismeiL der Mund-
höhle 389.
Morphinismus 569, 572.
Morphin Vergütung 436.
Mundwasser 391.
Müch 136.
Milchsäure 182.
Milzexstirpation 283.
Mittelohrentzündung 184.
Moorbäder 165.
Morbus Basedowii 231.
Mundwässer 535.
Myomotomie 336.
Myrtol 22.
Xachtschweisse 123, 344.
Nagel, eingewachsener 240.
Naphthalin 433.
Nasenbluten 96.
NasenoperationeD 552.
Nasenschwindel 67.
HL JalirgMüff. 1
December 1889. J
Saeh-fteglstof.
691
Nasen-Sjphilis 576.
Natriomnitrit 519.
Natrium salicylicum 422.
Natron , dithiosalicylsaures
326.
Nephrectomie 33.
Neryenextraction 371.
Nervenschwäche 436.
Nervensyphilis 43.
Neuenahrer Sprudel 383.
Neurasthenia cordis 520.
Nieren-Echinococcus 33.
Nierenkrankheiten 469.
Nierenoperationen 549.
Nierensteine 329.
Nitrobenzol 242.
Oleum cinereum 287, 436,
480, 481.
Olivenöl bei Gallenstein ea^i
542.
Operationslehre 190.
Ophthalmoskopie 32.
Opium 24, 61, 115.
Opium-Tinctur 41.
Oesophagotomie 33.
Osteome der Ferse 47.
Osteotomie 87. >• «
Otiatrie 18.
Otitis 528.
Ovariotomie 336.
Oxalsäure- Vergiftung 435.
Oxycolchicin 571.
/J-Oxynaphtoesäure 75.
Oxjuris verm. 192.
Ozaena 144.
Panaritium 392, 487.
Papain 33.
Pemphigus 338.
Perforations-Peritonitis 417.
Perineoplastik 415.
Perineorrhaphie 409.
Peritonitis tubercul. 474.
Pemionen 583.
Perubalsam 144, 175, 248,
421, 422, 520.
Phenacetin 344.
Phosphor 127, 574.
Phosphor-Vergiftung 126.
Phthisis 100, 574.
Picrotoxin 141.
Pikrins. Ammon. 540.
Pilocarpin 144, 184.
Placenta praevia 183.
.1 —
Poeums
Pneumo
Post-pai
Prolapsi
Prostata
479.
Prostatii
Prostatit
Pruritus
Pruritus
Psoriasis
Psychose i
Pterygiui
Purpura
Pylorusre
Pvlnrnant
F
1 Que
QuecKi,.."
Queoksiib ■ . .
Quöll^omd :...
Hachitis 127, 423, 573.
Raum, todter 236.
Rectal-Iniectiön 100.
Residualbarn 245.
Resorcin 173.
Rhabarber 126.
Rippenfellentzündung 422.
Rippenresection 83.
Rotz 431.
Rubidium- Ammon-Bromid
348.
Rückgratsverkrummung38 1 .
Haccharin 233, 392.
Salbensonden-Behandlung
430.
Salicylate 92.
Salicylsäme 236, 584.
Salicylsäure-Ausscheidung
282.
Salicylquecksilber 89.
Salol 79, 474.
Salolstreupulver 536.
Salz 36.
Salzbrunn 323.
San tonin -Vergiftung 532.
Sarkom 372.
Sauerstoff-Inhalationen 522.
Säuclingsemährung 524.
Scariatina 48, 575.
Scharlachdiphtherie 48, 86.
•hlfiflosigkeit 121.
hnupfen 96.
hwitzcuren 74.
husswunden des Darms
118.
3ale com. 127.
itio caesarea 528, 529.
. skrankheit 47.
bstinfection 370.
lon Tiglii 89.
sis puerp. 34.
ualempfindung, conträre
79.
3ro6is syphilitica 507,
59,
a^ 516.
. /392.
. ^Ab\ 16, 174, 364,
. 't,>^36.
: ^yoiseröhren -Verengerung
297.
Spülapparat 70.
Stahlbäder 233.
Stropbanthin 25. ^ ,
Strophanthus 82. '^ J
Strychnin 81.
Strychnin-Injection 43.
Strychnin-Vai giftung 341.
Stypage 192.
Sublimat 241.
Sublim atcollodium 89.
Sublimat-Lanolin 102.
Suggestions-Therapie 1, 54,
112, 158, 232, 379, 403.
Sulfonal 80, 123, 226, 255,
332, 419, 459, 468, 495,
571.
Suspension 135, 178, 378,
425.
Suspensorium 38.
Syphilis 74, 89, 93, 187,
241, 287, 291, 465, 481,
507, 568.
Syzygium Jambolanum 519.
Tabak 178.
Tabes dors. 135, 178, 378,
519, 568.
Tänien 96.
Tannin 584.
Taschenfläschchen für Hu-
stende 216.
Taschenirrigator 366.
Temperatursteigerung 127.
Terpenthinöl 488.
Tetanus 77, 469.
Tetanusbacillns 418.
Thallin-Antrophore 286.
Thiocamf 391.
Thioresorcin 518, 534.
Thure-Brandf sehe Methode
183.
Thymöl 129.
Thymolquecksilber 89.
Tollwuth 25.
Tracbeotomie 135, 283.
Trepanation 172, 372, 373.
Trichloriod 127.
Trichopnytiasis 467.
Tuberculose 175, 298, 574.
Tuberkelbacillen, Verbrei-
tung der 521.
Tussis convulsiva 376, 377.
Typbus abdom. 12, 15, 79,
129, 375.
Urämie 422, 582.
^?mterleibsbrüche 475.
^V^^^than 255.
-Urethritis 430.
Urinretention 418.
Uterusatonie 477, 478.
Uterusblutungen 48.
Uterusexstirpation 416.
Uterus - Lageveränderung
283. .
Uterusmyome 183, 447.
Uterusprolaps 183.
Uterustamponade 478.
Tariola 77, 134, 268.
Ventrofixatio uteri 417.
Verband, antiseptischer 584.
Verbrennungen 465.
Virga aurea 334.
Warburg'sche Tinctur 541.
Warzen 392.
Wirbelweh 379.
Wundinfection , puerperale
427.
Wundtamponbefestigung
33.
Xanthom 89.
Zahnschmerzbalsam 392.
Zahnverpflanzung 360.
Zimmerboot 191.
Zoster 77.
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